Talon Nummer 17 „Treibjagd“ von Thomas Knip
zusammen und erlaubten nur an wenigen Stellen einen Blick bis zum Horizont...
11 downloads
366 Views
150KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Talon Nummer 17 „Treibjagd“ von Thomas Knip
zusammen und erlaubten nur an wenigen Stellen einen Blick bis zum Horizont, der sich im Dunst des frühen Morgens verlor. An manchen Stellen wuchs das gestrüppartige Unterholz so hoch, dass es sogar die Statur des Mannes überragte. Kurz entschlossen erklomm Talon einen der Bäume und hangelte sich über einen breiten Ast nach oben. Sobald er mehrere Meter überwunden hatte, verschaffte er sich einen Überblick über die Landschaft. Das trockene Gras der Savanne wogte wie ein ockerfarbenes Meer unter ihm. Talon lauschte durch das beständige Rascheln der Halme nach einem anderen Geräusch. Einem Geräusch, das ihm seinen Gegner verriet. Seine Gedanken wanderten zu dem gestrigen Abend zurück. Masud Ibn Said hatte ihn aus seiner Zelle bringen lassen und ihn wie eine Trophäe einem weiteren Mann mit arabischen Gesichtszügen präsentiert, den Talon in dem Zellentrakt bereits kurz gesehen hatte. Wobei Ibn Said kein Risiko einging. Er ließ ihn weiterhin gefesselt, und zwei seiner Männer standen direkt hinter ihm, um eine Flucht oder einen Angriff auf den Araber zu verhindern. Für den nächsten Morgen war eine
1. Talon sah dem Pick-up Truck nach, der in einer hoch aufwirbelnden Staubwolke verschwand. Auf der Ladefläche stand ein dunkelhäutiger Mann, der ihn aufmerksam musterte, bis das Fahrzeug nicht mehr zu sehen war. Das Röhren des Motors dröhnte noch einige Zeit über die weit geschwungene Savanne und wurde dann langsam schwächer. Wie um die einkehrende Ruhe zu begrüßen, erklang aus einem der Akazienbäume das Krächzen eines Reihers, der sich kurz darauf mit schwerfälligen Flügelschlägen in den blassblauen Himmel schraubte. Der Mann, der mit nicht mehr bekleidet war als einem Lendenschurz aus Antilopenleder, massierte sich die Handgelenke und stieß mit den Füßen mehrmals auf dem trockenen Boden auf. Langsam kehrte das Blut in seine Gliedmaßen zurück. Ibn Saids Wachen hatten ihn gefesselt auf die Ladefläche des Trucks geworfen und die Seile erst durchschnitten, nachdem sie ihn hier ausgeladen hatten. Talon sah sich um. Die Akazienbäume mit ihren knorrigen Stämmen und breiten, flachen Kronen standen in dichten Gruppen 2
Sklavenhändler erklärte, der Sender reiche über zwanzig Kilometer und zeige neben der Entfernung auch die grobe Richtung an. Dabei warf er Talon einen Blick aus kalt leuchtenden Augen zu, wobei er dünn grinste. Er habe einen Vorsprung von 15 Minuten, erklärte er. Danach sollen sich die Geier seiner gnädig erweisen. Mit diesen Worten ließ er Talon abführen, der zurück in den Kellertrakt geführt wurde. Bereits vor Sonnenaufgang war er geweckt und in dieses Gebiet gebracht worden. Talon atmete kräftig durch. Er schlang seinen Arm um eine abgestorbene Efeuranke, die von einer der über ihm verlaufenden Äste herabhing und spannte seinen Körper durch. Der Sender schmerzte mit einem leichten Pochen in seinem Rücken. Die ganze Nacht hindurch hatte Talon versucht, an die Stelle zu kommen, um das Gerät heraus zu kratzen. Doch Ibn Said hatte es wohlweislich an einer Stelle eingesetzt, die er mit seinen Armen nicht erreichen konnte. Und ihm blieb nicht viel Zeit, nach einem Werkzeug zu suchen. Sein Blick wanderte über die Ebene hinweg. Die Fahrt hatte kaum mehr als eine halbe Stunde gedauert, also konnten es kaum mehr als zwanzig Kilometer sein, die der Truck zurückgelegt hatte. Eine unbefestigte Piste zog sich wie eine Schlange durch das trockene Gras. Offensichtlich schien Ibn Said dieses Gelände häufiger zu benutzen. Talon fragte sich, ob der Sklavenhändler solche „Spiele“ regelmäßig
„Safari“ angesetzt worden, wie der Sklavenhändler es nannte, in der Talon die Jagdbeute darstellen solle. Der Araber stellte ihm theatralisch in Aussicht, ihm wieder die Freiheit zu schenken, falls er die Frist bis zur Mittagszeit überstehen würde. Während dieser Rede musterte der andere Mann Talon ausgiebig und bedachte ihn mit einem ausdruckslosen Blick. Ihm sei natürlich klar, dass er versuchen würde zu fliehen, sobald er ihn in der Wildnis aussetzte, erklärte Ibn Said und löste sich aus der Sitzgruppe, um zu seinem Schreibtisch zu gehen. Deshalb habe er hier etwas, das dafür sorgen würde, dass er nicht ‚verloren’ gehe. Der Sklavenhändler entnahm einer Schatulle etwas, das in dem schwach ausgeleuchteten Bereich wie ein Revolver aussah. Er befahl seinen Männern, Talon umzudrehen. Kräftige Hände packten ihn an den Schultern und rissen ihn herum, dass er Ibn Said nun den Rücken präsentierte. Talon spürte, wie sich etwas kalt gegen sein Schulterblatt drückte, dann ließ ihn ein kurzer, heißer Schmerz unterdrückt aufzischen. Dies sei ein kleiner Peilsender, erklärte ihm der Araber und reichte seinem Gast einen kleinen Kasten, nicht größer als ein Taschenrechner. Talon blickte inzwischen wieder die beiden Männer an und sah, wie der zweite Mann das Gerät auf ihn richtete. Ibn Said nickte ihm aufmunternd zu. Ein helles, rasch aufeinander folgendes Piepsen war zu hören. Der Mann lachte auf und meinte, das sei ja wie im Film. Der 3
blieb keine andere Wahl. Talon lauschte kurz. Noch war kein Motorengeräusch zu hören. Er sprintete los. Seine Füße hasteten in weiten Schritten über den ausgetrockneten Boden hinweg. Der Atem in seiner Brust kam schwerer als er es gewohnt war. Doch die Tage der Gefangenschaft hatten ihren Tribut gefordert. Er war noch immer geschwächt durch den Kampf gegen Ibn Saids Gorilla, der vier Tage zurücklag. Niskeki… er dachte an die junge Frau, die ihn nach dem Kampf gepflegt hatte. Und an ihre Berührungen. Die letzten Jahre über hatte er den Kontakt zu den Menschen auf das Nötigste beschränkt und sich in die Wildnis zurückgezogen. Doch nun war ihm bewusst, wie sehr ihm die Nähe einer Frau gefehlt hatte. Bilder zogen wie Schlaglichter durch seine Gedanken. Mehrere Personen in hellen Kitteln. Grelle Scheinwerfer, die Sonnen gleich explodierten. Eine dunkelhäutige Frau in einem hautengen Dress. Klingen, die die Wirklichkeit zerschnitten. Talon schloss für einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf, während er unbeirrt weiter rannte. „Nein…“ flüsterte er mit rauer Stimme. Er konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Silhouette der Baumkronen und kniff die Augen zusammen. Nur langsam lösten sich die Schemen aus seinem Bewusstsein und verschwanden wieder tief in seinem Inneren. Er hatte bereits mehr als die Hälfte der Strecke überwunden, als er
durchführte, sei es als Strafaktion, sei es zur Unterhaltung. Doch es war müßig, Gedanken darüber anzustellen. Er musste einen Weg finden, diesen Morgen zu überleben. Er konzentrierte sich auf den Horizont, der aus dieser Position etwas besser zu erkennen war und versuchte etwas in der Richtung zu erkennen, aus der er augenscheinlich gekommen war. Und tatsächlich konnte er eine Staubwolke ausmachen, die sich langsam auf ihn zu bewegte. Der Wagen mit dem Jäger mochte vielleicht noch gut zehn Kilometer entfernt sein, doch diese Distanz hatte er in wenigen Minuten überbrückt. Talon rutschte über den Ast nach unten. Hier im Baum bot er ein zu offenes Ziel. Es hatte keinen Sinn, sich im Geäst verstecken zu wollen. Wäre er im Dschungel gewesen, hätte er die Bäume tatsächlich als Versteck ausnutzen können. Doch das Blätterwerk der Akazienbäume bot kaum Schatten, geschweige denn eine sichere Deckung. Er musste das offene Gelände verlassen. Links von ihm zog sich ein lang geschwungener Hain über die Savanne. Auch wenn die Bäume keinen Schutz boten, so erschwerten sie es einem Geländewagen, schnell vorwärts zu kommen oder zwischen ihnen hindurch zu manövrieren. Die Bäume lagen etwas mehr als einen Kilometer von seiner augenblicklichen Position entfernt. Dazwischen erstreckte sich nicht mehr als das kurz gewachsene dürre Gras, das keine Deckung bot. Wenn die Jäger ihn jetzt sahen, wussten sie genau, wohin er flüchtete. Doch ihm 4
knapp dreihundert Meter vor ihm. Das Brummen der Motoren wurde immer intensiver. Es war Talon klar, dass er keine Chance hatte, wenn ihn die Verfolger entdeckten, bevor er in den Schutz der Bäume eintauchen konnte. Und selbst dann konnten sie ihn immer noch anpeilen und die Maschen ihres Netzes um ihn enger ziehen.
rechts von sich ein schwaches Geräusch vernahm. Ganz leise nur, doch es war deutlich als der Motor eines Wagens zu identifizieren. Überrascht wandte Talon den Kopf und sah zurück. Das war nicht die gleiche Richtung, aus der er seinen Jäger erwartet hatte. Er verlangsamte seine Schritte, drehte sich um und ging in die Hocke. Das Gras verbarg ihn nun fast völlig. Das Geräusch, das sich nun zu seiner Linken befand, wurde langsam lauter. Doch gleichzeitig konnte er genau vor sich eine Staubwolke erkennen, die hinter der Baumgruppe aufwirbelte, an der man ihn freigelassen hatte. Talon grinste schwach. Wie um sich zu vergewissern, ging sein Blick nach rechts. Tatsächlich konnte er auch dort eine Wolke aus Staub und Erde erkennen, die sich noch weit entfernt rasch vorwärts bewegte. Der Wind kam aus der entgegengesetzten Richtung und trug deshalb kein Geräusch zu ihm herüber. Er nickte kurz, wie um sich in seiner Einschätzung zu bestätigen und hastete nun in gebückter Haltung weiter, die Deckung der hoch gewachsenen Grashalme so gut wie möglich ausnutzend. Ibn Said veranstaltete eine Treibjagd. Also setzte er mehrere Gruppen ein, die die Beute auf ein Ziel zu trieben. Die Wagen zu seiner Linken und seiner Rechten sollten ihn in die Zange nehmen und ihm alle Fluchtmöglichkeiten abschneiden, bis es nur noch einen Ausweg gab – den durch die Mitte, direkt in den Lauf des Jägers. Der Hain, der sich wie ein langes Band über die Ebene zog, lag noch
2. Kamal al-Hamidi wischte sich mit einem Tuch den Nacken trocken. Trotz der frühen Stunde klebte der Kragen seines Polo-Hemdes bereits schweißgetränkt auf seiner Haut. Im Inneren des geschlossenen Geländewagens, der eine Dachluke besaß, war die Luft stickig und von Benzingeruch erfüllt. Doch der Kuwaiti Mitte Vierzig verbrachte die ruckelnde Fahrt über das unwegsame Gelände lieber auf einem gepolsterten Sitz, als sich mühevoll am Rand der Luke festhalten zu müssen. Durch das teilweise heruntergekurbelte Seitenfenster drang neben warmer Luft nur der aufgewirbelte Staub der Erde auf die Rückbank. Al-Hamidi hatte auf einen arabischen Fahrer bestanden. Neben diesem saß ein zweiter Mann auf dem Beifahrersitz, der ständig mit einem Funkgerät beschäftigt war und unentwegt die Frequenzen nachjustierte. Ibn Said hatte ihm zwei Jeeps mitgegeben, die dafür sorgen sollten, dass die Beute nicht entkam. Mit diesen stand der Mann in Verbindung, doch das endete zu 5
Kamal al-Hamidi untersuchte indessen seine Ausrüstung und packte das teure Jagdgewehr aus. Mit schnellen, gekonnten Griffen setzte er das Fernrohr auf, das über einen Laser-Zielsucher verfügte und legte eine Patrone in die Repetierwaffe ein. Dann sicherte er die Waffe und legte sie quer über seine Beine. „Ich hoffe, wir erwischen dich vor dem Mittagessen“, murmelte er halblaut vor sich her, was die beiden Männer in der vorderen Sitzreihe bei dem Fahrtlärm nicht hörten. Auch wenn die Jagdlust immer stärker in ihm wurde, wollte ein Teil in ihm die Angelegenheit so rasch wie möglich über die Bühne bringen. Er kam sich auf eine gewisse Weise mehr wie ein Henker vor, denn wie ein Jäger. Eher unbewusst griff er nach dem Fernglas, das in einer Verankerung im Sitz vor ihm steckte und blickte zwischen den beiden Männern hindurch nach vorne. Doch die Staubwolke sorgte dafür, dass er nur wenig erkennen konnte. Missmutig steckte der Araber das Fernglas weg und konzentrierte sich auf den Peilsender, dessen Signal in immer kürzeren Abständen aufblinkte.
einem großen Teil damit, dass er nach einem „Hallo, Hallo“ das Gerät neu einstellte. Der Kuwaiti sah dem Treiben nur kopfschüttelnd zu und verließ sich auf den Peilsender, der sich in seiner Hand befand. Das Gerät zeigte auf einem kreisrunden Display einen blinkenden roten Punkt an, der sich seit Antritt der Fahrt vom äußeren Rand des Kreises immer weiter zur Mitte bewegte. Im Augenblick stand der Punkt in der linken Hälfte. AlHamidi liebte solch ein Spielzeug. Er war kein Jäger, der Stunden lang nach seiner Beute jagen wollte. Ihm war der Erfolg wichtig, der Sieg, den er davontragen konnte. Er beobachtete das Display eine Weile und wies dann seinen Fahrer an, den Wagen etwas nach links zu steuern. Etwas vor sich sah er mehrere kleine Baumgruppen von Akazienbäumen, die sich Inseln gleich aus dem Meer aus Gras erhoben. Sofort wanderte der Punkt etwas auf die Mitte zu. Der Kuwaiti stieß einen begeisterten Ruf aus und deutete mit dem Zeigefinger nach vorne. Beflissen bediente der dunkelhäutige Sudanese auf dem Beifahrersitz das Funkgerät und gab die neue Position an seine beiden Kollegen durch. Er war wie jeder, der an dieser Jagd teilnahm, einer von Ibn Saids Männer und kannte keine Skrupel dabei, einen Menschen zu jagen oder zu töten. Es war im Augenblick eine der sichersten Möglichkeit, im Südsudan sein Geld zu verdienen. Zufrieden lehnte er sich zurück und ließ den rechten Unterarm aus dem offenen Seitenfenster baumeln.
Talon erreichte das dicke Gestrüpp noch bevor die Fahrzeuge in Sichtweite waren. Die dünnen Enden der Äste waren durch die lang anhaltende Dürre ausgetrocknet und wirkten wie kleine Dornen. Schon bald zogen sich zahlreiche Kratzer wie ein wildes Muster über seine helle Haut. Er beachtete die Wunden nicht weiter, die leicht brannten, 6
Talon schwang sich auf einen tief hängenden Ast und zog sich in einer fließenden Bewegung nach oben. Rasch stieg er weiter nach oben und versteckte sich so gut er konnte im lockeren Blattwerk des Akazienbaumes. Die Bäume waren ein ungewohntes Terrain für ihn. Er hielt sich lieber im offenen Gelände auf. Dennoch bewegte er sich mit einer Gewandtheit und Sicherheit, als sei er in ihnen zuhause. Es hatte keinen Sinn, wenn er versuchte, vor seinen Verfolgern zu fliehen. Sie waren schneller unterwegs und konnten ihn durch den Sender überall orten. Also musste er die Flucht nach vorne antreten und sie überraschen. Hier im Hain war die Sicht eingeschränkt. Selbst wenn die Männer in den Fahrzeugen Blickkontakt zueinander hätten, könnten sie kaum schnell genug reagieren, um sich gegenseitig zu schützen. Der Jeep zu seiner Linken hatte inzwischen die ersten Bäume passiert und schob sich nun langsamer zwischen den Stämmen hindurch. Protestierend jaulte der Motor auf, wenn der Fahrer etwas zu ungeduldig war und einen Gang übersprang oder durch eine hervorstehende Wurzel das Steuer hastig verzog. Talon konnte den Wagen aus seiner Position gut erkennen. Er befand sich keine zwanzig Meter mehr vor ihm. Die beiden Insassen waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich in der unübersichtlichen Umgebung zurecht zu finden, als nach oben zu sehen. Seine Muskeln spannten sich an. Er stützte sich mit einer Hand an
wenn Schweiß oder Dreck in ihnen hängen blieb, und zog sich so weit wie möglich in den Halbschatten des Unterholzes zurück. Der Wagen zu seiner Linken war nun deutlich zu hören. Durch die dürren Äste war der altertümliche Jeep gut zu erkennen, der sich aus der Staubwolke schälte. Er mochte noch knapp einen halben Kilometer von ihm entfernt sein, als er plötzlich anhielt. Eine Gestalt zeigte sich oberhalb der Windschutzscheibe und suchte offensichtlich die Gegend ab. Nur kurz darauf nahm sie wieder Platz, und der Wagen setzte sich erneut in Bewegung. Talon stieß einen leisen Fluch aus, als er feststellen musste, dass der Wagen direkt auf den Hain zuhielt. Es mochte noch gut ein oder zwei Minuten dauern, bis er die ersten Ausläufer erreicht hatte. Doch mehr Zeit blieb ihm nicht zum Handeln. Er warf einen kurzen Blick nach vorne und nach rechts. Der Wagen, der sich von dort näherte, war noch weit entfernt und würde noch einige Zeit brauchen, bis er ihn erreichte, doch der Wagen in der Mitte steuerte nun auch direkt auf ihn zu und war inzwischen deutlich zu erkennen. Anders als der Jeep war dies ein moderner Geländewagen mit geschlossenem Aufbau. Er befreite sich aus dem Unterholz und hastete zwischen den Bäumen hindurch. Die einzelnen Stämme standen weit genug auseinander, um einen Wagen durchzulassen. Doch der Fahrer musste umsichtig und langsam fahren, um zwischen den krumm gewachsenen Bäumen hindurchlenken zu können. 7
als er sich auf die Beine zwang, die kurz nachgaben, und stolperte vorwärts. Unter der Karosserie konnte Talon den regungslosen Körper des Fahrers erkennen, der unter dem Wagen begraben worden war. Von irgendwoher erklang das metallische Geräusch einer Stimme, die durch ein Funkgerät quäkte. Mehrmals stellte die Stimme die gleiche Frage, und bei jedem Mal klang sie nervöser. Und genauso hektisch antwortete die Stimme des zweiten Mannes, der offensichtlich noch am Leben war. Er musste sich hinter dem Fahrzeug befinden, denn Talon konnte ihn aus seiner Position heraus nicht erkennen. Überrascht blieb er plötzlich stehen und bückte sich. Vor ihm lag im Gras eine russische Kalaschnikov, die aus dem Jeep gefallen sein musste. Er nahm die Waffe auf und lud sie durch. Der Bolzen rastete mit einem hellen Schnappen ein. Das Gewehr schien noch zu funktionieren. Talon grinste und schlich nun schneller vorwärts. Die Stimme des anderen Mannes schrie hektisch auf Arabisch um Hilfe, immer wieder unterbrochen von einem kurzen Fluch, der das Funkgerät bedachte. Der Weiße hatte den Jeep erreicht und hielt sich in Deckung. Er war nicht so unvorsichtig, sich blindlings nach vorne zu wagen. Falls sein Gegner bewaffnet war, würde er genau in dessen Feuer laufen. Stattdessen hob er eine halbleere Wasserflasche auf, die am Boden lag und schleuderte sie weit über den Jeep hinweg. Ein kurzer Schrei seines Gegners folgte, als die
einem über ihm hängenden Ast ab und winkelte die Beine an. Als der Jeep seinen Baum passierte, löste sich Talon aus seinem Versteck und sprang. Die überraschten Männer sahen den Schatten zwar noch, der durch die Luft wirbelte, doch zum Handeln blieb ihnen keine Zeit mehr. Der halbnackte Mann landete auf der Rückbank und ließ sich einfach nach vorne fallen. Talon wusste, dass es aussichtslos war, die Balance zu finden. Damit hätte er seinen Gegnern zu viel Zeit zugestanden, in der sie ihre Überraschung überwinden konnten. Er prallte hart gegen den Oberkörper des Fahrers, der entsetzt aufschrie. Reflexartig riss der Mann das Steuer des Jeeps herum. Durch den Schwung kam das Fahrzeug in eine gefährliche Schräglage. Unkontrolliert schoss der Wagen nach vorne und prallte mit der Seite gegen einen Baum. Talon versuchte noch, den Sturz abzufedern. Doch er konnte nicht mehr tun, als den Kopf mit seinen Armen zu schützen, während er durch die Luft geschleudert wurde und hart auf den Boden aufprallte. Der Schlag fuhr schmerzhaft durch seinen gesamten Körper, der sich mehrmals überschlug. Benommen blieb der Weiße liegen. Mehrere Augenblicke vergingen, in denen sich sein Blick nur langsam klärte. Er spürte, wie etwas warm und feucht über seine Stirn floss. Mit einem Finger wischte er das Blut beiseite. Der Jeep lag mit durchdrehenden Reifen auf der linken Seite. Talon stieß einen unterdrückten Schrei aus, 8
jagte. Die Umstände, wie er ihn gefunden hatte, und der Kampf gegen den Gorilla hatten für eine leichte Gänsehaut bei dem Kuwaiti gesorgt, der in diesem Mann viel mehr ein Tier als einen Menschen zu sehen begann. Deshalb behielt er das Peilsignal genau im Auge und wies seinen Fahrer an, die angegebene Richtung einzuschlagen. Gleichzeitig herrschte er den Beifahrer an, den anderen Wagen anzufunken und ihnen mitzuteilen, wohin sie fuhren. Gebannt sah er nach vorne und versuchte etwas in dieser Einöde zu erkennen. Sie hatten gerade die wenigen Bäume hinter sich gelassen und fuhren nun über offenes Gelände, das keine Verstecke ermöglichte. Vor sich sah er den lang gestreckten Baumhain, der fast die gesamte Breite des Blickfelds einnahm und registrierte, wie das Signal immer wilder aufblinkte. „Sag dem anderen Wagen, er soll direkt auf die Bäume zuhalten!“ rief er dem Beifahrer zu. Mit einem Seitenblick konnte er den Jeep bereits zu seiner Linken erkennen. Dann zog er sich eine leichte Khakiweste an, die an der Vorderseite Kammern für mehrere Kugeln besaß. Er füllte jede der Kammern auf und entsicherte sein Gewehr. Al-Hamidi befahl dem Fahrer, etwas langsamer zu fahren und stieg dann über den Rücksitz in den hinteren Aufbau. In gebückter Haltung löste er die Klammer, die die Dachluke geschlossen hielt und schob sie nach hinten, bis sie
Flasche laut polternd auf den Boden prallte. Doch als keine weitere Reaktion folgte, löste sich Talon mit wenigen Schritten aus seinem Versteck und sah den Schwarzen vor sich, der das kleine Funkgerät mit zitternden Händen festhielt. Angsterfüllt blickte er zunächst in Talons Augen, dann in die Waffe in dessen Händen. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, doch noch bevor sich die Laute von seinen Lippen lösen konnten, wurde sein Kopf durch einen Schlag mit dem Gewehrkolben nach hinten gerissen. Talon hatte nicht vor, die anderen Verfolger durch einen Schuss anzulocken. Sie würden ihn mit dem Peilsender früh genug orten können. Er untersuchte den Niedergeschlagenen, der bewusstlos in verkrümmter Haltung auf der Erde lag. Als er sicher war, dass von dem Mann keine unmittelbare Gefahr mehr ausging, schnappte er sich die Wasserflasche und brachte genügend Abstand zwischen sich und das Fahrzeug. Es würde nicht lange dauern, bis die anderen Jäger hier waren, und er wollte das Moment der Überraschung ausnutzen. Beunruhigt verfolgte Kamal alHamidi, wie der Beifahrer hektisch in sein Funkgerät brüllte, um zu einem der beiden Jeeps Kontakt aufzunehmen. Normalerweise hätte er es auf die Unfähigkeit seiner sudanesischen Gehilfen geschoben, wenn sich diese nicht meldeten. Doch Ibn Said hatte ihm während des Abendessens noch einiges über den Weißen erzählt, den er nun 9
kommen würde und schaffte sich auf dem flach emporwachsenden Ast eine feste Lage. Er war einen Augenblick lang verwundert, als er erkannte, wie routiniert er mit dieser Situation umging. Das Gefühl der Waffe in seinen Händen war ihm nicht fremd. Genauso wenig wie die Situation, in der er sich gerade befand. Bilder zuckten erneut durch sein Bewusstsein. Doch noch bevor sie übermächtig in ihm anzuwachsen begannen, schloss er die Augen und schüttelte heftig den Kopf. Er fixierte die Kimme des Gewehres mit seinem rechten Auge. Beinahe mechanisch ebbte die Erregung in seinem Körper ab und machte einer Ruhe Platz, die seine Gedanken mit erschreckender Leichtigkeit klärte. Er konzentrierte sich auf einen Punkt, der ihm der Lauf des Gewehres jenseits der hellgrünen Blätter wies und wartete. Plötzlich durchbrach der klobige Schatten des Jeeps das Unterholz. Der Motor röhrte laut auf, während der Fahrer den Wagen beschleunigte. Konzentriert drückte Talon den Kolben des Sturmgewehrs gegen seine Schulter und zog den Abzug durch. Die Kugel durchschlug die dunkelgrüne Motorhaube des Fahrzeugs. Der Fahrer zog den Wagen augenblicklich nach rechts, und so schlug die nächste Kugel in den Boden ein. Erde spritzte neben dem Fahrzeug auf. Talon zog die Waffe etwas hoch und schoss, ohne ein sauberes Ziel zu haben. Die Windschutzscheibe zersprang in der oberen Mitte und zog zahlreiche Risse durch das
einrastete. Fast wäre er nach vorne geschleudert worden, als der Wagen über eine Geländewelle fuhr. Der Kuwaiti fluchte heftig und zog sich dann nach oben, bis er seinen Oberkörper aus der offenen Luke schieben konnte. Der Geländewagen beschleunigte nun wieder und hielt direkt auf die Baumgruppe zu. Katzengleich schlich Talon einen Ast empor und legte sich flach auf das knorrige Holz. Er ignorierte den heftigen Schmerz in seiner linken Schulter, den er seit dem Sturz aus dem Jeep verspürte, und legte sich das Gewehr zurecht. Die Bäume standen an dieser Stelle so eng zusammen, dass ihre überlappenden Kronen ein undurchdringliches Dickicht schufen und die Sicht aus der Ferne erschwerten. Dennoch konnte Talon zwischen den kleinen Blättern hindurch genau verfolgen, was auf der offenen Savanne geschah. Der Geländewagen hatte den Hain bereits fast erreicht, doch er hielt sich links von der Position, an der sich der Weiße nun befand und steuerte eine Stelle an, die ein Durchkommen mit dem Geländewagen ermöglichte. Das Unterholz war an dieser Stelle für das Fahrzeug zu unwegsam. Zur gleichen Zeit hatte der dritte Wagen seinen Rückstand aufgeholt und verschwand nun im Schatten der ersten Ausläufer der Bäume. Talon konnte das bedrohliche Brummen des Motors hören, das rasch näher kam. Er rechnete damit, dass der Jeep zuerst in sein Schussfeld 10
leichten Gepäck nicht warten musste, bis ihr Koffer freigegeben wurde, beobachtete die Kulisse nicht weiter und steuerte den Ausgang an. Mit starrem Blick wehrte sie die aufdringlichen Angebote ab, die ihr teilweise direkt vor das Gesicht gehalten wurden. Normalerweise hätte sie mit den Leuten vielleicht sogar ein paar Worte auf Französisch gewechselt, doch jetzt hatte sie alle Mühe, sich zu konzentrieren. Alice Struuten war seit zwei Tagen unterwegs und hatte kaum noch die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Die leicht gewellten, brünetten Haare klebten verschwitzt an ihrer Stirn. Müde suchten die blaugrünen Augen nach einem bekannten Gesicht. Erst als sie den Ausgang schon fast erreicht hatte, schoben zwei breite Hände die aufdringlichen Händler zur Seite und verschafften ihr so etwas Luft. Erleichtert lächelte sie in das dunkelhäutige Gesicht. „Hallo, Pierre“, lächelte sie schwach. „Schön, dich zu sehen.“ Der untersetzte Afrikaner nahm ihr die Reisetasche ab und schob Alice zum Ausgang. „Ich brauche dich nicht zu fragen, wie dein Flug war, hm? So, wie du aussiehst…“ Erschöpft verzog die junge Frau die Lippen. „Erwähn’ es einfach nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so schnell an ein Visum komme. Und versuch’ niemals, einen Anschlussflug von Kamerun hierher zu erwischen. Das ist mörderisch.“ Pierre grinste mitleidig zurück und wies einige Taxifahrer ab, die nach den wenigen ankommenden
dreckverschmierte Glas. Angsterfüllt riss der Fahrer den Wagen erneut herum und bremste ihn ruckartig ab. In dieser Sekunde konnte Talon sein Ziel deutlich erfassen und wartete, bis der Jeep aufs Neue beschleunigte. Als der Wagen schon fast seine Position passiert hatte, schoss er ein weiteres Mal. Der Körper des Fahrers wurde nach hinten gerissen. Ein Schrei voller Panik erfüllte die kleine Lichtung zwischen den Bäumen, als der Wagen unkontrolliert ausbrach und mit voller Wucht gegen einen Stamm prallte. Die plötzliche Ruhe, die nun herrschte, legte sich beinahe unwirklich über die Szenerie. Talon konnte beobachten, wie sich eine Gestalt auf dem Beifahrersitz schwach bewegte und aus dem Wagen kippte. Doch bevor sie sich retten konnte, hatte das ausfließende Benzin bereits den überhitzten Motor erreicht. Eine Stichflamme stieß aus dem Wagen hervor, dann explodierte das Fahrzeug mit einer lauten Detonation. 3. Trotz der späten Uhrzeit war der Bangui Airport noch dicht bevölkert. Doch die wenigsten der Menschen, die sich in den engen, stickigen Hallen aufhielten, waren Passagiere. Meist waren es kleine Händler, die versuchten, kurzentschlossenen Touristen ein Souvenir verkaufen zu können und sich mit ihren Angeboten gegenseitig lauthals Konkurrenz machten. Die junge Frau, die mit ihrem 11
erzählte. Immer wieder sackte sie für einen Moment weg, und wenn sie aufwachte, drehten sich ihre Gedanken um den einen Punkt, der sie hierher geführt hatte. ‚Sie wollten nur die Bilder von ihm haben’, ließ sie der Gedanke seit Tagen nicht mehr los. ‚Sie wussten, wer er war. Und sie wussten, dass ich ihn kenne.’ Deshalb wollten sie sie töten. Und deshalb war sie wieder an diesen Ort zurückgekehrt. Um endlich einige Antworten zu erhalten. Das war Talon ihr schuldig.
Passagieren Ausschau hielten, um sich mit einer letzten Fahrt für den heutigen Abend etwas dazuverdienen zu können. Er führte die Südafrikanerin zu einem alten Renault, der bereits einige rostige Stellen aufwies, und wartete, bis sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Erst nach mehreren Versuchen sprang der Motor des Wagens an und röhrte heftig auf. Alice hörte auf dem Weg in die Innenstadt der zentralafrikanischen Hauptstadt nur wenig von dem, was ihr der Mann
Fortsetzung folgt in Talon Nummer 18 „GESPRENGTE KETTEN“
Talon erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D-32469 Petershagen. © Copyright aller Beiträge 2003 bei Thomas Knip und vph. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet.
12