Freder van Holk
Tillyt
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich
im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 R...
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Freder van Holk
Tillyt
SUN KOH-Taschenbuch erscheint vierwöchentlich
im Erich Pabel Verlag KG, Pabelhaus, 7550 Rastatt
Neu bearbeitet von Heinz Reck
Copyright © 1979 beim Autor und Erich Pabel Verlag, Rastatt
Agentur Transgalaxis
Titelbild: Nikolai Lutohin
Alle Rechte vorbehalten
Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck
Vertrieb: Erich Pabel Verlag KG
Verkaufspreis inkl. gesetzl. MwSt.
Unsere Romanserien dürfen in Leihbüchereien nicht verliehen
und nicht zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden;
der Wiederverkauf ist verboten.
Alleinvertrieb und Auslieferung in Österreich:
Pressegroßvertrieb Salzburg, Niederalm 300
A-5081 Anif
Abonnements und Einzelbestellungen an
PABEL VERLAG KG, Postfach 1780, 7550 RASTATT,
Telefon (0 72 22) 13 – 2 41
NACHDRUCKDIENST:
Edith Wöhlbier, Burchardstraße 11, 2000 Hamburg l,
Telefon (0 40) 3 01 96 29, Telex 02.161.024
Printed in Germany
August 1979
Scan by Brrazo 03/2006
1. Weltausstellung in New York! Die Millionenstadt badete sich in Lichterfluten, aus den Straßenschlünden tobte und gellte der Lärm an den weißleuchtenden Wolkenkratzern hinauf. Pa pierschnitzel regneten, und der Asphalt kochte vor Hitze und Aufregung. In der Hafenkneipe »Zum letzten Treibanker« war nichts vom Fieber der Weltausstellung zu spüren, am allerwenigsten im Hinterzimmer, in dem einige klei ne Kapitäne zusammenhockten. Bedächtig wie im mer pafften sie den Raum voll blaugrauer Schwaden, geruhsam wie stets tranken sie ihren Grog oder Whisky. Mit ernsten Gesichtern lauschten sie dem Garn, das reihum gesponnen wurde. Sie liebten das laute Lachen nicht, aber dann und wann zwinkerten sie sich stillvergnügt an oder grinsten hintergründig. Ja, gelegentlich, wenn sich einer eine recht dicke Scheibe abschnitt, stießen sie sich auch einmal zum Zeichen besonderen Behagens mit dem Ellbogen an und nickten verständnisinnig dazu. Kapitän Sarfegrace lehnte sich eben breit zurück. »Tja«, meinte er und nickte anerkennend über den Tisch weg, »es gibt schon seltsame Dinge auf der Welt, die man erlebt haben muß. Weil hier eben von 5
der Seeschlange die Rede war – hm, da könnte ich ja nun eine Geschichte erzählen, daß euch die Haare zu Berge stehen.« Er trank den üblichen Ankündigungsschluck, prüf te die ernsten Gesichter ringsum und begann sein Garn abzuspulen. »Tja, also das war gar nicht so weit von Kap Race. Ich hatte mich eben ein bißchen hingelegt, als auf einmal der Bill, mein Kombüsenjunge, hereinge stürzt kommt. ›Eine Seeschlange!‹ schreit er wie ein Verrückter und bleibt auch dabei, nachdem ich ihm eine gelangt habe. Nun, ich rapple mich natürlich auf und sehe nach dem Rechten. Tja, was soll ich sagen, der Junge hatte nicht gelogen. Von achtern kam tat sächlich eine Seeschlange in voller Fahrt hinter uns her. Das war ein Biest, daß ich dachte, die Augen müßten mir gleich aus dem Kopf fallen. Ihr Leib war mindestens so dick wie ein Wal. Aber das fiel nicht mal so auf, weil sie so lang war, daß man die Schwanzspitze gerade noch an der Kimm wedeln sah. Und ein Maul riß das Vieh auf, da hätte getrost ein großer Passagierdampfer hineinfahren können. Und in dem Maul standen. Zähne so lang wie Elefan tenzähne, einer am anderen. Tja, das war ein Biest.« Er legte eine Genießerpause ein, trank ein Schlückchen und fuhr dann eindrucksvoll fort: »Tja, mir hat ja nun noch kein Mensch schwache Nerven vorgeworfen, aber wie ich die Seeschlange so leib 6
haftig dicht hinter meiner ›Daisy‹ sah, war ich doch verdämmt nahe daran, das Atemholen zu vergessen. Glücklicherweise rannte der Junge gegen mich an, und dann dachte ich, daß man etwas tun müsse. Das Biest war drauf und dran, mein Schiff mit Mann und Maus zum Frühstück verschlingen. Aber was sollte ich tun? Die Waffen waren in meinem Schrank ein geschlossen, aber soviel Zeit hatten wir gar nicht mehr, um sie zu holen. Außerdem hätten sie uns wohl nichts genützt. Das Biest riß schon seinen Ra chen noch weiter auf, und sein Unterkiefer schabte unter unserem Kiel entlang. Es war, als würden wir in ein großes Dock hineingezogen. Und die schreck lichen Zähne hingen gleich über uns. Gleich mußte das Maul zusammenklappen und die ganze ›Daisy‹ zusammenquetschen. Was war da noch zu machen?« Er überließ es seinen Freunden, eine Kleinigkeit darüber nachzudenken, dann hob er die Schultern. »Tja, da war natürlich gar nicht viel zu machen. Ich sah dem Biest eben fest in die großen Augen, die wie Kohlensäcke über dem Maul hingen, und schrie: ›Geh weg!‹ Hm, ihr könnt das nun glauben oder nicht, jedenfalls war die Seeschlange auf einmal weg, als wäre sie überhaupt nicht dagewesen.« »Einfach weg?« murmelte einer der Zuhörer ver dutzt. »Sie war einfach weg, verschwunden«, bestätigte Sarfegrace ernst und nachdrücklich. 7
Plötzlich wurde die Tür des Hinterzimmers heftig aufgerissen. Wie zur Bestätigung schrie jemand in die Qualmwolken hinein: »Sie ist weg, Kapitän, ein fach verschwunden! Hallo, Kapitän?« Sarfegrace drehte wie die anderen den Kopf und brummte erstaunt: »Will mich hängen lassen, wenn das nicht Bill ist! Was hast du für niedliche Einfalle, Junge, daß du mich hier störst?« Ein halbwüchsiger Bursche suchte sich durch die Schwaden den Weg. »Gott sei Dank, daß Sie da sind«, schnappte er aufgeregt. »Ich bin vielleicht verrückt, aber sie ist nicht mehr da!« »Wer?« »Die ›Daisy‹, unser Schiff!« »Dann bist du sicher verrückt«, knurrte Sarfegra ce. »Warum soll sie nicht mehr da sein, he?« Der Schiffsjunge trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. »Das ist kein Witz, Kapitän«, beschwor er. »Das Schiff ist weg. Wo es gelegen hat, ist nur noch eine glatte Wand.« Sarfegrace griff blitzschnell zu und holte sich den Jungen heran. »Junge, Junge«, drohte er, »das ist der schlechteste Witz, den ich in meinem Leben gehört habe. Du stinkst nach Whisky.« »Keinen Tropfen habe ich getrunken«, beteuerte 8
der Junge. »Das ist Ihr eigener Whisky, den Sie rie chen.« »Was geht dich an, was ich trinke?« brummelte Sarfegrace. »Also, was ist mit dem Schiff?« »Ich kann doch nichts anderes sagen. Es ist ein fach verschwunden, und wo es gelegen hat, steht jetzt eine Mauer.« Sarfegrace blickte sich um. Einige schüttelten die Köpfe, andere grinsten. Sein Nachbar meinte teil nahmsvoll: »Tja, da wird die Seeschlange sich den Fall denn doch wohl noch anders überlegt haben?« »Wahrscheinlich«, gab Sarfegrace giftig zurück, »aber ich werde den Fall gleich in Ordnung bringen. Komm, Bürschchen!« Er schob den Schiffsjungen vor sich her zur Tür hinaus. Er ließ ihn auch auf der Straße nicht aus. Solch ein Unfug! Auf der ›Daisy‹ befanden sich immerhin der Koch, die Deckswache und die Feuerwache. Einer von den dreien würde einen Zwischenfall gemeldet haben. Und das gab es nicht, daß ein fast unbemann tes Schiff von allein losfuhr. Na warte, Junge! Aber als sie den Pier erreichten, an dem die ›Dai sy‹ liegen sollte, gab der Kapitän den Jungen frei. Das ging wahrhaftig noch über die Seeschlange. Die ›Daisy‹ war wirklich verschwunden! Oder lag sie nur hinter einem Nebelstreifen? In der Dunkelheit konnte man sich ja schließlich auch täu schen. 9
Sarfegrace ging langsam vor. Es schien ihm, als sähe er doch schon die Umrisse seines Schiffes. Aber da stieß er gegen ein festes Hindernis, gegen die glat te Wand, von der der Junge gesprochen hatte. Wie trübes, kaltes Glas war sie. Sarfegrace tastete, drückte und stemmte sich da gegen. Plötzlich war das Hindernis verschwunden, der Kapitän bekam Übergewicht, stürzte nach vorn und in kühles, nachtschwarzes Wasser hinein. Im Fallen sah er ganz deutlich und klar die ›Daisy‹ vor sich. »Mann über Bord!« schrie einer, dann schlug die kalte, ölschleimige Brühe über Sarfegrace zusam men. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Pier. Bill, der Kombüsenjunge, bohrte ihm seine Knie in die Brust, als wollte er auf der anderen Seite wieder hinauskommen. Sarfegrace wedelte ihn mit einer Ohrfeige herunter, richtete sich auf und knurrte: »Bist du verrückt?« »Wiederbelebungsversuche erfolgreich verlaufen«, stellte ein Fremder fest und half Sarfegrace auf die Beine. »Sie müssen sich aber umziehen und was An ständiges trinken, Kapitän, sonst holen Sie sich einen Schnupfen. Kommen Sie!« Sarfegrace machte sich frei. »So? Und wer sind Sie?« »Vollkommen unwichtig«, meinte der Fremde. 10
»Ich wurde zufällig Augenzeuge der Ereignisse und möchte gern noch einige Fragen dazu stellen.« »Scheren Sie sich zum Teufel, Herr!« »Dann schon lieber zur nächsten Zeitung«, sagte der andere ungerührt. »Das wäre ein gefundenes Fressen für die Zeitung ›Betrunkener Kapitän fällt ins Wasser‹ und ähnliche Überschriften klingen doch ganz nett, was?« »Halten Sie mich für betrunken?« bellte Sarfegra ce. »Eben nicht. Das ist ja der Grund, warum ich mich noch ein bißchen mit Ihnen unterhalten möchte. Der Junge wird uns eine anständige Flasche Whisky kau fen, während Sie sich umziehen. Einverstanden?« Sarfegrace brummte nun doch seine Zustimmung. Er fror innerlich und äußerlich. Eine halbe Stunde später saß er in seiner Kajüte mit dem Fremden zusammen, der sich von tausend anderen Männern zwischen dreißig und vierzig höch stens dadurch unterschied, daß er auf dem linken Auge etwas schielte, wodurch sein Blick etwas Fal sches bekam. Der Junge hatte seinen Bericht wieder holt, und die Deckswache hatte schulterzuckend er klärt: »Ich weiß gar nichts. Der Pier kam mir ein biß chen düster vor, aber darüber habe ich nicht nachge dacht.« Der Kapitän hatte die beiden hinausgeschickt. Nun wandte er sich an seinen Besucher: »Noch etwas? 11
Das ist eine seltsame Angelegenheit, und ich denke, es ist nicht mehr viel darüber zu sagen.« »Ich denke genau das Gegenteil.« Der Fremde grinste. »Es ist eine Tatsache, daß dicht am Rand des Piers eine ziemlich feste Wand wie aus Glas stand. Sie ist aus dem Nichts gekommen und ins Nichts verschwunden. Das ist eine Sache, über die man schon einige Worte verlieren kann. Die ganze Welt ausstellung ist Dreck dagegen. Ich bin neugierig, was dahintersteckt. Wie erklären Sie sich den Vorgang?« »Überhaupt nicht«, brummte Sarfegrace. »Wir ha ben wahrscheinlich geträumt.« »Ich nicht«, versicherte der Fremde. »Ich habe ge nau gesehen, wie Sie an der Wand entlanggriffen, bis sie einbrach und verschwand. Rücken Sie nur getrost mit Ihrer Erklärung heraus.« »Ich habe keine«, gab der Kapitän mürrisch zur Antwort. »Weiß der Teufel, was es bedeuten soll.« »Damit kommen wir nicht weiter«, sagte der ande re ärgerlich. »Meinen Sie nicht, daß die Deckswache eigentlich etwas beobachtet haben müßte?« »Der Kerl hat wahrscheinlich geschlafen.« »Möglich. Und wer befindet sich noch alles an Bord?« »Koch und Feuerwache.« »Keine Fahrgäste?« »Die ›Daisy‹ ist ein Frachter. Wir haben allerdings bis gestern zwei Fahrgäste an Bord gehabt, die von 12
Kapstadt her mit herübergekommen sind. Gelegent lich nehme ich zur Gesellschaft schon ein oder zwei Leute mit.« »Was waren das für Leute?« Sarfegrace winkte ab. »Ein Professor Schunekamp und sein Sohn, ein sechzehnjähriges Bürschchen, harmlos, stille Leute, die nicht einmal einen anständigen Whisky vertragen können.« »Das sind die schlimmsten. Professoren sind im mer verdächtig.« »In Kapstadt nicht«, sagte der Kapitän grinsend. »Dort unten nennt sich jeder Professor, der eine Bril le trägt. Aber er schien wirklich einer zu sein, denn er wollte zur Weltausstellung. Da kommen doch sol che Leute zusammen.« »Hm, und gestern ist er von Bord?« »Wie ich Ihnen sage. Aber – Augenblick mal.« Er klingelte, gab dem Jungen Anweisung und wandte sich dann wieder an seinen Besucher. »Es ist nämlich noch eine Mappe liegengeblieben. Vielleicht hat er sie abgeholt.« Die Deckswache erschien wieder. »Ist die Mappe eigentlich abgeholt worden?« er kundigte sich Sarfegrace. Der Matrose zögerte. »Gewiß«, gab er schließlich Antwort. »Der Junge war da und hat sie geholt.« 13
»So?« fragte der Kapitän gedehnt. »War das zufäl lig um die Zeit, als die Wand da draußen irgendwo her kam?« Der Mann kratzte sich am Kopf. »Tja, vorher war sie bestimmt nicht da.« »Aber hinterher?« warf der Fremde schnell ein. »Kann schon sein. Also die Sache war so: Wir re deten ein paar Worte miteinander, und der Junge wurde frech. Ich wollte ihn bei den Ohren nehmen, aber er riß aus und rannte auf den Pier. Als ich hin terher wollte, rannte ich gegen die Wand, die plötz lich da war. Das kann nur der Junge gewesen sein, aber ich will mich hängen lassen, wenn ich eine Ah nung habe, wie er es fertiggebracht hat.« Das war so ziemlich die Wahrheit – so ziemlich, denn die ganze Wahrheit wagte der Matrose, der sei nen Kapitän kannte, doch nicht zu verraten. Was er gesagt hatte, genügte auch. Sarfegrace blickte ihn gefährlich an. »So, mein Junge, das ist dir wohl eben erst einge fallen?« »Es war eine Dummheit von mir«, murmelte der Matrose. »Sie sollten eigentlich nichts davon erfah ren.« Die Offenheit versöhnte den Kapitän etwas. »Raus!« Die Deckswache verschwand. Der Fremde erhob sich. 14
»Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, Herr Kapitän. Jetzt will ich Sie nicht länger stören. Ich glaube, das andere wird mir dieser Professor Schu nekamp am besten erzählen. Wissen Sie zufällig, wo er wohnt?« Sarfegrace nickte und kramte einen Zettel aus der Schublade. »In Leavins Boardinghouse, 37th Street 122.« »Ausgezeichnet. Leben Sie wohl!« »Das gleiche«, brummte Sarfegrace. »Und wenn diese Geschichte zufällig in einer Zeitung erscheinen sollte, bleibe ich so lange hier liegen, bis ich Sie ge funden habe, verstanden?« Der andere nickte und grinste. »Sie dürfen sich drauf verlassen, daß darüber nichts in die Zeitung kommt. Dazu ist mir die Sache – zu kostbar!« »Wieso kostbar?« Sarfegrace zog die Brauen hoch. »Warum kümmern Sie sich eigentlich um die Geschichte, wenn Sie sie nicht an die Zeitungen ver kaufen wollen?« Der Fremde klopfte ihm wohlwollend auf die Schulter. »Lassen Sie das meine Sorge sein. Die einträglich sten Geschäfte sind die, von denen nichts in den Zei tungen steht, mein lieber Kapitän.« Sarfegrace schluckte noch an dem »lieben Kapi tän«, während der Fremde schon auf dem Pier ver 15
schwand. Endlich stieß er einen Fluch aus und ver ließ ebenfalls das Schiff, um zum »Letzten Treiban ker« zurückzukehren. Er wußte aber haargenau, daß er seinen Freunden eher zehn Seeschlangen als diese verrückte Wand glaubhaft machen konnte. * Weltausstellung in New York! Strahlender Sonnenschein lag am nächsten Vor mittag über dem weitgedehnten Ausstellungsgelände. Zehntausende von Menschen schoben sich zwischen Blumenbeeten, Parkstreifen und Springbrunnen vor wärts, Zehntausende bevölkerten die riesigen Hallen, die mächtigen Türme, die zierlichen Kioske und die hochstufigen Tribünen. Flugzeuge summten durch die Luft, Werbeballons blähten sich dick und prall, an vielen Stellen schmetterte unablässig Musik, zahl lose Fahnen knatterten und rauschten, die Ausrufer schrien mit heiseren Stimmen, Zettel flogen durch die Luft, kurz, es war alles vorhanden, was zu einer Weltausstellung gehört. Unter den Zehntausenden befanden sich Sun Koh, Hal und Jim Hunter. Hunter war Pilot und Kapitän der neuen Maschine, die mit Sun Koh nach New York gekommen war. »Etwas ganz Besonderes!« munkelte es neben ih nen. »Das haben Sie noch nicht erlebt! Die Genies 16
der Welt in einem einzigen Raum! Besuchen Sie Halle 34, die Weltausstellung der großen Geister!« Sie griffen nach den Zetteln, die ihnen hingereicht wurden. »Der Einfall ist echt amerikanisch«, sagte Sun Koh. »Es gibt genug Leute, die glauben, die Welt erlösen zu können. Ein Teil davon findet nie Gehör vor einer breiteren Öffentlichkeit, weil sich die Me dien sperren. Hier bietet man diesen Menschen die große Gelegenheit. Jeder kann sich eine Koje mieten und tagelang zu den Interessenten reden oder seine selbstgedruckten Bücher verkaufen. Es ist gewisser maßen eine Neuheitenschau des Geistes, wie es eine Neuheitenschau der Erfinder gibt. Wir wollen uns das einmal ansehen. Wo ist die Halle 34?« Hal wies zur Seite. »Dort drüben. Hinein zu den Wanderpredigern! Sie bleiben draußen, verehrter Hunter, auf daß Ihre weltanschaulichen Grundsätze nicht gefährdet wer den.« »Ich habe mich in den letzten Tagen an Blödsinn gewöhnt«, beruhigte Hunter, worauf Hal ihm bedeu tungsvoll die Faust hinreckte. Dann standen sie schon in der Halle. Der ganze Raum war in Kojen aufgeteilt, die in Gruppen zusammengefaßt waren. Da gab es eine Ab teilung Philosophie, eine Abteilung Mathematik, an dere Abteilungen für Kunst, Recht, Geophysik, 17
Astronomie, Psychologie und was noch alles. Wahr scheinlich hatte man keine der zahlreichen geistes wissenschaftlichen Disziplinen vergessen. In den Kojen saßen oder standen Männer aus aller Herren Länder zwischen Büchern, Bildern, Hand schriften und zeichnerischen Darstellungen. Es war nicht ungefährlich, am Eingang einer sol chen Koje zu verweilen. Sun Koh hatte im Nu ein schmächtiges bärtiges Männchen an seinem Rock aufschlag hängen, das ihm mit schnappender Stimme erklärte: »Sie machen mich glücklich, mein Herr. Erlauben Sie, daß ich meinen Namen nenne? Ich bin Professor Mortignello. Bitte, treten Sie einen Schritt näher, damit die anderen Herren ebenfalls meinen Ausführungen folgen können. Es handelt sich im merhin um eine bedeutsame Angelegenheit, die wichtigste Erkenntnis seit…« »Sie entschuldigen«, bat Sun Koh, faßte Hal beim Arm und führte ihn schnell weiter. Sie schritten durch die Gänge und wichen stets rechtzeitig aus, wenn einer der Kojenmänner auf sie aufmerksam wurde. Später gingen sie in die Nebenhalle, die mehr technischen Neuheiten gewidmet war. Hier blieben sie an mancher Koje stehen, denn wegen dieser Neuheitenschau hatte Sun Koh die Ausstellung vor allem aufgesucht. Dieser Teil der Weltausstellung war auch etwas 18
Außergewöhnliches. Er brachte nicht Erfindungen, die bereits bis zur Herstellung gediehen waren, son dern mehr Ideen zu Erfindungen. In vielen Kojen war nicht einmal ein Muster oder Modell zu sehen. Die Männer vertraten im Grunde genommen nichts als ihre Einfalle und Gedankengänge, die sie über zeugend an Leute heranzubringen suchten, denen sie die nötigen Mittel zutrauten. Die schwierige Rechts lage in bezug auf das unpatentierte geistige Eigentum machte den Erfolg freilich recht fragwürdig. Dazu erlaubten es die weitgefaßten Bedingungen der Aus stellungsleitung, daß zahlreiche Erfinder zu Wort kamen, die selbst nicht die geringste Vorstellung da von besaßen, wie ihre Erfindung wirtschaftlich nutz bar verwirklicht werden sollte. Sun Koh begnügte sich jeweils mit einem kurzen Verweilen. Aber in eine der Kojen trat er mit seinen Beglei tern ein. Da machte ein Professor Schunekamp aus Kap stadt einen sonderbaren Vorschlag. Dieser Schunekamp war ein Mann um die Fünfzig herum, dem man ansah, daß er sich viel im freien aufgehalten hatte. Von den Haupthaaren war ihm nur ein grauer Kranz um den Hinterkopf herum geblie ben. Sein Gesicht wirkte klug, und seine Sprache deutete auf ein ruhiges, besinnliches Wesen hin. Zu ihm gehörte ein junger Bursche von sechzehn, 19
siebzehn Jahren, ein hübsches, schlankes Kerlchen mit auffallend zarten Zügen und lebhaften Augen, das fast den Eindruck eines gepflegten Muttersöhn chens machte. Schunekamp wandte sich mit seinen Erklärungen an zwei Männer, die ihm mit offensichtlich recht ge ringer Anteilnahme zuhörten. »Die Vorstellung ist natürlich zunächst etwas kühn, meine Herren, aber welcher neue Gedanke wä re nicht verwegen erschienen? Mein ›Tillyt‹ vermag überall da, wo ein gewisser Sättigungsgrad erreicht ist, Regen auszulösen. Das ist für viele Gebiete der Erde von unschätzbarer Bedeutung. Wie oft streichen wasserdampfgesättigte Luft- oder gar Wolkenschich ten über dürre Gebiete hin, ohne sich zu entladen? Durch mein ›Tillyt‹ könnte man in diesen Fällen der Natur nachhelfen und Segen über die durstigen Landschaften bringen. Aber darüberhinaus denke ich an Gebiete, die jahraus, jahrein an Regenarmut lei den und deshalb zur Wüste werden. Diese Gebiete könnte man durch ›Tillyt‹ der menschlichen Kultur erhalten oder wiedergewinnen. Die Umwandlung selbst geringen Wassergehalts der Luft und die durch ›Tillyt‹ mögliche Steuerung der Wolkenzüge erlau ben das durchaus. Man könnte mit Hilfe von ›Tillyt‹ ganze Wolkenstraßen ziehen und damit die Härten der Großwetterlagen ausgleichen. Aber noch mehr. Wir haben riesige Gebiete, wie etwa große Teile Ka 20
nadas, in denen eine menschliche Besiedlung da durch erschwert wird, daß sie unter dem ständigen Einfluß polarer Luftmassen stehen. Sie sind den eisi gen Nordwinden schutzlos ausgesetzt. Es fehlen die Querriegel der Gebirge, die das Klima weiter südlich mildern könnten, und zwar eben dadurch, daß sie die Eiswinde aus dem Polargebiet abfangen. Man könnte solche Gebirge als Eisgebirge mit Hilfe von ›Tillyt‹ künstlich schaffen, indem man in einem bestimmten Streifen ununterbrochen Niederschläge erzwingt. Dadurch würde sich schon bei verhältnismäßig ge ringer Kammhöhe die jährliche Durchschnittstempe ratur um einige Grad erhöhen. Dann könnten Acker bau und Viehzucht in solchen Gebieten um Hunderte von Kilometern nach Norden rücken.« »Höchst bemerkenswert«, fand einer der Herren gelangweilt. »Können Sie uns einige Proben Ihres ›Tillyt‹ sowie die chemische Formel mitgeben?« Schunekamp blickte ihn entgeistert an. »Das – das ist wohl in diesem Stadium nicht mög lich. Ich bin aber gern bereit, eine Vorführung…« »Danke.« Der andere winkte ab. »So wichtig ist es mir nicht.« Die beiden wandten sich ab und verließen die Ko je. Einer murmelte unhöflich: »Diese verrückten Re genmacher tauchen immer wieder auf.« »Flegel!« sagte Hunter hinter ihm her. Der Profes sor, der die Bemerkung gehört hatte und ein betrof 21
fenes Gesicht zog, tat ihm leid. »Danke sehr«, sagte der Junge mit heller Stimme. »Wieso?« Der Junge wurde rot. »Weil Sie dem Herrn Ihre Meinung gesagt haben. Wenn sie meinen Vater schon veranlassen, Vorträge zu halten, dann sollen sie wenigstens nicht unhöflich sein.« »Ganz meine Meinung«, stimmte Hunter zu. Jetzt nahm Sun Koh das Gespräch mit Schune kamp auf. »Ein Glück, daß der eine unwichtig findet, was dem anderen wichtig erscheint«, sagte Sun Koh. »Mich haben Ihre Ausführungen sehr interessiert. Wenn ich Sie recht verstanden habe, handelt es sich um ein Verfahren, um Niederschläge hervorzuru fen?« Schunekamp war sofort wieder bei der Sache. »Ganz recht«, sagte er. »Ich habe eine Chemikalie erfunden, die ich als ›Tillyt‹ bezeichne. Mein Junge heißt nämlich Till. Dieses ›Tillyt‹ besitzt in hohem Maße die Fähigkeit, Wasserdampf zu verdichten. Das bedeutet zunächst die Möglichkeit, nach Wunsch Niederschläge hervorzurufen. Ich weiß nicht, ob Sie über die bisherigen Versuche unterrich tet sind, mit Hilfe von Kohlensäure, geeisten Salzen oder Silberjodid zum Erfolg zu kommen?« »Ich bin unterrichtet.« 22
»Ausgezeichnet! ›Tillyt‹ hat mit diesen Versuchen nichts zu tun, erreicht aber die stärkste Wirkung, die man sich erhoffen kann. Es bewirkt eine Verdichtung der vorhandenen Luftfeuchtigkeit bis zum Abregnen. Dadurch könnte man…« »Augenblick, bitte«, bat Sun Koh. »Ihr Mittel wirkt derartig, daß es auch über größere Entfernun gen hinweg Luftfeuchtigkeit und Wasserdampf an sich reißt?« »Allerdings, man kann es so ausdrücken.« »Es wäre also auch nicht ausgeschlossen, von ei ner Landschaft unerwünschten Regen wegzuzie hen?« »Das wäre durchaus möglich. Ich setze natürlich eine Großherstellung von ›Tillyt‹ sowie die entspre chenden technischen Hilfsmittel, wie Flugzeuge, voraus.« »Das ist mir klar. Sie erwähnten vorhin, daß man mit Hilfe Ihres Mittels gewissermaßen Wolkenstra ßen ziehen könnte?« »Ich habe damit nicht zuviel gesagt, wenn es viel leicht auch nicht ganz einfach zu bewerkstelligen wäre. ›Tillyt‹ wirkt ja gewissermaßen wie ein Ma gnet, zu dem der Luftwasserdampf, also auch die Wolken, hinstrebt. Wenn etwa ein Flugzeug von Amerika nach Europa fliegen und hinter sich Schwebstoffe aus ›Tillyt‹ verstreuen würde, dann würde der Weg des Flugzeuges durch eine geschlos 23
sene Bahn von Wolken und Niederschlägen gekenn zeichnet werden.« »Sie haben sehr viel Zutrauen zu Ihrer Chemikalie. Können Sie mir eine Probe ihrer Wirksamkeit ge ben?« Schunekamp zögerte. »Hm, gewiß, aber darf ich mir zunächst einige Fragen erlauben?« »Bitte?« »Haben Sie ein ernsthaftes Interesse an meiner Er findung?« »Gewiß – falls sich Ihre Angaben als richtig er weisen.« »Danke. Und was ich noch fragen wollte – Sie können sich ja wohl denken, daß viel Geld dazu ge hört, um ›Tillyt‹ auszuwerten. Es handelt sich ja schließlich nicht nur um die Berieselung einiger Fel der, sondern um den Einsatz bei großen und kost spieligen Planungen.« Sun Koh lächelte und entnahm seiner Brieftasche einige Papiere. »Ich verstehe das vollkommen. Wollen Sie bitte in diese Papiere und Bankausweise Einsicht nehmen?« Schunekamp tat es. Er blickte sogar genau hin. Das verriet immerhin, daß er ein vorsichtiger Mann war. Er wollte nicht mit Horchern und Neugierigen verhandeln, sondern mit ernsthaften Interessenten. »Ich danke Ihnen vielmals«, sagte er, während er 24
die Papiere zurückgab. »Können Sie mir nun noch eine Andeutung machen, wozu Sie das ›Tillyt‹ ver wenden wollen?« »Nein«, erwiderte Sun Koh. Schunekamp wurde unsicher. »Entschuldigen Sie, aber vielleicht darf ich meine Frage erklären. Es hat lange gedauert, bevor ich zum Ziel gekommen bin. Das ›Tillyt‹ ist meine Lebensar beit. Ich wollte es nicht so einfach aus der Hand ge ben, sondern dachte – ich dachte – ich meine, ich wollte jedenfalls gern wissen, was daraus wird und wie man es einsetzt.« »Ich glaube Sie zu begreifen. Ich werde Sie zwei fellos in dieser Hinsicht beruhigen können. Wir müß ten uns jedoch an einer anderen Stelle aussprechen. Dann könnten Sie mir auch die Wirkung Ihres Mit tels vorführen. Ich kann Ihnen schon jetzt versichern, daß eine für beide Teile befriedigende Einigung nur von den Eigenschaften des ›Tillyt‹ abhängen wird. Darf ich Sie bitten, heute abend mein Gast zu sein?« »Sie sind sehr liebenswürdig.« Schunekamp ver beugte sich. »Selbstverständlich nehme ich Ihre Ein ladung mit Vergnügen an.« »Dann bitte um acht Uhr im ›Biltmore‹. Ich heiße Sun Koh, wie Sie bereits aus den Papieren ersehen haben. Ihr Sohn ist mir ebenfalls willkommen.« »Wir werden pünktlich erscheinen«, versicherte Schunekamp. »Wenn ich Sie recht verstanden habe, 25
legen Sie doch wohl bei aller Unverbindlichkeit un serer bisherigen Besprechung Wert darauf, daß ich mich nicht nach einer anderen Seite hin festlege?« »Ich lege den allergrößten Wert darauf.« Die Herren verbeugten sich. Sun Koh und seine Begleiter verließen die Koje. Sie sahen gerade noch, wie Till Schunekamp seinem Vater in freudiger Er regung um den Hals fiel. Als die drei draußen im Freien standen, bohrte Hal vorsichtig an. »Hm, Sir, wenn das ›Tillyt‹ so viel wert ist wie der Till, dann ist es nicht weit her. Der Junge ist ein sanf ter Heinrich, wenn er sich auch aufbläst. Und der Regenprofessor redet große Blasen, aber ich habe Angst, daß sie alle platzen.« Sun Koh hob die Schultern. »Er muß erst einmal das ›Tillyt‹ vorführen, vorher läßt sich wenig sagen.« »Tja, und wenn es was taugt? Fürchten Sie, daß es auf Atlantis nicht genügend Wasser geben wird?« »Zuviel«, gab Sun Koh ihm die gewünschte Auf klärung. »Stell dir vor, welche Wassermengen in Form von Wolken frei werden, wenn ein ganzer Erd teil aus dem Ozean stößt. Es ist eine noch ungelöste und unbeantwortete Frage, wie wir die ungeheuren Mengen von Wasserdampf und Wolken entfernen. Außerdem müssen wir mit Veränderungen der Großwetterlage rechnen, die wir vorläufig noch nicht 26
beherrschen.« »Aha.« Hal begriff. »Und wenn dieses ›Tillyt‹ et was wert ist, dann könnte man die Wolken wegzie hen?« »Ja, man könnte sogar regelrechte Zugstraßen her vorrufen. Es gibt da freilich noch manches zu beden ken, aber immerhin wäre es ein wesentlicher Fort schritt, ein solches Mittel zur Verfügung zu haben.« »Das stimmt«, gab Hal zu. »Aber wie gesagt, wenn es soviel taugt wie der Junge, dann…« »Was Sie nur gegen den Jungen haben?« mischte sich Hunter etwas unmutig ein. »Mir hat er ganz gut gefallen.« »Pah, das reinste Mädchen!« »Na ja«, knurrte Hunter, »es können eben nicht al le aus Stacheldraht, Leder und Schnauze gebaut sein.« »Was?« fuhr Hal hoch. »Haben Sie das gehört, Sir? Das schreit nach Blut. Auf der Stelle…« »Langsam«, unterbrach Sun Koh lächelnd. »Im Hotel könnt ihr einen Boxkampf austragen.« »Na, so genau wollte ich’s ja nun nicht wissen. Das kann er zu gut.« »Na also.« Hunter lachte. »Schließen wir Frieden. Und den Jungen wollen wir hübsch in Ruhe lassen. Finden Sie nicht, Sir, daß das ein eigenartiger Typ ist? Ich weiß nicht, aber das Gesicht hat mich son derbar berührt.« 27
Sun Koh blickte ihn aufmerksam an. »Was haben Sie sonderbar an dem Jungen gefun den?« Hunter wurde etwas verlegen, gestand dann aber freimütig: »Ich glaube, es sind die Augen. Ich habe noch nie bei einem Menschen solche – wie soll ich sagen – seelenvolle Augen gesehen.« Sun Koh lächelte. »Die Augen? Nun, man soll über den Augen nicht den ganzen Menschen vergessen.« Hunter wußte mit der Bemerkung nicht viel anzu fangen, aber Sun Koh gab keine weitere Erklärung dazu. 2. Der Tag neigte sich dem Ende zu. »Machen wir Schluß«, schlug Professor Schune kamp vor. »Endlich.« Till Schunekamp atmete auf. »Wir hät ten uns diesen ganzen Nachmittag schenken können. Bevor du nicht mit Mr. Sun Koh gesprochen hast, kannst du ja doch keine bindenden Verhandlungen mit anderen führen.« »Das schon«, gab Schunekamp zu, »aber anderer seits kann ich mich nicht allein auf ihn stützen. Das hieße die teure Reise und die wenigen Tage schlecht ausnützen. Wenn ich mit ihm nicht einig werde, muß 28
ich einen anderen finden.« »Da käme allenfalls noch dieser Spalding in Frage, aber den kann ich nicht leiden.« »Mit persönlichen Zu- oder Abneigungen macht man keine Geschäfte«, sagte der Ältere. »Es war ihm jedenfalls unangenehm, daß ich ihn zurückstellte. Mir kam es übrigens fast so vor, als ob er von dei nem gestrigen Erlebnis wußte. Er kam immer wieder auf die Frage zurück, ob man mit unserem ›Tillyt‹ nicht auch den Wasserdampf zum Gefrieren bringen könne.« »Wie sollte er das erfahren haben?« Der Junge schüttelte den Kopf. »Ich würde jedenfalls ihm ge genüber vorsichtig sein. Er war doch sicher auch nur ein Agent und kein Mann, mit dem du hättest ernst haft verhandeln können.« Einer der Hallenwärter erschien am Eingang der Koje. »Ein Anruf für Sie, Mr. Schunekamp.« »Ich komme sofort! Warte so lange, Till. Wo ist der Apparat?« »In der Vorhalle links, Zelle drei.« Schunekamp ging weg. Als er in die genannte Zelle eintreten wollte, hielt ihn jemand am Arm fest. Er sah sich plötzlich zwei Männern gegenüber, die bedeutungsvoll ihre Rock aufschläge herumklappten und die Silbersterne der Kriminalpolizei zeigten. 29
»Augenblick, Mr. Schunekamp«, sagte der eine. »Wir täuschten den Anruf nur vor, um Sie unauffäl lig herauszuholen. Erregen Sie kein Aufsehen und folgen Sie uns zum Präsidium. Es wird nicht lange dauern.« Schunekamp blickte die beiden verwirrt an. »Aber – warum denn? Sie wollen mich verhaf ten?« »Von Verhaftung ist keine Rede«, beruhigte der zweite. »Der Chef möchte nur einige Fragen an Sie stellen. In der Pension, in der Sie ein Zimmer ge nommen haben, ist einiges vorgefallen, das Ihre Aus sagen nötig macht.« »Was ist vorgefallen?« »Darüber später. Man legt Wert darauf, daß Sie Ih re Antworten unbefangen geben. Sie verstehen doch wohl? Also kommen Sie.« Schunekamp verstand nur wenig, wußte aber, daß er sich einer Anordnung der Polizei zu fügen hatte. Deshalb nickte er und schloß sich an. Draußen fiel ihm jedoch Till ein. Er blieb stehen. »Ja, aber ich muß doch wenigstens erst meinem Sohn Bescheid geben?« »Das werden wir übernehmen«, versicherte der ei ne Beamte. »Steigen Sie in diesen Wagen.« Schunekamp stieg ein. Till Schunekamp wunderte sich, als sein Vater nach einigen Minuten noch nicht zurückgekehrt war. 30
Etwas später wurde er unruhig und machte sich auf die Suche. Die Telefonzelle in der Vorhalle war leer. Doch drüben stand der Wärter, der den Professor geholt hatte. Der Mann hob die Schultern, als Till Schunekamp ihn fragte. »Tja, das ist so eine Sache. Ihr Vater ist von zwei Kriminalbeamten hier abgefangen worden. Sie haben ihn zum Präsidium gebracht.« Der Junge riß die Augen auf. »Soll das ein Scherz sein?« »Bestimmt nicht«, versicherte der Wärter mitlei dig. »Ich habe es gehört.« »Aber mein Vater hat doch gar nichts verbro chen.« »Tja, dazu kann ich nichts sagen. Ich würde mich an Ihrer Stelle einmal erkundigen.« Das ließ sich Till Schunekamp nicht zweimal sa gen. Es dauerte lange, bevor er über verschiedene Amtsstellen hinweg die richtige Verbindung erhalten hatte, aber dann bekam er eine klare und eindeutige Auskunft. »Nein, gegen einen Professor Schunekamp liegt nichts vor. Er ist weder verhaftet noch zugeführt worden. Der Vorfall, den Sie schildern, ist entweder ein schlechter Witz oder ein verbrecherischer An schlag. Setzen Sie sich mit der Polizeiwache in Halle 31
18 in Verbindung und warten Sie dort. Wir schicken sofort einen Beamten hin.« Till Schunekamp handelte, wie ihm geheißen wor den war. Eine halbe Stunde später gab er einem Krimi nalbeamten noch einmal eine Darstellung dessen, was er wußte. Dann hörte er sich den Bericht des Wärters mit an und schließlich die Meinung des Beamten. »Der Fall kann sich natürlich ganz harmlos aufklä ren. Wir werden aber auf jeden Fall Nachforschun gen anstellen und früher oder später Ihren Vater fin den. Da er hier fremd ist und keine Feinde hat, wie Sie sagen, kann es ja nicht schlimm sein. Machen Sie sich vorläufig keine Gedanken darüber. Wir werden Ihnen Nachricht zugehen lassen, sobald wir etwas erfahren haben.« Till Schunekamp verließ verwirrt und traurig das Ausstellungsgelände. Der Vorfall war unverständ lich, und der Beamte hatte nicht mehr als leere Re densarten gesagt. Wenn es sich nicht um ein Mißver ständnis handelte und der Vater wirklich verschleppt worden war, dann konnte es doch nur wegen des ›Tillyt‹ geschehen sein. Aber auch darin lag eigent lich kein Grund, denn es sollte ja verkauft werden. Oder legte Spalding oder irgendwer so viel Wert dar auf, den Abschluß mit einem anderen zu verhindern? Er blickte nach der Uhr. Wenn der Vater nicht bald kam, würde Mr. Sun Koh vergeblich warten müssen. Schade! 32
Als Till Schunekamp die Zimmer betrat, die er mit seinem Vater zusammen bewohnte, fand er sie durchsucht vor. Man hatte in den Koffern und Schubladen herumgestöbert, ohne etwas mitzuneh men. Die Vermieterin wußte von nichts. Aber sie regte sich schrecklich über den Vorfall auf. Als Till Schunekamp wieder allein war, tat er et was, was ihm die ganze Verachtung Hals eingetragen hätte. Er weinte, so verlassen und von unbekannten Ge fahren bedroht kam er sich vor. Aber dann faßte er einen Entschluß. * Sun Koh wartete bereits mit seinen Begleitern, als Till Schunekamp bei ihm erschien. Der Junge gab ihm ausführliche Aufklärung. »Ich kann natürlich nicht mit Ihnen verhandeln«, schloß er, »aber ich wollte Ihnen wenigstens Be scheid sagen.« Sun Koh verbeugte sich leicht. »Ich danke Ihnen, daß Sie sich der Mühe unterzo gen haben. Dieser Zwischenfall ist sehr zu bedauern. Ich hatte ernstlich damit gerechnet, mit Ihrem Vater zu einer Einigung zu kommen. Sie haben keine Erklä rung für die Beweggründe dieser Verschleppung?« 33
Till Schunekamp zuckte etwas hilflos mit den Schultern. »Ich weiß nichts, ich kann mir nur denken, daß es wegen der Erfindung geschehen ist.« »Wegen des ›Tillyt‹?« »Ja« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Das ist mir unverständlich. Ich will die Verdien ste Ihres Vaters nicht schmälern, aber nach mensch lichem Ermessen bin ich der einzige, für den die Ar beit Ihres Vaters eine höhere und schwerwiegende Bedeutung haben könnte. Es ist unwahrscheinlich, daß man einen Menschen entführt, um ihm gewalt sam eine derartige Erfindung abzunehmen. Das ist eine Erfindung, deren Auswertung auf absehbarer Zeit keinen Gewinn bringt, sondern beträchtliche Mittel verschlingt. Ein einzelner wird damit über haupt nichts anfangen können. Unbegreiflich!« Till Schunekamp blickte zu Boden. »Es wird sich trotzdem um die Erfindung handeln. Ich – doch, ich will es Ihnen sagen. Wenn das ›Til lyt‹ eine bestimmte Mischung und Stärke hat, ver dichtet es den Wasserdampf außerordentlich schnell und verwandelt sich zu einem eisartigen, festen Ge füge. Eine kleine Menge von diesem ›Tillyt‹ genügt, um innerhalb einer Sekunde eine feste Wand entste hen zu lassen, die eine ganze Weile stehen bleibt.« Sun Koh beugte sich vor. 34
»Das – ist allerdings etwas anderes.« »Ja«, sagte Till Schunekamp hastiger, »und darum wird es sich handeln. Ich war gestern noch einmal auf dem Schiff, mit dem wir herübergekommen sind. Die Wache belästigte mich, und ich wußte mir nicht anders zu helfen, als etwas von dem ›Tillyt‹ auszu streuen, so daß der Mann mir nicht folgen konnte. Vielleicht sind dadurch jene Leute aufmerksam ge worden. Ein gewisser Spalding, der heute in der Koje war, machte Andeutungen, die darauf schließen lie ßen. Er ärgerte sich auch sehr, als mein Vater ihn auf morgen vertröstete.« Eine Weile herrschte Stille im Raum, dann fragte Sun Koh: »Sie wollen sagen, daß ›Tillyt‹ auch kriegstechnische Bedeutung haben kann? Ich kenne ja die Wirkungen nicht, von denen Sie sprechen, aber mir scheint, daß dieses ›Tillyt‹ für viele Leute von größtem Wert sein könnte.« Der Junge nickte. »Mein Vater sagte wiederholt, daß jene ›Tillyt‹ Mischung zu gefährlich sei, um sie der Öffentlichkeit bekanntzugeben. Er dachte an Schiffe, Flugzeuge und ganze Armeen, die man künstlich einfrieren las sen könnte.« »Erfinder unterschätzen gern gewisse Schwierig keiten«, erwiderte Sun Koh gedankenvoll. »Immer hin dürfte sich Ihr Vater in einer unangenehmen La ge befinden, falls er nicht geneigt ist, das Rezept zu 35
dieser ›Tillyt‹-Mischung zu verkaufen.« »Das wird er nie tun!« »Um so notwendiger wird es sein, ihn bald zu be freien. Die Polizei hat Ihnen keine Hoffnungen ge macht?« »Ich soll abwarten.« »Es ist auch schwer, Ihnen mehr zu sagen. Wir werden jedoch ebenfalls versuchen, eine Spur Ihres Vaters zu finden.« »Sie sind sehr hilfsbereit.« Sun Koh lächelte. »Eigennutz in diesem Fall. Ich möchte das ›Tillyt‹ kaufen. Was gedenken Sie selbst anzufangen, bis Ihr Vater zurückkehrt?« Der Junge blickte auf. »Ich weiß nicht. Ich muß eben warten.« »Es ist nicht ausgeschlossen, daß jene Leute auch Sie verschleppen?« »Ich dachte es mir schon.« »Das wäre nicht nur unangenehm für Sie, sondern auch für mich. Darf ich Ihnen einen Vorschlag ma chen?« »Bitte?« »Unterstellen Sie sich einstweilen unserem Schutz. Das setzt natürlich einiges Vertrauen voraus.« »Ich vertraue Ihnen.« »Dann bitte ich Sie, hier im Hotel zu wohnen und…« 36
»Das geht nicht«, unterbrach Till Schunekamp. »Warum nicht?« »Ich habe nicht soviel Geld.« »Ich hoffe, daß Sie sich als mein Gast betrachten werden.« Der Junge zögerte, dann streckte er seine Hand hin. »Ja, ich will es annehmen, weil ich hoffe, daß mein Vater Ihnen seinen Dank beweisen wird. Und ich danke Ihnen schon jetzt.« Sun Koh drückte die schmale Hand. Jim Hunter und Hal hatten dem Gespräch mit gro ßer Aufmerksamkeit und einiger Verwunderung ge lauscht. Die betonte Höflichkeit Sun Kohs hatte ebenso etwas Eigenes wie der Tonfall Till Schune kamps, der eigentlich nicht dem Wesen eines Jungen entsprach. »Also sind wir uns soweit einig«, sagte Sun Koh lächelnd. »Ich fürchte nur, daß die Hotelleitung au genblicklich kein Zimmer mehr abgeben kann, da infolge der Ausstellung alles besetzt ist. – Aber Sie können doch Ihr Zimmer abgeben und zu Hal über siedeln, Hunter?« »Selbstverständlich!« »Er kann auch mit bei mir schlafen«, schlug Hal vor, »wenn er nicht gerade schnarcht. Wir werden uns schon vertragen.« Till Schunekamp wurde überraschenderweise rot. 37
»Gewiß ja, aber es wäre schon besser…« »Sie bekommen also das Zimmer von Mr. Hun ter«, entschied Sun Koh. »Sie sind mit einem kleinen Trampdampfer nach New York gekommen?« »Ja.« »Das macht es verständlich«, sagte Sun Koh. »Aber warum wollen Sie die – Lebensweise, die dort angebracht war, weiter aufrechterhalten?« Till Schunekamp senkte den Kopf. »Sie wissen?« »Ja.« »Sie haben recht, das ist jetzt überflüssig. Ich will meine Koffer holen und dann…« »Bitte entfernen Sie sich nicht aus dem Hotel. Mr. Hunter wird Ihre Koffer herbringen. Geben Sie ihm einige Zeilen mit.« »Wie Sie wünschen«, sagte er verlegen. Sun Koh wandte sich an die beiden anderen. »Hal, du wirst veranlassen, daß die Zimmer umge räumt werden. Hunter, Sie haben wohl die Liebens würdigkeit, die Koffer für Fräulein Schunekamp zu holen.« Hunter ruckte hoch. »Fräulein Schune…« »Wußten Sie das nicht?« Sun Koh lächelte. »Fräu lein Schunekamp hielt es für richtig, während der Überfahrt auf dem kleinen Handelsdampfer nicht als Dame zu reisen, um Belästigungen zu vermeiden.« 38
Hal stellte sich ziemlich entgeistert an. »Ein Mädchen? Ach, du liebe Güte!« »Eine junge Dame in deinem Alter«, stellte Sun Koh mit leichter Schärfe fest. »Mit zwanzig Jahren hat Fräulein Schunekamp…« »Ich bin neunzehn«, verbesserte sie und wurde rot dabei. Hal sprang auf und verbeugte sich formvollendet. »Ich bitte um Verzeihung, Fräulein Schunekamp. Für einen Jungen waren Sie mir zu – sagen wir, zu sanft, aber für eine junge Dame sind Sie gerade rich tig. Jetzt verstehe ich auch, warum Mr. Hunter Ihre Augen seelenvoll gefunden hat. Er hat vollkommen recht.« Tilly Schunekamp wurde noch röter, Hunter ent sprechend blaß. Sun Koh schüttelte den Kopf. »Das hast du sehr schön gesagt, Hal. Und nun be eile dich, daß die Zimmer gerichtet werden.« Hal blickte etwas erstaunt von einem zum anderen. Er begriff nur dunkel, daß er einen Fehler begangen hatte, aber er verzog sich doch lieber, zumal nun Hunter ihn gefährlich anlächelte. * Der Agent Spalding liebte das Leben auf seine Weise und hoffte, es recht lange genießen zu können. Seine Geschäfte waren nicht immer ganz sauber, aber er 39
achtete streng darauf, daß sie für ihn nicht gefährlich wurden. Er verzichtete lieber auf einen Gewinn, als daß er sein Leben aufs Spiel setzte. Die Sache mit Schunekamp war ihm vollkommen unbedenklich erschienen. Er hatte sich in der Nähe der ›Daisy‹ befunden, als Kapitän Sarfegrace gegen die unsichtbare Wand gelaufen war. Seine Schluß folgerungen aus dem, was er gesehen und gehört hat te, waren bedeutsam genug gewesen. Jedenfalls hatte er einen Mann namens Griffith aufgesucht und ihm – nach einer kleinen Vorverhandlung über den Preis gewisser Hinweise – haargenau alles erzählt. Er hatte es auch noch übernommen, am nächsten Tag mit Schunekamp Fühlung zu nehmen und ihn auszuhor chen. Schließlich war es noch seine Angelegenheit gewesen, die Leute Griffiths auf den richtigen Mann aufmerksam zu machen, als dieser in die Telefonzel le hatte eintreten wollen. Damit war der Fall Schunekamp für Spalding er ledigt. Er hatte Griffith nur noch einmal aufgesucht, um sich sein Geld auszahlen zu lassen. Griffith hatte sich eben die Sachen bringen lassen, die Schunekamp bei sich getragen hatte. Sie hatten in einem Haufen auf dem Tisch gelegen, so gut greif bar, daß Spalding bequem einen flachen Silberbehäl ter hatte an sich nehmen können, während Griffiths Blick einmal nicht auf den Tisch gerichtet war. Eigentlich war das eine Dummheit gewesen, über 40
legte sich Spalding, während er im Zentralpark ge ruhsam auf einer Bank saß und die Beine von sich streckte. Griffith konnte das unfreundlich auffassen. Andererseits war es natürlich ganz nett, wenn man so nebenbei noch ein zweites Geschäft aus der Sache herausschlagen konnte. In dem Behälter lagen annähernd zwei Dutzend weiße Kugeln von Erbsengröße, schön in Watte ein gebettet. Eine davon nahm sich Spalding heraus und untersuchte sie näher. Die Kugel bestand offenbar aus Glas, aber nicht durchgehend. Im Innern befand sich eine weißliche Masse. Eine dünne Trennwand schied sie in zwei Hälften. An der Außenwand der Kugel befanden sich zwei Öffnungen in der Größe von Stecknadelköpfen, die durch eine harzähnliche Masse verschlossen wa ren. Spalding zog eine Stecknadel aus dem Rockauf schlag und begann an dem Verschluß herumzusto chern. Dabei entglitt ihm die gläserne Kugel und fiel zur Erde. Beim Aufschlagen zersprang sie. Spalding bückte sich unwillkürlich hinter der fal lenden Kugel her. Plötzlich sah er Nebel vor sich aufsteigen, spürte einen heftigen, kurzen Windstoß über sich, und dann war ihm, als stieße ihm jemand geschmeidiges Eis in die Kehle hinein. Fast hundert Meter entfernt stand die nächste Bank, zugleich die einzige, von der aus man den 41
Platz Spaldings überblicken konnte. Auch sie war nur von einem einzigen Mann besetzt. Dieser Mann stutzte, als Spalding in seiner son derbaren Haltung verharrte. Der Nebel, der sich ört lich ziemlich scharf begrenzt um jene Bank herum gebildet hatte, erschien ihm auch reichlich merkwür dig. Jedenfalls erhob er sich nach einer Weile und ging langsam auf Spalding zu. Spalding blieb halb vorgebeugt mit eingebogenen Knien auf den Zehenspitzen stehen. Es war eine Hal tung, die der Mensch gern schnell wieder aufgibt. Er kümmerte sich nicht um den Herankommenden, blickte nicht auf und rührte sich nicht. Der Fremde machte sich schon aus einiger Entfer nung bemerkbar. »Hallo, haben Sie was verloren?« Da Spalding keine Antwort gab, schritt der Frem de näher, Er war höchst verwundert, als er plötzlich dort, wo es neblig wurde, auf ein Hindernis stieß. Der Nebel war wie eine feste Wand. Fred Callor – so nannte sich der Fremde zur Zeit – trat erschrocken einen Schritt zurück. Dann verhalf er sich mit einer Verwünschung zum nötigen Mut und betastete das Hindernis. Der Nebel schien tatsächlich gefroren zu sein. Das Hindernis war glatt, aber man hatte doch das Emp finden, daß es leicht sei und zum größten Teil aus Luft bestehe. Die Kälte fiel unangenehm auf. 42
Callor tastete sich herum. Es machte ihm nichts aus, daß er dabei den Weg verlassen und sich durch Büsche zwängen mußte. Der Mann auf der Bank saß mitten in dem Block drin wie ein Fisch, der in einem Eisblock einge schlossen ist. Nach einer Weile tastete Callor wieder nach dem Hindernis, weil es ihm vorkam, als zerfließe der Ne bel allmählich. Tatsächlich ging eine Veränderung vor. Das Hindernis war jetzt bröcklig mürbe und ließ sich drücken, der Weg wurde merklich naß. Und dann fand Callor überhaupt keinen Widerstand mehr vor sich, wohl aber ging ein Regenschauer über ihn hin. Und jener Mann auf der Bank stürzte endlich nach vorn in den Sand. Callor ging nur sehr zögernd heran, aber schließ lich beugte er sich doch über den Gefallenen. Der Mann war tot. Kälter konnte keine Leiche sein. Zwischen seinen Füßen blinkten einige Glassplit ter. Callor sah es, dachte sich aber nichts dabei. Er blickte sich nach allen Seiten um. Niemand war in der Nähe. Also los. Im Notfall konnte man immer noch sagen, daß man die Personalien des Mannes habe feststellen wollen. Die Brieftasche enthielt über tausend Dollar. Das entschied alles. Callor steckte die Brieftasche ein, nahm noch einen silbernen, flachen Behälter an sich und verließ den Platz. 43
*
Lewis E. Griffith zählte zu den besseren Leuten. Er besaß ein eindrucksvolles, gutgeschnittenes Gesicht, das ziemlich viel Willenskraft ausdrückte, graue Schläfen, die ihm eine gewisse Würde verliehen, so wie auf Wunsch ein ausgezeichnetes Benehmen, mit dem er die Menschen für sich gewann. Und schließ lich lebte er gut, ohne nachweislich arbeiten zu müs sen. In Wirklichkeit war dieser Griffith trotz seiner be stechenden Aufmachung ein ganz übler Bursche. Er hatte eine Reihe von Leuten bei der Hand, mit deren Hilfe er alle möglichen Aufträge durchführte oder Geschäfte auf eigene Rechnung betrieb. In früheren Jahren hätte man ihn vielleicht als Gangsterboß be zeichnet, aber offiziell gab es keine Gangsterbanden mehr in New York, und außerdem betrieb Griffith sein Geschäft auf einer höheren Ebene. Er besaß nicht einmal Beziehungen zur Unterwelt, sondern stellte sich ungefähr mit dem Chef eines Eilbotenin stituts auf eine Stufe. Seine Tätigkeit hätte vor den Augen der Polizei bestimmt keine Gnade gefunden. Die Aufträge, die er erhielt und ausführte, waren alle besonderer Art. Wenn jemand ein Verkehrshindernis für kurze Zeit oder einen Auflauf brauchte, wenn irgendwo das 44
Licht zur bestimmten Minute abgeschaltet oder ein Feuer ausgebrochen sein mußte, wenn jemand für einige Tage verschwinden sollte, dann war Griffith der richtige Mann, um das zu veranlassen. Er erfüllte jeden Auftrag, sofern er gut bezahlt wurde und aus führbar war. Daneben betätigte er sich noch in mancherlei an derer Weise. Spalding hatte schon gewußt, was er tat, als er Griffith seinen Hinweis gab. Griffith setzte sich unverzüglich mit einem anderen Mann in Ver bindung. Er erfuhr, daß eine Erfindung mit einer der artigen Auswirkung zwar ziemlich unwahrscheinlich sei, daß man aber eine ganze Menge Geld zahlen würde, wenn man etwas Derartiges in die Hand be kommen könne. Das genügte für Griffith durchaus, um rasch und entschieden zuzugreifen. Es entsprach den Gewohnheiten Griffiths, daß er Schunekamp kurzerhand durch seine Leute ver schleppen ließ. Nichts war leichter, als den Mann wieder laufen zu lassen, wenn das Geschäft abge schlossen worden war. Andererseits vermied man alle Zwischenfälle. Etwa eine Stunde, nachdem er Spalding ausgezahlt hatte, sprach Griffith mit Professor Schunekamp. Er trat mit einem Bündel in der Hand auf ihn zu, lächelte gewinnend und streckte dem Professor mit herzlicher Geste die Hand hin. »Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, mein 45
lieber Professor Schunekamp, daß ich Sie so lange warten ließ, aber ich mußte erst noch wichtige An ordnungen treffen. Ich heiße Griffith, Lewis E. Grif fith. Hoffentlich fühlen Sie sich hier wohl?« Schunekamp ließ sich die Hand schütteln, blieb aber zurückhaltend. Er verstand noch nicht, was die se unerwartete Herzlichkeit bedeuten sollte. »Ich soll mich hier wohlfühlen?« grollte er ver wundert. »Das ist für mich ein Gefängnis und…« »Ein Gefängnis?« Griffith staunte. »Welche Be zeichnung! Haben Sie sich eine Gefängniszelle so vorgestellt?« Er wies auf die wirklich vortreffliche und behagli che Einrichtung des Raumes. Schunekamp konnte die Frage nicht gut bejahen. »Allerdings nicht«, gab er zu, »aber Sie haben mich trotzdem gegen meinen Willen verschleppt und halten mich wie einen Gefangenen.« Griffith schlug die Hände zusammen. »Das haben Sie im Ernst angenommen? Welch ungeheures Mißverständnis! Aber ich bitte Sie! Sehe ich aus wie ein Verbrecher, der einen Mann ent führt?« Er sah wirklich nicht so aus, deshalb mußte Schu nekamp zum zweitenmal entgegenkommen. »Nein, das nicht, aber ich bin doch tatsächlich Ihr Gefangener, nicht wahr?« Griffith wurde ernst. 46
»Mein lieber Herr Professor«, sagte er, »Sie ver kennen die Lage wirklich. Selbstverständlich sind Sie völlig Herr Ihrer Entschlüsse und Handlungen.« »Bei verschlossenen Türen?« »Sie werden jederzeit für Sie geöffnet sein.« »Man hat mir sogar meine Sachen abgenommen!« »Ich bringe sie Ihnen zurück und bitte gleichzeitig für meine Leute um Entschuldigung«, erwiderte Griffith und breitete das Bündel aus. »Die Leute ha ben meine Anordnung wohl mißverstanden.« Schunekamp schüttelte den Kopf. »Ja, aber warum denn das alles? Warum ließen Sie mich hierherbringen?« Er griff nach seinem Eigentum, stutzte und fuhr schnell fort: »Und warum fehlt mein silberner Behäl ter?« »Was für ein Behälter?« fragte Griffith lauernd. »Bei meinen Sachen befand sich ein flaches Etui. Es ist jetzt nicht mehr dabei!« »Unmöglich! Ich versichere Ihnen, daß das alles ist, was mir meine Leute brachten.« »Dann haben Ihre Leute…« »Ausgeschlossen! Der Behälter könnte allenfalls verloren worden sein. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich nichts davon weiß. Was enthielt er denn?« Schunekamp hatte den Eindruck, daß Griffith ehr lich sprach. Vielleicht hatte er den Behälter doch ver loren? 47
»Eine Reihe von Proben«, gab er zögernd Ant wort. »Von Ihrem ›Tillyt‹?« erkundigte sich Griffith ha stig. »Ja. Aber was wissen Sie von meinem ›Tillyt‹?« Griffith lächelte gewinnend. »Aber, mein lieber Professor Schunekamp, glau ben Sie, ich hätte mich ganz ohne Gründe um Sie gekümmert? Wollen wir uns nicht setzen? Ich denke, wir müssen uns vor allen Dingen einmal ausspre chen, sonst halten Sie sich noch weiterhin für das Opfer einer Verbrecherbande. Natürlich weiß ich von Ihrem ›Tillyt‹, wenn auch nicht viel.« »Ja?« »Ich will Ihnen alles erzählen«, meinte Griffith vertraulich. »Kennen Sie O.P. Broker?« »Nein.« »Broker ist einer von den zehn reichsten Leuten der Staaten. Er rief mich heute morgen an. Ein ge wisser Spalding war bei ihm gewesen und hatte ihm eine sonderbare Geschichte von einer festen Wand erzählt, die seltsamerweise zwischen dem Pier und einem kleinen Trampdampfer entstanden sei. Broker hatte bereits Erkundigungen eingezogen und sagte mir, daß Sie sich auf der Ausstellung befänden, um ein Mittel zum Wettermachen anzupreisen. Er halte es nicht für ausgeschlossen, daß eine wertvolle Er findung dahinterstecke. Ich möchte mich jedenfalls 48
um diese Sache kümmern und zugleich Spalding im Auge behalten, damit dieser keinen Unfug anrichte. Nun, ich versprach es, aber ich muß gestehen, daß ich mein Versprechen schlecht hielt und den Besuch bei Ihnen hinausschob. Ein Glück, daß ich wenigstens jemand beauftragte, Spalding zu überwachen. Dieser Spalding ist nämlich ein übler Bursche, der aus einer Sache so viel wie möglich herausholen will.« »Er war bei mir«, warf Schunekamp ein. »Das konnte ich mir denken«, sagte Griffith. »Al so kurz und gut, am frühen Nachmittag gelang es meinem Mann, ihn zu belauschen, wie er sich mit einem anderen unterhielt. Er mußte mit Ihnen ver handelt haben, denn es war die Rede von einer kom menden Besprechung, bei der Sie um Ihre Erfindung beraubt werden sollten.« Schunekamp fuhr hoch. »Das ist doch nicht möglich!« »Es ist schon möglich«, sagte Griffith. »Spalding ist so etwas zuzutrauen.« »Aber diesem Mr. Sun Koh doch nicht?« Griffith zog die Brauen hoch. »Sun Koh? So hieß also der Mann, mit dem Sie verhandelt haben?« »Ich wollte ihn heute abend im ›Biltmore‹ tref fen.« »Also doch! Nun, die Unterhaltung wäre Ihnen si cher schlecht bekommen!« 49
Schunekamp schüttelte den Kopf. »Den Eindruck hatte ich durchaus nicht. Er wollte das ›Tillyt‹ wirklich kaufen.« »Hm, man berichtete mir, daß Sie auf der Ausstel lung nichts davon erwähnt haben, was jene merk würdige Wand erklären könnte. Wie konnte er davon wissen?« »Er wollte das ›Tillyt‹ kaufen, um damit Regen zu erzeugen.« »Glauben Sie wirklich?« fragte Griffith spöttisch. »Ihre Erfindung in Ehren, aber ich würde jedenfalls keinen Pfennig für so etwas ausgeben. Doch lassen wir es. Mein Beauftragter wird jedenfalls jederzeit beschwören, was zwischen den beiden geredet wor den ist. Nun versetzen Sie sich bitte in meine Lage. Eine Warnung wäre sinnlos gewesen, und dauernd im Auge behalten konnte ich Sie auch nicht, während Sie sich im ›Biltmore‹ befanden. Andererseits hatte ich Broke versprochen, mich um Sie zu kümmern. So blieb mir tatsächlich nichts anderes übrig, als Sie auf romantische Art entführen zu lassen. Sie werden mir das jetzt wohl übelnehmen, aber ich hoffe ernstlich, Ihnen damit einen Dienst erwiesen und Sie vor Ge fahren bewahrt zu haben. Es steht Ihnen natürlich frei, auf meinen Schutz zu verzichten und das Haus zu verlassen. Ich fürchte jedoch, daß Sie dann – nun, ich will Sie nicht erschrecken.« Schunekamp blickte ihn prüfend an. »Sie haben 50
nichts dagegen, wenn ich fortgehe?« »Es liegt mir völlig fern, Sie gegen Ihren Willen festzuhalten.« Schunekamp erhob sich. »Schön, dann will ich davon Gebrauch machen. Vielen Dank für Ihre Bemühungen.« Er ging zur Tür. Griffith rührte sich nicht. Erst als Schunekamp die Tür schon halb geöffnet hatte, rief er ihm halblaut nach: »Nehmen Sie wenigstens eine Waffe mit. Hier, Sie können meine eigene Pistole haben. Vielleicht können Sie sich damit vor dem Schlimmsten bewahren.« Schunekamp drückte die Tür wieder zu und kam zurück. »Ich werde hierbleiben«, erklärte er. »Offenge standen hatte ich Sie bis jetzt in Verdacht, aber nun will ich mich Ihnen doch anvertrauen. Glauben Sie wirklich, daß mir Gefahr droht?« Griffith hob die Schultern. »Ich könnte Ihnen nicht einmal versichern, daß Sie bis zum nächsten Taxi kommen. Spalding hat eine gute Witterung.« »Sie hätten mich trotzdem gehen lassen?« »Ich besitze nicht das Recht, Sie gegen Ihren Wil len festzuhalten.« »Hm, allerdings. Wer sind Sie eigentlich, und warum kümmern Sie sich um meine Angelegenhei ten?« 51
»Sagte ich das nicht bereits?« wunderte sich Grif fith. »Ich führe ein privates Detektivinstitut. Früher war ich Inspektor bei der Kriminalpolizei. Das er leichtert natürlich meine Arbeit. Die beiden Beam ten, die Sie wegbrachten, waren übrigens echt. Man unterstützt mich gern und schiebt mich vor, wenn die Polizei nicht von Amts wegen eingreifen darf. Sie verstehen?« »Vollkommen«, erwiderte Schunekamp zögernd. »Sie hätten mir das gleich sagen sollen.« »Ich verließ mich auf Ihre Menschenkenntnis.« Griffith lächelte. »Sie wollen also hierbleiben?« »Es ist wohl das Beste. Aber wie lange soll das dauern? Ich kann doch nicht ewig hier unter Ihrem Schutz bleiben.« »Hm, da kann ich nur wenig sagen. Die Gefahr hängt doch wohl mit Ihrer Erfindung zusammen. Wenn Sie diese verkauft haben, werden sich jene Leute nicht mehr um Sie kümmern. Wollen Sie denn überhaupt verkaufen?« »Ja, gewiß.« »Dann verhandeln Sie doch mit anderen, zum Bei spiel mit Broker. Ich bin davon überzeugt, daß Ihnen niemand mehr zahlen wird als er. Sie müßten ihm allerdings erst die Brauchbarkeit Ihrer Erfindung nachweisen. Vielleicht können Sie einmal probewei se eine solche Eiswand hinzaubern.« Schunekamp zerrte an seinem Bart. 52
»Hm, das ist aber nicht der Sinn meiner Erfindung. Ich besitze auch keine Probe mehr. Sie befanden sich in dem Behälter. Ich müßte erst wieder neue herstel len.« »Broker wird Ihnen alles zur Verfügung stellen, was Sie brauchen, um Ihre Sache vorzuführen. Sie können sich getrost auf ihn verlassen. Solange Sie noch keinen Vorrat und keinen Kaufpreis in der Hand haben, sind Sie ja noch nicht gebunden.« »Hm, das ist richtig«, überlegte Schunekamp laut. »Wahrscheinlich ist alles nur halb so schlimm. Aber sagen Sie – ist eigentlich meine Tochter benachrich tigt worden?« »Ihre Tochter?« »Ja. Tilly sieht augenblicklich wie ein Junge aus, aber sie ist meine Tochter. Wir hatten die Verklei dung nur aus Rücksicht auf die Schiffsbesatzung ge wählt. Weiß sie, daß ich…« »Sie weiß fast nichts. Spalding wird sich wohl an sie heranmachen. Er braucht keine Handhabe zu finden.« »Aber sie gerät in Gefahr.« »Richtig, daran habe ich nicht gedacht. Ich ließ sie aus dem Spiel, weil ich mich nicht grundlos einer doppelten Freiheitsberaubung schuldig machen woll te, aber wenn Sie es wünschen, daß sie zu Ihnen kommt, werde ich sie selbstverständlich benachrich tigen. Sie müßten allerdings meinem Beauftragten ein entsprechendes Schreiben mitgeben.« 53
»Aber gern«, versprach Schunekamp bereitwillig. »Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie sich so um meine Angelegenheiten kümmern.« Griffith genoß den Dank als Ersatz für den Beifall, mit dem seine schauspielerische Leistung auf der Bühne sicher belohnt worden wäre. * Jim Hunter riß die Augen auf, als Tilly Schunekamp endlich die Tür öffnete und auf den Gang trat. Diese Wandlung hatte er nicht erwartet. Das war nicht mehr der etwas weichliche Junge mit den reichlich langen Haaren und den eigenartigen Augen, sondern ein bildhübsches, junges Mädchen. »Habe ich Sie erschreckt?« fragte sie befangen. Er riß sich zusammen und verbeugte sich endlich. »Nein, nein. Es war nur – ich dachte nicht, daß Sie so hübsch sein würden.« »Das macht nur das Kleid«, meinte sie unsicher. »Ich freue mich, daß ich mich endlich wieder einmal richtig anziehen kann. Das ist allerdings nur ein altes Kleid. Ich glaube, es paßt gar nicht in dieses vor nehme Hotel.« »Ich finde es wunderhübsch«, versicherte er. »Wirklich?« »Ja.« »Dann ist es ja gut.« 54
»Wollen wir gehen?« schlug er vor. »Wir werden im Speisesaal erwartet?« »Ja. Haben Sie hier auf mich gewartet?« »Ich bin mit Ihrem Schutz beauftragt worden. Sie werden mich immer in Ihrer Nähe finden.« »Das ist gut«, sagte sie lächelnd. Drei Stunden später schloß Tilly Schunekamp die Tür ihres Zimmers wieder hinter sich ab. Dann stellte sie sich vor den Spiegel und lächelte sich glücklich an. Plötzlich hörte sie ein Geräusch an der Tür. Es war ein vorsichtiges Pochen, dann ein Schaben. Nun wurde etwas Weißes durch den Spalt zwischen Par kett und Tür geschoben. Es war ein Zettel und ein Brief, was sie aus dem Spalt zog. Auf dem Zettel stand: »Ich erwarte Sie am Treppenaufgang.« Der Brief stammte von ihrem Vater. Das verriet die schwer nachzuahmende Handschrift auf den er sten Blick. Es war ein langer Brief. Sie las ihn anfänglich im Stehen. Später setzte sie sich, ohne sich dessen be wußt zu werden. Er ließ sie ihre Lage in einem ganz anderen Licht sehen. Er machte Sun Koh und seine Begleiter zu ihren Feinden und zerstörte alles, was ihr die letzten Stunden gebracht hatten. Sie wehrte sich gegen das, was da auf sie zukam. Aber der Vater schrieb mit der Überzeugungskraft 55
dessen, der eine Sache klar und deutlich durchschaut. Und bisher hatte noch immer die Meinung des Vaters ihr Leben bestimmt. Sie mußte mit ihrem Vater sprechen und die Ange legenheit klären. Diese Männer waren doch bestimmt keine Verbrecher, und am allerwenigsten war es Jim Hunter. Sie zog sich hastig um. Ihre Koffer würde sie nicht mitnehmen, wie ihr Vater verlangte. Sie würde mit ihrem Vater sprechen, ihn überzeugen und in einer Stunde oder etwas später wieder zurück sein. Sie öffnete leise die Tür und schlüpfte hinaus. An der Treppe stand ein Fremder, der bei ihrem Erscheinen aufatmete. Er verbeugte sich, murmelte einen Namen und ging voran. Tilly folgte. 3. »Du kannst es anfangen, wie du willst«, sagte Ober inspektor Tutter entschieden zu seinem Neffen, »aber du wirst dein Lebtag lang für andere Menschen eine Enttäuschung werden. Damit mußt du dich wohl oder übel abfinden.« Well Hendrick, ein junger, gut angezogener Mann mit offenem Gesicht und ruhigen, grauen Augen, lachte auf. »Na hör mal!« 56
»Doch«, sagte Tutter, »das ist so. Jetzt bist du glücklich Sergeant und hältst dich noch für ein be sonderes, handgebundenes Exemplar der Schöpfung. Wenn du es erst einmal bis zum Oberinspektor ge schafft hast, weißt du ganz genau, was ich meine. Die Leute haben nun einmal eine haargenaue Vorstellung davon, wie ein Kriminalbeamter aussehen muß. Ent spricht man der Vorstellung nicht, so enttäuscht man eben und wird für unfähig gehalten. Paßt es aber zu fällig einmal, dann war das Vorbild bestimmt ein Trottel, mit dem man nun gleichgesetzt wird.« »Furchtbar.« Hendrick grinste. »Ich werde mir Bart und Brille zulegen.« »Auch das ist schon dagewesen.« »Meine Ausgaben für Wäsche und Anzüge sind außergewöhnlich hoch.« »Die kann ich dir haarscharf angeben«, brummte Tutter. »Ich brauche nur zusammenzurechnen, was du immer bei mir pumpst, ohne es zurückzuzahlen.« »Tu’s nicht!« Der Jüngere erschrak. »Außerdem hast du mich vorhin vollkommen mißverstanden. Wenn ich von Originalität sprach, dann meinte ich damit nicht eine persönliche Absonderlichkeit. Ich dachte vielmehr an neue Methoden, mit denen man arbeiten könnte.« »Hm, noch schlimmer!« »Im Ernst! Die Bekämpfung der Gewohnheitsver brecher ist natürlich eine Angelegenheit des Straf 57
vollzugs. Solange man die rückfälligen Burschen nicht in lebenslängliche Sicherheitsverwahrung nimmt, sondern sie immer wieder losläßt, ist diese Arbeit für die Katze. Aber neben diesen Gewohn heitsverbrechern gibt es zahllose Menschen, die ein mal straffällig werden. Diese…« Er kam nicht mehr dazu, seine sicher beachtlichen Ausführungen zu beenden. Das Telefon schrillte mit ten in den Satz hinein, und später waren die schönen Gedanken erheblich nebensächlicher geworden. »Tutter!« meldete sich der Inspektor. »Hm, wo sa gen Sie? Schön, ich komme sofort. Was Besonderes? Was? Das ist doch – na, ich komme also!« Er hängte ein und blickte zu seinem Neffen. »Wieder Arbeit. Hatte ich dir übrigens schon ge sagt, daß du ab heute zu meiner Abteilung gehörst?« Hendrick sprang auf. »Tatsächlich?« »Vorhin wurde mir die Genehmigung mitgeteilt. Du kannst gleich mitkommen. Ich brauche gerade einen jungen Mann, der einen Verbrecher mit neuen Methoden fangen kann.« »Was liegt vor?« »Mord mit der gläsernen Kugel«, brummte Tutter. »Da hat ein Bursche wieder mal was Neues ausge heckt.« »Verrückter Einfall, mit einer Glaskugel zu schie ßen.« 58
Tutter lachte kurz auf, während er nach seinem Hut griff. »Du hast eine Ahnung. Geschossen wird mit der gläsernen Kugel nicht.« »Sondern?« Der Oberinspektor legte den Hut erst einmal auf den Tisch. »Erstickt und erfroren – so lauteten in den bisheri gen Fällen die ärztlichen Befunde. Das ist nämlich der dritte Fall, der mir gemeldet wird. Der erste be traf einen gewissen Spalding, einen Agenten mit al lerlei dunklen und halbdunklen Geschäften. Man fand ihn verkrümmt vor einer Bank im Zentralpark. Seine Brieftasche fehlte. Die Umgebung zeigte deut lich Spuren eines stärkeren Niederschlags, obwohl es an diesem Tag nicht geregnet hatte. Die Leiche wies weder innere noch äußere Verletzungen auf. Die Sektion führte zu dem überraschenden Ergebnis, daß er erstickt war. Gleichzeitig wiesen die Gewebe Nachwirkungen beträchtlicher Kälte auf. Derb gesagt – der Mann mußte in einem Eisblock gesessen ha ben, um in einen derartigen Zustand zu geraten.« »Mitten im Zentralpark?« warf Well Hendrick un gläubig hin. »Eben. Die Büsche und Bäume in der Nähe jener Bank zeigten übrigens deutlich genug, daß dort plötzlich Kälte eingefallen war. Wir haben bis jetzt noch keine Erklärung dafür gefunden. Mag der Teu 59
fel wissen, wie das zugegangen ist. Ein Glück, daß wenigstens die Zeitungen nichts erfahren haben, sonst hätte man uns für verrückt gehalten.« »Und was hat die gläserne Kugel damit zu tun?« Tutter hob die Schultern. »Tja, einer von uns entdeckte neben dem Toten einige dünne, gebogene Glassplitterchen. Sie wurden untersucht. Man stellte fest, daß sie zu einer erbsen großen Hohlkugel gehörten, mehr aber auch nicht. Wir hielten das Glas auch für völlig unwichtig, bis wir es beim zweiten Toten ebenfalls fanden!« »Wer war das?« »Lester hieß der Mann. Er hatte draußen in Flot bush eine Bude mit Eiswasser und ähnlichen Dingen. Ein Vorübergehender fand ihn über seinem Tisch liegend. Die Holzbude triefte vor Nässe, die Flaschen waren zum Teil geplatzt, der Mann selbst erstickt und erfroren. Unter dem Bodenrost fanden wir die Splitter der gläsernen Kugel. Geraubt war offenbar nichts.« »Und wer ist dieser dritte, von dem dir eben ge meldet wurde?« »Eduard Broker.« »Der Zeitungsmillionär?« »Eben der. Er liegt tot im Wohnzimmer seines Stadthauses am Zentralpark. Komm, du kannst dir die Geschichte ansehen.« »Eine seltsame Reihe!« murmelte der junge Mann 60
im Hinausgehen. »Ein Agent, ein Limonadenhändler und ein Millionär? Etwas undurchsichtig!« »Etwas ist gut! Ich habe nicht den geringsten Schimmer. Aber da es sich um einen reichen Mann handelt, werden ja nun endlich die Zeitungen alles erfahren. Ich denke, daß wir dann genügend Erklä rungen in allen Tonarten zu hören bekommen wer den. Vertrackte Geschichte! Halte nur die Augen of fen, Junge. Bei einem derartigen Fall kann einer ebenso schnell Inspektor werden wie ein anderer in den Ruhestand kommen kann.« Während der Fahrt schwiegen sie. Dann standen sie in der Wohnung des Millionärs. Eduard Broker lag zusammengesunken in einem tiefen Sessel, der, ebenso wie die gesamte Einrichtung des Raumes, deutlich naß war. Auffallend schien auch die merkli che Kühle im Raum, die in starkem Gegensatz zur Außentemperatur stand. Der Arzt untersuchte eben. Inspektor Keale, der sich zufällig in der Nähe be funden hatte und dadurch gewissermaßen unmittel bar nach der Tat an Ort und Stelle gewesen war, be richtete in gedämpftem Ton: »Ich bummelte gerade an dem Haus vorbei, als einer der Diener einen Poli zisten anrief, der von der anderen Seite kam. Ich schloß mich an, als ich von einem Mord hörte. Ich unternahm sofort alle üblichen Schritte und stellte einige Fragen an das Personal. Der Mord ist durch 61
den Kammerdiener des Toten entdeckt worden. Der hörte die Fenster in diesem Zimmer heftig schlagen und wollte nach dem Rechten sehen. Es gelang ihm aber nicht, in das Zimmer einzudringen. Die Tür sperrte offenbar, obgleich sie nicht verschlossen war. Mr. Broker gab auf Anruf keine Antwort. Erst nach rund fünf Minuten ließ sich die Tür zurückdrücken. Dabei erschien es dem Diener, als ob sich im Zim mer ein dichter Nebel plötzlich niederschlage, schon mehr ein Nieselregen als ein Nebel. Naß genug ist es ja. Dazu kommt eine andere Beobachtung. Einer der Diener blickte aus dem Fenster eines anderen Zim mers. Er hatte den Eindruck, daß plötzlich eine Wol ke auf das Wohnzimmer Mr. Brokers zuschieße, dann hörte er den Krach der einschlagenden Fenster, deren Scheiben dabei in Trümmer gegangen sind.« Der Gerichtsarzt der Abteilung erhob sich in die sem Augenblick. »Erstickt und erfroren«, gab er sein Urteil ab. »Das wäre demnach der dritte Fall dieser Art. Die Sektion wird den Befund vermutlich bestätigen.« »Natürlich wird sie es«, knurrte Tutter. »Wo ha ben Sie die gläserne Kugel gefunden, Keale?« »Dort, dicht unter dem Fenster liegen die Splitter. Ich habe sie noch nicht angerührt.« »Sie dürfen sie sich getrost in die Finger ziehen, verraten werden sie uns doch nichts. Haben Sie denn die Mordkommission nicht benachrichtigt?« 62
»Sie fährt gerade vor«, mischte sich Well Hen drick ein. »Ich kenne die Hupe.« »Du hättest Chauffeur werden sollen!« meinte Tutter bissig. »Bei uns muß man den Verbrecher kennen.« Die Kleinarbeit eines Mordfalls begann. * Drei Stunden später ließ sich Miss Helen Lowdry bei Tutter melden. Tutter gab Anweisungen, sie herauf zuführen. »Kannst hierbleiben«, meinte er dann zu seinem Neffen. »Miss Helen Lowdry will uns beehren. Wahrscheinlich hat sie nichts Besseres zu tun.« »Ist sie jung und hübsch?« »Hast du schon einmal eine reiche Amerikanerin kennengelernt, die nicht jung und hübsch gewesen wäre?« fragte Tutter zwinkernd. »Ihr Vater hinterließ ihr eine ganze Menge, und ihr Onkel, bei dem sie wohnt, lebt von seinen Zinsen, mit denen er bequem eine hundertköpfige Familie ernähren könnte. Ich habe sie gelegentlich einmal kennengelernt.« »Hoffentlich ist sie nicht dein Jahrgang!« »Noch nicht einmal deiner, mein Junge. Sieh dir die Frau nur richtig an, so eine wünsche ich dir.« »So viele Vorzüge hat sie?« »Was heißt Vorzüge?« Tutter grinste. »Es gibt 63
Frauen, bei deren Anblick einem warm im Herzen und kalt auf dem Rücken wird. Ich für meine Person habe immer mehr auf meinen Rücken als auf mein Herz geachtet. Da kommt sie.« Well Hendrick war sehr angenehm enttäuscht. He len Lowdry war jung, sehr hübsch und gefiel ihm überhaupt außergewöhnlich gut. Außerdem schien sie viel Selbstbewußtsein zu besitzen. »Verzeihen Sie den Überfall, mein lieber Herr Oberinspektor«, sagte sie. »Ich erinnerte mich an Sie und freute mich, als ich hörte, daß Sie für diese An gelegenheit zuständig seien. Hoffentlich können Sie mir einen Rat geben, lieber Herr…« »Nehmen Sie bitte Platz«, murmelte Tutter und schob einen Stuhl zurecht. »Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, lassen Sie die Liebe aus dem Spiel und nennen Sie mich einfach bei meinem Namen. Für die Liebe bin ich zu alt, und außerdem komme ich mir dann immer vor wie ein – hm…« »Dienstbote«, half Well Hendrick aus. Die junge Frau blickte erstaunt zu ihm hin. »Ich wollte Sie natürlich nicht verletzen, Mr. Tut ter. Kann ich Sie unter vier Augen sprechen?« Tutter machte eine Handbewegung. »Nicht nötig. Das ist mein Neffe Well Hendrick, zugleich mein Gehilfe. Er erfährt ohnehin alles. Hat man Ihnen etwas gestohlen?« »Aber nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Es handelt 64
sich um die gläserne Kugel.« »Was haben Sie damit zu tun?« Sie förderte einen Brief zutage. »Mein Onkel erhielt gestern diesen Drohbrief.« Tutter nahm ihn aus ihrer Hand und las: »Mr. H. Lowdry, ich muß Sie bitten, 50.000 Dol lar in kleinen Scheinen flüssig zu machen und daraus ein vorschriftsmäßig eingewickeltes Paket herzustel len. Das Päckchen wollen Sie morgen in den Abend stunden bei der Handgepäckannahme C XI des Zen tralbahnhofes ausliefern und den Empfangsschein an Mr. John Liverbrook, Hicksville, Roslyn-Street 26, schicken. Falls das Geld nicht hinterlegt werden und der Schein nicht eintreffen sollte, würde es Ihnen wie Mr. Eduard Broker ergehen, über dessen Schicksal Sie morgen in den Zeitungen lesen dürften. Das gilt auch für den Fall, daß Sie sich in irgendeiner Form mit der Polizei in Verbindung setzen. Bedenken Sie, daß man 50.000 Dollar lieber verliert als sein Leben. Der Mann mit der gläsernen Kugel.« Tutter reichte das Schreiben weiter an seinen Nef fen. »Das hat mir gerade noch gefehlt«, brummte er mißvergnügt. »Hinter diesem merkwürdigen Mord steckt also ein Erpresser. Ihr Onkel wird nicht der einzige sein, der gestern ein derartiges Schreiben er halten hat. Er hat Sie hergeschickt?« »Nein, ganz im Gegenteil. Aber ich hielt es für richtig, dem Verbrecher nicht einfach das Geld hin 65
zuwerfen, sondern Sie zu verständigen. Mein Onkel möchte das Geld aber lieber bezahlen.« »Hm.« »Ich hoffe natürlich, daß die Polizei ihn schützen wird?« »Selbstverständlich«, sagte Tutter. »Bringen Sie Ihren Onkel getrost her, wir werden ihn einstweilen in Schutzhaft nehmen.« »Das ist ausgeschlossen!« lehnte sie heftig ab. »Sie können doch nicht verlangen, daß er sich frei willig in eine Zelle begibt.« »Natürlich nicht«, knurrte Tutter. »Aber wir sollen Ihren Onkel gegen einen Unbekannten unter sechs Millionen schützen, während er ununterbrochen sei nem Feind Hunderte von Möglichkeiten bietet, nicht wahr?« »Aber dazu ist die Polizei doch da.« »Na schön, Sie sollen recht haben«, sagte Tutter. »Ich bin Ihnen jedenfalls dankbar, daß Sie zu mir gekommen sind. Wir werden unser Möglichstes tun, um Ihren Onkel zu schützen.« »Könnte das nicht zu wenig sein?« fragte sie un ruhig. »Wir werden unser Bestes tun, um den Erpresser zu fangen. Außerdem werde ich Ihren Onkel mit ei ner Leibwache umgeben. Well?« »Ja.« Hendrick schrak auf. »Du könntest in das Haus Mr. Lowdrys übersie 66
deln und für die nächsten Tage die Bewachung und den Schutz übernehmen. Ich stelle dir noch einige Leute zur Verfügung.« »Mit Vergnügen!« »Vergiß den Rücken nicht«, murmelte Tutter. »Sie sind doch einverstanden, Miss Lowdry?« Sie zögerte und blickte dabei prüfend über Hen drick hin. »Gewiß, aber – ein erfahrener Beamter würde meinem Onkel sicher lieber sein.« Well Hendrick wurde rot. »Ich kann mir ja einen Bart ankleben, wenn mein Gesicht Sie stört!« meinte er ziemlich grob. »Ihr Gesicht ist völlig belanglos. Es handelt sich nur um die Sicherheit meines Onkels und allenfalls noch darum, daß ihm an einem ständigen Leibwäch ter ein gewisses gutes Benehmen nicht unerwünscht sein wird.« Well Hendrick spürte das lebhafte Bedürfnis, die junge Dame über das Knie zu legen. Er biß sich je doch nur auf die Lippen und schwieg. »Also bleibt es dabei«, stellte Tutter mit friedli chem Lächeln fest. »Sergeant Well Hendrick wird sich im Laufe des Tages mit einigen Leuten bei Ih rem Onkel einfinden. Alles Übrige überlassen Sie bitte uns. Wir werden Ihren Onkel veranlassen, ein Paket mit Zeitungspapier an der gewünschten Stelle zu hinterlegen, damit wir uns auf die Spur des Er 67
pressers setzen können.« Helen Lowdry erhob sich. »Ich verlasse mich ganz auf Sie.« Tutter verneigte sich stumm und brachte die Besu cherin zur Tür. Unmittelbar darauf klingelte das Telefon. »Ein Mr. Sun Koh will mich sprechen«, teilte Tut ter seinem Neffen mit, während er auflegte. »Es han delt sich wieder um die gläserne Kugel. Die Zei tungsleser rühren sich. Was sagst du übrigens zu der jungen Dame?« »Sie ist sehr schön.« »Und eingebildet.« »Wieso? Das ist ein natürlicher Stolz, den man bloß abzuschleifen braucht.« »Hm, dann viel Glück. Also, du wirst vier Leute mitnehmen, auf die du dich verlassen kannst. Du hast Broker gesehen. Ich brauche dir wohl nicht zu sagen, daß du dich mächtig anstrengen mußt, um Lowdry zu schützen. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken.« »Hältst du den Erpresser für so gefährlich?« »Er ist ein neuer Mann und benutzt neue Mittel, das ist immer gefährlich. Wir können seine Handlun gen schlecht vorausberechnen.« »Ich werde Lowdry schützen, und wenn ich ihn in seinen eigenen Keller sperren müßte. Wenn ihm wirklich was geschieht, wird sich die Frau ihr ganzes Leben lang Vorwürfe machen.« 68
»Na, wir werden ja sehen. – Herein!« Sun Koh trat ein. Seine Erscheinung erregte eini ges Aufsehen. Tutter zog die Brauen hoch, und Hen drick fand mit einigem Neid, daß man vermutlich so aussehen müsse, um eine Frau wie Helen Lowdry zu beeindrucken. »Ich las in der Zeitung über diesen Mord an Edu ard Broker«, sagte Sun Koh, nachdem er sich gesetzt hatte. »Das veranlaßt mich, Ihnen einige Mitteilun gen zu machen.« »Bitte.« »Ich sprach vor drei Tagen mit einem Professor Schunekamp aus Kapstadt. Professor Schunekamp hatte eine Koje in der Halle der technischen Neuhei ten inne und warb für eine Chemikalie. Er nannte sie ›Tillyt‹. Nach seinen Angaben konnte er damit den Wasserdampf der Luft in hohem Maß verdichten und zum Abregnen bringen. Die Erfindung interessierte mich. Ich vereinbarte mit Schunekamp eine ausführ liche Unterhaltung für den Abend. Am Abend kam jedoch nur Miss Tilly Schunekamp, die Tochter des Professors, zu mir und teilte mir mit, daß ihr Vater gegen Abend durch zwei falsche Kriminalbeamte entführt worden sei. Von ihr erfuhr ich dann im Ver lauf unseres Gesprächs, daß jenes ›Tillyt‹ im be stimmten Mischungsverhältnis die Fähigkeit besitzt, den Wasserdampf in Sekundenschnelle zu verdichten und zum Gefrieren zu bringen. Es entstünde dann 69
also in freier Luft ein ganzer Block von einer Art Eis, der mindestens einige Minuten beständig bliebe, be vor er sich in Wasser oder Nebel verwandle.« »Ah!« »Sie sehen bereits die Verbindung, doch lassen Sie mich zunächst zu Ende berichten. Die Verschlep pung ihres Vaters erschien der jungen Dame uner klärlich, doch brachte sie diese mit den zudringlichen Nachfragen eines gewissen Spalding in Zusammen hang.« »Spalding, sagten Sie?« »Ja. Kennen Sie den Mann?« »Er war der erste, den wir unter gleichen Umstän den wie Broker tot vorfanden.« Sun Koh zog die Brauen etwas zusammen. »Das widerspricht meiner Annahme. Doch weiter. Miss Schunekamp entschloß sich, im ›Biltmore‹ zu bleiben und sich unter meinen Schutz zu stellen. Ich ließ ihre Koffer holen. Gegen Mitternacht verab schiedeten wir – meine Begleiter und ich – uns vor ihrer Tür. Am nächsten Morgen befand sich Miss Schunekamp nicht mehr im Hotel. Wir stellten fest, daß sie bereits kurz nach Mitternacht das Hotel in Begleitung eines unbekannten Herrn, aber offenbar völlig freiwillig, verlassen hatte. Wir haben bis heute noch keine Nachricht und keine Spur gefunden. Mei ne Annahmen gehen dahin, daß sich der Professor und seine Tochter in der Gewalt eines Mannes befin 70
den, der mit der Erfindung des Professors Mißbrauch treibt. Ich hatte jenen Spalding in Verdacht. Unver ständlich ist mir nur, daß die Erfindung derartig kindlich ausgenutzt wird. Der Verbrecher dürfte durch einfachen Verkauf an eine Militärmacht mehr verdienen als durch Beraubung von Ermordeten.« »Man tötete Broker, um andere erpressen zu kön nen!« »Das ist fast unwahrscheinlich.« »Es entspricht den Tatsachen. Ich habe hier einen Erpresserbrief an den bekannten Mister – hm…« »Lowdry«, warf Hendrick hilfsbereit ein. Tutter blickte ihn unruhig an und fuhr fort: »Also Lowdry, dem der Mord bereits angekündigt wird.« Sun Koh schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht. Ein Schuß hätte dem Er presser die gleichen Voraussetzungen geschaffen. Die Entführung der beiden Schunekamps findet kei ne Begründung. Ist außer Spalding und Broker noch jemand durch die gläserne Kugel ermordet worden?« »Ein gewisser Lester, der in Flotbush Eislimonade verkaufte. Er wurde nicht einmal beraubt. Doch sa gen Sie, warum haben Sie das Verschwinden der Schunekamps nicht gemeldet?« »Es ist gemeldet worden, aber die Polizei hatte bisher noch keinen Erfolg.« »Hm, das bearbeitet freilich die VermißtenAbteilung. Ich werde mich mal erkundigen. Sie mei 71
nen, daß die gläsernen Kugeln von Professor Schu nekamp stammen?« »Die Zeitungsdarstellungen beschreiben Auswir kungen, die jenes ›Tillyt‹ hervorrufen könnte.« »Tja, dann wird es sich wohl um das Zeug han deln. Sie dürfen überzeugt sein, daß ich alles daran setze, um diesen Professor Schunekamp zu finden. Sie wohnen im ›Biltmore‹?« »Ja, Sie können mir dorthin Nachrichten zuleiten. Würden Sie erlauben, daß ich den Erpresserbrief einmal überlese?« Tutter zögerte. »Warum? Das ist ein amtliches…« »Sie würden mir ersparen, mich mit dem bekann ten Mr. Lowdry, dessen Anschrift leicht zu ermitteln ist, persönlich in Verbindung zu setzen. Ich finde vielleicht einen Anhaltspunkt für meine eigenen Nachforschungen.« Tutter warf einen anklagenden Blick auf seinen vorlauten Neffen und schob den Brief hin. »Hier ist er – weil Sie uns auch etwas Neues ge bracht haben. Hoffentlich haben Sie nicht die Ab sicht, der Polizei ins Handwerk zu pfuschen?« »Das tue ich notgedrungen schon seit vorgestern.« Sun Koh überlas das Schreiben, dann erhob er sich. »Ich danke Ihnen für das Gespräch. Hoffentlich kommen Sie bald zum Erfolg.« Tutter bemühte sich abermals zur Tür. 72
*
Professor Schunekamp verklebte sorgfältig die letzte Ampulle und blickte dann auf seine Tochter, die den laboratoriumsähnlichen Raum wieder in Ordnung brachte. »So, das wäre geschafft«, sagte er mit einem ge wissen Stolz. Jetzt haben wir wieder von den beiden Sorten Proben in allen Größen. Freust du dich?« »Nein«, erwiderte sie gleichgültig. »Warum sollte ich mich freuen?« »Aber Kind.« Schunekamp schüttelte den Kopf. »Jetzt kann ich doch das ›Tillyt‹ vorführen und den Vertrag abschließen. Dann sind wir reich und sorgen los.« »Glaubst du?« »Zweifelst du daran?« Tilly Schunekamp wandte sich ihrem Vater zu. »Ich weiß nicht. Aber du bist nach New York ge kommen, um einen Interessenten für dein ›Tillyt I‹ zu finden. Jetzt willst du das gefährliche ›Tillyt II› verkaufen, obwohl du es geheimhalten wolltest.« Schunekamp strich sich über seinen Bart. »Ja, das wollte ich eigentlich. Aber man muß sich in die Lage des Käufers versetzen. Griffith hat schon recht, wenn er meint, daß Broker nur am Erwerb der ganzen Erfindung liegen kann und daß niemand die 73
Gefahr auf sich nehmen könne, eines Tages den an deren Teil der Erfindung in anderen Händen zu se hen. Er hat auch recht, wenn er darauf hinweist, daß meine Feinde nur dann von mir ablassen werden, wenn sie wissen, daß ich die ganze Erfindung ver kauft habe. Letzten Endes kommt es ja allein darauf an, welche Verwendung das ›Tillyt‹ finden soll. Ich würde es nie abgeben, wenn ich nicht überzeugt wä re, daß Broker es zum Wohl der Menschheit verwen den würde.« »Bist du davon überzeugt?« »Durchaus! Broker will diese furchtbaren Deich brüche und Überschwemmungen in Amerika und anderen Ländern unmöglich machen und sogar mei nen Lieblingsplan ausführen, nämlich das nördliche Kanada durch ein künstliches Gebirge vor dem Ein fluß des Polarmeeres schützen. Das finde ich beson ders gut.« »Aber wird er später, wenn er das Rezept besitzt, das ›Tillyt‹ auch so verwenden?« »Du bist zu mißtrauisch.« Schunekamp lächelte überlegen. ,Auf jeden Fall werde ich in den Vertrag einige Bestimmungen einfügen lassen, die eine Aus nutzung des ›Tillyt‹, die meinem Sinn widerspricht, unmöglich machen. Aber ich halte dein Mißtrauen wirklich für unangebracht. Du beleidigst Mr. Grif fith.« »Und du vertraust ihm viel zu sehr!« 74
Schunekamp wurde unmutig. »Wir haben nun schon wiederholt über dieses Thema gesprochen. Wir sind Mr. Griffith zu Dank verpflichtet, daß er sich so entschlossen unserer an genommen und uns vor gewissen Leuten geschützt hat. Du hast dich durch das bestechende Auftreten jener Herren beeindrucken lassen und bist noch zu jung, um den wahren Charakter eines Menschen zu durchschauen.« »Ich bin alt genug, einen Menschen zu beurtei len«, verteidigte sie sich. »Ich habe dich auch schon wiederholt gebeten, Mr. Hunter und Mr. Sun Koh nicht zu beschuldigen. Ich halte die Herren für ein wandfrei. Es kann sich höchstens um ein Mißver ständnis handeln, wenn die Verhältnisse nicht gerade umgekehrt liegen. Ich habe jedenfalls immer das Ge fühl, daß wir Gefangene sind und daß es Mr. Griffith nicht ehrlich meint.« »Aber Kind!« tadelte Schunekamp. »Von Gefan genschaft kann doch wirklich keine Rede sein. Wir besitzen volle Bewegungsfreiheit.« »Ach, aber wir dürfen nicht fort.« »Natürlich dürfen wir das, aber es wäre doch un klug, wenn wir angesichts der drohenden Gefahren das Haus verlassen würden.« »Diese Gefahren sind überhaupt nicht vorhanden. Warum hat Griffith mich nicht wieder ins Hotel ge lassen?« 75
»Ich habe das verboten. Du wärst als Geisel miß braucht worden. Deshalb legte man ja auch solchen Wert darauf, daß du ins Hotel ziehst.« »Alles Lüge!« widersprach sie. »Ich darf ja auch nicht aus dem Haus, selbst wenn ich nicht in das Ho tel will. Ich möchte gern an die frische Luft, aber ich darf es nicht.« »Du brauchst doch nur das Fenster zu öffnen.« »Natürlich«, sagte sie bitter. »Ich brauche nur das Fenster zu öffnen. Aber ich möchte ja gerade fest stellen, ob wir hier gefangengehalten werden oder nicht. Darauf kommt es an. Wenn du nicht so einsei tig wärst und Griffith gleich immer unterstützen würdest, hätte ich schon längst Klarheit. Verlange doch einmal, daß er mich für eine Stunde hinauslas sen soll, meinetwegen in Begleitung, dann wirst du gleich sehen, wie es mit unserer persönlichen Frei heit steht.« Der Professor schwieg eine Weile, bevor er erwi derte: »Ich verstehe dich nicht. Du warst immer ein folg sames Kind. Jetzt bist du von einer Hartnäckigkeit, die mich in Erstaunen setzt. Ich billige dein Mißtrau en nicht, aber ich werde mit Griffith sprechen, ob er dir trotz aller Gefahren einen Ausgang ermöglichen kann.« »Das wäre wirklich lieb von dir.« Sie atmete auf. Es klopfte. Griffith trat ein. 76
»Nun«, meinte er lächelnd, »noch bei der Arbeit? Fertig? Ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet. Meine herzlichsten Glückwünsche. Das ging ja schnell. Aber kein Wunder bei einer so tüchtigen Helferin. Sind das die Proben?« »Ja«, sagte Schunekamp. »Ich habe gleich genü gend angefertigt, um die Wirkungen gründlich bele gen zu können. Mr. Broker wird überrascht sein.« »Ich bin davon überzeugt. Ich komme eben von ihm. Er ist begierig, Ihre Erfindung kennenzulernen, und er ist bereit, einen entsprechenden Preis dafür zu zahlen sowie auf Ihre sonstigen Bedingungen einzu gehen. Unter uns gesagt: Sie brauchen mit Ihren For derungen nicht besonders schüchtern zu sein. Mr. Broker verdient mit seinen Zeitungen soviel Geld, daß es ihm auf zehntausend mehr oder weniger nicht ankommt.« »Sie sind sehr liebenswürdig.« Schunekamp ver neigte sich. »Meine Bedingungen werden also ange nommen?« »Mr. Broker hat sich über sie gefreut, weil er da durch zugleich einen tüchtigen Mitarbeiter gewinnt. Der Vertrag wird bereits so weit vorbereitet, daß nur noch die Kaufsumme einzutragen ist. Welche Forde rung gedachten Sie eigentlich zu stellen?« »Bei Erfüllung der anderen Bedingungen rechnete ich mit einer einstweiligen Abfindung von hundert tausend Dollar.« 77
»Sehr bescheiden«, sagte Griffith gönnerhaft. »Ich glaube, Mr. Broker rechnet mit dem Doppelten. Sie verstehen mich?« »Ich bin Ihnen außerordentlich zu Dank verpflich tet. Wann dachte Mr. Broker…« »Wenn es Ihnen recht ist, heute nachmittag. Mor gen könnte dann schon der rechtsgültige Vertrag un terschrieben werden. Sie würden als Gegenwert für Ihre Unterschrift und das Rezept sofort den Kauf preis ausgezahlt erhalten. Mr. Broker rechnet damit, daß Ihre Vorführungen zu seiner Zufriedenheit ver laufen. Er stellte allerdings eine Bedingung, die Sie begreifen werden, da er Sie ja persönlich nicht kennt.« »Ja?« »Er wünscht, daß Sie ihm nach der Vorführung ei nige Proben überlassen, damit er sich selbst noch einmal vergewissern kann. Vermutlich möchte er verhüten, daß er durch einen Trick getäuscht wird. Ich glaube aber, daß Sie ihm diese Bedingung erfül len können.« »Selbstverständlich.« »Gut, dann werde ich Sie heute nachmittag zu Mr. Broker bringen.« »Er kommt nicht hierher?« »Das ist nicht gut möglich. Wir müssen schon zu ihm fahren.« Schunekamp warf seiner Tochter einen bedeutsa 78
men Blick zu und sagte: »Siehst du?« Dann wandte er sich wieder an Griffith. »Meine Tochter möchte auch gern einmal ins Freie. Läßt sich das machen?« Griffith war genau im Bilde, denn er hatte die Un terhaltung der beiden abgehört. Er zog ein bedenkli ches Gesicht. »Tja, dagegen habe ich nichts. Ich fürchte nur, daß dadurch in letzter Minute Schwierigkeiten entstehen. Wenn sich Miss Schunekamp darauf beschränken würde, im Wagen spazierengefahren zu werden, würde ich leichteren Herzens meine Zustimmung geben.« »Das würde mir schon genügen«, sagte Tilly. Sie hatte nicht damit gerechnet, daß er ihren Wunsch er füllen würde. Sie freute sich und war doch zugleich enttäuscht. Wenn Griffith es doch ehrlich meinte, dann mußten auch seine Behauptungen über Sun Koh und seine Begleiter richtig sein, und davor schreckte sie zurück. »Gut.« Griffith nickte wohlwollend. »Ich werde also alles veranlassen. Sie würden mir aber im Inter esse Ihres Vaters versprechen, daß Sie sich möglichst wenig sehen lassen und sich nicht bemerkbar ma chen, falls Sie zufällig einen Bekannten sehen.« »Das verspreche ich.« Griffith verließ die beiden Schunekamps wenig später. Der Professor konnte sich nicht verkneifen, seine Genugtuung auszudrücken. 79
»Siehst du jetzt endlich ein, wie grundlos dein Mißtrauen war? Er hat nicht einmal den Versuch gemacht, dir deinen Wunsch abzuschlagen.« »Ja doch«, sagte sie gequält zu. »Ich habe es ge merkt.« »Hoffentlich hältst du dein Versprechen.« »Ja, bestimmt.« »Nun ja«, begütigte er. »Ich weiß ja, daß du sonst vernünftig bist. Komm, setz dich wieder. Ich will dir gleich die Formeln und den Arbeitsgang für die Her stellung des ›Tillyt‹ diktieren.« »Ist das nicht übereilt? Wenn Griffith…« »Nun aber Schluß!« unterbrach der Professor un gehalten. »Dein Mißtrauen ist geradezu krankhaft. Bitte schreib!« Sie sagte nichts mehr, sondern setzte sich und be gann zu schreiben, was ihr Vater langsam und über legend, zeitweise mit größeren Pausen, ansagte. War ihr Mißtrauen wirklich krankhaft? Konnten Männer wie Mr. Sun Koh und Mr. Hunter so lügen? War Griffith wirklich mehr als ein alter, schmieriger Schauspieler, wenn man ihn neben die beiden ande ren stellte? War Jim Hunter so falsch, daß sie seine Lügen für Liebe halten konnte? Sie schreckte aus ihren Gedanken auf. Sie hatte mechanisch die Sätze ihres Vaters und die ersten Formeln niedergeschrieben. Jetzt stand da eine For mel mit einem schwerwiegenden Fehler, der alles, 80
was noch folgen würde, wertlos machte. Eine schöne Enttäuschung für die Herren Griffith und Broker, falls sie wirklich etwas Böses beabsich tigten. Der Gedanke zuckte auf und verschwand nicht wie der. Einige Fehler dieser Art machten die Aufzeich nungen wertlos und konnten notfalls ein großes Un heil verhüten. Wenn es Griffith wirklich ehrlich mein te, konnten sie später immer noch berichtigt werden. »Warum schreibst du nicht?« fragte der Vater un geduldig. »Mir fiel eben etwas ein«, entschuldigte sie sich hastig. »Bitte weiter.« Sie schrieb von nun an mit größter Aufmerksam keit, aber sie fälschte mit Bedacht die entscheidenden Formeln so um, daß sie zwar in sich logisch und richtig waren, aber als Ergebnis niemals das ›Tillyt‹ bringen konnten. Ihre wissenschaftlichen Vorkennt nisse waren ausreichend genug, und am ›Tillyt‹ hatte sie lange genug mitgearbeitet, so daß ihr die gewiß nicht leichte Fälschung gelang. Die richtigen For meln prägte sie sich noch einmal scharf ein. Der Va ter würde gewohnheitsmäßig nicht selbst lesen, son dern sich das Geschriebene vorlesen lassen. So kam es auch. Professor Schunekamp lauschte ohne Einwände den Formeln, die sie hersagte, und steckte die Aufzeichnungen schließlich befriedigt in seine Tasche. 81
Am Nachmittag stieg ihr Vater in einen geschlos senen Wagen und fuhr in Begleitung Griffiths weg. Wenig später stieg sie in einen anderen Wagen ein. Am Steuer saß ein jüngerer, harmlos aussehender Mann, der sich höflich nach ihren Wünschen erkun digte. Da sie kein bestimmtes Ziel hatte, bat sie ihn, planlos durch die Straßen zu fahren. Er nickte dazu und fuhr los. Der Wagen rollte durch den dicksten Verkehr und die belebtesten Straßen. Zahllose Menschen befan den sich in Ruf- und Reichweite. An mancher Kreu zung hätte sie einfach aussteigen können. Sie unternahm nichts. Sie hielt es für sinnlos und war auch bald zu müde. Griffith mußte harmlos und einwandfrei sein, wenn er ihr solche Möglichkeiten bot. Wenn sie sich unter fremden Schutz stellte, machte sie sich nur lächerlich und brachte auch noch ihren Vater in Gefahr. Also war Jim Hunter doch ein Verbrecher? Der Wagen hielt wieder einmal vor einem Rot licht. Ein Zeitungsjunge drückte sich zwischen den Wagen durch. Seine Stimme gellte: »Tribüne! Letzte Ausgabe! Mord an Eduard Broker! Mord mit der glä sernen Kugel! Die Sensation des Jahres!« Sie nahm das Blatt, das ihr der Junge in den Wa gen hineinhielt, und gab ihm mechanisch eine Mün ze. Sie hatte seit Tagen keine Zeitung gelesen. Bro ker? Hatte der Junge Broker gesagt? 82
Der Fahrer kümmerte sich nicht um den Zeitungs kauf, obgleich er ihm sicher nicht entgangen war. Ihre Augen überflogen die Schlagzeilen! Da! »Bekannter Zeitungsmillionär ermordet!
Eduard Broker Opfer eines geheimnisvollen Attentats!
Im Wohnzimmer seines Hauses erstickt und erfroren!
Das Rätsel der gläsernen Kugel!«
Was bedeutete das? Eduard Broker? Gläserne Ku gel? Da kam etwas Furchtbares auf sie zu. Sie zuckte hoch, als ihr Blick über die Straße glitt. Dort, nur wenige Meter von ihr entfernt, stand der Mann, an den sie fast ununterbrochen dachte. Jim Hunter! Er stand an der Gehsteigkante und wartete mit anderen zusammen, daß der Übergang in der Fahrtrichtung frei wurde. Seine Augen schweiften uninteressiert über die Passanten und über die war tenden Wagen hinweg. Jetzt zuckte auch er zusammen. Er hatte sie gesehen. Sie hob unwillkürlich die Hand und beugte sich vor. »Bitte nicht!« warnte der Fahrer scharf. »Mir wur de gesagt, daß Sie sich nicht mit Bekannten in Ver bindung setzen dürfen.« »Ja, aber…« Der Wagen ruckte vor. Das Licht hatte eben ge 83
wechselt. Jim Hunter setzte sich in Bewegung und kam auf den Wagen zu. Sie wich vom Fenster zurück. Sie hatte ihr Ver sprechen gegeben. Jim Hunter schaffte es ohnehin nicht mehr. Der Wagen schoß mit hoher Geschwindigkeit in die freie Straße hinein. »Halten Sie doch!« rief sie drängend dem Fahrer zu. »Ich muß mit jemand sprechen.« »Ich bin angewiesen worden, Sie vor einem un überlegten Schritt zu bewahren«, gab der Fahrer gleichmütig nach hinten. »Sie müssen das mit Mr. Griffith ausmachen.« »Sie haben recht«, gab sie resigniert zu. »Von mir aus können Sie wieder langsamer fahren.« »Sobald ich sehe, daß wir nicht verfolgt werden«, erwiderte er. Er fuhr bald wieder gemächlich durch die Straßen. Tilly las die Zeitung. Sie begriff manches, aber anderes überhaupt nicht. Der Zeitungsmillionär Eduard Broker war ermor det worden. Da es unmöglich zwei Leute dieser Art in New York geben konnte, handelte es sich um den gleichen Broker, dem ihr Vater seine Erfindung ver kaufen wollte. Also konnte die Erfindung heute nachmittag gar nicht vorgeführt und erst recht nicht verkauft werden. Broker war gegen elf Uhr tot aufgefunden worden. 84
Gegen zwölf hatte Griffith gesagt, daß er eben von Broker gekommen wäre und mit ihm verhandelt hätte. Und gegen zwei Uhr hatte er versichert, er hätte sich telefonisch vergewissert und Broker wolle ihren Vater bestimmt empfangen. Griffith hatte gelogen. Mit einem Toten hatte er nicht mehr sprechen können. Gott sei Dank! Tilly lächelte über sich selbst, weil sie so nach drücklich aufatmete. Broker war durch ›Tillyt‹ getötet worden. Daran gab es keinen Zweifel. Die gläserne Kugel, von der hier geschrieben wurde, stammte aus dem Behälter, den ihr Vater seit der Verschleppung vermißte. Sie hatte Griffith bisher in Verdacht gehabt. Dann müßte er selbst der Mörder sein. Oder befanden sich die Proben doch im Besitz eines anderen? Was beabsich tigte dieser? Und was plante Griffith nun wirklich? Ihre Überlegungen gingen durcheinander. Plötz lich fuhr der Wagen in den Park hinein und hielt vor dem Portal. Sie mußte aussteigen. Es hatte ja auch keinen Zweck, etwas zu unternehmen, solange sie nicht Klarheit besaß. Es war fast Abend, als ihr Vater endlich zurück kam. Mit ihm zusammen trat Griffith ein, heiter und wohlwollend wie immer. »So, da bringe ich Ihren Vater wieder«, sagte er. »Ist die Spazierfahrt gut bekommen? Ganz ausge zeichnet, wie ich sehe!« 85
Sie wandte sich an ihren Vater: »Hast du mit Mr. Broker gesprochen?« »Gewiß«, sagte Schunekamp. »Er war über die Wirkungen des ›Tillyt‹ sehr erstaunt. Er ist übrigens ein netter Herr.« »Der Zeitungsmillionär Eduard Broker?« »Ja. Hm, fehlt dir etwas? Du bist so merkwürdig?« Sie brachte mit einem Ruck das Zeitungsblatt zum Vorschein. »Der Mann, mit dem du heute nachmittag verhan delt hast, ist schon heute vormittag um elf Uhr in seiner Wohnung ermordet aufgefunden worden – ermordet durch ›Tillyt‹!« »Verdammt!« entfuhr es Griffith. Schunekamp begriff überhaupt noch nichts. »Das – das ist eine merkwürdige Behauptung«, stotterte er und griff nach der Zeitung. Es war still, während er las. Griffith hielt die Lip pen aufeinandergepreßt und wich dem Blick des jun gen Mädchens aus. Der Professor ließ endlich das Blatt sinken. »In der Tat, das ist eine überraschende Nachricht«, murmelte er. »Darf ich Sie um Aufklärung bitten, Mr. Griffith?« Griffith hob die Schultern. »Tja, da gibt es wenig aufzuklären. Ich hätte es Ihnen wohl doch lieber sagen sollen, daß Mr. Broker heute morgen ermordet wurde.« 86
»Sie wußten es?« »Selbstverständlich. Wie gesagt – ich hätte Sie gleich unterrichten sollen. Vor dem Vertragsabschluß hätten Sie es ja doch noch erfahren müssen. Aber Mr. Denhurst, bei dem wir heute waren, fürchtete, daß Sie zurückschrecken würden. So bat er mich, so lange zu warten, bis er die Erfindung kennengelernt hat und mir sagen konnte, ob sie für ihn in Frage kommt. Ich habe ihm den Gefallen getan, weil ich mir dachte, daß es Ihnen ja schließlich gleich bleiben kann, an wen Sie verkaufen. Vielleicht bin ich auch ein bißchen eigennützig gewesen. Ich bin Ge schäftsmann und habe ziemlich hohe Auslagen ge habt. Mein Auftraggeber starb plötzlich. Das bedeu tete für mich einen empfindlichen Verlust. Ich wußte jedoch, daß sich Mr. Denhurst möglicherweise auch für Ihre Erfindung interessieren würde. Deshalb wandte ich mich an ihn. Aber wie gesagt – es wäre sicher besser gewesen, ich hätte mich vorher mit Ih nen ausgesprochen.« Es war eine ausgezeichnete Leistung. Er sprach leicht gedrückt, leicht schuldbewußt und doch so, daß man den ehrlichen Mann überall hindurch schimmern sah. Tilly erkannte mit Bestürzung, wie geschickt und überzeugend er aus der Falle heraus glitt. Ihr Vater strich sich den Bart. »Hm, es wäre wohl besser gewesen«, sagte er. 87
»Aber einen Fehler begeht ja schließlich jeder ein mal, und Sie haben sicher das Beste gewollt. Wenn Mr. Denhurst bereit ist…« »Aber Vater«, fiel Tilly ein, »merkst du denn nicht, um was es hier geht? Mr. Griffith hat dich be logen. In diesem Punkt ist er überführt worden, und wer weiß, was noch alles Lüge an ihm ist.« »Aber…«, setzten beide Herren in verschiedenen Tonfällen an. »Doch«, beharrte sie. »Du kannst doch jetzt nicht einfach die Erfindung an diesen Denhurst verkaufen? Ich weiß nicht, ob Mr. Broker im Ernst die Absicht hatte, das ›Tillyt‹ zu kaufen, um menschenfreundli che Absichten zu verwirklichen. Aber glaubst du denn im Ernst, daß dieser Mr. Denhurst ganz zufällig die gleichen Absichten und Pläne hat und aus der gleichen Menschenliebe heraus deine Erfindung kau fen will? Das ist doch alles Lüge!« »Wenn er auf die gleichen Bedingungen ein geht…« »Sie haben eine Abneigung gegen mich«, stellte Griffith mit deutlichem Schmerz fest. »Es ist ein Zu fall, daß Mr. Denhurst einspringen kann, und Ihr Va ter wird doch durch den Vertrag vollkommen gesi chert.« »Und wer schützt ihn dagegen, daß die Erfindung sofort meistbietend weiterverkauft wird?« Griffith wurde unfreundlicher. 88
»Das – ich muß gestehen, derartige Verdächtigun gen…« »Du gehst zu weit«, mahnte Schunekamp streng. »Vergiß nicht, was wir Mr. Griffith alles zu verdan ken haben. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann ist es der Umstand, daß Mr. Broker durch ›Tillyt‹ getö tet wurde.« »Mir ist das ebenso unerklärlich wie Ihnen«, erwi derte Griffith. »Ich kann nur annehmen, daß ein Ver brecher Ihre Proben gefunden hat und damit Miß brauch treibt.« »Hm, man sollte die Polizei verständigen, nicht wahr?« Griffith nickte bereitwillig. »Ich werde das tun.« »Ich auch«, meldete sich Tilly entschlossen. »Und ich werde außerdem Erkundigungen über diesen Denhurst einziehen. Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen, daß ich das Haus verlasse?« Griffith blickte merkwürdig, hob aber die Schul tern. »Das ist eine Angelegenheit Ihres Vaters. Ich weiß nicht, ob er sich in letzter Minute noch in Gefahr bringen lassen will. Dieser Mord, hinter dem leicht jene Leute aus dem ›Biltmore‹ stehen können, be weist ja zur Genüge, mit welchen Gegnern wir es zu tun haben.« »Sie besitzen kein Recht, andere zu verdächtigen«, 89
wehrte sie sich empört. »Und mein Vater wird gut tun, wenn er sich mit mir zusammen zur Polizei be gibt. Unter dem Schutz der Polizei sind wir ebenso sicher wie hier.« »Mr. Broker hat auch unter dem Schutz der Polizei gestanden«, erwiderte Griffith bedeutsam. »Du bleibst selbstverständlich hier«, entschied Schunekamp. »Darüberhinaus muß ich dich bitten, mehr Rücksicht auf Mr. Griffith zu nehmen.« »Ich gehe!« »Du bleibst!« kam streng der Gegenbefehl. »Ich werde nicht dulden, daß du aus kindischem Eigen sinn und Unverstand heraus Gefahren heraufbe schwörst, die du nicht meistern kannst.« »Ich will aber fort!« »Sei vernünftig, sonst muß ich Mr. Griffith bitten, deine Unüberlegtheiten zu verhüten. Morgen kannst du ausgehen, soviel du willst.« Sie stand vor einer Mauer und wußte, daß sie nicht hindurchkam. Da begann sie zu weinen. Etwas später saß Griffith mit einigen Männern in einem anderen Raum zusammen. »Sie sorgen dafür, daß alle Ausgänge des Hauses bewacht bleiben!«, wies er an. »Das Mädchen bringt es noch fertig auszureißen. Der Alte bläst zwar treu und brav in mein Horn, aber er hat das Mädchen nicht mehr fest in der Hand. Weiß der Teufel, was in ihr steckt. Zu blöd, daß sie die Zeitung in die Hand bekam.« 90
»Pech, daß Sie ausgerechnet Broker als Käufer nannten.« »Lassen wir’s«, meinte Griffith. »Morgen schließt Jim als Mr. Denhurst den Vertrag ab. Der richtige Käufer wartet schon auf die Papiere. Den Professor schieben wir dann wegen weiterer Lebensgefahren schleunigst ab.« »Soll er denn sein Geld bekommen?« »Einen Scheck.« Griffith lächelte befriedigt. »Dann sperren wir ihn erst einmal einige Tage ein, damit wir in Ruhe verschwinden können. Es lohnt sich nicht hierzubleiben, denn früher oder später läuft er doch zur Polizei und bringt mich in Verruf. Doch das überlaßt mir. Wissen möchte ich gern, wer die anderen ›Tillyt‹-Proben besitzt und was mit ihnen gespielt wird. Hat einer von euch eine Ahnung?« »Nicht die geringste«, antwortete einer der Männer. »Wir brauchen uns ja auch nicht darum zu kümmern.« Griffith wiegte den Kopf hin und her. »So ganz sicher bin ich nicht. Ich habe von heute nachmittag einige Proben für mich behalten. Das Zeug wirkt erstaunlich. Vielleicht können wir damit noch einen richtigen Schlag machen. Vorher müßten wir uns aber über diese unbekannte Konkurrenz un terrichten. Nun, das kann ich mir ja noch überlegen.« Die Männer nickten. Wenn Griffith sich vornahm, sich eine Sache zu überlegen, dann hatte er schon gewisse Einfalle. 91
4.
Ungefähr um die gleiche Zeit trafen sich Sun Koh, Jim Hunter und Hal wieder im Hotel. Sie brauchten sich nur anzusehen, um zu wissen, daß sie ohne Er folg kamen. »Die Spur war tot«, berichtete Sun Koh. »Der Wagen mit der angegebenen Nummer ist ein alter Ford, der einem harmlosen Gemüsehändler gehört. Die Nummer war falsch. Im übrigen scheint der Wa gen nirgends aufgefallen zu sein.« »Bei mir war es auch nicht viel«, sagte Hal. »Ich habe den Zeitungsjungen ermittelt. Er erinnerte sich so ungefähr auf meine Beschreibung hin, aber das war auch alles. Über den Fahrer wußte er überhaupt nichts!« »Ich bin auch vergeblich durch die Straßen gelau fen«, ergänzte Jim Hunter. »Es war ein großer Zufall, daß ich Miss Schunekamp sah. Aber sie sah mich an, als wäre ich ein Fremder.« »Seien Sie nicht traurig«, tröstete Sun Koh. »Im merhin haben wir die Gewißheit, daß sich Miss Schunekamp in der Stadt befindet und daß ihre Situa tion nicht ungünstig ist. Das ist auch schon etwas wert.« »Vielleicht sehen wir die Dinge überhaupt falsch«, erwog Hal. »Der Professor kann einfach die Absicht 92
haben, an jemand anders zu verkaufen. Es geht ihnen gut. Er und seine Tochter lassen sich nur nicht sehen, weil es ihnen peinlich ist, daß sie uns sitzenlassen. Das würde jedenfalls mit dem Eindruck zusammen passen, den Sie hatten.« Jim Hunter schüttelte den Kopf. »Ich halte es für ausgeschlossen, daß sich Miss Schunekamp freiwillig so unhöflich verhält.« Sun Koh widersprach nicht, obgleich er auch schon Ähnliches wie Hal gedacht hatte. »Wir können es schlecht beurteilen. Der Miß brauch des ›Tillyt‹ scheint mir jedenfalls nicht dem Wesen des Professors zu entsprechen. Wir müssen schon weiter nach ihm suchen, bis wir volle Klarheit haben.« »Aber wo?« »Wir setzen am besten dort an, wo der Verbrecher die Spur gelegt hat. Wir lassen es bei der getroffenen Vereinbarung. Du übernimmst die Handgepäckstelle, Hal, und Sie kümmern sich um das Haus Lowdrys. Die Polizei wird zwar hier wie dort vertreten sein, aber zwei Augen mehr können nie schaden. Du hast hoffentlich deine Talente noch nicht vergessen, Hal?« Hal reckte sich. »Im Gegenteil, Sir. Ich habe über die Sache schon nachgedacht, und da ist mir ein Einfall gekommen.« »Ja?« »Wenn der Erpresser mit polizeilicher Überwa 93
chung rechnet, dann gibt es eigentlich nur eine Mög lichkeit, das Geld trotz aller Polizei in Sicherheit zu bringen. »Gut gedacht. Weiter?« »Man muß der Mann sein, der das Handgepäck annimmt. Das ist die einzige Person, die das Geld unauffällig übernehmen und wegbringen kann.« »Auch gut. Weiter?« »Ich denke mir nun, daß es nicht viel Zweck hat, wenn ich mich irgendwo in der Nähe aufstelle. Der richtige Mann kann ja in aller Ruhe weggehen, und zwar nach jeder Richtung. Ich möchte vorschlagen, daß Sie mich in unseren großen Koffer stecken und diesen aufgeben. Dann kann ich alles von innen beo bachten.« Sun Koh bedachte den Vorschlag eine Weile, dann nickte er. »Gut, Hal, das läßt sich machen.« So kam es, daß Sun Koh eine Stunde später einen großen Koffer auf die blechbeschlagene Rampe der Gepäckannahme C XI setzte. Er handhabte ihn so leicht, daß der Angestellte, ein jüngerer Mann mit blassem, nichtssagendem Gesicht erstaunt aufblickte, als er ihn anhob. »Ein bißchen schwer«, sagte Sun Koh leichthin. »Stellen Sie ihn gleich an die Rampe, ich hole ihn in den nächsten Stunden wieder ab. Es sind Bodenpro ben drin.« 94
Der Beamte achtete gar nicht auf die Einschnitte, die den Luftdurchgang ermöglichen sollten, sondern hob den Koffer herunter und setzte ihn zur Seite. Dann riß er den Schein ab und überreichte ihn. »Sie zahlen bei Abholung.« Sun Koh entfernte sich wieder. Er prüfte die Umgebung, aber er hatte nicht den Eindruck, daß die Polizei der Gepäckaufnahme be sondere Aufmerksamkeit schenkte. Ein Zeitungsver käufer pendelte in der Nähe herum, aber dieser Mann, der wie viele andere seines Berufs seinen Standplatz hatte, konnte schlecht durch einen Polizi sten ersetzt werden, wenn man nicht den Erpresser unterschätzen wollte. Außer ihm kamen allenfalls noch einige Gepäckträger in Frage, die in einiger Entfernung auf ihren Klappstühlen hockten. Aber auch sie wirkten echt, besonders der eine, der ziem lich alt und wacklig war. Vielleicht kümmerte sich die Polizei heute über haupt noch nicht wesentlich um diesen Schalter. Wenn sie so rechnete, daß der Erpresser ja erst den Schein in die Hand bekommen mußte, dann war das schließlich verständlich. Nun, man würde sehen. Hal hatte sicher nicht schlecht überlegt. Dieser Angestellte gehörte zu den farblosen Männern ohne bestimmte Charakterprä gung, die zwar meist ein bescheidenes und harmloses Dasein führen, aber unter gegebenen Umständen auch 95
keine Widerstandskraft dem Verbrechen gegenüber besitzen. Und die Ruhe des Mannes war auch nicht verwunderlich. Selbst wenn er der Erpresser war, hat te er vorläufig nicht das Geringste zu fürchten, selbst wenn sich die Banknotenpakete um ihn häuften. Hals Beobachtungen würden entscheiden. Hal trug sein Schicksal mit Würde. Der Koffer war nicht gerade der bequemste Aufenthalt für einen ausgewachsenen Menschen, und die Luftlöcher schienen überhaupt keine Luft durchzulassen. Er spürte seine Muskeln und wußte, daß er im Laufe der Zeit ganz steif werden würde. Außerdem schwitzte er abscheulich. Vorsichtig erweiterte er die Öffnung vor seinen Augen. Natürlich stand der Koffer gerade verkehrt. Er hätte ganze Fenster einschneiden können, ohne mehr als ein Stück Wand zu sehen. Also herum, heimlich still und leise. Wenn der Koffer dabei umpolterte, war alles verdorben. Der Koffer wackelte gelegentlich ein bißchen, und das fiel nicht weiter auf. Hal brachte seinen Körper so weit herum, daß er Ausschau nach der anderen Seite halten konnte. Da nahm der Angestellte eben ein Gepäckstück an. Er setzte es vorläufig unweit des Koffers ab. Es war ein Päckchen, ungefähr von der Größe, daß sich fünfzigtausend Dollar in kleinen Scheinen darin be finden konnten. 96
Wahrscheinlich hatte jemand seine schmutzige Wäsche ausgegeben. Trotzdem beobachtete Hal aufmerksam, wie der Angestellte das Päckchen wieder aufnahm und zu einem Ständer im Hintergrund schaffte. Donnerwetter! Das war eine Sekundensache gewesen. Der Mann mußte ein Messer in der Hand haben. Während er das Paket absetzte, riß er geschickt ein Loch auf und prüfte mit einem schnellen Blick den Inhalt des Päckchens. Gleich darauf schob er es ein Stückchen zurück, nach der Wand zu. Also doch. So ganz aus Versehen machte man keine Stichproben. Hal beobachtete wei ter, aber er konnte zunächst nichts Verdächtiges fest stellen. Kleinere und größere Koffer wurden herein geschoben und wieder abgeholt. Der Angestellte be nahm sich nicht anders, als sich ein Angestellter bei seiner Beschäftigung zu verhalten hatte. Endlich, eine Stunde mochte wohl vergangen sein, da trug der Angestellte einen kleinen Handkoffer nach hinten und stellte ihn dorthin, wo er das Paket abgesetzt hatte. Das Paket schob er dabei in den Hin tergrund. Ganz harmlos. Er machte weder den Versuch, die Schlösser zu öffnen, noch stach er das helle Leder an. Minuten später trug er zwei dickbäuchige, nagel 97
neue Aktentaschen nach hinten und setzte sie an der gleichen Stelle ab. Das Köfferchen geriet nach hinten und wurde für Hal unsichtbar. Eine halbe Stunde, dann wanderte wieder ein Pa ket den gleichen Weg, zehn Minuten später folgte ein anderes. Hal wurde allmählich stutzig. Merkwürdig, diese kleineren Stücke wurden im mer am gleichen Fleck des Gestells, das sonst nur schwach belegt war, eingeschoben. Dabei füllte sich diese Tafel des Gestells durchaus nicht, sondern blieb genauso leer wie zuvor. Und der Abstand zur Wand war wirklich nicht so groß, daß man das alles hätte zurückschieben können. Wo kamen die Sachen nur hin? Hal überlegte sich das im Laufe der nächsten Stunden noch oft genug, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Dabei brachte der Angestellte noch ver schiedene Pakete, Kistchen und Köfferchen zur glei chen Stelle. Immer blieb das letzte Stück sichtbar stehen, und das vorhergehende verschwand. Doch nein, jetzt setzte er einen Karton ab und schob ihn so weit zurück, daß er auch verschwand. Dann blickte er nach der Uhr. Hals Armbanduhr zeigte fünf Minuten vor Mitternacht. Da erschien ein anderer Angestellter. Ablösung! 98
Die beiden Männer tauschten einige Worte aus, gingen zum Stehpult und prüften dort die Blocks durch. Das dauerte einige Minuten, dann tippte der Abgelöste mit dem Zeigefinger an seine Mütze und verschwand durch eine Tür im Hintergrund. Ein Paket nahm er nicht mit. Trotzdem wurde es jetzt Zeit, ihm zu folgen. Hal drückte die angeschnittene Kofferplatte nach außen, so daß er Luft bekam. Er war so steif geworden, daß er einfach herausrollte. Bevor er seine Gelenke in der Gewalt hatte, kniete der Ablöser auf ihm und hielt ihn fest. Ein anderer Mann schwang sich über die Rampe. »Was – was soll das bedeuten?« rief der Ange stellte aufgeregt. »Lassen Sie mich los«, ersuchte Hal möglichst ru hig, wie er sich’s vorgenommen hatte. »Man hat mich überfallen und in den Koffer gesperrt. Ich muß sofort…« »Rühren Sie sich nicht!« befahl der andere streng. »Sie sind verhaftet. Ich bin Sergeant Jenkins. Habe ich mir doch gedacht, daß es sich lohnen würde, schon heute gut aufzupassen. Sie wollten wohl Ihre Fünfzigtausend abholen, was?« »Fragen Sie nicht so dämlich!« Hal wurde unhöf lich. »Glauben Sie, daß ich mich dann unmittelbar vor Ihren Füßen ausbreite? Lassen Sie los!« Der Angestellte hielt weiter fest, aber Hal warf ihn 99
mit einem Ruck herunter und sprang auf die Füße. Sergeant Jenkins begnügte sich aber auch nicht mit unruhigem Zusehen, sondern packte zu. Hal ver schaffte sich mit einem Faustschlag Luft, doch der Angestellte erwischte seinen Fuß und brachte Hal zum Stolpern. Dadurch holte Jenkins wieder auf. In zwischen sprangen schon zwei weitere Männer über die Rampe und mischten sich in den Kampf ein. Hal wehrte sich tapfer, aber nachdem er in der Hitze des Gefechts eines der Holzgestelle angeschlagen und beträchtliche Teile seines Hemdes geopfert hatte, beugte er sich der Übermacht. Als sich die vier Män ner bedachtsam von ihm lösten, rührte er keine Hand mehr. An der Rampe quetschten sich natürlich die Neu gierigen. »Das ist ein Fang!« frohlockte Jenkins keuchend. »Ich habe mir doch gedacht…« »Denken Sie getrost weiter«, schnauzte Hal, »aber vergessen Sie über Ihrem verminderten Geisteszu stand nicht den Erpresser zu verfolgen. So ein Blöd sinn! Sie halten mich hier zu viert fest, und der Kerl geht in aller Gemütsruhe nach Hause. Los, hinterher, ich werde mich auch nicht von der Stelle rühren. Der Angestellte ist es, der bis jetzt hier Dienst getan hat!« Die Männer lachten überlegen. »Auf den Trick fallen wir nicht rein. Wir werden Sie schon im Auge behalten und nicht einem harmlo 100
sen Angestellten nachrennen. Ich werde Oberinspek tor Tutter benachrichtigen, und…« Hal wurde ungemütlich. Der Erpresser ahnte ja wohl kaum etwas, aber wenn er nicht bald verfolgt wurde, war er verschwunden. »Das können Sie später tun«, drängte er. »Ich spreche völlig im Ernst. Seit vier Stunden liege ich in dem Koffer und beobachte den Angestellten. Ich bin davon überzeugt, daß er der Erpresser ist. Sie wissen doch Bescheid darüber?« »Haargenau, aber…« »Er hat verschiedene Pakete dort hinten unterge bracht. Das waren alles Pakete, in denen fünfzigtau send Dollar oder ähnliche Beträge stecken konnten. Und eins hat er aufgeschnitten, das habe ich ganz deutlich gesehen.« »Quatsch«, knurrte Jenkins. »Mr. Lowdry hat überhaupt nur ein Paket abgeliefert. Es war ein Pappkarton, den er mit Papier umwickelt hatte.« »Aber Mensch!« stöhnte Hal. »Glauben Sie denn, daß der Erpresser nur an Mr. Lowdry geschrieben hat? Heute abend sind hier etwa ein Dutzend Leute gewesen, die große Beträge abgeliefert haben. Und er hat sie alle dort hinten untergebracht.« Der Ablöser hatte das breite Fenster an der Rampe heruntergelassen und damit die Neugierigen zu deren Empörung ausgesperrt, dann war er nach hinten ge gangen. 101
»Hier liegt überhaupt kein Paket!« meldete er jetzt. »Unsinn«, gab Hal gereizt zurück. »Dort, ein Brett höher, müssen ein Dutzend liegen.« Die ganze Gruppe bewegte sich unwillkürlich nach hinten. »Nichts!« Der Ablöser schüttelte den Kopf. »Er lügt wie gedruckt.« »Aber er hat sie doch hierher gelegt!« beharrte Hal wütend. »Ich bin doch nicht betrunken!« Der Angestellte griff sich plötzlich an die Stirn. »Donnerwetter!« Er beugte sich nach hinten, angelte an der Wand herum und öffnete dabei eine größere Klappe. »Hm«, sagte er nachdenklich, »möglich wäre es schon. Das war früher die Durchgangsstelle für die Eilpost. Von hier aus geht ein Rutschschacht nach der Außenfront, so daß die Wagen die Eilpakete gleich unten aufnehmen konnten. Und der Schlitten ist nicht mehr oben.« Hal begriff als erster. »Dann hat er also die Pakete in den Schlitten ge schoben und diesen hinunterrutschen lassen, bevor er gegangen ist?« »Das wäre möglich!« »Und unten braucht er das Zeug nur herausneh men, während hier große Volksreden gehalten wur den?« 102
Der Angestellte hob die Schultern. »Tja, wenn er der Erpresser ist?« Jetzt kam auch Jenkins zur Besinnung. »Das ist verdammt merkwürdig. Vielleicht…« »Auf das ›Vielleicht‹ können Sie Gift nehmen!« fuhr Hal ihn an. »So laufen Sie doch schon, vielleicht fassen Sie ihn noch!« Jenkins tippte seinen Kameraden an. »Sie bleiben hier und bewachen den jungen Mann, bis der Oberinspektor kommt. Los!« Er rannte mit dem zweiten Polizisten hinaus. Hal sah ein, daß man ihn so schnell nicht fortlassen wür de und lehnte sich müde gegen ein Gestell. Ah nungsvoll murmelte er: »Den kriegt ihr nicht mehr!« Womit er richtig ahnte. Aber Sun Koh hatte gar nicht damit gerechnet, daß es Hal gelingen würde, rechtzeitig Anschluß zu fin den. Er nahm an, daß der Angestellte wirklich der Er presser war. Dieser hatte sicher nicht nur an Lowdry geschrieben, sondern an eine ganze Reihe von Leu ten. Dann mußten also verschiedene Pakete von im merhin nicht geringer Größe eintreffen. Es war aus geschlossen, daß der Mann diese Pakete unter dem Arm forttragen dürfte. Er mußte einen besonderen Trick haben, um die Päckchen aus dem Bahnhof he rauszubringen und fortzuschaffen. Sun Koh ermittelte den Ausgang, an dem der An 103
gestellte zu erwarten war. Dann unterhielt er sich mit einem Güterbodenarbeiter, der ihm in den Weg lief. Von ihm erfuhr er, daß die Angestellten der Gepäck abnahmen um Mitternacht abgelöst wurden und daß sie nur durch diese Tür das Gebäude verlassen durf ten. Erstens hatten sie im letzten Zimmer vor der Tür abzurechnen und zweitens mußten sie durch die Kontrolle, durch die gelegentliche Veruntreuungen unterbunden werden sollten. Sun Koh zog sich für eine Weile zurück. Die be wußte Tür ließ er aber nicht aus den Augen. Mitternacht. Fred Callor – den Namen erfuhr Sun Koh erst spä ter – trat als erster aus der Tür, ging mit schnellen Schritten an der Hinterfront entlang, durch das Tor und am Seitenbau entlang zur hellen Vorderfront. Dort stand dicht am Gehsteig ein Motorrad mit Beiwagen. Der Beiwagen trug einen kastenähnlichen Aufbau, wie man ihn bei der Post häufig findet. Callor ging auf das Motorrad zu, schwang sich auf, versuchte die Hebel und trat den Starter durch. Sun Koh fand, daß es zweckmäßig gewesen wäre, ebenfalls ein Motorrad bereitzuhalten. Aber vorläufig bestand überhaupt noch kein Grund, um diesen Mann zu verfolgen. Wo blieben die Pakete? Da stieg Callor wieder ab und trat an die Wand. Dort befand sich eine Eisenklappe. Callor ließ sie 104
herunter, zwei, drei, zehn Pakete stürzten heraus. Schnell und sicher warf Callor sie in den Beiwagen. Niemand kümmerte sich um den Vorgang. Sun Koh schlug einen Bogen und beeilte sich, an die dahinter stehende Reihe Taxis zu kommen. Er hätte Callor stellen können, aber es lag ihm weniger an dem Geld als an Professor Schunekamp. Der Mann mußte ihn dorthin führen, wo er die beiden gefangenhielt. Da schwang sich Callor schon auf. Sun Koh rannte das letzte Stück bis zum nächsten Wagen. »Dem Motorradfahrer dort nach. Hundert Dollar, wenn Sie hinter ihm bleiben, das Doppelte, wenn er es nicht merkt!« Der Fahrer schien eben noch geschlafen zu haben, aber während Sun Koh sprach, startete und schaltete er schon. Der Abstand gegenüber dem wegfahrenden Motorrad betrug fünfzig Meter. Callor fuhr erst recht gemächlich durch die Stra ßen. Doch plötzlich drehte er auf, ging scharf um die Ecken und nutzte jede Gelegenheit aus. Er mußte den Verfolger bemerkt haben. Die beiden Fahrzeuge hetzten eine Weile durch die Straßen. Sun Koh wäre am liebsten selbst hinter dem Steuer gewesen, aber er hätte kaum besser fah ren können. Sein Fahrer war offenbar mit jedem Winkel vertraut und fuhr hervorragend. 105
Jetzt ging es in eine unbelebte Verbindungsstraße hinein. Wollte Callor halten? Er drehte sich um, schwang den Arm zurück, als wollte er etwas werfen… ›Tillyt‹! Ganz plötzlich wurde sich Sun Koh der ungeheu ren Gefahr bewußt. Dieser Mann hatte das ›Tillyt‹ in der Hand, jenes ›Tillyt‹, das in Sekundenschnelle eine Eiswand aufbaute. Wenn das, was er warf, ›Til lyt‹ war, dann würde in der nächsten Sekunde die ganze Straße zwischen den beiden Fahrzeugen ge sperrt sein, dann raste das Auto gegen eine Eiswand an, dann… »Bremsen!« schrie Sun Koh auf und riß selbst die Handbremse mit voller Wucht zurück. Der Fahrer handelte eine Kleinigkeit später. Aber was wollte das besagen? Zehn Meter voraus wirbelte eine trübe Wolke heran, zehn Meter voraus stand im nächsten Augenblick das feste Hindernis. Der Bremsweg war bei dieser Geschwindigkeit be deutend länger. Der Verfolgte bog eben um die nächste Ecke. Zehn Meter! Fünfzehn Meter! Ringsum dicke Nebelsuppe, aus der es in dünnen Schleiern abregnete. Kein Hindernis! 106
Die Bremsen kreischten, die Räder zogen rut schend schwärzliche Bahnen abgeriebenen Gummis über den Asphalt. Es regnete. Zwanzig Meter. Die Stelle, wo der Aufschlag er folgt sein mußte, war lange vorüber. Und immer noch kein Hindernis, nur Nebel und Nässe. Hatte sich Callor so geirrt? Solche Wirkungen zeigte wohl das harmlose ›Tillyt‹, das Schunekamp angepriesen hatte. Der Wagen stand. »Verdammt noch mal«, schimpfte der Fahrer. »Sie sind aber sprunghaft in Ihren Entschlüssen. Jetzt ha ben wir natürlich den Anschluß verloren!« Sun Koh strich sich über die Stirn, als müßte er dort Spinnweben wegwischen. Es war aber nur der Dunst, der ihn störte. »Es ist nicht zu ändern«, sagte er ruhig. »Ihre Be lohnung erhalten Sie trotzdem. Sie sind vorzüglich gefahren.« »Ich kenne mich aus.« Der Fahrer lachte kurz. »Aber Glück haben wir gehabt, daß wir bei der Näs se nicht an der Hauswand gelandet sind. Ich möchte nur wissen, wieso es hier plötzlich regnet.« »Fahren Sie noch ein Stück langsam vor«, bat Sun Koh. Der Wagen rollte an. Wenige Meter weiter wurde 107
es trocken. Sun Koh ließ wieder halten und blickte zurück. Nebel und Regen ließen jetzt schnell nach. Die Er scheinung war örtlich begrenzt und betraf nur ein Straßenstück von etwa fünfzig Meter Länge. Sie war verschiedenen Leuten aufgefallen. Sie blickten zum Himmel und schüttelten die Köpfe. Sie hatten auch einigen Grund dazu, denn der Himmel spannte sich klar über der Straßenschlucht. Sun Koh ließ sich zum Zentralbahnhof zurückfah ren. Er kam gerade zurecht, um in die Verhandlung zwischen Hal und Oberinspektor Tutter einzugreifen. Tutter war ernstlich mißtrauisch und auch ziemlich verdrossen, weil Hal aus seiner Meinung über die Auffassungsgabe gewisser Polizeibeamter wenig Hehl gemacht hatte. Er ließ sich jedoch durch den Bericht Sun Kohs und des Fahrers überzeugen, daß Hal unschuldig war – notgedrungen. Aber er war weit davon entfernt, Hals Verdienste anzuerkennen. »Da sieht man, was bei einer derartigen Einmi schung herauskommt«, brummte er abschließend. »Ihren guten Willen natürlich in Ehren, aber es wäre doch klüger gewesen, Sie hätten mich auf Ihre Ab sichten aufmerksam gemacht. Dann wäre es ein Leichtes gewesen, den Mann hier oben oder unten zu überführen und abzufangen.« »Hinterher haben es die Besserwisser leicht«, mur melte Hal. »Hätten Sie doch den Einfall selbst gehabt.« 108
»Der Mißerfolg gibt Ihnen in mancher Hinsicht recht«, sagte Sun Koh. »Die Möglichkeit, den Mann festzuhalten, hätte natürlich bestanden. Aber mein Ziel war, Professor Schunekamp zu finden.« »Ich verstehe das schon.« Tutter nickte versöhnli cher. »Lowdry und die anderen Erpreßten wären aber schon zufrieden gewesen, wenn Sie den Mann ge bracht hätten. Nun, jedenfalls ist es nicht mehr zu ändern.« Sun Koh und Hal kehrten ins Hotel zurück. Tutter aber schickte zwei Leute hinter ihnen her. Zur Begründung erklärte er dem begleitenden In spektor: »Ich werde die beiden lieber nicht mehr aus den Augen lassen. Es kann sein, daß alles stimmt, was sie erzählten. Der Junge ist zwar ein frecher Pa tron, aber Mr. Sun Koh macht einen guten Eindruck. Immerhin – die Dinge können auch wesentlich an ders liegen. Übrigens traten in dieser Nacht noch Ereignisse ein, die den leisen Verdacht des Oberinspektors in mancher Hinsicht kräftigten. Genau genommen wußten um diese Stunde weder Sun Koh noch Tutter etwas Genaues. Beider An nahmen gingen daneben. Sie wußten nicht, daß sich der Erpresser nur am Rande der Ereignisse befand. Sie ahnten nichts von Griffith. Aber die Nacht war noch nicht vorüber.
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5.
Tilly Schunekamp mißtraute dem menschenfreundli chen Griffith. Sie wollte sein Haus verlassen, aber ihr Vater war zu verblendet, um ihr das zu erlauben und Griffith auch noch entsprechend zu beauftragen. Sie fügte sich jedoch nicht, sondern entschloß sich zur Flucht. Sie glaubte nicht daran, daß Sun Koh und seine Begleiter um das Haus herumlungerten und nur auf die Gelegenheit zu einem Gewaltstreich lauerten. Sie hoffte vielmehr, die drei im ›Biltmore‹ zu finden und durch eine Aussprache Klarheit zu schaffen. Die Nacht war klar, doch die Bäume, die rings um das Haus standen, machten den Boden dunkel. Zwei Männer schienen das Haus von außen zu bewachen. Sie hörten gelegentlich Schritte, einige Worte und ein Husten oder sahen den roten Punkt einer glühenden Zigarette aufleuchten. Gegen Mitternacht verließ nun Tilly Schunekamp vorsichtig ihr Zimmer. Das Haus war ganz still. Sie spürte eine unbestimmte Angst, aber der Vorsatz trieb sie weiter. Sie machte nicht erst den Versuch, durch das Fen ster hinunterzukommen. Das war zwecklos. Man würde sie bemerken. Aber unten im Keller befand sich das Notlaboratorium, in dem sie heute mit ihrem Vater zusammen gearbeitet hatte. Von dort führte ein 110
kleines Fenster unter die Terrasse. Dort war es leich ter, ins Freie zu kommen. Wie groß dieses Haus war! Sie hatte den Eindruck, daß Stunden vergangen seien, als sie endlich unbe merkt in den gesuchten Kellerraum eindringen konn te. Niemand hatte sich um sie gekümmert, aber sie drehte doch vorsorglich den Schlüssel um. Dort war das Fenster. Minuten später hockte sie unter der Terrasse. Ein Mann schlenderte gemächlich vorbei. Als er um die Ecke herum verschwunden war, huschte sie vom Haus weg zum nächsten Baum, dann weiter in den Park hinein, der sich tief hinzog. Sie hastete weiter, hundert, zweihundert Meter und mehr. Ein schmaler, wassergefüllter Graben sperrte. Sie sprang hinüber, umging eine hellere Rasenfläche, fand einen Weg und erstarrte plötzlich unter einem furchtbaren Schreck. Ein Mann trat aus dem Schlagschatten eines Bau mes heraus. Mit zwei Schritten stand er neben ihr und faßte ihren Arm. »Miss Tilly? Miss Schunekamp? Ist das möglich?« Jim Hunter! »Sie?« seufzte sie. Ihre Knie wurden unter der Nachwirkung des Schreckens weich. Sie hatte das Gefühl, daß sie umfallen müßte. Hunters Hand hielt sie jedoch, und der feste Druck an ihrem Arm brach te ihr die Besinnung zurück. 111
»Sie sind es?« flüsterte sie erstaunt und zugleich erleichtert. »Ja«, sagte Hunter nicht weniger erstaunt. »Das nenne ich ein glückliches Zusammentreffen. Aber sagen Sie mir um Gottes willen, was Sie zu dieser Stunde hier in dem fremden Park treiben? Ich bin froh, Sie endlich wiederzusehen, aber ich hätte wahr scheinlich alles andere erwartet, als daß Sie mir ge wissermaßen in die Hände laufen würden.« In die Hände laufen würden? War es dieser Ausdruck, der sie störte? Hatte Griffith nicht dauernd davon geredet, daß ih re Feinde, also auch Hunter, um das Haus herumlun gerten und auf günstige Gelegenheit warteten? Hier stand Jim Hunter. War das nicht der Beweis für alles, was an Verdächtigungen ausgesprochen worden war? Was hatte Hunter um diese Nachtzeit hier zu suchen? »Haben Sie auf mich gewartet?« fragte sie unsi cher. »Ich habe Tag für Tag auf Sie gewartet«, erwider te er ernst. Aber Tilly Schunekamp faßte die Antwort anders auf. Sie hörte nur eine ziemlich unverfrorene Bestä tigung ihres Verdachts. »Also doch«, flüsterte sie enttäuscht. »Das hatte ich nicht erwartet. Warum – warum wollen Sie mei nen Vater eigentlich betrügen?« 112
»Wieso?« fragte Hunter verwundert. »Ich will doch Ihren Vater nicht betrügen.« »Sie wollen ihn gewaltsam um seine Erfindung bringen!« »Ich denke nicht daran!« »Aber Sie sind doch hier, mitten in der Nacht!« Er erfaßte die Bedeutung nicht ganz, sondern verstand nur, daß sie sich über seine Anwesenheit wunderte. Deshalb gab er ihr die entsprechende Er klärung. »Das hat doch mit Ihrem Vater nichts zu tun. Oder genau genommen doch. Es handelt sich nämlich um Mr. Lowdry, dem dieses Grundstück gehört. Er be findet sich in Gefahr. Es befindet sich zwar Polizei im Haus, aber Mr. Sun Koh hält eine Überwachung trotzdem für geboten. Wir hoffen, von hier aus eine Spur des Erpressers und Mörders zu finden und so zu Ihrem Vater zu kommen. Und nun stehen Sie einfach hier?« Die Beziehungen, die er erwähnte, waren ihr durchaus unklar. Sie nahm an, daß er schnell eine Geschichte erfunden habe. »Ja«, sagte er lebhafter, als sie schwieg, »wie ist denn das möglich? Demnach müssen Sie doch ganz in der Nähe wohnen, und Ihr Vater muß sich eben falls hier befinden? Werden Sie nicht gefangengehal ten?« »Ich dachte es«, gab sie leise zurück, »aber ich 113
glaube, ich habe mich geirrt. Sie bemühen sich ver geblich. Und – nun muß ich gehen.« »Ausgeschlossen!« widersprach er heftig. »Ich lasse Sie nicht gehen, und wenn ich Sie mit Gewalt festhalten müßte.« Diese Worte hatten ihr noch gefehlt. Sie riß sich los. »Nein! Ich…« Hunter wollte nach ihr greifen, aber sie lief hastig davon. Er folgte ein Stück, aber dann wagte er doch nicht, sie weiter zu hetzen und blieb stehen. Tilly Schunekamp aber lief, auch als sie ihn nicht mehr hinter sich hörte. Sie verlangsamte ihre Ge schwindigkeit erst, als sie das Haus vor sich sah. Eine Sekunde lang blieb sie stehen, bevor sie aus dem Schutz der Bäume heraustrat. Um das Haus gin gen Wächter herum. Ihr Erscheinen würde einiges Aufsehen erregen. Aber dann ging sie trotzig weiter. Was tat es schon? Sie kam ja zurück. Die Leute mußten froh sein, daß sie freiwillig wieder in das Haus ging. Da bog auch schon ein Mann um die Ecke. Son derbarerweise regte er sich überhaupt nicht auf. Er verneigte sich nur flüchtig, als sie an ihm vorbei auf die Terrasse hinaufging. Das verstand sie zwar nicht, aber sie war froh, daß ihr die Auseinandersetzung erspart blieb. Die Tür, die von der Terrasse ins Haus führte, war 114
nicht verschlossen. Sie ging durch einen Raum, den sie noch nicht betreten hatte, auf den Flur und von dort nach oben. Aber als sie in ihr Zimmer trat, erschrak sie. Das Zimmer hatte sich völlig verändert. Vor einer Stunde noch war es ein ziemlich nüchtern und lieblos einge richteter Raum gewesen, jetzt jedoch befand sie sich in einem ganz entzückenden mit mattem Edelholz und Seide ausgestatteten Schlafzimmer, das von ei nem feinfühlenden und kunstsinnigen Menschen ei gens für sie geschaffen zu sein schien. Wie war so etwas möglich? Hatte sie die Türen verwechselt? Sie trat wieder auf den Gang, an dem ihr auch manches verändert vorkam. Nein, das war schon ihre Tür. Aber… Sie fand keine Antwort auf die Fragen, die auf sie eindrängten. Und während sie noch nachdachte, er innerte sie sich wieder an Hunter. Und gegenüber dieser Erinnerung wurde die Verwandlung des Rau mes doch unwesentlich. Die richtige Erklärung war einfach genug. Die beiden Häuser, die jetzt Griffith und Lowdry gehör ten, waren von einem Architekten nach einem Bau plan erbaut worden. Sie unterschieden sich eigentlich nur in der Inneneinrichtung. Zu jedem Haus gehörte ein tiefgezogenes Stück Park. An der Grundstücks grenze stand kein Zaun. Man hatte sich mit einem 115
schmalen Graben begnügt, um den landschaftlichen Eindruck nicht zu zerstören. Tilly Schunekamp war über den Graben gesprun gen, aber sie hatte auf dem Rückweg keinen Graben mehr übersprungen. Sie war in ihrer Aufregung nicht zu Griffiths Haus, sondern zu Lowdrys Haus gelau fen. Der Mann, den sie gesehen hatte, war ein Poli zist gewesen. Und dieser kannte Helen Lowdry nur flüchtig und hatte angenommen, daß diese ins Haus zurückgekehrt sei. Denn Helen Lowdry hatte vor kurzem das Haus von der Terrasse aus verlassen und war in den Park hineingegangen. Aber nicht allein. * Well Hendrick hatte die Bewachung des Lowdry schen Anwesens gern übernommen. Er hoffte, daß sich eine wiederholte Begegnung mit der stolzen, aber überaus hübschen Helen Lowdry nicht vermei den lassen würde. Die Hoffnung erfüllte sich, aber Well Hendrick fühlte sich trotzdem nicht restlos befriedigt. Das Verhalten der jungen Frau erweckte in ihm den Ein druck, daß er zum Personal gerechnet würde. Gewiß, Helen Lowdry war freundlich zu den Polizisten, aber Hendrick fühlte sich ziemlich kühl behandelt. Wahr 116
scheinlich lag das daran, daß er einige Anordnungen durchdrücken mußte, die nicht ihrem Willen entspra chen. Jedenfalls blickte er ziemlich mißmutig in die Zu kunft, als er um Mitternacht herum im Terrassen zimmer saß und die Zeit verdöste. Er wurde aber hellwach, als das Licht angeschaltet wurde und He len Lowdry eintrat. Selbstverständlich sprang er auf und verbeugte sich. »Ach, Sie sind hier?« sagte sie etwas überrascht und zugleich erschrocken. »Ja«, bestätigte er steif. »Ich sagte Ihnen ja, daß ich die Nacht hier verbringen würde.« »Ach, das hatte ich vergessen«, gab sie leichthin zurück. »Lassen Sie sich bitte nicht stören.« Sie schritt durch den Raum auf die Außentür zu. Als sie die Klinke in die Hand nahm, erkundigte er sich: »Verzeihung, wollen Sie etwa hinaus?« Sie wandte sich nach ihm um und erwiderte hochmütig erstaunt: »Gewiß, ich kann nicht schlafen und will noch etwas im Park Spazierengehen. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden?« Ihr Ton reizte ihn wie eine Stecknadel, die aus Versehen im neuen Oberhemd steckengeblieben ist. »Jawohl«, gab er in entsprechendem Tonfall zu rück, »allerhand sogar. Sie können nicht einfach mit ten in der Nacht draußen herumlaufen.« »So?« fragte sie spöttisch und betrachtete ihn wie 117
einen neueingetroffenen Wackelschwanzaffen. »Und warum nicht, wenn ich fragen darf?« »Weil es – es geht eben nicht«, antwortete er et was hilflos. »Sie wissen doch genau, daß das Haus bewacht wird und daß wir mit einem Feind in der Nähe rechnen müssen. Sie können doch unter diesen Umständen nicht im dunklen Park Spazierengehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe Sie nicht, Mr…. Wie heißen Sie doch gleich?« »Hendrick, Well Hendrick«, knurrte er wütend. »Also, Mr. Hendrick. Erstens dürfte der Erpresser noch nicht wissen, daß mein Onkel das Geld nicht geschickt hat, und zweitens richtet sich die Drohung doch nicht gegen mich, nicht wahr?« »Sie verstehen das nicht«, erwiderte er schroff. »Der Erpresser kann sich Ihrer bemächtigen. Und in einem polizeilich bewachten Haus kann man nicht nach Belieben mitten in der Nacht hinauslaufen.« »Ach, also habe ich mich als Ihre Gefangene zu betrachten?« »Das natürlich nicht, aber ich finde, Sie brauchen auch nicht unnötig jetzt im Dunkeln herumzulaufen.« »Die Entscheidung, ob eine Notwendigkeit vor liegt oder nicht, müssen Sie schon mir überlassen.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke. »Hm, werden Sie etwa erwartet?« »Erwartet?« Sie stutzte. »Aber nein. Doch lassen 118
Sie sich nicht weiter stören, ich komme bald zu rück.« »Halt! Ich kann Sie nicht so einfach herumlaufen lassen. Sie müssen im Haus bleiben, sonst kann ich keine Verantwortung übernehmen. Oder – ich muß Sie begleiten.« »Bitte«, meinte sie kühl und ging hinaus. So gingen sie gemeinsam in den Park hinaus. Als sie einige Zeit im Park entlangspazierten und sich doch noch allmählich ein ganz nettes Gespräch entwickelte, blieb Well Hendrick plötzlich stehen und lauschte. Irgendwo sprachen Menschen mitein ander. Ein Mann und eine Frau mußten es sein. Die Worte wurden heftiger, dann rannte jemand fort. Ein Name wurde gerufen. »Was ist das?« flüsterte Helen Lowdry. »Ich weiß nicht«, gab Hendrick zurück. »Die bei den befinden sich aber auf diesem Grundstück, sogar weiter nach dem Haus zu. – Bitte, warten Sie einen Augenblick, ich will nur mal sehen…« Er ging geduckt mit leisen Schritten zur Seite, um durch die Büsche hindurch zu der Stelle zu kommen, wo die beiden miteinander gesprochen hatten. Er war keine zehn Meter weit gekommen, als ihn ein Schrei herumriß. Da stand Helen Lowdry im Halbdunkel. Einige Männer stürzten auf sie zu. Hendrick rannte zurück. Er dachte nicht an seine Waffe, sondern stürzte sich mit bloßen Fäusten auf 119
die Männer, die nach der jungen Frau griffen. Es wurde ein harter Kampf für Well Hendrick. Er war ein guter Boxer, aber die unbekannten Angreifer standen ihm kaum nach und hatten den Vorteil des Übergewichts für sich. Er kämpfte wie ein Verzwei felter und konnte doch nichts dagegen tun, daß ihn immer neue Schläge erschütterten und mürbe mach ten. Das Ende war vorauszusehen. Für Well Hendrick waren diese Sekunden sehr lang, aber für Jim Hunter zählten sie nur als gewöhn liche Stunden. Er hörte den Lärm weiter seitlich, lauschte und ging mit einiger Vorsicht heran. Erst als er entdeckte, daß dort ein Mann sich gegen drei ver teidigte, begann er zu laufen. Er erreichte den Platz, als Hendrick unter einem heimtückischen Messerstich zusammenbrach. Da führte er den Kampf weiter. Der Messerstecher be kam die ganze Wucht des Ansprungs zu fühlen und rollte in die Büsche. Er schied aus. Die beiden ande ren aber stürzten sich auf Hunter, bevor er noch rich tig zum Stand gekommen war. Sie konnten ihn aber nicht erschüttern. Mit einigen harten Schlägen ver schaffte er sich Luft und drang dann angreifend auf die beiden ein. Wahrscheinlich wäre es ihm gelun gen, sie zu Boden zu zwingen, aber plötzlich knackte etwas Hartes auf seinen Hinterkopf und nahm ihm die Besinnung. Irgend jemand mußte von hinten auf ihn eingeschlagen haben. 120
Helen Lowdry stand in starrem Entsetzen. Sie war nicht fähig, einen Ton herauszubringen oder eine Bewegung zu machen. Doch dann wurden hinter ihr Schritte laut. Männer eilten heran. Irgendeiner rief nach Hendrick. Die Polizisten hatten den Pfiff gehört. Der Mann, der den letzten Schlag getan hatte, stieß einen Fluch aus, dann machte er eine Bewegung mit dem Arm, als wollte er etwas werfen. * Etwa zwei Stunden später trafen Sun Koh und Hal vor dem Lowdryschen Grundstück ein. Sun Koh wollte Hunter mitteilen, daß Fred Callor der Erpres ser war. Auf der Straße befand sich Hunter nicht, er mußte also das Haus vom Grundstück aus überwachen. »Da können wir aber lange suchen«, meinte Hal. »Soll ich mal pfeifen?« Sun Koh nickte. Hal stieß einen Pfiff aus, der wie ein grober Peitschenschlag durch die nächtliche Stille schnitt. Dann warteten sie. Aber Hunter zeigte sich nicht. »Das müßte er aber gehört haben«, murrte Hal. »Ich kann mir nicht denken, daß er sich einfach aufs Ohr gelegt hat. Und es ist doch so still in der Ge gend.« 121
Sie schritten dicht am Zaun entlang und spähten zu dem Haus hin, das von den Bäumen teilweise ver borgen wurde. Am Haus rührte sich nichts. »Pfeif noch mal, Hal.« Hal tat sein Bestes, aber der Erfolg blieb so gering wie zuvor. Sun Koh schüttelte den Kopf. »Da scheint etwas nicht in Ordnung zu sein. Komm!« Er flankte über den meterhohen Torpfeiler. Hal folgte. Die Anfahrt war breit und übersichtlich. Niemand, der sich im Grundstück befand, konnte die beiden übersehen. Aber weder ein Anruf noch sonst etwas kam. Alles blieb still. Sie gingen um das Haus herum. Nichts – weder Polizisten noch Hunter. Sun Koh wandte sich an Hal. »Lauf zum Tor und klingle. Wir können so am einfachsten feststellen, ob sich jemand im Haus befindet.« Hal rannte los. Bald darauf schrillte die Glocke durch das dunkle Haus. Hal klingelte unentwegt. Aus einem Fenster der Seitenfront fiel endlich ein Lichtschein. Das Fenster wurde geöffnet. Ein Mann rief unruhig und etwas besorgt hinaus: »Ja, was ist denn?« »Hallo«, rief Sun Koh. »Bitte kommen Sie doch herunter. Ihr Haus steht ja offen!« 122
»Wieso? Wo sind denn die Polizisten?« »Hier sind keine Polizisten.« »Was? Ja, mein Gott…« »Bitte, kommen Sie herunter!« rief Sun Koh wieder hinauf. »Ich möchte nicht in Ihr Haus eindringen. Falls ich es mit Mr. Lowdry zu tun habe, versichere ich Ihnen, daß Sie von mir nichts zu befürchten haben.« »Die Versicherung ist billig«, gab Lowdry halb laut zurück. »Aber ich komme.« Ein Feigling war er sicher nicht, doch er hielt seine Waffe schußbereit in der Hand und richtete sie auf Sun Koh, sobald er ihn im Lichtkreis der Eingangs lampe erblickte. »Wer sind Sie?« »Ich heiße Sun Koh«, sagte der Gefragte und wies dann auf Hal, der eben herantrat. »Das ist Hal Mer vin. Ich habe den Erpresser, der Sie bedroht, heute nacht verfolgt, aber leider wieder aus den Augen ver loren. Von Oberinspektor Tutter weiß ich, daß dieses Haus von mehreren Polizisten bewacht werden soll te. Zu meinem Erstaunen fand ich bei einem Rund gang niemanden vor.« »Ja, aber das ist doch nicht möglich?« rief Lowdry verwundert. »Als ich mich hinlegte, waren doch noch fünf Herren hier. Sie können sich doch nicht einfach entfernt haben!« »Man sollte es annehmen. Sind Sie der einzige Mensch im Haus?« 123
Lowdry hob die Schultern. »So ziemlich. Mein Personal mußte ja auf Anwei sung der Polizei das Haus am Abend verlassen. Nur meine Nichte schläft noch oben. Doch treten Sie bitte ein.« Sun Koh und Hal folgten nur in den Vorraum. »Würden Sie sich bitte überzeugen, ob Ihre Nichte noch im Haus ist? Ich würde auch gern wissen, ob sonst etwas Auffälliges vorliegt?« »Tja, dann müßte ich die Zimmer absuchen«, er widerte Lowdry. »Wollen Sie sich nicht lieber an schließen? Sonderbare Geschichte!« Sein ursprüngliches Mißtrauen war ganz ver schwunden. Wie sich später herausstellte, hielt er Sun Koh für einen Inspektor der Kriminalpolizei. Sun Koh und Hal schlossen sich an. Sie gingen von Raum zu Raum durch das ganze Haus. Nirgends entdeckten sie etwas, das auf einen Kampf, einen Überfall oder sonst ein besonderes Ereignis schließen ließ. An einem Zimmer klopfte Lowdry nur und rief durch die Tür: »Helen? Helen, bist du da?« Erst rührte sich nichts, dann kam gedämpft: »Ja!« »Dann ist es gut«, sagte Lowdry hastig. »Schlafe weiter!« Später sagte er zu Sun Koh. »Ich wollte sie nicht erst beunruhigen. Es genügt ja auch, daß sie anwe send ist.« 124
Die Durchsuchung des Hauses ergab jedenfalls keine Begründung für das Verschwinden der Polizei. »Ich werde noch im Park nachsehen«, sagte Sun Koh. »Mr. Lowdry, es ist wohl am besten, wenn Sie sich inzwischen mit Oberinspektor Tutter in Verbin dung setzen und ihm unsere Feststellungen mitteilen. Hal, du bleibst vorläufig bei Mr. Lowdry, damit er für alle Fälle geschützt ist.« Das Haus befand sich schon außer Sicht, als sich Sun Kohs Aufmerksamkeit endlich lohnte. Da stand eine Steinbank an der Seite des Weges. Die eine Hälfte war hell und trocken, die andere merklich feucht und dunkler. Auf diese Hälfte mußte es im Laufe der letzten Stunden stark geregnet ha ben. Die Umgebung, die eine ähnlich scharfe Schei dung zwischen feucht und trocken zeigte, bestätigte die Vermutung. Nun waren ja solche scharfen Gren zen auch bei gewöhnlichen Regenfällen nicht selten, aber Sun Koh bezweifelte ernstlich, daß es in dieser Nacht geregnet hatte. Er untersuchte Blätter, die im Bereich der feuchten Zone hingen. Sie waren weich und schlaff gefaltet. Da das künstliche Licht des Handscheinwerfers den Eindruck aber stark verfälschte, ließ sich nicht mit voller Bestimmtheit sagen, ob sie einer Kältewelle ausgesetzt worden waren. Die Breite des feuchten Streifens ließ sich auf dem Weg mit rund dreißig Metern bestimmen. Die Länge 125
konnte Sun Koh nicht übersehen. Der Streifen zog sich über eine Rasenfläche hin zu einem Buschwerk hinüber, das ein anderes Stück Weg verdeckte. Hinter diesen Büschen fand Sun Koh die vermiß ten Polizisten. Sie lagen ziemlich dicht beieinander auf dem Weg, als seien sie im vollen Lauf vom Tod getroffen worden. So konnte nur ›Tillyt‹ wirken! Erstickt und erfroren – das würde der ärztliche Be fund sein. Aber hier lagen nur vier Mann, und Lowdry hatte von fünf gesprochen, die sein Haus bewacht hatten. Wo blieb der fünfte? Wo befand sich Hunter? Sun Koh ging auf dem Weg weiter vor, der sich fünfzig Meter voraus gabelte. Hier hatten Menschen miteinander gekämpft. Die Büsche waren teilweise angebrochen, der Boden trug zahlreiche Fußspuren. Die tiefen Eindrücke und zu sammengeschobenen Sandhäufchen ließen auf schnelle und starke Fußbewegungen von Männern schließen. Die Schuhe einer Frau zeichneten sich deutlich ab. Ein dunkler Fleck konnte von Blut her rühren. Dort führte die Spur als breite Gasse durch die Bü sche. Sie war dann auch zwischen den Bäumen kaum mehr zu verlieren. Der weiche Boden zeigte genug Abdrücke. Erstaunlich tief war dieses Parkgrundstück. 126
Doch da kam voraus ein Haus in Sicht. Es besaß viel Ähnlichkeit mit Lowdrys Haus. Die Spuren führ ten auf das Haus zu. Für diese Nachtzeit gab es dort reichlich viel Le ben. Die Fenster waren an verschiedenen Stellen er leuchtet. An der entgegengesetzten Seite bewegten sich Menschen. Ein Motor summte leise im Leerlauf. Sun Koh ging von Baum zu Baum, bis er die Vor derseite des Hauses überblicken konnte. Dort standen sogar zwei Wagen. In den ersten, dessen Motor schon lief, stiegen eben zwei Männer. War das nicht Professor Schunekamp gewesen? Der Wagen rollte ab. Ein Mann blickte ihm nach, ein anderer trat eben aus der Tür. Sun Koh sprang an die Hauswand hinüber. Die beiden wechselten einige Worte, dann gingen sie zusammen in das Haus hinein. Sun Koh eilte vor. Als er die Haustür eben behutsam öffnen wollte, wurde sie von innen aufgerissen. Einer der Männer hatte die Absicht gehabt, wieder hinauszugehen. Er streckte sich vor Überraschung und Schreck. »Wa – was…« Im Hintergrund der Diele wurden zwei Männer aufmerksam. Sun Koh trat schnell auf den nächsten zu. »Ich möchte…« Da duckte sich der Mann, und schon stieß seine Faust vor. Er stieß ins Leere. Aber die Knöchel Sun 127
Kohs krachten auf das ungedeckte Kinn, so daß der Mann auf den Steinboden schlug und fortrutschte. Da kamen schon die beiden anderen heran. Ihre Haltung bewies, daß sie geübte Boxer waren. Sun Koh drehte sich unter dem doppelten Angriff weg und landete einen Uppercut mit derartiger Härte, daß die Parade des Mannes durchschlagen wurde und er rückwärts taumelte. Der zweite brachte inzwi schen einen Schlag an, den Sun Koh gelassen ein steckte, dann wedelte ihn ein Schwinger gegen die Wand. Aber die beiden waren zähe Burschen. Sie griffen sofort wieder an. Der eine knickte stöhnend zusam men, der andere gab gleich darauf durch einen kraft vollen Luftstoß seine Deckung frei. »Macht Platz!« rief jemand von der Seite her. Am Treppenaufgang erschien ein Mann. Die Pi stole in seiner Hand verriet deutlich, daß er von dem Boxkampf nicht viel hielt und sich die Überlegenheit auf bessere Weise zu sichern gedachte. Sun Koh veränderte in letzter Sekunde die Bewe gung des vorschießenden Armes. Er schlug nicht, sondern packte zu, hob den Mann, der ohnehin kein Gleichgewicht mehr besaß, auf und schleuderte ihn auf die Treppe zu. Sun Koh sprang sofort nach. Der Mann an der Treppe schoß, aber er hielt zu hoch. Den dritten Schuß knallte der Schütze gegen die 128
Decke, denn inzwischen kam Sun Koh aus dem Überrollen wieder auf die Füße und schlug von unten her gegen den bewaffneten Arm. Ein Fausthieb folg te, der den Mann auf die Stufen legte. Gleich darauf hielt Sun Koh die Pistole in der Hand. Die drei an der Tür waren so beeindruckt, daß sie die Arme reckten, als er zu ihnen hinblickte. »Treten Sie dorthin!« Sun Koh wies zur Wand. »Machen Sie keine unbedachten Bewegungen. Auf, Sie stellen sich auch dorthin.« Das letzte galt dem Mann auf der Treppe, der sich eben aufrappelte. Er brummte etwas und taumelte hinüber. Einer der drei fühlte sich unbeobachtet. Er griff schnell nach dem Drücker der Tür. Eine Kugel schlug jedoch so dicht vor seiner Nase ins Holz, daß er schnell wieder den Arm hochriß und sich zu den anderen gesellte. Sun Koh ging an die Gruppe heran. »Gesicht zur Wand, Hände über dem Kopf an die Wand legen.« Sie befolgten den Befehl, aber einer knurrte wü tend: »Kunststück!« »Es ist Rücksicht auf Ihre Gesundheit«, sagte Sun Koh kurz. »Ich will Sie nicht in Versuchung führen.« Er entwaffnete die Männer, die dank der Vor sichtsmaßregel keine Aussicht hatten, einen Trick anbringen zu können. 129
Zwei der Männer trugen außer den Pistolen sogar Totschläger bei sich, einer ein feststehendes Messer. Das beruhigte Sun Koh. Er war sich nämlich noch lange nicht im klaren, ob er überhaupt das morali sche Recht auf seiner Seite hatte. Der Zusammen hang zwischen dem Verbrechen im Park und den Bewohnern dieses Hauses stand ja durchaus noch nicht fest. Es war sogar recht unwahrscheinlich, daß Callor, der als Mörder der Polizisten zunächst in Frage kam, in einem derartigen Haus wohnte und so viele Helfer besaß. Sun Koh hatte sich zunächst erkundigen wollen. Doch die Hitzköpfigkeit seiner Angreifer hatte ihn zur Abwehr gezwungen und einen Verdacht bestärkt, der vorher nur schwach vorhanden gewesen war. »Was wollen Sie eigentlich hier?« schimpfte jetzt einer. »Wenn Sie von der Polizei sind, dann wird Sie das Ihre Stelle kosten. Sie haben kein Recht, hier ein fach einzudringen und uns zu überfallen. Wir wer den…« Sun Koh ließ ihn reden. An der Gegenwand der Diele stand ein Fernsprecher auf dem Tischchen. Daneben lag das Buch. Er suchte Lowdrys Nummer und rief an. Dieser meldete sich selbst und gab den Apparat wunschge mäß an Hal weiter. »Mr. Lowdry hat mit der Polizei gesprochen«, be richtete dieser. »Sie muß bald hier eintreffen. Von 130
wo sprechen Sie, Sir?« »Von einem Haus, das am Ende dieses Parkes liegt«, erwiderte Sun Koh. »Die Polizisten liegen auf halbem Weg. Sie sind durch ›Tillyt‹ getötet worden. Komm sofort hierher, ich habe vier Männer vor mir, die ich allein schlecht fesseln kann.« »Ich komme sofort!« schrie Hal erregt. Als er ein paar Minuten später eintrat, bewies sein Atem und sein Gesicht, wie er sich beeilt hatte. Er verstand es ausgezeichnet, die vier Männer in kurzer Zeit an Händen und Füßen zusammenzu schnüren, so daß sie so schnell nichts wieder unter nehmen konnten. Während er noch bei der Arbeit war, hörte Sun Koh oben ein Geräusch, das bald verschwand, wie der hörbar wurde und wieder verschwand. Er wollte aber Hal nicht allein lassen und wartete deshalb ab. Jetzt trat Hal zurück und betrachtete befriedigt das Ergebnis seiner Tätigkeit. Oben tapste es wieder dumpf, dann folgte ein har tes Klacken. Kurz darauf wiederholte es sich, dann scharrte und rieb etwas über den Fußboden hin. Ir gendwer stieß dabei dumpfe Laute aus. Sun Koh sprang die Stufen hinauf. Er kam gerade noch zurecht, um einen schweren Sessel vor einem Sturz auf die Treppe zu bewahren. In dem Sessel saß Jim Hunter, gefesselt und geknebelt. Seine Füße reichten gerade zum Boden. Die geringe Bewegungs 131
freiheit der Füße benutzte er dazu, um den Sessel und damit sich selbst rücklings über den Flur zu schie ben. »Mensch!« ächzte Hal, der sich auf halber Treppe reckte. »Seit wann ist Ihnen ein Großvatersessel aus dem Rücken gewachsen?« Sun Koh zog den Knebel heraus, dann schnitt er die Stricke durch. Jim Hunter schluckte schwer. Endlich brachte er heraus: »Das nenne ich eine Überraschung! Ich dach te, das Haus wäre leer.« »Nun ist es Ihnen natürlich peinlich, daß Sie bei Ihren kindlichen Spielen überrascht worden sind, he?« Hal grinste. »Kindliches Spiel ist gut«, knurrte Hunter. »Dieser Knebel hat mich bald erstickt. Verdammtes Gefühl! Die Kerle hatten geäußert, daß sie das Haus verlassen wollten. Freimachen konnte ich mich schlecht, aber ich dachte, es müßte doch hier irgendwo eine Küche mit Messern und anderen scharfen Dingen geben. Also bin ich auf die Reise gegangen. Erst habe ich den Sessel geschleppt, aber das ist eine ganz hübsche Last, unter der man die Zehen spürt. Dann habe ich den Sessel geschoben. Ich weiß nur nicht, ob ich ganzbeinig die Treppe hinuntergekommen wäre.« Sun Koh gab die eingeschnürten Handgelenke, die er schnell massiert hatte, frei. »Man hat Sie überfallen?« 132
»Ja. Ich hatte mich im Park auf der Rückseite des Hauses aufgestellt. Erst kam Miss Schunekamp auf mich zu…« »Wer?« »Miss Schunekamp. Wir hatten eine kurze Aus einandersetzung, aus der ich nicht recht klug wurde. Sie schien mir zu mißtrauen. Jedenfalls lief sie ohne rechten Grund weg. Dann hörte ich Lärm und rannte hinüber. Ein Mann kämpfte gegen einige andere. Er wollte wohl eine Frau, die weiter zurück stand, be schützen. Man stach ihn nieder, dann griff ich ein, aber dann hat mich jemand von hinten niederge schlagen. Als ich zu mir kam, schleppte man mich in dieses Haus.« »Wem gehört es?« »Der Name wurde nicht genannt. Aber Professor Schunekamp und seine Tochter müssen hier gewohnt haben. Die Leute besaßen auch ›Tillyt‹, wenn ich recht verstanden habe.« »Ja, die Polizisten wurden durch ›Tillyt‹ getötet. Einer fehlt jedoch.« »Das wird der sein, der durch einen Messerstich verwundet wurde. Er muß sich im Haus befinden, außerdem Miss Lowdry. Die beiden wurden mit mir zusammen ins Haus gebracht.« »Miss Lowdry? Sie schlief vor einer halben Stun de noch drüben im Haus ihres Onkels.« »Nanu!« Hunter stutzte. »Das ist doch kaum mög 133
lich? Die Männer regten sich mächtig auf, weil sie Miss Lowdry gefangen hatten. Sie waren nämlich eigentlich hinter Miss Schunekamp her. Aber die ist – Donnerwetter, sie wird doch nicht versehentlich in Lowdrys Haus gelaufen sein?« Sie mußten die Unterhaltung abbrechen. Eben drang die Polizei in das Haus ein. Oberinspektor Tut ter war der erste, der sich sehen ließ. Nach einigen unvermeidlichen Berichten und Aufklärungen wurde Well Hendrick in einem Zim mer des Obergeschosses gefunden. Die vernachläs sigte Stichwunde in der Schulter sah etwas böse aus, aber es handelte sich um eine Fleischwunde, die bei sachgemäßer Behandlung keine nachteiligen Folgen zeigen konnte. Nebenan lag Helen Lowdry gefesselt. Nachdem sie über das Leben ihres Onkels beruhigt worden war, schienen sich bei ihr alle Ereignisse der Nacht darauf zu verdichten, daß Well Hendrick für sie ge kämpft hatte und verwundet worden war. Well Hen drick besaß jedenfalls trotz seiner Verwundung be rechtigten Grund, zufrieden und glücklich zu sein. Jim Hunters Vermutung erwies sich als richtig. Aus Helen Lowdrys Schlafzimmer trat Tilly Schune kamp. Es bedurfte einiger Zeit und einiger Versiche rungen Tutters, bevor sie die wahre Sachlage über schaute. Sie gab nun ihrerseits offene Erklärungen über das, was sie wußte. Und dann weinte sie sich 134
aus, weil sie sich um ihren Vater sorgte, weil sie sich ihres Mißtrauens schämte und weil überhaupt alle Spannung der letzten Tage nach einer Auslösung drängte. Sie merkte nicht, wie sich der Raum leerte und wie sie in Hunters Arme geriet. Aber sie nahm keinen Anstoß daran, sondern ließ sich gern trösten. Nebenan stellte Tutter fest: »Wir haben es also mit zwei verschiedenen Leuten zu tun, die über ›Tillyt‹ verfügen. Der eine ist Fred Callor, der das Zeug für Erpressungen ausnutzt. Der andere ist Griffith. Er will die Erfindung verkaufen. Den Professor hat er sich wohl mitgenommen, weil er noch nicht weiß, daß die Formeln aufgezeichnet sind. Vielleicht rech net er aber auch mit einer Täuschung und will die Geisel nicht aus der Hand lassen. Nun, ich denke, wir werden sein Versteck durch seine Leute erfahren.« Sun Koh nickte dazu. »Gewiß, es fragt sich nur, ob wir ihn noch dort finden werden.« Die Frage wurde nach Ablauf der Nacht eindeutig beantwortet. Tutter erfuhr, wohin sich Griffith begeben hatte. Er ließ das Haus umstellen, fand es aber leer. Als die ersten Sonnenstrahlen in die dunklen Stra ßenschluchten der Stadt hinunterstießen, waren trotz aller Ereignisse weder Sun Koh noch die Polizei wei tergekommen. Zwei Männer, die über ›Tillyt‹ ver fügten, befanden sich irgendwo in der Riesenstadt. 135
6.
Professor Schunekamp war peinlich überrascht, als er mitten in der Nacht aus dem Schlaf geweckt wur de und erfuhr, daß seine Tochter fortgelaufen sei. Er fügte sich jedoch Griffiths Wünschen und ließ sich wegfahren. In einem ganz anderen Stadtviertel betra ten sie ein Haus. Sie hielten sich jedoch dort nicht lange auf. Griffith wurde von Minute zu Minute un ruhiger, weil seine Leute nicht eintrafen, und schließ lich hielt er es für notwendig, abermals die Wohnung zu wechseln. Professor Schunekamp vertraute ihm vollkommen und war ihm dankbar, daß er sich derar tiger Unbequemlichkeiten unterzog. Sie landeten in einem äußerst einfachen Hinter zimmer, von dem aus Schunekamp die trostlose Gie belfläche eines Hauses betrachten konnte. Dort ver brachten sie einige langweilige Stunden. Als der Morgen kam, entfernte sich Griffith, nachdem er Schunekamp klar gemacht hatte, daß der Kaufvertrag nun in diesem Raum vollzogen werden müßte. Er kam später mit drei Männern zurück. Den einen stell te er als Käufer Denhurst vor, den zweiten als den Anwalt und Notar Dr. Herson, den dritten als den Diener Denhursts, der als Zeuge dienen sollte. Der Anwalt wies seine Papiere vor und breitete seine Akten aus, man tauschte höfliche Redensarten, 136
und die Szene bekam trotz der fragwürdigen Umge bung einen feierlichen Anstrich. Professor Schune kamp war sich der Bedeutsamkeit der Stunde vollauf bewußt. Die Übertragung nahm nicht viel Zeit in An spruch, da alles vorbereitet worden war. Schunekamp händigte seine Aufzeichnungen über das ›Tillyt‹ aus und erhielt dafür einen Scheck über zweihunderttau send Dollar mit Denhursts Unterschrift. Wieder tauschte man verbindliche Redensarten, dann verlie ßen die Besucher den Raum. Griffith rieb sich zufrieden die Hände. »So, das wäre geschafft. Meinen Glückwunsch, Mr. Schunekamp. Sie sind nun nicht nur ein reicher Mann, sondern befinden sich auch außer Gefahr. Ich würde Ihnen nun raten, noch einige Stunden zu warten, bevor Sie das Haus verlassen, damit Ihre Gegner inzwischen von dem vollzogenen Verkauf erfahren können.« »Ganz wie Sie meinen«, sagte Schunekamp und betrachtete seinen Scheck. »Wird es nicht Schwie rigkeiten geben, wenn ich einen Scheck über eine derart hohe Summe vorlege?« »Nicht die geringsten«, versicherte Griffith. »Der Scheck ist goldrichtig. Im übrigen bitte ich jetzt für eine Weile um Entschuldigung, ich muß mich um meine sonstigen Angelegenheiten kümmern.« »Natürlich. Ich bin Ihnen zu großem Dank ver pflichtet, und…« 137
»Reden wir nicht davon.« Griffith winkte großzü gig ab und schüttelte Schunekamp die Hand. »Es war mir ein Vergnügen, Ihnen behilflich zu sein.« Damit verließ er das Zimmer. Professor Schunekamp blieb treu und brav noch einige Stunden in der düsteren Höhle. Endlich hielt er es nicht mehr aus. Er verließ die stille Wohnung, betrat eine schmutzige Gasse und fragte sich von dort aus durch, bis er wieder in das New York gelangt war, das er kannte. Das Schild einer großen Bank lockte ihn. Er besaß nicht mehr viel Geld und wollte sich doch lieber von der Echtheit des Schecks überzeugen. Also trat er zögernd ein. Der Angestellte, der ihm den Scheck abnahm, zog die Brauen hoch und schüttelte den Kopf. »Denhurst? Ist mir unbekannt. Aber ich will mich erkundigen. Bitte, nehmen Sie Platz.« Eine Weile später kam er mit zwei Herren zurück und erklärte: »Dieser Scheck hat überhaupt keine Deckung. Wollen Sie uns bitte erklären, ob Sie einen schlechten Witz oder etwas anderes beabsichtigen?« »Ein auffallend plumper Betrugsversuch«, sagte einer der beiden anderen. Professor Schunekamp war tödlich verlegen und zugleich entrüstet. »Ich muß doch sehr bitten«, sagte er. »Dieser Scheck ist von Mr. Denhurst ausgestellt worden, und 138
Mr. Denhurst dürfte doch immerhin eine bekannte Persönlichkeit sein!« »Bei uns nicht«, warf einer der drei spöttisch ein. »Aber – das verstehe ich nicht.« Schunekamp schüttelte den Kopf. »Es muß doch alles in Ordnung sein. Ich habe doch Mr. Denhurst meine Erfindung verkauft, und er hat mir dafür den Scheck ausgehän digt. Der Notar Dr. Herson hat den Vertrag abge schlossen…« »Ein kleiner Winkeladvokat, dem man schon längst die Lizenz hätte entziehen müssen«, murmelte einer. »Und Mr. Griffith war Zeuge«, vollendete Schu nekamp. »Griffith?« Der Angestellte stutzte. »Wer sind Sie eigentlich?« »Professor Schunekamp.« »Was?« staunte der Angestellte. »Ja, wo kommen Sie denn her? Haben Sie keine Zeitung gelesen? Sie werden doch öffentlich gesucht.« »Ich?« »Jawohl, von der Polizei. Augenblick, hier ist eine Zeitung. Da, lesen Sie selbst.« Einer der Herren entfernte sich. Schunekamp las, ohne recht zu begreifen. Dann sah er Polizei um sich herum und stand Rede und Antwort, aber auch dann weigerte er sich, an Betrug zu glauben. Es dauerte lange, bevor er erfaßte, wie 139
man mit ihm umgesprungen war. Es war eine furcht bare Enttäuschung für ihn. Die Ereignisse bedeuteten ja nicht nur den Zusammenbruch seines Vertrauens zu Griffith, sondern zugleich den Verlust seiner Er findung. Er war wie ein Kranker, als ihn die Polizei endlich seiner Tochter übergab. Diese hatte ihm jedoch eini ges zu sagen, was sein Befinden merklich besserte. * Griffith fühlte sich vom Ablauf der Ereignisse un gemein befriedigt. Gewiß, es war nicht alles nach Wunsch gegangen. Der nächtliche Zwischenfall und die Notwendigkeit, sich der Polizisten zu erwehren, hatten ihn des harmlosen Gesichts beraubt und ihn zum Verbrecher gemacht, der nichts anderes als den elektrischen Stuhl erwarten durfte. Andererseits wa ren dadurch aber auch die Männer ausgeschieden, mit denen er seine Beute hätte teilen müssen. Und die Polizei fürchtete er vorläufig nicht. Es gab kein Bild von ihm, und auf eine allgemeine Beschreibung hin konnte ihn kein Polizist anhalten. Außerdem be saß er Papiere, die auf einen falschen Namen laute ten, aber unbedingt echt aussahen. Schunekamps Papiere hatten am frühen Morgen ihren Weg genommen. Gegen Mittag suchte Griffith den Mann auf, bei dem sie gelandet waren, den wirk 140
lichen Käufer. Zwei Millionen Dollar wollte er zah len. Griffith betrachtete das als ein hundertprozenti ges Geschäft, da für Schunekamp nichts abfiel. Der mochte nur Lärm über seinen ungedeckten Scheck schlagen. Es war ein sehr vornehmes Haus, das Griffith betrat, so vornehm, daß kein Polizist ohne schriftli che Erlaubnis der Bundesregierung es gewagt hätte, gegen den Willen des Bewohners die Schwelle zu übertreten. Griffith wurde sofort empfangen, aber der Mann, zu dem man ihn führte, bot ihm kein freundliches Will kommen. Er verneigte sich nur leicht über den Tisch weg und schob dann einige Papiere auf Griffith zu. Es waren die gleichen Papiere, die Schunekamp am Morgen ausgehändigt hatte. »Ich habe die Aufzeichnungen und Formeln be reits durch einen Experten überprüfen lassen«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch mit farbloser Stimme. »Sie enthalten nicht das Rezept zu der Er findung, die Sie mir verkaufen wollten. Das Ender gebnis aus diesen Formeln ist ein harmloses Pulver, das man allenfalls gegen Insekten anwenden könnte. Ich ersuche Sie um Aufklärung.« Griffith machte eine fahrige Bewegung mit der Hand. »Das – das soll wohl ein Witz sein? Das sind doch die Papiere, die ich von dem Erfinder erhielt!« 141
»Dann hat der Erfinder eben die Aufzeichnungen gefälscht. Übrigens stammt die Schrift von einer Dame.« »Von seiner Tochter, aber das ist unwichtig. Die Formeln sind bestimmt echt. Der Erfinder hat mir vollkommen vertraut!« »Ich sagte Ihnen bereits, daß der Stoff, der auf die se Weise hergestellt wird, niemals die Eigenschaften jenes Erzeugnisses haben kann, dessen Wirkungen ich beobachten konnte. Es liegt an Ihnen, eine Erklärung dafür zu finden. Ich würde beträchtlichen Wert darauf legen, die richtige Erfindung zu erwerben, aber dies hier nützt mir nichts. Ich bin infolgedessen auch nicht in der Lage, die vereinbarte Zahlung zu leisten.« Griffith wischte sich über die Stirn. Er verstand das einfach nicht. Es schien ihm unmöglich, daß der vertrauensselige Professor ihn so hereingelegt haben sollte. Aber dann schoß ein Verdacht in ihm auf. »Ach so?« meinte er mit häßlichem Auflachen. »Jetzt verstehe ich erst das Spiel. Sie wollen handeln und die Kaufsumme herunterdrücken, nachdem ich Ihnen vertraut habe? Wieviel wollen Sie denn frei willig zahlen?« »Keinen Dollar«, setzte der andere kalt dagegen. »Ich handle nicht, sondern stelle fest, daß diese Pa piere völlig wertlos sind!« »Die Fotokopien genügen Ihnen wohl, was?« sag 142
te Griffith grob. »Ich durchschaue Sie. Sie haben das Zeug aufgenommen und geben jetzt die Papiere zu rück, weil Sie die nicht mehr brauchen. Aber so geht das nicht, das lasse ich mir…« »Sie erregen sich unnötig«, unterbrach der andere. »Bei einiger klarer Überlegung würden Sie diese Möglichkeit selbst ausschalten, weil sie für alle Zu kunft das Vertrauen und ähnliche Abmachungen ver hindern würde.« »Redensarten«, wehrte sich Griffith. »Die Papiere sind gut für eine halbe Million. Glauben Sie ja nicht, daß ich mich betrügen lasse. Ich werde…« Der Mann wies zum Telefon. »Falls Sie sich bei der Polizei beschweren wollen, steht Ihnen das frei. Bitte sehr. Im übrigen muß ich Sie ersuchen, mich nicht mit zwecklosem Gerede aufzuhalten. Ich habe zu tun. Wenn Sie die richtigen Formeln bringen, will ich sie Ihnen jederzeit mit Vergnügen abkaufen.« Griffith war durch den plötzlichen Wechsel ganz außer Form geraten. Er lachte wie ein Verrückter auf. »Sie – Sie – ich werde Sie diese Schufterei büßen lassen, verstanden? Sie sind ein…« Der andere unterbrach schon wieder. »Ich muß Sie noch einmal bitten, mich allein zu las sen. Ich würde es bedauerlich finden, wenn ich ge zwungen wäre, von mir aus die Polizei auf eine so ge suchte Persönlichkeit wie Sie aufmerksam zu machen.« 143
Griffith stieß einen Fluch aus, wandte sich um und ging hinaus. Er nahm nicht einmal die Papiere mit. Und dann stand er wieder auf der Straße. Zwei Millionen Dollar waren einfach weg. Sein Haus ge hörte der Polizei, seine Tätigkeit konnte er so schnell nicht wieder aufnehmen, bare Mittel besaß er nicht mehr viel. Das war ein Schlag, um einen Mann nervös zu machen. Griffith ging wie benommen durch die Straßen. Er sah gar nicht mehr liebenswürdig und wohlwollend aus. Aber dann fühlte er in seiner Tasche einen Behäl ter. In dem steckten die ›Tillyt‹-Proben, die Schune kamp angefertigt hatte. Griffith blieb unwillkürlich stehen, als er sich be wußt wurde, was seine Finger fühlten. Möglichkeiten tauchten da auf! Als er weiterging, war sein Gesicht wieder heiter. * Am Spätnachmittag brachten die Zeitungen einige bemerkenswerte Nachrichten. In der ersten hieß es: »Dreister Überfall auf eine Bank! Der Mann mit der gläsernen Kugel immer noch an der Arbeit! 180.000 Dollar erbeutet! 144
Die Nebenstelle einer bekannten Großbank in Willi amsburg wurde das Opfer eines aufsehenerregenden Überfalls, bei dem der Verbrecher über 180.000 Dol lar erbeutete und einen Angestellten ermordete. Wir erfuhren dazu folgende Einzelheiten: Die Nebenstel le wurde wie alltäglich gegen 14 Uhr für den Publi kumsverkehr geschlossen. Eine halbe Stunde später rief ein Kunde an, daß er noch eine dringende Abhe bung vornehmen müsse und in Kürze erscheinen würde. Die Abfertigung wurde zugesagt. Der Leiter der Nebenstelle ließ den Mann, der sich nach einiger Zeit am rückwärtigen Eingang bemerkbar machte, ein. Bevor er feststellen konnte, daß es sich nicht um den erwarteten Kunden handelte, hatte dieser zwei Pistolen gezogen und damit die vier Angestellten, die sich in der Nebenstelle befanden, bedroht. Die Ange stellten konnten nichts zur Abwehr unternehmen, sondern mußten zusehen, wie der Verbrecher die Geldbeträge einsteckte. Als er sich zurückzog, warn te er vor einer Verfolgung. Trotzdem eilte der Kas sierer C. Brade sofort hinter ihm her. Die anderen Angestellten wollten das gleiche tun, aber sie kamen nicht mehr durch die Tür hinaus, weil der ganze Vor raum durch eine dichte, eisähnliche Masse gesperrt worden war. Der Verbrecher hatte sich durch eine jener geheimnisvollen gläsernen Kugeln, über deren Wirkung wir schon anläßlich des Mordfalles Broker berichteten, den Rückweg gesichert. Leider bezahlte 145
der Kassierer seinen Mut mit seinem Leben, da er in den Wirkungsbereich der gläsernen Kugel hineinge riet. Der Verbrecher entkam. Er wird wie folgt be schrieben: Mittelgroß, kräftig und leicht beleibt, an nähernd fünfzig Jahre alt, graue Schläfen, graubrau ner Anzug und weicher Hut.« Hal saß mit Sun Koh zusammen in der Halle des ›Biltmore‹, als ihm ein Gast auffiel, der eben in Richtung Lift ging. Es war nichts Auffälliges an ihm. Er trug einen kleinen Handkoffer. Sein Gesicht war durch einen kurzen Vollbart und eine Brille ge schützt. Für Hal war er sehr auffällig. »Das ist er, Sir!« zischte er Sun Koh zu. »Callor, der Mann aus der Gepäckannahme.« »Wieso?« »Seine Füße. Als ich im Koffer steckte, konnte ich stundenlang die Bewegungen seiner Beine beobach ten. Er hat einen komischen Schritt. Sehen Sie es? Er dreht den Fuß über den Ballen.« Sun Koh zögerte nicht. Er wußte, daß Hal ein gu ter Beobachter war. »Einen Moment, Mr. Callor.« Callor zuckte herum. Er war eben doch ein Anfän ger. »Ich – was wollen Sie? Ich heiße Graham.« 146
»Bis jetzt hießen Sie Callor«, widersprach Sun Koh und griff nach dem Gesicht des anderen. Der Bart blieb in seiner Hand. Kurze Zeit später nahm ihn die Polizei in Gewahr sam. Griffith grinste befriedigt, als er den Bericht über den Banküberfall las. Er grinste noch mehr, als er einem anderen Artikel entnahm, was Professor Schunekamp von seinen Erlebnissen hielt. Schune kamp schien doch noch nicht alles Vertrauen in ihn, Griffith, verloren zu haben, sondern an Mißverständ nisse zu glauben. Er hielt eine Verwechslung der Pa piere für möglich. Aus dem Bericht war zu ersehen, daß Schunekamp jetzt im ›Biltmore‹ wohnte und leicht erkrankt war. Griffith dachte lange und sorgfältig nach. Er konn te sich durch Banküberfälle mehr Geld verschaffen, aber zwei Millionen blieben zwei Millionen, und nur für ein paar Minuten Angst. Länger als ein paar Mi nuten würde es nicht dauern, um in den Besitz der Papiere zu kommen. Schunekamp hatte sie sicher nicht vernichtet. Und wenn, dann konnte man viel leicht mit ihm reden und das Geschäft irgendwie neu arrangieren. Die Polizei kannte ihn nicht, und wenn Schunekamp keinen Lärm schlug… Er riskierte es. Er ging ins ›Biltmore‹, ermittelte durch eine beiläufige Frage Schunekamps Zimmer nummer und setzte sich in den Speisesaal, um in aller 147
Ruhe zu essen. Dann ging er über die Treppe in den zweiten Stock hinauf, passierte die unverschlossene Außentür, klopfte an der Innentür und meldete ein Telegramm für Mr. Schunekamp. Er wurde durch einen leisen Zuruf aufgefordert einzutreten. Schunekamp lag lang ausgestreckt auf einem Di wan. Griffith trat herein. »Ich bin es, Professor«, sagte er geschmeidig. »Das Telegramm war nur ein Vorwand. Ich wollte mit Ihnen sprechen. Ich nehme zwar an, daß es Miß verständnisse gegeben hat, aber immerhin haben Sie mir übel mitgespielt. Sie haben mich betrogen und mir falsche Papiere ausgehändigt.« »Ich weiß, ich weiß«, flüsterte Schunekamp. »Ein Mißverständnis. Wenn Sie die Sache mit dem Geld in Ordnung bringen…« »Ich muß mich erst überzeugen«, murmelte Grif fith und ging mit den Händen unter das Kopfkissen. Einen Augenblick später hatte der Kranke seine Arme wie eine Zange um ihn geschlossen und ließ sich nicht abschütteln, und noch einen Augenblick später geriet Griffith in stählerne Hände, während ihm Schunekamp die Taschen ausleerte. Dann war fen ihn die stählernen Hände in einen Sessel, und Schunekamp riß sich den Bart herunter und entpupp te sich als sommersprossiger Jüngling, der ihn scha denfroh angrinste. 148
»Man muß nicht auf jeden Leim gehen, Griffith.« »Ich protestiere!« würgte Griffith heraus und schielte auf Sun Koh, der ihn im Auge behielt. »Verständige die Polizei«, sagte Sun Koh zu Hal. Oberinspektor Tutter ließ nicht lange auf sich war ten. In den nächsten Tagen kamen die Verhandlungen zwischen Sun Koh und Schunekamp zum Abschluß. Die Rechte an ›Tillyt‹ gingen an Sun Koh über. Es dauerte jedoch noch viele Monate, bevor Sun Koh das große Experiment unternahm, bei dem das ›Til lyt‹ zeigen konnte, ob es für den Ernstfall brauchbar war. 7. Die Luft strich eisig über das Jungfraujoch. Die Son ne stand weißleuchtend an einem ungewöhnlich kla ren Himmel, aber ihre Strahlen gaben trotzdem nicht viel Wärme. Die aufsteigenden Gratlinien der Jung frau rissen scharfkantig in den Himmel hinein. Weit, unendlich weit und doch noch deutlich erkennbar, hoben sich am Horizont schwärzlich die dunklen Streifen vom Schwarzwald und den Vogesen ab. Auf der Aussichtsplatte drängten sich die Men schen hinter dem Schneewall, der den Abgrund be grenzte. Sie hatten die Mantelkragen hochgeschla gen, denn der Wind blies kalt. 149
Unberührt von dem wunderbaren Fernblick, von der majestätischen Wucht der Gipfel und dem unru higen Geschiebe der Besucher, stand der alte Lugg ner neben seinem zweisitzigen Hörnerschlitten. Er lud ab und zu in drei Sprachen, die aus seinem Mund alle fast gleich klangen, zu einer Fahrt in die Senke ein und fuhr gelegentlich mit einem unternehmungs lustigen Paar hinunter. Dann zog er seinen Schlitten wieder hinauf. Sonst aber kümmerte er sich wenig um das, was um ihn herum vorging. Und in diesen Minuten überhaupt nicht. Er beo bachtete aus verkniffenen Augen zwei Männer, die jetzt eben die Senke durchquerten und auf das Pla teau zuhielten. Vor einer guten halben Stunde hatte er sie zum erstenmal auf der weißen Scharkante der Mathildenspitze entdeckt. Sie waren zügig und sicher auf dem schmalen Rist heruntergekommen, erst Punkte, dann Gestalten und jetzt schon deutlich er kennbar. Luggner war neugierig. Er hatte noch nie erlebt, daß jemand um diese Stunde aus der Nordwand he rauskam. Die beiden mußten die Nacht oben ver bracht haben. Der alte Luggner hatte wohl zuviel Neugier verra ten, denn plötzlich standen einige Leute um ihn her um, die den Ankommenden ebenfalls entgegenblick ten. Der eine der beiden Bergsteiger machte wirklich 150
einen ungewöhnlichen Eindruck. Unter seinem hel len Haar, in das immer wieder der Wind hineingriff, befand sich ein edelgeschnittenes Gesicht von einer Kraft und Stärke, die den Neugierigen deutlich machte, wie bedeutungslos sie hier oben herumstan den. Es wurde still auf der zerstampften Schneeplatte. Die Reisenden fühlten sich irgendwie betroffen und bemühten sich vergeblich, den eigenartigen Eindruck zu verflachen. Sun Koh und Hal Mervin gingen wie durch eine Gasse hindurch zum Schneewall vor. Sie schienen niemanden zu sehen, aber Hal murmelte doch vor wurfsvoll: »Sie hätten die Schneebrille wieder auf setzen sollen, Sir. Jetzt landen Sie als Delikatesse in vielen Fotoalben.« »Tragen wir es mit Würde«, sagte Sun Koh lä chelnd. »Hier oben wird es bald noch mehr Aufsehen geben.« Er mußte es wissen. Am Nachmittag des vorangegangenen Tages stie gen zwei junge Männer in den Zug, der von KleinScheidegg zum Joch hinauffuhr. Sie trugen abge wetzte Bergkleidung und hatten nichts Auffälliges an sich. Sie hatten Rucksäcke bei sich. Viel sprachen sie nicht miteinander. Station Jungfraujoch. Die beiden Männer gingen nicht mit der schieben 151
den Menge zur Terrasse, sondern wandten sich nach links zum Sphinxgang und zur Auffahrt zur Wetter station. Diese war Sperrgebiet für die Fremden. Aber Leitner besaß einen echten Ausweis mit einer echten Unterschrift. Der Mann, von dem die Unterschrift stammte, hatte natürlich keine Ahnung davon. Seine Sekretärin wußte um so besser Bescheid, denn sie hatte ihrem Freund Leitner den Gefallen getan. Die beiden stießen nicht auf Schwierigkeiten. Der Fahrstuhl brachte sie nach oben. Dort nahm sie der Hausverwalter in Empfang. »Die Maler seid ihr?« vergewisserte er sich kopf schüttelnd. »Ich möchte wissen, was ihr beide hier oben sollt. Bei uns ist alles in Ordnung.« »Das sagen alle Leute, die Angst vor dem Maler dreck haben«, sagte Leitner grinsend. »Beruhigen Sie sich, wir gehen ins Freie. Für heute sollen wir nur die Verspannungen überprüfen und die Außenanstriche nachsehen.« Der Hausverwalter wies auf die Rucksäcke. »Na, ist da nicht schon das ganze Farbzeug drin?« »Schon, schon, aber vielleicht brauchen wir’s nicht. Also los, bringen Sie uns aufs Dach.« Sie gingen nach oben. Die beiden Maler unter suchten das flache Dach und taten so, als wollten sie eine Weile oben bleiben. Der Hausverwalter wunder te sich, was sie überhaupt an diesem Dach zu unter suchen hatten. Doch er wurde abberufen und ließ die 152
beiden allein. Als er nach einer Weile wiederkam, stiegen sie gerade wieder ein. »Na?« erkundigte er sich. »Einige Stellen müssen wir morgen übergehen«, gab Leitner Auskunft. »Heute ist es zu spät. Wir wol len aber noch die Trossen prüfen.« Der Hausverwalter verhalf ihnen auch dazu. Er ahnte nicht, daß die beiden in einem Dachwinkel ei nen kaum handgroßen Apparat zurückgelassen hat ten. Er schöpfte auch keinen Argwohn, als die beiden am nächsten Morgen wieder erschienen und auf das Dach hinausstiegen. Erst das Telefon machte ihn später aufmerksam. Eine scharfe Stimme knatterte ihm ins Ohr: »Lord Illingham. Sagen Sie mal, was ist denn eigentlich bei Ihnen los?« »Wieso?« fragte der Hausverwalter verständnislos. »Machen Sie keine Ausflüchte!« wetterte es aus dem Apparat. »Was soll der Kasten oben auf dem Dach? Und was haben die Leute dort oben zu su chen?« »Die Maler?« überlegte der Hausverwalter laut. »Was geht das Sie an? Wer sind Sie denn über haupt?« »Ich bin Lord Illingham, Mitglied des SphinxKuratoriums. Ich erwarte von Ihnen eine höfliche Auskunft, verstanden?« 153
Jetzt wußte der Hausverwalter Bescheid. Er knick te seelisch zusammen. »Entschuldigen Sie bitte. Ich wußte nicht, mit wem ich spreche. Womit kann ich Ihnen dienen?« »Auskunft sollen Sie mir geben«, grollte ihm der Lord ins Ohr. »Was haben die beiden Männer dort zu suchen?« »Es sind die beiden Maler, Mylord. Sie bessern die Schutzanstriche aus.« »So?« klang es aufgebracht zurück. »Das nennen Sie Anstrich ausbessern? Wollen Sie mir bitte erklä ren, was es mit den Anstrichen zu tun hat, wenn die beiden Seile über das Haus spannen?« »Seile? Vielleicht eine Hilfsrüstung, damit sie an der Wand herunterkommen?« »Herr«, fauchte der Lord, »sind Sie verrückt? Wollen Sie mir unterstellen, daß ich nicht weiß, was ein Malergerüst ist? Wollen Sie nicht die Güte ha ben, endlich einmal nachzusehen, was die beiden treiben?« »Ich kann nicht«, erwiderte der Hausverwalter ge reizt. »Sie können nicht? Warum können Sie nicht?« »Weil ich mit Ihnen telefonieren muß.« »Unerhört! Gehen Sie los und sehen Sie nach, was los ist!« »Ja, ich gehe. Wollen Sie Bescheid haben?« »Ich komme selbst.« 154
Der Hausverwalter warf den Hörer auf die Gabel und hastete hinaus, um aufs Dach zu steigen. Er konnte nicht hinaus. Die Dachluke war ver schlossen. Nun lief er in den nächsten Raum hinein und ver suchte sein Glück am Fenster. Das Fenster ließ sich auch nicht öffnen. Was er aber draußen sah, machte ihn wild. Vom Dach aus liefen tatsächlich drei dünne, dunkle Seile auf die Felskante zu. Sie waren nicht verspannt, son dern wurden nur lose durch Steinbrocken gehalten. Die beiden Maler standen unmittelbar am Ab grund. In ihren Händen hielten sie kurze, röhrenför mige Gegenstände mit dicken Enden, aus denen es fein und grünlich wie ein Nebel heraus schoß, auf den unteren Teil des Hauses zu. Jetzt entdeckten sie ihn. Sie beantworteten seine wilden Bewegungen damit, daß sie freundlich grin sten und winkten. Der Hausverwalter kochte. Er griff nach einem Schemel und schlug damit in die Fensterscheibe hin ein. Aber die Scheibe blieb ganz. Er donnerte zum zweitenmal dagegen und sparte nicht an Kraft. Der Schemel zerbrach, die Scheibe blieb ganz. Das war etwas, was in den Hausverwalter nicht hineinging. Er starrte verwirrt auf die Scheibe und horchte dabei in sich hinein, um festzustellen, ob in ihm noch alles stimmte. Dann lief er hinunter. 155
Er machte an der Haustür ähnliche Erfahrungen. Sie ließ sich nicht öffnen und stand wie vermauert, soviel er auch an ihr rüttelte. Er verursachte genügend Lärm, um die Bewohner des Hauses aus ihren Zimmern herauszuholen, an ihrer Spitze Professor Zacharias. Gleichzeitig brachte der Fahrstuhl Lord Illingham und seinen Sekretär Mackins herauf, ferner einen gewissen Evans, der mit dem Lord befreundet war. Die ganze Versammlung machte noch einmal ge meinsam die Feststellungen, zu denen schon der Hausverwalter gekommen war. * Auf dem Joch machte sich die Sensation breit. Hier sammelten sich alle Beobachtungen und Nachrich ten, und eigenartigerweise schienen stets alle gleich zeitig unterrichtet zu sein. Als Sun Koh und Hal durch den Stollen hindurch ins Hotel gingen, war die Sensation noch nicht viel mehr als ein Schatten. Die Besucher waren noch nicht merklich beunruhigt. Sun Koh nannte am Empfangstisch seinen Namen. »Ich habe drei Zimmer reservieren lassen.« »Gewiß. Mr. Holligan traf bereits gestern abend ein.« »Wo befindet er sich?« 156
»Augenblick, bitte.« Ein Telefongespräch brachte das Ergebnis, daß Nimba im Speisesaal saß – natürlich! Er kam jedoch angesaust, als Sun Koh und Hal noch am Empfang standen. »Da sind Sie ja, Sir!« freute er sich, während er Sun Koh die Hand schüttelte. »Ich hatte schon Angst, daß Sie…« Hal trat mit dem rechten Fuß genau und mit Nach druck auf Nimbas Zehen. »Wir haben den Zug noch erreicht, wie du siehst.« Nimba begriff. Als sich Sun Koh und Hal in ihren Zimmern um gezogen hatten, gingen sie wieder auf die Plattform hinauf. Inzwischen war die Sensation gewachsen. Die Menschen drängten sich auf der Aussichtsplatte und starrten zur Sphinx hinauf, was die Augen und Glä ser hergaben. Das Gebäude auf der Sphinx lag nahe genug, um alles beobachten zu können. Es war mit einem grü nen Hauch überzogen, der sich nur als Farbschicht deuten ließ. Aufregender wirkten die drei Seile, die vom Fel sen aufwärts über das Haus hinwegführten. Sie hin gen immer noch schlaff, sollten aber wohl dazu die nen, das Haus noch stärker zu verspannen. Nach einiger Zeit sah jeder der Beobachter deut 157
lich ein viereckiges Loch im Felsen. Nun wurde von oben ein viereckiger Block heruntergelassen und in das Loch hineingesetzt. Er füllte es jedoch bei wei tem nicht aus. Der Mann am Hang stemmte sich ab und ging am Seil nach oben. Die beiden blieben am Absturz stehen. Sie hielten etwas an Ohr und Mund und schienen zu lauschen. Aus dem Kasten unter ihnen schoß ein grünlicher Strahl, der sich keilförmig verbreiterte und bis zum fernen Horizont lief. Jetzt ließ sich der eine wieder hinunter. Er verrich tete nur wenige Handgriffe, dann ging er abermals nach oben. Das Spiel wiederholte sich. Beim dritten Abstieg blieb der Mann jedoch unten. Steinbrocken wurden ihm zugelassen, mit diesen stopfte er die Lücken aus. Einige Male unterbrach er, um wieder mit seinem Apparat zu arbeiten. Zuletzt drückte er sich zur Seite. Jetzt sah man deutlich, daß aus seiner Hand ein grü ner Schein heraussprang, der auf der Öffnung lag. Als er erlosch, war von dem Loch nichts mehr zu sehen. Übriggeblieben war nur eine glasige, grün schimmernde Stelle. Auch der Kasten war ver schwunden. Diese Vorgänge erregten die Leute ungeheuer. Man sprach von einem großen Reklametrick. Die beiden Männer wollten Leuchtbuchstaben anbringen. An anderen Stellen sprach man sehr leise. Dort un 158
terhielten sich Männer, denen einige technische Kleinigkeiten aufgefallen waren. Die beiden oben hatten jetzt eine neue Beschäfti gung gefunden. Sie knieten an verschiedenen Stellen auf dem Felsen und beobachteten wohl etwas. Jetzt nahm der eine das lose Seil auf. Er hielt das Ende senkrecht und ließ es in ein Loch hineintauchen. Zehn Meter ließ er so nach allgemeiner Schätzung durch seine Hände gehen, und der zweite Mann be schäftigte sich auf die gleiche Weise mit dem ande ren Seil. Der eine ging dann zum dritten Seil, der an dere wechselte auf die andere Seite des Hauses hin über und entzog sich damit der Beobachtung. Später folgte ihm der zweite Mann. * Auf der Sphinx-Station wurde man allmählich leicht verrückt. Der Hausverwalter machte sich’s leicht. Er erklär te das Haus einfach für verhext und unterschob den beiden »Malern«, daß sie mit dem Teufel im Bunde stünden. Lord Illingham beschränkte sich auf das praktische Problem. Ihm lag ganz einfach daran, aus diesem verwünschten Haus hinauszukommen. Evans dagegen legte auf den praktischen Erfolg sehr wenig Wert. Er beteiligte sich kaum mehr an der 159
allgemeinen Erregung, sondern ging seinen eigenen Beobachtungen nach. Doch dann machte er den Vor schlag, die Mauer zu durchbrechen. Er fand aber nur entschiedenen Widerstand. Er beharrte auch nicht, da offenbar das ganze Haus eingemantelt war. Er verschenkte damit die einzige Möglichkeit zum Erfolg. Illingham hielt es für besser, die Sphinx vom Joch aus besteigen zu lassen, um die beiden abzufangen. Das Joch hatte genug zuverlässige Bergführer, und das Wetter war günstig. Er gab also die entsprechen den Anordnungen. * »Die Pest sollt ihr kriegen«, knurrte Leitner, als wie der einmal der gemeinsame Stimmaufwand mehrerer Männer ins Freie drang. Bedachtsam ließ er das Seilende in das enge Bohr loch hinunter, das der Schnellbohrer hineingefressen hatte. »Die Seile sitzen«, sagte er befriedigt zu Riffel, der inzwischen mit seiner Arbeit fertiggeworden war. »Die holt uns keiner mehr heraus, ohne einige tau send Tonnen Fels wegzusprengen. Wollen wir das Haus jetzt fertig verspritzen?« »Erst verspannen, sonst legen wir die Seile noch an der falschen Stelle fest. Los, wer zuerst oben ist.« 160
Sie sprangen nach den Tauen, aber sie ließen sich gleich wieder fallen, als sie ein Stechen an der Hüfte spürten. Sie holten ihre Sprechdosen aus den Ta schen, und Leitner meldete sich. »Hal Mervin«, kam die Gegenmeldung. »An der Nordwand steigen vier Bergführer auf.« »Danke. Wir werden sperren.« Sie steckten die Sprechdosen wieder ein. Einige Minuten später standen sie schon an ver schiedenen Stellen und gingen die Wand mit den Strahlern ab, um die Unebenheiten eines mehrere Meter hohen Streifens abzuschmelzen und den Fel sen mit einer Glasur zu überziehen, die jedes Weiter kommen unmöglich machte. Die Bergführer weiter unten erfaßten kaum, was ihnen da in den Weg gelegt wurde. Sie kletterten immer weiter, bis sie vor der glatten Wand standen und umkehren mußten, weil sich die gewohnten Griff- und Standflächen nicht mehr boten. Darüber verging aber lange Zeit. Inzwischen arbeiteten Leitner und Riffel auf dem Dach. Sie zogen die Spannblöcke an, bis die dünnen Seile auf den Hauskanten knirschten. Und wieder standen sie unten und richteten die Zerstäuber auf die Hauswände. Und dann standen sie abermals auf dem Dach, erst Leitner allein, um die Geräte hochzustellen, dann beide. Wieder arbeiteten die Zerstäuber. 161
»Fertig!« sagte Leitner endlich. »Dieses Haus wirft kein Sturm mehr um, eher geht die Jungfrau selbst auf dem Aletsch rodeln.« * In Grönland, mitten in der endlosen, starren Einsam keit der Eisinseln brannten inzwischen die Feuer. Es waren keine rot- und gelbzüngigen Flackerfeuer, auch keine hitzestrahlenden Lichtgarben. Man sah dunkle Körper wie Scheinwerferlampen, die einen gewaltigen Kreis einschlossen und ihn gründlich überstrahlten. In diesem Kreis, der bald Mittelpunkt eines furchtbaren Kaltluftstrudels wurde, schmolz das Eis. Als Wasserdampf stieg es nach oben, um sich dort zu Wolken zu ballen, die sich übereinander türmten. Da stand ein Flugkörper in dreitausend Meter Hö he, von dessen Rücken es wie ein grüner langge streckter Helmbusch aufwärts stieß. Ein Strahlenbett, das bis zu den Horizonten streute, fing die Wolken massen auf. Was eben noch Regen oder Schnee wer den wollte, stieg aus dem Glutbett wieder leicht und weiß nach oben und drängte weiter auf der gewiese nen Straße. Und jenseits des Horizonts stand ein an derer Flugkörper mit einer neuen Strahlenführung und leitete weiter. Aber es waren auch noch andere Flugkörper un 162
terwegs. Sie waren überall zur Stelle, wo die Wolken aus der vorgeschriebenen Bahn ausbrechen wollten. * Östlich von Mittelgrönland liegt die Insel Jan Mayen, ein ödes, vulkanisches Felseneiland unter dem schweren Nebelatem der Eismeergrenze. Auf ihr be findet sich eine Wetterstation, deren Meldungen für die Schiffahrt über den Atlantik wie für Europa von größter Bedeutung sind. Diese Wetterstation funkte eine Meldung, die eine Sensation bedeutete. Die Meldung besagte: »Von Mittelgrönland her hat sich eine außerordentlich starke Hochdruckrinne ausgebildet, die die vorhandene Großwetterlage durchbricht und in südöstlicher Richtung auf die Kü sten Europas zustößt. Am Rande der Hochdruckrinne bilden sich Wirbelstürme von ungewöhnlicher Stär ke. Mit der Hochdruckrinne, die eine geschätzte Breite von annähernd hundert Kilometern haben dürfte, stoßen ungeheure Wolkenmassen in Höhe von fünftausend Metern und mehr über den Atlantik. Dieser eigenartige Vorgang dürfte sich aus vulkani schen Ausbrüchen erheblichen Umfangs im Innern Grönlands erklären.« * 163
Im lichtüberfluteten Gesellschaftsraum des Bergho tels schwächte sich alle Aufregung und Anspannung des Tages zur angenehm erregenden Würze der Stunde ab. Man unterhielt sich auch jetzt über die Vorgänge auf der Sphinx, über den Mann in der Eigerwand und über den Tabakgeruch auf dem Nord grat der Jungfrau. Über dem Joch selbst lag die Nacht, fahl aufge hellt durch die Schneefelder. Am Nordgrat der Jungfrau schwebte ein kleines Flugzeug, keine zwanzig Meter lang. Aus einer Sei tenöffnung des Rumpfes wurde eine Strickleiter ab geworfen. Dann trat ein Mann aus dem Absturz her aus und stieg auf der Strickleiter aufwärts. Hände griffen von innen zu und halfen ihm hinein. »Alles in Ordnung?« »Ja, ja, Strickleiter auf!« Das Flugzeug glitt weg, huschte über das Joch und schob sich behutsam an die Eigerwand heran. Wie ein Schiff am Kai legte es an dem schmalen Querriß an, auf dem einige Leute am Vormittag einen Mann gesehen hatten. Jetzt trat der gleiche Mann in das Flugschiff ein. Das Flugzeug löste sich ab und glitt im Bogen zu rück zur Sphinx. Auf dem Dach des Stationshauses setzte es auf. Der untere Einstieg klaffte auf. Leitner und Riffel traten in den Lichtkreis. 164
»Zugreifen, ho-hopp!« »Hat ihn schon. Alles glatt gegangen?« »Bei uns schon, aber die Leutchen unter uns haben sich einen Bruch gehoben. Das wäre alles. Die Pisto len?« »Hier. Schade um die Fenstersicherung. Die Leute werden sie noch brauchen.« »Die Läden genügen. Die Standseile?« »Kommen schon! Vorsicht beim Spritzen, sonst liegt ihr unten.« »Fertig von uns aus!« Leitner und Riffel traten in die hohen, engen Körbe und hängten die Sperren ein. Das Flugzeug stieg langsam auf. Die Seile strafften sich und hoben die Körbe an. Langsam pendelten sie zur Seite und senkten sich zwischen den Trossen ei nige Meter vor der Südwand des Hauses nieder, um in Höhe der ersten Fensterreihe hängenzubleiben. Über die Fenster glitt ein kaum wahrnehmbarer Schein. Nur einige Sekunden lang blieb er jeweils haften. Dann war es, als wetterleuchtete es in den Scheiben. Drinnen im Haus standen die Menschen hinter den Scheiben und starrten auf die beiden, die in der Luft zu schweben schienen. Erst sehr spät erfaßte man, was diese neuen Erei gnisse bedeuteten. Der Hausverwalter war es, der in der Küche einen kalten Luftzug spürte. So konnte es nur ziehen, wenn das Fenster offen war. Er ging ans 165
Fenster, spürte, wie die kalte Luft stärker gegen ihn anstieß, und faßte mit der Hand gegen die Öffnung, die Illingham und Evans geschlagen hatten. Das Fenster war frei! Und jetzt ließen sich auch die Flügel öffnen. Der Hausverwalter beugte sich sofort aus dem Fenster und schrie hinauf zu den beiden, die über ihm schwebten: »He, was soll das? Was treibt ihr da draußen? Ihr seid doch überhaupt keine Maler! Wer seid ihr überhaupt?« »Raten Sie mal«, gab Leitner zurück und arbeitete weiter. Der Wortwechsel hatte die anderen im Haus auf merksam gemacht. Jetzt wurde an anderen Stellen ebenfalls versucht, die Fenster zu öffnen. Und siehe da, es gelang auf der Südfront und auf der anderen Seite. Man schrie hinaus, man lief ins Freie und brüllte, aber die beiden Männer ließen sich nicht stören. Und dann wurden sie in die Höhe gezogen, in das Flugzeug hinein, das sich unmittelbar darauf nach Norden zu in Bewegung setzte und verschwand. Die Nacht blieb voller Unruhe. Der neue Tag brachte den üblichen Fremdenstrom von unten, vermehrt um eine Reihe von Berichterstat tern, die mit Autos und Flugzeugen den Anschluß ge schafft hatten, weiterhin vermehrt um eine Kommis sion, die ebenfalls ihre Neugier befriedigen wollte. 166
Sun Koh und seine Begleiter schienen von aller Unruhe nicht berührt zu werden. Gelegentlich führte Sun Koh allerdings mit Hilfe der Sprechdose ein Ge spräch über einige tausend Kilometer hinweg, um sich zu vergewissern, daß der vorgesehene Fahrplan eingehalten wurde. Dieser Tag war der tote Tag, die Ruhe vor dem Sturm. Doch morgen würde alles an ders aussehen. 8. Atomfeuer auf Grönland! Tief im Innern der Rieseninsel lag ein fahlgrüner Schein auf einer Kreisfläche, deren Durchmesser un gefähr fünfzig Kilometer betrug. Über diese Fläche schien das dicke Eis sanft von innen heraus zu leuch ten. Unerträgliche Hitze lag über dem Eis, so daß es zu leben begann. Ein Sturm raste von allen Seiten heran. Da gab der grauköpfige Öle Jensen, der von Strak 8 aus den Durchbruch leitete, seinen zweiten Befehl. In zwanzigtausend Meter Höhe standen die Flug zeuge Strak 9 und Strak 10. Als der Befehl kam, wurden die Düsen freigegeben. In feinen, kreisenden Schleiern sank das ›Tillyt‹ in die Tiefe, auf die riesi ge Fontäne aus Dampf herunter. Jedes der winzigen Körnchen trug die absolute Kälte in sich. 167
Es war, als bräche plötzlich ein Eisdom zusam men. In den Malstrom hinein hieben zerschmetternde Hagelwetter. Die Blitze zuckten wie bei einem Tai fun über den ganzen Himmel hinweg. Sturm und Wirbel, Dampf und Eis, Atomfeuer und ›Tillyt‹ stie ßen in einem furchtbaren Kampf zusammen. Da stieß Strak 2 in viertausend Meter Höhe dicht an den rasenden Malstrom heran. Die Luftmassen brüllten um das Flugzeug herum, der Orkan packte mit zahlreichen Fäusten zu, aber seine groben Hände konnten den stumpfen Leib kaum rütteln. Aus dem Rücken von Strak 2 schoß wie eine gro ße Flosse ein grünlicher Strahlenkamm auf. Er lief über das ganze Flugzeug hinweg und stieß nicht nur nach oben, sondern auch schräg nach vorn und nach rückwärts. Schon warfen sich tosend die kalten Luftmassen aus Ost und West dagegen, doch nun griffen Strak l und 5 ein. Sie jagten durch den Hexenkessel hin durch und zogen eine Schleierwand aus verstäubendem ›Tillyt‹ hinter sich her, legten damit eine Eis wand rechts und links, die die anbrüllenden Stürme zurückschrecken ließ. Strak 9 und 10 ließen die ›Tillyt‹-Haube langsam dünner werden und stellten die Düsen schließlich ganz ab. Der Pilz wuchs wieder auf, aber nur mehr dünn und unregelmäßig zerfetzt. »Der Anstrich ist geglückt«, stellte Öle Jensen be 168
friedigt fest und nickte seinen beiden Gehilfen zu. Dann zog er von der Mitte Grönlands aus eine Dop pellinie nach Süden, die er zuletzt langsam nach Südosten abbog. »Strak 9 und 10 zur Verfügung.« »Wie vorgesehen an Strak 7 anschließen. Strak 2 und 7 rücken langsam auf den vorgesehenen Abstand der zweiten Stufe.« »Strak l und 5 ebenfalls frei.« »Sie bleiben mit uns an der Spitze. Die Flugzeu ge?« »Warten auf Befehl.« »Sun Koh?« »Ist verständigt. Die Wetterstationen auf den Fest ländern haben die Warnung endlich weitergegeben.« »Höchste Zeit! Wird eine schöne Schweinerei ge ben, wenn wir die Großwetteranlage durchstoßen. Wir stoßen mit einem künstlichen Hochdruckkanal von etwa fünfzig Kilometer Durchmesser durch alle bestehenden Luftdruck- und Wetterverhältnisse grad linig von Grönland nach Europa durch, um die Wol kenmassen von Grönland wegzubringen. Hoffentlich klappt es mit der Strahlenbastion. Hier habt ihr das Jungfraumassiv. Dort muß sich unsere Wolkenstraße teilen. Der eine Schub soll zur Sahara, der andere nach Arabien und Kleinasien. Aber über die Berge müssen erst einmal alle beide, sonst gibt es in der Schweiz eine Sintflut, daß sich kein Mensch mehr 169
um Gurgelwasser zu sorgen braucht.« »Strak 9 hat verlängert.« »Beobachtung 2 meldet Windstärke 14.« »Wir sind noch zu nahe am Kern.« »Kontrolle 5 beschwert sich über Regen.« »Bekommt zu Weihnachten einen Regenschirm.« »Labrador meldet einsetzende Stürme aus Nord west.« »Beobachter 4 kommt. Das Tiefdruckgebiet setzt sich in Bewegung. Stoßrichtung Südwest. Ge schwindigkeit acht positiv.« »Das ist der Feind!« * Zwei Tage, bevor die Dampftrombe aus dem Eis Grönlands herausstieß, hockte die dreiköpfige Besat zung der kleinen Wetterstation auf der Insel Jan Mayen, wie üblich bei Schlechtwetter, um den Tisch herum. »Sauwetter!« brummte Lomer mißmutig. »Ungewöhnliche Windstärken«, brummte Birgs dal. »Auf See wird in den nächsten Tagen allerhand los sein.« Er drückte sich hoch, als der Empfänger zu arbei ten begann. Zwischen den beiden Wetterstationen auf Jan 170
Mayen und Mainland entwickelte sich ein hastiges Gespräch. »Was soll eigentlich eure letzte Meldung bedeu ten?« fragte der Mann auf der Orkney-Insel. »Wieso? Braucht ihr Wiederholung?« »Nicht nötig. Wir haben klar aufgenommen. Die Windstärke kann aber nicht stimmen.« »Unsere Messungen stimmen.« »Mensch, Windstärke 18 gibt es doch überhaupt nicht.« »Wieso Windstärke 18? Bei euch piept’s wohl? Wir haben Windstärke 11 gesendet.« »Wir haben aber Windstärke 18 aufgenommen und auch bestätigt.« »Geschlafen habt ihr!« »Wir haben auf euren Wunsch hin ausdrücklich bestätigt. Und wieso könnt ihr überhaupt etwas von Vulkanausbrüchen auf Grönland wissen?« »Seid ihr verrückt geworden?« fragte Birgsdal grob. »Wir haben euch bestimmt nichts von Vulkan ausbrüchen erzählt. Bei uns herrscht augenblicklich schweres Wetter mit Windstärke 11 bis 12, das ist aber auch alles.« »Wir wiederholen eure letzte Meldung«, gab Mainland zurück. »Bei Luftdruck 520 in Richtung Südost schwerste Stürme mit Windstärke 18. Geben dringende Sturmwarnung an alle Schiffe und Häfen. Im Innern Grönlands finden riesige Vulkanausbrüche 171
statt. In Verbindung damit wird die Großwetterlage für den Atlantik, Europa und Amerika in den näch sten Tagen durch taifunartige Stürme stark beunru higt werden. Allen auf See befindlichen Schiffen wird dringend geraten, schnellstens den nächsten Ha fen anzulaufen.« »Diesen Unfug sollen wir gesendet haben?« erwi derte Birgsdal empört. »Wann ist das aufgenom men?« Er funkte die Frage noch oft hinaus, aber er erhielt in den nächsten Tagen keine Antwort darauf. Sender und Empfänger verloren auf unerklärliche Weise plötzlich den Strom, als sei er weggesaugt worden. Die Wetterstation verlor jede Verbindung mit der Außenwelt. Sie konnte keine Nachrichten mehr emp fangen und keine mehr senden. Und doch fingen die Wetterstationen an den atlan tischen Küsten auch weiterhin die warnenden Mel dungen der Wetterstelle Jan Mayen auf. Aber sie kamen nur schwer herein. Also nahmen Tralee und Larney von der Wetter stelle Galway in Irland zwei Tage hindurch die War nungen auf, ließen sich immer wieder Rückfragen beantworten und gaben immer nur mit allen Vorbe halten weiter. Aber dann brach nach zwei Tagen der Sturm über Galway los. Er wuchs in Minuten auf Windstärke 12, schob sich wie eine pressende Mauer über die Stadt 172
seewärts, setzte für kurze Zeit aus und schlug dann erst richtig los. * Auf halbem Weg nach Europa, mitten über dem Meer, kam es zur Entscheidungsschlacht. Was zu befürchten gewesen war, trat ein. Der Kampf wurde durch den mächtigen Gegenwirbel in die Gleithöhe der Wolkenstraße hinaufgetragen. Die künstliche Hochdruckrinne besaß zwei Öffnungen und wirkte nach zwei Seiten als saugende Düse. Auf der einen Seite stürmten die geballten Massen von Grönland nach Südosten, aber nun schossen von der anderen Seite her die aufgerührten Kaltluftmassen ebenfalls in die Rinne und stießen mit furchtbarer Gewalt gegen das, was von Grönland kam. Das war die Gefahr. Die wärmeren Wolkenmassen drohten, sich über den Gegenstrom zu schieben und sich zu zerstreuen und somit zugleich dem Gegen strom Raum zu geben, so daß der Schornstein nach der falschen Seite zu ziehen begann. Der Wolkenzug wurde abgebogen und zerregnete in der falschen Richtung. Ole Jensen hatte es vorausbedacht. Ziemlich genau an die Stelle, an der der entscheidende Kampf aus brach, hatte er seine Hilfskräfte bestellt. Jetzt griffen sie ein. Zwei Flugzeuge besetzten das 173
Mündungsstück der vorgleitenden Rinne und schirm ten es durch Strahlen ab, die die einstürzenden Kalt massen jäh aufhitzten und damit zerbliesen. Die größere Wirkung kam von den beiden Flug zeugen, die seitlich von der Wolkenstraße in hundert Kilometer Abstand dicht über dem Meer Strahlen dome aufbauten und damit ein künstliches Hoch druckgebiet schufen, das den gefährlichen Tiefdruck zerreißen und absaugen sollte. Die Entlastung glückte. Damit war der Durchbruch in seinem entscheiden den Abschnitt geglückt. * Die »Maler« waren über Nacht von einem Flugzeug vom Jungfraujoch weggeholt worden. In der näch sten Nacht erhob sich der Sturm. Als die Gäste am Morgen erwachten, blickten sie in eine Natur hinaus, deren Wildheit sie erschreckte. Es war nicht daran zu denken, ins Freie zu kom men. Unten in Interlaken wetterte es schon genug, so daß die Reisenden auf den geplanten Ausflug zum Joch verzichten mußten. Aber zwei Männer befanden sich draußen. Sie waren mit dem ersten Morgengrauen von der Guggi-Hütte aus zum Joch aufgestiegen. Zu dieser 174
frühen Stunde hatte der Sturm nur mäßig um die Hütte geweht. Der Südsturm war über das Joch ge strichen, davon hatte man unten in der Guggi nicht übermäßig viel bemerkt. Trotzdem hatte der Hütten wirt gewarnt. Aber die beiden hatten keine Zeit. Sie wollten nicht einen oder gar mehrere Tage auf der Hütte verbringen. Sie mußten nach Wien zurück. Der Urlaub ist nun einmal kurz, und jeder Tag zählt. Der Weg zum Joch war nicht weiter gefährlich, und vor dem Sturm fürchteten sie sich nicht. Nun mußten sie bereits als überfällig gelten. Die Nachricht ging durch den Speisesaal, in dem die Mehrzahl der Gäste noch beim ersten Frühstück saß. »Das hat uns noch gefehlt«, sagte Sun Koh unmu tig, der mit Hal und Nimba an einem der Tische saß. »Der Nachtsturm war wirklich schon stark genug, und die beiden müssen unerfahrene Anfänger sein, sonst hätten sie sich durch ihn und durch die War nungen des Hüttenwarts zurückhalten lassen.« »Die beiden müssen eben zwei oder drei Tage in der Wand bleiben«, sagte Hal. Sun Koh schüttelte den Kopf. »Das halten sie nicht aus. Und vergiß nicht, daß gegen Mittag die Bastion zu arbeiten beginnt. Bis dahin müssen sie heraus sein.« »Herzliches Beileid, Nimba.« »Wieso? Willst du damit etwa sagen…« 175
»Erraten, Nimba«, fiel Sun Koh ein. »Los, kommt, wir wollen uns einen Bergführer suchen.« Sie erhoben sich und verließen den Raum. Unten in der Halle standen ein halbes Dutzend Bergführer in einer Gruppe zusammen, von denen Luggi bei weitem der größte war. Sun Koh trat an die Männer, die wortkarg ihre Meinungen austauschten. »Was wird mit den beiden Wienern von der Gug gi-Hütte? Geht ein Trupp hinaus?« fragte er. »Bei dem Wetter nicht«, murmelte einer. »Wir kommen nicht einmal ins Freie. Der Sturm ist zu stark.« »Halten es die Leute zwei oder drei Tage aus?« fragte Sun Koh. Die Männer schüttelten die Köpfe. »Also gut«, folgerte Sun Koh. »Ich will versuchen, sie herauszuholen. Ich kenne aber den Weg nicht und brauche einen von Ihnen als Führer.« Sun Koh wandte sich an Luggi. »Wollen Sie den Versuch mit uns zusammen wagen? Ich zahle Ihnen tausend Franken für die Stunde.« Luggi hob die Brauen. Ein solches Angebot war ihm noch nicht gemacht worden. »Tausend Franken?« sagte er schwerfällig. »Das ist viel Geld. Hm, ich käme schon zur Not hinaus. Aber am Berg wird es schwer. Und Sie wollen ja auch mit.« 176
»Ich werde Ihnen nicht nachstehen.« Luggi nickte. »Also in einer Viertelstunde hier.« »Ist recht«, sagte der Bergführer. * Eine halbe Stunde später standen die vier Männer am Stollenausgang, berggerecht und wetterfest gekleidet. Das Seil ringelte sich zwischen ihnen. Die Spitze nahm der Bergführer, ihm folgten Sun Koh, Hal und schließlich Nimba. Die Vier stemmten sich gegen den einen Torflügel und drückten ihn spaltweit auf. Im Nu hieb der Sturm in den Stollen hinein. Luggi stemmte sich vor. Als er in den Spalt kam, sah es aus, als sollte er ausgehoben werden. Er schien zu fallen, so weit lag sein Oberkörper vor den Beinen, aber der Winddruck hielt ihn. Er kam nicht weit, dann trug ihn eine Bö von der Seite und warf ihn um. Er wälzte sich herum, bevor er wieder auf die Füße kam. Inzwischen folgten die anderen tief geduckt und vorgelegt. Die Männer kämpften sich durch eine grauenhafte Einsamkeit. Ein Seil und das Wissen voneinander gaben spärlich Gemeinsamkeit. Sie wühlten sich durch brusthohen Schnee, sie drückten sich gegen eine fast übermächtige Gewalt 177
und wurden von Böen vorwärtsgeschleudert. Sie gingen und taumelten und krochen, sie fingen den brennenden Schlag des lockeren Seils und wurden scharf nachgezogen. Dieser Gang über das Schneefeld war eine uner hörte Anstrengung. Aber sie kamen voran. Und nachdem sie sich einmal durch die Schnee platte hindurchgewühlt hatten, wurde es besser. Die Füße traten auf nackten Fels, und die Hände konnten unterstützend mit zugreifen. Der Sturm schlug nicht mehr in dauerndem Wechsel um, sondern stieß mit größerer, aber gleichmäßigerer Stärke von Nordosten her gegen die Wand. Die Luft wurde erheblich kla rer, so daß sich die Männer sehen konnten. Meter für Meter arbeiteten sie sich hinunter. Auch jetzt wußten sie nicht mehr voneinander, als daß sie da waren und immer noch vorangingen oder folgten. Sie ahnten aber die Not der anderen an der eigenen Not. Dieser Kampf gegen die entfesselte Luft war einfach fürchterlich. Irgendwann – sie hatten das Gefühl für Raum und Zeit schon lange verloren – stießen sie aufeinander. Da lief eine Schrägrinne an der Wand hoch, gedeckt durch einen kleinen Felsengrat, der sich wie eine Schutzwand vor der Rinne aufbaute. Hier war es geradezu still. Die Rinne glich einer abgeschirmten Höhle. Der Orkan raste draußen. Sie verloren plötzlich Tonnenlasten von ihren Körpern, 178
eine ungeheure, fade Erleichterung quoll in ihnen auf, die Lunge atmete wie ein Motor im Leerlauf, aus allen Poren brach plötzlich der Schweiß, und der Puls schlug donnernd in den Schläfen. Hier in der Rinne lagen die Gesuchten. Sie hatten sich ganz unten angepreßt, das Gesicht dem Felsen zugekehrt. Sie rührten sich nicht, schienen nichts zu sehen und nichts zu hören. Luggi hatte am oberen Ende der Rinne gewartet, bis die anderen nachgekommen waren. Zu viert stan den sie im Schutz des Felsens, aber die beiden, die keine fünf Meter tiefer lagen, preßten immer noch die Gesichter gegen den Stein. Luggi hockte auf dem Stein und hielt Schultern und Kopf tief gesenkt wie ein Mann, der sich ent spannt. Und die anderen, die nach ihm kamen, tau melten neben ihn und setzten sich ebenfalls, um die verkrampften Muskeln und die Sinne zu lösen. Lange hockten sie so da. Sun Koh drückte sich endlich wieder hoch. »Wir müssen weiter.« Sie blickten auf, als kämen sie aus der Tiefe der Bewußtlosigkeit herauf, dann stemmten sie sich zö gernd hoch. Sun Koh brachte sein Ohr an das des Bergführers. »Wie fühlen Sie sich, Luggi?« Luggi bewegte die Lippen, dann begriff er, daß er nicht gehört wurde, und schrie nun Sun Koh ins Ohr: 179
»Geht vorüber, Herr! Wir werden schon wieder hochkommen!« Sie stiegen nun dicht beieinander die letzten Meter wieder hinunter. Erst als Sun Koh seinen Fuß dicht neben den Kopf des einen Mannes setzte und sich schon hinunterbeugte, wurde der Kopf gehoben. Ein unsagbar erstauntes Gesicht kam zum Vorschein. Der Mann hatte bei vollem Bewußtsein dagelegen und trotzdem nichts von den Ankommenden gehört oder gesehen, so stark nahm der Orkan die Sinne in Anspruch. Der andere blieb auch jetzt noch liegen. Sun Koh zog den einen hoch. »Wir wollen euch holen!« schrie er ihm zu. »Wie geht’s?« Der Wiener – Vorberg hieß er, während der andere auf den Namen Schuniggl hörte – kam aus seiner Fassungslosigkeit so leicht nicht heraus. Er deutete unsicher nach oben. »Sie kommen vom Joch?« »Ja. Warum sind Sie hier geblieben?« »Wir konnten nicht weiter! Wir sind fertig!« Sun Koh hielt ihn fest, weil er merkte, daß Vor bergs Knie weich wurden. Der Mann war jung, aber er sah jetzt zum Erbarmen aus. Kein Wunder, daß die beiden fertig waren. Sie hat ten Stunde um Stunde gegen den wachsenden Orkan den Weg zum Joch gesucht, anfangs in der sicheren Zuversicht, daß er sich bald legen würde, später aus 180
der Erkenntnis heraus, daß es leichter war, zum Joch hinaufzukommen als hinunter in die Hütte. Sie hatten verbissen bis zum äußersten durchgehalten, denn sie waren ziemlich weit hinaufgekommen. Das Joch lag wohl nicht viel mehr als hundert Meter über ihnen. Sie hatten anfänglich keinen Grund gesehen, ihre Kräfte zu schonen, und später hatte der Sturm sie ge zwungen, alles herzugeben. Nun waren sie eben am Ende. Dann nahmen sich Sun Koh und Nimba die beiden Erschöpften auf den Rücken. Sun Koh übernahm Schuniggl, Nimba den leichteren Vorberg. Es genüg te natürlich nicht, daß sie die beiden sich einfach an klammern ließen. Sie hätten bald wieder losgelassen. Also wurden sie regelrecht aufgeschnürt, so daß sie in einem Netz von Stricken hingen. Luggi schüttelte wiederholt den Kopf. Was die beiden da vorhatten, kam ihm reichlich unheimlich vor. Das Seil wurde neu geschlungen. Sun Koh zog den Kopf des Bergführers heran. »Vorwärts!« »Wohl, wohl!« Luggi nickte und stampfte los. Der Orkan warf die Männer gegen den Felsen, so bald sie aus der Rinne heraustraten. Und damit be gann der Kampf gegen die übermächtige Naturge walt von neuem. Die Männer brachten für den Auf stieg nun schon einige Erfahrung mit, aber sie besa 181
ßen nicht mehr die frischen Kräfte des Abstiegs. Die Gefahr, bei einer der plötzlichen Winddrehungen von der Wand heruntergeholt zu werden, war ungeheuer gewachsen. Und selbst seelisch bedeutete die Bela stung nicht gerade eine angenehme Zugabe. Vier Männer am Seil krochen aufwärts, trotz al lem. Sie stemmten und zogen, sie griffen und klam merten. Sie lebten nur noch und wollten hinauf. Sie fühlten die Glieder nicht mehr und achteten nicht mehr auf die stöhnenden Lungen und auf die ste chenden Schmerzen. Sun Koh arbeitete sich halbblind vorwärts. Hinter ihm straffte sich das Seil. Kam Hal nicht nach? Er griff nach vorn. Das Seil führte seitlich weg. Warum ging Luggi in dieser Richtung? Hal kam nach, aber das vordere Ende des Seils straffte sich schräg nach rückwärts. Sun Koh nahm das Seil zwischen die gefühllosen Hände und zog sich daran vor. Er mußte mit Luggi sprechen. »Luggi!« Der Bergführer kam schwankend hoch, als Sun Koh am Seil zog. »Weiter, Luggi!« Das Gesicht des Mannes zuckte. Er wollte eine Bewegung nach vorn machen, aber er sank nur wie der zusammen. Jetzt ruckte das Seil an seiner Hüfte. Hal suchte. 182
Die gefährliche Stunde. Wenn sie sich jetzt alle an einer Stelle sammelten, konnten sie so leicht nicht wieder fortkommen. Solange sie hintereinander am Seil gingen, hatte jeder einzelne die Hoffnung, daß ihn der Vordermann aus den Löchern herauszog. »Auf, Luggi!« Der Bergführer hörte es überhaupt nicht. Er hatte das Seine bis zum äußersten getan. Sun Koh ließ Luggi liegen, gab das Seil frei und arbeitete sich wieder vorwärts. Nach wenigen Schritten nur traf er mit Hal zu sammen. Wie fremde Körper stießen sie aufeinander durch die Wirbelwand des stiebenden Pulvers hin durch, das wie Sand und Eis die Haut fraß. »Hal! Der Bergführer ist fertig! Wir müssen ihn ziehen! Halt dich dicht neben mir!« Hal horchte wie auf etwas, das aus weiter Ferne kam, aber dann nickte er und drückte sich herum. Sun Koh stemmte sich nicht mehr auf. Der Sturm warf ihn doch wieder um. So wühlten sie sich neben einander wie Maulwürfe voran. Irgendwo weiter hin ten befand sich noch Nimba. Er hielt noch durch. Das Seil straffte sich gelegentlich an Hal, aber immer wieder kam es nach. Hielt sich Luggi am Felsen fest? Sun Koh würgte schwer. Das Seil hinter ihm straffte sich und wurde gehalten, als hingen Tonnen daran. Sun Koh stemmte sich, aber die Füße fanden schlecht Halt. Und wenn 183
sie Halt fanden, zitterten sie weich zusammen. Aber er kam doch vorwärts, nur langsamer als Hal. »Weiter, Hal, voraus! Nicht ziehen! Zum Stollen!« Hal begriff. Er ließ das Seil von seiner Schulter rutschen und wühlte heftiger voran. Sun Koh kroch etwas zurück, so daß er die Seil schlinge über den Hals und dann an das Handgelenk nehmen konnte. Dann streckte er den eingezogenen Nacken. Der Mann auf seinem Rücken wimmerte plötzlich wieder. Der Nacken war stärker als die Hand. Das Seil kam. Luggis Körper folgte. Sun Koh zog und zog. Jetzt kam das Seil verhält nismäßig leicht. Und dann brachte er etwas Dunkles heran, was nur Luggi sein konnte. Er glitt wie auf einer Rutschbahn von oben her. Das Gegenseil ruckte schon zum drittenmal. Hal konnte nicht weiter. Sun Koh wälzte sich herum und drückte sich auf Knie und Ellbogen. Jetzt besaß er Spielraum und konnte dann voran. Nimba mußte eigentlich schon längst vorüber sein. Hal begann mühsam an dem Seil zu ziehen. Seine Hände griffen auch nicht mehr, aber die Unterarme preßten das Seil gegen die Brust und holten es wie eine Rolle auf. Da kam es dunkel und unförmig herangekrochen. 184
»Nimba!« Nimba war der beste Mann der Seilschaft. Er hatte am wenigsten gelitten. Der Grund war recht einfach. Nimba besaß über seinen Muskeln eine Polster schicht, die seinen Körper vor allzu heftigem Wär meentzug schützte. Bei den anderen riß der eisige Sturm mit der Wärme die Kraft heraus, bei ihm aber nicht. Hal legte seinen Arm um Nimbas Hals. Nimba war so schrecklich hoch über ihm. »Sun Koh liegt fest! Luggi – ist fertig! Er muß ihn auch noch ziehen!« »Und du?« schrie Nimba zurück. »Auch fertig? Na, laß nur, ich gehe voraus!« Hal wollte sich hochdrücken. Er und fertig? Das gab es überhaupt nicht. Er mußte weiter. Hal wollte wieder auf. Aber seine Glieder ge horchten nicht mehr, sie waren wie abgeschnitten und gehörten nicht mehr zu diesem Willen. Nimba verschwand irgendwohin. Sun Koh stieß plötzlich gegen ein fremdes Seil, das in den Schnee hineinführte. Das Seil ruckte. Ir gendwer zog daran. Vielleicht war es der Sturm? Er tappte sich an dem fremden Seil entlang. Der Schnee gab immer weiter nach, oben wollte sich die Decke schließen. Da stieß er auf einen Körper. Nimba. 185
Er war fast begraben. Seine Arme waren an die Brust gepreßt. Mit dem rechten Fuß trat er das Seil schräg von sich weg, holte mit den Armen nach und drückte wieder mit dem Fuß, um Hal hinter sich her zuholen. Sun Koh kroch weiter. Dann stieß er plötzlich ge gen festen Widerstand. Er scheuerte mit seinem Kopf daran entlang, zweimal und dreimal, bevor er den Kopf hob und aus den verklemmten Augenschlitzen heraus zu erkennen versuchte. Ganz langsam und träge schob sich die Erkenntnis in sein Gehirn. Das war Holz vor ihm, eine hölzerne Wand. Das konnte das Tor sein. Aber gleich darüber befand sich Felsen. Felsen? Das Tor mußte zugeweht sein. Es saß in einer Senke. Deshalb nahm der Sturm hier den Schnee nicht mit. Der Stollen! Er stieß mit dem Kopf an, immer wieder, aber er hatte selbst das Gefühl, als sei es nur ein leises Pappen. Hinter ihm bewegte sich Nimba. Wieder ging ein Gedanke schwerfällig durch Sun Koh hindurch. In seiner Tasche befand sich ein Strahler. Damit konnte er das Tor zerschneiden. Die Taschen waren, wie der ganze Stoff, vereist, und die Finger griffen nicht mehr. »Nimba! In meiner linken Tasche – der Strahler! Herausholen!« 186
Er wälzte sich auf die andere Seite. Nimba hatte wohl begriffen, denn er kam mit seinem Körper nach und begann, mit seinen Handgelenken den Stoff zu brechen. Sun Koh nahm den Strahler aus Nimbas Hand. Er fühlte zuerst nicht richtig die Umrisse des Strahlers, aber dann schoben sich seine Fingerspitzen millime terweise vor. Hier war der Riegel. Herrgott, wollte er denn nicht nachgeben? Der Druck schien gewaltig, aber der Riegel wich nur ganz wenig. Doch das genügte. Ein dünner, grü ner Strahl war da. Er stach auf den Felsen, ließ ihn glasig aufglühen und senkte sich dann auf das Holz. Ein Loch genügte. Schwerfällig ging Sun Kohs Arm herum. Der Schnee war nun vor ihm zusam mengesackt, auf den Brettern zeichnete sich ein re gelmäßiger Kreis ab. Schon rüttelte der Sturm dage gen. Das war das Loch, das in den Stollen führte. Mit großer Kraftanstrengung drückte Sun Koh den winzigen Riegel am Strahler wieder zurück. Die Hand schloß sich um die Röhre. Nun den letzten Meter. Da schob sich Holz in die Öffnung. Er drückte sich vor. Jetzt nicht mehr. Da sah er den Stollenboden unter sich. Was schrien die Leute dort unten? Noch ein Ruck. Der Sturm half mit und gab ihm 187
das Übergewicht. Er fiel, und mit ihm fiel der Mann auf seinem Rücken. Die Seile hemmten, aber nun griffen von innen die Arme nach. »Ziehen!« schrie Sun Koh und wußte nicht, daß es nur ein kaum verständliches, heiseres Krächzen war. »Ziehen! Die anderen – am Seil! Langsam auftauen – alles erfroren!« Dann sank er in die Nacht der Bewußtlosigkeit hinein. 9. Er erwachte wieder unter mörderischen Schmerzen, die von seinen Füßen und Händen ausgingen. Sein Gesicht befand sich in einer stechenden Klammer, irgend etwas Feuriges lief in seinen Körper hinein. Als seine Lider nach einigen vergeblichen Versu chen endlich aufbrachen, sah er einen Mann über sich, der ihm etwas in den Mund goß. Vier andere standen ringsum. Jeder hatte ein Bein oder einen Arm in der Hand und knetete. Das Weiße war wohl Schnee. Und die Wand dort – das war die innere Stollenmündung. Der Mann über Sun Kohs Gesicht sagte etwas, aber es kam wie aus weiter Ferne. Sun Koh verstand es nicht. Das Bild verschwamm wieder. Dann wachte er zum zweitenmal auf. Sein Körper war glühendheiß und naß vom Schweiß, aber sein 188
Kopf war klar. Er sah weiße Betten über sich und Wände um sich herum. Das mußte sein eigenes Zimmer sein. Nur stand dort noch ein zweites Bett. Er wollte sich bewegen, aber seine Glieder schie nen abgestorben zu sein. Wieder beugte sich ein Mann über ihn. »Na also«, sagte er und lächelte dabei, »da wären wir ja wieder. Ihre Natur möchte ich haben. Mund auf.« Sun Koh schluckte gierig etwas Warmes. Hinter her fiel ihm ein, daß es eine Fleischbrühe gewesen sein könnte. »Nett von Ihnen«, sagte der andere beifällig. »Ha ben Sie Hunger?« Sun Koh bewegte erst versuchsweise die Lippen, dann wunderte er sich selbst, daß seine Stimme so klar kam. »Ja, ich möchte essen. Ich…« »Liegenbleiben!« sagte der Mann und drückte ihn zurück. »Sie werden sich erst noch ein bißchen aus ruhen müssen. Ich bringe Ihnen gleich etwas zu es sen.« »Warten Sie«, bat Sun Koh hastig. »Die anderen – wie geht es ihnen?« Der Arzt wies auf das Bett an der anderen Wand seite. »Dort liegt Mr. Holligan. Er hatte die wenigsten Erfrierungen. Vorhin hat er schon für drei gegessen. 189
Jetzt schläft er. Ich denke, daß er morgen wieder auf stehen kann.« »Und…« »Langsam. Mr. Mervin liegt nebenan. Er wird ebenfalls über den Berg kommen, wenn es auch zwei oder drei Tage länger dauert. Er ist sehr erschöpft.« »Luggi?« »Ganz ähnlich. Wir bringen ihn wieder auf die Beine. Die beiden Wiener sind schlechter dran, aber ich denke, daß wir ihnen bis auf einige Zehen die Glie der retten können. Der eine hat ein schweres Nerven fieber, aber er ist jung und wird es überwinden.« »Gott sei Dank«, murmelte Sun Koh. »Also war es doch nicht ganz umsonst.« »Nein. Aber Sie sollten liegenbleiben.« Ein Gedanke war wie ein Blitz durch Sun Koh ge fahren und hatte seinen Oberkörper hochgerissen. Der Arzt drückte ihn mit einer schnellen Bewegung wieder zurück, aber Sun Koh hätte sich auch sonst nicht halten können. Die Muskeln gaben schlaff nach. Doch dann ruckte er zum zweitenmal hoch. »Wie spät, Doktor?« »Fünf Uhr nachmittags. Sie haben einige Stunden geschlafen.« »Fünf Uhr!« »Was ist Ihnen denn?« 190
»Wie ist das Wetter draußen?« »Wenn Sie nicht ruhig bleiben, erfahren Sie über haupt nichts, verstanden?« »Das Wetter?« »Schwer zu beschreiben. Der Sturm kommt jetzt aus Nordwest. Es ist ungewöhnlich warm geworden. Das Joch ist vollkommen in dichte Wolkenmassen eingehüllt. Sie füllen das ganze Vorland und über schütten es abwechselnd mit Wolkenbrüchen, Schnee und Hagel. In den Tälern sieht es übel aus. Wollen Sie wohl liegenbleiben!« Sun Koh warf sich gewaltsam herum. »Ich muß auf!« »Sie können nicht.« »Ich muß!« »Sie sind ja verrückt!« schrie ihn der Arzt grob an. »Da, sehen Sie sich Ihre Hand an! Ihre Füße sind noch schlimmer. Wenn Sie jetzt aufstehen, zerreißen Ihnen sämtliche Gewebe, und Sie liegen vier Wo chen, wenn Sie nicht gar den Brand bekommen. Ich lasse Sie anschnallen, wenn Sie sich weiter bewe gen.« Sun Koh starrte auf die rotglühende, mit schwärz licher Haut überzogene Hand. Er begriff durchaus, was der Arzt meinte. Seine Hände und Füße waren derart geschwollen, daß sie nicht beansprucht werden durften. Aber da draußen stieß die mächtige Wolkenstraße, 191
die von Grönland aus herangeführt wurde, gegen das Bergmassiv. Sie hob sich nicht darüber hinweg, sie teilte sich nicht, weil die Strahlenbastion nicht arbei tete. Die ganze Schweiz mußte in diesem Wolken meer ertrinken. Die Bastion wartete auf seinen Be fehl, Ole Jensen wartete, alle warteten draußen. Seit Stunden warteten sie. Fünf Uhr nachmittags! Seit Mittag rannte das Wolkenmeer gegen die Berge, seit fünf Stunden soll ten die Strahlenblöcke bereits arbeiten. Und er lag hier und durfte sich nicht rühren. »Doktor?« »Na, vernünftiger geworden?« »Wo sind meine Sachen?« »Die Hotelleitung hat alles an sich genommen.« »Die Hotelleitung? Warum?« »Ich weiß es nicht.« »Ich brauche die Sachen sofort. Es ist eine – eine Blechdose dabei, rund und ziemlich schwer. Ich brauche sie vor allem.« »Ich will Ihnen die Sachen gern bringen, wenn Sie mir versprechen, sich ganz ruhig zu verhalten.« »Ich verspreche es, aber beeilen Sie sich!« Der Arzt nickte und verließ den Raum. Drüben schnarchte Nimba. Endlich trat der Arzt wieder ein. Er stellte eine Kassette auf den Tisch. »Hier habe ich alles, was man an Ihnen und Ihren 192
Begleitern gefunden hat. Die Ringe mußten abge kniffen werden, aber sonst wird alles wohlbehalten sein.« »Haben Sie die Dose?« »Es sind drei vorhanden.« »Bringen Sie eine.« »Diese hier?« »Schon gut. Schrauben Sie die beiden Hälften aus einander.« »Hier sind sie.« »Auf der einen finden Sie einen Punktschieber. Drücken Sie ihn bis zum Anschlag. Haben Sie?« »Allerdings.« »Nun halten Sie mir die Hälfte an den Mund, die andere legen Sie gegen mein Ohr. Das ist ein Kurz wellensender besonderer Bauart. Ich muß mit meinen Freunden sprechen.« »So recht?« Sun Koh antwortete dem Arzt nicht mehr, sondern denen, die draußen in den Flugzeugen auf diesen An ruf gewartet hatten. »Sun Koh. Wer hört?« »Ole Jensen, Sir, wir warten seit…« »Ich weiß. Ein Zwischenfall hat mir die Einhal tung des vorgesehenen Planes unmöglich gemacht. Sie übernehmen sofort den Gesamtbefehl für mich.« »Befehl geht bereits weiter. Was ist mit Ihnen, Sir?« 193
»Wir haben zwei Mann, die trotz des Sturmes zum Joch aufgestiegen waren, hereinholen müssen. Jetzt ist alles in Ordnung, nur läßt uns der Arzt heute nicht mehr aus dem Bett. Sie müssen bis morgen selbstän dig handeln.« »Soll ich jemand schicken?« »Nein. Schluß.« »Gute Besserung, Sir.« »Nehmen Sie weg«, sagte Sun Koh wieder zu dem Arzt. »Sie können die Dose wieder zusammen schrauben und zurücklegen.« Der Arzt tat stumm, wie ihm geheißen. Er trat dann jedoch wieder an das Bett und räusperte sich. »Hm, ich weiß ja nicht, aber man munkelt davon, daß dieser Sturm…« »Fragen Sie nicht«, bat Sun Koh müde. »Ich kann mir denken, was Sie wissen wollen. Versuchen Sie, dieses Gespräch zu vergessen. Schweigen Sie wenig stens jetzt darüber, morgen will ich Ihre Fragen be antworten. Jetzt muß ich wohl etwas essen, bevor ich einschlafe.« »Richtig«, sagte der andere. »Das Essen wartet schon.« Sun Koh ließ sich füttern. Er schlief ein, bevor er zu Ende gegessen hatte. *
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Ole Jensen fühlte sich von Mittag an nicht mehr wohl. Alles ging glatt. Die Wolkenstraße führte wie an der Schnur gezogen von Grönland auf Europa zu. Die großen Wetterbecken waren durchstoßen, die Großwetterlage hatte sich bei aller Unruhe schon weitgehend umgestellt, so daß er die Rinne wie vor gesehen strecken konnte, die Vogesen kamen in Sicht – und nun antwortete Sun Koh nicht. »Keine Verbindung zu bekommen?« schnaubte er erstaunt auf, als Hofer es ihm meldete. »Anruf wie derholen!« »Wird bereits dauernd wiederholt. Gegenmeldung erfolgt nicht!« »Na, na. Zentrale soll Anruf stoppen. Ich werde selbst – hallo, Ole Jensen. Hören Sie, Sir? – Hallo?« Er lauschte eine Weile, dann setzte er seine Sprechdose kopfschüttelnd ab. »Nichts! Er antwortet nicht«, knurrte Ole Jensen. »Wie ist die Verständigung mit 14 und 15?« »Augenblick. – Verständigung ist einwandfrei.« »Also liegt es nicht an uns. Die beiden stehen noch weiter südlich. Verdammte Schweinerei!« »Wir sind noch nicht am Massiv.« »Wenn das ein Trost sein soll, kriegt ihr alle beide einen Trostpreis. Die paar Minuten zählen nicht. Zentrale soll dauernd rufen, bis Antwort kommt.« Sun Koh antwortete nicht. 195
»Da ist der Waschkessel fertig«, murmelte Ole Jensen nach einer halben Stunde. »Die Bastion arbei tet immer noch nicht. Wir bringen das Zeug allein nicht hinüber.« »Wenn wir die Strecke schwächer besetzen?« »Ausgeschlossen.« »14 und 15 heranholen.« »Dann fehlen sie uns nachher. Außerdem ist es dann ganz aus. Jetzt ziehen sie wenigstens einen Teil ab.« »Die Bastion in Tätigkeit setzen?« »Nein, zum Teufel!« wehrte sich Ole Jensen gegen die eigene Versuchung. »Nicht, solange wir nicht wissen, was los ist. Die Strahlung liegt zu dicht über der Erde. Laßt irgendeinen Idioten etwa oben ge sprengt haben, so daß einer der Blöcke nicht mehr ausgerichtet ist, dann glasieren wir dort unten eine ganze Provinz. Wir müssen noch abwarten.« Das war alles, was Ole Jensen tun konnte. Warten und warten. Fünf Stunden sind eine lange Zeit, wenn man jede Sekunde zählt. Und Ole Jensen zählte nun die Sekunden vor seinem Gewissen und seiner Ver antwortung ab. Daß weder der Herr noch einer seiner Begleiter antwortete, war ihm rätselhaft. Sie mußten sich in einer Lebenslage befinden, in der sie die Ruf zeichen nicht aufnehmen und nicht beantworten konnten. Andererseits hatte keiner von den dreien ein Notzeichen gegeben. 196
Ole Jensen hatte kein Flugzeug mehr frei, sonst hätte er sich selbst auf dem Joch umgesehen. Er durf te die Wolkenstraße nicht gefährden. Natürlich konn te er auch nicht ewig warten. Also setzte er sich eine Frist. Bis sechs Uhr wollte er noch warten, dann mußte Strak 14 abgelöst werden, damit er auf dem Joch nach dem Rechten sehen konnte. Ole Jensen hätte nur auf den Rundfunksender Be romünster umschalten sollen, der in dieser Stunde bereits in zahllose Lautsprecher hinein das Helden lied von vier Männern sang, die zwei andere aus der Bergnot dieses Tages gerettet hatten. Aber daran dachte Ole Jensen so wenig wie einer seiner Leute. Fünf Stunden grübelte Ole Jensen und verlernte dabei das Fluchen. Dann kam endlich Sun Kohs Ge genruf. Während Ole Jensen noch mit Sun Koh sprach, nahm Wagner bereits den Befehl an. Das Flugzeug schoß nach oben. Und gleich darauf brachen die Blöcke im Gipfel fels der Sphinx, in der Nordwand des Eiger, unter dem Grat der Jungfrau und auf den Vogesen unter den Kontaktstrahlern auf. Ein schwachgrünes, schmales Dreieck spannte sich vom Jungfraumassiv nach Norden zu, zugleich überschnitten sich schräg aufstoßende Wände wie zu einer Lichtweiche, an deren Endpunkten über dem Massiv die Straks 14 und 15 ihre Rinnen ansetzen konnten. 197
Die Bastion arbeitete. Die Wirkung trat nach Minuten ein. Die Wolken straße hob sich und ordnete sich aus dem zerfetzten Haufen heraus zu zwei hellen Straßen. Der brodelnde Waschkessel klärte sich auf, unten wurde das Land wieder sichtbar. Die Schweiz bekam Luft. Und der Anschluß nach Süden war hergestellt. Ole Jensen kam endlich weiter. * Sun Koh erwachte erst am nächsten Morgen. Neben seinem Bett saß Nimba und frühstückte für eine fünfköpfige Familie. Er strahlte über das ganze Ge sicht, als sich Sun Koh aufrichtete. »Guten Morgen, Sir. Haben Sie auch Hunger?« Sun Koh fühlte sich ganz anders als am Tag zuvor. Die Kraft pulste wieder durch seinen Körper. Die Muskeln gehorchten, wenn sie auch noch steif wa ren. »Guten Morgen, Nimba. Schon bei der Arbeit?« Er streckte seine Hand hin. Der Frost hatte ihr mitgespielt. Die Haut war ganz schwarz geworden. Aber geschwollen war sie nicht mehr. Nimba griff trotzdem sehr vorsichtig zu. »Essen ist das halbe Leben«, sagte er lachend. »Aber aufstehen dürfen Sie noch nicht, ich bin ver antwortlich dafür. Die Füße sollen erst gewickelt wer 198
den, von wegen der Blutstauung und was weiß ich.« »Und bei dir?« »Schon gewickelt.« »Schön, also tragen wir es mit Humor. Bestelle mein Frühstück, ich habe schrecklichen Hunger.« »Schon gedrückt. Ich helfe inzwischen aus. Wie fühlen Sie sich, Sir?« »Gesund. Wie geht es Hal?« »Er schläft noch. Er wird noch einen Tag länger brauchen. Ich habe immer gesagt, daß er zu wenig ißt. Nun liegt er auf der Nase.« »Und die anderen?« »Luggi ist schon bei Verstand. Er läßt sich von seinen Kameraden stundenlang erzählen, wie es ge wesen ist und sagt ›wohl, wohl‹ dazu. Der eine Wie ner phantasiert noch, der andere schläft.« »Und draußen?« »Die Bastion arbeitet. Ole Jensen und die anderen lassen grüßen. Ich Schafskopf habe natürlich gestern auch nicht daran gedacht, daß sie auf den Befehl warten.« »Tröste dich mit mir. Wie sieht es unten aus?« »Gestern böse, heute einigermaßen tropisch. Die Wolkenstraßen regen ziemlich auf. Ein paar Wetter propheten sollen sich aufs Wahrsagen aus dem Kaf feesatz verlegt haben, weil sie nicht damit fertig werden.« Sun Koh lachte. 199
»Schön gesagt. Wo bleibt denn das Frühstück?« »Verfluchte Bummelei!« schimpfte Nimba und langte wieder nach dem Kopf. Das Frühstück kam, gleich darauf der Arzt. Wäh rend Sun Koh aß und trank, wickelte der Arzt feste Binden um seine Füße, um etwaige Schwellungen zu verhüten. * Einen Tag später hatten Sun Koh und Nimba die Folgen ihrer Rettungsarbeit schon fast überwunden, während Hal und Luggi ihre Gehversuche machten. Während des Mittags lösten sich die Wolkenstra ßen über dem Jungfraujoch auf. Aus den eingehen den Meldungen ergab sich, daß diese Erscheinung überall beobachtet wurde. Die Stürme verstärkten sich wieder, aber man vermutete allgemein zu Recht, daß sie nur eine Rückführung in die ursprünglichen Verhältnisse brachten. In der übernächsten Nacht verschwanden Sun Koh, Hal und Nimba aus dem Hotel. Man fand ihre letzten Spuren draußen im Schnee vor dem Stollen, den man mit dem Nachlassen des Sturmes wieder freigeschaufelt hatte. Der Bergführer Luggi hatte für den Rest seines Lebens ausgesorgt, obwohl er es nie recht begriff, wie es dazu kam. 200
Die Befestigung der metereologischen Station auf der Sphinx blieb. Die Bundesregierung untersagte alle Versuche, die man ihr aus allen Teilen der Welt antrug. Die Öffentlichkeit wußte alles und nichts. Die Er regung versickerte allmählich, wenn auch in diesen Tagen die Anfänge zu einer entscheidenden Ausein andersetzung gelegt wurden. Auf Grönland waren die Atomfeuer erloschen. Die Trombe stieß nicht mehr zum Himmel und in die Wolkenstraße hinein. Der gewaltige Kessel im Eis füllte sich langsam wieder wie eine auswachsende Narbe.
ENDE
Bitte beachten Sie die Vorschau auf der nächsten Seite.
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Als SUN KOH Taschenbuch Band 21 erscheint:
Freder van Holk
Violan
Die Ratte kauft sich einen Anzug und sprengt einen Ofen in die Luft, ein Laboratorium explo diert und Mutter Moustard holt sich einen Gast aus der Schleuse. Eine Schule wird weggebla sen, eine Straßenbahn springt aus den Schie nen und ein alter Mann stirbt. Professor Warton erhofft sich viel vom Überdruck und zerbricht an ihm. Viola Warton spielt die Schlange und ist doch nur ein Skorpion, der sich selbst tötet. Die Geister arbeiten im Labor, die Jugend greift zu, und Sun Koh bekommt doch noch, wofür er be zahlt hat. Die SUN KOH-Taschenbücher erscheinen vier wöchentlich und sind überall im Zeitschriftenund Bahnhofsbuchhandel erhältlich.