KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULT U R K U N D L I C H E
EMIL
HEFTE
RIEMEL
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KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULT U R K U N D L I C H E
EMIL
HEFTE
RIEMEL
TIER-SIGNALE BLINKLICHTER, SCHALLSIGNALE, LOCKENDE DÜFTE BEI INSEKTEN
VERLAG SEBASTIAN
LUX
MU RNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K - B A S E L
weit ist der Weg von den Urwaldtrommcln bis zum Nachrichtensatelliten Telstar. Er zog sich durch die Jahrtausende, und er hat viel Nachsinnen und Einfallsreichtum gekostet. Aber nun haben wir es geschafft: Wissen und Verstand und technische Begabung machen heute möglich, was gestern nur ein Traum war, und kein anderes Geschöpf kommt uns darin gleich! Nun, seien wir vorsichtig! Es gibt da welche, die lange vor den Menschen, sozusagen schon vor unendlichen Zeiten ihre eigene, fast wunderbare Signaltechnik entwickelt haben — nicht weltumspannend und- in bescheidenerem Maße; denn sie arbeiten mit körpereigenen Geräten und ohne einen Funken von Verstand. Sie verwenden für ihre Signale das Licht und den Schall wie der Mensch, sie nutzen als Verständigungsmittel aber auch ein Signalsystem, das der Mensch nicht kennt: den Duft. Wir finden sie — wo denn sonst! — unter den Instinktwundertieren der Natur, unter den Kerbtieren, den Insekten.
Blinkzeichen Rätselhaftes
kaltes
Leuchten
Eine Sage erzählt: „Die Köchel — die Hügel — in dem ungeheuer großen Moor bei Murnau waren einst Inseln in einem weitflutenden See. Mitten darin, auf dem Osberg, hauste ein edles Fräulein in fast klösterlicher Einsamkeit. Im Davidenwald bei Murnau hat damals ein Herrenhaus gestanden. Von dort fuhr ein Ritter auf einem SchirFlein zu der Frau nach dem Osberg hinüber. Er fand Erwiderung seiner Neigung und schwamm des Nachts oftmals nach ihrem Inselsitz über den See, wobei ein Licht vor ihrem Fenster ihm die Richtung wies. So sahen sie sich oft. Einst aber schlief das in irdischer Neigung befangene Fräulein ein, der Sturm warf das Licht zu Boden, der getreue Ritter verfehlte sein Ziel und ward von den
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Wellen verschlungen. Da verwünschte die Unglückliche den See, so daß er seine Wasser zurückzog und einen Sumpf zurückließ." Soweit die Sage. Das Moor bei Murnau wird zwar auf andere Weise entstanden sein, aber die Sache mit dem Ritter und seinem Fräulein mag schon stimmen. Licht wird ja seit eh und je als Signal benutzt, nicht nur von uns. Viele Millionen Jahre vor jenem müden Fräulein auf dem Osberg haben Insekten bereits regelmäßig optische Zeichen verwendet, um sich gegenseitig zu finden. Sie tun es auch heute noch, ohne jemals dabei einzuschlafen. An milden Sommerabenden, wenn das Tageslicht nur zögernd der Nacht weicht, blinken über taufeuchten Wiesen, im Gebüsch und in den Wäldern winzige, grünlich schimmernde Funken. Geruhsam ziehen sie durch das aufkommende Dunkel, schweben sacht empor, sinken zögernd herab, verlöschen jäh und erglühen anderswo wieder. Es sind die Johanniskäfer, die alljährlich im Dämmerschein der Sommersonnenwende mit magischen Laternchen nach verborgenen Schätzen suchen. Licht im eigenen Körper zu erzeugen, gelingt nur wenigen Geschöpfen. Von den mehr als dreißigtausend Insektenarten unserer Heimat vermögen das nur drei: Man nennt sie Leuchtkäfer. Obwohl sie jeder kennt und obwohl viele gelehrte Leute schon dem Entstehen ihres Gefunkeis nachgespürt haben, weiß doch bis heute niemand, wie es zustande kommt. An diesem Licht und auch an denen, die es erzeugen, ist noch vieles ziemlich „dunkel". Johanniskäfer zählen zu dem großen Heer der Weichkäfer, deren Flügeldecken weit weniger stark gepanzert sind als die der anderen Käfer. Sie sind klein, im allgemeinen unauffällig und führen ein sehr zurückgezogenes Leben. Nur wenn sie ihren merkwürdigen Strahlenzauber entfalten, erregen die bräunlichen, knapp einen Zentimeter langen Insekten unsere Neugier. Doch auch der Helm, den sie aufhaben, macht sie uns interessant. Der winzige Wicht trägt nämlich einen mäditigen Sturzhelm auf dem Kopf, er reicht ihm vom Nacken bis weithinein in das Gesicht. Für seine gewiß nicht stürmischen Luftfahrten braucht er ihn bestimmt nicht, dabei kann er ihm nur lästig sein. Denn so tief ist ihm die dunkle, starre Panzerhaube über das Haupt gezogen, daß er trotz seiner Laternchen überhaupt nichts sehen könnte, 3
hätte der finstere Helm nicht in Augenhöhe zwei ovale Klarsichtscheiben. Durch diese Scheiben spähen des Käfers Knopfaugen aufmerksam in das Zwielicht seiner Umwelt. Da den Augen das. dunkle, die Sehstäbchen voneinander isolierende Pigment fehlt, kann von ihnen die geringe Lichtmenge der Nacht so viel besser ausgenutzt werden. Mit solchen Nachtaugen ausgerüstet, findet der im Dämmerlicht fliegende Käfer seinen Weg jederzeit auch ohne seine Scheinwerfer. Zum Erheüen des Flugweges wäre das Eigenlicht sowieso nutzlos, weil seine Strahlen statt nach vorn nach unten weisen und weil die Lichtquelle überdies völlig „verkehrt", am hintersten Ende des Körpers, montiert ist. Hier, zwischen der durchsichtigen Oberhaut und dunklen, reflektierenden Zellen, liegen in eine Speckschwarte eingebettet die leuchtenden Gewebe. Sie erzeugen ein völlig kaltes Licht, ohne Energievcrlust durch Wärme. Darin ist es unseren Glühlampen weit überlegen. So eine körpereigene Beleuchtung wäre auch für uns recht praktisch und preiswert, da wir ja an Fett viel mehr herumtragen als solch ein Leuchtkäfer. Aber noch weiß niemand genau, wie die Leuchttiere ihr Fett zum kalten Glühen bringen. Außer einigen schönen Namen für die Leuchtsubstanz, wie Luciferin oder Pyroferin, haben wir bisher an überzeugender Deutung nichts zuwege gebracht. Weder die organischen noch die chemischen Vorgänge bei dem Entstehen des Glühwürmchenlichtes konnten bisher geklärt werden. Wir vermuten nur, daß der Käfer sein Gefunkel mit Hilfe besonderer, uns unbekannter Fermente und wahrscheinlich unter Mitwirkung von Sauerstoff hervorbringt; denn seine Lichtpolster sind umgeben und durchdrungen von auffallend vielen, allerfeinsten Luftröhren. Das
Aus-
und
Einschalten
Auch daran, wie der Käfer seine Lampe aus- und einschaltet und ihre Helligkeit nach Bedarf verändert, rätseln wir immer noch herum. Einige sagen, er könne sein Licht überhaupt nicht beeinflussen, es leuchte also immer gleichmäßig stark, Tag und Nacht, und verschwinde nur scheinbar; dann nämlich, wenn das Insekt leine Laterne gegen den Boden drücke oder sie im Flug durch 4
Leuchtkäfermännchen hat die Blinkzeichen verstanden und ist zum Rendezvous herangeflogen: denn das Weibchen kann nicht fliegen. schnelles Wenden abseits drehe. Doch so simpel ist die Sache wirklich nicht, man braucht die Käfer nur ein wenig aufmerksam zu beobachten, etwa in einem Glasröhrchen. Da sehen wir deutlich, wie sie ihre Lampen aufstrahlen und verglimmen lassen. Andere meinen, das beliebige und unterschiedliche Leuchten geschehe durch verstärkte oder verminderte Zufuhr von Sauerstoff an die Lichtpolster. Das dürfte weit eher der Wahrheit nahekommen und würde die zahlreichen Luftkanälc in den Leuchtorganen einigermaßen erklären. Wozu überhaupt die Leuchtspur des Johanniskäfers, wenn er doch für seine nächtlichen Reisen eine Lampe so wenig benötigt wie 5
der Nachtschwärmer, wie die Fledermaus oder der Kauz? Als Schlußlicht, als „Positionslampe", ist sie gewiß nicht vorgesehen; denn die übrigen Verkehrsteilnehmer können mit ihren viel größeren Nachtaugen weit besser sehen als der kleine Käfer mit den seinen. Und oftmals beirrt das Geleucht sogar die jagenden Nachträuber, die nur das nach unten strahlende Licht erkennen und dabei den im Dunkeln bleibenden Käfer peinlich anrempeln. Nein, dieses Leuchten ist kein Warnlicht und keine Laterne; wie es Licht von ganz besonderer Art ist, so dient es auch einem ganz besonderen Zweck. Es ist ein strahlendes Signal für alle, die es angeht: Seht, hier leuchte ich, und nun leuchtet bitte auch! Das
Weibchen
blinkt
zurück
Jene, die es angeht, sind die Johanniskäferweibchen, die meist tief versteckt im Moos des Waldes oder unter den bodenbedekkenden Pflanzen feuchter Wiesen leben. Sie halten sich dort auf, weil es die ihnen notwendigen Lebensräume sind, nicht aber, weil sie sich vielleicht wegen ihrer Häßlichkeit schämen. Hübsch sind sie freilich nicht. Wer sie nicht kennt, würde die wurmartigen Gestalten mit ihrer schmutziggeiben, gekerbten Haut viel eher für plumpe Larven halten als für richtige Käfer. Ihnen fehlen sogar die Flügel und Flügeldecken, sie tragen nur kleine, verstümmelte Reste davon. So bleibt es ihnen versagt, ihren Partnern leichtbeschwingt entgegenzuschwc'oen, sie sind für immer an die Erde gefesselt. Aber sie vermögen noch weit heftiger und deutlicher zu erglühen als die Männchen. Einzeln verstreut im schwellenden Moos oder an den Stengeln der Wiesengräser warten die Würmchen geduldig und aufmerksam, bis die Sonne versinkt. Einige wagen sich sogar, wegen der besseren Sicht, auf die äußersten Spitzen der schwankenden Halme. Verloren in Nacht und Einsamkeit starren sie zum Himmel empor. Keines der Weibchen hat bisher das Leuchten und Wandern des grünlichen Lichtes gesehen, und niemand kann ihnen davon berichtet haben. Aber sie fühlen unbeirrbar, daß solches zu dieser Stunde für sie geschehen werde. Und tatsächlich: Schon gleitet so ein funkelnder Stern vorüber, und sogleich erstrahlt auch das Weibchen am ganzen Körper. Hell 6
leuchten vierzehn Lämpchen auf, gleichmäßig verteilt an den Seiten und unterhalb ihres Körpers. Geschwind und geschickt dreht sie die Leuchtflächen nach oben, damit der suchende Freund die Zeichen ihrer Zuneigung nicht übersehe. Er übersieht sie nicht. Geradewegs und ungestüm stürzt er sich hinab, dorthin, wo ihre Laternen erstrahlen. Genauso wie jener schwimmende Ritter im See findet der fliegende Käfer sein Ziel nur, wenn ihm das Licht der Freundin den Weg weist. Mitunter aber wartet die Partnerin vergebens; denn manchmal funkeln dem suchenden Käfer mehrere Signale zugleich entgegen. Da muß er sich wohl für eines, meist das nächstliegende, entscheiden. Auch kann ihm bei seinem hastigen Sturzflug in letzter Sekunde ein Unfall zustoßen; denn zwischen hohen Grashalmen und überall im Gebüsch lauern mit unsichtbaren Netzen die Spinnen, und an ihren Leimfäden endet dann die nächtliche Fahrt. Mit zunehmender Dunkelheit schweben immer mehr Laternchenträger über die Fluren und durch die Wälder, und immer mehr Weibchen lassen ihre Lampen strahlen. Das ist überaus leichtsinnig. Daß die Männer ihre Lichter dauernd leuchten lassen, wird niemand wundern; müssen sie doch, um ihr Ziel zu erreichen, einiges wagen. Aber die Weibchen brauchten ihr Lichterspiel nicht so gefährlich zu verschwenden, ein kurzes Zurückblinken jeweils würde durchaus genügen. Da sie das nicht tun, kann ihre auffallende Dauerbeleuchtung weder den Kröten noch Spitzmäusen oder anderen Liebhabern von Insektenfleisch entgehen. So locken die Glühwürmchen geradezu auch jene herbei, die ihrer nur begehren, um sich an ihnen gütlich zu tun. Nicht alle Leuchtkäfer verhalten sich übrigens so töricht. In Nordamerika leben Arten, die mit ihren Lampen vorsichtiger umgehen. Die Männchen dieser Leuchtkäfer senden ihr Blinkzeichen immer nur in gleichbleibenden Abständen von jeweils sechs Sekunden und die Weibchen antworten genau zwei Sekunden später ebenfalls mit schnellem Aufleuchten. Kein Licht wird unnötig vergeudet, nur wenige kurze Strahlen blitzen auf, und schon landet das Männchen an ihrer Seite. In der Neuen Welt sind also nicht nur die Physiker; sondern auch die Insekten signaltechnisch den unseren weit voraus. Zudem gibt es weiter südlich, in Mexiko und auf den Antillen, 7
größere Käferarten, die zehnmal heller glimmen als unsere. Die Eingeborenen sammeln sich einige davon, sperren sie in kleine Käfige und verwenden sie als Zimmerlampen. Es wird behauptet, man könne bei diesem Licht sogar die Zeitung lesen. Unbeantwortete Fragen Das Lichtgetunkel all dieser Kater dient allein dem Aufsuchen und Finden der Partner zur Paarungszeit. Wie andere Insekten mit Düften arbeiten, so signalisieren sie mit Leuchtzeichen. Der Erfolg bleibt sich gleich: Der Fortbestand der Art wird gesichert. So wollen es die Gesetze des Lebens, und wir können es bei dieser staunenswerten Tatsache belassen. Jedoch der Zweifel, das notwendigste Filter aller Wahrheit, meldet sich auch hier. Warum, so müssen wir fragen, leuchten dann auch die Jugendformen jener Käfer: ihre Puppen, Larven und sogar die Eier? Leuchtkäfer strahlen tatsächlich von der Wiege bis zum Grabe. Freilich am heftigsten dann, wenn die Geschlechter sich sudien, : nur äußerst schwach und selbst bei tiefster Dunkelheit nur in nächster Nähe erkennbar. Doch immerhin, sie schimmern auch zu ungewöhnlichen Zeiten und niemand weiß, warum. Mag sein, daß die Fähigkeit, kaltes Licht zu erzeugen, zu keiner Zeit, auch während der Entwicklungsstufen nidit, unterdrückt werden kann und daß stets eine Mindestmenge von leuchtendem Fett vorhanden i-.t, auch dann, wenn es weder notwendig noch erwünscht erscheint. Zum Glück sind die Eier, deren Dotter schwach glimmen, dadurch kaum gefährdet; die Mütter verstecken sie nämlich zutiefst im Moos oder unter Wurzeln, und auch die Puppen ruhen in sehr verborgenen Schlupfwinkeln. Die Larven aber mit ihren Glimmlampen an beiden Körperseiten bewegen sich viel im Freien. Wenn auch der geringe Schein durch die matte düstere Farbe der Haut zusätzlich gedämpft wird, kann er zur Nacht doch leicht zum Verräter werden. Aus dem Leben der Leuchtkäfer Von allem, wa-. die Natur an Nahrung bietet, mögen die Glühwürmchenlarven wie auch die Käfer einzig und allein Schneckenfleisch. Daran herrscht in den feuchten Gründen, wo sich Larven 8
Das Rätsel der Lichtstrahlung der Leuchtkäfer zu lösen, bemühen sich heute viele Korscher. Besonders intensiv beschäftigen sich die Gelehrten der Universität Hopkins in den USA mit der Frage, weshalb Insekten leuchten. Auf dem Koto sind die verschiedenen Bestandteile der tierischen Leuchtstoffe zu sehen. Aber man weiß, daß noch andere Stoffe mitspielen, damit die LlchtauMtrahlung des Leuchtkäfers sich unaufhörlich wiederholt. und Kater herumtreiben, niemals Mangel, und auch die Pirsch auf solches Wild ist erfolgversprechend und nicht sehr anstrengend; denn die Fließbänder der gemächlich dahingleitenden Schnecken verraten alle Pfade, die sie entlanggerutscht sind. So eine gemütliche Schnecke einzuholen, macht selbst der etwas trägen Käferlarve wenig Mühe. Sie stützt sich auf ihre sechs Beine und auf einige starre Borsttn des Hinterleibes, und am Ende des Körpers trägt sie überdies einen kurzen Schlauch, der pinselförmig mit Knorpel9
borsten besetzt ist. Er wird fleißig als Nachschieber verwendet, der notfalls ihre Reisegeschwindigkeit beträchtlich erhöht. Nicht leicht fällt der Larve das Töten ihrer Beute. Der erste Angriff erfolgt meist von der Seite. Die Schnecke, die vielleicht nichtsahnend gerade mit ihrer Raspelzunge ein saftiges Blättchen zermahlt, spürt plötzlich ein heftiges Zwicken am Leib. Sie erschrickt. Trägt sie ein Gehäuse, so wird sie sich schleunigst darin zurückziehen, was ihr aber wenig nützt, denn die Larve folgt ihr nach. Doch geschwind hüllt sich die bedrohte Schnecke zugleich in schäumenden Schleim, und dieses Schaumbad ist ein ausgezeichnetes Abwehrmittel. Es verschmiert dem Gegner nicht nur die Augen, Fühler und Waffen, es ätzt auch wie Seifenlauge diese empfindlichen Organe. Die Glühwürmchenlarve müßte bald von ihrem Opfer ablassen, besäße sie nicht einen besonderen Schutz: wie der erwachsene Käfer trägt auch sie einen Halsschild, der Kopf und Nacken weit überragt und das Gesicht von dem Schneckenschleim weitgehend freihält. Von dem Sturzhelm gut gedeckt, geht die Larve zum Angriff über und beißt mit ihren sichelförmig gekrümmten, giftabsondernden Kieferzangen zu. Nach jedem Biß zieht sie ihr Haupt eiligst unter den Kopfschutz zurück und wartet die Wirkung des lähmenden Giftes der scharfen Kieferdolche ab. Fünf- bis sechsmal stößt sie durch die Schleimschicht in das Fleisch ihres Opfers. Dann ist es so weit, der Angreifer rührt sich nicht mehr, und sogleich beginnt die Mahlzeit. Den glitschigen Saft, mit dem die Larve sich dabei fortwährend besudelt, entfernt sie von Zeit zu Zeit mit dem Schlauchpinsel; er ist nicht nur Krückstock, sondern tut auch als Zahnbürste und Waschlappen gute Dienste. Wenn der Spätherbst kommt, ist die Glühwürmchenlarve noch lange nicht erwachsen, sie muß überwintern. Sie verschläft die kalte Jahreszeit ganz einfach in dem leeren Gehäuse ihres letzten Opfers. Im Frühling erwacht sie wieder, und bis Ende Mai verzehrt sie noch einige weitere Schnecken, um sich dann wohlgenährt zu verpuppen — wieder in einem Schneckenhaus, deren Inwohnerin sie vor kurzem verdaut hat. Drei Wochen später schlüpfen die fertigen Käfer aus den Schneckenschalen. Soweit es Männchen sind, erfreuen sie uns zur schönen Zeit der langen Sommertage mit ihren 10
Lichterreigen in der Dämmerstunde, während die Weibchen heimlich am Boden erglühen.
Schallsignale Nur
Holz
auf
der
Speisekarte
Das kl eine Würmchen, dem wir jetzt unsere Aufmerksamkeit widmen, hat gewiß großen Hunger. Vornübergebeugt schabt es mit zwei scharfen Messerchen, so winzig wie zwei Punkte, eifrig an einem fingerdicken Fichtenbrett herum. Die dürren Stäubchen, die es sich da mühsam zusammenkratzt, werden ohne weiteres hastig verschlungen, als wären es saftige Äpfel. Hunger tut weh, und mancher hat in der allergrößten Not schon verzweifelt versucht, die Ledersohlen seiner Stiefel zu zerkauen. Doch bei dem Würmchen ist das anders, es leidet keine Not und wünscht sich gar nichts Besseres, ihm schmeckt das harte Brett vorzüglich. Wir mögen ihm ein knuspriges Kalbsschnitzel vorlegen oder sonst etwas Vernünftiges, es wird sich davor grausen und sich wieder seinem Fichtenholz zuwenden. Denn das ist seine Nahrung, alle Tage, solange es lebt. Wer so was verdauen kann, der muß schon einen sehr robusten Magen haben. Nur bei den Kerbtieren, die ja das Unmöglichste noch möglich machen, gibt es solche Mägen. Und wenn auch Holzfresser unter den Insekten nicht gerade häufig sind, ihre Zahl übertrifft doch noch vieltausendmal die gesamte Menschheit. Wer könnte sie alle zählen, die Termitenheere, die Larven der vielerlei Hautflügler, die Raupen mancher Schmetterlinge und die stattliche Reihe von Käfern nebst ihren Larven, die sich nur von Kernund Splintholz nähren? Dazu gehört auch der, von dem hier die Rede ist: der Holzwurm. Viel Freunde hat er nicht, doch daran ist er selber schuld. Wenn einer schon nichts anderes als hartes Holz fressen mag, so sei ihm das gern gegönnt, das ist seine Sache, über den Geschmack läßt sich nicht streiten. Auf der Welt wächst mehr als genug Gehölz, an dem er sich gütlich tun kann. Grünes, saftreiches und, so ihm danach gelüstet, auch viel dürres, abgestorbenes Geäst. Doch unser' Holzwurm will weder dieses noch jenes. Er bevorzugt die trockenen, knochendürren Sorten. Am liebsten sind ihm jahrelang 11
abgelagerte Hölzer, wie wir sie für Türstöcke, Dachbalken und Möbelstücke verarbeiten, und andere, woraus unsere Künstler Holzfiguren und Altäre schnitzen. Daß er sich gerade darin wohl fühlt, wäre so schlimm noch nicht. Er ist ja nur ein winziger Wicht, wird kaum fünf Millimeter lang und bleibt entsprechend dünn. Der kurze, enge Gang, den er sich bohrt, ist kaum der Rede wert. Schlimm dagegen wirkt sich die geradezu ärgerliche Heimattreue dieser Würmer aus. Haben sie etwa eine schmackhafte Barockkommode entdeckt, so ist und bleibt das gute Stück für immer ihr Besitz. Sie vererben es an Kinder und Enkel bis ins fernste Geschlecht — so lange, bis von dem Prachtmöbel nicht mehr viel vorhanden ist. Und sie vermehren sich weit schlimmer noch als die Kaninchen. Da rieselt im Laufe der Zeit allerhand Bohrmehl heraus, so viel, daß auch der stärkste Balken mit der Zeit mürbe werden kann wie ein Schwamm. So was muß uns natürlich ärgern, denn wir haben unseren Dachstuhl keineswegs für die Holzwürmer gebaut. Auch die unersetzbaren Meisterwerke mittelalterlicher Holzschnitzkunst w'aren bestimmt nicht ihnen zugedacht. Kein Wunder, daß wir diesen Würmern notfalls mit Giftgas das Lebenslicht ausblasen. Der
Warm,
der
keiner
ist,
sieht aus wie die Made einer Fliege, weißlichgrau, hinten leicht eingekrümmt und vorn etwas verdickt. Da er sechs Beine hat, verhältnismäßig lang und haarig, muß er eine Larve sein, aus der ein Käfer entstehen wird, ein Käferlein aus der Gattung Anobium — griechisch aneu = ohne und bios = Leben — „ohne Leben" also, ein recht sonderbarer Name für ein Lebewesen! Doch er stimmt mitunter, weil diese Käfer, wenn man sie erwischt, sich augenblicklich tot stellen. Sie ziehen die Beine eng an den Körper und bleiben minutenlang starr liegen, ein Trick, der manchem schon das Leben gerettet hat. Von ihnen gibt es mehrere Arten und alle sind sie nur wenige Millimeter lang. Ohne Lupe und Lehrbuch kann man sie kaum auseinanderhalten, so ähnlich sehen sie sich. Rötlich bis bräunlich gefärbt, tragen sie die Köpfe meist unter den Halsschilden verborgen. In unseren Nutzhölzern haust DomeIticum, der „Häusliche", den ein dichtes, seidenartiges Haarkleid 12
schmückt, oder Pertinax, das „Trotzköpfchen", dessen Kopfschild mit goldgelben Hecken verziert ist. Es bevorzugt Dachbalken und dergleichen, während der „Häusliche" auch gern in edlere Hölzer geht. Die Larven dieser Käfer sind so klein und schwach und ihre Körper sind so weich, daß wir sie spielend leicht zerdrücken könnten. Und doch bohrt ein so schlappes Nichts, ein Schwächling sondergleichen, ohne weiteres seine Gänge in das harte Holz, als wäre es Kuchenteig. Wer Holz bearbeitet, verwendet dazu nicht seine Fingernägel, sondern Werkzeuge aus Stahl und Eisen; trotzdem geht es nicht ohne Muskelkraft; wer stundenlang sägt und bohrt, kommt ganz schön in Schweiß. Wieso aber kann ein weicher Wurm, ohne Handwerkszeug, nur mit seinem schwachen Körper, dessen Gesamtmuskelmasse man bequem in einem Stecknadelkopf unterbringen könnte, wieso kann der auch nur ein einziges Krümchen von einem Dachbalken ablösen? Kaum glaublich, doch er kann es. Insekten — mögen sie noch so schwach und pflaumenweich aussehen — sind oft bemerkenswert zäh und beharrlich. Vor dem Mund der Trotzkopflarve, der etwa einem runden Nadelöhr entspricht, hängen zwei mikroskopisch kleine Kieferplättchen. Sie sind wie Zangenbacken seitlich gegeneinander bewegbar und aus hartem Chitin gebildet, dem gleichen Material, aus dem auch die Hautpanzer aller Insekten bestehen. Chitin ist beinahe so widerstandsfähig wie Stahl, aber viel elastischer. Die Kiefer der Holzbohrer sind zudem mit messerscharf geschliffenen Innenkanten vergehen, die einander gegenüberstehen. Sic dürften wohl die winzigsten Holzbearbeitungsgeräte der Welt sein. Keiner
braucht
zu
hungern
Wenn die Trotzkopflarve zum Leben erwacht und ihre Eischale sprengt, ist sie noch zehnmal kleiner als fünf Millimeter, sie ist beinahe ein Nichts. Und noch viel weniger als ein Nichts sind zu diesem Zeitpunkt ihre beiden Kiefer. Aber sie sind vorhanden und sofort brauchbar. Die junge Larve setzt sogleich ihre beiden Hobel an und raspelt ihre erste hölzerne Mahlzeit aus dem Türstock oder wo immer sie sich sonst befinden mag. Holz wird sie auf alle Fälle umgeben, dafür hat schon die Käfermutter bei der Eiablage ge13
sorgt. Viele Monate lang, so lange bis sie erwachsen ist und sich verpuppt, wird nun die Larve Krümchen um Krümchen von den Holzwänden ringsum abschaben und dürres Holz in lebendiges Fleisch verwandeln. Wer so hartes Brot verträgt, ist eigentlich so übel nicht dran. Kein Holzwurm braucht zu hungern, seine Speise hat er immer und in jeder Menge griffbereit vor sich liegen. Und zu frieren braucht er auch nicht; im Holz läßt es sich vortrefflich hausen, es hält warm und bleibt trocken. In so einem Balken lebt man auch herrlich frei von jeder Gefahr, dort erwischt den Holzwurm so leicht kein Gegner. Die Verwandten unserer Trotzköpfe, die draußen im Wald in den Bäumen nagen, sind weit schlechter daran. Ihnen kann es zustoßen, daß sie der Specht aus ihren Gängen hcrausmeißelt und verzehrt; oder eine Schlupfwespe wittert außen am Stamm mit ihren feinen Fühlern die tief unter ihr verborgene Larve, setzt flugs ihren langen, dünnen Legestachel an und bohrt ihn so genau durch das Holz, daß er im Hinterleib des Würmchens landet. Die Wespe läßt eines ihrer Eier durch die feine Stachelrinne gleiten und versenkt es in das Fettgewebe der Holzkäferlarve — ein Kunststück, ungefähr so, wie wenn der Arzt uns mit verbundenen Augen den Blinddarm herausoperieren würde. Ich kenne keinen, der das könnte. Die Wespe aber muß es können, denn das Fleisch des Holzwurms ist die einzige Nahrung, die ihre Larve verträgt. Der Wirt spürt von dem Einstich und von dem Ei, das ihm beschert wurde, überhaupt nichts, und er wird auch in der folgenden Zeit nichts spüren, es sei denn, daß sein Appetit sich von nun an ständig steigert. Die Wespenlarve im Wurm vermeidet nämlich peinlichst, lebenswichtige Organe zu verletzen. Wie sie das fertigbringt, bleibt uns schleierhaft; jedenfalls verspeist sie nur das Körperfett des Holzwurms, der immer mehr fressen muß, um bei Kräften zu bleiben. Das geht so lange gut, bis sich die Wespenlarve verpuppen will. Dann wird sie rabiat und verzehrt ihren Wirt mit Haut und Haaren. Statt eines Holzkäfers wird später eine Wespe den Baum verlassen. Zurück zu unseren „häuslichen Trotzköpfen"! Wir haben schon gehört, daß ihr Magen nichts anderes vertragen kann als Holz. Aber als alleinige Nahrung hat diese Kost einen schwerwiegen14
den Nachteil, Sie ist zwar kraftspendend, der Holzwurm kann sie zu Stärke und Zucker verdauen, das Material dazu, Kohlenstoff, Sauerstoff und Wasserstoff, ist im Holz reichlich vorhanden. Aber das wichtigste, Stickstoff, kommt dort nur in Spuren vor. Alles Leben entsteht aus und besteht durch Eiweißverbindungen in den Zellen, und dazu ist Stickstoff unentbehrlich. So müssen Insekten, die von Holz allein leben, davon weit größere Mengen verzehren als Tiere, die Fleisch und Fett fressen. So futtern die Holzwürmer darauf los, um dem Holz Stickstoff in genügender Menge zu entnehmen und damit das lebensnotwendige Eiweiß in ihren Körpern zu bilden. Der Mangel an Stickstoff zwingt manche Holzbohrer sogar dazu, zwischendurch ihren eigenen Kot aufzufressen, weil auch in ihm noch Spuren des so dringend benötigten Elementes enthalten sind. Andere Holzkäferarten haben das schwierige Problem eleganter gelöst. Auch bei ihnen wachsen die Larven im Holz heran, sie bohren jedoch keine Gänge und fressen auch kein Holz. Die Käfermutter übernimmt die Sorge für die Ernährung, schachtet Brutstollen aus, verteilt darin ihre Eier und pflanzt in die Holzwände Pilze — nicht solche, wie wir sie in den Wäldern sammeln, sondern mikroskopisch kleine Pilzzellen. Jedes Weibchen dieser Käferart trägt davon stets einen Vorrat im Darm mit sich herum. Die Zellen beginnen zu wuchern und wachsen, bis die Larven schlüpfen, zu kleinen Pilzrasen heran. Nur davon nährt sich die Brut, während die Mutter sich dauernd darum bemüht, daß die Pilzgärten weiter gedeihen. Ist die Luft zu feucht, verstopft sie die Öffnungen der Gänge, ist das Wetter wieder trocken, werden sie wieder geöffnet. Die Mutter hält auch die Kinderstuben sauber, beseitigt alle Abfälle und hält Wache an der Ausgangsöffnung, um neugierige Ameisen abzuwehren. Die Mutter hat allerhand zu tun, damit ihre Nachkommen etwas kräftigere Kost als Holz bekommen. Die
Klopfsignale
der
Trotzköpfe
So fürsorgend sind die Mütter der häuslichen Trotzköpfe Sie können es gar nicht sein, denn sie leben längst nicht wenn ihre Brut heranwächst. Meist währt es ein bis zwei ehe sich die Larven verpuppen und zu Käfern verwandeln. 15
nicht. mehr, Jahre, Wenn
dann so ein junger Trotzkopfmann ausschlüpft, möchte er möglichst schnell eine Partnerin finden. Das ist leichter gesagt als getan. Vielleicht haust das Männchen in einem Bodenbrett, während das ihm am nächsten lebende Weibchen im Holz der Schublade des Küchentisches bohrt, der am anderen Ende der Stube steht. Sie zu finden wird ihm schwerfallen, so als ob wir selber in einem großen Wald einen Freund aufstöbern wollten, der zwei Stunden weit entfernt irgendwo herumläuft. Wir werden rufen und schreien. Der Käfer kann das nicht, er muß sich auf andere Weise helfen. Er verwendet Klopfsignale, nicht umsonst nennt man ihn auch den Pochkäfer. Da er keinen Schlegel zum Klopfen hat, nimmt er sein Haupt und haut es, so fest er kann, aufs harte Holz, und ein leiser Ton entsteht. Er pocht stundenlang in regelmäßigen, kurzen Abständen und mit großer Ausdauer. Zwischendurch legt er kleine Pausen ein und lauscht, ob ihm aus dem nahen oder fernen Holz eine Antwort entgegenschallt. Kopfschmerzen bekommt er bei diesem Sport wohl kaum, an seinem Gehirn ist wenig dran, und der dicke Halsschild dämpft die Stöße kräftig ab. So bemühen sich die Käfer oft tagelang, bis sich endlich die Partnerin meldet. Sie macht das ebenso wie er und haut ihr zierliches Köpfchen energisch gegen die Holzwand, damit er Weg und Ziel erkenne. Hat er, der Trommler, ihr Pochen vernommen, so
Beim Signaltrommeln dienen dem Pochkäier (links „der Häusliche", rechts „das Trotzköpfchen") die harten Köpfe als Schlegel; die Weibchen geben, ebenso trommelnd, Antwort und so finden sich die Partner.
16
Arbeitszeugnis für viele Jahrzehnte: Bohrlöcher des Holzwurms in einem aufgeschnittenen Balken. verläßt er seinen Gang, und sei es auch nachts um die zwölfte Stunde. Es kann nicht ausbleiben, daß beim Hinausschlüpfen das angestaute Bohrmehl zu Boden rieselt, und nun merken wir erst, daß Holzwürmer zu Gast bei uns sind. Der Käfer eilt auf die Signalstelle der Partnerin zu. Wenn sie verstummt, lockt er sie durch erneutes Klopfen zu Gegensignalen, so lange, bis sich die beiden endlich gefunden haben. Warum nur diese anstrengende Klopferei? Die Käfer haben doch Flügel und tragen Fühler, wie ihre Artgenossen auch. Sie könnten sich, im Freien fliegend und witternd, viel schneller und bequemer zusammenfinden. Aber bei den Trotzköpfen geht das nicht, die Männchen würden vergebens herumsuchen, denn die Trotzkopf17
weibchen sind sehr vorsichtige Damen, die sich allein nicht in die Öffentlichkeit wagen. Erst wenn der Kavalier erscheint, kommen sie aus ihren Behausungen hervor. Nicht immer müssen die Trommelschlegel der Pochkäfer ihre Köpfe sein, manche Arten verwenden dazu ihre Hinterteile. So oder so, die Signaltechnik nach Art der Urwaldtrommeln klappt vorzüglich. Holz ist ein ausgezeichneter Schalleiter, das leise Tikken der Klopfkäfer wird in stillen Räumen auch unseren Ohren deutlich hörbar. Das hat zu einem Aberglauben geführt, der auch heutzutage noch nicht ausgestorben ist. Irgendwo liegt ein kranker Mensch in seiner Kammer und hört das gleichmäßige, geheimnisvolle Pochen der Käfer, das ähnlich klingen mag wie das Ticken einer verborgenen Uhr. Von alters her ist das für ihn ein sicheres Zeichen für sein baldiges Ende; denn wer immer die „Totenuhr" mahnen hört, der muß sterben. — So sehr kann der Mensch irren! Die Signale der kleinen Käfer wollen durchaus nicht irgendein Leben zerstören. Im Gegenteil, ihr Klopfen soll zu neuem Leben führen — auch wenn es nur das Leben holzzerstörender Käfer ist. Der
zerstörerische
Hattsbock
Damit den kleinen Trotzköpfen nicht bitteres Unrecht widerfahre, sei auch noch betont, daß die angerichteten Schäden erst nach langen Zeiträumen bedenklich werden. An den befallenden Holzschnitzereien haben die Käfer meist schon jahrhundertelang gezehrt, und trotzdem kann man den Schaden häufig wieder beheben. Auch ist ihretwegen wohl noch nie ein Dachstuhl eingestürzt. Das kommt schon vor, und nicht einmal so selten; aber dann ist der Täter immer ein anderer, weit größerer Käfer: der Hausbock. Dieser Schädling wird bis zu zweieinhalb Zentimeter lang und trägt rotbraune bis pechschwarze Farben. Seine zurückgebogenen, länglichen Fühler kennzeichnen ihn als Bockkäfer. Auch der Hausbock ist Spezialist für trockene, tote Nadelhölzer, verrät sich aber niemals durch ausgeworfenes Bohrmehl. An seinen Bohrlöchern jedoch verrät er sich sehr deutlich. Sie sind nicht rund und eng wie bei den Pochkäfern, sondern oval und sechs Millimeter breit. Seine Larven werden viel größer als die der Trotzköpfe und fres18
sen, je nach der Raumtemperatur, drei bis zwölf (!) Jahre lang, ehe sie sich verpuppen. Nach einer Statistik waren im Jahre 1937 etwa vierzig Prozent aller Gebäude in Deutschland von Hausböcken befallen. Heute mag die Zahl noch etwas höher sein. Denn heute muß alles schnell gehen. Früher nahm man zum Bau meist Kernholz, das dem Käfer weniger zusagt, aber dem Gebäude sehr. Jetzt aber wird auch viel Splintholz verarbeitet, das weicher ist und worin sich der Hausbock besonders wohl fühlt. Sie lieben die feuchte Luft der Küstengebiete und bringen dort alle Jahre eine ganze Reihe von Gebäuden zum Einsturz. Den Hausbock kann man ebenfalls hören, wenn das Geräusch auch nur von dem Knirschen des Holzes kommt, an dem die Larven nagen. Die hohe Kunst der Urwaldtrommel beherrschen sie nicht. Das Patent für diese Signalart besitzen allein die Trotzköpfe. Unterwasserserenade Viel Freude macht den Freunden der Natur ihr See im Glas zu Hause in der Wohnstube. Das wohlgepflegte Aquarium bringt ihnen die seltsame Welt der Fische näher und setzt sie auch sonst mitunter in Erstaunen. Tolle Dinge können da geschehen. So zum Beispiel, wenn in stiller Abendstunde aus dem Fischbehälter ganz unerwartet eine leise Nachtmusik ertönt. Sie besteht freilich nur aus einem einzigen Ton, der aber in sehr sauberem Zeitmaß und in wechselnder Klangstärke vorgetragen wird. Wer so etwas schon gehört hat, wird sich gewiß über seine „musikalisch begabten Fischlein" sehr verwundern; aber die Verursacher der Serenaden sind gar nicht so leicht zu entdecken. Sie verstekken sich gern unter den Wasserpflanzen und sind außerdem äußerst winzig. Daher auch der Name der Tonkünstler: Minutissima, Allerkleinste. Es sind auch gar keine Fische, sondern im Wasser lebende Ruderwanzen, nicht größer als ein Millimeter. Und im übrigen: Die Wanze kann keinen einzigen Ton hervorbringen, dagegen er, der männliche Wanzerich. Die Tierchen werden beim Bepflanzen der Aquarien manchmal dorthin verschleppt und fühlen sich recht wohl in ihrer neuen Umgebung. 19
Ihre Musik hat den Zweck, daß sich Männchen und Weibchen begegnen.' Besonders draußen in ihrer eigentlichen Heimat, in den Teichen und auf den weiträumigen Uferflächen der Seen, haben sie es nicht leicht, Gefährtinnen zu finden. Ein Teich ist für diese Allerkleinsten wie ein riesiger Ozean, ein Uferplatz wie ein Kontinent, und das Tönchen, das so ein Kerlchen hervorbringt, würde bestimmt nicht weit reichen. So vereinen sich die Minutissimageiger zu größeren Orchestern, die oft mehrere hundert Mann stark sein können. Das Podium, auf dem sie spielen, ist entweder der Bodcnschlamm oder ein Pflanzenstengel. Mit ihren langen, dürren Mittelbeincn klammern sie sich im Untergrund oder am Stengel fest. Nur so oder mit den beiden flachgedrückten Hinterbeinen rudernd, können sie sich überhaupt unter Wasser halten; sie wiegen ja so gut wie nichts, nur wenige Milligramm. Das vordere Beinpaar dient als Eßbesteck, und den Männchen ist es zugleich die Geige. Aus diesem Grunde sind die Oberschenkel der Männchen mit kleinen, harten Chitinhöckern versehen. Sobald sie mit ihrem Fiedelbogen, der harten Längskante ihres Rüsselchens, über die Höcker streichen, ertönt ein feiner Klang. Er ist kaum hörbar, wird es aber, wenn das ganze Orchester zugleich loslegt. Es geigt da nämlich nicht jeder einzelne aufs Geratewohl vor '•ich hin und wie er mag. Nein, sie musizieren alle in schöner Ordnung miteinander, sozusagen im Gleichklang, im Takt. Sie halten alle Pausen gemeinsam ein und passen auch die jeweilige Tonhöhe genau einander an. Wirklich, lauter gutgeschulte Musiker, keine Dilettanten! Hört ein weibliches Wänzlein ihrer Art irgendwo in dem Weiher solche Töne — der Schall pflanzt sich im Wasser sehr weit fort —, so rennt sie keineswegs schnurstraks in das Orchester hinein. Niemals wird eine Minutissima den Mannsbildern nachlaufen, wie etwa eine Grille oder eine Heuschrecke es tut. Das Wänzlein ist viel zu vornehm dazu. Es bleibt, wo es ist, und beginnt mit heftigen ruckartigen Bewegungen im Kreis herumzuschwimmen, und die Wellen verteilen sich gleichmäßig und weithin im Wasser; vielleicht gibt das Weibchen den Wellen auch ein wenig Duft mit auf den Weg. Ob nun mit oder ohne Duftlockung, die Wellen entgehen den Musikanten nicht. Der Geiger, der als erster die Wellenbewegung ver-
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Nagelfleckfalter, mit seinen reichgefiederten, keck aufragenden Fühlern kann er den Winden aufregende Nachrichten entnehmen.
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spürt, verstummt sofort, stiehlt sich leise von seinem Platz und eilt mit schnellen Schwimmstößen dorthin, wo der Wellenwirbel erzeugt wird. Alle Mutissimaweibchen ringsum verwenden das gleiche Verfahren, und auf diese Weise schmilzt das Orchester mehr und mehr zusammen. Es wird auf Neuzugänge warten müssen. Die Pärchen, die sich gefunden haben, schaffen indes neues Leben. Falter
hören
Ultraschall
Die Fledermaus, die in der Dämmerung lautlos vorbeizuhuschen scheint, stößt andauernd und lauthals ein seltsames Geschrei aus. Schreie, die wir nicht hören, weil unsere Ohren nur Töne wahrnehmen, deren Schwingungen unter 20 000 in der Sekunde liegen, i Mit Ultraschallgeräten hat man nachgewiesen, daß die der Fledermaus zwischen 30 000 und 70 000 liegen. Und das Erstaunlichste ist, daß die Fledermaus ihr eigenes Geschrei nicht hören will, weil sie in dem Augenblick, in dem sie es ausstößt, ihre Hörorgane verschließt. Das dauert „nur" den hundertsten Teil einer Sekunde und manchmal noch weniger; dann werden die Ohren bis zum nächsten Schrei wieder geöffnet. So hört sie nur das Echo ihres Geschreis, das von allen Gegenständen, die ihr im Wege sind, zurückgeworfen wird. Sind es kleine Dinge, die sich bewegen, so werden sie gefressen, großen oder unbeweglichen Sachen weicht sie aus. Die kleinen beweglichen Dinge sind zumeist Insekten, Motten, Nachtfalter, Käfer und andere nächtlich fliegende Kerfe. Die Mehrzahl erwischt sie mit zielsicheren Wendungen, manche aber nicht. Wer, wenn das Licht noch ausreicht, jagenden Fledermäusen zusieht, kann die Erfolge ihrer Echopeilung genau beobachten. Auch die Mißerfolge; denn mitunter läßt sich so ein Nachtfalter, den sie beinahe schon im Maul hat, plötzlich fallen, oder er macht eine blitzschnelle Wendung und flattert erleichtert davon. Zehn gegen eins kann man wetten, daß dieser geschickte Falter zu den Eulen, Spannern oder den langsam fliegenden Schwärmern zählt; denn nur sie haben Ultraschallempfänger, mit denen sie die Echos der Fledermäuse blitzschnell erfassen; Kleinschmetterlinge, rasant fliegende Schwärmer und andere hingegen besitzen diese Gabe nicht. Stumm sind sie alle, aber die erstgenannten Falter können die 22
Fledermausschreie hören, und das genügt zum Weiterleben. Ihre gut ausgebildeten Ohren liegen merkwürdigerweise zwischen Brust und Leib, dicht hinter dem dritten Beinpaar. Bei den eigentümlichen Insekten ist ja fast alles merkwürdig. So auch bei diesen Faltern, die selbst keine Signale senden, jedoch ausgerechnet Ultraschalltöne als Warnsignale aufnehmen können. Insekten
signalisieren
die
Temperatur
Vögel an ihrem Gesang zu erkennen, ist eine feine Kunst, die nur wenige vollkommen beherrschen. Es gibt aber auch Spezialisten auf der Welt, die uns durch ihre Kenntnisse auf einem noch weit schwierigeren Gebiet immer wieder in Erstaunen setzen. Geht man mit so einem Könner spazieren und zirpt da irgendwo in der Nähe ein Insekt, dann sagt er so nebenbei: „Horch, da trillert eine Wanstschrecke, eine Polysarcus denticauda." Wir schauen unseren Begleiter ungläubig an, denn das zitierte Tierchen ist weit und breit nicht zu sehen. „Ach", meint er, „das ist doch kinderleicht, die Doppeltriller dieser Art sind unverwechselbar. Bei anderen Arten muß man schon genauer hinhören, um sie an ihrem Gesang zu erkennen."
„Na ja!" Eine Viertelstunde später ist unsere Verblüffung noch größer: „Warte, da geigt doch eine Isophia pyrenea, die Sägeschwanzschrecke. Ja, sie ist es, ganz deutlich. Gleich sage ich dir die genaue Tagestemperatur." Während wir beginnen, an einen Ulk zu glauben, blickt er auf die Uhr und zählt leise vor sich hin. „Elfmal in fünf Sekunden. Wir haben genau vierundzwanzig Grad Celsius." Da soll doch gleich — das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Jedoch unser kundiger Naturfreund macht uns auch diese Sache schnell klar. Wenn's heiß ist, zirpen die Grashüpfer schnell hintereinander; sie werden immer langsamer, je kühler die Winde wehen. Jede Art hat dabei ihr besonderes Tempo, das stets eingehalten wird. Man braucht also nur, meint unser Freund, die Zirpgeschwindigkeiten der einzelnen Arten und deren Zirptonzahlen bei den verschiedenen Wärmegraden zu kennen, dann ist die Sadie 2}
furchtbar einfach. Klare Sache! Allerdings, wir haben in unserer Heimat mehr als siebzig Grashüpfer dieser Art! Es hat mich dann sehr beruhigt, als mein Begleiter mir später gesteht, bei einigen Laubheuschrecken sei es auch ihm unmöglich, sie an ihren Tönen zu erkennen. Jene nämlich, die im Ultraschallbereich geigen, denn auch das gebe es. Wir können sie nicht hören, wohl aber ihre Weibchen, die mit den unhörbaren Tönen angelockt werden. Also auch hier wieder: Signale, die wir nicht vernehmen!
Lockende Düfte Fernmeldedienst
des
Nagelflecks
Übermütig zupft der Frühlingswind die welken Blätter von den Buchen und Eichen, wirbelt sie eine Weile mit sich herum, läßt sie fallen und treibt sie wieder in die Höhe. Dem fahrigen Flug des dürren Laubes ähnelt der Flug jenes Falters, der zur selben Zeit in wirren Bögen durch den Wald hastet. Seine Farbe ist fast so fahlbraun wie die der vergilbten Blätter. So mag er unsere Augen zunächst täuschen, doch bleibt der Unterschied nicht lange verborgen. Das abgestorbene Laub, das Spielzeug des Windes, ist tot, er aber lebt und hat ein Ziel, dem er zustrebt. Sonnenstrahlen sickern durch das noch kahle Geäst der Bäume hinab bis zum Waldesgrund, zu den vielen farbenfrohen Blütenkindern des Lenzes. Schon wollen sich an allen Zweigen die jungen, prallen Blattknospen entfalten, schon lugen einige zartgrüne Spitzen vorwitzig heraus. Nicht mehr lange, dann wird ringsum das Blätterdach der Buchen den Boden in dauernden Schatten hüllen und den bunten Frühlingszauber dort unten beenden. Der rastlos kurvende Falter beachtet weder die Blüten, die ihn mit süßen Säften locken, noch die hervorquellenden Blätter. Fleute bedeuten sie ihm nichts mehr, aber im letzten Sommer verdankte er ihnen sein Leben. Damals, als er, ein mageres Würmchen noch, seine Eischale sprengte, wäre er verhungert, wenn seine Mutter ihre Eier an anderen Blättern abgelegt hätte als an Buchen oder Eichen. So fand er sofort, was ihm not tat, und so viel davon, daß er mit der Zeit zu einer fetten Raupe heranwachsen konnte — einer Raupe, die die Kraft besaß, sich im Moos des Waldes eine 24
Hülle aus Seide, gleichsam einen seidenen Sarg zu weben. In ihm löste sie sich auf, und aus ihr wurde ein leichtbeschwingter Falter. Vor ein paar Tagen hat die Frühlingswärme ihn zu neuem Leben erweckt. Seither treibt sich der Schmetterling unermüdlich herum, vom frühen Morgen bis in die späten Abendstunden. Er ist ein rascher, ausdauernder Flieger und nebenbei auch ein hübscher Kerl. Seine Schwingen spannen etwa sieben Zentimeter weit, jede trägt nahe am Rande eine dunkelbraune Binde und in der Mitte einen bläulichen, schwarz umsäumten Kreisfleck. Darin leuchtet hell ein weißes Mal, das ungefähr einem Reißnagel gleicht. Deshalb nennt man ihn den Nagelfleck. Der ebenfalls rostbraune Körper ist kräftig gebaut, und am Kopf ragen zwei reichgefiederte Fühler keck empor. Mit ihnen kann der Falter den Winden aufregende Nachrichten entnehmen. Jung und gesund, wie er ist, treibt ihn jetzt ein unwiderstehlicher Drang in die Wälder. Er weiß nicht, was er sucht, er fühlt nur, daß er suchen muß. Der Nagelfleck könnte sich eigentlich viel mehr Ruhe gönnen, wenigstens am Vormittag. Die Signale, nach denen er fahndet, werden in der Regel erst nach zwei Uhr mittags gesendet, weil die Weibchen selten früher schlüpfen. Es wäre besser für ihn, wenn er morgens länger schlafen möchte, denn seine Pirsch ist nicht gefahrlos. Vögel haben scharfe Augen und lassen sich so leicht nicht täuschen. Besonders dann, wenn so ein flatterndes „Buchenblatt" ein wohlgeformtes Bäuchlein trägt, das den Appetit der ewig hungrigen Gefiederten mächtig reizt. Zweimal haben ihn heute vormittag die Schatten des Todes, die Schwingen jener raschen Jäger nahe gestreift. Nur mit viel Glück und einigen jähen Wendungen ist er dem sicheren Tode entkommen. Immerhin, dem linken Hinterflügel fehlt jetzt ein kleiner Fetzen, seine vordem so makellose Schönheit ist dahin. Doch den gewandten Flug beeinträchtigt der Mangel kaum, und eitel ist er sowieso nicht. Auch ein zerrupfter Nagelfleck bleibt immer noch ein ganzer Kerl und fest entschlossen, niemals aufzugeben. Komme, was kommen mag, er wird weitersuchen und sollte er dabei zugrundegehen. Stunden vergehen, die Sonne neigt sich schon deutlich nach Westen, als endlich seine Antennen die erste Nachricht empfangen:
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Eine Duftwelle, sehr undeutlich, kaum wahrnehmbar und ihm bisher völlig fremd. Dennoch erkennt er sie instinktiv und versucht, ihr schnell zu folgen. Bald aber versiegt die Duftnachricht, der Sender, richtiger die Senderin, „schweigt". Nebenbuhler mögen unserem Freund zuvorgekommen sein. Tanz
der
Freier
Eine Weile später und zwei Kilometer weiter südlich spürt er aufs neue das erregende Signal, jetzt scharf, klar, überaus eindringlich. Pfeilgeschwind und diesmal schnurgerade folgt der Falter der unsichtbaren, unhörbaren, allein ihm und seinesgleichen vernehmbaren Duftspur. Je näher er dem Ziele kommt, um so stärker empfinden seine Fühler die Nachricht, und noch ungestümer fliegt er dahin, damit nicht wieder ein anderer ihn ausstechen kann. Denn viele Nagelflecke haben es heute eilig. Mitten in dem Mischwald liegt ein verwilderter Kahlschlag, wo vielerlei Stauden und Gesträuch mit den heranwachsenden jungen Fichten und Buchen um einen Platz an der Sonne wetteifern. Von dort kommt die Botschaft, der unser Freund so eifrig folgt. An einem Zweig dicht über dem Boden hat sich ein Nagelfleckweibchen angeklammert. Ihre Figur ist etwas größer und dicker als die des Männchens, ihre Farben wirken blasser, und ihre dünnen Fühler tragen keine Fiedern. Mit über dem Rücken angelegten Flügeln hängt sie reglos, scheinbar schlafend, an ihrem Ästchen. Aber sie ist hellwach, und unausgesetzt arbeiten ihre Duftdrüsen. Erst vor wenigen Stunden hat sie sich aus ihrer Puppcnhülle befreit und den nächstbesten Gegenstand erklettert, um ihre noch schlappen Flügel, ihren noch weichen Körper in der Sonne zu trocknen und zu härten. Schon teilt sie allen Nagelfleckmännchen mit, daß sie und wo sie nun lebt und auf Besuch wartet. Die ersten Gäste treffen ein, der Tanz der Freier beginnt. Zwei sdiwirren zu gleicher Zeit an, einer ist unser leichtbeschädigter Freund. In kurzen Abständen stellen sich noch vier weitere ein. Alle kommen dem Weibchen bis auf wenige Meter nahe, doch dann wird wohl der Duft so stark, daß ein genaues Anpeilen mit den Antennen nicht mehr möglich ist. Die Falter flattern aufgeregt umher, so, als könnten sie jetzt, unmittelbar vor ihrem Ziel, nicht 26
mehr finden, was sie so lange und mit so ausgezeichnetem Spürsinn gesucht haben. Aber sie haben ja Augen, und sie umkreisen das Weibchen so nahe, daß sie es längst gesehen haben müssen. Ihr Umherflattern ist wohl der Hochzeitsreigen und ein Werbespiel um die Gunst der Begehrten. Der Auserwählte ist unser zerrupfter Freund, obwohl unter den Freiern sich prächtigere Männchen befinden. Plötzlich sitzt er neben ihr, und augenblicklich stoppt sie ihren duftenden Fernmeldedienst. Damit endet auch der Tanz aller anderen Falter, sie flattern davon, um anderswo ihr Glück zu suchen. Und da jetzt die Signale fehlen, kommt auch kein weiterer Besucher mehr an. Die Dufttelegraphie hat ihren Zweck erfüllt. Düfte
oder
Strahlen?
Den unhörbaren Schall können wir mit technischen Apparaten nachweisen und auch erzeugen, nicht so die für uns unriechbaren Düfte. Vieles spricht für ihr Vorhandensein, manches dagegen. Nicht stichhaltig ist der Einwand, Gerüche, die wir nicht wahrnehmen, könne es nicht geben. Wir wissen seit langem: die Sinnesorgane der Lebewesen weichen sowohl in ihrem Bau als auch in ihrer Aufnahmefähigkeit stark voneinander ab. Denken wir an das Auge: für uns ist Rot eine Farbe, für die Biene aber nicht. Dagegen kann sie ultraviolette Farben deutlich unterscheiden, wo wir nur schwarz sehen. Unsere Ohren sind taub gegen Ultraschall, den manche Tiere deutlich hören. Und mit dem Geruchssinn schneiden wir besonders schlecht ab; die Nasen der Hunde und anderer Tiere sind uns weit voraus. Auch' die der Insekten, obgleich wir bei ihnen richtige „Nasen" nicht entdecken können. Aber so wie die bunten Farben der Blumen dazu dienen, um Insekten als Pollenüberträger anzulocken, so sind bestimmt auch die Blütendüfte nur Wegweiser für ihre Gäste. Bienen als hierfür besonders geeignete Versuchstiere lassen sich ohne weiteres selbst auf schwächste Gerüche dressieren, aber nur so lange, wie man ihnen nicht die Fühler nimmt. Dort liegen nämlich eng nebeneinander Tausende von Sinneszäpfchen und Sinneskegeln. Das sind ihre Nasen, mit ihnen erkennen und unterscheiden sie Düfte noch auf weite Entfernungen. 27
Aber die Frage nach den unriechbaren Düften ist damit noch nicht beantwortet. Wir unternehmen einen Versuch, um das Problem deutlicher zu machen: Wir setzen zur Flugzeit der Nagelflecke ein frischgeschlüpftes Weibchen in eine Pappschachtel und wandern damit durch einen Buchenwald, Bald werden einige Faltermännchen — gerufen durch rätselhafte Signalzeichen — unsere Pappschachtel umflattern und uns folgen. Wir stellen den Karton auf die Erde und zählen die anfliegenden Schmetterlinge. Da sie nicht zu dem Weibchen gelangen können, wird es seine Signale weiter ausstrahlen. Innerhalb einer Stunde sind etwa hundert Faltermännchen angeschwirrt. Sie kommen aus allen Entfernungen und aus allen Windrichtungen. Wie ist das möglich, wenn es Duftsignale sind, daß der Wind etwa von Westen weht und ein Teil der Männchen ebenfalls aus Westen angeflogen kommt? Düfte werden doch mit der Luft fortgetragen, also niemals gegen den Wind! Und wie sollte denn so ein kleines Falterweibchen fähig sein, unausgesetzt Gerüche in solcher Menge und Stärke auszustrahlen, daß sie die Schachtelwände durchdringen und kilometerweit erkennbar werden? Müßten wir, die wir ganz nahe stehen, diese Düfte nicht selber wahrnehmen? Sind das nicht viel eher Strahlen anderer Art, vielleicht etwas Ähnliches wie elektrische Ausstrahlungen? Wie und wo sollen denn überhaupt die Weibchen diese starken Düfte erzeugen? Beginnen wir mit der letzten Frage. Man hat den „Sender" im Körper des Weibchens gesucht und auch gefunden. Es sind zahlreiche Hautdrüsen, die in Haaren oder Schuppen enden und am Hinterleib liegen. Solche Hautstücke wurden vorsichtig entfernt und ausgelegt, fünfzig Zentimeter neben einem Weibchen. Die ankommenden Falter flogen nur das Hautgewebe an und ließen das Weibchen unbeachtet. Es würde aber schon genügen, ein Stück Papier an diesen Drüsen zu reiben und mit dem Papierstückchen in den Wald zu spazieren. Bald würden uns die Männchen umschwärmen. Kein Zweifel, die Drüsen sind der „Sender", sei er nun ein elektrischer Strahler oder ein Parfümzerstäuber. Wir wollen noch weiter experimentieren: Wir bringen das Weibchen unter einen luftdichten Glassturz und schon bleibt jeglicher Besuch aus. Setzen wir ein Männchen außen an die Glocke, so ver28
hält es sich völlig teilnahmslos. Nehmen wir aber eine Schachtel, worin sich im vergangenen Jahr für kurze Zeit ein Weibchen befand, tragen sie zu den Buchen und öffnen sie dort; kommt nur zufällig ein Männchen in die Nähe, so wird es sich sofort auf die Schachtel stürzen. Das Verhalten der Falter spricht in beiden Fällen gegen die Strahlentheorie. Also ist es doch Duft, aber welch rätselhafter Duft muß das sein! Einen Tropfen Rosenöl, rein und unverdünnt, das duftstärkste Parfüm, das wir kennen, mögen wir vielleicht auf zehn Meter Entfernung gerade noch wahrnehmen. Ist er vertrocknet, so können wir auch noch nach ein oder zwei Tagen den Geruch erkennen, aber nur schwach und aus allernächster Nähe. Recht viel mehr als zwei, drei Dufttröpfchen wird das Nagelfleckweibchen gewiß nicht besitzen. Welche Reichweite, welche Dauerwirkung muß dieser Stoff haben! Lassen wir das Rosenöl in einem Raum verdunsten, der angefüllt ist mit dem Gestank von Naphthalin, Lysol, Benzin und anderen starkriechenden Dingen, so werden wir in dem Raum den Rosenduft kaum mehr wahrnehmen, geschweige denn aus weiter Entfernung. Wie anders bei einem Falterweibchen! Von allen Seiten umgab man es mit solch übelriechenden Stoffen, fügte auch noch stinkenden Käse, faules Fleisch und dergleichen bei und war überzeugt, daß niemals ein Nagelfleck das Weibchen finden könne. Sie kamen trotzdem und so zahlreich, als' gebe es keine störenden Düfte. Man darf daraus schließen, daß die Fühler der Falter auf die ihnen lebensnotwendigen Gerüche sozusagen geeicht sind und andere Duftwellen als eben diese nicht empfangen. Aber mit dem Wind? Nein, nur gegen den Wind, auf der entgegengesetzten Seite des Weibchens wird sich der Duft bestimmt nicht verbreiten, es sei denn, daß die Winde wechseln. Die Falter fliegen über weite Strekken, kreuz und quer.. Sowie sie den Duft wahrnehmen, folgen sie ihm. Da die Luft nur selten gleichmäßig strömt, sondern meist ein wenig pendelt, verfehlt ein Falter leicht das Ziel und fliegt darüber hinaus. Sofort kehrt er um, will den Duft wiederfinden und kommt so aus der „verkehrten" Richtung doch zur Duftquelle. 29
Wer an die Seitenströmungen der Luft nicht glauben mag, der versuche einmal, bei völliger Windstille, die es eigentlich niemals gibt, eine langstielige Blume in der Wiese zu photographieren. Er wird sich wundern, wie selten die Pflanze still hält. Fast dauernd wird sie vom „stillen" Wind leise hin- und herbewegt. Leider fehlen uns für Gerüche, besonders für nicht wahrnehmbare Gerüche noch geeignete Registriergeräte. Haben wir sie einmal, so werden wir vielleicht auf dem noch wenig erforschten Gebiet der Düfte große Überraschungen erleben. An der schönen blauen Donau, Nagelflecke gehören zur großen Familie der Spinner, die allesamt mehr oder weniger Duftsignale verwenden. Unter den asiatischen Arten gibt es besonders schöne, große und wertvolle Exemplare. Ihre Raupen lassen sich an einigen bei uns heimischen Pflanzen großziehen, und so hat sich unter den Liebhabern ein internationales Handelsgeschäft mit Eiern dieser Falter aufgetan. Vor mehreren Jahren besorgten sich auch zwei Züchter in Wien Spinner einer seltenen ostasiatischen Art, sie kamen aus China. Die Zucht gelang, beide Züchter brachten Raupen bis zur Verpuppung. Als die Zeit des Schlüpfens der Falter nahte, stellten sie ihre Drahtkäfige fleißig in die warme Sonne und bald darauf, an einem schönen Vormittag, entschlüpften bei Herrn X zwei prachtvolle männliche Falter den Puppenhüllen. Da sie noch schlapp und weich waren und sich erst einmal aushärten sollten, ließ Herr X sie noch hängen und ging in sein Büro. Als er abends zurückkam und auf dem Balkon nach den Schmetterlingen sehen wollte, war seine Bestürzung groß: die beiden waren auf und davon. Das kleine Söhnchen hatte am Nachmittag den Käfig mit den wunderschönen, riesengroßen Faltern entdeckt, die inzwischen flugfähig geworden waren und unruhig im Drahtgehäuse umherflatterten. Und da der Bub ein gutes Herz hatte, beschloß er, den Tieren zu helfen und öffnete den Käfig. Flugs waren sie draußen, entfalteten ihre großen Schwingen und schwebten hoch empor über die Dächer der Großstadt. Dem Knaben gefiel das seltene Schauspiel großartig, er war hellauf begeistert. Nicht so der Vater, als er den Verlust entdeckte, wollte er doch 30
die seltenen Tiere seiner Sammlung einfügen. Nun waren sie fort au f Nimmerwiedersehen. Am gleichen Tag, in den Nachmittagsstunden, konnte sich Herr Y, der andere Züchter, an einem frischausgeschlüpften Spinnerweibchen erfreuen. Aber auch er erlebte abends eine Schrecksekunde. Er glaubte zu träumen; denn was er sah, war ganz gewiß unmöglich. Um den Käfig seines Spinnerweibchens flatterten zwei riesige Falter und bemühten sich vergeblich hineinzukommen. Die beiden konnten gewiß nicht vom Gelben Fluß im fernen China bis zur blauen Donau geflogen sein. Wo aber kamen sie her? Da fiel ihm Herr X ein, der am anderen Ende Wiens wohnte, mindestens zwölf Kilometer entfernt. Es gab keinen Zweifel, die Falter mußten Herrn X entflogen sein; kein anderer Züchter in Wien, das wußte Herr Y, hatte solche Schmetterlinge gezüchtet. Also rief er ihn an, und die Freude und das Staunen waren groß, denn die beiden unternehmungslustigen Faltermännchen hatten genau das einzige Weibchen ihrer Art entdeckt, das zur Zeit in Wien, ja, vermutlich sogar in ganz Österreich, lebte. Daß ^ie es fanden, war ja eigentlich, wie wir annehmen könnten, ganz natürlich. Natürlich? Ja, gewiß, jedoch wieso? Dieser Falterflug gleicht dem Versuch mit den Gerüchen. Aber welch ein Unterschied des Raumes! Versuchen wir uns das vorzustellen: Die Flüchtlinge umfliegen zunächst in weiten und immer weiteren Kreisen ihre „Heimat", den Drahtkäfig. Sie segeln dabei mitten hinein in die giftige Dunstglocke, die über der Großstadt hängt. Nirgends duften heimatliche Blüten. Obwohl der Tag für die Wiener besonders heiß ist, muß den tropischen Faltern das Wetter rauh und kühl erscheinen. Sie fliegen durch Wolken von Rauch und Ruß, von Auspuffgasen und Schwefeldämpfen, über dunstende Müllverwertungsanlagen, Mälzereien, Leimfabriken und wer weiß, was sonst noch alles. Sie fliegen hindurch, nichts kann sie beirren. Sie ziehen durch all diese fremdartigen Geruchszonen und bemühen sich, in der verunreinigten Luft die Duftspur zu entdecken, die zu finden ihnen vorgeschrieben ist. Das übrige wissen wir. Einmal müssen ihre Kreise ja den Bereich der weiblichen Duftwellen berühren, und von da an ist alles 31
sehr „einfach". Trotz der aufdringlichen Fremdgerüche der Großstadtatmösphäre erkennen sie das feine Signal und folgen ihm schnurgerade — kilometerweit. Sie folgen ihm so genau wie der Pilot dem Leitstrahl seines Zielhafens, nur viel besessener. Und sie erreichen ihr Ziel, ein kleines Drahtkästchen inmitten der großen Stadt, ebenso sicher, wie der Flugzeugführer seinen mit vielen Signalanlagen versehenen Landeplatz. Die Spatzen und Tauben Wiens werden sich über die beiden einsamen und so riesengroßen Schmetterlinge nicht schlecht gewundert haben. "Wir staunen noch mehr über die unglaublich sicher arbeitenden Instinkte, mit denen die Natur ihre Geschöpfe ausgestattet hat und sicher lenkt.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: E. Riemel. O. Poss, Bleuler, Bavaria-Bilderdienst. — Abb. auf Umschlagseite 2: Laubheuschrecke L u x - L e s e b o g e n 3 9 4 (Naturkunde) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte —Bestellungen (viertel]ährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.
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