Arno Zoller
Band 36
Terror im Mikroreich Im Jahre 1992 gerät die Erde in die jahrtausendealte Auseinandersetzung zwis...
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Arno Zoller
Band 36
Terror im Mikroreich Im Jahre 1992 gerät die Erde in die jahrtausendealte Auseinandersetzung zwischen Orathonen und Laktonen. Unser Planet wäre vernichtet worden, wenn nicht der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Rex Corda, eingegriffen hätte. Corda verbündet sich mit den Laktonen und vertreibt mit ihrer Hilfe die Orathonen. Eigentlich ist Terra innerhalb dieser galaktischen Auseinandersetzung nur ein unwichtiger Planet am Rande der Milchstraße. Aber Rex Corda, zum Präsidenten von Terra gewählt, ahnt bereits, daß die Erde gegen einen dieser galaktischen Riesen die endgültige Entscheidung herbeiführen muß oder untergehen wird. Da erhält Rex Corda die entscheidende Hilfe: Der geniale terranische Wissenschaftler Walter Beckett erfindet einen Kunststoff mit überragenden Eigenschaften. Rex Corda nennt diesen Stoff Becon. Der unzerstörbare Stoff saugt alle Energien wie ein Schwamm in sich auf. Beängstigend ist, daß sich mit Becon das Hirn eines Menschen ebenfalls
beeinflussen läßt. Ein Mensch, in den dieser Kunststoff hineinoperiert wird, ist unverwundbar. Sehr schnell haben die Orathonen und Laktonen die Bedeutung dieses Stoffes erkannt. Die Jagd auf Becon beginnt. Dem Flottenkommandeur der Orathonen, Sigam Agelon, gelingt es sogar, sich ein Stück Becon ins Hirn einsetzen zu lassen. Sigam Agelon will mit Hilfe seiner neuen Fähigkeiten die Herrschaft über die ganze Galaxis an sich reißen. Er versucht, das Reich der „Zeitlosen", der Wächter über die gesamte gaiaktische Ordnung, zu zerstören. Rex Corda eilt den „Zeitlosen" mit dem Raumschiff „Walter Beckett" zu Hilfe und entscheidet den Kampf zugunsten der „Zeitlosen". Sigam Agelon muß sich zurückziehen. Da bitten die „Zeitlosen" Rex Corda erneut um Hilfe. Plötzlich wird verständlich, weshalb die „Zeitlosen" so lange gezögert haben. Nicht nur Sigam Agelon bedroht die Raumvakuoie, verantwortlich für die gefährlichen Ereignisse ist auch der „Terror im Mikroreich".
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . der Präsident Terras kämpft für die „Zeitlosen" Fan Kar Kont . . . . . . . . . . . . . . baut zusammen mit seinen Gefährten eine geheimnisvolle Maschine Dracko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenspieler des „Gehirns" Eldo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ein verräterischer „Zeitloser"
Ein Blitz durchzuckte die blaue Unendlichkeit. Die Sterne erbebten. Erschütterungen durchliefen den Raum. Sie zerrten an den Gravitationsfeldern der Sterne, brachten Planeten und Monde aus ihrer Bahn. Der Weltraum schien zu bersten. Aber es handelte sich nicht um den normalen Raum. Es war die künstlich erschaffene Raumvakuole der „Zeitlosen". Von diesem Kleinst-Universum hing das Schicksal tausender Rassen ab. Dieser Raumabschnitt drohte in sich zusammenzubrechen! Ungeheuere Stört'elder hatten das Gleichgewicht der Raumvakuole durcheinandergebracht; die kontrollierenden und stabilisierenden Kräfte hatten versagt — auch ihre Existenz war bedroht. In einer gigantischen Welle der Vernichtung raste das Grauen durch ein von mildem blauem Licht erfülltes Universum. * „Leutnant Zelatzki, Sir!" Der Offizier machte vor Rex Corda eine zackige Ehrenbezeugung. Corda winkte lächelnd ab. Er blickte noch einmal auf den übermannshohen Holografen vor seinen Augen, auf dem das vollkommen wirklichkeitsgetreue Abbild einer berstenden Welt ein gleißendes Licht verbreitete. „Ich wette, Oberst Polley hat Sie wieder geschickt", sagte Rex Corda endlich. „Hat er Angst, daß die Bordholografen nicht mehr funktionieren könnten?" Leutnant Zelatzki grinste kurz. „Kaum." Die Stimme des Leutnants war zu einem Flüstern abgesunken. „Aber der Oberst ist der Meinung, daß wir jetzt besonders vorsichtig sein müssen!"
Mit einer Geste, die auf einen Außenstehenden zufällig wirken mußte, zeigte der Leutnant auf eine der hochgewachsenen Gestalten, die nur wenige Schritte von ihnen entfernt standen. Rex Corda lächelte. Die Kommandozentrale der „Walter Beckett" war voll besetzt. Er winkte dem Leutnant, ihm auf den Gang zu folgen. „Polley mißtraut den ,Zeitlosen' also derart", meinte Rex Corda ruhig, „daß er sich nicht einmal mehr auf Nachrichtenroboter verläßt. Was gibt es?" „Oberst Polley befürchtet Komplikationen", berichtete der Leutnant und strich sich nervös über sein rotes Haar. „Wir sind von einem Kordon der Raumschiffe der ,Zeitlosen' umgeben, die plötzlich aufgetaucht sind. Es besteht die Möglichkeit, daß sie uns in einer Blitzaktion die Antriebsenergien entziehen." Rex Corda runzelte erstaunt die Stirn. „Warum kann mir das Oberst Polley nicht persönlich berichten?" Er sah, wie ein Schatten über das Gesicht des Leutnants huschte, und fügte freundlich hinzu: „Das geht natürlich nicht gegen Sie, Leutnant Zelatzki." „Ich weiß", nickte der Leutnant. „Aber Oberst Polley ist noch immer in einer Besprechung mit Fan Kar Kont, Sir. Ich sollte Ihnen zunächst diesen Gesichtspunkt vortragen und Sie dann bitten, an der Besprechung teilzunehmen." „Und das sagen Sie jetzt erst, Leutnant?" Corda setzte sich in Bewegung. Er sprang auf das Erg-Band, das zu der Transmitterverbindung führte, die die beiden Kugeln des hanteiförmigen terranischen Flaggschiffes verband. „Vermutlich sind sie bei John Haick?" Der Leutnant nickte. „Jawohl, Sir. Sie befinden sich in der Waffenleitzentrale!" Inzwischen waren sie an der runden
Öffnung des Bordtransmitterfeldes angekommen. Rex Corda ging auf das wirbelnde rötliche Feld zu, das die Mündung des Bordtransmitters darstellte. In Sekundenbruchteilen überbrückte diese Einrichtung eine Entfernung von fast 500 Meter. Sobald der Präsident in den wirbelnden rötlichen Feldern verschwunden war, trat der Leutnant ebenfalls in das Feld. Er kam eine Sekunde später als Rex Corda auf der anderen Seite, innerhalb der anderen Hantelkugel, an. Sie glitten in einen Gravolift und betraten Sekunden später die Funk- und Ortungszentrale. Mit einem Blick überflog Rex Corda die Versammlung. Er nickte seinem Freund John Haick zu. Der schwarzhaarige Atomwissenschaftler verzog die Mundwinkel zu einem knappen Lächeln. Fan Kar Kont neben ihm hatte seine gewichtige Faust auf die Steuerungselemente eines der schwebenden Holografen-„Augen" gelegt. Neben dem laktonischen Chefwissenschaftler, dem die eigenartige braunweiße Zebrazeichnung in seinem Gesicht eine fremdartige Prägung gab, hatte sich der Kynother GaVenga lässig aufgestützt. Wie üblich trug das Sprachengenie einen eng anliegenden Raumanzug, der seinen knabenhaften Körperbau betonte. Auf seiner Brust prangte ein flammendroter Keil, der zu den Hüften v-förmig zusammenlief. Corda konnte sich nicht erinnern, den kleinen Kynother jemals in einer anderen Bekleidung gesehen zu haben. Sobald er Rex Corda sah, meldete er sich: „Schön, daß Sie kommen, Mr. Corda! Einige der anwesenden Herren scheinen vor Nervosität kurz vor dem Platzen zu stehen!" Fan Kar Kont bedachte den kleinen Kynother mit einem vernichtenden
Blick. Mit einer heftigen Handbewegung wies er auf den Holografenschirm, auf dem laufend das Bild wechselte. „Ich lasse das ,Auge' an der Decke kreisen", erklärte der laktonische Chefwissenschaftler, der von dem Kolonialplaneten Far stammte. „Innerhalb unseres Schiffes befinden sich drei ,Zeitlose'. Wie sie uns erklärt haben, lauten ihre Namen Eldo — das ist dieser lange Kerl mit dem schiefen Mund und den fehlenden Ohrmuscheln —, der andere ist Arga, und der dritte hat sich uns als Vergol vorgestellt. Sie befinden sich alle drei in der Kommandozentrale." Rex Corda runzelte erstaunt die Stirn. „Bitte erklären Sie, weshalb Sie mich rufen ließen", sagte Corda befremdet. „Wir befinden uns in einer sehr ernsten Situation. Die Raumvakuole ist in ihrer Existenz bedroht. Dieses Problem ist so wichtig, daß wir sogar die Verfolgung von Sigam Agelon aufgegeben haben." Fan Kar Konts gestreiftes Gesicht blieb unbewegt. Aber seine ausgestreckte Hand deutete auf Oberst Robin Polley. Der Chef der militärischen Abteilung der „Walter Beckett" hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf. „Sie wollen Tatsachen sehen, Mr. President? Okay!" Er nickte John Haick zu, nahm eine Reihe von Einstellungen auf dem großen Holografenschirm vor. „Es handelte sich um eine Routineuntersuchung", erklärte Oberst Polley. „Wie Sie wissen, Mr. Corda, kreisen ständig diese vollautomatischen schwebenden Holografenkameras, im Jargon ,Augen' genannt, im Schiff herum. Ihre Ergebnisse werden gespeichert und von einigen Technikern ausgewertet." Der Holografenschirm flammte auf. Ein Teil des Schiffsinnern erschien. Es handelte sich um eine Abbildung des Innern der Feuerleitzentrale; der Raumabschnitt wirkte absolut wirklichkeitsgetreu. „Es handelt sich hier um einen holo-
grafischen Film", bemerkte John Haick. „Zufällig bekam dieser Leutnant hier", er wies auf Dick Zelatzki, „die Auswertung übertragen. Nun, Zelatzki hat tatsächlich etwas gesehen. Und zwar auf diesem Holografen, das vor drei Stunden aufgenommen wurde." „Ich sehe nichts", stellte Rex Corda nüchtern fest. Der Leutnant errötete. Auf einen Wink von Oberst Polley wandte er sich an Rex Corda. „Nun, Mr. President", meinte er unsicher. „Es war eigentlich nur Zufall. Mir fiel zunächst nur ein Schatten auf." John Haick hatte die Hologrammfolge angehalten. Der Teil der Waffenleitzentrale mit seinen hin und her hastenden Personen war jetzt zu einem stehenden Bild erstarrt, „Diesen Schatten hier", erklärte Dick Zelatzki. Er wies auf eine dicke Säule. Dahinter erschien ein dunkler Streifen. Bei genauerem Hinsehen erwies er sich als der Schatten eines schwarzen Armes, dessen Finger wie zum Greifen gespreizt waren. „Darauf drehte ich das Bild", erklärte der Leutnant, der nun seine Sicherheit zurückgewann. „Sie wissen, daß ein Holograf..." Die Männer nickten. Das Besondere am Holografieverfahren war die Tatsache, daß echte Dreidimensionalität erzeugt wurde. Man konnte, innerhalb gewisser Grenzen, hinter die Dinge sehen. John Haick drehte das Hologramm. Jetzt sah man nicht nur den ganzen Schatten des Arms, sondern auch den Arm selbst und einen Teil des Gesichts. Es war einer der „Zeitlosen", die sich an Bord der „Walter Beckett" befanden. Nur war wenig von dem Gesicht zu sehen, aber man erkannte deutlich den nach unten gezogenen Mund. Auch die für die „Zeitlosen" typischen metallisch schimmernden Ohrmuscheln fehlten. „Eldo!" sagte Rex Corda überrascht.
„Ganz recht", erwiderte Oberst Robin Polley, aber der triumphierende Unterton seiner Stimme klang nicht echt. Wirkliche Sorge schwang darin mit. „Und deshalb meine ich, daß wir uns nicht zu sicher fühlen sollten. Die ,Walter Beckett' ist von den Raumern der ,Zeitlosen' umgeben. Sie sagten, sie brauchten unsere Hilfe, aber ebenso kann es auch sein, daß sie uns in die Falle locken wollen. Wer sagt denn, daß sie es nicht auf die ,Walter Beckett' abgesehen haben? Wir haben erlebt, daß sich diese Kerle anscheinend mühelos teleportieren können. Wer kann sagen, ob die drei ,Zeitlosen' immer nur in der Kommandozentrale erschienen sind?" Die Männer nickten. „Wir alle wissen es", fuhr Fan Kar Kont fort, „es klingt unglaubhaft und unlogisch. Wir sind auf dem Weg zu der Welt der ,Zeitlosen', um mit allen Kräften sie und uns zu retten. Wir haben den ,Zeitlosen' unsere Unterstützung zugesagt. Wofür, das wissen wir noch nicht genau. Aber ..." Seine Stimme brach ab. Einen halben Meter von ihm entfernt erschien ein leuchtender Luftwirbel. Innerhalb weniger Sekunden schälte sich das Abbild eines „Zeitlosen" aus den flimmernden Konturen. * Es rollte einen blutrot schimmernden Gang entlang. Die Wände des Ganges waren gewölbt, von pulsierenden dunklen Adern besetzt, die fast die Dicke seines Körpers hatten. Es konnte das nicht sehen, ihm standen andere Mittel der Beobachtung zur Verfügung. Es fühlte. Es schmeckte. Es... wußte einfach. Es dachte! Das war vielleicht die verwirrendste Erkenntnis. Verwirrend und jung. Neu. Es bekam wieder einen Impuls und
fühlte die Gemeinschaft, die ihm das Denken geschenkt hatte. Es wußte, daß es viele andere seiner Rasse gab. Sie wußten erst seit kurzem voneinander. Durch irgendeinen rätselhaften Vorgang war es ihnen gelungen, den Schleier der Unwissenheit zu zerreißen. Sie hatten sich verbunden und dabei das Denken gelernt. Es ließ seine Stacheln hart werden. Die Drüsen an den Enden traten in Aktion und versahen die Widerhaken mit einem klebrigen Überzug. Es nahm einen Anlauf und rollte eine der Wände empor. Dort sollte ein neuer Vorstoß gemacht werden. Es merkte, wie sich die Wand vor Schmerz zusammenzog, aber dann hatte es schon seinen Mund vorgestülpt und begann zu saugen. Das sanfte Pulsieren einer kleinen Ader steigerte sich zu einem wilden verzweifelten Hämmern. Wie eine Schlange, wie ein lebendes Wesen versuchte sich die Ader aus den hart zupackenden Zähnen zu befreien. Doch Es war stärker. Denn pausenlos kamen die Impulse. Es konnte denken, wenn es sich mit den anderen verband. Bald würden sie die Eroberung vollzogen haben. * Rex Corda blickte auf die hochgewachsene Gestalt des „Zeitlosen", die fast zweieinhalb Meter groß war. Nein, es handelte sich nicht um ein dreidimensionales Abbild. Dieser Mann mit dem weißen, nach hinten fallenden Haar, das im Nacken mit einer Metallspange zusammengehalten wurde, war reine Wirklichkeit. Und doch hatten alle gesehen, wie er aus dem Nichts aufgetaucht war. Plötzlich fiel Rex Corda ein, wie wenig sie doch von den „Zeitlosen" wußten. Corda dachte daran, wie sie zuerst
von den automatischen Kampfeinheiten, die die künstlich geschaffene Raumvakuole bewachten, beinahe vernichtet worden waren. Die „Zeitlosen" hatten sich abgesichert, nicht genug, wie es sich wenig später erwies. Vor der „Walter Beckett" war es der zusammengeschmolzenen Flotte Sigam Agelons gelungen, durch das „Pentagramm der Dunkelsterne" in die Raumvakuole einzudringen. Während die „Walter Beckett" wenig später auf dem galaktischen Trümmerplaneten gelandet war, konnte der Orathonenführer Agelon weiter in das Innere der Vakuole vordringen. Die „Zeitlosen" hatten schließlich erkannt, daß sie ohne die Hilfe der „Walter Beckett" nichts gegen ihren Feind ausrichten konnten, denn der Agelon gefährdete die Sicherheit der Vakuole, indem er durch Hypersprünge die Kräfteverhältnisse und die innere Stabilität der Vakuole ins Wanken brachte. Die „Walter Beckett" hatte also, nachdem sie von den „Zeitlosen" um Unterstützung gebeten worden war, gegen Sigam Agelon gekämpft, doch plötzlich war der Kampf abgebrochen worden. Die „Zeitlosen" hatten — mit allen Anzeichen der Panik — die Männer der „Walter Beckett" gebeten, ihnen im Zentrum der Vakuole zu helfen, wo es eine Katastrophe gegeben hatte. Das alles ging Rex Corda in einer Sekunde durch den Kopf, als er die überraschend materialisierte Gestalt des „Zeitlosen" vor Fan Kar Kont sah. „Erstaunlich", sagte Rex Corda schließlich mit ruhiger Stimme. Das Übersetzungsgerät auf seiner Brust übertrug seine Worte simultan. „Wirklich erstaunlich, Eldo, wie gut Sie sich bei uns schon auskennen. Es ist nett, daß Sie an unserer kleinen Besprechung teilnehmen wollen. Sie als ,Zeitloser'
können uns gewiß manchen guten Rat geben." Der Spott in Cordas Stimme war genau berechnet. Zum ersten löste er die Spannung, die wie ein Alpdruck auf den Männern in der Ortungsabteilung lastete. Und dann wollte Rex Corda einmal sehen, wie sich der „Zeitlose" in einer solchen Situation verhalten würde. Das intelligente Gesicht mit den blasiert herabgezogenen Mundwinkeln und der übermäßig hohen Stirn schien zu erstarren. „Ich habe nach Ihnen gesucht, Rex Corda! Wir müssen uns beeilen. Das Ende kommt näher. Große Gefahren drohen im Zentrum ..." Die Worte hatten einen hallenden Klang. Rex Corda versuchte, in den Geist des „Zeitlosen" einzudringen. Corda war Empath. Er konnte Gefühlsregungen erkennen und sie auch — innerhalb gewisser Grenzen — steuern. Alles um ihn herum war verständlich. Er fühlte das Erstaunen der anderen Männer, daß der „Zeitlose" so unvermittelt vor ihnen aufgetaucht war. Fan Kar Kont war nicht nur erstaunt, er war ärgerlich. John Haick überlegte kalt und klar. Ga-Venga schien irgendwie belustigt — Oberst Robin Polley war maßlos erregt. Rex Corda nickte ihm beruhigend zu und wandte sich dann an den „Zeitlosen", der sich Eldo nannte. „Sie müssen entschuldigen, daß wir immer etwas verstört sind, wenn Sie so unvermittelt überall im Schiff auftauchen!" Jetzt hatte Corda wieder zu völliger Klarheit zurückgefunden. Oftmals überfielen ihn seine empathischen Impulse, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Mit heimlichem Schmunzeln sah er, wie der „Zeitlose" zusammenzuckte. „Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, Eldo, daß Sie uns genau erklären, was uns bevorsteht."
Die Muster auf den Augenlidern des „Zeitlosen" schienen aufzuflammen. Ein sardonischer Zug ließ den einen Mundwinkel noch tiefer sinken. „Sie wissen, daß wir uns dem Zentrum der Vakuole nähern. Dieses Zentrum birgt den größten Schatz des gesamten Weltalls, unseren Planeten, den Planeten der »Zeitlosen'!" „Eingebildet ist der Kerl gar nicht!" flüsterte Ga-Venga respektlos. „Auf diesem Planeten regiert das ,Gehirn'. Es ist unser kostbarster Besitz ... Es ist in Gefahr. Parasiten greifen es an. Verstehen Sie, Mr. Corda, wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen!" Erschüttert senkte der „Zeitlose" seinen schmalen Schädel. „Mehr kann ich Ihnen jetzt nicht sagen. Nur soviel, daß jede Sekunde kostbar ist..." Der „Zeitlose" schien sich nach vorn zu beugen und verschwand unvermittelt. Jetzt erst merkte Rex Corda, daß es ihm nicht gelungen war, die Gefühle dieses Wesens zu ergründen. „Ein verdammt guter Schauspieler!" brummte Oberst Robin Polley. Wütend biß er die Spitze einer Zigarre ab. Keiner widersprach dem Chef der militärischen Abteilung. Er schien die Meinung aller ausgedrückt zu haben. * Es war eine scheußliche Situation. Die „Walter Beckett" schob sich tiefer und tiefer ins Innere der Raumvakuole vor, umringt von den Raumschiffen der „Zeitlosen", die stumpfen Pyramiden ähnelten. Jeder an Bord des Raumschiffes wußte, daß dieser Einsatz nicht nur für die „Zeitlosen" lebenswichtig war; aber dem gegenüber stand ein unüberwindliches Mißtrauen gegen jene Rasse, die ihnen um so viel überlegen war und die diese Überlegenheit auch zeigte.
Rex Corda war in der Kommandozentrale der „Walter Beckett" damit beschäftigt, zusammen mit dem Kommandanten Fatlo Bekoval und dem laktonischen Synoptiker Latak Decimo eine Bestandsaufnahme fertigzustellen. Ab und zu blickten sie zu den hochgewachsenen Gestalten der „Zeitlosen" hinüber, die sich in ihrem singenden Tonfall unterhielten, ohne daß ihre Worte von einem elektronischen Dolmetscher übersetzt wurden. Latak Decimo hatte seinen Bericht abgegeben. Die „Walter Beckett", das Flaggschiff der kleinen terranischen Flotte, war in einem keineswegs vollfunktionsfähigen Zustand. Immer noch waren die Antriebsaggregate von den Andruckskräften geschwächt, die zu überwinden waren, als sie den Trümmerplaneten verlassen hatten. Auch danach, auf dem Planeten der Warrows, war das Raumschiff nicht geschont worden. Und jetzt jagte die „Walter Beckett" mit größter Beschleunigung auf ihr unbekanntes Ziel zu. Latak Decimo schien seine Ohren überall zu haben. Ihm war der kleine Zwischenfall nicht entgangen. Er warf einen Blick zu den „Zeitlosen" hinüber, die sich mit ihrem kleinen Sendegerät beschäftigten, und wandte sich dann mit halblauter Stimme an Rex Corda. „Ich weiß, daß an Bord unseres Schiffes eine Antipathie gegen jene Wesen herrscht. Die Gründe dafür sind klar. Die ,Zeitlosen' sind auch den Laktonen, mehr aber noch den Terranern weit in der Entwicklung voraus. Für sie sind wir Primitive. Unsere Abwehreinstellung, wie sie besonders von Oberst Polley ausging, ist als rein instinktive Reaktion zu werten. — Dabei brauchen die ,Zeitlosen' wirklich unsere Hilfe!" Rex Corda nickte. Die kühlen Worte des laktonischen Synoptikers, für den
nur Tatsachen zählten, hatten ihn beeindruckt. Sie entsprachen insgesamt auch seiner Einstellung. „Ja, auch ich glaube, daß unser Mißtrauen übertrieben ist. Sie brauchen uns wirklich — wir wissen nur nicht genau, wofür. Es ist wahrscheinlich, daß die Erschütterungen in diesem Teil des Raumes eine Rolle spielen." Latak Decimo nickte. Er war froh, daß der Präsident Terras, der zugleich einer seiner besten Freunde war, mit ihm übereinstimmte. Stumm wies er auf den übermannshohen Holografen. Wilde Lichtblitze zuckten über die Schirmbildfläche. „Es ist unvorstellbar", murmelte Rex Corda mit einem Blick auf die drei ,Zeitlosen', die ebenfalls auf den Holografen blickten, „daß die Hypersprünge von wenigen Raumschiffen ein solches Chaos hervorrufen können." „Es handelt sich ja nicht um einen normalen Raum, Mr. Corda. Wir befinden uns in einer künstlich geschaffenen Vakuole, einer Ausweitung des Normalraumes. Wir haben erkannt, daß die zwangsläufig bestehenden Spannungen zwischen Normalraum und Raumvakuole einen unglaublichen Kräfteaufwand erfordern. Die mathematische Abteilung hat hierfür recht interessante Zahlen erarbeitet. Soll ich Ierra Kretan anrufen?" Rex Corda winkte lächelnd ab. So sehr er die hübsche laktonische Mathematikerin schätzte, so wenig hatte er jetzt Lust, sich in eine fachliche Diskussion verwickeln zu lassen. „Der Rest besteht aus Vermutungen", betonte Latak Decimo. „Offenbar haben uns die ,Zeitlosen' hier mit voller Absicht in Unklarheit gelassen. Vielleicht rührt auch daher die Antipathie einiger Besatzungsmitglieder. Wir wissen nur soviel, daß das Kräftegleichgewicht innerhalb der Vakuole von einem Riesengehirn aufrechterhalten wird, das den ,Zeitlosen' offenbar auch als über-
dimensionaler Computer dient. Wir sind weiterhin auf Vermutungen angewiesen, aber es scheint so, als würden die Hypersprünge der Raumschiffe Sigam Agelons ein normales Funktionieren dieses Riesengehirns unmöglich machen." Latak Decimo blickte scharf zu den „Zeitlosen" hinüber. Die Abordnung, die von den Schiffen stammte, die die „Walter Beckett" in einem engen Kordon umgaben, war wieder in eine lebhafte Diskussion verwickelt. Es schien, als ob der größte der drei „Zeitlosen", Eldo, sich gegen heftige Vorwürfe zu wehren hatte. Sein schief nach unten gezogener Mund zuckte. Die Farben auf seinen gemusterten Augenlidern schienen zu flackern. In einer plötzlichen Bewegung drehte sich Eldo um und deutete auf Rex Corda. * Sie verstanden es nicht. Eldo erschien ihnen irgendwie verändert. Er war nicht mehr derjenige, als den sie ihn kannten, aber die Ereignisse in letzter Zeit hatten schon zuviel verändert. Als die Durchsage kam, hatten sie sofort das transportable Feld errichtet. Es breitete sich zwischen ihnen aus und ließ Beobachtungen zu, ohne daß die anderen es sehen konnten. Arga und auch Vergol hatten durchaus nichts dagegen, den „Primitiven" diese Nachrichten mitzuteilen, aber Eldo war es, der starke Bedenken hatte. Sie hatten den Bericht empfangen und starrten sich an. Die Lage war schlecht. Hoffnungslosigkeit drohte sie zu überwältigen. Sie diskutierten erregt, aber sie kamen zu keinem Ergebnis. Und sie wußten es. Zu deutlich waren noch die letzten Aufzeichnungen zu sehen, die letzten Angaben eines
,Gehirns', das man nicht mehr normal nennen konnte. Es war wieder Eldo, der plötzlich die Hand gegen Rex Corda ausstreckte. „Und solchen Leuten", zischte Eldo, „wollt ihr das Geheimnis anvertrauen?" Seine Hand fiel herab. Wie in plötzlicher Verwirrung schüttelte er den Kopf. „Entschuldigt", murmelte der „Zeitlose", „aber ich habe Angst, Angst, daß wir nie mehr zu unserer alten Macht zurückfinden könnten." Arga preßte die Lippen zusammen. Vergol strich sich anteilnehmend über seine wie Perlmutter glänzenden muschelartigen Gebilde, die sich dort befanden, wo sich an einem menschlichen Schädel die Ohren befanden. Eldo stand langsam auf. Zwischen ihnen verblaßte das Schirmfeld, das sie mit ihrem Willen gebildet hatten. „Ich will allein sein", murmelte Eldo. Er sprach damit die uralte Formel aus. Keiner gab einen Kommentar dazu ab. Verständnisvoll nickten sie. Eldo mochte sich verändert haben, aber seine Reaktion war verständlich. Aber Arga und Vergol irrten sich. Sie irrten sich ganz gewaltig! * Vollgesogen, satt, bis zum Platzen mit Energie angefüllt, strebte Es wieder eine Vereinigung mit den anderen Zellen an. Es war ganz einfach. Der Kontakt wurde sofort hergestellt. Nur im Zusammenschluß konnten sie denken. Allein waren sie Tiere, blinde, mordgierige Tiere, nur von ihrem unstillbaren Hunger getrieben, von ihrem Zwang, sich innerhalb gewisser Perioden zu teilen und neues Leben hervorzubringen. Doch das war nicht alles. Der Zusammenschluß hatte ungeheure Dimensionen eröffnet. Sie dachten. —
WIR TREIBEN DURCH DIE UNENDLICHKEIT ... Es gab eine Bestätigung durch und rollte sich zufrieden zusammen. Es fühlte, wie die von ihm abgeschossenen Fäden ihren Kontakt gefunden hatten ... WIR WAREN TOT, OBWOHL WIR LEBTEN. ABER ES WAR KEIN WIRKLICHES LEBEN... Der übliche Ablauf erfüllte Es mit großer Freude. Das Zeremoniell ihres Erwachens aus der Unwissenheit wurde jeden Tag wiederholt. Was war ein Tag? Es besann sich. — Ein Tag, das hieß hundertmal den Stoffwechsel zu vollziehen... Denken, es war für ihn völlig neu! WIR KAMEN DURCH DIE UNENDLICHKEIT, UM DIESES UNIVERSUM ZU EROBERN ... * Sobald Eldo aus der Kommandozentrale der „Walter Beckett" in den Gang getreten war, der zu seiner Kabine führte, überzog ein flüchtiges Grinsen die harten Züge des „Zeitlosen". Er glaubte nicht, daß jemand hinter sein Geheimnis gekommen war, vor allem keiner dieser Primitiven. Und die anderen seiner Rasse waren viel zu sehr von ihrem Entsetzen, ihrer Angst erfüllt, als daß sie einen klaren Gedanken fassen konnten. Eldo trat in eine Nische und blickte den Gang hinunter. Nichts regte sich. Rasch trat Eldo ein paar Schritte weiter in seine Kabine, die man ihm zugewiesen hatte, solange er als Lotse und Mittler an Bord dieses Raumschiffes weilte, das im Verband der Schiffe seiner Rasse zu ihrem Zentrums-Planeten flog. Der Raum war nur spärlich eingerichtet. Eldo setzte sich nieder, preßte die geballten weißen Fäuste an die hohen Schläfen. Nach einem Moment stand er
auf und holte aus einem Schrank ein kleines Gerät hervor. Er lächelte befriedigt, als ein schmales, von Haß verzerrtes Gesicht auf einem kleinen Bildschirm erschien. Der „Zeitlose" sprach zu ihm. Eldo nahm die Anordnung entgegen. Er schüttelte zweifelnd den Kopf, während er eine Entgegnung durchgab. Unvermittelt stand er auf. Im selben Moment wurde der kleine Schirm dunkel. Der „Zeitlose" wandte sich blitzschnell um. In der Tür war das unbewegliche Gesicht eines der Nachrichtenrobots erschienen. „Sir", knarrte der Maschinenmensch, „Mr. Corda bittet um eine persönliche Unterredung." * Das Gesicht des „Zeitlosen" Eldo war zu einer arroganten Grimasse verzerrt. „Ich glaube nicht, daß wir Ihnen in irgendeiner Form Rechenschaft schuldig sind, Mr. Corda. Sie stellten uns Ihr Schiff zur Verfügung und wollten sich nach unseren Anordnungen richten. Oder?" Das Übersetzungsgerät gab den einzelnen Worten keine Betonung, doch die fremden Laute des „Zeitlosen" drückten deutlich seine Verachtung aus. „Das ist unmöglich", flüsterte Latak Decimo, während er sich zu Rex Corda hinüberbeugte. „Eldo hat keinen Grund, so verletzend zu uns zu sein. Sehen Sie sich mal seine Gefährten an!" Hex Corda wußte sofort, worauf Latak Decimo, der laktonische Synoptiker, hinauswollte. Während die anderen, Fatlo Bekoval, Fan Kar Kont, John Haick und die übrigen zur Führungsspitze gehörenden Besatzungsmitglieder, verwirrt und betroffen schienen oder aber die drei „Zeitlosen" wütend
anstarrten, hatten sie nicht bemerkt, wie verwirrt zwei der „Zeitlosen" ebenfalls waren. Arga und Vergol starrten Eldo an. Es war schwer, in den Physiognomien der „Zeitlosen" zu lesen, doch die Betroffenheit war nicht zu übersehen. Vergol öffnete den scharfgeschnittenen Mund, um etwas zu sagen, aber jetzt ergriff Rex Corda das Wort. „Auf diese Weise gewinnen Sie keine Verbündeten. Eldo! Ich kann mir vorstellen, daß es Ihnen schwerfällt, uns als gleichberechtigt anzuerkennen. Wir erscheinen Ihnen als ..." Er hielt inne, als sich die Gestalt Eldos in schimmernde Konturen auflöste. Stimmengemurmel erhob sich. Arga und Vergol, die beiden anderen „Zeitlosen", blickten ratlos um sich. Eldo war verschwunden! Eine betretene Stille breitete sich aus. Schließlich erhob sich Vergol vom Konferenztisch des kleinen Versammlungssaals. Sein energischer Mund war zu einem harten Strich zusammengepreßt. „Ich muß mich für das Verhalten Eldos entschuldigen, Mr. Corda", tönte es aus dem elektronischen Dolmetscher. „Offenbar hat ihn die Sorge um unsere Heimat zu sehr erschüttert. Darf ich Ihnen versichern, daß wir Sie aufrichtig um Ihre Hilfe bitten. Wir können Sie nicht zwingen, uns zu helfen ..." „Ich habe diese Versammlung einberufen, um einige Fragen an Sie zu richten", sagte Rex Corda kühl. „Wir haben Ihnen versichert, daß wir versuchen werden, die Katastrophe auf Ihrem Planeten abzuwenden. Aber wir müssen uns vorbereiten. Wir müssen wissen, mit welchen Mitteln wir Ihnen helfen können. — Bitte, Latak Decimo!" Der Synoptiker trat an das große Holografenfeld, das bisher noch dunkel gewesen war. Der Schirm flammte auf. „Offenbar ist das hier unser Ziel", be-
merkte Rex Corda ruhig. „Wir haben uns nach Ihren Anweisungen gerichtet. Kurskorrekturen wurden simultan mit unserer kleinen Begleitflotte durchgeführt. Stimmt das, Arga?" Der angesprochene „Zeitlose" nickte. Arga war ein Vertreter dieser rätselhaften Rasse, der noch am menschlichsten erschien. Sein Gesicht war von einem Flaum weißlicher feiner Haare überzogen. Auch sein Körperbau wies nicht jene übertriebene Schlankheit auf wie die anderer „Zeitloser". Arga nickte noch einmal nachdrücklich. „Ich bin froh, Mr. Corda, daß Sie diese Besprechung veranlaßt haben. Wir beide bedauern das Verhalten Eldos. Wir wissen, daß er nichts gegen Sie hat. Ich kann es nur wiederholen: Es ist die Sorge um unseren Planeten, um die Einheit und Sicherheit in unserem Lebensbereich, die ihn belasten ..." „Ihr Lebensbereich ..." nickte Rex Corda. „Es ist gut, daß Sie das einmal erwähnen. Wo Ihr Planet steht, wissen wir. Kommen wir wirklich unbeschadet dahin? Wir können uns denken, daß Sie gigantische Sicherheitsvorkehrungen gegen Fremde getroffen haben. Können wir Ihren Sperrgürtel passieren? Sind Sie wirklich sicher, daß ..." Das Schrillen der Alarmsirenen riß Rex Corda die Worte von den Lippen. Hauptalarm! Die Männer im Versammlungssaal sprangen von ihren Sitzen. Der Holograf vor ihnen, der bis jetzt noch das Abbild des fernen Sonnensystems gezeigt hatte, veränderte sein Bild. Das Gesicht John Haicks erschien. Er hatte während der Abwesenheit Fatlo Bekovals den Oberbefehl über das Schiff. Die Lippen des Terraners zuckten, eine Strähne seines langen dunklen Haars hing ihm in die Stirn. Er gestikulierte, der Mund war geöffnet, als ob er die Worte schreiend hervorstieß.
Doch es war kein Geräusch zu hören. * WIR KAMEN DURCH DIE UNENDLICHKEIT ... Es nahm den Gedanken auf. Es war gut, sich immer und immer wieder daran zu erinnern. Es fühlte die Sicherheit, die auch von allen anderen ausgestrahlt wurde. Sie kamen durch die Unendlichkeit, durch eine tote, lebensfeindliche Unendlichkeit, als Wesen, denen das Denken versagt geblieben war, die nichts weiter als stumpf vor sich hin brütende Organismen gewesen waren. Jetzt aber ... Es prüfte die Verbindung nach. Sie hatten jetzt ein Netz gespannt, auf das sie stolz sein konnten. So würden sie bald das fremde, nahrhafte Universum erobert haben ... * Rex Corda rannte aus der Offiziersmesse. Er kümmerte sich nicht um die erstaunten Ausrufe der anderen. Zwischen den verschiedenen Holografenverbindungen an Bord der „Walter Beckett" ließ sich kein Ton vermitteln. Auch die wiedergegebenen Bilder schwankten, waren klar, plötzlich aber bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Was war geschehen? Die Kommandozentrale! Das war jetzt das wichtigste. John Haick mußte in Gefahr sein. Er hatte etwas entdeckt und hatte versucht, seine Warnung weiterzugeben. Aber die Holografenverbindung hatte nur sein Bild übertragen. Rex Corda sah sich während des Laufens über die Schulter um. Dröhnende Schritte hinter ihm verrieten, daß Fatlo Bekoval, der Kommandant der „Walter
Beckett", ihm sofort gefolgt war. Als Rex Corda in den Gravoschacht sprang, der nach oben zur Kommandozentrale führte, hatte ihn der laktonische Kommandant erreicht. Gemeinsam hasteten sie aus dem nächsten Ausgang und sprangen auf ein Erg-Band, das direkt zur Zentrale führte. Immer noch schrillten die Alarmglocken durch die Gänge des terranischen Flaggschiffs. Seit dem Alarm war höchstens eine Minute vergangen, und doch hatte Rex Corda das unbestimmte Gefühl, daß sie zu spät gekommen waren. Gemeinsam stürzten sie in den Kommandoraum. Der Anblick, der sich ihnen bot, entlockte Fatlo Bekoval ein dumpfes Brüllen. Der Laktone stürzte vorwärts, auf den wirbelnden Schatten zu, der sich aber unter seinen Händen verflüchtigte. Was konnte das gewesen sein? Es war wie ein Blitz im Raum, wie ein weißer Nebel, der sich sofort in ein Nichts aufgelöst hatte. Während Bekoval herum wirbelte, starrte Rex Corda ungläubig auf die Holografenbilder. Hinter sich vernahm er die Schritte seiner Gefährten. Rex Corda drehte sich um. Einen Augenblick war er wie gelähmt. Den anderen erging es nicht besser. Auf dem Holografenschirm, über der zusammengesunkenen Gestalt John Haicks, stand ein glühendes Inferno. Es kam immer näher! Es drohte sie zu verschlingen! Die „Walter Beckett" schien genau in das Zentrum einer Supernova zu stürzen. Hell gleißende Spiralarme griffen nach ihnen, Flammenzungen drohten sie zu verschlingen. Das Feuer der Hölle lohte ihnen entgegen. Nach diesem Bild konnte jeder Augenblick für sie der letzte sein. *
Eldo sah sich vorsichtig um. Dann gab er die Bestätigung durch. „Gut! Vernichten!" Er starrte auf den kleinen Schirm, der unversehens dunkel wurde. Sein Gesprächspartner hatte die Verbindung abgebrochen. Aber Eldo sah jetzt klar. Ein breites Lächeln verzerrte sein Gesicht. Jetzt war der Augenblick gekommen. Der richtige Moment. Die Stunde des Todes für diese Primitiven, aber auch für jene beiden, die für Eldo Verräter waren. Ein relativer Begriff, dachte der „Zeitlose" zynisch. Wenn Arga und Vergol die ganze Wahrheit wüßten, war er in ihren Augen ebenso ein Verräter. Es kam nur auf den Standpunkt an. Und Eldo vertrat jetzt den Standpunkt, daß jetzt der Moment da war, um das geschwächte „Gehirn" völlig zu entmachten! Zu lange hatten er und seine Gesinnungsgenossen sich unter diesem Joch beugen müssen. Zu lange waren die „Zeitlosen" Sklaven ihres eigenen Werkes gewesen. Das sollte jetzt aufhören! Eldo überdachte kurz, was er wußte. Das „Gehirn" war geschwächt. Eine fremde Macht hatte es angegriffen. Es konnte aber ebensogut eine Störung sein, die durch die Erschütterungen der Raumvakuole hervorgerufen worden war. Auf jeden Fall war die Gelegenheit zu günstig, um sie ungenutzt zu lassen. Das „Gehirn" war zu geschwächt, um gegen die Aktionen der Rebellen ernsthaften Widerstand leisten zu können. Ja, sie waren Rebellen, dachte Eldo. Sie hatten lange genug warten müssen, ein halbes Leben lang, und das war länger, als je ein Terraner gelebt hatte. Aber Zeit spielte keine Rolle. Sie hatten warten müssen, aber dieses Warten hatte sich gelohnt. Eldo war stolz auf die Rolle, die man
ihm zugewiesen hatte. Ihm war es bestimmt, die Primitiven, zusammen mit den letzten der Getreuen, zu vernichten. Und er würde sich dabei Zeit lassen. Wieder flammte das kleine Feld vor ihm auf. Die Nachricht, die ihm jetzt durchgegeben wurde, erschreckte Eldo einen Moment. Die Schirmfelder um den Planeten hatten ihre Struktur geändert. Sie waren jetzt völlig wertlos. Sie mußten schon einige Zeit in diesem Zustand gewesen sein, aber man hatte es erst jetzt bemerkt. Das änderte seinen Plan. Eldo durfte jetzt nicht mehr zögern. Dieses Raumschiff der Primitiven mußte unbedingt vernichtet werden. Jetzt! Sofort! * Stöhnend kam John Haick zu sich. Er schrie, als er das grauenhafte Bild vor sich erfaßte. Es war einfach unmöglich. Einen Augenblick weigerte er sich, den Tatsachen ins Auge zu sehen. Seine Gesichtszüge wurden schlaff, sein Kopf sank auf die Brust. Die energische Stimme Rex Cordas riß ihn aus seiner Erstarrung. „John! Was ist geschehen? Gib Antwort, John!" Fäuste packten ihn, schüttelten ihn an den Schultern. John Haick riß sich zusammen. Seine Lippen zitterten, als seine Augen die leuchtende Supernova auf dem übermannshohen Holografen erblickten. Unter Aufbietung aller Kräfte drehte er sich um. Die hellblauen Augen seines Freundes blickten ihn mit zwingender Gewalt an. Rex Corda schien weitaus mehr besorgt um seinen Freund zu sein als um das Schicksal der „Walter Beckett", die geradewegs in ihr Verderben zu rasen schien.
Der Präsident Terras folgte dem starren Blick seines Freundes und sah ebenfalls auf den Holografen. Auf einen Wink hin unterbrach einer der Techniker die Stromzufuhr. Der Holograf wurde grau. Langsam verblaßte das Bild. „Offenbar eine Täuschung", sagte Rex Corda. Er lachte hart auf. „Man wollte uns glauben machen, daß wir genau in eine Supernova hineinrasen. Jemand hat die Holografenadjustierung verändert. Die ,Walter Beckett' ist nicht in Gefahr. Nicht mehr!" „Eine Täuschung?" „Genau", mischte sich Latak Decimo ein. „Für einen Moment haben wir uns bluffen lassen. Allerdings wäre es wirklich schlimm geworden, wenn wir unseren Kurs tatsächlich geändert hätten. Nach den Messungen, die wir eben in aller Eile durchgeführt haben, kamen wir einer Supernova bedenklich nahe — bis auf ein halbes Lichtjahr! — Doch jetzt sagen Sie uns. John Haick: Was hat sich hier abgespielt, ehe wir kamen?" Der Bericht des dunkelhaarigen Atomwissenschaftlers bot enttäuschend wenig Fakten. Er war gerade bei der Überwachung der Automatik gewesen, als es geschah. Er wußte nicht, ob es ein wirklicher Schlag gewesen war oder nur ein gedanklicher Lähmungsimpuls. Einen Moment hatte er sich aus der Erstarrung befreien können. Das Bild der flammenden Supernova war vor ihm erschienen. Wellen von Schmerz hatten seinen Körper überschwemmt. Und dennoch war es ihm gelungen, die Alarmtaste zu drücken. Während irgendeine Kraft immer stärkeren Einfluß über seinen Körper gewann, hatte er einige Warnungen in den Holografen geschrien. „Wir haben dich gesehen", bemerkte Rex Corda. „Dein Mund stand offen, deine Lippen haben sich bewegt. Trotz-
dem haben wir in der Messe keinen Ton hören können." John Haick grinste ungläubig. Langsam hatte er sich von seinem Schock erholt. „Was soll das heißen? Ich weiß genau, daß ich tatsächlich geschrien habe." „Gut möglich", sagte Rex Corda. „Aber eins ist jetzt klar: Jemand an Bord der ,Walter Beckett' versucht, unsere Kommunikationseinrichtungen zu sabotieren. Jemand, der eine erstaunliche Macht haben muß. Nicht nur eine physische Macht..." „Der 'Zeitlose' Eldo", warf Fatlo Bekoval ein. Immer noch war das Gesicht des massigen Laktonen vor Wut verzerrt. Jemand hatte „sein" Schiff angegriffen. Jemand pfuschte an den Ortungsanlagen seiner „Walter Beckett" herum! Für Fatlo Bekoval als Kommandanten war das schlimmer, als hätte jemand einen Angriff auf seine Person gestartet. „Die Vermutung liegt nahe", meinte Latak Decimo ruhig. Rex Corda nickte. „Eldo hat sich mehr als verdächtig benommen. Aber wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir kennen die ,Zeitlosen' noch zu wenig. Aber vielleicht können wir sie direkt fragen!" Die letzten Worte des terranischen Präsidenten galten den beiden hochgewachsenen Gestalten, die durch das Eingangssegment der Kommandozentrale traten. Arga und Vergol näherten sich rasch. Winzige farbige Tropfen glänzten auf ihren hohen Stirnen. Hatten diese „Zeitlosen" Angst? „Wir haben Ihren Weg genommen", knarrte einer der Translatoren auf. Die Übersetzungsgeräte gaben die Stimmen vollkommen ausdruckslos wieder. „Es scheint bei Ihnen Schwierigkeiten zu geben?"
„Das kann man wohl sagen", knurrte Fatlo Bekoval. „Jemand versucht, unser Schiff zu vernichten. Vielleicht einer unserer neuen Freunde!" Es war ein Schuß ins Blaue. Aber er traf. „Nein", sagte Vergol. „Sie denken vielleicht, daß Eldo der Urheber der Störungen ist. Aber das können wir nicht glauben. Vielleicht haben Ihre technischen Einrichtungen Fehler..." „Wagen Sie es nicht, zu behaupten, daß die technische Ausrüstung der ,Walter Beckett' primitiv ist!" unterbrach Fatlo Bekoval. Er verstummte, als Rex Corda eine beruhigende Geste machte. Die beiden „Zeitlosen" waren näher getreten. Offenbar konnten sie sich nicht daran gewöhnen, von einem Vertreter einer für sie primitiven Rasse unterbrochen zu werden. „Ihre Anschuldigungen sind unsinnig", sagte Arga kalt. „Wir ,Zeitlosen' kämpfen nicht gegeneinander, wie Sie es gerade angedeutet hatten." Einen Augenblick mußte Rex Corda die logische Folgerung dieses Wesens bewundern. Ja, so erschienen sie jedem Außenstehenden: als eine Einheit, jeder durch jeden austauschbar, jeder im Besitz der gleichen Macht. — Eine Täuschung? „So kommen wir nicht weiter", bemerkte Rex Corda ruhig. „Wir sollten mehr Verständnis füreinander aufbringen. Es geht darum, daß unser Ziel in Gefahr erscheint. Sie haben von uns Hilfe verlangt — Sie sollen Hilfe haben, sofern wir dazu in der Lage sind. Dennoch dürfen wir nicht im unklaren bleiben. Es ist einfach für Sie, unsere Zweifel an Eldo zu zerstreuen. Sagen Sie ihm, daß er in die Kornmandozentrale kommen soll!" Die beiden „Zeitlosen" sahen sich einen Augenblick an. Bildete man es sich ein, oder zeigten ihre scharfgeschnittenen Gesichter tatsächlich einen Anflug
von Verblüffung? „Das geht nicht", entschied Arga. „Wir dürfen Eldo jetzt nicht stören. Er hat gesagt, daß er allein sein will. Er hat die uralte Formel ausgesprochen; wir dürfen ihn nicht stören!" „Zum Teufel mit Ihrer Tradition!" grollte Fatlo Bekoval. Der massige Laktone schien sich jeden Augenblick auf die „Zeitlosen" stürzen zu wollen. Nur die warnenden Blicke Rex Cordas hielten ihn davon ab. „Unser Kommandant ist etwas impulsiv", sagte Rex Corda höflich. Die Gesichter der „Zeitlosen" zeigten deutlich Verachtung. Jeder, der seinen Gefühlen freie Bahn ließ, war in ihren Augen ein Primitiver, der auf der Stufe eines Tieres stand. Gerade deshalb hegten die „Zeitlosen" eine gewisse Bewunderung für die Orathonen. „Aber er hat recht", fuhr Rex Corda fort. „Unsere Lage ist zu ernst, um jetzt noch Versteck voreinander zu spielen. Bitten Sie Eldo herbei. Wir werden uns gebührend entschuldigen, weil wir ihn stören. Nehmen Sie Rücksicht auf unsere einfachen Empfindungen..." Rex Corda lächelte kurz. Die beiden „Zeitlosen" sahen sich an. In einer fast menschlichen Geste nickten sie. Die Bewegung war von einem Schulterzucken begleitet. Aus den Falten seines Umhangs holte Arga ein winziges blitzendes Gerät hervor. Seine Finger glitten über Skalen, die dünnen Lippen murmelten einige Worte, die von den elektronischen Dolmetschern nicht übersetzt wurden. Verwirrung zeichnete sich deutlich auf seinen Zügen ab. Vergol trat mit einem schnellen Schritt an seinen Gefährten heran und blickte auf das kleine Gerät. Rex Corda vermutete, daß es ein kleiner Sender war, der auf Holografiebasis arbeitete. Die „Zeitlosen" wechselten ein paar Worte miteinander, die wiederum nicht
übersetzt wurden. Dann blickte Vergol auf. „Eldo befindet sich nicht auf diesem Schiff", sagte er mit hallender Stimme. „Woraus schließen Sie das?" erkundigte sich Rex Corda. Er vermutete, daß die „Zeitlosen" darauf keine Antwort geben würden, doch darin irrte er sich. „Das ist ganz einfach", sagte Arga nüchtern. Die bunten Perlen auf seiner hohen Stirn waren verschwunden. Er schien sich wieder vollkommen in der Gewalt zu haben. „Eldo hat sich nicht gemeldet." „Das ist alles?" schrie Fatlo Bekoval aufgebracht. „Nur weil sich euer Freund nicht meldete, soll er sich nicht mehr auf diesem Schiff befinden? Das verstehe ich nicht!" Die „Zeitlosen" würdigten ihn keines Blickes. Sie gingen in eine Ecke der Kommandozentrale und sprachen leise miteinander. Die Männer der „Walter Beckett" schienen für sie nicht mehr zu existieren. * Es fühlte, wie die Verbindung stärker und stärker wurde. Gleichzeitig wuchs die Fähigkeit des Denkens, die Gabe, sich der Umwelt bewußt zu werden. Überallhin erstreckten sich jetzt die Kommunikationsarme. Sie dienten nicht nur der Verbindung, sondern konnten auch die Umwelt abtasten. Das Bild wurde klarer. Das Bild ihres neuen Universums. Es hatte Hunger. Nahrung wurde dringend benötigt. In diesem Punkt war es völlig selbständig. Es verdickte wieder seine Stacheln, bildete Hafttröpfchen und kletterte eine schimmernde Ebene hinauf. Dabei bewegte es sich vorsichtig, um nicht die Verbindungsarme unnötig zu belasten. Oben, am Gipfelpunkt seiner geringen örtlichen Veränderung, hatte Es ei-
ne neue Energiequelle gespürt. Glücklich über die reichliche Nahrung, gab Es einen Impuls durch. Sofort erhielt Es Nachricht. Die anderen brauchten seine Nahrung nicht. Es sollte weiterwachsen, aber sie mußten noch mächtiger werden auf ihrer Wanderung durch das große, neue, unbekannte Universum. Schmatzend saugte Es den pulsierenden Lebenssaft in sich ein. * Mit Mühe war es ihnen gelungen, die „Zeitlosen" davon zu überzeugen, daß sie jetzt endlich Klarheit gewinnen mußten. Rex Corda hatte die Vermutung ausgesprochen, daß die beiden „Zeitlosen" ihre Gleichgültigkeit nur spielten. Er schien sich darin nicht getäuscht zu haben. Wieder saßen sie um einen großen Konferenztisch, doch diesmal in der Kommandozentrale der „Walter Bekkett". Die leuchtenden Augen der beiden „Zeitlosen" schienen durch Rex Corda hindurchzudringen, der das Wort ergriffen hatte. „Nach unseren Messungen haben wir in wenigen Stunden Bordzeit Ihren Planeten erreicht. Leider können wir keine genauen Standortbestimmungen durchführen, weil wir keine unserer flugfähigen Holografenkameras vorausschicken durften." „Es wäre sinnlos", warf Arga ein. „Die automatischen Stationen zerstören jeden Fremdkörper, der sich im Anflug auf unseren Planeten befindet." Ohne sich stören zu lassen, fuhr Rex Corda fort: „Wir haben versprochen, Ihrer Rasse zu helfen. Soweit uns bekannt ist, geht es um Ihr Zentralgehirn, offenbar eine Art riesiger Computer, dessen Funktion bedroht ist. Erklären Sie uns bitte, worum es sich bei diesem
,Gehirn' handelt!" Die beiden „Zeitlosen" schwiegen. „Gut", sagte Rex Corda. „Wir sind nicht mehr interessiert an einer Hilfe, da Sie an uns ebenfalls nicht interessiert zu sein scheinen. Wir kehren um. Bitte veranlassen Sie, daß die Eskorte ..." Die beiden „Zeitlosen" erwachten aus ihrer Lethargie. „Sie sind ein Narr, Rex Corda!" rief Vergol. Seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Tumult entstand. „Sagen Sie das noch einmal!" brüllte Fatlo Bekoval. Auch Latak Decimo war aufgesprungen, im Gegensatz zu Rex Corda, der die „Zeitlosen" spöttisch ansah. „Offenbar wollen Sie endlich Ihre vornehme Zurückhaltung aufgeben, oder?" Vergol hatte sich wieder gefangen. „Ich muß mich entschuldigen", sagte er steif. Ein Lachen kam hinter einem Computer hervor. Als Rex Corda sich umdrehte, blickte er auf Ga-Venga, der die Situation wieder einmal köstlich zu finden schien. Diese Rasse der „Zeitlosen" war in ihrer Überheblichkeit bemerkenswert. Vielleicht hatten sie bisher dazu einen guten Grund gehabt. Die beiden „Zeitlosen" flüsterten miteinander. Fatlo Bekoval wollte aufbrausen, weil er wie die anderen vermutete, daß sie wieder einmal hingehalten werden sollten. „Reißen Sie sich zusammen, Bekoval", sagte Ga-Venga leise auf Englisch. Sein Gesicht war jetzt ernst. „Die ,Zeitlosen' werden jetzt reden!" Ga-Venga hatte seinen elektronischen Dolmetscher abgeschaltet, so daß er von den „Zeitlosen" nicht verstanden worden sein konnte. Das Sprachgenie GaVenga hatte innerhalb verblüffend kurzer Zeit die Sprache dieser seltsamen Rasse aus der Raumvakuole erlernt. „Wir werden Ihnen die Situation er-
klären, Mr. Corda", sagte Vergol schließlich. „Wir müssen zugeben, daß Sie uns schwankend gemacht haben. Wir verstehen in der Tat nicht, warum Eldo ..." * Er lachte höhnisch vor sich hin, als er die letzten Einstellungen vornahm. Er war allein in dem kegelförmigen Raumschiff, das jenes Schiff der Primitiven zusammen mit den anderen Raumschiffen begleitete. Eldo wußte jetzt, daß er sehr schnell handeln mußte. Sein Plan stand fest. Die meisten Schaltungen waren ausgeführt. Man würde ihn bei seiner Arbeit nicht stören. Und wenn ... Eldo hatte sehr wirksame Methoden, unerwünschten Besuch zu empfangen. Er überlegte. Der Plan war zerstört worden, als die großen Schutzschirme des „Gehirns" ausgefallen waren. Keiner seiner Verbindungsleute hatte dafür eine Erklärung gewußt. Und doch paßte es ausgezeichnet in ihren großen Plan, sich von der Herrschaft des „Gehirns" zu befreien. Tatsache aber war, daß der Planet, der die Heimat der „Zeitlosen" war, nicht mehr von Schutzfeldern umgeben wurde. Ursprünglich hatten sie vorgehabt, das Raumschiff der Primitiven bei der Landung auf dem Planeten zu zerstören. Überraschend hätten die gigantischen Schirmfelder einen tödlichen Impuls aussenden müssen. Doch das war jetzt nicht mehr möglich. Das Schiff, das von den Primitiven „Walter Beckett" genannt wurde, mußte noch im All vernichtet werden! Ein Blockieren der Antriebsaggregate war das beste Mittel. Eldo wußte, daß dieses Schiff stark war. Es verfügte über eine wirksame Panzerung aus einem ihm unbekannten Material. Er hatte sogar gehört, daß dieses Material, das die Primitiven
Becon nannten, unzerstörbar sein sollte. Eldo zweifelte nicht daran, weil es bei der Ausführung seines Planes keine Rolle spielte, ob die Schiffshülle unzerstörbar war oder nicht. Kein Schiff, nicht einmal der stärkste Raumer der „Zeitlosen", konnte einen Sturz in die glühende Flammenhölle einer Supernova überstehen. Die Hülle mochte zwar standhalten; das Innere aber würde von den gigantischen Gewalten des Aufpralls vernichtet. Und das in die Tat umzusetzen, dachte Eldo, würde das Werk weniger Augenblicke sein. Befriedigt blickte er auf das kleine Gerät, das er aus den Computern ausgebaut hatte. Ihm fiel plötzlich ein, warum es so wichtig war, dieses Schiff zu vernichten: Das „Gehirn" hatte darauf bestanden, daß man die Primitiven zu Hilfe holte. Wieder lachte Eldo, Konnte es einen besseren Beweis dafür geben, daß das „Gehirn" wahnsinnig war? * „Wir wissen es nicht", sagte Vergol. „Ihre Frage, Mr. Corda, ob das ,Gehirn' instabil geworden sei, klingt wie Blasphemie für uns. Wir wissen nur, daß seine Funktionen auf das Empfindlichste gestört sind. Sie müssen sich das ,Gehirn' als einen Verbund von vielen Gehirnen vorstellen, die durch gigantische Computeranlagen zu einer für Ihre Begriffe unvorstellbaren geistigen Kapazität angewachsen sind." Fatlo Bekoval stieß ein grimmiges Knurren aus. Immer wieder ärgerte sich der Kommandant der „Walter Beckett" darüber, daß sie in jedem zweiten Satz zu Primitiven gestempelt wurden. „Nicht nervös werden, Kommandant", grinste Ga-Venga. „Die Burschen können nichts dafür. Außerdem ist das
genau die Methode, die auch Lakton Terra gegenüber praktizierte." Offenbar waren die „Zeitlosen" außerstande, diese ironische Bemerkung auf sich zu beziehen. „Die Hypersprünge der orathonischen Raumschiffe haben die Stabilität dieses Systems auf das schwerste erschüttert", fuhr Arga fort. „Dafür wird Sigam Agelon einmal die ewige Strafe verbüßen. — Die Erschütterungen innerhalb unseres Raumes, den ihr Vakuole nennt, haben sich wieder auf das ,Gehirn' ausgewirkt. Der große Schutzschirm, der sich um unseren Planeten spannt, setzte vor kurzer Zeit aus. Vielleicht existiert er nicht mehr. Aus diesem Grund kommen Gefahren von allen Seiten auf das Hirn zu." „Welcher Art sind diese Gefahren?" erkundigte sich Latak Decimo interessiert. „Es gibt viele Gefahren", bemerkte der „Zeitlose" philosophisch. „Mehr als sich Völker eurer Art vorstellen können!" „Mit anderen Worten: Er weiß es auch nicht!" kicherte Ga-Venga. Rex Corda warf einen raschen Blick zu den „Zeitlosen" hinüber. Sie beachteten den kleinen Kynother nicht. Sie schienen die Fähigkeit zu haben, Dinge, die sie nicht interessierten, einfach zu ignorieren. Die folgenden Worte wurden von Vergol vorgetragen. Selbst Ga-Venga verging jetzt das Lachen. „Das ,Gehirn' ist gefährdet und geschwächt. Das ,Gehirn' kontrolliert die Stabilität der Vakuole, also wird von einer Schwächung des ,Gehirns' auch unser Universum direkt betroffen. Wie Sie wissen, ist dieser Raum instabil. Er kann nur durch einen ungeheueren Energieaufwand im Gleichgewicht gehalten werden. Ein Zusammenbrechen der Vakuole würde die gesamte Galaxis in Mit-
leidenschaft ziehen!" Einen Augenblick schwiegen die Männer. „Und wie soll das geschehen?" fragte Latak Decimo leise. Vergol nickte vor sich hin. „Wenn die Vakuole zusammenfällt, hätte das eine gigantische Implosion zur Folge. Die Planeten innerhalb der Vakuole würden in ein Nichts zerblasen werden. Aber auch die Sternengruppe, in der sich der Eingang zu unserer Vakuole befindet — Sie nennen ihn ,Kugelhaufen M 22' — würde in Mitleidenschaft gezogen werden. Es gäbe eine Kettenreaktion, die auch Ihr winziges Terrasystem zerstören würde." Hex Corda bemühte sich, die niederschmetternde Eröffnung zu verarbeiten. „Wissen Sie, was wir tun können? Wir, die Männer der ,Walter Beckett'?" fragte er mit fester Stimme. Vergol zögerte. „Wir wissen es nicht. Wir glauben auch nicht, daß Sie in der Lage sind, unserem ,Gehirn' zu helfen." „Aber warum, zum Teufel, wollen Sie denn, daß wir Ihnen helfen, wenn Sie glauben, daß wir dazu nicht in der Lage sind?" schrie John Haick. Als sich alle Blicke auf ihn richteten, senkte er seinen Kopf. „Entschuldigen Sie! Meine Nerven sind mir durchgegangen!'' Vergol schien den letzten Satz nicht gehört zu haben. „Wir wollen nicht, daß Sie uns helfen. Das ,Gehirn' hat diesen Befehl gegeben. Er war unmißverständlich. Und darum bringen wir Sie zu unserem Planeten. Wir erfüllen einen Befehl, jedoch gegen unsere Überzeugung!" Damit war es heraus. Aber im Grunde genommen waren sie so schlau wie zuvor. In diesem Augenblick geschah es! Als die Alarmsirenen wieder aufheulten, ruckten die Köpfe herum. Die Blikke konzentrierten sich auf die Holografen in der Kommandozentrale. Die
„Walter Beckett" würde in wenigen Minuten einen grell flammenden Stern passiert haben, doch die geringe Entfernung konnte nicht den Alarm der Robotanlage ausgelöst haben. Diesmal hatte kein Besatzungsmitglied den Knopf für den Hauptalarm heruntergeschlagen. Etwas anderes hatte die Computer veranlaßt, die Sirenen schrillen zu lassen. Das Bild auf dem Holografen wechselte. Dann wurde es dunkel. Doch bevor die Fläche von einem matten Grau überzogen wurde, sah man eine Gestalt, die neben einem riesigen Maschinengiganten wie verloren aussah. Jemand befand sich im Maschinenraum der „Walter Beckett"! Jemand, der sich an den Robotsteuerungen der Antriebsaggregate zu schaffen machte. „Eldo!" schrien die beiden „Zeitlosen" in der Kommandozentrale wie aus einem Munde. Rex Corda hatte sich also nicht getäuscht. Es war der „Zeitlose". Oberst Robin Polley hatte also sein Mißtrauen nicht zu Unrecht ausgesprochen. Doch es war nicht genügend beachtet worden. Zu spät? Ein mächtiger Ruck erschütterte die „Walter Beckett". Überall stürzten die Besatzungsmitglieder durcheinander. Es dauerte einen Moment, bis die Antigravitationsautomaten den Beschleunigungswechsel kompensiert hatten. Doch dieser Augenblick genügte, viele der Männer bewußtlos werden zu lassen. Mühsam richtete sich Rex Corda auf und wankte auf den kleinen Holografen der Bordanlage zu. „Kommandozentrale an Waffenleitstand! Ralf Griffith, melden Sie sich! Kommandozentrale an Oberst Polley! Mobilisieren Sie..." Rex Corda brach ab. Das vertraute
Summen der Sprechanlage blieb aus. Die Verbindung war tot, ebenso tot wie die Bordholografen, die in einem stumpfen Grau schimmerten. Nur auf einem Holografen zeigte sich ein Bild: Auf dem übermannshohen Schirmfeld, das seine Impulse von den Außenkameras bekam, wurde die gleißende große Sonne erschreckend schnell größer. Und diesmal wußte Rex Corda, daß es keine Täuschung war wie zuvor mit der Supernova ... * Das „Gehirn" erbebte unter gewaltigen Anstrengungen. Die Schockwellen kamen jetzt rascher. Schon waren wichtige Teile seines Nervenzentrums gelähmt, wichtige Verbindungswege zu den Computer-Einheiten, die Werkzeuge waren zur Verständigung, aber auch zur Ausübung seiner Macht. Eine Macht, die das „Gehirn" nicht mehr in vollem Umfang besaß. Aber noch kontrollierte es alles. Noch war der Überblick vorhanden. Wie lange noch? Eine Schockwelle durchraste sein Wahrnehmungszentrum. Bilder wurden verzerrt aufgenommen. Scharfe Konturen, übergrelle Farben quälten die Aufnahme- und Verarbeitungssensoren. Und doch wußte das „Gehirn" mit schmerzhafter Deutlichkeit, daß es nur der Anfang war. Schon jetzt brachten es die Qualen an den Rand des Wahnsinns. Falsche Reaktionen der ausführenden Organe waren die Folge. Ein Robot stolperte, richtete im Fallen seine Strahlen auf seine glitzernden Augenlinsen und wurde, bevor er am Boden aufschlug, zu einer leblosen, verkrümmten Masse wertlosen Schrotts. Auf einer Welt, die von den „Zeitlosen" kontrolliert wurde, sprangen plötzlich
überall sprudelnde Fontänen auf. Von fern bot es einen hübschen Anblick, aber die Zahl der Bewohner des Planeten wurde dezimiert. Das Wasser war kochendheiß. Bei seiner Verdunstung entwickelten sich tödliche Gase. Im Grunde genommen waren es nur Kleinigkeiten. Tausende von Welten unterstanden der Kontrolle des „Gehirns". Und trotzdem versuchte es, immer wieder von Schockwellen seiner Peiniger überflutet, diese Fehler zu beheben. Denn das „Gehirn" wußte, daß es nur der Anfang war. Es mußte seine Peiniger loswerden, doch aus sich heraus war es dazu nicht in der Lage. Die wichtigsten Zentren waren blockiert. Auch ein operativer Eingriff würde nichts nützen. Das „Gehirn" war zu empfindlich. Es hatte alle Chancen errechnet. Nur noch Hilfe von außen konnte die Rettung bringen. Rettung für Tausende von Welten! * „Dieser Planet ist ein Schwamm. Eigefällt mir nicht", knarrte die Stimme, die aus dem Mittelpunkt des verwachsenen Körpers zu kommen schien. Der Körper hatte die Form einer Kugel. Doch nur von weitem. Wer Gelegenheit hatte, näher heranzukommen, sah, daß es ein humanoides Wesen war, genauer gesagt, ein „Zeitloser", dessen Körper verformt, verdreht, verflochten schien. Der Große Dracko — wie er sich gerne nannte — hatte allerdings dafür gesorgt, daß nicht sehr viele den Anblick seines Körpers überlebt hatten. „Wenn es soweit ist, werde ich mir eine andere, angemessene Residenz suchen", fuhr die knarrende Stimme fort. Die Kugel schien sich über den glitschigen Felsen zu rollen, der sich über der Masse der Flüssigkeit erhob, die bis
zum Horizont reichte. Ein Terraner hätte die Flüssigkeit vermutlich für Wasser gehalten und die Erhebung, auf der sich der Große Dracko befand, für eine Insel in einem scheinbar endlosen Meer. Beides entsprach nicht den Tatsachen. Vielleicht wußte der Große Dracko, aus welchen Elementen diese Flüssigkeit bestand. Vor wenigen Tagen irdischer Zeitrechnung war von der Oberfläche dieses Planeten nichts zu sehen gewesen. Ein glänzender, undurchdringlicher Schutzschirm hatte sie eingehüllt, ein gigantisches Kraftfeld, das von den Superkräften des „Gehirns" aufrechterhalten wurde. „Ein Schwamm", wiederholte die knarrende Stimme. „Findest du nicht auch, Verkan?" Der „Zeitlose", dessen schlanke Finger nervös mit der Fernsteuerung einer Gravo-Plattform spielten, ruckte herum. „Ja, Großer Dracko", flüsterte er ehrerbietig. Aus der Kugelgestalt des verwachsenen „Zeitlosen" schimmerten zwei glühende Augen. „Du willst gerne wissen, warum ich mich auf der Oberfläche dieses Schwamms befinde, was?" Der „Zeitlose", der dem Großen Dracko diente, wagte es nicht zu nicken. Er entsann sich der Tatsache, daß der Große Dracko schon Hunderte von Adjutanten gehabt haben mußte. Keiner von ihnen lebte mehr. „Mir gefällt es hier nicht besonders, aber ich bleibe dennoch hier", verkündete Dracko. „Kann dein armseliges Denkvermögen einen Widerspruch vertragen, oder brichst du ebenfalls so jämmerlich zusammen wie jenes ,Gehirn', dessen Erbe ich antreten werde?" Der „Zeitlose" neigte demütig sein Haupt. Er stand völlig unter dem Einfluß des mutierten „Zeitlosen", der als der Große Dracko die Macht an sich
reißen wollte. Der Adjutant dachte kurz an die Versprechungen, die man ihm gemacht hatte. Er hatte Macht gewollt, Macht, die ihm das „Gehirn" verweigert hatte. Er war schließlich zu jener Gruppe gestoßen, die mit den Aktionen des „Gehirns" nicht sympathisierte. Der Führer jener Gruppe war die verwachsene Gestalt, in deren mißgestaltetem Schädel sich ein Gehirn verbarg, von dem man sagte, daß es der Kapazität des „Gehirns" überlegen war. Überlegen in einer kalten teuflischen Art... „Ich werde dir sagen, Adjutant", knarrte die Stimme, „warum ich mich auf die Oberfläche habe bringen lassen. Ich möchte sehen, wie jenes Schiff der Primitiven aufflammt und verglüht. Man müßte es von hier sehen können, oder zweifelst du an meinen Berechnungen?" Der Adjutant verneinte hastig. Er hatte mehr Macht gewollt als die, die ihm vom „Gehirn" versagt worden war. Jetzt aber wollte er nur noch mit heiler Haut aus dieser Sache herauskommen. „Was ist mit Eldo?" peitschte die Stimme auf. „Stelle sofort eine Verbindung mit Eldo her. Langsam ödet mich dieser traurige Planet an. Er sieht wirklich mehr wie ein Schwamm als eine Welt aus, auf der ich residieren könnte. Vermutlich werde ich sie vernichten. Wenn die Macht des ,Gehirns' völlig gebrochen ist. Vernichten. Diesen Schwamm!" * WIR KAMEN DURCH DIE UNENDLICHKEIT ... Das Ritual lief ab. Nach den hundert Perioden trafen sich die Impulse der einzelnen Glieder und formten sich zu starken kühnen Gedanken. Sie waren sich ihrer Umwelt bewußt. Ihr Universum bestand aus langen Röh-
ren, die in die Unendlichkeit zu reichen schienen. Es bestand aus einem pulsierenden Netzwerk, das von seltsamen Funken erleuchtet wurde. Das Universum war ein Reich der Wunder, ein endloses phantastisches Reich. Nahrung gab es hier in Hülle und Fülle. Ein Reich der Wunder. Aber das größte Wunder waren sie: winzige Stäubchen in der Größe des Alls, dennoch machtvoll und von unstillbarem Drang besessen, zu erobern und zu forschen, zu wachsen und sich über das ganze Universum auszubreiten. Es rollte eine Wand hinauf. Ein tastender verlängerter Stachel zuckte blitzschnell empor, glitt aber ins Leere. Befriedigt öffnete Es seinen Schlund; winzige nadelspitze Zähne begannen zu kreisen und bohrten sich in weiches zuckendes Fleisch. Nahrung! Als Es die andere Bewegung spürte, veränderte sich sofort seine Haltung. Der Mund schloß sich, die Zähne standen still. Aus der Öffnung, an der Es gerade gearbeitet hatte, schoß eine warme Flüssigkeit. — Es achtete nicht darauf. Die Bewegung näherte sich. In einem Reflex zuckten verhärtete Stacheln hervor, trafen auf das andere, das sich ihm näherte. Jemand wollte ihm seine Beute streitig machen! Jemand näherte sich auf einem Teil des Universums, das er erobert hatte. Einer seiner verlängerten Stacheln peitschte vor, greller Schmerz durchzuckte ihn. Das andere hatte zurückgeschlagen! Es setzte sich in Bewegung, bereit, mit seinen ganzen Kräften den Gegner zu zerstören ... Der Impuls durchzuckte ihn. Sofort zog Es den Faden zurück. Der Schmerz wich. Es hatte die Tatsache vergessen, daß dieses Universum für alle da war; er
durfte sich nicht gegen einen Vertreter seiner eigenen Rasse wenden. Gemeinsam rollten sie wieder an der Wand empor. Die Öffnung, aus der immer noch der nahrhafte Saft sprudelte, wurde erweitert. Zwei gierige Münder schoben sich heran, mahlende Zahnreihen bohrten sich tiefer in eine zuckende warme Masse. * Sie trafen sich in einem Gravoschacht. Mit ihnen glitten Techniker und Offiziere in die Tiefe. Rex Corda rief den Männern ein paar beruhigende Worte zu, aber er wußte, daß man seine Mannschaft nicht so leicht einschüchtern konnte. Sie hatten schon zuviel durchgemacht, um sich jetzt von einem Aussetzen des Antriebs und einem Hauptalarm besonders beeindrucken zu lassen. Jeder wußte, wo er im Notfall seinen Platz hatte. Anerkennend musterte der terranische Präsident die Laktonen und Terraner, die auf den vorübergleitenden Ebenen in einem scheinbar planlosen Durcheinander vorüberwirbelten. Jede Abteilung der „Walter Beckett" war jetzt in Bereitschaft. Sofort, als man erkannt hatte, daß die Holografen und Bordsprechanlagen nicht mehr funktionierten, waren alle Nachrichtenroboter eingesetzt worden. Neben ihm war die hochgewachsene Gestalt des Mutanten Tsati Mutara aufgetaucht. Der Neger grinste Rex Corda an. Vor wenigen Tagen noch hatte er sich in der Gefangenschaft der Orathonen befunden. An der Seite des „Veränderten" Sigam Agelon hatte er einen großen Teil des orathonischen Herrschaftsbereichs gesehen. Tsati Mutara war Mutant. Seinem Einsatz war es zu verdanken gewesen, daß er die letzte Supertransmitterstation auf der Erde zerschlagen hatte. Der
Preis — die Gefangenschaft durch die Gefiederten — war für ihn hoch gewesen. Er hatte nicht mehr geglaubt, noch einmal die Erde oder Rex Corda wiederzusehen. Das einzige, was ihm Trost gebracht hatte, war die Anwesenheit eines Trop gewesen. Die außerirdische Existenz, die den seltsamen Namen Thali-Fenberth-Fen-Berthnyen trug, hatte sich für ihn geopfert, um ihm die Flucht zu ermöglichen. Neben Tsati Mutara war die Gestalt Ralf Griffiths erschienen. Unter Ralfs Schädeldecke befand sich eine Platte jenes Wunderstoffes Becon, das ihn — ebenso wie Sigam Agelon — zum „Veränderten" gemacht hatte. Sie hatten jetzt die Ebene der astronomischen Abteilung erreicht. Das letzte Stockwerk in der Hantelkugel der „Walter Beckett" barg die Notantriebsaggregate, mit denen im Notfall jede Kugel des hantelförmigen Raumschiffes für sich bewegungsfähig gemacht werden konnte. Hier mündete das Erg-Band, das in den Maschinenraum führte. Die drei Männer glitten aus dem Gravoschacht. Hinter ihnen hörten sie ein aufgeregtes Keuchen, das von Oberst Polley stammte. Der Leiter der militärischen Abteilung hatte einige Männer seiner Elitetruppe bei sich und mehrere Kampfroboter der AA-3-Klasse, deren rechtekkige, kopflose Körper furchterregend wirkten. Aber Rex Corda glaubte nicht, daß Oberst Polley hier etwas mit seinen Soldaten oder den Kampfrobotern ausrichten konnte. Wenn ihre Beobachtungen sie nicht getrogen hatten, befand sich ein Wesen aus der Rasse der „Zeitlosen" im Maschinenraum der „Walter Beckett". Diese Lebensform verfügte über erstaunliche Machtmittel. Auf keinen Fall konnte man sie mit physischer
Gewalt angehen. Tsati Mutara konnte darüber Auskunft geben. Sigam Agelon hatte versucht, einen „Zeitlosen" unter Beschuß ungeheuerer Energiemengen zu töten, aber es war ihm nicht gelungen. Waren diese Wesen Teleporter? Konnten sie sich durch die Kraft ihres Geistes durch den Raum bewegen? Fast sah es so aus. Das würde alles erklären. Aber keiner wußte es. Das Schrillen der Alarmsirenen hatte aufgehört. Während die drei Männer auf das Erg-Band sprangen, das sie in das Innere des Verbindungsstückes zwischen den beiden großen Hantelkugeln transportieren würde, hörten sie hinter sich Oberst Polleys Mannschaft. Sie wurden von einem Band mit geringer Geschwindigkeit aufgenommen und sprangen sofort auf das nächstschnellere. Nach drei Sprüngen bewegten sie sich mit atemberaubender Geschwindigkeit auf die Mitte der „Walter Beckett" zu. Nach etwa zweihundert Metern — die Fahrt hatte nur wenige Sekunden gedauert — verringerten sie wieder die Geschwindigkeit. Vor ihnen erhoben sich die hohen Sicherheitstore, die den Maschinenraum von den übrigen Bereichen des Schiffes abschirmten. Sie sprangen vom letzten Erg-Band. Aufatmend standen sie vor dem grauen Holografen, der eine Verbindung zum Inneren des Maschinenraums herstellte. Aber statt des vertrauten Gesichtes von Chefingenieur Tom Sluck erfüllten nur wirbelnde Schatten das Feld. Während Rex Corda die Ruftaste drückte, sah er, daß Ralf Griffith den Öffnungsmechanismus einleiten wollte. Es war sinnlos. Die Verbindung war gestört. Die Tore ließen sich nicht öffnen. Man brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, daß es auf der
anderen Seite genauso aussah. „Was nun?" fragte Tsati Mutara. Seine tiefe klangvolle Stimme hatte einen verstörten Unterton. In Rex Corda jagten sich fieberhaft die Gedanken. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Soldaten, die sich nach den Anordnungen Oberst Robin Polleys verteilten, ihre Waffen auf die Portale gerichtet. Auch die Kampfroboter hatten Stellung bezogen. Die Linsensysteme auf der Oberseite ihrer rechteckigen kopflosen Körper glitzerten. Waffendrehkränze waren in Aktion. Aber es zeigte sich kein Ziel. „Sollen wir das Tor unter Feuer nehmen?" fragte Oberst Polley. Rex Corda wandte sich kurz um. Er schrieb den Vorschlag des Obersten einer leichten Verwirrung zu. „Haben Sie vergessen, Oberst, daß die Portale mit Becon gepanzert sind? Sie könnten die ganze Energie an Bord der ,Walter Beckett' gegen diese Tore lenken, und doch könnten Sie diesem Stoff nichts anhaben." Hinter ihnen entstand eine Bewegung. „Kommandant an Rex Corda", meldete ein atemloser Nachrichtenoffizier. .,Der Kurs wurde verändert. Wir kommen in unmittelbare Nähe einer großen Sonne. Ohne Antrieb würden wir ihren Schwerefeldern zum Opfer fallen. — Was sollen wir tun?" Von der anderen Seite, rechts von Rex Corda, näherte sich ein Roboter. „Fan Kar Kont an Rex Corda! Die andere Seite des Maschinenraumes wird ebenfalls belagert. Die Becon-Tore lassen sich nicht öffnen. Es besteht keine Verbindung züm Innern der Kraftanlace." „Chefingenieur Tom Sluck?" fragte Tsati Mutara. Rex Corda nickte. „Sluck und einige laktonische Wissenschaftler." Dann wandte er sich an den Nachrichtenoffi-
zier. „Hat man errechnet, wann uns die Schwerefelder der betreffenden Sonne einfangen würden?" Der Offizier nickte. Schweiß stand auf seiner Stirn. „Der Kommandant hat zusammen mit der mathematischen Abteilung eine Zeit von dreißig Minuten Bordzeit errechnet." „Hat man die Holografen reparieren können, und weiß man, warum sie versagten und immer noch nicht in Betrieb sind?" „Ja, Arga und Vergol haben dem Kommandanten gegenüber Auskunft gegeben: es scheint tatsächlich Eldo zu sein, der die ,Walter Beckett' zerstören will. Sie kennen den Grund hierfür nicht. Aber sie meinen, daß man kaum etwas dagegen tun könne. Sie schlagen vor, daß der wichtigste Teil der Besatzung der ,Walter Beckett' von ihren Schiffen aufgenommen wird." Rex Corda nickte. Das war typisch für die „Zeitlosen". „Das ist natürlich unzumutbar." Rex Corda wirbelte herum, als er das vertraute Summen hörte. Die Holografer! waren also wieder in Betrieb. Das erste, was er sah, war das zu einer wütenden Grimasse verzogene Gesicht des laktonischen Kommandanten Fatlo Bekoval. Er sprach gerade mit einem „Zeitlosen". Dabei fuchtelte er mit seinen Fäusten vor dem steinernen Gesicht des „Zeitlosen" herum. „Bekoval!" schrie Rex Corda. „Können Sie mich hören?" Der massige Kommandant wirbelte herum. „Endlich", seufzte er erleichtert. „Ich habe schon zwei Nachrichtenoffiziere nach Ihnen geschickt. Wenigstens die Holografenverbindung funktioniert. Haben Sie den Kerl gefaßt?" Dann erst sah er auf seinem kleinen Bordholografen, wo sich Rex Corda mit seinen Leuten überhaupt befand. „Wir haben nicht mehr viel Zeit",
keuchte Bekoval. „Sie müssen unbedingt den Mann erledigen und den Antrieb wieder aktivieren, Mr. President! Wir fliegen noch immer mit einem Viertel unserer AnfangsGeschwindigkeit. Offenbar wurden auch Kursveränderungen vorgenommen, denn wir stürzen genau auf jene Sonne zu." Eine schneidende Stimme riß ihm das Wort von den Lippen. Gleichzeitig verschwand das Gesicht Fatlo Bekovals von der Oberfläche des Holografen. Ein anderes Gesicht nahm seine Stelle ein. Es war die höhnische Grimasse Eldos. „In zwanzig Minuten Ihrer Zeitrechnung gibt es für Sie keine Rettung mehr. Sie werden in die Sonne hineinstürzen. Für Sie gibt es keine Hoffnung mehr. Ebenso für diese beiden Schwächlinge an Bord, die ich leider zu meiner Rasse zählen muß: Arga und Vergol. Sie waren Sklaven des ,Gehirns', wir aber werden frei sein, wir, die wir es wert sind, in völliger Freiheit — unbeschränkt von jedem moralischen Gesetz — leben zu können." „Sie können es nicht schaffen, Eldo", sagte Rex Corda beiläufig. „Sie machen sich etwas vor, wenn Sie sich einbilden, die , Walter Beckett' vernichten zu können. Wir werden die kleine Sabotagehandlung von Ihnen bald behoben haben." Der „Zeitlose" lächelte grausam. „Darüber wollen wir nicht reden. Immer wieder glauben die Primitiven, sich gegen die göttliche Gewalt der ,Zeitlosse' auflehnen zu können. Es ist vergebens." Rex Corda zog die Luft scharf ein. Jetzt hatte sich in ihm der Plan geformt. „Ich bluffe nicht, Eldo! Was Sie auch unternommen haben, Eldo: Wir sind in fünf Minuten bei Ihnen." Der „Zeitlose" lachte. „Ich habe den
Stoff getestet, aus dem diese Tore hier bestehen, vor denen Sie sich aufhalten. Er ist praktisch unzerstörbar. Die Verriegelung ist nicht zu öffnen. Verschonen Sie mich mit derart primitiven Tricks. Außerdem habe ich da noch etwas anderes." Eldo drehte sich um. Offenbar hatte er die Kamera des Holografen gedreht, denn jetzt sah man einige bewegungslose Gestalten. Rex Corda und die Soldaten um ihn erkannten den Chefingenieur Tom Sluck, den laktonischen Synoptiker Latak Decimo, ferner den Chefwissenschaftler Fan Kar Kont, und schließlich den Leutnant Dick Zelatzki. Die Körper waren verdreht, aber starr. Die Gesichter bewegten sich ebenfalls nicht, obwohl sie verzerrt waren. Nur in den Augen schien sich noch Leben zu befinden ... * „Wir müssen es versuchen!" drängte Rex Corda. Er hatte inzwischen Oberst Robin Polley instruiert. Während der Oberst sich auf das schnellste Erg-Band gestürzt hatte, waren zwei weitere Nachrichtenrobots zu den jetzt wichtigsten Abteilungen der „Walter Beckett" gestürzt. Diese Abteilungen befanden sich im untersten Stockwerk jeder Hantelkugel... Der Präsident hatte jetzt beschlossen, alles auf eine Karte zu setzen. Eldo hatte zwar die Geiseln, aber das Schicksal des terranischen Flaggschiffes hing davon ab, daß er überwältigt und der Antrieb wieder eingesetzt werden konnte. Tsati Mutara und Ralph Griffith stellten sich nebeneinander vor das riesige Portal, hinter dem Eldo sich befinden mußte. „Konzentriert euch darauf, daß der veränderte Kräftefluß im Öffnungs-
mechanismus unterbrochen wird", riet Rex Corda den beiden Energie-Mutanten. Beide, Ralph Griffith und Tsati Mutara, konnten Energieströme und Schirmfelder manipulieren. Noch kein Forscher hatte herausgefunden, wie sie das eigentlich machten. Der Neger hatte immer wieder erklärt, daß er ein Kraftfeld nur durch seine geistige Konzentration überwinden könne. Bei Ralph Griffith wußte man, daß die Ursache seiner besonderen Kräfte die BeconPlatte unter seiner Schädeldecke war... „Wir brauchten jemanden, der durch solides Metall sehen kann", murmelte Mutara. Er hatte diese Bemerkung nicht als Witz gemeint. Sie standen vor einer glatten, grauen, hohen, unüberwindlichen Wand und sollten es vollbringen, ein verborgenes Schloß, dessen Einstellung verändert war, zu zerschlagen. Konzentriert schlossen die beiden Männer die Augen. Rex Corda fühlte, wie die beiden Männer ihre mentalen Energien gegen die hohe Pforte warfen, wie sie begierig den Linien der Kraftfelder entlangstrichen, Knotenpunkte ausmachten, nach der schwachen Stelle suchten, wo eine Konzentration der geballten Energien das Schloß zersprengen mußte. Wie ein körperlicher Schmerz durchfuhr es Rex Corda. Seine empathischen Eigenschaften ließen ihn die Qual der dort drinnen eingeschlossenen Männer miterleben. Und doch konnte er keine Verbindung mit ihnen zustandebringen. Er wußte nur, daß sie lebten — und litten... Auch die geistige Anspannung der beiden Männer vor ihm setzte den Präsidenten der Erde unter Druck. Dann spürte er die Erleichterung. Jetzt erst bemerkte Rex Corda, daß er ebenfalls die Augen geschlossen hatte. Das Holografenfeld vor ihm, von dem der „Zeitlose" im Innern des Ma-
schinenraumes so kurz zuvor seine höhnischen Worte gerufen hatte, war längst wieder grau geworden. Also lenkte Eldo auch die Holografenanlagen! Verwundert blickte Rex Corda auf den Neger. „Was ist los?" „Alles okay!" nickte Tsati Mutara. Er blickte auf die Männer, die sich jetzt auf dem Erg-Band näherten. Oberst Polley hatte die Zeit genutzt und Verstärkung gebracht. Jetzt brauchten sie jeden Mann. Das Gesicht Oberst Polleys, das sich von der Anstrengung gerötet hatte, zeigte Enttäuschung. „Sie haben es also nicht geschafft, nicht wahr? — Dann nutzt es gar nichts, daß man Ihre Befehle, die ich weitergegeben habe, befolgt hat." Die Enttäuschung hatte tiefe Linien in das Gesicht des Soldaten gegraben. „Wieso nichts erreicht?" wunderte sich Ralph Griffith. „Wir warten nur auf das Zeichen zum Angriff!" „Aber ... aber!" Der Oberst deutete verwirrt auf die immer noch geschlossenen Tore. Ralph Griffith ging darauf zu. Der „Veränderte" hatte trotz seiner geringen Körpergröße unwahrscheinliche Kräfte. Auch das war eine Folge der BeconOperation. Er streckte einen Arm aus und drückte die flache Hand gegen das stumpfe Grau des Tores. Die mächtigen Portale öffneten sich! * Das „Gehirn" wand sich in namenlosen Qualen. Die meisten Verbindungswege waren jetzt abgeschnitten; es konnte sich kaum noch verständlich machen. Die Aktionen in nächster Nähe, die meist Robot-Stationen betrafen, waren unkontrolliert und
bewirkten oftmals nur das genaue Gegenteil. Und das „Gehirn" wußte das alles! Es war furchtbar, sehen zu müssen, wie die Dinge ihren verhängnisvollen Lauf nahmen, wie alles immer schneller auf die Katastrophe zusteuerte, die einen großen Teil des Raums verschlingen würde. Alle waren gegen das „Gehirn". Überall herrschte der Aufruhr. Die wenigen Getreuen schienen völlig ratlos zu sein. Qual zuckte durch das „Gehirn". Wieder wurde es von seinen unsichtbaren Peinigern angegriffen. Wieder wurde eine wichtige Verbindung lahmgelegt. Wie lange konnte es noch dauern, bis die letzten Verbindungen zur Außenwelt abgeschnitten waren? Wie lange würde es dauern, bis der Schmerz, das Bewußtsein, langsam von einem unbekannten Gegner aufgefressen zu werden, zu einem Versinken in den Abgrund des Wahnsinns führen würde? * Sie hatten kein Geräusch gemacht, aber der „Zeitlose", der eben noch mit dem Rücken zu ihnen gestanden hatte, wirbelte herum. Er hatte nicht sehen können, wie das große Portal, fast fünfzig Meter hinter seinem Rücken, geöffnet worden war. Doch er hatte die Hoffnung in den Augen seiner Gefangenen aufleuchten sehen. „Geben Sie auf, Eldo!" rief Rex Corda. Er hatte seinen Strahler schußbereit in der Armbeuge, doch diese Waffe würde ihm nichts nützen. „Geben Sie auf! Wir konnten das Tor öffnen; auch Ihre Sperren an unserem Antrieb werden uns kein Hindernis sein!" Eldo wandte seinen Kopf langsam. Er schien gelangweilt zu sein. Er blickte wieder auf den kleinen blitzenden Ge-
genstand in seiner Hand, auf dessen Oberfläche Rex Corda glaubte, eine farbige Fläche aufleuchten zu sehen. Eldo sprach ein paar Worte in das Gerät. Er schien die Eindringlinge vergessen zu haben. Rex Cordas Blick wandte sich zu den Männern, die von Eldo zu Geiseln gemacht worden waren. Sie schienen in der Luft festgeschmiedet zu sein. Manchmal lief ein krampfartiges Erschauern durch die Muskeln der Gefangenen. Die meisten standen völlig frei; Fan Kar Kont schien gegen eine Säule gelehnt, aber auch der dünne Pfeiler hätte dem massigen Laktonen keinen Halt geben können. Um Arme und Beine, besonders aber um die einzelnen Glieder, an jeder Stelle des Körpers, wo sie sich bewegen konnten, blitzten feine Lichter auf. Befriedigt sah Rex Corda auf Tsati Mutara und Ralf Griffith. Die beiden begannen, die Felder zu analysieren, die von dem „Zeitlosen" um die Körper der Gefährten gelegt worden waren. Doch würden sie es rechtzeitig schaffen? Mit gleichgültigem Gesicht steckte Eldo das kleine Gerät in die Falten seines Umhangs. „Ihr Erscheinen ist völlig sinnlos", sagte er unbeteiligt. „Selbst wenn Sie es schaffen würden, mich zu töten, steht der Kurs Ihres lächerlichen Raumschiffes fest. Er führt ins Verderben! — Trotzdem werde ich Sie jetzt töten, aber bevor Sie an die Reihe kommen, sind die Gefangenen dran. Versuchen Sie ruhig, fortzulaufen..." Eldo richtete ein anderes Gerät blitzschnell auf die Eindringlinge. Es war ein flacher Kasten, aus dessen geöffnetem Deckel einige leuchtende Spiralen herausragten. Die Spiralen bewegten sich. Plötzlich ging von ihren Spitzen ein unerträglicher Glanz aus. Die Ereignisse folgten einander so schnell, daß erst eine entschlüsselte
Holografenaufzeichnung Klarheit bringen konnte. Tsati Mutara und Ralf Griffith streckten dem „Zeitlosen" die Hände entgegen. Ein Strahlenfeld schoß auf sie zu. Schreie ertönten, darunter war ein Schrei, der nicht aus einer menschlichen Kehle stammen konnte. Im nächsten Augenblick wanden sich einige Männer am Boden. Fan Kar Kont, Latak Decimo, Dick Zelatzki und der Chefingenieur Tom Sluck schienen immer noch unter dem Einfluß der Schmerzen zu stehen. Langsam richteten sie sich auf, stöhnend und mit ungläubigen Blicken auf den „Zeitlosen"! Eldo hatte sich in einen weißen Blitz verwandelt. Schrille Schreie durchzuckten die Weite des Maschinenraums. Am Boden lag der Kasten, den Eldo zuvor in der Hand gehabt hatte. Bläuliche Flammen züngelten heraus, knisternde Funken stoben empor. Eldo war jetzt innerhalb eines schimmernden Feldes. Der „Zeitlose" rannte auf die Schalttafel zu. Mit wesentlich langsameren Schritten folgte ihm der Chefingenieur, der fassungslos vor sich hinfluchte. Eldo hatte sich jetzt mit einer blauen durchsichtigen Glocke umgeben. Diese Glocke schloß den größten Teil des Schaltpultes ein. Trotz der energetischen Wand, von der die Geschosse der Soldaten und Roboter abprallten, konnte man sein heiseres Keuchen hören. Rex Corda befahl, das Feuer einzustellen. Mit einem flüchtigen Blick überzeugte er sich davon, daß die Holografenverbindungen wieder funktionierten. Das konnte ein gutes Zeichen sein. Er sah sich um. Hinter ihm drangen immer mehr Soldaten und Maschinenmenschen durch die geöffneten Tore des Maschinenraums. Auf einen Wink
Cordas traten Tsati Mutara und Ralf Griffith vor. „Geben Sie auf, Eldo", sagte Rex Corda noch mal. „Sie erreichen damit nichts. Sie können uns nicht vernichten." Der „Zeitlose" schüttelte spöttisch den Kopf. Seine Stimme klang verzerrt. „Sie haben mich überlistet, aber das bedeutet nichts. Die ,Walter Beckett' wird sterben, und ich werde an Bord bleiben!" Alle blickten auf die beiden EnergieMutanten. Aber Mutaras Gesicht war von Schweiß glänzend. Auch Ralf Griffith schien erschöpft. Er hatte unglaubliche körperliche Kraftreserven, aber seinen mentalen Energien waren Grenzen gesetzt. Eldo hatte offenbar gesehen, was Rex Corda bemerkt hatte. „Diesmal werden Ihre Männer keine Kunststückchen mehr anfangen. Diesen Schirm hier können sie nicht durchdringen, und dieser Schirm umfaßt mich und die Steueranlagen. Es sind die einzigen Steueranlagen für die Antriebsaggregate. Die anderen sind abgeblockt worden. Vom Kommandoraum besteht keine Verbindung mehr zu diesen Aggregaten!" Rex Corda lächelte. Die Worte des „Zeitlosen" hatten ihm bewiesen, daß sie sich nicht geirrt hatten. Eldo hatte einen verhängnisvollen Fehler begangen! Aber Rex Corda hatte nicht vor, den „Zeitlosen" darauf hinzuweisen. „Sie haben jetzt nach Ihrer Zeitrechnung drei Minuten Zeit; dann befinden Sie sich im Schwerefeld einer sehr kompakten Sonne. Ich bedaure, daß ich mit Ihnen abstürzen muß, aber immerhin habe ich meinen Auftrag durchführen können!" „Welchen Auftrag, Eldo?" Die Übersetzungsgeräte übertrugen automatisch die Worte der beiden „Zeitlosen"! Arga und Vergol waren in den Maschinen-
raum getreten. Ihre flammenden Augen richteten sich auf ihren Rassenangehörigen. Dann veränderten sie die Einstellungen ihres elektronischen Dolmetschers. Ihre Worte waren nicht mehr verständlich. Verständlich aber war das brüllende Gelächter Eldos. Der „Zeitlose" in seiner Energieglocke machte sich nicht die Mühe, sein Übersetzungsgerät abzustellen. „Ihr Narren! Ich kämpfe gegen euch und euer ,Gehirn', von dem ihr euch wie Kinder gängeln laßt. Selbst diese Primitiven um euch sind selbständiger als ihr! Ich, Eldo, kämpfe im Dienst des Großen Dracko, und ich ..." Rex Corda bemerkte, daß die beiden „Zeitlosen" zusammenzuckten. Er konnte jetzt der wütend geführten Unterhaltung nicht xolgen, seine Augen hatten sich auf der großen Uhr festgesogen, die neben der Galaktischen Standard-Zeit auch die Bordzeit angab, die nach der Greenwich-Zeit auf Terra ausgerichtet war. Noch drei Minuten, hatte Eldo gesagt, und Corda zweifelte nicht an der Richtigkeit seiner Angaben. Ein Donnern erfüllte das Schiff. Der Boden schien sich emporzuwölben. Die Männer stießen überraschte Schreie aus. Es klang, als seien die Motoren der „Walter Beckett" wieder in Aktion getreten. Aber dennoch klang nicht das vertraute Summen, das sich zu einem brüllenden Orkan steigern konnte. Sondern ein rappelndes, schepperndes Geräusch, das die Luft mit quälenden Schwingungen erfüllte. Es klang, als arbeiteten zwei Antriebsaggregate innerhalb der „Walter Beckett" gegeneinander. Die Antigravitationsautomaten heulten auf, als der Hantelraumer eine gewagte Wendung beschrieb. Einen Moment schien es, als würde das Kreischen und Schrillen den ganzen
Leib auseinanderreißen, als drängen die grauenhaften Töne direkt ins Gehirn und setzten sich dort, glühenden Nadeln gleich, fest. Dann war alles vorbei. Langsam erhoben sich die Männer wieder von den Stellen, an denen sie zu Boden gesunken waren. „Sie haben etwas vergessen", sagte Rex Corda zu Eldo. „Die ,Walter Bekkett' verfügt auch über Notantriebsaggregate. Schade, daß Sie nicht daran gedacht haben. Aber Sie können uns dankbar sein; wir haben Ihnen das Leben gerettet!" Eldo schien zur Salzsäule zu erstarren. Sein Gesicht war zu einer Grimasse des Ekels verzerrt. Ekel vor sich selbst. Er hatte sich von einem Primitiven hereinlegen lassen! Wieder schrien die Männer auf, als die gigantische Energiekuppel in einer scharf zischenden Explosion verging. Von Eldo war danach keine Spur mehr zu finden. * Die „Walter Beckett" hatte die Sonne, deren sengende Strahlen schon nach ihr gegriffen hatten, längst passiert und schwang auf das Sonnensystem der „Zeitlosen" zu. Wieder war eine Versammlung im Kommandoraum einberufen worden. Ihr gehörte auch Leutnant Dick Zelatzki an. Zelatzki hatte nach seinen Verdiensten in den letzten Tagen alle Chance, in die Führungsschicht der „Walter Beckett" aufzusteigen. Jetzt saß er ruhig da und bemühte sich, einen möglichst unauffälligen Eindruck zu machen. Es war eigentlich das erste Mal, daß er sie alle zusammen sah: Den Kommandanten Fatlo Bekoval, dessen mächtige Schultern fast die Nähte seiner Uniform sprengten, den zwergenhaften Kynother Ga-Venga, der
sich selbstgefällig über den roten Brustkeil seiner enggeschnittenen Uniform strich. Die beiden „Mutanten" Tsati Mutara und Ralf Griffith, denen er seine Rettung verdankte. Nein, eigentlich verdankte er sie Rex Corda, der gleichgültig in seinem Sessel hockte und die beiden „Zeitlosen" vor sich musterte. Diesmal schien es Dick Zelatzki, als hätten diese beiden Wesen eine ganze Menge von ihrer Arroganz aufgegeben. Sie schienen mehr als verwirrt. „Sie haben trotz unserer Bedenken Ihren Rassenangehörigen Eldo in Schutz genommen, obwohl von Anfang an einige Verdachtsmomente gegen ihn sprachen. Warum das?" „Wir konnten uns einfach nicht vorstellen ..." „Vielleicht gibt es eine andere Erklärung", warf Rex Corda ein. „Zunächst hatten Sie Ihrem Freund nicht zugetraut, daß er gegen Sie handeln würde. Aber Sie wußten, daß es gefährlich war. Sie würden nur niemals einem Fremden gegenüber zugeben, daß es auch negative Charaktere innerhalb Ihrer Rasse gibt!" Die „Zeitlosen" schwiegen. Auch das war eine Antwort. „Immerhin hatten wir großes Glück!" Dick Zelatzki brauchte nicht den Kopf zu wenden, um zu erkennen, wem die laute Stimme gehörte. Fatlo Bekoval wandte sich um. „Es war tatsächlich die einzige Lösung, da die Hauptantriebsmaschinen gestoppt waren, auf die Notaggregate überzuwechseln. Wir hatten Glück, daß der Bursche nicht daran gedacht hatte, aber noch größeres Glück, daß es überhaupt funktionierte. Es hätte die inneren Bestandteile unseres schönen Schiffes in Staub zerfallen lassen können. Zumindest schwere gesundheitliche Schäden für die Besatzung..." „Aber Sie konnten es verantworten, Kommandant?" grinste Ga-Venga.
„Verdammt, ja!" Dann schüttelte Bekoval drohend die Faust gegen den kleinen Kynother, als er die schmunzelnden Gesichter um sich sah. Und dabei hatte der Laktone völlig recht, überlegte Zelatzki. Er wußte nicht sehr viel von den technischen Details der „Walter Beckett", aber Bekoval kannte das Schiff wie seine Hosentasche. Die Notantriebsaggregate waren eigentlich nur für den Fall gedacht, daß bei einer Schlacht durch einen Treffer die beiden Hälften des Raumschiffes auseinanderbrachen. Jede einzelne Kugel konnte sich dann in einem solchen Notfall bis zum nächsten Stützpunkt bewegen. Die Aggregate waren jedoch nicht miteinander gekoppelt. Der Fall, daß sie gleichzeitig in Aktion zu setzen waren, war bisher noch nicht vorgekommen. Man hatte die verschiedenen Kräfte bis auf kleine Störfelder ausgleichen können. Das Schrillen und Kreischen, das Pulsieren und Scheppern hatte nur in den Augenblicken der stärksten Belastung das Schiff erfüllt. Im übrigen konnte Kommandant Fatlo Bekoval stolz auf seine Leistung sein. Jetzt flog das Schiff wieder mit normalem Antrieb. Die Sperren, die der „Zeitlose" Eldo errichtet hatte, waren mit Hilfe von Arga und Vergol schnell beseitigt worden. Aber Zelatzki wagte nicht daran zu denken, was geschehen wäre, wenn sie nicht zwei Mutanten an Bord hätten, die mit Energiefeldern umgingen, als seien es Hebel oder Knöpfe. Bewundernd starrte der Leutnant die beiden an. Tsati Mutara bemerkte den Blick und grinste dem Leutnant zu. Latak Decimo unterhielt sich gerade mit Fan Kar Kont über das Verschwinden des „Zeitlosen". „Wie kann sich sein Körper in Luft auflösen?" fragte er Vergol. „Sein Tod kann doch nicht eine sofortige Auflösung zur Folge gehabt haben — oder?"
Der „Zeitlose" sah ihn verblüfft an. „Tod?" wiederholte er langsam. „Eldo ist nicht tot! Er befindet sich nur nicht mehr an Bord der ,Walter Beckett'!" Eine Frage an die begleitende Eskorte ergab, daß eines der Begleitschiffe aus der Flotte der „Zeitlosen" mit Höchstbeschleunigung auf den Planeten zusteure. Dick Zelatzki nickte unwillkürlich, als sich Rex Corda in scharfem Ton an die beiden „Zeitlosen" wandte: „Und das haben Sie alles gewußt? Sie haben geahnt, daß Eldo uns gefährlich werden könnte? Sie wußten, daß er nicht zu töten war? Ihr Verhalten ist wirklich schwer verständlich!" Beide „Zeitlosen" schüttelten mit dem Kopf. Die gemusterten Augenlider leuchteten auf. Auch die perlmutterähnlichen Gebilde, die ihnen an Stelle von Ohren seitlich am Kopf saßen, schienen aufzuglühen. — Ein Zeichen von Erregung? „Wie können wir Ihrem ,Gehirn' helfen, wenn wir von Ihnen keine Hilfe bekommen, sondern behindert werden! Wie stellen Sie sich das vor?" Langsam neigten die „Zeitlosen" den Kopf. Sie schienen einen Entschluß gefaßt zu haben. „Diese Situation ist neuartig für uns", bekannte Vergol langsam. „Wir haben Befehle bekommen, die sich indirekt gegen Vertreter meiner Rasse richten. Diese Befehle begünstigen aber eine Rasse, die für unsere Begriffe uns nicht nur technisch weit unterlegen ist." „Werden Sie uns helfen?" Rex Corda formulierte seine Frage diesmal anders. Die „Zeitlosen" hoben den Kopf. „Ja", sagten sie gemeinsam. „Mit, aller Kraft." „Bei manchen dauert es eben länger", konnte sich Ga-Venga nicht verkneifen zu bemerken. Dick Zelatzki mußte sich zusammenreißen, daß er nicht laut herauslachte. An den seltsam verzogenen Gesichtern der anderen sah er, daß es
ihnen ähnlich gehen mußte. „Ruhe, Ga-Venga!" knurrte Fatlo Bekoval undeutlich. Die Kinnmuskeln des Kommandanten zuckten. Sein Gesicht war dunkel angelaufen. * Das riesige Gewölbe war mit schimmernden Stoffen verkleidet. Von allen Seiten liefen sternförmig blitzende Röhren auf das Gewölbe zu. Die Wände waren von Computerbänken und riesigen Bildschirmen, von Robotlaboratorien und zahllosen Skalen angefüllt. In der Mitte des Gewölbes rollte eine verwachsene kugelförmige Gestalt wütend vor den Beinen eines hochgewachsenen „Zeitlosen" hin und her. Verkan, der Adjutant des Großen Dracko, fühlte sich unbehaglicher denn je. Soeben hatte er das Versagen Eldos deutlich miterlebt. Er wußte, daß der Befehl Drackos, daß Eldo sofort hier erscheinen solle, eine tödliche Drohung barg. Eldo hatte versagt, und damit war sein Leben nichts mehr wert. „Vielleicht hat das ,Gehirn' direkt diese Primitiven geschützt", wagte Verkan zu bemerken. „Anders kann ich mir nicht vorstellen, wie Eldo hatte versagen können. Er ist unser bester Mann." Der Große Dracko fuhr ihn mit einer derartigen Wut an, daß Verkan erschrocken ein paar Schritte zurückwich. „Er ist nichts wert", fauchte die Stimme, die aus der Mitte der verwachsenen Kugel zu kommen schien. „Ich weiß genau, daß das ,Gehirn' zu einer solchen Aktion keine Macht mehr hat. Eldo hat einen großen Fehler gemacht. Er hat diese Primitiven unterschätzt. Damit hat er seine Unfähigkeit bewiesen!" „Was wird aus ihm?" fragte Verkan, obwohl er wußte, wie gefährlich seine Frage war. Glühende Augen starrten ihn
an. „Du wirst neugierig, Verkan. Ich werde bald einen neuen Adjutanten benötigen. Ich brauche Rohstoffe. Auch Eldo wird seine Verwendung finden ..." Verkan verstand die rätselhaften Worte nicht. Er war für die lange Lebensdauer seiner Rasse noch verhältnismäßig jung — nach irdischer Zeitrechnung einige hundert Jahre. Er ahnte, daß er sich hier in ein Abenteuer eingelassen hatte, das für ihn verhängnisvoll ausgehen konnte. Seine Augenlider flammten wieder einmal vor Entsetzen auf, als er den kugelförmigen Körper zu den Robotsteuerungen der Labors rollen sah. Der Große Dracko, der als genialster Forscher seiner Rasse galt, ließ sich auf einer Hebebühne nieder, die eigens für seine Maße zurechtgeschnitten war. Langsam glitt er in die Höhe. Ein Energiemantel legte sich um die gesamte Plattform. Verkan konnte sehen, wie sich durch die Energiewand hindurch die einzelnen Kabel und Verbindungen zum Kopf des Drackos wanden, der jetzt wie eine Beule aus dem Kugelkörper hervorragte. Diese Beule wurde von bunten Tentakeln bedeckt. Sie lieferten ihm die Ergebnisse von Mikroskopen, ließen nach seinen Angaben Hochleistungscomputer arbeiten und vermittelten ihm sofort die Ergebnisse. Wie eine riesige Spinne in ihrem Netz bewegte sich Dracko auf seiner Plattform, die so hoch über dem Boden schwebte, daß Verkan sie mit den ausgestreckten Händen nicht erreichen konnte. Er wußte nicht genau, woran Dracko arbeitete. Es mußten Parasiten sein, die er züchtete. Das jedenfalls glaubte Verkan aus Andeutungen herausgehört zu haben. Doch Verkan war nicht neugierig auf die Dinge, mit denen sich der Große Dracko beschäftigte. Nicht mehr, seit er erkannt hatte, daß das verwachsene Genie wahnsinnig war.
Verkan schrak zusammen, als die Plattform auf ihn zuschwebte. Die Scheibe senkte sich, und Dracko rollte heraus. Seine knarrende Stimme hatte einen schrillen Unterton, wie immer, wenn sich Dracko eines Erfolges sicher glaubte. Verkan blickte sich um. Der Raum schimmerte in einem helleren Licht. Durch eine der Röhren kam eine Gestalt. Eldo konnte es noch nicht sein — dann erkannte ihn Verkan. Es war einer der Wächter des „Gehirns". Der Große Dracko winkte ihn zu sich; dazu kam ein winziger Kinderarm aus der verwachsenen Kugel hervor, an dem eine dreifingrige gefleckte Hand seltsame Bewegungen vollführte. Der Wächter kam näher. Verkan sah ihn ungläubig an. Er hatte es geahnt, daß Dracko mit der Gefährdung des „Gehirns" zusammenhing, aber jetzt erst hatte er die Bestätigung. Der Wächter kam auf Dracko zu. Seine Augenlider strahlten zum Gruß auf. Verkan nahm er nicht zur Kenntnis. Der Große Dracko betätigte eine Schaltung. Ein Summen erfüllte den Raum. An einer Seitentür, neben dem Robotlabor, öffnete sich ein kleines Segment. Ein winziger Wagen rollte heran — über einer Platte in Höhe eines niedrigen Tisches wölbte sich ein kleines Kraftfeld, unter dem ein Gefäß ruhte, das von einer rötlichen Flüssigkeit angefüllt war. Gegen seinen Willen sah Verkan näher auf dieses Gefäß, das trotz des Schutzschirms deutlich zu erkennen war. Dann zuckte er entsetzt zurück. Diese Flüssigkeit lebte? Der Wächter des „Gehirns" betätigte eine Schaltung an der Seite des Wagens. Während das Kraftfeld verblaßte, griff er nach dem Gefäß und nahm es an sich. Schaudernd bemerkte Verkan, wie er es unter den Falten seines Umhangs
verbarg. Ein Wächter des „Gehirns", der von dem Großen Dracko etwas annahm! Das konnte nur eines bedeuten: Diese Masse in dem Behälter, die Verkan so seltsam lebendig erschienen war, mußte für das „Gehirn" tödlich sein! * „Noch eines", sagte Rex Corda. „Wer ist der Große Dracko?" Die „Zeitlosen" zuckten zusammen. Endlich ergriff Vergol das Wort. „Eldo hat den Mann erwähnt, dessen Namen wir nicht kennen. Wir wollen nicht von ihm sprechen." „Der Mann, dessen Namen Sie nicht kennen...", wiederholte Rex Corda. „Handelt es sich um einen Angehörigen Ihrer Rasse?" Die „Zeitlosen" nickten zustimmend. „Sie wollen seinen Namen nicht wissen?" Wieder ein Nicken. Dann brach es aus Vergol heraus. „Er ist der größte Feind unserer Rasse. Wir vermuten, daß er zum Teil die Schuld an dem Versagen des ,Gehirns' trägt!" „Ein Konkurrenzunternehmen", bemerkte Ga-Venga erklärend. „Er hat seine Leute überall. Eldo scheint auch zu ihnen zu gehören ..." „Wo befindet sich dieser Dracko?" fragte Rex Corda. Er blickte auf, als das Gellen der Masse-Orter das kurze Schweigen zerriß. „Landung wird eingeleitet", meldete sich die kühle Stimme Latak Decimos vom Pilotensessel her. „Gehen in einen Orbit." Auf dem Holografen zeichnete sich deutlich ein riesiger Planet ab. Er mußte dreimal so groß wie die Erde sein, doch die Masse-Orter meldeten, daß seine Schwerkraft keineswegs höher sei als l g war.
Der Planet schimmerte im Licht einer nahen Sonne wie ein riesiges Juwel. Die ganze Oberfläche war — mit Ausnahme einiger kleiner Inseln — von Wasser bedeckt. Es war ein atemberaubend schönes Bild. „Wo befindet sich dieser Dracko?" fragte Rex Corda noch einmal. Der „Zeitlose" neben ihm deutete mit seinen schlanken Händen auf den Holografen. „Dort unten", ,sagte er mit seiner schallenden Stimme. Jetzt war keine Zeit, darüber nachzudenken, warum die „Zeitlosen" wahrscheinlich ihren schlimmsten Feind auf ihrem eigenen Planeten sitzen ließen. Jetzt mußte die Landung vorbereitet werden. „Astronomische Abteilung an Zentrale", meldete sich Mt. Pater Bostik. Der Mutant besaß die erstaunliche Fähigkeit, ohne Zuhilfenahme eines Spektroskops die Spektrallinien eines Sterns oder eines Elements sehen zu können. „Ja, Pater?" meldete sich Fatlo Bekoval. „Hier Zentrale." „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll", die Stimme Bostiks klang verwirrt, „das da unten ist kein Wasser!" Bekoval lachte. „Lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen, dann ist es eben eine andere Flüssigkeit. Stellen Sie doch eine Analyse!" „Das habe ich schon getan. Es gibt keine Flüssigkeit, die aus diesen Elementen besteht!" „Was?" Bekoval zog scharf die Luft ein. „Was wollen Sie damit sagen?" „Was wir da unten sehen, sollte es eigentlich nicht geben. Das Zeug sieht vielleicht so aus wie Wasser und schmeckt sicher auch wie Wasser — ich aber halte es für einen zusammengebrochenen Energieschirm." „Danke, Pater, das genügt für den Augenblick! Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun!"
Der Kommandant unterbrach die Verbindung zur astronomischen Abteilung. Dann wandte er sich um und sah die Blicke der anderen. Sie waren auf die beiden „Zeitlosen" gerichtet, deren Gesichter verfallen wirkten. „Dann stimmt das also?" flüsterte Fatlo Bekoval. Rex Corda nickte. Offenbar müssen wir uns beeilen, wenn wir tatsächlich Hilfe bringen wollen. Dieser Planet hat kein Schutzfeld mehr. — Was halten Sie von der Situation, Vergol?" Die Stimme des „Zeitlosen" schien einiges von ihrer früheren Kraft eingebüßt zu haben. „Ich wüßte nicht, was wir tun könnten. Aber das ,Gehirn' hat schnellste Landung befohlen. Vielleicht wird es sich mit Ihnen in Verbindung setzen." „Gut. Wir müssen uns auf Sie verlassen. Sagen Sie uns, wie wir zum ,Gehirn' kommen! Wo befindet sich überhaupt die ganze Anlage?" Vergol starrte auf die Wasseroberfläche. „Im Zentrum des Planeten", sagte er endlich. * Der riesige Hantelraumer schwebte über der leuchtenden Wasserfläche. Die beiden „Zeitlosen" an Bord hatten es — durch Vermittlung der sie eskortierenden Raumschiffe — erreicht, daß ihnen die genauen Koordinaten durchgegeben wurden. Die Art, wie das geschehen war, sprach davon, welche Verwirrung im Innern dieses Planeten herrschen mußte. Auf den Holografenbildern schwankten die Gestalten seltsam hin und her. Roboter stampften wie urwelthafte Ungeheuer im Hintergrund durch das Bild, einmal zuckte ein hellgleißender Strahl auf... Rex Corda stellte die Landungsmann-
schaft zusammen. Natürlich war es Fatlo Bekoval gar nicht recht, daß er als Kommandant der „Walter Beckett" an Bord bleiben mußte. Rex Corda, Ralf Griffith und Fan Kar Kont kletterten in ihre Raumanzüge, als der Präsident auf Leutnant Zelatzki blickte. „Leutnant! Sie kommen auch mit! Lassen Sie sich einen Raumanzug geben!" Ein leises Schwanken ließ die Männer taumeln. Die Antigravitationsautomaten waren außer Betrieb. Es war sinnlos, weitere Energiemengen dafür zu verschwenden. Die Gravitation des Planeten war nicht höher als die der Erde. Langsam sank die „Walter Beckett" in die Tiefe. Die Außenkameras zeigten, daß die pyramidenförmigen Raumschiffe der „Zeitlosen", die sie bisher eskortiert hatten, ebenfalls in die Tiefe sanken. Mt. Pater Bostik hatte recht gehabt. Das war kein Wasser. Es war auch kein Ozean, in den sie hinabsanken. Nachdem sie einen Kilometer hinabgetaucht waren, schimmerte diese Flüssigkeit ebenso klar und hell wie einen Meter unter der Oberfläche. „Kommen Sie", sagte der „Zeitlose", der sich Vergol nannte. „Wir werden jeden Moment den Eingang erreicht haben." „Warum kann die ,Walter Beckett' nicht eingeschleust werden?" erkundigte sich Fatlo Bekoval gereizt. Der andere „Zeitlose" schüttelte den schmalen, hohen Schädel. „Das ist unmöglich. Kommen Sie, Rex Corda! Sie haben Ihre Mannschaft zusammen?" Rex Corda nickte. Bevor er sich dem Ausgang zuwandte, beugte er sich zum Bordholografen. „Rex Corda an Oberst Polley. Oberst Polley, bitte melden!" Auf dem Holografen erschien Oberst Polleys zerzauster rötlicher Haarschopf.
Als er Rex Corda im Raumanzug sah, wollte er schon seinen Mund öffnen, aber der Präsident schnitt ihm das Wort ab. „Falls Sie Ihren Leutnant Zelatzki suchen sollten, Oberst — er bricht mit uns zusammen zum Zentrum des Planeten auf." Oberst Polleys Gesicht wurde blaß. „Was soll das bedeuten, Mr. Corda!" rief er. „Ich habe hier zwei Einheiten meiner Elitetruppen marschbereit stehen. In voller Ausrüstung. Sie können sofort mit Ihnen das Schiff verlassen!" „Besten Dank, Oberst", lächelte Rex Corda. „Aber wir können nicht mit einer Unmenge von Leuten diesen Planeten überschwemmen. Die ,Zeitlosen' sagten mir, daß das ,Gehirn' sogar die Bitte ausgesprochen habe, daß nur ein kleineres Fahrzeug in der Größe eines Gleiters in das Innere des Planeten gelassen würde." „Ich muß aufs schärfste protestieren", rief Oberst Polley, dessen Gesicht inzwischen eine gefährlich rote Farbe angenommen hatte. „Tut mir leid, Oberst", sagte Rex Corda und unterbrach die Verbindung. Er hatte einen guten Grund, nur mit möglichst wenig Leuten aufzubrechen. Sie hatten bisher einige eindrucksvolle Demonstrationen der technischen Hilfsmittel dieser Rasse der „Zeitlosen" vorgeführt bekommen. Zweifellos waren sie wirklich in der Lage, die „Walter Beckett" zu vernichten. Einmal war einem Agenten der Gegenseite des „Gehirns" dieser Versuch mißlungen. Das bedeutete aber nicht, daß es dem geschwächten „Gehirn" nicht gelingen konnte. Sie würden auch wesentlich unauffälliger vorgehen können, wenn sie auf Soldaten und Kampfroboter verzichteten. Auf eine starke Bewaffnung aller-
dings konnten sie nicht verzichten. Gemeinsam mit den beiden „Zeitlosen" glitten Rex Corda und seine kleine Mannschaft zur Hangarschleuse. Sie trugen Raumanzüge und waren bis an die Zähne bewaffnet. Rex Corda lief jetzt fast. Er ahnte, daß jede Sekunde kostbar war. Wie kam er darauf? Und warum war er tatsächlich nur mit einer so kleinen Mannschaft aufgebrochen? Er hatte seine Gründe genannt, aber er hatte das Gefühl, daß man sich seiner Meinung nicht anschließen wollte. Keiner hatte ihm widersprochen, weil es auch kein vernünftiges Argument dagegen gab. Handelte er unter Beeinflussung? Rex Corda sprang aus dem Gravoschacht und blickte um sich. Hinter ihm segelte Ralf Griffith in einem hohen Bogen aus der Öffnung. Leutnant Zelatzki kletterte schwerfällig hinaus. Fan Kar Kont drängte sich an ihm vorbei. Hatte er noch jemanden vergessen? Ein seltsames Gefühl überfiel Rex Corda, als er die beiden „Zeitlosen" ansah, die trotz ihrer Länge elastisch aus dem Schacht traten. Irgend etwas stimmte an dieser Situation nicht! * Während das „Gehirn" immer wieder von Schmerzen überflutet wurde, kamen von allen Seiten die Meldungen. Bilder waren verzerrt, Akustikübertragungen gestört. Die ganze Kommunikationsanlage war erschüttert. Die fehlerhaften Meldungen häuften sich. Immer wieder riß sich das „Gehirn" mit eiserner Energie zusammen. Es kannte jetzt seinen Feind, aber es konnte nichts gegen ihn unternehmen. Es hatte alles versucht. Vor wenigen Augenblicken hatte es
mit ansehen müssen, wie die letzte Robotertruppe, die noch seinem Befehl unterstand, durch fehlerhafte Kommunikation aufgerieben wurde. Dazu kamen die Roboter seines Widersachers. Aber noch etwas gab es, etwas, woran sich das „Gehirn" mit letzter Hoffnung klammerte. Es hatte nur in einer Ahnung gehandelt, als es das Schiff jener Eindringlinge zu sich befohlen hatte. Schon früher hatte das „Gehirn" Aktionen dieses Schiffes verfolgt, wie es die Tausende von Schiffen, zu gleicher Zeit verfolgte. Die wichtigsten Botschaften aus allen Teilen der Galaxis liefen in dem „Gehirn" zusammen. Unglaubliches Wissen hatte sich hier angesammelt, und doch konnte es nichts gegen seine Feinde auf seiner eigenen Welt tun. Diese Fremdlinge ... Es gab noch andere Methoden der Beeinflussung, als Befehle und Anordnungen weiterzugeben. Das „Gehirn" war fest entschlossen, von allen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Es ging um die Existenz eines großen Teils der Galaxis. * „Mr. Corda!" Rex Corda hielt an. Hinter ihm blieben seine Begleiter ebenfalls stehen. Die „Zeitlosen" zeigten deutliche Anzeichen von Ungeduld. Das Trampeln von schweren Stiefeln ließ den Hangarboden erdröhnen. Oberst Robin Polley näherte sich mit einer geschlossen marschierenden Kolonne von Soldaten. „Mr. Corda, ich kann es nicht verantworten!" In den Augen Oberst Polleys stand echte Sorge. „Wir haben eine ausgezeichnete Truppe. Wir können Ihnen helfen! Sie kennen diesen Planeten
nicht..." „Ich dachte, ich hätte mich klar genug ausgedrückt, Oberst!" Oberst Polley nahm Haltung an. Sein Gesicht wurde eisig. Die Worte kamen Rex Corda wie von selbst über die Lippen. „Ich brauche Sie nicht, verstehen Sie?" „Ich habe verstanden, Mr. Corda!" Oberst Polley ließ seine Truppe umkehren. Dann drehte er sich noch einmal um. „Viel Glück!" „Danke." Wieder hatte Rex Corda das seltsame Gefühl. Er wollte seine Begleiter fragen, ob auch sie die Situation so merkwürdig fänden, doch dann unterließ er es achselzuckend. Zusammen schritten sie auf einen der größeren Gleiter zu, der auch unter Wasser manövrierfähig war. Wie Marionetten kletterten sie die Leiter empor, die sie zu der verschlossenen Einstiegsluke führte. Rex Corda betrat den Gleiter als erster. Er zuckte zurück. „So ein Zufall", krähte Ga-Venga. „Vielleicht brauchen Sie einen guten Piloten?" erkundigte sich Latak Decimo höflich. Es war Rex Corda unerklärlich, wie die beiden es geschafft hatten, vor ihm in den großen Gleiter zu gelangen, aber irgendwie war er erleichtert, den Laktonen und den kleinen Kynother bei sich zu haben. Er stellte die Verbindung zur Kommandozentrale her. „Gleiter K 41 an Kommandozentrale. Wir starten." „Sind Sie sicher, daß Sie keine militärische Unterstützung brauchen?" fragte Fatlo Bekoval besorgt. „Eben hat Oberst Polley Bericht erstattet." „Besten Dank!" Rex Corda schüttelte
den Kopf. „Unsere Gründe sind bekannt. Wir müssen es ganz klein machen. Jedes Aufsehen muß vermieden werden. Übrigens haben sich noch GaVenga und Latak Decimo angeschlossen!" Über das breite Gesicht des Kommandanten huschte ein Grinsen. Er hatte also davon gewußt, dachte Rex Corda. „Ausschleusen!" befahl er. Fatlo Bekoval nickte. Der Gleiter schob sich vorwärts, erhob sich einen Meter über den glatten Hangarboden und manövrierte langsam auf die eigentliche Schleuse zu. Sobald der Gleiter eine Markierung überquert hatte, geschah das Ausschleusen automatisch. Die Zentrale hatte nur die Funktion der Überwachung. Hohe Schleusentore öffneten sich vor ihnen. Ein Transportfeld schob den Gleiter vorwärts und ließ ihn im Innern der Schleuse verharren. Während sich hinter ihnen das Schott schloß, strömte vor ihnen das Wasser ein. Die Männer im Innern des Gleiters hatten den Raumhelm zurückgeklappt. In Gefahrenmomenten konnten die Helme sofort geschlossen werden. Langsam stieg das Wasser — oder jene Substanz, die wie Wasser aussah. Es kletterte an den Scheiben empor, dann verschwand die Wasserlinie. Augenblik-ke später war die Schleuse gefüllt. Der Gleiter wurde durch die sich öffnenden vorderen Schleusentore aus der „Walter Beckett" herausgeschoben. Er verharrte bewegungslos in der klaren Substanz, immer noch von einem Leitfeld gehalten, dann betätigte Latak Decimo an den Kontrollen die elektronische Ausklinkung. Langsam sank der Gleiter dem Boden entgegen, der durch ein Beobachtungsfenster zwischen den Vordersitzen erkennbar war.
Rex Corda warf einen kurzen Blick auf die beiden „Zeitlosen". Sie starrten schweigend vor sich hin. Wieder standen bunte glitzernde Tropfen auf ihren hohen Stirnen. Die asketischen Gesichter waren wie aus Granit gemeißelt. Achselzuckend wandte er sich ab. Aber auch die anderen aus der Besatzung des kleinen Gleiters schienen die Besonderheit der Situation zu spüren. Selbst Ga-Venga gab keinen Laut von sich. Sie erwarteten, daß jeden Augenblick unter ihnen eine Bombe losging oder daß sich angreifende Robot-Stationen auf sie warfen. Nichts geschah. Es war schlimmer als ein Kampf. Die Lautlosigkeit zerrte an den Nerven. Die Männer zuckten zusammen, als ein lautes pfeifendes Signal innerhalb der Kabine ertönte. Gleichzeitig verkündete ein Ruck, daß sie auf der Oberfläche dieser seltsamen Welt gelandet waren. Wieder ertönte das Pfeifen. Die „Zeitlosen" bewegten sich. Vergol holte aus den Falten seines Umhangs ein kleines, glitzerndes Gerät hervor. Es schien aus vielen Diamanten zusammengesetzt zu sein. Wieder erfüllte das Pfeifen die Kabine. Es kam aus dem kleinen Gerät. Ein Licht blitzte am Rande der Kristalle auf. „Manövrieren Sie Ihren Gleiter noch weiter vor", sagte Vergol. „Wir müssen uns genau im Zentrum der Schleuse befinden, um in einem Stück nach unten zu gelangen." Während Latak Decimo den Gleiter langsam auf dem felsigen Boden der Welt vorwärtsschob, huschte ein Grinsen über das Gesicht Ga-Vengas. Mit einer gezierten Gebärde strich sich der kleine Kynother über den blauen Bakkenbart. „Ich wußte noch gar nicht, daß Sie auch witzig sein können, meine Herren!"
Die „Zeitlosen" verzichteten auf eine Antwort. Wieder ertönte der lange Ton. Auf dem kristallähnlichen Gebilde wanderte das Licht der Mitte zu. Vergol deutete schweigend nach rechts. Latak Decimo manövrierte den Gleiter in die angegebene Richtung. Plötzlich wurden sie von den Sitzen gerissen. Der Gleiter schien einen heftigen Satz nach unten zu machen. Sie fielen in bodenlose Tiefen! Ga-Venga stieß einen Schrei aus, als sein Kopf gegen die gepolsterte Decke des Gleiters prallte. Sie fielen! An den Seitenfenstern huschten Lichter vorbei. Bewegungen tauchten auf. Quer unter ihnen huschte ein sengender Blitz durch den dunklen Schacht. Vielleicht war der Einschleusungsmechanismus defekt! — schoß es Rex Corda durch den Kopf. Latak Decimo hatte den gleichen Gedanken gehabt. Er hatte sich in seinem Sessel hochgestemmt, die Füße unterhalb des Armaturenbretts gestellt, so daß er von den Erschütterungen nicht von seinem Sitz geschleudert werden konnte. Die schlanken Finger des laktonischen Synoptikers huschten über die Kontrollen. Der Gleiter zuckte, warf sich herum wie ein verwundetes Tier, aber er kam nicht frei. Der wirbelnde Sturz dauerte an. Plötzlich war alles zu Ende. Sie hatten das Gefühl, in Watte zu fallen. Der Sturz wurde gedämpft. Lichter, die vorher zuckende Striche gewesen waren, glitten langsam vorüber. Dann kam der Gleiter zum Stillstand. Sie befanden sich in einem hohen Raum, dessen Decke gleichmäßig gewölbt war. Wie ein zweiter Sternenhimmel standen dort unzählige Lichter. Zögernd richteten sich die „Zeitlosen" auf. Ihre Gesichter waren ver-
schlossen. „Steigen Sie aus", sagte Vergol. „Sie werden hier erwartet!" Rex Corda gab den Befehl, die Raumhelme zu schließen und die Sprechverbindung einzuschalten. Die „Zeitlosen" schüttelten den Kopf und bedeuteten ihnen, daß diese Maßnahme unnötig sei, doch Rex Corda kümmerte sich nicht darum. Langsam, mit den Waffen in der Hand, stiegen sie aus dem Gleiter. Zu ihrer Überraschung war das Fahrzeug völlig trocken. Eine zweite Überraschung stellte sich ein, als sie bemerkten, daß sie keinen Schatten bildeten. Die Ursache dafür war bald erkannt: Die zahllosen Leuchtquellen boten ein derart diffuses Licht, daß sich keine Schatten bilden konnten. Langsam sahen sie sich um. Nach einigen Minuten wurdeh sie ungeduldig. „Ein ziemlich unhöflicher Verein!" beschwerte sich Ga-Venga. „Sagen Sie mal, Vergol..." Er brach mit einem Schrei ab. Die „Zeitlosen" befanden sich nicht mehr in der Halle. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt. Langsam dämmerte es ihnen, daß sie in die Falle gegangen waren. Hatten Arga und Vergol davon gewußt? „Los, zurück in den Gleiter!" befahl Rex Corda. Alles war besser, als in der Mitte der Halle sich wie auf einem Präsentierteller darzubieten. Doch zur Ausführung des Befehls kam es nicht mehr. „Hinwerfen!" brüllte Fan Kar Kont. Über ihre Köpfe zischte ein sengender Strahl hinweg. Im Fallen feuerte Rex Corda. Auch Leutnant Dick Zelatzki neben ihm riß seinen Strahler durch. Ein Teil der schon vom Boden leicht geneigten Wand färbte sich dunkel. Lichtquellen flackerten und verlöschten. Der Gleiter vor ihnen wurde von einem Geschoß
getroffen und schlidderte quietschend mehrere Meter über den glatten Boden der Halle. In unmöglichem Zickzack raste ein leuchtendes Etwas ihnen entgegen. Es handelte sich um eine Walze, aus deren vorderem Ende drei lange Stacheln ragten. Ein Donnern erfüllte die Halle, als sich eine leuchtende Blase von einer der Stacheln erhob und in der Luft zerplatzte. „Eine Robot-Kanone!" stieß Latak Decimo hervor. Sie rannten zurück, als sich vor ihnen drei weitere dieser seltsamen Geschütze heranschoben. Sie boten einen erstaunlichen Anblick, als sie auf der Stelle verharrten und einen verrückten Tanz um sich selbst herum anstellten. Dabei lösten sich weitere der schillernden Energieblasen und zerplatzten mit krachenden Detonationen. Die Robotgeschütze beschossen sich gegenseitig! Eines von ihnen machte einen Ausfall und raste auf die Männer zu, die fast an einer der geneigten Wände angelangt waren. Rex Corda, Latak Decimo und Dick Zelatzki feuerten auf den Angreifer. GaVenga und Fan Kar Kont waren kurz zuvor zu Boden gestürzt und standen schwankend auf. Rex Corda riß die Waffe hinunter, als Ralf Griffith vor ihn sprang und auf die sich nähernde Maschine zurannte. Er hatte in jeder Faust einen schweren Strahler und feuerte auf die Kanone, die wie ein Tier Haken schlug. Wieder empfand Rex Corda das Unwirkliche der Situation. In der Halle, deren kreisrunde Grundfläche einen Durchmesser von zweihundert Metern haben mochte, befanden sich jetzt sieben der zylindrischen Kobotgeschütze. Zwei davon feuerten auf den total deformierten Gleiter und trie-
ben ihn quer durch die Halle. Vier kreisten im Zentrum der Halle umeinander und feuerten wahllos die explodierenden Leuchtkugeln in die Luft. Vor ihnen führte Ralf Griffith einen seltsamen Tanz auf. Der „Veränderte" war gegen die Energieentladungen immun, zwei der leuchtenden Kugeln waren bereits auf seiner Brust zerplatzt. Rex Corda zweifelte keinen Moment daran, daß sie bei einem wirklichen Angriff jener Maschinengeschütze keine Chance hatten. Und dann würde ihnen auch die Gegenwart Ralf Griffiths nichts mehr nützen. Auch seine Kraft hatte Grenzen. Rex Corda spürte, daß hier zwei Giganten um die Herrschaft der Maschinen rangen. Jede Aktion hatte sofort eine Reaktion zur Folge. Die Geschütze, von denen ein wirklicher Troffer genügt hätte, sie zu vernichten, rasten auf sie zu, um dann ebenso plötzlich wieder zurückzuweichen. Oder aber, ein anderes Geschütz warf das nächststehende mit einer Explosivkugel zur Seite. Ein sengender Lichtblitz ließ die Männer geblendet die Augen schließen. In ihren Helmen dröhnte das triumphierende Gelächter Ralf Griffiths. Dem „Veränderten" war es gelungen, die ihm gegenüberstehende Kanone aktionsunfähig zu machen. Er hatte aus nächster Nähe eine der Explosivkugeln von seinem unangreifbaren Körper zurückprallen lassen. Im nächsten Augenblick war die Hölle los. Überall an der Wand öffneten sich Segmente. Maschinen quollen heraus. Winzige Mechanismen krochen über den Fußboden, um sich in einer leuchtenden Feuersäule aufzulösen — ein turmhoher Maschinengigant stand plötzlich mitten in der Halle und ließ eine Flut von Granaten los, die von ebenso plötzlich auftauchenden
Flugobjekten aufgefangen und neutralisiert wurden. Jede Bewegung, jede Abwehr wäre hier sinnlos gewesen. Das begriff auch Ralf Griffith. Er eilte zurück. In seinen Augen stand die Verzweiflung. Um die Gruppe der Männer zischten Bruchstücke der Geschosse, meistens als harmlose Querschläger, die von den Panzerungen der Raumanzüge aufgefangen wurden. Als vor ihnen eine Lichtbombe zu Boden ging, traten sie instinktiv einen Schritt zurück. Ein Sog packte sie. Ein flimmerndes Strahlenfeld umhüllte sie und hielt sie mit eisernen Klammern. Sie fielen, ein nicht enden wollender Sturz. Abgerissene Schreie. Dunkelheit, Vergessen. * Er wurde von plötzlicher Klarheit überfallen. Alles war jetzt verständlich, kindisch einfach, von einer völlig einleuchtenden Logik. Rex Corda fiel — und sah zugleich seinen Körper fallen. Er wußte, daß er mit seinen empathischen Fähigkeiten die Stimme eines Wesen empfing, aber er hatte keine Angst. Dieses Wesen war nicht schlecht. Es präsentierte Tatsachen, und diese Tatsachen waren einleuchtend und zwangen zu Handlungen. Gewalt war erforderlich, aber es war eine heilsame Gewalt... * Der Große Dracko hatte zu seinem Vernichtungsschlag angesetzt. Jetzt wußte er, daß er — ebenso wie Eldo — die Primitiven falsch eingeschätzt hatte. Ein knarrendes Lachen erfüllte den hohen Raum, in dem sich Dutzende seiner Getreuen befanden. Der Große Dracko entsann sich El-
dos — oder dessen, was von Eldo übriggeblieben war. Ein Impuls an einer Schalttafel ließ einen Spezialroboter hereinrollen. Der schwarze würfelförmige Roboter kam aus einem Segment zwischen den durchsichtigen Prallfeldröhren. Die Röhren kamen von allen Richtungen aus der kuppeiförmigen Decke, Schächte, aus denen sich plötzlich „Zeitlose" materialisierten, um den vom Großen Dracko befohlenen Platz einzunehmen. Mit starren Augen beobachtete Verkan, der Adjutant des verwachsenen „Zeitlosen", wie sich eine Klappe an der Frontseite des schwarzen Automaten öffnete. Ein Sogfeld erfaßte die zusammengekrümmte, schwärzlich verkohlte Gestalt. Dann waren die grauenerregenden Überreste Eldos verschwunden. Ein Werkzeug des Großen Dracko hatte seine Pflicht nicht erfüllt — und seine Strafe erhalten! Verkan erinnerte sich mit schmerzhafter Deutlichkeit an die Hinrichtung. Eldo war erschienen und hatte Bericht erstattet. Seine Erfolglosigkeit mußte er zugeben. Dracko hatte ihm schweigend zugehört. Wie immer hockte der verwachsene „Zeitlose", der die Nachfolge des „Gehirns" antreten wollte, hinter einem mächtigen Schaltpult. Eldo war auf die plötzliche Aktion nicht vorbereitet gewesen. Die Einstellung der Kampfautomaten mußte schon vorher erfolgt sein. Innerhalb von Sekundenbruchteilen verwandelte sich der hochgewachsene, schlanke Körper in eine aufglutende, zuckende Masse ... „Verkan?" Der Adjutant zuckte herum. Er wußte, daß der Große Dracko zum Äußersten erregt war. Jeder im Raum wußte es. Es war dem Raumschiff der Primitiven gelungen, sich der Oberfläche des Planeten zu nähern. Eine Abordnung
befand sich sogar schon in den obersten Stockwerken. Jeder Angriff war bisher mißlungen. Dracko selbst hatte einige der Roboteinheiten geleitet. Doch auch ihm war der Erfolg versagt geblieben. Überstarke Kampfstationen, die vom „Gehirn" selbst gelenkt sein mußten, hatten sich ihnen entgegengestellt. Verkan schrie auf, als er die Bewegung über sich sah. Auch Dracko stieß einen seltsam gellenden Schrei aus. Er hatte seinem Adjutanten einen Befehl geben wollen, aber die Ereignisse rissen ihm die Worte vom Mund. Die anderen „Zeitlosen" im kreisrunden Kuppelsaal schrien auf, als sich die sechs seltsamen Gestalten um sie herum bildeten. Sie schienen aus dem Nichts gekommen zu sein. Und sie schlugen sofort zu! * Er erwachte — und wurde Kämpfer. Mit einem Blick umfaßte Dick Zelatzki den Raum. Er hatte keine Zeit, sich über die Form dieses Raumes und seine Lebewesen in ihm zu wundern. Er erfaßte alles: die mißgestaltete Kugel eines verwachsenen „Zeitlosen", die anderen um ihn herum — dazwischen die verschieden geformten Roboter, Schaltpulte an den Wänden, mächtige Computerbänke, auf denen eine verwirrende Vielfalt von Skalen aufblitzte — die Röhren, aus denen sie gekommen waren, dann die anderen fünf — Rex Corda, Ralf Griffith, Ga-Venga, Fan Kar Kont und Latek Decimo .. . Mit einem Schrei warf er sich vorwärts und schoß. Sie hatten den Überraschungsmoment für sich, aber die „Zeitlosen" hatten sich sofort von ihrem Schock erholt. Leutnant Zelatzki warf sich hinter einen massigen Computer. Er schoß pau-
senlos. Sengende Strahlen erhitzten die Luft neben seinem Raumanzug, über dem der Helm geschlossen war. Er wurde herumgeworfen, als ihn ein breiter Strahl flammender Energie an der Hüfte streifte. Greller Schmerz durchzuckte ihn. Zelatzki schrie auf und warf sich zurück. Er wurde gegen die Wand geschmettert, sah plötzlich über sich den wirbelnden Körper Ralf Griffiths, der von einer Explosion quer durch die Halle getragen wurde, hörte in seinem Helmradio entsetzte Schreie, darüber einen atonalen Singsang. Leutnant Zelatzki richtete sich auf. Ga-Venga stand — ebenso wie er — hinter einem hohen Maschinenbord. Man sah, wie sein breiter Mund zwischen dem buschigen blauen Bart sich bewegte. Gnadenlos feuerte der kleine Kynother Schuß um Schuß auf die „Zeitlosen" ab, deren Anzahl durch den Angriff bedeutend dezimiert war. Leutnant Zelatzki feuerte auf einen Angreifer, der sich von der Seite an ihn herangeschlichen hatte. Er hatte die Gestalt nur gestreift. Schreiend floh der „Zeitlose" zurück. Eine Bewegung ließ ihn sofort herumfahren. Ralf Griffith stand dort, umhüllt vom Feuer der auf ihn gerichteten Waffen. Sein Körper, von dem der Raumanzug längst in Fetzen gefallen war, glühte auf, wenn sich wieder eine Explosion an ihm brach. Die „Zeitlosen" konnten es nicht fassen! Es war ihnen unmöglich, diesen Mann zu vernichten. Griffith stand dort, die Fäuste geballt, umzuckt von gleißenden Blitzen. Ein Roboter stürmte auf ihn zu. Die Form dieses Machinenmenschen war humanoid. Auf seinem kegelförmigen Kopf trat ein Waffendrehkranz in Aktion.
Mit einer einzigen Bewegung ergriff der „Veränderte" den Roboter und wirbelte ihn mit einem schrillen Schrei hoch über seinen Kopf empor. Krachend landete der Machinenmensch auf dem Boden, der geschwärzt und aufgerissen war. Bläuliche Flammen zuckten aus der Brust des Roboters, dann verging das positronische Gehirn in einer Stichflamme ... Dann sah Dick Zelatzki die Gefahr. Rex Corda stand — mit dem Rücken zu einer Computerwand — völlig frei im Raum. Der Kampf war bereits entschieden. Die meisten „Zeitlosen" waren tot oder geflohen. Doch einer von ihnen, jene monströse Kugel, die nichts Humanoides mehr an sich hatte, hatte sich auf eine Gravo-Plattform gerollt, mit winzigen deformierten Händen die Kontrollen ergriffen und senkte sich auf Rex Corda zu. Mit einem wilden Schrei warf sich Leutnant Dick Zelatzki vorwärts. Mit gesenktem Kopf stieß er einen Roboter zur Seite, stürzte, fiel, richtete sich wieder auf. Zelatzki holte aus und warf Rex Corda mit einem mächtigen Faustschlag zur Seite. Im gleichen Augenblick senkte sich die Plattform über ihn, trieb ihn zu Boden und verging in einem gleißenden Lichtblitz, Zelatzki und die seltsame kugelförmige Gestalt in einer gigantischen Energieentladung vernichtend. Das war der Augenblick, in dem die restlichen „Zeitlosen" flohen. Die Roboter verharrten bewegungslos auf der Stelle — niemand gab ihnen mehr die Befehle. Langsam, zeitlupenhaft, wie Schlafwandler, richteten sich die Männer auf. Um sie herrschte ein grauenhaftes Bild der Verwüstung. * „Er ist tot", sagte Latak Decimo leise.
Sie hatten die regungslose verbrannte Gestalt des Leutnants auf dem einzigen unzerstörten Computer aufgebahrt. Aus leeren Augen starrten sie auf den Toten. Langsam kamen ihnen die Ereignisse der letzten Minuten zu Bewußtsein. „Ich weiß nicht, ob wir richtig gehandelt haben", sagte Latak Decimo leise. „Wir wußten, daß diese ,Zeitlosen' hier schlecht waren!" protestierte Ralf Griffith. Der „Veränderte" zerrte sich die letzten Fetzen seines völlig zerstörten Raumanzugs vom Körper. Es stellte sich heraus, daß alle dasselbe gespürt hatten, als sie aus dem oberen Hangar in die endlosen Tiefen gefallen waren. Das „Gehirn" hatte sich zu erkennen gegeben. Es hatte die Situation geschildert, auch von seiner eigenen beschränkten Aktionsfähigkeit gesprochen. Sie blickten auf die Kugel, die sich in der Agonie des Todes geöffnet hatte. Jener „Zeitlose", der sich der Große Dracko nannte, hatte sich zum Gegenspieler des „Gehirns" aufzuschwingen versucht. Es wäre ihm beinahe gelungen ... Es war Fan Kar Kont, der langsam den Kopf schüttelte. „Ich glaube nicht daran", sagte er plötzlich. „Diese Ideen, die wir hatten — entsprang das nicht nur unserer überreizten Phantasie? Wir wußten, worum es ging: Das ,Gehirn' der ,Zeitlosen' ist bedroht. Haben wir damit unser Ziel erreicht? Indem wir den vermeintlichen Gegenspieler ausgeschaltet haben?" Auch die anderen schüttelten den Kopf. Die Ereignisse hatten sie zu Tode erschöpft. Es war schwer, jetzt noch einen klaren Gedanken zu fassen. Irgendwie schienen ihre Gehirne ausgelaugt, todmüde ... Ein lautes Stöhnen riß sie aus ihrer Lethargie. Rex Corda war als erster auf den Beinen. Sofort hatte er herausgefunden,
woher das Geräusch kam. Hinter der abgerissenen Front eines riesigen Computers lag die verkrümmte Gestalt eines „Zeitlosen". Eine breite Schramme lief über sein Gesicht. Die weißen Haare waren mit Blut befleckt, eine der wie Perlmutter glänzenden Ohrmuscheln war abgerissen. Sofort war Ga-Venga zur Stelle. Das Sprachengenie kannte jetzt nicht nur die Grundbegriffe der äußerst komplizierten Sprache der „Zeitlosen", sondern konnte sich auch gut verständigen. Der „Zeitlose" kam bald wieder völlig zu sich. Er war nur leicht verletzt. Sie erfuhren, daß er Verkan hieß und der Adjutant des Großen Dracko gewesen war. Aus seinem Munde — in der Übersetzung von Ga-Venga — hörten sie die erschütternde Geschichte eines Mannes, der nach der Macht strebte und das Grauen erlangte. Dabei wurden ihre Vermutungen und Eingebungen bestätigt. Sie hatten jetzt tatsächlich den eigentlichen Feind des „Gehirns" beseitigt. Hex Corda erklärte dem „Zeitlosen", der jetzt einen völlig vertrauenswürdigen Eindruck machte, weshalb er gekommen war. „Glauben Sie", fragte der Präsident, „daß wir jetzt dem ,Gehirn' wirklich geholfen haben?" Er wartete geduldig, bis Ga-Venga die Worte übersetzt hatte und die Antwort übertrug. „Er sagt", meinte Ga-Venga zweifelnd, „daß dies erst der Anfang sei. Wir hätten dem ,Gehirn' den größten Feind vom Hals geschafft — wenn ich mal so sagen darf —, aber das war erst der Anfang. Wenn ihr mich fragt: Ich meine, wir haben genug getan!" Der kleine Kynother war entrüstet. „Das ist mir auch noch nicht passiert, daß ich meine Haut für ein wildfremdes ,Gehirn' riskiert habe!"
Der „Zeitlose" richtete sich in eine sitzende Haltung auf. Wieder kamen die Worte von seinem schmallippigen Mund. „Er sagt, er hat großes Unrecht begangen. Er will es wiedergutmachen und uns ins Zentrum des Planeten führen, wo wir uns mit dem ,Gehirn' richtig verständigen können. Von hier aus sei es nicht mehr möglich. Die Kommunikationswege seien von Dracko, dem toten Gegenspieler, abgeschnitten worden ..." Rex Corda blickte auf den toten Leutnant. Er wollte etwas sagen, aber die Worte wollten nicht kommen. Dieser Mann hatte sein Leben gerettet. Langsam folgten sie dann dem „Zeitlosen" Verkan, der auf einem kleinen offenen Lastengleiter Platz genommen hatte. * „Rex Corda an Kommandozentrale ,Walter Becket'! Fatlo Bekoval, melden Sie sich!" Die Stimme klang fern und verzerrt, aber man konnte ihr die Erleichterung anhören. „Rex Corda! Ist alles in Ordnung? Wir versuchen schon seit Stunden, Sie zu erreichen. Offenbar ist der Funkverkehr einseitig gestört..." Die Stimme Bekovals brach ab, um dann mit erneuter Kraft durchzudrängen. „Können wir Ihnen Hilfe bringen?" Rex Corda lachte bitter. „Es wird hohe Verluste kosten, bis zu uns durchzudringen!" „Tatsächlich?" Die Stimme Bekovals klang erschreckt. „Wir haben einen Mann verloren", sagte Rex Corda rauh. „Leutnant Dick Zelatzki!" Ein Knacken ertönte im Lautsprecher. „Bekoval!?" schrie Corda.
Die Stimme des Laktonen stieß ein undeutliches Lachen aus. Es konnte ebensogut ein Stöhnen sein. „Hohe Verluste, sagten Sie eben? Das kann bitter werden! Oberst Robin Polley hat seinen Willen durchgesetzt! Er ist mit zwei Kompanien seiner Elitetruppen auf der Oberfläche des Planeten gelandet und versucht einzudringen!" Ein scharfes Knacken zerriß die Worte. Rex Corda drehte fieberhaft an seinen Einstellungen, aber er konnte die Verbindung nicht mehr herstellen. „Wir haben mitgehört, Mr. Corda", meldete sich Fan Kar Kont. „Sollen wir versuchen umzukehren?" Rex Corda blickte nach unten. Sie saßen auf der Lastenplattform, die von dem „Zeitlosen" mit ungeheurer Geschwindigkeit die Gänge nach unten gejagt wurde. Er hockte vor dem einzigen Steuerknüppel, mit dem die Plattform zu lenken war, und schien mit dem Boden verwachsen zu sein. Neben ihm saß das Sprachengenie Ga-Venga. Der kleine Kynother hatte seinen Außenlautsprecher eingeschaltet und führo brüllend — um die Geräusche der vorbeistreichenden Luftmassen zu übertönen — ein Gespräch mit dem „Zeitlosen". „Umkehren?" wiederholte Rex Corda ungläubig. „Wie wollen Sie das denn anstellen?" Der Lastengleiter jagte in die Tiefe. * Es schien ihnen, als seien sie Stunden unterwegs gewesen. Vielleicht verhielt es sich tatsächlich so. Sie waren müde und zerschlagen. Rex Corda fuhr auf, als Latak Decimo vor ihm zusammensackte. Mitten im Zusammensinken richtete sich der Laktone wieder auf. Verlegen blickte er die anderen an. „Verdammt, ich wäre beinahe einge-
schlafen", knurrte er. „Wie lange will dieser Zeitgenosse noch mit uns herumfliegen?" Rex Corda blickte sich aufmerksam um. Lichter schossen an ihnen vorbei. Der „Zeitlose" vor ihnen neigte seinen schmalen hohen Schädel. Und jetzt sahen sie, daß das Wesen die Hände von der Steuerung des Lastengleiters gelöst hatte. Der kleine Kynother, der bisher neben dem „Zeitlosen" gehockt hatte, mit dem sie sich so überraschend schnell hatten verständigen können, robbte zurück. Krampfhaft hielt sich der Kynother an den niedrigen Geländern fest, von denen die Gravo-Plattform umgeben war. Das Sausen der Luftmassen überdröhnte in den Außenmikrofonen die Worte des Dolmetschers. „Wir fliegen zum Zentrum dieser Welt", rief Ga-Venga. „Normalerweise wird eine Transmitterverbindung benutzt, um eine solche Entfernung zurückzulegen. Aber dieser Transmitter scheint zerstört zu sein." „Und wo befinden wir uns jetzt?" erkundigte sich Fan Kar Kont. Der Chefwissenschaftler von Lakton hatte eine übernatürliche Ruhe bewahrt. Auch er schien von tiefer Müdigkeit umfangen zu sein. „Es handelte sich um frühere, längst vergessene Verbindungswege", erklärte Ga-Venga. „Verkan hat mir erklärt, daß durch die Zerstörungen am ,Gehirn' die meisten Anlagen im Innern dieses Planeten außer Funktion seien. Ich persönlich muß sagen, daß ich von solchen galaktischen Trümmerhaufen mehr als genug habe ..." Unwillkürlich mußten die Männer schmunzeln. Sie dachten daran, wie sie auf jenem Planeten, der nichts weiter als eine gigantische Falle der „Zeitlosen" gewesen war, festsaßen, bis sie sich durch die genialen Erkenntnisse Fan
Kar Konts und Latak Decimos befreien konnten. Die Dunkelheit, die nur von wenigen vorbeihuschenden Lichtern erhellt war, wich unvermittelt. Plötzlich befanden sie sich in einem Raum, dessen Grenzen nicht abzusehen waren. Es schien, als befände sich hier die Oberfläche einer ganzen Welt. Der Horizont verschwand in bläulichen Dunstschwaden. Von oben schienen zahllose Sterne zu blinken, aber man erkannte wenig später, daß es sich um Lichtquellen handeln mußte, die diesen Eindruck erweckten. Der „Zeitlose" sprach ein paar Worte zu Ga-Venga, und der kleine Kynother gab die Nachricht sofort weiter. „Angekommen!" krähte er vergnügt. Seine lachende Stimme stieß im selben Augenblick einen erschreckten Schrei aus. Von unten näherte sich mit rasender Geschwindigkeit eine pulsierende Feuerkugel. Sie hatten noch nicht einen ganzen Blick auf die Landschaft unter ihnen werfen können, als bereits ein Angriff erfolgt war. Der „Zeitlose", dessen Name Verkan lautete, griff in das Steuerruder und riß den Lastengleiter empor. Die Gewalt des Andrucks preßte die Männer gegen den Boden. Dann blieb ihnen die Luft weg, als eine Erschütterung gegen die Unterseite des Gleiters stieß. Sie wurden durcheinandergewirbelt. Im letzten Moment konnten sie sich noch an den Griffen halten. Einen Augenblick hing Latak Decimo über dem Abgrund. Während der Gleiter dem Boden entgegentaumelte, rissen Rex Corda und Ralf Griffith ihren Gefährten wieder hoch. Schweratmend blieb Latak Decimo auf dem Boden der Plattform liegen. Unter dem Panzer des Raumanzugs hob und senkte sich seine Brust. Sie sahen, daß der „Zeitlose" vor ih-
nen die Arme in die Höhe warf. Sie konnten nicht mehr entkommen. Von allen Seiten schwebten leuchtende Kugeln auf sie zu, die in jedem Augenblick ihre Größe und Farbe zu verändern schienen. Sie zogen sich wie organische Wesen zusammen, wie Quallen, um dann wieder im nächsten Augenblick explosionsartig auseinander zu bersten. Die Kugeln hatten die Männer auf dem Lastengleiter erreicht. Sie hüllten sie mit ihrem lodernden Feuerschein ein. Dann vereinigten sie sich, wurden zu einem bunten pulsierenden Netz, einer Energiekugel, die den Gleiter mit seinen Insassen umfaßte. Im gleichen Augenblick berührten sie den Boden. Es war eine fast sanfte Landung ... * Als sie erwachten, erfüllte sie bohrender Kopfschmerz. Sie befanden sich in der Nähe einer seltsam verformten Plattform, deren Zweck sie nicht einmal erraten konnten. Auf dieser Plattform fiel ein einziger Hebel ins Auge — vor diesem Hebel sahen sie die zusammengesunkene Gestalt eines Mannes. Rex Corda sah diesen Mann genauer an. Es war ein Mensch. Corda überlegte. Die Gedanken kamen träge und verflüchtigten sich sofort wieder. Ein „Zeitloser"? — Rex Corda wußte nicht genau, was diese Bezeichnung bedeuten sollte. Er hatte irgendwie die Empfindung, als sei seinem Gedächtnis ein wesentlicher Faktor entnommen worden. Rex Corda blickte sich um. Er befand sich in einem Raum, dessen Grenzen nicht abzusehen waren. Über ihnen wölbte sich ein Sternenhimmel, aber Corda zweifelte plötzlich daran, daß es sich wirklich um Sterne handelte. Ebensogut konnten es auch Lampen sein, die auf ihn herableuchte-
ten. Neben sich erblickte er einige Gestalten, die teils regungslos waren oder sich bewegten. Ein kleiner Zwerg, in einem enganliegenden Raumanzug. Ga-Venga! Der Name drängte sich in sein Bewußtsein. Er kannte diesen Humanoiden, konnte ihn aber im Augenblick nicht unterbringen. Dann waren da noch andere. Ein hochgewachsener breitgebauter Humanoider, dessen Gesicht von einer zebraartigen Zeichnung bedeckt war. Fan Kar Kont... Langsam kehrte Cordas Erinnerungs vermögen zurück. Er wußte, wer seine Gefährten waren, konnte sich aber nicht vorstellen, was sie in dieser seltsamen Umgebung eigentlich wollten. Dann sah er die anderen Gestalten, die sich um ihn drängten. Es waren „Zeitlose", so wie Eldo, Arga oder Vergol. Oder wie Verkan, der sich langsam aufrichtete. In diesem Augenblick erschienen Rex Corda diese anderen Gestalten unwichtig. Er sah sich um und erfaßte seine Umgebung. Überall um ihn erhoben sich die seltsamen gigantischen Gebäude, die sie schon bei ihrer Landung gesehen hatten. Jetzt aber erschienen sie ihm weitaus gigantischer. Rex Corda dachte kurz an das zerstörte Empire State Building im früheren Manhattan. Diese Größe mußten die Wolkenkratzer haben, die sich um sie herum in schwindelerregender Höhe erhoben. Und doch waren diese Gebäude von terranischen Bauwerken denkbar verschieden. Sie waren Blöcke, die kompakt und mächtig erschienen — gleichzeitig bildeten sie leichte und anmutige Gebäudegruppen. Wieder sah er auf den Ring der „Zeitlosen". Sie schienen seltsam un-
schlüssig zu sein, als hielte sie eine unbekannte Macht davon ab, normale Reaktionen zu zeigen. Die „Zeitlosen" waren vielleicht zehn Meter von ihnen entfernt. Nicht alle waren mit den wallenden Umhängen bekleidet. Einige hatten Schutzkleidungen an, die fast wie Raumanzüge wirkten. Ein Schleier schien vor seinen Augen zu verwischen. Rex Corda sah die gesamte Szenerie mit völliger Klarheit: Er befand sich im Innern eines Kreises, der von „Zeitlosen" gebildet wurde. Hinter den hochgewachsenen Figuren, deren weiße Haare von Metallspangen gehalten, im Licht der zahllosen Beleuchtungskörper leuchteten, reihte sich ein enger Kreis von Robotern aneinander. Rex Corda wandte sich um. Ein Schatten fiel über sein Gesicht. Er blickte auf Verkan. Er wußte, daß dieser „Zeitlose" in Not war. Er mußte ihm helfen. Verkan bewegte sich langsam voran. Er näherte sich den „Zeitlosen", die sie wie mit einer Mauer umgaben. Dann öffnete er seinen Mund. Rex Corda konnte seine Worte nicht verstehen, aber er ahnte die Bedeutung dieser Worte. Verkan verteidigte sich. Bei seiner Ansprache beachtete er die Waffen nicht, die sich von allen Seiten auf ihn richteten. Rex Corda versuchte, die Tatsachen aneinanderzureihen, um einen vernünftigen Schluß fassen zu können. Es gelang ihm nicht. Aber er wußte, daß die Lösung kurz bevorstand. Sie hatten sich von der „Walter Beckett" in das Innere dieses Planeten vorgewagt, um das „Gehirn" zu retten. Der Anfang war gemacht worden, doch was sollte das hier bedeuten? Sie hatten gekämpft, sie hatten einen Mann verloren. Er sah sich um, sah die Gesichter sei-
ner Gefährten, die seltsam starr und gelähmt schienen. Und plötzlich, unvermittelt, schockartig kam die Botschaft, die das „Gehirn" an ihn richtete. Rex Corda war Empath. Die Botschaft schien sich in seinem Gehirn selbst zu bilden, und doch wußte er, daß jemand zu ihm sprach. Mit einer Intensität, einer Macht, die Hochachtung — ja Ehrfurcht — verlangte. * Rex Corda starrte auf seine Hände. Dann blickte er auf. Neben ihm stand Fan Kar Kont. Das gestreifte Gesicht des Far-Geborenen war vollkommen ausdruckslos. Der Chefwissenschaftler hielt ein elektronisches Werkzeug in der Hand, das die Form einer schimmernden Spirale hatte. „Sind Sie soweit?" fragte er Corda. Seine Stimme klang vollkommen ausdruckslos. Wieder blickte Rex Corda auf seine Hände. Sie hatten eine Klappe an der hohen glatten Wandung geöffnet. Hinter dieser Öffnung klaffte ein Hohlraum. Die geschickten Finger Fan Kar Konts paßten einen winzigen Teil in den Hohlraum ein. Gemeinsam traten die beiden Männer zurück. „Es sieht gut aus!" bemerkte der Chefwissenschaftler ausdruckslos. Erwirkte wie jemand, der nicht weiß, wovon er spricht. Er sah auf das hohe Gebilde, dessen Grundform ein Zylinder war, ein über zehn Meter hoher schimmernder Körper, von dem zahllose Auswüchse abgingen. Rex Corda blickte sich um. Die riesenhafte Halle war von „Zeitlosen" und Arbeitsrobotern angefüllt. Die Humanoiden und ihre mechanischen Helfer wimmelten durcheinander. Er blickte einen Moment auf Latak
Decimo, der auf einer provisorisch eingerichteten elektronischen Drehbank ein Werkstück bearbeitete, assistiert von drei „Zeitlosen". Rex Corda schüttelte den Kopf. Wieder fiel ihm das Unwirkliche der Situation auf. Er war jetzt ungefähr im Bilde, wo er sich befand. Sie waren von dem „Zeitlosen" Verkan bis ins Zentrum dieses Planeten gebracht worden, der mit seinen zahllosen Höhlen und Klüften einem riesigen Schwamm glich. Zuerst hatte es so ausgesehen, als würde Verkan, der im Dienste jener Macht gestanden hatte, die Rex Corda kurz als „Gegengehirn" einstufte, von den anderen „Zeitlosen" gelyncht werden. Oder was diese Rasse sonst mit ihren Gegnern anstellte. Dann aber, plötzlich, arbeiteten sie alle im besten Einvernehmen miteinander. Sie arbeiteten an dieser seltsamen hohen Maschine, deren Sinn sich Corda nicht vorstellen konnte. Sie wußten, daß diese Arbeit wichtig war, aber sie fragten nicht lange nach ihrem Zweck. Wieder blickte Corda auf Fan Kar Kont. Er machte sich jetzt keine Gedanken mehr über ihre Beschäftigung. Sie erschien ihm logisch und richtig. Es mußte einfach so sein! „Fertig!" verkündete Fan Kar Kont mit seiner tonlosen Stimme. Er sah sich um, aber sein Blick war leer. Hinter ihm, in einer Entfernung von nur drei Metern, befand sich jener seltsame Körper, von dem sie alle wußten, daß es sich um das „Gehirn" handelte. Man hatte es ihnen gezeigt, und sie waren schnell darüber hinweggegangen. Das „Gehirn" gehörte einfach hierher. Es war ein Ball, dessen Oberfläche wie Spiegelglas glänzte. Der Ball hatte einen Durchmesser von über einem Meter. Kraftfelder hielten Erschütterungen
von ihm ab. Von allen Seiten liefen Leitungen, Kabel und Rohre auf dieses Gebilde zu, das ein ganzes Universum kontrollierte. Rex Corda hatte es sich kurz angesehen und sich dann abgewandt. Das Merkwürdige, Widersinnige dieser Situation war ihnen nicht zu Bewußtsein gekommen. Auch den „Zeitlosen" nicht. Sie reagierten wie Marionetten, stellte Rex Corda fest. Bewegten sie sich anders? Latak Decimo, Fan Kar Kont, Ralf Griffith, Ga-Venga und er selbst? Er dachte kurz darüber nach, kam. aber zu keinem Ergebnis. Er stellte überrascht fest, daß es unwichtig für ihn war. Fertig! hatte Fan Kar Kont gesagt. Was war fertig? Was meinte er damit? Träge flossen die Gedanken. „Was meinen Sie?" fragte Rex Corda langsam. „Was ist fertig? Diese Maschine hier?" „Ja", murmelte der Chef Wissenschaftler. „Es ist eine gute Maschine. Sie ist genau nach Plan gebaut worden. Einem ausgezeichneten Plan, muß ich sagen!" Nach welchem Plan? Rex Corda drehte sich um. In einem plötzlichen Impuls winkte er die anderen näher zu sich heran. Ga-Venga trottete näher, Latak Decimo blinzelte und war sofort zur Stelle. Ebenso schnell war Ralf Griffith heran. Der „Veränderte" starrte mit leeren Augen vor sich hin. „Ich möchte nur zu gern wissen, wozu diese Maschine gut ist", bemerkte Rex Corda laut. Keiner achtete auf seine Worte. Er hatte auch keine Antwort erwartet. Hinter seinen Gefährten sah er die „Zeitlosen", die sich wieder in einem Kreis zusammengeschlossen hatten. Verkan war jetzt von ihnen wieder aufgenommen worden. Corda wußte nicht,
weshalb, aber irgendwie freute es ihn, daß der „Zeitlose" wieder von seinen Leuten aufgenommen worden war. Die Humanoiden mit den hohen Stirnen und den langen weißen Haaren, die im Nacken mit einer Metallspange zusammengehalten wurden, starrten sie an. Sein Blick wanderte, und wieder sah Rex Corda auf die große und glänzende Kugel, die hinter ihm auf glänzenden Kraftfeldern schwebte. Plötzlich kam ihm zu Bewußtsein, wie klein doch dieses „Gehirn" eigentlich war. Nur die mächtigen Anlagen, die Computer, die bis an die Decke dieser riesigen unterirdischen Höhle ragten, gaben dem „Gehirn" Macht, die Befähigung, das ganze Universum zu übersehen. Konnte es das wirklich? Rex Corda riß sich gewaltsam aus seinen Gedanken, als er die Stimme Fan Kar Konts hörte. „Ich weiß nicht", murmelte der FarGeborene, „wozu dieses Ding gut ist, aber es sieht ausgezeichnet aus." Er näherte sich einem hell aufleuchtenden Knopf, der auf einer kleinen Konsole angebracht war. Es wurde Rex Corda plötzlich bewußt, was für ein mächtiges Gerät sie da geschaffen hatten. Pausenlos waren die Roboter damit beschäftigt gewesen, die Einzelteile heranzuschleppen. Die „Zeitlosen" selbst hatten unermüdlich geholfen. Und sie, die Terraner und Laktonen, waren es gewesen, die die einzelnen Bausteine zusammengefügt hatten. Wie lange hatten sie an diesem hohen glänzenden Zylinder gearbeitet? Wieder ging der Blick Rex Cordas in die Runde. Er sah auf riesenhafte Bildschirme, die ihm zuvor nicht zu Bewußtsein gekommen waren. Vielleicht hatten sie bis vor einer Sekunde noch nicht existiert. So vieles war rätselhaft auf diesem Planeten ... Die Bildschirme zeigten ein dreidi-
mensionales, absolut wirklichkeitsgetreues Bild wie auf einem Holografen. Die Bildschirme zeigten einen Ausschnitt aus der Vakuole. Der Raum, der von einem sanften bläulichen Glühen durchpulst wurde, loderte im Licht von zahllosen Energieeruptionen. Welten stürzten zusammen, Supernovae flammten, auf. Stellenweise zuckten grelle Blitze durchs All und drohten das Gefüge des Raumes zu zerreißen. Es war ein grausames Bild, das Bild eines sterbenden Raumabschnitts. Dieser überdimensionale Raum, der von den „Zeitlosen" künstlich erschaffen worden war, drohte in sich zusammenzufallen. Rex Corda blickte zurück auf die hohe Maschine, die sie gebaut hatten. Plötzlich wußte er, daß diese Maschine dem Verfall des Raumes, der Zersplitterung der Vakuole entgegenwirken sollte. „Fertig!" wiederholte Fan Kar Kont tonlos. Sein Finger senkte sich auf den hellen Knopf auf der kleinen Konsole. Es erschien ihnen, als durchliefe ein Schauer die „Zeitlosen", die sie immer noch wie eine Mauer umgaben. Rex Corda zuckte zusammen. Langsam kam wieder die Klarheit. Es war ihm, als hätten sie für lange Zeit in einem tiefen Schlaf gelegen, aber in dieser Zeit hatten sie die Befehle einer fremden Intelligenz ausgeführt. War es das „Gehirn" gewesen? Neben ihm stieß Fan Kar Kont einen leisen Schrei aus. Der kleine Kynother Ga-Venga starrte aus zusammengekniffenen Augen empor. Die Röhre bewegte sich. Der glänzende Zylinder schwebte empor. Das Gerät, das sie in langen Stunden mit Unterstützung der „Zeitlosen" gebaut hatten, schien ein Eigenleben entwickelt zu haben. Die untere Kante schwebte einen Me-
ter über dem Fußboden, dann zwei, drei — die Unterseite spiegelte sich in dem Boden, der aus völlig glattem Metall gebildet war. Rex Corda starrte auf diesen glatten Boden. Er blinzelte, und wieder stöhnte Fan Kar Kont leise auf. Die anderen schienen in Apathie gesunken. Der Boden veränderte seine Farbe. Vorher war er grau gewesen, aber dann leuchtete er auf. Rötliche Farbschleier tanzten über dem Boden der Halle. Doch dann sah Rex Corda, daß er sich getäuscht hatte. Der Boden selbst färbte sich rot. Ein riesiger roter Farbfleck entstand. Unter ihren Füßen glühte es auf. Der Boden leuchtete plötzlich in einem intensiven Rot! In einer momentanen Eingebung drehte sich der Präsident um. Sein Blick richtete sich auf die „Zeitlosen". Er wurde vom Entsetzen gepackt! Sie waren größer geworden! Die „Zeitlosen" waren fast zur doppelten Größe angeschwollen! Ihre Körperproportionen waren genauso wie zuvor, aber sie mußten jetzt über vier Meter groß sein! Das war doch kaum möglich! Unter ihren Füßen hatte jetzt der Boden eine tiefrote Farbe angenommen. Über ihnen hing immer noch das Gerät, das sie mit Unterstützung der „Zeitlosen" gebaut hatten, aber es schien höher gestiegen zu sein. Was konnte dieses plötzliche Anwachsen verursacht haben? Corda sah plötzlich, daß nicht nur die „Zeitlosen" und Arbeitsroboter um sie herum, sondern auch die Gebäude größer geworden zu sein schienen. Die Wolkenkratzer schienen in den Himmel zu schießen. Die kleinen Lichtflecke schienen weiter und weiter entfernt zu sein. Rex Corda richtete seinen Blick wieder auf die „Zeitlosen". Giganten um-
gaben ihn. Sie wuchsen ständig. Die Köpfe mußten jetzt allein schon einen Durchmesser von einem Meter haben. Nur sie selbst, der kleine Lastengleiter in ihrer Mitte und das „Gehirn" hatten noch eine normale Größe. Was konnte dieses plötzliche Anwachsen verursacht haben? Was war denn überhaupt normal? Sie wußten es nicht. Verwirrt mußten sie beobachten, daß ihre Umgebung ins Gigantische wuchs. Rex Corda erkannte plötzlich, daß nur außerhalb des roten kreisrunden Feldes alles sich vergrößerte. Im Kreis selbst blieb alles normal. Und dann erkannte er, was für einen Fehler er gemacht hatte. Er blickte auf die Gesichter seiner Gefährten und sah, daß sich Verblüffung auf ihren Zügen abzeichnete. Sie sahen das alles, schienen aber außerstande, es zu begreifen. Oder hinderte sie eine unbekannte Macht daran? „Los!" schrie Rex Corda. „Lauft, so schnell ihr könnt! Wir müssen ..." Er merkte, daß die anderen ihn nicht mehr hören konnten. Es war völlig klar. Aber er hatte zu lange gezögert. Vor ihm ragten die „Zeitlosen" wie ferne Gebirge empor. Es war ein groteskes Bild. Rex Corda sah, wie Ralf Griffith auf ihn zulief. Der „Veränderte" mußte sich in einem wahnsinnigen Tempo bewegen, er lief — und dennoch schien er sich immer weiter von ihm zu entfernen. Rex Corda aktivierte die Helmsprechanlage. „Corda an Griffith, Kont, Decimo und Ga-Venga! Meldet euch! Wir müssen zusammenkommen." Ein Schwall von Stimmen antwortete ihm. „Leicht gesagt!" schrie Ralf Griffith. „Wo befinden Sie sich, Corda?" brüllte Fan Kar Kont.
„Ich möchte endlich wissen, was hier gespielt wird!" ließ sich die sarkastische Stimme von Ga-Venga vernehmen. „Geben Sie ein Peilzeichen ab." Das war die ruhige Stimme Latak Decimos. Irgendwie war Rex Corda beruhigt. Seine Gefährten schienen also aus ihrer Lethargie erwacht zu sein. Er erklärte kurz die Situation. „Wir scheinen eine Maschine gebaut zu haben, die uns verkleinert. Erinnern Sie sich? Wir haben ununterbrochen gearbeitet. Unter der Leitung des Gehirns'. Sie haben den Knopf gedrückt, Fan Kar Kont! — Zuerst erschien es uns, als würde unsere Umgebung immer größer — dann aber war es klar, daß sich nicht die Umwelt vergrößerte, sondern wir uns verkleinerten!" Das Stimmengewirr in seinen Helmlautsprechern dröhnte wieder auf. Die Männer waren verwirrt, sie hatten keine Angst, aber die Situation hatte sie verschreckt. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich versammelt hatten. Und doch waren sie, bevor die Verkleinerung eingesetzt hatte, nur wenige Meter voneinander entfernt gewesen. Rex Corda blickte zu Boden. Von fern, scheinbar aus der Unendlichkeit einer von Rillen durchfurchten Ebene, näherten sich die kleinen Gestalten. In Gedanken korrigierte Rex Corda sich. Sie waren genauso groß wie er, denn auch er war mit ihnen verkleinert worden. Wieder sah er zu Boden. Er befand sich jetzt in einer hügeligen Landschaft — und doch hatte er vor kurzem noch geglaubt, der Boden der Halle bestünde aus einer polierten, spiegelglatten Fläche. Die „Zeitlosen", die einen Kreis um sie herum gebildet hatten, waren nicht mehr zu erkennen. Ihre Konturen verloren sich in der Unendlichkeit. Corda überlegte sich plötzlich, was ein Mikro-
organismus sehen mochte, der einem Menschen gegenübergestellt wurde. Rex Corda mußte unwillkürlich lächeln. Dieser winzige Einzeller war von einer Größe, die einen Organismus von der Größe eines Menschen als ein ganzes Universum erkennen mußte. Ralf Griffith war als erster heran. Offenbar war ihre Veränderung zu einem Stillstand gekommen. Sie befanden sich auf einer roten Ebene, die der Oberfläche eines fremden Planeten glich. „Was ist los, Mr. Corda?" Ralf Griffith sah sich um. Hinter ihm erhob sich eine sanfte Steigung, die er eben herabgelaufen war. Der Rand dieser roten Welt verlor sich in Dunstschleiern. Rex Corda nickte dem „Veränderten" beruhigend zu und empfing die Meldungen der anderen. Sie schienen keinen Schaden genommen zu haben, dennoch waren sie natürlich verwirrt und konnten sich nur schwer an diese neue Situation gewöhnen. Hinzu kam, daß sie alle die letzten Tage in einer Art geistiger Abgeschlossenheit gelebt hatten. Es war also ein doppelter Schock! Es war schwer, daran zu glauben, daß sie sich noch immer in jener hohen Halle, deren Wände von den hochanstrebenden Computerwänden gefüllt waren, befinden sollten. Es schien fast unmöglich zu sein. Und doch gab es keine andere Lösung. Immer noch erglänzte unter ihnen der Boden in einem intensiven Rot. Über ihnen schwebte der Ausschnitt einer Wölbung. Es mußte sich hierbei um jene Maschine handeln, die sie in tagelanger Arbeit, unterstützt von den „Zeitlosen" und ihren Robotern, gebaut hatten. Nach wessen Anweisungen? Nach den Anweisungen des „Gehirns?" Rex Corda sah über sich den dunklen
Schatten und duckte sich instinktiv zusammen. Ralf Griffith warf sich ebenso schnell zu Boden. Waren sie einem Angriff ausgesetzt? * Der Gleiter senkte sich langsam herunter. Die Scheibe setzte auf. Fan Kar Kont sprang herunter. Unter der Glassitkugel seines Raumhelms konnte man ein breites Grinsen auf seinem getigerten Gesicht sehen. Nacheinander kamen Ga-Venga und Latak Decimo herunter. Einer fehlte, dachte Rex Corda. Er erinnerte sich schmerzlich an den jungen Leutnant Zelatzki, der ihm das Leben gerettet hatte. „Anscheinend haben wir uns unser eigenes Grab geschaufelt", bemerkte der kleine Kynother. Im Gegensatz zu seinen Worten schien ihn die Situation ungemein zu erheitern. In kurzen Worten umriß der terranische Präsident ein Bild ihrer Situation. Latak Decimo und Fan Kar Kont stimmten ihm zu. Sie hatten eine Maschine gebaut und waren von ihr verkleinert worden. Die Tatsache, daß der Boden, der zu vor spiegelglatt erschienen war, jetzt einer hügeligen Landschaft glich, regtdie beiden laktonischen Wissenschaf tlei zu Berechnungen an. Tatsächlich hatten sie sich nach kurzer Diskussion darauf geeinigt, daß ihr Körper nur noch Mikrogröße hatten Vielleicht maßen sie einen halben Millimeter, vielleicht aber auch ein Hundertstel. Die Frage war nur, was diese ganze Sache für einen Sinn haben sollte. Rex Corda sprach es aus: „Wir wurden — seit wir uns auf diesem Planeten der ,Zeitlosen' befinden — von der Macht des ,Gehirns' beeinflußt. Ich selbst habe diese Kräfte viel-
leicht mehr gespürt als Sie, weil ich für empathische Impulse anfälliger bin!" Er machte eine kurze Pause und blickte seine Gefährten an. „Hinter all diesen Beeinflussungen steht ein besonderer Plan. Wir sind dazu ausersehen, diesen Plan zu erfüllen!" „Sie glauben wirklich, daß wir diese Mikrogestalt haben sollten, daß wir sie zu irgendeinem Zweck benötigen?" fragte Fan Kar Kont. Der sonst so gelassene Chefwissenschaftler von Lakton war fassungslos. „Das alles, die Maschine, die wir mit den 'Zeitlosen' gebaut haben, der Zeitpunkt, als ich den Knopf drückte, das sei alles schon vorherbestimmt gewesen?" Rex Corda nickte. „Ich kann es mir nicht anders vorstellen", meinte er. „Nach den Angaben der ,Zeitlosen' handelt es sich bei dem 'Gehirn' um eine Intelligenz, deren Macht unvorstellbare Dimensionen annimmt. Durch die verantwortungslosen Hypersprünge Sigam Agelons innerhalb dieser künstlich geschaffenen Vakuole sind einzelne Partien des ,Gehirns' gelähmt worden. Wir wissen noch zusätzlich von dem ,Zeitlosen' Verkan, daß es einen Gegenpol zu jenem ,Gehirn' gab. Wir haben diesen Gegenpol, der sich der Große Dracko nannte, unschädlich gemacht. Auch dabei sind wir von dem 'Gehirn' gelenkt worden. Wir wären nie auf die Idee gekommen, jenen verwachsenen ,Zeitlosen' zu töten. Wir hätten einfach nicht gewußt, wie wichtig diese Handlung, dieser Kampf für uns und die gesamte Galaxis sein würde. Wir sind ja direkt zu diesem Gegenspieler transportiert worden. Wir waren nur Werkzeuge, die genau das ausführten, was der Herr geplant hatte — Marionetten waren wir, mehr nicht!" „Und was ist jetzt?" Rex Corda wußte nicht, wer von seinen Gefährten die Frage ausgesprochen
hatte. Er biß die Zähne zusammen. „Wir machen weiter. Die Ereignisse der letzten Tage haben bewiesen, daß uns das ,Gehirn' wirklich braucht. Es scheint aus eigenem Antrieb kein Mittel zu finden, sich gegen die drohende Gefahr zu erwehren." Fan Kar Kont starrte zu Boden. Jetzt fiel auch den anderen auf, daß sich die rote Farbe verflüchtigte. Sie wich wieder jenem Grau, das auch zuvor die Farbe des Fußbodens der gigantischen Halle gewesen war. „Was für eine Gefahr?" fragte Fan Kar Kont endlich. „Wir wissen es nicht", bekannte Rex Corda. „Aber eines scheint mir sicher zu sein. Die Mikrogröße unserer Körper, das Erbauen jener Maschine, alles das deutet darauf hin, daß wir uns ..." Alle starrten ihn erwartungsvoll an. Keiner wagte den Gedanken, der sich förmlich aufdrängte, offen auszusprechen. Rex Corda atmete tief ein. „... daß wir in das ,Gehirn' selbst vordringen müssen!" * Der Lastengleiter, mit dem die anderen hergeflogen waren, schien seine Funktion noch nicht eingebüßt zu haben. Es war erstaunlich, daß er immer noch als jenes perfekt gebaute Gebilde erschien, obwohl es auf ein winziges Maß verkleinert worden war. Latak Decimo hatte an den Kontrollen Platz genommen. Er kannte jetzt diesen Gleiter. Vor wenigen Stunden, als ihn der Notruf Rex Cordas erreicht hatte, sammelte er seine Gefährten um sich, die sich alle in seiner Nähe befanden. Es war leicht, Rex Corda anzupeilen und sich ihm zu nähern. Das war kein
Problem. Aber jetzt tauchte eine neue Schwierigkeit vor ihnen auf. Latak Decimo sah über die gewellten Täler der Oberfläche der Halle, die vor wenigen Minuten noch spiegelglatt gewesen war. Oder waren es Stunden gewesen? Vielleicht Tage? „In welche Richtung sollen wir denn fliegen?" fragte Latak Decimo. Der laktonische Synoptiker sah Rex Corda an. „Dieses ,Gehirn' ist durch seine relative Größe ebenso unsichtbar geworden wie die ,Zeitlosen' oder ihre Gebäude und Maschinen." Rex Corda senkte seinen Kopf. Plötzlich merkte er, wie seine empathischen Fähigkeiten, seine besondere Begabung, Gefühle zu erkennen, sich regten. Etwas wirkte auf ihn ein, drängte, forderte... In dieser geistigen Begegnung lag der ganze Schmerz eines Wesens, das sich an einen rettenden Strohhalm klammern mußte und erkannt hatte, daß dieser Strohhalm nicht einmal den Hoffnungsschimmer einer Rettung bedeutete. Plötzlich wallte es heiß in Rex Corda hoch. Er ballte die Fäuste. Seine blauen Augen blitzten. „Diese Richtung!" rief er. Sofort kam Latak Decimo der Aufforderung nach. Der Lastengleiter erhob sich leicht vom Boden, glitt durch die Schlucht zwischen zwei sanften Hügeln und nahm Fahrt auf. Es war eine Welt der Unwirklichkeiten. Und doch wußten sie, daß es nur ein winziger Bereich war, in dem sie sich aufhielten. Eine Entfernung, die man zu Fuß in wenigen Sekunden überwinden konnte, wurde für den in Mikrogröße verkleinerten Gleiter zu einer fast unüberwindlichen Strecke. Rex Corda hatte genau die Richtung im Kopf. Sein Schädel schien zu dröhnen. Pausenlos nahm er die Befehle einer fremden Intelligenz auf. Befehle, wie sie unzweifelhaft das „Gehirn" aus-
sandte. Sie legten den Weg schweigend zurück. Unter ihnen schoß die hügelige Oberfläche dahin. Vor ihnen erhob sich ein graues Etwas, eine Neigung, die ins Unendliche zu gehen schien. Das „Gehirn"! Sie kamen am Rande einer steilaufragenden Ebene zum Halt. Latak Decimo manövrierte den Lastengleiter etwas höher. Auch die Außenwandung der Kugel, die das „Gehirn" barg, war von Schrunden und Rissen bedeckt. Langsam stieg der Gleiter höher. Dann hatten sie eines der Ansatzstükke erreicht. Es war eine riesenhafte schwarze Schlange, die sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Ihr Ende war nicht abzusehen. Und doch erinnerten sie sich, daß die meisten Kabel nicht einmal einen Durchmesser von einem Zentimeter gehabt hatten. Sie kletterten mit dem Gleiter den sanft geneigten Weg hinauf. Rechts und links von ihnen erstreckte sich die ins Gigantische vergrößerte pockennarbige Ebene des Kabels. Rex Corda wußte nicht, ob sie hier eine wirkliche Chance hatten, in das Innere des „Gehirns" zu dringen. Er wußte nur, daß sie es auf jeden Fall versuchen mußten. Es war ungeheuer wichtig, dem „Gehirn" zu helfen. Ein Zusammenbrechen der Raumvakuole mußte unbedingt weitere gefährliche Ereignisse in der gesamten Galaxis zur Folge haben. Rex Corda richtete sich auf. Breitbeinig stand er auf der schwankenden Plattform des Lastengleiters, der an der geneigten Anhöhe emporkroch. Dann hatten sie den Eingang gefunden. Er befand sich über dem schwarzen Ansatzstück. Ein schrilles Geräusch ging von dieser Höhlung aus, die von einem breiten schwarzen Streifen umgeben war. Diesen Streifen umhüllte ein hell strahlendes Feld.
Enttäuscht betrachteten sie den Eingang. Es war offensichtlich, daß es sich hier um ein Ventil handelte. Latak Decimo nahm an, daß durch dieses Ventil der Flüssigkeitshaushalt des „Gehirns" geregelt wurde. Aber der Eingang war ihnen versperrt, auch wenn sie durch die seitlichen Spielräume des Ventils leicht eindringen konnten. „Es ist unvorstellbar, daß es sich um jene Kugel handelt, die wir vorhin gesehen haben", sagte Ga-Venga leise. Er schien jeden Spott verloren zu haben. Seine kleinen schlanken Hände tasteten nach der Wandung, die rauh und schartig neben dem Gleiter aufwuchs, um sich im Unendlichen zu verlieren. „Und in dieser Kugel muß sich das ,Gehirn' befinden, dem wir Hilfe bringen wollen", äußerte sich Latak Decimo. „Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, wie wir das zuwege bringen wollen." Rex Corda starrte auf die Wölbung über ihm. Das dunkle, nur am Ansatz zu erkennende Kabel, das jetzt einen scheinbaren Durchmesser von einem Kilometer besaß, lastete wie eine furchtbare Drohung über ihren Köpfen. Fan Kar Kont schrie auf. Der laktonische Chefwissenschaftler deutete erregt auf das Ansatzstück. Über ihnen war das flimmernde Feld verschwunden. Das Feld, das offenbar dafür geschaffen worden war, Mikroorganismen von einem Eindringen in das „Gehirn" abzuhalten. Latak Decimo ließ den Gleiter höher steigen. Über ihnen hing der schwere Schatten des Kabels, das eigentlich nur einen Durchmesser von einem Zentimeter hatte. „Gut", sagte Rex Corda ruhig. „Jetzt können wir endlich anfangen." Latak Decimo warf dem terranischen Präsidenten einen seltsamen Blick zu. Dann riß er den Lastengleiter in die Höhe.
Er manövrierte den Lastengleiter langsam, mit einer erstaunlichen Präzision in die Zwischenräume des Ventils ein. Ein sausender Luftstrom erfaßte sie, drängte vorwärts und wirbelte sie in das Innere des Ventils. * Rex Corda wurde gegen die Decke geschleudert. Einen Moment wußte er nicht, wo er sich befand. Dann sah er die Masse des Lastengleiters, die sich gegen die Decke wandte und taumelnd auf den Boden stürzte. Sie schienen sich jetzt im Innern des Ventils zu befinden, wenn nicht sogar im „Gehirn". Gewohnheitsmäßig tastete Rex Corda nach seinem Strahler, der an der Hüfte hing. Dann warf ihn der Schock zu Boden. „Verdammt", knurrte Ralf Griffith.' Er sah sich nach dem Gleiter um, der in einer Entfernung von einigen Metern gelandet war. Meter! Griffith spuckte auf den Boden. Hatte diese Bezeichnung noch irgendeinen Sinn? Er wandte sein besorgtes Gesicht Rex Corda zu. Der Präsident Terras wand sich in Krämpfen auf dem Boden der Halle. Diese Halle war, schoß es Griffith durch den Kopf, nichts weiter als ein Flüssigkeitsventil, mit dem das „Gehirn" am Leben gehalten wurde. Was sollten sie eigentlich hier bekämpfen? Griffith blickte auf den Strahler in der Faust des terranischen Präsidenten. „Wachen Sie auf, Rex Corda!" flüsterte der „Veränderte". „Was ist mit Ihnen los, Mr. Corda?" Rex Corda bewegte sich langsam. Sein Gesicht war verkrampft. Seine blauen Augen verdrehten sich, als er die Worte hervorstieß: „Ralf! Achten Sie auf den Gleiter!" Die letzten Worte hatte Rex Corda
fast geschrien. Und jetzt ertönte ein anderer Schrei. Mit vor Schreck geweiteten Augen blickte sich Ralf Griffith um. Der „Veränderte" jagte in langen Sätzen auf das alptraumhafte Wesen zu, das sich auf dem Gleiter festgesetzt hatte. Es war eine Kugel, deren Oberfläche blutrot gefärbt war. Aus allen Richtungen gingen von dieser Kugel längere oder kürzere Tentakel aus, teilweise erschienen sie wie winzige Härchen, dann aber wieder wie peitschende Tentakel. Die rote Kugel hatte auf ihrer Oberseite einen Mund. Kreisende, mahlende Zähne bewegten sich mit rasender Geschwindigkeit. Es war eine kreisende, mahlende Öffnung, die eine tödliche Drohung ausstrahlte. Einen Augenblick später hatte Griffith seine Waffe in der Hand, ein glutender Strahl züngelte aus der Mündung, hüllte das grauenhafte Wesen in eine Flammenlohe und verebbte dann. Am Boden des Ganges, unweit von der hohen Wölbung des Ventils entfernt, lag ein zu schwarzer Asche verbrannter Rest jener seltsamen Kreatur. Unwillkürlich blickte Ralf Griffith auf Rex Corda. „Das ist der Feind, gegen den wir kämpfen müssen", sagte Corda. * Er brüllte auf. Latak Decimo hielt ihn an den Armen fest. Der laktonische Synoptiker blickte verstört auf das zuckende Gesicht. „Haß", flüsterte Rex Corda. „Haß und Vernichtungswille. Eine ganze Rasse, die aufbricht, das Universum zu vernichten." Der Lastengleiter schoß vorwärts. Sie befanden sich jetzt in den inneren Bezirken des „Gehirns". Jeden Augenblick mußten sie mehr jener rötlichen kugelförmigen Wesen erlegen, da diese im-
pulsiv auf den Gleiter eindrangen. „Ohne Gleiter wären wir hier längst verloren gegangen", knurrte Fan Kar Kont. Kopfschüttelnd warf er einen Blick auf die Flugscheibe, auf der sie sich befanden. Nach seiner Meinung war das alles unmöglich. Er war ein genialer Forscher Laktons, dennoch konnte er sich mit den mehr als unwahrscheinlichen Begebenheiten nicht abfinden. Fan Kar Kont richtete sein Positronengewehr gegen eine herankugelnde rote Gestalt. Dann drückte er ab. Eine rote Schale platzte ab. Weiße langgestreckte Fäden wurden abgerissen und schwebten haltlos nach oben. Fan Kar Kont wußte nicht, was er tun sollte. Er kannte den terranischen Präsidenten sehr gut und wußte, daß er einer der seltenen Empathen war. Jede Gefühlsregung wurde von diesem Mann mit aller Klarheit aufgenommen und selbst empfunden. Von diesen seltsamen Kugelwesen schien also ein seltsamer Haß auszugehen ... Fan Kar Kont versuchte noch einmal, die Tatsachen zu ordnen. Man hatte sie auf diesen Planeten geholt, und offenbar war das „Gehirn" es selbst gewesen, das ihrer Hilfe bedurfte. Die Sicherheitsvorkehrungen waren nicht in Ordnung, vermutete Fan Kar Kont. Irgendwelche Wesen versuchten, die Macht des „Gehirns" zu brechen. Sie hatten einige der seltsamen kugelförmigen Wesen erlegt, von denen Rex Corda annahm, daß sie die wahren Gegner des „Gehirns" seien. Er nahm es nicht nur an, er wußte es. Er hatte es mit jeder Fiber seines Seins erfahren, als er in der Bewußtlosigkeit lag und die kraftvollen Ströme spürte, die in diesem „Gehirn" pulsierten. Der Lastengleiter bewegte sich langsam weiter. Sie hatten längst jene ersten Gegenden überwunden, in denen sie
sich in nächster Nähe jener seltsamen Parasiten befinden mußten. Jetzt führte ihr Weg durch endlose Hohlräume, durch Gewölbe, die von satten, kräftigen Stößen durchpulst waren. Dann sahen sie die ersten Wunden. Die Feinde, jene kugelförmigen Wesen, hatten mit der Brutalität eines wilden Raubtiers zugeschlagen. Der ins Gigantische vergrößerte Blutkreislauf wirkte mit seinem Netz von Kanälen und Speicherorganen wie das Wasserleitsystem einer mittleren Großstadt. Sie schwebten in einem hohen Dom, dessen Decke von Mosaiken aus schimmernden Blutkörpern gebildet wurde. „Sehen Sie sich das an", rief Fan Kar Kont plötzlich aufgeregt. Mit den Waffen in der Armbeuge richteten sie sich auf. Die Kuppel über ihnen hatte einen Seiteneingang, und dieser Eingang führte in einen der Räume ... Immer wieder mußten sie sich klarmachen, daß sie sich — als winzige kleine Marionetten — in einem Universum der „Zeitlosen" befanden. Jetzt sahen sie einen Knotenpunkt. Verschiedene Rohre, die aufeinander zugingen und sich vereinten. Kont hatte aber nicht jene Anlage, sondern den Zustand gemeint. Dieser Knotenpunkt war total zerstört. Die Verletzungen, die nur von scharfen Zähnen ausgeführt worden sein konnten, gingen bis in das zuckende, blutrote Etwas der Adern ... * Rex Corda blickte sich um. Halbdunkel herrschte. Die Decken und Gänge leuchteten in einem geheimnisvollen Phosphorisieren. „Sie scheinen zur Zeit nicht anzugreifen?" erkundigte er sich. Fan Kar Kont nickte. „Wir haben ei-
nes dieser Biester untersucht. Es scheint sich um riesige Einzeller zu handeln, die . . ." Er unterbrach sich grinsend. „Verdammt, mir geht es immer noch nicht in den Kopf, daß diese Biester ja gar nicht so riesig sind. Sie haben Mikrobengröße, vielleicht auch größer — ich weiß es nicht..." Sie waren durch einen niedrigen Gang gelaufen. Über ihnen pulsierte eine Ader. Ein schweres pochendes Geräusch übertrug seine Vibrationen auf die Raumanzüge. „Schalten Sie Ihre Außenmikrophone am Raumanzug nicht ein!" warnte Fan Kar Kont. „Man wird verrückt, wenn man dieses Schmatzen und Gurgeln mitanhört. Von allen Seiten scheinen Flüsse auf einen zuzufließen. Es poltert und klopft; zwischendurch haben wir auch Schreie gehört!" Rex Corda sah auf die Gruppe seiner Gefährten, die erschöpft am Boden kauerten. Rex Corda blickte auf das rötliche Wesen, das schlaff und leblos in ihrer Mitte lag. „Es lebte noch", erklärte Latak Decimo. „Es handelt sich um eine Amöbenart, die aber einige außerordentliche Besonderheiten auf weist." Der Wissenschaftler schüttelte müde den Kopf. „Ich kann mir vorstellen, wie dieser Mund funktioniert. Wir haben eine fast perfekte Kreissäge vor uns. Oder hier die Stacheln, von denen das Wesen wie mit einem Fell bedeckt ist. Anscheined kann es diese Auswüchse verändern. Sie dienen als Waffe und als Fortbewegun, Was ich mir aber nicht erklären kar: sind diese weißen Fäden." Stirnrunzelnd blickten sie auf ein heiles, dünnes Gespinst. Latak Decimo hob den Strahler. „Vielleicht dient es der Nahrungsaufnahme." Angewidert betrachtete er das seltsame Wesen, das auch noch im Tod
eine furchtbare Drohung auszusprechen schien. Er durchtrennte die Fäden. Im nächsten Augenblick brach die Hölle los! * Sie kamen von allen Seiten. Die Kugeln stürzten von der Deckt rollten die Wände herunter wie wahnsinnige, kreischende Teufelsräder. Sie hüpften in grotesken Sprüngen heran, ließen sich von oben fallen und brachen aus Spalten und Ritzen des Bodens hervor. Schlagartig war die Müdigkeit von den Männern abgefallen. Sie lehnten mit den Rücken aneinander und feuerten aus allen verfügbaren Waffen. Der Ansturm schien kein Ende zu nehmen. Die Kugeln boten ein leichtes Ziel, aber ihre Masse schien unendlich zu sein. Als er das riesige Maul dicht vor seinem Gesicht auftauchen sah, drückte Rex Corda ab. Neben ihm hatte Fan Kar Kont seine Waffe auf Dauerfeuer gestellt und bestrich die pulsierenden, sich wie in namenloser Qual biegenden Wände. Sie wußten nicht, wie lange sie kämpften. Vor ihnen türmte sich ein immer höher werdender Berg von Kugeln, die langsam schlaff wurden und durch ihr eigenes Gewicht die unter ihnen liegenden zusammendrückten. Jede Kugel war mit Fäden ausgestattet. Fan Kar Kont machte die Entdekkung, daß sie untereinander verbunden waren. Wie ein teuflisches Netz, ein Muster der Hölle, stürmten sie heran und fielen dem Dauerfeuer zum Opfer. „Schießt auf die Fäden!" rief Fan Kar Kont. Rex Corda nickte. Er hatte die gleiche Entdeckung gemacht. Durch-
trennte man diesen weißen Faden, schienen diese Wesen die Kontrolle über sich zu verlieren. Sie vergaßen ihr Ziel und taumelten planlos durch die schimmernde Grotte, die nur von dem matten Licht aus den Körpern der Kampfkugeln und den hin und her schießenden Strahlen der Waffen erhellt wurde. Einen Moment blickte Rex Corda ungläubig auf Ralf Griffith, der seine Waffe umgedreht hatte und auf eines der Wesen einschlug. Der „Veränderte" brauchte keine Verletzungen zu fürchten. Aber es konnte für ihn ernst werden, wenn sein Raumanzug beschädigt wurde. Im Innern des „Gehirns" herrschte natürlich keine Atmosphäre. Sie alle bewegten sich in der Lymphflüssigkeit. „Zurück, Griffith!" rief Rex Corda. Der „Veränderte" wirbelte eines der seltsamen Kugelwesen über seinen Kopf. Rex Corda öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, da geschah es, was er schon die ganze Zeit über befürchtet hatte. Diesmal war er dem Ansturm der mentalen Ströme nicht gewachsen. Die Wut, die Verzweiflung, die Angst lähmten ihn und fügten ihm körperliche Schmerzen zu. Der Empath Rex Corda taumelte voran. Ehe er zu Boden stürzte, nahm er noch einen phantastischen Gedanken wahr. Seine Augen schienen ihn getrogen zu haben. Die Kugelwesen zogen sich zurück. Der Gedanke verebbte. Rex Corda verlor das Bewußtsein. * Stimmen tönten an sein Ohr, schleppend, müde. „ ... wahrscheinlich ihre Ruhepause", sagte Fan Kar Kont. „Wenn wir das Zeitintervall richtig erfaßt haben, dürften wir für eine Stunde Ruhe haben. Mir
ist das plötzliche Abbrechen schon bei unserem ersten Kampf aufgefallen, doch ich war meiner Sache nicht sicher." „Aber wir kämpften doch zuerst nur mit einem Wesen", erklang die verwunderte Stimme Ralf Griffiths. „Richtig, aber wir haben es nicht getötet, nur verwundet", bekräftigte Latak Decimo. „Wir dachten, es sei tot, aber es machte nur seine Ruheperiode durch. Ich habe jetzt einige dieser Biester untersucht. Ihr Kreislauf ist so eingerichtet, daß er nach etwa hundert Herzschlägen eine Pause braucht. Ich möchte nur wissen, was sie lenkt und ob sie intelligent sind!" „Sie wollen das Universum erobern", murmelte Rex Corda. Er fuhr sich mit der Hand über seine schmerzende Stirn, richtete sich in eine sitzende Stellung auf und grinste seinen Gefährten zu. „Sind Sie auch wirklich wieder in Ordnung?" erkundigte sich Latak Decimo besorgt. „Sie wollen das Universum erobern", wiederholte Rex Corda. „Sie sind besessen von ihrer Idee, das All für sich zu gewinnen!" Er lachte trocken auf, aber in seiner Stimme lag kein Humor. „Arme, betrogene Lebewesen. Sie verteidigen ihr Land." „Wovon, bitte, reden Sie?" erkundigte sich Ralf Griffith. Dann sah er in die Gesichter der anderen. Sie hatten verstanden. „Ja", sagte der Synoptiker Latak Decimo. „So muß es sein. Für diese Wesen ist das ,Gehirn' eine Unendlichkeit. Sie sind stark, sie können in gewissen — vermutlich vorprogrammierten Bahnen — denken. Sie sind nicht schlecht. Aber sie wurden zu einem verbrecherischen Zweck gezüchtet und eingesetzt. Dem ,Gehirn' blieb gar nichts anderes übrig, als uns zu verkleinern. Es ergibt übrigens ein interessantes Dimensionsproblem."
„Eine etwas ungewöhnliche Methode, sich zu heilen", grinste Ga-Venga. Er lachte laut auf. „Die Männer der 'Walter Beckett' als Gegengift." „Gewisse Personen könnte man sogar als Brechmittel verwenden", versicherte Latak Decimo todernst mit einem Seitenblick auf Ga-Venga. „Mr. Corda!" Die Stimme Ralf Griffiths war drängend. „Wir müssen weiter! Decimo hat errechnet, daß die Parasiten jeden Augenblick wieder angreifen können. Wir müssen unbedingt zum Zentrum des ,Gehirns' " Rex Corda riß sich von seinen Gedanken los. Sie wußten nicht, wie lange sie dazu brauchten, durch die verschlungenen Gänge, durch Höhlen und Schluchten dem Zentrum des „Gehirns" zuzustreben. Immer wieder versuchten einzelne Kugeln, die an der Decke hingen, sich auf sie herabfallen zu lassen, aber Fan Kar Kont, Ga-Venga und Ralf Griffith waren wachsam. Der Gleiter hob sich steil in die Luft. Sie überwanden einen hohen Ringwall, der aus glasigen, verfärbten Gehirnpartien gebildet wurde, und dann sahen sie es! Sie befanden sich in einer riesenhaften Grotte. Von der Decke, deren Höhe man nur ahnen konnte, sprühte ein dauernder Regen von leuchtenden Funken. Das wechselnde Licht enthüllte Tausende von roten Kugeln, die an den Wänden klebten. Sie saßen nebeneinander, von weißen Fäden verbunden, ein gigantisches Mosaik. Nur selten konnte man die ursprüngliche Wandung sehen, die vermutlich die Außenwand eine Gehirnwindung bildete. Jetzt mußte die grausame Operation beginnen. Die Mikrochirurgen machten sich an die Arbeit. Es dauerte Stunden, bis sie das „Gehirn" befreit hatten. Die Kugeln
schienen eine Loslösung voneinander nicht vertragen zu können. Sie krümmten sich zusammen, ließen stachlige Pfeile aus ihrem Körper schießen und stürzten zu Boden. Langsam wurde die Wand freigelegt. Sie war von zahllosen Bissen überhäuft, wo die Parasiten ihr Zerstörungswerk begonnen hatten. „Es ist grauenhaft", sagte Latak Decimo leise. „Diese Wesen hier sind nicht schuld. Sie haben gehandelt, wie ihre bösartige Mutation es ihnen vorschrieb." * Die Ausstrahlung hatte sie mit plötzlicher Gewalt gepackt. Und diesmal wurde nicht nur der empathisch veranlagte Rex Corda davon betroffen. Es waren starke, mächtige Gedanken, klar und frei von Schmerz. Es war mehr als ein Dank, den das „Gehirn" ausstrahlte. Ein grauenhaft gepeinigtes Lebewesen hatte Hilfe bekommen. Es hatte vieles dazu beigetragen, aber den wirklichen Einsatz dieser Männer der „Walter Beckett" konnte es nicht befehlen. Die Mühen hatten sich gelohnt. Das „Gehirn" war gerettet! Sie glitten auf dem Lastengleiter durch die verwundenen Gänge und Schluchten. Diesmal leitete das „Gehirn" sie selbst. Dann kamen sie an die gewaltige Wölbung, die wie die Oberfläche einer neuen Welt schimmerte. Das Flüssigkeitsventil. Der Ausgang. * Oberst Polley runzelte erstaunt die Stirn, als der Gleiter aus dem Nichts vor ihm aufwuchs. Soldaten schrien und sprangen zur Seite, die Waffen im Anschlag. „Nicht schießen, Oberst!" grinste Rex
Corda. Auch die anderen weideten sich an den fassungslosen Gesichtern der Soldaten. Aber für Erklärungen war später Zeit. „Sie haben gegen meinen Befehl gehandelt", lächelte Rex Corda. Der Oberst knallte die Hacken zusammen. „Sicher, aber als Leiter der militärischen Abteilung trage ich eine gewisse Verantwortung. Wir hatten auf dem Weg nach unten keine nennenswerten Verluste. Nur leichte Verwundungen." „Kunststück", freute sich Ga-Venga. „Wir haben euch ja den Weg geebnet." „Wir fanden übrigens die beiden Zeitlosen', die sich auf der ,Walter Beckett' befunden hatten — Arga und Vergol, beide tot." Rex Corda nickte. Er hatte es nicht anders erwartet. „Wir fanden auch die sterblichen Überreste von Leutnant Zelatzki. Der Mann wird ein anständiges Raumbegräbnis erhalten." Wiederum nickte Rex Corda. Er mußte immer noch den Schock verdauen, plötzlich wieder zur normalen Größe angewachsen zu sein. Er blickte in einer plötzlichen Eingebung nach oben. Der glänzende Zylinder mit den seltsamen Auswüchsen, an denen sie, unterstützt von den „Zeitlosen", gearbeitet hatten, war verschwunden... Rex Corda sah sich weiter um. Sie befanden sich wieder in dem großen Raum, in dem auch die Kugel des „Gehirns" mit ihren riesigen Zusatzcomputern stand. Überall wimmelten jetzt die „Zeitlosen" herum. Sie blickten die Terraner mit Hochachtung an. Rex Corda aber sah auf den riesigen Bildschirm, auf dem er vor seiner Reise ins Mikroreich ein von kosmischen Stürmen und gigantischen Explosionen aufgewühltes Bild der Raumvakuole gesehen hatte. Jetzt schien sich einiges beruhigt zu
Die „Walter Beckett" hatte sich vom haben. Boden der Welt erhoben und sich in eiAber noch immer drohten die Gewalnen Orbit begeben. ten, die von Sigam Agelon entfesselt Jetzt wartete sie auf die Landungsworden waren. boote, um sie einzuschleusen. Wie eine Verheißung blitzte auf dem Bildschirm ein Stern auf, nein, kein Stern, ein Raumschiff! ENDE
Antigrovitationsautomat: Einrichtung in Raumfahrzeugen, die unabhängig vom Triebwerk arbeitet und Erschütterungen, wie sie z.B. bei schweren Treffern entstehen können, bis auf ein leichtes Vibrieren abschwächt. Fan Kar Kont: laktonischer Wissenschaftler, der sich mit Rex Corda angefreundet hat. Fatlo Bekoval: Ehemaliger laktonischer Agent, jetzt Cordas Freund. Featherhead: Siehe Orathone. Ga-Venga: Dolmetscher, der mit Rex Corda zusammenarbeitet. Holograf: Ein Gerät, ähnlich einem Fernsehschirm, das wirklichkeitsgetreue Bilder übermitteln kann. Hyperraum: Dem bestehenden Kontinuum übergeordneter Raum, der Geschwindigkeiten erlaubt, die über der des Lichts liegen. John Haick: junger Atomwissenschaftler,
Besatzungsmitglied der „Walter Beckett". Kynother: Angehöriger eines Hiifsvolkes der Laktonen. Lakton: Regierungssitz der Laktonen, ist durch eine blaue Energieglocke gesichert. Laktonen: Humanoide (menschenähnliche) Rasse aus der Galaxis, kommt von einem Spiralarm mit 400 bewohnten Planeten. Latak Decimo: Synoptiker an Bord der „Walter Beckett" (siehe Synoptiker). Mutant: Ein Mensch, der durch Veränderung seines Körpers und Gehirns neue, positive oder negative, Eigenschaften bekommen hat. Orathone: Angehöriger der orathonischen Rasse. Wegen der Federn auf dem Kopf anstelle von Haaren werden die Orathonen auch Featherheads genannt. Ralf Griffith: Durch Becon „Veränderter", gilt als unbesiegbar. Freund Rex Cordas. Raumvakuole (Vakuole):
Bezeichnung für das künstlich im Raum geschaffene Reich der „Zeitlosen". Sigam Agelon: Durch Becon veränderter Orathonenführer, der das Reich der „Zeitlosen" zerstören will. Synoptiker: Werden von Geburt an einer Sonderausbildung unterzogen, die sie später befähigt, als science director, grouphead, Wissenschaftsmanager oder wissenschaftlicher Koordinator zu arbeiten. Synoptiker haben als einzige Wissenschaftler Laktons einen universellen Überblick über alle Wissenschaftszweige und -richtungen. Tsati Mutara: Afrikanischer „Veränderter", der der Gefangenschaft der Orathonen entkommen ist. Verkan: Einer der „Zeitlosen". „Zeitlosen", die: Geheimnisvolle Rasse aus dem Randgebiet unseres Spiralarmes, die als Wächter der galaktischen Ordnung gilt, augenblicklich jedoch selbst geschwächt ist.