Für Feinde der Drow wäre es der größte Triumph. Sollte der Sand der Zeit die Stadt der Spinnen verschlingen, würden Tau...
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Für Feinde der Drow wäre es der größte Triumph. Sollte der Sand der Zeit die Stadt der Spinnen verschlingen, würden Tausende auf ihrem Grab tanzen, darunter mächtigere Feinde, als sich selbst ihre argwöhnischsten Bewohner je hätten träu men lassen. Aber Gromph Baenre, Erzmagier Menzoberranzans, wird es soweit nicht kommen lassen. Wenn die Zeit gekom men ist, wird er alles aufs Spiel setzen, um eine Stadt und eine Kultur zu retten, die er inniger liebt, als ein Drow je zugäbe. Während Menzoberranzan ums Überleben kämpft, bereist eine schwindende Gruppe von selbsternannten Rettern die endlosen Weiten des Multiversums auf der Suche nach einer Göttin, die tot sein oder sich einfach von ihnen abgewandt haben könnte. Sie könnten die Reise dorthin mit knapper Not überleben, aber wie steht es mit dem Abgrund der Dämonen netze?
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Vergessene Reiche R.A. Salvatores
DER KRIEG DER SPINNENKÖNIGIN BAND 5
Verheerung
PHILIP ATHANS
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Autor: Deutsch von: Lektorat: Korrektorat: Art Director, Satz und Layout: Umschlagillustration:
Philip Athans Jutta Swietlinski Oliver Hoffmann Thomas Russow/Angela Voelkel Oliver Graute Brom
ISBN 3-937255-24-9 Originaltitel: Annihilation
© der deutschen Ausgabe Feder&Schwert, Mannheim, 2005.
1. Auflage 2005.
Gedruckt in Pilsen, Oldenbourg
Verheerung ist ein Produkt von Feder&Schwert.
© 2005 Wizards of the Coast, Inc. All rights reserved.
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Danksagung Die Menschen, die dieses Buch und die anderen dieser Reihe ermöglichten, sind Peter Archer, Mary Kirchoff, Matt Adelsper ger, Liz Schuh, Mary-Elizabeth Allen, Rachel Kirkman, Angie Lokotz und ihr herausragendes Team und die Meister des Ar beitsflusses, Marty Durham und Josh Fischer. Es erübrigt sich zu sagen, daß es keinen Band 5 ohne die Bände 1–4 und 6 gäbe; deshalb stehe ich tief in der Schuld der anderen Spinnenkönigin-Autorinnen und -Autoren: Richard Lee Byers, Thomas M. Reid, Richard Baker, Lisa Smedman und Paul S. Kemp. Vielen Dank an Elaine Cunningham dafür, daß sie uns bei einem bestimmten Kontinuitätsproblem gehol fen hat, und an Ed Greenwood dafür, daß er diese Welt er schuf. Brom, vielen Dank für die Umschlaggestaltung, alle Bilder sind wahre Meisterwerke. Dank geht auch an die Spie leerfinder und -erfinderinnen Eric L. Boyd, Bruce R. Cordell, Gwendolyn F. M. Kestrel sowie an Jeff Quick für Unmengen an witzigem neuen Spielzeug für das Unterreich. Aber vor allem habe ich R. A. Salvatore zu danken, der der Reihe soviel mehr als nur seinen Namen gab. Er verlieh ihr auch seine grenzenlose Kreativität, Energie und Geistesblitze in größeren Mengen, als irgendjemand von uns je hätte erwar ten können. Wenn es an diesen sechs Büchern überhaupt etwas Gutes gibt, liegt das an ihm.
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Sie war die Stärkste. Sie hatte sich an mehr gelabt als alle anderen, die noch lebten. Sie hatte mehr getötet als alle anderen, die noch lebten. Sie hatte all jene um sich herum getötet und sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihre Kadaver zu verschlingen, ehe sie auf die losging, die sich außerhalb der Todeszone befanden. Sie war die Stärkste. Sie wußte es, während eine weitere ihren zuschnappenden Kiefern zum Opfer fiel. Sie war es, die sich aus dem Blutbad erheben und herrschen würde. Sie war die Stärkste. Die anderen wußten das auch nach kurzer Zeit. Also war sie tot. Im Chaos waren Intelligenz und Vorsatz. In Hunger und Metze lei gab es eine gemeinsame Sache. Sie war die Stärkste und würde alle töten oder alle beherrschen, also verbündeten sie sich und rissen ihr ihre acht Beine aus, um sie zu verschlingen, ehe sie sich wieder gegeneinander wandten. Eine andere gewann durch ihre Handlungen und furchteinflö ßenden Angriffe an Bedeutung. Auch sie fiel der gemeinsamen Sache zum Opfer. Die tödliche Prüfung ging weiter. Die Stärksten starben, aber die Gerissensten überlebten. Die, die zu manipulieren verstanden, überlebten – die, die ihre Stärken besser verbargen, als es nötig war, um die augenblickliche Gegnerin zu töten. Die, die vortraten, die sich über den Tumult erhoben, starben. Im Laufe all der Jahrtausende hatte sie die erkannt, die stärker waren als sie, und sie hatte sie überzeugt, das zu tun, was sie woll te, oder getötet zu werden. Ihre Stärke entsprang nicht der Masse ihrer Muskeln, sondern der Macht ihrer Gerissenheit.
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In der Raserei der Geburt, im Wettstreit der Metzelei ebneten diese Eigenschaften den Weg zum Sieg. Um den Moment zu finden, da individuelle Stärke die gemein same Macht übertraf, um sie zu besiegen. Um inmitten der Schlacht zu intrigieren, um all die zu vernich ten, die stärker waren. Für einige bedeutete es auch, ihre Niederlage einzugestehen, ehe das Vergessen einsetzte, um zu entkommen und zu überleben, neue Chaosdämonen, die auf den Ebenen ihr Unwesen trieben und am Ende der Gewinnerin dienten. Es wurden immer weniger. Die, die zurückblieben, wuchsen an Kraft und Größe. Sie alle warteten und beobachteten, um zu entscheiden, wer sterben mußte, bevor sie die absolute Herrschaft übernehmen konn te, indem sie sich einen Überblick über den Tumult verschaffte, um dieses erwünschte Ziel möglich zu machen. Die, die der unkontrollierbare Hunger getrieben hatte, waren nun tot. Die, die simple Selbstverteidigung getrieben hatte waren nun tot. Die, die törichter Stolz getrieben hatte, waren nun tot. Die, die vom Überlebensinstinkt getrieben worden waren, wa ren tot oder auf der Flucht. Die, die von der Gerissenheit getrieben wurden, hatten überlebt, mit dem Wissen, daß am Ende nur eine als Siegerin hervorgehen konnte. Für alle anderen hieß es entweder Dienen oder Vergessen. Es gab keine andere Wahl. So wie sie die Sterblichen manipuliert hatte, die ihr dienten, und die Sterblichen, die sie fürchteten, so wie sie sogar andere Götter im Laufe der Jahrhunderte manipuliert, hatte, so kontrollierte sie auch ihren Nachwuchs. Das war die Prüfung ihres Ratschlusses. Es gab keine andere Wahl.
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Gromph bemerkte, daß er sich allmählich daran gewöhnte, die Welt durch die Augen seiner Vertrauten zu sehen. Es war dieses Gefühl, das ihn dazu veranlaßte, etwas dagegen zu tun. Gromph Baenre, der Bruder der Muttermatrone des Ersten Hauses der Stadt der Spinnen, Erzmagier von Menzoberranzan, würde nicht länger durch die Augen einer Ratte sehen, als er unbedingt mußte. Kyorlis Kopf ruckte witternd von einer Seite zur anderen und von oben nach unten. Die Ratte mußte in die Richtungen blicken, in die Gromph sie zu blicken zwang, aber sie ließ sich leicht ablenken. Außerdem konnte sie in der Finsternis nicht gut sehen, was im Unterreich bedeutete, daß sie überhaupt nie gut sah, und da es keine Farben gab, nahm Gromph die Zau berkammer wie den Rest der Welt in matten Schattierungen aus Grau und Schwarz wahr.
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Aber Gromph kannte die Kammer gut genug, daß er das Sehvermögen der Ratte nicht benötigte, um ihm ihre Grenzen anzuzeigen. Die verschwommenen Bilder am Rand von Kyorlis Blickfeld waren die großen Säulen, die sich fünfundzwanzig Meter hoch in die Düsternis erhoben, wo sie sich zu einer Reihe freitragender Strebebögen vereinten. Es gab nur verein zelt eingemeißelte Figuren in den Säulen, und was ihnen an Schönheit fehlte, machten sie an magischem Nutzen wett. Die Kammer, die tief im Labyrinth von Sorcere lag, befand sich zu einem bestimmten Zweck dort, und der war nicht, Leute zu beeindrucken. Dort wurde im Laufe der Ausbildung der Schü lerinnen und Schüler, der Prüfungen der Meister und der Er forschung neuer Zauber, um deren Grenzen auszuweiten, ge zaubert, und gelegentlich diente sie auch für Beschwörungen oder Ausspähungen. Gromph Baenre trat in die Mitte des Raumes, und aus Kyor lis Augenwinkel sah er die beiden Drow, die auf ihn warteten. Sie verbeugten sich. Die Ratte witterte, die Nase ausgerichtet auf den Kreis aus riesigen Pilzstämmen, die in der Mitte der höhlenartigen Kammer am Boden befestigt worden waren. Es waren zehn, und an jeden davon war ein einzelner männlicher Drow gefesselt. »Erzmagier«, flüsterte einer der beiden anwesenden Zaube rer ehrfürchtig, seine Stimme hallte von den fernen Mauern in tausend Echos wider. Gromph bezweifelte, daß er sie gehört hätte, wenn er noch über sein Augenlicht verfügt hätte. Der Erzmagier brachte Kyorli dazu, den Kopf zu drehen, um die Zauberer anzusehen, und er war zufrieden, als er sah, daß sie so gekleidet und ausgerüstet waren, wie er es befohlen hat te. In der Zeit, in der er dank des verräterischen DrowLeichnams Dyrr nicht in Menzoberranzan gewesen war, hatten
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sich gewisse Elemente in der Akademie offenbart. Es hatte Gromph weniger Zeit gekostet als befürchtet, aber mehr Zeit als erhofft, seine Autorität in Sorcere wieder zu festigen. Triel hatte zu Gromph Baenres Erstaunen die Kontrolle des Hauses über die Schule der Magier tatsächlich gut aufrechterhalten, aber es gab immer noch Verräter, die getötet und Verschwörer, die wieder eingegliedert werden mußten. All das hatte seine Bemühungen, sein Augenlicht wiederzugewinnen, verzögert. Aber das war nun vorbei. »Alles ist vorbereitet«, sagte der flüsternde Magier – sein ei gener entfernter Neffe Prath Baenre. Prath war jung, noch immer kaum ein Lehrling, und obwohl Gromph die Gesichter der beiden Drow nicht sehen konnte, da Kyorli es für wichtiger hielt, gelegentlich ihr eigenes Hin terteil mit ihren scharfen Vorderzähnen zu kratzen, war er sich sicher, daß der andere – ein Meister Sorceres namens Jaemas Xorlarrin – den jüngeren Drow ungeduldig anblickte. Baenre oder nicht, Sorcere hatte seine Hierarchien. »Meister Xorlarrin«, sagte Gromph und machte damit seine eigene Einstellung zur Notwendigkeit dieser Hierarchie klar, »es ist offensichtlich, daß ich einige Schwierigkeiten mit dem Sehen habe. Ich brauche einfache Antworten auf einige simp le Fragen. Ihr werdet zu meiner Linken stehen. Der Junge wird zur Seite treten, bis er gerufen wird.« »Wie Ihr wollt«, entgegnete der Xorlarrin-Magier. Kyorli hörte auf, sich zu kratzen, als Gromph mit den Fin gern schnippte. Er blickte durch die Rattenaugen, als Kyorli sein Bein hinauf bis zu seiner Hand und dann den Arm ent langflitzte, wo sie sich zuckend und schnuppernd auf der Schulter des Erzmagiers niederließ. Sich selbst durch die Au gen der Ratte zu sehen machte Gromph nervös, und die Füße der Ratte auf sich zu fühlen – wobei beide Sinne unabhängig
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voneinander waren – war eine Erfahrung, die der Erzmagier wirklich nicht noch einmal erleben wollte. Gromph trat auf die festgebundenen Drow zu, sich des Xor larrin-Magiers deutlich bewußt, der dicht hinter ihm folgte. Als sie sich näherten, zeigte sich eine schemenhafte Gestalt – ein weiterer Drow, der in dem Kreis von Gefangenen stand. Es war Zillak, einer der Assassinen, denen der Erzmagier am meis ten vertraute. »Ist der Junge mit den Siglen bereit?« fragte Gromph. Die Antwort bestand in einem schwachen Scheppern von Metall und dem Geräusch hastender Schritte, die schließlich mit einem Rutschen zum Stillstand kamen. »Ja, Erzmagier«, erwiderte Jaemas Xorlarrin. Gromph trat dicht vor einen der festgebundenen Drow. Al le zehn waren Vettern – die mißratenen Söhne des Hauses Agrach Dyrr, durch die Bank Verräter an Menzoberranzan. Gromph Baenre hatte darum gebeten, daß die Jüngsten, die Stärksten, die Fähigsten von ihnen verschont blieben. »Dyrr«, sagte der Erzmagier und versuchte sein Bestes, um seine blicklosen Augen auf das Gesicht des Gefangenen zu richten. Der Gefangene wand sich beim Klang des Namens seiner Familie. Gromph Baenre fragte sich, ob der Junge die Schande spürte, die sein verräterisches Haus jedem einzelnen seiner Verwandten zugefügt hatte. »Ich ...«, murmelte der Gefangene. »Ich weiß, warum ich hier bin, Baenre. Ihr könnt mir das Schlimmste antun, und ich werde mein Haus nicht verraten.« Gromph Baenre lachte. Es fühlte sich gut an. Er hatte seit langer Zeit nicht mehr von Herzen gelacht, und er glaubte nicht, daß er angesichts der Belagerung Menzoberranzans, das sich nur verschanzte, ohne ein Wort von Lolth oder eine Un
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terbrechung ihres Schweigens, in den Tagen, Zehntagen, Mo naten oder gar Jahren, die vor ihm lagen, viel zu lachen haben würde. »Vielen Dank«, sagte der Erzmagier zu dem Jungen. Er nahm nur am Rande die verwirrte, überraschte Miene des Gefangenen wahr, als Kyorli erneut an ihrer juckenden Hüfte nagte. »Es ist mir egal, was du über dein verdammtes Haus zu sagen hast. Du wirst mir nur eine einzige Frage beantworten ... was bedeutet das Sigel?« Es folgte Schweigen, das Gromph als Verwirrung deutete. »Das Zeichen«, sagte der Erzmagier mit Ungeduld in der Stimme. »Das Sigel, das mein junger Neffe dir hinhält.« Wie befohlen hatte Prath einige Schritte entfernt eine Posi tion eingenommen, bei der er sich gegen die Mauer der riesi gen Kammer lehnte und einen kleinen Zettel hochhielt, des sen Seiten jeweils etwa fünfzehn Zentimeter lang waren. Auf seine Oberfläche war eine einfache, leicht wiederzuerkennen de Rune gemalt – eine, die jeder Drow als Markierung eines Weges zu einer Zuflucht erkennen würde, einem Ort der Si cherheit in der Wildnis des Unterreiches. »Ich könnte dich dazu zwingen, es vorzulesen, Dummkopf«, unterbrach Gromph in gedehnter Sprechweise das Zögern des Gefangenen. »Sag mir, worum es sich handelt, und laß uns weitermachen.« »Es ist ...«, sagte der Gefangene blinzelnd. »Ist es das Sym bol Lolths?« Gromph Baenre seufzte und erwiderte: »Fast.« Der Erzmagier stieß im Geiste die Ratte auf seiner Schulter an und drehte ihren Kopf, um zu sehen, wie Zillak eine Garrot te aus dünnem Draht um den Hals des Gefangenen legte. Als Blut unter dem Draht hervorzuquellen begann und ihm Spei chel aus dem Mund troff, gab Kyorli genauer acht. Gromph
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wartete, bis der Todeskampf des Gefangenen aufhörte und er starb, bevor er zum nächsten Verräter trat. »Ich werde es nicht vorlesen!« stieß dieser hervor, während Angst wie in Wellen von ihm ausging. »Was ist das?« Gromph wandte verärgert ob der Zeitverschwendung, die ein Zwangzauber bedeuten würde, seinen Kopf dem XorlarrinMagier zu, der noch immer direkt hinter ihm stand, und fragte ihn: »Welche Farbe?« »Ein grelles Magenta, Erzmagier«, antwortete Jaemas. »Nun«, entgegnete Gromph, »das wird nicht ausreichen, nicht wahr?« Das genügte Zillak, um die Garrotte, von der noch immer das Blut des ersten Dyrr-Vetters tropfte, um den Hals des zwei ten zu legen. Gromph machte sich nicht die Mühe, darauf zu warten, daß der Gefangene starb, ehe er zu dem Dritten im Kreis trat. Dort war ein stechender Gestank nach Urin zu riechen, der fast dazu geführt hätte, daß Gromph einen Schritt zurücktrat, und ein Plätschern hallte von dem harten Steinboden wider. Der Erzmagier stieß den Atem durch die Nase aus, um den Geruch loszuwerden. »Lies vor«, sagte er zu dem verängstigten Gefangenen. »Es ist eine Unterstandrune«, schrie der verängstigte DyrrVetter heraus. »Ein Unterstand.« Gromph konnte an dem femininen Timbre in seiner Stim me erkennen, daß es sich bei ihm um einen jüngeren Vetter handelte. Das war positiv. Kyorli, die vielleicht die Angst des Jungen spürte oder sich von dem Gestank des Urins angezogen fühlte, sah den Gefangenen an, und Gromph tat sein Bestes, um den Blick der Ratte auf die Augen des Jungen fixiert zu halten. Jaemas Xorlarrin beugte sich von hinten zu ihm und sagte
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leise: »Ein angenehmes Blutrot, Erzmagier.« Gromph lächelte, und der gebundene Gefangene tat sein Bestes, um wegzusehen. »Das Kleinere«, sagte Gromph und lauschte dann den ra schelnden Geräuschen, die Praths lange Gewänder hinter ihm machten. »Lies vor«, sagte er zu dem Gefangenen. Der Junge blickte mit tränenüberströmten Wangen auf und blinzelte in Richtung des jungen Baenre, von dem Gromph wußte, daß er die andere Seite des Transparentes in die Höhe hielt, auf dem, wiederum um die Hälfte kleiner als die Unter standrune, eine Nummer gezeichnet war, die Nummer ... »Fünf«, sagte der Gefangene. Seine Stimme piepste auf höchst unziemliche Weise. Gromph trat lächelnd zurück. Jaemas Xorlarrin machte eine geschmeidige Bewegung, um ihm auszuweichen. »Ja«, erwiderte der Erzmagier, »dieser.« Jaemas Xorlarrin schnippte mit den Fingern, und Prath kam rasch zurück, um sich zu seinen Vorgesetzten zu gesellen. Wie der hallte das Geräusch, das entstand, als ein Dunkelelf erdros selt wurde, durch die Kammer, dann noch einmal und fünf weitere Male, während Zillak den Rest der Gefangenen exeku tierte, außer den mit den empfindlichen, blutroten Augen. Während Zillak methodisch seiner blutigen Arbeit nach ging, zogen Gromph, Jaemas und Prath ihre Roben aus und standen barfuß und von der Taille aufwärts nackt da, bekleidet nur mit einfachen Kniehosen. Gromph konzentrierte sich auf die Geräusche der Hinrichtungen und versuchte einen so kla ren Kopf zu bewahren, wie er nur konnte. Während seines Aufstieges in einem anspruchsvollen Haus und dann durch die Ränge Sorceres hatte Gromph viel gese hen und getan. Ihm waren Schmerz und Opfer nicht fremd, und er konnte vielem widerstehen, das selbst andere adlige
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Drow hätte zerbrechen lassen. Er sagte sich, daß er die Hand lungen dieses Tages ebenfalls ertragen würde, zu seinem eige nen Wohl und um Menzoberranzans willen. Er zählte im Geiste die Strangulationen mit, die er hörte, und als Zillak den letzten Lebensfunken aus dem letzten der Dyrr-Gefangenen herauspreßte, sagte er: »Bringt den Tisch herein, wenn Ihr damit fertig seid, Zillak. Dann verlaßt uns.« »Ja ...«, knurrte der Assassine, während er die letzte Exeku tion durchführte, »Erzmagier.« Als das letzte Leben verbraucht war, erhaschte Gromph durch Kyorlis Augen einen kurzen Blick auf Zillak, der sich schnell aus dem Kreis der Toten entfernte und sich die Hände an einem Lappen abwischte. Der überlebende Dyrr weinte, und dem Klang des Weinens nach nahm Gromph Baenre an, daß der Junge sich mehr schämte, als daß er Angst hatte. Er war schließlich zusammengebrochen. Er hatte sich benommen wie irgendein ... Goblin – bestimmt nicht wie ein Drow. Drow machten sich im Angesicht von Tod oder Folter nicht naß. Drow weinten nicht, wenn sie ihren Feinden gegenüberstan den – sie weinten überhaupt nicht. Wenn der Junge nicht seine scharfe Dunkelsicht bewiesen hätte, wäre Gromph fast davon überzeugt gewesen, er sei halbmenschlich. Ein Beispiel für uns alle, dachte er. Zillak rollte einen Tisch herein, an dem vier stabile RothéLederriemen befestigt waren. An einem Ende befand sich ein Rohr, das in eine große Glasflasche mündete, die am unteren Ende des Tisches hing. Zillak stellte den Tisch an die Stelle, die ihm Jaemas anzeigte, und verließ den Raum schnell wieder. Gromph nahm Kyorli in die Arme, als er sich an den Tisch setzte. Als er die Ratte festhielt, fand er heraus, daß er das Tier körperlich drehen konnte, um seine Augen auf die Dinge zu fokussieren, die er zu sehen wünschte. Gromph kicherte über
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den merkwürdigen Zeitpunkt dieser Entdeckung und wandte das Gesicht der Ratte Jaemas zu. Der Xorlarrin-Magier ging demonstrativ nicht auf dieses Anzeichen für Gromphs gute Laune ein. Der junge Prath wirkte einfach nur ängstlich. »Dies ist etwas«, sagte Gromph zu seinem Neffen, »was nur wenige Meister in einem jahrhundertelangen Leben zu Gesicht bekommen, junger Neffe. Du wirst deinen Enkeln erzählen können, daß du dabei warst, es miterlebt hast.« Der Lehrling nickte, offenbar unsicher, wie er darauf ant worten sollte, und Gromph lachte noch immer über ihn, als er sich auf den Tisch legte. Der Stahl fühlte sich an seinem Rü cken kalt an, und Gromph bekam eine Gänsehaut. Er stieß einen langen Seufzer aus, um sich am Zittern zu hindern, und hielt Kyorli gegen seine nackte Brust gepreßt. Die Krallen der Ratte verletzten ihn, aber das störte Gromph nicht. Bald wür de es viel stärkere Schmerzen geben, und nicht nur für den Erzmagier. Zunächst drehte sich alles durch die schwindelerregende Perspektive. Gromph hielt die Ratte hoch und drehte sie, um den Meister Sorceres anzusehen. Aus der Schüssel, die Prath Baenre hielt, hatte Jaemas einen polierten Silberlöffel genom men. Dieser war kein gewöhnliches Küchengerät – die Kanten des Löffels waren scharf wie ein Rasiermesser geschliffen. Jae mas zeigte Prath durch eine Geste an, er solle näher an den Gefangenen herantreten, und begann, einen Zauber anzu stimmen. Die Worte der Macht hörten sich an wie Musik, und ihr Klang ließ einen Schauer über Gromphs bereits frierenden Rücken laufen. Es war ein guter Zauber, ein brutaler Zauber, ein seltener Zauber und einer, den nur eine Handvoll Drow kannte. Doch Jaemas Xorlarrin war sorgfältig ausgesucht wor den.
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Während die Kadenz stieg und fiel, die Worte sich wieder holten und sich dann um sich selbst drehten, trat Jaemas Xor larrin noch näher an den zitternden, verängstigten Gefange nen heran. Er hielt den Löffel vorsichtig in der Hand, so wie ein Künstler seinen Pinsel hält. Mit der anderen Hand hielt Jaemas das linke Auge des Gefangenen weit geöffnet. Erst als der schimmernde Silberlöffel nur noch zweieinhalb Zentimeter vom Auge des Jungen entfernt war, schien der zu verstehen, was passieren würde. Er schrie. Als die scharfe Kante des Löffels unter sein Lid drang, schrie er noch lauter. Als Jaemas mit einer einzigen geschickten, fließenden Be wegung das Auge aus seiner Höhle hob, schrie er sogar noch lauter. Als das Auge mit einem weichen, feuchten Geräusch in die Schüssel fiel, die Prath Baenre unter das Kinn des Gefangenen hielt, kreischte er. Durch die Rattenaugen sah das Blut, das aus der leeren Au genhöhle strömte, schwarz aus. Jaemas hielt das rechte Auge des Gefangenen geöffnet, und der junge Drow begann zu bet teln. Die ganze Zeit über fuhr der Meister Sorceres mit seinem Sprechgesang fort, ohne einen Takt zu versäumen, ohne eine Silbe auszulassen. Als er mit dem Löffel unter das rechte Lid glitt, begann der Junge zu beten. Als das Auge herausfiel, konnte der Verräter nur zittern, sein Mund war weit geöffnet, die Sehnen an seinem Hals zeichneten sich deutlich ab, und Blut strömte ihm über das Gesicht. Gromph kam der flüchtige Gedanke, dem Gefangenen, der gelähmt vor Schmerz und Entsetzen war, zu sagen, daß das letzte, was er sah, zumindest ein Drow-Gesicht und die einfa che Kontur eines Silberlöffels war. Das nächste, was Gromph
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sehen würde, mochte sogar den Erzmagier wahnsinnig werden lassen. Natürlich sagte Gromph Baenre nichts. Durch Kyorlis Augen sah Gromph, wie Jaemas den Silber löffel vorsichtig in die Schüssel gleiten ließ, um keinen der empfindlichen Augäpfel zu verletzen. Der Xorlarrin-Magier nahm, noch immer seinen Sprechgesang murmelnd, seinem Meister die Ratte aus den Händen, und Gromphs Blickfeld drehte sich. Er hörte, wie Prath Baenre die Schüssel sanft auf dem Boden absetzte, und Jaemas drehte die Ratte um, so daß Gromph sich selbst auf dem Rücken auf dem kalten Stahltisch liegen sah. Er konnte beobachten, wie Prath Baenres Hände zitterten, als er vorsichtig, fast zögernd, die Lederriemen um Gromphs rechtes Handgelenk legte. Er befestigte den Riemen, aber bei weitem nicht fest genug. »Fester, Junge«, knurrte der Erzmagier. »Sei nicht zimper lich und habe keine Angst, daß du mich verletzen könntest.« Gromph gestattete sich ein Lachen, als sein Neffe den Rie men anzog und dann zu seinem linken Handgelenk überging. Jaemas Xorlarrin sang weiterhin die Worte des Zaubers, wäh rend Prath das Anschnallen seines Onkels am Tisch an beiden Handgelenken und beiden Fußgelenken beendete. Als Gromph zufrieden mit den Fesseln war, nickte er dem Xorlar rin-Magier zu. Seltsam, dachte der Erzmagier Menzoberranzans, als Jaemas Kyorli auf seiner nackten Brust absetzte. Wenn Lolth es ge wollt hätte, wäre all das nicht nötig gewesen, aber ob sie nun die Gebete ihrer Priesterinnen erhörte oder nicht, all dies wäre trotzdem noch immer möglich. Dieser Gedanke ließ einen zögerlichen Frieden in Gromph aufkommen. Das Wissen – nein, die Gewißheit – seiner Macht hatte ihn immer beruhigt, und so war es auch jetzt. Es war
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diese Gewißheit, die ihm half, normal zu atmen und stillzuhal ten, als er durch die Augen der Ratte sah, wie Kyorli zögernd und sich windend seine Brust hinaufmarschierte, bis zu seinem Kinn. Die Ratte hielt inne, und Gromph sah, wie schwarze Fingerspitzen – die Jaemas’ – sich mit einem verdrehten Stück Draht auf sein linkes Auge herabsenkten. Die Finger des Xor larrin auf Gromphs Lidern fühlten sich kühl und trocken an. Der Erzmagier hielt still, während der Xorlarrin die Drähte sanft und vorsichtig in die richtige Position brachte, um sein Lid offenzuhalten. Dieser Vorgang wurde bei seinem rechten Auge wiederholt, während Jaemas mit seinem Sprechgesang fortfuhr und Kyorli mit uncharakteristischer Geduld zusah. Die Ratte geriet allmählich unter den Einfluß des Zaubers, und dessen Magie fokussierte die Aufmerksamkeit des Nagetiers auf Gromphs Augen. Obwohl er die Drähte spürte, die seine Augen offenhielten, konnte Gromph nichts sehen, sobald er die Konzentration von seiner Vertrauten abwandte. Da gab es keinen Anflug von Licht oder Schatten, keinen Hauch einer Reflexion. Gromph machte einen tiefen, beruhigenden Atemzug und sagte: »Weiter.« Da er die Ratte vernachlässigte und sich statt dessen auf sich selbst konzentrierte, konnte Gromph nicht sehen, wie Kyorli ihm über das Gesicht kroch, aber er konnte jeden Na delstich ihrer Krallen fühlen, konnte ihren Moschusgeruch wahrnehmen und ihr Schnüffeln hören. Ein Barthaar streifte eines von Gromphs Augen, und er zuckte zusammen. Es tat weh. Seine Augen waren nutzlos, aber sie konnten noch im mer Schmerz wahrnehmen. Nun, dachte Gromph, das ist unangenehm. Der erste Biß jagte eine Woge brennender Schmerzen durch den Kopf des Erzmagiers. Gromphs gesamter Leib spannte sich
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an, und seine Zähne knirschten. Er spürte, wie die Ratte sich zurückzog und das Blut langsam an der Seite seines Gesichtes heruntertropfte. Jaemas fuhr unbeirrt mit dem Sprechgesang fort. Der Schmerz hörte nicht auf. »Kyorli«, knurrte der Erzmagier. Die Ratte zögerte. Selbst unter dem Einfluß des Zaubers, selbst wenn sie einen so schmackhaften Leckerbissen wie ein lebendes – wenn auch blindes – Auge angeboten bekam, wuß te die Ratte, daß sie ihren Meister verstümmelte, einen Meis ter, der sich in der Vergangenheit als alles andere als nachsich tig erwiesen hatte. Gromph ließ sein Bewußtsein in das seiner Vertrauten dringen, und trotz des einen bereits ruinierten Auges, aus dem Blut von der Seite seines Gesichtes tropfte, konnte Gromph sehen. Doch war es das gleiche farblose, trübe Seh vermögen einer Ratte. Er sah die Bißwunde, die die Ratte seinem rechten Auge bereits zugefügt hatte, sah das Blut, sah, wie er selbst zitterte, sah seine grimmig zusammengebissenen Kiefer und den ungeschützten, hilflosen Apfel seines anderen blinden Auges, das die widerstrebenden Dienste des Nage tiers erwartete. Gromph zwang Kyorli, ihre Aufgabe zu beenden. Kyorli mochte angesichts von Jaemas’ Befehlen gezögert haben, aber sie reagierte auf die Einladung ihres Meisters zu fressen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Zumindest für die Dauer von drei Bissen sah Gromph zu, wie ihm sein eigenes Auge aus dem Kopf gefressen wurde, dann verschwamm Kyor lis Sicht, als sie mit ihrem Kopf in den zerstörten Augapfel eintauchte, um an den empfindlichen, blutdurchtränkten Stücken in seinem Inneren zu reißen. Der Schmerz war anders als alles, was sich Gromph je hätte vorstellen können, und in seinem langen, schwierigen Leben
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hatte der Erzmagier Menzoberranzans sich schon vieles vorge stellt. »Schreit, wenn Ihr müßt, Erzmagier«, flüsterte sein Neffe ihm ins Ohr, kaum hörbar, weil die Ratte so geräuschvoll fraß. »Es liegt keine Schande darin.« Gromph knurrte und versuchte zu sprechen, aber er hielt seine Kiefer krampfhaft geschlossen. Der junge Lehrling hatte keine Ahnung davon, was Schande bedeutete, aber selbst in seiner unerträglichen Agonie versprach sich Gromph selbst, daß sein Neffe es lernen würde und daß dies das letzte Mal gewesen war, daß Prath Baenre seinem Onkel einen Rat gab. Gromph schrie nicht einmal, als die Ratte zum anderen Auge überging.
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Der Dämon steuerte sie zum dunkelsten Teil des Sees, und nicht ein einziger der Drow machte sich irgendwelche Gedan ken darüber. Vor Anker schaukelnd hob sich das Chaosschiff – Raashubs Chaosschiff– in der tiefen Düsternis des Schattensees grellweiß von der pechschwarzen Dunkelheit ab. Das Wasser selbst war von einem Schwarz, das sich nur mit dem intensiven Ebenholzschwarz der Haut seines Drow-Meisters vergleichen ließ. Der Zauberer, der, den sie Pharaun nannten, hatte ihn gefunden, ihn gebunden und an sein eigenes Deck gekettet, und zwar völlig ohne Demut, ohne Respekt und ohne Furcht. Der Gedanke daran bewirkte, daß die borstigen schwarzen Haa re, mit denen das runzlige graue Fleisch des Dämons übersät war, sich aufrichteten. Einige Momente lang stand der Dämon da und schwelgte in dem Haß, den er gegenüber diesem Dun kelelfen und seinen hochmütigen Verwandten empfand.
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Der Drow hatte eine unterwürfige, einfältige, willensschwa che Mane nach der anderen auf diese Ebene gezwungen. Die verdammten Seelen unbedeutender Sünder waren Nahrung im Abyss, und sie waren Nahrung für das Chaosschiff. Der Uride zu zählte die Manen, die der Drow-Zauberer hergebracht hatte, in der Hoffnung, die Kraft des Drow einzuschätzen. Wenn es sich beim Herbeizwingen niederer Dämonen um eine exakte Wissenschaft handelte, kannte Raashub ihre genaueren De tails zwar nicht, aber es kamen so viele von ihnen, daß kein Zweifel daran bestehen konnte, wie geschickt der Drow war. Raashub half den Drow nicht, er war zufrieden damit, daß sie nicht nur sein Schiff fütterten, sondern dabei auch ihre Zau ber, Bemühungen und Wachsamkeit erschöpften. Die Anwe senheit all dieser jammernden, elenden Dämonen mußte die Sinne der Drow-Priesterin dermaßen vernebelt haben, daß Raashub von Zeit zu Zeit die Grenzen seiner Gefangenschaft verschieben konnte. Das primitive Bewußtsein einer Ratte drang in seines ein, und Raashub warf einen winzigen Seitenblick in ihre Rich tung. Er rief sie schon seit zwei Tagen auf subtile Weise – seit die Drow an Bord gekommen waren. Die Nagetiere schwam men an der Oberfläche des Schattensees und bewohnten die Zwischenräume zwischen den Decks und unter den Stufen des Chaosschiffes, auf die gleiche Weise, wie Ratten überall schwammen, sich versteckten und überlebten. Raashub, ein Uridezu, war so sehr Ratte wie alles andere, was ein normaler Bewohner der Materiellen Ebene verstehen konnte, und er kannte die Ratten des Unterreiches, wie er die Ratten in je dem Winkel der endlosen Ebenen kannte. Das Nagetier reagierte auf Raashubs Blick mit einem stum men Zucken seiner Barthaare, eine Geste, die der Uridezu mehr fühlte als sah. Es huschte hinter den dicken Fuß des
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Großmasts und kroch vorsichtig auf den Draegloth zu. Sie nannten den Halbdämon Jeggred. Es handelte sich bei ihm um ein durchschnittliches Exemplar eines Draegloth. Wenn Raashub dumm genug gewesen wäre, ihn anzugreifen, hätte der Draegloth einen Kampf Mann gegen Mann gewon nen, aber so dumm würde der Uridezu niemals sein. Er würde niemals so dumm sein wie der Draegloth. Die Ratte wollte den Halbdämon nicht beißen, und Raas hub mußte stumm insistieren. Es war ein Wagnis, aber für den Uridezu war die lockende Belohnung das Risiko wert. Sein telepathisches Drängen zog allerdings wieder die Aufmerksam keit einer der Drow auf sich, und der Uridezu zog sich zurück und schlug die Augen nieder, ehe es zu einem Blickkontakt zwischen ihnen kam. Sämtliche Drow fügten sich, wenn auch widerwillig, der namens Quenthel, die offensichtlich eine Hohepriesterin der elenden Drow-Spinne Lolth war. Sie war genauso eingebildet und dieser Einbildung genauso unwürdig wie der Rest von ihnen, aber sie war feinfühlig. Raashub mach te sich Sorgen, daß sie ihn tatsächlich hören konnte, auch wenn er es nicht wollte. Die Ratte sauste zum Draegloth und zwickte ihn in den Knöchel. Der Halbdämon versetzte ihr knurrend einen hefti gen Schlag, und das winzige Nagetier flog durch die Luft hin aus in die Dunkelheit. Das Platschen war fast zu weit entfernt, um es noch zu hören. Der Draegloth, dessen Haut durch die Zähne der winzigen Kreatur nicht verletzt worden war, heftete seine Augen auf die Raashubs und funkelte ihn wütend an. Jeggred hatte in den vergangenen beiden Tagen kaum etwas anderes getan, als ihn wütend anzufunkeln. Lästiger kleiner Schädling, schickte Raashub dem Draegloth als stumme Botschaft hinüber, nicht wahr? Der Draegloth stieß einen kurzen, übelriechenden Atemzug
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aus den Nüstern aus und bleckte langsam die Fangzähne – Reihen von Dolchklingen, scharf wie Rasiermesser und spitz wie Nadeln. Jeggred fauchte wütend, und kochender Speichel brutzelte auf seinen Lippen. Hübsch, spottete Raashub. Jeggreds Augen verengten sich verwirrt. Raashub gestattete sich ein Lachen. Quenthel drehte sich um und blickte sie beide an. Wieder vermied Raashub einen Blickkontakt. Er bewegte seinen Fuß gerade weit genug, um mit der Kette, die ihn fesselte, gegen den Drachenknochen zu rasseln, der den größten Teil des Decks seines Schiffes bildete. Über ihm hingen die zerrissenen Segel aus Menschenhaut schlaff in der stehenden Luft. Der Dämon hörte, wie Jeggred sich umdrehte. Raashub gefiel das Spiel – sie waren bei ihrem jungenhaften Unfug von einer strengen, mißbilligenden Mutter erwischt worden. Quenthel blickte wieder weg, und Jeggred heftete erneut den Blick auf Raashub. Der Uridezu machte sich nicht mehr die Mühe, ihn noch einmal zu verspotten. Es wurde langweilig. Statt dessen gab sich der Dämon damit zufrieden, still dazuste hen und dem Schiff gelegentlich ein wenig näher in Richtung der tieferen Düsternis entlang der Höhlenwand zu verhelfen. Geduld war normalerweise keine Eigenschaft, die Angehö rige seiner Art genossen, aber Raashub saß schon eine lange Zeit im Schattensee fest. Das Auftauchen der Drow war wie ein Gottesgeschenk gewesen – auch wenn Raashub aus dem Tonfall ihrer Gespräche und den Bruchstücken von Fakten bezüglich ihrer Mission, die die Drow ausgeplaudert hatten, wußte, daß es nicht gerade ein Gott oder eine Göttin waren, die sie geschickt hatten. Es war ihnen gelungen, sein Schiff und ihn zu befreien. Wäre er etwas anderes als ein Uridezu, geboren im wirbelnden Chaos der Mutter Abyss, wäre er viel
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leicht ... ah, wie war das Wort? Dankbar? Statt dessen war er geduldig, noch etwas länger ein wenig geduldig. Bald würden die Drow in ihre Trance versinken, ihre Medi tation, die so sehr dem Schlaf ähnelte, und die Hohepriesterin würde in ihr Inneres schauen. Wenn es an der Zeit war und sie nicht fühlte, was er tat, würde Raashub einen weiteren seiner Art vom anderen Ende der unendlichen Weite zwischen den Ebenen holen. Er hatte schon am Vortag einen von ihnen gerufen. Die Drow, die zuviel Vertrauen in ihre Macht über ihn setzten, hatten es nicht gespürt, als er gerufen hatte; es war ihnen nicht aufgefallen, daß sein Vetter Jaershed den Abyss überquerte, und noch immer war ihnen nicht klar, daß der andere Uridezu sich schon jetzt, gehüllt in beschworene Dun kelheit, an den Kiel klammerte und wartete. Jaershed hatte Geduld nicht auf die Art gelernt wie Raashub, und er verströmte den Durst nach Blut und Chaos manchmal regelrecht in Wellen. Dann sah sich die verdammte Hohe priesterin um, als hätte sie etwas gehört, als dächte sie, jemand beobachte sie. Raashub klagte dann schweigend und fügte seine mentale Stimme dem qualvollen Stöhnen der langen Reihe von Manen hinzu, die sie eine nach der anderen herhol ten und unter ihre Kontrolle brachten. Quenthel war neugierig und beunruhigt, aber letztlich glaubte sie, was sie hörte. Schließlich hatten die Drow Raashub besiegt. Ihr mächtiger Magier hatte ihn auf dieser elenden Ebene in die Falle gelockt, ihn an sein eigenes Deck gekettet, ihn in die Knie gezwungen, ihn versklavt ... und niemand von ihnen konnte sich vorstel len, daß nichts – weder im Abyss noch im Unterreich, im Schattensee oder auf einem Schiff aus Knochen und Chaos – ewig währte. Raashub schloß die Augen, bändigte seine Vorfreude und lächelte.
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Ryld Argith spähte in die Dunkelheit des nächtlichen Velars waldes und seufzte. An den Stellen, an denen die Bäume hoch genug waren und nahe genug zusammenstanden, um keine Sicht auf den sternenübersäten Himmel zu gestatten, hatte er ein fast angenehmes Gefühl, aber diese Augenblicke waren sehr selten, da es sich, wie der Waffenmeister erkannt hatte, um einen vergleichsweise kleinen Wald handelte. Die Geräu sche waren nicht besonders hilfreich – die ganze Zeit über waren Gezwitscher und Geraschel aus jeder Richtung zu hö ren, die oft überhaupt nicht widerhallten. Sein Gehör, das durch jahrzehntelange Übung in Melee-Magthere sensibilisiert war, hatte sich auf die Eigenheiten des Unterreiches einge stellt, aber in der Welt an der Oberfläche machte es ihn zum nervlichen Wrack. Der Wald schien ständig von Feinden zu wimmeln. Er drehte sich um, weil er die Finsternis nach der Quelle ei nes Zwitscherns absuchen wollte – etwas, von dem ihm gesagt worden war, sein Ursprung sei ein »Nachtvogel« –, aber statt dessen begegnete er Halisstras Blick. Sie wußte, was ihn be schäftigte – da er bei jedem Geräusch erschrak – und lächelte ihn auf eine Weise an, die Ryld nur wenige Tage zuvor als Zeichen verstanden hätte, daß sie an ihm eine Schwäche er kannt hatte, die sie später ganz bestimmt ausnutzen würde. Das Funkeln in ihren purpurroten Augen schien nun das Gegenteil anzudeuten. Halisstra hatte Ryld vom Beginn ihrer Bekanntschaft an verwirrt. Die Erste Tochter eines Adelshauses aus Ched Nasad war zuerst durch und durch die hochmütige, selbstbeherrschte Priesterin gewesen, zu der man sie erzogen hatte, aber als ihre Göttin ihr den Rücken kehrte, ihr Haus und mit ihm auch ihre
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Stadt unterging, hatte sich Halisstra verändert. Ryld gab die Gesellschaft seines langjährigen Verbündeten Pharaun und der übrigen Menzoberranzanyr auf, um mit ihr zu gehen, und er bedauerte es nicht, aber er war sich nicht sicher, ob er dem Unterreich für immer den Rücken kehren konnte, wie sie es so offensichtlich getan hatte. Ryld besaß noch immer ein Zuhau se in Menzoberranzan – zumindest nahm er das an, so weitab von jeder Nachricht aus der Stadt, die die Auswirkungen von Lolths Schweigen schon gespürt hatte, als er sie verließ. Wenn er darüber nachdachte, fühlte er die Gewißheit, daß er eines Tages zurückkehren würde. Wenn er Halisstra anblickte, sah er eine Drow, eine wie er, aber auch ganz anders als er. Er wußte, daß sie niemals zurückkehren würde, selbst wenn sie ein Haus gehabt hätte, zu dem sie zurückkehren könnte. Sie war anders, und Ryld wußte, daß er sich irgendwann auch ändern oder ohne sie nach Hause gehen müßte. »Ist alles in Ordnung?« fragte sie ihn. Ihre Stimme war eine willkommene Unterbrechung der Kakophonie des Waldes. Er begegnete ihrem Blick, aber war nicht sicher, was er antworten sollte. Dank Uluyara und Feliane, der Priesterinnen Eilistraees, war er nicht nur am Leben, sondern unverletzt. Das Gift, das ihn fast das Leben gekostet hätte, war durch ihre Magie aus seinem Blut entfernt worden, und seine Wunden und die von Halisstra waren geheilt, ohne auch nur Narben zu hinterlassen. Die fremde Göttin von der Oberfläche hatte ihm das Leben gewährt, und Ryld wartete noch immer darauf, daß sie oder ihre Anhängerinnen ihm die Rechnung präsentieren würden. »Ryld?« hakte Halisstra nach. »Ich ...« Er hielt inne, drehte den Kopf, und als er hörte, wie Ha lisstra Atem holte, um erneut zu sprechen, hob er warnend
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eine Hand, damit sie schwieg. Etwas bewegte sich ganz in der Nähe. Es befand sich am Boden und kam auf sie zu. Er wußte, daß Feliane ein Stück vorausgegangen war – die Priesterinnen Eilistraees hatten immer Verständnis dafür, wenn es darum ging, den beiden Neuankömmlingen Zeit für sich zu geben –, aber sie befand sich weiter weg und in einer anderen Richtung. Hinter dir, signalisierte er, auf deiner linken Seite. Halisstra nickte, und ihre rechte Hand bewegte sich zu der magischen Klinge an ihrer Hüfte. Ryld beobachtete, wie sie sich langsam drehte, und als er Splitter zog, das er auf dem Rücken festgeschnallt hatte, gönnte er sich einen Augenblick, um den Schwung von Halisstras Hüfte zu bewundern. Ihre Rüstung glitzerte im Sternenlicht vor dem dunklen Hinter grund des Waldes. Ihre Füße knirschten im Schnee, und Ryld spürte den Geräuschen nach. Was auch immer es war, es be wegte sich unvorsichtig, und es klang, als handle es sich um mehr als ein Wesen, obwohl die fehlenden Echos ihm eine genaue Bestimmung erschwerten. Er konnte keine Verände rung in der Art erkennen, wie es sich bewegte, als beide ihre Schwerter zogen, also hielt Ryld es für unwahrscheinlich, daß der Eindringling sie gehört hatte. Eine lange, dünne Pflanze, der es an Grün mangelte – die Priesterinnen Eilistraees hatten eine solche als »Busch« be zeichnet – erzitterte, aber nicht durch den Wind. Halisstra trat ein Stück zurück und hielt die Mondsichelklinge schützend vor sich. Sie wandte ihm den Rücken zu, so daß Ryld nicht in Zeichensprache mit ihr kommunizieren konnte. Er wollte ihr sagen, sie solle noch weiter zurückweichen, ihn sich um das kümmern lassen, was da kam, aber er wollte nicht sprechen. Als das Ding hinter dem Busch hervorkam, trat Halisstra schnell drei Schritte zurück, ihr Schwert in Bereitschaft. Ryld
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eilte auf das Bündel aus borstigem braunem Fell zu, in der An nahme, Halisstra würde ihm den Weg freimachen. Als sie das nicht tat, war er gezwungen anzuhalten, und es sah zu ihm auf. Das, was dem Wesen von allen Kreaturen, die Ryld je gesehen hatte, am nächsten kam, war eine Rothé, aber es war keine Rothé. Das Wesen war klein, Größe und Gewicht entsprachen etwa Rylds Torso, und seine weitgeöffneten Augen waren feucht und unschuldig, schwach und ... »Jung«, flüsterte Halisstra, wie um seinen Gedanken zu be enden. Ryld senkte seine Deckung nicht, obwohl das Tier ruhig auf dem Boden saß und ihn anblickte. »Es ist ein Junges«, sagte Halisstra und ließ die Mondsichel klinge in die Scheide zurückgleiten. »Was ist das?« fragte Ryld, noch immer nicht bereit, seine Deckung zu senken, geschweige denn sein Schwert in die Scheide zu stecken. »Keine Ahnung«, antwortete Halisstra, aber dennoch kau erte sie sich davor nieder. »Halisstra«, zischte Ryld, »um Lolths –« Er hielt inne, ehe er den Gedanken beenden konnte. Das war eine weitere Gewohnheit, die er entweder ändern oder nach Hause mitnehmen mußte. »Es wird uns nicht fressen«, flüsterte sie, indem sie dem kleinen Wesen in die Augen sah. Es schnupperte an ihr, und sein Blick erwiderte ihren. Es schien neugierig, und sein Gesicht erinnerte entfernt an das eines Elfen, aber sein Blick ließ nur die Intelligenz eines Tiers erkennen, nicht mehr. »Was hast du vor?« fragte er. Halisstra zuckte die Achseln. Ehe Ryld noch etwas sagen konnte, spazierten noch zwei
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weitere der kleinen Tiere aus den Büschen, um ihren Kamera den und die beiden Drow mit sanfter Neugierde zu betrachten. »Feliane wird wissen, was wir mit ihnen anfangen sollen«, meinte Halisstra, »oder uns wenigstens sagen können, worum es sich bei ihnen handelt.« Nun war es an Ryld, die Achseln zu zucken. Eines der We sen leckte sich, und nicht einmal Ryld war so angespannt, daß er sie noch als Bedrohung sehen konnte. Halisstra sandte ei nen Ruf aus, den die Priesterinnen Eilistraees ihnen beige bracht hatten – den Ruf irgendeines Vogels –, und Ryld ließ seinen Zweihänder zurück in seine Scheide gleiten. Feliane würde den Ruf hören und herkommen. Ryld schau derte, als ihm bewußt wurde, daß sie, wenn sie hierherkäme und sie beide verblüfft von Wesen, die aussahen wie harmlose Beutetiere, vorfinden würde ... wieder dumm dastehen würden. Zumindest Ryld. Feliane stapfte durch das Unterholz. Ryld war überrascht, nicht nur davon, wie schnell die Priesterin Eilistraees sich bewegte, sondern auch davon, wie laut sie war. Er hatte ge lernt, ihre Fähigkeit zu respektieren, unbemerkt durch den Wald zu huschen – Da wurde ihm klar, daß das, was er durch den pechschwar zen Wald auf sie zupreschen hörte, nicht Feliane war. Es war keine Drow, auch kein Oberflächenelf, nicht einmal ein Mensch. Es war etwas anderes – etwas Großes. Das Ding brach aus dem dichten Gewirr des Unterholzes hervor wie eine sich nähernde Mauer aus verfilztem braunem Fell. Ryld bekam Splitters Schwertknauf zu fassen, aber konnte es nicht mehr ziehen, ehe das Tier ihn überrollte. Der Waf fenmeister versuchte, sich zusammenzukauern, um seinen Bauch vor den trampelnden Klauen des Monsters zu schützen, aber auch dafür blieb ihm nicht genug Zeit.
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Die Kreatur trampelte über ihn, stolperte über ihn, rollte über ihn und trat dann auf ihn. Ryld konnte nur die Augen fest geschlossen halten und ächzen. Sie war schwer, und als sie ihn zum ersten Mal auf den Boden preßte, hörte Ryld zuerst und fühlte dann auch, wie wenigstens eine seiner Rippen unter ihrem Gewicht brach. Schließlich ließ sie von ihm ab, und Ryld rollte sich zur Seite – zu irgendeiner Seite – ab und blieb zusammengerollt unter einem langen, dürren »Busch« liegen, der Dornen besaß, die seiner Rüstung und seinem Piwafwi zusetzten. Schnee drang in die Zwischenräume der Platten seiner Rüstung und berührte eisig kalt seinen Hals und seine Hände. Das Wesen blieb stehen, überschlug sich schließlich einmal und kam wieder auf die Beine, wobei es noch immer nicht in Rylds Richtung sah. Der Waffenmeister sah auf und blinzelte es an. Es sah aus wie eine größere – viel größere – Version der kleinen Tiere, die aufgetaucht waren, um an den Drow zu schnuppern. Es war eine schlaue List und sicher eine erfolgrei che Jagdstrategie: Entwaffne deine Beute, lenke sie mit deinen neugierigen Jungen ab und stampfe sie in den Boden, wenn sie nicht hinsieht. Dennoch zog der Meister Melee-Magtheres eine Grimasse, weil er darauf hereingefallen war, so schlau er auch war. Ich werde langsam, dachte er. Der freie Himmel, all diese Gespräche über Göttinnen und Erlösung ... Ryld schüttelte die ablenkenden Gedanken ab und sprang auf. Gleichzeitig zog er Splitter und wirbelte damit vor sich herum. Das schwere Tier drehte sich um, um ihn anzusehen, und Ryld war darauf vorbereitet. Das Tier sah ihm in die Augen, und Ryld blinzelte über die rasiermesserscharfe Kante seines Zweihänders hinweg in seine Richtung.
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Dampf drang aus den Nüstern, als es eine Reihe lauter Grunzlaute ausstieß. Es kratzte mit einer Vorderpfote im Schnee, und Ryld sah seine überraschend feingliedrigen Hän de, die in schwarzen Klauen in der Größe von Jagdmessern ausliefen. Der Blick in den Augen der Kreatur war eine Mi schung aus Begriffsstutzigkeit und wilder Wut – ein Blick, den Ryld schon gesehen und zu respektieren gelernt hatte. Dumme Feinde waren leicht zu besiegen, ärgerliche Feinde noch leich ter. Aber kam beides zusammen, mußte man sich auf einen Kampf gefaßt machen. Das Tier griff an, und Ryld tat ihm den Gefallen, sich ihm zu nähern. Als es sich zum Angriff aufrichtete, war das Tier beinahe dreimal so groß wie der Drow. Diese Zurschaustellung hätte geringere Gegner wahrscheinlich eingeschüchtert, aber sie bewirkte bei Ryld nur, daß er den Bauch des Dings zu spal ten versuchte. Der Waffenmeister hieb mit Splitter in Schul terhöhe hart nach vorne. Der Hieb war dazu gedacht, die Bauchdecke des Tieres aufzuschlitzen und ihm ein schnelles Ende zu bereiten. Aber das Tier war flinker, als es aussah, ließ sich nach hinten fallen und rollte sich auf den Rücken, als die Klinge von Rylds Schwert an ihm vorbeisauste, wobei er es um dreißig Zentimeter oder mehr verpaßte. Ryld blieb keine ande re Wahl, als dem Schwung des Schlages zu folgen, aber es gelang ihm, die Trägheit zu nutzen, um nach links auszuwei chen, als das Wesen mit den Hinterpfoten nach ihm schlug. Ryld drehte sich und kam zum Stehen, die Klinge hoch er hoben, während das Tier weiterrollte und mit einer Drehung wieder auf die Füße kam. Beide pusteten Dampf in die eisige Luft, aber nur Ryld lächelte. Sie gingen wieder aufeinander los, und Ryld war darauf vor bereitet, daß es entweder versuchen würde, ihn niederzutram peln oder sich wieder auf die Hinterbeine zu erheben. Doch
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das Tier tat keines von beidem. Es streckte beide Hände nach dem Drow aus und versuchte offensichtlich, ihn an den Schul tern zu packen – oder am Kopf. Am Ende seines Laufes rutsch te Ryld auf es zu, und als er mit dem Zweihänder unter das Kinn des Tieres gelangte, stach er aufwärts. Er hatte vorgehabt, es aufzuspießen oder sogar zu köpfen, aber sein Gegner erwies sich noch immer als überraschend beweglich. Er wich mit dem Kopf zur Seite aus, und alles, was Ryld tun konnte, war, ihm eine Verletzung an einem Ohr beizubringen. Der Waffenmeister rutschte weiter und zog die Arme an, so daß er erneut zustechen konnte, um die Kreatur zumindest endlich in die Eingeweide zu treffen, aber das Tier sprang zur Seite und rollte weg, womit es ihm schon wieder gelang, dem Angriff des Drow zu entgehen. Ryld sprang auf die Füße, und die beiden Gegner standen einander abermals gegenüber. Ryld hörte eine Stimme zu sei ner Linken und warf einen kurzen Blick in diese Richtung, wo er Halisstra sah, die sich in einer gebeugten Gebetshaltung befand und eine Art Sprechgesang murmelte. Das Tier nutzte Rylds momentane Ablenkung und sprang auf ihn los, wobei es mühelos zweieinhalb Meter überwand, bevor es vor dem Drow auf den Boden krachte. Die Kreatur mußte zurückweichen, um einem weiteren Hieb Splitters auszuweichen, und geriet dabei aus dem Gleichgewicht. Sie öffnete weit die Kiefer, wobei sie häßliche Fangzähne enthüllte, und ließ erneut eine Reihe von ärgerlichen, frustrierten Grunzlauten entweichen. Mit einem Klauenpaar schlug sie nach Ryld. Dieser war dar auf vorbereitet, dem Angriff zu begegnen, voll auf seine Ab sicht konzentriert, das Vorderbein des Tiers am Ellbogen abzu trennen – als beide plötzlich zurückzuckten, um einem Ding auszuweichen, das in einem Wirbel aus Federn, Krallen und aufgewirbelter Luft zwischen ihnen durch die Luft schoß.
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Ryld folgte dem Blick des Tiers, als er dem wilden Kurs des neuen Mitspielers durch die Luft nachsah. Es war eine Art Vogel, besaß aber vier Flügel. Seine bunten Federn verschmol zen perfekt mit dem dunklen Hintergrund des Waldes, und Ryld verlor ihn tatsächlich für einen Moment aus den Augen. Das riesige Pelztier trat zurück, während es versuchte, gleich zeitig Ryld anzusehen und das Vogelding im Auge zu behalten. Selbst Ryld konnte das nicht, und da das Pelztier sich vor ihm befand und nicht mehr ganz so wachsam war, trat der Waffenmeister vor, um erneut anzugreifen – und wieder schoß das Vogelding zwischen sie und teilte die Luft mit seinen na delspitzen Krallen. Ryld zuckte kaum zurück, aber das große Tier fiel fast auf den Rücken, um dem Neuankömmling auszuweichen. Ryld, der schon mitten im Schlag war, änderte rasch die Richtung seines Angriffs und war nur noch einen Zentimeter davon entfernt, das schnell fliegende Vogelding in zwei Hälften zu zerteilen, als Halisstra hinter ihm einen Ruf ausstieß. »Warte!« rief sie, und Ryld senkte die Spitze seiner Klinge gerade weit genug, um den Vogel vorbeifliegen zu lassen. »Das ist meins. Ich habe es beschworen.« Ryld hatte keine Zeit, sie zu fragen, wie ihr das gelungen war. Statt dessen trat er drei weite Schritte zurück, die Augen auf das Tier gerichtet, das bereits wieder auf den Beinen stand. Das Vogelding schoß aus der Finsternis hinter dem Tier hervor und zog seine Krallen über dessen Kopf. Die Kreatur heulte vor Schmerz und Überraschung auf und schnappte mit den Kiefern nach dem vorbeifliegenden Vogelding. Er verfehlte es um einen Schritt oder mehr. »Was ist das?« fragte Ryld, der Halisstra nicht ansah, son dern den Blick auf das wütende Waldtier geheftet hielt. »Es ist ein Pfeilfalke«, antwortete Halisstra.
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Ryld hörte den Stolz und die Überraschung in ihrer Stim me, und irgend etwas daran jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Das Tier sah ihn, grunzte und griff an. Entweder hatte es den Pfeilfalken vergessen oder den Versuch aufgegeben, sein Kommen vorherzusehen. Ryld duckte sich, Splitter vor sich gestreckt, in Erwartung des Angriffs des Tiers. Er hielt die Schultern locker und sagte sich, der Kampf habe schon lange genug gedauert. Er würde sich nicht lächerlich machen lassen ... Da sauste der Pfeilfalke über seinen Kopf hinweg und ver fehlte seinen kurzgeschnittenen weißen Schopf nur um eine Fingerbreite. Ryld zog den Kopf ein, als der Pfeilfalke über ihn hinweg schoß. Dieser flog so schnell wie ein Pfeil, der von einem Langbogen abgeschossen wurde, und es war für Ryld einfach zu verstehen, wie das Wesen an seinen Namen gekommen war. Es sah so aus, als flöge der Falke geradewegs auf die Augen des pelzigen Tieres zu. Einerseits wünschte Ryld sich, der Pfeilfalke möge es töten, andererseits wollte er nicht von einem be schworenen Vogel bloßgestellt werden. Zumindest nicht vor ... Auch dieser Gedanke blieb unvollendet, als Ryld sich, beim Anblick des riesigen Bodenbewohners, der den Pfeilfalken mit einer riesigen, klauenbewehrten Hand direkt aus der Luft fing, selbst keuchen hörte. Der Vogel gab ein ohrenbetäubendes Kreischen von sich, und das Wesen sah ihm in die Augen, als es zuzudrücken be gann. Ryld zweifelte nicht einen Augenblick daran, daß das große Tier den langen, schlanken Pfeilfalken mit einer Hand in zwei Teile zerbrechen konnte. Es war nur noch eine halbe Sekunde davon entfernt, genau das zu tun, als der Pfeilfalke ruckartig seine langen Schwanzfedern nach oben bewegte und
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auf das Gesicht des Tieres richtete. Ein blendender Blitz aus gleißendem Licht bildete einen Bogen von den Schwanzfedern bis zur Nasenspitze des Tiers. Ryld schloß schnell die Augen und biß gegen den Schmerz die Zähne zusammen. Es war ein lautes Rascheln von Federn zu hören, ein weiteres ärgerliches Kreischen und ein schrilles Geheul, das nur von dem großen Bodenbewohner stammen konnte. Ryld öffnete die Augen und mußte zwinkern, um das Nach bild des hübschen purpurroten Funkens zu vertreiben, der aus den Schwanzfedern des Falken geschossen war. Das Tier hatte den Vogel losgelassen, der nirgends mehr zu sehen war. Eine dünne Rauchsäule stieg von seiner verbrannten Nase auf, und der Gestank versengten Haars erfüllte rasch die stille Nacht luft. Halisstra trat zu Ryld, und sie tauschten einen Blick und ein Lächeln, als das große Tier sich vor Schmerz wand. »Nicht schlecht«, scherzte Ryld, und Halisstra antwortete mit einem zufriedenen Lächeln. »Gelobt sei Eilistraee«, sagte sie. Als ob es sie verstünde und ihrer Göttin keine liebevollen Gefühle entgegenbrächte, blickte das große Tier auf, stieß erneut zwei wilde Grunzlaute aus und stürzte auf sie los. Ryld streckte eine Hand aus, um Halisstra hinter sich zu schieben, aber sie hatte bereits einen Satz zurück in die Finsternis ge macht. Er festigte seinen Stand, bereit für den Angriff, und sah, wie der Pfeilfalke erneut aus der Dunkelheit geschossen kam. Der Vogel richtete blitzschnell die Schwanzfedern nach vorne aus, und Ryld, der wußte, was folgen würde, schloß die Augen und hob einen Arm – mit beiden Händen um Splitters Knauf –, um seine empfindlichen Augen zu schützen. Dann waren ein elektrisches Knistern, ein schwacher Ge ruch nach Ozon und wieder der nicht gerade schwache Ge
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stank nach verbranntem Haar wahrzunehmen. Das Pelztier knurrte vor unerträglichen Schmerzen, und Ryld öffnete die Augen. Wieder war der Pfeilfalke nirgendwo zu sehen, wahr scheinlich wirbelte er durch den Wald, wich Baumstämmen aus und drehte eine Runde, um dann erneut anzugreifen. »Warte!« rief eine Frauenstimme. Ryld dachte zuerst, es sei Halisstras. »Nein, Feliane«, rief Halisstra zurück. »Es ist alles in Ord nung. Zwischen Ryld und dem ...« »Nein!« schnitt ihr die Oberflächenelfe das Wort ab. Ryld hätte sich umgedreht, um Felianes Ankunft zu beo bachten, aber das Tier hatte sich entschlossen, ihn erneut anzugreifen. Ryld, der sich nicht sicher war, was genau Feliane aufhalten wollte, trat auf das große Tier zu. Aber er sah, wie der Pfeilfalke sich näherte, und kam rutschend im Schnee zum Stehen. Es war dem Tier wohl bewußt, warum der Drow so plötzlich anhielt, und als der Pfeilfalke sich im niedrigen Flug näherte, um ihm einen weiteren Schlag mit den Krallen zu verpassen, sah die Kreatur ihn ebenfalls. Kiefer schlossen sich um den Pfeilfalken. Es gab ein lautes Wirrwarr flatternder Flügel, von Schreien, Knurrlauten, Schnappen und Knallen – und der Pfeilfalke fiel in zwei zu ckenden, blutenden Teilen in den Schnee. »Was ist hier los?« rief Feliane, deren Stimme nun viel nä her klang. »Was im Namen der Göttin tut ihr da?« Mit seinen langen, von Fangzähnen gesäumten Kiefern, von denen das Blut des Pfeilfalken troff, sah das Tier wilder, gefähr licher und wütender aus denn je. Ryld lächelte, wirbelte seinen riesigen verzauberten Zweihänder vor sich herum und rannte auf das Ding zu, das vor ihm stand. Hinter ihm, abseits im Unterholz, sprachen Halisstra und Feliane in drängend klingendem Tonfall miteinander, aber
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Rylds geübte Sinne verdrängten es. Sie waren Verbündete, und der einzige Gegner von Bedeutung war das wilde Tier. Wor über auch immer sie diskutierten, sie konnten es ihm erzählen, nachdem er das heimtückische, schlaue Raubtier getötet hatte. Die Kreatur richtete sich auf, als Ryld auf sie zukam. Der Drow hielt Splitter flach vor sich und fügte dem ungeschützten Bauch des Tieres eine tiefe Wunde zu. Blut quoll aus dem Schnitt und durchtränkte schnell das verfilzte, schmutzigbrau ne Fell um ihn herum. Ryld schwang Splitter wieder herum und hielt ihn mit beiden Händen über dem Kopf vor sich, um einen letzten Stich damit auszuführen, mit dem er das Tier aufspießen wollte. Das Waldraubtier bewies erneut, daß es sich nicht leicht er geben würde. Ehe Ryld ihm den entscheidenden Stoß mit Splitter versetzen konnte, schloß das Ding seine riesige, hand ähnliche Pfote um seinen rechten Arm und grub die Klauen in die Stelle zwischen seiner Schulterplatte und seiner Arm schiene, um die Haut seines Unterarms zu durchbohren. Ryld brachte seinen rechten Arm nach unten und drückte die Klauen gegen seine gepanzerte Seite, um das Tier davon abzuhalten, ihm die Schulterplatte wegzureißen – und damit auch Haut und Muskeln. Das hatte leider zur Folge, daß die Spitze seines Zweihänders nach oben kippte. Das Tier drückte nach unten, und sein Gewicht reichte aus, um Ryld so weit in die Knie zu zwingen, daß er ausrutschte und dann auf den Rü cken fiel. Splitters Spitze glitt an der Schulter des Tiers vorbei, ohne es zu verletzen. Als er spürte, wie die andere Pfote seine linke Schulterplatte festhielt, wußte Ryld, daß er festsaß. Das Tier schnappte nach seinem Gesicht, aber Ryld hatte noch genug Bewegungsspielraum, um seinen Kopf mit einer ruckartigen Bewegung in Sicherheit zu bringen. Mit all seiner beträchtlichen Kraft drückte sich der Waffenmeister nach
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oben, aber da seine Arme über seinem Kopf festgehalten wur den und sein Schwert fast bewegungslos neben dem Ohr des Tieres hing, mußte er Rücken und Schultern benutzen, um zu versuchen, sich vom Boden zu erheben – wobei er das vier Meter fünfzig große Tier, das vermutlich mindestens eine Tonne wog, mit sich forttrug. Es war nur eine kleine Bewe gung, aber als das Tier fühlte, daß er versuchte, sich nach oben zu drücken, drückte es ihn weiter nach unten und streckte seine Arme das winzige Stückchen aus, das Ryld brauchte, um sein Schwert mit Gewalt nach unten zu reißen. Mit einer schmerzhaften Drehung seiner Handgelenke gelang es Ryld, Splitters Spitze unter das Kinn des Tieres zu bewegen. Das Tier rollte seine dunklen, trüben Augen nach unten und reckte den Hals von dem Schwert weg. So hingen die beiden fest, und Ryld befürchtete, daß sie eine sehr lange Zeit so bleiben würden: Das Tier schob ihn weg, während er ver suchte, ihm den Hals zu durchbohren. »Halisstra!« schrie Feliane. »Nein!« Der Klang ihrer Schreie war schrill, panisch und nahe ge nug, daß schließlich in Rylds Bewußtsein drang, daß die beiden Frauen noch immer da waren. Er war nicht allein. Sie würden ihn das volle Ausmaß der Strafe spüren lassen, wie Frauen es zu tun pflegten, aber sie würden ihn nicht in dieser Lage allein lassen – oder? Dem Klang von Felianes Stimme nach zu schlie ßen hatte sie genau das vor. Ryld verdoppelte seine Anstrengungen, aber das Tier tat dasselbe, und damit kamen sie einer Lösung kein Stück näher – bis Ryld eine Frau auf eine seltsame Art knurren hörte und ihm klar wurde, daß es Halisstra war. Das Ding neigte sich das winzige Stück nach vorne, auf das Ryld hoffte. Splitters Spitze drang in den Hals des Tiers, und Blut lief an der Klinge herunter. Das Tier grunzte und öffnete das Maul
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einen halben Zentimeter – womit es der Klinge ermöglichte, ein ebenso großes Stück weiter hineinzugleiten. Heißes, rotes Blut ergoß sich aus der Wunde und wurde im Rhythmus seines immer schneller schlagenden Herzens aus dem Hals des Mons ters gepumpt – Ryld war auf die Arterie gestoßen, die zu finden er gehofft hatte. Er sah Halisstras Stiefel zu seiner Rechten und hörte, wie ein Schwert gezogen wurde. Sie war dem Tier auf dem Rücken gesprungen, wo sie nun mit gespreizten Beinen saß, und zog die Mondsichelklinge, um ihm den tödlichen Schlag zu versetzen. Ryld feierte diese Erkenntnis, indem er Splitters Spitze im Hals der Kreatur drehte, was noch mehr Blut hervorquellen und einen sichtbaren Schauder über das Fell der Kreatur laufen ließ. Feliane rannte herbei und mußte die Seite des Tieres hart getroffen haben. Halisstra ächzte, und der Koloß begann, zur Seite umzukippen. Ryld stocherte vorsichtshalber noch in seinem Hals herum, da er nicht sicher war, ob das Wesen wirk lich tot war. Felianes Stiefel knirschten neben ihm im Schnee, und sie sagte: »Hör auf. Um Eilistraees willen, dafür war die Mondsi chelklinge nicht gedacht.« Ryld ließ den zitternden Kadaver von sich herabrollen. Er blieb ausgestreckt im Unterholz liegen. Ryld zuckte vor Schmerzen in seiner Schulter und seinem Unterarm zusam men. Er zog die Klinge aus dem Hals des toten Tiers, kam auf die Beine und stolperte einige Schritte zurück, ehe seine Beine ihn wieder trugen. Halisstra und Feliane standen neben dem Tier, und Felianes Hand hielt Halisstras Schwertarm in einem festen Griff. »Ich konnte nicht ...«, sagte Halisstra mit bebender Stim me, jedes Wort unterstrichen von einer dampfenden Atem
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wolke in der frostigen Luft. »Ich konnte nicht zulassen, daß es ihn tötet.« Beide drehten sich um, um Ryld anzusehen, der nur die Achseln zucken konnte. »Sie hat nur ihre Jungen beschützt«, sagte Feliane. Sie sah Ryld an, aber der hatte deutlich den Eindruck, sie spräche mit Halisstra. Ryld verstand nicht, was sie meinte. Wer beschützte ...? »Das Tier?« fragte er. »Sie ist ein Riesenfaultier«, sagte die Eilistraee-Priesterin, ließ Halisstras Hand los und entfernte sich von ihr. »Sie war ein Riesenfaultier. Sie sind selten, besonders so weit im Nor den.« »Gut«, sagte Ryld. »Sie war zäher, als sie aussah.« »Verdammt!« fluchte Feliane. »Sie hat nur ihre Jungen be schützt. Du hättest sie nicht töten müssen.« Halisstra blickte auf ihr Schwert, dessen Klinge in der Fins ternis leuchtete. »Warum«, fragte Ryld, »sollte sie einen bewaffneten Drow angreifen, um ihre Jungen zu beschützen? Sie hätte weiterleben können, um neue zu gebären.« Feliane öffnete den Mund, um zu antworten, schwieg aber. Sie hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, den Ryld noch niemals auf dem Gesicht einer Drow gesehen hatte, so weit er sich erinnerte. Halisstra sah auf das tote Faultier hinab und flüsterte: »Sie ...« Ryld schüttelte den Kopf. Er verstand es nicht und begann zu glauben, daß ihm das wohl auch nie gelingen würde.
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Es war zwei Tage her, daß Pharaun seinen Meister kontaktiert hatte, und die Neuigkeiten, die diese Verständigung gebracht hatte, lasteten noch immer schwer auf den Schultern des Ma giers. Der Zauber gestattete nur einer kurzen Botschaft die Reise durch das Netz vom Schattensee nach Menzoberranzan sowie einer ebenso kurzen Botschaft die Reise zurück. Chaosschiff ist unser, hatte Pharaun übermittelt, sorgfältig darauf bedacht, keine unnötigen Worte zu benutzen, obwohl das seinen natürlichen Neigungen widerstrebte. Rat für richtige Ernährung. Trauen Kapitän nicht. Nachrichten von Ryld oder Halisstra Melarn? Heimgeschickt für Detailbericht. Er hatte endlose Sekunden auf eine Antwort gewartet und sich dabei ständig gefragt, ob die Zeit, vor der er sich gefürch tet hatte, gekommen sei – der Moment, in dem Gromph Baen re, Erzmagus von Menzoberranzan, es versäumen würde zu
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antworten. Das würde der Moment sein, in dem Pharaun wuß te, daß sie versagt hatten, daß es keine Stadt mehr gab, in die sie zurückkehren konnten, keine zivilisierte Welt, die bewahrt werden mußte. Diese Zeit war noch nicht da. Mit Manen füttern, hatte der Erzmagier geantwortet. So vie len wie möglich. Kapitän wird Macht dienen. Argith und Meisterin Melarn nicht hier. Hört auf mit Streitereien und macht Euch an die Arbeit. Pharaun hielt nicht inne, um sich zu fragen, woher Gromph gewußt hatte, daß der seidene Faden zu reißen drohte, an dem die Zweckbündnisse dieser Expedition hingen. Gromph war schließlich selbst Drow und ging wahrscheinlich einfach da von aus. Wenn er gedacht hätte, ihm bliebe genügend Zeit, dann hätte sich Pharaun möglicherweise wesentlich intensiver mit diesem Punkt befaßt und herauszufinden versucht, in wel chem Umfang Gromph von ihren Handlungen wußte, aber es gab wichtigere Dinge, die erledigt werden mußten. Eine Mane war wohl kaum das erschreckendste Wesen, das man beschwören oder kontrollieren konnte, aber sie war den noch ein Dämon. Er würde mächtige Zauber verwenden müs sen, um sie zu beschwören und zu binden, und dabei würde er die ganze Zeit über einen gewissen Einfluß auf den UridezuKapitän ausüben müssen, der sich Raashub nannte. Er war nur so lange in Trance versunken, daß er seine magischen Kräfte wieder aufladen konnte, und tat alles, was seine beträchtliche Übung ihm gestattete, um dabei die äußerste Grenze zu errei chen. Die Parade der scheußlichen, kriecherischen und schnappenden niederen Dämonen, die er an Deck des Schiffes gebracht hatte, begann sogar ihn selbst zu erstaunen, und Pha raun hoffte, daß Quenthel und die anderen das ebenfalls be merken würden. Diejenigen von ihnen, die solche Fähigkeiten
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richtig einschätzen konnten, mußten beeindruckt sein, und dann würden sie auch Angst haben – und solange sie Angst hatten, war er in Sicherheit. Als er eine Reihe stinkender Feinde zwischen die knir schenden Kiefer im Frachtraum des Dämonenschiffes führte, ließ Pharaun seine Gedanken zum Rest dieser Verständigung zurückwandern. Ryld hatte es nicht bis Menzoberranzan ge schafft, aber das konnte alles mögliche bedeuten. Er konnte überall zwischen dieser Höhle auf der Welt an der Oberfläche und der Stadt der Spinnen getötet worden sein, oder er war noch unterwegs. Es gab keine zwei Punkte im Unterreich, zwischen denen direkte Verbindungslinien existierten, und vielleicht war er nur wenige Kilometer weit gekommen, so daß nun immer noch Zehntage der Reise vor ihm lagen. Ryld mochte noch immer einen Groll hegen, weil Pharaun ihn vor vielen Tagen im Stich gelassen hatte, damals in der Stadt, aber Pharaun wußte, daß er in dem Meister MeleeMagtheres noch immer einen mächtigen Verbündeten hatte. Der Krieger stand vielleicht im Bann der Ersten Tochter des Hauses Melarn, aber wenn Halisstra noch lebte, war sie sicher lich selbst auch auf dem Weg nach Menzoberranzan. Pharaun konnte sich nicht vorstellen, daß die heimatlose Priesterin ein anderes Ziel hatte. Ohne Ryld an seiner Seite hatte Pharaun Quenthel und ih rem Draegloth-Neffen Jeggred soviel Platz gelassen, wie es das beengte Deck zuließ. Sie hatten kein Verständnis dafür gehabt, daß Pharaun sie sich selbst überlassen hatte, während er sich auf den Weg gemacht hatte, um Valas und Danifae zu holen. Selbst Valas und Danifae waren davon überrascht gewesen, aber Pharaun hatte vor langer Zeit gelernt, daß ein vorsichtiger Drow seine Feinde für eine Weile auf glühenden Kohlen schmoren läßt, wann immer sich eine Möglichkeit dazu ergibt,
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und sei es nur, um sie daran zu erinnern, daß er dazu fähig war. Dennoch war die Meisterin Arach-Tiniliths mehr als nur ein wenig ungehalten gewesen, und Jeggred hatte erneut ver sucht, ihn ernsthaft körperlich anzugreifen. Quenthel hatte ihn, wenn auch widerstrebend, zurückgehalten und Jeggred damit beauftragt, den Uridezu zu bewachen. Sie waren Brüder im Geiste: Dämonen auf der falschen Ebene, die gezwungen waren, Drow zu dienen, die bereit waren, sie zurück in den Abyss zu bringen, der sie hervorgebracht hatte. Pharaun gestat tete sich einen Seufzer bei diesem Gedanken. Er wußte, daß es von außen betrachtet eine schlechte Idee war, sich auf den Weg in den Abyss zu machen, aber sie hatten alles Akzeptable vor langer Zeit hinter sich gelassen. Sie befanden sich auf neuem Territorium. Sie waren auf dem Weg zur Spinnenköni gin höchstpersönlich, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als Lolth am wenigsten geneigt schien, sie zu empfangen. Pharaun war sicher, daß er nicht der einzige war, der Be denken wegen der Expedition hatte, so energisch er sich auch dafür ausgesprochen hatte, daß sie ihre Reise fortsetzten. Für einen Meister Sorceres war es eine Mission, die ihn zum Erz magier Menzoberranzans machen konnte. Was Quenthel be traf, so hatte sie schon den höchsten Posten erreicht, auf den sie hoffen durfte. Als Herrin Arach-Tiniliths war Quenthel die geistige Führerin ganz Menzoberranzans und die zweitmäch tigste Frau in der Stadt. Einige behaupteten gar, sie sei in Wahrheit mächtiger als ihre Schwester Triel. Von allen Drow aus Faerûn würde sie sicher am ehesten in Lolths Reich willkommen geheißen werden – angenommen, es gab Lolth oder den Abgrund der Dämonennetze überhaupt noch –, aber die Hohepriesterin war nervös. Ihr normalerweise strenger Gesichtsausdruck war fast starr geworden, und ihre Bewegungen waren ruckartig und zuckend. Jedes Gespräch
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über die Reise, die noch vor ihnen lag, führte dazu, daß sie auf dem Deck auf- und ablief, ohne sich der niederen Dämonen bewußt zu sein, die oft nach ihr schnappten oder nach ihr griffen. Selbst Pharaun, so zynisch er auch war, wollte nicht glau ben, daß die Herrin Arach-Tiniliths möglicherweise dabei war, ihren Glauben zu verlieren. Die Tatsache, daß Jeggred Quenthels Unbehagen auch be merkt hatte, trug nicht dazu bei, daß der Magier sich besser fühlte. Das Mienenspiel des Draegloth war nicht immer leicht zu entziffern, obwohl der Halbdämon der intellektuell Unfä higste der ganzen Gruppe war, aber seit sie zum Schattensee gekommen waren – oder vielleicht auch schon vorher –, be trachtete Jeggred seine Tante mit anderen Augen. Er konnte ihre Aufregung sehen, obwohl er sie vielleicht für Angst hielt, und das gefiel ihm nicht im geringsten. Pharaun schloß die Augen und holte tief Luft, als die letzten Manen des Tages in die Speiseröhre des Schiffes stürzten. Er fühlte sich müde genug, um wie ein Mensch zu schlafen. Ohne sich auch nur die Mühe zu machen, das Deck zu überqueren, um zu der Stelle zu gelangen, wo er seinen Rucksack abgestellt hatte, sank Pharaun auf die fleischigen Planken nieder und setzte sich hin. »Bevor du in Trance versinkst«, sagte Valas Hune hinter ihm, »sollten wir noch einige praktische Angelegenheiten besprechen.« Pharaun drehte sich um, um den Späher von Bregan D’aerthe anzusehen, und zeigte ihm ein schiefes Lächeln. »Praktische Angelegenheiten?« fragte der Magier. »Ich bin jetzt zu müde für irgendwelche Angelegenheiten ... außer ... denen, ... die ... die ...« Pharaun schloß die Augen und schüttelte den Kopf.
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»Geht es dir gut?« fragte der Späher, wobei es seinem Ton fall deutlich an wirklicher Besorgnis mangelte. »Mein Verstand hat mich im Stich gelassen«, erwiderte Pharaun. »Ich muß wirklich müde sein.« Valas nickte. »Wir werden Vorräte brauchen«, sagte er und sprach damit alle vier an. Quenthel sah nicht auf, und Jeggred wandte seinen Blick nur für eine Sekunde von dem Uridezu ab. Der Draegloth zuckte die Achseln und meinte: »Ich kann den Kapitän fressen.« Pharaun machte sich nicht die Mühe, den Uridezu anzuse hen, um eine Antwort zu erhalten, und vernünftigerweise gab der auch keine. »Nun, ich nicht«, entgegnete Valas, »und der Rest von uns auch nicht.« »Wird es keine Möglichkeit geben, irgendwo anzuhalten?« fragte Danifae. Pharaun sah die schöne, geheimnisvolle Kriegsgefangene mit einem Lächeln an und sagte: »Wir werden von diesem See aus über den Rand in die Schattentiefe reisen. Von da weiter in die endlose Astralebene und von da aus in den Abyss. Alle Raststationen am Rande des Weges werden ... unzuverlässig sein, um es milde auszudrücken.« »Um nicht zu sagen«, schnitt ihm Valas das Wort ab, »es wird keine geben.« »Was hattest du im Sinn, Valas?« fragte Pharaun. »Über wieviel reden wir?« Der Späher zuckte demonstrativ die Achseln und wandte sich an Quenthel, um sie zu fragen: »Wie lange werden wir unterwegs sein?« Quenthel wich fast vor der Frage zurück, und Jeggred drehte
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sich um, um ihren Rücken einen Moment lang anzustarren, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder dem gefangenen Uridezu zuwandte. »Einen Monat«, antwortete Pharaun für sie, »sechzehn Ta ge, drei Stunden und vierundvierzig Minuten ... plus minus sechzehn Tage, drei Stunden und vierundvierzig Minuten.« Quenthel starrte Pharaun böse an, ihre Miene war unbe weglich. »Ich dachte, Euer Verstand hätte Euch im Stich gelassen, Meister Sorceres«, meinte Danifae. Sie wandte sich an Quenthel. »Die Frage ist unmöglich genau zu beantworten, das verstehe ich, Herrin, aber ich nehme an, daß eine grobe Schät zung ausreichen wird, oder?« Sie sah Valas Hune an, die weißen Brauen in die Höhe ge zogen. Der nickte, den Blick immer noch auf Quenthel gerich tet. »Es ist einfach so, daß ich keine Ahnung habe«, sagte die Herrin Arach-Tiniliths schließlich. Die restlichen Drow zogen die Brauen hoch. Jeggred kniff die Augen zusammen. Das war nicht die Antwort, die sie er wartet hatten. »Niemand von uns hat das«, fuhr sie fort und ignorierte die Reaktion, »und genau deswegen machen wir uns überhaupt auf den Weg. Lolth wird mit uns tun, was ihr gefällt, wenn wir uns erst einmal im Abgrund der Dämonennetze befinden. Wenn wir Nahrung brauchen, dann für die Dauer unserer Reise dort hin und vielleicht auch für die Rückreise. Wenn Lolth be schließt, für uns zu sorgen, solange wir dort sind, dann sei es so. Wenn nicht, dann werden wir keine Nahrung brauchen, zu mindest keine, die auf dieser Welt erhältlich wäre.« Die Hohepriesterin legte ihre Hände um ihre Oberarme und nahm sich selbst fest in den Arm. Sie sahen, wie sie vor un
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verhohlener Furcht zitterte. Pharaun war zu schockiert, um die weiteren Reaktionen der anderen wahrzunehmen. Schließlich erregte ein tiefes, grollendes Knurren Jeggreds seine Aufmerk samkeit, und er blickte hinüber, nur um zu sehen, daß der Blick des Draegloth auf Quenthel geheftet war, die erfolgreich ihren dämonischen Neffen ignorierte. »Ihr redet wie Menschen«, knurrte Jeggred. »Ihr sprecht vom Abyss, als sei er ein wilder Hund, von dem Ihr denkt, er könnte Euch in den Hintern beißen, also erhebt Ihr Euch nie von Euren Stühlen. Ihr vergeßt, daß der Abyss Euer Jagdrevier ist, auch wenn Ihr meist von der anderen Seite der Ebenen aus jagt. Seid Ihr Drow? Herren dieser Welt und der nächsten? Oder seid Ihr ...« Jeggred hielt inne, Kiefer und Hals angespannt, und richtete seinen stahlharten Blick wieder auf den Uridezu. Der Dämo nenkapitän sah weg. »Ihr unterstellt uns einiges, Jeggred«, sagte Danifae. Ihre klare Stimme hallte über das ruhige Wasser. »Es ist nicht Furcht, um derentwillen wir uns auf unsere Reise vorbereiten, da bin ich sicher, sondern Notwendigkeit.« Jeggred drehte sich langsam um, aber er sah nicht Danifae an. Statt dessen richtete sich sein Blick einmal mehr auf die Herrin Arach-Tiniliths. Quenthel wirkte zumindest aus Pha rauns Sicht so, als sei sie in Trance versunken. Jeggred blies einen kurzen, scharfen Atemstoß durch seine geweiteten Nüs tern und schenkte Danifae ein von Fangzähnen gesäumtes Lächeln. »Furcht«, sagte der Draegloth, »hat einen bestimmten Ge ruch.« Danifae erwiderte das Lächeln des Halbdämons und ent gegnete: »Die Furcht vor Lolth duftet sicher am süßesten.« »Ja«, unterbrach Valas sie, auch wenn Danifae und der
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Draegloth einander weiterhin mit undurchschaubarer Miene anstarrten. »Das ist alles gut und schön, aber bestimmt weiß jemand, wie lange es dauern wird, dorthin zu gelangen und wieder zurückzukehren.« »Einen Zehntag«, erwiderte Pharaun, der aus keinem ande ren Grund eine Schätzung abgab als darum, das Thema zu einem Ende zu bringen, damit er sich ausruhen und seine Ma gie wieder auftanken konnte. »Pro Strecke.« Valas nickte, und niemand erhob Einspruch. Jeggred wid mete sich wieder seiner Aufgabe, den Kapitän anzustarren, und Danifae zog einen Wetzstein hervor, um einen Dolch zu schär fen. Die Vipern an Quenthels Peitsche wanden sich liebevoll um sie herum und sanken der Reihe nach in Schlaf. »Dann werde ich mich aufmachen«, meinte Valas. »Aufmachen?« fragte Pharaun. »Wohin?« »Nach Sshamath«, erwiderte Valas. »Es ist ziemlich nah, und ich habe dort Verbindungen. Wenn ich allein gehe, kann ich schnell wieder zurück sein, und niemand, der Bregan D’aerthe nicht fürchtet, wird überhaupt wissen, daß ich da war.« »Nein«, sagte Danifae, wodurch sie sowohl Valas Hune als auch Pharaun erschreckte. »Hat die junge Herrin einen besseren Vorschlag?« fragte Pharaun. »Sschindylryn«, sagte sie. »Was ist damit?« fragte Pharaun. »Es ist näher«, erwiderte Danifae, »und es wird nicht von den Anhängern Vhaerauns beherrscht.« Sie warf Valas Hune einen stechenden Blick zu, und Pha raun gestattete sich ein Grinsen. »Ich bin müde«, sagte der Meister Sorceres, »so daß ich schwach genug bin, um zugunsten Valas’ zu sprechen. Er ist ein
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Bregan D’aerthe, Herrin, und seine Loyalität erhält die, die dafür bezahlt. Ich glaube, wir werden keine Probleme damit haben, unser Späher könnte uns Gottheiten auf den Hals het zen. Wenn er schneller nach, durch und aus Sshamath gelan gen kann, dann laßt ihn tun, womit er beauftragt wurde.« »Er wird nach Sschindylryn gehen«, sagte Quenthel, wobei ihre Stimme so flach und leise klang, daß Pharaun sich nicht sicher war, richtig gehört zu haben. »Herrin?« fragte er. »Ihr habt mich verstanden«, sagte sie und sah ihn endlich an. Sie ließ ihren kalten Blick eine Weile auf seinem Gesicht ruhen, doch Pharaun hielt dem stand. Dann wandte sie sich an Valas Hune. »Sschindylryn.« Falls der Späher je daran gedacht hatte, Einwände zu erhe ben, unterdrückte er sie nun rasch. »Wie Ihr wünscht«, ant wortete Valas. »Ich werde Euch begleiten«, sagte Danifae, wobei sie Valas ansprach, aber Quenthel ansah. »Ich komme allein schneller voran«, wandte der Späher ein. »Wir haben Zeit«, sagte die Kriegsgefangene, die noch im mer Quenthel ansah. Die Hohepriesterin drehte sich langsam zu Danifae um. Der Blick ihrer kalten roten Augen erwärmte sich, als er über die Rundungen des Mädchens glitt. Danifae beugte sich fast un merklich zu ihr, was Pharaun ein Lächeln entlockte, das so beeindruckt wie amüsiert war. »Sschindylryn ...«, sagte der Magier. »Ich bin ein- oder zweimal dort durchgereist. Portale, nicht? Eine Stadt voller Portale, die dich in einem einzigen Augenblick vom einen Ende des Unterreiches zum anderen bringen können ... oder auch woandershin.«
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Danifae drehte sich zu Pharaun um und erwiderte sein Lä cheln – beeindruckt und belustigt. »Wieviel Zeit haben wir?« fragte Valas Hune, der das subti lere, stumme Gespräch innerhalb des Gespräches noch immer nicht beachtete. Pharaun zuckte die Achseln und meinte: »Fünf Tage ... viel leicht auch sieben. Ich sollte das Schiff bis dahin mit ausrei chend Nahrung versorgt haben.« »Das kann ich schaffen«, erwiderte Valas Hune. »Knapp.« Der Späher sah Quenthel an, damit sie ihm antwortete, und Pharaun seufzte und drängte seine Frustration zurück. Er sah auch Quenthel an, die sanft den Kopf einer ihrer Peitschenvi pern streichelte. Die Schlange schaukelte neben ihrer wei chen, ebenholzfarbenen Wange in der Luft, während die ande ren Vipern schliefen. Pharaun wurde den Eindruck nicht los, daß die Schlange mit ihr sprach. Ein Geräusch erregte Pharauns Aufmerksamkeit, und er sah, wie Jeggred unbehaglich seine Position veränderte. Der Blick des Draegloth ging zwischen seiner Tante und der Viper hin und her. Pharaun fragte sich, ob Jeggred einen stummen Ge dankenaustausch zwischen der Hohepriesterin und ihrer Peit sche hören konnte. Wenn er das konnte, dann machte das, was er hörte, ihn ärgerlich. »Du wirst Danifae mitnehmen«, sagte Quenthel, wobei sie die Viper nicht aus den Augen ließ. Wenn Valas Hune enttäuscht war, dann zeigte er es nicht. Statt dessen nickte er. »Macht euch auf den Weg, sobald ihr fertig seid«, sagte Quenthel. »Ich bin fertig«, erwiderte der Späher womöglich eine Se kunde zu schnell. Die Viper drehte sich um, um Valas anzusehen, der dem
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Blick ihrer schwarzen Augen mit Stirnrunzeln begegnete. Pha raun war fasziniert von dem Austausch, aber seine Erschöpfung forderte ihren Tribut um so schneller, je länger sich die Dis kussion hinzog. Quenthel rutschte ein Stück zurück, um sich gegen die Knochenreling des untoten Schiffs zu lehnen. Die letzte Viper legte ihren Kopf auf ihren Schenkel. »Dann werden wir in Trance versinken, Pharaun und ich«, sagte die Herrin der Akademie. »Jeggred wird wachen, und ihr beide werdet euch auf den Weg machen.« Danifae stand auf und sagte leise: »Vielen Dank, H...« Quenthel unterbrach sie mit einer abrupten Handbewe gung, dann schloß die Hohepriesterin ihre Augen und saß still da. Jeggred knurrte wieder, tief und grollend. Pharaun bereitete sich seinerseits auf seine Trance vor, aber konnte nichts dage gen tun, daß er ein ungutes Gefühl hatte wegen der Art, wie der Draegloth seine Herrin ansah. Danifae nahm ihren Rucksack auf, als Valas seine Habselig keiten zusammensuchte. Die Kriegsgefangene ging zu Jeggred und legte eine Hand leicht auf die borstige weiße Mähne des Draegloth. »Alles ist in Ordnung », flüsterte sie. »Wir sind alle müde.« Jeggred neigte sich kaum merklich ihrer Berührung entge gen, und Pharaun sah weg. Der Draegloth hörte auf zu knur ren, aber Pharaun spürte, wie der Halbdämon jede Bewegung Danifaes beobachtete, bis sie Valas durch ein Dimensionspor tal folgte, das der Späher geöffnet hatte, und verschwunden war. Warum Sschindylryn? fragte sich Pharaun. Es war die beruhigende Berührung der Kriegsgefangenen für den Draegloth, mit der die unruhige Trance des Magiers zu erklären war.
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Etwa einen Kilometer unter den Ruinen der Oberflächenstadt Tilverton rannten zwei Drow. Danifae atmete schwer, um Schritt mit Valas zu halten, aber sie blieb nur wenige Schritte hinter ihm. Der Späher bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, die irgendwo zwischen Gehen und Rennen lag, wobei seine Füße manchmal den Eindruck machten, daß sie den rutschigen, feuchten Stein des Tunnel bodens nicht einmal berührten. Als sie aus dem letzten einer raschen, schwindelerregenden Abfolge von Toren aufgetaucht waren, hatte Valas gesagt, mehr als die Hälfte des Weges nach Sschindylryn sei bereits zurückgelegt, und es war nur ein einzi ger Tag vergangen. Danifae bewunderte Valas’ Fähigkeit, sich im Unterreich zurechtzufinden, wobei sie über seinen offen sichtlichen Mangel an Ehrgeiz und Antrieb hinwegsah. Er schien zufrieden mit seiner Position als Mietling – Späher und
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Laufbursche für Quenthel – zu sein, und der Gedanke an diese Art von Zufriedenheit war Danifae völlig fremd. Aber, dachte sie schließlich, Valas Hune ist ja nur ein Mann. Der Späher hielt abrupt an, und zwar so abrupt, daß Danifae auf eine würdelose Art mit einem Stolpern zum Stehen kam, um ihn nicht umzurennen. Aber da sie froh über die Möglich keit war, eine Pause zu machen und zu ruhen, machte sie sich nicht die Mühe, sich zu beklagen. »Wo ...?« begann sie, aber Valas hob eine Hand, damit sie schwieg. Selbst nach all ihren Jahren als Kriegsgefangene, als Diene rin der törichten und begriffsstutzigen Halisstra, hatte sich Danifae noch immer nicht daran gewöhnt, den Mund zu hal ten, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Sie war empört über die geringschätzige Geste des Spähers, beruhigte sich aber schnell. Valas war in seinem Element, und wenn er wollte, daß sie schwieg, war es sehr gut möglich, daß ihr Leben davon abhing. Er drehte sich zu ihr um, und Danifae war überrascht, auf seinem Gesicht keine Spur von Verärgerung zu erkennen, obwohl das Wort, das sie ausgesprochen hatte, noch immer in der kühlen, windstillen Luft der Höhle widerhallte. Ein Portal vor uns, bedeutete er ihr. Es wird uns ein ganzes Stück weit bringen, fast bis zum Osttor Sschindylryns, aber ich habe es schon seit sehr langer Zeit nicht mehr benutzt. Aber Ihr habt es schon benutzt, erwiderte sie stumm. Portale, insbesondere solche, erklärte Valas Hune, sind wie Wasserlöcher. Sie erregen Aufmerksamkeit. Hört Ihr etwas? fragte Danifae. Danifaes empfindliches Gehör nahm kein Geräusch wahr, ihre gleichermaßen empfindliche Nase keinen Geruch außer ihrem eigenen und dem des Spähers. Aber das hieß nicht,
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daß sie allein waren. Als hätte er ihre Gedanken gelesen, erwiderte Valas Hune: Man ist im Unterreich nie allein. Also was ist es? fragte sie. Können wir es umgehen? Es töten? Vielleicht nichts, antwortete Valas, wahrscheinlich nicht. Hoffe ich jedenfalls. Danifae lächelte. Valas Hune neigte den Kopf zur Seite, ü berrascht und verwirrt durch das Lächeln. Bleibt hier, signalisierte er, und verhaltet Euch ruhig. Ich werde vorausgehen. Danifae sah nach hinten, den Weg zurück, den sie gekom men waren, und dann nach vorne, in die Richtung, in die sie unterwegs waren. Der Tunnel – der acht oder neun Meter breit und ebenso hoch war – erstreckte sich in beiden Richtungen in die Dunkelheit. Wenn Ihr mich hier zurücklaßt ..., drohte Danifae mit den Fingern und einem kalten, harten Blick. Valas Hune reagierte nicht darauf. Er schien darauf zu war ten, daß sie den Satz beendete. Danifae warf nur für einen winzigen Augenblick erneut ei nen kurzen Blick auf den scheinbar endlosen Tunnel, der vor ihr lag. Als sie sich wieder umdrehte, war Valas verschwunden.
Ryld zog den Wetzstein langsam über Splitters rasiermesser scharfe Schneide. Das magische Schwert mußte zwar kaum geschliffen werden, aber Ryld fand, daß er immer besser nach denken konnte, wenn er mit den einfachen Aufgaben eines Soldaten beschäftigt war. Das Schwert besaß keine äußerlich sichtbaren Zeichen einer eigenen Intelligenz, aber Ryld hatte sich vor Jahren selbst davon überzeugt, daß Splitter die Auf merksamkeit genoß, die er ihm widmete.
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Er war allein in der zerfallenden, von Unkraut überwucher ten Hütte, die er mit Halisstra teilte. Die Geräusche und Ge rüche des Waldes, der ihn von allen Seiten umgab, drangen selbst in seine persönliche Zeit mit seinem Schwert und seinen Gedanken ein. Er wußte, daß er so entspannt war, wie er es an der Oberfläche im Tageslicht unter dem endlosen Himmel nur sein konnte – zumindest, wenn Halisstra nicht bei ihm war. Der Meister Melee-Magtheres war allein, weil er nicht zu dem Kreis eingeladen worden war, zu dem Halisstra gegangen war. Die neugierigen, ketzerischen Oberflächen-Drow planten etwas, und Halisstra und ihr neues Spielzeug – die Mondsi chelklinge – waren offensichtlich ein wichtiger Teil davon. Er hatte das tobende Tier getötet, das ihn angegriffen hatte, und so oft Feliane auch versucht hatte, es ihm zu erklären, er konn te sich dennoch nicht vorstellen, warum ihn das zu einem Geächteten machte. Außerdem wußte Ryld, daß er aus mehre ren Gründen ausgeschlossen worden war. Er saß auch deshalb allein da, weil er, anders als Halisstra, nicht öffentlich die Spinnenkönigin abgelehnt und ebensowe nig ihre von der Sonne verwüstete Rivalin, die Dame des Tan zes, öffentlich angenommen hatte. Ryld verstand diese frivole Göttin nicht. Die Dame des Tanzes! Sollten sie ihr Leben nach einem Weg ausrichten, der durch Tanz definiert war? Was für eine seltsame Göttin konnte Macht aus etwas ziehen, das so sinnlos war wie Tanz oder sie gar jemandem zumessen? Lolth war eine grausame, launenhafte Herrin, und ihre Prieste rinnen hielten ihre Macht fest in ihren Händen, aber sie war die Spinnenkönigin. Spinnen waren starke, einfallsreiche Raubtiere – Überlebenskünstlerinnen. Ryld konnte sich selbst als Spinne sehen. Spinnen kannten keine Gnade und flehten nie um Vergebung. Sie spannen ihre Netze, fingen ihre Beute und lebten. Spinnen hatten einen Sinn, Spinnen hatten
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Macht, und Macht war alles, was ein Drow brauchte. Offenbar nicht jeder Drow. Dennoch wußte Ryld, daß es noch einen dritten Grund gab, warum er hier saß und sein Schwert schärfte, während die Frauen mit ihren Plänen beschäftigt waren, und zwar, daß er keine Frau war. In Menzoberranzan war Ryld ein hochge schätzter und sehr angesehener Krieger, ein Soldat mit mäch tigen Freunden und vielem, was bei seinen Vorgesetzten für ihn sprach. Er führte ein angenehmes Leben, konnte einige Gegenstände voller mächtiger Magie handhaben – der Zwei händer war nicht der geringste von ihnen –, und man traute ihm sogar genug zu, daß er ein bedeutendes Mitglied der le benswichtigen Expedition auf der Suche nach ihrer schwei genden Göttin geworden war. Trotz alledem war Ryld ein Mann. Als solcher würde er nie etwas anderes als zweitrangig sein, und er wußte sehr wohl, daß er wahrscheinlich nicht einmal das sein würde. Er würde andere Männer führen, ande re Krieger, aber er würde niemals eine Frau befehligen. Er wür de nach seiner Meinung gefragt und diese Meinung würde gelegentlich sogar berücksichtigt werden, aber er würde nie mals Entscheidungen treffen. Er war ein Soldat – ein Werk zeug, eine Waffe –, würde aber niemals ein Anführer sein. Nicht in Menzoberranzan unter den Töchtern Lolths und nicht im von der Sonne ausgedörrten Wald unter den tanzen den Priesterinnen. Drei Gründe, ausgeschlossen zu werden, dachte Ryld, wäh rend daheim nur der dritte existiert. Drei Gründe, heim nach Menzoberranzan zu gehen. Ein Grund zu bleiben. In den vergangenen, träge verstreichenden Stunden der Einsamkeit hatte Ryld oft daran gedacht, ins Unterreich zu rückzukehren. Pharaun und die anderen waren wohl weiterge
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zogen, hatten ihre Suche fortgesetzt. Wahrscheinlich hatten sie den Meister Melee-Magtheres vergessen, der die Stadt der Spinnen zusammen mit ihnen verlassen hatte. Ryld machte sich keine Illusionen darüber, welchen Wert er für jemanden wie Quenthel besaß, und Pharaun hatte zumindest einmal bewiesen, daß Rylds Leben weniger wichtig war als die Be quemlichkeit des Magiers, ganz zu schweigen vom eigenen Wohlergehen des Meisters Sorceres. Pharaun war aber berechenbar. Ryld kannte den Magier und wußte, was von ihm zu erwarten war – selbst wenn das bedeutete, daß er von ihm Verrat erwarten konnte. Pharaun war ein Drow, der nicht nur sehr in Übereinstimmung mit seinem Naturell lebte, sondern sogar dazu neigte, darin zu schwelgen. Quenthel war genauso, was der Grund war, daß sie sich so übereinander ärgerten. Diese beiden und die anderen – selbst der wortkarge Valas – waren ebenfalls wie Spinnen: berechenbare, effiziente Überlebenskünstler. Ryld sah sich selbst genauso, und sich unter Gleichgesinnten zu befinden hatte eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Bis er an Halisstra dachte. In seinen Jahren in Menzoberranzan hatte Ryld die Gesell schaft von mehr als einer Handvoll Frauen genossen, aber wie jeder andere Mann in der Stadt der Spinnen war er sehr ver siert darin, Sympathien nicht zu intensiv werden zu lassen. Er hatte gewußt, daß er je nach Art der Affäre ein Spielzeug war, ein Werkzeug, eine Liebelei, ein Darsteller – aber nie eins von diesen Worten der Oberflächenelfen, diesen Merkwürdigkei ten wie Geliebter, Gefährte, Freund, Ehemann. Diese Worte hatten keine Bedeutung gehabt – bis Halisstra kam. Ryld bemühte sich nach Kräften, aber er konnte die Macht nicht verstehen, die die Erste Tochter des Hauses Melarn über ihn besaß. Er hatte sogar die einzigartige Macht Splitters he
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rangezogen, um die Magie zu brechen, die sie verwendet hatte, ihn mit sich zu reißen – aber da war kein Zauber. Sie hatte keinen Zauber gewirkt, kein Bae’qeshel-Lied gesungen, ihm keinen Zaubertrank verabreicht, um so eine enge Verbindung zwischen ihnen zu schaffen. Sie hatte, überlegte Ryld, nicht einmal etwas getan oder gesagt, was sich allzusehr von dem unterschieden hätte, was er schon früher gehört hatte, obwohl solche Dinge in der Vergangenheit in einem spöttischen Ton fall oder sogar mit kalter, bitterer Ironie von diesem Dutzend Drow-Frauen ausgesprochen worden waren, das ihn gehabt hatte. Halisstra hatte ihn einfach angelächelt, war seinem Blick begegnet, hatte ihn berührt, ihn geküßt, ihn voller Angst, Begehren, Bedauern, Schmerz, Ärger, Verzweiflung angesehen ... voller Ehrlichkeit. Ryld hatte all das nie zuvor gesehen, nicht in dem schwarzen Gesicht einer Drow, nicht in der küh len Düsternis des Unterreiches. Er spürte sie, wenn sie in sei ner Nähe war, als verströme sie irgendeine Art von Wellen, die seine Sinne auf sie einstimmten. Sie war einfach Halisstra, und der Meister Melee-Magtheres war verblüfft, als er feststell te, daß das genug war. Ihre bloße Anwesenheit reichte aus, um ihn von einem Leben abzubringen, das so lohnend war, und es auch weiterhin sein würde, wie es ein Drow-Mann überhaupt erwarten konnte. Er fand sich immer noch mit den gleichen Dingen ab, war immer noch der Mann, dessen starker Schwertarm jeden Au genblick zum Dienst gerufen werden konnte, aber der nicht am gleichen Tisch essen würde. Der vierte Grund, warum er an diesem Tag allein war und einen Großteil des vorigen Tages allein gewesen war, drängte sich nun mit aller Macht in Rylds Bewußtsein, und er ließ ihn zu, aber nur einen Augenblick lang.
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Sie wollen sie töten, dachte er, während ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief, und der Wetzstein, den er so langsam, sorgfältig und rhythmisch seine Klinge entlanggezo gen hatte, kam abrupt zu einem Halt. Sie wollen Lolth töten. Ryld schloß die Augen und holte tief Luft, um sein plötzlich rasendes Herz zu beruhigen. Schließlich war das der Grund, warum Halisstra geschickt worden war, um die Mondsichelklinge zu finden. Das war der Grund, warum die Priesterinnen Eilistraees sich mit der offen sichtlich unliebsamen Anwesenheit des Meisters MeleeMagtheres abfanden – auf Halisstras Beharren hin. Das war der Grund, warum Halisstra geblieben war und warum sie ein Selbstvertrauen und eine Fassung ausstrahlte, die er an der Außenseiterin aus den Ruinen Ched Nasads nicht gesehen hatte, seit ... nun, noch nie. Das war der Grund, warum Ha lisstra nicht mehr zitterte. Das war der Grund, warum sie mor gens aufwachte und den ganzen Tag über atmete. Halisstra wollte im Namen Eilistraees die Königin über den Abgrund der Dämonennetze im Schlaf töten. Ryld setzte den Wetzstein wieder in Bewegung und lächelte. Vielleicht, dachte er, ähnelt sie einer Spinne mehr, als sie zugeben will.
Valas Hune hielt den Kristall vor sein linkes Auge und suchte die Kammer ab. Er stand in den tiefen Schatten am Rand der Stelle, wo der Tunnel – ein sehr alter Lavakanal – in die py ramidenartige Höhle mündete. Das uralte Kloster war für seine Dunkelsicht selbst mit bloßem Auge klar zu erkennen. Gegen über der Nordwand des an eine Kathedrale erinnernden Ortes rechts von Valas befand sich ein Stück entfernt ein Halbkreis aus Stein, dessen Radius vielleicht fünfundzwanzig Meter be
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trug. Die gewölbte Mauer erhob sich sechzig Meter in die Hö he, bevor sie sich zu einem Kuppeldach abrundete, mit einer Spitze ungefähr zehn oder zwölf Meter über diesem Punkt. Zwei riesige spaltförmige Fenster, die nicht viel breiter waren, als Valas groß war, aber deren Länge fünfundzwanzig Meter betrug, waren hoch oben in die Wände eingelassen. Ein Dieb müßte die Backsteinmauer gefährliche dreißig Meter hochklet tern, bevor er hineinschlüpfen könnte. Zwischen den beiden großen Fenstern und ein Stück unter ihrer Unterkante ragten drohend zwei kleine, dunkle Löcher auf, die groß genug waren, daß Valas möglicherweise hindurchgehen konnte, ohne den Kopf einzuziehen. Unterhalb dieser runden Löcher führte eine herabhängende rechteckige Öffnung ins pechschwarze Innere der Ruine. Die Fenster, die beiden runden Löcher und die rechteckige Öffnung gaben der Klosterruine – offenbar absichtlich – das Aussehen eines stirnrunzelnden Gesichts. Stalaktiten hatten sich entlang der Oberkante des Mundes gebildet und hingen herab, so daß sie gezackte Fangzähne bil deten. Tropfendes Wasser hatte jahrhundertelang dafür ge sorgt, daß sich Sediment auf der Kuppel ablagerte und so ein beträchtlicher Brocken aus glattem, weißem, feuchtem Stein das andere Ende des großen Kopfes wie eine fröhlich schief aufgesetzte Kappe bedeckte. Valas Hune zerbrach sich nicht den Köpf über die Frage, was wohl für entsetzliche Zeremonien vor diesem riesigen Gesicht abgehalten worden waren. Die Jahrhunderte, die vergangen waren, seit seine Vorfahren es vor langer Zeit verlassen hatten, waren unfreundlich mit dem Gebäude umgegangen, aber Valas Hune wußte, daß die Spuren des tropfenden Wassers, des Schimmels und der Erdbeben das Tor, das in seinem Inneren ruhte, nicht angegriffen hatten. Schon zweimal war Valas zuvor in diesen herunterhängenden,
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melancholischen Mund geklettert, auch wenn seitdem viele Jahre vergangen waren, und war zwischen zwei runenbedeck ten Säulen hindurchgegangen, um sich über dreihundert Ki lometer zur Nordwestküste des Thalmiirsees zu begeben, ein einfacher Spaziergang nach Sschindylryn. Valas Hune wußte, daß er nicht der einzige war, der ihn be nutzt hatte. Ein Kristall hing normalerweise zusammen mit vielen ande ren magischen Schmuckstücken, die er im Laufe eines Lebens in der Wildnis des Unterreiches gesammelt hatte, an seiner Weste – einem verzauberten Kleidungsstück, das einen Groß teil zu Valas’ flinker Fortbewegung und seinen blitzschnellen Reaktionen beitrug. Durch diesen Kristall konnte der Späher sehen, was andere nicht sehen konnten – die meisten Dinge, die entweder durch natürliche Magie oder die Einwirkung eines Zaubers unsichtbar geworden waren. Valas Hune suchte langsam und sorgfältig den unteren Teil des großen Gesichtes ab, dann wandte er sich nach links, ent lang an dem ruhigen Tümpel mit schwarzem Wasser, der den runden Boden der Höhle in zwei Teile teilte. Da war eine Höhle tief unten in der schrägen Mauer ihm gegenüber und eine kleinere – ein weiterer Lavakanal mit ähnlichen Maßen wie der, den Valas Hune entlanggekommen war –, die etwas höher auf der rechten Seite lag. Der Späher begann, das Dach der Klosterruine abzusuchen, als er Danifae hörte, die geradezu durch den Tunnel hinter ihm trampelte. Valas Hune beendete seine langsame, methodische Unter suchung des Bauwerks nicht. Er wußte, daß Danifae an ihm vorbeilaufen, wobei ihre Schultern sich fast berühren würden, und ihn dennoch niemals sehen würde. Er hatte ihr gesagt, sie solle warten, und wenn sie seine Warnung ignorierte, dann war das ihre Entscheidung.
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Soll sie nur hereintrampeln, dachte Valas. Soll sie – Valas Hune erstarrte, als der Kristall die Spitze von etwas enthüllte, das nur eine Klaue sein konnte, die oben auf dem Kloster ruhte. Der Späher von Bregan D’aerthe hielt den Atem an, zog den Kopf ein Stückchen ein und richtete den Kristall, den er noch immer nahe an sein linkes Auge hielt, auf das Kuppeldach des uralten Gesichtes. Die Kreatur, die oben auf der Ruine saß, war nicht groß, zumindest nicht für einen Drachen. Nicht größer als Valas, mit einer Flügelspannweite, die vielleicht zweimal dieser Größe entsprach, hatte sich die Bestie bequem auf dem Kuppeldach zusammengerollt, aber war dennoch aufmerksam. Obwohl der Kristall Dingen, die er zeigte, meist jede Farbe entzog, wußte Valas, daß das Monster wirklich so grau war, wie es ihm durch den magischen Gegenstand erschien. Selbst durch den Kristall schien es vage, verschwommen, als sei es auf das Riesengesicht aquarelliert. So versteckst du dich also, dachte Valas Hune. Du ver schmilzt mit der Finsternis. Danifae eilte an ihm vorbei und ging unbekümmert auf den Eingang des Lavakanals zu. Dort blieb sie einen Moment ste hen, eine Hand lässig auf die Felswand gelegt, und blickte in die Höhle. Valas erkannte, daß sie den Drachen oben auf dem Gesicht nicht gesehen hatte, aber ein letzter schneller Blick durch den Kristall zeigte ihm, daß der Drache sie erblickt hat te. Langsam entrollte er sich und spreizte die Flügel. Valas schlüpfte in die Höhle, wobei er sich zu einem großen Teil auf seine eigene Übung und Erfahrung verließ, aber er war nicht zu stolz, die Kraft eines magischen Ringes in Anspruch zu nehmen, um sich schneller fortbewegen zu können. Ein Kettenpanzer aus Mithral dämpfte jedes Geräusch, das er bei seinen Bewegungen möglicherweise machen könnte, und half
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seinen Zehen, sicheren und ruhigen Halt zu finden. Indem er sich stets im Schatten hielt, immer ohne das kleinste Schaben seiner Sohlen auf Stein, ohne die kleinste Reflexion von ver irrten Lichtstrahlen auf Metall, lief Valas die Schräge des La vakanaleingangs hinunter und den wie eine Schüssel geform ten Rand des riesigen Zwischenraumes zur klaffenden schwarzen Höhle auf der anderen Seite entlang. Er riskierte einen gelegentlichen Blick hinauf zu der Krea tur, deren Umrisse er in der Düsternis hoch oben in der Höhle kaum ausmachen konnte – und dann auch nur, weil er wußte, daß sie dort war. Außerdem warf Valas ein oder zwei Blicke zurück zu Danifae, die sich langsam und mit überraschender Grazie ihren Weg in das Becken der Höhle bahnte. Sie blickte in alle Richtungen, aber nicht nach oben. Ihr Blick blieb nie auf Valas Hune oder dem steingrauen Drachen haften. Danifae ging langsam zum Rand des Tümpels, als Valas den Kurzbogen vom Rücken nahm. Er legte einen Pfeil auf und spannte die Bogensehne. Die Frau präsentierte sich dem Biest geradezu auf einem Sil bertablett, und obwohl Valas Hune sich danach sehnte, ihr ihre Torheit deutlich zu machen, machte er sich doch Sorgen beim Gedanken an Quenthel. Die Hohepriesterin schien Ge fallen an der Kriegsgefangenen der Melarn gefunden zu haben, da sie sie der Frau aus Ched Nasad ohne zu überlegen gestoh len hatte. Valas wollte nicht auf schmerzhafte Weise heraus finden, daß er eine Kriegsgefangene hatte sterben lassen, für die Quenthel Pläne hatte, die über ihr gelegentliches Liebes spiel hinausgingen. »Valas?« rief die Frau in die dunkle, stille Höhle. Ihre Stim me hallte wider, Valas duckte sich, und der Drache flog los.
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Nimor sah von oben zu, als die Duergar die Spinnen angriffen. Drow-Krieger – alle männlich – ritten auf den riesigen Spin nentieren in den Kampf. Die Spinnen schwirrten umher und wirbelten herum, während die Reiter steif und aufrecht in den Sätteln saßen. Die berittenen Drow trugen lange Spieße – Waffen, an die die Duergar nicht gewöhnt waren, so selten, wie die langen Waffen in den engen Grenzen des Unterreiches zu finden waren – und spießten einen nach dem anderen auf, ehe die Duergar überhaupt dazu kamen, Drowblut fließen zu lassen. Die Spinnenreiter waren der Horde der Duergar zahlenmä ßig hoffnungslos unterlegen, die weiterhin die allmählich fal lende Stadt Menzoberranzan belagerten, und Nimor verlor gerne einige wenige Duergar, wenn er dafür die Möglichkeit bekam, die Drow kämpfen zu sehen. Sie waren gut, das gestand er ihnen zu. Die Spinnen töteten so viele Duergar, wie es die Spieße taten, aber die Tiere blieben die ganze Zeit unter der Kontrolle ihrer Reiter. Alles in allem war es ein wunderschö ner, blutiger Tanz. Im Mittelpunkt der Spinnenreiter befand sich ein berittener Drow, der eine Rüstung aus feinstem Mithral trug, die geradezu vor Magie glühte. Er trug einen Spieß wie die anderen, aber er benutzte ihn nicht als Waffe. Er hielt ihn hoch, und daran hing ein langes, dünnes Banner, das in der kühlen Luft des Unterreiches flatterte. Nimor brauchte etwa eine Minute, um das Sigil zu erkennen, das auf dem Banner prangte. Die Reiter repräsentierten das Haus Shobalar – ein unbedeutenderes Haus, aber eines, das den Baenres gegenüber loyal und im ganzen von den Drow besiedelten Unterreich für seine effekti ve und makellos ausgebildete Kavallerie bekannt war. Der Drow mit dem Banner mußte ihr Anführer sein.
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Einer der Reiter erledigte zwei Duergar auf einmal und spießte sie zusammen auf, dann nutzte er ihr Gewicht am Ende seines Spießes, um drei weitere ihrer Kameraden auf den feuchten Steinboden zu werfen. Nimor Imphraezl lächelte. Er war in diesen Tunnel gekommen, nachdem er dreimal hintereinander unabhängig voneinander gehört hatte, daß hier eine ungewöhnliche Aktivität herrschte. Den Duergar war es erst einen Tag vorher gelungen, einen Späher aus Menzober ranzan zu töten, und selbst die schroffen Duergar hatten zuge geben, daß auch andere Drow dagewesen und davongekommen seien. Es war nicht der bestverteidigte Zugang, und Nimor hatte seitdem ein Auge darauf gehabt, sich sicher, daß die Menzoberranzanyr ihn prüfen würden. Als der Späher getötet wurde, bat Nimor Kronprinz Horgar, Verstärkungstruppen zu schicken, aber nur einige wenige. Nimor hoffte, daß es genug waren, um die Drow zufriedenzu stellen, aber nicht genug, daß der Zugang geschlossen würde. Nimor wollte sie aus der Reserve locken, und als die arrogan ten Adligen, die sie waren, hatten sie den Köder geschluckt. Nimor hing kopfüber da, verborgen durch einen Unsicht barkeitszauber, seinen Piwafwi, einen weiteren Zauber, der verhinderte, daß jemand ähnliche Magie benutzte, um ihn zu finden, und noch einen weiteren, der die Aufmerksamkeit der Feinde von ihm ablenkte, selbst wenn sie eigentlich zu ihm heraufblicken wollten. Diese Dinge und die unmittelbare Be drohung der Duergar-Soldaten genügten, daß er in Ruhe war ten und beobachten konnte – warten und beobachten, daß der Hauptmann der Spinnenreiter seine Reitspinne direkt unter halb von Nimor in den Kampf trieb. Indem er eine Brosche berührte, die das Zeichen der Jaezred Chaulssin trug, ließ sich Nimor langsam nach unten gleiten, immer noch durch Magie davor geschützt, gesehen zu werden.
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Während er sich nach unten bewegte, zog Nimor seinen Dolch – einen sehr speziellen Dolch – und als er auf der Spinne zu sitzen kam, nur wenige Zoll hinter dem Anführer der Kavalle rie, zog er die Klinge über den Nacken des Drow-Kriegers. Es gab da eine perfekte ungeschützte Stelle zwischen seinem Helm und seiner Schulterplatte. Der Spinnenreiter zuckte zusammen und drehte sich im Sat tel um. Nimor, der noch immer unsichtbar war, packte den Drow am Hals und hielt ihm die vergiftete Klinge an die Keh le. Der Spinnenreiter konnte ihn nicht sehen, aber er konnte hören, wie Nimor ihm ins Ohr flüsterte: »Wie lautet Euer Name?« »Wer seid Ihr?« fragte der Krieger, und als Antwort versetz te ihm Nimor einen weiteren Schnitt – allerdings keinen allzu tiefen. Der Drow ächzte, und Nimor spürte, wie sein Körper sich versteifte, zuckte und zitterte. »Ja«, zischte Nimor dem langsam sterbenden Offizier ins Ohr, »es ist Gift. Ein sehr elegantes Gift. Es wird Euch läh men, Euch den Hals zuschnüren, den letzten Atemzug aus Euren Lungen pressen und Euch daran hindern zu schreien, während Ihr erstickt.« Der Drow knurrte und sagte, wobei seine Stimme bereits leise und angespannt klang: »Mein Haus wird mich rächen.« »Euer Haus wird brennen, Hauptmann ...?« »Vilto’sat Shobalar«, antwortete der Drow noch, obwohl sich ihm die Kehle bereits zuschnürte, »von den Spinnenrei tern des Hauses Sh–« Nimor lächelte die ganze Zeit über, während er den ster benden Drow aufrecht im Sattel hielt. Die Gesalbte Klinge der Jaezred Chaulssin wartete, bis Hauptmann Shobalar bei seinem
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letzten Versuch, Luft zu holen, zitterte und seine magentaroten Augen glasig wurden. Dann schwebte Nimor nach oben und damit fort von der plötzlich unkontrollierten, wilden Spinne. Das Spinnentier wurde fuchsteufelswild, biß Duergar um Duergar tot und wandte sich dann gegen einen anderen seiner Art. Der Reiter dieser Spinne wandte seine Aufmerksamkeit nun der Aufgabe zu, sein Reittier vor dem durchgehenden Spinnentier zu beschützen – gerade lange genug, daß ein be sonders enthusiastischer Duergar-Lakai ihm den Kopf mit einer Streitaxt abschlagen konnte. Nimor tötete in den nächsten etwa zehn Minuten noch acht weitere Drow, während der Duergar dreien das Leben nahm. Der Rest wandte sich um und rannte zurück durch den Tunnel, vorbei an der äußeren Belagerungslinie und zurück nach Menzoberranzan. Sie hatten nichts zurückerobert, und Nimor hatte vier Spinnen und den toten Drow. Nimor orderte weitere Duergar, um die Stellung zu sichern, ließ die Spinnen fesseln und reisefertig machen und ging mit dem Leichnam Hauptmann Vilto’sat Shobalars zurück zu sei nem Kommandoposten. Kriegsbeute.
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Valas konnte erkennen, daß Danifae bis zu der Sekunde nichts von dem Drachen hinter ihr wußte, in der sein Pfeil die dünne Membran seines Flügels durchdrang und ihn damit überrasch te. Ein Ton drang aus der Tiefe seiner Kehle, der Pfeil machte ein nasses, reißendes Geräusch, als er in seinen Flügel ein drang, und die geschmeidige Bewegung des Drachen endete mit einem Ruck. All das war ausreichend, damit ein jeder die Unruhe hinter sich gespürt hätte und auch Danifae sich um drehte – und dieser einfache Reflex rettete ihr das Leben. Auch wenn der Drache sein eigentliches Ziel vergaß, kam er hart mit einer schlingernden Rolle auf und hätte Danifae umgeworfen, wenn sie nicht aus dem Weg gesprungen wäre – und selbst das gelang ihr nur knapp. Der Portaldrache wirbelte in die Richtung herum, aus der Valas’ Pfeil gekommen war. Speichel troff ihm aus dem offe
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nen Maul, floß um eine gezackte Zahnreihe zusammen und sammelte sich in dampfenden Pfützen auf dem Boden. Valas sah die Intelligenz in den Augen des Dings, das hohe Alter – es hatte Jahrhunderte damit verbracht, die verführerischen magischen Portale des Unterreiches heimzusuchen – und die kalte, pure Wut. Der Drache suchte die Dunkelheit nach ihm ab, aber Valas wußte, daß er ihn nicht sehen würde. Valas Hune wollte nicht gesehen werden, so einfach war das. Hinter der Kreatur rappelte sich Danifae wieder auf und zog ihren Morgenstern. Valas hatte bereits einen neuen Pfeil in der Hand, und während er seitwärts am Rand eines tiefen Schattens entlangglitt, legte er ihn auf und spannte die Bo gensehne. Der Drache spiegelte diese ausgedehnte Bewegung wider, indem er tief Atem holte. Er konnte Valas nicht se hen, aber er hatte offenbar den Schluß gezogen, daß alles, was er zu tun hatte, war, nahe an ihn heranzukommen. Das war eine Schlußfolgerung, an der Valas – leider – keinen Fehler fand. Nachdem er sich einen Herzschlag Zeit zum Zielen genom men hatte, ließ Valas den Pfeil fliegen. Der Drache atmete aus und ließ dabei eine wogende Wolke aus schmierigem grünem Dampf in die Luft entweichen. Sie waberte und dehnte sich aus, als sie das Maul des Drachen verließ. Die Kreatur war bemüht, alles auszustoßen. Danifae schlug von hinten mit ihrem Morgenstern zu – eine Waffe, die mit der Kraft des Blitzes verzaubert war –, und der Portaldrache machte einen Satz nach vorn. Valas’ Pfeil traf ihn tief in die Brust, da er den Zentimeter Platz, den er brauch te, zwischen zwei harten Schuppen fand. Die gepanzerte Haut des Dings zitterte, und man sah das Spiel seiner zuckenden Muskeln. Es rang nach Luft, und die Wolke wurde jäh abge
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schnitten. Aber immer noch wallte das Gas in Valas Hunes Richtung. Der Späher sah es kommen. Es bewegte sich eher in seine grobe Richtung als direkt auf ihn zu, also machte er einen Rückwärtssalto davon weg. Er hatte keine Möglichkeit, sich vor Giftgas zu schützen. Darin lag eine Schwäche, die Valas frustrierend fand. Alles, was er tun konnte, war, dem Gas aus zuweichen, aber zumindest war ausweichen etwas, worin er sehr versiert war. »Versteck dich ruhig in der Finsternis, wenn du willst, Drow«, zischte der Portaldrache in der Handelssprache des Unterreiches. Seine Stimme war kalt und scharf, fast mecha nisch, und hallte in der Kammer mit der hohen Decke mit einem Klang wider, der sich anhörte wie zerbrechendes Glas. »Ich kann dich nicht sehen.« Die Kreatur drehte sich um, um den Blick auf Danifae zu richten, die ihren Morgenstern schwang und ihr ins Auge blickte. Sie wich zurück. »Aber ich kann sie sehen«, sagte der Drache. Danifae lächelte, und der Gesichtsausdruck jagte Valas Hune einen kalten Schauer über den Rücken. Er hielt inne, als er vollkommen verwirrt das Gefühl bemerkte. Als die Kriegsgefangene erneut mit dem verzauberten Mor genstern auf ihn einschlug, wich der Drache ihm mühelos aus. »Was erwartest du, Echse?« fragte Danifae den Drachen. »Denkst du, er wird sich dir zeigen, um mich zu retten? Bist du noch nie zuvor einer Drow begegnet?« Valas, der im Begriff war, einen neuen Pfeil aus dem Köcher zu ziehen, ließ ihn leise wieder zurückgleiten. Er legte sich den Bogen über die Schulter und ging um den Drachen herum zum Rand der Höhlenwand in Richtung des riesigen Gesichts. Schnell schätzte er die Anzahl der Stufen und die Anzahl der
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Sekunden ab und horchte, ob es Hintergrundgeräusche gab, die sein Tun übertönen konnten. »Drow?« sagte der Drache. »Ich habe in meinem Leben ein oder zwei gefressen.« Danifae versuchte erneut, ihn zu treffen, und der Drache versuchte, sie zu beißen. Beide wichen zur gleichen Zeit aus, was vereitelte, daß einer der beiden Angriffe Erfolg hatte. »Laß uns durch«, sagte Danifae, und ihre Stimme hatte ei nen Befehlston, der sowohl die Aufmerksamkeit Valas’ erregte als auch die des Drachen. »Nein«, antwortete der Drache, und Danifae griff schneller an, als Valas es ihr zugetraut hätte. Der Morgenstern traf die linke Seite des Portaldrachen, und Valas blinzelte wegen des schmerzhaft grellen Blitzes bläulich weißen Lichts. Das flammende Licht zeichnete Muster in die Luft, die aussahen wie glühende Spinnennetze. Die Kreatur zuckte zurück und knurrte wieder, wobei sie ihrer Wut und ihrem Schmerz Ausdruck verlieh, indem sie die Zähne bleckte. Danifae wich zurück und schwang erneut ihren Morgens tern. Der Drache duckte sich, und Valas Hune hielt inne und erstarrte. Das Geschöpf stürzte sich nicht auf sie – es schwang sich mit einem ohrenbetäubenden Flügelschlag in die Luft. In weniger als einer Sekunde war es hoch oben, um dann in der Düsternis des kathedralenartigen Raumes zu verschwinden. Valas trat vor und ließ seine Zehen über losen Kies schaben, der am Boden lag. Danifae sah zu ihm hin. Rennt zurück zum Tunnel, bedeutete Valas Hune ihr in Zei chensprache. Los! Danifae sah ihn, machte sich nicht die Mühe zu nicken und drehte sich um, um loszurennen. Valas schlüpfte zurück in die Finsternis, zog sich seinen Piwafwi über den Kopf und rollte sich über den Boden, bis er wußte, daß er sich an einer Stelle
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befand, wo ihn niemand sehen konnte. Valas beobachtete, wie die Kriegsgefangene rannte, und wußte, daß sie wohl nicht in der Lage war, den Portaldrachen zu sehen. Langsam und geräuschlos zog er einen neuen Pfeil aus dem Köcher. Er wandte sich um und drehte sich den Bruchteil eines Zentimeters hier und eine Haaresbreite dort, so daß die Stahlspitze kein Licht reflektieren konnte. Indem er langsam durch den Mund atmete, wartete der Späher von Bregan D’aerthe ab – aber er mußte nicht lange warten. Das Geräusch der Flügel des Portaldrachen hallte von oben wider, warf ein Echo nach dem anderen, und dann war es noch einmal zu hören – doch das waren nicht nur Echos. Fünf, zählte Valas. Noch immer in Auren der Unsichtbarkeit und die Düsternis der seit langem verlassenen Höhle gehüllt, bewegte sich Valas vorwärts. Fünf Portaldrachen stießen in Formation aus den Schatten herab. Die beiden an den äußeren Enden wechselten nach innen, und zwei andere nahmen ihren Platz außen ein. Sie veränderten ihre Positionen, während sie flogen, aber ihr Ziel war dasselbe. Danifae zögerte. Valas konnte es an ihrem Schritt erken nen. Sie hörte die Drachen und wußte, daß sie schneller flie gen konnten – sehr viel schneller –, als sie je würde rennen können. Aber es gereichte Danifae zur Ehre, daß sie nicht zurückblickte. Die fünf Portaldrachen waren in jeder Hinsicht identisch, und niemand, der so ausgedehnte Reisen hinter sich hatte wie Valas, hätte sich lange täuschen lassen. Nach nur drei Flügel schlägen wußte Valas Hune, woran er war. Nicht alle Schmuckgegenstände, die der Späher trug, waren verzaubert, aber das kleine Bronzeoval war es, und Valas be
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rührte es im Rennen. Die Wärme seiner Finger ließ die Magie erwachen, und es war nur ein Gedanke nötig, um sie komplett zum Leben zu erwecken. Es passierte ohne ein Geräusch, und Valas stolperte kein einziges Mal, verriet sich nie. Danifae hörte dennoch auf zu rennen, und Valas Hune frag te sich, warum sie das tat. Ähnlich verwirrt kamen die Portaldrachen plötzlich flat ternd zu einem Halt, wobei sie die Flugbahnen der anderen kreuzten und Zusammenstöße nur um Bruchteile eines Zenti meters vermieden. Danifae lächelte die Drachen an – alle fünf erhoben sich, um sie mit Klauen wie Filetmesser zu zerfleischen – und sagte: »Seid vorsichtig. Seht euch um.« Das zähnefletschende Hohnlächeln, aus dem die Antwort des Drachen bestand, manifestierte sich gleichzeitig auf allen fünf Mäulern. Valas ließ seinen Pfeil fliegen, und alle vier seiner beschwo renen Ebenbilder taten es ihm nach. Das kleine Bronzeoval – ein Behälter für einen Zauber, der in alter Zeit eigens von einem Magier gefertigt worden war, dessen Geheimnisse vor langer Zeit verlorengegangen waren – hatte seine Aufgabe erfüllt, und für jeden der fünf Portaldrachen gab es einen Valas. Für jeden der fünf Portaldrachen gab es auch einen Pfeil. Der Drache hatte sie vielleicht auf irgendeine andere Art gehört, oder vielleicht hatte seine Neugier die Oberhand ge wonnen. Die Kreatur wirbelte herum, und die Pfeile trafen das rechte Auge. Vier der Pfeile lösten sich in dem Augenblick in Luft auf, in dem sie die falschen Drachen trafen, und die Trug bilder der Kreaturen verschwanden ebenfalls. Der Pfeilhagel ließ nur einen wirklichen Pfeil zurück, einen wirklichen Por taldrachen und ein wirkliches Auge.
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Die Gewalt des Aufpralls führte dazu, daß die Kreatur zuck te und einen Schritt zurücktaumelte. Valas konnte erkennen, daß der Drache ihn mit seinem un versehrten Auge sehen konnte – ihn und seine vier Ebenbil der. »Dafür werde ich dich bei lebendigem Leibe fressen«, schnarrte der Portaldrache. Valas zog seine Kukris, und seine Ebenbilder taten das glei che. Der Drache, dem Blut aus dem zerstörten Auge troff, machte sich nicht die Mühe, den Pfeil, der noch immer aus seiner Augenhöhle ragte, herauszuziehen. Statt dessen stürmte er vorwärts, die Flügel erhoben, die Klauen ausgestreckt, das Maul offen. Valas trat zur Seite, in den toten Winkel des Drachen. Die Kreatur hatte offenbar noch nie zuvor mit nur einem Auge gekämpft und fiel auf die Finte herein. Valas gelang es, ihm rasch zwei Schnittwunden zuzufügen, und beide wurden mit einem tiefen, grollenden Knurren beantwortet. Der Drache ging zum Angriff über, und Valas trat näher an ihn heran und zur Seite, um so eins seiner Ebenbilder in den Angriff hineinlaufen zu lassen. Die Klaue des Portaldrachen berührte die Schulter des Bildes, und als die Kralle den Unter leib des falschen Spähers durchdrungen hatte, war die Illusion verschwunden. Der Drache knurrte enttäuscht, und Valas griff wieder an. Die Kreatur wand sich, um aus seiner Reichweite zu gelangen, und schnappte mit ihrem Maul nach Valas – wobei sie dem wirklichen Drow gefährlich nahekam. Als das eine Auge des Drachen sich verengte und glomm, wußte der Späher, daß das Geschöpf ihn entdeckt hatte. Valas tänzelte wieder in den toten Winkel des Drachen, trat zurück und drehte sich, um den Gegner aus dem Gleichge
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wicht zu bringen und um seine eigenen Spiegelbilder dazu zu bringen, sich wild um ihn herum zu bewegen. Der Drache schlug mit seinen Krallen nach einem weiteren und brachte ihn so dazu, sich in Luft aufzulösen, und biß dann einen drit ten, der sich ebenfalls auflöste. Valas beobachtete, wie das Bild verschwand, und folgte dem Hals des Portaldrachen mit den Augen, als er sich in halber Armeslänge vor ihm vorbeibewegte. Er suchte nach Rissen, Falten, nach einem Zeichen von Schwäche in der dicken, schuppigen Haut des Monsters. Er fand eine und stieß einen Kukri zwischen die Schuppen, durch die Haut ins Fleisch, die Arterie und die Knochen dar unter. Blut floß in Strömen aus der Kreatur. Der Drache schlug nach Valas Hune, auch wenn er den Späher nicht gut sehen konnte. Als die Kreatur starb, gelang es ihr, mit einer Klaue den letzten falschen Drow zu streifen. Der Drache kippte, und Valas sprang aus dem Weg. Der schmale Kopf peitschte auf dem langen, beweglichen Hals herum, und das Maul landete auf Valas Hunes Schulter, zerdrückte seine Rüstung und ver letzte die schwarze Haut darunter. Der Späher wich zurück, rollte aus dem Weg und kam auf die Beine, die Kukris vor sich gestreckt. Es kam kein Angriff. Der Portaldrache lag ausgestreckt auf dem Boden der Höhle. Mit jedem schwächer werdenden Herz schlag sprudelte das Blut weniger regelmäßig und druckvoll hervor. »Wußte immer ...«, seufzte der sterbende Drache, »es würde ... ein Drow sein.« Der Portaldrache starb mit diesen Worten auf den Lippen, und Valas hob bei dem Gedanken eine Braue. Er trat von dem giftigen Leichnam fort und steckte seine Kukris wieder in die Scheide. Es war keine Spur von Danifae
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zu sehen. Valas wußte nicht, ob sie den Weg weitergerannt war, den sie gekommen waren, oder ob sie sich irgendwo in den Schatten verbarg. Mit einem Achselzucken und einem letzten kurzen Blick auf den Portaldrachen drehte sich Valas um und ging zu dem verlassenen Kloster. Da er annahm, die Kriegsgefangene der Melarn würde irgendwann schon in die Höhle und zu dem Portal zurückkehren, das ihr Ziel war, kletterte Valas in den großen Mund mit den nach unten gezogenen Mundwinkeln. Im Inneren des halbkreisförmigen Bauwerks befanden sich zwei große, freistehende Säulen. Zwischen ihnen waren nur verbrauchte Luft und die hohe Seitenwand der Höhle. Das Innere war in Finsternis gehüllt, und daraus drang der scharfe Gestank des von dem Portaldrachen stammenden Drecks. Danifae stand zwischen den Säulen, ihr Gewicht auf einem Fuß ruhend, eine Hand in die Hüfte gestemmt. »Ist er tot?« fragte sie. Valas blieb einige Schritte vor ihr stehen und nickte. Danifae beäugte die toten Steinsäulen und das nichtssagen de Innere des großen Gesichts. »Gut«, meinte die Kriegsgefangene. »Ist das das Portal?« Als sie Valas wieder ansah, nickte er abermals. »Ihr wißt, wie es geöffnet wird«, sagte sie, und nichts an ih ren Worten hörte sich an, als sei es eine Frage. Valas nickte ein drittes Mal, und Danifae lächelte. »Ehe wir aufbrechen«, fuhr sie fort, während sie ihren Dolch zog, der an ihrer wohlgeformten Hüfte hing, »möchte ich etwas Gift sammeln.« Valas blinzelte und fragte: »Vom Portaldrachen?« Danifae ging lächelnd an ihm vorbei und drehte den Dolch zwischen den Fingern. »Ich warte hier«, sagte er.
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Sie ging weiter, ohne sich die Mühe zu machen, ihm zu antworten. Wenn sie das überlebt, dachte Valas, könnte sie es tatsäch lich wert sein, mit ihr zu reisen.
Pharaun strich mit der Fingerspitze an etwas entlang, das am Tag vorher noch nicht dagewesen war: eine Ader. Das Blutge fäß folgte einem verschlungenen Pfad entlang der Knochenre ling des Chaosschiffs. Ab und zu verzweigte es sich zu dünne ren Kapillaren. Das Ding pulsierte langsam, kaum merklich, vor Leben – es war warm durch das Strömen von Blut. Als sie an Bord des Dämonenschiffs gekommen waren, hatte die Re ling aus festem, totem Knochen bestanden. Nachdem sie einen halben Zehntag damit verbracht hatten, niedere Dämonen herzubringen und sie dem Schiff zu fressen zu geben, änderte sich das. Es erwachte zum Leben. »Wird ihm am Ende Haut wachsen?« fragte Quenthel hin ter ihm. Pharaun drehte sich um und sah, wie die Hohepriesterin sich duckte, um das Deck auf die gleiche Weise zu untersuchen wie er die Reling. »Haut?« fragte der Magier. »Diese Adern, die es ausbildet, wirken so verletzlich«, sagte sie. Ihre Stimme klang gelangweilt, distanziert. »Werden wir sie nicht verletzen, wenn wir darauftreten?« »Ich weiß nicht«, sagte Pharaun. Damit meinte er, daß es ihm egal war. »Was macht das schon für einen Unterschied?« »Es könnte bluten«, sagte sie, während sie noch immer auf das Deck hinabblickte. »Was bluten kann, kann auch sterben. Wenn es stirbt, während wir ...« Pharaun erkannte, daß sie diesen Gedanken nicht bis zum
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Ende aussprach, weil sie Angst davor hatte. Er haßte es, wenn eine Hohepriesterin Angst hatte. Die Dinge liefen selten gut, wenn sie so begannen. »Nicht alles, was blutet, stirbt auch«, sagte er mit gezwun genem Lächeln. Sie sah zu ihm auf, und ihre Blicke trafen sich. Er erwartete, daß sie zumindest ärgerlich sei, vielleicht auch beleidigt, aber sie war keines davon. Pharaun konnte nicht erkennen, was sie dachte. »Es macht mir Sorgen«, sagte sie nach einer Pause, »daß wir so wenig wissen. Ein Schiff wie dieses ... Ihr hättet es während Eurer Ausbildung in überliefertem Wissen studieren sollen, nicht wahr? In Sorcere?« »Das habe ich«, sagte Pharaun. »Ich habe ihm ständig Nah rung zugeführt, ich habe seinen Kapitän in die Knie gezwun gen, und wir sind fast bereit für unseren kleinen Ausflug zwi schen den Ebenen. Ich weiß, was es ist und wie es funktioniert, was bedeutet, daß ich genug weiß. Für eine Priesterin seid Ihr übermäßig analytisch. Ob ihm Haut wachsen wird? Wenn es will. Ob es verbluten wird, wenn Eure spitzen Absätze eine Ader aufschlitzen? Ich bezweifle es. Wird es sich jederzeit bei jedem auf die gleiche Art verhalten? Nun, wenn es das täte, wäre es nicht sehr chaotisch, nicht wahr?« »Eines Tages«, sagte Quenthel ohne Zögern, »werde ich Euch den Mund zunähen, damit Ihr lange genug aufhört zu reden, daß ich Euch in Ruhe töten kann.« Pharaun lachte und rieb sich kalten Schweiß von der Stirn. »Warum«, entgegnete der Magier mit einem Lächeln, »wa rum nur?« »Weil ich Euch hasse«, antwortete sie. Pharaun schwieg. Sie sahen einander noch einige Augen blicke lang an, dann stand Quenthel auf und schaute sich um.
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»In mir steigt Langeweile auf«, sagte sie zu niemand be stimmtem. In Euch steigt Angst auf, dachte Pharaun. »In mir steigt Wut auf«, mischte sich Jeggred ein. Sowohl Pharaun als auch Quenthel blickten zu der Stelle, wo der Draegloth saß. Der Halbdämon häutete langsam und methodisch eine Ratte. Das Nagetier lebte noch. »Niemand hat dich gefragt«, meinte Quenthel mit einem spöttischen Lächeln. »Ich bitte um Verzeihung, verehrte Tante«, sagte der Draeg loth, wobei seine Stimme vor frostigem Sarkasmus nur so troff. »Valas Hune und Danifae werden bald zurück sein«, sagte Pharaun, »und wir werden das Schiff bereit haben, wenn sie zurückkommen. Wir werden bald aufbrechen, aber bis dahin dürfen wir nicht zulassen, daß die Langeweile auf diesem ver fluchten See die Oberhand über uns gewinnt. Eine Gruppe von Drow, die sich gegenseitig bekämpfen, hilft uns nicht weiter.« »Es ist nicht der See, den ich langweilig finde«, schoß Jeggred zurück. Pharaun verwarf das erste halbe Dutzend scharfer Antwor ten, die ihm in den Sinn kamen, bevor er sprach, aber sein Gesicht mußte ihn wohl verraten. Er sah es in dem amüsierten, höhnischen Grinsen des Draegloth gespiegelt. »Ja«, sagte der Magier schließlich, »nun, ich werde diese liebenswürdige Drohung in dem Sinn aufnehmen, in dem sie ausgesprochen wurde, Jeggred. Dennoch werde ich –« »Den Mund halten«, unterbrach ihn Jeggred. »Den ver dammten Mund halten.« Jeggred leckte über die sterbende, quiekende, gehäutete Ratte, so daß ihm Blut von seinen gesprungenen grauen Lip pen troff.
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»Das gefällt mir nicht«, sagte der Draegloth. »Der da –«, er wies mit dem Kinn auf den gefangenen Uridezu –, »plant ir gend etwas. Er wird uns verraten.« »Er ist ein Dämon«, erwiderte Quenthel leise. »Was soll das denn heißen?« fragte der Draegloth beinahe schreiend. »Das soll heißen«, antwortete Pharaun für sie, »daß er uns natürlich betrügen wird – oder es wenigstens versuchen wird. Die einzige Tatsache, auf die man bei einem Dämon vertrauen kann, ist die, daß er nicht vertrauenswürdig ist. Es wird dich vielleicht aufmuntern zu wissen, daß wir dir gegenüber das gleiche empfinden, mein Draegloth-Freund.« Pharaun hatte eine Reaktion auf diesen Kommentar erwar tet, aber nicht die, die er bekam. Jeggred und Quenthel starr ten einander intensiv an, begleitet von einem langen Schwei gen. Es war Quenthel, die als erste wegsah. Jeggred schien enttäuscht zu sein.
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Aliisza schmiegte sich eng an Kaanyr Vhok, ihre langen eben holzschwarzen Locken mischten sich mit dem Silberhaar des Cambion. »Hattest du Frauen zu Gast, während ich weg war?« gurrte das Alu-Scheusal am Hals ihres Geliebten. Der Cambion atmete langsam durch die Nase aus und ließ eine Hand auf Aliiszas Rücken gleiten. Er zog sie näher an sich, so daß ihre Flanken aneinandergepreßt wurden. Aliisza spürte seine lodernde Körpertemperatur, die soviel intensiver war als die eines Drow. So angenehm beruhigend. So macht voll. »Eifersüchtig?« flüsterte Kaanyr. Aliisza war wie elektrisiert davon, daß er ihr Spiel mitmach te. Das war eine seltene Reaktion bei dem Halbdämon, der seine Gefühle normalerweise sorgsam im Zaum hielt.
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»Nie«, flüsterte sie zurück und hielt inne, um ihre heißen, feuchten Lippen über seine Haut streifen zu lassen. »Ich wünschte nur, ich hätte dabeisein können.« Sie hoffte auf weitere Verspieltheit, aber statt dessen bekam sie ein geringschätziges Kichern. Kaanyr löste sich von ihr, und sie zog geziert einen Schmollmund, während sich ihre dunkel grünen Augen verengten und einen finsteren Ausdruck an nahmen. Vhok schenkte ihr eines seiner seltenen Grinsen und legte ihr sanft einen Finger auf die Lippen. »Weine nicht, Liebste«, sagte er. »Wenn dieser wahnsinni ge Krieg vorbei ist, werden wir Zeit für Liebesspiele haben, die selbst dich mit deinen Vorlieben entzücken werden.« »Und bis dahin?« Er nahm seine Hand weg und trat zu einem kleinen Tisch, auf dem ein Tablett, ein einzelnes Glas und eine Kristallkaraffe mit gutem Weinbrand standen, der zum Vergnügen aus einem Laden in Schädelhafen gestohlen worden war. »Bis dahin«, sagte Kaanyr Vhok, indem er einen Schluck der rostbraunen Flüssigkeit in das Glas goß, »müssen wir gele gentlich eine Pause für geschäftliche Dinge einlegen.« »Wie sehen diese geschäftlichen Dinge aus?« »Menzoberranzan steht unter Belagerung«, antwortete der Cambion mit einer allumfassenden Geste, »und das wird sehr lange so bleiben, wenn es nicht jemandem gelingt, unseren Grauzwerg-Verbündeten etwas Intelligenz – oder sollen wir sogar zu hoffen wagen, Phantasie – einzuflößen.« »Du klingst nicht eben hoffnungsvoll«, meinte sie. »Sie sind ebenso begriffsstutzig wie übellaunig«, erwiderte Vhok, »aber damit müssen wir leben.« Er drehte sich um, um sie anzusehen, und Aliisza lächelte, zuckte die Achseln und setzte sich. Genauer gesagt, sie ließ
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ihren Leib auf ein weich gepolstertes Sofa gleiten, auf dem sich ihr biegsamer Körper verführerisch drapierte, während ihre Augen über seinen Körper glitten. Ihr Lederoberteil sah steif und einengend aus, aber es schmiegte sich auf die gleiche Wei se an sie, wie sie sich auf das Sofa schmiegte, und bewegte sich nach ihrem Willen wie ihre eigene Haut. Das Langschwert, das in seiner Scheide an ihrer Hüfte steckte, lag unter einem Bein. Vhoks eigene Kleidung war wie immer opulent, ein Waffen rock, der im militärischen Stil bestickt war. Sein eigenes Lang schwert hing an seiner Hüfte, und Aliisza wußte, daß er eine Unmenge magischer Gegenstände am Körper trug, selbst in der Privatsphäre seines eigenen zeitweiligen Quartiers. Das Zelt am hinteren Ende der Belagerungslinie, das sie be wohnten, war in einen Zauber gehüllt, der sie davor bewahrte, belauscht, beobachtet oder in irgendeiner anderen vorstellba ren Art ausspioniert zu werden, aber Aliisza fühlte sich trotz dem bloßgestellt. »Dieser See«, sagte sie, wobei ihre Augen über die mit Sei de bedeckten Zeltwände wanderten, »ist der langweiligste Ort, an dem ich je war, und ich habe schon Zeit in Duergar-Städten verbracht.« Vhok nahm einen kleinen Schluck Weinbrand und schloß die Augen, um ihn zu genießen. Aliisza hatte es schon lange überwunden, daß sie kein Glas angeboten bekam. »Es ist eine düstere, graue Höhle«, fügte sie hinzu. »Sogar die Luft ist grau. Es ist schrecklich.« Vhok öffnete die Augen und zuckte die Achseln in der Er wartung, daß sie weiterspräche. »Sie haben den Kapitän gefangengenommen«, fuhr sie fort. »Einen Uridezu?« fragte der Cambion. Aliisza nickte und hob aufgrund der merkwürdig zutreffen
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den Vermutung eine Braue. »Manchmal«, meinte Vhok, »glaube ich, daß du vergißt, was ich bin.« »Ich erinnere mich«, sagte Aliisza hastig. Kaanyr war ein Cambion, der Sohn eines menschlichen Va ters und einer Dämonin. Er vereinigte auf sich die gefährlichs ten Eigenschaften dieser beiden chaotischen Tiere. Aliisza streckte eine Hand aus und veränderte ihre Position auf dem Sofa. »Komm«, sagte sie. »Setz dich, und ich werde dir alles er zählen, was ich gesehen habe. Jede Einzelheit. Für die Kriegs bemühungen.« Kaanyr Vhok leerte das Glas mit einem Schluck, stellte es ab und nahm Aliiszas Hand. Seine olivfarbene Haut sah gegen ihre eigene blasse dunkel und kräftig gefärbt aus. Natürlich nicht so dunkel wie Pharauns, aber ... »Das klingt für mich«, sagte der Cambion, während er sich auf dem Sofa neben seiner dämonischen Geliebten niederließ, »als planten diese Drow eine Reise.« »Sie sind bereits über die Phase der Planung hinaus«, mein te Aliisza. »Sie sind bereits über die Phase der Dummheit hinaus«, entgegnete Kaanyr. »Das ist typisch für Drow, einer chaoti schen Herrin mit einer so strengen Rechtschaffenheit zu die nen. Immer marschieren sie im Gleichschritt, mit ihren Häu sern, ihren Gesetzen und infantilen Traditionen. Kein Wunder, daß die Spinnenhexe ihnen den Rücken gekehrt hat. Ich bin überrascht, daß sie ihren Unsinn überhaupt so lange ertrug.« Aliisza lächelte und entblößte dabei vollkommene Zähne – menschliche Zähne, die sie zu intimen Gelegenheiten trug. Sie hatte in ihren gemeinsamen Jahrzehnten herausgefunden, daß
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selbst Kaanyr von ihren gezackten Fangzähnen abgeschreckt sein konnte. Aliisza lächelte oft und wechselte die Größe und Form ihrer Zähne beinahe ebensooft, damit sie zu ihrer Stim mung paßten. »Du denkst zu gering von ihnen«, warnte sie. »Ein oder zwei Drow waren interessant. Ein oder zwei der interessanten zusammen können gefährlich werden.« Vhok antwortete mit einem unverbindlichen Knurren und sagte dann: »Ich nehme an, ich sollte mich entschuldigen, daß ich dich vom Schattensee zurückgerufen habe, ehe du Kontakt mit deinem Magier da aufgenommen hattest. Das war unver zeihlich aufdringlich von mir.« Aliisza beugte sich näher zu ihm und ließ die Spitze ihrer Zunge am Rand von Vhoks spitzem Ohr entlanggleiten. Er saß ganz still und reagierte darauf auf vielfältigere Weise als ein fach nur körperlich. Aliisza konnte fühlen, wie sie errötete. »Mit den falschen Liebesspielen«, flüsterte der Cambion ihr zu, »wirst du uns beiden Schwierigkeiten bereiten.« »Oder mit den richtigen dafür sorgen«, entgegnete sie, »daß wir siegreich aus der Sache hervorgehen.« Kaanyr machte sich nicht die Mühe zu antworten, und A liisza bewegte sich ein wenig, um ihm ganz nahe an seinem Ohr zu sein und sehr leise zuzuflüstern: »Sie könnten es schaf fen. Das Chaosschiff könnte sie hinbringen.« Vhok nickte, und Aliisza versuchte, diese Antwort zu deu ten. Sie dachte, er sei zumindest froh, daß sie diese Meinung so diskret äußerte, selbst in dem durch Zauber geschützten Zelt. Sie begann, seinen Waffenrock aufzuknöpfen, wobei sie ihn mit jeder langsamen Drehung ihrer Finger, jedem Schritt beim Öffnen seiner Kleidung reizte. Aliisza wußte, womit sie bei Kaanyr ohne seine Kleidung rechnen mußte. Obwohl der mächtige Halbdämon äußerlich ein alternder Halbelf von der
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Welt an der Oberfläche war, waren seine Brust, seine Arme und seine Beine mit grünen Schuppen bedeckt. Das Fleisch dieses Dämons war ein Anblick, den nur wenige zweimal erlebt hatten. »Sie machen sich auf die Suche nach der Spinnenhexe«, meinte Vhok, indem er sich verdrehte, um ihr beim Ausziehen seines Waffenrocks zu helfen. »Sie wollen sie wecken?« fragte Aliisza, die ihre Aufmerk samkeit den glitzernden Schuppen auf Vhoks breiter Brust zuwandte. »Um ihre Gunst zu gewinnen, wollen sie die Suche nach ih rem klebrigen kleinen Thron aufnehmen«, erwiderte der Cam bion, »oder ihrem klebrigen kleinen Bett ... oder ihrem klebri gen kleinen Grab, und sie aus ihrem Schlaf erwecken. Sie füttern das Schiff?« »Mit einer beständigen Nahrung aus Manen«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Kaanyr nickte, während er sie auszuziehen begann. »Der Magier?« fragte er. »Pharaun«, antwortete Aliisza. »Er ist dazu also in der Lage«, befand Vhok. »Niemand ge ringerer als ein Meister Sorceres, und der Kapitän ist gefes selt.« »Sie können in den Abgrund der Dämonennetze gelangen«, meinte sie, »aber denkst du, sie können sie wecken?« »Nein«, ertönte überraschend eine dritte Stimme im Zelt, von dem Aliisza sich sicher war, daß es nur von zweien be wohnt war. Beide sprangen auf und hatten in Gedankenschnelle die Schwerter in Händen. Die Klingen, die bis ins kleinste Detail identisch waren, summten geradezu vor magischer Energie. Sie standen Rücken an Rücken, in einer Abwehrhaltung, die mehr
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dem Instinkt entstammte als der Übung. Aliisza sah niemanden, aber sie spürte, wie Vhok sich hinter ihr anspannte. Sie kannte seine Stimmungen mittlerweile gut, und was sie bei ihm spürte, war Ärger, keine Furcht. Aliisza suchte weiter den Raum ab, bis sich eine Gestalt zeigte. »Nimor«, seufzte Aliisza auf. »Eine gefährliche Entscheidung«, sagte Vhok zu der sche menhaften Gestalt des Drow-Assassinen, »hier unangekündigt einzutreten.« »Glaubt mir«, erwiderte Nimor, der näher an die warme Flamme der Fackel in der Mitte des Zeltes herantrat, »Voyeu rismus war das letzte, was ich im Sinne hatte. Wie Ihr sagtet, Fürst Vhok, es gibt geschäftliche Dinge, die erledigt werden müssen. Außerdem bin ich nicht ›eingetreten‹.« Vhok ließ sein Schwert, eine Klinge, die er »Brandblut« nannte, zurück in seine Scheide gleiten und trat von Aliisza weg. Mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen hob er den Waffenrock auf und zog ihn wieder an, womit er das schuppige Fleisch bedeckte, das er so selten entblößte. Die Mundwinkel von Nimors dünnen Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln. Etwas an dieser Reaktion verlieh Aliisza ein ungutes Gefühl – noch mehr als gewöhnlich in der Gegenwart des Assassinen. »Was führt Euch hierher, Gesalbte Klinge?« fragte Vhok. »Natürlich diese Drow-Expedition«, antwortete der Assas sine. »Sie haben ein Chaosschiff gefunden, und sie wollen Lolth einen Besuch abstatten?« Der Assassine sah in Erwartung einer Antwort Aliisza an. Sie steckte ihr Schwert in die Scheide zurück und legte sich wieder auf das Sofa, wobei sie den Blick nie von dem Drow abwandte. Das Alu-Scheusal mühte sich nicht damit ab, die Verschlüsse wieder zu schließen, die Vhok an ihrem Oberteil
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geöffnet hatte. »Es gibt wenig Grund anzunehmen, daß sie erfolgreich sein werden«, meinte Kaanyr. »Stimmt Ihr dem zu, Aliisza?« fragte Nimor. Aliisza zuckte die Achseln und sagte: »Sie haben einen Ma gier bei sich, der wohl mit dem Schiff umgehen kann. Ich lernte ihn in Ched Nasad kurz vor dem Ende kennen und konnte feststellen, daß er recht fähig ist.« »Ach ja«, entgegnete Nimor, »Pharaun. Er könnte der nächste Erzmagier werden, wie ich höre. Wenn er Baenre hieße.« »Sie könnten es schaffen«, sagte Vhok. Nimor holte tief Luft und erwiderte: »Es gibt tausend Dinge, die zwischen dem Schattensee und dem Abyss schiefgehen könnten, und abertausend Dinge, die zwischen dem Rande des Abyss und der sechsundsechzigsten Ebene schiefgehen könn ten.« »Was werden sie dort finden?« fragte Aliisza neugierig. Nimor lächelte, und Aliisza war für einen Moment wie e lektrisiert angesichts seiner wilden Miene. »Ich habe keine Ahnung«, antwortete er. »Was, wenn sie Lolth finden?« fragte Vhok. »Wenn sie Lolth finden«, sagte Nimor, »und sie tot ist, dann können wir uns auf eine Belagerung einstellen, die so lange wie nötig dauern wird. Menzoberranzan ist verloren. Wenn sie schläft und sie sie nicht wecken können oder wenn sie sich einfach nur entschieden hat, ihre Gläubigen auf dieser Welt zu verlassen, dann trifft das gleiche zu. Wenn sie schläft und sie sie aufwecken oder sie sie ignoriert und sie ihre Gunst zurück gewinnen, nun, das würde Schwierigkeiten für uns bedeuten.« »Woher sollen wir wissen, was sie vorfinden werden?« fragte Kaanyr.
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»Das tun wir nicht«, antwortete Nimor. Der Drow verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Kopf sinken. Sein Gesicht spannte sich an und wurde finsterer, als er in Gedanken versank. »Laßt sie gehen, aber ...« schlug Aliisza vor. Die Worte ka men ihr über die Lippen, ehe sie sie gründlich durchdacht hatte. »Jemand sollte mitgeschickt werden«, beendete Nimor den Satz für sie. Das Alu-Scheusal lächelte und entblößte eine Reihe gelb weißer Fangzähne.
»Agrach Dyrr steht allein«, sagte Triel. »Allein und unter Belagerung.« Gromph nickte, sah seine Schwester aber nicht an. Der Anblick Menzoberranzans hielt ihn gefangen. Die Stadt der Spinnen erstreckte sich vor ihm, in den Flammen eines Feen feuers aufgegangen, wunderschön in seinem Chaos, in der Pervertierung der Natur – eine Höhle, aus der ein Zuhause entstanden war. »Gut«, erwiderte Gromph, »aber ich nehme nicht an, daß sie einfach aufgeben werden. Sie haben loyale Diener und Verbündete, die das, was ihnen an Intelligenz fehlt, durch eine zahlenmäßige Überlegenheit wieder ausgleichen.« Von da, wo sie standen, auf einem hochgelegenen Gebäude mit schönem Ausblick am äußeren Rand einer der am west lichsten gelegenen Turmspitzen des Gebäudekomplexes des Hauses Baenre, hatte Gromph einen weitgehend ungehinder ten Blick auf die unterirdische Stadt. Der Baenre-Palast stand vor der südlichen Mauer der riesigen Höhle, oben auf der zwei ten Ebene eines breiten Felsvorsprungs. Es war das Erste Haus,
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und seine Position über dem Rest der Stadt war mehr als sym bolisch. »Sie mögen sich vielleicht mit den Duergar zusammengetan haben«, meinte Andzrel Baenre, »aber kein Dunkelelf in Men zoberranzan kämpft in ihrem Namen.« Gromph wandte sich nach links und blickte nach Westen, über das hochliegende Gebiet von Qu’ellarz’orl. Vor ihm be fand sich der hohe Stalagmiten-Turm des Hauses Xorlarrin, und darüber die Traube aus Stalaktiten und Stalagmiten, die das verräterische Agrach Dyrr beherbergte. Blitze aus Feuer – das Werk von Xorlarrins furchteinflößenden und im Überfluß vorhandenen Magiern – zuckten über den Boden und in der Luft um Haus Dyrr. Der Drow-Leichnam, der Meister des re bellierenden Hauses, verkroch sich dort irgendwo, und seine eigenen Magier beantworteten das Feuerwerk ihrerseits mit Feuer und Donner. Gromph spürte seine Schwester Triel und den Waffenmeister Andzrel hinter sich, die darauf warteten, daß er sprach. »Es scheint, als sei ich sehr, sehr lange fortgewesen«, sagte Gromph, wobei er seine Stimme dämpfte, aber sorgfältig mo dulierte, um seiner Schwester seine tiefe Enttäuschung über den Kriegszustand deutlich zu machen. Er konnte spüren, wie Triel sich hinter ihm verkrampfte und seine Worte abschüttelte. »Das warst du«, sagte sie, wobei sie nicht eben wenig Schär fe in ihrer Stimme anklingen ließ, »aber laß uns angesichts einer solchen großen Gefahr für alle, die uns viel bedeuten, nicht auf Versäumnissen herumreiten.« Gromph gestattete sich ein Lächeln und warf über die Schulter einen kurzen Blick auf Triel. Sie starrte ihn an, die Arme vor der Brust verschränkt, als sei ihr kalt. Er wandte sich wieder um, um die fortdauernde Pattsituation am Fuße Agrach
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Dyrrs zu beobachten, und stellte mit einiger Befriedigung fest, wie gut er sehen konnte. Die verschwommenen Bilder und der Schmerz waren zum größten Teil verschwunden, und nun konnte Gromph die Ironie genießen, das Haus Agrach Dyrr mit einem Paar Agrach Dyrr-Augen fallen zu sehen. »Aber nicht alle Häuser tanzen nach unserer Pfeife, nicht?« fragte er. Triel seufzte und antwortete: »Es ist noch immer Menzober ranzan, und wir sind noch immer Drow. Die Häuser Xorlarrin und Faen Tlabbar stehen entschieden auf unserer Seite. Faen Tlabbar bringt Haus Srune’lett mit, das ein festes Bündnis mit Haus Duskryn geschlossen hat. Bei den minderen Häusern können wir uns darauf verlassen, daß uns Symryvvin, Hunzrin, Vandree und Mizzrym zur Verfügung stehen.« »Das ist alles?« fragte Gromph nach einer Pause. »Barrison Del’Armgo ist vielleicht noch immer wegen Oblodra gekränkt«, erwiderte Triel. »Sie bleiben Menzober ranzan treu, und sie kämpfen, aber sie bleiben unter sich.« »Und ziehen ihre Verbündeten auf ihre Seite«, fügte Gromph hinzu. »Zum Glück nicht«, korrigierte ihn Triel, die offensichtlich gleichermaßen zufrieden darüber war, daß sie ihrem Bruder beweisen konnte, daß er unrecht hatte, wie darüber, daß dieses mächtige Haus allein stand. »Die anderen minderen Häuser bleiben neutral, aber bieten sich an, um die Stadt zu verteidi gen. Besser einen Drow zum Nachbarn, den du haßt, als einen wie auch immer gearteten Duergar.« »Oder einen Tanarukk«, fügte Gromph hinzu. »Oder einen Tanarukk«, stimmte Triel zu. Gromph richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Stadt. Es befanden sich nur sehr wenige Drow auf den Straßen, und der Erzmagier sah, wie Kolonnen von Trupps, manche im
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Schnellschritt, durch die kurvenreichen Hauptstraßen mar schierten. »Die Stadt ist ruhig«, bemerkte er. »Die Stadt«, mischte sich Andzrel ein, »steht unter Belage rung.« Gromph war empört, aber klug genug, den Boten nicht für die schlechte Nachricht verantwortlich zu machen, zumindest in diesem Fall. »Wir sind von allen Seiten umzingelt, aber wir kämpfen«, fuhr Andzrel fort, »und wir werden auch weiterkämpfen. Unse re eigenen Truppen halten Qu’ellarz’orl und rücken vor, um Haus Hunzrin im Norden des Donigarten zu unterstützen.« »Die Belagerung Agrach Dyrrs«, äußerte Triel, »hängt größ tenteils von Haus Xorlarrin ab, und sie scheinen es gut im Griff zu haben.« »Ist der Drow-Leichnam tot?« fragte Gromph. Es entstand eine Pause, während der weder die Muttermat rone noch der Waffenmeister sich um eine Antwort bemüh ten. »Dann könnte ihr Griff fester sein«, schloß der Erzmagier. Andzrel räusperte sich und fuhr fort: »Faen Tlabbar verhin dert nicht nur Agrach Dyrrs Rückzug nach Westen, sondern bewacht auch die südwestlichen Zugänge ins Dunkle Reich vom Netz bis zur westlichen Spitze Qu’ellarz’orls. Das Haus muß sich der größten Ansammlung von Grauzwergen stellen, unterstützt von Haus Srune’lett. Faen Tlabbar unterstützt auch die Bemühungen des Hauses Duskryn, die Höhlen nördlich des Westgrabens zu halten.« »Na«, sagte Gromph mit einem scharfen Ton in der Stim me, »ist Faen Tlabbar nicht beeindruckend?« »Das ist es tatsächlich«, stimmte Triel ihm zu, »und Sru ne’lett und Duskryn benötigen keinen weiteren Beweis. Wenn
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Faen Tlabbar uns betrügen wollte, würde es zumindest diese beiden Häuser mit einbinden.« »Warum um alles im Unterreich sollte Faen Tlabbar das tun?« fragte Gromph. »Symryvvin unterstützt Duskryn über dem Westgraben«, sagte Andzrel. »Die dürften damit auch zu Ghenni stehen, wenn es dazu kommen sollte«, bemerkte Triel. Gromph zuckte die Achseln und sagte: »Wenn sie Menzo berranzan jetzt verteidigen, laß sie Vorkehrungen für danach treffen. Wenn wir überleben, überleben wir als das Erste Haus.« »Ich stimme Euch zu, Erzmagier«, meinte Andzrel. Gromph drehte sich um, um den Krieger anzublicken, und ließ seinen kalten Blick auf den harten Zügen des Drow und seiner vom Krieg gezeichneten Rüstung verweilen. »Natürlich tut Ihr das«, sagte der Erzmagier, wobei seine Stimme kaum lauter war als ein Flüstern. Andzrel sah zu Boden und dann zu Triel, die ihn nur anlä chelte. »Haus ...« begann Andzrel, der offenbar dachte, es sei siche rer, die Einsatzbesprechung fortzusetzen, als den mächtigen Erzmagier weiterhin herablassend zu behandeln, indem er ihn seiner Unterstützung versicherte. Er räusperte sich und fuhr fort: »Haus Hunzrin wird im Norden des Donigarten von den Truppen der Geknechteten Legion bedrängt. Vandree hält sich südlich des Westgrabens gut gegen die Duergar. Mizzrym trägt nach bestem Vermögen zu den Bemühungen Xorlarrins gegen Agrach Dyrr bei, und sie schicken auch Patrouillen in den Pilzwald, wo sie auf den einen oder anderen Spion getrof fen sind.« »Dann befinden sich die Tanarukks hauptsächlich im Os
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ten?« fragte Gromph. »Wie man es erwarten sollte, Erzmagier«, wagte der Waf fenmeister zu sagen. »Sie sind von unterhalb der Höllentorfes te aufmarschiert, die von hier aus im Osten liegt. Die Duergar kommen von Gracklstugh.« Gromph atmete langsam durch die Nase aus. »Ich hätte nie gedacht, daß ich das eines Tages erleben würde«, murmelte Triel. »Gracklstugh ...« »Die Tanarukks sind gefährlichere Feinde«, fuhr Gromph fort und ignorierte Triel. »Sagt mir, daß mehr als nur Haus Hunzrin die Stellung gegen sie hält.« »Barrison Del’Armgo kämpft im Süden des Donigarten«, erwiderte Andzrel, »tapfer gegen die Hauptstreitmacht der Geknechteten Legion.« »Mez’Barris wird ihre Helden bekommen«, seufzte Triel. »Im Norden?« fragte Gromph. »Wieder Barrison Del’Armgo, das mit Hilfe der Akademie den Klauengraben hält«, antwortete der Waffenmeister, »größ tenteils östlich nach Ostmyr. Dort gibt es nur wenige Duergar. Es wurde von Illithiden-Einfällen im Osten berichtet – meist ein oder zwei auf einmal –, jenseits der Wanderwege.« »Die Schinder spüren Schwäche«, sagte Gromph. »Sie sind Aasgeier. Sie werden uns zusetzen, wenn sie können, und ver schwinden, wenn sie es nicht können. Einige von ihnen kön nen sich als ... lästig erweisen, aber sie werden warten, bis wir geschwächt sind – wenn wir es zulassen, daß wir schwächer werden – bevor sie in großer Zahl erscheinen.« Weder Triel noch Andzrel riskierten einen Kommentar da zu. »Was ist mit den anderen Häusern?« fragte Gromph. »Sie schützen sich selbst«, antwortete Triel. »Sie patrouil lieren durch die unmittelbare Umgebung ihrer Anwesen, hel
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fen den Frieden auf den Straßen erhalten, und ich würde es vorziehen zu glauben, daß sie auf Befehle warten.« »Nun«, sagte Gromph, »ich bin sicher, wir werden es sehr bald herausfinden. Dennoch hätte ich gerne mehr Verbündete innerhalb unserer eigenen verdammten Stadt gehabt.« »Tier Breche ist auf unserer Seite«, meinte Triel, »auch wenn ich bezweifle, daß ich dir das sagen muß. In Quenthels Abwesenheit steht Arach-Tinilith mir Rede und Antwort. Ich weiß, du hast die Rückkehr an die Macht in Sorcere erfolg reich vollendet, und Melee-Magthere wird jederzeit kämpfen, wenn jemand eine Klinge gegen die Stadt der Spinnen erhe ben sollte.« »Mit deinem Gold wurden die Söldner bezahlt, nehme ich an«, sagte Gromph. Triel zuckte die Achseln und erwiderte: »Bregan D’aerthe steht unter verlängertem Vertrag, auch wenn der Abyss weiß, wo sich Jarlaxle befindet. Es werden schließlich die Goldzähne eines jeden toten Duergar nötig sein, um unsere Truhen wieder aufzufüllen, aber in der Zwischenzeit betätigen sich die Bregan D’aerthe als Infiltratoren und Späher und lassen Truppen durch die Stadt marschieren, um die minderen Häuser zu ü berwachen und unterstützen.« »Vieles von dem, wovon wir Euch heute berichtet haben, Erzmagier«, äußerte Andzrel, »stammte aus Bregan D’aertheBerichten.« »Gut für sie«, log Gromph. »Menzoberranzan wird sich behaupten«, erklärte Andzrel. »Aber nicht für immer«, setzte Triel hinzu. »Nicht lange«, meinte Gromph. Es folgte ein langes Schweigen. Gromph verbrachte die Zeit damit, das Flackern wertvoller Kampfmagie zu beobachten, die gegen Agrach Dyrr aufgewendet wurde.
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»Was wird übrigbleiben?« fragte Triel nach einer Weile. »Muttermatrone«, sagte Andzrel, »Erzmagier, meiner Mei nung nach stammt die größte Bedrohung innerhalb der Stadt nicht länger von Agrach Dyrr, sondern von Barrison Del’Arm go.« Gromph zog eine Augenbraue hoch und drehte sich um, um den Waffenmeister anzusehen. »Selbst ohne daß irgendeines der minderen Häuser ihnen zur Seite steht«, fuhr der Krieger fort, »bedeuten sie die größte Bedrohung für die Macht des Ersten Hauses. Die Muttermat rone von Armgo macht vielen der minderen Häuser bereits Angebote, insbesondere Hunzrin und Kenafin.« »Na und?« fragte Triel nach. »Nun«, mischte sich Gromph ein, indem er den Satz für Andzrel beendete, »sie könnten Donigarten angreifen.« »Unsere Nahrungsquelle«, setzte Andzrel hinzu. Gromph lächelte, als Triels Gesicht fast grau wurde. »Ja nun«, meinte der Erzmagier, »alles der Reihe nach. Bar rison Del’Armgo wird sich für seinen Ehrgeiz zu verantworten haben, nachdem ich mit einem offeneren Aufstand aufgeräumt habe.« »Dyrr?« Triel mußte nicht fragen. »Es ist an der Zeit, daß unser alter Freund, der DrowLeichnam, erneut stirbt«, erwiderte Gromph. »Aber diesmal für immer.«
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Danifae zählte die Krieger vor ihr – acht waren mit Speeren bewaffnet, und ein Dutzend Armbrustschützen stand hinter ihnen – und wartete ab. »Willkommen in der Stadt der Portale«, sagte einer der Speerträger, wobei seine blutroten Augen schnell und auf merksam zwischen Danifae und Valas hin- und herwanderten. »Wenn ihr nach einer Waffe greift oder einen Zauber zu wir ken beginnt, werden wir euch töten, ehe ihr auch nur ein einziges Mal Luft geholt habt.« Danifae schenkte dem Mann ein Lächeln und war befrie digt, als sie sah, daß sein Blick auf ihr verweilte. Wenn Valas angreifen wollte, dann mußte er es jetzt tun. Aber das tat er nicht, also befand sich Danifae in der Position, ihm wieder vertrauen zu müssen. »Wer seid Ihr, woher kommt Ihr«, fragte der Wächter, »und
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in welcher Angelegenheit seid Ihr nach Sschindylryn gekom men?« »Ich bin Valas Hune«, antwortete der Späher. Er legte eine Pause ein und griff langsam zum Kragen seines Piwafwi. Als er seinen Mantel beiseite zog, konzentrierten sich die Augen des Wächters auf etwas. Danifae war sicher, daß es das Emblem der Söldnertruppe sein mußte, zu der Valas gehörte. »Ich will mich hier verproviantieren. Gebt uns etwa einen Tag, um zu besor gen, was wir benötigen, dann werden wir uns umgehend auf den Rückweg machen.« Der Wächter nickte und sah Danifae an. »Was ist mit Euch?« fragte er. »Ihr seht nicht nach einer Bregan D’aerthe aus.« Danifae kicherte spielerisch und entgegnete: »Ich bin Dani fae Yauntyrr, und Ihr?« Der Wächter reagierte verwirrt auf diese Frage. »Sie ist eine Kriegsgefangene im Dienste der Ersten Tochter des Hauses Melarn«, antwortete Valas für sie. Danifae spürte, wie ihre Haut vor unterdrücktem Zorn prik kelte. Was für ein Späher gab bereitwillig eine solche Informa tion preis? Oder wollte er sie auf ihren Platz verweisen, indem er sie daran erinnerte, daß er frei war, sie aber nicht? Der Wächter lächelte – es war beinahe ein anzügliches Grinsen – und musterte Danifae kurz von oben bis unten. »Melarn?« fragte er. »Nie gehört.« »Ein minderes Haus«, antwortete Valas wieder, ehe Danifae sich äußern konnte. »Es wurde zusammen mit den anderen beim Untergang Ched Nasads zerstört.« Der Wächter sah sie wieder an und meinte: »Das bedeutet wohl, Ihr seid frei, nicht wahr?« Danifae zuckte die Achseln und schwieg. Anders als Valas Hune hatte sie nicht vor, Informationen preiszugeben. Das
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letzte, was sie gebrauchen konnte, war, daß jemand wußte, daß sie nach Sschindylryn gekommen war, um genau diese Frage ein für allemal zu klären. »Wir möchten keine Schwierigkeiten mit Bregan D’aerthe«, sagte der Wächter. »Holt Eure Vorräte und dann geht wieder. Menzoberranzanyr sind hier nicht besonders beliebt.« »Aus welchem Grund?« fragte Valas. Die Wächter entspannten sich sichtlich, und die Hälfte der Armbrustschützen nahm die Bolzen von ihren Waffen und trat von der Schußlinie zurück. Die Speerträger stellten ihre Waf fen aufrecht, blieben aber in Bereitschaft. »Es ist Eure Schuld«, erwiderte der Wächter. »Das wird zu mindest behauptet.« »Was ist unsere Schuld?« fragte Danifae, nicht sicher, wa rum sie sich mit den Menzoberranzanyr identifizierte – immer hin war sie noch nicht einmal dort gewesen. »Es heißt«, sagte der Wächter, »es war ein Menzoberranza nyr, der Lolth getötet hat.« Valas lachte, wobei er dem Klang seiner Stimme eine groß zügige Portion Verachtung mitgab. »Nun ...«, schloß der Wächter. »Das wird behauptet.« »Hier entlang«, sagte Valas über die Schulter zu Danifae. Die Kriegsgefangene nickte, machte eine Bestandsaufnahme ihrer Habseligkeiten und folgte dem Späher an den Wächtern vorbei und auf ein weites, offenes Tor in die eigentliche Stadt zu. Als sie an ihm vorbeiging, zwinkerte Danifae dem Haupt mann der Wache zu. Der Kiefer des Mannes klappte auf, aber es gelang ihm, sich zu fangen, ehe ihm wirklich der Mund offenstand. Als sie sicher war, daß sie außer Hörweite der Wachen wa ren, rückte Danifae näher an den Späher von Bregan D’aerthe heran. Valas zuckte vor ihrer Berührung zurück, doch dann
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schien er sich zu zwingen, sich zu entspannen. Danifae, die genau registrierte, wie er auf sie reagierte, neigte sich sehr nah zu ihm. Indem sie mehr heiße Luft als nötig beim Ausatmen ausstieß, flüsterte Danifae ihm mit rauher, gedämpfter Stimme ins Ohr: »Ich werde nicht mit Euch gehen.« »Warum nicht?« antwortete er, indem er ihre diskrete Laut stärke annahm, aber nicht ihren flirtenden Tonfall. »Ich habe noch nie Gefallen daran gefunden, Besorgungen zu machen«, erwiderte Danifae, »und ich habe eigene Dinge zu erledigen.« Einen Moment lang schien es Danifae, als wolle Valas tat sächlich anfangen zu streiten oder sie zumindest drängen, ihm weitere Informationen zu liefern. »Nun gut«, sagte er nach einigen Sekunden, »ich kann Euch rufen, wenn es an der Zeit ist zu gehen.« »Ich kann Euch ignorieren, wenn ich noch nicht fertig bin«, entgegnete sie. Valas antwortete nicht, aber diesmal war sich Danifae si cher, daß sie seine undurchdringliche Rüstung überwunden hatte. Sie wandte sich ab und trat in die Menge, die an dem mit Säulen versehenen, tempelartigen Bau vorbeiströmte, der das Tor umgab. Innerhalb von ein paar Sekunden war sie in der fremden Stadt untergetaucht und hatte den Späher hinter sich gelassen. Sschindylryn lag in einer einzelnen, pyramidenförmigen Lü cke im massiven Felsen, in einer unermeßlichen Entfernung unter der Oberfläche Faerûns. Die Pyramide hatte drei Seiten, die je mehr als drei Kilometer lang waren, und die Spitze erhob sich ebenfalls bis zu einer Höhe von über drei Kilometern. Hier und da wuchsen biolumineszierende Pilze auf den glatten Außenwänden und tauchten die gesamte Stadt in ein unheim
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liches, trüb-gelbliches Licht. Die Drow, die diese Stadt ihr Zuhause nannten, lebten in Häusern, die – ungewöhnlich für eine Drow-Stadt – aus Stein und Backsteinen stufenweise in Reihen übereinander erbaut waren. Die äußeren Ränder der Stadt waren in Wirklichkeit in den Steinboden der Pyramide gemeißelte Gräben. Im Zentrum ragte eine Art große Stufen pyramide in die kühle, unbewegte Luft. Es gab keinen physi schen Weg in die Stadt hinein oder aus ihr heraus. Kein Tun nel verband die Höhle mit dem Rest des Unterreiches. Sschindylryn war abgeschlossen, abgeriegelt. Abgesehen von den Toren, und davon gab es Tausende. Sie waren überall. Allein in den ersten Häuserblocks sah Da nifae bereits ein Dutzend von ihnen. Sie führten in jeden Win kel des Unterreiches, an die Oberfläche und vielleicht darüber hinaus, zu den Ebenen und anderen Orten. Einige, die dort von Personen hinterlassen worden waren, an die sich niemand mehr erinnerte, waren öffentlich zugänglich. Andere waren Unternehmen, die gegen Gebühr eine Beförderung zu anderen Drow-Städten oder Handelsplätzen der niederen Spezies anbo ten. Wieder andere wurden geheimgehalten und nur von eini gen wenigen Auserwählten benutzt. Banden beherrschten einige, wieder andere unterlagen der Kontrolle durch die Stra ßenhändler, während die Kleriker Hunderte unterhielten. Auf den engen Straßen kam Danifae größtenteils an ande ren Drow vorbei, und alle schienen so wie sie vollkommen mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt zu sein. Sie igno rierten sie, und sie tat das gleiche. Unterwegs wurde ihr immer stärker bewußt, daß sie sich in einer fremden Stadt befand und nach einem einzigen Drow suchte, der sehr wahrscheinlich jede Mühe auf sich nahm, sich zu verstecken.
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Das Haus Agrach Dyrr war seit mehr als fünftausend Jahren Teil der politischen Landschaft Menzoberranzans. Nur das Haus Baenre war noch älter. Den größten Teil dieser Zeit hatten die beiden Häuser eine enge Beziehung gepflegt. Natürlich hatte es nie Vertrauen gegeben, das gab es außer in einer extrem spärlichen und ru dimentären Form in der Stadt der Spinnen überhaupt nicht, aber sie hatten gewisse Vereinbarungen getroffen. Sie teilten gemeinsame Interessen und Ziele. Agrach Dyrr hatte seine Rolle in der Hierarchie der Stadt erfüllt. Es zog mit der Stadt in den Krieg, verteidigte sich gegen gegnerische Häuser, zer störte von Zeit zu Zeit einige davon, wenn es die Notwendig keit diktierte, und folgte in allen Angelegenheiten den Lehren und Launen der Königin des Abgrundes der Dämonennetze. Die Muttermatrone Yasraena Dyrr genoß Schmerz. Sie ge noß Chaos, und sie genoß die Segnungen Lolths. Als der letzte Teil wegfiel, änderten sich die Dinge. Von ihrem Palast auf dem breiten Schelf von Qu’ellarz’orl aus hatte der Drowleichnam Dyrr mit seiner viel jüngeren Enkelin zugesehen, wie sich die Stadt gegen sie wandte. Nun, das war nicht ganz zutreffend, das wußte der Drowleichnam. Er hatte sich nach einer präzisen Planung gegen die Stadt ge wandt. Er hatte die endgültige Entscheidung getroffen, wie er es in Zeiten größter Gefahr und größter Gelegenheiten immer getan hatte. Yasraena tat, was ihr gesagt wurde, wobei er ihr gelegentlich das Gefühl gab, es sei ursprünglich ihre eigene Idee gewesen, ihr aber manchmal auch nur einen Befehl erteil te. Meist besaß die junge Muttermatrone soviel Befehlsgewalt über das Haus wie alle anderen Matronen der Stadt. Aber wenn es wirklich darauf ankam, griff der Drowleichnam ein. Der Palast des Hauses Agrach Dyrr bestand aus einem Ring
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aus neun riesigen Stalagmiten, die sich aus dem felsigen Boden Qu’ellarz’orls erhoben, umgeben von einem ausgetrockneten Wassergraben, der nur an einem Punkt von einer breiten, leicht zu verteidigenden Brücke überquert wurde. Im Zentrum des Stalagmitenrings, hinter einer quadratischen Mauer aus verzaubertem Stein, lag der Tempel des Hauses. Diese riesige Kathedrale bedeutete für die Drow des Hauses Agrach Dyrr mehr als nur ein Symbol – es war eine aufrichtige und leiden schaftliche Bekundung ihres Glaubens an Lolth. In den vergangenen Monaten war der Tempel jedoch so still geworden wie die Göttin, der zu Ehren er erbaut worden war. »Lolth hat uns im Stich gelassen«, sagte der Drowleichnam. Er stand am Eingang des Tempels. Hundert Schritt vor ihm kniete seine Enkelin vor dem schwarzen Altar und starrte stumm zu einer gewaltigen, stilisierten Darstellung der Göttin empor. Das Göttinnenbild wog mehrere Tonnen und war durch göttliche Magie aus tausend der kostbarsten Materialien ge formt worden, die das Unterreich zu bieten hatte. »Wir haben sie im Stich gelassen«, erwiderte Yasraena. Ihre Stimmen hallten durch die große Kammer. Der Drowleichnam schwebte auf sie zu, wobei seine Zehen kaum den Marmorboden berührten. Sie drehte sich nicht um. »Was konnte sie auch erwarten?« meinte er. Die Muttermatrone ließ den Scherz unkommentiert. »Die Brücke hält«, berichtete Dyrr beinahe gelangweilt. »Von den Spionen in Sorcere war zu hören, Vorion sei gefan gengenommen, aber später getötet worden. Ich bin noch damit beschäftigt herauszufinden, ob er etwas verraten hat.« »Vorion ...«, flüsterte die Muttermatrone. Sie hatte Vorion nur wenige Jahre zuvor zu ihrem Gefähr ten genommen.
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»Mein Beileid«, sagte der Drowleichnam. »Er hatte ein paar bewundernswerte Eigenschaften«, erwi derte die Muttermatrone. »Nun ja, zumindest starb er bei der Verteidigung des Hauses.« Dyrr langweilte das Thema, also wechselte er es. »Gromph hat sein Augenlicht wieder.« Yasraena nickte und meinte: »Er wird kommen, um uns zu holen.« »Er wird kommen, um mich zu holen«, korrigierte sie der Drowleichnam. Yasraena seufzte. Sie wußte, daß er recht hatte. Yasraena war trotz der Trennung ihrer Verbindung zu Lolth noch immer eine Macht, mit der man rechnen mußte. Sie war erfahren, grausam, stark und hatte Zugang zu den Schätzen des Hauses, die aus magischen Gegenständen, Artefakten und Schriftrol len bestanden, aber für den Erzmagier Menzoberranzans würde sie kaum mehr als ein Ärgernis bedeuten. Wenn Gromph kam, dann kam er, um den Drowleichnam zu holen, und wenn Agrach Dyrr überleben sollte, dann mußte der Drowleichnam es retten. »Ich nehme nicht an, daß Ihr auf Eure neuen Freunde zäh len könnt«, meinte Yasraena. »Meine ›neuen Freunde‹ haben eigene Probleme«, entgeg nete Dyrr. »Sie belagern die Stadt, aber Baenre und die ande ren Häuser haben bei der Verteidigung der Eingänge zum Dunklen Reich überraschend gute Arbeit geleistet.« »Sie haben uns in unseren Palast gesperrt wie Ratten in ei ne Falle«, sagte die Muttermatrone. Dyrr lachte, und seine Stimme klang unter der Maske ge dämpft und angestrengt. Der Drowleichnam gestattete es fast nie jemandem, sein Gesicht zu sehen. Yasraena war eine der wenigen, denen er es enthüllte, aber auch nicht oft. Obwohl
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sie ihn momentan nicht ansah, blieb er weiterhin auf seinen Stab gestützt, den zu benötigen er vorgab. Die äußerliche Illu sion vorgerückten Alters und körperlicher Schwäche war ihm in Fleisch und Blut übergegangen, und er hatte begonnen, dieses Verhalten beizubehalten, auch wenn niemand zu ihm hinsah. Sein seit einem Millennium von den Erfordernissen des Lebens befreiter Leib reagierte so gut, wie er es an dem Tag getan hatte, als er gestorben und wiederbelebt worden war. »Ihr dürft nicht beginnen, auf unsere eigene List hereinzu fallen«, sagte Dyrr. »Nicht alles lief nach Plan, aber es ist weit davon entfernt, verloren zu sein, und wir sind weit davon ent fernt, in der Falle zu sitzen. Wir sollten in der Stadt sein, und hier sind wir. Wir beide sind ungestört in unserem eigenen Tempel. Wir haben Truppen sowie einzelne Gefährten und Vettern verloren, aber wir sind am Leben, und unser Vermö gen ist größtenteils intakt. Unsere ›neuen Freunde‹, wie Ihr sie nennt, halten die Stadt unter schwerer Belagerung, und viele Häuser weigern sich, in den Kampf einzutreten – zumindest in spürbarer Weise. Wir müssen nur weiterhin Druck ausüben, Druck ausüben, Druck ausüben, dann werden wir den Sieg davontragen. Ich gebe zu, es ist eine lästige Sache, daß Gromph meiner Falle entkam. Ich frage mich, wie ihm das gelungen ist. Aber ich versichere Euch, das wird das letzte Mal sein, daß ich den Erzmagier Menzoberranzans unterschätzt habe.« »Habt Ihr ihn unterschätzt«, fragte Yasraena, »oder hat er Euch geschlagen?« Es entstand ein Moment des Schweigens zwischen ihnen, als Yasraena zu dem Bild Lolths hinaufstarrte, und Dyrr wartete in stummem Protest. »Dieser Assassine ...«, sagte sie schließlich. »Nimor«, half Dyrr aus.
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»Ich weiß, Ihr traut ihm nicht«, sagte sie. »Natürlich nicht«, erwiderte der Drowleichnam mit einem trockenen Kichern. »Aber er ist überzeugt von seiner Sache.« »Welche Sache?« fragte die Muttermatrone. »Den Unter gang Menzoberranzans? Die Zerstörung des Matriarchats? Die Massenaufgabe der Verehrung Lolths?« »Lolth ist verschwunden«, sagte Dyrr. »Das Matriarchat hat funktioniert, aber angesichts all der Dinge, die geschehen sind, ist es möglich, daß es Lolths Niedergang ebenfalls nicht über leben wird. Natürlich wird die Stadt weiterbestehen. Sie wird unter meiner beständigen, unsterblichen Herrschaft weiterbe stehen.« »Eurer«, fragte sie, »oder der Nimors?« »Meiner«, erwiderte der Drowleichnam, der von seinen Worten völlig überzeugt zu sein schien. »Er sollte in der Stadt sein«, fügte Yasraena hinzu, ehe eine auffallend lange Pause entstehen konnte. »Nimor und seine Duergar-Freunde sollten hier sein. Mit jedem Tag, der vergeht, reiben Baenre und Xorlarrin uns mehr auf. Zugegeben, nur allmählich, aber wenn dieses ›allmählich‹ nur lange genug anhält, dann ...« Sie ließ den Gedanken unvollendet, und Dyrr zuckte als Antwort nur die Achseln. »Wenn Ihr damit rechnetet, dies ohne Gromph auf ihrer Seite zu tun«, fragte Yasraena, »was geschieht dann jetzt, da er zurück ist?« »Wie gesagt«, erwiderte der Drowleichnam, »ich werde ihn töten. Er wird kommen, um mich zu holen, und ich werde bereit sein. Wenn es an der Zeit ist, werde ich ihm begegnen.« »Allein?« fragte sie, wobei die Sorge in ihrer Stimme un überhörbar war. Der Drowleichnam antwortete nicht. Keiner von beiden
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bewegte sich, und im Tempel war es lange Zeit still.
Er war gekommen, um etwas Nahrung und einige nebensächli chere Dinge zu besorgen. Sie konnten das Wasser aus dem Schattensee trinken, aber sie konnten noch ein paar Wasser schläuche mehr gebrauchen, um es zu transportieren. Unter normalen Umständen gab es nichts Leichteres für eine weitge reiste Person, wie Valas es war. Normale Umstände. Diese Worte hatten jede Bedeutung verloren. »Hey«, grollte der Gnoll und hob seine schwere Streitaxt, so daß Valas sie sehen konnte. »Du warten in Reihe, Drow.« Valas sah dem Gnoll in die Augen, aber gab nicht nach. »Alle warten, bis an Reihe«, knurrte der Wächter. Valas holte tief Luft, behielt seine Hände an seinen Seiten und sagte: »Ist Firritz da?« Der Gnoll zwinkerte überrascht. Valas spürte, wie sich Blicke auf ihn richteten. Drow, Duer gar und Vertreter einiger niederer Arten blickten in seine Richtung. Obwohl sie sicher ärgerlich waren, ungeduldig, weil sie in der Schlange warten mußten, während Valas sich er dreistete, sich vorzudrängen, sagte niemand von ihnen ein Wort. »Firritz«, wiederholte Valas Hune. »Ist er da?« »Woher du ...?« murmelte der Gnoll, die Augen zu Schlit zen zusammengekniffen. »Woher du kennen Firritz?« Valas wartete, bis der Gnoll verstand, daß er nicht mehr sa gen würde. Es dauerte sieben Herzschläge. Mit einem Blick auf die zunehmend unruhiger werdende Schlange sagte der Gnoll: »Komm.« Valas lächelte nicht, sprach nicht und sah die anderen
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nicht an. Er folgte dem Gnoll stumm an der gesamten Schlan ge vorbei durch einen verschimmelten Vorhang hindurch in einen sehr großen Raum mit einer unangenehm niedrigen Decke. Der Raum war so vollgestopft mit Beuteln, Kisten und Fässern, daß Valas in den wenigen ersten Sekunden nach dem Eintreten zumindest eines von jedem der Dinge sah, um de rentwillen er hergekommen war. Ein einzelner, buckliger alter Drow saß an einem Tisch im Zentrum des Lagerhauses. Ein Dutzend unterschiedlicher Münzsorten waren in säuberlichen Stapeln vor ihm auf dem Tisch aufgereiht. Der Gnoll nickte in seine Richtung, und Valas trat näher. »Firritz«, sagte der Späher mit eindringlicher Stimme. Der alte Drow drehte sich nicht um, um ihn anzusehen. Statt dessen zählte er langsam einen Stapel Goldmünzen, dann schrieb er die Gesamtsumme auf ein Stück Pergament, das vor ihm auf dem Tisch lag. Valas wartete. Zehn Minuten vergingen, und in dieser Zeit verließ der Gnoll dreimal den Raum. Jedes Mal, wenn er zurückkam, schien er ein wenig verblüffter zu sein. Valas hatte mit keiner Wimper gezuckt. Als der Gnoll den Raum wieder verlassen hatte, blickte Fir ritz schließlich von seiner Zählarbeit auf und warf einen Blick auf Valas. »So lange hättet Ihr in etwa auch in der Schlange gewar tet«, sagte der alte Drow mit einer durchdringenden und ge zwungen klingenden Stimme. »Was kann ich für Euch tun?« »Vergeßt nicht, daß Ihr einen Bregan D’aerthe warten ließt«, entgegnete Valas. »Droht mir nicht, Valas«, sagte Firritz. »Menzos Ruf ist seit einiger Zeit etwas weniger beeindruckend als früher. Duergar, habe ich gehört. Warum seid Ihr nicht dort, um das Mutter
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land zu verteidigen?« »Ich folge der Spur des Geldes«, sagte der Späher. »Wie Ihr.« »Die Spur des Geldes führt nicht mehr nach Menzoberran zan, oder?« »Bregan D’aerthe hat hier noch immer ein gutes Ansehen«, meinte Valas Hune. »Ich brauche Proviant.« »Ansehen?« fragte Firritz. »Wenn Bregan D’aerthe Anse hen besäße, würde das bedeuten, daß Euer Herr beabsichtigt, irgendwann seine Schulden zu begleichen. Ich treibe Jahr für Jahr die Preise in die Höhe, und was habe ich davon? Viel leicht haben sich die Dinge genügend verändert, daß das nicht mehr nötig ist.« »Holt tief Luft«, sagte Valas Hune. Der alte Drow sah ihn an. Sie verharrten eine Weile so, a ber schließlich nahm Firritz einen tiefen Atemzug und atmete langsam wieder aus. »Das ist alles, was Ihr davon habt«, schloß Valas, »und ich benötige einige Vorräte.« Firritz runzelte die Stirn und entgegnete: »Nichts Magi sches. Die magischen Dinge wurden aufgekauft – und das für den zweifachen oder gar dreifachen Marktwert.« »Ich brauche Nahrung«, erwiderte der Späher, »Wasser schläuche, ein paar Kleinigkeiten.« »Habt Ihr eine Lastechse?« »Nein«, sagte Valas mit einem Lächeln und einem Nicken, »also werde ich etwas brauchen, worin ich die Sachen trans portieren kann. Etwas Magisches.« Firritz fegte mit dem Arm über den Tisch, womit er die Münzen auf dem Boden verstreute, so daß ihr Klappern tau sendfach widerhallte. »Nahrung«, sagte Valas. »Die Zeit ist für mich zu einem entscheidenden Punkt geworden.«
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Danifae spürte den Bindezauber und Halisstra. Es spielte keine Rolle, wie viele hundert Meter Fels sie voneinander trennten, sie waren verbunden. Danifaes Haut prickelte. Je weiter sie sich von der Stadtmitte entfernte, desto größer wurde bei den Leuten, denen sie auf der Straße begegnete, der Anteil von Nicht-Drow. Ihre Erleichterung war groß, als sie ihren Zielort erreichte, nachdem sie unterwegs einige obszöne Bemerkungen eines Trios Hobgoblins hatte über sich ergehen lassen müssen. Sie war nie zuvor in Sschindylryn gewesen und hatte dieses Bauwerk noch nie gesehen, aber sie war direkt darauf zugelau fen. Sie war nie falsch abgebogen und hatte nicht einmal nach dem Weg gefragt. Danifae stand vor einem komplizierten Wirrwarr aus Lehm
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ziegeln und Steinplatten, die so angeordnet waren, daß sie eine Art Bienenstock oder Termitenhügel ergaben. Über der brei ten Tür – die breit genug war, um eine Lastechse und einen Wagen von passabler Größe durchzulassen – hing eine Tafel aus schwarzem Stein, in die ein kunstvolles Sigel eingemeißelt war. Das Symbol trug unverkennbar die Züge des YauntyrrEmblems, aber irgendwie verdreht, gebrochen, verzerrt. Danifae rief sich ins Gedächtnis, daß, was auch immer ge schah, das Haus Yauntyrr verschwunden war. Die Integrität seines Wappens war weder für sie noch für jemand anderen von Interesse, da war sie sich sicher. Sie trat ein. Zinnirits Torhaus bestand, anders als das größere Torhaus, durch das sie die Stadt betreten hatten, größtenteils aus offe nem Raum in Straßenhöhe. Es sah so aus, als gäbe es noch ein oder zwei weitere Stockwerke darüber – wahrscheinlich Zinni rits Privatwohnung –, aber das Herz der Einrichtung befand sich in dieser einzelnen, höhlenartigen Kammer. Es gab drei Tore, jedes von ihnen ein Kreis in raffinierter Weise miteinander verbundener Steine, die gut und gerne neun Meter durchmaßen. Kein kochendheißes magisches Licht durchpulste sie. Alle drei waren inaktiv, dunkel. »Zinnirit!« rief Danifae. Ihre Stimme hallte in dem leeren Raum wider. Es gab keine sofortige Antwort. Danifae hatte schon vor einer Weile ihr Zeitgefühl verloren, und als sie den Namen des früheren Hausmagiers erneut rief, wurde ihr klar, daß sie möglicherweise mitten in die Trance des Magiers geplatzt war. Es war ihr egal. »Zinnirit!« Ein leises, langsames Schlurfen von Füßen war die Antwort auf Danifaes dritten Ruf. Das Geräusch war unverkennbar,
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aber in dem riesigen, verhallten Raum schwer zu orten. Trotz der Echos hatte Danifae den nachhaltigen Eindruck, es stam me von mehr als einem Paar Füße. Sie konnte nicht genau zählen, wie viele es waren – vielleicht ein halbes Dutzend –, und sie kamen näher. Danifae zog ihren Morgenstern und ließ ihn an ihrer rech ten Seite schwingen. »Zinnirit«, rief sie. »Zeigt Euch, Ihr alter Narr.« Wieder war die einzige Antwort das gleiche Echo schlur fender Schritte. Ein Schatten bewegte sich am Rande ihres peripheren Ge sichtsfeldes vor und zurück, tiefer im Inneren des Torhauses. Danifae reagierte, ohne nachzudenken, und nutzte ohne Frage oder Zögern eine Fähigkeit, die allen Drow von edler Herkunft eigen war. Fünf Gestalten erschienen in einem grell schimmernden purpurroten Licht. Das Feenfeuer umgab ihre Körper und sorg te dafür, daß sie sich gegen die graue Düsternis, die hinter ihnen herrschte, abhoben. Die Gestalten schlurften langsam auf sie zu und nahmen keine Notiz von dem Feenfeuer. Die Erkenntnis darüber, worum es sich handelte, traf sie ei ne halbe Sekunde, nachdem es der faulige Geruch tat. Es waren Zombies: wandelnde Tote, die größtenteils menschlich aussahen. Allerdings war Danifae nicht daran interessiert, eine gründliche körperliche Untersuchung durch zuführen, um ihre Vermutung bestätigt zu sehen. »Zinnirit ...«, hauchte sie irritiert. Einer der Zombies griff nach ihr, und ein leises, schmerzlich klingendes Ächzen entwich seinen fauligen, zerfetzten Lippen. Als Reaktion stellte sich Danifae gerade hin, wölbte eine grazile Braue, streckte eine Hand mit schlanken Fingern aus und sagte: »Halt.«
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Die Zombies hielten an. »Das reicht«, sagte sie, wobei ihre Stimme vollkommen ru hig klang. Die Zombies, die noch immer purpurrot leuchteten, drehten sich ungeschickt um, wobei sie gegeneinanderstießen, und schlurften davon. Sie bewegten sich ein wenig schneller von ihr fort, als sie sich auf sie zubewegt hatten. »Nun«, sagte eine feste männliche Stimme, und das einzel ne Wort hallte tausendfach in der Kammer des Torhauses wider. Danifae senkte die Hand, so daß sie auf ihrer Hüfte ruhte. »Ihr hättet das eigentlich nicht können dürfen«, sagte die Stimme, nun leiser, aber näher. Danifae verfolgte das Echo zurück zu seiner Quelle und sah einen weiteren Schatten in Drow-Gestalt am Rande der Düs ternis. »Es besteht keine Notwendigkeit für Feenfeuer«, meinte er und trat nahe genug an Danifae heran, daß sie ihn sehen konnte. »Zinnirit«, sagte sie und grinste breit. »Wie schön, Euch zu sehen, alter Freund.« Der alte Drow trat noch einige Schritte näher, aber behielt immer noch eine respektvolle – nein, eine argwöhnische – Distanz zu Danifae bei. »Ihr wurdet nach Ched Nasad gebracht«, sagte der Magier. »Ich hörte, Ched Nasad sei gefallen.« »Das stimmt«, antwortete Danifae. »Ich verehre Lolth so sehr wie jeder andere Drow«, meinte der Magier, »aber Gebäude aus Netzen könnt Ihr für Euch behalten.« »Das war nicht das Problem«, erwiderte Danifae. »Natür lich schert Ihr Euch nicht das Südende einer nach Norden
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blickenden Rothé um das, was Ched Nasad zugestoßen ist.« »Ihr kennt mich noch immer zu gut«, sagte er. »Genausogut, wie Ihr mich.« »Es ist nicht einfach«, sagte der alte Magier und kam einige Schritte näher. »Was Ihr möchtet. Das ist nichts, was man einfach so ... bannt.« Zinnirit sah verändert aus. Danifae war überrascht, wie sehr er abgebaut hatte, wie dünn, wie runzelig er war. Er sah aus wie ein Mensch oder wie ein Goblin. Er sah schlecht aus. »Ihr habt die Mode Eures neuen Zuhauses angenommen, wie ich sehe«, bemerkte Danifae, indem sie mit dem Kopf auf die skurrile Kleidung des Magiers wies. »Ja«, antwortete er. »Es ist gut fürs Geschäft, wißt Ihr. Er schreckt die Nachbarn nicht so wie die alte Rüstung mit den Metallspitzen.« »Ihr wißt, warum ich hier bin«, sagte Danifae, »und ich weiß, Ihr wußtet, daß ich kommen würde. Sollten die Zombies mich erschrecken?« »Nur eine geschickte Zurschaustellung meiner Macht«, er klärte der Magier. »Drow und niedrigere Arten fühlen sich von ein wenig Nekromantie angezogen. Ich nehme an, das läßt mich bedeutender wirken.« »Ihr wußtet in der Sekunde, als ich durch das Tor trat, daß ich mich in Sschindylryn befand«, sagte sie. »Ja.« »Laßt uns zur Sache kommen.« »Die Dinge haben sich geändert, liebe Danifae«, meinte Zinnirit. »Ich bin nicht mehr der Hausmagier Eurer Mutter und das Objekt der Launen ihrer verwöhnten Töchter.« »Ihr wollt, daß ich bezahle?« fragte sie. »Ihr erwartet etwas für nichts?« Danifae ließ als Antwort eine ihrer Brauen zucken. Diese
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kaum wahrnehmbare Geste führte dazu, daß der alte Magier wegsah. Sie atmete tief ein und konzentrierte sich auf den Win kel ihres Verstandes, in dem der Bindezauber verborgen lag. »Ich weiß, warum Ihr gekommen seid«, drängte Zinnirit. »Es ist immer da, nicht?« Da sie keinen Grund sah, warum sie lügen sollte, antwortete Danifae: »Ja. Es ist in jeder Sekunde da, seit ich dem Haus Melarn in die Hände fiel.« »Der Zauber, der Euch bindet, ist heimtückisch ...« sagte der alte Drow. »Er bindet Euch in einer Weise, die sich nur ein Drow vorstellen kann. So lange der Bindezauber wirksam ist, werdet Ihr nie frei sein. Wenn Eure Herrin ...?« »Halisstra Melarn.« »Wenn Halisstra Melarn stirbt, stirbt auch Danifae«, fuhr er fort. »Wenn sie Euch ruft, werdet Ihr kommen. Da gibt es keine Frage, kein Zögern, keine Wahl. Ihr könnt nie – so sehr Ihr es Euch auch wünscht, noch nicht einmal als Methode des Selbstmordes – Eure Hand gegen sie erheben. Der Bindezauber wird nicht zulassen, daß Ihr Euren Körper auf eine Weise be wegt, die den Tod Eurer Herrin zur Folge hat.« »Ihr versteht es gut«, flüsterte sie, »aber nicht vollkommen. In vielerlei Hinsicht ist es der Bindezauber, der mich antreibt. Dieser Zauber hält mich am Leben, sorgt dafür, daß ich lebe, daß ich höre, beobachte und lerne. Dieser Zauber und meine Sehnsucht, ihn zu brechen, ist das, wofür ich lebe.« Danifae sah, wie Furcht in den Augen des alten Magiers aufblitzte. »Ihr wart nicht die einzige Angehörige unseres Hauses, die nach Ched Nasad gebracht wurde«, sagte er. »Nach dem letz ten Angriff – dem, der die Bastion zerstörte, der die Familie vernichtete – wurden andere aus anderen Häusern Ched Na sads gefangengenommen, und der Rest wurde über ein großes
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Gebiet des Unterreiches zerstreut. Zumindest die, die überlebt hatten, und das waren herzlich wenige.« »Zinnirit Yauntyrr hat es bis nach Sschindylryn geschafft«, fuhr sie für ihn fort, »und sich gut geschlagen. Das überrascht mich nicht. Ihr wart talentiert. Niemand konnte teleportieren wie Ihr. Ihr wart der Meister, und Teleportation ist nicht das einzige, das Ihr gut beherrscht. Ihr seid bereit«, sagte sie. »Ich kenne Euch.« »Was werdet Ihr tun, wenn Ihr frei seid?« fragte er. Danifae lächelte und trat näher an ihn heran. Sie hätten einander berühren können, hätte einer von beiden einen Arm gehoben. »Gut«, flüsterte der alte Magier. »Das muß ich nicht wissen, nicht?« Danifae gab keine Antwort. Sie stand einfach da und warte te ab. »Ich werde Euch berühren müssen«, sagte der Magier. Danifae nickte und trat noch näher – nahe genug, um den Atem des Alten zu riechen: Zimt und Pfeifenkraut. »Es wird schmerzen«, sagte er, als seine Hand nach ihr griff. Zinnirit legte Danifae die Spitzen seines Zeige- und Mittelfin gers auf die Stirn. Seine Berührung war trocken und kühl. Fremde Worte drangen ihm aus dem Mund. Es hätte Drako nisch sein können, was er sprach, aber ein Dialekt, den sie nicht ganz einordnen konnte. Nach einer ganzen Minute hielt er inne und senkte die Hand. Seine rot-orangenen Augen hefteten sich auf ihre. Danifae wich nicht zurück, so sehr sie es auch wollte. »Sagt mir«, flüsterte er, »daß Ihr es loswerden wollt.« »Ich will, daß es fort ist«, sagte sie. Ihre eigene Stimme klang ihr zu laut, zu scharf. »Ich möchte von dem Bindezauber befreit sein.«
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Die letzte Silbe hatte kaum ihre Lippen verlassen, als sich ihre Brust zusammenzog, ihre Beine, ihre Arme, ihre Füße, ihre Hände, ihr Hals, ihr Kiefer, ihre Finger und Zehen zogen sich zusammen – jeder einzelne Körperteil. Jeder Muskel in ihrem Leib verkrampfte sich und schien unter ihrer Haut in Fetzen zu gehen. Sie hätte vielleicht geschrien, aber ihr Hals war wie zugeschnürt. Ihre Lunge versuchte, die Luft, die noch in ihr war, durch ihre zugeschnürte Kehle, durch ihre zusammenge bissenen Kiefer, zwischen ihren knirschenden Zähnen nach oben und nach draußen zu pressen. Sie war blind vor Schmerz. Es war vorbei. Ihr Leib lockerte sich so schnell und so vollständig, daß sie zusammenbrach. Erbrochenes drang ihr aus dem Mund, und sie sah verschwommene, umherwirbelnde Bilder. Ihre Augen tränten, ihre Nase lief, und sie stand kurz davor, unter sich zu machen. Dann war auch das vorbei. Danifae zitterte, als sie aufstand. Sie meisterte die Flut von Gefühlen, die auf sie einströmten – von Beschämung bis hin zu mörderischem Zorn – mit einem einzigen Gedanken: Ich bin frei. Sie wischte sich den Mund am Ärmel ab und trat von ihrem eigenen Erbrochenen fort. Zinnirit folgte ihr und griff nach ihr, um sie zu stützen, für den Fall, daß sie wieder fiele, aber sie wich der Berührung aus, und er schien sie ebenso ungern be rühren zu wollen. »Ich kann sie nicht spüren«, sagte Danifae, als ihr klar wur de, daß die Verbindung wahrhaftig verschwunden war. »Sie wird Euch auch nicht mehr spüren können«, sagte der Magier. »Sie wird wahrscheinlich denken, Ihr wäret gestorben ... wo auch immer sie ist.« Danifae nickte und sammelte sich. Ein Teil von ihr wollte
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vor Freude schreien, tanzen und singen wie eine Elfe der von der Sonne verfluchten Oberflächenwelt, aber sie tat es nicht. Es gab immer noch etwas, das sie brauchte. Die Kriegsgefange ne, die in eine freie Drow verwandelt worden war, blinzelte die Tränen, die ihr in den Augen standen, weg und blickte die Hände des alten Magiers an. Zinnirit trug viele Ringe, aber Danifae suchte einen be stimmten und erkannte ihn augenblicklich. Am Mittelfinger von Zinnirits linker Hand steckte ein mit einer zierlichen drakonischen Gravur versehener Ring aus miteinander ver flochtenen Platin- und Kupfersträngen. »Ihr habt ihn aufbewahrt«, sagte sie. Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an und schüt telte den Kopf. »Den Ring«, erklärte sie. »Den Ring meiner Mutter.« Zinnirit nickte unsicher. »Ihr habt ihn selbst für sie verzaubert, nicht?« fragte sie. Er nickte erneut. »Wohin auch immer sie ging«, überlegte Danifae, »dieser Ring sollte sie nach Hause in ihre Privatgemächer im Haus Yauntyrr im fernen Eryndlyn bringen. Ich erinnere mich dar an, daß sie ihn einmal benutzte, als wir in Llacerellyn waren. Der Ring brachte uns beide heim, als eine hohle Drohung sich in einen Mordversuch verwandelte und jemand ihr ein Ele mentar hinterherschickte. Ihr habt ihn nie benutzt? Ihr habt nie versucht, zurückzuge langen?« »Dort gibt es nichts«, antwortete Zinnirit zu schnell. »Nichts, wohin man zurückkehren könnte. Ich stellte den Ring schon vor Jahren anders ein, damit er mich hierher zu rückbringt.« »Aber mußtet Ihr ihn je benutzen?« fragte sie. »Hat er Euch
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je aus einer fernen Höhle zurückgebracht?« Zinnirit schüttelte den Kopf. »Seid Ihr nie durch Eure eigenen Tore getreten?« Der alte Drow schüttelte wieder den Kopf und sagte: »Es gibt keinen Ort, an den ich gehen könnte.« Danifae neigte den Kopf und ließ ein winziges Lächeln des Verständnisses über ihre Lippen gleiten. »Ihr Armer«, flüsterte sie. »All diese Jahre ... so einsam. In Erwartung einer letzten Chance, einer Tochter des Hauses Yauntyrr zu dienen.« Danifae streckte die Hand aus und ergriff die Zinnirits. Der Magier zuckte bei der Berührung zusammen, aber entzog sich ihr nicht. Sie hob seine Hand an ihre Lippen und küßte sie. In Anbet racht der Tatsache, daß sie sich eben über seinen gesamten Fußboden erbrochen hatte, zuckte Zinnirit bei der Geste zu sammen, ließ sie aber trotzdem zu. Danifae drückte die Hand des alten Drow an ihre Wange. Sie fühlte sich wärmer und feuchter an. »Lieber Zinnirit«, flüsterte sie, indem sie dem alten Magier in die Augen sah, »was ist nur aus Euch geworden?« »Ich bin tausend Jahre alt«, entgegnete der Magier. »Zu mindest denke ich das. Ich habe kein Haus, nur diese drei Tore und die dürftige Maut, die ich dafür berechnen kann. Ich bin ein Fremder in einer fremden Stadt, und kein Haus schützt mich, ich kann keiner Muttermatrone dienen. Was aus mir geworden ist? Ich kann mich kaum an ein ›ich‹ erinnern.« Danifae küßte erneut seine Hand und flüsterte: »Ihr erin nert Euch an mich, nicht wahr, Hausmagier?« Er antwortete nicht, aber zog auch die Hand nicht fort. »Ihr erinnert Euch an unsere Lehrstunden«, sagte sie, wobei sie ihre Worte mit der sanften Berührung seiner Hand mit
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ihren Lippen unterstrich. »Unsere speziellen Lehrstunden?« Sie nahm seinen Finger in den Mund und ließ ihre Zunge darüber gleiten. Die Haut des alten Drow war trocken und geschmacklos, und dann war da der Geschmack von Metall auf ihren Lippen. »Ich habe nicht ...«, murmelte Zinnirit. »Ich erinnere mich nicht ...« Danifae zog ihm den Ring vom Finger, indem sie seine Haut langsam von oben bis unten mit ihren Lippen liebkoste. Sie nahm den Ring unter die Zunge, ehe sie seinen Handrücken erneut küßte. »Ich schon«, sagte sie. Danifae drückte den Arm des alten Drow nach unten und verdrehte ihn hart und schnell genug, daß mehr als ein Kno chen an mehr als einer Stelle brach. Zinnirit keuchte vor Schmerz und Überraschung auf und versuchte nicht einmal, Danifae davon abzuhalten, ihn umzudrehen. Sie hob ihre an dere Hand und nahm sein Kinn in die Hand. Sie stand hinter ihm und hatte den gebrochenen Arm schmerzhaft hinter sei nem Rücken verdreht. »Ich erinnere mich«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Dann brach sie ihm das Genick.
Für jeden Magier bestand die Vorbereitung der Zauber eines Tages zum Teil aus Erfahrung, zum Teil aus Intuition und zum Teil aus Inspiration. Pharaun Mizzrym bildete da keine Aus nahme. Von Zeit zu Zeit sah er von seinem Zauberbuch auf, um sei ne Augen zu erfrischen und sich einen besonders komplizierten Zauberspruch einzuprägen. Was er sah, wenn er aufblickte, war das stille, ruhige Deck des Chaosschiffs. Größere Abschnitte
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mit Sehnen und Knorpeln und noch komplexeres Flechtwerk aus Venen und Arterien schmückten das Knochenschiff. Es lebte – ein einfaches, von Schmerz gezeichnetes, gequältes, unbewußtes Leben –, und wenn es still war und die anderen noch immer in Trance versunken waren, bildete sich Pharaun ein zu spüren, wie das Ding atmete. Der Uridezu-Kapitän lag an seinem Platz und wurde nur ge legentlich von einer Ratte besucht. Er hatte sich zu einem festen Ball zusammengerollt, wobei sein Körper auf eine Weise zusammengefaltet war, daß Pharauns Rücken bereits schmerz te, wenn er ihn nur ansah. Sein Atme ging tief und regelmä ßig, unterbrochen von gelegentlichem Schnarchen. Jeggred saß neben dem gefangenen Dämon, die Knie an die Brust gezogen und den Kopf daraufgelegt. Anders als Pharaun und die anderen Dunkelelfen schlief der Draegloth. Das war offensichtlich eine Eigenschaft, die von seinem Vater Belshazu stammte. Nun, dachte der Meister Sorceres, man kann sich seine El tern nicht aussuchen. Quenthel saß so weit von den restlichen Leuten entfernt, wie sie nur konnte, an der äußersten Spitze des spitz zulaufen den Buges des Dämonenschiffes. Sie saß mit dem Rücken zu Pharaun aufrecht und steif da, in Meditation versunken. Kannst du reden? hallte eine Stimme am Rande seines Be wußtseins wider – eine Stimme, die er erkannte. Aliisza? erwiderte er auf die gedankengleichen Worte. Du erinnerst dich, hallte die Stimme des Alu-Scheusals lau ter in seinem Kopf – oder war es klarer? Ich betrachte das als Ehre. Das will ich hoffen, sandte Pharaun zurück, indem er dem Gedanken instinktiv leichte, spielerische Gefühle hinzufügte. Wo bist du?
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An der Decke, antwortete sie, direkt über dir. Pharaun konnte nicht anders, als nach oben zu blicken, a ber selbst mit seiner guten Dunkelsicht verbarg die Düsternis auf dem Schattensee die Decke vor seinen Augen. Wie hast du mich gefunden? fragte er. Ich bin einfallsreich, intelligent und talentiert. Das bist du, antwortete er. Wenn du mit Hilfe der Levitationsmagie direkt nach oben schwebst, sandte sie, wirst du direkt zu mir gelangen. Nun, erwiderte Pharaun, in diesem Fall ... Der Magier schloß das Buch, mit dem er beschäftigt war, obwohl der Zauber noch nicht endgültig vorbereitet war, und steckte den Band zurück in seinen Rucksack. Er stand auf und berührte die Spange, die seinen Piwafwi auf seinen Schultern hielt. Direkt nach oben? sandte er. Ich werde dich auffangen, kam die spielerische Antwort Aliis zas. Pharauns Füße verließen das Deck, und er erhöhte seine Geschwindigkeit, so daß das Schiff unter ihm rasch kleiner wurde. Als es sich in den pechschwarzen Schatten der unheil vollen Höhle verloren hatte – oder richtiger, als er es aus den Augen verloren hatte –, verlangsamte er seinen Aufstieg. »Noch ein kleines Stück«, flüsterte Aliisza ihm mit kaum hörbarer Stimme zu. Langsam kam Pharaun zum Halten, einen Defensivzauber auf den Lippen, für den Fall, daß das Alu-Scheusal auf ihn losging – schließlich war es eine Dämonin, so daß diese Mög lichkeit immer bestand. Es war ein überraschend lautes Rascheln zu hören, und Pha raun sah auf. Aliisza sank langsam auf ihn zu, die fledermausar tigen Flügel hinter sich ausgebreitet. Er drehte sich um, so daß
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sie einander ansahen. Sie befanden sich fast auf gleicher Höhe, als Aliisza fragte: »Kann dein Levitationszauber mich oben halten?« Pharaun hatte kaum die Möglichkeit, ihr zu antworten, ehe sich ihre Arme um seinen Hals schlossen und er mit einem Mal ihr gesamtes, wenngleich nicht sonderlich hohes Gewicht tragen mußte. Er konzentrierte sich intensiv auf die Brosche und vergaß dabei fast seinen Verteidigungszauber, aber es ge lang ihm, sie beide in der Luft zu halten. Zuerst schaukelten sie ein wenig, aber schließlich gelang ihnen eine enge Umarmung in der düsteren luftigen Höhe nahe der Wolkendecke über dem Schattensee. Sie waren einander Haut an Haut zugewandt. Pharaun konnte den Atem der schönen Alu-Dämonin riechen. Die Berührung ihrer Haut mit der seinen, die Rundungen ihres Leibes in seinem Arm und die sanfte Liebkosung ihrer fleischi gen Flügel, die ihn umgaben, ließen seinen Körper von selbst reagieren. Ein spielerisches Lächeln teilte Aliiszas volle Lippen, und sie entblößte makellose weiße Zähne mit den langen Eckzäh nen einer Vampirin. Pharaun erinnerte sich an ihre Gewohn heit, mit ihren Zähnen herumzuspielen. Er machte sich nicht die Mühe zu überlegen, warum er das so sehr mochte. »Ja«, flüsterte sie, »ich erinnere mich.« Pharaun erwiderte das Lächeln und fragte: »Was bringt ein böses Mädchen wie dich an einen Ort wie diesen?« Das brachte sie zum Lachen. »Zum Schattensee?« erwiderte sie spielerisch. »Ich versuche mehrmals jährlich herzukommen, wenn ich kann. Um zu ku ren.« Pharaun nickte, lächelte, machte sich aber nicht die Mühe, das Geplänkel auszudehnen. Kaanyr Vhoks Gefährtin war aus
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irgendeinem Grund hierhergekommen, und er war nicht ganz so vernarrt oder selbstgefällig genug, zu denken, daß es nur deswegen war, damit sie ihn sehen konnte. »Du spionierst uns wieder nach«, beschuldigte er sie. »Nein«, entgegnete Aliisza schmollend, »ich spioniere euch noch immer nach. Fühlst du dich nicht geehrt, wenn jemand wie ich dir die ganze Zeit nachspioniert?« »Doch«, sagte er, »und das ist genau das Problem.« »Was hofft ihr, im Abyss zu finden?« fragte sie unvermittelt. Pharaun mußte ein paarmal zwinkern, bis die Frage in seinem Gehirn ankam. »Dahin wollt ihr doch in diesem wunderbaren alten Chaosschiff fahren, das ihr geborgen habt, oder?« »Warum sollte es Kaanyr Vhok kümmern, was wir tun«, fragte er, »oder wohin wir fahren?« »Darf ein Mädchen nicht etwas neugierig sein?« »Nein«, erwiderte er entschieden. »Nicht in diesem Fall.« »Du kannst eine ganz schöne Ratte sein, wenn du willst, Pharaun«, sagte sie und lächelte wieder. »Soll ich das als Kompliment verstehen?« Aliisza sah ihm in die Augen. Sowohl der Drow als auch die Dämonin waren klug und pragmatisch genug zu wissen, daß sie kein unglückliches menschliches Liebespaar waren. Sie moch ten vielleicht sogar auf verschiedenen Seiten in einem Krieg kämpfen, der möglicherweise ihrer beider Zivilisationen zerstö ren würde – wenn Kaanyr Vhoks zusammengewürfelte Ge knechtete Legion eine Zivilisation genannt werden konnte. »Kann ich mitkommen?« fragte sie, indem sie den Kopf neigte und fast so aussah, als versuche sie eine Antwort zu lesen, die ihm auf der Stirn stand. »Mit uns?« fragte er. »Auf dem Schiff?« Aliisza nickte. »Ich werde beim Zahlmeister nachfragen müssen, um zu se
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hen, ob noch eine Kabine frei ist, aber auf den ersten Blick muß ich sagen: Das kommt nicht in Frage, nicht bei allen Neun Höllen und beim Ödland der Verderbnis und Verzweif lung.« »Hab Mitleid«, sagte sie. »Weißt du, ich war schon einmal dort.« »Wo sonst warst du denn schon?« fragte Pharaun, der das Thema absichtlich von ihrer Teilnahme an ihrer Expedition abbrachte. »Hast du in letzter Zeit die Stadt der Spinnen be sucht?« »Menzoberranzan?« entgegnete Aliisza. »Warum?« »Um Neuigkeiten von zu Hause zu hören«, sagte Pharaun. Ihre Flügel legten sich enger um ihn, und Pharaun gefiel das Gefühl. Es ähnelte dem der angewärmten Decken, die seine Lieblingsmasseuse in Menzoberranzan immer über ihn gelegt hatte. Er war schon zu lange unterwegs. »Es fehlen einige eurer Kameraden«, bemerkte das AluScheusal. »Der Kämpfer mit dem Zweihänder und der andere. Valas.« »Du hast uns nachspioniert«, erwiderte Pharaun. Er konnte sich nicht vorstellen, warum sie das wissen woll te, wenn sie nicht ihre Stärke erkunden wollte oder ... »Du erstattest Kaanyr Vhok Bericht?« fragte er. Sie gab vor zu erröten und klimperte mit den Wimpern. »Menzoberranzan wird belagert«, sagte er. »Ich schätze, du weißt das.« Sie nickte und fragte: »Ihr habt eure Krieger zurückge schickt, um bei der Verteidigung der Stadt zu helfen?« Pharaun lachte, und Aliisza wirkte verstimmt. Es war ihm egal. »Sag mir, daß sie nicht mit einigen weniger zivilisierten Bewohnern des Unterreiches zwischen Ched Nasad und hier
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zusammengestoßen sind«, meinte sie. »Es würde mir das Herz brechen.« »Dann wird dein Herz unversehrt bleiben«, erwiderte Pha raun. »Ich finde, dir bräche kein Zacken aus der Krone, wenn du mir sagtest, wer meine Heimat belagert.« »Das könnte sein«, entgegnete sie mit einem Augenzwin kern. »Laß es uns nicht riskieren. Wenn ich natürlich wüßte, was du über das Schicksal Lolths weißt, könnte das den Schlag dämpfen.« »Ah«, sagte er, »ich verrate dir das große Geheimnis und du mir das kleine.« »Es gibt keine kleinen Geheimnisse«, erwiderte das AluScheusal, »wenn man der ist, der im Dunkeln tappt.« »Weißt du, Aliisza«, meinte Pharaun, »wir sollten uns viel häufiger treffen und einander nichts erzählen. Das ist besser als Zauber vorzubereiten oder mein Leben weiterzuleben.« »Du bist ein sarkastischer kleiner Teufel, Pharaun. Weißt du, das ist das, was ich so an dir liebe.« »Bitte geh davon aus, daß ich das gleiche empfinde«, war Pharauns Antwort. »Wenn wir also das Nicht-MiteinanderSprechen beendet haben, kann ich dann gehen?« »Wir haben miteinander gesprochen«, meinte Aliisza. »Da bin ich mir sicher. Zum Beispiel konnte ich mir bis jetzt nicht vorstellen, daß du nicht weißt, wer deine Stadt belagert, und du hast mir erzählt, daß ihr zum Abyss fahren wollt.« »Nun«, sagte Pharaun, dem es egal war, daß sie diese nahe liegenden Schlüsse gezogen hatte. »Schön für dich. Mach dich auf, den Lauf des Lebens im Unterreich zu ändern.« »Du spielst Spielchen mit mir«, sagte die Alu mit Eis in der Stimme und einem Blick, wie Pharaun ihn noch nie gesehen hatte. »Ich mag das, aber nicht für immer und ewig.« »Du hältst Informationen zurück«, antwortete er scharf.
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»Ich mag das überhaupt nicht.« Sie schwebten in der Luft, umschlungen in einer engen, vertrauten Umarmung, und starrten einander lange in die kalten, wenig einladenden Augen. »Ich könnte trotzdem deine Freundin sein«, sagte Aliisza leise, wobei ihre Stimme kaum mehr war als ein Flüstern. Der Meister Sorceres stellte fest, daß er um die richtigen Worte rang. Er wußte, daß sie fertig waren, fürchtete, daß sie für immer miteinander fertig waren, und merkte, daß er wünschte, dem sei nicht so. Sehnsucht, dachte Pharaun. Ja, antwortete Aliisza direkt in seinem Kopf, Sehnsucht. Pharaun stieß sie weg. Aliisza hing eine halbe Sekunde in der Luft, ehe sie zu fallen begann. Sie durchbohrte ihn mit Blicken, als ihre Flügel sich öffneten, um ihren Sinkflug zu bremsen. Pharaun fand, sie sah eher verletzt als wütend aus. »Wir sprechen uns noch«, sagte sie, dann war sie mit einem Blitz aus mattem purpurrotem Licht verschwunden, und Pha raun war allein in den undurchdringlichen Schatten. Er stellte fest, daß er dachte: Das hoffe ich wirklich.
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Etwas fehlte. Halisstra spürte es – oder besser, sie spürte es nicht. Sie spür te den Bindezauber nicht. Sie spürte Danifae nicht. Die Bindung an eine Gefangene durch diese obskure DrowMagie war eine seltsame und heikle Erfahrung. Sie war sich dieser Erfahrung eigentlich nicht in jedem Augenblick bewußt. Es war eher so, daß sie immer da war, im Hintergrund, wie das Geräusch ihres eigenen Atems, das Gefühl ihres eigenen Pul ses. Sie war mitten im Tanz, als es aufhörte. Die Priesterinnen, die sie in ihrem Kreis willkommen geheißen hatten, tanzten oft. Sie tanzten in verschiedenen Kombinationen von be stimmten Frauen und an verschiedenen Orten, sowohl heili gen als auch weltlichen. Meist tanzten sie nackt, manchmal auch bekleidet. Sie tanzten in Rüstung mit Waffen, mit Früch
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ten als Opfergaben oder mit Kunstwerken. Sie tanzten um Feuer oder in der Kälte. Sie tanzten in der Nacht – in der Fins ternis, die Halisstra immer noch tröstlich fand – oder am Tag. Sie war noch dabei, die Bedeutung dieser unterschiedlichen Treffpunkte zu lernen, jeden subtilen Wechsel der Elemente und der Art und Weise, jede Veränderung von Rhythmus und Bewegung. Als das Gefühl sie überkam, hörte Halisstra zu tanzen auf. Die anderen Priesterinnen nahmen keine Notiz von ihr. Sie hielten nicht einmal inne, geschweige denn, daß sie mit ihrem fröhlichen Ritual ganz aufgehört hätten. Halisstra stolperte aus dem Kreis und begab sich rasch und mit dem Gefühl drohenden Unheils zu der Stelle, an der sie Ryld zurückgelassen hatte. Der Waffenmeister war in den Kreis der Priesterinnen nicht aufgenommen worden, und sie spürte, wie ihn das belastete. Halisstra war stundenlang fort und kehr te zu Fragen zurück, die sie nicht beantworten konnte. Sie hatte keine Möglichkeit, sich sicher zu sein, daß Ryld sie liebte – sie war sich noch nicht einmal sicher, was »Liebe« über haupt war, obwohl sie dachte, daß sie dabei war, es zu lernen, aber der Krieger blieb. Er blieb mit ihr dort in dem kalten, vom Licht heimgesuchten Wald, umgeben von Anbeterinnen einer Göttin, die sich für ihn wie eine Verrätergöttin anfühlen muß te. Sie taumelte in die kühle, finstere Kammer, die sie teilten, und unterbrach ihn bei einer meditativen Übung, bei deren Ausübung sie ihn schon zuvor gesehen hatte. Er stand auf den Händen, die Augen geschlossen, die Zehen ausgestreckt, die Beine in den Knien eingeknickt. Ryld behielt diese Position manchmal stundenlang bei. Halisstra konnte sie nicht länger als ein oder zwei Sekunden einnehmen. Er öffnete die Augen, als sie hereinkam, und erkannte an
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ihrem Gesichtsaudruck, daß etwas nicht stimmte. Er machte eine geschmeidige Rolle vorwärts und stand wieder auf den Beinen. Es gab kein Anzeichen dafür, daß er an Schwindel oder Desorientierung litt. »Halisstra«, fragte er, »was ist geschehen?« Sie öffnete den Mund, um ihm zu antworten, aber kein Wort erklang. »Etwas ist geschehen«, sagte er, und sah sich im Raum um. »Ryld, ich ...«, hob sie an und sah dann zu, wie er mit seiner Bewaffnung begann. Er griff zuerst nach Splitter – seinem riesigen Zweihänder –, dann befestigte er sein Kurzschwert, das in seiner Scheide steckte, an seinem Gürtel. Er hatte gerade seine Rüstung in die Hand genommen, als sie ihn am Arm berührte, um ihn aufzu halten. Seine Haut fühlte sich warm, fast heiß an, aber es gab auf ihr keinen Schweiß. Tiefschwarze Haut dehnte sich über Muskeln, die so hart waren, daß es sich anfühlte, als sei er aus Stein gemeißelt. »Nein«, sagte sie, nachdem sie endlich die Spinnweben aus ihrem Kopf geschüttelt hatte, »hör auf.« Ryld hielt inne und sah sie abwartend an. Sie sah die mit Frustration gemischte Ungeduld in seinen Augen. »Worum geht es?« fragte er, und sie sah, wie er begriff, noch während er sprach. Sie lächelte, und Ryld seufzte. »Es ist Danifae«, sagte sie. »Ich spüre sie nicht mehr. Der Bindezauber wurde gebannt.« Rylds Augen weiteten sich, und sie stellte fest, daß er über rascht war. Nicht unbedingt überrascht darüber, daß der Bin dezauber unterbrochen worden war, sondern es wirkte, als hätte er erwartet, etwas anderes zu hören. »Was bedeutet das?« fragte er und lehnte seinen Brustschild
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gegen die Wand neben dem Bett, das sie miteinander teilten. Halisstra schüttelte den Kopf. »Sie ist tot?« fragte er ohne einen Anflug von Gefühl. »Vielleicht.« »Warum macht dir das Angst?« Halisstra trat einen Schritt zurück – sie war verblüfft über diese doch eigentlich vollkommen logische Frage. »Warum mir das Angst macht?« wiederholte sie. »Es macht mir Angst ... macht mir Sorgen, daß sie von mir befreit ist. So oder so bin ich nicht mehr ihre Herrin, und sie ist nicht mehr meine Kriegsgefangene.« Ryld runzelte die Stirn, zuckte die Achseln und fragte: »Warum spielt das für dich eine Rolle?« Sie öffnete den Mund, um ihm zu antworten, fand aber er neut nicht die richtigen Worte. »Ich meine«, fuhr Ryld fort, »ich bin mir nicht sicher, ob deine neuen Freundinnen das überhaupt guthießen. Würden sie es? Nehmen diese Verrä... ich meine, ander... diese Prieste rinnen überhaupt Kriegsgefangene?« Sie lächelte, und er drehte sich um, wobei er vorgab, sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, Splitter wieder griffbe reit unter ihr Bett zu legen. »Sie sind keine Verräterpriesterinnen, Ryld«, meinte sie. Er senkte als Antwort kurz den Kopf. Dann setzte er sich aufs Bett und sah sie an. »Doch«, sagte er, wobei seine Stimme so ausdruckslos und erschöpft klang, wie seine Augen aussahen. »Sie sind Verräte rinnen an ihrer Rasse, genau wie wir selbst. Die Frage, die ich mir selbst dauernd stelle, ist die: Ist es schlimm, ein Verräter zu sein?« Halisstra trat zu ihm und kniete nieder. Sie legte die Hände auf seine Knie. Er streckte eine Hand aus und strich ihr das
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lange weiße Haar aus dem Gesicht – eine Geste, die fast ins tinktiv wirkte. »Nein«, sagte sie mit einer Stimme, die selbst in der Stille des kleinen Raums kaum zu hören war. »Es ist nicht schlimm. Wir können ohnehin nur uns selbst verraten, und ich denke, wir sind endlich uns selbst gegenüber ehrlich ... und einander gegenüber.« Halisstra wurde das Herz schwer, als sie den Blick auf sei nem Gesicht sah, seine einzige Antwort auf diese Worte. Er glaubte ihr nicht, aber sie konnte nicht anders, als zu denken, daß er es eigentlich wollte. »Wie fühlt es sich an?« fragte er sie. Sie verstand nicht und zeigte ihm das mit einem fragenden Ruck ihres Kopfs an. »Den Bindezauber nicht mehr zu spüren«, meinte er. Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Hüfte, setzte sich auf den Boden und lehnte ihren Kopf gegen sein starkes Bein. »Ich spüre, daß alles aus meinem alten Leben Stück für Stück durch etwas Neues ersetzt wird.« Er berührte sie erneut, ein Finger strich sanft die Linie ihrer Schulter entlang. Ihre Haut kribbelte unter seiner Berührung. »Lolth wurde durch Eilistraee ersetzt«, sagte sie. »Finsternis wurde durch Licht ersetzt. Mißtrauen wurde durch Akzeptanz ersetzt, Haß durch Liebe.« Eine unvertraute Wärme und Feuchtigkeit füllte ihre Au gen. Halisstra weinte. »Geht es dir gut?« fragte Ryld. Seine Stimme war ein be sorgtes Flüstern. Halisstra wischte sich die Tränen weg und nickte. »Haß«, wiederholte sie, »wurde durch Liebe ersetzt, und of fenbar wurde Sklaverei durch Freiheit ersetzt.« »Oder wurde Leben durch Tod ersetzt?« fragte Ryld.
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Halisstra seufzte. »Vielleicht«, antwortete sie, »aber wie es auch immer sein mag, sie ist frei. Sie ging, um ihr Leben nach dem Tod zu le ben, wie auch immer es aussehen mag. Ich hoffe für sie, daß es nicht diese leere, zerstörte Schale des Abgrunds der Dämo nennetze ist. Vielleicht wandert sie noch immer durchs Unter reich, lebendig und stark. Lebend oder tot, sie ist in jedem Fall frei.« »Frei ...«, wiederholte Ryld, als habe er dieses Wort noch nie zuvor ausgesprochen und benötigte Übung darin. Sie saßen lange so da, bis Halisstras Beine steif zu werden begannen und Ryld spürte, in welcher unbequemen Lage sie dasaß. Er hob sie ins Bett und zog sie an sich, als habe sie kein Gewicht. Seine Umarmung fühlte sich wie ein Panzer an, ein lebenserhaltender Kokon um sie herum. »Wir müssen zurück«, flüsterte sie. Rylds Umarmung wurde enger. »Ich meine nicht das, was du denkst«, flüsterte sie, da sie wußte, daß er unter die Erde zurückkehren und nie zurück kommen wollte. »Die Zeit ist gekommen, um Quenthel und ihre Gruppe zu finden.« »Um sie aufzuhalten?« fragte er, und die Worte berührten ihren Hals bei jedem heißen Atemzug, wenn er ausatmete. »Nein«, flüsterte Halisstra. »Um ihnen zu folgen?« sprach er in ihr Haar, wobei seine Hand gegen ihr Kreuz gepreßt war. Halisstra drängte sich gegen den Krieger, bis es sich anfühl te, als sei sie so nah an ihn gepreßt, daß sie ganz flach wurde und in seiner nachtschwarzen Haut verschwand. »Ja«, sagte sie. »Sie werden uns mitnehmen, ob sie wollen oder nicht. Sie werden uns zu Lolth bringen, und wir können es zu Ende bringen.«
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Halisstra wußte, daß er in diesem Moment mit dem Lie besspiel begann, weil er nicht darüber nachdenken wollte, und sie ließ es zu, weil sie ebenfalls nicht darüber nachden ken wollte.
Pharaun stand an der Reling des Chaosschiffes und starrte in die dunkle Leere des Schattensees, weil ihm nichts anderes zu tun einfiel. Valas und Danifae waren von ihrem Auftrag, Nah rung zu besorgen, nicht zurückgekehrt, er hatte das Schiff mit genügend unbedeutenden Dämonen gefüttert, um es zufrieden zustellen, der Uridezu war in die Knie gezwungen und still, und von Aliisza war nichts zu sehen. Der Meister Sorceres ging im Kopf ihr Gespräch noch ein mal durch und war noch immer überzeugt, daß es dem AluScheusal gelungen war, ihm nichts zu sagen, aber daß sie auch verschwunden war, ohne etwas von ihm zu erfahren. Dennoch hatte sie ihn gefunden und das Schiff gesehen. Sie wußte, wohin sie wollten und was sie zu erreichen hofften – allerdings konnte sich jeder, der beim Untergang Ched Nasads dabeige wesen war, das leicht denken. Er verbannte das Alu-Scheusal aus seinen Gedanken und spähte tiefer in die Finsternis, auch wenn es dort noch immer nichts zu sehen gab. Pharaun mußte sich nicht umdrehen, um zu wissen, daß Quenthel gegen die Reling gestützt dasaß und sich abwesend in irgendeiner Art stummer Telepathie mit den gebundenen Teufelchen unterhielt, die ihrer giftigen Peitsche jene böse Intelligenz verliehen. Er konnte sich den Inhalt eines Gesprächs nicht vorstellen, das jemand mit einem Dä mon führen konnte, der im Körper einer Schlange gefangen war, die am Ende einer Peitsche hing. Worüber auch immer sie sprachen, es schien Quenthel
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nicht zu helfen. Soweit Pharaun es erkennen konnte, wurde die Hohepriesterin still und leise wahnsinnig. Sie war schon immer mürrisch und launisch gewesen, aber in letzter Zeit war sie ... zappelig geworden. Ihr halbdämonischer Neffe wurde immer wütender, je mehr er sich langweilte. Jeggred gab einen Gutteil seines Hasses mit Blicken an den Uridezu weiter. Raashub gelang es auf eine geradezu bewundernswerte Weise, ihn zu ignorieren. Etwas erregte Pharauns Aufmerksamkeit, eine Bewegung, die er aus dem Augenwinkel wahrnahm, und er trat von der Reling zurück, als vor ihm eine abgemagerte, völlig durchnäßte Ratte an der Reling aus Knochen und Knorpel entlanghuschte. Pharaun sah, wie die Ratte rannte, und fragte sich abwe send, wohin sie wohl so zielstrebig wollte. Irgendwohin, wo es trocken ist, dachte er. Geräusche erklangen hinter ihm – Jeggred, der nervös zap pelte. Pharaun trat wieder an die Reling und wollte gerade seinen Blick durch die undurchdringliche Finsternis schweifen lassen, als eine weitere Ratte rasch vorbeikrabbelte. »Verdammt«, flüsterte der Meister Sorceres. Er drehte sich um, um sich bei Jeggred zu beschweren, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Da waren mehr als die beiden Ratten, die an ihm vorbeige rannt waren. Es gab Dutzende von ihnen, vielleicht Hunderte, und sie kletterten an Jeggred hoch. Da stimmt etwas nicht, dachte Pharaun, der sich, just als sich die Worte in seinem Kopf bildeten, wunderte, wie träge sein Geist nach Tagen der Langeweile an Bord des vor Anker liegenden Schiffes war. Der Draegloth wirkte eher verärgert als verängstigt. Die Ratten krabbelten über ihn, verfingen sich in seinem Haar,
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knabberten an jeder losen Hautfalte, aber sie konnten die Haut des Halbdämons nicht durchdringen. Noch mehr von ihnen kletterten auf das Deck. Pharaun konnte im Wasser auf der anderen Seite des Dämonenschiffes ein Platschen hören. Es klang, als würden Dutzende oder sogar Hunderte weiterer Ratten zum Schiff schwimmen. Pharaun begann mehrere Verteidigungszauber für sich selbst zu wirken und beobachtete, wie Quenthel schließlich auf- und zu ihrem Neffen herüberblickte. Die Augen der Herrin der Akademie weiteten sich und ver engten sich dann, als sie zusah, wie Jeggred eine Ratte nach der anderen in seinem größeren Paar Hände zerquetschte, während seine kleineren Hände andere von seinem Gesicht abstreiften. Quenthel erhob sich langsam, wobei ihr die Vipern locker und liebevoll um die Beine baumelten. »Jeggred?« fragte sie. »Ratten«, war des Draegloths geknurrte Antwort. Pharaun belegte sich selbst mit noch mehr magischen Schutzmaßnahmen, als Quenthel sich auf den Weg zu dem Draegloth machte. »Raashub«, sagte Pharaun mit stählerner, kalter Stimme. Der Dämon zuckte beim Klang seines Namens zusammen, sah aber nicht auf. »Was tust du da, Raashub?« fragte Pharaun zwischen zwei weiteren Schutzzaubern. »Hör auf. Hör sofort auf.« Der Dämon sah ihn mit glühenden Augen an und zischte: »Das liegt nicht an mir. Es sind nicht meine Ratten.« Pharaun wurde das Gefühl nicht los, daß der Uridezu die Wahrheit sprach – zumindest eine Variante der Wahrheit. »Pharaun?« sagte Quenthel, und der Magier entdeckte eine Spur – mehr als nur eine Spur – von Panik in ihrer Stimme. »Was machen all diese Ratten ...?«
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»Paßt auf, Ihr beiden«, sagte Pharaun, der gleichzeitig ei nen offensiveren Zauber vorbereitete. »Es gibt noch eine and...« Eine Kugel aus Finsternis umschloß Quenthel. Jeder Drow hätte das tun können, aber nicht nur ein Drow. Die unverkennbaren Geräusche eines Kampfes ertönten in nerhalb der langsam wogenden Wolke aus Schwärze. Etwas krachte auf das Deck und knackte. Pharaun änderte die Richtung, bevor er wirklich begonnen hatte, den Zauber zu wirken, den er im Sinn hatte. Statt dessen formte er die Worte und Gesten für einen Zauber, von dem er hoffte, daß er die Finsternis verschwinden lassen würde. Pharaun hörte aus dem Inneren der Finsternis das Kreischen von Metall, das über Metall gezogen wurde – oder war es Kno chen auf Knochen? Sein Zauber begann zu wirken, und die Finsternis ver schwand ins Nichts. Plötzlich sichtbar lag Quenthel auf dem Bauch auf Deck. Sie klopfte die beschnitzte Knochenoberfläche vor sich ab und suchte so nach ihrer Peitsche, die knapp außerhalb ihrer Reichweite lag. Ihre Nase blutete, und sie zuckte jedesmal zusammen, wenn sie den Rücken beugte. Über ihr stand ein weiterer Uridezu. Der Dämon war wie Raashub eine humanoide Ratte. Er war kleiner als Raashub, dünner als er und trug Lumpen, die so zerrissen waren, daß nur wenige Stellen seines graugemusterten Körpers der Phantasie überlassen blieben. Sein langer, rosafar bener Schwanz war übersät mit Pusteln. Kalte schwarze Augen starrten Quenthel mordlüstern an. Schaum sammelte sich in den Winkeln seines von Fangzähnen gesäumten Mauls, und gelbe Klauen bogen sich drohend an den Enden seiner spin deldürren, arthritischen Finger.
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»Jeggred ...«, sagte Pharaun mit einem kurzen Blick auf den Draegloth. Der war von Kopf bis Fuß mit Ratten jeder Größe und jedes Aussehens bedeckt. Es war, als hielten alle Schädlinge im Schattensee eine Art Familientreffen ab – eines, das auf und unter dem Draegloth und überall um ihn herum stattfand. Sie kletterten schneller auf ihn, als er sie töten konnte, obwohl er je vier Nager auf einmal zur Strecke brachte. Pharaun ging rasch mögliche Zauber durch und trat einige Schritte auf Quenthel zu. Der Uridezu schlug ihr seinen Schwanz auf den Rücken. Das Gesicht der Hohepriesterin krachte auf das knochenharte Deck. Blut spritzte, aber nicht viel, und sie nahm den harten Schlag knurrend entgegen. Pharaun war beeindruckt. Etwas ließ ihn seine erste Wahl für einen Zauber verwerfen. Zuviel, dachte er, für nur eine ... Der Meister Sorceres blickte hinüber zu Raashub. Der Blick des Dämonenkapitäns schoß schnell zwischen Quenthel und dem Neuankömmling hin und her. Er prüft uns, dachte Pharaun. Der raffinierte Bastard hat ei nen Angehörigen seiner Art gerufen und stellt ihn uns gegen über, damit wir zeigen, was wir können, unsere Stärken und Schwächen enthüllen. Raashub mochte gefesselt sein, aber er blieb ein Dämon, und ein Dämon besaß immer Kampfgeist – er fand immer ei nen Ausweg. Der andere Uridezu schlug die Krallen in Quenthels Beine, wobei er ihr tiefe Schnittwunden beibrachte, und sie trat nach ihm. Der Dämon tänzelte aus der Reichweite ihrer Stiefel. Quenthel streckte eine Hand nach hinten über ihren Kopf aus, aber noch immer konnte sie ihre Peitsche nicht erreichen. Die
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Vipern schienen in Panik zu sein und waren nicht in der Lage, ihre Bewegungen gut genug zu koordinieren, um zu ihr zu krie chen. Pharaun sprach eine rasche Abfolge gereimter Silben aus und machte eine schnelle Bewegung mit der rechten Hand. Angeschoben von seiner Magie rutschte die Vipernpeitsche einige Zentimeter weit über das Deck, so daß Quenthel sie gut erreichen konnte. Als sich Quenthels Finger um den Griff der Peitsche schlos sen, lachte Pharaun innerlich. Der Zauber, den er verwendet hatte, war nichts weiter als ein Zaubertrick, eine Wandlung, die so einfach war, daß jeder Student im ersten Jahr in Sorcere sie beherrschte. Er würde Raashub nichts über die Grenzen seiner Macht verraten. Der Uridezu fauchte, während er weiter vor Quenthel zu rückwich. Sein Schwanz peitschte hinter ihm, und seine Klau en zuckten in freudiger Erwartung. Offenbar glaubte der Dä mon sich außerhalb der Reichweite der Peitsche. Er lag falsch. Die fünf Vipern, aus denen sich Quenthels Peitsche zusam mensetzte, waren je einen Meter fünfzig lang, was der Waffe eine beträchtliche Reichweite verlieh. Die Hohepriesterin lag noch immer auf Deck und machte sich nicht die Mühe aufzu stehen. Sie schlug mit der Peitsche hinter sich, die Kiefer fest aufeinandergepreßt und die Augen wild vor Zorn. Als sie mit der Waffe nach vorne schlug, wurden die Schlangen nach außen geschleudert, so daß sie ihre volle Länge annahmen. Der Uridezu zuckte zurück, aber er schien überzeugt zu sein, daß er noch immer außerhalb der Reichweite der Waffe war. Die Vipern streckten sich jedoch noch weiter aus, zogen sich in die Länge, wurden immer dünner, streckten sich immer mehr aus und fügten ihrer Länge noch einige Zentimeter hinzu. Der Uridezu registrierte nicht schnell genug, was geschah,
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um in der Lage zu sein, den Vipern auszuweichen. Alle außer einer versenkten ihre nadelspitzen Fangzähne im Fleisch des Rattendämons. Als die Peitsche zurückschnellte, riß sie lange, blutende Furchen in die Lederhaut des Uridezu. Der Dämon schrie, schrill und laut genug, um Pharauns Trommelfelle zum Klingen zu bringen. Jedes andere Wesen wäre tot gewesen. Jede Viper verfügte über ein tödliches, extrem starkes Gift. Quenthel – wild vor Kampfeslust, die sich Pharaun bei ihr nie hätte vorstellen kön nen, geschweige denn, daß er sie je bei ihr gesehen hätte – hatte es nicht zugelassen, daß die Schlangen auch nur einen Tropfen ihres Giftes zurückhielten. Es wäre genug gewesen, um eine Rothé zu töten. Das Opfer dieses giftigen Peitschenhiebs war allerdings kein dummes Nutztier, es war ein Uridezu, und Pharaun hatte sich lange genug mit Dämonen beschäftigt, um die Eigenschaften zu kennen, die sie alle teilten. Gift machte ihnen nichts aus. Die Peitsche hatte Raashub verletzt, aber nicht getötet. Pha raun wußte, daß er noch mehr vertrug. Selbst ein Dämon, der so relativ schwach war wie ein Uridezu – und die Rattenwesen waren kaum die widerstandsfähigsten ihrer Art –, konnte ex tremer Kälte und Hitze widerstehen und natürliche magische Fähigkeiten aufbringen, wie etwa die Dunkelheit, die er be nutzt hatte, um Quenthel aus dem Hinterhalt anzugreifen. Uridezu konnten ihre Nagetier-Verwandten dazu bringen, für sie bestimmte Aufgaben zu erfüllen, so wie der, mit dem Pha raun nun konfrontiert war, die Ratten auf Jeggred gehetzt hat te. Es gab da noch etwas bezüglich der Uridezu-Bisse, von dem Pharaun wußte, daß er sich daran erinnern sollte, aber es fiel ihm nicht ein. Natürlich durchdrang ein Blitz sie nur und verletzte sie nicht, wie es bei allen Tanar’ri der Fall war. In dem Moment, als dieser Gedanke seinen Geist durch
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zuckte, lag Pharauns Hand auf einem Zauberstab, der Blitz schläge auslösen konnte. Da er wußte, daß es zwecklos war, bewegte der Meister Sorceres seine Hand drei Zentimeter wei ter und zog einen anderen Zauberstab hervor. Pharaun zögerte und beobachtete, wie Quenthel flink auf sprang und sich dem Uridezu zuwandte. Der Dämon zischte sie an, aber Quenthel gab weder mit einem Geräusch noch sonstwie zu verstehen, daß sie das wahrgenommen hatte. Die Hohepriesterin peitschte erneut auf den Dämon ein, und drei der fünf Schlangen bissen den Rattendämon in die Brust. Die Kreatur schlug mit rasiermesserscharfen Klauen nach den Schlangen, aber die Vipern zogen sich noch rechtzeitig zurück, und die Krallen durchschnitten nur leere Luft. Der Uridezu ignorierte diesen Fehlschlag, wirbelte herum und peitschte mit seinem schweren, sich schnell bewegenden Schwanz auf die Drow-Priesterin ein. Quenthel hob mit der linken Hand ihren Schild, um den Hieb abzufangen. Der Schwanz traf sie so hart, daß Pharaun sich sicher war, ihr Arm würde brechen, aber statt dessen gelang es ihr, den Schwanz wegzuschlagen. Der Uridezu fing sich aber schneller als Quenthel und holte in der anderen Richtung mit dem Schwanz aus, diesmal jedoch etwas tiefer, so daß er die Priesterin in die Rippen traf. Pha raun hörte, wie ihr der Atem aus den Lungen gepreßt wurde. Sie trat beinahe torkelnd zur Seite. Der Dämon griff mit einem wilden Grinsen im Gesicht erneut an. Er wollte sie beißen und gleichzeitig mit seinen Klauen zerfleischen. Pharaun holte Luft, um das Befehlswort für seinen Zauber stab zu sprechen, als der Dämon auch schon angriff – und von Quenthels Schild mitten im Gesicht getroffen wurde. Es ertön te ein lautes, feuchtes Knacken, und Blut schoß zwischen dem Schild und der Nase des Uridezu hervor. Die Hände des Uri
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dezu fuchtelten vor Quenthel herum, ohne ihr zu schaden, und alle fünf Vipern suchten sich eine der sensibelsten Stellen des Dämons aus, in die sie dann ihre Fangzähne versenkten. Der Uridezu heulte vor unerträglichem Schmerz auf. Nun, dachte Pharaun, der sich nicht die Mühe machte, die Magie in seinem Zauberstab zu aktivieren, es sieht so aus, als hätte sie das im ... Pharauns Blick blieb an Raashub hängen, und er hielt ab rupt inne. Der gefesselte Uridezu sah ihn an, und seine Augen glitten an dem Zauberstab entlang. Deutlich war Vorfreude auf dem Gesicht des Uridezu zu erkennen. Pharaun sah zu seinem Zauberstab und dann wieder zu Raashub. Ihre Blicke trafen sich, und Raashub lächelte. Seinerseits lächelnd ließ Pharaun den Zauberstab wieder zu rück in seinen Rucksack gleiten, wo er hingehörte. Raashub verbarg seine Enttäuschung gut, indem er seine Aufmerksam keit wieder Quenthel und dem anderen Uridezu zuwandte. Pharaun beschloß, Jeggred zu helfen. Raashub wußte, wozu der Draegloth fähig war, und wenn Pharaun sich um die wim melnden Ratten kümmerte und es Jeggred so ermöglichte, Quenthel zu helfen, konnte der freie Uridezu vielleicht rasch zur Strecke gebracht werden, und das, ohne daß Pharaun eine aktivere – und aufschlußreichere – Rolle in dem Kampf über nehmen müßte. Als Pharaun zu dieser Entscheidung kam, lenkte eine Reihe lauter, knackender und knallender Geräusche seine Aufmerk samkeit zurück zu Quenthel. Die Herrin Arach-Tiniliths riß ein ganzes Stück der Reling heraus. Knochen und Knorpel lösten sich vom Deck, brachen wie trockene Pilzstengel ab. Quenthels Peitsche steckte in ihrem Gürtel, der Uridezu, dem Blut aus der zerstörten Schnauze lief, taumelte vor ihr herum, und sie hob das zehn Fuß lange Relingstück über ihren Kopf.
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Pharaun bereitete einen Zauber vor, um Jeggred zu helfen, und Quenthel griff an. Sie schmetterte das Relingstück schnell und hart nach unten auf den Uridezu. Der Dämon, dessen Sicht nicht vollständig von seiner blutenden Nase behindert wurde, sprang vor dem Angriff davon, und es gelang ihm, in letzter Sekunde aus Quenthels Reichweite zu hechten. Die Reling krachte auf das Deck und barst, woraufhin Knochen splitter durch die Luft wirbelten. Einige von ihnen prallten von Pharauns Zauberschutzzeichen und Schilden ab, und er beobachtete, wie einige andere in zwei der Ratten, von denen Jeggred bedeckt war, eindrangen. Quenthel knurrte vor fast unkontrolliertem Zorn, und Pha raun empfand dieses Geräusch als beunruhigend – unschick lich für die Herrin der Akademie. Blutlachen sammelten sich da, wo die Reling auf das Deck gekracht war. Das Chaosschiff blutete. Der Magier war nicht sicher, ob er in der Lage sein würde, es zu reparieren, und jeder weitere Schaden könnte ihre Reise verzögern oder ihr sogar ein frühzeitiges Ende setzen. Dennoch wollte Pharaun das nicht laut aussprechen, und Quenthel sah ihn nicht an, so daß er ihr nicht per Zeichensprache bedeuten konnte, sie solle damit aufhören, das Schiff zu beschädigen. Pharaun wirkte einen Zauber auf die Ratten auf Jeggred. Es war ein einfacher Zauber, einer, der einen Kegel aus flackern der, vielfarbiger Energie des Gewebes beschwor. Pharaun pla zierte den Zauber sorgfältig, so daß der Effekt die Seite des mit Ratten bedeckten Draegloth streifte. Die Magie hatte nicht die geringste negative Auswirkung auf Jeggred, aber ein Großteil der wimmelnden Nager fiel von ihm ab auf das Deck, wo die Ratten zuckend und sich windend in einem Haufen von nas sen, pelzigen Körpern liegenblieben. Jeggred schrie, als er sich schüttelte und so mit seiner wil
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den Mähne schneeweißer Haare Ratten, Blut und Wasser über das Deck schleuderte. Der Draegloth zerquetschte noch vier der schmutzigen Kreaturen – eine pro Hand – und trat auf drei weitere. Pharaun warf einen Seitenblick auf Raashub und wurde mit einem Blick enttäuschter Frustration auf dem Gesicht des Uri dezu-Kapitäns belohnt. Es war ein weiterer einfacher Zauber, den der Meister Sorceres gewirkt hatte, einer, den er gelernt hatte, als er noch ein Kind gewesen war, und Raashub wußte das. Pharaun wandte seine Aufmerksamkeit wieder Jeggred zu und rief: »Laß die Ratten in Ruhe. Deine Herrin hat ein Prob lem mit einem Dämon.« Mit einem weiteren Brüllen schleuderte Jeggred noch mehr tote oder bewußtlose Ratten von sich und warf sich auf Raas hub, indem er alle vier Hände hochriß, bereit, den UridezuKapitän zu zerreißen. Raashub schreckte vor dem Draegloth zurück, riß die Hände in die Höhe und zerrte an seinen Fes seln. »Nein!« schrie Quenthel mit heiserer, wilder Stimme. »Nicht den da! Töte den hier!« Jeggred fuhr herum, und sein Blick huschte über die Szene des laufenden Kampfes zwischen Quenthel und dem zweiten Uridezu. Der Rattendämon, der Quenthels kurzzeitige Abgelenktheit sofort ausnutzte, schlich sich an sie heran und zog die Klauen über ihre Körpermitte, wobei er tiefe Furchen in ihrer Rüstung hinterließ, aus denen Blut floß. Quenthels Gesicht verzerrte sich, und sie biß gegen den Schmerz die Zähne zusammen, begegnete aber dem Angriff auf gleiche Weise mit ihrer Peit sche. Beide torkelten ein wenig, da ihr Halt inmitten eines Haufens aus Knochenstücken von der zerschmetterten Reling
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und Blutlachen des verwundeten Schiffes trügerisch war. Jeggreds Lippen kräuselten sich, um eine monströse Reihe von schrecklichen Fangzähnen zu entblößen, dann stürzte sich der Draegloth in den Kampf.
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Danifae saß auf dem Boden des Torhauses, und es fühlte sich an, als täte sie das schon sehr lange. Sie hatte sich nicht er laubt, zuviel über ihr Leben vor der Gefangennahme nachzu denken. Es gab nur ein paar wenige Methoden, als Kriegsge fangene zu überleben, einschließlich der, sich selbst zu überzeugen, daß man schon seit jeher eine war. Vor dem Angriff, der sie dem Haus Melarn in die Hände fallen ließ, hatte Danifae Unterricht bei dem Hausmagier von Yauntyrr genommen. Zinnirit war ein fähiger und auf Einzel heiten bedachter Lehrmeister gewesen, und Danifae hatte viel von ihm gelernt, insbesondere auf den Gebieten Teleportati on, Translokation und Reisen durch die Dimensionen. Eigent lich hatte ihr Studium der arkanen Kunst erst begonnen, nachdem ihr Haus überwältigt worden war, aber Zinnirit hatte
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die junge Tochter des Hauses Yauntyrr mit einer Vielfalt magi scher Gegenstände vertraut gemacht. Danifae berührte den Ring ihrer Mutter und spürte, wie sich das kalte Metall durch ihre Haut erwärmte. Der Ring konnte sie durch das Unterreich transportieren – aber nur sie und eine andere Person. Danifae hegte Pläne, die mehr als das erforder ten. Ihr Blick blieb auf der leblosen Hand des toten Zinnirit haf ten. »Noch mehr Ringe«, flüsterte Danifae, wobei ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielte. Alles, was sie tun mußte, war, sich daran zu erinnern, wie sie damit umgehen mußte.
Als der Uridezu seinen Schwanz herumschleuderte, um Quenthel erneut hart damit zu schlagen, fiel Jeggred über ihn her. Der Draegloth fing den schweren Körperanhang mit sei nem größeren Händepaar. Der Schwung des Schwanzes, der durch den Griff des Draegloth so abrupt aufgehalten wurde, brachte den Uridezu ins Wanken, und er stürzte auf die zerstör te Reling. Gezackte Knochensplitter bohrten sich tief in den blutenden Leib des Dämons. Zur gleichen Zeit bissen alle fünf Vipern von Quenthels Peitsche in sensible Körperbereiche, ließen los und bissen erneut zu. Wellen der Qual pulsierten durch den Leib des Dämons, und er hustete Schleim und Blut. »Wir ...« keuchte der Dämon. »Wir werden Euch im Abyss sehen ... Drow-Hexe!« Wir? dachte Pharaun und warf Raashub einen Seitenblick zu, der die Szene interessiert beobachtete. »Töte ihn«, befahl Quenthel, deren Stimme noch immer rauh klang und deren Worte von tiefen, keuchenden Atemzü
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gen unterbrochen wurden. »Töte ihn, ehe er verschwindet.« Ein wildes Leuchten blitzte in den Augen des Draegloth auf, und er zog eine Klaue über die Körpermitte des Uridezu. Die dolchartige Kralle verschwand fünfzehn Zentimeter tief im Fleisch des Dämons. Jeggred schnitt den Bauch des Dings weit genug auf, daß ein Haufen seilartiger gelber Eingeweide her ausquoll – die wegen des heißen Blutes dampften – und auf das Deck des Chaosschiffes glitt. Der Dämon kreischte, und der Ton hallte unnatürlich wi der, bis er verklang, als der Uridezu sich auflöste und zu ver schwinden begann. Er wollte in den Abyss zurückkehren, so lange er noch lebte. Pharaun mußte zugeben, daß er sich nicht sicher war, wie lange ein Dämon lebte, nachdem ihm der Bauch aufgeschlitzt worden war, aber es gab mehr als eine Dämonenart, die sich selbst von so einer schweren Wunde vollkommen erholen konnte. Als der Dämon jedoch zu verblassen begann, zog Jeggred schnell seine Klaue heraus und ergriff den Kopf des Uridezu mit seinen beiden größeren, stärkeren Händen. Der Draegloth wand sich und zog hart genug, daß Pharaun sehen konnte, wie Adern an seinen sich dehnenden Muskeln hervortraten. Es waren ein ekelhaft nasses, knackendes Geräusch und ein noch widerlicher nasser Knall zu hören, und der Kopf des Uri dezu riß ab und verblieb in Jeggreds Händen. Der restliche Leib des Dämons verschwand, aber Kopf und Innereien blieben zurück. Die schwarzen Augen starrten blick los ins Nichts. Die Gedärme des Dämons verschwanden lang sam und zischend – sie wurden vom Schiff absorbiert, wie Pharaun bemerkte. Dem Magier wurde klar, daß die meisten Knochensplitter der zerbrochenen Reling ebenfalls ver schwunden waren. Das Schiff ernährte sich von sich selbst und
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reparierte den Schaden Knochen für Knochen. Jeggred, der offenbar keine Notiz von den praktischen rege nerativen Fähigkeiten des Schiffes nahm, warf den Kopf des Uridezu über Bord, als er sich umdrehte, um den Blick auf den Kapitän zu richten. Raashub, der schon so weit zurückgewichen war, wie es sei ne Fesseln erlaubten, reckte flehend die Hände und wandte den Blick ab. Jeggred stürzte mit einem Knurren tief in der Kehle in ein deutiger Absicht vorwärts, auf den gefesselten Uridezu zu. »Ich weiß nicht«, sagte Quenthel, deren Stimme und At mung langsam wieder ihren normalen Klang annahmen. Sie blutete, schenkte aber ihren Verletzungen keine Beachtung. »Ich muß es mir noch überlegen.« Die Vipern am Ende ihrer Peitsche schäumten vor Wut, und Quenthel warf einer von ihnen einen kurzen Blick zu, als habe sie sie sprechen hören – und bestimmt hatte sie das auch, selbst wenn Pharaun in diese Kommunikation noch immer nicht eingeweiht war. »Warte«, sagte Pharaun und trat näher, war aber nicht so dumm, sich zwischen Jeggred und den Uridezu zu stellen. »Ich fürchte, wir brauchen ihn noch.« Der Draegloth knurrte. Er sah Pharaun nicht an, zögerte a ber. »Das war zu erwarten«, sagte Pharaun. »Ihr habt doch beide schon mit Dämonen gearbeitet, oder? Er hat versucht, uns zu töten, und hat versagt.« Quenthels Kopf schnellte herum, damit sie ihn ansehen konnte. Die plötzliche Bewegung bewirkte, daß die Vipern in ihrer Peitsche schauderten und sich auch dem Magier zuwand ten. »Ihr könnt ihn nicht kontrollieren«, sagte sie zu Pharaun.
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»Wie könnt Ihr ihn davon abhalten, das noch einmal zu tun?« »Ich war es nicht, Herrin«, flehte Raashub, wobei seine Stimme einen durchdringenden Tonfall annahm und vor fal scher Demut nur so troff. »Der Schattensee wird von vielen meiner Art bewohnt.« Pharaun hob angesichts dieser offensichtlichen Lüge eine Augenbraue, dann begann er einen Zauber zu wirken. »Laßt mich seine Nieren fressen«, knurrte Jeggred, den Blick noch immer auf den Uridezu gerichtet. »Vielleicht auch bloß eine.« Pharaun ignorierte Jeggred und beendete seinen Zauber. Raashub schrie. Der Ton erklang so plötzlich und war so laut, daß selbst Jeggred zurückwich. Wildes Entsetzen durchlief den Uridezu in sichtbaren Wellen. Raashub riß in verschiedenen Kombinati onen wimmernd, schluchzend und kreischend die Hände hoch und griff vor sich ins Leere, während Pharaun, Quenthel und Jeggred zusahen. »Was tut Ihr?« fragte Jeggred verwirrt. »Ich zeige ihm Dinge«, antwortete Pharaun. Er sah Quenthel an, die offensichtlich eine detailliertere Erklärung hören wollte. »Selbst Dämonen haben Alpträume, Herrin«, erklärte der Meister Sorceres. »Mein Zauber spielt ihm einige davon vor. Ich versichere Euch, das ist eine Erfahrung, die unser lieber Freund Raashub nicht so bald vergessen wird, und er weiß, daß ich ihm das wieder antun kann.« Jeggred seufzte so schwer, daß Pharaun seinen ranzigen A tem roch. Der Draegloth ging auf Raashub zu. »Halt«, befahl Quenthel. Der Daegloth zögerte, bevor er gehorchte, aber er hielt tat sächlich an.
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»Raashub dient noch immer einem Zweck«, sagte die Ho hepriesterin, als sie begann, ihre Wunden zu untersuchen und einzuschätzen. Jeggred drehte sich um, um sie anzusehen, aber sie ignorier te ihn. »Wer hat Euch das gesagt?« fragte der Draegloth mit einem tiefen Knurren. »Der Narr« – er nickte in Pharauns Richtung – »oder die Schlangen?« Quenthel ignorierte die Frage, aber Pharaun dachte lange und intensiv darüber nach.
Danifae brauchte etwas länger, als sie beabsichtigt hatte, um sich an Zinnirits Lieblingsbefehlsworte zu erinnern und zu bestimmen, welches von ihnen welchen Ring aktivierte. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Studium der Feinheiten der Portale zu, die sie von dem verstorbenen Yauntyrr-Haus magier »geerbt« hatte. Sie hatte nicht nur vollkommen die Zeit vergessen, während sie Zinnirits Sammlung von Schrift rollen und dicken Büchern zu dem Thema studierte, versuchs weise einige erkundende Blicke durch offene Portale durch führte und einen Ruf von Valas ignorierte, sondern sie war auch an die Grenzen ihres eigenen Wissens über die arkane Kunst gestoßen. Danifae war keine Magierin, aber glückli cherweise mußte sie für die Nutzung zahlreicher Eigenschaften von Zinnirits Torhaus auch keine sein. Die Portale wurden in erster Linie zur Beförderung genutzt – um jemanden oder etwas Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern in nur einem Augenblick zu transportieren –, aber sie konnten auch benutzt werden, um jemanden zu finden. Obwohl die starke psychische Verbindung, die der Bindezauber geboten hatte, nun verschwunden war, gab es trotzdem noch
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eine gewisse Beziehung zwischen Danifae und ihrer früheren Herrin. Sie kannte Halisstra besser, als es je jemand getan hatte, selbst ranghohe Angehörige des Hauses Melarn. Ha lisstras Schwester hatte versucht, sie zu töten, und ihre Mutter war stets der Inbegriff der reservierten, beherrschenden Mut termatrone gewesen. Obwohl Danifae immer einen glühenden Haß gehegt hatte, war sie für Halisstra in jeder Minute jedes einzelnen Tages eine treue und gute Dienerin gewesen. Schließlich war alles, was Danifae tun mußte, sich an sie zu erinnern. Alles, was sie tun mußte, war, sich vorzustellen, wie Halisstra aussah, sie zu visualisieren und eines der Portale auf genau die richtige Weise zu aktivieren. Zumindest dachte sie das. Nach mehreren falschen Anfängen und mißlungenen Ver suchen trat Danifae von dem Tor fort und begann, auf und ab zu gehen. Dabei spielte sie mit einem Ring an ihrem Finger herum, dann mit einem anderen Ring an ihrer anderen Hand, und – Sie hielt inne und sah auf ihre Hände. Danifae hatte drei Ringe von Zinnirit genommen. Zwei davon waren sicher in einer Tasche verstaut. Sie trug den Ring, den Zinnirit für ihre Mutter angefertigt hatte, den, der sie von überallher zum Tor haus zurückbringen würde, aber sie trug auch noch einen ande ren Ring – einen, den sie beinahe vergessen hätte. Er gehörte Ryld Argith, dem Waffenmeister der Menzoberranzanyr, der genau wie Danifaes frühere Herrin die Expedition verlassen hatte. Ryld und Halisstra hatten einige Zeit miteinander ver bracht. In der Höhle, in der Pharaun Belshazu beschworen hatte, hatte Ryld sich Danifaes Vermutung nach davongestoh len, um sich zu Halisstra zu gesellen. Wenn er das tatsächlich getan hatte, konnte sie seinen Ring nutzen, um sich auf ihren
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Aufenthaltsort zu konzentrieren. Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es Da nifae, Halisstra zu finden. Die frühere Kriegsgefangene hatte wie die Menzoberranzanyr gedacht, Halisstra habe sich nach Menzoberranzan begeben, um über ihre Fortschritte (oder deren Mangel) zu berichten, und Danifae hatte einen großen Teil der Zeit damit verbracht, sie dort zu suchen. Stunden später wurde Danifae klar, daß Halisstra nicht einmal im Un terreich war, sondern sich in der bizarren Landschaft der Welt an der Oberfläche befand. Danifae hatte vermutet, Halisstra sei im Begriff, sich von der Anbetung Lolths abzuwenden. Sie alle hatten ihre Reakti on auf den chaotischen, leeren Abgrund der Dämonennetze gesehen. Obwohl sie selbst auch diese zerstörte Ebene gesehen hatte, war sie eine Priesterin Lolths gewesen, als sie frei in Eryndlyn gelebt hatte, und hatte der Göttin treuer und aufrichtiger ge dient, als sie je dem Haus Melarn gedient hatte, und so blieb ihr Glaube stark. Vielleicht vorsichtiger, neugieriger, aber stark. Danifae war nicht so vermessen, den Willen der Göttin anzuzweifeln, und Halisstras Verpflichtungen gegenüber der Spinnenkönigin waren nicht Danifaes Angelegenheit. Für Danifae war es leicht, ihre Religion außer acht zu lassen, wenn es nötig war, aber sie würde niemals ihre Rache außer acht lassen. Halisstra Melarn mußte sterben, und zwar nicht im Namen Lolths. Für Danifae war dies eine Notwendigkeit. Danifae war so sicher, wie sie nur sein konnte, daß das Por tal korrekt auf den Ort auf der Welt an der Oberfläche einge stellt war, an dem sich Halisstra und Ryld befanden, und trat hindurch. Sie fühlte sich, als würde sie gleichzeitig von oben nach unten und von innen nach außen gedreht, auch wenn sie keinen Schmerz spürte, nur einen dumpfen, pochenden
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Schwindel – und dann war sie da. Es war Nacht, und Danifae dankte Lolth dafür. Ihre Augen mußten sich erst an die grellen Strahlen des Sternenlichts auf dem weißen Schnee anpassen, aber sie war nicht völlig geblen det. Sie war, offenbar still und ohne die Art von Fanfare, die arkane Magie oft begleitete – aufblitzende Lichter und Donner schläge –, vor einer Ruine aufgetaucht. Das Gebäude war ü berwuchert. Weder Licht noch Feuer schien durch die Fenster. Danifae zog ihren Piwafwi zum Schutz gegen die beißend kalte Luft eng um die Schultern. So leise sie konnte trat sie zum Eingang. Ihre Augen gewöhnten, sich allmählich an das Licht, und als Danifae die Ruine erreicht hatte, sah sie recht gut. Im Inneren saß Halisstra Rücken an Rücken mit Ryld. Die beiden waren tief in Trance versunken und saßen in einer Position, die Danifae alles das über ihre Beziehung verriet, was sie wissen mußte. Die frühere Kriegsgefangene empfand zunehmend Respekt und wachsende Verachtung für Halisstra. Es war Halisstra gelungen, Quenthel und die anderen zu überlisten, den uner schütterlichen Waffenmeister zu verführen – das war bewun dernswert, sogar für eine Frau, die sich ihr gesamtes Leben in Manipulation und Täuschung geübt hatte – und im frostigen Wald, in dem es vor Tieren nur so wimmelte, einen süßen kleinen Haushalt für sie beide zu errichten – ein seltsamer und ungehöriger Akt des Verrates an ihrem grundlegenden Na turell als Drow. Danifae holte tief Luft und stieß sie in einem dünnen, grel len Pfiff wieder aus. Halisstra erwachte im Handumdrehen aus ihrer Trance und blickte sie an. Die erste Tochter des Hauses Melarn hatte diesen Ton vor Jahren als ihr Signal festgelegt, und es hatte für beide mehr als eine Gelegenheit gegeben, ihn zu benutzen.
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Halisstra zog einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln hoch. Sie wies mit einer langsamen Augenbewegung auf Ryld, und Danifae schüttelte den Kopf. Halisstra stand langsam und vorsichtig auf, wobei sie darauf achtete, Ryld nicht zu stören. »Geht es dir gut?« flüsterte der, die Augen noch immer ge schlossen. Halisstra antwortete ebenfalls flüsternd: »Es geht mir gut. Ich komme bald zurück.« Ryld nickte und vertiefte sich wieder in seine Meditation, als Halisstra aus der Ruine trat. Danifae, die sicher war, daß Ryld sie nicht gesehen hatte, führte ihre frühere Herrin ein ganzes Stück von der Ruine fort und wartete darauf, daß Ha lisstra ihr anzeigte, wann sie sich weit genug weg befänden. Dann hielten sie an und sahen einander an, zum ersten Mal als zwei freie Drow. Der Bindezauber? fragte Halisstra in Zeichensprache. Danifae antwortete: Von Quenthel entfernt ... eigentlich von Pharaun, aber auf Quenthels Befehl. Wir haben ein Chaosschiff gefunden, das uns zum Abyss bringen wird. Halisstra zog sich sichtbar zurück und bedeutete ihr: Ich ver stehe, warum du geflohen bist. Das bin ich nicht, entgegnete Danifae. Ich wurde mit Valas Hune losgeschickt, um Vorräte für unsere zum Scheitern verurteilte kleine Reise zu besorgen. Wie lange, bis sie losfahren? fragte Halisstra. Tage, erwiderte Danifae. Warum erzählst du mir das? fragte Halisstra. Du bist frei. Geh zurück nach Eryndlyn, wenn du es wagst, oder mache dich mit den Menzoberranzanyr auf den Weg, bis ihr alle den unvermeidlichen Tod finden werdet. Tu, was dir gefällt, du mußt nicht mehr meine Erlaubnis einholen.
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Ich habe Euch gedient, entgegnete Danifae, und nun diene ich Quenthel. Ich bin nicht so frei, wie Ihr vielleicht glaubt, ob Binde zauber oder nicht. Es entstand eine kurze Stille, als die beiden einander in der Dunkelheit eingehend betrachteten. Danifae spürte irgendwie, wie weit Halisstra von Lolths Weg abgekommen war, aber nur Sekunden später bestätigte Halisstra dies. Ich diene nun Eilistraee. Für mich wird es keine Sklavinnen mehr geben. Danifae tat, als dächte sie über diese letzte Aussage nach. Innerlich versuchte sie, ihren schwirrenden Kopf zu beruhigen. Das Ausmaß des Verrats ihrer früheren Herrin war noch grö ßer, als sie es sich vorgestellt hatte. Danifae konnte nicht glau ben, daß sie je zugelassen hatte, daß eine so schwache Herrin sie gefangennahm – eine, die beim geringsten Anlaß, beim ersten Anzeichen von Schwäche ihrer gesamten Kultur den Rücken kehrte. Dieser Gedanke riß Danifae aus ihrer Verwir rung. Halisstra mußte Lolths Schweigen als Zeichen der Schwäche gesehen und diese Gelegenheit genutzt haben, um zu fliehen, genau wie Danifae selbst Halisstras Zweifel als Zei chen der Schwäche gesehen und diese Gelegenheit genutzt hatte, um die Flucht anzutreten. Aber würde irgendeine Pries terin danach trachten, dem Dienst an Lolth zu entfliehen? Der Gedanke gefällt mir, bedeutete Danifae Halisstra, aber wir sind alle früher oder später Sklavinnen. Das muß nicht sein, war Halisstras schnelle Antwort. Danifae wunderte sich maßlos, wie hysterisch, wie durch schaubar und wie leichtsinnig ihre frühere Herrin geworden war. Lolth kommt nicht zurück, oder? fragte Danifae. Ich weiß nicht, erwiderte Halisstra, aber es sieht nicht gut aus. Wenn ich in ihren Diensten sterbe, fragte Danifae, wohin geht
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dann meine Seele? Im Abgrund der Dämonennetze waren keine Drow-Seelen zu finden, und die verschlossenen Türen waren der einzige Eingang. Wo sind all die Seelen? Halisstra sah ihre frühere Dienerin mit einem verletzten, of fenen Blick an, der Danifae Gänsehaut verursachte. Was, fragte Danifae, habt Ihr hier vor? Du kamst zu mir, erwiderte ihre frühere Herrin. Was für Ab sichten hast du? Mich auszuspionieren für diese Baenre-Bürokratin? Nein, erwiderte Danifae scharf. Ich habe mich in Sschindylryn fortgestohlen. Das war der einzige Ort, an dem ich ein Portal und Euch finden konnte. Ich traue den Menzoberranzanyr nicht. Warum solltest du? entgegnete Halisstra, indem sie ihre frü here Sklavin vorsichtig beäugte. Was tut der Waffenmeister hier? fragte Danifae. Sie sah an Halisstras Reaktion, daß die Dinge zwischen ihr und dem Waffenmeister sich beträchtlich weiterentwickelt und bizarre Züge angenommen hatten. Das Licht und die Luft der Oberflächenwelt mußten Halisstra auf unvorhersehbare Weise in Mitleidenschaft gezogen haben. Danifae staunte, wie so etwas möglich war. Ihr sitzt in Trance Rücken an Rücken mit ihm? fragte Danifae. Halisstra richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und ver suchte, wieder die Haltung einer Sklavenhalterin anzuneh men. Danifae war nicht gewillt, den Part der Kriegsgefangenen zu übernehmen. Statt in Wut zu geraten, entspannte sich Halisstra. Setzt du dich mit Quenthel auch so hin? fragte Halisstra. Danifae gab auf überzeugende Weise vor, sich bei dieser Frage unwohl zu fühlen. Sie war mit Quenthel nicht wegen eines fremdartigen Gefühls wie Liebe oder Mitgefühl intim, sondern weil Quenthel ihr helfen konnte. Quenthel ihrerseits benutzte Danifae für ihr körperliches Vergnügen und um eine
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Speichelleckerin zu haben. Das war ganz natürlich. Halisstra aber schien mit Ryld eine neue Richtung eingeschlagen zu haben, und das war etwas, von dem Danifae wußte, daß sie es für ihre Zwecke ausnutzen konnte. Du sagtest, Quenthel führt die Expedition zum Abyss zurück, wechselte Halisstra das Thema. Warum? Warum so? Warum all das? Danifae hätte ihr einige der Gründe nennen können, aber einige waren ihr noch immer nicht klar. Ich kann alles erklären, log Danifae, aber ich muß nach Sschin dylryn zurück. Valas Hune wird mißtrauisch werden, und dann wird er ohne mich zurückgehen. Ich muß ins Unterreich zurück, und dann zurück zum Schattensee. Ich werde wieder Kontakt mit Euch aufnehmen. Halisstra musterte sie von oben bis unten und versuchte, sie einzuschätzen. »Ich werde warten«, flüsterte sie Danifae ins Ohr. Danifae nickte, verbeugte sich leicht vor Halisstra und tat ihr Bestes, um die erste Tochter des Hauses Melarn mit einem Gesichtsausdruck voller Schwesterlichkeit und Freundlichkeit anzusehen. Als Halisstra im dunklen Wald verschwand, entgegnete Danifae in Zeichensprache hinter ihrem Rücken: Wir werden uns sehr bald wiedersehen, Halisstra. Schneller, als du denkst. Danifae berührte den Ring, den sie dem sterbenden Zinnirit abgenommen hatte, und ein oder zwei Sekunden voller seltsa mer Gefühle später war sie wieder im Torhaus. Perfekt, dachte Danifae. Es hat perfekt geklappt.
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Valas erwarb mehr Vorräte, als er wahrscheinlich hätte kaufen sollen – drei große Taschen, die mehr enthielten, als ange sichts ihrer Größe oder ihres Gewichts möglich schien –, aber er war sicher, daß sie länger fortbleiben würden, als Pharaun geschätzt hatte. Ihre Reise dauerte schon jetzt länger, als es einer von ihnen bei der Abreise aus Menzoberranzan ange nommen hätte. Er saß an einem kleinen Tisch in einer Straßenschenke hoch oben im Zentrum der Zikkurat-Stadt, wo er auf Danifae wartete. Die Kriegsgefangene hatte offensichtlich keinen Scherz gemacht, als sie ihm sagte, sie werde seinen Ruf ignorie ren. Valas war nicht unbedingt begierig darauf, zum Schatten see zurückzukehren, doch er wollte die Stadt verlassen. Drow überall in der Stadt warfen ihm verstohlene Blicke zu. Der Geduldsfaden riß hier leicht, und die niederen Rassen hatten
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ein gefährliches Glitzern in den Augen. Die Lage in der Stadt war nicht so schlimm wie in Ched Nasad, aber der Späher spürte, daß es in diese Richtung ging, und zwar eher früher als später. »Wartet Ihr auf mich?« fragte Danifae. Valas drehte sich um, überrascht, sie hinter sich stehen zu sehen. Er hatte sie nicht bemerkt. »Städte ...«, seufzte der Späher. Er stand auf und suchte seine Taschen zusammen. »Haben wir wirklich solche Eile?« fragte Danifae, die ihm gegenüber auf einen Stuhl sank. Sie sah zu ihm auf, einen Arm erhoben und ein breites, strahlendes Lächeln im Gesicht. Sie wirkte verändert. Valas konnte nicht anders – er mußte sie einfach anstarren. »An der Oberfläche«, sagte Danifae, »ist es Brauch, daß ein Herr eine Dame zu einem Getränk einlädt. Das habe ich zu mindest gehört.« Valas schüttelte den Kopf, aber es fiel ihm schwer, den Blick von der Frau abzuwenden. Der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, glitt auf ihn zu. Sie schob ihn unter dem Tisch mit einem Fuß zu ihm herüber. »Bestellt uns eine Flasche Algenwein«, schnurrte sie. Valas drehte sich um, um den Wein zu bestellen, hielt aber inne. »Wir sollten zurückgehen«, sagte er. »Die anderen warten auf uns.« »Laßt sie warten.« Valas holte tief Luft und nahm die Taschen auf. »Quenthel wird verärgert sein«, meinte er. Zwar kümmerte ihn das nicht, aber er wollte sich aufmachen. »Laßt sie verärgert sein«, schoß Danifae zurück. Sie lächelte noch, aber ihr Blick wurde kälter. »Ich hätte Lust, mir einen
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Tag frei zu nehmen.« »Ihr Haus bezahlt«, erwiderte der Söldner und setzte sich noch immer nicht. Danifae sah ihn an, und Valas bekam eine Gänsehaut. Es war, als zöge sie ihm das Fleisch vom Leib und blicke direkt in ihn hinein. Sie erhob sich langsam von dem Stuhl, und Valas beobach tete jede der kleinen Bewegungen, die zusammen das Ganze ergaben. Sie streckte die Hand aus. »Ich werde eine davon tragen«, sagte sie. Valas machte keine Anstalten, ihr eine Tasche zu überge ben. Was auch immer es sein mochte, das sich an Danifae verän dert hatte, Valas versuchte verzweifelt, es nicht zu mögen.
Wie es bei anderen fühlenden Rassen auf und unter der O berfläche Faerûns der Fall war, hatte auch bei den Drow jedes Individuum seine eigenen Fertigkeiten und Talente, seinen eigenen individuellen Nutzen, um dem Ganzen auf irgendeine Weise zu dienen, selbst wenn es nur als Ärgernis war. In Men zoberranzan war Talent etwas, das früh erkannt wurde, und Fertigkeiten waren eine Ware, die öffentlich zu Markte getra gen und jungen Leuten nur mit großer Sorgfalt und sparsam vermittelt wurde. Individualität wurde nur innerhalb gewisser Grenzen akzeptiert, und beim männlichen Teil der Spezies kam sie so gut nie vor. »Er ist ein Leichnam«, sagte der Meister Sorceres, »also wirkt seine Berührung lähmend.« Es gab Orte, an denen ein männlicher Drow einige Vorteile hatte, und einer dieser Orte waren die Hallen Sorceres. Es waren die Frauen, die die Macht innehatten, und wenn die
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Dinge so waren, wie sie sein sollten, genossen sie auch Lolths Aufmerksamkeit, aber es waren die Männer, die auf das Gewe be eingestimmt waren. Natürlich waren nicht alle Magier männlich ... nur die besten von ihnen, und Gromph Baenre, der Erzmagier Menzoberranzans, hatte daran einen erheblichen Anteil. Schließlich lag es in seiner Verantwortung, bei den jungen Drow jeden Hauses in der Stadt Talente für die Kunst herauszufinden, und er hatte das Recht, diejenigen auszuwäh len, die nach Sorcere gehen würden, um zu studieren. Es war an ihm, nach Lust und Laune zu entscheiden, ob sie ihr Studi um jemals beendeten oder nicht. Die Tatsache, daß die Mehr heit der Magier in Menzoberranzan männlich waren, war kein Zufall, kein Versehen, das durch Geburt oder Statistik zustan de kam, sondern ein sorgfältig und oft kein bißchen subtil ausgeführter Zug in dem großen Sava-Spiel in der Stadt der Spinnen. Daß die meisten Frauen es vorzogen, Lolth zu dienen, machte diesen Teil der Manipulation leichter. »Er wird eine Aura der Angst ausstrahlen«, fuhr der Meister Sorceres fort, »aber ihr werdet wahrscheinlich nicht davon in Mitleidenschaft gezogen werden.« Es stand zwar außer Frage, daß die Priesterinnen die Herr schaft über die Stadt innehatten und immer innehaben wür den, doch war seine Herrschaft über die Kunst ein kleiner Trost – etwas, das in privaten Momenten Gromphs Herz er wärmte. Nun, da Lolth schwieg und sich zurückgezogen hatte und die Priesterinnen um Antworten rangen, da sie in ein Chaos geraten waren, wie es nur eine Dämonengöttin herauf beschwören konnte ... nun hatten sich die Dinge geändert. »Einmal in jedem vierundzwanzigstündigen Zyklus«, sagte der Meister Sorceres, »kann er durch eine Berührung töten.« Das Merkwürdige an der Verschiebung der Macht war für Gromph, wie wenig sie ihm gefiel. Schließlich hatte er ein
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ganzes Leben damit verbracht, das System so zu manipulieren, daß es seinem Haus und ihm selbst am besten diente. Als das System versagte, wäre er vielleicht in der Lage gewesen, seine Schwester und die restlichen Muttermatronen ihres Amtes zu entheben und selbst die Kontrolle über Menzoberranzan zu übernehmen – aber warum? Was wollte er damit gewinnen? Wie hätte seine Position verbessert werden können? Er genoß alle Vorzüge des Hauses Baenre und Sorceres, aber es gab stets jemanden, auf den er die Verantwortung abwälzen konnte, stets jemanden, der manipuliert werden konnte. »Es gibt eine Reihe von Zaubereffekten, die für den Leich nam keine Bedeutung haben«, meinte der Meister. »Diese schließen Kälte, Blitze, Gift, Lähmung, Krankheit, Nekroman tie, Verwandlung und Zauber ein, die den Verstand beeinflus sen oder auf irgendeine Weise in Mitleidenschaft ziehen. Es wird das beste sein, wenn wir uns nicht die Mühe machen, solche Zauber überhaupt vorzubereiten.« Gromph war der drittmächtigste Drow in Menzoberranzan, und – Lolth sei verdammt – es gefiel ihm so. »Er wird wahrscheinlich eine Robe aus schwarzer Seide tra gen«, fuhr der Meister Sorceres fort, »die es ihm gestatten wird, eine Barriere aus wirbelnden Klingen zu beschwören.« Nun, es könnte ihm gefallen, der zweitmächtigste zu sein, aber dennoch ... »Die Krone«, schloß der Meister Sorceres, »ist mehr als nur eine plumpe Affektiertheit. Sie kann Angriffszauber speichern und reflektieren.« Deshalb saß Gromph Baenre auf dem Fußboden eines sehr kleinen, sehr dunklen und sehr geheimen Raumes im tiefsten Inneren Sorceres, umringt von einem Kreis der mächtigsten Magier der Stadt – mit die mächtigsten Magier im gesamten Unterreich. Die anderen Magier, allesamt Meister Sorceres,
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flüsterten oder sangen und winkten oder gestikulierten und warfen alle Arten von Symbolen, Totems, Fokussen und Kom ponenten in die Luft oder zerdrückten sie zwischen den Fin gern. Sie überhäuften den Erzmagier in einer solchen Ge schwindigkeit mit Schutzmagie, daß sie sich nicht einmal die Mühe machten, ihm zu erzählen, welche Zauber sie für ihn wirkten. Gromph hatte kaum Bedenken, daß er gegen alles immun sein würde, wenn sie erst einmal fertig wären. Ganz sicher wäre niemand in der Lage, ihn zu verletzen – niemand außer einem Zauberwirker, der über größere Macht verfügte als die Meister. Genau so einem Gegner würde Gromph gegenübertreten. »Ich sollte mit Euch gehen, Erzmagier«, meinte Nauzhror Baenre, wobei seine Stimme deutlich machte, daß es ihm in Wirklichkeit an dem Verlangen danach mangelte. »Wenn einer von euch«, entgegnete Gromph, »nur noch ein einziges Mal etwas in dieser Art sagt, werde ich ...« Er ließ die Drohung unvollendet. Er würde nichts tun, und sie alle wußten das, aber aus Respekt gegenüber dem Erzmagier schlug niemand mehr vor, mit ihm zu gehen. Sie waren klug genug zu wissen, daß Gromph einem Feind gegenübertreten würde, der unter gleichen Bedingungen das gefährlichste Le bewesen in Menzoberranzan war. Der Drowleichnam war ein Magier von außergewöhnlicher, manchmal beinahe göttlicher Macht. Natürlich wollten sie ihm eigentlich nicht auf die Art gegenübertreten, in der Gromph es tun würde: von Angesicht zu Angesicht in einem Zauberduell, das gewiß in die DrowGeschichte eingehen würde. Dieses Duell war etwas, das nur der Erzmagier bestreiten konnte. Darauf lief es mittlerweile in Menzoberranzan hinaus: Mann gegen Mann, Magier gegen Magier, das erste Haus ge gen das zweite, die einflußreichen Kreise gegen die Revolutio
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näre, Stabilität gegen Veränderung, Zivilisation gegen ... Cha os? Genau, dachte Gromph – auch wenn er es nie laut ausge sprochen hätte. Ordnung gegen Chaos, und es war Gromph, der für die Ordnung kämpfte, für das Gesetz, im Namen einer der reinsten Verkörperungen des Chaos im Multiversum: Lolth, eine Göttin mit dem Herzen eines Dämons. »Seltsam«, murmelte der Erzmagier laut, »wie die Dinge sich schließlich entwickeln.« »In der Tat«, antwortete Nauzhror, als läse er Gromphs Ge danken – und vielleicht tat er das wirklich. »Es ist in der Tat seltsam.« Die beiden Baenre-Magier lächelten einander an, dann schloß Gromph die Augen und ließ die anderen ihre Zauber fortsetzen. Er wurde mit einem Schutz- und Notfallzauber nach dem anderen bedacht. Manchmal spürte Gromph ein Jucken, Wärme, eine kühle Brise oder eine Vibration, und manchmal spürte er auch überhaupt nichts. »Habt Ihr bereits entschieden, wo Ihr ihm entgegentreten wollt?« fragte Grendan, wobei er eine Pause zwischen zwei Verteidigungszaubern einlegte. Gromph schüttelte den Kopf. »Irgendwo außerhalb der Stadt?« schlug Nauzhror vor. »Hinter den Linien der Duergar?« Gromph schüttelte erneut den Kopf. »Laßt uns zumindest Wachen schicken«, sagte Nauzhror, »um die Arena zu sichern ... wo auch immer sie sein mag ..., ehe Ihr eintrefft. Sie könnten verborgen bleiben und erst dann gegen den Drowleichnam eingesetzt werden, wenn es nötig ist.« »Nein«, erwiderte Gromph. »Ich sagte, ich werde allein ge
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hen, und ich werde allein gehen.« »Aber Erzmagier ...«, begann Nauzhror zu protestieren. »Was genau, meinst du, könnte eine Hauswache für mich gegen den Drowleichnam Dyrr tun?« fragte Gromph. »Er wür de sie trocknen und in der Pfeife rauchen – genau das, was ich mit jedem Soldaten tun werde, den mitzubringen Dyrr sich entschließt. Dyrr wird sich mir zu meinen Bedingungen stellen, weil er muß. Er muß mich vor ganz Menzoberranzan schlagen. Wenn nicht, wird er stets der Zweite bleiben, selbst wenn es ihm gelingt, Haus Baenre zu schlagen.« Die Meister fuhren mit ihren Zaubern fort, und nur Nauzh ror und Grendan dachten weiter über mehr als die praktische magische Seite des bevorstehenden Duells nach. »Dann vielleicht Donigarten«, schlug Grendan vor. »Nein«, sagte Gromph und hielt inne, während ein weiterer Zauber ihn kurz zum Schaudern brachte. »Nein.« Er blickte zu Nauzhror, der abwartend eine Braue hob. »Der Klauengraben, denke ich«, sagte Gromph – er hatte sich in der Sekunde dafür entschieden, bevor er es tatsächlich aussprach. »Eine hervorragende Wahl, Erzmagier«, meinte Nauzhror. »Weit weg von jedem Eigentum, das einen Wert besitzt, und weit weg von den meisten edleren Drow Menzoberranzans, von denen wir so wenige zu erübrigen haben.« Ein jüngerer Student trat ein und legte rasch eine Kristall kugel auf einen kleinen, goldenen Ständer, der auf dem Boden vor dem Erzmagier stand. Gromph machte keine Anstalten, sich bei dem Studenten zu bedanken, der schon wieder aus dem Raum hastete. Er blickte tief in die Kristallkugel, indem er eine Hand hob, um die Flut der Schutzzauber zum Stillstand zu bringen. Der Kristall bewölkte sich, dann flackerten Lichtblitze in den auf
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gewühlten Wolken in der einst perfekt klaren Kugel. Gromph ließ ein Erinnerungsbild des Drowleichnams vor seinem geistigen Auge entstehen und hielt es dort fest, dann tat er sein Bestes, um das Bild in die Kugel zu übertragen. Sie würde den Drowleichnam finden, wenn Dyrr nicht einige Energie aufgewendet hatte, um dies zu verhindern. Gromph senkte seine Hand wieder, und mehrere der ehrgei zigeren Meister begannen erneut, Zauber zu wirken – Zauber sprüche murmelnd und unsichtbare Muster in die Luft zeich nend –, als ob sie dagesessen und den Gedanken festgehalten hätten. Da, dachte Gromph, als sich in der Kristallkugel ein Bild des Drowleichnams formte, wie er selbstsicher durch eine Empfangshalle im Hause Agrach Dyrr schritt. Da bist du. Gromph erkannte die Halle wieder. Er war bei verschiede nen Gelegenheiten selbst dort gewesen, damals, als die Häuser Agrach Dyrr und Baenre noch enge Verbündete und Ge schäftspartner waren und bevor die Dinge sich aufzulösen be gannen. Seine Aufmerksamkeit blieb auf Dyrr gerichtet. Als er beobachtete, wie der Drowleichnam seinen Hauswachen und anderen bewaffneten Drow barsch Befehle erteilte, wirkte Gromph seinerseits einen Zauber. »Guten Tag, Dyrr«, sagte Gromph zu dem Bild in der Kris tallkugel. »Der Klauengraben soll es sein. Ich weiß, ich muß Euch nicht sagen, daß Ihr allein kommen sollt. Ich weiß, daß Ihr allzeit bereit seid.« Gromph wartete die Antwort nicht ab. Er nickte seinen Meistern zu und schloß die Augen. »Wir werden aufpassen, Erzmagier«, sagte Grendan, »und wir werden ständig den Kontakt aufrechterhalten.« »Es wäre unverantwortlich«, meinte Nauzhror, »nicht noch einmal zu fragen, ob ich nicht Euren Platz übernehmen soll –«
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»Es wäre unverantwortlich, mich hinter meinen Studenten zu verstecken«, sagte Gromph. »Außerdem, Cousin, warst du für eine Weile Erzmagier, und es gefiel dir, nach allem, was man so hört.« »Das stimmt«, gab Nauzhror zu, »es gefiel mir sogar sehr.« »Nun, wenn du hoffst, lange genug zu leben, um wieder Erzmagier zu sein, wirst du mich hier erwarten.«
Der Drowleichnam Dyrr entließ seine Wachen und schritt durch die Dimensionstür ins Wohnzimmer. Dort fand er Yas raena und Nimor, die damit beschäftigt waren, nicht mitein ander zu sprechen. Beide schienen erleichtert, als der Leich nam aus dem Durchgang zwischen den Dimensionen in den Raum trat. »Ist es an der Zeit?« fragte Nimor. Yasraena holte tief Luft und atmete nicht wieder aus, den Blick auf den Leichnam fixiert. »Er erwartet mich am Klauengraben«, antwortete Dyrr. Die Muttermatrone atmete langsam aus, und Nimor nickte. »Dieser Ort ist so gut wie jeder andere«, meinte der Assassi ne. »Ein Loch im Boden ... es hat keinen Sinn, die Handelswa re zu beschädigen, die zu erwerben wir so teuer bezahlen.« »Wenn Ihr mit ›Handelsware‹«, zischte Yasraena, »das mächtige Menzoberranzan meint, dann –« »Yasraena«, unterbrach Dyrr mit eisiger Stimme. Die Muttermatrone biß die Zähne zusammen und wandte sich von Nimor ab, der ein Lachen unterdrückte. »Ich bin vorbereitet, wie immer«, sagte Dyrr, »und ich wer de mich sofort auf den Weg machen.« Yasraena drehte sich zu Nimor um und sagte: »Geht mit ihm.«
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Der Assassine hob eine Augenbraue, und hätte Dyrr Blut in den Adern gehabt, so hätte er es jetzt kochen gefühlt. »Gewiß«, sagte der Drowleichnam zu Yasraena, »wollt Ihr nicht andeuten, daß ich den nötigen Sieg nicht allein erringen könnte. Gewiß ... macht Ihr Euch keine Sorgen um meine Sicherheit.« Er heftete seinen Blick auf die junge Muttermatrone und starrte sie an, bis sie grau anlief, blinzelte und sich abwandte. »Ihr wißt, Haus Agrach Dyrr hat größtes Vertrauen in Euch«, sagte sie gedehnt mit einer leisen, gedämpft klingenden Stimme. Sie wandte sich um, um Nimor von oben bis unten zu betrachten. »Aber dies ist nicht die Zeit für persönliche Feh den. Wir haben uns mit diesem ... was auch immer er ist ... zusammengeschlossen. Warum benutzen wir ihn nicht?« Nimor lächelte, und Dyrr wurde an die fleischfressenden Echsen erinnert, die die Wildnis des Unterreiches bewohnten. »Ihr wüßtet nicht einmal, wo Ihr anfangen solltet, mich zu benutzen«, meinte der Assassine. Dyrr tat den sinnlosen Wortwechsel mit einem Achselzu cken ab. Er begann eine Reihe von Schutzzaubern zu wirken und ignorierte einige weitere ermüdende Minuten des Wortge fechtes zwischen Yasraena und Nimor. Dyrr blinzelte, nach dem er einen Zauber gewirkt hatte, der ihm unsichtbare Dinge sichtbar machen würde. Nimor sah anders aus, aber auf eine Weise, die unpassend oder gar unmöglich schien. Der DrowAssassine war kein Drow, was Dyrr bereits seit einer Weile wußte, aber nun konnte Dyrr zum ersten Mal etwas erkennen, das wie Flügel aussah. Der Drowleichnam gab die Frage zugunsten einer Reihe sorgfältig und kunstvoll verfaßter Notfallzauber auf. Schließ lich war Dyrr selbst auch kein richtiger Drow mehr. Wenn Nimor etwas anderes als ein Drow war, dann war er das eben –
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solange der finstere Assassine ihm von Nutzen war. Etwas, was Yasraena sagte, ließ Dyrr mitten in einem Zau berspruch innehalten. »Wird das Haus Agrach Dyrr aus Menzoberranzan geholt werden«, fragte sie, »sollten die Dinge nicht so verlaufen, wie der Drowleichnam es plant?« Dyrr schlug sie. Der Schlag hallte in dem spartanischen Wohnzimmer wider, und Yasraena sank würdelos auf den Bo den, der mit einem Worgfell-Teppich belegt war. Der Leich nam nahm ihr mit dem Schlag einen Teil ihrer Lebenskraft – nur ein Vorgeschmack, aber es reichte aus, um sie grau anlau fen und nach Luft ringen zu lassen. Sie sah mit angstgeweite ten Augen vom Boden aus zu ihm auf. Muttermatrone – daß ich nicht lache, dachte Dyrr. Nimor machte keine Bewegung und schien es sogar kaum zu bemerken. Schließlich blickte er auf Yasraena hinab, als sie sich wieder auf die Beine kämpfte. »Wenn Dyrr es erlaubt«, sagte der Assassine, »würde ich diese Frage gerne beantworten.« Das kalte Glitzern in Nimors Augen war genug, um Dyrr zu überzeugen, daß der Assassine die richtige Antwort geben würde. Der Drowleichnam nickte. »Agrach Dyrr«, sagte Nimor zu Yasraena, der es gelungen war, wieder auf die Beine zu kommen, obwohl ihre Knie zitter ten, »lebt oder stirbt mit Menzoberranzan.« Yasraena nickte und rieb sich mit zitternden Händen das Gesicht, und Dyrr lenkte Nimors Aufmerksamkeit auf sich. »Genau, mein Freund«, sagte der Drowleichnam, »wie Ihr.« Nimor trat auf ihn zu und straffte die Schultern. Es wäre dem Drowleichnam nicht für eine Sekunde in den Sinn ge kommen zurückzuweichen, und er tat es auch tatsächlich nicht.
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»Wenn ich glaube, daß Ihr bald untergeht«, sagte Nimor zu Dyrr, »werde ich Euch retten.« In diesem Moment wollte Dyrr Nimor töten, aber er tat es nicht. Statt dessen lachte er. Er lachte noch immer, als er sich wegteleportierte.
Der Klauengraben, eine natürliche Spalte im Felsgrund, bilde te einen Einschnitt in die nördlichen Teile Menzoberranzans östlich von Tier Breche. Gromph stand am äußersten Ende davon und sah hinab in die Schwärze. Selbst seine neuerwor benen, viel jüngeren Augen konnten den Boden nicht sehen. Sorcere lag hinter ihm. Vor ihm, auf der anderen Seite des breiten Abgrunds, lag die Stadt der Spinnen. Die Stalagmiten und Stalaktiten, die die Wohnhäuser und Geschäftshäuser für die Drow verzierten, glühten vor Feenfeuer. Er konnte das Haus Baenre in der Ferne auf der anderen Seite der Höhle ebenso sehen wie gelegentliche Lichtblitze, die die fortwäh rende Belagerung des Hauses Agrach Dyrr anzeigten. Der Drowleichnam tauchte in der Luft über dem tiefen Ab grund auf und schwebte dort unbeweglich, in einer Entfernung von einem Dutzend Schritt oder mehr. Bei seinem Erscheinen war er Gromph zugewandt, als wisse er genau, wo der Erzma gier sich befand. »Ah, mein junger Freund«, rief der Drowleichnam, indem seine Stimme über die Distanz zwischen und im Klauengraben selbst widerhallte, »da seid Ihr ja.« »Wie versprochen«, entgegnete Gromph, der sich eine Rei he von Zaubern in Erinnerung rief. »Darauf läuft es also hinaus?« fragte Dyrr. »Wir beide«, erwiderte Gromph, »bis zum Tode.« Der Leichnam lachte, und Gromph wußte, daß dieser Klang
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geringere Drow in die Flucht geschlagen hätte. »Warum, Dyrr?« fragte der Erzmagier, aber er erwartete ei gentlich keine Antwort darauf. Der Drowleichnam drehte die Handflächen nach oben und hob seine Arme zu den Seiten in die Höhe, blickte sich um und deutete auf die Stadt. »Was für einen besseren Grund könnte es geben«, fragte Dyrr, »als Menzoberranzan selbst? Von hier das Unterreich, und von da die Oberfläche.« Nun war es an Gromph zu lachen. »Darum geht es also?« fragte der Erzmagier. »Die Weltherr schaft? Ist das nicht ein wenig klischeehaft? Selbst für Euch?« Der Drowleichnam zuckte die Achseln und entgegnete: »Meine Existenz kennt keine Grenzen, Gromph, warum sollte es also mein Ehrgeiz?« »Eine recht einfache Antwort, schätze ich«, sagte Gromph, »auf eine einfache Frage«. »Sollen wir dann zur Sache kommen?« »Ja«, erwiderte Gromph, »ich schätze, das sollten wir tun.« Sie begannen mit kleineren Erkenntniszaubern, um den je weils anderen auszuhorchen. Gromph spürte, wie er untersucht wurde, als er seinerseits den Leichnam untersuchte. Nauzhrors Stimme flüsterte in seinem Kopf, ebenso wie die Grendans und Praths. Die Verteidigungszauber wurden bemerkt, Gegenstän de und Kleidung für das Zaubern bewertet, Notizen verglichen. Gromph hatte einen Stab mitgebracht und war überrascht zu sehen, daß Dyrr auch einen bei sich hatte. Er hatte nicht er wartet, daß Dyrr einen Stab mitbringen würde. Feuer, teilte Nauzhror ihm nach einigen angespannten Mi nuten mit. Die effektivste Waffe gegen den untoten Magier aus dem Verräterhaus ist Feuer. Das ist es, dachte Gromph. Dyrr hatte einen Fehler gemacht.
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»Ihr werdet mich heute überraschen«, rief der Leichnam Gromph zu, »nicht wahr, mein lieber Erzmagier?« »Die einzigen Dinge, derer ich mir vollkommen sicher bin, Dyrr«, erwiderte Gromph, »sind die, daß wir einander heute überraschen werden und ich Euch zerstören werde.« Sie begannen zur gleichen Zeit zu zaubern. Gromph war ein Erkenntniszauberer, der erfahren genug war, um zu wissen, daß der Drowleichnam seinen letzten Verteidigungszauber gewirkt hatte, ebenso wie er selbst. Die Zauber barsten im gleichen Moment aus dem Gewebe. Ein eiskalter Wind ging vom Drowleichnam aus und trug Tau sende rasiermesserscharfer Eissplitter mit sich. Dieser vernich tende Sturm traf über den schwarzen Tiefen des Klauengrabens auf Gromphs Feuerball. Das Feuer erlosch, als es das Eis zum Schmelzen brachte. Die beiden Zauber hoben einander auf, bevor einer von beiden in die Nähe seines beabsichtigten Zieles kam. Das, sagte sich Gromph mit einem Seufzen, kann dauern.
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Die Lage auf dem Chaosschiff war ruhig, aber angespannt. Pharaun versuchte, Quenthel nicht anzusehen. Er konnte nicht umhin zu bemerken, daß sie unfähig zu sein schien, in Trance zu versinken. Ihre Schultern waren verspannt, und sie legte ihre vipernköpfige Peitsche nie aus der Hand. Die Schlangen wanden sich fortwährend und ließen die Seiten ihrer pfeilförmigen Köpfe über Quenthels warme, schwarze Haut gleiten. Der Uridezu beäugte sie verstohlen. Pharaun fand das eigenartig. Er hatte den Dämon gefesselt, aber dennoch war Raashub wegen Quenthel beunruhigter. Es entsprach der Wahrheit, daß die Baenre-Priesterin noch im mer dem Namen nach die Expedition »anführte«, aber ihre Führung war schon immer von einer rituelleren Natur gewesen – zumindest Pharauns Ansicht nach. Der Meister Sorceres konnte seine Gedanken zu diesem
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Thema nicht recht ordnen – zumindest nicht in diesem Au genblick –, aber der Dämon sah sie auf eine seltsame Weise an. Er seufzte und starrte wieder über das schwarze Wasser des Schattensees. Er legte eine Hand auf die Reling und nahm sie wieder fort, als er fühlte, wie das warme Blut hindurchpulsier te. Das Schiff regte sich in der Windstille des schwarzen Sees kaum, aber dennoch fühlte sich Pharaun, als müsse er sich an etwas festhalten. Seine Hand fand die verschlungene graugelbe Takelage – die ganz wie ein Stück Darm aussah –, aber sie konnte er auch nicht viel länger in der Hand haben. Das Dämonenschiff paßte nicht ganz zu Pharauns ästheti schem Empfinden. Der Magier strich sich das Haar aus den Augen und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie er wohl aussah. Er hatte schon zu lange nicht mehr gebadet – Hygiene war für sie alle zweitrangig geworden, und sie began nen rasch zu stinken. Jeggred war an einem guten Tag der Schlimmste von allen, aber der Magier bemerkte, daß er selbst Quenthel aus dem Weg zu gehen begann. Dennoch barg der Gedanke daran, in dem kalten, dunklen Wasser im Schatten see zu baden, keinerlei Reiz. Pharaun konnte sich gut vorstel len, was in den Tiefen des Sees lebte, und er wollte sich nicht selbst anbieten wie einen Wurm an einem Haken. Das Schiff knarrte und ächzte, aber nicht zu sehr. Selten war ein Echo von einem Platschen oder Tropfen oder einer anderen kleinen Unruhe aus dem Wasser zu hören. Pharaun begann zu denken, daß es die Stille selbst war, die er so ent nervend fand. Etwas traf ihn hart genug am Hinterkopf, um ihn bäuch lings auf das Deck krachen zu lassen. Ebenso überrascht durch die Tatsache, daß er sich hatte ü berrumpeln lassen, wie durch den Angriff selbst, lag Pharaun einige Sekunden lang blinzelnd da – Zeit genug, daß das, was
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auch immer ihn geschlagen hatte, ihn am Knöchel packen konnte. Sein Fuß wurde sofort taub. Dann hob ihn das, was auch immer es war, gewaltsam in die Höhe. Der Meister Sorce res, der seine Sinne noch nicht wieder beisammen hatte – Pharaun hatte zunächst nicht begriffen, daß er dermaßen hart geschlagen worden war –, fand sich in der Luft wieder, wo er am Knöchel herumgeschleudert wurde. Als er hochgewirbelt wurde, erhaschte er kurze Blicke auf das, was geschah. Eine Gruppe Uridezu enterte das Schiff. Sie kletterten über die Reling, wobei Wasser und Maden von ihnen herabtroffen. Ihre graue Haut glänzte, und ihre rosa Schwänze zuckten, als die Rattendämonen in großer Zahl angriffen, auch wenn Pha raun sie nicht zählen konnte, während er von einem anderen Uridezu am Knöchel herumgewirbelt wurde. Der Magier wußte, er hatte recht damit gehabt, daß der ers te Uridezu, den Raashub hereingeschleust hatte, dazu gedacht gewesen war, sie zu prüfen. Der Dämon ließ ihn los, und Pharaun wurde noch immer wild umherwirbelnd in die Luft geschleudert. Er sah, wie die Reling unter ihm vorbeischoß, und als er sich über dem offe nen Wasser befand, wirkte er einen Zauber, während er noch durch die Luft flog. Als er dann ausgestreckt mit einem schmerzenden Platschen auf der Wasseroberfläche aufkam, konnte er schon Wasser atmen. Pharaun verlor keine Zeit. Schwimmend und die Levitati onsmagie seiner Brosche nutzend, die ihm helfen sollte, ihn nach unten zu ziehen, tauchte Pharaun immer tiefer in das pechschwarze Wasser. Der See war kalt genug, um ihn ange spannt und steif werden zu lassen, aber dennoch schwamm er, so schnell er konnte. Überall um ihn herum waren Schatten von Lebewesen zu sehen. Es gab Fische, wie er hoffte, Schlan gen, wie er befürchtete, und andere Dinge – Dinge, die auf
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dem Boden herumkrochen. Der Grund des Sees war von feinem Schlamm überzogen, der sich auf seltsame Weise angenehm an der Haut anfühlte. Pharaun ließ sich bis zum Hals darin versinken und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, so daß alles, was von ihm zu sehen wäre, sein schwarzes Gesicht vor dem Hinter grund des einheitlich schwarzen Schlammes war. Etwas streifte an seinem Bein entlang, aber Pharaun regte sich nicht. Das tiefe Wasser und der aufgewühlte Schlamm stellten Pharauns Dunkelsicht auf eine harte Probe, aber er sah, wie zwei Uridezu über ihm ins Wasser tauchten. Sicher in seinem Versteck, ignorierte Pharaun ein weiteres ... Etwas, das an ihm vorbeischlüpfte, und beobachtete, wie die Rattendämonen mit überraschender Schnelligkeit schwammen, wobei ihre Köpfe sich nach vorne und hinten drehten, als sie den Grund des Sees nach dem Drow-Magier absuchten. Pharaun wartete, bis sie ihm näherkamen ... immer näher ... und nahe genug waren. Dann wirkte er eine Aura aus Feenfeuer um die beiden. Die Dämonen reagierten mit nervöser Verwirrung auf die Magie. Das purpurne Licht sorgte nicht nur dafür, daß sich ihre Silhouetten vom dunklen Wasser abhoben, was sie in peinli cher Weise deutlich sichtbar werden ließ, sondern es hob auch die Einzelheiten der Falten ihrer Haut hervor, ihre Schnurr haare und ihr besorgtes Stirnrunzeln. Pharaun stieß sich einmal ab und stieg langsam aus dem Schlamm auf, indem er bereits einen Zauber wirkte. Die Uri dezu sahen zu ihm herüber und schlugen mit ihren Schwänzen im Wasser. Sie schwammen rasch auseinander, intelligent genug, um sich nicht beide vom selben Zauber erwischen zu lassen. Pharaun suchte sich wahllos einen aus und ließ das Wasser um ihn gefrieren.
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Der Meister Sorceres wußte, daß das Eis den Dämon nicht verletzen würde, aber daß es dick genug war, um ihn aufzuhal ten. Pharaun lächelte kurz. Der Uridezu, der in einem dicken Eisblock eingefroren war, sank langsam auf den Grund des Sees, wobei eine Spur von Blasen von ihm aus in die Höhe stieg. Der zweite Uridezu schwamm schnell auf Pharaun zu, wobei sich hinter ihm ein Schwarm purpurn glühender Maden aus breitete. Die winzigen Würmer kamen aus seinem zerstörten linken Auge, eine alte Wunde, die offensichtlich bereits seit langem eiterte. Pharaun versuchte, vor ihm wegzuschwimmen, aber der Uridezu war schneller. Er wirbelte im Wasser herum und holte mit seinem ledrigen rosa Schwanz aus, um den Magier damit zu schlagen. Pharaun steckte den Treffer mit einer Grimasse ein. Es schmerzte. Als der Uridezu sich umdrehte, offenbar in der Absicht, Pharaun mit den gezackten Klauen zu zerfleischen, berührte der Meister Sorceres seinen Stahlring. Das Rapier erschien vor ihm, und Pharaun stellte es dem Dämon mit seiner Gedanken kraft gegenüber. Das tanzende Schwert fügte ihm eine tiefe Schnittwunde zu, und die Aufmerksamkeit des Uridezu war – wie Pharaun es geplant hatte – vollkommen darauf gerichtet, sich gegen die auf magische Weise zum Leben erweckte Klinge zu verteidigen. Zufrieden damit, daß das Rapier den Dämon beschäftigt hielt, entfernte sich Pharaun mit einem Stoß seines Fußes von dem Duell, wobei er seine kleine Armbrust und gleichzeitig einen Bolzen aus seinem Gürtel zog. Als er ihn eingelegt und den Hahn gespannt hatte, rief Pharaun die Macht seiner Bro sche, um mittels eines Levitationszaubers rasch nach oben und aus dem Wasser zu steigen. In der Sekunde, in der sein Gesicht
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die Oberfläche durchbrach, hustete er eine Unmenge an Flüs sigkeit aus. Er schoß knapp vier Meter aus dem Wasser und blieb dort in der Luft hängen, während schwarze Tropfen von ihm abfielen und die Oberfläche des Schattensees kräuselten. Der Magier wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Chaosschiff zu. Nie zuvor schien der Name so passend für das Schiff gewesen zu sein. Quenthel und Jeggred kämpften gegen die Gruppe von Rattendämonen, die das Schiff geentert hatte, um ihr Leben. Ehe Pharaun sich einen Überblick über die Gesamtsituation verschaffen konnte, riß Jeggred einem Uride zu ein Loch in den Bauch, das tief genug war, daß seine Einge weide auf das Deck fielen. Er brach zusammen, während seine Innereien zu Jeggreds bluttriefenden Füßen lagen und dampf ten. Pharaun zählte noch vier weitere Dämonen und Raashub. Der Kapitän hatte sieben seiner Art versammelt. Der Magier sah nach unten, um nach den Fortschritten des tanzenden Rapiers zu sehen. Die belebte Klinge schlitzte dem schwimmenden Uridezu die Kehle auf. Der Dämon erbebte und erschlaffte. Langsam trieb er an die Oberfläche. Sein ko chendes Blut ließ nach Kupfer riechenden Dampf in die Luft unterhalb des schwebenden Magiers aufsteigen. Pharaun rief sein Rapier zurück. Er richtete seine Handarm brust aus und sah zurück zum Chaosschiff. Quenthel hielt ei nen Uridezu mit ihrer Peitsche in Schach, während ein ande rer sich von hinten auf sie stürzte. Pharaun hatte keine freie Schußlinie, so daß er innehielt, und diese Zeit reichte dem Uridezu hinter ihr aus, um Quenthel in den Hals zu beißen. Blut quoll aus der tiefen Wunde hervor, und Quenthel knirschte vor Schmerz mit den Zähnen. Mit einem harten, heftigen Ruck ihrer Schulter versetzte sie dem Dämon einen Stoß, so daß er von ihr abließ. Aus der Distanz war es für Pha
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raun schwer zu erkennen, aber er war sich sicher, daß der Uri dezu einige Zähne im Hals der Meisterin hinterlassen hatte. Eine Bewegung Jeggreds erweckte Pharauns Aufmerksam keit. Der Draegloth näherte sich Raashub. Eine Welle der Panik durchflutete den Meister Sorceres. Angriff oder nicht, sie brauchten Raashub, damit er das Schiff steuerte. Jeggred war bereits versessen darauf gewesen, den Kapitän zu töten, seit sie Anspruch auf das Schiff erhoben hatten, und das En tern reichte ihm als Entschuldigung aus, um seine vielen Dro hungen schließlich wahr zu machen. Pharaun, der sich der Ironie der Situation vollkommen be wußt war, wirkte einen Zauber, der eine unsichtbare Energie wand zwisehen dem Uridezu-Kapitän und dem vorrückenden Draegloth entstehen ließ. Jeggred krachte gegen die Mauer, was ihm einen Moment lang zusetzte. Raashub verkroch sich vor dem Draegloth, dann begann er zu wittern, ebenso verwirrt durch seine unerklärliche Rettung in letzter Sekunde, wie es Jeggred war. Quenthel hieb mit dem Ellbogen nach dem Uridezu, der sie gebissen hatte, aber der Dämon konnte ausweichen. Quenthels Angriffe waren krampfartig und planlos, und Pharaun wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bis es den beiden Uridezu, die ihr gegenüberstanden, gelingen würde, sie zu töten. Der Meister Sorceres beeilte sich, einen weiteren Zauber zu wirken, und ließ seine Energie zu dem Uridezu fließen, der Quenthel gebissen hatte. Eine riesige, körperlose schwarze Hand entstand aus dem Nichts, und Pharaun übernahm mit seiner Gedankenkraft die Kontrolle darüber. Die Uridezu, die Quenthel bedrängten, wichen der Hand aus, aber der Dämon, der sie gebissen hatte, war zu langsam. Die Hand schloß sich um die Kreatur und begann sie zu zerquetschen.
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Pharaun verschaffte sich erneut einen Überblick über die Situation und sah, wie Jeggred zu einem anderen Uridezu über gegangen war und Raashub hinter der Energiewand kauernd zurückgelassen hatte. Der Magier mußte die Zauberhand nur durch Willenskraft dazu bringen, so hart zuzudrücken, wie sie konnte, und schon konnte er sie sich selbst überlassen. Als der in der Hand gefan gene Uridezu nach Luft zu ringen begann, krümmte Pharaun seine Finger um den Abzug seiner Handarmbrust und ließ den Bolzen durch die Luft sirren. Das Geschoß bohrte sich in die Brust des anderen Dämons. Er hielt inne und drehte sich um, um nach dem Ursprung des Projektils zu suchen. Der Uridezu in der Hand hatte den Mund weit offen, aber kein Ton erklang. Die gesamte Luft war ihm aus den Lungen gepreßt worden. Pharaun lud erneut seine Handarmbrust nach, und die beschworene Hand drückte noch fester zu. Die Augen des Dämons traten aus den Höhlen, und Pharaun konnte nicht anders, als zuzusehen. Der Magier schoß mit einem weiteren Bolzen auf den Dä mon, dem es noch immer gelang, Quenthels Peitsche auszu weichen. Das Geschoß traf genau und schob den Uridezu auf Quenthel zu. Der Rattenmann taumelte, war aber alles andere als tot – was mehr war, als Pharaun über das Wesen in der Hand sagen konnte. Sein Körper war zum Bersten gespannt, und dann platzte er in einem Schwall aus Blut und Gewebe. Einige qualvolle Sekunden später war er tot. Pharaun lud seine Handarmbrust erneut und beobachtete den Uridezu, den sein letzter Bolzen auf Quenthel zugeschoben hatte. Die Hohepriesterin näherte sich ihm rasch, die Peitsche in der einen Hand, die andere zur Faust geballt. Die Herrin der Akademie schlug den Uridezu, der ihr gege nüberstand, so hart, daß sein Kopf in mehrere große Teile
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zerbarst und ihm von den Schultern fiel. Das glänzende grau gelbe Gehirn des Rattendämons löste sich und flog über die stille Oberfläche des Sees. Pharaun wußte, daß ihre Kraft von einem magischen Gegenstand herrührte, und er machte sich im Geiste eine Notiz, nicht mehr von Kraftakten der Priesterin überrascht zu sein. Bewegungen und Licht, die unter ihm zu erkennen waren, erregten Pharauns Aufmerksamkeit. Der Uridezu, den er einge froren hatte, hatte es endlich geschafft, sich zu befreien, und er bewegte sich mit kraftvollen Schlägen seines Schwanzes vor wärts, der dem einer Ratte ähnelte. Er schwamm nach oben auf den in der Luft schwebenden Pharaun zu, von dem noch immer Tropfen auf die Wasseroberfläche fielen. Pharaun wirkte einen Zauber, der es ihm gestattete, den sich nähernden Dämon ins Wasser zurückzustoßen. Der Meis ter Sorceres fuhr fort, ihn zu stoßen, bis der Uridezu unter der Schlammschicht verschwand. Er stieß fester, bis die Kreatur schließlich auf dem steinigen Seegrund aufschlug, fast andert halb Meter unter dem abgelagerten Sediment. Er stieß weiter und quetschte das Monster in den Grund. Er spürte, wie das Rückgrat des Dings brach, aber dennoch stieß er es weiter.
Aliisza hielt den Atem an, während sie zusah, wie die Drow die Uridezu bekämpften. Die Rattendämonen waren nicht unbe dingt die beeindruckendsten Feinde, aber in Anbetracht aller Umstände machten die Drow eine gute Figur. Pharaun war besonders anziehend, wie er da naß und konzentriert in der Luft über dem Wasser hing. Es machte Aliisza ganz kribbelig. Das unsichtbare Alu-Scheusal schwebte in der Luft über der majestätischen Drow, die von dem Biß des Uridezu gelähmt worden war, den sie auf eine häßliche und ideenlose Weise zur
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Strecke gebracht hatte. Ein anderer Rattendämon bewegte sich mit gefletschten Fangzähnen, von denen giftiger Speichel tropfte, vor der ge lähmten Priesterin hin und her. Er kicherte in einer schrillen, aufgeregten Weise, als er allmählich immer näher auf die hilf lose Drow zukam. Ein leises Knurren lenkte Aliiszas Aufmerksamkeit auf Jeggred. Der Halbdämon knurrte einen anderen Rattendämon an, dann schlug er mit den rasiermesserscharfen Klauen einer Hand nach der Körpermitte des Dings. Der Dämon sprang gerade weit genug zurück, um zu vermeiden, daß ihm eine Wunde zugefügt wurde, aus der seine Eingeweide auf das Deck quollen. Ein explosionsartiges Zischen kam über die zitternden Lippen des Uridezu, und er schlug mit dem Schwanz nach dem Draegloth. Der Koloß, der zur Hälfte Drow und zur anderen Hälfte Dämon war, wich dem Körperfortsatz mit überraschen der Geschmeidigkeit aus. Raashub rasselte mit den Ketten, aber er blieb am Deck festgekettet. Aliisza spürte die Präsenz einer unsichtbaren Wand, die den Kapitän von den restlichen Personen trennte. Es war, als sei die Luft dort erstarrt. Sie sah die Magie mit ihrer auf das Gewebe gerichteten Sicht schimmern. Aliisza war es ziemlich egal, was aus dem Uridezu-Kapitän oder aus dem groben, unattraktiven Draegloth wurde, aber sie konnte den Gedanken nicht ertragen, daß die attraktive, be eindruckende Drow-Priesterin bei lebendigem Leibe verspeist wurde, während sie durch eine so niedrige Kreatur wie einem Uridezu gelähmt war. Das Alu-Scheusal begann, dieser Rat tenkreatur die Lebenskraft zu entziehen, während es noch immer unsichtbar in der Luft hing. Der Uridezu sah sich um. Er spürte, daß ihm etwas Schlim mes zustieß. Vielleicht fühlte er sich kalt oder auch schwach,
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schwindlig, krank. Aliisza tötete ihn, und er mußte wissen, daß er starb. Der Rattendämon schlang die Armen um sich, und Aliisza spürte, daß er sich auf den Rückweg zum Abyss machen wollte – aber etwas hielt ihn auf dem Schiff. Aliisza sah diese Magie auch, die ihn an die Luft band, die um ihn war. Nur Pharaun konnte dafür verantwortlich sein. Die Tatsache, daß der Drow-Magier diese Macht besaß, hin terließ ein unbehagliches Gefühl bei Aliisza. Sie fragte sich gerade, woher die unsichtbare Wand ge kommen war, als sie das grauenhafte Geräusch von etwas hör te, das abgerissen wurde, und einem Schwall dunkelroten Blu tes ausweichen mußte. Der Draegloth riß dem Uridezu den Arm ab, der dumm genug war, sich ihm zu widersetzen. Aliisza gefiel der Geruch des Rattendämon-Blutes nicht ... zumindest nicht so sehr, wie er dem Draegloth zu gefallen schien. Jeggred hob den Arm des Uridezu auf und hinter sich in die Höhe, bis er von der unsichtbaren Mauer abprallte. Das über raschte den Draegloth – nein, es ärgerte ihn. Aliisza wurde klar, daß jemand versuchte, den Uridezu-Kapitän von dem Draegloth zu trennen. Das mußte Pharauns Werk sein. Als der Draegloth den Rat tendämon mit seinem eigenen Arm erschlug, wurde Aliisza klar, warum der Magier den Kapitän wohl zu schützen versuch te. Sie flüsterte einen Zauberspruch und erhob sich höher in die Luft, so daß niemand außer Pharaun in der Lage wäre, sie zu hören. Sie mußte zwar aufhören, dem letzten Überlebenden der enternden Dämonengruppe die Lebenskraft zu entziehen, aber der Draegloth hatte bereits angefangen, sich an ihn her anzupirschen. »Pharaun«, flüsterte sie über die Distanz hinweg, und ihre Stimme drang dem Drow-Magier als Flüstern ins Ohr.
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Sie sah, wie der Magier reagierte, und fuhr fort: »Ich bin es. Du schützt den Kapitän vor eurem eigenen Draegloth?« »Na, wenn schon«, meinte Pharaun, wobei seine Stimme in ihrem Gehör auch als Flüstern ankam. »Du brauchst ihn nicht«, meinte sie. »Doch«, erwiderte der Magier. »Es ist ein Chaosschiff, und ich bin ein Drow, der nicht viel mit Booten anfangen kann. Ich habe nie zuvor eines dieser Dinger gesteuert. Wahrschein lich hat kein Drow das je getan.« »Es ist leicht«, erklärte sie. »Das Schiff lebt. Man bringt es einfach mit der Kraft seines Willens dazu, zu fahren, wohin man will.« »Einfach so?« fragte Pharaun skeptisch. Aliisza beobachtete den Todeskampf des geschwächten Uri dezu, der von Jeggred mit Klauen und Fängen zerfleischt wur de, und sagte: »Ja.« Beinahe ohne innezuhalten ging der Halbdämon auf die un sichtbare Mauer los, indem er mit Klauen und Fangzähnen darüber herfiel, wild und ungezügelt. Der Anblick brachte Aliiszas Herz zum Rasen. Der Uridezu duckte sich hinter der Mauer. Er machte sich nicht einmal die Mühe vorzugeben, er wisse nicht, was der Draegloth mit ihm machen würde, wenn er erst die unsichtba re Barriere überwunden hätte. »Laß ihn Jeggred«, sagte Aliisza, als ihr Zauber nachzulassen begann. »Wir können das Schiff gemeinsam steuern.« Pharaun öffnete eine Dimensionsspalte und trat hindurch. Im Nu stand er neben Quenthel direkt unter dem schweben den, unsichtbaren Alu-Scheusal auf dem Deck des Chaos schiffs. Aliisza begann, zu ihm herabzusinken. »Jeggred«, sagte der Drow-Magier, »hör auf. Hör auf. Wir brauchen ihn.«
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Der Magier drehte sich zu Quenthel um, die aufgestanden war. Von ihrer Hand troff Uridezu-Blut. Die Schlangen am Ende ihrer Peitsche zischten Pharaun an, um ihn zu warnen, er solle sich fernhalten. »Herrin«, sagte er zu ihr, »sagt ihm, er soll damit aufhören.« »Sie ist gelähmt«, flüsterte Aliisza ihm zu, nun nahe genug, um dies ohne Zauber zu können. Pharaun zuckte nicht zusammen, sondern lächelte und sag te: »Er wird nicht auf mich hören.« »Ich sagte, es ist in Ordnung, Pharaun«, flüsterte das AluScheusal, »wir brauchen ihn nicht.« »Wir?« fragte er. Aliisza errötete, auch wenn Pharaun sie noch immer nicht sehen konnte. »Wenn Raashub dieses Schiff steuern kann«, fragte sie, »warum können wir das dann nicht auch selbst? Kann es denn so schwer sein?« Pharaun holte tief Luft und stieß sie mit einem Seufzer wie der aus. »Er wird sich mir ohnehin nur weiterhin widersetzen, nicht wahr?« fragte Pharaun. »Mit wem ...«, fragte Quenthel, während ihre Gelenke zuckten, als sie sich von dem lähmenden Biß des Uridezu er holte, »redet Ihr?« »Würdest du das an seiner Stelle nicht tun?« flüsterte Aliis za, Quenthel ignorierend. Pharaun wandte sich ihr zu und sah ihr in die Augen, auch wenn sie sicher war, daß er sie nicht sehen konnte. Er zwinker te ihr zu und wandte sich wieder der Priesterin zu. »Jeggred will Raashub töten«, sagte er. »Laßt ihn«, antwortete die Priesterin, die offenbar auf der Suche nach etwas, womit sie sich von dem Blut, das an ihr
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klebte, reinigen konnte das Deck absuchte. »Nun«, flüsterte Aliisza dem Magier ins Ohr, »ist es ihre Idee, nicht wahr?« Pharaun winkte und ließ die Mauer verschwinden. Jeggred ging auf den Uridezu los. Beide stürzten über die Re ling. Die Kette, die den Uridezu an das Deck – und an die Materielle Ebene – fesselte, riß, als bestünde sie aus einem Pilzstengel. Es gab ein gewaltiges, widerhallendes Platschen, das Seewasser über das Deck schwappen ließ, wo es sich mit Dämonenblut vermischte. Aliisza schwebte über ihnen, als Pharaun und Quenthel zur Reling rannten und ins schwarze Wasser blickten. Die Ober fläche war von Blasen übersät, und es waren Kräuselungen zu erkennen, die deutlich machten, daß unter der Oberfläche etwas Gewalttätiges vor sich ging. Dann verschwanden die Blasen. Die Kräuselungen ver schwanden von selbst, und dann war nichts mehr zu sehen. »Folgt ihnen«, sagte Quenthel zu Pharaun. Aliisza fing sich gerade noch, sie hätte beinahe laut gelacht. Pharaun hob eine Braue, sah die Priesterin an und sagte: »Ich bedaure, aber ich mußte den Zauber rückgängig machen, der es mir gestattete, unter Wasser zu atmen.« Die Priesterin wandte sich ihm ärgerlich zu, aber jede weite re Diskussion wurde durch ein erneutes Platschen gestoppt. Etwas flog in hohem Bogen aus dem Wasser und schlug auf Deck auf. Der Kopf des Uridezu rollte auf die andere Seite des Schiffes und kam dort zu liegen. Mit leerem Blick starrte er ins Nichts. »Vergeßt es«, flüsterte Quenthel mit einem Seitenblick zu Pharaun. Der Draegloth kletterte langsam hinter den beiden Drow auf das Deck. Der Halbdämon schüttelte sich gründlich und
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bespritzte so Pharaun und Quenthel mit Wasser. Die beiden Drow drehten sich um und betrachteten den Draegloth. »Das«, knurrte der Halbdämon, »war das Warten beinahe wert.«
Danifae wollte, daß sie sich mit ihr in einem verfallenen Tem pel am Rande eines Sumpfes trafen, an dessen Ostrand ein breiter Fluß in ein Meer mündete. Halisstra verbrachte die erste Nacht ihrer Wanderung damit, Ryld zu erklären, was die meisten dieser Worte bedeuteten. Bei Sonnenaufgang am ersten Tag hatten sie es bis zur Küste geschafft. Der Anblick der scheinbar endlosen Weite kalten grauen Wassers nahm Halisstra den Atem. Wie bei den meisten anderen Dingen auf der Oberflächenwelt hatte Ryld dabei ein unbehagliches Ge fühl – es machte ihm sogar Angst. Halisstra war zuversichtlich, daß er sich schließlich daran gewöhnen, es irgendwann sogar
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mögen würde. Das mußte er einfach. Sie folgten zwei harte Nachtmärsche lang der westlichen Küste dessen, was die Leute, die an der Oberfläche wohnten, den Drachengriff nannten. Dabei nutzten sie Rylds scharfe Sinne, Halisstras Bae’qeshel und Eilistraees Magie, um anderen Reisenden und unerwarteten Gefahren auszuweichen. In den Stunden vor Sonnenaufgang am dritten Tag standen sie am Ufer des breiten Lis-Deltas, wo sich in stürmischem, windge peitschtem Weiß und Grau zu ihrer Rechten der Drachengriff erstreckte. Zu ihrer Linken – im Norden – lagen der Fluß, periodisch auftretende Waldgebiete und wogende, verschneite Hügel. Es war finster und bitterkalt, und Halisstra mußte Zau ber einsetzen, um zu verhindern, daß ihnen Finger und Zehen abfroren. »Wir müssen da rüber?« fragte Ryld, obwohl er die Antwort kannte. Sie waren in einem Hain spärlich wachsender Bäume ohne Blätter verborgen. Das Flußdelta wimmelte von Schiffen in allen Größen. Halisstra hatte solche Schiffe noch nie zuvor gesehen. Die meisten schaukelten auf den hohen Wellen, und die Laternen auf ihren Decks wurden vom kalten Wind hin und her geschwenkt. Gelegentlich traf die Drow ein Seiten blick eines bewaffneten Menschen, der die Decks abschritt. Den Grund für die Wachsamkeit konnte Halisstra sich nicht erklären. »Es ist ein verlassener Tempel«, sagte Halisstra. »Ein alter Tempel für den schmutzigen Orkgott Gruumsh. Danifae sagte, er befände sich am westlichen Rande eines riesigen Sumpfs ... eine überflutete Stelle, wo Wasser die Vegetation bedeckt und viele gefährliche Lebewesen jagen. Der Sumpf liegt auf der anderen Seite des Flusses.« Ryld nickte und studierte weiter das Wasser, als das Licht
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der Sonne den Horizont zu küssen begann. »Wüßtest du, wie man mit diesen Schiffen umgeht?« fragte Halisstra. Ryld schüttelte den Kopf. »Dann werden wir Hilfe brauchen, um hinüberzugelangen«, sagte Halisstra. »Es ist zu weit und zu kalt, um hinüberzu schwimmen, und wir werden zuviel Aufmerksamkeit erregen, wenn wir Zaubersprüche verwenden. Wenn wir unsere Piwaf wis hochziehen und die Kapuzen über den Kopf ziehen, er kennt uns ein weniger aufmerksamer Fährmann vielleicht nicht als Dunkelelfen.« Ryld stieß einen Seufzer aus, was erkennen ließ, daß er be zweifelte, ob dies möglich sei, er es aber dennoch versuchen wolle. Sie machten sich auf den Weg am Flußufer entlang und wanderten in der Düsternis vor dem Morgengrauen langsam nordwärts. Ryld hielt sie gelegentlich an, um sich umzusehen oder ein Schiff eingehend zu betrachten, das entweder am Ufer oder im ufernahen Wasser lag. Er machte sich nie die Mühe, ihr zu erklären, warum er zuerst eines, dann ein anderes und noch ein weiteres ablehnte, und Halisstra fragte nicht nach. Schließlich stießen sie auf ein breites Boot mit quadrati schem Kiel und einem einzigen langen Ruder, das an einem großen Pfahl befestigt war. Das Boot war ans Ufer des Flusses gezogen worden, und einige Fuß davon entfernt war undeut lich irgendein humanoides Wesen zu erkennen, das zu einem Haufen zusammengerollt im grobkörnigen Sand lag und schlief. Es hatte ein Feuer gemacht, bevor es eingeschlafen war, und die Restglut neben ihm verglomm rasch. Ryld bewegte sich völlig lautlos bis auf ein paar Zentimeter an den Fährmann heran. Langsam und leise zog er sein Kurz schwert und hielt es mit lockerem, entspanntem Griff in der
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Hand. Er kniete neben dem Humanoiden nieder, und der Schläfer gab ein seltsam anhaltendes, grollendes Husten von sich. Ryld erhob sich halb, sah Halisstra an und zuckte die Achseln. Halisstra erwiderte die Geste. Sie hatte keine Ah nung, was das Geräusch zu bedeuten hatte, außer daß der Mann – wenn es ein Mann war – vielleicht erstickte. Ryld rollte ihn mit einem bewußt harten, heftigen Stoß auf den Rücken. Der Schläfer besaß die schroffen gräulichgelben Züge eines Orks, sah aber nicht ganz so aus. Seine Augen tra ten hervor, und er holte tief Luft, während er ärgerlich die grobe Stirn runzelte. Ryld hielt dem Bootsführer die Klinge seines Schwerts an die Kehle, und der wütende Mann hielt augenblicklich inne. Halisstra trat herzu. Als sie ihn eingehender betrachtete, sah sie, daß er ein Halb-Ork war. Das war Glück für sie. HalbOrks wurden auf der Oberflächenwelt ebenso verachtet wie im Unterreich, so daß es leichter für sie sein würde, ihn zu mani pulieren, damit er ihre Anwesenheit nicht verriet. »Schweig«, flüsterte Ryld in der kehligen Handelssprache der Oberflächenrassen. Der Halb-Ork warf einen kurzen Blick zu Halisstra, dann be gegnete er Rylds Blick und tat, als entspanne er sich. Er schwieg. »Wir brauchen ein Boot«, flüsterte der Waffenmeister. »Du wirst uns nach Osten über den Fluß bringen, und du wirst niemandem davon erzählen.« Der Halb-Ork sah ihn an und dachte darüber nach. Ryld ritzte den Hals des Mannes mit seinem Kurzschwert, gerade so, daß ein Tropfen Blut hervorquoll. »Das war keine Bitte«, fügte der Waffenmeister hinzu, und der Halb-Ork nickte. Innerhalb von Minuten befanden sie sich an Bord. Der schwarze Horizont vor ihnen verfärbte sich zu einem dunklen
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Indigo. Halisstra hatte begonnen, sich an die Sonne zu gewöh nen, aber Ryld haßte sie noch immer, weswegen sie nachts gereist waren. Um zu dem vereinbarten Treffen mit Danifae zu gelangen, würden sie ihre Reise wahrscheinlich den Morgen über fortsetzen müssen, aber Halisstra wußte, daß Ryld sich nicht beschweren würde. »Ich glaube, der Fährmann erwartet, daß wir bezahlen, wenn wir zur anderen Seite gelangen«, sagte Ryld mit einem Seitenblick zu dem Halb-Ork, der so tat, als starre er sie nicht an, in Niederdrow. »Oder werden Halb-Orks hier auch als Sklaven gezüchtet?« Zuerst dachte Halisstra, er scherze. Es war schwer, seine Au gen zu sehen, wenn er die Kapuze seines Piwafwi über den Kopf gezogen hatte. Halisstra trug ihre Kapuze auf die gleiche Wei se, aber als sie die Mitte des Flußdeltas erreicht hatten, wurde der Priesterin klar, daß niemand auf einem der anderen Boote sich die Mühe machte, sie anzusehen, und die nachtblinden Menschen wären nicht in der Lage, sie in der Finsternis zu sehen – zumindest nicht aus einiger Entfernung. Sie ließ die Kapuze vom Kopf gleiten, was Ryld, der seine eigene Kapuze aufbehielt, zu einem irritierten, finsteren Blick veranlaßte. »Warum fragst du ihn nicht?« meine Halisstra mit einem Nicken in Richtung des Halb-Orks. Ryld schüttelte den Kopf. »Danifae wird dich töten«, sagte er mit ausdrucksloser Stimme. »So?« »Ich würde es tun«, entgegnete Ryld. »Sie war lange deine Kriegsgefangene, und nun ist sie es nicht mehr. Natürlich wird sie sich rächen wollen.« »Vielleicht«, mußte Halisstra zugeben, »aber ich glaube es nicht.«
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»Leute Eurer Art kommen nicht oft hierher«, platzte der Bootsführer plötzlich in Niederdrow mit starkem Akzent her aus. Der Klang der Sprache der Dunkelelfen, gesprochen von dem Ding, das halb Mensch und halb Ork war, verursachte Halisstra Gänsehaut. Ryld zog sein Kurzschwert. Der Bootsführer hob eine Hand und sagte: »Ich wollte nicht respektlos sein. Ich meinte ...« »Ihr habt schon früher Drow gesehen?« fragte Halisstra und äußerte rasch einen Satz in Zeichensprache: Ihr bekommt hun dert Goldstücke extra, wenn Ihr uns vergeßt. Der Halb-Ork reagierte nicht auf die Äußerung in Zeichen sprache. Er schien nicht einmal zu bemerken, daß sie versucht hatte, mit ihm zu kommunizieren. »Klar«, antwortete der Bootsführer, »ich habe schon ein oder zwei Drow gesehen. Nicht in letzter Zeit, aber ...« Halisstra ging mit einem Achselzucken über die Antwort des Bootsführers hinweg und sagte in Zeichensprache zu Ryld: Ich glaube, er wollte uns wissen lassen, daß er uns verstanden hat. So wissen wir, daß wir nichts sagen, was er nicht wissen soll, da wir ihn ansonsten töten müßten. Das entlockte Ryld ein Lächeln. Du kannst dein Schwert wegstecken, fügte sie hinzu. Der Waffenmeister steckte sein Schwert in die Scheide und sagte: »Wenn er die Zeichen versteht, sollte er es jetzt sagen, oder ich werde ihn töten.« Der Halb-Ork winkte ab und sagte: »Nein, Herr. Ich schwö re es. Ich wußte nicht einmal, was Ihr da tatet. Ich paddle einfach, ja? Paddeln? Ihr müßt mich nicht mal bezahlen.« »Bezahlen?« fragte Ryld. Der Halb-Ork wandte den Blick ab. Er hörte, wie wir den Tempel erwähnten, meinte Ryld in Zei
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chensprache. Es versteht sich von selbst, daß wir ihm nicht trauen können. Wem können wir denn trauen? antwortete Halisstra. Danifae nicht, signalisierte der Waffenmeister. Eilistraee wird uns führen, erwiderte sie. Danifae hat keine Göttin, die sie führt. Ryld nickte, auch wenn deutlich war, daß er skeptisch blieb. Den restlichen Weg verbrachten sie schweigend, und bald befanden sie sich am anderen Ufer. Halisstra stieg aus dem Boot und watete durch das flache Wasser zum felsigen Ufer. Sie sah sich nach Ryld um, der auf den Halb-Ork zutrat. Der Waffenmeister griff hinter dem Fährmann nach Splitter, zog es aus der Scheide, schlug dem Halb-Ork den Kopf ab und steck te die Waffe wieder in die Scheide – alles innerhalb eines einzigen von Halisstras Herzschlägen. Der Kopf fiel ins Wasser, und Ryld trat gegen den Körper, so daß er dem Kopf folgte. Er drehte sich um, um an Land zu waten, und Halisstra blickte fort, ins blaugraue Licht des Morgengrauens. Sie konn te seine Schritte im Wasser auf den Steinen hinter sich hören, aber genau in diesem Augenblick wollte sie ihm nicht ins Gesicht sehen.
Danifae materialisierte auf dem Deck des Chaosschiffes und staunte augenblicklich, wieviel sich verändert hatte. Valas erschien neben ihr, und sie beobachtete, wie sich sein Ge sichtsausdruck von seinem normalen stoischen, ausdruckslosen Pragmatismus in unsichere Neugierde wandelte – er hatte es ebenfalls bemerkt. Pharaun und Quenthel sahen beide schlecht aus und ro chen auch so. Das Schiff selbst sah anders aus. Das Deck, das eine glanzlose, weite Fläche aus nackten weißen Knochen
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gewesen war, war nun stellenweise mit rosa Gewebe bedeckt, das von sanft pochenden Arterien durchsetzt war. Sehnen und etwas, das Bänder sein mochten, erstreckten sich zwischen Lücken im Knochen. Das Schiff fühlte sich lebendig an. Pharaun und Jeggred sahen auf, als sie erschienen, aber nur Pharaun erhob sich. Der Draegloth blickte zur Seite, und Da nifae folgte seinem Blick zu Quenthel. Jeggreds Augen brann ten, als er die Hohepriesterin ansah, die mit dem Rücken zu den anderen auf Deck saß und mit einer Hand geistesabwesend eine der Vipern streichelte, die ihre Peitsche bildeten. »Willkommen zurück am trüben, nassen Arsch des Unter reiches«, sagte der Meister Sorceres. Er warf Danifae nur einen Blick zu und trat dann mit ausgestreckter Hand auf Valas Hune zu. »Ihr habt, was wir brauchen?« Der Späher von Bregan D’aerthe nickte und händigte dem Magier einen der magischen Beutel aus, in dem sich ihre Vor räte befanden. Danifaes Aufmerksamkeit blieb weiterhin auf Jeggred ge richtet, der Blickkontakt zu ihr aufnahm und nickte. Die frü here Kriegsgefangene lächelte dem Draegloth zu und verneigte sich leicht vor ihm – dann merkte sie, daß der gefesselte Uride zu fehlte. »Was ist hier los?« fragte sie Pharaun. Der Magier begann zu lachen, und zunächst schien es, als wolle er das für eine lange Zeit tun. Als niemand einstimmte, beruhigte er sich und holte tief Luft. »Herrin?« rief Danifae. Keine Reaktion. Jeggred starrte Quenthels Rücken an und schwieg ebenfalls. »Sind wir ...?« fragte der Späher Pharaun. »Ja«, antwortete der Magier, »wir werden wie geplant in See stechen. Es hat sich gezeigt, daß wir die Dienste des Kapi
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täns überhaupt nicht brauchen. Jeggred war so freundlich, seine Beauftragung rückgängig zu machen. Ich werde das Schiff steuern.« Valas nickte, setzte sich und begann, die Vorräte zu sortie ren. Pharaun stand neben ihm und machte gelegentlich eine Bemerkung zu dem, was der Späher gekauft hatte. Quenthel saß weiter mit dem Rücken zum Rest der Gruppe und sagte nichts. Danifae näherte sich Jeggred und schätzte seine Stim mung ab. Er schien mit ihr reden zu wollen, also setzte sie sich zu ihm. »Trance?« fragte sie mit einem Nicken in Quenthels, Rich tung. »Nein«, sagte Jeggred, ohne sich die geringste Mühe zu ge ben, die Stimme zu senken. »Sie konnte in letzter Zeit nicht in Trance versinken. Die Herrin wird schwächer.« Danifae holte tief Luft und suchte in Jeggreds Augen nach einem Hinweis auf etwas anderes außer ernsthafter Wut auf Quenthel. Es schien unmöglich zu sein, daß Jeggred in der vergleichsweise kurzen Zeit, die sie und Valas weggewesen waren, so weit gekommen war, aber offensichtlich hatte die Angelegenheit sich viel schneller weiterentwickelt, als sie gehofft hatte. »Der ›Kapitän‹«, knurrte Jeggred, »hat ein Tor für einige seiner Artgenossen geöffnet. Sie haben uns angegriffen, und wir haben gesiegt.« »Quenthel hat nicht gekämpft?« riet Danifae. Jeggred sah die stumme Hohepriesterin an und dachte eine Weile nach. »Sie hat gekämpft«, sagte der Draegloth schließlich, »aber sie ...« Danifae wartete einige Herzschläge lang darauf, daß er den Satz beendete, dann half sie nach: »Wir dienen alle größeren
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Herrinnen. In deinem Fall ist es die Muttermatrone des Hauses Baenre und in meinem Lolth selbst – beide sind größere Her rinnen als Quenthel. Wenn es etwas gibt, das deine Mutter matrone oder Lolth wissen müssen, dann mußt du es ausspre chen. Die Pflicht verlangt es.« Jeggred sah ihr tief in die Augen, und Danifae ließ es zu. Sie hielt dem Blick des Halbdämons lange stand, wobei sie sich niemals auch nur das kleinste Zucken, das winzigste Anzeichen von Schwäche oder Unentschlossenheit gestattete. »Sie ist... empfindsam«, sagte Jeggred. »Empfindsam?« drängte Danifae. »Die Herrin Arach-Tiniliths verfügt über eine Empfind samkeit für Dinge von den äußeren Ebenen«, fuhr er fort. »Sie kann die Anwesenheit von Dämonen spüren und mit ihnen kommunizieren. Das ist etwas, was nicht jeder über sie weiß, aber ich schon.« »Warum wußte sie dann nicht, daß ...?« Sie ließ die Frage verklingen. Der Blick, mit dem Jeggred Quenthels stillen Rücken an starrte, sagte ihr alles, was sie wissen mußte. »Ich bin eine Priesterin Lolths«, sagte sie zu dem Draegloth. »Ich diene der Königin des Abgrunds der Dämonennetze, und das bedeutet, daß ich auf diesem Schiff Quenthel Baenre die ne.« Jeggred neigte seinen Kopf, wobei seine wilde Mähne aus weißem Haar sich über seine muskulösen, mit grauem Fell bedeckten Schultern ergoß. »Ich diene ihr«, fuhr Danifae fort, »ob sie es weiß oder nicht, ob sie es zu schätzen weiß oder nicht und ob sie es wünscht oder nicht. Etwas ist ...« Danifae war nicht sicher, wie sie diesen Gedanken beenden sollte.
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»Sie hat kapituliert«, sagte Jeggred. »Kapituliert?« fragte Danifae. »Vor der Furcht.« Danifae dachte kurz nach und sagte dann: »Sie braucht un sere Dienste jetzt mehr denn je. Lolths Dienerin braucht unse re Dienste, und wir beide leben, um zu dienen, nicht wahr?« Jeggred nickte und machte dabei deutlich, daß er darauf wartete, noch mehr von ihr zu hören. Danifae griff in ihren Beutel und zog einen der Ringe her vor, die sie von der kalten, toten Hand ihres früheren Haus magiers genommen hatte. Sie hielt ihn hoch, so daß nur Jeggred ihn sehen konnte, und ließ ihn zwischen den Finger spitzen hin- und hergleiten, während er das schwache Licht reflektierte – das reichte aus, daß die Augen des Draegloth ihn erkennen konnten. Jeggred öffnete eine Hand, und Danifae ließ den Ring in die Handfläche des Dämons fallen. Ich brauche dich, um mich zu einem bestimmten Ort zu beglei ten, sagte Danifae in Zeichensprache zu ihm, indem sie die Hände nahe vor ihrem Bauch hielt, so daß niemand von den anderen es sehen konnte, und etwas für mich zu tun. Sagt es mir, antwortete er, seinerseits sorgfältig darauf be dacht, seine Hände dort zu behalten, wo nur sie sie sehen konnte. Ich lebe, um zu dienen, Herrin.
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Es war ihnen noch nicht gelungen, einander zu töten. Gromph schwebte in der stillen Finsternis über dem Klau engraben, umgeben von einer Kugel magischer Energie. Er hatte sie durch seinen Stab beschworen und dabei einiges von der magischen Essenz des Gegenstandes verbraucht. Aber das war es wert, um auch die elementaren Zauber abzuhalten, vor denen die Kugel ihn nun schützte. Gromph wußte, daß der Leichnam zu wesentlich mächtigeren Zaubern fähig war – Zauber, die sich durch die Kugel hindurchbewegen konnten, ohne auch nur im geringsten an Macht zu verlieren –, aber zumindest würde das Dyrrs Möglichkeiten begrenzen. Aber trotz der Kugel konnte Gromph nicht näher als sech zig Schritt an den Leichnam herankommen, egal, was er auch versuchte. Der Abstoßungseffekt stammt aus Dyrrs Stab, flüsterte Nauzh
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ror in Gromphs Kopf. Wir suchen nach Lösungen. Die Abstoßung war eine weitere geringfügige Verteidi gungsmaßnahme, die einem mächtigen Gegenstand einige Energie entzog, und so gab es einen Gleichstand zwischen Gromph und Dyrr – wieder einmal. »Wovor habt Ihr Angst?« rief der Erzmagier seinem Gegner zu. »Ich werde nicht versuchen, Euch zu küssen.« Dyrr, der ebenfalls über den schwarzen Tiefen des Klauen grabens schwebte, lachte tatsächlich. »Wir könnten einfach hier schweben«, entgegnete Dyrr, »und darauf warten, daß unsere Verteidigungszauber nachlas sen – Eure Kugel, meine Abstoßung ... aber wo liegt darin das Vergnügen?« »Gute Frage«, flüsterte Gromph, dem es egal war, ob der Leichnam ihn hören konnte oder nicht. Der Erzmagier begann einen Zauber zu wirken, und der Leichnam preßte in der Erwartung, sich dagegen verteidigen zu müssen, die Fingerspitzen zusammen. Gromph sorgte dafür, daß er sich bereits in der Sekunde, in der er seinen Zauberspruch beendete, durch die Luft auf den Leichnam zubewegte, und wußte, daß der Zauber erfolgreich gewesen war, als sich der Abstand zwischen ihnen plötzlich verringerte. Nachdem der Abstoßungseffekt außer Kraft gesetzt war, stieß Gromph rasch herab, um sich für einen schädlicheren Zauber in Reichweite zu bringen. Dyrr, der nicht überrascht zu sein schien, sank nach unten. Gromph wußte, daß er den Abstoßungseffekt außer Kraft ge setzt hatte, nicht Dyrrs Fähigkeit zu fliegen. Der Leichnam versuchte, in den dunklen Abgrund des Klauengrabens zu entkommen. Gromph ließ sich nach ihm nach unten sinken. Die Luft, die sich rasch über die Oberfläche der magischen Kugel beweg
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te, die ihn noch immer umgab, machte ein seltsam summendes Geräusch, das Gromph störend fand. Dennoch gelang es ihm, einen weiteren Zauber zu wirken, während er flog, und er schaffte es, den Abstand zwischen ihnen weiter zu verkleinern. Eine Perle aus pulsierendem orangefarbenem Licht erschien in Gromphs rechter Hand. Er blickte zu Dyrr, holte aus, um die Perle zu werfen, und zögerte. Dyrr ging auf ihn los, ein kaltes Licht in den toten Augen. Die Distanz zwischen den beiden Magiern schmolz immer schneller dahin – und der Drowleich nam zauberte. Die Worte von Dyrrs Zauber – eine Reihe fast unsinniger Vierzeiler in einem obskuren drakonischen Dialekt – hallten um sie beide wider. Gromph holte mit dem rechten Arm noch weiter aus und zielte mit der Perle auf das Gesicht seines Geg ners, während er seinen Stab in der linken Hand hielt. Dyrr hielt ebenfalls etwas in seiner linken Hand, die er zu einer Schale geformt hatte, und seinen eigenen Stab in der rechten. Es sah für beide aus, als blickten sie in einen Spiegel. Dyrr zauberte zuerst. Eine Wolke aus funkelndem rotem Staub – zerstoßene Rubine, wie ihm Grendan mitteilte – explo dierte in der Luft um den Leichnam. Der Staub wirbelte für einen winzigen Moment in einer Art Wirbelsturm umher und war dann verschwunden. Als das letzte Körnchen der zu Puder zermahlenen Edelsteine verschwunden war, warf Gromph die Perle. Plötzlich erstarrte der Erzmagier mitten in der Luft. Ihm wurde der Atem aus den Lungen gepreßt, und er ächzte laut auf. Sein eigener Stab traf ihn im Gesicht, was seine Unterlip pe taub werden ließ und ihm Tränen in die Augen trieb. Seine Glieder wurden sekundenlang schlaff, und seine Arme und Beine zuckten völlig unkontrolliert. Die Perle aus komprimiertem Feuer hätte den Leichnam ins
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Gesicht treffen und explodieren sollen, wobei die Flammen sechs Schritte weit hätten lodern sollen. Sie hätte dem Leich nam das Gesicht verbrennen sollen – aber das tat sie nicht. Als Gromph schließlich die Kontrolle über seinen Körper wiedererlangte und wieder ruhig in der Luft schwebte, konnte er das winzige Fünkchen von orangefarbenem Licht genau auf das Gesicht des Leichnams zufliegen sehen, doch dann machte es einen Bogen in der Luft und verschwand in der protzigen Krone, die zu tragen der Magier von Agrach Dyrr die Unver frorenheit besaß. Die Perle glühte kurz in einem orangefarbe nen und gelben Licht auf, das das Gesicht des Drowleichnams erhellte, aber es nicht einmal annähernd versengte. Die Krone, dachte Gromph. Ich hätte daran denken sollen. Der Feuerball wurde von der Krone absorbiert, zischte Nauzh ror in Gromphs Kopf. Gromph war sicher, daß er ihn wiedersehen würde. Der Gegenstand wird ihm erlauben, den Feuerball auf Euch um zulenken, warnte Grendan. Ja, meine Herren, erwiderte Gromph. Danke. Dyrr kam abrupt zum Halten und hing in der Luft, wobei er sich kaum merklich auf- und abbewegte. Er sah aus wie der Hut eines Pilzes, der auf der Oberfläche des Donigartensees schaukelte. Gromph hingegen war wie festgefroren in der Luft und stand auf etwas, das sich wie eine feste Oberfläche anfühl te, aber aussah wie ein schwach phosphoreszierendes Glühen. Gromphs Kugel war noch stabil, aber es handelte sich dabei nicht um das einzige, was ihn umgab. Ein beeindruckender Zauber, meinte Nauzhror. Schwierig zu wirken und teuer, auch wegen des Staubs. Aber es ist nichts, mit dem Ihr nicht zurechtkommen könntet, Erzmagier. »Ein Energiekäfig?« fragte Gromph.
Der Drowleichnam machte sich nicht die Mühe, darauf zu
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antworten. Statt dessen begann er, einen weiteren Zauber zu wirken. Zweifellos dachte er, Gromph säße in der Falle, also würde er die Situation zu seinen Gunsten nutzen. Der Erzma gier rief sich einen Zauber ins Gedächtnis und beeilte sich damit, ihn zu wirken, so daß er schneller war als der Leichnam, auch wenn er wahrscheinlich noch das aushalten mußte, was auch immer Dyrr auf ihn schleuderte. Er mußte den Energiekä fig loswerden. In einem magischen Käfig gefangen zu sein war in diesem Moment kaum vorteilhaft. Dyrrs Zauber zeigte einen winzigen Moment vor Gromphs Wirkung. Als der Leichnam die letzten Gesten und die letzten komplizierten Formulierungen beendet hatte und einen Mag neten sowie eine Prise Staub in der rechten Hand zermalmte, öffnete sich etwas unter den Füßen des Erzmagiers. Gromphs Zauber zeigte Wirkung, und seine eigene Kugel fiel ihm zum Opfer – aber ebenso der Energiekäfig –, und Gromph fiel auf das zu, was auch immer Dyrr unter ihm be schworen hatte. Der Erzmagier berührte seine Brosche und sorgte rasch da für, daß er anhielt, lange bevor er mit Dyrrs dramatischem magischem Effekt in Kontakt kam. Während er in die Höhe stieg und sich immer weiter davon fortbewegte, blickte Gromph nach unten – in ein gänzlich anderes Universum. Der Drowleichnam hatte unter ihm ein Tor geöffnet, und ein blendendes, in den Augen schmerzendes Licht strömte heraus. Gromph hatte ein solches Licht nur ein paarmal in seinem langen Leben gesehen. Es war Sonnenlicht, und das gefiel dem Erzmagier von Menzoberranzan überhaupt nicht. »Wohin wollt Ihr mich schicken?« fragte Gromph seinen Gegner. Auf die Oberflächenwelt?, überlegte Prath, auch wenn nur Gromph ihn hören konnte.
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Dyrr antwortete nicht, sondern war damit beschäftigt, die Bestandteile für irgendeinen Zauber oder vielleicht einen an deren magischen Gegenstand zusammenzusuchen. »Ihr habt mich bereits mehr als einmal eingesperrt«, fuhr Gromph fort, »obwohl die Gefängnisse mich bei jedem Ver such weniger lange halten. Nun wollt Ihr mich wegschicken? Meine Güte, Dyrr, warum tötet Ihr mich nicht einfach und bringt es hinter Euch? Oder könnt Ihr mich nicht töten?« Gromph wünschte sich ganz gewiß, daß dies der Fall sei – und vielleicht war es durch irgendeine bizarre Wendung des Schicksals tatsächlich so –, aber Dyrr schien etwas anderes im Sinn zu haben. Der Leichnam brachte den Zauber zum Abschluß, den er gewirkt hatte. Die unmittelbare Wirkung war, daß sich Gromph der Magen umdrehte. Er rang mit einem zischenden Keuchen nach Luft und begann zu fallen. Er konnte keinen Levitationszauber verwenden – Dyrr hatte die Magie außer Kraft gesetzt, die ihn in der Luft hielt –, und Gromph fiel auf den rotierenden Fleck aus Tageslicht zu, der unter ihm lag. Da er Dyrr kannte, stand ihm wohl ein schlim meres Schicksal bevor, als einfach nur auf dem Boden des Klauengrabens aufzuschlagen. Es war ein Schicksal, das zu vermeiden Gromph alles getan hätte. Der Erzmagier streckte sich aus, indem er mehr gespeicherte Energie aus seinem Geist verbrauchte, als es normalerweise nötig gewesen wäre. Doch es war erforderlich, daß der Zauber schneller Wirkung zeigte, und er hatte keine Zeit für kompli zierte Beschwörungen. Der Effekt fühlte sich ebenso an, wie es sich angefühlt hatte, als Dyrr seine Levitationsmagie außer Kraft gesetzt hatte, aber statt nach unten zu fallen, stoppte Gromph und begann dann nach oben zu fallen. Die Quelle der Schwerkraft konnte mit ausreichend Magie verlegt werden. Gromph drehte sich in der Luft, während er beschleunigte
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und auf das Dach der Höhle zuraste, in der Menzoberranzan lag. Als der Leichnam sein Blickfeld kreuzte, sah Gromph, wie er enttäuscht eine Grimasse schnitt. Der Erzmagier ver schwendete keine Zeit mit Schadenfreude. Seine Brosche nützte ihm – vorerst – nichts. Gromph würde weiterhin nach oben auf die Quelle der Schwerkraft zufallen, bis er gegen die Decke prallte. Er würde selbst dafür sorgen müssen, daß er anhielt. Das Befehlswort, sendete Gromph telepathisch an die Meis ter Sorceres. Schnell. Den Stab, den er verwendet hatte, um sich mit der Kugel aus Schutzmagie zu umgeben, war mit mehr als nur einem einzigen Effekt aufgeladen worden. Er hatte ihn nie verwendet, aber der Stab würde ihm die gleiche Levitationsmagie verlei hen wie seine Brosche. Sshivex, teilte ihm Nauzhror mit. »Sshivex«, wiederholte Gromph und begann sofort, nach »oben« und von der Decke weg zu levitieren. Im Bruchteil einer Sekunde – ehe er an der Decke »lande te« – kam Gromph erneut in der Luft zum Halten. Der Fleck aus blendendem Sonnenlicht lag tief unter ihm. Das Licht machte es schwierig, aber schließlich gelang es Gromph, den Drowleichnam auszumachen, der langsam in beträchtlicher Entfernung von dem Tor dahinflog und einen weiteren Zauber wirkte. »Das war knapp, Dyrr«, rief Gromph aus. »Ihr habt fast ...« Die Worte blieben ihm im Hals stecken. Seine Sicht trübte sich. Sekundenlang konnte er nicht atmen. »Ihr h...«, begann Gromph erneut, aber die Worte wurden ihm abgeschnitten, als sich ihm der Hals zuschnürte. Tränen stiegen dem Erzmagier in die Augen, und eine Wel le überwältigender Verzweiflung durchströmte ihn, ließ seine
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Haut klamm werden und führte dazu, daß sich in seinem Kopf alles drehte. Es ist eine Verzauberung, teilte Grendan ihm mit. Er würde sterben. Gromph wußte das mit absoluter Sicher heit, aber was noch schlimmer war, war, daß Menzoberranzan bald nach ihm sterben würde. Von allem, was er in seinem Leben aufgebaut hatte, das er an den Schalthebeln der Macht verbracht hatte, blieb nun nichts mehr übrig. Menzoberranzan fraß sich bei lebendigem Leib selbst. Alles, was Gromph als Stärke angesehen hatte – bei sich selbst und bei seiner Rasse –, hatte sich als Schwäche herausgestellt. Ein Zwang, fügte Prath hinzu. Der Haß und das Mißtrauen, die Blutfehden und die Feind seligkeiten, all das rächte sich jetzt. Die einst so großartige Stadt der Spinnen zerstörte sich selbst, war belagert, verwildert und in Schutt und Asche gelegt worden, und ihre frühere Herrlichkeit war verkommen – eine Herrlichkeit, die mit je dem toten Drow mehr bewies, daß sie von Anfang an eine Lüge gewesen war. Kämpft dagegen an, Erzmagier, drängte Nauzhror. Lolth war tot, und Gromph würde bald auch tot sein. Lolth war tot, und das Haus Baenre auch. Genau wie Sorcere. Genau wie Menzoberranzan. Es hatte alles zu nichts geführt, so wie er selbst nichts erreicht hatte. Erzmagier ..., drängte Nauzhror. Gromphs Leib erschauderte unter einem fremden Gefühl: einem Schluchzen. Er rieb sich mit dem Handrücken die Au gen und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, aber es kamen noch mehr. Durch die Tränen sah er, daß Dyrr sich bewegt hatte und nun über ihm schwebte. »Das war’s, Baenre«, sagte der Drowleichnam. »Klagt. Weint um das gefallene Menzoberranzan. Weint um Haus Baenre.«
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Weinen? dachte Gromph. Ich? »Langsam«, sagte Dyrr, seine Stimme eine sanfte Liebko sung auf Gromphs gramzerfurchter Stirn. »Hört auf.« Nein. Die Stimme in Gromphs Kopf war so laut, daß sie fast brüllte. Gromph hatte nicht bemerkt, daß er sich bewegte – lang sam trieb er mit Hilfe der Levitationsmagie nach »unten« auf die Decke zu, weg von dem grellen Licht, das aus Dyrrs Tor strömte. Der Erzmagier verlangsamte seinen Sinkflug und kam zum Halten. Nun hing er nur wenige Schritte von den zacki gen Stalaktiten entfernt da, die von der Decke hingen wie Fangzähne, die bereit waren, den Hals des mächtigen Menzo berranzan zu durchbohren, bereit, sie alle für ihre Schwäche zu bestrafen. »Da ...«, murmelte der Drowleichnam, und seine Stimme ließ Gromph einen kalten Schauer über den Rücken laufen. »Da ...« Der Leichnam hielt etwas. Wie hatte er so nahe herankommen können? Erzmagier, fragte die Stimme in seinem Kopf, soll ich Euch helfen kommen? Nein, antwortete er in Gedanken. Gromph versuchte zurückzuweichen, aber der Drowleich nam berührte ihn mit einem langen, dünnen Zauberstab aus Silber mit Einlegearbeiten aus Edelsteinen. Die Berührung damit führte dazu, daß eine Welle blendender Agonie durch den Körper des Erzmagiers schoß. Jeder Muskel spannte sich, Gelenke knackten, und der Magier biß gegen den Schmerz die Zähne zusammen. Seine Augen tränten noch mehr, und Gromph spürte, wie Tränen über seine kribbelnden schwarzen Wangen liefen. Er wandte sich von dem Leichnam ab, indem er sich in der Luft herumdrehte, und wandte sich nach unten, dem Tor zu.
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Seine Augen schlossen sich durch das Licht, aber er blinzelte, um sie wieder zu öffnen, und sah einen kurzen Augenblick lang eine Silhouette: Dyrr als Schatten gegen das Sonnenlicht. Der Drowleichnam befand sich unter ihm, aber er hatte sich eben noch über ihm befunden. Gromph war nicht sicher, was er sah. Dyrr hatte ihn getäuscht, oder er hatte die Orientierung verlo ren ... oder er starb. Sterbe ich? dachte Gromph. »Sterbe ich?« sagte er laut und hielt sich dann mit einer Hand Augen und Mund zu. Nein, Erzmagier, sagte die Stimme in seinem Kopf. Ihr steht unter dem Einfluß eines mächtigen Zaubers. Da verlor Gromph die Erinnerung an jeden Plan, an jede Entschlossenheit, an jedes Zielbewußtsein seines Lebens, zu dem er verdammt gewesen war und das nun in Trümmern lag. Er wollte fort. Er mußte fortlaufen, aber er war noch immer der Erzmagier Menzoberranzans, also wirkte er einen Zauber, der ihn ein wenig schneller ein wenig weiter weg bringen würde. Mit wenigen Worten und Gesten, die er so oft wiederholt hatte, daß es ihm selbst in seinem verwirrten, verzweifelten Geisteszustand gelang, sie richtig auszuführen, wirkte Gromph Magie, um damit eine Dimensionstür zu öffnen – einen Spalt in Raum und Zeit. Gromph bewegte sich mit Levitationsmagie darauf zu, aber etwas traf ihn hart. Dyrr. Der Drowleichnam hatte seinen Zauberstab weggesteckt. Die dünne magische Waffe verursach te physischen Schaden und Schmerz, aber sie verursachte keinen Aufprall – nicht so. Der Atem wurde Gromph erneut aus den Lungen getrieben, und er fand sich in der Luft wieder, wo er herumgewirbelt wurde. Das Licht aus dem Tor wurde immer heller, und Gromph nahm nur entfernt wahr, daß er sich darauf zubewegte. Der
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Schmerz war überall, noch immer brannte die Stelle, an der er mit dem Zauberstab berührt worden war, und dazu kam, was auch immer es war, das ihn getroffen hatte und auf das Licht zufallen ließ. Der Schmerz verwandelte sich in Taubheit, dann war er fort, und Gromph holte schaudernd tief Luft. Der Ring, dachte er. Ich habe einen Ring, der ... Ja, Erzmagier, sagte die Stimme, der Ring. Er wird Euch am Leben halten, aber nicht für immer. Gromph schloß wieder die Augen und sorgte dafür, daß sein Leib sich entspannte. Der Ring, den er in Sorcere angesteckt hatte, bevor er am Klauengraben auf Dyrr getroffen war, würde seine Verletzungen heilen: gebrochene Knochen wieder zu sammenwachsen, Schnitte verheilen und sogar abgetrennte Gliedmaßen nachwachsen lassen. Er erinnerte sich, daß er den Ring übergestreift hatte, aber konnte sich um alles in der Welt nicht daran erinnern, warum. Was sollte denn bloß der Sinn sein? Zu leben? In den Trümmern eines Menzoberranzan zu leben, das von dem verräterischen Dyrr und einer Armee aus stinkenden Duergar beherrscht wurde? Gromph berührte den Ring, ergriff ihn mit der anderen Hand und wollte ihn sich gerade vom Finger reißen, damit er starb, als er sah, wie der Drowleichnam gackernd auf ihn he rabstieß. Er lachte ihn aus. »Nehmt ihn ab«, kicherte Dyrr. »Er hilft bei Verbrennun gen ohnehin nicht.« Erzmagier! brüllte eine andere Stimme in seinem Kopf. Der Leichnam zwinkerte und machte mit Kopf und Schul tern eine ruckartige Bewegung nach vorne. Aus der grotesken Krone auf seinem Kopf kam ein winziger Ball aus wallendem orangefarbenem Licht. Er trudelte durch die Luft, getragen von einer Art Welle, und kam in einer langen, gebogenen Flug bahn auf Gromph zu.
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Euer Feuerball, warnte die Stimme. »Mein Feuerball ...«, flüsterte der Erzmagier, als er sich ins tinktiv zu einer Fötuslage einrollte, indem er seinen Körper um seinen Stab krümmte und die Augen fest schloß. Selbst mit geschlossenen Augen brannte der Schein des heißen, orangefarbenen Lichtes auf seiner Netzhaut. Der Feu erball wärmte seine Haut, verbrannte ihn aber nicht. Natür lich hatten er und die anderen Meister Sorceres daran gedacht, ihn gegen Feuer zu schützen. »Etwas länger ...«, murmelte der Erzmagier. »Gromph«, spie der Drowleichnam. »Ihr lebt!« »Im Augenblick ja«, war die zitternde, gemurmelte Antwort des Erzmagiers. Dyrr wartete nicht, bis Gromph sich näher erklärte. Er be gann, einen weiteren Zauber zu wirken. Der Feuerball hatte Gromphs Konzentration auf den Levita tionseffekt unterbrochen, und ein weiteres Mal drehte sich ihm der Magen um, als er zu fallen begann. Die Schwerkraft war noch immer umgekehrt, und so führte ihn sein Sturz vom Tor fort, auf die Decke zu. Während Dyrr seinen Zauber beendete, begann Gromph seinerseits damit, in seinem Kopf die vielen Gründe aufzulis ten, warum er sich gegen die Decke fallen lassen sollte, um zu sterben. Bevor der geplagte Erzmagier einen Entschluß fassen konn te, kamen plötzlich gezackte, halbgeschmolzene Felssplitter aus dem Nichts, die mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit auf den fallenden Gromph zurasten. Es gab zu viele davon, als daß man sie hätte zählen können, und Gromph, der etwas über seine verlorene Stellung und das düstere Schicksal seines Hau ses vor sich hinmurmelte, machte sich nicht die Mühe, es zu versuchen.
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Als die Meteore den Bereich erreichten, in dem Gromph die Schwerkraft beeinflußt hatte, änderte sich ihr Kurs radikal. Sie flogen in alle Richtungen, zerstreuten sich, sanken, be schrieben Bögen und kollidierten miteinander, und einige flogen gar zu Dyrr zurück. Eines der brennenden Geschosse streifte Gromph und sorgte dafür, daß er sich im Fallen drehte. Schmerz flammte in seiner Seite auf, und ohne nachzudenken, wirkte er einen Zauber. Nach nur wenigen Worten und einer schnellen Geste zog sich Gromphs Haut zusammen, dehnte sich – schmerzhaft – und nahm den Schimmer und die Härte kalten schwarzen Eisens an. Sehr gut, Meister, sagte die Stimme ... es war Nauzhror. Gromph beobachtete, wie einer der Meteore auf ihn zukam. Er hätte sich drehen können, so daß er aus der Schußlinie geriet, aber es war ihm egal, ob er getroffen wurde. Der Fels brocken traf ihn direkt gegen die Brust, explodierte in einem Schauer orangegelber Funken und sorgte dafür, daß ohrenbe täubendes Scheppern von ihm ausging. Er begann, sich in eine andere Richtung zu drehen und sich zu fragen, warum er nicht gegen die Decke geprallt war. Als er herumwirbelte, sah er, wie Dyrr durch ein dunkles Loch im Himmel schlüpfte, das von einem purpurroten Licht umgeben war, das wie Feenfeuer aussah. Der Drowleichnam verschwand durch eine Dimensi onstür, um den Meteoren auszuweichen, die torkelnd zu ihm zurückgeflogen kamen. Sich drehend und fallend sah Gromph die gezackte, von Stalagmiten überzogene Decke auf sich zurasen, immer näher – nur noch wenige Zoll von der Vergessenheit, von der süßen Erlösung des Todes entfernt – – und die Wirkung des Zaubers endete. Schließlich hatte Gromph daraus keinen dauerhaften Zau ber gemacht. Die Schwerkraft nahm wieder ihren normalen
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Platz ein, und einmal mehr hing Gromph eine Sekunde lang – vielleicht auch weniger – in der Luft. Sein Magen fühlte sich an, als rotiere er in seinem Bauch. Er fing erneut an zu fallen, aber auf den Boden zu – auf den Klauengraben zu, auf das Licht zu, auf das Tor zu, auf den Ort zu, an den Dyrr ihn schicken wollte, wo auch immer er lag. Es war Gromph egal. Dann würde er eben dorthin gelangen. Er wäre überall hingegangen, solange er nur aus Menzoberran zan herauskam, wo jeder Stein, jeder Stalaktit und Stalagmit, jedes Leuchten von Feenfeuer ihn an sein Versagen und seine Verzweiflung erinnerte. Erzmagier, sagte Nauzhror. Gromph ... nein. Gromph schloß die Augen, um sie vor dem blendenden Licht zu schützen, und fiel durch das Tor. Blinzelnd und nur vage imstande, das Spiel von Licht und Schatten zu erkennen sah er, wie sich das Tor hinter ihm schloß. Er war eingehüllt, eingeschlossen in grelles Licht. Er schlug hart genug auf dem Boden auf, um sich ein Bein zu brechen, mehr als nur ein paar Rippen, seinen linken Arm und fast auch sein Genick. Zitternd vor Schmerz und Schock und geblendet von dem gnadenlosen Sonnenlicht lag Gromph zusammengesackt auf einer Unterlage, die sich anfühlte, als sei sie aus irgendeiner Art von Moos. Das Blut dröhnte ihm in den Ohren, die noch immer von dem Heulen der Meteore und dem Brausen des Windes klingelten. Etwas in seiner Brust knackte, und sein Bein streckte sich zuckend aus, wodurch er auf den Rücken rollte. Gromph legte eine Hand auf sein Gesicht und bemerkte, daß sein gebrochener Arm seinen Befehlen gehorchte und dabei nur wenig schmerzte. Sein Bein war taub und kribbelte, und er spürte tatsächlich, wie seine Rippen sich an ihren ange stammten Platz zurückschoben.
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Der Ring, dachte er. Fast hätte er gelacht. Schließlich war es seine eigene Schuld, denn er hatte darauf bestanden, den verfluchten Ring zu tragen. Er hatte sein Leben retten wollen, als er ihn ange steckt hatte, und es war ihm zu dieser Zeit nicht in den Sinn gekommen, daß alles, was der Ring schließlich tun würde, war, ihn am Leben zu halten, egal, in welche grelle Hölle Dyrr ihn auch verbannt hatte. Gromph blinzelte, öffnete die Augen und stellte fest, daß er tatsächlich sehen konnte. Das Licht war noch immer unange nehm hell, aber etwas hatte sich zwischen den hellsten Teil davon und ihn selbst geschoben. Der Erzmagier zwinkerte noch einmal, rieb sich die Augen und rappelte sich mühsam in eine sitzende Position hoch. Sein Gesicht war noch immer tränennaß, und er atmete schwer – keuchte wie ein Sklave bei harter Arbeit. »Seid Ihr keerjaan?« fragte eine Stimme. Gromph streckte eine Hand aus, um die Stimme abzuweh ren, und zwinkerte noch einige Male. Schlagartig wurde ihm klar, daß das Ding, das sich zwischen ihn und die Sonne geschoben hatte, ein Lebewesen war und daß es mit ihm sprach. »Ob ich ...?« setzte der Erzmagier zu einer Erwiderung an. Er hielt inne, rieb sich die Augen und konzentrierte sich auf einen Zauber, den er schon vor langer Zeit dauerhaft gemacht hatte. Es war ein Zauber, der es ihm gestattete, jede andere Person zu verstehen und von ihr verstanden zu werden. »Geht es Euch gut?« fragte das fremde Wesen, und Gromph verstand. Er blickte auf und sah, daß er von winzigen, drow-ähnlichen Kreaturen umgeben war – drow-ähnlich in der Hinsicht, daß sie ungefähr die gleiche Gestalt hatten, mit zwei Armen, zwei
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Beinen und einem Kopf. Damit endete die Ähnlichkeit. Die Kreaturen, die um ihn herumstanden, besaßen eine blasse Haut, die beinahe rosa aussah. Ihr Haar war lockig und von einem unansehnlichen braunorangen Farbton. Ihre Haut war mit winzigen braunen Punkten gesprenkelt. In ihren Gesich tern war ein äußerst kindlicher Ausdruck von entzückter Neu gierde zu erkennen. Sie schwebten im Kreis um ihn herum, ein gutes Stück über dem von Pflanzen bedeckten Boden, in der Luft gehalten von je einem Paar Flügel aus kurzen Federn in intensiv leuchtenden Farben. Die meisten von ihnen waren nackt, obwohl einige von ihnen auch Roben aus fließender weißer Seide trugen, und ein paar waren in Kniehosen und feine Seidenblusen gekleidet. Sie waren nicht mehr als neunzig Zentimeter groß. »Bei der heulenden Weite des Abyss, Dyrr«, murmelte Gromph, indem er die Beine unter den Körper zog und sein Gesicht in die Hände stützte, »wohin hast du mich nur fallen lassen?« Worte begannen in seinem Kopf hervorzusprudeln wie plat zende Seifenblasen: Halblinge. Zauber. Schreckliche ... Schreckliche Verzweiflung. »Sei verdammt«, hauchte Gromph, während sich sein Kör per entspannte, seine Tränen trockneten und seine Stimmung sich wie durch Zauberhand hob. Es war keine Magie, die sie hob, das wurde ihm nun klar. Es war Magie, die sie hatte sinken lassen. »Guter Spielzug, Verräter«, sagte Gromph und blickte hin auf in den hellen, blauen Himmel der ... wo war er? An der Oberfläche?
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»Mit wem redet Ihr?« fragte einer der geflügelten Halblinge, indem er den Kopf zur Seite neigte wie eine verwirrte Lastech se. »Wo bin ich?« fragte Gromph die Kreatur. Ohne die Antwort abzuwarten, stand der Erzmagier auf und streifte Ruß, Staub und Teile der seltsamen, nadelartigen Pflanzenwelt von seinem Piwafwi ab. Er stützte sich auf seinen Stab, aber dank des Rings fühlte er sich bei jedem Atemzug kräftiger. »Ihr wißt nicht, wo Ihr seid?« fragte einer der geflügelten Halblinge – ein weiblicher. »Sag mir, wo ich bin, oder ich werde dich töten und jemand anderen fragen«, knurrte Gromph. Die Halblinge reagierten, vielleicht mit Angst – Gromph war nicht sicher. Sie bewegten sich auf und ab und zitterten. »Seid Ihr ein Cambion?« fragte einer von ihnen. »Ich bin ein Drow«, erwiderte Gromph, »und ich habe eine Frage gestellt.« Die geflügelten Halblinge blickten einander an. Einige lä chelten, einige nickten – einige lächelten und nickten. »Wie seid Ihr hierhergekommen?« fragte die Frau. »Ich habe eine Frage gestellt«, wiederholte Gromph. Die Frau lächelte, und Gromph mußte blinzeln, weil ihre perfekten Zähne von einem so strahlenden Weiß waren. »Wie konntet Ihr aus ... woher kommt Ihr?« sagte einer der Männer. »Aus Menzoberranzan«, antwortete Gromph. »Wo ist das?« fragte ein anderer Mann. »Im Unterreich«, sagte Gromph, dessen Verzweiflung ver schwunden und durch brennende Ungeduld ersetzt worden war. »Faerûn ... Toril?« »Faerûn«, keuchte einer der Männer. »Ich komme von dort.
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Von Luiren. Faerûn ist ein Kontinent, Toril ist eine Welt. Auf der Materiellen Ebene.« Die anderen geflügelten Halblinge nickten und zuckten die Achseln. »Also«, wiederholte der, der zuvor die Frage gestellt hatte, »wie kommt es, daß Ihr aus Menzoberranzan, dem Unterreich, Faerûn, Toril hierher gelangen konntet und nicht wißt, wo Ihr seid?« »Ihr seid nicht einmal mehr auf der Materiellen Ebene, Drow«, sagte der Halbling, der behauptet hatte, aus Faerûn zu kommen. Gromph sah, wie sich Verachtung in den glänzenden braunen Knopfaugen des Halblings zu zeigen begann. »Ihr seid auf die Grünen Feldern gekommen, und Ihr gehört nicht hier her.« »Stimmt«, meinte Gromph. »Ich bleibe auch nicht.« Gromph blickte über die weite Landschaft aus sanft wogen den Hügeln, die mit einer Decke winziger grüner, nadelartiger Pflanzen bedeckt und vereinzelt mit Blüten in den Farben des Regen-bogens durchsetzt war, die aussahen wie zarte, hauch dünne Pilze, und verfiel fast wieder in Verzweiflung. Dyrr hatte ihn weit fortgeschickt – auf eine völlig andere Existenzebene. »Die Grünen Felder«, wiederholte Gromph. »Der Himmel der Halblinge ...« Nauzhror, sendete er den Namen hinaus ins Netz. Grendan? Hörst du mich? Nichts geschah. Gromph seufzte. Er würde eine Weile brauchen, um nach Hause zu gelangen.
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»Oh, warum denn bloß so ein langes Gesicht?« schnurrte Aliisza. Ihre Hand glitt an Pharauns Taille entlang, kitzelte ihn, er aber regte sich nicht. Sie lächelte und schlang den Arm um ihn, ließ ihre Hand auf seinen Rücken gleiten und rückte im mer näher an ihn heran, bis ihr Körper sich gegen seinen preß te. Sie war warm – fast heiß, und sie roch gut und fühlte sich noch besser an. »Deine Reise beginnt gerade erst«, flüsterte das AluScheusal ihm ins Ohr. Ihr Atem war so heiß, daß er fast die Seite seines Halses versengte. »Ich beneide dich fast um das, was du sehen wirst, die Dinge, die du erfahren wirst. Du wirst bald Lolth nahe sein.« »Wird mir gefallen, was ich sehe?« fragte er. »Wird die Er fahrung erfüllend sein? Wird Lolth zu mir sprechen?«
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Alüsza versteifte sich, aber nur eine Sekunde lang, dann schlang sie ein Bein um ihn und schmiegte sich an ihn. Die Macht ihrer Umarmung sorgte dafür, daß sie ein Stück empor stiegen. Pharaun warf einen kurzen Blick auf das Chaosschiff und seine Weggefährten, die sich mindestens dreißig Meter unter ihnen befanden und nichts von ihrer Anwesenheit dort oben wußten. »All das sind Dinge, die du alleine herausfinden mußt«, sag te sie. »Wie kannst du dann sicher sein, daß es etwas sein wird, worum du mich beneiden mußt?« fragte er in spielerischem Tonfall, aber mit gezwungener Stimme, indem er ihr wieder seine Aufmerksamkeit zuwandte. »Ich beneide dich um die Überraschungen«, antwortete sie mit einem Zwinkern. »Warst du schon dort?« »Im Abyss?« fragte Aliisza. »Schon lange nicht mehr.« »Und im Abgrund der Dämonennetze?« Das Alu-Scheusal zog sich weit genug zurück, um ihm in die Augen zu sehen, lächelte und sagte: »Ich war noch nie im Abgrund der Dämonennetze. Du?« Pharaun schüttelte den Kopf. Er konnte ihr antworten, aber nicht, wenn sie ihn ansah. Er beugte sich zu ihr, und sie drück te ihn enger an sich. »Ich glaube, ich war zweimal da«, sagte er in die sanfte Wärme ihres langen Halses. »Du glaubst?« »Es ist lange her«, erwiderte Pharaun, »und es könnte auch ein Traum gewesen sein. Da war das letzte Mal, als wir alle in Astralform dort waren, aber ich dachte, du wärst vielleicht schon einmal physisch dort gewesen. Du bist eine Dämonin. Du kannst hingelangen und ...«
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Pharaun hielt inne. Er war nicht sicher, was er zu sagen ver suchte. »Warst du schon einmal in Menzoberranzan?« fragte er. Aliisza versteifte sich erneut, diesmal etwas länger, und da wußte er, daß sie dagewesen war. »Wird es noch eine Stadt geben, in die wir zurückkehren können?« fragte er. Aliisza zuckte die Achseln. Pharaun spürte die Geste an seinem Körper. »Antworte mir«, drängte er. »Ja«, sagte sie, »oder nein. Es hängt alles davon ab, was ihr im Abyss findet und wie bald Kaanyr Vhok und seine neuen Freunde in der Lage sind, deine Muttermatrone zugrunde zu richten.« Pharaun merkte, daß er lachte. Er war schon wieder müde. Irgendwie zehrte der Schattensee an seinen Kräften. »Ehrlich, Pharaun«, sagte sie, »du stellst mir Fragen, als sei ich irgendeine Wahrsagerin oder ein Orakel ... oder eine Göt tin. Ich weiß nicht, was mit dir und deinen Freundinnen und Freunden geschehen wird. Niemand kann in allen Einzelhei ten voraussagen, was im Chaos des Abyss passieren wird, nicht einmal eure Spinnenkönigin, glaube ich.« Pharaun sah ihr in die Augen und entschloß sich, die Din ge, die ihm in den Sinn kamen, nicht auszusprechen. »Hast du über mein Mitkommen nachgedacht?« fragte A liisza. »Warum solltest du mir helfen, das Schiff zu steuern?« frag te er sie, indem er sie sanft von sich wegschob. »Wir vergnü gen uns zusammen, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß du mich bittest, dir zu vertrauen. Ich brauche eine Antwort.« Aliisza leistete spielerisch Widerstand und schnalzte mit der Zungenspitze gegen seine Wange.
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»Du bist hübsch«, neckte sie. »Nicht so hübsch wie du«, sagte Pharaun. »Antworte mir. Warum solltest du mir helfen, Lolth zu finden und gleichzeitig Vhok und den Duergar helfen, Menzoberranzan zu belagern? Du bist die Feindin – oder zumindest die Gespielin des Feindes – der Stadt, die ich mein Heim nenne. Man könnte versucht sein, sich für eine Seite zu entscheiden.« »Warum denn?« fragte sie. »Wenn ich mit dir zusammen bin, bist du der, den ich am liebsten mag. Wenn ich mit Kaa nyr Vhok zusammen bin, bedeutet er mir alles. So oder so amüsiere ich mich.« Pharaun stellte erneut fest, daß er lachte. »Ich nehme an, das ist die beste Antwort, die ich von dir je bekommen werde«, meinte er, »oder von irgendeiner anderen Tanar’ri.« Aliisza zwinkerte ihm erneut zu. Während Pharaun mit seinen Händen ihren herrlichen Körper erkundete, sagte er: »Wir sollten mit unserem Unter richt beginnen. Quenthel und die anderen brennen darauf, sich auf den Weg zu machen.« Aliisza reagierte mit einem Seufzen auf seine Berührung und antwortete: »Wann immer du willst, Geliebter. Weißt du, wie man von hier aus dort hingelangt?« »Durch die Schattenebene«, antwortete er. Das Alu-Scheusal nickte und sagte: »Von hier aus zur Ebe ne der zahllosen Portale – dem Eingang zum Abyss. Dort müßt ihr den richtigen Eingang finden. Der Ort, nach dem ihr sucht – der Abgrund der Dämonennetze –, ist die sechsundsechzigste Ebene. Dort gibt es Hüter und verlorene Seelen und Dinge, die vielleicht selbst du dir nicht vorstellen kannst. Vielleicht ge fällt dir der Abyss, vielleicht auch nicht. So oder so wird er dich verändern.«
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Pharaun seufzte. Sie hatte wohl recht. Er wollte wirklich nicht dorthin.
Wer ist dafür verantwortlich? fragte Quenthel. Oh, Herrin, antwortete K’Sothra. Von den fünf Vipern in ihrer Peitsche war K’Sothra die mit der geringsten Intelligenz, aber Quenthel hörte dennoch zu. Herrin, Ihr wart es. Ihr seid verantwortlich. Es ist alles Eure Schuld. Quenthel schloß die Augen. Ihre Gesichtshaut spannte wie zu straff über den Schädel gezogen. Ihr Kopf schmerzte. Sie berührte die Viper unmittelbar unterhalb des Kopfes, und K’Sothra wand sich spielerisch unter der Berührung. War es wirklich meine Schuld? fragte Quenthel. Kann das sein? Sie zog den Finger von K’Sothra fort, fand die nächste Viper und nahm ihren Kopf zwischen zwei Finger. Ich kam zurück, als sie mich zurückschickte, und ich diente ihr, so gut ich konnte, teilte Quenthel den fünf Schlangen telepa thisch mit. Ich wurde die Herrin Arach-Tiniliths, und die Anbe tung Lolths war niemals stärker. Hat sie mich nicht deshalb zurück geschickt? Sie erhielt keine Antwort.
Was wird aus uns allen werden? fragte sie Zinda.
Die schwarzrot gesprenkelte Schlange zuckte, züngelte in
Quenthels Richtung und sagte: Das liegt in Eurer Verantwor tung, Herrin. Was geschieht, weil Ihr Lolth von uns fortgebracht habt, wird reingewaschen sein, wenn Ihr sie zurückbringt. Wenn Ihr ihre Gunst wiedergewinnen könnt, wird sie uns alle retten. Wenn nicht, werden wir vernichtet werden. Quenthel spürte, wie sie körperlich unter dem Gewicht die ser Worte zusammenbrach. Auch wenn sie sich ungeheuer anstrengte, all ihre Erfahrung und ihre natürliche Kraft zu
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sammenzunehmen, war sie nicht imstande, aufrecht zu sitzen. Was am schwersten auf ihr lastete, war das Gefühl, daß die Vipern recht hatten. Es war ihre Schuld, und sie war die einzi ge, die die Situation wieder in Ordnung bringen konnte. Wann wird Lolth antworten? fragte Quenthel, indem sie ihre Finger zu Qorra weiterbewegte. Die dritte Viper hatte das stärkste Gift. Quenthel ließ sie nur zubeißen, wenn sie töten wollte, wenn sie nicht die ge ringste Gnade zeigen wollte. Nie, zischte Qorra im Kopf der Priesterin. Lolth wird niemals antworten. Menzoberranzan, Arach-Tinilith und Eure gesamte Zivilisation sind ohne sie dem Untergang geweiht, und sie kommt nie zurück. In Quenthels Kopf drehte sich alles. Sie saß auf dem Deck des Schiffs, aber dennoch fühlte sie sich, als stünde sie kurz davoi, vornüberzufallen. Das entspricht nicht notwendigerweise der Wahrheit, sagte Yn goth. Quenthel war mehr und mehr von Yngoths grenzenloser Weisheit abhängig geworden. Es war seine Stimme, die sie üblicherweise wieder beruhigte, und für Quenthel hörte er sich fast wie ein Drow an. Warum wurde ich zurückgeschickt? fragte sie. Deshalb? Um sie zu finden? Als Ihr zurückgeschickt wurdet, antwortete die Viper, wurde Lolth nicht gesucht. Dachtet Ihr nicht die ganze Zeit, Ihr wäret zurückgeschickt worden, um an der Spitze Arach-Tiniliths zu ste hen? Um diese Position für das Haus Baenre einzunehmen und den Glauben an Lolth zu bewahren und Lolths Günstlinge im Machtge füge Menzoberranzans zu halten? Nun bin ich mir nicht mehr sicher, gab die Herrin der Akade mie zu.
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Dafür wurdet Ihr zurückgeschickt, sagte Yngoth. Natürlich. Ihr wurdet zurückgeschickt, um die Herrin Arach-Tiniliths zu werden, damit Ihr diejenige sein würdet, die geschickt wird, um Lolth zu fin den, wenn die Göttin sich entschied, sich abzuwenden. Ihr solltet die Retterin Menzoberranzans und vielleicht gar die Retterin Lolth selbst sein. Bei diesen Worten sackte Quenthel noch etwas mehr zu sammen. Wie kannst du dir dessen sicher sein? fragte sie. Ich bin nicht sicher, erwiderte Yngoth, aber es klingt vernünf tig. Quenthel seufzte. Es war die ganze Zeit Lolths Plan, daß ich dorthin zurückkehre, fragte Quenthel, um sie zu finden? Wie soll ich das machen? Geht zuerst in den Abyss, erwiderte Hsiv. Die letzte ihrer Vi pern zögerte nie, ihrer Herrin einen Rat zu geben. Geht zuerst dorthin, und Ihr werdet von Lolth selbst zu Lolth geleitet werden. Ihr werdet wissen, was zu tun ist. Woher weißt du das? fragte Quenthel. Ich weiß es nicht, erwiderte Hsiv, aber habt Ihr eine Wahl? Quenthel schüttelte den Kopf. Sie hatte schon sehr lange keine Wahl mehr.
Valas Hune sah sich um und blickte die verwilderten Drow an, aus denen sich die Expedition zum Abyss zusammensetzte. Sie sahen nicht gut aus. Abgesehen von Danifae, die mehr Energie besaß, als Valas je gesehen hatte, und durch ihre Reise nach Sschindylryn wie verwandelt war, waren sie müde, unorgani siert, launisch und unkonzentriert. »Darf ich eine Frage stellen?« Nur Danifae sah ihn an. Quenthel befand sich in ihrer ei
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genen Welt, tief in ihre offenbar beunruhigenden Gedanken versunken. Der Draegloth lief hin und her und schmollte bei nahe, wenn so etwas überhaupt möglich war bei einem Wesen, das zur Hälfte Drow und zur anderen Hälfte Dämon war. Der Magier war nirgends zu sehen. »Wohin ist Pharaun verschwunden?« fragte der Späher. Danifae deutete nach oben, und Valas folgte ihrem Finger mit den Augen, um zu sehen, wie Pharaun langsam aus der Finsternis herabsank, die über ihnen herrschte. »Mach dir keine Sorgen, Späher«, sagte der Magier, als er sich schließlich auf dem Deck niederließ, »ich würde nicht im Traum daran denken, diese großartige Expedition zu verlassen, mit der wir unsere mächtige Zivilisation vor der drohenden Vernichtung retten werden. Wir sind beinahe bereit, damit zu beginnen, auch wenn es noch einiges gibt, was ich tun muß.« Valas unterdrückte ein Seufzen. Die endlosen Verzögerun gen zermürbten sie alle – insbesondere, wenn sie von einer ungenügenden oder überhaupt keiner Erklärung begleitet wur den. »Ihr haltet uns absichtlich auf«, sagte der Draegloth, womit er aussprach, was Valas dachte – und was die anderen wahr scheinlich ebenfalls dachten. »Ihr wollt Euch überhaupt nicht aufmachen.« Der Meister Sorceres drehte sich zu dem Draegloth um und hob eine Augenbraue. »Tatsächlich?« meinte Pharaun. »Nun, in diesem Fall kannst du vielleicht den dritten Resonator des Blutruders auf die Ebenenfrequenz des Schattensaums einstellen.« Es entstand eine Pause, während derer ihn der Draegloth mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Nein?« fuhr Pharaun fort. »Dachte ich’s doch. Das bedeu tet, daß du mich beenden lassen mußt, was ich beenden muß.«
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Der Magier blickte in die Runde, und Valas zuckte die Ach seln und begegnete lässig seinem Blick. »Das hier ist nicht irgendein Floß aus Pilzstengeln«, sagte Pharaun zu ihnen allen, »mit dem wir auf dem Donigartensee herumplanschen. Falls ihr es nicht bemerkt haben solltet: Dieses Schiff lebt. Es ist ein Geschöpf aus reinem Chaos. Es ist intelligent. Es besitzt die natürliche Fähigkeit, zwischen den Ebenenwänden von einer Realität zur anderen zu wechseln. So etwas rudert man nicht einfach. Ihr müßt es zu einem Teil von euch machen und euch im Gegenzug zu einem Teil davon machen.« Er machte eine Kunstpause und fuhr dann fort: »Ich bin willens, das zu tun – der Expedition zuliebe und auch aus reiner Neugierde. Es ist eine einzigartige Möglichkeit, unvorstellbar seltene Magie zu erforschen. Ihr dürft nicht vergessen, daß wir, wenn ich es nicht richtig mache, möglicherweise niemals aus diesem See herauskommen. Schlimmer noch, wir könnten plötzlich feststellen, daß wir in der Schattenebene verschwun den oder für immer im endlosen Abyss verloren sind.« Der Meister Sorceres sah sich um, als warte er auf einen Einwand. Es folgte keiner – nicht einmal von Jeggred, aber er sprach dennoch weiter: »Diesmal wird es anders sein – der Abyss, die Reise dorthin, alles. Letztes Mal wurden wir über die Astralebene projiziert. Wir waren dort Geistwesen. Dies mal werden wir tatsächlich dort sein. Wenn wir im Abyss ster ben, werden wir nicht automatisch in unsere Körper zurück kehren. Es wird keine silberne Rettungsleine geben. Wir werden leibhaftig dort sein, und wenn wir sterben ...« Valas Hune fragte sich, warum der Magier innehielt. Viel leicht wußte Pharaun nicht, was passieren würde, wenn sie sterben sollten. Wenn man im eigenen Leben nach dem Tode stirbt, gibt es dann einen Tod nach dem Tode? Darüber nach
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zudenken, begann Valas Hune quälende Kopfschmerzen zu bereiten. »War schon irgend jemand von euch im Abyss?« fragte Pharaun. »Ich meine, war schon jemand wirklich, körperlich dort? Du, Jeggred?« Der Draegloth antwortete nicht, aber sein glühender Blick reichte als Antwort. Niemand war je dort gewesen, niemand wußte ... »Ich«, sagte Quenthel. Der plötzliche Klang ihrer Stimme erschreckte Valas fast. »Ich war dort als Geistwesen, als Besu cherin und als ...« Danifae machte ein paar Schritte auf Quenthel zu und sank ein halbes Dutzend Schritte vor ihr auf die Knie. »Was, Herrin?« fragte die Kriegsgefangene. »Ich starb«, sagte Quenthel, wobei ihre Stimme klang, als komme sie aus weiter Ferne. Ihre Vipern wurden zunehmend aufgeregter, als sie fortfuhr. »Meine Seele ging zu Lolth. Ich diente der Göttin für ein Jahrzehnt, dann schickte sie mich zurück.« Valas lief es eiskalt über den Rücken, und er bemerkte, wie er langsam vor Quenthel zurückwich. »Warum?« fragte Pharaun mit skeptischem Gesichtsaus druck. Die Herrin Arach-Tiniliths drehte sich um und starrte ihn mit einem düsteren, kalten Blick an. »Ich glaube, er meint«, fuhr Danifae an Pharauns Stelle fort, »warum Ihr zurückgeschickt wurdet.« »Ich habe noch niemals etwas davon gehört«, fügte der Meister Sorceres hinzu. »Es wurde«, antwortete Quenthel, »aus vielen Gründen ge heimgehalten. Da gab es Umstände, meinen Tod und die Per son, die mich tötete betreffend, die mein Haus in eine peinli
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che Lage hätten bringen können. Es ist keine einfache Sache, eine Position wie die, die ich innehabe, zu erreichen. Tatsäch lich gibt es nirgendwo eine andere Position wie die, die ich innehabe ... zumindest nicht in Menzoberranzan. Das Haus Baenre war nicht darauf vorbereitet, diese Position einem anderen Haus zuzugestehen. Zehn Jahre lang war ich einfach ›auf Studienreise‹ oder es wurden andere Entschuldigungen gefunden, die zwischen absurd und schlau wechselten. Schließ lich kehrte ich zurück, dann geschahen gewisse Dinge, und ich wurde zur Herrin der Akademie erhoben.« »Nun aber befindet Ihr Euch auf dem Weg dorthin zurück«, sagte Danifae mit ernster, gedämpfter Stimme. »Es ist, als habe jemand Pläne mit Euch«, sagte Pharaun. Niemand antwortete ihm. Valas ging zu den Taschen zurück und beendete das Sortieren der Vorräte.
Danifae erhob sich langsam. Quenthel sah sie nicht an, aber aus ihrer Körpersprache war deutlich zu ersehen, daß die Ho hepriesterin ihre Rede beendet hatte. Danifae durchdachte die Enthüllung schnell, aber gründ lich. Es spielte keine Rolle. Es änderte nichts. Sie drehte sich um und suchte das Deck ab. Die anderen waren zu dem zurückgekehrt, womit sie beschäftigt gewesen waren. Sie alle ließen sich ohne Zweifel das durch den Kopf gehen, was Quenthel gesagt hatte. Sie kehrte ihnen den Rü cken und starrte Jeggred an. Als der Draegloth sie schließlich ansah, sprach sie in Zeichensprache mit ihm, wobei sie darauf bedacht war, ihre Hände nahe an den Körper zu halten, damit die anderen es nicht sehen konnten. Es ist Zeit, teilte sie ihm mit.
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Jeggred nickte und warf einen bedeutungsvollen Seitenblick auf die abgerissenen Segel aus Menschenhaut, die in der wind stillen Luft schlaff herunterhingen. Danifae nickte und be gann, sich sacht über das Deck zu bewegen. Beide brauchten mehrere Minuten, um sich hinter das Segel zu manövrieren, ohne daß es auffiel, daß sie sich dort versteck ten. Als sie aus dem Blickfeld der anderen verschwunden waren, fragte Jeggred sie: Wohin gehen wir, Herrin? Danifae lächelte und antwortete: Jagen. Jeggreds Lippen kräuselten sich zu einem Grinsen. Der Halbdämon sah hungrig aus. Danifae trat näher an ihn heran. Sie sah, wie er sich ver steifte und sich gerade hinstellte – fast militärisch. Die frühere Kriegsgefangene ging trotzdem noch ein Stück näher an ihn heran und legte einen Arm um die enorme Taille des Halbdä mons. Jeggreds graues Fell fühlte sich warm und etwas ölig an. Es war überraschend weich. Danifae konzentrierte sich auf den Ring, den sie Zinnirit abgenommen hatte, und einen Lidschlag später waren sie in Sschindylryn. Jeggred holte tief Luft und sah sich im finsteren Inneren des Torhauses um. »Wo sind wir?« fragte er. Danifae nahm seine Hand und führte ihn zu einem der To re. Sie antwortete nicht. Statt dessen beschäftigte sie sich mit dem Tor, indem sie es zuerst aktivierte und dann auf den Treffpunkt einstellte, den sie vereinbart hatten. Das Portal erwachte in einer fast blendenden Flut aus violettem Licht zum Leben. Immer noch Jeggreds Hand haltend schritt sie hindurch. Der Draegloth zögerte nicht, ihr zu folgen, und sie traten hinaus in eine Ruine, die nur schwach erleuchtet war.
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Selbst wenn Danifae nicht gewußt hätte, wo sie sich befan den, hätte sie dennoch sofort gesehen, daß sie in der Welt an der Oberfläche waren. Das Licht war seltsam, von einer ande ren Farbe als alles, was im Unterreich zu finden war. Die Mau ern waren aus Backsteinen und so alt, daß sie schon zerfielen. Ranken und Moos wuchsen in den Ritzen zwischen den Zie geln, wanden sich in jeden Spalt und wieder heraus, krochen an jeder Wand hoch und bedeckten den Boden, um den Bau zu zersetzen, wie es die Pflanzen an der Oberfläche taten. »Es riecht hier seltsam«, grollte Jeggred. »Was ist das für ein Ort?« Danifae sah sich um, um sich zu orientieren. Das matte graue Licht drang durch Dutzende, wenn nicht Hunderte von Ritzen und Löchern in den verfallenden Mauern herein. Auf einer Seite des Raumes führte eine Reihe unebener Stufen zu einem darüber liegenden Stockwerk. Auf der anderen Seite führte ein ähnlicher Treppenabgang hinunter. Danifae stieg die Treppe zu dem Gelaß hinauf, der oberhalb dieses Raumes lag, und Jeggred folgte ihr. »Einst war dies ein Tempel für den stinkenden Schweine gott der Orks«, erklärte sie. »Nun ist es nur noch ein Stück verrottender Abfall, der von der Oberflächenwelt zerfressen wird. Ein passender Ort, um zu tun, wozu wir hergekommen sind, nicht wahr?« »Wozu sind wir hergekommen?« fragte Jeggred. Danifae, die enttäuscht, aber nicht überrascht war, daß Sub tilität an den Draegloth verschwendet war, antwortete: »Die Verräter kommen.« Sie kamen in einen heller erleuchteten Raum und mußten beide die Augen mit den Händen vor dem Licht schützen. Danifae ging zu einer großen Ritze in der uralten Mauer und warf einen Blick hinaus. Die Sonne war schon untergegangen,
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aber das Licht war noch immer schwer zu ertragen. Aber ihre Augen begannen, sich daran zu gewöhnen. Etwa sechs Meter unter ihr lag das, was Oberflächenbewohner einen Sumpf nannten. Es war ein Ort, an dem Wasser den Boden bedeckte – zumindest an den meisten Stellen –, aber kein richtiger See. Die gesamte Gegend um den Tempel wurde von fremdartiger Vegetation erstickt. Die Geräusche der Myriaden von Kreatu ren der Oberflächenwelt waren fast ohrenbetäubend. Der Sumpf wimmelte nur so von Leben. Jenseits des Ufers des Sumpfes, kilometerweit entfernt, lag eine ausgedehnte Wasser fläche: die Mündung eines langen Flusses. Danifae ließ langsam Luft durch die Nase entweichen und hörte, wie Jeggred hinter ihr auf den losen Steinen auf sie zu schlurfte. »Ich hasse das«, flüsterte sie. »Was?« fragte Jeggred. »Die Oberfläche.« Danifae suchte den Boden unter der Tempelruine ab. Schließlich zog sie aus einer Tasche einen der Ringe, die sie Zinnirit abgenommen hatte, und drehte ihn zwischen den Fingern. Das verblassende Licht spielte auf seiner polierten Oberfläche und hob seinen Besatz aus Rubinsplittern hervor. Indem sie Jeggred den Ring in eine der vier Hände drückte, sagte sie: »Benutze diesen Ring, um nach Belieben zum Chaos schiff zurückzukehren.« Jeggred nickte, streifte den Ring über und blieb geduldig hinter ihr stehen, um aufmerksam zuzuhören, als sie ihm die korrekte Verwendung der Ringmagie erklärte. Überzeugt, daß der Draegloth sie verstand, ließ Danifae die Minuten verstrei chen – und schließlich sah sie sie. »Da sind sie«, sagte sie.
Jeggred trat von hinten näher an sie heran, und sie unter
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drückte ein Würgen, als sein Atem sie streifte. Sie wartete, während er nach ihnen Ausschau hielt, und als er sie schließ lich sah, knurrte er leise und kehlig. »Sie sind zusammen«, sagte er. »Sie haben gelogen«, entgegnete Danifae. »Sie sind nicht nach Menzoberranzan gegangen. Sie ging in den Velarswald – einen Wald, in dem es einen Tempel gibt für ...«, Sie tat, als hätte sie Schwierigkeiten, das Wort auszusprechen, »Ei listraee.« Jeggred knurrte erneut und fragte: »Was ist mit dem Waf fenmeister?« »Er hat seine Wahl getroffen«, antwortete Danifae. Jeggred begann, bei jedem Ausatmen zu knurren. Er war be reit zu töten. Danifae konnte es riechen. »Nimm den Mann«, flüsterte sie. »Nur ihn.« Sie schob Jeggred von der Ritze fort, aber hielt ihn fest, da mit er nicht wegkonnte. Danifae stieg auf den unteren Rand des Lochs in der Mauer und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, damit sie in dem abnehmenden Licht gut zu erkennen war. Sie winkte, um die Aufmerksamkeit ihrer früheren Herrin auf sich zu lenken. Es dauerte ärgerlich lange, aber schließlich hielt Halisstra am Ufer des Sumpfs an und deutete nach oben zu Danifae. Ryld sah ebenfalls auf, und Halisstra winkte als Antwort. Danifae machte übertriebene, ausholende Gesten, eine we nig subtile Art der Zeichensprache der Drow, um die Nach richt zu senden: Nur Ihr. Halisstra wandte sich Ryld zu, und sie sprachen miteinan der. Selbst aus so einer großen Entfernung konnte Danifae erkennen, daß es Ryld widerstrebte, sie allein gehenzulassen. Der Waffenmeister mochte zwar Menzoberranzan, Lolth und die Drow verraten haben, aber er war kein Dummkopf. Den
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noch, gelang es Halisstra, ihn zu überzeugen – oder ihm zu befehlen – zurückzubleiben. Er blieb mit verschränkten Armen stehen, während Halisstra den Sumpf betrat. Danifae stieg herunter von dem Riß in der Mauer und faßte Jeggred bei den Schultern. Indem sie ihr Bestes tat, um dem fauligen Geruch des Halb dämons standzuhalten, sagte sie: »Geh. Sorg dafür, daß sie dich nicht sieht.« Der Draegloth lächelte, und ein dicker, zähflüssiger Spei chelfaden troff ihm von der Unterlippe. Seine Fangzähne schimmerten im matten Licht, ebenso seine brennend purpur roten Augen. Danifae fand, er sei das Schönste, was sie je gesehen hatte.
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Der Sumpflicht-Luchs roch keine Beute. Der Geruch, der die Nüstern der Großkatze erfüllte, war etwas anderes. Dem Luchs war noch nie etwas derartiges untergekommen, aber was auch immer es war, es war ein Räuber – der Geruch eines Fleisch fressers war unverkennbar. Der Luchs tappte vorsichtig und leise durch das kalte, seich te Wasser, hob den Kopf und schwenkte seine Nase von einer Seite auf die andere, um den Geruch genau auszumachen. Ein Energiestoß durchfuhr die Katze. Ihre Haut prickelte, ihr Fell sträubte sich – ein vertrautes und tröstliches Gefühl für den Luchs, die Aussicht auf bevorstehende Beute und Nahrung. Der Luchs bewegte sich von Schatten zu Schatten, immer noch innerhalb der Baumgrenze. Er bekam den gegnerischen Räuber zu Gesicht und erkannte den Umriß eines Mannes. So mächtig und schlau diese Jäger auch waren, sie respektierten
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nie das Jagdrevier eines anderen Räubers. Sie ignorierten die Duftmarken, die Kratzer an Bäumen, die offensichtlichen Zei chen. Das Sehvermögen der Katze war selbst bei Tageslicht der geringste ihrer Sinne, und das Wesen konnte nur sehen und riechen, daß es sich bei dem Eindringling um einen Mann handelte. Es hatte keine Möglichkeit, die schwarze Haut, die spitzen Ohren, die blutroten Augen und das weiße Haar zu erkennen. Der Sumpflicht-Luchs ballte die Gewebe-Energie in seinem Körper, bleckte die Fangzähne und spannte den Körper in einer geduckten Haltung an, bereit, loszuspringen – als ein weiterer Geruch mit Macht auf seine Nüstern eindrang. Ein anderer Räuber nahte. Er war größer und roch schlecht, wie ein Aasfresser. Der Sumpflicht-Luchs entspannte sich, aber nur ein wenig. Er beobachtete den Mann, suchte das Ufer des Sumpfes nach dem Aasfresser ab und wartete.
Ryld war umzingelt. Überall waren Geräusche. Der Ort, den Halisstra einen »Sumpf« genannt hatte, war sogar noch lebendiger als der Rest der Oberflächenwelt, und das gefiel dem Waffenmeister nicht im geringsten. Er sah, wie sich Dinge in der Dunkelheit beweg ten, die ihn umgab. Da gab es Insekten und Spinnen, alle Ar ten von fliegenden Kreaturen und Schlangen ... Unmengen von Schlangen. Der Boden unter seinen Füßen war matschig. Er hatte sich in einigen der größeren Pilzkolonien des Unter reiches ebenso angefühlt, aber dort unten war es zumindest ruhig gewesen. Die Tempelruine erhob sich als schwarze Silhouette gegen den Nachthimmel. Er hatte gesehen, wie Halisstra durch im
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mer tiefer werdendes Wasser darauf zugegangen war, und dabei war seine Überzeugung immer mehr gewachsen, daß sie ihrem eigenen Tod entgegenging. Sich mit Danifae zu treffen war dumm, selbst wenn Halisstra ihm gestattet hatte, sie zu beglei ten, und Ryld war sich nicht sicher, warum er das zugelassen hatte. War es möglich, daß sie es einfach gewünscht hatte und er so daran gewöhnt war, Priesterinnen zu gehorchen, daß er ihr gehorcht hatte? Der Waffenmeister holte tief Luft, stellte die Füße dicht ne beneinander und preßte seine Handflächen vor seiner Brust gegeneinander. Er atmete regelmäßiger und klärte seine Ge danken, so gut, wie er nur konnte, umzingelt, wie er von den unsichtbaren Gefahren des Sumpfes war. Er beobachtete klei ne, gelbe Lichter, die in der Luft flackerten – irgendeine Art biolumineszierender Insekten, die sich in der kalten Nachtluft langsam und träge bewegten. Stecknadelkopfgroße Lichtpunk te, die über das schwarze Himmelszelt verteilt waren und die anzusehen nicht schmerzhaft war, sondern Rylds natürliche Dunkelsicht vielmehr unterstützten. Es gab kein anderes Licht, abgesehen von ... Abgesehen von einem schwachen, purpurroten Glühen, das Ryld selbst in chaotischen Flammen umgab. Feenfeuer. Ryld zog Splitter und machte einen Schritt nach hinten, um seine Haltung zu öffnen, dann drehte er sich einmal um dreihundertsechzig Grad und hielt Ausschau nach etwas, das auf ihn zukam – nach Danifae. Es mußte die Dunkelelfe sein, die ihn mit Hilfe dieser magischen Fähigkeit, die ihr wie allen Drow angeboren war, vor dem dunklen Hintergrund ausge macht hatte. Wer sollte es sonst sein? Sie muß Halisstra getötet haben, dachte Ryld. Die Welt explodierte in einem unerträglichen Licht, und er
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konnte hören, wie etwas Großes auf ihn zurannte. Ryld war beigebracht worden zu kämpfen, auch wenn er nichts sehen konnte, und als der Feind, der ihn geblendet hatte, auf ihn losging, griff er auf diese Ausbildung zurück. Der Waffenmeister war selbst überrascht, wie gut er sich der Art und Weise angepaßt hatte, in der sich der Klang auf der Ober flächenwelt ausbreitete. Er wählte den richtigen Zeitpunkt, so daß er zur Seite trat, als Danifae – denn es mußte Danifae sein – nur noch drei Schritte von ihm entfernt war. Die Echos hallten auf eine merkwürdige Art wider. Es klang fast, als hätte Danifae vier Beine. Abgesehen davon hatte Ryld richtig geschätzt, und er trat der früheren Kriegsgefangenen rechtzeitig aus dem Weg, um sie in einem Schwall kalter Luft und eines unangenehmen, uncharakteristisch starken Geruchs nach Moschus an sich vorbeistreifen zu spüren. Noch immer blind hörte Ryld, wie sie schlitternd in dem knöcheltiefen, nassen Moos zum Stehen kam. Sie drehte sich schnell, und Ryld spürte, daß sie bereit war, ihn erneut an zugreifen. Ryld hob Splitter – auch das hatte man ihn gelehrt. Die Klinge traf kein einziges Mal auf Fleisch und Knochen, aber der Sinn dieses Angriffs war nicht so sehr das Töten wie das Abwehren von Angriffen. Er war mit irgendeiner Art magi schen Lichts geblendet worden, was bedeutete, daß sein Seh vermögen rechtzeitig wiederkehren würde. Die oberste Regel, wenn man blind kämpfte, war, am Leben zu bleiben, bis man nicht mehr blind war. Genau das wollte er tun, aber es funktionierte nicht. In dem Moment, als Splitter an seiner linken Seite vorbeischwang, wodurch seine Brust und sein Gesicht ungeschützt waren, warf sie – es ... etwas ... sich auf ihn. Es war definitiv nicht Danifae.
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Es war überhaupt kein Drow. Das Ding, das Ryld zu Boden geschmettert hatte, war riesig und von dichtem, rauhem Fell bedeckt. Es besaß vier starke Beine, von denen jedes über lange, scharfe Krallen verfügte, die an seiner Rüstung zerrten, aber nicht imstande waren, durch seinen Brustpanzer aus Zwergen-Mithral zu dringen. Ryld roch heißen, stinkenden Atem, und es kam ihm ein Name in den Sinn: Jeggred. Warum sollte der Draegloth hier bei Danifae sein? Es sei denn, die frühere Kriegsgefangene hätte Quenthel mitge bracht, aber würden sie alle wirklich ihre Zeit damit vergeu den, ihm und Halisstra nachzulaufen, wenn es da noch eine Göttin gab, die es aufzuwecken galt? Ryld zwinkerte, und sein Sehvermögen kehrte mit einem schmerzenden, krampfartigen Pulsieren seiner müden Augen zurück. Die Klauen zerrten an seiner Rüstung und kamen sei nem Gesicht gefährlich nahe, als die Kreatur – konnte es Jeggred sein? – ihre Position veränderte, in dem Versuch, in seiner Rüstung irgendeine Lücke zu finden, die sie nutzen konnte, um ihn zu töten. Ryld drückte sich mit der Breitseite seiner Klinge und beiden Füßen hoch und wälzte die schwere Kreatur von sich. Als sie auf dem kalten, matschigen Boden auftraf, wand sie sich auf der Seite hin und her, um hochzukommen. Das Ding knurrte, und der Ton war sowohl höher als auch weniger intel ligent, als daß es von Jeggred hätte stammen können. Ryld zwinkerte, bis die purpurroten Kleckse in seinen Augen ver schwunden waren, und fuhr herum, wobei er wieder auf die Beine kam, Splitter vor sich, um sich gegen den unvermeidli chen nächsten Angriffssprung des Wesens zu schützen. Wenn es sich wirklich um Jeggred handelte, so befand sich der Draegloth auf allen Vieren und griff ihn nur mit den Fang
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zähnen und einem Klauenpaar an. Mit der Breitseite seiner Klinge wehrte Ryld einen Schlag ab, den ihm das Ding mit den Krallen versetzte, aber es gelang ihm nicht, ihm die Pfote abzuschneiden. Es biß nach ihm, aber er trat zurück und beugte sich zurück, so daß die Fangzähne der Kreatur nur die Luft erwischten. Ryld zwinkerte erneut, und sein Sehvermögen kehrte fast in seinen Normalzustand zurück. Er kämpfte nicht gegen Danifae oder Jeggred, sondern gegen irgendein fellbedecktes Tier der Oberflächenwelt. Ryld hatte schon ähnliche Tiere gesehen: Katzen. Die, die ihn zu töten versuchte, war groß, drei Meter von der Nase bis zum Schwanz. Geflecktes graues Fell bewegte sich über dem Spiel der Muskeln. Ihre großen, spitzen Ohren zuckten und bewegten sich unabhängig voneinander, um Ryld zu verfolgen, während sie ihn umkreiste, und der Waffenmeis ter drehte sich, um das Tier jederzeit im Blick zu haben. Dampf entwich aus seinen Nüstern in die kalte Luft. Ryld fühlte, wie ein Schauder über die Unterseiten seiner Arme lief. Er empfand ein seltsames Gefühl der Erleichterung, daß er nur – wieder – von einem heimischen Tier der Oberflä che gejagt wurde. Danifae hatte also doch keine Rache ge nommen, und gewiß nicht mit Jeggred als Helfer. Kurz zog der Waffenmeister in Erwägung, daß Halisstra recht haben könnte, was ihre frühere Dienerin betraf, aber die tatsächliche Gege benheit seiner Situation drängte sich einmal mehr auf. Das Tier sprang auf ihn zu, und Ryld war darauf vorbereitet. Er riß Splitter hoch und zur Seite und hatte soeben die Arme angespannt, um sich darauf vorzubereiten, daß er einen Hieb mit den Krallen nach unten über die Brust erhielt, und dem Kopf des Tieres einen Schlag mit dem Schwert zu versetzen, als das Ding plötzlich innehielt. Das Tier hing für die Dauer eines Herzschlages mitten in der Luft und stürzte dann ab. Es
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gab ein Geräusch von sich, das zwischen Knurren und Wim mern lag, als es auf dem Boden aufschlug, wobei es sich bereits wieder aufrappelte. Der Waffenmeister sprang zurück und brachte Splitter rasch vor sich, um sich zu schützen, und zwar gegen – »Jeggred«, sagte Ryld. Der Draegloth hielt die Großkatze am Schwanz fest, seine Augen glühten rot in der Finsternis. Als das Tier sich gegen ihn wandte, bleckte Jeggred die Zähne zu einem wilden, haßer füllten Grinsen.
Halisstra verließ die Treppe und trat auf etwas, von dem sie annahm, es sei der Boden des höchsten Stockwerks in dem allmählich zerfallenden Gebäude, und dort sah sie Danifae. Ein Keuchen entwich ihren leicht geöffneten Lippen beim An blick ihrer früheren Dienerin. Danifae war schon immer schön gewesen – das war ein Teil dessen, was sie zu einem solch be gehrenswerten Besitz machte –, aber obwohl es kaum möglich schien, war das Mädchen noch attraktiver geworden. Die üp pigen Rundungen ihres kräftigen Körpers bildeten eine verfüh rerische Silhouette an diesem finsteren Ort, und ihr leucht endweißes Haar umrahmte ihr rundes, wunderschönes Gesicht auf eine Art, die Halisstra bei ihrer normalerweise pragmati schen und einfachen Kriegsgefangenen nie zuvor gesehen hatte. »Stimmt etwas nicht?« fragte Danifae ruhig. »Sehe ich ver ändert aus?« Halisstra nickte und machte einen Schritt vom Treppenab satz weg, sorgsam darauf bedacht, ihren Rücken stets der Wand zuzuwenden. »Ja. Die Freiheit bekommt dir, Danifae.« »Ja, Halisstra«, antwortete Danifae. Halisstra entging nicht,
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daß Danifae sie mit ihrem Namen angesprochen hatte. »Die Freiheit bekommt mir«, fuhr sie fort, »aber es gibt vieles zu besprechen und herzlich wenig Zeit.« Halisstra hob eine Braue und ließ eine Hand zum Heft der Mondsichelklinge gleiten. »Ihr seid hier in Gefahr«, warnte Danifae, deren Blick zu Halisstras Waffe huschte. »Ich war unvorsichtig und wurde ertappt.« Halisstra gefror das Blut in den Adern, und sie fragte: »Er tappt?« »Ich war zu lange weg«, sagte Danifae. »Ich wurde von der Hohepriesterin und dem Magier verhört, und sie ... taten mir Dinge an, damit ich ihnen von Euch erzähle, von Ryld und von all diesen Dingen. Alles, was ich wußte.« Halisstra versuchte, tief Luft zu holen, bemerkte aber, daß sich ihre Brust vor Angst verengt hatte. »Wo sind sie?« fragte Halisstra. »Weit weg«, antwortete Danifae, »und gut vorbereitet auf ihre Reise zum Abyss, aber sie haben Jeggred geschickt, um mich zu begleiten.« Halisstras Blut gefror, und sie fragte: »Jeggred? Warum?« »Um Euch beide zu töten.« Halisstra sah sich hastig in der Ruine um und entdeckte den Riß in der Mauer, in dem sie zuvor Danifae hatte stehen sehen. Auch wenn es bedeutete, daß sie Danifae den Rücken zuwand te, rannte Halisstra zu dem Riß und begann, hektisch den dunklen Sumpf, der unter ihr lag, nach irgendeinem Lebens zeichen von Ryld abzusuchen. In der Brust fühlte sie einen Schmerz, den sie nie zuvor verspürt hatte. Sie konnte weder Ryld noch den Draegloth entdecken. »Er ist dort draußen, das versichere ich Euch«, meinte Da nifae.
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»Also hast du mich hierhergelockt?« fragte Halisstra, die sich nicht umdrehte oder von ihrer fruchtlosen Untersuchung des Sumpfes dort unten abbringen ließ. »Du hast uns beide in eine Falle gelockt?« »Ja, so ist es«, sagte die frühere Kriegsgefangene, »aber ich kann Euch retten. Ich kann Euch retten, aber ich kann Euch nicht beide retten.« »Wie kannst du einen Draegloth aufhalten, der ausge schickt wurde, um zu töten?« fragte Halisstra. Sie blickte fins ter drein, während sie weiter den Sumpf absuchte. Da gab es Stellen, an denen die Bäume hoch und dick genug waren, um die gesamte Oberfläche vor ihren Blicken zu verbergen. Ryld mußte wohl dorthin gegangen sein, dachte Halisstra, und vielleicht hatte Jeggred ihn dort gestellt. »Ich kann keinen Draegloth aufhalten«, gab Danifae zu. »Wenn Jeggred Euch beide töten will, dann wird er das auch tun, oder Ryld oder ich werden ihn töten. So oder so wird es heute Tote geben.« Halisstra seufzte. Sie war sich nicht sicher, was sie tun soll te, und hatte Angst, Ryld könne schon tot sein. »Ich muß Jeggred nicht aufhalten«, fuhr Danifae fort, »oder ihn töten. Geht einfach und überlaßt den Rest Ryld und mir. Wenn der Waffenmeister Jeggred besiegen kann, schön. Wenn nicht, so kann ich Jeggred überzeugen, daß ich Euch getötet habe.« »Warum sollte er dir trauen?« fragte Halisstra. »Er wird meinen Leichnam sehen wollen ... oder zumindest einen Teil davon. Was ist mit Ryld?« »Laßt mich Euch von hier wegbringen«, sagte die frühere Kriegsgefangene. »Bringt genug Abstand zwischen Euch und den Draegloth, solange er noch mit dem Waffenmeister be schäftigt ist, und wir können zu einer Übereinkunft kommen.
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Wir werden Zeit haben, uns etwas zu überlegen.« Halisstra schüttelte den Kopf und trat von dem Riß in der Mauer zurück. »Ich werde Ryld nicht im Stich lassen.« Halisstra lächelte über die Entschiedenheit ihrer Aussage und das Gefühl, das damit einherging. »Ich kann Euch schnell von hier fortbringen«, meinte Da nifae, »und ich kann Ryld beinahe ebenso einfach transportie ren, aber das muß nacheinander geschehen. Kommt jetzt mit mir, und ich werde zurückkehren, um den Waffenmeister zu holen.« Halisstra studierte das Gesicht Danifaes und sah nichts. Da nifae schien nicht zu lügen, aber zugleich schien sie auch nicht die Wahrheit zu sagen. Es war, als sei jeglicher Ausdruck aus ihrem Gesicht geschmirgelt worden. Ihre Miene war aus druckslos, glatt. Das jagte Halisstra Angst ein. »Ihr habt mir bis hierher vertraut, Herrin.« Halisstra registrierte die Rückkehr zum traditionellen Titel. Danifae streckte ihrer früheren Herrin eine Hand hin und meinte: Vertraue mir, Halisstra.« Verwirrt schüttelte die erste Tochter des Hauses Melarn den Kopf. Die frühere Dienerin sagte: »Je länger wir hiermit beschäf tigt sind, desto länger kämpft dein Waffenmeister gegen Jeggred ... allein.« Es folgte ein kurzes Schweigen. Halisstra seufzte, trat auf Danifae zu und nahm ihre Hand. Eilistraee trieb sie seit einiger Zeit voran. Halisstra wußte das, und sie fühlte sich erneut angetrieben. Sie versuchte, sich an das zu erinnern, was sie zu Ryld gesagt hatte, daß Eilistraee sie führte, aber daß keine Göttin Danifae führte. Als das Innere der Tempelruine sich in einer schwindeler
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regenden Woge purpurroten Lichts auflöste, um durch einen fremden Ort ersetzt zu werden, der roch und sich anfühlte wie das Unterreich, versuchte Halisstra so angestrengt, auf Ei listraee zu vertrauen, daß ihr Kopf zu schmerzen begann. Sie dachte an Ryld, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Das Tier wandte sich gegen Jeggred, und es wirkte, als bestün de es völlig aus Klauen und Fängen. Die Kreatur aus dem Sumpf riß mit den vorderen Klauen einen tiefen Schlitz in Jeggreds Unterleib. Blut quoll hervor. Jeggred zuckte weder zusammen, noch schrie er auf. Nur die Tatsache, daß die glühendroten Augen des Dämons sich um Winzigkeiten verengten, zeigte an, daß er die Schnittwunde überhaupt gespürt hatte. Der Draegloth bewegte sich ein Stück vorwärts und schlug mit zweien seiner vier Klauenpaare aus, aber die Katze sprang zur Seite, um dem Angriff zu entgehen, und ging zur gleichen Zeit wieder auf Jeggred los, was ihn zwang, sich zu verteidigen. Die Katze bot eine eindrucksvolle Vorstellung, und Ryld wußte, daß dies die beste Möglichkeit war, die er bekommen würde, um wegzulaufen. Bis es Jeggred gelang, das Tier zu töten – wenn er überhaupt dazu in der Lage war –, konnte Ryld schon lange verschwunden sein. Doch selbst wenn er Halisstra hätte verlassen können, wäre Jeggred ihm gefolgt, wo immer er auch hinging. Wenn der Draegloth geschickt worden war, um ihn zu töten, dann würde er das auch tun. Die Katze biß Jeggred, und der Draegloth setzte seinen Arm ein und ließ zu, daß sie ihre mächtigen Kiefer um sein oberes rechtes Handgelenk schloß. Die Fänge kerbten die Haut des Draegloth ein, durchdrangen sie aber nicht. Lächelnd zog Jeggred die Krallen seiner beiden linken Hände über die Flan
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ken der Katze, wobei ihm Dampf aus den Nasenlöchern quoll und sich in der kalten Luft verflüchtigte. Das Tier öffnete das Maul, um vor Schmerz zu heulen, und der Arm des Halbdä mons kam frei. Jeggred ließ zu, daß das Tier ihm eine Kratzwunde beibrach te. Vier parallele Linien tiefroten Blutes blieben nach dem Tatzenhieb der Katze zurück. Das Tier versuchte, den Draegloth auf jede Weise zu verletzen, die ihm möglich war, aber es war verwundet, verzweifelt und traf übereilte Entschei dungen. Jeggred andererseits wirkte nur wild. Er besaß Kontrol le über sich. Ryld konnte es an jedem Zucken in den Augen des Draegloth sehen, die die Angriffe der Katze um drei oder vier Züge vorwegnahmen. Obwohl das Tier mit den Krallen an ihm riß, bewegte Jeggred sich noch näher auf es zu und schlang einen seiner größeren, stärkeren Arme um den Bauch des Tie res. Die Krallen des Draegloth gaben ein knallendes Geräusch von sich, als sie das Fleisch der Katze durchdrangen, und dann ein reißendes, als sie mit drei tiefen, gezackten Einschnitten ihre Unterseite aufrissen. Dinge quollen aus dem sich wild windenden Tier hervor. Lange, seilartige Eingeweide, etwas, das wohl seine Nieren waren, und andere Organe ergossen sich in einem Schwall aus dampfendem Blut auf das schwammige Moos. Jeggred hielt das Tier eng an sich gepreßt und drückte, bis noch mehr hervor quoll, drückte immer weiter, bis die Katze tot war. Ryld stand ein paar Schritte entfernt und sah zu. Er war be reit. Er besann sich auf seine Ausbildung und das einzig Ent scheidende hinsichtlich der Verteidigung gegen Krallen. Krea turen mit Krallen – alle möglichen Dämonen, Trolle und Wesen dieser Art – spießten auf und rissen nach unten. Kral lenangriffe begannen immer oben und schlitzen dann abwärts auf. Er mußte nur vorbereitet sein. Da gab es die Tatsache, daß
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alles, was mit Krallen angriff, nie parierte. Wenn Ryld seine Klinge gegen Jeggreds Angriff einsetzte, würde der den Kon takt mit der scharfen Schneide vermeiden oder es riskieren, zerstückelt zu werden. Ryld konnte das zu seinem Vorteil nut zen, indem er sich gegen die Arme des Draegloth verteidigte, als seien es Schwerter. Jeggred wäre in der Defensive, unfähig, sich zu verteidigen, so daß er Rylds Angriffe nicht parieren, sondern ausweichen würde. Der Draegloth sah von seiner noch immer zitternden Beute auf und zeigte Ryld die messerartigen Fänge. Der Waffenmeis ter wich nicht. Er war nicht so stark wie Jeggred, und er moch te nicht so schnell sein wie er, aber er war intelligenter und besser trainiert. Das reichte vielleicht. »Warum bist du hier?« fragte Ryld den Draegloth. »Sicher lich bist du nicht den ganzen Weg hergekommen, nur um mich vor dieser Katze zu retten.« Jeggred dampfte, da er mit dem noch immer heißen Blut bedeckt war. »Ich habe Dinge über dich gehört, Waffenmeister«; knurrte Jeggred. »Beunruhigende Dinge.« Ryld hielt Splitter mit beiden Händen und sagte: »Ich kann es mir vorstellen.« »Die Priesterin verstehe ich«, meinte der Draegloth. Er trat langsam einen großen Schritt zur Seite und bewegte sich von dem toten Tier fort. »Sie fühlen sich von Lolth verraten. Sie streben nach Macht und einer Gemeinschaft. Also scheint es nur passend zu sein, daß sie, wenn eine Göttin ihnen den Rü cken kehrt, die Umarmung einer anderen suchen, aber du?« »Ich kann nicht die Umarmung einer Göttin suchen?« frag te Ryld, um Zeit zu gewinnen, während er Jeggred nach Wun den und Schwächen untersuchte.
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»Warum solltest du«, fragte der Draegloth, »wenn du die Umarmung einer Frau aus Fleisch und Blut haben kannst?« »Du durchschaust mich vollkommen«, meinte der Waffen meister, überrascht, daß der Draegloth genau das wirklich zu tun schien. »Meine Herrin tut es«, sagte Jeggred achselzuckend. Er trat erneut einen Schritt zur Seite und begann, Ryld zu umkreisen. »Sie steht genau in diesem Augenblick über dem Leichnam deiner verräterischen Priesterin. Ich bekomme das Vergnügen, dein Leben zu beenden.« »Es wird zweifellos ein besonders schmerzhafter und grau samer Tod sein«, sagte Ryld ohne jede Ironie in der Stimme. Der Draegloth lachte bellend und griff an. Die großen Krallen kamen zuerst, weit oben, und zielten auf seine Brust. Ryld wirbelte Splitter herum, dann hielt er die schnelle Drehung der Klinge abrupt an und riß sie nach oben, um den rechten Arm des Draegloth abzuwehren. Wie er erwar tet hatte, zog Jeggred den Arm in dem Versuch, dem verzau berten Zweihänder auszuweichen, rasch zurück, Ryld änderte schnell die Richtung, holte aus, trat zurück und stieß nach dem ausweichenden Halbdämon. Die Spitze von Rylds Schwert durchdrang die mit Fell bedeckte Haut unter seinem Schulter blatt und bohrte sich etwa fünf Zentimeter tief in Jeggreds Fleisch. Blutend sprang der Halbdämon zurück, um Splitter zu entgehen. Auch Ryld trat zurück. Er drehte den Zweihänder langsam vor seinem Körper, indem er eine Acht beschrieb. Bald würde einer von ihnen tot sein.
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»Wo ist er?« fragte Quenthel, deren rote Augen vor kaum zurückgehaltener Wut wild flammten. »Er ist sie töten gegangen«, antwortete Danifae. Pharaun beobachtete den Wortwechsel aus der Entfernung. Er hatte mit gekreuzten Beinen exakt in der Mitte des Decks gesessen, unmittelbar vor dem Großmast, genau da, wo zu sitzen Aliisza ihn instruiert hatte. Er spürte, wie das Chaos schiff unter ihm vibrierte, auf die Macht reagierte, die er darauf ausübte. »Auf wessen Befehl?« fragte die Hohepriesterin. »Auf Euren Befehl, Herrin«, antwortete Danifae, »durch mich.« »Durch dich?« wiederholte Quenthel. »Durch dich?« Pharaun preßte eine Hand gegen das Deck und spürte den Puls in einem Bündel von Adern, das dort wuchs.
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Quenthel schlug Danifae ins Gesicht, doch die Kriegsgefan gene wich nicht von der Stelle. »Halisstra und Ryld sind Verräter«, sagte Danifae. »Sie ha ben diese Expedition, Lolth und die Zivilisation der Drow verraten. Ihr wißt das, ich weiß es und Jeggred weiß es, und das ist der Grund, warum er sich dort befindet.« »Auf deinen Befehl hin«, beharrte die Herrin der Akademie, »nicht auf meinen.« »Er tut das, was er tun muß«, entgegnete Danifae, wobei ih re Stimme endlich Gefühle erkennen ließ: Ärger und Unge duld. »Ihr wart außerstande, ihm diesen Befehl zu erteilen, also tat ich es für Euch.« Pharaun lachte über den Schlagabtausch und vor Erregung darüber, daß das Schiff auf seine Gedanken und seine Berüh rung reagierte. Er fand es faszinierend, daß Danifae Jeggred entführt hatte. »Wir haben genug Zeit dafür«, äußerte Pharaun zu Danifaes Verteidigung – wenn auch nur zum Spaß. »Warum solltet Ihr den Draegloth nicht Unordnung in Ordnung bringen lassen? Wenn Herrin Melarn tatsächlich eine Verräterin ist – und nachdem sie vor dem Tempel von Lolth beobachtet wurde, ist das kaum eine Überraschung –, könnt Ihr es als einen Gefallen einer treuen jungen Priesterin in Euren Diensten betrachten. Ryld Argith dagegen ist wahrscheinlich kein Verräter an der Stadt der Spinnen. Ich fürchte, ihm mangelt es am dazu nöti gen Funken der Rebellion. Wenn Ihr Euch um etwas Sorgen machen solltet, dann darum, daß der Waffenmeister Euren Neffen möglicherweise töten könnte.« Quenthel sah Pharaun anf der ihrem Blick einen Augen blick lang begegnete und dann seine Aufmerksamkeit wieder dem Schiff zuwandte. Die Hohepriesterin warf einen Blick auf Danifae, die selbstsicher und entschlossen dastand und nicht
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von der Stelle wich. Die Herrin der Akademie hielt ihre Peit sche in einer Hand, und die Vipern schlangen sich um die Finger ihrer anderen. Sie blickte zu den Vipern und dann zu rück zu Danifae. Pharaun sah dem Ganzen zu, während er spürte, wie sich der Puls des Schiffs für einen kurzen Moment beschleunigte. Quenthel machte einen Schritt von ihr fort und drehte Da nifae den Rücken zu, die seufzte. Pharaun dachte, die Kriegsge fangene sei möglicherweise enttäuscht. »Das ist der Grund«, sagte Danifae zu Quenthels Rücken, »warum Jeggred nun mir dient.«
Sie begannen einander zu umkreisen, prüften die Trittfestig keit des schwammigen, unebenen Mooses. Jeggred sah an sich hinab und betrachtete die Stichwunde. Er hob eine Augen braue in einer Art unwilliger Ehrbezeigung, dann ließ er seine Zunge aus dem Mund rollen. Die schwarze, rauhe Zunge leckte langsam über die Wunde. Als Jeggred dann wieder lächelte, waren seine rasiermesserscharfen Fänge mit seinem eigenen Blut verschmiert. Wahre deine Distanz, sagte Ryld zu sich selbst. Wahre deine Distanz und konzentriere dich auf die Hände. Jeggred griff erneut an, und wieder setzte er zuerst seine Klauen in vergleichsweise großer Höhe ein. Ryld hielt Splitters breite, schwere Klinge parallel zum Boden. Er mußte nur die Knie beugen, einen Schritt nach vorne machen und dann wieder aufstehen, dann würde er den nach unten fahrenden Klauen des Draegloth begegnen. Ryld ging in den Angriff hinein und parierte, als seien die riesigen Krallen eine Schwertklinge. Jeggred hieb mit seinen kleineren Klauen schnell und hart nach unten, so daß Ryld
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seine Abwehr kaum aktiv vorantreiben mußte. Der Draegloth schlug mit dem Arm von oben auf die Klinge. Ryld spürte einen Ruck und dann ein Gefühl von Erleichterung. Blut spritzte. Jeggreds kleinere rechte Hand flog durch die Luft und prallte von dem Moos ab, als sie dort auftraf. Ryld gestattete sich keine Zeit, um zu feiern, daß er dem Draegloth eine seiner Hände abgeschnitten hatte. Er trat zu rück, fort von dem Blut, das aus Jeggreds Armstumpf spritzte. Jeggred schrie – ein beunruhigendes, ohrenbetäubendes Ge räusch – und begann, schnell zurückzuweichen. Ryld war sich sehr wohl bewußt, daß der Halbdämon sehr rasch die Richtung ändern konnte, und er trat ebenfalls zu rück, wenn auch nicht annähernd so weit. »Dafür wirst du mit deinen Händen und Füßen bezahlen, Junge«, zischte Jeggred durch seine zusammengebissenen Zäh ne. »Ich folgte einem Befehl, als ich hierherkam, um dich zu töten, aber nun ...«, er hielt den Stumpf hoch, aus dem noch immer Blut drang, »ist es eine persönliche Sache.«
Ein erfrischender Zyklus der Dunkelheit war vergangen, wäh rend dessen Gromph zwischen kurzen Perioden von Trance, ärgerlichen Sitzungen mit der gleichen Handvoll geflügelter Halblinge und dem Wirken mächtiger Erkenntniszauber hinund hergewechselt war. Die Finsternis war ein willkommener Trost für die vom Licht geplagten Augen des Erzmagiers. Er hatte schon früher Nächte unter freiem Himmel verbracht – wenn auch nicht viele – und Sterne gesehen. Die Sterne über den Grünen Fel dern schienen ein wenig heller zu sein als die, die von Faerûn aus sichtbar waren. Gromph war mit keinem davon vertraut genug, um einen Unterschied zu spüren, was die Anzahl und
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die Position der Sterne dort und derer Faerûns anging, aber er wußte, daß sie unterschiedlich waren. Die Grünen Felder stell ten eine vollkommen eigene Wirklichkeit dar. Die nadelartige Pflanze, mit der die sanft ansteigenden Hü gel bedeckt waren, hatte er ebenfalls schon gesehen. In der Handelssprache der Welt an der Oberfläche hieß sie »Gras«. Die Halblinge der Grünen Felder nannten sie »ens«. Da gab es auch noch andere Dinge, die er früher schon in der Oberflä chenwelt gesehen hatte: »Blumen«, »Bäume« und ähnliches. Gromph fragte sich, ob es irgendwo unter seinen Füßen eine Art Unterreich gab – dann erinnerte er sich, daß er sich nicht lange genug dort aufhalten würde, um das herauszufinden. Die Halblinge, die er zuerst getroffen hatte, hatten ihn fast adoptiert. Einige Angehörige des kleinen Volkes schienen froh zu sein, ihn aufnehmen zu können. Derjenige, der sich Dietr nannte und behauptet hatte, von dort zu kommen, war arg wöhnisch, aber er wollte etwas – etwas, nach dem er nicht fragen wollte oder konnte. Aber wie sie sich Gromph auch näherten, alle gingen auf eine ungezwungene und zwanglose Art miteinander um. Sie hatten einen Sinn für Gastfreund schaft und waren entschlossen, ihm zu helfen. Sie brachten ihm Kost, die jeweils zu einer der beiden folgenden Kategorien gehörte: schwere Speisen, die in süß duftenden Sahnesoßen schwammen, oder eine verwirrende Vielfalt süßer, frischer Früchte. Nichts davon sprach Gromph besonders an, aber er aß genug, um daraus die Energie zu ziehen, die er brauchte, um Zauber vorzubereiten und sich für seine Rückkehr nach Men zoberranzan zu sammeln. Gromph hatte sich nicht weit von der Stelle, an der er zu erst aufgetaucht war, fortbewegt. Die Grünen Felder schienen genau dies zu sein: eine endlose, offene Landschaft aus grünem Gras und anderen Pflanzen. Gromph hatte kein einziges Ge
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bäude gesehen, und es sah aus, als lebten die Halblinge drau ßen, indem sie langsam, aber beständig weiterzogen. Als das Licht wiederkehrte, wußte Gromph, daß er sich aufmachen mußte. Er wirkte den letzten einer Reihe von Er kenntniszaubern, die ihm helfen würden, nicht nur auf die Materielle Ebene zurückzukehren, sondern auch nach Toril, ins Unterreich unter Faerûn und nach Menzoberranzan selbst. Das war kein Kinderspiel, und sicher hatte Dyrr es nicht von ihm erwartet, aber schließlich hatte Dyrr auch nicht erwartet, daß er sich aus seinem Gefängnis befreien würde. Daß der Drowleichnam ihn so unterschätzte, würde Gromph mögli cherweise gestatten, ihn zu schlagen. Der Erzmagier stand auf, schirmte seine Augen gegen das grelle Licht ab und beobachtete, wie Dietr und eine der Halblingsfrauen mit einem weiteren Tablett voller Früchte auf ihn zukam. Dietr trug einen Wasserschlauch. »Wir dachten, Ihr möchtet vielleicht frühstücken«, meinte Dietr. Der Halbling sah Gromph mit dem gleichen Gesichtsaus druck wie zuvor an, mit vager Hoffnung und Furcht. Die Halblingsfrau schien ihn dagegen kaum wahrzunehmen. »Ich habe genug von eurer Nahrung«, sagte der Erzmagier, »und ich nehme Abschied von eurer sinnlosen Weite.« »Sinnlose Weite?« wiederholte die Halblingsfrau. Ihre Zwiespältigkeit war sofort Ärger gewichen. »Wer seid Ihr, daß Ihr es wagt, so verächtlich über die Grünen Felder zu spre chen?« »Wer bist du, daß du es wagst, überhaupt mit mir zu spre chen?« fragte Gromph. Er wartete auf eine Antwort, aber alles, was er von der ge flügelten Halblingsfrau erhielt, war ein kurzer Blick mit einem spöttischen Lächeln. Dietrs Blick huschte zwischen ihnen hin
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und her, und er atmete flach und erwartungsvoll. »Laßt mich allein«, befahl Gromph. Als die beiden Halblinge sich nicht auf der Stelle umdreh ten, um ihn zu verlassen, hob der Erzmagier eine Braue. Die Halb-. lingsfrau tat ihr Bestes, um ihn niederzustarren, aber ihr Bestes war nicht annähernd gut genug. »Ihr wart einst lebendig«, fragte Gromph, »nicht?« Keiner der Halblinge antwortete. »Der da« – Gromph deutete mit einer Geste auf Dietr – »war ein stoffliches Wesen, das in Faerûn lebte. Wo lebtest du, bevor du in euer Jenseits kamst?« Erneut schwieg die Halblingsfrau. »Ich gebe zu, ich bin neugierig«, fuhr Gromph fort. »Wenn du auf der Welt, wo auch immer sie liegen mag, gestorben bist und deine Seele hierherkam, um in aller Ewigkeit hier in Frie den zu ruhen, was wird dann wohl geschehen, wenn ich dich hier töte? Geht deine Seele an einen anderen Ort, oder gerätst du in Vergessenheit? Wird einer eurer Schwächlinge von Halbling-Göttchen mich aufhalten? Selbst ein Halbling-Gott auf seiner Heimatebene kann eine Unannehmlichkeit bedeu ten, da bin ich mir sicher, aber es wäre vielleicht amüsant, sich trotzdem die Mühe zu machen.« »Wenn du denkst, du kannst mich töten, Eindringling«, spottete die Halblingsfrau, »dann versuche es jetzt, oder halte den Mund.« Gromph lächelte, und es mußte wohl dieser Gesichtsaus druck sein, der Dietr schließlich dazu brachte vorzutreten, die Hände in einer schwachen Beschwichtigungsgeste ausge streckt. »Ruhig«, sagte er. »Wir sollten Ruhe bewahren.« Gromph lachte. »So ist es besser«, meinte Dietr mit einem Grinsen im en
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gelhaften Gesicht. »Wenn der ehrwürdige Drow uns verlassen will, dann steht es ihm selbstverständlich frei, sich auf den Weg zu machen.« »Es wird hier keine Gewalt geben«, sagte die Halblingsfrau mit gleichmäßiger und kraftvoller Stimme, »und wenn ich dich in Stücke reißen muß, um das zu garantieren ...« »Wir alle wurden zumindest einmal in Stücke gerissen, nicht wahr?« sagte Dietr. »Niemand will das noch einmal erleben, also laßt uns Freunde sein.« Gromph holte tief Luft und sagte: »Ich werde verschwin den, aber durch das Tor werden Effekte zurückbleiben, und ihr werdet nicht dorthin gehen wollen, wohin ich gehe. Weicht zurück oder nicht, das überlasse ich euch.« Die Halblingsfrau durchbohrte ihn weiterhin mit ihren Bli cken, aber dennoch wich sie zumindest ein winziges Stück vor dem Erzmagier zurück. Gromph betrachtete sie von oben bis unten. Sie war halb so groß wie er, und sie sah lächerlich aus. Die gesamte Welt hier sah lächerlich aus – war lächerlich. Dyrr hatte ihn absichtlich hierher geschickt, und die geflügelte Halblingsfrau in ihrer grasverseuchten Umgebung anzusehen machte Gromph von Sekunde zu Sekunde wütender. Dyrr versuchte, ihn loszuwer den, versuchte, ihn wegzuschicken, indem er ihn in dieses Schäferuniversum brachte, und Gromph Baenre, Erzmagier Menzoberranzans, würde sich nicht wegschicken lassen. »Schön«, sagte Gromph und begann seinen Zauber zu wir ken. Ihm war nur vage bewußt, daß die Halblingsfrau sich noch ein Stück weiter von ihm fortbewegte, und er nahm an, daß Dietr das Gleiche tat. Die Worte des Zaubers gingen ihm leicht von den Lippen, und die Gesten ließen sich mühelos ausführen, eine nach der anderen. Es gab bei dem Zauber einen
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Teil, von dem nur wenige der erfahrenen Magier, die ihn je mals gewirkt hatten, wußten, daß er manipuliert werden konn te, und Gromph begann ihn zu steuern. Er wob in den Zauber eine subtile Modifikation ein, die ihn genau an den Ort brin gen würde, an den er wollte. Er schloß ihn ab und nahm wahr, wie er rückwärts aus den Grünen Feldern hinausfiel – und spürte eine Hand auf seinem Arm. Überall war Licht, aber es war nicht zu hell. Da war ein Geräusch, das überall um ihn herum ertönte, aber es war nicht zu laut. Da waren Farben in der Luft, aber sie waren nicht zu grell. Sie bewegten sich ohne Hast in alle Richtungen gleichzei tig. Sie tauchten in Menzoberranzan auf, ihre Füße standen auf nacktem Fels, die vom Feenfeuer erhellte Düsterheit bedeutete Erleichterung für ihre Augen. Gromph drehte sich um und sah den Halbling an. Er war nackt und zitterte, seine Flügel waren verschwunden, und er sah älter, kleiner und schwächer aus. Seine Augen waren rot, seine Haut war trocken und gelb. Sein Gesicht, das schmerz verzerrt war, enthüllte graue, faulige Zähne. Mit einem Seufzen drehte sich Gromph um, um seine Um gebung zu begutachten. Es war Menzoberranzan – der Basar. Er hatte es geschafft. Es waren nicht viele Drow auf den Straßen zu sehen, und die wenigen, die sich dort befanden, erkannten den Erzmagier sofort. Die intelligenten davon zerstreuten sich. Nauzhror, dachte Gromph und sandte den Namen durch das Gewebe zu dem Baenre-Magier. Nach einem angespannten Moment des Schweigens hallte eine Stimme in Gromphs Kopf wider: Erzmagier. Es ist erfreu lich, wieder von Euch zu hören. Willkommen in Menzoberranzan.
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Es war Nauzhror. Ehe er antworten konnte, wurde Gromph von einem schril len Wimmern abgelenkt. Er sah hinab zu dem vertrockneten Halbling. »Du bist ein Narr«, sagte Gromph zu Dietr. Der Halbling duckte sich unter seinem Blick und zitterte. »Ich habe dich nicht gebeten mitzukommen«, fügte Gromph hinzu, »und du gehörst nicht hierher, ebensowenig, wie ich in die Grünen Felder gehöre.« »Ich wollte ...«, begann der Halbling und hustete dann. Staub drang aus seinem Hals. »Ich wollte wieder leben.« »Warum?« fragte Gromph. »Meine Mutter. Sie hat Seancen besucht, um Kontakt mit mir aufzunehmen. Sie ist jetzt ganz allein und braucht meine Unterstützung.« Gromph lachte. »Das ist nicht lustig«, sagte Dietr. Gromph lachte weiter und sprach einen Zauber. »Eine amüsante Ablenkung«, sprach er in die Luft, »aber eine vorübergehende. Wir werden es auf dem Basar beenden. Jetzt.« Er hatte noch zehn Worte übrig, aber hatte nichts mehr zu sagen. Der Drowleichnam hat sich im Haus Agrach Dyrr versteckt, sendete Nauzhror. Die Belagerung geht unvermindert weiter. »Ich verstehe nicht«, sagte Dietr. Gromph drehte sich erneut zu dem Halbling um. »Könnt Ihr mich heimschicken?« fragte Dietr. »Könnt Ihr mich zurück nach Luiren schicken?« Gromph hob eine Braue ob des Wagemutes der kleinen Kreatur, dann sprach er schnell einen Erkenntniszauber. So offensichtlich, wie es durch die Erscheinung des Halblings
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auch war, konnte es trotzdem nicht schaden, sich zu vergewis sern. Der Zauber enthüllte einen verräterischen Schein um den kleinen Humanoiden. Wo wart Ihr? fragte Nauzhror. An keinem Ort, den ich gerne noch einmal besuchen will, erwi derte er, aber jemand ist mit mir zurückgekommen. Ich verstehe, sagte Nauzhror. Der Effekt des Tores scheint ihm irgendeine Art stofflicher Gestalt verliehen zu haben. Aber er starb auf dieser Ebene, fügte Gromph hinzu, wenn er also zurückgekehrt ist ... »Ja«, beantwortete der Erzmagier die Frage des Halblings. »Ich kann dich an jeden Ort bringen, an den du willst. Natür lich werde ich das nicht tun.« Der Halbling zitterte, und Gromph hatte das Gefühl, er könne die Knochen der Kreatur rasseln hören. »Bitte ...?« wimmerte der Halbling. »Deine Mutter wird nicht glücklich sein, dich zu sehen, Dietr«, meinte Gromph. »Du bist gestorben. Erinnerst du dich? Du bist ungebeten auf diese Welt gekommen. Du kamst zurück als ...« Es heißt Huecuva, erklärte Nauzhror. »Eine untote Kreatur«, sagte Gromph. »Du bist ein Huecu va. Weißt du, was das ist?« Dietr schüttelte den Kopf. In seinen blutunterlaufenen Au gen war sein Entsetzen zu erkennen. Gromph, mein Freund, hallte die Stimme des Drowleich nams im Kopf des Magiers wider, willkommen zurück. Natürlich nehme ich Eure liebenswürdige Einladung an. Es wird mir eine Ehre sein, Euch an Eurem letzten Tage einen Besuch abzustatten. Gromph nickte, murmelte einen einfachen nekromanti schen Zauber und richtete ihn auf den Halbling. Der Erzmagier spürte, wie die untote Kreatur unter seinen Einfluß geriet.
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»Stell dich gerade hin«, befahl Gromph, und Dietr fügte sich augenblicklich, auch wenn es ihm einiges Unbehagen zu bereiten schien. Gromph wirkte einen weiteren Zauber über ihn, einen, der ein Flackern von magischem Feuer über das tote Fleisch des Halblings spielen ließ. »Nein ...«, murmelte der Halbling. »Bitte ...« Gromph verstärkte den Griff um seinen Stab und beschwor eine Kugel aus schützender Energie um sich selbst. »Bitte nicht ...«, flehte der Huecuva. Gromph sah sich auf dem Basar um – verlassene Zelte und Verkaufsstände, die meisten von ihnen mit Schloß und Riegel gesichert, und einige wenige neugierige Drow, die ihn von sicheren Plätzen in den umgebenden Stalaktiten aus beobach teten. »Würdet Ihr mich bitte einfach ...?« bettelte Dietr. »Schweig«, sagte Gromph, und der Halbling war gezwungen zu gehorchen. »Du hast dich entschieden, mit mir zu kommen, Dietr, und nun bist du in Menzoberranzan, nicht in Luiren. In Menzoberranzan gelten Untote als Sachen.« Der Mund des Huecuva bewegte sich schweigend, und er bekam eine Gänsehaut. Gromph spürte etwas, eine Präsenz, und untersuchte schnell wieder den Basar. Am entfernten Ende der breiten Hauptstra ße war ein Fleck grünen Lichts zu sehen. Der Zauber, den er auf Dietr gewirkt hatte, gab Gromph auch weiterhin die Mög lichkeit, eine charakteristische Aura um Untote zu sehen, und das grüne Licht war genau eine solche Ausstrahlung, aber alles, was Gromph sah, war die Aura – ein grüner Lichtfleck, der eine leere Stelle umgab. Gromph wirkte hastig einen weiteren Zauber, indem er sei nen Stab gegen seine Brust lehnte, so daß er beide Hände
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nutzen konnte, um zu zaubern. Züngelnde Flammen aus blauglühendem Feuer entsprangen seinen Fingerspitzen und wuchsen, als sie sich unbeirrbar auf den grünen Schemen zubewegten. Das Feuer zitterte in der Luft und wurde dünner, als es sich in die Länge zog. Es floß an eine Stelle am oberen Ende des Schemens und verschwand darin. Die Krone, seufzte Nauzhror. »Stell dich vor mich«, sagte Gromph zu dem Halbling. Der Huecuva tat, wie ihm geheißen, just als die Welle blau en Feuers zu Gromph zurückschoß. Die Flammen trafen den Halbling direkt gegen die Brust und aktivierten den Schutz zauber, den Gromph auf ihn gewirkt hatte. Das blaue Feuer wurde durch einen orangeroten Blitz ersetzt, der entlang des Wegs des reflektierten Zaubers zurückzuckte. Das grüne Sche men wurde durch die nun völlig zum Vorschein gebrachte Gestalt des Drowleichnams Dyrr ersetzt, der nicht länger un sichtbar war. Das Feuer aus der Abwehraura des Huecuva verbrannte den Leichnam, was Gromph lächeln ließ. Er sah den Halbling an und bemerkte, daß Dietr rauchte, sein totes Fleisch schwelte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Geh«, befahl Gromph. »Töte den Leichnam.« Dyrr wirkte einen Zauber auf ihn, aber Gromphs Schutz maßnahmen erwiesen sich als imstande, diesen abzuwenden. Das führte dazu, daß der Erzmagier sich etwas schwindlig fühl te, aber mehr nicht. Dietr taumelte vorwärts, widerstrebend, aber gezwungen zu handeln. Er war nicht schnell genug. »Töte den Leichnam«, rief Gromph ihm nach, »dann schi cke ich dich nach Hause zu deiner Mutter.« Dietr glaubte die Lüge und rannte los. Dyrr bewegte sich auf ihn zu, um ihm zu begegnen, und zog seine Klauenhand über
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das Gesicht des Huecuva. Orangerotes Feuer flammte bei der Berührung auf und wehte dem Drowleichnam brütende Hitze ins maskierte Gesicht. Dyrr riß einen Arm hoch, aber der Schaden war bereits an gerichtet. Er brüllte frustriert und wütend. Gromph wirkte schon seinen nächsten Zauber. Ehe Dyrr erneut zuschlagen konnte, zeigte er Wirkung, und der Arm des Drowleichnams wurde mitten im Schlag aufgehalten. Gromph hatte nicht damit gerechnet, daß der Zauber funktionieren würde, aber das hatte er. Dyrr war eingefroren. »Bringt mich nach Hause!« kreischte der untote Halbling. Er zog seine untoten Krallen über Dyrrs eingefallene Wan gen. Der gefrorene Drowleichnam knurrte wegen des Schmer zes und der Demütigung durch die Wunde und konnte sich wieder bewegen. Gromph nutzte Dyrrs fehlgeleiteten Zorn auf den Huecuva aus und lenkte die Energie eines geringfügigeren Erkenntnis zaubers in eine Explosion aus arkanem Feuer um. Er sorgte dafür, daß das silbrige Licht sich über den Drowleichnam er goß, und mußte die Augen schließen, weil es so grell erstrahlte. Dyrr war damit beschäftigt gewesen, einen Zauber zu wirken – wahrscheinlich einen, der Dietr in seine Einzelteile zerlegt hätte –, aber das arkane Feuer traf ihn voll ins Gesicht. Sein Zauber war gestört, und der Drowleichnam hatte erneut Verbrennungen erlitten. Ihr verletzt ihn, sagte Grendan in seinem Kopf. Dietr schlug erneut zu und fügte dem Unterarm des Drow leichnams eine tiefe Schnittwunde zu. Dickes, totes Blut quoll langsam hervor. Der Drowleichnam sah Gromph an, und der Erzmagier sah in seinen untoten Augen, daß er verletzt war, und zwar schwer. Gromph lächelte und ...
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Dietr explodierte in einem Schauer schwarzen Feuers, toten Fleisches und vergilbter Knochen. Was ist los? fragte Nauzhror. Die Kugel aus magischer Energie, die Gromph umgab, ver losch – ihre Magie war verbraucht –, als dem Erzmagier bewußt wurde, daß das schwarze Feuer, das den Huecuva vernichtet hatte, nicht von Dyrr stammte. Der Drowleichnam blickte in die Luft über dem Basar, und Gromph folgte seinem Blick. Nimor Imphraezl hing, auf fledermausartigen Flügeln schwebend, knapp vier Meter über dem Boden des Basars. Flügel? dachte Gromph. Ich wußte, daß er kein Drow ist, sagte Nauzhror. »Nun«, sagte Nimor zu dem Leichnam, wobei seine Stimme tiefer und gewichtiger klang, als Gromph sie in Erinnerung gehabt hatte, »es scheint, als brauchtet Ihr mich doch.«
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Ryld stand knietief im eiskalten Wasser des kalten Sumpfs. Jeggred war nirgends zu sehen. Der ständige Lärm machte es schwierig, das Geräusch des sich bewegenden Draegloth aus zumachen. Die seltsamen Gerüche überdeckten Jeggreds ranzi gen Atem. Die stecknadelkopfgroßen Sterne und die Biolumi neszenz an manchen Stellen machten es unmöglich, den Draegloth in dem kalten Wasser und der dichten Vegetation zu sehen. Das Feenfeuer, das die merkwürdige Sumpfkatze auf ihn gelegt hatte, war schon lange verblaßt. Von Zeit zu Zeit sah er Dinge sich im Wasser bewegen, größ tenteils Schlangen, aber keine Schemen, die groß genug waren, daß sie der Draegloth sein konnten. Etwas glitt an seinem Bein vorbei, aber an der schleimbedeckten Oberfläche gab es kein Anzeichen dafür, daß etwas vorbeigekommen war. Es war defi nitiv etwas Lebendiges, aber es konnte nicht Jeggred sein. Es
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berührte ihn nicht noch einmal, was auch immer es war. Da er bei jedem Schritt den Fuß vorsichtig aufsetzte, kam Ryld durch den Sumpf viel langsamer vorwärts, als er gehofft hatte. Die dünne Schicht aus leuchtend grünen Algen, die das Wasser bedeckte, machte es ihm unmöglich, seine Füße zu sehen. Mit jedem Schritt traf sein Stiefel auf Widerstand: einen Stein, etwas Weiches, etwas, das vielleicht lebendig war, etwas, das hart und rund war wie ein Bauernspieß – es gab davon eine Menge – und etwas Scharfes, wie eine Dolchklin ge. Eine Blase, die so groß war wie Rylds Faust, dehnte sich ei nige Meter vor ihm an der Oberfläche aus, blieb dort einige Sekunden lang und platzte dann. Ryld hielt an, beobachtete sie und zuckte zusammen, als der Geruch der Luft, die in der Blase gefangen gewesen war, an seiner Nase vorbeizog. Der Geruch erinnerte ihn an den schrecklichen Atem des Draegloth, aber er unterschied sich deutlich genug davon, daß Ryld sich sicher war, daß nicht Jeggred die Blase hatte aufstei gen lassen – außerdem war es nicht die erste solche Blase, die er gesehen hatte. Ryld ging weiter, und sein Fuß streifte unter Wasser erneut irgendeinen harten Gegenstand. Er hatte eine Melee Magthere-Technik angewandt, um seine Atmung zu verlang samen und das Zittern zu beruhigen, das seine Reaktionszeit langsamer zu machen drohte. Er sah, wie sein Atem in weißen Dampfwolken vor ihm in der Luft kondensierte, wenn er aus atmete, denn die Luft war kalt genug, daß seine Zähne beim Einatmen schmerzten. Wasser spritzte ihm ins Gesicht und bewirkte, daß er die Augen schloß. Es war dick vor Schleim und klumpigen Stück chen von irgend etwas – Ryld konnte nicht einmal vermuten, was es war. Seine Augen brannten durch die Blitze aus gelbem
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Licht und den Schmerz, der ihn die Kiefernmuskeln anspan nen ließ. Dennoch riß er sein Schwert hoch und schlug zwei mal nach dem, was auch immer ihn vollgespritzt hatte. Seine Klinge fand keinen Widerstand. Von viel weiter unten griff ein Paar Krallen nach seinem linken Schenkel, durchbohrte diesen und zog ihn nach unten. Die Klauen rissen tiefe, gezackte Wunden in seine Haut, und Ryld spürte die Hitze seines eigenen Blutes, das an seinem Bein entlanglief und sich dann abkühlte, als es sich mit dem kalten Wasser des Sumpfes mischte. Ryld trat zurück und stach nach unten. Dabei stolperte er über etwas im Wasser, das sich anfühlte wie ein Stück verstei nertes Seil. Obwohl er sein Bestes tat, um einzuschätzen, wo sich der Draegloth wohl befunden hatte, um ihn so mit den Krallen erwischen zu können, ging Splitter unter und sank in den weichen Grund, ohne Jeggred auch nur ein einziges Mal zu berühren. Ryld fiel rückwärts, bis das Wasser ihn in seine eis kalten Arme schloß. Der nächste Angriff des Draegloth stieß einen von Rylds Armen von Splitters Knauf fort und schnippte diesen zu seiner Seite weg. Eine weitere Reihe tiefer Schnitte wurde an der Unterseite seines linken Arms sichtbar. Ryld wollte schreien, aber er war unter Wasser, also hielt er den Mund geschlossen und brachte den Zweihänder wieder unter Kontrolle. Selbst in dem Tosen des wirbelnden Wassers, das sein Gehör außer Kraft setzte, spürte der Waffenmeister, wie das Gebiß des Draegloth einen Zentimeter vor seiner Kehle zuschnappte. Der Draegloth war über ihm, und alles, was der Halbdämon tun mußte, war, Ryld unter Wasser zu halten, dann würde dieser schließlich ertrinken. Doch der Draegloth machte den Fehler, seine Position klar zu zeigen, und Ryld nutzte den Vor teil, den dieser Fehler ihm bot, voll aus.
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Als er sich mit einem Bein nach oben stemmte, spürte Ryld das Gewicht des Halbdämons. Der Waffenmeister stemmte sich mit noch mehr Kraft hoch, wobei er eine Rolle rückwärts machte und sein Bein ausstreckte – was keine leichte Aufgabe war, da der Draegloth über hundert Kilo mehr als Ryld wog. Fast hatte er den Draegloth schon über den Kopf gewälzt, aber Rylds Knie gaben nach, vielleicht war es aufgrund des Wasser widerstandes, der Kälte, des Zitterns oder der Erschöpfung, und der Draegloth fiel auf ihn. Jeggreds Klauen fanden die Unterseite von Rylds Brustpan zer und brachten dem Bauch des Waffenmeisters einige ober flächliche, aber schmerzhafte Schnitte bei. Aber das kalte Wasser verlangsamte den Blutfluß. Ryld bemerkte fast unter bewußt die Ironie daran. Er würde in dem Wasser ertrinken, das ihn davon abhielt zu verbluten. Ryld drückte sich erneut hoch, benutzte diesmal aber Split ter statt seiner Beine als Hebel. Entweder fürchtete der Draegloth den Zweihänder oder die Tatsache, daß er sich völ lig unter Wasser befand, machte ihn leichter, jedenfalls gelang es Ryld, den Halbdämon von seinem Körper herunterzuwälzen. Er stieß mit Splitter blindlings noch einige Male zu, um sich den Draegloth vom Leib zu halten, während er aufstand. Als Rylds Kopf endlich aus dem Wasser ragte, sah er sich um, um nach Jeggred zu suchen, bevor er anfing, wieder zu atmen. Der Draegloth war nirgends zu sehen. Ryld kämpfte sich auf die Beine und rutschte dabei zweimal auf etwas aus, was sich wie schleimbedeckte Steine anfühlte. Dennoch ge lang es ihm, Splitter kampfbereit mit beiden Händen vor sich zu halten. Ryld stolperte durchs Wasser, über weitere seltsame Behin derungen unter der Oberfläche weg, mehrere Schritte von der Stelle fort, an der nach seiner Vermutung Jeggred liegen muß
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te, nachdem der Waffenmeister ihn von seinem Körper herun tergewälzt hatte. Er hätte sich immer weiter in die gleiche Richtung bewegt, hielt aber an, als er ein weiteres lautes Platschen hinter sich hörte. Ryld fuhr herum, sein Schwert erhoben und bereit, und sah, wie sich das Wasser kräuselte. Für ihn sah es wie die Anzei chen eines Kampfs aus. Verdutzt darüber, daß Jeggred so un verschämt war, nachdem er Ryld mehr als einmal so wirkungs voll in diesem verfluchten Sumpf überrascht hatte, ging der Waffenmeister einen Schritt näher an das Platschen heran, das Schwert im Bemühen, auf jede Eventualität vorbereitet zu sein, über dem Kopf erhoben. Der Draegloth tauchte plötzlich in einem Wirbel aus Klau en und Beinen auf. Wasser spritzte in hohem Bogen aus seiner Mähne, als sein Kopf zurückschnellte. Dunkelgrüne Seile um schlagen ihn, eine Pflanze, in der er sich verfangen haben mußte. Ryld hatte das Gefühl, er sähe, wie sich die Pflanzen teile bewegten, über Jeggreds Leib krochen wie Schlangen, die sich zusammenzogen. Jeggred hatte kaum Zeit, um tief Luft zu holen. So schnell, wie er aufgetaucht war, verschwand der Draegloth in einem weiteren Wasserstrudel, der den Schleim durchbrach, mit dem das Wasser bedeckt war. Ryld hatte keine Zeit zu begreifen, was er gesehen hatte. Etwas schlang sich um seinen Knöchel und zog. Der Waffen meister kannte hundert Tricks, um sich auf den Beinen zu halten, selbst wenn jemand ihn wirklich hinabziehen wollte, aber so sehr er es auch versuchte, was auch immer ihn gepackt hatte, war einfach zu stark. Also zerschnitt er es. Splitter befand sich noch immer in seinen Händen und war
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das schärfste Schwert, das je ein Schlachtfeld im Unterreich gesehen hatte. Ryld stach an seinem Körper entlang nach unten, dann schnitt er in das hinein und durch das hindurch, was es auch war, was ihn gepackt hatte. Es war nicht einfach – das Ding um seinen Knöchel war so stabil wie stark –, aber er durchtrennte es und hielt gerade noch rechtzeitig inne, um sich nicht den eigenen Fuß abzu schneiden. Ryld kämpfte sich rückwärts durchs Wasser, dann hielt er an und drehte sich um, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Ein halbes Dutzend der grünen, seilartigen Ranken ragte aus dem Wasser wie Schlangen, die nach ihrer nächsten Mahlzeit suchten. Ryld sah keine Augen, keine Münder, nur grüne Stengel, die einen Durchmesser wie die Handgelenke des Waf fen’ meisters hatten. Sie hatten keine Gesichter, aber sie wa ren sehr lebendig und wirkten ganz so, als suchten sie nach ihm. Eine der Ranken schnellte auf ihn zu, indem sie sich aus dem Wasser erhob, um sich durch die Luft auf Rylds Hals zuzu schlängeln. Der Waffenmeister schnitt schnell und hart auf Brusthöhe die ersten zehn Zentimeter der angreifenden Ranke ab. Grün lichgelber Saft quoll heraus wie Blut aus einer Wunde, und die Ranke erzitterte und fiel dann ins aufgewühlte, schleimbedeck te Wasser. Eine andere Ranke versuchte, sich von hinten um Ryld zu wickeln, und er spürte, wie noch mehr von ihnen unterhalb der Wasseroberfläche an ihm zerrten. Ryld hielt Splitter wei terhin in Bewegung und vollführte damit flüssige Bewegungen vor sich und zu beiden Körperseiten, womit er das Wasser zerteilte und einer belebten Ranke nach der anderen die En den abschnitt.
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Jeggred tauchte nach Luft ringend wieder auf und riß an ei nem Klumpen der dunkelgrünen Ranken. Er war mit Schlick, Rankensaft und Blut bedeckt. Eine der Ranken glitt um sein Gesicht herum in seinen Mund – ein Fehler. Jeggred biß zu, und der blutartige Saft spritzte über seine Wangen. Die Ranke zitterte und starb, aber ein halbes Dutzend weiterer durchbrach die Wasseroberfläche, um ihren Platz einzunehmen, und der Draegloth wurde wieder nach unten gezogen. Dieser Sumpf, dachte Ryld, als er zwei weitere angreifende Ranken zerschnitt, wird uns töten, bevor wir uns gegenseitig töten können. Ein weiterer Grund, die Oberflächenwelt zu hassen. Jeggred tauchte lange genug auf, um Luft zu holen, und Ryld hatte das Gefühl, daß der Draegloth die Oberhand über die gräßlichen Ranken gewann. Ryld zerschnitt eine weitere Ran ke, dann durchtrennte er eine, der es fast gelungen wäre, sich ganz um seinen verwundeten Schenkel zu schlingen. Die Ran ken gingen noch immer auf ihn los, eine nach der anderen, und Ryld hatte keine Ahnung, wie viele es waren oder ob, geschweige denn wann, sie endlich aufgeben würden – sonst würde er auch die letzte von ihnen töten. Dies und die Mög lichkeit, daß Jeggred wieder auf ihn losgehen könnte, verhalf dem Waffenmeister zu einer Entscheidung. Ryld blickte sich um, machte zu seiner Rechten eine schnelle Bewegung mit seinem Zweihänder, um eine Ranke zu zerschneiden, und dann nach vorne, um eine andere zu durch trennen, indem er die Bewegung der Ranken in seinem peripheren Gesichtsfeld seine Ziele für sich aussuchen ließ, während er nach einer Fluchtroute Ausschau hielt. Zu seiner Rechten – er hatte schon vor einer ganzen Weile jede Orientierung verloren, so daß er keine Ahnung hatte, ob vor ihm Norden, Süden, Osten oder Westen lag – wich das
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Wasser etwas festerem Boden, wenn nicht sogar völlig trocke nem Land. Größere Bäume mit langen, peitschenartigen Zwei gen bildeten einen Wald aus dünnen Linien. Hinter diesen hängenden Zweigen sah Ryld vereinzelte orangefarbene Lich ter, bei denen es sich um Fackeln handeln mußte, die in eini ger Entfernung brannten. Er wußte, daß es alle möglichen vernunftbegabten Wesen gab, die diese Fackeln angezündet haben konnten, und ganz bestimmt war keines von ihnen ein Drow. Aber er könnte eine Wohnstätte dennoch zu seinem Vorteil nutzen. Wenn Jeggred ihn dorthin verfolgte und es eine Menschen-, Ork- oder Elfen stadt wäre, würden sie Drow vielleicht nicht mögen, aber sie hätten Angst vor dem Draegloth. So konnte Ryld Zeit gewin nen, wenn nicht sogar Verbündete. Eine neue Ranke schaffte es, sich um seinen Knöchel zu schlingen und zu ziehen. Ryld stürzte, und sein Gesicht wurde beinahe unter die schleimige Wasseroberfläche gezogen, bevor es ihm gelang, die Ranke loszuwerden, indem er sie abschnitt. Er schnitt dabei ein Loch in seinen Stiefel, durch das nun Wasser eindrang, und er zitterte vor Kälte. Von der Ranke befreit rannte der Waffenmeister los. Er machte sich nicht die Mühe zu versuchen, leise zu sein, sondern platschte Hals über Kopf durch das knietiefe Wasser. Hinter ihm kam Jeggred wieder an die Oberfläche, zerrte an den Ranken, die noch immer um seine Körpermitte geschlungen waren, brüllte, holte Luft und tauchte wieder unter. Ryld trat auf trockenen Boden und sprang in ungebührli cher Art und Weise in die Höhe, als eine Gruppe Ranken ihm auf den Fersen folgte. Der Boden war rutschig und schlammig, an manchen Stellen mit glitschigem Moos bedeckt, aber Ryld rannte weiter, obwohl er gelegentlich um seinen Halt kämpfen mußte. Hinter ihm waren das seltsame Knurren des Draegloth
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und ein wiederholtes Platschen zu hören. Ryld rannte durch die stechenden, peitschenähnlichen Zweige und wich den engstehenden Bäumen aus, wobei es ihm kaum gelang, sich auf den Beinen zu halten. Dabei hörte er, wie der Halbdämon hinter ihm keuchte, Dinge zerriß und knurrte. Jeggred war wieder aufgetaucht und kämpfte gegen die Ranken, um den Weg freizubekommen. Der Waffenmeister rannte weiter, und bald gesellte sich zu den Geräuschen des kämpfenden Draegloth das schwache Echo von Stimmen vor ihm. Er kam noch immer in voller Geschwindigkeit aus dem Wald der peitschenartigen Zweige heraus. Die Lichtung war breit und vergleichsweise trocken. Eine Ansammlung von Baumstümpfen ersetzte nun die Bäume, und Ryld sprang auf einen davon und hüpfte dann von einem zum anderen, um sich so auf die Siedlung zuzubewegen. Die Baumstümpfe boten ihm einen gleichmäßigeren Tritt und waren weniger glitschig als der schlammige, moosige Boden. Die Fackeln brannten an langen Pfählen, die kreisförmig um eine Ansammlung aus einem Dutzend kleiner Hütten und zerlumpten Zelten in den Boden gesteckt worden waren. Selbst Ryld, der nur wenig über die Welt an der Oberfläche wußte, konnte erkennen, daß es sich bei der Siedlung um ein zeitwei liges Lager, keine Ansiedlung handelte. Die Stimmen, die er aus einem der stabiler aussehenden Gebäude hörte, klangen menschlich. Der Waffenmeister konnte gelegentlich ein Wort aus der Handelssprache der Menschen erkennen. Er hatte die Sprache in Melee-Magthere gelernt, aber hatte wenig Mög lichkeit, sie auch anzuwenden, und manche Worte waren ihm noch immer unvertraut. Etwas abseits der Siedlung lag ein großer Stapel von Baum stämmen, die gefällt, von ihren Zweigen befreit und sorgfältig in einer Pyramide aufgeschichtet worden waren, die fast drei
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Meter hoch war. In Menzoberranzan wäre das ein Vermögen in Holz gewesen. Ryld arbeitete sich von Baumstumpf zu Baumstumpf vor wärts und auf das größere Gebäude zu, aber hielt kurz inne, um Splitter wieder in die Scheide zu stecken – da wurde er hart von hinten getroffen. Er fiel nach vorne von dem Baumstumpf, den Zweihänder noch immer in der rechten Hand, und Schmerz flammte in seinem Rücken auf. Er fiel auf einen Baumstumpf, stieß sich ab, rollte sich nach vorne und sah die dunkle Gestalt Jeggreds, der hinter ihm hochkletterte. Ryld trat dem Draegloth hart mit beiden Füßen zwischen die Beine. Jeggred grunzte und wich lange genug zurück, um Ryld Gele genheit zu geben, wieder auf die Beine zu kommen. Splitter in beiden Händen, täuschte Ryld einen Angriff auf die Körpermitte des Draegloth vor. Jeggred fiel darauf herein und drehte sich weg. Der Waffenmeister sprang zurück auf einen der Baumstümpfe und wieder rückwärts von Stumpf zu Stumpf. Der völlig durchnäßte Jeggred war bedeckt mit Schlick, Pflanzensaft und Blut. Seine purpurroten Augen glüh ten in der Finsternis, und Dampf drang ihm aus Mund und Nasenlöchern. Ryld versuchte, sich etwas einfallen zu lassen, was er sagen konnte, vielleicht, um den Draegloth zu verspotten, aber in seinem Kopf herrschte Leere. Pharaun hätten bestimmt tau send aufreizende, geistreiche Bemerkungen auf der Zunge gele gen, genug, um seinen Gegner abzulenken, aber Ryld konnte nur den Mund geschlossen halten und sich auf den Kampf konzentrieren. Sie waren ohnehin beide deutlich über das Stadium der Konversation hinaus. Der Meister Melee-Magtheres wußte, daß das Gebäude sich hinter ihm befand. Er sah, wie das orangefarbene Licht des Feuers, das durch die Fenster schien, heller wurde und konnte
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die Stimmen lauter vernehmen. Es schien keine Veränderung im Tonfall der Unterhaltung zu geben, von der vereinzelt Bro cken durch das Fenster nach außen drangen. Es war kein A larm ausgelöst worden. Jeggred schlug mit den Krallen einer seiner größeren Hände nach ihm, und Ryld trat auf ihn zu, um ihm den Arm abzu schneiden, mußte aber Lehrgeld bezahlen, als er herausfand, daß es sich bei dem Angriff um eine Finte handelte. Mit den Klauen der übriggebliebenen kleineren Hand kratzte der Draegloth Ryld übers Gesicht. Der Waffenmeister trat einen Schritt zurück, und plötzlich gab es hinter ihm keine Baum stümpfe mehr. Er rutschte auf dem schlammigen Boden aus und fügte dem Körper seines Gegners zur gleichen Zeit eine Schnittwunde zu. Die Spitze seines Zweihänders hinterließ eine rote Linie auf Jeggreds Schenkel, und der Draegloth wich zurück, was Ryld Zeit gab, wieder festen Halt zu gewinnen und drei lange Sprünge nach hinten zu machen. Orangefarbener Feuerschein erleuchtete den ramponierten Draegloth und glitzerte auf seinen riesigen, dolchartigen Zäh nen. Mit einem von Fangzähnen gesäumten höhnischen Grin sen stürzte sich Jeggred auf Ryld. Alles, was der Waffenmeister tun konnte, war, seine Hände – und sein Schwert – hochzurei ßen, um seinem Angriff zu begegnen. Jeggred traf ihn hart genug, um Ryld die Luft aus den Lun gen zu treiben und den Zweihänder so hart gegen ihn zu sto ßen, daß er in die Seite seines Gesichtes einschnitt und dem Waffenmeister beinahe das Ohr abtrennte. Ryld fühlte, wie seine Füße den Boden verließen; sein Körper war nun auf Ge deih und Verderb Jeggreds Trägheit ausgeliefert. Sie stürzten durch ein Fenster, wobei Glas zerbrach und sich in Millionen winziger Messer verwandelte, die beiden an hundert verschie denen Stellen in den Körper drangen. Ryld konnte nur noch
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die Augen schließen und ächzen, als er mit dem schweren Draegloth über sich so hart auf einem Holzboden aufschlug, daß wenigstens eine seiner Rippen wie ein Zweig brach. Jeggred wälzte sich herum, und Ryld stieß ihn von sich fort. Ehe er wußte, wie ihm geschah, saßen sie beide auf dem Boden einer Art baufälliger Taverne und waren umgeben von einem Dutzend sehr überraschter Menschen.
Laß es ein, flüsterte Aliisza in Pharauns Geist, aber nicht zu weit. Pharaun saß mit gekreuzten Beinen und geschlossenen Au gen auf dem Deck, die Handflächen nach unten auf die pulsie rende Oberfläche des lebenden Schiffs gepreßt. Er versuchte, die Eindrücke zu ordnen, die auf ihn einströmten. Einige da von waren körperlicher Art, andere waren emotional, und manche kamen in Formen, die sich Pharaun niemals hätte vorstellen können. Er roch etwas, das nach Algenfladen roch, die über einem offenen Feuer geröstet wurden. Lichtblitze pulsierten hinter seinen Lidern und hinterließen schweif- und rankenförmige Spuren. Der Schiffspuls dröhnte in seinen Oh ren. Er schnitt eine Grimasse, als ein fürchterlicher Ge schmack nach fauligem Fisch über seine Zunge lief. Das alles geschah auf einmal und veränderte sich dann. Du wirst deinen Körper nutzen, um es zu steuern, fuhr Aliisza fort, und deinen Geist. Pharaun spürte, daß sie recht hatte. Eine Woge von Hoff nungslosigkeit kam aus dem Nichts und verursachte ihm eine Gänsehaut. Fast zur gleichen Zeit durchströmte ihn eine sol che Menge Adrenalin, daß er das Gefühl hatte, er könnte das Schiff physisch über seinen Kopf heben und es so durch die endlose Astralebene bis in den Abyss werfen. Genau so, flüsterte Aliisza. Ja ...
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Es war weder Wind noch Wasser, was das Chaosschiff an trieb, sondern Verlangen, Entropie, Boshaftigkeit und Verwir rung – diese Dinge und andere dieser Art. Du wirst den Willen aufbringen müssen, dich zu bewegen, fuhr Aliisza fort, was dir leichtfallen dürfte. Fühle, wie man ihn durch das Schiff und in das Ebenenmedium um dich herum leitet. Das kann man nicht lernen. Du mußt dich ihm einfach überlassen, während du es gleichzeitig in Schach hältst. Verstehst du? Pharaun nickte, da er nicht reden wollte. Etwas durchdrang seine Haut am Handgelenk – eine Ranke, die sich anfühlte wie ein Stück Schnur. Der Meister Sorceres spürte, wie sie in eine Ader eindrang und sein Blut anzapfte. Er versuchte, seine Hände mit einem Ruck wegzuziehen, aber seine Finger hafteten am Deck fest. Keine Panik, sendete Aliisza. Es wird nicht genug von deinem Blut nehmen, um dich zu schwächen, aber es braucht einen kleinen Teil davon, sonst wird die Verbindung fehlschlagen. Du bittest mich, ihm zu vertrauen? fragte Pharaun. Diesem Konstrukt dämonischen Chaos’? Er spürte, wie sie seine Wange berührte, mit warmen und trockenen Fingern, aber er sah sie nicht. Sie blieb unsichtbar und bestand darauf, daß er ihre Anwesenheit den anderen nicht enthüllte. Pharaun hielt sie gerne geheim. Eine weitere Woge widerstreitender Gefühle überrollte ihn, und er stand sie durch. Das Schiff wird fühlen, was du fühlst, sagte Aliisza, genauso, wie du fühlen wirst, was es fühlt. Wenn du bereit bist, bringe es mit der Kraft deines Willens in den Schattensaum und von da aus dann weiter. Es mit der Kraft meines Willens dazu bringen? fragte der Magier. Wie du einen Arm heben oder deine Augen öffnen würdest, antwortete sie.
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Einfach so? Das Alu-Scheusal lachte und sagte: Es gibt unter tausend nur drei vernunftbegabte Wesen, die tun können, was du getan hast, mein Lieber. Sich mit einem Chaosschiff zu verbinden ist ein gefähr liches Unterfangen. Inwiefern? Wenn es dich nicht akzeptiert hätte, hätte es dich getötet, ent gegnete sie, und zwar auf sehr häßliche, gemeine Weise. Pharaun seufzte interessiert, aber nicht überrascht. Du hättest es zugelassen, daß es mich tötet? fragte er. Aliisza dachte lange nach und sagte dann: Du mußt das hier tun, so oder so. Ich hatte Vertrauen in dich. Pharaun nahm den Sarkasmus in ihrem Tonfall wahr und lächelte. Sie war ein Alu-Scheusal und stand zurecht auf der anderen Seite eines blutigen, sich immer mehr ausbreitenden Krieges. Warum sollte es ihr etwas ausmachen, wenn das Cha osschiff ihn tötete oder verrückt werden ließ? Die Ranken glitten aus seinen Handgelenken, und seine Handflächen ließen sich wieder vom Deck lösen. Das Schiff zu navigieren wird deine volle Aufmerksamkeit erfor dern, warnte Aliisza, aber wenn ihr auf einem vorher festgelegten Kurs auf dem Wasser treibt, wirst du dennoch in der Lage sein, mit deinen Weggefährtinnen und -gefährten zu sprechen und sogar Zauber zu wirken. Wie praktisch, bemerkte der Magier. Das Chaosschiff war ein Kriegsschiff, Pharaun, erwiderte sie. Es wurde erschaffen, um zu kämpfen, und die Tanar’ri, die es gebaut haben, hatten kein Interesse daran, daß der mächtigste Zau berwirker unter ihnen hilflos und stumm an das Deck gebunden war. Das Schiff wird eine Menge von dir fordern, aber nicht alles. Gib ihm nicht mehr, als es braucht. Wie geheimnisvoll, schoß der Magier zurück. Ich mag das.
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»Geht es Euch gut?« fragte eine Stimme, und Pharaun dachte zunächst, es sei Aliiszas. Du weißt sehr gut, antwortete er ihr auf gedanklichem Wege, daß ich, wenn es mir nicht gutginge, einfach – Dann wurde ihm klar, daß nicht Aliisza gesprochen hatte, sondern Quenthel. »Meister Mizzrym ...«, sagte die Hohepriesterin. Pharaun öffnete die Augen, aber er mußte mehrmals zwin kern, bevor er deutlich sehen konnte. Die Herrin ArachTiniliths stand über ihm, die Arme über der Brust gekreuzt, die Augen streng und kalt, aber beunruhigt. »Es geht mir gut, danke, Herrin«, antwortete Pharaun. »Ich habe einigen Grund anzunehmen, daß ich das Schiff voll kommen unter Kontrolle habe und daß es genügend Energie gesammelt hat.« Er blickte sich nach den anderen um, die hinter Quenthel standen und ebenfalls zu ihm herabsahen. Es waren nur Valas und Danifae. »Wenn der Draegloth zurückkehrt«, schloß Pharaun, »kön nen wir uns auf den Weg machen.« »Wir werden nicht auf Jeggred warten«, antwortete Qusnthel, was bei Danifae einen scharfen Blick und bei dem Söldner-Späher das Heben einer Braue bewirkte. »Herrin, ...«, begann Danifae, aber Quenthel hob eine Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Jeder, der ohne meine Erlaubnis«, sagte Quenthel, »diese Expedition verläßt, wird so angesehen, als sei er desertiert.« »Das war ganz bestimmt nicht die Absicht Eures Neffen«, erwiderte Pharaun. »Ich glaube, es war auch nicht die Intenti on Meister Argiths. Mir scheint, daß wir da, wohin wir uns auf den Weg machen, ihre Stärke brau...« »Das werden wir nicht«, unterbrach die Hohepriesterin.
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Mit einem Blick in die Finsternis fuhr sie fort: »Sie sind beide stark, aber da, wohin wir uns auf den Weg machen, wird es hinter jedem Stalaktiten Dinge geben, die sie beide in Stücke reißen könnten. Wir machen keinen Ausflug in die Dunkle Domäne. Was uns begegnen wird, kann nicht durch Körper kraft besiegt werden, sondern nur mit einem klaren und be ständigen Verstand – dem unbeirrbaren Streben nach der Erfüllung der eigenen Wünsche.« Pharaun runzelte die Stirn und wartete darauf, daß jemand von den anderen etwas sagte. Valas Hune stand da und wartete darauf, daß die Frauen die Sache untereinander ausmachten. »Ihr scheint zu wissen, was wir dort sehen werden«, sagte Danifae zu der Hohepriesterin, »aber Ihr wißt es nicht mit Bestimmtheit.« Pharaun, der überrascht war von der Art, wie Danifae die Hohepriesterin festgenagelt hatte, sah Quenthel an, neugierig auf ihre Antwort. »Ich weiß, daß ich nicht länger hierbleiben kann«, antwor tete Quenthel. Die Vipern wanden sich langsam an ihrer Hüf te. »Dieser Ort tötet mich. Wir wissen, was zu tun ist. Ob wir leben oder sterben, wir werden im Abyss, an der Seite Lolths, leben oder sterben.« Pharaun zog eine Braue hoch und lächelte, indem er von der einen Frau zur anderen blickte. »Wir haben nicht einmal begonnen«, warnte Danifae. »Es wird für Jeggred viel zu tun geben. Wir sollten noch warten.« »Das zu entscheiden, mein Spielzeug«, schoß die Herrin Arach-Tiniliths zurück, »ist nicht deine Sache. Du warst schon anmaßend genug.« Pharaun erkannte, daß es Danifae Mühe kostete, zu Boden zu blicken, um ihre glühendroten Augen auf dem Deck ruhen
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zu lassen, statt die Hohepriesterin mit ihrem Blick zu durch bohren. Die Kriegsgefangene hatte deutliche Fortschritte ge macht, und Pharaun ertappte sich dabei, daß er sie anlächelte. »Meister Mizzrym«, sagte Quenthel, »bringt uns zu Lolth. Jetzt.« »Ich brauche eine kurze Rast«, log der Magier. In dem Mo ment, als die Worte ihm über die Lippen kamen, fragte er sich, warum er log. Er sah Danifae nicht an. »Laßt uns noch eine weitere Phase der Trance für uns alle einlegen. Wir sollten Lolth ausgeruht und in bester Verfassung entgegentreten.« Quenthel antwortete nicht, sondern drehte sich um und ging fort. Danifae blieb. Was tust du? flüsterte Aliisza in sein Bewußtsein und er schreckte Pharaun damit. Er hatte vergessen, daß sie da war. Das stimmt nicht. Die Herrin der Akademie, sagte er zu dem Alu-Scheusal, denkt nicht klar. Du willst wohl nicht ohne Jeggred reisen? fragte Aliisza. Würdest du das tun? Pharaun fühlte, wie sie in seinem Kopf lachte. »Danke«, sagte Danifae. Pharaun sah mit einem Lächeln zu ihr auf. Quenthel und Valas hatten sich entfernt, aber er verwendete Zeichenspra che, um sicherzugehen, daß niemand sie belauschen konnte. Warum sollte ich Euch weiterhelfen? fragte er. Was tut Ihr? Sie dachte lange darüber nach und antwortete dann: Ich möchte, daß Ihr mir versprecht, daß Ihr nicht ohne Jeggred abreist. Was, wenn ich es tue? Danifae hatte keine Antwort darauf parat. Ich bin ärgerlich über die Herrin, fuhr der Magier fort. Ich habe keine Anstrengung unternommen, um das zu verbergen. Sie hat versucht, mich zu töten. Sie hat mich mit weniger Respekt behan
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delt, als ich verdiene, aber sie ist die Herrin Arach-Tiniliths, die mächtigste Priesterin in Menzoberranzan, wenn nicht sogar aller Gläubigen Lolths – einschließlich der Muttermatronen. Dies ist ihre Expedition, und ihre Befehle sind Gesetz. Aber nicht dort, wo ich herkomme, entgegnete Danifae, und auch ich diene Lolth. »Vielleicht«, erwiderte Pharaun laut, da er überzeugt war, daß Quenthel zu ihrem stummen Schmollen zurückgekehrt war, bei dem sie ihre Umwelt nicht wahrnahm, »aber wie dient Ihr mir?« Danifae blickte verwirrt drein, und ihre Augen forderten ihn auf fortzufahren. »Ihr wollt etwas von mir«, erklärte er. »Ihr bittet mich, mein Leben und meine Zukunft in Menzoberranzan aufs Spiel zu setzen. Ihr bittet mich, mich der Schwester meines Erzma giers, meinem Meister und der Muttermatrone des ersten Hau ses, seiner Herrin, zu widersetzen.« »Ihr möchtet wissen, was ich Euch dafür anbieten werde?« fragte sie. Nun war es an ihm, sie mit seinem Blick zu einer Antwort aufzufordern. »Sagt mir«, verlangte sie, »wollt Ihr wirklich ohne Jeggred durch die Schattenebene in die Astralebene, durch die Ebene der zahllosen Portale und auf die sechsundsechzigste Ebene des Abyss reisen?« »Er wäre für uns alle von Nutzen, da bin ich sicher«, meinte Pharaun, »wie er es bisher schon war, aber er dient nicht mir. Er kann mich nicht einmal leiden, wenn man sich das über haupt vorstellen kann. Ihr dagegen seid zu einer wichtigen und mächtigen neuen Verbündeten geworden, um die zu ersetzen, die Ihr verbraucht habt.« Ihr denkt, Quenthel sei ›verbraucht‹? fragte Danifae stumm.
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»Sie ist nicht sie selbst«, antwortete Pharaun. »Soviel ist klar, aber es bleibt die Frage: Warum sollte ich etwas für Euch tun?« »Was wollt Ihr?« fragte sie, und Pharaun hatte das Gefühl, sie um alles bitten zu können, und sie würde es zumindest in Erwägung ziehen. »Mir wäre wohler, wenn Ryld hier wäre«, sagte er, wobei es ihm egal war, ob es nach Schwäche klang. Danifae nickte und sagte: »Selbst, wenn er zu Eilistraee übergelaufen ist?« »Das bezweifle ich«, erwiderte der Magier. »Meister Argith ist nicht religiös.« »Sein Schwertarm arbeitet für Euch wie Jeggreds Klauen für mich«, sagte sie. Pharaun lächelte, zwinkerte und nickte. »Ich schätze, das ist nur gerecht«, sagte sie, »aber bittet mich nicht, Halisstra zu schonen.« »Wen?« scherzte Pharaun. Das entlockte Danifae ein Lächeln. »Haltet Jeggred von Ryld fern«, sagte der Magier. »Bringt den Meister Melee-Magtheres hierher zurück, notfalls auch, wenn er sich mit Händen und Füßen wehrt, aber lebendig, dann werde ich ihn von da an übernehmen.« »Gut«, erwiderte Danifae. Sie berührte einen Ring an ihrer rechten Hand und verschwand. Das überraschte Pharaun. Interessant, sagte Aliisza von irgendwoher. Wer ist sie? Eine Kriegsgefangene, antwortete Pharaun, zumindest war sie das. Sie erscheint mir eher wie eine Priesterin, meinte das AluScheusal. Ja, antwortete Pharaun. Ja, das tut sie, nicht wahr?
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Sie sprach ganz durch Bewegung, in den subtilen Nuancen von Geste und Rhythmus, und es schien alles wie ein herrlicher Traum. Halisstra spürte, wie sich ihr Körper bewegte. Die Luft wir belte kühl und belebend um sie herum. In der Bewegung spürte sie die Anwesenheit Danifaes. Die sanft gerundete Hüfte ihrer früheren Dienerin drehte sich auf eine Weise, die auf falsches Spiel hinwies, und mit einer Anmut, die von Ehrgeiz zeugte. Danifae atmete Unzufriedenheit und trat in den Abgrund der Dämonennetze. Halisstra sah nicht zu, sie tanzte. Sie war da, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wo »da« war. Es gab keinen Raum, nur die Bewegung in seinem Inneren – die Bewegung, die Ei listraees Stimme war. Danifae und Halisstra tanzten im Takt unterschiedlicher
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Lieder. Sie bewegten sich auf den gleichen Endpunkt zu, aber aus unterschiedlichen Gründen, und waren von der gleichen bedrückenden Stille umgeben. In der Bewegung einer Schulter warnte Eilistraee Halisstra, Danifae nicht zu trauen, drängte ihre Dienerin aber, weiter dem Weg der früheren Kriegsgefan genen zu folgen. Halisstra würde bei einem Teil des Weges die Führung übernehmen, Danifae bei einem anderen. Beide Göt tinnen würden von außen auf sie einwirken und sie zu einem Ort und in eine Zeit schicken, die sich kein geistig gesunder Drow je vorstellen könnte, außer in einem Alptraum, der von einer Göttin stammte. Halisstra fühlte, wie sie sich durch einen stillen, leeren Raum bewegte und wußte, daß dieser Raum der Abgrund der Dämonennetze war – die Heimatebene Lolths, völlig verlassen, ein leeres Leben nach dem Tode ohne Hoffnung und ohne Zukunft. Halisstra spürte, wie Danifae durch denselben toten Raum wirbelte wie sie und sie mit der gleichen dumpfen Furcht ansah, die Halisstra selbst empfand. Es würde keine Dienstbarkeit geben, keine Belohnung außer dem Vergessen, und Danifae würde zu den gleichen Schlußfolgerungen, zur gleichen Erkenntnis kommen. Danifae kann bekehrt werden, tanzte Halisstra. Eilistraee zögerte. Mit dem gleichen stummen Gefühl der Ungewißheit endete die Bewegung. Unter ihr war fester, unbeweglicher Boden aus mit Sand bestreutem Stein, und überall um sie herum waren unbelebte Tore. Halisstra rollte sich auf den Rücken, rieb sich das Gesicht mit den Händen und versuchte, zu Atem zu kom men. Sie war schweißüberströmt, und ihr Leib schmerzte. Sie fühlte sich, als hätte sie stundenlang getanzt, aber sie war nicht sicher, ob sie überhaupt getanzt hatte. Halisstra blickte sich im Inneren des Torhauses um und
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suchte nach Danifae. Die frühere Dienerin war nirgends zu sehen. Halisstras Rufe blieben unbeantwortet. Also ging sie nach draußen. Das trübe Licht der Höhle enthüllte ein großes, komplexes Bauwerk. Halisstra wußte, daß sie in Sschindylryn war, aber sonst wußte sie nicht viel über die Stadt. Sie war sich nicht sicher, ob sie diese Welt nur durch ihre persönliche Wahr nehmung so empfand, aber sie hatte das Gefühl, daß die At mosphäre in der Stadt der Portale stark von Meinungsver schiedenheiten und neu aufkommender Gewalt geprägt war. Sie hatte dasselbe schon früher einmal gespürt – in Ched Na sad. Plötzlich hatte sie ein Bild Rylds im Kopf – weniger ein Bild, sondern die Erinnerung an die Art, wie er sich mit ihr bewegte, und die Berührung seiner nachtschwarzen Haut. Sie hatte ihn zu Danifae geführt, die in Quenthels Namen Jeggred zu ihnen geführt hatte. Quenthel wußte, daß sie – oder zumin dest Halisstra – Lolth zugunsten Eilistraees den Rücken ge kehrt hatten. Aber eigentlich hatte Ryld das nicht getan. Als Mann, der nicht besonders religiös war, diente der Waffenmeister Lolth, weil alle um ihn herum dies taten. Wie alle Drow in Menzoberranzan hatte Ryld als Kind schon ständig Lolths Worte im Ohr gehabt. Halisstra war ebenso erzogen worden, aber sie besaß die Willenskraft, Abstand zu gewinnen und die Situation zu überprüfen, während diese sich weiterentwickelte. Danifae hatte auch eine Wahl, und diese Erkenntnis über kam Halisstra in dem Moment, als diese aus dem plötzlich purpurrot aufflammenden Torbogen trat. Das Tor war schlag artig zum Leben erwacht, enthüllte Danifae und ließ Halisstras Sicht für einen Augenblick verschwimmen. Blinzelnd stand Halisstra auf und fragte: »Ryld?«
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Danifae zuckte die Achseln. Es war eine unhöfliche, gering schätzige Geste, die Halisstra ärgerte. Das Gesicht der MelarnPriesterin lief rot an, und sie biß die Zähne fest zusammen, aber sie tat ihr Bestes, um den Ärger hinunterzuschlucken, während sie gleichzeitig die Erinnerung daran verdrängte, wie sie ihre Kriegsgefangene bestraft, geschlagen, gedemütigt und gebrochen hatte. »Wo warst du?« fragte Halisstra. »Bei Herrin Quenthel«, erwiderte Danifae. »Sie brechen auf. Ich wurde zurückgeschickt, um Jeggred zurückzuholen.« »Weißt du, wo der Draegloth ist?« fragte Halisstra. »Wenn ja, dann mußt du auch wissen, wo sich Ryld befindet.« »Jeggred wurde geschickt, um ihn zu töten«, antwortete Danifae. »Ich habe es Euch gesagt.« »Das ist wahr«, sagte Halisstra, »aber ...« »Ihr möchtet wissen, ob der Waffenmeister gesiegt hat«, erwiderte Danifae, »oder ob der Draegloth ihn in diesem Mo ment frißt.« Halisstra schluckte mit zugeschnürter Kehle und fragte: »Lebt er? Hat Ryld gewonnen?« Danifae zuckte erneut die Achseln. »Du kannst mich zu ihm zurückbringen«, sagte Halisstra. »Wenn du diese Tore benutzt, kannst du mich zu ihm brin gen.« »Wo Jeggred Euch ebenfalls in Stücke reißen und abwech selnd mit dem Waffenmeister verspeisen wird«, meinte die frühere Dienerin, »mit anderen Worten, Ihr könnt Euch vor wärts bewegen oder rückwärts.« »Vorwärts? Rückwärts? Was soll das?« »So, wie ich es sehe, Herrin Halisstra«, entgegnete Danifae, »habt Ihr zwei Möglichkeiten: Entweder Ihr begebt Euch an die Seite Eures Geliebten und sterbt dort, oder Ihr geht zurück
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zum Tempel an der Oberfläche und Euren neuen Schwestern in Eilistraee.« Halisstra atmete tief aus und betrachtete die bildschöne Elfe von oben bis unten. Danifae lächelte zurück, auch wenn ihr Gesichtsausdruck mehr nach Spott aussah. »Sie brechen auf«, drängte Danifae, »und zwar bald. Wenn Ihr zu dem Tempel zurückkehrt, wo ich zuerst Kontakt mit Euch aufnahm, wenn Ihr ihnen erzählt, daß Quenthel und ihre Truppe sich auf dem Weg zum Abgrund der Dämonennetze befinden, um Lolth selbst zu suchen, haben die Priesterinnen der Eilistraee vielleicht noch genug Zeit, um zu helfen.« »Um zu helfen? Wem zu helfen?« flüsterte Halisstra, dann sagte sie lauter: »Ich sollte zu den Priesterinnen der Eilistraee zurückkehren und ihnen sagen, daß wir Quenthel und den anderen zum Abgrund der Dämonennetze folgen können. Würdest du dabeistehen und zusehen und sie nicht warnen ... und Lolth nicht warnen?« »Ich bin noch immer eine Dienerin«, sagte Danifae. »Ich kann die Entscheidung nicht für Euch treffen oder Euch bit ten, mir zu vertrauen. Ich kann nichts versprechen, nichts versichern, nichts garantieren. Für diese Dinge müßt Ihr Euch an Eure Göttin wenden. Aber so oder so kann ich Euch hin schicken, wo auch immer Ihr hinwollt.« Sie sah es. Es war nur ein winziger Augenblick, aber der Blick, in dem Unsicherheit, Furcht, Verlegenheit und noch mehr lagen, war unverkennbar. Danifae war auf eine sehr un reife Art eifersüchtig, daß Halisstra erneut einer Göttin diente, die die Gebete ihrer Gläubigen erhörte, während sie sich noch immer an die Erinnerung an eine tote Göttin klammerte. »Habe ich eine Wahl?« fragte Halisstra, die langsam den Kopf schüttelte. »Ich kann Euch hinbringen, wohin auch immer Ihr wollt«,
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wiederholte Danifae. »Sagt mir, ob Ihr zurück zu Eurem Tem pel möchtet, um die Priesterinnen dort zu organisieren, oder ...« »Organisieren?« unterbrach Halisstra. Danifae war ungehalten, und Halisstra war für einen Mo ment erstaunt über ihre Reaktion. »Gewiß gewährt Eilistraee ihnen noch immer Zauber«, sag te Danifae. »Sie werden ohne Chaosschiff die Ebenen bereisen können. Eilistraee sollte Euch direkt zu ihnen bringen kön nen.« Halisstra sah, wie sich das Gesicht ihrer früheren Dienerin erneut veränderte – wie die Furcht zurückkehrte. »Oder«, sagte Danifae mit tiefer und gleichmäßiger Stimme, »Ihr könnt versuchen, Eurem Waffenmeister gegen den Draegloth zu helfen und dabei sterben.« Halisstra schloß die Augen und überlegte, wobei sie gele gentlich innehielt, um sich über die Tatsache zu wundern, daß sie überhaupt darüber nachdachte. »Mein Herz«, gestand Halisstra Danifae, »will, daß ich zu Ryld gehe, aber mein Kopf sagt mir, daß meine neuen Schwes tern wissen wollen, was du zu mir gesagt hast und daß sie zum Abgrund der Dämonennetze reisen werden wollen.« »Es bleibt nur noch wenig Zeit, um sie zu versammeln«, warnte Danifae, »und sie wird immer kürzer.« Halisstra biß die Zähne zusammen, während sich ihre Kehle zuschnürte. »Trefft eine Entscheidung«, drängte Danifae. »Der Velarswald«, platzte Halisstra heraus. Eine Träne schimmerte im Feenlicht und hinterließ eine Spur auf dem Weg über ihre schwarze Wange. »Bring mich zu den Prieste rinnen.« Danifae lächelte, nickte und wies auf ein purpurrot glühen des Tor.
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Die beiden starrten einander an. Danifaes Blick wanderte zwischen Halisstras Augen hin und her, als läse sie etwas, das in ihren Pupillen geschrieben stand. Halisstra sah die Hoff nung in Danifaes Augen. »Wie schlimm ist es?« fragte Halisstra fast flüsternd. »Wie tief ist sie gesunken?« »Sie?« fragte Danifae. »Quenthel?« Halisstra nickte. »Sie kann noch tiefer sinken«, sagte die frühere Kriegsge fangene. »Komm mit mir«, sagte Halisstra. Danifae stand eine ganze Weile schweigend da, bevor sie entgegnete: »Ihr wißt, daß ich das nicht kann. Sie werden nicht ohne Jeggred abreisen, ich muß ihn zurückbringen.« Halisstra sagte: »Nachdem er Ryld ermordet hat.« Danifae nickte und sah zu Boden. »Wir werden uns wiedersehen«, sagte Halisstra. »Da bin ich mir sicher.« »Ich auch, Herrin«, erwiderte Danifae. »Wir werden uns im Schatten Lolths wiedersehen.« »Eilistraee wird auf uns achten«, meinte Halisstra, als sie auf das wartende Portal zuschritt. »Auf uns beide.« Danifae nickte, und Halisstra trat in das Tor und gab so Ryld dem Draegloth, Danifae der Herrin Arach-Tiniliths und sich selbst den Priesterinnen des Velarswaldes preis.
»Ihr scheint so überrascht zu sein wie ich«, sagte Gromph zu dem Drowleichnam, »daß Eurem Freund Nimor Flügel ge wachsen sind.« Dyrr antwortete nicht, aber seine rotglühenden Augen wanderten langsam zu dem geflügelten Assassinen.
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»Duergar«, fuhr Gromph fort, »ein Cambion und seine Ta narukks und ein Drow-Assassine. Oh, aber der Drow-Assas sine ist nicht einmal ein Drow. Ihr habt Euch mit allem ver bündet außer mit einem anderen Dunkelelf. Nun, Ihr wart selbst ebenfalls nicht lange ein Dunkelelf, nicht wahr, Dyrr?« Wenn der Leichnam sich gekränkt oder auf irgendeine an dere Art angegriffen fühlte, so zeigte er es nicht. »Aber er könnte mit einem Drow verbündet sein«, meinte Nimor. »Das könnten wir beide.« »Glaubt Ihr wirklich, daß ich mich Euch anschließen wer de?« fragte Gromph. »Natürlich nicht, aber ich muß doch fragen.« »Falls ich das wirklich tue«, beharrte Gromph, »werdet Ihr dann den Leichnam töten?« Dyrr hob eine Augenbraue, offensichtlich interessiert, Nimors Antwort darauf zu hören. »Wenn der Erzmagier von Menzoberranzan sich gegen seine eigene Stadt wendet«, sagte Nimor, »sein Haus verrät und das Matriarchat mit einer Handbewegung stürzt? Würde ich den Drowleichnam töten? Klar. Ich würde ihn töten, ohne auch nur einen Moment zu zögern.« Das brachte Dyrr zum Lächeln, und Gromph konnte nicht anders, als auch zu lächeln. Nimor sah Dyrr an, verbeugte sich und sagte: »Ich würde es zumindest versuchen.« Der Leichnam erwiderte die Verbeugung. »Ihr werdet nichts von alldem tun, nicht wahr?« fragte Ni mor Gromph. »Ihr werdet Menzoberranzan, dem Haus Baenre, dem Matriarchat und selbst Lolth, die Euch den Rücken ge kehrt hat, nicht Eurerseits den Rücken kehren.« »Das ist alles?« fragte Gromph. »Das ist alles, was Ihr sagen wollt, um zu versuchen, mich auf Eure Seite zu ziehen? Ihr
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stellt eine Frage und beantwortet sie dann selbst? Warum seid Ihr hier?« »Antwortet nicht darauf, Nimor«, befahl der Drowleich nam, dessen Tonfall herrisch war wie immer. »Er horcht Euch aus. Er will Zeit gewinnen, um zu versuchen, zu entkommen oder seinen Angriff zu planen.« »Oder«, unterbrach Gromph, »er ist einfach neugierig. Ich weiß, warum mein alter Freund Dyrr mich töten will, und ich habe eine gewisse Vorstellung von der Motivation der Duer gar, der Tanarukks, der Illithiden und was sonst noch so aus den Spalten und Schleimtümpeln der Dunklen Domäne her vorgekrochen kommt, angezogen vom Gestank der Schwäche. Aber Ihr, Nimor, seid zur Hälfte Drow und zur anderen Hälfte Drache, nicht wahr? Warum Ihr? Warum hier? Warum ich?« »Warum Ihr?« fragte Dyrr, dessen Stimme vor Verachtung nur so troff. »Ihr besitzt Macht, Ihr Einfaltspinsel. Ihr habt einen hohen Rang inne. Das macht Euch an einem guten Tag zu einer Zielscheibe – und dies ist kein guter Tag für Menzo berranzan.« Gromph ignorierte den Leichnam und sagte zu Nimor: »Meine Schwester sagte, daß der Assassine, den sie gefangen nahm, Euch einen Spion der Jaezred Chaulssin nannte.« Nimor nickte und sagte: »Ich bin die Gesalbte Klinge.« Gromph wußte nicht, was das war, aber zeigte es Nimor und Dyrr nicht. »Geistergeschichten werden wahr«, meinte Gromph. »Unser Ruf eilt uns voraus«, erwiderte Nimor. »Chaulssin ist schon lange zerstört«, sagte Gromph. »Ihre Assassinen leben«, sagte Dyrr. Seine Drachenhälfte, sagte Nauzhror in Gromphs Geist, ist identifiziert, Erzmagier. Er ist halb Drow, halb Schattendrache. Vielleicht seit mehr als einer Generation. Der Beginn einer Spezies.
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»Wir haben uns in einer Stadt nach der anderen niederge lassen«, sagte Nimor, »überall im Unterreich. Wir haben ge wartet.« »Gewartet und Euch«, meinte Gromph, »mit Schattendra chen gepaart?« Nimors Lächeln zeigte Gromph, wie recht Nauzhror gehabt hatte. »Es ist vorbei«, sagte Dyrr, und Gromph fand es schwierig, die Endgültigkeit, die in seiner Stimme lag, zu leugnen. »Al les.« »Noch nicht«, entgegnete Gromph und begann einen Zau ber zu wirken. Nimor schlug mit seinen Fledermausflügeln und schoß hin auf in die Finsternis. Dyrr folgte ihm etwas langsamer und umgab sich mit zusätzlichen Schutzzaubern. Gromph Baenre brachte seinen Zauber zum Abschluß und legte die Hände aneinander. Eine Linie aus Schwärze erschien zwischen seinen Handflächen und streckte sich aus, bis sie die Länge einer langen Schwertklinge erreicht hatte. Die Linie war zweidimensional, ein Spalt in der Struktur der Ebenen. Der Erzmagier Menzoberranzans erhob sich in die Lüfte und riß die Hände auseinander, und die Klinge folgte ihm nach oben. Kraft seines Willens ließ Gromph die Ebenenklinge vor sich herfliegen. Ein Ziel zu wählen war einfach. Nimor muß zuerst sterben, ließ sich Prath vernehmen, auch wenn das unnötig war. Das Ausmaß seiner wahren Fähigkeiten ist die einzige Unbekannte. Gromph ließ die Klinge auf den Assassinen, der zur Hälfte ein Drache war, zuwirbeln. Nimor flog schneller als alles, was Gromph je hatte fliegen sehen, aber die Klinge bewegte sich schneller. Sie brachte dem Assassinen eine Wunde bei, und
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Nimor krümmte sich vor Schmerz. Was eine Klinge scharf macht, ist die Dünne ihrer Schneide. Die Klinge, die Gromph beschworen hatte, besaß eigentlich keine Dicke. Da sie voll kommen dünn war, war sie auch vollkommen scharf. Alles, worüber Nimor verfügte, um sich gegen Waffen zu schützen, würde ohne Bedeutung sein. Blut prasselte auf den Boden des Basars herab, und Nimor brüllte. Der Ton brachte Gromphs Trommelfelle zum Klingen, aber er zögerte nicht, dem Assassinen die schwarze Klinge erneut hinterherzuschicken – doch sie verschwand. Gromph wirbelte in der Luft herum, um sich dem Drow leichnam zuzuwenden. Dyrr hielt seinen Stab in Händen. Gromph nahm an, daß er einen Aspekt der Magie der Waffe genutzt hatte, um die Klinge zu zerstören. Schade, kommentierte Nauzhror. Das war ein beeindruckender Zauber – und wirkungsvoll. Nimor flog nicht mehr ganz so schnell wie zuvor, und er blutete. Gromph mußte seine Aufmerksamkeit abwechselnd dem Assassinen, dem Leichnam und seinem eigenen nächsten Zauber zuwenden, also sah er nicht, wie Nimor sich selbst heilte, aber das tat er – genug, um sich am Leben zu halten. Gromph hatte seinen nächsten Zauber fast beendet, als Ni mor Dunkelheit über ihn blies – das war die einzige Art, die dem Magier einfiel, um das Geschehen zu beschreiben. Der Assassine holte Luft und atmete eine kegelförmige Welle wo gender Schwärze aus. Gromph versuchte, sich fallen zu lassen, um der Finsternis zu entkommen, aber er konnte es nicht. Die wirbelnde Leere überspülte den Erzmagier. Es fühlte sich an, als würde ihm jede Wärme entzogen. Er zitterte, und sein A tem blieb ihm im Halse stecken. Sein Zauber war zerstört, mitten im Satz abgeschnitten, die Gewebe-Energie zunichte gemacht.
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Ein Teil der Schichten aus Verteidigungsmagie, in die er und die Meister Sorceres ihn gehüllt hatten, schützte Gromph vor dem vollen Ausmaß der Macht der frostigen Dunkelheit. Wenn dem nicht so gewesen wäre, wäre Gromph zu einer verdörrten Mumie verschrumpelt. »Ich hatte recht«, sagte Gromph zu Nimor, während er ver suchte, nicht nach Luft zu ringen. »Es war ein Schattendrache, nicht wahr?« »Mehr als nur ein einziger Schattendrache, Erzmagier«, antwortete Nimor – und Gromph hatte den Eindruck, daß der Assassine selbst versuchte, nicht nach Luft zu ringen, »und mehr als nur ein einziger Drow.« Der Halbdrachen-Assassine zog ein nadeldünnes Rapier, das in der Düsterheit des verlassenen Basars blauweiß glühte. Vorsicht Erzmagier, warnte Prath. Gromph Baenre zuckte angesichts der Dummheit seines un erfahrenen Neffen zusammen. Der Erzmagier war jederzeit auf alles vorbereitet – wenn er auch nicht schnell genug war, um sich aus der Stoßlinie des Rapiers zu ducken, das ihm nun die Brust aufschlitzte. Nimor war von der Stelle verschwunden, an der er einige Schritte von Gromph entfernt geschwebt hatte, und tauchte direkt an Gromphs rechter Seite auf, ein Stück über ihm – genau im toten Winkel. All das geschah im selben Augen blick. Der Assassine war ebenso schnell wieder weg, wie er ge kommen war. Der Schnitt in Gromphs Brust brannte, die Wunde war steif und ausgefranst. Er blickte hinunter zu der Schnittwunde. Sie war von Eisblumen gesäumt, und das Blut, das heraussickerte, war kalt, als es die Haut berührte. Gromph Baenre zitterte. Etwas traf ihn von hinten, und er ächzte und krümmte sich,
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als ihm die Luft aus den Lungen getrieben wurde. Es vergingen ein oder zwei schmerzhafte Sekunden, bis er imstande war, endlich wieder einzuatmen. Dyrr hatte ihn – mit einem Zauber oder einer Waffe – von hinten getroffen. Der Zauber ist nicht durch alle Eure Abwehrmaßnahmen ge drungen, Erzmagier, teilte ihm Nauzhror mit. Sonst hättet Ihr Euch in Eure Bestandteile aufgelöst. »Wie schön für mich«, murmelte Gromph halblaut, dann sprach er das Befehlswort, das die Verteidigungskugel aus dem Stab erstehen ließ. Nun wieder von Verteidigungsmagie umgeben drehte sich Gromph in der Luft, um einen Blick auf wenigstens einen seiner Feinde zu erhaschen. Er sah, wie Nimor auf ihn zuflog, das frostige Rapier schwebte in der Luft, bereit, ihm eine wei tere Wunde zuzufügen. Hinter dem Assassinen, etwas abseits, bewegte Dyrr seine freie Hand durch die Luft, wobei seine Finger Strahlen aus knisterndem weißem Licht in der Luft hinterließen. Beim Drehen in der Luft flammte Schmerz in Gromphs Brust und seinem Rücken auf, als ein Kegel funkelnden weißen Lichts aus den ausgestreckten Händen des Drowleichnams auf ihn zuschoß und ihn in einer Explosion aus eiskalter Luft und schneidendem Eis zu verschlingen drohte. Dem Erzmagier gelang es, sich mit einer Drehung aus der Schußlinie des Zaubers zu bringen, aber dabei verlor er den Assassinen aus seinem Blickfeld. Gromph bereitete sich auf einen weiteren eisigen Hieb des Rapiers vor, aber er kam nicht. Der Assassine muß dem Kegel aus Kälte auch ausweichen, sagte Prath. Gromph nutzte die Pause zu seinem Vorteil und zog zwei schmale Wurfdolche mit Klingen aus Platin aus einer Scheide
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in seinem rechten Stiefel. Während er die Messer an seinem Körper entlang nach oben zog, sprach er die Worte eines Zau bers, die die Waffen verzaubern würden, um ihre Schärfe zu verbessern. Der Zauber würde außerdem dafür sorgen, daß sie ihre Flugbahn besser hielten und eine größere Reichweite hatten, und er war sich sicher, daß sie zumindest einige der magischen Abwehrmechanismen seines Zieles durchdringen würden. Gromph riß den Arm nach oben, um die Dolche zu werfen, und brachte den Zauber zum Abschluß. Als er sich umdrehte, um sein Ziel zu finden, war der Schmerz verschwunden. Der Ring funktionierte noch immer und heilte seinen Körper bei nahe ebenso schnell, wie der Assassine und der Leichnam ihn verwunden konnten. Einen Bruchteil eines Herzschlags bevor Gromph seine ver zauberten Dolche werfen konnte, tauchte Nimor erneut neben ihm auf. Das Rapier gab einen schrillen Ton von sich, als es durch die Luft peitschte und Gromphs rechte Körperseite mit einer weißen Linie aus Rauhreif zeichnete. Der Schmerz war sehr stark, und Gromphs Finger zuckten, ebenso wie die meis ten anderen Muskeln seines Körpers. Er hätte fast die Dolche fallen lassen, aber es gelang ihm, sie festzuhalten. Er ist weg, sagte Prath. Das hatte Gromph erwartet. Ich glaube, es könnte der Ring sein, sagte Nauzhror. Der Ring? sendete Gromph zurück. Er erlaubt ihm, innerhalb eines Augenblickes von einem Ort zum anderen zu wechseln, erklärte Nauzhror. Gromph hatte erwartet, nur gegen Dyrr kämpfen zu müssen, und zwar nur mittels Zauberei. Der Erzmagier mußte wenigs tens vor sich selbst zugeben, daß er auf einen Nahkampf nicht vorbereitet war und daß Nimor ihm zumindest in dieser Hin
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sicht wahrscheinlich überlegen war. Er verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf, als er hörte, daß Dyrr einen weiteren Zauber wirkte. Er drehte sich um, um den Leichnam anzusehen. Dyrr hatte einen merkwürdigen Blick, als geschähe etwas, er sich aber nicht ganz sicher wäre, was genau. Gromph gefiel dieser Blick überhaupt nicht. Er beschwört etwas, sagte Nauzhror. Als die letzte Silbe von Nauzhrors Warnung in Gromphs Kopf erklang, entfaltete der Zauber des Leichnams seine Wir kung. Urplötzlich tauchte ein Paar Insektenbeine aus dem Nichts auf und krachte auf den felsigen Boden des Basars – dann ein weiteres Paar und noch eines und noch eines und noch eines. Der Kopf des Insekts war breiter, als Gromph groß war, vielleicht sogar doppelt so breit. Auf jeder Seite seines grotesken Mauls befand sich eine gebogene Zange mit gezack tem Rand. Zwei knollenförmige Facettenaugen suchten die verlassene Fläche des Marktplatzes ab, während der Rest des riesigen Tieres aus dem Gewebe hervorkam. Es war ein Hundertfüßler von der Größe einer Karawane von Lastechsen, hinter ihm lachte Dyrr, und Nimor ging wie der auf Gromph los. Eins nach dem anderen, sagte der Erzmagier sich. Er wirkte einen weiteren Zauber auf das Paar verzauberter Wurfdolche. Der Hundertfüßler bewegte sich ruckartig auf Gromph zu, aber seine Bewegungen waren langsam, da er noch immer unsicher ob seiner Umgebung und des Ausmaßes der Kontrolle war, die der Leichnam über ihn besaß. Das gab Gromph Zeit, den Zauber zum Abschluß zu bringen und die Dolche zu werfen. Er machte sich nicht die Mühe zu zielen. Er schleuderte sie in Nimors ungefähre Richtung und überließ es dem Zauber, das übrige zu tun. Die Dolche wirbelten durch die
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Luft, wobei sie sich umeinander herumwanden, schnurstracks auf den geflügelten Assassinen zu. Mit beeindruckender Beweglichkeit glitt Nimor zur Seite, in dem Bemühen, den Dolchen auszuweichen, aber einmal auf den Weg gebracht, konnte nichts so Einfaches ihren Angriff verhindern. Der Assassine mußte erneut eine Drehung in der Luft machen, wobei er mit seinem Rapier nach den Klingen schlug. Der stählerne Blitz – Nimors dünne Klinge und die beiden Dolche – wurde zum wirbelnden Schleier um den As sassinen herum. Guter Schachzug, kommentierte Prath. Das sollte ihn beschäf tigt halten. Wieder ignorierte Gromph seinen Neffen und nahm die Levitationsmagie seines Stabes in Anspruch, um sich gerade nach oben in die Luft zu katapultieren. Die scheußlichen seit lichen Kiefer des Hundertfüßlers krachten knapp drei Zenti meter unterhalb der Sohlen seiner Stiefel zusammen, und sofort zog er sich zurück, um sich ein zweites Mal auf Gromph zu stürzen. Gromph, der hoffte, sich ein gutes Stück über dem riesigen Insekt zu befinden, drehte sich in der Luft und wirbel te herum, während seine Augen jede Einzelheit des Basars und der umgebenden Stalagmiten aufnahmen. Der Erzmagier hielt an, als er zwischen dem verwirrten Hun-dertfüßler und dem schwebenden Leichnam in der Luft hing. »Mögt Ihr mein neues Schoßtier nicht?« spottete der Drow leichnam. »Er will Euch doch nur ein Küßchen geben.« »Ich ...«, begann Gromph, aber ihm wurde erneut die Luft aus den Lungen getrieben, als Dyrr, der seinen Stab vor sich hielt, seine Macht nutzte, um Gromph wegzustoßen. Der Erzmagier spürte das riesige Insekt drohend wie eine Stalaktitenfestung hinter sich aufragen. Dyrr stieg höher, und
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die Abstoßung schob Gromph nach unten weg – direkt ins gierige Maul des Hundertfüßlers. Innerhalb eines Augenblickes kam Gromph der richtige Zauber in den Sinn, und er verbrauchte einige zusätzliche Energie, um ihn schnell zu wirken. Den Effekt hatte er bereits Hunderte von Malen gespürt, aber er hatte ihn immer gehaßt. Es fühlte sich an, als würde sein Leib dünner. Er zitterte un willkürlich und mußte sich zwingen, die Augen offenzuhalten, als seine Sicht ein wenig verschwamm und die Welt um ihn herum sowohl verzerrt als auch irgendwie heller, schärfer zu werden begann. Er war umgeben von den Innereien des Rieseninsekts. Mus keln und Ströme der grünen, zähflüssigen Masse, die ihm als Blut diente, vereinzelte Reihen von Platten, die das Ding an scheinend als Lungen nutzte, die Panzer anderer zu großer Insekten, die es kürzlich gefressen hatte – dann eine andere Schicht aus panzerartigem Chitin, und er war hindurch. Er hatte sich durch den Hundertfüßler hindurchbewegt, sein Körper war im Augenblick mehr Teil der Äther- als der Mate riellen Ebene. Der Hundertfüßler hatte keine Ahnung, wie ihm geschah – wie konnte er auch? Gromph wußte, daß das Insekt nicht im stande sein würde zu spüren, wie er sich durch es hindurchbe wegte. Es war der schmackhafte Bissen Drowfleisch, von dem es dachte, daß es ihn abbeißen und schlucken würde, der ir gendwie dahintersteckte. Gromph sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung und drehte sich schnell um, um zu sehen, wie Nimor erneut auf ihn losging. Die Dolche waren verschwunden, und der Assassine trug einige neue Schnittwunden, aber die Erfahrung war für ihn nicht tödlich gewesen. Der Hundertfüßler drehte sich um, indem er seinen riesigen
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Körper – der wohl mehrere Hundert Tonnen wog – auf eine erschreckend schnelle und bewegliche Weise bewegte. Gromphs ätherischer Leib war noch immer sichtbar, obwohl er geisterhaft und auf seltsame Art durchsichtig erschien. Der Hundertfüßler schien ihn nicht zu sehen. Statt dessen hefteten sich seine hervorquellenden Augen auf Nimor. Nimor glitt in der Luft zur Seite, und da das Insekt so schnell war, entkam der Assassine seinem Maul gerade noch rechtzeitig, um sein eigenes Leben zu retten. Der Hundertfüß ler hätte ihn sonst fein säuberlich entzweigebissen. Gromph stieg mit Hilfe det Levitationsmagie so hoch, daß der Hundertfüßler ihn nicht mehr erreichen konnte, während sein Körper langsam wieder seine massive Gestalt annahm. »Dyrr«, tobte Nimor, »paßt auf Euer Schoßtier auf, ver dammt.« Gromph lächelte über seinen Ausbruch, aber Dyrrs Ant wort bestand darin, daß er mit einem neuen Zauber begann. Nimor mochte ärgerlich auf seinen untoten Verbündeten sein, aber die beiden waren weit davon entfernt, sich gegeneinander zu wenden. Der Erzmagier wußte, daß Dyrrs Zauber sich gegen ihn richten würde. Obwohl er ein wenig Zeit in ätherischer Form verbracht hatte, befand sich noch immer die Kugel um ihn herum, also wußte Gromph, daß Dyrr mächtige Magie einsetzen würde. Der Erzmagier drehte sich in der Luft um, um sich dem Leichnam zuzuwenden, aber alles, was er in den we nigen Sekunden tun konnte, die Dyrr benötigte, um den Zau ber zu wirken, war, zu hoffen, daß die Abwehrmechanismen, die bereits wirkten, ausreichen würden, um ihm das Leben zu retten. Es war kein sichtbarer Effekt wahrzunehmen, als der Leich nam seinen Zauber zum Abschluß brachte, kein Lichtschweif und kein Donnerschlag, aber Gromph spürte, wie die Magie
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ihn einhüllte. Die Schutzkugel hatte keine Möglichkeit, den Zauber draußen zu halten, aber andere Abwehrmechanismen kamen ins Spiel, und Gromph konzentrierte sich darauf. Den noch begann sich sein Körper zu versteifen. Gromph spürte, wie ihm die Feuchtigkeit aus der Haut gesogen wurde. Er fand es schwierig, die Ellbogen zu beugen. Es war, als würde er ver steinert. Er begann zu fallen, und ehe er die Kontrolle über seine Le vitationsmagie zurückgewinnen konnte, drehte sich der Hun dertfüßler um und biß nach ihm. Eine der Zangen des Insekts erwischte den Erzmagier am Oberschenkel, als er an ihm vor beifiel. Es hätte ihm das Bein abgebissen, aber dafür war es der falsche Winkel, also riß es ihm statt dessen die Haut auf und zog den gezackten Rand der Zange immer tiefer über den Mus kel, bis er gegen Gromphs Schenkelknochen vibrierte. Der Erzmagier biß die Zähne gegen den Schmerz zusammen. Obwohl seine Muskeln steif waren und er nur langsam und flach atmen konnte, benutzte er seinen Stab, um sich wieder in die Luft zu erheben, weg von dem Hundertfüßler, der erneut auf ihn losging. Blut quoll wie dicker Schlamm aus dem tiefen Schnitt in seinem Bein, und Gromph fand es ironisch, daß ausgerechnet Dyrrs Zauber ihm das Leben zu retten schien. Der Ring, auf den Gromph sich verlassen hatte, schien nicht zu funktionie ren. Nimor traf ihn erneut, und die Kälte des magischen Rapiers ließ Gromph noch steifer werden. Ihm stockte der Atem, und sein Magen zog sich zusammen, bis Gromph sich in der Luft zu einer Kugel zusammengerollt hatte. Er versuchte zu blinzeln, aber er mußte die Augen schließen und dann eine Pause einle gen, bis er sie langsam wieder öffnen konnte. Er hat versucht, Euch in Stein zu verwandeln, sagte Nauzhror,
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wobei seine Stimme klar in Gromphs angeschlagenem Kopf zu hören war. Ihr habt ihm bisher widerstanden. Laßt es nicht durch. Gromph drehte den Kopf langsam nach rechts – das war al les, was sein Versuch, den Kopf zu schütteln, hergab. Die Kugel aus Schutzmagie, die ihn umgab, verschwand, da ihre Energie aufgebraucht war. Gromph sah, wie Dyrr sich, nur wenige Schritte entfernt, aufrichtete. Der Leichnam wirkte rasch einen Zauber, und ein Schauer aus grünen und roten Funken, jeder von ihnen so lang wie ein Pfeil, raste auf ihn zu. Gromph gelang es, sein Bein zu bewegen und den Arm auszustrecken, konnte aber den Mund nicht schnell genug öffnen, um das Befehlswort auszusprechen. Die Bolzen aus Gewebe-Energie prallten gegen ihn, verbrannten ihn und fügten ihm elektri sche Schläge zu, ließen ihn zucken und sorgten dafür, daß seine Muskeln sich erst streckten und dann zusammenzogen. Gromphs Haut kräuselte sich, und seine Gelenke knackten. Es war schmerzhaft, und heißes Blut strömte in hohem Bo gen über seinen Schenkel, der bis zum Knochen aufgeschnit ten war. Er konnte sich wieder bewegen, aber nicht schnell genug, um dem Hundertfüßler auszuweichen. Das Insekt richtete sich auf, seine riesigen Zangen weit ge öffnet, und machte einen Satz auf ihn zu. Gromph hing inner halb seiner Reichweite in der Luft. Die Zangen schlossen sich über seinem verwundeten Schenkel. Gromph fühlte, wie er von dem Hundertfüßler nach unten gezogen wurde, dann riß etwas, und er stieg wieder auf. Ehe er seine neue Wunde untersuchte, stieg er mittels der Levitati onsmagie weiter nach oben, sich schwach bewußt, daß er etwas hinter sich herzog. Er wirkte gerade einen Zauber, als Nauzhror und Prath in seinem Kopf etwas schrien. Etwas stimmte nicht, aber er mußte den Zauber beenden, bevor er irgend etwas an deres tun konnte. Er mußte den Hundertfüßler loswerden,
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sonst würde ihn dieser Stück für Stück fressen, während der verdammte Leichnam danebenstand und gefahrlos zusah. Gromph blickte nach unten und sah, wie Blut über den breiten, flachen Kopf des Hundertfüßlers spritzte und dann durch ihn hindurchfiel, als er verblaßte. Der Zauber zeigte volle Wirkung, und der Hundertfüßler war verschwunden, aber das Blut fiel noch immer in einem grausigen Regen auf den Boden des Basars weit unter ihm. Gromph griff hinab zu seinem Bein und spürte etwas Hartes, Gezacktes. Er schnitt sich den Finger an einer scharfen Kante – der scharfen Kante seines eigenen Schenkelknochens. Sein Bein war fort. Der Hundertfüßler hatte es abgebissen. Gromph ballte vor Wut die Fäuste und sah nach unten. Er sah sein abgetrenntes Bein inmitten des Blutregens liegen, der noch immer aus seiner offenen Wunde prasselte. Lichtfunken, etwas abseits seitlich von ihm, erregten Gromphs Aufmerksamkeit. Nimor schleuderte etwas, und Gromph schirmte instinktiv sein Gesicht ab, da er einen Zau ber fürchtete. Statt dessen sah er, wie das Heft des verzauber ten Rapiers des geflügelten Assassinen zu Boden trudelte, der sich weit unter ihm befand. Alles, was von der frostigen Klinge übriggeblieben war, war eine Spur aus funkelndem Licht. Gromphs Zauber hatte mehr bewirkt, als nur den Hundertfüß ler zu verbannen. Nimor war, gelinde gesagt, nicht erfreut. Als der Assassine einen Schwall von Beschimpfungen auf ihn losließ, spannte Gromph seine Muskeln an und bemerkte, daß der versteifende Effekt verschwunden war. Er hatte Schmerzen, aber diese waren nicht so groß, wie er es sich vor gestellt hätte. Sein Ring begann bereits gegen die schweren Verletzungen anzukämpfen, die dem Erzmagier beigebracht worden waren. Gromph wußte, daß er überleben würde, aber
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da gab es noch die Angelegenheit bezüglich des Beines. Nimor stieß über ihm herab und verschwand dann in der Dunkelheit. Gromph konnte den Drowleichnam nicht sehen. Er ließ sich langsam zu Boden sinken und landete in einer Lache seines eigenen Blutes. Als er langsam wieder Gewicht bekam, stolperte er und mußte die Levitationskräfte des Stabes reaktivieren, ehe er in eine Pfütze erkaltenden Blutes fiel und ausgestreckt liegenblieb. Er hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie er auf einem Bein stehen sollte. Statt dessen erhob er sich ein kleines Stück über den Boden, beugte sich hinunter und hob sein Bein auf. Es war ein merkwürdiges Gefühl, sein eigenes Bein in der Hand zu halten, aber der Erzmagier schüttelte es ab. Der Assas sine und der Leichnam formierten sich offensichtlich neu, nachdem Gromphs mächtiger Zauber die gesamte Magie über all um ihn – außer seiner eigenen – aufgetrennt hatte, aber sie würden zurückkehren. Gromph tastete wieder nach dem Knochen seines Stumpfs und war froh, daß die Haut noch nicht begonnen hatte, dar über zu wachsen. Er drehte das Bein in der Hand und ... Ein kalter Luftstoß umgab ihn, verschlang ihn, stieß ihn nach hinten und nach unten, schmetterte ihn auf den Stein boden des Basars und zog ihn mit sich. Gromphs Kopf prallte gegen etwas, das brach, zersplitterte und um ihn herum herun terprasselte. Er schüttelte den Kopf, und Stücke eines riesigen Pilzsten gels und Glas fielen ihm aus dem weißen Haar. Er war halb unter dem zerschmetterten Verkaufsstand eines Kaufmannes begraben, aber alles, woran Gromph denken konnte, war, wie erleichtert er war, daß er sein Bein noch immer in der Hand hielt. Sein Körper war von einer dünnen Schicht aus eisigem Rauhreif bedeckt, der in der kühlen, feuchten Luft des Basars
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bereits zu schmelzen begann. Der Leichnam, sagte Nauzhror in Gromphs Kopf, befand sich außerhalb der Magieauftrennung. Das merke ich, antwortete Gromph und ließ es zu, daß eine Woge der Enttäuschung auf diesen Gedanken folgte. Gromph sah auf und blickte sich um. Dyrr wirkte einen Zauber, während Nimor durch die Luft auf den Erzmagier zu raste. Er umgab sich mit einer neuen Schutzkugel, wobei er sich für einen kurzen Moment Sorgen machte, daß die Macht des Stabes zu schnell verbraucht wurde. Sie konnte ihn nicht ewig schützen und mit Levitationsmagie ausstatten. Der Leichnam brachte seinen Zauber zum Abschluß, und Gromph lächelte, als ein Blitz aus blendendem gelbem Licht knisternd Dyrrs Händen entsprang, einen Bogen in der Luft beschrieb und als Funkenregen gegen Gromphs Schutzkugel spritzte. Just als der Blitz an seinen Abwehrmechanismen scheiterte, ohne auch nur Gromphs Haare zu Berge stehen zu lassen, wirkte der Erzmagier einen weiteren Verteidigungszau ber auf sich selbst. Flammen flackerten fast unsichtbar über seinen Körper. Ich verstehe, sagte Prath. Es funktionierte bei dem Huecuva, aber ... Nimor war über ihm, und Gromph rollte sich zu einer Kugel zusammen, um sich gegen den Angriff des Assassinen zu schüt zen. Die Hände des Halbdrachen waren größer als in seiner Drow-Gestalt, und jeder Finger endete in einer dicken, schar fen Klaue aus pechschwarzem Elfenbein. Nimor kratzte mit diesen riesigen Klauen über Gromphs Schulter, aber sie glitten ohne Schaden anzurichten über die funkelnde Oberfläche des Feuerschilds des Erzmagiers. Hellorangefarbenes Feuer flammte von Gromphs Schulter auf und überzog Nimors Gesicht. Der brüllte vor Schmerz und schlug einmal so heftig mit den Flü
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geln, daß scharfe Glasscherben von dem zerstörten Stand des Kaufmannes um den Erzmagier herum aufgewirbelt wurden. Jedes Mal, wenn eine der kleinen Scherben ihn traf, wurde als Reaktion ein Funken geschlagen. Der Zauber sorgte dafür, daß Gromph keine Verbrennungen erlitt, aber für einige enervie rende Sekunden war er umgeben von einer Kaskade wogender Flammen. Nimor verschwand in den Schatten der Höhle. Der Schauer aus Glas und Feuer ließ nach, und Gromph bahnte sich seinen Weg aus den Trümmern des Händlerstan des. Als er seinen Beinstumpf befreit hatte, quoll noch immer Blut heraus, aber der Schmerz wurde durch seinen Ring zu einem dumpfen, aggressiven Pochen reduziert, und Gromph nahm sich einen Augenblick Zeit, um dafür zu sorgen, daß sein Fuß in die richtige Richtung zeigte, ehe er sein Bein wieder ansetzte. Er hielt es fest und schloß die Augen. Sein Atem wurde zum kurzen, scharfen Keuchen, als das dumpfe Pochen sich in ein markerschütterndes Schaudern verwandelte. Das Gefühl, wie der Knochen sich wieder zusammenfügte, jedes Blutgefäß sich wieder mit seinem abgetrennten Ende vereinigte, Nerven mit einem wilden Schmerzanfall wieder zum Leben erwachten, wie es juckte, ihm Vergnügen und dann wieder Schmerz bereitete und seine Haut sich wieder zusammenzog, ließ Gromph keu chen und erbeben. Der Leichnam, warnte Nauzhror. Erst da wurde Gromph bewußt, daß Dyrr einen Zauber wirk te. Die Reaktion, die Gromph in den Sinn kam, war eine mächtige Abwehrmaßnahme, die ihn schützen würde, wo die durch den Stab erzeugte Kugel es nicht konnte. Ohne innezu halten, um sich über eventuelle fatale Auswirkungen Gedan ken zu machen, sammelte Gromph die erforderliche Gewebe
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Energie, und das antimagische Feld entfaltete gerade rechtzei tig Wirkung, um eine riesige Explosion aus sengender Hitze und blendendem Feuer abzublocken. Außerdem unterdrückte es die regenerative Macht des Rings. Keine Magie funktionierte in Gromph Baenres Nähe, und sein Bein war erst halb geflickt. Er zitterte und hielt Mund und Augen fest geschlossen, als Schmerz mit Macht von seinem Bein aufstieg, um seinem ganzen Körper einen Anfall von Höllenqualen zu bereiten. »Guter Schachzug, mein junger Freund«, rief der Leichnam zu ihm herunter, »aber dieses Feld wird schließlich irgendwann zusammenbrechen. Inzwischen werdet Ihr bluten – und ich werde warten.« Gromph machte sich nicht die Mühe, über die Drohung des Leichnams nachzudenken. Sein Schmerz war zu groß, als daß er hätte denken können.
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Piet umfaßte den Stiel seiner Axt und hoffte, daß seine schweißnassen Handflächen immer noch imstande wären, sie festzuhalten, wenn der Kampf begann – und der Kampf würde bald beginnen. Er warf seinem Freund Ulo einen kurzen Blick zu und konnte erkennen, daß Ulo dasselbe dachte. Piet konnte sogar sehen, daß Ulos Finger an den Griffen seiner beiden großen Messer herumzerrten, und er wußte, daß Ulos Hände ebenfalls schwitzten. Sie waren in den Überfluteten Wald gekommen, um Holz zu fällen, ein wenig Geld zu verdienen und sich um ihre eige nen Angelegenheiten zu kümmern. Seither hatten sie mit angesehen, wie zehn ihrer Kameraden getötet worden waren. Einige waren bei den unvermeidlichen Unfällen gestorben, mit denen man in jedem Holzfällerlager rechnen mußte, aber die meisten von ihnen waren der örtlichen Flora und Fauna zum
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Opfer gefallen. Der Schlamm enthielt alle möglichen arkanen Gefahren, angefangen bei belebten Ranken, die Männer in ein wäßriges Grab hinabzogen, bis hin zum Echsenvolk, das sich Nachzügler an den Rändern der Lichtung scheinbar aus Bos heit einzeln herauspickte. Dennoch hielten der Kreis aus Fa ckeln und die Götter wußten, was noch – vielleicht sogar ir gendeine Art von Sumpfetikette – die wirklich gefährlichen Kreaturen von ihrem Lager fern. Die behelfsmäßige Taverne, in der die Leute praktisch die gesamte Zeit verbrachten, in der sie nicht arbeiteten (und davon gab es nicht viel), schien ein recht sicherer Ort zu sein. Nun waren ein Drow und irgendein riesiges Dämonenge schöpf durch das Fenster gekracht, und alles war möglich. Piet und Ulo wandten sich dem Drow zu. Von den beiden Eindringlingen schien er der ungefährlichere zu sein, während das Dämonengeschöpf vielleicht wirklich schon jemandem Schreckliches angetan hatte. Piets Knie zitterten. Das taten auch seine Hände, und seine Kiefermuskeln waren angespannt. Auf der anderen Seite der Schankstube stellten sich vier der anderen Holzfäller, Ansen, Kinsky, Lint und Arkam, dem riesigen Dämonengeschöpf. Sie alle waren bewaffnet – nie mand, der auch nur ein halbes Hirn besaß, lief im Überfluteten Wald unbewaffnet herum –, aber ihre Waffen sahen gegen die riesige Kreatur dürftig aus. Ansen hatte eine Fackel aus einem Wandleuchter ergriffen, Kinsky hatte seine Axt bei sich, Lint hoffte, sich das Monster mit dem Speer vom Leib zu halten, den er benutzte, um im Sumpf zu fischen, und Arkam schwenkte einen zerbrochenen Axtstiel vor sich herum. Sie alle sahen verängstigt aus. Der Drow hatte ein riesiges Schwert dabei – Piet hatte noch nie ein Schwert von einer solchen Größe gesehen –, aber er hielt es in einem lockerem Griff, während es an seiner rechten
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Seite baumelte. Die Spitze des Schwerts schrammte über den groben Holzboden. Der Drow war naß und blutete im Gesicht, am Bein und vielleicht noch an anderen Stellen. Piet hatte niemals zuvor einen Dunkelelfen gesehen. Er hatte immer gedacht, es handle sich bei ihnen um einen Mythos. Daher war es ihm unmöglich, die Miene des Wesens zu deuten, aber es schien schwach zu sein, erschöpft, und vielleicht lag es sogar im Sterben. »Wer seid ihr?« fragte Piet. Das verängstigte Beben, das er in seiner eigenen Stimme hörte, gefiel ihm gar nicht. »Was tut ihr hier? Was wollt ihr?« So schwierig es für Piet auch war festzustellen, was der Drow wohl dachte, der Holzfäller war dennoch überzeugt, daß der Fremde ihn verstand. Der Blick, den er Piet als Antwort zu warf, schien diesem zuerst stolz, dann aber eigentlich weniger stolz als vielmehr ... Piet wußte nicht, wie er es nennen sollte. Er meinte, sich an ein Wort zu erinnern: arrogant, aber er war sich nicht sicher, was es bedeutete. Der Drow antwortete nicht. Statt dessen begann er, sein Schwert zu erheben, und Piet, der Angst hatte, der Drow wolle ihn damit durchbohren, schlug mit der Axt zu. Piet hatte sein gesamtes Leben als Erwachsener – seit er elfeinhalb war – mit Holzfällen verbracht. Er wußte, wie man eine Axt schwang, und er tat es mit Geschwindigkeit, Kraft und Präzision. Den noch kam er nicht näher als bis auf Armeslänge an den Dun kelelfen heran. Piet sah kaum, wie er sich bewegte. Urplötzlich stand er ei nen Meter weiter rechts, zwischen Piet und Ulo. Der Drow hatte sein Schwert erhoben, aber es sah aus, als ob er sich selbst verteidigte, nicht so, als greife er an. Ulo, der überrascht war, daß der Drow plötzlich soviel näher bei ihm stand, fuch telte wild mit seinen Messern vor sich herum – wobei er aller
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dings niemanden verletzte – und wich zurück, bis er gegen die Wand stieß. »Erstich ihn, Ulo!« schrie Piet, aber es sah nicht so aus, als hätte Ulo ihn gehört. Der Drow ging, sein Schwert niedrig haltend, auf Piet los, und Piet wich instinktiv aus. Ein Schwall Adrenalin durch strömte ihn. Er hatte sich nie zuvor in seinem Leben so schnell bewegt. Er packte die Axt anders und schwang sie seitlich nach dem Dunkelelf, der zurücksprang, um die Axtklinge wenige Zenti meter vor seinem Gesicht vorbeischwingen zu lassen. Piet griff am Ende des Schlages um, drehte die Axt und schwang sie erneut. Er wußte, daß der Drow sich wieder nach hinten beu gen würde, und war darauf vorbereitet. Das einzige, was er sah, war der Drow, und als die Axt genau auf den Kopf des Dunkel elfen zuschwang, schloß Piet die Augen, da er einen Schwall von Blut erwartete. Die Axt kam zu einem Halt, und heiße, zähe Flüssigkeit spritzte Piet ins Gesicht. Er schloß die Augen noch fester, damit ihm kein Blut in die Augen geriet, und versuchte, die Axt aus dem Schädel des Dunkelelfen zu ziehen, aber sie saß fest. Der fallende Körper zog Piet mit nach unten, und langsam sank er in die Knie. Piets Stirn stieß gegen die Wand, was ihn überraschte. Er hätte nicht gedacht, daß er sich so weit vorne befand. Er wischte sich die Augen mit dem Ärmel ab, während er sagte: »Ich hab’ ihn, Ulo! Ich hab’ dem schwarzen Teufel den Schädel gespal...« Piet erstarrte, als er die Augen öffnete und sah, wem er den Schädel gespalten hatte. Ulos tote Augen starrten ihn glasig und ausdruckslos an. Piets Axt steckte in der Seite des Kopfes seines Freundes, und es quoll noch immer Blut heraus.
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Piets Leib erbebte krampfartig, aber es gelang ihm, sich nicht zu übergeben, indem er eine Hand fest auf seinen Mund preßte, die Axt losließ, die noch immer im Kopf seines Freun des steckte, und sich über den Boden rollen ließ. Er blickte auf und sah, wie der Drow zu ihm herunterblick te, ohne Anstalten zu machen, ihn zu töten, auch wenn das dem Drow leichtgefallen wäre. Piet begegnete dem Blick der schwarzen Kreatur und hatte das flaue Gefühl, daß der Drow nicht nur zufrieden mit sich selbst war, weil er Piet dazu ge bracht hatte, Ulo zu töten, sondern darüber nachdachte, etwas Ähnliches noch einmal zu probieren. »Männer!« stieß Piet hervor, aber seine Stimme versagte. Er wollte sie warnen, aber der Hals war ihm wie zuge schnürt, und er hatte Schwierigkeiten, die Worte hervorzu pressen. Als er zu den anderen vier Holzfällern aufblickte, sah Piet, wie der riesige Dämon mit dem grauen Fell Arkam mit einer Hand die Kehle herausriß, als nähme er eine Handvoll Backfett aus einem Topf. Blut quoll überall heraus, und Arkam war tot, ehe sein blutüberströmter Körper auf dem Boden auf schlug. Piet hatte in der Sekunde, in der die beiden bizarren Krea turen durch das Fenster gekracht waren, gewußt, daß die An gelegenheit schlecht für die Holzfällergruppe enden würde, aber da war etwas in der Art und Weise, wie die Dinge sich entwickelten – die beiläufige Art, in der der graue Dämon Arkam die Kehle herausgerissen hatte und die hinterhältige, fast schäbige Weise, in der der Dunkelelf Piet dazu gebracht hatte, seinen eigenen Freund zu töten –, die es zu persönlich erscheinen ließ, als seien die beiden aus einem bestimmten Grund gekommen. Piets Handflächen schwitzten nicht mehr. Er hatte noch immer die Kiefer angespannt, aber nun aus einem anderen
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Grund. Sein Blut pochte ihm in den Ohren. Der Drow sah zu, wie der Dämon mit Ansen, Kinsky und Lint spielte. Er hielt Piet nicht einmal für gefährlich genug, als daß er ihn im Auge behalten müßte. Das, dachte Piet, ist dein zweiter und letzter Fehler. Piet drängte den Kloß zurück, der ihm im Hals aufstieg, als er seinen in einem schweren Stiefel steckenden Fuß auf den gespaltenen Kopf seines Freundes Ulo setzte und dage gendrückte, während er an dem Stiel seiner Axt zog. Die Axt klinge kam mit einem Übelkeit erregenden saugenden Ge räusch heraus, aber es gelang Piet, das zu ignorieren. Mit der Axt in der Hand stand Piet auf und stürzte sich dann auf den Drow. Der wich ihm erneut aus, so schnell und leicht, daß Piet dachte, er müsse Augen am Hinterkopf haben. Unbeirrt schwang der Holzfäller seine Axt von neuem, zerteil te aber nur Luft. Der Drow tänzelte rückwärts – er parierte nicht einmal mit seinem riesigen Zweihänder, sondern trat einfach nur nach hinten und beugte sich zur Seite oder zurück, als Piet immer wieder mit der Axt ausholte. Schließlich gab Piet auf. Seine Lungen brannten. Er ver suchte zu sprechen, konnte aber nicht. Er wollte wegrennen, aber seine Beine fühlten sich wie Zweige an, die kurz vor dem Zerbrechen standen – er hatte einen langen Tag damit ver bracht, Bäume zu fällen. Er konnte nur dastehen und zusehen, wie der Elf zusah, als das Dämonengeschöpf den Rest der Männer im Raum tötete. Der Dämon hatte einen schweren Eichentisch in den größe ren beiden seiner drei Hände und drückte damit Ansen, Kinsky und Lint gegen die Wand. Ihre Waffen waren zwischen der Tischplatte und ihren eigenen Körpern eingeklemmt. An sens Fackel verbrannte ihm das Gesicht, Kinskys Axtstiel brach ihm das Schlüsselbein und Lints Speer schwankte
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machtlos hinter dem Tisch hin und her und grub tiefe Furchen in den Dachbalken über ihm. Die Männer ächzten und husteten. Ansen schrie. Rauch stieg aus seinem Haar auf, und die Haut um sein rechtes Auge verkohlte und begann abzublättern. »Halt«, keuchte Piet. Weder der Drow noch der Dämon sah ihn auch nur an. »Aufhören ...«, stöhnte er und war im Begriff, seine Axt fal lenzulassen, als die Tür aufsprang und fünf Leute beinahe übe reinanderkrabbelten, um in den Gemeinschaftsraum zu gelan gen. Piet kannte sie alle: Nedreg, der große Mann aus Sembia, bei dem es sich um einen der beiden Männer handelte, die Schwerter mitgebracht hatten. Kern, der kleine Kerl aus Cor myr, der ebenfalls ein Schwert besaß und Nedreg so sehr haßte wie dieser ihn. Raula, die einzige Frau im Lager, die einen Speer hatte, von dem sie behauptete, daß er verzaubert sei, aber niemand glaubte ihr. Aynd, Raulas Ehemann, verfügte über einen Speer, der so verkrümmt war, daß er sich keine Mühe gab, irgendwem zu erzählen, daß es etwas anderes als ein altes Stück Militärabfall aus Impiltur sei, das er am Rande einer Straße gefunden hatte. Der erste der fünf Leute, der in den Raum gelangte, war der Vorarbeiter des Lagers: ein großer Mann namens Rab, der behauptete, Sergeant in der Armee von Cormyr gewesen zu sein, der an dem Tag auf dem Schlachtfeld gewesen war, als König Azoun getötet worden war. Alle glaubten, was Rab ihnen erzählte – was auch immer Rab ihnen erzählte –, weil alle Angst vor ihm hatten. Piet hatte Rab nie gemocht, aber als er sah, wie er mit gezückter Streitaxt in die blutüberströmte Taverne stürmte, war er das Schönste, was Piet je gesehen hatte.
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Es war dieser Moment – Piet konnte nicht verstehen, wa rum ausgerechnet jetzt –, in dem der Drow ihn schließlich angriff. Der Zweihänder bewegte sich so schnell, daß Piet es kaum sehen konnte. Dennoch gelang es ihm zurückzuwanken, um der Klinge auszuweichen. Er versuchte, den Angriff mit der Axt zu parieren, aber der Dunkelelf berührte diese zu keiner Zeit. Sein Zweihänder wirbelte um sie herum, drehte sich um sie, wich vor ihr zurück. Piet war vielleicht zehn Schritte gegangen, ehe ihm über haupt bewußt wurde, daß er sich bewegte. Er war dem Dämon näher als beabsichtigt, aber das Monster drückte noch immer gegen den Tisch, hinter dem Ansen, Kinsky und Lint gefangen waren. Ansen schrie noch immer. Der Ton seiner Stimme hatte mittlerweile einen verzweifelteren, beinahe mädchenhaf ten Klang angenommen, und Piet bemerkte, daß er sich wünschte, der Mann würde sich eilen und endlich sterben. Das wäre das einzig Humane. Die anderen beiden Männer sahen aus, als versuchten sie zu schreien, könnten es aber nicht. Das Dämonengeschöpf warf den Leuten, die in den Raum geplatzt waren, einen kurzen Blick zu, aber diese blieben zögernd am Türeingang stehen, da sie noch versuchten, die entsetzliche Szene zu begreifen. Der Dämon nutzte ihr Zögern zu seinem Vorteil und drückte zu. Piet sah, wie die Beine des Geschöpfes sich anspannten und die scharfen Klauen an seinen Füßen sich in den Boden gru ben. Kinskys Augen sprangen ihm aus dem Schädel, gefolgt von einem Wasserfall aus Blut. Lint hustete einen Mundvoll Blut, gurgelte und starb. Kinsky versuchte zu schreien. Der Raum füllte sich mit einer Reihe lauter Knackgeräusche, und er erschlaffte. Ansen hörte endlich zu schreien auf, wenn er auch weiterhin brannte. Rab und die anderen gingen auf den Dämon los. Piet war
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sich nicht sicher, ob sie den Drow überhaupt bemerkt hatten. »Warum?« fragte Piet den Drow, der zusah, wie die anderen auf den Dämon losgingen. »Was tut ihr hier? Warum tut ihr das? Was wollt ihr?« Der Drow drehte sich zu ihm um und zog eine Augenbraue in die Höhe, sah auf Piet herab – auch wenn der Mensch gut und gerne fünfzehn Zentimeter größer war als er. »Was wollt ihr hier?« fragte Piet erneut. »Nichts«, sagte der Drow in Handelssprache mit einem selt samen Akzent. Piet bemerkte eine Bewegung unter sich – etwas, das so aus sah, als würde der Drow mit den Schultern zucken –, dann spürte er etwas Nasses an seinem Hals, und eine warme Flüs sigkeit lief ihm über die Brust. Piet griff mit der Hand nach seinem Hals, und seine Finger trafen auf einen pulsierenden Strahl aus heißem rotem Blut, der ihm über einen Meter weit aus dem Hals, schoß. Als er zu sprechen versuchte, füllten sich seine Lungen mit Blut, dann verschwamm seine Sicht. Der Drow wandte sich von ihm ab, und als er starb, wußte Piet, daß der Drow ihm niemals einen zweiten Gedanken widmen würde. Er lebte nicht mehr lange genug, um zu ent scheiden, was er deswegen empfand.
Ryld widmete dem toten Menschen keinen zweiten Gedanken. Fünf weitere von ihnen waren hereingekommen, und obwohl Jeggred die ersten drei, auf die er getroffen war, mit minimaler Anstrengung zur Strecke gebracht hatte, sah zumindest einer der Neuankömmlinge wie jemand aus, der wirklich kämpfen konnte. Ryld zog nicht einmal eine Sekunde lang in Erwägung, Jeggred sei vielleicht nicht in der Lage, mit den fünf Menschen fertig zu werden – selbst der mit der Streitaxt dürfte kein Prob
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lem für ihn darstellen –, aber die fünf zusammen würden den Draegloth vielleicht ein wenig langsamer werden lassen, und das mußte ausreichen. Ryld steckte Splitter in die Scheide, und ehe die Klinge noch völlig darin verschwunden war, hatten seine Füße schon den Boden verlassen. Er beabsichtigte, durchs Fenster zu sprin gen, und hatte es schon beinahe geschafft, als jemand nach seinem Fuß griff. Ryld wußte schon bevor er sich umgedreht hatte, daß es sich um Jeggred handelte. Der Draegloth zog hart an Rylds Fuß, und der Waffenmeis ter drehte sich in seinem Griff und trat Jeggred ins Gesicht. Der Kopf des Halbdämons schnellte zurück und traf einen der heranstürmenden Menschen – einen, der mit einem Schwert bewaffnet war –, der die Gelegenheit nutzte, um dem Hinter kopf des Draegloth eine Schnittwunde zuzufügen. Das Schwert verfing sich in Jeggreds noch immer feuchter Mähne aus dich tem weißem Haar. Zwei weitere Menschen näherten sich dem Halbdämon von beiden Seiten und stießen Jeggred ihre Speere in den Rücken. Die Speerspitzen versanken im Fleisch des Dämons, und Jeggred knurrte laut. Er ließ Ryld los, der auf den Beinen lan dete und dem Draegloth direkt ins Gesicht sah. Die Menschen zogen ihre Speere heraus, und Jeggred und Ryld warfen einan der einen Blick zu, der besagte, daß Jeggred den menschlichen Mann und die menschliche Frau mit den Speeren töten wollte. Der Schwertkämpfer zog seine Waffe zurück, um von hinten auf Jeggred einzustechen. Jeggred drehte sich schnell um, wodurch die beiden Men schen mit den Speeren weggeschleudert wurden. Der Mensch mit dem Schwert blieb zurück und sah Ryld in die Augen. »Der Draegloth wird euch alle töten«, sagte Ryld, der ver nünftigerweise davon überzeugt war, daß er die Handelssprache
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richtig verwendet hatte. Der Mensch wirkte, als fürchte er sich mehr, weil Ryld seine Sprache sprechen konnte als vor dem Drow selbst. Das war ein Fehler, den der Mann nicht zweimal machen würde. »Nicht ...« warnte Ryld, als der Mensch sein Schwert nach oben riß, um damit auf den Drow einzuschlagen. Mit einem ungeduldigen Seufzen beschrieb Ryld mit Split ter einen Bogen und schlug dem Menschen den Schwertarm ab. Der Mann taumelte zurück, die hervortretenden Augen auf das Blut gerichtet, das aus dem Armstumpf drang. Er sah Ryld an, stellte einen Herzschlag lang Blickkontakt her. Der Mensch schien darauf zu warten, daß Ryld etwas sagte, daß er erklärte, warum er ihm den Arm abgeschlagen hatte. Men schen waren ein seltsamer Haufen. Ryld zuckte die Achseln. Der Mann öffnete den Mund, um zu sprechen, dann fiel er tot um. Die Frau stach auf Jeggred ein, und der Draegloth griff nach dem Speer. Er zerbrach ihn wie einen Zweig, und die Frau wich zurück, die Hände vor dem Gesicht, in einem schwachen Ver such, den Halbdämon abzuwehren. Ryld unterdrückte den Drang zu lachen. Statt dessen beugte er sich schnell hinab und riß dem Toten das Schwert aus der Hand. Er mußte dem Mann einige Finger brechen, um die Waffe freizubekommen, aber dem Schwertkämpfer machte das nichts mehr aus. Der andere Lanzenträger ging mit neuentflammter Wut auf Jeggred los und stach mit seinem hoffnungslos verbogenen Speer immer wieder auf den Draegloth ein, der aus dem Weg tänzelte und mit dem Mann spielte. Die Frau hielt sich den Mund zu, offenbar besorgt darüber, was dem anderen Lanzen träger zustoßen könnte. Es lag etwas in ihrem Gesichtsaus druck, das Ryld erkannte, und als Reaktion darauf warf er ihr
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das Schwert des toten Mannes zu. Sie bemerkte die Klinge, die auf sie zuflog, erst, als sie beinahe bei ihr angekommen war, aber es gelang ihr dennoch, sie zu fangen. Die Frau begegnete Rylds Blick, und der nickte in Richtung des Draegloth. »Nimm den Drow!« schrie der Mann mit der Axt der Frau zu. Der Mann hatte schon die ganze Zeit Befehle gebrüllt, aber Ryld hatte ihm nicht viel Beachtung geschenkt. Zu hören, wie jemand seinen Tod anordnete, war für Ryld keine unbekannte Erfahrung, aber etwas an den Umständen frustrierte ihn. Er hatte ihr eben eine Waffe zugeworfen ... was machte es schon aus, ob er diese dem abgetrennten Körperglied eines ihrer Ka meraden entnommen hatte? Die Frau zögerte, sah das Schwert an, als sei sie sich nicht sicher, was sie damit anfangen solle, und sah dann zu Jeggred. Der trat auf den Mann mit dem Speer zu, indem er geschickt an der Speerspitze vorbeischlüpfte, und ergriff den Kopf des Holzfällers mit einer seiner riesigen, klauenbewehrten Hände. Der Draegloth drehte sein Handgelenk und beugte seinen Ellbogen, und der Kopf des menschlichen Lanzenträgers riß ab. Blut prasselte auf den Boden. Die Frau schrie, und Ryld war erstaunt über diesen Ton. Er war durchdrungen von Gefühl. Es war ein Ton, den Ryld in Menzoberranzan nicht oft gehört hatte. Er sah sie an, und sie begegnete seinem Blick. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie blickte zurück zu dem Draegloth, der gegen den Mann antrat, der sich ihm mit der Streitaxt näherte. Die Frau ließ das Schwert fallen und rannte los, stürmte an Jeggred und dem Mann mit der Axt vorbei aus der Tür. Ryld hörte, wie ihre Schritte in der Nacht verklangen. Der Waffenmeister sehnte sich danach, ihr zu folgen.
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Rab Shuoc war im Jahr des Niederstoßenden Falken in der Stadt Arabel in Cormyr geboren. Er war dort als Sohn einer Stadtwache aufgewachsen und hatte seine Kindheit damit verbracht, in den finsteren Seitengäßchen mit seinen Freun den Ratten zu jagen und gelegentlich seinem Vater bei seinen Runden in die wohlhabenderen Teile der Stadt zu folgen. Es war für niemanden, der ihn kannte, überraschend gewesen, daß er der Armee beitrat. Rab war dem Königreich, in dem er geboren worden war, äußerst treu und verehrte den König mehr als irgend jemanden sonst, mit Ausnahme seines Vaters. Er arbeitete sich allmählich durch die Ränge nach oben und war Sergeant, als die Ghazneths und Goblins Cormyr verwüs teten und Arabel beinahe vernichteten. Er wurde in der glei chen Schlacht beinahe getötet, die zum Tode des Königs führ te, und mußte mit ansehen, wie seine Geburtsstadt abbrannte. Sein Vater wurde getötet, als ein Teil eines Gebäudes auf ihn fiel. Da nun der König und sein Vater tot waren und er keine eigene Familie hatte, die ihn an diesem Ort hielt, ging Rab einfach fort. Im folgenden arbeitete er abwechselnd als Söldner, als Rausschmeißer in einer Taverne, als Gastwirt, als Waffen schmied und dann als Holzfäller. Er war stark und intelligent, also wurde er Vorarbeiter. Seine Arbeitgeber bezahlten Rab eine beträchtliche Summe, damit er Mannschaften zusammen trommelte, die an die gefährlichsten Orte Faerûns vordrangen, um exotische Hölzer zu finden. Schnell erwarb er sich einen Ruf als harter, aber zuverlässiger und gerechter Führer, der wußte, wie die Arbeit erledigt werden mußte, unter den Eigen tümern der Sägemühlen ebenso wie unter den Holzfällern, und Rab erfüllte immer die Erwartungen.
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Während dieser schweren sechsundvierzig Lebensjahre war bei Rab vieles zu kurz gekommen. Es hatte Frauen gegeben, aber nie eine Ehefrau oder Kinder. Seit dem Krieg hatte er nicht einmal mehr ein Zuhause. Er arbeitete kaum je mehr als eine Saison mit den gleichen Leuten zusammen und besaß keine Freunde. Er war nicht die Art von Mann, die sich Gedanken über das Glück macht oder auch nur erwartet, glücklich zu sein. Er wollte leben, arbeiten und in Ruhe gelassen werden. Als er in den Schankraum trat und sah, wie einige Mitglie der seiner Mannschaft bereits tot dalagen, getötet von einem Drow und irgendeiner Art von riesigem Dämonenmonster, wußte er, daß er, wenn er weiterleben wollte, härter kämpfen mußte, als er es jemals zuvor getan hatte. Dieser Gedanke war vorherrschend in seinem Kopf, als er auf die beiden Eindring linge zutrat und die letzten dreißig Sekunden seines Lebens begannen. Raula war intelligent genug wegzurennen, und Rab ließ es zu. Der Drow sah ebenfalls, wie sie fortlief, und der Dämon ignorierte sie. Die riesige Kreatur mit dem grauen Fell heftete ihre rotglühenden Augen auf Rab und näherte sich. Rab hob seine Streitaxt und ging in den Angriff des Dämons hinein. Ihm war bewußt, daß der Drow ihm auch zugewandt war. Der Drow näherte sich ihm schneller als der Dämon und schwang seinen riesigen Zweihänder auf wilde, chaotische Weise. Rab war sich sicher, den unkontrollierten Angriff mit Leichtigkeit parieren zu können, und er hielt das stählerne Heft seiner Streitaxt in beiden Händen, damit der Zweihänder davon abprallen sollte – aber das tat er nicht. Die Spitze des Zweihänders befand sich nicht da, wo sie hät te sein sollen. Es erschien Rab nicht möglich, daß jemand solch eine riesige, schwere Waffe so schnell bewegen konnte,
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aber der Drow hatte es getan, und Rab war derjenige, der dafür bezahlen mußte. Die Schwertspitze fügte der Brust des Holzfäl lers eine tiefe Wunde zu. Schmerz flammte auf, und Blut quoll hervor, und in der halben Sekunde, in der er sich im Schock zustand befand, nahm der Dämon ihm die Axt weg. Er war schon früher entwaffnet worden, aber nie zuvor hatte er einen Gegner gehabt, der einfach den Arm ausstreckte und ihm die Waffe aus der Hand nahm. Rab war noch damit beschäftigt, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, als etwas noch Merkwürdigeres geschah: Der Drow zog seinen Zweihänder über den Rücken des Dämons und schnitt dabei tief genug hinein, daß Blut aus der Wunde spritz te und die Kreatur brüllte. Der Drow sagte etwas in einer Spra che, die Rab nicht erkannte, geschweige denn verstand. Im Gesicht des Drow schien sich kein Ärger abzuzeichnen, über haupt keine Emotion, aber er versuchte definitiv, den Dämon zu töten. Die riesige Kreatur fuhr herum, um sich dem wesentlich kleineren Elf zuzuwenden, und Rab wich zurück. Er konnte nur einen Schritt machen, bevor der Dämon nach hinten griff und ihm am Hemd packte, wobei er auch ein Stück Haut erwisch te. Das Monster hob Rab, der deutlich über hundert Kilo wog, einfach so vom Boden hoch, ohne irgendein Anzeichen, daß er sich dabei anstrengte. Rab griff nach der riesigen Klauenhand des Geschöpfs, aber die Haut des Dämons wirkte wie Stahl, der mit rauhem Fell überzogen war. Rab konnte sich nur über die Absichten des Monsters Gedanken machen. Es wirbelte zu dem Drow herum, der sein Schwert gezückt hatte. Der Dämon hielt noch immer Rabs Streitaxt in einer Hand, aber schien sie fast vergessen zu haben. Der Dämon warf Rab nach dem Drow. Der Mensch gab ei
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nen unzusammenhängenden, verängstigten Ton von sich, der ein Schrei oder ein Heulen sein konnte. Er wußte es nicht einmal. Es war der Ton eines Mannes, der weiß, daß er nur noch weniger als eine Sekunde zu leben hat und er nichts dagegen tun kann. Rab wurde von dem Zweihänder des Dunkelelfen aufge spießt. Er spürte jeden Zentimeter des kalten Stahls, der in seine Brust glitt. Seltsamerweise tat es nicht weh.
Ryld hielt den Menschen in die Höhe und blickte an ihm vorbei zu dem Draegloth. Der Mann war gestorben, weil er versucht hatte, Blickkontakt zu ihm herzustellen – Ryld würde niemals verstehen, warum Menschen dies so beharrlich taten. Ryld senkte sein Schwert in der Hoffnung, daß der Mann her unterrutschen würde, aber mußte statt dessen rasch einen Satz nach hinten machen, um der Klinge der Streitaxt des Men schen auszuweichen, nun von Jeggred geschwungen, der mit ihr einen Schlag nach unten vollführte. Die Streitaxt traf Splitter und schnitt glatt hindurch. Ryld spürte, wie seine Augen hervortraten und es ihm gleichzeitig heiß und kalt über den Rücken lief. Splitter war zerbrochen. Sein Zweihänder. Die Waffe, für die er gelebt hatte, an der er seine Fertigkeiten entwickelt hatte, war zerstört. Die menschliche Axt mußte verzaubert gewesen sein. Der Mann fiel von dem Rest der Klinge herunter, und der plötzliche Verlust seines Gewichtes sorgte dafür, daß Ryld nach hinten fiel. Er ließ das zerbrochene Schwert los, und es fiel neben ihm zu Boden. Der Waffenmeister griff nach seinem Kurzschwert und hatte seine Finger fast schon um den Schwertknauf geschlungen, als die Axtklinge erneut nach unten geschlagen wurde, seinen
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Brustpanzer aus Zwergen-Mithral spaltete, als sei er aus Perga ment, und sich in seine Brust grub. Ryld spürte das Gewicht nicht nur auf, sondern auch in sich. Da war kein Schmerz, nur ein schwerer, gleichmäßiger Druck. Jeggred stand über ihm, Speichel hing in schimmernden Fä den von seinen entblößten Fangzähnen herab, seine Augen glühten in dem orangefarbenen Licht der Fackeln. Ryld versuchte zu atmen, aber es ging nicht. Keine Luft drang durch seine Kehle. Er wollte etwas sagen, aber er konnte keine Worte bilden. Außerdem wußte er nicht, was er sagen sollte. Er hatte allem, was er kannte, den Rücken gekehrt für eine Frau, die er überhaupt nicht kannte, eine Frau, die für sich selbst einen Weg gewählt hatte, der unweigerlich zu ihrer eigenen Vernichtung führen würde, ebenso sicher, wie er zu der seinen geführt hatte. Ein Teil von ihm wünschte sich, er wäre von jemand anderem getötet worden als von Jeggred, aber ein anderer Teil war befriedigt, daß ein Draegloth nötig gewesen war, um ihn zur Strecke zu bringen. Er wollte Jeggred fast dafür danken, daß er gegen ihn gekämpft hatte. Das war mehr, als er verdiente. Jeggred kam näher, und Ryld war dankbar, daß er nicht at men konnte. So konnte er den Atem des Draegloth nicht riechen. Jeggred lehnte sich auf das Axtblatt und brach Rylds Brust auf. Das Gefühl ging über Schmerz hinaus – es waren unerträg liche Qualen, die nur der Tod möglicherweise heilen konnte. Er beobachtete, wie der Draegloth in seine Brust griff. Rylds Leib begann zu zucken, und er konnte nichts dagegen tun. Der Draegloth faßte in seine Brust und tastete dort herum, und Rylds Sehvermögen schwand und kehrte dann wieder zurück. Als Jeggred die Hand wegzog, kehrte Rylds Sehvermögen lange genug zurück, daß der Meister Melee-Magtheres sehen
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konnte, daß sein Herz noch schlug, als der Draegloth es zu fressen begann. Das Herz des Waffenmeisters war stark, und Jeggred genoß seine Textur ebenso wie seinen Geschmack. Ryld Argith war ein würdiger Gegner, eine gute Beute gewesen, und der Draegloth wünschte sich, er könne bleiben und noch mehr von ihm verzehren. Als Jeggred das Herz des Drow gefressen hatte, war dieser tot, und er wußte, daß Danifae und die ande ren auf ihn warteten. Der Draegloth hielt sich nicht damit auf, das Blut, den Schleim oder den Pflanzensaft, mit denen er bedeckt war, abzuwischen, sondern berührte den Ring, den Danifae ihm gegeben hatte und nutzte seine Magie, um nach Sschindylryn zurückzukehren.
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»Ryld ist tot«, sagte Danifae zu Quenthel, wobei sie einen Blick zu Pharaun warf. Der Magier saß mit untergeschlagenen Beinen vor dem Großmast. Er sah sie seinerseits nicht an und schien nicht zu reagieren. Danifae kaute auf ihrer Unterlippe, und ihr Blick wechselte zwischen Pharaun und Quenthel hin und her. »Nun, und?« half die Herrin Arach-Tiniliths nach. »Ich habe ihn getötet«, knurrte der Draegloth. Danifae sah Jeggred an, der den Blick auf Pharaun geheftet hatte. Der regte sich noch immer nicht und sah weder den Draegloth noch sie auch nur ein einziges Mal an. Sie hatte versprochen, Ryld zu verschonen, aber sie hatte gelogen. Dani fae erwartete halb, daß der Magier sie für ihren Verrat auf der Stelle zu Asche verbrennen würde. Entweder war er zu sehr mit seinen Vorbereitungen für die Reise beschäftigt, oder es
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war ihm gleichgültig ... oder aber er hatte einen Plan für spä ter. »Was ist mit Halisstra Melarn?« fragte Quenthel. »Ich habe seinen Körper in Fetzen gerissen«, fuhr Jeggred fort, der die Frage seiner Tante überhaupt nicht gehört hatte, »nachdem ich sein Herz gefressen hatte. Von ihm ist kein Stück mehr übrig, das größer als ein Bissen ist, und sie sind überall in diesem frostigen Schlammloch verteilt.« »Nun«, sagte Danifae mit einem Lächeln für den Draegloth, der noch immer Pharaun ansah, »wie auch immer das sein mag, Halisstra hat tatsächlich das Undenkbare getan. Sie ge nießt nun den Schutz Eilistraees, daran besteht kein Zweifel mehr.« »Habt Ihr dafür Beweise?« fragte Pharaun, dessen Stimme ruhiger, schwächer klang, vielleicht aber auch einfach nur gelangweilt. »Sie hat es mir gesagt«, antwortete Danifae, die noch im mer Quenthel ansah. »Es stimmt«, fügte der Draegloth hinzu. Quenthel wandte sich Jeggred zu, ihr Gesicht sah verkniffen aus, und ihre Augen sprühten Funken. Dennoch wirkte sie vor der massigen Kreatur winzig. »Woher willst du das wissen?« fauchte Quenthel. »Du bist nicht hier, um zu denken.« »Nein«, antwortete der Draegloth, der nicht im geringsten vor der Wut der Priesterin zurückschrak, »ich bin hier, um zu handeln. Ich bin hier, um zu kämpfen und zu töten. Wieviel davon habe ich bisher getan, meine liebe Tante?« »So viel«, entgegnete Quenthel, und ihre Stimme klang beinahe wie ein Knurren, »oder so wenig, wie ich dir befahl. Wie ich dir befahl, nicht Danifae.« Jeggred ragte drohend über ihr auf, und unter dem grauen
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Fell war das erwartungsvolle Spiel seiner Muskeln zu sehen. »Herrin Danifae«, sagte der Draegloth, »versucht es zumin dest. Sie ...« »Handelt ohne meinen direkten Befehl«, beendete Quenthel seinen Satz. Danifae fürchtete, daß Jeggred wieder anfangen würde, also sagte sie: »Nur in Eurem Namen.« Quenthel hob eine Braue und trat näher an Danifae heran. »Darüber haben wir bereits gesprochen, nicht wahr, Kriegs gefangene?« »Ich bin nun niemandes Gefangene mehr«, erwiderte Dani fae, »aber ich diene noch immer Lolth.« »Indem du meinem Draegloth den Kopf verdrehst?« fragte Quenthel. Danifae spürte, wie die Haut an ihren Armen und auf ihrer Brust prickelte. »Nein«, entgegnete sie. »Jeggred half mir, Euch zu helfen.« »Mir zu helfen?« fragte Quenthel. Jeggred drehte sich um und schlich davon. Er suchte sich eine Stelle in der Nähe des Bugs und setzte sich mit gesenktem Kopf hin. Quenthel sah noch immer Danifae an, als erwarte sie eine Antwort. »Herrin«, sagte Danifae, »ich habe kein Zuhause mehr. Ihr sagtet, Ihr wolltet mich nach Menzoberranzan mitnehmen, wenn ich Euch diene. Genau deshalb und aus einer Vielzahl anderer Gründe habe ich getan, was ich getan habe.« »Habe ich dich darum gebeten?« brüllte Quenthel. »Habe ich dich geschickt, das zu tun?« Danifae zog ihrerseits eine Braue in die Höhe und wartete ab. Quenthel holte tief Luft und wandte sich von der früheren Kriegsgefangenen ab, um gedankenverloren auf das schwarze Wasser zu starren.
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»Meine Treue gehört Lolth«, sagte Danifae, »und Eurem Haus.« »Das Haus Baenre«, entgegnete Quenthel eisig, »hat keinen Platz für Emporkömmlinge, Verräterinnen oder Kriegsgefange ne.« »Ich glaube, Ihr werdet feststellen, Herrin«, fuhr die frühere Dienerin fort, »daß ich weder ein Emporkömmling noch eine Verräterin ... noch eine Kriegsgefangene bin. Ich bin nicht die, die unter Eilistraees Blick tanzt. Ich bin hier, und ich bin be reit, Euch zu dienen, um Lolth zu dienen, Arach-Tinilith, Menzoberranzan und der gesamten Drow...« »Schon gut«, fauchte Quenthel, »laß es. Ich brauche keine Arschkrie...« »Niemals, Her...« »Schweig«, sagte die Herrin Arach-Tiniliths. »Wenn du mich noch einmal unterbrichst, bekommst du Gift zu spüren.« Danifae hatte den nachhaltigen Eindruck, das sei eine leere Drohung, aber sie schwieg. Das war nicht leicht für sie. Es gab viele Dinge, die Quenthel zu sagen sie kaum erwarten konnte, aber sie entschied, sie statt dessen zu ihrer Leiche zu sagen. Abgesehen davon waren die Vipern, die Quenthels Befehl unterstanden, trotz allem gefährlich, und alle fünf starrten sie an, wobei ihr schreckliches Gift auf ihren hervorschnellenden Zungen glitzerte. »Hört her«, rief Pharaun von der Stelle, an der er mit ge schlossenen Augen saß. »Nun, da wir alle hier sind ... zumin dest diejenigen, die übrig sind ..., werden wir uns auf den Weg machen. Wie es die Herrin befohlen hat«, fügte der Magier hinzu. Danifae holte tief Luft, warf ein letztes Mal einen Blick auf den trostlosen Schattensee und sagte: »Wir sind bereit, Meis ter Pharaun.«
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Quenthel drehte sich um, um sie anzusehen, aber nur aus dem Augenwinkel. Erregung durchfuhr Danifae angesichts der Gefühle, die deutlich in diesem Blick zu erkennen waren. Die Herrin Arach-Tiniliths hatte Angst.
Das Schiff begann als Reaktion auf Pharauns Willen, sich in Bewegung zu setzen, und der Magier erschauderte. Durch seine Verbindung mit dem Schiff konnte er die Kälte des Wassers, die Hitze seines eigenen Körpers und der Körper seiner Gefähr tinnen und Gefährten auf dem Deck spüren, und er konnte fühlen, wie die niederen Dämonen noch immer an dem hölli schen, transdimensionalen Ort, den der Laderaum des Schiffes darstellte, verdaut wurden. Er empfand es als ungewöhnlich angenehme Mischung von Gefühlen. Noch immer plätscherte und schlug Wasser gegen den Kno chenrumpf, als das Schiff langsam über die Oberfläche des Sees glitt. Abgesehen davon änderte sich nichts. Die Wände sind hier dünn, flüsterte Aliisza in sein Bewußt sein. Ja, stimmte er zu. Die Wände, die sie meinte, waren die Barrieren zwischen den Ebenen. An gewissen Orten und zu gewissen Zeiten wur den diese Barrieren dünner und dünner und brachen häufig ganz zusammen. Der Schattensee war der Schattenebene sehr nahe. Die Barrieren zwischen den beiden Ebenen waren dort besonders dünn. Es ist gut, daß du langsam anfängst, sendete Aliisza. Es wird nicht lange dauern, bis wir... Sie waren da. Das überraschte selbst Pharaun, der einige Erfahrung im Reisen zwischen den Ebenen besaß. Als sie vom Schattensee
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in den Schattensaum kamen, bemerkte Pharaun, wie die weni ge Farbe, die es dort gab, aus der von nur sehr mattem Licht erhellten Höhle schwand. Die Bewegung des Schiffs war ruhig, aber besorgniserregend zufällig. Das Deck hob sich sanft, dann senkte es sich, dann hob es sich ein wenig weiter, dann sank es nicht ganz so weit, dann hob es sich wieder um ebensoviel, dann sank es weniger weit. Pharaun konnte nicht bestimmen, ob sie sich insgesamt nach oben oder nach unten bewegten oder ob es eine stetige Bewe gung war. Manchmal glitten sie deutlich zu einer Seite oder rollten sanft zur anderen. Sein Magen drehte sich im Einklang mit dem Schiff, und er fühlte sich zunehmend seekrank. Fahre es nicht, riet ihm Aliisza. Sei es. Pharaun konzentrierte sich auf das Deck, auf seine Handflä chen, die sich gegen den warmen, lebenden Knochen preßten. Er beobachtete wahllose Erinnerungen der verschlungenen Seelen, die durch sein Bewußtsein zogen, und blickte dann tiefer in das Schiff hinein. Auch wenn das Schiff lebte, dachte es doch nicht. Er spür te, wie es auf Reize reagierte und sich von dem kühlen Wasser des Sees in das frostige Wasser des Saums bewegte. Es wußte gefühlsmäßig, daß es die Schattenebene erreicht hatte, aber es hatte keine Möglichkeit, das Wort »Schatten« zu bilden. Das Schiff mochte den Schattensaum nicht, es fürchtete den Schattensaum nicht, und es haßte den Schattensaum nicht. Alles, was es tat, war, auf Befehl des Meisters Sorceres auf dem Wasser von einem Universum zum anderen zu fahren. Pharauns Magen fühlte sich gut an.
Valas hatte den Schattensaum schon früher bereist und war nicht beeindruckt. Es war eine Welt, der es an Farben und
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Wärme fehlte – zwei Dinge, die der Späher ohnehin wenig zu schätzen wußte. Jede Biegung in den Höhlen des wirklichen Unterreiches hatte notwendigerweise einen entsprechenden Verlauf im Schatten, aber Entfernung und Zeit waren hier verzerrt, weniger vorhersagbar, weniger greifbar. Valas war beauftragt worden, die Expedition durch das Un terreich anzuführen, aber nun hatten sie das Unterreich verlas sen. Sie befanden sich in einem Bereich, der besser zu dem Magier paßte, auf dem Weg in eine Welt, die nur eine Prieste rin zu schätzen wußte. Für Valas Hune war die Zeit gekommen zurückzutreten. Unter den Schmuckgegenständen und Talismanen, die sei ne Weste zierten, befand sich auch eine aus grüner Jade gefer tigte Kamee, die er umgekehrt trug. Er sah sich um und verge wisserte sich, daß niemand von den anderen zu ihm herschaute. Sie waren alle zu sehr damit beschäftigt, ehr furchtsvoll die Unterschiede in Luft und Wasser festzustellen, zu besessen von dem Gefühl, wie das Schiff sich über das Schatten-Wasser fortbewegte, um auf ihn zu achten. Der Spä her berührte die Kamee mit einem Finger, flüsterte ein Wort und schloß die Augen, während ein Schwindelanfall ihn ü bermannte. Nachdem er seine Nachricht an seine Vorgesetzten des Hauses Bregan D’aerthe übermittelt hatte – eine einfache Nachricht, die sie leicht als etwas Ähnliches wie »Ich werde hier nicht länger gebraucht« interpretieren konnten –, ließ Valas die Kamee los und gesellte sich zu den anderen, um mit ihnen die manchmal feinen, manchmal extremen Unterschie de in der Welt um sie herum zu bewundern. Bregan D’aerthe würde zu gegebener Zeit antworten.
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Danifae konnte kaum an sich halten. Das Gefühl, wie das Deck unter ihr schaukelte, war erregend. Daß die Welt um sie herum die Farbe verlor war berauschend. Der Gedanke, daß sie sich auf den Weg gemacht hatten und daß alles, was sie ge plant hatte, auch verwirklicht worden war, erregte sie. Die Anwesenheit Jeggreds, der neben ihr stand, beruhigte sie. Danifae hatte sich niemals im Leben besser gefühlt. »Der Magier wird ihn rächen«, knurrte Jeggred in einem Ton, der für den massigen Halbdämon als Flüstern gelten konnte. »Der Magier wird tun, was für ihn das Beste ist«, erwiderte Danifae. »Ich weiß nicht, was Ihr meint«, sagte Jeggred. Danifae hörte die Enttäuschung in seiner Stimme. »Du fürchtest ihn nicht«, sagte sie. »Ich weiß. Vergiß den Magier. Er wird nicht sein Leben aufs Spiel setzen, um Ryld zu verteidigen, der ohnehin tot ist und nun niemandem mehr nützen wird. Gerade jetzt wird er, wenn er nicht zu sehr damit beschäftigt ist, das Schiff zu steuern, zu der Erkenntnis gelan gen, daß der Waffenmeister uns alle – einschließlich ihm – im Stich gelassen hat, also zu den Höllen mit ihm.« »Zum Abyss mit uns«, meinte der Draegloth, »jetzt, da wir Pharauns Gnade ausgeliefert sind.« »Pharaun hat nicht mehr Gnade als du und ich, Jeggred«, entgegnete Danifae, »aber er hat seine Befehle von seinem Erzmagier und seine eigenen Gründe dafür, daß er bei der Ex pedition bleibt. Wenn er zu irgendeiner Zeit in der Schatten ebene, der Astralebene oder dem Abyss irgend etwas riskiert, wird er sterben. Ich möchte, daß du ihn bis dahin in Ruhe läßt.« »Aber ...« »Nein«, sagte Danifae, indem sie sich umdrehte, um den
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Draegloth anzusehen, wobei sie ihm direkt in die Augen sah. In der eintönigen Düsterheit des Schattensaums glühten ihre Augen sogar in einem leuchtenderen Purpurrot als sonst. »Du wirst ihn nicht anrühren, bevor ich es dir befehle, und selbst dann nur so, wie ich es dir sage.« »Aber, Herrin ...« »Es reicht«, sagte Danifae kategorisch. Es folgte ein Moment des Schweigens, der nur vom Knarren der Takelage und dem seltsamen Widerhall des Wassers, das gegen den lebenden Knochen des Chaosschiffes schwappte, gestört wurde. »Wie Ihr wünscht, Herrin«, antwortete der Draegloth schließlich. Danifae zwang sich, nicht zu lächeln.
Ihr werdet Euch nach einer Weile an die Bewegung gewöhnen, Herrin, versicherte ihr Yngoth. Ihr werdet sie irgendwann gar nicht mehr bemerken. Die Vipern konnten mit ihr sprechen, direkt in ihrem Geist, aber Quenthel hatte nicht gewußt, daß sie spüren konn ten, was sie fühlte. Sie hatte weder laut noch telepathisch artikuliert, wie unwohl sie sich durch die Bewegung des wo genden Decks fühlte. Es ist das Wasser, das uns unten schaukelt, äußerte K’Sothra. Quenthel ignorierte sie und entschloß sich, statt dessen in die kalte Düsterheit des Schattensaums hinauszublicken. »Achtung«, sagte Pharaun, wobei seine Stimme in der fremden Umgebung widerhallte, als käme sie aus weiter Ferne. »Wir erreichen bald die Schattenebene. Da gibt es Gefahren ... Kreaturen, Intelligenzen ... bitte die Arme und Beine nicht über die Reling strecken. Versucht, jeglichen Blickkontakt mit
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den Wesen, an denen wir vielleicht vorbeikommen, zu ver meiden. Ihr müßt auf seltsame Effekte und Kreaturen aller Art vorbereitet sein.« Nur ein Magier, zischte Zinda, kann solche ungenauen, bedeu tungslosen Warnungen aussprechen. Erwartet er etwa, daß jemand von uns auf der Schattenebene über Bord springt? Er hat recht, widersprach Yngoth. Die Schattenebene birgt manche Gefahr. »Haltet euch fest«, riet der Meister Sorceres. Vielleicht kann Euch der Draegloth vor dem Absturz bewahren, Herrin, riet Hsiv. Quenthels Lippen kräuselten sich zu einem spöttischen Lä cheln, und sie gab der Schlange, die sie beleidigt hatte, einen leichten Schlag unter das Kinn. Sie sah hinüber zu Jeggred. Danifaes Hand streichelte geistesabwesend seine Mähne, und der Draegloth stand sehr dicht bei ihr. Quenthel sah weg und versuchte ihr Bestes, um dieses Bild wieder aus dem Kopf zu bekommen. Sie kniete auf dem Deck nieder und schlang die Arme um die Reling aus Knochen und Sehnen. Kaum hatte sie fester zugepackt, da verschwand die Welt – oder das Wasser – unter dem Schiff. Sie fielen, und Quenthel drehte sich der Magen um. Ihre Kiefer spannten sich an, und sie konnte nichts weiter tun, als sich festzuhalten, ihr Körper angespannt und bereit für das unvermeidliche tödliche Ende auf dem Boden dessen, was auch immer es war, in das sie hineinfielen. Es dauerte furchtbar lange, bis das geschah. Schließlich be gann Quenthel, sich zu entspannen – zumindest ein wenig –, obwohl sie noch immer fielen und sie sich weiterhin an der Reling festklammerte, als hinge ihr Leben davon ab. Quenthel sammelte sich so weit, daß sie sich einen Überblick über den Rest der Expedition verschaffen konnte.
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Das Deck des Schiffes war verlängert und verdreht, als hätte ein starker, leichtsinniger Riese an beiden Enden gezogen. Pharaun schien doppelt so weit entfernt zu sein wie vorher, Valas Hune doppelt so nah, und Danifae und Jeggred schienen mit dem Kopf nach unten zu hängen. Der Draegloth hielt mit einem Arm die Kriegsgefangene fest, die Reling mit einem anderen. Überall um sie herum huschten schwarze Gestalten in und durch die Takelage, auf und unter den Schiffsrumpf und zwi schen den fallenden Drow hindurch. Die Luft war schwarzgrau gestreift, und es war ein dumpfes Tosen wie von Wind zu hö ren, aber das, was sie beinahe taub werden ließ, war kein Wind. Bei den fliegenden schwarzen Gestalten handelte es sich um Fledermäuse oder deren Schatten. Quenthel wußte, daß auf der Schattenebene die Schatten die gefährlichere Va riante waren. Wir halten an, sagte Qorra, und Quenthel wußte, daß das stimmte. Das Gefühl zu fallen war verflogen. Es war nicht so, daß die Fallgeschwindigkeit sich verringert hatte, und sie waren ganz sicher nicht aufgeschlagen, sondern sie fielen einfach nicht mehr. »Tut mir leid«, entschuldigte sich Pharaun mit fröhlicher und munterer Stimme. »Dieser Übergang war etwas rauh, aber ihr werdet mir meine allgemeine Unerfahrenheit hinsichtlich der Steuerung eines Chaosschiffes vergeben, da bin ich si cher.« Quenthel vergab ihm nicht, machte sich aber auch nicht die Mühe, etwas zu sagen. Das Schiff war ganz ruhig, als sei es auf festem Boden gelandet, und die Hohepriesterin riskierte einen kurzen Blick über die Reling. Sie sah, daß sie nicht auf festem Boden gelandet waren,
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sondern mitten in der Luft angehalten hatten, über einer sanft ansteigenden grauen Landschaft, die mit nebelhaften, durch sichtigen Silhouetten von Bäumen übersät war. Die schemen haften, fledermausartigen Wesen rasten noch immer überall um sie herum. »Ach ja«, fügte Pharaun hinzu, »und nicht die Fledermäuse berühren.« Quenthel seufzte, berührte aber niemals eine SchattenFledermaus.
Pharaun tastete mit seinen Sinnen nach der Schattenebene, wobei er die Eigenschaften des Chaosschiffes auf eine Weise nutzte, die sich für jemanden, der zu einem Teil des dämoni schen Schiffes geworden war, natürlich anfühlte. Er tat dies auf die gleiche Weise, in der er sich angestrengt hätte, um einen Ton in der Ferne zu hören. Die Schattenebene ähnelt letztlich deinem Unterreich, sagte Ali isza, und wie das Unterreich hat sie ihre eigenen Regeln. Pharaun nickte. Er gab nicht vor, diese Regeln im Detail zu verstehen. Er war immer klug genug gewesen, nicht auf der Schattenebene zu verweilen. Wir werden auch jetzt nicht hier verweilen, sagte Aliisza. Sie berührte seine Schulter, und Pharaun holte tief Luft. Ih re Berührung beruhigte ihn, und zwar nicht nur, weil sie ihm beim Navigieren und Steuern des Schiffes half. Nun, da Ryld tot war, war er allein mit einer Gruppe von Drow, denen es ebenso recht wäre, wenn er tot wäre, wie wenn er lebte. Das Alu-Scheusal mochte zwar mehr Feindin als Freundin sein, aber dennoch wurde Pharaun das Gefühl nicht los, sie sei die einzige, der er vertrauen konnte. Spürst du es? fragte sie.
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Pharaun war einen Moment lang erstaunt. Er dachte, sie – Das Tor, sagte sie. Spürst du es? Ihn schwindelte, und an seiner rechten Schläfe war ein Ju cken zu spüren, was das Schiff dazu brachte, beizudrehen und schneller zu werden. Seine Finger krümmten sich, als er nach dem Deck griff. Ja, sagte er. Dort ist die Barriere am dünnsten. Das Schiff wird hindurchfahren. Ja, flüsterte Aliisza. Sie legte von hinten einen Arm um ihn und preßte sich ge gen seinen Rücken. Pharauns Herz schlug etwas schneller, und der Magier war amüsiert über sich selbst. Er sah sie nicht, aber er konnte sie fühlen, riechen und hören, wie ihre Stimme in seinem Schädel widerhallte. Das gefiel ihm. Auf Pharauns unausgesprochenen Befehl hin schwebte das Schiff in unwirklichen Sprüngen über eine riesige Entfernung dahin. Wie bei einer Schattenreise glitt das Schiff schneller, als es das eigentlich hätte tun dürfen, über die Schattenebene, wobei die Entfernung unter ihm zusammenschmolz. Werden wir erneut fallen? fragte Pharaun, als sie sich der Stelle näherten, an der die Schattenebene direkt der endlosen Weite der Astralebene wich. Nein, antwortete sie, es wird anders sein. Das war es dann auch. Das Schiff war im Nu hindurch. Die Finsternis der Schat tenebene mit ihrem Himmel aus Schwarz und Dunkelgrau wurde, plötzlich zu blendendem Licht. Pharauns Augen schlos sen sich fest und waren sofort tränennaß. Das Schiff bebte. Es fühlte sich an, als schlüge etwas gegen die Seite des Schiffes. Pharaun hielt die Luft an, und in seiner Brust spürte er schwe ren Druck, eine Enge. Furcht? Keine Angst, flüsterte Aliisza.
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Pharaun erschauderte wegen des Wortes, aber er mußte sich zumindest eingestehen, daß er in der Tat Angst hatte. Er blinzelte, damit sich seine brennenden Augen öffneten, und in seinem Kopf drehte sich alles, so daß er beinahe ohn mächtig geworden wäre. Da war eine solche Weite aus Nichts auf allen Seiten, daß er sich zu schutzlos fühlte, zu verletzlich, zu ... draußen, um etwas anderes als angespannt und nervös zu sein. Der Himmel um sie herum war grau, aber er enthielt auch das, was Pharaun nur als Essenz von Licht beschreiben konnte. Es gab keine Sonne oder eine andere einzelne Lichtquelle. Das Licht war einfach da, kam von überall zugleich und durch drang alles. Grellbunte Lichtstrahlen spielten über einen lichtdurch tränkten Hintergrund – schillernde und chaotische Auroras. Das Schiff schaukelte und bebte, und Pharaun spannte sich erneut an, jederzeit darauf gefaßt, daß das Ding durch die Er schütterung zerbrach. Er biß die Zähne zusammen, schloß dann die Augen und hätte auch seine Ohren geschlossen, wenn er das gekonnt hätte. Nein, riet Aliisza, schließe die Augen nicht. Entziehe dich ihm nicht. Pharaun öffnete die Augen, wobei er im Geiste den Groll abstreifte, der in ihm kochte und emporstieg. Es gefiel ihm nicht, wenn ihm jemand sagte, was er zu tun hatte, selbst wenn er wußte, daß es nötig war. Sie drückte ihn enger an sich und flüsterte ihm ins Ohr: »Denk daran. Denk an den Namen.« Daran? sendete er gedanklich. Erneut flüsterte sie mit ihrer realen Stimme, ihre Lippen so nah an seinem Ohr, daß Pharaun fühlen konnte, wie sie über die sensible Haut dort streiften: »Den Abyss.«
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Der Abyss, dachte er. Der Abyss. Da war er. »Was ist das?« fragte Quenthel. »Wir steuern direkt darauf zu«, sagte Jeggred. Pharaun lachte und trieb das Schiff schneller auf das Chaos zu. Das ist es, trieb ihn Aliisza an. Sie flogen auf einen schwarzen Wirbelwind am Himmel zu. Er war so groß wie Sorcere selbst, vielleicht sogar noch größer. Er war riesig. Je näher sie ihm kamen, desto größer wurde er, und das nicht nur, weil sie näherkamen. Das Ding wuchs tat sächlich. »Hier sind wir nicht nur Projektionen«, meinte Valas. »Wenn wir in dieses Ding hineinfliegen ...« »Wir werden da landen, wohin wir gehen sollten«, sagte Pharaun. Seine Stimme klang ihm selbst seltsam in den Ohren, als hätte er seit einer Ewigkeit nicht mehr gesprochen. Sag ihnen noch einmal, sie sollen sich festhalten, meinte Aliis za. Es ist zwar eigentlich unnötig, aber es wird sie beruhigen. »Haltet euch fest«, wiederholte der Magier. »Haltet euch irgendwo fest, und zwar ganz fest, sonst werdet ihr über Bord geschleudert und verschwindet für alle Ewigkeit in der gren zenlosen Weite der Astralebene, wo ihr für alle Zeiten treiben werdet, und niemand wird je mehr etwas von euch sehen oder hören.« Aliisza kicherte ihm leise ins Ohr, und ihr Atem kitzelte ihn. Sie bewegten sich direkt auf den Wirbel zu, und als die Spit ze des Buges auf den Rand des Wirbels traf, brach die Hölle los. Buchstäblich. Pharaun konnte nicht anders, als zu schreien, als das Schiff
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so wild herumgewirbelt wurde, daß sein Kopf nach vorne und hinten geschleudert wurde. Seine Hände drohten, vom Deck losgerissen zu werden. Etwas traf ihn am Hinterkopf. Aliisza drückte ihn, ließ dann los und drückte ihn danach wieder. Schmerz flammte in seinen Beinen und seiner Flanke auf, und er wußte nicht genau, warum. Die anderen gaben auch Töne von sich: Schreien, Knurren, das Rufen von Fragen, die er nicht verstehen und noch viel weniger beantworten konnte. »Das ist es«, schrie Aliisza. Pharaun konnte sie noch immer nicht sehen. »Das ist, weswegen Ihr hergekommen seid. Das ist, wohin Ihr gehen werdet. Ihr habt es geschafft, aber nun ist es an der Zeit, daß der Abyss entscheidet, ob Ihr überlebt, um seine brennende Weite betreten zu können. Der Abyss wird entscheiden, ob Ihr bekommt, was ihr wollt.« »Was?« fragte Pharaun. »Was meinst du damit?« »Der Abyss entscheidet«, sagte das Alu-Scheusal, indem es die Arme wegzog, »nicht Ihr.« »Wir sind fast da«, sagte der Magier. »Ich spüre es. Er wird uns einlassen.« Mich nicht, flüsterte Aliisza in seinem Kopf. Ich verlasse euch. »Warum?« fragte er, dann sendete er: Komm mit mir. Das Alu-Scheusal kicherte und war verschwunden, und Pharaun schrie erneut. Bis das Dröhnen des Wirbelsturms im Nichts verschwand und sein eigenes Geschrei seine Trommelfelle zum Klingen brachte. Das Schiff hörte auf zu trudeln, fiel aber weiter, wobei es auf dem Weg nach unten immer schneller wurde und Pharaun Mühe hatte, die Kontrolle zurückzugewinnen. Aliisza war fort, und die subtile Hilfe, die sie ihm geboten hatte, das zusätzliche Bewußtsein am Steuer, war mit ihr verschwunden. Er versuch te, sich an einen Zauber zu erinnern, den er wirken konnte,
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aber sein Hirn, das mit dem Schiff verbunden war, das auf Arten beschädigt war, deren er sich nur am Rande bewußt war, wollte die Liste der Zauber einfach nicht preisgeben. Der Himmel hatte sich gerötet, und es gab eine Sonne, aber sie war riesig und trübe. Die Hitze war erdrückend, und Pha raun hatte Atemnot. Ihm brach der Schweiß aus, brannte ihm in den Augen und rann über seine Unterarme. »Pharaun«, schrie Quenthel mit schriller und durchdrin gender Stimme, »tut doch etwas!« Pharaun formulierte im Kopf verschiedene Antworten, während sie weiterhin immer schneller fielen, aber er machte sich nicht die Mühe, eine davon auszusprechen. »Etwas tun?« wiederholte er. Der Magier begann zu lachen, aber das Lachen verwandelte sich in ein Kreischen, als das Schiff kippte. Unter ihnen lag eine gleichmäßige Ebene, die in alle Rich tungen immer weiterführte und keinen Horizont besaß. Rot getönt von der trüben Sonne flimmerte der Sand vor Hitze. Überall darüber verstreut waren tiefe schwarze Löcher – Tau sende ... Millionen. Er wußte, wo sie waren. Er hatte Beschreibungen dieses Or tes gehört. Sie waren im Abyss angekommen. Auf der Ebene der zahl losen Portale. Sie fielen und fielen und schrien und schrien, bis sie auf dem Boden aufschlugen. Das Chaosschiff zersprang in tausend Teile aus Knochen und Sehnen, das Segel aus menschlicher Haut ging in Fetzen. Es ertönte eine wilde Kakophonie aus Knacken, Dröhnen, Reißen und Knallen. Die vier Drow und der Draegloth an Bord des Schiffes wurden in die Luft geschleudert und rollten und fielen, bis sie auf dem glühendheißen Sand zum Halten kamen.
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Es regnete Seelen. Rings um Pharaun fiel ein transparenter Geist nach dem anderen vom glühenden Himmel auf den rauhen Sand der Ebene der zahllosen Portale herab. Er konnte Angehörige tausender unterschiedlicher Rassen ausmachen. Einige erkann te er, andere nicht. Da gab es alles, vom niedrigsten Kobold bis hin zu gewaltigen Riesen, Menschen zu Hunderten und jede Menge Duergar. Pharaun konnte nur hoffen, daß die letzteren direkt von der Belagerung Menzoberranzans kamen. Jemand trat in seine Nähe, und der Meister Sorceres drehte sich um, um nachzusehen, wer es war. In diesem Augenblick wurde ihm bewußt, daß er auf dem unangenehm heißen Sand auf dem Rücken lag und nach oben blickte. Die dünne Gestalt einer verstorbenen Seele ging an ihm vorbei. Der frisch ver storbene Ork sah nach unten, schien Pharaun aber nicht zu
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sehen. Vielleicht war er der Kreatur auch egal. Sie war unter wegs zu einer Schweinehölle, um ihrem grunzenden Gott oder Dämonenprinzen zu dienen, wahrscheinlich als leichtes A bendessen. Was sollte es also für eine Rolle spielen, wenn sie auf ihrem Weg an einem schlafenden Drow vorbeikam? Pharaun blinzelte in der Erwartung, der vorbeikommende Ork werde ihm zumindest Sand ins Gesicht schleudern, aber die Füße des Wesens waren so unwirklich, wie sie aussahen, und es hinterließ auf dem leblosen Boden keine Spur, die da von zeugte, daß es vorbeigekommen war. Der Meister Sorceres erhob sich unter dem schmerzhaften Protest eines Dutzends Muskeln langsam in eine sitzende Position. Bei zumindest dreien davon war er sich nicht bewußt gewesen, daß er sie besaß. Er holte tief Luft und sah sich um. Die Wrackteile des Chaosschiffs schienen auf seltsame Wei se zu ihrer Umgebung zu passen. Gezackte Finger aus bleichen Knochen ragten vor dem roten Himmel wie eine Reihe mate riellerer Seelen auf. Die Teile des Schiffs, die gelebt hatten, durch die Blut geströmt war und die geatmet hatten, lagen vertrocknet und grau auf dem unbarmherzigen Sand. Jeggred stand gebeugt inmitten des zerstörten Schiffs, und seine ungebändigte weiße Mähne flatterte wie wild im heißen Wind. Der Draegloth starrte Pharaun erwartungsvoll an. Er sah nun noch ramponierter und übler zugerichtet aus und blutete wieder aus einer Anzahl kleiner Wunden. Danifae trat hinter dem riesigen Draegloth hervor. Sie hielt einen langen Splitter aus zerbrochenem Knochen in der Hand und war staubig und zerzaust, wirkte im übrigen aber nicht sehr mitgenommen. Die Kriegsgefangene blickte hinunter auf das Knochenfragment, das sie trug, dann warf sie es geistesabwe send weg, wo es scheppernd inmitten einer Myriade von ähnli
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chen Splittern liegenblieb. Danifae folgte Jeggreds Blick zu Pharaun. Das Geräusch eines Seufzens erschreckte den Magier, und er fuhr, noch immer im Sitzen, herum. Da sah er Valas Hune neben sich kauern. Er hatte weder gesehen noch gehört, wie der Späher nähergekommen war. »Bist du verletzt?« fragte der Söldner. Die Stimme des Spähers schwoll mit dem Wind an und ab und klang weit entfernt, obwohl sie nur wenige Zentimeter entfernt über seine Lippen an Pharauns Ohr drang. »Nein«, antwortete Pharaun, der seine eigene Stimme auf die gleiche Art nachhallen hörte. »Es geht mir gut. Vielen Dank für die Nachfrage.« Er stand auf und begann, langsam zu dem Trümmerfeld zu rückzuwandern. Pharaun fragte alle drei: »Hat irgend jemand Quenthel ge sehen?« »Ich wäre Euch dankbar«, sagte Quenthel hinter ihm, »wenn Ihr mich ›Herrin‹ nennen würdet.« Pharaun machte sich nicht die Mühe, sich umzudrehen. Quenthel ging an ihm vorbei und sah sich um, offensichtlich, ohne einen zweiten Gedanken an den Magier zu verschwen den. »Verzeihung, Herrin«, sagte er. »Ich gebe Valas’ Frage an alle weiter: Geht es euch gut?« Quenthel, Danifae und Jeggred reagierten auf unterschiedli che Art, indem sie mit den Achseln zuckten, nickten oder ihn ignorierten, und Pharaun entschied, daß ihm das reichte. »Um die Wahrheit zu sagen«, fügte Pharaun hinzu, »bin ich erschüttert, daß wir diesen Absturz überlebt haben. Das war beeindruckend, selbst nach meinen Maßstäben. Was für ein Auftritt.«
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Die anderen widmeten ihm ein spöttisches Lächeln, abge sehen von Valas, der die Achseln zuckte und begann, sich einen Weg durch die Wrackteile zu bahnen. »Ja, was für ein Auftritt, aber ich beginne mir Sorgen um unseren Abgang zu machen«, meinte Danifae. »Wie gedenkt Ihr, uns zurückzubringen?« Pharaun öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber dann schloß er ihn. Er antwortete Danifae nicht, da er annahm, sein Schweigen sei Erklärung genug. Pharaun hatte keine Ahnung, wie sie ohne das Schiff zu ihrer heimatlichen Ebene, ihrer Heimatwelt und ihrer Heimatstadt zurückkehren sollten. »Lolth«, sagte Quenthel, »wird dafür sorgen.« Niemand sah die Hohepriesterin an oder machte eine Be merkung darüber, wie wenig Glaube in ihrer Stimme mit schwang. Danifae suchte die Gegend um sie herum und die Luft über ihr ab, während die Geistererscheinungen weiter vom Himmel fielen, nur um Kolonnen zu bilden und sich dann kopfüber in eines der schwarzen Löcher zu werfen, die in unendlicher Menge vorhanden waren und aussahen wie bodenlose Krater. Diese waren überall um sie herum verteilt, so weit das Auge in jeder beliebigen Richtung reichte. Keines von ihnen war auf irgendeine für Pharaun nachvollziehbare Art gekennzeichnet, und er hatte nicht die leiseste Ahnung, welches der Löcher sie zum Abgrund der Dämonennetze führen würde, der sechsund sechzigsten Schicht dieser endlosen höllischen Ebene. »Was ist das?« fragte Danifae mit einem Blick auf die herab fallenden Erscheinungen. »Tote«, antwortete Quenthel, wobei ihre Stimme aufgrund all der unnatürlichen Echos, die der Wind um sie herum ihren Worten verlieh, kaum hörbar war. »Verstorbene Seelen von der gesamten Materiellen Ebene«,
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fügte Pharaun hinzu. »Jeder, der zu Lebzeiten einem der Götter aus dem Abyss gedient hat, durchreist diesen Ort und springt dann in das entsprechende Portal, und dann ist er unterwegs. Jedes dieser Löcher führt zu einer unterschiedlichen Schicht, beinahe zu einer völlig anderen Welt. Es gibt eine unendliche Anzahl davon. Diese Ebene führt in allen Richtungen immer weiter, bis in die Unendlichkeit.« Der Draegloth schnaubte, stand auf und schüttelte Blut, Wasser und Sand aus seinem Fell. »Das bedeutet?« fragte er. Pharaun zuckte die Achseln und sagte: »Eigentlich hatte ich gehofft, du könntest uns mehr darüber erzählen. Schließ lich wurdest du von einem Einwohner des Abyss gezeugt, und selbst ein halbblütiger Tanar’ri sollte einiges Verständnis ...« »Ich war noch nie hier«, knurrte der Draegloth. »Ihr habt meinen Vater außerdem zum letzten Mal erwähnt, Magier.« Pharaun wurde unterbrochen, ehe er auf die grobe Drohung des Draegloth reagieren konnte. »Wie finden wir das richtige?« fragte Danifae. »Portal, mei ne ich.« Jeggred knurrte und sagte: »Es gibt nur einen Eingang für jede Schicht, aber es gibt eine unendlich große Anzahl von Schichten. Wir könnten direkt neben dem Loch stehen, das uns zum Abgrund der Dämonennetze bringen kann, oder es könnte tausend Kilometer oder mehr in einer beliebigen Rich tung entfernt sein ... vielleicht sogar eine Million Kilometer.« »Eigentlich ist das unwahrscheinlich«, sagte Pharaun, »aber trotzdem vielen Dank für das Vertrauensvotum, verehrtes Halbblut« – Danifae legte Jeggred eine Hand auf den Arm, als der Draegloth beim Klang dieses Wortes auf Pharaun losgehen wollte –, »aber ich habe das Schiff gesteuert, zumindest, bis es mit ihm zu Ende war, und ich habe es mit der Kraft meines
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Willens dazu gebracht, uns nicht bloß zur Ebene der zahllosen Portale zu bringen, sondern zu dem einen Portal, das uns an den Ort bringen sollte, wohin wir wollten. Selbst wenn wir abgestürzt sind, müssen wir dennoch in seiner Nähe sein. Das Schiff brachte uns zumindest in die allgemeine Richtung des Portals, bevor wir vom Wege abkamen.« »Nun, es ist gut zu wissen, daß Ihr nicht vollkommen unfä hig seid, Pharaun«, sagte Quenthel, deren Stimme lauter und seltsamerweise zuversichtlicher klang, als sie es seit langem getan hatte, »aber ich werde die Angelegenheit von hier an übernehmen ... die Führung der Gruppe übernehmen.« Pharaun beobachtete, wie ein weiterer geisterhafter Ork an ihm vorbeiging. Er fiel in ein tiefes schwarzes Loch im Boden. Es gab kein Geräusch, überhaupt nichts, was anzeigte, daß er auf dem Boden aufgeschlagen oder daß ihm überhaupt etwas zugestoßen war. Er war verschwunden. »Mein Instinkt«, meinte Valas Hune, »sagt mir, daß wir als erstes eine Drow-Kolonne suchen und ihr folgen sollten.« »Seht Ihr irgendwelche Drow?« fragte Quenthel. »Nein«, flüsterte Danifae. Der Klang ihrer Stimme verursachte Pharaun Gänsehaut. »Was sollen wir also tun?« fragte Jeggred. »Folgt mir«, antwortete Quenthel. »Ich erkenne das richti ge Loch, wenn ich es sehe.« »Wie das?« fragte Pharaun. Quenthel erwiderte: »Ich bin schon früher hindurchge reist.« Die Herrin Arach-Tiniliths brach auf, bevor irgendeinem von ihnen klargeworden war, daß sie jetzt sofort aufbrechen wollte. Danifae und Jeggred sahen, wie sie fortging, und warfen einander einen Blick zu, aus dem hervorging, daß niemand von ihnen der Hohepriesterin glaubte.
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Valas folgte ihr, und ebenso Pharaun, wenn auch gleicher maßen widerstrebend wie Danifae und Jeggred.
Aliisza sah aus sicherer Entfernung zu, wie die Drow sich ab klopften und neu gruppierten. Habe ich dich unterschätzt? dachte sie, als sie beobachtete, wie Pharaun sich auf die Beine kämpfte. »Wahrscheinlich nicht«, flüsterte sie und sann über ihren nächsten Schritt nach. Kaanyrs Anweisungen waren klar, auch wenn sie nicht be inhaltet hatten, den Drow dabei zu helfen, überhaupt erst zum Abyss zu gelangen. Sie sollte sie beobachten, also würde sie das tun, zumindest, bis es sie langweilte. Aliisza blickte über die Ebene der zahllosen Portale, das Tor zum Abyss, und seufzte. Es war schon lange her, seit sie zu Hause gewesen war, und auf den ersten Blick sah es hier ge nauso aus. Sie hatte beobachtet, wie das Chaosschiff durch einen roten Himmel gefallen war, der aussah wie der, durch den sie als Mädchen geflogen war, um es dann auf Sand zer schellen zu sehen, mit dem sie einst Monster aus weit entfern ten Universen geformt hatte – Monster wie Solare, Ki-rin und Menschen. Es sah genauso aus, aber es war nicht das gleiche – nicht ganz. Vielleicht hatte sie zuviel Zeit mit den von ihrer Göttin be sessenen Drow verbracht, aber Aliisza war sich sicher, daß am Abyss etwas anders war, so als fehle ein Teil davon. Das Gefühl ergab keinen Sinn, und es verwirrte das AluScheusal und führte dazu, daß es sich unbehaglich fühlte, also verdrängte es es. Aliisza zwang sich selbst zu einem Lächeln, auch wenn sie sich nicht danach fühlte, während sie den Drow unsichtbar aus
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sicherer Entfernung folgte.
Das Alu-Scheusal war nicht die einzige dämonische Kreatur, die die Drow in diesem Augenblick beobachtete. Eine weitere betrachtete sie von einem ähnlich fernen Aussichtspunkt, gehüllt in Unsichtbarkeit und andere Abwehrzauber. Die Kre atur schäumte vor Haß. Der Glabrezu schwebte in der Luft, hoch über der Ebene der zahllosen Portale, berührte die zerstörten Stümpfe seiner Beine und knurrte: »Bald. Bald ...«
Halisstra ließ einen Finger über die warme, leuchtende Schneide der Mondsichelklinge gleiten und bewunderte ihre Schönheit. Es war eine großartige Waffe, und sie würde sich ihrer nie würdig fühlen. Ryld Argith hätte mit dieser Klinge in den Kampf ziehen sollen, nicht sie. Ryld hätte gewußt, was er damit anfangen sollte. Die Melarn-Priesterin spürte die Abwesenheit ihres Gelieb ten als Schmerz. In ihrer Brust war eine Leere, die brannte, schmerzte, vor Unsicherheit und Sehnsucht pochte, und eine Vielzahl anderer, sowohl fremder als auch vertrauter Emotio nen. »Wenn du es nicht kannst«, flüsterte Feliane ihr zu, »mußt du es mir jetzt sagen. Jetzt, ehe wir noch weiter gehen.« Halisstra sah zu Feliane auf, und Tränen ließen ihre Sicht verschwimmen. »Sag es mir«, drängte die Priesterin Eilistraees. Halisstra rieb sich die Augen und sagte: »Ich kann es.« Die Elfenpriesterin starrte sie an und wartete, daß Halisstra weitersprach.
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Halisstra sah nach unten auf ihre tränennasse Hand, die sie nur verschwommen wahrnahm. Ihre Augen fühlten sich heiß an, und ihre Kehle war so eng, daß es wehtat. Sie hatte in ihrem Leben noch nicht viel geweint, und ganz gewiß nicht über das Schicksal eines Mannes, eines Soldaten ... oder über haupt über irgend jemandes Schicksal. Ich habe mich verändert, dachte sie. Ich verändere mich. »Er wollte nicht, daß ich gehe«, flüsterte Halisstra. »Er wollte, daß du ins Unterreich zurückgehst«, sagte Uluy ara, »wenn nicht gar zu Lolth.« Halisstra sah zu der Drow-Priesterin auf. Uluyara stand im Eingang, umrahmt von dem blendenden Zwielicht hinter ihr. Sie trug Kampfkleidung und war bedeckt mit Amuletten aus Federn, Zweigen und Knochensplittern. Halisstra nickte, und Uluyara trat ein. Die Drow durchquerte den Raum und ging zu dem Bett, das Halisstra einst mit Ryld geteilt hatte. Dort kniete sie nieder. Sie nahm Halisstras Kinn in eine ihrer rauhen Hände, hielt sie sanft fest und zwang sie, ihrem Blick zu begegnen. »Wenn sie ihn getötet haben«, sagte Uluyara, »ist das nur ein weiterer Grund, um zu tun, was du schon getan hast, ein weiterer Grund, um sie zumindest hinter dir zu lassen, sie end lich zu besiegen, wenn es möglich ist.« »Indem ich Lolth töte?« fragte Halisstra. »Ja«, antwortete Feliane, die noch immer gegen die mit Unkraut bewachsene Wand gelehnt stand, ebenfalls für den Kampf und für eine lange Reise gekleidet. »Ihr müßt mir etwas sagen«, bat Halisstra, deren Blick zwi schen den beiden Frauen hin- und herhuschte. »Ihr müßt mir sagen, daß es möglich ist, ich meine, daß wenigstens die kleins te Chance besteht.« Uluyara lächelte und zuckte die Achseln, aber Feliane sagte:
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»Es ist möglich.« Sowohl Halisstra als auch Uluyara sahen zu ihr herüber. »Alles ist möglich«, erklärte Feliane, »mit den richtigen Werkzeugen und einer Göttin an deiner Seite.« »Eilistraee kann nicht dahin gehen, wohin wir unterwegs sind«, sagte Halisstra, »nicht in den Abgrund der Dämonen netze.« »Nein, das kann sie nicht«, stimmte Uluyara zu. »Deshalb schickt sie uns.« »Wenn wir dort sterben«, fragte Halisstra Uluyara, die die Hand vom Kinn der Priesterin nahm, »was wird dann aus uns?« »Wir gehen zu Eilistraee«, erwiderte Uluyara. Halisstra hörte die Gewißheit in der Antwort der Drow, sah sie in ihren Augen. »Das weiß ich nicht mit Sicherheit«, sagte Halisstra. »Was«, fragte Feliane, »weißt du denn mit Sicherheit?« Halisstra sah sie an, und die Elfe erwiderte ihren Blick mit fast vollkommener Ruhe. »Ich weiß ...«, begann Halisstra, während sie noch darüber nachdachte. »Ich weiß, daß Lolth mich verließ und eine grau same Herrin war, die unsere Stadt, unseren Lebensstil der Zerstörung anheimfallen ließ, vielleicht nur, um eine ihrer Launen zu befriedigen. Ich weiß, daß ihr Tempel versiegelt ist und daß es dort keine verstorbenen Seelen gibt. Ich weiß, daß mir dank ihr die Ewigkeit verschlossen bleibt.« »Was hat sich verändert?« fragte Feliane. Halisstra sah Uluyara an, als sie antwortete: »Eilistraee.« »Eilistraee hat sich nicht verändert«, flüsterte Uluyara. »Nein«, stimmte Halisstra zu, »aber ich.« Uluyara lächelte, und Halisstra auch. Dann begann die Me larn-Priesterin zu weinen.
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»Ich vermisse ihn«, schluchzte sie. Uluyara legte eine Hand in Halisstras Nacken und zog sie näher zu sich heran, bis ihre Stirnen einander berührten. »Hättest du ihn vermissen können«, fragte Uluyara, »wenn du noch Halisstra Melarn wärest, die erste Tochter des Hauses Melarn in Ched Nasad, Priesterin Lolths? Wäre dir das je in den Sinn gekommen?« »Nein«, erwiderte Halisstra ohne Zögern. »Dann hat Eilistraee dich berührt«, sagte Uluyara. »Ei listraee hat dich gesegnet.« Halisstra sah zu Feliane auf und fragte: »Glaubst du das auch?« Feliane sah sie für die Dauer mehrerer Herzschläge an und sagte dann: »Ja. Du führst die Mondsichelklinge, wenn auch aus keinem anderen Grund ... aber es gibt noch andere Grün de. Ja, ich glaube, daß Eilistraee dich gesegnet hat, und sie hat uns alle mit deiner Anwesenheit gesegnet.« Halisstra nickte und sah dann zu Uluyara. Die andere Drow nickte und umarmte sie. Es war eine kurze Umarmung, schwes terlich, warm und sanft. »Nun«, sagte Halisstra, als die Umarmung geendet hatte, »sollten wir anfangen. Vor uns liegt ein weiter Weg, und die furchterregendste Gegnerin wartet an seinem Ende auf uns: eine Göttin auf ihrer Heimatebene.« Uluyara stand auf und half Halisstra ebenfalls hoch. Hal isstra zog sich für die Reise und für den Kampf an, wie es die beiden anderen getan hatten, aber als sie fertig war, fühlte sie sich schwerfällig und steif.
Gromphs Welt war auf eine Reihe von Kreisen reduziert wor den.
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Das kreisförmige antimagische Feld würde jeden Zauber, der es zu durchdringen versuchte, auflösen und jeden magischen Effekt in seinem Inneren unterdrücken. Der Schmerz umgab sein Bein in einem Kreis, wo der unterbrochene regenerative Effekt des Rings es nur teilweise angefügt und eine ausgefrans te, nässende Wunde rings um die Mitte seines Schenkels her um hinterlassen hatte. Um den Außenrand des antimagischen Feldes herum kreiste langsam immer wieder ein winziger Kreis – eigentlich eine Kugel – aus konzentriertem magischem Feu er. Es war Dyrrs nächste Explosion, die ihn umkreisend darauf lauerte, daß das Feld zusammenbrach. Der Drowleichnam umkreiste ihn auch und wartete, ebenso wie sein Feuerball. Gromph saß auf dem kühlen Steinboden des zerstörten Ba sars und versuchte, sich nicht vor Schmerzen zu winden, indem er sich auf seinen Atem konzentrierte und zum Denken zwang. »Wie lange kann es halten?« spottete der Drowleichnam aus einigem Abstand außerhalb des antimagischen Feldes. »Nicht ewig, das weiß ich. Nicht so lange, wie mein eigenes hielte. Bin ich so furchterregend für Euch, daß Ihr Euch auf diese Weise verstecken müßt, selbst auf offener Bühne?« Gromph machte sich nicht die Mühe zu antworten. Er hatte keine Angst vor Dyrr. In Wahrheit war er Nimors wegen be sorgt. Der geflügelte Assassine war in den Schatten ver schwunden und so wieder in seinem natürlichen Element. Er konnte überall sein. Es war nicht wahrscheinlicher, daß Dyrr, ein Wesen, das buchstäblich von Magie zusammengehalten wurde, die Grenze des antimagischen Feldes überquerte, als daß er sich kopfüber in den Klauengraben stürzte. Nimor ande rerseits hatte wahrscheinlich ohnehin den größten Teil, wenn nicht sogar seine gesamte Magie, durch die Auftrennung verlo ren und benötigte keinen Zauber, um ihn mit seinen Klauen zu zerfleischen.
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Das Gewebe wurde von dem Feld blockiert, aber das war auch schon alles. Gromph, der durch den Blutverlust und die grausige Wunde an seinem Bein schwach war und Schmerzen hatte, war fast hilflos gegen alles außer Zauber. Nimor konnte einfach auf ihn zugehen – jeder konnte einfach auf ihn zugehen – und den Erzmagier Menzoberranzans töten, indem er ihm den Hals aufschlitzte. Zumindest, dachte Gromph, muß ich nicht Prath zuhören, der mich daran erinnert. Das Feld blockierte die telepathische Verbindung, die er zu den anderen Baenre-Magiern aufgebaut hatte. Gromph war ganz auf sich allein gestellt, obwohl er sich sicher war, daß Nauzhror und die anderen noch immer alles beobachteten. »Bitte sagt mir, daß Ihr nicht einfach dasitzen und sterben werdet«, sagte Dyrr. »Ich erwarte mittlerweile soviel mehr von Euch.« »Ach ja?« antwortete Gromph, wobei jedes Wort von schmerzhafter Anstrengung begleitet war. »Was erwartet ... Ihr ... denn ... mittlerweile ... von Nimor?« »Warum, Erzmagier«, erwiderte der Drowleichnam, »was um alles in der Welt meint Ihr?« »Wo ist er?« fragte Gromph. »Wohin ist Euer Halbdrache verschwunden? Er könnte mich sehr leicht töten, das wissen wir beide. Hat er« – Gromph zuckte zusammen, weil ihn eine Welle des Schmerzes überkam – »Euch im Stich gelassen?« »Ich habe Nimor Imphraezl noch nie getraut«, meinte der Drowleichnam. »Was ist Eure Entschuldigung?« Diese Bemerkung bereitete Gromph Kopfzerbrechen. Dennoch klang einiges von dem, was Dyrr gesagt hatte, schmerzlich nach der Wahrheit. Wenn er das antimagische Feld nicht senkte, würde der Ring niemals das Anfügen seines Beines vollenden. Wenn er dort sitzen blieb, würde er sehr
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bald am Schock, am Blutverlust oder einer Infektion sterben. Das einzige, was Dyrr davon abhalten konnte, ihn zu ermor den, war, ihn seinerseits zu töten. Gromph tat nichts, um Dyrr auf seine Absichten aufmerk sam zu machen. Er holte nicht dramatisch schaudernd Luft. Er bewegte seinen zitternden, schmerzgepeinigten Leib nicht. Er sah den Drowleichnam oder die Perle aus komprimiertem Feuer, die auf eine Möglichkeit wartete, ihn zu ihrem Opfer zu machen, nicht an. Alles, was geschah, fand in seinen Gedan ken statt. Gromph arrangierte gedanklich Zauber, rief sich die Eröff nungsworte ins Gedächtnis und zwang seine Finger im voraus dazu, die Gesten zu formen. Er behielt eine Hand am Stab, da er wußte, daß seine Magie nicht verschwunden war, sondern einfach nur unterdrückt wurde und ebenso wartete, wie Dyrrs Feuerball – und Dyrr selbst – wartete. Er ließ das antimagische Feld fallen. Im gleichen Augen blick erschien wieder die Kugel um ihn, und der Zauber ging ihm schnell über die Lippen. Die Feuerperle beendete ihre träge Kreisbahn und schoß so schnell wie ein Armbrustbolzen auf ihn zu, aber Gromphs Zauber war den Bruchteil einer Se kunde schneller. Der Zauber befähigte ihn, die Feuerperle mit einer Welle unsichtbarer Energie wegzustoßen. Kraft seines Geistes übernahm Gromph die Kontrolle über den entstehen den Feuerball und ließ ihn zu dem Drowleichnam zurückrasen. Dyrr wich davor zurück, dann drehte er sich um und flüch tete mit großer Geschwindigkeit. Gromph ließ den Feuerball weiterhin hinter dem Drowleichnam herrasen und kam ihm immer näher damit. Der Schmerz in seinem Bein begann zu verschwinden und wurde einmal mehr durch ein pulsierendes Brennen ersetzt, als es sich zusammenzog. Da er sich darauf konzentrierte, den
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fliehenden Drowleichnam mit seinem eigenen Feuerball zu verfolgen, sah Gromph nicht, wie das Blut, das ihn noch im mer umgab – sein eigenes Blut – von der Haut seines Beins aufgesogen wurde. Als es in sein Gewebe einzog, erwärmte sich das Blut von selbst, und die Zellen erwachten der Reihe nach wieder zum Leben. Die Feuerperle war nur noch eine Handbreit von dem flie henden Drowleichnam entfernt, als Nimor Imphraezl Gromph in den Rücken stach. Der Erzmagier hatte gedacht, er hätte sich mittlerweile dar an gewöhnt, daß ihn immer wieder unerträgliche Qualen ü bermannten, aber der Schmerz traf ihn mit voller Wucht. Er spürte jeden Bruchteil des Weges, den die Klinge durch seine Haut, in die Muskeln seines Rückens hinein und durch sie hindurch zurücklegte. Er fühlte, wie der kalte Stahl sein Herz durchbohrte. Gromph keuchte und verlor die Kontrolle über den Zauber, der den Feuerball in seinem Bann hielt. Er schloß die Augen gegen den plötzlichen Lichtschein, der bei seiner Explosion entstand – er war zu weit entfernt von Gromph, um ihn zu verbrennen, aber auch zu weit von dem Drowleichnam, um ihm irgendwelche Schäden zuzufügen. Das war nicht das einzige Feuer. Der flackernde Schild aus arkanen Flammen, der ihn umgeben hatte, ehe er das antima gische Feld gewirkt hatte, war zu ihm zurückgekehrt, ebenso wie die Kugel. Feuer ergoß sich über die Wunde in Gromphs Rücken, auch wenn es ihn nicht vor dem Dolch geschützt hatte. Feuer überspülte Nimor, der das Messer losgelassen hatte und zurückgetaumelt war, wobei er die Flammen zu vertreiben versuchte, die sein schattenschwarzes Gesicht erneut verseng ten. Der Dolch steckte noch immer in seinem Leib, in seinem
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Herzen, und Gromph torkelte nach vorne, um auf dem un barmherzigen Boden des Basars flach auf den Bauch zu fallen. Der Ring kämpfte Sekunde um Sekunde darum, sein Herz unversehrt zu halten, um es weiterhin schlagen zu lassen, um sein Blut weiter fließen zu lassen, aber er konnte nichts gegen die Schmerzen ausrichten. Gromphs Sicht trübte sich, und als er versuchte, hinter sich zu greifen, um den Dolch aus seinem Rücken zu ziehen, konnte er nur mit seinem unbrauchbar gewordenen Arm zucken. Verschwommen nahm der Erzmagier Hitze, Licht und ein prasselndes Geräusch sowie ein dumpfes Tosen wahr ... Feuer. Er zwinkerte. Seine Sicht klärte sich weit genug, daß er eine Reihe brennender Stände und eine dichte Rauchsäule erken nen konnte, die in die stille, sich allmählich erwärmende Luft aufstieg. Als starre, spindeldürre Silhouette vor den blenden den orangefarbenen Flammen war die Gestalt des Drowleich nams zu erkennen. Gromph hustete und spürte, wie etwas Warmes, Dickes von seinen Lippen troff. Der Dolch zuckte in seinem Rücken, und Gromph befürchtete, das läge an Nimor, der die Klinge drehte und sie tiefer hineintrieb oder sie nur deshalb hinauszog, um sie erneut in ihn hineinzustoßen. Nein, sagte Nauzhror in Gromphs wirrem, sich verlangsa mendem Verstand. Es ist der Ring. Bewegt Euch nicht, Erzma gier. Versucht, Euch noch ein paar Sekunden lang nicht zu bewe gen. Gromph blickte zu dem schwebenden Drowleichnam auf und sah, wie sich weit über den brennenden Ständen eine weitere schwarze Silhouette zu ihm gesellte. Die zweite Silhou ette besaß riesige, halb-transparente Flügel, die von Adern durchzogen waren. Der Dolch zuckte erneut, und Gromph spuckte noch mehr
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Blut, als er aus seinem Herzen freikam, nur um in seine Lunge einzuschneiden. Noch einige Sekunden, sagte Nauzhror. Geduld. Gromph ließ das letzte Wort in seinem Geist widerhallen. Er hatte keine andere Wahl. Für ihn fühlte es sich an, als drü cke der Schmerz ihn tatsächlich zu Boden, in den Felsen, der sich unter ihm befand. Die beiden schwarzen Gestalten begannen, vor dem aufge wühlten Hintergrund aus lohendem Feuer anzuwachsen. Sie kamen, ihn zu holen. Sie wollten es beenden. Der Dolch glitt aus Gromphs Rücken, landete klirrend ne ben ihm auf dem Stein. Er erschauderte ein letztes Mal vor krampfartigen Schmerzen und griff sich an die Brust, als sein Herz aussetzte und dann wieder zu schlagen begann, stark und regelmäßig. Der Erzmagier begann, einen Zauber zu wirken. Gromph richtete sich in eine sitzende Position auf, als er den Zauber wirkte, und drehte sich um, um sich seinen Fein den zuzuwenden. Das Feuer spiegelte sich in seinen geraubten Augen. Nimor, der mit seinen Schattendrachen-Klauen auf ihn losging, war ihm näher, also richtete Gromph den Zauber gegen ihn. Der Erzmagier sandte eine rollende Woge blenden den Feuers gegen den Assassinen, aber Nimor wich schnell aus und verschwand, indem er in den Schatten versank wie ein Fels, der unter die Oberfläche des Donigarten-Sees glitt. Das beschworene Feuer flammte an der Stelle vorbei, an der der Assassine gestanden hatte, und verbrannte nur leere Luft. Gromph schauderte. Es ist alles in Ordnung, sagte Nauzhror. Nein, schoß Gromph zurück. Ich setze zuviel Feuer gegen Ni mor ein. Das ist wahr ... begann Prath, aber hielt so abrupt inne, daß Gromph sich sicher war, daß Nauzhror ihn zum Schweigen
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gebracht hatte – zu Praths Glück. Der Drowleichnam hielt an und machte eine Geste vor sei nem Körper. Gromph ergriff seinen Stab fester und seufzte, als die letzten schweren Verletzungen sich durch die Magie des Ringes schlossen. Ein schwacher Dunst bildete sich in der Luft vor Dyrr und fügte sich selbst ein Stäubchen nach dem anderen hinzu, bis sich eine breite, flache Wolke aus sich heftig bewegendem Nebel fort von dem Drowleichnam und auf Gromph zuwälzte. Der Erzmagier kam auf die Beine und sprach das Befehls wort, das bei seinem Stab ein weiteres Aufgebot an Kräften auslöste. Gromph konnte sie nicht sehen, aber dank der Magie des Stabes war er sich der Grenzen der unsichtbaren Mauer bewußt, die er vor seinem Körper beschworen hatte. Die Wolke aus – wie Gromph annahm – Giftgas, die Dyrr beschworen hatte, mischte sich mit dem Rauch der brennen den Stände und verlangsamte ihn, stoppte ihn aber nicht. Gromph positionierte die Mauer aus magischer Energie zwi schen sich und der Wolke, und innerhalb eines Augenblicks begann der Nebel sich entlang der flachen Oberfläche der Mauer auszubreiten, weit fort von dem Erzmagier. Dyrr, der offensichtlich nicht überrascht von Gromphs ein facher Lösung für die tödliche Wolke war, stieg in einem Bo gen hoch in die Luft und überflog die Energiemauer. Der Drowleichnam zog einen Zauberstab aus den Falten seines Piwafwi und starrte Gromph mit einem Gesicht an, das bar jeder Emotion war. Gromph begann, einen Zauber zu wirken, wobei er die Zeit abschätzte, die aufgrund der Fluggeschwindigkeit des Drow leichnams nötig war. Als Dyrr schneller wurde, bekam Gromph Gelegenheit, den Zauber zum Abschluß zu bringen und durch die Dimensionstür zu treten, die er neben sich in
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der Luft geöffnet hatte. Als träte er durch eine gewöhnliche Tür, kam Gromph auf der anderen Seite heraus, nachdem er ein Dutzend Schritte über den brennenden Basar zurückgelegt hatte. Er beobachtete, wie der Drowleichnam herabstieß und seinen Zauberstab über den Punkt schwang, an dem Gromph gerade noch gestanden hatte, worauf er mit einem frustrierten Knurren auf dem Boden landete. Gromph senkte die Energiemauer und lachte. Die Wolke aus Giftgas – Dyrrs eigener Zauber – brach durch, als die Mauer fiel, und der Drowleichnam hatte nur noch genügend Zeit, um aufzublicken, bevor der Nebel ihn verschlang und er in seinen schwarzen und grünen Weiten verschwand. Gromph holte tief Luft und warf einen Blick nach unten, als der Feuerschild schließlich verblaßte. Der Zauber, den er als nächstes wirkte, war einer seiner schwierigsten. Er wirkte ihn sorgfältig und schwelgte in seinen Effekten, als sie ihn erfaß ten. Urplötzlich hatte er verstärkt den Eindruck, es befände sich jemand hinter ihm, und er wußte, daß der Zauber ihn warnte. Noch befand sich niemand hinter ihm, aber bald wür de es soweit sein. Gromph wirbelte herum und wich dann zurück, als Nimor aus den Schatten auftauchte und mit einer Hand, die mit schwarzen Krallen ausgestattet war, nach dem Gesicht des Erzmagiers schlug. Die Spitzen der Klauen verfehlten Gromphs Nase um Fingerbreite. Nimor war die Überraschung anzumer ken, und Gromph mußte zumindest sich selbst gegenüber zugeben, daß er ebenso überrascht war. Der Erzmagier sprang mehrere Schritte zurück, und Nimor tat das gleiche. Nimor sah Gromph mit zusammengekniffenen Augen an, die in den verrauchten Schatten des brennenden Basars glühten. Gromph sah deutlich vor sich, wie Nimor auf
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ihn zukam, sich schnell nach links bewegte und nach seiner Seite hieb – und dann tat Nimor genau das. Gromph gelang es wieder, ihm auszuweichen, und wieder war der Assassine er staunt über die neuentdeckten Reflexe des Erzmagiers. Was Nimor nicht wußte, war, daß es keine Reflexe waren, sondern daß Gromph seine Aktionen vorhersah. Gromph griff in einen Beutel – einen außerdimensionalen Raum, der viel mehr enthielt, als man es bei einer Betrachtung von außen für möglich hielt – und zog eine Waffe. Die Duer gar-Streitaxt war schwer, und ihr Gewicht war Gromph nicht vertraut. Der Erzmagier war in der Verwendung einer ganzen Anzahl von Waffen geschult, aber die Streitaxt war nicht sein Fall. Sie war unhandlich und grob, eher ein Werkzeug als eine Waffe. Diese spezielle Axt jedoch verfügte über mehr als ihre Klinge und ihren Stiel. Er wußte, daß Nimor sich zurückziehen und eine Möglich keit suchen würde, Gromphs Waffe zu untersuchen. Der Erz magier erwartete zudem, daß Nimor sich einige Schritte zur Seite bewegen würde, damit sich Gromph umdrehte und sich so zwischen den Halbdrachen und die Wolke brächte, die den Drowleichnam noch immer verbarg. Gromph gab ihm die Chance, die Axt zu studieren, aber erwies ihm nicht den Ge fallen, ihm die überlegene Position zu überlassen. Erzmagier, fragte Nauzhror, seid Ihr sicher? Gromph nahm an, daß der andere Magier sich damit auf die Streitaxt und auf die offensichtliche Tatsache bezog, daß Gromph tatsächlich beabsichtigte, den Assassinen mit physi schen Waffen zu bekämpfen. Gromph sandte die Antwort Ich weiß, was ich tue genau in dem Augenblick, als Nauzhror wiederholte: Erzmagier, seid Ihr sicher? Gromph wurde bewußt, daß er Nauzhror das erste Mal nicht
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gehört hatte. Es war der Zauber, der ihm die Zukunft zeigte. Ich verstehe, erwiderte Nauzhror, und Gromph spürte, daß der andere Baenre-Magier verstand, daß Gromph sich mit der vielleicht mächtigsten vorstellbaren Waffe ausgestattet hatte: der Fähigkeit, jeden Schachzug des Gegners perfekt vorauszu sagen. Die Stimme erklang nun tatsächlich in seinem Kopf: Ich verstehe. Gromph wußte, daß Nimor versuchen würde, ihn in Rich tung der Giftwolke zu treiben, also trat der Erzmagier schnell zur Seite und bewegte sich im Kreis. Nimor machte einen Schritt und hielt dann inne, wobei er Gromph beäugte. Der Drowleichnam brach aus der Wolke hervor und zog Wirbel aus giftigem Nebel hinter sich her, als er sich in die Luft erhob. Er drehte sich um und wandte sich dem Erzmagier zu. »Nur zu«, sagte der Drowleichnam mit einem anzüglichen, bösen Lächeln, »versucht, mit Eurer gestohlenen Axt gegen ihn zu kämpfen. Ich werde es genießen, dabei zuzusehen, wie Nimor Euch in Fetzen reißt.« Der Halbdrachen-Assassine lächelte über diese Aussage, und Gromph sah, wie er mit einem wilden Schlag nach dem anderen auf ihn zukam, ein Wirbel aus Klauen und Tritten und Kopfstößen. Gromph hatte keine Ahnung, was er tun sollte. In dem Moment, als Nimor auf ihn zuzurasen begann, wurde Gromph bewußt, daß das Wissen darum, was der Gegner zu tun beabsichtigte, vielleicht nicht genug war.
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Wie konnte es Sinn in einer Welt geben, die in einem Univer sum aus Chaos existierte? An einem Ort, an dem die einzige Regel lautete, daß es keine Regeln gab? Als sie vor nicht allzulanger Zeit zum letzten Mal dort gewe sen waren, waren sie über gewaltige Fäden eines Spinnennetzes gelaufen und hatten nichts Lebendes gesehen, bis sie von einer Horde wilder Dämonen an den Toren zu einem Tempel be drängt worden waren, der von dem Gesicht Lolths selbst ver siegelt worden war. Ein Gott versuchte hindurchzubrechen, aber es gelang ihm nicht. Obwohl sie dem Abgrund der Dämonennetze nur kurze Zeit ferngewesen waren, hatte sich vieles verändert. Die Weite der gigantischen Netze war glattgewetzt und vol ler Löcher. Flecken von etwas, das wie Rost aussah, bedeckten große Flächen. An manchen Stellen mußten sie klettern oder
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mit Hilfe von Levitationsmagie an steilen Abhängen aus zer fallendem Gewebe aufwärts und abwärts schweben und Krater überqueren, die groß genug waren, um ganz Menzoberranzan in ihren unebenen Becken aufzunehmen. Überall umgab sie der Gestank des Verfalls, der manchmal so intensiv war, daß Pharaun Mizzrym dachte, er werde ersti cken. Der Magier war seit Stunden schweigend unterwegs, was für ihn untypisch war. Keiner der Drow machte eine laute Bemer kung über den Zustand des Abgrundes der Dämonennetze, und selbst der Draegloth schwieg. Es war zu schwierig, das deutliche Gefühl der Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen, mit dem der zerstörte Ort sie alle erfüllte. Gelegentlich hielten sie an, um zu ruhen, und es vergingen Minuten, in denen sie einander nicht einmal ansahen. Ständig auf der Hut vor den dämonischen Bewohnern der Ebene waren sie zunächst alle sehr nervös, aber als sich die Stunden hinzogen und sie nichts Lebendiges, geschweige denn etwas Bedrohliches, zu Gesicht bekamen, begannen sie sich bald zu entspannen. Da wurde die Verzweiflung noch tiefer. Sie gingen immer weiter und kamen schließlich zu Lolths Tempel. Das einst imposante übernatürliche Bauwerk war zur Ruine verfallen, infiziert von dem gleichen Verfall wie die Dämonennetze, die das Universum umspannten. Der Obsidi apstein war braun angelaufen und an manchen Stellen abge bröckelt. Rauchsäulen stiegen aus dem Inneren auf. Viele der großen Strebepfeiler standen wie zerschmetterte Stümpfe da, amputiert von einer unvorstellbaren Macht. Die umliegenden Plätze waren schwierig zu überqueren, da sie übersät waren von Brocken aus behauenem Stein und verrostetem Eisen, das so verdreht worden war, daß es völlig aus der Form geraten war. Knochen lagen überall – Knochen von Millionen von Wesen,
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die in großen Haufen aufgeschichtet waren oder verstreut lagen, als hätten dies einzig und allein die grausamen Winde getan. Die versteinerten Spinnenwesen, über die sie zuvor gestaunt hatten, waren verschwunden und hatten Löcher im Fußboden des Platzes und entlang der Strebepfeiler hinterlas sen, als hätten sie ihre Beine aus dem Stein gezogen und seien davonmarschiert. Die Gruppe folgte dem gleichen Weg, den sie in Astralform genommen hatte, und kam erneut zum Eingang. Das große Steingesicht war ebenfalls zerschmettert und enthüllte flüchti ge Blicke auf Lolths Antlitz, aber nur in winzigen, geheimnis vollen Fragmenten. Die Türen standen weit offen. »Das waren die Götter«, flüsterte Valas Hune, und seine Stimme hallte über den zerstörten Platz und verursachte eine Million winziger Klirrgeräusche. Vhaeraun, der hergekommen war, um Lolth aufgrund ihrer eigenen übereilten Entscheidung, einen seiner Priester herzu führen, zu töten, hatte sich an den Toren des Tempels Selvet arm – Lolths Beschützer – gegenübergesehen. Ihr Duell war ein Anblick, der sich in Pharauns Erinnerung eingegraben hatte und an den er sich erinnern würde, selbst wenn er zehntausend Jahre alt würde, und der Kampf hatte viel Schaden angerich tet, aber ... »Nein«, entgegnete der Meister Sorceres, und seine eigene Stimme hallte ebenfalls wider, wenn auch nicht auf die gleiche Weise. »Dies ist anders. Alter.« »Alter?« fragte Jeggred, dessen Blick von Stein zu Stein huschte. »Er hat recht«, meinte Danifae, die am Boden kauerte und den Schädel von etwas in der Hand hielt, das zur Hälfte Drow und zur anderen Hälfte Fledermaus hätte sein können. »Diese
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Knochen sind trocken und ausgebleicht, fast versteinert. Der Stein zerfällt zu Staub. Die Netze sind vermodert und spröde.« »Dieser Ort wurde vor mindestens einem Jahrhundert zer stört«, sagte Pharaun. »Das ist unmöglich«, widersprach Valas, der die offenen Türen anstarrte. »Wir waren gerade erst hier – genau hier, und die Türen waren versiegelt, und ...« Die anderen erwarteten nicht, daß Valas den Satz beendete. »Lolth hat den Ort verlassen«, sagte Quenthel. Ihre Stim me war so leise, daß es ihr kaum gelang, ein Echo hervorzuru fen. »Sie hat den Abgrund der Dämonennetze verlassen?« fragte Danifae. »Wie das?« »Sie hat den Abyss verlassen«, sagte die Herrin Arach-Tini liths. »Spürst du es nicht?« Danifae schüttelte den Kopf, aber ihre Augen antworteten mit Ja. Die beiden wechselten einen langen, wissenden Blick, der Pharaun die Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Er spürte bei Jeggred und Valas Hune ähnliche Reaktionen. »Das war’s dann«, meinte Valas. »Wir sind gekommen, um Lolth zu finden, aber statt dessen haben wir gar nichts gefun den. Unsere Mission ist zu Ende.« Quenthel drehte sich um, um den Späher anzufunkeln, der ihren Blick ruhig und gelassen erwiderte. Die Vipern, die die Peitsche der Hohepriesterin bildeten, wanden sich und fauch ten, aber Valas schenkte ihnen keine Beachtung. »Sie ist nicht hier«, meinte Quenthel, »aber das bedeutet nicht, daß sie ... nirgendwo ist.« Der Späher holte tief Luft und ließ sie langsam wieder ent weichen, wobei er den zerstörten Tempel von oben bis unten betrachtete. »Wo ist sie?« fragte er. »Wieviel weiter gehen wir? Suchen
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wir das endlose Multiversum nach ihr ab, Ebene für Ebene, Universum für Universum? Sie kommt aus dem Abgrund der Dämonennetze, und wir stehen hier auf der sechsundsechzigs ten Ebene des gottverdammten Abyss, und sie ist verschwun den. Wenn Ihr nicht wißt, wohin sie verschwunden ist – und sie könnte überall sein – und sie Euch nicht sagen will, wo sie ist, dann müssen wir vielleicht die Tatsache akzeptieren, daß sie nicht gefunden werden will.« Pharaun hatte nie zuvor gehört, daß Valas soviel auf einmal gesprochen hatte, und die Worte führten dazu, daß sein Mut sank. »Er hat recht«, sagte der Meister Sorceres. Zu seiner Überraschung nickte Quenthel. Danifaes Augen weiteten sich, und Jeggred ließ ein tiefes Knurren hören. Der Draegloth bewegte sich langsam auf seine fließende, schlei chende Art auf die frühere Kriegsgefangene zu und trat neben sie. »Das ist ein Sakrileg«, flüsterte Danifae. »Ketzerei der schlimmsten Sorte.« Quenthel drehte sich um, um die andere Priesterin anzuse hen, und zog schweigend eine Braue in die Höhe. »Ihr erlaubt Euch, es einem« – Danifae wandte sich um, um kurz einen wütenden Blick auf Valas zu werfen – »Mann zu gestatten, für Lolth zu sprechen? Trifft er nun die Entschei dungen über Lolths Absichten?« »Tut Ihr das?« Pharaun konnte nicht anders, als zu fragen. Überraschenderweise lächelte Danifae, als sie sagte: »Viel leicht. Gewiß kann ich dieses Recht eher für mich in An spruch nehmen als Meister Hune. So fähig er auch als Späher ist, dies ist die Angelegenheit von Priesterinnen.« Quenthel stellte sich etwas aufrechter hin, auch wenn ihre Schultern noch immer gekrümmt waren. Pharaun staunte, wie
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alt sie aussah. Die Hohepriesterin war im letzten Zehntag um Jahrzehnte gealtert, und die Erschöpfung war ihr an ihrem schläfrigen Blick und ihrer schlechten Laune deutlich anzu merken. Pharaun konnte sie nicht ansehen, also blickte er auf den Boden des Platzes. Er scharrte mit dem Stiefel über Steine, die mit braunem Staub bedeckt waren. »Ich hatte unrecht«, sagte der Meister Sorceres. Er spürte, wie ihn die anderen ansahen, registrierte ihre Überraschung, aber er blickte nicht auf. »Dies hier geschah nicht vor einem Jahrhundert. Dieser Ort wurde zerstört ... nein, ein Kampf wurde hier ausgetragen, und er wurde vor mindestens einem Jahrtausend ausgetragen. Mindestens.« »Wie könnt Ihr so etwas sagen, Magier?« fragte Jeggred. »Ihr wart gerade erst hier. Oder etwa nicht? Ist das nicht der selbe Ort, an den Euch Tzirik brachte?« Pharaun nickte und sagte: »In der Tat, Jeggred, aber die Tatsache bleibt bestehen, daß das, was wir hier um uns herum sehen, eine uralte Ruine ist, die Leiche eines Schlachtfeldes, das seit tausend Jahren oder mehr brachgelegen hat.« »Wir waren erst vor kurzem hier«, meinte Valas Hune. »Wir sind nicht länger im Unterreich, Meister Hune«, sagte Pharaun. »Die Zeit vergeht hier vielleicht in einer ganz ande ren Geschwindigkeit, in Schüben, wie die Entfernung in der Schattenebene. Das hier könnte mehr Illusion als Realität sein, entstanden durch die Laune Lolths oder einer anderen göttlichen Macht. Es könnte sein, daß wir eine Ruine sehen, wo in Wirklichkeit ein intakter Tempel steht. Oder vielleicht ist alles, was wir sehen, real und wurde von einer Macht, die so gewaltig ist, daß sie Zeit und Materie und selbst die Ätherebe ne beeinflussen kann, ein Jahrtausend alt gemacht.« »Lolth ist nicht hier«, fügte Valas hinzu.
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»Wenn die Priesterinnen sagen, daß sie nicht hier ist«, er widerte Pharaun, »will ich gerne glauben, daß das der Wahr heit entspricht.« Der Meister Sorceres blickte zu dem riesigen, geöffneten Eingang hinauf, der groß genug war, daß das Haus Baenre un beschadet hindurchgepaßt hätte. Die anderen folgten seinem Blick. »Diese Türen waren zuvor verschlossen und versiegelt«, meinte Pharaun, »nun stehen sie offen. Warum?« »Weil Lolth will, daß wir hindurchgehen«, antwortete Da nifae mit einer Gewißheit, die Pharaun überraschte. »Wer sonst könnte sie geöffnet haben?« Pharaun zuckte die Achseln und sah Quenthel an, die lang sam nickte. »Wir gehen weiter«, sagte die Hohepriesterin. Ohne die anderen noch einmal anzusehen, ging Quenthel auf die riesige Türöffnung zu. Einzeln folgten ihr die anderen: Danifae, Jeggred, Pharaun, und Valas bildete die Nachhut. Jeder trat widerstrebender auf als der Vorhergehende.
Auf den Ebenen des Chaos gab es so viele Namen dafür, daß Aliisza sich nicht an alle erinnerte: Zonen des temporalen Flusses, verschobene Zeitebenen, Jahrtausendlöcher ... es war schon sehr lange her, daß sie eine gesehen hatte, und sie brauchte beinahe ebensolange, um zu begreifen, was geschah. Die sechsundsechzigste Ebene des Abyss war verlassen. Der Klebstoff, der die Ebenen zusammenhielt, waren die Götter selbst, und auf den Ebenen des Chaos schritt die Entropie schubweise voran, und sogar das Chaos selbst bewegte sich spiralförmig außer Kontrolle, genau wie auf den Ebenen der Ordnung, wenn alle Götter einen bestimmten Ort verließen.
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Im Fall der sechsundsechzigsten Ebene war es so, daß es den Rest des Abyss gab, der sie zusammenhielt und Echos ihrer Vergangenheit verursachte, die stark genug waren, um ihre physische Form aufrechtzuerhalten – auf diese Weise existierte noch immer eine sechsundsechzigste Ebene. Manchmal verlief die Zeit schneller und dann wieder langsamer, und manchmal verlief sie in umgekehrter Richtung. Sie war unmöglich genau zu bestimmen, selbst für eine Tanar’ri wie Aliisza. Orte wie dieser sollten besser in Ruhe gelassen, gemieden, vergessen werden. Sie sah Pharaun und den Mitgliedern seiner Gruppe schwe ren Herzens zu, wie sie durch die riesigen Tore gingen. Sie wußte nicht genau, was sie im Inneren des Tempels finden würden, aber sie war sicher, daß es, was auch immer es war, für sie eine Enttäuschung bedeuten würde. Sie waren zur sechs undsechzigsten Ebene gekommen, um Lolth zu finden, aber die war nicht da. Es war eine Vermutung ihrerseits, aber sie hatte ihren Grund: Die Ebene war schon länger verlassen, als irgend jemand glaubte – länger, als Lolth schwieg. »Es gibt eine Reihe von Dingen, die du ihnen nie gesagt hast«, flüsterte Aliisza der Spinnenkönigin zu. Wenn die Göttin sie hörte – und Aliisza hatte keinen Grund zu glauben, daß sie das konnte –, antwortete Lolth nicht. Das Alu-Scheusal kratzte geistesabwesend eine Kritzelei in den braunen Staub an der Unterseite des enormen Netzfadens, an dem sie hing: Graffiti, das niemand je zu sehen bekäme. Ihre Gedanken rasten. Es gab viel, worüber sie nachdenken mußte. Aliisza hatte Pharaun und die anderen verlassen, sie aus ei ner Laune heraus im Stich gelassen, so daß sie auf die Ebene der zahllosen Portale abstürzten. Sie freute sich, daß Pharaun
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überlebt hatte, aber verschwendete keinen Gedanken an die anderen. Dennoch hatte Aliisza ihre Wahl getroffen, und zwar die offensichtliche. Sie hatte Kaanyr gewählt. Obwohl sie gewußt hatte, daß sie zu ihm zurückkehren wür de, wußte sie auch, daß sie Pharaun und seiner Expedition etwas wirkungsvoller geholfen hatte, als Vhok es gutgeheißen hätte. Er mochte sie nicht gebeten haben, sie aufzuhalten, aber er hatte sie auch sicher nicht gebeten, ihnen zu helfen. Aliisza kannte den Cambion aber gut genug, um zu wissen, daß er um so versöhnlicher sein würde, mit je mehr sie zurückkäme. Pharaun und die anderen Drow verschwanden in der verlas senen Ruine, und Aliisza schloß die Augen. Sie war eine Tanar’ri und konnte sich als solche ein wenig müheloser als die meisten anderen zwischen den Ebenen be wegen. In Gedankenschnelle war sie zurück in der Astralebene und schwebte frei im endlosen Äther. »Du hast den Abyss verlassen«, flüsterte Aliisza sich selbst zu, obwohl sie eigentlich Lolth damit meinte, »bevor du ver stummtest, also ...« Sie machte sich nicht die Mühe, den Gedanken zu Ende zu führen, sondern konzentrierte sich nur auf einen Namen: Lolth. Sie schloß erneut die Augen und ließ den Namen immer wieder in ihrem Kopf widerhallen, und nach einer Weile be gann sich ihr Leib zu bewegen. Der Name jedes Gottes verfügt über Macht, wenn man sie zu nutzen weiß. Als sie die Augen öffnete, war sie von Geistern umringt. Durchsichtige graue Gestalten schwebten überall. Alle be saßen ähnliche Gesichtszüge: die spitzen Ohren, mandelförmi gen Augen und hageren, aristokratischen Gesichter der Dun kelelfen. Es gab eine ungeheure Anzahl von ihnen – die Toten eines ganzen Krieges –, und sie alle strebten über die Astral
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ebene auf das gleiche Ziel zu. Aliisza schwebte vor eine von ihnen, einem kräftig ausse henden Mann in Kriegskleidung, der mit seiner Rüstung und seinem Helm königlich wirkte. »Könnt Ihr mich hören?« fragte sie den Geist. »Könnt Ihr mich sehen?« Der tote Drow sah sie direkt an und hob eine Braue. Er stand stocksteif, aber sein Körper schwebte weiterhin durch die endlose Weite und fiel untrüglich seitwärts auf seinen endgül tigen Zielort zu. »Ich bin Aliisza«, sagte sie. »Wißt Ihr, wo Ihr seid?« Ja, antwortete der Drow in ihrem Kopf. Sein Mund war of fen, aber seine Lippen bewegten sich nicht. Ich spüre es. Ich bin tot. Ich starb. Ich wurde getötet. »Wie heißt Ihr?« Ich war Vilto’sat Shobalar, antwortete der Soldat, aber nun bin ich nichts. Mein Leib verrottet, mein Haus vergißt mich, und ich vergehe. Seid Ihr hier, um mich zu quälen? »Bitte?« fragte das Alu-Scheusal, verwirrt von dem plötzli chen Themenwechsel des Drowgeists. Ihr seid eine Dämonin, sagte er. Seid Ihr hier, um mich zu quä len? Für mein Versagen auf dem Schlachtfeld oder einfach, um Euer grausames Naturell zu befriedigen? Aliisza wurde wütend und konnte nicht anders, als den to ten Drow höhnisch anzulächeln. Er hielt sie offensichtlich fälschlicherweise für eine ganz andere Art von Tanar’ri, und sie fand das nicht im geringsten schmeichelhaft. »Wenn ich hier wäre, um dich zu quälen«, sagte sie, »wür dest du es merken, du Pilzkultur.« Vilto’sat Shobalar wandte sich mit hochmütigem Blick von ihr ab – offenbar das einzige, was Drow ins Grab mitnehmen konnten.
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Aliisza machte sich wieder auf den Weg an der Reihe der toten Drow entlang, und während sie, schneller als die wan dernden Seelen, in Richtung ihrer Reise vorwärtsschwebte, nahm die Dichte der Geister zu, als hätten sie sich schon seit langer Zeit hier versammelt, einer nach dem anderen. Schließ lich gewann ihre Neugierde die Oberhand, und sie hielt einen anderen Drow-Geist an: eine Frau, die dermaßen prachtvoll gekleidet war, daß das Alu-Scheusal für einen Augenblick neidisch wurde. »Herrin«, sagte sie und deutete eine gekünstelte Vernei gung an, die die tote Dunkelelfe beleidigend zu finden schien, »kann ich kurz mit Euch sprechen, während Ihr dem Ende Eurer Reise entgegenstrebt?« Es gibt nichts, was du tun kannst, um mich zu quälen, Dämo nin, sagte die Gestalt in Aliiszas Kopf, also verschwinde und laß mich in Ruhe tot sein. Aliisza zischte und hätte die Frau beinahe bei der Kehle er griffen, doch dann wurde ihr klar, daß ihre Hände durch die Priesterin hindurchgleiten würden. Die tote Frau würde erst körperliche Gestalt annehmen, wenn sie an ihrem endgültigen Zielort angekommen war. Die Astralebene war nur ein Weg, auf dem man von einem Universum zum anderen gelangen konnte. Dort waren die toten Drow körperlos. »Ich bin nicht hier, um dich zu quälen, Miststück«, sagte Aliisza, »aber ich werde es tun, wenn du mir nicht ein oder zwei Fragen beantwortest.« Lolth hat uns den Rücken gekehrt, erwiderte die Priesterin. Was könntest du tun, was schlimmer wäre? »Ich könnte dich für immer in der Astralebene festsetzen«, antwortete Aliisza – eine leere Drohung, aber der Geist schien das nicht zu wissen. Was wollt Ihr? erwiderte die Drow.
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»Wer bist du«, fragte sie, »und wie lange bist du schon hier und wartest auf Lolths Gnade?« Ich bin Greyanna Mizzrym, erwiderte der Geist – und Aliisza dachte, daß ihr etwas an dem Namen seltsam vertraut war. Ich habe keine Ahnung, wie lange ich schon hier bin, aber ich spüre, daß ich mich bewege. Das hat eben erst begonnen. Ist Lolth bereit, uns aufzunehmen? Hat sie Euch geschickt? »Kannst du sie spüren?« fragte Aliisza, die Fragen der Dun kelelfe ignorierend. »Ruft sie dich?« Greyanna blickte fort, als horche sie auf etwas, dann schüt telte sie den Kopf. Ich bewege mich auf etwas zu, sagte sie. Ich spüre es, aber ich höre Lolth nicht. Aliisza drehte sich um, um in die Richtung zu blicken, in die sich die Reihe von Drow-Seelen bewegte. Am Ende der langen Reihe war ein Wirbel aus Rot und Schwarz zu erkennen – ein Tor zu den äußeren Ebenen, das die Seelen einzog. »Das ist nicht der Abyss«, sagte Aliisza. Es ist mein Zuhause, flüsterte die körperlose Seele Greyanna Mizzryms. Ich spüre es. Das ist es. Der Abgrund der Dämonen netze. Aliiszas Herz raste. »Der Abgrund der Dämonennetze«, wiederholte das AluScheusal, »nicht der Abyss.« Aliisza hielt an und hing in der grauen Weite abseits der Prozession der toten Drow. »Nun«, flüsterte Aliisza den tauben Ohren Lolths zu, »du steigst in der Welt auf, nicht wahr?« Das Alu-Scheusal schloß die Augen und konzentrierte sich auf Kaanyr. Sie ließ ihr Bewußtsein durch die Astralebene und zurück in das kalte, harte Unterreich reisen. Dort fand sie den Geist Vhoks und übermittelte ihm eine Nachricht.
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Etwas geschieht mit dem Abgrund der Dämonennetze, sendete sie. Er ist nun eine eigene Ebene, und die Tore stehen offen. Lolth heißt die Toten daheim willkommen. Sie lebt. Das war alles, was sie sagen konnte, und sie hoffte, es würde ihn ausreichend warnen. Aliisza hätte sich innerhalb eines einzigen Augenblicks zurück ins Unterreich an die Seite ihres Geliebten begeben können, aber das tat sie nicht. Sie wollte bleiben, wo sie war, auch wenn sie nicht wußte, warum.
Nimor hatte den Versuch aufgegeben, die Krallen in Gromph zu schlagen. Statt dessen begann er, sich darauf zu konzentrie ren, den Erzmagier zu zwingen, ihn anzugreifen, aber der Drow tat ihm diesen Gefallen einfach nicht. Nimor hatte das Ge fühl, daß Gromph aus irgendeinem Grund wußte, was er dach te – vielleicht sogar, bevor er es dachte –, und es wurde immer stärker und führte dazu, daß Nimor anfing, sich selbst im nachhinein zu kritisieren. Das war keine Art zu kämpfen. Nimor wich zurück, und Gromph tat das gleiche. Der Assas sine sah, wie Dyrr sie beide langsam aus sicherer – manche hätten gesagt feiger – Entfernung umkreiste. Der Assassine wollte etwas sagen, als eine vertraute, ärgerliche Empfindung in seinem Schädel auftauchte. Aliisza ist im Abgrund der Dämonennetze, erklang Kaanyrs Stimme in seinem Kopf. Etwas geschieht, und es wird schlimm für uns sein. Ich warte nicht darauf, herauszufinden, wie schlimm. Zum ersten Mal seit langer Zeit gefror Nimor das Blut in den Adern. Gromph zuckte und keuchte fast, und Nimor konnte nicht anders, als ihn anzusehen. Ihre Blicke trafen sich, und es gab einen Moment des Verständnisses zwischen ihnen. Nimor wich zurück, und Gromph nickte. Gromph hielt die geisterhaf
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te Streitaxt vor sich, näherte sich Nimor aber nicht. Er atmete schwer, Schweiß lief an beiden Seiten seines Gesichtes herun ter und durchweichte sein schneeweißes Haar bis auf die Stirn. Erneut stand Nimor kurz davor zu sprechen, und erneut wurde er unterbrochen. »Was tut Ihr?« verlangte der Drowleichnam zu wissen. »Tö tet ihn!« Nimor ließ durch zusammengebissene Zähne einen langen, gleichmäßigen Atemzug entweichen. Es war schlimm genug, daß ein zentraler Bestandteil seines Bündnisses die Sache im Stich ließ, aber es war noch schlimmer, daß Lolth sich aus irgendeinem Grund, den er vielleicht niemals verstehen wür de, genau diesen Moment aussuchte, um endlich zurückzukeh ren – oder jedenfalls etwas zu tun, was Kaanyr Vhok Angst machte, und der Cambion war eigentlich nicht so leicht zu erschrecken. Zusätzlich zu alldem hatte er noch einen Gegner, den zur Strecke zu bringen er eigentlich in der Lage sein sollte, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, der ihm aber geistig überlegen und imstande war, ihn bei jeder Gelegenheit zu bezwingen, und der verdammte Drowleichnam erteilte ihm außerdem in barschem Ton Befehle. Dyrr begann schon wieder zu brüllen, aber Nimor verstand nicht, was er ihm sagen wollte. »Ich kann nicht ...«, begann die Gesalbte Klinge, aber dann hielt er inne, als ihm bewußt wurde, daß der Drowleichnam einen Zauber wirkte. Gromph hörte ihn auch. Die Axt noch immer mit einer Hand vor seinem Körper erhoben, klopfte der Erzmagier mit seinem Stab auf den durchlöcherten Fußboden des schwelen den Basars und war augenblicklich in eine Kugel schimmern der Energie gehüllt. Die Kugel erschien keinen Moment frü her, als Dyrr sein Gemurmel beendete, und der Klang von
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dessen Stimme wurde durch ein leises, hallendes Summen ersetzt. Nimor, der den Blick noch immer auf Gromph geheftet hielt, blinzelte. Der Erzmagier warf einen Seitenblick zu Dyrr, und einer seiner Mundwinkel bog sich nach oben – der Beginn eines Lächelns. Nimor mußte einfach hinsehen, und er wußte, daß Gromph nicht die Absicht hatte, ihn anzugreifen. Das summende Geräusch wurde lauter und weitete sich zu einem fast ohrenbetäubenden Dröhnen aus. Nimor sah etwas, das aussah wie eine Wolke aus schwarzem Rauch, die sich durch die Luft auf ihn zubewegte, und es dauerte einige Se kunden, bevor er erkannte, daß es kein Rauch war. Die Wolke war keine Wolke, sondern ein Schwarm winziger Insekten – vielleicht zehn, vielleicht auch hundert Millionen. Der Schwarm senkte sich auf Gromph herab, aber er konnte die Kugel, die den Erzmagier umgab, nicht durchdringen. Ni mor nahm an, daß die Insekten von Dyrr gelenkt wurden, so daß er es persönlich nahm, als sie sich gegen ihn wandten. Ehe das erste auf ihm landen, ihn stechen, beißen oder das tun konnte, was auch immer sie ihm antun sollten, trat Nimor in den Schattensaum. Diese Handlung war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Eben befand er sich noch auf dem Basar und dann plötzlich nicht mehr. Der Schwarm wurde zum Schatten, der Basar eine matte Welt, die in Schwärze getaucht und kaum stofflich war. Nimor sah seine Krallen an. Sein Geist war auf merkwürdi ge Weise leer, er war unvorstellbar ruhig. »War’s das?« fragte er in die Schatten hinein. »Habe ich verloren?« Er schloß die Augen, dachte an den Drowleichnam ... und trat wieder in die materielle Welt zurück, die direkt hinter ihm lag.
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Nimor griff von hinten nach dem spindeldürren Magier und schlug hart mit den Flügeln, um ihn nach oben zu ziehen, vom Boden des Basars fort. Der Drowleichnam versteifte sich und holte Luft – vielleicht, um einen Zauber zu wirken, aber war klug genug, innezuhalten, als Nimor ihm eine rasiermesser scharfe Kralle in die vertrocknete Kehle bohrte. »Du blutest vielleicht nicht, Drowleichnam«, flüsterte Ni mor dem Drowleichnam ins Ohr, »aber wenn ich dir den Kopf vom Körper trenne ...« »Was tut Ihr da?« fragte Dyrr mit einer dünnen, grellen Stimme. »Ihr könntet ihn töten. Unser großer Moment steht bevor, und Ihr wendet Euch gegen mich? Gegen mich?« »Dich?« höhnte Nimor. »Ja, dich. Ich sollte dich jetzt tö ten, aber immerhin bist du ja bereits tot, nicht wahr, Drow leichnam? Alles, was du getan hast, war, meine Zeit zu ver schwenden, und nun rasselt die Spinnenkönigin mit ihren Ketten, und unsere gemeinsame Zeit ist abgelaufen.« »Was?« fragte Dyrr verwirrt. »Was sagt Ihr da?« »Nicht, daß du verdienst, es zu wissen, bevor ich Gromph Baenre dich töten lasse«, entgegnete Nimor, »aber es ist vor bei.« »Nein!« schrie Dyrr. Nimor ächzte, als etwas gegen seine Brust stieß. Seine Hand wurde von der Kehle des Drowleichnams geschleudert, und er wurde nach hinten gedrängt, von einer unergründlichen Macht durch die Luft getrieben. Bei jedem neuen Flugversuch wurde Nimor zurückgeworfen. Der Assassine warf einen kurzen Blick nach unten zu Gromph, der seine geraubte Streitaxt weggesteckt hatte und lachend zu ihnen aufblickte. Nimor lachte auch. Warum auch nicht? »Wir haben versagt«, rief Nimor Dyrr zu, »aber zumindest
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wird es für mich eine weitere Chance geben.« »Wir haben versagt?« heulte der Drowleichnam. »Wir ha ben versagt? Nein, du elender Sohn eines Wyrms, du hast versagt. Du wirst in den Schatten zurückkehren, den Drachen schwanz zwischen die Beine geklemmt, und vor dir selbst im mer und immer wieder deine lahmen Entschuldigungen wie derholen. Gib mir die Schuld, wenn du willst, Nimor, aber ich bin noch immer hier. Ob lebend oder tot, ich werde noch immer hier sein, in Menzoberranzan, und werde kämpfen.« »Vielleicht«, meinte Nimor, während die ersten Wellen tie fer Erschöpfung seine müden Muskeln zu schwächen began nen, »aber nicht lange.« Der Drowleichnam schrie seinen Namen, aber Nimor schwebte noch vor dem ersten Echo in den Schattensaum und verschwand für alle Zeiten aus Menzoberranzan.
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Innerhalb der Tempelmauern lag eine Stadt, die zwanzigmal so groß war wie Menzoberranzan. Wie die Mauern und die umlie genden Plätze war auch die Stadt eine arg mitgenommene, vom Krieg gezeichnete Ruine, die für Pharaun aussah, als sei sie seit tausend Jahren oder länger verlassen. Die Architektur in der gesamten Stadt ahmte alle mögli chen Stilarten von Drowwohnhäusern nach, von den kalk überzogenen Netzen Ched Nasads bis zu den ausgehöhlten Stalagmiten Menzoberranzans. Das einzige, was die Bauwerke gemein hatten, war, daß sie alle zumindest teilweise zusam mengebrochen waren und daß es ihnen an Leben mangelte. Valas tauchte wie durch Zauberhand hinter dem Magier auf, wie er es stets zu tun pflegte. Pharaun machte sich nicht die Mühe zu versuchen, vorzugeben, das plötzliche Erscheinen des Spähers habe ihn nicht erschreckt. Die Zeit, um den Schein zu
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wahren und zu versuchen, sich eine günstige Position in der Gruppe zu verschaffen, war vorbei. Valas nickte dem Meister Sorceres einmal zu und sagte: »Es gibt mehr Metall, je tiefer wir hineingehen.« Pharaun wurde sich bewußt, daß er den Kopf schüttelte, da er sich zunächst unsicher darüber war, was der Späher ihm damit sagen wollte. Er sah sich um und merkte, daß Valas recht hatte. Obwohl sie schon auf dem Platz vor dem Tempel gezackte und verdrehte Stücke aus rostigem Eisen und verseng tem Stahl gesehen hatten, mußten sie alle immer häufiger um immer größere Teile herumlaufen, je tiefer sie in den Tempel hineinkamen. Valas hielt an und streckte die Hand aus, um eine gebogene Wand aus Stahl zu berühren, die dreimal so hoch war wie der Späher. »Es sieht aus, als sei es von einem größeren Teil abgerissen worden«, meinte Valas. »Ich habe noch nie soviel Stahl gese hen.« Pharaun nickte und untersuchte das Relikt aus der Entfer nung. »Es sieht aus wie ein Stück vom Panzerkleid eines Riesen«, bemerkte der Magier, »eines größeren Riesen, als man ihn auf der Welt an der Oberfläche finden könnte, aber dies hier ist der Abyss. Hier könnte es ein solches Wesen geben.« »Oder einen Gott«, entgegnete Valas. »Selvetarm war so groß«, sagte Danifae. Beide Männer drehten sich um, um sie anzusehen, überrascht, daß sie an gehalten hatte, um an dem Gespräch teilzunehmen. Die frühe re Kriegsgefangene hatte sich ihren Weg schweigend gebahnt, und der Draegloth war ihr nicht von der Seite gewichen, of fenbar unbeeindruckt durch ihre Umgebung. »Vhaeraun auch.«
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Valas nickte und sagte: »Aber es gibt auch andere Stücke und Dinge, die nicht nach Rüstung aussehen.« »Die mechanischen Teile«, warf Pharaun ein. »Mir sind sie auch aufgefallen.« »Mechanische Teile?« fragte die Priesterin. Pharaun ging weiter, während er sagte: »Die beweglichen Teile, die hier vereinzelt zu finden sind. Ich habe Scharniere und Dinge gesehen, die beinahe wie ein Gelenk zu funktionie ren scheinen, wie ein Schulter- oder Kniegelenk im Körper eines Drow, aber mit Drähten oder anderen Apparaturen an stelle von Muskeln.« »Nun, da Ihr es erwähnt«, meinte Valas, »einige von ihnen sahen aus wie Arme oder Beine.« »Wenn interessiert das schon?« knurrte Jeggred. »Ver schwendet ihr beide tatsächlich eure Zeit mit der Untersu chung von Müll? Versteht ihr nicht, was hier geschehen ist?« »Ich glaube, wir verstehen rudimentär, was hier geschehen ist«, sagte Pharaun. »Durch die ›Untersuchung von Müll‹, wie du es ausgedrückt hast, können wir vielleicht etwas mehr er fahren und so zu einem Verständnis gelangen, das über die Stufe von ›rudimentär‹ hinausgeht. Leider ist das kein Geistes zustand, mit dem du selbst vertraut zu sein scheinst, aber dieje nigen von uns mit einem höheren ...« Pharaun wurde mit einem schmerzvollen Ächzen die Luft aus den Lungen getrieben. Jeggred war über ihm und schleu derte ihn in einen zerfallenden Haufen Backsteine, der einst ein Teil einer hohen Kathedrale gewesen war. Der Magier rief sich einen Zauber in Erinnerung, für den keine Worte nötig waren, aber wirkte ihn dann schließlich doch nicht, als Dani faes Stimme durch den Tempel hallte. »Jeggred«, befahl sie, »laß los.« Es war ein Befehl, wie jemand ihn einer Schoßratte hätte
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geben können, die von einem Höhlenkäfer abgelenkt wurde. Als Jeggred sich zurückzog und Pharaun sich auf die Beine kämpfte, fragte er sich, was wohl die größere Beleidigung war: daß Jeggred ihn zu Boden geschleudert hatte, oder Danifaes unverschämte Äußerung. Der Meister Sorceres bürstete seinen Piwafwi ab, tat sein Bestes, um den wilden Mop zu glätten, in den sein Haar sich verwandelt hatte, und räusperte sich. »Jeggred, mein Junge«, sagte der Magier mit triefendem Sar kasmus, »lag es an etwas, was ich gesagt habe?« »Das nächste Mal, wenn Ihr so mit mir sprecht, Magier«, knurrte der Draegloth, »wird Euer Herz dem Ryld Argiths durch meine Gedärme folgen.« Pharaun versuchte, nicht zu lachen, und meinte: »Char mant wie immer.« »Komm«, sagte Danifae und winkte dem Draegloth, wieder hinter ihr herzugehen. Pharaun hatte sich gesammelt, und als er gerade weiterge hen wollte, hielt er inne und drehte sich um, da er aus dem Augenwinkel bemerkt hatte, daß jemand ihn beobachtete. Quenthel stand da, teilweise verdeckt von einem weiteren riesigen, gezackten Stahlstück. Der Blick, den der Magier auf ihrem Gesicht sah, war eiskalt, und hätten sie sich in Menzo berranzan befunden, hätte er gewiß Danifaes Tod angekündigt.
Nachdem die Echos von Dyrrs letztem, kaum verständlichen Schrei verklungen waren, gab es einen Moment fast vollkom mener Stille. Der Drowleichnam hing in der windstillen Luft, bebend vor Wut. Gromph nahm sich Zeit, um den zerstörten Basar zu begutachten. Die Feuer waren heruntergebrannt, und der Rauch verzog sich. Dutzende von Ständen, Zelten und Wagen waren zerstört
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– verbrannt oder zerschmettert. Große Risse und Löcher waren in den Steinboden gegraben worden, der zu großen Teilen zu staubigem Schwarz versengt war. Einige geflüsterte Worte erklangen an dem ansonsten stillen Ort, und Gromph sah, wie ein paar neugierige – und dumme – Drow begannen, an die Ränder des ruinierten Marktplatzes zu wandern. Sie hatten das Gefühl, das Duell sei beendet, aber Gromph wußte, wie unrecht sie hatten. Etwas, und es war nicht nur Gromphs geistige Überlegenheit, hatte Nimor Angst gemacht, hatte der Gesalbten Klinge den Eindruck vermittelt, sie habe verloren. Warum hat Nimor den Kampf aufgegeben? fragte Nauzhror. Was weiß er? Findet es heraus, befahl Gromph und wandte seine Aufmerk samkeit Dyrr zu. »Wir können dies jetzt beenden, wenn Ihr wollt«, sagte Gromph. Der Drowleichnam holte tief Luft und schüttelte den Kopf. »Es ist, wie es sein soll«, fügte der Erzmagier hinzu. »Ich nehme es an, mein junger Freund«, antwortete der Leichnam mit fester Stimme. »Ihr, der Magier mit dem höchs ten Rang in Menzoberranzan, und ich, der mächtigste. Es ist Symmetrie, daß wir uns gegenüberstehen. Macht verabscheut solches Ungleichgewicht.« »Ich weiß nicht«, antwortete Gromph achselzuckend. »Ich mache mir keine Gedanken um Gleichgewicht. Ich verehre eine Dämonin. Ich diene dem Chaos.« Dyrr reagierte, indem er begann, einen Zauber zu wirken. Gromph trat zurück und nutzte die Levitationsmagie seines Stabes, um knapp vier Meter in die Luft zu springen und dort zu schweben. Er blickte nach unten und sah, wie eine kleine Gruppe von Drow – fünfzehn oder zwanzig, größtenteils ältere
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Männer – anfingen, die zerstörten Stände zu durchforsten. Es waren wohl die Händler, die schließlich nicht imstande waren, sich fernzuhalten, da sie das Schicksal ihrer Existenz nicht kannten. Gromph überlegte, ob er sie warnen sollte, tat es dann aber doch nicht. Er hatte keine Lust. Dyrr schloß seinen Zauber ab, und zuerst sah es aus, als wür de der Drowleichnam zerbersten. Er wuchs und blähte sich auf, zuerst zur doppelten, dann zu seiner dreifachen und schließlich zu seiner vierfachen Größe, und immer noch nahm er an Um fang zu. Er veränderte sich auf jede denkbare körperliche Art und fiel mit lautem Getöse herab, was dazu führte, daß die Händler auseinanderstoben und sich wieder über die Ränder des Basars hinaus zerstreuten. Gromph beobachtete, wie die Umstehenden ehrfürchtig und furchtsam das anstarrten, was aus Dyrr geworden war. Es ist ein Riese, sagte Nauzhror. Ein Obsidianriese. Gromph seufzte. Er wußte, in was sich Dyrr verwandelt hat te. Unter normalen Umständen war ein Obsidianriese ein Kon strukt, das von Priesterinnen aller möglichen dunklen Glau bensrichtungen erschaffen wurde, damit sie als Diener, Wäch ter, Assassinen oder Kriegswerkzeuge dienten. Es waren ein drucksvolle Kreaturen, die aus massiven Steinblöcken gemeißelt wurden und eine ganze Stadt zerstören konnten, wenn sie nicht kontrolliert wurden. Was Dyrr getan hatte, war, seine Gestalt von seinem normalerweise dünnen, alten DrowKörper in die Gestalt eines Riesen umzuwandeln. Dabei war er fast völlig zu der neuen Kreatur geworden. Der Riese war von seinem riesigen, drow-ähnlichen Kopf bis zur Spitze seines geringelten, wurmartigen Schwanzes gut und gerne zwölf Meter lang. Er besaß vier Paar langer Arme mit
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drow-artigen Händen, die groß genug waren, um Gromph damit vollkommen zu umschließen, auch wenn die Hände auf seltsame Art verdreht waren und über drei Finger mit zahlrei chen Gelenken verfügten, die in schwarzen Krallen endeten, die denen Nimors nicht unähnlich waren. Der Drowleichnam hatte sich entschieden, seine schwarze Färbung beizubehalten, aber die Augen der Kreatur leuchteten hellblau. Lichtstrahlen gingen von ihnen aus und durchschnitten die Rauchwolke, die noch in der Luft hing. Sie öffnete den Mund und enthüllte Fangzähne von der Größe von Kurzschwertern, die in Reihen angeordnet waren. Schleim troff von ihrer verdrehten Unter lippe. Sie war ständig in Bewegung, zuckte und wand sich wie eine Made. Durch ihr Gewicht hinterließ sie gezackte Kratzer im Boden, und das Geräusch knirschenden, zerspringenden Steins übertönte alle anderen Laute. Die Kreatur begann, alles zu zerstören, was sie erreichen konnte, und sie konnte sehr vieles erreichen. Die Stände, die noch intakt und unverbrannt waren, wurden unter dem unge heuren Gewicht der kolossalen Bestie zu Splittern zermahlen. Die zuvor neugierigen Händler rannten um ihr Leben, aber als der Riese sich über den Basar wälzte, zermalmte er einen flie henden Drow nach dem anderen. Als er sich weiterwälzte und sie wieder zum Vorschein kamen, waren dort statt der nicht wiederzuerkennenden breiigen Masse, die zu sehen Gromph erwartet hatte, eine stattliche Reihe von Dingen zurückgeblie ben, die wie Statuen aussahen. Die versteinerten Gestalten einer großen Anzahl von Drow lagen vollkommen still über den zerstörten Basar verstreut. Die Berührung des Riesen hatte sie versteinert. Nachdem sein Anfall destruktiven Zornes beendet war, wandte der Riese seine Aufmerksamkeit Gromph zu. Die Lichtstrahlen aus seinen Augen fielen auf den Erzmagier und
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beleuchteten ihn, wie er da, gut dreieinhalb Meter über dem Boden des Basars, in der Luft schwebte. Gromph wirkte einen Zauber, als der Riese auf ihn losging, indem er mit seinen riesigen Fangzähnen knirschte und noch eine weitere Handvoll der leichtsinnigen Drow-Händler in Stein verwandelte. Der Zauber führte dazu, daß Gromph schwer zu sehen war. Seine Gestalt wurde nebelhaft, ver schwommen, und er sank zu Boden. Die Stiefel, die er trug, würden ihm dabei helfen, schneller zu laufen als jeder andere Drow. Da er schwer zu sehen war und sich schnell bewegte, gelang es Gromph, dem tobenden Riesen aus dem Weg zu gehen. »Könnt Ihr mich sehen?« rief Gromph aus. Der Drowleichnam antwortete nicht. Gromph war nicht si cher, ob er das in seinem gegenwärtigen Zustand überhaupt konnte. Der Riese knurrte, knirschte mit den Zähnen und ging erneut auf ihn los. Gromph rannte in dem Bemühen, die ge fährliche Bestie auf dem Basar in Schach zu halten, buchstäb lich im Kreis. Jedes Lebewesen, das sie berührte, verwandelte sich in Stein, und zu viele Bewohnerinnen und Bewohner Menzoberranzans waren bereits umgekommen. Wenn die Be lagerung zu Ende ging, war es an der Zeit, daß das sinnlose Töten ebenfalls aufhörte. »Dyrr, antwortet mir«, versuchte es Gromph erneut, aber wieder erhielt er keine Antwort. Statt dessen warf der Riese einen kurzen Blick nach unten zu den versteinerten Drow, die er hinterlassen hatte. Als der Lichtstrahl aus seinen Augen über ihre Gestalten glitt, setzten sich die steinernen Drow ruckartig in Bewegung. Die verstei nerten Händler richteten sich auf und torkelten wie Zombies vorwärts, und jeder von ihnen drehte den Kopf nach oben, um den Riesen anzusehen, als harrten sie seiner Befehle. Staub fiel
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von ihnen ab und schwebte zu Boden. Der Riese zischte jedem von ihnen etwas zu, und nachdem er das getan hatte, wandte sich eine belebte Statue nach der anderen um, um Gromph anzusehen, und begann langsam auf ihn zuzuwanken. Gromph konnte sich viel schneller bewegen als die verstei nerten Drow, aber es gab eine Menge von ihnen: ein Dutzend, dann noch mehr, und er wußte, daß er schließlich gezwungen sein würde, etwas gegen den Obsidianriesen und seinen Kader belebter Statuen im Herzen von Menzoberranzan zu unter nehmen. Dyrr antwortet nicht, sagte Nauzhror. Vielleicht kann er nicht. Vielleicht ist er nun mehr Riese als Drowleichnam. Was heißt das? fragte Prath. Das heißt, antwortete Gromph, daß das, wozu ein Drowleich nam normalerweise fähig wäre und dem er normalerweise widerste hen könnte, möglicherweise nicht länger wirkt. Was denn? fragte Prath. Gromph und Nauzhror projizierten genau in demselben Moment das gleiche Wort: Nekromantie.
»Das ist unmöglich«, sagte Valas Hune. »Es ist so groß wie ein Schloß.« Pharaun zuckte die Achseln, nickte und blickte hinauf zu dem enormen Wrack. »Größer«, erwiderte der Meister Sorceres, »aber es konnte laufen.« Das Wrack war einst eine Kugel aus poliertem Stahl gewe sen, deren Durchmesser neunzig Meter oder mehr betragen hatte. Es lag inmitten der Ruinen eines halben Dutzends klei nerer Gebäude aus Stein und Netz, und eine Seite davon war
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vollkommen verschwunden. Insgesamt ähnelte es einer ge sprengten Eierschale, aber in Wirklichkeit war es einstmals eine wandelnde Festung gewesen. Pharaun versuchte sich vorzustellen, wie das Ding unversehrt ausgesehen haben muß te, als es auf Beinen gestanden hatte, die nun verbogen und zerbrochen unter seinem massigen Hauptteil lagen. »Irgendeine Art von Mechanismus«, beharrte Valas, »dieser Größe ... es müßte erbaut worden sein von einem ...« »Gott?« beendete Pharaun den Satz, als er spürte, daß Valas zögerte, die Schlußfolgerung zu ziehen. »Oder in diesem Fall einer Göttin. Warum nicht?« »Wofür könnte man so etwas benutzen?« fragte Danifae. »Krieg«, schlug Jeggred vor, auch wenn er in einem singen den Tonfall sprach, so daß es beinahe wie eine Frage klang. »Es ist eine Kriegsmaschine.« »Es ist eine Festung«, sagte Quenthel Baenre. Es lag eine Entschiedenheit, eine Gewißheit in ihrer Stimme, die die anderen dazu brachte, sich umzudrehen, um sie anzusehen. »Es ist ... es war Lolths Festung. Einst ähnelte sie einer mechani schen Spinne, und in ihrem Inneren konnte Lolth selbst den Abgrund der Dämonennetze überqueren, geschützt und ausge rüstet mit Waffen, wie sie sich kein Drow vorzustellen ver mag.« »Ich glaube ...«, sagte Danifae. »Ich glaube, ich erinnere mich, etwas darüber gelesen zu haben, aber ich dachte immer, es sei eine Phantasievorstellung, ein wenig harmlose Ketzerei, als Nervenkitzel für die Nichteingeweihten.« »Wißt Ihr das mit Sicherheit?« fragte Pharaun, obwohl er an Quenthels Miene erkennen konnte, daß sie keinen Zweifel hegte. Die Hohepriesterin sah dem Meister Sorceres in die Augen und sagte: »Ich bin darin gewesen. Ich habe gesehen, wie sie
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sich bewegte. Ich war noch vor Lolth selbst im Inneren dieser Spinnenfestung.« Pharaun wandte sich ab, um Quenthels Blick auszuweichen, und sah wieder das Wrack an. »Sie verließ selten ihre Mauern«, fuhr Quenthel fort, deren Stimme immer leiser wurde, als erklänge sie aus einer immer größeren Entfernung. »Ich glaube nicht, daß ich jemals gese hen habe, wie sie sie verlassen hat. Tatsächlich habe ich in all den Jahren ...« Pharaun drehte sich nicht um, um die Herrin ArachTiniliths anzusehen, als er sagte: »Wir sollten hineingehen. Wenn Lolth diese Festung nie verlassen hat, ist sie vielleicht noch immer darin.« »Sie ist nicht da«, sagte Quenthel. »Quenthel hat recht«, meinte Danifae. »Ich spüre es ... oder besser gesagt: Ich kann sie nicht spüren.« »Sie ist vielleicht noch immer dort drinnen«, erwiderte der Magier in dem Wissen, daß er erneut Kopf und Kragen riskier te, indem er auf diese Möglichkeit hinwies – selbst wenn er sicher war, daß jeder von ihnen dies zumindest für einen kur zen Moment in Betracht gezogen hatte. »Wenigstens ihr Leib könnte sich dort befinden.« Niemand erwiderte etwas, aber sie folgten ihm, als Pharaun die lange Wanderung zu der gefallenen Festung antrat. Während die Minuten sich hinzogen, wurde es schwieriger, die Strecke zu bewältigen. Schon vor langer Zeit hatte Müdig keit eingesetzt, und obwohl sie gelegentlich anhielten, um von den Vorräten zu essen und zu trinken, die Valas ihnen allen aus seinen Dimensionsbehältern gegeben hatte, waren sie alle hungrig, durstig und zum Umfallen müde. Das senkte, zusam men mit einer zunehmenden Dichte von Schutt und Barrieren aus Stein, Netzen, Backstein oder Stahl, ihre Geschwindigkeit
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auf ein Viertel dessen, worauf sie gehofft hatten. Dennoch gelang es Jeggred, in Pharauns Nähe zu gelangen. Der Magier war recht zuversichtlich, daß die Verteidigungs zauber, die er bereits gewirkt hatte, den Halbdämon davon abhalten würden, ihn niederzuschlagen, bevor er sich selbst verteidigen konnte. Also hielt er nicht an und provozierte damit den Draegloth. »Es würde Euch gefallen«, flüsterte Jeggred Pharaun zu. Das Flüstern des Draegloth war so laut wie die normale Lautstärke eines Drow, aber dennoch schien niemand ihn zu hören. »Wenn Lolth tot daläge und wir nichts außer einem Skelett fänden, wäret Ihr glücklich. Gebt es doch zu.« »Ich gebe nichts zu«, antwortete der Meister Sorceres. »Das ist tatsächlich eine Frage von Prinzipien. Allerdings hoffe ich in diesem Fall wahrhaftig, daß wir Lolth nicht tot dort drinnen vorfinden werden, und wenn es so wäre, was kümmert es dich? Würdest du zu deiner Herrin rennen und mich verpetzen? Welcher deiner beiden Herrinnen würdest du es zuerst erzäh len? Würdest du es Quenthel überhaupt erzählen? Ernsthaft, Jeggred, du benimmst dich, als erwartetest du, Menzoberranzan nie wiederzusehen.« »Tue ich das?« fragte Jeggred. Er war nicht zu Sarkasmus imstande. »Wie das?« »Du ignorierst die Wünsche Quenthel Baenres«, – der Ma gier betonte den Namen des Hauses – »zugunsten der Launen einer Dienerin, und zwar hier, ganz im Herzen von Lolths Macht.« »Danifae ist keine Dienerin mehr«, sagte Jeggred. »Ich habe ...« Feuer. Das Wort bildete sich in Pharauns Geist, während seine Haut schon Blasen warf und seine Kleidung Feuer zu fangen
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drohte. Die Flammen kamen in einer Welle auf sie zu und umringten alle fünf mit blendenden Zungen aus Orange, Rot und Blau. Pharaun hörte seine Verteidigungszauber knistern, um sich gegen die Hitze zu behaupten, und obwohl er Verbren nungen erlitt, überlebte er es. Jedoch befanden sich nicht alle anderen in einer ähnlich guten Verfassung, und Pharaun durchforstete sofort seinen Geist nach einem Zauber, der sie alle beschützen würde – und wenn er sie nicht alle beschützen konnte, dann eben Valas, Quenthel (schließlich war sie die Schwester des Erzmagiers), Danifae und Jeggred ... in dieser Reihenfolge. Aber er bekam keine Möglichkeit, sich einen Zauber ins Gedächtnis zu rufen, bevor eine weitere Feuerwand ihn über rollte und ihm noch schlimmere Verbrennungen zufügte. Ein abscheuliches, bellendes Gelächter hallte von oben herab, und Pharaun blickte auf, um zu sehen, daß ein bösarti ger Tanar’ri mit Hilfe wenigstens eines einfachen Zaubers in der Luft über ihnen hing. Das Geschöpf wirkte wie ein wahnsinniger, mißgestalter Bulle, und ihm fehlten Füße. Pharaun erkannte es sofort, woraufhin er eine Kugel aus Gewebe-Energie um sich selbst beschwor, um sich gegen ge wisse Zauber zu schützen. Der Tanar’ri war ein Glabrezu, und er sah vertraut aus. »Das Eis ...«, schlug Danifae mit zusammengebissenen Zäh nen vor. Auf Danifaes und Quenthels schwarzer Haut zeigten sich glänzende Flecken. Sie waren schlimmer verbrannt als Pha raun, aber nicht schlimm genug, um Blasen zu bekommen. Quenthel zog ihren mit Heilkräften versehenen Zauberstab hervor und setzte ihn unverzüglich für ihre eigene Haut ein. »Ich hatte ihn in Eis eingeschlossen«, sagte Pharaun, »und ihn dort zurückgelassen.«
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Der Magier sah sich schnell nach Valas um, aber der Späher war nirgends zu sehen. »Typisch Dämon«, murmelte Quenthel. »Hat sich selbst die Beine abgebissen, um hinauszugelangen.« Jeggred brüllte vor Wut. Rauch stieg in schwarzgrauen Fah nen aus seinem versengten Fell auf. »Du bist uns den ganzen Weg hierher gefolgt, Belshazu?« fragte Quenthel. »Damit wir dich töten können?« »Ganz im Gegenteil«, sagte Jeggreds Vater.
Halisstra Melarn flog. Obwohl das keine genaue Beschreibung dessen war, was mit ihr geschah, war es das, was all ihre Sinne ihr mitteilten. Unter ihr erstreckte sich endlos ein graues Nichts, das von wirbeln den farbigen Stürmen und in der Ferne umhertreibenden, sich drehenden Felsbrocken unterbrochen wurde, deren Umfang manchmal anderthalb Kilometer betrug, während andere so klein wie ein Drow waren. Über ihr und auf allen Seiten sah es gleich aus. Sie hatte kürzlich die Astralebene mit der Gruppe von Ein wohnerinnen und Einwohnern Menzoberranzans und ihrer früheren Kriegsgefangenen besucht, aber das war eine ganz andere Erfahrung gewesen. Damals, als sie sich in der Obhut eines Vhaeraun-Priesters befunden hatten, hatte sie sich wie ein Geist gefühlt, der an einer Kette gezogen wurde. Durch die Macht Eilistraees jedoch befand sie sich wirklich in der Astral ebene und wurde nicht dorthin projiziert, und es gab nichts, was sie in der Ebene ihrer Herkunft verankerte. Halisstra fühlte sich freier, als es jemals der Fall gewesen war. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, und ihr Herz raste. Ihr Haar flatterte hinter ihr her, obwohl es genau
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genommen keinen Wind gab. Ihr Körper reagierte im Äther der Astralebene auf einen bloßen Gedanken, und sie stieg in die Lüfte auf und stieß wieder herab wie eine Düsterbestie beim Spiel. Die einzige Einschränkung, die sie verspürte, war die Not wendigkeit, sich nahe bei Uluyara und Feliane zu halten. Ha lisstra konnte erkennen, daß die Oberflächenelfe und die Drow-Priesterin ihren Flug durch die Astralebene ebensosehr genossen wie sie selbst, und beide erwiderten ihr Lächeln. Dennoch behielten sie den Ernst der Mission, die sie hierher gebracht hatte, stets im Kopf. Halisstra Melarn hatte alles riskiert und alles verloren, um hier zu sein. Ryld war sicher tot, so tot wie Ched Nasad, und jedes Leben, das sie im Unterreich je hätte führen können, lag hinter ihr. Vor ihr lag Ungewißheit, aber auch Anerkennung. Vor ihr lag Gefahr, aber auch zumindest die Möglichkeit einer Belohnung, während alles, was sie hinter sich gelassen hatte, Hoffnungslosigkeit war. »Da!« rief Uluyara und unterbrach damit Halisstras Gedan kengang. »Seht ihr?« Halisstra folgte dem schwarzhäutigen Finger der anderen Priesterin mit dem Blick und bemerkte, daß ihr Leib seine Lage in der »Luft« veränderte und in die entsprechende Rich tung zu fliegen begann. Uluyara wies auf eine lange Reihe mattschwarzer Schatten, und Halisstra mußte mehrmals blin zeln, bevor sie zu begreifen begann, was sie da sah. Es war, als blicke sie auf einen riesigen grauen Schirm, hinter dem eine Reihe von Drow wie die Darstellerinnen und Darsteller in einem Schattenspiel langsam auf ein gemeinsames Ziel zustreb te. »Nähert euch langsam«, warnte Feliane. »Sie können viel leicht nicht einmal unsere Anwesenheit spüren, aber das wis
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sen wir nicht, und es gibt so viele von ihnen.« »Wer sind sie?« fragte Halisstra. Aber als das letzte Wort ih ren Mund verlassen hatte, wurde ihr klar, was sie da sah. »Die Verdammten«, war die geflüsterte, düstere Antwort Uluyaras. »So viele ...«, flüsterte Halisstra geschockt in der gleichen monotonen Stimmlage. »Alle Drow, die gestorben sind, während Lolth schwieg, würde ich sagen«, meinte Feliane. »Wohin wollen sie?« »Nicht in den Abyss«, antwortete Uluyara. Als sie näher herankamen, konnte Halisstra nicht anders, als unter den langsam schwebenden Gestalten der kürzlich Verstorbenen Gesichter auszumachen. Alle Drow erschienen in einem einheitlichen Grau, als seien sie nur Kohlezeichnun gen und keine echten Drow. Als sie eine von ihnen direkt ansah, eine junge Drow, die wahrscheinlich noch zu jung für die Bluttaufe war, konnte Halisstra geradewegs durch sie hin durchsehen, bis auf den rotierenden Felsen, der hinter ihr vorbeiflog. Eine der Gestalten sah sie und stellte kurz Blickkontakt her, aber die verstorbene Seele verlangsamte ihre Reise nicht und machte auch keine Anstalten, mit ihr zu reden. »Wohin sind sie unterwegs?« fragte Halisstra. Sie sah zuerst einen und dann noch einen weiteren Geist, die ein Symbol Lolths oder andere Schmuckgegenstände und Wappen trugen, die sie als Gefolgsleute der Spinnenkönigin auswiesen. »Wenn nicht zum Abyss, wenn nicht in Lolths Reich, wohin dann?« Hoffnung keimte in Halisstra auf. Wenn die Toten unter ihren treuen Gefolgsleute nicht zu Lolths Seite, sondern ir gendwohin unterwegs waren, dann gab es vielleicht Hoffnung für einen Anhänger der Spinnenkönigin, die über Vergessen heit hinausging.
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»Eilistraees Zauber«, sagte Feliane, »hat uns zum Abyss hin gezogen, und wir sind nicht diesen Weg gegangen.« »Als ich mit der Baenre-Schwester und den anderen im Abgrund der Dämonennetze war«, erzählte Halisstra, »sahen wir keine Seelen wie diese. Quenthel machte eine Bemerkung zu ihrem Fehlen. Die sechsundsechzigste Ebene enthielt nur Horden von wilden Dämonen, zwei Götter, die Krieg führten, und einen versiegelten Tempel.« »Sollen wir ihnen nach?« fragte Feliane Uluyara. »Wenn es Lolths Gefolgsleute sind, dann könnte es sein, daß sie zu ihr unterwegs sind, selbst wenn sie nicht zum Abyss unterwegs sind.« »Könnte Lolth den Abyss verlassen haben?« fragte Halisstra Melarn. Sowohl Halisstra als auch Feliane sahen Uluyara an, in der Hoffnung, von ihr eine Antwort zu erhalten, aber die DrowPriesterin zuckte nur die Achseln. Halisstra bewegte sich Kraft ihres Willens näher an die See len heran und beobachtete, wie sie vorbeischwebten. Sie warte te darauf, daß eine ältere Priesterin vorbeikäme, die aussah, als verfüge sie vielleicht über einigen Einblick. Als die Toten an ihr vorbeidefilierten, sah Halisstra größtenteils Männer, offen sichtlich Krieger, und einige Drinnen in dem Durcheinander. An ihren Trachten und Wappen konnte Halisstra erkennen, daß die Drow aus einer Reihe von Städten kamen, die sich über die gesamte Länge und Breite des Unterreiches erstreckten. Schließlich näherte sich eine Priesterin, von der Halisstra fand, sie sähe geeignet aus, und sie schwebte noch etwas näher heran. Sie streckte die Hand aus, um die vorbeischwebende Seele zu berühren, als jemand sie anrief. Halisstra, sagte die Stimme, die direkt in ihrem Geist wi derhallte.
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Halisstra zwinkerte und schlug die Hände vors Gesicht. Sie war sich nur entfernt bewußt, daß Uluyara und Feliane fragten, ob es ihr gutgehe. Der Klang der telepathischen Stimme hallte in ihrem Schä del wider, und ihr Ernst verdrängte alle anderen Gedanken. »Ryld ...«, sagte sie zitternd mit zusammengebissenen Zäh nen. Ich bin hier, flüsterte der Meister Melee-Magtheres in ihrem Geist. Halisstra öffnete die Augen und fand sich von Angesicht zu Angesicht mit dem geisterhaften Schatten Ryld Argiths wie der. Der Drow-Krieger stand groß und stolz in seiner schatten haften Rüstung da, und seine Hände griffen nach ihr und stie ßen sie gleichzeitig fort. Tränen strömten ihr aus den Augen und ließen ihre Sicht auf die körperlose Seele des Geliebten verschwimmen. Ich habe dich geliebt, sagte er. Halisstra hatte versucht, nicht zu weinen, aber nach diesen vier Worten brach sie in markerschütternde Schluchzer aus, die sie langsam von ihm fort in den Astraläther trieben. Sie wollte ihm hundert Dinge sagen, aber ihre Kehle war wie zuge schnürt, sie biß die Zähne zusammen und hatte rasende Kopf schmerzen. Ich habe alles für dich aufgegeben, sagte er. »Ryld«, brachte Halisstra hervor. »Ich kann dich zurückho len ...« Er sagte weniger »Nein«, als daß er ihrem Bewußtsein dieses Gefühl vermittelte. Halisstra rang nach Luft. Ich bin nun auf dem Weg zu Lolth, sagte er. Ich gehöre nicht zu Eilistraee, selbst wenn ich zu dir gehörte. »Ich habe sie dir nicht vorgezogen«, sagte Halisstra, auch wenn sie wußte, daß sie log. »Ich hätte mich von ihr abge
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wandt, wenn du mich darum gebeten hättest.« Wieder das Gefühl von »nein«. »Ich wollte dich«, flüsterte sie. Du hattest mich, sagte er, so lange du konntest. »Halisstra«, flüsterte Uluyara ihr zu. Halisstra merkte, daß die andere Priesterin ihren Arm hielt. »Halisstra, frag ihn, wohin er geht. Frag ihn, wohin Lolth gegangen ist.« »Er geht zu ihr«, erwiderte Halisstra, dann sagte sie zu Ryld: »Ich liebe dich.« Sie zwinkerte, um ihre Tränen zurückzudrängen, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie er lächelte und nickte. »Zu Lolth?« fragte Uluyara. »Wo ist sie?« »Das ist der Grund, warum wir jetzt hier sind, nicht wahr?« fragte Halisstra die langsam davonschwebende Seele Ryld Argiths. »Weil wir einander liebten.« Weil wir unsere Welt hinter uns gelassen haben, sagte Ryld. Weil wir uns selbst zurückgelassen haben. Du warst imstande, eine neue Halisstra zu erschaffen, aber ich war nicht imstande, einen neuen Ryld zu schaffen. Ich bin hier, weil ich es verdiene. Wenn es nicht so wäre, hätte der Draegloth mich nie besiegen können. »Wir wären noch immer zusammen«, sagte sie. Sag deinen Freundinnen, sagte er, daß Lolth den Abgrund der Dämonennetze aus dem Abyss herausgenommen hat. Wir haben, einige von uns monatelang, gewartet, zu fühlen, wie sie uns über den Abyss zu sich holt, und erst jetzt werden wir gerufen. »Lolth«, sagte Halisstra zu den anderen Priesterinnen, wo bei ihre Stimme gespannt war vor Bedauern, Ärger, Haß und zu vielen anderen Gefühlen, um sie zu ertragen, »holt sie nach Hause.« »Der Abgrund der Dämonennetze ist nicht mehr Teil des Abyss«, meinte Uluyara. Sie verändert sich, sagte Ryld, und seine Gedanken fühlten
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sich wie eine Warnung an. Lolth verändert alles. Halisstra fühlte, wie sich Uluyaras Griff um ihren Arm ver stärkte, und die Priesterin flüsterte: »Laß ihn gehen. Es gibt nur einen Weg, ihm jetzt noch zu helfen.« »W-wir können ihn ... ihn zurückbringen«, stotterte Ha lisstra, die zusah, wie Ryld sich von ihr abwandte und mit den anderen gleichgültigen Gestalten langsam fortschwebte. »Nicht, wenn er nicht zurückkehren will«, flüsterte Uluya ra, und die Hand auf ihrem Arm zog sie in eine feste Umar mung. Halisstra schlang die Arme um Uluyara und weinte, wäh rend Ryld außer Sichtweite verschwand, immer weiter fort, zusammen mit der Reihe der Verdammten.
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»Willkommen im Abyss, Leiche«, sagte der Glabrezu. Seine Stimme war ein tiefes, grollendes Knurren. »Willkommen in meinem Zuhause.« »Belshazu«, sagte Quenthel, die Peitsche in der Hand, de ren Vipern sich erwartungsvoll wanden. Der Dämon sah sie nicht an. Statt dessen hielt er die glü henden Augen auf Pharaun gerichtet. »Ich werde dir die Seele aus dem Leib reißen, Magier, und sie roh verspeisen, und dann werde ich sie erbrechen, so daß sie über deinen zitternden Leichnam tropft, in deine ver schrumpelnde Haut einzieht und dir in den weit geöffneten Mund läuft, damit sie weiß, daß du tot bist«, wetterte der Dä mon. »Wenn du meinst«, erwiderte Pharaun. »Du wirst«, sagte Belshazu zu Pharaun, »im Schatten der
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zerfallenen Festung deiner toten Göttin sterben.« Der Meister Sorceres sah aus dem Augenwinkel, wie Jeggred neben ihn trat. Der Draegloth knurrte fast ebenso tief und ebenso donnernd wie der Glabrezu – der Dämon, der zufällig sein Vater war. Der Glabrezu, aus dessen Beinstümpfen dunkles Blut auf das uralte Schlachtfeld troff, drehte sich langsam zu dem Draegloth um und sagte: »Wenn ich mit dem Drow fertig bin, Sohn, kannst du dich zu mir gesellen – dann bist du endlich von den Drow befreit.« Jeggred holte tief Luft, und Pharaun erkannte, daß er bereit war, sich auf ihn zu stürzen, auch wenn der Glabrezu sich deut lich außerhalb seiner Reichweite befand. »Jeggred ...«, begann Quenthel, hielt aber inne, als der Draegloth zu ihr herumwirbelte. »Das ist für mich nur Fleisch«, knurrte Jeggred. »Bloß noch mehr Tanar’ri-Abschaum. Dieses Ding ist für mich kein Va ter.« Er wandte sich an Belshazu. »Nenn mich noch einmal ›Sohn‹, und es wird dir noch auf der Zunge liegen, wenn ich dir den Kopf abreiße.« »Keine Angst«, entgegnete der Dämon mit einem wilden Grinsen. »Selbst wenn du reinrassig wärst, würde ich keinen weiteren Gedanken an dich verschwenden. Aber da du nur ein Halbblut bist, mache ich mir nicht einmal die Mühe, dich zu töten.« Belshazu wandte seine Aufmerksamkeit wieder Pha raun zu, sprach aber die restlichen Leute an. »Alles, was ich will, ist der Beschwörer. Gebt mir Pharaun, und ihr könnt weitergehen und Lolth treffen.« »Nur ihn?« fragte Quenthel. Pharaun sah sie an, und sie versuchte, seinem Blick auszu weichen, indem sie ihre Aufmerksamkeit weiterhin dem schwebenden Glabrezu zuwandte.
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Der Dämon warf einen kurzen Blick auf seine Beinstümpfe und sagte: »Der Trick mit dem Eis ... ich mußte mir meine eigenen Beine abschneiden.« Er hob einen seiner vier Arme, einen von zweien, die in einer abscheulichen, scharfen Schere endeten. »Sie werden nicht nachwachsen. Der Hurensohn schuldet mir mindestens zwei Beine. Übergebt ihn mir, dann könnt ihr euren Weg fortsetzen.« »Tretet beiseite«, sagte Quenthel mit einer Stimme, die abwesend und gelangweilt klang. Jeggred knurrte, und Valas tauchte hinter einem Haufen zerbrochener Backsteine auf und trat auf untypische, da deut lich vernehmbare Weise von einem Fuß auf den anderen. Pharaun sah Quenthel an, und sie begegnete ruhig seinem Blick. »Ist das Euer Ernst?« fragte der Magier. »Ja«, antwortete Quenthel Baenre. »Ihr habt Ihn beschwo ren, Ihr habt ihn gebunden, Ihr habt ihn ins Eis eingefroren. Der Rest dieser Expedition ist zu wichtig, um ihn damit zu verschwenden, daß wir jedes Monster bekämpfen, das wir zu fällig treffen – zumindest jetzt nicht mehr –, und Blutrache üben, die Ihr Euch mit Eurem einfältigen Leichtsinn selbst eingebrockt habt.« »Pharaun hat den Dämon auf Euren Befehl hin beschwo ren«, erinnerte Valas sie, aber sie beachtete den Späher nicht. Pharaun sah Belshazu an, der lachte, offenbar überrascht, daß Pharauns Kameradinnen und Kameraden ihn so schnell und leicht verraten hatten. Der Magier studierte den Glabrezu rasch und fand heraus, daß er dank eines dünnen Platinrings am kleinen Finger seiner linken Hand zum Fliegen imstande war. »In Ordnung«, meinte Pharaun. »Wir reden hier ja nur über einen beinlosen Glabrezu. Geht einfach weiter, ich kom
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me in etwa einer Minute nach.« Der Glabrezu schrie und kam näher. Pharauns erster Impuls sagte ihm, er solle weglaufen, der zweite, er solle stehenbleiben und schlucken. Er zwang sich, keines von beiden zu tun. Statt dessen bereitete er seinen ersten Zauber vor. Etwas schwebte an Pharauns Gesicht vorbei. Er neigte sich etwas nach hinten, um ihm auszuweichen, aber etwas anderes traf ihn leicht unter das Kinn. Staub stieg überall um ihn her um vom Boden auf – und Kieselsteine, Splitter von versteiner ten Knochen und kleine Stücke von verbogenem, verrostetem Eisen. Er sah den Glabrezu an, der eine seiner beiden richtigen Hände in die Höhe hielt und ein wissendes Grinsen auf seinem Hundegesicht aufblitzen ließ. Pharaun drehte sich der Magen um, und er spürte, wie er hochgezogen wurde. Seine Stiefel verließen den Boden, und er fiel – aber nach oben, wie die Trümmer um ihn herum. Die anderen wichen zurück. Quenthel sah mit irritiertem Blick zu, so als sei sie enttäuscht, daß der Dämon so lange brauchte, um ihn zu töten. Valas zog seine Kukris, aber schien unsicher zu sein, ob er einschreiten sollte. Jeggred sah Danifae an, die abwinkte, das Geschehen aber gespannt beobachtete. Mit einem Seufzen ging Pharaun an die Arbeit. Er berührte das Emblem Sorceres und nutzte seine Levitationsmagie, um sie der Umkehrung der Schwerkraft entgegenzusetzen. Es war verwirrend, aber es gelang ihm, auf gleicher Höhe mit Belshazu zu schweben. Dann berührte er seinen Stahlring und brachte das Rapier hervor, das er enthielt. Die Waffe flog auf Belshazu zu. Als die Klinge durch die Luft raste, schlug der Glabrezu mit seinen Klauen und Scheren danach. Der Dämon hatte den Vorteil, daß er mit der verzau berten Klinge fliegen konnte, und schnell glichen sich ihre
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Geschwindigkeiten aneinander an, so daß Belshazu und das Rapier ein ebenbürtiges Paar bildeten. Pharaun nutzte die Gelegenheit, um einen Zauber zu wir ken. Erneut drehte sich ihm der Magen um, und seine Levita tionsmagie begann, ihn nach oben anstatt nach unten zu zie hen. Die umgekehrte Schwerkraft des Dämons war verschwunden. Belshazu konnte die Angriffe der belebten Waffe parieren, war aber nicht imstande, ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Gleichzeitig schnitt das Rapier Belshazu an einer Stelle und brachte ihm an einer anderen eine Wunde bei, und Blut be gann aus einem halben Dutzend Schnitte auf den unfruchtba ren Boden zu tropfen. »Bedauerlich«, zischte Belshazu beinahe so, als rede er mit sich selbst, »ich hätte es gerne behalten, nachdem ich dich getötet habe.« Der Dämon vollführte eine Geste, die schwer zu bestimmen war – ein Zwinkern, ein Achselzucken, ein Schaudern –, und die Klinge zerbarst in tausend glitzernde Stahlsplitter, die auf das alte Schlachtfeld niederprasselten. Pharaun spürte, wie sein Blut kochte, sein Gesicht rot anlief und sein Atem stockte. Ich hätte daran denken müssen, schalt er sich selbst. Ich hätte wissen müssen, daß er das kann. Der Meister Sorceres wollte einen Schwall von Beschimp fungen auf Belshazu und das kalte, gleichgültige Multiversum ausstoßen, aber er schluckte seinen Ärger hinunter. Dennoch, er hatte dieses Rapier gemocht. »Ich werde mir den Wert dieser Klinge aus deinen Einge weiden holen«, drohte Pharaun. Das Tiergesicht des Glabrezu verzog sich erneut zu einem wilden Grinsen, während er durch die Luft auf Pharaun zu
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schoß. Hinter sich hörte der Magier Valas Hune sagen: »Ihr wollt einen anderen Drow einem dreckigen Dämon überlassen? Ihr wollt, daß wir ohne Magier zurückbleiben?« »Ja«, antwortete Quenthel ohne jedes Bedauern, was Pha raun tatsächlich erfrischend fand. Der Tanar’ri näherte sich ihm schnell, und Pharaun zog ei nen alten Handschuh aus einer Tasche seines Piwafwi. Er begann mit seiner Beschwörung, noch ehe er den Handschuh ganz aus der Tasche gezogen hatte, und als der Glabrezu ihn beinahe erreicht hatte, hatte er den Zauber vollständig ge wirkt. Eine Hand von der Größe einer Rothé erschien in der Luft zwischen Pharaun und Belshazu. Obwohl Belshazu ihr auszu weichen versuchte, konnte er es nicht. Die Hand öffnete sich, stieß ihn durch die Luft und trieb ihn von dem Magier fort, egal, wie sehr er sich gegen die beschworene Hand wehrte. Pharaun wandte sich an Quenthel, die ihn mit ausdruckslo ser Miene ansah, und sagte: »Was ich tun werde, sollte ich genau hier tun, so daß Ihr alle es zu spüren bekämet, aber das mache ich nicht. Ich werde ihn zuerst wegstoßen und dafür sorgen, daß Ihr Euch in sicherer Entfernung befindet. Dennoch möchte ich, daß Ihr im Kopf behaltet, Herrin, daß ich das wieder tun kann und es von Rechts wegen auch tun sollte.« Er machte sich nicht die Mühe, auf eine Reaktion zu warten – es kam keine. Statt dessen wandte er sich wieder dem Glabrezu zu, der durch den Zauber ein Stück in der Luft über der Tempelruine weggeschoben worden war. Pharaun begann, über den unebenen, von Trümmern bedeckten Boden zu ren nen und zählte dabei seine Schritte. Belshazu zerrte an der beschworenen Hand und schlug in einem wilden Wirbel un kontrollierter, frustrierter Angriffe nach ihr, aber ohne Erfolg.
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Die Magie blieb bestehen. Als Pharaun zwanzig Schritte vom Rest der Expedition ent fernt war, hielt er an. Er hielt die Hand in der Luft und stieß den Glabrezu nicht länger damit, sondern hielt ihn einfach nur in Schach. Während seiner Laufschritte war er im Kopf alles, was er über Tanar’ri im allgemeinen und Glabrezu im besonde ren gelernt hatte, durchgegangen. Als er anhielt, wirkte er einen – nicht sonderlich komplizierten – Zauber, der eine weitere lästige Manifestation der natürlichen Magie des Ta nar’ri verhindern würde. Ein grüner Lichtstrahl entsprang Pharauns ausgestreckten Händen und fand unbeirrbar seinen Weg zu Belshazu. Der Zauber würde ihn auf der sechsundsech zigsten Ebene des Abyss halten und Belshazus Teleportation selbst innerhalb der Grenzen der Ebene verhindern. »Sag mir ...«, rief Pharaun dem Dämon zu, hielt aber inne, als Belshazus riesige Schere die beschworene Hand aufplatzen ließ. Verdichtete Magie quoll aus der Oberfläche der schwarzen Faust wie Blut, das im Wasser Wolken bildet. Belshazu grinste, grunzte und schlug nach der Hand. Die großen Finger zuckten, und ihr Griff löste sich. Der Magier hatte noch nie gesehen, daß etwas diesem Zau ber so etwas hätte anhaben können. Der Glabrezu war mächti ger und talentierter, als Pharaun ihm zugetraut hätte. Noch während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, zog der Drow-Magier einen weiteren Zauber aus dem Gewebe. Die gräßliche Schere des Dämons durchtrennte einen der Finger. Als er von der Hand abgetrennt wurde, zerplatzte die schwarze Magie wie eine Blase, und der Finger war fort. Bels hazu drückte mit einem seiner Beinstümpfe und seinen allzu intakten Armen gegen die zitternde, sich allmählich auflösen de Hand. Als Pharauns nächster Zauber sich in der Luft über
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dem Dämon zu bilden begann, fiel Belshazu aus der beschwo renen Hand auf den mit Trümmern übersäten Boden. Der Dämon brüllte ihn an, und alles, was Pharaun tun konnte, war, sich selbst dazu zu zwingen, so zu tun, als berühre ihn der ohrenbetäubende, entsetzliche Klang nicht. Belshazu stand auf, sah aber nicht in die Höhe – sah die Steinplatte nicht, die sich aus dem Nichts Stück für Stück über ihm zu sammensetzte. »Sag die Wahrheit.« Pharaun strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und fragte: »Fällt es auf, daß ich mein Haar seit über einem Zehntag nicht gewaschen habe?« Der Glabrezu knurrte, brüllte erneut und sprang – just, als die Steinmauer herunterfiel. Belshazu verschwand darunter, und der Boden bebte. Die Mauer barst, als sie auf der unebenen Oberfläche auftraf. Bels hazu schob die Platte, die mehrere Tonnen wog, gerade weit genug in die Höhe, um seinen Kopf drehen zu können und tiefliegende, glühende Augen in einem blutenden Tierkopf zu enthüllen. Der Anblick der ramponierten Kreatur ließ Pharaun lä cheln. Der Zauber, den er so weit entfernt von den anderen hatte wirken müssen, um sie nicht zu gefährden, drang ihm über die Lippen, während der Tanar’ri sich langsam seinen Weg unter der Steinplatte hervorbahnte. Als er die Beschwö rung beendet hatte, öffnete Pharaun den Mund weit und schrie. Der Ton kam nicht aus seinen Lungen, aus seiner Kehle o der aus seinem Mund, sondern aus dem Gewebe überall um ihn herum und in seinem Inneren. Der Ton sammelte sich, wurde immer lauter und schoß dann aus ihm hervor: ein wahnsinniger, schriller Schrei, der Belshazu so hart traf, daß er selbst die riesige Steinplatte in Rauch aufgehen und dann
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diesen Rauch ins Nichts verschwinden ließ. Der Ton prallte gegen den Glabrezu, schüttelte ihn und schleuderte ihn empor. Prellungen erblühten auf Belshazus zäher roter Haut, und seine Knochen brachen mit einem lauten Krachen, einer nach dem anderen. Der Dämon bekam nicht genügend Luft, um zu schreien. Pharaun genoß die offensichtliche Tatsache, daß er das allerdings durchaus wollte. Insbesondere, als Teile von ihm abzufallen begannen. Pharaun schrie weiter, fuhr fort, Luft auszustoßen. Der Ton zerriß den Glabrezu, zog ihm die Haut ab, riß Platten seines Exoskeletts, Stücke von Fell, Krallen, Fangzähne, Augen, dann Blut und Eingeweide heraus. Das gesamte Durcheinander wir belte durch die Luft, als würde es in einem riesigen, unsichtba ren Kochtopf umgerührt. Dann war der Zauber – und der gräß liche, schrille Schrei – urplötzlich verschwunden, und Belshazus zerfetzte Überreste fielen in einem Haufen auf den von dem Kampf gezeichneten Boden. Blut regnete noch eine Minute, nachdem das letzte große Stück auf dem Boden aufge schlagen war, weiterhin prasselnd herab. Pharaun seufzte, strich sich erneut eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn und trat vorsichtig in das Durcheinander. Er trat mit der Stiefelspitze hier und da Stücke fort, bis sein Blick den dünnen Platinring fand. Er beugte sich herab und hob den Ring auf, wobei er sich bemühte, nicht das Blut des Tanar’ri zu berühren. »Du warst mir einen Ring schuldig«, sagte er zu den stum men Überresten des Dämons, dann steckte er sich den Ring an und drehte sich um, um sich wieder zu den Drow zu gesellen, die ihn nur zu gerne im Stich gelassen hatten, so daß er alleine gegen den Glabrezu kämpfen mußte.
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»Aus der Entfernung sah sie groß aus«, sagte Pharaun, indem er eine Hand über eine kalte, verrostete Metallrippe gleiten ließ. »Aber von innen ist sie noch größer.« Der Meister Sorceres blickte nach oben, an der Linie des leicht gebogenen Stahlträgers entlang, und versuchte zu erra ten, wie weit über seinem Kopf er endete – dreißig Meter, vielleicht fünfzig? »Warum wurde das einfach tausend Jahre lang hier liegen gelassen?« fragte Jeggred. Der Draegloth schnüffelte an der äußeren Oberfläche der großen Spinnenfestung und schien unzufrieden. »Es sollte weggeräumt sein. Würde Lolth nicht wollen, daß es weggeräumt würde?« »Es war keine tausend Jahre hier«, entgegnete Quenthel Baenre. Sie stand in einem riesigen Riß in der Seite der zerbro chenen Kugel, die Arme vor der Brust verschränkt. »Ich habe euch ja schon erzählt, daß ich früher hier war.« »Vor wie langer Zeit?« fragte Danifae. Die Hohepriesterin sah sie mit offener Verachtung an, ant wortete aber: »Vor zehn Jahren.« »Vor zehn Jahren«, fragte Pharaun, »war dieses Ding intakt und bewegte sich?« Die Herrin Arach-Tiniliths nickte. »Wie kamt Ihr hierher?« fragte Danifae. Quenthel drehte sich zu Pharaun um und sagte: »Wenn hier drin jemand lebte, könntet Ihr das fühlen?« Der Magier warf einen kurzen Blick zu Danifae, die gelang weilt die Achseln zuckte. »Es gibt Zauber«, antwortete er Quenthel, »die das bewir ken können. Denkt Ihr, wir werden hier jemanden finden, der am Leben ist? Vielleicht Lolth selbst?« »Wenn Lolth überhaupt irgendwo ist«, meinte die BaenrePriesterin, »dann hier. Dies ist ihr Palast. Dennoch spüre ich
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sie nicht. Ich kann sie hier immer noch nicht fühlen.« Pharaun nickte und suchte die Ruine erneut mit dem Blick ab. »Es liegt mir fern, Euch zu widersprechen«, sagte er, »aber ich finde es unmöglich zu glauben, daß diese Konstruktion vor nur zehn Jahren in Betrieb war. Ich gebe zu, daß ich noch nie Materialien wie diese hier gesehen habe – Stahlträger, die groß genug sind, um ein Gebäude zu tragen, eine magische Kon struktion, die so groß ist wie das Haus Baenre – aber ich habe sowohl alten als auch neuen Stahl gesehen, und dieser Stahl hat hier draußen ein wenig länger als zehn Jahre gelegen. Ich akzeptiere, daß es Euch widerstrebt, uns zu erzählen, wie es kam, daß Ihr vor einer Dekade hierherkamt, aber ...« »Aber?« knurrte Quenthel. Pharaun hielt inne und dachte nach. Die Herrin ArachTiniliths beobachtete ihn die ganze Zeit, und schließlich zuck te er die Achseln und schüttelte den Kopf. Quenthel drehte sich um und schritt tiefer in die Trümmer der Spinnenfestung hinein. Pharaun spürte, daß jemand ihn ansah, und drehte sich um. Er sah Valas, der am Rande eines Schattens außerhalb des Wracks herumschlich. Pharaun folgte dem Blick des Spähers und beobachtete, wie Danifae und Jeggred Quenthel in die Ruine folgten. Als die drei in dem Labyrinth aus verbogenem Metall verschwunden waren, trat Valas zu Pharaun. »Denkst du, sie befindet sich tatsächlich dort drin und ist am Leben?« fragte der Späher. Pharaun zuckte die Achseln und antwortete: »In diesem Augenblick, lieber Valas, bin ich willens, beinahe alles zu akzeptieren. Zeit scheint hier keine Bedeutung zu haben – oder zumindest eine andere Bedeutung. Alles, was Quenthel sagt, mag stimmen, aber andererseits befinden wir uns hier im innersten Herzen von Lolths Reich, und wo ist sie?«
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nersten Herzen von Lolths Reich, und wo ist sie?« »Wo sind die Seelen der Toten?« fragte Valas Hune. »Es sollte hier von verstorbenen Vorfahren nur so wim meln, nicht?« stimmte Pharaun zu. »Es sollte hier alle mögli chen Arten von Wesen geben: Dämonen, Drinnen, Draegloths ...« Pharaun hielt inne und kicherte. »Alle möglichen Arten von Dingen, die mit »D« anfangen ... aber es gibt hier nur Trümmer und Ruinen, versteinerte Knochen und zerfallende Steine. Stoff für ein episches Klagelied.« Valas starrte in die Finsternis im Inneren der Spinnenfes tung und seufzte. »Ich kenne mich hier nicht aus«, sagte der Späher mit einer Stimme, die kaum mehr war als ein Flüstern. »Warum bin ich noch hier?« »Du wurdest angeheuert«, meinte Pharaun. »Das Haus Baenre bezahlt Bregan D’aerthe ... alle wissen, warum du hier bist.« »Nein, ich sagte: Warum bin ich noch hier?« fragte der Spä her. »Ich wurde angeheuert, um diese Expedition durch die Dunkle Domäne zu führen, und das habe ich getan.« »Das hast du«, erwiderte Pharaun. »Ich sagte niemals, ich wüßte ...«, begann Valas, aber been dete den Satz mit einem Seufzen. »Du bist nicht in deinem Element«, meinte Pharaun, »ge nau wie wir alle, aber wir könnten sicher noch immer von deinen Fähigkeiten profitieren.« »Ich hätte dir mit dem Dämon helfen können«, sagte der Späher. »Quenthel ließ es nicht zu«, erwiderte Pharaun. »Du hast uns hierhergebracht«, meinte Valas, »und soweit ich weiß, bist du, selbst wenn das Schiff zerstört ist, der einzige, der sie nach Hause bringen kann. Dennoch setzt sie dein Le
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ben aufs Spiel, um etwas zu beweisen, was nicht bewiesen wer den muß? Ergibt das für dich Sinn?« Pharaun lächelte und schüttelte den Kopf, woraufhin er sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Dann sagte er: »Ich bin der Hohepriesterin ein Dorn im Auge, seit wir Menzoberranzan verlassen haben. Ich habe den Überblick über die diversen Gründe verloren, weshalb sie mich töten möchte, ebenso, wie ich aufgehört habe, die Gründe zu zählen, warum ich sie ebenfalls tot sehen möchte. Aber andererseits hatte sie vielleicht auch nur Vertrauen in mich und darauf, daß ich den Dämon alleine besiegen konnte. Schließlich ist es mir ja ge lungen.« »Vielleicht gab es einmal eine Zeit, in der ich gedacht hät te, das sei gut genug«, sprach Valas weiter, »aber nach alledem kann ich nicht umhin zu denken, daß es einfach dumm ist, und potentiell verschwenderisch. Sie ist unberechenbar.« »Ich denke, wir sind alle etwas unberechenbar«, gab Pha raun zu, »aber ich stimme dir zu. Ich glaube, die Schlangen flüstern ihr immer mehr ein. Sie hat die Macht sowohl über Jeggred als auch über Danifae verloren, hat über mich nie Macht besessen und weiß, daß du nur wegen des Goldes des Hauses Baenre hier bist. Wir kommen zum Abgrund der Dä monennetze, und was finden wir hier? Eine Ruine? Sie sollte den Verstand verlieren. Das sollten wir alle.« Valas dachte eine Weile nach, und Pharaun wartete, daß er antwortete. »Mein Vertrag ist zu Ende«, sagte der Späher schließlich. Pharaun nickte, zuckte die Achseln und sagte: »Ich werde es dir überlassen, das zu entscheiden, aber ich muß zugeben, daß es mir lieber wäre, wenn du bei uns bliebest, als daß du gingest. Ich kann, wie ich schon sagte, Zauber verwenden, um etwas zu finden, was hier noch am Leben sein könnte, um
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irgendwelche verborgenen Magiequellen zu finden. Wenn ich hier der Anführer sein soll, schön und gut, aber es könnte gut sein, daß wir dich schon bald wieder brauchen. Abgesehen davon – kannst du überhaupt allein zurückgelangen?« Der Späher neigte den Kopf, zog eine Braue hoch, und auf seinem Gesicht war die Andeutung eines Lächelns zu erken nen, das wieder verschwand, bevor es richtig zu erkennen war. »Nun«, meinte Pharaun, »vielleicht kannst du es. Ich gehe jedenfalls hinein, und wenn du dich zu uns gesellen willst, dann nur zu. Wir können erörtern, warum du, wenn du in der Lage bist, alleine nach Menzoberranzan zurückzukehren, be sorgt bist, daß ich der einzige sein könnte, der dich zurückbrin gen könnte, und Quenthel erneut versucht hat, mich zu tö ten.« Valas verbeugte sich andeutungsweise und unterdrückte ein Lächeln. »Warum machst du dir überhaupt Gedanken darüber?« frag te Valas. »Worüber?« »Über all dies«, meinte der Späher. »Lolth ...« Der Späher nickte, und Pharaun entgegnete: »Ich bin neu gierig. Es ist eine einzigartige Chance für einen Zauberwirker, und meine hart umkämpfte Position in Menzoberranzan hängt von der noch härter umkämpften Position meines Vorgesetz ten ab, der vom Matriarchat abhängt, was seine Macht betrifft – seine politische Macht zumindest.« Valas nickte, und Pharaun wies auf den Riß in der Mauer der Spinnenfestung. »Nach dir?« sagte Pharaun. Valas Hune ging hinter ihm her, aber sein Widerstreben war an jedem erzwungenen Schritt klar zu sehen.
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Halisstra konnte sich nicht bewegen. Sie hing im Äther und weinte, stützte ihren Kopf in die Hände und wehrte sowohl Uluyara als auch Feliane ab, die sie zu trösten versuchten. Sie hörte, wie sie eine Beruhigung nach der anderen wiederholten, und konnte fühlen, wie sie sie berührten, sie umarmten, ihr die Tränen wegwischten, aber das alles spielte keine Rolle für sie. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, und etwas war nicht in Ordnung mit ihr. Wir haben dich zu früh hergebracht, ertönte eine Stimme in ihrem Kopf. Es war eine weibliche Stimme, die leise war, aber einen festen Klang besaß. Tut mir leid. Halisstra blinzelte, bis ihre Augen offen waren, und sah sich um, um herauszufinden, wo die Stimme herkam. Uluyara und Feliane hatten sich ein Stück von ihr entfernt – es wären eini ge Schritte gewesen, wenn sie auf festem Boden gestanden hätten –, und beide starrten mit offenen Mündern eine Er scheinung an, die gerade innerhalb von Halisstras Reichweite vor ihr schwebte. Es war der Geist einer Drow-Frau, prächtig anzusehen in einer Robe aus fließender Seide, der jegliche Farbe fehlte. Ein Wind, den Halisstra nicht spürte, ließ aus ihrem langen weißen Haar einen Heiligenschein um ihren Kopf entstehen und ihre Robe hinter ihr flattern. »Seyll«, flüsterte Halisstra, und der Name wollte ihr fast nicht über die Lippen dringen. Die Gestalt, die Halisstra direkt in die Augen sah, nickte, und erneut erklang die Stimme in ihrem Kopf. Eilistraee hat unseren Schwestern aus der Unterwelt viele Geschenke zu bieten. Leider ist auch Schmerz eines davon. »Ihr könnt es behalten«, schoß Halisstra zurück, und Ärger stieg in ihr auf, ersetzte die vernichtende Reue, die die körper
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lose Seele Ryld Argiths in ihr hinterlassen hatte. Feliane und Uluyara reagierten verwirrt auf ihre Antwort, und Halisstra wurde klar, daß sie Seyll nicht hörten. Ich weiß, antwortete die tote Priesterin. Glaube mir, ich weiß, wie es sich anfühlt, all diese Emotionen auf einmal und zum ersten Mal zu erleben. Dein Geist wurde gedrillt, sie nicht zu be achten, aber sie waren schon immer da und warteten darauf, daß du sie fandest und befreitest. Freiheit ist nicht immer einfach. Du hast dich auf eine lange Reise in dein Inneres begeben, zu einem Ort, an dem die emotionalen Auswirkungen schmerzhafter sein mögen, aber die Belohnung größer sein wird, als du es dir jemals hättest vorstellen können. Das ist mir egal, erwiderte Halisstra gedanklich. Ich will es nicht. Ich würde in diesem Moment ins Unterreich zurückkehren, wenn ich könnte. Würdest du das wirklich tun? Ohne Zögern, schwor Halisstra. Dort wußte ich, wenn ich ma nipuliert wurde, und kannte die Ziele, um derentwillen ich bedrängt wurde. Dort war ich eine Priesterin und Adlige. Was bist du hier? fragte Seyll. Was bist du nun? Eine Assassinin, antwortete Halisstra. Ich bin eine Assassinin im Dienste Eilistraees. Was, glaubst du, ist der Unterschied zwischen einer Assassinin und einer Befreierin? Befreierin? fragte Halisstra. Wenn du Lolth tötest, sagte Seyll, und du wirst sie töten, wirst du Tausende befreien ... sogar Millionen. Was sie zu einem Leben der Verzweiflung und Reue verdammt? Und der Liebe, der Zufriedenheit, des Vertrauens und des Glücks, erwiderte Seyll. Halisstra hielt inne, um darüber nachzudenken, aber ihr Kopf war leer. Ihre Augen brannten, ihr Kiefer schmerzte, und
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sie fühlte sich schwer – so schwer, daß sie tatsächlich in dem schwerelosen Äther der Astralebene zu sinken begann. Feliane und Uluyara tauchten zu beiden Seiten auf und hielten sie sanft an den Armen fest. Halisstra sah weder sie noch Seylls Geist an. Statt dessen ließ sie den Blick die lange Kolonne schweigender Seelen auf und ab wandern. Die Toten kehrten zu Lolth zurück. Nichts, was sie befürchtet hatte, war geschehen. »Ich könnte zurückkehren«, sagte Halisstra. Sie spürte, wie sich sowohl Feliane als auch Uluyara ver steiften. Von Seyll empfing sie eine Woge der Enttäuschung, gepaart mit Furcht. »Wenn sie dich noch duldete«, flüsterte Feliane. Das ließ Halisstra innehalten. Hatte sie den Punkt, an dem keine Rückkehr mehr möglich war, bereits überschritten, so daß Lolth sie zurückweisen oder noch schlimmer sie für die Häresien, die sie bereits begangen hatte, bestrafen würde? Würde Eilistraee sie verlassen, wenn sie eine Rückkehr zu Lolth auch nur in Betracht zöge? Würde es ihr gelingen, ein gottloses Leben nach dem Tode, das sie aufgrund ihrer eigenen Unentschlossenheit führen müßte, zu bewältigen? Nein, flüsterte Seyll in ihrem Kopf. Offensichtlich hatte sie ihre Gedanken gespürt. Eilistraee versteht Zweifel und Schwäche und verzeiht beides. »Verstehst du«, fragte Feliane, »was Seyll aufgab, indem sie hierherkam?« Halisstra schüttelte den Kopf im Versuch, die Worte der El fe sanft abzuschütteln. »Sie hat Arvandor verlassen, um hierherzukommen«, fuhr Feliane fort. »Seyll hat sich selbst zu einer Ewigkeit in der wilden Astralebene verdammt, und sie hat es für dich getan.« »Wirklich?« fragte Halisstra, die Seylls Geist beäugte, der in
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der Luft schwebte und sie anstarrte. »Oder hat sie es für Ei listraee getan? Ist sie von selbst gekommen, oder wurde sie von einer Göttin geschickt, die den Verlust ihrer Assassinin be fürchtet?« Ja, sagte Seyll. Ja zu all dem. 1eh bin von selbst hierhergekom men, für Eilistraee, um dich vor Lolth zu beschützen, um dich vor dir selbst zu schützen und um sicherzustellen, daß du tust, was du tun mußt. »Warum?« fragte Halisstra. »Warum jetzt?«
Weil etwas geschehen wird, antwortete Seyll.
»Etwas wird geschehen«, wiederholte Uluyara.
Gerade jetzt, fragte Seyll, genau in diesem Moment, möchtest
du da zu Lolth zurückkehren? Wenn sie dich jetzt mit ihrer »Gna de« überschüttete, würdest du es annehmen, sie annehmen und Eilistraee den Rücken kehren? »Ich weiß nicht«, antwortete Halisstra. Du mußt dich entscheiden, sagte Seyll, und zwar jetzt. Die Erscheinung wies auf die lange Reihe von körperlosen Seelen hinter ihr. Etwas war anders, und Halisstra brauchte einige Sekunden, um zu bemerken, was geschah. Die Reihe der Seelen verschwand in der grauen Ferne, die kilometerweit fort hätte sein können. Die farblosen Geister veränderten sich der Reihe nach, als durchfließe eine Welle sie. Farbe und Leben, sogar Substanz kehrten der Reihe nach zu jeder Seele zurück, aber nur für einen kurzen Moment, dann ging der Effekt auf den nächsten oder die nächste Drow in der Reihe über. Wäh rend die Farbe sie überkam und wieder verließ, krümmten sie sich und drehten sich in der Luft, mehr aus Freude als aus Schmerz. Die Welle kam näher und ließ die Reihe der Drow zerstreut hinter sich zurück. »Sie ist wieder da«, flüsterte Halisstra. Seyll näherte sich ihr noch mehr und schlang ihren geister
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haften Leib um Halisstra, die sich versteifte, aber die Erschei nung nicht wegstieß. Sie ist zurück, flüsterte Seyll in ihrem Kopf. Bald wird ihre Macht dich durchströmen. Ich kann dich schützen, aber du mußt es wollen. Du mußt Eilistraee wollen, nicht sie. Nicht Lolth. Bitte. »Bitte«, flüsterte Uluyara. Halisstra schloß die Augen und versuchte, Seylls geisterhaf te Umarmung zu erwidern, aber ihre Arme schlossen sich nur um leere Luft. »Eilistraee«, rief Halisstra mit brechender Stimme, »hilf mir!« Seyll nahm in ihren Armen feste Gestalt an, und Halisstra fühlte, wie der Körper der Priesterin erzitterte. Seyll schrie, und Halisstra hörte es sowohl mit den Ohren als auch in ihrem gequälten Geist. »Seyll«, schrie Uluyara so laut, daß es den Ton purer Ago nie übertönte, die sich Seylls augenblicklich körperlicher Keh le entrang. »Nein ...« Seylls Leib verschwand, und Halisstras Arme umschlangen nur sie selbst. Der Schrei hallte in ihrem Geist nach, überließ aber ihre klingelnden Trommelfelle der Stille der Astralebene. Sie öffnete die Augen und sah Seyll, die im grauen Nichts vor ihr schwebte. Der Leib der Priesterin war verdreht und gebro chen, ihr Gesicht schmerzverzerrt. Sie war durchsichtiger als zuvor und verblaßte rasch. »Seyll ...«, flüsterte Halisstra. Die Priesterin sah ihr ein letztes Mal in die Augen, und ob wohl es ihr beträchtliche Schmerzen zu bereiten schien, lä chelte sie, während sie noch weiter verblaßte und schließlich außer Sicht verschwand. Halisstra fühlte, wie ihr Leib zusammensackte, auch wenn sie gleichzeitig von einer Energie und einem Selbstvertrauen
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erfüllt wurde, wie sie es noch nie zuvor verspürt hatte. »Sie ist weg«, flüsterte Uluyara. »Sie hat nicht nur Arvandor verlassen«, sagte Feliane, ihre Augen vor Entsetzen geweitet. »Sie ließ sich von Lolths Macht durchströmen.« »Um mich zu schützen«, flüsterte Halisstra. »Das hat sie getötet«, sagte Feliane. »Sie hat nicht die Ast ralebene gewählt, sondern das Vergessen.« »Das, was ich selbst am meisten fürchtete«, sagte Halisstra. »Es war das Vergessen, das mich zu Eilistraee zog.« »Sie hat sich geopfert«, sagte Uluyara. »Für mich?« fragte Halisstra. »Ja, und für Eilistraee«, sagte Feliane. In Halisstras Kopf drehte sich alles, aber die Tränen ver schwanden aus ihren Augen, und Blut begann, in ihre müden Muskeln zu fließen. Sie fühlte sich wach, erfrischt, so überwäl tigt sie auch war. »Sie hat sich geopfert«, wiederholte Halisstra, »damit ich ...« »Damit du Eilistraee dienen kannst«, beendete Uluyara den Satz für sie. »Damit du die Mondsichelklinge führen kannst.« Halisstra legte eine Hand auf den Griff der Waffe, die eine Göttin töten konnte, und sagte: »Ich habe gezögert, aber ich hoffe, nicht zu lange.« »Sie ist wach«, warnte Feliane, »oder auferstanden. Sie wird sich wehren.« Halisstra dachte nach. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie Lolth im Kampf gegenüberstand, aber sie konnte es nicht, nicht um alles in der Welt. »Wir werden den Seelen folgen«, sagte Halisstra und be wegte sich in diese Richtung, noch ehe sie den Satz zu Ende gesprochen hatte. Feliane und Uluyara schlossen sich ihr an.
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»Nein«, murmelte Pharaun, »hier lang ...?« Als der Gang sich gabelte, wandte er sich nach links. Er hatte mehrere Erkenntniszauber gewirkt und gab sich alle Mühe, ihnen zu folgen. »Keiner Eurer Zauber zeigt Wirkung«, fragte Quenthel, »oder?« Pharaun machte sich nicht die Mühe, sie anzusehen, son dern ging weiter durch den Gang, in der Hoffnung, er würde auf etwas stoßen, das sie auf die richtige Spur brachte. »Ich erhalte ... widersprüchliche Informationen«, schoß er zurück, »aber zumindest tue ich etwas. Ihr sagtet, Ihr wäret zuvor hiergewesen – warum bringt Ihr uns nicht direkt zu ihr?« Quenthel antwortete nicht, und sie wechselten einen Blick, der als Übereinkunft diente, nicht weiterzuzanken. »Es scheint, als würde unsere Umgebung immer merkwürdi
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ger, je tiefer wir in diese Spinnenfestung kommen«, meinte Danifae. »Am Anfang, als wir hier hereinkamen, existierten nirgends rechte Winkel, aber nun gibt es sie. Sie schienen aufzutau chen, als ich mich gerade daran gewöhnt hatte, ohne sie durch die Gänge zu wandern. Wir haben bisher nichts Lebendiges gesehen, wurden von keinem einzigen Wächter bedrängt, und im Grunde haben wir den Ort völlig zu unserer Verfügung. Was heißt das?« »Daß Lolth wollte, daß wir zu ihr kommen«, antwortete Quenthel, die Danifae einen verächtlichen Blick zuwarf. Pharaun und Valas Hune wechselten einen Blick, der dem jeweils anderen mitteilte, daß sie zu einer ganz anderen Schlußfolgerung gekommen waren. Der Magier hielt in einem Gangstück an, das sich auf deut lich mehr als sechs Meter verbreitert hatte. Die Decke war niedrig, die Dunkelheit angenehm dicht und der Fäulnisgeruch glücklicherweise nicht so überwältigend, wie er es die meiste Zeit gewesen war. Pharaun wirkte einen Zauber und konzent rierte sich auf seine Umgebung, auf der Suche nach Lebenszei chen. Er spürte leblose Stellen, die seine Magie nicht durch dringen konnte – vielleicht waren es Mauern, die mit Blei oder irgendeiner anderen besonders dichten Substanz überzogen waren. Dennoch registrierte Pharaun an den äußersten Rän dern der Grenzen seines Wahrnehmungsvermögens Lebenszei chen. »Nur ein leichter Wellenschlag«, flüsterte er, »aber es ist da.« »Was?« fragte Quenthel. »Was ist da?« Der Magier öffnete die Augen und lächelte. »Es gibt doch etwas Lebendiges hier bei uns«, sagte er, »a ber das Lebenszeichen ist seltsam – unklar und fern, als ob das
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Wesen sich entweder weit weg befindet, kaum noch lebt, in Magie gehüllt ist, die es vor Erkenntniszauberei schützt, oder vielleicht trifft auch irgendeine Kombination dieser Dinge zu. Ich kann kein ... Herrin?« Quenthel fiel auf die Knie, und Pharaun wich zurück. Es lag eine Spannung in der Luft, und die Haut des Meisters Sorceres prickelte, aber was auch immer es war, was hier geschah, es hatte eine weitaus tiefgreifendere Wirkung auf die beiden Frauen. Quenthel fiel auf alle Viere, so daß ihr Gesicht gefährlich nahe davor war, auf den kalten, verrosteten Stahl der zerstör ten Spinnenfestung zu krachen. Ihre Muskeln zuckten und krampften, und ihr Gesicht war verzerrt, entweder aufgrund unerträglicher Leiden oder in irgendeiner Art von wildem Vergnügen – Pharaun konnte nicht erkennen, welche von beiden Möglichkeiten zutraf. Danifae fiel ebenfalls hin, aber ihr Gesicht war nach oben gewandt. Ihr Rücken bog sich durch, und bald berührte sie den Boden nur noch mit einer winzigen Stelle ihres Hinterkopfes und den Zehenspitzen. Pharaun konnte nicht umhin, die Run dungen ihres Körpers zu bewundern, so verunstaltet er durch die gleichen kleinen Verletzungen – Schnitte, Abschürfungen, Striemen und Prellungen – auch war, die sich bei ihnen allen auf der Reise angesammelt hatten. Pharaun war nicht sicher, ob er nicht nur das sah, was er sehen wollte, aber er empfand Danifaes Gesichtsausdruck als eine Miene des völligen Ver gnügens, der vollkommenen körperlichen Hingabe. Als nächstes stürzte Jeggred zu Boden. Der Draegloth fiel auf ein Knie, und seine drei übriggebliebenen Hände griffen blind nach den Wänden. Er brachte einer Trennwand aus Stahl gezackte Risse bei. Brauner Staub bedeckte sein Fell und hafte te in Klumpen daran fest, bis es aussah, als verroste der Halb
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dämon ebenso wie die Spinnenfestung. Jeggred schrie so laut, daß Pharaun die Hände gegen die Ohren pressen mußte. Als der Schrei des Draegloth verstummte und zu einem Keuchen – einem verzweifelten Luftschnappen – wurde, sah Pharaun Valas an. Der Späher schien vollkommen unberührt, und Pharaun selbst spürte auch kein brennendes Verlangen, sich auf dem Boden zu winden. »Was auch immer es ist«, sagte Pharaun zu dem Späher, »es hat wohl nur Auswirkungen auf ...« Zuerst wollte er »auf die Frauen« sagen, aber dann wurde ihm klar, daß es Auswirkungen auf die Priesterinnen und das Wesen unter ihnen hatte, das eine Ausgeburt von Lolths ei gentümlicher Hölle war. Es endete so abrupt, wie es begonnen hatte. Jeggred, der von der plötzlichen Verzückung am wenigsten betroffen war, stand als erster auf und begann, sich abzuklop fen. Pharaun wurde nicht schlau aus seinem Gesichtsausdruck – aus dem schon normalerweise immer schwer zu lesen war. »Was war das?« fragte Pharaun, aber der Draegloth ignorier te ihn. »Jeggred?« Quenthel richtet sich auf, so daß sie in gehockter Haltung dasaß, und hielt ihre Hände vor ihr Gesicht. Ihr Blick huschte über ihre mit Rost bedeckten Hände, als suche sie etwas. Danifae brauchte länger, um sich zu erholen, sie rollte sich auf dem harten, rostigen Boden in einer Fötusposition zusam men und gab einen Ton von sich, von dem Pharaun zuerst dachte, es sei Weinen. »Herrin?« fragte Valas, der sich hinhockte, um auf Augen höhe mit Quenthel zu kommen, aber er trat nicht näher an sie heran, sondern behielt das halbe Dutzend Schritte Abstand bei, das sie trennte. Quenthel schwieg und ließ nicht erkennen, ob sie Valas ge
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hört hatte. Pharaun machte sich nicht die Mühe zu fragen, was passiert war. Er verstand allmählich, was er soeben erlebt hat te. Quenthel begann zu sprechen. Zuerst bewegte sie die Lippen völlig stumm, danach flüsterte sie so leise, daß man sie kaum hören konnte, und dann sang sie in einer uralten Sprache, die nicht einmal Pharaun erkannte, eine Litanei. Sie fuhr ungefähr eine Minute fort, dann hielt sie inne. Pharauns Blick glitt über ihren Körper, und er sah, wie all die Schnitte und Prellungen, Kratzer und Striemen verschwanden und ihre Haut in einem perfekten, beinahe leuchtenden Schwarz zurückließen. Sie schien sogar einen Teil des Ge wichts, das sie verloren hatte, zurückzugewinnen. Ihr Haar erschien sauberer, weicher, und selbst ihr Piwafwi und ihre Rüstung erstrahlten in neuem Glanz. Quenthel stand auf und blickte zu Danifae hinunter, die nun nicht mehr zusammengerollt dalag, sondern saß, den Rü cken gegen die Wand gelehnt. Sie lächelte, während sie ihrer seits ein Gebet sprach, das ihre Schnittwunden heilen und ihre Prellungen verschwinden ließ sowie ihren großen, ausdrucks vollen Augen erneut ein Glitzern verlieh. Eine Träne bahnte sich von einer ihrer perfekten Ebenholzwangen ihren Weg nach unten, und sie machte sich nicht die Mühe, sie abzuwi schen. Pharaun blickte wieder zur Herrin Arach-Tiniliths, die in der Finsternis der Spinnenfestung selbstsicher und still da stand. Sie schien zu glühen. Ihre Augen waren geschlossen, und ihre Lippen bebten. Mit einer flüssigen, anmutigen Bewegung erhob sich Dani fae, und ihre vollkommenen weißen Zähne glänzten in der Düsternis, als sie von einem Ohr zum anderen strahlte. Pha
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raun merkte, daß er das Lächeln erwiderte. Jeggred sank vor Danifae und Quenthel auf die Knie. Der Draegloth keuchte. »Sie leben, und sie sind hier«, flüsterte Quenthel. Sie sah Pharaun an und sagte, nun etwas deutlicher: »Sie befinden sich hinter Mauern, die sie gegen Eure Zauber abschirmen, und sie sind gegen die meisten Erkenntniszauber geschützt, aber sie sind hier.« »Wer?« fragte Valas. »Ich spüre sie auch«, sagte Danifae. Sie legte eine Hand auf Jeggreds Mähne und strich sie geistesabwesend zurecht. »Ich könnte sie finden. Ich glaube, sie warten auf uns.« »Wartet«, sagte Pharaun und trat näher an Danifae heran – bis ein wildes Knurren Jeggreds ihn aufhielt. Die junge Prieste rin tätschelte dem Halbdämon den Kopf, und er beruhigte sich wieder. »Ist das, was ich denke, geschehen? Ist sie ...?« »Lolth ist zurückgekehrt«, sagte Quenthel. »Ja«, stimmte Danifae zu. Sie sah aus, als wolle sie noch mehr sagen. »Gibt es noch etwas?« fragte Pharaun. »War es das? Ist un sere Reise vorbei?« »Herrin?« fragte Jeggred, der Danifae direkt in die Augen sah. »Was sagte die Stimme? Ich konnte es nicht ganz ... sie war zu weit entfernt, um zu ...« Danifae ließ ihre Finger durch sein Fell gleiten und antwor tete: »Sie sagte ...« »Yor’thae«, beendete Quenthel den Satz für sie. »Yor’thae ...«, flüsterte Danifae. »Hochdrow?« fragte Valas, womit er die Sprache korrekt erkannte. »Es heißt ›die Auserwählte‹«, erklärte Pharaun. »Die Auserwählte ...«, flüsterte Quenthel und schüttelte den Kopf.
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Zur gleichen Zeit formte Danifae mit den Lippen stumm das Wort »Yor’thae«. Quenthel zog mit ihrem Blick Pharauns Aufmerksamkeit auf sich und sagte: »Unsere Reise ist weit davon entfernt, vor bei zu sein, Meister Sorceres. Lolth ist nicht nur zurückgekehrt, sie hat mich auch gebeten, zu ihr zu kommen, mich eingela den, ihr auserwähltes Werkzeug zu sein. Das ist der Grund, warum sie mich vor all diesen Jahren zurückgeschickt hat. Deshalb brachte sie mich aus dem Abyss zurück nach Menzo berranzan. Es war so bestimmt, daß ich jetzt hierherkommen und ihre ... und Yor’thae sein sollte.«
Tief im Herzen des ersten Hauses, in einem Raum, der vor allem geschützt war, das es wert war, einen Raum davor zu schützen, beobachtete Triel Baenre, wie ihr Bruder um Men zoberranzan kämpfte. Er war dabei zu verlieren. Sie konnte sehen, was auf dem Basar geschah, jede Einzel heit, und zwar durch einen magischen Spiegel, eine Kristallku gel, ein Ausspähungsbecken und ein halbes Dutzend anderer, ähnlicher Objekte. Die meisten davon hatte Gromph selbst erschaffen. Sie schritt auf dem polierten Marmorboden auf und ab und sah Szene um Szene aus verschiedenen Perspektiven zu, wie der verwandelte Drowleichnam das Herz ihrer Stadt übel zurichtete. Wilara Baenre stand in einer Ecke, ihre Augen wanderten von einem Ausspähungsgerät zum nächsten. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt, und ihre Finger trommelten vor kaum gezügelter Frustration gegen ihre Schultern. »Gromph wird siegen«, sagte Wilara nicht zum ersten Mal an diesem Tag.
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»Tatsächlich?« fragte Triel Baenre. Es war das erste Mal, daß sie auf eine von Wilaras leeren Be teuerungen antwortete, und das überraschte die Priesterin. »Natürlich«, antwortete Wilara. Triel wartete, daß sie fortfuhr, aber es wurde klar, daß Wila ra weiter nichts zu sagen hatte. »Ich bin mir nicht ganz sicher, daß dies ein Kampf ist, den er gewinnen kann«, sagte Triel ebensosehr zu sich selbst wie zu Wilara. »Wenn dies für uns alle eine Prüfung sein soll und das hier Gromphs Prüfung ist, dann wird er alleine bestehen oder durchfallen. Wenn er durchfällt, verdient er es zu sterben.« »Gibt es nichts, was wir tun können, um ihm zu helfen?« fragte Wilara. Triel zuckte die Achseln. »Es gibt noch Soldaten und andere Magier«, fuhr die Pries terin fort. »Die alle anderswo gebraucht werden. Die Duergar bedrän gen uns noch immer, auch wenn die Tanarukks den Kampf nicht weiterführen«, sagte Triel. »Die Belagerung Agrach Dyrrs geht unablässig weiter ... aber ja, es gibt immer noch mehr Soldaten, immer noch mehr Magier, und da gibt es auch Bre gan D’aerthe und andere Söldner. Wenn der Drowleichnam Gromph tötet, werde ich ihn gewiß nicht im Rest von Menzo berranzan wüten lassen, damit er unsere Bürgerinnen und Bürger in Stein verwandelt und die Gebäude zerschmettert.« »Warum setzt Ihr die Truppen nicht schon jetzt ein?« Triel zuckte erneut die Achseln und dachte darüber nach. Sie hatte keine Antwort. »Ich weiß nicht«, meinte Triel schließlich. »Vielleicht war te ich auf ein Zeichen ...« Sie war zurück. Triel fiel zu Boden, ihr Leib wurde schlaff, in ihrem Kopf
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drehte sich alles, ihr Geist explodierte in einer Kakophonie von Klang und Schatten, Stimmen und Schreien. Tränen stiegen in ihren Augen auf, so daß sie kaum sehen konnte, daß Wilara in einer ähnlich verwirrten, zuckenden, kraftlosen Verfassung auf der anderen Seite des Raumes lag. Die Muttermatrone des Hauses Baenre fühlte jede Emotion, die sie je gekannt hatte, zur gleichen Zeit und auf die deut lichste und intensivste Weise, die überhaupt möglich war. Sie haßte und liebte, fürchtete und wertschätzte, lachte und wein te. Sie erlebte die endlose Weite des grenzenlosen Multiver sums und sah jede Einzelheit des kleinen Teils des Marmorbo dens, der sich direkt vor ihren Augen befand, kristallklar. Sie war in ihrer Ausspähungskammer und im Abgrund der Dämo nennetze, im Mutterleib und auf dem schwelenden Basar, im tiefsten Unterreich, und sie flog durch den grellen Himmel der Oberflächenwelt. Sie holte tief Luft, und ein Gefühl nach dem anderen fiel als Schicht von Verwirrung und Wahnsinn von ihr ab. Teile ihres Geistes begannen, wieder zu funktionieren, und dann auch Teile ihres Körpers. Es dauerte einige Minuten oder Jahre – Triel war sich nicht sicher, wie lange – bis sie begriff, was geschehen war, und sich Klarheit über das Gefühl verschaffte, das ihr ihr ganzes Leben lang so vertraut gewesen war, ver schwunden und nun zurückgekehrt war. Lolth. Es war die launische Gnade der Königin des Abgrunds der Dämonennetze. Triel versuchte zunächst nicht aufzustehen, sondern blieb liegen und streckte sich, aalte sich in dem Sog der Macht, frohlockte über Lolths Rückkehr.
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Gromph kannte so viele Arten, jemanden zu töten, daß er mehr davon vergessen hatte, als die meisten Drow je kannten. Es gab Zauber, die mit einer Berührung, mit einem Wort, mit einem Gedanken töten konnten, und Gromph durchsuchte sein Gedächtnis nach genau dem richtigen, während er davon lief, um dem tobenden Giganten sowohl auszuweichen als ihn auch innerhalb der Grenzen des zerstörten Basars zu halten. Er trug den Schädelsaphir, der ihm noch mehr Möglichkei ten eröffnete und Schutz gegen negative Energie bot – wie etwa Nimors enervierenden Atem. In seinem Gedächtnis hatte er noch einiges mehr gespeichert, und Gromph ent schied sich rechtzeitig für einen Zauber, mit einiger Hilfe durch Nauzhror und dem kleinen Kreis von SorcereNekromanten. Der Erzmagier sammelte die Gewebe-Energie in seinem Inneren und rief sich die Worte und Gesten des Zau bers ins Gedächtnis. Allerdings würde der Erzmagier, um einen Zauber – und es war in der Tat ein mächtiger Zauber – wirken zu können, anhalten müssen. Es war nicht das erste Mal, daß es im Kampf mit Dyrr auf die Wahl des richtigen Zeitpunktes ankam. Ob er wohl genug Zeit hätte, den Zauber zu wirken, bevor der Gigant sich über ihn hinwegwälzte? Wir können Euch helfen, den richtigen Moment auszuwählen, sagte Nauzhror. Ich weiß, antwortete Gromph, aber da gibt es immer ... Vari ablen. Der Erzmagier hielt an, drehte sich um und begann seinen Zauber. Der Gigant sah auf ihn herab und tauchte Gromph in das Licht seiner irrsinnigen blauen Augen. Gromph war sicher, daß er genügend Zeit hatte. Die belebten, versteinerten Drow waren zu weit weg und bewegten sich zu langsam, um ihm
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Sorgen zu bereiten, und der Gigant hatte mit seinem Schwanz wahllos auf dem Basar gewütet, so als besäße Dyrr nur wenig Kontrolle über seinen neuen Körper. Gromph vertraute darauf. Er irrte. Nur noch wenige auslösende Worte fehlten, um den Zauber zu vervollständigen, da wälzte sich der riesige schwarze Schwanz des Obsidianriesen über ihn hinweg. Gromph spürte, wie ihm die Worte im Halse steckenblieben und seine Gelen ke erstarrten, dann nichts mehr.
Triel stand auf und sah von Ausspähungsgerät zu Ausspä hungsgerät, versuchte herauszufinden, was sie da hörte. Die magisch übermittelten Stimmen von hundert Magiern, Pries terinnen und Kriegern erfüllten die Atmosphäre, in einem inkohärenten Durcheinander von Verwirrung und unverhüll ter Glückseligkeit. Die Türen der Ausspähungskammer spran gen auf, und eine Priesterin, die Triel zwar erkannte, aber an deren Namen sie sich im Augenblick nicht erinnern konnte, taumelte in den Raum. Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihr Mund mühte sich in stummen, unzusammenhängen den Versuchen in Worte zu fassen, was sie, Triel, Wilara und jede andere Dienerin der Königin über den Abgrund der Dä monennetze erlebt hatten. Die Aufmerksamkeit der Muttermatrone richtete sich auf ein Bild: Gromph. Er war versteinert. Er hatte verloren. Der Drowleichnam hatte in seiner sonderbaren Monstergestalt den Erzmagier Menzoberranzans in Stein verwandelt. Triel spürte, wie sich ihre Kiefernmuskeln verspannten. Sie stand einen Moment lang nur da und ließ den Ärger in sich aufsteigen. »Ist das ein Zeichen?« fragte sie Lolth.
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Lolth antwortete nicht, aber Triel wußte, daß sie es gekonnt hätte, wenn sie gewollt hätte. »Es ist ein Zeichen«, flüsterte Triel. Sie preßte die Fingerspitzen zusammen, neigte den Hals ein wenig und brachte sich selbst kraft ihres Willens zum Basar. Sie verspürte einen Augenblick lang eine seltsame Schwerelo sigkeit, eine schwarze Leere, und dann stand sie in einem tie fen Riß in dem Steinboden auf dem Marktplatz der Stadt. Der Obsidianriese ragte über ihr auf. Offenbar hatte er gespürt, wie sie sich durch die Dimensionen vom Haus Baenre zum Basar bewegt hatte. Das Wesen öffnete den Mund, um sie anzubrül len, aber Triel sprach einige Worte, und es erstarrte. Der riesi ge, hin- und herpeitschende Schwanz hielt abrupt inne. Es war, als lege die Zeit selbst für einen Moment eine Pause ein. Noch immer stieg überall um sie herum Rauch auf, und die belebten Stein-Drow schleppten sich noch immer dahin. »Das hat lange genug gedauert«, meinte Triel, »dies alles. Ich werde keine toten Drow mehr dulden, keine weitere Zer störung in meiner Stadt mehr, keine weiteren Kampfansagen an meine Macht oder die Macht von Lolth.« Triel bezweifelte, daß der Drowleichnam sie verstand. Er schien von seiner angenommenen Gestalt konsumiert worden zu sein, aber sie teilte es denen mit, von denen sie wußte, daß sie mithörten, angefangen mit dem Haus Baenre, ArachTinilith und Sorcere und vielleicht über die Stadt hinaus bis hin zu den Kommandozelten ihrer Feinde. Sie rief Lolth direkt an, flehte die zurückgekehrte Göttin um ihren mächtigsten Zauber an und bat um ein Wunder. Lolth antwortete nicht mit einer Drow-Stimme, wie sie es in der Vergangenheit getan hatte. Es gab keine Worte, nur ein Gefühl, eine Aufwallung der Macht, ein Blutandrang in den Ohren der Muttermatrone.
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Triel sank inmitten einer Ansammlung von grobem Kies und zerbrochenem Glas auf die Knie und preßte die Stirn ge gen den kühlen Boden. Sie drückte ihre Wünsche nicht mit Worten aus. Das war unnötig. Was sie bewirkte, war eine Wo ge der Emotionen, der Gefühle, der Furcht. Der Schrecken Lolths selbst wurde in alle Richtungen auf einmal projiziert, in einem sich ausweitenden Kreis der Furcht, mit Triel in seinem Mittelpunkt. Überall in der Stadt der Spinnen blieben Drow stehen, fielen auf die Knie oder auf den Bauch. Einige lehnten sich an Mauern oder brachen auf Trep pen zusammen, aber sie alle empfanden die reinste Furcht, die Furcht vor einer Göttin, der Furcht vor dem Ewigen, die Furcht vor dem Chaos, die Furcht vor der Dunkelheit, vor dem Unbekannten, vor dem Sicheren, vor Verrat und tausend anderen Schrecken, die die Stadt völlig zum Erliegen brachten. Der Obsidianriese zitterte und barst. Triel, die noch unter ihm kniete, wich den herabfallenden schwarzen Felsblöcken nicht aus, den Teilen des riesigen Konstrukts, die verschwan den, noch ehe sie den Boden berührten. Innerhalb von Se kunden war alles, was von der tobenden Kreatur noch übrig war, der Drowleichnam, der betäubt und benommen einige Schritte vor Triel auf dem zerbröckelnden Boden des Basars kniete. Die belebten Statuen hörten auf, sich zu bewegen, und standen wie angewurzelt da. Die Welle der Furcht bewegte sich weiter, über die Mauern der Stadthöhle hinaus und in die überfüllten Zugänge zum Unterreich. Sie durchlief die Linien der Duergar, überkam die sich zurückziehenden Tanarukks und überraschte die verstreu ten Illithiden-Spione. Sie wirkte sich auf alle von ihnen unter schiedlich aus, aber niemand blieb verschont. Nachdem das geschehen war – und es dauerte nicht lange –, war es nirgends mehr eine Frage, daß Lolth zurückgekehrt war.
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Triel stand auf und begutachtete den Schaden. Sie blickte auf Dyrr hinab und wußte, daß sie einfach zu ihm hinüberge hen und ihn mit einem bloßen Gedanken – oder zumindest einer Dolchklinge, die sie ihm über die untote Kehle zog – töten konnte, aber sie tat es nicht. Den Drowleichnam zu töten war die Aufgabe von jemand anderem. Triel trat zu der starren, erstarrten Gestalt ihres Bruders. Der Ausdruck, der ihm auf dem Gesicht erstarrt war, war eine ärgerliche Miene. Triel lächelte. »Ach, Gromph«, sagte sie. »Es ist dir schließlich doch nicht alleine gelungen. Deine Macht hat Grenzen, ebenso wie meine Macht Grenzen hat, aber gemeinsam ...« Triel umarmte die versteinerte Gestalt ihres Bruders, sie schlang die Arme um seinen Rücken, während sie flüsternd zu Lolth betete. Zuerst kam die Wärme, dann die Weichheit, dann ein A temzug, dann eine Bewegung, und Gromph knickte in den Knien ein. Triel hielt ihn aufrecht, und er umfaßte ihre Taille, sein Kopf hing auf ihrer Schulter, während er mehrmals stoß weise atmete. Als er wieder stehen konnte, ließ Triel ihn los und trat zurück. Ihre Blicke trafen einander, und Gromph öffnete den Mund, um zu sprechen. »Nein«, sagte Triel. Sie warf einen Blick auf Dyrr, der sich schnell erholte, und der Blick ihres Bruders folgte dem ihren. »Beende, was du begonnen hast.« Er öffnete erneut den Mund, aber Triel wandte ihm den Rücken zu. Sie konnte das Geräusch hören, das seine Füße auf dem losen Kies und Glas machten, und wußte, daß er sich seinem Feind zuwandte. Triel ging.
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Wut, Haß und Erschöpfung strömten zwischen dem Erzmagier und dem Drowleichnam hin und her. Sie waren fertig mitein ander. Beide wollten es nur noch beenden. Sie standen Auge in Auge ein Dutzend Schritte voneinander entfernt. Dyrr begann, einen Zauber zu wirken, und Gromph umgab sich mit einer weiteren Kugel. Gromph begann ebenfalls, einen Zauber zu wirken, und der Drowleichnam war weiter mit dem seinen beschäftigt. Er wirk te einen komplizierten Zauber. Er war fest entschlossen, ein Ende zu machen. Ehe Gromph seinen Zauber – der den verwundeten Drow leichnam noch ein weiteres Mal verbrennen sollte – zum Abschluß bringen konnte, flüsterte Dyrr etwas, das der Erzma gier nicht ganz verstehen konnte, und der Zauber zeigte Wir kung. Der Schädelsaphir brannte glühend heiß an Gromphs
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Stirn, und er griff danach, um ihn loszuwerden – aber er zerfiel, ehe er ihn berühren konnte. Der Staub, der über das Gesicht des Erzmagiers rieselte, war von einem matten Grau und machtlos. Es würde keinen Schutz durch den Schädelsaphir und keine gespeicherte Nekromantie mehr geben. Gromph wußte, daß ein Wunsch nötig gewesen war, um ihn zu zerstö ren. Da sein eigener Zauber ebenfalls zerstört worden war, rief Gromph sich einen anderen in Erinnerung und sagte: »Alle verwenden heute die großen Zauber, nicht wahr?« Der Drowleichnam ignorierte die Stichelei und begann zur gleichen Zeit wie Gromph, einen Zauber zu wirken. Gromph war zuerst fertig. Es war ein weiterer kleiner Erkenntniszauber, den er verwendet hatte, um einen arkanen Feuerstoß zu er schaffen. Die übernatürlichen Flammen leckten über den Drowleichnam, der die Arme vor seinem Gesicht in die Höhe riß, um sie abzublocken, aber ohne Erfolg. Dyrrs Fleisch ver kohlte und kräuselte sich, und der Drowleichnam torkelte vor Schmerz. Als das Feuer erlosch, schwankte Dyrr. Seine roten Augen traten hervor, seine allgegenwärtige Maske war verbrannt, sein Gesicht vor Haß und Todesqual verzerrt. Gromph spürte, daß Dyrr trotz des arkanen Feuers seinen eigenen Zauber beendet hatte. Kälte durchströmte Gromphs Leib, und er erbebte – dabei war Gromph all das Erbeben, Erschaudern und Erzittern all mählich gründlich leid. Aber der Drowleichnam war noch nicht fertig mit ihm. Er spürte, wie ihm die Wärme, das Leben selbst, entzogen wurden. Er taumelte, und es gelang ihm kaum, sich auf den Beinen zu halten. »Ich werde Euch vollkommen aussaugen, Gromph«, knurrte der Drowleichnam mit krächzender, erschöpfter Stimme. »Ihr
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werdet gemeinsam mit mir, mit meinem Haus und meiner Sache sterben.« Der Drowleichnam begann erneut, einen Zauber zu wirken, und Gromph erkannte die eigentümliche Sprachmelodie und Struktur, die den Zauber als mächtige Nekromantie erkennen ließen. Gromph kannte viele Arten des Tötens, aber er wußte auch, daß Dyrr wahrscheinlich noch mehr kannte. Die Hand des Erzmagiers ergriff seinen Stab fester, und sein Arm zuckte. Ein dumpfer Schmerz und ein harter Druck setz ten sich in seiner Brust fest, und als er Luft zu holen versuchte, gelang es ihm nicht. Schließlich gaben seine Knie nach, und er fiel zu Boden. Gromph versuchte gewaltsam, Luft in seine Lungen zu saugen, aber kaum ein Lufthauch fand seinen Weg in seine Lungen. Schatten begannen an den Rändern seines Sichtfeldes zu verschmelzen, und das in seinen Ohren rau schende Blut ließ ihn ertauben, als sein Körper vergeblich darum kämpfte, sein Gehirn am Leben zu halten. Der Ring war ihm keine Hilfe. Der Drowleichnam verwundete ihn nicht, er tötete ihn, die Seele zuerst. Gromph versuchte, einen Zauber zu sprechen, der ihn mög licherweise retten konnte, aber es gelang ihm nicht. Dyrr trat näher, so daß er über ihm stand. Gromph gelang es kaum, den Kopf zu drehen, um zu dem Drowleichnam, der sich hämisch über seinen Erfolg freute, aufzublicken. Der Erzmagier verfügte über andere Mittel, um zu entkommen, aber es gelang ihm nicht, sich dazu zu bringen, eines davon zu aktivieren. Er spür te, wie Nauzhror und Prath versuchten, ihm in seinem Kopf etwas mitzuteilen, aber er konnte ihre Worte nicht ganz ver stehen. Gromph fürchtete, sein Körper sei bereits tot. Er verstärkte seinen Griff um den Stab, und sein Arm zuck te erneut – der Stab. Gromph zwang sich mit jedem Funken seines Willens, der
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ihm noch geblieben war, die andere Hand unter seinen Körper zu ziehen. Er fühlte, wie seine Finger sich um den Stab schlos sen. »Kämpft dagegen an, Gromph«, knurrte der Drowleichnam ihn an. »Ihr sollt leiden, bevor Ihr sterbt.« »Arroganter ...«, brachte Gromph hustend hervor und war selbst überrascht über seine Fähigkeit zu sprechen, selbst wenn es nur das eine Wort war. »Was war das?« fragte Dyrr, um ihn zu verspotten. »Die letzten Worte Gromph Baenres?« »Nicht ...«, keuchte der Erzmagier. Gromphs Arme spannten sich an, seine Hände fest um den Stab der Macht geschlossen – ein Objekt, das so heißbegehrt war, daß Hunderte gestorben waren, nur um ihn einen einzi gen Tag zu besitzen. »... ganz«, beendete Gromph seinen Satz und zerbrach den Stab. Das uralte Holz brach, weniger als Reaktion auf die Kraft von Gromphs Armen und Händen als auf die seines Willens. Der Stab zerbrach, weil Gromph es wollte. Dyrr hatte noch Zeit, um Luft zu holen, Gromph hatte noch genügend Zeit, um zu lächeln, dann wurde die Welt um sie herum zu einer Flammenhölle aus Feuer, Hitze, Schmerz und Tod. Gromph konnte nicht sehen, wie Dyrr in Stücke ging. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich Sorgen zu machen, daß ihm das gleiche zugestoßen war. Er schloß die Augen, aber das Licht brannte trotzdem noch immer in ihnen. Er fühlte, wie sein Fleisch sich in Stücken löste, brutzelte und verkohlte. Es war so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Gromph holte Luft und lachte trotz heftiger Schmerzen. Der Ring begann, ihn Zelle für Zelle ins Leben zurückzuholen, und er lag da und wartete.
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»Ihr habt es geschafft«, sagte Nauzhror, und es dauerte eini ge laute Herzschläge, bis Gromph klar wurde, daß er die Stim me des Meisters Sorceres mit seinen Ohren und nicht in Ge danken gehört hatte. »Dyrr ist tot.« Gromph hustete und zog sich in eine sitzende Position hoch. Nauzhror hockte sich neben ihn. Der massige Magier begann, die Wunden des Erzmagiers zu untersuchen. »Tot?« fragte Gromph und hustete erneut. »Der Preis war hoch, und das betrifft nicht nur den Stab der Macht«, sagte Nauzhror, »aber er wurde völlig zerstört.« Gromph schüttelte den Kopf, enttäuscht über Nauzhror. Die körperliche Gestalt des Drowleichnams war zersplittert, als die Macht des Stabes sich in einer letzten Explosion entladen hatte, aber ein Drowleichnam war mehr als nur ein Körper. »Tot?« meinte Gromph. »Nicht ganz.«
Nimor trat aus dem Schattensaum und in die Ruinen Ched Nasads. Hoch über ihm thronte ein riesiger Schattendrache, der sich an die Überreste einer Straße aus verkalktem Netz klammerte, ein uralter Wyrm, prachtvoll in dem Schrecken, den er in allen hervorrief, die ihn anblickten. Es war ein Drache, den Nimor sofort erkannte. Es war der Drache, mit dem zu sprechen Nimor gekommen war. Nimor breitete seine eigenen schmerzenden, erschöpften, verwundeten Flügel aus – Flügel, die im Vergleich zu denen des riesigen Schattenwyrms winzig waren – und erhob sich von dem mit Trümmern übersäten Boden der Höhle in die Luft unterhalb des Drachen. Wenn der Wyrm ihn bemerkt hatte, so zeigte er es jedenfalls nicht. Statt dessen fuhr er mit dem fort, was er zuvor getan hatte: Er gab die Anweisungen für das Wegräumen der Trümmer, als Vorbereitung des Wiederauf
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baus Ched Nasads. Es war selbst für den Drachen eine unge heure Aufgabe. Nimor schwebte langsam neben den Drachen und kam auf dem Netzfaden zum Halten, wo er sich respektvoll verneigte. In dieser Stellung verharrte er, bis der Drache ihn wahrnahm. Er stand noch immer gebückt da, als der riesige Schattenwyrm einschrumpfte und die Gestalt eines alternden Drow mit schütterem Haar, aber einem kräftigen, muskulösen Körper annahm, der in feine Seide und Leinen aus allen Winkeln der Welt an der Oberfläche gekleidet war, an denen jede Naht so schwarz war wie das Herz des Assassinen. »Steh auf«, sagte der verwandelte Drache, »und gib acht.« Nimor stellte sich gerade hin, blickte dem Drachen in Ges talt eines Drow in die Augen und sagte: »Ich bin nicht gerade zufrieden mit den Ergebnissen in Menzoberranzan, verehrter Großvater.« Der Drachen-Drow erwiderte Nimors Blick und sah ihn un verwandt an, bis Nimor wegsehen mußte. Der Assassine hörte, wie sich Schritte näherten, drehte sich aber nicht um, um nachzusehen, wer sich näherte. Nimor wußte, wem sie gehör ten. »Nimor«, sagte jemand. »Willkommen in Ched Nasad.« Nimor gab vor, sich in den glimmenden Ruinen umzusehen. »Natürlich«, sagte die Quelle der zweiten Reihe von Schrit ten, »wird es anders aussehen, wenn wir erst einmal fertig sind.« »Ich erinnere mich sehr gut an dein Versprechen«, sagte der verwandelte Drache. »Du auch?« »Natürlich, verehrter Großvater«, antwortete Nimor, den Kopf hoch erhoben und ohne äußerlich ein Anzeichen von Schwäche zu zeigen. Großvaterpatron Mauzzkyl atmete tief durch die Nase ein
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und sagte dann langsam: »Du hast mir versprochen, Menzober ranzan von dem Gestank Lolths zu säubern. Hast du das getan? Ist das der Grund, warum du hier bist?« Nimor nickte nicht, schüttelte nicht den Kopf und seufzte nicht – er tat gar nichts, um es den Vaterpatronen gegenüber so erscheinen zu lassen, als habe er sich irgendeiner Sache schuldig gemacht. Die beiden Vaterpatrone, die sich ihm von hinten genähert hatten, gingen von beiden Seiten um ihn herum und standen nun vor Nimor, so daß sie den, der zuvor ein majestätischer Wyrm gewesen war, flankierten. »Nein«, sagte Nimor. »Ich komme aus der Stadt der Wyrmschatten«, fuhr Großva terpatron Mauzzkyl fort, »um Vaterpatron Zammzt beim Wie deraufbau Ched Nasads zu helfen. Ist das der Grund, warum du gekommen bist? Um bei der Aufräumaktion zu helfen?« »Nein, verehrter Großvater«, antwortete Nimor. »Erzähle Vaterpatron Tomphael und Vaterpatron Zammzt deine Geschichte«, sagte Mauzzkyl in einem kalten, endgülti gen Tonfall. Nimor schloß die Augen und sagte: »Ich werde ...« »Tomphael Rede und Antwort stehen«, erwiderte Mauzz kyl. »Du wirst von diesem Tage an durch Tomphael zu mir sprechen, bis ich einen anderen Befehl erteile.« Nimor hatte keine Zeit zu widersprechen, aber das war ohne hin das letzte, was er wollte. Statt dessen sah er zu und atmete kaum, als Großvaterpatron Mauzzkyl ihm den Rücken zuwand te und sich dann wieder in einen Drachen zurückverwandelte. Der große Wyrm verließ den Rand des zerschmetterten Netzes und verschwand in die Düsterheit der Ruinen. »Sagt mir, warum Ihr gekommen seid«, forderte Tomphael. Nimor blickte Tomphael ins Gesicht, aber er sah keinen Ärger, kein Mitleid, keine Verachtung. Nimor war bei den
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Jazred Chaulssin einfach so im Rang gesunken. »Etwas hat sich verändert«, sagte Nimor. »Lolth ist zurück«, beendete Tomphael den Satz. Nimor nickte und sagte: »Oder sie wird zumindest zurück kehren. Bald. Dyrr hat versagt, und in Menzoberranzan wendet sich das Blatt. Ich dachte, wir hätten mehr Zeit.« »Dyrr ist tot?« fragte Tomphael. Nimor nickte. »Was ist mit dem Cambion?« »Er lebt«, sagte Nimor, »aber er zieht sich zurück. Er hatte eine Spionin im Abyss, die einen seltsamen Bericht lieferte. Ich weiß nicht, was Lolth zugestoßen ist, wo sie war oder wa rum sie verstummt ist, aber es ist ihr gelungen, den Abgrund der Dämonennetze vom Abyss abzutrennen.« Tomphael zog eine Braue in die Höhe, und er wechselte ei nen Blick mit Zammzt. »Also«, sagte Tomphael, »Eure Tanarukks desertieren. Was ist mit den Duergar?« »Horgar lebt, und als ich ihn verließ, war er mitten im Kampf«, sagte Nimor. »Allerdings werden die Duergar keine Chance mehr haben, wenn die Priesterinnen wieder Zwiespra che mit Lolth halten können, und die Tanarukks nach Hause marschieren.« »Menzoberranzan«, sagte Zammzt, »ist die fetteste Beute. Es lag von allen Dingen schon immer am weitesten außerhalb unserer Reichweite. Wir haben in anderen Städten Erfolge erzielt. Lolth war lange genug verschwunden.« »War sie das?« fragte Nimor. »Seht Euch um«, entgegnete Zammzt. »Einst war dies eine Handelsstadt der Drow, die den Priesterinnen gehorchte. Nun ist es eine leere Schiefertafel, und sie wird neu beschrieben, während wir hier miteinander sprechen.«
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»Die anderen Vaterpatrone und ich«, sagte Tomphael, »werden unsere Energien unter Vaterpatron Zammzts professi oneller Anleitung auf dies hier konzentrieren.« »Wie Ihr es schon immer im Sinn hattet?« schloß Nimor. Tomphael antwortete seufzend: »Ich weiß, daß Ihr mich schon immer als Feigling ansaht, aber Ihr hattet unrecht. Nur ein Dummkopf sieht den Unterschied zwischen einem Feigling und einem Pragmatiker nicht.« »Nur die Jungen streben nach Ruhm statt nach Erfolg«, sag te Zammzt. »Ich hätte in Menzoberranzan siegen können«, argumen tierte Nimor. »Vielleicht«, sagte Tomphael. »Wenn Ihr gesiegt hättet, hätte dieses Gespräch einen ganz anderen Klang. Es war Eure Gelegenheit, uns zu überraschen, Nimor, und darin habt Ihr versagt – darin, uns zu überraschen. Unsere Pläne hingen nicht davon ab, daß uns die Stadt der Spinnen auf dem Silbertablett serviert wurde, auch nahm niemand an, daß Lolth von dem Ort, wo auch immer sie war, niemals zurückkehren würde. Wir hatten diese Chance, und wir nahmen alles, was wir nehmen konnten. Es wird keine weiteren Chancen mehr geben.« »Weitere Chancen ...«, wiederholte Nimor, indem er sich die Worte auf der Zunge zergehen ließ. »Ihr könntet wieder Gesalbte Klinge sein, Nimor«, sagte Tomphael. Nimor nickte, verbeugte sich und sagte: »Ich werde in die Stadt der Wyrmschatten zurückkehren ... mit Eurer Erlaubnis, Vaterpatron.« Tomphael nickte, und Nimor drehte sich um und trat in die Schatten.
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Pharaun hatte sich seit langer Zeit nicht mehr so gut gefühlt. Er hatte fast vergessen, wie es sich anfühlte, gesund zu sein. Die Priesterinnen sangen fast ununterbrochen Heilgebete, vielleicht um in der Rückkehr ihrer magischen Fähigkeiten zu schwelgen. Sie beschworen ein Festmahl und sauberes Wasser. Sie heilten jede Wunde und linderten die Schmerzen in den Muskeln. Pharaun streckte sich. Da er sich zu gut fühlte, um sich mit Trance abzugeben, stand er auf und sah Quenthel und Danifae zu, wie sie Jeggred behandelten. Wieder lag es wahrscheinlich daran, daß sie den Zaubern nicht widerstehen konnten, die ihnen so lange verwehrt geblieben waren – jedenfalls arbeite ten die beiden zusammen. Als sie mit untergeschlagenen Bei nen zu beiden Seiten eines nervösen, sich zurücklehnenden Jeggred saßen, spürte Pharaun wiederholt ein Aufblitzen der alten körperlichen Beziehung, die die beiden Priesterinnen vor nicht allzulanger Zeit verbunden hatte. Da gab es zufällige Berührungen, die sich in innige Liebkosungen verwandelten, Blickkontakt aus halbgeschlossenen Augen über die wilde weiße Mähne des Draegloth hinweg und gelegentlich das Spiel einer Zunge über geöffneten Lippen, als die Worte für eine Reihe komplizierter Heilzauber selbst ihre magisch verjüngten Kehlen auf eine harte Probe stellten. Das Ergebnis von alldem war, daß Jeggreds abgeschlagene Hand nachwuchs. Pharaun fand den Anblick, wie das Ding langsam am leblosen Ende des Stumpfes Gestalt annahm, noch faszinierender als den Austausch zwischen den beiden Frauen. Die Hand formte sich schichtweise: Knochen, Sehnen, Mus keln, Blutgefäße, Haut, Fell, Klauen. Als sie ihre Aufgabe beendet hatten, stand Jeggred auf und spannte mit offenem Mund und am ganzen Körper zitternd seine Hand an.
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Die beiden Priesterinnen standen gemeinsam mit ihm auf und trennten sich voneinander, und beim Blick auf die jeweils andere nahmen ihre Augen wieder einen kalten Ausdruck an. Jeggred sah zuerst Danifae an und sagte: »Vielen Dank.« Dann sagte er, an Quenthel gewandt: »Herrin Quenthel ...« Ärger überzog das Gesicht der Hohepriesterin wie Nebel, und sie wandte sich von ihrem Neffen ab und packte ihren Rucksack zusammen. »Wir haben lange genug auf dem Boden herumgerollt«, sag te sie, während sie bereits schnell den Gang hinunterging. »Hier entlang.« Danifae bedeutete Pharaun, er möge vorangehen, und der Magier folgte Quenthel. Valas folgte dem Magier, und Danifae und Jeggred bildeten die Nachhut. Jede Entfernung, jeder Puffer zwischen den Priesterinnen war nur gut, und Pharaun war froh, diesen bilden zu können, solange sie weitergingen. Den Meister Sorceres überwältigte die Neugierde beinahe. Quenthel führte sie mit sicherem Schritt und einem sol chen Selbstvertrauen an, daß keiner der anderen ihr je wider sprach oder sie kritisierte. Sie gingen von einem Gang in den nächsten, liefen durch Räume und manchmal durch Türen, die Jeggred mit Gewalt öffnen mußte. Die ganze Zeit behielt das Innere der Spinnenfestung seine kalte, finstere, tote, verrostete Atmosphäre bei. Auch wenn Lolths Macht definitiv zu den beiden Priesterinnen zurückgekehrt war, war diese Konstrukti on so leblos wie eh und je, und Pharaun hatte den nachhalti gen Eindruck, daß die Macht jedenfalls nicht von der sechs undsechzigsten Ebene des Abyss kam. Als sie am Ende eines der Gänge ein Licht sahen, hielten sie alle an und drückten sich eng an die Wände, um sich in den Schatten zu verbergen. Während er die Zauber durchging, die ihm zur Verfügung standen und seine Finger um einen
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Zauberstab schloß, der Blitze durch die Luft schleudern konn te, verschaffte sich der Meister Sorceres einen Überblick über die restliche Expedition. Quenthel und Danifae blickten mit hoffnungsvollem, aufgeregtem Gesichtsausdruck ans Ende des Ganges, Jeggred sah Danifae auf die gleiche Weise an. Valas Hune war nirgends zu sehen – wie es bei dem Späher übli cherweise der Fall war. »Was ist das?« fragte Jeggred so leise, wie es ihm nur mög lich war. Pharaun sprach eine Vermutung aus: »Ein Tor.« »Dahin müssen wir«, sagte Quenthel. »Sie hat recht«, sagte Danifae. »Nun«, erwiderte Pharaun, »dann sollten wir weitergehen. Sollten wir darauf vorbereitet sein, uns den Weg freizukämp fen?« Quenthel trat von der Wand fort und begann, den Rücken selbstbewußt durchgestreckt, schnell auf das seltsame violette Leuchten zuzugehen. Pharaun zuckte die Achseln und folgte ihr, noch immer mit dem Zauberstab in einer Hand und der Liste seiner Zauber sprüche im Kopf. Die Hohepriesterin hatte seine Frage in kei ner Weise beantwortet. Als sie das Ende des Ganges erreichten, rieten Pharauns In stinkte ihm, sich langsamer und vorsichtiger fortzubewegen – aber andererseits hatte er sich daran gewöhnt, der Führung der höchstrangigen anwesenden Priesterin zu folgen. Also folgte er Quenthel in den Raum am Ende des Ganges, mit Zweifel im Sinn, aber nicht in seinen Schritten. Der Gang führte in einen riesigen runden Raum mit hoher Decke und Wänden aus dem gleichen verrosteten Stahl, aus dem auch der Rest der Spinnenfestung bestand. Im Zentrum des ansonsten leeren Raumes gab es einen Kreis, der aussah, als
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sei er aus gezackten, verrosteten Teilen der Festungskonstruk tion zusammengeschweißt worden. Der Kreis stand aufrecht und maß vielleicht fünfeinhalb Meter im Durchmesser. Das Zentrum des Ringes war erfüllt von undurchsichtigem violet tem Licht, das herumwirbelte und sich um sich selbst drehte, als käme es aus einer lumineszierenden Dampfwolke, die in dem Kreis eingeschlossen war. Pharaun hörte Schritte und holte den Zauberstab unter sei nem Piwafwi hervor. »Ihr werdet das hier nicht benötigen, Magier«, hallte eine Stimme in der Kammer wider. Während die anderen den Raum betraten, suchte Pharaun nach der Quelle der Stimme. Er nahm eine Gestalt wahr, die sich in einem besonders finsteren Schatten verborgen hielt. »Da«, flüsterte Pharaun. »Seht Ihr das?« Quenthel nickte und sagte: »Ihr werdet keinen Zauber wir ken; Ihr werdet Euch nicht darauf zubewegen, bis ich es befeh le. Verstanden?« Pharaun antwortete: »Natürlich«, aber die anderen standen schweigend da. »Ich sagte«, wiederholte Quenthel, »habt ihr das verstan den?« Danifae und Jeggred nickten, und Pharaun antwortete er neut: »Natürlich. Könnt Ihr mir zumindest sagen, was es ist?« »Ich würde es vorziehen, ›sie‹ genannt zu werden«, sagte die Stimme, »da ich eine Frau bin.« Die Gestalt trat aus dem dunkelsten Teil des Schattens her vor und schritt selbstbewußt in das violette Licht des aktiven, aber ungerichteten Portals. Der Anblick nahm Pharaun den Atem. Die Gestalt der Drow-Frau drehte und wand sich mehr als drei Meter hoch in der Luft. Die Drow war von vollkommener
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Gestalt und nackt, wobei ihr Körper in seiner Fülle mehr dem Danifaes glich als der eher durchschnittlichen, kräftigen Ges talt Quenthels. Sie ließ die Hände in langen, langsamen Lieb kosungen über ihren Leib gleiten, denen kein Körperteil ver boten war. Aus ihren Seiten wuchsen zwei Paare langer, segmentierter Spinnenbeine. Es waren diese vier Beine – und vier weitere, die ganz genauso aussahen –, die die Drow-Frau über dem ver rosteten Boden hielten. Pharaun hatte mehr Drinnen gesehen, als er zählen konnte, aber was da vor ihm aufgetaucht war, war keine Drinne. Alles an der Spinnen-Drow-Kreatur erweckte die volle Aufmerk samkeit des Magiers. Die Drow-Gestalt war wunderschön – wunderschön auf eine Weise, die zu beschreiben Pharaun über keine Worte verfügte. Ihre langen, spindeldürren Spinnenbei ne erinnerten ihn einfach an das, wo er sich befand: die Hei matebene ... Pharaun schüttelte den Kopf. Es konnte nicht sein. »Lo...?« flüsterte er. »Ich bin nicht die Königin über den Abgrund der Dämo nennetze, Meister Sorceres«, sagte die Spinnen-Drow in Hochdrow mit einem Akzent. »Das auszusprechen wäre Blas phemie.« »Ich habe nur von Euch gelesen«, flüsterte Quenthel. Eine zweite Spinnen-Drow erschien, trat anmutig aus der Düsternis, und eine dritte hing schwebend von der Decke. Die Drow-Körper der beiden waren die sich windender, nackter Drow-Frauen. »Abyss-Witwen«, sagte Danifae. Der Name sagte Pharaun nichts. »Ihr seid ihre Dienerinnen und ...«, begann Quenthel. »Hebammen. Wir waren nur eine Legende«, schnurrte die
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erste Abyss-Witwe. »Wir waren eine Prophezeiung.« »Eine Prophezeiung ...« flüsterte Quenthel. »Nun existieren wir«, sagte die Abyss-Witwe, »um den Ein gang zum Abgrund der Dämonennetze zu bewachen.« »Aber«, sagte Pharaun fast gegen seinen Willen, »wir sind im Abgrund der Dämonennetze.« Die wunderschöne Drow lächelte. Ihre Zähne waren perfekt und sauber, die Haut ihrer Wangen war glatt, und es waren keinerlei Makel oder Unvollkommenheit an ihr zu erkennen. »Nein«, entgegnete das Wesen. »Was ist geschehen?« fragte Quenthel Baenre. »Wo ist Lolth, wenn nicht im Abyss?« »All Eure Fragen werden beantwortet werden, Herrin«, sag te die Witwe, »wenn Ihr durch das Tor tretet.« »Er ist nun eine eigene Ebene«, vermutete Pharaun. Die Abyss-Witwen nickten einstimmig und bewegten sich vorwärts, um sich auf beiden Seiten des Portals aufzustellen – Wächterinnen an einer Prozessionsroute. »Ihr habt einen so langen Weg bis hierher zurückgelegt«, sagte eine der Witwen. »Auf diese Weise habt Ihr bewiesen, daß Ihr würdig seid«, fuhr eine andere fort. »Lolth gegenüberzutreten und sie in ihre neue Gestalt zu befördern«, beendete die dritte den Satz. »Ihre neue Gestalt?« fragte Pharaun. Die Abyss-Witwen wechselten einen geheimnisvollen Blick miteinander und wiesen auf das offene violette Portal. »Habt Ihr ...«, sagte der Meister Sorceres. Seine Kehle war trocken, und seine Hände zitterten, egal, wie sehr er versuchte, sie davon abzuhalten. »Habt Ihr Euch als Hebammen bezeich net?« »Geht«, sagte eine. »Ihr werdet erwartet.«
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Quenthel trat vor, Danifae dicht auf den Fersen, und trat mutig in die aufgewühlte Masse violetten Lichts. Sie ver schwand sofort, Danifae nur wenige Schritte hinter ihr. Jeggred zögerte ein wenig länger und betrachtete die AbyssWitwen mit glühenden Augen, als er an ihnen vorbeiging. Bald war er ebenfalls verschwunden. Pharaun wandte sich Valas zu, dessen Blick von einer Wit we zur anderen huschte. Er hatte eine Hand auf einen der zahlreichen knallbunten Schmuckgegenstände gelegt, die an seiner Weste hingen. »Also, Meister Hune«, meinte Pharaun, »da sind wir nun.« Valas sah ihn an und nickte. »An dem Ort, zu dem wir unterwegs sind ...«, sagte der Ma gier und hielt inne, um seine Gedanken zu ordnen – was nicht einfach war, angesichts der Aussicht darauf, durch dieses be stimmte Portal zu treten, das sich in so unmittelbarer Nähe drohend abzeichnete. »Es könnte sein, daß Eure Dienste nicht länger erforderlich sind.« Valas’ Blick begegnete dem Pharauns, und er sagte: »Meine Dienste sind nicht länger angemessen.« Pharaun holte tief Luft. »Nun«, sagte der Magier, »wie ich bereits früher sagte, wür den wir von Euren Fertigkeiten und Eurer Erfahrung profitie ren, wohin auch immer wir gehen, aber hier sind wir an einem Punkt angekommen, an dem Ihr eine Entscheidung treffen müßt.« »Das habe ich«, sagte Valas Hune, und sein Blick ermutigte nicht gerade zu einer Fortsetzung des Gespräches. »Nun gut«, sagte Pharaun, »was soll’s.« Der Magier drehte sich um und trat, ohne einen Blick zu rückzuwerfen, in das Portal, um Valas hinter sich zurückzulas sen.
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