Nr. 274
Treffpunkt der Gaukler Vier Freunde gegen eine Stadt Kemjack im Taumel der Kaymuurtes von Marianne Sydow
Das ...
9 downloads
400 Views
282KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Nr. 274
Treffpunkt der Gaukler Vier Freunde gegen eine Stadt Kemjack im Taumel der Kaymuurtes von Marianne Sydow
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen. Gegen diese inneren Feinde ist Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen rund 12.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbanaschol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß es mit Orbanaschol nicht mehr zum Besten steht. Daher rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen. Um dieses Zieles willen hat Atlan ein riskantes Spiel begonnen. Der Sieg in den tödlichen Amnestie-KAYMUURTES soll ihm den Weg nach Arkon ebnen – doch noch hat Atlan nicht genau in Erfahrung bringen können, ob er – unter falscher Identität natürlich! – für die bevorstehenden Kampfspiele überhaupt ordnungsgemäß registriert worden ist. Einige seiner Männer finden es jedoch heraus und handeln entsprechend. Sie befinden sich am TREFFPUNKT DER GAUKLER …
Treffpunkt der Gaukler
3
Die Hautpersonen des Romans: Garrason, Kelsh, Fretnorc und Polc-Tanier - Mitglieder von Atlans Einsatzgruppe. Huccard - Eine zwielichtige Persönlichkeit. Conquetest - Ein Hellseher und Wasserfinder. Darracia - Conquetests Tochter. Shacca - Ein cleverer Junge. Atlan - Der Kristallprinz erhält eine schwerwiegende Nachricht.
1. Garrason schob sich bis an die Ecke des Schuppens vor, hinter dem die kleine Gruppe von Arkoniden für kurze Zeit Schutz gesucht hatte. Hinter ihm hustete Polc-Tanier, und Garrason sah sich unwillig nach dem Wissenschaftler um. Neben Polc-Tanier kauerte Fretnorc am Boden und untersuchte seinen Paralysator. Kelsh lehnte neben ihm an der Wand und musterte Huccard mit düsteren Blicken, den Mann, der sie in diese wenig beneidenswerte Lage gebracht hatte. Sie hatten sich einen kleinen Vorsprung verschafft, aber die Pause mußte jeden Augenblick ein jähes Ende finden. Seit Stunden schon waren sie auf der Flucht. Die SCC schien gute Freunde bei der Polizei von Venco-Nar zu haben. Man jagte den Mann, der das Büro der Kampfagentur zerstört hatte, unerbittlich – und dieser Mann war Huccard, das Großmaul, wie Garrason den Glorioc-Besitzer in Gedanken zu nennen pflegte. Sie befanden sich jetzt wieder im Einzugsbereich des Raumhafens. Die zahlreichen, ineinander verschachtelten Gebäude boten ihnen viele Möglichkeiten, sich den Blicken der Polizei zu entziehen. Dennoch mußten sie dieses Gebiet verlassen. Sie konnten sich in keinem Geschäft blicken lassen, in einem der Lokale schon gar nicht, denn die Polizei hatte mit Sicherheit eine Personenbeschreibung durchgegeben. Sie waren hungrig, durstig und er schöpft. Die Dünne Luft des Planeten Venco-Nar erschwerte das Atmen, wenn sie gezwungen waren, das Versteck schnell zu wechseln. Die Polizisten trugen Atemmasken, in denen
die Luft verdichtet wurde. »Sie kommen«, sagte Garrason leise, als er die Schatten mehrerer Männer auf dem hellgrauen Straßenbelag sah. Die Schatten waren lang und dünn – Dubnayor, die blaue Sonne dieses Systems, stand schon tief. Der Gedanke an die Nacht, die sie vielleicht im Freien verbringen mußten, erschreckte Garrason wenig. Er war Strapazen dieser Art gewöhnt. Aber wie würden die anderen es überstehen? Noch war es warm, aber ein merkwürdiger Geruch hing in der Luft. Er kündigte die Kälte an, die bald über sie hereinbrechen würde. Garrason zog sich zurück. Am anderen Ende des Schuppens schlichen die Polizisten vorwärts, auf der Suche nach fünf Gesetzesbrechern. Fretnorc hatte bereits den nächsten Durchgang erreicht, sondierte die Lage und winkte den anderen zu. Garrason sicherte die Gruppe nach hinten ab. Huccard ging in der Mitte. Zwischen den anderen sah er wie ein Zwerg aus, ein hageres Männlein mit zerrauftem Haar und nach vorne fallenden Schultern. Sie verursachten keine Geräusche bei ihrem Rückzug, aber die Polizisten würden sie dennoch immer wieder aufspüren. Es waren zu viele, und sie hatten alle Mittel einer hochentwickelten Technik zur Verfügung. Die Gruppe der Flüchtenden besaß vier Lähmstrahler und einen kleinen Blaster – letzterer gehörte Huccard. Sie liefen zwischen grauen Wänden entlang. Schon nach kurzer Zeit rangen sie keuchend nach Luft. Garrason sah Huccard stolpern, packte ihn am Oberarm und zog ihn weiter. Polc-Tanier war blaurot im Gesicht. Er bemühte sich krampfhaft, den Hustenreiz
4 zu ignorieren, der ihn immer häufiger befiel. Mit einiger Bitterkeit dachte Garrason daran, daß sie diesen achtundsechzigjährigen Positronikspezialisten mitgenommen hatten, weil er ihnen an Bord des Raumschiffs hätte nützlich werden können – jenes Raumschiffs, auf das Huccard sie hatte bringen wollen. Der Besitzer der Kampfagentur GLORIOC hatte eklatant versagt. Sie waren zwar in einem Raumschiff angelangt, aber dieses hatte lediglich die Aufgabe, Müllcontainer in den Raum zu schaffen. Und anschließend war das Schiff auf Venco-Nar gelandet, dem Planeten, auf dem zwei Kategorien der KAYMUURTES ausgetragen wurden. In der eigentlichen Stadt mußte inzwischen der Teufel los sein. Es war kaum anzunehmen, daß sie dort Gelegenheit fanden, Kontakt zu Atlan aufzunehmen. Die grauen Wände schienen kein Ende zu nehmen. Es stank durchdringend nach Düngemitteln. »Verdammt!« Fretnorc warf sich auf den Boden, und die anderen taten es ihm nach. Vor ihnen, da, wo diese stauberfüllte Gasse auf eine Straße münden mußte, standen vier Männer in dunklen Uniformen. Sie hatten die Geräusche von Schritten gehört und spähten in den schmalen Durchgang hinein. Sie waren von der Sonne geblendet, und außerdem war es zwischen den Schuppen ziemlich dunkel. Garrason zielte sorgfältig. Neben ihm richtete Kelsh seine Waffe aus. Als die vier Uniformierten nach ihren Gürtelhalftern griffen, fauchten die Paralysatoren auf. Garrason unterdrückte einen Fluch, als einer der Männer am anderen Ende der Gasse einen Schrei ausstieß. Er wechselte blitzschnell das Ziel und feuerte noch einmal. Der Uniformierte, den der lähmende Energiestrahl aus Polc-Taniers Waffe nur an der Hüfte erwischt hatte, brach zusammen. »Weiter!« Der Schrei war laut genug gewesen. In diesem Teil des Hafengeländes war es geradezu unnatürlich ruhig. Die Polizisten hatten
Marianne Sydow ein unüberhörbares Signal erhalten. »Ich kann nicht mehr!« keuchte Huccard, als Garrason ihn hochzog. »Ruhe!« befahl Garrason zischend. »Los!« Er gab dem schmächtigen Arkoniden einen Stoß. Huccard taumelte und sank jammernd auf die Knie. »Das könnt ihr mit mir nicht machen«, protestierte er, aber bevor er weitersprechen konnte, hielt Garrason ihm den Mund zu. Er stellte den Agenten auf die Beine und schob ihn vor sich her. Irgendwo begann eine Sirene zu wimmern. Sie hasteten bis ans Ende der Baracke und fanden ein offenes Tor. Im Innern des Schuppens war es stockfinster. Garrason stolperte über ein weiches Bündel, bückte sich und stellte fest, daß es sich um Huccard handelte. »Reiß dich zusammen!« knurrte er und stieß Huccard grob an. »Ohne dich wäre uns das alles erspart geblieben. Los, sie müssen jeden Moment hier ankommen. Auf die Füße mit dir!« Huccard stöhnte herzzerbrechend, aber Garrason kümmerte sich nicht darum. »Hier ist eine Tür!« rief Fretnorc leise, und gleich darauf fiel – etwa zehn Meter entfernt – ein dünner Lichtstreifen herein. Die anderen stolperten dem Ausgang entgegen – und sahen den Gleiter, der genau auf den Schuppen zustrebte. »Wir sitzen in der Falle«, sagte Kelsh. Garrason stieß Huccard auf einen Packen von Säcken und sprang neben die Tür, die sich nur eine Handbreit geöffnet hatte. Er hob den Paralysator und wartete geduldig, bis er hinter den spiegelnden Scheiben der Kanzel zwei Gesichter erkennen konnte. Dann drückte er ab. Der Gleiter summte weiter, als wäre nichts geschehen. Eine Automatik hatte die Steuerung übernommen, als der Pilot ausfiel. Sensoren spürten das Hindernis auf und zogen das Fahrzeug nach oben. Noch ehe der Gleiter über den Schuppen hinwegsurrte, sprangen Garrason und Fretnorc nach draußen. Die fünf Polizisten, die von rechts dem
Treffpunkt der Gaukler Versteck entgegenliefen, fanden keine Zeit zur Gegenwehr. Die Straße war frei. Garrason mußte Huccard fast auf die andere Seite tragen. Sobald sie einigermaßen in Deckung waren, hielt er Huccard im Flüsterton einen kurzen Vortrag, der seine Wirkung nicht verfehlte. Es kam selten vor, daß Garrason Emotionen zeigte. In den vier Jahren, die er an der Front im Krieg gegen die Maahks verbracht hatte, hatte er sich das gründlich abgewöhnt. Die verhaltene Wut, mit der er Huccard einige Dinge erklärte, brachte den Agenturbesitzer auf die Beine. Verängstigt stolperte Huccard vor dem athletischen Arkoniden her. Sie brauchten fast eine halbe Stunde, bis sie ein neues, einigermaßen sicheres Versteck gefunden hatten. Im engen Hohlraum unter einer Rampe ließen sie sich erschöpft nieder. Um sie herum lag stinkender Abfall, aber sie nahmen das alles kaum wahr. Für Minuten war jeder einzelne von ihnen damit beschäftigt, endlich genug Luft in die Lungen zu bekommen. »Wir müssen nach draußen«, sagte Fretnorc, als sie sich einigermaßen erholt hatten. »Im Hafengebiet werden sie uns immer wieder finden. Lange halten wir diese Hetzjagd sowieso nicht mehr durch.« Garrason nickte. Er machte sich Sorgen um Polc-Tanier. Der Wissenschaftler hockte zusammengesunken an seinem Platz. Bis jetzt hatte er sich gut gehalten. Im Gegensatz zu Huccard beklagte er sich mit keinem einzigen Wort. Er hustete nur ab und zu unterdrückt. Als er merkte, daß Garrason ihn prüfend musterte, quälte er sich ein schwaches Lächeln ab. Garrason ließ sich dadurch nicht täuschen. Er wußte, wann ein Mann am Ende seiner Kräfte war. Huccard würde noch lange durchhalten, aber Polc-Tanier brauchte dringend Ruhe. »Nach Kemjack kommen wir schlecht hinein«, murmelte Kelsh. »Sie kontrollieren jetzt bestimmt alle Eingänge. Der Teil der Stadt, der nicht unter den Transparentkuppeln liegt, dürfte für uns nicht besser sein als dieses Labyrinth, in dem wir stecken.«
5 »Wir müssen es versuchen«, entschied Garrason. »Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht einmal mehr, in welche Richtung wir uns zu wenden haben«, sagte Fretnorc bedrückt. »He, Huccard, Sie kennen sich doch hier aus! Wo geht es nach Kemjack?« Der Agent richtete sich unwillkürlich auf. Die Tatsache, daß er endlich einmal wieder um Rat gefragt wurde, wirkte wie eine belebende Droge auf ihn. »Ich werde euch zur Stadt führen!« verkündete er schrill. »Ich kenne jeden Weg in dieser Gegend. Vertraut mir nur, dann sitzen wir in wenigen Minuten im besten Hotel der Stadt!« »Großmaul«, murmelte Garrason kaum hörbar vor sich hin und grinste schadenfroh, als Huccard sich den Kopf an einer Strebe stieß. Huccard betastete unter schmerzlichem Stöhnen die Beule, die sich auf seinem Haupt bildete. »Er wird sich doch wohl keinen Schädelbruch geholt haben?« fragte Fretnorc spöttisch. »Wenn schon«, erwiderte Kelsh trocken. »Solange sein Gedächtnis verschont bleibt, kann es uns egal sein. Wie ist es, Huccard? Können Sie sich noch an den Weg zu diesem Luxushotel erinnern?« Der Kleine knurrte etwas Unverständliches, und die anderen lachten. Selbst PolcTanier brachte ein Grinsen zustande. »Dann los!« befahl Garrason. »Je eher wir hier wegkommen, desto besser für uns.« Natürlich hatte Huccard geprahlt. Er verlief sich immer wieder in diesem unübersichtlichen Gebäudekomplex. »So weit hätte ich es auch geschafft!« keuchte Fretnorc wütend, als sie zum viertenmal in einer Sackgasse standen. »Es wird so viel gebaut«, wehrte sich Huccard gegen den Vorwurf. »Lauter neue Hallen und Gänge. Wenn man sich wenigstens an ein bestimmtes System halten wollte. Aber nein, die Herren setzen hier ein Stückchen an und bauen da ein bißchen wei-
6
Marianne Sydow
ter – wer soll sich da noch zurechtfinden?« Die anderen schwiegen. Es war zweifellos etwas Wahres an Huccards Behauptungen, aber als Entschuldigung konnten sie das nicht anerkennen, zumal der Bereich, in dem sie jetzt steckten, alles andere als neu war. Schließlich wurde es so dunkel, daß sie das flackernde Licht von Scheinwerfern über den Dächern der Lagergebäude erkennen konnten. Die Signale waren deutlich. Dort befand sich das Landefeld. Sie bewegten sich in die entgegengesetzte Richtung, wichen einigen Polizeigleitern aus, trafen auf einen Trupp von bewaffneten Männern, die sie jedoch nicht bemerkten, weil Garrason die Gefahr rechtzeitig erkannte, und traten endlich auf eine breite Straße hinaus. Keuchend rannten sie über die leuchtende Fahrbahn und warfen sich auf der anderen Seite in das kurze, harte Gras. »Na also!« sagte Huccard, als er wieder bei Atem war. »Wir haben es geschafft.« Von links brummte ein schweres Fahrzeug heran. Garrason riß Huccard zu Boden, der mit einer großspurigen Geste auf das freie Gelände zwischen dem Hafenkomplex und den schimmernden Kuppeln der Stadt wies. Der Lastengleiter fuhr an ihnen vorbei, aber sie konnten deutlich den Mann in der erleuchteten Kanzel sehen, der ein Mikrophon an den Mund hob. »Wir hätten es geschafft, wenn Sie sich nicht so dämlich benommen hätten!« fauchte Fretnorc den Agenten an. Sie rannten über das trockene Gras. Weit hinter ihnen heulten die Sirenen schon wieder auf.
* »Lassen Sie uns ein Spiel machen, meine Damen und Herren«, sagte der Große Conquetest, trat an den Rand der kleinen Bühne und musterte sein Publikum. »Ein Spiel mit Zahlen oder Begriffen, ganz nach Ihren Wünschen. Wie wäre es mit Ihnen? Ja, Sie meine ich. Kommen Sie doch bitte zu mir!« Ein schlanker Arkonide in der ersten Rei-
he erhob sich und schritt selbstbewußt über die niedrige Treppe nach oben. Conquetest lächelte freundlich, aber das ließ ihn noch unheimlicher aussehen, denn sein Gesicht war – ebenso wie sein ganzer Körper – bunt bemalt. Der Hellseher trug nur einen knappen Lendenschurz aus silbrigem Material. Er winkte, und seine Tochter eilte herbei. Sie schob einen unförmigen Kasten heran. »Sie dürfen ihn ausprobieren, wenn Sie möchten«, forderte Conquetest seinen Gast auf. »Sie werden feststellen, daß es da drin keine Verbindung zur Außenwelt gibt. In diesem Kasten bin ich blind und taub – und dennoch werde ich erraten, was Sie auf diese Tafel schreiben. Sie müssen sich ein wenig auf die verschiedenen Begriffe konzentrieren, das ist selbstverständlich.« Der Arkonide verzichtete auf die Probe. Natürlich glaubte niemand daran, daß Conquetest tatsächlich ohne Trick arbeitete. Jeder Magier hat seine Tricks. Conquetest bezeichnete sich als Hellseher und Wasserfinder, und er verdiente genug, um sich und seine Tochter zu ernähren. Conquetest verschwand in dem Kasten, und Darracia legte die zahlreichen Verschlüsse um. Der Arkonide trat an die Tafel und schrieb schnell ein paar Zahlen und Wörter darauf. Niemand war erstaunt, als Conquetest aus seinem Kasten kletterte und einen Zettel präsentierte, der genau das enthielt, was inzwischen von der Tafel gelöscht worden war. »Das ist doch Betrug!« murrte jemand lautstark in einer der hinteren Reihen. Conquetest neigte den Kopf und schien zu lauschen. Dann grinste er diabolisch. »Sie sollten dieses Wort besser nicht gebrauchen«, sagte er gelassen. »Stellen Sie sich vor, einer Ihrer Gläubiger könnte Sie hören. Oh, das tut mir leid. Zweieinhalbtausend Chronners in einer so dummen Wette zu verlieren, das ist wirklich Pech. Und dann auch noch die Sache mit dem Mädchen! Brennt es doch einfach mit Ihrem Gegner durch.« »Hören Sie auf!« schrie der Mann aus
Treffpunkt der Gaukler dem Hintergrund entsetzt. Das Publikum lachte. »Aber warum denn?« Conquetest gab sich verwundert. »Jetzt wird es doch erst interessant. Diese Wette interessiert mich. Ein bißchen einfältig, aber – oh, was entdecke ich denn da! Sie haben sich für die Spiele gemeldet? Das wird mit Sicherheit ein interessanter Kampf. Benachrichtigen Sie mich bitte, wenn es soweit ist. Ich möchte Ihren Auftritt nicht versäumen!« Aus den hinteren Reihen kam nichts als eisiges Schweigen. »Wird er gewinnen?« schrie eine Frauenstimme aufgeregt. Conquetest lächelte. »Das kann ich nicht sagen. Bis zum Beginn der KAYMUURTES müssen noch zwölf Tage vergehen – das ist eine lange Zeit. Wer weiß, was inzwischen geschieht!« Die eigentliche Vorstellung war bereits zu Ende. Das Publikum hatte verblüffende Dinge gesehen und genoß das befriedigende Gefühl, das Eintrittsgeld nicht zum Fenster hinausgeworfen zu haben. Es war bereit, sich mit diesem seltsamen Mann noch ein wenig zu beschäftigen – und mit der Frage, ob es sich bei den Zwischenrufen um bestellte Fragen handelte. Ein geckenhaft gekleideter älterer Mann in der ersten Reihe räusperte sich. »Ein Wahrsager darf einem Klienten keine negativen Aspekte der eigenen Zukunft offenbaren, stimmt das?« Conquetest zuckte gleichmütig die Schultern. »Ich bin kein Wahrsager«, antwortete er. Das Publikum lachte. »Sie können aber Wasser finden?« Der Mann mit den grellfarbigen Kleidungsstücken gab keine Ruhe. »Wenn Wasser vorhanden ist, spüre ich es auf«, bestätigte Conquetest. »Nehmen Sie auch Aufträge entgegen?« »Nicht während der Vorstellung. Es brauchen schließlich nicht alle hier im Zelt zu erfahren, wie billig ich mich verkaufen muß!« Das Gelächter ließ das Zelt erzittern. Con-
7 quetest nutzte die Gelegenheit, um in einem bunten Farbenwirbel spurlos zu verschwinden. »Damit ist unsere Vorstellung beendet«, sagte Darracia, die jetzt an der Stelle stand, an der sich eben noch ihr Vater befunden hatte. »Ich hoffe, Sie haben sich gut unterhalten und werden uns bald wieder mit Ihrem Besuch beehren.« »Was ist mit dem Auftrag!« brüllte der Ältere in der ersten Reihe, bevor auch das Mädchen sich zurückziehen konnte. »Ich meine es ernst.« »Kommen Sie zu unserem Wagen«, murmelte sie nach kurzem Zögern. »Aber lassen Sie sich ein wenig Zeit – mein Vater muß sich erholen. So eine Vorstellung ist recht anstrengend.« »Das ist wohl die komischste Sorte von Gauklern, die ich je kennengelernt habe«, knurrte ein anderer Arkonide, als urplötzlich auch Darracia nicht mehr vorhanden war. »Halten Sie die beiden wirklich für Gaukler?« fragte der Ältere mit einem merkwürdigen Lächeln. Die Farben waren von der Bühne verschwunden, die phantasievolle Ausstattung wie weggewischt. Das Zelt wirkte plötzlich ungemütlich, kahl, beinahe drohend. Die Besucher hatten es eilig, von diesem Ort wegzukommen und drängten durch die offenen Türen. »Was sollen sie sonst sein?« »Ihre Vorstellung war immerhin ungewöhnlich. Merkwürdig, ich fand es wirklich unterhaltend. Und jetzt frage ich mich, was mich daran eigentlich interessiert hat. Viel ist doch nicht geschehen, oder?« »Nein«, sagte der andere nachdenklich, drehte sich am Ausgang um, blickte die leere, graue Bühne an und fröstelte plötzlich. »Aber ich würde Ihnen gerne einen Rat geben: Lassen Sie sich lieber nicht auf solche Geschäfte ein. Entweder sind der Alte und seine hübsche Tochter die gerissensten Halunken, die mir je begegnet sind, oder …« »Oder was?« fragte der Ältere. Er erhielt keine Antwort. Er ging in das nächste Weinzelt, saß dort lange Zeit nachdenklich vor ei-
8
Marianne Sydow
nem kostbaren Becher und stürzte endlich den Inhalt auf einen Zug herunter. Er würde Conquetest besuchen. Jetzt gleich. Er hatte nichts mehr zu verlieren, und wenn der seltsame Mann ihm helfen konnte, würde das einige Probleme beseitigen.
* Sie sahen die bunten Lichter etwas seitlich von ihrem Weg zur Stadt auftauchen und wandten sich wie auf ein unhörbares Kommando in diese Richtung. »Das sind Schausteller!« keuchte Huccard. »Wenn wir es bis dorthin schaffen, sind wir gerettet!« Niemand antwortete ihm. Erstens hatten die Männer inzwischen gelernt, dem Kampfagenten höchstens jedes zehnte Wort zu glauben, und zweitens hatten sie genug mit sich selbst zu tun. In der Nähe der Zelte, die sich allmählich aus der Dunkelheit schälten, standen Wohnwagen. Hinter den meisten Fenstern war es dunkel. Diese Stunde war für alle Gaukler wichtig – in der ersten Nachthälfte kamen ihre Tricks am besten zur Geltung. Die Zuschauer waren aufnahmebereiter als im hellen Tageslicht. Die Wagen standen weit auseinander. Es waren große Fahrzeuge, meistens Lastengleiter, die man umgebaut hatte, seltener schon Beiboote, manchmal auch nur Container, deren Innenraum entsprechend hergerichtet worden war. Die Zelte, die in unordentlichen Reihen standen und eine eigene kleine Stadt mit verwirrenden Gerüchen, bunten Lichteffekten und tausend Attraktionen bildeten, bestanden aus Stoff und Plastik. Die größeren waren aufblasbare Kuppeln, und einige sahen wie echte Gebäude aus. Hinter ihnen schwoll das Heulen der Sirenen an. Als Garrason den Kopf wandte, entdeckte er die Kette von Gleitern. Wie leuchtende Insekten tanzten die Fahrzeuge am Rand des Raumhafenkomplexes in der Luft.
Er begriff nicht, warum sie mit solchem Aufwand gesucht wurden, aber er konnte sich ausrechnen, wann die Leute in den Gleitern das Hafengelände verlassen und ihre Suche in die Richtung der Zeltstadt ausdehnen würden. Lange konnte es nicht mehr dauern. »Verschlossen!« knurrte Fretnorc, der den ersten Wagen erreicht hatte. Er ließ sich in das Gras zurückfallen und landete auf Huccards Füßen. Der fluchte erbittert. Fretnorc brachte Huccard zum Schweigen aber das Fluchen ging weiter. Es war ein anderer, der fluchte. Die Männer drückten sich an die Wand des Wahnwagens und warteten mißtrauisch. Man mußte sie bemerkt haben. Die Art und Weise, in der dieser Jemand auf die Störung reagierte, war allerdings merkwürdig. »Da stimmt doch etwas nicht«, flüsterte Kelsh, als der Strom von Verwünschungen und unanständigen Ausdrücken auch nach fünf Minuten unvermindert anhielt. »So etwas habe ich noch nie gehört! Der Kerl ist ein wahres Wunder!« »Es kommt von da drüben«, stellte PolcTanier fest. Ein großer Wagen stand neben einer Plastikkuppel. Im schwachen Widerschein der zahlreichen Lichter glänzten farbenfrohe Verzierungen. Vorsichtig schlichen die fünf Arkoniden sich näher heran. Es gab keinen Zweifel. Derjenige, der seit nunmehr acht Minuten einen Fluch nach dem anderen von sich gab, steckte in diesem Wagen. »Was soll das!« fauchte Garrason, als Kelsh plötzlich zur Tür des Gefährtes huschte. »Pst!« machte Kelsh und winkte. »Es ist nicht abgeschlossen.« »Der Bursche wird uns mit seinen Beschimpfungen hinwegfegen«, prophezeite Huccard weinerlich. »Und jemand, der so gewaltig fluchen kann, versteht bestimmt auch etwas von Prügeleien.« »Vielleicht«, sagte Polc-Tanier nachdenklich. »Irgendwie hört sich das merkwürdig an. Man könnte meinen, der Bursche flucht
Treffpunkt der Gaukler nur so zum Spaß.« »Ein Gaukler bei seinem Training?« fragte Fretnorc zweifelnd. Garrason hatte inzwischen ein Fenster entdeckt. Er zog sich an einer Zierleiste hoch und spähte in den Wagen. Drinnen brannte eine schwache Notbeleuchtung. Er sah keine Bewegung. Erst nach längerem Hinsehen erkannte er eine seltsam geformte Gestalt im Hintergrund des Raumes. Was immer dieses Wesen darstellte, um einen Arkoniden handelte es sich nicht. Garrason wollte die anderen gerade über seine Erkenntnisse unterrichten, als er jenseits des Wagens die grellen Positionslichter und Suchscheinwerfer eines Gleiters entdeckte. Das Fahrzeug näherte sich mit hoher Geschwindigkeit der Zeltstadt. Es blieb keine Zeit mehr, einen weiteren Wagen zu untersuchen. Noch waren sie in Deckung, und selbst die empfindlichsten Geräte konnten sie nicht aufspüren, solange der Wohnwagen zwischen ihnen und den Jägern war. Aber das konnte sich schnell ändern. »Sie kommen«, sagte er sehr ruhig. »Fretnorc, mach die Tür auf. Wir gehen hinein. Aber paßt auf. Da drin steckt irgendein sehr merkwürdiges Wesen.« Er sprang als letzter die wenigen Stufen hinauf. Bevor er die Tür hinter sich schloß, sah er sich noch einmal nach den Jägern um. Der Gleiter selbst war von diesem Standort aus noch nicht zu sehen, aber breite Lichtbahnen huschten über die Flächen aus zertrampeltem Gras zwischen den verschiedenen Unterkünften. Die Stimme füllte den in mehrere Räume unterteilten Wagen mühelos aus. Das Wesen fluchte immer noch, aber jetzt verstanden alle, was Polc-Tanier gemeint hatte, und selbst Garrason merkte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufrichteten. Denn die Stimme blieb absolut ausdruckslos und nüchtern, während sie Ausdrücke in den Raum warf, die keiner der fünf Männer in solcher Konzentration je zuvor gehört hatte. »Vielleicht ist es nur eine Tonaufnahme«, wisperte Kelsh.
9 »Unsinn. Ich sagte doch, daß ich etwas gesehen habe.« »Es steckt hinter dieser Tür«, murmelte Polc-Tanier, hustete keuchend und machte sich dabei an einem Verschluß zu schaffen. »Sehen wir uns diesen Fremden doch einmal an!« »Nicht!« keuchte Huccard entsetzt. »Er wird uns umbringen!« »Halten Sie den Mund!« befahl Garrason wütend und trat neben den Wissenschaftler. »Wenn das Biest dieses Geschrei noch eine Weile fortsetzt, ist dieses Versteck für uns wertlos. Vielleicht können wir es zum Schweigen bringen!« Die Tür sprang auf, und gleichzeitig schaltete sich eine helle Lampe ein. Jeder sah das Wesen, das auf zwei kurzen, schuppigen Beinen mitten im Raum stand. »Hilfe!« kreischte Huccard. »Ich will hier weg! Ein Ungeheuer!« Garrason wirbelte herum und schlug zu. Der Kampfagent sank mit einem leisen Seufzen auf den Boden. »Das hätten wir mit diesem Schreihals längst tun sollen«, murmelte Kelsh trocken. »Was um alles in der Welt ist das?« »Das ist Pucco!« sagte eine klare Stimme hinter den Männern. Kelsh und Garrason hatten die besten Reaktionen. Während die anderen noch damit beschäftigt waren, den Schock zu verdauen, rissen sie die Waffen hoch und warfen sich rechts und links von der Tür in Deckung. »Lassen Sie den Unsinn!« kicherte die klare Stimme amüsiert. »Pucco, tut niemandem etwas zuleide, und ich bin nicht einmal bewaffnet. Pucco, halte wenigstens für ein paar Sekunden den Schnabel! Sie, meine Freunde, sollten besser in den Salon kommen. Dort ist es viel leichter, sich zu unterhalten.« Kelsh und Garrason sahen sich verwirrt an, dann tippte Garrason sich vielsagend gegen die Stirn. Kelsh grinste zustimmend. Draußen stand ein Mädchen. Nein, nicht einfach irgendein Mädchen, sondern eine Erscheinung, wie man sie vielleicht in einem
10
Marianne Sydow
glücklichen Traum treffen kann. Es schien geradezu unvorstellbar, daß dieses Geschöpf aus Fleisch und Blut bestand. Dann tauchte hinter dem Mädchen ein Mann auf. Ein großer, muskulöser Arkonide, dessen Körper von Kopf bis Fuß bemalt war. Er war das komplette Gegenteil dieser fremden Schönheit. »Wir haben Besuch?« fragte er barsch. »Wer sind diese Männer, Darracia?« »Sie werden es uns sicher noch verraten«, lächelte das Mädchen freundlich. »Ich glaube, sie brauchen Hilfe. Ich fand sie, als sie sich über Pucco wunderten – sie kennen ihn ja nicht und dachten, sie müßten vor ihm Angst haben.« Der Bemalte musterte die vier Arkoniden kurz. Huccard bedachte er mit einem besonders düsteren Blick. Garrason und Kelsh hatten die Waffen gesenkt, denn sie wußten, daß ihr Weg hier endete, falls die beiden Fremden ihnen nicht halfen – und wenn sie es nur dadurch taten, daß sie der Gruppe für ein paar Stunden Unterschlupf boten. Endlich nickte der Bemalte finster. »Es ist gut«, sagte er. »Ihr könnt bleiben, bis die Gefahr vorüber ist. Die Polizei sucht euch also. Nun, sie wird nichts finden. Darracia, bringe unsere Gäste in das Versteck. Wir werden in Kürze noch mehr Besuch bekommen.« Sie wunderten sich allmählich über gar nichts mehr. Garrason und Fretnorc packten Huccard an Armen und Beinen und schleppten ihn mit sich. Darracia winkte, und das hauchzarte, weiße Gewand blähte sich unter einem schwachen Luftzug. In der Wand hinter dem vogelähnlichen Schimpfwunder öffnete sich eine schmale Tür. Dahinter lag ein enger Raum, in dem die fünf Männer gerade Platz hatten. »Es dauert nicht lange«, flüsterte das Mädchen und schloß die Tür hinter ihren.
2. »Sie sind weg«, verkündete Darracia fröhlich.
Mit gemischten Gefühlen krochen die Männer aus dem engen Raum. Huccard war inzwischen erwacht, und Garrason hatte ihm mit einer unmißverständlichen Geste zu verstehen gegeben, daß er den Mund halten sollte. Der Salon war der größte Raum des Wohnwagens. Die Einrichtung war nicht unbedingt luxuriös, aber es war ein Zimmer, in dem man sich sofort wohl fühlte. An den Wänden zogen sich breite, mit Fellen und bunten Kissen bedeckte Bänke entlang. Überall gab es winzige Tische, manche aus kostbaren Hölzern, andere aus geschliffenen Steinen, die meisten einfach geformt und ohne ausladenden Schmuck. Scheinbar wahllos verteilt standen auf diesen Tischen Schalen mit Blumen darin, Teller mit Früchten, Gläser und Becher aus allen denkbaren Materialien, dazu Flaschen und Krüge mit Getränken. Eine Wand wurde fast völlig von einer überaus plastischen Aufnahme bedeckt. Die Illusion, am Rand einer Klippe zu sitzen, die in ein blaugrünes Meer hineinragte, war beinahe perfekt. »Machen Sie es sich bequem«, sagte Darracia und wartete, bis ihre Gäste sich einen Platz gesucht hatten. »Wer sind Sie?« fragte Garrason, der mit angespannten Sinnen dasaß. Die Situation erschien ihm unwirklich. »Meinen Namen kennen Sie«, sagte das Mädchen. »Ich bin Darracia, die Tochter des Großen Conquetest. Wir geben hier ein Gastspiel – Sie wissen ja, daß in Kürze die KAYMUURTES beginnen. Solche Feste sind für uns immer wichtig.« »Gaukler, also«, murmelte, Huccard. Darracia richtete sich auf und funkelte den Kampfagenten böse an. »Nehmen Sie den Kerl bloß nicht für voll!« mischte Kelsh sich hastig ein. »Er hat eine fatale Begabung dafür, ständig unpassende Sachen zu sagen. Ihm verdanken wir das ganze Unglück. Huccard, wenn Sie noch einen Ton sagen, verfüttere ich Sie eigenhändig an den Vogel!« »Wo ist Ihr Vater jetzt?« wollte Garrason
Treffpunkt der Gaukler wissen. »Er zieht sich um. Nach so einer Vorstellung ist er immer ziemlich erschöpft. Er fühlt sich erst wohl, wenn er sich ein bißchen verändert hat. Erzählen Sie mir etwas über sich. Warum sind Sie in Schwierigkeiten?« Huccard machte den Mund auf, um einen seiner üblichen Vorträge vom Stapel zu lassen, aber ein Blick von Garrason genügte, um ihn zum Schweigen zu bringen. Seit dem Vorfall im Büro der SCC war Huccards Ansehen bei den vier Arkoniden auf den Nullpunkt gesunken. Er berichtete kurz über die bisherigen Ereignisse, wobei er sich hütete, der Wahrheit zu nahe zu kommen. Darracia nickte ein paarmal. Als Garrason schwieg, stand sie auf und füllte ein paar Becher mit einem würzig duftenden, braunen Getränk. »Da sitzen Sie aber schön in der Falle«, sagte sie nüchtern, während sie die Becher herumreichte. »Die SCC ist sehr mächtig auf diesem Planeten. Die drei Kampfagenturen beherrschen so kurz vor den Spielen alles auf Venco-Nar. Und die Zugänge zur Stadt werden kontrolliert, wie Sie ja schon vermutet hatten. Selbst wenn Sie unerkannt in das Gebiet der Kuppeln gelangen, haben Sie noch lange nicht gewonnen. Auf allen Funkstationen wird man Sie erkennen. Sie müßten sich nicht nur maskieren, sondern sich auch unverfängliche IdKarten beschaffen. Sie wissen selbst, wie schwer das ist.« Die Männer schwiegen. »Sie sind nicht ordnungsgemäß eingereist«, fuhr Darracia nach einer kurzen Pause fort. »Das ist die größte Schwierigkeit. Bei den KAYMUURTES trifft man regelmäßig sehr hochstehende Personen an, besonders in Kemjack, wo sich die meisten Teilnehmer der geschlossenen Spiele einquartieren. Man geht kein Risiko ein. Für einen Attentäter wäre Kemjack ein wahrer Alptraum. Es wimmelt nur so von Sicherheitsbeamten.« »Die Unterhaltung ist also schon im Gange!« ertönte eine polternde Stimme von der
11 Tür her. Das Mädchen drehte sich um und lächelte ihren Vater an. Der Große Conquetest hatte einen Teil der Bemalung aus seinem Gesicht entfernt, und statt des Lendenschurzes trug er eine normale Kombination. Er mochte um die fünfzig Jahre alt sein, ein großer, kräftiger Arkonide, dessen Gesicht auch jetzt sehr finster wirkte. »Wir schulden Ihnen viel, wahrscheinlich sogar unser Leben«, sagte Fretnorc im Namen aller. Conquetest winkte ab. »Ich liebe die Polizei nicht gerade. Besonders die von Venco-Nar ist mir unsympathisch. Was haben Sie nun vor?« Garrason setzte zum Sprechen an, aber der Arkonide unterbrach ihn sofort. »Sie brauchen mir nichts zu erklären«, sagte er barsch. »Ich kenne Ihre Geschichte inzwischen. Viel kann ich leider nicht für Sie tun, aber ich werde Ihnen helfen, so gut es geht. Wir reisen morgen ab, und zwar fahren wir in die Ebene zwischen Kemjack und Quutan-Cohr. Dort befindet sich die Arena für die offenen KAYMUURTES. Ich denke, wir werden gute Geschäfte machen. In Kemjack wird es einen kurzen Aufenthalt geben, denn ich muß ein paar Dinge dort erledigen.« »Könnten Sie uns in die Stadt bringen?« fragte Garrason gespannt. Conquetest zuckte die Schultern. »Es kommt auf einen Versuch an«, murmelte er. »Wenn die Posten den Wagen nicht allzu gründlich kontrollieren, könnte es gutgehen. Aber in Kemjack selbst müssen Sie aufpassen.« »Ihre Tochter hat uns schon gewarnt«, lächelte Kelsh. Conquetest sah den Arkoniden scharf an, dann glitt sein Blick zu dem Mädchen hinüber. Endlich nickte er langsam. »Darracia ist ein gutes Mädchen«, murmelte er. »Sie kennt sich in solchen Dingen aus.« Irgendwie hatten die Männer das Gefühl, in der Stimme des Magiers eine versteckte
12 Drohung zu hören. Sekundenlang blieb es sehr still, dann schraken alle zusammen, denn jemand klopfte draußen gegen die Tür. »Wer kann das sein?« flüsterte Fretnorc. »Noch einmal Polizei?« Conquetest neigte den Kopf, als lausche er angestrengt. »Ein Mann, der meine Dienste in Anspruch nehmen will«, sagte er gedehnt. »Er weiß nichts von Ihnen. Darracia, bring unsere Gäste in einen anderen Raum und sorge dafür, daß der Fremde nichts von ihrer Anwesenheit bemerkt. Ich räume inzwischen diese Becher weg.« »Ich hatte es ganz vergessen«, sagte das Mädchen bedrückt. »Er wollte unbedingt mit dir reden. Was ist es? Ein gutes Geschäft?« »Ich weiß es noch nicht. Wir werden sehen. Geh jetzt!« Sie führte die fünf Männer zu einem kleinen Raum, in dem es ein halbes Dutzend enge Schlafnischen gab. Ein winziger Raum mit sanitären Anlagen schloß sich daran an. »Warten Sie hier«, sagte sie. »Ich bringe Ihnen etwas zu essen.« Kelsh hielt sie am Handgelenk fest, ehe sie durch die Tür verschwinden konnte. »Ihr Vater ist ein sehr merkwürdiger Mann«, sagte er leise. »Es kommt mir so vor, als wüßte er Dinge, die ihm eigentlich verborgen bleiben müßten. Er sieht nicht wie ein einfacher Gaukler aus.« Sie lächelte flüchtig. »Sie sollten sich darüber nicht den Kopf zerbrechen«, sagte sie leichthin. »Komisch«, murmelte Garrason, als das Mädchen fort war. »Irgend etwas stimmt hier nicht. Dieser Mann ist mir unheimlich, und das Mädchen …« »Laß sie aus dem Spiel!« knurrte Kelsh böse. Garrason grinste wissend. Kelsh konnte es nicht lassen. Schon gar nicht, wenn es um ein Mädchen wie Darracia ging. Sie brachte ihnen kurz darauf Brot, Früchte, kaltes Fleisch und einen großen Krug Wein. Der Fremde war immer noch im Salon und versuchte, Conquetest zu irgendei-
Marianne Sydow nem mysteriösen Unternehmen zu überreden. Es ging – soviel sie herausfanden – um Wasser. Conquetest bezeichnete sich als Wasserfinder – kein schlechter Köder auf einer Welt wie Venco-Nar, denn der größte Teil des Planeten war von Wüsten bedeckt. Trinkbares Wasser war kostbarer als Cholitt. Bevor er einschlief, bemerkte Garrason noch, daß Kelsh vorsichtig die Tür öffnete und nach draußen huschte. Er kehrte aber wenige Minuten später sichtlich enttäuscht zurück.
* Als sie am nächsten Tag erwachten, hatte sich draußen einiges verändert. Viele der großen Plastikkuppeln waren verschwunden, zwischen den noch stehenden Zelten arbeiteten Gruppen von abenteuerlich gekleideten Arkoniden. Einige der Wohnwagen befanden sich bereits auf dem Weg zur Stadt. »Es ist immer so«, sagte Darracia, die ihnen ein einfaches Frühstück brachte. »Solange die Spiele nicht unmittelbar bevorstehen, ist in der Nähe des Raumhafens das bessere Geschäft zu machen. Aber in den nächsten Tagen treffen auch die letzten Teilnehmer und Zuschauer ein, und dann konzentriert sich alles auf die großen Arenen. Wer es sich leisten kann, bricht jetzt schon auf. Später ist es schwer, einen günstigen Platz jenseits von Kemjack zu finden.« »Gefällt Ihnen dieses Leben eigentlich?« fragte Kelsh. »Immer nur herumziehen, von einem Planeten zum anderen – das muß doch ziemlich anstrengend sein.« »Ich bin in diesem Wagen aufgewachsen, und er ist meine Heimat. Ich glaube, ich könnte mich in einem festen Gebäude auf die Dauer gar nicht wohl fühlen.« »Wann brechen wir auf?« fragte Garrason. »In ein paar Minuten«, erwiderte Darracia. »Die Kuppel ist bereits verladen, und wir wollten Sie gerade wecken. In einer Stunde sind Sie in der Stadt – wenn alles gutgeht.«
Treffpunkt der Gaukler »Dann sind Sie uns endlich los«, murmelte Kelsh bitter. Garrason warf ihm einen wütenden Blick zu. Darracia stand hastig auf. »Sie müssen sich jetzt in das Versteck begeben«, sagte sie, und ihre Stimme hörte sich plötzlich anders an. »Verhalten Sie sich bitte absolut still, bis mein Vater oder ich Ihnen weitere Anweisungen geben. Der Raum ist abgesichert – mit normalen Mitteln wird man Sie nicht entdecken. Wenn natürlich ein Posten den Wagen persönlich durchsucht, wird es gefährlich. Dann müssen Sie sich auf Pucco verlassen. Er hat schon viele übereifrige Leute verjagt.« Es war Zufall, daß Garrason in diesem Augenblick zu Huccard hinübersah. Der Kampfagent hob den Kopf, und auf seinem zerknitterten Gesicht erschien ein wachsamer Ausdruck. Die kleinen, listigen Augen wurden plötzlich schmal, und Garrason hatte das unangenehme Gefühl, als wäre ihm bei der Einschätzung dieses Mannes ein schwerwiegender Fehler geworden. Huccard machte in diesem Moment den Eindruck, als wäre er alles andere als großmäulig und erfolglos. Aber dann ging Darracia ihnen voran, und die Schultern des Agenten knickten wieder nach vorne – Huccard schlich ängstlich an dem großen Vogelwesen vorbei, das den Agenten mißtrauisch beäugte. Garrason sah, wie sich die Pupillen in Puccos gelben Augen zusammenzogen, dann zuckte der Kopf nach vorne, und der scharfe, leicht gekrümmte Schnabel berührte Huccards linken Arm. »Pucco!« rief Darracia scharf. Huccard hatte sich mit einem Sprung in Sicherheit gebracht. Der Vogel gab ein schnarchendes, sehr abfällig klingendes Geräusch von sich. »Er kann Sie nicht leiden«, stellte das Mädchen gelassen fest. »Pucco, du solltest dich schämen. Diese Männer sind unsere Gäste. Benimm dich also anständig!« Pucco starrte Huccard böse an, ließ ihn aber an sich vorbei, ohne noch einmal nach ihm zu hacken.
13 ,Tiere und Kinder haben einen sechsten Sinn, sagt man oft', dachte Garrason alarmiert. ,Warum hat der Vogel es ausgerechnet auf Huccard abgesehen?' Ihn selbst beachtete Pucco kaum. Kelsh jedoch schien dem Vogel sogar sympathisch zu sein, denn als er an Pucco vorbeiging, rieb das merkwürdige Wesen kurz den Kopf an der Schulter des Arkoniden. Die anderen Männer wurden von Pucco total übersehen. Irgendwie hatte Garrason erwartet, daß Darracia einen Kommentar zum Verhalten dieses merkwürdigen Wesens liefern würde. Sie schwieg jedoch, vergewisserte sich, daß die Männer in der ihnen bereits bekannten Kammer Platz fanden und verschloß dann die Türen. Sie hörten, wie das Mädchen draußen mit dem Vogel sprach, aber Tür und Wände dämpften den Schall, und so war nur ein undeutliches Gemurmel zu vernehmen. Nervös warteten sie, merkten, daß der schwere Lastengleiter sich in Bewegung setzte und versuchten zu erraten, wo sie sich gerade befanden. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, als das Fahrzeug mit einem Ruck anhielt. Von draußen hörten sie Rufe und Befehle, jemand trampelte auf dem Dach des Wagens entlang, und Pucco schimpfte lauthals los. Es dauerte mindestens eine halbe Stunde, bis die Fahrt fortgesetzt wurde, und als der nächste Halt kam, erschien Darracia. »Wir haben es geschafft«, sagte sie leise. »Es war nicht ganz einfach. Eure Aktion hat allgemeinen Alarm ausgelöst.« »Sind draußen Wachposten zu sehen?« fragte Fretnorc besorgt. »Die ganze Stadt ist voll von ihnen«, erwiderte das Mädchen grimmig. »Kommt jetzt, mein Vater wartet auf euch.« Conquetest hatte einen langen, schmalen Tisch aus der Wand des Salons herausgeklappt, Spiegel, Farbtöpfe und ähnliche Hilfsmittel lagen bereit. »Viel ist es nicht«, knurrte er. »Aber es muß eben reichen. Seht zu, daß ihr schnell fertig werdet. Wir können uns keinen langen Aufenthalt leisten, sonst schöpfen die Kerle
14
Marianne Sydow
da draußen Verdacht.« Der einzige aus der Gruppe, der in der Kunst der Selbstverwandlung fast keine Erfahrungen hatte, war Polc-Tanier. Conquetest persönlich kümmerte sich um ihn. »Werdet ihr euch da draußen zurechtfinden?« fragte Darracia besorgt. »Ich kenne mich in Kemjack aus«, sagte Huccard hochnäsig. »Ich habe sogar ein Büro in der Stadt. Sie haben uns sehr geholfen, aber von hier an werde ich die Verantwortung übernehmen.« Conquetest bedachte den Agenten mit einem seltsamen Blick, und die anderen Arkoniden schwiegen betroffen. Huccard hatte es wieder einmal geschafft, sich nach besten Kräften daneben zu benehmen. Als sie den Wagen verließen, war Kelsh der letzte der Gruppe. Conquetest nutzte die Gelegenheit und legte dem Arkoniden die Hand auf, die Schütter. »Es geht mich nichts an«, murmelte er kaum hörbar. »Aber nehmt euch vor Huccard in acht. Seine Gedanken sind nicht eindeutig!« Kelsh drehte sich hastig um und starrte Conquetest aus geweiteten Augen an. »Seine Gedanken?« stotterte er verwirrt. »Soll das heißen, daß Sie …« »Sie müssen gehen«, sagte Conquetest. »Die anderen warten auf Sie.« Kelsh stolperte verwirrt nach draußen.
3. Der Wagen stand auf einem kleinen Platz, der von alten, engen Häusern umgeben war. Es war Vormittag, und die blaue Sonne Dubnayor ließ die Transparentkuppel über diesem Stadtteil unsichtbar werden. In den Straßen, die von dem Platz wegführten, drängten sich die Menschen. Ein unbeschreiblicher Lärm herrschte. Die Fassaden der Häuser waren mit riesigen Schildern und Plakaten bedeckt, bunte Girlanden aus künstlichen Blüten spannten sich über die Straßen, und in den Luftraum unter der Kuppel stachen lange Pfeiler. Manche davon tru-
gen Fahnen, Wappen und weitere Reklameschilder, andere stießen federleichte, bunte Blüten, Kugeln, Sterne und Flugapparate aus dünnem Plastikmaterial aus, die von einem leichten, künstlich erzeugten Wind über die Dächer getragen wurden, an Mauervorsprüngen und Erkern hängenblieben und sich in den windstillen Winkeln zwischen den Häusern zu riesigen Haufen sammelten. Die ganze Stadt war ein Wirbel von Farben und Geräuschen. Und das alles war nur ein schwacher Abglanz dessen, was die Dunkelheit mit sich brachte. Dann nämlich zuckten die Transparentkuppeln in ständig wechselnden Lichtmustern, und aus farbigem Licht bestehende Trugbilder bauten sich über den Dächern auf. Es war überraschend, daß es nirgends Abbildungen des Imperators gab. Orbanaschol hatte es abgelehnt, die Schirmherrschaft über die KAYMUURTES zu übernehmen, und das schien Grund genug für die Bürger Kemjacks zu sein, ihn einfach zu vergessen. Lediglich das Wahrzeichen der Sippe, ein Achteck, das eine Wasserfontäne umschloß, hing unter vielen anderen ähnlichen Schildern an einer halbzerfallenen Fassade und nahm sich dort ziemlich verloren aus. Huccard übernahm sofort die Führung, und da keiner der anderen sich in dieser Stadt auskannte, blieb ihnen vorerst gar nichts anderes übrig, als dem Kampfagenten zu folgen. Kemjack war die Hauptstadt von VencoNar und die einzige größere Stadt des Planeten überhaupt. Die Bewohner dieses riesigen, von den Kuppeln überspannten Gebäudekomplexes lebten fast ausschließlich von den KAYMUURTES, das ließ sich unschwer erkennen. Die Spiele selbst waren das größte Geschäft, aber auch in der dreijährigen Pause zog Kemjack zahlreiche Besucher an, die die Arenen besuchten und in den Projektionshallen der Archive die Aufzeichnungen der spannendsten Kämpfe ansahen, Kemjack war eine ungewöhnliche Stadt, denn hier war man gezwungen, möglichst viele Menschen auf engstem Raum
Treffpunkt der Gaukler unterzubringen. Die sonst übliche lockere Bebauung verbot sich damit von selbst, und Trichterhäuser gab es unter den Kuppeln nicht. Statt dessen herrschten rechteckige Bauten aller Größen vor. Die ursprünglich geplante, übersichtliche Bebauung war schon bald total untergegangen. Alles war überbaut und alles verändert worden, und das Ergebnis war ein wahres Labyrinth, in dem ein Uneingeweihter sich unmöglich zurechtfinden konnte. Huccard gehörte zu den Eingeweihten – wenigstens hier beging er kaum einen Fehler. Er lotste seine Schützlinge zielsicher durch das Gedränge und brachte sie in einen weniger belebten Teil der Stadt. Hier sah man die Kehrseite der Medaille. Die Straßen waren schmutzig, der Bodenbelag aufgerissen und holprig. Zwischen Abfallhaufen spielten verwahrloste Kinder, und aus den offenen Eingangstüren der Häuser drang muffiger Geruch. »Wohin wollen Sie eigentlich?« fragte Fretnorc nach einiger Zeit. »Zum Büro der GLORIOC. Dort können wir uns in Ruhe unser weiteres Vorgehen überlegen.« Fretnorc verzog das Gesicht und sah seine Freunde fragend an. Sie zuckten die Schultern. Auch ihnen war nicht recht klar, was ihnen ein Büro in dieser Umgebung nutzen sollte. Aber ohne Huccard würden sie sich noch schlechter zurechtfinden. Sie hatten sich mit diesem undurchsichtigen Mann eingelassen, nun mußten sie das Beste daraus machen. Die Wohnhäuser blieben zurück, und sie gelangten in einen Komplex von Lagerschuppen, der sie unangenehm an ihre Abenteuer im Hafengebiet erinnerte. Es ging um viele Ecken herum, dann standen sie vor der Zweigstelle der GLORIOC. Das »Büro« paßte zu Huccard. Es war genauso heruntergekommen wie der Agent selbst. An eine Lagerhalle hatte man einen Raum mit schiefen Wänden angesetzt. Die Buchstaben auf dem verwitterten Schild waren
15 kaum noch zu entziffern. Nachdem Huccard die knarrende Tür geöffnet hatte, sahen sie in einen schmutzigen Raum hinein, in dem ein paar Möbel standen. Sie sahen aus, als hätte Huccard sie aus einem Mülldepot geholt. Die Bezüge der altmodischen Sessel wurden durch Löcher und Schmutzflecken geziert, ein zerschrammter Arbeitstisch balancierte mühsam auf dreieinhalb Beinen, und dem mit alten Plakaten, Bündeln von vergilbten Folien und unordentlichen Stapeln von Broschüren vollgestopften Wandschrank fehlten die Türen. Daneben hing ein zersprungener Spiegel. »Endlich!« seufzte Huccard und ließ sich in den einzigen Sessel fallen, der halbwegs zuverlässig aussah. Er verschwand fast in einer Wolke von aufwirbelndem Staub und fuhr hustend in die Höhe. Die vier Arkoniden waren neben der Tür stehengeblieben und sahen sich angewidert um. »Es stinkt!« sagte Fretnorc. »Und das Dach hat Löcher«, setzte Kelsh hinzu. »Erstens ist das unwichtig!« sagte Huccard ärgerlich und wischte sich den Staub aus dem Gesicht. »Und zweitens kann ich Ihnen nun einmal kein so luxuriöses Büro bieten wie die Verbrecher, die mich ruiniert haben. Vor ein paar Jahren hätten Sie Mund und Augen aufgesperrt angesichts der erhabenen Schönheit meiner Unterkunft.« Niemand lachte, aber die Blicke der vier Männer drückten deutlich genug aus, was sie von Huccards Behauptung hielten. »Wir sollten uns beeilen«, murmelte Garrason schließlich. »Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit. Wo finden wir eine Funkstation?« »In Kemjack gibt es viele davon«, erwiderte Huccard prompt. »Die Schwierigkeit besteht nur darin, daß wir sie nicht benutzen können. Wenn wir Darbeck eine Nachricht übermitteln wollen, müssen wir uns eine List ausdenken. Und eine List funktioniert nur dann, wenn man die äußeren Umstände genau kennt.« »Jetzt fängt der auch noch an, uns beleh-
16
Marianne Sydow
rende Vorträge zu halten!« stöhnte Kelsh leise. »Die äußeren Umstände«, fuhr Huccard ungerührt fort, »lernen wir am besten dadurch kennen, daß wir uns unters Volk mischen und die Ohren aufsperren. Wir werden uns also trennen. Das ist auch aus Sicherheitsgründen zu empfehlen. In regelmäßigen Abständen treffen wir uns hier und vergleichen die Informationen, die wir erhalten haben. Sind Sie damit einverstanden?« »Sie haben nicht zufällig einen Hypersender in diesem Gerümpel versteckt?« fragte Garrason mißtrauisch. Huccard bedachte den ehemaligen Raumsoldaten mit einem verweisenden Blick. »Sie haben mir den Auftrag erteilt, mich um Darbeck zu kümmern«, sagte er hoheitsvoll. »Wenn ich einen Sender zur Verfügung hätte, dann würde ich mich nicht freiwillig mit zusätzlichen Problemen beladen. Für mich geht es schließlich um Geld – und um das Vergnügen, diesen verdammten Verbrechern zu zeigen, daß sie mich noch längst nicht erledigt haben.«
* Sie prägten sich den Weg zu Huccards »Büro« genau ein, bevor sie sich getrennt in die belebteren Teile der Stadt zurückbegaben. Mit Hilfe eines Stadtplans hatten sie das Gebiet unter den Kuppeln aufgeteilt. Garrason erreichte sein Ziel ziemlich schnell. Die Straße der tausend Freuden führte nahe an den Lagerhallen vorbei. Er hörte schon von weitem das Getöse, trat zwischen zwei dicht nebeneinander stehenden Häusern hindurch und befand sich eine Sekunde später am Ort des Geschehens. Es war ein Schritt in eine andere Welt. Langsam schlenderte er im Strom der Passanten an der endlosen Reihe von kleinen Läden, Trinkstuben, Garküchen und anderen Einrichtungen vorbei. Es gab auffallend viele Polizisten, aber Garrason fühlte sich einigermaßen sicher in seiner Maske. »Sind Sie fremd hier?« fragte eine Stim-
me hinter ihm. Garrason drehte sich um und entdeckte einen Jungen, der ihn neugierig anstarrte. Der Arkonide nickte vorsichtig. »Ich kann Ihnen alles zeigen, was Sie sehen möchten«, behauptete der Junge eifrig. »Und ich bin nicht teuer. Sie sind bestimmt gekommen, um sich die Spiele anzusehen, nicht wahr? Aber bis dahin ist noch eine Menge Zeit. In dieser Straße gibt es einfach alles. Darf ich Sie führen?« »Wie heißt du?« »Man nennt mich Shacca. Ich kenne mich hier gut aus, glauben Sie mir.« Garrason musterte den Jungen nachdenklich. Shacca war ungefähr dreizehn Jahre alt, auf keinen Fall mehr. Er trug eine ziemlich mitgenommene Kombination, die ihm zwei Nummern zu groß war, und er war schmutzig und ungepflegt. Aber die Augen, die unter dem wirren Haar hervorblickten, waren wachsam und flink. »Wieviel?« fragte er. »Zwei Chronners pro Tag.« Das war wirklich billig. »Einverstanden«, sagte Garrason. »Aber bevor wir uns ins Vergnügen stürzen, brauchen wir ein Bad. Also?« Shacca steuerte zielsicher durch das Gewühl zum Eingang eines grellbemalten Gebäudes. Er brachte Garrason bis in die Nähe der Badekabinen, dann wollte er sich verdrücken, aber der Arkonide erwischte ihn gerade noch am Kragen. »Deine Dreckkruste wirst du der Sache opfern müssen, mein Junge«, brummte er gutmütig und schob den widerstrebenden Jungen vor sich her. Shacca zeterte entsetzt, als Garrason ihn einer Automatik auslieferte. Shacca wurde von flinken Robotarmen von Kopf bis Fuß eingeseift und anschließend mit der doppelten Menge Wasser begossen, die er vermutlich je zuvor für die Körperpflege geopfert hatte. Blankgescheuert und blaß vor Entsetzen ließ er alles über sich ergehen. Garrason grinste anerkennend, als der Junge wieder zum Vorschein kam. »Jetzt die Haare!« kommandierte er.
Treffpunkt der Gaukler Shacca protestierte wild, aber der Arkonide blieb hart. »Einen Burschen, den ich nicht anzufassen wage, kann ich nicht gebrauchen«, erklärte er. Resignierend ließ Shacca es zu, daß ein Robot seine wilde Mähne kürzte und in eine Form brachte, die einer Frisur schon ziemlich nahekam. Gegen die billige Kombination, die Garrason anschließend für den kleinen Vagabunden erstand, hatte er nichts einzuwenden. Allerdings bestand er darauf, seine alten Kleidungsstücke zu behalten. Er deponierte sie im Zimmer eines Mädchens, das für einen Jungen in diesem Alter gewiß nicht der richtige Umgang war. Aber das ging Garrason nichts an, und er übersah auch den enttäuschten Blick der jungen Arkonidin, als sich herausstellte, daß Garrason kein »Kunde« war. »Ich will alles wissen, was mit den KAYMUURTES zusammenhängt«, sagte er, als sie wieder auf die Straße hinaustraten. »Nicht das übliche Geschwätz, sondern Informationen, verstehst du?« Shacca nickte und dachte nach. Dann lächelte er siegessicher. »Wir gehen in die Sieben Sterne von Khontak. Dort trifft man meistens ein paar hohe Tiere. Vielleicht sind sogar Kandidaten der Spiele dort. Auf jeden Fall werden Sie einiges erfahren.« Die »Sieben Sterne« erwiesen sich als ein ganzer Komplex von miteinander verbundenen Vergnügungsstätten, die ein ziemlich großes Gebäude vom Keller bis zum Boden ausfüllten. Im Erdgeschoß gab es eine Bar, deren Anblick jedem Gast klarmachen mußte, mit welchen Preisen er zu rechnen hatte. Hinter diesem beinahe kostbar eingerichteten Raum hatte man eine flache Halle angebaut – eine kleine Arena, in der es wild herging. »Zuerst wird gegessen!« bestimmte Garrason, und Shacca wandte sich sofort einer breiten Treppe zu, die direkt in ein Lokal führte, das zu dieser Tageszeit nur mäßig besetzt war. Sie suchten sich einen Tisch, und
17 Shacca klärte Garrason fachkundig darüber auf, welche von den zahlreichen Gerichten die Ausgabe lohnten. Während sie aßen, sperrte der ehemalige Raumsoldat die Ohren auf und schnappte tatsächlich zahlreiche Bemerkungen auf, die sich auf die KAYMUURTES bezogen. Er wunderte sich überhaupt nicht darüber, daß der Junge ganz selbstverständlich den schweren Wein trank, der zum Essen serviert wurde. Shacca war offenbar daran gewöhnt. Wenig später standen sie am Rand der Arena und sahen zwei Männern zu, die sich einen Kampf ohne Waffen lieferten. »Ich komme gleich wieder«, flüsterte Shacca und tauchte spurlos in der Masse der Schaulustigen unter. Garrason beobachtete die Kämpfer gelangweilt. Die beiden schienen nicht viel von der Sache zu verstehen. Besonders der Größere von ihnen setzte viele Griffe völlig falsch an und verlor immer mehr an Boden. »Das wäre es dann wohl«, kommentierte Garrasons Nachbar trocken, als einer der beiden Kontrahenten total erschöpft liegenblieb. »Er hatte keine Chance, dieser Narr.« »Worum ging es eigentlich?« »Nichts von Bedeutung«, grinste der Fremde. »Er wollte Beschwerde einlegen, weil er nicht für die Endkämpfe zugelassen wurde. Jemand hat ihn verspottet, und nun wollte er beweisen, was für ein schlaues Kerlchen er ist.« Garrason schwieg. »Wenn Sie mich fragen«, fuhr der Fremde ungerührt fort, »dann ist das alles nur noch Theater. Früher, da war es noch eine große Sache, in den Spielen anzutreten, aber heute. Paßt einem aufgeblasenen Adligen der Gegner nicht, den man für ihn ausgelost hat, marschiert er zu einem Kampfrichter und flüstert dem eine Reihe von Zahlen ins Ohr. Was passiert? Der Adlige von Arkon braucht sich seine Hände nicht an einem Kolonisten schmutzig zu machen, der ihm natürlich überlegen gewesen wäre, sondern man weist ihm einen blassen Jüngling zu, der noch nicht trocken hinter den Ohren ist.
18 Die Vorkämpfe hat unser sauberer Freund damit überstanden, und schon kennt alle Welt seinen Namen. Wer genug Geld hat, für den sind diese Spiele tatsächlich nur noch ein Spaß.« »Aber in den Endkämpfen geht es doch ehrlich zu, oder nicht?« fragte Garrason verblüfft. Der Fremde lachte meckernd. »Nur da, wo die Öffentlichkeit zusieht. Hinter den Kulissen werden die Siege höchstbietend verkauft.« »Das ist ja reizend«, murmelte Garrason erschüttert. »Sie sind fremd hier«, stellte der andere fest. »Wahrscheinlich schleppen Sie noch die ganzen Vorstellungen mit sich herum, die man der Öffentlichkeit gegenüber mit großer Gewissenhaftigkeit pflegt. Alles Illusionen, mein Freund.« Garrason merkte, daß sein Gesprächspartner nicht mehr ganz nüchtern war. »Aber wenn einer wirklich kämpfen kann …«, sagte er vorsichtig. »Das ist dann Pech«, griff der andere den Faden prompt auf. »So etwas kommt immer vor, und es ist für mich der einzige Grund, den ganzen Kram noch zu beachten. Diesmal ist auch so einer dabei, in der geschlossenen Kategorie. Ein Mondträger, Tepmest von Walkron. Die Familie war einmal sehr reich, aber der Bursche spielt zu gerne. Alle Welt weiß, daß er bis zum Hals in Schulden steckt. Immerhin kann er kämpfen, und darum hat er sich für die KAYMUURTES gemeldet. Ich weiß nicht, wie weit er kommen wird, aber die Tatsache, daß er sich für die Endkämpfe qualifiziert hat, spricht für sich. Er konnte keine Bestechungsgelder zahlen, das steht fest. Es wäre für diesen korrupten Haufen natürlich ein Schock, wenn ausgerechnet Walkron zum Schluß als Sieger dasteht.« Der Fremde wollte sich ausschütten vor Lachen. Garrason begriff noch nicht ganz, wo der Witz bei dieser Geschichte lag, aber ihm dämmerte die Erkenntnis, daß er tatsächlich wenig von dem wußte, was sich
Marianne Sydow hinter der Fassade der Spiele alles tat. »Ist es in allen Kategorien so?« fragte er. »Nun, in der geschlossenen ist es natürlich am schlimmsten, da steht ja der Ruf bedeutender Familien auf dem Spiel. Eine Niederlage können die sich nicht leisten. Was meinen Sie, wie der Sieger heißen würde, wenn irgendein Angehöriger unseres treusorgenden Imperators sich gemeldet hätte.« Garrason versteifte sich innerlich. Das Gespräch nahm eine gefährliche Wende. Er wußte zu gut, daß solche Reden in aller Öffentlichkeit gefährlich waren. Der Fremde redete ungerührt weiter. »Die offenen Spiele sind schon ehrlicher. Nicht viel, aber immerhin etwas. Die einzige Kategorie, in der es tatsächlich keine Schiebung gibt, sind die Amnestie-KAYMUURTES.« »Die finde ich sowieso am interessantesten«, behauptete Garrason. »Man weiß nie, was in den Männern steckt, die dort antreten.« »Ganz so schlimm ist es normalerweise nicht«, murmelte der Fremde nachdenklich. »Aber diesmal wird es tatsächlich ein ungewisses Spiel.« »Wieso?« »Wußten Sie es noch nicht? Sehen Sie, sonst hat man die Kandidaten zuerst nach Pejolc gebracht. Sie wurden in Ulfwahr betreut, bis die Kämpfe begannen. Naja, die Wächter, die sich um die armen Kerle kümmern müssen, wollen ja auch etwas verdienen, und darum verkauften sie ihre Tips an die schwarzen Wettbüros. Aber diesmal hat man es anders geregelt. Die Teilnehmer für die Amnestie-KAYMUURTES können sich Zeit lassen. Sie brauchen erst bei Beginn der Kämpfe auf dem Planeten Hire einzutreffen.« Garrason war geistesgegenwärtig genug, um sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Wieder etwas, was Atlan unbedingt erfahren sollte. »Haben Sie schon eine Wette abgeschlossen?« fragte der Fremde.
Treffpunkt der Gaukler In der Arena erschienen zwei Arkoniden, die sich mit Wurfschlingen und dicken Knüppeln bewaffnet hatten. »Nein«, murmelte Garrason geistesabwesend. »Ich könnte Ihnen einen guten Tip geben.« Jemand zog an Garrasons rechtem Arm. Es war Shacca. »Achtung!« sagte er leise. Garrason nickte kaum merklich und lächelte den Fremden an. »Das ist eine gute Idee. Aber wissen Sie was? Ich habe schrecklichen Durst. Wenn Sie mir diesen Platz freihalten, hole ich uns etwas aus der Bar. Einverstanden?« Der Fremde nickte hocherfreut, und Garrason ließ sich von dem Jungen davonziehen. Sie gingen nicht in die Bar. Statt dessen führte Shacca den Mann eilig zu einem Seitenausgang in der Außenwand der Arena. »Was soll das?« fragte Garrason verblüfft, als sie in einer engen, schmutzigen Gasse standen. »Ruhig!« warnte Shacca leise. »Kommen Sie. Sie sollten mir jetzt besser vertrauen.« Eine Alarmsirene schrillte jenseits der Mauern los. Garrason erschrak. Hatte er jemandem einen Grund zum Verdacht gegeben? Hatte man ihn trotz der Maske erkannt? Verwirrt folgte er der kleinen Gestalt, die sich zwischen den Mauern hindurchschlängelte. Es ging durch einige Höfe und Gassen, dann eine Treppe hinauf. Shacca klopfte gegen eine Tür und zog Garrason hinter sich her in einen fensterlosen, spärlich beleuchteten Raum. »Schon wieder Ärger, Shacca?« Garrason wirbelte herum und sah verwirrt das Mädchen an, das aus einem anderen Zimmer kam. Die Arkonidin war noch sehr jung, und das schleierähnliche Gewand, in das sie sich gehüllt hatte, verbarg absolut nichts. »Nichts Besonderes«, antwortete Shacca, der die mangelhafte Bekleidung des Mäd-
19 chens gar nicht zur Kenntnis nahm. »Er bezahlt mich, und da war es doch meine Pflicht, ihn in Sicherheit zu bringen, nicht wahr?« »Natürlich«, erwiderte das Mädchen spöttisch. »Allerdings könnte dein Pflichtgefühl dich bei Gelegenheit auch darauf aufmerksam machen, daß es geschäftsschädigend ist, wenn du bei jeder Gelegenheit hier hereinplatzt.« »Er hat Geld«, konterte Shacca schlagfertig. »Und sicher wird es ihm ein Vergnügen sein, dir eine Entschädigung zu zahlen.« »Und was für ein Vergnügen«, murmelte Garrason mißmutig. »Darf ich erfahren, worum es überhaupt geht?« Shacca grinste, trat näher und steckte die Hand in Garrasons Jackentasche. »He!« rief der Arkonide alarmiert. »Keine Angst, ich bestehle Sie nicht. Das wäre gegen die Regeln. Sehen Sie sich das an!« »Eine IdKarte«, sagte Garrason. »Falsch«, lächelte Shacca. »Es handelt sich um einen Ausweis, der Sie als Berichterstatter von einem Kolonialplaneten bestätigt. Der Fremde hat Ihnen das Ding in die Tasche gesteckt. Es ist ein alter Trick. Er hat Ihnen doch erzählt, welche unsauberen Methoden bei den KAYMUURTES auftauchen, oder nicht?« »Woher weißt du das?« fragte Garrason scharf. Der Junge wurde ihm allmählich unheimlich. Für sein Alter war er erstaunlich gut informiert. »Ich habe aufgepaßt«, sagte Shacca sehr ruhig. »Dafür werde ich schließlich bezahlt.« »So. Dann weißt du sicher auch, was das Ganze bedeuten soll. Was hat der Fremde davon, mir diesen Ausweis zuzuspielen?« »Nichts, nachdem der Trick mißlungen ist.« Garrason betrachtete den Jungen düster. Shacca gab den Blick gelassen zurück. Der Mann zerbrach sich den Kopf darüber, warum ein Fremder sich solche Mühe gab, ihn hereinzulegen. Wenn die Polizei ihn erwischt hätte …
20 »Der Fremde hätte ausgesagt, daß Sie sich abfällig über die Spiele geäußert haben. Außerdem hätte er Ihnen einige beleidigende Bemerkungen über den Imperator angehängt. Alles zusammen reicht aus, um einen Mann für etliche Wochen ins Gefängnis zu bringen. Bis man Sie einem Hypnoverhör unterziehen und damit rehabilitieren könnte, wären die KAYMUURTES längst vorbei.« »Und?« Shacca zuckte die Schultern. »Eine private Intrige vielleicht. Oder es ist Geld im Spiel. Die Kolonie, die Sie angeblich vertreten, wäre von den Spielen ausgeschlossen worden. Darin ist das Komitee außerordentlich gründlich.« Garrason verstand allmählich. Mit solchen schmutzigen Tricks ließen sich nicht nur unbequeme Leute ausschalten, sondern man konnte einen ganzen Planeten ruinieren. Ein öffentlicher Ausschluß war ein Skandal, dessen Auswirkungen sich nicht absehen ließen. Gleich darauf kam ihm eine andere Idee. Er besaß eine IdKarte, die hier in Kemjack trotz allem einigen Wert besitzen mochte. Berichterstatter hatten Zugang zu den Funkstationen. Natürlich war es ein Risiko. Er fragte Shacco danach. »Die Berechtigung dürfte inzwischen gelöscht worden sein«, behauptete der Junge seelenruhig. »Wenn Sie sich mit dieser Karte ausweisen wollen, sitzen Sie sofort in der Falle.« »Ein wirklich reizender Planet«, murmelte Garrason Shacca lachte, und das Mädchen amüsierte sich offensichtlich ebenfalls über diesen Fremden, der so wenig von den Verhältnissen in dieser Stadt wußte. Immerhin – die Idee mit dem Berichterstatter war nicht schlecht. Außerdem hatte er sich einen Namen gemerkt. Tepmest von Walkron. Der Mann hatte Schulden – falls der Fremde ihm kein Märchen erzählt hatte. Vielleicht ließ sich dieser Umstand irgendwie nutzbringend auswerten. Und der Junge kannte sich hervorragend aus, vielleicht besser als Huccard, den Garrason von Anfang
Marianne Sydow an nicht hatte leiden können. Es erhob sich die Frage, wie zuverlässig Shacca war. Garrason war über den Punkt hinaus, an dem er in dem Jungen lediglich ein verwahrlostes Kind gesehen hatte, das jede Gelegenheit nutzte, ein bißchen Geld zu verdienen. »Du könntest mir einen Gefallen tun«, sagte Garrason gedehnt. »Wieviel?« fragte Shacca prompt. »Das kommt auf dich an.« Garrason warf einen Blick in die Richtung, in der das Mädchen neben einer Tür lehnte. »Sie ist meine Schwester«, sagte Shacca beruhigend. »Sie können sich auf sie verlassen.« Garrason verzichtete darauf, einen Kommentar zu diesen Familienverhältnissen abzugeben. »Ich brauche ein paar Informationen«, sagte er vorsichtig. »Wenn du sie mir besorgst, werde ich gut bezahlen. Hundert Chronners – wenn alles seine Ordnung hat.« Shaccas Schwester schnappte hörbar nach Luft. Der Junge selbst musterte Garrason mißtrauisch. »Was ist der Haken dabei?« fragte er. »So viel Geld zahlt man nicht ohne Grund.« »Natürlich nicht. Für mich ist es sehr wichtig – und auch für ein paar andere Leute. Wenn ich selbst herumlaufe und Fragen stelle, könnte das böse Folgen haben. Du hast ja selbst gesehen, wie leicht man mich als einen Fremden hereinlegen kann.« »Shacca hat es nicht nötig, sich in Gefahr zu begeben«, mischte sich das Mädchen plötzlich ein. »Auch nicht für hundert Chronners. Außerdem – wer sagt uns, daß wir Ihnen trauen können?« »Sei still!« fauchte Shacca. »Ich kann selbst entscheiden, ob die Sache zu gefährlich für mich wird. Was wollen Sie wissen?« »Alles über einen Mann namens Tepmest von Walkron. Er ist Teilnehmer der geschlossenen KAYMUURTES, hat die Endkämpfe bereits erreicht und soll angeblich eine Menge Schulden gemacht haben. Dann
Treffpunkt der Gaukler brauche ich Informationen darüber, wo sich die Berichterstatter von den Kolonien einigermaßen häufig treffen. Vielleicht erfährst du über einen von ihnen ein paar Einzelheiten – Schwierigkeiten mit dem Gesetz oder etwas in der Art. Das würde dir eine Sonderprämie einbringen. Und schließlich möchte ich wissen, wo in diesem Stadtteil eine Hyperfunkstation steht und wie es dort mit der Überwachung aussieht.« Shacca schwieg eine Weile und dachte angestrengt nach. »Gut«, sagte er dann. »Sie haben recht. Alleine finde ich mehr heraus, als wenn Sie mich begleiten. Auf mich achtet man weniger. Wieviel Zeit habe ich?« »Wir treffen uns einmal am Tag, und dann berichtest du mir, was du herausgefunden hast.« »Laß die Finger davon!« warnte das Mädchen noch einmal, aber Shacca winkte wütend ab. »Wo?« fragte er knapp. Garrason entschied sich für ein kleines Lokal. Ein paar Schritte davon entfernt hatte er den Jungen zum erstenmal gesehen. Shacca war einverstanden. »Paß gut auf dich auf«, warnte Garrason, bevor er ging. »Wenn du merkst, daß es gefährlich wird, dann gib es auf, hörst du?« Der Junge nickte gleichmütig, und Garrason kehrte auf einigen Umwegen auf die Straße der tausend Freuden zurück. Er begnügte sich damit, in einem der zahlreichen Straßenlokale harmlose Getränke zu schlürfen und dabei die Unterhaltungen der anderen Gäste zu verfolgen. Gegen Mitternacht machte er sich auf den Weg zu Huccards Büro.
4. Die anderen hatten weniger Glück gehabt. Fretnorc war sogar in eine Schlägerei verwickelt worden und humpelte. Kelsh hatte versucht, ein Mädchen auszuhorchen und war dabei bestohlen worden – ein Grund für die anderen, die entsprechenden Witze zu
21 reißen. Polc-Tanier hatte immerhin ebenfalls erfahren, daß die Teilnehmer der AmnestieKAYMUURTES erst zum Spielbeginn nach Hire gebracht werden brauchten, und Huccard hatte außer angeberischem Geschwätz gar keine Neuigkeiten zu bieten – Garrason hegte sogar den Verdacht, daß der Agent sich einfach einen schönen Tag gemacht hatte. Die Nacht verbrachten sie auf schnell improvisierten Lagern im Büro der GLORIOC. Das hatte den Vorteil, daß sie Geld sparten. Außerdem stellte sich heraus, daß im Büro trotz einiger Unzulänglichkeiten für alles gesorgt war. Es gab eine Duschkabine in einem winzigen Nebenraum und sogar eine Automat-Küche, die allerdings nur ein begrenztes Programm lieferte. Delikatessen waren im Service nicht enthalten. Am Morgen kehrten außer Fretnorc alle zu ihrer Arbeit zurück. Fretnorc humpelte immer noch und schied damit zumindest für diesen Tag aus. Der Tag verlief vergleichsweise ereignislos. Der Trubel in der Stadt nahm allmählich groteske Formen an. Obwohl die Straßen ohnehin mit provisorischen Verkaufsständen, Straßenlokalen und ähnlichen Einrichtungen so vollgestopft waren, daß selbst die Fußgänger nur mühsam vorankamen, schossen an jedem freien Fleck neue Buden aus dem Boden. Schausteller trafen ein, Artisten zeigten auf offener Straße für ein paar Skalitos ihre Kunststücke, und überall traten Musikanten auf. Die Zahl der Kampfarenen stieg ins Unermeßliche. Kellerräume, Höfe und Speicher wurden in Windeseile in provisorische Kampfstätten umgewandelt. Ganz Kemjack schien einem Fiebertaumel verfallen zu sein. Garrason wanderte an diesem Tag wie betäubt durch seinen Bezirk, denn seine Aufnahmefähigkeit war bald überschritten. Der Arkonide wurde von allen möglichen Leuten angesprochen, aber er ließ sich auf nichts ein. Mädchen, Buchmacher, geschäftstüchtige Verkäufer aller Arten von Waren hatten an diesem Tag bei ihm kein
22 Glück. Die Angebote reichten von Juwelen bis zu kleineren Raumschiffen, die angeblich umständehalber für einen Pappenstiel zu haben waren. In Kemjack gab es in diesen Tagen alles – sogar junge Sklavinnen. Dem Mann, der ihm mit einem schmierigen Grinsen dieses Angebot unterbreitete, hätte Garrason beinahe den Hals umgedreht, aber im nächsten Augenblick wurde er durch ein wild trampelndes Etwas von dem Händler weggedrängt. Ein blauschuppiges Tier, auf dessen Rücken ein blauhäutiger Mann balancierte, bahnte sich einen Weg durch die Menge. Es zog einen Prunkwagen, hinter dessen reichverzierten Fenstern die arroganten Gesichter einiger vornehmer Arkoniden zu erkennen waren. Der Wagen erhielt ein Geleit, das sich aus tausendfältigen Flüchen zusammensetzte, denn sowohl das geschuppte Zugtier als auch der Karren selbst rammte in höchst rücksichtsloser Manier Verkaufsstände und Passanten. Garrason gelang es, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen und stand unversehens mitten auf einem kleinen Platz, der von aufgeregten Leuten umringt wurde. Er entdeckte einen halbnackten Mann, der in der einen Hand einen Schild und in der anderen eine Lanze trug, und hüpfte entsetzt über die Absperrung zurück. Das Publikum fühlte sich geprellt und gab seiner Meinung über dieses feige Verhalten lautstark Ausdruck. Garrason schlich wie ein geprügelter Hand von dannen und sank in einiger Entfernung ziemlich entnervt auf eine Treppenstufe. Er kam zu dem Schluß, daß es schierer Wahnsinn wäre, sich diesen vielfältigen Gefahren auszusetzen, fand einen Durchgang zu den hinter den Häusern liegenden Höfen und verwahrlosten Gärten und schlug sich in Richtung auf den mit Shacca vereinbarten Treffpunkt durch. Dabei stolperte er über ein Pärchen, das sich im hohen Gras verborgen hatte. Die Verwünschungen des Mannes hallten noch in seinen Ohren nach, als er die Kneipe erreichte. Wenigstens hier schien es einigermaßen
Marianne Sydow ruhig und vernünftig zuzugehen. Der Raum war zwar überfüllt, und die Luft hätte man zu Blöcken schneiden können, aber von solchen Kleinigkeiten ließ Garrason sich mittlerweile nicht mehr stören. Er drängte sich bis zum Schanktisch vor und verlangte ein belebendes Getränk. Das Mädchen hinter der Theke verlangte das Dreifaches des üblichen Preises. Garrason warf einen Blick in die Runde. Finstere Gesichter starrten ihn an. Seufzend warf er sechs Merkons auf den Tisch – dafür hätte er unter normalen Umständen eine ganze Mahlzeit erhalten. Er fragte sich, ob es in Kemjack zur Zeit irgendeinen Ort gäbe, der nicht einer Räuberhöhle gleichkam. Jemand zupfte ihn am Ärmel, und als er sich umdrehte, stand Shaccas Schwester vor ihm. Er kannte ihren Namen nicht, aber man schien in dieser Kneipe an sie gewöhnt zu sein. Das Mädchen forderte ihn mit einer Handbewegung auf, ihr zu folgen – eine akustische Verständigung war in diesem Lärmabsolut unmöglich. »Wo ist Shacca?« fragte er, als sie jenseits der Tür angelangt waren. Er erhielt keine Antwort und sah sich um. Das Mädchen war spurlos verschwanden. Garrason stieß einen Fluch aus und überlegte verwirrt, was das nun wieder bedeuten sollte. Er wollte gerade in die Kneipe zurückkehren, da tauchte ein paar Schritte von ihm entfernt eine zerlumpte Gestalt aus der Menge auf. Er stutzte, denn dieser kleine Bursche kam ihm bekannt vor. »Pst!« machte Shacca, zog den Arkoniden am Ärmel in den Strom der Passanten und führte ihn in verzwicktem Zickzackkurs an eine Stelle, die Garrason wiedererkannte. Er folgte dem Jungen die schmutzige Treppe hinauf. »Was …«, begann er, aber Shacca legte hastig den Finger über die Lippen. Der Junge preßte das rechte Ohr an die Tür und lauschte eine Weile, dann erst war er bereit, sich mit seinem Auftraggeber zu beschäftigen. »Du hast dich verkleidet«, stellte Garra-
Treffpunkt der Gaukler son mit gerunzelter Stirn fest. »Warum?« »Dieser Walkron ist ein begehrter Mann«, grinste Shacca, während er die zerrissene Jacke auszog und eine Perücke abstreifte. »Seine Gläubiger bewachen ihn wie ein Juwel. Er muß wirklich gewaltige Schulden gemacht haben. Hier, das habe ich einem seiner Begleiter gestohlen.« Garrason nahm einen abgegriffenen Zettel entgegen. Ein Schuldschein mit einem vertrauten Siegel. Wer sich mit Geldgebern wie Tushan einließ, dem mußte in der Tat das Wasser bis zum Hals stehen. Tushan war für Garrason kein Unbekannter. Der Kommandant, unter dem er einige Zeit gedient hatte, war ein Anhänger bestimmter Spiele, und nachdem er längere Zeit hindurch trotz einer anhaltenden Pechsträhne hohe Wetten abgeschlossen und natürlich verloren hatte, war es soweit: Seine Gläubiger verzichteten auf ihr Geld und schickten statt dessen einen gutbezahlten Mörder los. Der Kommandant griff nach dem letzten Strohhalm, der sich anbot. Tushan verlangte niemals weniger als achtzig Prozent Zinsen, und er hatte sehr spezielle Methoden, um Verluste auszugleichen. Als die Zahlungsunfähigkeit des Kommandanten endgültig feststand, zog dieser es vor, seinem Leben freiwillig ein Ende zu setzen. Der Tod war immer noch angenehmer als das, was ihn bei Tushan erwartet hätte. Dieser Schuldschein hatte die Brisanz einer Bombe, und Garrason wunderte sich nicht länger darüber, daß Shacca sich bis zur Unkenntlichkeit verkleidet hatte. Er fand es allerdings erstaunlich, daß dieses Kind die Zusammenhänge überhaupt erkannte. Shacca beobachtete den Arkoniden völlig ungerührt. »Walkron ist leicht zu finden«, berichtete er dann. »Er hat das kleine Haus neben der Nordschleuse gemietet. Seine Begleiter haben die Nebengebäude bezogen. Es wird nicht leicht sein, diesen Mann unbemerkt zu besuchen.« Garrason schwieg. Er wußte noch nicht, was er mit diesen Informationen anfangen
23 sollte. Vielleicht war Walkron doch nicht der Richtige. Shacca brachte einen weiteren Zettel zum Vorschein, auf den er in groben Umrissen einen Plan dieser Stadt gezeichnet hatte. Einige Stellen waren genauer markiert, und Garrason nickte zufrieden. Die Hyperfunkstation war kaum zu verfehlen, und ein halbes Dutzend Kreise kennzeichneten die Stellen, an denen regelmäßig offizielle Vertreter verschiedener Kolonien anzutreffen waren. Was Shacca sonst zu berichten hatte, war weniger erfreulich. Die Funkstation unterlag einer lückenlosen Bewachung, Privatpersonen hätten keinen Zutritt, und jede Botschaft wurde genau überprüft – von einer Positronik, die auch den ausgefallensten Kode erkennen mußte. Zudem waren die Preise in astronomische Höhen gestiegen, und die Vermittlungsstellen hatte man geschlossen. Die Sicherheitsvorkehrungen erschienen Garrason völlig übertrieben, aber leider konnte er mit dieser Meinung die Realität nicht ändern. Hohe Offiziere, Politiker und ähnliche Leute hatten selbstverständlich die Möglichkeit, Verbindung mit Arkon oder anderen Planeten aufzunehmen. Über Tepmest von Walkron hatte Shacca viel gehört. Er war der letzte Sproß einer adligen Familie, die einst über beträchtlichen Einfluß verfügte. Falls die Seelen seiner Vorfahren eine Möglichkeit hatten, Tepmest zu beobachten, so war das ganz sicher kein Vergnügen für sie. Der Bursche schien es geradezu darauf anzulegen, Skandale zu liefern und die adligen Kreise des Imperiums in Verruf zu bringen. Seine zügellose Lebensweise hätte fast dazu geführt, daß man ihm die Teilnahme an den KAYMUURTES verweigerte. Die Spiele waren Walkrons letzte Hoffnung, nachdem seine Gläubiger einen Selbstmordversuch vereitelt hatten. Selbst jetzt konnte Tepmest sich nicht mit dem Gedanken abfinden, auf irgend etwas zu verzichten, um seine Lage nicht noch zu verschlechtern. In seinem Haus gingen die teuersten Mädchen ein und aus, und die Lieferanten für Wein und Delikatessen wankten
24
Marianne Sydow
mit glasigen Blicken aus dem kleinen Haus an der Nordschleuse. Draußen berichteten sie jedem, der es hören wollte, von ungeheurer Verschwendung, wie selbst sie sie noch nicht erlebt hatten. Shacca berichtete das alles in einem trockenen, nüchternen Tonfall. Garrason unterbrach ihn nur selten, und als der Junge schwieg, überlegte er sich die ganze Angelegenheit sorgfältig. Der Junge hatte eine Unmenge von Informationen zusammengetragen und sich sein Geld redlich verdient. Garrason händigte der zerlumpten, kleinen Gestalt einhundertfünfzig Chronners aus. Seine Ermahnung, weiterhin vorsichtig zu sein und das Geld sicher unterzubringen, wurde mit einem beinahe unverschämten Grinsen quittiert. Garrason, der von Natur aus mißtrauisch war, achtete beim Verlassen des Hauses besonders sorgfältig auf seine Umgebung. Shacca mochte ein schlauer Junge sein, aber Garrason traute diesem erstaunlichen Kind nicht. Es hätte ihn durchaus nicht gewundert, wenn Shacca selbst oder dessen Freunde ihn überfallen beziehungsweise anderen zahlenden Kunden ausgeliefert hätten. Es geschah nichts, und Garrason fühlte sich beinahe beschämt, als er mit heilen Knochen vor der Bruchbude anlangte, über der das verblichene Firmenzeichen der GLORIOC langsam in seine Bestandteile zerfiel. Außer Fretnorc war niemand im Büro. Der Arkonide lag friedlich schlafend auf ein paar Kissen. Neben ihm stand eine halbvolle Flasche. Garrason roch an der Öffnung, schüttelte sich angewidert und holte sich aus der Automatik-Küche einen Becher mit verdünntem Wein. Dann wartete er auf seine Freunde, während er noch einmal alles überdachte, was er an diesem merkwürdigen Tag erlebt hatte.
* Nach und nach trafen die anderen ein, und gegen Mitternacht waren sie wieder vollzäh-
lig versammelt. Huccard kam als letzter und verkündete sofort lautstark, daß er einen großartigen Erfolg erzielt hätte. »Unsere Probleme sind gelöst!« sagte er und rieb sich zufrieden die Hände. »Es ist überhaupt kein Problem, Darbeck zu verständigen.« »Meine Informationen lauten anders«, murmelte Garrason mißtrauisch. »Die Funkstation ist hermetisch abgeriegelt. Es gibt für Leute wie uns überhaupt keine Chance, eine Nachricht abzusetzen!« »Das gilt nicht für mich«, wischte Huccard den Einwand großzügig zur Seite. Er riß die Verpackung eines Pakets auf, das er mitgebracht hatte, und wies voller Stolz auf den Inhalt. »Was ist denn das für ein Plunder?« »Das ist kein Plunder«, fauchte Huccard empört, »sondern die traditionelle Tracht, in der die Teilnehmer der geschlossenen KAYMUURTES sich am Tage des ersten Kampfes dem Publikum vorstellen.« Der Kampfagent schlüpfte während dieser Rede geschickt aus seiner unansehnlichen Kombination und legte die farbenprächtigen Gewänder an. »Unterwegs sah ich einen Schausteller«, sagte Fretnorc nachdenklich. »Der Mann hatte ein dressiertes Tier, das ganz entfernt einem Arkoniden ähnelte. Es war kaum größer als ein Männerarm und tanzte auf einer Blechplatte, während sein Herr die Trommel schlug. Und es trug einen Umhang, der diesem dort sehr ähnlich sah.« »Es wäre eine Möglichkeit, Geld zu verdienen«, stimmte Kelsh interessiert zu. »Wir müßten Huccard natürlich beteiligen. Dreißig Prozent – mehr kann er wirklich nicht verlangen. Aber wer schlägt die Trommel?« »Meine Mutter meinte immer, ich wäre außerordentlich musikalisch!« lächelte Fretnorc verträumt. Garrason grinste, und Polc-Tanier bekam vor Lachen einen Hustenanfall, der ihn an den Rand des Erstickens brachte. Huccard brüllte wütende Beschimpfungen, und Fretnorc krümmte sich vor Vergnügen.
Treffpunkt der Gaukler »Ruhe!« befahl Garrason schließlich. »Huccard, wie kommen Sie auf die Idee, daß diese Verkleidung Ihnen den Weg in die Funkstation ebnen könnte?« »Als adliger Würdenträger habe ich freien Zutritt …« Fretnorc wieherte hemmungslos, und diesmal konnte selbst Garrason sich nicht mehr beherrschen. Das zerknitterte Männlein in der Mitte des Raumes fuchtelte aufgeregt mit den Armen in der Luft herum, um sich Gehör zu verschaffen. Dabei verhedderte Huccard sich in den überlangen Zierschnüren des Umhangs, und in dem Bemühen, sich von diesen Fesseln zu befreien, stülpte er sich das zeltähnliche Gewand versehentlich so gründlich über den Kopf, daß von dem Agenten selbst gar nichts mehr zu sehen war. Fretnorc wimmerte atemlos vor Vergnügen, schlug sich auf die Schenkel und brach mit seinem vom Alter geschwächten Sessel in einer gewaltigen Staubwolke zusammen. Polc-Tanier verließ fluchtartig den Raum, und Garrason folgte ihm eilig. Als es drinnen stiller wurde und Polc-Tanier endlich wieder Luft bekam, steckte Kelsh den Kopf um die Ecke. »Die Gefahr ist vorbei!« verkündete er todernst. »Dieser Huccard ist geradezu lebensgefährlich«, keuchte Polc-Tanier und spähte mißtrauisch in den schmutzigen Raum. Der Agent hatte das seltsame Kleidungsstück endlich abgelegt. Huccard saß mit eisiger Miene in der Nähe der Wand und bewegte in einem stummen Selbstgespräch die Lippen. Garrason räusperte sich und unterdrückte den Lachreiz, der ihn beim Anblick des Agenten prompt befiel. »Leute«, sagte er beinahe flehend, »bleibt wenigstens ein paar Sekunden lang ernst, sonst kann ich für nichts mehr garantieren. Wir können uns diese Albernheiten beim besten Willen nicht leisten!« Er drehte sich hastig um, um sein eigenes Grinsen zu verbergen und konzentrierte sich verzweifelt.
25 »Huccard, ich bitte Sie, geben Sie uns ganz ernsthaft die Informationen, die Sie gewonnen haben.« Der Agent bedachte die vier Männer mit strafenden Blicken. Er war wirklich wütend, das sah man ihm an, aber er beherrschte sich, und das war es, was Garrason total ernüchterte. Der letzte Rest von Heiterkeit kam ihm abhanden. Verdammt, dachte er. Warum mußte das passieren. Natürlich ist dieser Mann lächerlich, aber wir haben ihn an seiner empfindlichsten Stelle getroffen. Er wird uns das nie verzeihen! Laut sagte er: »Wir haben alle einen Tag hinter uns, der es in sich hatte. Vielleicht sollten wir die ganze Sache vertagen. Wenn wir geschlafen haben, wird auch die Vernunft zurückkehren, die im Augenblick wohl jedem von uns fehlt.« Er fing einen ungläubigen Blick von Kelsh auf und hob die rechte Hand in einer warnenden Geste leicht an. »Das ist eine gute Idee«, stimmte Kelsh geistesgegenwärtig zu. »Ich bin wie benebelt von all dem Zeug, das ich einatmen mußte.« Polc-Tanier verstand sofort, und nur Fretnorc war etwas schwerer von Begriff. Er setzte zu einer Bemerkung an, aber Kelsh rammte ihm den Ellbogen in die Seite und brachte ihn damit erfolgreich zum Schweigen. Während sie ihre Lager in Ordnung brachten, blieb Huccard sitzen und beobachtete sie schweigend. »Erste Wache!« flüsterte Garrason Kelsh in einem günstigen Moment zu und deutete auf sich selbst. Unter fast geschlossenen Lidern hervor beobachtete er Huccard. Es dauerte fast eine Stunde, bis der Agent endlich zu seinem Lager ging. Garrason hörte ihn noch lange vor sich hinmurmeln. Später klangen die unverkennbaren Schnarchlaute auf, aber Garrason traute dem Frieden nicht. Als Kelsh gegen Morgen die nächste Wache übernahm, schlief Huccard immer noch.
26
Marianne Sydow
* Huccard war die Ruhe selbst. Er ging mit keinem Wort auf die Vorfälle in der vergangenen Nacht ein, sondern berichtete konzentriert, was er in Erfahrung gebracht hatte. Das war nicht wenig. Hätte er in der Nacht in dieser Weise reagiert, so hätte selbst Garrason dem Agenten eine gewisse Achtung nicht versagen können. »Die Hyperfunkstation in Kemjack ist bis auf eine Ausnahme für den privaten Gebrauch gesperrt«, sagte er. »Diese Ausnahme bilden die Teilnehmer der geschlossenen KAYMUURTES. Sie wissen, daß in dieser Kategorie nur Würdenträger adliger Herkunft zugelassen werden. Diese Leute nun haben das Recht, Grußbotschaften an ihre Familien zu schicken – das ist ein kostenloser Service im Rahmen der allgemeinen Betreuung.« »Wir brauchen also einen Adligen«, murmelte Fretnorc, warf zufällig einen Blick auf den bis zum Bersten vollgestopften Wandschrank, aus dessen Fächern auch das fatale Gewand inzwischen verschwunden war, und konnte sich ein Grinsen nun doch nicht ganz verkneifen. »Nicht nur das«, sagte Polc-Tanier nüchtern. »Er muß zu jenen zweihundert Männern gehören, die bei den Spielen antreten werden. Die Namen sind mit Sicherheit in der Station bekannt. Ihr Plan, Huccard, wäre niemals aufgegangen.« Das Gesicht des Agenten blieb völlig ausdruckslos. Garrason seufzte leise. »Niemand von uns hätte die Möglichkeit, sich dort einzuschleichen«, stellte er fest. »Verkleidet oder nicht, das spielt keine Rolle. Aber ich denke, ich kenne einen Mann, der uns helfen wird.« »Haben Sie einen Freund unter den Würdenträgern?« fragte Huccard mit ätzendem Spott. »Nein«, erwiderte Garrason, ohne auf die Herausforderung einzugehen. »Aber es gibt einen Mann, der mehr als nur verletzlich ist.
Er heißt Tepmest von Walkron. Hier, das ist etwas, was er gerne hätte.« Er warf den Schuldschein auf den wackelnden Arbeitstisch. Die Männer beugten sich vor. Huccard pfiff leise durch die Zähne. »Tushan!« sagte er beinahe andächtig. »Mit seinem persönlichen Siegel und allem, was dazu gehört. Sechstausend Chronners, mit einer Auflage von sechsundachtzig Prozent bei einer Laufzeit von einem viertel Arkonjahr, Rückzahltermin …«, er rechnete kurz im Kopf den Datenunterschied aus, »in zwanzig Arkontagen.« »Walkron muß wahnsinnig gewesen sein, als er das akzeptierte«, murmelte Kelsh. »Er ist nicht wahnsinnig, sondern pleite«, korrigierte Garrason trocken. »Zufällig weiß ich über Tushan auch ein bißchen Bescheid. Seine Schuldscheine sind Unikate. Es wäre zu riskant für ihn, seinen Kunden eine Kopie auszuhändigen.« »Genau«, nickte Huccard, und in seinen Augen erschien ein merkwürdiges Leuchten. »Denn Tushan gehört zu den Leuten, die sich nicht den allerkleinsten Fehler erlauben dürfen. Zufällig gehören auch einige hohe. Tiere von der POGIM zu seinen Kunden. Wenn die einen dieser Zettel in die Hand bekämen, könnten sie Tushan endlich festnageln.« »Wieso?« fragte Fretnorc verständnislos: »Sie können das mit oder ohne Schuldschein. So etwas ist glatter Wucher und übersteigt alles, was sonst auf diesem Gebiet gerade noch geduldet wird. Die Leute müssen doch wissen, zu welchen Bedingungen sie ihre Schulden bei Tushan machen.« »Das ist ein bißchen kompliziert«, erklärte Huccard sehr ruhig. »Tushan sucht sich seine Opfer sorgfältig aus. Wie ich schon sagte, sind hohe Beamte der POGIM in die Affäre verwickelt. Sie befinden sich dabei in guter Gesellschaft. Der halbe Kristallpalast ist Tushanverseucht.« »Warum unternimmt der Imperator nichts?« wollte Fretnorc wissen, und Garrason warf ihm einen warnenden Blick zu.
Treffpunkt der Gaukler Huccard wußte schließlich nicht, wer sich hinter dem Decknamen Darbeck verbarg – und er durfte es auch nicht erfahren, wenigstens nicht, bevor alles glatt über die Bühne gegangen war. »Ich weiß es nicht genau. Unter der vorgehaltenen Hand munkelt man vieles. Angeblich ist der Imperator selbst Tushan verpflichtet. Auf jeden Fall hat dieser Mann die Macht, das halbe Imperium aus den Angeln zu heben. Viele seiner Kunden haben sich nur deshalb mit Tushan eingelassen, weil sie sonst ihre Wettschulden beim Imperator nicht hätten zahlen können. Jedenfalls nicht schnell genug. Und Tushan bietet genau das. Schnelles Geld, bar auf die Hand.« Garrason schwieg und überlegte fieberhaft. Es hatte ganz den Anschein, als hätten sie in ein wahres Wespennest gestochen. Wer steckte hinter Tushan? Ein Gegner des Imperators? Oder Orbanaschol selbst? Es hätte zu ihm gepaßt, sich die Ruhe im Kristallpalast zu sichern, indem er die Leute in Schwierigkeiten verwickelte, die ihnen keine Zeit für politische Überlegungen ließen. Abgesehen davon war es ziemlich bekannt, daß Orbanaschol keinem Geschäft aus dem Wege ging. Polc-Tanier schien ähnliche Überlegungen anzustellen. Der Wissenschaftler schüttelte besorgt den Kopf. »Das ist zu groß für uns«, murmelte er. »Für Sie vielleicht!« trumpfte Huccard sofort auf. »Aber nicht für mich. Tushan ist einer der Hintermänner der SCC. So eine Gelegenheit bekomme ich nie wieder. Aber zuerst werden wir Tepmest von Walkron ein bißchen unter Druck setzen. Um das hier zu bekommen, wird er alles tun.« »Er braucht erst in zwanzig Tagen zu bezahlen«, gab Garrason zu bedenken. »Wer weiß, was bis dahin geschieht.« Huccard lächelte abfällig, schob Kelsh zur Seite und fing an, in den Fächern des Arbeitstisches zu wühlen. Nach einigem Suchen brachte er einen klobigen Schreibstift ans Licht. Verblüfft sahen die anderen zu, als er mit diesem unförmigen Gerät das Datum auf
27 dem Schuldschein löschte. Es blieb keine Spur zurück. Vielleicht hätte man durch eine gründliche Analyse die Manipulation aufdecken können, mit dem bloßen Auge jedoch sah man nichts. Huccard drehte an dem Stift herum und setzte ein neues Datum ein. In zwei Tagen lief die gefälschte Frist ab. »Darauf fällt der Bursche nicht herein«, behauptete Kelsh zweifelnd. »Er hat doch diese Daten sicher im Kopf!« Garrason überdachte das, was er von Shacca erfahren hatte. »Nein«, murmelte er gedehnt. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Walkron hat so viele Schuldscheine unterzeichnet, daß er eine regelrechte Kartei nötig hätte.« »Dann wollen wir mal!« sagte Huccard vergnügt. »Augenblick«, hielt Garrason den Agenten hastig zurück. »Walkron wird bewacht. Seine Gläubiger lassen ihn nicht aus den Augen. Und was ist mit Tushan? Er muß inzwischen gemerkt haben, daß der Schuldschein verschwunden ist!« Huccard lachte meckernd. »Tushan ist weit weg. Ein Mann, der so viele Feinde hat, läuft nicht in diesen verrückten Tagen in Kemjack herum! Niemand hat ihn bisher gesehen, und falls es doch jemanden gibt, der ihn persönlich kennt, so zieht er es vor, dieses Wissen für sich zu behalten. Tushan arbeitet nur über Mittelsmänner. Wenn einer von denen einen Fehler begeht, dann wird er sich hüten, seinen Herrn und Meister davon zu unterrichten. Der Kerl, dem Sie dieses Zettelchen aus der Tasche gezogen haben, sitzt jetzt wahrscheinlich schon in irgendeinen Raumschiff, das möglichst noch über die Grenzen des Imperiums hinausfliegt.« Garrason nickte nachdenklich. Huccard wußte erstaunlich viel über Tushan und dessen Methoden. Überhaupt kam ihm dieser zerknitterte kleine Mann allmählich merkwürdig vor. Garrason nahm sich vor, sehr vorsichtig zu sein.
28
Marianne Sydow
5. Es war früher Nachmittag, als sie die Nordschleuse erreichten. Der Tag verging auf Venco-Nar beängstigend schnell, denn die Rotationsdauer betrug nur achtzehn Stunden. Tepmest von Walkron hatte seine eigene Methode entwickelt, die zwangsläufig auftretenden Umstellungsschwierigkeiten zu meistern. Sein Haus war abgedunkelt, die polarisierten Scheiben wurden von innen durch winzige Projektoren angestrahlt und gaben ein Bild wieder, wie man es in jedem beliebigen Trichterhaus in Arkon genießen konnte. Shacca hatte nicht übertrieben. Das Haus war wirklich leicht zu finden. Huccard hatte darauf bestanden, alleine zu Walkron vorzudringen, aber damit war niemand einverstanden. Man einigte sich darauf, Fretnorc als den Begleiter des Agenten loszuschicken. Er war für diese Aufgabe am besten geeignet, denn mit seiner muskulösen Figur und der oft poltrig klingenden Stimme konnte er gut als Leibwächter durchgehen. Ein Schuldeneintreiber von der Statur des Kampfagenten hatte einen solchen Schutzengel dringend nötig. In Fretnorcs Brusttasche steckte eine Folie mit dem genau ausgeklügelten Text, den Walkron als »Familiengruß« abschicken sollte. Die anderen Mitglieder der Gruppe mischten sich unter die Menge und behielten das Haus für alle Fälle unauffällig im Auge. Am Eingang stand ein Mann, der mit seinem massigen Körper die Tür fast lückenlos ausfüllte. »Führen Sie uns zu Tepmest von Walkron!« forderte Huccard hochnäsig. Fretnorc blieb getreu seiner Rolle vorerst still. Der Riese beugte den Kopf und starrte ungläubig auf den Agenten hinab. »Was wollen Sie?« fragte er mit donnernder Stimme und legte die rechte Hand hinter das Ohr. Huccard wiederholte seinen Spruch, und der Türwächter schüttelte langsam den
Kopf. »Noch einmal!« forderte er und ging in die Hocke, so daß sein Gesicht ungefähr in gleicher Höhe mit dem des Agenten war. Huccard wurde bleich vor Zorn. Er begriff die Bedeutung dieses Spiels sehr gut. »Hm«, machte der Riese, nachdem Huccard ihm seine Forderung mit voller Lautstärke ins Ohr gebrüllt hatte. »Ich werde nachfragen. Meines Wissens ist mein Herr zur Zeit beschäftigt.« Er drehte sich nach rückwärts. »Ist für heute ein Zwerg im Programm?« fragte er einen Arkoniden, der sich im Innern des Gebäudes befand und für die beiden Besucher damit unsichtbar blieb. Die Antwort war nicht deutlich zu verstehen, weil gerade in diesem Augenblick in einer benachbarten Kleinstarena die Musik losschmetterte. Der Riese wandte sich Huccard zu und schüttelte bedauernd den Kopf. »Tut mir leid«, sagte er, »Aber ich kann Sie nicht hereinlassen.« »Ihrem Herrn wird es leid tun«, konterte Huccard giftig. »Und wenn Sie ihn sehen, nachdem mein Auftraggeber mit ihm fertig ist, werden Ihnen die Tränen kommen. Melden Sie uns an, aber ein bißchen plötzlich. Es geht um Geld.« Der Riese zuckte ein bißchen zusammen, dann nickte er grimmig. »Um Geld geht es fast immer!« sagte er abweisend, aber er sprach längst nicht mehr so laut. »Aber nicht um Walkrons Kopf. Geben Sie die Tür frei, sonst wird Walkron höchst persönlich mit Ihnen abrechnen.« Natürlich wich der Wächter nicht von der Stelle, aber er winkte immerhin aus dem Hintergrund einen anderen Arkoniden heran. Der Mann war groß und schlank, und er hätte sehr gut ausgesehen, wären nicht die vielen Falten in seinem Gesicht gewesen. Er bedachte Huccard und Fretnorc mit einem seltsamen Blick und winkte die beiden heran. »Womit kann ich Ihnen dienen, meine Herren?« fragte er, als sie in der Vorhalle
Treffpunkt der Gaukler standen. »Walkron hat eine Menge Schulden, das wissen Sie wohl selbst sehr genau«, sagte Huccard grob. »Einer seiner Gläubiger ist ein bißchen in Sorge – nicht um sein Geld, sondern um Walkrons Gesundheit.« Er zog den Schuldschein hervor und ließ den Fremden für einen kurzen Augenblick das Siegel sehen. Fretnorc beobachtete den Mann sehr genau. Der Arkonide mochte etwas über sechzig Jahre alt sein, und Fretnorc vermutete, daß er den Walkrons schon gedient hatte, als die Familie noch nicht durch ihren letzten Sproß ruiniert worden war. Er sah auch die Reaktion des Fremden. Der Mann wurde kalkweiß im Gesicht, und die Falten schienen sich noch zu vertiefen. »Kommen Sie bitte«, sagte er leise. »Ich werde Sie sofort anmelden.« Der Raum, in dem sie auf Walkron warteten, war nicht sehr groß, dafür aber prächtig ausgestattet. Huccard warf einen Blick in die Runde und ließ sich auf den besten Kissen nieder. Der Arkonide zuckte kaum merklich zusammen, denn der Agent hatte es nicht für notwendig gehalten, eine saubere Kombination für diesen Besuch anzulegen. »Nicht schlecht«, murmelte Huccard, als der Diener verschwunden war. Fretnorc nahm schräg hinter dem Agenten Aufstellung und schwieg, wie es sich für einen Leibwächter gehörte. Es dauerte ein paar Minuten. Walkron war offensichtlich anderweitig beschäftigt gewesen – diesbezügliche Fragen erübrigten sich, denn der Arkonide war mit einem hastig übergeworfenen Umhang nur mangelhaft bekleidet. Huccard hielt sich nicht erst mit langen. Vorreden auf. »Das hier ist Ihnen bekannt!« sagte er und hielt den Schuldschein in die Höhe. Tepmest von Walkron nickte, und in seinen Augen flackerte die Angst. »Sie haben zwei Tage Zeit.« Der Adlige strich sich über die Stirn und starrte den Agenten schweigend an. »Was gedenken Sie zu tun?« fragte Huc-
29 card nüchtern. »Ich weiß nicht«, murmelte Walkron. »Ist es wirklich schon in zwei Tagen so weit? Ich kann mich nicht genau erinnern. Die Spiele – Sie verstehen, das nimmt mich sehr in Anspruch.« Huccard stieß sein meckerndes Lachen aus. »Ja, die Spiele«, sagte er anzüglich. »Ich meine die KAYMUURTES!« verbesserte Walkron sich hastig. »Die KAYMUURTES werden ohne Sie stattfinden«, versicherte Huccard grimmig. »Es wird nicht weiter auffallen. Es gibt einen Mann, der ältere Rechte hat. Ich bin überzeugt davon, daß er Sie noch sehr viel mehr in Anspruch nehmen wird!« »Aber …« »Sie haben einen Vertrag geschlossen. Haben Sie das Geld etwa nicht erhalten? Na also. Die Zahlung erfolgte pünktlich, und die Bedingungen waren Ihnen bekannt.« Walkron rutschte in seinem Sessel nach unten und war kaum noch zu sehen. Der Mann tat Fretnorc leid. Aber das Spiel hatte begonnen, und falls der Plan aufging und Atlan an die Stelle Orbanaschols trat, dann würden auch Leute wie Tushan es entschieden schwerer haben, ihren schmutzigen Geschäften nachzugehen. »Sie können also nicht zahlen?« vergewisserte Huccard sich. »Nein.« »Dieses Zimmer ist sehr wertvoll ausgestattet«, überlegte der Agent. »Sicher sehen die anderen Räume nicht viel schlechter aus. Schauen Sie, ich versuche wirklich, Ihnen zu helfen! Sie könnten doch von diesen Sachen etwas verkaufen.« »Mir gehört nichts davon«, stieß Walkron hervor, sprang auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen wie ein gefangenes Tier. »Ich besitze überhaupt nichts mehr. Das letzte Bargeld ging für die Anmeldung in der geschlossenen Kategorie drauf. Meine Kreditkarte ist keinen Skalito wert. Verstehen Sie?« »Hm«, machte Huccard. »Das ist natür-
30 lich schlecht – für Sie.« »Lassen Sie mir ein bißchen Zeit. Nur bis zum Ende der KAYMUURTES. Ich habe gute Aussichten, und wenn ich gewinne, werde ich …« »Tu mir leid«, lehnte Huccard sanft ab. »Ein solches Risiko darf ich nicht eingehen. Sehen Sie, ich sitze ja genau wie Sie auf der falschen Seite. Was meinen Sie, was mit mir passiert, wenn ich meine Arbeit nicht pünktlich erledige?« »Davon braucht doch niemand etwas zu erfahren«, versuchte Walkron es noch einmal. »Wir sind schließlich in Kemjack. Über Hyperfunk können Sie mit Ihrem Auftraggeber sowieso keine Verbindung aufnehmen. Und die Raumschiffe … Aber das wissen Sie ja selbst. Vor Beendigung der Spiele kommen Sie von diesem Planeten nicht weg – Sie nicht und das Geld ebenfalls nicht. Was würde es also für einen Unterschied machen, noch ein bißchen zu warten?« »Es könnte Ihnen etwas zustoßen, Walkron. Auch in Ihrer Kategorie kommt so etwas vor. Wie stehe ich dann da? Sie sagen selbst, daß Ihnen nichts mehr gehört. An Ihrem Erbe ist also nichts zu verdienen. Außerdem weiß ich, wieviele Leute sich selbst um Ihr letztes Hemd noch prügeln würden.« »Dann …« Tepmest von Walkron sprach nicht weiter. Er blieb mit hängenden Armen vor Huccard stehen. Lange Zeit blieb es still. Was für ein widerliches Spiel, dachte Fretnorc. »Vielleicht …«, murmelte Huccard und verstummte nachdenklich wieder. »Was ist?« fragte Walkron aufgeregt. »Haben Sie es sich überlegt? Gibt es einen Ausweg?« »Ich bin mir nicht sicher. Sie erwähnten die Schwierigkeiten mit der Hyperfunkstation. Wissen Sie, ich habe da einen Geschäftsfreund. Er wartet dringend auf eine Nachricht von mir. Es geht um einen sehr hohen Betrag. Ich habe schon versucht, ihn von einem der Raumschiffe auf dem Landefeld aus zu erreichen, aber die Kontrollen sind unver-
Marianne Sydow schämt scharf.« Walkron ließ sich mutlos auf einen Sessel sinken. »Ich glaube kaum, daß ich Ihnen helfen kann«, murmelte er verzweifelt. »Ich kann zwar eine Sendung aufgeben, und es kostet mich gar nichts, aber es werden nur Grußbotschaften akzeptiert.« »Das weiß ich. Zum Glück haben mein Freund und ich einen Kode entwickelt, der auf einen solchen Fall besonders gut paßt. Der Spruch würde genau in das Schema passen.« »Alle Botschaften durchlaufen eine Positronik. Die erkennt auch den raffiniertesten Kode.« »Aber nicht doch.« Huccard streckte die Hand aus, und Fretnorc reichte ihm schweigend die Folie. »Dies ist ein Gruß an alle Freunde, die treu und vertrauensvoll zu mir halten«, las er vor. »Es sind noch neun Tage bis zum Beginn der Spiele, aber dann werdet ihr sehen, daß ich alles daran setze, euch nicht zu enttäuschen. Aber das wußtet ihr wahrscheinlich schon, als ihr die Nachricht hörtet, daß ich die Endkämpfe erreicht habe. Nach meinem Sieg werden wir gemeinsam eine Feier begehen, wie es sie noch nie gegeben hat.« Er hob den Kopf und sah Walkron fragend an. »Es klingt unverfänglich«, gab der Arkonide zögernd zu. »Sind Sie sicher, daß Ihr Freund etwas damit anfangen kann?« »Völlig sicher. Sie können noch ein paar Namen hinzufügen, wenn Sie wollen. Nur der Text selbst sollte wortwörtlich und zusammenhängend abgestrahlt werden.« »Wenn ich darauf eingehe – was geschieht dann mit dem Schuldschein?« »Sie erhalten ihn im Austausch gegen die Kopie des abgesendeten Spruchs. Was Sie mit dem Schuldschein dann anstellen, ist Ihre Sache.« »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein«, brauste Tepmest von Walkron auf. »Was habe ich damit gewonnen? Tushan wird sich an mich erinnern, und dann …«
Treffpunkt der Gaukler »Mehr kann ich nicht für Sie tun«, unterbrach Huccard den Adligen schroff. »Sie haben um einen Aufschub gebeten – gut, den haben Sie auf jeden Fall erreicht. Und außerdem ist der Schein in Ihren Händen. Tushan kann Ihnen nichts beweisen.« »Als ob es darauf ankäme«, ächzte Walkron verzweifelt. »Beweis oder nicht – er wird seine Leute auf mich hetzen.« Huccard zuckte die Schultern. »Sie haben die Wahl. Auch Tushan kann nicht viel gegen Sie unternehmen, ehe die Spiele beendet sind. Versuchen Sie inzwischen, das Geld zu beschaffen – für alle Fälle.« Walkron vergrub das Gesicht in den Händen und schwieg lange Zeit. Dann richtete er sich müde auf. »Geben Sie mir die Folie«, sagte er leise. »Ich möchte es so schnell wie möglich hinter mich bringen.« »Nein«, sagte Huccard schnell. »Sie werden sich der Mühe unterziehen, diesen Text selbst noch einmal zu schreiben. Und vergessen Sie keinen Buchstaben, verstanden?« »Sie denken an alles, wie?« Huccard schwieg. Er beobachtete Walkron, der hastig die Botschaft auf einen Zettel kritzelte und nach eigenen Überlegungen noch einige Namen darunterschrieb. »Ist es Ihnen so recht?« fragte er. Huccard nickte. »Ich gehe jetzt zur Funkstation«, sagte Walkron. »Wir werden hier auf Sie warten«, erklärte Huccard gelassen. »Aber kommen Sie bitte unterwegs nicht auf dumme Gedanken. Ich bin nicht ohne Begleitung zu Ihnen gekommen.« »Sie hatten sich das alles von Anfang an genau zurechtgelegt, oder irre ich mich?« Huccard lächelte überlegen. »Sie erwarten auf diese Frage hoffentlich keine Antwort«, sagte er freundlich. »Gehen Sie – und bleiben Sie nicht zu lange fort.« Tepmest von Walkron zog sich zurück. Er kleidete sich an und verließ wenige Minuten später das Haus. Draußen warteten die ande-
31 ren auf ihn. Sie beobachteten jeden Schritt, und als der Adlige zwei Stunden später zurückkehrte, stand es fest, daß er seinen Auftrag genau befolgt hatte. Die Folie, die er Huccard aushändigte, lieferte den letzten Beweis. Walkron nahm den Schuldschein entgegen und sah den beiden Männern nach, die eilig das Haus an der Nordschleuse verließen. Draußen trafen sie sich in einem überfüllten Straßenlokal. Sie sprachen nicht miteinander, denn sie fürchteten immer noch, daß die Polizei ihnen auf die Spuren kommen könnte. Niemand sollte auf die Idee kommen, daß diese Männer miteinander in Verbindung standen. Mit unverfänglichen Gesten signalisierte Fretnorc, daß alles nach Plan verlaufen war. Huccard war der erste, der das Lokal verließ. Scheinbar gelangweilt schlenderte der Kampfagent davon und war augenblicklich in der Menge verschwunden. In unregelmäßigen Abständen folgten die anderen. Erst im Büro der GLORIOC würden sie sich ausführlich über die Geschehnisse unterhalten können. Jedenfalls dachten sie das. Polc-Tanier betrat das Büro als letzter. Er sah sich verwundert um und wollte gerade eine Bemerkung darüber machen, daß Huccard sich wohl verlaufen hätte, denn der Kampfagent war noch nicht eingetroffen. Aber als Polc-Tanier den Mund öffnete, fauchten plötzlich Paralysatoren auf. Wir sind hereingelegt worden, dachte Polc-Tanier erschrocken während sein Körper zu Boden krachte. Er sah, wie die anderen fielen, und dann gerieten Polizisten in ihren nur allzu vertrauten Uniformen in sein Blickfeld. »Stimmt genau«, sagte eine unangenehme, knurrende Stimme. »Vier Arkoniden, auf die die Beschreibungen passen. Es scheint, als hätten wir den ganzen Verein erwischt. Bringt sie weg und benachrichtigt Hrontos. Er soll sich um sie kümmern, sobald sie sich bewegen können.« Sie wurden in einen Lastengleiter getra-
32
Marianne Sydow
gen, der gleich darauf in Richtung auf die Innenstadt davon bschwebte. Nach dem Start kam ein Beamter zu ihnen in den Laderaum, untersuchte sie flüchtig, nahm ihnen die Waffen ab und verschloß ihre Augen mit einer schützenden Spezialfolie. Noch wußte niemand von ihnen, wessen man sie überhaupt anklagte. Hatte ihre Verhaftung etwas mit der Aktion gegen Walkron zu tun? Eines schien sicher: Sie waren verraten worden. Von wem, das würden sie vermutlich in Kürze erfahren.
6. Die drei Raumschiffe hingen bewegungslos im All, abseits der üblichen Flugrouten und weitgehend gegen jede Ortung geschützt. Die Energieerzeugung war auf ein Minimum gedrosselt worden. In den Funkstationen herrschte gespannte Wachsamkeit. Jeder Laut, den die Antennen auffingen, wurde gespeichert und ausgewertet. Die meisten Signale und Nachrichten kamen entweder aus einer falschen Richtung oder wurden auf Anhieb als bedeutungslos erkannt. Die Position der drei Schiffe war mit größter Sorgfalt berechnet worden. Sie bildeten insgesamt ein großes, gleichseitiges Dreieck. Das Dubnayor-System stand senkrecht zur Fläche dieses Dreiecks. Natürlich sah man von der blauen Sonne an Bord der Schiffe nichts – sie verschwand im Gewimmel zahlloser Sterne. Aber Hyperfunksignale, die aus diesem System kamen, konnten mühelos empfangen und ausgesondert werden. Jede Nachricht aus dem Dubnayor-System wurde genauestens untersucht, die meisten wurden von der Positronik ausgedruckt und an die Kommandantin der drei Schiffe weitergeleitet. Karmina Arthamin arbeitete sich beharrlich durch den ständigen Strom von Nachrichten. Sie schenkte sich bei dieser Arbeit nichts. Niemand wußte, ob die Gruppe der auf Pejolc zurückgebliebenen Arkoniden sich überhaupt melden würde, und wenn einer von ihnen die Gelegenheit bekam, eine
Meldung abzusetzen, so konnte diese nahezu jeden denkbaren Inhalt haben – jedenfalls nach außen hin. Der Kraumon-Kode erlaubte es, in jedem harmlos wirkenden Text exakte Hinweise unterzubringen, die nicht einmal von einer Positronik entdeckt werden konnten. Das meiste, was aus dem Dubnayor-System kam, betraf die KAYMUURTES, und viele von diesen Nachrichten klangen vielversprechend. Karmina Arthamin hätte Monate benötigt, um jeden dieser Funksprüche mit Hilfe des Kodes zu überprüfen. Sie war gezwungen, sich weitgehend auf ihren Instinkt zu verlassen, und sie litt Qualen der Ungewißheit bei dem Gedanken, möglicherweise gerade die eine, besonders wichtige Meldung einfach nicht zu erkennen. Zwar wurde jede Nachricht aufbewahrt und konnte daher auch später noch einmal überprüft werden – aber dann war die Frist abgelaufen und alles, was sie gewagt hatten, blieb ohne Sinn. Allmählich veränderten sich die Nachrichten aus dem Dubnayor-System. Unter die rein zweckbedingten Signale mischten sich Funksprüche rein privater Natur. Karmina Arthamin stutzte, als sie eine Sendung überspielt bekam, die mehr als merkwürdig war. »Dies ist ein Gruß an alle Freunde, die treu und vertrauensvoll zu mir halten …« Mit gerunzelter Stirn las sie weiter. Ein Mann namens Tepmest von Walkron zeichnete als Absender dieser Grußbotschaft. Niemandem an Bord der drei Schiffe war dieser Name bekannt. Karmina Arthamin wußte, wie gering die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg war, aber sie folgte einem unbestimmten Gefühl und rückte der Grußbotschaft mit dem Kraumon-Kode zu Leibe. Als der Klartext vor ihr lag, blieb sie wie erstarrt sitzen. Ihre Gefühle waren in diesem Augenblick reichlich widersprüchlich. Atlan war unter dem Decknamen Darbeck für die Amnestie-KAYMUURTES registriert worden. Die Spiele würden pünktlich beginnen, Orbanaschol III. würde nicht an-
Treffpunkt der Gaukler wesend sein. Die Teilnehmer der dritten Kategorie brauchten erst bei Beginn der Spiele nach Hirc gebracht werden. Das war der Inhalt der Meldung, und die Arkonidin hatte keinen Grund, an deren Echtheit zu zweifeln. Atlans verwegener Plan schien aufzugehen – und Karmina Arthamin wußte nicht genau, ob sie sich darüber freuen sollte. Ein unbehagliches Gefühl beschlich sie bei dem Gedanken an die Spiele. In der KAYMUURTES der Ausgestoßenen und Verbrecher gab es nur einen Überlebenden – den Sieger. Hatte Atlan wirklich keine andere Wahl, als dieses Risiko einzugehen? Wenn er auch nur in einem Kampf versagte, hatte er sein Leben verwirkt. Für einen winzigen Moment spielte Karmina Arthamin mit dem Gedanken, die Nachricht zu unterschlagen. Niemand außer ihr selbst kannte den Klartext, sie war die einzige, die Bescheid wußte. Wenn sie die Meldung nicht weitergab, würde Atlan auch nicht an den Spielen teilnehmen, und die Gefahr war gebannt. Sie wußte, welche Hoffnungen Atlan an dieses Unternehmen knüpfte. Er kannte das Risiko und war fest entschlossen, es auf sich zu nehmen. Nur sie könnte ihn daran hindern – jetzt, in diesem Augenblick. Und danach wäre sie nicht mehr fähig gewesen, in einen Spiegel zu schauen, geschweige denn, Atlan gegenüberzutreten. Karmina Arthamin schüttelte langsam den Kopf und stellte eine Verbindung zur Funkzentrale her. Für die Hyperfunkwellen, die die Information weitertrugen, war die Entfernung zwischen den drei Raumschiffen und dem Planeten Kraumon praktisch nicht vorhanden. Dreimal verließ der auf Bruchteile von Sekunden zusammengefaßte Funkspruch in unregelmäßigen Abständen die Sendeanlage. Eine Bestätigung traf nicht ein, aber das hatte nichts zu sagen. Der geheime Stützpunkt auf Kraumon durfte nicht in Gefahr gebracht werden. Danach herrschte wieder Ruhe. Die Nachrichten, die aus dem Dubnayor-System eintrafen, wurden weiterhin überprüft, und auf
33 allen drei Schiffen herrschte nach wie vor höchste Alarmbereitschaft.
7. Das Gefängnis in Kemjack war klein, eng, und hoffnungslos überfüllt. Man brachte die vier Männer in eine Gemeinschaftszelle und überließ sie vorerst sich selbst. Niemand kümmerte sich um sie, und es kam auch kein Arzt, um ihnen etwa eine Injektion zu verpassen, die die schmerzhaften Folgen der Lähmung abschwächte. Sobald sie diese Phase überwunden hatten, sahen sie sich um. Die Zelle war ungefähr drei mal drei Meter groß. Der Tür gegenüber gab es ein winziges, vergittertes Fenster, das knapp unter der Decke die Wand durchbrach. An den beiden Seitenwänden standen die unbequemen, harten Betten, je zwei übereinander. Garrason, den man in eines der oberen Lager verfrachtet hatte, richtete sich vorsichtig auf und spähte zu dem Fenster hinüber. Die kurze Nacht von Venco-Nar schien bereits vergangen zu sein, denn er erkannte eine milchige Helligkeit hinter den Gitterstäben. Nichts lieferte einen Anhaltspunkt darüber, wo sich dieses Gebäude innerhalb der Stadt befand und in welchem Stockwerk man sie untergebracht hatte. Zwischen den Etagenbetten und der Fensterwand war auf beiden Seiten je ein winziger Verschlag durch eine dünne Plastikplatte abgetrennt. Der linke von diesen Separaträumen enthielt eine unglaublich schmutzige Toilette, der rechte ein ebenso unappetitliches Waschbecken. Seife, Handtücher oder ähnlichen Luxus gab es nicht. Die Tür, durch die man sie hereingebracht hatte, war Maßarbeit. Von draußen drang nicht der geringste Laut herein. Oben an der Decke hing ein Fernsehauge. »Da haben wir die Bescherung«, murmelte Kelsh und schwang vorsichtig die Beine aus dem Bett. Das aus fleckigen Röhren bestehende Gestell wackelte beängstigend. »Weshalb haben die Burschen uns eigentlich eingesperrt?«
34 »Sie werden es uns schon noch mitteilen«, sagte Fretnorc und warf einen warnenden Blick auf das Fernsehauge. Man beschränkte sich gewiß nicht darauf, die Gefangenen nur optisch zu überwachen. »Wenigstens haben sie unseren Freund nicht erwischt«, stellte Kelsh fest. Niemand antwortete. Sie sahen sich gegenseitig an, und jeder wußte, was die anderen über Huccard dachten. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder war es Zufall, daß er entwischt war, und dann hatten sie noch eine gute Chance. Oder er hatte sie verraten, und das schien schon weitaus eher zuzutreffen. Die Polizisten hatten vier Männer erwartet, nicht fünf. Unklar blieb das Motiv. Welchen Grund könnte Huccard haben, seine Schützlinge so schändlich zu hintergehen? Sie waren immerhin Kunden des Agenten … Die Tür öffnete sich knarrend. Die vier Männer erhoben sich unwillkürlich. Zwei bewaffnete Posten richteten mit ausdrucksloser Miene ihre Paralysatoren auf die Gefangenen, traten dann ein wenig zur Seite und gaben den Blick auf einen Offizier frei. Dieser betrachtete die Häftlinge flüchtig, hob dann eine Folie und las leiernd die Anklage vor. »Sie werden beschuldigt, gemeinsam und vorsätzlich in folgenden Fällen gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Erstens: Unerlaubtes Eindringen in ein kolonieeigenes Raumschiff mit dem Vorsatz, unter Umgehung der Kontrollen den Planeten VencoNar zu betreten, damit verbunden indirekte finanzielle Schädigung der Kolonie. Vorsätzliche Zerstörung privaten Eigentums im Gelände der Stadt Kemjack, damit verbunden Widerstand gegen die Kolonialbehörden sowie Irreführung und materielle Schädigung derselben. Widerrechtlicher Aufenthalt in der Stadt Kemjack, damit verbunden finanzielle Schädigung der Kolonie infolge der Umgehung des geltenden Aufenthaltssteuerrechts …« Und so weiter. Aufwiegelei, Erregung öffentlichen Ärgernisses, Betrug in mehreren
Marianne Sydow Fällen, Beteiligung und Anstiftung zu tätlichen Auseinandersetzungen fehlten natürlich auch nicht. Die Anklageschrift war von imponierender Länge, und als der Offizier seine Vorlesung beendet hatte, wußten die vier Arkoniden, daß sie in einer nahezu perfekten Falle saßen. Für jedes Vergehen lagen Zeugenaussagen vor – gefälscht natürlich, aber wie sollten sie das beweisen, solange sie in diesem Gefängnis festgehalten wurden? Abgesehen davon würden die Zeugen zweifellos auch bei einer offenen Konfrontation nicht von ihren Aussagen abweichen. Derjenige, der sie angeheuert hatte, würde sie für jeden Eid ausreichend bezahlen. Es mußte eine ganze Menge Geld dahinterstecken. Garrason vertiefte sich so sehr in die Frage, wem sie wohl so sehr im Wege waren, daß dieser Jemand derartig viel Geld investierte, daß er die abschließende stereotype Frage beinahe verpaßt hätte. Erst ein Rippenstoß von Fretnorc brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. »Bekennen Sie sich schuldig?« Der Offizier erntete ein »Nein« in vierfacher Ausfertigung. Er seufzte und faltete die Anklageschrift zusammen. »Schade«, sagte er. »Wenn Sie vernünftig sind, dann überlegen Sie sich das Ganze noch einmal. Bekennen Sie sich schuldig, und Sie stehen morgen schon vor Gericht. Jeder Tag, den Sie mit ihrer Sturheit vergeuden, verlängert Ihre Strafe.« »Wozu wird man für so etwas verurteilt?« fragte Garrason und deutete auf die Anklageschrift. »Ein planetares Jahr Strafkolonie«, antwortete der Offizier. »Wenn Sie sofort gestehen, bleiben Sie vielleicht in Äquatornähe. Später dürfte es nur noch zu den Minenbezirken in Polnähe reichen. Schlechte Führung bei uns erhöht das Strafmaß, und wenn Sie vor Gericht widersprechen, kommen Sie unter zehn Jahren nicht davon.« »Reizend!« murmelte Fretnorc wütend. »Also?« »Wir bleiben dabei«, erklärte Garrason im
Treffpunkt der Gaukler Namen aller. »Gut. Bringt sie in das Gemeinschaftsquartier.« »He!« stieß Kelsh hastig hervor. »Was soll das? Warum lassen Sie uns nicht in dieser Zelle?« »Warum wohl«, knurrte der Offizier gereizt. »Für Quertreiber und Uneinsichtige können wir die wenigen ordentlichen Quartiere nicht verschwenden. Los jetzt. Und wenn noch mehr Fragen auftauchen sollten – behaltet sie für euch. Das ist ein guter Rat, den ich niemandem zweimal gebe!« Fretnorc öffnete den Mund, aber Garrason trat ihm wütend auf den Fuß. Es hatte keinen Sinn. Mit diesem Mann zu diskutieren war genau so wenig erfolgversprechend wie der Versuch, eine massive Mauer mit dem Kopf zu durchstoßen. Sie traten einzeln und mit erhobenen Händen durch die Tür und wurden dort von zwei weiteren Wächtern in Empfang genommen. Wenig später stieß man sie in einen großen, kümmerlich beleuchteten Raum, dessen eine Wand aus dicken Gitterstäben bestand. »Willkommen in der Unterwelt«, murmelte Fretnorc, nachdem die Tür sich krachend hinter ihnen geschlossen hatte.
* Der Raum war nicht nur halbdunkel, sondern auch heiß, stickig, schmutzig, stinkend und überfüllt. Es gab kaum einen Ort, von dem sich weniger Positives berichten ließ. Ganz am Anfang versuchte Garrason, die Männer zu zählen, die gleich ihnen hier zusammengepfercht waren. Er kam nicht weit, aber es mußten rund einhundert Arkoniden sein. Sie hockten wie dunkle Schemen entlang der Wände, lagen auf dem nackten Boden oder starrten dumpf und blicklos durch die Gitterstäbe. Niemand trat nahe an die Gitterwand heran. Auf der anderen Seite saßen ein paar Polizisten um einen kleinen Tisch und spielten mit bunten Würfeln. Der Boden unter ihren Füßen war mit Unrat bedeckt. Betten gab es zwar, aber er-
35 staunlicherweise schien keiner der Häftlinge sie zu benutzen. »Neu hier?« fragte ein älterer Mann, der Garrasons verwunderte Blicke bemerkt hatte. »Ja. Was ist mit den Betten?« Der Arkonide grinste und entblößte ein lückenhaftes Gebiß. »Sie sind überbevölkert«, behauptete er ernsthaft. Garrason runzelte die Augenbrauen. »Es gibt so kleine Tierchen in ihnen, verstehen Sie?« erklärte der andere geduldig. »Sie sind so zahlreich, daß ein ausgewachsener Mann einfach keinen Platz mehr findet.« Die anderen hatten mitgehört und sahen sich schweigend an. »Das sind ja Zustände …«, murmelte Polc-Tanier, verzichtete aber darauf, den Satz zu beenden, denn vor dem Gitter geschah etwas. Von rechts drang flackernde Helligkeit vor. Die Polizisten blickten auf und unterbrachen ihr Würfelspiel. Einer verschwand aus dem Blickfeld der Gefangenen, eine Tür quietschte, und dann trat ein Mann dicht an das Gitter heran. »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte Fretnorc entgeistert. »Was will der Kerl hier? Uns herausholen?« »Ich fürchte, seine Absichten sind ganz anderer Natur«, antwortete Garrason grimmig, während die Gruppe sich in Bewegung setzte. »Da Sie noch im Gefängnis sind, nehme ich an, daß Sie die Anklage nicht anerkannt haben«, sagte Huccard anstelle einer Begrüßung. »Das ist dumm von Ihnen. Sie sollten es sich nicht übermäßig schwer machen.« Also doch, dachte Garrason. Dieser Hundesohn hat uns hereingelegt. Aber warum? »Sie könnten ja dafür sorgen, daß man uns laufen läßt«, schlug er dem Kampfagenten vor. »Das hätte zwei Vorteile. Erstens wären wir dann in der Lage, Sie weiterhin für Ihre Arbeit zu bezahlen. Zweitens ersparen Sie es sich, in absehbarer Zeit an unserer Stelle auf der falschen Seite des Gitters zu stehen. Niemand wird uns hindern können,
36 vor Gericht die Wahrheit zu sagen, und dann sind Sie dran.« Huccard lächelte freundlich. »Sie kennen sich noch nicht besonders gut aus. Vor diesem Gericht können Sie sagen, was Sie wollen – niemand wird Sie anhören. Das Urteil steht längst fest.« »Pech für Sie«, behauptete Garrason gelassen. »In diesem Fall haben Sie kaum eine Chance, Ihr Geld zu bekommen. Abgesehen davon, daß ich Ihnen in einem Punkt nicht recht geben kann: Auch wenn man uns verurteilt, werden wir alles daran setzen, Sie ebenfalls ins Gefängnis zu bringen. Wir werden es schon schaffen, verlassen Sie sich darauf.« »Sie machen den Fehler, mich zu unterschätzen«, konterte Huccard ungerührt. »Das Geld ist mir nicht so wichtig. Was Sie mir zahlen können, ist sowieso nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Das große Geld wartet an anderer Stelle auf mich. Und was Ihre Drohung angeht: Mich verhaftet mit absoluter Sicherheit niemand.« »Warum sind Sie dann hierhergekommen?« »Ich wollte Sie nicht über meine weiteren Pläne im unklaren lassen«, lächelte Huccard. »Sie brauchen sich keine überflüssigen Sorgen um Darbeck zu machen. Ich werde mich von jetzt an alleine um diesen Mann kümmern, und ich versichere ihnen, daß ich bestens für ihn sorgen werde. Ich kann es kaum erwarten, ihn als meinen Klienten zu begrüßen. Soll ich ihm ein paar Grüße von Ihnen bestellen? Vielleicht ist er so gerührt über die Fürsorge seiner Freunde, daß er mir sogar seinen Namen verrät – den richtigen, meine ich. Nun, wie finden Sie meinen Vorschlag?« Die vier Männer starrten den Kampfagenten eine Weile schweigend an. Dann wandte Garrason sich demonstrativ ab. »Kemjack ist eine Stadt der Wunder«, sagte er laut. »Es gibt sogar sprechende Ratten unter ihren Kuppeln.« Der häßliche kleine Mann auf der anderen Seite des Gitters ballte die Fäuste, riß sich
Marianne Sydow jedoch zusammen und zeigte sein schauderhaftes, schiefes Grinsen. »Ihr werdet euren Humor noch brauchen können«, versicherte er höhnisch. »Vielleicht hilft er euch, wenn ihr im eisigen Schlamm der Polminen herumwatet.« Niemand antwortete ihm, und Huccard hatte wohl auch keinen Kommentar erwartet. Er schritt hoheitsvoll von dannen. Als er außer Sichtweite war, begann Fretnorc erbittert zu fluchen. »Damit ist uns auch nicht geholfen!« knurrte Garrason. »Wir müssen etwas unternehmen.« »Welch wahres Wort«, seufzte Kelsh. »Leider ist unsere Bewegungsfreiheit einigen Beschränkungen unterworfen, nicht wahr?« »Laßt uns das alles erstmal durchsprechen«, schlug Polc-Tanier vor. »Welche Trümpfe hat dieser Zwerg überhaupt in der Hand?« »Nun«, sagte Garrason bedächtig. »Er hat dafür gesorgt, daß wir vorerst kaltgestellt werden. Er behauptet, für seine eigene Sicherheit gesorgt zu haben. Er hat einen Verdacht geschöpft, der mit Darbeck zusammenhängt. Das wären wohl die wichtigsten Punkte.« »Nicht ganz«, behauptete Kelsh. »Wir alle wissen, wie es zur Zeit in Kemjack zugeht. Huccard sagt, daß er unser Geld nicht braucht. Wie findet ihr das?« »Schlecht«, sagte Fretnorc prompt. »Nach allem, was wir auf Pejolc und hier über ihn herausgefunden haben, ist er völlig abgebrannt.« »Richtig. Aber das muß Tarnung gewesen sein. Falsche Zeugenaussagen kosten Geld. In Kemjack liegen die Tarife vermutlich äußerst niedrig, aber auf der Liste standen mindestens zwanzig Namen. Außerdem durfte er nach den Zeugen nicht aufgehört haben. Unser Urteil steht fest, und man wird uns nicht zuhören, gleichgültig, was wir sagen.« Polc-Tanier sah sich um und entdeckte den Mann, der ihnen vorhin das Problem mit den Betten erklärt hatte.
Treffpunkt der Gaukler »Vor welche Sorte von Gericht wird man hier gestellt?« fragte er. »Ein Robot«, knurrte der andere. »Es sei denn, ihr habt einen Mord auf dem Gewissen. Die Bagatellfälle werden nur von den Maschinen behandelt.« »Kennen Sie die Apparate?« Der Arkonide nickte grimmig. »Während der Spiele und in der Zeit davor braucht man nur mal falsch zu husten, dann sperren sie einen schon ein. Meistens sind es nette Nachbarn, die eine fingierte Anklage erheben. Das ist nicht teuer. Nach den Spielen werden die meisten von uns wieder freigelassen.« »Gibt es eine Verteidigung?« »Manchmal. Wenn der Angeklagte genug Geld hat. Sonst muß er für sich selbst sprechen.« »Hat es einen Sinn, wenn man der Maschine etwas zu erklären versucht?« »Natürlich. Wenn man es geschickt anstellt, lochen die Polizisten nach der Verhandlung den schon erwähnten netten Nachbarn ein – es sei denn, dieser hat für einen solchen Fall mit Bestechungsgeldern vorgesorgt.« »Es handelt sich also um einen ganz normalen Robotrichter.« Der Mann nickte verwundert. »Es wäre auch zu unwahrscheinlich«, murmelte Garrason, als der Arkonide sich anderen Dingen zuwandte. »Bei diesem Durcheinander kann es leicht vorkommen, daß auch Adlige oder andere hohe Herren einem schlechten Scherz zum Opfer fallen. Ein Automat, der lediglich die vorprogrammierten Urteile ausspuckt, wäre das beste Mittel, um die KAYMUURTES und damit das ganze System zu ruinieren. Aber wenn Huccards Behauptungen zutreffen …« »… kommen wir entweder vor einen anderen Richter«, setzte Kelsh den Satz fort, »oder der Richter hat genaue Anweisungen, wie er uns zu behandeln hat.« »Dazu müßte man ihn programmieren. Ein Robotrichter ist gegen solche Versuche ziemlich gut abgesichert.«
37 »Das ist eine glatte Untertreibung«, knurrte Garrason: »Was meinst du dazu? Du bist der Fachmann.« Polc-Tanier kratzte sich am Kinn. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte er schließlich. »Entweder setzt man uns vor der Verhandlung unter Drogen, damit wir brav unser Sprüchlein von uns geben, oder man läßt uns in diesem Gefängnis so lange schmoren, bis wir sogar die Straflager für ein Paradies halten und daher auf jede Verteidigung verzichten.« »Ich fragte nach der Möglichkeit, den Richter umzuprogrammieren!« bemerkte Garrason unwillig. »Das geht nicht. Es sei denn …« »Was?« fauchte Garrason, als Polc-Tanier auch nach mehreren Sekunden nicht weitersprach. »Das Wartungspersonal der Robotrichter ist unbestechlich«, sagte Polc-Tanier gedehnt. »Nicht, daß es sich bei ihnen um besonders aufrichtige Leute handelt! Aber die Strafen für unerlaubte Eingriffe sind hoch. Wer einen Richter mißbraucht, darf nicht auf Gnade hoffen, und außerdem muß er sich bis an sein Lebensende verkriechen. Die Richterzentrale selbst leitet die Jagd auf solche Übeltäter. Das heißt, daß es kein Entkommen gibt, denn diese Zentrale kann alle vorhandenen Überwachungsorgane zur Mitarbeit heranziehen. Nein, mit Bestechung ist da nichts zu machen. An einem Richter herumzupfuschen ist glatter Selbstmord.« »Jeder von uns weiß, daß Richter trotzdem nicht ausschließlich der Gerechtigkeit dienen«, brummte Fretnorc abfällig. »Genau darauf wollte ich hinaus«, nickte Polc-Tanier ernst. »Einige Leute sind dazu berechtigt, die Programmierung ändern zu lassen – unter bestimmten Voraussetzungen.« »Geheimdienst?« Der Wissenschaftler nickte nur. Garrason pfiff leise durch die Zähne. »Ausgerechnet wir mußten auf diesen Giftzwerg hereinfallen«, murmelte Kelsh bedrückt. »Wir wollten helfen, und statt des-
38
Marianne Sydow
sen haben wir unfreiwillig eine bildschöne Falle zusammengebastelt.« »Zum Jammern ist es zu spät«, stellte Garrason grimmig fest. »Wir müssen weg von hier. Vielleicht klappt der Trick mit Walkron noch einmal. Auf jeden Fall ist es unsere Pflicht, es wenigstens zu versuchen. Darbeck darf sich diesem System nicht nähern!«
* Je besser sich die vier Arkoniden an das Halbdunkel der Zelle gewöhnten, desto deutlicher nahmen sie die bedrückende Umgebung wahr. Die Hoffnung, sich selbst befreien zu können, sank rapide. Die Wände der niedrigen Halle waren alle fugenlos, es gab keine verschlossenen Türen, nicht einmal Ventilationsgitter. Die sanitären Anlagen waren in geradezu menschenunwürdiger Weise in der Nähe des Gitters entlang eines Stückes der Seitenwand angebracht. Nicht einmal die Toiletten waren gegen Sicht geschützt. Das Gitter selbst bestand aus Arkonstahl, die Tür war mit einem Impulsschloß gesichert. Die Männer, die im Vorraum Wache hielten, besaßen Paralysatoren. Sie zu überfallen oder mit einem Trick in das Gefängnis zu locken, wäre sinnlos gewesen, denn der Impulsschlüssel wurde hinter dem Sicherheitsschott aufbewahrt, das den Vorraum von dem übrigen Gebäude trennte. Die Wächter hatten nicht einmal die Möglichkeit, dieses Schott vom Vorraum aus zu öffnen. Sie standen mit der Wachgruppe auf der anderen Seite des Schottes nur in Bildsprechverbindung. Irgendwann rasselte es an der einen Wand, und ein schmales Stück der Verkleidung klappte auf. Dahinter standen Schüsseln mit grauem Synthobrei. Das war die gesamte Verpflegung für einen halben Planetentag. Die vier Arkoniden würgten den faden Brei widerwillig herunter, aber diejenigen, die schon etwas länger in diesem Gefängnis festgehalten wurden, stürzten sich mit Heißhunger auf die Schüsseln. Fretnorc
nutzte das Gedränge, um den Versorgungsschacht zu inspizieren, und kam zu der entmutigenden Erkenntnis, daß sich auch dort keine Ansatzpunkte für eine Flucht ergaben. »Es hilft alles nichts«, sagte Kelsh schließlich. »Wir sitzen endgültig fest. Ohne Unterstützung von draußen können wir dieses Gefängnis nicht verlassen.« Sie hatten sich mit ihren Schüsseln einen halbwegs sauberen Platz gesucht. Die Erkenntnis, daß sie absolut nichts unternehmen konnten, wirkte lähmend. »Hilfe von draußen«, murmelte Fretnorc traurig. »Die werden wir wohl kaum finden. Wer sollte sich schon um uns kümmern? Wir kennen in dieser Stadt niemanden, der überhaupt merken wird, daß wir von der Bildfläche verschwunden sind.« »Was ist mit Conquetest?« fragte Kelsh. »Du meinst natürlich nicht ihn, sondern seine Tochter«, stellte Garrason nüchtern fest. »Und du weißt genau, daß auch von dieser Seite so gut wie nichts zu erwarten ist. Die beiden sind irgendwo außerhalb der Kuppeln. Sie haben mehr zu tun, als über diese zufällige Bekanntschaft nachzudenken. Immerhin müssen sie Geld verdienen. Wenn sie wüßten, wie sehr wir in der Klemme stecken, würden sie vielleicht irgend etwas unternehmen. Aber ich glaube nicht, daß man von unserer Verhaftung draußen etwas erfahren hat.« »Dann müssen wir ihnen eine Nachricht zukommen lassen.« »Wie denn? Vergiß nicht, um welche Art von Gefängnis es sich hier handelt.« Garrason schwieg, weil ihm plötzlich etwas eingefallen war. Shacca! Der Junge hatte zwar sein Geld erhalten, aber Garrason hatte nichts davon gesagt, daß sie sich am nächsten Tag nicht treffen sollten. Es mochte ja sein, daß Shacca noch mehr herausfand. Außerdem hatte Garrason noch gar nicht geahnt, in welcher Weise sie ihre Kenntnisse über Walkron ausnutzen konnten. Würde Shacca sich überhaupt Gedanken
Treffpunkt der Gaukler machen, wenn sein Auftraggeber verschwand? Garrason hoffte es. Der Junge war gerissen und kannte sich mit den Verhältnissen in Venco-Nar aus. Abgesehen davon hatte Garrason längst erkannt, daß Shacca kein Einzelfall war. Die Verbindungen des Jungen waren phantastisch. Irgend jemand mußte gesehen haben, wie man die vier Arkoniden in dieses Gebäude gebracht hatte. Die Schüsseln waren leer, und die Männer schlenderten lustlos umher. Garrason fand den Mann, der ihnen so bereitwillig über alles Auskunft gegeben hatte. Ein Versuch kann nicht schaden, dachte der ehemalige Raumsoldat. »Ich möchte jemanden davon unterrichten, daß ich hier eingesperrt bin«, sagte er. »Wie stelle ich das am besten an.« »Es gibt keine Verbindung nach draußen.« »Wirklich nicht?« Der andere zögerte. Garrason beobachtete den Mann aufmerksam. Es schien, als hätte er eine Lücke entdeckt. »Wenn es herauskommt, hat das böse Folgen – für uns alle«, sagte der Fremde langsam. »Verstehen Sie, wir kennen das alles, denn es wiederholt sich alle drei Arkonjahre. Es trifft jeden von uns irgendwann.« »Weshalb sind Sie hier?« fragte Garrason gespannt. Der Fremde zuckte die Schultern und grinste verlegen. »Wetten im Zusammenhang mit den KAYMUURTES sind ungesetzlich, wie Sie wohl wissen. Es gibt wenige Leute, die so einem Verbot widerstehen können. Die ganz Großen in unserem Gewerbe sitzen natürlich warm und gemütlich an sicheren Orten. Diese Stadt ist ja sowieso ein durch und durch korrupter Haufen. Dieselben Behörden, die die illegalen Buchmacher verfolgen sollen, verdienen kräftig mit. Aber so unbedeutende Figuren wie ich verdienen nicht genug in diesen wenigen Tagen, um davon auch noch etwas abzugeben.« »Aha. So langsam verstehe ich. Es gibt ei-
39 ne Schutzgebühr; nicht wahr?« »Das auch. Sie gilt aber nur den Behörden gegenüber. Die Buchmacher unter sich liegen natürlich ständig auf der Lauer. So viele Kunden bleiben für die Kleinen nicht übrig. Da ist jeder Kunde wertvoll. Ein Kollege hat mich hereingelegt – möge seine Seele bis ans Ende der Zeit in den Gefilden der Dämonen schmoren! Er hat meine Kunden übernommen, und es waren ein paar zahlungskräftige Leute dabei.« Das ist ja schlimmer als in einem Dschungel, dachte Garrason, der das ganze Durcheinander allmählich überblickte. »Unternimmt die Polizei nichts gegen ihn? Sie müßte ihm doch jetzt seine schmutzigen Geschäfte noch besser beweisen können.« Der Fremde lächelte resignierend. »Die Polizei muß doch irgendwie beweisen, daß sie überhaupt etwas unternimmt«, sagte er schulterzuckend. »Er hat dafür gesorgt, daß ein Gesetzesbrecher wie ich gefaßt wurde – und den Gewinn muß er sowieso teilen. Wenn ich bei der Verhandlung Glück habe, komme ich wenigstens noch an einen Teil meines Gewinns, aber wenn er es schaffen sollte, mich in ein Straflager zu schaffen, nimmt mein netter Kollege selbstverständlich auch die übrigen Geschäfte in seine Hand.« »Was soll das nun wieder?« »Wer wettet, macht sich genauso strafbar wie jemand, der die Wette vermittelt. Und wenn es sich um größere Summen handelt, ist es nur gerecht, daß beide Seiten etwas davon haben.« »Also erpressen Sie Ihre eigenen Kunden nachträglich auch noch!« »Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken müssen …« Das ist ja herrlich, dachte Garrason. Die Buchmacher leben von den Wetten und von der Erpressung, die Polizei lebt von den Buchmachern und davon, daß diese sich gegenseitig ans Messer liefern, und bei den Spielen selbst spielt Geld ebenfalls kräftig mit, das hat man mir ja schon gesagt. Die
40 Buchmacher stehen natürlich in gewissem Maße mit den Kämpfern in Verbindung, und auch die, die die Wetten abschließen, werden dafür sorgen, daß ihre Favoriten eine Chance haben. Das ganze Volk ist miteinander verflochten. Wer soll sich da noch auskennen? Er erinnerte sich daran, wie faszinierend er früher die KAYMUURTES gefunden hatte, jene beinahe heiligen Spiele, bei denen der Beste siegen sollte. Jetzt kam er sich ziemlich dumm vor. »Was ist nun mit einer Nachrichtenverbindung?« fragte er. »Sie können etwas in die Schüsseln schreiben«, antwortete der andere. »Manchmal funktioniert es …« Garrason sah Kelsh, der eben die leeren Gefäße davontrug, und rannte hinter ihm her. Es war verrückt und mit einiger Sicherheit sinnlos, was er tat. Aber es war besser, als einfach zu resignieren. In einer Ecke hinter den Betten, wo die Wächter sie nicht sehen konnten, suchten sie ihre Taschen nach einem Schreibgerät ab. Alles, was sich irgendwie als Werkzeug oder Waffe verwenden ließ, hatte man ihnen abgenommen. Fretnorc, der sich zu ihnen gesellte, brachte schließlich einen Fettstift zum Vorschein. Es war ein so kurzes Stück, daß Garrason es kaum halten konnte. Lange dachte er darüber nach, was er schreiben sollte. Es mußte unverfänglich sein. Weder sein Name noch der des Jungen durfte erscheinen, und doch mußte Shacca sofort wissen, was gemeint war – vorausgesetzt, er erfuhr überhaupt etwas, und das war schon unwahrscheinlich genug. Endlich hatte er die richtige Formulierung gefunden. »Der Berichterstatter von Torquil bittet seinen Freund um Hilfe. Hier ist es schmutzig, und es gibt nicht einmal Seife. Wenn du diese Nachricht bekommst, mein Freund, dann bringe mir etwas, womit ich mich waschen kann.« Torquil – das war der Name der Kolonie,
Marianne Sydow der auf dem ihm zugesteckten Ausweis gestanden hatte. Und der Hinweis auf Sauberkeit mußte für den Jungen deutlich genug sein. »Das funktioniert nie!« murmelte Fretnorc. »Ich glaube selbst nicht daran«, erwiderte Garrason trübsinnig. »Aber weißt du etwas Besseres?« »Wir könnten uns dem Richter stellen. Ich weiß, wir haben keine Chance, ohne jede Strafe davonzukommen, denn ich glaube nicht, daß Huccard nur geblufft hat. Aber zu dem Straflager muß man uns erst hintransportieren. Dabei gibt es sicher irgendeine Möglichkeit zur Flucht. Wenn nicht, versuchen wir es im Lager selbst. Solche Einrichtungen haben meistens auch einen eigenen Hypersender.« Garrason nickte nachdenklich, dann warf er einen Blick auf die Uhr, die man ihm glücklicherweise gelassen hatte. »Wir warten noch zwei Tage«, entschied er. »Falls sich bis dahin nichts verändert hat, versuchen wir es. Aber erst warten wir ab. Wenn wir freiwillig unsere Verurteilung herbeiführen, gehen wir ein Risiko ein, das sich nicht kalkulieren läßt.«
8. Die Ebene zwischen Kemjack und den beiden großen Arenen hatte sich in einen gigantischen Rummelplatz verwandelt. Man konnte fast glauben, sämtliche Schausteller des Großen Imperiums wären an diesem Ort versammelt. Es gab buchstäblich nichts, was es nicht gab. Man konnte alles kaufen, alles gewinnen und alles verlieren – sogar sein Leben. Es gab Zauberer, Musikanten, Artisten, Seelenkäufer, Priester der absonderlichsten Kulte, Vorstellungen für jeden Geschmack, exotische Lebewesen in mehr oder weniger ausbruchssicheren Käfigen, Zelte, in denen jedes nur denkbare Gericht, jede Delikatesse, jedes Getränk serviert wurde und vieles mehr. Und es gab den großen Conquetest mit seiner schönen Tochter.
Treffpunkt der Gaukler Darracia allerdings hatte wenig Lust, diese Tag und Nacht anhaltende, ungeheure Feier zu genießen. Erstens war sie an solche Dinge gewöhnt. Sie verachtete die Leute, die ihr Geld zum Fenster hinauswarfen, um ein paar verblüffende Kunststücke zu sehen oder in den verschwiegenen Kammern gewisser Zelthallen künstlich erzeugte Paradiese zu durchwandern. Zweitens war die Plastikkuppel des großen Conquetest geschlossen. Darracias Vater befand sich auf einer kurzen Geschäftsreise in ein Gebiet weit nördlich von Kemjack, wo er in einer knochentrockenen Wüste im Auftrag eines Mannes namens Chorquon nach Wasser suchte. Sie wußte, wer Chorquon war. Er bekleidete den Posten eines Gefängnisleiters in Kemjack. Sie wußte auch, warum Chorquon so wild darauf war, daß Conquetest eine Wasserstelle in jener Wüste fand. Ein Gefängnisdirektor hatte offensichtlich in Kemjack gewisse Einnahmequellen. Ein anderer hoher Beamter war dahintergekommen, daß Chorquon seine manikürten Finger in höchst unsaubere Geschäfte gesteckt hatte. Dieser andere Beamte hatte vor Jahren durch Chorquons Vermittlung den Wüstenstreifen gekauft und war dabei hereingelegt worden, denn das Land war absolut wertlos. Nun hatte er Chorquon unter Druck gesetzt. Entweder kaufte dieser die Wüste zurück – zu einem haarsträubenden Preis natürlich –, oder Kemjack bekam einen neuen Gefängnisdirektor. Chorquon wollte weder das eine noch das andere. Darum versuchte er es mit Conquetest. Wurde in dem knochentrockenen Wüstenstreifen Wasser gefunden, so ließen sich damit einige Mißverständnisse klären, und Chorquon hatte eine Chance, seine Stellung zu behalten. Während Conquetest in jener Wüste seine Schau abzog, mit geheimnissvollen Utensilien hantierte, Beschwörungen murmelte, verdrehte Symbole in den Sand malte und mit seinem gegabelten Stab durch die Gegend zog, langweilte sich Darracia in dem großen
41 Wohnwagen. Pucco schmollte. Das Vogelwesen war beleidigt, weil Darracia es wegen seines Benehmens gegenüber den Fremden zurechtgewiesen hatte. Darracia versuchte es mit Beschäftigungstherapie und reparierte systematisch alles, was irgendwie fehlerhaft war. Aber leider war Conquetest ein sehr ordnungsliebender Mann, und so saß sie nach kurzer Zeit gelangweilt herum. Und dann kam sie auf eine Idee. Sie erinnerte sich an die fünf Männer, und es war durchaus kein Zufall, daß sie besonders oft an Kelsh dachte. Der lustige Bursche mit den kindlich großen Augen hatte ihr sofort gefallen. Natürlich war es eine Unverschämtheit von diesem Kerl gewesen, mitten in der Nacht an ihrer Tür zu erscheinen, aber sie hätte ihn doch gerne wiedergesehen. Selbstverständlich wußte Darracia, daß sie Kelsh und die anderen nur durch einen besonders glücklichen Zufall finden könnte, aber sie hatte ohnehin nichts Besseres zu tun. Zwei Tage lang trieb sie sich in Kemjack herum, besuchte unzählige Lokale, in denen sie die Arkoniden anzutreffen hoffte, und fand – nichts. Allmählich wurde sie unruhig. Darracia hatte sich ein ziemlich genaues Bild von diesen Männern gemacht. Solange sie denken konnte, reiste sie mit ihrem Vater von einem Planeten zum anderen. Sie war mit allen Aspekten des Lebens vertraut, und als Tochter eines Schaustellers hatte sie sich eine recht gute Menschenkenntnis erworben. Sie konnte das, was sie von zumindest vier Männern der Gruppe wußte, mit deren offensichtlicher Untätigkeit nicht vereinbaren. Und dann sah sie Huccard. Sie stand am Eingang einer Spielhalle und beobachtete die Leute, immer noch in der Hoffnung, Kelsh oder einen seiner Freunde zu entdecken. Huccard ging kaum zwei Meter von ihr entfernt über die Straße und steuerte ein Gebäude an, das als Stadtgefängnis gekennzeichnet war. Im ersten Augenblick wollte Darracia ihm
42 nachlaufen. Er mußte ja wissen, wo seine Freunde sich aufhielten. Aber sie erinnerte sich an Conquetests Warnung. Ihr Vater mochte diesen häßlichen kleinen Mann nicht, und er hatte behauptet, daß Huccard nicht der wäre, der zu sein er vorgab. Darracia achtete sorgfältig darauf, daß Huccard sie nicht zu sehen bekam. Der Kampfagent trat den Wachen am Eingang des Gefängnisses sehr selbstsicher entgegen. Was er sagte, war nicht zu verstehen, denn seine Stimme ging im Getöse rettungslos unter. Aber die Wachen ließen ihn passieren, und Huccard verschwand hinter dem metallenen Tor der Mauer, die das Gelände umgab. Als er außer Sicht war, schlenderte das Mädchen scheinbar gelangweilt in dieselbe Richtung. Sie war davon überzeugt, daß die Männer vor dem Tor nicht gerade mit Begeisterung ihren Dienst versahen. Um sie herum quoll die Stadt vor Leben beinahe über, und sie mußten stocksteif ein Tor bewachen, das ohnehin durch Impulsschlösser und einen Prallfeldschirm gesichert war. Ihre Rechnung ging auf. Die armen Kerle nutzten jede Gelegenheit, um ein bißchen was vom Trubel abzubekommen. »He, Hübsche!« rief der eine Posten, als Darracia an ihm vorbeischwebte. Sie sah sich kurz um und ging weiter, als hätte sie nichts gehört. Der Arkonide reagierte prompt. Er verließ seinen Platz, war mit zwei langen Schritten bei Darracia und tippte ihr auf die Schulter. »Du sprichst wohl nicht mit jedem, wie?« fragte er vorwurfsvoll. Darracia betrachtete ihn von oben bis unten. Der Uniformierte – er war höchstens achtzehn Jahre alt – wurde rot bis an die Haarwurzeln: »Was willst du?« fragte sie gelangweilt. »Nichts«, stotterte der junge Mann. »Ein bißchen mit dir reden.« »Worüber?« »Nur so. Ich weiß nicht. Es ist sehr langweilig, immer da herumzustehen.« »Das kann ich mir denken«, lächelte Dar-
Marianne Sydow racia verständnisvoll. »Was machst du da überhaupt?« »Nichts Besonderes. Das ist das Gefängnis, weißt du, und darum muß eben hier eine Wache stehen. Die Vorschriften verlangen es.« Das Mädchen tat, als sähe es das Tor und das dahinterliegende Gebäude mit seiner Aufschrift zum erstenmal. Sie legte den Kopf in den Nacken und stellte fest, daß oberhalb der Mauer die Luft flimmerte. »Dann sind diese Vorschriften ziemlich dumm«, bemerkte sie gelassen. »Du willst doch nicht behaupten, daß da jemand ausbrechen kann? So viel weiß ich auch über die üblichen Sicherheitsvorkehrungen.« »Es ist noch niemand ausgebrochen«, bestätigte der Arkonide bereitwillig. »Es wäre auch unmöglich. Das ganze Gelände wird von einem Schutzschirm überspannt, und es von unten zu versuchen, ist ebenfalls unmöglich. Aber es kommen ja manchmal Leute, die die Häftlinge besuchen wollen. Die müssen genau kontrolliert werden.« »Ach so. Jetzt erinnere ich mich. Eben ging ja jemand hinein, nicht wahr? So ein häßlichen Zwerg, du hast ihn ja gesehen. Er hat mich da drüben, dicht neben der Spielhalle, angehalten und mich gefragt – na ja, du weißt schon. Er hatte Glück, daß mein Vater nicht in der Nähe ist, sonst könnte er jetzt seine Knochen zählen.« »Ich würde es ihm gönnen«, stimmte der junge Wächter spontan zu. »Ein ekelhafter Bursche. Ich glaube nicht, daß die Leute, die er verraten hat, ihn besonders freundlich empfangen werden.« »Ein Verräter ist er auch noch?« »Sogar einer von der ganz miesen Sorte. Er hat die vier anderen ganz schön hereingelegt. Aber warum unterhalten wir uns über diesen Kerl, das ist doch glatte Zeitverschwendung. Können wir uns nicht heute abend treffen?« Darracia tat, als müsse sie überlegen. »Wann und wo?« fragte sie dann. »In zwei Stunden!« stotterte der junge Mann hocherfreut. »An der Spielhalle, ist dir
Treffpunkt der Gaukler das recht?« Das Mädchen nickte, dann blickte es die Straße entlang und duckte sich hastig. »Mein Vater kommt!« flüsterte sie schnell. »Er darf uns nicht zusammen sehen. Bis nachher!« Bevor der verwirrte Wächter etwas erwidern konnte, war das Mädchen im Strom der Passanten untergetaucht. Darracia ließ sich treiben und dachte nach. Einige Minuten später entdeckte sie ein Straßenlokal, suchte sich einen freien Platz und bestellte sich etwas zu trinken. Die Situation war – wie sie fand – eindeutig. Huccard war genau das, wofür Conquetest ihn gehalten hatte. Kelsh und die anderen saßen also im Gefängnis. Und dieses Gefängnis war so gut abgesichert, daß es kaum eine Möglichkeit gab, die armen Kerle zu befreien. Dennoch war Darracia fest entschlossen, genau das zu versuchen. Sie mußte die vier Männer herausholen, auch wenn ihr vorerst nicht klar war, wie sie es anstellen sollte. Jedesmal, wenn sie von ihrem Getränk aufsah, fiel ihr Blick auf eine kleine, verwahrloste Gestalt. Der Junge hockte ihr gegenüber an der Hauswand. Und er starrte Darracia unverwandt an. Schließlich hatte sie genug davon. Sie legte einen Merkon neben das Glas und ging hinüber. »Warum starrst du mich an?« fragte sie. Der Junge war aufgestanden. Er musterte Darracia mißtrauisch und wachsam. Er war zu sofortiger Flucht bereit. »Sie haben mit dem Wächter gesprochen«, sagte er vorsichtig. »Ich habe es gesehen – und gehört.« »So. Und was ist daran ungewöhnlich?« »Sie kennen den häßlichen kleinen Mann, nicht wahr? Und Sie kennen auch die vier anderen Männer.« Darracia war überrascht. Sie dachte an einen Bettlertrick, aber irgendwie hatte sie den Eindruck, daß sie dem Jungen damit Unrecht tat. Andererseits – was hatte er mit Kelsh und seinen Freunden zu tun? Was wußte er?
43 »Ich kenne die Männer«, bestätigte sie. »Und was ist mit dir?« »Ich habe für den einen gearbeitet«, sagte der Junge hastig. »Er heißt Garrason. Sie haben ihn eingesperrt, und ich möchte ihm helfen.« Darracia fragte sich, was diese zerlumpte kleine Gestalt gegen das vielfach abgesicherte Gefängnis zu unternehmen gedachte. Und dann kam ihr zu Bewußtsein, daß sie selbst nicht viel besser dastand. Der Junge war zwar noch ein Kind, aber es schien, als sei er in dieser Stadt aufgewachsen. Darracia hielt es nicht für unmöglich, daß der Junge ihr einige wertvolle Informationen geben konnte. »Das interessiert mich«, murmelte sie. »Wir wollen ein bißchen darüber reden.« »Nicht hier«, antwortete das Kind sofort. »Es ist zu gefährlich. Ich weiß einen Ort, an dem uns niemand stört. Werden Sie mitkommen?« Sie dachte flüchtig an die Möglichkeit, daß der Junge sie nur in eine Falle locken sollte. Vielleicht hatte man ihn sogar auf sie angesetzt. Huccard würde es bestimmt fertig bringen, sogar ein Kind für seine schmutzigen Pläne zu mißbrauchen. Aber erstens hatte Darracia keinen großen Geldbetrag bei sich, und zweitens wußte sie sich ihrer Haut zu wehren. Für alle Fälle hatte sie auch einen kleinen Paralysator in der Tasche. »Ich komme«, sagte sie. »Aber erst will ich wissen, wie du heißt.« Shacca nannte grinsend seinen Namen und führte Darracia in das Labyrinth der Höfe und Gassen jenseits der breiten Straße.
* Darracia hörte sich Shaccas Geschichte an. Der Junge hatte am vereinbarten Treffpunkt auf Garrason gewartet. Als ihm klar wurde, daß der Arkonide sich nicht einfach verspätet hatte, war er in den Bezirk der Lagerhallen vorgedrungen. Er war Garrason nämlich am Tag zuvor heimlich gefolgt und wußte daher, wo sein Auftraggeber die
44 Nacht verbrachte. Shacca fand die Spuren des kurzen, ungleichen Kampfes und wurde bei seinen Untersuchungen um ein Haar von Huccard überrascht. Es gelang ihm, sich rechtzeitig in dem unordentlichen Raum zu verbergen. Huccard hatte sich sehr sicher gefühlt. Nach einigem Herumfingern an einem Wandschrank, der äußerlich den Anschein erweckte, als würde er bei der geringsten Erschütterung zusammenbrechen, schwang ein mit alten Plakaten vollgestopftes Fach zur Seite. Das Gerät, dessen Bedienungsfront damit sichtbar wurde, war nichts anderes als ein Hyperfunksender. Shacca hockte mäuschenstill in seiner Ecke und lauschte, als der angebliche Kampfagent ein äußerst aufschlußreiches Gespräch führte. »Agent ist er zwar«, behauptete Shacca, »aber die GLORIOC ist nur Fassade. Der Kerl gehört zum Geheimdienst. Das meiste, was er gesagt hat, blieb ziemlich unverständlich. Ich glaube, das waren nur Losungsworte und so. Dann unterhielt er sich mit einem anderen Mann und behauptete, in Kemjack wäre alles ruhig und er hätte keine Veranlassung, seine Position in Keme zu verlassen. Dort wäre er gerade einer vielversprechenden Sache auf der Spur.« »Keme!« sagte Darracia überrascht. »Garrason und die anderen kamen von dort. Warum will Huccard nicht, daß seine Vorgesetzten erfahren, daß er mit den anderen nach Venco-Nar gegangen ist?« »Keine Ahnung. Wahrscheinlich will er das Geschäft ohne den Geheimdienst machen.« »Was für ein Geschäft?« »Ich weiß es noch nicht genau. Es geht um einen Mann namens Darbeck. Huccard hat noch eine zweite Verbindung hergestellt. Ich habe keine Ahnung, mit wem er sprach, aber er erwähnte diesen Namen. Und dann fragte er, ob das Schiff termingerecht nach Hire käme. Um welches Schiff es sich handelt, erwähnte er nicht. Es blieb alles sehr verschwommen. Aber zum Schluß sagte er,
Marianne Sydow daß er so schnell wie möglich aufbrechen würde.« Darracia stützte den Kopf in die Hände und versuchte, einen Sinn hinter all dem zu sehen. Darbeck – sie erinnerte sich daran, diesen Namen gehört zu haben. Es handelte sich um einen Kandidaten für die AmnestieKAYMUURTES. Kelsh und seine Freunde hatten Huccard damit beauftragt, für Darbeck zu arbeiten. Shacca hatte berichtet, daß Garrason nach einer Möglichkeit gesucht hatte, über Hyperfunk eine Nachricht durchzugeben. Das hieß, daß Huccard die Existenz seines Senders geheimgehalten hatte. Warum? »Das ist einfach«, behauptete Shacca, als das Mädchen diese Frage stellte. »Sie wären natürlich sofort auf die Idee gekommen, daß mit Huccard etwas nicht stimmt .« »Das könnte bedeuten, daß er diesen Darbeck haben will. Er muß sich ausgerechnet haben, daß dieser sich nur durch einen genau formulierten Funkspruch nach Hire locken läßt. Diese Nachricht konnte er nicht selbst formulieren, und wenn die anderen den geringsten Verdacht schöpften, würden sie den Inhalt der Nachricht ändern. Also sorgte Huccard dafür, daß so ein Verdacht nicht auftauchte. Die Suche nach der Gelegenheit, eine Nachricht abzusetzen, mußte so schwierig wie möglich aussehen. Sobald Darbeck dann benachrichtigt war, stellte er die einzigen Leute, die seinen Plan gefährden konnten, auf sehr einfache Weise kalt.« »Er hat uns vergessen«, grinste Shacca schadenfroh. »Da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Darracia bedrückt. »Ich halte Garrason für einen überaus vorsichtigen Mann. Es mag sein, daß er dich in Huccards Gegenwart nicht erwähnte. Aber mich hat der Kerl leider sehr genau gesehen.« »Er wird es für völlig abwegig halten, daß Sie sich für die ganze Sache interessieren«, meinte Shacca gelassen. Darracia warf dem Jungen einen scharfen Blick zu. Irgend etwas an diesem Kind war merkwürdig. Aber sie hatte das beruhigende
Treffpunkt der Gaukler Gefühl, dem Jungen vertrauen zu können. »Was nun?« fragte sie nachdenklich. »Wenn wir mit Garrason oder einem der anderen sprechen könnten …« »Unmöglich. Die Wächter würden uns nicht passieren lassen. Wir haben keinen einzigen glaubhaften Grund, das Gefängnis zu betreten.« Shacca dachte angestrengt nach. »Sie dürfen natürlich nicht gehen«, murmelte er. »Einer der Wächter könnte Ihrem Freund erzählen, daß Sie inzwischen am Tor aufgetaucht sind …« »Er ist nicht mein Freund!« »Dann eben nicht«, grinste Shacca ungerührt. »Auf jeden Fall gehören Sie nicht zu den Frauen, die man einfach übersieht. Aber bei mir ist das anders«, fuhr Shacca fort. »Ich bin ja nur ein Kind. Es ist üblich, daß Jungen wie ich sich an Fremde vermieten – als eine Art Fremdenführer. Garrason hat mir eine Menge Geld gegeben, und ich denke, ich bin es ihm schuldig, daß ich mich um ihn kümmere.« »Sie werden dich mit Tritten davonjagen!« behauptete Darracia ahnungsvoll. »Warum sollten sie sich diese Mühe machen?« fragte Shacca und lächelte abfällig. »Und ein Versuch kann nicht schaden. Am besten mache ich mich gleich auf den Weg. Wollen Sie hier auf mich warten?« »Nein. Ich komme mit. Keine Angst, die Wächter werden mich nicht sehen. Ich muß einfach wissen, ob es funktioniert oder nicht.« Shacca nickte nur. Wenig später stand der Junge vor dem Tor. Darracia wagte sich nicht zu weit vor, aber sie bemerkte, daß zwischen Shacca und den Wächtern ein Streit entstand. Der Junge wirkte erstaunlich selbstsicher. Und tatsächlich öffnete sich nach einiger Zeit das Tor. Shacca durchschritt es so stolz, als wäre er der Imperator persönlich. Darracia kehrte nachdenklich in das winzige Zimmer zurück, in dem sie auf Shacca warten wollte. Sie fühlte sich nicht sehr wohl bei dem Gedanken, daß der Junge ganz alleine den
45 Kampf gegen sture Beamte führte.
* Shacca wußte sehr genau, was er wollte. Sein Plan war einfach, und wie die meisten einfachen Pläne ging er erfolgreich aus. Shacca hatte einem Mann namens Garrason einige Tage lang gedient. Jeder Arkonide in Kemjack kannte sich mit den Regeln solcher Geschäfte aus. Shaccas Beschäftigung war nicht unbedingt legal, aber das störte ihn überhaupt nicht. Die Polizisten kannten ihn gut genug, sie würden es nicht wagen, sich mit ihm anzulegen. Shacca trug in seinem kleinen, schmutzigen Kopf eine Menge Informationen mit sich herum. Wenn er an der richtigen Stelle seine Kenntnisse preisgab, so würde dies zur Folge haben, daß der gesamte Polizeiapparat von Kemjack einer umfangreichen Reinigungsprozedur unterzogen wurde – worauf begreiflicherweise niemand in dieser Stadt Wert legte. Garrasons Verhaftung hatte Shaccas Geschäfte arg gestört – jedenfalls behauptete der Junge das. Garrason schuldete ihm den Lohn für zwei Tage Arbeit. Dafür hatten die Wächter Verständnis. Shacca wiederholte seine Forderung an mehreren Stellen und erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß man den vier Häftlingen alles Bargeld abgenommen hatte. Er erfuhr es nicht so direkt, aber man behauptete, daß Garrason völlig mittellos sei. Daraufhin forderte Shacca, man solle ihn mit Garrason reden lassen. Dem Arkoniden würden vielleicht die Namen einiger Freunde einfallen, die seine Schuld begleichen wollten. Shacca stand unter dem Schutz der Mietbruderschaft, mit der die Stadtpolizei von Kemjack möglichst keine Differenzen haben wollte, und daher erfüllte man dem Jungen den Wunsch. Jeder wußte, was mit Kunden geschah, die nicht zahlten – wenn Garrason nur einen Funken Verstand hatte, würde er alles tun, um mit Shacca ins Reine zu kommen.
46 »Garrason!« rief der Junge, als er vor dem Gitter stand. »Ich muß mit Ihnen reden!« Die Wächter vertieften sich wieder in ihr Würfelspiel. Sie wollten von dieser Unterhaltung nichts mitbekommen. Es brachte nur Ärger ein, wenn man sich um Dinge kümmerte, die einen nichts angingen. »Shacca!« stieß Garrason überrascht aus. »Was machst du hier? Wie hast du mich gefunden?« »Ich arbeite für Sie!« sagte Shacca laut und sah unauffällig zu den Wachen hinüber. »Haben Sie das etwa vergessen?« »Ich habe versucht, dir eine Botschaft zu schicken«, flüsterte Garrason dicht an den Gitterstäben. »Hast du sie bekommen?« »Nein«, gab Shacca leise zurück. »Aber ich habe Neuigkeiten für Sie!« Schnell und konzentriert berichtete er über seine Beobachtungen und über Darracia. Garrason verschlug es fast den Atem, als er hörte, daß Huccard ein Hyperfunkgerät in seiner Bruchbude verbarg. Immerhin waren jetzt einige Unklarheiten beseitigt. Noch während der Junge redete, beschäftigte Garrason sich mit der Frage, was sich aus diesem Besuch machen ließ. »Hast du etwas zum Schreiben?« fragte er, als Shacca schwieg. Der Junge fischte einen zerknitterten Fetzen Brieffolie aus der Tasche, suchte nach einem Schreibstift und ging nach einigen Sekunden zum Wächtertisch hinüber. Garrason beobachtete den Jungen verwundert. »Könnt ihr mir diesen Stift borgen?« fragte Shacca selbstsicher. »Mein Kunde möchte mir eine Adresse aufschreiben.« Einer der Wärter blickte mit spöttischem Grinsen zu Garrason hinüber. Der Arkonide sah in diesem Augenblick nicht gerade geistreich aus. »Nimm dir, was du brauchst«, sagte der Wärter und nickte dem Jungen anerkennend zu. »Er hat nicht damit gerechnet, daß du ihm sogar hierher folgst, wie?« »Natürlich nicht«, antwortete Shacca gleichmütig. »Aber dieser Irrtum kommt ja oft vor.«
Marianne Sydow Der Wächter lachte schallend. »Was hast du den Kerlen gesagt?« wollte Garrason mißtrauisch wissen, denn allmählich kam ihm der Junge wirklich unheimlich vor. War dies eine neue Falle? »Daß ich für Sie gearbeitet habe, und daß Sie noch Schulden bei mir haben. Anders ging es leider nicht. Sie hätten mich sonst nicht zu Ihnen gelassen.« Garrason schluckte die Fragen hinunter, die ihn bedrängten. Hastig schrieb er ein paar Worte auf und gab Shacca den Zettel. »Paß auf!« flüsterte er. »Wenn es dir oder Darracia gelingt, diesen Spruch über Hyperfunk abzugeben, ist alles in Ordnung. Versucht es mit Huccards Gerät. Es ist ganz einfach. Du mußt den blauen Hebel rechts unten herumlegen und warten, bis der Zeiger der darüberliegenden Skala sich auf Null eingependelt hat. Dann ist das Gerät sendebereit. Neben der Skala befindet sich der Frequenzwähler. Ich habe dir den Wert, den du einstellen mußt, aufgeschrieben. Wenn das erledigt ist, brauchst du nur das Mikrophon einzuschalten. Ist es eingebaut, oder hat Huccards es in die Hand genommen?« »Er hatte es in der Hand«, bestätigte Shacca. »Gut. Auf der unteren Griffläche findest du einen Kippschalter. Die Seite, die zu dir hinzeigt, muß nach unten einrasten. Dann sprichst du diese Nachricht direkt hinein. Vergiß nicht, alles wieder auszuschalten und den Frequenzwähler auf den ursprünglichen Wert einzustellen. Hast du alles mitbekommen?« »Ich bin doch nicht dumm!« »Nein«, sagte Garrason und lächelte leicht. »Das bist du wirklich nicht.« »Sind Sie sicher, daß Ihre Freunde den Spruch auffangen werden?« »Absolut sicher. Wenn es dir und dem Mädchen gelingt, Darbeck auf diese Weise zu warnen, wird Huccard eine bildschöne Enttäuschung erleben. Alles weitere ist unwichtig. Mach dir keine Sorgen um uns, wir kommen schon zurecht.« »Wir werden den Spruch auf den Weg
Treffpunkt der Gaukler bringen«, versprach Shacca. »Aber anschließend werden wir uns Gedanken darüber machen, wie wir euch hier herausholen können. Wenn ich kann, gebe ich Ihnen vorher Bescheid.« Garrason wollte noch etwas sagen, aber Shacca hielt es für besser, die Arglosigkeit der Wächter nicht noch stärker zu strapazieren. »Es ist gut, daß Sie mir den Weg zu Ihrem Freund gezeigt haben«, sagte er laut. »Schulden sind eine unangenehme Sache. Ich bin froh, daß nun alles geregelt ist.« Garrason sah ihm nach, als er zum Schott ging. Shacca sah vor der mächtigen Metallplatte sehr klein aus. Dem Arkoniden wurde jetzt erst bewußt, welche Verantwortung er dem Jungen übertragen hatte. Nicht nur das. Wenn jemand Shacca abfing oder der Junge einen unbekannten Auftraggeber hatte, der das ganze Spiel leitete … Aber daran wollte Garrason nicht glauben. Er mußte dem Jungen vertrauen. Eine andere Wahl blieb ihm nicht. Er drehte sich um und kehrte zu seinen Freunden zurück, die weiter hinten gewartet hatten, um die Wächter nicht mißtrauisch zu machen. Obwohl Garrason gute Neuigkeiten überbrachte, blieben die Männer skeptisch. Sie hatten auch allen Grund dazu. Als Shacca und Darracia das Büro der GLORIOC erreichten, standen sie vor einem Trümmerhaufen. Die Polizisten und Löschmannschaften zogen sich gerade zurück. »Was ist denn hier passiert?« fragte Shacca einen der Beamten. »Nichts, was dich interessieren könnte!« knurrte der Mann den Jungen an. »Eine kleine Explosion – aber das siehst du schließlich selbst. Geh nach Hause zu deiner Mutter, du Knirps, und laß dich waschen. Du stinkst ja schon vor Dreck!« »War jemand in dem Haus?« fragte Shacca. »Zum Glück nicht. Aber jetzt geh endlich. Das hier ist kein Spielplatz!« Als sie in den belebteren Teil der Stadt zurückkehrten, sagte Darracia plötzlich:
47 »Jetzt kann nur noch mein Vater helfen.«
* Der große Conquetest war über die Störung nicht sehr erfreut. Darracias Bitte, sofort in die Ebene vor Quutan-Cohr zurückzukehren, paßte ihm noch weniger. »Hör mal, mein Kind!« knurrte er. »Ich muß Geld verdienen, das weißt du doch.« »Aber du hast das Wasser doch längst gefunden!« Conquetest lächelte düster. »Woher weißt du das? Schon gut, du kennst mich eben. Aber ein paar Tage sinnloses Getue bringt mir in diesem Fall mehr Geld ein als unsere Vorstellungen.« »Bist du allein?« »Würde ich sonst so offen über meine Geschäfte sprechen?« Darracia ging auf diese Frage nicht ein, sondern erklärte ihrem Vater kurz das Problem. »Ich sagte diesem Kelsh doch, daß auf Huccard kein Verlaß ist!« murmelte er düster, als er alles erfahren hatte. »Jetzt haben wir die Bescherung. Aber was geht uns das eigentlich an! Die Männer sind alt genug, um auf sich selbst aufzupassen, und wenn sie nicht …« »Ich bitte dich darum, Vater!« Conquetest musterte seine Tochter, und seine Augen wurden schmal. »Du hast den Burschen also immer noch nicht vergessen«, stellte er fest. Darracia schwieg. Conquetest seufzte und dachte nach. Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. »In welchem Gefängnis sitzen die vier?« fragte er. »Im Stadtgefängnis von Kemjack.« »Aha. Wußtest du, daß Chorquon dieses Erholungsheim leitet?« »Ich dachte es mir.« »Er ist mir einen Gefallen schuldig. Wenn ich ihm jetzt die Stelle zeige, an der das Wasser vier Meter tief darauf wartet, daß man es benutzt, dann wird ihn das sicher sehr freuen. Ja, ich denke, wir werden dei-
48 nen Freund und die anderen herausholen können. Ich bin in ein paar Stunden bei dir. Inzwischen könntest du dich erkundigen, ob Valastorior schon eingetroffen ist. Kann sein, daß ich seine Hilfe brauche.« »Er hat seine Menagerie inzwischen sogar schon aufgebaut. Sie steht fünf Meter von unserer Kuppel entfernt. Dazwischen hat sich eine kleine Trinkstube geschoben.« Conquetest nickte zufrieden. »Geh zu ihm und sieh dir seine Tiere an. Sprich mit ihm, ich weiß, daß er dich mag. Dir wird er keine Bitte abschlagen. Wir brauchen ein Tier, das groß ist und wild aussieht, sich aber von Valastorior selbst mühelos beherrschen läßt. Wir werden eine große Vorstellung geben. Richte alles so her, daß wir bis zu einhundertfünfzig Leute bequem unterbringen können. Sorge dafür, daß der Weg zum Versteck frei ist. Auf welcher Seite steht die Menagerie?« »Rechts.« »Gut. Trenne die Kuppelnaht auf dieser Seite direkt neben der Bühne auf. Man darf aber nichts davon sehen, verstehst du? Der Riß muß so groß sein, daß Valastoriors Bestie mühelos hindurchpaßt, und wenn es später eine Untersuchung geben sollte, muß es wie ein Unfall aussehen.« »So langsam verstehe ich«, nickte Darracia zufrieden. »Ich werde für alles sorgen. Wann soll es geschehen?« »Noch heute abend, wenn ich mit Chorquon klarkomme. Den genauen Zeitpunkt teile ich Valastorior noch mit.« »Er wird sich nicht ohne Gegenwert an dem Spaß beteiligen.« »Das weiß ich. Biete ihm dreitausend Chronners. Das ist für den alten Knaben ein Vermögen, und er wird den Köder schlucken. Ist alles klar?« »Bei mir ja!« grinste Darracia und sah vergnügt zu, wie Conquetest ihr zunickte und die Verbindung dann unterbrach. Shacca, der in einer Ecke des Raumes saß, rieb sich die Hände. »Das gefällt mir«, kicherte er. »Endlich ist etwas los!«
Marianne Sydow Darracia befahl dem Jungen, zu warten und niemanden hereinzulassen, dann machte sie sich auf den Weg zu Valastorior. Als Conquetest zweieinhalb Stunden später von einem Gleiter neben dem Wohnwagen abgesetzt wurde, hatte das Mädchen alle Vorbereitungen getroffen. »In genau drei Stunden geht es los«, sagte Conquetest.
9. Chorquon war nicht gerade begeistert von dem Vorschlag, den Conquetest ihm unterbreitete. Aber da draußen, vor dem Gleiter, schimmerten noch die Pfützen auf dem hellen Gestein. Das Bohrloch hatten sie verschlossen. Chorquon hatte persönlich die Meßgeräte bedient. Es war ihm völlig unklar, warum niemand dieses sehr reiche Wasservorkommen in so geringer Tiefe bisher entdeckt hatte. Conquetest schien tatsächlich über geheimnisvolle Fähigkeiten zu verfügen. Und Conquetest war billig. Er forderte dreitausendfünfhundert Chronners, das war für Chorquon nicht viel mehr als ein Trinkgeld. In den Wochen vor Beginn der KAYMUURTES verdiente der Leiter des Stadtgefängnisses im Durchschnitt pro Tag das Zehnfache dieser Summe. Allerdings war da dieser Haken. Eine Gratisvorstellung, bei der alle Häftlinge des Stadtgefängnisses anwesend waren – der Gedanke erschien Chorquon völlig absurd. Er fragte Conquetest, warum er diesen Galgenvögeln ohne jede Bezahlung seine Künste zeigen wollte. »Einige meiner Spiele verraten mir nahezu alles über die Personen, die daran beteiligt sind«, erklärte er. »Mag sein, daß ich bei dem einen oder anderen Häftling gewisse Hinweise finde. Ich suche einen Mann – und ich könnte mir denken, daß gerade VencoNar ihn magisch anzieht. Hundertmal war ich ihm schon auf der Spur, und immer ist er entkommen. Ich habe gehört, daß er in Kemjack war, zwei oder drei Tage vor mei-
Treffpunkt der Gaukler ner Ankunft. Dann verschwand er spurlos.« Chorquon runzelte nachdenklich die Stirn. »Das könnte passen«, gab er zu. »Warum suchen Sie ihn?« »Er hat meine Frau getötet!« sagte Conquetest hart. Das war nicht einmal eine Lüge. Darracias Mutter war unter seltsamen Umständen ums Leben gekommen. Der Mann, der die Hintergründe kannte, war unauffindbar. Conquetest hatte verschwommene Hinweise, die ihn allerdings nicht nach Venco-Nar geführt hatten. Für Chorquon klang das Argument überzeugend. »Hoffentlich finden Sie ihn!« sagte er. »Sie sind also einverstanden?« »Ja, aber ich stelle eine Bedingung: Wenn Sie andere Hinweise finden, unterrichten Sie mich! Es laufen im Großen Imperium immer einige Leute herum, auf deren Kopf ein Preis ausgesetzt wurde. Sie verstehen doch?« »Natürlich«, nickte Conquetest und lächelte verständnisvoll. »Ein gutes Verhältnis zu den Behörden war mir schon immer außerordentlich wichtig.« Hätte Chorquon geahnt, welches Spiel Conquetest mit ihm trieb, so hätte der Wassersucher den Wüstenstreifen vermutlich nicht lebend verlassen. Aber Chorquon war von einer Gier besessen, die seinen Verstand trübte. Er wollte Geld. Viel Geld. Und in Gedanken rieb er sich bereits die Hände. Seinem Gegner würde er mit dem kristallklaren Wasser in jenem Loch den Mund stopfen. Und wenn er das unverschämte Glück hatte, mit Conquetests Hilfe einen der gesuchten Verbrecher zu erwischen, dann war der Tag nicht mehr fern, an dem er Venco-Nar verlassen und auf einem freundlicheren Planeten ein angenehmes Leben führen würde. Diese erfreulichen Überlegungen ließen ihn die Zukunft in den herrlichsten Farben sehen. Er verabschiedete sich von Conquetest und kehrte vergnügt in das Gefängnis zurück. »Wir machen einen Ausflug mit dem gan-
49 zen Haufen«, erklärte er dem obersten Aufseher. Dem Mann blieb vor Staunen der Mund offen. »Unsere lieben Freunde sollen doch auch etwas von dem Trubel mitbekommen. Schauen Sie mich nicht so blöd an, ich weiß genau, was ich will. Ich habe einen Hellseher dazu überredet, sich die Burschen anzusehen. Vielleicht erwischen wir einen von den ganz Großen in diesem Geschäft.« Der Aufseher begriff und grinste. Die Leute, an die er den Befehl weitergab, grinsten ebenfalls. Und so kam es, daß eine Horde fröhlich gestimmter Wächter die einhundertsechsunddreißig Insassen dieses Gefängnisses in Lastengleiter trieben und sie vor der Kuppel des großen Conquetest absetzten. Ein Spalier von Bewaffneten bildete eine Gasse, durch die die Häftlinge in die Kuppel gingen.
* »Da ist doch etwas faul!« hatte Kelsh geflüstert, als sie aus dem vergitterten Raum geholt und auf einen Hof gebracht wurden. »Ich habe gehört, daß alle Häftlinge hier versammelt sein sollen, und das sind doch nicht einmal zweihundert Leute.« »Das Gefängnis ist klein«, murmelte Garrason nachdenklich. »Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, daß es so wenige Gefangene gibt.« »Das ist doch ganz einfach«, mischte Fretnorc sich ein. »Wenn die vorhandenen Räume voll sind, verfrachtet man die Leute und bringt sie in ein Auffanglager. Dieses Verfahren kennt doch jeder. Eine Verurteilung hat schließlich noch Zeit.« Die anderen schwiegen, denn Fretnorc hatte den Kern ihrer Befürchtungen getroffen. Dann kamen die Lastgleiter. Die Wächter wirkten ungewöhnlich vergnügt – auch das war ein Grund zum Mißtrauen. »Wohin bringt ihr uns?« fragte Garrason, als er an einem der Uniformierten vorbei mußte. »Das wirst du noch früh genug erfahren!«
50 gab der Wächter zurück. »Los, geh weiter. Du hältst ja den ganzen Betrieb auf!« Die Lastengleiter waren für Gefangenentransporte eingerichtet, und das hieß, daß es nur in der Kanzel Fenster gab. Die Männer saßen dichtgedrängt auf den schmalen Bänken und dem harten Boden. Sie merkten, daß das Fahrzeug sich bewegte, hatten jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, wohin die Fahrt ging. Einmal gab es einen Aufenthalt. Das war wahrscheinlich an einer der Schleusen. Dann wurde die Fahrt fortgesetzt – und zwei Minuten später kam der Befehl zum Aussteigen. »Was soll das?« murmelte Kelsh beunruhigt. »Paßt auf, daß wir nicht voneinander getrennt werden«, sagte Garrason leise, während weiter hinten bereits die ersten Häftlinge ins Freie kletterten. Durch die Öffnung drang ein unbeschreiblicher Lärm herein. Musikfetzen, das Dröhnen übersteuerter Lautsprecher, das Gewirr unzähliger Stimmen. Garrason schnupperte verblüfft – es roch nach Tieren, Wein, Rauschkräutern. Er begann zu begreifen, aber er zwang sich, ganz kühl zu bleiben. Dennoch mußte er immer wieder an Shacca denken. Darracia hatte Kontakt mit dem Jungen. Was hatten die beiden sich ausgedacht? Endlich waren sie an der Reihe. »Weitergehen!« raunte Garrason PolcTanier und Fretnorc zu, die direkt vor ihm waren. Seine Warnung kam gerade rechtzeitig. Die beiden waren wie vom Donner gerührt, als sie die Kuppel sahen. »Der große Conquetest!« stand in riesigen Leuchtbuchstaben über dem geschwungenen Eingang. Sie schritten zwischen den Wächtern hindurch, die mit schußbereiten Waffen darauf achteten, daß niemand im Gewühl verschwand. Hinter den Polizisten lachte und johlte die Menge. Der Besuch einer ganzen Horde von Häftlingen war eine Sensation. Im Innern des Zeltes herrschte gedämpftes Licht. Aus verborgenen Lautsprechern klang leise, beinahe unheimlich wirkende
Marianne Sydow Musik. Die Wächter dirigierten die Gefangenen in die Sitzreihen. Die vier Freunde hatten Glück. Sie erwischten die dritte Reihe von vorne, noch dazu Eckplätze. Inzwischen war jedem von ihnen klar, daß diese Vorstellung für sie eine ganz besondere Bedeutung erhalten würde. Als die geschwungene Tür sich geschlossen hatte, leuchtete die Bühne in bunten Farbmustern auf. Darracia, wieder mit dem wehenden, halb durchsichtigen Gewand bekleidet, erschien und wurde von den Häftlingen mit anerkennenden Pfiffen begrüßt. Conquetest, breit gebaut, muskulös, von Kopf bis Fuß bunt bemalt und mit seinem silbrigen Lendenschurz bekleidet, erweckte allgemeines Staunen. Die Musik veränderte sich, und die Vorstellung begann. Die vier Freunde warteten mit angespannten Sinnen, denn jeden Augenblick konnte etwas geschehen, was ihnen eine Chance gab – sie wollten sie auf keinen Fall verpassen. Sie hatten daher wenig Sinn für die Kunststücke, die Conquetest mit Darracias Unterstützung vorführte. Es waren verblüffende Tricks darunter. Dann kamen die ersten Darbietungen, in denen Conquetest seine speziellen Fähigkeiten einsetzte. Das Publikum wurde in die Vorstellung einbezogen. Darracia führte nacheinander verschiedene Häftlinge auf die Bühne. Manche wurden von Conquetest in Trance versetzt und vollführten in diesem Zustand seltsame Dinge, andere bekamen Informationen über die Zukunft, wieder anderen legte der bemalte Arkonide die Hand auf die Stirn und teilte der versammelten Mannschaft mit, was der Betreffende in diesem Augenblick dachte. Nahezu eine Stunde war vergangen, und die vier Freunde wurden allmählich unruhig. Darracia schob eine gläserne Konstruktion auf die Bühne. Zwei gekreuzte Platten von etwa zweieinhalb Metern Höhe bildeten vier Abteile, die nach außen offen waren. Das Ganze war auf eine drehbare Platte montiert. Conquetest vollführte einige komplizierte
Treffpunkt der Gaukler Bewegungen mit den Händen. Es sah aus, als beschwöre er unsichtbare Geister. Dann winkte er Darracia in eines der offenen Abteile. Der Apparat drehte sich – und das Mädchen war verschwunden. Conquetest verbeugte sich, und die Häftlinge pfiffen empört. Der Mann auf der Bühne lächelte leicht, drehte das Gerät abermals – und Darracia stand lächelnd zwischen den durchsichtigen Flächen. Es war Garrason, der den Blick des Mädchens richtig deutete. »Das ist ein Schwindel!« rief er laut und warf die Arme hoch: »Die Scheiben sind doch bloß polarisiert!« Conquetest zog die Augenbrauen hoch und lächelte amüsiert. Mit einem Wink gab er Darracia seine Anweisungen. Das Mädchen schritt die Treppe hinab und kam direkt auf die vier Freunde zu. »Kommen Sie!« sagte sie höflich. »Wir wollen unseren Zuschauern zeigen, ob Sie recht haben!« Als er zwischen zwei gläsernen Flächen stand, überlegte Garrason, was Conquetest beabsichtigte. Wollte er sie verschwinden lassen und dann eine Panne vortäuschen, die es ihm nicht ermöglichte, die Häftlinge wieder zurückzuzaubern? Das würde nicht gut gehen. Das Gerät drehte sich. Es war natürlich ein raffinierter technischer Trick. Garrason sah sich nach einem Gerät um, das Licht in die Sache brachte. Wahrscheinlich gab es im Boden einen Deflektor oder so etwas. Er entdeckte nichts. Und er sah immer noch sich und seine Freunde. Aber die Reaktion des Publikums zeigte ihm, daß Conquetest Erfolg hatte. Für die Zuschauer im Saal war das Gerät leer. Der Magier drehte es ganz langsam, und erstaunte Rufe wurden laut. Dann legte Conquetest die Hand auf eine Kante und spannte die Muskeln an, um der Plattform den nötigen Schwung zu verleihen. In diesem Augenblick riß die Kuppelwandung rechts von der Bühne auf, und ein riesiges, äußerst gefährlich aussehendes Tier
51 sprang brüllend in den leeren Raum zwischen der Bühne und der vordersten Sitzreihe. Die bewaffneten Wächter waren in diesem Augenblick total vergessen. Alle Häftlinge sprangen von den Sitzen und drängten unter lautem Gebrüll dem Ausgang entgegen. Das Tier, ein sechsbeiniges Wesen mit großen, krallenbewehrten Pranken, langen, bunten Haarbüscheln und einem zähnestarrenden Maul unter tellergroßen, gelben Augen, richtete sich brüllend auf und wandte sich in die Richtung seiner fliehenden Gegner. Garrason, für die übrigen Besucher immer noch unsichtbar, sah, wie ein Wächter seinen Paralysator auf das Ungeheuer richtete. Das Tier schien eine schwache Intelligenz zu haben. Es erkannte die Gefahr, sprang den Mann an und riß ihn nieder, ehe der Schuß fallen konnte. Die Waffe rutschte über den Boden. Der Wächter schrie entsetzt. Das war der letzte Eindruck, den die vier Freunde aus der Halle mitbekamen, denn danach wurde es dunkel, und beinahe gleichzeitig bewegte sich die Plattform, auf der sie standen, nach unten. Sie hörten noch ein seltsames Platschen, das Fauchen eines Paralysators und viele Schreie, dann öffnete sich vor ihnen eine schmale Tür. »Schnell!« befahl Darracia flüsternd und winkte aufgeregt. Es war den Freunden immer noch unklar, wie sie aus der Nähe der Kuppel gelangen sollten, aber sie liefen hinter dem Mädchen her. Darracia führte sie durch einen kurzen, schmalen Gang, in dem ein paar kleine Lampen etwas Helligkeit spendeten. Über ihren Köpfen verliefen Leitungen – sie mußten sich direkt unter der Bühne befinden. Vor der nächsten Tür blieb Darracia stehen und lauschte. Draußen rührte sich nichts. Sie öffnete die Tür vorsichtig. »Shacca!« rief sie leise. Der Junge tauchte wie ein kleiner Schatten vor ihnen auf. Er faßte Garrason bei der Hand und lief mit ihm los. Die anderen spurteten hinterher. Sie rannten an der Rückseite
52 eines Plastikgebäudes entlang. Es roch durchdringend nach Wein. Dann riß Shacca eine Tür auf, und betäubender Raubtiergestank schlug den Männern entgegen. »Kommt!« raunte der Junge, als die vier Freunde einen Augenblick zögerten. Der Gestank betäubte sie fast. Wieder ein kurzer Korridor, kleine Lampen, die im für Sekunden eindringenden Wind schwankten, Leitungen und Gestank, dann eine andere Tür. Ein Käfig lag auf der linken Seite, das Tier, das darin lebte, kümmerte sich nicht um die Eindringlinge. Rechts lag ein Haufen Stroh. Shacca wühlte es zur Seite, und die Männer halfen schweigend mit. Hinter dem Stroh zeichnete sich eine noch schmalere Tür ab. Der Junge drehte an einigen Hebeln. Eine dunkle, dumpf riechende Kammer tat sich auf. Garrason dachte an eine Gruft. »Es wird nicht lange dauern«, versprach Shacca leise, als die Tür sich hinter ihm und den vier Männern geschlossen hatte. Er betätigte einen Schalter. Gedämpftes Licht flammte auf eine Klimaanlage begann summend zu arbeiten. »Wo sind wir hier?« fragte Fretnorc beunruhigt. »Auf jeden Fall in Sicherheit«, grinste Shacca. »Das ist ein winziger Geheimraum in der Menagerie Valastoriors. Ihm gehört das Prachtexemplar, das den ganzen Wirbel in Schwung brachte.« »Die Polizisten werden dieses Spiel durchschauen«, sagte Polc-Tanier und hustete nervös. »Vorläufig haben sie andere Dinge zu tun«, behauptete Shacca. »Nachdem das Licht ausging, brach die ganze Kuppel zusammen. Keine Angst, es ist alles genau geplant und präpariert worden. Sie sind bei dieser Gelegenheit geflohen – na und? Hier gibt es so viele Verstecke, daß die Wächter Jahre benötigen würden, um alles abzusuchen.« Die Männer waren skeptisch. Shacca nutzte die Gelegenheit, sie über alles zu unterrichten. Die Erkenntnis, daß eine War-
Marianne Sydow nung an Darbeck nun doch nicht abgegangen war, wirkte nicht gerade ermutigend. Huccard war spurlos verschwunden, sein Büro zerstört … »Wir dürfen nicht aufgeben!« sagte Fretnorc, als sie sich alles genau überlegt hatten. »Das werden wir auch nicht«, versprach Garrason grimmig. »Es dauert noch sechs Tage, dann beginnen die Spiele. Allerdings sind unsere Chancen um einiges gesunken.« Ein paar Stunden später erschien Darracia und holte sie aus dem Versteck. Garrason sah, daß sie Shacca eine Schnur mit Chronners zusteckte – der Junge hatte sie sich ehrlich verdient. Lautlos und unscheinbar verschwand er in der Dunkelheit. »Ist das nicht gefährlich?« fragte Kelsh, als sie den Wohnwagen des großen Conquetest erreichten. Darracia lächelte verächtlich. »Diese Wächter sind zufrieden, daß sie mit dem Leben davongekommen sind«, antwortete sie. »Die anderen Gefangenen hat man wieder – sie wurden vollzählig von der zusammenbrechenden Kuppel erwischt. Es war zum Totlachen! Die Wächter und ihre Schützlinge zappelten einträchtig unter der Plastikfolie und schrien wie wild, während Valastoriors Schoßhündchen vergnügt herumhüpfte. Was für Angst sie alle hatten!« »Aber …« »Die Verhöre sind längst vorüber«, sagte Conquetest hinter ihnen. »Sie haben sich die Zähne an uns ausgebissen. Was für eine Unverschämtheit, es bei uns mit ihren dummen Tricks zu versuchen. Nun kommt schon, es wird kalt hier draußen. Im Notfall ist die Kammer da, und rundherum wimmelt es von Freunden. Morgen können Sie sich überlegen, was Sie weiter unternehmen wollen. Heute wird gefeiert, wie es sich gehört. Oder gab es im Gefängnis Wein? Na also. Pucco! Komm her und paß auf. Laß niemanden herein, hörst du?« Pucco antwortete mit einer wüsten Beschimpfung und bezog seine Stellung.
*
Treffpunkt der Gaukler
53
Weit weg, auf dem Planeten Kraumon, hatte man die Nachricht empfangen. »Es gefällt mir nicht!« brummte Fartuloon mißtrauisch. »Bitte, Atlan, überlege dir das noch mal. Wir werden einen anderen Weg finden, um Orbanaschol zu stürzen. Die Sache ist zu riskant.« »Das sagst du mir mindestens zehnmal täglich, seit wir von Pejolc zurück sind«, antwortete Atlan ärgerlich. »Und seit diesem Augenblick trainiere ich bis zum Umfallen für diesen Kampf. Du suchst meine Gegner aus, du massierst mich und traktierst mich mit allen nur denkbaren Methoden, um mich in Hochform zu bringen. Wozu das alles, wenn nicht für die KAYMUURTES?« »Ein bißchen Bewegung hat noch niemandem geschadet«, knurrte der Bauchaufschneider. »Du kannst deine Kräfte für vie-
les verwenden. Warum willst du unbedingt deinen Kopf verlieren?« »Das will ich keineswegs. Ich werde diesen Kampf antreten, und ich werde gewinnen. Und dann will ich Orbanaschols Gesicht sehen – später, wenn er es erfährt. Nein, Fartuloon, gib es auf. Ich habe mich dazu entschlossen, und auch du wirst mich nicht davon abbringen.« Fartuloon sah dem jungen Mann nach, der hochaufgerichtet den Raum verließ. Dann stützte er den Kopf in die Hände und dachte nach. Eine unangenehme Vorahnung sagte ihm, daß es schiefgehen würde. Die Frage war nur, wie er Atlan davon überzeugen sollte.
ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 275: Kundschafter im Kosmos von H. G. Ewers Algonkin-Yatta – ein Fremder von Ruoryc auf Atlans Spuren