Everett Jones
Todeswasser Ronco Band Nr. 370/55
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 sti...
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Everett Jones
Todeswasser Ronco Band Nr. 370/55
Version 1.0
Ronco erzählt seine eigene Geschichte Im Jahre 1967 stießen Bauarbeiter bei Abbrucharbeiten in einer kleinen Geisterstadt im Süden New Mexicos unter einem ausgebrannten Boardinghouse auf eine zugemauerte Kellernische. Sie fanden darin einen alten Revolver, der noch mit drei Patronen geladen war, ein silbernes US-Marshal-Abzeichen und einen indianischen Ledersack. Der mit Stachelschweinborsten und Perlen verzierte Sack enthielt fünf mit Lederriemen zusammengeschnürte Bündel alter Schulhefte. Es handelte sich um das Tagebuch eines Mannes, der in der Pionierzeit Amerikas gelebt hat. Dieser Mann ist nicht in die Geschichte eingegangen. Er hat sich auch nicht darum bemüht, Geschichte zu machen. Trotzdem hat er aufgeschrieben, was er erlebt hat. Vielleicht, weil er niemanden hatte, mit dem er über sein Leben sprechen konnte. Er nannte sich RONCO. Wir wissen nicht, ob das sein richtiger Name war. Vielleicht hat er aus Scham oder Stolz seinen Namen verschwiegen. Denn er war ein Outlaw, ein Gesetzloser, der Grund hatte, seinen Namen manchmal zu verschweigen. Obwohl aus seinen Aufzeichnungen hervorgeht, daß er unschuldig in die Mühlen der Behörden geriet und verzweifelt um seine Rehabilitation kämpfte. Aber seine Berichte zeigen mehr: Sie sprengen den Rahmen unserer Vorstellungen von der Pioniergeschichte der USA. Sie schildern diese Zeit wesentlich härter, rauher und wilder, als wir sie bisher gesehen haben. Basierend auf diesen Unterlagen wurde die Romanreihe RONCO gestaltet. Jedoch handelt es sich bei den für die Serie ausgewerteten Aufzeichnungen nur um einen Teil der Tagebücher. Um Ihnen, unseren Lesern, die ganze Geschichte dieses faszinierenden Mannes RONCO offenzulegen, haben wir uns entschlossen, in Abständen von fünf Wochen die Tagebuchaufzeichnungen dieses Geächteten zu veröffentlichen. Bearbeitet von den Autoren der RONCO-Serie. In diesen Romanen erzählt der Mann, der sich RONCO nannte, seine
eigene Geschichte.
Die Hauptpersonen des Romans Ronco – Der Geächtete stößt bei dem Versuch, seine Spuren zu verwischen, auf ein scheußliches Verbrechen. Sadie Duke – Hetzt zwei Revolvermänner hinter Ronco her, um sich zu rächen. Bullett – Tarnt sich als Kunstschütze und wickelt dunkle Geschäfte ab. Mahon Tabor – Der ehemalige Zahlmeister von Fort Calhoun weiß, wo Geld zu verdienen ist.
Todeswasser 12. Mai 1882 Ich bin immer unterwegs. Manchmal glaube ich, daß ich heute, da ich den Ranger-Stern trage, mehr im Sattel sitze als zu jener Zeit, als ich gejagt wurde, als es zu Unrecht einen Steckbrief von mir gab und ich nirgends lange bleiben konnte. Heute jage ich selbst Männer, von denen es Steckbriefe gibt. Aber ich bin kein Bluthund: Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ein Steckbrief wenig aussagt und eine Anklage nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Eine Beschuldigung ist schnell fertig. In meinem Fall war sie falsch. Und Behörden sind schwerfällig. Selbst als klar war, daß ich unschuldig war, weigerten sie sich, es zu glauben oder ihr Unrecht einzugestehen. Ich weiß deshalb, daß ich Menschen vor mir habe, wenn ich auf die Jagd nach Outlaws gehe. Ich suche nicht nur die Schuld, wenn ich auf der Fährte eines Gesetzlosen reite, sondern auch nach Dingen, die seine Schuldlosigkeit beweisen. Das gehört dazu, wenn man das Gesetz vertritt. Viele, allzu viele vergessen das. Es gibt einen Unterschied zwischen dem geschriebenen Gesetz und der Gerechtigkeit. Es liegt an den Beamten, diesen Unterschied gering zu halten. Ich hatte in meinem Leben nicht das Glück, oft mit solchen Beamten zu tun zu haben. Die meisten glaubten blind dem bedruckten Papier, manche hielten sich selbst für das Gesetz, und für andere war Gerechtigkeit eine Ware, die man verkaufen konnte. Ich habe sie alle kennengelernt: die sturen Männer mit dem Stern genauso wie die korrupten. Am schlimmsten aber waren jene, die auf eigene Faust ritten, um Rache zu üben und Selbstjustiz zu betreiben. Und die Kopfgeldjäger. Ich kann darüber urteilen. Wenn ich an jene Jahre zurückdenke, ist das für mich jedesmal eine Mahnung, nicht in die Fehler jener zu verfallen, deren Praktiken ich erleiden mußte. Mir wurde nichts geschenkt, nicht mal die Rehabilitierung. Ich
mußte alles selbst erkämpfen. Es war ein Kampf an vielen Fronten: Während die Häscher hinter mir her waren, suchte ich nach Beweisen für meine Unschuld, und jene Jäger, die unbeirrt an meine Schuld glaubten, zerschlugen mir in ihrem Fanatismus viele Fährten, die für mich lebenswichtig waren. Besonders schlimm war das für mich in den ersten Wochen meiner Flucht – damals, im Spätherbst 1866. Es war die Zeit, in der ich Glauben und Hoffen beinahe verlernte …
1. Während des Tages war mir eine dünne Staubfahne aufgefallen. Sie wurde im Norden, wo ich gewesen war, mehrmals sichtbar. Aber ich wußte nicht, wie viele Reiter mich verfolgten. Doch daß ich verfolgt wurde, schien außer Frage zu stehen. Kaltes Mondlicht lag über Arizona, als ich mich entschloß, mir Gewißheit zu verschaffen. Ich ritt über die sanfte Halde, die geborstenes Lavagestein bedeckte. Es klirrte immer wieder leise unter den Hufen des Pferdes. Ich hielt das Gewehr schußbereit in der Hand, zügelte das Tier auf der Höhe und schaute zu dem horstartigen Fichtengehölz hinunter. Das Silberlicht des Mondes zeichnete tiefe Schatten von den Bäumen auf den Boden. So erkannte ich den Widerschein eines Feuers, das da unten brannte. In diesem Augenblick wurde auch schon geschossen. Ein jähes Krachen hallte über das Land. Neben dem Pferd schrammte die Kugel auf das Gestein. Sie prallte ab und flog jaulend am Kopf des Tieres vorbei. Das Pferd wieherte. Ich mußte nach dem Sattelhorn greifen, um bei einem plötzlichen Satz des Tieres nicht abgeworfen zu werden. Am Waldsaum entluden sich zwei Gewehre gleichzeitig. Ein Pfeifen strich über mich weg. Das Pferd raste mit trommelnden Hufen über die Höhe, auf der es mit mir sehr deutlich für die heimtückischen Schützen zu sehen sein mußte. Es fielen wieder Schüsse. Auch ich feuerte zum Waldrand hinunter, hatte aber während des schnellen Rittes keine Chance, die Kerle zu treffen.
Im Galopp fegte ich über den Südhang der Erhöhung, schob das Gewehr in den Scabbard und versuchte, das erschrockene Pferd zu lenken und das halsbrecherische Tempo zu verlangsamen. Es dauerte lange, bis ich bemerkte, daß mir auch Erfolg beschieden war. In einer buschbestandenen Senke gelang es mir, den Braunen zu zügeln. Das Echo des Hufschlags verklang, und das leise Murmeln eines Creeks schlug an meine Ohren; Es mußte der San Domingo sein, der aus der Sierra Nevada kommend hier vorbeifloß. Ich schaute zurück und lauschte, konnte aber nichts von Verfolgern hören. So ritt ich weiter in die Senke hinunter und sah den Creek im kalten Mondlicht wie ein schimmerndes, gewundenes Band unterwegs nach Süden. Der San Domingo nahm nur noch den untersten Teil seines steinigen Betts ein. Rechts und links lag Geröll, das aus den Bergen heruntergetragen wurde und verriet, was für ein gewaltiger Strom dieses ruhige Flüßchen während der Schneeschmelze in den Bergen werden konnte. Sie lag zum Glück schon hinter uns für dieses Jahr. Am Ufer stieg ich ab, kletterte über das klirrende Gestein, beugte mich über den Creek, tauchte die Hände ein und wusch mir das Gesicht. Die Bartstoppeln knisterten unter den Handflächen. Ich war müde. Hunger hatte ich auch. Mein Blick wanderte zu der Höhe zurück, über die ich geritten war. Sicher handelte es sich um Kopfgeldjäger, die auf meinen Spuren ritten. Männer, die sich die Prämie verdienen wollten, mit der auf mich ausgestellte Steckbriefe lockten. Wasser tropfte mir noch aus dem Stoppelbart. Ich wischte mit dem Ärmel über das Gesicht. Als ich abermals zur Höhe blickte, sah ich zwei Reiter auftauchen. Scharf hoben sie sich vom Hintergrund für einen Augenblick ab. Sie schienen zu wissen, wo sie mich suchen mußten, denn sie ritten ohne Zögern über den Hügel und auf mich zu die Flanke hinunter. Ich lief zu meinem Braunen, zog das Gewehr aus dem Scabbard, repetierte und feuerte auf die Verfolger. Der Mündungsblitz blendete mich, so daß ich sekundenlang nichts als Feuerreigen vor den Augen sah. Das Krachen hallte über das Land. Mein Pferd wieherte und
stieg in die Höhe. Die Hufe wirbelten, und die Eisen schlugen hallend zusammen. Schwarzpulverrauch breitete sich zu einer Wolke aus. Die beiden Verfolger galoppierten den Hügel schießend hinunter. Kugeln fetzten in der Nähe das Gestrüpp auseinander. Der Braune floh durch den Creek. Wasser spritzte zu Fontänen in die Höhe. Ich repetierte das Gewehr und schoß wieder. Aber bei dem Ungewissen Nachtlicht treffen zu wollen, war aussichtslos. Höchstens durch Zufall konnte ich einen der Burschen erwischen. Dennoch schoß ich noch einmal, bevor ich dem Pferd nachlief. Ein Geschoß traf dicht neben meinem Stiefel die Steinplatte und prallte ab. Splitter wurden mir gegen das Bein geschleudert. Das Pferd wieherte und floh weiter nach Westen. Sagebüsche schlugen hinter dem Tier zusammen. Äste fielen zu Boden. »Halt!« rief ich dem Pferd nach und hoffte, es würde wirklich darauf reagieren. Der Hufschlag der Verfolgerpferde hallte mir in den Ohren. Die Waffen der Männer entluden sich. Ein Pfeifen drang mir ins Ohr und entfernte sich. Ich hastete durch das Dickicht, erwischte das Pferd noch und schwang mich in den Sattel. Beinahe wäre mir das Gewehr dabei entfallen. Auf dem Hals des Tieres liegend, lenkte ich es nach Süden und jagte an der Buschreihe entlang. Hinter mir fetzten die Kugeln durch das Dickicht. Ich schob das Gewehr in den Sattelschuh und trieb den Braunen zur Entfaltung seiner ganzen Kraft an. Noch eine Weile wurde hinter mir geschossen. Dann verstummten die Gewehre. Doch jedesmal, wenn ich das Pferd zügelte und lauschte, konnte ich den Hufschlag hören. Sie gaben nicht auf. Ich trieb das Pferd wieder an, durchbrach das Ufergestrüpp und ritt durch den Creek auf die andere Seite. Von dort wandte ich mich in die südöstliche Richtung der Peloncillo Range entgegen. Sicher gelang es mir dort am besten, meine Spuren gründlich zu verwischen. Die Kerle schossen über den Creek weg zu mir herüber. Sie hatten
aufgeholt. »Vorwärts!« rief ich dem Braunen zu. Ich mußte die Sporen zu Hilfe nehmen, um ihn anzutreiben, denn es kam zunächst darauf an, den Vorsprung auszubauen. Nach einer Viertelstunde schossen sie wieder. Ich schaute zurück und sah eine Mündungsflamme hinter mir. Sie waren zurückgefallen, befanden sich aber jetzt ebenfalls diesseits des San Domingo. Sanft lenkte ich das Pferd weiter nach Osten. Das Gelände stieg an. Das Buschwerk nahm zu und deckte mich gegen die Sicht der Verfolger. Dennoch schienen sie mich sehen zu können, denn wieder konzentrierte sich das Feuer so sehr, daß mir die Kugeln wie Hornissen um die Ohren schwirrten. Das ließ mich so wütend werden, daß ich den Braunen zügelte und absprang. Auf den Boden kniend schlug ich das Gewehr an und feuerte Schuß um Schuß hinaus. Scharf wieherte ein Pferd. Ich richtete mich auf, repetierte die Waffe und blickte nach Norden. Offenbar hatte ich eins der Pferde erwischt. Minutenlang wurde auch nicht mehr geschossen. Langsam lief ich hinter dem Braunen her, der sich wieder entfernte. Mein Blick war jedoch nach Norden gerichtet. Sicher war ich dessen nicht, was ich annahm. Aber wenn sie wirklich ein Pferd eingebüßt haben sollten, mußte sich dies an ihrem Zurückbleiben bald zeigen. Ich holte das Pferd ein und schwang mich in den Sattel. Da feuerten sie wieder. Ich trieb den Braunen an, durchbrach das Gestrüpp und ritt den Felsenhängen der Peloncillo Range entgegen. Rasch entfernte ich mich von den schießenden Kerlen. Eine Schlucht zwischen schroffen Granitwänden nahm mich auf. Nur ganz oben an den Zinnen und Graten des wildzerklüfteten Massivs war noch das silbrige Mondlicht zu erkennen. Vor mir war es stockdunkel. Nicht einmal den Kopf des eigenen Pferdes vermochte ich einwandfrei zu erkennen. Hinter mir schoß niemand mehr. Ich war jetzt sicher, ein Pferd getroffen zu haben.
* Der kleine Rancho lag in einer Gebirgsfalte, in der die Schmelzwasser in den Jahrtausenden eine beachtliche Erdschicht abgelagert hatten. Zwei der vier Talzugänge waren mit Latten verbaut worden. Ich zügelte den Braunen, als ich im Morgengrauen das Tal erreichte. Nebelfelder zogen von den Bergen fallend durch das Tal, begannen sich aber in der rasch zunehmenden Wärme bereits aufzulösen. An dem steilen Nordhang stand eine wurmstichige Hütte. Das mit Steinen beschwerte Dach hatte sich in der Mitte bereits derart nach innen gebogen, daß man fürchten mußte, es könnte jeden Augenblick einstürzen. Ein gutes Dutzend Rinder weidete im Süden, wo hohe Grasteppiche den satten Boden bedeckten. Im Westen stand ein Lattenkorral mit vier Pferden darin. Als ich weiterritt, schwang die Tür der Hütte auf, und ein älterer, abgerissener Mann mit Schlapphut auf dem Kopf und einem Henrygewehr in der Armbeuge trat heraus. Langsam ritt ich auf ihn zu, zügelte das Pferd und tippte an meinen Hut, bemüht, ein freundliches Lächeln zu zeigen. In meiner Lage war aber auch das schon gar nicht mehr so einfach – Auswirkung der anhaltenden Verfolgung. »Hallo.« Ich blickte zu der Frau weiter, die hinter dem Mann in der Hütte sichtbar wurde. »Ich bin unterwegs nach Süden und habe keinen Proviant mehr.« Die Frau trat heraus und schob mit gespreizten Fingern das angegraute Haar zurück. Genauso wie der Mann hatte sie ein von Falten zerfurchtes Gesicht, war ärmlich gekleidet und trug Sandalen an den Füßen. Aber beide sahen sie unfreundlich und abweisend aus, als hätten sie mit Fremden keine guten Erfahrungen gemacht. Von mir wußte ich natürlich, ohne mein Spiegelbild betrachten zu müssen, daß ich alles andere als vertrauenserweckend aussah. Meine Kleidung hatte beträchtlich auf der Flucht gelitten. Ich grinste schief. »Könnte ich etwas zu essen haben? Mein Proviant ist verbraucht.
Ich werde dafür natürlich bezahlen, Mister.« Das Gewehr in den Händen des Mannes war auf mein Gesicht gerichtet, so daß ich den Anfang der Züge im Lauf zu sehen vermochte. »Sie wollen bezahlen?« fragte die Frau. »Ja, Madam.« Sie schob sich an dem Mann vorbei. »Haben Sie denn Geld?« Ich fischte einen halben Dollar aus der Tasche, beugte mich hinunter und gab ihn ihr. Sie wandte sich um und ging zurück. Der Mann nahm die Münze mit der Linken und biß hinein, bevor er sie kritisch in Augenschein nahm. »Ist sie echt?« fragte die Frau. »Ja«, sagte er. »Also gut, Sie erhalten Brot, geräucherten Schinken und kalten Tee, Mister. Und dann verschwinden Sie wieder.« »In Ordnung.« Ich bemühte mich weiter um ein verbindliches Lächeln und wollte absteigen. Doch das Gewehr zuckte in die Höhe. »He, wer hat davon was gesagt? Bleiben Sie auf dem Gaul sitzen!« Die Frau ging ins Haus und brachte mir ein paar Minuten später in ein Säckchen verpackten Proviant. Sie nahm meine leere Flasche mit und verschwand wieder im Haus, um sie mit kaltem Tee zu füllen. Während der ganzen Zeit bedrohte mich der Mann mit dem Gewehr und ließ in seiner gespannten Aufmerksamkeit keine Sekunde nach. Die Frau erschien mit der Flasche und gab sie mir. »Entschuldigen Sie den Empfang, Mister. Hier findet sich meistens nur Gelichter ein. Unser Sohn wurde vor Jahren von Banditen getötet.« »Vielen Dank, Madam.« Ich lenkte das Pferd im großen Bogen um den Mann herum und verließ den Rancho in der Bergfalte durch den Canyon im Süden. Als ich zurückschauend von der Bergfalte nichts mehr sah, öffnete ich den Leinenbeutel und fiel heißhungrig über das Brot und den Schinken her. * »Schon wieder zwei«, murmelte der Mann, griff nach dem
Henrygewehr und verließ die Hütte. Die beiden Reiter saßen auf einem Pferd und hatten noch einen zweiten Sattel bei sich. Es waren zwei große, breitschultrige und finster aussehende Gestalten, die ebenfalls Gewehre in den Händen hielten. Die Kerle ritten langsam in das Tal und schauten sich aufmerksam nach allen Seiten um. Der Mann an der Hütte hob das Gewehr an und repetierte es. »Halt!« Der vordere Reiter zügelte das Pferd. Sein stoppelbärtiges Gesicht war auf den Mann am Haus gerichtet, den er aus bernsteinfarbenen Augen scharf musterte. Die Frau trat aus der Hütte. Der zweite Reiter rutschte vom Pferd. Er war mit einem verknautschten Cordanzug bekleidet, trug einen tief geschnallten Revolver in schwarzer Halfter und hatte den breitkrempigen Hut tief in die Stirn gezogen. Die Frau erschrak, als sie sein von Blatternarben entstelltes Gesicht sah, gab sich aber große Mühe, es nicht merken zu lassen. Mit dem Gewehr in der herabhängenden Hand trat der Mann näher. Der Siedler richtete die Mündung auf ihn. Der Mann blieb stehen. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. »Was wollt ihr?« fragte der Besitzer der Hütte scharf. »War ein Mann vor uns hier? Ein junger Kerl?« Die Frau schaute ihren Mann an. »Na?« Der noch auf dem Pferd sitzende Mann lümmelte sich über das Sattelhorn. »Ronco soll er sich nennen«, half der Blattnarbige weiter. »Ja, er war hier«, sagte die Frau. »Aber wir konnten nicht wissen, daß ihn jemand sucht.« »Wann war das?« Die Frau schaute blinzelnd gegen die über den Bergen aufgetauchte Sonne, die bereits große Hitze ins Tal ausstrahlte und das Vieh veranlaßt hatte, Schatten aufzusuchen. »Vor zwei oder drei Stunden.«
»Und wohin ist er?« Die Frau deutete nach Süden. »Hat er gesagt, welches Ziel er hat?« »Nein.« »Nannte er seinen Namen?« »Nein, Mister. Er wollte nur etwas Proviant und hat einen halben Dollar dafür bezahlt.« »Und wir brauchen ein Pferd«, erklärte der Mann im Sattel. Er schnalzte mit der Zunge und ritt näher heran. Der Siedler wußte nicht, auf welchen der beiden er sein Gewehr richten sollte. Zudem trat der Blattnarbige dichter heran und schob die Waffe zur Seite, bevor er sie dem alternden Mann mit einem Rück aus den Fingern riß. Der Blattnarbige zeigte die Zähne, was seinem Grinsen eine teuflische Nuance verlieh. Der andere Verfolger Roncos warf den mitgebrachten Sattel direkt vor dem alternden Mann auf den Boden. »Wir brauchen ein Pferd«, wiederholte der Blatternarbige. Er griff in die Tasche und warf ein paar goldene Münzen neben dem Sattel in den Sand. »Und wir bezahlen dafür. Vierzig Bucks. Mehr ist ein Gaul in dieser Gegend nicht wert.« »Wir haben keine Pferde zu verkaufen«, entgegnete der Siedler. Der Blatternarbige grinste ihn immer noch an. »Es ist doch schon bezahlt, alter Mann. Was redest du für dummes Zeug?« »Ich brauche meine Pferde«, beharrte der Siedler. »Die Soldaten in Fort Bowie zahlen neunzig Dollar für ein gutes Pferd.« »Hast du gute Pferde?« »Es sind nur gute Tiere!« »Um so besser.« Der Blatternarbige drehte das Henrygewehr in der Hand hin und her, dann schleuderte er es über die Schulter. Es schrammte klirrend auf den Boden. Der Schuß löste sich. Das Krachen raste durch das Tal und weckte ein hundertfaches Echo. Die Pferde im Korral stoben am Zaun zurück. Die Rinder im Schatten der Felswand brüllten, blieben jedoch stehen. Die Frau und der Siedler waren zusammengezuckt. Der Kerl mit den bernsteinfarbenen Augen zog scharf die Zügel an, um sein Pferd zu bändigen. Der Blatternarbige ging grinsend auf den Siedler zu. Der Mann
wollte zurück, prallte jedoch gegen die Wand. Der Blatternarbige packte ihn und schmetterte ihm die Faust ins Gesicht. Zugleich ließ er los. Der Mann taumelte in die Hütte und brach zusammen. »Ist der ein Narr«, sagte der Blatternarbige zu der Frau, die grau aussah. Er spuckte auf den Boden, nahm seinen Sattel und ging zum Korral hinüber. Der andere Fremde ritt seinem Kumpan nach. Der Blatternarbige hängte das Gatter aus und warf es einfach um. Er nahm ein Lasso, fing sich einen Rappen ein und sattelte ihn. Der Siedler taumelte aus der Hütte. Seine Nase war geschwollen. Er blickte auf das Henrygewehr. Seine Frau hielt ihn fest. »Laß sie! Es sind böse Menschen!« Der Mann schaute zum Korral. Der Blatternarbige hatte den Rappen gesattelt und saß auf. »Es ist mein bestes Pferd!« stieß der Mann hervor. »Laß sie trotzdem! Solche Menschen töten auch, wenn es ihnen gerade einfällt!« Der Mann fluchte leise, blieb aber bei der Frau stehen. Ihre Hände fielen von seinem Arm. Die beiden Fremden trieben die Pferde an und ritten im Galopp zum südlichen Talausgang. »Wir wollen Gott dafür danken, daß nichts weiter passiert ist«, murmelte die Frau.
2. Eine riesige Dunst- und Staubwolke stand über der kleinen Stadt, die ich am frühen Nachmittag desselben Tages von einem Hügel aus südlich von mir sehen konnte. Die Wagenstraße der Butterfield Overland Mail durchschnitt das Nest von Norden nach Süden. Da unten, hinter den Kakteen und Ocotillos im Süden und Westen befand sich das Gebiet der Apachen, in dem die Armee ein großes Reservat einrichtete. Mehr schlecht als recht vegetierten die Indianer dort dahin. Ihres natürlichen Lebens in der freien Prärie beraubt, waren sie beinahe willenlose Objekte in den Händen gewissenloser Geschäftemacher geworden, die mit den Abfällen der
vorgeschobenen Zivilisation versuchten, aus den Indianern herauszupressen, was von ihnen noch geholt werden konnte. Viel war es nicht. Ich gab dem Braunen die Zügel frei, schnalzte mit der Zunge und ritt die Hügelflanke hinunter. Bald erreichte ich die Straße und folgte ihr. Der Klang von Schüssen, Pferdewiehern und Menschengebrüll schallte aus der kleinen Stadt. Am Wegrand war ein Pfahl in den Boden getrieben. Auf einem Brett darauf stand »Dry Camp«. Der Pfahl stand schief zum San Domingo Creek hin geneigt, der hier wieder in mein Blickfeld geriet. Noch bevor ich die kleine Stadt erreichte, wurde mir klar, daß ich mitten hinein in ein Rodeo geriet, das offensichtlich schon seit Tagen im Gange war. Das konnte mir nur recht sein, da ich in dem bunten Treiben sicherlich kein Aufsehen erregte und vielleicht nicht einmal von den Menschen zur Kenntnis genommen wurde. Vor der Stadt war ein Seilkorral aufgebaut worden, der, in mehrere Abteilungen untergliedert, Stieren, Pferden, Maultieren und mageren Longhorns als Aufenthaltsort diente. Sie wurden vermutlich für die verschiedensten Vorführungen gebraucht. Ein paar Cowboys mit ledernen Chaps über den Levishosen standen in der Nähe bei ihren Pferden, Zigaretten in den Mundwinkeln und die Hände auf den tief geschnallten Revolvern. Ich ritt rasch vorbei und in den Trubel der Hauptstraße hinein. Dry Camp bestand aus zumeist niedrigen Adobelehmhütten mit Flachdächern. Ein etwas korpulenter Marshal stand mit den Händen auf dem Rücken vor seinem Office. Hastig saß ich ab, führte das Pferd und schob mich durch die Menge zur anderen Straßenseite, um dem Mann aus den Augen zu gehen. Innerhalb eines hohen Bretterkorrals galoppierte ein schwarzgekleideter Kunstreiter auf einem Wildpferd über den aufgewühlten Boden. Das Tier bewegte sich in Bocksprüngen vorwärts und krümmte den Rücken wie eine Katze. Der Kopf berührte fast den Boden. Es keilte aus, jagte an der Wand entlang und klemmte das Bein des Reiters ein.
Junge Männer, Weiße und Mexikaner, saßen rundum auf dem Zaun und brüllten anfeuernd. Mitten im Korral warf das Pferd seinen Reiter ab und stob in die Box hinter einer Holztür, die geschlossen wurde. Der Reiter humpelte unter dem Gelächter der Schaulustigen hinterher. Schnell führte ich den Braunen weiter. Vor dem Saloon, einem hohen, zweistöckigen Adobelehmbau, prügelten sich torkelnde Cowboys, die ebenfalls von einer riesigen Menschenmenge angefeuert wurden. Der eine hieb seine Faust daneben und schlug gegen die Wand. Fenster klirrten. Die Menge klatschte, und jemand rief: »Los, gib es ihm, Lemko!« Doch der andere war genauso unsicher auf den Beinen und mit den Fäusten und schlug ebenfalls daneben. Er taumelte gegen den Widersacher. Beide gingen zu Boden. Ich gratulierte mir noch einmal dazu, ausgerechnet hierher geraten zu sein. Es war ein Glücksfall für einen Mann, der untertauchen mußte. Hinter dem Saloon fand ich einen Mietstall, in den ich den Braunen führte. Der Stallmann saß mit mürrischem Gesicht in einer Ecke neben Eimern und von den Balken hängenden Zügeln, Lassos und Ketten im Stroh und schaute mir entgegen. »Ich möchte das Pferd einstellen.« Der Mann fluchte verhalten, erhob sich und trat mit schlurfenden Schritten näher. Ich griff in die Tasche, lächelte verbindlich und gab dem Mann einen Dollar. Aber dessen Gesicht hellte sich deswegen nicht auf. Ich konnte mir denken, daß in diesen Jubeltagen der Stadt das Geld locker saß und ein Dollar nichts Besonderes sein mußte. »Haben Sie noch ein Zimmer gekriegt?« »Nein«, erwiderte ich. »Kein Wunder. Alles vollgestopft mit Gaffern. Wenn Sie hier pennen wollen, kostet es noch einen Dollar.« Ich zahlte ohne Umschweife, auch wenn der Preis eine Unverschämtheit war. Sie würden während des Rodeos in Dry Camp überall gewaltig hinlangen und abkassieren.
Das Gesicht des Stallmanns wurde freundlicher. Er nahm mir den Zügel ab und führte den Braunen in eine noch leere Box. »Sie können da hinten im Heu schlafen, Mister. Oder in einer freien Box, wenn Sie am Abend noch eine finden.« »Danke.« »Gehen Sie nur, und sehen Sie sich was an. Ich kümmere mich schon um das Pferd.« Ich ging trotz dieser Worte hinter dem Mann her und sattelte den Braunen selbst ab. »Das Gewehr können Sie hierlassen. Der Marshal sieht es nicht gern, wenn alle Leute bis an die Zähne bewaffnet durch die Stadt spazieren.« Ich zog die Hand vom Gewehrkolben zurück, hängte den Sattel über die Trennwand und ging hinaus. Neben dem Stall saßen Indianer auf dem Boden. Im Straßenstaub hatten sie ein paar alte, durchlöcherte, ehemals bunt gefärbte Decken ausgebreitet, auf denen sie aus Holz geschnitzte Figuren naiver Herstellung feilboten. Ich ging schnell vorbei, um nicht in einen Handel verwickelt zu werden. Nach wenigen Yards erreichte ich bereits die nächste Attraktion. Ein Planwagen, fast genauso hoch wie lang, stand am Anfang eines von der Menge umringten Platzes. Am Ende stand eine kleine Bretterwand mit der Aufschrift »Bigshot Dick Bullett – Meisterschütze aus Arizona«. Es waren eine Menge Mexikaner um das Oval herum zu sehen. Ich dachte mir, daß sie sicher aus der Grenzregion hinter Fort Bowie stammten und nach dem Fest dorthin zurückkehren würden. Wenn ich mich unter sie mischte, mußte es möglich sein, meine Spur endgültig und für immer zu verwischen. Am buntbemalten Planwagen sah ich die gleiche Aufschrift wie auf der Bretterwand. Aus dem Wagen kletterte ein junger, schwarzhaariger Bursche auf den Bock und sprang hinunter. Er hatte eine Handvoll Bowie Knifes dabei, als er in den Kreis trat. Lautes Hallo begrüßte den jungen Burschen, der mit Levishosen, kariertem Hemd, hohem Hut und Texasstiefeln wie ein Cowboy gekleidet war, einen Patronengurt mit Halfter und Colt trug und um den Hals ein brandrotes Halstuch gebunden hatte.
Ein zweiter Mann tauchte vor der Plane des Wagens auf, und abermals erfüllte das Hallo der Menge die nähere Umgebung. Der Kunstschütze war ein großer, hagerer Mann mit kaltfunkelnden Augen. Er trug einen Frack und auf dem Kopf einen Zylinder. Um seinen Leib spannte sich ein breiter Gurt mit funkelnden Geschossen in den Schlaufen. In zwei Halftern hingen schwere 45er an seinen Hüften. Ich griff unwillkürlich nach dem alten Navy Colt, mit dem ich selbst bewaffnet war, und dachte, daß die Treffsicherheit dieses Mannes schon wegen der neuen Waffen bedeutend größer als meine eigene sein mußte. Der Kunstschütze mochte vierzig Jahre alt sein. Sein Gesicht erinnerte wegen der stark gekrümmten Hakennase an einen Falken. Aber auch sonst sah er alles andere als vertrauenerweckend aus. Der Mann stieg vom Wagen und betrat das Oval zwischen den aufgespannten Seilen, das die Schaulustigen immer mehr zusammenschoben, bis es einen Schlauch zwischen dem Wagen und der Bretterwand glich. Der junge Bursche gab dem Kunstschützen die Messer und stellte sich selbst an die Bretterwand. Er sah bleich aus, lächelte aber zuversichtlich. In der Runde wurde es still. Bullett, der Mann im Frack, wog das erste Messer in der Hand und warf es. Blitzend in der Sonne wirbelte die Klinge durch die Luft und bohrte sich neben dem Kopf des jungen Burschen in die Wand. Messer um Messer flogen hinter dem ersten her und rahmten den Körper des jungen Mannes ein. Ein Sturm der Begeisterung brauste über den Wagen. Der junge Mann zog eine Spielkarte aus dem Ärmel, hielt sie mit zwei Fingern in die Höhe und blickte auf Bullett. Die Menge schwieg wieder. Bullett zog beide Colts und feuerte zweimal. Beide Kugeln durchbohrten die Karte. Neues Händeklatschen und Füßetrampeln. Staub trieb durch das längliche Oval. Der junge Bursche warf eine Holzkugel in die Luft. Der
Kunstschütze zog den linken Colt und feuerte. Von dem Geschoß zerfetzt, flogen die Stücke davon. In Pulverrauch gehüllt nahm der Mann die neuen Ovationen der Menge entgegen. Der junge Mann ging mit dem offenen Hut in der Hand herum und sammelte. Ich sah, daß die Menschen nur Kupfermünzen in den Hut warfen, viele aber auch schnell verschwanden, um dem Bezahlen für die Vorstellung zu entwischen. Und so hatte ich den Verdacht, daß der Mann oder gar diese beiden Männer schwerlich davon leben konnten, mit dem Wagen von Rodeo zu Rodeo zu ziehen, ihre Künste vorzuführen und sich davon so gut zu kleiden, wie sie es hier zeigten. Aber da das nicht meine Sache war, wandte ich mich ab und schlenderte weiter. »Eine neue Vorstellung beginnt in wenigen Minuten, Leute!« rief der junge Mann der sich rasch absetzenden Menge nach. Knatterndes Revolverfeuer schallte über die Straße. Schreie ertönten. Ich sprang gegen die weiße, von der Hitze aufgeladene Wand eines Hauses. Reiter jagten schießend vorbei. Eine Frau drohte wütend hinter ihnen her. Im Staub überquerte ich die Straße und steuerte eine kleine, überfüllte Kneipe an, um etwas zu trinken.
3. Überrascht blieb ich stehen, als ich eine gute Stunde später den südlichen Stadtrand erreichte. Zwischen den schäbigen Bretterhütten der Ärmsten von Dry Camp stand der buntbemalte Wagen des Kunstschützen. Bullett und sein junger Gehilfe sprachen mit zwei Mexikanern. Bullett warf dem einen etwas zu. Es funkelte wie eine Münze. Die Mexikaner nickten und gingen davon. Eine Frau zog ein kleines, weinendes Kind in eine Hütte. Die Tür schlug zu. Das Viertel wirkte trotz des noch hellen Tages wie verlassen.
Ich trat zurück, um nicht bemerkt zu werden. Was mich hier interessierte, wußte ich selbst nicht. Doch dachte ich abermals an das Einsammeln der Kupfermünzen durch den jungen, wie einen Cowboy herausgeputzten Burschen. Ich schaute mir noch einmal genau den Wagen mit den beiden vorgespannten, prächtigen Pferden an. Der Kunstschütze schob den Zylinder in den Nacken, lehnte sich an ein Vorderrad, steckte eine dünne Zigarre zwischen die Lippen und brannte sie an. Als er hinter sich schaute, trat ich noch weiter zurück und erreichte eine offene Haustür. Ein älterer Mann in geflickter Kleidung stand drinnen und schaute mich an. »Suchen Sie was?« »Nein.« »Dann sollten Sie besser verschwinden«, sagte der Mann. »Hier gibt's nichts zu sehen.« »Um was geht es denn?« »Um nichts!« Ich trat etwas von dem Haus weg und konnte den Wagen wieder sehen. Seltsam war das alles schon. Auch mein Interesse an diesen mir völlig fremden Menschen. Dann erschienen die beiden Mexikaner wieder. An ihren durchlöcherten Strohhüten auf den rundlichen Köpfen erkannte ich sie sofort. Sie schleppten einen Indianer mit. Aber hinter den drei Männern tauchten noch mehr der in ausgebeulten Hosen und zerrissenen Hemden herumlaufenden Indianer auf. Sie trugen hohe Topfhüte mit Federn daran auf den nachtschwarzen Haaren. Die Indianer führten ein paar Maultiere mit sich. Mit herrischen Bewegungen schickte Bullett, der Kunstschütze, die beiden offenbar nur als Vermittler fungierenden Mexikaner weg. Noch immer ließ sich niemand aus den windschiefen Hütten sehen. »Allzu neugierig sein, ist oft tödlich«, sagte der Mann in der Hütte. Ich war so gebannt, daß ich nicht mehr zuhörte. Bullett sprach mit dem Indianer und rechnete offenbar an den Fingern etwas vor. Der Indianer nickte mehrmals, redete aber auch
mit den anderen Stammesgenossen bei den Maultieren. Schließlich griff er unter das Hemd, brachte einen Beutel zum Vorschein, griff hinein und gab Bullett eine Handvoll goldener Münzen. Der junge Bursche trat aufgeregt von einem Bein aufs andere. Schweiß brach ihm aus, als er auf das Geld blickte. Bullett steckte die Münzen ein. Mit seinem Gehilfen und dem Indianer ging er zur Rückseite des Wagens und ließ den Jungen die Bordwand aushängen. Die Apachen mit den Maultieren folgten ihnen. Vom Wagen wurden zwei Kisten abgeladen und auf den Maultieren befestigt. Der Junge hängte die Bordwand ein. Die Indianer entfernten sich mit den Maultieren. Mit einem Satz war ich an der Wand, als Bullett sich umdrehte. »Na, hat er Sie gesehen?« fragte der Mann im Dunkel der Hütte. »Nein, ich hoffe nicht.« Vorsichtig schob ich mich vor und spähte um die Ecke. Bullett schwang sich bereits auf den Bock, während der Gehilfe hinten noch mit der Befestigung der Planke beschäftigt war. Eine Peitsche knallte. Die Pferde zogen an. Der junge Kerl mußte rennen, um den letzten Haken einhängen zu können. Er sprang, erwischte das überstehende Bodenbrett und kletterte in den Wagen. Hinter einer Ecke verschwand das Gefährt. Der Platz zwischen den jämmerlichen Hütten war wieder verlassen. Es dauerte nicht lange, dann öffneten sich verschiedene Fenster. Menschen blickten nach draußen. »Sind sie weg?« fragte der aus dem Haus schauende Mann, als die Geräusche der Hufe, Räder und der Peitsche verklangen. »Ja.« Der Mann trat ganz heraus. »Dann hatten Sie mehr Glück als Verstand, mein Freund.« »War es Schnaps?« fragte ich. »Was?« »Ob der Kunstschütze den Indianern Schnaps verkauft.« Ich schüttelte den Kopf. »Verstehen Sie wirklich so schwer, oder wollen Sie nur nicht, Mister?« »Mich geht das nichts an!« maulte der Mann, drehte sich um und
ging in die Hütte zurück. Ich dachte an die Waffenschieber, denen ich auf die Schliche gekommen war. Was ich mit ihnen erleben mußte, veranlaßte mich, den Kunstschützen im Auge behalten zu wollen. Die Tür der Hütte knallte zu. Die Leute übersahen diese Geschäfte und hatten vielleicht sogar Nutzen davon. Ein gelegentlicher Dollar ebnet viele Wege und läßt sehende Augen zeitweise blind werden. Das wußte ich freilich schon lange. Ich folgte weiter der Straße und gelangte so aus der Stadt. Die Indianer bewegten sich mit ihren Maultieren durch das Flimmern nach Süden. In der Hitze waberte es so sehr in der Luft, daß sich die Saguaro-Kakteen verzerrten und weite Wasserflächen das Sandland vor den Bergen zu bedecken schienen. Einen Tagesritt entfernt lag Fort Bowie. Die Indianer verließen mit den Tieren die Overlandstraße und verschwanden hinter den Ocotillos im Südwesten. Ich schaute nach Osten. Dünner Staub trieb noch vor den jämmerlichen Hütten. Der Wagen schien diesen Weg genommen zu haben. Doch sehen konnte ich ihn nicht. Der Mann lief hinter mir her, ergriff meinen Arm und schüttelte ihn. »Junger Freund, kümmern Sie sich nicht um fremde Angelegenheiten. Das ist nicht gesund für Sie!« »Kriegen Sie was dafür, wenn niemand die Geschäfte stört, die der Kunstschütze abwickelt?« Der Mann ließ meinen Arm los. »Verrückt, was?« »Umsonst ist noch nicht mal der Tod«, erwiderte ich. »Bestimmt kriegt ihr was dafür, Tomaten auf den Augen zu haben.« Ich ließ den Mann stehen und ging weiter.
4. Es war dunkel geworden. Aber das Rodeo setzte sich unvermindert laut fort und fesselte die Bevölkerung sowie die angereisten Mannschaften und Fremden an die wenigen Plätze längs der Hauptstraße, an denen das Geschehen abrollte.
Betrunkene verließen lallend und singend die Kneipen der Stadt und verschwanden torkelnd im Dunkel. Ich weiß nicht, was mich wieder in jenes Viertel der halbverfallenen Hütten am Südrand von Dry Camp lockte. Ich stand auf einmal wieder dort in der Finsternis, die nur hier und da von einem schwachen Lichtschimmer aus einer der Katen durchbrochen wurde. Plötzlich bewegte sich vor mir etwas. Ich sprang zur Seite, duckte mich und griff zur Waffe. Da taumelte eine Gestalt aus der Dunkelheit und brach zusammen. Ein paar Sekunden stand ich reglos und gespannt, die Faust noch um den Griff des Colts geschlossen. Doch die Gestalt sprang nicht auf. Sie rollte nur auf den Rücken. Ein Stöhnen war zu hören. Ich ging auf den Gestürzten zu, beugte mich über ihn und sah, daß es ein noch recht junger Apache war. Fuselatem streifte mein Gesicht. Ich beugte mich tiefer hinunter und erkannte die Trunkenheit in den Augen des jungen Indianers. Wieder streifte mich sein Atem, und ich spürte noch deutlicher, daß er den billigsten Schnaps getrunken haben mußte. Methylalkohol, dachte ich. Krämpfe schüttelten den Indianer, so daß er die Beine anzog und die Hände auf den Leib preßte. Ein Stöhnen entrang sich seinem Mund. Er wälzte sich auf die Seite und lag verkrümmt und hilflos im Staub. Hinter mir knirschte der Sand. Ich schnellte herum und sah jenen Mann vor mir auftauchen, dessen Warnung vor Dingen, die mich nichts angingen, ich noch nicht vergessen hatte. Der Mann schlug einen Bogen und blieb dort stehen, wo der Indianer zusammengebrochen war. Mit dem Fuß stieß der Mann eine Flasche an. Sie rollte klirrend zu mir herüber und traf meinen Stiefel. Ich bückte mich danach. Ein Rest Flüssigkeit lief aus. Mir wurde schon beinahe übel, als ich nur am Flaschenhals roch. Und doch probierte ich den Schnaps, um genauer zu erfahren, was dem Apachen so sehr zusetzte. Ob es nur ein Rausch war oder vielleicht eine Vergiftung. Mir wurde speiübel, als mir der Fusel in die Kehle geriet. Ich warf die Flasche zu Boden, krümmte mich und mußte fürchterlich husten. Tränen schossen mir aus den Augen. Ich rang schwer nach Luft, richtete mich auf und schaute auf den Mann, dessen Gesicht wie ein
heller Fleck wirkte. Er trat näher. »Es ist Methylalkohol!« stieß ich keuchend hervor. »Da hält man besser die Finger raus, junger Freund. Sonst hat man ganz fix eine Kugel im Köpfchen. Und dann ist die ganze Schlauheit auch zum Teufel!« »Er muß zu einem Arzt gebracht werden.« Der Mann tippte sich an die Stirn. »Wegen einer Rothaut?« »Hören Sie, Mister, die Apachen sind durch das elende Dasein in der Reservation schon genug gedemütigt! Muß man sie mit Fusel noch vollends demoralisieren und mit diesem Gift erblinden lassen oder sie gar töten?« »Niemand kümmert sich in diesem Land darum, was mit einer Rothaut passiert. Und kein Arzt könnte es wagen, so einen stinkbesoffenen Kerl bei sich aufzunehmen. Er könnte seine Praxis schließen. Außerdem würde der Apache für die Behandlung nicht bezahlen. Und wer ihn anfaßt, stinkt stunden- oder tagelang selbst nach dem billigen Fusel.« »Sie sind ein Schwein«, sagte ich angewidert zu dem Mann. Doch er grinste nur. »Wenn du mal so alt werden solltest wie ich, mein Freund, dann denkst du sicher anders darüber. Die Indianer hassen uns und wir sie. So einfach ist das. Und die Geschäftsleute wollen uns über die Ohren hauen und auch sie. Nur, bei den Indianern dürfen sie skrupellos sein und haben kein Militär, keinen Marshal und keinen Richter zu fürchten. Weil nichts in unseren Gesetzbüchern steht, daß es verboten wäre, den Indianern was anzudrehen, sie zu peinigen oder gar zu töten.« Der Mann wandte sich ab, bevor ich nach ihm greifen und ihm die Faust ins Gesicht zu setzen vermochte. Verdient hatte er es meiner Meinung nach. Niemand anderes tauchte auf. Dabei war ich überzeugt, daß die Menschen dieser Gegend alle wußten, was hier geschah. Der Apache wälzte sich stöhnend zurück und zog wieder die Beine an. Sein Gewimmer klang furchtbar in meinen Ohren, und ich meinte, seine Schmerzen selbst zu spüren. Ich ging zum nächsten Haus, hinter dem ich ein Gesicht zu sehen glaubte. Doch als ich bei der kleinen Scheibe war, sah ich dahinter nichts weiter als
Dunkelheit. Meine Faust trommelte gegen das laut klirrende Glas. »Hallo, da ist doch jemand!« Keine Antwort. Noch einmal schlug ich heftig gegen das Glas. Da öffnete sich auf der anderen Seite eine Tür. Laut knarrten die Angeln. Ein Gewehr wurde repetiert. Ich wirbelte herum. »Wenn du nicht zusiehst, daß du Land gewinnst, setzt es eine Ladung aus meiner Flinte!« sagte der Mann, der mit gespreizten Beinen auf der Türschwelle stand. »Der Indianer ist vergiftet«, sagte ich. »Jemand muß einen Arzt holen.« »Verschwinde und nimm ihn mit, wenn er dich so sehr interessiert«, entgegnete der Mann wütend. Der Apache schrie seine Pein in die Nacht hinaus. Aber er hätte eher Steine als die Menschen dieser Stadt erweichen können. Ich war wie ernüchtert und haßte die eigene Rasse für ihre Überheblichkeit und das aus Habgier geborene Desinteresse. Dem Indianer auf die Füße zu helfen, war noch recht leicht. Ich nahm auch seinen Arm über meine Schultern und hielt ihn mit der anderen Hand um die Hüften gelegt fest. Doch er ließ sich nicht führen. Seine Knie knickten ein, und er hing als schwere Last an mir. Ich schleppte ihn bis zu einem Haufen wüst herumliegender Kisten. Stinkende Abfälle lagen dahinter. Ich setzte den jungen Apachen auf die Kisten. Doch als ich ihn losließ, rutschte er sofort zusammen und stürzte in den Straßenstaub. Ich schaute mich um, wußte, daß viele Menschen mich beobachteten und konnte doch keinen sehen. Die Apachen waren die Todfeinde der Weißen gewesen, als diese ins Land der Indianer eindrangen, um es in Besitz nehmen und nach eigener Vorstellung zu kultivieren und umzugestalten. Sie hatten einander in den frühen Besiedlungsjahren nichts geschenkt und gnadenlos gemordet, bis es dem Weißen gelang, wesentliche Teile der Apachenstämme zu unterjochen und in Reservate zu stecken. Der Alkohol würde diesem Naturvolk den Rest geben, weil es ihn trank,
ohne ihn verkraften zu können. Es zeigte sich noch immer niemand, der helfen wollte. Der Apache krümmte sich im Schmerz auf dem Boden. Er würde allein keinen Yard weit gehen. Ich lief zurück und schlug mit den Fäusten gegen die Tür der kleinen, windschiefen Hütte, aus der der Mann getreten war, dar mir riet, zu verschwinden. Das Fenster öffnete sich. »Was ist denn los?« fragte die barsche Stimme. »Gibt es denn niemanden, der ihm helfen könnte?« fragte ich. »Wenn man ihnen solchen Fusel verkauft, muß man ihnen doch auch helfen, Mister.« »Ich verkaufe keinen Fusel«, erwiderte der Mann. »Nichts können die Rothäute von mir kriegen.« »Aber irgend jemand muß ihm doch helfen können!« »Wenn Sie ihm unbedingt helfen müssen, dann schaffen Sie ihn doch ins nächste Apachendorf.« »Wo ist das?« »Immer nach Süden. Bis die großen Saguaros anfangen. Dann etwas westlich halten. Die Indianer hinterlassen dorthin Spuren. Die können Sie auch nachts finden.« Das Fenster klappte zu. »Danke«, murmelte ich, wandte mich ab und ging zurück. Am Zustand des jungen Apachen hatte sich nichts geändert. Zusammengekrümmt wälzte er sich hin und her und wimmerte. Ich ging neben ihm in die Hocke und sagte: »Warte hier. Ich hole nur mein Pferd. Bin gleich wieder da.« Ob der Indianer verstand, wurde nicht ersichtlich. Er wimmerte weiter und wälzte sich auf die andere Schulter. Ich richtete mich auf, schaute noch ein paar Herzschläge lang auf die erbarmungswürdige Gestalt und lief dann schnell zur Hauptstraße zurück. Von vielen Petroleumlampen erhellt, tanzten ein paar leichtbekleidete Mädchen auf einem Podest zwischen zwei hohen Lagerschuppen. Ein Mann im Prince-Albert-Mantel, einen hohen Zylinder auf dem Kopf und einen mit Silberzierat geschmückten Stecken in der Hand pries die Tanzkünste seiner Mädchen, die sich
aber tatsächlich steif wie Puppen bewegten und lediglich durch die gewagten Flitterkleidchen auffielen. Eine große Menschenmenge hatte sich um das Podium versammelt. Münzen wurden den Mädchen zugeworfen, landeten zumeist auf den sich biegenden Brettern und rollten schimmernd darüber. Ich hastete vorbei, erreichte den Mietstall und sah den Stallmann in einer Box aufstehen. Stroh hing ihm in den Haaren. Er sah verschlafen aus. »Gehen Sie so früh schlafen?« fragte ich, während ich den Sattel von der Trennwand nahm und meinem Braunen auflegte. »Mich interessiert der Rummel da draußen nicht«, erwiderte der Stallmann. »Wohin wollen Sie denn noch?« »Ich bin bald zurück. Ist es weit in das nächste Indianerdorf im Reservat?« »Nein. Höchstens eine Stunde zu reiten.« »Gibt es dort einen Medizinmann?« »Weiß ich doch nicht.« Der Stallmann fluchte vor sich hin und zupfte Stroh aus seinen verfilzten Haaren. »Wollen Sie zu einem Medizinmann?« Ich blickte den alten Mann einen Moment überlegend an, entschied mich aber dafür, nicht noch einmal von dem offenbar vergifteten jungen Apachen gegenüber einem Weißen anzufangen. Es war sinnlos. So schnallte ich den Sattel fest, löste die Kette vom Kopfgeschirr und schob mein Pferd in den Gang. »Medizinmann.« Der Stallmann schüttelte den Kopf. »Verrückte Geschichte!« Ich führte das Pferd hinaus, zur Hauptstraße und in die erste dunkle Gasse. Der Indianer lag noch an derselben Stelle. Er krümmte sich in seinem Schmerz und rollte von der einen Seite auf die andere. Ich hob ihn hoch und schüttelte ihn, bis er schwieg und mich anschaute. Schaum stand vor seinen schmalen Lippen. Das Gesicht war gedunsen. Er stank aus dem Mund wie die leere Flasche, die irgendwo lag. »Ich bringe dich zu deinen Leuten«, sagte ich eindringlich. »Zu
einem Medizinmann. Du mußt den Fuß in den Steigbügel stecken. In den Steigbügel, verstehst du?« Ich ergriff den Steigbügel und zeigte ihm, was er tun müsse. Er schien es sogar begriffen zu haben. Doch er war unfähig, die Bewegung auszuführen. Ich mußte ihm das Bein anheben und in den mit Leder überzogenen Bügel stecken. Dabei wäre er beinahe meinen Händen entglitten und umgekippt. Endlich hatte ich ihn so weit, daß ich ihn in den Sattel schieben konnte. Ein weiteres Kunststück bestand darin, selbst hinter ihm auf den Rücken des Pferdes zu gelangen. Doch dann war auch das geschafft. Der junge Apache sank stöhnend auf den Hals des Braunen. Ich vermochte ihn leicht festzuhalten, konnte das Tier antreiben und ritt aus dem Elendsviertel hinaus in die einer Wüste ähnlichen Prärie, in der ich im Mondschein die hohen Saguaros sah, bei denen ich die Straße verlassen sollte. Der Lärm und der wirbelnde Staub blieben hinter mir zurück. Gelächter aus schrillen Mädchenkehlen und Revolverschüsse entfernten sich und verstummten schließlich. Hin und wieder warf ich einen Blick über die Schulter. Aber niemand folgte mir.
5. Das Dorf hatte ich leicht finden können. Es stand in einer weiten Senke, umgeben von Kakteen und Cottonwoods und durchzogen vom San Domingo Creek, der im Mondlicht glitzerte. Die Indianer hausten in Hütten und erinnerten an das Strandgut der Zivilisation, das ich schon in den großen Städten gesehen hatte. Die Behausungen hatte man aus Brettern, Blech, Fellen und Decken errichtet. Anstelle von Fenstern gab es nur leer klaffende Höhlen. Statt der Türen hingen alte Pferdedecken vor den Zugängen. Müllhaufen erhoben sich überall wahllos zwischen den Hütten und stanken bestialisch. Am liebsten hätte ich gleich am Anfang des jämmerlichen Nestes das Pferd gezügelt und den vor mir auf dem Hals des Braunen liegenden Apachen abgeladen.
Doch es zeigte sich niemand. Ich mußte bis mitten ins Dorf reiten, bis endlich ein paar Gestalten die Decken vor den Zugängen zur Seite schoben und ins Freie traten. Der Braune blieb von allein stehen, als ich ihn nicht mehr antrieb. Das Tier schnaubte leise. Sie näherten sich langsam und geduckt von allen Seiten. Nacktes Mißtrauen war unschwer in ihren Augen zu erkennen. Es waren jämmerlich gekleidete, abgemagerte Gestalten mit hervorstehenden Backenknochen. Der Hunger hatte die Gesichter gezeichnet. Einer zog ein Messer unter dem zerfetzten Hemd hervor. Ich sagte zu ihnen in ihrer Sprache, daß ich einen der ihren brächte und selbst bei einem Apachen-Stamm aufgewachsen wäre. Doch sie blieben mißtrauisch. Nur das Messer steckte der eine wieder weg. »Ihr müßt verrückt sein, diesen Fusel zu kaufen!« sagte ich. »Das muß früher oder später euer Ende bedeuten!« Zwei ältere Männer traten heran und zogen den jungen Apachen vom Pferd. Ich blieb im Sattel sitzen. »Ihr müßt damit aufhören, bevor es zu spät ist. Es ist auch kein guter Whisky, den sie euch verkaufen. Es ist billiger Fusel, manchmal sogar Gift!« Es war nicht ganz sicher, ob sie überhaupt verstanden, was ich sagte. Der offenbar bewußtlos gewordene Apache wurde in eine Hütte getragen. Aus einer anderen trat der Medizinmann, der ebenfalls nur noch einen schwachen Abglanz früherer Herrlichkeit um sich zu verbreiten vermochte. Ein langer Federschweif hing über seinen Rücken und umgab als Busch seinen Kopf. Doch die Farben waren längst verblichen, und es fehlten viele Federn. Sein ehemals kostbarer Ledermantel hatte die schneeweiße Farbe verloren. Unansehnlich grau bot er sich dar, die Zeichen verwischt und die Bambusstäbchen abgerissen. Der Medizinmann betrat die Hütte, in die der junge Apache getragen worden war. Das Interesse an mir erlosch. Alle Indianer drängten an meinem Pferd vorbei und scharten sich am Fenster und am Zugang der Hütte zusammen.
Ich saß ab, ließ den Zügel los und bahnte mir einen Weg durch die Menge; Keiner hinderte mich daran, die stinkende Hütte zu betreten, auch wenn sie mich weiterhin dabei mit finsteren Blicken bedachten. Der Medizinmann stand über den jungen Mann gebeugt. Man hatte ihn auf ein paar alte Felle gelegt. Die Leute standen an den Wänden und schwiegen. Ich trat neben den Medizinmann. Er war von kleiner Gestalt und mager wie die anderen. Schlohweißes Haar hing unter dem schäbigen Federbusch hervor. Er richtete sich auf und schüttelte den Kopf. »Du hast bei unseren Brüdern gelebt?« »Ja.« »Aber du bist ein Weißer!« Zorn funkelte in den Fischaugen des Medizinmanns. »Das kann sich keiner aussuchen«, erwiderte ich schroff. »Wo hast du ihn gefunden?« »In Dry Camp.« »Was weißt du noch ?« »Er muß Methylalkohol getrunken haben. Es lag eine Flasche in seiner Nähe.« Ich zog die Luft durch die Nase und schaute auf die dürren Gestalten an der Wand. Sie hatten offenbar alle diesen Fuselgeruch an sich. Vermutlich erschienen sie mir auch älter, als sie waren. »Der weiße Mann hat unser Verhängnis ins Land getragen«, murmelte der Medizinmann resignierend. »Zuerst hat er unsere besten Männer getötet. Dann brachte er Rinder. Viele Rinder! Das Wild floh und kehrte nie mehr zurück. Dann kam das Feuerwasser. Es schmeckte den jungen Männern und höhlte sie aus.« »Ich weiß.« »Du bist auch ein Weißer!« Ich schaute mich wieder um. Es sah fast so aus, als sollte sich der Zorn auf Fusel und Ausbeutung, auf Unterdrückung und langsame Vernichtung auf mich entladen, der ich erschienen war, um einen jungen Mann aus ihrer Mitte vor dem Tode zu bewahren. »Du kannst nichts dafür«, murmelte der Medizinmann besänftigend. »Du bist vielleicht wirklich unser Freund. Aber wir
sehen eben nur, daß du ein Weißer bist.« Ich blickte auf den sich stöhnend wälzenden Indianer, der wieder zu sich kam, aber nicht begriff, wo er sich befand. Der Medizinmann bemühte sich ein paar Minuten um ihn, dann richtete er sich kopfschüttelnd auf. Der junge Apache schrie, krümmte sich wieder zusammen und rollte vom Fellager. »Er stirbt«, sagte der Medizinmann. »Kannst du nichts mehr für ihn tun?« »Nein. Es war schon zu spät. Vielleicht hätte der Doc in Dry Camp ihm noch den Magen auspumpen und damit sein Leben retten können. Jetzt ist es zu spät.« Der junge Mann schrie noch. Ich wandte mich ab, ging hinaus und drängte mich durch die Menge an der Tür. Langsam zog ich mich in den Sattel und ritt davon. * Der Stallmann stand im Gang, während ich das Pferd absattelte und trockenrieb. Draußen krachten die Revolver des Kunstschützen, der seinen Stand neben dem Stall aufgebaut hatte. Begeisterte Menschen riefen und klatschten. Durch die offenstehende Tür konnte ich den jungen Burschen sehen, der mit dem Hut in der Hand herumging und Kupfermünzen einsammelte. »Buffy, komm her!« rief der Kunstschütze. Er warf die Colts einen nach dem anderen in die Luft. Sie überschlugen sich und landeten zielsicher in den beiden Halftern an seinen Hüften. Die Menge brüllte wieder begeistert und warf dem jungen Buffy noch ein paar Münzen nach, die er einsammelte. Der Kunstschütze lächelte geschmeichelt, zog den Zylinder vom Kopf und verneigte sich vor der Menge. »Zugabe!« rief jemand. Die anderen stimmten ein.
»Die warten nur darauf, daß Bullett seinem Gehilfen in den Kopf schießt. Aus Versehen natürlich.« Der Stallmann spuckte fluchend auf den Boden. »Sensationsgier, nichts als Sensationsgier.« Buffy hatte das gesammelte Geld bei Bullett abgeliefert und wurde von dem an die Bretterwand geschickt. Die Menge beruhigte sich. Der Stallmann trat an die Tür und schaute hinaus. Auf dieser Seite des Ovals standen nur wenige Leute, so daß der Stallmann, aber auch ich, alles gut verfolgen konnten. Bullett zog sechs breite Kampfmesser hinter dem Gürtel hervor und warf sie in kurzen Abständen. Buffy wurde von ihnen eingerahmt, ohne mit einer Wimper zu zucken. Abermals brüllte die begeisterte Menge und verlangte neue Zugaben. Buffy ging mit dem Cowboyhut herum und sammelte. »Das kann die ganze Nacht so weitergehen, wenn wir Pech haben«, sagte der Stallmann erbittert, schob die Tür zu und verriegelte sie. »Wie spät ist es denn?« »Zwei Stunden nach Mitternacht. In drei Stunden wird es bereits wieder hell.« »Na dann.« Ich ging zu einer leeren Box und legte mich ins Stroh. »Wissen Sie, ob dieser Kunstschütze noch anderen Geschäften nachgeht?« »Interessiert mich nicht.« Der Stallmann tauchte vor der Box auf. »Wieso?« »Ach, nur so.« »Sind Sie vielleicht einer, der herumschnüffelt?« »Nein.« »Will ich Ihnen auch geraten haben, Freundchen. Mit Spitzeln haben wir hier nichts im Sinn. Es waren schon mal welche da. Beim letzten Rodeo.« »So?« Ich setzte mich. »Ja. Von einer Agentur. Ich weiß nicht, was das für ein Blödsinn sein soll. Jedenfalls stellten sie eine Menge Fragen und wollten was herausfinden.«
»Was?« »Keine Ahnung, irgendwas. Man fand sie dann tot. Nicht weit von der Stadt entfernt. Beide.« »Ach so. Nein, ich schnüffle nicht. Mich interessiert dieser Mann nur, weil er an Indianer etwas verkaufte. In Kisten verpackt. Bei den halbverfallenen Hütten am Südende von Dry Camp.« »So?« »Ja. Und dann fand ich einen vergifteten Apachen. Er hatte offenbar Methylalkohol getrunken.« Der Stallmann beugte sich vor. »Davon wissen wir hier in der Stadt nichts. Davon wollen wir auch nichts wissen. Kapiert?« »Ich denke schon.« Der Stallmann richtete sich auf. Draußen krachten die Revolver des Kunstschützen, und die Menge jubelte. »Aus so was hält man die Nase heraus«, setzte der Stallmann hinzu. »Bringt nämlich nichts. Höchstens heißes Blei, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Ich verstand und legte mich ins knisternde Stroh. Der Stallmann blickte noch ein paar Sekunden zu mir herunter, dann wandte er sich ab und drehte den Docht der Lampe so weit nach unten, daß es fast völlig dunkel im Stall wurde. In der nächsten Minute schlief ich bereits.
6. Auch am folgenden Tag fand das Rodeo weiter statt. Ich blieb in der Nähe des Kunstschützen und beobachtete dessen sich bis zur Ermüdung fortsetzenden Vorstellungen. An meine Verfolger dachte ich schon nicht mehr und hoffte, daß sie in den Bergen meine Spuren verloren hatten, sie nicht mehr auffanden und aufgaben. Es war am Nachmittag, als Bullett den jungen Buffy die Utensilien zusammenpacken ließ und selbst in einer Kneipe verschwand. Buffy belud den Wagen und holte die im Stall untergebrachten Pferde.
Ich stand hinter der Rückwand des Gebäudes und verfolgte die Bemühungen des jungen Burschen, der gewiß kein übermäßig anstrengendes, aber ein recht gefährliches Leben bei Bigshot Dick Bullett führte. Der Junge führte die Pferde mit dem angespannten Wagen zu der Kneipe und verschwand dort ebenfalls. Ich hatte meinen Standort gewechselt, befand mich jetzt im Schatten eines Schuppens und wartete, ob wieder etwas Ähnliches wie tags zuvor geschehen würde und ob es mir gelang, über den Inhalt der Kisten etwas in Erfahrung zu bringen. Die beiden ließen mich länger als eine halbe Stunde warten. Dann jedoch belohnten sie meine Ausdauer mit ihrem Auftauchen. Sie kletterten auf den Bock des Wagens. Bullett knallte mit der Peitsche und lenkte die Pferde die Straße hinunter. Ich eilte hinter das Lager und an den Rückwänden nach Westen, um nicht aufzufallen. Vor mir tauchte der Wagen wieder auf. Er war in eine schmale Gasse eingebogen und nach Süden unterwegs. Wieder ließ ich ein Haus zwischen mir und der Gasse, als ich ebenfalls abbog. Als ich sie dann weiter unten wieder erreichte, sah ich den Wagen nicht mehr. Eine Frau stand an der nächsten Hütte und betrachtete mich neugierig. »Hier fuhr doch eben Mister Bullett vorbei«, sagte ich. »Wo ist er hin?« Sie zeigte über die Schulter. »Danke, Madam.« Ich ging an ihr vorbei und folgte der nach Westen verlaufenden Gasse. Aber noch sah ich ihn nicht. Die Gasse beschrieb einen Bogen und endete hundert Yards weiter. Dort stand der Wagen. Daneben hielt ein Reiter, dessen Anblick mir einen heftigen Schrecken einjagte. »Mahon Tabor«, sagte ich leise und gedehnt. Der Reiter war mittelgroß und von drahtiger Gestalt. Ein scharfgeschnittenes, braungebranntes Gesicht wurde von der breiten Hutkrempe beschattet. Ich mußte an mich halten, um nicht loszustürmen und ihn vom Pferd zu reißen. Der ehemalige Offizier der US-Armee, Zahlmeister
von Fort Calhoun saß so gerade und korrekt auf dem Pferd, als hätte er einen Stock verschluckt. Obwohl er einen sandfarbenen Zivilanzug trug, war allein an seiner Haltung der Offizier noch leicht zu erkennen. Mahon Tabor redete heftig auf Bullett ein, der noch mit dem jungen Burschen auf dem Bock saß. Es schien mir, als hätten sie sich an diesem Ort verabredet. Mir wurde im ständigen Wechsel heiß und kalt unter der Haut. Ich hatte Tabors Spur also doch nicht verloren und war richtig nach Süden geritten, wohin er sich abgesetzt hatte. Ich trat ein paar Schritte zurück. Tabor durfte mich nicht sehen. Ich mußte durch ihn an alle Leute herankommen, die mit Waffen handelten. An die Leute, für die er zweifellos arbeitete, seit er die Armee verlassen hatte. Mir wurde auf einmal klar, daß es nicht nur um Schiebereien mit Waffen zu gehen schien, sondern auch um Alkoholverkauf an die Indianer in den Reservaten. Bullett reichte Geld vom Wagen herunter. Tabor nahm es und steckte es in die Jackentasche. Ich war überzeugt, daß es ein Teil des Erlöses für die Kisten war, die die Indianer am Tag zuvor von ihm kauften. Danach hatte ich den Eindruck, als würde Bullett von Mahon Tabor Anweisungen erhalten. »Ja, ist gut«, sagte der Kunstschütze einmal laut. Tabor lenkte sein Pferd herum und ritt auf mich zu. Hastig verdrückte ich mich in der Lücke zwischen zwei Schuppen. Ich ging in die Hocke und konnte nur hoffen, unbemerkt zu bleiben. Ich wollte Tabor folgen. Er erschien mir wichtiger als der Kunstschütze. Bullett schien letzten Endes nur ein Handlager zu sein, der Geschäfte ausführte und Geld abzuliefern hatte. Tabor ritt achtlos vorbei. Ich richtete mich auf, schob mich vor und blickte über die Gasse. Der Wagen verschwand gerade an ihrem Ende und bog nach Norden ab. Sicher kehrte er in die Stadt zurück, um die Vorstellungen fortzusetzen. Ich schlich dem Reiter nach.
Doch Mahon Tabor ritt schneller und erreichte weit vor mir die Hauptstraße. Als ich selbst dort anlangte, konnte ich ihn in dem Gewimmel nirgends mehr sehen.
7. »He, Mister!« rief der Revolvermann mit den Bernsteinaugen und winkte einem Mann. Der Blatternarbige hielt sich etwas zurück, brummelte aber, daß es doch sinnlos wäre, weiter nach dem Burschen zu suchen, dem sie seit Tagen auf den Fersen waren und der sich offenbar hier nicht befand. »Was wollen Sie denn?« fragte der Angerufene, dem der Revolvermann nachgelaufen war und den er jetzt festhielt. »Nur eine Auskunft.« Das Gesicht des Mannes aus der Stadt blieb mürrisch. Mit verzogenem Mund blickte er auf den Blatternarbigen, der ihm nicht zu gefallen schien. »Wir suchen einen jungen Burschen. Ronco heißt er! Hat lange blonde Haare. So ein großer, breitschultriger Bursche, der ein braunes Pferd reitet?« »Nein, habe ich nicht gesehen. Lassen Sie endlich meinen Arm los, zum Teufel.« »Entschuldigen Sie.« Der Mann ging weiter. Der Revolvermann drehte sich um und zuckte mit den Schultern. »Das hat keinen Sinn«, sagte der Blatternarbige. »Der ist nach Süden weiter. Und er hat mindestens einen ganzen Tag Vorsprung, Dirk!« »Mist verdammter.« Sie gingen weiter durch die Gasse. Es mußte schon ein Zufall sein, Ronco doch noch zu begegnen – dachten sie. Sie erreichten die Ecke und blieben stehen. Ihnen gegenüber zerschoß Kunstschütze Bullett neben einem Mietstall Spielkarten, die sein Gehilfe in einer Hand hochhielt. Pulverrauch hüllte den Revolverkünstler ein. »Beachtliches Talent«, sagte Dirk.
Der Blatternarbige zog den Hut in die Stirn, um sein Gesicht zu verbergen. Plötzlich stieß Dirk den Kumpan an. »Sieh mal da! Ist ja nicht zu fassen!« »Ronco«, murmelte der Blatternarbige und grinste von einem Ohr zum ändern. * Ich hatte die beiden nicht bemerkt, die in der Dämmerung des scheidenden Tages wieder in der Gasse verschwanden. Im Mietstall servierte mir der Stallmann ein Schinkenbrot, womit er mich maßlos verblüffte. Ich nahm es dankbar an und stopfte es in mich hinein. Dann legte ich mich wieder in die leere Box und schloß die Augen. Bullett, davon war ich fest überzeugt, würde während der Nacht nicht wegfahren. Es blieb mir also genügend Zeit, mich ordentlich auszuschlafen. »Ich gehe noch einen heben«, sagte der Stallmann an der Tür. Ich blinzelte nur noch kurz zu ihm hinüber, sagte aber nichts. Er ging hinaus und schob die Tür zu. Die Colts des Kunstschützen entluden sich. Unter dem begeisterten Rufen der Menge zerplatzte eine Lampe, von der Kugel getroffen. Feuer und Glas flogen umher. An der Stallecke wurde der Stallmann von den beiden Revolverschwingern angehalten. Er erschrak, weil er sie vorher nicht bemerkt hatte. »Ist der junge Kerl im Stall geblieben?« fragte Dirk. Der Stallmann schaute erst ihn, dann den Blatternarbigen an. Dirk hielt ihm eine Münze hin. »Löst dir das die Zunge, oder ist dir was Handfestes lieber?« »Prügel!« Der Blatternarbige grinste, »Ja, er ist drin«, sagte der Stallmann hastig. »Pennt er da?« »Ja. Hat kein Hotelzimmer mehr finden können. Ist auch verdammt teuer in dieser Woche.«
»Du gehst am besten ein paar Häuser weiter in eine Kneipe und bleibst eine Stunde dort. Verstanden?« »Ich – ich …« Der Stallmann brach ab. »Wir brauchen dich nicht«, erklärte der Blatternarbige. »Und denke dir nichts dabei, wenn der Kerl später weg ist.« »Ich will aber kein Blut im Stall haben!« »Keine Sorge, wir wollen ihn lebend«, sagte Dirk beruhigend. »Und jetzt hau ab!« Der Stallmann lief schnell weg und schaute sich nicht mehr um. Die beiden Kerle grinsten sich an. Der Blatternarbige spuckte in die Hände. »Dann wollen wir mal, was?« Dirk ging voran. Bullett ballerte wieder mit seinen Colts herum. Man würde bei dem Lärm kaum etwas von dem hören können, was im Stall passieren sollte. Die Lampe flackerte, als sich die Tür heftig bewegte. Laut kreischten die Angeln. Das Wummern der Schüsse hallte lauter in den Stall. * Ich fuhr in der Box im raschelnden Stroh hoch und entdeckte die beiden Kerle. Obwohl ich sie niemals richtig hatte sehen können, war mir sofort klar, wer das sein mußte. Dirk drehte den Lampendocht höher. Grelles Licht traf mich. Die lange Flamme trieb Ruß oben aus dem Zylinder. Der Blatternarbige griff nach einer Schaufel und schlug sie gegen die Wand. Ein Stück flog davon. Den größeren Teil des Stiels behielt der Kerl wie einen Knüppel in der Hand. Ich blickte zu der Tür im Hintergrund. Doch als ich losstürmte, um sie zu erreichen, trat Dirk gegen einen leeren Zinkeimer. Er stürzte um und rollte scheppernd in meinen Weg. Prompt stolperte ich und flog über ihn weg. Der Eimer schepperte weiter und polterte gegen die Wand. Draußen schoß Bullett. Die Zuschauer jubelten.
Der Blatternarbige schlug mit dem Knüppel nach mir. Obwohl ich mich zurückschnellte, wurde ich noch am Oberarm getroffen und spürte heftige Schmerzen durch meinen Körper rasen, sprang dennoch auf, nahm den Eimer mit und schleuderte ihn Dirk entgegen. Der Revolvermann wurde gegen die Brust getroffen und taumelte. Der Blatternarbige schlug nach mir, aber ich konnte dem Schaufelstiel ausweichen. Er rutschte dem Kerl aus den Fingern und knallte gegen die rückwärtige Tür. Ich fiel ihn an und schmetterte ihm die Faust ans Kinn. Er wurde hart getroffen und schwankte mit rudernden Armen zurück. Dabei geriet er in eine Box und prallte gegen das Pferd. Das Tier wieherte schrill und versuchte, die Kette zu sprengen, die es an die Wand fesselte. Laut rasselte das Eisen. Die Hufe schlugen ins raschelnde Stroh. Der Blatternarbige stürzte. Das Pferd drängte gegen die Trennwand und hieb die Hufe gegen die Bretter. Staub hüllte den Kerl ein, als er sich fluchend wieder auf die Beine kämpfte. Inzwischen wurde ich von Dirk angegriffen. Der Kerl hatte den Eimer aufgehoben und warf ihn nach mir. Ich sah es rechtzeitig und konnte mich auf die Knie fallen lassen. Das Wurfgeschoß raste über meinen Kopf, schlug auf den Boden und schepperte mit Getöse zur hinteren Wand. Keiner von uns bemerkte, daß draußen nicht mehr geschossen wurde und Stille eintrat. Der Blatternarbige war wieder auf den Beinen und ging zum nächsten Angriff über. Sie sprangen mich beide mit Gebrüll an, und ich konnte ihren zupackenden Händen nicht mehr entgehen. Jeder der beiden versuchte, mich an sich zu reißen. Das war meine Chance. Ich riß die Arme von oben nach unten und befreite mich aus ihrem Griff. Herumwirbelnd hatte ich sie zwischen mir und der Rückwand. Schon wollte ich Dirk ergreifen, als hinter mir die Tür aufflog und eine polternde Stimme rief: »Was geht hier vor ?« »Der Marshal, zur Hölle!« schrie der Blatternarbige entsetzt. Er warf sich herum und hastete auf die kleine Tür in der Rückwand zu. Dirk bewahrte etwas mehr Geistesgegenwart und stieß mich dem
Marshal hinter mir entgegen. Während ich gegen den gedrungenen Gesetzeshüter taumelte, lief Dirk hinter seinem Kumpan her, der schon das Freie gewann. Die kleine Tür knallte krachend gegen die Wand. Dirk sprang dem Kumpan nach. Der Marshal hielt mich fest, als befürchte er, ich könnte den Kerlen zu folgen versuchen. Indessen verschwanden die beiden in der Dunkelheit. Ich wurde gegen die Wand gedrängt und sah weitere Männer den Stall betreten. »Los, los, hinterher!« rief der Marshal und winkte herrisch an mir vorbei zur offenen Tür im Hintergrund. Vier Männer hasteten durch den Stall und folgten den beiden Kerlen. Der Whiskyatem des Marshals streifte mich. Ich dachte noch einen Augenblick an die beiden Halunken, die so plötzlich wieder aufgetaucht waren und die ich nach wie vor für Kopfgeldjäger hielt. Eiskalt lief es mir über den Rücken. Vielleicht wußte auch der Marshal bereits, daß es auf meinen Namen einen Steckbrief gab und viele Leute wie verrückt nach mir suchten. Sein Blick schien mich mißtrauisch abzutasten. Aber er hatte auch schon eine schöne Menge getrunken. Ganz offensichtlich fand er am Rodeo die gleiche Freude wie die große Mehrheit der Leute dieser kleinen Stadt und der Umgebung. Hinter den Häusern fielen ein paar Schüsse. Die Pferde reagierten unruhig und schnaubten. Ketten rasselten. »Was war denn hier los?« fragte der Marshal, der jetzt zwei Schritte von mir entfernt stand und die Hand auf dem Griff seines Revolvers liegen hatte. Sein großer Stern funkelte im Licht der hell brennenden Lampe, von der immer neue Ruß Schwaden zu den Dachsparren stiegen. »Ich weiß es auch nicht. Offenbar hatten die beiden zu viel getrunken und wollten ihre Wut auf irgend etwas loswerden.« »Auf was?« »Weiß ich auch nicht, Marshal.« Ich gab mich kleinlaut und hoffte, daß er meinen Steckbrief nicht kannte. »Name?«
»Brewster«, sagte ich. Der Marshal schüttelte den Kopf, wurde aber abgelenkt, weil die von ihm hinter den Kerlen hergeschickten Männer zurückkehrten. »Abgehauen«, sagte einer und zuckte mit den Schultern. »Bei dem Gedränge überall kein Kunststück.« »Na gut, ihr könnt verschwinden.« Der Marshal brummelte noch etwas vor sich hin, doch ich verstand es nicht. Die Männer verdrückten sich durch die Hintertür, die sich hinter dem letzten Mann schloß. Der Marshal schaute mich wieder an. »Weißt du wenigstens, wer die beiden waren?« »Keine Ahnung, Marshal«, erwiderte ich der Wahrheit gemäß. »Ich habe sie nie vorher gesehen. Wer weiß, auf wen die wütend waren, daß sie was anstellen mußten.« »Na, ich will es mal glauben. Aber damit das klar ist: Prügeleien in meiner Stadt gefallen mir nicht. Du wirst morgen früh aus Dry Camp verschwinden. Verstanden?« »Jawohl, Marshal.« Er schaute mich noch einen Moment prüfend an, dann drehte er sich schroff um und verließ den Stall. Ich stand noch ein paar Sekunden an derselben Stelle und dachte daran, daß ich mich in einem Irrtum befunden hatte. Es war mir nicht gelungen, die Verfolger abzuhängen. Nur weil die beiden Kerle offenbar auf die Hilfe des Marshals keinen Wert legten, befand ich mich noch auf freiem Fuß. Mein Blick fiel auf den Braunen und auf meinen Sattel über der Trennwand. Am besten war es, wenn ich mich schleunigst nach einer anderen Bleibe für die Nacht umsah, bevor diese Halunken noch einmal aufkreuzten, um nachzuholen, was fürs erste mißlungen war. Also ging ich zu dem Pferd, nahm den Sattel von der Bretterwand und legte ihn dem Tier über den Rücken. Die Tür bewegte sich. Ich schnellte herum und griff zu dem alten Colt an meiner Hüfte. Der Stallmann trat ein und schien verwundert zu sein. »Was ist denn jetzt wieder los? Willst du mitten in der Nacht noch umziehen, mein Junge?«
Ich schaute ihn an und fragte mich, ob er mit voller Absicht so lange weggeblieben war. »Was ist denn?« fragte er. »Was starrst du mich so an? Stimmt was nicht?« »Nein, es ist alles in Ordnung«, entgegnete ich, schnallte den Sattel fest, hängte die Kette vom Kopfgeschirr des Braunen aus und führte ihn aus der Box. Draußen ertönte die Stimme des Kunstschützen, der sein Können bereits selbst anpries. Der Stallmann schaute sich wie suchend im Gang um, hob den Zinkeimer auf und stellte ihn an die Wand. »Also dann.« Ich schob die Tür wieder auf und führte den Braunen hinaus. Buffy stand an der von Petroleumlampen mit Blendschirmen angestrahlten Bretterwand und hielt die Karten, auf die Bullett feuerte. Es war immer die gleiche Schau, die der Revolverschütze abzog, und sie fand immer wieder den gleichen Anklang, bei der inzwischen trunken johlenden Menge. Unangefochten ging ich vorbei und die Straße entlang Richtung Osten. Mehrmals schaute ich hinter mich. Niemand schien mich und das Pferd in der Menschenmenge zu beachten. Auch die beiden Halunken konnte ich nicht entdecken. Ich ging weiter, bog in eine Gasse ein und fand an ihrem Ende einen Schuppen, dessen Tür einen Spalt offenstand. Ich zog sie weiter auf und blickte in das Dunkel. »Ist hier jemand?« Keine Antwort. Noch ein paar Herzschläge lang zögerte ich und schaute auch noch mal sichernd zurück. Niemand folgte mir oder drückte sich in der Gasse herum, die ich durch die Helligkeit dahinter gut einsehen konnte. Ich führte das Pferd in das Dunkel des Schuppens, tastete mich bis zu einem Pfosten und band den Zügel daran. Dann ging ich zurück, beobachtete die Gasse noch einige Zeit, schloß das Tor und rieb ein Schwefelholz an der Trommel des Colts an. Das Pferd scheute bei dem jähen Licht und schlug heftig mit
einem Huf auf. Dumpf dröhnte der Sandboden. Ich erkannte einen kleinen Strohhaufen rechts von mir, ließ das Holz fallen und stellte den Stiefel darauf, bevor ich zu der Wand trat und mich niederlegte.
8. Nebelschwaden zogen noch über das Land, als ich am folgenden Morgen auf den Beinen und unterwegs zu jener Stelle am Mietstall war, an der Bulletts bunter Planwagen zuletzt gestanden hatte. Der Wagen war weg. Meine Enttäuschung war so groß, daß ich zunächst nicht wußte, was ich nun tun sollte. Niemals hätte ich damit gerechnet, daß der Kunstschütze noch während der Nacht Dry Camp verlassen könnte. Die anderen Rodeomannschaften, ihre Wagen und ihre Tiere hatte ich auf der Ostseite der Stadt noch gesehen. Alle schliefen den Rausch der letzten Nacht aus. Niemand dachte daran, jetzt schon aufzubrechen. »So ein Mist«, murmelte ich. Der Stallmann trat aus dem langen, flachen Gebäude und blinzelte gegen die Helligkeit des neuen Tages. »Da bist du ja wieder. Wo hast du denn die ganze Nacht gesteckt?« »Irgendwo«, sagte ich wortkarg. Der Stallmann ging hinein, ließ die Tür jedoch offen. In der folgenden Minute war er wieder da und brachte mir einen Kanten Maisbrot. Ich zögerte. »Nun greif schon zu, bevor dir der Hunger die Augen aus dem Kopfe treibt.« Also nahm ich das Brot und biß hinein, da mein Hunger in der Tat beachtlich war. »Wo ist der Kunstschütze hin?« Der Stallmann blickte auf den verlassenen Platz, während er die Schultern anhob. »Hat sich bei mir nicht abgemeldet.« »Wissen Sie, wann er wegfuhr?« »Nein.« Ich biß wieder in das Brot. »Also viel Spaß, mein Junge.« Der Stallmann wandte sich ab und
ging davon. Mein Gefühl sagte mir, daß den Mann ein schlechtes Gewissen geplagt haben mußte, als er sich entschloß, mir ein Stück Brot zu geben, ohne dafür etwas zu verlangen. Der Stallmann schaute sich nicht mehr um. Ich saß auf und ritt kauend hinter den Häusern entlang, um dem Marshal nicht noch einmal bei Tageslicht zu begegnen und ihn vielleicht doch noch an einen Steckbrief zu erinnern, den er möglicherweise vergessen hatte. Erst bei den schäbigen Hütten auf der Südseite der Stadt begegnete mir in der frühen Stunde abermals ein Mann. »Entschuldigen Sie!« Ich zügelte den Braunen. »Haben Sie den Wagen des Kunstschützen Bullett wegfahren sehen?« »Ich habe mit dem Rodeo nichts zu tun«, sagte der Mann unwillig und ließ mich stehen. Er verschwand in einem Haus und konnte die Verwünschung nicht mehr hören, die sich mir über die Zunge drängte. Ich ritt westwärts weiter. Kein Mensch trat aus den allmählich verfallenden Hütten aus Adobelehm, die von stinkenden Unrathaufen umgeben waren. Hühner gackerten in einem Gehege. Zwei Hähne gingen mit schlagenden Flügeln und hackenden Schnäbeln aufeinander los. Ich hatte keinen Blick dafür. Ein alter Cowboy hantierte in einem Seilkorral am westlichen Stadtende. Er sah die während des Rodeos benutzten Lassos eins nach dem anderen durch und rollte sie auf, um sie danach auf die Ladefläche eines flachen Ranchwagens zu legen. »Entschuldigen Sie, Mister.« Ich zügelte das Pferd am Seilkorral. Der alte, stoppelbärtige Cowboy hob den Kopf. »Ja?« Ich warf einen Blick auf die schlafenden Männer hinter dem Korral. Sie lagen um eine Feuerstelle, die allerdings nur noch aus Asche bestand. Ihre Pferde standen dort angebunden. Der alte Cowboy trat an den Zaun. »Auch schon so früh auf den Beinen? Heute schläft alles lange. Kann noch Stunden dauern, bis wir endlich weiterziehen können.« »Der Kunstschütze Bullett ist auch schon weg«, erwiderte ich.
»Ja, den habe ich gesehen.« Mein Herz schlug schneller. »Wann war das?« »Kann gut und gern eine Stunde her sein.« Der alte Cowboy nickte mehrmals, als müßte er sich die eigenen Worte bestätigen. »Und wohin ist er?« »Da drüben entlang.« Der Mann zeigte nach Südwesten, wo sich der während der Nacht etwas angeschwollene Fluß sein Bett in das wüstenähnliche Land gegraben hatte. »Immer am Ufer entlang, junger Mann!« »Danke.« Erleichtert trieb ich das Pferd an und ritt auf den San Domingo Creek zu. Am Ufer fand ich auch die frischen Spuren der Pferde und der Räder, denen ich schnell zu folgen vermochte.
9. Bigshot Dick Bullett döste schlaftrunken vor sich hin, während die Pferde seinen Wagen mit der bemalten Plane durch das immer dichter werdende Gestrüpp am Ufer des Creeks zogen. Die Räder knirschten laut im Sand und walzten immer öfter über berstendes Gestrüpp, das strohtrocken zerplatzte. Buffy lag hinten zwischen zwei Kisten und der hochgestellten Bretterwand und versuchte, in dem rumpelnden Gefährt zu schlafen. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Obwohl er große Übung darin hatte, solcher Art fehlende Nachtruhe nachzuholen, hielt ihn etwas wach. Er verspürte auch eine nicht geringe Unruhe, für die er keine Erklärung fand. Irgend etwas war anders, als es seiner Gewohnheit entsprach. Etwas lag in der Luft. Plötzlich ertönte kehliges Geschrei. Bullett zuckte zusammen. Buffy fuhr in die Höhe, spähte hinten aus dem Wagen und sah Indianer im Dickicht auftauchen. Pfeile flogen durch die Luft. Alte Gewehre entluden sich. Die Pferde wurden von einer Sekunde zur anderen schneller und rissen den Wagen vorwärts. Der plötzliche Ruck ließ Buffy den Halt verlieren. Kopfüber stürzte er hinten aus dem Gefährt, schrammte mit einem Arm noch einmal gegen die etwas überstehenden Bodenbretter und schlug auf
den Boden. Obwohl er heftige Schmerzen verspürte, sprang er sogleich wieder auf und hastete in das Gestrüpp. Hinter ihm feuerte Bullett aus seinen Colts. Auch die Gewehre entluden sich wieder. Peitschend hieben ihm die Äste ins Gesicht. Er blieb keuchend stehen und schaute zurück. In einer Staubwand war der Wagen zum Stehen gelangt. Die Indianer erreichten ihn. Bullett hatte die Colts leergeschossen und wollte damit nach den Kriegern schlagen. Doch sie rissen ihn vom Bock und zerrten ihn hinter die Pferde. »Mein Gott«, murmelte Buffy entsetzt. Angst und Wißbegierde stritten in ihm. Die Neugierde siegte und trieb ihn durch das Gestrüpp, bis er die Indianer mit ihrem Opfer vor dem Wagen wieder sehen konnte. Bullett vermochte sich nicht aus ihrem Griff zu befreien, so sehr er auch um sich schlug. Die Indianer warfen ihn auf der Piste am Creek zu Boden. Buffy sah eine Streitaxt in den ersten Sonnenstrahlen hell aufblitzen. Die Kehle schnürte sich ihm zu. Tränen füllten seine Augen. Der Boden schien zu schwanken. Er stürzte ins Gestrüpp und übergab sich. Ein Schrei gellte durch den Morgen. Es war das letzte, was der junge Gehilfe von seinem Meister, dem Kunstschützen Bullett hörte. Buffy rollte sich im raschelnden Gebüsch herum und sah den blauen Himmel über den trockenen Zweigen. Er hörte die Indianer noch. Die Pferde wieherten. Dann krachte Holz auf die Piste. Glas splitterte. Der junge Bursche kroch davon. Er erreichte hinter dem Gestrüppgürtel den Creek, rutschte auf den Knien durch den schmalen Wasserlauf und am anderen Ufer ins Dickicht. Irgendwo ließ er sich wieder zu Boden fallen und weinte zitternd vor sich hin. Er dachte, sie müßten jede Minute, auftauchen, ihn sehen und die Streitaxt wieder heben. Aber die Zeit verstrich. Es wurde still. Kein Indianer tauchte auf.
10.
Den Wagen, den ich suchte, stand hinter Gestrüpp, so daß ich nicht viel mehr als die Plane erkannte. Der Braune blieb von allein stehen, als er von mir nicht mehr angetrieben wurde. Ich stützte die Hände auf das Sattelhorn und beobachtete das Gefährt. Tiefe Stille lag über dem hier in Creeknähe recht unübersichtlichen Land. Nichts bewegte sich in den Büschen. Mißtrauen erfüllte mich. Vielleicht hatte Bullett meine Verfolgung bemerkt und wollte mich los sein. Vielleicht lauerte er direkt vor mir im Gebüsch und wartete nur noch darauf, daß ich mich näher an seinen Wagen heranwagte. Dabei dachte ich natürlich auch an Mahon Tabor, mit dem Bullett sich in Dry Camp getroffen hatte. Ich mußte an die Schießkünste des Mannes denken, dem der Wagen gehörte. Bestimmt konnte Bullett mich mit der ersten Kugel töten, wenn ich nur nahe genug war. Minuten reihten sich aneinander. Nichts geschah. Ich sagte mir schließlich, daß ich nicht ewig so auf dem Braunen sitzen und warten konnte, vielleicht darauf, daß ein Wunder geschah. So lenkte ich das Pferd nach links und ritt in einem weiten Bogen um den Wagen herum. Sorgsam ruhten meine Blicke dabei auf dem Dickicht. Ich hoffte zu sehen, wenn es sich bewegte. Doch auch das passierte nicht. Schon war der Creek erreicht und der Wagen stand östlich von mir. Ich ritt in den schmalen Wasserlauf, durchquerte ihn und langte nach wenigen Sekunden auf der Straße an. Da sah ich es – Bulletts Stiefel und die in der Sonne schimmernden Sporen, die er nie brauchte, da er einen Wagen fuhr. So wie die Stiefel schräg mit den Spitzen nach unten zeigten, sah es aus, als sei der Mann tot. Aber noch zögerte ich, stellte mich in den Steigbügeln auf und schaute mich noch einmal um. Nein, es war offenbar niemand mehr in der Nähe. Ich setzte mich in den Sattel und ritt langsam weiter. Dabei fielen mir ein paar herumliegende Pfeile auf, ein Messer und jede Menge Glasscherben. Bullett lag mit dem Gesicht nach unten in dem auseinandergefetzten Busch. Ein Tomahawk hatte seinem Leben ein
Ende gesetzt. Die Waffe lag noch neben der Leiche. Mich schauderte trotz der Hitze. Trocken lag mir die Zunge im Mund. Ich mußte das Gesicht abwenden. Schon der lebende Bullett hatte übel genug ausgesehen. So ritt ich weiter auf den Wagen zu. Nicht einmal die Pferde hatten die Indianer mitgenommen, die über Bullett hergefallen waren. Überall um den Wagen verteilt lagen die Utensilien, die Bullett gehört hatten. Hinter dem Gefährt sah ich zerschlagene Kisten und Unmengen weiterer Scherben. Der bestialische Gestank des Methylalkohols stand wie eine Wolke um den Planwagen. Zweifellos hatten die Apachen zurückgeschlagen. Und dies mit aller Brutalität. Mit dem ganzen heiligen Zorn, der sich in ihnen aufgestaut und nach einem Ventil gesucht haben mußte. Vermutlich hatte der Tod des jungen Kriegers nur noch ausgelöst, was ohnehin längst ihr Plan war. Unter den herumliegenden Gegenständen fiel mir ein altes Sharpsgewehr auf. Aufgerissene Patronenschachteln lagen leer in der Sonne. Die schönen, verzierten Waffen des Kunstschützen und seine Silbercolts sah ich nicht. Die Indianer schienen sie wie die Patronen und verschiedenes andere mitgenommen zu haben. Ich dachte wieder an Mahon Tabor, mit dem sich Bullett in Dry Camp getroffen hatte, und beschloß, in der Nähe zu warten, ob Tabor vielleicht hier auftauchte. Bestimmt waren die beiden miteinander verabredet gewesen. Und so würde Tabor wohl auch nach dem Geschäftspartner in dieser höchst zwielichtigen und mörderischen Sache suchen. Noch einmal schaute ich um mich, dann saß ich ab und lockerte dem Pferd den Sattelgurt. * Der ganze Tag war verstrichen. Weder Mahon Tabor noch sonst ein Mensch hatte sich sehen lassen. Die Sonne tauchte im Westen unter. Das Abendrot verglühte allmählich am fernen Horizont. Ich befand mich hundert Yards hinter dem Wagen und wartete
darauf, daß eine Staubwolke irgendwo in der Ferne die Annäherung von einem oder mehreren Reitern ankündigen würde. Es konnte gar nicht anders sein, als daß Bullett eine wesentliche Rolle in dem großen Schiebergeschäft mit Waffen und Alkohol gespielt hatte. Plötzlich raschelte es in den Büschen. Ich sah, wie sich das Geäst ein Stück südlich von mir bog. Eine Gestalt war undeutlich in der Dämmerung zu sehen, verschwand aber gleich wieder, so daß ich sie nicht erkannte. Mein Pferd hatte ich abgesattelt und den Zügel am Steigbügel festgebunden, damit es dort stehenbleiben mußte, wo der Sattel lag. Mir blieb nur übrig zu laufen. Ich brach durch das Dickicht und rief: »Halt, stehenbleiben!« Wasser klatschte vor mir. Der Fliehende hatte den Creek erreicht. Die Äste schlugen mir ins Gesicht. Ich sah den Creek, sprang aus dem Gestrüpp und lief zur anderen Seite hinüber. Das Dickicht am Südufer bewegte sich noch und zeigte, wo der Fliehende verschwand. Ich stürmte ins Gestrüpp. Nach ein paar Yards sah ich die Gestalt, holte sie ein und sprang. Meine Hände konnten die Schultern des Kerls ergreifen, bevor ich zu Boden stürzte. So riß ich den Mann mit, warf mich herum und sprang auf. Der andere lag noch keuchend auf dem Boden. »Buffy«, sagte ich verblüfft. An den jungen Gehilfen des Kunstschützen hatte ich nicht mehr gedacht. »Wo bist du denn die ganze Zeit gewesen? Hast du in dem Dickicht da drüben gelegen und dich wegen mir nicht zu rühren gewagt?« »Ich habe Sie in Dry Camp gesehen«, sagte der junge Bursche. »Ich dachte …« »Was dachtest du?« »Ich dachte, sie hätten vielleicht einen Wärter zurückgelassen.« »Die Apachen?« »Ja.« »Was hast du gesehen, und wieso lebst du noch?« »Ich muß aus dem Wagen gestürzt sein.« Buffy setzte sich, griff an seinen Kopf und dachte angestrengt nach. »Ja, ich bin hinten aus
dem Wagen gefallen, aufgesprungen und in die Büsche gelaufen. Sie müssen mich übersehen haben.« »Und Bullett, wurde er gleich getötet?« Buffy nickte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete mich mißtrauisch. Als er aufsprang, um wieder zu fliehen, konnte ich sein Handgelenk ergreifen und ihn zurückreißen. »Ganz ruhig«, sagte ich mahnend. »Ich tue dir nichts.« »Was wollen Sie von mir?« »Ich interessiere mich für Bulletts Geschäfte, Buffy. Du kennst sie doch?« »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« »Er hat den Indianern Fusel verkauft. Oft vermutlich auch Methylalkohol, von dem man erblinden, aber auch sterben kann. Und da ist noch ein Mann. Mahon Tabor. Der hat auch damit zu tun, nicht wahr?« Ich blickte scharf auf den jungen Burschen und hoffte, ihn damit zum Reden zu bringen. Buffy zeigte tatsächlich keinen Widerstand mehr. »Mister Tabor ist viel schlimmer als mein Boß. Ein herrischer Mann, der keinen Widerspruch duldet. Jeder muß tun, was er befiehlt.« »Und Bullett, was war mit dem?« »Er war eigentlich meistens gut zu mir.« »Meistens?« »Na ja, wenn er zuviel trank, wurde es oft recht gefährlich für mich. Dann wollte er neue Kunststücke zeigen, schoß mir den Hut vom Kopf oder nagelte mein Hemd mit einer Kugel an die Bretterwand. Dabei hat er mich mehrmals verletzt. Nicht sehr schwer. Aber eben doch verletzt.« Ich nickte Buffy zu und bemühte mich um ein freundliches Lächeln. »Und Tabor gab deinem Boß die Befehle?« »Ja. Aber er sagte dabei manchmal, daß er auch nicht tun und lassen könne, was ihm gerade Spaß mache. Er war Boß und hatte doch andere Bosse über sich.« »Wen?« »Das weiß ich nicht. Hat er nie gesagt. Bigshot Bulletts Veranstaltungen waren nichts weiter als Tarnung«, fuhr Buffy unaufgefordert fort. »Damit konnte man auch nichts verdienen. Die
Leute geben in der Regel nur Kupfermünzen. Das bringt den Tag über kaum das Futter für die Pferde und unser Essen ein. Dabei gibt es viele Tage, da befindet man sich unterwegs und kann gar nichts vorführen. Aber leben muß man trotzdem!« »Also war es der Handel mit Schnaps, der das Geld bringen mußte?« Buffy nickte. Es war ihm anzusehen, daß er ehrlich um den Mann trauerte, für den er nichts weiter als Handlanger und Zielscheibe dargestellt hatte. »Er gab Tabor Geld«, sagte ich nach einer Weile des Schweigens. Erstaunt hob Buffy den Kopf. »Ich habe es beobachtet. Am Stadtrand von Dry Camp.« »Ja, das ist wahr. Einmal sagte er zu mir, er könnte viel mehr verdienen, wenn ihm der ganze Gewinn gehörte. Aber das Syndikat hat es ihm nicht gestattet.« »Syndikat?« »Ich sagte doch, daß ich die Leute nicht kenne«, sagte Buffy sofort. »Er hat das Wort gebraucht. Sie kontrollieren den Handel mit den Indianern.« Ich nickte. Schön in Texas hatte ich eine solche Geschichte erlebt, als ein großer, gut organisierter, aber anonymer Ring von Banditen ein großes, illegales Handelsnetz aufgebaut hatte. Die Beziehungen der Schurken hatten bis hinauf zu den höchsten Ämtern des EinStern-Staates gereicht. So war es nicht gelungen, die wirklich einflußreichen Leute zu packen. »Woher hat er den Fusel geholt?« fragte ich den jungen Burschen, der noch unter dem Schock der Ereignisse zu stehen schien und sich vor mir einen Tag lang in meiner unmittelbaren Nähe versteckt gehalten hatte. Das hatte ihm nur gelingen können, weil er sich absolut still verhielt. Im Schutz der herabsinkenden Dunkelheit war dann sein Fluchtversuch erfolgt. Aber zu hastig, als daß er hätte ungehört bleiben können. Das Mißlingen hatte den zweiten Schock ausgelöst. »Ich kann es zeigen«, murmelte Buffy. »Also gut. Wir beerdigen ihn und fahren danach los.« Buffy nickte, stand auf und ging neben mir her zurück zum
anderen Ufer. Die Zähne des Jungen schlugen laut aufeinander, als wir die Leiche erreichten. Nichts war verändert. Ich schob die Streitaxt mit dem Fuß weg und trat das Gestrüpp im Umkreis nieder. »Ich hole die Schaufel und eine Hacke«, sagte Buffy und wandte sich dem Wagen zu. Ich unterließ es, mitzugehen und dadurch nur Mißtrauen zu demonstrieren. Er konnte mir helfen, etwas herauszufinden, und es war nur gut, wenn er dazu freiwillig bereit war. Außerdem konnte er ohne Pferd nicht sehr weit gelangen. Buffy kehrte mit Schaufel und Spitzhacke zurück. Wir gruben ein Loch, indem wir abwechselnd die Erde aufhackten und aushoben. Buffy vermied es dabei, auf die Leiche zu schauen. Später, als wir den Toten hingelegt hatten, ging Buffy zum Wagen und brachte eine Decke, die er mir mit abgewandtem Gesicht hinhielt. »Was soll ich damit?« »Decken Sie ihn zu. Damit es ihm nicht so kalt ist in der Hölle, wohin er reisen wird.« Buffy vermied es weiterhin, auf den Toten zu blicken. Ich zuckte mit den Schultern und legte die Decke über die Leiche. Dann warfen wir Erde auf den Toten, und ich schlug das Grab mit der Rückseite der Schaufel fest. Buffy ging zum Wagen und kümmerte sich um das Geschirr. Ich warf Schaufel und Hacke hinten in das Gefährt und holte meinen Braunen. Den Sattel warf ich in den Wagen. Das Pferd band ich an die hintere Bordwand. Wir stiegen auf. Buffy blickte stur auf den Weg, den inzwischen kaltes Mondlicht beleuchtete. Ich knallte mit der Peitsche. Auf dem Wagenweg folgten wir den Büschen und dem gewundenen Creek.
11. »Und ich sage dir, das ist er!« stieß der Blatternarbige hervor. Er richtete sich bei den Kakteen zu seiner vollen Größe auf und schaute
zu dem Wagen mit der bunten Plane hinunter, der nach Westen fuhr. Der andere Mann spuckte auf den Boden. Doch als der Blatternarbige das Gewehr anlegte, drückte er den Lauf nach unten und schüttelte den Kopf. »Soll ich ihn nicht wegputzen?« »Nein.« »Und warum nicht?« »Weil Sadie Duke ihn lebend haben will«, erklärte Dirk. »Du hast ein verdammt kurzes Gedächtnis.« Der andere Kerl ließ fluchend den Kolben von der Schulter sinken. »Und was dann?« »Es ist zuviel Zeit verstrichen«, erklärte Dirk. »Sadie Duke wartet sicher schon lange auf uns. Wir sollten umkehren und ihm Bericht erstatten.« »Wenn du meinst.« Der Blatternarbige stellte das Gewehr mit dem Kolben auf den Boden. »Ja, das meine ich.« Sie schauten dem Wagen nach, der sich langsam entfernte. Nach einer Weile war von dem Planwagen nichts mehr zu sehen. Dirk drehte sich um, erreichte nach wenigen Yards die Pferde, zog den Sattelgurt nach und saß auf. »Eben wäre es ganz einfach gewesen, ihn dafür zu bezahlen, daß er uns ein Pferd erschoß. Und Sadie Duke hätte ihn sicher auch tot genommen.« Der Blatternarbige schob das Gewehr in den Scabbard und schwang sich in den Sattel. »Denn als wir ihn zuerst sahen und den Feuerwechsel hatten, konnte er auch über den Jordan gehen.« »Das war was anderes«, widersprach Dirk mürrisch. »Wieso?« »Wir waren wütend. Da wird erst geschossen und dann überlegt. Und es ist ganz gut, daß das danebenging.« Dirk trieb sein Pferd an und galoppierte aus dem Kakteenfeld und über die Straße nach Norden. * Sadie Duke, ein Mann, der wegen eines großen, dunklen Brandmals
im Gesicht besonders auffiel, wartete auf einem Hügel neben einem kleinen Feuer, das er unterhielt, um bemerkt zu werden. Die beiden Reiter näherten sich im gestreckten Galopp aus der weiten Ebene im Südwesten. Der Hufschlag eilte den Pferden voraus. Sadie Duke hob das Gewehr und repetierte, es. Dunkel leuchtete das Mal in seinem Gesicht. Die Reiter erreichten den Fuß des Hügels. Duke feuerte über sie weg. Der Mündungsblitz erhellte die Umgebung für einen Augenblick viel heller als das Feuer. Das Wummern des Schusses verlor sich in der Ferne. Die Reiter hielten an. »Wir sind es, Mister Duke!« rief Dirk. »Wird Zeit, daß man euch mal wieder sieht«, sagte Duke und ließ das Gewehr sinken. Die beiden trieben die Pferde an und ritten die Hügelflanke hinauf. Sadie Duke trat das Feuer aus. »Tut uns leid.« Dirk hielt an und stieg ab. »Ihr habt ihn nicht?« »Zuerst verloren wir seine Spuren, dann erschoß er uns einen Gaul«, erwiderte der Blatternarbige. »Sie haben nicht gesagt, daß er so ein raffinierter Halunke ist!« »Ich suche keine Greenhorns«, erwiderte Duke sarkastisch. »Ihr habt seine Spuren verloren?« »Nein, das nicht«, erklärte Dirk. »In Dry Camp fanden wir ihn wieder und hatten ihn schon so gut wie in den Händen. Da geriet uns der Marshal in die Quere, und wir mußten Fersengeld geben. Er war hinter einem Kunstschützen her. Da muß auch was mit einem volltrunkenen Indianer gewesen sein. Das erfuhren wir aber nur halb. Jedenfalls glaubten wir schon, ihn leicht zu kriegen. Aber dann auf einmal spielten die Apachen aus einem Reservatshof verrückt und brachten den Kunstschützen um. Da mußten wir auf Distanz gehen und abwarten.« Sadie Duke blickte mit funkelnden Augen zwischen den beiden angeheuerten Männern hin und her. »Wann habt ihr ihn zuletzt gesehen?« »Vor zwei Stunden«, entgegnete Dirk. »Er war mit dem Wagen
des Kunstschützen und dessen Gehilfen auf der Straße nach Südwesten unterwegs.« »Wenn er die Richtung nicht ändert, gelangt er zu einer Handelsstation«, setzte der Blatternarbige hinzu. »Aber erst, wenn es hell wird. Das schaffen wir zwar bis dahin nicht so schnell, aber sehr gewaltig dürfte sein Vorsprung nicht sein.« »Und wenn er ein anderes Ziel hat?« fragte Sadie Duke. »An den Wagen konnten wir nicht heran.« Dirk schüttelte entschieden den Kopf. »Da wäre nichts zu machen gewesen. Und töten sollten wir ihn doch nicht. Also dachten wir, es wäre das beste, Sie nicht länger auf unsere Nachricht warten zu lassen. Wenn er zu der Station fährt, muß er den Pferden Ruhe gönnen.« »Und er fährt dorthin«, setzte der Blatternarbige hinzu. »Weil er sich für die Sache mit dem Fusel interessiert, den die Apachen geliefert erhielten.« »Also gut.« Sadie Duke drehte sich um, ging ein Stück die nördliche Hügelseite hinunter und holte sein Pferd aus den dort stehenden Büschen. Gleich darauf ritten sie alle drei nach Südwesten.
12. Wir waren die ganze Nacht durch gefahren. Buffy hatte zeitweise im Wagen geschlafen, war aber immer wieder neben mich auf den Bock geklettert. »Wohin fahren wir?« fragte ich schließlich. »Zu einer Station.« »Und von dort hat Bullett den Fusel geholt?« »Ja.« Ich nickte und knallte wieder mit der Peitsche. Aber die Pferde konnten kaum noch schneller. Sie waren müde und sicher auch hungrig. Plötzlich griff Buffy nach meinem Arm und blickte sich um. Der Boden schien zu zittern. Pferde galoppierten durch das Dickicht. Kehliges Geschrei erklang. »Indianer!« schrie Buffy und warf sich zwischen die Kisten auf
der Ladefläche. Die Krieger sprengten aus dem Gestrüpp und schwenkten auf die Straße ein. Sie waren gut zweihundert Yards hinter uns. »Die bringen uns um!« schrie Buffy. Es gab keinen Zweifel daran, daß der Angriff uns galt und daß es mit den aufgeputschten Apachen nichts zu verhandeln gab. Wir würden tot sein, bevor ein Wort gewechselt war. Aus dieser Erkenntnis heraus knallte ich mit der Peitsche und schrie: »Nimm mein Gewehr, Buffy!« Der Junge brachte die Waffe an sich. Ich ließ die Peitsche knallen, stand auf dem Bock und brüllte die Pferde an, weil ich hoffte, das könnte ihre Gangart noch etwas beschleunigen. Das Gefährt begann zu tanzen. Die hinteren Räder rutschten auf der Straße hin und her. Buffy feuerte. Der angebundene Braune wollte wiehern, aber er wurde weitergerissen und mußte mitlaufen. Buffy schoß wieder. Ein Indianer brüllte, ließ den Speer fallen, warf die Arme in die Luft und stürzte zu Boden. Das ledige Pferd blieb zurück. Doch die Lücke schloß sich, und die Verfolger dachten nicht daran, aufzugeben. Gnadenlos, mußte ich die Peitsche gebrauchen. Nichts anderes als dies konnte die Pferde in Gang halten. Das Gebrüll folgte uns. Kugeln pfiffen über das Gefährt weg. Auch Buffy schoß wieder, vermochte aber zunächst keinen der Krieger mehr zu treffen. Dabei gelang es ihm, ein Pferd zu erschießen, was er jedoch gar nicht im Sinn hatte. Das Tier brach zusammen. Der Anführer der Horde stürzte mit dem Tier. Die Indianer stellten das Feuer ein und zügelten die Pferde. Im selben Augenblick schoß Buffy schon wieder und traf noch einen. Ich trieb die Pferde nicht mehr an. »Sie geben auf!« rief Buffy. Ich schaute zurück. Eher glaubte ich, daß sie nur den Schrecken überwinden mußten und ihr Häuptling ein neues Pferd brauchte, aber
ich sagte nichts davon. Als ich wieder vorn über die Pferde blickte, sah ich eine Handelsstation eine gute Meile voraus. Sie war von den Spitzen eines Fichtengehölzes bisher verdeckt gewesen. Buffy kämpfte sich durch den Wagen und kletterte auf den Bock. Doch immer wieder schaute er nach hinten. Der treibende Staub hinter dem Wagen verschluckte die Apachen und ihre Pferde. »Sie folgen uns nicht!« frohlockte Buffy. Ich konnte das nicht glauben. Vielleicht brauchten sie nur länger, um sich wieder zu fassen. Aber wir rückten der Station in der Ferne immer näher, ohne den Hufschlag hinter uns wieder zu hören. »Ist es die Station, aus der der Fusel stammt?« fragte ich. »Ja, das ist sie. Hier hat er ihn immer geholt. Bei Lionel Osborne. So heißt der Mann, dem die Station gehört.« Ich ließ die Peitsche knallen, damit die Pferde nicht in Schritt verfielen. Dies aber nur zur Vorsicht, falls uns die Indianer doch wieder verfolgten. »Nein, die haben genug!« Buffy strahlte über das ganze Gesicht. Die schrecklichen Erlebnisse am San Domingo Creek verblaßten in seiner Erinnerung hinter dem Sieg, den er soeben errungen zu haben meinte. »Hoffentlich behältst du recht«, sagte ich. »Als sie Bullett ermordet hatten, sind sie auch fort«, erwiderte der junge Bursche. »Das waren aber eben ein paar mehr, was?« »Ja, kann schon sein.« »Na ja, vielleicht verschwinden sie wirklich.« Ich schaute noch einmal zurück und schätzte, daß es zwei Dutzend Apachen gewesen waren. Mindestens zweiundzwanzig davon befanden sich noch am Leben. * Man schien die Schüsse bis hierher nicht gehört zu haben, dachte ich, als wir die Station erreichten. Und so verhielt es sich wohl auch.
Im Hof hielt ich die Pferde an und stieg vom Bock. Niemand zeigte sich. Ich war unentschlossen, ob ich die Tiere zur Tränke führen und den Wagen hier stehenlassen oder erst einmal hineingehen sollte. Schließlich entschloß ich mich dazu, zu bleiben und die Pferde in den Stall zu bringen, damit sie sicher waren. Denn mit einem neuen Angriff der Indianer rechnete ich nach wie vor, sobald der Anführer der Horde ein neues Pferd hatte. Sie brauchten nur eins der Tiere einzufangen, das keinen Reiter mehr hatte. Aus der Station trat noch immer niemand. »Manchmal schläft er lange«, sagte Buffy und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hört er auch nicht sehr gut.« Wir schirrten die Pferde aus und brachten sie in den Stall. Auch den Braunen stellte ich dort unter. Buffy schüttelte immer wieder den Kopf, weil der Stationer sich nicht zeigte. Den Wagen ließen wir neben dem Haus stehen. Für ihn gab es keinen Schutz, und wichtig war er mir auch nicht. Ich ging auf die Tür zu. Sie hatte einen dicken, innen befestigten Riegel, der jedoch auch von außen geöffnet werden konnte. Ich schob ihn zurück, drückte die Tür nach innen und trat ein. Ein lautes Gähnen tönte mir entgegen. Hinter einem primitiven Tresen stand ein großer, gewaltig anmutender Mann, dessen Gesicht ein schwarzer Vollbart – bis auf die Hakennase – verdeckte. Seine Augen funkelten. »Hörte ich Schüsse?« fragte der Mann. »Ja. Indianer haben uns verfolgt.« Der Stationer war nur mit einer ausgebeulten alten Hose und einem schmutzigen Hemd mit Stehkragen bekleidet und zog noch die Hosenträger über die Schultern. »Indianer?« »Ja.« Buffy trat ein. Der Stationer Lionel Osborne zog den Kopf ein. Er schien uns wirklich nicht bemerkt zu haben, wie wir die Station ansteuerten. Im selben Moment öffnete sich links von mir eine Tür. Ich drehte mich um und sah Mahon Tabor vor mir. Die Begegnung
traf uns beide so unvorbereitet, daß zwei Sekunden lang überhaupt nichts geschah. Dann griff Tabor, dessen Jacke noch offen stand, zum Colt. Ich sprang vorwärts und trat in dem Augenblick nach seinem Handgelenk, in dem er den Revolver hochschwingen wollte. Sein Gesicht verzerrte sich. Die Finger wurden vom Schmerz geöffnet. Die Waffe polterte auf den Boden. Mit dem nächsten Schritt hatte ich Tabor erreicht und knallte ihm die Faust ans Kinn, bevor er selbst zuschlagen konnte. Er wurde zur Seite gestoßen, prallte gegen den Türpfosten und fing sich. Doch mein nächster Hieb traf ihn mit gleicher Wucht und schleuderte ihn zu Boden. Er rollte stöhnend auf den Rücken. Die Hand rutschte ihm von der Brust. Das Bewußtsein hatte ihn verlassen. Ich trat zurück und blickte auf den Wirt. Osborne hatte den Kopf tief zwischen den Schultern sitzen. Der Vollbart berührte mit den unteren Spitzen sein schmutziges Hemd. »Ein paar Stricke, Buffy!« befahl ich, ohne den Wirt aus den Augen zu lassen. Buffy lief hinaus. Ich bewegte mich noch weiter zurück. »Wir haben Bulletts Wagen mitgebracht. Der Kunstschütze ist tot. Von Indianern umgebracht. Vielleicht von denselben Leuten, denen er den Fusel verkaufte, der sicher oft genug das pure Gift war.« »Damit habe ich nichts zu tun!« rief der Wirt prompt. »So?« »Das schwöre ich, bei allem, was mir heilig ist!« Der Mann hob mit beschwörend funkelnden Augen die Hand. »Und was ist Ihnen heilig?« fragte ich höhnisch. Der Mann ließ die Hand sinken. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Mister.« Buffy kehrte mit einem Lasso zurück. Er zerschnitt es und half mir, den Bewußtlosen an einen Pfosten zu ziehen. Ich nickte zu dem Wirt am Tresen hinüber. Buffy richtete sich auf und legte den Colt Tabors auf den dicken Mann an. »Was soll denn das?«
Ich fesselte Tabor an den Pfosten, richtete mich auf und blickte den Wirt an. »Die Indianer!« rief Buffy. Ein anschwellendes Dröhnen ließ das Haus erzittern. Die Angriffsschreie der Apachen gingen uns durch Mark und Bein. Ich sah sie durch eins der kleinen, halb erblindeten Fenster heranstürmen. Ihre Gewehre entluden sich. »Heilige Maria!« rief der Wirt, raffte ein Gewehr unter dem Tresen hervor und stürzte durch den Raum. Es blieb keine Zeit mehr, um die Frage zu klären, was dieser schwarzbärtige Geselle mit dem Fuselgeschäft zu tun hatte, was er wußte und was nicht. Es galt, unser Leben und das Haus zu verteidigen. Die Gewehre entluden sich. Feuer und Blei stachen den Angreifern entgegen. Ein paar Pferde scheuten, stiegen auf die Hinterhand und versuchten sich der Reiter zu entledigen. Doch die Apachen schlugen mit den Fäusten zwischen die Ohren der Tiere und zwangen sie mit brutaler Gewalt, weiterzulaufen. Wir schossen, so schnell wir konnten. Die Reiterschar schwankte nach rechts. Mit ihrem kehligen Kriegsgeschrei galoppierten die Indianer in einem Abstand von fünfzig Yards vorbei und schossen auf uns. Pfeile trafen die Wand, prallten von dem hartgebrannten Adobelehm ab und fielen zu Boden. Eine braune Wolke quoll uns entgegen und entzog die letzten Reiter bald unserer Sicht. Sie schwenkten nach Westen ab. »Achtung, Sie versuchen es von hinten!« schrie Osborne. Er wandte sich ab und hastete durch den länglichen, halbdunklen Raum. Buffy lief hinter dem Mann her. Ich blieb vorn, um diese Seite zu sichern. Bald hörte ich, wie auf der Rückseite des Anwesens geschossen wurde. Aber sehr lange brauchte ich nicht zu warten, bis sie wieder auftauchten und die Runde um die Station ausritten. Ich feuerte und sah einen Krieger vom Pferd stürzen. Osborne und Buffy erschienen außer Atem neben mir und griffen in die Abwehr ein.
Zwei, drei Indianer fielen getroffen von den Rücken ihrer Tiere. Die anderen schwenkten nach Osten ab. Die Staubwolken verschluckten sie. Ich ließ das Gewehr sinken. Buffy und der Stationer feuerten weiter, bis kein Hufschlag mehr zu vernehmen war. »Habt ihr so viel Munition, daß ihr sie blindlings verschießen könnt?« fragte ich. Osborne fluchte, nahm das Gewehr herunter und wischte sich den Pulverschleim vom Gesicht. »Kein gar zu schöner. Morgen.« Er versuchte ein Grinsen, doch es mißlang. Danach traf sein prüfender Blick den jungen Burschen. Mahon Tabor seufzte. Ich blickte über die Schulter und sah, daß er gerade zu sich kam und versuchte, die Hände hinter dem Pfosten zu bewegen.
13. Ich stand mit dem alten Navy Colt in der Hand vor Mahon Tabor und sah, wie die Kälte in seine Augen zurückkehrte. Einen Moment war er wütend, vielleicht auch ein bißchen ratlos und unterlegen gewesen. Aber schon verschwand dieser Ausdruck aus den schimmernden Augen. Er war ein eiskalter Bursche, dieser ehemalige Offizier aus Fort Calhoun, und er schien sich selbst mit den Fesseln noch überlegen zu fühlen. »Was soll das, Ronco?« stieß Tabor gepreßt hervor. Ich ging in die Hocke. »Ich hoffe, wir können jetzt endlich einmal in aller Ruhe über das Massaker am Halcon Canyon reden. Über die Rolle, die ich dabei spielte natürlich weniger, eher über Ihre Rolle, Tabor!« »Meine Rolle?« Ich nickte und steckte den Colt weg, weil es mir sinnlos erschien, ihn damit zu bedrohen. Ich würde sowieso nicht auf einen gefesselten Mann schießen. Und er wußte das wohl. Also ergab eine solche Drohung auch keinen Sinn. Mahon Tabor preßte die schmalen Lippen zusammen. Er schien sich vorgenommen zu haben, nichts mehr zu sagen.
»Bei der Armee sind Sie doch auch nicht mehr«, sagte ich. Er lächelte flüchtig. »Man muß nicht sein Leben lang bei der Armee bleiben, nur weil man mal Offizier geworden ist. Aber ich werde Ihnen etwas anderes sagen, Ronco: Sie berauben mich der Freiheit. Sie, ein steckbrieflich gesuchter Massenmörder!« Ich begriff augenblicklich, daß dies der lange Hebel war, den Tabor zu benutzen entschlossen schien. Da ich gegen ihn gar nichts in der Hand hatte, Buffy kaum etwas wußte und Bullett, der Schnapsschieber tot war, würde dieser Hebel auch wirken. Ich wußte oder glaubte zumindest zu wissen, daß hinter Tabor eine große Organisation skrupelloser Leute stand, die das Geschäft angekurbelt hatten. Aber noch begriff ich nicht, ob es nur dem Profit dienen sollte, oder ob es noch andere Gründe dafür gab. Ich trat etwas zur Seite, um auch den bärtigen Stationer im Auge behalten zu können. »Von Ihnen hat Bullett den Fusel geholt, Bullett, den die Indianer umgebracht haben. Sie sind wahrscheinlich überhaupt nur wegen des schlechten Alkohols auf dem Kriegspfad.« Der Schwarzbärtige grinste. »Vielleicht haben sie das Zeug gekriegt, um uns anzugreifen.« Er lachte polternd. »Ihr wollt sie dazu anstacheln?« fragte ich. »Ruhe!« befahl Tabor. In diesem Augenblick war alles klar. Buffy hatte sich nicht geirrt. Hier liefen Fäden zusammen. Und der Wirt war einer der Handlanger Tabors. Sofort wollte ich den Colt wieder ziehen. Doch der Mann reagierte schneller. Da er sein Gewehr noch in den Händen hielt, war das auch kein Kunststück. Mit dem Lauf schlug er mir gegen den Hals. Hart getroffen taumelte ich, konnte aber am Pfosten noch einmal Halt finden. Der Mann schlug jedoch gleich noch einmal zu. Heftige Schmerzen zuckten durch meinen ganzen Körper. Ein Sturm schien in meinem Kopf zu toben. Ich sah Sterne. Ein ganzes Feuerwerk explodierte in der halbdunklen Station. Meine Knie knickten ein, und ich brach zusammen. Indessen hatte Buffy genügend Zeit gefunden, unbemerkt die Station zu verlassen. Tabor und der Wirt vermißten ihn nicht. »Schnell, binde mich los!« befahl Tabor.
»Sofort.« Der Wirt beeilte sich, den Befehl auszuführen und half dann Mahon Tabor auf die Füße. Tabor massierte seine Handgelenke, trat an ein Fenster und schaute hinaus. Die Indianer waren verschwunden. Nur ein paar zurückgelassene Tote lagen weit vor der Station. Am Himmel kreisten ein paar Geier, deren Krächzen zu hören war. »Was passiert mit dem da?« fragte der Schwarzbart. Tabor drehte sich um. »Was schon! Aber warte damit, bis ich weg bin. Binde ihn erst mal.« »Gut, Mister Tabor.« Mit dem zerschnittenen Lasso fesselte der Wirt Ronco, ließ ihn aber auf dem Boden liegen. Plötzlich wieherte ein Pferd. Hufschlag hallte durch das Gebäude. Buffy jagte auf einem der Wagenpferde des toten Bullett vorbei. Er hatte dem Tier den Sattel aufgelegt, den der Kunstschütze zu seinen Lebzeiten stets mitführte. »Zum Teufel, den Kerl haben wir völlig vergessen!« rief Tabor wütend. Der Wirt stürzte mit dem Gewehr hinaus und feuerte Buffy ein paar Kugeln nach. Doch der junge Gehilfe des getöteten Revolverkünstlers wurde nicht getroffen. Ungeschoren konnte er nach Norden entfliehen. »Verdammt«, murmelte Mahon Tabor. »Tut mir leid, Mister Tabor.« »Das kann jeder sagen.« Mahon Tabor blickte zu Ronco. »Hoffentlich triffst du ihn wenigstens.« Der Schwarzbärtige grinste finster. »Der ist ja nahe genug. Soll ich ihn gleich …« »Nein!« Osborne senkte das schon angehobene Gewehr. »Können Sie kein Blut sehen? Oder wollen Sie nur nicht dabei sein, damit es Ihnen keiner anhängen kann?« Tabor sah aus, als hätte er den Wirt am liebsten verprügelt. Doch er beherrschte sich. »Ich bezahle für jeden Auftrag gut, Osborne. Aber ich beantworte keine Fragen. Ist das klar?« »War ja nicht so gemeint.« Der Wirt grinste schief. »Ich weiß ja,
daß Sie nicht dabei sein wollen. Nur mitgegangen, ist mitgehangen. Wer schon weg ist, kann nichts dazu. Er weiß nichts, sieht nichts und hört nichts.« Mahon Tabor ging zum Tresen und legte ein paar goldene Münzen darauf. »Ich denke, das dürfte genug dafür sein.« Der Wirt blieb stehen, schaute zu ihm hinüber und schwieg. »Und ich erwarte saubere Arbeit!« Der Schwarzbart schwieg immer noch. »Satteln Sie jetzt mein Pferd. Ich bin in Eile!« Tabor verließ die Station.
14. Der Reiter verschwand in dem Flimmern, das die Hitze in die Luft gezaubert hatte. Jenseits der großen, scheinbaren Wasserfläche hatte ihn die Luftspiegelung verschluckt. Der Schwarzbart stand noch am Fenster. Von jener Stelle, an der er den Reiter zuletzt sah, blickte er nach Osten. Die Apachen ließen sich nicht mehr sehen. Und auch Buffy blieb verschwunden. Osborne wandte sich um und schaute auf den Bewußtlosen. »Du sollst etwas davon haben«, sagte er grinsend. »Ich warte, bis du munter bist, Freundchen.« Er ging schlurfenden Schrittes durch die Station in die Küche, kniete am Herd auf den Boden, stopfte Papier ins Feuerloch und legte Holz auf. Er brannte das Papier an, stand auf, holte aus einem alten, farblos gewordenen Schrank Kaffeebohnen sowie einen Hammer und zerschlug die Bohnen auf dem Tisch. Dann setzte er Kaffeewasser auf und ging in aller Ruhe daran, sein Frühstück zu bereiten. Ab und zu warf er einen Blick auf seinen Gefangenen, der sich jedoch nicht rührte. Der Schwarzbärtige fühlte sich völlig sicher. Er setzte sich auf einen Stuhl und streckte die Beine weit von sich. Während er auf das leise Singen im Kaffeetopf hörte, näherten sich draußen drei Reiter. Sie ließen die Pferde im Schritt gehen und blickten auf die Toten vor dem Haus. Die Geier waren höher gestiegen und zogen als kaum noch
sichtbare Punkte Kreise am dunstverhangenen Himmel. Erst als die Pferde vor der Station gezügelt wurden und Sattelleder knarrte, wurde Lionel Osborne aufmerksam. Er richtete sich auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Der Mann mit dem Brandmal im Gesicht flößte selbst dem Schwarzbart so etwas wie Furcht ein. Doch er richtete sich energisch auf, verließ die Küche und ging durch den Stationsraum. Bevor Osborne die Tür erreichte, wurde sie von draußen geöffnet. Sadie Duke trat vor den beiden angeheuerten Revolvermännern in den Raum. Sein erster Blick traf Ronco, und sofort schlug ihm das Herz schneller. »Da ist er ja«, sagte Dirk, der Kerl, der dem Mann mit dem Brandmal folgte. Der Blatternarbige grinste zufrieden. »War doch klar, daß wir ihn hier finden würden.« Der Stationer wich zurück, bis er gegen den Tresen stieß. Die drei Männer blieben nebeneinander stehen. »Cotter, sieh nach, wie gut er gefesselt ist«, befahl Duke. Dirk näherte sich Ronco und beugte sich über ihn. Mit geübten Griffen prüfte er die Knoten, richtete sich auf und nickte Sadie Duke zu. »Gut genug.« Duke schaute auf den Schwarzbärtigen. »Wo ist denn der andere Kerl?« Osborne räusperte sich. »Welcher andere Kerl, Mister?« »Der bei ihm war«, half der Blatternarbige weiter. Dirk Cotter rückte auf den Stationer zu. »Der saß doch nicht allein auf dem Wagen!« »Nein, es war noch so ein junges Bürschchen dabei.« »Na also. Wo steckt der?« »Ist abgehauen. Hat sich ein Pferd geschnappt und ist abgehauen.« »Wann?« »Vor einer Stunde oder so.« Dirk Cotter ging zu Sadie Duke zurück. »Und wer hat den da gefesselt?« fragte Duke. »Ich.« »Warum?«
Der Wirt grinste unsicher. »Es soll einen Steckbrief auf seinen Namen geben. Ronco heißt er.« »Und das weißt du?« Der Stationer dachte daran, daß Mahon Tabor mit dieser Geschichte unter gar keinen Umständen zu tun haben wollte. Für ihn schien es gesünder, wenn er Tabor ganz aus dem Spiel ließ. Daß es für sein Leben aber gar keine Rolle mehr spielte, da er es verwirkt hatte, das allerdings konnte der schurkische Osborne nicht wissen. »Ja, ich habe ihn gesehen«, log er dreist. »Wer ist noch hier?« erkundigte sich der Blatternarbige. »Niemand.« »Auch niemand in der Nähe?« »Nein.« Die beiden Revolvermänner grinsten ihn kalt an. Osborne hatte das Gefühl, seine Kehle würde sich zuschnüren. Seine Hände tasteten am Bauch entlang, und er merkte, daß er vergessen hatte, sich den Colt hinter den Hosenbund zu stecken, wie das sonst seiner Gewohnheit entsprach. »Wollen Sie …« Er verschluckte sich, es kratzte in seinem Hals, und er mußte husten. Sie grinsten ihn immer noch an. »Wollen Sie vielleicht einen Whisky trinken?« stieß der Schwarzbart hervor. Er wollte zur Küche, deren Tür offenstand. »Bleib da!« befahl Sadie Duke scharf. Osbornes Beine schienen an den Boden genagelt zu sein. Schweiß brach ihm aus. »Stimmt es denn nicht, mit dem Steckbrief?« »Doch.« Sadie Duke strich über das Brandmal in seinem Gesicht. »Wissen Sie auch, warum?« »Wegen irgendeines Massakers, an dem er die Schuld tragen soll. Hat wohl mit Indianern zusammen einen Treck verheizt.« »Sie sind erstaunlich gut informiert«, erwiderte Sadie Duke. »Leider kann ich für mein Vorhaben keinen Zeugen gebrauchen. Sie verstehen, was ich meine?« »Nein. Ich – ich habe keine Ahnung, Sir.« Osborne wollte zurück, doch da war die Theke, die ihn daran hinderte. Dirk Cotter schaute Duke an, und der nickte unmerklich. Da zog
Dirk den Colt und spannte den Hammer. Entsetzt blickte der Wirt auf die sich langsam hebende Mündung des achtkantigen Revolverlaufes, bis er in das schwarze Loch starren konnte. »Aber ich kann euch vielleicht behilflich sein!« stieß der Schwarzbart hervor. »Wir brauchen keine Hilfe«, sagte Cotter. »Keiner kennt sich in dieser Gegend besser aus als ich. Und außerdem waren Indianer hier.« »Die habt ihr doch zurückgeschlagen – oder?« Sadie Duke legte den Kopf etwas schief. »Das schon. Wäre aber durchaus denkbar, daß sie nur weggeritten sind, um Verstärkung zu holen. Bestimmt tauchen sie noch mal auf!« Die drei Männer grinsten ihn ungläubig an und weideten sich an seiner unverhohlenen Angst. »Los, Cotter!« befahl Duke. Da krümmte der Revolvermann den Finger. Das Donnern des Schusses klang in dem niedrigen Gebäude wie die Detonation eines Kanonenschlags. Der Wirt zuckte zusammen und preßte die Hände auf die Brust. Noch einen Schritt wankte er auf Cotter zu, dann fiel er wie ein gefällter Baum um. Die Fenster klirrten. Die Männer blickten mitleidlos auf den Schwarzbart, der getötet worden war, obwohl sie ihn gar nicht kannten. Sie hatten nur einen lästigen Zeugen beseitigt, den Sadie Duke bei seinem Vorhaben nicht gebrauchen konnte. Der Pulverrauch stieg langsam zur Decke hoch. Sie schauten auf den Gefangenen, der sich bewegte, jedoch immer noch nicht zu sich kam. »Bei dem hat der Stationer ganz schön hingelangt.« Der Blatternarbige spuckte in die nächste Ecke. »Ja, wo der hinhaut, wächst kein Gras mehr«, bestätigte Dirk Cotter. »Wuchs«, sagte Duke. Sie blickten ihn fragend an.
»Was?« sagte Cotter. »Wuchs kein Gras mehr«, erklärte Duke beinahe gelangweilt. »Er ist doch schon im Jenseits.« Sie begriffen und grinsten. »Durchsucht das Haus«, befahl Sadie Duke. »Na los, bewegt euch ein bißchen. Der wacht bald auf, wie mir scheint!« Die beiden trennten sich. Cotter sprang über die Theke, der Blatternarbige ging in die Küche. Cotter räumte alles, was an Flaschen zu finden war, auf den Tresen. Die Gläser warf er weg, weil er ihnen nicht den geringsten Wert beimaß. In der Küche schüttete der Blatternarbige Kaffee in das kochende Wasser, rührte um und nahm den Topf vom Feuer. Er räumte alles aus dem Schrank, einem Spind und dem Kasten des Tisches. Drei Tassen nahm er mit, die er im Stationsraum auf einen Tisch stellte. »Der Kaffee muß noch ziehen, Boß.« Duke gab keine Antwort. Sein ganzes Augenmerk galt Ronco, dem verhaßten Mörder, den er nun endlich gefaßt hatte. Cotter war in einem Lagerraum im Hintergrund verschwunden und rief gerade: »Hier stehen jede Menge Flaschen, in denen was drin ist, Mister Duke! Scheint der Fusel zu sein, der die Indianer so anstachelte. Was soll damit werden?« »Ist mir egal.« Cotter lachte. »Mal so richtig aufräumen. Das habe ich mir schon lange gewünscht, Mister Duke!« Dann knallte sein Colt in rascher Folge viermal. Genauso oft erdröhnte das Haus unter den Schüssen und klirrten die Fenster. Der Geruch nach scheußlichem Fusel und Pulverrauch breitete sich in der Handelsstation aus. »Power, schaffen Sie die Pferde in den Stall!« befahl Duke dem Blatternarbigen. »In Ordnung, Mister Duke.« Der Kerl verließ das Haus und führte die drei Reitpferde an den kleinen Fenstern vorbei. »Das ist vielleicht, ein Fusel«, sagte Dirk Cotter, der wieder im Stationsraum erschien. »Stinkt wie die Pest, das Zeug!«
15.
Ich wußte noch nicht, was geschehen war und wo ich mich befand. Mein Bewußtsein mußte sich erst sammeln. »Er wacht auf«, sagte eine Stimme, die ich verzerrt und undeutlich hörte. »Wird ja auch langsam Zeit. Der Krach der Schüsse müßte normalerweise Tote aufwecken.« Stöhnend wälzte ich mich herum, rollte auf den Rücken und sah neben mir einen Pfosten und darüber Balken und das Dach. »Soll ich nachhelfen?« fragte jemand. »Laß ihn. Das Haus gehört jetzt uns. Es gibt keinen Grund, etwas zu überstürzen.« Ich erinnerte mich an Mahon Tabor, der mir unerwartet gegenübergestanden hatte, an den kurzen Kampf mit ihm, an den Angriff der Indianer und an den Schlag von hinten. Der Versuch, die Hände zu bewegen, scheiterte. »Du bist gefesselt«, sagte eine hämische Stimme, der polterndes Lachen folgte. »Richte ihn auf!« befahl der andere Kerl. Ich hatte sie beide noch nicht sehen können. Aber die Stimme des einen erinnerte mich an die Halunken im Mietstall von Dry Camp. Da wurde ich schon gepackt und an den Pfosten gesetzt, von dem Mahon Tabor verschwunden war. Der Mann trat zurück und grinste mich an. Er stand neben einem anderen Mann, der mir irgendwie bekannt erschien. Dieses Brandmal hatte ich schon gesehen. Mein Kopf schmerzte und arbeitete immer noch nicht richtig. Ich schaute mich weiter um. Mahon Tabor konnte ich nicht sehen. Dafür aber den Wirt, der vor dem Tresen lag. »Er hat es schon hinter sich«, erklärte Dirk Cotter. Die Tür öffnete sich. Der andere Mann aus dem Mietstall trat ein. »Ist er jetzt wieder bei sich?« »Er scheint sich langsam zu erinnern«, sagte Cotter. Der Blatternarbige trat auf die andere Seite des Mannes mit dem Brandmal im Gesicht. Und auf einmal erinnerte ich mich. »Sadie Duke«, murmelte ich. Ich erinnerte mich schlagartig genau an alles. In Fort Calhoun hatte
dieser Sadie Duke versucht, den Lynchmob gegen mich zu organisieren. Sadie Duke hatte in Fort Calhoun auf die Ankunft seiner Braut gewartet. Doch diese, Tochter eines Farmers, befand sich bei jenen Leuten, die dem Massaker im Halcon Canyon zum Opfer gefallen waren. Da Sadie Duke mir die Schuld an dem Massaker zuschrieb, war er zu einem gnadenlosen Gegner geworden. So verstand ich auch plötzlich, warum die beiden Kerle hinter mir her waren wie der Teufel hinter den Seelen der Armen. Sie wollten nicht das Kopfgeld kassieren, sondern einen sicher noch besseren Lohn von Sadie Duke. Sie waren seine privaten Kopfgeldjäger. Sadie Duke ging betont langsam in die Hocke. Haß und Zufriedenheit wetterleuchteten in seinem Gesicht. Er wähnte sich am Ende einer langen Jagd, und er gedachte offenbar, den Sieg auszukosten, der ihm nun doch noch beschieden war. »Den Stationer haben wir nicht gebrauchen können«, sagte Duke. Mein Blick wanderte wieder zu der reglosen Gestalt hinüber. Sie hatten ihn einfach abgeknallt wie einen räudigen Hund. Und das nur, weil sie mit ihrem Opfer allein sein wollten. So weit es mir gelang, schaute ich mich weiter um. Mahon Tabor lag nirgendwo. Ich fragte mich, ob er vor dem eintreffen dieser Kerle weggeritten war. Geflohen vielleicht, weil er sie eventuell gesehen hatte. Aber das erschien mir unlogisch. Hätten sie eine Gefahr in diesen Männern gesehen, dann wäre sicher von ihnen auf diese geschossen worden. Oder beide hätten versucht, die Flucht zu ergreifen. Er schien vorher weggeritten zu sein. Dann dachte ich mir auch, daß er sich selbst die Hände wohl nicht beschmutzen wollte, dieser ehemalige Offizier, der sich trotz seiner verbrecherischen Machenschaften darum bemühte, stockkorrekt zu erscheinen. Ich konnte mir schon denken, daß Osborne einen Mordauftrag erhalten hatte, den er dann nicht mehr auszuführen vermochte. Dafür standen andere Mörder bereit, das grausame Handwerk fortzuführen. In Sadie Dukes Augen war unter der satten Zufriedenheit über den Erfolg der Abglanz der Mordlust zu erkennen. Mit Gewalt drängte das an die Oberfläche. Dunkel glühte das unheimliche Brandmal auf dem Gesicht des Mannes. Die beiden anderen Halunken traten weiter zurück, als müßten sie
den Abstand zu Duke betonen. »Daß du mir gefesselt geliefert werden könntest; wagte ich kaum noch zu hoffen«, sagte Duke. »Nachdem diese beiden da dich nicht brachten, wurde meine Hoffnung noch geringer. Aber nun habe ich dich. Jetzt wirst du für alles bezahlen, was damals war.« »Ich hatte mit dem Massaker im Halcon Canyon nichts zu tun«, sagte ich kalt. Meine Worte schienen von Sadie Duke jedoch wie von einer Granitwand abzuprallen. »Warum bist du geflohen, wenn du schuldlos bist?« fragte er. »Weil ihr mich hängen wolltet«, sagte ich. »Alle waren überzeugt, ich hätte mit den Indianern zu tun und sie auf den Treck gehetzt. Alle wollten geradezu blindlings nichts weiter als meinen Tod. Sicher mischten dabei auch diejenigen nach Kräften mit, die vielleicht wirklich hinter der Sache steckten.« Sadie Duke entblößte die Zähne. Seine Voreingenommenheit vermochte ich durch nichts zu erschüttern. »Du lügst«, sagte Duke nur. Die beiden Revolvermänner hinter ihm grinsten satt und zufrieden, weil ich ihnen nun doch noch in die Hände gefallen war und sie sicherlich mit einem fetten Lohn rechnen durften. »Es war ein Komplott«, fuhr ich fort. Ich wollte ganz einfach nicht begreifen, daß meine Worte sinnlos waren. Ich wollte diesen Mann mit dem glühenden Brandmal eines Besseren belehren. »Waffenhändler hatten die Finger drin.« »Waffenhändler?« Duke lachte plötzlich scharf auf. Auch die beiden Kerle hinter ihm fühlten sich zu glucksendem Gelächter animiert. »Ja, ein Komplott von Waffenhändlern. Ihnen ging es nur darum, daß der Treck vernichtet wurde. Das mußte bei den Weißen neue Haßgefühle wecken und einen Rachefeldzug auslösen. Dafür sind Waffen nötig. Und damit die Indianer sich besser wehren können, brauchen auch sie neue Waffen, bessere Waffen. Also bestand für die Waffenlieferanten die Chance, auf beiden Seiten zu guten Verkaufsergebnissen zu gelangen, während sich Weiße und Indianer gegenseitig die Köpfe einschlugen.«
Die beiden Kerle hinter Duke waren ernst geworden, schienen sich jedoch für meine Worte nicht zu interessieren. Auch war ihnen der geschilderte Vorgang offensichtlich zu kompliziert, als daß sie seine zwingende Logik zu erkennen vermochten. Und Sadie Duke beschäftigte viel zu sehr der Gedanke an seine tote Braut und an Rache, als daß er für einen anderen als den einmal aufgenommenen Gedankengang noch Ohren gehabt hätte. Auch seine tiefe Überzeugung, die geradezu schon ein Vorurteil geworden war, stand dem entgegen. Daß er selbst keinen handfesten Beweis für meine Schuld hatte, darüber dachte er nicht einmal nach, weil er sich im Besitz der Wahrheit wähnte und außerdem längst über Leichen zu gehen gewohnt war auf diesem Wege tödlicher Rache. »Kann schon sein, daß etwas an dem dran ist, was du sagst«, gab er immerhin zu. »Aber das Geschäft wolltest du tätigen. Die Welt muß aufatmen, wenn es dich nicht mehr gibt. Den Beweis für deine Schuld fanden wir hier.« »Beweis?« fragte ich erstaunt. »Den Fusel«, erklärte Dirk Cotter. »Den ihr offenbar an die Apachen im Reservat verkauft habt«, setzte der Blattnarbige hinzu. »Damit habe ich doch nichts zu tun!« sagte ich erbost. Sie grinsten und wähnten sich wiederum als Allwissende der Vorfälle, von denen sie bestenfalls den Schimmer einer Ahnung hatten – und das wohl auch nur aufgrund von Gerüchten. »Du bist auch daran beteiligt«, sagte Duke fest überzeugt. »Überall hast du deine dreckigen Finger drin.« »Ich war hinter dem Kerl her. Aber die Apachen haben ihn getötet.« »Hinter dem Kunstschützen?« fragte der Blatternarbige. »Ja.« »Woher kanntest du ihn?« wollte Sadie Duke wissen. Er richtete sich auf und trat zurück, bis er zwischen seinen beiden Handlangern stand. »Ich kannte ihn nicht.« »Du kanntest ihn nicht, bist ihm aber gefolgt?« fragte Duke. »Ja.«
Sie grinsten schon wieder. »Also, wenn ich hinter jemandem her bin, dann kenne ich ihn«, erklärte der Blatternarbige. »Dann weiß ich zumindest genau, was ich von ihm will.« »So ist es«, stimmte Dirk Cotter zu. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß jemand einfach nur versuchte, einen Sachverhalt aufzuklären, zumal sie nicht begriffen, was mir eine solche Aufklärung einbrachte. Folglich mußten sie mich zwangsläufig für einen Teilhaber an dem lichtscheuen Geschäft halten. Es paßte ohnehin glänzend in das Bild, das sich Sadie Duke von mir gebildet hatte. »Ich fand einen vergifteten Indianerjungen«, erwiderte ich. Hoffnung, daß ihnen die ganze Geschichte einleuchten könnte, hatte ich keine. Da sie jedoch hier standen, um mich zu töten, mußte ich auch das Aussichtslose noch versuchen. Sie blickten mich nur an. »In Dry Camp«, fuhr ich fort. »Er schien Methylalkohol getrunken zu haben, den er vermutlich von dem Kunstschützen erhielt.« »Und dann wolltest du den Indianern helfen, was?« fragte Sadie Duke höhnisch. »Ja, das wollte ich. Aber die Leute in der Stadt wollten das nicht. So mußte ich den Indianerjungen zu einem schäbigen Dorf im Reservat bringen. Aber er starb. Reitet hin und fragt die Apachen danach.« Der Blatternarbige lachte lauthals. »Damit diese roten Halunken uns massakrieren, was?« »Der denkt, wir ziehen die Hosen mit der Zange an.« Dirk Cotter schüttelte den Kopf. »Ist eigentlich beleidigend für uns, für so blöd gehalten zu werden.« Es war wirklich sinnlos. Ich konnte reden, was ich wollte, was immer mir auch einfiel, es zählte bei diesen Kerlen nicht. »Wollen wir nicht erst mal den Kaffee trinken?« fragte der Blatternarbige. »Ach, das hatte ich ganz vergessen.« Sadie Duke ging in die Küche. »Bringt die Tassen mit!« Die beiden anderen folgten dem Mann mit dem Brandmal. Die Tür
blieb offen. Ich schaute hinüber, konnte jedoch keinen der drei sehen. Heftig bewegte ich die Hände. Das ausgefaserte Lasso scheuerte an meinen Gelenken, Was ziemlich schmerzlich war. In der Küche klirrte das Geschirr. Der Kaffeegeruch strömte heraus und vermischte sich mit dem noch im Raum stehenden Pulverdampf und dem Gestank des Fusels, der sich im Lagerraum indessen zu einem hochexplosiven Gemisch angereichert haben mußte. Es dauerte nicht lange, dann tauchte Sadie Duke wieder auf. Er hatte ein Stück Brot in der Hand und kaute mit vollem Mund. »Soll er auch was zu essen kriegen?« rief Cotter heraus. »Er ist für den Strick schwer genug«, sagte Duke sadistisch. Die Halunken lachten. Der Blatternarbige tauchte mit Tasse und Brot in den Händen auf. Er stieg über den Leichnam und schleuderte die leere Tasse an die Wand. Sie zerbarst. Ein Regen Scherben flog durch den Stationsraum. »Wer holt nun endlich das Lasso?« fragte Sadie Duke. »Ich gehe schon.« Der Blatternarbige stopfte sich das restliche Brot in den Mund und ging nach draußen. »Jetzt wirst du für alles bezahlen!« Sadie Duke ging drei Yards vor mir in die Hocke. In meinem Kopf jagten sich die Gedanken. Die Befreiungsversuche hatte ich natürlich eingestellt, weil ich zu dem ohnehin fälligen Mißerfolg nicht auch noch den Hohn dieses Mannes ernten wollte. Und doch hoffte ich noch immer, daß mir etwas einfallen würde, um mein Leben zu verlängern und mich aus den Händen dieser Schurken zu befreien. Der Blatternarbige tauchte bald wieder auf. Ein Lasso aufgerollt in der rechten Hand, so trat er grinsend ein. Bei einem zwischen den Pfosten quer verlaufenden Balken blieb er stehen und winkte Cotter, der aus der Küche trat. »Was denn?« »Einen Stuhl!« Cotter stieg über die Leiche und brachte einen Stuhl, den er unter den Querbalken stellte. Der Blatternarbige warf das Lasso mit der
Schlinge über das Holz. Er zog sie nach unten, bis sie vor seinem Gesicht baumelte. Der Blatternarbige lachte und rieb die Hände zufrieden aneinander. Cotter stieg vom Stuhl und rückte ihn noch eine Idee weiter nach vorn. »So, Boß, wir sind soweit«, verkündete der Blatternarbige. Irgend etwas schnürte mir die Kehle zu. Erst in diesen Sekunden begriff ich richtig, daß dies mein Ende sein sollte. Ich blickte auf den Mann mit dem Brandmal. »Es war wirklich alles anders, als Sie denken«, sagte ich heiser. Schweiß brach auf meiner Stirn aus und lief mir über das Gesicht. »Jetzt kriegt das Bübchen ganz schön weiche Knie«, sagte Cotter grinsend. »Stell dich nicht so an, mein Junge. Jeder ist mal an der Reihe. Der eine früher, der andere später.« Wie gebannt schaute ich auf die etwas pendelnde Schlinge. Unter der Haut wurde mir immer heißer. Es begann in den Ohren zu rauschen, scheinbar bebte der Boden unter mir, und die Gesichter erinnerten mich an Teufelsfratzen. Alles war auf einmal so unwirklich, daß ich glaubte, es nur zu träumen. »Helft ihm!« befahl Sadie Duke. »Allein schafft er es nicht auf den Stuhl.« Cotter und der Blatternarbige traten auf mich zu. Ich wurde von ihnen gepackt und auf die Beine gestellt. Zwischen den beiden hindurch sah ich das kleine Fenster, draußen die Leichen und einen Geier, der sich auf einen der toten Indianer stürzte. Aber ich sah noch etwas. In der Ferne im Osten stand eine höher wachsende Staubwolke in der Luft. Davor schob sich ein Reiterpulk heran. Noch bevor sie mich zu dem Stuhl schleifen konnten, hörten die drei Männer die Geräusche der trommelnden Hufe, die von Sekunde zu Sekunde lauter wurden. Cotter und der Blatternarbige schauten zum Fenster. Sadie Duke wandte sich um. Draußen schlug der Geier mit den Flügeln und erhob sich krächzend in die Luft.
»Indianer«, murmelte Cotter. »Sie haben Verstärkung geholt«, sagte ich. Neue Hoffnung beseelte mich. Die Halunken ließen mich los. Ich konnte mich mit den Händen auf dem Rücken am Pfosten festhalten und so vor einem Sturz bewahren. Sie gingen zum Fenster und beobachteten die heranreitenden Apachen. »Unsere Gewehre!« kommandierte Sadie Duke. Der Blatternarbige stürzte hinaus und lief zum Stall. »Verdammt und zugenäht«, murmelte Cotter. »Wie viele sind das?« »Dreißig oder noch mehr«, sagte Duke. Er schaute sich nach mir um und schien einen Moment zu überlegen, ob er mich zur Hilfe heranziehen solle. Immer lauter war der Hufschlag zu vernehmen. Kehliges Kriegsgeschrei schallte bereits herein. Der Blatternarbige kehrte mit den Gewehren zurück und hieb die Tür zu. Die beiden anderen nahmen ihm ihre Waffen ab. Sadie Duke stieß seinen Gewehrlauf durch das Fenster. Die Scheibe fiel rasselnd zusammen. Lauter ertönte das Trommeln der Hufe und das Geschrei der Apachen. Unsichtbar für uns schwebten die Geier davon. * Die Apachen waren mit Gewehren bewaffnet, was die Theorie nur untermauerte, die ich entwickelt hatte. Die Waffen entluden sich. An drei Fenstern stehend feuerten die Kerle zurück und trafen auch zwei Reiter. An Duke strich eine Kugel haarscharf vorbei und traf neben meinem Kopf den Pfosten. Meine Finger ließen den Halt los. Mit den gefesselten Füßen konnte ich das Körpergewicht nicht ausbalancieren, und so stürzte ich zur Seite. Die Halunken schauten sich wie auf Kommando um, wurden aber von den angreifenden Apachen sofort wieder in Anspruch genommen.
Ich wälzte mich herum und sah am Fuß des Pfostens ein Winkeleisen, an das der Balken, geschraubt war. Abermals drehte ich mich und schob mich auf den schmutzigen Dielen zurück, um die Hände an die Kante des Eisens bringen zu können. Ein Schrei gellte durch das Donnern der Waffen und das Trommeln der Hufe. »Wieder einer weniger!« frohlockte der Blatternarbige, hebelte den Verschluß seines Gewehres durch und schoß von der Hüfte aus. Dichter Pulverrauch hüllte die Männer an den Fenstern ein. Ihr geballter Widerstand brachte den Angriff zum Stehen, noch bevor dieser bis dicht an die Station herangetragen worden war. Unverdrossen hielten die Kerle in den Reiterpulk, so daß sie ihn noch um einige Reiter dezimieren konnten. Ein kehliger Befehl ertönte. Die Pferde wurden angetrieben. Die Apachen sprengten schießend nach rechts. Ich hatte indessen die Handfesseln an der Kante des Winkeleisens und rieb sie darüber. Cotter blickte über die Schulter. In seinem vom Pulverrauch dunkel gefärbten Gesicht blitzten die Augen. Ich hielt augenblicklich inne und hoffte, daß er nichts merken würde. Tatsächlich drehte er sich auch gleich wieder um und schoß wie die anderen nach draußen. Es war schwierig, auf der Schulter liegend den Arm zu bewegen. Obwohl das nur winzige Bewegungen waren, schmerzten mir schnell die Muskeln. Aber es befanden sich ein paar Scharten in der eisernen Kante, an denen die Stricke ständig hängenblieben und die Fasern Stück um Stück zerrieben. Die Indianer waren nur ein Stück nach Norden geritten, kehrten um und näherten sich wieder. Abermals erdröhnte das pulverrauchgeschwängerte Stationshaus unter den Schüssen. Ich spürte den Arm kaum noch, auf dem ich lag. Der Blatternarbige schoß aus seinem Revolver. Sadie Duke lud das Gewehr und blickte zu mir hin. Wieder hielt ich inne. Abermals dachte ich, er müßte meinem schweißverklebten Gesicht ansehen, daß ich mich handfest um meine Freiheit bemühte.
Eine Kugel pfiff an Dukes Kopf vorbei. Er zuckte zusammen. Die beiden anderen schossen. Sadie Duke hatte keine Zeit, mich weiter zu betrachten. Er schaute nach draußen, repetierte das Gewehr, schlug es an und feuerte. Wieder rutschten die Fesseln an meinen Händen über das schartige Winkeleisen. Draußen jagten die Indianer schießend vorbei. Eine Wolke feinen Staubes stand in der Luft und verdunkelte bereits die Sonne. »Die wagen sich nicht näher heran!« rief der Blatternarbige, Kugeln trafen klatschend die Wände. Manchmal war auch ein dumpfes Pochen zu hören. Plötzlich riß der Strick an meinen Handgelenken. Ich hielt inne und blickte auf die Kerle. Eine Lanze flog an dem Blatternarbigen vorbei, der sich duckte. Sie beschrieb noch einen kurzen Bogen und bohrte sich ein paar Zoll neben meinen zusammengebundenen Beinen in den Boden. Der Kerl blickte zurück und grinste. »Ist ihm was passiert?« fragte Duke. »Nein, Boß, der bleibt uns erhalten. Für den Strick! Warte nur, Ronco, Freundchen. Wenn wir die Rothäute in die Flucht geschlagen haben, steigt die Hängeparty!« Gleich darauf schoß er wieder. Ich brauchte eine halbe Minute Glück, weil ich mich setzen mußte, um die Beine befreien zu können. Wenn sie mich dabei sahen, war alles verloren. Aber es mußte sein. Ich setzte mich, zog die Beine an und griff mit fliegenden Fingern nach dem Knoten. In der Aufregung kriegte ich ihn nicht gleich auf. Neuer Schweiß lief mir in die Augen und brannte darin. Dann hatte ich den Knoten gelöst und warf den Strick zur Seite. Am Pfosten richtete ich mich auf. Sie schossen noch auf die draußen vorbeigaloppierenden Apachen und hatten nichts bemerkt. Das Herz schlug mir schneller. Ich tastete mich um den Pfosten herum und blickte zu dem Toten hinüber. Bei den Schnapsflaschen auf dem Tisch sah ich meine Waffen liegen – den Spencer-Karabiner und den alten Navy Colt. Noch einmal schaute ich zu den schießenden Kerlen an den Fenstern. Draußen, in der Staubwand,
waren die Reiter nur wie Schemen zu sehen. Ein Apache warf die Arme in die Luft und stürzte vom Pferd. Das Tier prallte mit einem anderen zusammen. Beide stürzten. Cotter lachte. Duke blickte sich um. Ich reagierte sofort, sprang zum Tresen und griff nach den beiden Waffen, die mir gehörten. Sadie Duke stieß einen Schrei aus, um die beiden anderen zu alarmieren. Ich feuerte wahllos nach vorn und wich dabei zurück. Über Scherben und Trümmer hinweg erreichte ich den glasübersäten, stinkenden Lagerraum. Da schossen sie schon. Die Kugeln pfiffen an mir vorbei und klatschten in die Wand. Ich gelangte mit noch einem Satz ins Lager, hieb die Tür zu und schob den Riegel in einen schmiedeeisernen Kasten, der an den Pfosten geschraubt war und recht solide aussah. Kugeln trafen die Tür. Eine durchschlug ein Brett, fiel aber in ihrem Drall gestoppt zwischen die Scherben. Das Atmen fiel mir schwer in dem vom Alkoholdunst angereicherten Raum. So galt mein erster Schuß dem kleinen Fenster, das erst zwei Yards über dem Boden begann und eher ein Lichtschacht genannt werden mußte. Die Scheibe platzte. Der Gestank zog rasch so weit ab, daß ich nicht mehr befürchten mußte, wegen des Gestanks aus den Stiefeln zu kippen. »Los, gebt es den Rothäuten!« brüllte Sadie Duke draußen. Das Feuer verklang. Stiefel hasteten über die knarrenden Bretter. Dann wurde weiter entfernt wilder geschossen, und ich konnte das kehlige Kriegsgeschrei nur noch manchmal hören. Die Tür bog sich und ächzte unter dem Anprall des Mannes. Ich blickte auf den Lichtschacht und fragte mich, ob es möglich sei, den Stall zu erreichen, mein Pferd zu satteln und zu verschwinden. In diesem Moment dachte ich das erstemal wieder an Buffy, den jungen Gehilfen des toten Kunstschützen. »Los, öffnen!«brüllte Duke. Ich feuerte auf die Tür, traf aber ein dickeres Brett, das die Kugel
nicht zu durchschlagen vermochte. Dann hörte ich die beiden Kumpane Dukes wieder. Der Blatternarbige sagte: »Die roten Teufel müssen wohl erst mal Atem schöpfen. Haben im Süden angehalten.« In der Tat konnte ich den Hufschlag und das Geschrei nicht mehr vernehmen. »Schlagt die Tür ein!« befahl Duke. Auf die Scherben tretend wich ich zurück. Es schepperte und knackte unter meinen Stiefeln. Jemand warf sich gegen die Tür. Die Bretter schienen zu stöhnen. Der Riegel klapperte in dem Eisenkasten im Pfosten, aber noch gab er nicht nach. Ich hob die Hand mit dem Revolver. Das Gewehr hielt ich in der Linken. Ich war entschlossen zu schießen, sobald die Tür aufflog. Doch sie vertrug auch den zweiten Ansturm, der gewaltiger war als der erste und schon ein Splittern im Holz entfesselte. Dann fluchte der Blatternarbige draußen und sagte: »Verdammt und zugenäht, der Laden ist stabiler, als ich dachte!« Ich schob mich an der Wand entlang und stieß gegen einen schiefhängenden Kistenstapel, der augenblicklich wackelte. Die oberste Kiste stürzte hinunter, der Deckel sprang auf und rund drei Dutzend Flaschen rollten aus dem berstenden Holzgehäuse. Ein paar Flaschen brachen. Stinkender Fusel versickerte im Boden. Andere Flaschen rollten zwischen die Scherben. Es waren die gleichen Flaschen ohne Etikett, wie ich eine bei dem jungen Indianer gesehen hatte, der später in dem jämmerlichen Reservatsdorf gestorben war. Und es stank auch genauso bestialisch. »Was ist da passiert?« fragte Duke draußen. »Es stehen noch jede Menge Kisten herum da drin«, erwiderte Cotter. »Alles volle Flaschen, vermutlich. Wird wohl nur was umgestürzt sein, Boß.« »Der Fusel«, sagte Duke. »Was ist damit?« fragte der Blatternarbige. »Na ja, die Indianer und der Fusel! Dämmert euch denn nichts?« Die beiden andern Kerle meldeten sich nicht. »Die Apachen!« sagte Duke. »Die haben wahrscheinlich
herausgefunden, woher das Zeug geholt wurde. Und die wollen sich selbst bedienen. Sie sind deswegen hier!« »Ach so«, meldete sich Cotter. »Aber natürlich, Boß. Ist doch ein glasklarer Fall!« »Aber das holt uns den Schurken auch nicht heraus«, sagte Sadie Duke wütend. »Öffne jetzt, Kerl, sonst wirst du zweimal gehenkt!« schrie der Blatternarbige. Und wieder dröhnten die Bretter unter dem Ansturm eines Mannes. Der Riegel schepperte in dem Eisenkasten. Die ersten Splitter rissen aus dem Türbalken. Ich wußte, daß dieses Hindernis zwischen mir und meinen Häschern nicht mehr lange standhalten würde. »Schafft ein Brecheisen oder so was her!« befahl Duke auf der anderen Seite. »So was finden wir nur draußen«, entgegnete Cotter. »Da sind aber die roten Halunken.« »Na eben, von denen hört man ja gar nichts mehr. Nachsehen, Power, vorwärts!« Ich hörte einen weggehen. »Oder einen Hammer oder so was«, sagte Duke. »Es muß doch irgend etwas im Hause herumliegen.« »Ich sehe nach.« Auch wie Cotter sich entfernte, vermochte ich deutlich zu hören. Sadie Duke fluchte vor der Tür vor sich hin. »Warte nur, du entgehst mir nicht!« Mein Blick irrte wieder zu dem Lichtschacht hinauf. Er war breit genug für mich und hatte auch die Höhe, um querliegend über den Sims zu rutschen. Bevor ich zu einer Entscheidung gelangte, war das Geschrei der erneut angreifenden Apachen zu hören. »Angriff!« brüllte der Blatternarbige überflüssigerweise. Dann entlud sich sein Gewehr. »Cotter, hilf ihm!« befahl Duke, der noch vor der Tür des Lagers stehen mußte. Ich trat bis in die Ecke zurück und sah neben mir eine große
Korbflasche. Auf ihr klebte ein Zettel mit der Aufschrift »Reiner Alkohol«. Die fanatischen Kriegsrufe und das Krachen der Gewehre hallten durch das von Kugeln bereits durchsiebte Stationshaus, das wie durch ein Wunder immer noch stand. Ich entkorkte die Korbflasche und stieß sie um. Der augenblicklich in die Höhe steigende Geruch nahm mir fast den Atem. Ich trat zur Seite, nahm ein Schwefelholz aus der Tasche, rieb es an der Wand an und ließ es fallen. Die Flamme erfaßte den Alkohol. Ein Zischen durcheilte den Raum. Eine Stichflamme schoß vor mir hoch und reichte bis zur Decke. Gewaltige Hitze erfüllte schlagartig den Raum. Ich zuckte zurück und knallte mit dem Hinterkopf unter den Sims des Lichtschachts. Das Feuer griff rasend schnell um sich, so daß ich meinte, in einen Ofen geraten zu sein. Draußen krachten die Gewehre und ritten die Indianer mit ihren Kriegsrufen vorbei. Mir blieb nicht mehr viel Zeit. Ich wirbelte herum, riß den Rahmen des Lichtschachtes heraus und schwang mich hinauf. Meine Brust rutschte über das Holz. Ich stürzte und lag draußen an der Wand, ohne zu wissen, wie ich so schnell dahin gelangt war. Kein einziger Indianer befand sich auf dieser Seite des Gebäudes. Ich sprang auf, raffte die mir entfallenen Waffen zusammen und hastete zum Stall. Vor der Station sprengten die Indianer in der Staubwand vorbei. Waffen entluden sich. Mündungsflammen zuckten durch den Staub. Ein Indianer fiel kopfüber von seinem Pferd und blieb bewegungslos auf dem Gesicht liegen. Ich lief in den Stall, legte die Waffen ab und eilte zu meinem braunen Pferd.
16. Die Hitze traf Sadie Duke auf der anderen Seite der Tür. Auch das Fauchen der Flammen war trotz des heftigen Schießens und der vielfältigen anderen, Kampfgeräusche zu vernehmen.
Duke zog sich zurück. Aber bevor er etwas sagen konnte, tönte ein schmetterndes Trompetensignal durch das Getümmel. Der Blatternarbige und Dirk Cotter ließen die Gewehre sinken. »Soldaten«, sagte Cotter entgeistert. Die Indianer schossen noch ein paar Kugeln ab, und auch ein Speer flog herüber. Aber sie warfen die Pferde nicht mehr herum, um eine neue Attacke zu reiten. Cotter und der Blatternarbige schossen wieder und holten noch einen vom Pferd. Auf der anderen Seite krachten die Waffen der anreitenden Soldaten. Die Indianer flohen von Panik gepackt nach Norden. Rasch tauchte der letzte von ihnen in den Staubschwaden unter. Inzwischen schlugen im Hintergrund des Stationshauses die Flammen schon durch die Tür und aus dem Dach. Mit Gepolter brach etwas zusammen. Glas platzte in der Feuerhölle explosionsartig auseinander. Immer neue Nahrung fanden die Flammen in den Whiskylachen, an den davon benetzten Scherben und in den berstenden Flaschen. Sadie Duke stürmte durch die Station und mit seinen beiden Kumpanen hinaus. Aus der Staubwand tauchten die ersten Reiter auf. Sie erkannten die blauen Uniformen. »Die müssen aus Fort Bowie sein!« rief Cotter. Duke lief zur Ecke. »Der muß abgehauen sein!« In diesem Augenblick führte ich mein gesatteltes Pferd aus dem Stall. Ich sah Duke und die Soldaten und schwang mich in den Sattel. Das Gewehr hatte ich in den Scabbard geschoben. Mein alter Colt steckte hinter dem Gürtel. »Da ist Ronco!« brüllte Duke und schoß. Die Kugel strich singend über mich weg. Das Pferd scheute. Ich sprang mit einem Satz in den Sattel und gab dem Braunen die Sporen. »Halt!« schrie Duke. Schießend begann er zu laufen. Das Pferd schnellte vorwärts und hätte mich beinahe abgeworfen. Doch ich kriegte noch rechtzeitig das Sattelhorn zu fassen. So trug
mich das Tier aus dem gefährlichen Bereich von Sadie Dukes Kugeln und an dem Haus vorbei. Die Flammen schlugen fauchend aus dem Lichtschacht. Die mörderische Hitze streifte mich. Mit einem Bersten brach das Dach im hinteren Teil des Gebäudes zusammen. Feuer, Rauch und Funken schossen in die Luft. Der Whisky ließ die Station wie Zunder brennen und würde vermutlich kaum zwei Bretter von ihr übereinander lassen und verschonen. * »Es ist Ronco!« schrie Duke. Keuchend blieb er neben der Feuerwand stehen und verschoß die letzten beiden Kugeln aus seinem Revolver. Die Soldaten galoppierten zwischen den Stall und das brennende Haus und sahen den Fliehenden gerade noch in den Staubschwaden untertauchen. Im Stall wüteten die angeketteten Pferde, die sich nicht zu befreien vermochten. »Los, los, holt sie heraus!« schrie Duke seine beiden Kerle an, die in der Nähe stehengeblieben waren und fragend auf die Soldaten schauten. Sie hasteten in den Stall, gefolgt von drei Soldaten, die dabei halfen, die Tiere ins Freie zu bringen. Duke lief nach vorn und sah sich einem Captain gegenüber, den er nicht kannte. »Sie haben ihn noch gesehen, Sir? Es ist Ronco. Er wird steckbrieflich gesucht. Hat damals die Leute, die durch den Halcon Canyon zogen und getötet wurden, an die Indianer verraten.« Der hochgewachsene, scharfgesichtige Offizier schaute von dem Mann mit dem glühenden Brandmal auf das lichterloh brennende Stationshaus. Duke begriff das Mißtrauen des Mannes, weil der Ronco sicher nicht kannte und schon gar nicht richtig hatte sehen können. Hastig berichtete er von dem Handel mit Fusel und Apachen, so wie er ihm zu Ohren gelangt war. »Und was haben Sie und Ihre Leute damit zu tun?« fragte der Captain scharf und mit zusammengekniffenen, genau beobachtenden Augen.
»Ich?« Duke war verwirrt und hatte nicht gleich eine Erklärung bereit. »Ja, Sie.« »Wir ritten zufällig daher und erfuhren davon. Er sagte es uns. Und er hat natürlich damit zu tun. Die Indianer waren hinter ihm her. So wurden wir mit ihm eingeschlossen.« »Und wer noch?« »Der Stationer …« Duke zögerte. »Der ist aber tot. Von den Indianern erschossen worden.« Cotter und der Blatternarbige hatten sich genähert und nickten beipflichtend. »Und dann hatten wir genug zu tun, um uns unserer eigenen Haut zu erwehren«, fuhr Duke, mutiger geworden, fort. Er lächelte verbindlich. »Aber Dank Ihres Eingreifens ist das ja noch mal gutgegangen.« Der Offizier schaute sie abwechselnd an. Duke wußte genau, daß er sein Mißtrauen noch nicht beseitigt hatte. »Hat denn keiner Ihrer Leute den Flüchtenden richtig gesehen, Sir?« »Nein.« Auch das vordere Stück des Hausdaches neigte sich jetzt mit einem lauten Bersten nach innen. Die Flammen fauchten und schossen hoch in die Luft. Das Dach zerbrach und stürzte auf den brennenden Boden. Eine Hitzewelle raste über den Hof. Wiehernde Pferde flohen mit schleifenden Zügeln bis hinter den leeren Korral, der sich neben dem Feuerherd befand. Staub und Rauch hüllten den Kampfplatz ein. »Wieso sind Sie eigentlich hier?« fragte Duke, der den Offizier irgendwie auf andere Gedanken bringen wollte, um endlich selbst keine Fragen mehr beantworten zu müssen. »Wir wurden alarmiert. Jemand meldete in Fort Bowie, daß die Apachen das Reservat verlassen hätten und bewaffnet wären.« »Und ein Wagen wurde überfallen!« Duke nickte. »Der Wagen von einem angeblichen Kunstschützen. Der gehörte auch zu der Bande. Die Apachen haben ihn getötet und seinen Schnapsvorrat zerschlagen. Auf dem Weg nach Dry Camp können Sie die Stelle
noch finden, wo die Scherben liegen und Ronco den Kumpan verscharrte.« »Er scheint übrigens zurückreiten zu wollen«, setzte Cotter hinzu. »Ist in Richtung Dry Camp verschwunden, Sir!« Der Blatternarbige zeigte auf den bunten Wagen des toten Kunstschützen. Die Flammen erreichten ihn gerade und fraßen sich in die Plane. »Er darf nicht entkommen!« Duke mußte an sich halten, um nicht nach dem Offizier zu greifen und ihn zu schütteln. Der Captain schaute noch unentschlossen auf die Toten unter der Staub- und Rauchwand, auf das an allen Ecken brennende Stationshaus, auf den Stall, den Wagen und die Pferde hinter dem Korral. »Es ist Eile geboten, sonst ist er weg!« rief Duke beschwörend. »Wir werden zunächst seine Spuren sichern lassen. Lieutenant! Lieutenant?« Niemand zeigte sich. Die Soldaten waren hinter dem Stallgebäude damit beschäftigt, die eingefangenen Pferde aneinander zubinden. »Warten Sie!« Der Captain verließ die drei Männer. Duke drehte sich seufzend um. »Das dauert und dauert«, sagte der Blatternarbige leise. »Wollen wir nicht losreiten?« »Wir müssen warten. Es fällt sonst auf, daß meine Geschichte nicht ganz stimmt«, raunte Duke scharf. »Ronco hätte schon tot und vergessen sein können«, murmelte Dirk Cotter. »Wir hatten Zeit genug, ihn zu töten.« Dukes Augen funkelten ihn wütend an. Tief traf den gnadenlosen Verfolger dieser Vorwurf, mit dem er sich im übrigen insgeheim schon selbst herumärgerte. »Ist doch wahr!« setzte Cotter hinzu. »Tagelang waren wir hinter ihm her und haben Kopf und Kragen riskiert, um ihn zu schnappen.« »Jetzt sehen wir schön aus«, sagte der Blatternarbige und spuckte auf den Boden. »Lieutenant, wo stecken Sie denn?« schrie der Captain. Duke drehte sich um. Die Wände der Station standen in Flammen. Unter der Hitze
zerplatzte das letzte intakt gebliebene Fenster. »Da sind Sie ja endlich«, meldete sich der Captain. »Lassen Sie unseren Scout die Spuren des Geflohenen sichern!« »Wir werden ihn schon noch kriegen«, sagte Duke zuversichtlich. »Noch einmal entflieht er uns nicht!«
17. Es war Nacht und still. Ich ritt langsam den Lichtern entgegen, die ich in der Ferne sah und von denen ich wußte, daß sie zu der kleinen Stadt Dry Camp gehörten, die eben erst das große Rodeo beendete. Ob ich auf dem richtigen Wege war, wußte ich freilich nicht. Aber irgendwo mußte ich schließlich nach Mahon Tabor suchen. Wie ich mir den Ablauf der Ereignisse während meiner Bewußtlosigkeit vorstellte, würde der ehemalige Offizier aus Fort Calhoun sicher nicht schlecht staunen, wenn ich ihm plötzlich lebend unter die Augen trat. Dann galt es, die Sekunden der Überraschung zu nutzen. Bald konnte ich auch die flachen Häuser im Mondschein erkennen. Der weiße Adobelehm gab selbst während der Nacht noch Helligkeit wie eine schwache Lampe ab, wobei ihm allerdings das helle Mondlicht behilflich war. Bei einer Buschgruppe hielt ich an und stieg ab. Noch hundert Yards mochten mich vom ersten Lagerschuppen trennen. Dort begannen dann auch die ärmlichen Hütten, zwischen denen ich den jungen Apachen mit der Vergiftung gefunden hatte. Durch diese Sache war ich in alle Abenteuer dieser Tage erst gestürzt worden und wie durch ein Wunder am Leben geblieben. Sichernd schaute ich zurück, besorgt, daß man mich verfolgen könnte. Aber ich hatte auch den Tag über keine Reiter auf meinen Spuren am San Domingo Creek entdeckt. Niemand folgte mir. Ich führte das Pferd weiter, erreichte das Lager und konnte die jämmerlichen Hütten sehen. Hier war es dunkel. Vielleicht schliefen die Menschen schon, oder sie saßen drinnen in der Dunkelheit und sparten Petroleum. Ich erreichte jenes Haus, wo ich mit dem Mann gesprochen hatte. Er war wieder da. Doch ich sah ihn erst, als ich schon fast vor ihm
stand. Das Gesicht erschien mir vertraut, obwohl es nicht genau zu erkennen war. »Hallo«, sagte ich. »Erinnern Sie sich an mich?« »Was wollen Sie denn schon wieder?« fragte der Mann abweisend. Ich dachte nicht nur an Mahon Tabor, sondern auch an Buffy, der sich abgesetzt hatte. Den ganzen Tag über hatte ich immer wieder an ihn denken müssen. An diesen jungen Burschen, der für den Kunstschützen Handlanger und Zielscheibe gewesen war, der seinen toten Boß betrauert und mich dann zu dem Fusellager geführt hatte. Ob er wohl auch gewußt hatte, daß Mahon Tabor dort auf Bullett wartete? Hatte er es deswegen gesagt? Oder war es der Schock gewesen, der ihn hatte reden lassen? Noch immer plagten mich diese Zweifel. Sicher erschien mir nur, daß Buffy in Bulletts Begleitung mehr erfahren hatte, als er angeblich dann wußte. Der abgerissen gekleidete Mann starrte mich an, die Mundwinkel nach unten gebogen und die Stirn in Falten gelegt. »Erinnern Sie sich an den Gehilfen des Kunstschützen?« fragte ich und trat dichter an den Mann heran, um sein Gesicht deutlicher sehen zu können. »Ich weiß nicht, wen Sie meinen.« »Buffy!« »Ach den. Ja. Was ist mit ihm?« »Ich wollte Sie fragen, ob er hier wieder aufgetaucht ist.« »Hier?« »Ja. Von hier aus sieht man doch jeden Reiter, der sich von Süden oder Südwesten nähert. Sie haben doch auch mich bemerkt, obwohl es Nacht ist.« »Manchmal ist es gesünder, nicht zuviel zu wissen.« Ich zeigte dem Mann einen halben Dollar. Ich besaß wenig Geld und trennte mich ungern davon, weil ich es sicher noch nötig brauchen würde. Aber ich hoffte, so eher etwas zu erfahren. Der Mann griff sofort zu und ließ den halben Dollar verschwinden. »Ja, den habe ich gesehen.« »Wann?«
»Er ritt vor ein paar Stunden in die Stadt.« »Und wo ist er?« »Keine Ahnung. Ich bin ihm nicht nachgegangen.« »Aber er ist noch in Dry Camp?« »Woher soll ich das wissen? Sie haben Ihre Auskunft, und nun lassen Sie mich in Frieden.« Der Mann trat zurück und knallte die Tür mit einem Stoß des Fußes zu. Da stand ich nun. Außer daß Buffy hierher geritten war, hatte ich nichts erfahren. Immerhin. Meine Ahnung war bestätigt worden. Blieb noch Mahon Tabor, der zehnmal gefährlicher als dieser junge Handlanger war. Buffy war ungefährlich und hatte mehr Angst als sonst was. Das war schon dadurch bewiesen worden, daß er sich vor mir in den Büschen am San Domingo Creek einen geschlagenen Tag lang versteckt hatte. Der Mann ließ sich nicht mehr sehen. Ich führte das Pferd weiter und hoffte, noch jemanden zu treffen und ohne Bezahlung mehr zu erfahren. Aber das geschah nicht. Wie ausgestorben lagen die Gassen bis zur quer durch den Ort führenden Overlandstraße vor mir. Überall sah ich große Haufen Abfälle, die offenbar kein Mensch zu beseitigen gedachte. Ratten verschwanden in Erdlöchern und Schuppen. Gestank stand in den Gassen. Auf der Hauptstraße brannten ein paar Lampen, die an langen Seilen über der Straße aufgehängt waren. Abgestellte Wagen ließen sich an den Straßenrändern erkennen. Im Saloon ging es noch lebhaft zu. Der Gesang eines heiseren Mädchens war zu hören. Gläser stießen klirrend gegeneinander. Ich führte den Braunen an den Wänden entlang und sah den Mietstall, in dem ich übernachtet hatte. Davor lag der kleine freie Platz, der dem Kunstschützen als Arena gedient hatte. Die Tür des Stalles stand offen. Lichtschein fiel heraus. Jäh blieb ich stehen, trat zurück und legte dem Pferd die Hand auf die Nüstern. Im Lichtschein war Buffy im Stallgang erschienen. Er konnte mich hier im Dunkel nicht sehen, das war ausgeschlossen. Ich nahm an, auch er ging davon aus, daß mein Lebenslicht in jener
Fuselstation ausgeblasen wurde. Buffy verschwand wieder im Stallgang. Ich führte das Pferd bis zu einem Pfosten weiter und band es fest. Zurückschauend konnte ich niemanden in der Nähe sehen. Offenbar war ich unbemerkt geblieben. Die meisten Leute schienen bereits zu schlafen. Ich hoffte, daß sich auch der zweifelsfrei vom Rodeo geschaffte Marshal unter ihnen befand. Denn von ihm wollte ich nicht noch einmal hier gesehen werden. Schritt um Schritt ging ich langsam auf den Stall zu, erreichte einen Lichtschacht und reckte mich auf die Zehen, um drinnen etwas zu sehen. Buffy stand in einer leeren Box. Überhaupt konnte ich nur wenige Pferde in dem länglichen Gebäude entdecken. Auch der Stallmann war abwesend. Ich schlich an der Wand entlang zur Tür, ging hinein und trat auf herumliegendes Stroh. Es raschelte so laut, daß Buffy herumfuhr und mich wie einen Geist anstarrte. Bevor er die Überraschung überwunden hatte, war ich bei ihm. Doch er sprang zur Seite und wollte an mir vorbei. Ich schnappte gerade noch seinen Arm und schleuderte ihn zurück. Buffy verwechselte die Beine und stürzte vor mir ins Stroh. Jetzt raschelte es noch lauter. Doch der junge Bursche kroch sofort zurück, stand auf und preßte sich gegen die Futterkrippe. »Was wollen Sie denn von mir. Und wieso …« Er brach ab und biß sich hart auf die Unterlippe. »Warum ich noch lebe?« Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. »Ja, das muß man sich wirklich fragen. Ich bin eben entwischt. Aber vermutlich sind sie hinter mir her wie hinter dem Schatz der Mayas.« »Ich bin nur geflohen.« »Und ich habe etwas über dich nachgedacht, Buffy. Über deine spärliche Geschichte, dein äußerst mangelhaftes Wissen und dein doch recht intensives Zusammenleben mit Bullett, dem ehemaligen Kunstschützen. Und soll ich dir sagen, zu welchem Ergebnis ich dabei gelangte?« »Ich weiß nichts!« stieß Buffy hervor. Ich lächelte schärfer. »Eben das glaube ich dir nicht, Buffy. Und
das war auch das Ergebnis meines Nachdenkens. Doch du mußt noch mehr wissen. Du warst auch dabei, als Bullett Mahon Tabor hier traf. Er war für dich kein Fremder. Hast du ihn noch einmal gesehen?« Ich hatte die Frage nur so angehängt und mir gar nichts weiter dabei gedacht, schon gar nicht, daß es sich in der Tat so verhalten könnte. Doch der junge Bursche zögerte und zuckte beinahe unmerklich zusammen. Ich sah es dennoch. »Nein!« stieß Buffy hervor. Er log. Und er log schlecht. Mein geringschätziges Lächeln trieb ihm flammende Röte ins Gesicht. »Nein, ich habe ihn nicht mehr gesehen!« rief Buffy. Er stieß sich vom Futterkasten ab und wollte links an mir vorbei. Doch ich hielt ihn fest und schleuderte ihn abermals zurück. »Wo ist er jetzt?« »Ich habe ihn nicht …« »Du lügst!« rief ich scharf und funkelte mit den Augen, weil ich wußte, daß es ihn beeindrucken mußte. Er gab den Widerstand auch sogleich auf und senkte den Kopf. »Na ja, er holte mich ein und wollte mich aushorchen. Und er sagte, er habe eigentlich gar nichts gegen mich.« »Du lügst schon wieder, Buffy«, sagte ich. »Aber ich habe dich auch gar nicht gefragt, wann, wo und wieso du ihn treffen konntest. Ich will wissen, wo er ist? Ist er hier in Dry Camp?« »Nein.« »Wo dann?« Buffys Augen suchten nach der Lücke, durch die er mir und den bohrenden Fragen entrinnen könnte. »Wo?« wiederholte er dämlich. »Er ist …« Seine Lippen preßten sich zusammen, daß sie wie ein Strich in Buffys Gesicht standen. Ich packte ihn am Kragen und drehte die Faust herum. Ich mußte es wissen. Und dieser junge Kerl war im Moment der einzige, der mir weiterhelfen konnte. »San Carlos am Gila River«, sagte Buffy. »Dorthin ist er unterwegs?«.
»Ja.« Meine Faust öffnete sich. Kaum frei, stürzte Buffy an mir vorbei. Ich wollte ihm nach, aber meine Füße stockten. Buffy hastete aus dem Stall. Ich stand am Rand der Box und lauschte auf das Trommeln der Hufe, das mir bisher entgangen war. Glühendheiß fielen mir Sadie Duke, seine beiden Halunken und die Soldaten ein. Natürlich würde Duke nicht ruhen, nach mir zu suchen, und bestimmt versuchte er auch die Soldaten dafür einzuspannen. Ich lief hinaus und hörte es noch lauter als vorher. Drüben, aus der kleinen Kneipe, traten ein paar Männer. »Das sind viele Reiter!« hörte ich den Stallmann rufen. Ich hetzte zu meinem Pferd, riß den Zügel los und schwang mich in den Sattel. Quer über den Platz sprengend erreichte ich Büsche. Das Pferd jagte hindurch. Zweige flogen durch die Luft. * »Dort!« schrie eine Stimme. Sie waren ganz in meiner Nähe, und das nur, weil ich nicht gewagt hatte, quer durch die Stadt nach Norden zu fliehen. Der Marshal oder andere Leute hätten mich sehen und vielleicht aufhalten können. Gewehre entluden sich. Schemenhaft sah ich die Reiter. Die Kugeln strichen singend über mich weg. Ich lenkte den Braunen etwas weiter nach Osten und trieb ihn an. Das Tier streckte sich. Die Hufe schienen den Boden kaum noch zu berühren. Die nächsten Kugeln strichen harmlos vorbei. Der Braune trug mich in den Schutz einer Lagerhalle und an ihr entlang. Ich hörte die Soldaten wieder schießen und die Kugeln dumpf pochend in die Stirnseite des Holzschuppens fahren. Neues Dickicht tauchte hinter dem Lager auf. Dry Camp war an dieser Stelle zu Ende. Ich galoppierte ins Gestrüpp und gab dem Pferd immer wieder die Sporen. Die Kräfte des Braunen waren ziemlich verbraucht. Doch ich hatte dennoch einen Vorteil. Die Soldaten waren auf der Suche nach den bewaffneten Apachen von Fort Bowie aus ständig unterwegs
gewesen. Ihre Pferde waren dem Ende der Kräfte noch näher. Schon nach fünf Minuten des scharfen Rittes wurde ich nicht mehr auf Verdacht beschossen. Auch war zu merken, daß die Verfolger zurückblieben. Den Braunen auslaufen lassend, schaute ich zurück und lauschte. Im Galopp folgten sie mir noch. »Los, noch ein Stück!« Ich lenkte das Pferd scharf nach Süden, ritt durch eine Rinne und saß zwischen ein paar Kakteen inmitten des Dickichts ab. Wie ein anschwellendes Brausen dröhnte der Hufschlag. Ich zog dem Pferd den Kopf nach unten und hielt ihm die Nüstern zu. Sie rückten näher und näher und waren Augenblicke später im Mondschein zwischen den Büschen zu sehen. Waffen schlugen klirrend zusammen. Mir schlug das Herz bis zum Halse hinauf. Ich sah Sadie Duke, die beiden Revolverschwinger, einen scharfgesichtigen Captain und die lange Kette der Blauuniformierten. Sie alle jagten vorbei, ohne einen Blick in meine Richtung zu werfen. Die Soldaten verschwanden. Bald waren sie so weit weg, daß ich das Pferd loslassen und mir den Schweiß von der Stirn wischen konnte. Aber noch hatte ich keinen Grund aufzuatmen. Bald würden sie merken, daß sie zum Narren gehalten wurden. Ich saß auf und ritt durch das Gestrüpp weiter in die Nacht hinaus. Mein Spielraum war enger geworden. Das war für mich in diesen Minuten klar. Denn vermutlich hatte Duke den Soldaten eingeredet, daß ich auch mit dem Schnapshandel im Reservat zu tun hatte. Es wurden immer mehr Gründe für die andere Seite, eine an Härte zunehmende Jagd auf mich zu veranstalten. Von allen Seiten jagten und hetzten sie mich. Aber ich durfte mich nicht selbst aufgeben. Ich mußte weiterkämpfen und nach den dürftigen Spuren suchen, die vielleicht zu dem Nachweis meiner Unschuld führten. »San Carlos am Gila River«, murmelte ich und war mit den Gedanken bei Mahon Tabor, jenem ehemaligen Zahlmeister aus Fort Calhoun. Ihn, der mich hatte töten lassen wollen, ohne sich selbst dabei die Finger zu beschmutzen, galt es zu finden.
ENDE
Vorschau Ronco bewegte seinen Kopf hin und her wie ein Stier, der die Widerhaken im Nacken spürt. Sein Gesicht war merkwürdig gefühllos, aber seine Rippen mußten aus glühenden Bandeisen bestehen. Clarence griff mit schwingenden Fäusten an, aber diesmal wich Ronco nicht aus. Er schob die Unterarme als Deckung vor und wühlte sich an den Mann heran. Jetzt hatte er Clarence fast zu nahe vor sich. Er schlug zu – mit Haken und Ösen. Dann warf er Clarence mit seinem ganzen Gewicht auf die Tanzbretter und traf dieses verlöschende Grinsen mit einer wuchtigen Geraden. Aber der Kampf war noch nicht zu Ende. Clarence kam wieder hoch. Es ging nur noch darum, wer härter war, wer mehr einzustecken vermochte. Clarence hatte alles auf seinen ersten stürmischen Angriff gesetzt – und den hatte Ronco durchgestanden. Jetzt teilte er aus … Das ist Ronco, der Texas Ranger. Lesen Sie nächste Woche Band 371 dieser großen deutschen Western-Serie:
Die Befreiung