Das Buch Die vorliegende Filmnovelization U-571 ist ein fiktiver U-Boot-Kriegsroman, der nur zum Teil auf tatsächlichen...
35 downloads
898 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Das Buch Die vorliegende Filmnovelization U-571 ist ein fiktiver U-Boot-Kriegsroman, der nur zum Teil auf tatsächlichen historischen Begebenheiten beruht. Wer sich für die wahre Geschichte des Enigma-Codes interessiert, dem seien die folgenden Bücher aus dem Wilhelm Heyne Verlag empfohlen: Robert Harris: Enigma (01/10001) und Michael Smith: Enigma entschlüsselt (40/447) Der Autor Max Allan Collins gilt als einer der vielseitigsten und erfolgreichsten amerikanischen Autoren. Sein bisheriges Repertoire umfasst fünf Krimiserien, Filmkritiken, Dreh bücher, Kurzgeschichten, Songtexte und Filmromane, darunter internationale Bestseller wie In the Line of Fire, Die Mumie, Air Force One, Soldat James Ryan oder Mommy (von seinem eigenen Film), der 1997 von der Buchhandelskette Barnes and Noble zu einem der zehn besten Horrorromane gewählt wurde. Collins wurde von den Private Eye Writers of America für seine NathanHeller-Historien-Thriller neunmal für den Shamus nominiert und hat diesen zweimal (True Detective, 1983, und Stolen Away, 1991) gewonnen. Von den Mystery Writers of America in den Kategorien Roman und Sachbuch für den Edgar nominiert, hat man Collins als »Renaissance-Mann der Kriminalliteratur« bezeichnet. Collins lebt mit seiner Frau, der Schriftstellerin Barbara Collins, und ihrem Sohn Nathan in Muscatine, Iowa.
MAX ALLAN COLLINS
U-571
Der Roman zum Film basierend auf
dem Drehbuch von
Jonathan Mostow, Sam Montgomery
und David Ayer
nach einer Geschichte von Jonathan Mostow
Aus dem Amerikanischen
von Heinz Zwack
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
HEYNE ALLGEMEINE REIHE
Nr. 01/20055
Die Originalausgabe
U-571
erschien 2000 by Avon Books, New York
Scanned by Doc Gonzo
Diese digitale
Version ist
FREEWARE
und nicht für den
Verkauf bestimmt
4. Auflage Redaktion: Verlagsbüro Dr. Andreas Gößling und Oliver Neumann GbR
Deutsche Erstausgabe 9 / 2000
Copyright © 2000 by Universal Studios Publishing Rights,
a division of Universal Studios Licensing, Inc.
All rights reserved.
Published by arrangement with Universal Studios
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2000 by
Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München
Printed in Germany 2000
Umschlag- und Innenillustrationen: Copyright © 2000 by Universal Studios
Publishing Rights, a division of Universal Studios Licensing, Inc.
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
Satz: Pinkuin Satz- und Datentechnik, Berlin
Druck und Bindung: Ebner Ulm
ISBN 3-453-17874-2
http://www.heyne.de
Für meinen Kumpel, Steve Mertz, einen Schriftsteller mit Tiefgang, der nur selten leise ist.
Wenn man die Geschichte der Unterseeboote schreiben will, muss man zuerst die Geschichte des Mannes im Unterseeboot festhalten - jenes Mannes, der mit ihm kämpft, es instand hält und wartet und dessen Leben mit ihm verbunden ist. Möge es Gott gefallen, dass ei nes Tages jemand von ihm erfährt. ADMIRAL FREELAND DAUBIN, USN
Commander of Submarines im Atlantik 1943
Das Einzige, was mir im Krieg wirklich Angst eingejagt hat, war die U-Boot-Gefahr. WINSTON CHURCHILL
l
Das weite graue Schimmern des Nordatlantiks ließ kei nen Gedanken daran aufkommen, dass sich die Welt im Krieg befand. Zusammen mit dem ganz ähnlichen Grau des wolkenverhangenen Himmels mutete der Anblick wie das Werk eines begabten Impressionisten an. Der Mond, der seine Strahlen durch die Wolken schickte, schien ein karges, schönes Zeichen eines gütigen Gottes zu sein, der auf einen friedlichen Planeten hinunter blickt. Kein Kräuseln dieser sanft dahinrollenden Wel len deutete daraufhin, dass man Mai 1942 schrieb, dass diese Gewässer ein Schlachtfeld waren, nicht weniger blutig als irgendein anderes, oder dass dieser Ozean ein unversöhnlicher Feind war, der unparteiisch die Toten beider Seiten hinabriss. Der Mann am Sehrohr wusste das. Er konnte die ab strakte Schönheit eines Ozeans durchaus schätzen, den das Fadenkreuz eines Okulars in vier Teile teilte. Doch für ihn besaß das endlos wogende Grau die Farbe von Kanonenmetall, und das Mondlicht, das durch die Wol ken stach, schien ihm Unheil verheißend. Trotzdem lächelte er. Er lächelte, weil sein Sehrohr - ein belangloser Riss in der Leere des Atlantik, schnitt es durch die Wellen ihm einen zweiten Riss zeigte: den schwarzen Klecks einer Schiffssilhouette vor dem grauen Himmel. Der braunbärtige Kommandant des Unterseeboots, der ein ovales, intelligentes Gesicht und die harten, dunklen Augen eines Jägers hatte, eine weiße Mütze mit schwar zem Schnabel und eine Lederjacke trug, hatte seine Beu te gesichtet. Wie die Haie, die dieselben Gewässer wie
7
er durchstreiften, wusste er, dass er ein hilfloses Opfer erspäht hatte – der Horizont ließ keinen Geleitschutz erkennen. Aber ebenso wie jene Haie genoss er dies ohne Sadismus oder Selbstgerechtigkeit. Das Unterseeboot war seiner ganzen Konstruktion nach als Kriegswaffe gebaut worden, mit dem Haupt ziel, die Schifffahrt zu stören – sei es nun die zivile oder die militärische. Auf beiden Fronten machte sich die Marine den Schrecken zunutze, der aus der Fähigkeit des Unterseeboots erwuchs, ungesehen anzugreifen, von unten, häufig des Nachts, was den Schiffsverkehr nicht nur störte, sondern viele Schiffe vom Auslaufen abhielt. Und das war die Aufgabe dieses Kommandanten die Aufgabe eines jeden Unterseebootkommandanten. Das Fehlen von Geleitschutz bedeutete, dass der Kommandant und seine Männer ihre Arbeit tun konn ten und die Nacht überleben würden. Angriff und Überleben waren die beiden entscheidenden Regeln dieser Waffengattung – vielleicht die einzigen Regeln, die hier draußen in der Vergessenheit des Ozean wahr haft zählten. Und deshalb lächelte er. Seine Aufgabe war notwendigerweise eine einsame. Das Boot verließ das Dock und fuhr Hunderte, ja Tau sende von Meilen in das ihm zugewiesene Zielgebiet, arbeitete allein, lauerte vielleicht an einer Hafeneinfahrt oder strich, wie bei dieser Patrouille der Fall, um die Meerengen herum, die die Schiffe passieren mussten. Für seine Mannschaft musste er ein Vater sein und doch distanziert und zuversichtlich bleiben, damit sie ihm bereitwillig in den Tod folgen würden, der drei von vier U-Boot-Fahrern auf oder unter den Wellen dieses Krie ges ereilen würde. Viele seiner Männer würden wochenlang die Sonne
8
nicht sehen, eine gespenstische Blässe entwickeln und einen Geruch, den ein gelegentliches Bad nicht vertrei ben konnte. Ihre Welt war kaum weiter als die ausge streckten Arme eines Mannes, ein Tunnel aus Stahl mit Rohren und Schächten, Handrädern und Instrumenten, Maschinen und Waffen. Sie würden Tage und Nächte einer Monotonie ertragen, die so brutal wie jeder Kampf war, ständig Wache stehen, in ihren Kleidern schlafen, sich die Kojen teilen, endlose Langeweile er dulden, in der der U-Boot-Fahrer seine unterschiedli chen Pflichten ebenso wachsam und sorgfältig erledi gen musste wie Wochen zuvor, als er glatt rasiert seine Reise angetreten hatte. Das war die andere entscheidende Regel, wenn man einmal darüber nachdachte: keine Entschuldigungen, kei ne Fehler, weil es unter der Meeresoberfläche keine zweite Chance gab. Der Kommandant, von seinen Männern traditionell auch ›der Alte‹ genannt, gestattete sich ein Gefühl der Zuneigung für diese Kinder, aber keine engere Bin dung. Sie kamen frisch von den Berufsschulen, be geistert vom neuen Wissen über Mechanik, Elektrizität und Dieselmotoren, und waren im Durchschnitt we sentlich jünger als die reguläre Überwasser-Marine mit ihren Reservisten und alten Hasen - achtzehn häufig, selten älter als zweiundzwanzig. Mit sechsundzwanzig war er auf diesem Boot wirklich der Alte. Im Augen blick schmachtete seine junge Mannschaft noch in trä ger Langeweile, wusste nicht, dass gleich die Hölle los brechen würde. Nur der Mann am Sehrohr, der den Klecks des Frach ters vor dem Himmel betrachtete, wusste, dass ihre Langeweile gleich in Stück zerspringen würde wie ein Porzellanteller an einem Schott. Er wusste auch, dass sein Boot ebenso verwundbar wie tödlich war, nicht nur
9
mit Stärken, sondern auch mit Schwächen behaftet, die dem Mann, der das Kommando führte, taktische Präzi sion abforderten. Also wartete er. Und beobachtete. Der Nervenkitzel der Jagd war ganz allein sein - weil nur er das Ziel se hen konnte. Die Griffe des Sehrohrs mit beiden Händen fest um klammert und sich mit dem massiven Gehäuse herum schlagend, bewegte er es ein wenig zur Seite, als er, das Summen des Sehrohrmotors im Ohr, durch das mit Schaumgummi armierte Okular spähte. Der eisige Nordatlantik konnte der nach Dieselöl stinkenden, ab gestandenen, heißen Luft in dem Boot nichts anhaben. Schweiß perlte ihm von der Stirn. Er lehnte sich zurück und wischte ihn weg, um den salzigen Biss in den Au gen zu vermeiden. Das Nervenzentrum der stählernen Bestie umgab ihn, die Zentrale, voll gestopft mit Rohrleitungen, Ven tilen, ineinander verschlungenen Kabeln, Messgeräten mit weißen Skalen, Wasserstandsgläsern, grau-rot la ckierten Handrädern, Kabelkanälen, Luftschächten, Schaltern und einem Kreiselkompass. Hie r wurden die Pumpen, das Seitenruder und die Tiefenruder bedient; und hier standen auch der Kartenschrank und der Kar tentisch. Sein Leitender Ingenieur überwachte die beiden Männer, die die Tiefenruder bedienten, den Blick auf die Tiefen- und Trimmanzeiger gerichtet. Der Zentrale maat hielt sich neben dem Leitenden bereit, die entspre chenden Handräder für die Trimmung zu betätigen. Neben dem Kommandanten stand der IO, ein Leutnant, dessen stoppelbärtiges Babygesicht nicht verriet, wel che Fähigkeiten und welche Erfahrung in diesem Mann steckten. Zwischen ihnen war jene Nabelschnur zu der Was
10
serweit über ihnen, sein bester Freund, seine Augen, sein Sehrohr. Und durch dieses Sehrohr blickte er jetzt wieder, als er mit ruhiger Stimme zu dem jungen Leut nant sagte: »Entfernung fünfhundert Meter. Zielpeilung grün sechzig. Endgültige Markierung abwarten - Ziel markiert.« Der Leutnant warf einen Blick auf ein Messgerät und sagte: »Null null neun - verfolge. Kompasspeilung fünf Grad backbord.« Der Kommandant wartete einen Herzschlag lang. Und noch einen. Dann zerriss seine Stimme die Langeweile: »Rohr Eins, los.« »Rohr Eins, los!«, wiederholte der Leutnant. »Rohr Vier, los«, sagte der Kommandant. »Rohr Vier, los!« Unmittelbar über der Zentrale, in der eisernen Enge des Turms, flogen die Finger eines Offiziers über die Tasten des Vorhalterechners - eines Hochgeschwindig keitsrechners, der den Torpedos in ihren Rohren Kurs, Geschwindigkeit und Distanz übermittelte. Im vorderen Bereich des Boots, den sich Mannschaft und Torpedos als Schlafraum teilten, waren jetzt alle Männer wach und ebenso, von den gedrückten Knöp fen geweckt, zwei Torpedos. Das Boot erzitterte wie von der Eiseskälte des Wassers, das es umgab, als es mit zwei Druckluftstößen die Torpedos ausstieß. Diese Projektile - sechseinhalb Meter lang, mit einem Durchmesser von fünfundfünfzig Zentimetern - waren weniger Bomben, als vielmehr selbst kleine Untersee boote, unbemannt, mit eigenem Antrieb, Schrauben und eigenem Ruder. Aber sie trugen weder Mannschaft noch Passagiere, lediglich einen Gefechtskopf mit drei hundert Pfund TNT. Sie hatten eine Reichweite von gut zehn Kilometern, eine Marschgeschwindigkeit zwi
11
sehen achtundzwanzig und sechzig Knoten und waren mit einem Gyroskop ausgestattet, das das Projektil auf geradem Kurs hielt. Die Stoppuhr in der Hand, sagte der IO: »Fünf, vier, drei, zwei, eins ...« Wie schnelle Schläge von den Händen des Bass trommlers einer Marschkapelle dröhnten zwei Explo sionen durch die See und schüttelten das Boot wie ein unartiges Kind; aber niemandem machten die Schwin gungen etwas aus: Beifallsrufe, Applaus und Pfiffe hall ten durch den eisernen Gang. Der Kommandant sagte nichts. Er schob bloß die Spitze des Sehrohrs höher und sah durch sein Faden kreuz, um zu erkennen, was er in der grauen Kathedra le der Nacht bewirkt hatte. Die Kathedrale verfügte jetzt über gelb, orange und rot gefärbte Mosaikfenster; Flammen machten den Ho rizont lebendig, und die Wellen waren zornig gewor den, ob durch Vibration oder Wetterumschlag konnte der Kommandant nicht sagen. Er wusste nur, dass seine beiden Torpedos den Frach ter getroffen hatten und dass dieser entzwei gebrochen war wie ein Ei und sank und einen Dotter aus wallendem Rauch ausspie, dick, hässlich, dunkler als der Him mel. Feuerzungen peitschten und leckten, immer noch hungrig, als wäre dieses Festmahl, das er geliefert hatte, noch nicht genug. Die Jubelrufe der Mannschaft hallten noch nach, als der Kommandant sein Gesicht vom Sehrohr zurückzog und freudlos lächelte. Zu den Männern um ihn sagte er mit ruhiger Stim me: »Dem haben wir das Rückgrat gebrochen.« »Sauberer Schuss, Herr Kaleu«, sagte der Leutnant. Ein kurzes Lächeln huschte über die Züge des Kapi tänleutnants.
12
Dann, scheinbar von allen Seiten von der See herbei getragen, konnte man das Ächzen und Kreischen und ein metallisches Stöhnen hören, das die Jubelrufe zum Verstummen brachte und selbst das winzige Lächeln des Alten auslöschte. Das waren keine menschlichen Stimmen, auch wenn sie diesen auf eine Art ähnelten, dass es einem kalt über den Rücken lief, doch nichts destoweniger Schreie. »Wisst ihr, was das ist?«, fragte der Kommandant. »Das sind die Geräusche eines sterbenden Boots.« Sie würden das nie mit etwas anderem verwechseln - das Auseinanderbrechen von wasserdichten Räumen, das Mahlen von Stahlschotts unter Druck ... Die Gesichter in der Zentrale wurden ausdruckslos, die Augen blickten nach oben. Für den Alten sahen sie wie die Gesichter von Chorknaben aus, die sich beim Klang von Eisen, das auf Eisen niederkracht, ducken, so als würde eine schwere Kette über einen Stahlboden geschleppt und dann gegen eine Wand aus Stahl ge schmettert. Die Jungs schauderten beim Ächzen des sich verbiegenden Stahls, dem Poltern von Maschinen, die sich aus ihren Bettungen rissen, dem Knistern sin kender Schotts - gedämpfte und doch lebendig klingen de Laute, wie gequälte Seelen, die in einem Spukhaus heulen. Aus der niedrigen, runden Luke im Schott, die von der Zentrale in die Funkbude führte, hallte die Stimme des Horchmaats: »Käpt'n - Kontakt! Peilung eins acht null!« Der Kommandant ließ das Sehrohr um einhundert achtzig Grad kreisen. »Schnelldrehende Schrauben!«, schrie der Horch maat. »Käpt'n, ein Zerstörer - kommt schnell näher.« Aber der Kommandant hatte die schlechte Nachricht bereits im Fadenkreuz des Sehrohrs: Der Frachter hatte
13
also doch einen Geleitschutz, einen Zerstörer, dessen wütender Bug jetzt geradewegs auf sie zustrebte und dessen Scheinwerfer die Nacht zerschnitten. Er schlug die Handgriffe gegen den Sehrohrschacht, fuhr es ein und stieß einen Strom von Befehlen aus, die alle von seinem Leutnant wiederholt wurden. »Fluten!« »Fluten!« »Vorne unten voll ...« »Vorne unten voll!« »Mündungsklappen schließen ...« »Mündungsklappen schließen!« »Auf neunzig Meter gehen ...« »Auf neunzig Meter gehen!« »Steuerbord zwanzig.« »Steuerbord zwanzig!« Die abgestandene Luft in sich hineinsaugend, be wahrte der Kommandant inmitten der stürmischen Aktivität rings um ihn die Ruhe - seine Jungs, seine Männer, Raddreher, Hebeldrücker, Handgriffdreher, Ru dergänger an ihren Steuerhebeln und sein Leitender In genieur, der schnell und präzise die Handräder drehte. Die Augen des Kommandanten hoben sich, als sein Boot die Nase nach unten richtete und die gespensti sche Stille der See mit dem Summen seiner Elektromo toren und dem spitz in die Tiefe stechenden Bug durch bohrte. Schiffsschrauben wühlten oben das Wasser auf, wur den lauter, lauter, noch lauter, jetzt begleitet vom un barmherzigen ping-ping-ping des ASDIC-Sonars des Zerstörers, das sie erfasste. Der Alte wusste, dass jetzt sie die Beute waren; sie waren das Ziel. So war der Krieg. Zeit für die Abrech nung, Zeit für das Unausweichliche. Zeit für die Wasserbomben.
14
»Klatscher!«, rief der Hydrofon-Maat durch die Öff nung. »Festhalten, Männer«, sagte der Kommandant und grinste. »Unsere Freunde dort oben werden uns gleich ankacken.« Die Chorknabengesichter lächelten nervös. »Haltet euch an irgendetwas fest«, wiederholte der Alte und suchte selbst am öligen Sehrohrgehäuse Halt. Ein Wwuumm auf der rechten Seite ließ das U-Boot beben; die Jungs sahen in die Richtung, aus der das Ge räusch gekommen war. Ein Wwuumm links ließ es er neut zittern, nicht besonders stark, gerade genug, dass die Jungs die Köpfe in die andere Richtung drehten. Farbsplitter fielen von der Decke, blieben wie Schuppen auf ihren Schultern hängen. Die meisten dieser Matro sen hatten bis jetzt noch keine Wasserbomben erlebt. Auf einigen Gesichtern flackerte ein erleichtertes Lä cheln, als ob das alles sein könnte, als wollten sie sagen, so schlimm war das gar nicht. »Festhalten!«, sagte der Kommandant. »Jetzt haben sie uns eingegabelt. Die nächste Serie wird näher lie gen.« Keiner stellte die Frage, aber die Augen in den Baby gesichtern fragten: Was können wir tun, Käpt'n? »Wir können jetzt nichts unternehmen, bloß uns ru hig halten und einstecken«, erklärte er. Und spüren, wie sich eure Eingeweide zusammenziehen, und hoffen, dass ihr die schrecklichste Erfahrung eures Lebens übersteht ... Und dann feuerte jemand unmittelbar über ihren Köpfen eine gottverdammte Kanone ab - so klang es wenigstens, als eine kräftige Feder einen Zünder in eine Sprengkapsel trieb und die Wasserbombe mit einer Ge walt explodierte, die die Matrosen hin und her schüttel te, so wie ein Kind Bonbons in einer Dose schüttelt. Al les, was im Boot nicht fest angebolzt war, flog, rollte, 15
purzelte herum, und Korkfetzen von der Isolierschicht regneten wie Konfetti bei einem Karnevalsumzug auf sie herunter. Dann Stille. Die Jungs rappelten sich auf, griffen sich vorsichtig an Platzwunden am Kopf oder blutige Lippen, und der Alte blickte in die Runde auf Skalen und Messuhren, deren Gläser gesprungen waren ... Vier weitere Explosionen erfassten das Boot - keine direkten Treffer, aber der Kommandant wusste, dass die selten waren und dass Wasserbomben, ebenso wie Tor pedos, ihre tödliche Wirkung daher bezogen, dass sich das Wasser, in dem sie explodierten, nicht zusammen drücken ließ. Ruhig und überlegt sah der Kommandant zu, wie Glühbirnen wie Feuerwerkskörper platzten, Glas- und Porzellanbrocken klapperten, der Inhalt von Kojen und Spinden auf den Boden purzelte und Bücher, Platten, Navigationshandbücher und Karten herumflogen. Der Kommandant zuckte zusammen, als das Boot zitterte und ächzte und stöhnte und heulte und das Stöhnen und Heulen der Jungs wie ein Echo auf die Schmerzen wirkte, die das Boot erlitt. Dann stach ein Strahl Meer wasser durch die Zentrale, brach in einem unter hohem Druck stehenden Strahl aus einem aufgerissenen Rumpf-Fitting. »Stoppt die Leckage«, befahl der Kommandant. Während die Jungen einen Hammer suchten und fanden und einen Holzpflock hineinklopften, ganz schnell und ohne erkennbare Angst, was ihn stolz machte, entdeckte der Alte eine Orange, die hereinge rollt war, vermutlich aus der Kombüse (obwohl überall in allen Ecken und Winkeln des Boots Lebensmittel auf bewahrt wurden). Er hob sie vom Boden auf, rieb das Öl an seiner Hose ab und biss davon ab, mit Schale und
16
allem - sie war kühl, erfrischend, süß, bitter, und der Geschmack belebte ihn. Er lebte noch. Er ließ seinen erfahrenen Blick über die Skalen und Schaugläser wandern und stellte sich vor, wie es jetzt wohl hinten im Dieselraum aussehen mochte - Matro sen, die sich abmühten, zerplatzte Rohre abzudichten, aus denen Treibstoff und Hydraulikflüssigkeit spritzte, wobei ihnen die Schraubenschlüssel aus den Händen glitten und überall Treibstoff herumtropfte. Sein Ma schinenmeister würde an den Ventilen drehen und sein Ingenieur seine Taschenlampe in der Hand halten, weil sie sonst wegen der zerbrochenen Glühbirnen im Dun keln arbeiten müssten, Verwünschungen ausstoßende Männer, die mit atemberaubender Geschwindigkeit ar beiteten und noch schneller zu werden versuchten ... »Vordere Tiefenruder null«, sagte der Kommandant. »Kurs halten, wie befohlen.« »Zerstörer ändert Kurs«, meldete sein HydrofonMaat. »Dreht nach Backbord!« »Backborddiesel zurück«, sagte der Kommandant und trat einen halben Schritt zur Seite, um den Kreiselkom pass im Auge behalten zu können. »Eins-fünf-null Um drehungen mehr auf Steuerbord. Ruder hart Backbord.« Er beobachtete den Kompass, als das Boot auf sein Kommando reagierte, als ob er es ihm direkt und nicht über seine Mannschaft erteilt hätte. »Ruder mittschiffs«, sagte er. »Ein Drittel voraus.« Die Stimme des Horchers ließ Hoffnung durchklin gen. »Zerstörer entfernt sich ... Schraubengeräusch wird leiser.« Der Kommandant setzte ein Grinsen auf, achtete da rauf, dass alle in der Zentrale es sahen. »Sie ziehen ab, um in ihrer Freizeit etwas anderes zu tun.« Die verstörten Jungs erwiderten sein Grinsen - aber
17
jetzt hatten die Babygesichter sich verändert, wirkten wachsam, misstrauisch. Sie wurden auf einem U-Boot so schnell alt. Aus dem nächsten Bericht des Horchers klang keine Hoffnung mehr. »Weitere Würfe!« »Verdammt!« Der Kommandant spürte, wie sein ge zwungenes Grinsen wegschmolz und sein Gesicht sich verfinsterte. »Die haben uns ein paar Abschiedsge schenke hinterlassen. Alle Maschinen Stopp.« »Alle Maschinen Stopp!«, wiederholte sein Leutnant. Austretender Treibstoff hatte zweifellos ihre Position verraten. Der Kommandant biss wieder in die Orange, diesmal so kräftig und wild, dass ihm der Saft in den Bart rann. Er sparte sich die Mühe, ihn wegzuwischen. Die Jungs um ihn herum klammerten sich überall fest, wo sie Halt finden konnten, lauschten wie er. Lausch ten, lauschten ... lauschten auf das Klicken, das der De tonation der Wasserbombe vorangehen würde ... Und dann kam es, wie ein Stöckelabsatz auf dem po lierten Parkett eines Tanzsaals, ein scharfes, kleines Klick, und der Alte klammerte sich an das Sehrohrge häuse, vollführte mit ihm einen langsamen Tanz, als der Ozean explodierte, Wumm, und das Boot wie ein Schau kelpferd hin und her tanzen ließ, Klick, Wumm!, es wie eine Stoffpuppe herumwarf, Klick, Wumm!, es wie eine leere Flasche schleuderte, Klick, Wumm!, es schüttelte wie eine Katze, die eine halb tote Maus im Maul trug und ihr Werk zu Ende bringen wollte. Überall zersplitterte Glas unter der Wucht der Explo sionen, zerschellten Instrumentengläser, platzten Glüh birnen und spritzte Wasser aus aufgerissenen Rohren durch die Zentrale und durchnässte die Rudergänger. Die Haut des Boots ächzte und krächzte, als die See drohte, das Boot wie eine Eierschale zu zerdrücken. Das Hallen einer Explosion achtern erschütterte das
18
Boot von innen und fuhr dem Alten in die Glieder. Denn alle Maschinen und die gesamte Elektrik waren dort hin ten, der Luftkompressor, die Elektromotoren und ihre gewaltigen Batteriebänke, ein Torpedorohr und natür lich die beiden mächtigen Dieselaggregate. Die armen Teufel dort hinten, möge Gott ihnen beistehen ... Schreie hallten nach vorn: »Feuer an Bord!«, schrien sie. Als die Flammen den ganzen Dieselraum erfüllt hat ten und bis der Chef-Elektriker in einer Atemmaske schließlich die Flammen zurückgeschlagen hatte, indem er den Schlauch eines Feuerlöschers durch die Luke schob, war jeder einzelne Mann dort tot, ein plötzliches Gewirr aus verkohltem Fleisch, verkrümmten Gliedern, die Zähne in der Grimasse des Todes zusammengepresst. In der Zentrale berichtete der LI, als das letzte Leck abgedichtet war, dem Kommandanten die Tiefe: »Ein hundertzwanzig Meter.« »Eins, zwei und drei anblasen«, sagte der Alte. »Eins, zwei und drei anblasen!« »Alle Ruder oben hart.« »Alle Ruder oben hart!« Schwarzer Rauch quoll in Schwaden den Laufgang herauf und strömte in die Zentrale. Seine Jungs legten hustend Atemmasken an. Die Nase des Kommandanten zuckte, und ein Würgen überkam ihm bei dem Geruch von, wie er annahm, verbranntem Menschenfleisch. »Käpt'n!«, brüllte der Chefingenieur. »Wir steigen schnell! Einhundert Meter ... neunzig Meter ...« Der Rudergänger, der die Hände nicht von seinen Steuerhebeln genommen hatte, um eine Atemmaske anzulegen, hustete und sagte: »Es stinkt nach totem Fleisch.« »Maul halten«, sagte der Leitende, »sonst bist du selbst totes Fleisch. Das sind deine Kumpels, Herrgott noch mal. Achtzig Meter.«
19
»Schadensmeldungen«, sagte der Kommandant, wieder am Sehrohr. Die Wolken waren aufgebrochen - die Sterne funkel ten, und der Mond zeigte ein ironisch lächelndes Halb mondgesicht. Durch sein Fadenkreuz konnte er den Bug seines Boots sehen, als es plötzlich Blasen ziehend aus dem Wasser stieg, dann das schwarze Deck, das aus wirbelndem Schaum hochstieg, ein Anblick, den der Kapitänleutnant Hunderte Male gesehen hatte und der ihn doch noch immer faszinierte. Dann krachte der Bug herunter, das Boot wälzte sich in den Wellen, und der Kommandant - er ließ das Sehrohr kreiseln, suchte die See nach Gesellschaft ab - fragte sich, ob sie vielleicht doch noch eine Chance hatten. »Keine Kontakte«, sagte er. »Brückenwache aufzie hen.« Augenblicke später kletterten vier Ausgucks in Öl zeug den Niedergang hinauf, der Lukendeckel klappte auf, und Wasser schoss in die Zentrale hinunter. »Warum reagiert keiner auf meine Schadensanfra gen?«, wollte der Kommandant wissen. In genau diesem Augenblick kam der Junge, der sein Chef-Elektriker war, in die Zentrale gerannt, das Ge sicht rußverschmiert und von Tränen überströmt. »Schadensbericht, verdammt!«, sagte der Komman dant. »Sie sind tot, Käpt'n. Alle tot ... Backbordabgasklap pe klemmt. Backborddiesel überflutet, Kurbelwelle und alles. Steuerborddiesel ...« »Batterien?« »Beschädigt«, sagte der Junge. »Dreihundert Ampere vorn, zweihundert achtern. Ich kann die beschädigten Zellen koppeln, das gibt dann vielleicht dreihundert achtern, wenn wir Glück haben.« »Wenn so das Glück aussieht ...« Die Bitterkeit war
20
ebenso schlimm wie der beißende Geruch und der Rauchgeschmack auf der Zunge. »Das würde gerade für die Beleuchtung ausreichen und vielleicht ein we nig zum Manövrieren. Was, zum Teufel, nützt das?« Der Junge sah aus, als wollte er gleich in Tränen aus brechen. Der Kommandant seufzte. »Dann geben Sie uns den Saft«, forderte er den Jungen auf, mit sanfter Stimme, hoffte, damit dessen Tränen zurückzudrängen. »Und Ihre Leute sollen die Leichen wegschaffen.« »Zu Befehl, Herr Kaleu.« Als sich der junge Seemann durch den sich auflösen den Rauch entfernte, rief der Kommandant: »Funk maat!« »Jawohl, Herr Kaleu!« »Mitteilung an Admiral Dönitz aufsetzen.« »Zu Befehl.« »Alle Antriebssysteme ausgefallen, stopp.« Der Kommandant zögerte kurz, und dann sprach er es aus: »Maschinen ausgefalle n, wir sind manövrierunfähig, stopp.« Die Jungs um ihn sahen ihn an, als ob ihnen ihre Lage so lange nicht klar gewesen wäre, bis ihr Kommandant es schließlich zugegeben hatte. Das Gleiche galt für den Kommandanten selbst. Mit diesem Eingeständnis wusste Kapitänleutnant Günther Wassner mit einem eigenartigen Gefühl plötz licher Sicherheit, dass das deutsche Unterseeboot U-571 - ein Boot der VII-C Klasse, Sechsundsechzig Meter lang, normalerweise 2200 Pferdestärken stark, Träger von fünfzehn tödlichen Torpedos und gegenwärtig hilf los in den Wellen treibend - sich wahrscheinlich bald dem Frachter auf dem Grunde des Atlantik anschließen würde.
21
2
Für einen Maiabend in Neuengland war es warm, fast schwül, aber vom Meer wehte eine Brise herein, die die Luft abkühlte und sich in die Klänge des Liedes ›They Can't Take That Away From Me‹ mischte, dem die Hausband des Portsmouth Officers' Club einen leicht jazzigen Touch verlieh. Der Himmel - klar und sternen übersät, mit einer silbernen Mondsichel - hätte ebenso gut der künstliche Himmel eines noblen Nachtklubs sein können. Der Offiziersklub, der eigentlich auch ganz nobel war - und vom ständigen Kommen und Gehen eng um schlungener Paare belebt, die den Abend berauscht voneinander (und anderem) genossen -, befand sich auf Seavey's Island, einer Insel, die zum größten Teil Gelän de der Marinewerft war. Die überwiegend für den Bau und die Instandhaltung von Unterseebooten der US Navy bestimmte Werft lag formal betrachtet überhaupt nicht in Portsmouth, New Hampshire, sondern viel mehr in Kittery, Maine, auf der anderen Seite des Pisca taqua River. Aber in den Ohren der Navy klang Ports mouth besser. Der Klub befand sich in einem von mehreren unauf fälligen Ziegelgebäuden, die strahlenförmig um das im Kolonialstil gehaltene weiße Haus des Kommandanten angeordnet waren. Er verfügte über eine wohlbestückte Bar, ein erstklassiges Restaurant und sogar ein kleines Casino mit Spielautomaten. Lieutenant Andrew J. Tyler hatte hier dank einer Reihe ortsansässiger Mädchen und Marinekrankenschwestern, die alle großen Gefal len an seinem Texasakzent gefunden hatten, viele wun
22
derbare Stunden verbracht. Betsy hatte den leicht nasa len Klang süß gefunden, und Margie hatte ihn sogar als ›musikalisch‹ bezeichnet - und ihn damit zum Lachen gebracht. Als Andy Tyler an diesem Abend auf den Parkplatz des Offiziersklubs rollte, lachte er nicht. Er befand sich auch nicht in Begleitung eines süßen jungen Dings. Er saß ganz alleine in dem blauen Chevy, Baujahr 1939, den er aus Galveston mitgebracht hatte. Trotz seiner Blässe sah Tyler, ein siebenundzwanzigjähriger, schlak siger junger Mann, ganz gut aus - sein Akzent war nicht das Einzige, was diese Mädchen angezogen hatte. Das wusste er auch, genauso dass er über einen natürlichen Charme verfügte, der ihn nur selten anmaßend machte. An diesem Abend freilich war jeder Funken von Selbstbewusstsein dahin - jegliches Selbstwertgefühl. Einfach weg. In der Stille des geparkten, aber noch im Leerlauf vor sich hin brummelnden Wagens, mit Jazzklängen im Hintergrund, griff Tyler - in weißer Ausgehuniform nach dem Brief, der neben ihm auf dem Sitz lag. Er hielt ihn in beiden Händen, als ob er ihn lesen wollte, sah ihn aber nicht an, sah nicht auf die kurze, mit der Maschine geschriebene Nachricht und nicht einmal auf den amtli chen Briefkopf der Navy. Er hatte ihn schon ein dutzend Mal gelesen. Mindes tens. Und den ganzen Nachmittag und die frühen Abend stunden hin und her gerissen zwischen Enttäuschung, Selbstmitleid und Verärgerung verbracht. Das gedämpfte Lachen, das von der Party im Klub zu ihm herüber hallte, schien sich über ihn lustig zu machen, und er faltete den Brief wieder zusammen und stopfte ihn in seine Innentasche. Er betrachtete sich im Rückspiegel, als könnte man dort die Antwort auf diese
23
Ungerechtigkeit - oder vielleicht auch einen Beweis sei ner Unzulänglichkeit - finden. Es half nichts. Ein plötzlicher Entschluss ließ ihn nach dem Schalt hebel greifen - er würde da nicht hineingehen. Er wür de sich die Peinlichkeit ersparen und dem Mann, den er für den Verantwortlichen hielt, nicht auch noch die Ehre einer Auseinandersetzung erweisen. Tyler neigte zum Jähzorn und war sich dessen auch bewusst. Er wollte Lars und seiner jungen Braut den Abend nicht verder ben - schlimm genug, dass sie ihre Hochzeit und ihre Flitterwochen in diese lausigen zwei Tage Urlaub hat ten hineinzwängen müssen. Tyler wollte gerade den Rückwärtsgang einlegen, als er sah, dass ihm ein Offizier, der seine angeheiterte Freundin hinter den Wagen führte, unabsichtlich den Weg versperrte. Irgendwie wirkte ihr Gelächter auf Ty ler wie eine persönliche Beleidigung. Er seufzte, beob achtete sie im Spiegel, entdeckte wieder sein eigenes Spiegelbild - sein vorgeschobenes Kinn und die unter der Haut verkrampften Muskeln. Er schaltete den Motor aus, stieg aus, ging an einem unter einem Baum schmusenden Paar vorbei und in den Klub. Lieutenant Pete Emmett hielt mit ein paar jungen Matrosen und deren Mädchen dicht hinter dem Ein gang Hof. Man hatte den jungen Matrosen heute Abend wegen Lars' Hochzeitsfeier den Zugang zum Klub er laubt. Tyler kannte sie alle - sie gehörten der Mann schaft von S-33 an, deren Executive Officer er und de ren Chief Engineer Emmett war. Der schlanke, auf eine kantige Art gut aussehende Emmett, wahrscheinlich Tylers bester Freund in der Navy, der in seiner weißen Ausgehuniform ausgespro chen schneidig wirkte, hatte den Arm um ein gut aus
24
sehendes, brünettes Mädchen gelegt, eine Kranken schwester, mit der Tyler aus irgendeinem Grund bis jetzt noch nicht ausgegangen war. Emmett erinnerte entfernt an diesen spindeldürren Schnulzensänger Si natra, und das nutzte er bei den Schönen des Landes weidlich aus. »Hier kommt der Mann der Stunde!«, sagte Emmett und hob sein Champagnerglas. »Sehe ich aus wie ein Bräutigam?«, entgegnete Tyler, nahm die Mütze ab und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Sieht so aus, als hättest du heute Abend nicht ein mal eine Braut«, meinte Emmett. »Du lässt wohl nach, alter Kumpel, was? Wo, zum Teufel, hast du eigentlich gesteckt? Das hier ist eine Alle -Mann-an-Deck-Veran staltung!« »Ich bin aufgehalten worden.« »Dann schnapp dir einen Lampenschirm und komm rein!« Er wies auf das hübsche brünette Mädchen und fragte: »Kennst du Joanie aus dem Marinehospital?« »Nein, aber ich hab’ sie schon gesehen. Tag.« »Tag«, sagte Joanie scheu. »Du darfst nicht zu freundlich zu ihm sein«, riet ihr Emmett. »Er ist gefährlicher, als er aussieht – das ist Andy Tyler, mein bester Freund zu Lande oder unter dem Meer. Wir haben zusammen vier Jahre Annapolis überlebt.« Dann brachte Emmett aus dem Nirgendwo eine Fünfundzwanzig-Cent-Zigarre zum Vorschein – seine Zaubertricks beeindruckten die Mädchen fast ebenso wie seine Frankie -Boy-Visage – und stopfte sie Tyler in die Brusttasche. »Ich hab’ dir eine von den Stogies auf gehoben, die der Bräutigam verteilt hat.« »Danke, Pete.« Tyler bedachte die kleine Gruppe mit einem freund
25
lichen Lächeln und wollte weitergehen, doch Emmett packte ihn am Arm. »So leicht kommst du hier nicht weg!« Emmett hob erneut sein Champagnerglas. »Auf den nächsten Unter seeboot-Skipper der Navy! Lieutenant Andrew J. Ty ler!« Die jungen Blaujacken hoben ihre Gläser, schrien »Hört, hört!« und »Genau«, und einige von ihnen bra chen sogar in ein Hurra aus. Tyler schluckte, nickte kurz und ging weiter. Die ver wirrten Gesichter, die ihm nachblickten, sah er nicht, spürte sie aber wie einen heißen Hauch im Nacken. Er ging durch die Bar in den Speisesaal, nickte dort ein paar seiner Offizierskollegen und verschie denen Matrosen zu. Herb Griggs, Rudergänger auf S-33 und wie er ein Sohn des Staates Texas, hob seinen Bierkrug. »Lieutenant - haben Sie Lust, mit uns armen, kleinen Schluckern ein paar Biere zu stemmen?« Tyler warf Griggs ein Lächeln zu. »Später.« Er ging weiter und sah sich plötzlich Ted ›Trigger‹ Fitzgerald gegenüber, dem rosagesichtigen, siebzehn jährigen Baby von S-33, der ihm den Weg versperrte. »Sir, meine Mom ist hier zu Besuch«, sagte der Junge glücklich und beflissen. »Darf ich sie Ihnen vorstellen, Mr. Tyler? Ich würde wirklich gern ...« »Später.« Die verwirrten, teilweise sogar besorgten Gesichter, die er überall hinterließ, nur undeutlich zur Kenntnis nehmend, ging Tyler weiter in den Hauptspeisesaal, wo man inzwischen die tragbare Tanzfläche ausgerollt hatte und wo die Stützpunkt-Kapelle in blauer Ausgehuniform auf dem Podium eine hübsche Swing-Version von ›Cheek to Cheek‹ zum Besten gab. Der vertäfelte, mit Vorhängen abgeteilte Speisesaal war festlich für den Hochzeitsemp fang geschmückt, und auf einer an der Decke befestigten
26
Fahne stand HERZLICHE GLÜCKWÜNSCHE DEM FÄHNRICH ZUR SEE UND MRS. LARSON. Offiziere in weißen Ausgehuniformen waren mit ih ren Frauen oder Freundinnen damit beschäftigt, einen Teppich zu zerschneiden, und nur ein paar Matrosen und ihre Begleiterinnen hatten sich ihnen angeschlos sen. Allem Anschein nach waren die meisten Blaujacken solo gekommen - vermutlich fühlten sie sich bei einer Party im Offiziersklub unbehaglich, dachte Tyler. Wenn seine Vermutung zutraf, brachten die Matrosen ihr Un behagen dadurch zum Ausdruck, dass sie sich zusam mengesetzt hatten und sich redlich Mühe gaben, sich voll laufen zu lassen. Jedenfalls hielten die Jungs die Filipino-Stewards auf Trab, den Nachschub mit kaltem Bier aufrecht zu erhalten. Lieutenant Commander Mike Dahlgren tanzte mit seiner zwölfjährigen Tochter Prudence. Dahlgren blond, auf jungenhafte Art gut aussehend, gebaut wie ein Kleiderschrank - war der Skipper von S-33 und mit siebenunddreißig nicht nur ›der Alte‹ des Boots (Chief Klough, der um die Fünfzig war, natürlich nicht mitge zählt), sondern auch ein echter Veteran der Untersee bootsflotte und einer der älteren Kapitäne. Tyler hatte Dahlgrens ruhige, gelassene Art immer bewundert; der Mann strahlte förmlich Erfahrung und Autorität aus. Der liebevoll sanfte Ausdruck in seinem Bauerngesicht wirkte seltsam fremdartig, als Dahlgren seine Tochter bedächtig über die Tanzfläche lenkte. Pru dence, die ganz aus Löckchen, Chiffon und Lächeln zu bestehen schien, strahlte ihren Papa an und hing stolz wie eine Prinzessin in seinen Armen. Komisch - Tyler bewunderte Dahlgren selbst jetzt, obwohl er den Mistkerl am liebsten umgebracht hätte. Das frisch gebackene Ehepaar war ebenfalls auf der Tanzfläche und drehte sich zu den Klängen von ›Cheek
27
to Cheek‹. Peggy Larson, die ehemalige Margaret Jen sen, trug das dunkelblaue Kleid mit dem weißen Kra gen und dem Faltenrock, in dem sie geheiratet hatte. Die umwerfend gebaute Blondine hätte Betty Grable ernsthaft Konkurrenz machen können. Ensign Keith Larson - ›Lars‹, Chief Petty Officer und Erster Torpedo mixer des Boots - war ein dunkelhaariger Junge, der aussah, als ob man ihn aus einem Sportlermagazin aus geschnitten hätte. Er war ebenfalls ein enger Freund Ty lers und sah im Moment im gleichen Maße glücklich aus wie Tyler unglücklich. Auch wenn die Tanzkünste von Braut und Bräutigam Fred Astaire und Ginger Rogers nicht gerade vor Neid hätten erblassen lassen, legten sie Schwung und Begeis terung und (soweit es die Braut anging) hübsche Beine an den Tag. Das veranlasste einen Tisch mit inzwischen bereits gut geölten Matrosen - darunter Charles ›Tank‹ Clemens und Ronald ›Rabbit‹ Parker von S-33, Maschi nenmaat und Torpedomaat - zu neidvoll bewundernden Pfiffen. Ihre ›Bewunderung‹ ließ die Braut rot anlaufen und veranlasste Lars, sie von den paar Tischen wegzubug sieren, wo die alkoholisierten Matrosen Platz genom men hatten. In genau diesem Augenblick kam Chief Petty Officer Henry Klough, der heiß geliebte, angegraute Leitende Ingenieur von S-33, der wie eine Kreuzung zwischen James Cagney und Popeye aussah, aus der Herrentoi lette. Er registrierte den Mangel an Respekt gegenüber der Braut mit finsterer Miene und war bereits zu dem Tisch der Matrosen unterwegs, um diesen einen Ver weis zu erteilen. Da schickte Dahlgren - der die Unge zogenheiten der angeheiterten Matrosen ebenfalls be merkt hatte - dem Chief mit einem kurzen Blick eine Nachricht, einen Befehl.
28
Tyler beobachtete, wie Klough Amtsmiene aufsetzte, die Hose hochzog und sich hinter Tank, Rabbit und den anderen aufbaute. »Sieht klasse aus, was?«, fragte er die Männer, beug te sich über den Tisch und ließ dabei ein Lächeln sehen, das eher eine Grimasse war. »Und ob!«, sagte Tank. »Wow, einsame Spitze!« »Heaven, he'll be in heaven«, sang Rabbit und fiel mit seinem etwas schräg geratenen Tenor in die letzte Stro phe von ›Cheek to Cheek‹ ein. Kloughs Lächeln verwandelte sich wie eine plötzlich ausgeknipste Lampe in finstere Missbilligung. »Nun, sie ist jetzt die Frau eines Offiziers. Ihr Suppenköpfe seid hier nicht die Schiedsrichter in einer Schönheits konkurrenz, wisst ihr, und ihr sitzt auch nicht in der vordersten Reihe bei Minsky's. Haltet gefälligst die Klappe und schraubt euch die Augen wieder in den Kopf. Jeder, der seine Pfoten nach der kleinen Lady aus streckt, holt sich eine blutige Nase, das verspreche ich euch.« Normalerweise hätte schon der finstere Blick ausge reicht. Aber diesmal genügten selbst seine Worte nicht. Die Blaujacken starrten Peggy immer noch an und ga ben die Laute von sich, mit denen sonst Bauarbeiter vor beistöckelnden Schönheiten ihre Bewunderung erwie sen. Der Filipino-Steward kam mit dem nächsten Tablett Bier vorbei, und Klough hob wie ein Verkehrspolizist die Hand - ein nicht zu übersehendes ›Stopp‹-Schild. »Dieser Tisch ist jetzt amtlich trocken gelegt«, sagte Klough. Endlich wandten die Matrosen sich mit jämmerlicher Miene und ebensolchen Kinderstimmen dem Chief zu. Rabbit sagte: »Ich hab' nicht hingesehen, ehrlich«, und Tank schloss sich ihm an: »Nicht das Bier, Chief, alles andere, bloß nicht das Bier!«
29
Jetzt grinste Klough - diesmal ein echtes Grinsen und schaltete mit einem für den Steward bestimmten Augenzwinkern die Bierzufuhr wieder ein. Die Blau jacken wandten der Tanzfläche den Rücken zu. Sie hat ten ihre Lektion gelernt und verwendeten ihre ganze Energie wieder darauf, ihre Biergläser zu leeren. Klough, der bemerkt hatte, wie Tyler ihn beobachte te, schlenderte mit der Grazie eines säbelbeinigen Cow boys zu ihm hinüber. »Gut gemacht, Chief«, lobte Tyler. »Danke, Sir. Ein großartiger Abend für Lars.« »Der Glückspilz.« »Man kann's den Boys ja eigentlich nicht übel neh men, dass sie pfeifen ... Alles in Ordnung, Sir?« Das Lied war endlich vorbei, und eine langsamere Melodie - ›I'll Be Seeing You‹ - setzte ein. Braut und Bräutigam wiegten sich eng umschlungen, während der Skipper seine Tochter von der Tanzfläche führte und sich dabei einen Weg durch die vielen Paare bahnte, die jetzt hinausströmten, um langsam zu tanzen. »Wir unterhalten uns später, Chief«, sagte Tyler. »Ich muss den Capt'n begrüßen.« Klough nickte, lächelte, ein Lächeln, das seine Augen aussparte. »Ja, Sir. Klasse Mann, der Capt'n.« Tyler sagte nichts. Er arbeitete sich an der Außenseite der Tanzfläche entlang, bis er schließlich den Tisch er reicht hatte, wo Lieutenant Commander Dahlgren und seine rothaarige Frau, Penelope, mit ihrer Tochter sa ßen. »Lieutenant Tyler!«, rief Prudence und strahlte. Sie war hübsch wie ihre Mutter und blond wie ihr Vater. »Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns!« Tyler war schon mehrere Male bei den Dahlgrens ein geladen gewesen, und das Mädchen mochte ihn, war vielleicht sogar ein wenig verknallt in ihn. Die Gefühle,
30
die er für den Skipper empfand, hatten ihn immer an die erinnert, die er in seiner Highschool-Zeit für seinen Football-Trainer gehegt hatte, und er hatte sich ange wöhnt, die Dahlgrens als eine Art zweiter Familie zu betrachten. Und deshalb schmerzte es noch mehr. »Hallo, Prudence«, sagte Tyler zu der Kleinen, setzte sich aber nicht. »Guten Abend, Capt'n.« »Hallo, Lieutenant«, sagte Dahlgren. Sein Lächeln war freundlich, aber seine Augen blickten vorsichtig und wachsam. Mit einem leichten Kopfnicken und einem Lächeln sagte Tyler, ein wenig gestelzt: »Wie geht es Ihnen heute Abend, Mrs. Dahlgren?« »Warum so förmlich, Andy?«, fragte sie strahlend. »Ganz ohne Begleitung? Das passt doch gar nicht zu Ih nen.« »Ich habe leider so kurzfristig niemanden gefunden, Ma'am.« »Diese Hochzeit hat uns alle ein wenig überrascht«, räumte sie ein, und ihre Augen verengten sich dabei ein wenig. Endlich schien auch ihr bewusst zu werden, dass etwas nicht stimmte. »Sir«, sagte Tyler und wandte sich seinem Komman danten zu, »tut mir Leid, wenn ich Sie hier bei Ihrer Fa milie störe. Aber könnte ich Sie einen Augenblick spre chen?« Dahlgrens Lächeln war jetzt völlig verschwunden, und seine Augen blickten eher müde als wachsam. Er nickte, entschuldigte sich bei seiner Frau und seiner Tochter und folgte Tyler in die Bar, während die Kapelle in die Pause ging. Ein paar Gesichter sahen den beiden Männern verblüfft nach, weil Dahlgren normalerweise nicht derjenige war, der hinter jemanden herging: Er führte in der Regel.
31
Sie standen an der Bar. Keiner der beiden schien auf einem der Hocker Platz nehmen zu wollen, obwohl sie nahe genug an der Theke standen. Tyler zog den Brief aus seiner Innentasche, entfaltete ihn und legte ihn auf die Theke. Dahlgren warf nicht einmal einen Blick darauf. »Dann habe ich Recht?«, sagte Tyler reizbar. »Womit Recht?« »Sie wissen bereits, dass ich mein Boot nicht bekom men habe.« »Ja, das weiß ich. Das wusste ich.« Tyler seufzte. »Sir, bei allem gebotenen Respekt, an diesem Punkt meiner Laufbahn kann es nur einen Grund dafür geben, dass man mir diesen Posten vor enthalten hat.« Dahlgren nickte. »Ich habe keine Empfehlung abge geben.« Tyler hatte das vermutet, hatte es gewusst, aber es jetzt so eindeutig und klar, so ausdruckslos und ohne einen Hauch von Bedauern aus dem Munde des Alten zu hören war, als hätte ihm jemand einen Schlag in die Magengrube versetzt. Er verspürte Übelkeit in sich auf steigen, die Galle der Enttäuschung. Halb erstickt fragte er: »Warum? Ich dachte, wir wä ren ...« »Wir sind Freunde, Andy. Aber Sie sind noch nicht so weit.« »Nicht so weit? Sir, ich habe mir auf S-33 den Arsch aufgerissen. Sie wissen, dass ich in allen Punkten quali fiziert bin.« »Das und noch mehr.« »Niemand hat mehr Punkte gesammelt, in der Theo rie wie im praktischen Bereich!« »Kein Widerspruch.« »Wieso haben Sie mir das dann vermasselt? Sie ken
32
nen doch die Navy - jetzt kann es ein Jahr, vielleicht auch zwei dauern, bis ich wieder für ein Kommando in Frage komme!« »Im Krieg eher sechs Monate.« Dahlgrens Augen hat ten sich zusammengezogen. »Andy ... hier geht es nicht darum, was am besten für Ihre Karriere ist. Es geht da rum, was für Sie im Augenblick am besten ist. Und was für die Navy am besten ist.« Tyler schüttelte den Kopf. »Sie hätten es mir sagen sollen. Mich wenigstens warnen ...« »Das war keine Entscheidung, die ich über das Knie gebrochen habe. Aber es ist eine Entscheidung, die ich getroffen habe und zu der ich stehe - das gehört mit zu den Aufgaben eines Kommandanten, Andy. Ich bin der Ansicht, dass Sie noch nicht so weit sind, um ein unab hängiges Kommando übernehmen zu können. Akzep tieren Sie es. Die Entscheidung steht.« »Das heißt: Ende der Diskussion?« »Richtig.« Tyler seufzte. »Also gut, Capt'n. Dann muss ich Sie mit allem Respekt davon in Kenntnis setzen, dass ich vorhabe, meine Versetzung auf ein anderes Boot zu be antragen.« Dahlgrens Augenbrauen schoben sich leicht in die Höhe. Es war wie ein Achselzucken. »Die Entscheidung liegt bei Ihnen, Lieutenant.« »Oder werden Sie die auch blockieren?« »Nein. Nein, das werde ich nicht.« Jemand arbeitete sich schnell durch die überfüllte Bar, entschuldigte sich; beide Männer drehten sich he rum und sahen einen Fähnrich auf sie zu kommen. »Capt'n Dahlgren, Sir?«, rief der Fähnrich, der erst bis zur Mitte der Bar vorgedrungen war. Er war groß und gebräunt und fiel in dieser Gruppe hauptsächlich kleiner und ausnahmslos bleicher Unterseeboot-Fahrer
33
auf. Noch auffälliger war die Tatsache, dass er die Ach selschnur eines Adjutanten des Admirals trug. »Ja?«, sagte Dahlgren, sichtlich leicht verwirrt. »Admiral Duke lässt Sie zu sich bitten, Sir, sofort bit te.« Der Skipper zuckte zusammen. »Der Admiral ... ist er hier?« »Ja, auf der Werft, Sir.« Dahlgren atmete tief durch, drehte sich dann zu Ty ler herum und hob den Zeigefinger im Stil eines stren gen Vaters. Tyler erwartete eine abschließende Bemer kung, die sich auf das Thema bezog, über das sie gerade gesprochen hatten. Aber der Skipper sagte nur: »Ich verlasse mich auf Sie, Andy. Sie sorgen dafür, dass die Jungs hier keinen Ärger machen.« Mit diesen Worten drehte er sich um und folgte dem Admiralsadjutanten. Tyler kam sich vor, als hätte ihm jemand den Teppich unter den Füßen weggezogen. Er faltete seinen Brief zusammen, steckte ihn ein, bestellte sich eine Cola mit Rum und trottete aus der Bar, um sich Triggers Mom vorstellen zu lassen und mit den Jungs ›ein paar Biere zu stemmen‹. Gegen Mitternacht klang die Party aus - die Kapelle packte ihre Instrumente ein, Braut und Bräutigam hat ten sich verabschiedet, um das zu tun, was Braut und Bräutigam eben tun, seit es die Institution der Ehe gibt. Die Matrosen und ihre Frauen oder Freundinnen waren ebenfalls gegangen und vermutlich jetzt in ähnlicher Weise beschäftigt, und Tyler war - so wie sein Skipper es befohlen hatte - darum bemüht, ein Auge auf die paar noch verweilenden Matrosen zu haben. Anthony Mazzola, ein etwas ölig wirkender, gut aus sehender Seemann aus Brooklyn, umgarnte eine hüb sche, ziemlich angeheiterte Brünette. »Ich weiß, dass
34
wir uns gerade erst kennen gelernt haben, Baby, aber in Kriegszeiten geht alles schneller. Wenn man dieses ganz besondere Gefühl verspürt, muss man den Augenblick nutzen. Ich meine, mein Boot könnte schließlich mor gen eine Wasserbombe abbekommen.« Sie wirkte hinreichend angetrunken, um das ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Seltsamerweise schien es Rabbit, dem kleinen Torpedomixer, der selbst ein wenig ange säuselt war und am selben Tisch saß, ähnlich zu ergehen, denn er sagte zu Tank: »Glaubst du, dass wir morgen eine Wasserbombe abbekommen könnten, Kumpel?« »Oh, ja«, erwiderte Tank und wischte sich zum Hun dertsten Mal einen Schnurbart aus Bierschaum weg, »ganz bestimmt, Red Rider - sobald die Krauts ihre In vasion von New Hampshire gestartet haben.« Diese Jungs und die paar anderen, die noch im Saal verstreut zurückgeblieben waren, schienen ihm im Au genblick ziemlich harmlos. So schlenderte Tyler auf die Veranda hinaus, wo er allein an einem Tisch sitzen und seine letzte Cola mit Rum in Frieden genießen, das Meer riechen und die Sterne betrachten und sich selbst bedauern konnte. Nach einer Weile kam er schließlich dazu, die Zigar re anzuzünden, die Emmett ihm gegeben hatte. Sie schmeckte ziemlich scheußlich, aber wenigstens explo dierte sie nicht. Und dann saß plötzlich Chief Klough neben ihm. »Die Band ist am Einpacken«, sagte er und nahm einen Schluck Bier aus seinem Krug. »Keller war zu betrun ken, um noch gehen zu können, also habe ich ihm Le wis als Aufpasser zugeteilt. Lewis ist fast nüchtern, er wird ihn zur Kaserne zurückschaffen.« »Danke, Chief.« »Sie haben nicht zufällig noch eine von diesen Stin kern, was?«
35
»Tut mir Leid, nein. Geschenk von Emmett. Zu Eh ren meines neuen Kommandos.« Klough nickte, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte in die Nacht hinaus. Nach einer Weile mein te er: »Zum Teufel, allmählich werde ich zu alt, um für diese Kinder den Babysitter zu spielen und ihre Baby hintern herumzujagen. Ich hätte vor zehn Jahren Schluss machen sollen.« »Warum bleiben Sie dann?« »Warum wohl? Das liebe Geld.« Chief Pettys Officers wurden ausgewählt, weil sie sich auf alle Aufgaben verstanden, die es an Bord eines Unterseeboots gab, und viele von ihnen - so wie Klough - hatten eine lange, abwechslungsreiche Dienstzeit hin ter sich. Der Sold auf Unterseebooten betrug fünfzig Prozent mehr, als auf Überwasserschiffen bezahlt wur de, dazu kamen zehn Prozent für den Einsatz auf See. Trotzdem feixte Tyler. »Das Geld? Dass ich nicht la che.« »Sie haben Recht, Sir«, schmunzelte Klough. »Das Meer ist alles, was ich kenne, es ist mein Leben. Außer dem ist es in diesem Krieg noch viel zu früh, um auszu steigen - ich will dabei bleiben und euch jungem Ge müse helfen, ein wenig Tonnage von den Krauts auf den Meeresgrund zu schicken, wo es hingehört.« »Die Karibik-Station ist eine heiße Ecke, Chief. Wir könnten diesmal in Kampfhandlungen verwickelt wer den.« »Ach was, Scheiße, Sir. Das wird wieder eine Vergnü gungsfahrt, und Sie wissen das verdammt gut. Ausge schlossen, dass die 33 dabei einen Angreifer versenkt. Das Aufregendste, was wir erleben werden, erleben wir im Urlaub, und das Gefährlichste wird sein, dass einer sich einen Tripper einhandelt, weil ihm der Gummi platzt... oder vielleicht, dass diese Arschlöcher vom
36
Army Air Corps uns auf dem Weg dorthin bombardie ren - ›U-Boot gesichtet, versenkt‹.« »Sie haben ein paar in der Krone, was, Chief?« »Hab' ich. Hab' ich. Tut mir Leid, Sir.« Tyler zuckte die Achseln, als ob er sagen wollte: »Nicht der Rede wert.« Er blies einen Rauchring, nahm einen Schluck aus seinem Glas und sagte: »Der Skipper hat mich versenkt, Chief. Hat mich dort torpediert, wo die Sonne nicht hinscheint.« Der Chief sagte nichts, aber seine harten, dunklen Augen in dem faltigen Gesicht bohrten sich in die Tylers. »Neun Monate auf diesem Wrack«, sagte Tyler und meinte damit S-33. »Klasse Arbeit hingelegt, besser kann ich's nicht, alles einmal und dann noch einmal ge tan und aufgepasst, dass alles stimmt. Haben Sie je ei nen erlebt, der schneller mitgekriegt hat, wie man eine Tauchanfahrt durchführt?« Klough grinste. »Sie spielen mit dem Sehrohr wie mit einer Ziehharmonika, Sir. Großartig.« »Ein Ziel erfassen, die Zahl der Schiffe in einem Ge leitzug erkennen, Richtung und Geschwindigkeit, Posi tion zueinander und zu uns, Zielpeilung, selbst wenn die im Zickzack fahren. Wissen, wann man einen Torpe do abfeuert, Peilung, Distanz und Zielgeschwindigkeit berechnen ...« »Sie kriegen Ihre Chance, Sir. Die konstruieren eine neue Werft, höre ich - und dort wollen sie nichts außer Unterseebooten bauen. Die werden Sie brauchen. Die werden zu Ihnen kommen.« Tyler grunzte eine nichts sagende Antwort auf die sen Versuch, ihn zu trösten. Aber etwas im Tonfall des Chiefs machte ihn nachdenklich. Augenblick mal ... »Sie haben es gewusst«, sagte Tyler mit geweiteten Au gen. »Verdammt, Chief, Sie haben es gewusst!« Der Chief sagte nichts. Und das bestätigte es.
37
»Sie hätten es mir sagen können. Herrgott! Sie hätten mich warnen können ...« »Steht mir nicht zu, Sir.« Klough sah Tyler mitfühlend an, aber als Tyler in den Augen des Älteren nach dessen Meinung zur Entschei dung Dahlgrens suchte, konnte er dort keine finden. Lauter werdende Stimmen und in der Bar aufkom mende Unruhe veranlasste sie dazu, sich umzudrehen. Als der Lärm sich steigerte, standen sie auf. »Was, zum Teufel ...«, sagte Tyler. »Ein wenig spät, um lebhaft zu werden«, meinte Klough und ging hinein. Tyler folgte ihm auf dem Fuß. Ein halbes Dutzend Militärpolizisten der Navy wa ren dabei, die wenigen zurückgebliebenen Gäste un sanft zusammenzutreiben und ihnen die Tür zu weisen. Tank, Rabbit und die anderen waren zu betrunken, um Widerstand zu leisten, und es schien auch keine Schlä gerei im Gange zu sein, die man schlichten musste, oder dergleichen. Der Lärm, den sie gehört hatten, war ein zig und allein das Gebrüll der MPs: »Der Klub ist ge schlossen«, »Zeit, in die Falle zu gehen«, »Auf geht's, bisschen fix!« Tyler ging auf den knorrigen Marine zu, der den Ein satz mit einem Gummiknüppel in der Hand leitete. »Was soll das, Sergeant?« »Sind Sie hier der Dienstälteste?« »Richtig - Executive Officer von S-33. Diese Männer haben achtundvierzig Stunden Urlaub.« »Nein, den haben sie nicht mehr«, sagte der Marine. »Jeder Urlaub ist gestrichen - Ihrer auch, Sir.« Ein kurzer, verblüffter Blickwechsel - dann gingen Tyler und der Chief hinaus, um den etwas angetrunke neren Jungs behilflich zu sein, den Weg in die Kaserne zu finden. Beide fragten sich, was passiert sein mochte oder im Begriff war zu passieren.
38
3
Die Marinewerft von Portsmouth mit ihren über fünf tausend Arbeitskräften war in erster Linie für den Bau und die Instandhaltung von Unterseebooten der US Navy zuständig. Trotzdem verfügte die über mehrere Inseln verteilte Anlage auch über ein Trockendock, das Schlachtschiffe bis zu dreiundzwanzigtausend Tonnen aufnehmen konnte, sowie drei gewaltige überdachte Anlagen, in denen Schiffe bis zu zweitausend Tonnen versorgt werden konnten. Doch Unterseeboote waren das Hauptgeschäft der Werft. Deshalb verfügten die Hafenanlagen über Liegeplätze, die bis zu einhundert Boote aufnehmen konnten, und ein Montagebecken, das gleichzeitig bis zu zehn Boote versorgte. Dieses Unterseebootsbecken war das Ziel zweier Mannschaftswagen und eines Begleitjeeps, die eine un gepflegte, durchnässte, mitgenommen wirkende Mann schaft durch eine Nacht beförderten, die zum Morgen geworden war, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Der kleine Konvoi wurde schnell von der Torwache durch gewinkt, wo eine Gruppe mit Karabinern bewaffnete Marines, Stacheldraht und Sandsäcke keinen Zweifel daran ließen, dass, falls das jemand noch nicht bemerkt haben sollte, ein Krieg im Gange war. An der Pier - umsorgt von zwei Dutzend Schweißern und Arbeitern in Schutzhelmen, die aus irgendeinem geheimnisvollen Grund an Turm, Deckkanonen und dem Bug tätig waren - erwartete sie das salzverkruste te, an manchen Stellen weiß ausgebesserte, zerbeulte, schwarze Stück Abflussrohr, das sie ihr Zuhause nann ten: S-33.
39
Dieser hässliche, in die Jahre gekommene Wal war ein Relikt aus dem Ersten Weltkrieg, älter als sämtliche Mitglieder der Mannschaft, mit Ausnahme von Chief Klough und vielleicht dem Skipper. Das Boot in diesem neuen Konflikt einzusetzen machte ebenso viel Sinn, wie eine Fokker zu fliegen oder die Infanterie in rote Hosen zu stecken. S-33 litt unter Problemen mit der Steuerung, Maschinenschäden, Lecks und gelegentlich ausbrechenden Bränden, aber die Mannschaft behaup tete - voll Überzeugung und mit einiger Glaubwürdig keit -, dass diese alten, überholten S-Boote damals ver dammt gut konstruiert und zusammengebaut worden seien. Wenn Chief Klough nicht gerade über irgendwelche Mängel des Boots schimpfte, konnte man durchaus von ihm hören: »Zeigt diesem alten Mädchen ein wenig Zu neigung, und es behandelt euch auch richtig - ganz be sonders im Dunkeln. Ihr dürft bloß nicht mehr von ihr verlangen, als sie ertragen kann.« Im Augenblick starrte der Chief - einer der Ersten und wachsten aus der Crew, der aus dem Mannschafts wagen geklettert war, nachdem dieser in der Nähe des Boots angehalten hatte - sein ›Mädchen‹ mit weit auf gerissen Augen an. Dann verfinsterte sich seine Miene, als er die Schweißbrenner bemerkte, die in der Dunkel heit flammten und Funken sprühten und die Schwei ßermasken in rötliches Licht hüllten. »Was, zum Teufel ...« Der Chief hatte die Hände in die Hüften gestützt und den Kopf nach hinten gelegt. »Was machen diese Galgenvögel mit meinem gottver dammten Boot?« Aber niemand gab ihm Antwort, weder die Arbeiter, die genügend Lärm produzierten, um dafür eine gute Ausrede zu haben, noch die Matrosen, die wie Schlaf wandler an der Pier entlang taumelten.
40
Lieutenant Andrew Tyler, der aus dem zweiten Mannschaftswagen kletterte, war in gleicher Weise über die Reparaturen am Turm verwirrt - bei ihrer letzten Patrouille in der Karibik hatte es dort nämlich keine Schäden gegeben. Aber er wusste, dass man solche Fra gen nicht stellte. Die Navy hatte immer ihre Gründe. Außerdem stand Dahlgren oben im Widerschein der Arbeiten und redete mit dem Admiralsadjutanten, der immer wieder nickte, während der Skipper auf be stimmte Dinge auf dem Klemmbrett zeigte, das der Fähnrich in der Hand hielt. Irgendetwas war im Gange. Etwas Großes. Ein Jeep mit Pete Emmett am Steuer kam angefahren und hielt. Tank und Rabbit, beide ziemlich mitgenom men aussehend, saßen im Wagen. Emmett schaltete den Motor ab und sprang heraus, während Tank und Rabbit eher krochen. Emmett wirkte leicht amüsiert und legte damit dieselbe Mischung aus Distanziertheit und Mun terkeit an den Tag, die Tyler schon während ihrer Zeit in Annapolis an seinem Freund festgestellt hatte. »Hi, Andy«, meinte Emmett lässig und ging auf Ty ler zu, der immer noch ein wenig verwirrt den geheim nisvollen Reparaturarbeiten zusah, die an S-33 im Gan ge waren. »Was, meinst du wohl, hat der Chief diesmal für uns ausgeheckt?« »Irgendeine Albernheit, schätze ich«, sagte Tyler. »Ja, das befürchte ich auch.« Ein weiterer Jeep kam herangebraust und hielt an. Er brachte drei Marines, die den frisch verheirateten En sign Larson begleiteten. Lars kochte vor Wut, und Tyler konnte ihm das ei gentlich nicht verübeln. Schließlich war dies seine Hochzeitsnacht - der arme Teufel. Aber Emmett stand mit verschränkten Armen da und grinste wie ein Kobold, als er einem Marine dabei
41
zusah, wie der versuchte, Larson seinen Seesack zu rei chen, und der ihn ihm mit finsterer Miene aus der Hand riss. Die Marines hatten bereits wieder gewendet und brausten davon, als Lars vor sich hin brummelnd zu ih nen herüberkam. »Diese Blödmänner«, schimpfte er und zerrte dabei den Seesack hinter sich her. »Diese Mistkerle wollten mir nicht einmal fünf gottverdammte Minuten Zeit lassen, um meine Ehe zu vollziehen.« »Du hättest zwei Minuten von ihnen verlangen sol len«, sagte Emmett. »Mehr hast du doch früher auch nicht gebraucht.« »Sehr komisch! Da sieht man, was ihr für Sympathie für mich übrig habt!« »Im Wörterbuch steht das zwischen ›Scheiße‹ und ›Syphilis‹«, sagte Tyler. »Was steht da?« »›Sympathie‹« Lars schüttelte den Kopf. »Ihr seid unmöglich, richti ge Schwachköpfe seid ihr ...« Dann bemerkte er die Schweißarbeiten am Turm des Unterseeboots, dessen Widerschein seine Gesichtszüge in rötliches Licht tauchte. »Du lieber Gott. Was, zum Teufel, ist eigentlich los?« »Keine Ahnung«, sagte Emmett. Dahlgren kam jetzt auf sie zu. »Mr. Tyler! Lassen Sie die Mannschaft antreten.« »Aye, aye, Sir«, sagte Tyler. Er drehte sich zu den he rumstolpernden Matrosen um - diejenigen, die nicht noch halb schliefen, waren völlig betrunken - und brüllte: »Achtung! Alle Mann Achtung! In Reihe antre ten!« Trotz ihres jämmerlichen Zustands verwandelten sich die Schlafwandler und die Betrunkenen wie durch das Fingerschnippen eines Zauberers in Seeleute zu
42
rück. Tyler verwunderte das nicht: Die Tradition der Navy sah vor, dass nur die intelligentesten Bewerber für den Dienst bei der Unterseebootwaffe in Frage ka men, und nur furchtlose Männer meldeten sich freiwil lig für einen derart gefährlichen Job, den nur die Stärks ten überlebten. Binnen weniger Sekunden waren sie in Reihe angetreten. Tyler war mit seiner Zählung bereits fertig, als der Skipper neben ihn trat. Tyler vollführte eine Kehrtwendung und salutierte vor ihm. »Melde, Mannschaft vollzählig angetreten, Sir.« »Sehr gut.« Dahlgren trat ein paar Schritte vor und baute sich in der Mitte vor den Männern auf. Er wirkte gelockert, aber entschlossen, professionell, aber nicht unfreundlich. »Tut mir Leid, dass der Urlaub gestrichen werden musste. Ihr hättet ihn euch verdient gehabt das gilt für uns alle. Aber wir haben neue Befehle.« So wütend er im Augenblick auch auf Dahlgren war, musste Tyler doch zugeben, dass er der geborene Be fehlshaber war. Sein Verhalten ebenso wie das, was er sagte, ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass er die Vollmachten und die Verantwortung, die seine Auf gabe mit sich brachte, voll erfüllte. »Wir haben knappe zwei Stunden Zeit, um uns auf das Auslaufen vorzubereiten«, sagte der Skipper, »und um bis dahin die Wache auf Trab zu bringen. Mr. Lar son, lassen Sie Ihre Torpedoleute die vier besten Torpe dos, die Sie haben, in die Rohre laden.« »Aye, aye, Sir«, sagte Larson, »unsere vier besten Torpedos.« »Mr. Emmett, Dieselaggregate warm laufen lassen und Batterieladung beginnen.« »Aye, aye, Sir«, entgegnete Emmett. »Dieselaggrega te warm laufen und Batterien laden.« »Mr. Tyler, wir haben Ausrüstungsgegenstände,
43
Konserven und verderbliche Ware unter Deck zu schaf fen.« »Aye, aye, Sir. Ausrüstung, Konserven und Verderb liches wird verstaut, Sir.« Dahlgren nickte und ließ dann den Blick über jeden Einzelnen seiner Männer wandern, gerade als würde er den Horizont durch ein Sehrohr nach einem feindlichen Geleitzug absuchen. Dann sagte er: »Zwei Stunden, Gentlemen. Eine Minute weniger steht Ihnen frei; eine Minute mehr ist nicht akzeptabel. Mannschaft wegge treten.« Er drehte sich um und ging davon. Die Mannschaft, in Rührt-euch-Stellung, fing zu murmeln und brummein an, und die Männer wechsel ten teils verblüffte, teils beunruhigte und teils auch un gläubige Blicke. Tyler wollte ihnen gerade Beine machen, als der Chief ihm das abnahm. Klough knurrte: »Worauf, zum Teufel, wartet ihr eigentlich - ein Bitteschön? Ihr habt doch gehört, was der Skipper gesagt hat! Ladung an Bord bringen! Ihr habt drei Sekunden, die Beine in die Hand zu nehmen und loszulegen! Also, Beeilung, wenn ich bitten darf!« Obwohl die meisten Matrosen darauf reagierten, als ob ihnen jemand einen kollektiven Tritt in den Hintern verpasst hätte, und zu ihren Stationen rannten, dräng ten sich doch ein paar von ihnen um Tyler und über schütteten ihn mit Fragen. »Mr. Tyler«, meinte Mazzola, »ist das jetzt Ernst oder auch wieder nur so eine verdammte Übung?« Ehe Tyler antworten konnte, jammerte Trigger: »Ich sollte doch morgen meine Mom nach Hause fahren!« Und Tank wollte wissen: »Wie lange soll diese Ver gnügungsfahrt dauern?« Gleichzeitig ließ Rabbit die anderen an seinem Pro
44
blem teilhaben: »Aber, Mr. Tyler, meine Sachen sind alle in der Kaserne, und alle meine Uniformen auch!« Tyler hob kapitulierend beide Hände und sagte: »Okay, Leute, okay! Gebt mir Zeit, mich selbst schlau zu machen. Unterdessen macht ihr euch gefälligst an die Arbeit!« Die kleine Gruppe kam der Aufforderung nach, eini ge, nachdem sie sich bei Tyler bedankt hatten, die ande ren weiter vor sich hinbrummelnd. Tyler schüttelte den Kopf und ging hinter Dahlgren her, der allem Anschein nach zu einem Lagerhaus in der Nähe unterwegs war. Das hatte er jetzt davon, dass er so freundlich und im mer für die Männer da war ... »Capt'n«, sagte Tyler, der Dahlgren eingeholt hatte und erwartete, dass der stehen bleiben würde. Aber der Lieutenant Commander ging weiter. Tyler schloss sich ihm an und sagte: »Entschuldigen Sie, Sir, aber was ist eigentlich los? Ich nehme an, wir fahren nicht in die Karibik zurück.« »Nein, das tun wir nicht.« Dahlgren sah sich nach beiden Seiten um und meinte dann mit leiser Stimme: »Wir gehen auf Spezialeinsatz. Eine Einsatzbespre chung findet erst statt, wenn wir abgelegt haben.« »Jawohl, Sir. Verstanden, Sir.« Jetzt blieb Dahlgren überraschend stehen, und Tyler stolperte weiter und musste einen Schritt zurücktreten, um seinem Capt'n in die Augen zu sehen, dessen förm liches Verhalten sich um eine Winzigkeit gelockert hat te. »Andy«, sagte Dahlgren mit seiner alten Stimme, der freundlichen Stimme, »ich verlasse mich darauf, dass Sie unsere Meinungsverschiedenheiten für diesen Ein satz auf Eis legen.« »Selbstverständlich, Sir.« »Gut. Ich erwarte auf dieser Fahrt von Ihnen und der
45
ganzen Mannschaft das Allerbeste, das Sie geben kön nen. Sind wir uns darüber einig?« »Ja, Sir. Sagen Sie mir bloß, was Sie brauchen.« »Nun, im Augenblick brauche ich Radioman Wentz. Schaffen Sie ihn her, und bringen Sie ihn in die Depot schreibstube ... und Andy - wenn Sie ihn mir bringen, dann kommen Sie mit rein.« Ein winziges, rätselhaftes Lächeln huschte über seine Lippen. »Mein Befehl laute te, dass die Einsatzbesprechung zurückgestellt ist, aber ich kann Ihnen wenigstens einen Vorgeschmack darauf geben, wie ernst und wichtig dieser Einsatz ist.« Dann ging Dahlgren weiter und ließ Tyler stehen, der dachte, dass dieses kurze Gespräch mehr offene Fragen hinterlassen als beantwortet hatte. In weniger als drei Minuten holte Tyler Bill Wentz aus der Gruppe von Seeleuten heraus, die unter Anwei sung von Chief Klough eine Art Kübelkette gebildet hatten und das Boot mit Vorräten aller Art beluden. Wentz war zweiundzwanzig, blond, ein junger Mann mit gut geschnittenen Gesichtszügen aus Maiden, Mas sachusetts, in der Nähe von Boston. »Was ist denn hier los, Mr. Tyler?«, fragte der blau äugige Matrose, als der XO von S-33 mit ihm zu dem klobigen Lagerhaus hinüber ging, in dem die Depot schreibstube untergebracht war. »Ich hatte gedacht, Sie wüssten das vielleicht«, ent gegnete Tyler. Sobald sie das kleine Büro - es enthielt einen Schreib tisch mit Telefon, ein paar Aktenschränke, eine Hand voll Stühle, eine Wandkarte der Vereinigten Staaten, eine weitere vom Atlantik und eine Fensterwand mit Blick auf das Innere des mit Vorräten voll gepackten Lagerhauses - betreten hatten, wurde ihnen die Ernst haftigkeit ihres Einsatzes, so wie Dahlgren das vorher gesagt hatte, schnell klar.
46
Admiral Duke höchst persönlich, in Khakiuniform und mit ›Schiffchen‹ auf dem Kopf, stand neben dem Skipper. Duke war Ende Fünfzig, ein durchtrainierter Mann mit einem Raubvogelgesicht, das nur seine freundlich blickenden Augen, die von demselben stählernen Grau wie sein Haar waren, menschlich erscheinen ließ. Hin ter dem Admiral befand sich ein Schreibtisch, an dem ein wie ein Buchhalter wirkender Reserveoffizier der Navy saß, ein schmächtiger, schnurrbärtiger Mann mit Nickelbrille und sich lichtendem dunklem Haar. Er flüsterte in ein Telefon und hatte einen Aktendeckel vor sich auf der Schreibunterlage. Tyler hätte ihn vielleicht für einen Adjutanten oder Sekretär gehalten, aber die eindringlich wichtige Art des Mannes strafte diese Ver mutung Lügen. »Mr. Tyler«, sagte der Admiral freundlich und streck te ihm die Hand hin. Tyler schluckte, ergriff die Hand und schüttelte sie. »Schön, Sie zu sehen, mein Junge. Wie geht's denn?« Tyler hatte das Glück gehabt, den Admiral an der New London Submarine School kennen zu lernen, wo künftige Angehörige der Unterseebootflotte der Navy innerhalb von sechs Monaten auf ihre künftigen Aufga ben vorbereitet wurden. »Gut, Admiral. Freut mich, dass Sie sich an mich er innern.« »Ich erinnere mich immer an die Männer, die als Erste ihrer Klasse den Abschluss machen.« Wentz stand dicht hinter Tyler und war überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden - obwohl seine Anwesenheit und nic ht die Tylers gewünscht worden war. Es wurde immer seltsamer ... Tyler riskierte eine Frage: »Was führt Sie nach Ports mouth, Sir?«
47
Der Admiral trat einen Schritt zur Seite und deutete auf den Reserveoffizier, der immer noch mit gedämpf ter Stimme auf sein Telefon einredete und dessen ge reizte Miene anzeigte, dass es ihm ganz und gar nicht passte, dass sein wichtiges Telefonat gleichzeitig mit ei nem anderen Gespräch stattfinden musste. Interessant, fand Tyler, wenn man bedachte, dass an jenem anderen Gespräch ein Admiral beteiligt war. »Das ist Lieutenant Hirsch«, sagte Duke. »Er beglei tet Sie auf dieser Fahrt. Diesmal sind Sie nicht SUB LANT unterstellt.« Jetzt kam Tyler nicht mehr mit. »Ist er ein VIP-Passa gier oder ein Beobachter ...?« »Nein.« Dukes Augen mochten freundlich blicken, aber seine Stimme war hart wie Felsgestein. »Er ist der Boss, mein Junge. Mr. Hirsch hat die Einsatzleitung. Was er sagt, geschieht - und er bekommt alles, was er will.« Dahlgrens mürrische Miene ließ erkennen, dass ihm das, was er hier hörte, ebenso wenig gefiel wie Tyler. Hirsch legte den Hörer auf und erhob sich. Er war nicht sehr groß, was in Anbetracht der Unterbringungs möglichkeiten auf S-33 von Vorteil war. Tyler hielt ihm die Hand hin und sagte: »Mr. Hirsch.« Entweder bemerkte Hirsch die ausgestreckte Hand nicht, oder er war ein Rüpel. Vielmehr fixierten die Blicke des Reserveoffiziers Wentz, dessen Anwesenheit endlich zur Kenntnis genommen wurde. »Ist er das?«, fragte Hirsch Dahlgren mit einer wei bisch klingenden Tenorstimme. »Das ist er«, erklärte Dahlgren. Und dann sagte Hirsch plötzlich in akzentfreiem Deutsch: »Soweit mir bekannt ist, kommt Ihre Familie aus der Gegend um Koblenz, Mr. Wentz. Brave Bauern aus dem Rheintal.«
48
Tyler hatte keine Ahnung, was er gesagt hatte - aber dass er Deutsch gesprochen hatte, war ihm natürlich klar. Und das warf ihn beinahe um. Aber Tylers Reaktion war nichts im Vergleich zu der von Wentz, dessen ohnehin schon bleiches Gesicht jetzt kalkweiß geworden war und dessen Gesic htsaus druck plötzlich krank wirkte. Wentz zitterte, als wäre er ein deutscher Spion, den man soeben entdeckt hatte. Wentz, ein Deutscher? Lächerlich. Herrgott noch mal, er kam aus Maiden, Massachusetts! »Ja, Sir«, sagte Wentz mit ängstlicher Stimme, aber in englischer Sprache. »Ich stamme aus der Gegend von Koblenz.« Wentz hatte jedes einzelne Wort verstanden! Tyler hatte das Gefühl, jemand hätte ihm ein Brett über den Kopf geschlagen. Und dann sagte Hirsch, wieder in makellosem Deutsch, das für Tyler freilich ebenso Latein oder Grie chisch hätte sein können (ebenso wie für Dahlgren und Admiral Duke): »Können Sie auch ein passables Deutsch sprechen, so wie Sie es verstehen, Herr Wentz? Können Sie es lesen und schreiben? Oder sind Sie nur ein einfacher amerikanischer Bauernjunge, der bloß ei nen deutschen Namen hat?« Darauf erwiderte Wentz in akzentfreiem Deutsch, das wesentlich besser als das von Hirsch war (obwohl Tyler das natürlich nicht merkte): »Ich bin ein einfacher amerikanischer Bauernjunge, ja, Lieutenant. Aber ich spreche und schreibe sehr gut Deutsch. Ich habe auf der Brown University deutsche Literatur studiert, ehe ich dort abgegangen bin, um mich zum Kampf gegen die Nazis zu melden.« Tyler war wie benommen und wusste nicht, was er denken sollte. Weder Dahlgren noch der Admiral schie
49
nen darüber verwundert zu sein, dass Wentz Deutsch sprach. Plötzlich erschien es ihm etwas weniger lächer lich, dass Wentz ein Nazi-Spion war ... etwas. Hirsch sah den Admiral mit einem herablassenden Lächeln an, das so dünn wie sein Schnurbart war. »Das sollte gehen.« Dann setzte Lieutenant Hirsch sich wieder an den Schreibtisch. Selbst der Admiral schien zu akzeptieren, dass dieser dem Rang nach weit unter ihm stehende Reserveoffizier das Sagen hatte. Tyler sah jetzt, dass der Aktendeckel auf der Schreibunterlage die Aufschrift TOP SECRET trug. Hirsch nickte dem Skipper herablassend zu und griff danach. »Das wäre dann für den Augenblick alles, Mr. Tyler«, sagte Dahlgren und befolgte damit Hirsch' stummen Befehl. »Sie können sich jetzt wieder um die Vorberei tungsarbeiten am Boot kümmern.« »Aye, aye, Sir.« »Sie auch, Mr. Wentz.« »Jawohl, Sir«, sagte Wentz. »War schön, Sie zu sehen, Sir«, sagte Tyler zu dem Admiral und salutierte. Der Admiral erwiderte die Eh renbezeigung, lächelte und wandte sich wieder dem kleinen Mann am Schreibtisch zu. Tyler, dem der Kopf brummte, führte Wentz nach draußen. »Mr. Tyler, bitte«, sagte Wentz beinahe flehentlich. »Einen Augenblick, bitte!« Tyler blieb nicht stehen. Obwohl rings um sie Kisten und Kartons fast bis zur Decke aufgestapelt waren, konnten der Admiral, Dahlgren und Hirsch sie beide durch die verglaste Wand des Büros sehen. Aber als sie dann draußen in der kühlen Dunkelheit der frühen Morgenstunden waren, blieb Tyler stehen
50
und befahl: »Sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben, aber bitte schnell.« Wentz' Augen flackerten, und seine Stimme klang beinahe schrill. »Du lieber Gott, bitte sagen Sie den an deren nicht, dass ich ein halber Kraut bin. Die bringen mich sonst um!« Tyler antwortete mit einer Frage: »Wenn es nicht streng geheim ist - was, zum Teufel, haben Sie da drin nen gesagt?« Wentz erklärte es und fügte hinzu: »Aber ich weiß nicht, was das alles soll. Wen interessiert es schon, ob ich Deutsch kann?« Tyler setzte sich wieder in Bewegung, und Wentz trottete hinterher. »Es geht um unseren Einsatz«, mein te Tyler knapp, »aber das ist alles, was wir beide im Au genblick wissen. Und so soll es auch sein.« »Sie sagen den anderen also nicht, dass ...« »Nein. Keine Sorge, Wentz. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher - die Frage ist nur, ist es auch bei diesem Hirsch sicher?« Wentz fiel die Kinnlade herunter. Bald hatten sie den Rest der Mannschaft an der Pier erreicht. Die Schweißer waren inzwischen gegangen und der Turm - wo sie den Großteil ihrer Arbeit ver richtet hatten - aus bis jetzt noch nicht verständlichen Gründen mit einer Persenning verhängt. Die Matrosen kette war noch hart am arbeiten und schaffte Vorräte zum Luk am Heck von S-33 - Bananenbündel, eine Kis te Orangen, Kartons mit Konserven, Toilettenpapier, eine Hammelkeule, eine Rinderkeule, Schreibmaschi nenpapier, ein Karton Glühbirnen und all die anderen Notwendigkeiten und Luxusgegenstände, die es brauchte, um das Leben an Bord eines Unterseeboots halbwegs erträglich zu machen. Der Chief schien seine Kübelkette mit Lebensmitteln
51
und anderen Vorräten gut im Schuss zu haben und leg te ein ordentliches Tempo vor. Tyler, dem der Kopf von der Begegnung in dem kleinen Büro noch brummte, verdrückte sich zwischen die zwei leeren Mannschafts wagen, um eine Zigarette zu rauchen. Er klemmte sich eine Lucky Strike zwischen die Lippen, brachte aber kein Feuer zustande, weil seinem Zippo bloß ein schwa ches Glühen zu entlocken war, als er immer wieder das Reibrad drehte. Eddie Green, der farbige Messesteward, schlenderte vorbei und entdeckte Tyler. »Brauchen Sie Feuer, Mr. Tyler?« »Bitte.« Tyler steckte sein Zippo weg, und der Messe steward trat vor und zündete ihm die Lucky mit einem Feuerzeug an, das gleich beim ersten Schnippen eine Flamme von sich gab. »Alles in Ordnung bei Ihnen, Mr. Tyler?« Green war gebaut wie ein Football-Spieler, hatte aber die Augen eines Landpredigers. »Tadellos, Eddie.« »Ich wollt' mich noch mal für den Urlaubsschein be danken.« »Den haben Sie vom Capt'n.« »War aber Ihre Idee. He, und meine Süße lässt Ihnen auch danken - wirklich blöd, dass diese Marines uns finden mussten.« »So? Reden Sie mal mit Lars.« Greens Lachen dröhnte durch die Nacht. »Das arme Schwein, ausgerechnet in den Flitterwochen. Hoffent lich hat er das Nötigste geschafft.« Tyler blies eine Rauchwolke von sich und sagte: »Ich denke, diese hastige Hochzeit deutet darauf hin, dass das Nötigste schon vor einer Weile erledigt worden ist, Eddie.« Green lachte wieder und machte dann den Eindruck,
52
als würde er Tyler studieren, aber gerade als dem das peinlich wurde, sagte der Messesteward: »Hören Sie, Mr. Tyler - lassen Sie einfach ein wenig Zeit vergehen.« »Was?« »Sie sind ein tüchtiger Mann, haben das Herz auf dem richtigen Fleck ... ich hab' von Ihrer Enttäuschung gehört.« Tyler gab wieder eine Rauchwolke von sich und schüttelte den Kopf. »Zum Teufel, weiß das denn jeder?« »Nee. Das ist der Vorteil daran, wenn man gesehen und doch nicht gesehen wird, wenn Sie wissen, was ich meine, Sir. Sie würden sich wundern, was für Scheiß ich höre.« Tyler musste grinsen. »Sie wissen aber nicht zufällig, wo unsere Reise hingeht?« »Nee, das ist mir entgangen - und Sie? Was hören Sie, Mr. Tyler? Haben Sie auch nur den Hauch einer Ah nung, wo es hingeht?« »Na ja, ein wenig einengen könnte ich es schon.« »So?« »Nicht nach Tokio.« Green wusste nicht, was er damit anfangen sollte. Dann sagte er: »He, ich muss jetzt rüber und mithelfen, Mr. Tyler. Ich muss aufpassen, dass diese weißen Boys mir meine Hähnchenkonserven nicht kaputt machen.« Jetzt tauchte Emmett auf und sagte: »Du lieber Gott, Andy - seit wann bin ich der Letzte, der es erfährt? Aus gerechnet ich muss mir das vom Chief sagen lassen?« »Was soll ich da sagen? Der Skipper hat mich ins Scheißhaus geschickt. Ende der Fahnenstange.« »Hat er dir gesagt, warum?« Tyler zuckte die Achseln. »Er sagt, ich sei noch nicht so weit.« »Nicht so weit? Das ist doch Pferdekacke! Soll ich mit ihm reden?«
53
»Ja, das würde mir ganz bestimmt helfen. Er hält dich sowieso schon für einen arroganten kleinen Schei ßer.« Emmett reckte den Kopf in die Höhe. »Wer ist klein?« Das Quietschen von Reifen zog die Aufmerksamkeit beider Männer auf sich. Als sie sich umsahen, kam ein kleiner Laster im Rückwärtsgang geradewegs auf sie zu. Während sie Platz machten, sprang auf der Beifah rerseite ein großer, rothaariger Mann in einer ledernen Bomberjacke und Jeans heraus. Selbst auf einige Entfer nung waren seine Gesichtszüge auffällig - scharfe Au gen, noch schärfere Backenknochen und ein gespaltenes Kinn. Er deutete auf S-33 und sagte: »Kann mir einer von euch beiden sagen, wo der XO von diesem Schrotthau fen ist?« Obwohl er massiv wie ein Felsbrocken wirkte und in einem Navy-Fahrzeug hier auftauchte, deutete nichts an ihm darauf hin, dass er dem Militär angehör te. »Das wäre wohl ich«, sagte Tyler und schnippte sei ne Lucky Funken sprühend in die Nacht. »Ich brauche jemanden zum Ausladen«, meinte der Mann und deutete mit dem Daumen hinter sich auf die Ladebrücke des Lasters. Dann griff er nach hinten, zog die Klappe herunter und gab damit den Blick auf eine Ladung großer Holz kisten frei. Sie hatten etwas Unheil verheißendes an sich - Tyler spürte, dass sie keine Orangen enthielten. Ana nas vielleicht ... »Geht in Ordnung«, sagte er. »Wir kümmern uns da rum.« Der Mann ging auf sie zu und lächelte drohend. »Sie werden sich jetzt sofort darum kümmern.« Emmett ließ ein freundliches Lächeln aufblitzen und trat zwischen die beiden Männer. Petes hatte Talent da
54
rin, drohende Konflikte zu riechen und sie zum Verlö schen zu bringen, ehe sie aufflammten. »Wir helfen Ihnen gerne, Kumpel«, sagte Emmett. »Übrigens, wer, zum Teufel, sind Sie eigentlich?« »Major Coonan, US Marine Corps.« Es sah so aus, als würde er unter seinem Jackett nach einer Waffe greifen, aber er brachte nur ein Bündel Papiere zum Vorschein, die er Emmett hinhielt. »Das ist die Frachtliste. Schaffen Sie diese Kisten unter Deck, und zwar pronto.« »Auf wessen Veranlassung?« »Die meine. Beziehungsweise Lieutenant Hirschs. Sehen Sie, ich bin Passagier. Wenn Sie Probleme haben, müssen Sie mit ihm reden.« Emmett lächelte immer noch und gab sich Mühe, sei ne Stimme freundlich klingen zu lassen, als er fragte: »Was ist das für Zeug?« »Mein Gepäck.« Mit diesen Worten schlenderte Major Coonan zu dem Lagerhaus hinüber, in dem das Zahlmeisterbüro unter gebracht war. Tyler und Emmett blickten ihm nach. »Reizendes Kerlchen«, sagte Tyler. Emmett zuckte die Achseln. »Man könnte sich wirk lich kaum nettere Gesellschaft wünschen, mit der zu sammen man in einen eisernen Sarg gesperrt wird.« »Was, zum Teufel, ist hier im Gange? Wer übernimmt da das Kommando von unserem Skipper, Pete?« »Nach diesem Papier hier«, sagte Emmett und fuch telte mit der Ladeliste herum, »der Marine-Geheim dienst, Office of Naval Intelligence.« »ONI! Steht da, was in diesen Kisten ist?« »Militärisches Material - ist das eindeutig genug?« Kurz darauf wurden die schweren Kisten von Major Coonans Lkw von Hand durch die Matrosenkette ge reicht. Eddie Greens Eier hatten die Prozedur unver
55
sehrt überstanden, aber eine der geheimnisvollen Kis ten plumpste herunter. Sie brach auf dem Beton auf und löste damit das Geheimnis. Thompson-Maschinenpistolen fielen klappernd auf den Pier. »Heiliger Bimbam!«, sagte Trigger. »Das ist ja wie die Weihnachtsbescherung bei Al Capone!« Das löste zwar ein paar Lacher aus, aber sie klangen doch recht nervös. Der schimmernde Stahl schien den Matrosen im Mondlicht zuzublinzeln. »Hebt sie auf und packt sie wieder in die Kiste, Mäd chen!«, brüllte der Chief. »Die Dinger beißen nicht.« Aber der Ausdruck des Chiefs war genauso besorgt wie der der übrigen Matrosen. »Was für ein Gepäck«, sagte Emmett zu Tyler. »Was für ein Passagier«, erwiderte der. Die Arbeit, für die Dahlgren ihnen zwei Stunden ge lassen hatte, wurde in zwei Stunden erledigt; das Deck war klar, die Enden der Taue ordentlich aufgeschossen, Kombüse und die Klappen der Torpedorohre dicht. Der schrille Pfiff einer Bootsmannspfeife forderte alle auf, mit den Vorbereitungen für das Ablegemanöver zu be ginnen. In der grauen Dunkelheit des frühen Morgen grauen wurden die Leinen losgeworfen und von Meer wasser triefend eingezogen; Dieselrauch spuckte aus dem Auspuff; Wasser sprudelte und schäumte am Heck des U-Boots. Tyler stand neben Kommandant Dahlgren auf der Brücke, während der Skipper seine Befehle rief: »Alle Leinen einholen! Ruder mittschiffs, alles ein Drittel zu rück!« Bald glitt dieses Relikt des großen Krieges an der Pier entlang, immer noch mit der eigenartigen PersenningAbdeckung am Turm dicht unter ihnen auf der offenen Brücke. In den Dwarssalings standen die Ausgucks Wa
56
che. Bald verschluckte die gähnende Dunkelheit der of fenen See das Unterseeboot, das über die Wasserfläche dahin glitt und die Lichter der Küste hinter sich ließ. Unter ihnen, an Deck, hatte ihr ›Passagier‹ - der Ma jor der Marines in der Lederjacke - ein paar Matrosen auf das Vorderdeck befohlen. Tyler sah zu, wie er die Männer dabei anleitete, die Haken der Persenning zu lösen. Anschließend war Coonan ihnen dabei behilflich, die Plane und damit jede einzelne Kinnlade, mit Aus nahme der von Coonan und Dahlgren, herunterzuzie hen. Jetzt konnte man zum ersten Mal erkennen, was die Arbeiter am Turm im Schilde geführt hatten. Am Turm ihres Boots, vom Mondlicht in elfenbein farbenes Licht gehüllt, war jetzt eine Art Schild zu se hen, ein heraldisches Kunstwerk, auf dem man ge kreuzte Schwerter und, besonders auffällig, ein ganz bestimmtes, nur zu vertrautes Emblem erkennen konn te. Ein Hakenkreuz. Tyler, der den Turm anstarrte wie ein Teenager seine erste nackte Frau, wurde bewusst, dass dieses schockie rende Symbol im Verein mit ein paar anderen Änderun gen, die die Schweißer und Werftarbeiter an S-33 vorge nommen hatten, das Gesicht des alten Boots auf dramatische Weise verändert hatten. Lieutenant Andrew Tyler war jetzt sozusagen vom XO einer amerikanischen Submarine zum IO eines deutschen U-Boots geworden.
57
4
Dass S-33 ein schwimmendes Relikt war, stand außer Zweifel; andererseits entsprach jedes Unterseeboot in diesem Krieg einer seit 1905 unverändert gebliebenen Grundkonstruktion: ein zylinderförmiger, von Ballast tanks flankierter, an beiden Enden zugespitzter Rumpf; an Haifischflossen erinnernde Tiefenruder am Bug und am Heck; mit Öl betriebene Dieselmotoren für die Über wasserfahrt, Batterie betriebene Elektromotoren als An trieb unter dem Wasser; und schließlich das zusammen schiebbare Sehrohr, das sich in einem den Rumpf durchdringenden Schacht auf- und abbewegte und die Unterwasseraugen des Boots darstellte. Auch die Be waffnung war unverändert geblieben: Deckgeschütze für den Einsatz über Wasser und Torpedorohre vorn und achtern für die Tauchfahrt. Dennoch wusste Tyler, dass Lieutenant Hirsch und Major Coonan nichts auf den Abstieg in die Hölle vor bereitet haben konnte. So musste es ihnen vorgekom men sein, als sie den Niedergang vom Turm in die Zen trale hinunter kletterten, ein Eindruck, den die rote Beleuchtung noch verstärkte, die dazu diente, jene wertvolle Fähigkeit zu schützen, die da Nachtsicht hieß. Zentrale, Mannschaftsmesse, Offiziersmesse, Torpedo räume, sie alle schalteten bei Sonnenuntergang auf ro tes Licht, nur die Maschinenbereiche blieben weiß. Selbst ohne die höllenartige Beleuchtung wären Hirsch und Coonan nicht auf den Alptraum eines jeden Installateurs vorbereitet gewesen, den der enge Innen raum von S-33 darstellte - Messingarmaturen, frei lie gende Rohre, ein Gewirr von Röhren und Schaugläsern
58
und Drähten und Handrädern. Und ebenso wenig konnten sie auf die allgegenwärtigen, an ein Spukhaus erinnernden, ächzenden, quietschenden und stöhnen den Geräusche vorbereitet sein, oder die kalte abgestan dene Luft mit ihrem Bouquet aus Schimmel, Jod und toten Fischen. Und ganz sicherlich nicht auf die legere Art und Klei dung der Mannschaft - Jungs in blauen Jeanshemden mit aufgerollten Ärmeln, die ohne erkennbare militäri sche Ordnung durcheinander wuselten. Als Tyler mit den beiden Männern eine kurze Füh rung durch das Boot machte, redeten zahlreiche Mann schaftsmitglieder mit ihrem XO auf so vertraute Weise, dass Hirsch und Coonan sich mehrmals mit hochgezo genen Brauen ansahen. Die Nachricht von dem Haken kreuz am Turm hatte sich rasch wie Wasser, das durch ein böses Leck eindringt, im Boot herumgesprochen. »Wir laufen zu einem Spezialeinsatz aus«, erklärte Tyler jedem, der ihn fragte. »Das ist alles, was ich sagen kann, und das ist auch alles, was ihr wissen müsst.« Das löste häufig Antworten wie: »Das ist doch ein Haufen Scheiße!« oder »Wieder mal typischer NavyStuss!« aus. »Wie können Sie zulassen, dass Ihre Männer mit Ih nen reden, als ob sie mit Ihnen gleichgestellt wären?«, fragte Hirsch, als Tyler sie nach achtern führte. »Wir leben monatelang auf dichtem Raum zusam men, so als würden wir einander auf dem Schoß sitzen, Mr. Hirsch. Da halten sich Formalitäten nicht lange. Nach normalen militärischen Normen sind wir wahr scheinlich ein undisziplinierter Haufen.« »Was heißt da ›wahrscheinlich‹?«, meinte Coonan. »Ich habe nie so vie le schlampige Matrosen gesehen ...« Tyler blieb stehen und sah seine beiden Begleiter an. »Sie haben nie diszipliniertere Matrosen gesehen, Mr.
59
Coonan. Jeder Mann auf diesem Boot muss nicht nur seine eigene Arbeit, sondern auch die eines jeden ande ren beherrschen, vom Schmiermaxe bis zum Navigati onsoffizier. Um zu überleben muss jeder von ihnen sei ne Aufgabe in jeder Situation und immer auf den Sekundenbruchteil genau erledigen ... oder wir sind alle tot.« Die Führung dauerte nicht lang. Vom Fuß des Nie dergangs im Turm aus war der gesamte Innenraum von S-33 durch eine Folge offener Kugelschotts vom vorde ren Torpedoabteil bis zum Maschinenraum achtern zu sehen. Die komplizierteste Erklärung war der Bedie nung der Toilette vorbehalten. »Neunzehn Schritte, Gentlemen«, sagte Tyler. »Sie müssen sie in der hier angeschlagenen Reihenfolge er ledigen, oder Sie riskieren einen Vulkanausbruch.« Hirschs Augen weiteten sich, als er sich über die klei ne Toilette beugte und las: »Ventil ›A‹ entlüften ... Schieber ›C‹ ... Hebel ›A‹ ... Luftzufuhr ... das ist doch lächerlich!« »Jeder kann lernen, ein Unterseeboot unter Wasser zu bringen, Mr. Hirsch«, sagte Tyler. »Aber erst wenn Sie diese wichtige taktische Operation beherrschen, dürfen Sie sich als Unterseeboot-Fahrer betrachten.« Schließlich machte er sie mit der Zentrale vertraut, wo Dahlgren, ohne seine Gäste zur Kenntnis zu neh men, am Sehrohr stand und Chief Klough das allgemei ne Geschehen im Auge behielt. Tyler zeigte ihnen auf der Backbordseite hinter dem Niedergang die Tiefen messer und die Vorrichtungen, mit denen die Tiefenru der betätigt wurden; davor war eine Instrumententafel, die als ›Christbaum‹ bezeichnet wurde und deren rote und grüne Anzeigeleuchten jedes einzelne Ventil und jede Klappe im Boot überwachten. Den gesamten Be reich am vorderen Schott nahmen die Horchanlage, die
60
Geschwindigkeitsanzeigen und die Regler für den Dieselantrieb und die Elektromotoren ein. Auf der Steu erbordseite waren die elektrischen Anzeigegeräte, die Sicherungstafeln, die Druckluftverteiler und die Pum penregler vertreten. Unmittelbar hinter den Schalttafeln für den Antrieb befanden sich der Kreiselkompass und der Umspannschalter für den Elektromotor. »Haben Sie alles verstanden?«, fragte Tyler die bei den Männer. Hirsch und Coonan sahen sich mit glasigen Augen an und nickten. »Klarmachen zum Tauchen«, sagte der Skipper. Chief Klough sprach in das Handmikrofon der Sprechanlage: »Klarmachen zum Tauchen!« »Jetzt machen Sie sich ganz klein«, riet Tyler den bei den und griff nach einem Klemmbrett auf dem schma len Tisch vor dem Achterschott, »und halten Sie sich aneinander fest, wenn Sie wollen - rühren Sie aber sonst nichts an.« Die beiden Passagiere sahen aus, als ob sie am liebs ten verschwunden wären - und das war vermutlich ein Wunsch, der voll und ganz Tylers Zustimmung gefun den hätte. Durch die offenen Gänge konnte man die Verwand lung sehen, die das ganze Boot und seine Mannschaft jetzt erlebten: Eddie Green, der Messesteward, der zwei Tassen Kaffee in der Hand hielt, schob sie auf seinen rechten Zeigefinger und griff mit der jetzt freien linken Hand nach oben, um ein Kupferrad zu drehen und ein Ventil zu schließen - wobei er keinen Tropfen Kaffee verschüttete; ein Techniker im Bugtorpedoraum stülpte sich Kopfhörer über; die ›schwarze Gang‹ strömte in den Maschinenraum achtern; überall im Boot bezogen die Männer ihre Stationen an Ventilen und Schaltern. Offiziere und Seeleute, die wie aus dem Nichts mate
61
rialisierten, nahmen ihre Posten ein: Mazzola und Griggs saßen plötzlich an den Tiefenrudern; Chief Klough kümmerte sich um den Christbaum; Pete Em mett stand an den Loggen und den Leistungshebeln, und Trigger, der sich ganz in der Nähe befand, hatte sich Kopfhörer übergestülpt und wachte über die Horchanlage. Ensign Larsons wachsamer Blick ruhte auf dem Kreiselkompass, während seine Hände das Steuerruder umfasst hielten. »Hauptinduktionanzeige geschlossen«, sagte der Chief. »Aye«, bestätigte Emmett. »Alle Anzeigen auf grün, Skipper.« Das bedeutete, dass auf der Tafel, die Christbaum hieß, keine roten Anzeigelichter mehr aufleuchteten. »Sind klar zum Tauchen«, sagte der Chief. Larson, der inzwischen vor dem Kartentisch stand, plottete ihre Position mit. »Passieren die Hundert-Fa den-Linie, Sir.« »Sehr gut«, sagte Dahlgren, dessen Augen immer noch in dem gepolsterten Okular des Sehrohrs vergra ben waren. »Zwei Drittel voraus.« »Zwei Drittel voraus!«, sagte Tyler. »Mr. Emmett«, sagte Dahlgren, »tauchen.« »Aye, aye, Sir.« »Tiefe eins-fünf-null Fuß. Zehn Grad vorlastig.« »Eins-fünf-null Fuß, aye. Zehn Grad vorlastig, aye, Sir.« »Maschinen liefern Umdrehungen für zwei Drittel voraus«, meldete Trigger. »Wachhabender«, sagte Emmett, »auf Tauchstation. Lassen Sie das über die Bordsprechanlage durchgeben. Ventile Trimm- und Regelzellen öffnen.« Chief Klough hatte bereits nach dem Mikrofon ge griffen. »Aye, Sir, gebe weiter ...fluten, fluten, fluten!«
62
Der Chief gab Tauchalarm und löste damit zwei schrill blökende Laute des internen Alarmhorns aus. OOAAH-OOHGAAH, OOAAH-OOHGAAH! hallte es durch das ganze Boot. Dann drehte Klough ein paar Ventilräder, während Emmett den Kammerdiener spiel te und dem Skipper beim Anlegen seines Ölzeugs in klusive Hut behilflich war. Das schien Hirsch zu verwir ren und unruhig zu machen. »Sir«, sagte Klough, »Anzeige für Ventile Hauptbal lasttank auf offen.« »Aye«, sagte Emmett, der bereits wieder vor seinen Schaugläsern und Handrädern stand. »Beide unten fünfzehn.« »Beide unten fünfzehn, aye«, bestätigte Mazzola, während er und Griggs an ihren Rädern drehten. Am Sehrohr sagte Dahlgren, der in seinem Süd wester aussah, als ob er einer Werbung für einen Urlaub in Schottland entstiegen wäre: »Decks überspült.« Hirsch stand neben dem Kartentisch, wo Larson ge rade eine Küchenschabe wegwischte, die ihn daran hin derte, die Position abzulesen. »Mr. Hirsch«, sagte der Skipper. »Ja, Sir?« »Dieser Einsatz wurde so Hals über Kopf angetreten, dass die notwendigen Wartungsarbeiten nach unserer Patrouillenfahrt nicht vollständig erledigt werden konnten. Wir werden also ein Stück tauchen, um zu se hen, in welchem Zustand das Boot ist.« »Und das hat welchen Einfluss auf unseren Ein satz?« Dahlgrens Lächeln war so schwach, dass nur die Mit glieder seiner Mannschaft es bemerkten. »Wenn wir nicht sinken, können wir den Einsatz durchführen.« Daraus schloss Tyler, was der Skipper vorhatte, und schickte nach Tank. Der überdimensionierte Maschi
63
nenmaat würde sich als nützlich erweisen, falls sich herausstellte, dass die Zentrale ein paar Lecks hatte. Tyler hatte großen Respekt für diese Künstler mit dem Schraubenschlüssel, deren Improvisationsfähig keit bei Reparaturen an das Wunderbare grenzte - zum Beispiel aus mit Farbe durchtränkter Leinwand wasser dichte Flicken für Lecks herzustellen, Kabel mit Teer getränkten Lappen zu isolieren oder aus ein paar Blechstücken und Uhrenteilen ein neues Innenleben für Schaugläser zu fertigen. Bald war Tank damit beschäftigt, mit einem kleinen Hammer sachte die Rohre zu beklopfen und damit ihre Dichtigkeit zu überprüfen, so wie ein Arzt die Kniere flexe eines Patienten testete. Tyler lächelte in sich hinein und sah zu, wie Coonan, der harte Marine, unbehaglich auf das Schott über ihnen starrte, durch das Wasser tropfte, und sich ganz offensichtlich darüber wunderte, dass dies sonst niemanden zu stören schien. Emmett bemerkte es auch und fragte: »Das erste Mal auf einem Unterseeboot, Major?« Coonan nickte. »Sechzig Fuß«, informierte der Chief mit Blick auf den Tiefenmesser. Der Grund, weshalb der Skipper sein Ölzeug ange legt hatte, wurde offensichtlich, als jetzt ein Wasser schwall auf ihn niederging. Tyler wusste, dass er einer in die Jahre gekommenen Sehrohrdichtung zuzuschrei ben war. »Fahre Sehrohr ein«, sagte Dahlgren, und das Seh rohr fuhr zischend in seinen Schacht. »Capt'n!«, sagte Trigger, der konzentriert einen über seine Kopfhörer hereingekommenen Bericht angehört hatte. »Maschinenraum meldet leichten Wasserein bruch von Stopfbuche an Welle und Salzwasserpumpe. Wasser in den Bilgen auf achtzehn Zoll und steigend.«
64
Dahlgren nickte unbeeindruckt. Finster blickend und sichtlich besorgt und irritiert fragte Hirsch: »Warum tun Sie das, Capt'n? Sie könnten den Einsatz gefährden.« »Wenn dieses Boot nicht seetüchtig ist, gibt es keinen Einsatz.« Das nahm Hirsch wortlos hin. Die Maske der Unbe siegbarkeit Coonans, der neben ihm stand, hatte deutli che Sprünge bekommen. »Capt'n«, fragte der Marine, »wie tief kann dieses Boot tauchen?« »Bis zum Meeresgrund, Mr. Coonan, wenn wir sie nicht vorher stoppen. Wir versuchen, nicht tiefer als hundertfünfzig Fuß zu gehen. Sonst könnte es sein, dass unsere Pumpen mit den Lecks nicht mehr fertig wer den.« Wie um die Worte Dahlgrens zu unterstreichen, ging ein Stöhnen durch den Rumpf, der damit gegen die Misshandlung protestierte. An ein paar Stellen spritzte ein wenig Wasser aus undichten Stellen, so wie ein schwaches Sprinklersystem, das versuchte, ein nicht existierendes Feuer zu löschen. Larson beugte sich schützend über seine Karte, damit sie nicht nass wurde. Die beiden Passagiere bekamen es jetzt sichtlich mit der Angst zu tun. Hirschs Augen huschten hin und her, als wäre ihm plötzlich bewusst geworden, dass er unter Platzangst litt, während Coonan der Schweiß von der Stirn rann, als ob er selbst ein paar Lecks hätte. »Einhundert Fuß«, sagte der Chief. Tank schlug mit seinem Hammer gegen ein Rohr, einmal, zweimal, dreimal, viermal ... Beim fünften Mal ertönte kein metallisches Geräusch mehr, sondern eher ein Zischen, als der Hammer die rostige Rohrwandung durchschlug und wie ein stählerner Zahn kleben blieb, während in Blasen Salzwasser austrat.
65
»Hoppla«, sagte Tank und biss sich auf die Unterlip pe. »Ich sollte die Mama hier wohl besser abdichten, Skipper.« »Ja«, nickte Dahlgren, »und binden Sie eine Marling rum. Dann kann die Werft das in Ordnung bringen, wenn wir in den Hafen zurückkehren.« Plötzlich war der ganze Raum in weißes Licht ge hüllt. »Was, zum Teufel, ist das jetzt?«, sagte Hirsch. Tyler dachte, der Mann würde dem Marine gleich in die Arme springen. »Morgendämmerung«, erwiderte Tyler. »Da schalten die roten Lichter ab und die weißen an. Eine Tasse Kaf fee, Gentlemen?« Die beiden Passagiere nickten und folgten Tyler eif rig aus der Zentrale, ohne die grinsenden Gesichter zu sehen, die sie hinterließen. Es war Vormittag geworden, und S-33 fuhr jetzt aufge taucht. Der winzige Raum, der die Offiziersmesse dar stellte, hatte Tyler, den Skipper, Hirsch, Coonan, Em mett und Larson zu Gast. Die beiden Längswände des dreieinhalb mal zweieinhalb Meter großen Raums wa ren von Bücherregalen gesäumt, und in der Nähe des Chronometerspinds befand sich ein altersschwaches Grammofon. Die sechs Männer standen um den grün bezogenen Tisch, auf dem die Mahlzeiten serviert und Schach und Karten gespielt wurde; im Augenblick be deckte ihn eine Karte des Atlantiks wie ein Tischtuch aus Papier. Darauf standen weder Speisen noch Spiele. »Gentlemen«, sagte Hirsch, und seine Augen blitzten hinter den Gläsern seiner Nickelbrille, »ich kann gar nicht oft genug betonen, wie geheim das ist, was Sie jetzt von mir hören werden. Das weiß nur eine ausgewählte Hand voll Leute, einschließlich des Präsidenten.«
66
Lieutenant Hirsch und Major Coonan gaben sich jetzt ganz geschäftsmäßig und hatten - ohne deshalb freund lich geworden zu sein - ihr herablassendes Gehabe ab gelegt, seit sie an Bord von S-33 einige Lektionen gelernt hatten. Hirsch tippte auf die Karte. »Gestern hat an genau diesem Punkt um zwei Uhr ein U-Boot einen Frachter versenkt, der Flüchtlinge befördert hat. Ein britischer Zerstörer hat das Sehrohr des U-Boots gesichtet und Wasserbomben geworfen. Das U-Boot ist als zerstört gemeldet worden.« »Gibt es dafür Beweise?«, fragte Larson. »Bruchgeräusche und Verlust des Sonarkontakts«, erklärte Coonan. Emmett lachte. »Eine armselige Bestätigung.« »Sie sagen es, Lieutenant«, nickte Hirsch. »Einige Stunden später haben alliierte Richtfunkstationen ein verschlüsseltes, feindliches Funksignal angepeilt« - er tippte wieder auf die Karte -, »und zwar hier, in der Nähe der Chop-Linie.« »Nicht versenkt«, sagte Larson. »Manövrierunfähig.« »Von dieser Annahme gehen wir aus, ja«, bestätigte Hirsch. »Das U-Boot treibt allem Anschein nach mit ei ner Strömung von vier Knoten ostwärts.« Tyler fragte: »Weshalb interessiert sich die Marineab wehr für ein beschädigtes U-Boot?« »Weil das an Bord ist«, antwortete Coonan und reich te ein körniges Schwarzweißfoto eines nicht nur harm los, sondern geradezu alltäglich wirkenden Gegen stands herum. »Eine Schreibmaschine?«, fragte Larson feixend und reichte das Foto weiter. »Das«, erklärte Hirsch, »ist eine Enigma-Chiffrierma schine. Mit dieser ›Schreibmaschine‹ führt die deutsche Marine ihren geheimen Funkverkehr mit ihren Unter
67
seebooten. Und dass wir nicht imstande sind, ihre Codenachrichten zu entziffern, kostet uns diesen Krieg.« Dahlgren - der bereits über den Einsatz informiert war - reichte das Foto ohne einen Blick darauf an Tyler weiter. Die Codiermaschine sah tatsächlich aus wie eine Schreibmaschine in einem schlichten Holzkasten. Und dieses Stück Schrott sollte bestimmen, wie der Krieg ausging? Hirsch deutete auf einen Hafen an der französischen Küste. »Die französische Widerstandsbewegung hat ge meldet, dass gestern Nachmittag ein Versorgungs-UBoot aus den U-Boot-Bunkern von Lorient ausgelaufen ist, das Maschinenteile geladen und ein paar Mechani ker als Passagiere an Bord hatte.« »Ein Reparaturschiff ?«, fragte Tyler. »Ein Reparaturschiff - zu einem Treffpunkt mit dem beschädigten U-Boot unterwegs. Aber nicht, wenn wir zuerst dort ankommen.« Emmett grinste. »Jetzt sehe ich, was ihr vorhabt und warum ihr unserem alten amerikanischen Mädchen ein Hakenkreuz aufgeschraubt habt. Wir sind ein gottver dammtes Trojanisches Pferd!« Coonan nickte und grinste selbst ein wenig. »Wir be haupten ja nicht, dass die Idee neu ist - sie ist bloß ver dammt gut. S-33 wird sich mit dem U-Boot treffen und sich als das deutsche Versorgungsschiff ausgeben. Ich werde eine Prisenmannschaft in Uniformen der Kriegs marine auf das feindliche Unterseeboot anführen.« Jetzt äußerte Dahlgren sich zum ersten Mal und ließ dabei einen ernsten Blick über die Gesichter seiner Männer wandern. »Um es mit Gewalt in unseren Besitz zu bringen und uns die Enigma zu sichern.« Tyler spürte ein mulmiges Gefühl in der Magengru be. »Etwaige deutsche Überlebende werden auf S-33 ge
68
bracht, und anschließend wird das U-Boot versenkt«, sagte Coonan. Emmetts Grinsen war verflogen, und Larson blickte düster. »Das deutsche Versorgungs-U-Boot wird an dem Treffpunkt erscheinen und vermuten, dass das U-Boot seinen Wunden erlegen und gesunken ist«, ergänzte Hirsch. Er musterte die Gesichter der Offiziere von S 33. »Gentlemen, die Deutschen dürfen nie vermuten, dass wir die Enigma haben. Das ist der Schlüssel zu al lem. Es ist lebenswic htig.« Schweigen legte sich über die kleine Offiziersmesse. Dann sagte Emmett: »Es ist also ein Wettlauf gegen die Zeit?« »Ja, darauf läuft es hinaus.« Tyler stellte die Frage, deren Antwort er fürchtete: »Wer wird zu dieser Prisenmannschaft gehören?« Coonan sah nach rechts zu ihm herüber. »Mit Aus nahme von Capt'n Dahlgren, der an Bord von S-33 blei ben wird - Sie. Sie, Mr. Tyler, als XO, Mr. Emmett, Mr. Larson und Mr. Hirsch und natürlich ich - und neun weitere Angehörige Ihrer Mannschaft, darunter Ihr Deutsch sprechender Radiomann Wentz.« Tyler sah sich nach seinen Freunden Emmett und Larson um, die bleich und mit gequälter Miene dastan den. Als er sich zu Dahlgren wandte, bemerkte er zu erst ausdruckslose Hinnähme. Dann - als ob der Skip per Tylers Gedanken lesen könnte - nickte Dahlgren, als ob er ausdrücken wollte: Sagen Sie, was Sie auf dem Her zen haben. Tyler holte tief Luft, atmete dann langsam aus und sagte schließlich: »Mr. Hirsch, bei allem gebotenen Res pekt - und bitte missverstehen Sie mich nicht -, ich wür de dieses Boot durch die Tore der Hölle steuern und dem Teufel einen Torpedo in den Hintern setzen, wenn es uns
69
dabei helfen würde, diesen Krieg zu gewinnen. Aber die Jungs von S-33 sind Unterseebootmänner ... Seeleute ... keine für den Kampf ausgebildeten Marines.« Coonans Stimme klang erstaunlich sanft. »Sie wer den es nicht mit für den Kampf ausgebildeten Marines zu tun bekommen, Mr. Tyler. Die Jungs auf diesem UBoot sind ebenfalls Seeleute.« »Das klingt bei Ihnen so verdammt einfach, Major. Sie erwarten von mir, dass ich zusehe, wie man meine Jungs in einen Fleischwolf wirft und zu Hackfleisch ver arbeitet?« Coonan sah ihn unbewegt an. »Ihre Männer werden bereit sein, Lieutenant. Das ist mit ein Grund, weshalb ich hier bin - um sie auszubilden.« »Major«, sagte Emmett und lehnte sich in seinem Stuhl nach vorn, »wir sind nur vier Tage von der ChopLine entfernt.« »Reichlich Zeit.« Emmett lachte, ein hohles Lachen. Larson schüttelte den Kopf. Tyler saß wie gelähmt da. Jetzt richtete Dahlgren sich auf und sagte: »Mr. Hirsch, wie wäre es, wenn Sie den Männern das sagen würden, was Sie mir gesagt haben.« Hirschs Augen funkelten hinter seinen Brillenglä sern. »Capt'n, verlangen Sie von mir nicht, dass ich In formationen preisgebe, die für die Durchführung die ses Einsatzes nicht notwendig sind.« Dahlgrens Augen bohrten sich in die Hirschs, und er sagte: »Seien Sie offen zu diesen Männern. Sie werden es nicht bereuen.« Hirsch blieb einen Augenblick lang stumm, seufzte dann tief und sagte: »Im letzten Monat haben Hitlers UBoote einhundertdreißig Frachter entlang der Ostküste versenkt - dicht vor unserer eigenen Küste, Gentlemen. Wir verlieren pro Woche dreißig Schiffe.«
70
Tyler verspürte wieder dieses mulmige Gefühl im Magen; aber diesmal war es anders. »Wenn das so weitergeht«, sagte Hirsch, »wird Eng land fallen, und wir werden mit Nazi-Deutschland ei nen Verhandlungsfrieden schließen müssen. Anstelle von ›The Star Spangled Banner‹ wird man bei Sportver anstaltungen dann ›Deutschland über alles‹ singen, und die Schulkinder werden jeden Morgen den Führer und nicht die Fahne grüßen.« »Ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, Mr. Hirsch«, warf Emmett ein, »aber übertreiben Sie jetzt nicht ein wenig?« »Das ist nicht meine Beurteilung, Mr. Emmett. Das stammt vom Kriegsminister und dem Präsidenten selbst. Wir haben eine Chance zu verhindern, dass die ses ›übertriebene‹ Szenario zur Realität wird. Sie haben diese Chance.« Tyler sah Emmett und Larson an, sah die Entschlos senheit in ihren Gesichtern, nickte ihnen zu, worauf sie zurücknickten, und lächelte dann. »Lieutenant«, sagte er zu Hirsch, »Sie sind auf das richtige Boot gekommen. Wir sind es gewöhnt, Chancen wahrzunehmen.«
71
5
Kapitänleutnant Günther Wassner stand im vorderen Bereich des deutschen Unterseeboots U-571 am Schott neben der winzigen Nische, die den Funkraum des Boots enthielt, und gegenüber seiner kleinen Kabine. Mit der grauen abgewetzten Lederjacke über dem gel ben Rollkragenpullover, die Mütze aus der Stirn ge schoben und den dunkelblonden Bart makellos ge stutzt, war Wassner das Urbild des gefassten und selbstbewussten U-Boot-Kommandanten; aber inner lich war er aufgewühlt und voller Ungeduld und Sorge um sein Boot und seine Männer. Der Funker, ein bärtiger, neunzehnjähriger Junge in einem Overall, saß in seinem offenen Kabuff und hatte nur eine Hälfte seines Kopfhörers am Ohr, um mit dem anderen Ohr eingehende Morsesignale und Befehle aus dem Inneren des Boots hören zu können. Die klobig wirkende Enigma-Dechiffriereinheit in dem Holzkasten stand vor dem Funker wie eine Schreibmaschine, die einen unter Schreibblockade leidenden Schriftsteller herausfordern wollte. Drei Nachrichten waren heute hereingekommen ein weiteres U-Boot hatte Anweisung erhalten, seine Position achtzig Meilen westwärts zu verlegen; Nach richten von einem Geleitzug, der zu viele Reisetage von U-571 entfernt war, um von Interesse zu sein (selbst wenn das Boot einsatzbereit gewesen wäre), und Feind fahrtinstruktionen für ein Boot, das im Bereich von Gi braltar operierte. Im Hauptquartier des BdU, des Be fehlshabers der U-Boote, wurden zweifellos auf einer großen Karte kleine Fähnchen, die die Funkmeldungen
72
zu den patrouillierenden U-Booten widerspiegelten, wie Steine auf einem Spielbrett herumgeschoben. Unterdessen trieb U-571 hilflos und wie eine schwimmende Zielscheibe in der Strömung. Für den U-Boot-Kommandanten war das ein Zu stand, den er nicht akzeptieren konnte. Deshalb tat er alles in seiner Macht Stehende, um Abhilfe zu schaffen - aber seine Möglichkeiten waren beschränkt, und sei ne Hilflosigkeit machte ihn immer wütender. Das war ebenfalls ein Zustand, den Wassner nicht akzeptieren konnte: Er musste seiner jungen Mann schaft ein Beispiel geben. Wenn er sich auch nur das lei seste Anzeichen von Angst anmerken ließ, würde sich das wie eine Seuche ausbreiten. Vor ein paar Stunden hatte er die Nerven verloren und beinahe einen der Jungs geschlagen. Der stramme, junge Maat, dessen Hände und Gesicht mit Öl ver schmiert waren, hatte eine letzte Schraube am Steuer borddiesel angezogen und damit seine Reparaturarbei ten anscheinend beendet. »Alles klar«, sagte der Junge stolz, »jetzt können wir einen Probelauf machen.« Wassner und sein LI an der Armaturentafel in der Nähe blickten sich mit einem hoffnungsvollen Lächeln an; eine kleine Gruppe von Matrosen sah besorgt zu. Dann flogen die Finger des Leitenden Ingenieurs über die Knöpfe, und er öffnete ein Ventil ... ... und die Kolben, von der Druckluft animiert, be gannen sich zu heben und zu senken! Zuerst tuckerten sie in einem langsamen, sich stetig aufbauenden Rhythmus dahin; dann wurden sie schneller wie ein Zug, der aus dem Bahnhof rollt. Der LI lächelte dem Kommandanten zu, und Wassner nick te und lächelte zurück. Der ölverschmierte Junge grins te, sonnte sich im Glanz seiner Leistung. Dann fing die Maschine an zu husten, Rauchwölk
73
chen auszuspucken und zu zittern, als ob sie nervös wäre. Sie lief träge, verlor ruckartig ihren Rhythmus, begann zu ächzen und zu stöhnen, langsamer zu wer den - und kam schließlich mit einem von schwarzem Rauch begleiteten Seufzen zum Stillstand. Wassner stampfte durch die Rauchschwaden und nahm sich den jungen Maat vor. Er beugte sich über ihn und schob sein Gesicht so dicht an das des Jungen, dass ihre Nasen sich fast berührten. Wassner stieß eine Verwünschung aus: »Ich habe ge dacht, Sie hätten behauptet, Mechaniker zu sein!«, brüllte er. »Bin ich auch«, erwiderte der Junge mit aufgerisse nen Augen und wich zurück, bis er hinten an das Rohr gestänge stieß. »Ich war Lehrling in der Werkstatt mei nes Onkels - da habe ich Motorräder repariert!« Wassner holte aus, schlug den Jungen aber nicht. Vielmehr klopfte er ihm auf die Schulter und nickte. Der Junge hatte sich Mühe gegeben. Große Mühe. Die Stakkatolaute von Morsezeichen rissen Wassner aus seinen Gedanken und holten ihn wieder in die Funkbude und zu dem bärtigen Jungen mit dem Kopf hörer an einem Ohr zurück, der eifrig dabei war, die neueste Nachricht, eine willkürliche Buchstabenfolge, auf das speziell dafür vorgesehene Formular zu notie ren. Als die Sendung endete und die letzten Buchstaben hingekritzelt waren, klappte der Funker das Code-Buch auf, das neben ihm lag, und blätterte darin, bis er das Datum des heutigen Tages - 15. Mai 1942 - und sein Finger auf der aufgeschlagenen Seite den augenblick lich gültigen Vier-Buchstaben-Code gefunden hatte: FMOX. Im Mechanismus der Enigma standen nebeneinan der drei Scheiben mit den Rändern nach außen, wie
74
Schallplatten in einer Jukebox. Sie trugen Buchstaben auf den Rändern; der Funker drehte die silbernen Schei ben mit dem Daumen, bis die Buchstaben FMOX neben einander zu lesen waren. Dann tippte er die scheinbar willkürlichen Buchstaben der Morsenachricht in die Tasten der Enigma. Eine Scheibe an dem Gerät leuchtete auf und gab eine entschlüsselte Nachricht preis. Wassner beugte sich vor und kopierte den entschlüsselten Text auf ein Blatt seines Notizbuchs: »Wassner - Gitterposition melden. Hilfe naht. Wir brauchen Sie wieder im Kampf. BDU.« Wassner kritzelte erleichtert eine Antwort, die für Admiral Dönitz bestimmt war, und reichte sie dem bär tigen Jungen, damit dieser sie verschlüsseln konnte. Gerade als der Junge zu dem mühsamen Vorgang ansetzte, Wassners Worte in scheinbaren Buchstabensa lat zu verwandeln, tönte eine Glocke, und Unheil ver heißende rote Lichter blitzten auf. »Alarm!« Das gefürchtete Wort hallte durch das Boot; es war die Stimme seines IO aus der Zentrale, wo Wassner Se kunden später erschien und den Niedergang zur Brü cke hinaufhastete. Er trat neben Leutnant Kohl, den IO, und drei Brückenwachen in Ölzeug. Es war ein kühler von der See geküsster, sonniger Nachmittag, ein ange nehmer Tag, wie ihn der Herrgott sicherlich nicht mit dem Gedanken an Krieg geschaffen hatte. Einer der Matrosen stand neben der Drehbettung des MG-34. Die Waffe war drohend auf ein hölzernes Boot ge richtet. Wassner streckte die Hand aus, worauf sein IO ihm einen Zeiss Feldstecher reichte. Der Kommandant sah sich das herannahende Boot näher an: ein Rettungsboot, ein ziemlich kleines, armseliges Fahrzeug mit deutli chen Brandspuren und - er zählte die Köpfe – zwölf
75
Passagieren, durchnässten Matrosen mit rußver schmierten Gesichtern in zerfetzten Uniformen, -ohne Zweifel die zusammengewürfelten Überlebenden eines versenkten Frachters. Einige von ihnen waren verwun det und notdürftig verbunden; alle wirkten am Ende ihrer Kräfte. Und erleichtert, erfreut, vor sich in Gestalt des Un terseeboots ihre Rettung zu sehen. Glücklich, fast über schwänglich ruderten sie auf U-571 zu. »Britisch«, sagte Wassner. Mit einem müden Seufzer ließ er das Fernglas sinken. Die Brise trug das Geräusch der Ruderschläge und erfreute Stimmen über das Was ser. »Ahoi, Freunde!«, rief der Sprecher eine Spur zu herzlich, eine Herzlichkeit, die die Verzweiflung nicht ganz verdrängen konnte. Sein britischer Akzent ließ sei ne Worte auf schmerzhafte Weise fröhlich klingen. »Guten Tag! Wir brauchen Hilfe! Wir haben nichts zu essen und kein Wasser!« Die Jungs auf der Brücke wandten sich Wassner zu; sie sprachen nicht Englisch, wussten aber, dass er das tat. Doch Wassner antwortete nicht, sondern hob erneut sein Fernglas und suchte den Horizont ab, ob da viel leicht noch weitere Überlebende zu erkennen waren. Nein. Bloß dieses jämmerliche Boot mit seinen jämmer lichen Passagieren. »Wir haben viele Verwundete!«, schrie der Sprecher, ein dicklicher, glatt rasierter Mann um die Vierzig mit roten Pausbacken; vielleicht der Schiffskoch. »Wir sind Handelsmatrosen, nicht am Kampf beteiligt! Bitte, neh men Sie uns gefangen, bitte, Herr Kommandant! Wir machen Ihnen keinen Ärger!« »Was haben die gesagt, Herr Kaleu?«, fragte Kohl. »Sie möchten an Bord kommen und uns Gesellschaft leisten.«
76
»Haben wir Platz für Gefangene?« »Natürlich nicht.« Damit wandte Wassner sich an den Ausguck am Decksgeschütz und sagte: »Erschießen Sie sie.« Der Mann riss den Mund auf und drehte sich über rascht und zugleich entsetzt über diesen beiläufig erteil ten, herzlosen Befehl zu seinem Kommandanten. Das hölzerne Rettungsboot war inzwischen näher herangetrieben, seine Passagiere waren jetzt deutlicher zu sehen. Sie hatten sich von bloßen Silhouetten in Men schen aus Fleisch und Blut verwandelt, und die Spuren ihres Leids waren unübersehbar, ebenso wie die Hoff nung und die Angst in ihren bleichen Gesichtern, die Verbände über den von Öl geblendeten Augen einiger, die zerfetzten Uniformen, schwarz von getrocknetem Blut und den Brandspuren. »Helfen Sie uns, um Gottes willen!«, rief der Spre cher. »Das Gesetz des Meeres verlangt es!« Das war nicht gut. Wassner wusste, dass seine junge Mannschaft bisher nur auf Distanz getötet hatte; sie hat ten sich nicht mit der Realität aus Fleisch und Blut ihrer Opfer auseinander setzen müssen. Zeit für eine harte, aber notwendige Lektion, was Krieg bedeutete. Wassner packte den jungen Ausguck am Arm und bohrte seinen Blick in die sanften blauen Augen in dem bartlosen Gesicht; der Junge war gerade erst der Puber tät entwachsen. »Wir nehmen keine Überlebenden auf«, erklärte der Alte ihm und allen anderen auf der Brücke. »Das ist ein Führerbefehl, und er ist gut.« Der Junge schluckte. »Müssen wir ... sie töten, Herr Kaleu?« »Wenn ich Maschinen hätte«, sagte Wassner und hielt den Arm des Jungen immer noch fest, »würde ich sie dem Meer überlassen. Aber ich habe keine Maschinen
77
und wenn diese Männer gerettet werden, werden sie unsere Position melden. Die Wahl für uns ist ganz ein fach - entweder sterben sie oder wir.« Wassner ließ den Jungen los. Der Mann sah seinem Kommandanten in die Augen, schluckte und wandte sich dann seinem Maschinenge wehr zu. Mit maskenhaftem Gesicht, die blauen Augen glasig, machte der Junge die Waffe feuerbereit und drehte sie zu dem Rettungsboot hinüber. Die Reaktion des Sprechers darauf sollte erheiternd klingen, so höflich britisch kam sie herüber: »Tut uns schrecklich Leid! Dann ziehen wir weiter. Danke schön, meine Freunde. Wir werden sagen, dass wir uns nie be gegnet sind! Wenn Sie also gestatten ...« Aber an der Art und Weise, wie die Ruderer sich hek tisch in die Riemen legten, verzweifelt zu entkommen versuchten, wie Schrecken und Entsetzen in ihren Ge sichtern Freude und Erleichterung verdrängten, war gar nichts Komisches. Der blauäugige Junge zuckte mit keiner Wimper, während er wie ein Roboter dastand, obwohl seine Waf fe mit tödlicher Gewalt an ihm zerrte und Kugel auf Kugel hinausjagte, einen endlosen Feuerstoß automati schen Gewehrfeuers, ein erschreckender Donner an dem stillen Nachmittag, der beinahe die Schreie und das Klagen und Kreischen übertönte und das Klatschen des Wassers und das Knirschen von Kugeln, die sich in die Planken des Boots bohrten. Beinahe. Der junge Matrose schluckte benommen; er hatte jetzt einen ganzen Gurt verschossen, und die leeren Pa tronenhülsen klirrten an Deck. Er starrte auf das hinaus, was er getan hatte, auf die Wrackteile, die auf dem Meer dahintrieben. Kleine Stücke des hölzernen Boots trieben auf den
78
Wellen, tänzelten wie Spielzeugboote in einer Badewan ne. Das größte Stück des zerfetzten Rettungsboots sank, verschwand unter den Wellen ebenso wie die blutigen, von Kugeln zerfetzten Leichen und ein paar abgerisse ne Gliedmaßen. Bald war nur noch einer der Handels matrosen zu sehen, den eine Schwimmweste trug, ein toter Mann, der darauf wartete, gerettet zu werden ... Die einzigen Geräusche, die man jetzt noch hörte, waren das Klatschen der Wellen und das Klirren an Deck herumrollender Patronenhülsen. Wassners junger IO, Kohl, wandte sich ab, beugte sich über die Reling und gab Frühstück und Mittagessen von sich. Der Aus guck, der Junge am MG-34, starrte immer noch auf den einsam in den Wellen treibenden Leichnam, der sich langsam in seiner Schwimmweste drehte. Wassner legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und drückte fest zu. »Ich bin stolz auf dich, mein Jun ge«, sagte er. Dann ging er schnell unter Deck, damit der Junge, wenn er weinte, das nicht vor seinem Kommandanten tun musste. Ihn dieser Qual auszusetzen wäre zu grau sam gewesen.
79
6
Am Nachmittag des ersten Einsatztages ging Lieute nant Andrew Tyler - in der Hand ein Klemmbrett mit den neuesten Positionsdaten, die Pete Emmett mit sei nem Rechenschieber berechnet hatte - den hell beleuch teten Gang hinunter auf Dahlgrens Nische zu, die sich ›Kabine‹ nannte. Tyler kam sich vor, als befände er sich in einem surrealistischen Traum. Die letzten paar Tage waren in seiner Erinnerung in einen bizarren Nebel zu sammengeflossen. Ordnung und geistige Gesundheit wurden auf einem Unterseeboot durch strenges, an religiösen Eifer erin nerndes Festhalten an der Routine bewahrt - auf die Weise liefen die Dinge mit einem Mindestmaß an An strengung und ohne Konfusion sicher ab. Auf S-33 wur den, ebenso wie auf jedem anderen Unterseeboot der US Navy, sämtliche Verrichtungen auf exakt die gleiche Weise nach einem exakt gleichen Zeitplan abgewickelt, und dies Tag für Tag vierundzwanzig Stunden lang. Das Ablesen der Stromspannung und der Temperatur, die Wachablösung, die Eintragungen ins Logbuch, die Aufzeichnungen der Positionen, die Vorbereitung der Mahlzeiten - alles, ohne dass Befehle dafür erteilt, Auf gaben, die fast unbewusst erledigt wurden. Auf die Weise wurde nur selten etwas vergessen oder gar falsch gemacht. Diese scheinbar geisttötende Routine war zugleich beruhigend und notwendig und ermöglichte es den Of fizieren und Unteroffizieren, sich auf ihre wichtigeren Aufgaben zu konzentrieren und ebenso wie die Mann schaft iederzeit auf dem Posten zu sein, wenn das Horn
80
einen Alarm oder ein plötzliches Tauchmanöver ankün digte. Diese letzten paar Tage freilich waren alles andere als Routine gewesen. Major Coonan hatte Unterricht im Umgang mit Waffen erteilt, einen Lehrgang über das Kämpfen in so ziemlich dem schlimmsten Klassenzim mer, das man sich dafür vorstellen konnte: der Enge ih res alten U-Boots. Auf dem Stahltisch in der Mann schaftsmesse im Heckbatterieraum waren Blaupausen der Baupläne des deutschen U-Boots ausgelegt worden, mit denen der Major seine beiden Einsatzteams in sepa raten Schulungssitzungen vertraut machte (das eine wurde von Coonan geführt, das andere von Hirsch, der aber an den Sitzungen nicht teilnahm, sondern im Ra darraum Posten bezogen hatte). »U-571 hat eine Besatzung von vierundvierzig Mann«, erklärte Coonan. »Unsere beiden Teams werden sich dem U-Boot vor und hinter dem Turm auf Schlauchbooten nähern. Unser Ziel ist, die Brückenwa chen auszuschalten und unter Deck einzudringen, ehe der Rest der deutschen Mannschaft weiß, was los ist. Und, nicht vergessen, sobald Sie im Inneren des Boots sind, befinden Sie sic h auf engem Raum und sind von Metall umgeben. Das bedeutet: Gefahr von Querschlä gern - feuern Sie also Ihre Waffen nicht ab, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.« Matrosen wie Mazzola, Tank und den quälend jun gen Trigger wie Schuljungen versammelt zu sehen und mitzuerleben, wie sie diesem abgebrühten Veteranen des Marine Corps dabei zuhörten, wie er Angriffstakti ken erklärte, wirkte auf Tyler absurd und machte ihm Angst. Trigger sah aus wie ein Halbwüchsiger, der im Radio einem Polizeihörspiel lauscht. Mazzolas bisheri ge Erfahrungen bezüglich taktischer Kriegsführung und Nahkampf beschränkten sich darauf, irgendwelche
81
Röcke ins Heu zu ziehen. Und wenn Tank bei dem Ver such zu denken die Stirn noch mehr gerunzelt hätte, hätte es sein können, dass ihm die Haut heruntergefal len wäre. Dann waren da die Nazi-Modenschauen. Jungen wie Griggs und Rabbit und Wentz rissen wie Kinder bei der Weihnachtsbescherung Pakete auf und fanden darin deutsche Marineuniformen und auf Hochglanz polierte schwarze Stiefel. Sie alberten herum wie Teenager bei einer Schulaufführung, als sie die Uniformen anprobier ten, und Griggs tönte herum, dass man ihn in Texas mit einer Jagdflinte erschießen würde, falls man ihn dort in diesen verdammten Nazi-Klamotten gesehen hätte; Chief Klough sah dem Ganzen im stummen Entsetzen zu und fand überhaupt nichts komisch daran. Über haupt nichts. Mazzola, der in seiner Uniform einigermaßen schnei dig wirkte, warf Wentz, der sich in der seinen offenbar unbehaglich fühlte, einen Blick zu und sagte: »Ich hab' ja immer gewusst, dass du wenigstens zur Hälfte ein Kraut bist.« Das war offenbar als Witz gedacht, aber ein ziemlich böser, und Wentz konterte grimmig: »Kannst es ja dei nem Kumpel Mussolini erzählen, Spaghettifresser!« Das hätte zu einer Prügelei ausarten können, wenn der Chief nicht dazwischen gegangen wäre und beiden gesagt hätte, sie sollten gefälligst das Maul halten. »Die nächste dumme Bemerkung«, sagte Klough, der zwi schen den beiden Kampfhähnen stand und sie mit aus gestreckten Händen auseinander hielt, »bedeutet frei williges Scheißhausputzen - und das ist keine Latrinenparole.« Das machte dem ein Ende; aber die kleine Episode war ein Beispiel dafür, was für ein unwirklicher Ort S 33 geworden war. Die Mitglieder der Mannschaft strit
82
ten sich fast nie, und wenn es zu einem Wortwechsel kam, waren das immer nur Albereien. Man überlebte in der eingeengten Welt dieser Eisenrohre nur, wenn man ein Maß an gegenseitiger Toleranz aufbrachte, im Ver gleich zu dem ein Mönchskloster wie ein Karnevalsum zug wirkte. Diese Jungs mochten einander - selbst wenn sie Landurlaub bekamen und eigentlich ein paar Stunden lang für sich allein sein könnten, steckten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Tyler hatte einmal gehört, wie ein Kriegsberichter statter Dahlgren gegenüber äußerte, dass sich die Män ner auf Unterseebooten wie eine Familie verhielten. Der Skipper hatte gelacht, ein raues, ungläubiges La chen. »Wenn wir uns so verhalten würden, wie es Familien tun«, hatte Dahlgren dem Reporter erklärt, »würden wir uns am zweiten Tag an die Gurgel gehen.« Die Abweichung von der Routine, die Aussicht auf Kampf auf engem Raum, hatten das Boot einer größe ren Belastung ausgesetzt als ein Alarmtauchen auf zweihundert Fuß. Auf seinem Weg durch den Mittel gang verlangsamte Tyler seine Schritte, um Lars zuzu nicken, der auf seiner Koje einen Brief schrieb; aber der Ensign wandte ihm den Rücken zu und hielt schützend die Hand über eine Fotografie. Es war ohne Zweifel ein Schnappschuss seiner frisch angetrauten Frau, und Lars wollte mit ihr und seinen Gefühlen allein sein. Tyler konnte es ihm nicht verübeln; aber bei diesem Einsatz war es notwendig, dass die Männer, die eine so verschworene Gemeinschaft bildeten, sich noch näher kamen. Die Regel, die er auf der Submarine School ge hört hatte und die auf S-33 immer wieder unter Beweis gestellt worden war, lautete: »Wenn ich meine Arbeit verpatze, wirst du die deine verpatzen. Und wenn du die deine verpatzt, ist das für alle das Ende.« Wenn sie
83
draußen auf ihren Schlauchbooten versuchten, das feindliche U-Boot zu entern, würde jeder von ihnen noch mehr als das auf S-33 der Fall war - das Leben der anderen in der Hand halten. In diesem Augenblick machte das Boot eine etwas heftigere Bewegung, und Tyler wäre fast auf den Flur platten ausgerutscht. Trigger, Rabbit und Mazzola wa ren oben auf der Brücke und wurden vermutlich - Öl zeug hin oder her - vom Wind und den Wellen tüchtig gepiesackt. Tyler fragte sich, was genau S-33 bevor stand ... An Dahlgrens Kabine angelangt, klopfte er ans Schott. »Herein«, hallte die Stimme des Skippers. Tyler zog den Vorhang vor dem engen Kabuff weg, das dem Skipper als Büro und Wohnraum diente. Dahl gren saß an dem Klapptisch, über dem der Telefonhörer der Bordsprechanlage angebracht war; er schrieb in das Logbuch des Boots. In diesem winzigen Wandschrank von Kabine zwängten sich eine Koje, Spinde, fließendes warmes und kaltes Wasser und ein Kompass - die beste Unterbringungsmöglichkeit, die das Boot zu bieten hat te, trotzdem ziemlich armselig. Dahlgren blickte von seinem Logbuch auf und sagte: »Ja, Lieutenant?« Tyler, der im Eingang stand (in dem Kabuff war nur für einen Platz), reichte ihm das Klemmbrett. »Unsere Position, Capt'n.« Dahlgren warf, ohne Tyler das Brett abzunehmen, ei nen Blick darauf und prüfte Emmetts Arbeit. »Sieht so aus, als hätten wir immer noch mit dem Gegenwind zu kämpfen.« »Ja, Sir. Ich schätze, wir liegen drei Stunden hinter Plan zurück.« Dahlgrens Augen wanderten von dem Klemmbrett
84
zu seinem Logbuch zurück, und er fing wieder zu schreiben an. Tyler sagte: »Ich habe Mr. Emmett gesagt, er soll auf voller Kraft voraus bleiben und so lange mit Trimmma növern warten, bis wir die verlorene Zeit aufgeholt ha ben.« »Gut, Lieutenant«, entgegnete Dahlgren, ohne von seiner Schreibarbeit aufzublicken. »Sonst noch etwas?« »Nein, Sir.« Tyler hatte sich gerade zum Gehen gewand, als Dahl grens Stimme ihn aufhielt - die alte Stimme, die Stim me eines Freundes. »Andy.« »Ja?« Tyler drehte sich zu seinem Skipper um, der jetzt von dem Logbuch aufgeblickt hatte und ihn mit einem leichten Lächeln ansah. »Andy, Sie sind weiß Gott ein erstklassiger XO. Ich hatte noch nie einen, der Ihnen auch nur nahe kam und dabei hatte ich ein paar der besten XOs, die es gibt.« »D-d-danke, Sir.« »Ein guter XO, ein wirklich erstklassiger, ist in dieser Navy verdammt schwer zu kriegen. Daran sollten Sie immer denken.« Tyler sagte nichts. »Und an noch etwas sollten Sie denken«, fuhr Dahl gren fort, und sein Lächeln wurde breiter. »Die Stellung eines Capt'n ist es nicht immer wert, dass man sich wirklich darum bemüht. Haben Sie je den Satz gehört: ›Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst!‹?« »Ja, Capt'n.« »Nun, seien Sie vorsichtig, Andy. Verdammt vorsich tig-« Tylers Muskeln spannten sich. »Ich glaube, wenn die Zeit da ist, werde ich der Aufgabe gewachsen sein, Sir.«
85
»Das glaube ich auch.« Dahlgren grinste schief; er hatte Ringe um die Augen, und sein Blick wirkte ge quält (fand Tyler wenigstens). »Die einzige Meinungs verschiedenheit zwischen uns beiden, Andy, ist, wann dieser Zeitpunkt gekommen sein wird.« Wieder blieb Tyler stumm; das wurde jetzt etwas peinlich. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als wieder zu seiner Arbeit zurückzukehren. Aber der Skipper hörte nic ht auf. »Nehmen Sie zum Beispiel diesen kleinen Abstecher. Da gibt es ein deut sches U-Boot, das in unserem braven alten Atlantik treibt. An Bord ist ein Stück Schrott, das wie eine SmithCorona-Schreibmaschine aussieht, und man hat mir ge sagt, dass es in Wirklichkeit ein wertvolles Codiergerät ist. Unsere Aufgabe ist ganz einfach: Wir sollen dieses Stück Schrott stehlen.« Tyler lächelte, ein leichtes Zucken um seine Mund winkel. »Diese ›einfache Aufgabe‹ erfordert ein paar ziemlich hässliche Schritte.« »Ja, nicht wahr? Und jetzt kommt der Haken, XO. Dieses wertvolle Stück Schrott - wie viele Menschenle ben ist es wert?« Tyler zuckte zusammen. »Sir?« »Wie viele Männer sollte ich bereit sein, dafür zu op fern, dass Mr. Hirsch und der Nachrichtendienst der Navy ihr Spielzeug bekommen? Ein paar? Alle? Oder einfach bloß Mazzola - er hat ein loses Mundwerk und kann einem manchmal ganz schön den Nerv töten. Sei ne Mutter mag ihn ja vielleicht, aber ich kann das von mir eigentlich nicht behaupten. Oder wie war 's mit Ih rem Kumpel Emmett? Er ist manchmal ziemlich arro gant, finden Sie nicht? Das Sterben könnte ihn vielleicht ein wenig erträglicher machen. Oder dieser spindeldür re Bursche im Torpedoraum, ein rechter Eigenbrötler ... würden wir den vermissen?«
86
»Sir, so kann man das doch nicht sehen ...« »Vielleicht ist diese Schreibmaschine Ihr Leben wert? Was meinen Sie? Oder das meine?« Tyler wusste nicht, was er sagen sollte. »Sehen Sie, Andy, jetzt zögern Sie. Aber ein Capt'n kann das nicht. Er muss handeln. Sonst setzt er das Le ben der ganzen Mannschaft aufs Spiel.« »Ich würde für jeden einzelnen Mann auf diesem Boot sterben.« »Ich weiß, dass Sie das tun würden. Ihre Tapferkeit stand nie in Zweifel. Die Jungs mögen Sie - eine ganze Menge von denen blicken zu Ihnen auf wie zu einem großen Bruder. Sind Sie bereit, sind Sie willens, ihr Le ben aufs Spiel zu setzen?« »Ich ... so hatte ich mir das noch nie überlegt, Sir.« »Nein, das haben Sie nicht. Das mussten Sie auch nicht. Es steht nicht in der Stellenbeschreibung eines XO. Der Skipper muss über solche geringfügigen Un annehmlichkeiten nachdenken und sich damit ausei nander setzen. Er muss Entscheidungen treffen, auf grund derer womöglich Menschen sterben und mit denen er leben kann. Das ist keine Geheimwissenschaft. Man muss imstande sein, aufgrund unzureichender In formationen harte Entscheidungen zu treffen. Muss von Männern verlangen, Befehle auszuführen, die zu ihrem Tod führen können, Männer, die die Konsequenzen tra gen müssen, wenn Sie eine Fehlentscheidung getroffen haben.« Tyler schwieg. »Wenn Sie nicht bereit sind, diese harten Entschei dungen zu treffen, ohne lange zu überlegen, dann ha ben Sie nicht das Zeug dazu, Capt'n eines Untersee boots zu sein.« Tyler, der sich bemühte, alles das zu verdauen, was ihm Dahlgren da entgegengeworfen hatte, brachte ir
87
gendwie die Frage zustande: »Dann ... was ist dann die Antwort, Sir?« »Die Antwort?« »Wie viele Männer ist es wert?« »Nun, so viele wie es eben braucht, Andy.« Dahlgren schüttelte den Kopf. »Ist das nicht ekelhaft? Sagen Sie Mr. Hirsch, dass ich ihn gern sprechen würde, seien Sie so nett, Lieutenant, ja?« Darauf wandte der Skipper sich wieder dem Log buch zu, und Tyler ging Mr. Hirsch holen. Im roten Schein der Nachtbeleuchtung wurde in der klei nen Offiziersmesse das Abendessen serviert. Der mit grü nem Boi bezogene Tisch, an dem auch Karten gespielt und Einsatzbesprechungen geführt wurden, war mit ei ner weichen Unterlage und einer weißen Leinentischde cke, edlem Porzellan und Silber gedeckt. Um die elegan te kleine Tafel waren Lieutenant Commander Dahlgren, Pete Emmett, Keith Larson, Lieutenant Hirsch, Major Coonan und Andy Tyler versammelt. Alle, mit Ausnah me des Skipper, trugen Uniformen der deutschen Kriegs marine, was das unwirkliche Gefühl noch steigerte, das Tyler den ganzen Tag über empfunden hatte. Messesteward Eddie Green schöpfte aus einer Sup penterrine, deren Inhalt mit dem Stampfen und Rollen des Boots in der unruhigen See hin- und herschwappte, Austerneintopf auf ihre Teller. »Würd' wirklich gern mit euch Gentlemen mitkom men«, sagte der Messesteward. »Ist kein Platz mehr auf der Party?« »Tut mir Leid, Eddie«, antwortete Major Coonan. »Die Nazi-Uniformen sind uns ausgegangen.« »Wirklich schade, Major. Ich würd' 'nen verdammt guten Sturmtruppler abgeben, das sage ich Ihnen - ich würd's den Krauts da drüben ganz schön besorgen.«
88
»Keine Frage, Eddie«, sagte Dahlgren todernst, »die lassen sich was entgehen, wenn sie Sie nicht mitneh men.« Das rief ein Lächeln auf Greens Gesicht hervor, als er die Suppenterrine in die Kombüse zurücktrug. Der Skipper musterte seine in Nazi-Uniformen ste ckenden Tischgefährten, lächelte, schüttelte den Kopf und hob sein Wasserglas. »Gentlemen, auch wenn wir offenbar unterschiedliche Vorstellungen von passender Dinner-Kleidung haben, möchte ich gern einen Toast ausbringen. Auf die Offiziere und die Mannschaft von S-33 - und unsere geschätzten Gäste.« Coonan und selbst Hirsch lächelten leicht und waren sichtlich erfreut, dass man ihnen jetzt, wo der Höhe punkt ihres Einsatzes nahe rückte, etwas Respekt ent gegenbrachte. Sie hoben ebenso wie alle anderen Män ner an dem kleinen Tisch ihre Wassergläser. »Möge Gott Ihnen auf diesem Einsatz beistehen«, sagte Dahlgren, dessen Miene wieder ernst geworden war, »und möge er uns allen dabei helfen, diesem Krieg bald ein gerechtes Ende zu machen.« »Hört, hört!«, murmelte jemand, und Pete Emmett sagte: »Amen.« Gläser klirrten; sie tranken. Sie waren gerade mit ihrem Austerneintopf fertig ge worden, als Wentz, der ebenfalls Nazi-Uniform trug, ein wenig verlegen an den Tisch trat. Er fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut. »Capt'n, Sir - der Chief sagt, wir nähern uns der Chop-Linie.« »Ausgezeichnet«, sagte Dahlgren. Er drehte sich zu Larson herum. »Ensign?« Dahlgren erhob sich, und Lars folgte ihm. »Ich muss in die Funkbude zurück«, sagte Hirsch, stand auf und ging hinaus, gefolgt von Major Coonan, der den anderen zum Gruß zunickte.
89
Jetzt waren nur noch Tyler und sein Freund Pete Em mett am Tisch. Emmett brachte mit seinem patentierten Taschen spielertrick eine Zigarre zum Vorschein, bot sie seinem Freund an, und Tyler nahm sie. Ein Streichholz materia lisierte, und Emmett war Tyler beim Anzünden behilf lich. »Wir werden doch nicht etwa in die Luft fliegen, oder?«, fragte Tyler. »Durch die Zigarre oder den Einsatz?« »Bitte.« Tyler paffte; die Spitze der Zigarre glühte orangerot. »Rauchst du keine?« »Nee. Ich habe mir den Magen verkorkst.« Emmett hatte auch seine Suppe kaum angerührt. »Vielleicht sollte ich dann auch nicht rauchen«, sagte Tyler, der das Ding von vorneherein eigentlich lieber nicht genommen hätte. »Nein, nein, ist schon gut.« Emmett grinste. »Erin nerst du dich an den Gunner, du weißt schon, diesen Artilleriemaat, von unserer ersten Patrouille?« »Oh, meinst du Weisser?« »Ja, den. Der Mistkerl wurde nie seekrank. Ich mei ne, in einer solchen Nacht, wo das Boot stampft und rollt ... Zum Teufel, der hat uns bloß ausgelacht, wenn wir auf das Essen verzichtet haben, und gebrüllt: ›Heut gibt's für Tom 'ne Menge zu fressen! Keine Konkurrenz! 'ne Menge zu fressen! ‹« Tyler lachte. Die Zigarre schmeckte ihm. »Der Kerl war verrückt. Aber ein netter Spinner ...« »Aber ein Spinner. Verdammt, jede normale Teer jacke wird hie und da seekrank.« Doch Tyler wusste, dass Emmett in Wirklichkeit nicht seekrank war. Pete litt unter der gleichen Krank heit wie Tyler - Schmetterlinge im Bauch vor dem Kampf. Beide wussten es.
90
Emmett griff sich die deutsche Offiziersmütze, die vor ihm auf dem Tisch lag, und stülpte sie sich in einem verwegenen Winkel auf den Kopf. »Ich glaube, als die auf der U-Boot-Schule Tu-so-als-wärst-du-ein-Nazi ge lehrt haben, war ich nicht da.« »Ich glaube, ich auch nicht«, sagte Tyler. Er schnippte die deutschen Orden über Emmetts Brusttasche an, und sie klirrten ein wenig. »Und - wofür sind die?« »Der da ist dafür, dass ich Hitlers Tochter gebumst habe. Und der, weil ich Himmler ein neues Korsett ge bracht habe. Oh, und der hier, weil ich für Goebbels ei nen Ministranten gefunden habe, der den Mund halten konnte.« Tyler grinste; Pete, dieser Mistkerl, konnte ihn immer zum Lachen bringen. »Meinst du, wir schaffen es?«, fragte Emmett. »Den Einsatz?« »Es ist nur ... wie wird das sein, denen in die Augen zu sehen? Den Jerries, meine ich. Ich weiß, wie man sie anpeilt, wie man auf sie schießt, wie man sie ver senkt ... aber das ist aus ein paar Tausend Yards Dis tanz.« Tyler seufzte und nickte dann. »Nahkampf ... unsere Jungs wissen nicht, was ihnen bevorsteht.« »Zum Teufel, Andy, wir doch auch nicht.- Ich geb's offen zu - ich habe Angst. Ich kann die ganze Zeit bloß an Zuhause denken.« »Das ist ganz normal.« Emmetts Gesicht hellte sich auf. »Hast du mal meine Eltern kennen gelernt?« »Klar. Damals in Annapolis.« »Bei der Abschlussfeier! Richtig! Die haben heute Hochzeitstag.« »Ehrlich?« Emmett nickte. »Wenn wir nicht so früh ausgelaufen
91
wären, dann wäre ich jetzt bei ihnen. Eine Feier - kein seekranker Magen, nein, Sir, ich würde Champagner wegputzen und den teuren Fraß.« »Wie lang sind sie denn schon zusammen?« »Fünfunddreißig Jahre - kannst du dir das vorstel len? Meine Mom muss eine Heilige sein, dass sie es mit diesem alten Stinkstiefel aushält. Meinen Pop, meine ich.« »Das habe ich mir schon gedacht.« »Er ist einfach großartig. Ich würde dem hässlichen Schweinehund einen Kuss auf den Mund geben, wenn er jetzt hier wäre.« »Du wirst ihn ja bald Wiedersehen.« »Wenn nicht ... wenn du ihn vor mir siehst, meine ich ...« »Jetzt komm schon, Pete, hör auf.« »Ehrlich, Andy. Ich weiß, dass du ihnen nichts über den Einsatz sagen darfst, diese streng geheime Schreib maschine und das alles ... aber in diesem Krieg beißen 'ne ganze Menge Jungs für nichts und wieder nichts ins Gras. Einfach, weil ein Munitionsdepot in die Luft fliegt oder so was, du weißt schon. Oder irgendeine dämliche Panne auf einem U-Boot, und man fährt in die Tiefe und wird zerquetscht wie eine verdammte Pillenschachtel.« »Hör auf, so zu reden, Pete.« »He, das ist schließlich das Militär. Alles ganz nor mal - der Tod und so. Wenn es mich erwischt, wirst du es ihnen sagen, ja?« »Was? Dass du sie magst?« »Ach was, das wissen sie. Dass das hier etwas bedeu tet hat. Ein wichtiger Einsatz. Das würden sie wissen wollen.« »Okay. Unter einer Bedingung.« »Ja?« »Dass du es meinen Leuten auch sagst.«
92
»Klar doch. Meinen Freundinnen brauchst du es nicht zu sagen. Davon gibt's zu viele, und die werden alle am Boden zerstört sein.« »Na schön«, sagte Tyler, »und du lässt die Finger von meinen Mädchen. Davon gibt es eine ganze Flotte, mit denen du reden müsstest, und seit die mich kennen, wärst du eine große ... na ja, sagen wir eine kleine Ent täuschung.« Da erschien Eddie Green, sichtlich verstimmt ange sichts des weitgehend leeren Tischs, und fragte, ob je mand Erdbeeren wolle. »Nein, vielen Dank, Eddie«, sagte Tyler und drückte seine Zigarre aus. »Und was ist mit Ihnen, Mr. Emmett?« »Eddie, heben Sie mir 'ne Schale für nachher auf, wenn ich zurückkomme.« »Ja, Sir, Mr. Emmett.« Der Messesteward fing an ab zudecken. »Ich kann mir vorstellen, dass Sie heute alle mächtigen Appetit haben werden.« »Ja, Eddie«, meinte Emmett nickend, »das könnte sehr wohl sein.« Er drehte sich zu Tyler herum und stand auf. »Jetzt ist es Zeit für alle braven kleinen Na zis, in die Zentrale zu gehen, falls man uns dort braucht. Übrigens« - Emmett streckte die Hand aus und klim perte mit Tylers Nazi-Auszeichnungen - »wofür hast du denn die deinen bekommen, Andy?« »Also, die hier ist für Hitlers andere Tochter. Du weißt schon - die hübsche, die ohne Schnurrbart.« Während die beiden Schulkameraden zusammen durch den Laufgang schritten, grinsten sie einander zu; einen Augenblick lang wirkten sie so, als würden sie gerade einen Schülerstreich aushecken und sich nicht etwa auf den tödlichen Einsatz vorbereiten, der ihnen bevorstand. Tyler wusste, dass jetzt Ausgucks auf der Brücke
93
standen und das Meer mit Feldstechern absuchten. Dass das Wetter etwas aufgeklart hatte und nur noch leichter, wenn auch hartnäckiger Nieselregen nieder ging, kam ihnen dabei zustatten. Eine kleine, kürzlich installierte Radarschüssel, die sich langsam drehte und ihre Erkenntnisse in die Funkbude nach unten sandte, suchte die Umgebung ebenfalls nach dem Feind ab. Und unten bedienten Lieutenant Hirsch, unterstützt von Radioman Wentz - beide in deutschen Uniformen -, mit der Präzision eines Chirurgen die Knöpfe an einem Gerät mit einer kreisförmigen Sichtscheibe und einer Nadel, die über das grün leuchtende Glas hin und her zog. Für Wentz sah der Apparat wie etwas aus einem Science-Fiction-Comic aus. Sie machten das jetzt schon eine ganze Weile, ohne jedes Ergebnis. Dennoch fand Wentz diese moderne Technik faszi nierend. In diesem Moment tauchte oben an der kreisförmi gen Scheibe ein kleiner Lichtpunkt auf. Hirsch berührte den pulsierenden Punkt, als ob er ein religiöser Gegen stand wäre, von dem eine heilende Wirkung ausging. »Das ist sie, Mr. Wentz«, sagte Hirsch selbstgefällig, und sein teigiges Gesicht leuchtete dabei grün im Wi derschein des Radarschirms. »Das ist unser U-Boot.« In der Zentrale trug Tyler auf einer Navigationskarte S-33 in Relation zu der vermuteten Position des U-Boots ein, als Hirsch mit der Nachricht auftauchte. »Lassen Sie uns jetzt die Radarantenne abbauen, ehe sie auffällt«, sagte Hirsch mit strahlender Miene zu Dahlgren. »Sind wir schon so nahe?«, fragte Dahlgren. »Sind wir. Radarkontakt bei null-sieben-null, Entfer nung ungefähr zehn Meilen.« Tyler nickte, hob den Hörer ab und wiederholte, was
94
Hirsch dem Kommandanten mitgeteilt hatte. Er fügte hinzu: »Gegenwärtiger Kurs null-sechs-null, empfehle Wechsel auf null-sieben-null.« Bald waren Tyler, Hirsch, Emmett, Larson, Trigger und Rabbit - die Nazi-Uniformen unter ihrem Ölzeug versteckt - auf der Brücke, und die beiden letzteren spähten durch den Nieselregen in ihre Ferngläser. Die See schien ruhig, als S-33 sich seinen Weg durch die Wellen bahnte, aber die Stimmung auf der Brücke war angespannt. Nur das gedämpfte Dröhnen der Diesel motoren und das Klatschen sanfter Wellen waren zu hören. Hirsch hob eine Signallampe und richtete sie nach vorn, als ob der Bug des Boots eine Kompassnadel wäre, der er folgte. Und sie warteten. Nichts - keine Reaktion von der leeren See, nur Nie selregen und Nacht. Hirsch versuchte es noch einmal: klik -klik -klik, klik klik -klik, klik -klik -klik. Als der Lieutenant der U.S. Navy Reserve wieder eine Pause machte, wischte Trigger den Nieselregen von seinem Fernglas und suchte langsam den Horizont ab. Dann konnte man sehen, wie die Muskeln des jun gen Mannes sich plötzlich spannten. »Signallampe, Sir«, sagte Trigger, »Steuerbord voraus!« Und dann konnten sie es alle sehen - Lichtblinken in der Ferne, wie Glühwürmchen. Emmett beugte sich bereits über das Sprachrohr und rief: »Feindliches Unterseeboot gesichtet, Steuerbord voraus! Alle Mann auf Gefechtsstationen! Capt'n auf die Brücke! Capt'n auf die Brücke!«
95
7
Mit Ausnahme von Ensign Larson, dessen Aufgabe ihn bis zum letzten Augenblick in der Zentrale festhalten würde, versammelte sich die ganze Prisenmannschaft dreizehn an der Zahl - in der Mannschaftsmesse, wo sie sich wie seltsam verkleidete Kellner um die blank ge wienerten Stahltische drängten, alle in Öltuch-Trench coats über Uniformen der deutschen Kriegsmarine, die Waffen unter ihren Mänteln verborgen. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, aber man konnte ihre Nervosität förmlich greifen, als Chief Klough sich zwischen ihnen durchzwängte, ihnen die Kragen zurechtrückte, die Uniformröcke über ihre Pistolen zog und ihnen die Uni formen glatt strich, ganz wie eine übereifrige Mutter, die ihre Tochter auf den Abschlussball vorbereitete. Coonan sah sie an und ließ ein Lächeln aufblitzen, das seine scharf geschnittenen Züge mit dem gespalte nen Kinn und den harten kleinen Augen in keiner Wei se weicher erscheinen ließ. »Es ist so weit, Gentlemen«, sagte er. Tyler musste zugeben, dass dieser breitschultrige Marine unter schier unmöglichen Begleitumständen hervorragende Arbeit geleistet und diese Männer wirk lich auf ihren Einsatz vorbereitet hatte. Es hatte kaum echte Nahkampfausbildung gegeben, hauptsächlich taktische Aufmunterungsreden. Aber dieser Mann, den Tyler ursprünglich als aufgeblasenen Schnösel abgetan hatte, hatte sich als starker, klar denkender Soldat er wiesen, der Selbstvertrauen ausstrahlte und es fertig gebracht hatte, es seinen Männern zu vermitteln. »Und dass mir jeder dran denkt«, sagte Coonan und
96
deutete mit einer Kopfbewegung auf Tyler, »Lieutenant Tylers Schlauchboot übernimmt den Turm und alles, was achtern davon ist. Mein Schlauchboot nimmt sich die Geschütz-Bemannung vor. Wir sind im Vorteil - die rechnen nicht mit einem Feuergefecht. Wichtig ist nur, dass alle einen klaren Kopf behalten und die Orientie rung nicht verlieren - dort draußen nieselt es, und es ist neblig, und das hilft uns. Es hindert die Krauts daran, genau hinzusehen. Noch Fragen?« Allgemeines Kopfschütteln zeigte an, dass das nicht der Fall war. Die Männer sahen einander kaum an. Die Spannung in dem engen Raum war zum Greifen. »Und das Allerwichtigste, Gentlemen - keiner schießt, solange ich nicht schieße.« Coonan hob dabei seine Reising-Maschinenpistole, an der mit Isolierband drei Magazine angeklebt waren. »Haben mich alle ver standen?« Die Männer sagten »Yessir«, leise, aber überzeugt. »Sie alle sind gute Soldaten. Ich bin stolz darauf, Sie zu kennen und mit Ihnen zu dienen.« Coonan grinste. »Sie sind keine Marines, aber es wird auch so gehen.« Das lockerte die Spannung ein wenig - ein klein we nig; auf ein paar Gesichtern konnte man ein Lächeln er kennen. Dann verschwand Coonans Lächeln und das der Männer auch. »Okay. Wir wollen eine Überraschungsparty veran stalten. Waffen überprüfen und laden.« Das taten sie, und das Krik -Krak von Waffen, die feu erbereit gemacht wurden, hallte von den Stahlwänden der Messe wider. Ein seltsames Geräusch - wie von Crispies, über die Milch gegossen wurde. Tyler, der sein Spiegelbild in der polierten Stahlplat te eines Tisches entdeckt hatte, sah dort ein angsterfüll tes Gesicht, das ihn anstarrte. So ging das nicht. Dahl
97
grens Vortrag noch frisch in Erinnerung, gab Tyler sich alle Mühe, seine Angst hinter zusammengepressten Kinnladen und einem ausdruckslosen Blick zu vergra ben. Coonan stopfte seine Reising unter den Trenchcoat und sagte: »Waffen hoch.« Dann ging er herum und überprüfte die Waffe eines jeden Einzelnen, nahm sich für jeden einen kleinen Augenblick Zeit, für einen Blick oder ein paar Worte. Führung, dachte Tyler. Das ist Führung. Zu dem jungenhaft wirkenden Trigger, dem Jüngsten der Gruppe, sagte Coonan: »Sie müssen auf Mr. Tylers Rücken aufpassen, Junge. Ich verlasse mich auf Sie.« Triggers Augen leuchteten. »Jawohl, Sir.« »Sie schaffen das schon, Junge. Wir werden das alle schaffen. Lieutenant Tyler, wenn Sie bitte mitkommen würden.« Tyler folgte Coonan in die Zentrale. Coonan ging hi nein, während Tyler im Gang außerhalb des offenen Schotts wartete. Larson, in kompletter deutscher Uni form, aber noch ohne Ölzeug, wartete mit einem Positi onszettel auf Dahlgren, der gerade den Niedergang von der Brücke herunterkam. »Capt'n«, sagte Larson und reichte Dahlgren den Zettel. »Ich habe das berechnet, indem ich dem Versor gungsboot eine Marschgeschwindigkeit von vierzehn Knoten gegeben habe.« »Gut«, sagte Dahlgren und ging zum Sehrohr. »Eine vernünftige Schätzung. Wo wäre dann nach Ihrer letz ten Berechnung dieses Versorgungsboot?« »Zwölf Stunden entfernt, Sir.« »Ausgezeichnet. Mr. Larson, Sie haben alles getan, was Sie auf diesem Boot tun konnten. Jetzt ist es Zeit für Sie, sich der Prisenmannschaft anzuschließen.« »Ja, Sir. Danke, Sir.«
98
»Und, Mr. Larson?« »Ja, Sir.« »Machen Sie denen die Hölle heiß. Und sagen Sie das den anderen auch.« »Ja, Sir.« Als Larson sich an ihm vorbeigezwängt hatte, trat Coonan vor. »Prisenmannschaft bereit zum Abrücken, Capt'n.« »Gut. Ich verlasse mich darauf, dass Sie auf meine Jungs aufpassen.« »Sie können auf mich bauen, Sir. Wenn sie zurück kommen, werden es Männer sein.« Dahlgrens Mundwinkel zuckten in einem unechten Lächeln. »Ich habe die 33 tief ins Wasser gelegt, Major. Ich möchte diesem verdammten U-Boot so wenig Sil houette wie absolut möglich zeigen.« Coonan lächelte angespannt, nickte dann. »Hervor ragend, Sir.« Dahlgren griff nach dem Mikrofon, drückte auf die Sprechtaste und sagte: »Geschützmannschaft aufzie hen! Klar zum Absetzen der Prisenmannschaft.« Er schaltete ab und wandte sich wieder Coonan zu. »Eines noch, Major.« »Ja?« »Falls die Übung hier platzt, ich meine, wenn die Kacke wirklich am dampfen ist, dann werde ich diese beschissene Nazi-Kiste einfach aus dem Wasser blasen, mit oder ohne Enigma. Ist das klar?« »Ist klar, Sir.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hand und nickten. Dann trat Coonan an Tyler vorbei und sagte: »Ma chen Sie Ihrem Kommandanten Meldung, und kommen Sie dann mit nach hinten.« Tyler sagte »Ja, Sir« und steckte dann den Kopf in die
99
Zentrale. »Einsatzbereitschaft der Prisenmannschaft be stätigt, Sir.« Dahlgren ging auf ihn zu und lehnte sich an das Schott. »Sie haben gehört, was ich Coonan gesagt habe - wenn die Kiste schief läuft, blase ich den Mistkerl weg.« »Ja, Sir.« »All right, gehen Sie, und holen Sie diese gottver dammte Schreibmaschine, Andy, und dann verduften Sie schleunigst.« »So haben wir es vor, Sir.« Dahlgrens Augen verengten sich. »Alles in Ordnung mit Ihnen?« »Sieht man es, Sir?« Beinahe im Flüsterton sagte der Skipper: »Ich glaube nicht, dass außer mir einer etwas merkt. Hören Sie - die Jungs werden ihre Sache prima machen.« »Das weiß ich, Sir.« »Wir haben vorher über Opfer gesprochen.« »Ja?« »Wir lernen, damit zu leben. Aber wir bevorzugen es, wenn auf unserer Seite niemand stirbt.« »Das kann ich Ihnen nicht versprechen, Sir.« »Ich weiß, dass Sie das nicht können. Aber wir müs sen es versuchen. Diese Erfahrung, die Sie noch brau chen, ich meine zwischen jetzt und dann, wenn Sie so weit sind, dass Sie Ihr eigenes Boot bekommen ... die kriegen Sie vielleicht in der nächsten Stunde. Viel Glück, Andy.« Dahlgren streckte ihm die Hand hin. Tyler nahm sie. Ihr Händedruck war fest und warm; genauso wie der Ausdruck in den Augen des Skippers. »Viel Glück, Skipper«, sagte Tyler und ging nach achtern.
100
Auf der Brücke von U-571 sah Kapitänleutnant Gün ther Wassner in nicht sonderlich guter Laune, wie sich Seeleute, die er für deutsche Matrosen hielt, auf dem Deck des deutschen Versorgungs-U-Boots bewegten, auf das sie so verzweifelt gewartet hatten. Obwohl der Vollmond das Meer mit elfenbeinfarbenem Schimmer überzog, war die Sicht schlecht, und der ständige Nie selregen legte einen dunstigen Vorhang zwischen die beiden Unterseeboote, die hundert Meter voneinander entfernt auf den gespenstisch ruhigen Wellen dahin dümpelten. Durch sein Glas beobachtete Wassner, wie Matrosen Schlauchboote aus Behältern holten und von unten Kar tons und Kisten mit Proviant heraufschleppten. Dann blitzte eine gelbe Signallampe auf der Brücke des Ver sorgungsboots auf. Wassner las die Mitteilung, und ein Lächeln zog sei ne Mundwinkel unter seinem Bart in die Höhe. Er ließ das Glas sinken und beugte sich über das Sprachrohr, um zu einer dringend der Aufmunterung bedürfenden Mannschaft zu sprechen: »Unsere Kameraden haben uns frische Eier und Bananen gebracht. Und was noch besser ist, sie haben uns auch unsere Post gebracht!« Wassner konnte die Jubelrufe aus der Zentrale unter sich vernehmen. Auch die Jungs an Deck hatten ihn ge hört und waren ähnlich erfreut. Seine Männer hatten die Hölle hinter sich - wie schön war es da, von zu Hau se zu hören und daran erinnert zu werden, was sie au ßer Seeleuten noch waren, sich selbst daran zu erinnern, weshalb sie hier draußen waren und eine so einsame, gefährliche Pflicht erfüllten. Auf dem Achterdeck von S-33 lagen Säcke mit Ge rät bereit. Zwei Schlauchboote wurden mit einem Wuuuschsch mit CO2 aufgeblasen und dann schnell auf
101
die von Nieselregen betupfte, sanft wogende Wasserflä che hinunter gelassen. Das Mondlicht war wie Nebel, durch den man sehen kann, aber der Nieselregen war weniger hilfsbereit. Coonan dirigierte die arbeitenden Seeleute, trieb sie an, sagte gelegentlich etwas, aber mit ganz leiser Stim me, wohlwissend, dass diese ganze Veranstaltung vor bei sein würde, ehe sie richtig angefangen hatte, wenn ein einziges englisches Wort über die Wasserfläche zu dem Nazi-Boot hinüberwehte. Tyler half mit dem Rest der Prisenmannschaft, die Proviantsäcke auf die Schlauchboote zu verladen, und wechselte dabei einen kurzen Blick mit Pete Emmett, der nichts und doch alles sagte. Der schwache Seegang machte ihnen die Arbeit leicht, und die Schlauchboote lagen fast unbewegt im Wasser. Trotzdem fühlten sich ihre Knie beunruhigend weich an, als sie einstiegen. Schnell waren die Boote mit Men schen beladen und machten sich auf den Weg, die end los erscheinenden hundert Meter zwischen den beiden Unterseebooten zurückzulegen. Selbst im Mondlicht wirkte die dunkle Wasserfläche gefährlich, und die Gesichter der Offiziere und Matro sen von S-33, die die Rolle eines Kommandotrupps spielten, ließen ihre Angst deutlich erkennen. Das Glei che galt für Lieutenant Hirsch. Nur Coonan stellte den kühlen, kampfgestählten Gesichtsausdruck zur Schau, den die Situation erforderte. In Tylers Schlauchboot saßen Tank und Mazzola in der Mitte und ruderten, mit Emmett, Trigger und Peter son dahinter und Tyler und Hirsch vorn. In Coonans Schlauchboot hatten Rabbit und der spindeldürre Jun ge aus dem Torpedoraum, der den Spitznamen Fats trug, die Ruder übernommen, der Chief, Larson und Griggs saßen hinten und Coonan und Wentz am Bug. In
102
beiden Fällen befand sich also jemand vorn, der Deutsch sprach. Tyler bemühte sich erneut darum, die Angst aus sei nem Gesicht zu verdrängen. Er biss die Zähne zusam men und hielt seine 45er-Automatik in der rechten Hand an sein Bein gepresst unter seinem Trenchcoat. Jeder der Männer trug unter den Öltuchmänteln eine Waffe, und weitere waren in ihrer Ladung verborgen den Säcken mit Werkzeug und Proviant zu ihren Füßen. Neben Tyler stand Hirsch - der in der Vorbereitungs phase dieses Einsatzes so geschäftsmäßig und herablas send gewesen war - und zitterte so heftig, dass das Schlauchboot mitzitterte. Die Pistole des Reserve Lieu tenant war zu sehen, und Hirsch spielte nervös am Si cherungshebel herum. Tyler sagte ungern etwas, weil er wusste, dass Eng lisch ihr Tod sein konnte, flüsterte Hirsch aber doch zu: »Stecken Sie das weg.« Das tat Hirsch zwar, aber das Zittern wurde noch schlimmer, als hätte er den Veitstanz. So leise, dass man es kaum hören konnte, sagte Tyler: »Ganz ruhig - wir sind gleich da. Wir überfallen diese Mistkerle, ohne dass sie es merken.« Hirsch atmete tief durch, nickte, schluckte, nickte noch einmal und schien etwas ruhiger zu werden. Et was zumindest. In Coonans Boot flüsterte der Major ebenfalls, wobei sein Mund sich kaum bewegte, wie bei einem geschick ten Bauchredner, und machte seine Mannschaft mit der Lage vertraut: »Zwölf an Deck. Vier auf der Brücke mit Maschinengewehr und Flakgeschütz. Drei Vorderdeck. Fünf achtern.« Der Major hatte ein geschultes Auge. Für die ande ren war nur wenig von dem erkennbar, was er berich tete. Unter idealen Umständen war ein aufgetauchtes
103
Unterseeboot schwer auszumachen, weil nur ein so kleiner Teil seines Druckkörpers über die Wasserfläche ragte, dass die Kontur sich leicht der Entdeckung ent ziehen konnte, bestand sie doch lediglich aus einem fla chen Deck und einem ein Stück darüber aufragenden Turm. Aber während die beiden Schlauchboote sich dem deutschen U-Boot näherten, wurden nicht nur das Boot selbst, sondern auch die nebelverhüllten Gestalten auf seiner Brücke und seinem Deck deutlich sichtbar. Ein Mann in Ölzeug, bei dem es sich um den Kommandan ten handeln musste, beobachtete sie mit einem Feldste cher, genau wie Dahlgren das ohne Zweifel gerade von der Brücke von S-33 aus tat; Ausgucks suchten langsam den Himmel nach alliierten Flugzeugen ab. Nur ein Einziger beobachtete die näher kommenden Schlauch boote. Und der Mann in Ölzeug, bei dem es sich wohl um den Kommandenten handelte. Die einzigen Geräusche waren das leise Klatschen der See, die schmatzenden Schläge der Riemen und das an Radiointerferenz erinnernde Zischen des Nieselre gens. Schließlich übertönten die Gespräche der deut schen Matrosen jene wenigen Laute, als das U-Boot vor ihnen aufragte, nicht länger eine abstrakte Kontur in der Nacht, sondern eine zerbeulte und mitgenommene Realität aus schwarzem Stahl. Die Prisenmannschaft in den Schlauchbooten konnte deutlich die an Deck wartenden deutschen Matrosen sehen, alle darauf erpicht, sie zu begrüßen, sehnsüchtig auf Obst und auf Briefe von zu Hause wartend und auf Mechaniker, die den verwundeten Wal reparierten, in dem sie ausharrten. Trotzdem hielten sie MP-40-Maschinenpistolen in der Hand.
104
»Großer Gott«, flüsterte Tank hinter Tyler. »Ganz ruhig, Gentlemen«, flüsterte Tyler zurück. »Das Signal abwarten.« Matrosen mit Maschinenpistolen - damit hatten sie nicht gerechnet. Coonan hatte ihnen erklärt, das Unter seeboot-Matrosen nicht zum Kämpfen neigten, dass sie nie ein Artillerieduell riskierten, solange sie nicht ganz sicher waren, alle Vorteile auf ihrer Seite zu haben. Plötzlich bekam diese Feststellung in Tylers Ohren ei nen ganz anderen Klang. Sie waren jetzt sehr nahe. Das U-Boot ragte wie eine dunkle Mauer vor ihnen auf, und was sich da über ih nen in der nebligen Nacht bewegte, waren nicht bloß vage Umrisse, sondern Seeleute, echte Männer mit ech ten Waffen. So leise, dass er es selbst kaum hören konnte, flüster te Tyler: »Sagen Sie etwas, Mr. Hirsch.« Aber der deutschsprachige Lieutenant der Marinere serve hatte einen glasigen, starren Gesichtsausdruck. Aber wenigstens hatte der Blödmann jetzt zu zittern aufgehört. »Mr. Hirsch«, flüsterte Tyler. »He, Arschloch«, zischte Mazzola. »Maul halten«, flüsterte Tyler zurück. Jedes englische Wort ein Todesurteil, wenn es gehört wurde ... Ein deutscher Offizier, der Leitende Ingenieur - was die Amerikaner nicht wissen konnten -, rief vergnügt in seiner Sprache herüber: »Ahoi, Reparaturmann schaft! Willkommen! Für euch gibt's ne Menge zu tun!« Tyler funkelte Hirsch an, der so aussah, als ob ihn der Schlag getroffen hätte. Seine Augen hinter der mit Nie selregen bepunkteten Nickelbrille waren starr wie Glas murmeln. »Verdammt, sagen Sie doch etwas«, flüsterte Tyler.
105
Der LI rief: »Wer von euch ist Mechaniker? Ich will hoffen, dass ihr gut seid!« Mit weißen Knöcheln die 45er unter seinem Trench coat umkrampfend, warf Tyler - von dem sehnlichen Wunsch erfüllt, dieses kehlige Kauderwelsch verstehen und sprechen zu können - einen Blick zu dem anderen Schlauchboot hinüber und hoffte, dass Coonan merkte, dass Hirsch den Finger nicht aus dem Arsch bekam. Und das tat Coonan auch. Er warf dem Mann neben ihm, Wentz, dem zweiten Deutsch sprechenden Mit glied der Prisenmannschaft, einen Blick zu. Wentz nickte und fing zu improvisieren an. »Wir sind alle Mechaniker!«, rief er hinauf. Wentz deutsch sprechen zu hören ließ eine Welle der Erleichterung durch Tyler wogen. »Wir verstehen alle unser Handwerk«, sagte Wentz mit etwas brüchiger Stimme, aber er machte seine Sa che gut, »bis Sonnenaufgang sollten wir euch wieder flott haben!« Die deutschen Worte schienen Hirsch aus seiner Star re zu reißen. Er rief laut - ein wenig zu laut: »Ahoi!« Tyler warf ihm einen ›Nicht übertreiben!‹-Blick zu, und Hirsch nickte, griff nach einem eigens präparierten Postsack und hob ihn hoch wie einen Fisch, den er gera de gefangen hatte. Jetzt kamen weitere deutsche Worte über Hirschs Lippen, lockerer, natürlich. »Will jemand von euch diesen Mist? Unser Alter hat gesagt, wir sol len das schlüpfrige Geschmiere und diese indiskreten Fotos, die nach französischem Parfüm stinken, wegwer fen!« Auf dem Deck lachten die deutschen Matrosen und stießen entzückte Jubelrufe aus. Mit dieser Reaktion zufrieden, machte Hirsch weiter, die Augen jetzt weit aufgerissen. »Wer will diesen Sack voll Schmutz? Oder soll ich ihn ins Meer werfen?«
106
Tyler, der aus den Einsatzbesprechungen wusste, was Hirsch sagte, bekam auch die Antwort der Matro sen mit, die auf dem Deck herumtanzten und alle »Nein, bitte nicht!« riefen oder »Wenn du das tust, dann werfen wir dich hinterher!« und »Mein Mädchen ist an ders, ein sauberes, deutsches Mädchen!« Dann warf der LI Tyler eine Leine zu, und das Schlauchboot wurde längsseits gezogen; als Coonans Schlauchboot sich dem Turm näherte, schleuderte ihm ein Matrose ebenfalls eine Leine herüber. Plötzlich sah Tyler sich einem grinsenden jungen deutschen Gesicht gegenüber und einer Hand, die sich ihm entgegenstreckte. Er zögerte einen winzigen Au genblick lang, bis die bizarre Realität des Augenblicks vorbei war, nahm die Hand dann und ließ sich auf die Decksplatten des deutschen U-Boots ziehen. »Willkommen«, sagte der LI. »Ist jemand von euch aus Wiesbaden?« Eine durchaus freundliche Frage und ganz sicherlich auch eine unschuldige, aber Tyler verstand natürlich kein Wort. Er riskierte es, mit einem unartikulierten Grunzlaut zu antworten. Dann kam ihm Gott sei Dank Hirsch der immer noch unten auf dem Schlauchboot war, das längsseits lag - zu Hilfe und sagte: »Tut mir Leid, da kommt keiner von uns her.« Auf der Brücke tat Kapitänleutnant Wassner etwas für ihn Ungewöhnliches, insbesondere vor seiner Mann schaft: Er lachte. Was für eine Freude war es doch, seine Matrosen ver gnügt auf dem Deck herumtanzen und gut gemeinte Sticheleien mit dem Versorgungsoffizier wechseln zu sehen, der ihnen ihre Post brachte. Wie schön zu sehen, wie wohl sie sich fühlten, wie gut ihnen die Vorfreude
107
auf ihre Briefe von zu Hause und aus dem besetzten Frankreich tat, wo sie so manche zarte Bande geknüpft hatten. Eher beiläufig und ohne jeden Argwohn sah Wassner zu den beiden Schlauchbooten hinunter. Zuerst zu dem, wo der LI gerade einem Offizier behilflich gewesen war, an Deck zu steigen. Und dann auf das am Turm, das gerade vertäut wurde. Er blickte auf die Offiziere und Matrosen in ihren Trenchcoats hinunter, die in dem Schlauchboot saßen. Eines der Gesichter, das da zu ihm heraufblickte, wirkte seltsam verkrampft. Warum sah ihn dieser Matrose so böse an? Und dann sah Wassner etwas glitzern - eine Waffe in der Hand jenes Matrosen, die sich gerade verstohlen unter dem Ölzeug seines Mantels hervorschob. Der Kommandant schrie: »Alarm! Enterangriff ab wehren!« Jemand eröffnete das Feuer.
108
8
Tyler hatte seine 45er in der Hand, ehe der verblüffte LI auf den Feuerstoß achtern reagieren konnte, den Coo nan, im Schlauchboot stehend, aus seiner Reising-MP abgab. An der Deckkanone vor dem Turm und ein Stück hinter dem LI, der, wie er glaubte, einen Versor gungsoffizier begrüßte, traf Coonans Kugelhagel drei deutsche Matrosen, die Besatzung der Deckkanone. Die Kugeln aus der MP tanzten in einem schrecklichen 45 Grad-Winkel auf sie zu, zerfetzten ihr Ölzeug, schüttel ten sie wie unartige Kinder und schleuderten sie in ei nem roten Nebel über Bord. Auf der Brücke schwang der Ausguck sein MG-34 herum und richtete die Mündung auf das Schlauchboot, aus dem Wentz und die anderen erst noch an Bord klet tern mussten. »Runter!«, brüllte Tyler und warf sich zu Boden, und dann zerfetzte das unbarmherzige Maschinengewehr feuer die Nacht. Sein erstes Opfer war ein unbeabsich tigtes - der deutsche LI, der, buchstäblich in Stücke ge rissen, über Bord geschleudert wurde. Er hatte gerade noch über Tyler gestanden, und im nächsten Augen blick war von ihm nichts mehr übrig als die Blutsprit zer auf Tyler, der flach auf den von Algen glitschigen Leisten der Gräting über dem stählernen Druckkörper des Unterseeboots lag. Von den nur wenige Zentimeter über seinem Kopf hinweg pfeifenden Kugeln in Deckung gezwungen, warf Tyler, die 45er in der Hand, einen Blick auf sein Schlauchboot, gerade in dem Augenblick, als der spindeldürre Junge, den sie Fats nannten, von der
109
Maschinengewehrgarbe buchstäblich in zwei Teile geschnitten wurde und mit zwei klatschenden Lauten ins Wasser fiel, während alle anderen im Schlauchboot sich duckten. Dann kletterten die Männer der Prisen mannschaft seines Schlauchboots, trotz der über sie hinweg pfeifenden Kugeln, die Tyler hingestreckt auf dem Lattenrost festhielten, geduckt an Deck und eröffneten ihrerseits das Feuer. Er konnte auch Schüsse von Coonans Boot hören, das Krachen einzelner Schüsse aus Handwaffen und das hektische Knattern von Maschinenpistolen, deren Mün dungsfeuer in der nebligen Dunkelheit wie Feuerwerk blitzte. Als seine Männer zu ihm aufschlossen, stemmte Tyler sich hoch und blickte zum Turm. Er sah, wie Petersen getroffen wurde und tot auf Coonans Schlauchboot fiel, sah aber auch, wie die anderen an Bord kletterten und ihre Schüsse deutsche Matrosen wie Schießbudenfiguren von ihren Ausguckposten war fen, darunter auch den Flakkanonier an dem Maschi nengewehr. Ein überlebender Ausguck duckte sich hin ter das Brückensüll, während um ihn herum Kugeln pfiffen und mit schrillem Pfeifen von den Platten des Druckkörpers abprallten. Dann tauchte der Ausguck wieder auf, eine Maschi nenpistole in der Hand, und schleuderte Tyler und sei nen Männern ihr Rat-tat-tat-tat entgegen. Sie stoben auseinander, rollten über das schmale Deck, dessen Gräting von den Kugeln aufgefetzt wurde, und Tyler feuerte noch im Fallen nach oben. Der Deutsche wurde in die Höhe gerissen und rutschte über den glitschigen Druckkörper des U-Boots ins Meer, das ihn und seine Maschinenpistole ver schluckte. Tyler sah zum Turm, den der mit Muskeln bepackte Griggs - einer aus Coonans Einheit - bereits mit einer Thomoson-MP in der Hand empor kletterte. 110
»Passt auf, auf wen ihr schießt!«, rief Tyler seinen Männern zu, als eine kurze Feuerpause eintrat, und er innerte sie damit daran, dass beide Teams in diesem Spiel dieselben Uniformen trugen. Dann peitschte ein Schuss aus einer Pistole und warf Griggs über das Brückensüll, schleuderte ihn aufs Deck, wo er in der Nähe des jetzt unbemannten MG-34 auf prallte, einen gurgelnden Laut von sich gab und sich an den Hals griff. Aufstöhnend, als hätte er selbst die Kugel abbekom men, rannte Tyler zu ihm. Auf der Brücke hatte sich Kapitänleutnant Wassner ge rade durch das Luk nach unten zurückgezogen. Seine Leute rings um ihn waren alle tot, hingen entweder über dem Deck oder den Brückenaufbauten oder wa ren blutend in die gnadenlose See gestürzt worden. Da kam der große Amerikaner (es waren Amerikaner, nicht Briten, das hatte er ihren Rufen und ihren Befeh len entnommen) mit gefletschten Zähnen und eine Ma schinenpistole in der Hand über das Brückensüll ge klettert. Wassner reagierte kaltblütig, feuerte seine 08 Para bellum ab und schoss den jungen Amerikaner durch die Kehle. Als der Eindringling rückwärst über das Brückensüll taumelte, stieg Wassner den Niedergang im Turm hi nunter und hielt nur kurz inne, um das Luk zu schlie ßen. Dann trat er an dem jungen, erschreckt blickenden Helmsman vorbei, dessen Gesicht so rund und weiß wie die meisten Skalengläser um ihn herum war. »Passen Sie auf dieses Luk auf«, forderte Wassner den Steuermann auf, »sorgen Sie dafür, dass die drau ßen bleiben!« Doch er wusste, dass er dem Jungen ei nen hoffnungslosen Auftrag erteilt hatte. Er stieg vom
111
Niedergang durch das zweite Luk, schloss es hinter sich und ließ sich in die Zentrale fallen. Dort erwarteten ihn die erschreckten Gesichter sei ner jungen Zentralemannschaft, die ihn alle mit gewei teten Augen anstarrten und von ihm Antworten erwar teten, die er nicht hatte. Dann das schreckliche Knattern einer Maschinenpistole, das Pfeifen von Querschlägern, das Klirren der herunterfallenden Patronenhülsen und die schreckliche Erkenntnis, dass der junge Helmsman die Eindringlinge nicht lange hatte aufhalten können. »Schnappt euch das Luk«, befahl Wassner seinen bei den Rudermaaten, »und haltet es fest!« Sie hetzten den Niedergang hinauf und hielten das Kugelschott fest, wie ihr Kommandant es befohlen hat te, hingen an dem wie ein Rad aussehenden Handgriff wie kleine Jungen, die an den Ästen eines Baumes schaukeln. »Gut!«, sagte Wassner und wandte sich dann dem Rest seiner Mannschaft zu. »Alle Mann auf Tauchstatio nen! Fluten! Wir ersäufen sie wie gottverdammte Rat ten, und das sind sie ja auch!« Während die jungen Männer zu ihren Stationen hetz ten, kam Kohl, Wassners rosagesichtiger Erster Offizier, mit einer Hand voll Waffen - Gott segne ihn dafür - in die Zentrale gerannt. Gleich darauf fetzten die Jungs das Ölpapier herunter, so wie verhungernde Bettler sich auf Brot stürzten, und hielten dann sechs fabrikneu glänzende Schmeisser MP-40 in ihren Händen. Kohl verteilte Ladestreifen, die ebenfalls eifrig aus gewickelt wurden. Über ihm schwankten die zwei Jungs, die am Luk hingen, als würde plötzlich eine Bri se durch das lange, enge Boot wehen. Aber in Wirklichkeit waren es nur die Eindringlinge, oben, die sich abmühten, das Luk zu öffnen.
112
Augenblicke zuvor hatte Tyler sich auf dem Deck von U-571 über Griggs, seinen Landsmann aus Texas, ge beugt, in seine schmerzerfüllten Augen gesehen und dem sterbenden Jungen die Hand auf die Wange gelegt. Um ihn herum kletterten die Männer aus dem Schlauchboot den Niedergang zum Turm hinauf. Dann stand plötzlich Coonan neben Tyler und beug te sich zu ihm hinunter. »Er ist tot. Die Lebenden brau chen Sie mehr als er.« Irgendwie schaffte Tyler es, sich aufzurichten, und folgte Coonan den Niedergang hinauf, auf die Brücke. Die Nacht war wieder still geworden, das Feuergefecht hier draußen vorbei - wenn jetzt weiter gekämpft wur de, dann drinnen, dort unten, im Leib dieses von Men schenhand gemachten Tiers. Die zwölf Überlebenden der Prisenmannschaft drängten sich auf der Brücke zusammen. Der muskel bepackte Tank stand über das geschlossene Luk ge beugt da und versuchte, es aufzubekommen, legte jede Faser seiner gewaltigen Kräfte hinein. Und das zahlte sich schnell aus. Das Luk öffnete sich bloß einen Zoll breit, aber jener Zoll reichte Rabbit aus, den Lauf seiner Thompson hi neinzurammen, und dann leerte er ein halbes Magazin und ließ die Kugeln wie einen verrückt gewordenen Bienenschwarm im Inneren des Turms hin und her summen. Jemand dort unten stieß einen Schmerzens schrei aus. Jetzt zog Rabbit die Mündung seiner Maschinen pistole zurück. Schweigen stellte sich ein, ein kurzer Augenblick der Stille, dann sagte Coonan: »Wer jetzt noch in dem Turm steckt, hat eine ganze Menge Luft löcher. Machen Sie auf, Tank.« Das tat Tank. Es gab keinen Widerstand. Tank, Rabbit, Coonan und Tyler stiegen den Nieder
113
gang durch den eisernen, mit Blut und Hautfetzen übersäten Turm hinunter und zwängten sich irgendwie in den von dem polierten Stahlrohr des Sehrohrgehäu ses durchzogenen, dreimal dreieinhalb Meter großen Raum. Die Horchanlage und die Navigations- und Feu erleitanzeigen unterschieden sich nur wenig von ihrem eigenen Boot. »Okay, Tank«, sagte Coonan und zog die zerfetzte Leiche eines jungen Deutschen vom Luk weg, »und jetzt sehen Sie zu, dass Sie den Deckel von dieser Bier flasche aufkriegen.« Der hünenhafte Maschinenmaat ging über dem Lu kenrad in die Hocke, packte es mit seinen gewaltigen Fäusten und drehte, bis ihm an der Stirn ein paar Adern platzten und die Muskelstränge an seinem Hals wie Taue hervortraten. Er grunzte, stöhnte, verzog das Ge sicht zu einer Grimasse, aber er schaffte es. Wieder bloß einen Zoll. Und das reichte. Wieder schob Rabbit die Mündung seiner Maschinenpistole hinein und gab einen Feuer stoß ab. Kaum waren die Maschinenpistolen ausgegeben und die Ladestreifen hineingerammt, hallte ein feindlicher Feuerstoß durch die Zentrale. Blei regnete aus der Mün dung einer Thompson herunter, Kugeln prallten pfei fend von Metall ab. Wassner warf sich hinter den Kartentisch und suchte Deckung, und seine Kapitänsmütze flog davon. Als Erste starben die zwei tapferen Jungs, die an dem Lukenrad gehangen hatten, in Stücke gerissen, die Arme abgeschossen, menschliche Wesen, die zu Fleischfetzen explodierten, die unten auf die Decksplatten klatschten. Dann klappte das Luk auf.
114
Wassner setzte sich auf, richtete seine 08 auf das offe ne Luk und den bluttriefenden Niedergang, über die die Eindringlinge herunterkommen würden - nur plumpste stattdessen eine Handgranate durch die Öff nung und fiel klappernd aufs Deck. Wassner presste sich gegen das Schott und glaubte, nur noch Augen blicke von seinem Tod entfernt zu sein, als eine schrille, entsetzte amerikanische Stimme über ihm sagte: »Da mit jagst du uns alle in die Luft!« Aber die Explosion war bloß Wut und Lärm, keine Splitter, bloß Rauch und schrecklicher Lärm, eine Ex plosion, die Verwirrung erzeugte und den Eindringlin gen Deckung verschaffte. Dem Ersten, der heruntersprang, einem hünenhaften Amerikaner mit einer Maschinenpistole in der Hand, traten zwei von Wassners Jungs entgegen. Sie versuch ten benommen, ihre MPs zu heben. Aber die Blendgra nate hatte ihnen die Orientierung geraubt, sie bluteten aus der Nase und den Augen. Als der hünenhafte Ame rikaner einen Feuerstoß aus seiner MP abgab, bluteten sie auch aus ein paar neuen Löchern und sanken aufs Deck, tot, ehe sie die Decksplatten berührten. Wassner, immer noch geduckt, konnte von seiner au genblicklichen Position aus nicht auf den Amerikaner zielen und schob sich deshalb um das Sehrohrgehäuse herum, um besseres Ziel zu haben. Zwei weitere Ein dringlinge sprangen herunter, der eine ebenso klein und schmächtig wie der Erste groß gewesen war, der andere ein dunkelhaariger, dunkeläugiger Junge. Beide hielten Thompson MPs in der Hand. Wassner hatte den Dunkelhaarigen im Visier seiner 08... ... aber sein IO, Kohl, kam ihm zuvor und gab zur Sicherheit noch einen zweiten Schuss ab. Die Kugeln rissen den dunkelhaarigen jungen Amerikaner von den
115
Füßen und ließen ihn in einem stöhnenden Häufchen Elend zu Boden sacken. Die beiden anderen Eindringlinge, der Hüne und der Kleine, heulten wütend auf und feuerten ihre Thomp sons auf Kohl ab. Der IO ging in einem zitternden Todes tanz, aus Dutzenden von Wunden blutend, zu Boden. Kohl war gerade aufs Deck gesackt, tot oder im Ster ben, als zwei weitere Amerikaner heruntersprangen, ein hagerer, gut aussehender und ein Bursche um die Dreißig mit gespaltenem Kinn und Kampferfahrung in den harten Augen - und einer Reising MP in der Hand. Wassner sah sich plötzlich mit nur noch zwei seiner Jungs fünf Maschinenpistolen gegenüber, auch wenn eine davon von dem verwundeten dunkelhaarigen Ein dringling gehalten wurde, der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden lag. Mit einem tiefen Seufzer hob Wassner kapitulierend die Hände, und die beiden anderen Matrosen taten es ihm gleich. Der Amerikaner mit dem gespaltenen Kinn sah sie mit gefletschten Zähnen an und bedeutete ihnen dann, sich flach hinzulegen. Wassner gehorchte, und seine üb rig gebliebenen Jungs folgten seinem Beispie l, aber so schnell, dass es für die Amerikaner vielleicht anders ausgesehen haben mochte. Hilflos sah Wassner zu, wie der hagere Amerikaner einen Feuerstoß aus seiner Waffe durch das vordere Schott jagte und ein weiterer dunkelhaariger Amerika ner mit italienischen Zügen in die Zentrale sprang, so fort nach achtern rannte und dabei seine Thompson vor sich hielt und den Gang mit Kugeln besprühte, als ob er ein Feuerwehrmann mit einem Schlauch in der Hand wäre. Die Schreie der Jungs, die von seinen Kugeln ge troffen wurden, ließen Wassner zusammenzucken. Dann sprang ein kleinerer, älterer Amerikaner durch
116
das Luk und jagte, während der Italiener nachlud, ei nen Feuerstoß durch das hintere Kugelschott, was wei tere angsterfüllte Schmerzensschreie auslöste. Vorne rammte der gut aussehende, hagere Amerikaner jetzt ein neues Magazin in seine Thompson, während der kleine Eindringling ihn ablöste und einen Feuerstoß in den Gang sandte. Die Jungs auf seinem Boot starben, und es gab nichts, was er, ihr Kommandant, dagegen tun konnte. Während er auf dem kalten Deck lag, bemerkte Wassner zwischen den blutenden Leichen seine Kapi tänsmütze, die quer durch die Zentrale geflogen war. Die Amerikaner wussten nicht, dass er der Komman dant war. Und er würde es ihnen nicht sagen. Tyler war auf Coonans Befehl mit den beiden Deutsch sprechenden Männern, Hirsch und Wentz, und dem jungen, unerfahrenen Trigger zurückgeblieben. Als er Coonan unten schreien hörte ›Gruppe Heck! Los!‹, wusste er, dass die Zeit gekommen war, sich ebenfalls ins Getümmel zu stürzen. Als Erster der drei, die in die überfüllte Zentrale sprangen - wo Tank, Rabbit, Larson, Coonan, Emmett, Mazzola und Klough bereits eingedrungen waren -, nahm Tyler entsetzt das erschütternde Bild der blutbe spritzten Schotts und Bodenplatten und der teilweise zerfetzten Leichen der Deutschen auf dem Boden in sich auf. Obwohl er oben die Schüsse gehört hatte, hatte nichts ihn auf diese Hölle vorbereiten können, in die er gerade hineingestürzt war. Mazzola, Tank und der Chief drangen jetzt in den Gang vor, duckten sich durch die runden Kugelschotts und arbeiteten sich mit schussbereiten MPs nach ach tern vor.
117
»Gruppe Bug! Los«, sagte Coonan. Dann sah Tyler Lars, vor Schmerzen zusammenge krümmt auf dem Deck liegend, und hastete zu ihm. Er kniete neben seinem Freund nieder, der mit vor Schmerz und Entsetzen geweiteten Augen zu ihm auf blickte und doch sagte: »Andy, ich bin okay! Geh wei ter!« Die Maschinenpistolen in der Hand, waren Pete Em mett und Rabbit bereits nach vorn unterwegs, und jetzt schlossen sich ihnen Wentz und Hirsch an. Coonan ge hörte auch zu ihrem Team, aber der Major der Marines redete auf drei gefangene deutsche Seeleute ein, einer davon in einem Mantel aus Ölzeug, ganz ähnlich dem ihren, die beiden anderen in Drillich. Coonan hielt ihnen eine weiße Kapitänsmütze mit schwarzem Schild hin. »Hat einer von euch Vögeln das Ding hier verloren? Ist einer von euch hässlichen Mo therfuckers vielleicht der Kommandant?« Er versetzte dem mit dem Trenchcoat einen Tritt. »Wie steht's mit dir, Adolf? Bist du der Herr Kommandant?« Die Gefangenen verstanden Coonan offenbar nicht oder taten wenigstens so, und sahen ihn und die ankla gend hingehaltene Mütze gar nicht an. Der junge Trigger, die Thompson in der Hand, kam jetzt in die Zentrale gesprungen, und seine Augen wei teten sich, als er das vergossene Blut sah. Fast beiläufig sagte Coonan, nachdem er die Gefan genen schnell, aber gründlich durchsucht hatte: »Trig ger, Sie bewachen diese Galgenvögel hier. Wenn sich ei ner bewegt, machen Sie Ihrem Spitznamen Ehre und drücken ab.« »Ja, Sir.« Coonan nickte Tyler zu, und die beiden Männer gin gen nach vorn und überließen es Trigger und dem ver wundeten Larson, die Gefangenen zu bewachen.
118
Sie schlossen zu den anderen auf, die gerade das erste Kugelschott passiert hatten und sich in einer Ab teilung befanden, welche die Funkbude, die winzige Kabine des Kommandanten, die Pritschen und die ni schenartige Offiziersmesse enthielt und damit die Offi ziersunterkünfte des Unterseeboots darstellte. Tyler warf einen Blick in die Funkbude - die durch wühlt aussah, weil der für sie Zuständige geflohen war und offenbar alle Papiere mitgenommen hatte -, wo Hirsch sich an einer primitiv aussehenden Schreibma schine in einem schlichten Holzkasten betätigte, die mit allem möglichen Funkgerät auf einem niedrigen Schrank ganz unschuldig dastand. Der ganze Aufruhr, die ganze Schießerei und die vie len Toten - alles nur für das hier: die Enigma. Aber Hirsch sah nicht glücklich aus; er schien sogar recht bedrückt. »Der Deckel ist offen«, sagte er. »Die Walzen sind entfernt worden.« »Walzen?«, fragte Tyler. »Herz und Seele dieser Maschine. Ohne die ist sie bloß eine ganz gewöhnliche Schreibmaschine. Wir müs sen sie finden.« »Nachdem wir das Boot gesichert haben«, sagte Coo nan etwas spitz. Hirsch nickte mit finsterer Miene. »Die Code-Bücher sind auch verschwunden. Die sind fast ebenso wichtig wie die verdammten Walzen. Scheiße. Wentz, schreiben Sie sich die Einstellungen von dem Ding auf - das ist immerhin ein Anfang. Und passen Sie auf jeden Fetzen Papier hier auf.« Wentz nickte und begann sich die wenigen Überreste der Funkbude vorzunehmen. Er nahm zwei Schallplat ten von der kleinen Theke. »Hier habe ich was.« Hirsch fuhr erregt herum und sagte: »Was?« »Nein - es ist nichts.«
119
»Was?« »Billie Holiday. Bing Crosby.« Enttäuscht und angewidert griff Hirsch mit beiden Händen nach dem schreibmaschinenähnlichen Appa rat, aber Coonan packte ihn am Arm. »Die will ich mir mal ansehen«, sagte er. Hirsch krauste verwirrt die Stirn. »Nach irgendwelchen Sprengkörpern«, fügte der Major hinzu. Der Lieutenant riss die Hände weg, als ob die Enig ma eine heiße Herdplatte wäre. Auf ein Nicken Coonans hin folgte Tyler Emmett und Rabbit nach vorn. Pete auf der linken, der kleine Torpe domaat auf der rechten Seite, so arbeiteten sie sich vor sichtig nach vorn, mit der wenig beneidenswerten, Furcht erregenden Aufgabe, an verhängten Kojen ste hen zu bleiben und die Vorhänge wegzureißen, die Thompson schussbereit für den Fall, dass ein Deutscher dort Zuflucht gesucht hatte. Tyler stieg über Leichen, menschlicher Abfall, der bru tal in den Gang geschleudert worden war, erschreckende Überreste, wie sie nach Kampfhandlungen übrig blie ben. Dann zog er - die 45er in der Hand - den Vorhang von einer Koje weg, und ein blonder Matrose mit weit aufgerissenen Augen richtete eine Pistole auf ihn. Tyler ließ sich auf die Knie fallen, kurz bevor die Ku gel über seinen Kopf flog und der Schuss betäubend laut durch den engen Raum hallte. Er feuerte nach oben, ein noch lauteres Geräusch, bohrte dem jungen Matrosen ein tödliches Loch in die Brust und trieb ihn gegen die Wand, als ob die Kugel ein Nagel wäre. Tyler richtete sich auf, spürte die Galle in sich auf steigen, sah entsetzt und zugleich angewidert auf das, was er angerichtet hatte, auf den jungen Matrosen, den der tödliche Schuss mit glasigen Augen auf seine Prit
120
sche geworfen hatte, und den schwarzroten Flecken auf seiner Drillichbluse, der sich ausbreitete wie eine schrecklich erblühende Blume. Tyler schluckte, zog den Vorhang zu und drehte sich um. Er sah, wie Emmett und Rabbit ihn mit weit aufge rissenen, erschreckten Augen anblickten. Coonan, Hirsch und Wentz, ein Stück weiter hinten, bei der Funkbude, starrten ihn ebenfalls an. »Klar«, sagte Tyler und schluckte. »Alles klar.« Emmett kam auf ihn zu. Das Gesicht des sonst so gut aussehenden, an Sinatra erinnernden Chief Engineer war vom Entsetzen bleich. »Alles okay, Andy?« »Ich schätze, jetzt wissen wir's.« »Was?« »Wie es ist, wenn man ihnen in die Augen sieht.« Anderswo im Boot, weiter achtern, folgte Chief Klough Mazzola und Tank durch die Mannschaftsquartiere mit den offenen Kojen - kein Ort, um sich zu verstecken - und ein paar Hängematten, die die Männer mit den Läufen ihrer Maschinenpistolen anstießen, aber ohne eine Reak tion zu bekommen. Zwischen den Kojen war ein Tisch, auf dem noch schmutziges Geschirr stand, und Klough kauerte sich nieder, um unter den Tisch zu spähen. Der Mistkerl sprang ihn an, schwang eine Fleischer axt, eine deutsche Bulldogge in Drillich und Schürze. Die Axt zischte am Ohr des Chiefs vorbei, und der riss die Thompson herum und schmetterte dem Angrei fer den Kolben gegen den Schädel. Der untersetzte, kleine Bursche ging zu Boden wie ein Maultier, dem man eins mit der Axt versetzt hat, und das Fleischerbeil fiel klirrend auf die Bodenplatten. »Sieht mir nach dem Koch aus«, meinte Klough, be müht, sich nicht anmerken zu lassen, wie schwer sein Atem ging.
121
»Ja«, sagte Mazzola. »Ich wette, die Jungs in diesem Eimer haben es sich dreimal überlegt, bevor sie seinen Fraß kritisiert haben.« Sie durchquerten die winzige Kombüse, und als sie den Durchgang zur schifftechnischen Zentrale erreicht hatten, hob der Chief die Hand. Dann warf er sich mit einem Satz durch die Öffnung und kam auf der ande ren Seite mit schussbereiter MP zum Stillstand. Keine Spur von Leben in diesem Nest aus Rohren, Handrädern und Trichtern und Hebeln. Die großen Die selmaschinen lagen reglos da, ihre Kolben wie gefroren, und das Luk zum Maschinenraum war geschlossen. Der Geruch von Öl und Dieseldämpfen hing in der Luft, aber sonst nichts, niemand. Klough und Tank gingen links und rechts an den Ag gregaten vorbei, am Druckkörper entlang, während Mazzola in der Mitte zwischen den Aggregaten durch ging, alle drei die Maschinenpistolen schussbereit. Bald hatten sie sich überzeugt, dass der Maschinenraum klar war. Jetzt erwartete sie das geschlossene Luk - eine Tür diesmal, nicht das übliche runde Kugelschott. Klough trat vor, aber Mazzola hob die Hand. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Chief.« »Bitte, nach Ihnen.« Mazzola bedeutete Tank mit einer Kopfbewegung, das Luk zu öffnen, was Tank tat, und Mazzola warf sich mit gefletschten Zähnen und wildem Blick, die Thomp son schussbereit, hinein. Ein paar endlose Augenblicke verstrichen. »Kommt rein, Jungs«, sagte Mazzola, und auf diese Aufforderung hin folgten ihm Klough und Tank. Ein Dutzend deutsche Seeleute - die Hände hoch er hoben, die Gesichter von Angst gezeichnet - hatten sich ergeben. »Es gibt einen neuen Sheriff in der Stadt, Jungs«, er
122
klärte Mazzola den Gefangenen, während Klough ihre Köpfe zählte. »Ihr seid jetzt in meinem Territorium, und diese Knarre hier ist das Gesetz.« Die Seeleute sahen sich verwirrt und verängstigt an. Klough taten sie beinahe Leid - sie waren noch Kinder, verängstigte Kinder, die Krieg spielten, genau wie die Babys von S-33, um die er sich kümmerte. Aber Mazzola grinste über ihre Angst und sagte: »Was für ein Rudel Hosenscheißer.« Der eingebildete Junge musste noch eine Menge ler nen - falls er lang genug lebte, um es zu lernen. Dann schob Klough den Kopf durch das Luk und rief den Gang hinunter: »Heckabteilung gesichert! Bringen zwölf Gefangene!« Tyler und Errimett watschelten wie Enten durch die un terirdische Werkstatt des vorderen Torpedoraums mit seinen Ladeschienen entlang der Decke, den glänzen den Ketten von Flaschenzügen, den aufgehängten Tor pedos, die Wände von Matratzen gesäumt, die zur Frei wache heruntergelassen wurden. Sie bewegten sich langsam und vorsichtig, und Rabbit folgte ihnen auf dem Fuß. »Wir haben ein paar offene Bodenplatten«, sagte Ty ler und gestikulierte mit der 45er nach vorn. »Vorsichtig«, sagte Emmett. »Die könnten sich unten in der Bilge versteckt ...« Wie als Beweis für Petes Cleverness schoss ein deut scher Matrose heraus, ein Schachtelteufel, vom Bilge wasser triefend, und betätigte den Abzug seiner Schmeisser. Tyler, der Mann an der Spitze, wäre tot gewesen, aber der deutsche Matrose hatte - eine ihm nicht vertraute Waffe in der Hand, die man ihm für diesen Notfall aus gehändigt hatte - den Sicherungshebel nicht umgelegt.
123
Benommen und entsetzt über die Erkenntnis, wie nahe er soeben dem Tod gewesen war, gab Tyler drei Schüsse aus seiner 45er ab, hallende Explosionen, die in dem engen Raum aus Metall wie Donner tönten und den erschreckten Deutschen mit einem jämmerlichen Klatschen durch das quadratische Loch im Boden hi nunterplumpsen ließen. Tyler, Emmett und Rabbit zogen sich ein Stück zu rück und drängten sich dann um die Öffnung im Bo den, wo die Bodenplatten beiseite geschoben worden waren. Jetzt stießen aus der Öffnung, in die der erschos sene Matrose geplumpst war, ein Paar Hände - leere Hände. Sie kapitulierten. »Nicht schießen!«, rief der Matrose auf Deutsch. Tyler, der nicht verstand, was er sagte, den Sinn der fremden Worte aber ahnte, sagte: »Komm hier raus, ver dammt, sonst blas' ich dir deinen beschissenen Schädel weg!« »Komm raus!«, brüllte Emmett. »Sonst erschießt er dich!« Der Matrose - ein anderer, er bediente das Horchge rät von U-571, was die Amerikaner natürlich nicht wis sen konnten - begann aus dem Loch zu kriechen, er war von den Hüften abwärts triefend nass. Emmett zog ihn das restliche Stück heraus, unsanft, so wie man einen großen Fang in ein Fischerboot zieht, und tastete ihn nach Waffen ab. Dann forderte er Rabbit auf: »Steigen Sie hinunter in die Bilge, und sehen Sie nach, ob die eine Sprengladung am Flutventil ange bracht haben. Und passen Sie auf Ihren Hintern auf, sonst fliegt er Ihnen vielleicht ins Gesicht!« »Ja, Sir«, sagte Rabbit und sprang klatschend in die Bilge hinunter. Kurz darauf hatte er einen Segeltuch sack aufs Deck gezerrt, eine Art Rucksack, vom schmutzigen Bilgenwasser durchtränkt.
124
»Hineinsehen«, sagte Tyler. »Aber Vorsicht, das Ding könnte gesichert sein und Ihnen um die Ohren fliegen!« Rabbit war vorsichtig, aber das war keine Sprengla dung. Vielmehr fielen ihm Bücher und Papiere entge gen. »Verdammt!«, sagte Tyler, nachdem er kurz in den Büchern geblättert hatte, »wir haben die Code-Bücher! Vertrauliche Papiere und weiß der Himmel was sonst noch alles. Mr. Hirsch. Mr. Hirsch!« Hirsch kam gerannt, als Emmett gerade dabei war, sich die Code-Bücher und Papiere anzusehen, die in dem fauligen, schmutzigen Bilgenwasser gelegen hat ten. »Andy«, sagte Emmett, »die verdammte Tinte ver läuft!« »Die Dinger sind wasserlöslich!«, schrie Hirsch auf wie eine besorgte Mutter. »Schnell, abtrocknen!« »Decken von den Kojen«, sagte Tyler, und dann rann ten er und Emmett welche holen und waren Augen blicke später damit beschäftigt, die Bücher und Papiere damit abzutupfen. Unterdessen war Coonan aufgetaucht und durch suchte den Gefangenen etwas gründlicher, seine Ta schen, seine Stiefel, praktisch alles, ohne den armen Teufel sich nackt ausziehen zu lassen. Rabbit stand in dem Loch, aus dem man die Decks platten entfernt hatte. »Keine Sprengkörper dort unten, soweit ich das sehen kann.« Hirsch trat an die Öffnung, beugte sich vor und sagte mit angespannten Zügen: »Hören Sie mir gut zu, das ist sehr wichtig - suchen Sie nach vier Scheiben, etwa von der Größe eines Weckglasdeckels.« »Ja, Sir«, entgegnete Rabbit und kehrte in die Bilge zurück. Hirsch kniete über den verängstigten Deutschen und
125
fragte auf Deutsch: »Wo haben Sie die Walzen ver steckt?« »Was für Walzen?«, fragte der Matrose zurück und wirkte anscheinend fast erleichtert darüber, dass man ihm in seiner eigenen Sprache eine Frage stellte. »Die Enigma-Walzen! Wo sind sie?« Der Horcher - der natürlich genau wusste, was Hirsch meinte - zuckte die Achseln und sagte nichts. Coonan zog den Deutschen in die Höhe und zerrte ihn nach draußen. Hirsch ging auf und ab, während man von unten platschende Geräusche hörte, wie von einem Kind in einer Badewanne, die darauf hindeute ten, dass Rabbit seine Suche in der Bilge fortsetzte. Andy Tyler und Pete Emmett standen nach diesem Stoßtruppunternehmen, auf das sie Annapolis in keiner Weise vorbereitet hatte, da und sahen einander an, er leichtert, am Leben zu sein, erleichtert, dass der beste Freund noch am Leben war. Beide wussten, dass das Gemetzel, dessen Zeugen sie geworden waren - und an dem sie selbst beteiligt gewesen waren - sie für immer verändert hatte.
126
9
Der Nebel hatte sich zu Regen gesteigert, als die Verla gerung von Gefangenen und Material in Gang kam; über den dunklen Himmel, dem die Morgendämme rung noch bevorstand, knisterten und knackten gele gentlich Blitze, und echte Donnerschläge brachten den Himmel zum Erzittern, nicht die Art, wie Menschen sie im Krieg erzeugten. S-33 und U-571 lagen jetzt Seite an Seite, keine fünfzehn Meter voneinander entfernt, wie zwei aufgetauchte Wale, die anfingen, einander besser kennen zu lernen und gemeinsam das düstere Licht und den Regen zu genießen. Lieutenant Commander Michael A. Dahlgren beob achtete und lenkte von der Brücke von S-33, was sich auf den Achterdecks der beiden Unterseeboote unter Einsatz von drei Schlauchbooten abspielte, von denen eines das Stoßtruppunternehmen überlebt hatte. Für den Kommandanten des alten U-Boots war es eine lange Nacht gewesen, die er hauptsächlich hier auf der Brücke verbracht hatte. Aus hundert Yards Distanz hatte er das flackernde Feuerwerk des Gefechts zwi schen den beiden Schlauchbooten und dem deutschen U-Boot miterlebt, eine Hölle, die Dahlgren beim Zuhö ren und Zusehen den Magen umgedreht hatte - aus die ser Distanz die Erstürmung des U-Boots mit anzusehen und durch seinen Feldstecher alles zu beobachten, als ob es ein Theaterstück oder ein Film wäre, und sich da bei ständig die Frage stellend, welcher seiner Jungs wohl posthum Orden verliehen bekommen würde. Jetzt, im Nachhall des Geschehens, empfand er bei nahe Schuldgefühle über sein Gefühl der Erleichterung
127
darüber, dass nur zwei Männer den Tod gefunden hat ten; und in einem Hinterstübchen seines Bewusstseins war er bereits dabei, zwei ganz unterschiedliche Briefe an zwei Familien aufzusetzen, damit diese erfuhren, dass ihre Söhne für ihren Kommandanten nicht bloß Kanonenfutter gewesen waren, sondern ausgeprägte Individuen, deren Einzigartigkeit ihm nicht entgangen war. Mit einem winzigen ironischen Lächeln blickte Dahl gren auf das Achterdeck von S-33 hinunter, wo die da hinschlurfenden, benommenen deutschen Gefangenen, die mit einem Schlauchboot herübergebracht worden waren, jetzt dem verblüffenden Anblick eines farbigen Matrosen ausgesetzt waren. Als die deutschen Matrosen aufgereiht auf den Decksplanken standen, begrüßte Messesteward Green sie mit einem gespielt freundlichen ›Hallo, wie geht's?‹ und markierte dabei jeden an der Stirn mit einem Fett stift. Eine hübsch enthumanisierende Note, dachte Dahlgren, für die Herrenrasse - obwohl der Skipper jetzt, als er sie aus einiger Nähe sah, erkannte, dass die Mannschaft des feindlichen Unterseeboots überwie gend sehr jugendlichen Alters war und seine Jungs wie erfahrene Seeleute aussehen ließ. »Der Führer wird nicht gerade erfreut darüber sein, dass ihr euch dieses U-Boot habt wegnehmen lassen«, sagte Green, während er dem nächsten Deutschen eine Ziffer auf die Stirn schmierte. Eine Blaujacke ging ne ben Green und durchsuchte die Gefangenen gründlich, so wie ein Tierarzt Hunde nach Zecken absucht. »Glückszahl Dreizehn! Der Nächste!« Dahlgren rief über die vom Regen gepeitschten Wel len zu Trigger auf der Brücke des deutschen U-Boots hinüber: »Sagen Sie Mr. Coonan, er soll sich ein wenig beeilen! In einer Stunde geht die Sonne auf.«
128
»Jawohl, Sir!« Auf dem Achterdeck von U-571 konnte Dahlgren se hen, wie Chief Klough den verwundeten und halb be wusstlosen Larson auf eine Trage schnallte. Er verstand jedes Wort, das sie sagten, teils weil das Wasser alles zu ihm herübertrug, teils auch, weil Larson beinahe brüll te, nicht so sehr, weil er Schmerzen hatte, sondern weil er völlig durcheinander war und sich schämte. »Sehen Sie zu, dass Sie aus dem Regen kommen, Chief!«, sagte Larson halb im Delirium. »Da holen Sie sich den Tod! Da holen Sie sich den Tod!« »Der erwischt mich nicht, Sir«, erklärte Klough. »Und jetzt entspannen Sie sich.« »Ich bin völlig durcheinander, alles ist durcheinan der!« »Ganz ruhig, Ensign. Das kriegen wir wieder hin ich habe eine schöne Morphiumspritze für Sie drüben auf der 33 ...« »Keinen Schuss habe ich abgegeben, Chief! Keinen einzigen Schuss. Was wird da meine Frau sagen, Chief? Was wird Peggy denken?« »Richtig froh wird sie sein, dass sie Sie sieht. Sie ha ben die Eine-Million-Dollar-Wunde, Ensign. Sie kom men nach Hause.« Ein Blitzschlag verlieh den Worten des Chiefs Nach druck. Die zwei Teerjacken waren Klough dabei behilflich, Larson - der jetzt zumindest für den Augenblick zu plappern aufgehört hatte - auf das längsseits liegende Schlauchboot zu bringen, damit er die kurze Reise nach Hause zum S-33 antreten konnte. Während draußen Blitze zuckten, bewegte sich Tyler durch die Zentrale des deutschen Unterseeboots, wo ähnliche, wenn auch kleinere elektrische Blitze kurzzei
129
tig die Skalen, Rohre, Schächte und Ventile des Nerven zentrums des Boots beleuchteten, das, wie sie jetzt wussten, die Bezeichnung U-571 trug. Tylers Freund Pete Emmett machte eine Aufnahme nach der anderen, wie ein begeisterter Tourist, schraub te eine Blitzbirne nach der anderen in das Blitzlichtge rät seiner Kamera und war inzwischen bereits bei sei ner zweiten Filmrolle. Genauer gesagt nutzte Emmett auf Hirschs Anweisung die seltene Gelegenheit, die technischen Befehls- und Führungssysteme des feindli chen Unterseeboots aufzuzeichnen, das bald versenkt werden würde. Nur Emmetts Fotos würden übrig blei ben, um wichtige Informationen über die räumliche Anordnung und die Systemkomponenten eines deut schen U-Boots zu liefern - ein Glückszufall für die Nachrichtendienste, der dem der Eroberung der Enig ma nahe kam. Tyler ging durch das Luk an der Funkbude vorbei und stieß auf das ein wenig geschmacklose Bild von Matro sen, die das Boot nach allem auch nur annähernd Wichti gen absuchten. Die Suche nach den Enigma-Walzen rechtfertigte diese Plünderung natürlich, aber als Tyler auf Mazzola stieß - genau an der Koje, wo Tyler den blonden Matrosen erschossen hatte, der sich dort versteckt hatte und reglos dalag -, hatte er einfach genug. Mazzola stopfte sich französische Postkarten in die Taschen seines Ölhaut-Trenchcoats, was Tyler eigentlich nichts ausmachte - als ob irgendeine Blaujacke der Ver suchung hätte widerstehen können, sich Nacktfotos von Mademoiselles zu schnappen. Aber als der Junge aus Brooklyn der blonden Leiche einen goldenen Ring vom Finger ziehen wollte, war das Maß voll. »Lass dem armen Teufel seinen Ehering«, sagte Tyler. Der Ring war bereits vom Finger gerutscht, und Mazzola hielt ihn in der Hand. Sein hübsches Gesicht
130
verzerrte sich, als er sagte: »Ach, wem zur Hölle scha det es denn, Sir? Wir kippen die Leichen doch in die Brühe, oder?« »Ich habe ihn erschossen«, sagte Tyler. »Also gehört er mir.« »Jawohl, Sir.« Tyler streckte die Hand aus, und Mazzola seufzte und gab dem Offizier den Ring. »So, und jetzt sehen Sie nach dem Lokus«, wies Tyler Mazzola an, der daraufhin zu der nahe gelegenen Toi lette schlurfte, die unmittelbar vor dem Kugelschott zum Bug-Torpedoraum angebracht war. Dann atmete Tyler tief durch, sprach ein stummes Gebet für sich und sein Opfer und steckte den Ring wie der auf die schon steif werdende Hand des Matrosen, der ihn zu töten versucht hatte. »Da drinnen ist nichts außer Scheiße«, rief Mazzola, eine Hand an der Tür der Kabine und sich mit der an deren die Nase zudrückend. »Ziemlich faulige Scheiße, kann man sagen!« Mazzola trat zur Seite, und Tyler sah selbst nach. Das Scheißhaus war tatsächlich voll. »Wissen diese deutschen Schweine denn nicht, wie man spült?«, fragte Mazzola. Tyler runzelte die Stirn, teils nachdenklich, teils we gen des Geruchs. »Ich nehme mal an ... gewöhnlich schon.« Tyler sah sich in der übel riechenden Kabine um. Ein kleines Schränkchen enthielt Streifen aus Zeitungspa pier, die als Toilettenpapier dienten. Dann war da ein Metallhaken irgendeines Installateurgerätes. Er nahm ihn und stocherte damit in der vollen Toilettenschüssel herum, bis er auf etwas stieß, das nicht Kot war. Als er den Haken wieder herauszog, hing eine kleine silberne Scheibe daran.
131
»Das ist keine Kacke«, meinte Mazzola beeindruckt. »Ich glaube, das ist eine Enigma-Walze«, sagte Tyler. »Kein Scheiß?« »Nun, sagen wir mal, zusätzlich dazu ...« Im Maschinenraum achtern war Major Matthew Coo nan, USMC, damit beschäftigt, TNT-Stäbe an den gro ßen Seewasserrohren anzubringen, die zur Kühlung der Diesel dienten. Maschinist Charles Clemens, seinen Freunden unter dem Namen Tank bekannt, war bei ihm, der vierschrötige Hüne, der den Major bei dem Stoßtruppunternehmen so beeindruckt hatte. »Sie haben wirklich Eier aus Gusseisen, Junge«, sag te Coonan und stieß eine Sprengkapsel in das TNT, die mit einem M2-Zünder und einem langen Stück wasser dichter Zündschnur verbunden war. »Sie sollten Mari ne sein.« »Ich wünschte, wir hätten diese Babys auf der 33.« Tank inspizierte die riesigen Dieselmotoren, strich lie bevoll über die Rohre und hantierte an den Ventilen he rum, so wie ein Mann beim Vorspiel mit einer schönen Frau. »Jetzt putzen Sie sich gefälligst die Ohren, Sie Schmiermaxe«, sagte Coonan. »Wenn ich rufe, ziehen Sie diesen Stift. Kapiert?« »Diesen Stift, ja, Sir.« »Und dann sehen Sie zu, dass Sie Ihren Arsch durch die Heckschleuse kriegen, und lassen Sie sie offen. Zehn Minuten später fliegt das Boot in die Luft.« »Diese schönen Maschinen und alles?« »Mit sämtlichen Krauts, die noch an Bord sind.« Tyler hastete mit seinem Installateurhaken, von dem eine braune Brühe tropfte und an dem vier silberne Walzen hingen, in die Zentrale.
132
Hirsch und Wentz - gerade damit beschäftigt, die Enigma (samt Holzkassette) in einen Ölhautmantel zu wickeln und das Paket zu verschnüren - blickten auf und sahen das grinsende Gesicht Tylers. Auf ihn auf merksam gemacht hatte sie der widerwärtige Geruch. »Sie brauchen sie bloß zu waschen, dann gehören sie Ihnen, Mr. Hirsch«, sagte Tyler. »Mr. Tyler«, erwiderte Hirsch mit einem Grinsen, das man bei allem Wohlwollen nur als dämlich bezeichnen konnte, »Sie sind der Mann der Stunde.« Als Hirsch das sagte, schlüpfte Major Coonan gerade durch das Luk in die Zentrale. Seine Augen leuchteten beim Anblick der von Kot triefenden Walzen auf. Er grinste und schüttelte den Kopf. »Gut gemacht, Mr. Ty ler, sehr gut gemacht! Und Sie haben gedacht, Sie hät ten bisher beschissene Einsätze gehabt ...« Hirsch nahm von Tyler den Haken mit den Walzen entgegen und rannte, hinaus, um die Scheiben zu säu bern, während Coonan neben den XO trat und sagte: »Sie haben die Dinger gerade noch rechtzeitig gefun den.« »Sie haben Sprengladungen an den Flutventilen an gebracht?« »Ja. Ihr Wunderknabe Tank ist hinten. Hoffentlich ist er klüger, als er aussieht.« »Das muss er wohl sein, oder?« Coonan grinste und schlug Tyler auf die Schulter. »Sie haben Ihre Sache großartig gemacht, Tyler. Sie wür de ich auf jeden Stoßtrupp mitnehmen, jederzeit.« »Nett, dass Sie das sagen, aber, äh, mir war's eigent lich lieber, wenn Ihr Marines das nächste Mal eigene Leute einsetzen würdet.« »Habe verstanden.« Bald war Tyler auf dem Achterdeck, wo inzwischen der Gefangenen- und Beutetransport allmählich dem
133
Ende zuging. Es regnete stetig, aber der Donner und die Blitze hatten aufgehört. Tyler war Hirsch mit der klobigen, in Ölhaut ver packten Enigma behilflich und reichte sie Coonan hi nunter, der in einem Schlauchboot stand. Der Major ver staute das wertvolle Paket mittschiffs, drehte sich dann um und nahm von Wentz ein eingeschlagenes Bündel Papiere in Empfang. Der Chief war an Deck, und Emmett, der mit seiner Blitzlichtkamera wie ein Reporter wirkte, kletterte ge rade den Niedergang am Turm von der Brücke herun ter. Bald würden sie U-571 hinter sich lassen und war ten, bis Coonans Ladung zündete. Von einem unheimlichen Gefühl der Ruhe erfüllt, nachhaltiger Erleichterung, dass der Alptraum dieser Nacht bald vorüber sein würde, trat Tyler einen Schritt zurück und sah zu, wie Trigger ein Schlauchboot diri gierte, in dem zwei Matrosen mit der letzten Gruppe von Gefangenen, zwei jungen und einem älteren, bärti gen Matrosen, zum S-33 hinüber ruderten. Er winkte und lächelte dem fast bewusstlosen Lars auf der Trag bahre in einem anderen Schlauchboot zu, in dem eben falls zwei Matrosen an den Riemen saßen. Lars schaffte es sogar, das Lächeln zu erwidern. Coonan beobachtete die Szene ebenfalls; sein Schlauchboot war das einzige, das noch nicht abgesto ßen hatte. Tyler würde mit ihm fahren und darüber hi naus der Chief, Emmett, Wentz, Hirsch, Mazzola und Tank. »Jetzt, Tank!«, rief Coonan. Augenblicke später kam Tank aus dem Luk achtern gerannt und schrie: »Zündschnur brennt, Sir!« »Zehn Minuten, meine Damen!«, sagte Coonan. »Wir wollen an Bord gehen!« »He, Andy!«, sagte Emmett. »Bleib mal stehen. Das
134
gibt eine klasse Aufnahme von dir mit S-33 im Hinter grund.« Tyler, der niedergekniet war, um Coonan ein paar letzte Gegenstände ins Schlauchboot hinunterzurei chen, blickte auf und sah, dass Emmett auf das Achter deck geschlendert war und gerade eine frische Blitzbir ne einschraubte. »Ich dachte, du machst Aufklärungsfotos«, sagte Ty ler. »So, los jetzt, Gentlemen«, befahl Coonan, »etwas Beeilung bitte!« »Ich glaube, eine Aufnahme ist uns die Navy schul dig«, sagte Emmett mit einem schiefen Grinsen und hob die Kamera. »Sagt alle mal ›cheese‹.« Auf der Brücke von S-33 bemerkte Lieutenant Com mander Mike Dahlgren, der kurz den Blick von dem Transport von Männern und Material zwischen den bei den geparkten Unterseebooten abwandte und auf die endlose, leere Dunkelheit der See hinausblickte, dass sich in diesen endlosen Wassern etwas bewegte, ein glit zerndes Phosphoreszieren, das auf ihn zukam ... Als Pete Emmett die Blitzlichtaufnahme von seinem Freund Andy Tyler machte, geschah etwas, das einen verrückten Augenblick lang so wirkte, als wäre es eine Folge des Kückens der Kamera. Aber es bestand keine Verbindung; dies war nur ein weiterer absurder Augen blick in der brutalen Absurdität des Krieges. Und Tyler sah es nicht einmal, er hörte nur den be täubenden Knall, spürte die Schockwellen, die ihn aufs Deck schleuderten, als das Unterseeboot explodierte. Nicht U-571 mit seiner TNT-Sprengladung, nein: S-33! Der Torpedo - den Dahlgren hatte kommen sehen, aber nicht früh genug, um auch nur eine Warnung in das Sprachrohr auf der Brücke zu rufen - musste ziem
135
lich genau mittschiffs getroffen haben, weil in der plötz lichen Morgendämmerung der Explosion Leichen durch die Luft gewirbelt wurden und klatschend ins Wasser fielen. Schon im nächsten Augenblick war die. See mit brennenden Trümmerteilen übersät. Die zerbro chene Kontur von S-33 wurde von gewaltigen Flam mensäulen verzehrt, als Stahlplatten, Menschen und Bruchstücke davon in alle Richtungen flogen, Blüten blätter, die die sich öffnende Blüte aus Orange und Gelb abwarf. Tyler sah nicht viel davon. Er schützte sich vor der Explosionswelle, indem er sich mit dem Gesicht nach unten an der Gräting des schaukelnden Decks festklam merte. Dafür durfte er sich wahrscheinlich glücklich preisen, weil er nicht mit ansehen musste, wie ein Luk von S-33 wie ein eiserner Diskus durch die Luft heran wirbelte und seinen Freund Pete Emmett enthauptete. Tyler sah auch nicht, wie Major Coonan von einem fliegenden, feurigen Splitterbrocken getroffen wurde, der sich in seine Brust bohrte, wie ein riesiger Orden, den er wohl lieber nicht erhalten hätte. Er lebte gerade noch lange genug, um ungläubig auf das Ding herun terzublicken, das ihn tötete, und sackte dann nach vorn in das Schlauchboot. Tyler blieb auch der Anblick von Ensign Keith Lar son erspart, der, an seine Tragbahre geschnallt, aus dem Schlauchboot geschleudert wurde und sank, langsam sank und dabei brüllte: »Nein, Gott, bitte nein!«, ein Schrei, der teils Gebet und teils Verwünschung war, bis ihm Wasser in den Mund drang und die Wellen ihn in die Tiefe zogen. Und er sah auch Triggers Schlauchboot nicht, das von fliegenden Metallsplittern durchbohrt und davon ins Schaukeln gebracht wurde, und dass Trigger und die drei deutschen Kriegsgefangenen über Bord kipp
136
ten, während das Schlauchboot mit den beiden Matro sen, die an den Rudern gesessen hatten und von dem Splitterregen sofort getötet worden waren, in die Tiefe sank. Als er es schließlich riskierte, sich vom Deck aufzu richten, sah Tyler Männer von dem brennenden Wrack springen, das einmal die taktische Nummer S-33 getra gen hatte - selbst gefesselte deutsche Gefangene spran gen ins Wasser, gingen das Risiko ein, in dem mit Pfüt zen von brennendem Öl übersäten Meer unterzugehen. Und er sah Pete Emmetts Kamera zerbrochen und blutbespritzt auf dem Deck liegen - Emmetts Körper war seinem Kopf ins Meer gefolgt. Durch diesen Alptraum taumelnd, vor einem Him mel, den die Flammen orangerot und der Rauch schwarz färbten, während die See von Matrosen wim melte, die sich abmühten, an der Oberfläche zu bleiben, spürte Tyler, wie sein Mund sich bewegte, aber es woll ten keine Worte herauskommen. Schließlich hörte er jemanden schreien: »Alle unter Deck! Das ist ein Angriff!« Seine Stimme war das, wurde ihm plötzlich bewusst; er rief das. Aber niemand reagierte auf sein Kommando. Maz zola, Klough, Wentz, Rabbit - alle standen sie auf dem Deck des deutschen Unterseeboots und blickten zu dem todgeweihten S-33 hinüber, aus der Flammenzungen schössen, entsetzte, vor Schrecken erstarrte, völlig ver blüffte Zuschauer in einem gespenstischen Schauspiel. Dann erschütterte eine weitere Explosion, diesmal eine kleinere, das Wenige, was von S-33 übrig geblieben war. Das schien den Bann zu brechen, denn plötzlich rannten die Matrosen auf dem Achterdeck von U-571 ihren Freunden zu Hilfe, die im Wasser um ihr Leben kämpften - der Chief warf Trigger eine Leine zu und
137
zog ihn herauf, Mazzola kam gerannt, um ihm behilf lich zu sein. Aber Tyler wusste mit fast tödlicher Sicherheit, dass weitere Torpedos unterwegs waren und dass dafür jetzt keine Zeit war. Er brüllte: »Alle nach unten! Jetzt gleich! Chief! Tau chen!« Wentz und Rabbit hasteten den Turm hinauf, wäh rend Mazzola und der Chief Trigger aufs Deck zerrten. Jemand schrie: »Die Enigma!« Hirsch natürlich. Der Lieutenant der USNR deutete verzweifelt auf das Schlauchboot, das der tote Coonan immer noch zu bewachen schien und das jetzt mit der in Ölzeug ge wickelten Codiermaschine davontrieb. Tyler sprang ins Wasser, dessen eisige Kälte seinem Körper, der in dieser Nacht schon genügend Schocks erlitten hatte, einen weiteren versetzte. Aber er schaffte es, das Schlauchboot zu packen und es schnell zu U-571 zurückzuziehen. Hirsch griff hinunter, holte die trie fend nasse Enigma heraus und stellte sie aufs Deck. Dann streckte er Tyler die Hand hin und zog ihn wieder an Bord. Tank stand in der Nähe und zeigte auf die Wellen. »Ich sehe den Skipper!« Ein paar Matrosen, darunter auch eine Hand voll Deutsche, Eddie und weitere vertraute Gesichter, wa ren einfach zu weit vom Deck entfernt, als dass eine Ret tungsleine ihnen hätte helfen können. Eines dieser Ge sichter gehörte Capt'n Dahlgren. »Verdammt«, sagte Tyler leise. Dahlgren schlug schwächlich um sich, versuchte ver zweifelt, an der Oberfläche zu bleiben, aus einer Kopf wunde blutend - und hob dann die Hand und winkte sie fort.
138
»Weg ... tauchen...« Die Stimme war schwach, kaum zu hören und doch voll Autorität. Die Augen des XO begegneten denen seines todge weihten Kommandanten, und Dahlgrens Gesichtsaus druck sagte: Nicht zögern, Andy. Nicht noch einmal überlegen. »Unter Deck jetzt!«, brüllte Tyler und rannte zum Turm. Tank hastete zur Heckschleuse und klappte de ren Luk hinter sich zu, Hirsch, Mazzola und Klough kletterten vor Tyler auf die Brücke und verschwanden nach unten. Von der Brücke sah er zu Dahlgren hinüber, salutier te seinem Freund und Capt'n kurz und stieg dann in das feindliche Boot hinunter, wo in diesem Augenblick Tank bereits dabei war, die Zünder von den TNT-La dungen zu entfernen und die schwimmende Bombe U 571 wieder in ein Boot zu verwandeln. Tyler blieb der Anblick erspart, wie sein Capt'n, des sen Kräfte schwanden, sich an einem Trümmerteil fest hielt, U-571 den Rücken wandte und zu seinem sterbenden Unterseeboot hinübersah, dessen Kadaver in Rauch und Flammen eingehüllt war, ein Feuer, das das Boot selbst erstickte, als sich schließlich sein Bug in einer traurigen, königlich wirkenden, edlen Geste hob und dann lautlos in den Wellen versank.
139
10
Tyler riss das Kugelschott zwischen dem Turm und der Zentrale ruckartig herunter und sicherte ihn, drehte das Handrad seiner Verriegelung fest und glitt dann den Niedergang in das Herz des deutschen Boots hinunter. Um ihn herum gaben sich seine Männer - ebenso wie er mit Uniformen der deutschen Kriegsmarine beklei det - Mühe, so schnell wie möglich die Äquivalente ih rer Aufgaben zu finden, die sie auf S-33 innegehabt hat ten. Sie bewegten sich schnell, aber ohne erkennbare Nervosität. Der Einzige, der einen verstörten Eindruck machte, war Hirsch, der gerade die Enigma unter den Kartentisch schob und dabei wie ein Schuljunge wirkte, der verbotene Zeitschriften mit Nacktfotos unter dem Bett versteckte. Tyler atmete tief durch, um Kraft zu sammeln - und dann schossen ihm in wenigen Sekunden eine ganze Folge komplizierter Überlegungen durch den Kopf. Das hier war ein Unterseeboot wie jedes andere wenn man also die entsprechenden Ventile öffnete und die Tiefenruder auf den richtigen Tauchwinkel einstell te und die Elektromotoren einschaltete, würde es in die Tiefe fahren, angetrieben von seinen Motoren und un terstützt von dem zunehmenden Gewicht des Ballasts. Schlichte Physik, schlichte Mathematik. Und diese Zentrale war wie jede Zentrale in jedem Unterseeboot - Steuerung, Flutventile, Lenzpumpen, Sehrohr, Instrumente und die entsprechenden Regler für jedes System. Das Boot mochte ein ausländisches sein, aber die Atmosphäre und die Technik waren die gleichen, mussten sogar die gleichen sein.
140
Dass in diesem kleinen Raum vor weniger als zwei Stunden ein tödliches, blutiges Feuergefecht stattgefun den hatte, war wie eine ferne Erinnerung. Die toten Feinde waren ohne viel Aufhebens ins Meer gekippt worden, und der Chief hatte rücksichtsvollerweise den Raum ausgewischt und ihn von den Blutspritzern ge säubert, bevor die Suche nach der Enigma und anderen wichtigen Materialien begonnen hatte. S-33 gab es nicht mehr. Vernichtet. U-571 war jetzt ihr Boot, sein Boot. Tyler entging die Ironie, dass sein erstes Kommando ein deutsches Boot war, keineswegs, auch nicht in der geordneten Hektik, die rings um ihn herrschte. Und sie war geordnet: Eine Grundregel für Untersee bootfahrer lautete, dass man nicht laut wurde, wenn Schwierigkeiten auftraten, sondern sich kühl und über legt mit ihnen auseinander setzte. »Chief!«, sagte Tyler. Kein Ruf, kein Schrei, er hob bloß die Stimme etwas an, um gehört zu werden. »Ha ben Sie die Ventile gefunden?« »Die verdammten Aufschriften sind alle in Deutsch«, erwiderte Klough und tippte dabei an Skalen und Schaugläser, ein Sehender, der versuchte, Blindenschrift zu lesen. Die beiden Deutsch sprechenden Männer an Bord Hirsch und Wentz - würden der Schlüssel zu ihrem Er folg sein, zu ihrem Überleben. »Wentz!«, sagte Tyler und suchte zwischen den Ska len und Schaugläsern nach dem Mikrofon der Bordver ständigungsanlage. »Die Ventile! Trigger, Sie nehmen das Steuer.« »Aye, Sir.« »Mazzola, die Ruder.« »Aye, aye, Sir.« Trigger und Mazzola bezogen ihre Posten und fin
141
gen an, sich mit den Steuerorganen vertraut zu ma chen. Tyler schnappte sich das Mikrofon der Bordsprech anlage, das über ihm an der Decke hing, und ließ seine Stimme durch das Boot hallen. »Tank, ich brauche Fahrt, und zwar jetzt gleich - sehen Sie zu, dass sich die Schrauben drehen! Die Beleuchtung ist an, also ist noch Saft auf den Batterien, etwas Saft zumindest. Rabbit, stellen Sie fest, wie viele Aale wir in den Rohren haben, und dann überlegen Sie sich, wie man sie startet.« Aus der Muschel ähnlichen Öffnung eines Sprach rohrs kam Tanks Antwort: »Ich stehe vor der Schalttafel für die E-Motoren, Sir, aber ich kann diesen Scheiß nicht lesen! Und einfach an den Ventilen rumzudrehen könn te tödlich sein!« »Halt, Tank - keine Experimente.« Tyler drehte sich halb zu Hirsch herum, dem einzigen Mann in der Zen trale, der nichts tat. »Hecktorpedoraum, Lieutenant, schnell - übersetzen Sie dort für Tank.« Mit nervösem Blick, aber sichtlich froh, helfen zu können, nickte Hirsch, duckte sich durch das Kugel schott und eilte nach hinten. Ihr anderer Dolmetscher, Wentz, stand neben dem Chief; Klough war gerade dabei, eine Rohrleitung zu einem großen, roten Schieberventil an der Deck zu ver folgen, und sagte: »Was ist dieses große Ding hier?« Wentz schüttelte den Kopf. »Der Teufel soll mich ho len, wenn ich das weiß, das Mistding hat keine Auf schrift ... aber, Chief, ich denke, das hier sind die Venti le für die achterlichen Trimmzellen. Ja, das sind sie!« Der Chief war mit einem Satz bei Wentz, der auf Ventilräder über den Türen nach achtern deutete. »Dann müssen die vorn für die vorderen Ventile sein«, sagte Klough und verzog nachdenklich das Gesicht. Wentz griff nach den Hebeln an der Decke und sagte:
142
»Und ich habe die Ventile für die Regelzellen. Und hier sind die Einlassventile.« »Dann vergewissern Sie sich, dass die geschlossen sind«, sagte Klough entschieden. »Öffnen Sie diese Ventile erst, wenn ich ganz sicher weiß, dass wir kein Loch in diesem Kahn haben. Verdammt, wo ist bloß der Christbaum?« Tyler hatte nach dem verdammten Ding gesucht und stand jetzt vor einer Tafel mit Lämpchen und einer Viel zahl von Ventilen und Handrädern. »Ist es das hier? Wentz, ist das der Weihnachtsbaum? Hier steht klar, klar, klar. Können wir tauchen?« »Klar heißt so viel wie okay«, bestätigte Wentz. »Jede Abteilung zeigt klar an. Das muss es sein, ja, Sir – sehen Sie diese weißen Lichter hier, sieht aus, als ob die Weiß hätten, wo bei uns Grün ist.« »Dann los, Chief!«, rief Tyler. »Ventile öffnen!« Klough öffnete die vorderen Ventile, während Wentz dasselbe mit den mittleren und den hinteren Ventilen machte. Klough wurde vor ihm fertig und half Wentz, und dann bestätigte das vertraute, beruhigende Brau sen von Luft, die aus Tanks gepresst wurde, dass sie auf der richtigen Spur waren. Jetzt waren in der Zentrale nur lächelnde Gesichter zu sehen, als das U-Boot zu tauchen begann und eine mit brennenden Treibstoffresten übersäte Meeresfläche hinter sich ließ. Die neue Mannschaft von U-571 merkte nicht, dass ein weiteres Unterseeboot ebenfalls tauchte - zumin dest das mit Brandspuren überzogene Wrack eines sol chen. Die Überreste ihres letzten Kommandos - jenes Relikt aus einem anderen Krieg, S-33 - sank schnell, und nur das Vorderteil des Boots verharrte noch über Wasser, fast senkrecht, ausgestreckt wie der Arm eines Ertrinkenden.
143
Im letzten Augenblick öffnete sich die vordere Luke, und eine Rauchwolke quoll heraus. Ein mit zahlreichen Brandwunden bedeckter, geblendeter Matrose versuch te, sich ins Freie zu arbeiten, purzelte aber nach rück wärts, als Wasser in die Luke strömte, und ertrank in der Finsternis. Dann verschluckten die Wellen S-33, gaben dem toten Boot eine letzte Ruhestätte, während U-571 dicht daneben eine andere Art der Erlösung suchte. »Das ist die vordere Trimmung«, erklärte Wentz dem Chief, übersetzte, deutete auf dieses und jenes. »Heck trimmung, Hilfsaggregate. Hier steht Saugen und Aus stoßen. Und auf dem hier steht zur See.« »Kapiert«, nickte Klough. Trotz der Anspannung fühlte Tyler sich allmählich nicht mehr fremd. Er begann Log, Echolot, Kompass, Ruderlage- und andere Anzeigen um sich herum zu er gründen und zu begreifen. »Fünfzehn Meter gehen durch«, sagte Mazzola von seiner Bank an den Tiefenrudern. »Empfehle, Hauptventile schließen!«, sagte Klough. »Hauptventile schließen«, bestätigte Tyler. Der Chief stand auf und fing - hinten beginnend und sich nach vorn arbeitend - an, die drei Hauptventile zu schließen. »Wentz«, sagte Tyler zu dem Radioman, »gehen Sie in den Horchraum und spitzen Sie die Ohren. Wir müs sen wissen, was da draußen vor sich geht.« »Aye, Sir!« Während Wentz durch das Kugelschott in die nahe gelegene Horchnische ging, sagte Tyler: »Auf zwanzig Meter einsteuern!« »Auf zwanzig Meter einsteuern, aye, Sir«, bestätigte Mazzola. »Fluten, Chief.«
144
»Fluten, aye«, wiederholte Klough. »Mr. Mazzola, vorne null, Tiefe nur mit achterlichen Tiefenrudern hal ten.« »Vorne null, Tiefensteuerung nur mit achterlichen Tiefenrudern, aye.« »Rabbit«, sagte Tyler in das Mikrofon der Bord sprechanlage, »ich brauche einen Bericht!« »Auf zwanzig Meter eingependelt«, informierte Mazzola ihn. Aus dem Sprachrohr kam Tanks Stimme: »Voll vo raus, Sir! Batterien ohne Leistung, Ladeanzeige fällt schnell ab.« Das hätte Tyler auch aus dem Flackern der Lichter in der Zentrale schließen können. Wentz rief aus der Hydrofonkabine: »Mr. Tyler, ich höre ein Boot zerbrechen!« In Tylers Gesicht zuckte es, dann verfinsterten sich seine Züge. »Das 33.« Alle in der Zentrale zuckten zusammen, schüttelten das Gefühl dann aber ab - für Trauer und Nachdenken würde später Zeit sein, aber nur, wenn sie die Zerreiß probe überlebten, der sie selbst ausgesetzt waren. Wentz sagte: »Moment ... Habe getauchtes Untersee boot auf null eins null. Nahe, Sir, verdammt nahe - we niger als tausend Yards.« »Das ist dieses verdammte Versorgungsboot«, stieß Tyler hervor. »Die haben unser 33 mit ihrem Torpedo erwischt«, sagte der Chief. Tyler fragte: »Trigger, welcher Kurs liegt an?« »Zwei-acht-null, Sir!« Trigger stand an der Sekundär steuerung in der Zentrale (die erste Position im Turm war im Augenblick unbesetzt). »Ruder hart Steuerbord«, ordnete Tyler an. »Kurs null eins null.«
145
»Aye, aye, Sir«, sagte Trigger, die Finger auf den Ru derknöpfen, »Ruder hart Steuerbord, Kurs null eins null.« In das Mikrofon der Bordsprechanlage sagte Tyler: »Tank! Steuerbord voll zurück. Rabbit - ich warte im mer noch auf den Bericht!« Tanks Stimme hallte aus dem Rohr: »Steuerbord voll zurück, aye, Sir.« »Passen Sie auf Ihre Tiefe auf, Mazzola«, sagte Klough, »sonst hockt das Boot sich hin wie zum Scheißen.« »Aye, Chief.« »Rabbit - es wird Zeit«, sagte Tyler, ohne die Zähne auseinander zu nehmen, in das Mikrofon. Endlich trug das Sprachrohr Rabbits Stimme in die Zentrale. »Wir haben vier Aale, Sir. Rohre sind geflu tet, aber ich kann die Mündungsklappen erst öffnen, wenn ich den Druck ausgleiche. Und das kann ich nicht, weil ich dieses verdammte Kauderwelsch nicht lesen kann!« »Verstanden«, antwortete Tyler und rief Wentz in der Horchstation zu: »Wentz! Gehen Sie nach vorn, helfen Sie Rabbit.« Aber Wentz lehnte sich aus seiner Nische, das eine Ohr von der schwarzen Muschel des Kopfhörers be deckt; seine Stirn war in der Konzentration gerunzelt. »Sir, feindliches Unterseeboot kommt auf. Torpedo im Wasser! Torpedo im Wasser!« »Kommando zurück, Wentz, bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte Tyler und wandte sich wieder seinem Mi krofon zu, ohne dabei den Blick vom Kompass zu wen den, flehte ihn an, sich zu drehen. »Hirsch, schleunigst in den Bugtorpedoraum! Beeilung!« Augenblicke später hetzte Hirsch durch die Zentrale, um Rabbit zu helfen, während der Kompass sich all mählich zu drehen begann. 146
»Trigger«, befahl Tyler, »alle zehn Grad Kursände rung aussingen.« »Aye, Sir. Drei-zwei-null gehen durch.« Sie konnten spüren, wie das Boot sich langsam nach Steuerbord drehte ... Im Torpedoraum erwartete Hirsch ein höchst nervöser Rabbit. Er winkte ihn herein und fragte: »Was bedeuten die Schilder in diesem Narrenhaus? Ich kann in diesen Rohren keinen Druckausgleich durchführen. Wir müssen die Klappen finden und die Ausgleichsventile ...« Hirschs Blick wanderte schnell über die einzelnen Schilder, dann fragte er: »Könnte es das sein? Druckdif ferenzial?« »Ja, ja, ja, zum Teufel, ja!« Rabbit fing an, ein paar Handräder zu drehen. »Helfen Sie mir, diese Dinger aufzumachen!« Hirsch half ihm. In der Zentrale bewegte die Kompassnadel sich jetzt schneller - bloß nicht schnell genug. Tyler beobachtete sie, betete, während ihm der Schweiß von der Stirn rann, wischte ihn mit dem Handrücken weg - seine Augen schmerzten ohnehin schon genug, da konnte er nicht auch noch den salzigen Schweiß gebrauchen. »Komm schon«, sagte er leise. »Drei-sechs-null geht durch«, sagte Trigger. »Komm schon, Baby, komm schon ... dreh dich, du Mistkerl, dreh dich doch ...« »Rückt uns näher auf den Pelz, Sir«, meldete Wentz. Sie konnten es hören, immer lauter wurde es, bahnte sich seinen Weg durch die Wellen, jetzt verdammt nahe, wie ein Unterwasserrasenmäher, der durch die See rat terte ... ... und dann nahm das Geräusch ab, als der Torpedo an ihnen vorbeischoss, um Haaresbreite die kreisenden Schrauben verfehlte.
147
»Torpedo hat Ziel verfehlt«, sagte Wentz, eine wun derbare und völlig überflüssige Meldung. Erleichterung durchströmte die Zentrale ... ... doch nur kurzzeitig. »Zwei weitere Aale im Wasser!«, sagte Wentz. »Kom men direkt auf uns zu.« »Rudergänger, Drehung beenden«, sagte Tyler. »Ge genwärtigen Kurs halten!« »Aye, Sir«, bestätigte Trigger. »Chief, klar zum Fluten, vorlastig Trimmung.« Klough hastete zu den Trimmventilen achtern. »Rabbit«, sagte Tyler ins Mikrofon, »auf mein Kom mando einen Fächer lösen. Rohre eins und zwei! Kreisel null! Los!« Tyler wartete - nichts. »Rabbit, los!«, wiederholte er ins Mikro. Im Bugtorpedoraum deutete Hirsch hastig auf etwas und sagte zu dem konfusen Rabbit: »Da drücken!« Und Rabbit und Hirsch drückten beide auf die Feu erknöpfe. Die Torpedos liefen heiß, gaben ein ohrenbetäuben des Kreischen von sich, und das wäre auch gut gewe sen, wenn sie nicht in ihren Rohren geblieben wären. Hirsch und Rabbit, denen das hysterische Kreischen der Torpedos fast die Trommelfelle zerriss, starrten sich aus geweiteten Augen entsetzt an. In der Zentrale sahen sich Tyler und alle anderen er schreckt um, als das durchdringende Vibrieren durch das ganze Boot hallte. Tyler griff nach dem Mikrofon und sagte: »Was, zum Teufel, geht da vor?« »Torpedos laufen heiß!«, hallte Rabbits Stimme aus dem Sprachrohr, vom Lärm der Torpedos beinahe über tönt. »Die Aale stecken fest! Ich muss irgendeine Sperre übersehen haben oder so was!«
148
»Verdammt, sehen Sie zu, dass die Dinger rauskom men, Rabbit«, rief Tyler ins Mikrofon, »ehe wir uns selbst versenken!« Im Bugtorpedoraum probierte Rabbit hektisch an je dem Ventilrad herum, das er finden konnte, und fragte Hirsch: »Sehen Sie irgendetwas, auf dem ›Druckluft Torpedorohr‹, ›Impulsluft‹ oder dergleichen steht?« Den Kopf hin und her bewegend, als würde er einem Tennismatch zusehen, huschten Hirschs Augen über die Schilder, dann streckte er plötzlich den Finger vor und sagte: »Dort!« Rabbit zog an den Hebeln, löste die Abschussventile aus, und die Torpedos schossen mit einem befriedigen den Hallen hinaus. Rabbit sagte in das Sprachrohr: »Eins und zwei los. Bereite drei und vier vor.« Aus der Sprechanlage kam Tylers Stimme: »Rohre drei und vier los!« Diesmal kam ein Ka-ssunnk vor dem Kreischen, dann ein weiteres und wieder ein Kreischen, als ein und dann ein zweiter Torpedo diesmal perfekt abgefeuert wurden und der Bug von U-571 einen Luftschwall ausstieß, als vier tödliche Aale auf ihr Ziel zuschwammen. Rabbit und Hirsch seufzten erleichtert und lehnten sich völlig erschöpft aneinander. In der Zentrale ging Tyler auf und ab und biss sich auf die Unterlippe. »Sämtliche Aale unterwegs und scharf«, sagte Wentz aus der Horchstation, »laufen gerade und normal.« Tyler zählte für sich. Wenn Wentz die Position des UBoots richtig bestimmt hatte, dann standen sich die bei den Unterseeboote jetzt genau gegenüber, so wie zwei Revolverkämpfer im Wilden Westen. Und der andere Pistolero bei diesem Shoot-out legte vermutlich auch sein ganzes Können in seinen Schuss ...
149
»Torpedos im Wasser!«, sagte Wentz und bestätigte damit Tylers Verdacht. Der Radioman zuckte zusam men, lauschte angespannt. »Die haben uns eingegabelt, Sir!« Sie warteten, während die Torpedos auf sie zukamen, je einer an Steuerbord und an Backbord. Wie der das Mahlen, das Summen, aber diesmal rings um sie, von überall, und das Geräusch baute sich zu einem schreck lichen Unterwasserschrei auf ... »Steuerbordtorpedo hat verfehlt, Sir.« Wentz schluck te. »Weit ab von Steuerbord.« Tyler nickte knapp, zählte immer noch, lauschte da rauf, dass die Torpedos von U-571 ihr Ziel trafen. »Backbordtorpedo schießt heran, Sir!«, rief Wentz unnötigerweise, weil der Unterwasserschrei in aller Ohren war und ihren Besucher ankündigte. Da ging der Schrei plötzlich und bizarr in das Krat zen riesiger Fingernägel über eine riesige Schiefertafel über. Tyler ballte die Fäuste und versuchte, sich sein Ent setzen nicht anmerken zu lassen - der gottverdammte Torpedo schrammte am Boot entlang! Jedes einzelne Gesicht in der Zentrale drehte sich mit geweiteten Augen nach Backbord, als die Krallen über die Haut des Boots scharrten, so als ob der Torpedo mit ihnen spielen würde ... Es dauerte eine Ewigkeit - oder waren es nur fünf zehn Sekunden? Wie auch immer, es hörte auf, und das gottverdamm te Ding explodierte nicht, explodierte irgendwie nicht in tausend Stücke, zerriss sie nicht zu Fischfutter. Chief Klough - dessen Gesicht bleicher als der Bauch einer Flunder war - schüttelte den Kopf und sagte: »Also, ich hab' schon eine ganze Menge erlebt, aber so etwas erle be ich jetzt zum ersten Mal ...«
150
Wentz' Stimme ließ seine ungeheure Erleichterung erkennen, als er rief: »Hat uns verfehlt! Backbordtorpe do zieht mit unbekanntem Ziel weiter, Sir!« Tyler schluckte, nickte, zählte immer noch, als der Chief sagte: »Was ist mit unseren? Was machen unsere Aale?« Jedes Gesicht hatte sich erwartungsvoll gehoben, mit Ausnahme dem Tylers, der auf den Boden starrte, wäh rend er zählte, zählte, zählte, zählte - bis ihm die Zah len und die Sekunden ausgingen ... verdammt. Ver dammt. »Ich .-.. ich denke, die sind alle daneben gegangen, Sir«, sagte Wentz. Obwohl die Mannschaft von U-571 das nicht wissen konnte, waren tatsächlich ihre ersten drei Torpedos daneben gegangen, weit daneben gegangen - Dutzen de von Yards. Sie hatten es mit einem U-Boot vom Typ VII-C zu tun, mit erfassungshemmendem Anstrich, be fehligt von einem Veteranen des Wolfsrudel, und mit ei ner erfahrenen Mannschaft, die jetzt bereits dabei war, eine weitere Torpedosalve für das gekaperte deutsche Unterseeboot vorzubereiten. Als wüsste er all das, als wäre ihm bewusst, wie schlecht ihre Chancen standen - und in gewisser Weise tat er das auch -, atmete Tyler tief durch, ließ den Atem langsam entweichen, nickte widerstrebend, nahm ihr Versagen zur Kenntnis. Die Mitglieder seiner Mann schaft seufzten, schüttelten den Kopf und blickten nie dergeschlagen drein. In diesem Augenblick erschütterte die Explosion das Wasser rings um sie und das Boot und scheinbar die ganze Welt. Doch was da explodierte, war nicht ihr Boot: Es war das deutsche U-Boot, dessen Turm vom vierten Torpedo genau in der Mitte getroffen worden war.
151
Aber durch U-571 hallten keine Jubelrufe, kein lauter Beifall, kein Händeklatschen. Tyler und seine Mann schaft sahen sich an, von ihrem Erfolg verblüfft, er staunt, noch am Leben zu sein, und mehr als alles ande re erleichtert - und darüber hinaus unglaublich erschöpft. Mazzola blickte Trigger an, ließ einen Seufzer hinaus, der in seinen Zehenspitzen angefangen haben musste, und wischte sich mit dem Ärmel seiner KriegsmarineUniform den Schweiß von der Stirn. »Hab' ich da ge hört, wie ein U-Boot in die Luft fliegt?«, fragte er. »Oder habe ich mir bloß in die Hosen geschissen?« Nervöses Gelächter löste die Spannung, lockerte sie zumindest. Dann rief Wentz: »Das U-Boot bricht auseinander, Sir! Ich kann die Schotts reißen hören!« Kein deutscher U-Boot-Fahrer und kein amerikani scher Submariner konnte diese Nachricht mit Freuden begrüßen. Sie wussten, dass sie gerade jener feindlichen Mannschaft dasselbe Schicksal bereitet hatten, das sie für sich so fürchteten. Tyler, der sich am Sehrohr festhielt, fühlte sich völlig benommen. Er konnte kaum begreifen, dass die Mann schaft von U-571 überlebt hatte - ja, mehr als überlebt, sie hatten sogar einen Sieg davongetragen. »Mr. Tyler?« Der Chief an den Ventilen schien auf den nächsten Befehl zu warten. »Ja, Chief?« »Was ist mit der 33, Sir?« Eine Welle von Kummer und Leid, so mächtig, dass man sie beinahe greifen konnte, ging durch die Zentra le, und jegliche Freude über ihren unglaublichen Tri umph war verflogen. »Sie haben Recht, Chief«, sagte Tyler und nickte. »Auftauchen.«
152
»Aye, Sir.« Der Chief drehte an seinen Handrädern, und die Luft zischte wie von einem riesigen Reifen, in den jemand mit einem Nagel gestochen hatte. »Wir nehmen Überlebende auf«, sagte Tyler, ohne lange nachzudenken. Er hoffte, dass es welche gab.
153
11
Die Morgendämmerung war noch nicht angebrochen. Der Wind hatte zugenommen und heulte jetzt wie eine Furie, peitschte die Wellen auf und trieb den beiden Männern auf der Brücke den Regen wie mit Peitschen schlägen ins Gesicht - Tyler, dem neuen Kommandan ten von U-571, und Trigger, dem jüngsten Matrosen auf dem Boot, die beide auf das erschütternde Bild blickten, das sich ihnen bot und ihnen das Herz zu brechen droh te. Als Tyler die Wellen mit dem auf der Brücke fest montierten Scheinwerfer abgesucht hatte, hatte der mil chig weiße Scheinwerferbalken es ihnen deutlich ge zeigt: Flecken von brennendem Öl, das wie schwärende Wunden auf der Haut der See kochte, Wrackteile von S 33, die zusammen mit ein paar Überlebenden und eini gen Leichen in den Wellen trieben. Auf dem Achterdeck hatten Chief Klough und Maz zola Eddie Green entdeckt, als Tylers Scheinwerfer strahl über ihn hinwegzog; jetzt warfen sie ihm eine Lei ne zu. Tyler seufzte und lächelte dann, froh darüber, dass wenigstens dieser eine Freund es geschafft hatte. Bald hatten der Chief und Mazzola den erschöpften Messesteward an Deck gezogen. Rabbit trat vor, legte Green den Arm um die Hüfte und führte ihn zum Turm. Nachdem Green und Rabbit den Niedergang hinauf gestiegen und neben Tyler und Trigger getreten waren, ergriff Tyler Greens Hand. »Freut mich mächtig, Sie zu sehen, Mr. Tyler.« Der Regen rann ihnen über die Gesichter, der Wind heulte, während sie redeten, und die Wellen schlugen
154
gegen das Boot und wuschen manchmal auch über das Deck. »Ich hatte schon Angst, dass wir künftig selbst für uns kochen müssten, Eddie.« »Das ist ja 'ne schreckliche Vorstellung ... ist der Skipper durchgekommen?« »Nein.« »O Herr ... Das ist schlimm. Möge Gott ihn segnen. Wie ... wie viele von uns sind denn da, Mr. Tyler?« »Neun, Eddie.« »Zehn, wenn man mich mitzählt?« »Neun, wenn man Sie mitzählt, Eddie. Ich habe Sie gleich mit auf die Liste gesetzt, als ich Sie gesehen habe.« Green lächelte schwach. »Sie schaffen das prima, Mr. Tyler. Der Skipper wäre stolz auf Sie, das weiß ich.« Tyler schluckte. »Danke, Eddie. Schön, dass Sie das sagen.« Green nickte und grinste, aber in seinen Augen stan den der Schmerz und die Trauer. Rabbit bugsierte den benommenen Messesteward durch den Turm nach un ten ins Boot. Die Berichte, die von unten kamen, waren alles ande re als ermutigend. Die Beleuchtung war ein paar Mal aufgeflackert und dann ganz verloschen. Tank - der den Treibstoffleitungen nachgespürt und sich dabei einer Taschenlampe bedient hatte - meldete, dass die Batterie tatsächlich ihren Geist aufgegeben hatte. Ein Teil der Funkanlage war ausgefallen, hatte Wentz gemeldet, aber in eingeschränktem Maße war noch Funkverkehr möglich. Ein Ruf aus dem Wasser veranlasste Tyler dazu, sei nen Scheinwerfer herumzuschwenken. »Hilfe! Bitte helfen Sie mir!« Obwohl die Stimme Englisch sprach, war der Akzent nicht zu überhören.
155
Tyler sah, wie der Chief und Mazzola unten auf dem Achterdeck den mit den Wellen kämpfenden Überle benden mit dem Scheinwerferstrahl erfassten. Und er sah auch, wie Mazzola seine 08 Parabellum aus der Pistolentasche am Gürtel seiner deutschen Ma rineuniform zog. Er zuckte zusammen, als ihm bewusst wurde, was der impulsive Mann aus Brooklyn vorhatte, und wollte schon zu ihm hinunterrufen, stellte dann aber erleich tert fest, dass der Chief die Lage unter Kontrolle hatte. Tyler konnte ihren Wortwechsel von der Brücke aus hö ren. Der Chief legte einfach die Hand auf den Arm, den Mazzola gehoben hatte, um auf den mit den schwarzen Wellen kämpfenden Deutschen zu zielen. »Lassen Sie das«, forderte Klough ihn auf. »Chief, er ist ein gottverdammter Nazi!« »Ja, aber wir nicht. Lassen Sie das, Matrose!« Widerstrebend ließ Mazzola den Arm sinken und steckte die Waffe wieder in die Tasche, während der Chief dem Überlebenden eine Leine zuwarf und dann anfing, den Mann hereinzuziehen. Der Zustand des erschöpften Deutschen - triefender Bart, die Kleidung völlig durchnässt - betonte sein Al ter; er war kein Junge wie so viele aus der ursprüngli chen Mannschaft von U-571. Er trug einen gelben Roll kragenpullover, den die See grau gefärbt hatte, seine braunen Hosen waren schwarz geworden. Die schwe ren Stiefel hatten den Aufenthalt im Wasser wie durch ein Wunder überstanden. Jetzt stand er in sich gesun ken, eine geradezu jämmerliche Figur, vor ihnen und ließ durch nichts erkennen, dass er Kapitänleutnant Günther Wassner, der Kommandant der 571, war, der aus einem feuchten Grab zurückgekehrt war. »Sprechen Sie Englisch?«, fragte ihn der Chief. Die zusammengesackte Gestalt atmete schwer,
156
schluckte Luft und nickte dann. »Ja, ja. Ein bisschen. Ja.« »Durchsuchen«, forderte Chief Mazzola auf, der das ziemlich unsanft tat und dabei dem Mann die Uhr wegnahm und sie sich selbst über das Handgelenk streifte. Tyler, oben auf der Brücke, musste über Mazzola lä cheln, wenn auch ein wenig verkniffen - das war zu mindest ein Fortschritt gegenüber Leichenfledderei. Aber Tylers Lächeln verblasste gleich wieder - die Vor stellung, sich in dieser ohnehin schwierigen Lage mit einem Gefangenen auseinander setzen zu müssen, war nicht gerade erfreulich. »Hier«, sagte Mazzola und reichte Klough ein Feuer zeug. Der Chief sah es sich an, konnte aber keine Spuren daran erkennen, die seinen Besitzer identifizierten. »Was ist dein Rang, Adolf?« Der bärtige Gefangene runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen, schüttelte den Kopf, verstand offen bar nicht. »Was machst du? Dein Job?« »Ah, mein Job! Elektriker.« Der Deutsche zuckte mit den Gliedern, als säße er auf dem Elektrischen Stuhl, und fügte dann ein komisch klingendes »Zzzzzzzttt!«, hinzu. »Elektriker, ja?« Klough lächelte und meinte: »Also, du bist entweder Elektriker oder ein Clown - und jemanden, der sich mit Elektrizität auskennt, könnten wir jetzt besser brauchen als jemanden, der uns zum Lachen bringt. Vielleicht schaffst du es, aus diesen Batterien ein wenig Saft zu quetschen.« Auf der Brücke fragte Tyler, der immer noch den Scheinwerferstrahl über die Wellen wandern ließ: »Se hen Sie dort draußen sonst noch jemanden, Trigger?«
157
»Nein, Sir.« Konnte es sein, dass das wirklich alle Überlebenden waren? Bloß Eddie und dieser verdammte Deutsche? »Halt, Sir, da ist jemand!« »Wo?« »Dort! Es ist... es ist der Skipper.« Es war tatsächlich die Leiche Dahlgrens, schlaff an einem angekohlten Wrackteil hängend, langsam auf den kabbeligen Wellen dahintanzend, wie ein Surfer, der eingeschlafen war, während er auf die große Welle wartete. Schwer atmend und mit feuchten Augen - nicht nur vom peitschenden Regen -, lehnte Tyler sich gegen die Brückenreling. Er konnte den Blick nicht von seinem toten Freund, seinem Capt'n, wenden, den der Schein werferstrahl erfasst hatte. Unten an Deck sah der Chief ebenfalls das traurige Bild. Der Scheinwerferstrahl machte aus Dahlgren in dem Drama aus Tod und Vernichtung, das sich auf den mit Leichen und Wrackteilen übersäten Wellen abspiel te, auf denen immer noch Ölfeuer flackerten, einen Star im Rampenlicht. Klough trat ein Stück vor, um besser sehen zu können, und überließ es Mazzola, sich um den Gefangenen zu kümmern. Dann sagte er zu sich selbst: »Ach, zum Teufel«, und schickte im Herzen seinem Skipper ein Lebewohl und ein Gebet zum Himmel. Auf der Brücke schaltete Tyler den Scheinwerfer aus. »Wir haben hier oben alles getan, was wir können.« »Sir?« Tyler blickte in das jüngste Gesicht auf dem Boot, in Kinderaugen, die voller Vertrauen und Hoffnung und Angst waren. »Was tun wir jetzt, Sir?« »Wir gehen hinunter«, erwiderte Tyler und wusste,
158
dass er damit die Frage nicht beantwortete, die der Jun ge gestellt hatte. In der Offiziersmesse von U-571, unmittelbar vor der Funkbude, ragte der Messetisch ein Stück seitlich in den Gang. Auf einer gepolsterten Bank saßen Chief Klough und Lieutenant Hirsch, jeder mit einer Taschenlampe in der Hand, vor der gekrümmten Wand - die Bootsbe leuchtung war infolge der toten Batterie ausgegangen. Das erzeugte eine seltsam gespenstische Atmosphäre, scharfe, abgegrenzte Scheinwerferstrahlen, die durch die Dunkelheit schnitten und Schatten auf ihre Gesich ter warfen und ihre Knochenstruktur deutlich hervor treten ließen. Klough und Hirsch sahen zu und lieferten die Beleuchtung, als Tyler, der ihnen gegenüber stand, eine Landkarte glatt strich, die er gefunden hatte. Er deutete auf die Südwestspitze Englands und sag te: »Land's End.« Hirsch hatte die Stirn gerunzelt, wahrscheinlich we gen der schwachen Beleuchtung und wahrscheinlich auch wegen Tylers Vorschlag. »Warum dort? Warum nicht Neufundland?« »Mit Ausnahme des besetzten Frankreich«, meinte Tyler mit einem Achselzucken, »ist die Entfernung nach Land's End die kürzeste.« »Neufundland wäre eine bessere Wahl«, sagte Klough, »wenn wir dafür Treibstoff hätten.« »Wie viel haben wir?«, wollte Hirsch wissen. »Sechs Tonnen«, antwortete Tyler. »Die Jerries haben nicht bloß auf Proviant und Me chaniker gewartet«, kommentierte der Chief, »die mussten auch beölt werden.« Immer noch finster blickend fragte Hirsch den Chief: »Schaffen wir es bis England?« »Mit neun Mann?« Klough verdrehte die Augen.
159
»Auf einem Boot, das für fünfzig gebaut ist? Herrgott, wir wissen ja nicht mal, ob wir das Boot in Fahrt brin gen können.« »Wir werden das Boot in Fahrt bringen«, sagte Tyler,. aber selbst er wusste, dass er nicht sehr überzeugend klang. »Also gut«, sagte Hirsch, und seine Miene wurde noch finsterer, »angenommen wir schaffen es, dieses Ding wieder in Fahrt zu bringen, wer hat dann das Kommando?« Tyler zuckte unwillkürlich zusammen; die Frage war vielleicht gar nicht als Beleidigung gemeint gewesen, aber er fühlte sich verletzt und auch etwas verblüfft darüber, dass sie gekommen war. »Das Navy-Reglement legt fest, dass es der dienstäl teste seefahrende Offizier ist«, antwortete Klough sach lich, »und das ist Mr. Tyler. Nun weiß ich, Mr. Hirsch, dass Sie das Stoßtruppunternehmen gemeinsam mit dem gefallenen Major Coonan befehligt haben. Aber ich bezweifle, dass Sie sich qualifiziert fühle n, dieses Boot zu führen.« Hirsch nickte zu Tyler hinüber und sah dann den Chief an. »Ich will dem XO nicht zu nahe treten, aber für mich ist klar, dass Sie die größte Erfahrung haben, Chief.« »Das ist richtig.« »Und wir befinden uns in einer außergewöhnlichen Lage - ein paar Männer auf einem gekaperten, feindli chen Unterseeboot, im Besitz von Material, das den wei teren Verlauf des Krieges verändern könnte. Ich glaube, wir sollten das tun, was richtig ist.« »Mr. Tyler hat gerade jedem Einzelnen von uns den Arsch gerettet«, meinte der Chief knapp, »er hat uns si cher durch den wohl gefährlichsten Schlamassel ge führt, den ich je erlebt habe. Ich würde ihm meine Stirn
160
me geben, wenn das nötig wäre, Mr. Hirsch, und auf meine Loyalität kann er auch hundertprozentig bauen. Aber das Einzige, was zählt, ist das Navy-Reglement.« Hirsch atmete tief ein, ließ dann die Luft langsam durch die Nase entweichen und nickte grimmig. »Es ist Ihr Kommando, Mr. Tyler.« Tyler wollte gerade sagen, dass ihm nicht klar gewe sen sei, dass er dazu Hirschs Billigung brauche, aber der Chief kam ihm zuvor. »Mr. Tyler - ich schätze, jetzt haben Sie Ihr Boot.« Und obwohl Klough ihn so energisch verteidigt hatte, konnte Tyler den Unterton in seiner Stimme hören: Hof fen wir, dass Sie der Aufgabe gewachsen sind. Bald darauf führte der Chief Tyler und Hirsch in die Zentrale, wobei Taschenlampen und Laternen hier und dort die Dunkelheit, um nicht zu sagen die Düsternis, etwas milderten. Verletzt, blutig, ausgepumpt hatte sich die neue Mannschaft von U-571 wie gleichgültig hinge worfene Würfel in der Zentrale verteilt. Viele von den Männern saßen auf dem Boden und hatten die Knie an gezogen; nur Eddie Green trug eine amerikanische Uni form - die Übrigen sahen aus wie ziemlich mitgenom mene deutsche Seeleute. »Okay«, sagte Tyler und trat einen Schritt vor, »alle mal herhören. Als Ranghöchster habe ich das Komman do übernommen. Verstanden? Okay. Wir nehmen Kurs auf England. Land's End.« Die Verwirrung auf den Ge sichtern um ihn war nicht zu übersehen; Tyler war sich nicht sicher, ob sie eine Reaktion darauf war, dass er das Kommando übernommen hatte, oder ihrem neuen Kurs galt. Er fuhr fort: »Wir sind neun Mann, plus ein Gefange ner. Das reicht gerade für die Waffen. Eddie, haben Sie schon nach dem Proviant sehen können? Wie steht's mit Essen?«
161
Green blickte in die Runde, sichtlich nicht froh da rüber, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein. Der Chief sagte: »Eddie, wir wissen alle, dass dieses Boot auf Nachschub gewartet hat. Glauben Sie, jemand, wird Ihnen einen Vorwurf machen?« »Na ja«, sagte Green, »wir haben ein wenig Kartof feln und etwas Konservengemüse ... wir werden schon hinkommen, Sir.« Plötzlich kam Tank von hinten durch die Luke, über und über voll Schmierfett und mit einem Schrauben schlüssel in der Hand; alle Augen - und Taschenlampen - richteten sich auf den Maschinisten. »Ich schätze, inzwischen ist jedem klar, dass die Bat terien so tot sind wie der Fimmel von einem toten Kö ter. Der restliche Saft, den wir noch hatten, ist beim Ma növrieren draufgegangen.« »Und was ist mit den Dieseln?«, fragte Tyler. Tank deutete mit dem Daumen ruckartig nach hin ten, wie ein schlecht gelaunter Anhalter. »Der an Steu erbord ist ein gottverdammtes Wrack. Falls zufällig je mand ein Trockendock in der Hüfttasche stecken hat, wäre das jetzt ein guter Augenblick dafür.« »Bringen Sie außer schlechten Nachrichten noch et was?«, fragte der Chief. Tank zuckte die Achseln. »Die Backbordmaschine hat gewisse Chancen. Der Knabe, der das Ding für die Krauts betreut hat, kennt anscheinend den Unterschied zwischen einem Kolben und den Titten seiner Freundin nicht.« Tyler fragte: »Kriegen Sie das hin?« Tank grinste, und man konnte jetzt sehen, dass selbst seine Zähne ölverschmiert waren. »Ich kenn' mich mit Titten aus und mit Maschinen auch. Wenn es einen gibt, der dieses alte Mädchen zum Brummen bringt, dann bin das ich.«
162
»Gut. Gut! An die Arbeit, Tank.« Tank nickte, lächelte verkniffen und verschwand wieder nach achtern. Tyler wandte sich zu Rabbit. »Wie viel Aale haben wir noch übrig?« »Bloß einen«, sagte der Torpedomixer. »Im Heckrohr. Aber der ist hin.« »Was fehlt ihm?« »Die Druckluftleitung ist undicht, da tritt irgendwo Luft aus.« Wie ein Schuljunge hob Trigger die Hand. »Sir?« »Ja, Trigger?« »Warum können wir nicht einfach um Hilfe funken? Ein Mayday absetzen und uns dann ruhig verhalten, bis man uns zu Hilfe kommt?« »Mr. Hirsch«, sagte Tyler, »würden Sie es ihm bitte erklären?« Der schulmeisterlich wirkende Hirsch trat einen Schritt vor und sagte: »Das Funkgerät einzusetzen ist unmöglich. Wenn wir senden, peilen die Deutschen un ser Signal an und entdecken uns in einem Planquadrat, wo denen gerade zwei U-Boote abhanden gekommen sind. Und wenn sie auch nur den leisesten Verdacht ha ben, dass wir eine Enigma erbeutet haben, ändern sie ihr ganzes Codiersystem sofort, und alles, was wir bis her erreicht haben, jeder Mann, der gefallen ist, unser ganzer Einsatz wären umsonst.« Schweigen legte sich über die Zentrale, dann ergriff Mazzola das Wort: »Der Einsatz ist vorbei. Beim Teufel. Der Skipper ist tot, wir sind manövrierunfähig. Es gibt keinen Einsatz mehr.« »Mazzola ...«, setzte Tyler an. Aber Hirsch hob die Hand. »Gentlemen, lassen Sie mich das ganz klar sagen: Trotz allem, was geschehen ist, müssen wir die Enigma sicher und unversehrt in al
163
liierte Hände liefern. Und wir müssen das tun, ohne dass die Deutschen je erfahren, dass wir sie haben. Die ser Einsatz hat gerade erst angefangen.« Obwohl dies eine vollständige Erklärung gewesen, war und nach seiner Vorstellung auch eine überzeugen de, wusste Tyler, dass seine Jungs das Hirsch nicht ein fach so abnahmen. Dieser schulmeisterliche Reserveof fizier konnte es ihnen nicht richtig verkaufen. Tyler fragte sich, ob er Hirschs Worten noch eine etwas aus führlichere Erklärung hinzusetzen sollte, aber Wentz kam ihm zuvor. »Mr. Tyler«, sagte der Radioman, »wenn wir Kurs auf England nehmen, dann führt uns das mitten durch die westlichen Zufahrtswege zu den britischen Inseln.« »Das stimmt«, sagte Tyler. Mazzola traten fast die Augen aus den Höhlen, als er ausrief: »Das ist der Hinterhof der Jerries, da wimmelt's von U-Booten! Dort sind die Wolfsrudel zu Hause!« »Und wir haben nichts, womit wir uns verteidigen können«, sagte Rabbit, »bloß einen Torpedo, der noch dazu im Eimer ist!« »Ich sage, wir funken«, sagte Mazzola. »Wer hat dich denn gefragt?«, herrschte der Chief ihn wütend an. »Wir setzen eine Nachricht ab«, fuhr Mazzola fort, »und sehen, was dann passiert.« »Genau!«, tönte Rabbit. »Schluss jetzt, ihr beiden ...«, sagte Klough knapp. »So hätte der Skipper es gemacht«, beharrte Mazzo la. »Der Skipper ist tot«, sagte Klough, so laut, dass es fast ein Brüllen war, »seht zu, dass ihr das endlich in eure dicken Schädel bekommt. Klar? Tot. Also haltet ge fälligst die Klappe.« Mazzola verstummte.
164
Dass der Chief ihn verteidigte, untergrub Tylers Selbstvertrauen nur noch mehr; rings um ihn zogen die Männer sein Urteilsvermögen in Zweifel. Er spürte förmlich, wie seine Autorität schwand ... »Sie glauben wohl, ich wünschte mir nicht, dass der Skipper hier wäre«, platzte es aus ihm heraus, »um sei ne Meinung dazu zu hören? Also, wir haben ihn nicht. Glaubt ihr, ich hätte auf alles eine Antwort? Lasst euch das gesagt sein, die habe ich nic ht. Ihr glaubt, dass ich weiß, was zu tun ist? Nun ...« Er schüttelte müde den Kopf, völlig überwältigt von all dem, was über ihn hereingebrochen war, und ging schnell durch das vordere Kugelschott. Er ließ eine be nommene Mannschaft zurück, die jetzt alles andere als die aufmunternden Worte zu hören bekommen hatte, nach denen sie sich gesehnt hatte. Als sie sich dem Chief zuwandten, bei ihm Unter stützung oder eine Erklärung suchten, sahen sie nur ein versteinertes Gesicht und kalte, angeekelte Augen. Ob dieser Ekel ihnen galt oder ihrem ›Skipper‹, der den Raum verlassen hatte, konnte keiner sagen. Schließlich war es Mazzola, der ihre Stimmung in Worte kleidete. »Uns fehlt nichts, was ein gottverdamm ter Capt'n nicht kurieren könnte, wenn wir ihn an Bord hätten.« Er wusste nicht, dass sie tatsächlich einen Capt'n an Bord hatten - den echten Kommandanten von U-571, der augenblicklich Kriegsgefangener war.
165
12
In der kanariengelb lackierten winzigen Kombüse, an einen Träger gekettet, lehnte Kapitänleutnant Günther Wassner am Herd und sah durch die Luke hinaus, die das Bild eines arbeitenden Mannes einrahmte: des Ma trosen, den alle Tank nannten und der damit beschäftigt war, die Dieselaggregate von U-571 zu reparieren. Die Vorgehensweise und das Geschick, das er an dem mus kulösen Matrosen beobachtete, ließen den ehemaligen Kommandanten des U-Boots wünschen, dass diese fin gerfertige, hünenhafte Bestie ein Mitglied seiner eige nen Mannschaft gewesen wäre. Wassner sah mit einem seltsamen Gefühl des Stolzes zu, wie der Matrose allmählich die Umdrehungszahl steigerte, bis die in langer Reihe angeordneten Kipphe bel sich immer schneller hoben und senkten, immer schneller, so dass man die einzelnen Hebel bald nicht mehr sehen konnte. Sein Boot machte Fahrt. Bald würden die Batterien von U-571 aufgeladen werden, erkannte Wassner, und das Boot würde zu neuem Leben erwachen - sein Traum von vor ein paar Stunden war Wirklichkeit geworden. Aber das U-Boot war jetzt in der Hand des Feindes, und Wassner wusste - während er voll Besitzerstolz den ineinander verschwimmenden Kolben zusah -, dass es seine Pflicht, seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit war, Mittel und Wege zu finden, um sein Boot einsatzunfähig zu machen, die Amerikaner aufzuhalten, sie daran zu hindern, die Geheimnisse der Enigma und des U-Boots selbst dem Alliierten Oberkommando zu überbringen. Er musste U-571 versenken. 166
Ein paar Stunden später war U-571 - mit wieder aufge ladenen Batterien und gleichmäßig brummender Ma schine - ein kleiner Punkt auf dem riesigen Ozean un ter einem perfekt blauen Himmel, der den Sturm der vergangenen Nacht wie einen bösen Traum erscheinen ließ, und strebte langsam nach Osten, auf Europa zu. Von der Brücke aus sah der augenblickliche Kom mandant des Boots - Lieutenant Andrew J. Tyler - zu frieden zu, wie sein Boot sich seinen Weg durch die Wel len bahnte und gelegentlich Gischt über das Deck sprühte. Das muskelbepackte Mechanikergenie, das dies möglich gemacht hatte - Clemens, den sie Tank nannten -, ging gerade zum Heck. Tyler sah zu, wie Tank eine Treibstoffverbindung überprüfte, und stieg dann - zufrieden, dass alles in Ordnung war - den Nie dergang in den leeren Turm hinunter, wo das Ruder nicht besetzt war, weil Trigger an die Sekundärsteue rung in der Zentrale beordert worden war. Er wollte gerade die restlichen Sprossen hinunter klettern, als er unten Stimmen hörte - und was er hörte, ließ ihn erstarren. »Verdammt«, sagte Mazzola gerade. »Dieses ganze Theater ist doch albern. Was machen wir da eigentlich? Wir riskieren Kopf und Kragen für eine verdammte Schreibmaschine!« Die Männer waren unten mit einer Aufgabe beschäf tigt, die Tyler ihnen zugeteilt hatte - sie brachten an den Ventilhebeln und Stellrädern Zettel mit englischen Übersetzungen an. Der Chief versuchte währenddes sen, sich einen Reim auf eine Schemazeichnung zu ma chen, die sie aufgestöbert hatten und auf der das Sys tem für das Trimmen und Lenzen dargestellt war. »Das ist keine Schreibmaschine«, sagte Wentz, klang aber nicht sehr überzeugt. »Scheiß drauf!«, meinte Mazzola. »Das Ding hat Tas
167
ten wie eine Schreibmaschine, ein Gehäuse wie eine Schreibmaschine, also ist es eine Scheiß-Schreibmaschi ne, und ich sage, es ist einfach verrückt, uns für ein sol ches Stück Schrott umbringen zu lassen.« »Wenn die Navy sagt, dass es wichtig ist«, erklärte der Chief ungerührt, »dann ist es wichtig.« »Wichtig!«, schnaubte Mazzola. »Wichtiger als Sie«, sagte der Chief mit Nachdruck, »wichtiger als Sie, ich oder irgendeiner von uns.« »Das ist Ihre Meinung, Chief.« »Das ist die Meinung der Navy - also ist es meine Meinung. Und dreimal dürfen Sie raten, Mazzola - es ist auch die Ihre. Klar?« Mazzola gab keine Antwort. Der Chief fuhr fort: »Die Navy hat uns damit beauf tragt, eine Schreibmaschine auszuliefern. Nun, ich sage, wir legen dieses Stück Schrott den Lamettaträgern in den Schoß oder kommen vorher um. Das ist nicht ver rückt, Seemann - das ist unser Job. Unsere Pflicht.« Tyler, der auf den Sprossen des Niedergangs im Turm stand, ertappte sich dabei, dass er leicht lächelte. Die kleine Rede des Chiefs und die Art und Weise, wie Klough die Minimeuterei entschärft hatte, beruhigte ihn. Doch da stellte Mazzola eine weitere Frage, die Tyler das Lächeln gefrieren ließ. »Wie kommt's eigentlich, dass Sie nicht das Kommando haben, Chief? Die Dienst jahre hätten Sie. Es gab Latrinenparolen, dass Dahlgren vorhatte, Tyler aus der Navy rauszuschmeißen.« Jetzt ging der Chief hoch. »Schluss mit diesem Scheiß, Seemann! Ein für alle Mal! Sie haben unter Lieutenant Tyler gedient, und Sie wissen ganz genau, daß das gemeines, hinterhältiges Geschwätz ist. Er war ein prima XO, und Dahlgren hatte großen Respekt vor ihm.«
168
»Ein XO ist kein Kommandant.« »Nun, auf jeden Fall ist er jetzt Ihr Kommandant, und als solchen werden Sie ihn respektieren. Sie hören auf, solchen Mist zu reden, und denken ihn nicht einmal, verstanden? Das gilt für alle!« Unten herrschte Schweigen. Tyler klammerte sich am Niedergang fest und spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Dann murmelten ein paar niedergeschlagene Stim men: »Ja, Sir.« Tyler kletterte wieder auf die Brücke hinauf, um fri sche Luft zu schnappen, und versuchte, sich nicht zu übergeben. Kapitänleutnant Wassner - im linken Teil der Kombüse an den Niedergang gekettet - war ein Dosenöffner an vertraut worden. Er hatte den ziemlich entwürdigen den Auftrag bekommen, dem schwarzen Koch, der Ed die hieß, behilflich zu sein. Aber diese niedrige Tätigkeit war Wassner ganz recht - das zeigte, dass die Amerikaner ihm seine Lüge abgenommen hatten. Die Lüge, dass er an Bord von U-571 ein schlichter Elektri ker gewesen war. Während der schwarze Koch in seinem Suppenkes sel rührte, öffnete Wassner Konservendosen mit Kohl und spähte immer wieder durch das offene Luk in den Unteroffiziersbereich hinüber, wo der intellektuell wir kende Amerikaner, der Hirsch hieß, auf einer Koje saß und die Besatzungsliste des Boots studierte. Jetzt fragte Hirsch ihn in respektablem, akzentfreiem Deutsch: »Sagen Sie, Elektriker Maat Bohler, wie lange sind Sie schon auf der U-571?« Wassner blickte von der Konservendose auf, die er gerade öffnete, und erwiderte auf Deutsch: »Erst vier Monate, Sir. Eigentlich dumm von mir, mich freiwillig zu melden.«
169
»Warum?« »Auf der Tirpitz«, antwortete Wassner, bemüht nicht aus der Rolle des arglosen, dankbaren Überlebenden zu fallen, »hatte ich meine eigene Koje und genug frische Luft, alle frische Luft, die die See zu bieten hatte.« Hirschs Finger, der an der Besatzungsliste entlangge wandert war, kam zum Stillstand. Wassner unterdrück te ein Lächeln. Der Finger des Amerikaners war zwei fellos auf dem Namen des echten Bohler zum Stillstand gekommen, der tatsächlich von der Tirpitz versetzt wor den war. Der schwarze Koch hob die Hand. »Das jetzt reicht, Schicklgruber. Du verstehen?« Wassner zuckte zusammen, als ob es ihm Schwierig keiten bereiten würde, dieses einfache Englisch zu ver stehen. »Nicht mehr ... Dosen ... öffnen?« »Genau, nicht mehr Dosen öffnen. He, Mr. Hirsch meinen Sie, ich kann diesem Kraut einen Kartoffelschä ler anvertrauen?« Hirsch lächelte verkniffen. »Ich glaube schon, Eddie.« Während dieses Wortwechsels hatte Wassner es fer tig gebracht, den Dosenöffner in seinem Stiefel ver schwinden zu lassen. Kurz darauf war der wahre Kommandant von U-571 mit einem winzigen Kartoffelschäler ausgestattet wor den und schälte Kartoffeln. Etwa um die Zeit kam der untersetzte, erfahrene Seemann, den sie Chief nannten, in die winzige Kombüse gestapft und holte sich eine Tasse Kaffee. »Ich sehe, du hast dir eine Küchenhilfe besorgt, Ed die«, sagte er und goss eine zweite Tasse voll. »Allerdings, Chief.« Die weißen Zähne blitzten in dem schwarzen Gesicht auf. »Jetzt kriegt diese Herren rasse, von der wir so viel gehört haben, einmal eine Kostprobe von amerikanischem Küchendie nst.«
170
»Wir machen aus dieser traurigen Gestalt schon noch einen Seemann.« »Garantiert, Chief. Als Nächstes wird er das Deck für uns schrubben.« »Dann pass nur auf, dass es auch glänzt.« Der Chief grinste und stakste mit zwei Blechbechern voll damp fendem Kaffee wieder hinaus. Wassner, der wie ein einfacher Soldat Kartoffeln schälte, schob mit dem rechten Stiefelabsatz das linke Hosenbein über den Stiefel mit dem entwendeten Do senöffner. In der ›Kabine‹ des Kommandanten - in Wirklichkeit nicht viel mehr als eine schmale Nische, die vom Hauptgang nur durch einen grünen Vorhang abge trennt war, den er offen gelassen hatte - entdeckte Tyler an einem Haken eine ziemlich abgewetzte graue Leder jacke. Er nahm sie vom Haken und schlüpfte hinein. Sie war ihm ein wenig zu groß, aber es war die Jacke des Capt'n, und da er jetzt der Capt'n war, ließ er das ver dammte Ding an. Er streckte sich auf der gepolsterten Bank aus, die man umklappen konnte und die dem Kommandanten dann als Koje diente, und sah sich die in die Eichenver täfelung eingeritzten Schiffssilhouetten an - die Schiffe, die U-571 versenkt hatte. Außerdem waren da Schnapp schüsse und offizielle Fotos von Feierlichkeiten der Kriegsmarine, darunter auch ein Bild von der deut schen Mannschaft dieses Boots, die an Deck ihres Un terseeboots angetreten war, und ein weiteres von einem glatt rasierten U-Boot-Kommandanten, der aus der Hand Hitlers persönlich eine Auszeichnung entgegen nahm. Chief Klough kam mit zwei Blechbechern mit hei ßem Kaffee herein. »Probieren Sie das Gebräu mal, Sir
171
dann verstehen Sie, warum diese Dreckskerle so ver dammt gemein sind.« Tyler war liegen geblieben und deutete auf den win zigen Tisch, an dem der ehemalige Capt'n von U-571 ohne Zweifel sein Logbuch auf dem Laufenden gehal ten hatte. »Stellen Sie ihn da hin, ja?« Klough tat, wie ihm geheißen. Tyler erwartete, dass der Chief wieder ging, aber Klough blickte auf ihn hinunter, ragte mit dem damp fenden Kaffeebecher in der Hand über ihm auf. »Haben Sie etwas auf dem Herzen, Chief?« »Uns steht einiges bevor, Lieutenant. Sind Sie bereit für das, was vor uns liegt?« »Habe ich denn eine Wahl?« Der Chief gab keine Antwort, lächelte bloß knapp und nippte an seinem Kaffee. Tyler wies auf die Fotos, die an der Vertäfelung kleb ten. »Da, schauen Sie sich diese Mistkerle an. Rausge putzt wie die Weihnachtsmänner.« Der Chief beugte sich vor. »Ja, Sir. Ein hübsches Ru del Nazis.« »Haben Sie gewusst, dass mein alter Herr Fischer war?« Klough richtete sich wieder auf. »Nein, Sir.« »Ja, das war er. Er hatte ein Sechzig-Fuß-Boot, mit dem er ständig im Golf von Mexiko unterwegs war. Im Sommer war ich dort immer an Deck, Tag und Nacht, sieben Tage die Woche.« »Da haben Sie sich wohl den ersten Geschmack an der See geholt.« »Ja, und mich an den Geruch gewöhnt. Der Kahn war völlig verfault, stank nach Fisch und hatte einen lauten Zwei-Zylinder-Diesel, der auch nicht viel besser roch. Wissen Sie, Chief, ich mag meinen Vater, aber ich habe mir geschworen, dass ich nie Skipper auf einem
172
solchen Kahn werde, niemals. Ich sah mich immer auf der Brücke eines Schlachtschiffs stehen, in weißer Para deuniform mit vier goldenen Streifen und die Mann schaft an der Reling angetreten. Ein richtiger Capt'n.« Der Ausdruck des Chiefs war undurchdringlich. Er nahm wieder einen Schluck, nachdenklich. Dann sagte er: »Mr. Tyler, darf ich offen sprechen?« »Natürlich, Chief.« »Wenn Sie sich eine schneidige Uniform gewünscht haben und ein großes, auf Hochglanz poliertes Boot, um damit Eindruck auf Ihren Daddy zu machen, dann soll ten Sie sich einen Job als Steuermann der Staten Island Fähre besorgen.« Tyler runzelte die Stirn und setzte sich auf. Aber Klough ließ nicht locker. »Sie fragen sich, wa rum diese Männer Ihnen gegenüber keine Loyalität empfinden - ich meine, als XO waren Sie beliebt, ha ben mit den Blaujacken so manchen Krug Bier ge stemmt. Aber das ist vorbei. Sie müssen aufhören, in sich einen Zwei-Streifer, also einen Oberleutnant zu See, zu sehen, obwohl das genau das ist, was ich vor mir sehe, einen Zwei-Streifer, dem das hier eine Num mer zu groß ist.« »Ich weiß, dass ich der Kommandant bin, Chief. Das weiß ich nur zu gut.« »Ja, der Kommandant sind Sie schon, aber was das bedeutet, haben Sie noch nicht erfasst. In der Navy, die ich kenne, ist ein Commanding Officer etwas Mächtiges und Schreckliches, ein Mann, den man fürchtet, ein Mann, dem man Respekt entgegen bringen muss. Ein Kommandant führt keine gottverdammte Diskussions runde, wie Sie das gestern Abend in der Zentrale getan haben. Ein Kommandant ist allwissend und allmächtig, und er sagt nie, dass er keine Antwort auf eine Frage hat, dass er nicht weiß, was er tun soll. Das sind Worte,
173
die eine Mannschaft schneller torpediert als alles, was diese beschissenen Krauts haben.« »Chief ...« »Sie sind jetzt der Skipper. Dahlgren ist nicht mehr, da, möge Gott seiner Seele gnädig sein, und Sie sind der Skipper, und der Skipper weiß immer, was zu tun ist, ganz egal, ob er es nun weiß oder nicht.« Tyler wusste nicht, was er sagen sollte; er starrte den Chief bloß an und gab damit offen, und ohne es auszu sprechen, zu, dass er genau wusste, dass das, was Klough gerade gesagt hatte, vollkommen richtig war. Der Chief starrte ihn an, genauer gesagt, er starrte an ihm vorbei ... Plötzlich beugte Klough sich vor, über den liegenden Tyler hinweg, um sich die an der Eichenvertäfelung be festigten Fotos näher anzusehen. »Scheiße«, sagte er lei se. Er deckte die untere Gesichtshälfte des Kommandan ten auf dem Foto - des Mannes, dem Adolf gratulierte ab, so dass nur noch die obere Gesichtshälfte zu sehen war, so wie ein Vollbart etwa eine untere Gesichtshälfte verdecken könnte. »Scheiße!«, sagte Klough. »Das ist ...« »... unser Gefangener!«, ergänzte Tyler und schoss in die Höhe. Aber der Chief rannte bereits den Gang nach achtern hinunter. Tyler holte ihn ein, als sie an Hirsch vorbei hetzten, der auf einer Koje in der Nähe des offenen Luks zu der winzigen Kombüse saß. Dort saß ihr Gefangener - einen Kartoffelschäler in der Hand und auf einer Sprosse des Niedergangs sitzend - und sah Eddie Green an, der gerade gebückt da stand und in einem Spind nach irgendeinem Küchengerät suchte, als ob der Koch die nächste Kartoffel wäre, die er zu schälen hatte. »Eddie, hoch mit dir!«, sagte der Chief außer Atem
174
und blieb am Durchgang stehen. Tyler wäre beinahe gegen ihn gestoßen. »Dieser Hurensohn ist der Kom mandant!« Eddie richtete sich auf und trat einen Schritt zurück, obwohl das die Raumverhältnisse in der kleinen Nische kaum zuließen. »Ehrlich? Wenn ich mir ansehe, wie dämlich er sich beim Kartoffelschälen anstellt, hätte ich eher auf Latrinenordonanz getippt.« »Durchsuchen, Eddie«, sagte der Chief. Der Messesteward nickte, riss dem Gefangenen den Kartoffelschäler weg, zog ihn in die Höhe und begann, ihn abzutasten. Hirsch kam von hinten heran und schob sich zwi schen den Chief und Tyler. »Das ist Kapitänleutnant Wassner«, sagte Hirsch. »Ich habe seinen Namen in der Mannschaftsliste entdeckt.« Green schob gerade die Hand in den linken Stiefel des Deutschen und zog sie mit einem entwendeten Do senöffner wieder heraus. »Wer sagt's denn, das ist ja ein ganz raffinierter Scheißer - wen wolltest du denn damit aufschneiden?« Wassner musterte ihn finster. Da sagte Hirsch auf Deutsch: »Willkommen auf unserem Boot, Kapitänleut nant Wassner. Wir haben vieles miteinander zu bespre chen.« Wassners Miene verfinsterte sich noch mehr. Tyler befahl: »Chief, bringen Sie den Gefangenen nach achtern, und ketten Sie ihn an ein Schott, wo Tank ein Auge auf ihn haben kann. Dieser Dreckskerl kennt mit Sicherheit hundert Tricks, um sein eigenes Boot zu versenken.« Der Chief nickte. Die Autorität, die aus Tylers Wor ten klang, tat ihm sichtlich gut. Und Tyler fuhr fort: »Keiner rührt diesen Hurensohn an, verstanden? Er ist ein wertvoller Kriegsgefangener.«
175
Fast strahlend sagte Hirsch: »Da haben Sie absolut Recht, Lieutenant. Er ist ebenso wertvoll wie dieses ge kaperte U-Boot selbst.« Der Chief fing an, Wassners Fußfesseln zu lösen, worauf dieser sich zu Tyler herumdrehte und in locke rem, perfekt nuanciertem und fast akzentfreiem Eng lisch sagte: »Lieutenant, warum sagen Sie diesen Män nern eigentlich nicht die Wahrheit?« So makelloses Englisch aus dem Munde des Gefan genen zu hören, den man bisher nur radebrechen ge hört hatte, verblüffte Tyler und die anderen. »Sie haben keine Chance«, fuhr Wassner fort. »Die Kriegsmarine wird das nie zulassen. Sobald bekannt wird, dass Sie die Enigma haben, wird jedes einzelne Schiff unserer Marine ausgeschickt werden, um Sie zu vernichten.« Tyler sagte nichts; er spürte die kalte Wut in sich auf steigen - und eisige Angst. Wassner redete weiter, wandte sich jetzt den anderen zu. »Aber ich könnte mich natürlich täuschen. Schließ lich befindet sich dieses Boot in ausgezeichnetem Zustand, und Sie werden von einem erfahrenen und starken Kommandanten geführt. Wie sollten Sie da ver lieren?« »Schluss jetzt«, sagte der Chief und schubste Wassner, der jetzt keine Ketten mehr trug, zu dem nach achtern führenden Luk. »Bewegen Sie sich gefälligst.« Halb herumgedreht sagte Wassner: »Dieser Junge führt Sie ins Grab. Sie sind alle tot, wenn Sie sich uns nicht auf Gnade und Ungnade ergeben. Es ist nur eine Frage der Zeit.« Aus dem Sprachrohr war schrill Rabbits Stimme zu vernehmen: »Flugzeug rechts voraus, zweitausend Yards!« Während rings um ihn die Gesichter einen erschreck
176
ten Ausdruck annahmen, sah Tyler vor sich die grinsen de Visage des anderen Kommandanten von U-571, der sagte: »Sehen Sie, dass ich Recht habe? Für Sie ist bald alles vorbei.« »Stopfen Sie dieses Leck, Chief«, befahl Tyler, warf dem Chief einen Geschirrlappen zu und rannte hinaus. Hinter sich konnte er hören, wie der Chief ›Aye, aye, Sir‹ sagte und Wassner den schmutzigen Lappen in den Mund stopfte. Dann stieß er ihn dem Messesteward hin, sagte: »Anketten den Mistkerl, Eddie«, und rannte hin ter seinem Capt'n her.
177
13
Die Silhouette des Flugzeugs - ohne Feldstecher konnte man es überhaupt nicht als solches ausmachen - wirkte wie ein Muttermal auf dem Gesicht der Sonne, der ein zige Makel dieses vollkommenen Tages mit einem azur blauen Himmel, einem himmelblauen Meer, der strah lenden Sonne darüber und einer Brise, die die Wellen so sanft bewegte, dass man hätte glauben können, ein ge langweilter Gott hätte seine Zehen eingetaucht. »Zu spät zum Tauchen, verdammt«, sagte Tyler, den Feldstecher an den Augen. »Er hat uns gesehen ...« Tyler - mit Wassners grauer Lederjacke bekleidet war gerade neben Rabbit, Mazzola und Trigger, die dort Wache gehalten hatten, auf der Brücke von U-571 auf getaucht. »Tut mir Leid, Sir«, sagte Rabbit mit dem leicht wir ren Blick eines Kindes, das seiner Mutter gegenüber zu gibt, Unordnung angerichtet zu haben. »Er ist aus der Sonne herausgekommen, direkt über uns!« »Warum, zum Teufel, können wir denn nicht tauchen, Sir?«, fragte Mazzola. »Wenn wir das tun«, erwiderte Tyler und ließ das Glas für einen Augenblick sinken, »dann weiß der Pilot, dass etwas faul ist.« Mazzola schien die Antwort etwas zu verwirren, und er gestikulierte mit erhobenen Händen. »Aber woher wissen wir, ob es einer von unseren oder einer von de nen ist?« »Wir können nur hoffen, dass es einer von denen ist.« »Was?« Tyler sah zu dem Mann aus Brooklyn hinüber und
178
lächelte schief. »Sie sollten sich vielleicht mal überle gen, wie ein amerikanisches Flugzeug reagieren würde, wenn es das große Hakenkreuz an diesem Boot sieht.« Mazzola blickte mit weit aufgerissenen Augen an sich herunter, nahm erst jetzt sein Drillichzeug aus den Beständen der Kriegsmarine zur Kenntnis. »Scheiße. Wir sind ja beschissene Nazis!« »Wir wollen jedenfalls hoffen, dass wir als solche durchgehen ... Rabbit, Trigger, geht zu dem Flakge schütz rüber - nicht so, als ob ihr Ärger erwarten wür det, aber nahe genug, um auf einen Befehl zu reagieren.« »Aye, Sir«, sagte Rabbit, und Triggers Stimme kam wie ein Echo dazu, während sie zu der Flugabwehrka none hinübergingen. Tyler spähte in den blauen Himmel, kniff die Augen zusammen, um sie ein wenig vor der grellen Sonne zu schützen, vor der das Flugzeug immer noch stand. All mählich nahm es Konturen an, als es unter den Feuer ball der Sonne sank. Er konnte jetzt die Tragflächen ausmachen, das Leitwerk ... »Deutsch«, sagte Tyler. »Wir könnten Glück haben.« »Glück«, sagte Mazzola. »Sieht so aus, als wäre er auf Langstreckenaufklä rungsflug.« Tyler runzelte nachdenklich die Stirn. »Was, zum Teufel, hat der hier draußen verloren?« Er reichte Mazzola das Glas und wandte sich zu Rab bit und Trigger, die bei dem Flakgeschütz standen, für einen fernen Beobachter eher zufällig, aber für Tyler durchaus bereit zum Handeln. »Wir machen Folgendes, Leute«, sagte Tyler fast locker. »Wir werden diesem Kraut zeigen, dass wir alle gute Freunde sind. Wenn er über uns hinwegfliegt, wer den wir lächeln und winken.« Mazzolas Gesicht verfinsterte sich. »Soll das ein Witz sein ... Sir?«
179
»Wir sind nur ein ganz gewöhnliches U-Boot, das von erfolgreicher Feindfahrt zurückkehrt.« »Aber Sir - wir sind für den doch die reinste Ziel scheibe! Wir könnten als Erste schießen und diesen Mistkerl wegputzen. Sie wissen doch, dass wir das kön nen?« »Haben Sie schon mal ein Flugzeug abgeschossen, Mazzola? Rabbit? Trigger?« »Irgendwann muss man ja damit anfangen, Lieute nant«, sagte Mazzola. »Lassen Sie uns den Kerl wegput zen, ehe er uns wegputzt.« Tyler ging blitzschnell durch den Kopf, was der Chief über Diskussionen gesagt hatte. Wie konnte er dem ein Ende machen, dass jeder Befehl, den er erteilte, in Frage gestellt wurde? Was, zum Teufel, stimmte mit diesen Leuten nicht? Und was, zum Teufel, stimmte mit ihm nicht? Das Flugzeug ging jetzt tiefer, wollte sich ansehen, was da unten los war. »Mazzola, wir schießen und verfehlen ihn, und dann gibt er einen Funkspruch durch. Und dann wird dieses Flugzeug das kleinste unserer Probleme sein.« »Du großer Gott«, sagte Mazzola. »Da kommt er ...« Das deutsche Flugzeug war auf eine Höhe von fünf zig Fuß heruntergegangen und unmittelbar vor ihnen, wurde jede Sekunde größer, kam mit einem Affenzahn auf sie zu. Das Pfeifen seiner Motoren wuchs zu einem Grollen an, und sein Schatten glitt schwarz über die blauen Wellen. Tyler sah zu Rabbit hinüber, dessen Hände die Griffe der Flakkanone umklammert hielten. Das Gesicht des Jungen war angstverzerrt, als er dem neben ihm stehen den Trigger nervös einen Blick zuwarf. »Ganz ruhig, Rabbit. Trigger, keine Aufregung. Für den Burschen sind wir bloß ein gewöhnliches U-Boot mit vier braven, kleinen Nazis auf der Brücke ...« 180
Aber Tyler konnte Rabbits Unbehagen durchaus ver stehen, weil er es selbst empfand und sich fragte, ob er richtig handelte. Er verdrängte seine Besorgnis, als das Flugzeug vor ihnen größer wurde und das Grollen sei ner Motoren sich zu einem Brüllen steigerte. »Ich kann ihn sehen«, sagte Rabbit mit verkrampften Kinnmuskeln. Der Schweiß rann ihm in glänzenden Strömen über das Gesicht. »Ich kann den Piloten sehen!« »Für den spielen wir im selben Team«, sagte Tyler und lächelte zu dem Flugzeug hinauf. »Winkt jetzt!« Und die vier Amerikaner in deutschen Uniformen auf der Brücke des U-Boots winkten dem Flugzeug ver gnügt zu, das mit hundertzwanzig Meilen in der Stun de heranbrauste. Er hat uns genau im Visier, dachte Tyler und grinste und winkte, und sein Herz schlug wie wild, als er in die vier Mündungen der Maschinengewehre blickte. Wenn er schießen will, ist jetzt die Zeit dafür ... ist jetzt die Zeit dafür. Doch das Flugzeug donnerte über sie hinweg, zisch te über das Boot, zerzauste mit dem von seinen Propel lern aufgepeitschten Luftstrom ihre Kleider. Es jagte so dicht über sie, dass sie die Nieten an seinem Bauch hät ten zählen können. Sie drehten sich um und winkten Lebewohl, und diesmal war ihr Grinsen echt, als das Flugzeug davonzog und in Tyler wieder Hoffnung auf stieg. Er hatte richtig gehandelt. Aber während das Flugzeug höher stieg, setzte es zu einem knappen Wendemanöver an, kam zurück, fing an, über ihnen zu kreisen. Während sie mit zusammengekniffenen Augen zu der Maschine hinaufsahen, die im Sonnenschein über ihnen schwebte, sagte Mazzola: »Herrgott, was hat er jetzt vor?«
181
»Oh, Scheiße«, sagte Rabbit und trat hinter dem Flak geschütz von einem Fuß auf den anderen, wie ein Kind, das dringend auf die Toilette musste. »Scheiße, Scheiße, Scheiße ...« »Ruhig, Rabbit«, sagte Tyler. »Alle - ganz ruhig. Un ser Freund dort oben will uns nur etwas genauer be trachten.« »Was?« Alles Blut war aus Mazzolas Gesicht gewi chen. »Der muss was entdeckt haben - irgendwas muss ihm komisch vorgekommen sein ...« »Er geht bloß auf Nummer Sicher.« Tyler winkte im mer noch. »Alle ganz ruhig bleiben.« »Er hat was gesehen«, beharrte Mazzola. »Warum, zum Teufel, würde er sonst hier Kreise ziehen?« Und das Flugzeug kreiste weiter wie ein Geier, der darauf wartete, dass sie starben ... oder um auf sie nie derzustoßen und ihnen beim Sterben behilflich zu sein. »Dieser Hurensohn«, sagte Rabbit und starrte zu dem Flugzeug hinauf. »Er wird uns angreifen!« Tyler konnte an Rabbits Ausdruck erkennen, wie das Vertrauen des Jungen in die Strategie seines Komman danten schwand. »Bei allem Respekt, Sir«, sagte Mazzola und winkte halbherzig, »ich denke, wir sollten den verdammten Mistkerl wegputzen.« »Weiter winken, Seemann.« »Das ist verrückt!«, brüllte Mazzola, dessen Kinn muskeln zuckten. Er knirschte mit den Zähnen, war of fenbar kaum mehr fähig, an sich zu halten. »Sie bringen uns alle um!« Jetzt ging das Flugzeug in einem weiten, seitlichen Bogen herunter, und sein Motor heulte wie eine rach süchtige Furie. Jeder Matrose im Boot hörte das, wusste Tyler; die Angst, die auf der Brücke herrschte, würde sich inzwischen im ganzen Boot ausgebreitet haben. Le
182
ben standen auf dem Spiel, Leben, die er riskiert hatte, indem er seinem Instinkt und seiner Ausbildung ge horcht hatte. Rabbit murmelte etwas vor sich hin, entweder Ver wünschungen oder ein Gebet, vielleicht auch beides, und Tyler wusste, dass der Junge gleich durchdrehen würde. Die Blicke des armen Trigger wanderten zwischen dem nervösen Rabbit und dem scheinbar kühlen Tyler hin und her; er fragte sich offenbar, wem er folgen sollte. »Weiter winken«, befahl Tyler, als das Flugzeug wendete, um das Boot vom Heck aus zu überfliegen. »Nein, jetzt ist Schluss«, sagte Mazzola und hörte auf, »ich winke diesem gottverdammten deutschen Flugzeug jetzt nicht mehr.« »Weiter winken, Seemann. Ich warne Sie.« »Verdammt noch mal, er kommt jetzt herein, um uns fertig zu machen! Er wird uns aus seinen Maschinenge wehren bepflastern!« Und dann brüllte er Rabbit an: »Schieß ihn ab! Verdammte Scheiße, schieß ihn ab!« Rabbit löste die Sicherung des Flakgeschützes und zielte. Da das Flugzeug gerade auf ihn zuflog, war das nur eine kaum wahrnehmbare Bewegung, die der Pilot vielleicht nicht bemerken würde, aber Tyler wusste, welche Gefahr dadurch für sie entstanden war. »Lassen Sie das, Rabbit!« Tyler spürte, wie sein Ge sicht sich vor Zorn rötete. »Sie feuern diese Waffe nicht ab, ich wiederhole, Sie feuern diese Waffe nicht ab!« Rabbit war ein in den zwei Scheinwerferbalken eines herannahenden Autos erstarrtes Reh. Das Flugzeug jag te auf ihn zu, und sein Motor brüllte. Tyler brüllte ebenfalls: »Bestätigen Sie meinen Befehl, Seemann! Rabbit!« Mazzola hatte jetzt völlig die Fassung verloren. »Der bringt uns um! Putz den Dreckskerl doch weg! Schieß doch, Rabbit!«
183
»Seemann Parker«, sagte Tyler und sah zu, wie das Flugzeug größer und größer wurde und sein Motor lau ter und lauter dröhnte, »ich gebe Ihnen den Befehl, nicht zu feuern! Nehmen Sie die Hände von der Waffe jetzt sofort!« Doch stattdessen riss Rabbit am Abzug. Und erzeugte damit ein harmloses Klick. Erleichterung durchströmte Tyler, als das Flakge schütz versagte, während das deutsche Flugzeug über ihnen hinwegsummte - und nicht auf sie schoss, bloß weiter flog, höher stieg, dem Horizont entgegen strebte. Zum Abschied wackelte es mit den Flügeln, womit der Pilot ihr Winken erwiderte. Tyler sah Rabbit an, der die Kammer der Waffe geöff net hatte und jetzt die Flakgranate untersuchte, sie wie ein Baby in beiden Händen hielt. »Die Mistpatrone hat eine Ladehemmung hervorge rufen«, meinte Rabbit verlegen. »Scheiß Blindgänger«, sagte Mazzola. »Mazzola«, sagte Tyler. Mazzola drehte sich um und sagte »Ja, Sir«, versuch te es zumindest, bekam die Worte aber nur teilweise heraus, ehe Tyler ihm die Faust ins Gesicht schmetterte, eine gute harte Rechte. Mazzola taumelte zurück. Er wäre beinahe zu Boden gegangen, kam aber an der Brückenreling zum Still stand und griff sich mit der Hand an die blutige Nase. »Irgendwelche Fragen?«, fragte Tyler knapp. Mazzola schluckte, hielt sich die Nase, aus der das Blut strömte, und lehnte sich an die Reling. Tyler baute sich vor ihm auf und sagte dicht vor dem Gesicht des geduckten Matrosen: »Das nächste Mal er schieße ich Sie, weil hier draußen keine Zeit für ein Kriegsgerichtsverfahren ist.« Er wirbelte herum, um sich an Rabbit und Trigger zu wenden, die ebenso be
184
nommen wie Mazzola wirkten. »Was hat euch armseli ge Mistkerle auf die Idee gebracht, dass das hier eine gottverdammte Demokratie ist? Ich bin der Kommandant dieses Boots - ist an dem Satz irgendetwas, das ihr nicht versteht?« Rabbit senkte den Blick, Trigger schluckte. Mazzola versuchte durch seine blutige Nase zu atmen. »Meine Befehle sind genau das: Befehle.« Tyler tippte sich mit dem Daumen an die Brust. »Es wird keine wei teren Diskussionen mehr darüber geben, ob meine Be fehle es wert sind, dass man sie ausführt oder nicht. Sie werden sie ohne Zögern und ohne Fragen ausführen. Weil ich Sie sonst nämlich abknalle und mit dem Rest der toten Scheißnazis über Bord werfe. Hat dazu je mand etwas zu sagen?« Die drei Seeleute wichen Tylers durchdringendem Blick aus und nickten. Rabbit murmelte: »Nein, Sir.« »Sir!«, rief Trigger. Er deutete mit dem Zeigefinger aufs Meer hinaus. »Mast am Horizont, Sir!« Tyler hob sein Fernglas und richtete es auf die Stel le, auf die der Junge zeigte. Es war mehr als bloß ein Mast: Das waren die Aufbauten eines Kriegsschiffs, die sich deutlich an der Kimm abzeichneten. Von Deck aus außerdem das Blinken einer Signallampe zu er kennen. »Zum Teufel«, sagte Tyler. »Ein Zerstörer der Nazis. Das Flugzeug fliegt für die einen Aufklärereinsatz.« Er ließ den Feldstecher sinken und ertappte Mazzola und Rabbit dabei, wie sie Blicke tauschten, in denen sich Besorgnis und Erleichterung mischten, Gefühle, die Trigger in Worte kleidete: »Gott sei Dank haben wir ihn nicht abgeschossen!« »Wir müssen das Signal beantworten«, sagte Tyler und rief durch das Turmluk nach unten: »Mr. Hirsch! Auf die Brücke!« Unten gab der Chief seinen Befehl
185
weiter, während Tyler sich zu Trigger wandte und sag te: »Holen Sie die Signallampe.« »Aye, aye, Sir«, bestätigte Trigger und rutschte den Niedergang durch den Turm hinunter. Jetzt schrie Tyler durch das Turmluk: »Chief, klarma chen zum Tauchen!« Unten kam vom Chief das Echo: »Klarmachen zum Tauchen!« Dann kletterte Hirsch auf die Brücke, und Tyler reichte ihm das Fernglas. »Das deutsche Kriegsschiff da drüben will Kontakt mit uns aufnehmen«, sagte er. »Schauen Sie mal, was die wollen.« Hirsch sah durch das Glas, kniff die Augen zusam men, übersetzte. »›Maschinen stoppen‹, sagen sie. ›Sta tusbericht‹.« Tyler kaute daran einen Augenblick herum und frag te dann: »Meinen Sie, die haben uns durchschaut, Mr. Hirsch?« Hirsch ließ das Glas wieder sinken und sah Tyler mit ausdruckslosem Blick an. »Offen gestanden, ich weiß es nicht. Ich meine, ich kann es nicht sagen.« Dann zogen sich seine Augen zusammen. Er streckte die Hand aus und packte Tyler am Arm. »Aber um Himmels willen, Mann, tauchen Sie nicht - wenn wir den leisesten Ver dacht erwecken, wissen die, dass wir keine Deutschen sind.« Trigger kam von unten herauf, die Signallampe in der Hand. Tyler überlegte und meinte dann: »Verdammt. Wenn die längsseits gehen, haben sie uns in wenigen Minuten durchschaut... wenn sie dazu so lange brauchen.« Hirsch sah ihn durch die Gläser seiner Nickelbrille fest an. »Sie müssen ihr Signal beantworten, Lieute nant.« Tyler seufzte und meinte dann laut denkend: »Also,
186
schön. Angenommen unser Boot, U-571, ist während des Rendezvous-Manövers von einem britischen Zer störer unter Beschuss genommen worden und das Ver sorgungsboot ist gesunken.« »Das ist gut.« Hirsch nickte. »Das ist gut.« »Sie könnten denen sagen, dass wir nur noch einen funktionsfähigen Motor haben und in den Hafen zu rückhumpeln.« »Gut.« Hirschs Augen blitzten auf. »Und wie wär 's, wenn ich hinzufüge, dass unsere Funkanlage defekt ist?« »Ja. Ja, das ist eine gute Zugabe zu unserer traurigen Geschichte. Glauben Sie, dass wir sonst noch etwas brauchen, Mr. Hirsch?« Hirsch schüttelte den Kopf. »Das sollte reichen«, sag te er und streckte die Hand aus, um sich von Trigger die Signallampe geben zu lassen; bald darauf antwortete die Lampe mit ihrem Klick-Klick-Klick dem feindlichen Kriegsschiff. Als Hirsch fertig war, blickte er zu Tyler auf und schob mit einem Achselzucken die Augenbrauen hoch. Tyler kaute auf seiner Unterlippe und murmelte: »Hoffen wir, dass die uns das abkaufen. Du lieber Gott, lass sie ...« »Moment«, sagte Hirsch, die Augen jetzt auf das Schiff gerichtet. »Die Antwort kommt.« Der Zerstörer war jetzt auch ohne Fernglas sichtbar ein winziger, Unheil verheißender Fleck am Horizont. Er zwinkerte ihnen zu, zwinkerte und zwinkerte, ant wortete auf Hirschs Nachricht. Schließlich sagte Hirsch, das Glas an den Augen: »Bestätige. Auf neuen Kurs eins-vier-null gehen.‹« Hirsch drehte sich erschrocken zu Tyler um. »Ver dammt! Die wollen uns nach Süden begleiten.« »Zum Teufel, nein«, sagte Tyler. »Das tun wir nicht.
187
Sagen Sie denen, wir machen nur acht Knoten, und sie sollen ohne uns weiterfahren.« Hirsch nickte, hob wieder die Signallampe und sand te weitere Klicks über das Meer. Die Antwort kam un verzüglich. »›Alle Hochachtung vor eurem Mut‹«, las Hirsch mit seinem Feldstecher. »›Wir werden euch nicht allein ... feindlichen Angriffen ... aussetzen. Kurswechsel wie angegeben.‹« Tyler schlug mit der flachen Hand auf das Brücken geländer. »Verdammt!« »Lieutenant«, sagte Hirsch mit recht sanfter Stimme, »wir dürfen unmöglich mit denen fahren.« »Natürlich nicht.« »Und tauchen dürfen wir auch nicht.« »Also holt uns so oder so der Teufel.« »Genau. Fällt Ihnen eine andere Lösung ein, Lieute nant? Mir nämlich nicht.« »Wir können also nicht mit denen fahren«, sagte Ty ler leise und fing zu lächeln an, »und tauchen können wir auch nicht ... aber etwas anderes können wir.« Verwirrte Gesichter sahen ihn an. Tyler grinste jetzt. »Mr. Hirsch, ich gehe hinunter, um meinen Plan einzu leiten«, sagte er. »Warten Sie drei Minuten, und schi cken Sie dann ein Notsignal. Sagen Sie unseren guten Freunden dort drüben, dass wir ein Feuer im Maschi nenraum haben - und untergehen.« »Ich verstehe nicht«, sagte Hirsch. »U-571 ist im Begriff zu sinken«, erklärte Tyler und ging hinunter.
188
14
Im vorderen Torpedoraum von U-571 waren Rabbit und Trigger damit beschäftigt, ein Rohr zu laden - nicht mit einem Torpedo, sondern mit Kleidung, Decken, Matrat zen, Flaschen, Papieren, leeren Konservendosen, Tel lern, Tassen, zerbrochenem Radiogerät, praktisch allem, was nicht niet- und nagelfest war und entbehrt werden konnte. Dicht daneben hieb Mazzola auf einen hölzer nen Spind ein und verwandelte ihn in Abfall. Dann sammelte er die zersplitterten Bretter und Holzstücke zusammen und stopfte sie zu den anderen Schätzen in das Rohr. Im hinteren Torpedoraum hatte Kapitänleutnant Günther Wassner sich bis jetzt noch keinen Reim darauf machen können, was diese verdammten Amerikaner da trieben. Bei einem Angriff mit Wasserbomben so zu tun, als ob das Boot getroffen wäre und deshalb sank, war eine übliche Taktik. Aber es fielen keine Wasserbomben - was, zum Teufel, sollte das also? Auf einer Koje sitzend und mit einer Handschelle am Kojengestell angeschlossen, sah Wassner verwirrt und neugierig zu, wie der Matrose namens Tank, die dicken Muskelstränge an den Armen vom Schweiß und vom Öl glänzend, Dieselöl in einen mit zerfetzten Kleidern gefüllten Eimer schüttete. Der ehemalige Kommandant von U-571 senkte das Gesicht über seine Hände und schaffte es schließlich mit einiger Mühe, sich den schmutzigen Lappen aus dem Mund zu ziehen. Er spuckte ein paar Mal aus und versuchte, den fettigen Geschmack loszuwerden. Währenddessen hob das Muskelpaket den Eimer mit
189
den ölgetränkten Stofffetzen, trug ihn wie ein Junge, der mit frischem Wasser von einer Quelle zurückkommt, und hängte ihn an einen Haken unter der Ladeöffnung für die Hecktorpedorohre. »Was machen Sie da?«, fragte Wassner. Das Muskelpaket drehte sich um und grinste den deutschen Offizier an. »Adolf hat gesprochen? Weißt du, was ein Barbecue ist?« »Nein.« »Nun, dann lauf jetzt nicht weg - bei dem hier bist du nämlich Ehrengast.« Das Muskelpaket öffnete einen Spind, holte einen Tauchretter mit Kalipatrone heraus und warf die Maske auf die Koje neben Wassner. »Die sollten Sie sich vielleicht überziehen«, riet der Matrose. Die Stimme Tylers, des amerikanischen ›Captains‹, kam über den Lautsprecher der Sprechanlage: »Okay, Tank - Klappe öffnen und anzünden!« Das Muskelpaket zog sich eine Maske über und brachte dann aus einer Tasche seiner Drillichhose eine Schachtel Streichhölzer zum Vorschein. Er zündete ein Streichholz an und hielt die Flamme hoch, damit Wassner sie sehen konnte. Dann warf er das Streichholz in den Eimer, aus dem sofort mit einem kräftigen Whussch eine Flamme aufstieg und - fast im gleichen Augenblick - dicker schwarzer Rauch. Trotz seiner Handschellen schaffte Wassner es, die Maske anzulegen, während der Goliath - der die An strengungen des Deutschen grinsend beobachtete - die Torpedoladeklappe zwischen den großen E-Motoren aufriss. Während aus dem Eimer schwarzer Rauch quoll, kippte das Muskelpaket ihn nach vorn um, damit mög lichst viel in das Torpedorohr strömte. Wassner kam noch immer nicht darauf, was der Möchte-gern-Kom
190
mandant seines Boots mit diesem vorgetäuschten Sin ken vorhatte ... ... aber er wusste, dass er alles daransetzen musste, sein Vorhaben zu vereiteln. Das war Kapitänleutnant Wassner seinen toten Jungs schuldig, seinem gekaperten Boot und mehr als allem anderen sich selbst. Auf der Brücke von U-571 - unter einem herrlichen blauen Himmel, der plötzlich durch den aus der Heck schleuse des Unterseeboots quellenden schwarzen Rauch beeinträchtigt war - beobachtete Lieutenant An drew Tyler mit seinem Feldstecher den Zerstörer, wäh rend Hirsch mit der Signallampe wiederholt ein Not signal absetzte. Das Kriegsschiff war jetzt näher gekommen, nicht mehr nur ein Punkt am Horizont - eher wie ein Kinder spielzeug in einer großen Badewanne, ein maßstabsge treues Modell mit vielen komplizierten Details. Wäh rend hinter ihm Rauch zum Himmel aufstieg, betete Tyler darum, dass die Kinder, die mit diesem ›Spiel zeug‹ Zerstörer spielten, sich von seinem Schuljungen streich täuschen ließen. Als Hirsch die Signallampe senkte, reichte Tyler ihm den Feldstecher, damit der Deutsch sprechende Lieu tenant der USNR die Antwort des Zerstörers erkennen konnte. Oh, wie Tyle r doch hoffte, dass es eine Antwort geben würde! Schließlich zwinkerte ihnen vom Deck des Spiel zeugboots ein Licht zu. »Sie bestätigen unser Notsignal«, sagte Hirsch und strahlte erleichtert. »Sieht so aus, als ob sie's uns abkau fen.« Tyler lehnte sich über das Sprachrohr. »Tank, das Feuer löschen, aber pronto, und das Luk sichern! Chief,
191
Trimmzellen fluten. Sehen Sie zu, dass es echt aus sieht!« Er wusste, dass seine Anweisungen unten schnell ausgeführt werden würden, dass der Chief an den Handrädern drehen und Trigger die Tiefenruder betäti gen würde. Während achtern immer noch Rauch in den Himmel stieg, hallten Tanks beruhigende Worte aus dem Sprachrohr: »Zentrale, Feuer ist aus!« Tyler und Hirsch wechselten einen schnellen, hoff nungsvollen Blick. Es könnte klappen, dachte Tyler, es könnte wirklich klappen. Wassner hatte zugesehen und abgewartet. Im hinteren Torpedoraum, einer Abteilung, die mit dickem, unangenehmem Rauch gefüllt war, hatte Wassner - von der Maske geschützt, die ihm der Matro se aufmerksamerweise gegeben hatte - zugesehen, wie das Muskelpaket einen schweren, klobigen Feuerlö scher dazu benutzte, die schwelenden Stofffetzen in dem Eimer zu besprühen und damit das Feuer schnell wieder zu löschen. Dann hatte der Mann den Feuerlöscher weggestellt, den Griff gepackt und das Luk mit einem befriedigen den, metallischen Knall zugezogen. Anschließend ging das Muskelpaket zu dem Sprachrohr, nahm dabei seine Maske ab und bestätigte seinem Kommandanten, dass das Feuer tatsächlich gelöscht war. Das Muskelpaket hatte nicht gesehen, wie Wassner seine Handschellen herumgedreht und durch den schmalen, freien Raum geschoben hatte, wo die Metall stange der Koje nicht ganz bis zur Wand reichte, um da mit das Hochklappen zu ermöglichen. Der Mann sah auch nicht, wie Wassner - immer noch mit Handschellen an den Händen - aufstand und sich auf ihn zubewegte.
192
Als der stämmige Matrose sich von dem Sprachrohr wegdrehte, versetzte ihm der deutsche U-Boot-Kom mandant mit den aneinander gefesselten Händen einen Hieb zwischen die Beine. Der Schlag hatte eine solche Wucht, dass Tank sofort abknickte - jetzt hätten ihm sämtliche Muskeln in ganz Amerika nichts geholfen. Dann griff sich Wassner den schweren Feuerlöscher und schwang ihn in die Höhe, traf den zusammenge knickten Matrosen mit der Unterseite des Geräts an der Stirn. Der Stoß schleuderte ihn nach hinten und sandte ihn ins Reich der Träume, ließ ihn dann unsanft als gro ßen, bewusstlosen Haufen auf den Decksplatten landen. Mit einem verkniffenen Lächeln zog Wassner die 08 Parabellum aus der Pistolentasche am Gürtel des außer Gefecht gesetzten Muskelpakets, stopfte sie sich selbst in den Gurt, durchsuchte die Taschen des jungen Man nes und fand dort schnell den Schlüssel für seine Hand schellen. Kurz darauf zierten Wassners Handschellen die Handgelenke des Amerikaners. Der Deutsche hatte sei nen Gefangenen an ein massives Rohr in der Nähe ge kettet, so dass er den schweren Matrosen nicht zu weit zu schleppen brauchte. Mit einem befriedigten Seufzen und froh darüber, sein Boot wieder in der Hand zu haben, schaltete Wassner die Dieselmotoren in den Leerlauf, steuerte das Wendegetriebe auf Rückwärtsfahrt um und erhöhte die Drehzahl dann wieder. Das Geräusch des vibrierenden Boots, als die Schraubenwelle sich in Gegenrichtung drehte, war Musik in seinen Ohren - so süß und wohl klingend wie die Bing-Crosby- und Billie-HolidaySchallplatten, die er mit an Bord gebracht hatte. Als das Boot tauchklar war, verließen Tyler und Hirsch die Brücke und kletterten den Niedergang durch den
193
Turm hinunter. Hirsch ging voran, und als Tyler ge rade dabei war, das Luk zu sichern, fing das Boot zu zittern und zu beben an, als ob U-571 selbst Angst hät te. Tyler rutschte den Niedergang in die Zentrale hinun ter und trat neben den Chief, der den Kopf schüttelte und auf ein paar Anzeigelämpchen deutete, die immer noch rot leuchteten. »Warum haben wir keine grüne Tafel?«, wollte Tyler wissen. »Der Maschinenraum ist unklar«, erwiderte der Chief und deutete auf ein paar Lämpchen auf der Tafel, »und wir haben die Hydraulik verloren. Außerdem wollen sich die Ventile für die Trimm- und Regelzellen nicht öffnen.« Tyler griff sich das Mikrofon der Bordsprechanlage und sagte ärgerlich: »Tank, halten Sie uns nicht auf schalten Sie die Diesel an, und machen Sie im Maschi nenraum alles klar zum Tauchen! Bestätigen.« Tyler wartete und wechselte dabei besorgte Blicke mit Klough. Dann schimpfte er ins Mikrofon: »Tank! Melden!« Nichts. »Mazzola«, sagte Tyler, »sehen Sie zu, dass Sie Ihren Arsch in Bewegung setzen, und schauen Sie nach, was zum Teufel los ist.« Mazzola sagte »Aye, Sir«, duckte sich durch das Ku gelschott und hastete den Gang hinunter. Tyler sah zu, wie er durch das Mannschaftsquartier rannte und an Eddie, der in der Kombüse war, vorbeihetzte. Tyler trat an die Schautafel, wo immer noch hartnä ckig rote Lämpchen glühten, und sagte: »Wir müssen mit diesem Baby tauchen.« »Wenn wir das jetzt tun«, erklärte der Chief, »kom men wir hinunter - bloß rauf kommen wir nicht mehr.«
194
Die Sekunden zogen sich wie Minuten hin, und Tyler
sagte: »Was, zum Teufel, ist hinten los?«
Da hörten sie den Schuss.
Wassner hatte gerade vorgehabt, das Luk des Torpedo raums zu verreibern, als er den dunkelhäutigen Matro sen mit dem krausen Haar durch den Gang angerannt kommen sah. Der Deutsche zog sich zurück, duckte sich und trat zur Seite, bevor der Matrose - Wassner hat te gehört, dass sie ihn Mazzola nannten, ein verdamm ter Italiener also, der eigentlich auf der Seite der Achse hätte kämpfen sollen - in den immer noch rauchverhan genen Torpedoraum geschossen kam. Als der Matrose stehen blieb und seinen bewusstlosen Mannschaftska meraden entdeckte - den an ein Rohr angeschlossenen Tank -, trat Wassner aus den schwarzen Rauchschwa den hervor und richtete die Waffe auf ihn. Der Deutsche hätte den Italiener geschont, nicht etwa aus Barmherzigkeit - Wassner würde diesem brutalen Gesindel, das seine Mannschaft hingemetzelt hatte, kei ne Barmherzigkeit entgegenbringen -, aber um Muni tion zu sparen. Falls der Junge geflohen wäre. Aber der Italiener ent schied sich dafür, nicht den Rückzug anzutreten, son dern stürzte sich auf Wassner, setzte seiner 08 Parabel lum einen wilden Schrei und ein wutverzerrtes Gesicht entgegen. Wassner gab zwei Schüsse ab, die von den Stahlwän den des engen Raums wie Donner widerhallten. Der Italiener, den sie Mazzola nannten, bekam beide Kugeln in die Brust. Aber das stoppte ihn nicht! Der Verwundete warf sich auf Wassner, packte den Deutschen, riss ihn zu Boden, überraschte ihn physisch wie mental. Dann versuchte der bärenstarke, junge,
195
blutende Matrose, Wassner die 08 zu entwinden, wäh rend sie auf den kalten Bodenplatten miteinander ran gen. Wassner spürte, wie sein Griff sich lockerte, als der Italiener - er grinste wie ein Totenschädel, und der bei ßende Schweißgeruch des Jungen stieg dem Deutschen in die Nase - die Waffe gegen ihn drückte, die Hand über die seine legte und Wassner zwang, den Abzug zu betätigen. Diesmal hallte der Schuss nicht wider, weil er durch die Körper der beiden Männer gedämpft wurde. Der Deutsche spürte nur einen heftigen Schlag in die Ma gengrube und dann etwas Feuchtes, das sich über sei nem Bauch ausbreitete. Immer noch in tödlicher Umar mung mit dem Italiener spürte Wassner eigentlich keinen Schmerz, bloß eine sich ausbreitende feuchte Wärme und Benommenheit. Wassners Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, während er in das lächelnde Gesicht des jungen Italie ners blickte - das eingefrorene Lächeln einer Totenmas ke. Das Leben in den Augen verblasste und erlosch mit einem Flackern. Wassner entriss der Leiche seine Waffe, wälzte sich von dem toten Matrosen und stand auf. Er zuckte zusammen, als ihn kurz ein stechender Schmerz durchraste. Von hinter ihm - dicht hinter der Luke - kam eine vertraute Stimme, die Stimme des schwarzen Kochs, aber diesmal nicht freundlich und wohlwollend, son dern voller Wut: »Fallen lassen, du Hurensohn von ei nem Nazi - oder lass es bleiben und gib mir einen Vor wand, dich in die Hölle zu schicken.« Wassner drehte sich um, blickte auf und sah in ein wutverzerrtes schwarzes Gesicht und die Mündung ei ner Thompson-Maschinenpistole. Der deutsche Kommandant spürte, dass ihn die Kräf
196
te verließen, und warf die 08 auf den Boden. Dieser armselige schwarze Koch hatte ihn in der Hand. Bis Tyler ankam - heftig atmend, weil er durch den Gang gerannt war - war alles vorbei. Der blutige An blick in dem raucherfüllten Torpedoraum sagte alles: Tank, mit Handschellen an ein Rohr gefesselt, der weg geworfene Feuerlöscher auf dem Boden, Mazzola auf dem Rücken liegend und aus Wunden in der Brust blu tend, der Deutsche auf schwankenden Beinen daste hend, die Hände hoch erhoben und mit einer Bauch wunde, Eddie mit einer Thompson in der Hand, die auf den Mistkerl gerichtet war. Tyler schob sich an dem Messesteward vorbei, griff sich einen Schraubenschlüssel und schob ihn zwischen Tanks Handschellen und das Rohr. Er sprengte die Ket te auf, so dass der hünenhafte Matrose jetzt zwei silberne Armbänder trug. Mit verdrießlicher Miene sah er den Skipper an. »Du großer Gott, Tank«, sagte Tyler und schüttelte den Kopf. »Ein Mann? Sie haben zugelassen, dass ein einziger Mann das alles anrichtet?« Er trat neben den auf dem Boden liegenden Mazzola, der mit einem glasigen Lächeln auf den Lippen ins Lee re starrte, und tastete am Hals des Jungen nach dem Pulsschlag, obwohl er ahnte, dass er ihn nicht finden würde. Und er hatte Recht. Ein qualvolles Gefühl des Verlusts durchströmte Tyler und ging in kochende Wut über. »Verdammt, Tank!« Tank, der kaum stehen konnte, sagte niedergeschla gen: »Es tut mir Leid, Mr. Tyler.« Tyler richtete sich von dem toten Jungen auf und brachte sein Gesicht dicht vor das des lebenden. »Das macht ihn nicht wieder lebendig, Tank! Ein Mann!« »Dieser Nazi-Skipper ist ein raffiniertes Schwein, Sir.«
197
Benommen und verletzt griff sich Tank an den roten Halbkreis an seiner Stirn, offenbar die Spur, die der Feu erlöscher dort hinterlassen hatte. »Ich habe ihm bloß ei nen Augenblick lang den Rücken zugewandt, und da ...« »Den Diesel abstellen.« Tyler wollte keine Entschul digungen oder Einzelheiten hören; er wollte bloß, dass alles wieder in Ordnung kam - und zwar schnell. »Ihr Gefangener hat, während Sie geschlafen haben, in Rückwärtsfahrt umgesteuert. Sehen Sie nach, warum die Flutventile sich nicht öffnen lassen.« »Aye, Sir«, murmelte Tank und taumelte in den Ma schinenraum. Der Deutsche sah so aus, als würde er gleich das Be wusstsein verlieren. Er schwankte, stöhnte, griff sich mit beiden Händen an die Wunde, aus der rotes, blasi ges Blut quoll. »Eddie«, sagte Tyler, »schaffen Sie diesen Hurensohn hier raus - er blutet mir mein Boot voll.« »Ja, Sir.« »Ketten Sie ihn an eine Koje. Und versorgen Sie ihn, so gut es geht.« Der Gesichtsausdruck des Messestewards ließ erken nen, dass er damit nicht ganz einverstanden war; er gestikulierte mit seiner Maschinenpistole. »Könnte ich ihm nicht einfach ein wenig von seiner eigenen Medi zin verpassen, Mr. Tyler?« Tyler schüttelte müde den Kopf. »Er ist Offizie r, Ed die. Ein U-Boot-Kommandant und ein wertvoller Kriegsgefangener.« Green nickte und seufzte. »Aye, aye, Sir.« Als der Messesteward nach dem Arm des Deutschen griff, um ihm beim Gehen behilflich zu sein, spuckte Wassner ihm ins Gesicht. Green wischte sich den Spei chel ab und schüttelte den Kopf. »Du willst wohl, dass ich dich abknalle, was, Adolf?«, fragte er.
198
Aber Wassner hatte bereits das Bewusstsein verlo ren. »Kommen Sie allein mit ihm klar?«, fragte Tyler. »Ja, Sir. Jetzt zieht er keine Show mehr ab. Und wenn er mir einen Vorwand liefert, nutze ich ihn.« »Verstehe.« Tyler war bereits durch den Maschinenraum, wo Tank seine Befehle ausführte, als Kirschs besorgte Stimme über die Sprechanlage kam: »Skipper, wir haben ein Problem!« Augenblicke später war Tyler wieder auf der Brücke neben Hirsch und Trigger, der sich auf dem Ausguck befand. Er fand den Tag bemerkenswert schön und son nig, mit dem blauen Himmel und dem blauen Wasser eine Vollkommenheit, die nur das mächtige Kriegsschiff beeinträchtigte, das ihnen jetzt seine Breitseite zuwand te, unmittelbar vor dem Bug von U-571, keine zweihun dert Meter entfernt. »Die werden ja recht zutraulich«, sagte er. »Sehen Sie genauer hin.« Hirsch reichte ihm den Feldstecher. Jetzt konnte Tyler ganz deutlich die Kriegsflagge der Kriegsmarine am Mast des Zerstörers flattern sehen, die langen Rohre der beängstigend genauen Marinege schütze, die mächtigen Deckkanonen, einen Schwärm Matrosen auf den unteren Decks, hektische Aktivität auf der Brücke. Nichts davon war besonders ermuti gend, aber am schlimmsten war der Anblick einer Mo torbarkasse, die gerade zu Wasser gelassen wurde - mit zwölf Matrosen an Bord. »Herr im Himmel«, flüsterte Tyler und ließ den Feld stecher sinken; dann rief er in das Sprachrohr: »Zerstö rer schickt Barkasse! Sagen Sie Tank, er soll sich beei len!« Tyler sah durch sein Fernglas zu, wie die deutschen
199
Matrosen ihre Barkasse loshakten und den Motor star teten. Er reichte Hirsch das Glas. Aus dem Turmluk hallte die Stimme des Chiefs: »Mr. Tyler - Tank sagt, fünf Minuten!« »Wir haben keine fünf Minuten«, schrie Tyler hinun ter. »Wir sind ein gottverdammtes sinkendes Boot, oder sollte das jemand vergessen haben?« Hirsch ließ das Fernglas sinken. »Lieutenant, diese Deckkanone ...« »Was ist damit?« »Könnten wir einen Schuss abfeuern, unter die Was serlinie, und ...« »Damit würden wir nichts ausrichten. Der Kahn da drüben könnte hundert Granaten vertragen, und es würde ihm bloß ein Achselzucken entlocken. Wir brau chen einen funktionsfähigen Torpedo, und den haben wir nicht... Trigger!« »Ja, Sir?« »Gehen Sie an die Flakkanone. Auf mein Kommando verwandeln Sie die Barkasse in Treibholz.« »Jawohl, Sir.« Der Junge kletterte aufs Deck hinunter und bezog Posten an der Kanone. Tyler nahm Hirsch das Glas wieder weg und beob achtete die deutsche Barkasse, die auf sie zu kam. »Die werden in etwa sechzig Sekunden herausbe kommen, wer wir wirklich sind«, sagte Hirsch. »Sie winken, Mr. Hirsch. Wir wollen zurückwinken.« Und das taten sie - wobei Tyler das Flakgeschütz nicht aus den Augen ließ, an dem Trigger bereit stand. Aus dem Sprachrohr hallte die Stimme des Chiefs: »Tank sagt, dieser deutsche Hurensohn hat den Druck auf die Verteiler weggenommen. Sie sind dran, Sir!« Tyler konnte sich das Labyrinth von Rohren gut vor stellen, an dem sie herumsuchten, den Plan, auf den sie
200
sich einen Reim zu machen versuchten; aber er sagte: »Chief, sagen Sie Tank, er hat eine Minute. Und Rabbit und Wentz sollen auf die Brücke heraufkommen und mir eine Thompson mitbringen, ja? Trigger, Waffe klar machen.« »Ja, Sir.« Die Barkasse mit den vergnügt winkenden deut schen Matrosen näherte sich U-571. »Mr. Hirsch«, sagte Tyler leise, »was passiert, wenn die herausbekommen, dass wir keine Deutschen sind?« »Nachdem sie dieses Spionage-U-Boot weggeputzt haben?«, flüsterte Hirsch bitter und winkte den näher kommenden Matrosen dabei strahlend zu. »Die setzen einen Funkspruch an das Hauptquartier ab und sagen denen, dass das Enigma-System nicht mehr sicher ist. Und dann ist alles, was wir bisher getan haben, für die Katz'.« »Das können sie nicht, wenn wir vorher ihre Funkan lage außer Gefecht setzen.« »Was? Wie denn, zum Teufel?« »Mit der Deckkanone.« Tyler deutete zu dem Kriegs schiff hinüber. »Kein ganz leichter Schuss, aber ich den ke, wir könnten es hinkriegen. Damit würden wir uns etwas Zeit kaufen.« »Jaaa«, sagte Hirsch gedehnt. Offenbar war er nicht ganz sicher, ob er sich der Argumentation anschließen sollte. »Aber was dann? Was können wir dann tun?« »Wir tun das, was Unterseeboote tun: Wir tauchen. Wir setzen uns unter ihren Arsch und locken sie näher an den Kontinent heran - in die Reichweite der alliier ten Fliegerverbände.« Hirschs Stirn war gerunzelt, aber seine Lippen lä chelten, und das galt nicht nur den feindlichen Matro sen. »Und bestellen uns per Funk einen Luftangriff?« »Sie haben's erfasst.«
201
Rabbit und Wentz kletterten aus dem Turmluk auf die Brücke. Rabbit hatte die Maschinenpistole mitge bracht, die Tyler verlangt hatte, hielt sie aber so, dass die Brückenverkleidung sie verdeckte. Verstohlen reich te er sie seinem Kommandanten. Tyler nickte zu ihrem Nachbarn hinüber. »Rabbit, se hen Sie den großen Nazi-Zerstörer dort drüben?« Rabbit schluckte, und seine Augen wurden groß, als er das Kriegsschiff sah. »Den Kasten da?« »Den Kasten da.« »Ja, Sir.« »Sehen Sie den Aufbau oben, unmittelbar achtern von der Laufbrücke?« »Den mit der großen Antenne?« »Genau richtig, Rabbit. Den mit der großen Antenne. Das ist die Funkbude. Sie und Wentz gehen jetzt zu der Deckkanone. Auf mein Kommando werden Sie eine Gra nate genau durch das Bullauge dieser Funkbude setzen.« »Ich, Sir?« »Sie.« Rabbit und Wentz tauschten besorgte Blicke, und Ty ler herrschte sie an: »Denken Sie nicht darüber nach. Tun Sie's einfach.« Die beiden Matrosen schluckten und kämpften dabei ohne Zweifel mit jedem Instinkt, der irgendwie mit Selbsterhaltung zu tun hatte. Dann sagten sie wie aus einem Munde: »Aye, aye, Sir.« Sie kletterten die Außenleiter am Turm hinunter, um zu der Deckkanone zu gehen, als der Bug der Motor barkasse mit den Deutschen gegen U-571 stieß. Ein untersetzt gebauter Bootsmannsmaat mit einem Mondgesicht stand bereit, eine Leine zu werfen, und rief in deutscher Sprache zu ihnen hinauf: »Hallo, mei ne Herren! Wie wär's, wenn jemand uns dabei helfen würde, die Leinen festzumachen?«
202
Der freundliche Ausdruck des dicklichen Boots mannsmaats veränderte sich, als Rabbit und Wentz nicht etwa auf ihn zugingen, um die gewünschte Hilfe zu leisten, sondern zu der Deckkanone, wo Wentz den Mündungsschoner abnahm und Rabbit an den Handrä dern drehte und durchs Visier spähte. Und die Kanone auf das Kriegsschiff richtete. Der Ausdruck des Bootsmanns zeigte jetzt eine Mi schung aus Angst und Entsetzen. Als er zu Tyler auf blickte, der ruhig und ungerührt auf der Brücke stand, schrie er seiner Mannschaft auf Deutsch etwas zu. »Trigger«, befahl Tyler ruhig, »zielen Sie auf das fette Schwein dort unten, aber schießen Sie erst, wenn ich es sage.« »Ja, Sir«, sagte Trigger und schwang die Fla kkanone so weit herum, bis ihr Lauf genau auf den Bootsmann gerichtet war, der gerade rechtzeitig zur Brücke hinauf sah, um zu sehen, wie Tyler seine Thompson-MP auf ihn richtete. Dann streckten der Bootsmann und die anderen deutschen Matrosen die Hände in die Luft - ohne dass es einer Aufforderung in irgendeiner Sprache bedurft hätte. Tyler befahl: »Hirsch, sagen Sie diesen Idioten, sie sollen verschwinden.« »Verschwindet!«, schrie Hirsch - auf Englisch. »Äh ... vielleicht sollten Sie es auf Deutsch versu chen, meinen Sie nicht?« »Entschuldigung.« Hirsch lächelte etwas verlegen und wiederholte seinen Befehl dann auf Deutsch. Der dickliche Bootsmann - die Hände hoch erhoben - nickte, sichtlich erfreut, verschont zu werden, und wohl wissend, dass seine unbewaffnete Motorbarkasse andernfalls zerstört und er und alle seine Männer getö tet werden würden. Er setzte sich hin, steuerte die Ma
203
schine auf Rückwärtsfahrt um, ließ das Boot ein Stück zurücklaufen und wendete dann wieder in Fahrt vo raus in Richtung auf den Zerstörer. »Deckkanone besetzt«, sagte Rabbit, »und in jeder Hinsicht bereit, Skipper!« Das war das erste Mal, dass irgendeiner seiner Män ner ihn so angesprochen hatte. Tyler lächelte, als er sagte: »Feuer!« Rabbit riss den Hebel herunter und jagte mit einem lauten Knall, der nicht nur das Boot, sondern auch die See und den Himmel zu erschüttern schien, eine pfei fende Granate zu dem Zerstörer hinüber ... ... die sich durch die Panzerung der Funkbude bohr te. Die Explosion dröhnte so laut herüber, als hätte sie sich auf U-571 ereignet. Die Funkbude auf dem deut schen Kriegsschiff wurde völlig zerstört. Als Rabbit und Wentz eilig den Brückenniedergang hinaufhasteten, brüllte Tyler durch das Luk nach unten: »Fluten, Chief! Fluten!« Und dann stürzten sie den Niedergang in die Zentra le hinunter, während vom Deck des Zerstörers Rauch in den blauen Himmel aufstieg.
204
15
Tyler, der als Letzter hinabstieg, knallte das Luk hinter sich zu und drehte das Handrad, während der Chief unter ihm mit der Präzision eines Jongleurs, der ein hal bes Dutzend Teller gleichzeitig in der Luft hat, an sei nen Ventilen hantierte. Sie mussten sich blitzschnell bewegen, das wusste Tyler, und die Verwirrung nutzen, die Rabbits Schuss in die Funkbude auf dem Zerstörer ohne Zweifel erzeugt hatte. Auf dessen Deck würden jetzt die Alarmsirenen heulen, die Männer auf die Gefechtsstationen gerufen werden, Offiziere und Matrosen miteinander zusam menprallen, verblüfft darüber, von einem der eigenen U-Boote beschossen worden zu sein. »Warum tauchen wir nicht?«, fragte Tyler und trat ans Sehrohr. »Tank ist mit seiner Reparatur noch nicht fertig«, er widerte der Chief. »Trigger, übernehmen Sie das Steuer.« »Aye, Sir«, sagte Trigger und kam dem Befehl nach. Tyler schnappte sich das Mikrofon der Bordsprechan lage und sagte: »Tank, volle Kraft voraus! Eddie, wir brauchen Sie hier oben an den Tiefenrudern, mit Rabbit.« Dass dem Koch eine so wesentliche und technische Aufgabe übertragen wurde, schien Hirsch zu überra schen, stellte Tyler fest. Der Reserveoffizier wusste nicht, dass jeder Mann auf einem Unterseeboot für mehrere zusätzliche Aufgaben ausgebildet war, und die Ruder waren dem Messesteward zugeteilt. Tyler hatte das Sehrohr auf die stärkste Vergrößerung geschaltet und konnte sehen, wie die Matrosen auf dem
205
Deck des Zerstörers herumrannten. Einige besetzten die Maschinengewehre, andere die langen Deckkanonen. Die Funkbude war ein einziger rauchender Trümmer haufen. »Rabbit«, sagte Tyler, »mag ja sein, dass Sie nicht durch das Bullauge getroffen haben, wie ich es verlangt habe - aber es war trotzdem ein verdammt sauberer Schuss.« »Danke, Sir!« Tyler nickte Hirsch zu und deutete auf das Sehrohr. »Sehen Sie selbst, Lieutenant.« Hirsch packte die Handgriffe und drückte sein Ge sicht gegen das mit Schaumgummi gepolsterte Okular. Dann fuhr er entsetzt zurück. »Du großer Gott - die lie gen reglos da, aber wir jagen auf sie zu - genau auf sie zu!« »So habe ich das geplant.« Hirsch, die Hände immer noch an den Haltegriffen des Sehrohrs, starrte Tyler mit geweiteten Augen an. »Geplant?« »Große Kanonen wie die können uns nichts anhaben, wenn wir genau unter ihnen sind - und Maschinenge wehre können uns ohnehin nichts anhaben. Das sind einfach Kugeln, die von der Brust von Superman ab prallen.« »Mag ja sein, aber können wir rechtzeitig tauchen, um unter dem Kiel durchzukommen?«, fragte Hirsch entsetzt. »Beten wir darum, dass wir das können, Mr. Hirsch.« Tyler zog das Sehrohr ein. »Eine Kollision reizt mich genauso wenig wie eine gut pla tzierte Nazi-Granate.« Eddie Green saß auf der Bank an den Tiefenrudern neben Rabbit - ein farbiger und ein weißer Junge im Nervenzentrum eines U-Boots, dachte Tyler und lächel te. So etwas hatte es bestimmt noch nie gegeben.
206
Jetzt schmetterten Kugeln gegen die stählerne Haut des Unterseeboots - Maschinengewehrfeuer, das wie Hagelkörner auf das U-Boot herunterprasselte, etwa ebenso tödlich. In diesem Augenblick bewegten sich die großen Kanonen drohend auf das abtrünnige U-Boot zu; aber die Geschütztürme würden die Rohre nicht weit genug senken können, um auf U-571 zu feuern. Im achterlichen Torpedoraum konnte Tank das Trom melfeuer, das auf das Unterseeboot niederging, eben falls hören, ein ohrenbetäubendes Rattern und Knallen. Aber er ignorierte es, während er einen Spind an der Wand öffnete, obwohl der Lärm immer lauter wurde, zumal er sich näher an der Rumpf wand befand. Er rich tete eine Taschenlampe auf die freigelegten Ventile, schob den Kopf hinein, und als er die Ventile entdeckt hatte, die er suchte, grinste er und sagte: »Jetzt habe ich euch!« Während er an den Handrädern drehte, schien sich der Kugelhagel zu verstärken, gerade als ob die Deut schen wüssten, dass er erfolgreich gewesen war. Dann trat er an das nächste Sprachrohr und meldete stolz: »Hydraulik auf Zentrale umgelegt!« In der Zentrale sprach Tyler in das Mikrofon seiner Bordsprechanlage: »Gute Arbeit, Tank! Jetzt haben wir's geschafft - wir tauchen.« »Äh, Capt'n«, meldete Tank, »da ist ein mahlendes Geräusch am Steuerbord-E-Motor.« »Und wo liegt das Problem?« »Das weiß ich nicht, Sir. Es klingt nur nicht schön.« »Nun, dann kümmern Sie sich drum.« »Aye, Sir.« Das Boot tauchte, nur der Turm war noch über Was ser. Das Trommelfeuer aus den deutschen Maschinen gewehren erzeugte bei der Mannschaft in der Zentrale den Eindruck, sie befänden sich unter einer Schießbu
207
de. Auch ohne durch sein Sehrohr blicken zu können, wusste Tyler, dass das Boot in dem Augenblick, in dem es unterschnitt, genau vor dem Zerstörer war. Er berei tete sich auf die Kollision vor, rechnete halb damit, am Kiel des Kriegsschiffes entlangzuschrammen, und war tete, ebenso gebannt wie jeder Mann um ihn herum. »Wir sind klargekommen«, sagte der Chief schließ lich, die Augen am Tiefenmesser. Erleichtertes Aufseufzen und lächelnde Gesichter rings um Tyler, der aufblickte. Das immer lauter wer dende Poltern der Kessel gab ihm zu erkennen, zu wel cher neuen Strategie sich der Zerstörer entschlossen hatte. Im Augenblick standen die mächtigen Doppel schrauben, mehrere Tonnen handbearbeiteter Bronze, reglos im Wasser, als U-571 unter dem Kriegsschiff durchglitt. Aber das Dröhnen der Kessel verriet Tyler, dass dies nur von kurzer Dauer war. Die Schraubenwellen wurden eingekuppelt. Schrauben begannen zum Leben zu erwachen, wühl ten das Wasser in entgegengesetzter Richtung auf. Wentz, am Horchgerät, rief: »Zerstörer wendet, Capt'n!« Tyler spürte, wie es ihm eisig über den Rücken rann. Trotz seiner Größe konnte ein Zerstörer wie dieser ein behänder, wendiger Jäger sein, der sich blitzschnell auf seine Beute stürzte. Sobald das Schiff gewendet und zur Verfolgung von U-571 angesetzt hatte, würden die mächtigen Schrauben ihre Kräfte vereinen und den Zer störer nach vorn treiben, das Wasser zu Schaum auf wühlen. Er wusste, was als Nächstes kommen würde. Er hoff te, dass seine Männer bereit waren. Er hoffte, dass er selbst bereit war. »Fünfzig Meter«, sagte der Chief. »Zerstörer manövriert«, informierte Wentz aus dem
208
Funkraum durch die Luke. »Der wühlt das Wasser mächtig auf, Capt'n ... Klatscher!« Hirschs Augen hatten sich wieder geweitet. »Klat scher?« »Gottverdammte Mülltonnen«, erklärte Klough. Immer noch verwirrt fragte Hirsch Tyler: »Müllton nen?« Wentz rief: »Weitere Klatscher!« »Wasserbomben«, sagte Tyler. Auf dem Achterdeck des Zerstörers würden sie die Regale voll von den ver dammten Dingern haben. Während er und seine Män ner auf die Explosionen warteten, wusste Tyler, dass dort oben deutsche Matrosen die nächste Runde vorbe reiteten, Zünder einschraubten, mit einem Spezial schlüssel die Tiefe einstellten und dann die dicken Fäs ser über das Heck kippten, wie Gangster, die Leichen beseitigen. »Haben Sie je Mülltonnen erlebt, Chief?«, fragte Rab bit ruhig, aber mit vor Entsetzen geweiteten Augen. Er saß neben Green, der so ruhig und gefasst wie ein Kirchgänger in seinem Betstuhl auf seiner Bank hockte. »Aber sicher.« Klough blickte nach oben - aber er sah nicht zu Gott hinauf. »Das Schlimmste war im Ersten Weltkrieg, vor Murmansk. Die Krauts haben uns mäch tig Zunder gegeben. Eines von den Dingern ist so nahe bei uns hochgegangen, dass es dem Skipper vier Zähne aus dem Gebiss geschlagen hat.« »Ist... ist jemand dabei umgekommen?« »Ja, zum Teufel, Rabbit! Ich, ich war mausetot! Sehen Sie das denn nicht?« Totenbleich, den Blick starr auf die Decke gerichtet, klammerte Hirsch sich an einem Rohr fest, hielt es mit beiden Händen, an denen weiß die Knöchel hervortra ten, umfasst, so wie man in einer Untergrundbahn eine Haltestange hält.
209
»Mr. Hirsch«, sagte Tyler, »weg von dem Schott. Die Schockwelle kann einem das Rückgrat brechen.« Hirsch ließ los, als ob die Rohre plötzlich rot geglüht hätten. Eine Explosion - wie Unterwasser-Kanonendonner ließ das Boot erbeben, dann kam eine zweite - ein we nig lauter -, und das Boot erzitterte. Die beiden Erschütterungen ließen Tyler und die an deren Männer in der Zentrale zusammenzucken, weil keiner von ihnen das zuvor durchgemacht hatte, abge sehen von Simulationen in New London auf der Unter seebootsschule. Das heißt, jeden außer dem Chief, der leicht angewi dert auf die nervösen Seelen um sich herum blickte und geringschätzig meinte: »Das war nicht einmal nah. Ihr Mädchen habt ja bis jetzt noch gar nichts gesehen.« Die Jungs um ihn herum hatten Augen so groß wie Untertassen und starrten zur Decke, mit Ausnahme des zitternden Hirsch, der den Kopf gesenkt hatte. »Ruder hart Backbord«, sagte Tyler. Er griff nach dem Mikrofon. »Tank - AK zurück.« Im hinteren Torpedoraum legte Tank an der Moto renschalttafel die entsprechenden Schalter und Hebel um, erzielte damit aber nicht den gewünschten Effekt: Ein kleines Feuerwerk von Funken schoss ihm entge gen, dann stiegen Rauchfäden aus der Armaturentafel. Die E-Motoren stoppten, änderten die Drehrichtung, der Steuerbord-E-Motor blockierte, ein Schaltschütz sprang mit einem weiteren Funkenregen auf. Augenblicke später tönte in der Zentrale Tanks Be richt atemlos aus dem Sprachrohr: »Capt'n, dieser Steu erbord-E-Motor, der so mahlende Geräusche von sich gegeben hat - der ist jetzt ausgefallen. Dieser gottver dammte Deutsche muss ihn sabotiert haben!« »Können Sie ihn reparieren? Schnell?«
210
»Ich kann ihn nicht einmal langsam reparieren, Sir das Scheißding blockiert und ist durchgebrannt.« »Verdammt!«, fluchte Tyler und hängte das Mikro auf. »Wenn wir bloß auf einem lausigen Motor dahinkrie chen, schaffen wir es nie in den alliierten Luftraum.« Kaum hatte er das gesagt, wusste er, dass er seine Besorgnis nicht hätte laut aussprechen dürfen, da sich rings um ihn in der Zentrale die Gesichter verdüsterten. Dahlgren hätte das für sich behalten. »Klatscher, Sir!«, rief Wentz durch die Luke. »Eine ganze Menge Klatscher!« »Scheiße«, sagte Klough leise. »Wie viele?«, fragte Tyler Wentz. »Ich konnte sie nicht mehr zählen, Sir.« Tyler runzelte nachdenklich die Stirn. »Die müssen gerade nach vorn stürmen und die Mülltonnen in Reihe absetzen ... okay!« Er erteilte eine Folge von Befehlen, die das Boot seitwärts unter den Wasserbomben heraus führen sollten, so wie ein Boxer geschickt unter den Schlägen seines Gegners wegtaucht. U-571 wurde lang samer, stoppte, begann nach rückwärts zu kriechen, nur mehr von einer Schraube angetrieben, wendete und glitt aus der Bahn heraus, die die Mülltonnen beschrieben. Jedenfalls aus der direkten Bahn. Währenddessen detonierten die Mülltonnen mit einem Geräusch, das nur Klough vertraut war, aber bald allen auf U-571 nur zu vertraut wurde: Klick, Wwuumm! ... Glühbirnen explodierten, Lacksplitter fielen von der Decke, Korkstücke von der Rumpfverkleidung regne ten auf sie herab ... ... Klick, Wwuumm! ... ... ein Spind flog auf und entleerte seinen Inhalt in die Zentrale ... ... Klick, Wwuumm! ...
211
... Männer wurden von ihrem Posten geschleudert und gegen die Schotts geworfen ... ... Klick, Wwuumm! ... ... im Torpedoraum achtern wurde Tank zwischen den Schotts hin- und hergeworfen wie ein Tennisball, der von zwei Flächen abprallt ... ... Klick, Wwuumm! ... ... Teller und Lebensmittel flogen aus den Schränken und krachten gegen die Schotts und auf die Bodenplat ten ... ... Klick, Wwuumm! ... ... das Grammofon in der Funkbude sprang aus sei ner Halterung, flog an dem erschreckten Wentz vorbei und krachte auf den Boden, das Plattenregal knickte in sich zusammen, Schellackplatten wurden auf den Bo den geschleudert, zersplitterten ... ... Klick, Wwuumm! ... ... im Mannschaftsquartier wurde Kapitänleutnant Wassner, dessen Bauchwunde inzwischen verbunden und der mit Handschellen gefesselt war, in seiner Koje herumgeworfen und davon geweckt. Dann hörte der Regen von Wasserbomben ebenso abrupt auf, wie er begonnen hatte. Im Boot war es jetzt stockdunkel, aber ein paar Männer fanden Taschenlam pen, und dann strichen Lichtbündel über verängstigte Gesichter; eines dieser Bündel fand Tyler, der sich Glasund Korkstücke aus dem Haar zupfte. »Chief«, sagte Tyler, »nehmen Sie eine ordentliche Trimmung vor.« »Aye, Sir. Wir sind auf hundert Meter, Sir.« »Da bleiben wir.« Tyler fand das Mikro der Sprech anlage und benutzte es: »Tank, zwei Drittel voraus.« »Aye, Sir«, kam Tanks Stimme aus dem Rohr. »Eddie, sehen Sie nach, ob Sie ein paar Glühbirnen finden, die diese Salve überlebt haben.«
212
»Ja, Sir.« Als der Messesteward durch das Kugelschott hinaus ging, folgte Tyler ihm ein paar Schritte, um nach Wentz im Horchraum zu sehen. Er wirkte wie ein ausgebuffter Safeknacker, als er ganz vorsichtig ein Handrad an sei ner Konsole drehte und konzentriert auf die Geräusche in seinen Kopfhörern lauschte. »Bericht, Mr. Wentz.« »Nichts, Sir ... nichts ... Mr. Tyler! Zerstörer ...« »Ja?« »Zerstörer schließt auf, Sir!« Bald konnten sie das Kriegsschiff selbst hören: Das Brummen seiner Kessel, den Galopp seiner Schrauben, und es kam näher, näher, immer näher ... Messesteward Green kehrte mit einer Ladung Glüh birnen zurück; er und der Chief schraubten sie ein und schafften damit Beleuchtung, aber nur wenig Behag lichkeit. Tyler fragte in sein Mikrofon: »Tank, können Sie das Heckrohr hinkriegen?« Aus dem Sprachrohr kam Tanks vorsichtige Antwort: »Ich weiß nicht, Mr. Tyler.« »›Ich weiß nicht‹, damit kann ich nichts anfangen, Tank. Ja oder nein - können Sie dieses gottverdammte Torpedorohr reparieren?« »Ja, Sir, ich repariere das Scheißding.« »Gut.« Er hängte das Mikro auf und wandte sich zu Klough. »Chief, gehen Sie auf Tiefe eins sechs null Me ter.« Der Chief zuckte zusammen und legte den Kopf et was zur Seite; das war mehr als fünfhundert Fuß, und sie wussten beide, was das bedeutete. »Glauben Sie, dass dieses Schwein das aushält?«, frag te Klough betont locker und half Tyler damit, die anderen nicht erkennen zu lassen, wie beunruhigt er war.
213
Tyler nickte und deutete nach unten. Der Chief nickte zurück und sagte: »Aye, Sir, eins sechs-null Meter. Beide unten zwanzig.« »Beide unten zwanzig, Chief, aye«, bestätigte Green. Der Messesteward sah zu Tyler hinüber, der am Sehrohr lehnte. »Sir, ziehen Sie zufällig in Erwägung, mit einem Aal und einem kaputten Motor auf diesen Zerstörer los zugehen?« »Was heißt da in Erwägung ziehen, Eddie«, sagte Ty ler. »Genau das werden wir tun.« Hirsch, der totenblass war und seekrank wirkte, sag te: »Wie klug ist das?« »Wahrscheinlich genauso klug, wie wenn man sich wie Nazis anzieht und ein deutsches U-Boot kapert. Mr. Hirsch, kommen Sie mal einen Augenblick her.« Tyler holte das Deck-Logbuch vom Kartentisch und einen Bleistift und begann, als Hirsch neben ihm stand, eine Skizze zu zeichnen. »Ein Unterseeboot, das nur zwei Knoten schafft, kann unmöglich gegen einen Zerstörer mit dreißig Kno ten in Schussposition kommen«, sagte Tyler. »Richtig.« »Oder geht es vielleicht doch? Angenommen, wir ge hen tiefer und schießen all den Schrott, den wir in die vorderen Rohre geladen haben, raus, blasen ihn ins Meer, damit unsere Freunde dort oben denken, ihre Mülltonnen hätten uns erledigt.« »Werden sie uns das abkaufen? Nachdem wir das Feuer vorgetäuscht haben?« »Haben sie denn eine Wahl? Sie werden mitten in ei nem Trümmerfeld sein. Der Kommandant wird in die Mitte des Feldes manövrieren müssen, seine Maschinen abschalten, damit es hübsch still ist, und dann eine akustische Suche einleiten, um ganz sicher zu sein, dass wir wirklich tot sind.«
214
»Aber das sind wir nicht.« »Nein, das sind wir nicht, Mr. Hirsch. Wir sind hier« - Tyler zeichnete einen nach oben weisenden Pfeil »auf dem Weg zur Sehrohrtiefe. Falls man das bei der Reserveoffiziersschulung übersehen haben sollte, darf ich Sie vielleicht auf ein Prinzip der Steiggeschwindig keit hinweisen: Wir lassen uns von unserem Auftrieb in die Höhe ziehen - von diesem Zerstörer weg - und ver größern damit den Abstand etwas. Bis wir auf Sehrohr tiefe gekommen sind, Mr. Hirsch, werden wir diesem Kriegsschiff unseren rostigen Arsch aus guten sieben hundert Yards Distanz zeigen.« »Und das ist gut, Mr. Tyler?« »Sogar sehr gut. Die perfekte Position für einen Heckschuss auf ein stationäres Ziel.« Hirsch blickte Tyler an, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Das ist ja ein verdammt guter Plan ... Capt'n.« Der Chief, der gelauscht hatte - und jeder andere in der Zentrale hatte diese Rede ebenfalls gehört und war sichtlich beeindruckt -, bestätigte dies: »Das klingt ver dammt gut, Skipper.« »Viel besser geht's nicht, Chief.« Klough deutete mit einer Kopfbewegung auf seinen Tiefenmesser und sagte: »Passieren eins zwei null Me ter, Sir.« »Sehr gut. Rabbit, Sie laden Mazzolas Leiche in Rohr drei. Legen Sie ihm einen Tauchretter an, damit er schwimmt.« Die Gesichter rings um Tyler, die sich in neuer Hoff nung für ihre Lage und neuem Respekt für ihn aufge hellt hatten, verdüsterten sich sofort. Immer noch auf seiner Bank an den Rudern sitzend, fragte Rabbit: »Mr. Tyler - wir schießen Mazzola hinaus wie ... Müll?« »Ich würde es lieber sehen, wenn wir ihn mit allen
215
militärischen Ehren auf amerikanischem Boden begra ben«, sagte Tyler ernst, »aber ich glaube, er würde auch mithelfen wollen, um uns alle hier unten den Tod zu er sparen. Eine Leiche, die zwischen den Trümmern treibt, wird es wirklich so aussehen lassen, als ob die uns er wischt hätten. Ladet ihn.« Die Seufzer und das resignierte Nicken rings um Ty ler zeigten ihm, dass die Jungs wussten, dass das, was er befahl, zwar bedauerlich, aber richtig war. Rabbit schluckte. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich zuerst noch ein paar Worte über ihn sage, Mr. Ty ler?« »Schicken Sie ihn mit unseren Gebeten hinaus, Mr. Parker.« Rabbit stand auf und ging nach achtern. »Eddie«, sagte Tyler, »Sie müssen sich jetzt um beide Ruder küm mern.« »Aye, Sir, ich hab' sie.« Der Chief sagte: »Passieren eins drei null Meter, Skip per.« Plötzlich stand Hirsch neben ihm und flüsterte in Ty lers Ohr: »Auf ein Wort...« Tyler trat mit Hirsch etwas zur Seite. Der USNRLieutenant blickte ernst. »Mr. Tyler«, sagte Hirsch leise, so leise, dass niemand außer Tyler ihn hören konnte, »wenn Sie diesen Zerstö rer nicht erledigen, ist die Gefahr nicht, dass einige von uns vielleicht sterben - eher dass einige von uns viel leicht überleben.« »Das müssen Sie mir erklären.« Hirsch deutete mit einer Kopfbewegung auf die Leu te in der Zentrale. »Diese Männer haben Dinge gesehen und gehört, die der Feind unter keinen Umständen er fahren darf. Militärische Geheimnisse wie die Leis tungsfähigkeit unserer Radargeräte, ganz zu schwei
216
gen, dass wir das Chiffriersystem des Feindes kennen. Wenn wir in deutsche Hände fallen, wird man uns un barmherzig foltern.« Tyler schwieg. »Mr. Tyler, ich bin kein tapferer Mann - Sie können ja selbst sehen, dass mir das alles neu ist, und ich hoffe nur, dass ich mehr eine Hilfe als ein Hindernis war.« »Mr. Hirsch, Sie haben Ihren Mut und Ihre Einsatz bereitschaft mehrfach unter Beweis gestellt.« »Danke, Capt'n. Ich weiß das zu schätzen. Ich habe das Gefühl, dass ... wir uns gegenseitigen Respekt er worben haben. Aber ich will Sie nicht anlügen: Ich habe Angst vor dem Tod, und hier unten zu sterben ist ... nun, wir werden für unser Land tun, was wir tun müs sen, nicht wahr, Mr. Tyler?« »Natürlich.« »Was ich sagen möchte, auf meine ungeschickte Art, ist, dass Gefangennahme schlimmer als der Tod wäre. Es muss uns entweder gelingen, den Zerstörer zu ver senken, oder Sie müssen dafür sorgen, dass keiner von uns überlebt.« Hirsch trat einen Schritt beiseite, und Tyler betrach tete die Gesichter der Jungs um sich herum und ver stand zum ersten Mal im vollen Maße, was Lieutenant Commander Dahlgren gemeint hatte, als er von harten Entscheidungen gesprochen hatte und davon, dass man Männer auffordern müsse, Befehle auszuführen, die ih ren Tod zur Folge haben könnten.
217
16
Während U-571 im Ozean tiefer sank, sich in die Fins ternis der Tiefe davonstahl, blickte Tyler nach oben. Er hätte schwören können zu spüren, wie der Rumpf des Zerstörers über sie hinwegglitt. Aus der Funkbude bestätigte Wentz, dessen Horch gerät die Schraubengeräusche an seine Kopfhörer mel dete, die Wahrnehmung seines Skippers: »Zieht über uns weg, Capt'n.« Tyler lächelte. Trotz ihrer gefährlichen Lage verspür te er ruhiges Selbstvertrauen: Er kannte seinen Feind. Die Amerikaner auf dem gekaperten U-Boot mochten zwar den Namen des sie bedrohenden Schiffs nicht ken nen. Aber immerhin konnte Tyler sich vor seinem inne ren Auge die hektische Aktivität auf den Decks des Zer störers ausmalen: Männer, die an ihren Waffen bereitstanden, Offiziere auf der Brücke, die, über ihre Seekarten gebeugt, die Taktik diskutierten, Matrosen, die mit einem kleinen Kran frische Wasserbomben in die Werfer luden, während andere sie mit Zündern ver sahen und die Detonationstiefe einstellten. Das Katz und-Maus-Spiel zwischen Zerstörer und Unterseeboot war ein altes, vertrautes Spiel, und die Strategie der bei den Kontrahenten hing nur wenig davon ab, ob sie eine amerikanische oder eine deutsche Uniform trugen was die deutsche Uniform, die Tyler augenblicklich an hatte, deutlich unterstrich. Der Chief war immer noch damit beschäftigt, nach der letzten Salve von Wasserbomben Ordnung zu schaf fen, und gerade dabei, die letzte Glühbirne einzu schrauben, als Rabbit und Hirsch mit ernster Miene
218
durch die Zentrale gingen und hinter sich die Leiche ih res Mannschaftskollegen Anthony Mazzola herzogen, der Brooklyn nie wieder sehen würde. Der Anblick der Leiche mit der von der Pistolenku gel aus nächster Nähe schwarz angesengten Brust und dem eingetrockneten Blut war für Tyler und die jungen Männer in seiner Umgebung ernüchternd. Tylers zuver sichtliches Lächeln verblasste, als Rabbit - er ging rück wärts, hatte die Arme unter den Schultern des toten Matrosen - seinem Kommandanten einen tadelnden Blick zuwarf. Tyler konnte es dem Jungen nicht übel nehmen - eine schrecklichere Aufgabe als die, die er Rabbit und Hirsch zugewiesen hatte, konnte man sich kaum vorstellen. Die beiden widerstrebenden Leichenträger zwängten sich durch das Kugelschott und zogen ihre traurige Last nach vorn. »Mr. Tyler!«, rief Wentz nur Augenblicke, nachdem die grausige Prozession seinen Posten passiert hatte. »Zerstörer fährt Zickzackkurs! Klatscher - Klatscher – weitere Klatscher. Die werfen eine Menge Mülltonnen, Sir.« Tyler blickte beinahe bewundernd auf; der Komman dant dieses Kriegsschiffs war ein raffinierter alter See bär. »Er versucht, uns einzugabeln. Tank, halten Sie sich bereit, die Maschinenraumbilge ins Meer zu pumpen. Rabbit, klar zum Abfeuern der Rohre!« Im vorderen Torpedoraum war Rabbit gerade dabei, den Verschluss von Rohr Vier zu schließen. Der junge Torpedomechaniker schluckte, sah Hirsch an und nickte dem Lieutenant zu, er solle den Kopf sen ken, was der schulmeisterlich aussehende Offizier auch tat. »Wir anvertrauen Gott deine Seele«, sagte Rabbit mit leiser Stimme, »und übergeben deinen Körper der Tie fe.« 219
»Amen«, sagte Hirsch. Aus der Sprechanlage tönte Tylers Stimme: »Rohre abfeuern!« Rabbit hieb mit der Faust zuerst auf den einen, dann den anderen Abschussknopf. »Leb wohl, Mazzola.« Das vertraute Geräusch - Kassunnk! - hallte einmal, zweimal, dreimal und dann ein viertes Mal wider, als hochkomprimierte Luft den Inhalt der Rohre mit einem Blasen ziehenden Zischen aus dem Unterseeboot stieß. Von diesen vier Geysiren angetrieben, kam der Inhalt der Rohre an die Oberfläche, wo zuerst ein Hemd auf tauchte, dann ein Kissen, ein paar leere Marmeladen gläser, dann ein schwammiger Laib Brot und ein Hand schuh, jetzt ein paar Magazine mit nackten Mädchen, Postkarten, die in der schaumigen Brühe dahintrieben, eine Matratze und viele, viele Rettungswesten, die nie mand trug und die in einem würdevoll wirkenden Bal lett aus Abfall auf und ab tanzten. Der Star der Vorstel lung war Anthony Mazzola, der mit leeren Augen eine Pirouette vollführte. Die Mannschaft von U-571 konnte diese Aufführung nicht sehen; sie war in größere Tiefen unterwegs. Aus dem Lenzpumpenausla ss des Unterseeboots sickerte ein steter Strom von Öl, Blasen aus flüssigem Obsidian, die an die Oberfläche stiegen, während das Boot Was sertiefen suchte, die fast ebenso schwarz wie das Öl waren. Rabbit und Hirsch schlurften in die Zentrale zurück. Der Torpedomechaniker ließ die Schultern sinken, als er seinen Posten an den Tiefenrudern neben dem Mes sesteward wieder einnahm. Tyler ging zu dem Jungen und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Mazzola leistet uns einen Dienst«, sagte er, aber Rabbit wich seinem Blick aus. »Sie kom men.« Tyler, der jetzt zu allen sprach, meinte die Was
220
serbomben, die, wie er wusste, in diesem Augenblick zu ihnen heruntersanken. »Wir haben die erste Runde überlebt. Und wir werden auch die nächste überleben in dieser Tiefe haben wir einen Vorteil. Festhalten.« Die Mannschaft wartete nervös und angespannt - ein paar Männer beteten, und alle schwitzten, atmeten schnell und hektisch und lauschten, lauschten, lausch ten auf jene schreckliche Kombination von Geräu schen ... Klick, Wwuumm! Es klang entfernt. Ein breites Lächeln zog über Eddie Greens Gesicht. »Wir schaffen es.« »Ziemlich weit weg«, räumte Tyler ein. Klick, Wwuumm! ... ... ein wenig näher ... ... Klick, Wwuumm!... ... wieder näher ... ... Klick, Wwuumm! ... ... viel näher ..., jetzt zitterte das Boot ... ... Klick, Wwuumm! ... ... jetzt schaukelte es, hüpfte wie ein Ford, dem bei hundert Stundenkilometern ein Reifen geplatzt ist... ... Klick, Wwuumm! ... ... im hinteren Torpedoraum wurde der hünenhafte Tank wie eine Cola-Flasche zu Boden geworfen ... ... Klick, Wwuumm! ... ... viel zu nahe! Die neuen Glühbirnen platzten wie gläserne Pusteln. Der Chief legte einen Schalter um, und die Nachtbeleuchtung flammte auf, hüllte die er schreckten Matrosen in ein krankhaft wirkendes, rotes Leuchten ... ... Klick, Wwuumm! ... ... das Boot bebte, aber die Detonation war nicht mehr so nah ...
221
... Klick, Wwuumm! ... ... diesmal lief nur ein leichtes Zittern durch das Boot, die Explosionen entfernten sich ... ... Klick, Wwuumm! ... ... jetzt nicht einmal ein Flattern - Lächeln in ihrer schummrig roten Welt ... ... Klick, Wwuumm! ... ... war das wieder näher? ... ... Klick, Wwuumm! ... ... o Gott, diesmal bebte das Boot ... ... Klick, Wwuumm! ... ... das Boot bäumte sich auf, die Männer wurden von ihren Posten weggerissen ... ... Klick, Wwuumm! ... ... verängstigte Gesichter, als Männer über die Decksplatten rollten ... ... Klick, WWUUUMM! ... ... eine mächtige Explosion diesmal: unmittelbar über ihnen, so nahe, wie eine Mülltonne überhaupt her ankommen konnte, ohne einen direkten Treffer zu er zielen. Die Skalengläser platzten, als ob die hässlichste Frau der ganzen Welt sie angesehen hätte. Bolzen lösten sich und schossen wie Querschläger durch die Zentrale, und die rote Beleuchtung erlosch, als die Schockwellen mit ohrenbetäubendem Lärm durch das Boot hallten, als ob das Unterseeboot eine riesige Stahltrommel wäre und Gott auf sie einschlug ... Eine riesige, gottverdammte Schlange zischte - oder war das Luft aus einem geborstenen Rohr? Funken stoben aus einem Schaltkasten und erweckten den An schein, als würden die Männer sich bewegen, die doch in Wirklichkeit auf ihren Posten oder in deren Nähe erstarrt waren. Die einzige echte Bewegung im Boot kam von dem Wasser, das aus mehreren Lecks sprüh te.
222
»Bin ich tot?«, fragte Rabbit und klammerte sich an seine Ruderbank fest. »Vielleicht«, erwiderte Trigger und kroch wieder auf seinen Posten am Steuer. »Aber dann bin ich auch tot. Ich schätze, wir müssen gesündigt haben, denn das hier sieht mir nach der Hölle aus.« »Verdammte Scheiße!«, sagte der Chief mit einem irren Grinsen und rappelte sich auf. »Diese Mama war verdammt nahe! Sie ist genau über uns losgegangen.« »Ich wette, da draußen haben jetzt ein paar Fischlein Ohrenschmerzen«, meinte Green, der wieder an den Rudern saß. Tyler befahl: »Druckleck sichern, Chief.« Klough fand eine Lampe und verfolgte in ihrem schwachen Schein das Zischen zu einem Druckluftven til und schloss es. Jetzt war es im Boot still - gespenstisch still. Sie konn ten sich selbst und einander atmen hören - und auch das Boot. Es ächzte und stöhnte unter dem Druck ihrer immer noch anhaltenden Tauchfahrt. »Wie tief sind wir, Chief?«, fragte Tyler. Klick! Alle zuckten zusammen, auch Tyler - alle, mit Aus nahme von Klough, der gerade eine Taschenlampe an geknipst hatte. »Macht euch nicht die Schlüpfer nass, Ladys«, schmunzelte der Chief. Er richtete den Strahl seiner Ta schenlampe auf den Tiefenmesser, dessen Deckglas zer sprungen war. »Eins sechs null Meter - wir sind auf der von Ihnen befohlenen Tiefe, Sir.« Und dann, zu Green und Rabbit gewandt: »Tiefenruder beide null.« Tyler schraubte eine neue Sicherung an einem Schalt brett ein, und die rote Nachtbeleuchtung schaltete sich wieder ein und ebenso die Beleuchtung in den Skalen. Im schummrig roten Schein sahen sie eine mit abgeblät
223
tertem Lack, Korkfetzen, allem möglichen Werkzeug und Karten übersäte Zentrale - ein scheußliches Durch einander. Viel schlimmer konnte es nicht mehr kom men. »Klatscher!«, meldete Wentz. »Weitere Klatscher, viel zu dicht aufeinander, um sie zu zählen!« Halblaut vor sich hin fluchend, sah Tyler sich in der Zentrale um, überlegte, traf eine jener harten Entschei dungen, wie Dahlgren sie ihm angekündigt hatte. »Chief«, sagte er dann, »gehen Sie auf Tiefe zweihun dert Meter. Wir tauchen unter diesen verdammten Din gern weg, und wenn es uns umbringt.« »Das ... das könnte es, Sir«, erwiderte der Chief. Die Augen des erfahrenen Seemanns waren geweitet, und er trat einen Schritt vom Tiefenmesser zurück und schüttelte besorgt den Kopf. Während die Jungs rings um sie herum Blicke tauschten, brachte Tyler sein Gesicht dicht vor das Kloughs. »Wir fangen jetzt nicht mit dem Diskutieren an. Ich habe Ihnen einen legitimen Befehl erteilt und er warte, dass Sie ihn verdammt noch mal ausführen. Zweihundert Meter, Chief. Tun Sie, was ich sage.« Die Augen des Chiefs zogen sich zusammen. Er trat einen Schritt zurück und ging wieder an seinen Posten. »Aye, Sir«, sagte er. »Gehe auf Tiefe zweihundert Me ter.« Er wandte sich zu den beiden Männern an den Tie fenrudern. »Rabbit, Eddie - beide unten zehn.« Rabbit und der Messesteward folgten der Aufforde rung. Bald waren alle Augen auf den Tiefenmesser gerich tet, dessen Nadel unaufhaltsam dem roten Bereich ent gegenstrebte. Tyler sprach in das Mikrofon der Sprechanlage: »Tank, Bericht über das Torpedorohr achtern.« Aus dem Sprachrohr kam Tanks Antwort: »Zwei,
224
drei Sachen stimmen noch nicht, aber wir kriegen das schon hin. Mündungsklappe funktioniert jetzt. Arbeiten im Augenblick an der Impulsluft.« Während das Boot seine Nase nach unten steckte und die Skalennadel immer tiefer in den roten Bereich ge riet, beklagte sich der Rumpf ächzend, wimmernd und stöhnend. U-571 vermittelte plötzlich den Eindruck ei nes Spukhauses, und Tyler und seine Männer waren die Gespenster, die darin herumspukten. »Eins-acht-null Meter gehen durch«, sagte der Chief. Aus dem Sprachrohr hallte die erregte Stimme Tanks: »Mr. Tyler, mein Tiefenmesser hier sagt hundertachtzig Meter!« »Danke, Tank«, erwiderte Tyler in das Mikrofon. »Also, na ja, Sir, ich dachte nur, Sie sollten das wis sen.« »Wir haben es bemerkt. Zurück an die Arbeit.« »Aye, Sir.« Kleine, aber kräftige Wasserstrahlen schossen plötz lich an mehreren Stellen herein, so wie wenn man einen Ballon mit der Nadel ansticht und die Luft ausströmt. Von irgendwo im Röhrensystem war ein Ticken und Klicken zu hören, nicht zu identifizieren, aber deutlich wahrzunehmen, Unheil verheißend. Die Augen des Chiefs suchten die Rohre ab, als hoffte er, das Geräusch aufzuspüren. Er schüttelte den Kopf. Tyler bewegte sich wie unter einer Dusche, ließ das Wasser kalt über sein nach oben gewandtes Gesicht flie ßen. Er durfte sich die Belastung nicht anmerken lassen, unter der er stand, er und dieser Kahn mussten dem Druck standhalten. »Zweihundert Meter, Lieutenant«, sagte Klough. »Eddie, Rabbit - passt mir auf die Ruder auf!« Tyler sah auf den Sekundenzeiger seiner Armband uhr. Der Kommandant des Zerstörers sollte endlich auf
225
den Plunder reagieren, der dort oben im Meer trieb Mazzolas Leiche und das andere Zeug müssten jetzt zu sehen sein ... Er konnte nur hoffen und darum beten, dass es so war. Und es war so: Mazzolas mit einer Schwimmweste bekleidete Leiche trieb auf den Wellen, und seine toten Augen starrten in eine Sonne, die er nie wieder sehen würde. Rings um ihn herum schwamm zwischen schimmernden Ölpfützen Abfall. Ein Ausguck auf dem Zerstörer sichtete das Zeug, rief in ein Sprachrohr, und bald darauf hatte der Zerstö rer - der den Namen Anschluss trug - Tylers Köder an genommen; ein Offizier bellte Befehle, der Steuermann ließ das Ruderrad wirbeln. Das Kriegsschiff drehte nach Backbord ab und bewegte sich auf die Überreste zu, die, wie es schien, die Vernichtung des abtrünnigen U-Boots durch Wasserbomben bestätigten. Doch das U-Boot lebte noch. Langsam kroch es in ei ner unchristlichen Tiefe dahin und wartete auf das Ein treffen der letzten Ladung Mülltonnen. Klick, Wwuumm! ... Wwuumm... Wwuumm... Wwuumm ... Wwuumm! Die Wasserbomben dröhnten über ihnen wie eine Basstrommel, und das Boot schwang mit, aber diesmal platzten keine Glühbirnen, wurden keine Matrosen wie Kätzchen herumgeworfen, gab es keinen Regen von Korkteilen oder Lacksplittern oder herumfliegendem Geschirr - bloß ein Zittern wie ihr eigenes Zittern in der rotschummrigen Welt der Zentrale. Die Sekunden schlichen dahin, und es kamen keine Explosionen mehr, bloß ein Schweigen, unterbrochen von einem gelegentlichen Ächzen oder Quietschen der sich beklagenden Rumpfwand und jenem Tick-tick-tick in den Rohren. Der Chief blickte strahlend hoch, hielt die Handflä
226
chen nach oben gerichtet und fing etwas von dem Sprühwasser auf, wie ein Bauer, der froh darüber ist, dass eine lange Dürre zu Ende gegangen war. »Jesus, Maria und Josef, diese Krauts können wirklich Boote bauen. All die gottverdammten Mülltonnen, die sie auf uns geworfen haben, und was haben sie angerichtet? Einen Dreck haben sie angerichtet!« Auch Tyler strahlte. Dann wurde der Rhythmus des Tickens in den Roh ren schneller, und plötzlich erfolgte ein Wuusch, das darauf hindeutete, dass am hinteren Ende der Zentrale ein größeres Rohrsystem den Geist aufgegeben hatte. »Verdammt!«, schrie Klough. Jetzt strömte Meerwasser herein, schoss brüllend ins Boot, diesmal keine winzigen Nadelstrahlen, sondern ein heftiger Guss, der hereinkam, als ob ein Damm ge platzt wäre. Tyler hatte in seiner ganzen U-Boot-FahrerZeit noch nie dergleichen erlebt und hoffte, dass er es falls er diesen Tag überlebte - nie wieder erleben musste. »Auftauchen, Chief!«, befahl er. »Tauchen Sie jetzt auf!« »Negativ, anblasen!«, sagte Klough. »Beide oben voll!« »Rabbit«, sagte Tyler, »sehen Sie zu, ob Sie dieses Leck isolieren können.« Meerwasser spülte über die Bodenplatten, während Rabbit die Ruderbank verließ und zu dem ›Leck‹ patschte. Aber es war eher eine Wand aus hereinströ mendem Wasser, so als würde jemand versuchen, gegen den vollen Strahl eines Feuerwehrschlauchs zu gehen. »Sehen Sie das, Chief?«, fragte Green, dem das Ent setzen im Gesicht stand. »Die Scheißnadel ist nicht mehr auf der Skala!«, be richtete der Chief und starrte auf den Tiefenmesser. »Wir müssen die Hauptballasttanks blasen!« Rings um Tyler jagte eine Katastrophe die andere, 227
228
aus einer Sicherungstafel sprühten Funken, aus den Bo denplatten im hinteren Teil der Zentrale züngelten Flammen. Das Knistern des Feuers im einen Ohr und das von hereinströmendem Wasser im anderen befahl Tyler: »Trimm- und Regelzellen anblasen!« Der Chief öffnete die Ventile, worauf sich das Zischen von Luft in die Symphonie von Geräuschen in der ge peinigten Zentrale mischte. Die Schaugläser der Zellen zeigten an, dass das Wasser langsam hinausgedrückt wurde. Aber Rabbit kämpfte mit einem großen, schwe ren Ventil, während die Fla mmen knisterten und die Flut unbehindert anstieg. Und die Nadel des Tiefenanzeigers deutete gerade nach unten. »Mr. Tyler«, sagte Klough, »Anblasen einstellen. Alle Zellen sind knochentrocken, und doch fahren wir im mer noch nach unten!« An dem verklemmten Ventilrad schrie Rabbit - dem die Adern an der Stirn zu platzen drohten - und über tönte das Brüllen des einströmenden Wassers: »Ich kann dieses Scheißding nicht bewegen!« Tyler platschte hinüber, um Rabbit zu helfen, hängte sich an das große Rad und le gte alle Kräfte hinein - aber auch zu zweit brachten sie es nicht fertig, das gottver dammte Ding zu bewegen! Dann stieß jemand eine Brechstange quer durch das Ventilrad - Tank. Tyler nickte dem Maschinisten zu, und Tank nickte zurück. Dann stemmten sich die drei Männer gegen die Brechstange und zogen sie herunter und herunter. Doch das Rad wollte sich immer noch nicht drehen, und die Brechstange verbog sich. Aber gerade als Tyler und Tank ungläubige Blicke wechselten, gab das Rad nach, und Rabbit drehte es schnell zu.
229
Der Wasserstrom wurde schwächer und versiegte schließlich. Tyler, Tank und Rabbit standen bis zu den Knöcheln im Wasser und atmeten schwer. Green rief vom Tiefenrnesser: »Zweihundert Meter, und wir steigen weiter!« Immer noch um Luft ringend, grinsten Tyler und die zwei Matrosen einander an, wussten die gute Nachricht zu schätzen. Dann stand der Chief neben ihnen und sagte: »Mr. Tyler, wir steigen, Sir - aber ich habe die Trimm- und Regelzellen nicht mehr unter Kontrolle.« Das war eine schlechte Nachricht: Es bedeutete, dass der Chief ihre Steigfahrt weder stoppen noch kontrol lieren konnte. Sie waren auf dem Weg nach oben, Ende der Fahnenstange. »Tank«, fragte Tyler den Maschinistenmaat, »wie sieht's mit dem Hecktorpedo aus?« »Druckluftleitungen beschädigt«, antwortete Tank, schüttelte betrübt den Kopf und deutete mit dem Dau men nach hinten. »Die verdammte Leitung ist irgendwo undicht.« »Kein Druck, um ein Torpedo abzuschießen?« »Kein Druck, Sir. Ich habe versucht, das Leck zu umgehen, aber das ist irgendwo ganz hinten in der Bilge. Da komme ich unmöglich rein.« Er deutete auf seinen muskelbepackten Körper. »Ich passe da nicht rein!« Tylers Augen verengten sich. »Aber jemand, der klei ner ist, würde reinpassen?« »Vielleicht.« Tank zuckte die Achsel. »Ist aber ver dammt gefährlich, Skipper. Wenn's einer versucht, könnte er dort hinten stecken bleiben ... und, na ja, er trinken.« »Wir werden alle ertrinken oder in Stücke gerissen
230
werden«, sagte Tyler mit einem Blick auf den Chief, »wenn wir das nicht probieren.« Klough war bereits dabei, die Mannschaft zu mus tern. »Dazu brauchen Sie einen Knirps. Also Rabbit oder Trigger.« »Ich weiß«, sagte Tyler und sah zu Rabbit an den Ru dern und Trigger am Steuer hinüber, den zwei Jüngsten auf S-33 und jetzt auf U-571. Das war wieder eine von diesen schrecklichen Ent scheidungen, vor denen Dahlgren ihn gewarnt hatte. Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht, sagte die Stimme seines Skippers und hallte in seinem Bewusstsein, als ob jemand eine Wasserbombe auf seinen Schädel ge worfen hätte. Green am Tiefenmesser informierte: »Einhundert fünfundneunzig Meter.« »Sir«, sagte der Chief leise, aber mit Nachdruck, »Sie müssen einen auswählen. Wählen Sie.« Tyler schluckte, rang um Fassung. Dann rief er: »Trigger! Sie müssen etwas für mich erledigen. Gehen Sie mit Tank nach achtern.« Trigger zuckte zusammen. Wie alle in der Zentrale hatte er alles mit angehört. Er wusste, was er ›erledi gen‹ sollte und was es bedeutete. Der Junge sah sich um, blickte die anderen Gesichter an, auch das von Rab bit, als wollte er sagen: Ich glaube, er ist ein wenig schmächtiger als ich, Sir. Aber er sagte es nicht. »Bisschen dalli, Junge«, befahl der Chief. Trigger schluckte und folgte Tank nach achtern. »Sir!«, rief Wentz aus der Horchbude. Tyler ging an die Luke und beugte sich zu Wentz hi nunter, der konzentriert mit geschlossenen Augen lauschte, so als würde er meditieren, und sich den Kopf hörer ans Ohr presste.
231
»Ich kann sie hören, Sir«, berichtete Wentz leise. »Sie macht langsame Umdrehungen ... hat gerade die Schrauben gestoppt! Ich glaube, die haben das Zeug ge sehen ... ich glaube, die nehmen uns das ab!« »Eins acht null Meter, Skipper«, sagte der Chief. Tyler ging in die Zentrale zurück, watete durch das im Boot gebliebene Wasser und sagte: »Verlangsamen Sie unseren Aufstieg ein wenig.« »Geht nicht, Sir.« »Bitte, Chief.« »Tut mir Leid, Mr. Tyler. Und auch darüber keine Diskussion - wir können nichts machen. Wir haben bloß ein Ticket nach oben. Ohne Rückfahrkarte.« Tyler sah zum Tiefenmesser hinüber, wo die Nadel inzwischen in den gelben Bereich eingetreten war. »Wir tauchen ohne einen Torpedo auf, den wir abfeu ern können«, fasste Tyler zusammen. »Damit bleibt uns nur eine Option.« »So?« Klough konnte sich diese Option nicht vorstel len. »Wir werden eine hübsche Zielscheibe abgeben.« Und U-571 setzte seine Reise nach oben fort, verließ die tintig-dunklen Tiefen, suchte den Sonnenschein.
232
17
Im achterlichen Torpedoraum hob Tank die Bodenplat ten heraus und verschaffte sich damit Zugang zur Bil ge. Dann war er Trigger behilflich, als der schmächtige Matrose in den übel riechenden, feuchten Schacht hi nunterstieg. Als Trigger, bis zu den Hüften im Wasser, in dem durch die abgehobenen Platten frei gemachten Loch stand, sagte er: »Kalt ist das!« Tank kniete sich neben ihn und zeigte ihm ein Dia gramm - es war in Deutsch beschriftet, aber die Bilder waren für jeden Unterseebootfahrer leicht zu begrei fen. »Du musst diesen Rohren folgen«, sagte der hü nenhafte Maschinenmaat und fuhr mit dem Finger an der Darstellung entlang. »Das hier rechts ist das Druckventil.« »Neben dem Torpedotank.« »Ja, stimmt genau. Im Augenblick haben wir keine Druckluft, um den Aal abzufeuern. Eines von diesen Rohren muss leck sein, und deshalb entweicht die Luft.« »Wie soll ich das Leck finden? Da unten ist es finste rer als Hundescheiße!« »Schau auf die Blasen, die heraufkommen. Da sollte eine Menge Blasen sein. Das Isolierventil findest du hinter dem Leck, und das brauchst du bloß zuzudre hen.« Mit klappernden Zähnen nickte der Junge. »Zudre hen.« »Alles klar?« »Hinter dem Leck. Ist klar.« »Okay. Augenblick noch ...« Tank holte ein Dräger
233
Atemgerät, das er an einem scheinbar endlosen Gum mischlauch befestigte, der an einen Kompressor ange schlossen war. Er reichte Trigger das Gerät, worauf die ser mit einem resignierenden Seufzer, der sein jugendliches Alter Lügen strafte, auf das Mundstück biss und dann die Nasenspange befestigte. »Sobald du es zugedreht hast«, sagte Tank, der dem Jungen die Hand auf die Schulter gelegt hatte, »haust du ab. Du solltest möglichst weit weg von den Ventilen sein, wenn der Torpedo gelöst wird, ist das klar?« Trigger nickte mit halb geschlossenen Augen und tauchte in das ölige Bilgenwasser. Schwimmend und immer noch unter der Kälte lei dend, hielt er nach Blasen Ausschau. Das Atemgerät, das die ausgeatmete Luft aufbereitete, half, die von ihm selbst erzeugten Blasen auf ein Minimum zu reduzie ren. Bald entdeckte er ein Ventil, aus dem Luft austrat. Er schwamm darauf zu und drehte es zu. Doch als die Blasen versiegt waren, entdeckte er ei nen weiteren, wesentlich gefährlicher aussehenden Bla senstrom, der irgendwo im hintersten Bereich des Ab teils aus einem Leck zischte. Trigger fühlte sich in die ser finsteren, von eisernen Wänden umgebenen Welt allein. So schnell er konnte, schwamm er unter Wasser in Rich tung Leck, bis sein Luftschlauch ihm mit einem Ruck Einhalt gebot. Er zerrte daran, aber der Schlauch wollte nicht län ger werden. Tank, der neben der Öffnung im Deck wartete, hörte Triggers Stimme von irgendwo im Torpedoraum. »He! Hier drüben ist es!« Tank hastete zu einem Gitter zwischen den Decks platten und sah Trigger. Der Junge blickte nach oben. Er hatte sein Mundstück ausgespuckt und war triefend nass. Tank leuchtete mit seiner Taschenlampe auf das
234
verängstigte Gesicht, das durch die Gitteröffnung zu sehen war. »Ich ... ich hab' ... eins.« Der Junge war außer Atem, und seine Zähne klapperten. Tank sah finster zu Trigger hinunter. »Ist da denn mehr als ein Leck?« »E-e-eines noch, ja ... ganz hinten ... Gib mir mehr Schlauch.« »Ich hab' nicht mehr, Kumpel.« »Scheiße. Verdammt.« »Du musst tief Luft holen und tauchen.« »Ich ... ich weiß.« Ted ›Trigger‹ Fitzgerald verdrehte die Augen, nahm die Atemmaske ab und tauchte in das widerwärtige braune Wasser, um seine Pflicht zu tun. In der Zentrale tat Chief Klough die seine - seine Augen huschten ständig über die Skalen und hielten nach irgendwelchen Anzeichen für technische Schwie rigkeiten Ausschau. »Eins fünf null Meter, Sir.« Tyler sah auf die Uhr und gab sich alle Mühe, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Er war wü tend, dass ihm ein launenhaftes Schicksal im Verein mit einem technischen Defekt das Boot aus der Hand ge nommen hatte. Er wusste, dass er jetzt nur noch warten und hoffen konnte, dass dem Jungen unten in der Bilge die Reparatur gelang. Rings um ihn schwitzten und seufzten seine Männer. Sie fühlten sich unwohl in ihrer Haut und schlossen im mer wieder die Augen, als hofften sie, wenn sie sie wie der aufschlugen, zu entdecken, dass alles bloß ein böser Traum gewesen war. Rabbit wischte sich den Schweiß vom Gesicht, hielt die Augen, ständig auf den Kompass fixiert, offen und nahm kleine Veränderungen am Ru der vor. »Beachwood«, sagte Hirsch leise, fast verträumt.
235
Tyler riss die Augen auf und drehte sich zu dem Re serveoffizier herum, dessen Blick hinter den Gläsern seiner Nickelbrille in weiter Ferne zu liegen schien. »Was?« Ein schwaches Lächeln zuckte über Hirschs Gesicht. »Nichts. Bloß ein Park, wo ich als Junge immer hinge gangen bin ... wir haben dort Ball gespielt ... ich weiß nicht, warum mir das gerade eingefallen ist.« Tyler sagte nichts. Aber im Stillen fragte er sich, ob der Rest seiner Mannschaft auch dabei war, im Geist in Erinnerungen zu blättern, die Gesichter von Freunden, Familien, Frauen oder Freundinnen zu betrachten, in ein paar Fällen auch von Söhnen und Töchtern, und sich stumm von ihnen zu verabschieden. »Eins vier null Meter«, sagte der Chief. Von irgendwo war ein schwaches, aber deutlich wahrnehmbares Geräusch zu hören, das die Stille brach - so ähnlich wie das Ticken, das dem Platzen des ersten Rohrs vorangegangen war, aber diesmal nicht ein Ticken, sondern eher ein ... Klopfen. Tyler runzelte die Stirn und sah sich um; die anderen in der Zentrale taten es ihm nach. Das Klicken klang re gelmäßig. War da etwa ein Muster zu erkennen? »Das ist nichts Mechanisches«, sagte Tyler. Aus der Horchbude rief Wentz: »Sir! Ich kann es in meinen Kopfhörern hören. Das ist ein Morse-Code.« Während die Männer die Achseln zuckten und ei nander verblüfft ansahen und das eigenartig rhythmi sche Klopfen anhielt, ging Tyler schnell zu der Luke, um Wentz sehen zu können. »Was, zum Teufel, ist das?«, fragte er den Radioman verblüfft. »Ist das der Zerstörer? Versuchen die, uns Si gnale zu geben?« »Das glaube ich nicht«, erwiderte Wentz und runzel te die Stirn. »Ich glaube, das ist ...«
236
Tyler sah den Ausdruck des Entsetzens nicht, der sich plötzlich über das Gesicht Hirschs legte, der konzen triert auf das Klopfen gelauscht hatte. »Wentz«, drängte Tyler, der Hirsch den Rücken zu kehrte, »was, zum Teufel, heißt das?« »Sir«, erwiderte Wentz, die Augen geweitet, das Ge sicht leichenblass, »das kommt von innen aus unserem Boot. ›Ich lebe. Zerstört mich.‹« Tyler wirbelte herum, als Hirsch - die Lippen von den Zähnen zurückgezogen, mit einem Ausdruck wie ein wildes Tier - sich einen Rohrschlüssel schnappte und durch die hintere Luke hastete. Mit Handschellen gefesselt, lag Kapitänleutnant Gün ther Wassner scheinbar hilflos und schwach auf einer Koje im Mannschaftsquartier in der Nähe der Kombü se. Er wusste, dass er wahrscheinlich bald tot sein wür de. Sein Bauch war eine einzige blutende Wunde, die der schwarze Koch notdürftig bandagiert hatte. Der Schmerz schwankte zwischen stumpf und stechend hin und her, je nachdem wie das Boot sich bewegte - wäh rend des Wasserbombenangriffs hatte er Qualen erlit ten, wie er sie bisher nicht für möglich gehalten hätte. Aber diese Wasserbomben hatten ihm auch einen wichtigen Dienst erwiesen: Sie hatten ihn geweckt, doch nicht nur, um Schmerz zu empfinden, sondern um es ihm zu ermöglichen, seinem entführten Boot, seiner ermordeten Mannschaft und seinem geliebten Vater land weiterhin zu dienen. Wassner wusste, dass die Amerikaner sich alle Mühe gegeben hatten, den Zerstörer davon zu überzeugen, dass U-571 gesunken, tot war. Außerdem hatte er gefol gert, dass dieser Grünschnabel Tyler vorhatte, mit dem letzten Torpedo einen hinterhältigen Angriff auf das so raffiniert getäuschte Kriegsschiff zu unternehmen.
237
Also beschloss Kapitänleutnant Wassner, seinen Landsleuten eine Nachricht zu senden. Mit der Kette seiner Handschellen fing er an, gegen ein Rohr in der Nähe zu klopfen. So schickte er ein knappes Signal nach oben: »Ich lebe. Zerstört mich.« Ursprünglich hatte er noch geklopft, »Ich bin Kommandant Wassner«, aber bald hatte er seine Morsebotschaft vereinfacht. Bloß das Allernotwendigste: Das Boot war nicht gesunken und musste versenkt werden. Ich lebe. Zerstört mich. Er hatte die Nachricht sechsmal geklopft, als der Vor hang weggerissen wurde und das wutverzerrte Gesicht des oberlehrerhaft wirkenden Amerikaners, Hirsch, über ihm hing; die erhobene Hand hielt einen schweren Schraubenschlüssel. »Ich habe Ihre Nachricht erhalten«, sagte Hirsch auf Deutsch. »Bin gern zu Diensten.« Der Schraubenschlüssel fuhr herunter. Das letzte Geräusch, das Kapitänleutnant Günther Wassner hörte, war das Zersplittern seiner Schädelkno chen. Ohne jeden Luftvorrat, mit Ausnahme der Luft, die er in seine Lungen gesogen hatte, ehe er unter die ölige Wasserfläche getaucht war, schwamm Trigger tiefer in die Abteilung ganz hinten am Heck hinein und suchte sich verzweifelt und so gut er konnte einen Weg durch das beengende Labyrinth aus Rohren und Kabeln. So klein er auch war, war das Risiko doch erheblich, hier irgendwo hängen zu bleiben, und ein paar Mal verhed derte er sich auch in irgendwelchen Drähten. Aber er arbeitete sich weiter durch das Rohrnetz, bis er den Punkt erreichte, wo die Blasen herauskochten. Er sah das Ventil, streckte die Finger durch das Rohrge wirr, um es zu erreichen, berührte es sogar - aber nur
238
beinahe. Seine Luft war fast verbraucht, und das Was ser in der Bilge stieg. Er konnte das verdammte Ding nicht zu fassen krie gen, geschweige denn es schließen! Seine Lungen drohten zu platzen, als er durch das Labyrinth zurückschwamm und sich dabei gegen alle Vernunft der Hoffnung hingab, dass er nicht hängen bleiben oder die Besinnung verlieren würde, ehe er die Öffnung in den Decksplatten erreicht hatte. In der Zentrale, wo das klopfende Geräusch in den Roh ren aufgehört hatte, blickten Tyler und alle anderen auf, als Hirsch - langsam, fast wie ein Schlafwandler - wie der hereingetaumelt kam, diesmal ohne den Rohr schlüssel. Benommen, mit Blutspritzern an der Wange, die wie rote Tränen aussahen, erwiderte Hirsch Tylers Blick und zuckte die Achseln. »Wir hatten einen Capt'n zu viel.« Tyler nickte zustimmend. Eddie Green sagte zu Hirsch: »Sie haben da was, Sir«, und deutete auf seine eigene Wange, worauf der Lieu tenant der USNR sich mit dem Ärmel seiner Kriegsma rineuniform das Gesicht abwischte. »Mr. Tyler - erreichen neunzig Meter«, informierte der Chief. Aus dem Horchraum rief Wentz: »Maschinen laufen an - Schrauben drehen sich!« Tyler ging zu der Luke hinüber. »Glauben Sie, dass die uns gehört haben, Mr. Wentz?« Wie als Antwort auf seine Frage war in der Zentrale plötzlich eine Folge von Geräuschen - Ping, Ping, Ping zu hören. Diesmal war es kein Signal eines Gefangenen, sondern vielmehr die Unheil verheißende Signatur des Sonars des Zerstörers.
239
»Ich habe Sonar-Pings«, sagte Wentz, dem nicht be wusst war, dass alle in der Zentrale dasselbe hörten, was ihm seine Kopfhörer meldeten. »Die haben uns er fasst, Sir.« Tyler wusste, dass der Zerstörer jetzt eine weitere Runde Wasserbomben laden würde, aber U-571 würde vorher die Wasseroberfläche erreichen. Sie brauchten jetzt bloß diesen verdammten Torpedo, um aus dem Boot wieder einen Krie gsteilnehmer zu machen. Aus dem Sprachrohr kam ein Bericht aus dem hinte ren Torpedoraum: »Mr. Tyler, Sir!« »Tank«, erwiderte Tyler mit scharfer Stimme in das Mikrofon der Sprechanlage. »›Nichts zu machen‹ ist nicht akzeptabel.« »Trigger kommt einfach nic ht ran, Sir!« Tyler und Klough sahen einander an. Dann duckte sich der verbliebene Capt'n von U-571 durch das hinte re Kugelschott und rannte mit Volldampf den Gang hi nunter, bis er den Hecktorpedoraum erreicht hatte, wo das Wasser inzwischen aus den offenen Decksplatten ausgetreten war. Tank hatte den Arm um Trigger gelegt, der von den verklebten Haaren bis hinunter zu den triefenden Ho sen vom schmutzigen Bilgenwasser durchnässt war und hustend und mit verzerrtem Gesicht am Torpedo rohr lehnte. Tyler platschte zu den beiden hinüber. »Was, zum Teufel, ist los?« Trigger schüttelte den Kopf und antwortete, immer wieder von Hustenanfällen unterbrochen: »Komme ... komme nicht ran, Sir. Schaffe ... schaffe es nicht... Arm ist zu kurz.« Tyler schluckte und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Dann sollten Sie besser wachsen, Junge, und zwar schnell.«
240
Gequälte Augen sahen ihn aus dem triefend nassen Babygesicht an. »Sir ...?« »Wir werden in etwa zwei Minuten an der Oberflä che sein, klar? Und wir wollen nic ht ohne einen Torpe do vor dieser Nazi-Blechdose auftauchen, um freund lich Hallo zu sagen. Sie müssen da wieder rein und es probieren.« »Aber ... aber ...« »Trigger, Sie sind unsere einzige Chance. Ich würde das nicht von Ihnen verlangen, Junge, wenn nicht das Leben von uns allen davon abhängen würde. Doch das tut es.« Mit wogender Brust, immer noch um Luft kämpfend, sah Trigger Tyler mit einem Ausdruck an, der sagte: Ver langen Sie alles von mir, bloß nicht, dass ich noch einmal in diese Bilge gehe. Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein, Sir, tut mir Leid. Ich schaffe es einfach nicht.« Tyler ergriff den Matrosen am Arm und platschte, ihn mit sich zerrend, zu der Öffnung in den Bodenplatten zu dem jetzt unter Wasser stehenden Eingang zur Bilge, dem fauligen Wasser, dem Gewirr von Rohren. »Sie können es«, sagte Tyler, und sein Blick bohrte sich in Triggers, »und Sie werden es. Sie werden dieses Ventil schließen, Matrose. Sie gehen jetzt in die Bilge und tun, was ich Ihnen gesagt habe.« Triggers Gesichtsausdruck verhärtete sich, zeigte teils Entschlossenheit, teils Vorwurf. Die Augen in dem jungen Gesicht waren plötzlich uralt und schienen zu Tyler zu sagen: Du weißt, dass du mich umbringst, oder? Trigger nahm das Mundstück des Atemgeräts, befestig te die Nasenklammer (er würde sie benutzen, solange es ging) und sprang wieder hinunter in die Bilge. Das Klatschen des Wassers war kaum verhallt, als Tyler, der bereits wieder nach vorn rannte, Tank zu brüllte: »Sofort melden, sobald der Torpedo bereit ist!«
241
Als Tyler die Zentrale betrat, sagte der Chief: »Drei ßig Meter.« Tyler trat an die Luke an der Horchbude. »Was ist, Mr. Wentz?« »Zerstörer hat Fahrt aufgenommen, Sir. Nähert sich unserer Position.« »Zum Teufel!« Der Chief sagte: »Zwanzig Meter ... Mr. Tyler?« »Ja, Chief?« Klough trat einen Schritt von seiner Station zurück, drehte sich um und sah alle der Reihe nach an. »Ich möchte nur sagen, dass das die beste gottverdammte Mannschaft ist, in der ich je zu dienen die Ehre hatte, Sir.« Tylers Blick begegnete dem Kloughs; beide lächelten und nickten knapp. »Männer«, sagte der Chief, während er an seinen Posten zurückkehrte, »was auch immer passiert, ihr sollt wissen, ihr habt euch und der United States Navy Ehre gemacht.« Aller Augen ruhten auf dem Chief. Der wandte seine Aufmerksamkeit - vielleicht aus Verlegenheit über sei ne kurze Ansprache - wieder dem Tiefenmesser zu und sagte: »Zehn Meter, Sir.« Tyler ging auf und ab und murmelte dabei: »Komm schon, Trigger. Komm schon. Du schaffst es. Du kannst es schaffen ...« »Achtung!«, schrie der Chief. »Tauchen gleich auf!« Tyler, bereits am Sehrohr, sagte: »Fahre Sehrohr aus«, und hieb auf die Schalter. Dann blickte er auf eine ruhige, scheinbar stille See hinaus, ohne den Zerstörer in seinem Gesichtsfeld er fasst zu haben. Augenblicke später stieß U-571 mit ab rupter Gewalt mit dem Bug voran durch die Wasserflä che, schnitt durch die Wellen, plumpste mit einem
242
mächtigen Klatschen herunter und brachte alle ein schließlich Tyler am Sehrohr ins Schwanken. In den Eingeweiden der Bilge versetzte diese plötzliche Bewegung Trigger einen Ruck, stieß ihn zwischen die Rohre, erschreckte ihn mehr, als dass es ihn verletzt hätte. Er hatte die Atemmaske bereits abgelegt - über den Punkt war er hinaus - und war in das Netz aus Rohren und Ka beln unterwegs, vor sich das unerreichbare Ventil. In der Zentrale hatte Tyler den Zerstörer im Okular des Sehrohrs: Siebenhundert Meter entfernt wendete das Kriegsschiff jetzt in Richtung U-571, Rauchwolken hinter sich herziehend, die Kessel auf voller Leistung. »Ich hab' sie«, teilte Tyler seiner Mannschaft mit. »Er kommt auf uns zu. Rudergänger, zehn Grad Steuerbord.« »Zehn Grad Steuerbord, aye«, wiederholte Rabbit. Der Chief reagierte auf eine Skalenanzeige, griff nach der Tauchsteuerung und sagte: »Auf die Tiefenruder aufpassen, Eddie!« »Aye, Chief!«, antwortete Green schwitzend. Tyler sprach in das Mikrofon der Sprechanlage: »Tank! Diesel starten, AK voraus!« Im Dieselraum hantierte Tank geschickt an den Ven tilen, betätigte den Anlasser - und der Diesel drehte sich, sprang an, erwachte kehlig schnurrend zum Le ben. Tank kuppelte das Wendegetriebe ein, erhöhte die Drehzahl, bis die Kipphebel in einem silbrigen Nebel verschwanden. Dann brüllte er ins Sprachrohr, wäh rend er sich hastig überzeugte, dass die Maschine rich tig lief: »Backborddiesel voll voraus, Sir!« In der Zentrale sagte Tyler, den Zerstörer, der in vol ler Fahrt auf sie zukam, im Okular des Sehrohrs: »Gut! Und jetzt will ich einen Bericht über das Torpedorohr!« Jeder in der Zentrale wusste, dass es, wenn U-571 ohne Torpedo auftauchte, nur eine Frage der Zeit war, ehe der Granatenhagel begann.
243
Und dieser Augenblick war jetzt da: Dem Donnern der vorderen Kanone des Zerstörers folgte das schrille Pfeifen, mit dem die erste Granate durch die Luft jagte. Sie explodierte backbord von U-571, und die Detona tion erschütterte das Boot und brachte jeden Mann an Bord ins Schwanken ... ... einschließlich Trigger, der unter Wasser den Atem anhielt und sich zwischen Rohren durchzuwinden ver suchte, gegen die er jetzt mit erdrückender Wucht ge schleudert wurde. Dann trat eine weitere Granate mit furienhaftem Heulen ihre Reise an und dröhnte steuerbord an ihnen vorbei. Das Boot zitterte, ebenso die Mannschaft. In Tylers Okular starrte ihn der Zerstörer förmlich an. »Scheiße. Die Mistkerle haben uns eingegabelt.« Eine Rauchwolke sagte ihm, dass eine weitere Granate abge feuert worden war, noch ehe er den Knall der Explosion hörte. »Kommt herein!« Die Granate schlug mit einem ohrenbetäubenden Brüllen an Steuerbord vorn ins Boot ein und brachte es gnadenlos ins Schaukeln. Im vorderen Torpedoraum flogen Spinde auf, und eine Wand aus Meerwasser platzte heraus. »Wir sind getroffen!«, brüllte Eddie Green. »Herrgott, wir sind getroffen!« In der Bilge, unter dem Hecktorpedoraum, war Ted ›Trigger‹ Fitzgerald wie ein Spielzeug hin und her ge worfen worden. Ein schweres Rohr presste plötzlich ge gen seinen Rücken, drückte ihn unter Wasser, presste ihn gegen den stählernen Boden, hielt ihn fest. Er kämpfte verzweifelt darum freizukommen. Panik und Luft stiegen in Blasen aus ihm heraus. Er konnte das Ventil nicht erreichen, war so nahe und doch so weit ent fernt, vollkommen damit beschäftigt, nicht zu ertrinken.
244
18
Das Brüllen des einströmenden Wassers im Ohr hetzte Tyler zum vorderen Kugelschott, wo die See sich he reinwälzte, und brüllte: »Wentz, hier rein!« Während ihn die gewaltige Welle niederzureißen drohte, riss sich der Radioman die Kopfhörer des Horchgeräts herunter, und Tyler griff in die Nische und riss ihn von seiner Konsole weg. Als er ihn durch die Luke bugsiert hatte, warf Wentz sich in die Zentrale. Gleichzeitig schrie der Chief: »Eddie, herkommen, hilf mit, das Schott dichtzumachen!« Wentz war kaum in die Zentrale getorkelt, als der Messesteward schon neben Tyler stand und ihm half, das Luk gegen die unter hohem Druck hereinströmen de Flut dicht zu reibern: Wentz schloss sich ihnen an, und dann war das verdammte Ding endlich zu, und Green drehte das Handrad, um es zu sichern. Wentz und Eddie standen schwer atmend da, bis auf die Knochen durchnässt, aber der ebenso nasse Tyler war bereits mit einem Satz halb durch die Zentrale ge sprungen und hatte das Mikrofon der Bordsprechanla ge an sich gerissen. Mit zusammengebissenen Zähnen fragte Tyler: »Tank, wie sieht's aus - was zeigt die Luft druckskala an?« Aus dem Sprachrohr tönte Tanks erregte Stimme: »Sir! Immer noch nicht bereit, Sir!« »Verdammte Scheiße, was machen wir dann?«, knurrte Tyler. Das gedämpfte Wwuumm, Wwuumm der Artillerie des Zerstörers beantwortete seine Frage. Die erste Granate klatschte ein gutes Stück hinter ihrem Ziel ins Wasser.
245
Aber die zweite brachte das Boot wie noch nie zuvor zum Schaukeln, als ob die Wasserbomben bloß Knallfrösche gewesen wären. Fast hätte die donnernde Explosion jedes Trommelfell der Männer auf U-571 zum Platzen gebracht. Der Treffer zerriss das hintere Deck des Boots in brennende Fetzen und warf die Mannschaft zu Boden. Unten, in der Bilge des hinteren Torpedoraums, weit unter dem Feuerball, der jetzt dort aufstieg, wo früher einmal das Achterdeck gewesen war, hatte die Explo sion von U-571 einen kleinen Gefallen getan: Das Rohr, das Ted ›Trigger‹ Fitzgerald eingeklemmt hatte, einen siebzehnjährigen Jungen, der im Laufe der nächsten Minute ertrunken wäre, wurde losgerissen, und er war plötzlich wieder frei. Trigger, das ›Baby‹ des alten S-33, hatte den Großteil seiner Kräfte verbraucht. Aber irgendwie schlängelte er sich nach vorn, schob die Hand zwischen den Rohren durch und tastete und tastete, und schließlich bekamen seine Finger das Ventil zu packen, das sich ihm so lange Zeit entzogen hatte. Als er es erst einmal hatte, brauchte es nur wenig Kraft, um es zuzudrehen - und das war gut so, denn Trigger Fitzgerald war am Ende seiner Kräfte. In der Zentrale, umgeben vom Knistern und Knat tern der Flammen aus dem hinterem Gang, rappelten die Männer sich jetzt hoch, und der Chief sagte: »Sir, er bitte Genehmigung, Boot aufzugeben!« Erschüttert langte Tyler nach einem der Sehrohrgrif fe und zog sich daran in die Höhe. Die harten Augen von Lieutenant Hirsch sahen ihn durch die Gläser sei ner Nickelbrille an. Der Lieutenant von der Reserve deutete ein Kopfschütteln an und sandte damit eine ernste Botschaft, die Tyler nur zu gut verstand. »Chief«, erwiderte Tyler, »wir werden dieses Boot dann verlassen, wenn wir unsere Arbeit getan haben.« 246
Die Augen des Chiefs verengten sich; doch offen sichtlich erkannte er, dass Tyler alles auf eine Karte set zen wollte, denn er nickte. Die anderen Mitglieder der Mannschaft begriffen schnell, was die Entscheidung Tylers zu bedeuten hatte, aber keiner sagte etwas, bis auf Eddie Green, der fluch te: »Oh, Teufel.« Im hinteren Torpedoraum - der keine Decke mehr hatte und in den die Sonne schien und der Rauch he reingedrückt wurde - kroch Tank unter einer Koje her vor, unter die er geschleudert worden war. Er arbeitete sich zu dem Luftdruckanzeiger vor, dessen Anzeige im mer noch negativ war. »Armer Junge«, murmelte Tank. Doch da machte die Nadel einen Satz nach vorn. Tyler blickte durch das Sehrohr auf den Zerstörer, als Tanks Stimme aus dem Rohr hallte: »Hecktorpedorohr in jeder Hinsicht bereit, Sir!« Ins Sehrohr grinsend sagte Tyler: »Festhalten, Rabbit. Torpedo los! Scheiße ...« Er griff nach dem Mikrofon. »Torpedo los! Sofort!« Jetzt sofort, oder wir sind tot. Tank wusste, dass Trigger immer noch dort unten in dem Labyrinth aus Rohren war, in jener düsteren Bilge wasserwelt, entweder ertrunken oder noch am Leben, aber zu nahe bei dem Rohr, um zu überleben, wenn der Torpedo abgefeuert wurde. Trotzdem hieb er mit der geballten Faust auf das Ventil, das den Torpedo lösen würde. Er jagte unter hohem Druck stehendes Wasser durch die Dichtung der Mündungsklappe, gefolgt von dem befriedigendem Kasssunk des Aals, der elegant aus dem Heckrohr schoss, über den Zwillingsrudern und Schrauben des Boots, in einem grandiosen Schwall von Druckluft, der Ted ›Trigger‹ Fitzgerald zu verdanken war, welcher seinen Triumph nicht mehr erlebte. Tyler sah durch das Sehrohr zu, wie der Torpedo,
247
eine schaumige, phosphoreszierende Blasenbahn hinter sich herziehend, durch das blaue Wasser sauste. »Komm schon, Baby«, flüsterte er, als würde er einer schönen Frau ins Ohr wispern. »Baby, Baby ... komm schon ...« Der Torpedo zog seine Bahn schnurgerade, heiß und perfekt, und Tyler erlaubte sich ein kleines Lächeln. Er wusste, dass er gewonnen hatte, dass die armen Schweine an Deck des Zerstörers jetzt zusahen, wie der Torpedo auf sie zujagte. Ihnen blieb nichts anderes üb rig, als die letzten paar Sekunden ihres Lebens zu beten und auf die unvermeidbare Explosion zu warten, wenn der Torpedo durch den Rumpf des Kriegsschiffes schnitt wie ein Messer durch Butter. »Ka-wumm«, sagte Tyler leise. KA-WUUMM! hallte es von dem Zerstörer zurück. Sechshundert Pfund hochexplosiver Sprengstoff deto nierten unter seinem Kiel und knickten das Kriegsschiff wie einen dürren Ast in zwei Teile. Tyler nahm die Augen vom Okular und schluckte. Blinzelte ein paar Mal. Sah noch einmal hin, um sicher zu gehen, dass er richtig gesehen hatte. Aber die Männer um ihn herum, die gehört hatten, wie dort draußen die Welt explodiert war, wussten, dass sie einen direkten Treffer erzielt hatten. Sie brachen in Jubelrufe aus, als ihr Capt'n ganz ruhig ›Ja‹ sagte. Er ging ans Sehrohr zurück und sah zu, wie das Heck des Zerstörers sich ins Wasser senkte und der Bug auf den Wellen schwebte, senkrecht nach oben gerichtet wie ein Ertrinkender, der verzweifelt die Hand ausstreckt... und sank. Tyler wandte sich vom Sehrohr ab, benommen von der Größe der Vernichtung, die sie angerichtet hatten, und auf unbestimmte Weise entsetzt. Mitleid für die Männer auf dem feindlichen Schiff durchzuckte ihn
248
Matrosen, die für ihr Land kämpften, starben in diesem Augenblick, von Angst erfüllt. Aber es ging schnell wie der vorbei - besser sie waren auf dem Meeresgrund als die Jungs rings um ihn. Die Jubelrufe waren ebenfalls schnell verstummt, nachdem sich die aufgestaute Spannung gelöst hatte. Tyler sah um sich herum nur Augen, in denen Verblüf fung darüber stand, dass sie noch am Leben waren. Die Mienen waren von Erleichterung, nicht von Triumph, gezeichnet. Der Chief stand am Sehrohr und sah es selbst. »Den Bastard hat's in zwei Stücke gerissen.« »Sie haben doch gesagt, dass Sie die Tonnage der Krauts auf den Meeresgrund jagen wollten«, erinnerte ihn Tyler. Klough trat vom Sehrohr zurück und grinste. »Ja, das habe ich ... das habe ich. Mr. Tyler, erbitte Erlaubnis, of fen zu sprechen.« »Was Sie wollen, Chief.« »Wenn Sie je einen Chief auf Ihrem Boot brauchen, Skipper, können Sie jederzeit auf mich rechnen, jeder zeit.« Tyler lächelte. »Danke, Chief.« Hirsch streckte ihm die Hand hin. »Ein Vergnügen, unter Ihnen zu dienen, Capt'n.« Tyler nickte, schüttelte die Hand. »Mr. Hirsch, be trachten Sie sich als einen Unterseeboot-Mann.« Das immer lauter werdende Prasseln der Flammen von achtern und des einströmenden Wassers vorn ver anlasste Tyler dazu, nach dem Mikrofon zu greifen und zu brüllen: »Tank! Tank, sehen Sie zu, dass Sie Ihren Arsch ni die Zentrale bringen! Tank, bei Ihnen alles in Ordnung?« »N-n-nein, Sir.« Tanks Stimme kam nicht aus dem Sprachrohr, sondern aus der Luke, an der er, von Ruß
249
und Öl verschmutzt, lehnte. Alle Augen wandten sich ihm zu. Tyler zuckte zusammen. »Trigger ...?« Tank schüttelte bedrückt den Kopf. »Er hat's nicht geschafft, Sir. Ich fürchte, er ist unten ertrunken oder hat ins Gras gebissen, als wir den Aal abgefeuert ha ben.« Hirsch stand mit gesenktem Kopf da, Eddie Green fing zu beten an, der Chief bekreuzigte sich. Wentz sackte in sich zusammen und ließ sich am Kartentisch nieder. Rabbit, der immer noch am Höhenruder saß, begann leise zu weinen. Und Tank starrte Tyler an - ein harter, durchdringen der Blick, der teils Bedauern und teils Anklage war. »Er hat uns das Leben gerettet«, sagte Tyler. Tank schluckte, nickte dann. Alle ringsum nickten. Schließlich sagte Eddie Green: »Sie und Trigger ha ben uns gerettet, Capt'n. Sie beide zusammen.« Tyler blickte in die Runde und stellte erstaunt fest, dass die Männer nickten - selbst Rabbit. Und Tank. Das Boot äußerte seine eigene Meinung mit einem plötzlichen Zittern und dann einem unheimlichen Stöh nen, das wie der letzte Hauch einer riesigen Bestie klang. »Skipper«, sagte der Chief. »Ich bin ja gut, aber selbst der allmächtige Herrgott könnte diesen Kahn nicht mehr lang auf dem Wasser halten.« »Okay, Chief«, sagte Tyler. »Erlaubnis erteilt, das Boot aufzugeben. Mit anderen Worten, wir sollten ver dammt schnell aus dieser Nazi-Schute verduften.« Das wurde, gelinde gesagt, positiv aufgenommen. Hirsch zog die Enigma unter dem Kartentisch hervor. Tyler warf einen letzten Blick auf die Zentrale seines ersten Kommandos und folgte dann seinen Männern den Niedergang im Turm hinauf.
250
Bald trieb die Mannschaft von U-571 - mit einem Se geltuchsack, der die Enigma und Notproviant enthielt in einem deutschen Schlauchboot auf dem von Flam men orange gefärbten Ozean. Sie paddelten von dem U-Boot weg und sahen zu, wie Wasser aus den Rändern der Torpedoluke strömte, ein schreckliches, metalli sches Klagen im Ohr. Mit großen Augen beobachteten sie, wie das Luk aufplatzte und Meerwasser in einer Fontäne zum Himmel schoss. Als U-571 über das Heck zu sinken begann, verspür ten die Männer in dem Schlauchboot einen eigenartigen Schmerz, wenn auch keiner von ihnen etwas sagte. Sie erinnerten sich natürlich an ihre gefallenen Freunde an Lars, der eine trauernde Witwe hinterlassen würde; Dahlgren, der eine Frau und eine junge Tochter hatte; Pete Emmett, der keine Zauberkunststückchen mehr vorführen würde; Major Coonan, den so früh bei die sem Einsatz ums Leben gekommenen Nahkampfexper ten; Griggs, der vor Tylers Augen gestorben war; Mazzola, den großen Liebhaber, der kämpfend unter gegangen war; Trigger, der sein Leben für das ihre ge geben hatte ... Doch jenes seltsame Gefühl, diese Aufwallung von Emotionen war mehr als nur Trauer um all die, die bei diesem Einsatz ihr Leben verloren hatten. Niemand wollte zugeben, dass das Nazi-U-Boot kurze Zeit, eine sehr wichtige kurze Zeit in ihrem Leben als Männer und Seeleute, ihr Schiff gewesen war, ihr Boot, ihr Zu hause, die Waffe, mit der sie den Feind angegriffen und ihrem Land gedient hatten. Keiner schien überrascht - und keiner sagte etwas -, als Lieutenant Andrew J. Tyler unmittelbar, bevor das Boot unter den Wellen versank, salutierte. Kurz darauf überzog wieder orangerotes Licht den Ozean, aber diesmal nicht von Flammen - sowohl U
251
571 wie auch der Zerstörer Anschluss lagen schon lange auf dem Meeresgrund -, sondern von der untergehen den Sonne. Und das kleine Schlauchboot war nur ein winziger gelber Punkt auf der weiten, schimmernden Wasserfläche. Tyler wusste nicht, was für ein Schicksal ihn und sei ne Männer erwartete - vielleicht würden sie an Er schöpfung und Wassermangel sterben, vielleicht wür den die Deutschen sie aus dem Meer bergen (nachdem seine Männer die Enigma vorher über Bord geworfen hatten). Vielleicht würden sie auch, so wie sie es hoff ten, wie sie es vorhatten, bei Land's End ans Ufer ge spült werden. Was auch immer vor ihnen lag, Tyler wusste nur, dass sie sich gemeinsam ihrem Schicksal stellen wür den, als eine Mannschaft unter der Obhut ihres Capt'n.
252
Der Capt'n tippt sich an die Mütze
Ein paar Danksagungen sind angebracht, angefangen mit Jonathan Mostow, dessen schwungvolles Drehbuch mir die Grundlage für diesen Roman geliefert hat. Mr. Mostow hat seine Hausaufgaben wirklich gemacht, und dafür bin ich ihm dankbar. An einen Roman und an ein Drehbuch werden natürlich ganz unterschiedliche An sprüche gestellt, und aus diesem Grund habe ich eine Anzahl von Büchern über Unterseeboote zu Rate gezo gen. Ich übernehme jede Verantwortung für irgendwel che Ungenauigkeiten, und weder Mr. Mostow noch die Verfasser der nachstehend genannten Bücher trifft ir gendwelche Schuld. Und ich verneige mich im Voraus vor denjenigen meiner Leser, deren Erfahrung in die sem Bereich die meine übersteigt. Den Hintergrund für diesen Roman haben mir im Wesentlichen vier Bücher geliefert: Battle Below: The War of the Submarines (1945) von Robert J. Casey; Silent Running: My Years on a World War II Attack Submarine (1995) von James F. Calvert, Vice Admiral, USN(ret); Die Eisernen Särge (1969) von Herbert A. Werner; und U-Boot-Krieg (1978) von Lothar-Günther Buchheim (dessen Kriegserlebnisse 1981 die Grundlage für den Film Das Boot unter der Regie von Wolfgang Petersen waren). Die beiden ersten Bücher haben mir die amerikanische Sicht des Silent Service (ein Begriff, den die U-BootFahrer des Zweiten Weltkriegs allem Anschein nach nicht sehr schätzten) geliefert, die beiden letzteren haben mir die deutsche Perspektive gezeigt. Andere von mir zu Rate gezogenen Bücher sind u. a.: The Battlefor the Atlantic: World War II (1977) von Barrie Pitt und den Herausgebern der Time-Life Books;
253
Submarines: The History and Evolution of Underwater Fighting Vessels (1975) von Anthony Preston; The Underwater War 1939-1945 (1982) von Commander Richard Compton- Hall, MBB, RN (ret.); und der New Hampshire WPA Guide (1938). Außerdem möchte ich Joe Collins danken (nicht mit mir verwandt), der mir mit seiner Erfahrung in militäri schen und waffentechnischen Angelegenheiten gehol fen hat; meinem Vater, Max A. Collins Sen., einem Mari nefähnrich im Zweiten Weltkrieg, der mir Erkenntnisse und Informationen geliefert hat; Cindy Chang von den Universal Studios, die mir mit ihrer üblichen, erstaun lich prompten Unterstützung zur Seite stand; meiner Lektorin, Tia Maggini; meinem Agenten Dominick Abel; und meiner Frau, Barbara Collins, die immer mit hilft, das Boot über Wasser zu halten.
254