Ronald Bogaschewsky / Michael Eßig Rainer Lasch / Wolfgang Stölzle (Hrsg.) Supply Management Research
Band 2 aus der ...
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Ronald Bogaschewsky / Michael Eßig Rainer Lasch / Wolfgang Stölzle (Hrsg.) Supply Management Research
Band 2 aus der Reihe Advanced Studies in Supply Management herausgegeben vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME), Frankfurt/Main
Ronald Bogaschewsky Michael Eßig Rainer Lasch Wolfgang Stölzle (Hrsg.)
Supply Management Research Aktuelle Forschungsergebnisse 2009
Reihe: Advanced Studies in Supply Management Herausgeber: BME, Frankfurt/Main
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Stefanie A. Winter Redaktion: Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky, Prof. Dr. Michael Eßig, Prof. Dr. Rainer Lasch, Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Ulrike Müller, Sabine Ursel Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2057-7
Geleitwort Der Bundesverband Materialwirtschaft Einkauf und Logistik e.V. fördert seit mehr als 50 Jahren den konstruktiven, offenen Austausch zwischen Praktikern und Wissenschaftlern. Der Verband unterstützt aktiv das Aufspüren von Innovationen und Trends, das Erarbeiten von Erfolgsansätzen und das Vermitteln von Best Practices. Inzwischen profitieren 7.000 Mitglieder und darüber hinaus eine breite Fachöffentlichkeit vom BME-Netzwerk. Der BME fördert durch die fachliche Einbindung auch externer unabhängiger Knowhow-Träger die Entwicklung neuer Projekte und Lösungen ebenso wie die stete Weiterentwicklung bestehender Ansätze. Eine wichtige Säule der Verbandsarbeit ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Bereich Beschaffung und Logistik, verbunden mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Seit 1988 lobt der Verband den „BME-Wissenschaftspreis“ aus. Gesucht werden die besten Habilitationsschriften und Dissertationen. Herausragende Diplom-Abschlussarbeiten erhalten seit 2003 den „BME-Hochschulpreis“ und seit 2007 den „BME-Preis Trendscouting“. Ich freue mich sehr, dass es mit dem vorliegenden Werk wieder gelungen ist, wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse – zum Teil rund um aktuelle und vieldiskutierte Managementmethoden – transparent zu machen und einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. So bieten die Beiträge zu „Effizienzsteigerung im Einkauf nach Mergers & Acquisitions“ und zu „Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement“ interessante Lösungsansätze für Praktiker in den Unternehmen. Ebenso innovativ sind u.a. die Studien bzw. Analysen zum „Grenzüberschreitenden Dienstleistungseinkauf“ zur „Strategischen Lieferantenentwicklung“, zu „Supply Chain- Initiativen in Zuliefer-Abnehmer-Beziehungen“ und zum „Procurement Event Monitoring“. Mein herzlicher Dank gilt sowohl den Autoren für ihren Input als auch den Professoren Ronald Bogaschewsky (Universität Würzburg), Michael Eßig (Universität der Bundeswehr München), Rainer Lasch (Technische Universität Dresden) und Wolfgang Stölzle (Universität St. Gallen) für ihr großes Engagement. Frankfurt, im Oktober 2009 Dr. Holger Hildebrandt Hauptgeschäftsführer Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.
Vorwort Die vorliegende Schrift ist der zweite Band einer im Jahre 2008 gestarteten Buchreihe, in der jährlich die wissenschaftlichen Fortschritte im Forschungsfeld Supply Management dargelegt werden. Zugleich handelt es sich um den Tagungsband des jeweils im Frühjahr stattfindenden Wissenschaftlichen Symposiums Supply Management, das der Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) ins Leben gerufen hat. Verantwortlich für die Durchführung der Symposien und für die hieraus resultierenden Schriften ist der Wissenschaftliche Beirat des Bundesvorstands des BME. Die sehr hohe Bedeutung der Bereiche Beschaffung, Einkauf, Materialwirtschaft, Logistik und Supply Chain Management – hier zusammengefasst in dem Begriff Supply Management – spiegelt sich in den zunehmend intensiven Forschungsanstrengungen der Wissenschaft wider. Dem stand bisher kaum eine adäquate Diskussions- und Präsentationsplattform im deutschsprachigen Raum gegenüber. Mit dem Wissenschaftlichen Symposium Supply Management und der vorliegenden Schrift wurde diese Möglichkeit geschaffen. Alle in diesem Band aufgenommenen Beiträge mussten sich – bereits bei der Begutachtung für das Symposium – einem Double-blind-review-Verfahren unterziehen und wurden von unabhängigen Gutachtern eingehend geprüft. Zahlreiche Beiträge wurden abgelehnt, da sie den rigorosen Ansprüchen der Evaluatoren nicht genügten. Dabei wurde erstmals eine Unterteilung in wissenschaftliche einerseits und anwendungsnahe Beiträge andererseits vorgenommen. Bei letzteren dominieren Kriterien wie „Praktische Bedeutung“ und „Innovationsgrad“. Es war und ist erklärtes Ziel, ausschließlich exzellente Forschungsergebnisse sowie innovative Beiträge mit hoher Praxisrelevanz zu präsentieren und zu publizieren. Zudem sind erneut Beiträge von Autoren eingegangen, die sich für den BME- Wissenschaftspreis beworben und sich im Zuge des Begutachtungsverfahrens für das Vortragsfinale auf dem Wissenschaftlichen Symposium qualifizieren konnten. Die vorliegende Schrift zeigt die große Breite und erhebliche Tiefe der Erkenntnisse im Bereich Supply Management auf. Es ist dem Wissenschaftlichen Beirat und dem BME ein besonderes Anliegen, diese Arbeiten weiterhin intensiv zu fördern. Im Oktober 2009 Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky, Würzburg Prof. Dr. Michael Eßig, München Prof. Dr. Rainer Lasch, Dresden Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, St. Gallen
Inhaltsverzeichnis
Geleitwort ................................................................................................................................ V Vorwort .................................................................................................................................. VII Inhaltsverzeichnis ................................................................................................................. IX
Teil A Wissenschaftliche Forschungsbeiträge .....................................................1 Identifikation und Bewertung der Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements ....................................................................................................... 3 Prof. Dr. Rainer Lasch und Stefan Winter Abstract ...................................................................................................................................... 3 1
Einleitung ......................................................................................................................... 4
2
Grundlagen ...................................................................................................................... 5
3
Kriterien zur Bewertung der Innovationsleistung ...................................................... 8 3.1 Ableitung der Bewertungskriterien ..................................................................... 8 3.2 Qualitative Innovationskriterien .......................................................................... 9 3.3 Quantitative Innovationskriterien ..................................................................... 11 3.4 Informationsbeschaffung .................................................................................... 14
4
Anwendung der Innovationskriterien........................................................................ 15 4.1 Zuordnung der Kriterien in die einzelnen Unterkategorien der Innovationsleistung ............................................................................................. 15 4.2 Festlegung der Bewertungsdimensionen ......................................................... 18 4.3 Einsatz der Innovationskriterien bei der Lieferantenauswahl ....................... 20 4.4 Einsatz der Innovationskriterien beim Lieferantencontrolling ...................... 22
5
Steuerung der Lieferantenbeziehung ......................................................................... 23
6
Anwendung der Innovationsleistung in der Praxis.................................................. 26
7
Fazit ................................................................................................................................. 32
Literatur ................................................................................................................................... 33 Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung ........................................ 37 Sebastian M. Durst und Prof. Dr. Eric Sucky Abstract .................................................................................................................................... 37 1
Einleitung ....................................................................................................................... 38 1.1 Ausgangssituation und Problemstellung ......................................................... 38 1.2 Zielsetzung und Untersuchungsmethode ........................................................ 41
Inhaltsverzeichnis
1.3
Aufbau der Untersuchung .................................................................................. 42
2
Stand der Metaforschung und konzeptionelle Grundlagen .................................... 42 2.1 Stand der Metaforschung zur Lieferantenentwicklung .................................. 42 2.2 Terminus und Perspektiven der Lieferantenentwicklung.............................. 43 2.3 Bezugsrahmen ...................................................................................................... 45
3
Ergebnisse umfragebasierter Forschung zur Lieferantenentwicklung .................. 46 3.1 Lieferantenentwicklung ...................................................................................... 46 3.2 Auswirkungen auf den Lieferanten .................................................................. 51 3.3 Auswirkungen auf den Abnehmer .................................................................... 54 3.4 Erfolgsfaktoren ..................................................................................................... 56 3.5 Verteilung der Ergebnisse................................................................................... 58 3.6 Rahmenbedingungen .......................................................................................... 59 3.7 Theoretische Fundierung .................................................................................... 61 3.8 Eingesetzte Methoden ......................................................................................... 62
4
Lücken in der umfragebasierten Forschung .............................................................. 65
5
Zusammenfassung und Ausblick ............................................................................... 66
Literatur ................................................................................................................................... 66 Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung ............................... 73 Dr. Alexander Batran Abstract .................................................................................................................................... 73 1
Steigerung des Handlungsspielraum durch strategische Lieferantenentwicklung ................................................................................................................... 73 1.1 Lieferantenentwicklung versus Lieferantenwechsel im Kontext dynamischer Marktanforderungen ................................................................... 74 1.2 Strategische Lieferantenentwicklung ................................................................ 78 1.3 Lieferantenentwicklung als Option ................................................................... 79
2
Modellierung der Lieferantenentwicklung als Realoption ...................................... 81 2.1 Bewertung des Entwicklungsertrages ............................................................... 81 2.2 Realoptionsbewertungsmodell .......................................................................... 83 2.3 Aussagen für die Beschaffungspraxis ............................................................... 87
3
Zusammenfassung ........................................................................................................ 90
Literatur ................................................................................................................................... 91
X
Inhaltsverzeichnis
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen in ZuliefererAbnehmer-Beziehungen ...................................................................................................... 97 Dr. Erik Hofmann und Philip Wessely Abstract .................................................................................................................................... 97 1
Hintergrund und Problemstellung ............................................................................. 97
2
Stand der Forschung ..................................................................................................... 99
3
Methodische Vorgehensweise ................................................................................... 101
4
Monetäre Quantifizierung des Wertbeitrags ........................................................... 103
5
Fallbeispiel: Differenzierte Bestandsführung im Konsignationslager eines Lieferanten der Lebensmittelindustrie .......................................................................................... 111 5.1 Ausgangssituation ............................................................................................. 111 5.2 Quantifizierung des Wertbeitrags des Supply Chain-Konzepts.................. 111
6
Kritische Würdigung .................................................................................................. 116 6.1 Erarbeitete Resultate .......................................................................................... 116 6.2 Grenzen des dargestellten Quantifizierungsansatzes ................................... 117
7
Zusammenfassende Darstellung ............................................................................... 118
Literatur ................................................................................................................................. 119 Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken mit Hilfe von Lieferzeitabweichungen ..................................................................................................... 125 Prof. Dr. Udo Buscher und Dr. Andreas Wels Abstract .................................................................................................................................. 125 1
Einleitung ..................................................................................................................... 125
2
Erhöhte Risiken in der Supply Chain durch veränderte Beschaffungsprozesse 127
3
Quantifizierung von Beschaffungsrisiken durch Lieferzeitabweichungen ......... 129 3.1 Anforderungen an eine Methode zur Quantifizierung von Beschaffungsrisiken ........................................................................................... 129 3.2 Lieferzeitabweichung als Kennziffer für Beschaffungsrisiken .................... 131 3.3 Ein-Faktor-Ansatz als Modellierungsansatz .................................................. 134 3.4 Illustratives Beispiel........................................................................................... 139
4
Zusammenfassung und Ausblick ............................................................................. 141
Literatur ................................................................................................................................. 142
XI
Inhaltsverzeichnis
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung – Zusammenspiel von Diversifikation und Flexibilität ........................................................................................ 147 Dr. Fabian J. Sting, Marc Braun und Prof. Dr. Arnd Huchzermeier Abstract .................................................................................................................................. 147 1
Einführung und Problemstellung ............................................................................. 147
2
Basismodell .................................................................................................................. 149 2.1 Mathematische Grundlagen des zweistufigen Entscheidungsmodells ...... 149 2.2 Industrielle Wasserversorgung als Beispiel externer, kontinuierlicher Risikofaktoren in Produktionsprozessen ........................................................ 151 2.3 Konzeption des Simulationsmodells ............................................................... 153
3
Simulationsergebnisse ................................................................................................ 155 3.1 Der Wert von Flexibilität bei zunehmenden Lieferrisiken ........................... 157 3.2 Der Wert von Flexibilität bei unterschiedlich korrelierten Lieferrisiken .... 159
4
Modellerweiterung ..................................................................................................... 162 4.1 Unsichere Nachfrage ......................................................................................... 162 4.2 Risikoaversion .................................................................................................... 165
5
Fazit ............................................................................................................................... 169
Literatur ................................................................................................................................. 170 Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf – Konzeptionelle Überlegungen und erste empirische Ergebnisse ...................................................................................... 173 Prof. Dr. Rudolf O. Large und Prof. Dr. Tatjana König Abstract .................................................................................................................................. 173 1
Problemstellung und Forschungsfragen .................................................................. 174
2
Erfolg von Dienstleistungsbeziehungen .................................................................. 177
3
Potentielle Einflussgrößen auf den Erfolg von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen ................................................................................................. 179
4
Datenerhebung ............................................................................................................ 184
5
Erste empirische Ergebnisse ...................................................................................... 185 5.1 Erfolg der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung .................. 186 5.2 Leistungsbezogene Einflussgrößen ................................................................. 189 5.3 Umfeldbezogene Einflussgrößen ..................................................................... 191 5.4 Personelle Einflussgrößen ................................................................................. 194
6
Zusammenfassung und weitere Forschung............................................................. 196
Literatur ................................................................................................................................. 197
XII
Inhaltsverzeichnis
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte unter Berücksichtigung der Risikopräferenz des Entscheidungsträgers mit Hilfe des Aspirationsmodells ............................................................................................................. 203 Dr. Michael Oberländer Abstract .................................................................................................................................. 203 1
Einführung ................................................................................................................... 204
2
Lösung des klassischen Newsvendor-Problems als Aspirationsmodell .............. 206 2.1 Modellannahmen und Symbolik ..................................................................... 206 2.2 Herleitung der Optimallösung ......................................................................... 208
3
Eine idealtypische Entscheidungssituation als Basis für eine quantitative Modellierung von hybriden Beschaffungsstrategien ............................................. 212
4
Optimierung von hybriden Beschaffungsstrategien unter Anwendung des Aspirationsmodells ..................................................................................................... 215 4.1 Totalpostponementmodell mit flexibler Verfügbarkeit von Reaktivkapazitäten gegen einen Aufpreis bei den Produktionsstückkosten .......... 215 4.2 Teilpostponementmodell mit flexibler Verfügbarkeit von Reaktivkapazitäten gegen einen Aufpreis bei den Produktionsstückkosten .......... 221 4.3 Optimalität einer totalen Prior-Produktion bei begrenzter Quick-ResponseKapazität in Form einer Option zur Nutzung von Reaktivkapazitäten ..... 227 4.4 Zusammenfassung der analytischen Untersuchungen ................................. 228
5
Übermäßige Betonung der Beschaffung aus Niedriglohnländern aufgrund ungeeigneter extrinsischer Anreizsysteme .............................................................. 229
Literatur ................................................................................................................................. 231
Teil B Anwendungsnahe Beiträge ......................................................................233 Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions – Ein FallstudienDesign .................................................................................................................................... 235 Prof. Dr. Elisabeth Fröhlich und Dr. Tanja Lingohr Abstract .................................................................................................................................. 235 1
Einleitung ..................................................................................................................... 236 1.1 Problemstellung ................................................................................................. 236 1.2 Zielsetzung.......................................................................................................... 236
2
Empirische Methodik: Vorgehensheuristik des Case Research ............................ 237 2.1 Möglichkeiten des Case Research .................................................................... 237 2.2 Gewählte Vorgehensweise zur Implementierung des Case-ResearchProjekts ................................................................................................................ 238
3
Zur Entwicklung des konzeptionellen Integrationsmodells für die Beschaffung .................................................................................................................. 241
XIII
Inhaltsverzeichnis
3.1 3.2
Charakterisierung des konzeptionellen Bezugsrahmens ............................. 241 Diskussion ausgewählter empirischer Befunde ............................................. 244
4
Ansätze zur Effizienzsteigerung ............................................................................... 246 4.1 Situative Erfolgsdeterminanten ....................................................................... 247 4.2 Parameter der organisatorischen Gestaltung ................................................. 250 4.3 Integrationsbarrieren ......................................................................................... 252
5
Zusammenfassung und Ausblick ............................................................................. 254
Anhang................................................................................................................................... 255 Literatur ................................................................................................................................. 256 Procurement Event Monitoring......................................................................................... 261 Prof. Dr. Martin Tschandl, Dr. Sabine Hanusch und Prof. Dr. Wolfgang Ortner Abstract .................................................................................................................................. 261 1
Einleitung ..................................................................................................................... 261
2
Grundlagen des Procurement Event Monitoring.................................................... 264
3
Die Vorbereitung im Procurement-Event-Monitoring-Vorgehensmodell........... 268
4
Der Effizienzkreislauf ................................................................................................. 272
5
Der Effektivitätskreislauf ........................................................................................... 276
6
Zusammenfassung und Ausblick ............................................................................. 281
Literatur ................................................................................................................................. 282 Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement ..................................... 291 Dr. Thomas Andreßen Abstract .................................................................................................................................. 291 1
Einleitung ..................................................................................................................... 292
2
Produktivitätsparadoxon im E-Procurement mit elektronischen Katalogen ...... 292
3
Ansätze zur Überwindung des Produktivitätsparadoxons im elektronischen Katalogeinkauf............................................................................................................. 296 3.1 Managementfehler und unzureichende Nutzung der Technikpotentiale.. 296 3.2 Wirkungsverzögerungen durch Lern- und Anpassungseffekte .................. 298 3.3 Negative Auswirkungen eines Informationszuwachses .............................. 301 3.4 Fehlende Verbundwirkungen und Netzwerkeffekte .................................... 303
4
Fazit ............................................................................................................................... 308
Literatur ................................................................................................................................. 310 Autorenverzeichnis ............................................................................................................. 313
XIV
Teil A Wissenschaftliche Forschungsbeiträge
Identifikation und Bewertung der Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Prof. Dr. Rainer Lasch und Stefan Winter
Abstract Innovationen werden von Unternehmen benötigt, um langfristig wettbewerbsfähig bleiben zu können. Neben den traditionellen Kriterien Kosten, Qualität, Logistik und Technologie sollte deshalb auch das Kriterium Innovation in die Lieferantenbewertung aufgenommen werden. In diesem Beitrag wird ein Kriterienkatalog für eine umfassende Bewertung der Innovationsleistung von Lieferanten vorgestellt, welcher die vier Kategorien Innovationsfähigkeit, Innovationsbereitschaft, Innovationsoutput und Innovationsgrad beinhaltet. Hierzu wurden qualitative und quantitative Innovationsindikatoren mit Hilfe einer Literaturrecherche ermittelt und den vier Kategorien zugeordnet. Die Informationsbeschaffung sowie die Festlegung der Bewertungsdimensionen für die Innovationskriterien werden im Anschluss exemplarisch aufgezeigt. Des Weiteren werden die Anwendung der Innovationsleistung bei der Lieferantenauswahl, beim Lieferantencontrolling und bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung im Rahmen der Lieferantenpflege, Lieferantenintegration, Lieferantenerziehung, Lieferantenförderung und Lieferantenentwicklung vorgestellt. Zur Überprüfung der Anwendung der Innovationsleistung in der Praxis wurde eine Unternehmensbefragung mit Hilfe eines Interviewleitfadens durchgeführt. Die Interviewpartner – Experten aus dem Bereich Einkauf – wurden über Innovationen ihrer Lieferanten und angewendete Innovationskriterien befragt. Weiterhin wurden der Einfluss der Bewertungssituation auf die Auswahl des Kriteriums Innovation sowie der Einbezug des Bereichs Innovation bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung durch die Befragung überprüft.
Wissenschaftliche Beiträge
1
Einleitung
„Innovationen sind (...) ein wichtiger Beitrag (...) für die Positionierung als Kostenoder Nutzenführer“ (Kämpf, 2007, S. 220). Sie sind für Unternehmen lebenswichtig und werden dazu benötigt, langfristig wettbewerbsfähig bleiben zu können. Dazu bedarf es der regelmäßigen Entwicklung von Produkten und Verfahren (Disselkamp, 2005, S. 15). Die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Produkte resultiert aus dem technologischen Fortschritt, veränderten Kundenbedürfnissen und kürzeren Produktlaufzeiten (Cooper, 2002, S. 8-9). Verfahrensinnovationen dienen dazu „in schnellerem Tempo bessere Produkte auf dem Markt einzuführen und die Aufwendungen für den gesamten Lebenszyklus der Produkte zu verringern“ (Pleschak, 1991, S. 7). Da Innovationen arbeitsteilig entstehen, muss das Innovationsmanagement zunehmend die gesamte Wertschöpfungskette betrachten (Elmer, 1995, S. 64). Bestimmte innovationsorientierte Ziele können nur durch Zusammenarbeit von Entwicklungsabteilung und den daran beteiligten Bereichen und damit auch der Beschaffung sowie folglich auch der beteiligten Lieferanten erfüllt werden (Folker, 1993, S. 35). Innovationsquellen sowie der Innovationsprozess sind selten auf das eigene Unternehmen begrenzt (Dodgson, 1996, S. 285). Lieferanten dienen als „wichtige Quelle für eigene Innovationen des Abnehmers (...) [, da sie] über eigene Marktkenntnisse, Forschung und Entwicklung sowie Produkt- und Verfahrensinnovationen“ verfügen (Disselkamp/Schüller, 2004, S. 141). Unternehmen verlassen sich zunehmend auf Innovationen ihrer Lieferanten, um Kosten, Qualität und Pünktlichkeit ihrer Produkte zu verbessern (Azadegan u.a.; 2008, S. 14). Die Auswahl und Kontrolle des Lieferanten erfolgt durch das Lieferantenmanagement, wobei die Lieferantenbewertung mit einem Bewertungssystem durchgeführt wird. Die Kriterien Preis, Qualität, Logistik und Technik bzw. Technologie sind dabei allgemein die gebräuchlichsten bei der Lieferantenbewertung (Arnold, 1997, S. 179; Ferreras, 2007, S. 15-16). Ein Lieferant kann aber auch andere Wettbewerbsvorteile liefern wie beispielsweise Innovationsvorsprünge. Mit steigendem Wertschöpfungsanteil des Lieferanten nimmt die Bedeutung seiner Fähigkeiten zu und damit auch seine Innovativität (Jahns/Moser, 2006, S. 115-116). Folglich sollte neben den traditionellen Kriterien Kosten, Qualität, Logistik und Technologie auch das Kriterium Innovation als eigenständiger Bereich in die Lieferantenbewertung aufgenommen werden. Durch innovative Lieferanten kann sich ein Unternehmen weitere Wettbewerbsvorteile sichern. Aufgrund des derzeitigen Trends der Beschaffung, bei der Lieferantenbewertung immer detailliertere und spezifischere Messgrößen zu verwenden (Large, 2006, S. 4), wird es notwendig, das Kriterium Innovation detaillierter zu betrachten und in spezifischere Subkriterien zu zerlegen. Mit der vorliegenden Arbeit wird die Bewertung der Innovativität von Lieferanten durch die Verwendung des Kriteriums Innovation bei der Lieferantenauswahl und beim Lieferantencontrolling vorgestellt. Die Arbeit verfolgt dabei das Ziel, einen
4
Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
umfassenden und strukturierten Kriterienkatalog für die Bewertung der Innovativität von Lieferanten zu entwickeln, welchen es bisher in der Literatur nicht gibt. Dazu müssen zunächst geeignete Subkriterien für das Kriterium Innovation abgeleitet bzw. gefunden und anschließend geeigneten Unterkategorien des Kriteriums Innovation zugeordnet werden. Des Weiteren wird der Einsatz des Kriteriums Innovation im weiteren Lieferantenmanagementprozess bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung aufgezeigt. Die Verwendung des Kriteriums Innovation im Rahmen des Lieferantenmanagements in der Unternehmenspraxis wird durch die Ergebnisse einer Interviewbefragung vorgestellt. Daraus können folgende Forschungsfragen abgeleitet werden:
Welche Kriterien können zur Bewertung der Innovativität von Lieferanten verwendet werden?
Wie erfolgt die Anwendung der Innovationskriterien? Wie kann der Bereich Innovation bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung eingesetzt werden?
Wie wird der Bereich Innovation bei der Lieferantenbewertung und bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung in der Praxis umgesetzt? Der Aufbau der Arbeit gliedert sich dabei in sieben Kapitel. Kapitel 1 umfasst die Problemstellung, die Motivation, die Zielsetzung, die Forschungsfragen und den Aufbau der Arbeit. Kapitel 2 widmet sich wichtigen theoretischen Grundlagen zum Thema Innovation im Rahmen der Lieferantenbewertung. In Kapitel 3 erfolgt die Vorstellung von qualitativen und quantitativen Kriterien für die Bewertung der Innovativität von Lieferanten sowie deren Informationsbeschaffung. Im vierten Kapitel wird die Anwendung der Innovationskriterien vorgestellt, wobei ein Kriterienkatalog, die Festlegung der Bewertungsdimensionen und der Einsatz der Kriterien bei der Lieferantenauswahl und beim Lieferantencontrolling aufgezeigt werden. Kapitel 5 betrachtet das Thema Innovation bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung. In Kapitel 6 wird vorgestellt, wie Unternehmen die Innovativität ihrer Lieferanten in der Praxis bewerten und das Thema Innovation berücksichtigen. Im abschließenden siebten Kapitel werden die gewonnenen Erkenntnisse kurz zusammengefasst.
2
Grundlagen
Die Kriterien, die bei der Lieferantenbewertung zum Einsatz kommen, können sich je nach Einkaufssituation sowie Branche unterscheiden (Wang u.a., 2005, S. 393). Des Weiteren ist die Auswahl der Kriterien auch abhängig von der Stufe der Wertschöpfungskette, in der sich das beschaffende Unternehmen befindet (Choi/Hartley, 1996, S. 341). Die Fähigkeit von Lieferanten, Innovation zur Verfügung zu stellen, ist nach
5
Wissenschaftliche Beiträge
einer empirischen Umfrage von 558 Unternehmen aus 17 Ländern bei deutschen im Vergleich zu ausländischen Industrieunternehmen als Auswahlkriterium höher gerankt. Folglich legen deutsche Unternehmen mehr Wert auf das Kriterium Innovation und setzen deshalb auch voraus, dass deren Lieferanten innovativ und fähig sind, an Design-Aktivitäten teilzunehmen (Wang u.a., 2005, S. 403). Eine wichtige Voraussetzung ist, dass die Innovationen des Lieferanten für das Abnehmerunternehmen auch nützlich und sinnvoll sind (Kunz, 2006, S. 34). Wie ein Lieferant Nutzen stiften kann, ist von der jeweiligen Wettbewerbsstrategie des Abnehmers abhängig. Während die Nutzenführerschaft sich besser durch Produktinnovationen umsetzen lässt, eignen sich für die Kostenführerschaft mehr Prozessinnovationen (Disselkamp, 2005, S. 62). Daraus resultiert die Frage, ob ein Lieferant eher durch Produktinnovationen oder Prozessinnovationen bzw. beiden zum Nutzen des Abnehmers und somit zu seiner Wettbewerbsstrategie beitragen soll. Neben dem Nutzen der Produkt- oder Prozessinnovationen muss auch ein gesundes Kosten-Nutzen-Verhältnis vorliegen und die Leistung auch zeitlich fristgemäß verfügbar sein (Vahs/Burmester, 2005, S. 60). Dadurch wird ersichtlich, dass die verschiedenen Lieferantenbewertungskriterien in unterschiedlicher Beziehung zueinander stehen. Beispielsweise korrelieren Innovation und Kosten stark miteinander, während Lieferung und Innovation eher schwach korreliert sind (Krause u.a., 2001, S. 507). Daraus kann abgeleitet werden, dass mehr Innovation mit steigenden Kosten verbunden ist, sowie mehr Innovation mehr Zeit kostet. Wird beispielsweise ein hochinnovatives Produkt hergestellt oder ein bestehendes Produkt stark verbessert, kann dies mit einem hohen Kostenaufwand verbunden sein, der durch einen hohen Preis an den Abnehmer weitergegeben wird. Des Weiteren erfordert dies gewöhnlich mehr Zeit, wodurch das Produkt eventuell erst später verfügbar ist. Folglich kann zu viel Innovation aus Sicht des Abnehmers unbrauchbar, ungeeignet und damit sogar schlecht sein. Im Gegensatz zu Produktinnovationen können Prozessinnovationen Arbeitszeit einsparen, die Prozessdauer verkürzen und auch Material und Energie einsparen (Ritter, 2005, S. 629).
„Innovationen entstehen in einem mehr oder weniger umfangreichen Prozeß“ (Pleschak/Sabisch, 1996, S. 24). In diesem Innovationsprozess werden mehrere Produktionsfaktoren (Inputs) miteinander kombiniert, welche dann zu bestimmten Ergebnissen (Outputs) führen (Werner, 2002, S. 36-37). Grundlegend handelt es sich bei einer Innovation um etwas Neuartiges (Hauschildt/Salomo, 2007, S. 3). In der Literatur ist keine allgemeingültige und einheitliche Definition vorzufinden (Pleschak/Sabisch, 1996, S. 1). Jedoch ist eine Innovation durch eine inhaltliche, subjektive, prozessuale und normative Dimension gekennzeichnet (Hauschildt/Salomo, 2007, S. 8). Zur Darstellung des Innovationsgeschehen können die Unterbegriffe Innovationsgrad, Innovationspotential, Innovationskraft, Innovationsfähigkeit, Innovationsoutput, Innovationsorientierung, Innovationsleistung sowie Innovationsbereitschaft verwendet werden (vgl. Tabelle 1).
6
Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Tabelle 1:
Begriffe zur Definition von Innovationsgeschehen auf der Unternehmensebene (in Anlehnung an Vatchagan, 2003, S. 14)
Bezeichnung
Innovationsgrad Innovationspotential Innovationskraft Innovationsfähigkeit Innovationsoutput Innovationsorientierung Innovationsleistung Innovationsbereitschaft
Inhaltliche Dimension: • Was ist neu?
Subjektive Dimension: • Neu für wen?
• Produkt- bzw. Prozessinnovation
• Experten, Führungskräfte, Branche, Nation bzw. Menschheit x x x x x x x x
x (x) (x) (x) x x x x
Prozessuale Dimension: • Wo beginnt, wo endet die Neuerung? • Von der Idee zur laufenden Verwertung
Normative Dimension: • Neu = erfolgreich? • Erwarteter vs. realisierter Erfolg
x x x x x x
x
x voll erfüllt; (x) teilweise erfüllt
Aus der Tabelle 1 wird ersichtlich, dass die Innovationsleistung die inhaltliche, subjektive, prozessuale sowie normative Dimension der Innovation beinhaltet und damit die Innovationsaspekte auf Unternehmensebene am besten beschreibt (Vatchagan, 2003, S. 14). Die Innovationsleistung kann definiert werden als „die Güte bzw. Qualität der Leistungserstellung entlang eines betrieblichen Innovationsprozesses“ (Werner, 2002, S. 43). Dabei umfasst die Innovationsleistung gleichermaßen Innovationen (Outputs) als auch die Innovationsbemühungen (Inputs) von Unternehmen. Die Innovationsbemühungen beinhalten zugleich die Imitation einer Innovation eines anderen Unternehmens, da hierzu hohe Innovationsanstrengungen vorausgehen. Somit stellt die Imitation auch eine Art von Innovation dar (Vatchagan, 2003, S. 15). Dadurch, dass die Innovationsleistung sowohl von einem Unternehmen hervorgebrachte Innovationen als auch dessen Innovationsbemühungen umfasst, wird im Folgenden zur Bewertung der Innovativität von Lieferanten diese als Oberbegriff verwendet. Die Begriffe Bewertung und Beurteilung werden in dieser Arbeit gleichbedeutend eingesetzt. Das Kriterium Innovation sollte je nach Zweckmäßigkeit und angestrebtem Detaillierungsgrad bei der Lieferantenbewertung verwendet werden, da damit ein zusätzlicher Wettbewerbsvorteil erschlossen werden kann. Stellvertretend für das Kriterium Innovation kann die Innovationsleistung als eigenes Hauptkriterium einbezogen werden. Der Begriff Innovationsleistung dient als Oberbegriff für weitere Teilbereiche, denen konkrete Kriterien zugeordnet werden können. Als weitere Teilbereiche des Kriteriums Innovation eignen sich ausgewählte Begriffe aus Tabelle 1. Da bestimmte Begriffe die verschiedenen Dimensionen der Innovation in ähnlicher Weise erfüllen, wird hier
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Wissenschaftliche Beiträge
vorgeschlagen, sich auf die Begriffe Innovationsgrad, Innovationsfähigkeit, Innovationsoutput und Innovationsbereitschaft zu beschränken. Die Innovationsfähigkeit und die Innovationsbereitschaft können dazu verwendet werden, die Innovationsbemühungen bzw. die Innovationsanstrengungen eines Lieferanten zu beschreiben. Der Innovationsoutput gibt Aufschluss über die bereits hervorgebrachten Innovationen und der Innovationsgrad über den Grad der Neuigkeit eines Produktes oder Prozesses. Den vier Teilbereichen Innovationsfähigkeit, Innovationsbereitschaft, Innovationsoutput und Innovationsgrad können verschiedene Kriterien zur Bewertung der Innovativität zugeordnet werden. Im folgenden Kapitel werden verschiedene Innovationskriterien vorgestellt, welche den verschiedenen Subkategorien der Innovationsleistung zugeordnet werden und mit welchen schließlich die Innovativität von Lieferanten bewertet werden kann.
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Kriterien zur Bewertung der Innovationsleistung
3.1
Ableitung der Bewertungskriterien
Da die Innovationsleistung sich nicht direkt beobachten lässt, müssen geeignete Innovationsindikatoren zur Erfassung der Innovationsleistung verwendet werden (Vatchagan, 2003, S. 27). Die Innovationsindikatoren sind hierbei als Stellvertretervariablen zu verstehen und sollen als Kriterien zur Bewertung der Innovationsleistung von Lieferanten zum Einsatz kommen. Zur Ableitung von geeigneten Innovationsindikatoren wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt. Zuerst wurde eine Literaturrecherche durchgeführt, um geeignete Innovationsindikatoren zu identifizieren und deren grundsätzliche Anwendbarkeit bei der Lieferantenbewertung zu überprüfen. Hierbei wurde auf die Voraussetzungen für sowie die Entstehung von Innovationen zurückgegriffen, um sowohl die Innovationsbemühungen als auch die hervorgebrachten Innovationen zu erfassen und somit der prozessualen Dimension der Innovationsleistung Rechnung zu tragen. Die identifizierten Innovationsindikatoren wurden anschließend mit den wenigen in der Literatur zur Lieferantenbewertung gefundenen Innovationenkriterien in einem Kriterienkatalog zusammengeführt. Darauf aufbauend wurde durch eine empirische Untersuchung der Einsatz von Innovationskriterien in der Praxis untersucht und damit die Anwendbarkeit der identifizierten Innovationsindikatoren verifiziert. Bei den Bewertungskriterien kann zwischen qualitativen und quantitativen Kriterien unterschieden werden. Quantitative Größen lassen sich eindeutig messen und in Zahlen ausdrücken. Dagegen lassen sich qualitative Größen nicht objektiv messen. Qualitative Kriterien können aber durch die Messung von Hilfsgrößen oder durch die subjektive Einschätzung von Personen beurteilt werden. Subjektive Einschätzungen 8
Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
können weiterhin durch das Zuordnen von Zahlen, zum Beispiel Noten oder Punkte, bewertet und damit quantifiziert werden (Sabisch/Tintelnot, 1997, S. 27). Die Innovationskriterien sollen eine objektive Bewertung von Lieferanten ermöglichen. Eine Bewertung ist objektiv, wenn diese interpersonell stabil und frei von intrapersonellen Einflüssen ist (Dreger, 1999, S. 29). Eine grundsätzliche Voraussetzung der Anwendung der Innovationskriterien ist, dass die Daten zur Bewertung der Innovationskriterien auch beschafft werden können. Welche qualitativen und quantitativen Indikatoren sich für die Bewertung der Innovativität von Lieferanten eignen und verwendet werden können, wird im Folgenden vorgestellt.
3.2
Qualitative Innovationskriterien
Um die Innovationsleistung von Lieferanten qualitativ beurteilen zu können, kann zunächst der Frage nachgegangen werden, was die Voraussetzungen sind, damit Innovationen entstehen können. Unternehmen können innovativ sein, wenn diese über ein hohes Entwicklungspotential verfügen. Dazu benötigt ein Unternehmen beispielsweise Produkt- und Prozess-Know-how sowie IT-Systeme (Schiele, 2006, S. 929). Diese qualitativen Innovationskriterien können dem Bereich Innovationsfähigkeit zugeordnet werden. Weiterhin wird die Innovationsfähigkeit durch die Kombination des Wissens und Könnens bestimmt (Witten u.a., 2007, S. 34). Dabei ist die Innovationsfähigkeit abhängig von der Ausbildung, der Erfahrung und von der Schulung der Mitarbeiter (Souitaris, 1999, S. 292). Die Qualifizierung der Mitarbeiter des Lieferanten kann entweder subjektiv abgeschätzt oder durch Hilfsgrößen ƺ wie beispielsweise Ausbildung, Erfahrung und Schulungen der Mitarbeiter ƺ gemessen werden. Dabei kann zum Beispiel der Anteil von Hochschulabsolventen an der gesamten Mitarbeiterzahl des Lieferanten, die Regelmäßigkeit oder Anzahl von Schulungen der Mitarbeiter zur Bewertung der Qualifikation herangezogen werden. Neben personellen Ressourcen wird die Innovationsfähigkeit aber auch durch materielle Ressourcen des Unternehmens bestimmt. Zu den materiellen Ressourcen zählt das Forschungslabor oder beispielsweise, ob Grundlagenforschung im Unternehmen vorhanden ist (Pleschak/Sabisch, 1996, S. 45; Janker, 2004, S. 94; Glantschnig, 1994, S. 77). Die Grundlagenforschung kann auch dem Produkt- und Prozess-Know-how zugeordnet werden. Weitere materielle Ressourcen sind IT-Werkzeuge, die den Innovationsprozess auf viele verschiedene Arten unterstützen können. Als Beispiele können hier die Softwareunterstützung für die Quality-Function-Deployment-Methode sowie CAD-Systeme genannt werden (Leimeister u.a., 2005, S. 333). Welche Forschungseinrichtungen und IT-Werkzeuge notwendig sind, ist abhängig vom jeweiligen Beschaffungsobjekt. Deshalb sollte eingeschätzt werden, ob der Lieferant die notwendige Ausstattung des FuEBereichs zur Erzeugung von Innovationen besitzt und ob diese auch dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Des Weiteren können Lieferanten als innovativ eingeschätzt werden, wenn diese mit mehreren Organisationen gemeinschaftliche Beziehungen pflegen (Schiele, 2006, S. 929). Die gemeinschaftlichen Beziehungen zu mehre-
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Wissenschaftliche Beiträge
ren Organisationen sind zwar keine unmittelbaren Voraussetzungen, damit Innovationen entstehen können. Diese sind jedoch förderlich für Innovationen und stellen außerdem zusätzliche Ressourcen zur Erzeugung von Innovationen dar. Deshalb sollten diese in die qualitative Beurteilung der Innovationsfähigkeit aufgenommen werden. Eine weitere Voraussetzung zur Entstehung von Innovationen ist die Innovationsbereitschaft. Die Innovationsbereitschaft setzt voraus, dass die Fähigkeit Innovationen zu erzeugen, auch angewendet wird (Witten u.a., 2007, S. 35). Das bedeutet, dass das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern auch dazu motiviert sein muss, Veränderungen hervorzurufen. Dies ist aus den Unternehmenszielen, der Unternehmensstrategie und der Innovationsfreudigkeit der Mitarbeiter ersichtlich (Disselkamp, 2005, S. 60-67). Das Vorhandensein von Aussagen über Innovationen bzw. Verbesserungen in den Unternehmenszielen ist eine wichtige Voraussetzung, die Mitarbeiter zur Innovationsbereitschaft zu bewegen (Disselkamp, 2005, S. 60). Aus den Unternehmenszielen bzw. Innovationszielen ist ersichtlich, ob ein Unternehmen überhaupt den Willen hat, Innovationen zu erzeugen. Jedoch sollte auch darauf geachtet werden, was der Lieferant auch wirklich in der Vergangenheit umgesetzt hat. Dies ist aus der Innovationsstrategie ersichtlich, da diese bereits hervorgebrachte Innovationen betrachtet. Die Innovationsstrategie gibt Auskunft darüber, inwieweit ein Unternehmen Innovationsführer ist und somit Innovationen aktiv oder passiv auf den Markt bringt. Dabei kann zwischen Pionieren, frühen Folgern, Modifikatoren und Nachzüglern unterschieden werden (Disselkamp, 2005, S. 60-65). Die Innovationsfreudigkeit der Mitarbeiter hingegen kann beispielsweise durch Vorschläge zu Produkt- und/oder Prozessinnovationen als Hilfsgröße beurteilt werden. Dabei werden jedoch nur die Vorschläge der Mitarbeiter des Lieferanten erfasst, welche in Kontakt mit dem Abnehmerunternehmen stehen. Da diese jedoch prinzipiell als eine Bündelung der Vorschläge der gesamten Mitarbeiter angesehen werden können, ist es sinnvoll, sich auf diese Vorschläge zu beschränken. Grundsätzlich sollten auch nur die nützlichen und sinnvollen bzw. die in der Vergangenheit umgesetzten Vorschläge in die Bewertung einbezogen werden, da nur diese relevant sind. Zusammenfassend lässt sich schon an dieser Stelle festhalten, dass Innovationen von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig sind. Es lassen sich sicherlich weitere qualitative Kriterien ableiten, welche bei der Lieferantenbewertung eingesetzt werden können, weshalb hier kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. Die abgeleiteten qualitativen Kriterien stellen vorwiegend Voraussetzungen für das Entstehen von Innovationen dar und können nur subjektiv oder durch Hilfsgrößen eingeschätzt werden. Deshalb werden weitere Kriterien benötigt, welche auch die bereits hervorgebrachten Innovationen umfassen sowie quantifizierbar sind.
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
3.3
Quantitative Innovationskriterien
Die quantitative Beurteilung der Innovationsleistung kann mit Hilfe von bestimmten Indikatoren erfolgen, die aus dem Innovationsprozess abgeleitet werden können (Schwitalla, 1993, S. 10). Die Inputs stellen dabei wiederum Voraussetzungen dar, damit Innovationen entstehen können. Die Outputs sind dagegen bereits hervorgebrachte Innovationen. In der Innovationsforschung werden zur Messung der Innovativität verschiedene Input- und Outputindikatoren für Unternehmens-, Branchen- und Ländervergleiche verwendet. Generell ergeben sich Probleme mit den Daten. Einerseits ist die Beschaffung der erforderlichen Daten durch das Geheimhaltungsbedürfnis der Unternehmen nur schwer bzw. nur auf freiwilliger Basis der Lieferanten oder gar nicht möglich. Anderseits ergeben sich Probleme mit der Messgenauigkeit, da die ermittelten Größen wiederum nur Indikatorfunktion für die Ermittlung der Innovativität von Unternehmen haben (Schwitalla, 1993, S. 99). Die Inputindikatoren umfassen die FuE-Ausgaben, die FuE-Intensität, das FuE-Personal, Investitionen in FuE-intensive Ausrüstungen, Materialien und Komponenten, Investitionen in neue Produktionseinrichtungen, Ausgaben für Gebühren und Lizenzen, die gesamten Innovationsaufwendungen sowie die FuE-Förderung. Neben der Verwendung der FuE-Ausgaben als absolute Größe können diese auch ins Verhältnis gesetzt werden. Hierbei bieten sich der Umsatz eines Unternehmens oder einer Branche an (Schwitalla, 1993, S. 126). Dadurch ergibt sich die FuE-Intensität, welche auch als FuE-Quote bezeichnet wird (Vatchagan, 2003, S. 18). Die FuE-Intensität hat den Vorteil, dass Unternehmen unterschiedlicher Größen miteinander verglichen werden können (Schwitalla, 1993, S. 126). Die FuE-Ausgaben bzw. die FuE-Intensität liefern zwar keine direkte Aussage über die konkrete Innovativität eines Lieferanten, jedoch kann dadurch der unternehmerische Wille zur Erzeugung von Innovationen gemessen werden. Dagegen eignet sich das FuE-Personal besser, um die technologische Fähigkeit zur Erzeugung von Innovationen zu messen (Schwitalla, 1993, S. 150). Die Investitionen in FuE-intensive Ausrüstungen, Materialien und Komponenten als Teil der FuE-Ausgaben geben darüber Auskunft, wie sehr sich ein Lieferant bemüht, auf dem aktuellen Stand der Technik zu sein. Die Investitionen in neue Produktionseinrichtungen sind ein Inputindikator für von außerhalb des Unternehmens zugeführte Technologien. Diese sind sowohl für Prozessinnovation entscheidend als auch Bedingung für die Einführung neuer Produkte (Schwitalla, 1993, S. 106). Die Ausgaben für Gebühren und Lizenzen können als Ergänzung bei der Analyse des Indikators FuE-Personal dienen, da beispielsweise eine geringe Anzahl an FuE-Personal durch die externe Wissensbeschaffung kompensiert werden kann. Ein umfassender Indikator für den Innovationsinput sind schließlich die Innovationsaufwendungen eines Unternehmens. Diese umfassen neben den FuE-Ausgaben, die für das FuE-Personal, für die Beschaffung von externem Wissen, für FuE-intensive Ausrüstungen, Materialien und Komponenten sowie Investitionen in neue Produktionseinrichtungen entstehen, auch die Ausgaben für die Produktgestaltung, für Schulung und Weiterbildung von Mitarbeitern, für die Versuchsproduktion, für die Marktforschung, für die Markteinfüh-
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rung, für neue Produktionstechnologien und Vertriebswege sowie für die Vorbereitung der Produktion (Korjamo, 2007, S. 313). Die Verwendung der Innovationsaufwendungen hat den Vorteil, dass die gesamten Innovationsbemühungen erfasst werden. Letztendlich beinhalten die Indikatoren, bei welchen es sich um Ausgaben bzw. Investitionen handelt, Informationen über die Innovationsbereitschaft eines Lieferanten, da diese den Willen abbilden, Innovationen zu erzeugen. Die finanziellen Zuwendungen durch die staatliche Förderung können Hinweise auf die Innovationsfähigkeit eines Lieferanten geben, da die finanziellen Ressourcen die Grundlage für Innovationsaktivitäten sind. Die staatliche FuE-Förderung kann ins Verhältnis zu den FuEAusgaben eines Unternehmens gesetzt werden. Aus diesem Verhältnis kann abgelesen werden, ob die Innovationsanstrengungen des Unternehmens mehr marktgerichtet sind oder vorwiegend aufgrund staatlicher Anstöße durchgeführt werden (Schwitalla, 1993, S. 139). Die FuE-Aktivitäten führen im weiteren Innovationsprozess zu verschiedenen Outputs. Beispielsweise entstehen zuerst neue Ideen, dann Patente, Publikationen und schließlich neue Produkte (Werner, 2002, S. 89). Mit Hilfe der Outputindikatoren können Aussagen über die Effizienz von FuE-Aktivitäten gemacht werden (Schwitalla, 1993, S. 106). Zu den Patentindikatoren gehören die Anzahl der Patentanmeldungen, die Anzahl der Patenterteilungen und die Anzahl der Patentzitate. Während es sich bei den Patentanmeldungen um subjektiv wahrgenommene Neuerungen handelt, beinhalten die erteilten Patente hingegen nur Patente, die für Weltneuheiten vergeben werden (Grupp, 1997, S. 164). Die Qualität der Patente kann mit Hilfe der Patentzitate ermittelt werden (Vatchagan, 2003, S. 22). Durch die Analyse der Patentzitate in einem Patent können Aussagen über den Neuheitsgrad der Erfindungen und somit über deren Innovationsgrad gemacht werden. Die Anzahl der späteren Zitate eines Patents stellvertretend als Anzeichen für weitere Innovationen kann andererseits als Beweis für die bahnbrechende Eigenschaft eines ursprünglichen Patents dienen (Trajtenberg, 1990, S. 184). Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen eines Unternehmens sind ebenso das Ergebnis vorangegangener Forschungsarbeiten (Vatchagan, 2003, S. 22-23). Zur Messung der Effizienz und Leistung von FuE können die Anzahl von Publikationen und deren Zitierungen oder die Anzahl der veröffentlichten Seiten als konkrete Indikatoren im Bereich der wissenschaftlichen Veröffentlichungen verwendet werden (Werner, 2002, S. 99). Die Indikatoren der wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind jedoch den Patentindikatoren zur Messung der Innovativität unterlegen, da es sich bei den Patentindikatoren meist um kommerziell verwendbare Erfindungen handelt (Vatchagan, 2003, S. 22-23). Deshalb sollte den Patentindikatoren der Vorrang gelassen werden. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die wissenschaftlichen Veröffentlichungen als wichtige Informationsquelle für eine ergänzende Betrachtung neben den Patentindikatoren dienen können, vor allem wenn nur wenige Patente bei bestimmten Unternehmen oder in einer Branche vorliegen. Ein Vorteil der Patentindikatoren und der Indikatoren der wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist, dass die Daten öffent-
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
lich zugänglich sind und somit leichter beschaffbar sind als beispielsweise die Daten der Inputindikatoren. Die Produkt- und Prozessinnovationen sind schließlich weitere Outputs der Innovationsanstrengungen eines Unternehmens. Hierbei können die Indikatoren Abzählen von Innovationen, die literaturgestützte Innovationsstatistik, Umsätze mit innovativen Produkten, die Anzahl der Markenregistrierungen sowie die technometrischen Spezifikationen zum Einsatz kommen (Korjamo, 2007, S. 306; Schwitalla, 1993, S. 11; Vatchagan, 2003, S. 17). Die Anzahl von Innovationen wird über einen bestimmten Zeitraum, zum Beispiel ein Jahr, betrachtet. Daraus ergibt sich dann die Innovationshäufigkeit bzw. die Innovationsrate. Die Anzahl von Innovationen kann entweder mit Hilfe eines Fragebogens (Abzählen von Innovationen) oder durch eine Recherche in Zeitschriften (literaturgestützte Innovationsstatistik) ermittelt werden. Eine Alternative für die Anzahl von Innovationen ist der Indikator Umsätze mit innovativen Produkten. Hierbei werden die Umsätze eines Unternehmens, welche durch neue Produkte erwirtschaftet werden, betrachtet. Der Indikator hat den Vorteil, dass die neuen Produkte durch deren Umsatz am Markt bewertet werden (Grupp, 1997, S. 198). Die Anzahl der Markenregistrierungen, welche auch als Trademarks bezeichnet werden, ist ein weiterer Outputindikator, welcher als komplementärer Indikator zur Messung der Innovativität von Unternehmen benutzt werden kann. Vorteilhaft bei der Anwendung von Markenregistrierungen als Indikator ist, dass er zeitnaher ist als zum Beispiel die Anzahl der Patente, da diese näher am Zeitpunkt der Vermarktung neuer Produkte oder Dienstleistungen liegen (Mendonca u.a., 2004, S. 1391-1392). Die Ermittlung der Höhe der Innovation erfolgt mit dem Innovationsgrad. Beim Innovationsgrad kann zwischen dem Produkt- und dem Prozessinnovationsgrad unterschieden werden. Diese können beispielsweise mit Hilfe des Indikators technometrische Spezifikationen erfasst werden, womit technologische Innovationen gemessen werden (Korjamo, 2007, S. 306). Der technometrische Indikator wird aus der Gewichtung einzelner technischer Leistungsmerkmale eines Produktes oder Prozesses errechnet (Schwitalla, 1993, S. 13). Dessen Ermittlung ist jedoch aufwendig und setzt den Einbezug von Experten voraus. Die Input- und Outputindikatoren können auch miteinander kombiniert werden. Mit Hilfe der Kombination von input- und outputbezogenen Indikatoren kann die Effizienz der Innovationsanstrengungen gemessen werden. Je mehr Output dabei eine bestimmte Menge Input erzeugt, desto höher ist die Fähigkeit des Inputs, Innovationen zu erzeugen. Die Kombination erfolgt dadurch, dass Outputindikatoren mit bestimmten Inputindikatoren ins Verhältnis gesetzt werden. Als Inputindikator bieten sich beispielsweise die Anzahl des FuE-Personals und als Outputkennzahlen die Anzahl der Patente, die Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen sowie die Anzahl von Innovationen an. Daraus können zum Beispiel die Kennzahlen Anzahl der Patente pro FuE-Mitarbeiter, Anzahl der Publikationen pro FuE-Mitarbeiter sowie Anzahl von Innovationen pro FuE-Mitarbeiter gebildet werden.
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Wissenschaftliche Beiträge
3.4
Informationsbeschaffung
Wie in Kapitel 3.1 beschrieben sollen die Innovationskriterien bestimmte Anforderungen erfüllen. Die Grundvoraussetzung für die Bewertung der Innovativität der Lieferanten ist zunächst einmal, dass die Daten zu den Innovationskriterien beschafft werden können. Als Informationsquellen können primäre und sekundäre Informationsquellen unterschieden werden. Primäre Informationsquellen umfassen beispielsweise die Lieferantenselbstauskunft, Lieferantenbefragungen, Lieferantenaudits und Probelieferungen. Sekundäre Informationsquellen sind zum Beispiel Lieferantenpublikationen, Fachzeitschriften, das Internet sowie Datenbanken (Janker, 2004, S. 35; Arnolds u.a., 1998, S. 139). Grundsätzlich können die meisten Informationen durch die Lieferantenselbstauskunft beschafft werden. Bei den aus der Selbstauskunft des Lieferanten gewonnenen Daten ergibt sich das Problem der Glaubwürdigkeit der Informationen aufgrund absichtlicher und unabsichtlicher Fehlinformationen (Large, 2006, S. 174). Die Beziehungen zu mehreren Organisationen, die Qualifikation des Personals, die materiellen Ressourcen, die Anzahl der FuE-Mitarbeiter, der Anteil des FuE-Personals am Gesamtpersonal, die staatliche FuE-Förderung, die Investitionen in FuE-intensive Ausrüstungen, Materialien und Komponenten, die Ausgaben für Gebühren und Lizenzen, die Investitionen in neue Produktionseinrichtungen, die Innovationsaufwendungen und Umsätze mit innovativen Produkten müssen durch Lieferantenbefragungen erfasst werden, da diese Informationen gewöhnlich nicht veröffentlicht werden. Dagegen können die Höhe der FuE-Ausgaben und die FuEIntensität zum Beispiel bei großen Kapitalgesellschaften mit Hilfe des Jahresberichts überprüft werden. Die Innovationsziele können auf der Homepage oder in Geschäftsberichten des Lieferanten gefunden werden. Die Anzahl der Patentanmeldungen und -erteilungen, die Anzahl von Trademarks, die Anzahl der Patentzitate und die Anzahl der Literaturzitate kann durch Datenbanken ermittelt werden. Des Weiteren können die Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die Anzahl publizierter Seiten und die Anzahl von Innovationen in Fachzeitschriften recherchiert werden. Bei der Innovationsfreudigkeit, beim Produkt- und Prozess-Know-how sowie auch bei der Innovationsstrategie kann bei bestehenden Lieferanten auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden. Die technometrischen Spezifikationen müssen für Produkte des Lieferanten eventuell innerbetrieblich mit Hilfe von Probelieferungen und für Prozesse beim Lieferanten durch ein Lieferantenaudit unter Einbezug von Experten durchgeführt werden.
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
4
Anwendung der Innovationskriterien
4.1
Zuordnung der Kriterien in die einzelnen Unterkategorien der Innovationsleistung
Die zuvor vorgestellten qualitativen und quantitativen Kriterien können dazu verwendet werden, die Innovationsleistung von Lieferanten zu bewerten. Dabei stellen die meisten qualitativen Kriterien und die Inputindikatoren die Voraussetzungen dar, damit Innovationen entstehen können. Die Outputindikatoren geben dagegen Auskunft über die hervorgebrachten Innovationen im Innovationsprozess. In der folgenden Tabelle 2 sind die aus der Literatur über die Innovationsforschung (Grupp, 1997; Korjamo, 2007; Schwitalla, 1993; Vatchagan, 2003; Werner, 2002), das Innovationsmanagement (Disselkamp, 2005; Pleschak/Sabisch, 1996; Witten u.a., 2007) und das Beschaffungsmarketing (Schiele, 2006) abgeleiteten Innovationskriterien den verschiedenen Subkategorien zugeordnet. Der daraus resultierende Kriterienkatalog wird hierbei um die in der Literatur zur Lieferantenbewertung gefundenen Innovationskriterien ergänzt, welche aus den Arbeiten von JANKER (2004), DISSELKAMP/SCHÜLLER (2004) und LARGE (2006) entnommen sind. Nach JANKER (2004) soll die Innovationsleistung durch die technologische Kompetenz, das Entwicklungspotential und die FuE-Kapazitäten beurteilt werden. Dabei kann die technologische Kompetenz durch Referenzen (Anzahl von Innovationen), Patente und Lizenzen (Ausgaben für Lizenzen) erfasst werden. Das Entwicklungspotential kann durch personelle und materielle Ressourcen abgeschätzt oder durch die FuE-Kapazität mit Hilfe der FuE-Ausgaben beurteilt werden (Janker, 2004, S. 94). DISSELKAMP/SCHÜLLER (2004) empfehlen den Einsatz der Innovationsaufwands-Quote, der Innovationshäufigkeit (Anzahl der Innovationen pro Zeitraum), der Erfolgsquote von Innovationen und der Güte der Innovationen. Des Weiteren nennen die Autoren als Kriterien die Art und Intensität der Anbindung eines Unternehmen an Universitäten und sonstige Forschungsinstitute, den reinen FuE-Aufwand als Anteil am Umsatz, die Lebenskurven der einzelnen Leistungsangebote eines Lieferanten bzw. die eigene Lebenskurve des Lieferanten, die Ausgaben für die Personalentwicklung und die Anzahl der Patente als Innovationskriterien (Disselkamp/Schüller, 2004, S. 145-150). Bei LARGE (2006) werden als Innovationskriterien der Anteil der Entwicklungsmitarbeiter an der Gesamtmitarbeiterzahl, der Anteil des Umsatzes mit Eigenentwicklungen, die Anzahl der Patente, die Kundenorientierung der FuE, das Vorhandensein einer Werkzeug- und Vorrichtungseinrichtung (materielle Ressourcen), das Vorhandensein strukturierter Prozesse für den FuE-Bereich (Prozess-Know-how) und die Qualifikation der Mitarbeiter des Lieferanten genannt (Large, 2006, S. 172-177). Hieraus wird ersichtlich, dass die Kriterien aus der Literatur über die Lieferantenbewertung zum großen Teil mit den in dieser Arbeit abgeleiteten, qualitativen und quantitativen Kriterien übereinstimmen, welche zur Bewertung der Innovationsleistung der Lieferanten eingesetzt werden können. Mit
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Hilfe des Kriterienkatalogs in Tabelle 2 kann somit die Innovationsleistung umfassend beurteilt werden.
Tabelle 2:
Kriterienkatalog zur Bewertung der Innovationsleistung
Innovationsleistung
Kriterien zur Bewertung
Innovationsfähigkeit
Produkt-Know-how Prozess-Know-how Beziehungen zu mehreren Organisationen Qualifikation des Personals Ausstattung des FuE-Bereichs Anzahl der FuE-Mitarbeiter (absolut/relativ zur Gesamtzahl der Mitarbeiter) Staatliche FuE-Förderung
Innovationsbereitschaft
Innovationsziele Innovationsstrategie Innovationsfreudigkeit Kundenorientierung der FuE Innovationsaufwendungen (absolut/relativ zum Umsatz): • Höhe der FuE-Ausgaben (absolut) / FuE-Intensität (relativ zum Umsatz) • Investitionen in FuE-intensive Ausrüstungen, Materialien und Komponenten • Ausgaben für Gebühren und Lizenzen • Investitionen in neue Produktionseinrichtungen • Ausgaben für die Personalentwicklung
Innovationsoutput
Anzahl der Patentanmeldungen (absolut/relativ auf FuE-Mitarbeiter bezogen) Anzahl der Patenterteilungen (absolut/relativ auf FuE-Mitarbeiter bezogen) Anzahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen (absolut/relativ auf FuEMitarbeiter bezogen) Anzahl publizierter Seiten (absolut/relativ auf FuE-Mitarbeiter bezogen) Anzahl der Innovationen bezogen auf Produkte bzw. Prozesse (absolut/relativ auf FuE-Mitarbeiter bezogen) Umsätze mit innovativen Produkten Anzahl von Trademarks Erfolgsquote der Innovationen Lebenskurven der einzelnen Leistungsangebote eines Lieferanten bzw. die eigene Lebenskurve des Lieferanten Anteil des Umsatzes mit Eigenentwicklungen
Innovationsgrad
Technometrische Spezifikationen Anzahl der Patentzitate Anzahl der Literaturzitate Güte der Innovation
Bei der Innovationsfähigkeit erfolgt die Zuteilung von Kriterien, die mit den Ressourcen in Verbindung stehen. Dabei nehmen vor allem Kriterien, die mit personellen Ressourcen verbunden sind, einen Schwerpunkt ein. Die Ressourcen werden dazu benötigt, damit Innovationen entstehen können. Der Innovationsbereitschaft werden diejenigen Kriterien zugeordnet, welche über den Willen zur Erzeugung von Innovationen Auskunft geben. Hierbei werden diejenigen Kriterien gewählt, die mit den
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Ausgaben für und den Investitionen in den Innovationsprozess in Verbindung stehen. Durch deren Höhe wird ersichtlich, inwieweit ein Unternehmen bereit ist, in Innovationen zu investieren. Die Kriterien des Innovationsoutput beziehen sich auf die hervorgebrachten Innovationen, also Patente, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Produkt- und Prozessinnovationen. Die kombinierten Kriterien sind ebenfalls der Subkategorie Innovationsoutput zugeordnet, da hierbei eine Relativierung der Outputs stattfindet. Diese geben jedoch auch Auskunft über die Effizienz der FuEAktivitäten. Die Subkategorie Innovationsgrad umfasst Indikatoren, welche die Höhe der Innovationsoutputs messen. Die Zuordnung der Innovationskriterien in die einzelnen Kategorien ist nicht immer eindeutig möglich. Beispielsweise spricht die Anzahl des FuE-Personals für die Fähigkeit, Innovationen erzeugen zu können. Andererseits spricht eine große Anzahl von FuE-Mitarbeitern auch für eine hohe Bereitschaft des Unternehmens, Innovationen hervorzubringen. Des Weiteren ist zum Beispiel die Innovationsstrategie neben der Innovationsbereitschaft auch dem Bereich Innovationsoutput zuordbar, da bei deren Interpretation Innovationen aus der Vergangenheit betrachtet werden. Bei der Lieferantenbewertung sollte deshalb darauf geachtet werden, dass ein jeweiliges Innovationskriterium nur einer Kategorie zugeordnet und nicht mehrfach berücksichtigt wird, damit es nicht es nicht zu Verzerrungen infolge einer Mehrfachberücksichtigung kommt. Die Innovationsleistung, die durch die Teilkriterienkategorien Innovationsfähigkeit, Innovationsbereitschaft, Innovationsoutput und Innovationsgrad bewertet wird, kann als Hauptkriterium bei der Lieferantenbewertung verwendet werden, wobei die unterschiedlichen qualitativen und quantitativen Kriterien zur Bewertung der verschiedenen Innovationskategorien dienen. Zur Bewertung der Innovationsleistung müssen nicht alle aufgezeigten Innovationskriterien verwendet werden. Es können diejenigen eingesetzt werden, die für das eigene Unternehmen sinnvoll und interessant sind sowie zur Abbildung der Anforderungen an den Lieferanten am besten gerecht werden. Für die Bewertung der Innovativität sollten aber mehrere Innovationskriterien Verwendung finden, um die Innovationsleistung umfassend zu erfassen. Dabei können gleichermaßen die qualitativen und quantitativen Innovationskriterien jeder Subkategorie zur Anwendung kommen. Jedoch sollten bei Unternehmensvergleichen möglichst quantitative Kriterien verwendet werden (Karlöf/Östblom, 1994, S. 112). Grundsätzlich sollte den Hauptkriterien – und somit auch der Innovationsleistung – die gleiche Anzahl von Teilkriterien wie den anderen Hauptkriterien zugeordnet werden, um den Anschein einer indirekten Gewichtung zu umgehen (Hartmann u.a., 2004, S. 34). Für eine umfassende Bewertung sollten zumindest mehrere Kriterien aus den Subkategorien Innovationsfähigkeit, Innovationsbereitschaft und Innovationsoutput zur Anwendung kommen. Die Subkategorie Innovationsgrad kann dann als Ergänzung der Outputkriterien dienen, um einzelne Patente, wissenschaftliche Veröffentlichungen und Innovationen näher zu betrachten.
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4.2
Festlegung der Bewertungsdimensionen
Bei der Festlegung der Bewertungsdimensionen erfolgt für die qualitativen und quantitativen Bewertungskriterien ein unterschiedliches Vorgehen. Das folgende Beispiel in Tabelle 3 zur Bewertung der Innovations-Aufwandsquote zeigt ein grundsätzlich mögliches Vorgehen bei den quantitativen Kriterien. Als mittlerer Referenzwert zur Festlegung der Bewertungsdimensionen kann die durchschnittliche Innovations-Aufwandsquote ermittelt werden. Diese ergibt sich aus dem Anteil der Summe aller FuEAufwendungen an den Umsatzerlösen (Disselkamp/Schüller, 2004, S. 146).
Tabelle 3: Note
Bewertungsdimensionen für die Innovations-Aufwandsquote in Relation zum Umsatz
Bewertung
Beschreibung
1
sehr gut
Die Innovations-Aufwandsquote liegt über 4 Prozent.
2
gut
Die Innovations-Aufwandsquote liegt zwischen 2,5 und 4 Prozent.
3
ausreichend
Die Innovations-Aufwandsquote liegt zwischen 1 und 2,5 Prozent.
4
ungenügend
Die Innovations-Aufwandsquote liegt unter 1 Prozent.
Liegt die Innovations-Aufwandsquote des Lieferanten beispielsweise bei 0,8 Prozent, wird das als ungenügend bewertet. Die Bewertungsdimensionen der InnovationsAufwandsquote sind abhängig von der jeweiligen Branche, der Unternehmenspositionierung usw. (Disselkamp/Schüller, 2004, S. 146). Folglich ist die Verwendung der durchschnittlichen Innovations-Aufwandsquote einer Branche zur Bewertung besser geeignet, da die durchschnittlichen Innovations-Aufwendungen in verschiedenen Branchen unterschiedlich hoch sein können. Des Weiteren sind die Bewertungsdimensionen auch abhängig von den Ansprüchen, die an die Lieferanten in Verbindung mit der angestrebten Positionierung des Abnehmerunternehmens gestellt werden. Analog zu dem zuvor gezeigten Beispiel zur Innovations-Aufwandsquote kann bei den anderen quantitativen Innovationskriterien vorgegangen werden. Der Vorteil der quantitativen Kriterien ist, dass diese mit den Bewertungsdimensionen anhand eines Zahlenschemas mit vorgegebenen Klassengrenzen eindeutig bewertet werden können und somit keine subjektiven Einflüsse wirken. Dadurch ist eine objektive Bewertung gewährleistet. Bei der Festlegung der Bewertungsdimensionen kann eine Orientierung am Branchendurchschnitt, an den Best Practices der Branche und an den gestellten Anforderungen des Abnehmers an die Lieferanten erfolgen. Ein Problem ergibt sich hier jedoch bei der Bewertung der absoluten Größen aus den Innovationskategorien Innovationsfähigkeit, Innovationsbereitschaft und Innovationsoutput. Wird nur ein einheitliches Bewertungsschema für alle Größenklassen bei den absoluten Größen verwendet, schneiden größere Unternehmen tendenziell besser ab. Folglich würde es bei der Bewertung anhand eines einheitlichen Bewertungsschemas zu verzerrten Einschätzungen durch die Bewertung kommen. Das Problem kann dadurch umgangen werden, indem diese absoluten Größen mit einer passenden Bezugsgröße relativiert
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
werden. Dies wurde zum Beispiel zuvor schon mit dem Indikator FuE-Ausgaben gezeigt, bei dem durch die Verwendung der Bezugsgröße Umsatz die FuE-Intensität gebildet wurde, welche den Vorteil hat, dass unterschiedlich große Unternehmen miteinander verglichen werden können. Steht keine sinnvolle Bezugsgröße zur Verfügung, kann das Problem dadurch gelöst werden, dass verschiedene Bewertungsschemata für unterschiedliche Größenklassen Verwendung finden. Beispielsweise können drei unterschiedliche Klassen von Bewertungsdimensionen für kleine, mittlere und große Unternehmen für die Bewertung oder zumindest zwei Klassen für mittelständische und große Unternehmen gebildet werden. Dabei können wiederum der Durchschnitt einer Kennzahl von Unternehmen einer Größenklasse in einer Branche als Mittelwert bei der Festlegung der Bewertungsdimensionen sowie die Best Practices von Unternehmen einer Größenklasse in einer Branche und die gestellten Ansprüche des Abnehmers als Orientierung für die Obergrenze der Bewertungsdimensionen zur Anwendung kommen. Im Folgenden wird diese Vorgehensweise anhand eines Beispiels mit den angemeldeten Patenten aufgezeigt. Für die Kennzahl Anzahl der angemeldeten Patente wird die durchschnittliche Anzahl von Patentanmeldungen des Mittelstandes (50-300 Mitarbeiter im Unternehmen) einer Branche ermittelt ƺ beispielsweise 5 Patentanmeldungen pro Jahr ƺ und als Mittelwert für die Bewertung festgelegt. Für die Festlegung des besten Wertes des Bewertungsschemas kann sich an der Anzahl der angemeldeten Patente des besten, bekannten mittelständischen Lieferanten in der Branche – zum Beispiel 10 angemeldete Patente pro Jahr ƺ sowie den gestellten Ansprüchen des Unternehmens – beispielsweise mehr als 10 Patentanmeldungen pro Jahr – orientiert werden. Bei den anderen problematischen, quantitativen Innovationskriterien bietet sich eine analoge Vorgehensweise an. Ergeben sich Probleme mit der Datenbeschaffung der Branchendurchschnitte oder von Best-Practice-Zahlen bzw. ist dies nicht möglich, kann man sich auch auf die Erfahrungswerte mit den bisherigen Lieferanten und auf die gestellten Anforderungen bei der Festlegung der Bewertungsdimensionen beziehen. Die qualitativen Innovationskriterien haben den Vorteil, dass unterschiedlich große Unternehmen direkt miteinander vergleichbar sind, sofern eine subjektive Einschätzung vorgenommen wird oder die Kriterien nicht durch Hilfsgrößen in Form von absoluten Zahlen bewertet werden. Für die Festlegung der Bewertungsdimensionen bei den qualitativen Innovationskriterien kann zunächst ähnlich vorgegangen werden wie bei den quantitativen Innovationskriterien. Wiederum erfolgt eine Orientierung an den Anforderungen, denen jedoch kein Zahlenschema mit Klassengrenzen zugeordnet werden kann. Die Vorgehensweise bei den qualitativen Innovationskriterien soll das folgende Beispiel mit dem Produkt- und Prozess-Know-how darstellen. Erfüllt der Lieferant mehr als gefordert die gestellten Anforderungen an das Produkt- und Prozess-Know-how, die ein Lieferant haben sollte, bekommt er die Bestnote. Bei Erfüllung der geforderten Anforderungen bekommt er die mittlere Note und bei Nichterfüllung der Anforderungen die schlechteste Note. Die Bewertung erfolgt durch subjektive Einschätzung, die mit Hilfe einer Beschreibung objektiviert werden kann. Eine zuvor
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festgelegte Beschreibung gibt an, wann die Anforderungen nicht erfüllt sind, erfüllt sind und mehr als erfüllt sind. Somit kann die Problematik einer willkürlichen, subjektiven Einschätzung weitestgehend umgangen werden.
4.3
Einsatz der Innovationskriterien bei der Lieferantenauswahl
Bei der Lieferantenbewertung kann zwischen der Lieferantenauswahl und dem Lieferantencontrolling unterschieden werden (Janker, 2004, S. 33). Die strategische Lieferantenauswahl hat zum Ziel, neue Lieferanten für eine definierte Beschaffungsobjektgruppe in die Lieferantenbasis aufzunehmen. Dabei spielen die Anforderungen alter oder neuer Beschaffungsobjekte bei der Lieferantenbewertung eine wichtige Rolle. Die operative Lieferantenauswahl erfolgt dann nach der strategischen, wobei hierbei ein Lieferant aus der Lieferantenbasis für ein bestimmtes Beschaffungsobjekt ausgewählt wird (Large, 2006, S. 163-164). Werden nun neue Lieferanten ausgewählt, ergibt sich für das beschaffende Unternehmen das Problem, dass keine eigenen Leistungsdaten über den Lieferanten vorliegen und einige Bewertungskriterien nicht angewendet werden können. Deshalb ist in dieser Situation die Leistungsfähigkeit und folglich auch die Innovationsfähigkeit des Lieferanten besonders wichtig (Large, 2006, S. 170-171). Damit wird hier schon ersichtlich, dass bei der Auswahl neuer Lieferanten Kriterien, die Voraussetzungen für Innovationen darstellen, von Bedeutung sind, um die Innovationsfähigkeit zu ermitteln. Da hier keine Leistungsdaten durch Erfahrungen mit dem Lieferanten vorliegen, kann beispielsweise auf Kriterien wie die Innovationsfreudigkeit des Lieferanten durch gemachte Vorschläge nicht zurückgegriffen werden. Jedoch können bei der Innovationsleistung auch externe Leistungsdaten ermittelt werden, zum Beispiel hervorgebrachte Innovationen wie Patente, Produktoder Prozessinnovationen aus der Vergangenheit, um einen neuen Lieferanten bzgl. seiner Innovativität zu beurteilen. Hat ein Unternehmen dagegen bereits den Lieferanten in seine Lieferantenbasis aufgenommen und Erfahrungen durch zumindest einen Auftrag gemacht, sind Leistungsdaten, wie etwa die Innovationsfreudigkeit, bereits vorhanden. Die strategische und operative Perspektive der Lieferantenauswahl kann auch noch weiter aufgeschlüsselt werden, indem man das Beschaffungsobjekt mit einbezieht. Grundsätzlich können dann vier Beschaffungssituationen, entsprechend dem Neuigkeitsgrad des Beschaffungsobjektes und der Bekanntheit der potenziellen Lieferanten, unterschieden werden: die Routinebeschaffung, der Lieferantenwechsel, der Sortimentswechsel und die Neuprodukteinführung (Arnold, 1997, S. 176). Die Auswahl und Anwendung der Lieferantenbewertungskriterien ist von der Beschaffungssituation abhängig (Janker, 2004, S. 215). Es stellt sich hierbei die Frage, welche Bedeutung das Kriterium Innovationsleistung bei der Lieferantenauswahl in Abhängigkeit von der jeweiligen Beschaffungssituation hat. JANKER ermittelte in einer Unternehmensbefragung die Bedeutung von Bewertungskriterien in Abhängigkeit von den
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
oben genannten Beschaffungssituationen. Dabei wurde auch die Innovationsleistung als Hauptkriterium mit einbezogen (Janker, 2004, S. 165-166). Die Ergebnisse der Unternehmensbefragung erlauben einen Einblick, in welcher Situation Innovation bei der Lieferantenbewertung eine mehr oder weniger wichtige Bedeutung zukommt.
Abbildung 1: Bedeutung der Hauptkriterien in Abhängigkeit der Entscheidungssituation (vgl. Janker, 2004, S. 165) 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10%
Routinebeschaffung (N=163)
Lieferantenwechsel (N=162)
Sortimentswechsel (N=125)
w el tle ist un g U m
In fo rm at io ns le ist un g In no va tio ns le ist un g
Se rv ic el ei stu ng
En tg el tle ist un g
Lo gi sti kl ei stu ng
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M
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0%
Neuprodukteinführung (N=151)
Aus dem Ergebnis der Untersuchung (vgl. Abbildung 1) wird ersichtlich, dass beim Sortimentswechsel und bei der Neuprodukteinführung im Gegensatz zum Lieferantenwechsel sowie bei der Routinebeschaffung die Innovationsleistung bei der Lieferantenauswahl eine besondere Stellung im Vergleich zu den anderen Bewertungskriterien einnimmt. Dabei ist die Innovationsleistung vor allem bei der Neuprodukteinführung relevant. Dagegen spielt sie bei der Routinebeschaffung die geringste Rolle (Janker, 2004, S. 165-166). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Innovativität von Lieferanten bei der Auswahl neuer Lieferanten bzw. eines neuen Beschaffungsobjekts, abhängig von der jeweiligen Beschaffungssituation, eine besondere Bedeutung zukommt. Die Auswahl der Bewertungskriterien für eine bestimmte Beschaffungssituation wiederum ist abhängig von der Art der angestrebten Lieferanten-Abnehmer-Beziehung und vom jeweiligen Beschaffungsobjekt. Wird beispielsweise ein Lieferant für eine Entwicklungspartnerschaft gesucht, stehen die Innovationsfähigkeit und die Kooperationsfähigkeit gegenüber den herkömmlichen Bewertungskriterien im Vorder-
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Wissenschaftliche Beiträge
grund. Dabei erhalten dann die Unterkriterien der Innovationsfähigkeit großes Gewicht (Large, 2006, S. 171-176). Die Gewichtung ist natürlich auch abhängig von der Wichtigkeit von Innovationen für das eigene Unternehmen. Hat der Lieferant Entwicklungsverantwortung, steigen die Ansprüche an den Lieferanten. Dabei kommt der Innovationsfähigkeit des Lieferanten eine besondere Bedeutung zu, da dieser in der Lage sein muss, eigenständig Innovationen zu erzeugen. Des Weiteren muss sich die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten auch für das eigene Unternehmen lohnen, indem der Lieferant die eigenen Innovationsbemühungen unterstützt.
4.4
Einsatz der Innovationskriterien beim Lieferantencontrolling
Das Lieferantencontrolling dient der Aufdeckung von Defiziten beim Lieferanten, wonach entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können (Janker, 2004, S. 46). Im Rahmen der Lieferantenkontrolle erfolgt die Beurteilung der erbrachten Lieferantenleistung und der Leistungsfähigkeit des Lieferanten. Kontrollinhalte und der Anteil der überwachten Lieferanten am Lieferantenstamm sind abhängig vom jeweiligen Unternehmen sowie von der Unternehmensgröße (Large, 2006, S. 225). Es wird empfohlen, zumindest die A-Lieferanten nach deren kompletter Leistungsfähigkeit zu überprüfen (Disselkamp/Schüller, 2004, S. 46). Als Kontrollmethoden können beispielsweise der Ist-Ist-Vergleich und der Soll-Ist-Vergleich verwendet werden. Beim Ist-Ist-Vergleich werden verschiedene Lieferanten miteinander verglichen, wobei eine Art Benchmarking durchgeführt wird. Beim Soll-Ist-Vergleich werden ƺ ausgehend von aufgestellten Zielen ƺ Soll-Werte mit den Ist-Werten eines Lieferanten verglichen (Large, 2006, S. 227). Als Bewertungskriterien bei der Lieferantenkontrolle können die gleichen Kriterien wie bei der Lieferantenauswahl verwendet werden (Glantschnig, 1994, S. 14). Die Innovationskriterien können also wieder in die Bewertung einfließen. Es kann auch sinnvoll sein, die Innovativität von Lieferanten bei der Bewertung in den Mittelpunkt zu stellen und somit die Lieferanten anhand ihrer Innovationsleistung umfassend zu bewerten und zu kontrollieren. Hierbei wird von einer ceteris-paribusBetrachtung ausgegangen, wobei die anderen Bewertungskriterien als gleich erfüllt angenommen und vernachlässigt werden. Das Controlling von innovativen Lieferanten sollte sich immer auf ein bestimmtes Beschaffungsobjekt bzw. auf eine bestimmte Beschaffungsobjektgruppe beziehen. Durch eine Momentaufnahme der Innovationsleistung kann beispielsweise ein Ist-Ist-Vergleich von verschiedenen Lieferanten aus dem Lieferantenstamm für ein Beschaffungsobjekt oder für eine Beschaffungsobjektgruppe durchgeführt werden. Damit kann jeweils der innovativste Lieferant identifiziert werden. Die Leistung des besten Lieferanten kann zum Beispiel als Maßstab für die anderen Lieferanten gesetzt werden. Als Hilfsmittel kann hierbei die Profilanalyse verwendet werden, da diese dazu dient, aus einer Menge von potentiellen Lieferanten diejenigen auswählen, welche die speziellen Anforderungen des Abnehmerunternehmens erfüllen (Harting, 1994, S. 34).
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Beim Soll-Ist-Vergleich hingegen erfolgt ein Vergleich der Innovationsleistung eines Lieferanten mit vorgegebenen Zielen bzw. mit vorher ermittelten Anforderungen. Dabei kann beispielsweise die Lieferanten-Gap-Analyse als Instrument bei der Bewertung zur Anwendung kommen, da mit dieser die Differenz zwischen einem angestrebten und dem erreichten Zustand ermittelt wird (Glantschnig, 1994, S. 185). Die Betrachtung der Innovationsleistung im Zeitablauf ermöglicht die Überwachung der Lieferanten. Es wird ersichtlich, ob und inwieweit sich die Lieferanten im Zeitablauf bzgl. ihrer Innovationsleistung verbessern oder verschlechtern. Dies ist wiederum Grundlage für die Einleitung und Überwachung von Maßnahmen. Des Weiteren kann die Portfolio-Methode zur Klassifikation von Lieferanten im Rahmen des Lieferantencontrollings und der Steuerung der Lieferantenbeziehung verwendet werden (Janker, 2004, S. 129). Durch ein zwei- oder dreidimensionales Portfolio kann dargestellt werden, wie sich die einzelnen Lieferanten einer Beschaffungsobjektgruppe in Bezug auf die Innovationsleistung positionieren. Dabei können als Dimensionen die Unterkategorien Innovationsfähigkeit, Innovationsoutput im zweidimensionalen Portfolio sowie die Innovationsbereitschaft ergänzend im dreidimensionalen Portfolio zur Anwendung kommen. Sind Innovationen für das eigene Unternehmen von besonderer Bedeutung, ist es für das Unternehmen angebracht, sich einen angemessenen Pool an innovativen Lieferanten zu halten bzw. aufzubauen. Das Portfolio kann dabei als Hilfsmittel und als Controllinginstrument verwendet werden, um ausreichend innovative Lieferanten im Lieferantenpool zu haben und um eingeleitete Steuerungsmaßnahmen zu überwachen.
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Steuerung der Lieferantenbeziehung
Im Anschluss an die Bewertung erfolgt dann ausgehend vom Bewertungsergebnis die Steuerung der Lieferantenbeziehung durch die Lieferantenpflege, Lieferantenintegration, Lieferantenentwicklung, Lieferantenförderung sowie die Lieferantenerziehung (Janker, 2004, S. 33). Bei Defiziten in der Innovationsleistung sind Gegenmaßnahmen bzw. beim Aufbau von innovativen Lieferanten Steuerungsmaßnahmen wie beispielsweise Erziehung, Entwicklung bzw. Förderung von Lieferanten einzuleiten. Liegen dagegen gute Ergebnisse vor, kann beispielsweise eine weitere Lieferantenintegration in Betracht kommen. Die Lieferantenpflege dient dem Aufbau eines vertrauensvollen Verhältnisses zum Lieferanten und bildet die Grundlage für die Entstehung von Innovationen (Arnold, 1997, S. 190; Schiele, 2006, S. 929). Bei der Lieferantenintegration kann die Integration des Lieferanten in die Wissensphase und die Industrialisierungsphase unterschieden werden. In Bezug auf Innovationen bezieht sich die Lieferantenintegration in der Wissensphase darauf, dass der Lieferant bei den Innovationen mitwirkt. Die Lieferantenintegration in der Industrialisierungsphase umfasst neben der kontinuierlichen Verbesserung der Beschaffungs-
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Wissenschaftliche Beiträge
objekte auch die Verbesserung des Endproduktes sowie der Produktions- und Logistikprozesse (Wagner, 2001, S. 223-231). Zeigt sich ein Lieferant in der Vergangenheit besonders innovativ, kann es sich lohnen, diesen weiter zu integrieren und mit diesem enger zusammenzuarbeiten, um durch seine Unterstützung von weiteren Innovationen zu profitieren. Dabei könnte es auch sinnvoll sein, Entwicklungsaufgaben auf diesen zu übertragen. Bei der Verlagerung von Entwicklungsaufgaben werden insbesondere lieferanten- und innovationsbezogene Daten benötigt (Von Wietersheim, 1993, S. 84). Besteht mit dem Lieferanten bereits eine längere Zusammenarbeit, kann sich die Entscheidung für eine intensivere Kooperation bzw. die Übertragung von Entwicklungsaufgaben auf die bisherige Erfahrung mit dem Lieferanten stützen. In Bezug auf Innovation kann also auf Erfahrungswerte bei der Bewertung des Lieferanten zurückgegriffen werden. Um die Innovativität von bestehenden bzw. neu aufgenommenen Lieferanten zu verbessern, können verschiedene Steuerungsmaßnahmen ƺ wie die Lieferantenerziehung, die Lieferantenförderung und die Lieferantenentwicklung ƺ verwendet werden. Bei den Maßnahmen der Lieferantenerziehung kann zwischen Belohnungen und Bestrafungen unterschieden werden (Fries, 2006, S. 129-130). Als Belohnungen können die Gewährung von Prämien oder die öffentliche Anerkennung in Form von Preisen zum Einsatz kommen (Arnold, 1997, S. 191). Im Zusammenhang mit Innovationen besteht die Möglichkeit der öffentlichen Anerkennung durch die Vergabe von Innovationspreisen an besonders innovative Lieferanten, wodurch Lieferanten eines Unternehmens zu überdurchschnittlichen Leistungen motiviert werden können. Die Zahlung von Prämien an innovative Lieferanten ist eine weitere Möglichkeit, Lieferanten zu Innovationen zu motivieren, wobei auch ein monetäres und nichtmonetäres Anreizsystem zur Anziehung von Lieferanteninnovationen zur Anwendung kommen kann. Als monetäre Anreize sind kombinierte Entwicklungs- und Lieferverträge zu nennen, wobei bei innovativen Produktmerkmalen des Beschaffungsobjektes eine Belieferung über den gesamten Produktlebenszyklus festgelegt werden kann. Des Weiteren kann die Kompensation von Entwicklungskosten und Werkzeugkosten als Innovationsanreiz dienen (Breckner, 2004, S. 127-129). Im Zusammenhang mit Prozessinnovationen gibt es die Möglichkeit, den Lieferanten die Abnahme des Produktes zu einem vereinbarten Preis für eine bestimmte Zeit zu garantieren (Sako, 1996, S. 270). Daraus folgt dann der Anreiz für den Lieferanten, durch Prozessinnovationen die Herstellkosten des Produktes zu senken, um einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Zu den nichtmonetären Anreizen gehören beispielsweise der Know-how-Schutz, der Imageaufbau beim Endkunden sowie besondere Geschäftsbeziehungen (Breckner, 2004, S. 129). Die Bestrafung von Lieferanten umfasst beispielsweise die Sperrung bzw. Androhung der Sperrung von Lieferanten sowie die Nutzung vertraglicher Möglichkeiten (Arnold, 1997, S. 191). Zeigt sich ein Lieferant als zu wenig innovativ, kann ihm die Sperrung zunächst angedroht werden. Verbessert sich die Leistung des Lieferanten im Zeitablauf nicht, kann dieser dann gesperrt werden. Eine weitere Methode ist die Anwendung vertraglicher Möglichkeiten. Dies setzt allerdings voraus, dass vertragliche Regelungen in Bezug auf den Bereich Innovation vorliegen.
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Ist es dem Lieferanten nicht möglich, sich eigenständig zu verbessern, können die Maßnahmen der Lieferantenförderung bzw. -entwicklung eingesetzt werden. Bei der Lieferantenförderung können verschiedene Maßnahmen zur Erhaltung oder Verbesserung der Leistungsfähigkeit zum Einsatz kommen. Diese umfassen beispielsweise die Beratung und die aktive Unterstützung des Lieferanten. Ursachen dafür können sowohl ein Leistungsabfall als auch die proaktive Unterstützung sein (Fries, 2006, S. 131133). Die Förderung kann dabei auf die situationsspezifischen Bedürfnisse des Lieferanten eingehen (Kleinau, 1995, S. 85). Im technischen Bereich kann beispielsweise eine Beratung durch FuE-Experten des eigenen Unternehmens stattfinden. Eine weitere Möglichkeit ist die direkte finanzielle Hilfestellung durch das Abnehmerunternehmen (Arnold, 1997, S. 192). Schließlich erfordern FuE-Aktivitäten zur Erzeugung von Innovationen finanzielle Mittel, die beispielsweise bei kleinen und mittleren Lieferanten nicht ausreichend vorhanden sein können. Des Weiteren kann die Personalschulung mit Hilfe von Lieferantentagen oder Lieferantenseminaren zum Einsatz kommen. Existiert kein Lieferant für ein bestimmtes Beschaffungsobjekt mit den gewünschten Eigenschaften, muss ein Lieferant entwickelt werden. Die dabei zum Einsatz kommenden Maßnahmen unterscheiden sich nur geringfügig von denen der Lieferantenförderung (Arnold, 1997, S. 193-194). Ziel der Lieferantenentwicklung ist es, dass ausgehend von einem suboptimalen Ist-Zustand ein festgelegter Soll-Zustand erreicht wird (Arnold, 2004, S. 23). „Je größer (...) der Einfluss der Zulieferer auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit ist, desto höher werden die Ziele für die Lieferanten gesteckt“ (Überall, 2006, S. 170). In diesem Zusammenhang sind wiederum Maßnahmen einzuleiten, um die Innovationsleistung eines Lieferanten auf ein gewünschtes Leistungsniveau zu steigern. Die Lieferantenentwicklung kann hier als ein gezieltes Vorgehen zum Aufbau eines innovativen Lieferanten gesehen werden. Als Hilfsmittel bei der Lieferantenentwicklung kann die Lieferanten-Gap-Analyse verwendet werden, womit beispielsweise die Entwicklungsmaßnahmen über die Zeit beobachtet und bewertet werden können (Müssigmann, 2007, S. 90). Grundsätzlich kann zwischen einem kleinen und großen Lieferantenentwicklungsprozess unterschieden werden, wobei bei ersterem der Lieferant an die gestellten Anforderungen hin entwickelt und anschließend darüber hinaus entwickelt wird (Hartmann, 2004, S. 61). Die Steuerung der Lieferantenbeziehung zur Steigerung der Innovationsleistung bzw. zum Aufbau von innovativen Lieferanten ist jedoch mit einer gewissen Unsicherheitsproblematik verbunden. Es bestehen Informationsasymmetrien zwischen dem Abnehmer (Prinzipal) und dem Lieferanten (Agent). Einerseits existiert Unsicherheit darüber, ob der Lieferant überhaupt die geforderte Leistung erbringen kann. Andererseits herrscht Unklarheit über dessen tatsächliche Ziele. Des Weiteren können unter Umständen auch keine Rückschlüsse auf das Verhalten des Lieferanten gezogen werden. Diese Informationsasymmetrien eröffnen dem Lieferanten einen Spielraum für opportunistisches Verhalten, wobei zwischen Hidden Characteristics, Hidden Intentions und Hidden Actions unterschieden werden kann (Stölzle, 2007, S. 170-174). Folg-
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Wissenschaftliche Beiträge
lich ist die Steigerung der Innovationsleistung bzw. der Aufbau von innovativen Lieferanten mit einer gewissen Unsicherheit in Bezug auf opportunistisches Verhalten behaftet. Zur Verhaltenssteuerung des Lieferanten können Maßnahmen, wie Informations-, Kontroll- und Anreizsysteme, eingesetzt werden (Stölzle, 2007, S. 170). Opportunistisches Verhalten kann hierbei durch eine gründliche Lieferantenbewertung und -kontrolle sowie adäquate Anreize bei der Lieferantenerziehung in Bezug auf die Innovationsleistung begegnet werden.
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Anwendung der Innovationsleistung in der Praxis
Zur Überprüfung der zuvor vorgestellten theoretischen Aussagen wurde eine Befragung von neun Unternehmen mit Hilfe eines Interviewleitfadens durchgeführt. Die Befragungen erfolgten durch Interviews mit Experten aus dem strategischen Einkauf, wobei Leiter, stellvertretende Leiter oder für die Lieferantenbewertung zuständige Personen ca. 40 Minuten befragt wurden. Die Teilnehmer stammen aus den Branchen: Automationstechnik, Energietechnik, Elektrotechnik, Maschinenbau, Schiffbau, Einzelhandel und Polymerverarbeitung. Hierbei wurden vorwiegend größere Unternehmen ausgewählt, deren Produktionsaktivitäten eher am Ende der Wertschöpfungskette stattfinden, da diese Lieferanten einen hohen Outsourcing-Anteil haben. Die Interviews wurden mit Hilfe eines vorab entwickelten Interviewleitfadens durchgeführt. Der Interviewleitfaden wurde den Interviewteilnehmern vor dem Interview zur Vorbereitung zugeschickt und orientiert sich am Ziel der Untersuchung. Ziel dieser Untersuchung war es herauszufinden:
was Unternehmen als Innovationen bei ihren Lieferanten ansehen, mit welchen Kriterien Unternehmen die Innovationsleistung von Lieferanten in der Praxis beurteilen,
wie die Bewertungssituation Einfluss auf die Auswahl des Kriteriums Innovation hat und
ob der Bereich Innovation auch im späteren Verlauf des Lieferantenmanagements bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung einbezogen wird. Interessanterweise haben die befragten Unternehmen grundsätzlich ein sehr ähnliches Verständnis davon, was Innovationen bei ihren Lieferanten sind. So werden als Innovationen neben Produktinnovationen und Produktionsprozessinnovationen auch andere Verbesserungen als Innovationen angesehen, wie die logistische Weiterentwicklung, wenn beispielsweise eine zeitgerechte Anlieferung angeboten wird. Grundsätzlich lassen sich die von den Unternehmen gewünschten Innovationen und somit auch deren Innovationsverständnis auf die Bereiche Qualität, Kosten und Zeit zurück-
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
führen. So wurde von den Unternehmen angegeben, dass zum Beispiel die Verbesserung der Produkte gewünscht wird, wodurch letztendlich die Qualität der Produkte verbessert wird. Als Produktinnovationen wurden beispielsweise genannt, dass das Produkt besser, sicherer, einfacher, schneller oder billiger geworden ist. Des Weiteren wurde als Produktinnovation angesehen, dass das Produkt leichter einzubauen ist, dass es eine modulare Bauweise gibt bzw. eine Standardisierung erreicht wurde. Die genannten Innovationen beziehen sich auf die Eigenschaften eines Produktes. Auf die Frage, ob es erwünscht sei, dass das Produkt auch neue, zusätzliche Funktionalitäten besitzt, wurde eher mit Ablehnung reagiert. Dies wurde damit begründet, dass das Produkt durch zusätzliche Funktionalitäten teurer wird, dessen Herstellung länger dauert sowie die Wahrscheinlichkeit steigt, dass etwas nicht funktioniert. Die Ablehnung kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die meisten der befragten Unternehmen in Form eines Lastenheftes die Beschaffenheit des Produktes vorgeben. Zusätzliche Funktionalitäten sind deshalb eher unerwünscht, da diese keinen Nutzen stiften und von vornherein festgelegt ist, welche Eigenschaften das Produkt erfüllen muss. Prozessinnovationen im Produktionsbereich zur Senkung der Herstellungskosten und Realisierung von Zeiteinsparungen werden vorwiegend als nützlich angesehen. Die befragten Unternehmen fokussieren Kostenreduzierung beim Lieferanten, wodurch das Produkt dem Abnehmer zu einem günstigeren Preis angeboten werden kann. Zeiteinsparungen bei der Herstellung sind erwünscht, damit das Produkt zu einem früheren Termin geliefert werden kann. Hieraus wird wiederum ersichtlich, dass der Bereich Innovation vielfältig mit den anderen Bereichen der Lieferantenbewertung verbunden ist. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass beim Einbezug des Kriteriums Innovation und bei dem zuvor dargestellten Verständnis von Innovation es nicht zu einer Doppelbewertung des gleichen Sachverhaltes kommt. Die befragten Unternehmen berücksichtigen alle das Thema Innovation bei der Lieferantenbewertung, jedoch auf unterschiedliche Weise. In einigen Unternehmen wurde Innovation bewusst als eigener Kriterienbereich bei der Lieferantenbewertung verwendet. Dagegen hat ein Teil der befragten Unternehmen Innovation zwar nicht bewusst in ihre Lieferantenbewertung aufgenommen, jedoch beinhalten bestimmte Bewertungskriterien das Thema Innovation. Die in den Interviews angegebenen Bewertungskriterien wurden im Zusammenhang mit der Lieferantenauswahl oder dem Lieferantencontrolling genannt. Einige dieser Kriterien können sowohl bei der Lieferantenauswahl als auch beim Lieferantencontrolling eingesetzt werden. Die Tabelle 4 zeigt die Innovationskriterien, welche bei der Lieferantenauswahl Verwendung finden, sowie deren Zuordnung zum Kriterienkatalog in Tabelle 2.
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Tabelle 4:
Innovationskriterien bei der Lieferantenauswahl
Innovationsleistung
Bewertungskriterien in Praxis
Zuordnung zum Kriterienkatalog
Innovationsfähigkeit
Entwicklungstätigkeit des Lieferanten (entwickelt er selbst, wie entwickelt er?)
Prozess-Know-how
Nachvollziehbare und gelenkte Produktentwicklung
Prozess-Know-how
Systematisierung / systematisches Vorgehen im Bereich Entwicklung, Konstruktion und Produktion
Prozess-Know-how
Grundlagenforschung
Produkt-Know-how; ProzessKnow-how
Zusammenarbeit mit Universitäten oder mit irgendwelchen Forschungs-Clustern
Beziehungen zu mehreren Organisationen
Welche Innovationen hat der Lieferant für andere Unternehmen gebracht?
Anzahl der Innovationen
Auszeichnungen, Erfolge sowie Preise des Innovationsmanagements des Lieferanten
Anzahl der Innovationen
Erteilte und angemeldete Patente des Lieferanten
Anzahl der erteilten bzw. angemeldeten Patente
Anzahl oder der Anteil von neuen Produkten und Prozessen im Portfolio
Anzahl der Innovationen
Innovationsoutput
Die Lieferantenbewertung bei der Lieferantenauswahl ist dadurch gekennzeichnet, dass noch keine Erfahrungswerte bzgl. der Leistung der Lieferanten vorliegen. Die Kriterien des Bereichs Innovationsfähigkeit sind wiederum Voraussetzungen für die Entstehung von Innovationen. Die Subkriterien Innovationen für andere Unternehmen sowie die Auszeichnungen, Erfolge und Preise des Innovationsmanagements stellen eine Art Referenz des Lieferanten und können neben den Patenten und neuen Produkten und Prozessen dem Bereich Innovationsoutput zugerechnet werden. Bei der Lieferantenauswahl interessieren also neben der Innovationsfähigkeit auch die vom Lieferanten in den letzten Jahren hervorgebrachten Innovationen, auch wenn diese für den Abnehmer nicht unbedingt nützlich sind.
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
Tabelle 5:
Innovationskriterien beim Lieferantencontrolling
Innovationsleistung
Bewertungskriterien in Praxis
Zuordnung zum Kriterienkatalog
Innovationsfähigkeit
Fähigkeit des Lieferanten, die Anforderungen an die zukünftige Produkt- und Prozesstechnologie zu erfüllen
Produkt-Know-how; Prozess-Knowhow; Ausstattung des FuE-Bereichs
Innovationsbereitschaft
FuE-Ausgaben
Höhe der FuE-Ausgaben
FuE-Intensität
FuE-Intensität
Investitionen in Anlagen
Investitionen in neue Produktionseinrichtungen
Vorschläge des Lieferanten zur Leistungsoptimierung
Innovationsfreudigkeit
Anzahl der Produkt- und Prozessinnovationen
Anzahl der Innovationen
Anzahl neuer Artikel im Sortiment
Anzahl der Innovationen
Erfolgsquote der Innovationen im Sortiment
Erfolgsquote der Innovationen
Umfang bzw. Wert der Innovation
Güte der Innovation
Innovationsoutput
Innovationsgrad
Beim Lieferantencontrolling finden neben den Kriterien der Innovationsfähigkeit und des Innovationsoutputs auch Kriterien der Innovationsbereitschaft und des Innovationsgrades Anwendung (vgl. Tabelle 5). Die Kriterien beim Lieferantencontrolling sind vorwiegend auf den Nutzen der Innovativität des Lieferanten für das eigene Unternehmen gerichtet. Dabei werden beim Innovationsoutput und beim Innovationsgrad die Innovationen, mit welchen ein Lieferant das Abnehmerunternehmen unterstützt hat, betrachtet. Des Weiteren beziehen sich die Vorschläge zur Leistungsoptimierung auf das eigene Unternehmen. Die Vorschläge zur Leistungsoptimierung, die Fähigkeit die Anforderungen an die zukünftige Produkt- und Prozesstechnologie zu erfüllen, die FuE-Ausgaben/-Intensität und die Investitionen in Anlagen sind wiederum Voraussetzungen für die Entstehung von Innovationen. Aus Tabelle 4 und 5 wird ersichtlich, dass die in dieser Arbeit vorgestellten, qualitativen und quantitativen Innovationskriterien bei der Lieferantenauswahl und beim Lieferantencontrolling ƺ teilweise in angepasster Weise ƺ in der Praxis Verwendung finden. Da die Untersuchung zeigt, dass im Rahmen der Lieferantenbewertung beim Lieferantencontrolling vorwiegend die für das Abnehmerunternehmen gebrachten Innovationen relevant sind, wird hier vorgeschlagen, die quantitativen Innovationskriterien der Kategorie Innovationsoutput, wie beispielsweise die Anzahl aller Patente oder die Anzahl aller Innovationen, bezogen auf einen bestimmten Zeitraum, als eine Art Referenz bei der Lieferantenauswahl zu verwenden. Diese können dann beim Lieferantencontrolling in modifizierter Form eingesetzt werden, indem die Anzahl von Patenten oder Innovationen erfasst werden, welche für das eigene Unternehmen erbracht wurden bzw. relevant sind.
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Wissenschaftliche Beiträge
Grundsätzlich werden zur Bewertung der Innovativität von Lieferanten unterschiedliche Kriterien von den einzelnen Unternehmen verwendet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen nur die für das eigene Unternehmen relevanten Kriterien in die Bewertung einbeziehen, welche nach deren Ansicht den Bereich Innovation abdecken und für das eigene Unternehmen sinnvoll sind. Die Innovationskriterien, die bei der Lieferantenauswahl zum Einsatz kommen, dienen in erster Linie dazu, abzuschätzen bzw. zu beurteilen, ob ein Lieferant die Anforderungen in Bezug auf zukünftige Innovationen für das Abnehmerunternehmen erfüllt. Dagegen können beim Lieferantencontrolling Innovationskriterien eingesetzt werden, welche in Verbindung mit der gemachten Erfahrung mit einem Lieferanten stehen, wobei hier für das Abnehmerunternehmen gebrachte und nützliche Innovationen im Fokus stehen. Die Innovationskriterien, welche bei der Lieferantenauswahl zur Anwendung kommen, können schließlich beim Lieferantencontrolling eingesetzt werden, um die Lieferanten im Zeitablauf zu überwachen, sofern dies für das Abnehmerunternehmen sinnvoll ist. Wie bereits in Kapitel 4.3 erwähnt, ist die Auswahl der Bewertungskriterien vom Beschaffungsobjekt und von der Art der angestrebten Lieferanten-Abnehmer-Beziehung abhängig. Es stellt sich hierbei die Frage, bei welchen Beschaffungsobjekten Innovation mehr oder weniger bedeutend ist und bei welcher Art der Lieferanten-AbnehmerBeziehung, wie beispielsweise der gemeinsamen Produktentwicklung, Innovation einen höheren oder niedrigeren Stellenwert hat. Einzelne Unternehmen wurden danach befragt, ob Innovation bei den verschiedenen Beschaffungsobjekten, unterteilt nach Teilen, Modulen und Systemen, eine unterschiedliche Bedeutung hat. Grundsätzlich wurde zugestimmt, dass Innovation bei den verschiedenen Beschaffungsobjektgruppen eine unterschiedliche Bedeutung hat. Als Beispiel wurde genannt, dass bei einzelnen Teilen, zum Beispiel Schrauben, Innovation eine geringere Bedeutung hat und bei Modulen oder Systemen relevanter ist. Jedoch wird von den betreffenden Unternehmen kein Unterschied bei der Lieferantenbewertung gemacht. Nur bei einem Unternehmen wird das Kriterium Innovation nur für diejenigen Lieferanten angewendet, für welche es in Frage kommt, also zum Beispiel nicht für Kataloganbieter. Bei den anderen Lieferanten, bei denen Innovation bei der Bewertung einbezogen wird, erfolgt eine unterschiedliche Gewichtung der Innovationskriterien, wenn der Lieferant beispielsweise ein Entwicklungslieferant ist. In diesem Zusammenhang steht auch das Thema, ob Innovation bei der gemeinsamen Produktentwicklung und somit bei der Auswahl der Entwicklungspartner eine größere Rolle spielt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass bei der gemeinsamen Produktentwicklung Innovation eine größere Rolle spielt. Insbesondere werden eigenständige Verbesserungsvorschläge des Lieferanten sehr positiv bewertet. Bei der Frage, ob Innovation bei der Auswahl der Entwicklungspartner eine größere Rolle spielt, wurde zwar prinzipiell zugestimmt, dass Innovation bei der Auswahl der Entwicklungspartner eine wichtige Bedeutung hat, jedoch wurde nicht ersichtlich, dass die befragten Unternehmen bei der Lieferantenbewertung den Kriterienbereich Innovation stärker fokussieren und einbeziehen. Zusammenfassend kann festgehalten
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
werden, dass es für unterschiedliche Beschaffungsobjekte bzw. unterschiedliche Lieferantentypen sinnvoll sein kann, einen Unterschied in der Einbeziehung des Kriteriums Innovation bei der Lieferantenbewertung zu machen, vor allem um die Bewertungssituation möglichst realistisch und nah abzubilden. Grundsätzlich sollte das Kriterium Innovation bei Entwicklungsverantwortung einbezogen werden, also bei Modul- und System- bzw. Entwicklungslieferanten. Hierbei sollten auch Innovationskriterien zur Bewertung der Innovationsfähigkeit und -bereitschaft in Verbindung mit dem Bereich FuE zu Einsatz kommen. Die Unternehmen wurden auch nach der Anwendung von Steuerungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Lieferantenerziehung, die Lieferantenförderung und die Lieferantenentwicklung, zur Steigerung der Innovativität der Lieferanten befragt. Dabei kommen bei den befragten Unternehmen teilweise Maßnahmen zur Verbesserung der Innovativität zur Anwendung. Diese beziehen sich auf die Lieferantenerziehung und auf die Lieferantenentwicklung. Bei der Erziehung kommt die Belohnung zum Einsatz. Ein Unternehmen kürt beispielsweise seine besten Lieferanten in den einzelnen Sparten auf einem jährlichen Lieferantentag und macht dies auch in Fachmagazinen publik. Eine weitere Belohnung im Zusammenhang mit Prozessinnovationen wird zum Beispiel bei einem Unternehmen durch monetäre Anreize gesetzt. Hierbei werden alle Verbesserungen in der Fertigung des Produktes, die sich kostenmäßig positiv auswirken, so behandelt, dass der Lieferant von der Einsparung 50% behalten darf und somit einen Anreiz hat, sich Gedanken über Verbesserungen zu machen. Eine weitere verwendete Methode zur Lieferantenerziehung ist das Lieferantenranking anhand des Kriteriums Innovation. Dabei sehen die Lieferanten, auf welchem Platz sie derzeit stehen. Dies kann einen Anreiz für Lieferanten geben, welche dabei schlecht abgeschnitten haben, sich zu verbessern. Des Weiteren werden von einem Unternehmen Entwicklungsmaßnahmen angewandt bzw. Entwicklungsprojekte angesetzt, wenn Lieferanten bei bestimmten Bewertungskriterien, zum Beispiel bei der Anzahl von Produkt- und Prozessinnovationen und bei Vorschlägen zu Produkt- oder Prozessoptimierungen, eine schlechte Leistung gebracht haben, um schließlich diese zu verbessern. Es hat sich gezeigt, dass von den befragten Unternehmen kein Unternehmen einen Lieferantenpool hat, welcher ausschließlich auf dem Kriterium Innovation basiert. Jedoch kann der Bereich Innovation bei der Aufnahme eines Lieferanten in einen normalen Lieferantenpool eine wichtige Rolle spielen. Aus der Befragung wurde ersichtlich, dass Vorschläge für Verbesserungen bzw. zur Leistungsoptimierung von Lieferanten hoch angesehen sind. Zeigt sich ein Lieferant auf diese Weise innovativ, wird er beim nächsten Auftrag bevorzugt behandelt bzw. bekommt durch sein innovatives Verhalten die First-Call-Option. Folglich kann ein Lieferant sich durch seine Innovationsfreude und durch seine in der Vergangenheit hervorgebrachten und dem Abnehmerunternehmen nützenden Innovationen zu einem Pool-Lieferanten entwickeln. Voraussetzung hierbei ist jedoch, dass der Lieferant in den anderen Kriterienbereichen auch gut abschneidet.
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Wissenschaftliche Beiträge
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Fazit
In dieser Arbeit wurde die Verwendung des Kriteriums Innovation bei der Lieferantenbewertung vorgestellt. Dabei wurden Kriterien zur Bewertung der Innovativität in der Literatur identifiziert und anschließend den Innovationskategorien Innovationsfähigkeit, Innovationsbereitschaft, Innovationsoutput und Innovationsgrad zugeordnet. Damit wurde eine Systematik für den Themenbereich Innovation bei der Lieferantenbewertung erarbeitet und ein Kriterienkatalog zur Bewertung der Innovationsleistung entwickelt. Im Weiteren wurde dargestellt, wie die Bewertungsdimensionen bei den Innovationskriterien beispielhaft festgelegt werden können. Anschließend wurde auf die Lieferantenauswahl eingegangen, die Rolle der Innovation in verschiedenen Beschaffungssituationen und der Einsatz des Bereichs Innovation beim Lieferantencontrolling dargestellt. Des Weiteren wurde bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung im weiteren Lieferantenmanagementprozess auf die Bereiche Lieferantenpflege, -integration, -erziehung, -förderung und -entwicklung eingegangen, wobei der Frage nachgegangen wurde, wie der Bereich Innovation bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung eingesetzt werden kann. Abschließend wurden die Ergebnisse der Befragung von neun Unternehmen vorgestellt, um die Umsetzung des Kriteriums Innovation bei der Lieferantenbewertung und bei der Steuerung der Lieferantenbeziehung in der Praxis aufzuzeigen. Die in der Literatur identifizierten Innovationskriterien werden, teilweise in angepasster Weise, bei der Lieferantenbewertung in der Praxis angewendet. Es hat sich herausgestellt, dass es für das Lieferantencontrolling sinnvoll ist, nur die für das eigene Unternehmen hervorgebrachte Innovation zu betrachten. Des Weiteren ist die Relevanz der Anwendung des Kriteriums Innovation vom Beschaffungsobjekt bzw. von der Lieferanten-Abnehmer-Beziehung abhängig, wobei bei Modul- und System- bzw. Entwicklungslieferanten Innovation eine wichtigere Rolle spielt. Die befragten Unternehmen verwenden teilweise Instrumente, zum Beispiel die Lieferantenerziehung und -entwicklung, zur Steigerung der Innovativität der Lieferanten. Innovative Lieferanten bekommen einen Vorrang bei der Auftragsvergabe, sofern auch die restlichen Anforderungen erfüllt sind. Durch innovatives Verhalten kann sich somit ein Lieferant zu einem Pool-Lieferanten entwickeln. Das Abnehmerunternehmen profitiert dabei von der Innovativität des Lieferanten und kann sich somit weitere Wettbewerbsvorteile sichern. Die Verwendung des Kriterienkatalogs bedarf der weiteren empirischen Untersuchung, wobei der Einsatz der Subkriterien der Innovationsleistung in Abhängigkeit der Beschaffungssituation, des Beschaffungsobjektes bzw. des Lieferantentyps zu überprüfen sind.
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
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33
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Innovationsleistung im Rahmen des Lieferantenmanagements
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35
Wissenschaftliche Beiträge
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36
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Sebastian M. Durst und Prof. Dr. Eric Sucky
Abstract Lieferantenentwicklung als integraler Bestandteil eines systematischen Lieferantenmanagements gewinnt in der unternehmerischen Praxis und der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend an Bedeutung. Letzteres unterstreicht die beachtliche Anzahl von 31 auf großzahligen Erhebungen basierenden Publikationen zum Thema, von denen knapp zwei Drittel erst in den vergangenen acht Jahren veröffentlicht wurden. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, den Stand der empirischen Forschung zur Lieferantenentwicklung zusammenzufassen, im Hinblick auf inhaltliche, theoretische und methodische Schwerpunkte zu analysieren und Lücken für die weitere Forschung aufzuzeigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die bisherigen Studien inhaltlich unterschiedliche Akzente setzen und wesentliche Zusammenhänge empirisch beleuchtet wurden. Nichtsdestotrotz bestehen inhaltliche Forschungslücken in Bezug auf die Untersuchung der Verknüpfung von gesetzten Zielen und erreichten Ergebnissen, der Wirtschaftlichkeit direkter Lieferantenentwicklung, der Aufteilung der Ergebnisse zwischen Abnehmer und Lieferant sowie den Rahmenfaktoren für Lieferantenentwicklung. Die theoretische Fundierung der Mehrheit der Studien muss als unzureichend bezeichnet werden. Methodische Lücken bestehen in Bezug auf die geographische Ausgewogenheit der Datenbasis, die differenzierte Betrachtung von Industrien, den Mangel an dyadischen Erhebungen und Längsschnittstudien sowie die Datenermittlung durch subjektive Befragungen.
Wissenschaftliche Beiträge
1
Einleitung
1.1
Ausgangssituation und Problemstellung
Die Fokussierung auf die eigenen Kernkompetenzen und die damit einhergehende Reduzierung der Fertigungstiefe führt dazu, dass in vielen Branchen der Anteil der Wertschöpfung, welcher auf die Lieferanten entfällt, einer Größenordnung von 50% oder mehr entspricht (vgl. Abbildung 1). Herausragend ist die Automobilindustrie: So beträgt der Wertschöpfungsanteil der Zulieferer bezogen auf die gesamte Wertschöpfung eines Fahrzeuges im Schnitt 78% (Verband der Automobilindustrie, 2008, S. 78). Lieferanten leisten also einen entscheidenden Beitrag zu wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen, zur Innovationsfähigkeit und der Leistung im operativen Tagesgeschäft (Lieferzeit und Lieferzuverlässigkeit, Produktqualität etc.) eines Unternehmens (Wagner, 2006b, S. 554).
Abbildung 1: Anteil der Lieferantenwertschöpfung in ausgewählten produzierenden Industrien1
78%
46%
47%
48%
Pharmazeutika
Nahrungsmittel und Getränke
Luft- und Raumfahrt/ Verteidigung
53%
56%
Elektronik
Chemie
60%
Halbleiter
Automobilhersteller
Der Prozess von der Identifikation potenzieller Lieferanten, über die Lieferantenanalyse, -bewertung und -auswahl, bis hin zur Kontrolle und Steuerung der LieferantenAbnehmer-Beziehung obliegt dem Lieferantenmanagement (Janker, 2004, S. 35-61; Koppelmann, 1993, S. 14).2 Lieferantenmanagement bezeichnet somit die Gestaltung
1 2
38
Angaben für Automobilhersteller vgl. Verband der Automobilindustrie, 2008, S. 78; Angaben für die übrigen Branchen vgl. CAPS Research, 2008, S. 1. Die Verwendung des Begriffes Lieferantenmanagement ist in der Literatur nicht einheitlich. So unterscheidet Wagner sechs verschiedene Terminologien, die vom Schlagwort bis zur Be-
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
aller Lieferantenbeziehungen des Unternehmens mit dem Ziel, durch eine verbesserte Zusammenarbeit mit Lieferanten Produkte besser, schneller und zu niedrigeren Kosten zu entwickeln, herzustellen und zu beschaffen (Corsten und Hofstetter, 2001, S. 130). Lieferantenmanagement umfasst damit die "Gestaltung, Lenkung und Entwicklung der Lieferantenbasis und der Lieferantenbeziehungen eines Unternehmens" (Wagner, 2003, S. 691). Drei wesentliche Aktivitäten des Lieferantenmanagements lassen sich unterscheiden (Wagner, 2001, S. 175): 1.
Management der Lieferantenbasis
2.
Lieferantenentwicklung
3.
Lieferantenintegration
Lieferantenentwicklung ist also ein wesentlicher Baustein eines systematischen Lieferantenmanagements. Sie umfasst alle Aktivitäten, die über die routinemäßige Zusammenarbeit mit Lieferanten hinausgehen (Appelfeller und Buchholz, 2005, S. 48), mit dem Ziel, das Kosten- und Leistungsniveau von Lieferanten zu verbessern (Lasch und Janker, 2008, S. 1008). Lieferantenentwicklung gewinnt in der unternehmerischen Praxis zunehmend an Bedeutung (Modi und Mabert, 2007, S. 42).3 Auch das wissenschaftliche Interesse an Lieferantenentwicklung hat in den vergangenen 20 Jahren sukzessive zugenommen. So ist die Anzahl der jährlich veröffentlichten, auf großzahligen Erhebungen basierenden Publikationen – im Folgenden wird vereinfacht von 'umfragebasierten Publikationen' gesprochen – zur Lieferantenentwicklung seit Mitte der 90er Jahre deutlich gestiegen (vgl. Abbildung 2).
3
schreibung integrierter und umfassender Lieferantenmanagement-Konzepte reichen (Wagner, 2001, S. 87-99). So existieren beispielsweise bei DaimlerChrysler im Geschäftsfeld Nutzfahrzeuge (inzwischen Daimler Trucks) vier Varianten der Lieferantenentwicklung: Präventive Lieferantenförderung (frühzeitige Förderung von Lieferanten zur Vorbeugung von Problemen beim Serienanlauf), reaktive Lieferantenförderung (Behebung von Problemen mit bestehenden Lieferanten), kostenorientierte Lieferantenförderung (gemeinsame Identifikation und Realisierung von Lieferanten-seitigen Kostensenkungspotentialen) sowie innovative Lieferantenförderung (Erschließung neuer Lieferanten), Wagner und ten Hoevel, 2003, S. 1030-1038.
39
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 2: Anzahl umfragebasierter Publikationen zur Lieferantenentwicklung gemäß Publikationsdatum
10 9 8
3 1 Bis 1989
1990-1994
1995-1999
2000-2004
2005-2008
Basis der in Abbildung 2 summarisch dargestellten, umfragebasierten Publikationen bildet eine umfangreiche Literaturrecherche zur Lieferantenentwicklung. Hierzu wurden sämtliche Jahrgänge bis einschließlich 2008 von insgesamt 15 wichtigen deutschen4 und angloamerikanischen5 Zeitschriften, die schwerpunktmäßig Beiträge zu den Bereichen Supply Management, Supply Chain Management und Operations publizieren, überprüft. Ergänzt wurde diese systematische Analyse durch eine Recherche nach dem Schneeballverfahren. Hilfreich waren hierzu insbesondere die Quellen aus Wagner und Boutellier, 2003 (S. 68-70). In Summe konnten 31 umfragebasierte Publikationen zur Lieferantenentwicklung identifiziert werden. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, die bisherigen empirischen Erkenntnisse zu systematisieren, zu reflektieren und Impulse für weitere Untersuchungen zu geben.
4
5
40
Folgende Zeitschriften bzw. deren Vorgänger wurden geprüft: (1) Die Betriebswirtschaft, (2) Logistik Management, (3) Supply Chain Management, (4) Zeitschrift für Betriebswirtschaft, (5) Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung. Folgende Zeitschriften bzw. deren Vorgänger wurden geprüft: (1) Decision Sciences, (2) International Journal of Logistics Management, (3) International Journal of Logistics: Research and Applications, (4) International Journal of Physical Distribution & Logistics Management, (5) Journal of Business Logistics, (6) Journal of Operations and Production Management, (7) Journal of Operations Management, (8) Journal of Purchasing & Supply Management, (9) Supply Chain Management: An International Journal, (10) The Journal of Supply Chain Management.
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
1.2
Zielsetzung und Untersuchungsmethode
Zielsetzung des vorliegenden Beitrages ist es, den Stand der umfragebasierten Forschung zur Lieferantenentwicklung aufzuzeigen. Im Folgenden wird auf drei Fragen fokussiert:6
Welche umfragebasierten Befunde zur Lieferantenentwicklung liegen aktuell vor? Welche inhaltlichen, theoretischen und methodischen Schwerpunkte weisen die Befunde auf?
Welche Lücken in der umfragebasierten Forschung zur Lieferantenentwicklung lassen sich identifizieren? Für die Erreichung der oben genannten Ziele wird bewusst ein qualitativer Ansatz und keine Metastudie als Untersuchungsmethode ausgewählt. Denn während Metastudien auf eine Effektgrößeneinschätzung fokussieren, zielt der vorliegende Beitrag auf die Herausarbeitung der in umfragebasierten Untersuchungen gesetzten inhaltlichen, theoretischen und methodischen Schwerpunkte. Des Weiteren soll ein möglichst umfassender Überblick über umfragebasierte Studien zur Lieferantenentwicklung gegeben werden. Im Gegensatz dazu sind Metaanalysen häufig nicht umfassend, da Arbeiten aufgrund kleiner Grundgesamtheit oder fehlender Daten ausgeschlossen werden müssen. Aus methodischer Sicht führt der hier vorliegende Beitrag ein Review durch. Das Vorgehen orientiert sich an einem Vorschlag aus dem Handbook of Research Synthesis (Cooper und Hedges, 1994, S. 9-12):
6
1.
Problemformulierung: Während dieser Phase wird die zu beantwortende Fragestellung ausformuliert, abgegrenzt und präzisiert. Die dieser Untersuchung zugrunde liegenden Fragen wurden oben formuliert.
2.
Literatursuche: Innerhalb dieser Phase wird die für die Fragestellung relevante Literatur recherchiert. Wie in Kapitel 1.1 dargestellt, wurde hierzu eine umfangreiche Literaturrecherche durchgeführt.
3.
Literaturauswertung: Diese Phase zielt darauf ab, die identifizierte Literatur im Hinblick auf ihre Relevanz zu überprüfen, sie zu verarbeiten und geeignet zu systematisieren. Auf Basis einer individuellen Prüfung der Artikel wurden zunächst unpassende Publikationen ausgeschlossen, z.B. Publikationen zur Lieferantenentwicklung, die nicht auf großzahligen Erhebungen basieren. Dann wurde eine Zusammenfassung für jeden Artikel im Hinblick auf die wesentlichen Inhalte sowie verwendete Theorien und Methodik angefertigt.
Analoge Fragestellungen untersucht Fettke im Kontext des Supply Chain Management, Fettke, 2007, S. 419.
41
Wissenschaftliche Beiträge
4.
Analyse, Interpretation und Aufbereitung: Innerhalb dieser Phase sind die Ergebnisse der vorangegangenen Phase vor dem Hintergrund der Problemformulierung zu untersuchen, zu bewerten und aufzubereiten. Die Ergebnisse sind in den Kapiteln 3 und 4 dargestellt.
Basis für die Untersuchung bilden, wie eingangs erwähnt, 31 umfragebasierte wissenschaftliche Arbeiten zur Lieferantentenentwicklung. Allerdings ist festzuhalten, dass diesen 31 Publikationen nur 23 Umfragen zugrunde liegen, da einige Studien als Grundlage für mehr als eine Publikation verwendet wurden. So dient beispielsweise die umfangreiche Umfrage unter 527 NAPM-Mitgliedern7 allein sechs Artikeln als Datenbasis (Krause, 1997, Krause und Ellram, 1997b, Krause, 1999, Krause et al., 2000, Krause und Scannell, 2001 sowie Krause und Scannell, 2002). Analyseeinheit für die folgenden Untersuchungen bildet trotzdem die einzelne Publikation, da Inhalte und teilweise Methodik auch bei Artikeln mit gleicher empirischer Basis unterschiedlich sind.
1.3
Aufbau der Untersuchung
Im aktuellen, einleitenden Kapitel wurden Ausgangssituation, Zielsetzung und Untersuchungsmethode beschrieben. In Kapitel 2 werden der Stand der Metaforschung zur Lieferantenentwicklung sowie Terminus und Perspektiven der Lieferantenentwicklung dargestellt. Zudem wird der Bezugsrahmen der Untersuchung skizziert. In Kapitel 3 werden auf Basis des definierten Bezugsrahmens die in der wissenschaftlichen Literatur identifizierten umfragebasierten Befunde zur Lieferantenentwicklung systematisiert, zusammengefasst und bewertet. In Kapitel 4 werden auf dieser Basis inhaltliche, theoretische und methodische Forschungslücken aufgezeigt. Die Ergebnisse werden in Kapitel 5 zusammengefasst.
2
Stand der Metaforschung und konzeptionelle Grundlagen
2.1
Stand der Metaforschung zur Lieferantenentwicklung
Auf Basis der oben erläuterten, umfangreichen Literaturrecherche konnten auch zwei Artikel identifiziert werden, die den Forschungsstand im Bereich Lieferantenentwicklung aufarbeiten. Wagner und Boutellier, 2003, geben einen systematischen und 7
42
NAPM = National Association of Purchasing Management, inzwischen ISM = Institute for Supply Management.
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
umfassenden Überblick über den Verlauf der wissenschaftlichen Diskussion zur Lieferantenentwicklung bis zum Jahr 2003 sowie zu wesentlichen Konzepten und empirischen Befunden. Auch eine Typologisierung der Lieferantenentwicklung wird vorgeschlagen. Batson, 2008, gibt einen eher praxisorientierten Überblick auf schlanker Literaturbasis. Darüber hinaus thematisieren mehrere Arbeiten den Forschungsstand zur Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferanten. Ein aktuelles Beispiel ist Terpend et al., 2008. Durch den deutlich breiteren Fokus dieser Arbeiten wird das Forschungsfeld der Lieferantenentwicklung jedoch nur peripher oder gar nicht berührt. Gleiches gilt für Arbeiten zum Forschungsstand im Bereich Supply Chain Management (z.B. Fettke, 2007). Die vorliegende Untersuchung ist in Abgrenzung zu Wagner und Boutellier explizit auf umfragebasierte Publikationen zur Lieferantenentwicklung fokussiert und setzt daher in diesem Bereich klare inhaltliche Schwerpunkte. Zudem werden theoretische und methodische Aspekte der umfragebasierten Forschung zur Lieferantenentwicklung systematisch analysiert. Schließlich ist die vorliegende Untersuchung aktueller. Dies ist insofern entscheidend, als die Anzahl umfragebasierter Untersuchungen zur Lieferantenentwicklung seit 2003 um rund 50% gestiegen ist und inhaltlich sowie methodisch andere Schwerpunkte gesetzt werden.
2.2
Terminus und Perspektiven der Lieferantenentwicklung
Die erste wissenschaftliche Publikation zur Lieferantenentwicklung stammt von Leenders, 1966, wobei Krause et al. darauf verweisen, dass die Praxis der Lieferantenentwicklung bereits von Seltzer, 1928, für den Automobilhersteller Ford dokumentiert wurde (Krause et al., 2007, S. 529). Dann wurde das Sujet allerdings erst wieder Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre in der wissenschaftlichen Literatur vornehmlich unter Qualitätsmanagementgesichtspunkten aufgegriffen. Wagner und Boutellier sprechen in diesem Zusammenhang von einer "ersten Welle" (Wagner und Boutellier, 2003, S. 54). Eine "zweite Welle" sehen die Autoren von 1995 bis 2003 vor dem Hintergrund der hohen Popularität der Forschung zu Beziehungs- und Lieferantenmanagement. Diese "Welle" dauert weiterhin an, wobei in umfragebasierten Publikationen zunehmend komplexere Zusammenhänge mit weiterentwickelten Methoden untersucht werden (vgl. Kapitel 3). Wie bei anderen wissenschaftlichen Begrifflichkeiten auch, existiert in der Literatur kein konsistentes Verständnis von Lieferantenentwicklung. Eine häufig zitierte Definition stammt von Krause und Ellram, die Lieferantenentwicklung als "any effort of a buying firm with a supplier to increase its performance and/or capabilities and meet the buying firm’s short and/or long-term supply needs" definieren (Krause und Ellram, 1997b, S. 39). In Anlehnung an die Typologisierung von Wagner und Boutellier lassen
43
Wissenschaftliche Beiträge
sich drei verschiedene Perspektiven der Lieferantenentwicklung differenzieren (Wagner und Boutellier, 2003, S. 55-56): 1.
Art des Lieferanten (existierender vs. neuer Lieferant)
2.
Motivation des Abnehmers (reaktiver vs. proaktiver Ansatz)
3.
Rolle des Abnehmers (indirekte vs. direkte Lieferantenentwicklung)
Ad 1. Lieferantenentwicklung kann sich auf die Schaffung von neuen Bezugsquellen beziehen. In diesem Fall sind in der Literatur die Begriffe "reverse marketing" (Krause und Ellram, 1997a, S. 21) oder "narrow perspective" (Hahn et al., 1990, S. 3) gebräuchlich. Alternativ konzentrieren sich Lieferantenentwicklungsaktivitäten auf bereits existierende Lieferanten, d.h. auf die kurzfristige Verbesserung von Zeit, Qualität und Kosten bzw. auf die langfristige Entwicklung der Lieferantenfähigkeiten. In diesem Fall wird in der Literatur auch von "Lieferantenförderung" (Wagner und Boutellier, 2003, S. 56) oder "broader perspective" (Hahn et al., 1990, S. 3) gesprochen. Ad 2. Lieferantenentwicklung kann vor dem Hintergrund eines konkreten und in aller Regel dringlichen Problems beim Lieferanten initiiert werden. Ein Beispiel sind Qualitätsprobleme beim Lieferanten, die zu Verzögerungen in der Produktion des Abnehmers führen. In der Literatur wird diese Art der Lieferantenentwicklung als reaktiv bezeichnet (Krause et al., 1998, S. 45). In der Praxis wird häufig von "firefighting" gesprochen. Wird Lieferantenentwicklung im Gegensatz dazu vorausschauend und systematisch zur planvollen Entwicklung von Lieferanten eingesetzt, wird dies als strategischer Ansatz bezeichnet (Krause et al., 1998, S. 45). Ad 3. Nimmt der Abnehmer eine passive Rolle bei der Entwicklung des Lieferanten ein, unterstützt den Lieferanten also nicht aktiv bei der Durchführung von Verbesserungsmaßnahmen, wird dies als indirekte Lieferantenentwicklung bezeichnet (Monczka et al., 1993, S. 50). Der Abnehmer gibt also beispielsweise lediglich Verbesserungsziele vor, erhöht den Wettbewerbsdruck auf den Lieferanten durch Dual oder Multiple Sourcing oder setzt Anreize durch Lieferantenauszeichnungen. Spielt der Abnehmer eine aktive Rolle, bringt also selbst Ressourcen in Form von Personal oder Kapital ein, wird in der Literatur von direkter Lieferantenentwicklung (Monczka et al., 1993, S. 50) oder in Anlehnung an die Transaktionskostentheorie von transaktionsspezifischen Investitionen des Abnehmers in den Lieferanten gesprochen (Krause, 1999, S. 2007). Exemplarisch seien hierfür Aktivitäten wie die Schulung von Lieferantenmitarbeitern, die Beratung des Lieferanten, die temporäre Überlassung von Personal oder finanzielles Engagement im Rahmen gemeinsamer Investitionen genannt. Ähnlich argumentieren Krause et al., wenn Sie in Anlehnung an das Internalisierung/ExternalisierungsModell von Buckley und Casson Lieferantenentwicklungsaktivitäten in "externalized" und "internalized" differenzieren (Krause et al., 2000, S. 36-37). Im weiteren Verlauf der Untersuchung nutzen die Autoren die weit verbreitete Nomenklatur direkter und indirekter Lieferantenentwicklung, auch wenn diese unglücklich mit der Unterschei-
44
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
dung von direktem und indirektem Material korrespondiert und daher in Gesprächen mit Praktikern immer wieder zu Verwechslungen führt.
2.3
Bezugsrahmen
In der Literatur werden abhängig vom zugrunde liegenden Begriffsverständnis, dem Umfang und Fokus der jeweiligen Untersuchung unterschiedliche Bezugsrahmen für Lieferantenentwicklung vorgeschlagen (exemplarisch Carr et al., 2008, S. 901; Li et al., 2007, S. 233; Modi und Mabert, 2007, S. 46). Allerdings deckt keiner dieser Vorschläge alle aus Sicht der Autoren relevanten Elemente und Wirkungszusammenhänge der Lieferantenentwicklung ab. Daher wurde auf Basis einer intensiven Literaturrecherche der in Abbildung 3 dargestellte Bezugsrahmen entwickelt. Dieser wurde anschließend in zwei mehrstündigen Workshops mit acht Hochschulangehörigen bzw. fünf Industrievertretern sowie zwei Expertengesprächen mit einem Einkaufsleiter und einem Leiter Lieferantenentwicklung getestet und verfeinert. Die in Abbildung 3 den jeweiligen Elementen zugeordneten Unterpunkte sind exemplarisch.
Abbildung 3: Bezugsrahmen für die Untersuchung Rahmenbedingungen
Erfolgsfaktoren
Umfeldbezogen • Technologische Unsicherheit
• Effektive Kommunikation • Partnerschaftlicher Ansatz
• Wettbewerbsintensität • … Beziehungsbezogen • Machtverteilung • Wissensverteilung • … Unternehmensbezogen (Abnehmer/Lieferant) • Unternehmensgröße • Ressourcenausstattung • …
• …
Lieferantenentwicklung
Auswirkungen Lieferant
Auswirkungen Abnehmer
• Indirekt (z.B. Lieferantenbewertung inkl. Feedback) • Direkt (z.B. Schulung von Lieferantenmitarbeitern)
• Leistung (z.B. Zeit, Qualität, Kosten) • Fähigkeiten
• Leistung (z.B. Zeit, Qualität, Kosten) • Gesamtunternehmensperformance
• Beziehung Lieferant/Abnehmer
• Beziehung Abnehmer/Lieferant
Verteilung der Ergebnisse zwischen Abnehmer und Lieferant • Gemäß Machtverhältnis
• 50:50
• …
Die wesentlichen Elemente und grundsätzlichen Wirkungszusammenhänge des Bezugsrahmens sind wie folgt definiert: Die Rahmenbedingungen bilden die umfeld-, beziehungs- und unternehmensbezogenen Leitplanken für Lieferantenentwicklungsaktivitäten. Exemplarisch seien in diesem Zusammenhang Einflussfaktoren wie die Wettbewerbsintensität auf dem Markt des Abnehmers, die Machtverteilung zwischen Abnehmer und Lieferant sowie die Ressourcenausstattung des Abnehmers genannt.
45
Wissenschaftliche Beiträge
Die Rahmenbedingungen wirken auf die Lieferantenentwicklung des Abnehmers und zwar sowohl auf die Art der durchgeführten Lieferantenentwicklungsaktivitäten als auch auf deren Intensität. Analog zur vorher eingeführten Differenzierung können indirekte Aktivitäten, wie die Vorgabe von Verbesserungszielen durch den Abnehmer, von direkten Aktivitäten, wie die Schulung von Lieferantenmitarbeitern durch den Abnehmer, unterschieden werden. Die Lieferantenentwicklung hat zunächst Auswirkungen auf den Lieferanten. Beispielsweise können durchgeführte Prozessverbesserungen die Lieferzeiten verkürzen und/oder die Kosten senken. Dabei spielen Erfolgsfaktoren eine Rolle, wie zum Beispiel die eine effektive Kommunikation zwischen Abnehmer und Lieferant. Verbesserungen beim Lieferanten haben wiederum Auswirkungen auf den Abnehmer. Etwa in Form von Preissenkungen seitens des Lieferanten oder verkürzten Bestell- und Lieferzeiten. Wichtige Einflussgröße in diesem Kontext ist die Aufteilung der Ergebnisse zwischen Abnehmer und Lieferant aus den durchgeführten Lieferantenentwicklungsaktivitäten. In Summe erlaubt der entwickelte Bezugsrahmen eine systematische Zuordnung der in den untersuchten Publikationen geprüften Hypothesen zu den einzelnen Elementen. Er bildet damit die Struktur für die inhaltlichen Auswertungen in Kapitel 3.
3
Ergebnisse umfragebasierter Forschung zur Lieferantenentwicklung
3.1
Lieferantenentwicklung
A. Aktivitäten der Lieferantenentwicklung und ihre Kategorisierung Wie in Kapitel 2.2 bereits ausgeführt, ist der Terminus Lieferantenentwicklung nicht einheitlich definiert. So ordnet beispielsweise Wagner in seiner Dissertation nur direkte Maßnahmen der Lieferantenentwicklung zu (Wagner, 2001, S. 212). Erschwerend kommt hinzu, dass viele Artikel eine eigene Nomenklatur entwickeln, die eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse verkompliziert. So sprechen Humphreys et al. beispielsweise von transaktionsspezifischer Lieferantenentwicklung (Humphreys et al., 2004, S. 142), meinen damit aber neben den typischerweise unter dieser Begrifflichkeit subsumierten Aktivitäten der direkten Lieferantenentwicklung auch weitere Aktivitäten wie
46
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
die Erhöhung von Leistungszielen des Lieferanten, welche die meisten anderen Autoren der indirekten Lieferantenentwicklung zuordnen.8 Eine Konkretisierung des jeweiligen Verständnisses von Lieferantenentwicklung stellen die in den meisten Artikeln vollständig oder zumindest auszugsweise abgedruckten Fragebögen dar. Auf dieser Basis lassen sich "häufig", "manchmal" oder nur "vereinzelt" abgefragte Lieferantenentwicklungsaktivitäten herausarbeiten und einer der Arten der Lieferantenentwicklung – indirekt oder direkt9 – zuordnen (vgl. Tabelle 1). Die Zuordnung der Aktivitäten zu indirekter bzw. direkter Lieferantenentwicklung erfolgte auf Basis des Verständnisses der Autoren, die sich nicht mit allen Arbeiten deckt.
Tabelle 1:
Operationalisierung des Terminus Lieferantenentwicklung in Fragebögen
Art der Lieferantenentw.
Häufigkeit (Anteil der Publikationen, die diese Aktivitäten via Fragebogen prüfen in %) Häufig (>30%)
Manchmal (10%-30%)
Vereinzelt (<10%)
Indirekt
Lieferantenbewertung inkl. Feedback Auszeichnung von Lieferanten Zertifizierung von Lieferanten Schaffung/Erhöhung Wettbewerbsdruck
Vorgabe/Verschärfung von Zielen
Qualität als Kriterium für Lieferantenauswahl Kommunikation der eigenen strategischen Ziele Abhalten von Lieferantentagen …
Direkt (Personal)
Schulung von Lieferantenmitarbeitern Vor-Ort-Lieferantenbesuche Transfer von Mitarbeitern zum Lieferanten Technische Unterstützung des Lieferanten Einladung des Lieferanten zu VorOrt-Besuchen
Einbindung des Lieferanten in den Abnehmer-Produktentwicklungsprozess Gemeinsame Prozessoptimierung Beratung des Lieferanten
Engagement des Abnehmers in der Produktentwicklung des Lieferanten Unterstützung des Lieferanten beim Markteintritt Dezidiertes Lieferantenentwicklungsteam …
Direkt (Kapital)
Finanzielle Unterstützung des Lieferanten z.B. bei Investitionen
Finanzierung von Werkzeugen oder Ähnlichem
Finanzielle Beteiligung an Lieferantenunternehmen …
Setzen von Anreizen (z.B. durch Inaussichtstellung von zukünftigem Geschäft) Auditierung von Lieferanten Erstellung präziser Spezifikationen
Unterschiede gibt es auch bei der Kategorisierung von Lieferantenentwicklungsaktivitäten. Grundsätzlich lässt sich allerdings die Tendenz erkennen, Lieferantenentwicklungsaktivitäten auf Basis des Aktivitätslevels des Abnehmers zu kategorisieren. Die Einteilung in direkte und indirekte Aktivitäten ist dafür ein simples Beispiel. An8
9
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen und unterschiedlich verwendeten Begrifflichkeiten gilt für die Zusammenfassung der in den Tabellen 1 aufgeführten Studienergebnisse: Die von den jeweiligen Autoren verwendete Nomenklatur wird beibehalten. Allerdings wird durch Beispiele versucht, dem Leser jeweils ein Verständnis von der konkreten Bedeutung der Begrifflichkeiten zu vermitteln. Direkte Lieferantenentwicklung wird nach Art der vom Abnehmer eingebrachten Ressourcen in Anlehnung an Wagner nochmals in Personal bzw. Kapital differenziert, Wagner, 2006b, S. 560.
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Wissenschaftliche Beiträge
dere Kriterien zur Differenzierung von Lieferantenentwicklungsaktivitäten sind die Art der vom Abnehmer eingebrachten Ressourcen (Personal vs. Kapital), die Umstände der Aktivität (ad hoc vs. systematisch/formal) oder die strategische Ausrichtung (reaktiv vs. proaktiv). Tabelle 2 gibt einen Überblick über empirisch fundierte Vorschläge zur Segmentierung von Lieferantenentwicklungsaktivitäten.
Tabelle 2:
Empirische Befunde zur Segmentierung von Lieferantenentwicklungsaktivitäten
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Li et al., 2007
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
Vier Arten der Lieferantenentwicklung wurden identifiziert:
Wagner, 2006b
173 aus 691 (25%), zusätzlich Fallstudien; Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Zwei Dimensionen direkter Lieferantenentwicklung (personelle sowie finanzielle Unterstützung) und vier Dimensionen indirekter Lieferantenentwicklung (ad hoc Bewertung, formale Bewertung, Bewertungssystem sowie Kommunikation) wurden beobachtet.
Krause et al., 1998
84 aus 210 (40%), Benchmarkingzirkel; Primär USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Es lassen sich zwei grundsätzliche Ansätze der Lieferantenentwicklung differenzieren: • Strategisch (systematisch, Markt-orientiert, langfristig) • Reaktiv (erzwungen, Problem-fokussiert, kurzfristig)
Krause, 1997
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantentwicklungsaktivitäten lassen sich gemäß dem Grad des Commitments des Abnehmers in drei Ansätze unterscheiden: • Direktes Engagement, z.B. Vor-Ort-Besuche und Schulungen, aber auch formale Lieferantenbewertung sowie Leistungsfeedback • Anreizsetzung, z.B. Inaussichtstellung von zukünftigem Geschäft • Erzwungener Wettbewerb, z.B. durch den Einsatz von 2-3 Lieferanten je Produkt/Dienstleistung
• • • •
Transaktionsspezifische Aktivitäten, z.B. Schulungen Gemeinsame Aktionen, z.B. im Rahmen von Prozessoptimierungen Leistungserwartungen, z.B. die Erhöhung der Ziele des Lieferanten Gegenseitiges Vertrauen, z.B. in die Informationen des Lieferanten
B. Verbreitung der Lieferantenentwicklung in der Praxis Umfassende Lieferantenentwicklung ist in der unternehmerischen Praxis bislang nur zu einem geringen Grad verbreitet. Zwar schreiben Watts und Hahn bereits 1993, Lieferantenentwicklungsprogramme seien "more prevalent and less novel than is generally believed" (Watts und Hahn, 1993, S. 17). In der Tat gaben 63% der von ihnen in einer industrieübergreifenden Studie befragten US-Unternehmen an, ein aktives Lieferantenentwicklungsprogramm zu besitzen. Allerdings fällt auf, dass Lieferantenentwicklung immer dann weit verbreitet zu sein scheint, wenn relativ unspezifisch nach "Lieferantenentwicklungsprogrammen" gefragt wird (vgl. auch die Ergebnisse von Quayle, 2002). Werden Unternehmensvertreter hingegen nach konkreten Aktivitäten gefragt, so ist deren Verbreitung meist deutlich geringer (vgl. Tabelle 3). Insbesondere bei direkter Lieferantenentwicklung scheinen die Unternehmen zurückhaltend zu sein. Und wenn es gar darum geht, neben personellen auch finanzielle Ressourcen aufzuwenden, geht das Engagement der meisten Unternehmen gegen Null. So lag der Durchschnitt bei produzierenden Unternehmen in der Studie von Krause und Scannell
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Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
für die Aktivität "Investment in the supplier's operation" bei 4,57, für Dienstleister sogar bei 4,80, wobei die Skala von "1 = Immer" bis "5 = Nie" definiert war (Krause und Scannell, 2002, S. 18). Dabei gibt es allerdings sehr deutliche Industrieunterschiede. Insbesondere die Automobilbranche wird oft als Vorreiter genannt, was auch in zahlreichen Fallstudien dokumentiert ist (exemplarisch Sako, 2004 oder Rogers et al., 2007). Auch die Branchen Maschinenbau und Metallverarbeitung gelten als überdurchschnittlich aktiv in der Lieferantenentwicklung. Dagegen scheinen Unternehmen der Prozess- und Grundstoffindustrien im Schnitt unterdurchschnittlich aktiv zu sein.10 Unglücklicherweise ist die empirische Basis in diesem Bereich sehr dünn, da bislang nur zwei Autoren dezidierte Industrievergleiche durchgeführt haben (Quayle, 2002 für Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern und Wagner, 2006b).
Tabelle 3:
Empirische Befunde zur Verbreitung der Lieferantenentwicklung in der Praxis
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Oh und Rhee, 2008
94 aus 231 (41%); Südkorea; Automobilzulieferer; Lieferantenperspektive
Direkte Lieferantenentwicklung ist der im Schnitt am wenigsten genutzte Typus der Zusammenarbeit (verglichen mit Kommunikation, Kollaboration bei der Neufahrzeugentwicklung, gemeinsames Problemlösen sowie strategische Beschaffung).
Wagner, 2006b
173 aus 691 (25%), zusätzlich Fallstudien; Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Die Unternehmen sind im Schnitt sehr zurückhaltend in Bezug auf direkte Lieferantenentwicklung. Indirekte Lieferantenentwicklung wird etwas intensiver betrieben. Im Branchenvergleich liegen Automobil, Bau, Metallverarbeitung und Maschinenbau in beiden Dimensionen der direkten Lieferantenentwicklung deutlich über dem Durchschnitt, wohingegen Unternehmen der Prozess- und Grundstoffindustrien unterdurchschnittlich aktiv sind.
SánchezRodríguez et al., 2005
306 aus 1.200 (25%); Spanien; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Die Nutzung von "basic" Lieferantenentwicklungsaktivitäten wie Leistungsfeedback für Lieferanten ist recht weit verbreitet. "Moderate" Praktiken wie Vor-OrtBesuche werden weniger eingesetzt. "Advanced" Aktivitäten wie Schulungen spielen nur eine sehr untergeordnete Rolle.
Quayle, 2002
240 aus 400 (60%); UK; Industrie-übergreifend, alle Unternehmen <200 Mitarbeiter; Unternehmen als Abnehmer und Lieferant befragt
Im Schnitt geben 52% der Unternehmen an, ein Lieferantenentwicklungsprogramm zu haben. Dabei liegen Verpackung&Transport, Nahrungsmittel sowie Versorgung mit 80%-90% weit vorne. Hingegen weisen High Tech, Chemie&Pharma und Baugewerbe nur 10-30% aus. Weniger als 30% der Unternehmen geben an, bei ihren Kunden in deren Lieferantenentwicklungsprogramme involviert zu sein.
Krause und Scannell, 2002
512 aus 1.504 (34%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantenentwicklung variiert nach Unternehmenstyp und Strategie: Produzierende Unternehmen setzen Lieferantenbewertung (inkl. Zertifizierung) "oft bis manchmal" ein, gefolgt von Anreizen für Lieferanten und direktem Engagement sowie Wettbewerbsdruck. Dienstleister nutzen die genannten Strategien tendenziell weniger häufig (Ausnahme: Wettbewerbsdruck, der bei Dienstleistern bereits an Stelle zwei rangiert und im Schnitt "manchmal" eingesetzt wird).
10
So dokumentieren Corsten und Hofstetter in einer Fallstudie die Anstrengungen von Sainsbury im Rahmen des Supplier-Relationship-Management. Maßnahmen der Lieferantenentwicklung reduzieren sich jedoch auf eine Lieferantenbewertung, d.h. auf Aktivitäten der indirekten Lieferantenentwicklung (Corsten und Hofstetter, 2001, 2001, S. 140-141).
49
Wissenschaftliche Beiträge
Forker und Stannack, 2000
384 aus 769 (50%), Abnehmer-Lieferantenpaare bei zwei Abnehmern; USA; Industrie-übergreifend; Dyadisch
Die Wahrnehmung von Abnehmern und Lieferanten in Bezug auf die Nutzung von Lieferantenentwicklungsinstrumenten divergiert in vielen Fällen (so setzen Abnehmer bspw. in ihrer Wahrnehmung häufiger auf Lieferantenbewertung, Lieferanten sehen eher die Klarheit von Spezifikationen vorne). Ähnlich auch bei Forker et al., 1999.
Krause et al., 1998
84 aus 210 (40%), Benchmarkingzirkel; Primär USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantenentwicklungsprogramme sind in der unternehmerischen Praxis nur zu einem geringen Grad umgesetzt (im Schnitt zwischen "eingeschränkt" und "etwas").
Krause, 1997
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantenentwicklung wird von den Unternehmen im Schnitt "manchmal" betrieben, wobei einzelne Aktivitäten deutlich variieren (z.B. investieren die Unternehmen fast nie in den Betrieb der Lieferanten, geben aber oft Leistungsfeedback).
Monczka et al., 1993
Knapp 200 aus k. A., zusätzlich Fallstudien; USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Unternehmen geben Lieferanten zunehmend Ziele vor (1989 waren dies 60%, 1992 bereits 83%) und schulen diese häufiger (1989 waren dies 42%, 1992 bereits 63%). Weitergehende Lieferantenentwicklungsaktivitäten werden nur wenig genutzt, Tendenz aber steigend (z.B. unterstützten 1989 erst 17% ihre Lieferanten mit eigenem Personal, waren es 1992 schon 37%). Unternehmen setzen im Schnitt nur in geringem bis moderatem Umfang Ressourcen für Lieferantenentwicklung ein. Die monetären Ausgaben für Lieferantenentwicklung bewegen sich bei vielfach nicht einmal im Promillebereich des Beschaffungsvolumens.
Watts und Hahn, 1993
81 aus 500 (16%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantenentwicklungsprogramme sind weiter verbreitet als vermutet: 63% der Befragten haben ein aktives Programm, bei 51% ist dieses organisatorisch als permanente Einheit verankert; Allerdings haben 57% davon das Programm erst seit maximal 4 Jahren, in 64% der Unternehmen sind nur maximal 10 Personen involviert und nur 10% geben an, dabei eine "breite Perspektive" an den Tag legen.
C. Empirische Zusammenhänge zwischen Lieferantenentwicklungsaktivitäten Einige Autoren haben die Beziehung zwischen einzelnen Bestandteilen der Lieferantenentwicklung untersucht. Tendenziell gelten die verschiedenen Aktivitäten der Lieferantenentwicklung als miteinander kombinierbar. So schreiben Sánchez-Rodríguez et al.: "Thus, the results suggest that implementing one construct does not negatively impact another construct. For example, sourcing from a limited number of suppliers, providing suppliers with feedback on their performance, standardizing parts and components, and qualifying suppliers did not adversely affect moderate supplier development practices, such as rewarding and recognizing supplier’s performance improvements, visiting suppliers to assess their facilities, and collaborating with suppliers in materials improvement." (Sánchez-Rodríguez et al., 2005, S. 296) Diese Ergebnisse passen zu dem in der Literatur etablierten prozessualen Verständnis von Lieferantenentwicklung (vgl. z.B. den Prozess von Hartley und Jones, 1997, S. 2729). So bilden Aktivitäten der indirekten Lieferantenentwicklung wie eine formale Lieferantenbewertung in den meisten Prozessvorschlägen die Basis für direkte Lieferantenentwicklung, da nur so eine systematische Identifikation entwicklungswürdiger Lieferanten und Themen erfolgen kann. Hingegen argumentiert Wagner, Firmen müssten sich für eine Form der Lieferantenentwicklung entscheiden (direkt oder indirekt), da indirekte Lieferantenentwick-
50
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
lungsaktivitäten wie Zielvorgaben oder Schaffung von Wettbewerb nicht kompatibel seien mit direkter Lieferantenentwicklung, die auf Kooperation, Vertrauen und Commitment basiert. Gestützt wird diese Argumentation durch Umfrageergebnisse, die einen negativen Zusammenhang zwischen kombinierter direkter/indirekter Lieferantenentwicklung und Lieferantenleistung bzw. -fähigkeiten belegen (Wagner, 2005, S. 317).
Tabelle 4:
Empirische Befunde zu Zusammenhängen zwischen Lieferantenentwicklungsaktivitäten
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Modi und Mabert, 2007
114 aus 1.900 (6%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Regelmäßige Bewertung und Zertifizierung von Lieferanten sowie die Inaussichtstellung von zukünftigem Geschäft wirken sich positiv auf operative Wissenstransferaktivitäten wie z.B. Schulungsprogramme oder Vor-Ort-Besuche aus. Der vermutete negative Zusammenhang zwischen der Ausübung von Wettbewerbsdruck auf den Lieferanten und operativen Wissenstransferaktivitäten wurde nicht bestätigt.
Wagner, 2006b
173 aus 691 (25%), zusätzlich Fallstudien; Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Indirekte Lieferantenentwicklung (formale Bewertung, Bewertungssystem sowie Kommunikation; Ausnahme: ad hoc Bewertung) korreliert mit beiden Dimensionen von direkter Lieferantenentwicklung (personelle sowie finanzielle Unterstützung).
SánchezRodríguez et al., 2005
306 aus 1.200 (25%); Spanien; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Die drei differenzierten Grade der Lieferantenentwicklung – "basic, moderate, advanced" – sind positiv miteinander korreliert, schließen sich also gegenseitig nicht aus.
Wagner, 2005
60 aus 251 (24%); Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Kombiniert wirken sich direkte und indirekte Lieferantenentwicklung negativ sowohl auf Lieferantenfähigkeiten als auch Lieferantenleistung aus. (Für sich genommen wirkt sich direkte Lieferantenentwicklung jedoch positiv auf Lieferantenfähigkeiten, indirekte Lieferantenentwicklung positiv auf Lieferantenleistung aus.)
Krause et al., 2000
322 aus 1.504 (21%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantenbewertung und Anreize für Lieferanten (Ankündigung von sofortigen Vorteilen oder zukünftigem Geschäft) sind wesentliche Voraussetzungen für direkte Lieferantenentwicklung. Für Wettbewerbsdruck (z.B. Dual oder Triple Sourcing) wurde dieser Zusammenhang nicht bestätigt.
3.2
Auswirkungen auf den Lieferanten
Zunächst sollen die Auswirkungen von Lieferantenentwicklung auf den Lieferanten (im Gegensatz zum Abnehmer) untersucht werden. Dabei lassen sich drei Arten von Auswirkungen unterscheiden: 1.
Lieferantenleistung, z.B. Verbesserungen in puncto Qualität, Kosten oder Lieferzeit, -service und -zuverlässigkeit,
2.
Lieferantenfähigkeiten, z.B. die Verankerung von methodischem Wissen im Bereich Produktion (Lean Manufacturing, Six Sigma, Kaizen etc.),
3.
Beziehung Lieferant-Abnehmer, z.B. im Sinne einer verbesserten Atmosphäre zwischen Abnehmer und Lieferant.
51
Wissenschaftliche Beiträge
Die skizzierten Auswirkungen sind allerdings keineswegs gleichwertig. Sowohl Quayle – für Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern – als auch Krause und Scannell sowie Watts und Hahn belegen empirisch, dass für Abnehmer die (kurzfristige) Verbesserung der Lieferantenleistung im Vergleich zur (langfristigen) Verbesserung der Lieferantenfähigkeiten im Vordergrund steht (Quayle, 2002, S. 181, Krause und Scannell, 2002, S. 19 sowie Watts und Hahn, 1993, S. 15). Ad 1. Grundsätzlich stimmt die überwiegende Mehrheit der empirischen Umfragen darin überein, dass sich Lieferantenentwicklung positiv auf die Leistung des Lieferanten auswirkt. Keine positive Beziehung zwischen direkter Lieferantenentwicklung und der Lieferantenleistung findet allerdings Wagner (Wagner, 2005, S. 315 und Wagner, 2006a, S. 691). Zudem wirken sich laut Wagner indirekte und direkte Lieferantenentwicklung kombiniert negativ auf die Lieferantenleistung aus (Wagner, 2005, S. 315). Mehrere Autoren weisen außerdem darauf hin, dass die Ergebnisse der Lieferantenentwicklung zwar positiv beurteilt werden, allerdings noch Steigerungspotential besteht (z.B. Watts und Hahn, 1993, S. 16). Ad 2. Aktuell liegt erst eine einzige Studie vor, die den Zusammenhang zwischen Lieferantenentwicklung und einer Verbesserung der Lieferantenfähigkeiten explizit untersucht, auch wenn mehrere Autoren darauf Bezug nehmen (z.B. Krause und Scannell, 2002, S. 19). Diese stellt einen positiven Zusammenhang zwischen direkter Lieferantenentwicklung und Lieferantenfähigkeiten fest (Wagner, 2005, S. 317). Ad. 3. Wenige Studien prüfen den Zusammenhang zwischen Lieferantenentwicklung und der Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant. Diese bestätigen aber tendenziell einen positiven Zusammenhang (z.B. Humphreys et al., 2004, S. 136). Keinen positiven Zusammenhang zwischen direkter Lieferantenentwicklung und der AbnehmerLieferant-Beziehung kann allerdings Wagner feststellen (Wagner, 2006a, S. 691). In Summe sind die Auswirkungen von Lieferantenentwicklung auf den Lieferanten als tendenziell positiv zu beurteilen (vgl. Tabelle 5), wobei die Verbesserung der Lieferantenleistung im Vergleich zu den Fähigkeiten des Lieferanten für die Abnehmer ganz klar im Vordergrund steht. Einschränkend ist zu bemerken, dass die zitierten Studien meist die Abnehmerperspektive einnehmen, die Lieferanten selbst also in diesem Zusammenhang nicht befragt wurden. Zudem berichten Rogers et al. auf Basis einer Fallstudie, dass die Identifikation von Problemen bzw. Lösungen häufig Lieferantenentwicklungsaktivitäten wie gemeinsamen Workshops mit dem Lieferanten zugeschrieben wurde, obwohl die Probleme bereits vorher bekannt und manchmal sogar bereits gelöst waren (Rogers et al., 2007, S. 568).
52
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Tabelle 5:
Empirische Befunde zur Auswirkung von Lieferantenentwicklung auf den Lieferanten
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Carr et al., 2008
166 aus 1.000 (17%), Teil einer größeren Studie; USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Schulungen und gemeinsame Produktentwicklung wirken sich positiv auf die operative Lieferantenleistung (in puncto Qualität, Lieferzeit und Kosten) aus.
Modi und Mabert, 2007
114 aus 1.900 (6%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Operative Wissenstransferaktivitäten (z.B. Schulungsprogramme) wirken sich positiv auf die Verbesserung der Lieferantenleistung (in puncto Zeit, Qualität/Kosten/Prozesse/Technologien) sowie die kollaborative Kommunikation (z.B. Kommunikationsfrequenz) aus. Kollaborative Kommunikation selbst wirkt sich ebenfalls positiv auf die Verbesserung der Lieferantenleistung aus.
Wagner, 2006a
60 aus 251 (24%); Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Indirekte Lieferantenentwicklung (z.B. Zielvorgaben) wirkt sich positiv auf die Lieferantenleistung (in puncto Produktqualität, Wiederbeschaffungszeit, Lieferservice und -zuverlässigkeit) sowie die Beziehung Abnehmer-Lieferant aus. Für direkte Lieferantenentwicklung wurde hingegen kein derartiger Zusammenhang festgestellt.
Wagner, 2005
60 aus 251 (24%); Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Direkte Lieferantenentwicklung wirkt sich positiv auf die Lieferantenfähigkeiten (z.B. in puncto Produktentwicklung) aus. Ein Zusammenhang mit der Lieferantenleistung (Qualität, Wiederbeschaffungszeit, Service, Zuverlässigkeit) wurde nicht bestätigt. Indirekte Lieferantenentwicklung wirkt sich positiv auf die Verbesserung der Lieferantenleistung aus. Kombiniert wirken sich direkte und indirekte Lieferantenentwicklung negativ auf Lieferantenfähigkeiten und -leistung aus.
Helper und Kiehl, 2004
27 aus k.A., zusätzlich eine Fallstudie; USA; Industrieübergreifend; Lieferantenperspektive
Durch die Übernahme von typischen Lieferantenentwicklungsaktivitäten durch den Markt (z.B. externe Berater) unternehmen weniger Unternehmen derartige Transformationsanstrengungen und wenn, dann später sowie stärker fokussiert auf kurzfristige Ergebnisse.
Humphreys et al., 2004
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
"Transaktionsspezifische" Lieferantenentwicklung (z.B. Bereitstellung von Kapital aber auch Verschärfung der Leistungsziele) wirkt sich positiv auf die Lieferantenleistung (in puncto Qualität, Lieferzuverlässigkeit, Kosten) sowie die Beziehung Abnehmer-Lieferant aus.
Krause et al., 1999
(47%); USA; Industrieübergreifend; Lieferantenperspektive
Das untersuchte "Minority Supplier Development"-Programm führt im Schnitt nur zu geringen Leistungsverbesserungen (in puncto Zeit, Qualität, Kosten). Dabei gibt es Unterschiede zwischen Lieferantengruppen (z.B. kleine/große). Anmerkung: Unter einem "minority supplier" wird ein Lieferant verstanden, der zu mindestens 51% im Besitz eines Angehörigen einer Minderheit (z.B. einem Afro-Amerikaner) befindet.
Krause et al., 1998
84 aus 210 (40%), Benchmarkingzirkel; Primär USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Abnehmer, die einen strategischen Ansatz der Lieferantenentwicklung verfolgen, können tendenziell mit einem größeren Ressourceneinsatz ihrer Lieferanten rechnen als Abnehmer, die einen reaktiven Ansatz verfolgen.
Krause und Ellram, 1997b
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Nicht alle Unternehmen sind gleich erfolgreich mit ihren Lieferantenentwicklungsaktivitäten. Abnehmer, die Lieferantenentwicklung erfolgreich betreiben, profitieren jedoch von einer verbesserten Lieferantenleistung (in puncto Qualität und Vollständigkeit der Bestellungen).
Monczka et al., 1993
Knapp 200, zusätzlich Fallstudien; USA; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Die Ergebnisse von Lieferantenentwicklung sind grundsätzlich positiv, aber es besteht noch Steigerungspotential. So verbessert sich die Lieferantenleistung nach der Lieferantenentwicklung (in puncto Qualität, Lieferpünktlichkeit, Wiederbeschaffungszeit, Kosten).
Watts und Hahn, 1993
81 aus 500 (16%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Die Ergebnisse der Lieferantenentwicklung spiegeln die Zielsetzungen wider und sind insgesamt zufriedenstellend. Insbesondere die Übereinstimmung der gelieferten Teile mit den Design-Vorgaben, der Anteil pünktlicher und vollständiger Lieferungen sowie die Defektrate und Kosten wurden von den Abnehmern zufriedenstellend bewertet. Es besteht aber noch klares Verbesserungspotential.
53
Wissenschaftliche Beiträge
3.3
Auswirkungen auf den Abnehmer
Die Auswirkungen von Lieferantenentwicklung auf den Abnehmer sind sehr vielfältig, dennoch lassen sie sich drei Arten von Auswirkungen zuordnen: 1.
Abnehmerleistung, z.B. Verbesserungen in puncto Qualität oder Kosten
2.
Gesamtunternehmensperformance Abnehmer, z.B. Steigerung des Umsatzes oder des Reaktionsvermögens bei Änderungen im Markt des Abnehmers
3.
Beziehung Abnehmer-Lieferant, z.B. im Sinne einer verbesserten Atmosphäre zwischen Abnehmer und Lieferant.
Ad 1. Die Veränderung der Abnehmerleistung im Sinne operativer Leistungsverbesserungen ist die mit Abstand am häufigsten untersuchte Auswirkung von Lieferantenentwicklung. Insgesamt stellt die Mehrheit der Studien einen positiven Zusammenhang fest. Dies ist eine äußerst wichtige Erkenntnis, legitimiert sie doch das Engagement von Unternehmen im Bereich Lieferantenentwicklung. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von Li et al., die einen negativen Zusammenhang zwischen erhöhter Erwartungshaltung des Abnehmers durch Zielvorgaben oder Lieferantenauszeichnungen und der operativen Abnehmerleistung feststellen (Li et al., 2007, S. 243). Ad 2. Nur wenige Autoren untersuchen den Zusammenhang zur Gesamtunternehmensperformance. So stellen z.B. Humphreys et al. einen positiven Zusammenhang zwischen "transaktionsspezifischer" Lieferantenentwicklung, die in diesem Fall allerdings auch Aktivitäten der indirekten Lieferantenentwicklung umfasst, und Wettbewerbsvorteilen des Abnehmers (z.B. im Sinne von Umsatzsteigerung) fest (Humphreys et al., 2004, S. 136). Persönlich halten die Autoren dieses Beitrags die Messung eines Zusammenhanges zwischen Lieferantenentwicklung und Gesamtunternehmensperformance des Abnehmers für problematisch. Lieferantenentwicklung ist ein wichtiger, aber eben nur ein einzelner Baustein eines systematischen Lieferantenmanagements. Daher fällt es schwer, sich eine eindeutig kausale Verknüpfung zur Gesamtunternehmensperformance vorzustellen, auch wenn sich diese statistisch messen lässt. Ad 3. Die Erkenntnisse entsprechen den bereits in Kapitel 3.2 zusammengefassten Befunden. Drei Punkte fallen bei der Durchsicht der empirischen Ergebnisse auf. Erstens untersuchen die meisten Studien den direkten Zusammenhang zwischen Lieferantenentwicklungsaktivitäten und den Auswirkungen auf den Abnehmer. Sie folgen also nicht dem im Bezugsrahmen (vgl. Abbildung 3) unterstellten Wirkungszusammenhang im Sinne einer indirekten Beziehung über die Auswirkungen auf den Lieferanten. Eine Ausnahme bildet Wagner (Wagner, 2005 und Wagner, 2006a). Zweitens messen die Studien zwar die Auswirkungen, hinterfragen aber nicht parallel die Zielsetzung der Unternehmen. So muss beispielsweise das Fehlen einer Kostenverbesserung nicht notwendigerweise auf ein Versagen der Lieferantenentwicklung hindeuten, könnte doch beispielsweise exklusiv eine Verbesserung der Qualität im Fokus der
54
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Aktivitäten gestanden haben. Drittens wird in keiner Studie der Frage nachgegangen, ob sich Lieferantenentwicklung, insbesondere direkte Lieferantenentwicklung, tatsächlich rechnet. Denn den Vorteilen, z.B. im Sinne reduzierter Kosten für Zukaufteile, müssen die Aufwendungen der Lieferantenentwicklung gegenübergestellt werden.
Tabelle 6:
Empirische Befunde zur Auswirkung von Lieferantenentwicklung auf den Abnehmer
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Krause et al., 2007
374 aus 1.500 (25%) sowie 75 Lieferanten; USA; Industrie-übergreifend; Dyadisch
Direkte Lieferantenentwicklung wirkt sich positiv auf die Abnehmerleistung (in puncto Qualität, Lieferzeit/-zuverlässigkeit und Produktionsflexibilität) aus. Für Aktivitäten wie Lieferantenbewertung inkl. Feedback, die der indirekten Lieferantenentwicklung zugeordnet werden können, wurde kein derartiger Zusammenhang nachgewiesen.
Li et al., 2007
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
Transaktionsspezifische Aktivitäten wie finanzielle Unterstützung wirken sich positiv auf die Reaktionsfähigkeit des Abnehmers aus. Ein Zusammenhang mit der operativen Abnehmerleistung (in puncto Qualität, Kosten) wurde nicht bestätigt. Zusammenarbeit bei Prozessoptimierungen und in der Produktentwicklung wirkt sich positiv auf die Verbesserung der operativen Abnehmerleistung aus. Die Erhöhung der Erwartungen durch Zielvorgaben sowie Lieferantenauszeichnungen wirkt sich negativ auf die operative Abnehmerleistung aus.
Carr und Kaynak, 2007
223 aus 1.000 (22%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Lieferantenentwicklung wirkt sich positiv auf die Verbesserung der Produktqualität aus. Ein Zusammenhang zwischen Lieferantenentwicklung und der finanziellen Leistung des Abnehmerunternehmens wurde hingegen nicht bestätigt.
Wagner, 2006a
60 aus 251 (24%); Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Die Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant, die durch indirekte Lieferantenentwicklungsaktivitäten positiv beeinflusst werden kann, wirkt sich positiv sowohl auf die Kostenführer- als auch Differenzierungsstrategie des Abnehmers aus. Für Leistungsverbesserungen beim Lieferanten wurde ein derartiger Zusammenhang nicht bestätigt.
Wagner, 2005
60 aus 251 (24%); Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Die durch direkte Lieferantenentwicklung verbesserten Lieferantenfähigkeiten wirken sich positiv sowohl auf die Kostenführer- als auch Differenzierungsstrategie des Abnehmers aus. Die durch indirekte Lieferantenentwicklung verbesserte Lieferantenleistung wirkt sich positiv auf die Kostenführerstrategie des Abnehmers aus. Ein Zusammenhang mit der Differenzierungsstrategie wurde nicht bestätigt.
SánchezRodríguez et al., 2005
306 aus 1.200 (25%); Spanien; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Für sich betrachtet wirken sich die drei Grade der Lieferantenentwicklung ("basic, moderate, advanced") jeweils positiv auf die Einkaufsleistung (z.B. in puncto Erreichung der Zielkosten) des Abnehmers aus. Zusammen betrachtet sind dafür allerdings primär die "basic" Lieferantenentwicklungsaktivitäten (z.B. Leistungsfeedback) ausschlaggebend.
Humphreys et al., 2004
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
"Transaktionsspezifische" Lieferantenentwicklung (z.B. Bereitstellung von Kapital aber auch Verschärfung der Ziele) wirkt sich positiv auf den Wettbewerbsvorteil des Abnehmers (Umsatzsteigerung, Kostensenkung etc.) sowie die Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant aus.
Wen-li et al., 2003
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
Direkte Lieferantenentwicklung wirkt sich positiv auf die Einkaufsleistung (z.B. Defektrate, Kosten, Ausfallszeiten bedingt durch Lieferantenfehler) des Abnehmers aus.
Krause und Scannell, 2002
512 aus 1.504 (34%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Grundsätzlich sind sowohl produzierende Unternehmen als auch Dienstleister mit den Ergebnissen der Lieferantenentwicklung zufrieden (Leistungsverbesserungen in puncto Qualität, Nacharbeiten/Ausschuss, Kosten, Stillstandszeiten sowie Schnelligkeit bei Problemlösungen).
De Toni und Nassimbeni, 2000
52 aus 87 (60%); Italien; Elektronikhersteller und Maschinenbau; Abnehmerperspektive
Erfolgreiche Werke (erfolgreich definiert auf Basis von Experteneinschätzungen) setzen die meisten Lieferantenentwicklungsaktivitäten (z.B. formalisierte Verfahren zur Lieferantenbewertung oder Lieferantenunterstützung und -schulung) häufiger ein als normale Werke.
Forker und
384 aus 769 (50%),
In der stärker auf Wettbewerb ausgerichteten Beziehung sind Abnehmer und
55
Wissenschaftliche Beiträge
Stannack, 2000
Abnehmer-Lieferantenpaare bei zwei Abnehmern; USA; Industrie-übergreifend; Dyadisch
Lieferanten in etwa gleich zufrieden mit der Beziehung. In der eher partnerschaftlich orientierten Beziehung sind hingegen die Lieferanten tendenziell zufriedener. Damit ist das gemeinsame Verständnis unter kompetitiven Bedingungen größer als unter kooperativen.
Krause et al., 2000
322 aus 1.504 (21%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Direkte Lieferantenentwicklung wirkt sich positiv auf die Verbesserung der Leistung aus (z.B. in puncto Umsatz oder Produktqualität), Lieferantenbewertung und Anreize für Lieferanten wirken hingegen nur indirekt. Wettbewerbsdruck (z.B. Dual oder Triple Sourcing) wirkt hingegen weder direkt noch indirekt leistungsverbessernd.
3.4
Erfolgsfaktoren
Eine Durchsicht der Artikel fördert knapp 30 verschiedene, in Umfragen identifizierte Erfolgsfaktoren zu Tage11 (vgl. Tabelle 7). Dies zeigt primär zwei Dinge: Zum einen spielt die Erfolgsfaktorenforschung im Bereich Lieferantenentwicklung eine wichtige Rolle. Zum anderen gibt es in der Literatur keine Einigkeit über wirklich entscheidende Erfolgsfaktoren. Die Häufigkeit mit der bestimmte Erfolgsfaktoren in Umfragen geprüft bzw. bestätigt wurden als Indikator nehmend, sollen an dieser Stelle vier wesentliche Faktoren kurz dargestellt werden:
Effektive Kommunikation: Mehrere Studien weisen den positiven Einfluss von effektiver Kommunikation nach. So arbeiten Krause und Ellram die Charakteristika von effektiver Kommunikation heraus: Zeitnah, häufig, informell, Austausch auch vertraulicher Informationen, zudem über mehrere Kontaktpunkte zwischen den Unternehmen (Krause und Ellram, 1997b, S. 50). Eine Ausnahme bilden Carr und Kaynak, die für Informationsaustausch zwischen Abnehmer und Lieferant keinen positiven Zusammenhang mit Lieferantenentwicklung feststellen (Carr und Kaynak, 2007, S. 365).
Partnerschaftlicher Ansatz: Auch diesen Faktor bestätigen mehrere Studien, wobei sich hierunter auch Faktoren wie eine win-win-Philosophie, gemeinsame Werte oder gegenseitiges Vertrauen subsumieren lassen (z.B. Li et al., 2007, S. 243 oder Quayle, 2002, S. 182).
Gegenseitiges Commitment: Auch diesen Erfolgsfaktor arbeiten mehrere Studien heraus, sowohl in Bezug auf den Abnehmer (z.B. Krause et al., 2007, S. 540) als auch in Bezug auf den Lieferanten (z.B. Handfield et al., 2000, S. 41). Der Erfolgsfaktor Commitment kann dabei auch als Ergebnis anderer Erfolgsfaktoren interpretiert werden. Beispielsweise wäre denkbar, das Commitment des Lieferanten durch den Erfolgsfaktor "adäquate Anreizsetzung" zu evozieren (Handfield et al., 2000, S. 48).
11
56
Empirisch ermittelte Hindernisse wurden dabei – positiv als Erfolgsfaktoren formuliert – mitgezählt.
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Top-Management-Unterstützung: Wie für viele andere Maßnahmen und Programme auch, ist für erfolgreiche Lieferantenentwicklung die Unterstützung durch das Top-Management entscheidend (z.B. Krause, 1999, S. 218). Humphreys et al. finden hierfür allerdings keine Bestätigung (Humphreys et al., 2004, S. 137). Weitere Erfolgsfaktoren umfassen beispielsweise die Einbindung relevanter Funktionen auf Seiten des Abnehmers, Proaktivität von Abnehmer und Lieferant, strategische Ziele sowohl des Abnehmers als auch des Lieferanten, kontinuierliche Verbesserung, angeglichene Organisationskulturen, Glaubwürdigkeit des Abnehmers, straffe Führung durch den Einkauf oder klare Spezifikationen. Anzumerken ist noch, dass die Erfolgsfaktoren sich je nach Studie entweder auf die Existenz bzw. Intensität von Lieferantenentwicklung oder den Erfolg der Lieferantenentwicklungsaktivitäten beziehen.
Tabelle 7:
Empirische Befunde zu Erfolgsfaktoren und Hindernissen für Lieferantenentwicklung
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Krause et al., 2007
374 aus 1.500 (25%) sowie 75 Lieferanten; USA; Industrie-übergreifend; Dyadisch
Das Commitment des Abnehmers zur Langfristigkeit der Beziehung sowie gemeinsame Werte wirken sich positiv auf die Abnehmerleistung (in puncto Kosten, Qualität, Lieferzeit/-zuverlässigkeit und Produktionsflexibilität) aus.
Li et al., 2007
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
Gegenseitiges Vertrauen wirkt sich positiv auf die operative Leistung des Abnehmers (in puncto Qualität und Kosten) aus.
Carr und Kaynak, 2007
223 aus 1.000 (22%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Informationsaustauch innerhalb des Abnehmerunternehmens, d.h. zwischen den funktionalen Bereichen, wirkt sich positiv auf die Lieferantenentwicklung aus. Für den Informationsaustausch zwischen Abnehmer und Lieferant wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt.
Humphreys et al., 2004
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
Einige "Infrastrukturfaktoren" (strategische Ziele des Lieferanten, Vertrauen in den Lieferanten, effektive Kommunikation) wirken sich positiv auf die Verbesserung der Abnehmer-Lieferanten-Leistung aus. Für andere "Infrastrukturfaktoren" (z.B. strategische Ziele des Abnehmers, Top-Management-Unterstützung, Langzeitcommitment) wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt.
Wen-li et al., 2003
142 aus 450 (32%); Hong Kong; Elektronikhersteller; Abnehmerperspektive
Lieferantenentwicklungselemente (z.B. effektive Kommunikation, langfristige strategische Ziele, partnerschaftliche Strategie, strategische Ziele des Lieferanten) wirken sich positiv auf die Einkaufsleistung (z.B. Defektrate, Kosten) aus.
Quayle, 2002
240 aus 400 (60%); UK; Industrie-übergreifend aber alle Unternehmen < 200 Mitarbeiter; Unternehmen als Abnehmer und Lieferant befragt
Proaktive Abnehmer und Lieferanten, Commitment zu einer langfristigen Beziehung, eine win-win-Philosophie sowie kontinuierliche Verbesserungen werden als wesentlich für Lieferantenentwicklung betrachtet. Dagegen erscheinen den Unternehmen die Integration von relevanten Funktionen, ein langfristiges Commitment sowie ein strukturierter Rahmen, um Kosten/Qualität/Gewinn zu erfassen, weniger wichtig.
Handfield et al., 2000
84 aus 200 (42%), Teil einer Studienreihe, zusätzlich Fallstudien; Primär USA; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Fallstricke für Lieferantenentwicklung werden in Kategorien unterteilt: Lieferantenspezifisch: (1) Fehlendes Commitment des Lieferanten und (2) unzureichende Ressourcen auf Lieferantenseite, Abnehmerspezifisch: (3) Fehlendes Commitment, Schnittstellenspezifisch: (4) Fehlendes Vertrauen, (5) unzureichende Angleichung der Organisationskulturen und (6) zu geringe Anreize für den Lieferanten. Sie treten primär im hinteren Teil des Lieferantenentwicklungsprozesses auf, wenn es um das Aufsetzen/Nachhalten von Maßnahmen geht.
57
Wissenschaftliche Beiträge
Krause et al., 1999
89 von 210 (47%); USA; Industrie-übergreifend; Lieferantenperspektive
Im Rahmen des untersuchten "Minority Supplier Development"-Programmes sehen Lieferanten Verbesserungspotential bei der Kommunikation zwischen Abnehmer und Lieferant. Vgl. auch Erläuterung zu "minority supplier" in Tabelle 5.
Krause, 1999
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Zwei Faktoren wirken sich direkt positiv auf "transaktionsspezifische" Lieferantenentwicklung (z.B. Schulungen, aber auch Lieferantenbewertung) aus: Das vom Abnehmer wahrgenommene Lieferantencommitment sowie die Kommunikation Abnehmer-Lieferant. Für Erwartungen des Abnehmers bzgl. der Kontinuität der Beziehung mit dem Lieferanten wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt. Weitere Faktoren wirken indirekt positiv auf Lieferantenentwicklung, z.B. die Haltung des Abnehmers zu Lieferanten oder Top-Management-Unterstützung.
Krause und Ellram, 1997b
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Unternehmen, die Lieferantenentwicklung erfolgreich betreiben, kommunizieren enger mit ihren Lieferanten (d.h. zeitnah, häufig, informell, eher auch vertrauliche Informationen, zudem gibt es mehr Kontaktpunkte zwischen den Unternehmen) und sind aktiver in der Lieferantenentwicklung, investieren also mehr Ressourcen in entsprechende Aktivitäten (z.B. formale Lieferantenbewertung inkl. Feedback, Zertifizierungsprogramme oder Vor-Ort-Besuche beim Lieferanten).
Krause und Ellram, 1997a
93 aus 350 (27%), Teil einer größeren Studie; USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Effektive Zwei-Wege Kommunikation, die Involvierung des Top-Managements, cross-funktionale Teams und ein relativ großer Anteil am Umsatz des Lieferanten sind entscheidend für Lieferantenentwicklung. Für andere Faktoren wie z.B. eine langfristige Perspektive oder die Auswahl von Lieferanten nicht nur auf reiner Preisbasis wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt.
Lascelles und Dale, 1989, Lascelles und Dale, 1990
300 aus k.A., zusätzlich Beobachtungen und Interviews beim Abnehmer; UK; Automobilzulieferer; Lieferantenperspektive
Hindernisse für eine qualitätsorientierte Lieferantenentwicklung sind z.B. schlechte bilaterale Kommunikation, fehlendes Leistungsfeedback an die Lieferanten kombiniert mit Gleichgültigkeit auf Lieferantenseite ("no news is good news"), unklare und nicht verstandene Spezifikationen, mangelhafte Führung seitens des Einkaufes sowie fehlende Glaubwürdigkeit des Abnehmers und irreführende Verbesserungsziele.
3.5
Verteilung der Ergebnisse
Die Verteilung von Aufwand und Ertrag in interorganisationalen Beziehungen ist ein in der Literatur verschiedentlich diskutiertes Sujet. So weisen Fink et al. für den Kontext der Papierindustrie und ihrer Prozesstechniklieferanten nach, dass Abnehmer sich durch engere Beziehungen zu ihren Lieferanten kostenseitig verbessern, diese Vorteile aber nicht an ihre Lieferanten weitergeben (Fink et al., 2007, S. 37). Umso erstaunlicher, dass bislang nur eine Studie empirisch der Frage nach der Verteilung der Ergebnisse von Lieferantenentwicklung zwischen Abnehmer und Lieferant nachgeht (vgl. Tabelle 8). New und Burnes kommen dabei zu dem Schluss, dass bei Verbesserungsaktivitäten, die Veränderungen primär beim Lieferanten implizieren, die Kosten eher vom Lieferanten getragen werden, die Vorteile aber tendenziell dem Abnehmer zu Gute kommen (New und Burnes, 1998, S. 382-383).
58
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Tabelle 8:
Empirische Befunde zur Verteilung der Ergebnisse zwischen Abnehmer und Lieferant
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
New und Burnes, 1998
53 aus k.A., auf dieser Basis 223 bewertete Beziehungen (122 mit Abnehmern, 113 mit Lieferanten); UK; Industrieübergreifend; Unternehmen als Abnehmer und Lieferant befragt
Lieferanten tragen häufiger die Kosten von gemeinsamen Verbesserungsaktivitäten. Allerdings profitieren die Abnehmer im Schnitt deutlich häufiger davon. Tendenziell erhöht der Umstand, dass Veränderungen nur beim Lieferanten notwendig werden, die Ungleichheit der Verteilung. Da Lieferantenentwicklungsaktivitäten zum größten Teil Verbesserungsaktivitäten implizieren, die nur beim Lieferanten Änderungen notwendig machen, ist bei ihnen das "win-win"-Konzept mit Vorsicht zu betrachten bzw. aus Lieferantensicht langfristig zu sehen.
3.6
Rahmenbedingungen
Ähnlich wie bei den Erfolgsfaktoren ergeben die empirisch geprüften Rahmenbedingungen ein sehr heterogenes Bild. Wesentlicher Unterschied ist allerdings, dass die Untersuchung von Rahmenfaktoren in der umfragebasierten Literatur bisher eine eher untergeordnete Rolle spielt. Häufig werden entsprechende Faktoren nur als Kontrollvariablen genutzt, selten stehen sie im Zentrum einer Untersuchung. Die bislang empirisch geprüften Rahmenbedingungen lassen sich drei Kategorien zuordnen:
Umfeldbezogene Rahmenbedingungen, wie z.B. die technologische Unsicherheit (kein Effekt gemäß Oh und Rhee, 2008, S. 508) bzw. Veränderungsrate (ebenfalls kein Effekt gemäß Krause, 1999, S. 218) sowie Wettbewerbsintensität auf dem Markt des Abnehmers (wirkt sich gemäß Krause, 1999, S. 218 indirekt positiv auf Lieferantenentwicklung aus).
Beziehungsbezogene Rahmenbedingungen, wie z.B. die Länge der Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant (in keiner Studie wurde bislang ein Zusammenhang nachgewiesen) oder die Machtverteilung/Abhängigkeit zwischen Abnehmer und Lieferant. Letztere wird zwar in der Literatur immer wieder als wichtig erwähnt, wurde aber erst in jüngster Vergangenheit partiell empirisch geprüft (Carr et al., 2008 sowie Krause et al., 2007).
Unternehmensbezogene Rahmenbedingungen, wie z.B. die Unternehmensgröße des Abnehmers (gemäß Watts und Hahn, 1993 haben große Unternehmen eher ein Lieferantenentwicklungsprogramm) oder die Fähigkeiten des Lieferanten (gemäß Oh und Rhee, 2008, wirkt sich die Fähigkeit von Tier 1 Lieferanten, Tier 2 Lieferanten zu entwickeln und flexibel zu reagieren, positiv auf die direkte Lieferantenentwicklung des OEMs aus). In Summe sind Rahmenbedingungen damit ein bisher nur unzureichend abgedecktes Gebiet im Rahmen der empirischen Forschung zur Lieferantenentwicklung. Insbeson-
59
Wissenschaftliche Beiträge
dere die Rolle von Machtverteilung und gegenseitigen Abhängigkeiten, deren Wichtigkeit viele Autoren unterstreichen, ist bislang nur ungenügend untersucht. Andere Rahmenbedingungen, die spezifisch auf Lieferantenentwicklung oder einzelne Lieferantenentwicklungsaktivitäten wirken, sind bislang kaum oder noch überhaupt nicht untersucht. So könnte z.B. der Umstand, dass Abnehmer selbst nur geringes oder kein relevantes methodisches Wissen besitzen, eine Erklärungsvariable sein, weshalb Lieferantenentwicklungsaktivitäten wie Schulungen von vielen Abnehmer-Unternehmen nur sehr zurückhaltend betrieben werden.
Tabelle 9:
Empirische Befunde zu Rahmenbedingungen für Lieferantenentwicklung
Quelle
Datenbasis; Land; Industrie; Perspektive
Wesentliche inhaltliche Befunde
Carr et al., 2008
166 aus 1.000 (17%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Die Abhängigkeit des Lieferanten vom Abnehmer wirkt sich positiv auf die Teilnahme des Lieferanten an Schulungen des Abnehmers sowie an gemeinsamer Produktentwicklung aus.
Oh und Rhee, 2008
94 aus 231 (41%); Südkorea; Automobilzulieferer; Lieferantenperspektive
Die Fähigkeit von Tier 1 Lieferanten, Tier 2 Lieferanten zu entwickeln und flexibel zu reagieren, wirkt sich positiv auf direkte Lieferantenentwicklung des OEMs aus. Für andere Fähigkeiten (z.B. im Bereich Forschung & Entwicklung) wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt. Technologische Unsicherheit hatte keinen moderierenden Effekt.
Krause et al., 2007
374 aus 1.500 (25%) sowie 75 Lieferanten; USA; Industrie-übergreifend; Dyadisch
Die gegenseitige Abhängigkeit von Abnehmer und Lieferant wirkt sich positiv auf die Abnehmerleistung in puncto Kosten aus. Die Länge der Beziehung hat keinen statistisch signifikanten Einfluss auf die Abnehmerleistung.
Wagner, 2006a
60 aus 251 (24%); Deutschland, Österreich, Schweiz; Industrieübergreifend; Abnehmerperspektive
Für die Kontrollvariable "Anteil des Lieferanten am Einkaufsvolumen des Abnehmers" wurde kein statistisch signifikanter Zusammenhang festgestellt.
De Toni und Nassimbeni, 2000
52 aus 87 (60%); Italien; Elektronikhersteller und Maschinenbau; Abnehmerperspektive
Aktivitäten zur operativen JIT-Verknüpfung von Abnehmer und Lieferant bei Logistik, Produktentwicklung und Qualität (z.B. durch die Synchronisierung der Lieferungen) sind eng mit Lieferantenentwicklungsaktivitäten verknüpft. So wirkt sich z.B. eine Verknüpfung im Bereich Logistik positiv auf Lieferantenunterstützung und -schulung aus.
Krause et al., 1999
89 von 210 (47%); USA; Industrie-übergreifend; Lieferantenperspektive
Kleine Lieferanten (Umsatz < USD 10 Mio.) profitieren am wenigsten vom "Minority Supplier Development"-Programm. Die Länge der Geschäftsbeziehung hat kaum Auswirkungen. Vgl. auch Erläuterung zu "minority supplier" in Tabelle 5.
Krause, 1999
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Mehrere Faktoren wirken indirekt positiv auf "transaktionsspezifische" Lieferantenentwicklung (z.B. Schulungen, aber auch Lieferantenbewertung) aus, z.B. die Wettbewerbsintensität auf dem Markt des Abnehmers und die Wichtigkeit von Zukaufteilen. Für die technologische Veränderungsrate wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt.
Krause und Ellram, 1997b
527 aus 1.504 (35%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Der Anteil des Abnehmers am Umsatz des Lieferanten oder die Länge der Beziehung zwischen Abnehmer und Lieferant waren nicht signifikant für die Unterscheidung zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Lieferantenentwicklern.
Krause u. Ellram, 1997a
93 aus 350 (27%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Ein relativ großer Anteil am Umsatz des Lieferanten ist entscheidend für Lieferantenentwicklung.
Watts und Hahn, 1993
81 aus 500 (16%); USA; Industrie-übergreifend; Abnehmerperspektive
Fünf von 11 demographischen Faktoren wirken sich positiv auf die Existenz eines Lieferantenentwicklungsprogrammes aus (Abnehmerumsatz, -mitarbeiteranzahl, -einkaufsmitarbeiteranzahl sowie regelmäßige und formale Lieferantenbewertung). Für andere Faktoren (z.B. Wertschöpfungstiefe) wurde kein derartiger Zusammenhang festgestellt.
60
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Lascelles und Dale, 1989, Lascelles und Dale, 1990
3.7
300 aus k.A., zusätzlich Beobachtungen und Interviews beim Abnehmer; UK; Automobilzulieferer; Lieferantenperspektive
Fehlende Einkaufsmacht ist ein häufig genannter Grund für ausbleibenden Erfolg bei der Verbesserung der Qualität von Lieferanten.
Theoretische Fundierung
In der wissenschaftlichen Literatur haben sich einige Ansätze etabliert, mit deren Hilfe sich Gründe und Arten von interorganisationaler Zusammenarbeit erläutern lassen. Beispiele hierfür sind der Transaktionskostenansatz (z.B. Williamson, 1975 und Williamson, 1985), der ressourcenbasierte Ansatz (z.B. Wernerfelt, 1984 und Wernerfelt, 1995), der Resource-Dependence Ansatz (z.B. Pfeffer und Salancik, 1978), die Theorie des Sozialen Kapitals (z.B. Granovetter, 1985) oder wissensbasierte Ansätze (z.B. Conner und Prahalad, 1996). Die untersuchten Publikationen basieren ihre empirisch geprüften Hypothesen in aller Regel auf Literaturrecherche, teilweise auch auf eigene Vorstudien z.B. mit Hilfe von Experteninterviews. Gut 30% der Arbeiten stellen die Hypothesen dabei in den Kontext einer übergeordneten Theorie. Demgegenüber beschränken sich allerdings gut zwei Drittel der Arbeiten auf eine mehr oder weniger umfassende Literaturrecherche zur Lieferantenentwicklung zur Fundierung ihrer Hypothesen. Damit besteht ein erstes Defizit in der unzureichenden theoretischen Fundierung der untersuchten Arbeiten. Von den Publikationen, die übergeordnete Ansätze prüfen, fokussieren gut 20% auf den Transaktionskostenansatz, weniger als 10% auf den ressourcenbasierten Ansatz. Nur einzelne Arbeiten nutzen auch alternative Ansätze zur theoretischen Fundierung. Damit besteht ein zweites Defizit in der mangelnden Vielfalt der verwendeten wissenschaftlichen Ansätze. Allerdings deuten Publikationen der jüngeren Vergangenheit auf eine kleine Trendwende hin. So leiten Modi und Mabert ihr entscheidendes Konstrukt "operational knowledge transfer activities" aus dem "knowledge based view" ab (Modi und Mabert, 2007, S. 44). Analog basieren Krause et al. ihre Hypothesen explizit auf die "social capital theory", auch in der Hoffnung, dadurch andere Forscher anzuregen: "Compared to the transaction cost economics perspective that prevails in the extant supply chain literature, social capital offers an opportunity for increased understanding of the complexities of supply chain relationships. We hope other researchers will further investigate the social dimensions of these relationships." (Krause et al., 2007, S. 541)
61
Wissenschaftliche Beiträge
3.8
Eingesetzte Methoden
Alle untersuchten Artikel basieren primär auf Umfragen, da dies ein wesentliches Auswahlkriterium war. In einigen Fällen wurden die quantitativen Ergebnisse der Umfrage noch ergänzt um qualitative Einsichten aus Experteninterviews bzw. Fallstudien (Kurzbeschreibung der Datenbasis in den Tabellen oben). Die Anzahl der befragten Personen variiert zwischen 27 (Helper und Kiehl, 2004) und 527 (Krause und Ellram, 1997b). Die Antwortrate schwankt zwischen 6% (Modi und Mabert, 2007) und 60% (Quayle, 2002 und auch De Toni und Nassimbeni, 2000). Analyseeinheit ist bei 71% der Artikel eine konkrete Abnehmer-Lieferantenbeziehung. Im Folgenden werden die Publikationen im Hinblick auf folgende methodische Punkte analysiert: 1.
Geographischer Fokus
2.
Industrie-Fokus
3.
Perspektive (Abnehmer/Lieferant/dyadisch)
4.
Quer- vs. Längsschnitt
5.
Datenerhebungsmethode
6.
Statistisches Verfahren
Ad 1. Geographisch betrachtet beziehen sich die 31 Studien im Wesentlichen auf den angloamerikanischen Raum. So wurden in 58% der Publikationen Ansprechpartner in US-Unternehmen bzw. primär US-Unternehmen befragt und in 13% der Fälle britische Unternehmen. Nur 13% der Artikel basieren auf Studien aus dem asiatischen Raum (Südkorea, Hong Kong). Die restlichen 16% fokussieren auf die westeuropäischen Länder Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien und Spanien. Damit sind in der umfragebasierten Literatur zu Lieferantenentwicklung Regionen wie Osteuropa aber auch Westeuropa und Asien verglichen mit ihrer globalen wirtschaftlichen Bedeutung deutlich unterrepräsentiert. Ad 2. 77% der Studien sind Industrie-übergreifend angelegt, teilweise werden sogar produzierende Unternehmen und Dienstleister gemeinsam betrachtet. Die Autoren halten dies für eine sehr problematische Verallgemeinerung. Zwei Publikationen führen Industrievergleiche durch (Quayle, 2002 für Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern und Wagner, 2006b, vgl. Kapitel 3.1) und zeigen dabei jeweils sehr deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Industrien auf. Krause und Scannell identifizieren in ihrer Umfrage Unterschiede zwischen produzierenden Unternehmen und Dienstleistern in Bezug auf Ziele und Aktivitäten der Lieferantenentwicklung (Krause und Scannell, 2002). Eine Industrie-übergreifende, auf der Selbsteinschätzung der Befragten basierende Untersuchung von Erfolgsfaktoren kann so schnell zu irreführenden Ergebnissen gelangen.
62
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
Ad 3. Perspektivisch analysieren 68% der Artikel das Thema Lieferantenentwicklung aus dem Blickwinkel des Abnehmers, nur 16% nehmen die Lieferantenperspektive ein. 6% befragten ihre Ansprechpartner sowohl in ihrer Rolle als Abnehmer als auch Lieferant. Insgesamt nutzen nur drei Publikationen (Forker et al., 1999, Forker und Stannack, 2000 sowie Krause et al., 200712) einen dyadischen Ansatz, befragen also Abnehmer und die dazugehörigen Lieferanten ("matched pair"). Dies ist umso erstaunlicher, als ein Großteil der Untersuchungen im Ausblick erwähnt, die fehlende dyadische Perspektive sei eine der wesentlichen Einschränkungen der eigenen Arbeit. Andererseits steigert eine dyadisch angelegte Studie die Komplexität und den Aufwand der Befragung signifikant. Aufwand und Nutzen müssen also im Einzelfall genau abgewogen werden. Ad 4. Unter allen Publikationen gibt es nur eine einzige Längsschnittstudie (Monczka et al., 1993), die auf Daten einer Langzeitbefragung von 1989-1992, einer Delphi-Studie von 1988-1989 sowie 24 Fallstudien der Jahre 1988-1989 zurückgreift. Monczka et al. räumen allerdings ein, dass ihr Beitrag aufgrund der heterogenen Datenbasis "not part of a rigorous statistical study" sei (Monczka und Trent, 1991, S. 43). Damit besteht in Bezug auf Langzeitstudien eine methodische Lücke. Ad 5. In allen Fällen handelt es sich bei den durchgeführten Studien um Befragungen, wobei für die Mehrheit der Publikationen Manager im Einkauf befragt wurden. Damit basieren die erhobenen Daten auf der Wahrnehmung und Selbsteinschätzung der befragten Personen, so dass vielschichtige Verzerrungen nicht auszuschließen sind (für einen Überblick Podsakoff et al., 2003, S. 882). Eine alternative Datenerhebungsmethode stellt beispielsweise das interviewbasierte aber sehr aufwändige Verfahren von Stolle dar (Stolle, 2008, S. 116-125), das dieser für den Kontext der Entwicklung des Einkaufes vom Beschaffer zum Manager der Wertschöpfung erfolgreich erprobt. Ad 6. Statistische Verfahren zur Auswertung von Umfragen lassen sich drei Bereichen zuordnen:
Deskriptive Statistik, unter der alle Verfahren zusammengefasst werden, die eine Menge an beobachteten Daten summarisch darstellen. Typische Kenngrößen sind Lagemaße wie Mittelwert oder Median bzw. Streuungsmaße wie Varianz oder Standardabweichung.
Inferentielle Statistik, unter der Verfahren geführt werden, mit deren Hilfe Rückschlüsse auf das den Daten zugrunde liegende Verhalten gezogen werden kann. Typische Anwendungen sind Schätzverfahren wie die Maximum-Likelihood- oder Minimum-Quadrat-Methode bzw. statistische Tests wie die in der wissenschaftlichen Literatur weit verbreiteten t-Tests.
12
Allerdings verweisen Krause et. al nur auf die 75 Lieferantenfragebögen, verarbeiten diese aber nicht in ihrer Publikation.
63
Wissenschaftliche Beiträge
Multivariate Statistik, mit deren Hilfe das Zusammenwirken mehrerer Variablen zugleich untersucht werden kann. Multivariate statistische Verfahren lassen sich in Struktur-entdeckende Verfahren wie Faktorenanalyse, Hauptkomponentenanalyse oder Clusteranalyse sowie Struktur-prüfende Verfahren wie Strukturgleichungsmodelle, Regressionsanalyse oder Diskriminanzanalyse unterscheiden. In den umfragebasierten Publikationen zur Lieferantenentwicklung kommen mit 53% primär Methoden der multivariaten Statistik und hierbei besonders Struktur-prüfende Verfahren zum Einsatz (vgl. Abbildung 4). Dabei ist auch ein historischer Trend zu erkennen: Wurden bis 2000 tendenziell eher simplere Verfahren der deskriptiven und inferentiellen Statistik genutzt, kommen seit 2000 deutlich häufiger Struktur-prüfende Verfahren der multivariaten Statistik zum Einsatz. In jüngster Vergangenheit dominiert insbesondere die leistungsstarke Gruppe der Strukturgleichungsmodelle, die auch allgemein die empirische betriebswirtschaftliche Forschung der letzten ca. 20 Jahre am stärksten geprägt hat (Homburg und Klarmann, 2006, S. 727).
Abbildung 4: Verwendete Auswertungsverfahren13 53%
23%
20%
27% 20%
3%
Inferentielle Statistik
Deskriptive Statistik
Multivariate Statistik
Strukturgleichungsmodelle
Regressionsanalyse Struktur-prüfend
13
64
Diskriminanzanalyse
7% Faktorenanalyse Struktur-entdeckend
Für jede Publikation wurde jeweils das Verfahren notiert, mit dem der primäre Erkenntnisgewinn erzielt wurde. So ist es beispielsweise bei Strukturgleichungsmodellen sinnvoll, zunächst eine Messmodellbereinigung mit Hilfe einer (explorativen) Faktorenanalyse durchzuführen. Da die eigentlichen Einsichten über Zusammenhänge im Datensatz durch das Strukturgleichungsmodell gewonnen werden, wurden derartige Artikel letzterem Verfahren zugeordnet.
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
4
Lücken in der umfragebasierten Forschung
Wie in Kapitel 3 bereits ausgeführt, bestehen in der umfragebasierten Literatur zu Lieferantenentwicklung inhaltliche Forschungslücken im Hinblick auf:
Die Verknüpfung der durch Lieferantenentwicklung verfolgten Ziele mit den erreichten Ergebnissen,
Die Frage, ob insbesondere direkte Lieferantenentwicklung sich im Sinne Aufwand/Nutzen tatsächlich rechnet,
Die Aufteilung der durch Lieferantenentwicklung generierten Ergebnisse zwischen Abnehmer und Lieferant sowie
Die Rahmenbedingungen für Lieferantenentwicklung im Allgemeinen sowie die Machtverteilung/Abhängigkeit zwischen Abnehmer und Lieferant im Speziellen. Aus theoretischer Perspektive bestehen Forschungslücken im Hinblick auf:
Die Fundierung der vorgeschlagenen Hypothesen durch allgemeine wissenschaftliche Ansätze sowie
Die Prüfung anderer wissenschaftlicher Ansätze als der Transaktionskostentheorie oder des ressourcenbasierten Ansatzes. Aus methodischer Perspektive bestehen Forschungslücken im Hinblick auf:
Die geographische Ausgewogenheit, da der Großteil der bisherigen Studien aus dem angloamerikanischen Raum stammt, sowie regionale Vergleiche,
Eine differenzierte Betrachtung nach Industrien sowie Industrievergleiche, Den bislang vorherrschenden Fokus auf die Abnehmerperspektive und den damit einhergehenden Mangel an dyadisch angelegten Studien,
Das Fehlen von Längsschnittstudien sowie Die bislang ausschließliche Erhebung von Daten durch subjektive Befragungen. Abschließend sei noch angemerkt, dass die Vielfalt der verwendeten Konstrukte und die Heterogenität der in den Publikationen benutzten Nomenklatur Indikatoren dafür sind, dass bereits erprobte bzw. etablierte Konstrukte im Rahmen neuer Studien nur partiell erneut geprüft werden. Dies ist bedauerlich, ließe sich doch dadurch eine größere Robustheit der empirischen Ergebnisse erzeugen und zudem direkte Vergleiche anstellen.
65
Wissenschaftliche Beiträge
5
Zusammenfassung und Ausblick
Lieferantenentwicklung als wesentlicher Bestandteil eines systematischen Lieferantenmanagement gewinnt in der unternehmerischen Praxis auch außerhalb der Automobilindustrie sowie in der wissenschaftlichen Diskussion zunehmend an Bedeutung. Letzteres unterstreicht nicht zuletzt die beachtliche Anzahl von 31 umfragebasierten Publikationen zum Thema, von denen mehr als 60% erst in den vergangenen acht Jahren veröffentlicht wurden. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, mit Hilfe eines Reviews den Stand der umfragebasierten Forschung zur Lieferantenentwicklung darzulegen, im Hinblick auf inhaltliche, theoretische und methodische Schwerpunkte hin zu analysieren und Lücken für die weitere Forschung aufzuzeigen. Die Ergebnisse zeigen, dass die bisherigen Studien inhaltlich unterschiedliche Akzente setzen, wobei Forschungslücken insbesondere in Bezug auf die Verknüpfung von gesetzten Zielen und erreichten Ergebnissen, die Wirtschaftlichkeit direkter Lieferantenentwicklung, die Aufteilung der Ergebnisse zwischen Abnehmer und Lieferant sowie die Rahmenfaktoren für Lieferantenentwicklung bestehen. Die theoretische Fundierung der Mehrheit der Studien muss als unzureichend bezeichnet werden, wobei sich in jüngerer Vergangenheit ein positiver Trend in Bezug auf die Prüfung alternativer Ansätze außer der Transaktionskostentheorie und dem ressourcenbasierten Ansatz abzeichnet. Für die Mehrzahl der Studien werden Verfahren der multivariaten Statistik eingesetzt, wobei in jüngerer Vergangenheit vor allem die leistungsstarke Gruppe der Strukturgleichungsmodelle dominiert. Methodische Lücken bestehen in Bezug auf die geographische Ausgewogenheit der Datenbasis, die differenzierte Betrachtung von Industrien, den Mangel an dyadischen Erhebungen sowie Längsschnittstudien und die Datenermittlung durch subjektive Befragungen. Die Autoren hoffen, mit der vorliegenden Bestandsaufnahme zur Lieferantenentwicklung Anstoß und Anregung für zukünftige Forschung zu diesem spannenden und wichtigen Themengebiet gegeben zu haben.
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66
Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
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67
Wissenschaftliche Beiträge
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Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
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Lieferantenentwicklung: Stand der empirischen Forschung
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Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
Dr. Alexander Batran
Abstract In "Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung" wird zunächst ein Konzept der strategisch motivierten und verstandenen Lieferantenentwicklung aufgebaut, um den strategischen Wertbeitrag anhand eines Realoptionsmodells zu quantifizieren. Häufig ist ein kurz- sowie z.T. auch mittelfristiger Lieferantenwechsel in strategischen Partnerschaften nicht möglich. Ändern sich die Marktanforderungen, so kann eine Anpassung des bestehenden Leistungsaustauschs zwingend erforderlich werden. Verfügt dann der Abnehmer nicht über die Flexibilität, den Lieferanten ohne Inkaufnahme hoher Wechselkosten zu wechseln, stellt die Lieferantenentwicklung als strategisches Instrument eine Alternative dar. Eine strategisch verstandene Lieferantenentwicklung, die über eine rein reaktive hinausgeht (bei akuten Problemen im Leistungsaustausch) eröffnet für den Abnehmer gerade diesen Handlungsspielraum in Form einer Lieferantenentwicklungsoption. Lieferanten mit Entwicklungspotential stellen demnach gegenüber nicht-entwicklungsfähigen Lieferanten einen substantiellen strategischen Mehrwert dar, der mittels eines Realoptionsansatzes quantifiziert werden kann.
1
Steigerung des Handlungsspielraum durch strategische Lieferantenentwicklung
Häufig wird der Einkauf besonders dann gefordert, wenn es um eine Reduzierung der Kosten geht, wie in der aktuellen Krise. Eine reine Fokussierung auf Kostensenkung birgt aber auch Risiken, „Folgekosten aufgrund von bspw. Qualitätsmängeln dürfen nicht unterschätzt werden“, so die Aussage von Einkaufsexperten. Entgegen der reinen kurzfristigen Kostensenkung liegen „die größten Defizite im Bereich strategischer Einkauf", so Wildemann in der Financial Times Deutschland. "Einkäufer jagen auf der ganzen Welt den günstigsten Preisen hinterher“, keiner macht sich aber die Mühe, „den wirklich wertvollsten Lieferanten auszurechnen." Welchen strategischen Wert ein
Wissenschaftliche Beiträge
Lieferant hat, zeigt sich anhand dessen mittel- bis langfristigen (Innovations- und Kostensenkungs-) Potentials, d.h., wie gut er in der Lage ist, sich an ändernde Marktund Kundenanforderungen dynamisch anzupassen. Dynamische Lieferantenpartnerschaften sollen gerade diese flexible Anpassung durch Lieferantenentwicklung erlauben. Wird ein Lieferant als entwicklungsfähig bewertet, entsteht dem Abnehmer ein Handlungsspielraum, der sich als strategische (Handlungs-) Option ausdrücken und bewerten lässt. Gerade für Bedarfe, bei denen eine geringe Substitutionsmöglichkeit bei hoher strategischer Bedeutung des Lieferanten vorliegt, stellt die Entwicklungsfähigkeit einen zentralen Wertbestandteil des Lieferanten dar. In einer Studie des BME und der Universität der Bundeswehr geben über 50 Prozent der befragten Einkäufer an, dass Lieferantenintegration im Rahmen des Lieferantenmanagements genutzt wird (Eßig, M., Wiedling, M., 2005). Die Lieferantenpartnerschaft wird nicht mehr nur mit dem „Total Cost of Ownership“-, sondern mit einem „Total Value of Ownership“-Ansatz bewertet, der die Entwicklungsfähigkeit eines Lieferanten als Wertbeitrag einschließt und quantifiziert. Gerade jetzt stellt sich die Frage für strategisch bedeutsame Lieferanten, welcher Lieferant tatsächlich entwicklungsfähig ist und damit die Allokation finanzieller Mittel im Rahmen der Lieferantenentwicklung zur Gewährleistung der mittel- bis langfristigen Innovationsfähigkeit und letztendlich Versorgungssicherheit mit am Markt geforderter Güter und Leistungen rechtfertigt.
1.1
Lieferantenentwicklung versus Lieferantenwechsel im Kontext dynamischer Marktanforderungen
Strategische Lieferantenentscheidungen werden mit dem Ziel des Aufbaus, der Pflege und der Nutzung von Lieferantenpotentialen (insbesondere Know-how- und Innovationspotentialen) getätigt (Wagner, 2001, S. 179). Der Leistungsaustausch findet in der Regel im Rahmen eines Partnerschaftsmodells statt (Arnold, 2005, S. 390) und ist häufig als langfristige Beziehung intendiert. Nach einer Studie von Corsten/Felde (2002) sind Partnerschaften vor allem in einem dynamischen Umfeld geeignet, die eigene Innovationsleistung zu verbessern (Corsten/Felde, 2002, S. 29). So wendet bspw. ein Automobilhersteller im Premiumsegment eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Lieferanten im Rahmen eines „Innovationsmodells“ an, das die Zielsetzung der Integration von Innovationen und Umsetzung komplexer technischer Neuerungen verfolgt (Kuhn u.a., 2007, S. 22). Gründe für eine Partnerschaft können für den Abnehmer somit darin bestehen, kritische sowie strategisch bedeutsame Lieferanten langfristig an sich zu binden, um die Versorgung und den Zugang zu Innovationen zu sichern (Cannon/Perreault, 1999, S. 444, Wong u.a., 2005, S. 723). An die Bewertung solcher Partnerschaften als strategische Entscheidung sind besondere Anforderungen zu stellen. Die einseitige, einzelperiodenbezogene Kostenfokussierung im Einkauf (klassisches Spend Management, Eßig, 2004, S. 45) widerspricht dem Charakter langfristiger Lieferantenentscheidungen, die sich im Beziehungslebenszyklus über mehrere Perioden und durch die Innovationsorientierung auch qualitativ über eine Sequenz an Einzel-
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Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
transaktionen erstreckt. Einer Benchmark-Studie der Aberdeen Group (2005) folgend, fordern CFOs eine stärkere Ausrichtung von Entscheidungen des Einkaufs an finanziellen Kennzahlen. Es wird eine „Abkehr von der isolierten Kostensenkung zu einer umfassenden Wertorientierung bei der zielorientierten Steuerung der Zulieferkette“ gefordert (Eßig, 2007, S. 603). Lieferantenentscheidungen orientieren sich demnach nicht nur an Kosten der Fremdleistung, sondern auch an deren Umsatzwirkung im Endprodukt. Es wird somit die Cash flow-Wirkung von Lieferantenentscheidungen bedeutsam (Aberdeen Group, 2005, S. 16). Dazu muss der Wert von Lieferanten mittels geeigneter Instrumente abgebildet werden (Schuh u.a., 2007, S. 21). Die Erfolgsmessung erfolgt also nicht mehr nur nach dem Gesichtspunkt der „cost reduction“ sondern als ein ‚Value Sourcing’ im Sinne eines integralen Strategieelements der Beschaffungsstrategie (Eßig, 2007, S. 603). Es findet eine explizite Einbeziehung der Leistungsseite der Lieferantenbeziehung statt. Darüber hinaus umfasst die ganzheitliche periodenübergreifende Cash-Flow-Betrachtung des Lieferanten auch dessen zukünftige Leistungsfähigkeit. Es sind diejenigen Lieferanten zu identifizieren, die den „greatest potential value“ aufweisen („value based sourcing“, Sydow/Möllering, 2004, S. 217). Strategische Partnerschaften mit Lieferanten sind indessen nicht unumstritten. Kapoor/Gupta (1997, S. 29) kritisieren, dass bei partnerschaftlicher Zusammenarbeit , „a significant premium over the market” bezahlt wird sowie dass der Abnehmer „had been overpaying services in the name of the partnership, […] benefits […] could not be identified.” Der Problemdruck kooperativer Zusammenarbeit mit Lieferanten wird vor allem auch in der Praxis erkannt und als „Partnerschaftsfalle“ bezeichnet (Neumann, 2006, S. 8 f.). In einer Studie von Corsten/Felde (2002) geben Abnehmer an, keine Alternative zu ausgewählten Lieferanten zu haben (Sole Sourcing), aber auch bewusst eine Single Sourcing-Strategie zu verfolgen (Corsten/Felde, 2002, S. 14). Der Abnehmer beschränkt sich auf einen oder wenige Lieferanten, mit denen eine langfristige, enge Beziehung eingegangen wird („Small-Numbers“-Problem, Williamson, 1975, S. 26-29). Pfriemer (2002) kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, dass selbst innerhalb der Kategorie strategisch bedeutsamer Güter weniger als 50 Prozent der Lieferbeziehungen als „strategische Partnerschaft“ betrachtet werden. Gründe für die Zurückhaltung liegen neben der temporären Aufgabe des Wettbewerbs (Strategie des „agressive sourcing“, Kapoor/Gupta, 1997) in den bei strategischen Partnerschaften für den Aufbau erforderlichen spezifischen Investitionen, die zu einer Lock-in-Situation des Abnehmers führen können (Pfriemer, 2002, S. 10). Ein (frühzeitiger) Abbruch der Beziehung bringt hohe Wechselkosten mit sich (Sunk Costs, Lonsdale, 2001, S. 22). Corsten/Felde (2002) stützen mit ihrer Studie das Problem von Wechselkosten, da gerade am Anfang einer Beziehung in deren Aufbau investiert werden muss und ein frühzeitiger Abbruch zu Sunk Costs führt (Corsten/Felde, 2002, S. 31). Investiert ein Abnehmer in einen Leistungsaustausch, wird zwar die Abwicklung des Leistungsaustauschs vereinfacht (Werner, 1997, S. 48), aber ein Wechsel mit Zunahme dieser spezifischen Investitionen erschwert oder (kurzfristig) gar unmöglich (Artz, 1999, S. 115, Bensaou/Anderson, 1999, S. 461). Andererseits werden im Ergebnis der
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Wissenschaftliche Beiträge
Studie von Pfriemer (2002) strategische Wertschöpfungspartnerschaften als ausbaufähig eingestuft, jedoch ohne konkrete Handlungsempfehlungen zu geben (Pfriemer, 2002, S. 28). Demnach scheinen Ansätze bedeutsam zu sein, die sowohl die Vorteile einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit erschließen, als auch die Probleme einer sich ergebenden Lock-in-Situation abschwächen („’lock into’ the transaction“, Williamson, 1979, S. 240). Gerade mittels F&E-Partnerschaften versuchen Unternehmen einerseits durch komplementäre Kompetenzen (Bensaou/Anderson, 1999, S. 462, Duschek, 1998, S. 232 f.) leistungsfähiger Lieferanten der Veränderungsintensität des Marktes gerecht zu werden (Van de Vrande u.a., 2006, S. 347, Billington u.a., 2003, S. 37), andererseits schränken sie bewusst Möglichkeiten des Partnerwechsels ein, wenn (beiderseitig) spezifisch in die Partnerschaft investiert wird (Williamson, 1979, S. 240, Williamson, 1988, S. 78, Cannon/Perreault, 1999, S. 444, Ganesan, 1994, S. 6). Mit einem langfristigen, partnerschaftlichen Beziehungsansatz geht die (uneingeschränkte) Möglichkeit des Lieferantenwechsels, wie sie bei marktlichen (Spot-) Transaktionen gegeben ist, für den Abnehmer verloren (Alchian/Woodward, 1988, S. 67). Dieses Dilemma wird in einem von dynamischen Marktumfeld dann in Folge offenkundig, wenn der Lieferant zukünftig erforderliche Innovationen nicht mehr mittragen kann, ein Lieferantenwechsel erforderlich wird und das originäre Ziel einer innovationsorientierten Partnerschaft mit dem bisherigen Lieferanten nicht mehr einzuhalten ist (Lavie, 2006, S. 154). Daraus folgt einerseits, dass geeignete Bewertungsinstrumente gefunden werden müssen, um die Entscheidung zugunsten einer Partnerschaft gesamthaft sowohl auf der Kosten-/Leistungsseite als auch hinsichtlich des Risikos abbilden zu können sowie andererseits die Partnerschaft so zu gestalten ist, dass sich der Abnehmer nicht in der Situation des „Gefangenen“ befindet (Bensaou, 1999, S. 36). Ist ein Lieferantenwechsel als externer Handlungsspielraum eines Abnehmers in einer von spezifischen Investitionen geprägten Partnerschaft nicht oder nur zu prohibitiv hohen Kosten möglich, steigt die Bedeutung (beziehungs-) interner Handlungsspielräume. In einem Umfeld mit hoher Veränderungsdynamik kann ein Lieferantenwechsel als externer Handlungsspielraum dann obsolet werden, wenn interne Handlungsspielräume zur Anpassung der Partnerschaft gegeben sind. Interne Handlungsspielräume stellen eine probate Strategie dar, um innerhalb der strategischen Partnerschaft Anpassungen vornehmen zu können, wenn externe Handlungsspielräume durch Lock-in ausscheiden oder stark eingeschränkt sind. Sind spezifische Investitionen nicht vermeidbar, werden Lösungen bedeutsam, mit denen steuernde Eingriffe zur „Kurskorrektur“ möglich werden. Zielsetzung ist die konzeptionelle Auflösung des Widerspruchs zwischen einer einerseits strategischen Entscheidung zugunsten erforderlicher langfristiger und enger Partnerschaften für einen spezifischen Leistungsaustausch, die andererseits geprägt sind durch einen geringen externen Handlungsspielraum des Abnehmers als Folge spezifischer Investitionen. Es gilt die Vorteile aus einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zu erschließen, gleichzeitig aber den internen Handlungsspielraum aufrecht zu erhalten. Aus Praxissicht müssen Lieferanten
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Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
dazu eine ausreichende Innovationskraft besitzen, andererseits hat der Einkauf die Aufgabe, leistungsfähige Lieferanten weiterzuentwickeln (Kuhn u.a., 2007, S. 25). Ein Ansatzpunkt für interne Handlungsspielräume sind entwicklungsfähige Lieferanten (Chakraborty/Philip, 1996, S. 55 f.). Lieferantenentwicklung gilt als „an important component“ (Chakraborty/Philip, 1996, S. 55) im Erreichen von Handlungsspielräumen in Lieferantenpartnerschaften. In diesem Verständnis lässt sich Lieferantenentwicklung als eine Option des Abnehmers verstehen, den Lieferanten zukünftig weiterentwickeln zu können, und unterscheidet sich signifikant von herkömmlichen Ansätzen, die Lieferantenentwicklung überwiegend dann ins Kalkül des Abnehmers mit aufnehmen, wenn bereits eine aktuelle Schlechtleistung des Lieferanten den Abnehmer dazu zwingt, Maßnahmen zu ergreifen. Ziel ist ein (Gesamt-)Konzept der strategisch intendierten Lieferantenentwicklung, das sich in Lieferantenentwicklungsoptionen ausdrückt und sich aus der empirischen Problemstellung partnerschaftlicher Zusammenarbeit ableitet. Wagner (2005) sieht eine Lücke darin, welchen „impact [..] firms’ supplier development efforts“ mit sich bringen (Wagner, 2005, S. 4). Verbunden mit dieser Frage ist auch die zu prüfende Grundhypothese dieses Beitrags, welchen Wert entwicklungsfähige Lieferanten gegenüber nicht-entwicklungsfähigen Lieferanten haben. Die Grundhypothese lautet: Partnerschaften mit Lieferanten mit Entwicklungspotential, woraus einem Abnehmer Handlungsspielräume entstehen, haben einen höheren Wert als statische Partnerschaften.
Abbildung 1: Lieferantenentwicklung versus Lieferantenwechsel
Entwicklungsfähigkeit des Lieferanten
hoch
niedrig
Lieferantenwechsel externer Handlungsspielraum des Abnehmers
Dynamische Marktanforderungen als Treiber von Anpassungen des Leistungsaustauschs (extern vs. intern)
Strategische Lieferantenentwicklung (beziehungs-) interner Handlungsspielraum des Abnehmers Marktaustausch
Art der Zusammenarbeit
Partnerschaft
77
Wissenschaftliche Beiträge
1.2
Strategische Lieferantenentwicklung
Der reaktive Ansatz der Lieferantenentwicklung beschränkt sich auf das Ergreifen von Maßnahmen aufgrund einer konkreten Schlechtleistung des Lieferanten („non-performance“). Die Notwendigkeit ergibt sich aus Problemen des Lieferanten, bspw. pünktlich zu liefern, womit Produktionsausfälle des Abnehmers provoziert werden. Des Weiteren resultiert die Notwendigkeit aus Beschwerden des Kunden des Abnehmers bspw. bei Qualitätsmängeln. Bei der reaktiven Lieferantenentwicklung rücken Lieferanten erst bei Auftreten von Problemen ins Bewusstsein des Abnehmers, so dass es sich um sehr kurzfristige Gegenmaßnahmen handelt (Krause/Handfield/Scannell, 1998, S. 39 und S. 45). Der strategische Ansatz der Lieferantenentwicklung hat die langfristige und kontinuierliche Weiterentwicklung der Fähigkeiten des Lieferanten zum Ziel. Strategische Lieferantenentwicklung wird als Programm zum langfristigen Erhalt der Wettbewerbsvorteile proaktiv initiiert (Krause, Handfield, Scannell, 1998, S. 39, S. 45 und S. 54 sowie Hahn, Watts, Kim, 1990, S. 3). Die gemeinsame Wertschöpfungsorientierung innerhalb der Lieferantenpartnerschaft stellt einen zentralen Rahmenfaktor dar. Ein wesentlicher Unterschied zur lediglich reaktiven Lieferantenentwicklung liegt in der bewussten Suche und Auswahl von Feldern für Entwicklungsmaßnahmen (Krause, Handfield, Scannell, 1998, S. 50). Die Rolle des Abnehmers im Lieferantenentwicklungsprozess unterscheidet sich darin, ob der Abnehmer nur indirekt oder direkt in Entwicklungsmaßnahmen involviert ist. Eine fallweise Prüfung der erforderlichen Maßnahmen ergibt eine rein operative Verbesserung der Performance oder das Erfordernis, beziehungsspezifische Entwicklungsprogramme zu initiieren (Krause, Handfield, Scannell, 1998, S. 50). Bei der indirekten Lieferantenentwicklung werden dem Lieferanten lediglich reaktiv Defizite aufgezeigt und zur Verbesserung angewiesen (Krause, Ellram, 1997a, S. 39 sowie Krause, Ellram, 1997b, S. 21). Es erfolgen keine spezifischen Investitionen (Mitteleinsatz) durch den Abnehmer. Dagegen ist die direkte oder aktive Lieferantenentwicklung mit der aktiven Teilnahme und/oder darüber hinaus spezifischen Investitionen des Abnehmers verbunden und strategisch motiviert (Boutellier, Wagner, 2003, S. 56). Direkte Lieferantenentwicklungsmaßnahmen verlangen vom Abnehmer Investitionen (Wagner, 2005, S. 7), die in der Erwartung getätigt werden, dass diese die Lieferantenpotentiale und damit deren Leistung positiv beeinflussen (Arnolds, Heege, Tussing, 1998). Insbesondere bei einem spezifischen Leistungsaustausch wird der Abnehmer gezwungen sein, aktiv in den Prozess der Lieferantenentwicklung einzugreifen (Kleinau, 1995, S. 139 f. und New, 1996, S. 30). Krause (1997) bezeichnet zu tätigende Investitionen als „extensive efforts“ („directly investing in supplier organizations“, Zsidisin, Ellram, 2003, S. 24) (Krause, 1997, S. 12, Krause, Ellram, 1997a, S. 39 sowie Krause, Ellram, 1997b, S. 21). Bei der Lieferantenentwicklung ist demnach zu unterscheiden, ob lediglich kurzfristige Performance-Ziele durch den Lieferanten aktuell nicht erreicht werden und der 78
Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
Lieferant zur Eigenoptimierung unter Einhaltung von Zielvereinbarungen gezwungen werden kann (indirekte Lieferantenentwicklung) (Kahlmeyer, Liebert, 2004, S. 195, Wagner, 2005, S. 19). Eine entwicklungsfähige Lücke kann dann bspw. auch dadurch identifiziert werden, indem die derzeitigen Potentiale des Lieferanten mit „worldclass [..] expectations“ (Krause, Handfield, Scannell, 1998, S. 48) als Benchmark verglichen werden. Des Weiteren können langfristig wirkende und strategisch intendierte Entwicklungsmaßnahmen durch den Abnehmer ergriffen oder notwendig werden (direkte Lieferantenentwicklung). Auch kommt Wagner (2005) in einer Studie zu dem Ergebnis, dass nur eine Konzentration auf entweder die direkte oder indirekte Lieferantenentwicklung zu einer Verbesserung des Leistungsaustausch führt, eine Kombination aus beiden dagegen nicht zielführend ist. Des Weiteren fällt der Implementierungsgrad der direkten Lieferantenentwicklung in der Praxis gegenüber der indirekten zurück. Wesentliches Merkmal zur Anwendung der direkten Lieferantenentwicklung ist grundsätzlich der Beziehungstyp der strategischen Partnerschaft und insbesondere der Wertschöpfungspartnerschaft als Gegenstand der vorliegenden Problemstellung (Wagner (2005), S. 10 f sowie S. 19). Lieferantenentwicklung wird für die vorliegende Problemstellung als Lieferantenentwicklung im engeren Sinne (Lieferantenweiterentwicklung) verstanden, die sich auf einen bestehenden Leistungsaustausch bezieht, eine direkte, aktive Rolle des Abnehmers erfordert, die mit beziehungsspezifischen Investitionen in Lieferantenentwicklungsmaßnahmen verbunden sowie strategisch motiviert ist und die Weiterentwicklung der Fähigkeiten verfolgt.
1.3
Lieferantenentwicklung als Option
Wagner/ten Hoevel (2003) bezeichnen Lieferantenentwicklung als Option (Wagner, ten Hoevel, 2003, S. 1024). Verstehen sie die Option noch im Sinne eines allgemeinen Sprachgebrauchs, ergibt sich daraus die Frage, weshalb die Option einer Lieferantenentwicklung bislang weder konzeptionell aufgearbeitet noch in einem investitionstheoretischen Verständnis als wertgenerierende Option verstanden und bewertet wurde. Der optionsorientierte Ansatz erweitert die bisherigen Ansätze der Lieferantenentwicklung deutlich, indem die Lieferantenentwicklung als handlungsspielraumfördernde Aktivität des Lieferantenmanagements abgebildet wird. Die Frage, welcher Lieferant zu entwickeln ist, stellt keine reaktive Maßnahme aufgrund einer aktuellen Schlechtleistung dar, sondern bildet eine strategische proaktive Entscheidung zugunsten des Aufbaus eines Handlungsspielraums durch Handlungsmöglichkeiten/Optionen des Abnehmers (Hartley, Choi, 1996, S. 38). Die Betrachtung der Lieferantenentwicklung als Option unterscheidet sich signifikant von bisherigen Ansätzen, die Lieferantenentwicklung überwiegend dann ins Kalkül des Abnehmers mit aufnehmen, wenn eine aktuelle Schlechtleistung des Lieferanten den Abnehmer dazu zwingt, Maßnahmen zu ergreifen.
79
Wissenschaftliche Beiträge
Eine Lieferantenentwicklungsoption erlaubt die vorhandenen Potentiale eines Lieferanten, sowohl als Notwendigkeit als auch als Chance, für zukünftige Anforderungen aktiv weiterzuentwickeln. Ein möglicher Ausgangspunkt der Weiterentwicklung ist ein Lieferant, der als In-Supplier die heutigen Anforderungen mit seinem Potential erfüllt (laufende Serie), eine Weiterentwicklung aufgrund der dynamischen Veränderung der Kontextfaktoren für die zukünftige Zusammenarbeit jedoch erforderlich ist. Ist in einem aktuellen Trend absehbar, dass derzeitige Potentiale für zukünftige Anforderungen nicht mehr ausreichend sind, um wettbewerbsfähig am Markt zu bestehen, bildet die Weiterentwicklungsoption eine strategische Handlungsmöglichkeit (Krause, Handfield, Scannell, 1998, S. 39 f., Hahn, Watts, Kim, 1990, S. 5, „future objectives“ sowie Watts, Hahn, 1993, S. 17, „[I]t is important that future SPD [supplier development] efforts be geared towards developing future supplier capabilities rather than focusing only on current quality and cost.”). Der statische Lieferantenwert bildet den Ausgangspunkt der quantitativen Bewertung der Lieferantenpotentiale und bewertet den Wert des Lieferanten nach dessen aktueller Performance oder seinen aktuellen Potentialen (strategische Bewertung). Die Bewertung erfolgt auf der Basis eines festen Erwartungswertszenarios (statische Basisstrategie, Hommel, Pritsch, 1999a, S. 127). Die zum jetzigen Zeitpunkt optimale Handlungsstrategie wird beibehalten, während der Lieferant die derzeitigen Anforderungen erfüllt. Ohne Entwicklungskalkül wäre ein Beziehungseinsteig ansonsten nicht erfolgt. Die Aufnahme des Leistungsaustauschs stellt in diesem Fall eine sofortige Investition unter Ausschluss von Handlungsmöglichkeiten dar. Der statische Lieferantenwert lässt sich somit auch als passiver Lieferantenwert bezeichnen, d.h. die aktive Handlungsmöglichkeit einer späteren Anpassung der Leistungspotentiale des Lieferanten an nicht-antizipierte Veränderungen durch den Abnehmer wird nicht erfasst (Löhr, Rams, 2000, S. 1988 sowie Hommel, Pritsch, 1999b, S. 11 f). Die Basisinvestition stellt die Investition zur Aufnahme des Leistungsaustauschs dar. Der dynamische Lieferantenwert wird dagegen quantitativ durch die Lieferentwicklungsoptionen abgebildet. Wird das dynamische Element der Lieferantenentwicklung zusätzlich zur statischen Basisstrategie berücksichtigt, entstehen dem Abnehmer Optionen, den Status Quo aktiv zu verändern und die Leistungsfähigkeit des Lieferanten positiv zu beeinflussen. Mit der Option entsteht in Summe der erweiterte Lieferantenwert (zum erweiterten Kapitalwert Hommel, Pritsch, 1999b, S. 11 sowie Cohen, Huchzermeier, 1999, S. 222, „difference between […] status quo […] and [..] (optimal) operating polices equals the option value“).
80
Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
Abbildung 2: Erweiterter Lieferantenwert (Lieferantenentwicklungsoption) Statische Basisstrategie
Strategieanpassung
Basisinvestition (zum Beziehungseinstieg) Beziehungsspezifische Investition in die Lieferantenpartnerschaft (ohne Entwicklungskalkül) Statischer Lieferantenwert
Lieferantenentwicklungsoption Entwicklung des Lieferanten auf Basis dessen Entwicklungspotentials (mit Entwicklungskalkül)
+
Dynamischer Lieferantenwert
Erweiterter Lieferantenwert
Um eine Option quantitativ bewerten zu können, muss sie real existieren. Da es sich in der Regel nicht um ein explizit verbrieftes Optionsrecht handelt, stellt die Prüfung der Entwicklungsfähigkeit des Lieferanten sicher, dass eine Lieferantenentwicklungsoption tatsächlich vorhanden ist. Vor Aufnahme des Leistungsaustauschs ist das Potential des Lieferanten nach jenen Faktoren zu untersuchen, die die Leistungsfähigkeit und Entwicklungsmöglichkeiten des Zulieferers determinieren (Pampel, 1993, S. 76). Eine beschränkte Fokussierung auf das gegenwärtige Leistungsvermögen spiegelt nur einen begrenzten Teil des Beziehungswertes wider (statische Basisstrategie) und erfasst nicht die Entwicklungsfähigkeit des Lieferanten (dynamischer Lieferantenwert, Hibbard u.a., 2003, S. 377). Lieferanten müssen sowohl anhand von Vergangenheitsdaten, als auch bezüglich ihres Zukunftspotentials bewertet werden (Arnold, 1997, S. 177). Eine ganzheitliche potentialorientierte Bewertung findet insbesondere dann statt, wenn es um „strategisch wichtige, komplexe, proprietäre, systemisch innovative Beschaffungsobjekte“ und Beziehungen mit langfristigem Zeithorizont geht (Sydow/ Möllering, 2004, S. 217). Grundlegend für das tatsächliche Vorhandensein von Lieferantenentwicklungsoptionen für den Abnehmer ist die Frage, ob ein Lieferant über das nötige Basispotential verfügt, um überhaupt entwicklungsfähig zu sein. Burger-Helmchen (2007) unterscheidet demnach „shadow options“ von „real options“, wobei eine Realoption diejenige Option ist, die der Abnehmer „can really excercise“ (BurgerHelmchen, 2007, S. 391 f.). Sind Lieferanten grundsätzlich nicht entwicklungsfähig, entstehen für den Abnehmer keine Optionen der Entwicklung.
2
Modellierung der Lieferantenentwicklung als Realoption
2.1
Bewertung des Entwicklungsertrages
Für die Entscheidung der Ausübung einer Lieferantenentwicklungsoption bzw. Durchführung von Lieferantenentwicklungsmaßnahmen reichen subjektive Einschät-
81
Wissenschaftliche Beiträge
zungen des Potentials allein nicht aus. Vielmehr ist die Zahlungswirksamkeit ergriffener Maßnahmen in einem zweiten Schritt quantitativ zu erfassen. Es ergibt sich zusammenfassend ein zweistufiges Vorgehen: (1) Beurteilung und Gewichtung der Lieferantenpotentiale hinsichtlich deren Entwicklungsfähigkeit (notwendige Bedingung für die Durchführbarkeit von Lieferantenentwicklungsmaßnahmen). (2) Ermittlung eines kapitalwertorientierten Lieferantenwerts (Lieferant als Invesititionsobjekt) nach erfolgter Lieferantenentwicklungsmaßnahme unter Berücksichtigung der Lieferantenpotentiale als Einflussgröße für Aus- und Einzahlungen. Der Barwert der erwarteten Zahlungen dient als hinreichende Bedingung für die Entscheidung der Durchführung der Lieferantenentwicklung. Es geht um die Frage, wie der ‚objektive Wert’ einer Beziehung aus Abnehmersicht gemessen werden kann (Eßig, 2007, S. 607). Bereits Leenders (1989) schlägt zur Analyse des Einsatzes von Lieferantenentwicklung vor, Investitionsrechenmethoden anzuwenden (Leenders, 1989, S. 54). Zum Grundverständnis eines wertorientierten Lieferantenmanagements („Supplier Value Management“) sei an dieser Stelle auf Eßig (2007) verwiesen. Nach Eßig (2007) stellt sich im Rahmen einer wertorientierten Unternehmensführung aus beschaffungswirtschaftlicher Perspektive „insbesondere die Frage nach dem Wertbeitrag aus der Einkaufstätigkeit bzw. aus der Stakeholdergruppe ‚Lieferant’“ (Eßig, 2007, S. 601 f.). Die Ermittlung des Lieferantenkapitalwerts (Barwert) erfolgt methodisch unter Verwendung des Konzepts des „Supplier Lifetime Value“ (SLV, Eßig, 2003, S. 336). Der SLV basiert auf der Kapitalwertmethode und gehört somit zu den dynamischen Verfahren der Investitionsrechnung (Eßig, 2003, S. 336, Eßig/Amann, 2005, S. 557, Hibbard u.a., 2003, S. 379). Der Kapitalwert ergibt sich aus der Differenz des Barwertes der Ein- Auszahlungen einer Investition und erfasst den periodengenauen Anfall von Einund Auszahlungsströmen (Schäfer, 2005, S. 114 f.). Das Lieferantenrisiko wird als lieferantenspezifischer Diskontierungsfaktor i ins Modell integriert. Der SLV stellt ein geeignetes Instrument dar, den Wert einer Lieferantenpartnerschaft nicht als Momentaufnahme zu verstehen, sondern vielmehr den gesamten Beziehungszyklus in die Wertermittlung einfließen zu lassen (Eßig, 2003, S. 336, Eßig/Amann, 2005, S. 557, Ford u.a., 1998, S. 116). Bei der Bewertung von Lieferantenentwicklungsoptionen erfolgt ein Zustandswechsel der Lieferantenpotentiale zum Zeitpunkt n der Durchführung der Entwicklungsmaßnahme. Zu unterscheiden ist demnach ein Lieferantenwert vor der Entwicklung (ex ante Potentialniveau) von dem Lieferantenwert, der aus der Entwicklung ex post resultiert (ex post Potentialniveau). Ein kapitalwertorientierter Lieferantenwert stellt die konzeptionelle Grundlage für den Vergleich von Lieferanten ohne Entwicklungspotential (nur statischer Lieferantenwert) und Lieferanten mit Entwicklungspotential (erweiterter Lieferantenwert aus statischem Lieferantenwert und Optionswert) dar.
82
Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
Der statische Lieferantenwert wird ausgedrückt durch den Net Supplier Lifetime Value (NSLV). Für die Ausübung der Option interessiert somit der Barwert SLV, der mit der Lieferantenentwicklungsmaßnahme verbundenen Zahlungsströme ab dem Zeitpunkt der Ausübung der Option in tn (Zustand ex post Entwicklung). Der Abnehmer tätigt mit der Ausübung der Lieferantenentwicklungsoption eine spezifische Investitionsauszahlung X zur Entwicklung des Lieferanten. Die Option der Lieferantenentwicklung wird nur dann ausgeübt, wenn der Barwert (des Zustands ex post) die Investitionsauszahlung X für die Lieferantenentwicklungsmaßnahme übersteigt (vgl. Abbildung 3 sowie Hibbard u.a., 2003, S. 381). Der SLV dient, neben der notwendigen Bedingung der Potentialanalyse zur Prüfung der Entwicklungsfähigkeit, als hinreichende Bedingung zur Ausübung der Option. Die mit der Durchführung der Lieferantenentwicklungsmaßnahme verbundenen Auszahlungen müssen in einem geeigneten Bewertungsmodell den aus dem Zustand nach der Entwicklung resultierenden Einzahlungen gegenübergestellt werden, um eine Entscheidungsgrundlage für die Ausübung der Option zu erhalten. Der SLV als der Gegenwartswertes des Lieferanten nach der Entwicklungsmaßnahme bildet hierbei die Basis (Mayer, 2001, S. 104).
Abbildung 3: Bewertung des Entwicklungsertrags Ertrag der Basisstrategie
Entwicklungsertrag
Lieferantenwert der Basisstrategie Zustand ex ante Entwicklung: NSLV
Lieferantenwert bei Ausübung der Option Zustand ex post Entwicklung: SLV
Statischer Lieferantenwert
+
Dynamischer Lieferantenwert
Erweiterter Lieferantenwert
2.2
Realoptionsbewertungsmodell
Mithilfe des Realoptionsansatzes lässt sich der Handlungsspielraum des Abnehmers in einer dynamischen, durch Lieferantenentwicklungsoption(en) anpassungsfähigen Partnerschaft gegenüber einer statischen Partnerschaft monetär bewerten und vergleichen. Eine Beschränkung auf eine kapitalwertorientierte Bewertung des Lieferanten (statischer Lieferantenwert NSLV) impliziert eine einmalige Entscheidung auf der Grundlage einer festen Investitionsplanung unter der Maßgabe, dass der Abnehmer keine weiteren Einflussmöglichkeiten im Beziehungszyklus besitzt (Koch, 1999, S. 33). Der strategische Beitrag von Realoptionen gründet dagegen in der Ausnutzung von Handlungsspielräumen bei unsicheren, zukünftigen Veränderungen (Hommel/Pritsch, 1999b, S. 4). Realoptionen haben dynamischen Charakter („strategisch-dynamisches
83
Wissenschaftliche Beiträge
Wertelement“, Löhr/Rams, 2000, S. 1983) und sind mit Finanzoptionen vergleichbar (Hommel/Pritsch, 1999b, S. 4). Der Inhaber einer Finanzoption hat das Recht, nicht aber die Verpflichtung (Flexibilität), einen bestimmten Vermögensgegenstand (Basistitel, Underlying) zu einem im Voraus festgelegten Preis (Ausübungspreis) zu erwerben (zu veräußern), falls dies nach Kenntnis eines eingetretenen Ereignisses vorteilhaft ist (Breuer, 1998, S. 5, Hommel/Pritsch, 1999a, S. 123, Schäfer, 2005, S. 348). Die Möglichkeit, in Lieferantenentwicklungsmaßnahmen investieren zu können, kann als Kaufoption (Call) aufgefasst werden, indem sie das Recht auf Erwerb der Einzahlungsüberschüsse des SLV durch die Bezahlung einer Anfangsauszahlung, dem Ausübungspreis X, beinhaltet. Der Handlungsspielraum durch die Lieferantenentwicklungsoption ist das Ergebnis „of earlier investments“, die als Initial- oder Basisinvestition zum Beziehungseinsteig getätigt werden und die Investition darstellen, die notwendig ist, um die Lieferantenentwicklungsoption zu erwerben (Dixit/Pindyck, 1995, S. 111, Kogut, 1991, S. 19, Kogut/Kulatilaka, 1994, S. 123). Der Wert einer Realoption hängt von den damit verbundenen Zahlungsüberschüssen ab (Laux, 2003, S. 370). Zum Ausübungszeitpunkt erhält der Optionsinhaber den inneren Wert einer Option als die Differenz von Gegenwartswert der Zahlungsüberschüsse SLV und dem Ausübungspreis X (bzw. es verfällt die Option, sofern SLV < X, Nichtausübung der Option), so dass für Lieferantenentwicklungsoptionen max[SLV – X; 0] gilt (Hull, 2006, S. 235, Tomaszewski, 2000, S. 92). Der Gesamtwert einer Option besteht vor der Ausübung aus der Summe ihres inneren Wertes und des Zeitwertes, der den Wert des Handlungsspielraums der Investitionsmöglichkeit abbildet. Der Zeitwert (Zeitprämie) beschreibt den Flexibilitätswert der Investitionsmöglichkeit bei Finanzoptionen. Der Zeitwert ist jener Betrag, den der Optionskäufer bereit ist, für die Chance zu bezahlen, dass sich der Wert des Basistitels während der Laufzeit vorteilhaft entwickelt (Crasselt/Tomaszewski, 1999, S. 557, Schäfer, 2005, S. 363, Tomaszewski, 2000, S. 112). Realoptionen können grundsätzlich mit denselben Bewertungsverfahren der Optionspreistheorie wie Finanzoptionen bewertet werden, vorausgesetzt es gelingt, einen gehandelten Vermögensgegenstand zu finden, dessen stochastischer Prozess die zu bewertende Realoption genau abbildet („be spanned by existing assets“, Dxit/Pindyck, 1994, S. 147). Für die Bewertung der Option des erweiterten Lieferantenwerts bedeutet dies, dass ein gehandelter Vermögensgegenstand gefunden werden muss, der das Investitionsobjekt Lieferant exakt repliziert. Der ‚Marktpreis’ des Lieferanten lässt sich dann mittels des korrelierten Vermögensgegenstands abschätzen (Tomaszewski, 2000, S. 109). Zur formal exakten Anwendung der Optionspreistheorie muss die stochastische Wertänderung von SLV perfekt mit der eines beliebigen, marktlich gehandelten Vermögensgegenstandes korrelieren (Bank/Mager, 2000, S. 304). Bei einem solchen Ersatzvermögensgegenstand wird dann von einem „Spanning Asset“ gesprochen (Dixit/Pindyck, 1994, S. 117, Hommel/Pritsch, 1999a, S. 124, Hommel/ Pritsch, 1999b, S. 25, Laux, 2003, S. 285, Löhr/Rams, 2000, S. 1986, Schäfer, 2005, S. 397). Grenzen des „Spanning“ treten dann auf, wenn es sich um ein „imaginäres Basisinstrument“ (Hommel/Pritsch, 1999b, S. 15) handelt, das erst mit der Ausübung geschaffen wird, wie es für die Ausübung der Lieferantenentwicklungsoption mit einem Zustands-
84
Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
wechsel des Potentialniveaus ex ante zum Potentialniveau ex post gilt. Lässt sich für den spezifischen Leistungsaustausch der Lieferantenpartnerschaft kein geeignetes Spanning Asset zur Nachbildung der Risikostruktur der Realinvestition „Lieferant“ finden, kann mit Hilfe des Ansatzes der dynamischen Programmierung die Bewertung des Handlungsspielraumes der Lieferantenentwicklungsoption vorgenommen werden (Pindyck, 1991, S. 1119, Dixit/Pindyck, 1994). Für den Ansatz der dynamischen Programmierung gilt, dass nicht nach dem Zeitpunkt t der Ausübung gesucht wird, sondern nach einem Schwellenwert SLV*, ab welchem die Option ausgeübt wird. Es interessiert zur Berechnung eines Schwellenwertes der Barwert der Zahlungsströme zum Ausübungszeitpunkt, die mit Bezahlung des Ausübungspreises erworben werden. Der Schwellenwert SLV* der Ausübung sowie der (Gesamt-) Wert der Lieferantenentwicklungsoption aus innerem Wert und Zeitwert lassen sich mit Hilfe der dynamischen Programmierung ermitteln. Der Abnehmer entscheidet in Abhängigkeit des realisierbaren SLV (ex post der Ausübung der Lieferantenentwicklung) zwischen der Fortführung der Basisstrategie mit dem Wert NSLV (vgl. Gleichung 1) und der Ausübung bei Erreichen des Schwellenwerts SLV*, für die er den inneren Wert SLV* – X realisiert.
F ( SLV ) = max[ NSLV ; ( SLV * − X )]
SLV * =
β1 β1 − 1
(1)
( X + NSLV )
(2) 2
mit β1 =
1 (ρ − δ ) ª ( ρ − δ ) 1 º 2ρ − + « − » + 2 > 1 (Batran 2008) 2 2 2 2¼ σ σ ¬ σ
Die Wertentwicklung der Lieferantenentwicklungsoption ist in Abbildung 4 dargestellt. Der Ordinatenabstand NSLV ist Ausdruck des statischen Lieferantenwerts, der sich zum Optionswert addiert. Der innere Wert ist eine lineare Funktion und schneidet die Abszisse bei SLV = X (Bank/Mager, 2000, S. 304). Für den Fall, dass SLV* > SLV und somit der Callwert F (vor der Ausübung) den inneren Wert SLV – X übersteigt, geht der Zeitwert der Option verloren. Eine Ausübung ist nicht optimal. Steigt dagegen der aus der Entwicklungsmaßnahme erwartete SLV auf SLV ≥ SLV*, ist eine Ausübung der Verkaufsoption, die Durchführung der Lieferantenentwicklungsmaßnahme sinnvoll. Der kritische Wert SLV* wird im Tangentialpunkt der Kurve des Wertverlaufs der Option mit dem inneren Wert SLV – X erreicht (Schäfer, 2005, S. 400 f.). Paddock u.a. (1988) bezeichnen den Schwellenwert als den Wert, bei dem entlang des exponentiell steigenden Optionswertverlaufs „first time the [..] [SLV] hits [..] [SLV*] from below“ (Paddock u.a., 1988, S. 492). Dieses Optimalitätskriterium wird als ‚smooth pasting’ bezeichnet (Bank/Mager, 2000, S. 305, Sick, 1995, S. 656).
85
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 4: Wertentwicklung des erweiterten Lieferantenwerts (Quelle: Hull (2006), S. 268) F(SLV) NSLV erweiterter Lieferantenwert F(SLV) Optionswert statischer Lieferantenwert NSLV
X
SLV*
SLV
Der passive (Netto-) Kapitalwert NSLV erfasst den Wert der statischen Einstiegsinvestition zum Zeitpunkt t0 des Beziehungseinstiegs. Hinzu kommt der Wert des Handlungsspielraums, ausgedrückt durch den ersten Term von Gleichung 14, so dass insgesamt ein erweiterter Lieferantenwert entsteht, der der konzeptionellen Herleitung entspricht. Als Ergebnis liefert die Gleichung 2 einen umfassenden, insbesondere operationalisierbaren erweiterten Lieferantenwert, der alle wesentlichen Werttreiber der Lieferantenpartnerschaft einschließt. Mit dem Bewertungsansatz liegt ein Instrument für das Lieferantenmanagement vor, das erste Ansatzpunkte für die Quantifizierbarkeit einer Lieferanten- bzw. Beschaffungsstrategie ermöglicht. β1
1 ( X + NSLV )§¨ SLV* ·¸ + NSLV F ( SLV ) = β1 − 1 © SLV ¹
(3)
Erweiterter Lieferantenwert = Optionswert + statischer Lieferantenwert In Anlehnung an die von Wagner (2005) erwähnte Forschungslücke, welchen „impact [..] firms’ supplier development efforts“ mit sich bringen, wird mit dem hier entwickelten Beitrag ein Ansatz geliefert, der dazu beiträgt, die Forschungslücke zu schließen (Wagner, 2005, S. 4). Der zunächst qualitativ konzeptionelle Ansatz der Lieferantenentwicklungsoptionen und der Herleitung des erweiterten Lieferantenwerts erfährt mit Hilfe des quantitativen Bewertungsmodells einen substantiellen Mehrwert für strategische Lieferantenentscheidungen, indem deren Erfolgsbeitrag messbar wird. Die Anwendung einer finanzmathematischen Investitionsrechnung setzt voraus, eine Zulieferer-Abnehmer-Beziehung als Ein- und Auszahlungsstrom darstellen zu können (Schirmeister/Kreuz, 2003, S. 342).
86
Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
2.3
Aussagen für die Beschaffungspraxis
Der erweiterte Lieferantenwert fällt exponentiell, je größer die Entwicklungslücke bzw. der Entwicklungsaufwand X für zukünftige Anpassungen ist (vgl. Abbildung 5). Das scheint nicht zu überraschen, jedoch wird mit dem dynamischen Lieferantenwert auch eine aus heutiger Sicht Übererfüllung der Leistungskriterien (Anforderungen) durch den Lieferanten explizit in dessen Bewertung berücksichtigt. Höheres Lieferantenpotential wird im Rahmen eines strategischen Beschaffungsmanagements konsequent bewertet und eine Aussage hinsichtlich der Entwicklungsfähigkeit bestätigt oder widerlegt. Folgende Ergebnisse und Handlungsempfehlungen lassen sich daraus ableiten:
Die Berücksichtigung der zukünftigen Leistungsfähigkeit des Lieferanten (nicht nur die aktuelle Leistungsfähigkeit) spielt eine wesentliche Rolle bei der Lieferantenbewertung für strategische Partnerschaften.
Die Entwicklungslücke wird durch tatsächliche strategische Lieferantenbewertung explizit in die Bewertung mit einbezogen (eine Übererfüllung der heutigen Anforderungen wird als Zukunftspotential Wertbestandteil).
Lieferanten mit höherem Entwicklungsaufwand haben einen geringeren (strategischen) Wert.
Die Gefahr von Fehlentscheidungen bei der Lieferantenauswahl wird reduziert (nicht-entwicklungsfähige Lieferanten fallen hinter entwicklungsfähigen zurück).
Abbildung 5: Einfluss des Entwicklungsaufwands X auf den erweiterten Lieferantenwert Erweiterter Lieferantenwert 250.000
200.000
150.000
100.000
50.000
0
5.000
10.000 15.000 20.000 25.000 30.000 35.000 40.000
X
Lieferantenentwicklung ist nicht durch „Partnerschaftsromantik“ motiviert, sondern misst sich an den zu tätigenden Auszahlungen und erwarteten Einzahlungen bzw. Rückflüssen aus der Entwicklungstätigkeit in Form des SLV. Der strategische Wert des 87
Wissenschaftliche Beiträge
Lieferanten wird über die Option explizit erfasst. So hat sich in einem Beispiel gezeigt, dass der dynamische Lieferantenwert (Optionswert) abhängig vom Entwicklungsertrag bis ca. 70 Prozent des gesamten (erweiterten) Lieferantenwerts ausmachen kann, die durch eine klassische Bewertung nicht erfasst werden würden. Für strategische Lieferantenentscheidungen bedeutet dies unmittelbar, dass nicht nur die aktuelle Leistungsfähigkeit, sondern auch der langfristige, dynamische Beziehungs- bzw. Lieferantenwert entscheidend ist.
Abbildung 6: Anteil des Optionswertes am gesamten Lieferantenwert (Bewertungsergebnis aus einer Sensitivitätsanalyse)
27%
73%
Erweiterter Lieferantenwert
Statischer Lieferantenwert
Mehrwert des entwicklungsfähigen Lieferanten
Dynamischer Lieferantenwert
Der Entwicklungsertrag der Wertreiber der Entwicklungsoption und beinhaltet neben der Lieferantenrisikobewertung, die Aus- und Einzahlungen aus dem Leistungsaustausch. Um den Entwicklungsertrag zu erhöhen (vgl. Abb. 7), kann die Lieferantenentwicklung sowohl auf der Leistungsseite (Einzahlungspotential) ansetzen, als auch auf der Kostenseite (Auszahlungspotential), um den Saldo aus Ein- und Auszahlungen (je Periode) zu maximieren. Einerseits muss zur Reduzierung der Auszahlungsseite eine effizienzorientierte Lieferantenentwicklung betrieben werden (Kostenfokus im weitesten Sinne), andererseits muss die Lieferantenentwicklung effektivitätsorientiert erfolgen, um die Einzahlungsseite positiv zu beeinflussen (Umsatzfokus im weitesten Sinne).
Eine Investition in Lieferantenentwicklungsmaßnahmen geht einher mit Investitionsauszahlungen in der(n) Periode(n), in der die Entwicklungsmaßnahme stattfindet. Wird eine Lieferantenbeziehung rein kostenorientiert und einperiodig betrachtet, bleibt ein mehrperiodiger Cash-Rückfluss (über die Umsatzwirkung der fremdbezogenen Leistung im Endprodukt) unberücksichtigt. Über den SLV erfolgt
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Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
dagegen eine periodenspezifische Bewertung des Lieferanten über den gesamten Beziehungslebenszyklus (bspw. Dauer der Serienbelieferung).
Der Einkauf lässt sich mit dem SLV und einer Optionswertermittlung in ein wertorientiertes prospektives Management einbeziehen.
Die Beeinflussung der Auszahlungen erfolgt durch eine effizienzorientierte Lieferantenentwicklung, die sich auf klassische Einkaufshebel zur Reduktion der Kostenseite bezieht:
Ansatz Spend Management: Mittels Transparenz über das Einkaufsvolumen werden warengruppenspezifische Maßnahmen abgeleitet.
Dynamisches Target Costing (Lernkurveneffekt, Economies of Scale): Target Costs werden nicht statisch betrachtet, sondern werden bspw. entsprechend der Lernkurve reduziert als dynamisches Ziel mit dem Lieferanten verfolgt.
Design-to-Cost: Kostensenkungsmaßnahmen bedeuten grundsätzlich auch eine cross-funktionale Optimierung bei und mit dem Lieferanten zur Beeinflussung der Kostenseite.
Prozesseffizienz: Im Mittelpunkt steht die Verbesserung bzw. Optimierung der Prozesse beim Lieferanten und in der Abwicklung mit dem Lieferanten.
Die Beeinflussung der Einzahlungen erfolgt durch eine effektivitätsorientierte Lieferantenentwicklung:
Kundennutzenorientierte Lieferantenentwicklung: Durch eine gemeinsame Optimierung der Fremdleistung mit dem Lieferanten kann die Attraktivität des Endprodukts gesteigert und die Umsatzwirkung des Zukaufteils erhöht werden.
Mittels Steigerung der Innovationenorientierung bei Fremdleistungen und Unterstützung des Lieferanten, dessen Kernkompetenzen in Wettbewerbsvorteile umzusetzen – bspw. neue Technologien, die am Markt gefordert werden, wird vice versa die Wettbewerbsfähigkeit des Abnehmers gesteigert.
89
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 7: Einfluss des Entwicklungsertrags SLV auf den erweiterten Lieferantenwert Erweiterter Lieferantenwert 250.000
200.000
150.000
100.000
50.000
198.930
171.066
148.625
130.328
115.241
92.108
102.675
83.146
75.484
68.886
63.164
58.171
53.789
49.922
46.491
43.434
40.697
38.237
36.017
34.006
0
SLV
3
Zusammenfassung
Für die Beschaffungspraxis ist der entwickelte Ansatz optionsorientierter Wertschöpfungspartnerschaften in zweierlei Hinsicht bedeutsam. In einem ersten Schritt zeigt die vorliegende Arbeit, welchen strategischen Wertbeitrag die Berücksichtung der Lieferantenentwicklung bzw. Handlungsspielräumen allgemein bereits für eine Lieferantenentscheidung (Beziehungseinstieg) liefert, noch ohne die Implementierung des quantitativen Bewertungsmodells (Lieferantenentwicklungsoptionen als strategischer Denkansatz). Gelingt die Aufnahme der im Rahmen der Potentialanalyse gestellten Frage der Entwicklungsfähigkeit in im Unternehmen vorhandene Lieferantenbewertungstools, kann als zweiter Implementierungsschritt das vorliegende Realoptionsbewertungsmodell eingeschlossen werden. Insbesondere für Beschaffungsorganisationen, die sich noch in der Entwicklung von einer rein operativen zu einer strategisch orientierten Unternehmensfunktion befinden, stellt diese Zweitteilung der Implementierung eine wesentliche Komplexitätsreduktion dar. Grundsätzlich gilt die systematische Prüfung der Entwicklungsfähigkeit als wesentliche, notwendige Bedingung für die Entstehung eines tatsächlichen Handlungsspielraums des Abnehmers hinsichtlich der Weiterentwicklung des Lieferanten. Der Realoptionsansatz ist demnach bereits als strategischer Denkansatz bedeutsam für das Lieferantenmanagement. Der Abnehmer entscheidet sich für jenen Lieferanten, der aufgrund seiner Entwicklungsfähigkeit höher zu bewerten ist. Stehen mehrere ent-
90
Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
wicklungsfähige Lieferanten zur Verfügung, ist jener Lieferant auszuwählen, der mit dem größten erweiterten Lieferantenwert bewertet werden kann.
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Messung des Wertbeitrags strategischer Lieferantenentwicklung
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Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen in ZuliefererAbnehmer-Beziehungen
Dr. Erik Hofmann und Philip Wessely
Abstract Bei der Implementierung einer Supply Chain-Initiative sind oftmals spezifische Investitionen in Technologie, Material, Organisation und Personal zu tätigen. Aufgrund des funktions- und unternehmensübergreifenden Charakters von Supply Chain-Initiativen stellt eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Investition im Vorfeld jedoch eine Herausforderung dar. Diesen Gedanken greift der vorliegende Beitrag auf und stellt einen Ansatz zur Quantifizierung des monetären Wertbeitrags von Supply ChainInitiativen vor. Der Ansatz berücksichtigt die individuelle Übertragbarkeit von Supply Chain-Initiativen auf spezifische Lieferanten- und Kundenkreise sowie bestimmte Produktgruppen. Als Messgröße für den Wertbeitrag dient der Economic Value Added (EVA).
1
Hintergrund und Problemstellung
Die Entscheidung zwischen der Eigen- und der Fremdherstellung von Leistungen bildet eine Kernfrage der Betriebswirtschaftslehre, die vor dem Hintergrund der Globalisierung und der Dynamisierung der Kundenbedürfnisse gepaart mit immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen eine zunehmend zentrale Rolle spielt (vgl. Sydow/ Möllering, 2004, S. 23ff.; Zentes et al., 2003, S. 20ff.). In diesem Kontext verlieren Unternehmensgrenzen ihren begrenzenden Charakter und alternative Organisationsformen, wie Wertschöpfungspartnerschaften mit anderen Akteuren entlang der Supply Chain, gewinnen an Bedeutung (vgl. Reichwald, 2004, Sp. 998ff.). Im Rahmen dieser Partnerschaften erfolgt jeweils eine Konzentration auf die unternehmensspezifischen Stärken oft in Kombination mit einer Auslagerung derjenigen Wertschöpfungsaktivitäten, die weniger als Kernkompetenz des Unternehmens verstanden werden. Die Zusammenarbeit verfolgt dabei keinen Selbstzweck, sondern dient dazu, Leistungen effizienter und effektiver zu erstellen als dies ohne Kooperation möglich wäre (vgl. Mentzer et
Wissenschaftliche Beiträge
al., 2001, S. 18.). Vor diesem Hintergrund rückt das Supply Chain Management (SCM) und darin verorteter SC-Initiativen1 verstärkt in den Betrachtungsfokus wirtschaftlicher Entscheidungen (vgl. Losbichler/Rothböck, 2008, S. 47). Bei der Umsetzung einer SC-Initiative sind oftmals spezifische Investitionen in Technologie, Material, Organisation und Personal zu tätigen (vgl. Pfohl, 2004, S. 26f.; Häusler, 2002, S. 177ff.). Dabei bereitet gerade die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Investition im Vorfeld der Umsetzungsentscheidung häufig Schwierigkeiten. Denn so lassen sich die mit der Realisierung einer konkreten SC-Initiative verbundenen Kosten, d.h. die Initialinvestition sowie zukünftige Einsparungen oder Ausgaben aus dem operativen Geschäft selten mit einer adäquaten Genauigkeit prognostizieren (vgl. Wildemann, 2004, S. 12). Ungleich anspruchsvoller lässt sich die Veränderung der Erlösstrukturen durch die Umsetzung der SC-Initiativen im Vorhinein bestimmen (vgl. Möller, 2006, S. 6). Die Gründe dafür liegen zum einen in den funktionsbereichsund unternehmensübergreifenden Auswirkungen der SC-Initiative, die sich bei den beteiligten SC-Akteuren individuell ausprägt und sich wiederum auf unterschiedliche Kunden- und Lieferantengruppen ausdehnen lässt. Dieser Netzwerkcharakter der individuellen Verflechtungen der beteiligten SC-Akteure macht eine Prognose der monetären Auswirkungen schwierig. Darüber hinaus liegen oftmals geringe Erfahrungen mit innovativen SC-Initiativen vor (vgl. Wildemann, 2004, S. 12). Durch die Quantifizierung und Gegenüberstellung der mit der Einführung einer SCInitiative verbundenen Veränderung der Kosten- und Erlösstrukturen lässt sich unternehmensintern eine höhere Transparenz über den von SC-Initiativen bestifteten monetären Nutzens in Form des Wertbeitrags2 schaffen. Insgesamt würden dadurch das Ansehen von SCM und damit die notwendige Unterstützung zur Realisierung von SC-Initiativen innerhalb des Unternehmens steigen. Im Rahmen der interorganisatorischen Zusammenarbeit können durch die geschaffene Transparenz weiterhin Ineffizienzen aufgedeckt und eine bessere Verhandlungsgrundlage zwischen den beteiligten SC-Akteuren geschaffen werden (vgl. Wildemann, 2004, S. 14f). Denn wenn es bezüglich der Einführung einer SC-Initiative zwischen den Akteuren zu Differenzen über die Implementierung aufgrund einseitig gelagerter Vorteile käme, können auf der
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2
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Der Begriff der SC-Initiative subsumiert Impulse oder Maßnahmen, die zwischen einem oder mehreren SC-Akteuren im Rahmen einer unternehmensübergreifenden Kooperation ergriffen werden. Es können klassischerweise ganze SC-Konzepte wie beispielsweise die Einführung einer Just-in-Time Belieferung (vgl. z.B. White/Prybutok, 2001, S. 113ff.) oder eines Vendor Managed Inventory (vgl. z.B. Disney/Towill, 2003, S. 625f.) sein. Neben diesen SC-Konzepten, die oft ein ganzes Bündel an Maßnahmen bedeuten, sollen auch Handlungen, die mit einem vergleichsweise geringem Aufwand umsetzbar sind, wie z.B. die Implementierung einer Austauschplattform zwecks besserer Abstimmung zwischen zwei oder mehreren SCAkteuren, unter den Begriff einer SC-Initiative fallen. Dem Begriff des Wertbeitrags soll an dieser Stelle ein rein monetäres Verständnis im Sinne des Shareholder Value zugrunde liegen. Der Begriff Shareholder bezieht sich dabei allgemein auf die Anteilseigner von auch nicht börsennotierten Unternehmen.
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
Basis eines zuvor quantifizierten Wertbeitrags, neue Impulse für die Ausgestaltung verschiedener Verhandlungspunkte, beispielsweise in Form ausgleichender Zahlungen für den benachteiligten Akteur, gewonnen werden. Da eine Quantifizierung mit steigender Anzahl an beteiligten SC-Akteuren mit einem zunehmenden Komplexitätsgrad behaftet ist, wird die Problemstellung im Folgenden zwecks eines einfacheren Verständnisses zunächst auf dyadischer Ebene im Rahmen einer Zulieferer-Abnehmer-Beziehung thematisiert. Damit gibt der vorliegende wissenschaftliche Beitrag eine Antwort auf folgende Frage: Wie lässt sich der durch die Einführung einer SC-Initiative gestiftete Wertbeitrag bei den betroffenen Akteuren in einer Zulieferer-Abnehmer-Beziehung erfassen? Der vorliegende Beitrag berücksichtigt dabei eine für jeden SC-Akteur individuell ausgeprägte Wirkreichweite der SCInitiative. Darüber hinaus sollen sich die gewonnenen Erkenntnisse in einem weiteren Schritt auf mehrere SC-Akteure und damit auf die Netzwerkebene übertragen lassen. Der Aufbau des Beitrags sieht im weiteren Verlauf zunächst einen kurzen Überblick über bestehende Ansätze zur Bestimmung des monetären Wertbeitrags von SC-Initiativen vor (Abschnitt 2). Anschließend wird kurz auf die dem Beitrag zugrunde liegende Forschungsmethodik eingegangen (3) und der entwickelte, induktive Ansatz zur Quantifizierung des monetären Wertbeitrags von SC-Initiativen allgemein dargestellt (4). Dabei wird sowohl auf formal-analytische Überlegungen bezüglich der Anwendungsreichweite von SC-Initiativen als auch auf die allgemeine Struktur zur Überführung der Werttreiber der SC-Initiative in eine geeignete Messgröße eingegangen. Nachfolgend werden die beschriebenen Überlegungen im Rahmen eines Fallbeispiels anschaulich dargestellt, analysiert und diskutiert (5). Der Beitrag schließt mit einer kritischen Hinterfragung des entwickelten Vorgehens und dem Aufzeigen des weiteren Forschungsbedarfs (6).
2
Stand der Forschung
Grundsätzlich ist die Messung der Leistungsfähigkeit im Sinne von Effizienz und Effektivität für jedes Unternehmen von Bedeutung, da sie das Verständnis für die eigenen Prozesse fördert und die Wettbewerbsfähigkeit steigert (vgl. Fawcett/Cooper, 1998, S. 341). Damit wird es vor dem Hintergrund von SCM notwendig, diese Messung auch auf der Netzwerkebene durchzuführen (vgl. Theeranuphattana/Tang, 2008, S. 125). Der Forschungsbereich des Supply Chain Performance Management beschäftigt sich mit dieser Thematik, ist jedoch sowohl in der Theorie als auch in der Praxis noch nicht genügend durchleuchtet worden (vgl. Chan/Qi, 2003, S. 209; Gunasekaran et al., 2004, S. 334). Ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand kann bei GUNASEKARAN ET AL. (2004), HOLMBERG (2000), MORGAN (2004), THEERANUPHATTANA/TANG (2008) und WONG/WONG (2007) gewonnen werden.
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Wissenschaftliche Beiträge
Im Bereich des Supply Chain Performance Measurement gibt es einige Arbeiten, die sich dem Thema aus einer ganzheitlichen Sichtweise im Sinne eines strategischen Instruments zur Steuerung für das Supply Chain Management nähern (vgl. bspw. Bacher, 2004; Erdmann, 2002; Hieber, 2002). Diese Beiträge beschäftigen sich mit der Messung der Effizienz und Effektivität von SC-Initiativen aus konzeptioneller Sicht und übertragen meist bestehende Steuerungskonzepte wie die Balance Scorecard von der Akteurs- auf die Netzwerkebene. Implikationen für eine konkrete Quantifizierung der Effizienz und Effektivität erhält man daher lediglich auf konzeptioneller Ebene. Diese Beobachtung schließt auch Beiträge ein, die Implikationen für die Auswahl von Kennzahlen für ein Supply Chain Performance Measurement geben (vgl. dazu z.B. Gunasekaran, 2001; Morgan, 2004). Daneben gibt es Beiträge, die den Begriff der Performance aus wertorientierter Sicht im Sinne einer Steigerung des Unternehmenswertes durch SCM adressieren und bestehende Konzepte wertorientierter Unternehmensführung (z.B. Shareholder Value-Konzepte, Werttreiberkonzepte, etc.) auf Supply Chains anwenden. So beschäftigen sich TIMME/WILLIMAS-TIMME (2000), ELLRAM/LIU (2002) und D'AVANZO ET AL. (2003) mit der Erbringung des Nachweises des Zusammenhangs zwischen SCM und dem Börsenkurs bzw. dem Unternehmenswert. Ihre Untersuchungen adressieren die Identifizierung von Wertreibern des SCM und deren Quantifizierung. Dabei stützen sie sich auf die Auswertung und statistische Analyse historischer Daten börsennotierte Unternehmen. Damit wird lediglich der Zusammenhang zwischen Supply Chain Management und dem Unternehmenswert aufgezeigt. Eine formal-analytische Verbindung zwischen Supply Chain Management und den finanziellen Werttreibern im Sinne einer Operationalisierung wird nicht geleistet. LAMBERT/POHLEN (2001) stellen die Verbindung zwischen dem Economic Value Added (EVA), finanziellen Werttreibern und SCM für ausgewählte Prozesse (z.B. Auftragsabwicklung) her und leisten damit eine konzeptionelle Operationalisierung finanzieller Werttreiber. In diesem Zusammenhang finden sich beispielsweise bei MARBACHER (2001), JEHLE (2004) sowie PFOHL ET AL. (2003) bereits auf Werttreiberhierarchien basierende Gestaltungsempfehlungen für das Supply Chain Management. Daneben gehen erste Beiträge einen Schritt weiter und stellen eine formal-analytische Verbindung zwischen der operativen Seite des SCM und einer finanziellen Messgrösse her. HOFMANN/LOCKER (2008) verwenden in diesem Zusammenhang den Economic Value Added (EVA) als finanzielle Messgröße und identifizieren aufbauend auf einer Fallstudie sieben Kennzahlen (u.a. Lead Time, Losgröße), die sie für eine Operationalisierung des EVA nutzen. Diese Ansätze bewegen sich jedoch alle auf der Akteursebene und berücksichtigen nicht den Aspekt, dass SC-Initiativen ihre Wirkung auf unterschiedliche, interorganisatorische Beziehungen entfalten können. Die wissenschaftlichen Anstrengungen haben neben konzeptionellen Beiträgen über die Ausgestaltungformen von Supply Chain Performance Measurement und die Operationalisierung von Werttreibern auch konkrete Quantifizierungsansätze hervorgebracht. WILDEMANN (2002) stellt beispielsweise ein Instrument zur Bewertung logis-
100
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
tischer Leistungen und Kosten in der Supply Chain vor. Dabei wertet er Daten von über 500 Unternehmen aus, um damit zusammen mit unternehmensindividuellen Angaben Aussagen über Potentiale sowie über mögliche Investitionen und Cashflows treffen zu können. Er bedient sich dabei einer Abschätzung durch eine fallstudienbasierte Heuristik. GROßE-WILDE (2005) stellt einen modellbasierten Ansatz zur Analyse der Nutzeneffekte von Entscheidungen im Supply Chain Management vor. In diesem Rahmen zieht er die Veränderungen ausgewählter SC-Initiativen mit Hilfe einer Simulation quantitativ nach, die sich an den Kennzahlen Rentabilität, Einkaufs- und Lagerkosten sowie der Kapitalbindung manifestieren. Auf diese Kennzahlen gestützt werden qualitative Implikationen abgeleitet. Ein ähnlicher, simulationsgestützter Ansatz findet sich bei ZELLER (2005). Insgesamt lässt sich bei den Quantifizierungsansätzen feststellen, dass diese eine monetäre Operationalisierung des Wertbeitrags leisten. Dabei beziehen sie jedoch lediglich ein Unternehmen in die Betrachtung mit ein. Mögliche Auswirkungen bei vor- oder nachgelagerten SC-Akteuren werden nicht adressiert. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass es im Rahmen des Supply Chain Performance Measurement konzeptionelle Arbeiten gibt, die bestehende Ansätze aus der wertorientierten Unternehmensführung auf den Supply Chain-Kontext übertragen, um dadurch Implikationen über den Wertbeitrag von SC-Initiativen zu geben. Daneben gibt es Beiträge, die eine Operationalisierung der finanziellen Wertreiber auf konzeptioneller, formal-analytischer oder simulationsgestützter Weise unternehmen. Jedoch beschränken sich all diese Ansätze auf die Akteursebene. Eine Betrachtung der Auswirkungen von SC-Initiativen auf vor- oder nachgelagerte SC-Akteure bleibt aus.
3
Methodische Vorgehensweise
Die methodische Annäherung an die gestellte Problemstellung erfolgt über ein explorativ-konzeptionelles Vorgehen. Dieses empfiehlt sich gerade dann, wenn es weniger darum geht, bestehende Theorien oder Ansätze zu verifizieren, zu hinterfragen oder zu erweitern, als vielmehr neue Hypothesen und Ansätze zu erarbeiten (vgl. Reason, 2006, S. 189f.). Ausgangspunkt der explorativen Forschung ist dabei ein aus der Literatur abgeleiteter oder in der Praxis beobachteter Anfangsverdacht, auf den in der Folge entweder durch die Ableitung bestehender Theorien aus der Literatur oder durch die eigenständige Entwicklung eingegangen wird (vgl. Kaplan, 1998, S. 97). Die auf diese Art aufgestellten konzeptionellen Überlegungen gilt es, im darauf folgenden Schritt im Rahmen von Expertengesprächen, Fallbeispielen oder Tiefeninterviews einer ersten Prüfung zu unterziehen, um mögliche Schwachstellen der entwickelten Idee aufzudecken und so die aufgestellte Hypothese durch eine Berücksichtigung
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Wissenschaftliche Beiträge
möglicher Antworten auf den identifizierten Mangel robuster zu machen.3 Die beschriebenen Schritte sind mehrfach zu durchlaufen, um durch eine stetige Konkretisierung und Präzisierung der Annahmen und Lösungsvarianten zu einem Erkenntnisfortschritt zu gelangen (vgl. Meredith, 1998, S. 3f.). Diese formal-analytische Herangehensweise haben die Autoren für die beschriebene Problemstellung gewählt. Ausgehend von einer Identifikation des theoretischen Handlungsbedarfs werden die relevanten Zusammenhänge zwischen den durch die Einführung einer SC-Initiative hervorgerufenen Prozessveränderungen und dem Economic Value Added (EVA) als geeigneter Messgröße für den Wertbeitrag mathematisch beschrieben. Dabei wird sich der Werttreiber Kosten, Erlöse und Kapitalbindung, die sich in den Daten der Bilanz sowie der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) manifestieren, bedient (vgl. Ellram/Liu, 2002, S. 35; Lambert/Burduroglu, 2000, S. 10). Die Herausforderung besteht dabei vor allem darin, dem Netzwerkcharakter in den Wertschöpfungsverflechtungen Rechenschaft zu tragen (vgl. Lambert/Cooper, 2000, S. 68f.). Jeder SC-Akteur ist in ein Netzwerk aus Lieferanten und Kunden eingebunden, das eine monetäre Quantifizierung einer SC-Initiative erschwert, da sie ihre Auswirkungen in den einzelnen interorganisatorischen Beziehungen entfalten können. Darum wurde an dieser Stelle ein induktiver Ansatz gewählt, bei dem man zunächst die direkt betroffenen SC-Akteure (SC1 und SC2) individuell betrachtet und für jeden der beiden Beteiligten eine potentielle Ausdehnung der SC-Initiative auf einen spezifischen Kunden- oder Lieferantenkreis im Rahmen einer Extrapolation berücksichtigt (Akteursebene). Der Wertbeitrag der SC-Initiative wird somit vorerst für jeden der beiden beteiligten SC-Akteure unter Berücksichtigung deren individueller Einbindung in Lieferanten- und Kundennetze unter Anwendung einer Extrapolation der dyadischen Zusammenhänge bestimmt. Anschließend werden die unternehmensspezifischen Wertbeiträge addiert, um somit die gesamthafte Auswirkung in der ZuliefererAbnehmer-Beziehung monetär auszudrücken (Dyadische Beziehung). Damit wird die Wirkreichweite der SC-Initiative auf die Beschaffungs- und Distributionsseite der beiden direkt beteiligten SC-Akteure SC1 und SC2 bei der Quantifizierung des gesamten Wertbeitrags mit einbezogen (vgl. Abb. 1).4
3 4
102
Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Förderagentur für Innovation (KTI). Vgl. http://www.kti-cti.ch. Würde man darüber hinaus einen dritten SC-Akteur, wie beispielsweise einen Kunden von SC-Akteur SC2, als weiteres direkt betroffenes Untersuchungsobjekt hinzunehmen und dessen Wertbeitrag analysieren, so befände man sich bereits auf der Netzwerkebene.
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
Abbildung 1: Die Akteursebene als Ausgangspunkt für die monetäre Quantifizierung von SC-Initiativen bei Zulieferer-Abnehmer-Beziehungen Dyadische Betrachtung
Akteursebene
Extrapolation SC-Akteur 1
Extrapolation SC-Akteur 1
An
A'n … …
……
A3
A3
A'3
A2
A'2
A2 L1
An
… …
A1
SC 1 = SC-Akteur 1
A'1
L1
A 1 = SC2 = Akteur 2
SC1 = SC-Akteur 1 L2
L2
L'2
L3
L3
L'3
… … Ln
……
……
Ln
L'n
Extrapolation SC-Akteur 2
L1…n = Lieferanten des SC -Akteurs 1 A1…n = Abnehmer des SC -Akteurs 1 L'1 …n = Lieferanten des SC -Akteurs 2 A'1 …n = Abnehmer des SC -Akteurs 2
4
Monetäre Quantifizierung des Wertbeitrags
Nachfolgend wird der entwickelte Quantifizierungsansatz allgemein für einen SCAkteur aufgezeigt. Durch die induktive Herangehensweise lässt sich der vorgestellte Ansatz auf alle von einer SC-Initiative betroffenen SC-Akteure analog übertragen. Als Ausgangspunkt für die Quantifizierung dienen Daten aus der Bilanz sowie der GuV des zu analysierenden SC-Akteurs, da die durch die Einführung einer SC-Initiative hervorgerufenen Prozessveränderungen sich in diesen monetär manifestieren (vgl. Ellram/Liu, 2002, S. 35; Lambert/Burduroglu, 2000, S. 10). Um die prozentualen Veränderungen bei den einzelnen Bilanz- und GuV-Grössen adäquat zu strukturieren und Anknüpfungspunkte für folgende Erweiterungen zu geben, wird eine Tabelle aufgespannt, die sich zunächst in vertikaler Richtung an den Prozessen des zu untersuchenden Unternehmens orientiert (vgl. Tab. 1). Die Einteilung der Prozesse ist dabei an das SCOR-Modell des Supply Chain Council angelehnt und beinhaltet die Aktivitäten der Beschaffung, der Produktion, der Distribution sowie deren zugrunde liegende Planaufgaben (vgl. SCOR, 2006). In Abhängigkeit der funktionsspezifischen Ausgestaltung des Unternehmens lassen sich bis zu 80 Prozessschritte unterscheiden. Aus Übersichtlichkeitsgründen wurde eine Gruppierung von insgesamt elf Prozessschritten gewählt, die grundsätzlich beliebig erweiterbar oder
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Wissenschaftliche Beiträge
konsolidierbar ist. In der ersten Spalte finden sich die in der Nomenklatur des SCORModells ausgedrückten Prozessschritte, die unter die jeweilige Konsolidierung fallen.5 In horizontaler Richtung sind die ausgewählten Bilanzpositionen Warenbestand an Roh- und Betriebsstoffen, an Halb- sowie an Fertigfabrikaten, Forderungen und Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen (LuL), Immobilien sowie Mobilien aufgelistet (vgl. Roztocki/Needy, 1999, S. 17ff.). Daran schließen sich Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung an, um Auswirkungen auf spezifische Kosten und die Erlöse zu erfassen (vgl. Koltai et al., 2000, S. 1615ff.).6 Um die nachfolgenden Erläuterungen zu vereinfachen, wird an dieser Stelle der Operand q = 1, …, 12 eingeführt, der sich auf die Größen der Bilanz und der GuV bezieht (Warenbestand an Rohund Betriebsstoffen ≡ 1, usw.).7 Die hervorgerufenen Veränderungen bei den Bilanz- und GuV-Größen auf der jeweiligen Prozessstufe (p = 1, …, 11) erhält man beispielsweise durch Abschätzungen im Rahmen von Expertengesprächen oder durch den Aufbau einer Simulation, in der man die Prozesse des Unternehmens und die Schnittstellen zu dessen vor- und nachgelagerten SC-Akteuren abbildet. In beiden Fällen ist darauf zu achten, dass die Auswirkungen einen einmaligen (e) oder kontinuierlichem (k) Charakter haben können. Diesem Umstand wird dadurch Rechenschaft getragen, dass in der vorgestellten Struktur bei jeder Prozess-/Bilanz-Größen- bzw. Prozess-/GuV-Größen-Kombination diese beiden Ausprägungsformen differenziert betrachtet werden. Tabelle 1 lässt sich mit den beiden 11x12-Matrizen Ase und Ask mit den Elementen asepq und askpq mit p=1,…,12 und q=1,…,11 mathematisch darstellen (vgl. Gl. 1). Die Matrix Ase beinhaltet mit ihren Elementen asepq die relativen Auswirkungen der Beschaffungsseite (Index s), die einmaligen Charakter (Index e) haben; Matrix Ask diejenigen mit einem kontinuierlich wiederkehrendem (Index k). Für die Distributionsseite (Index d) werden analog die beiden Matrizen Ade und Adk eingeführt.
§ a se11 ... a se p1 · ¨ ¸ A = ¨ ... ... ¸ ¨ a se1q ... a se pq ¸ © ¹ se
5 6
7
104
und
§ a sk 11 ... a sk p1 · ¨ ¸ A = ¨ ... ... ¸ ¨ a sk1q ... a sk pq ¸ © ¹ sk
(1)
Der Return-Prozess wurde gänzlich nicht berücksichtigt, kann jedoch bei Bedarf ebenfalls in den Quantifizierungsansatz integriert werden. Die Veränderungen bei Materialkosten fließen an dieser Stelle in die Bilanzgröße Warenbestand an Roh- und Betriebsstoffen da, da sich darin die von Lieferanten bezogenen, zu Einstandspreisen bewerteten Materialen befinden. Alternativ zu den gewählten 12 Bilanz- und GuV-Größen könnte man an dieser Stelle auch eine detailliertere oder konsolidiertere Unterscheidung wählen.
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
P2, Sx.1, ES.1-10 Sx.2/3 Sx.4 Sx.5
k
e
k
e
k
k
k
e
k
e
k
e
k
e
k
e
k
12. Erlöswirkung
11. Administrative und sonst. Kosten
10. Transportkosten
Lagerhaltungskosten 9.
8.
Lohnkosten
Fahrzeuge und sonstige Mobilien
Liegenschaften und Grundstücke
e
7.
5.
e
6.
Verbindlichkeiten aus LuL
Forderungen aus LuL
e
Beschaffung (B.)
% % % % % % % % % % % % % % % % % % % % % % % %
1. Planung und Steuerung (B.)
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
4. Lieferantenzahlung
e
4.
Prozesse
2. Wareneingang (inkl. Lager) 3. Transportaktivitäten (B.)
k
3.
Warenbestand WIP 2.
1.
SCOR
Warenbestand an Fertigprodukten
Prozessorientierte Struktur zur Erfassung der Auswirkungen von SC-Initiativen auf Bilanz- und GuV-Größen Warenbestand an Roh- und Betriebsstoffen
Tabelle 1:
e
k
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
Produktion (P.)
PM, Mx.1/2, EM.1-10 Mx.3/4 Mx.5-7
5. Planung und Steuerung (P.) 6. Produktion und Verpackung 7. Transportaktivitäten (P.)
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
Distribution (D.)
PD, Dx.1-7, ED.1-9
8. Planung und Steuerung (D.)
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
Dx.8-11
9. Warenausgang
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
Dx.12 Dx.13-15
10. Transportaktivitäten (D.). 11. Abfertigung beim Kunden
… … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … … …
e = einmalig, k =kontinuierlich
Grundsätzlich werden durch SC-Initiativen in Bezug auf ihre Eignung unterschiedliche Produktgruppen, z.B. hinsichtlich des Umsatzbeitrags (ABC-Produkte) oder der Verbrauchsstruktur (RSU-Produkte), adressiert (vgl. Pfohl, 2004, S. 141f.). Deshalb lässt sich in Bezug auf die Anwendung von SC-Initiativen und deren Auswirkungen eine Differenzierung nach Produkten vertreten (vgl. Otto, 2002, S. 179f.). Aus diesem Grund wird an dieser Stelle eine differenzierte Betrachtung der Auswirkungen eingeführt, die sich an drei in Abhängigkeit der SC-Initiative zu bildenden Produktgruppen
105
Wissenschaftliche Beiträge
orientiert.8 Dabei ist zu beachten, dass die Bildung von Produktgruppen auf der Beschaffungs- und Distributionsseite nach unterschiedlichen Kriterien erfolgen kann. Den drei Produktgruppen werden an dieser Stelle die Indize I, II und III zugeordnet, so dass für die Elemente der Matrizen aus Gl. (1) nun gilt (Distributionsseite analog):9 T
a sepq = (a sepq I
a sepq II
T
a sepq III )
a skpq = (a skpq I
a skpq II
a skpq III )
(2)
Im nächsten Schritt wird diese Darstellung komprimiert, indem für jede Bilanz- und GuV-Größe separat die Summe über alle Prozessschritte p = 1, …, 11 gebildet und diese mit den absoluten Werten Bq aus der Bilanz und der GuV multipliziert wird. Damit erhält man die beiden Vektoren bse und bsk, welche die absoluten Auswirkungen der untersuchten SC-Initiative mit einmaligem und kontinuierlichen Charakter bezogen auf die jeweiligen Bilanz- und GuV-Größen unter Berücksichtigung der drei Produktgruppen abbilden (vgl. Gl. 3 und 4). T
b se = (b1se
b2se
b4se
11
bqse = ( Bq ⋅ ¦ a sep1I T
mit
p =1
T
b sk = (b1sk
b2sk
b3sk 11
b4sk
bqsk = ( Bq ⋅ ¦ a skp1I T
mit
b3se
p =1
b5se
b6se 11
Bq ⋅ ¦ a sep1II p =1
b5sk
b6sk 11
Bq ⋅ ¦ a skp1II p =1
b7se
b8se
b9se
b10se
b11se
11
Bq ⋅ ¦ a sep1III ) = (bqse
I
b12se ) bqse
II
(3)
bqse
III
)
p =1
b7sk
b8sk
b9sk
b10sk
b11sk
11
Bq ⋅ ¦ a skp1III ) = (bqsk
I
b12sk ) bqsk
II
(4)
bqsk
III
)
p =1
Da sich die bis zu diesem Schritt erfassten Veränderungen lediglich auf einen spezifischen Lieferanten bzw. Kunden beziehen, gilt es nachfolgend, die individuelle Wirkreichweite der SC-Initiative zu berücksichtigen. Dazu wird der Kunden- bzw. Lieferantenkreis, auf den sich die betrachtete SC-Initiative potentiell übertragen lässt, in Betracht gezogen. Grundsätzlich können sowohl ganzhafte Ansätze des SCM, wie beispielsweise eine Just-in-Time-Belieferung oder ein Vendor Managed Inventory, als auch einzelne Maßnahmenbündel oder Bestandteile aus diesen Ansätzen unter den besagten SC-Initiativen verstanden werden (vgl. Heusler, 2004, S.95ff.). Voraussetzung dafür ist, die zu quantifizierende SC-Initiative zu Beginn durch eine genaue Definition 8
9
Grundsätzlich können auch weniger oder mehr als drei Produktgruppen gebildet werden. Da sich jedoch gängige Produkteinteilungen an der Bildung von drei Gruppen orientieren (z.B. ABC- oder RSU-Produkte), erfolgt an dieser Stelle ebenfalls eine differenzierte Betrachtung von drei Segmenten. Vgl. dazu Pfohl (2004), S. 141. Durch die differenzierte Darstellungsweise lassen sich einzelne Veränderungen detaillierter abbilden. So entspräche beispielsweise eine dauerhafte Reduktion des Warenbestandes an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen (q=1) im Wareneingangslager (p=2) um 10% bei Produktgruppe I der Darstellung: T
sk a21 = (0,1 0 0)
106
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
und Charakterisierung möglichst präzise abzugrenzen. Dieser Schritt ist erforderlich, da die SC-Initiative je nach Ausgestaltung und Beschaffenheit eine spezifische Wirkreichweite entwickelt, die es bei der nachfolgenden Quantifizierung zu berücksichtigen gilt und den gesamten, potentiell erzielbaren Wertbeitrag beeinflusst.10 Das Spektrum der Reichweite reicht von allgemeinen SC-Initiativen (z.B. Interaktionsstandards), die sich auf einen großen Kunden- oder Lieferantenkreis ausdehnen lassen, bis hin zu bilateralen Sonderfällen, die nur für eine spezifische Zulieferer-Abnehmer-Beziehung Gültigkeit haben. So lässt sich beispielsweise auf der einen Seite die Einführung und Anbindung eines Lieferanten an ein EDI-System auch auf weitere Lieferanten ausdehnen, um damit den monetären Nutzen zu erhöhen und die Investitionskosten schneller zu amortisieren. Auf der anderen Seite ist es beispielsweise schwierig, spezifische Einzellösungen auf andere Lieferanten zu übertragen, da dabei ein spezifisches Knowhow vorausgesetzt werden muss. Auf Basis dieser Überlegungen lässt sich die bisherige differenzierte Betrachtung der SC-Initiative neben der Produkt- um eine Akteursdimension erweitern. Abbildung 2 stellt die Supply- und die Demand-Side eines SC-Akteurs dar. Auf beiden Seiten wird jeweils durch die Akteurs- und die Produktdimension ein Quader aus neun Segmenten aufgespannt. In vertikaler Richtung findet eine Segmentierung der jeweiligen Akteure in drei Stufen statt. Die erste Stufe beinhaltet den spezifischen Abnehmer 1 bzw. Lieferant 1, von dem aus die monetär quantifizierten Auswirkungen einer konkreten SC-Initiative auf einen größeren Akteurskreis übertragen werden können. Dazu befinden sich auf der zweiten Stufe solche Akteure, die über ähnliche Merkmale, wie der Abnehmer 1 bzw. der Lieferant 1 verfügen. Die Ausprägung der Merkmale ist individuell auf die zu untersuchende SC-Initiative abzustimmen und kann beispielsweise auf geographischen Aspekten oder dem Beschaffungsvolumen (A, B und C Lieferanten) beruhen. Die dritte Stufe umfasst alle restlichen Kunden bzw. Lieferanten. Die Segmentierung der Produkte verläuft in horizontaler Richtung und beinhaltet eine differenzierte Betrachtung der vom SC-Akteur bezogenen Input- und vertriebenen Outputgüter. Neben der Segmentierung der Akteure findet sich die bereits getätigte Differenzierung hinsichtlich der drei Produktgruppen I, II und III in Abbildung 2 wieder. So wurde an dieser Stelle bei den Inputgütern eine Unterteilung in Bezug auf die Prognosegenauigkeit des Bedarfs (RSU-Analyse) und bei den Outputgütern in Anlehnung an den Umsatzbeitrag (ABC-Analyse) beispielhaft gewählt (vgl. Pfohl, 2004, S. 141f.).11 Auf diesen Überlegungen aufbauend lässt sich die Beschaffungsseite des betrachteten SC-Akteurs durch die 3 x 3-Matrix S mit den Elementen sij beschreiben (vgl. Gl. 5). 10
In diesem Kontext ist die Prozessgestaltung bei den SC-Akteuren im Sinne von "managed" und "non-managed process links" relevant, vgl. Lambert/Cooper, 2000, S.74f. 11 Statt einer Einteilung der Produkte anhand des Umsatzbeitrags oder der Prognosegenauigkeit sind auch weitere Differenzierungskriterien denkbar. Vergleiche dazu das 7-V Modell von Pfohl (2004), S. 141.
107
Wissenschaftliche Beiträge
§ s11 ¨ S = ¨ s21 ¨s © 31
s12 s22 s32
s13 · ¸ s23 ¸ s33 ¸¹
mit
sij = {0,1}
(5)
Die Indizes i = 1, 2, 3 beziehen sich dabei auf die Segmentzugehörigkeit bei den Lieferanten und j = 1, 2, 3 auf diejenige bei den Produkten. Die Elemente sij der Matrix nehmen dabei im Falle, dass eine Ausdehnung der SC-Initiative auf das spezifische Lieferanten-/Produktsegment möglich ist, den Wert 1 an. Andernfalls nimmt es den Wert sij = 0 an. Entscheidend ist dabei, dass sich die erste Stufe (s11, s12, s13) auf die konkrete (dyadische) Beziehung zu einem bestimmten Lieferanten bezieht, vor deren Hintergrund die SC-Initiative analysiert wird und von welcher der Gesamteffekt extrapoliert wird. Die Definition der Lieferanten- (i = 2, 3) und Produktsegmente (j = 1, 2, 3) erfolgt spezifisch auf die betrachtete SC-Initiative angepasst. Mit der Matrix S wird damit eine Abgrenzung der Wirkreichweite der SC-Initiative vorgenommen. Für die Distributionsseite erhält man analog die Matrix D mit den Elementen dnm mit n = 1, 2, 3 und m = 1, 2, 3.
Abbildung 2: Schematische Supply- und Demand-Side eines SC-Akteurs mit beispielhafter Lieferanten-Produkt- sowie Kunden-Produkt-Segmentierung
C B Stuf e 3: sonstige Kunden
Abnehmer-/Kundensegmentierung
U
Input-Güter SC-Akteur
S Stuf e 1: Lief erant 1 Stuf e 2: Ähnliche Lief eranten wie Lief erant 1
R U S
Zulieferer-/Lieferantensegmentierung
Output-Güter
Stuf e 2: Ähnliche Kunden wie Kunde 1 Stuf e 1: Kunde 1
A C B A C B A Produktsegmentierung
Demand Side des SC-Akteurs
R
Stuf e 3: sonstige Lief eranten
U S R
Produktsegmentierung
Supply Side des SC-Akteurs
Nachdem die allgemeine Wirkreichweite des SC-Konzeptes sowohl auf der Beschaffungs- als auch und Distributionsseite für den Akteur definiert wurde, kann eine Hochrechnung der in den Vektoren bse, bsk , bde und bdk ermittelten Größen erfolgen.
108
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
Dazu werden unter Berücksichtigung der gewählten Akteurs- und Produktsegmentierung eine relative Aufteilung der einzelnen Bilanz- und GuV-Größen im Rahmen der Gewichtungsmatrizen Gqs bzw. Gqd mit q = 1, …, 12 aufgestellt (vgl. Gl. 6).
§ g qs 11 ¨ Gqs = ¨ g qs 21 ¨ g qs 31 ©
g qs 13 · ¸ g qs 23 ¸ g qs 33 ¸¹
g qs 12 g qs
22
g qs
32
g qs ij
Wobei für die Elemente 1.
0 ≤ g qs ij ≤ 1
2.
¦¦ g
3
3
(6)
bzw.
weiterhin gilt:
0 ≤ g qd mn ≤ 1
bzw. 3
g qd mn
3
+ ¦¦ g qd mn = 1
s q ij
i =1 j =1
m =1 n =1
Um nun die spezifischen Gewichtungsfaktoren für die einzelnen Elemente der Vektoren bse und bsk zu erhalten, werden die Elemente der Gewichtungsmatrizen Gqs mit q = 1, …, 12 jeweils mit den Elementen der Matrix S multipliziert und entsprechend gewichtet (Vgl. Gl. 7 bis 9).
gsqs I = 1 + gsqs
II
gsqs
III
g qs
= 1+ = 1+
21
⋅ s21 + g qs g
g qs
22
s q 11
31
⋅ s31
(7)
⋅ s11
⋅ s22 + g qs
32
⋅ s32
33
⋅ s33
(8)
g qs 12 ⋅ s12 g qs
23
⋅ s23 + g qs
(9)
g qs 13 ⋅ s13
Für die Distributionsseite verläuft die Berechnung der Vektoren bde und bdk mit den beiden Matrizen Gqd und D analog. Mit den auf diese Weise bestimmten Gewichtungsfaktoren lässt sich die individuelle Übertragbarkeit von SC-Initiativen berücksichtigen. Die Gewichtungsfaktoren werden anschliessend mit den zuvor für die spezifische Zulieferer-Abnehmer Beziehung bestimmten monetären Auswirkungen multipliziert und in die Berechnungssystematik des Economic Value Added (EVA) überführt. Um die Überführung in den EVA übersichtlicher zu gestalten, werden die Bilanz- und GuV-Größen gemäss ihrer Wirkung den Werttreibern Erlöse (e), Kosten (k), Umlauf(uv) und Anlagevermögen (av) zugeordnet (vgl. Gl. 10 bis 13). Für die Auswirkungen auf der Demand Side verläuft dieser Berechnungsschritt analog.
e se =
¦
n = I , II , III
( gs12s n ⋅ b12se n )
und
e sk =
¦
n = I , II , III
( gs12s n ⋅ b12sk n )
(10)
109
Wissenschaftliche Beiträge
11
k se = ¦ (
¦
( gsqs n ⋅ bqse n ))
q =8 n = I , II , III 5
uv se = ¦ (
¦
( gsqs n ⋅ bqse n ))
¦
( gsqs n ⋅ bqse n ))
q =1 n = I , II , III 7
av se = ¦ (
q = 6 n = I , II , III
11
und
k sk = ¦ (
und
uv sk = ¦ (
und
av sk = ¦ (
¦
( gsqs n ⋅ bqsk n ))
q =8 n = I , II , III 5
¦
( gsqs n ⋅ bqsk n ))
(12)
¦
( gsqs n ⋅ bqsk n ))
(13)
q =1 n = I , II , III 7
(11)
q = 6 n = I , II , III
Die berechneten Werttreiber fließen in die Berechnung des EVA als Messgröße für den gestifteten Wertbeitrag ein. Für diese Berechnung werden der durchschnittliche Steuersatz t sowie der gewichtete Kapitalkostensatz WACC des betrachteten SC-Akteurs benötigt (zum WACC vgl. Young/O'Byrne, 2001, S.162). Um die zeitliche Dynamik bei der Wertgenerierung zu berücksichtigen, werden der Wertbeitrag mit einmaligem (EVAe) und wiederkehrendem (EVAk) Charakter getrennt bestimmt (vgl. Gl. 14 und 15).
EVAe = (1 − t ) ⋅ (e se + e de − k se − k de ) − (WACC ⋅ (uv se + uv de + av se + av de ))
(14)
EVAk = (1 − t ) ⋅ (e sk + edk − k sk − k dk ) − (WACC ⋅ (uv sk + uv dk + av sk + av dk ))
(15)
Anschliessend werden die berechneten Wertbeiträge in eine Barwertberechnung überführt (vgl. Gl. 16). Als Diskontierungsfaktor für die Zeitreihe dient der Faktor r, der sich beispielsweise an den durchschnittlichen Kapitalkosten des analysierten SC-Akteurs orientieren kann. Als zeitlicher Horizont für die Diskontierung soll eine Dauer von drei Jahren dienen.12
EVASC − Akteur1 = EVAe +
EVAd EVAd EVAd + + (1 + r )0 (1 + r )1 (1 + r ) 2
(16)
Die vorgestellte Berechnung wird für beide betroffenen Partner der Zulieferer-Abnehmer-Beziehung durchgeführt und die für die einzelnen SC-Akteure individuell berechneten Wertbeiträge anschliessend addiert, um den durch die SC-Initiative gesamthaft gestifteten Wertbeitrag zu bestimmen (vgl. Gl. 17).
EVASC − Initiative , Dyade = EVASC − Akteur1 + EVASC − Akteur 2
12
110
(17)
Grundsätzlich kann jedoch auch eine andere Zeitdauer angenommen werden. Generell gilt, je länger der Zeitraum gewählt wird, in dem sich die kontinuierlich anfallenden Auswirkungen der SC-Initiative bemerkbar machen, desto höher wird der gestiftete Wertbeitrag. Aufgrund dynamischer Wettbewerbsbedingungen, wie z.B. verändernder Kundenbedürfnisse oder neuer Technologien, wurde an dieser Stelle lediglich eine Diskontierungsperiode von drei Jahren gewählt. Vgl. zur Berechnung des Barwerts z.B. Ross/Westerfield/Jordan (2003), S. 274f.
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
5
Fallbeispiel: Differenzierte Bestandsführung im Konsignationslager eines Lieferanten der Lebensmittelindustrie
In diesem Abschnitt soll der entwickelte Quantifizierungsansatz nun exemplarisch an einem vergleichsweise überschaubaren Fallbeispiel durchgerechnet werden. Der Betrachtungsfokus wird auf eine Zulieferer-Abnehmer-Beziehung in einem SC-Ausschnitt der Lebensmittelindustrie gelegt. Die Namen der beiden beteiligten SC-Akteure werden mit Unternehmen U1 und U2 angegeben, um die Vertraulichkeiten der Daten zu gewährleisten und den vereinbarten Verschwiegenheitsvereinbarungen gerecht zu werden. Die Bilanz- und GuV-Größen werden aus dem gleichen Grund in abgewandelter Form angeführt, wobei die Proportionen der Daten untereinander unverändert bleiben, um die Aussagekraft der erarbeiteten Ergebnisse nicht zu verfälschen. Die relativen Auswirkungen der analysierten SC-Initiative werden nicht geändert.
5.1
Ausgangssituation
Der in diesem Fallbeispiel betrachtete SC-Ausschnitt fokussiert einen Verpackungshersteller (Unternehmen U2) für die Lebensmittelindustrie und dessen Lieferanten für Aluminiumfolien (Unternehmen U1). Unternehmen U2 stellt Verpackungen für flüssige und trockene Lebensmittel her. Dabei werden in den Verpackungen neben Karton und Kunststoffe auch Aluminiumfolie verarbeitet, um den physischen Eigenschaften der in der nächsten Wertschöpfungsstufe darin abgefüllten bzw. abgepackten Lebensmitteln zu entsprechen. Die verarbeitete Folie wird zu einem Teil von Unternehmen U1 bezogen. Aufgrund der langen Wiederbeschaffungszeiten, die vor allem durch die langen Lieferzeiten für Aluminiumrohbarren bedingt sind, unterhält Unternehmen U1 ein Konsignationslager bei Unternehmen U2. Die darin festgelegten Sicherheitsbestände beziehen sich auf alle Produkte, die durch unterschiedliche Formate und Stärke charakterisiert sind, gleichermaßen. Vor dem Hintergrund der steigenden Rohstoffpreise soll nun die SC-Initiative einer nachfrageorientierten Differenzierung der Bestandsführung lanciert werden, um die Sicherheitsbestände bei gleichbleibendem Lieferservice zu reduzieren.
5.2
Quantifizierung des Wertbeitrags des Supply ChainKonzepts
Nachfolgend werden die durch eine Einführung der SC-Initiative resultierenden Auswirkungen bei den beiden Unternehmen U1 und U2 zunächst getrennt voneinander erarbeitet.
111
Wissenschaftliche Beiträge
Wertbeitrag bei Unternehmen U1 (=Zulieferer) Die Bilanz und die GuV von Unternehmen U1 dienen als Ausgangspunkt für die folgende Quantifizierung des durch die Einführung einer differenzierten Bestandsführungspolitik geschaffenen monetären Wertbeitrags. Dabei stellen die in den Tabellen 2 und 3 abgebildeten Angaben lediglich einen für die anschließende Berechnung relevanten Auszug dar. Tabelle 2:
Auszug aus der Bilanz von Unternehmen U1 (Angaben in Mio. €)
Aktiva
Bilanz vom 31.12.2007
Anlagevermögen, davon Sachanlagen Umlaufvermögen, davon
300
Eigenkapital
150
20
Rückstellungen Verbindlichkeiten, davon
270
125
Roh- und Betriebsstoffe
100
80
Halbfertigfabrikate
50
5
Fertigfabrikate
60
Forderungen aus LuL
Verbindlichkeiten aus LuL Rechnungsabgrenzungsposten
50 450
Tabelle 3:
Passiva
180
450
Auszug aus der Gewinn- und Verlustrechnung des Unternehmens U1 (Umsatzkostenverfahren in Mio. €) 2006/2007
Umsatzerlöse
550
Umsatzkosten
390
davon u.a.
Materialkosten
180
Personalkosten
110
Lagerhaltungskosten
40
Transportkosten
35
Vertriebskosten
24
allgemeine Verwaltungsaufgaben
8
Bruttoergebnis vom Umsatz
160
sonstige Aufwendungen Betriebliches Ergebnis
6 122
Ergebnis vor Steuern
119
Jahresüberschuss
83
Nachfolgend werden die Auswirkungen, welche die Einführung der nachfrageorientierten Differenzierung der Sicherheitsbestände im Konsignationslager auf das Unternehmen U1 hat, erfasst: U1 stellt insgesamt 4 Produkte in dem besagten Konsignationslager bereit. Dabei wird von Produkt P1 (120cm Breite, 6μm Stärke), P2 (120cm Breite, 9μm Stärke), P3 (100cm Breite, 6μm Stärke) und P4 (100cm Breite, 9μm Stärke) jeweils ein Bestand von rund 1
112
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
Mio. Laufmetern vorgehalten, was einem Gesamtgewicht von etwa 30 Tonnen entspricht. Da es sich bei den Produkten P1 und P3 um Artikel handelt, die keinen saisonalen Schwankungen unterliegen und einen äußerst regelmäßigen Bedarf aufweisen, lässt sich deren Sicherheitsbestand von den besagten 1 Mio. Laufmetern auf 0,8 Mio. reduzieren. Bezieht man diese Zahl auf den gesamten, durchschnittlichen Warenbestand an Fertigfabrikaten von U1, so entspricht dies einer dauerhaften Reduktion von 3,0% (adk89 I = -0,03). Die Sicherheitsbestände bei den Produkten P2 und P4 bleiben aufgrund unregelmäßiger und saisonaler Nachfrage auf dem Niveau von je 1 Mio. Laufmetern.13 Mit der Reduktion des Warenbestands an Fertigfabrikaten ist eine dauerhafte Senkung der Lagerhaltungskosten14 (u.a. Versicherungsprämien, Schwund, Überalterung) verbunden. Erfahrungswerte bei U1 gehen von Einsparungen bis zu 0,5% (adk83 I = - 0,005) aus. Des Weiteren fallen in diesem Kontext einmalige Kosten durch eine intensive Abstimmung zwischen den beiden SC-Akteuren, um die Bestandsführungspolitik gemeinsam zu besprechen und anzupassen, an. Dazu sind u.a. Auswertungen historischer Verbrauchsdaten vorzunehmen. In einem weiteren Schritt müssen die zuständigen Mitarbeiter der Planung in die neue Bestandsführungspolitik eingewiesen werden. Insgesamt dürften nach Angaben von U1 einmalige Lohn- und Verwaltungskosten in Höhe von 0,02% und 0,01% (ade88 I = 0,0002, ade811 I = 0,0001) entstehen. Die geschilderten Veränderungen fließen in Form der Elemente ade88 I, ade811 I, adk89 I und adk811 I in die beiden Matrizen Ade und Adk ein. Da von keinen weiteren Veränderungen ausgegangen wird, nehmen alle anderen Elemente von Ade und Adk den Wert 0 an, so dass man durch die Addition über die einzelnen Prozessschritte p = 1, …, 11 und die anschließende Multiplikation mit den jeweiligen Bilanz- und GuV-Größen folgende Elemente erhält:15 11
b8de = ( B8 ⋅ ¦ a de p1 T
11
B8 ⋅ ¦ a de p1
I
p =1
T
p =1
11
b11de = ( B11 ⋅ ¦ a de p1 p =1
11
B8 ⋅ ¦ a de p1
II
11
I
B11 ⋅ ¦ a de p1 p =1
III
) = (0, 022 0 0)
p =1
11
II
B11 ⋅ ¦ a de p1 p =1
III
) = (0, 0027 0 0)
(18)
(19)
13
Die beiden Produkte P1 und P3 werden an dieser Stelle aufgrund ihres gemeinsamen Merkmals des regelmäßigen Bedarfs in Produktgruppe I subsumiert. P2 (saisonaler Bedarf) und P4 (unregelmäßiger Bedarf) bilden jeweils die Produktgruppen II und III. 14 Die Kapitalkosten sind an dieser Stelle nicht in den Lagerhaltungskosten enthalten. Diese werden in der Berechnungssystematik des EVA über die Veränderungen des Geschäftsvermögens abgedeckt. 15 Die Einheit der angegebenen Größen ist Millionen Euro.
113
Wissenschaftliche Beiträge
11
b9dk = ( B9 ⋅ ¦ a dk p1 T
11
I
p =1
T
p =1
11
II
p =1
11
b3dk = ( B3 ⋅ ¦ a dk p1
B9 ⋅ ¦ a dk p1 B3 ⋅ ¦ a dk p1
III
) = (−0,8 0 0)
(20)
III
) = (−7, 2 0 0)
(21)
p =1
11
I
B9 ⋅ ¦ a dk p1 11
II
p =1
B3 ⋅ ¦ a dk p1 p =1
Um eine Übertragung der SC-Initiative auf einen potentiellen Abnehmerkreis von Unternehmen U1 zu berücksichtigen, bedarf es in einem weiteren Schritt der Bestimmung der relevanten Schnittmenge bei den einzelnen Bilanz- und GuV-Größen. Als Ausgangspunkt dient dabei die Bildung von Kunden-Produkt-Segmenten, die sich an Unternehmen U2 und der dort getätigten Produktdifferenzierung orientiert. So hat Unternehmen U1 bei 3 weiteren Abnehmern (U3, U4, U5) ein Konsignationslager, bei dem sich eine nachfrageorientierte Differenzierung der Sicherheitsbestände ebenfalls einführen ließe. Die dort vorgehaltenen Bestände lassen sich ebenfalls einer RSU-Analyse unterziehen, um bei den Produkten mit regelmäßigem Bedarf eine Reduktion der Sicherheitsbestände vornehmen zu können. Damit spannt sich eine 3x3-Matrix D mit den drei Kundensegmenten Unternehmen U2 (i = 1), den Unternehmen U3, U4 und U5 (i = 2) sowie allen anderen Abnehmern von Unternehmen U1 (i = 3) auf (vgl. Gl. 22). In jedem dieser Segmente werden Produkte mit regelmäßiger (j = 1), saisonaler (j = 2) und unregelmäßiger (j = 3) Nachfrage unterschieden.
§1 0 0· ¨ ¸ D = ¨1 0 0¸ ¨0 0 0¸ © ¹
(22)
Im nächsten Berechnungsschritt werden die benötigten Gewichtungsfaktoren durch die Multiplikation der einzelnen Elemente der Gewichtungsmatrizen Gd der betroffenen Bilanz- und GuV-Größen mit denen der Matrix D multipliziert (vgl. Gl. 23 bis 26). Die einzelnen Elemente der Gewichtungsmatrizen entstammen aus einer Auswertung der Bilanz- und GuV-Größen hinsichtlich der getroffenen Kunden-Produkt-Segmentierung.
§ 0, 05 0, 03 0, 02 · ¨ ¸ G = ¨ 0,15 0,10 0, 05 ¸ ¨ 0, 40 0,13 0, 07 ¸ © ¹
und
gs3d I = 4, 0
(23)
§ 0, 08 0, 02 0, 01 · ¨ ¸ G8d = ¨ 0,19 0, 02 0, 01 ¸ ¨ 0,30 0,30 0, 07 ¸ © ¹
und
gs8d I = 3,375
(24)
§ 0, 05 0, 03 0, 02 · ¨ ¸ G9d = ¨ 0,15 0,10 0, 05 ¸ ¨ 0, 40 0,13 0, 07 ¸ © ¹
und
gs9d I = 4, 0
(25)
d 3
114
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
§ 0, 08 0, 02 0, 01 · ¨ ¸ G = ¨ 0,19 0, 02 0, 01 ¸ ¨ 0,30 0,30 0, 07 ¸ © ¹ d 11
und
gs11d I = 3,375
(26)
Mit den bestimmten Gewichtungsfaktoren lassen sich die Auswirkungen der betrachteten SC-Initiative bei Unternehmen U1 quantifizieren. Dies geschieht durch Multiplikation der betroffenen Bilanz- und GuV-Größen mit den spezifischen Gewichtungsfaktoren und den jeweiligen Elementen aus den Vektoren bde und bdk. Durch die passende Zuordnung zu den Werttreibern Erlöse, Kosten, Umlauf- und Anlagevermögen lassen sich die Zwischenergebnisse in die Berechnungssystematik des EVA einführen, so dass der einmalig sowie der kontinuierlich anfallende Wertbeitrag EVAe und EVAk bestimmt werden können (vgl. Gl. 27 bis 29).
k de = ( gs8d I ⋅ b8de I ) + ( gs11d I ⋅ b11de I ) = 3,375 ⋅ 0, 022 + 3,375 ⋅ 0, 0008 = 0, 07695 [ Mio.€]
(27)
k dk = ( gs9d I ⋅ b9dk I ) = 4, 0 ⋅ (−0, 2) = −0,8 [ Mio.€]
(28)
uv dk = ( gs11d I ⋅ b11dk I ) = 4, 0 ⋅ (−1,8) = −7, 2 [ Mio.€]
(29)
Durch die Überführung der kalkulierten Werttreiber in die Rechensystematik des EVA ergibt sich bei einem Steuersatz t von 30% und einem durchschnittlichen Kapitalkostensatz WACC von 7% ein einmaliger Wertbeitrag EVAe in Höhe von -53'671 € und ein kontinuierlicher EVAk von 1'061'983 €. Durch die Diskontierung der kontinuierlich anfallenden Wertbeitrags EVAk mit den durchschnittlichen Kapitalkosten von Unternehmen U1 über drei Jahre erhält man schließlich den durch die nachfrageorientierte Differenzierung der Sicherheitsbestände im Konsignationslager von Unternehmen U2 gestifteten gesamthaften Wertbeitrag von Unternehmen U1 in Höhe von 2'928'397 €.
Wertbeitrag bei Unternehmen U2 (= Abnehmer) Die bei U1 durchgeführte Erhebung der Bilanz- und GuV-Größen sowie die anschließende Aufstellung und Berechnung der einzelnen Matrizen und Vektoren sind grundsätzlich auch für U2 durchzuführen. Doch wurde dieser Schritt an dieser Stelle abgekürzt, da sich die Auswirkungen der betrachteten SC-Initiative bei Unternehmen U2 weitgehend auf einmalige Kosten, die durch die Überarbeitung und Anpassung der Bestandsführungspolitk entstehen, beziehen. Deren Höhe wird mit rund 0,05% der Verwaltungskosten angegeben (ase1 11 I = 0,0005). Bei Verwaltungskosten in Höhe von B11 = 12 Mio. € sowie einer potentiellen Übertragung der SC-Initiative auf den gesamten Lieferantenkreis, von dem Aluminiumfolie über ein Konsignationslager bezogen wird (40% der Verwaltungskosten entfallen auf die Beschaffung, davon 50% auf den relevanten Lieferantenkreis) ergeben sich insgesamt einmalige Kosten in Höhe von 12'000 €. Unter der Berücksichtigung eines Steuersatzes von t = 28% und durchschnittlicher Kapitalkosten von WACC = 6,5% lässt sich
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Wissenschaftliche Beiträge
der einmalige Wertbeitrag in Höhe von EVAe = -8'640 € bestimmen. Aufgrund des ausschließlich einmaligen Charakters der Auswirkungen entfällt eine Diskontierung, so dass für U2 ein Wertbeitrag von -8‘640 € entsteht.
Gesamter Wertbeitrag des SC-Ausschnitts Durch die Addition der bei den beiden SC-Akteuren gestifteten Wertbeiträge lässt sich die gesamthafte, monetäre Auswirkung der bestandsorientierten Differenzierung der Bestandsführung in den Konsignationslagern, die sowohl Unternehmen U1 bei seinen Kunden unterhält als auch Unternehmen U2 von seinen Lieferanten unterhalten lässt, quantifizieren. Der potentielle Wertbeitrag liegt bei 2'928'397 €. Man kann aus diesem Fallbeispiel ersehen, dass die monetäre Auswirkung einseitig auf der Lieferantenseite, d.h. bei U1, liegt. Für U2 ist eine tatsächliche Realisierung aus diesem Grunde vergleichsweise unattraktiv, es sei denn, die beiden SC-Akteure würden sich im Rahmen von bilateralen Verhandlungen entsprechend einigen. So wäre es beispielsweise denkbar, dass Unternehmen U1 bei den von der Reduktion betroffenen Produkten Unternehmen U2 eine Senkung des Einstandspreises zugesteht, um so einen Teil der eingesparten Kapitalkosten weitergibt. Bei dieser Überlegung ist jedoch wiederum zu beachten, dass die ermittelten Wertbeiträge jeweils eine Ausdehnung der SC-Initiative auf einen spezifischen Lieferanten- und/oder Kundenkreis der beiden SC-Akteure berücksichtigen.
6
Kritische Würdigung
Nach der exemplarischen Darstellung des entwickelten Quantifizierungsansatzes wird nachfolgend vor der abschließenden Zusammenfassung eine kritische Würdigung der erarbeiteten Ergebnisse in Form einer konzentrierten Auflistung des Erkenntnisfortschritts und eines Ausblicks für weiteren Forschungsbedarf vorgenommen.
6.1
Erarbeitete Resultate
Mit dem vorgestellten Quantifizierungsansatz für den monetären Wertbeitrag werden vor allem zwei konkrete Forschungsbeiträge geleistet: 1.
116
Es wird ein Strukturierungsraster für die Auswirkungen von SC-Initiativen entwickelt, das sich den SCOR-Prozessen auf der einen sowie Bilanz- und GuV-Größen auf der anderen Seite bedient. Diese Strukturierung lässt sich dabei in ihrem Detaillierungs- und Ausgestaltungsgrad beliebig an die individuellen Bedürfnisse eines Unternehmens anpassen. Neben der Flexibilität der Struktur werden auch Anknüpfungspunkte für weiteren Forschungsbedarf gegeben, die an einer weiteren Operationalisierung der Wertreiber und der instrumentellen Bestimmung der Auswirkungen von SC-Initiativen ansetzen
Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
können. Diese Ergebnisse lassen sich einfach in die vorgestellte Struktur integrieren. 2.
6.2
Der induktive Quantifizierungsansatz bietet mit der integrierten Extrapolation eine Lösungsmöglichkeit, wie man mit der Herausforderung umgeht, dass sich SC-Initiativen bei den direkt beteiligten SC-Akteuren individuell auf deren Kunden- und Lieferantenkreis auswirken und übertragen lassen.
Grenzen des dargestellten Quantifizierungsansatzes
Der dargestellte Quantifizierungsansatz lässt Raum für Ergänzungen und weiteren Forschungsbedarf. An dieser Stelle soll auf drei wesentliche Punkte eingegangen werden. Die Tatsache, dass die Auswirkungen der SC-Initiativen im Rahmen von Expertengesprächen geschätzt werden und auf Erfahrungsschatz beruhen, dient sicherlich nicht der Präzession der generierten Ergebnisse. Jedoch wurde in das entwickelte Strukturierungsraster eine Prozessperspektive integriert, um einen Anknüpfungspunkt für Supply Chain-Simulationsmodelle zu schaffen. Die Simulation der durch konkrete SC-Initiativen verursachten operativen Veränderungen im Rahmen eines solches Modells und die anschließende Überführung in das entwickelte Strukturierungsraster und die Matrizen Ase, Ask, Ade und Adk sollte gerade bei den Bilanzgrößen fundiertere Angaben schaffen. Des Weiteren ist die durch die induktive Vorgehensweise notwendige Hochrechnung von Gewichtungsfaktoren abhängig, deren Detaillierungsgrad gerade in der Praxis oft nicht abbildbar ist. Diesem Umstand kann man dadurch Abhilfe schaffen, dass bei der Extrapolation nicht für jede einzelne Bilanz- und GuV-Größe ein spezifischer Gewichtungsfaktor herangezogen wird, sondern stellenweise die gleichen verwendet werden. So lässt sich beispielsweise das Beschaffungsvolumen als Grundlage für die Zuteilung relevanter Bilanz- und GuV-Größen auf spezifische Lieferanten-Produkt-Segmente auf der Beschaffungsseite heranziehen. Dieses pragmatische Vorgehen dient an dieser Stelle zwar der Praktikabilität, reduziert jedoch die Aussagekraft des Ergebnisses. Schließlich wurde im Rahmen des vorgestellten Quantifizierungsansatzes die mögliche Verteilung des insgesamt durch die Umsetzung der untersuchten SC-Initiativen generierten Wertbeitrags auf die beteiligten SC-Akteure ausgeklammert. Dieser Aspekt ist stark vom individuellen Charakter der Supply Chain und deren Akteuren abhängig und wird vom interorganisatorischen Machtgefälle und Vertrauen geprägt (vgl. Berndt, 2003, S. 66f). An dieser Stelle wird wiederum der induktive Charakter des Quantifizierungsansatzes deutlich. Denn so findet die Berechnung im Kontext einer dyadischen Betrachtung einer Zulieferer-Abnehmer-Beziehung statt, in der lediglich über die direkt mit dem anderen Akteur verbundene Kosten- und Erlösstruktur ein verhältnismäßig hoher Grad an Transparenz herrscht. Über die Auswirkungen auf die Kosten und Erlöse, die der eine Akteur mit seinen anderen Lieferanten oder Kunden
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Wissenschaftliche Beiträge
im Rahmen der Ausdehnung der SC-Initiative einsparen oder generieren würde, bleibt der jeweils andere Akteur im Unklaren. Damit wird eine Schwäche des Ansatzes deutlich, die darin liegt, dass die induktive Berechnungsgrundlage für den Wertbeitrag die Dyade ist, während die intraorganisatorische Entscheidungsgrundlage für eine Implementierung in einer Netzwerkbetrachtung liegt. Die damit verbundene Intransparenz zwischen den Akteuren vergrößert die Bedeutung des interorganisatorischen Vertrauens bei Verhandlungen über eine mögliche Umsetzung und die Verteilung des gestifteten Wertbeitrags. So stellen die Verwertung der aus der Quantifizierung gewonnenen Ergebnisse und die anschließende Gestaltung der interorganisatorischen Gespräche über eine Implementierung Bedarf für weiterführende Untersuchungen dar.
7
Zusammenfassende Darstellung
In diesem Beitrag wird auf konzeptionellem Wege ein induktiver Ansatz zur Quantifizierung des durch eine beliebige SC-Initiative gestifteten Wertbeitrags vorgestellt und anhand eines Fallbeispiels verdeutlicht. Die beiden wesentlichen Ausgangspunkte der Betrachtung sind zum einen eine prozessorientierte Erfassung der relativen Auswirkungen der SC-Initiative auf die beteiligten SC-Akteure, die sich jeweils an den relevanten Größen der Bilanz und GuV orientiert. Damit wird eine Anschlussfähigkeit an weitere mögliche Arbeiten gewährleistet, die beispielsweise bei der Simulation und Messung der durch die SC-Initiative verursachten Prozessveränderungen ansetzen. Zum anderen verfolgt der vorgestellte Ansatz ein induktives Vorgehen, in dessen Rahmen von einer spezifischen Zulieferer-Abnehmer-Beziehung ausgegangen und der gestiftete Wertbeitrag quantifiziert wird. Die anschließende Extrapolation auf einen erweiterten Lieferanten- oder Kundenkreis sowie eine spezifische Produktgruppe bedarf eine präzise Definition der potentiellen Ausdehnbarkeit des Konzepts. Für die Hochrechnung auf den gesamten Wertbeitrag werden spezifische Gewichtungsmatrizen verwendet, die sich an den Bilanz- und GuV-Größen orientieren. Die Ausgestaltung dieser Gewichtung ist dabei individuell an den gewünschten Detaillierungsgrad und die vorhandene Datenlage anpassbar. Gemessen wird der gestiftete Wertbeitrag am Economic Value Added (EVA). Aufgrund der zeitlichen Dynamik der Auswirkungen wird bei der Quantifizierung zwischen einmaligen und kontinuierlichen Effekten unterschieden, um eine Barwert-Betrachtung vollziehen zu können. Weitere Forschungsanstrengungen sollten an der instrumentellen (z.B. Simulation gestützten) Bestimmung der operativen Veränderungen von SC-Initiativen ansetzen, um damit den Genauigkeitsgrad der verarbeiteten Daten zu erhöhen. In diesem Kontext nimmt die Bestimmung der Erlöswirkung von SC-Initiativen aufgrund des qualitativen Charakters des Ursache-Wirkung-Zusammenhangs zwischen dem Liefer-
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Quantifizierung des Wertbeitrags von Supply Chain-Initiativen
service und der Kundenzufriedenheit eine besondere Rolle ein (vgl. z.B. Ballou, 2006, S. 22f).
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Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken mit Hilfe von Lieferzeitabweichungen
Prof. Dr. Udo Buscher und Dr. Andreas Wels
Abstract Die zunehmende Bedeutung der Beschaffung auf den Unternehmenserfolg führt auch zu einer steigenden Wahrnehmung der impliziten Beschaffungsrisiken. Verschiedene Entwicklungen im Management von Lieferketten sorgen für einen Anstieg der Anzahl der möglichen Risiken. Besonders anspruchsvoll gestaltet sich die Aufgabe der Risikoquantifizierung. Dafür müssen zunächst die Anforderungen an eine geeignete Methode geklärt werden. Außerdem ist nach einer entsprechenden Modellvariable zu suchen, wobei an dieser Stelle die Lieferzeitabweichung als besonders geeignet angesehen wird. Anschließend erfolgt die Vorstellung eines Verfahrens, welches eine Quantifizierung von Lieferzeitabweichung für beliebig strukturierte Supply Chains ermöglicht. Ein Vergleich mit den definierten Bewertungskriterien unterstreicht die Eignung der entwickelten Methode.
1
Einleitung
Seit geraumer Zeit lässt sich feststellen, dass die Wertschöpfungsquoten im produzierenden Gewerbe sinken und damit der Anteil der Leistungen ansteigt, der von vorgelagerten Wertschöpfungsstufen beschafft werden muss. Mithin erhöhen sich auch die Bedeutung und damit der Einfluss der Beschaffung auf den Unternehmenserfolg. Durch eine effiziente Beschaffung und einen entsprechend reibungslos funktionierenden Beschaffungsprozess können demzufolge Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenzunternehmen erzielt werden (Müller, 2004, S. 7f.). Die Beschaffung unterliegt aber auch einer Reihe von Risiken. Zu ihrer Kontrolle und Beherrschung werden partnerschaftliche Kooperationsformen mit ausgewählten Lieferanten initiiert. Gleichwohl können Beschaffungsprobleme des Lieferanten zu Versorgungsengpässen bei dessen Abnehmern führen. In einem erweiterten Blickwinkel geht es damit nicht ausschließlich um die direkte Zulieferer-Abnehmer-Beziehung, sondern darum, Unter-
Wissenschaftliche Beiträge
brechungen entlang der gesamten Versorgungskette (Supply Chain) zu verhindern. Empirischen Untersuchungen zufolge führen Unterbrechungen sowohl kurz- als auch langfristig zu (sehr) negativen Entwicklungen im Hinblick auf den Börsenwert der in der Supply Chain agierenden Unternehmen (Hendricks/Singhal 2005, S. 42; Hendricks/Singhal 2003, S. 510). Die Sicherstellung eines unterbrechungsfreien Materialflusses entlang der Versorgungskette stellt eine wichtige Aufgabe des Supply Chain (Risiko-)Managements (SCRM) dar. Aktuelle Entwicklungen lassen eine Zunahme der Beschaffungsrisiken entlang der Supply Chain (SC) erkennen (Wu/Blachurst/Chidambaram 2006, S. 350). Ein wesentlicher Grund für den Anstieg des Unterbrechungsrisikos ist in der steigenden Komplexität real existierender SC zu sehen. Die stärkere Vernetzung über alle Wertschöpfungsstufen hinweg hat sehr umfangreiche, schwer zu managende Lieferketten zur Folge (Harland/Brenchley/Walker 2003, S. 51; Jüttner/Peck/Christopher 2003, S. 203). Hierbei erhöht sich auch die Vielfalt der möglichen Risiken, so dass eine detaillierte Untersuchung aller möglichen Beschaffungsrisiken (ursachenbezogene Risikobetrachtung) nicht möglich ist. Vielmehr erscheint es zweckmäßig, eine aggregierte Sichtweise zu wählen, die einen Überblick über das insgesamt vorliegende Risiko vermittelt (wirkungsbezogene Risikobetrachtung).1 Mithin ist eine Kennziffer wünschenswert, die eine Vielzahl von Informationen bündelt und den strukturellen Besonderheiten der betrachteten Problemstellung Rechnung trägt. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags wird die Lieferzeitabweichung (LZA) als eine solche geeignete Größe gewählt. Eine besondere Schwierigkeit stellt die Quantifizierung von Beschaffungsrisiken dar. Bei der Betrachtung von ganzen SC erhöht sich der Schwierigkeitsgrad für diesen Prozessschritt noch einmal deutlich. Aus diesem Grund ist neben der Identifizierung einer geeigneten Kennziffer auch ein Verfahren zu entwickeln, welches eine Quantifizierung der gewünschten Größe im Rahmen eines SCRM unterstützt. Aufgrund der Komplexität der Problemstellung2 stellt diese Aufgabe eine große Herausforderung dar. Der Aufbau des Beitrages ist wie folgt. Zunächst werden im Abschnitt 2 Entwicklungen im Supply Chain Management (SCM) aufgeführt, die zu einem Anstieg der auftretenden Risiken führen. Dabei stellt sich heraus, dass die Beschaffungsrisiken besonders schwer zu beherrschen sind. Anschließend werden in Abschnitt 3 Anforderungen an eine Risikoquantifizierung im Rahmen des SCM diskutiert. Außerdem thematisiert dieser Abschnitt die Definition der LZA und deren Eignung für Risikoanalysen. Zudem wird ein Weg aufgezeigt, wie sich die LZA quantifizieren lässt, was durch ein
1
Gleichzeitig sollten besonders schwerwiegende Risiken identifiziert und separat betrachtet werden.
2
SC der betrieblichen Praxis erstrecken sich über viele Wertschöpfungsstufen. Außerdem bestehen zwischen den SC-Partnern zahlreiche Abhängigkeiten, welche in einer adäquaten Risikobetrachtung berücksichtigt werden müssen.
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Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
anschließendes Beispiel illustriert wird. Eine Zusammenfassung und ein Ausblick beschließen diesen Beitrag.
2
Erhöhte Risiken in der Supply Chain durch veränderte Beschaffungsprozesse
Wesentliche Trends in der Beschaffung sind die Globalisierung des Beschaffungsmarktes, Standardisierungsbestrebungen von Teilen und Modulen, Verantwortungsverlagerung auf Lieferanten und Preisdruck (Schmitz, 2004, S. B2-7). Die Erschließung zusätzlicher Beschaffungsmärkte firmiert unter dem Begriff Global Sourcing. Ein wesentliches hiermit verbundenes Ziel besteht darin, den Einkaufspreis zu senken. Diesem Vorteil stehen zusätzliche Aufwendungen gegenüber, um bspw. Kultur- und Sprachbarrieren zu überwinden, Transportrisiken zu minimieren und Qualitätszusagen sicherzustellen. Mitunter entstehen hierdurch sehr komplexe logistische Versorgungsketten bzw. -netzwerke mit den entsprechenden Risiken. Die Netzwerkkomplexität wird weiter durch den Trend zur Auslagerung bestimmter Prozesse (Outsourcing) verstärkt (Norrman/Jansson, 2004, S. 434). Viele Unternehmen lagern Tätigkeiten, welche nicht zu deren Kernkompetenzen zählen, an andere Unternehmen aus. Hierdurch erhöht sich sowohl die Anzahl der Wertschöpfungsstufen als auch die Anzahl der Elemente, welche sich auf den einzelnen Wertschöpfungsstufen befinden. Um den bestehenden komplexen Beziehungsstrukturen auf der Lieferantenseite entgegenzuwirken, wird versucht die Lieferantenbasis zu reduzieren (Norrman/ Jansson 2004, S. 434; Hallikas/Virolainen/Tuominen 2002, S. 3525; Sheffi 2001, S. 2). Die Reduzierung der Anzahl der klassischen Teilelieferanten geht häufig mit einer steigenden Anzahl von Systemlieferanten einher. Dem Vorteil einer geringeren Beziehungskomplexität steht jedoch ein stärkeres Abhängigkeitsverhältnis vom einzelnen Lieferanten gegenüber. So führt bspw. der Ausfall eines Lieferanten mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer Unterbrechung der Lieferkette, als wenn auf einen größeren Lieferantenpool zurückgegriffen werden kann. Der große Preisdruck gebietet es, alle Prozesse auf Effizienz zu prüfen. Dabei entstehen Lieferketten, welche unter dem Begriff „lean“ zusammengefasst werden. Nach einer einfachen Umschreibung dieses Begriffes soll die Abwicklung aller notwendigen Prozesse so günstig wie möglich ablaufen. Ein wesentlicher Aspekt ist hierbei die nachhaltige Reduzierung der vorgehaltenen Lagerbestände (Norrman/Jansson, 2004, S. 434). Geringe Lagerbestände erhöhen aber die Gefahr, dass bei ungeplanten Vorkommnissen der Material- und Güterfluss unterbrochen wird. Insgesamt gesehen haben wesentliche Trends in der Beschaffung dazu geführt, dass reale SC komplexer und mit mehr Risiken und Abhängigkeiten durchsetzt sind als je zuvor (Jüttner, 2003, S. 788; Christopher/Peck, 2004, S. 16).
127
Wissenschaftliche Beiträge
In der SC existieren viele Risiken, welche die Performance des Liefernetzwerks stark beeinflussen können. Durch das Zusammenspiel von Partnern, die in zahlreichen SC verankert sind, wird der Spielraum für Unsicherheiten noch weiter vergrößert (Ritchie/Brindley, 2004, S. 32). Um ein möglichst realistisches Bild der tatsächlichen Risikosituation zu erhalten, bedarf es einer umfassenden Analyse möglicher Risikoquellen. Als mögliche Risikoquellen eines SC-Partners können dessen Lieferanten, das betrachtete Unternehmen selbst und dessen Abnehmer auftreten. Dies führt bspw. zu Beschaffungs-, Prozess-, Kontroll- und Absatzrisiken (Towill/Childerhouse/Disney, 2002, S. 87f.). Zusätzlich sind noch Umweltunsicherheiten wie bspw. mögliche Naturkatastrophen in die Betrachtung zu integrieren (Christopher/Peck, 2003, S. 44f.). Die Prozess- und Kontrollrisiken fallen direkt beim betrachteten Unternehmen an und unterliegen einer Kontrolle durch den internen Risikomanagementprozess. Für die Beschaffungs- und Absatzunsicherheiten gestaltet sich dieser Prozess schwieriger, da diese Unsicherheiten von der SC ausgehen bzw. deren Ausprägungen maßgeblich von der Struktur der zugrunde liegenden Lieferkette und den beteiligten SC-Partnern abhängen. Das Absatzrisiko resultiert dabei aus den schwankenden Bedarfen der Abnehmer sowie der Abnehmer der Abnehmer des betrachteten Unternehmens und äußert sich in Unsicherheiten bzgl. der Bedarfsmenge und des Bedarfszeitpunktes. Für das Auftreten von schwankenden Bedarfen können grundsätzlich zwei Ursachen identifiziert werden. Als erstes ist dafür die Nachfrage des Endkunden verantwortlich, welche nur geringfügig, evtl. durch Rabattaktionen, zu beeinflussen ist. Als zweite Ursache für Bedarfsschwankungen ist die SC selbst anzusehen. Die daraus resultierende Unsicherheit ist sogar größer einzuschätzen als die durch den Endkunden verursachte (Wilding, 1998, S. 611). Die Erklärung für das Auftreten dieser Schwankungen liefert der viel diskutierte Bullwip-Effekt (Forrester, 1958, S. 37-66). Allerdings lassen sich diese Unsicherheiten durch die Weitergabe bzw. den Austausch von Informationen innerhalb der Lieferkette deutlich reduzieren. Eine weitere Abschwächung lässt sich durch den Abschluss von langfristigen Kontrakten erreichen (Aichlmayr, 2001, S. 23). Der Beschaffungsvorgang wird ebenfalls von einer großen Anzahl von Unsicherheiten begleitet, so dass grundsätzlich von stochastischen Wiederbeschaffungszeiten auszugehen ist (Tempelmeier, 2005, S. 14). Eine Reduzierung scheint in diesem Zusammenhang nur sehr schwer möglich, vor allem wenn alle Chancen eines globalen Beschaffungsmarktes genutzt werden sollen. Demzufolge sind Beschaffungsrisiken sehr schwer zu beherrschen, was auch in empirischen Untersuchungen belegt wurde (Svensson, 2002, S. 123f.). Der finanzielle Aufwand für absichernde Maßnahmen gegen die Beschaffungsrisiken wird als viel größer eingeschätzt als der Absicherungsaufwand für evtl. Absatzrisiken (Svensson, 2001, S. 216). Eine intensive Auseinandersetzung mit den Beschaffungsunsicherheiten ist deshalb besonders wichtig, weil andernfalls die Gefahr einer Unterbrechung des Material- und Güterflusses stark ansteigt. Die extrem negativen Auswirkungen einer Unterbrechung des Materialflusses werden in
128
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
der Literatur hinreichend beschrieben (Hendrick/Singhal, 2003, S. 510-512; Hendrick/ Singhal, 2005, S. 36-42). Im Rahmen eines Risikomanagements sind möglichst alle Risiken explizit zu berücksichtigen. Im Folgenden wird der Fokus auf die Beschaffungsrisiken inklusive der Prozess-, Kontroll- und Umweltrisiken gelegt. Aufgrund der Vielzahl der möglichen Risiken kann allerdings keine Quantifizierung jeder einzelnen Unsicherheit erfolgen. Vielmehr wird eine Größe benötigt, welche möglichst viele Informationen bündelt. Bevor eine solche Größe in Form der LZA identifiziert wird, sollen zunächst allgemeine Anforderungen an eine Methode zur Risikoquantifizierung definiert werden.
3
Quantifizierung von Beschaffungsrisiken durch Lieferzeitabweichungen
3.1
Anforderungen an eine Methode zur Quantifizierung von Beschaffungsrisiken
In einem ersten Schritt sollen zunächst Anforderungen definiert werden, die eine Methode zur Quantifizierung von Beschaffungsrisiken erfüllen sollte. Eine erste Anforderung besteht darin, die SC ganzheitlich zu untersuchen (Ganzheitlichkeit). In der betrieblichen Praxis besteht häufig das Problem, dass Informationen nur über die direkt vorgelagerten SC-Partner vorhanden sind (Blackhurst/Wu/O´Grandy, 2004, S. 1640). Um eine verlässlichere Aussage über die vorherrschende Risikosituation treffen zu können, sollten jedoch Informationen der gesamten SC inkl. der auftretenden Interdependenzen verarbeitet werden, da nur in diesem Fall wichtige Zusammenhänge wie bspw. Diversifikationen erkennbar sind (Holst/Holtkamp, 2000, S. 816).3 Um eine ganzheitliche Betrachtung zu ermöglichen, bedarf es bei allen SC-Partnern sowohl einheitlicher Datenbasen (Synchronität) als auch identischer Methoden und Kennzahlen zur Bewertung der identifizierten Risiken (Holst/Holtkamp, 2000, S. 816). Eine wichtige Eigenschaft bildet auch die leichte Verständlichkeit der erzielten Ergebnisse (Interpretierbarkeit). In Kombination mit der Vereinheitlichung der Messung kann somit eine problemlose Kommunikation an die Partner stattfinden. Außerdem erleichtert die Verständlichkeit die Interpretation der Ergebnisse und den Vergleich mit festgelegten Grenzwerten oder Limitzahlen (Holst/Holtkamp, 2000, S. 816). Eine weitere entscheidende Anforderung ist die Wirkungsbezogenheit der Messung, da aufgrund der Vielzahl möglicher Unsicherheiten eine Betrachtung jedes einzelnen Risikos nicht 3
Allerdings stellt die Identifizierung der vorhandenen Abhängigkeiten einen sehr komplexen Vorgang dar, der keineswegs als trivial anzusehen ist.
129
Wissenschaftliche Beiträge
möglich erscheint. Auf der einen Seite soll die Bewertung eine große Anzahl unterschiedlicher Risikoarten mit den auftretenden Interdependenzen berücksichtigen, damit die Ermittlung der Gesamtrisikosituation im Beschaffungsbereich möglich ist. Auf der anderen Seite soll aber nur eine Größe oder Variable ins Bewertungsmodell einfließen, um den notwendigen Aufwand zu begrenzen. Diese Diskrepanz kann nur mit einer wirkungsbezogenen Modellierung gelöst werden (Haindl, 1996, S. 82; Gaudenzi/Borghesi, 2006, S. 118). Um qualitativ gute Ergebnisse im Rahmen einer Risikobetrachtung zu erhalten, bedarf es einer objektiven Bewertung (Objektivität). Dazu dienen statistisch abgesicherte Methoden, welche die Ergebnisse unabhängig von subjektiven Einflüssen der durchführenden Personen generieren (Ziegenbein/Baumgart, 2006, S. 4). Für eine bestmögliche Beschreibung der vorhandenen Risikosituation sollte als Resultat die Wahrscheinlichkeitsverteilung oder Dichtefunktion der betrachteten Modellgröße vorliegen (Funktionalität). Somit wird eine funktionale Beschreibung des vorhandenen Risikos erreicht. Da Risiko häufig mit finanziellen Wagnissen gleichgesetzt wird, soll die Risikobewertung einen direkten finanziellen Bezug aufweisen (Ziegenbein/Baumgart, 2006, S. 4). Im Rahmen eines SCRM erscheint diese Restriktion aufgrund der Vielfältigkeit der auftretenden Risiken sehr strikt, weil eine veränderte Sichtweise mitunter eine bessere Risikobeschreibung erlaubt. Ausreichend erscheint es jedoch, eine Größe zu betrachten, die sich problemlos in finanzbezogene Größen transformieren lässt (Finanzbezug). Durch die geforderte funktionale Beschreibung ist in diesem Zusammenhang u. a. der Cashflow-at-Risk denkbar (Wels, 2008, S. 181-194). Weiterhin erscheint eine mögliche Verwendung der bewerteten Größe für weiterführende Optimierungsprobleme wünschenswert (Optimierungscharakter). Abschließend stellt sich noch die Forderung nach der praktischen Umsetzbarkeit der Methode (Umsetzbarkeit) (Ziegenbein/Baumgart, 2006, S. 4). Aus diesem Grund darf die Komplexität ein Maß nicht übersteigen, welches von speziell geschultem Personal bewältigt werden kann.4 Außerdem müssen alle notwendigen Daten durch das Unternehmen zu generieren sein. Eine Zusammenfassung der identifizierten Anforderungen an eine zur Quantifizierung von Beschaffungsrisiken geeignete Methode liefert Tabelle 1.
4
130
Um die Komplexität beherrschbar zu machen, wirkungsbezogene Betrachtungsweise favorisiert.
wird
in
diesem
Beitrag
eine
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
Tabelle 1:
Anforderungskatalog für eine Methode zur Quantifizierung von Beschaffungsrisiken
Kriterium
Erklärung
Ganzheitlichkeit
Verarbeitung vieler Informationen vieler Stufen, Abhängigkeitsmodellierung
Synchronität
Messung bei allen SC-Partnern mit einheitlichen Methoden möglich, Ergebnisse vergleichbar
Interpretierbarkeit
Verständliche und gut kommunizierbare Größe, Abgleich mit Wesentlichkeitsgrenzen
Wirkungsbezogenheit
Aussage über Gesamtrisikosituation
Objektivität
Nutzung statistisch abgesicherter Methoden, unabhängig vom Durchführenden
Funktionalität
Beschreibung der Risiken in funktionaler Form
Finanzbezug
Generierung von Größen mit finanziellem Bezug
Optimierungscharakter
Zielgröße für Optimierungsprobleme im Planungsprozess
Umsetzbarkeit
Möglichkeit zur praktischen Umsetzung
3.2
Lieferzeitabweichung als Kennziffer für Beschaffungsrisiken
Die LZA ist eine in der betrieblichen Praxis häufig anzutreffende Größe. Zunächst erweist es sich als zweckmäßig, die LZA zu definieren, um von einem einheitlichen Begriffsverständnis auszugehen. Formal wird als Lieferterminabweichung der „[…] Zeitraum zwischen dem geplanten, d. h. dem letztmalig durch den Kunden akzeptierten und durch den Lieferanten bestätigten Liefertermin […] und dem tatsächlichen Liefertermin […]“ bezeichnet. In diesem Zusammenhang sind sowohl positive als auch negative Terminabweichungen möglich (Verein Deutscher Ingenieure, 2001, S. 22). Allgemein betrachtet führen zahlreiche Risiken zu verspäteten Lieferungen oder einem totalen Lieferausfall (Zschorn/Käschel, 2007, S. 120-152). Das Eintreten extremer Ereignisse wie Naturkatastrophen, Feuer oder Streiks stoppt den geregelten Ablauf der Prozesse, woraus eine sehr große Abweichung vom geplanten Liefertermin resultiert. Allerdings führen auch Risiken mit geringerer Wirkung zu LZA. In diesem Zusammenhang sind bspw. Maschinenausfälle oder Transportprobleme denkbar. Die detaillierte Darstellung einer Vielzahl weiterer Risiken, deren Auswirkungen mit Hilfe der LZA beschreibbar sind, erfolgt in Abbildung 1.
131
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 1: Mögliche Ursachen für Lieferzeitabweichungen (in Anlehnung an MelzerRidinger, 2005b, S. 30)
Kunde
Lieferanten
Produktionsplanung
schwankender Bedarf
Lieferverzögerung und Lieferausfall
kurzfristige Änderung des Produktionsprogramms
kurzfristige Lieferwünsche
nicht spezifikationsgerechte Lieferung
rollierende Planung und nervöse Systemreaktion
Abweichungen zur Prognose
lange Reaktionszeiten auf Bedarfsänderungen
falsche Stamm- und Bewegungsdaten
späte Änderungen am Auftrag
geringe Flexibilität
Losoptimierung
Einkauf fehlende Abstimmung mit Engpasslieferanten
Ursachen für mögliche Lieferzeitabweichungen
späte Information über Bedarfsänderung unternehmensübergreifende Abstimmung drohende Versorgungsstörung Produktablösung und -einführung Engpass-Situation
logistischer Dienstleister
Vertrieb
Fertigung streuende Durchlaufzeit Verzögerung Ausschuss Kapazitätsengpass
ungeprüfte Lieferzusagen falsche Absatzprognosen Überschreibung von Reservierungen späte Information über Produktneueinführung fehlende Abstimmung mit Kunden
Die LZA stellt damit eine Größe dar, die in der Lage ist, die Auswirkungen einer Vielzahl von Ereignissen und Informationen – auch aus vorgelagerten SC-Stufen – zu bündeln, und somit eine ganzheitliche Betrachtung der Lieferkette ermöglicht (Gaudenzi/Borghesi, 2006, S. 130). Die LZA wird auch als Key Performance Indicator bezeichnet und weist in der betrieblichen Praxis eine große Bedeutung auf. Zum Teil wird sie sogar als die wichtigste Kennzahl für die Umsetzung eines erfolgreichen SCM angesehen (Brecht, 2003, S. 913; Melzer-Ridinger, 2005a, S. 8; Beregsasi, 2006, S. 28). Die folgenden Ausführungen dienen dazu, die Eignung dieser in der Praxis häufig erfassten Kennzahl für die Quantifizierung der Beschaffungsrisiken zu verdeutlichen.
132
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
Die Erfüllung der Kundenzufriedenheit ist eine zentrale Zielsetzung im Rahmen des SCM. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es die dem Kunden versprochenen Liefertermine einzuhalten. In der Literatur wird die Liefertreue sogar als das Hauptkriterium zur Erreichung der Kundenzufriedenheit angesehen. Die Vermutung, dass eine höhere Liefertreue zu einer höheren Kundenzufriedenheit führt, ist daher naheliegend (Werner, 2002, S. 277). Eine größere Kundenzufriedenheit leistet zudem auch einen Beitrag zur langfristigen Kundenbindung (Lindroth/Norrman, 2001, S. 298). Auch für die verschiedenen SC-Teilnehmer ist die Einhaltung des geplanten Liefertermins durch deren Lieferanten sehr wichtig. Während pünktliche Lieferungen schlanke Wertschöpfungsprozesse ermöglichen, führt bspw. die Gefahr von verspäteten Lieferungen zur Anlage von Sicherheitsbeständen und damit zu zusätzlichen Kosten, die im Endeffekt auf das Endprodukt umgelegt werden müssen. Bei extremen Verzögerungen können sogar die besonders kritischen Unterbrechungen der SC nicht ausgeschlossen werden (Pfohl/Jünemann 2000, S. 36). Auch bei der Umsetzung von JIT-Konzepten wird die Notwendigkeit von termingerechten Lieferungen besonders deutlich. Diese können nur dann erfolgreich angewendet werden, wenn eine Kontrolle der LZA gelingt. Grundsätzlich ist eine Reduzierung der Variabilität der Lieferzeiten anzustreben (Song, 1994, S. 603). Außerdem helfen detaillierte Informationen über mögliche LZA dem betroffenen Unternehmen, zusätzliche Kosten z. B. in Form von Konventionalstrafen zu vermeiden, indem die Lieferzusagen entsprechend angepasst werden (Zschorn/Käschel, 2007, S. 150). Des Weiteren bestätigen eine Reihe von empirischen Untersuchungen die bisherigen Ausführungen. So ist bspw. eine Befragung von 127 Entscheidungsträgern in mittelständischen Unternehmen zu nennen, welche die große Abhängigkeit der Firmen von pünktlichen Lieferungen bestätigt (Svensson, 2004, S. 673). In einer weiteren Untersuchung werden die von Unternehmen genutzten Kriterien zur Lieferantenauswahl überprüft. Obwohl die Grundgesamtheit der Befragten nur 58 umfasst und somit sicher keine Allgemeingültigkeit vorliegt, sollen die Ergebnisse Erwähnung finden. Von den insgesamt untersuchten fünf Kriterien werden der Qualität und der Pünktlichkeit der Lieferung die mit Abstand höchsten Prioritäten eingeräumt (Verma/ Pullman, 1998, 744f.). Neben den Auswirkungen einer großen Anzahl von Risiken beinhaltet die Größe LZA noch weitere Informationen. Verspätungen im Materialfluss sind oft Ausdruck von Unflexibilitäten in Bezug auf kurzfristige Änderungen der Bestellmenge oder von Lieferschwierigkeiten der Lieferanten der Lieferanten. Außerdem ist die realisierte Termintreue sehr stark von der Integration der Lieferanten und der Verkettung der einzelnen Prozesse abhängig (Lee, 2005, S. 70; Gaudenzi/Borghesi, 2006, S. 121). Demzufolge können mit Hilfe der LZA auch Informationen vorgelagerter SC-Stufen verarbeitet werden, was eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Lieferkette ermöglicht. Zusätzlich sind aus den Ergebnissen Aussagen z. B. über den Stand der Integration zwischen den SC-Partnern oder über die Qualität der durchgeführten Prozesse abzuleiten. Des Weiteren hängen die Unsicherheiten der Lieferzeit auch von der Struktur der speziellen SC ab. Damit fließen die zwischen den Partnern existierenden
133
Wissenschaftliche Beiträge
Abhängigkeiten, welchen eine entscheidende Bedeutung zukommt, schon in einem gewissen Maße in die Betrachtungen ein (Zipkin, 2000, S. 243). Um das statistische Verhalten einer Größe objektiv zu beschreiben, ist eine ausreichend große Datenmenge notwendig, auf deren Basis die Schätzung der entsprechenden Wahrscheinlichkeitsverteilung stattfindet. In vielen Unternehmen erfolgt die regelmäßige und systematische Erfassung der Lieferdaten und damit auch der Abweichungen des tatsächlichen Liefertermins vom geplanten Liefertermin (Melzer-Ridinger, 2005b, S. 27). Somit ist eine grundsätzliche Voraussetzung für die funktionale Beschreibung der auftretenden LZA erfüllt. Diese Ergebnisse werden durch die Empirie weiter verstärkt. Eine Umfrage unter 607 Unternehmen in ganz Europa zeigt, dass 60% der Befragten eine Beziehung von mehr als fünf Jahren mit den vorhandenen Hauptlieferanten aufweisen. Außerdem pflegen 67% eine mehr als fünf Jahre dauernde Geschäftsbeziehung mit den Hauptabnehmern (Bagchi/Skjoett-Larsen, 2005, S. 282). Aufgrund dieser langen Zeiträume muss eine ausreichende Datenbasis bei den Unternehmen vorhanden sein. Liegen dennoch nicht genug Daten für einen Einsatz der Schätzverfahren vor, kann auch auf die Werte vergleichbarer Unternehmen zurückgegriffen werden. So liefert bspw. die Open Ratings Datenbank alle relevanten Daten von mehr als 50 Mio. Lieferanten (Jorgensen, 2006, S. 16). Damit das gesamte Potential der Größe genutzt werden kann, ist deren exakte funktionale Bestimmung notwendig. Allerdings existiert kein allgemein gültiges Vorgehen zur Realisierung dieses Vorhabens, wobei die auftretenden Schwierigkeiten aufgrund der komplexen Aufgabenstellung als Begründung dienen (Harland/Brenchley/Walker, 2003, S. 59). Da aber die Festlegung einer falschen Verteilungs- bzw. Dichtefunktion für die zufälligen LZA zu ernsthaften Fehlern führen kann, gilt es dieses Problem zu lösen (Tyworth/O´Neill, 1997, S. 167).
3.3
Ein-Faktor-Ansatz als Modellierungsansatz
Damit LZA überhaupt adäquat erfasst werden können, bietet es sich zunächst an, die Lieferbeziehungen zwischen zwei Unternehmen der SC näher zu betrachten. Die Lieferbeziehung wird durch Kontrakte (Lieferversprechen) determiniert, wobei der Lieferant als Kontraktnehmer und der Abnehmer als Kontraktgeber fungiert. Die Erfüllung solcher Kontrakte wird durch unterschiedliche Risiken beeinflusst. Dies können unternehmensinterne oder unternehmensexterne Risiken sein. Sind zwei Unternehmen der SC über mehrere Lieferbeziehungen miteinander verbunden, so sind diese aufgrund möglicher unterschiedlicher Risikowirkungen getrennt zu behandeln. Darüber hinaus können einige Risiken, wie beispielsweise schwankende Rohstoffpreise, ggf. aus der Betrachtung entfernt werden, wenn deren Festlegung bereits durch die vertragliche Fixierung erfolgt. Abbildung 2 veranschaulicht den Unterschied zwischen unternehmensspezifischer und kontraktspezifischer Sichtweise. Das Unternehmen Ui+1,j+1 besitzt zwei Lieferbezie-
134
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
hungen zur nächst niedrigeren Stufe. Um diese detailliert betrachten zu können ist eine Aufspaltung in die Kontrakte Ci+1,j+1 und Ci+1,j+2 notwendig. Dabei bezeichnet das Indexelement i aus (i,j) die Kontraktstufe und j=1,…,J das Element innerhalb einer Kontraktstufe. Der Index i=1,…,I steigt in Richtung Rohstoffquelle an.
Abbildung 2: Kontraktspezifische Darstellung einer Supply Chain (Buscher/Wels/Winter, 2007, S. 102) unternehmensspezifische Darstellung
U Xi+1,j i+1j U Xi+1,j+1 i+1j+1
Stufe i+1
U Xi,jij
kontraktspezifische Darstellung
U Xi+1,j i+1j U Xi+1,j+1 i+1j+1
U Xi,j+1 ij+1
Stufe i
UI+1,j+2
Ci+1,j
Ci+1,j+1
U Xi,jij
Ui,j+1
Ci+1,j+2 Kontraktstufe i+1
Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass jeder Kontrakt einer SC durch eine separate LZA charakterisiert ist. Die formale Beschreibung dieser Größe kann mit Hilfe einer Zufallsvariable X erfolgen, welche sowohl positive (verspätete Lieferungen) als auch negative (verfrühte Lieferungen) Realisationen annehmen kann. Im Extremfall tritt sogar der Fall X=Lj auf, wodurch der Totalausfall eines Lieferanten beschrieben wird. Demzufolge ergibt sich die zufällige Lieferzeit ̎ durch die Summe aus der deterministischen, dem Kunden versprochenen Lieferzeit Ώ und der LZA X, so dass
Λ=λ+X
(1)
gilt. Als Zielstellung kann die Quantifizierung der LZA eines jeden Kontraktes einer beliebigen SC formuliert werden. Demzufolge werden die LZA Xi,j mit den Indizes des dazugehörigen Kontraktes gekennzeichnet. Um eine möglichst genaue Beschreibung der vorliegenden Risikosituation zu erreichen, ist dabei eine funktionale Beschreibung der Größe anzustreben. Für eine detaillierte Beschreibung der LZA werden drei Risikofaktoren in die Betrachtung einbezogen. Der systematische Risikofaktor ̚ fasst alle exogenen Risikofaktoren zusammen, die zur LZA führen können und nicht vom Unternehmen direkt beeinflussbar sind. Dazu gehören beispielsweise makroökonomische Einflüsse oder geogra-
135
Wissenschaftliche Beiträge
phische Risiken. Der systematische Faktor wird für jede Kontraktstufe neu und unabhängig von den vorhergehenden Wertschöpfungsstufen bestimmt. Annahmegemäß folgt für jede Wertschöpfungsstufe der systematische Faktor im Zeitablauf einem zeitstetigen stationären Prozess. Der semiidiosynkratische Risikofaktor Xi+1 beinhaltet hingegen alle Informationen über LZA, die aus Ereignissen vorgelagerter Wertschöpfungsstufen der SC resultieren. Der idiosynkratische (unsystematische) Risikofaktor Yi,j umfasst schließlich alle endogenen (vom Kontraktnehmer beeinflussbaren) Risikofaktoren, die zur LZA führen können. Als Beispiele für idiosynkratische Risikofaktoren sind u. a. Maschinenausfälle infolge fehlender Wartung oder Krankheiten von Mitarbeitern anzusehen, die durch deren Überlastung entstehen. Als Ansatz für die Quantifizierung wird das Ein-Faktor-Modell aus der Finanzwirtschaft gewählt (Merton, 1974, S. 450-452). Dieser beschreibt die Entwicklung einer Bonitätsvariablen, welche von einem systematischen und einem idiosynkratischen Risikofaktor abhängt. Aufgrund der Eigenschaft, dass einzig die Unabhängigkeit zwischen den betrachteten Risikofaktoren gewährleistet sein muss, eignet sich dieser Ansatz sehr gut für weiterführende Betrachtungen. Für eine Quantifizierung von LZA mit Hilfe des Ein-Faktor-Modells sind einige Modifikationen notwendig. Um auch das Risiko abbilden zu können, welches von den vorgelagerten Wertschöpfungsstufen ausgeht, ist die Ergänzung des idiosynkratischen Risikos um den semiidiosynkratischen Risikofaktor notwendig. Die Anwendung dieses Ansatzes wird dann u. a. dadurch möglich, dass die drei relevanten Risikofaktoren untereinander unabhängig sind. Zur Beschreibung der LZA eines Kontraktes in einer beliebig komplexen SC ergibt sich dabei der Ausdruck5
[
]
X i , j = π i , j Ψi + 1 − π i , j ai , j Υi , j + (1 − ai , j )( gX i +1 ) .
(2)
Neben den drei bereits beschriebenen Risikofaktoren symbolisiert Δi,j dabei das auftretende Abhängigkeitsmaß, welches die Abhängigkeiten der LZA von dem systematischen Risikofaktor bzw. dem idio- und semiidiosynkratischen Risiko beschreibt. Mit ai,j ∈ [0,1] wird der so genannte Wertschöpfungsfaktor symbolisiert, welcher den Anteil an der Wertschöpfung beschreibt, den der Kontraktnehmer selbst leistet. Außerdem fließt noch der semiidiosynkratische Gewichtungsfaktor g in die Berechnung ein, der den jeweiligen Anteil der SC-Partner der vorigen Kontraktstufe an der Erfüllung des betrachteten Kontraktes beschreibt. Dieser Vektor weist die gleiche Dimension wie Xi+1 auf und es gilt
¦ g = 1. i
5
136
Für eine ausführliche Herleitung der Berechnungsvorschrift vgl. Wels, 2008, S. 142-148.
(3)
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
Um die LZA für alle Kontrakte einer SC zu ermitteln, muss mit der Untersuchung der am nächsten zur Rohstoffquelle gelegenen Kontrakte begonnen werden. Dies ist notwendig, da die Ergebnisse der vorherigen Kontraktstufe in die Berechnungen der LZA der aktuellen Kontraktstufe in Form des semiidiosynkratischen Risikofaktors einfließen. Durch diese stufenweise Analyse wird eine Berücksichtigung aller vorhandenen Informationen über das immanente Beschaffungsrisiko sichergestellt. Mit Hilfe dieses Ansatzes können die Verteilungen der LZA aller Kontrakte in einer Supply Chain beliebiger Größe und beliebiger Struktur unter Berücksichtigung der zwischen den SC-Partnern bestehenden Abhängigkeiten bestimmt werden. Aus diesem Grund stehen umfangreiche Informationen über die immanenten Beschaffungsrisiken in funktionaler Form zur Verfügung. Diese Informationen können für zahlreiche Risikosteuerungsmaßnahmen genutzt werden (Wels, 2008, 195-231). Beispielsweise besteht die Möglichkeit, die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Kontraktes zu berechnen. Bezeichnet Ki,j eine Ausfallschranke, d. h. die Zeit, die eine Lieferung maximal verspätet eintreffen darf, ohne dass eine Unterbrechung der Produktion resultiert6, so ergibt sich der Zusammenhang
P (X i , j > K i , j ) = 1 − P (X i , j ≤ K i , j ) .
(4)
Mit der vorgestellten Modellierung steht ein Ansatz zur funktionalen und wirkungsbezogenen Beschreibung von SC-Risiken zur Verfügung, welche in Form von LZA auftreten. Dieser muss anhand der identifizierten Kriterien, welche eine zur Unterstützung der SC-Risikobewertung geeignete Modellierung erfüllen sollte, überprüft werden. Dabei wird deutlich, dass der vorgestellte Ansatz Vorteile aufweist, welche einerseits durch die Wahl der geeigneten Modellgröße und andererseits durch die Struktur der Modellierung entstehen. Das Modell ermöglicht die Betrachtung von SC beliebiger Komplexität und Struktur. Trotz der Verarbeitung vieler Informationen kann durch die stufenweise Betrachtung und die damit mögliche Konzentration auf ausschließlich drei einfließende Risikofaktoren eine Reduzierung des rechentechnischen Aufwands erfolgen.7 Ein weiterer Vorteil der sukzessiven Untersuchung der betrachteten Lieferkette ist im Umfang der notwendigen Informationen zu sehen. Die Modellvariable LZA fasst eine Vielzahl an relevanten Informationen aller vorgelagerten Stufen zusammen. Demzufolge müssen nur die LZA der direkt vorgelagerten Stufe für eine Umsetzung der Methode bekannt sein, was eine erhebliche Erleichterung im Vergleich zu komplexen Informationsbeschaffungen entlang der gesamten SC darstellt.8 Außerdem liefert die Vorgehens6 7 8
Eine Absicherung kleiner zeitlicher Verspätungen kann u. a. durch Sicherheitsbestände realisiert werden. Es findet eine Reduzierung des Rechenaufwandes in Bezug zur ursachenbezogenen Betrachtungsweise statt, da nicht jede Information separat in die Berechnung einfließt. Ein reger Informationsaustausch zwischen den SC-Partnern ist dennoch empfehlenswert um bspw. auftretende Störungen frühzeitig an die betroffenen Stellen zu kommunizieren. Die
137
Wissenschaftliche Beiträge
weise die Verteilungen der LZA aller in der SC existierenden Kontrakte. Damit können die verschiedenen Lieferbeziehungen hinsichtlich des immanenten Risikos verglichen und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Die modellierte Größe LZA ist eine wichtige Kennzahl in der betrieblichen Praxis. Demzufolge stellen die Interpretationen der erzielten Ergebnisse und die einheitliche Anwendung bei allen SC-Partnern keine große Schwierigkeit dar. Durch den unterstützenden Einsatz des Schrankenansatzes lässt sich außerdem die Wahrscheinlichkeit für eine SC-Unterbrechung bestimmen. Damit wird die vorliegende Risikosituation zusätzlich verdeutlicht. Der größte Vorteil gegenüber alternativen Ansätzen liegt in der Wirkungsbezogenheit. Die gewählte Modellgröße beinhaltet die relevanten Informationen über eine Vielzahl der auftretenden Risiken und ermöglicht somit die Angabe der vorliegenden Risikosituation ohne eine komplexe Aggregierung verschiedener Einzelrisiken vorzunehmen. Demzufolge verarbeitet diese Betrachtungsweise deutlich mehr Informationen als alternative Modelle. Außerdem stehen in der betrieblichen Praxis viele Daten für die Schätzung der notwendigen Parameter zur Verfügung. Damit können statistische Ansätze zum Einsatz kommen, woraus fundierte Ergebnisse resultieren, welche unabhängig von individuellen Einflüssen der Durchführenden sind. Die Resultate beschreiben die zufälligen LZA aller Kontrakte in funktionaler Form. Unter der Voraussetzung, dass genügend Informationen über die vorhandenen Abhängigkeiten vorliegen, kann eine explizite Angabe aller resultierenden Verteilungen erfolgen. Für die restlichen Fälle müssen Simulationstechniken zum Einsatz kommen, welche einerseits eine grafische Veranschaulichung der Verteilung der LZA und andererseits eine Datengrundlage für die Anwendung von Verteilungsschätzungen liefern. Demzufolge kann von einer Umsetzbarkeit der Modellierung in der betrieblichen Praxis ausgegangen werden. Eine unterstützende Wirkung wird dabei durch einen bereits fortgeschrittenen Integrationsprozess zwischen den SC-Partnern mit einem ausgeprägten Informationsfluss ausgeübt. Durch eine Quantifizierung der mit LZA verbundenen Kosten erfolgt eine finanzielle Bewertung der Lieferbeziehungen zwischen den Partnern der SC. Mit Hilfe der Angabe der mit dem immanenten Risiko möglicherweise verbundenen finanziellen Aufwendungen findet eine permanente Risikoüberwachung statt. Des Weiteren ermöglichen bekannte LZA eine risikobewusste Beschaffung, so dass eine Optimierung der anzulegenden Sicherheitsbestände oder Bestellmengen durchführbar ist. Die Tabelle 2 fasst die Ergebnisse der Bewertung des entwickelten Modells noch einmal zusammen. Dabei ist zu erkennen, dass alle identifizierten Anforderungen erfüllt sind, was durch „+“ symbolisiert wird. Allein die Umsetzung für eine reale Problemstellung kann nicht
vergleichsweise geringe Komplexität der Informationsbeschaffung ermöglicht auch eine Umsetzung in heterarchisch koordinierten Netzwerken.
138
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
sicher verifiziert werden („ο“). Auf der einen Seite sprechen die theoretischen Aspekte und das Beispiel des folgenden Abschnitts für eine problemlose Durchführung. Andererseits ist bisher keine konkrete praktische Anwendung erfolgt, so dass dieses Kriterium nicht vollständig zu bewerten ist.
Tabelle 2:
Bewertung des Ein-Faktor-Ansatzes zur Quantifizierung von Lieferzeitabweichungen
Kriterium
Erfüllung
Ganzheitlichkeit
Bemerkung
+
Abbildung beliebiger SC unter Nutzung aller vorhandenen Informationen
+
Identifizierung von Schwachstellen durch separate Betrachtung aller Kontrakte
Interpretierbarkeit
+
Modellgröße als bekannte Kennzahl sehr gut zu interpretieren
Wirkungsbezogenheit
+
LZA bündelt Informationen über resultierende Wirkungen
Objektivität
+
Große Datenmenge vorhanden
+
Funktionale Ermittlung der Wahrscheinlichkeitsverteilung der LZA
Finanzbezug
+
Modellierung einer finanziellen Größe möglich
Optimierungscharakter
+
Möglichkeit zur Optimierung durch weiterführende Betrachtung
ο
Beispiele mit beliebigem Umfang zumindest simulativ lösbar, kein Praxisbeispiel vorhanden
Synchronität
Funktional
Umsetzbarkeit
3.4
Illustratives Beispiel
Mit Hilfe der folgenden Untersuchung soll die generelle Anwendbarkeit der Modellierungsmethode unterstrichen werden. Aus diesem Grund erfolgt die Berechnung der LZA für eine komplexe Lieferkette aus der betrieblichen Praxis. Die Grundlage für die Quantifizierung bildet die SC aus Abbildung 3. Diese Lieferkette veranschaulicht den Prozess zur Herstellung der Türinnenverkleidung der Mercedes E-Klasse (Putzlocher, 2002, S. 472). Diese SC beinhaltet insgesamt 85 Kontrakte, die über 7 Kontraktstufen verteilt sind. Die Simulation der resultierenden LZA erfolgt für standardnormalverteilte systematische Risikofaktoren, einem einheitlichen Abhängigkeitsmaß Δi,j = 0,2 und einem einheitlichen Wertschöpfungsfaktor von ai,j = 0,5. Die idiosynkratischen Risikofaktoren unterliegen verschiedenen Verteilungen. In einem ersten Simulationslauf sind die idiosynkratischen Risikofaktoren einheitlich standardnormalverteilt (N(0,1)-Verteilung), in einem zweiten einheitlich t-verteilt mit Freiheitsgrad 1 (t(1)-Verteilung), in einem dritten einheitlich F-verteilt mit den Freiheitsgraden 4 und 10 (F(4, 10)-Verteilung) und in einem vierten Durchlauf einheitlich Chi2-verteilt mit 4 Freiheitsgraden
139
Wissenschaftliche Beiträge
(Chi2(4)- Verteilung). Das Ergebnis der Simulation ist in Abbildung 4 dargestellt. Dabei ist jeweils die Dichtefunktion der LZA X1,1 für den Kontrakt zwischen dem fokalen Unternehmen und dem ersten Modullieferanten veranschaulicht. Zur Erzeugung einer Funktion wurden 100.000 Iterationen mit jeweils 2.000 Realisationen genutzt. Die Ergebnisse spiegeln die Eigenschaften der einfließenden Risikofaktoren wider. Außerdem verringert sich die Varianz der LZA gegenüber der Varianz der Risikofaktoren. Diese Beobachtung ist mit Diversifikationseffekten zu erklären. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass eine funktionale Lösung in allen Fällen angegeben werden kann. Dies kann als Indiz dafür gewertet werden, dass eine Anwendung der Vorgehensweise für Lieferketten beliebiger Struktur und Komplexität durchführbar ist. Außerdem scheint die spezifische Ausprägung der einfließenden Risikofaktoren die Leistungsfähigkeit nicht zu beeinflussen.
Abbildung 3: Lieferkette zur Herstellung der Türinnenverkleidung der Mercedes-E-Klasse (in Anlehnung an Wels, 2008, S. 141)
fokales Unternehmen
Kontraktstufe 7
Kontraktstufe 6
Modullieferant
140
Kontraktstufe 5
Kontraktstufe 4 Komponentenlieferant
Kontraktstufe 3
Kontraktstufe 2
Kontraktstufe 1
Teilelieferant
Wirkungsbezogene Erfassung von Beschaffungsrisiken
Abbildung 4: Beispielhafte Lieferzeitabweichungen
4
Zusammenfassung und Ausblick
Der vorliegende Beitrag identifiziert die LZA als geeignete Größe zur Modellierung von Beschaffungsrisiken im Rahmen des SCM. Des Weiteren wird eine wirkungsbezogene Bewertungsmethode auf Basis eines Ein-Faktor-Modells präsentiert und bewertet, die eine effektive Quantifizierung der vorliegenden Risikosituation im Beschaffungsbereich ermöglicht. Aktuelle Entwicklungen im SCM führen zu einem Anstieg der immanenten Risiken in der SC. Dies gilt besonders für den Beschaffungsbereich, da die in diesem Zusammenhang auftretenden Risiken als besonders kritisch eingestuft werden können. Aufgrund der Vielzahl möglicher Risiken wird für die Quantifizierung des Beschaffungsrisikos eine Größe mit hohem Informationsgehalt benötigt, so dass eine wirkungsbezogene Betrachtungsweise resultiert. In diesem Zusammenhang erweist sich die LZA als besonders günstig, da diese Größe einen hohen Informationsgehalt über Beschaffungsrisiken aufweist und außerdem eine anerkannte Kennzahl aus der betrieblichen Praxis darstellt. Durch die stufenweise Untersuchung der vorliegenden Lieferkette kann eine Vielzahl von Informationen in die Betrachtung einfließen. Außerdem werden die auftretenden
141
Wissenschaftliche Beiträge
Abhängigkeiten berücksichtigt, so dass eine objektive und umfangreiche Bewertung der Beschaffungsrisiken resultiert. Gleichwohl sind weiterführende Tests mit Daten aus der betrieblichen Praxis anzustreben. Dabei ist die aufgestellte These einer generellen Anwendbarkeit zu überprüfen bzw. es sind die Grenzen für die Anwendbarkeit zu identifizieren. Auf Basis der funktional bestimmten LZA können dann konkrete Risikosteuerungsmaßnahmen abgeleitet und verifiziert werden. Die Quantifizierung der Beschaffungsrisiken und der damit erbrachte Beitrag für das Risikomanagement dürfen allerdings nicht den Blick für die Absatzrisiken versperren, die im Rahmen einer ganzheitlichen Betrachtungsweise zusätzlich zu berücksichtigen wären.
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145
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung – Zusammenspiel von Diversifikation und Flexibilität
Dr. Fabian J. Sting, Marc Braun und Prof. Dr. Arnd Huchzermeier
Abstract Ein bewährtes Rezept zur Bewältigung von Beschaffungsrisiken ist die Streuung von Lieferquellen – getreu dem Motto „nicht alles auf eine Karte zu setzen“. In diesem Artikel soll diese Logik der Diversifikation um einen wichtigen Aspekt bereichert werden: Die Diversifikation von Lieferquellen ist ein Schlüssel zur Schaffung von Beschaffungsflexibilität. Diese Flexibilität stellt Firmen eine Realoption zur Verfügung, die effektiv als Hedge gegen exogene Risiken „ausgeübt werden kann“. Auf Grundlage einer Monte Carlo Simulation wird der Wert unterschiedlicher Diversifikationsund operationeller Hedging-Strategien untersucht und quantifiziert. Es zeigt sich, dass flexible Beschaffungsstrategien für Unternehmen, die exogenen Beschaffungsrisiken ausgesetzt sind, ein leistungsfähiges Instrument des strategischen Risikomanagements darstellen. Das Zusammenspiel von Diversifikation und Flexibilität ist entscheidend. Das Vehikel dieser Studie, ein zweistufiges Entscheidungsmodell, ist bewusst einfach gehalten, um essentielle Effekte isolieren zu können.
1
Einführung und Problemstellung
Risikomanagement in der Materialbeschaffung ist heute als „Mantra“ aus der Agenda vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Ganze Wertschöpfungsketten und deren Risikoprofile stehen auf dem Prüfstand. Neben den spezifischen Risikoquellen bestimmter Beschaffungswege sind zunehmend auch fremdbestimmte Risiken wie Naturkatastrophen, Seuchen, gesellschaftliche Unruhen bis hin zu Terroranschlägen oder z.B. auch Insolvenzen von Zulieferern wichtige Determinanten des Risikoprofils von Wertschöpfungsketten. Die Risikoquellen werden zudem durch die tendenziell abnehmenden firmeninternen Wertschöpfungstiefen der Unternehmen potentiell verstärkt. Airbus fertigt beispielsweise nur 60% des A 380 selbst, die angestrebte Fertigungstiefe bei der Neuentwicklung des A 350 XWB soll sogar bei weniger als 50%
Wissenschaftliche Beiträge
liegen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass mehr als 80% der Befragten einer in deutschen Industriebetrieben durchgeführten empirischen Untersuchung dem Management von Beschaffungsrisiken zukünftig eine überragende Bedeutung voraussagen. Trotz des erheblich gestiegenen Risikobewusstseins sieht eine deutliche Mehrheit von Führungskräften ihr eigenes Unternehmen dennoch nur unzureichend auf solche Risiken vorbereitet (McKinsey, 2006). Insbesondere exogene, d.h außerhalb der Kontrolle des Unternehmens liegende Beschaffungsrisiken stellen erhebliche Gefahren für produzierende Unternehmen dar. Die ausreichende Verfügbarkeit von Wasser ist dabei eines der Risikofelder, das immer mehr in den Vordergrund tritt (Pacific Institute, 2009). Viele Industriezweige setzen in ihren Produktionsprozessen eine kontinuierliche Wasserzufuhr voraus. Daher wirkt sich die weltweit zunehmend unsichere Wasserversorgung als externe Risikoquelle negativ auf die Lieferfähigkeit bzw. Leistungserstellung einzelner Unternehmen aus. Wassermangel kann potentiell zu Einschränkungen oder gar zu Unterbrechungen der Produktion führen. Im Jahr 2003 musste Electricité de France (EDF) beispielsweise aufgrund anhaltender Trockenheit und damit einhergehender Engpässe in der Kühlwasserversorgung ein Viertel seiner Atomkraftkapazitäten abschalten. Da keine Kraftwerke mit geringerer Wasserabhängigkeit (wie etwa Kohlekraftwerke) als Alternative zu Verfügung standen, konnte die Stromfehlmenge nicht ausgeglichen werden, vielmehr musste kostspielig Energie importiert werden. Es gab „keinen Plan B“ für den Fall von knappen Wasserständen. Die Feuerlöschaktivitäten haben bei EDF letztendlich einen finanziellen Schaden von mehr als 300 Millionen Euro angerichtet (JPMorgan, 2008, S. 14). Das klassische Konzept zur Bewältigung von Beschaffungsrisiken ist die Diversifikation von Produktions- oder Lieferressourcen (auch Supplier Risk Pooling oder Multiple Sourcing genannt). Wir zeigen, dass im Zuge der Diversifikation von Ressourcen der Aufbau von Überkapazitäten als „Operational Hedge“ ein effektives Instrument zur Handhabung exogener Risiken darstellt. Dazu ziehen wir ein einfaches zweistufiges Entscheidungsmodell heran. In der ersten Stufe des Entscheidungsmodells trifft das Unternehmen die Kapazitätsentscheidung jeweils für zwei unterschiedliche Ressourcen, die beide das gleiche Produkt herstellen und liefern können. Die tatsächliche Produktionsfähigkeit beider Anlagen hängt allerdings von der ausreichenden Zufuhr eines exogenen Produktionsfaktors (wie beispielsweise Kühlwasser) ab, dessen Verfügbarkeit zum Zeitpunkt der Investitionsentscheidung noch nicht bekannt ist. In der zweiten Stufe wird die Produktionsentscheidung getroffen, nachdem das Versorgungsniveau mit dem Produktionsfaktor bekannt ist und die tatsächlichen Produktionsfähigkeiten somit feststehen. Wenn die insgesamt errichtete Produktionskapazität die Nachfrage übertrifft, sprechen wir von einem „Kapazitätshedge“ oder einem „Operational Hedge“. Ein Operational Hedge entspricht also dem Errichten von „überschüssiger Kapazität“. Die Produktionsflexibilität, die solche Operational Hedges beinhalten, kann als Realoption betrachtet werden. Diese erlaubt dem Unternehmen abzuwarten, bis das Versorgungsniveau des kritischen Produktionsfaktors bekannt ist,
148
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
um dann die optimalen Produktionsentscheidungen flexibel zu treffen. Die Analogie dieser Realoption zu einer Finanzoption liegt darin, dass die Überkapazität Firmen mit einem Recht ausstattet, diese aber nicht verpflichtet, die Überkapazitäten auszulasten. Der Wert dieser Beschaffungsflexibilität kann sich auf zwei Wegen entfalten. Das Verlustrisiko, auf der einen Seite, wird in Zeiten eingeschränkter Produktionsfähigkeit beschränkt, da der Hedge eine wechselseitige Kompensation zwischen den Ressourcen erlaubt. Sollte die Produktionsmöglichkeit von Ressource 1 z.B. aufgrund mangelnder Kühlwasserversorgung begrenzt sein, kann dies durch einen Kapazitätshedge in Ressource 2 ganz oder teilweise ausgeglichen werden. Zu Zeiten hoher Produktionsfähigkeit, auf der anderen Seite, eröffnet der Kapazitätshedge die Option, zuerst die Ressource mit höherem Deckungsbeitrag auszulasten, vorausgesetzt, dass die insgesamt nutzbaren Produktionskapazitäten die Nachfrage übersteigen. Insofern muss die Ressource mit dem höheren Deckungsbeitrag nicht bis zur Kapazitätsgrenze ausgelastet werden. In einer numerischen Studie und auf Grundlage einer Monte Carlo Simulation soll im Folgenden der Wert unterschiedlicher Diversifikations- und operationeller HedgingStrategien untersucht und quantifiziert werden. Es zeigt sich, dass flexible Beschaffungsstrategien für Unternehmen, die exogenen Beschaffungsrisiken ausgesetzt sind, ein leistungsfähiges Instrument des strategischen Risikomanagements darstellen.
2
Basismodell
In diesem Abschnitt wird zuerst kurz die Grundstruktur des zweistufigen Entscheidungsmodells umrissen. Das Modell ist bewusst einfach gehalten, um essentielle Effekte isolieren zu können. Für eine vollständige Darstellung und rigorose Diskussion der eingesetzten Modellstruktur sei auf Sting und Huchzermeier (2008) verwiesen. Daran anschließend wird eine Anwendung des Modells beschrieben. Abschließend wird ein Überblick über das in der numerischen Studie verwendete Simulationsmodell gegeben.
2.1
Mathematische Grundlagen des zweistufigen Entscheidungsmodells
2.1.1
Investitions- und Produktionsproblem
Das untersuchte Problem lässt sich, wie in Abbildung 1 zu sehen, als dynamisches, d.h. mehrstufiges Entscheidungsmodell darstellen: In der ersten Periode entscheidet die Firma, wie viele Einheiten Produktionskapazität von Ressource 1 (Q1) und wie viele Einheiten von Ressource 2 (Q2) aufgebaut werden sollen; beide Ressourcen stel-
149
Wissenschaftliche Beiträge
len jeweils das gleiche Produkt her. Jede errichtete Kapazitätseinheit Qi führt zu Investitionskosten in der Höhe von ci. Allerdings entscheidet sich erst bei Aufnahme der Produktion, wie viele der errichteten Kapazitäten auch wirklich genutzt werden können. Dies hängt davon ab, ob zum Zeitpunkt der Produktion (t=2) der benötigte externe Produktionsfaktor (im Einführungsbeispiel das Kühlwasser) auch in ausreichendem Maße vorhanden ist. Da man mit der Kapazitätsentscheidung nicht bis zur Realisierung der Unsicherheit warten kann, muss die Entscheidung zuvor unter Unsicherheit getroffen werden. Dabei werden die Entscheidungsvariablen Q1 und Q2 so gewählt, dass der erwartete Gewinn maximiert wird. In der zweiten Periode klärt sich, welche Menge des kritischen Produktionsfaktors zur Verfügung steht. Es entscheidet sich somit, ob bis zur Kapazitätsgrenze produziert werden kann oder ob Produktionseinschränkungen in Kauf zu nehmen sind. Die Produktionsmengen sind also formal begrenzt durch qi ǂ min{Qi,Ki}, i= 1,2. Mit einer von Ressource i hergestellten und abgesetzten Einheit erwirtschaftet die Firma einen Deckungsbeitrag von pi.
IME
(
2. Stufe: Produktionsproblem Lieferzustand K1 und
1. Stufe: Investitionsproblem
möglich bedient.
Entscheidung unter Sicherheit: Firma legt Produktionsmengen q1 und q2 fest.
Zeit t Nachfrage wird soweit
Entscheidung unter Unsicherheit: Firma errichtet Kapazitätseinheiten Q1 und Q2.
K2 sind bekannt.
Abbildung 1: Zeitachse des zweistufigen Entscheidungsmodells
Dem dargestellten Modell liegen zusätzlich folgende Annahmen zugrunde: Zunächst wird davon ausgegangen, dass die Produktion des Produkts mit Ressource 1 einen (schwach) höheren Deckungsbeitrag erwirtschaftet als die Produktion mit Ressource 2 (p1 ǃ p2). Dies ist keine Einschränkung, die Ressourcen werden lediglich nach ihrem Deckungsbeitrag sortiert. Zudem soll gelten, dass die Produktion mit beiden Produktionsanlagen profitabel ist (pi ǃ ci ǃ 0), andernfalls würden keine Kapazitäten bei der entsprechenden Ressource aufgebaut werden.
150
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
2.1.2
Modellierung externer Unsicherheiten im Produktionsprozess im Sinne des Random Capacity Concepts
Industrielle Produktionsprozesse sind auf die kontinuierliche Versorgung mit bestimmten Produktionsfaktoren (z.B. Vorprodukte, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe) angewiesen. Eine unzureichende Versorgung kann schnell zu erheblichen Einschränkungen in der Leistungserstellung eines Unternehmens führen. Diese externe Unsicherheit wird im vorliegenden dynamischen Programm nach dem so genannten Random Capacity Concept (Dada et al., 2007) modelliert. Danach kann die tatsächliche Produktionskapazität in zweierlei Hinsicht Begrenzungen unterliegen: Zum einen ist die maximal mögliche Produktionsmenge naturgemäß durch die vorhandenen Produktionskapazitäten Qi beschränkt. Zum anderen können sich durch die ungenügende Versorgung mit bestimmten Produktionsfaktoren weitere Restriktionen ergeben. Diese Versorgungsunsicherheit wird im Modell durch die zwei Zufallsvariablen K1 und K2 dargestellt.1 Somit ist die maximale Produktionsmenge qi gemäß der Ungleichung qi ǂ min{Qi,Ki} (mit i= 1, 2) auf den geringeren der beiden Werte, d.h. Qi oder Ki, beschränkt.
2.2
Industrielle Wasserversorgung als Beispiel externer, kontinuierlicher Risikofaktoren in Produktionsprozessen
Eine von vielen relevanten Anwendungen für das skizzierte theoretische Entscheidungsmodell sind Investitions- bzw. Kapazitätsentscheidungen in Industriebereichen, die in ihrem Produktionsprozess von einer ausreichenden Wasserversorgung abhängig sind. So ließen sich beispielsweise bei einer Investitionsentscheidung für den Bau zweier Kraftwerke die Standortoptionen an verschiedenen Flüssen bewerten in Abhängigkeit vom Kriterium der jeweils verfügbaren Wasserkapazität zur Kühlwasserversorgung. Bei nur einem potentiellen Standort könnte wiederum abhängig von der Kühlwasserverfügbarkeit zwischen unterschiedlichen Technologien abgewogen werden, z.B. zwischen nuklearer oder der weniger auf Kühlwasserzufuhr angewiesenen, auf fossilen Treibstoffen basierenden Technologien wie z.B. Kohlekraftwerke. Mit Blick auf das Random Capacity Concept stellen die Zufallsvariablen K1 und K2 die potentielle Produktionsfähigkeit bedingt durch den Wasserstand der Flüsse und somit das verfügbare Kühlwasser dar.2 Die realisierten Wasserstände bestimmen somit die tatsächlichen Produktionsmöglichkeiten der zwei Kraftwerke und schränken diese gegebenenfalls auch ein. 1
2
Da die Versorgungszustände nur Werte Ӌ0 annehmen, werden die Zufallszahlen K1 und K2 über den positiven Teil der reellen abhängigen Zufallsvariablen R1 und R2 mit kontinuierlicher Wahrscheinlichkeitsverteilung P dargestellt (d.h. K1=R1+ und K2=R2+). Aus historischen Daten der Wasserstände lässt sich die Verteilung P der kontinuierlichen Zufallsvariablen bestimmen.
151
Wissenschaftliche Beiträge
Eine kürzlich erschienene Studie des Pacific Institutes (2009) zeigt auf, welche Industriezweige Gefahr laufen, ihre Produktion aufgrund unzureichender Wasserversorgung einschränken zu müssen. Dazu gehören insbesondere Biotechnologie-, Energie-, Nahrungsmittel-, Getränke-, Bekleidungs-, Halbleiter- und die Pharmaindustrie. Die Studie unterscheidet zwischen folgenden wasserabhängigen Risiken:
Physische Risiken: Schlechte Wasserqualität ist in einigen Bereichen ein entscheidendes Produktionsrisiko. Insbesondere in der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie – Wasser ist hier direkter Produktbestandteil – kann unzureichende Wasserqualität dazu führen, dass die Produktion heruntergefahren oder sogar eingestellt werden muss. Neben der Qualität stellen auch die Wasser-Quantität und auch Temperatur physische Risikoquellen dar. So kann ein niedriger Wasserstand eines Flusses die Leistungskraft anliegender Wasserkraftwerke erheblich schmälern. Brasilien, ein Land dessen Energiegewinnung zu 80% auf Wasserkraft beruht, ist insbesondere während Trockenperioden ganz erheblichen Risiken in der Energieversorgung ausgesetzt (International Energy Agency, 2006).
Regulatorische Risiken: Wassermangel und dadurch bedingte gesellschaftliche Probleme können Anlass dafür sein, dass Staaten die Wasserentnahme industrieller Unternehmen einschränken. In Indien verlor Coca-Cola 2009 aufgrund Trinkwassermangels sogar die Betriebsgenehmigung für zwei seiner Abfüllanlagen (The Economist, 21. April 2009). Zur Veranschaulichung der durch Wasserverfügbarkeit begründeten Versorgungsrisiken soll ein Fall aus der Halbleiterindustrie genauer betrachtet werden: Texas Instruments und Intel, die zwei weltgrößten Halbleiterhersteller, haben im Jahr 2007 zusammen über 41 Milliarden Liter Wasser für die Produktion von Mikrochips verbraucht (siehe Levinson, 2008, S. 38). Eine Risikostudie von JPMorgan (2008, S. 39) ergab, dass ein Produktionsstop wegen Wassermangel einen Verlust von ca. 100 bis 200 Millionen Dollar pro Quartal für diese Firmen bedeuten könnte. Neben einer ausreichenden Verfügbarkeit ist insbesondere die Qualität des Wassers von Bedeutung. In den zahlreichen Reinigungsstufen im Produktionsprozess verwenden Halbleiterhersteller fast ausschließlich Reinstwasser (Ultrapure Water). Reinstwasser zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, auch kleinste organische und anorganische Partikel von der Wasseroberfläche ablösen zu können. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da selbst kleinste Rückstände z.B. anorganische Salze auf einer Silizium-Halbleiterscheibe sich in einer geringeren Produktionsausbeute niederschlagen. Für die Verarbeitung einer einzelnen 200 mm breiten Siliziumscheibe sind zwischen 5.500 und 7.500 Liter Reinstwasser nötig (Frost & Sulivan, 2009). Die kritische Bedeutung des produktionstechnisch bedingt hohen Wasserbedarfs wird verstärkt durch den Umstand, dass die Mehrheit der Produktionsstätten der Halbleiterindustrie in Gebieten mit Wasserknappheit angesiedelt ist, wie z.B. in Asien oder – wenn auch nicht in der Massierung – in Nordkalifornien (Silicon Valley). In Zeiten des
152
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
Klimawandels und zunehmender Wasserknappheit in vielen Teilen der Welt ist es nicht verwunderlich, dass bei einer Umfrage unter Führungskräften der Halbleiterindustrie eine zuverlässige Wasserversorgung mittlerweile als ein entscheidender Faktor bei der Standortentscheidung zukünftiger Produktionsstätten bezeichnet wurde (Leachmann and Leachmann, 2004, S. 226). Das Risiko unzureichender Wasserversorgung lässt sich zwar im bestimmten Maße durch Wasseraufbereitungsanlagen reduzieren, dieser Weg ist allerdings teuer und zudem wartungsintensiv. Um sich gegen unsichere Produktionsfähigkeiten, verursacht durch externe, kontinuierliche Risiken wie etwa gegen eine unsichere Wasserversorgung abzusichern, kann es – wie im folgenden dargestellt – neben der reinen Risikodiversifikation vorteilhaft sein, in Flexibilität in Form von Operational Hedges z.B. an unterschiedlichen Standorten oder in Form unterschiedlicher Technologien zu investieren.
2.3
Konzeption des Simulationsmodells
Dieser Abschnitt beschreibt den grundlegenden Aufbau der stochastischen Simulation und der darauf basierenden Optimierung. Im Unterschied zu einer analytischen Lösung des Entscheidungsproblems (Sting und Huchzermeier, 2008), können mit Hilfe einer stochastischen Simulation zahlreiche weitere Rückschlüsse hinsichtlich der zufallsabhängigen Leistungskennzahlen des Modells gezogen werden. Das zuvor skizzierte dynamische Entscheidungsproblem wird durch Rückwärtsinduktion gelöst. Dazu sucht man zunächst die optimale Entscheidung der zweiten Entscheidungsstufe, nämlich die optimalen Produktionsmengen q1 und q2. Die Produktionsmengen unterliegen den Entscheidungen der ersten Stufe (Produktionskapazitäten Q1 und Q2) und den realisierten Zufallsvariablen K1 und K2 (Lieferzustand 1 and 2). Die Firma wird immer zuerst die Produktionsmöglichkeiten von Ressource 1 mit dem höheren Deckungsbeitrag ausschöpfen. Somit ergeben sich folgende optimalen Produktionsmengen für Ressource 1 und Ressource 2 (eine so genannte „greedy solution“):
q1* = min{d , Q1 , K1 }
(3)
q2*
(4)
= min{d − min(d , Q1, K1 ), Q2 , K 2 }
Durch Einsetzen der optimalen Produktionsmengen (3) und (4) in die Zielfunktion der ersten Stufe erhält man somit folgendes stochastisches Optimierungsproblem:
maxQ ∏ (Q ) =Ε[ p1 min{d , Q1 , K1} + p2 min{d − min(Q1 , K1 ), Q2 , K 2 }] − c1Q1 − c2Q2
(5)
Nun gilt es eine Möglichkeit zu finden, die optimalen Produktionskapazitäten Q1 und Q2 des stochastischen Programms numerisch zu bestimmen. Einen Lösungsansatz bietet die Sample Average Approximation- (SAA-)Methode, auch bekannt unter den Namen Sample Path Optimization (Fu, 2002, S. 209) und Stochastic Counterpart Method. Die Grundidee dieser Methode besteht darin, eine Stichprobe Β1...ΒN der Größe N (des
153
Wissenschaftliche Beiträge
Zufallsvektors Β mit der Verteilung P) zu erzeugen und dabei anstatt des Erwartungswerts der Zielfunktion das Stichprobenmittel als Zielgröße zu optimieren (Ahmed und Shapiro, 2002, S. 3):
Ε[Q (γ ,ξ )]
1 N
N n ¦ n =1Q (γ ,ξ )
(6)
Diese Methode ist erwartungstreu. Angewandt auf unsere Zielfunktion ergibt sich somit folgendes SAA-Problem:
ˆ (Q ) = Π
1 N
n n n ¦nN=1[ p1 min{d , Q1 , K1 } + p2 min{d − min(Q1 , K1 ), Q2 , K 2 }] − c1Q1 −c2Q2
(7)
Die SAA-Ersatzfunktion (7) hat den Vorteil, dass sie mit einem gewöhnlichen deterministischen Optimierungsalgorithmus, der in Standardsoftware wie z.B. Matlab oder Maple enthalten ist, erwartungstreu gelöst werden kann. Um das multivariate Optimierungsproblem (7) (mit den Entscheidungsvariablen Q1 und Q2) zu lösen, wird hier auf einen heuristischen Optimierungsalgorithmus zurückgegriffen, der in seiner Grundstruktur an der Hooke-Jeeves Methode orientiert ist (Nocedal and Wright, 1999, S. 53).3 Es handelt sich dabei um ein „direktes Optimierungsverfahren“, dessen Ausführung ohne Verwendung des Gradienten der Zielfunktion auskommt. Da die stückweise lineare Zielfunktion (7) nicht überall differenzierbar ist, ist dies eine Grundvoraussetzung für die Auswahl des geeigneten Optimierungsalgorithmus. Ein weiterer Vorteil des SAA-Ansatzes liegt nach Shapiro (2003, S. 67) in den guten Konvergenzeigenschaften. Um das oben beschriebene stochastische Ausgangsproblem (5) mit ausreichender Genauigkeit und überschaubarem Rechenaufwand approximieren zu können, wird eine Stichprobengröße von N=1000 Paaren bivariater Zufallszahlen simuliert. Zur Durchführung der beschriebenen Methode müssen somit jeweils N=1000 Ausprägungen der korrelierten Zufallszahlen R1 und R2 erzeugt werden. Ein gängiges Verfahren zur Generierung korrelierter Zufallszahlen beruht auf der Cholesky Zerlegung. Dazu geht man in folgenden Schritten vor: Zunächst sind jeweils N=1000 Ausprägungen der unabhängigen standardnormalverteilten Zufallsvariablen Z1 und Z2 zu erzeugen. Im Rahmen der durchgeführten Simulation greifen wir hier auf einen üblichen Random Number Generator in MAPLE zurück. Anschließend wird die Kovarianzmatrix Ȉ der Variablen R1 und R2 mittels Cholesky-Zerlegung Ȉ=AAT in eine untere und obere Dreiecksmatrix zerlegt: T
A A Σ
ρ · 0 · §1 §1 ρ· §1 ¸ ¸ ⋅¨ ¨¨ ¸¸ = ¨¨ 1 − ρ 2 ¸¹ ¨© 0 1 − ρ 2 ¸¹ ©ρ 1¹ ©ρ
3
154
Die zu optimierende Zielfunktion ist konkav und hat somit nur ein globales Maximum.
(8)
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
Mit Hilfe der Transformationsmatrix A können nun die unkorrelierten Zufallszahlen Z1 und Z2 in korrelierte überführt werden:
· §XN· § § X 1N · Z1N ¸ ¨ N ¸ = A ⋅ ¨ 1N ¸ = ¨ N ¨ X ¸ ¨ ρZ + 1 − ρ 2 ⋅ Z N ¸ ¨X ¸ 2 ¹ © 2 ¹ © 1 © 2 ¹
(9)
Die normalverteilten, korrelierten Zufallszahlen Ri mit Mittelwert ȝi und Standardabweichung ıi erhält man aus den standardisierten Zufallszahlen durch die Transformationsvorschrift Ri= ȝi + ıi Xi. Zusammengefasst ergibt sich somit:
R1 = μ1 + σ 1 ⋅ Z1 R2 = μ 2 + σ 2 ⋅ ¨§ ρZ1N + 1 − ρ 2 ⋅ Z 2N ·¸ © ¹
(10)
In Abbildung 2 sind beispielhaft zwei simulierte Stichproben der normalverteilten Zufallsvariablen R1 und R2 dargestellt.
Abbildung 2: Exemplarische Darstellung zweier normalverteilter Zufallszahlen R1 und R2 mit negativer (links) und positiver Korrelation (rechts). Negative Korrelation (- 0.7)
3
Positive Korrelation (+ 0.7)
Simulationsergebnisse
Im folgenden Abschnitt werden die mittels der in 2.2 vorgestellten Simulation generierten Ergebnisse zusammengefasst. Abbildung 3 illustriert aggregiert Resultate eines repräsentiven Optimierungsdurchlaufs. Es ergeben sich sieben optimale Beschaffungsstrategien (,,Sourcing Strategies”) und die dazu gehörenden optimierten Kapazitäten in Abhängigkeit der marginalen Investitionskosten c1 and c2. Die Strategien, definiert im rechten Feld der Abbildung, lassen sich dabei in Strategien ohne Kapazitätshedge (Single Sourcing, Splitting without Hedge) und flexible Beschaffungsstrategien unterteilen, die einen Kapazitätshedge
155
Wissenschaftliche Beiträge
beinhalten (Double Sourcing, Splitting with Hedge, Sourcing from Resource 2 with Priority Hedge in Resource 1 und Sourcing from Resource 1 with Backup Hedge in Resource 2).
Abbildung 3: Optimale Beschaffungsstrategien (Sourcing Strategies) und die dazugehörigen optimierten Kapazitäten in Abhängigkeit der marginalen Investitionskosten c1 und c2.
3 .
Optimale Kapazitätsmenge Q1+Q2 200
4 .
2 .
175 5 .
150 125 100
7 .
1 .
75 6 .
50
0
c2
c1
5
5.5
Wie bereits in der Einleitung erläutert, bauen Firmen durch die Operational Hedging Strategien (d.h. Strategien Nr. 2, Nr. 3, Nr. 4, Nr. 5) Überkapazitäten auf und schaffen sich dadurch eine Realoption: Firmen können flexibel auf diese Überkapazitäten zurückgreifen und auf sich ändernde Umweltzustände reagieren. Verluste werden eingedämmt, im Falle geringer Produktionsfähigkeiten wird die „Option auf die Überkapazität gezogen“. Gleichzeitig werden zusätzliche Gewinne dadurch realisiert, dass im Falle voll verfügbarer Kapazitäten diejenigen Ressourcen mit dem höheren Deckungsbeitrag zuerst ausgelastet werden. Um nun den tatsächlichen, relativen Wert der flexiblen Beschaffungsstrategie im Vergleich zur unflexiblen, starren Basisstrategie (Single Sourcing from Resource 1) zu bestimmen, wird der Erwartungsgewinn beider Fälle verglichen. Der relative Realoptionswert V* sei definiert als:
V* =
Π* − ΠSS ΠSS
(11)
Dabei bezeichnet ȆSS den erwarteten Gewinn im Fall der Basisstrategie (Single Sourcing from Resource 1) und Ȇ* den erwarteten Gewinn im Fall der optimalen Operational Hedging Strategie.
156
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
3.1
Der Wert von Flexibilität bei zunehmenden Lieferrisiken
In einer ersten Simulation soll untersucht werden, wie sich ein höheres Risiko, dargestellt durch eine höhere Volatilität (d.h. höhere Standardabweichung ı2 und ı1) der Zufallsgrößen K1 und K2, auf den Wert operationeller Hedging Strategien auswirkt. Folgende Parameter werden dabei während der Simulation konstant gehalten: Die marginalen Investitionskosten c1 = c2 = 1,5, die Deckungsbeiträge p1= 10 and p2= 8, die Mittelwerte von K1 und K2 ȝ1= ȝ2= 130 und der Korrelationskoeffizient der Zufallsvariablen K1 und K2 ȡ = 0.25. Abbildung 4 fasst zusammen, welche Kapazität bei steigendem Risiko jeweils aufgebaut werden sollte.
Abbildung 4: Optimale Gesamtkapazität (d.h. Q1+Q2) und der dazugehörige relative Optionswert in Abhängigkeit von der Volatilität der Ressource 2 (Simulationsparameter: ı1 =2ı2, ȝ1= ȝ2=130, c1= c2 = 1,5, p1 =10, p2=8, ȡ = 0.25, d = 100)
157
Wissenschaftliche Beiträge
Wie in der unteren Hälfte der Abbildung zu sehen, führt ein höheres Versorgungsrisiko tendenziell zu einem höheren Anteil der weniger volatilen Ressource 2 an der optimalen Gesamtkapazität (zu beachten ist, dass das Verhältnis ı2 = 0.5ı1 bei der Erhöhung von Η2 konstant gehalten wird). Sind beide Ressourcen zuverlässig (d.h. Η2 ƿ 0 und Η1ƿ 0), erweist sich eindeutig Single Sourcing Ressource 1 als optimal. Die Begründung liegt darin, dass bei absoluter Versorgungssicherheit die Ressource 1 stets die volle Produktionsleistung liefern und die Nachfrage alleine decken kann. Somit ist eine Absicherung durch Produktion von Ressource 2 mit geringerem Deckungsbeitrag in diesem Fall nutzlos. Bei steigender Unsicherheit gewinnt hingegen die Absicherung in Form eines Kapazitätshedges zunehmend an Bedeutung: Die Überschusskapazität nimmt bei steigender Volatilität zu. Der obere Plot zeigt zudem, dass bei steigender Unsicherheit der Wert der optimalen Operational Hedging Strategie im Vergleich zur statischen Single Sourcing Strategie wächst. Flexibilität gewinnt bei höherer Unsicherheit an Wert.
Tabelle 1: Erwartete Fehlmenge bei Single Sourcing from Resource 1(ESS [Fehlmenge]) und bei optimaler Operational Hedging Strategie E*[Fehlmenge] im Vergleich. ESS[Fehlmenge] ı1 = 0
0,0
E*[Fehlmenge] 0,0
(ESS-E*)/ESS in % 0,0
ı1 = 40
- 5,3
- 4,1
22,6
ı1 = 80
- 17,5
- 7,3
58,3
ı1 = 120
- 25,4
- 9,8
61,4
ı1 = 160
- 31,3
- 12,0
61,7
Tabelle 1 zeigt beispielhaft, wie sich die Fehlmengen bei Verwendung der unflexiblen Basisstrategie (Single Sourcing from Resource 1) und bei Verwendung der optimalen Operational Hedging Strategie verhalten (gleiche Simulationsparameter wie in Abbildung 4). Eine Fehlmenge entsteht, wenn die tatsächlichen Produktionsmengen (q1+q2) aufgrund einer unzureichenden Versorgung mit dem kritischen Produktionsfaktor niedriger als die Nachfrage ausfallen. Im Fall der unflexiblen Beschaffungsstrategie steigt die erwartete Fehlmenge naturgemäß mit zunehmender Versorgungsunsicherheit an. Der Kapazitätshedge einer flexiblen Beschaffungsstrategie setzt hier an und dämmt auftretende Fehlmengen ein. Je höher die Unsicherheit, desto effektiver ist der Einsatz der Hedging-Kapazität: In der rechten Spalte der Tabelle sieht man, dass der Anteil der „abgewehrten Fehlmengen“ mit zunehmender Unsicherheit steigt. Abbildung 5 stellt für den Fall ı2= 60 die erwartete Gewinnverteilung bei Single Sourcing und bei Verwendung der optimalen Beschaffungsstrategie gegenüber (bei identischen Simulationsparameter wie in Abbildung 4). Die zu Anfang getroffene Aussage, die Beschaffungsflexibilität (Realoption) reduziere das Verlustrisiko bei gleichzeitiger Steigerung des Gewinnpotentials, findet hier ihre Bestätigung: Einerseits erhöht sich
158
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
der erwartete Gewinn um mehr als 7% , wenn man anstatt Single Sourcing from Ressource 1 auf die optimale Strategie setzt (Steigerung des Gewinnpotentials), andererseits sinkt die Anzahl der schlechten Gewinnresultate (Reduktion des Verlustrisikos).
Abbildung 5: Histogramm der realisierten Gewinne im Fall von Single Sourcing from Resource 1 (hellgrau) und im Fall der optimalen Hedgingstrategie (dunkelgrau).
E*[Gewinn] = 639
Häufigkeit
1000
ESS[Gewinn] = 594
10000
100
10
3.2
E[Profit]
Der Wert von Flexibilität bei unterschiedlich korrelierten Lieferrisiken
In einer zweiten numerischen Studie werden die Auswirkungen der stochastischen Abhängigkeit zwischen den exogenen Unsicherheitsfaktoren K1 und K2 auf die optimale Sourcing Strategie simuliert. Dabei wird untersucht, wie sich eine steigende Korrelation zum einen auf die optimale gesamte Kapazitätsmenge Q1+Q2 auswirkt und zum anderen, wie sich der relative Optionswert (d.h. der Gewinnanstieg der sich durch Verwendung der optimalen Sourcing Strategie anstatt der statischen Single Sourcing Strategie ergibt) verändert. Dabei besteht bei perfekter positiver Korrelation, ausgedrückt durch einen Korrelationskoeffizienten von ȡ = 1, ein positiv linearer Zusammenhang zwischen den Zufallsvariablen K1 und K2. Übertragen auf das Kraftwerksbeispiel bedeutet dies, dass sich beide Produktionsfähigkeiten K1 und K2 parallel entwickeln, d.h. entweder gleich niedrig oder gleich hoch ausfallen (siehe Abbildung 7). Diese Situation tritt auf, wenn sich die Kraftwerke am gleichen Fluss befinden und identische Wasserbedarfsprofile aufweisen. Der andere Extremfall, perfekte negative Korrelation (ȡ = -1), bedeutet, dass
159
Wissenschaftliche Beiträge
sich die Wasserstände im selben Ausmaß, allerdings in entgegengesetzter Richtung bewegen. Ein Korrelationskoeffizient von ȡ = 0 besagt, dass keine Korrelation und somit auch keine lineare Abhängigkeit zwischen den zwei Variablen herrscht. Abbildung 6 zeigt nun die per stochastischer Simulation erhaltenen optimalen Kapazitätsmengen und den zugehörigen relativen Optionswert in Abhängigkeit der variablen Kapazitätskosten für Ressource 2 und dem Korrelationskoeffizienten. Die ermittelten, optimalen Strategien variieren dabei zwischen den oben bereits definierten Strategien Double Sourcing, Sourcing from Resource 1 with Backup Hedge in Resource 2 und Single Sourcing from Resource 1. Für Ressource 1 mit höherem Deckungsbeitrag werden Kapazitäten stets in voller Höhe, d.h. in Höhe der Nachfrage aufgebaut. Der Hedge in Form von zusätzlichen Kapazitätseinheiten bei Ressource 2 dient dabei als Sicherheit für den Fall eingeschränkter Produktionsmöglichkeiten von Ressource 1. Die Höhe des Hedges fällt unterschiedlich aus, je nachdem wie viel eine Kapazitätseinheit von Ressource 2 kostet und variiert – wie in Abbildung 6 zu sehen – zwischen den Extremfällen einer Komplettabsicherung in Höhe der Nachfrage (d.h., Q2=d) und keiner Absicherung (d.h., Q2=0). Dabei ist Diversifikation in den im Intervall von c2=0.5 bis c2=1,5 dargestellten Fällen optimal. Von Diversifikation sprechen wir, wenn die Nachfrage d von mehr als einer Beschaffungsquelle (d.h. Q1 > 0 und Q2 > 0) bedient wird, nach dem Motto "setze nie alles auf eine Karte". In der Finanztheorie bildet Diversifikation die Grundlage jeglicher Risikominimierungsansätze (Grinblatt und Titman, 2001, S. 98). Dabei verteilen Investoren ihr Vermögen auf unterschiedliche Wertpapiere, Anlageklassen, Länder oder Branchen, mit dem Ziel, das Gesamtrisiko möglichst breit zu streuen. Die theoretische Grundlage für die Diversifikation liefert die Portfoliotheorie. Demnach ist die Volatilität eines zusammengesetzten Portfolios aus verschiedenen Investitionen kleiner als das arithmetische Mittel der Einzelrisiken (siehe Markowitz, 1991):
σ Aggregate = ω12σ 12 + 2ω1ω 2 ρ12σ 1σ 2 + ω 22σ 22 ≤ ω1σ 1 + ω 2σ 2
(12)
Das Ausmaß des Diversifikationseffekts wird maßgeblich durch den Korrelationskoeffizienten ȡ bestimmt (Ȧ1 und Ȧ2 bezeichnen dabei die Gewichtung von Ressource 1 bzw. Ressource 2). Er ist umso deutlicher je niedriger die Korrelation ȡ ausfällt. In der oberen Hälfte von Abbildung 6 erkennt man, dass bei gegebener Korrelation des bivariaten Beschaffungsrisikos der Optionswert mit steigenden Kapazitätskosten von Ressource 2 abnimmt. Insofern ist es intuitiv, dass, dargestellt in der unteren Hälfte, auch die Gesamtkapazität bei steigenden Kapazitätskosten abnimmt. Erhöht man nun die Korrelation zwischen den Beschaffungsrisiken, verschiebt sich die Kurve des Optionswertes und der Gesamtkapazität nach unten. Ceteris paribus sinkt der Wert der Flexibilität, wenn „die Risiken (positiv) abhängiger werden“. Bei negativer Korrelation erlaubt die Überschusskapazität eine gegenseitige Kompensation ungünstiger Versorgungszustände. Je mehr der Korrelationskoeffizient ȡ steigt, desto geringer fällt der Effekt der gegenseitigen Kompensation aus, und es sinkt folglich die Höhe der optimalen Hedging-Kapazität. 160
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
Die Simulationsstudie bestätigt die analytisch herleitbare Ergebnisse (Sting und Huchzermeier, 2008), wonach es selbst im Grenzfall perfekter positiver Korrelation sinnvoll sein kann, einen Kapazitätshedge aufzubauen.
Abbildung 6: Optimale Gesamtkapazität (d.h. Q1+Q2) und der dazugehörige relative Optionswert in Abhängigkeit von den marginalen Investitionskosten für Ressource 2 und der Korrelation zwischen K1 und K2 (Simulationsparameter: ı1 =ı2=120, ȝ1= ȝ2=120, c1 =1 , p1 =8, p2=6, d = 100)
rel. Realoptionswert
25% 20% 15% 10% 5%
Optimale Kapazitätsmenge Q1 + Q2
0% 200 175 150 125 Hedge
100 0,5
1
1,5
2
c2
2,5
Im untersuchten Beispiel ist es selbst bei einem Korrelationskoeffizienten von ȡ = 1 optimal – je nach Höhe der Investitionskosten für Ressource 2 – einen Hedge von bis zu 50 Produktionseinheiten zu errichten. Da der Diversifikationseffekt in dieser Grenzfallbetrachtung gegen Null strebt, ist der Wert des Kapazitätshedge nun ausschließlich durch die Produktionsflexibilität, die ein solcher Operational Hedge beinhaltet, begründet. Wie in Abbildung 7 schematisch dargestellt, erlaubt die Überschusskapazität somit zum einen eine Einschränkung des Verlustrisikos bei geringer Kühlwasserversorgung. Es können schließlich nicht nur die 35 Einheiten mit der eingeschränkten Kapazität der Ressource 1 produziert werden, sondern zusätzlich auf Ressource 2 zurückgegriffen werden, die weitere 35 Einheiten produzieren kann. Zum anderen stehen im Fall ausreichender Kühlwasserversorgung beide Produktionskapa-
161
Wissenschaftliche Beiträge
zitäten in vollem Umfang zur Verfügung, so dass das Unternehmen ausschließlich mit der profitableren Ressource/Anlage produzieren wird, ohne den Kapazitätshedge in Anspruch zu nehmen.
Abbildung 7: Schematische Darstellung perfekt korrelierter Versorgungszustände (links: unzureichende Wasserversorgung, rechts: ausreichende Wasserversorgung) Bad supply state
Good supply state
Q1 =100
Q1 =100
Q2 =35
Q2 =35 q2 =35
q1 =35
water level
4
Modellerweiterung
4.1
Unsichere Nachfrage
q2 =0
q1 =100
In der Unternehmenspraxis spielt Unsicherheit sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Absatzseite eine Rolle. Bis jetzt wurde vereinfachend eine konstant gegebene Nachfrage d angenommen. Diese Annahme hat es uns ermöglicht, den „Kapazitätshedge“ unter Lieferunsicherheit zu isolieren. Im Folgenden soll diese Annahme gelockert und zusätzlich der Fall unsicherer Nachfrage untersucht werden. Auf der Absatzseite gewinnt unsere Simulation dadurch den Charakter eines so genannten „Newsvendor“ Modells. Abbildung 8 zeigt die zugehörige Zeitachse des erweiterten Modells.
162
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
Abbildung 8: Zeitreihe des Investitions- und Produktionsproblems unter Nachfrage und Beschaffungsunsicherheit. Nachfrage und Beschaffungssituation sind bekannt 1. Stufe - Investitionsentscheidung unter Beschaffungs- und Nachfrageunsicherheit: Unternehmen errichtet Kapazitäten Q1 und Q2
Nachfrage wird soweit wie möglich bedient
. 2. Stufe - Produktionsentscheidung unter Sicherheit. Unternehmen legt Produktionsmengen q1 and q2 fest
Zeit t
Die Investitionsentscheidung der ersten Stufe wird nun nicht nur unter Beschaffungssondern auch unter Nachfrageunsicherheit getroffen. Ohne die Kenntnis der konstanten Nachfrage ist es dabei nur möglich, zwischen den drei folgenden, statt wie gehabt sieben, optimalen Beschaffungsstrategien zu unterscheiden: Single Sourcing from Resource 1, Single Sourcing from Resource 2 und Dual Sourcing (Sting und Huchzermeier, 2009). Um das erweiterte Modell per Simulation zu untersuchen, muss zuerst das zweistufige dynamische Programm um die Nachfrageunsicherheit erweitert werden. Wir erhalten somit:
[
]
max ∏ (Q ) =Ε p1 min{D, Q1 , K1} + p2 min{(D − min{Q1 , K1})+ , Q2 , K2 } − c1Q1 − c2Q2 (13) Analog kann nun der oben beschriebene SAA-Ansatz angewendet werden, um als erwartungstreuen Zielwert das arithmetische Mittel der simulierten realisierten Gewinne zu optimieren. Es ergibt sich daraus folgende erweiterte Zielfunktion:
ˆ (Q ) = max Π 1 N
N
n n n n + n ¦ [ p1 min{D , Q1 , K1 } + p2 min{( D − min{Q1 , K1 }) , Q2 , K 2 }] − c1Q1 − c2Q2
(14)
n =1
Wir nehmen für diese numerische Analyse an, dass die Zufallsvariable der Nachfrage D normalverteilt ist mit einem Mittelwert von ȝD und einer Standardabweichung von ıD. Abbildung 9 illustriert exemplarisch einen Optimierungsdurchlauf bei Beschaffungs- und Nachfrageunsicherheit.
163
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 9: Optimale Beschaffungsstrategien (Sourcing Strategies) und die dazugehörigen optimierten Kapazitäten in Abhängigkeit der marginalen Investitionskosten c1 und c2 (Fall: Beschaffungs- und Nachfrageunsicherheit).
Optimale Kapazitätsmenge Q1+Q2 200 175 150 125 100 75 50
c1 c2 4.5
3.5
Mittels Simulation lässt sich nun untersuchen, inwiefern es im Fall unsicherer Nachfrage und Lieferunsicherheit sinnvoll ist, zusätzliche Hedging-Kapazität aufzubauen. Dazu lassen wir in einem ersten Schritt ıD gegen Null konvergieren. Damit nähern wir uns dem Fall deterministischer Nachfrage an (d.h. E[D]ƿd). Die Differenz aus Gesamtkapazität Q1+Q2 und erwarteter Nachfrage E[D] kann dabei als „isolierter Hedge gegen Lieferunsicherheit“ interpretiert werden. In einem nächsten Schritt erhöhen wir die Nachfrageunsicherheit. Dies führt zum Aufbau zusätzlicher Hedging-Kapazität, wie in Abbildung 10 dargestellt. Die Zunahme der optimalen Gesamtkapazität kann dabei – ähnlich zum Newsvendor-Modell (siehe z.B. Cachon, S. 245) – über die Tatsache erklärt werden, dass die marginalen Kosten für Fehlmengen (entgangener Gewinn je Fehlmengeneinheit ist CUnderage = pi-ci) höher als die marginalen Kosten für überschüssige Kapazität sind (entgangener Gewinn je überschüssiger Kapazitätseinheit ist COverage= ci). Diese Konstellation bewirkt, dass der optimale Kapazitätshedge bei zunehmender Nachfrageunsicherheit ansteigt.
164
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
Abbildung 10: Einfluss der Nachfrageunsicherheit auf die Gesamtkapazität (Simulationsparameter: ı1=ı2=100,ȝ1=ȝ2=130,c1=1,c2=1,5,p1=10,p2= 7, ȡ=1, ȝD =100)
Optimale Kapazitätsmenge Q 1 + Q 2
200 180 160
zusätzlicher "isolierter Hedge" gegen Nachfrageunsicherheit
140 120
"isolierter Hedge" gegen Lieferunsicherheit
100 80 60 40 20 0 0
4.2
0,2
0,4 0,6 Variationskoeffizient = ʍD/ʅD
0,8
1
Risikoaversion
In der klassischen Operations Management-Literatur werden vor allem risikoneutrale Entscheidungsträger betrachtet. Diese maximieren den erwarteten Gewinn (bzw. minimieren die erwarteten Gesamtkosten) und lassen dabei die Volatilität der Ergebnisse außer Acht. In der Beschaffungspraxis treten viele Entscheidungssituationen auf, in denen die handelnden Akteure (beispielsweise Einkäufer) risikoavers agieren. D.h., sie sind bereit, auf einen gewissen Anteil des erwarteten Gewinns zu verzichten, wenn sich dafür im Gegenzug die Volatilität der Resultate verringert. Eine Umfrage aus dem Jahr 2007 bestätigte dies; mehr als 40 % der befragten Führungskräfte stufte ihr eigenes Unternehmen als risikoavers in Entscheidungssituationen ein, die Kapazitäten oder Ressourcenallokationen betreffen (McKinsey, 2007, S. 12).
Bis jetzt wurden die optimalen Beschaffungsstrategien mit der Zielsetzung "Maximierung des Erwartungsgewinns" optimiert. Im Folgenden wird untersucht, welche Auswirkungen die Risikoaversion auf die Auswahl der optimalen Strategien hat. Eine Möglichkeit, risikoaverse Entscheidungsträger abzubilden, liefert die Expected Utility Theory. Dabei wird häufig auf die exponentielle Nutzenfunktion zurückgegriffen U(x)= - exp(-Įx), die aufgrund ihrer Eigenschaft konstanter absoluter Risikoaversion auch als CARA-Nutzenfunktion bezeichnet wird (Constant Absolute Risk Aversion). Eine Erhöhung des Risikoaversionskoeffizienten Į führt – bildlich gesprochen – zu einer stärker gekrümmten Nutzenfunktion. Dies bedeutet, dass z.B. ein zusätzlicher
165
Wissenschaftliche Beiträge
Verlust von 10 € den Nutzen stärker reduziert, als ein gleich hoher zusätzlicher Gewinn von 10 € den Nutzen erhöht. Eine Risikobewertung mittels Nutzenfunktion ist in der Praxis jedoch kaum umsetzbar, da im Allgemeinen die genaue Form der individuellen Nutzenfunktion eines jeden Entscheidungsträgers nicht bekannt ist. Eine leichter zu implementierende Möglichkeit stellt der Mean Variance-Ansatz dar. Dieser Ansatz geht auf den Nobelpreisträger Harry Markowitz zurück und bildet in der Finanztheorie die Grundlage der modernen Portfoliotheorie (Levy and Post, 2005). Die folgende Definition einer Nutzenfunktion beschreibt den Mean Variance-Ansatz: Ε[U MV ( x )] = μ ( x ) −
α 2
⋅σ 2 ( x)
(15)
Gemäß Gleichung (15) steigt der Erwartungsnutzen, wenn der Mittelwert bzw. Erwartungswert zunimmt. Der Erwartungsnutzen sinkt dagegen, wenn der Risikoaversionskoeffizient oder die Varianz steigen. Nach Van Mieghem (2003) und Levy und Post (2005) hat der Mean Variance-Ansatz zwei entscheidende Vorteile: Zunächst ist er relativ einfach handhabbar und damit praxisgerecht, da lediglich zwei Schätzgrößen, nämlich Erwartungswert E(x) (bzw. ȝ(x)) und Varianz ı(x) benötigt werden. Darüber hinaus liefert der Mean Variance-Ansatz Entscheidungsträgern nützliche Erkenntnisse zum Zielkonflikt zwischen erwartetem Risiko und Gewinn. Der Mean Variance-Ansatz ist in Abbildung 11 schematisch als Η-ΐ-Diagramm abgebildet. Dabei enthält die Effizienzkurve (Efficient Frontier) alle realisierbaren Portfolios, die nicht durch ein unterschiedlich zusammengesetztes Portfolio dominiert werden. In unserem Modell besteht das Portfolio aus den zwei Kapazitätsmengen Q1 und Q2. Nachdem man nun die Effizienzkurve bestimmt hat, legt die Risikoaversion fest, inwiefern der Entscheidungsträger bereit ist, auf Gewinn im Austausch für ein niedrigeres Risiko zu verzichten. Graphisch wird dieser Zielkonflikt anhand der Indifferenzkurven dargestellt, die jeweils durch ein konstantes Nutzenniveau gekennzeichnet sind. Die Steigung dieser Geraden wird durch den Risikoaversionskoeffizienten bestimmt. Der Schnittpunkt aus Effizienzkurve und Indifferenzkurve legt die optimale Kapazitätsmenge für den individuellen Akteur fest.
166
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
Abbildung 11: Schematische Darstellung des Mean Variance-Ansatzes (angelehnt an Van Mieghem, 2008)
U1 U2
Maximaler E[Gewinn] – Lösung
E[Gewinn]
U3
ɲ/2
des risikoneutralen Akteurs
Optimale Kapazitätsdkjh O menge für Akteur i
Effizienzkurve Erwartungsnutzen Minimales Risiko
ʍ2[Gewinn]
In der Operations Management-Literatur haben Entscheidungsmodelle mit explizit risikoaversen Akteuren in den letzten Jahren Einzug gehalten. Van Mieghem (2003) und Kouvelis et al. (2006) sehen in diesem Ansatz einen aktiven Forschungszweig, der in den nächsten Jahren viel Innovation erwarten lasse. Die bereits existierende Literatur beschränkt sich zumeist auf klassische Newsvendor-Modelle. Eeckhoudt et al. (1995) zeigen beispielsweise, dass die optimale Bestellmenge unter Annahme einer konkaven Nutzenfunktion immer abnimmt, wenn die Risikoaversion zunimmt. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass im Gegensatz zu den klassischen Newsvendor-Modellen, im Fall exogener Risiken ein Anstieg der Risikoaversion nicht zwangsläufig zu niedrigeren Investitionen führen muss. Dazu beziehen wir den Mean Variance-Ansatz in das Modell mit ein:
1 Max Ε[U MV ( Π )] = Ε( Π ) − ασ 2 ( Π ) 2
(16)
Ε( Π ) = p1 min{Q1 , K1 , d } + p2 {d − min( K1 , Q1 , d ), K 2 } − c1Q1 − c2Q2
(17)
σ 2 ( Π ) = Ε( Π 2 ) − [ Ε( Π )]2
(18)
Mit den folgenden Simulationsparametern erhalten wir Sourcing From Resource 1 with
167
Wissenschaftliche Beiträge
Backup Hedge in Resource 2 als optimale Strategie: c1=1,5, c2=2, p1=10, p2=7, d=100, ΐ1=130, ΐ2=130, Η1=100, Η2 =75. Dabei dient Ressource 2 als Absicherung gegen exogen verursachte Produktionseinschränkung von Ressource 1. Per Simulation kann nun untersucht werden, wie sich die optimalen Kapazitätsmengen verändern, wenn Risikoaversion berücksichtigt wird (siehe Abbildung 12). Es zeigt sich, je risikoscheuer der Entscheidungsträger ist – ausgedrückt durch einen höheren Risikoaversionskoeffizienten – desto größer fällt der optimale Kapazitätshedge von Ressource 2 aus, die im Vergleich zu Ressource 1 weniger volatil ist. Somit lässt sich festhalten, dass im Gegensatz zu klassischen Newsvendor-Modellen ein Anstieg der Risikoaversion nicht zwangsläufig zu einem niedrigeren Kapazitätslevel führen muss. Der Kapazitätshedge versetzt die Firmen offenbar in die Lage, sowohl den Erwartungswert des Gewinns zu erhöhen als auch dessen Variabilität zu senken. Dies geht einher mit unserer intuitiven Feststellung durch Abbildung 5. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Gewinne wird gewissermaßen „am unteren Ende abgeschnitten“.
Abbildung 12: Einfluss steigender Risikoaversion auf die optimalen Kapazitätsmengen (Optimale Strategie in betrachteten Fall: Sourcing Resource 1 with Backup Hedge in Resource 2. Simulationsparameter c1=1,5, c2=2, p1=10, p2=7, d=100, ȝ1=130, ȝ2=130, ı1=100, ı2 =75)
120
Q1
Optimal Quantity
100 80 60
Q2
40 20 0 0
1
2 3 4 5 Coefficient of Risk Aversion ɲ ( x 10-4 )
6
In Tabelle 2 ist der beschriebene Zielkonflikt zwischen Erwartungsgewinn (Expected Profit) und Risiko (Expected Profit Variance) für den simulierten Fall dargestellt. Es ist zu erkennen, dass der Entscheidungsträger bereit ist, auf Gewinn zu verzichten, wenn sich die Volatilität des Gewinns (d.h. das Gewinnrisiko) reduziert. In diesem Beispiel-
168
Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
fall ist die Effizienzgrenze – wie in Abbildung 11 illustriert – eher flach, da die Risikoreduktion nur mit einer geringen Reduktion des Erwartungsgewinns einhergeht.
Tabelle 2:
Optimaler Risk-Return Trade-off eines Entscheidungsträgers mit einem Risikoaversionskoeffizienten ΅ (Simulationsparameter: c1=1,5, c2=2, p1=10, p2=7, d=100, ȝ1=130, ȝ2=130, ı1=100, ı2 =75).
Coefficient of risk aversion
Expected Profit
Expected Profit Variance
Į= 0
635
91946
-4
634
84391
Į = 4*10-4
633
71883
-4
632
75558
Į = 2*10
Į = 6*10
5
Fazit
Risikomanagement kann nicht nur über finanzwirtschaftliche Maßnahmen, sondern auch durch realwirtschaftliche Entscheidungen effektiv gesteuert werden. In diesem Beitrag wurde gezeigt, wie Liefer- und Nachfrageunsicherheit durch gezielte Kapazitätsentscheidungen im Beschaffungsbereich bewältigt werden können. Der Nutzen, den ein Unternehmen aus dem Aufbau von Flexibilität hinsichtlich der Absicherung gegen liefer- und nachfrageseitige Risiken ziehen kann, hängt, wie aufgezeigt, ganz entscheidend von den Verteilungscharakteristika und der Abhängigkeit zwischen den Unsicherheitsfaktoren ab: Zum einen führt ein höheres Versorgungsrisiko dazu, dass der Aufbau von Hedging-Kapazitäten wertvoll ist; zum anderen wurde gezeigt, dass bei erhöhter Korrelation zwischen den Beschaffungsrisiken der Wert der Flexibilität abnimmt. Jedoch kann es selbst im Grenzfall perfekter positiver Korrelation sinnvoll sein, einen Kapazitätshedge aufzubauen. In einer Erweiterung des Grundmodells wurde der Einfluss von Risikoaversion betrachtet. Als Ergebnis der Modellerweiterung lässt sich festhalten, dass im Gegensatz zu klassischen Newsvendor-Modellen ein Anstieg der Risikoaversion nicht zwangsläufig zu einem niedrigeren Kapazitätslevel führt, sondern zu einem Anstieg der aufgebauten optimalen Hedging-Kapazitäten. Letztere erlauben nicht nur das Ausschöpfen hoher Nachfrage- und Lieferpotentiale, sondern gewähren gleichzeitig Schutz gegenüber ungünstigen Entwicklungen innerhalb der Nachfrage- und Liefersituation.
169
Wissenschaftliche Beiträge
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Simulationsstudie: Exogene Risiken in der Beschaffung
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Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf – Konzeptionelle Überlegungen und erste empirische Ergebnisse
Prof. Dr. Rudolf O. Large und Prof. Dr. Tatjana König
Abstract Gegenstand dieser Abhandlung sind konzeptionelle Überlegungen und erste deskriptive Ergebnisse zur grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung. Neben dem Nettonutzen grenzüberschreitender Dienstleistungsbeziehungen und der Zufriedenheit der Beschaffer werden personelle, umfeldbezogene und leistungsbezogene Einflussgrößen des Erfolgs von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen betrachtet. Die Darstellung der Ausprägungen dieser Größen erfolgt auf Basis einer Datenerhebung bei deutschen Dienstleistungsimporteuren. Aus Sicht der befragten Beschaffer liegt ein relativ hoher Nettonutzen vor. Entsprechend ergeben sich auch hohe Zufriedenheitswerte. Hinsichtlich der leistungsbezogenen Einflussgrößen kann als wesentliches Ergebnis festgehalten werden, dass neben sehr komplexen Dienstleistungen offensichtlich auch einfache Dienstleistungen bezogen werden. Entsprechend zeigt sich auch eine vergleichsweise geringe Faktorspezifität. Eine wesentliche umfeldbezogene Einflussgröße der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung ist die Kultur, die als Länderkulturdistanz und als Unternehmenskulturdistanz in die Untersuchung einbezogen wird. Beide Distanzen sind eher moderat ausgeprägt. Dabei wird deutlich, dass hohe Faktorkostenvorteile mit großen Kulturdistanzen erkauft werden müssen. Als personelle Einflussgrößen werden die Einstellungen der Befragten zur internationalen Beschaffung sowie deren Erfahrungen im internationalen Management ausgewertet. Überraschend war dabei die zum Teil eher negative Einstellung zur internationalen Beschaffung. Ihre Entsprechung finden diese Einstellungen in der vergleichsweise geringen internationalen Erfahrung der für den Dienstleistungseinkauf Verantwortlichen.
Wissenschaftliche Beiträge
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Problemstellung und Forschungsfragen
Dienstleistungen spielen heute nicht nur eine wesentliche Rolle im Konsumgüterbereich, sondern stellen bedeutsame Einsatzgüter von Industrie- und Handelsunternehmen dar (investive Dienstleistungen). Beispiele für solche Dienstleistungen, die als Produktionsfaktoren beschafft werden müssen, sind Logistikdienstleistungen (Transporte, Lagerleistungen), Lohnfertigung („Verlängerte Werkbank“), Lohnverpackung, Beratungsleistungen, DV-Dienstleistungen, Sicherheitsdienste und Reinigungsdienste. An dieser Stelle kann die umfangreiche Diskussion zu dem Wesen von Dienstleistungen und zu den unterschiedlichen Dienstleistungsbegriffen nicht wiedergegeben werden (siehe dazu z.B. Benkenstein/Güthoff, 1996; Axelsson/Wynstra, 2002; Corsten/Gössinger, 2007; Burr/Stephan, 2006). Ebenso soll keine umfassende Systematik der Dienstleistungen erstellt werden. Dienstleistungen werden primär bei Dienstleistungsunternehmungen, jedoch auch bei Industrieunternehmen eingekauft, welche diese als Ergänzung zu ihren Sachleistungen anbieten (Homburg/Garbe, 1996, S. 255260). Diese zweite Gruppe von Dienstleistungen wird häufig als Industrielle Dienstleistungen bezeichnet (Günther 2001, S. 13) und umfasst beispielsweise Leistungen der Produktberatung, Projektierungsleistungen, Inbetriebnahmen, Wartungsleistungen, Reparaturen und Schulung für Kunden (Buttler/Stegner, 1990, S. 936-938). Betrachtet man die Kostenstruktur im produzierenden Gewerbe, so erreicht das Beschaffungsvolumen fremd bezogener Dienstleistungen selbst in Industrieunternehmen etwa 5% des Bruttoproduktionswerts (Statistisches Bundesamt, 2008, S. 375). Bei Dienstleistungsunternehmen, wie z.B. Banken und Beratungsunternehmen, ist dieser Anteil bedeutend höher. Die Beschaffung von Dienstleistungen stellt jedoch nach wie vor ein wissenschaftlich stark vernachlässigtes Gebiet dar. Die Forschungsaktivitäten der vergangenen Jahre haben sich ganz überwiegend auf den Bereich der Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen zur Beschaffung von Produktionsmaterialien konzentriert. Auch in der Lehrbuchliteratur finden sich kaum ausführliche Hinweise auf die Beschaffung von Dienstleistungen. Eine Ausnahme stellt das Grundlagenwerk von Axelsson und Wynstra (2002) dar. Dies ist erstaunlich, da der Anteil der Dienstleistungen am gesamten Einkaufsvolumen durch den andauernden Trend zum Outsourcing in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen dürfte (Matiaske/Mellewigt, 2002, S.643-646). Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Fremdvergabe von bisher intern erstellten Logistikdienstleistungen. Klaus und Kille (2008, S. 71) gehen für 2007 von einem Gesamtvolumen logistischer Leistungen in Deutschland von 204,2 Mrd. € aus. Davon war ein Volumen von 102,2 Mrd. € an Logistikdienstleistungen vergeben, woraus ein Fremdbezugsanteil von 50,0% resultiert. Ein wichtiges Ziel von Fremdvergaben sind Kostenreduktionen, die sich aufgrund von Spezialisierungsvorteilen und geringeren Faktorkosten der Dienstleister realisieren lassen. Ganz besonders bietet sich deshalb die grenzüberschreitende Beschaffung von Dienstleistungen an. Mit der Fremdvergabe von Dienstleistungen an ausländische
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Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Dienstleister lassen sich Kosteneinsparungen realisieren und in der Folge davon Wettbewerbsvorteile für deutsche Unternehmen erzielen. Mit der Realisierung der europäischen Dienstleistungsfreiheit und der Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer wurden dazu gute Voraussetzungen geschaffen. Aber auch auf dem bisherigen Gebiet der Europäischen Union finden sich aus Sicht deutscher Unternehmen aufgrund länderspezifischer Faktorkostenniveaus und einer entwickelten Anbieterstruktur Ansatzpunkte für die grenzüberschreitende Dienstleistungsbeschaffung. Darüber hinaus werden von deutschen Unternehmen auch qualitativ hochwertige Dienstleistungen weltweit beschafft. Beispiele dafür sind die Softwareprogrammierung in Indien, Call-Center-Leistungen in Ungarn oder die Abwicklung der Buchhaltung durch luxemburgische Dienstleister. Hinsichtlich der Formen internationaler Beschaffung wird heute überwiegend von einem Kontinuum zunehmender Internationalisierung ausgegangen, das von der rein nationalen Beschaffung (Domestic Sourcing) bis zur weltweit koordinierten Beschaffung reicht (Global Sourcing) (Monczka/Trent, 2002, S. 3-6; Trent/Monczka, 2003, S. 2936). Die grenzüberschreitende Dienstleistungsbeschaffung liegt zwischen diesen beiden Extremen und steht für die bewusste Aufnahme grenzüberschreitender Dienstleister-Auftraggeber-Beziehungen (Large, 2009, S. 174-175). Wie bereits angesprochen, liegen die Chancen der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung ähnlich wie bei Sachgütern primär in den geringeren Faktorkosten, insbesondere den geringeren Personalkosten. Dem stehen die Risiken der internationalen Beschaffung gegenüber (Kaufmann, 2001, S. 45). Risiken, die bei der Beschaffung von Dienstleistungen auftreten können, sind die politisch-gesellschaftliche Instabilität, die unsichere wirtschaftliche Entwicklung, insbesondere die Währungsentwicklung, mangelnde Rechtssicherheit, Qualitätsprobleme sowie die Fehleinschätzung der kulturellen Gegebenheiten. Kaufmann weist jedoch zu Recht darauf hin, dass im Einzelfall sorgfältig geprüft werden muss, ob solche Risiken tatsächlich bestehen (Kaufmann, 2001, S. 46). So spielen beispielsweise Währungsrisiken innerhalb des Euroraumes heute keine Rolle mehr. Man kann deshalb vermuten, dass viele der beschriebenen Risiken eher in den Köpfen der Beteiligten als in der Realität bestehen (Kotabe/Murray, 2004, S. 10). Auf dem Weg zur Realisierung dieser Potentiale können einem beschaffenden Unternehmen zwei Hindernisse im Weg stehen. Erstens müssen geeignete Dienstleistungen ausgewählt und angemessene Aktivitäten der Dienstleistungsbeschaffung vollzogen werden. Um die Eignung zu beurteilen, müssen Entscheidungsträger die relevanten Erfolgsfaktoren der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung kennen. Ist dies nicht der Fall, besteht die Gefahr, dass die Kostenvorteile der bezogenen Dienstleistungen durch anwachsende Prozesskosten zur Qualitätssicherung und Kosten des Dienstleistermanagements kompensiert werden. Ein zweites Problem resultiert aus dem Charakter von Dienstleistungen. Dienstleistungen erfordern bei ihrer Erstellung die Integration des so genannten externen Faktors (Maleri/Frietzsche, 2008, S. 104-112). Bei Dienstleistungen muss dem Dienstleister die Möglichkeit der Leistungserstellung, z.B. der Durchführung einer Reparatur, gegeben
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Wissenschaftliche Beiträge
werden. Der Abnehmer stellt dazu den für die Dienstleistung wichtigen externen Faktor, in diesem Beispiel die defekte Maschine, zur Verfügung. Gleiches gilt für andere Dienstleistungsarten, z.B. Beratungsleistungen, Reinigungsleistungen, Wachdienste, Logistikleistungen und Leistungen der Lohnfertigung. Mit anderen Worten ist ein hohes Maß an Kundenintegration in den Prozess der Dienstleistungserstellung erforderlich. Für viele Arten von Dienstleistungen erscheint deshalb die räumliche Nähe von Dienstleister und Auftraggeber vorteilhaft oder sogar zwingend erforderlich. Deutschland verfügt als zentraleuropäisches Land über ausgedehnte Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Polen, der Tschechischen Republik, Österreich und der Schweiz und befindet sich damit in einer vorteilhaften Lage, zumal diese Länder unterschiedlichste Rahmenbedingungen für die Erstellung von Dienstleistungen aufweisen. Deshalb verfügen deutsche Unternehmen, deren Betriebsstätten sich in Grenznähe befinden, über einen zusätzlichen Vorteil gegenüber ihren binnenländischen Konkurrenten. Die Notwendigkeit der Kundenintegration kann sich somit für diese Unternehmen letztlich als besonderer Wettbewerbsvorteil erweisen. Der Erfolg einer konkreten grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehung hängt somit nicht nur von den länderspezifischen Chancen und Risiken ab, sondern wird wesentlich durch die Art und Weise des Managements der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung bestimmt. Auch wenn sich sicherlich Erkenntnisse über die internationale Beschaffung von Produktionsmaterial (siehe z.B. Pfohl/Large, 1993; Pfohl/Large, 1997) auf den Bereich der Dienstleistungsbeschaffung übertragen lassen, ist die grenzüberschreitende Beschaffung von Dienstleistungen ein weitgehend unerforschtes Feld. Vor allem hinsichtlich der Erfolgsfaktoren grenzüberschreitender Dienstleistungsbeschaffung wird eine deutliche Forschungslücke sichtbar. Für die vorliegende Untersuchung wurden entsprechend die folgenden Forschungsfragen formuliert: 1.
Wie beurteilen deutsche Unternehmen den Erfolg der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung?
2.
Welche Größen üben potentiell einen Einfluss auf den Erfolg der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung aus und wie sind diese Größen ausgeprägt?
3.
Ziehen Unternehmen in Grenzgebieten einen Vorteil aus ihrer geographischen Lage?
4.
Wie stark ist der Zusammenhang zwischen potentiellen Einflussgrößen und dem Erfolg der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung?
Die vorliegende Abhandlung konzentriert sich auf die Beantwortung der ersten drei Forschungsfragen. Zunächst werden im folgenden Abschnitt Möglichkeiten der Erfolgsmessung in der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung diskutiert. Im Mittelpunkt des Abschnittes 3 stehen potentielle Einflussgrößen auf den Erfolg von
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Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen. Im Abschnitt 4 folgen methodische Aussagen über die Datenerhebung. Zur Beantwortung der dritten Forschungsfrage wurde das Saarland als grenznahe Region ausgewählt und ein entsprechend hoher Anteil saarländischer Unternehmen in der Stichprobe angestrebt. Abschnitt 0 widmet sich sodann den deskriptiven Ergebnissen der Untersuchung, mit dem Ziel der Beantwortung der Forschungsfragen 1 bis 3. Der letzte Abschnitt ermöglicht einen Ausblick auf die noch ausstehende Beantwortung der 4. Forschungsfrage (siehe dazu auch Large/König, 2009).
2
Erfolg von Dienstleistungsbeziehungen
Der Begriff der Dienstleistungsbeziehung im Business-to-Business-Kontext steht allgemein für dauerhafte Geschäftsbeziehungen zwischen einem Unternehmen, welches eine Dienstleistung erstellt (Dienstleister) und einem weiteren Unternehmen, welches diese Dienstleistung beauftragt und abnimmt (Auftraggeber). Dabei ist es unerheblich, welche Art von Dienstleistung Gegenstand der Geschäftsbeziehung ist. Es kann sich um einzelne Dienstleistungen (z.B. Transportleistungen, Beratungsleistungen, Reinigungsdienstleistungen), ein Bündel von Dienstleistungen (z.B. Engineering, Kontraktlogistik) oder um so genannte industrielle Dienstleistungen, die in Ergänzung zu einer Sachleistung angeboten werden (z.B. Instandhaltung, Schulung), handeln (Homburg/Garbe, 1996, S. 255-260). Grenzüberschreitende Dienstleistungsbeziehungen zeichnen sich zusätzlich dadurch aus, dass beide Partner ihren Sitz in unterschiedlichen Ländern haben. Die Dienstleistung kann dabei am Sitz des Dienstleisters (z.B. Call-Center-Dienste), am Sitz des Auftraggebers (z.B. Reinigungsdienste) oder zwischen beiden (z.B. grenzüberschreitende Transporte) erbracht werden. Der konkrete Erfolg einer Dienstleistungsbeziehung wird von der Art der erstellten bzw. bezogenen Leistung abhängen. Auf einer höheren Abstraktionsebene können vier Ebenen des Erfolgs von Dienstleister-Auftraggeber-Beziehungen angeführt werden, von denen hier der ergebnisbezogene und der wirkungsbezogene Erfolgsansatz von besonderer Bedeutung sind (Large, 2003, S. 96). Die aufgaben- und die handlungsbezogene Ebene des Erfolgs wird dagegen im Folgenden nicht weiter betrachtet, da sich diese aufgrund der Heterogenität von Aufgaben und Handlungen der internationalen Beschaffung unterschiedlicher Dienstleistungen nicht zur Formulierung eines allgemeinen Erfolgskonstrukts eignen (Large, 2003, S. 100). Auf der Ergebnisebene kann der Erfolg mit Hilfe genereller ökonomischer Ziele, z.B. Kosten, Gewinn oder Effizienz, aber auch auf Basis nicht-ökonomischer Ergebnisgrößen, z.B. technologischer Größen, bestimmt werden. Eine Dienstleister-Auftraggeber-Beziehung ist danach erfolgreich, wenn bestimmte vereinbarte Ziele objektiv erreicht worden sind. Beispielsweise wird eine Beziehung zu einem Instandhaltungsunternehmen als erfolgreich eingestuft, wenn eine bestimmte vereinbarte Ausfallrate in der Vergangenheit nicht überschritten wurde (Einhaltung von Service Level Agreements). Die Definition
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Wissenschaftliche Beiträge
solcher objektiven Ergebnisgrößen ist aufgrund ihres speziellen Charakters für viele Dienstleistungen schwierig. Deshalb wurden in der Literatur Beurteilungsinstrumente entworfen, die eine allgemeine Bewertung der Qualität von Dienstleistungen und Dienstleister ermöglichen sollen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die so genannte SERVQUAL-Skala (Parasuraman/Zeithaml/Berry, 1988). Die SERVQUAL-Skala unterscheidet fünf Dimensionen der Dienstleistungsqualität, die jeweils durch mehrere Indikatoren gemessen werden: Reliability (Zuverlässigkeit), Responsiveness (Reaktionsfähigkeit), Assurance (Leistungsfähigkeit), Empathy (Einfühlungsvermögen) und Tangibles (Erscheinungsbild). Eine umfassende Form der Erfolgsbeurteilung von Dienstleistungsbeziehungen ermöglicht das Konzept des Nettonutzens. Dieses stellt die positiven Nutzenaspekte einer Leistung den für die Beschaffung und Abwicklung entstandenen Gesamtkosten (Preis, Transaktionskosten etc.) gegenüber (Homburg et al., 2005, S. 1; Woodruff, 1997, S. 141; Zeithaml, 1988, S. 14). Aus der Differenz von positiven und negativen Leistungsbestandteilen ergibt sich so eine subjektive Gesamtbeurteilung einer Dienstleistungsbeziehung, die als Erfolgsindikator gewertet werden kann. Die Wirkungsebene setzt an der Wirkung eines bestimmten Erfolgs bei einem Individuum oder einem sozialen Gebilde an (Large, 2003, S. 102). Häufig wird die Zufriedenheit des Auftraggebers als Indikator für den Erfolg einer Dienstleister-Auftraggeber-Beziehungen herangezogen. Typischerweise wird zur Erläuterung von Zufriedenheit das Confirmation-Disconfirmation Paradigma herangezogen, demzufolge Zufriedenheit aus einem Abgleich von Erwartung und tatsächlicher Leistung entsteht (Wirtz/Lee, 2003; Oliver 1997). Werden die Erwartungen eines Kunden durch die Leistung des Anbieters erfüllt (oder übererfüllt) entsteht Zufriedenheit (oder sogar Begeisterung); werden die Erwartungen nicht erfüllt, entsteht Unzufriedenheit (Homburg/Stock, 2008, S. 20-22). Dabei ist es unerheblich, ob der Beurteilungsprozess bewusst oder unbewusst durchgeführt wird (Bauer et al., 2002, S. 4). Entsprechend können aus einer wirkungsbezogenen Sicht Dienstleister-Auftraggeber-Beziehungen als erfolgreich eingestuft werden, wenn die Ziele der beiden Partner erreicht und diese zufrieden sind (Pfohl/Large, 1997, S. 181). Zur Kundenzufriedenheit existiert eine ausgedehnte Literaturbasis im Bereich des Konsumgütermarketings. Eine deutlich geringere Anzahl von Veröffentlichungen beschäftigt sich mit der Kundenzufriedenheit in Lieferanten-Abnehmer-Beziehungen (Homburg/Rudolph, 2001, 15) und nur wenige Autoren haben sich mit der Zufriedenheit grenzüberschreitender Geschäftsbeziehungen auseinander gesetzt (Homburg et al., 2002, S. 1-2). In internationalen Dienstleistungsbeziehungen wurden beispielsweise kulturelle Einflüsse auf die Zufriedenheit untersucht, die auf eine unterschiedliche Erwartungshaltung von Käufern aus unterschiedlichen Ländern zurückzuführen sind (Furrer/Liu/Sudharsahn, 2000; Donthu/Yoo, 1998; Winsted, 1997). Diese Einflüsse werden in Abschnitt 3 näher diskutiert. Homburg et al. (2002) identifizierten in internationalen Geschäftsbeziehungen im Vergleich zu nationalen einen geringeren Grad
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Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
an Kundenzufriedenheit, verursacht durch geringere Qualitätsniveaus und eine geringere Flexibilitätswahrnehmung. Aufgrund der Immaterialität von Dienstleistungen sowie der Einbindung des Kunden (Integration des externen Faktors), mit der die Leistungserstellung im Gegensatz zur Sachgüterproduktion erst möglich wird, unterscheidet sich die Leistungswahrnehmung und -bewertung und damit auch die Zufriedenheit nachhaltig von der im Produktbereich. So genannte Erfahrungseigenschaften, deren Qualität nicht ex-ante, sondern erst im Verlauf der Leistungserstellung vom Kunden bewertet werden kann, haben einen hohen Anteil bei Dienstleistungen. Im Business-to-Business-Bereich sind diese von besonderer Bedeutung: „The complexity of service solutions, their necessary customization and the duration of business-to-business relationships provide various contact situations and in turn a high number of experience qualities which affect service quality perceptions and satisfaction with services” (Stauss/Mang, 1999, S. 330). Damit geht von der Qualität der Interaktion innerhalb industrieller Geschäftsbeziehungen ein wesentlicher Einfluss auf die Qualitätswahrnehmung und damit Zufriedenheit mit industriellen Dienstleistungen aus.
3
Potentielle Einflussgrößen auf den Erfolg von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen
Um die aufgezeigten Fragestellungen und Ziele zu untersuchen, wurden auf Basis der Literatur zum internationalen Einkauf, zu internationalen Dienstleistungsbeziehungen, sowie zum internationalen bzw. interkulturellen Management potentielle Einflussgrößen auf den Nettonutzen von und die Zufriedenheit mit grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen abgeleitet. Dabei konnten drei Gruppen von potentiellen Einflussfaktoren unterschieden werden: 1.
Leistungsbezogene (d.h. Eigenschaften der international beschafften Dienstleistung betreffende) Einflussfaktoren wie die Grade der Spezifität und der Komplexität, die aus der Transaktionskostentheorie abgeleitet werden können.
2.
Umfeldbezogene Einflussfaktoren wie Kostenunterschiede und kulturelle Distanz zwischen dem Land des Dienstleisters und dem Land des Einkäufers sowie die Distanz zwischen den Unternehmenskulturen, der gerade im Dienstleistungsbereich durch die stärkere Interaktion von Dienstleister und Auftraggeber eine hohe Bedeutung zukommt.
3.
Die Person des Einkäufers betreffende Einflussfaktoren wie die Einstellung zur internationalen Beschaffung, Kenntnisse und Erfahrung im Bereich der internationalen Beschaffung. 179
Wissenschaftliche Beiträge
Zu den leistungsbezogenen Einflussgrößen gehört zunächst die Komplexität der Leistung. Im Gegensatz zu einfachen Dienstleistungen bestehen komplexe Dienstleistungen aus einem Bündel von einzelnen Leistungsarten, die koordiniert erzeugt werden (Large/Kovács, 2001, S. 48). Ein Beispiel für solche komplexen Dienstleistungen sind Kontraktlogistikleistungen, die aus mehreren logistischen Einzelleistungen (Lagerung, Kommissionierung, Verpackung, Transport) und den notwendigen Koordinationsleistungen bestehen (Large, 2007, S. 123-124, Large/Kovács, 2001, S. 48). Die Komplexität einer Dienstleistung beeinflusst den Prozess der Leistungserstellung. Vor allem dürfte eine deutliche Wirkung auf den Umfang erforderlicher Investitionen und damit auf den Erfolg der Dienstleistungsbeziehung ausgehen. Häufig ist eine hohe Komplexität einer Leistung die Folge spezifischer Anforderungen der Auftraggeber. Als weitere potentielle Einflussgröße des Erfolgs sollte deshalb der Grad der Anpassung an den Kunden betrachtet werden. Eine hohe Kundenspezifität hat in der Regel eine hohe Faktorspezifität zur Folge, da zur Erfüllung der spezifischen Kundenwünsche spezifische Investitionen erforderlich werden. Spezifische Investitionen können nicht oder nur mit hohem Aufwand für alternative Leistungserstellungen eingesetzt werden (Williamson, 2008, S. 8). Ursprünglich hat Williamson vier Arten der Faktorspezifität vorgeschlagen (Williamson, 1984, S. 214-215). In späteren Abhandlungen kommen zwei weitere Arten dazu. Von Bedeutung für die folgenden Aussagen sind die vier ursprünglichen Typen von Faktorspezifität (Williamson, 1991, S. 281):
Standortspezifität (site specificity): Durch den Gegenstand der Transaktion wird der Ort, an dem der Vermögensgegenstand, der zur Erstellung der Leistung notwendig ist, errichtet werden soll, verbindlich vorgegeben. Die Nutzung des Vermögensgegenstandes an einem anderen Ort ist unmöglich oder mit sehr hohen Verlagerungskosten verbunden. Ein Beispiel ist die Errichtung eines Kontraktlogistiklagers in der unmittelbaren Nähe des Montagewerks eines Kunden.
Spezifität des Sachvermögens (physical asset specificity): Durch den Gegenstand der Transaktion werden die physischen Eigenschaften des Vermögensgegenstandes, der zur Erstellung der Leistung erforderlich ist, vorgegeben. Die Nutzung des Vermögensgegenstandes zur Erstellung einer anderen Leistung oder einer Leistung für einen anderen Geschäftspartner ist unmöglich oder mit sehr hohen Änderungskosten verbunden. Beispiele sind kundenspezifische DV-Programme, die speziell für die Abwicklung der Buchhaltung eines Kunden beschafft wurden.
Spezifität der Mitarbeiterpotentiale (human asset specificity): Durch den Gegenstand der Transaktion werden die Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeiter, die zur Erstellung der Leistung erforderlich sind, vorgegeben. Die Beschäftigung der Mitarbeiter zur Erstellung einer anderen Leistung oder einer Leistung für einen anderen Geschäftspartner ist unmöglich oder mit sehr hohen Weiterbildungskosten verbunden. Ein Beispiel ist die spezifische Auswahl und Schulung von Mitarbeitern für die Erstellung einer komplexen Reinigungsleistung.
180
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Zweckgebundene Sachwerte (dedicated assets): Für eine Transaktion werden unspezifische Betriebsmittel- oder Personalkapazitäten aufgebaut und reserviert. Diese Kapazitäten stehen während der Zusicherungsdauer nicht für andere Nutzungen zur Verfügung. Beispiele sind langfristige Kapazitätszusicherungen von Transportdienstleistern gegenüber Automobilherstellern. Allerdings können „dedicated assets“ nach Ablauf der Vertragsbindung anderweitig genutzt werden. Eine hohe Faktorspezifität verursacht vor allem in Kombination mit unangemessenen Vertragsformen hohe Transaktionskosten (Williamson, 1979, S. 246-247). Deshalb ist ein negativer Einfluss hoher Kundenspezifität auf den Erfolg von Dienstleistungsbeziehungen denkbar. Ebenso kann in einem hohen Integrationsgrad des externen Faktors ein Kostentreiber vermutet werden. Ist bei der Erstellung der Dienstleistung die Einbeziehung des Kunden (und dessen Faktoren) erforderlich, muss der Dienstleister zwangsweise seine Leistungserstellung an den Kunden anpassen. Im Falle der grenzüberschreitenden Dienstleistungserstellung, kann dies bedeuten, dass das Personal des ausländischen Dienstleisters die Leistung beim Auftraggeber erstellen muss. Ein Beispiel dafür sind Reinigungsdienstleistungen. Diese können nicht im Heimatland des Dienstleisters erstellt werden. Ein Gegenbeispiel sind Dienstleistungen im Bereich der Softwareentwicklung. Softwareelemente, deren Anforderungen definiert sind, können durchaus im Ausland erstellt werden, ohne dass eine permanente Einbeziehung der Kunden erfolgt. Andererseits ermöglicht eine hohe Faktorspezifität die effiziente und auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtete Erstellung der Dienstleistung, weshalb auch ein positiver Effekt auf den Erfolg der Dienstleistungsbeziehung plausibel ist, sofern die Geschäftspartner geeignete Vertragsformen und Sicherungsinstrumente anwenden (Williamson, 2008, S. 9). Eine offensichtliche umfeldbezogene Einflussgröße sind die länderspezifischen Faktorkosten und die sich daraus bei grenzüberschreitender Dienstleistungsbeschaffung ergebenden Faktorkostenvorteile. Hohe Faktorkostenunterschiede reduzieren die Beschaffungspreise der bezogenen Dienstleistungen und haben somit einen unmittelbaren Einfluss auf die Kostenstruktur der beschaffenden Unternehmung. Niedrigere Preise werden häufig als Hauptargument der internationalen Beschaffung angeführt (Frear/Metcalf/Alguire, 1992; Monczka/Giunipero, 1984), vor allem, wenn es sich um Beschaffungsaktivitäten in Mittel- und Osteuropa handelt (Pfohl/Large, 1997). Dienstleistungen sind arbeitsintensive Produkte. Deshalb sind bei der grenzüberschreitenden Beschaffung von Dienstleistungen vor allem die unterschiedlichen Arbeitskostenniveaus der beiden Länder von Bedeutung. Auch hier lassen sich deutliche Unterschiede innerhalb Europas erkennen (Eurostat 2008, S. 132-133), wobei Deutschland jedoch gegenüber einigen westlichen Nachbarländern durchaus Vorteile zeigt. Eine weitere potentielle Einflussgröße ist die Distanz der Landeskulturen der beteiligten Unternehmen. Der Begriff der Kultur ist in der Wissenschaft nicht eindeutig definiert, vielmehr existiert eine Vielzahl verschiedener Ansätze und Definitionen (Müller/Gelbrich, 2004, S. 40). Die Diskussion über den Kulturbegriff kann bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden, wo Kultur als eine Einheit von Wissen, Annah-
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Wissenschaftliche Beiträge
men, Kunst, Moral, Traditionen und weiteren Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Individuen als Teil der Gesellschaft gesehen wurde (Rauscher, 2002, S. 40). Die Komplexität des Konstrukts Kultur wird heute häufig durch die Kulturzwiebel versinnbildlicht, die erst die inneren Bestandteile offen legt, wenn die äußeren Schalen abgezogen sind. Die unterschiedlichen Schichten respektive Bestandteile werden als Symbole, Helden, Rituale und Werthaltungen bezeichnet (Blom/Meier, 2004, S. 41). Eines der am häufigsten genannten Unterscheidungskriterien für Individuen unterschiedlicher Kulturen stellt die Nationalität dar. Länderspezifika, wie Landessprachen, die Massenmedien, die Organisation der Ausbildung und politische Systeme innerhalb der Landesgrenzen scheinen einen erheblichen Einfluss auf die Kultur des Individuums zu haben (Backhaus/Theile, 2004, S. 409). Entsprechend erscheint es nicht verwunderlich, dass Dimensionen des Konstrukts Kultur sich typischerweise an Landeskulturen bzw. Ländergrenzen orientieren. Von besonderem Interesse sind hierbei die resultierenden Unterschiede im Verhalten der Individuen unterschiedlicher Nationalität. Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften sind hier insbesondere die Bereiche Kaufverhalten (sowohl im Business-to-Consumer wie im Business-to-Business-Bereich), Verhandlungsführung, Entscheidungsverhalten und Beziehungsmanagement zu nennen. Zur Messung der Distanz zwischen zwei Ländern bzw. Kulturen werden in der Literatur verschiedene Größen herangezogen: Die kulturelle Distanz, die psychische Distanz und die physische (oder auch geographische) Distanz (Müller/Gelbrich, 2004, S. 718724). Der Begriff der kulturellen Distanz ist wesentlich durch die Arbeiten von Hofstede geprägt. Basierend auf der Annahme, dass alle Gesellschaften mit ähnlichen Grundproblemen konfrontiert werden, jedoch unterschiedliche Lösungsstrategien für diese entwickeln, hat Hofstede fünf Dimensionen von Kultur unterschieden: 1. Individualismus vs. Kollektivismus, 2. Machtdistanz, 3. Unsicherheitsvermeidung, 4. Maskulinität vs. Feminität und 5. langfristige vs. kurzfristige Orientierung. Anhand von Werten für jede dieser Dimensionen konnte Hofstede Kulturprofile für eine Vielzahl von Ländern ermitteln, die eine Messung der kulturellen Distanz zwischen Ländern ermöglichen (Hofstede, 2003; Hofstede, 1992; Kogut/Singh, 1988, S. 422). Neben der über Skalen gemessenen kulturellen Distanz berücksichtigt die Literatur auch die psychische Distanz, die als subjektives Empfinden des Grads der Fremdartigkeit eines (anderen) Landes im Vergleich zum Heimatland bezeichnet werden kann (Müller/Kornmeier, 2000). Für das vorliegende Forschungsprojekt erscheint die psychische Distanz eine sinnvolle Größe zur Bestimmung länderspezifischer Unterschiede, da die subjektive Einschätzung des Einkäufers für die Einkaufsentscheidung relevant ist – ebenso wie für seine Zufriedenheit mit der Leistungserbringung und der Geschäftsbeziehung insgesamt. Damit kann untersucht werden, inwieweit die psychische Distanz zum Herkunftsland des Dienstleisters einen Einfluss auf die Zufriedenheit des Abnehmers mit der in Anspruch genommenen Dienstleistung hat.
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Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Bei der physischen (oder geographischen) Distanz werden Entfernungskilometer zwischen zwei Ländern gemessen. Die objektive Entfernung zweier Länder kann als Bezugspunkt für die beiden erstgenannten Distanzmaße dienen. Bei einer vergleichenden Betrachtung der Distanzmaße können relative Werte bestimmt werden, die angeben, ob die gemessenen subjektiven Distanzen im Verhältnis zur objektiven Entfernung größer oder kleiner sind. Beispielsweise sind nach einer Studie von Müller (1991, S. 170) die USA, Japan, Hongkong und Südafrika deutschen Managern psychisch und kulturell vertrauter als die geographische Distanz vermuten lassen würde. Neben der kulturellen Distanz als Einflussfaktor auf die Bewertung der Geschäftsbeziehung ist die Kulturdistanz zu berücksichtigen, die sich aus der Verschiedenartigkeit der Organisationen ergibt, denen Leistungsersteller und Leistungsnachfrager angehören (Distanz der Unternehmenskulturen). Eine systematische Erforschung des Konstrukts „Unternehmenskultur“ ist – im Gegensatz zur nationalen Kultur – erst seit Beginn der 80er Jahre zu beobachten. Hierbei werden ebenfalls mehrere Ebenen in der Literatur diskutiert (Schein, 1985):
Der von allen Mitgliedern bzw. Angestellten des Unternehmens geteilte Grundkonsens,
Normen und Werthaltungen (z.B. Marktorientierung), Artefakte (z.B. Rituale, informelle Umgangsformen oder offizielle Sprachregelungen). Dabei stellen Artefakte die am ehesten sichtbaren Elemente der Unternehmenskultur dar, wobei Einigkeit in der Literatur darüber besteht, dass die drei Ebenen eng miteinander verbunden sind (Homburg/Pflesser, 2000, S. 450). Für das vorliegende Forschungsprojekt ist insbesondere der Einfluss unterschiedlicher Unternehmenskulturen auf die Leistungswahrnehmung der in Anspruch genommenen Dienstleistung relevant, da im Dienstleistungsbereich Anbieter und Nachfrager sehr viel stärker interagieren als im Produktbereich und sich entsprechende Unterschiede in den Kulturen entsprechend stärker auswirken sollten. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass Unternehmenskultur und nationale Kultur keine unabhängigen Konstrukte sind, sondern vielmehr ein nicht zu vernachlässigender Einfluss der nationalen Kultur auf die Unternehmenskultur nahe liegt. Es sollte deshalb sowohl der jeweils isolierte Einfluss der beiden Kultur-Konstrukte auf den Erfolg mit der Geschäftsbeziehung gemessen werden, als auch der Grad der Interdependenz (van Muijen/Koopman, 1994). Die persönliche Einschätzung der kulturellen Distanzen durch die Befragten legt weiterhin eine Untersuchung persönlicher Einflussgrößen nahe. Je nach Persönlichkeit des Befragten können länderspezifische Faktorkostenvorteile sowie Distanzen in den Landes- und Unternehmenskulturen unterschiedlich wahrgenommen werden. Aus diesem Grund wurden als personellen Einflussgrößen die Einstellungen zur internatio-
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Wissenschaftliche Beiträge
nalen Dienstleistungsbeschaffung und der Grad der länderspezifischen Marktkenntnis in die Untersuchung aufgenommen. Mit dem Einstellungskonstrukt soll der Grad der positiven (oder weniger positiven) persönlichen Disposition des Einkäufers gemessen werden, Dienstleistungen von Anbietern aus anderen Ländern zu beziehen. Entsprechend des 3-Komponenten-Ansatzes bestehen Einstellungen generell aus einer kognitiven, einer affektiven und einer konativen Komponente. Weiß ein Entscheidungsträger um die Vorteile, vielleicht aber auch um die höhere Komplexität bei der internationalen Dienstleistungsbeschaffung und hat er in der Vergangenheit positive Erfahrungen damit gemacht, so ist er sicherlich eher geneigt, verstärkt zumindest Angebote von ausländischen Dienstleistern einzuholen. Die Vermutung liegt nahe, dass diejenigen Einkäufer, die eine sehr positive Einstellung zu grenzübergreifend beschafften Dienstleistungen aufweisen, deren Vorteile, insbesondere die Kostenvorteile, höher bewerten und deren potenzielle Nachteile, also erhöhte Komplexität durch nationale oder unternehmensbedingte Kulturdistanzen niedriger einschätzen als Kollegen mit einer weniger positiven Einstellung zur internationalen Dienstleistungsbeschaffung. Weiterhin ist neben der Einstellung des Einkäufers zur internationalen Dienstleistungsbeschaffung sein Wissen um deren Vorteile zu untersuchen. Dabei erscheint die Kenntnis des Einkäufers über einen spezifischen Markt von erheblicher Bedeutung. Die Vermutung liegt nahe, dass mit steigender Kenntnis internationaler Beschaffungsmärkte insbesondere landesspezifische Kostenvorteile verstärkt wahrgenommen werden. Der Einfluss der spezifischen Marktkenntnis auf die wahrgenommenen Distanzen in den Landeskulturen ist sowohl in positiver als auch in negativer Weise denkbar und bleibt zu untersuchen.
4
Datenerhebung
Die angeführten Forschungsfragen sind auf die realen Ausprägungen der aufgezeigten potentiellen Einflussgrößen und der Erfolgsgrößen ausgerichtet. Diese Ausprägungen müssen im Rahmen einer Primärerhebung erfasst werden. Dazu diente ein zweiteiliger Fragebogen. Im ersten Teil wurden allgemeine Fragen zum internationalen Einkauf von Dienstleistungen und zu der Person des Befragten gestellt. Der zweite Teil enthält Fragen zu einer durch die Befragten ausgewählten Dienstleistungsbeziehung zu einem Anbieter aus einem anderen Land. Vor Beginn der Datenerhebung wurde der Fragebogen mit ausgewählten Teilnehmern einem Pretest unterzogen. Die Hauptversendung erfolgte per E-Mail an etwa 600 Personen, von denen vermutet werden konnte, dass diese mit dem Einkauf von Dienstleistungen betraut sind. In der Mehrzahl handelte es sich dabei um Einkaufsleiter. Es ergab sich im Zeitraum von Februar bis April 2008 ein Rücklauf von 107 Fragebogen. Dies entspricht einer Rücklaufquote
184
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
von 17,6%. Ein Vergleich früher und später Rückläufe erbrachte keinen Hinweis auf nennenswerte Verzerrungen (Armstrong/Overton, 1977).
Abbildung 1: Stichprobenverteilung nach Bundesländern. Versendet: N = 608 Schleswig-Holstein 1% Sachsen-Anhalt 6%
Sachsen Thüringen 1% 1%
Baden-Württemberg 14%
Bayern 13%
Saarland 23%
Berlin 1%
Brandenburg 0% Bremen 1%
Rheinland-Pfalz 5%
Hessen 9% Niedersachsen 6%
Nordrhein-Westfalen 15%
Hamburg 1%
Mecklenburg-Vorpommern 1%
Rücklauf: N = 107 Sachsen 0% Sachsen-Anhalt 5%
Schleswig-Holstein 1% Thüringen 1%
Baden-Württemberg 14%
Saarland 25%
Bayern 14%
Berlin 1%
Brandenburg 0% Bremen 1%
Rheinland-Pfalz 6%
Hamburg 1% Nordrhein-Westfalen 12%
Niedersachsen 5%
MecklenburgVorpommern 0%
Hessen 15%
Die Mehrheit der befragten Unternehmen (65%) stammt aus dem Bereich der Industrie und ein Viertel aus verschiedenen Dienstleistungsbranchen. Bei den restlichen Unternehmen handelt es sich um Handelsunternehmen. Die Einkaufsvolumina sind weit gestreut. Am größten war die Gruppe mit Einkaufsvolumina zwischen 10 und 100 Mio. €. Entsprechend der Struktur der Versendung, stellen Einkäufer mit 67,6% den größten Anteil in der Stichprobe dar. Der Rest verteilt sich auf Personen der obersten
185
Wissenschaftliche Beiträge
Leitungsebene (20%) und auf Mitarbeiter aus sonstigen Bereichen. Erstaunlicherweise wurden einige Fragebögen von Einkäufern an andere Bereiche weitergeleitet, weil der Einkauf in diesen Unternehmen nicht für die Beschaffung von Dienstleistungen zuständig ist. Da in der Untersuchung auch regionale Einflüsse untersucht werden sollten, spielt die Verteilung der Rückläufe nach Bundesländern eine besondere Rolle (Forschungsziel 3). Deshalb wurde bewusst ein hoher Anteil von saarländischen Unternehmen bei der Versendung angestrebt. Die Verteilung nach Bundesländern zeigt Abbildung 1. Der Anteil saarländischer Unternehmen beträgt bei der Versendung und beim Rücklauf jeweils etwa 25%. Auch hinsichtlich der Anteile der anderen Bundesländer ergeben sich keine nennenswerten Verzerrungen durch Nichtbeantwortung.
5
Erste empirische Ergebnisse
5.1
Erfolg der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung
Bevor die Frage nach dem Erfolg von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen gestellt wird, soll zunächst die Bedeutung dieser Beschaffungsform für die befragten Unternehmen diskutiert werden. Bestehen nur geringe Bedarfe an Dienstleistungen und werden davon wiederum nur kleine Anteile international beschafft, so sind mögliche Konsequenzen nicht erfolgreicher Dienstleistungsbeziehungen zu vernachlässigen. Von den 107 Befragten gaben 60 an, derzeit Dienstleistungen aus dem Ausland zu beziehen. Immerhin 7 Unternehmen haben früher Dienstleistung im Ausland eingekauft, beschaffen diese nun jedoch wieder ausschließlich bei heimischen Lieferanten. Darin ist ein gewisses Unzufriedenheitspotential zu vermuten. Eine vergleichsweise hohe Zahl von Befragten (40) gab an, keine Dienstleistungen aus dem Ausland zu beschaffen. Die Struktur des Beschaffungsvolumens ist in Abbildung 2 dargestellt.
186
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Abbildung 2: Bedeutung von internationalen Dienstleistungsbezügen.
34,5%
Anteil von Dienstleistungen am gesamten Einkaufsvolumen
25,6%
Anteil von internationalen Bezügen am gesamten Einkaufsvolumen
20,9% 27,2%
Anteil von internationalen Bezügen am Dienstleistungseinkaufsvolumen
10,4% Saarland
11,3%
0%
10%
Alle
20%
30%
40%
Der Anteil des Dienstleistungsvolumens am gesamten Einkaufsvolumen erscheint verhältnismäßig groß. Wahrscheinlich liegt hier eine gewisse Verzerrung vor, da sich eher Unternehmen an der Untersuchung beteiligt haben, die in vergleichsweise hohem Umfang Dienstleistungen einkaufen. Ebenso erscheint der Anteil ausländischer Bezüge am gesamten Einkaufsvolumen recht hoch. Geringer ist mit 10% der Anteil der Dienstleistungsbedarfe, die international beschafft werden. Als häufigste Zielländer für Dienstleistungsbezüge wurden vor allem Frankreich (6), Indien (6), Großbritannien (5), Österreich (5), Tschechien (5), USA (5), Niederlande (4) und Polen (4) genannt. Trotz des vergleichsweise geringen Anteils kann somit eine hohe Bedeutung internationaler Dienstleistungsbezüge bescheinigt werden. Allerdings konnte kein positiver Einfluss der Grenzlage des Saarlandes auf das Ausmaß der international beschafften Dienstleistungen festgestellt werden (Forschungsfrage 3). Im Gegenteil, der Internationalisierungsgrad saarländischer Unternehmen ist in der Stichprobe hinsichtlich des Gesamtvolumens deutlich geringer und bei Dienstleistungen immerhin nahezu gleich. Möglicherweise wirkt sich hier ein Größeneffekt aus, da die saarländische Wirtschaft stärker mittelständisch strukturiert ist. Ebenso muss der höhere Dienstleistungsanteil in der saarländischen Teilstichprobe berücksichtigt werden. Abbildung 3 gibt die Beurteilungen des Nettonutzens als erstes Erfolgsmaß an. Die Mittelwerte beziehen sich auf die insgesamt 60 Beziehungen, die im zweiten Teil des Fragebogens ausführlicher beschrieben wurden. Grundlage für die Formulierung der
187
Wissenschaftliche Beiträge
Aussagen waren die Messgrößen des Nettonutzens von Menon, Homburg und Beutin (2005, S. 32). Der Grad der Zustimmung zu den vier Aussagen wurde auf einer Skala von 1 (trifft absolut nicht zu) bis 7 (trifft völlig zu) gemessen. Insgesamt kann ein hoher Nettonutzen festgestellt werden. Die zweite Fragestellung wurde umgekehrt kodiert, d.h. kleine Zustimmungsgrade stehen für einen hohen Nettonutzen.
Abbildung 3: Beurteilung des Nettonutzens der beschriebenen Beziehungen.
Im Vergleich zu den angefallenen Kosten bringen uns die Vorteile, die wir durch diesen Lieferanten erhalten, einen hohen Nutzen.
5,2
Dieser Dienstleister bietet uns keinen sehr hohen Nutzen.
2,2
Der Nutzen, den wir aus dieser Geschäftsbeziehung ziehen, ist erheblich höher als unsere Kosten.
5,2
Wir erhalten eine hochwertige Leistung von diesem Lieferanten.
5,2
1
2
3
4
5
6
7
Entsprechend dieser Ergebnisse ist auch die Zufriedenheit der Befragten hoch (Abbildung 4). Die Messung der zweiten Erfolgsgröße erfolgte mit Hilfe einer 7er-Skala in enger Anlehnung an die Items von Cannon und Perreault (1999, S. 448). Die zweite und die vierte Messgröße sind umgekehrt kodiert. Bei den anderen drei Aussagen finden sich hohe Zustimmungswerte und obwohl einige Abnehmer nicht ganz glücklich mit dem Dienstleister sind, wird dessen Wahl kaum bedauert. Insgesamt kann man deshalb feststellen, dass zwar ein vergleichsweise geringes Volumen an Dienstleistungen grenzüberschreitend beschafft wird. In den Fällen in denen eine internationale Dienstleistungsbeziehung realisiert wurde, herrscht jedoch eine hohe Zufriedenheit, die auf der Einschätzung eines deutlichen Nettonutzens beruht.
188
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Abbildung 4: Zufriedenheit des Abnehmers der grenzüberschreitenden Dienstleistung. Wir sind sehr erfreut über die Leistung, die dieses Unternehmen für uns erbringt.
5,3
Unser Unternehmen bedauert die Wahl dieses Dienstleisters.
1,8
Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit diesem Dienstleister.
5,3
Wir sind nicht ganz glücklich mit diesem Dienstleister.
2,5
Wenn wir noch einmal die Wahl hätten, würden wir uns wieder für diesen Dienstleister entscheiden.
5,1
1
5.2
2
3
4
5
6
7
Leistungsbezogene Einflussgrößen
Das Spektrum der bezogenen Dienstleistungen ist breit und umfasst sowohl einfache als auch komplexe Dienstleistungen. Am häufigsten wurden Beziehungen zur Erstellung von IT-Dienstleistungen (9), Logistikdienstleistungen (9), Fertigungsdienstleistungen (8), F&E-Dienstleistungen (7), Montagedienstleistungen (7), Beratungsleistungen (4), Instandhaltungsdienstleistungen (3) und Reisedienstleistungen (3) beschrieben. Komplexe Dienstleistungen bestehen aus mehreren unterschiedlichen Teilleistungen oder sogar verschiedenen Leistungsarten und enthalten neben operativen Leistungen auch Managementleistungen. Die Komplexität der Leistung steigt auch, wenn diese an mehreren Orten erbracht werden muss, wie dieses z.B. bei Instandhaltungsdiensten der Fall sein kann. Da sich für komplexe Dienstleistungen keine kurzfristigen Transaktionen eignen, wird die Erstellung der Dienstleistung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Hierdurch kann es dann erforderlich werden, dass die Spezifikation dieser Dienstleistung im Zeitablauf der Beziehung geändert werden muss. Mit der Komplexität der Leistung wachsen die Anforderungen an das Management der Dienstleistungsbeziehung. Andererseits eröffnet eine hinreichende Komplexität die umfassende Nutzung der Potentiale des Gastlandes und des Dienstleisters. Es ist deshalb plausibel in der Komplexität der Leistung eine wesentliche Einflussgröße des Beziehungserfolgs zu sehen. In Abbildung 5 sind die Zustimmungsgrade zu den ange-
189
Wissenschaftliche Beiträge
sprochenen Elementen der Komplexität angeführt. Dabei ergibt sich jedoch kein einheitliches Bild. Während die bezogene Leistung häufig aus mehreren Teilleistungen oder Leistungsarten besteht, werden diese nur in einem Teil der Fälle an mehreren Orten erbracht. Gerade bei der zweiten Aussage aber auch bei der Aussage zur Zeitdauer der Leistungserstellung zeigen die Zustimmungsgrade mit Standardabweichungen von 2,4 bzw. 1,9 eine erhebliche Streuung. Neben sehr komplexen Dienstleistungen werden offensichtlich auch vergleichsweise einfache Dienstleistungen grenzüberschreitend eingekauft.
Abbildung 5: Komplexität der bezogenen Dienstleistung. Die Dienstleistung besteht aus mehreren unterschiedlichen Teilleistungen oder Leistungsarten.
5,2
Die Dienstleistung muss an mehreren Orten erbracht werden.
3,6
Die Erstellung der Dienstleistung nimmt einen längeren Zeitraum in Anspruch.
4,7
Die Spezifikation dieser Dienstleistung wurde im Zeitablauf der Beziehung häufig von uns geändert.
3,7
1
2
3
4
5
6
7
Mit der Komplexität einer Leistung wird in der Regel auch die Spezifität steigen, da komplexe Leistungen tendenziell eine intensive Einbeziehung des Kunden erfordern. Als potentielle Einflussgrößen des Beziehungserfolgs wurden deshalb auch die vier Dimensionen der Faktorspezifität nach Williamson (1984, S. 214-215) erfasst (Abbildung 6).
190
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Abbildung 6: Faktorspezifität der bezogenen Dienstleistung.
Der Dienstleister muss die Dienstleistung an einem oder mehreren von uns festgelegten Orten erbringen.
4,1
Zur Erstellung der Dienstleistung benötigt der Dienstleister physische Einrichtungen, die er in dieser Form nur für unseren Auftrag verwenden kann.
2,5
Zur Erstellung der Dienstleistung benötigt der Dienstleister spezielles Personal, das er nur für uns einsetzen kann.
2,4
Zur Erstellung der Dienstleistung hat der Dienstleister bestehende Betriebsmittel- oder Personalkapazitäten für uns reserviert.
4,3
1
2
3
4
5
6
7
Insgesamt ergibt sich ein relativ geringer Grad an Faktorspezifität. Die Standortspezifität zeigt eher einen durchschnittlichen Wert. Offensichtlich wird der Ort der Leistungserstellung nur von einigen Kunden verbindlich vorgegeben. Ebenso nur leicht überdurchschnittliche Zustimmung erfährt die Aussage zum Vorhandensein zweckgebundener Sachwerte. Diese Dimension steht für die kundenspezifische Reservierung unspezifischer Betriebsmittel- oder Personalkapazitäten. Es handelt sich also eher um eine schwache Form der Spezifität, da nach Ablauf der Zusicherungsdauer diese wieder für andere Nutzungen zur Verfügung stehen. Dagegen scheint nur eine geringe Spezifität des Sachvermögens und der Mitarbeiterpotentiale vorzuliegen. Dieses Ergebnis ist einerseits überraschend, da aufgrund der intensiven Kundeneinbindung bei der Dienstleistungserstellung mit einer höheren Spezifität der eingesetzten Faktoren gerechnet werden musste. Andererseits zeigte bereits die Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich der Komplexität, dass neben komplexen Leistungen auch einfache Leistungen grenzüberschreitend bezogen werden, deren Erstellung eher einfache und weitgehend standardisierte Prozesse zugrunde liegen.
5.3
Umfeldbezogene Einflussgrößen
Der Erfolg von Dienstleistungsbeziehungen dürfte auch durch das ökonomische und gesellschaftliche Umfeld der beteiligten Länder beeinflusst werden. Als potentielle Einflussgrößen wurden das länderspezifische Kostenniveau, die Distanz der Länder-
191
Wissenschaftliche Beiträge
kulturen und die Distanz der Unternehmenskulturen erfasst. Abbildung 7 zeigt den Zustimmungsgrad zu Aussagen, die das Kostenniveau im Land des Dienstleisters beschreiben. Dabei wurden Arbeitskosten, Informations- und Kommunikationskosten, Energiekosten sowie Kosten für Investitionsgüter unterschieden.
Abbildung 7: Länderspezifisches Kostenniveau des Dienstleisters.
3,9
Im Herkunftsland des Dienstleisters liegen die Arbeitskosten deutlich unter dem deutschen Niveau.
2,2 6,0
3,5
Im Herkunftsland des Dienstleisters liegen die Informations- und Kommunikationskosten deutlich unter dem deutschen Niveau.
2,4 4,9
3,9
Im Herkunftsland des Dienstleisters liegen die Energiekosten deutlich unter dem deutschen Niveau.
2,8 5,2
3,4
Im Herkunftsland des Dienstleisters liegen die Kosten für Investitionsgüter deutlich unter dem deutschen Niveau. Low cost
High cost
2,2 4,7
Gesamt
1
2
3
4
5
6
7
Gesamt betrachtet ergibt sich mit Zustimmungswerten zwischen 3,4 und 3,9 ein durchschnittliches Kostenniveau. Ursache dafür ist die Struktur der Zielländer. Wie in Abschnitt 5.1 angedeutet, wird etwa die Hälfte der Beziehungen zu Low-cost-Ländern (Osteuropa, China, Indien) und die andere Hälfte zu High-cost-Ländern (Westeuropa, USA) unterhalten. Der Bezug von Dienstleistungen aus Niedriglohnländern ist somit keineswegs die Regel sondern nur einer von mehreren möglichen Fällen. Wertet man die Zustimmungsgrade getrennt nach Zielländergruppen aus, so stimmen erwartungsgemäß die Beschaffer mit Dienstleistungsbeziehungen zu Low-cost-Ländern den Aussagen weitgehend zu. Besonders stark ist in diesem Fall die Zustimmung zur Aussage über niedrige Arbeitskosten. Dagegen werden im Falle von High-cost-Ländern die Aussagen durchweg verworfen. Ein weiterer potentieller Einflussfaktor des Umfeldes ist die Kultur des Ziellandes. In der Untersuchung wurde dazu in Anlehnung an Kim und Hwang (1992, S. 40) die Distanz der Länderkulturen gemessen (Abbildung 8). Die erste Variable ist umgekehrt kodiert, d.h. eine hohe Zustimmung zeugt von einer geringen Distanz.
192
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Abbildung 8: Distanz der Länderkulturen.
Es bestehen kaum kulturelle Unterschiede zwischen dem Herkunftsland des Dienstleisters und Deutschland.
3,8
Das politische System ist ein ganz anderes als unseres.
3,2
Die vorherrschende religiöse Orientierung ist eine ganze andere als unsere.
2,8
Das Bildungssystem ist ein ganz anderes als unseres.
3,5
Die (gesamt-)wirtschaftlichen Gegebenheiten sind im Vergleich zum deutschen Markt sehr gewöhnungsbedürftig.
2,9
Wir hatten bislang kaum Berührungspunkte mit diesem Land.
2,3
1
2
3
4
5
6
7
Insgesamt sind die Kulturdistanzen eher gering. Die größten Distanzen zwischen der deutschen Kultur und der Kultur der Zielländer ergeben sich hinsichtlich des Bildungssystems und des politischen Systems. Interessant ist dabei der Zusammenhang von Kulturdistanz und Kostenniveau. Zwischen den Variablen des länderspezifischen Kostenniveaus (Abbildung 7) und jenen der Länderkulturdistanz (Abbildung 8) bestehen deutlich positive Korrelationen, die zudem ganz überwiegend signifikant sind. Damit wird die Vermutung bestärkt, dass sich die beschaffenden Unternehmen geringe Faktorkosten mit einer hohen Kulturdistanz und damit zunehmenden Transaktionskosten in Form von Koordinationskosten erkaufen. Umgekehrt wird wohl auf Kostenvorteile verzichtet, um Kulturdistanzen zu vermeiden. Bedeutsamer für das Niveau von Koordinationskosten ist jedoch die Distanz der Unternehmenskulturen. Im Fragebogen wurde die Ähnlichkeit der Unternehmenskulturen der beteiligten Geschäftspartner gemessen. Hohe Zustimmungswerte in Abbildung 9 stehen deshalb für eine geringe Distanz der Unternehmenskulturen. Insgesamt werden Unternehmenskulturen als recht ähnlich eingestuft. Moderate Distanzen ergeben sich nur hinsichtlich Entscheidungskompetenz und Führungsstil. Offensichtlich achten beschaffende Unternehmen – soweit möglich – auf eine weitgehende Übereinstimmung der Unternehmenskulturen.
193
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 9: Distanz der Unternehmenskulturen.
In diesem Dienstleistungsunternehmen herrschen im Vergleich zu unserem Unternehmen ähnliche Werte und Normen.
5,2
Die Umgangformen sind ganz ähnlich denen in unserem Unternehmen.
5,2
Die Art und Weise der Kommunikation ist ganz ähnlich der in unserem Unternehmen.
4,9
Die Art und Weise der Planung und Abstimmung ist ganz ähnlich der in unserem Unternehmen.
4,8
Die Entscheidungskompetenz des einzelnen Mitarbeiters ist ähnlich der in unserem Unternehmen.
4,1
Der Führungsstil in diesem Dienstleistungsunternehmen ist ähnlich dem in unserem Unternehmen.
4,2
1
5.4
2
3
4
5
6
7
Personelle Einflussgrößen
Als letzter Aspekt sollen personelle Einflussgrößen diskutiert werden. Die Einschätzung des Erfolgs grenzüberschreitender Dienstleistungsbeziehungen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auch von der Person des beurteilenden Beschaffers abhängig. Besonders bedeutsam dürfte dessen generelle Einstellung zur internationalen Beschaffung sein. In einer positiven Grundeinstellung gegenüber der internationalen Beschaffung kann ein wesentlicher Motivator für die Aufnahme von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen gesehen werden. Ebenso dürfte eine positive Einstellung auch die positive Wahrnehmung der Ergebnisse solcher Geschäftsbeziehungen fördern. Andererseits könnten im Sinne des Confirmation-Disconfirmation Paradigmas eher negative Einstellungen zur internationalen Beschaffung ebenso einen positiven Effekt auf die Erfolgsbeurteilung ausüben, weil das Anspruchsniveau deutlich geringer sein dürfte als bei Personen mit sehr positiven Einstellungen. In Abbildung 10 sind die Zustimmungsgrade zu mehreren Aussagen über die internationale Beschaffung aufgezeigt. Wiederum wurde zwischen der Gesamtstichprobe und Befragten aus dem Saarland unterschieden. Die zweite, vierte und sechste Messgröße sind umgekehrt kodiert, d.h. hohe Werte stehen für negative Einstellungen zur internationalen Beschaffung. Die Ergebnisse zeigen kein homogenes Bild der Einstellungen zur internationalen Beschaffung. Obwohl die generelle Tendenz eher positiv ist, sprechen einige Größen auch für das Vorhandensein negativer Einstellungen.
194
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Beispielsweise ist die Zustimmung zur Aussage, dass bei gleicher Eignung deutsche Lieferanten bevorzugt werden, außerordentlich stark. Ebenso ist die Zustimmung zur Behauptung einer besseren Lebensqualität durch ausländische Waren und Dienstleistungen vergleichsweise gering. Erstaunlich sind vor allem die Werte der saarländischen Befragten, die zum Teil deutlich unter denen der Gesamtstichprobe liegen. Hinsichtlich der ersten und der vierten Messgröße sind diese Unterschiede sogar statistisch signifikant. Aufgrund der Grenzlage zu Frankreich und der starken Bindungen zum Nachbarland war dieses Ergebnis nicht zu erwarten. Über die Frage, ob und inwieweit in diesen Einstellungen die Ursache für das relativ geringe internationale Beschaffungsengagement saarländischer Unternehmen zu sehen ist (Abbildung 2), kann jedoch an dieser Stelle nur spekuliert werden.
Abbildung 10 Einstellungen der Befragten gegenüber der internationalen Beschaffung. Die Internationale Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen senkt die Preise für deutsche Erzeugnisse.
4,0 4,5
Die Internationale Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zerstört deutsche Arbeitsplätze.
3,9 3,5
Die Internationale Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen stärkt die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
5,0 5,0
6,5
Bei gleicher Eignung ziehe ich heimische Lieferanten vor.
5,8
Die Internationale Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen erhöht die Lebensqualität in Deutschland.
3,8
Saarland Alle
4,0
Die Internationale Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen verursacht Qualitätsprobleme.
4,4 4,3
Die Internationale Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen eröffnet der deutschen Wirtschaft neue Wettbewerbschancen.
5,2 5,3
Generell arbeite ich genauso gerne mit ausländischen wie mit heimischen Unternehmen zusammen.
4,5 4,7
1
2
3
4
5
6
7
Eng verbunden mit den Einstellungen der Befragten ist deren Kenntnis über internationale Märkte und ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Zielländern. Die Ergebnisse dazu sind in Abbildung 11 dargestellt. Erstaunlich ist dabei die vergleichsweise starke Zustimmung zur letzten Aussage, dem Expertenstatus auf dem Gebiet der internationalen Beschaffung, obwohl zuvor eher geringe Erfahrungen in der internationalen Beschaffung und unterdurchschnittliche Kenntnisse über internationale Beschaffungsmärkte eingeräumt wurden. Auch der Umfang der Erfahrungen mit größeren Vergaben an ausländische Lieferanten und Dienstleister ist eher moderat.
195
Wissenschaftliche Beiträge
Abbildung 11: Erfahrungen der Befragten im internationalen Beschaffungsmanagement.
5,2
Ich selbst habe wenig Erfahrung im Bereich internationale Beschaffung.
5,0
3,4
Ich kenne mich auf den internationalen Beschaffungsmärkten sehr gut aus.
4,1
In den letzten Jahren habe ich mehrfach größere Aufträge an ausländische Lieferanten oder Dienstleister vergeben.
4,4
4,5
Bei einheimischen Lieferanten bzw. Dienstleistern kann ich die Qualität besser einschätzen als bei ausländischen.
4,0
4,6
Ich würde mich als Experten für die Internationale Beschaffung bezeichnen.
5,0
1
6
Saarland Alle
3,7
2
3
4
5
6
7
Zusammenfassung und weitere Forschung
Gegenstand dieser Abhandlung waren konzeptionelle Überlegungen und erste empirische Ergebnisse zur grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung, die aufgrund des Stichprobenumfanges jedoch mit Bedacht interpretiert werden sollten. Entsprechend dem ersten Forschungsziel wurde zunächst der Erfolg von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen diskutiert und dabei die beiden Konstrukte Nettonutzen und Zufriedenheit eingeführt. Auf Basis einer Datenerhebung bei deutschen Dienstleistungsimporteuren konnte ein relativ hoher Nettonutzen aus Sicht der Beschaffer bestätigt werden. Entsprechend ergaben sich auch hohe Zufriedenheitswerte. Im Anschluss daran wurden potentielle Einflussgrößen des Erfolgs von grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeziehungen abgeleitet und drei Gruppen zugeordnet: personelle, umfeldbezogene und leistungsbezogene Einflussgrößen. Hinsichtlich der leistungsbezogenen Einflussgrößen wurden die Komplexität und die Spezifität der Dienstleistung unterschieden. Als wesentliches Ergebnis kann festgestellt werden, dass neben sehr komplexen Dienstleistungen offensichtlich auch vergleichsweise einfache Dienstleistungen bezogen werden. Ebenso zeigt sich trotz der für Dienstleistungen konstitutiven Kundeneinbindung eine vergleichsweise geringe Faktorspezifität.
196
Grenzüberschreitender Dienstleistungseinkauf
Eine wesentliche umfeldbezogene Einflussgröße der grenzüberschreitenden Dienstleistungsbeschaffung ist die Kultur, die als Länderkulturdistanz und als Unternehmenskulturdistanz in die Untersuchung einbezogen wurde. Beide Distanzen sind eher moderat, d.h. die beschaffenden Unternehmen achten – wenn möglich – auf geringe Kulturdistanzen, vor allem geringe Unternehmenskulturdistanzen, um die Koordinationskosten gering zu halten. Neben kulturellen Aspekten wurden auch die Kostenunterschiede zwischen den Ländern als umfeldbezogene Einflussgröße untersucht. Hier zeigte sich, dass der Bezug von Dienstleistungen aus Niedriglohnländern keineswegs die Regel, sondern nur einer von möglichen Fällen darstellt, da mit etwa gleicher Häufigkeit auch Beziehungen mit Unternehmen aus High-cost-Ländern beschrieben wurden. Entsprechend ergeben sich nur mittlere Kostendifferenzen. Dabei wurde deutlich, dass hohe Faktorkostenvorteile mit großen Kulturdistanzen erkauft werden müssen bzw. auf Faktorkostenvorteile zur Vermeidung von kulturellen Distanzen verzichtet wird. Als personelle Einflussgrößen wurden die Einstellungen der Befragten zur internationalen Beschaffung sowie deren Erfahrungen im internationalen Management ausgewertet. Überraschend war dabei die zum Teil eher negative Einstellung zur internationalen Beschaffung. Ihre Entsprechung finden diese Einstellungen in der vergleichsweise geringen internationalen Erfahrung der für den Dienstleistungseinkauf Verantwortlichen. Entgegen der Annahmen erscheint dieses Bild in Grenzregionen nicht positiver, sondern sogar negativer zu sein. Zumindest weisen saarländische Beschaffer negativere Einstellungen zur internationalen Beschaffung auf und verfügen in der Tendenz über geringere Erfahrungen und Kenntnisse. Möglicherweise ist darin eine Ursache zu sehen, dass die befragten saarländischen Unternehmen einen geringeren Anteil ausländischer Bezüge am gesamten Einkaufsvolumen aufzeigen. Die dritte Forschungsfrage muss daher zumindest für das Saarland verneint werden. Die Beantwortung der vierten Forschungsfrage nach der tatsächlichen Wirkung der potentiellen Einflussgrößen auf den Nettonutzen und die Zufriedenheit wurde im Rahmen einer weiterführenden Arbeit ausführlich dargestellt (siehe Large/König, 2009).
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200
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201
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte unter Berücksichtigung der Risikopräferenz des Entscheidungsträgers mit Hilfe des Aspirationsmodells
Dr. Michael Oberländer
Abstract Im Rahmen von hybriden Beschaffungsstrategien werden günstige, aber unflexible mit teuren, dafür reaktionsschnellen Beschaffungs- oder Produktionskapazitäten kombiniert. Um die durch kurze Produktlebenszyklen und schlechte Prognostizierbarkeit der Nachfrage entstehenden Absatzrisikokosten zu reduzieren, werden solche hybriden Beschaffungsstrategien häufig für Modeprodukte eingesetzt und können in diesem Zusammenhang als Newsvendor-Problem mit zwei Bestellzeitpunkten modelliert werden. Beim klassischen Newsvendor-Modell wird ein risikoneutraler Entscheidungsträger unterstellt und somit die optimale Beschaffungsmenge in der Weise bestimmt, dass der Erwartungswert des Gewinnes maximiert wird. Ein risikoneutraler Entscheidungsträger entspricht aber nicht immer der Realität. So lässt sich nichtrisikoneutrales Verhalten von Entscheidungsträgern oft durch das Aspirationsmodell abbilden, welches die Maximierung der Wahrscheinlichkeit anstrebt, mit der eine Gewinnvorgabe erreicht oder überschritten werden soll. Insbesondere zeigen Entscheidungsträger ein dem Aspirationsmodell gemäßes Verhalten, wenn diese durch betriebliche Anreizsysteme gesteuert werden, die eine Bonuszahlung bei Erreichen eines vorgegebenen Mindestgewinns versprechen. Im vorliegenden Beitrag werden die gemäß dem Aspirationsmodell optimalen Beschaffungsmengen für ein NewsvendorProblem mit zwei möglichen Bestellzeitpunkten für verschiedene grundlegende Entscheidungssituationen bestimmt. Anschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung betriebswirtschaftlich interpretiert und diskutiert.
Wissenschaftliche Beiträge
1
Einführung
Neben modischer Bekleidung können auch Sportgeräte, Spielzeug oder Produkte der Unterhaltungselektronik als Modeprodukte bezeichnet werden. Modeprodukte sind durch kurze Produktlebenszyklen, hohe Innovationsraten und eine große Variantenvielfalt gekennzeichnet. Insbesondere Letztere führt zusammen mit einer hohen Volatilität der Nachfrage zu einer geringen Prognostizierbarkeit der Saisonnachfrage, was sich in einem relativ hohen durchschnittlichen Absatzprognosefehler niederschlägt. Die Schwierigkeit, akkurate Nachfrageprognosen zu erstellen, bedingt ein hohes Absatzrisiko (insbesondere als Verkaufsmengenrisiko, vgl. Rogler, 2002, S. 242 ff.), welches sich in Über- und Unterdeckungskosten niederschlägt. Überdeckungskosten werden durch obsolete Bestände am Saisonende verursacht (Angebotsüberschuss), die nur noch zu Preisen verkauft werden können, die unter den Herstellungskosten liegen oder gar entsorgt werden müssen. Stehen nachgefragte Produkte während der Verkaufssaison nicht in ausreichender Quantität zur Verfügung (Nachfrageüberschuss), kommt es zu Unterdeckungskosten u.a. in Form von Umsatzverlusten aus entgangenen Verkäufen. Aufgrund der hohen Arbeitsintensität im Wertschöpfungsprozess der Konfektion können insbesondere in der Bekleidungsindustrie große Kostensenkungspotentiale durch Beschaffung und Produktion aus bzw. in Niedriglohnländern (Low-Cost Country Sourcing) realisiert werden. Der Einsatz dieser günstigen, aber wenig agilen Beschaffungs- oder Produktionskapazitäten (im Folgenden als Normalkapazitäten bezeichnet) erhöht aber wiederum die Absatzrisikokosten, da auf verbesserte Nachfrageprognosen, die mit näher rückender Verkaufssaison verfügbar werden, nicht mehr reagiert werden kann. Dagegen kann die höhere Prognosequalität durch einen verkürzten Prognosehorizont grundsätzlich zur Reduzierung von Absatzrisiken genutzt werden, wenn reaktionsschnelle, absatzmarktnahe und entsprechend teurere Quick-ResponseKapazitäten (Reaktivkapazitäten) zum Einsatz kommen. Die beiden möglichen Extremstrategien „reines Low-Cost Country Sourcing“ und „ausschließliche Nutzung von Quick-Response-Kapazitäten“ stellen jedoch in den seltensten Fällen eine gute Lösung dar. Zwischen diesen beiden Extremstrategien liegt ein Kontinuum an hybriden Beschaffungsstrategien, in deren Rahmen sowohl Normal- als auch ergänzend Reaktivkapazitäten genutzt werden (Cottrill, 2006, S. 1). Für Unternehmen stellt sich also die Frage, welche Artikel ihres Sortiments auf Normalkapazitäten und welche auf Reaktivkapazitäten produziert werden sollen. Wenn es technisch sogar möglich ist, die Produktion eines einzelnen Artikels auf zwei Produktionsstätten aufzuteilen, dann muss die optimale Produktionsmenge für die Normalkapazität ermittelt werden, die bei Bedarf um eine auf einer Reaktivkapazität gefertigten Menge ergänzt wird, wenn kurz vor der Verkaufssaison eine entsprechend hohe Nachfrage prognostiziert wird.
204
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
Das Auffinden einer optimalen Lösung dieses Entscheidungsproblems wird durch das Zusammenwirken von mehrstufigen stochastischen Prozessen und gegenläufigen Kostenverläufen sehr erschwert. Diruf entwickelte eine auf dem Newsvendor-Modell fußende quantitative Modelltheorie, die wesentliche Kerngebiete dieses stochastischen Entscheidungsproblems strukturiert und einer Optimierung zuführt (vgl. insbesondere Diruf, 2001 und Diruf, 2007). Als Optimierungsvorschrift kommt in der Modelltheorie von Diruf nur die Maximierung der Gewinnerwartung zum Einsatz (BayesRegel). Verbesserungspotentiale von hybriden Beschaffungsstrategien werden also ausschließlich unter der Annahme der Risikoneutralität des Entscheidungsträgers analysiert. Aufbauend darauf sollen in dieser Arbeit hybride Beschaffungsstrategien unter der Anwendung des so genannten Aspirationsmodells untersucht werden. Die Optimierungsvorschrift des Aspirationsmodells für eine Entscheidung unter Risiko lautet, die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, mit welcher der Zielfunktionswert ein vorgegebenes Anspruchsniveau erreicht oder überschreitet. Stellt der Zielfunktionswert im betriebswirtschaftlichen Kontext einen Gewinn dar, so kann das Anspruchsniveau als Zielgewinn (englisch: target profit) bezeichnet werden. Von Lanzilotti wurde erstmals 1958 empirisch belegt, dass das Aspirationsmodell das Verhalten vieler Manager in Großunternehmen gut abbildet (Lanzilotti, 1958). Aber unabhängig von der Diskussion, ob das Aspirationsmodell die „natürliche“ Risikoeinstellung eines Entscheidungsträgers mehr oder weniger gut abbilden kann, haben die Erkenntnisse, die aus der Untersuchung dieser Optimierungsvorschrift gewonnen werden können, wichtige praktische Konsequenzen: Nicht selten werden mit Einkommensprämien gekoppelte Target-Profit-Systeme als extrinsische Anreizsysteme in der Unternehmensführung eingesetzt. Ein Entscheidungsträger (beispielsweise ein Disponent oder ein Verantwortlicher für ein Profit Center), der die Wahrscheinlichkeit für den Erhalt dieser Einkommensprämie maximiert, legt also ein „künstlich“ oktroyiertes Entscheidungsverhalten an den Tag, welches dem Aspirationsmodell entspricht. Die Vorgehensweise dieser Untersuchung ist wie folgt: Im folgenden Abschnitt wird das Aspirationsmodell zunächst auf das „klassische“ Newsvendor-Problem (mit nur einem Bestellzeitpunkt) angewandt. Danach wird eine idealtypisch vereinfachte Entscheidungssituation als Basis für die quantitative Modellierung von hybriden Beschaffungsstrategien beschrieben. Dieses erweiterte Entscheidungsszenario, ein Newsvendor-Problem mit zwei möglichen Bestellzeitpunkten, wird dann mit Hinblick auf ein Aspirationskriterium gelöst. Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst, betriebswirtschaftlich interpretiert und diskutiert.
205
Wissenschaftliche Beiträge
2
Lösung des klassischen Newsvendor-Problems als Aspirationsmodell
2.1
Modellannahmen und Symbolik
Das Newsvendor-Problem (auch Newsboy-Problem, Christbaum-Problem oder Single-Period Problem) und zahlreiche Erweiterungen desselben waren in den letzten Jahrzehnten Gegenstand vieler Forschungsarbeiten (einen Überblick geben Khouja, 1999 und Silver et al., 1998, S. 382 ff.). Die Entscheidungssituation des klassischen Newsvendor-Problems lautet wie folgt:
Für ein Modeprodukt ist vor Saisonbeginn die optimale Produktions- oder Bestellmenge x0 [Mengeneinheiten, ME] festzulegen.
Die Herstell- bzw. Einkaufskosten betragen c0 [Geldeinheiten pro Mengeneinheit, GE/ME]. Mit Hilfe des Kostensatzes c0 können zusätzlich auch mengenabhängige Lager- und Transportkosten erfasst werden. Zeit- und mengenabhängige Bestandskosten können vereinfachend als Durchschnittswert ebenso dem Kostensatz c0 zugeschlagen werden. Je kürzer dabei die Verkaufssaison ist, desto weniger unterschiedlich sind die Lagerzeiten der einzelnen Stücke und desto weniger fällt diese Vereinfachung ins Gewicht.
Während der Verkaufssaison soll das Modeprodukt zum Stückpreis p [GE/ME] verkauft werden. Es gilt dabei immer: p > c0.
Mit den produzierten oder eingekauften Beständen x0 muss der Saisonbedarf r bedient werden. Der Saisonbedarf r kann zum Entscheidungszeitpunkt nur ungenau in Form einer Wahrscheinlichkeitsverteilung abgeschätzt werden. Die geschätzte Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion des Saisonbedarfs wird mit f0 und die Wahrscheinlichkeitsverteilungsfunktion mit F0 bezeichnet. Grundsätzlich kann das Newsvendor-Modell mit beliebigen Wahrscheinlichkeitsverteilungen verwendet werden. Der Erwartungswert der Wahrscheinlichkeitsverteilung für den Saisonbedarf r wird mit ΐ0 und die entsprechende Streuung mit Η0 bezeichnet.
Wurde die Bestellmenge x0 einmal festgelegt, dann sind Nachbestellungen vor und während der Saison nicht mehr möglich.
Wegen der Prognoseunsicherheit bezüglich des Saisonbedarfes r und der fehlenden Möglichkeit einer Nachbestellung lassen sich zu große oder zu kleine Bestellmengen x0 nicht vermeiden. Im ersten Fall verbleiben am Ende der Saison nicht verkaufte Restmengen (Überschussmengen, Überdeckungsmengen), im anderen
206
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
Fall bleibt vorhandene Nachfrage in der Saison ungedeckt (Unterdeckungsmengen, Fehlmengen).
Der Fall der Bedarfsüberdeckung r < x0: Sollte der Fall eintreten, dass die Nachfrage r in der Saison kleiner als die vorhandene Stückzahl x0 ist, dann kann die gesamte Überdeckungsmenge x0 – r zu einem stark verminderten Überschusspreis pü [GE/ME] am Ende der Saison in Niedrigpreis-Segmenten oder im Schlussverkauf abgesetzt werden. Grundsätzlich gilt dabei die Annahme, dass der Überschusspreis kleiner als die Einkaufskosten ist (pü < c0). Für Überdeckungsmengen wird also ein Stückverlust von cü = c0 – pü unterstellt. Der Kostensatz cü wird im Folgenden auch als Überdeckungskosten bezeichnet. Der Überschusspreis pü kann auch negative Werte annehmen, z.B. wenn die Überdeckungsmengen als Abfall betrachtet werden müssen, für den Entsorgungskosten anfallen. Weiterhin können durch eine entsprechende Minderung des Überschusspreises auch etwaige für die Überdeckungsmenge anfallende Lager- und Transportkosten implizit modelliert werden.
Der Fall der Bedarfsunterdeckung r > x0: Wenn der Saisonbedarf nicht durch die Bestellmenge x0 gedeckt werden kann, tritt eine Unterdeckungsmenge r – x0 auf. Pro Stück Unterdeckungsmenge treten Opportunitätskosten (Unterdeckungskosten) in Form entgangener Deckungsbeiträge cu = p – c0 auf. Zusätzlich könnten Fehlmengen auch noch mit Strafkosten belegt werden, die beispielsweise (schwer quantifizierbare) Good-Will-Verluste oder Mehrkosten für Sonderbeschaffungsmaßnahmen darstellen. Im Modebereich wird man diese Strafkosten aber in der Regel vernachlässigen (Diruf, 2001, S. 22). So sollen auch im Rahmen der folgenden Untersuchung explizite Strafkosten unberücksichtigt bleiben. Bei den gegebenen Modellannahmen lässt sich der Gewinn1 G in Abhängigkeit von der realisierten Nachfrage r bei einer gewählten Bestellmenge x0 wie folgt mathematisch formulieren:
( p − p ) r − ( c − p ) x (p −c )x ¯
G ( r x0 ) = ®
ü
0
ü
0
= ps r − cü x0 , für r ≤ x0
0
o
= cu x0
, für r > x0
(1)
Dabei bezeichnet das Symbol ps := p – pü die „Preisspanne“ zwischen normalem Verkaufspreis und Überschusspreis.
1
Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei dem Gewinn G streng genommen um Deckungsbeiträge handelt, weil im Newsvendor-Modell nur variable Kosten betrachtet werden.
207
Wissenschaftliche Beiträge
Wird nun als Optimierungsvorschrift die Maximierung des Erwartungswertes des Gewinnes E(G) vorgegeben (Bayes-Regel), dann stellt die Bestellmenge −1
*
xB ,0 = F0
§ c · −1 ¨ p ¸ = F0 ( ω © ¹ u
* 0
)
(2)
s
die wohlbekannte Optimallösung dar (vgl. beispielsweise Lau, 1980a, S. 529 oder −1 Simchi-Levi et al., 2005, S. 120). Mit F0 wird hierbei die Umkehrfunktion der Verteilungsfunktion der Saisonnachfrage r bezeichnet, der Quotient
ω0 = *
cu
(3)
ps
(
)
kann als relativer Deckungsbeitrag 0 < ω 0 < 1 interpretiert werden. Im Folgenden soll das Aspirationsmodell auf das vorliegende Entscheidungsproblem angewandt werden.
2.2
*
Herleitung der Optimallösung
Beim Aspirationsmodell wird ein Zielgewinn GA festgelegt, der von den Gewinnfunktionswerten G(r) mit maximaler Wahrscheinlichkeit mindestens erreicht werden soll. Diese über die Bestellmenge x0 zu maximierende Wahrscheinlichkeit wird als Gewinnwahrscheinlichkeit oder allgemeiner als Erfolgswahrscheinlichkeit bezeichnet und im Folgenden als ω A symbolisiert. Dieser Ansatz wurde zuerst von Kabak und Schiff in das Newsvendor-Modell integriert. Unter der Annahme positiver Strafkosten wurde eine exakte analytische Lösung für den Spezialfall exponentialverteilter Saisonnachfrage ermittelt (Kabak und Schiff, 1978). Ismail und Louderback nutzten numerische Prozeduren zur Maximierung der Gewinnwahrscheinlichkeit unter allgemeineren Modellannahmen (Ismail und Louderback, 1979). Sowohl Lau als auch Norland bezogen sich direkt auf diese Arbeit von Ismail und Louderback und legten analytische Lösungen insbesondere für den Fall normalverteilter Saisonnachfrage vor (Lau, 1980b und Norland, 1980). Sankarasubramanian und Kumaraswamy ermittelten analytische Ausdrücke zur Berechnung von Bestellmengen, welche die Erfolgswahrscheinlichkeit maximieren für drei bestimmte Fälle: für exponentialverteilte Nachfrage, für gleichverteilte Nachfrage und für den Fall, dass die Nachfrage proportional zum Einkommen der Kunden steigt (Sankarasubramanian und Kumaraswamy, 1983). Lau und Lau sowie Li et al. wandten das Aspirationsmodell auf die Entscheidungssituation an, dass gleichzeitig Bestellmengen für zwei Modeprodukte disponiert werden müssen, wobei sich der vorgegebene Zielgewinn auf die Summe der Gewinne aus beiden Produkten bezieht (Lau und Lau, 1988 und Li et al., 1991). Khouja untersuchte die Möglichkeit,
208
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
einen Zielgewinn vorzugeben, für eine Erweiterung des Newsvendor-Modells, bei der im Fall der Unterdeckung ein Teil der Kundschaft bereit ist, auf eine Ersatzlieferung zu warten (Khouja, 1996). Während sich die optimalen Bestellmengen in den oben genannten Entscheidungssituationen meist nur sehr aufwendig oder sogar überhaupt nicht analytisch herleiten * lassen, ist die Optimallösung x A ,0 für eine auf das in Abschnitt 2.1 beschriebene Newsvendor-Modell angewandte Gewinnvorgabe sehr einfach wie folgt zu berechnen. Soll also im (klassischen) Newsvendor-Modell die Wahrscheinlichkeit maximiert werden, dass ein vorgegebener Zielgewinn GA mindestens erreicht wird, dann lässt sich die optimale Bestellmenge als *
x A ,0 =
GA p − c0
=
GA cu
(4)
bestimmen (Lau, 1980a, S. 531). Dieses Ergebnis lässt sich anschaulich aus der Betrachtung der Gewinnverläufe für verschiedene x0-Werte herleiten. Dazu wurden in Abbildung 1 die Gewinnverläufe G(r) in Abhängigkeit von der Saisonnachfrage r zum einen * für die Bestellmenge x A ,0 und zum anderen für Bestellmengen, die etwas unterhalb * * ( x A ,0 < x A ,0 ) und etwas oberhalb ( xA ,0 > x A ,0 ) der optimalen Bestellmenge liegen, dargestellt. Zur Veranschaulichung wurde die Wahrscheinlichkeitsdichte f0 (hier beispielhaft eine Normalverteilung) der zufälligen Saisonnachfrage r hinter die Gewinnfunktionsverläufe projiziert.
209
Wissenschaftliche Beiträge
*
Abbildung 1: Anschauliche grafische Bestimmung der optimalen Bestellmenge x A ,0
*
Beispielhaft für x0-Werte, die kleiner sind als x A ,0 , wurde in obiger Abbildung der Gewinnverlauf G r x0 = x A ,0 in Abhängigkeit von r für eine bestimmte Bestell* menge x A ,0 < x A ,0 eingezeichnet. Man erkennt, dass für solche kleinen x0-Werte der Gewinn immer kleiner als der vorgegebene Zielgewinn GA bleibt. Es gilt hier also immer: ω A = 0 .
(
)
Weiterhin geht aus Abbildung 1 hervor, dass das Gewinnniveau GA bei einer Bestell* * * menge von x A ,0 mit einer Wahrscheinlichkeit von ω A = 1 − F0 x A ,0 (genau) erreicht wird.
( )
*
Stellvertretend für Bestellmengen x0, die größer sind als x A ,0 , wurde der Verlauf der * Gewinnfunktion G r x0 = xA ,0 in Abhängigkeit von r für den Wert x A ,0 > x A ,0 in Abbildung 1 eingezeichnet. Der Nachfragewert rA , an dem die Gewinnkurve in diesen Fällen den Wert GA gerade erreicht, berechnet sich in Abhängigkeit von xA ,0 als
(
210
)
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
rA ( xA ,0 ) =
GA + ( c0 − pü ) ⋅ xA ,0 p − pü
=
G A + cü ⋅ xA ,0
(5)
ps
Die Wahrscheinlichkeit ω A , dass die Gewinnschwelle GA erreicht oder überschritten wird, entspricht also der Wahrscheinlichkeit, dass mindestens eine Saisonnachfrage in Höhe von rA auftritt. Mithin ergeben sich die folgenden äquivalenten Optimierungsvorschriften:
Max ω A xA,0
Max xA,0
{1 − F0 [ r ( x )]} A
Min rA ( xA ,0 )
A ,0
Min
xA,0
xA,0
Min F0 [ rA ( xA ,0 )] xA,0
G A + cü ⋅ xA ,0 ps
(6)
Min xA ,0 xA,0
Die Erfolgswahrscheinlichkeit wird also genau dann maximiert, wenn die Bestellmenge x A ,0 minimiert wird. Aus den vorangegangenen Betrachtungen ist allerdings * schon bekannt, dass die Bestellmenge nicht kleiner als x A ,0 werden darf, weil sonst die * Gewinnvorgabe GA überhaupt nicht erreicht werden kann. Demnach stellt x A ,0 die im Sinne des Aspirationskriteriums optimale Bestellmenge dar. An dieser Optimallösung ist bemerkenswert: *
Die Optimallösung x A ,0 = G A cu ist völlig unabhängig von der Nachfrageverteilung und daher auch unsensibel gegenüber Fehlschätzungen bezüglich der Verteilungsparameter der Saisonnachfrage.
Die Parameter der Nachfrageverteilung wirken sich somit nur auf den Grad der Zielerreichung aus, aber nicht auf die Optimallösung selbst.
Der Erwartungswert der Gewinne hängt natürlich entscheidend von der Nachfrageverteilung ab. Wird also ein Zielgewinn sehr viel kleiner als der Mittelwert ΐ0 der Saisonnachfrage vorgegeben, so wird unter Umständen sehr viel erwarteter Gewinn „verschenkt“. Dies ist zwar für den (in diesem Fall: risikoaversen) Entscheidungsträger, der lediglich die Erfolgswahrscheinlichkeit maximieren möchte, nicht relevant, aber kontraproduktiv aus Sicht eines etwaigen übergeordneten Entscheidungsträgers, der selbst beispielsweise risikoneutral ist. Demnach muss eine Unternehmensleitung bei der Anreizsetzung über Bonuszahlungen, die an gewisse Gewinnvorgaben gebunden sind, besondere Vorsicht walten lassen.
Die Vorschrift zur Minimierung der Verlustwahrscheinlichkeit, also (bei Außerachtlassung von Fixkosten) die Maximierung der Erfolgswahrscheinlichkeit für den Zielgewinn GA = 0 führt immer zu einer optimalen Bestellmenge von Null, also zu überhaupt keiner Handlung. Der erwartete Gewinn ist dann auch mit Null zu beziffern.
211
Wissenschaftliche Beiträge
Die Erfolgswahrscheinlichkeit ω A reagiert sehr empfindlich, wenn eine Bestell*
menge x0 disponiert wird, die kleiner als das Optimum x A ,0 ist: die Erfolgswahrscheinlichkeit fällt in diesem Fall sofort auf den Wert 0. Dieser Sachverhalt kann dann kritisch werden, wenn in einer realen Entscheidungssituation der Verkaufspreis p oder die Herstellkosten c0 nicht als 100%ig sichere Werte angenommen werden können. Sollte sich herausstellen, dass c0 größer oder p kleiner ausfällt als urs* prünglich geplant, dann kann bei einer Disposition von x A ,0 der Zielgewinn GA überhaupt nicht mehr erreicht werden. Sollten also bezüglich der Parameter c0 und p Unsicherheiten bei der Planung bestehen, dann muss dies bei der Bestimmung * von x A ,0 berücksichtigt und bei Bedarf ein aufwendigeres Modell entwickelt werden.
3
Eine idealtypische Entscheidungssituation als Basis für eine quantitative Modellierung von hybriden Beschaffungsstrategien
Idealtypisch wird ein Unternehmen unterstellt, das in rhythmischen Saisonzyklen ein innovatives Sortiment von Modeprodukten entwirft und produziert oder von Subunternehmern produzieren lässt. Grundsätzlich können die Produktionsmengen an zwei Zeitpunkten in Auftrag gegeben werden (vgl. hierzu und zum Folgenden Diruf, 2007, S. 7 ff.). Der nachfolgend als Priorzeitpunkt bezeichnete Zeitpunkt t0 liegt „lange“ vor Beginn der Verkaufssaison, der als Posteriorzeitpunkt bezeichnete Zeitpunkt t1 liegt „näher“ an der Verkaufssaison. Zum Zeitpunkt t0 existieren also relativ ungenaue Erstprognosen für die Artikelnachfragemengen. Beispielsweise wenige Monate vor Saisonbeginn (Zeitpunkt t1) finden jedoch Marktereignisse statt (z.B. Fachmessen oder Erstbestellungen von wichtigen Fachhandelskunden), die zu sprungartigen Verbesserungen der Nachfrageprognosen führen. Vereinfacht wird deshalb im Folgenden zwischen den relativ ungenauen Prognosen „vor der Fachmesse“ (Priorprognosen zum Zeitpunkt t0) und den wesentlich genaueren Prognosen „nach der Fachmesse“ (Posteriorprognosen zum Zeitpunkt t1) unterschieden. Aus Sicht des Zeitpunktes t0 stellt die Saisonnachfrage r also eine Zufallsvariable dar mit der (geschätzten) Dichtefunktion f0 und der Verteilungsfunktion F0. Der Erwartungswert der Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Saisonnachfrage r aus Sicht des Priorzeitpunktes wird mit ΐ0 und die entsprechende Streuung mit Η0 bezeichnet. Die Symbole für die verbesserte Prognose aus Sicht des Zeitpunktes t1 lauten entsprechend f1 und F1 für Dichte- und Verteilungsfunktion sowie ΐ1 und Η1 für Erwartungswert und Streuung der Saisonnachfrage r. Eine genauere mathematische Modellierung des Prognoseverbesserungsprozesses ist für die nachfolgenden Betrachtungen nicht notwendig. Es gilt lediglich
212
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
die Annahme, dass die Verbesserung der Prognose sich in einer Reduzierung der Nachfragestreuung niederschlägt. In der Gleichung
σ 1 = α ⋅ σ 0 , mit 0 ≤ α ≤ 1
(7)
kann ΅ als Prognoseverbesserungsfaktor interpretiert werden. Der Grenzfall ΅ = 0 stellt dabei eine sichere Prognose zum Zeitpunkt t1 dar; es ist also zum Posteriorzeitpunkt bereits sicher bekannt, dass in der Saison genau die Menge ΐ1 nachgefragt werden wird. Ergänzend sei hier angemerkt, dass der Zeitpunkt t1 nicht nur (wie oben geschehen) idealtypisch als „nahe vor der Verkaufssaison liegend“ interpretiert werden kann. Vielmehr kann mit dieser Modellierung auch die Möglichkeit einer Nachbestellung kurz nach dem Beginn der Verkaufssaison erfasst werden. Es muss dann lediglich sicher gestellt sein, dass die Bestellmenge zum Zeitpunkt t0 groß genug gewählt wird, um die Nachfrage zu Beginn der Saison bis zum Eintreffen der nachbestellten Menge zu decken. Typischerweise lässt sich bei dieser Vorgehensweise der Prognosefehler für die Saisonnachfrage stark reduzieren. Fisher et al. führen ein Beispiel an, bei dem der relative Prognosefehler für die Prognose der Gesamtnachfrage auf 8% reduziert werden konnte (Fisher et al., 2000, S. 118 f.). Dabei beruhte diese Prognose auf der Nachfrage der ersten zwei Wochen der Verkaufssaison, welche letztendlich nur 11% der Gesamtnachfrage ausmachte. Für die Produktion der neuen Artikel kann entweder eine beliebig erweiterungsfähige Normalkapazität oder (unter Inkaufnahme höherer Produktionskosten) eine Reaktivkapazität eingesetzt werden. Die Normalkapazität ist eine „eher langsame“ Möglichkeit, Waren zu beschaffen. Eine Produktion auf dieser Kapazität muss also schon zum frühen Priorzeitpunkt begonnen werden, damit die Ware rechtzeitig zu Saisonbeginn zur Verfügung steht. Typischerweise entspricht diese Normalkapazität einer Produktionsstätte in einem weit entfernten Niedriglohnland. Ob lediglich die reinen Produktionsprozesse der Normalkapaziät „langsamer“ sind oder ob der Zwang zur frühzeitigen Bestellung durch längere Transportzeiten gegeben ist, ist dabei nicht relevant. Der Vorteil der Normalkapazität ist, dass die Produktion vergleichsweise günstig ist. Die (spezifischen) Produktionsstückkosten c0 sind also geringer als die der Reaktivkapazität. Der Kostensatz c0 stellt dabei die Summe aller (entscheidungsrelevanten) Stückkosten dar, die durch die Produktion oder durch die Beschaffung der gewünschten Stückzahlen auf der Normalkapazität entstehen. Insbesondere können hier auch Lager- und Transportkosten oder Kosten zur Qualitätssicherung enthalten sein. Wenn die Normalkapazität einen Lieferanten darstellt, dann erfasst der Kostensatz c0 entsprechende Stückkosten, die bei einer Bestellung der Artikelmenge bei diesem Lieferanten für das beauftragende Unternehmen entstehen. Die in eigenen Produktionsstätten zu produzierende oder bei einem Lieferanten zu bestellende
213
Wissenschaftliche Beiträge
Menge x0 wird somit im Folgenden synonym als Produktionsmenge und Bestellmenge bezeichnet werden. Die Reaktivkapazität stellt eine „schnellere“ Möglichkeit zur Beschaffung dar. Es ist hier ausreichend, den Auftrag zur Produktion zum Posteriorzeitpunkt t1 zu erteilen. Im Rahmen von Mode-Supply-Chains kann es sich bei den Reaktivkapazitäten typischerweise um „heimische“ unternehmenseigene Produktionsstätten handeln. Für die später durchgeführten Untersuchungen ist es aber genau wie bei der eben beschriebenen Normalkapazität nicht von Belang, ob es sich bei der Reaktivkapazität um eigene Produktionsstätten, externe Lieferanten oder Contract Manufacturers handelt. Demnach wird auch die entsprechende in Auftrag gegebene Stückzahl x1 wieder synonym als Produktions- oder Bestellmenge bezeichnet werden. Der Kostensatz c1 stellt den im Vergleich zu c0 höheren Stückkostensatz dar, der bei der Beschaffung auf der Reaktivkapazität entsteht (c1 = c0 + Δc). Während auf der Normalkapazität (idealtypisch) beliebig große Mengen produziert werden können, sind für die Reaktivkapazitäten die folgenden zwei Fälle denkbar:
Die Reaktivkapazitäten sind für beliebig große Produktionsmengen einsetzbar und die Kapazitäten müssen auch nicht bereits zum Priorzeitpunkt reserviert werden. Es fallen lediglich die höheren Produktionsstückkosten c1 an.
Im Sinne von Pay-to-delay Capacity Reservations muss bereits zum Priorzeitpunkt eine Kapazitätsoption für eine mögliche Produktion zum Posteriorzeitpunkt von R0 Mengeneinheiten erworben werden (vgl. zu Kapazitätsoptionen im Allgemeinen Trigeorgis, 2000 und Amram und Kulatilaka, 1999 sowie zu Pay-to-delay Capacity Reservations Tan, 2001). Dafür fallen zusätzliche Reservierungsgebühren in Höhe von cR * R0 an. Zum Posteriorzeitpunkt kann auf der Reaktivkapazität nur maximal die bereits zum Priorzeitpunkt reservierte Menge R0 in Auftrag gegeben werden. Für die zum Posteriorzeitpunkt produzierte Menge fallen zusätzliche Stückkosten in Höhe von c1 an. Der entscheidende Nachteil der Normalkapazität besteht darin, dass sie bereits „lange vor Saisonbeginn“ definitiv mit bestimmten Artikeln und ungenau prognostizierten Artikelmengen belegt werden muss. Wegen stark verkürzter Produktions- und Lieferzeiten erlaubt dagegen die Reaktivkapazität eine definitive Festlegung der Produktionsmengen erst „nach der Fachmesse“ auf Basis deutlich verbesserter Nachfrageprognosen (Produktionspostponement). Durch Einsatz der Reaktivkapazität können somit gegen einen Aufpreis bei den Produktionskosten Absatzrisikokosten eingespart werden. Totalpostponementmodelle sollen im Folgenden Entscheidungssituationen bezeichnen, in denen es (beispielsweise aus technischen Gründen) nicht möglich ist, die
214
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
Produktionsmenge für einen Artikel auf zwei Produktionsstätten aufzuteilen. Der Artikel muss entweder komplett auf der Normalkapazität oder komplett auf der Reaktivkapazität in Auftrag gegeben werden. Zum Priorzeitpunkt t0 muss also entschieden werden, ob der betrachtete Artikel auf der Normalkapazität produziert werden soll und wenn ja, in welcher Menge. Soll die Produktion des Artikels erst zum Posteriorzeitpunkt auf der Reaktivkapazität erfolgen, wird die dann optimale Produktionsmenge anhand der verbesserten Prognosedaten festgelegt. Entsprechend stellen Teilpostponementmodelle die Situation dar, dass die Produktionsmenge eines Artikels prinzipiell aufgeteilt werden kann. In der Regel wird also auf der Normalkapazität eine Basismenge des Artikels produziert, welche bei Bedarf durch eine zusätzliche Produktionsmenge auf der Reaktivkapazität ergänzt werden kann. Zum Priorzeitpunkt t0 muss also die optimale Produktionsmenge für die Normalkapazität unter der Annahme bestimmt werden, dass grundsätzlich die Möglichkeit zu einer ergänzenden Posterior-Teilmenge besteht, deren optimale Höhe aber erst zum Zeitpunkt t1 mit den dann geltenden verbesserten Prognosedaten bestimmt werden kann.
4
Optimierung von hybriden Beschaffungsstrategien unter Anwendung des Aspirationsmodells
4.1
Totalpostponementmodell mit flexibler Verfügbarkeit von Reaktivkapazitäten gegen einen Aufpreis bei den Produktionsstückkosten
Das im vorigen Abschnitt beschriebene Entscheidungsproblem soll nun unter Anwendung des Aspirationsmodells optimiert werden. Zunächst soll der Fall unbegrenzt mengenflexibler Reaktivkapazitäten betrachtet werden. Die Produktion auf diesen Reaktivkapazitäten ist im Vergleich zur Nutzung der Normalkapazitäten mit Mehrkosten in Höhe von Δc = c1 – c0 verbunden, es fallen aber keine Reservierungskosten an. Die Produktionsmengen sollen so disponiert werden, dass ein vorgegebener Zielgewinn GA mit maximaler (Erfolgs-)Wahrscheinlichkeit erreicht wird. Die Produktionsmenge muss entweder komplett auf der Normalkapazität oder komplett auf der Reaktivkapazität produziert werden. Unter der Annahme, dass ausschließlich die Normalkapaziät genutzt werden soll, kann die optimale (totale) Prior-Produktionsmenge zum Zeitpunkt t0 als
215
Wissenschaftliche Beiträge
*
x A ,0 =
GA p − c0
=
GA
(8)
cu *
berechnet werden. Wenn die Produktionsmenge x A ,0 in t0 disponiert wird, dann wird der Zielgewinn GA aus Sicht des Priorzeitpunkts mit einer Wahrscheinlichkeit von
( )
ω A = 1 − F0 x A ,0 *
*
(9)
in der Verkaufssaison erreicht.
4.1.1
Totalpostponementmodell mit α = 0 und Δc = 0
Die vermeintliche Vorteilhaftigkeit eines Totalpostponements, also der Produktion der gesamten Artikelmenge zum Posteriorzeitpunkt t1 soll nun zuerst für die ideale Entscheidungssituation mit den Parameterwerten α = 0 und Δc = 0 untersucht werden. Zum Zeitpunkt t1 steht somit bereits fest, dass die Nachfrage in der Verkaufssaison den Wert r = μ 1 annehmen wird, außerdem fallen keine Mehrkosten für die Produktion auf den Reaktivkapazitäten an. Zum Posteriorzeitpunkt liegt somit keine stochastische Entscheidungssituation vor, der Einsatz des Aspirationsmodells im Sinne eines Ersatzmodells ist also nicht nötig. Stattdessen kann die optimale totale Posterior-Pro* duktionsmenge einfach auf den Wert x A ,1 = μ 1 festgesetzt werden. Die Erfolgswahr* scheinlichkeit ω A ,1 mit der aus Priorsicht bei einem Totalpostponement der Produktionsmenge zumindest der Zielgewinn GA erreicht wird, lässt sich wie folgt aus Abbildung 2 bestimmen.
216
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
Abbildung 2: Gewinnverläufe bei optimaler totaler Prior- und Posterior-Produktion in Abhängigkeit von der Saisonnachfrage r für α = 0 und Δc = 0
In Abbildung 2 sind zwei Gewinnkurven in Abhängigkeit von der Saisonnachfrage r und zusätzlich die (beispielhafte) Wahrscheinlichkeitsdichte f0 der Nachfrage r aus Priorsicht dargestellt. Bei optimaler totaler Prior-Disposition ergibt sich der Gewinnverlauf
(
)
p r − c x
G r x0 = x A ,0 = ® *
s
¯
ü
*
cu x A ,0
* A ,0
*
, für r ≤ x A ,0 *
, für r > x A ,0
(10)
Bei optimaler totaler Posterior-Produktion kann die auftretende Nachfrage immer exakt bedient werden. Der dabei erzielte Gewinn ergibt sich aus Multiplikation der aufgetretenen Nachfrage mit dem Stückdeckungsbeitrag cu. In diesem Fall stellt sich die Gewinnkurve in Abhängigkeit von r aus Priorsicht also wie folgt dar:
(
*
)
G r x1 = x A ,1 = cu ⋅ r
(11)
217
Wissenschaftliche Beiträge
Die schraffierte Fläche unter der Kurve der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion f0 zeigt die Erfolgswahrscheinlichkeit aus Sicht des Prior-Zeitpunktes an. Wie zu erkennen ist, * entspricht die Erfolgswahrscheinlichkeit ω A ,1 , mit der der Zielgewinn GA aus Priorsicht bei optimaler totaler Posterior-Produktion erreicht wird, genau der Erfolgswahr* scheinlichkeit ω A ,0 bei optimaler totaler Prior-Produktion. Dies liegt daran, dass die * beiden Gewinnkurven sich genau an der Stelle r = x A ,0 berühren. Ansonsten liegt die * * Gewinnkurve G ( r x1 = x A ,1 ) immer oberhalb der Gewinnkurve G ( r x0 = x A ,0 ) . Aus Sicht des Priorzeitpunktes t0 (an dem die Entscheidung über den Produktionszeitpunkt getroffen werden muss) sind die zwei Alternativen optimale totale PriorProduktion und optimale totale Posterior-Produktion bei (strenger) Anwendung des Aspirationsmodells genau gleichwertig. Die fast durchgehend besseren Gewinnwerte und die damit verbundene deutlich bessere Gewinnerwartung werden bei einer Posterior-Produktion völlig ausgeblendet.
4.1.2
Totalpostponementmodell mit α = 0 und Δc > 0
Als Nächstes wird der Fall untersucht, dass die Produktion auf den Reaktivkapazitäten zum Zeitpunkt t1 teurer ist als die Produktion auf den Normalkapazitäten zum Zeitpunkt t0; der Kostenunterschied Δ c = c1 − c 0 ist also positiv. Genau wie im zuvor betrachteten Fall wird von einer maximalen Prognoseverbesserung α = 0 ausgegangen. Zum Zeitpunkt t1 ist also wieder bereits bekannt, wie hoch die Saisonnachfrage genau sein wird. Abbildung 3, die zur Veranschaulichung dieser Entscheidungssituation dienen soll, unterscheidet sich von Abbildung 2 dadurch, dass die Gewinnkurve * bei optimaler totaler Posterior-Produktion x A ,1 = μ1 aufgrund der höheren Produktionskosten c1 nun durch den Term
(
)
G r x1 = x A ,1 = ( p − c1 ) ⋅ r = ( cu − Δc ) ⋅ r *
(12)
bestimmt wird. Für entsprechend kleine, aber positive Δc liegt diese Gewinnkurve * immer noch fast durchgehend oberhalb der Gewinnkurve G ( r x0 = x A ,0 ) , die zur Entscheidungsalternative der optimalen totalen Prior-Produktion gehört. Die (größere) schraffierte Fläche unter der Kurve der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion f0, die sich aus der einfach und der doppelt schraffierten Fläche * zusammensetzt, zeigt die erreichte Erfolgswahrscheinlichkeit ω A ,0 bei optimaler totaler Prior-Disposition an. Die (kleinere) doppelt schraffierte Fläche illustriert die * erreichte Erfolgswahrscheinlichkeit ω A ,1 bei optimaler totaler Posterior-Disposition. Beide Erfolgswahrscheinlichkeiten werden dabei aus der Sicht des Zeitpunktes t0 * verglichen. Die Erfolgswahrscheinlichkeit bei totaler Posterior-Produktion ω A ,0 fällt * kleiner aus als die Erfolgswahrscheinlichkeit bei totaler Prior-Produktion ω A ,0 , weil die * Posteriorgewinnkurve G ( r x0 = x A ,1 ) den Zielgewinn GA erst bei dem Nachfragewert
218
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
r = GA ist.
(c
u
− Δc ) erreicht, der größer als die optimale Prior-Produktionsmenge x *A ,0
Abbildung 3: Gewinnverläufe bei optimaler totaler Prior- und Posterior-Produktion in Abhängigkeit von der Saisonnachfrage r für α = 0 und Δc > 0
Unter der Voraussetzung, dass die gesamte Artikelmenge entweder zum Zeitpunkt t0 oder zum Zeitpunkt t1 produziert werden muss und der Annahme eines positiven Produktionskostenzuschlags Δc wird sich ein Entscheidungsträger gemäß dem Aspirationsmodell immer für die optimale totale Prior-Produktion entscheiden, selbst wenn zum Posteriorzeitpunkt die Saisonnachfrage bereits sicher bekannt ist. Dies gilt für alle vorgegebenen Zielgewinne GA > 0.
4.1.3
Totalpostponementmodell mit α > 0 und Δc = 0
Jetzt sollen Entscheidungssituationen untersucht werden, welche durch die Parameterwerte α > 0 und Δc = 0 beschrieben werden können. Zum Zeitpunkt t1 verbessert sich die Prognose für die Saisonnachfrage, so dass die Streuung für die Nachfrageverteilung nur noch den Wert σ1 = ΅σ0 hat. Der Erwartungswert für die Saisonnachfrage r
219
Wissenschaftliche Beiträge
beträgt zum Posteriorzeitpunkt μ1 . Für die Produktion auf den Reaktivkapazitäten zum Zeitpunkt t1 fallen keine Mehrkosten an. *
Wie bereits gezeigt wurde, kann die optimale totale Prior-Produktionsmenge x A ,0 zum Zeitpunkt t0 als
GA
*
x A ,0 =
(13)
p − c0
berechnet werden. Die optimale Produktionsmenge ist also unabhängig von der Nachfrageverteilung. Das bedeutet auch, dass die optimale totale Posterior-Produktionsmenge zum Zeitpunkt t1 unabhängig von der veränderten Nachfrageprognose immer den Wert
GA
*
x A ,1 =
p − c1
=
GA
(14)
p − c0
annimmt und somit genau der optimalen totalen Prior-Produktionsmenge entspricht. Sowohl bei totaler Prior- als auch bei totaler Posterior-Produktion wird der vorgegebene Zielgewinn GA aus Sicht des Priorzeitpunkts somit mit einer Wahrscheinlichkeit von
( )
ω A ,0 = ω A ,1 = 1 − F0 x A ,0 *
*
*
(15)
erreicht. Aus Priorsicht sind bei Anwendung des Aspirationsmodells also beide Alternativen gleichwertig.
4.1.4
Totalpostponementmodell mit α > 0 und Δc > 0
Es soll jetzt wiederum die Annahme gelten, dass sich die Prognose für die Saisonnachfrage zum Zeitpunkt t1 verbessert, wobei die Streuung für die Nachfrage trotzdem noch einen positiven Wert σ1 = ΅σ0 aufweist und der Erwartungswert für die Saisonnachfrage r zum Posteriorzeitpunkt μ1 beträgt. Allerdings fallen für die Produktion auf den Reaktivkapazitäten zum Zeitpunkt t1 gegenüber einer Produktion auf den Normalkapazitäten zum Zeitpunkt t0 tatsächliche Mehrkosten in Höhe von Δ c = c1 − c 0 an. Die optimale totale Prior-Produktionsmenge *
x A ,0 =
220
GA p − c0
=
GA cu
(16)
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
zum Zeitpunkt t0 berechnet sich wieder als Quotient aus Zielgewinn und Stückdeckungsbeitrag. Aufgrund der nun vorhandenen Mehrkosten Δc für die Produktion zum Posteriorzeitpunkt ergibt sich eine entsprechend größere optimale totale Posterior-Produktionsmenge zum Zeitpunkt t1: *
x A ,1 =
GA p − c1
GA
=
p − c 0 − Δc
=
GA
*
cu − Δc
> x A ,0
(17)
Da die optimale Posterior-Produktionsmenge wieder unabhängig von der Nachfrage* verteilung ist, kann die Wahrscheinlichkeit ω A ,1 , mit welcher mindestens der vorgegebene Zielgewinn GA aus Sicht des Priorzeitpunkts bei optimaler totaler Posterior-Produktion erreicht wird als
( )
ω A ,1 = 1 − F0 x A ,1 *
*
(18)
berechnet werden. Für positives Δc ist diese Wahrscheinlichkeit immer kleiner als die * Wahrscheinlichkeit ω A ,0 , mit welcher der vorgegebene Zielgewinn GA aus Sicht des Priorzeitpunkts bei optimaler totaler Prior-Produktion erreicht wird:
( )
( )
ω A ,1 = 1 − F0 x A ,1 < 1 − F0 x A ,0 = ω A ,0 *
*
*
*
(19)
Dies gilt unabhängig von der tatsächlichen Beschaffenheit der Verteilungsfunktion F0, solange es sich dabei um eine kontinuierliche Verteilungsfunktion handelt. Bei positiven Mehrkosten Δ c für die Posterior-Produktion ist also bei Anwendung des Aspirationsmodells die optimale totale Prior-Produktion der optimalen totalen PosteriorProduktion aus Priorsicht immer vorzuziehen. Dies gilt für alle Vorgaben für den Zielgewinn GA > 0 und zusammenfassend mit dem bereits vorher untersuchten Fall einer sicheren Posteriorprognose für alle Prognoseverbesserungsgrade 0 ≤ α ≤ 1 .
4.2
Teilpostponementmodell mit flexibler Verfügbarkeit von Reaktivkapazitäten gegen einen Aufpreis bei den Produktionsstückkosten
Als Nächstes werden die Entscheidungssituationen mit teilbaren Artikelmengen analysiert. Die Reaktivkapazitäten sind also wiederum unbegrenzt mengenflexibel und die Nutzung derselben ist mit höheren Produktionsstückkosten c1 verbunden als die Produktion auf den Normalkapazitäten. Die Produktionsmenge eines Artikels muss nicht komplett zum Zeitpunkt t0 oder komplett zum Zeitpunkt t1 hergestellt werden (Totalpostponement), sondern die Produktionsmenge kann sich auch zwischen Normal- und Reaktivkapazität aufteilen (Teilpostponement). Ist die jeweils opti* male Posterior-Produktionsmenge x A ,1 zum Zeitpunkt t1 größer als die bereits produ221
Wissenschaftliche Beiträge
zierte Prior-Produktionsmenge x0, dann wird auf der Reaktivkapazität die Menge * Δ x1 = x A ,1 − x 0 produziert; ansonsten wird zum Zeitpunkt t1 nichts produziert.
4.2.1
Teilpostponementmodell mit α = 0 und Δc = 0
In der vorliegenden Entscheidungssituation mit den Parameterwerten α = 0 und Δc = 0 ist zum Posteriorzeitpunkt t1 bekannt, dass die Nachfrage in der Verkaufssaison genau r = μ1 betragen wird. Die optimale Posterior-Produktionsmenge ergibt sich * also immer als x A ,1 = μ1 = r . Die optimale Prior-Produktionsmenge kann mit Hilfe von Abbildung 4 hergeleitet werden.
Abbildung 4: Gewinnverläufe für verschiedene Prior-Produktionsmengen und optimale Posterior-Produktion in Abhängigkeit von der Saisonnachfrage r für α = 0 und Δc = 0
222
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
Bei einer Prior-Produktionsmenge von x0 = 0 ME kann posterior immer die dann opti* male Menge x A ,1 produziert werden. Der Gewinnverlauf in Abhängigkeit von r entspricht dann der in Abbildung 4 eingezeichneten Ursprungsgeraden. Die Wahrscheinlichkeit, mit welcher der Zielgewinn GA erreicht wird, ist in der Abbildung als die (größere) schraffierte Fläche unter der schematischen Dichtefunktion zu erkennen und nimmt den Wert
( )
ω A ,0 = 1 − F0 x A ,0 *
*
(20)
*
an, wobei x A ,0 = G A cu wieder die optimale totale Prior-Produktionsmenge bezeichnet. Wird für die Prior-Produktionsmenge ein Wert x 0 gewählt, der zwischen 0 und * x A ,0 liegt, dann entspricht der Gewinnverlauf in Abhängigkeit von r in Abbildung 4 bis zum Wert r = x 0 der Geraden „I“. Für größere r-Werte geht die Gewinnkurve wieder in die Ursprungsgerade über, welche die optimale Posterior-Produktion abbil* det. Der Zielgewinn GA wird auch hier mit einer Wahrscheinlichkeit von ω A ,0 erreicht. * Gleiches gilt, wenn prior die bei totaler Prior-Produktion optimale Menge x A ,0 produziert wird, welche dann durch optimale Posterior-Produktion ergänzt wird. Die zugehörige Gewinnkurve entspricht der Geraden „II“ in Abbildung 4, die für Werte * r > x A ,0 in die Ursprungsgerade übergeht. Auch in diesem Fall wird der Zielgewinn * GA aus Priorsicht mit einer Wahrscheinlichkeit von ω A ,0 erreicht oder überschritten. *
Bei einer Prior-Produktionsmenge x 0 = x0 , die größer als x A ,0 ist, ergibt sich ein Gewinnverlauf, der in Abbildung 4 als Gerade „III“ dargestellt ist, die für Werte r > x0 in die Ursprungsgerade übergeht. Da Gewinngerade „III“ den Wert GA erst bei einem * r-Wert erreicht, der rechts von x A ,0 liegt, ist die Wahrscheinlichkeit aus Priorsicht, mit * welcher mindestens der Zielgewinn erreicht wird, kleiner als ω A ,0 . Dieser kleinere Wahrscheinlichkeitswert findet sich in der Abbildung in Form der (kleineren) doppelt schraffierten Fläche wieder. Bei Anwendung des Aspirationsmodells in der vorliegenden Entscheidungssituation * erweisen sich also alle Prior-Produktionsmengen zwischen 0 ME und x A ,0 als optimal.
4.2.2
Teilpostponementmodell mit α = 0 und Δc > 0
Ähnlich wie im eben behandelten Fall lässt sich die optimale Prior-Produktionsmenge auch für die Parameterkonstellation α = 0 und Δc > 0 herleiten. Die Gewinnkurven in Abbildung 5 unterscheiden sich von denen in Abbildung 4 dadurch, dass sie an der „Knickstelle“, ab welcher die Prior-Produktionsmenge auf die jeweils optimale Posterior-Produktionsmenge ergänzt wird, nicht in die (hier gestrichelte) Ursprungsgerade, die den aus Priorsicht risikofreien Gewinn cu * r darstellt, übergehen, sondern mit der geringeren Steigung c u − Δ c fortlaufen.
223
Wissenschaftliche Beiträge
An dem in Abbildung 5 durch eine Strich-Punkt-Linie dargestellten Gewinnverlauf für die Prior-Produktionsmenge x 0 ist beispielhaft zu erkennen, dass die Wahrscheinlichkeit2, den vorgegebenen Zielgewinn GA zu erreichen oder zu überschreiten für alle * * Prior-Produktionsmengen x 0 < x A ,0 kleiner ausfällt als ω A ,0 . Für Prior-Produktions* mengen x 0 > x A ,0 gilt das Gleiche, wie im Prinzip bereits in Abbildung 4 zu erkennen ist. In einer Teilpostponement-Entscheidungssituation mit α = 0 und Δc > 0 ist also * die Prior-Produktionsmenge x A ,0 = G A c u bei Anwendung des Aspirationsmodells optimal und dies unabhängig von den Werten der sonstigen Umweltparameter und für einen beliebigen Zielgewinn GA > 0.
Abbildung 5: Gewinnverläufe für verschiedene Prior-Produktionsmengen und optimale Posterior-Produktion in Abhängigkeit von der Saisonnachfrage r für α = 0 und Δc > 0
2
224
Diese Wahrscheinlichkeit ist in Abbildung 5 als doppelt schraffierte Fläche unter der Kurve der Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion f0(r) eingezeichnet.
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
Die optimale Prior-Produktionsmenge im Teilpostponementmodell entspricht also genau der optimalen Produktionsmenge im Falle einer totalen Prior-Produktion. Auch die Wahrscheinlichkeit, mit welcher der Zielgewinn erreicht oder überschritten wird, ist bei einer totalen Prior-Produktion genau so groß wie bei der Optimallösung im Teilpostponementmodell. Aus der Sichtweise des Aspirationsmodells bringt die Möglichkeit zur Aufteilung der Produktionsmengen in Prior- und Posteriormenge also keinen Vorteil.
4.2.3
Teilpostponementmodell mit α > 0 und Δc = 0
Bei Entscheidungssituationen mit Parameterwerten α > 0 und Δc = 0 steht zum Zeitpunkt t1 noch nicht sicher fest, wie hoch die Saisonnachfrage ausfallen wird. Die Saisonnachfrage r stellt zum Posteriorzeitpunkt eine normalverteilte Zufallsvariable mit dem Erwartungswert μ1 und der Streuung σ1 = ΅σ0 dar. Für die Produktion auf den Reaktivkapazitäten zum Zeitpunkt t1 fallen keine Mehrkosten an. Die von den Parametern der Nachfrageverteilung unabhängige optimale Produktionsmenge zum Zeitpunkt t1 kann demnach wiederum als *
x A ,1 =
GA p − c1
GA
=
p − c0
=
GA
(21)
cu
*
berechnet werden und entspricht der optimalen totalen Prior-Produktionsmenge x A ,0 . Wenn also zum Zeitpunkt t0 eine Produktionsmenge x0 hergestellt wird, die im Inter* * vall [0, x A ,0 ] liegt, dann kann die Produktionsmenge posterior um Δx A ,1 = x A ,1 − x0 auf die dann optimale Menge ergänzt werden. Die Wahrscheinlichkeit aus Priorsicht, mindestens den Zielgewinn GA zu erreichen, beträgt dann immer
( )
ω A ,0 = 1 − F0 x A ,0 *
*
(22) *
Größere Prior-Produktionsmengen als x A , 0 führen zu einem schlechteren Zielerreichungsgrad. Für Teilpostponementmodelle, welche die Parameterkonstellation α > 0 und Δc = 0 aufweisen, sind aus Sicht des Aspirationsmodells alle Prior-Produktionsmengen * 0 ≤ x0 ≤ x A ,0 als optimal zu bezeichnen. Bezüglich des Zielerreichungsgrads (Wahrscheinlichkeit, mindestens den Zielgewinn zu erreichen) ergibt sich keine Verbesserung gegenüber der Entscheidungssituation, in der die Artikelmengen nicht aufteilbar sind (Totalpostponementmodell).
225
Wissenschaftliche Beiträge
4.2.4
Teilpostponementmodell mit α > 0 und Δc > 0
Genau wie in der eben untersuchten Entscheidungssituation verbessert sich jetzt wiederum die Prognose für die Saisonnachfrage zum Zeitpunkt t1, so dass die Streuung für die Nachfrage auf den Wert σ1 = ΅σ0 reduziert wird und der Erwartungswert für die Saisonnachfrage r zum Posteriorzeitpunkt μ1 beträgt. Für die Produktion auf den Reaktivkapazitäten zum Zeitpunkt t1 fallen gegenüber einer Produktion auf den Normalkapazitäten zum Zeitpunkt t0 tatsächliche Mehrkosten in Höhe von Δ c = c1 − c 0 an. Zuerst muss die Frage geklärt werden, wie hoch die optimale zusätzliche Produktionsmenge zum Posteriorzeitpunkt gewählt werden muss, wenn bereits die prior produzierte Menge x0 vorliegt. Die optimale zusätzliche Posterior-Produktionsmenge ist in dieser Entscheidungssituation nicht unabhängig von der Prior-Produktionsmenge und * wird demnach mit dem Symbol Δx A ,1 ( x0 ) bezeichnet. Führt man sich die Herleitung der optimalen Produktionsmenge bei der Anwendung des Aspirationsmodells auf das klassische Newsvendor-Problem vor Augen, so kann Folgendes festgehalten werden: Die optimale Produktionsmenge wird gerade so groß gewählt, dass der Zielgewinn genau dann erreicht wird, wenn die Saisonnachfrage mindestens so groß ausfällt wie die produzierte Menge. Das „Plateau“ der Gewinnkurve liegt bei optimaler Disposition also genau bei dem Gewinnwert GA. Angewandt auf die jetzt vorliegende Teilpostponement-Entscheidungssituation lässt sich sofort festhalten:
Prior-Produktionsmengen x0, die größer sind als die optimale totale Prior-Produk*
tionsmenge x A ,0 , können auch im Teilpostponementmodell nicht optimal sein. * Die optimale zusätzliche Produktionsmenge Δx A ,1 ( x0 ) zum Zeitpunkt t1 ist immer *
Null, wenn gilt: x0 ≥ x A ,0 . * Bei einer Prior-Produktion in Höhe von x A ,0 und einer optimalen zusätzlichen *
*
Produktionsmenge zum Zeitpunkt t1 in Höhe von Δx A ,1 ( x0 = x A ,0 ) = 0 wird der vorgegebene Zielgewinn GA aus Sicht des Zeitpunktes t0 mit einer Wahrscheinlich* * keit erreicht oder überschritten, die dem Wert ω A ,0 = 1 − F0 x A ,0 entspricht.
( )
Bleibt die Frage zu beantworten, wie hoch Δx A ,1 ( x0 ) gewählt werden muss, wenn * prior eine Menge x0 produziert wurde, die zwischen Null und x A ,0 liegt. Analog der Vorgehensweise in Abschnitt 2 muss die Gesamtproduktionsmenge so hoch angesetzt werden, dass der Zielgewinn GA genau dann realisiert wird, wenn die Saisonnachfrage einen Wert annimmt, der größer oder gleich der Gesamtproduktionsmenge ist. Daraus * ergibt sich für die optimale zusätzliche Posterior-Produktionsmenge Δx A ,1 ( x0 ) bei vorgegebener Prior-Produktionsmenge x0 der folgende Ansatz: *
226
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
!
cu ⋅ x0 + ( cu − Δc ) ⋅ Δx A ,1 ( x0 ) = GA
(23)
*
Daraus kann die optimale zusätzliche Posterior-Produktionsmenge als
Δx A ,1 ( x0 ) = *
G A − cu ⋅ x 0
(24)
cu − Δc
berechnet werden. Für den in dieser Formel enthaltenen Grenzfall einer Prior-Produk* tionsmenge in Höhe von x A ,0 ergibt sich die bereits oben hergeleitete optimale zusätz* * liche Posterior-Produktionsmenge Δx A ,1 x0 = x A ,0 = 0 . Bei nicht vorhandener PriorProduktion (x0 = 0) ergibt sich als optimale zusätzliche Posterior-Produktionsmenge der Wert
(
Δx A ,1 ( x0 = 0 ) = *
)
GA
(25)
cu − Δc
und somit folgerichtig genau die optimale Posterior-Produktionsmenge des Totalpostponementmodells. Es kann leicht gezeigt werden, dass die gesamte Produktionsmenge x0 + Δx A ,1 ( x0 ) * immer größer als x A ,0 ausfällt, wenn zum Zeitpunkt t0 eine Produktionsmenge x0 ge* wählt wird, die kleiner als x A ,0 ist. Die Wahrscheinlichkeit aus Priorsicht, dass während der Verkaufssaison mindestens der Zielgewinn GA erreicht wird, ist in diesen * Fällen somit immer kleiner als ω A ,0 . Hieraus folgt, dass die optimale Prior-Produktionsmenge unter den gegebenen Bedingungen im Teilpostponementmodell den Wert * x A ,0 hat und somit genau der optimalen totalen Prior-Produktionsmenge entspricht. Bei optimaler Prior-Disposition ergibt sich keine Notwendigkeit zur Produktion zum * Zeitpunkt t1, die zusätzliche Produktionsmenge Δx A ,1 ist also immer gleich Null. Die grundsätzliche Möglichkeit zur Aufteilung der Produktionsmenge in Prior- und Posteriormenge (Teilpostponement) ergibt also weder in Zielerreichungsgrad noch in der Beschaffenheit der optimalen Produktionspolitik eine Änderung gegenüber der Entscheidungssituation mit unteilbaren Produktionsmengen (Totalpostponement), wenn die Vorgehensweise des Aspirationsmodells zugrunde gelegt wird. *
4.3
Optimalität einer totalen Prior-Produktion bei begrenzter Quick-Response-Kapazität in Form einer Option zur Nutzung von Reaktivkapazitäten
Abschließend soll das Aspirationsmodell nun auf den Fall angewendet werden, in dem die Reaktivkapazitäten nicht mehr unbegrenzt mengenflexibel sind, sondern eine
227
Wissenschaftliche Beiträge
begrenzt flexible Kapazitätsoption darstellen. Zum Zeitpunkt t0 muss also neben der Produktionsmenge x0 mit Hilfe einer zweiten Entscheidungsvariablen R0 bereits festgelegt werden, wie viel Reaktivkapazität zum Zeitpunkt t1 zur Verfügung stehen soll. Bei Reservierung von R0 [ME] der Reaktivkapazität fallen Priorkosten in Höhe von K(R0) = cR * R0 an. Weiterhin fällt für posterior produzierte Mengen der höhere Produktionskostensatz c1 an. Auch hier erweist sich (aus Priorsicht) die optimale totale Prior-Disposition allen anderen Strategien überlegen. Also insbesondere unabhängig von den Parameterwerten ΅, Δc , cR und der Zielvorgabe GA ist es immer optimal, zum * Priorzeitpunkt t0 die Menge x A ,0 = G A cu zu produzieren und keine Reaktivkapazität zu reservieren (R0 = 0). Dies ist direkt einsichtig und soll deshalb auch nur kurz begründet werden: Wie oben gezeigt, ergibt sich selbst unter der Voraussetzung, dass für die Reaktivkapazität keine Reservierungskosten anfallen (cR = 0), eine optimale Prior-Produktions* menge in Höhe von x A ,0 = G A cu und eine (zusätzliche) Posterior-Produktion in Höhe von Null (auch wenn die Produktionsmenge prinzipiell teilbar wäre), wenn die Posterior-Produktion teurer als die Prior-Produktion ist (Δc > 0). Bei positiven Reservierungskosten gilt diese optimale Produktionspolitik somit „erst recht“. Bleibt noch der Fall zu analysieren, in dem die Posterior-Produktion genau so teuer ist wie die Prior-Produktion (Δc = 0) und die Reservierung der Reaktivkapazität allerdings mit positiven Kosten in Höhe von cR pro reservierter Einheit zu Buche schlägt. Wenn also eine Reaktivkapazität in Höhe von R0 > 0 reserviert wird, fallen die Reservierungskosten cR * R0 an. Die optimale Gesamtproduktionsmenge xA unter dieser Voraussetzung ergibt sich als
xA =
G A + c R ⋅ R0 cu
>
GA cu
*
= x A ,0
(26) *
und ist damit größer als die optimale totale Prior-Produktionsmenge x A ,0 . Unabhängig davon, ob die Gesamtproduktionsmenge xA komplett oder teilweise prior oder posterior produziert wird (wobei natürlich die begrenzte Verfügbarkeit der Reaktivkapazität beachtet werden muss), wird in diesem Fall der Zielgewinn GA aus Priorsicht mit * einer geringeren Wahrscheinlichkeit erreicht, als wenn prior die Menge x A ,0 produziert und keine Reaktivkapazität reserviert würde (R0 = 0).
4.4
Zusammenfassung der analytischen Untersuchungen
Bei der Anwendung des Aspirationsmodells auf die Totalpostponement- und Teilpostponementmodelle werden die Möglichkeiten zur Gewinnsteigerung, die sich aus den Prognoseverbesserungen zum näher am Beginn der Verkaufssaison gelegenen Poste-
228
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
riorzeitpunkt ergeben, komplett „ausgeblendet“. Selbst in idealen Entscheidungssituationen, in denen zum Posteriorzeitpunkt bereits sicher bekannt ist, wie hoch die Nachfrage in der Verkaufssaison ausfallen wird und keinerlei Mehrkosten für die (normalerweise teurere) Produktion auf den Reaktivkapazitäten anfallen, wird die Möglichkeit zur Posterior-Produktion als lediglich gleichwertig zur Produktion auf den langsameren Normalkapazitäten zum Priorzeitpunkt angesehen. Wenn realistische Parameterwerte unterstellt werden, wird von einem Entscheidungsträger, der sich gemäß dem Aspirationsmodell verhält, immer die Prior-Produktion, also die unflexible, aber billigere Produktion in einem Niedriglohnland favorisiert. Sobald auch noch so geringe Reservierungskosten oder höhere Stückkosten für die Posterior-Produktion anfallen, wird bei Anwendung des Aspirationsmodells immer zum Priorzeitpunkt die Menge produziert, die unter der Prämisse der Unteilbarkeit der Artikelmenge optimal wäre, auch wenn grundsätzlich eine Aufteilung der Artikelmenge auf die zwei möglichen Produktionszeitpunkte möglich ist. Die Reaktivkapazität wird in diesem Fall unabhängig vom Grad der Prognoseverbesserung, der Preis- und Kostendaten des betrachteten Artikels, den Parametern der Nachfrageprognose und der Vorgabe für den Zielgewinn überhaupt nicht genutzt. Da sich im Aspirationsmodell der Grad an Risikoaversion eines Entscheidungsträgers in der Höhe des vorgegebenen Zielgewinns ausdrückt, gelten die eben gemachten Aussagen insbesondere für beliebige Risikoaversionsgrade.
5
Übermäßige Betonung der Beschaffung aus Niedriglohnländern aufgrund ungeeigneter extrinsischer Anreizsysteme
Die gewonnenen Erkenntnisse haben weitreichende Konsequenzen, wenn man bedenkt, dass das Aspirationsmodell nicht nur als mehr oder minder genaue Abbildung der „natürlichen“ Risikoeinstellung eines Entscheidungsträgers zu sehen ist. Vielmehr wird das Verhalten von Entscheidungsträgern oft durch entsprechende extrinsische Anreizsysteme so beeinflusst, dass dieses Verhalten dann eine „künstliche“ Risikoeinstellung impliziert, die einem Vorgehen gemäß dem Aspirationsmodell entspricht. So wird das Verhalten von Managern, Projektleitern oder ganzen Profit Centern von übergeordneten Hierarchieebenen wie beispielsweise Abteilungsleitern oder allgemeiner der Unternehmensführung oft durch Bonuszahlungen gesteuert, die ab der Erreichung einer gewissen Gewinnvorgabe ausgezahlt werden. Ein Entscheidungsträger, der einem solchem betrieblichen Anreizsystem unterliegt, wird sich tendenziell so verhalten, wie es durch das Aspirationsmodell abgebildet wird. Dies gilt sogar unabhängig davon, wie die tatsächliche Risikoeinstellung (risikoavers, risikoneutral
229
Wissenschaftliche Beiträge
oder sogar risikofreudig) dieses Entscheidungsträgers ist. Es muss lediglich die Mindestanforderung an das „originäre“ Entscheidungsverhalten erfüllt sein, dass es für den Entscheidungsträger einen höheren Nutzen darstellt, die Bonuszahlung ausgezahlt zu bekommen als diese nicht ausgezahlt zu bekommen. Ein Entscheidungsträger, dessen Verhalten in oben beschriebener Weise durch Bonuszahlungen gesteuert wird, nutzt also die Möglichkeiten zur Senkung von Absatzrisiken durch (teilweise) zeitliche Verschiebung der Produktion nicht und wird die gesamte Produktionsmenge bereits zum früheren Zeitpunkt zu entsprechend niedrigeren Herstellungskosten in Auftrag geben (Low-Cost Country Sourcing). Mit einer solchen Handlungsweise werden aber sowohl aus Sicht eines (tatsächlich) risikoneutralen als auch aus Sicht eines bernoulli-rationalen risikoaversen Entscheidungsträgers (mit konstanter absoluter Risikoaversion) erwarteter Gewinn bzw. Erwartungsnutzen „verschenkt“. Dem grundsätzlichen Problem, inwieweit die Risikoeinstellung eines Gesamtunternehmens durch ein Anreizsystem mit Bonuszahlungen bei Erreichung von Zielvorgaben auf die Mitarbeiter übertragbar ist, kann bei der einfachen Variante des Newsvendor-Modells (ohne Prognoseverbesserung zum Posteriorzeitpunkt) noch durch eine entsprechende (hohe) Wahl des Zielgewinns entgegnet werden. Dies ist bei der Newsvendor-Entscheidungssituation mit zwei möglichen Bestellzeitpunkten nicht möglich. Wenn hier eine mit einer Bonuszahlung verknüpfte Gewinnvorgabe zum Einsatz kommt, dann werden die Gewinnchancen durch teilweise oder vollständige QuickResponse-Produktion komplett ignoriert, unabhängig von der Höhe der Zielvorgabe. Die Führung eines Unternehmens, das in einem Umfeld arbeitet, welches den hier vorgestellten Modellen entspricht, muss also in besonderer Weise darauf bedacht sein, dass die Erreichung ihrer Ziele nicht durch ungeeignete Anreizsysteme gefährdet wird. Gegebenenfalls muss geprüft werden, ob nicht mehrstufige Bonuszahlungen oder eine prozentuale Gewinnbeteiligung besser geeignet sind, um das (beispielsweise) risikoneutrale Ziel der Gewinnmaximierung auf Einzelprojekte, Abteilungen oder Profit Center herunterzubrechen. Die hier vorgestellten theoretischen Untersuchungen legen den Schluss nahe, dass ungeeignete Anreizsysteme für Einkaufsabteilungen und Projektleiter bei Unternehmen insbesondere aus der Modebranche zu einer übermäßigen Betonung der Beschaffung aus Niedriglohnländern führen, wobei die Möglichkeiten zur Senkung von Absatzrisiken durch (teilweise) Beschaffung von reaktionsschnellen, aber teureren Lieferanten außer Acht gelassen werden. Inwieweit dies tatsächlich in der Praxis beobachtbar ist, müsste mit Hilfe entsprechender empirischer Untersuchungen überprüft werden.
230
Ermittlung optimaler Beschaffungsmengen für Modeprodukte
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232
Teil B Anwendungsnahe Beiträge
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions – Ein Fallstudien-Design
Prof. Dr. Elisabeth Fröhlich und Dr. Tanja Lingohr
Abstract Immer wieder zeichnen sich Wellen von Unternehmenszusammenschlüssen oder -übernahmen im Wirtschaftsleben ab. Unbestritten ist die vorherrschende Meinung, dass je nach Art des Zusammenschlusses neben dem Know-how-Transfer enorme Einsparpotentiale im Unternehmen identifiziert und gehoben werden können. Ebenso eindeutig formulieren die Verantwortlichen die besondere Stellung des Einkaufs im Rahmen eines solchen Vorhabens. Umso erschreckender ist die Tatsache, dass es keine generische Vorgehensweise gibt, die es ermöglicht, strukturiert die entsprechenden Effizienzsteigerungsmöglichkeiten zu realisieren. Daher haben es sich die Verfasserinnen zur Aufgabe gemacht, im Rahmen eines Case Research Designs die wichtigsten effizienzsteigernden Maßnahmen für die optimale Integration der Einkaufsabteilungen zu erfragen, auszuwerten und zusammenzufassen. Ein theoretischer Bezugsrahmen bildet dabei den Leitfaden des Interviews und umfasst situative Erfolgsdeterminanten, Parameter der organisatorischen Gestaltung sowie Integrationsbarrieren auf Mitarbeiterseite. Diese Faktoren müssen detailliert analysiert werden, da sie die Auswahl gewisser pragmatischer Handlungsempfehlungen prägen. Den Autorinnen ist ein Ansatz gelungen, wie Manager strukturiert Rahmenbedingungen für die optimale Integration von Einkaufsabteilungen schaffen können, um die maximalen Möglichkeiten der Effizienzsteigerung für das Unternehmen zu realisieren. Entsprechende Handlungsempfehlungen sind grundsätzlich durch die individuelle Unternehmensund Zusammenschlusssituation gekennzeichnet, jedoch kann über einen generischen Ansatz ein hilfreicher Leitfaden abgebildet werden.
Anwendungsnahe Beiträge
1
Einleitung
1.1
Problemstellung
Mergers & Acquisitions (M&A’s) stellen im Zuge der Globalisierung im heutigen Wirtschaftsleben eine geeignete Möglichkeit zur Wertsteigerung der beteiligten Unternehmen dar. Unternehmen versprechen sich durch den Zusammenschluss eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsposition durch Realisierung von Synergieeffekten, Knowhow-Transfer und rascherem Wachstum (Essig, 2006, S. 985; Houghton/Anand/Neck, 2003, S. 98). Ein Rückblick auf die vergangenen Jahrzehnte eröffnet jedoch eine hohe Misserfolgsrate von M&A Maßnahmen, die sich in Wertvernichtung statt -steigerung und nicht ausgeschöpften Synergiepotentialen äußert (Homburg/Bucerius, 2005, S. 95; Grimpe, 2005, S. 1; Carelton/Lineberry, 2004, S. 1 ff.). Einer der wesentlichen Gründe hierfür ist eine unzureichende oder falsche Planung und Durchführung der PostMerger-Integration (PMI)(Gerds/Schewe, 2006, S. 27), die den beteiligten Unternehmen und ihren Geschäftsbereichen nach der Fusion ein Zusammenwachsen in strategischer, struktureller und organisatorischer Hinsicht ermöglichen soll (Fischer/Wirtgen, 2000; Habeck/Kröger/Träm, 2000). Ein Großteil der durch M&A’s entstehenden Wertsteigerungspotentiale wird in der Realisierung von Einkaufssynergien gesehen. Die zügige Ausschöpfung dieser Potentiale gilt als Frühindikator für den Erfolg des gesamten Zusammenschlusses (Andrew/ Knapp, 2001, S. 2 ff.; Falk/Fischer, 2005, S. 2 ff.; Killen/Kamauff, 1995, S. 2 f.). Daraus lässt sich die bedeutende Rolle des Funktionsbereichs Beschaffung in Rahmen einer Post Merger Integration erklären (Studt, 2008, S. 70 f; Essig, 2006, S. 999 f. u.a. widmen dieser Phase eines Mergers nur wenig Raum). Trotz dieser theoretischen Erkenntnis (Hammer, 2007, S. 53 ff.) kommt es in der praktischen Arbeit zu zahlreichen Problemen, die gewünschte Ergebnisverbesserungen negieren.
1.2
Zielsetzung
Die Phase der Post Merger Integration im Beschaffungsprozess ist häufig von einer Komplexität, die das Management schlichtweg unterschätzt. (Haspeslagh/Jemison, 1992, S. 129). Es müssen u.a. Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit der Beschaffungsfunktionen geschaffen werden, die sich für eine optimale und rasche Ausschöpfung der identifizierten Synergien eignen (Chapman/Dempsey/Ramsdell/ Bell, 1998, S. 2 ff.; Andrew/Knapp, 2001, S. 2.ff; Swerdlow, 2001, S. 1 ff.). Zum einen muss die Frage nach der zukünftigen Aufbau- und Ablauforganisation der Beschaffung beantwortet werden, die die Art und Stärke der Zusammenarbeit sowie die Verteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen den beiden Beschaffungsfunktionen determiniert und den Rahmen für den Ablauf der beschaffungsinhärenten Arbeitsprozesse vorgibt (Knüppel, 1996, S. 203; Osburg, 1994, S. 10 f.). Zum anderen ist die
236
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
Durchführung dieser Restrukturierungen mit begleitenden Maßnahmen zu versehen, um Probleme durch personelle und kulturelle Barrieren abfangen zu können (Magala, 2005, S. 116 ff.). Unternehmen benötigen daher ein theoretisches Konzept, das eine Annäherung an diese Problemstellungen auf einem relativ abstrakten Niveau erlaubt, aber dennoch substantielle Handlungsempfehlungen für die betriebliche Praxis liefert. Als Ergebnis dieses Forschungsprojekts findet sich im Anhang (Abbildung 1) eine strukturierte Übersicht möglicher Problemfelder einer PMI in der Beschaffung, angelehnt an dem im nächsten Schritt zu erarbeitenden Bezugsrahmen. Einzelne empirische Befunde werden exemplarisch diskutiert, um einen Bogen für die Erörterung praktischer Handlungsempfehlungen in Abschnitt 4 zu spannen.
2
Empirische Methodik: Vorgehensheuristik des Case Research
Zunächst bedarf es in diesem Abschnitt einer Rechtfertigung der gewählten empirischen Vorgehensweise. Eine allgemeine Diskussion des Case Research Designs soll erläutern, inwieweit dieser Forschungsansatz auf die vorliegende Problemstellung übertragen und angewendet werden kann (eine interessante Diskussion der Möglichkeiten des Einsatzes eines Case Research Designs im Beschaffungsmanagement findet sich bei Dubois/Araujo, 2007, S. 173 ff.).
2.1
Möglichkeiten des Case Research
Im Folgenden soll die gewählte Forschungsrichtung in ihren Möglichkeiten beschrieben werden. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass letztendlich wenig über die Probleme bei der Integration der Beschaffungsfunktion in der Post Merger Phase zu lesen ist. Bis heute fehlt eine vertiefende empirische wie auch praktische Auseinandersetzung mit der im Abschnitt zuvor erläuterten Forschungsfrage. Gelingt es zukünftig, die kritischen Erfolgsdeterminanten der Beschaffungsfunktion im Rahmen einer Post Merger Integration zu identifizieren und zu systematisieren, können Beschaffungsprozesse effizienter abgearbeitet und damit Potentiale eines Mergers umfassend gehoben werden. Explorative Studien (Fröhlich-Glantschnig, 2005, S. 66 ff.) kommen immer dann zum Einsatz, wenn es sich um die Analyse neuer, noch wenig erforschter Fragestellungen handelt. Der bisherige empirische Erkenntnisstand über die Bedeutung der Beschaffung in Post Merger-Prozessen hält keine festen Vorgaben zur deskriptiven oder gar kausalanalytischen Überprüfung bereit. In diesem Beitrag stehen deskriptive Aussa237
Anwendungsnahe Beiträge
gen (Grochla, 1978, S. 68 ff.) im Vordergrund, die den Untersuchungsgegenstand beschreiben. In einem nächsten Forschungsschritt können die Ergebnisse dieses Beitrags zur Formulierung von Hypothesen herangezogen werden, sie dienen damit als empirisches Fundament für weitere Forschungsvorhaben. Ein Case Research Design wurde gewählt, da es die ‚Entfaltung eines Untersuchungsgegenstandes’ ermöglicht (zur Bedeutung des Case Research für Untersuchungen im Zusammenhang mit Unternehmenszusammenschlüssen Jansen 2004). Der Forscher nimmt dabei die Position eines lernenden Beobachters ein (Yin, 2009, S. 17), wichtig ist hierbei lediglich die konkrete Formulierung des Forschungsgegenstands, um die empirische Untersuchung auf die relevanten Fragen zu fokussieren. Case Research ist somit ganzheitlich ausgerichtet und umschließt sowohl qualitative wie auch quantitative Komponenten (Bauch, 2004, S. 88). „Auf Explorationsstufe wird mit Case-Research ein vertieftes Verständnis des Untersuchungsgegenstandes innerhalb des Kontextes bezweckt. Dabei geht es einerseits um die Erfassung von Anhaltspunkten zur Entwicklung der Gestaltungsempfehlungen. Andererseits werden mit dem Case-Research die Anwendungsbedingungen geklärt und konkretisiert“ (Bauch, 2004, S. 92). Mit diesem Zitat wird die Intention des vorliegenden Beitrags nochmals deutlich. Case-Research verbindet durch seinen qualitativen Ansatz Theorie und Praxis und liefert ein weiteres Argument für den hier gewählte Einordnung des Artikels in der Sparte ‚Applied Science’. Für ein Case Research Design werden daher häufig Impulse aus der Praxis aufgegriffen, um diese wissenschaftlich zu untersuchen. Aus diesem Grunde wurde eine umfangreiche Studie der Unternehmensberatung Booz-Allen & Hamilton, die über langjährige Expertise im Bereich Mergers & Acquisitions verfügt, herangezogen. Als die drei wesentlichen Einsparungspotentiale eines Mergers werden Preisharmonisierung, Economies of Scale sowie die Implementierung von Best Practice-Einkaufsstrategien genannt (Swerdlow et al. 2001). Der letzte Aspekt bietet dabei die meisten Einsparpotentiale. Von daher verwundert es, dass sich die im Weiteren dargestellten empirischen Befunde mit den Quick Wins auseinandersetzen und letztendlich wenig über die Probleme bei der Integration der Beschaffungsfunktion zu lesen ist.
2.2
Gewählte Vorgehensweise zur Implementierung des Case-Research-Projekts
Den nachfolgenden Ausführung liegt die Grundstruktur eines Case-Research-Projektes zugrunde, wie es von Yin (2009) in seinem Grundlagenwerk ‚Case Study Research’
238
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
erläutert wird. Ähnliche Ansätze finden sich auch bei anderen Autoren (Dul/Hak, 2008; Zaugg, 2002; DeVaus, 2006).1 Grundsätzlich sind vier Stufen zu unterscheiden, die bezogen auf die Fragestellung der Integrationsproblematik der Funktion Beschaffung in der Post-Merger-Phase zu adaptieren sind: Planung des Case-Research-Projektes, Datenerhebung und -auswertung sowie die Darstellung der Ergebnisse (Simons, 2009, S. 28 ff.). Die Formulierung der Zielsetzung sowie die Konkretisierung der Analysethemen stehen im ersten Schritt des Case Research im Vordergrund der Überlegungen. Wie bereits zuvor erläutert, ist im Rahmen eines explorativen, deskriptiven Case Research die Darlegung der Forschungsinhalte einer der zentralen Punkte. Das Forschungsprojekt unterstützt die Ermittlung relevanter Integrationsparameter für den Funktionsbereich Beschaffung im Rahmen eines PMI-Prozesses. Folgende Hauptforschungsfelder – die in Abschnitt 3.1 hergeleitet und näher erläutert werden – sind dabei zu berücksichtigen.
Integrationskontext Integrationsziele Integrationsgeschwindigkeit Maßnahmen der Integrationsgestaltung Integrationsbarrieren. Es wurde ein Multiple Case Design gewählt (Yin, 2009, S. 19 f.), um die Robustheit der Ergebnisse zu erhöhen. Es wurden fünf Merger (Analyseeinheit Gildemeister AG, Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Avaya GmbH&Co. KG, ZF Friedrichshafen AG, Rheinmetall Landsysteme GmbH) mit Beteiligung der Funktion Beschaffung analysiert. Wichtige Voraussetzung für die Wahl der Analyseeinheit war zum einen die Vergangenheitsorientierung – damit die Zeitpunktorientierung, der Merger musste zum Zeitpunkt der empirischen Erhebung bereits abgeschlossen sein. Dem Ansatz der bewussten Sampleauswahl folgend wird von der Grundannahme ausgegangen, dass die Untersuchungsleiter in der Lage sind, jene Fälle zu benennen, die eine Grundgesamtheit besonders treffend charakterisieren und damit erfassen können (Ellegaard, 2009, S. 294; Kromrey, 2006, S. 281). Die Analyseeinheit ist bezüglich ihres potentiellen Beitrags zu einer Verdichtung der zu erhebenden Daten auszuwählen. Der zweite Projektschritt umschließt die Datenerhebung. Als Erhebungstechnik wurde das problemzentrierte Interview (Mayring, 1993, S. 46 ff.) gewählt, um von den Vorteilen der Einbeziehung von aufschlussreichen Meinungen sowie der Identifikation
1
An dieser Stelle soll eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit der gewählten Anzahl von Analysestufen unterbleiben.
239
Anwendungsnahe Beiträge
weiterer hilfreicher Datenquellen zu profitieren. Problemzentrierte Interviews erlauben eine bessere Fokussierung auf die anvisierte Forschungsfrage verbunden mit einem höheren Grad an Anwendungsflexibilität. In Teilen wurden von den Analyseeinheiten weitere Materialien, wie Unternehmensberichte, zur Verfügung gestellt, die in Form einer Dokumentenanalyse mit in die Datenerhebung einflossen. Die Interviews wurden von beiden Forscherinnen selbständig durchgeführt, ein befriedigendes Niveau der Ergebnisse konnte sichergestellt werden. Ein wesentliches Problem der Qualitätssicherung im Rahmen der Datenerhebungstechnik ‚persönliches Interview’, das durch die notwendigen Schulungsmaßnahmen der Interviewer hervorgerufen wird, konnte somit umgangen werden. In einem letzten Schritt war eine Case Database anzulegen. Diese beinhaltet alle erhobenen Dokumente und Interviews sowie die während der Datenerhebung verfassten Notizen. Schritt drei setzt sich mit der Datenauswertung auseinander. Grundsätzlich stehen dem Case Research die verschiedensten Datenanalysetechniken zur Auswahl – angefangen von der Inhaltsanalyse bis hin zur statistischen Auswertung (Simons, 2009, S. 117 ff.). Aufgrund der bisherigen Fokussierung auf fünf ausgewertete Mergers haben sich die Autoren für die Technik der qualitativen Inhaltsanalyse entschieden (Mayring, 1993, S. 86 ff.). Nimmt man nochmals auf die zentrale Forschungsfrage Bezug, verspricht die Inhaltsanalyse die interessantesten Erkenntnisse. Im Rahmen der zusammenfassenden Inhaltsanalyse wurden für alle im Bezugsrahmen entwickelten potentiellen Variablen leicht verständliche Kurztexte verfasst, die die wesentlichen Antworten auf einem höheren Abstraktionsniveau als die ursprünglichen Quelldaten darstellen. Das erhobene Material konnte reduziert werden, ohne jedoch die relevanten Inhalte zu verlieren. Sie dienen als Basis für die Ergebnisdiskussion in Abschnitt 3.2. Im Rahmen der Darstellung der Ergebnisse liegt es im Interesse der Autoren, sowohl das Fachpublikum als auch Praktiker von den gewonnenen Inhalten gleichermaßen zu überzeugen. Vor dem wissenschaftlichen Hintergrund erschien es zielführend aufzuzeigen, dass weite Teile möglicher Synergiepoteniale im Funktionsbereich Beschaffung nach Mergern brach liegen bzw. ungenutzt bleiben, da die organisatorischen Strukturen und Voraussetzungen in diesem Funktionsbereich kaum existieren. Für Praktiker sollen erste Handlungsempfehlungen abgeleitet werden, wie diese ‚Organisationsmängel’ zukünftig behoben werden können.
240
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
3
Zur Entwicklung des konzeptionellen Integrationsmodells für die Beschaffung
3.1
Charakterisierung des konzeptionellen Bezugsrahmens
Fallstudien erweisen sich immer dann als interessanter Forschungsansatz, wenn es gilt, eine große Anzahl von Variablen bei einer relativ kleinen Anzahl von Untersuchungseinheiten zu analysieren (Papathanassis, 2004, S. 10). Der im Folgenden zu entwickelnde Bezugsrahmen fußt auf den theoretischen Vorüberlegungen von Schewe/Gerds2 (2000, 2001, 2006, S. 194 ff.). Aufbauend auf den Aussagen des erweiterten situativen Paradigmas (Kieser/Walgenbach, 2007, S. 207), welches die Unterschiede realer Organisationsformen auf die Ausprägung situativer Faktoren zurückführt (Macharzina/Wolf, 2005, S. 523 ff.), wird ein konzeptioneller Bezugsrahmen für den Funktionsbereich Beschaffung abgeleitet. Dieser Bezugsrahmen dient im weiteren Verlauf des Forschungsdesign als Grundlagen für den Interviewleitfaden im Case Research Design. Die Offenheit des Ansatzes lässt sich für eine Erweiterung der grundlegenden organisatorischen Modellstruktur nutzen und wird von den nachfolgenden Sachverhalten beeinflusst:
„Dem differenzierten Einsatz unterschiedlicher Maßnahmen der Integrationsgestaltung,
dem Verhalten von Mitarbeitern, die von der Integrationsmaßnahme betroffen sind und
der expliziten Berücksichtigung des Integrationserfolges“ (Schewe/Gerds, 2001, S. 77). Situative Erfolgsdeterminanten werden zunächst durch den Integrationskontext dargestellt. Bei Kieser/Walgenbach (2007, S. 216 ff.) finden sich Dimensionen der externen und internen Situation. Wichtige Determinanten der internen Struktur sind unter anderem das von den Integrationspartnern bisher angebotene Leistungsprogramm sowie Fertigungstechniken. Informationen über die Größe der Unternehmen, die Art des Zusammenschlusses (Langenstein, 2006, S. 9 ff.; Jansen, 2001, S. 22 ff.) wie auch der Veränderung der Rechtsform und Eigentumsverhältnisse sind hierbei von Interesse. Besonderes Augenmerk wurde im Rahmen der Datenerhebung auf die Entwicklungsstadien der Organisation gelegt – beispielhaft wurde nach Differenzen in den bisherigen Organisationsstrukturen gefragt (zentraler vs. dezentraler Einkauf siehe hierzu u.a. Handfield/Monczka/Giunipero/Patterson, 2009, S. 166 ff.), wie diese 2
Erläuterungen zu weiteren Erfolgsmodellen der Post Merger Integration Nieburg/Pohlmann/Menke 2005.
241
Anwendungsnahe Beiträge
personaltechnisch abgebildet und zur Unterstützung des ungehinderten Wissensbzw. Informationstransfers herangezogen werden konnten (Frese, 2005, S. 242 f.). Die Systematisierung der externen Determinanten erfolgte in Anlehnung an die ‚five forces’ von Porter (1980). Von Interesse waren Konkurrenzverhältnisse, Kundenstruktur, Dynamik der technischen Entwicklung sowie eine Charakterisierung des wirtschaftlichen und globalen Umfelds, wobei letzteres erste Einblicke in die kulturellen Unterschiede der beiden sich verbindenden Unternehmen gewährt. Integrationsziele beschreiben den zweiten wichtigen Punkt im Rahmen situativer Erfolgsdeterminanten. Angelehnt an die Zielstruktur von Koppelmann (2004, S. 111 ff.) wurden die möglichen Dimensionen als Qualitätsmaximierer (z. B. Steigerung der Innovationskraft), Kostenminimierer (z. B. Senkung der Kosten der Geschäftsbeziehungspflege) sowie Risikominimierer/Flexibilitätsmaximierer (z. B. Bündelungsvorteile senken das Abhängigkeitsrisiko) definiert. In einem letzten Punkt galt es, die Umsetzung der Integrationsziele im Merger zu diskutieren. Um die Parameter der organisatorischen Gestaltung zu charakterisieren, sollte sowohl eine statische wie auch dynamische Komponente mit in das Forschungsdesign integriert werden (Frese, 2005, S. 581 ff.). Dynamik lässt sich durch die Frage nach der Integrationsgeschwindigkeit abbilden. Grundsätzlich steht hinter der Frage, wie groß zu einem bestimmten Zeitpunkt der in Anspruch genommene Anteil der Integrationsmaßnahmen ist. In der Literatur finden sich dazu wenige Hinweise, es wird zumeist in die ersten dreißig Tage nach dem Merger sowie ein Jahr danach unterschieden (Chapman/Dempsey/Ramsdell/Bell, 1998, S. 59 ff.). Wir haben einen detaillierteren Ansatz gewählt und darüber hinaus die Antwortalternative ‚vor Vertragsunterzeichnung’ eingefügt. Für den Funktionsbereich Beschaffung ist es von entscheidender Bedeutung, wann die Einbindung in den Integrationsprozess erfolgt. Zuletzt wurde noch die Frage diskutiert, wie lange die einzelnen Phasen – strategisches Integrationsmanagement, operative Umsetzung sowie Integrationskontrolle – gedauert haben. Die statische Dimension lässt sich durch das Konstrukt der Integrationsmaßnahmen abbilden. Brockhoff/Hauschild (1993) unterscheiden zwischen hierarchischen sowie hierarchiefreien Integrationsmaßnahmen. Hierarchische Integrationsmaßnahmen zielen dabei auf die Neugestaltung bzw. Veränderung bestehender Aufbaustrukturen ab. Hierarchiefreie Integrationsmaßnahmen verzichten auf die Etablierung eines Koordinationsmechanismus und versuchen u.a. neue Visionen für die sich verbindenden Unternehmen zu entwickeln. Angelehnt an diese theoretische Struktur konnten die nachfolgenden organisatorischen Integrationsmaßnahmen sowie Überlegungen zum Lieferantenmanagement für die Funktion Beschaffung abgeleitet werden:
Operative Verzahnung der Geschäftsbereiche Bindung und Transfer von Führungskräften Verzahnung von Führungsstrukturen und -systemen Einbindung von Promotoren. 242
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
Die Tatsache berücksichtigend, „dass Mitarbeiter vielfach negativ bzw. ablehnend auf PMI reagieren – das Spektrum der Verhaltensweisen reicht von der Abnahme des Engagements und eine Erhöhung der Fluktuationsrate über eine geringere Bereitschaft zur Weitergabe von korrekten bzw. aktuellen Informationen bis hin zu destruktivem Verhalten und Sabotageaktivitäten“ (Schewe/Gerds, 2001, S. 77) – sind das Mitarbeiterverhalten bzw. Integrationsbarrieren im Forschungsrahmen zu erfassen. PMI können nur rasch und erfolgreich ablaufen, wenn Mitarbeiter wie Führungskräfte gleichermaßen unterstützend tätig werden (Müller, 2007, S. 131 ff.). Integrationsbarrieren können sich hierbei – wie aus dem Personalmanagement bekannt (Konzeption der Synthese Berthel/Becker 2007) – durch mangelndes Wollen bzw. fehlende Fähigkeiten ausdrücken. Wir sprechen im Weiteren von Wollens- und Könnensbarrieren ergänzt um Maßnahmen zur Ausrichtung individuellen Verhaltens. Im Rahmen von Wollensbarrieren wurden Fragestellungen wie die nach Motiven und Einstellungen des Managements zum Merger, Anstrengungs- und Konsequenzerwartung aber auch Persönlichkeitsmerkmale als wichtig erachtet. Determinanten des Könnens lassen sich zunächst durch Fähigkeitsbarrieren, die Frage nach dem Vorhandensein der notwendigen Kompetenzen (Fröhlich-Glantschnig 2005, S. 133 ff.), sowie den Arbeitsbedingungen charakterisieren. Interessant erscheint u.a. die Frage, wie die Zusammenarbeit gestaltet wurde. Die Struktur des zugrundegelegten Bezugsrahmens kann der nachfolgenden Abbildung entnommen werden. Diese Struktur wurde auch für den Interviewleitfaden zugrunde gelegt, der den beiden Forscherinnen als Richtschnur für das problemzentrierte Interview diente.
Abbildung 1: Zur Struktur des theoretischen Bezugsrahmens Th eoret ischer Bezu gsrahmen Situative Erfolgsdeterminanten Integrationskontext Integrationsziele
Parameter der organisatorischen Gestaltung Integrationsgeschwindigkeit Integrationsmaßnahmen
Mitarbeiterverhalten/ Integrationsbarrieren Wollensbarrieren Könnensbarrieren
Die zuvor entwickelten Inhalte des Bezugsrahmens machen die Mannigfaltigkeit der zu berücksichtigenden Einflussfaktoren deutlich. Darüber hinaus wurde im Abschnitt zuvor das gewählte empirische Forschungsdesign begründet. Es wurde erläutert, dass sich das Case Research Design besonders dann eignet, wenn viele Erhebungsinhalte auf Basis einer geringen Zahl von Analyseeinheiten zu ersten ‚Einsichten’ in den Forschungsgegenstand verhelfen soll. Beispielhaft sollen einige dieser empirischen
243
Anwendungsnahe Beiträge
Befunde im nachfolgenden Kapitel erläutert werden (eine vollständige Übersicht der Ergebnisse findet sich in Abb. 1 im Anhang).
3.2
Diskussion ausgewählter empirischer Befunde
In Kapitel 2.2 wurde die Brauchbarkeit der zusammenfassenden, qualitativen Inhaltsanalyse für die Datenauswertung erläutert. In diesem Abschnitt liegt der Fokus auf einer rein beschreibenden Darstellung der Ergebnisse, aufbauend auf den erarbeiteten Kurztexten, bevor in einem nächsten Schritt die Ansätze zur Effizienzsteigerung organisationaler Strukturen erarbeitet werden. In Anlehnung an den theoretischen Bezugsrahmen (siehe Abbildung 1) werden drei Ergebnisfelder näher erläutert: im Rahmen der situativen Erfolgsdeterminanten die Bedeutung von Integrationszielen, im Rahmen möglicher Integrationsmaßnahmen die Umsetzung eines effizienten Lieferantenmanagements sowie schlussendlich im Rahmen der Wollensbarrieren Kompetenzgesichtspunkte. Die bezüglich des Parameters Integrationsziele gemachten Aussagen ließen sich sehr einfach zusammenfassen. Alle Fallanalysen kamen zu demselben Ergebnis, dass im Prinzip alle genannten Ziele – Kostenminimierer, Qualitätsmaximierer wie auch der Risikoreduzierer/Flexibilitätssteigerer – zutreffen, mit der wichtigen Einschränkung, dass alleine Kostensenkungsziele explizit vor Durchführung der Unternehmensintegration vorgegeben wurden. Dabei erkennt man zwei unterschiedliche Ansätze. Entweder wurden Kostensenkungsziele von externen Parteien, wie z.B. einer Unternehmensberatung ermittelt, ohne den Funktionsbereich Beschaffung frühzeitig in diesen Entscheidungsprozess mit einzubinden. Eine weitere Vorgehensweise bestand in der internen Ermittlung möglicher Synergiepotentiale, z.B. aus der Notwendigkeit heraus, eine Änderung der strategischen Grundausrichtung wie einer Verbesserung der Wettbewerbsposition am Markt zu realisieren. Ohne an dieser Stelle konkrete Zahlen zu nennen, lagen die Möglichkeiten der Kostenreduzierung im z.T. dreistelligen Millionenbereich. Wichtiger scheint jedoch zu erwähnen, dass alle befragten Unternehmen die vorgegebenen Kostensenkungsziele erreicht bzw. diese sogar deutlich übertroffen haben. Dies führt uns zu der Annahme, dass eine frühzeitige Einbindung des Funktionsbereichs Beschaffung die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Mergers deutlich erhöht (Falk/Fischer, 2005, S. 2 ff.; Andrew/Knapp, 2001, S. 2 ff.). Ein zweiter Punkt, der im Rahmen der Ergebnisdiskussion von realisierten Integrationszielen interessant erscheint, ist der der möglichen Qualitätsverbesserung und Risikoreduzierung. Von den beteiligten Untersuchungseinheiten kam der wichtige Hinweis, dass man sich in der Beschaffung der Tatsache bewusst ist, dass eine Reduzierung des Risikos wie auch Probleme mit dem Qualitätsniveau des Lieferanten das Kostenergebnis negativ belasten. Damit dürfen diese Zielsetzungen im Rahmen der Zielbewertung nicht außer Acht gelassen werden. Merger dienen häufig dazu, die eigene Produktpalette zu erweitern bzw. zu verbessern. Ein interessanter Qualitäts-
244
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
aspekt wurde dahingehend geäußert, dass man durch die Realisierung von Synergiepotentialen in der Lage ist, einen Investitionsplan zu erstellen, der letztendlich die Verhandlungsposition gegenüber dem Lieferanten stärkt – ein weiterer Tatbestand der sich positiv, sowohl auf die Risikosenkung als auch die Steigerung der Qualität, auswirkt. Ein letzter Aspekt soll hier noch kurz hervorgehoben werden, die Tatsache, dass der Funktionsbereich Beschaffung nach einem Merger meist nach neuen Organisationsformen sucht – in diesem Kontext wurde u.a. die Team- und Netzwerkstruktur genannt –, um die Ziele über die gesamte Phase der Post Merger Integration zu realisieren (Abschnitt 4.2.2) Neben den auf die organisatorischen Strukturen ausgerichteten Integrationsmaßnahmen gilt es auch den Aspekt des Lieferantenmanagements im Rahmen einer PMI zu beleuchten. Auch hier konnte die Ergebnisauswertung zu einigen interessanten Aussagen gelangen. Als wesentliches Ziel der Integrationsmaßnahme Lieferantenmanagement wurde die Reduzierung der Lieferantenbasis von allen Analyseeinheiten einstimmig dargestellt. Um ein Zahlenbeispiel zu nennen – in einem der untersuchten Merger konnte die Basis strategisch relevanter Lieferanten von ursprünglich 1800 Lieferanten auf 500 im Rahmen der Post-Merger-Phase reduziert werden. Diese angestrebte Reduzierung hat zum einen den Effekt der zuvor erläuterten Stärkung der Position des Kostenminimierers in der Beschaffung. Zum anderen steigt aber auch die Bedeutung der verbleibenden strategisch relevanten Lieferanten. Auch hier war die Ergebnislage wieder eindeutig. Alle befragten Unternehmen haben der zunehmenden Fokussierung auf die Implementierung strategischer Wertschöpfungspartnerschaften zugestimmt. Die Suche nach neuen Lieferanten sowie die Integration dieser in die eigenen Produktionsprozesse führt zu Validierungskosten, die es vor dem Hintergrund der Hebung von Synergiepotentialen zu vermeiden gilt. Als Problemfeld wurden hier von einigen Probanden kulturelle Unterschiede genannt. Wenn auch die Ausrichtung auf strategische Partnerschaften im deutschen Stammhaus, z.B. durch die Etablierung von Einkaufsrichtlinien verankert ist, erweisen sich Verhandlungen im zu integrierenden Unternehmen, das bisher einem hierarchischen Verständnis von Beschaffer-Lieferanten-Beziehungen gefolgt ist, als schwierig. Zur Problemlösung wurden hier Teams gebildet, die sowohl Lieferantenmanager aus dem deutschen als auch dem Haus des internationalen Partners miteinander vereinten unter dem Sigel des ‚gemeinsamen Lernens und Verbesserns von Verhandlungskompetenz’. Nach dem Merger erfolgt eine deutlich frühzeitigere Einbindung von strategisch wichtigen Lieferanten in gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprozesse. Für die sich verbindenden Unternehmen ist es von besonderer Bedeutung, von den Ressourcen des Lieferanten zu profitieren, um hier auch den Vorgaben des Qualitätsmaximierers gerecht zu werden. Zwei Aspekte wurden hierbei von den Analyseeinheiten hervorgehoben, zum einen die zunehmende Bedeutung einer effizienten Lieferantenbewertung sowie das Finden und Etablieren einer Klassifikationsstruktur der Lieferanten, beispielsweise durch die Implementierung so genannter ‚approved supplier lists’. Auch
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Anwendungsnahe Beiträge
hier ein weiteres interessantes Ergebnis: Gibt es doch eine Vielzahl theoretischer Ansätze in der Lieferantenanalyse und -auswahl (Gordon, 2008) wie auch der Systematisierung von Lieferanten (Appelfeller/Buchholz, 2005, S. 53 ff.), so bedürfen diese offensichtlich in der praktischen Umsetzung noch einer Verbesserung. Einen wesentlichen Tatbestand im Rahmen von Integrationsbarrieren stellen die Könnensbarrieren dar. Können lässt sich durch das Vorhandensein von beschaffungspolitischer Handlungskompetenz charakterisieren; dabei unterscheidet man zwischen Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenz (Fröhlich-Glantschnig, 2005, S. 133 ff.). Ein wesentlicher Punkt, der in diesem Kontext genannt wurde, wäre die fehlende Sozialkompetenz der Einkäufer in den sich zusammenschließenden Unternehmen. Teamfähigkeit spielt bei der Realisierung von Synergiepotentialen im Rahmen des Mergers eine wichtige Rolle, ebenso wie Interaktionsfähigkeit bei der Gestaltung von Beschaffer-Lieferanten-Beziehungen (vgl. ausführlich zur Definition von Sozialkompetenz Fröhlich-Glantschnig, 2007). Ein wichtiges Ergebnis an dieser Stelle war der Hinweis, dass sich diese fehlende Interaktionsfähigkeit in der negativen Konsequenz einer nicht-partnerschaftlichen Lieferantenverhandlung niederschlägt. Negative Konsequenzen, z.B. bzgl. des Qualitätsniveaus zugelieferter Teile stellen sich erst später ein, zumeist nachdem die PMI-Phase analysiert und kontrolliert wurde. Vor diesem Hintergrund wird diese Könnensbarriere zunächst als nicht ergebnisrelevant eingestuft, erweist sich aber zu einem späteren Zeitpunkt als ein wesentlicher Faktor, der letztendlich doch noch zum Scheitern des Mergers führen kann. Interessant ist vielleicht abschließend zu erwähnen, dass die befragten Unternehmen im Rahmen der PMI die Könnensbarrieren deutlich relevanter einschätzten als die Wollensbarrieren. Einkäufer waren bereit, die Chancen eines Mergers für eine Effizienzsteigerung in der Beschaffung zu nutzen, zumeist fehlte es aber an den dafür notwendigen Kompetenzen. Dies lässt den Schluss zu, dass das Problem der Ausbildung und Qualifizierung von Beschaffungsmitarbeitern ein weiterhin relevantes Problem im Funktionsbereich Beschaffung ist, nicht nur im Bezug auf den Abschluss von Mergern.
4
Ansätze zur Effizienzsteigerung
„Reich wird man nicht durch das, was man verdient, sondern durch das, was man nicht ausgibt!“ (Ford 1863-1947). Getreu diesem Motto sollte versucht werden, insbesondere nach einem Unternehmenszusammenschluss die Einkaufspotentiale zur Kosteneinsparung und damit zu Effizienzsteigerungen zu nutzen. Theoretische Ausführungen dazu klingen meist logisch und einfach – praktisch stellen sich jedoch häufig Probleme ein, denen mit einem praktikablen Ansatz begegnet werden muss. Eine generalistische Vorgehensweise zur Erarbeitung von Maßnahmen zur Effizienzsteigerung im Einkauf nach Unternehmenszusammenschlüssen ist nahezu unmöglich. Gewählt wird ein situativer Ansatz und es wird versucht, in Abhängigkeit von ver-
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Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
schiedenen den Zusammenschluss beschreibenden Merkmalen entsprechende Maßnahmen abzuleiten, die zur Effizienzsteigerung führen. Maßgeblich wird unser Handlungsfeld durch situative, den Gesamtkontext des Zusammenschlusses betreffende Faktoren, Parameter der organisatorischen Gestaltung der Unternehmen und Integrationsbarrieren der Mitarbeiter bestimmt. Somit hat es sich als sinnvoll erwiesen, innerhalb dieser Bereiche exemplarisch Ansätze zur Effizienzsteigerung abzuleiten.
4.1
Situative Erfolgsdeterminanten
4.1.1
Integrationskontext
Die Art und Höhe der Beschaffungssynergiepotentiale wird determiniert durch die Kompatibilität der Unternehmen hinsichtlich bestimmter Merkmalsausprägungen (Meyerhofer, 2003, S. 19). Bezüglich der internen, die jeweiligen Unternehmen betreffenden Merkmale, prägen u.a. Faktoren wie das Leistungsprogramm, Größe und Standort des Unternehmens oder die Ausstattung mit Informations- und Kommunikationstechnologien initial den Integrationskontext. Die Akquisitionsrichtung, die Aufschluss über die Kompatibilität der Unternehmen bezüglich der Geschäftsfelder und damit des Leistungsprogrammes gibt, stellt einen wesentlichen Bestimmungsfaktor für die Obergrenze der Synergiepotentiale dar und lenkt die Integration bereits ex ante in eine bestimmte Richtung (Paprottka, 1996, S. 71 f.). Es ist unmittelbar einleuchtend, dass Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen mit gleichem Leistungsprogramm die meisten Synergiepotentiale versprechen, sofern die Planung und Umsetzung der PMI sorgfältig erfolgt und der Einkauf frühzeitig eingebunden wird. In diesem Fall eines ähnlichen Leistungsumfanges und folglich vergleichbarer Beschaffungsobjekte bietet sich zum Beispiel die Etablierung eines Zentraleinkaufes an. Vorteilhafter bei unterschiedlichen Beschaffungsleistungen erscheint ein dezentraler Einkauf kombiniert mit einem Lead-Buyer-Konzept, da aufgrund eines unterschiedlichen Leistungsportfolios meist unterschiedliche Produktionsstandorte aufrecht erhalten werden, die separat bedient werden sollten. Bei kleiner Unternehmensgröße ergibt sich bei einem Zusammenschluss mit einem Unternehmen gleichen Leistungsprogrammes die Möglichkeit, Produktionsstandorte zusammenzulegen, Bedarfe zu bündeln, Größeneffekte zu erzielen und die Beschaffungsorganisation zentraler auszurichten (Osburg, 1994, S. 181 ff.; Arnolds/HeegeTussing 2001, S. 430; Braun 2001, S. 192; Essig, 2006, S. 995 ff.). Um identifizierte Synergien ausschöpfen zu können, spielt die Anpassung der Informations- und Kommunikationstechnologie eine bedeutende Rolle (Swerdlow, 2001, S. 7). Erhebliche Probleme können dadurch entstehen, dass bei einer Umstellung von EDV-Systemen umfangreiche Schulungsmaßnahmen notwendig sind, die einen störenden Einfluss auf das Tagesgeschäft haben können. Erschwerend kommt hinzu, dass die Mitarbeiter meist über Jahre mit der Handhabe ihres Systems
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vertraut sind und sich zusätzlich zu den ohnehin gravierenden Umstellungen durch den Zusammenschluss auch noch mit einer neuen Software auseinandersetzen müssen. Und dennoch ist die Angleichung der Systeme notwendig, um Synergien umfassend realisieren zu können und Koordinationskosten zu reduzieren. Die Standardisierung von Arbeitsprozessen über die Unternehmensgrenzen hinweg setzt eine entsprechende Abbildung im EDV-System voraus. Dies erscheint allein deswegen plausibel, weil Material- und Lieferantendatenbanken konsolidiert werden müssen, um Bedarfe unternehmensübergreifend zusammenfassen zu können und Informationen über Produktspezifikationen und Beschaffungsmarktforschungsergebnisse dem Partnerunternehmen zugänglich zu machen. So wird die Realisierung von Synergien durch Information und Know-how-Akkumulation ermöglicht. Aufgrund des hohen Aufwandes, der mit der Anpassung der EDV-Infrastruktur verbunden ist, scheuen Manager nach dem Zusammenschluss oftmals vor dieser Aufgabe zurück, was zwar kurzfristig die Restrukturierungskosten der Integration reduziert, längerfristig jedoch zum Brachliegen von Synergiepotentialen führt und Koordinationskosten in die Höhe treibt.
4.1.2
Integrationsziele
Integrationsziele richten maßgeblich das Handeln während und nach einem Unternehmenszusammenschluss aus. Sie müssen im Vorfeld durch eine exakte Analyse definiert und deren Erreichung mit einem Zeitplan hinterlegt werden (Bachmann, 2001, S. 27). Für die Zieldefinition bietet sich der Einsatz eines externen Beraters an, der für jede Kategorie Festlegungen trifft und wenn möglich monetäre Jahresziele vereinbart (vgl. dazu Abschnitt 3.2). Grundsätzlich lassen sich vier Zielkategorien finden – wie sie bereits im Rahmen der Darstellung des theoretischen Bezugsrahmens aufgegriffen wurden, um unterschiedliche Synergiepotentiale (Economies of Scale, Economies of Information and Learning, Economies of Process) zu realisieren (Faes/ Matthyssens/Vandenbempt, 2000, S. 541 f.). Unabhängig von der Art des Unternehmenszusammenschlusses wird dem Ziel der Kostenminimierung der höchste Stellenwert beigemessen. Meist ist das Kostensenkungsziel der initiale Treiber einer Unternehmenszusammenführung, um durch Economies of Scale die Bündelung von Einkaufsvolumina zu erreichen. Kostensenkungen können durch Mengenrabatte und Preisnachlässe realisiert werden (Braun, 2001, S. 185; Bachmann 2001, S. 144). Mit größerem Bestellumsatz steigt gleichzeitig die Verhandlungsmacht gegenüber den Lieferanten. Zudem können indirekte Kostenziele durch Economies of Information and Learning erreicht werden (Ellerkmann, 2002, S. 58). Diese bedingen die gemeinsame Nutzung des vorhandenen Know-hows über Lieferanten, Märkte, neue Technologien und Verhandlungsstrategien. Durch die damit verbundene Vermeidung von Doppelarbeit wird eine Reduktion der Beschaffungsprozesskosten ermöglicht (Koppelmann, 2004, S. 116). Ebenso können die Kosten indirekt durch Economies of Process durch die Etablierung von einheitlichen Arbeitsprozessen innerhalb der Beschaffungsfunktionen der einzelnen Unternehmen redu-
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Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
ziert werden. Dies ermöglicht ein abgestimmtes Auftreten auf Beschaffungsmärkten und ein unternehmensweites Benchmarking von Vorgehensweisen und Ergebnissen sowie gemeinsames Training der Mitarbeiter. Dadurch werden Kostenersparnisse in prozessualer sowie in beschaffungsobjektbezogener Hinsicht erzielt. Durch Adaption von Best Practices und Vermeidung von Doppelarbeit können die Arbeitsweisen innerhalb der Beschaffungsfunktionen effizienter gestaltet werden, verbesserte Verhandlungsstrategien schlagen sich in einer Senkung der Beschaffungsobjektkosten nieder (Swerdlow, 2001, S. 6 ff.). Handelt es sich um einen horizontalen Zusammenschluss mit vergleichbaren Beschaffungsobjekten, können grundsätzlich alle Ziele gleichrangig betrachtet werden. Es wird versucht, sich durch die Optimierung des Lieferantenportfolios auf die optimalen Lieferqualitäten zu konzentrieren. Die Bündelung von Einkaufsvolumina kann dazu genutzt werden, Druck auf die Lieferanten hinsichtlich der Verbesserung von Qualität und Liefergeschwindigkeit der Inputfaktoren auszuüben. Bei sich ergänzenden oder gar konglomeraten Leistungsprogrammen mit sehr unterschiedlichen Beschaffungsobjekten fällt es schwerer, ein eindeutiges über den normalen Anspruch an Beschaffungsobjekte hinausgehendes Qualitätsziel zu formulieren. Eine Qualitätserhöhung im gesamten Beschaffungsprozess kann jedoch sehr wohl auch bei unterschiedlichen Objekten ermöglicht werden. Unabhängig vom Leistungsspektrum der Objekte kann der Beschaffungsprozess als solcher verbessert werden, in dem die optimale Vorgehensweise der einen Unternehmung für die gesamte neue Organisation gewählt wird. Indirekt können auch Kosten durch die Verfolgung der Ziele Risikominimierung und Flexibilitätserhöhung erreicht werden. Dies ist insbesondere bei einem breiter aufgestellten Warengruppenmanagement relevant. Hierbei können zusätzliches Wissen generiert und Prozessstrukturen geschaffen werden, deren Etablierung vor dem Zusammenschluss u.U. nicht als lohnenswert betrachtet wurden. Zudem kann von Erfahrungen mit Aktivitäten auf innovativen oder globalen Beschaffungsmärkten profitiert und kulturell bedingte Vorgehensweisen adaptiert werden, um so die Risiken einer neuen Marktbearbeitung zu minimieren. Eine zusätzliche Wissensgenerierung kann bei zukünftiger absatzmarktbedingter Leistungsänderung der Beschaffungsobjekte von Vorteil sein. Indirekt können zudem durch die Reduzierung von Risiken und die Erhöhung der Flexibilität auch Kosten gespart werden. Einschränkend muss jedoch beachtet werden, dass eine steigende Zentralisierung von Entscheidungskompetenzen mit einem steigenden Verlust von Flexibilität verbunden sein kann. Das Ausmaß dieses Flexibilitätsverlustes divergiert mit den unterschiedlichen Integrationsformen. So ist der Flexibilitätsverlust z.B. bei Absorptionen besonders hoch, bei Kooperationen und autonomen Einkaufsabteilungen eher als gering einzustufen.
249
Anwendungsnahe Beiträge
4.2
Parameter der organisatorischen Gestaltung
4.2.1
Integrationsgeschwindigkeit
Bis eine Integration des Fachbereiches Einkauf vollständig abgewickelt ist, vergehen bis zu 5 Jahre. Für die Optimierung der Integrationsgeschwindigkeit müssen bereits zum Zeitpunkt der operativen Planung einer PMI inhaltlich einzelne Schritte und zeitlich Meilensteine festgelegt werden. Sinnvollerweise sollte eine Unterteilung in folgende Bereiche erfolgen:
Vor der Vertragsunterzeichnung Unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung 3-4 Monate nach Vertragsunterzeichnung 6-8 Monate nach Vertragsunterzeichnung Mehr als 12 Monate nach Vertragsunterzeichnung Strategische Einkaufsentscheidungen werden unmittelbar vor der Vertragsunterzeichnung bereits diskutiert und u.U. entsprechende Unterlagen über Lieferanten und Beschaffungsobjekte ausgetauscht. Voraussetzung ist jedoch der Austausch eines ‚Memorandum of Understanding‘, um sicherzustellen, dass der Zusammenschluss auch stattfindet und keine Lieferantendaten an einen potentiellen Mitbewerber preisgegeben werden. Diese Vorgehensweise wird empfohlen, wenn es sich beim Merger um einen horizontalen Zusammenschluss handelt und sich die Einkaufsprodukte ähneln. Können bereits im Vorfeld aufgrund der Analyse der beiden Lieferantenportfolios Strategien zur Optimierung des Portfolios, Bündelung der Bedarfe und Sichtung der optimalen Konditionen abgeleitet werden, steht den Integrationsmaßnahmen unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung nichts im Wege. Unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung können die bereits im Vorfeld angedachten Optimierungsmaßnahmen bzgl. des Portfolios konkretisiert werden. Hilfreich sind dabei immer Maßnahmen, die den Aufbau möglicher persönlicher Barrieren von Anfang an verhindern – z.B. gemeinsame Events wie ein Abendessen. Innerhalb der ersten 4 Wochen sollten die detaillierte Analyse der Warengruppen und der genaue Abgleich der Preise einzelner Lieferanten durchgeführt und die Verhandlungsziele definiert werden. Entscheidend ist hierbei, von Beginn an mögliche Einsparungen, Kostenoder Konditionsvorteile sowie Flexibilitäts- und Qualitätsvorteile durch den Merger zu bewerten bzw. zu bemessen. Innerhalb der ersten 3-4 Monate nach Vertragsunterzeichnung sollten die identifizierten Maßnahmen Umsetzung finden, um die Synergiepotentiale zu heben. In dieser Phase müssen die bedeutsamsten Veränderungen vorgenommen werden und die Weichen für eine integrierte Abteilung gestellt werden. Die Motivation der Mitarbeiter prägt in den ersten Monaten der Integration den Erfolg des Zusammenschlusses.
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Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
Abgesehen von unternehmenspolitischen Gründen sollten aus Motivationsgründen erste Quick Wins erarbeitet und kommuniziert werden. Es ist unmittelbar einsichtig, dass nicht alle Maßnahmen in der geplanten Zeit umgesetzt werden können. Neue Organisationsstrukturen, neue Verantwortlichkeiten, die Scheu der Mitarbeiter, sensible Daten an neue Kollegen weiterzugeben, die bisher zum konkurrierenden Unternehmen gehörten sowie ungeplante Ereignisse erschweren die zeitnahe Umsetzung. Dazu dient die Phase der ersten 6-8 Monate nach Vertragsunterzeichnung. Für die Planung und die Durchführung der gesamten PMI sollte eine Person bestimmt werden, die in den einzelnen Stufen die Fortschritte prüft und dafür sorgt, dass es keine Hindernisse beim Informationsaustausch oder der Kommunikation gibt. Vorteilhaft ist hierbei ein externer Berater, der keine internen Loyalitätskonflikte zu befürchten hat. Der Einkauf gilt als Frühindikator eines erfolgreichen Unternehmenszusammenschlusses, so dass eine umfangreiche Kontrolle ein Jahr nach Vertragsunterzeichnung erfolgen sollte. Dies ist nicht zuletzt z.B. im Falle eines börsennotierten Unternehmens notwendig, um die umgesetzten oder in naher Zukunft umsetzbaren ergebniswirksamen Synergien zu kommunizieren (Grube/Töpfer, 2002).
4.2.2
Organisatorische Integrationsmaßnahmen
Grundsätzlich gilt, dass sowohl die Möglichkeiten der Synergiepotentialausschöpfung als auch die Kosten der Verflechtung mit steigendem Integrations- bzw. Zentralisierungsgrad ansteigen (Carduck, 2000, S. 71). Die Art der operativen Verzahnung der Geschäftsbereiche bzw. die Integrationsgrade der Einkaufsabteilungen lassen sich in folgende Bereiche untergliedern (Sandler, 1991, S. 106):
Autonomie Kooperation Gemischt zentrale-dezentrale Beschaffungsfunktion Verschmelzung Im Falle von zwei weiterhin autonom agierenden Einkaufsabteilungen können die wenigsten Synergiepotentiale geschöpft werden – daher ist dieser Fall nicht Gegenstand der weiteren Betrachtung. Eine Zusammenarbeit der Einkaufsabteilungen mittels Teilverschmelzung bzw. Kooperation zielt hauptsächlich auf die Realisierung von Economies of Scale durch übergreifende Bedarfsbündelung ab (Ellerkmann, 2002, S. 16). Die Möglichkeiten hierfür sind jedoch als begrenzt einzuschätzen, da sich die Zusammenfassung der Bedarfe auf bestimmte, vorher abgegrenzte Beschaffungsobjekte bezieht. Fällt die Wahl auf eine gemischt zentral-dezentrale Beschaffungsfunktion, ist von einer umfassenderen Möglichkeit zur Synergiepotentialausschöpfung auszugehen.
251
Anwendungsnahe Beiträge
Economies of Scale können bei der gemischt zentral-dezentral organisierten Beschaffung besser realisiert werden als im Fall der Kooperation, da die von der Zentrale bzw. von den Lead-Buyern gebündelten und beschafften Bedarfe sich ex definitione auf einen wesentlich höheren Anteil der gesamten Beschaffungsobjekte beziehen und die dezentralen Abteilungen nicht ‚an der Zentrale bzw. am Lead-Buyer vorbei’ beschaffen dürfen. Dies betrifft im Falle der Teilzentralisierung auch die Economies of Information and Learning. In der Zentrale wird durch die räumliche Zentralisierung der Mitarbeiter aus den beiden Einkaufsabteilungen Know-how hinsichtlich Märkten, Lieferanten und Technologien gebündelt und zugänglich gemacht (Knüppel, 1996, S. 194). Dies kann beim Lead-Buying-Prinzip hingegen nur als eingeschränkt möglich angenommen werden. Die Einkäufer sind zwar auf ihre jeweilige Warengruppe hinsichtlich der Kenntnisse über Beschaffungsmärkte, Leistungsanforderungen und Lieferanten spezialisiert, diese Spezialisierung beruht jedoch mehr auf eigenen Erfahrungen und weniger auf Know-how Transfer zwischen den Einkäufern. Economies of Process können bei beiden Varianten realisiert werden. In der Zentrale werden Arbeitsabläufe vereinheitlicht und damit die Effizienz der Beschaffungsprozesse bezogen auf die einzelnen Beschaffungsobjekte gesteigert. Beim Lead-Buying-Prinzip werden Strategien, Preise, Konditionen und Lieferanten bei gleichen Warengruppen vereinheitlicht, was ebenfalls zu besagten Effizienzsteigerungen führt (Hartmann, 2002, S. 51; Boutellier/Wagner 2001, S. 212). Durch die Verschmelzung zu einer organisatorischen Einheit entsteht eine stark vergrößerte zentrale Beschaffungsabteilung, in der die synergiegerichtete Neuorientierung durch die Schaffung neuer physischer und mentaler Bindungen innerhalb der Abteilung angestrebt wird. Die damit verbundene Zentralisierung der Aktivitäten ermöglicht die umfassendste Ausschöpfung der identifizierten Synergiepotentiale jeder Art (Zagler, 2003, S. 4). Die Bündelung der über alle Produktionsstätten aggregierten Bedarfe führt zu Skaleneffekten und damit Kostensenkungen der Beschaffungsobjekte. Die Zentralisierung des Know-hows vieler verschiedener Bereiche und Mitarbeiter senkt die Prozesskosten. Einheitliche Arbeitsweisen und Adaption von Best Practices ermöglichen Effizienzsteigerungen in den Beschaffungsprozessen und Beschaffungsobjektkostensenkungen. Auf der anderen Seite werden durch die Zentralisierung hohe Restrukturierungskosten durch vollständige Änderung der Aufbau- und Ablauforganisation hervorgerufen. Mitarbeiter müssen umgesiedelt werden, zusätzliche Räumlichkeiten und EDV Infrastruktur beschafft und Arbeitsprozesse angeglichen werden. Kulturellen und/oder sprachlichen Barrieren muss durch gezielte Maßnahmen begegnet werden. Auch die Koordinationskosten sind in diesem Fall signifikant (Metz, 2001, S. 18 f.).
4.3
Integrationsbarrieren
Sind die strukturellen Voraussetzungen getroffen, hängt die Ausschöpfung der Synergiepotentiale von der Zusammenarbeit der Mitarbeiter der Unternehmung ab
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Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
(Rozemeijer, 2000, S. 43). Unterschiedliche Unternehmenskulturen führen zu divergierenden Arbeitsweisen und Auffassungen über die Vorteilhaftigkeit von Problemlösungsstrategien, was die angestrebte Standardisierung von Arbeitsprozessen erschwert und potentielle Herde für Wollensbarrieren der Mitarbeiter darstellt. Wollensbarrieren, die durch die plötzliche Umstellung der Arbeitsprozesse, Arbeitsplatzverlustängste und das Aufeinanderprallen verschiedener Unternehmenskulturen verursacht werden, können in einem positiven Klima abgefangen und durch gezielte Maßnahmen der Kulturangleichung abgebaut werden (Hase, 2002, S. 151 ff.). Insbesondere Aktivitäten zum besseren Kennenlernen der Mitarbeiter untereinander und zur Förderung des sozialen Verhaltens stehen hier an oberster Stelle. Auch ein externer Moderator (z.B. ein prominenter Fußballtrainer) kann mittels eines Workshops die Teamorientierung vertiefen und die Motivation der Mitarbeiter fördern (vgl. dazu auch Abschnitt 1.3.2). Differenzen hinsichtlich der Länderkultur können bei internationalen Zusammenschlüssen ebenso auftreten (Hase, 2002, S. 152). Länderkulturelle Unterschiede äußern sich allgemein in abweichenden Ausdrücken, Arbeitsweisen und Problemlösungswegen, aber auch in unterschiedlichem Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Lieferanten (Grüter, 1991, S. 157 ff.). Mangelndes Verständnis der Umgangsformen oder Arbeitsweisen der Mitarbeiter des Partnerunternehmens können zu Missverständnissen und Frustrationen führen, die sich in fehlendem Kooperationswillen niederschlagen. Daher ist eine aktive Beeinflussung der Akkulturation (Kulturangleichung) der Unternehmen im Rahmen der Integrationsdurchführung notwendig (Paprottka, 1996, S. 172 ff.). Je größer die Divergenzen zwischen den Kulturen sind, desto umfassendere Maßnahmen müssen die Integrationsdurchführung begleiten (Grüter, 1991, S. 160). Schulungen können helfen, länderkulturelle Spezifikationen zu verstehen und damit umzugehen, um beispielsweise dem Lieferanten gegenüber ein einheitliches Vorgehen sicherzustellen. Dies sollte sich nicht zuletzt in der Etablierung von Einkaufsrichtlinien, die Verhaltensweisen und Normen beinhalten, niederschlagen. Diese Aussagen lassen sich auch durch die Ergebnisse der empirischen Erhebung untermauern. Neben möglichen Wollensbarrieren finden sich zudem zahlreiche Könnensbarrieren. Strukturänderungen, neue Verantwortlichkeiten, umfangreichere Teamverantwortung, übergreifende Tätigkeiten, neue Warengruppen und globale Märkte sind nur einige Beispiele, die den Einkäufer vor neue Herausforderungen stellen. Fachliche Themen und Sprachen sollten sinnvoll geschult werden, um ein Angleichen des Qualifikationsniveaus der Einkäufer zu ermöglichen. Des Weiteren bieten sich Maßnahmen in Form von ‚Job Rotation‘ an, um das umfangreiche Know-how an die jeweiligen Fachgruppen transferieren zu können.
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Zusammenfassung und Ausblick
Die Schwierigkeit bei der Darstellung oben beschriebener Ansätze zur Effizienzsteigerungen im Einkauf bestand darin, allgemeingültige Bezüge zwischen den Wirkungsweisen verschiedener Einflussfaktoren herzustellen. Dies ist jedoch aufgrund der Einmaligkeit jeder Unternehmensakquisition und der Komplexität der theoretisch einzubeziehenden Faktoren nahezu unmöglich. Daher war die Beschränkung auf einige, als besonders wichtig erachtete Faktoren notwendig. Durch die bisherigen Aussagen sollte verdeutlicht werden, wie wenig empirische und praktische Befunde bisher zu diesem Thema vorliegen, obwohl dem Funktionsbereich Beschaffung in der Phase der Post Merger Integration eine bedeutende Rolle beigemessen wird. Ein möglicher Grund könnte darin gesehen werden, dass dem Bereich der organisationalen Ausgestaltung der Funktion Beschaffung und damit einer möglichen Effizienzsteigerung wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Diese Erkenntnis hat die beiden Forscherinnen dazu bewogen, sich in einem zukünftigen Forschungsprojekt mit Organisationskonzepten für die Beschaffung auseinanderzusetzen.
254
Effizienzsteigerungen im Einkauf nach Mergers & Acquisitions
Anhang Zusammenfassung ausgewählter erfolgsbeeinflussender Faktoren bzw. Merkmale
Interne Faktoren
Externe Faktoren
Konkurrenzverhältnisse: Elimination gefährlicher Konkurrenten Kundenstruktur: keine Veränderung Hohe Dynamik technischer Entwicklung, um Konkurrenzfähigkeit zu stärken Wirtschaftliches und globales Umfeld: Unterschiedliche Unternehmenskultur, speziell Vorstandskultur Überwiegend Kostenziele, Schaffung von Synergien (nachrangig Qualitäts/Flexibilitätserhöhung sowie Senkung von Versorgungsrisiken) Weiteres wichtiges Ziel ist die Umstrukturierung zur funktionierenden Aufbau- und Ablauforganisation
Integrationsziele
Integrationskontext
Situative Erfolgsdeterminanten Bisher angebotenes Leistungsprogramm: gleiche Leistungspalette oder sinnvolle Ergänzung Deutliches Unternehmenswachstum durch Zusammenschluss Art des Mergers: überwiegend horizontale Zusammenschlüsse Standorte wurden erhalten oder erweitert Entwicklungsstadien der Organisation: Kommunikationsprozesse mussten abgestimmt werden; Einkaufsorganisation hat an Bedeutung gewonnen; zunehmende Zentralisation der Organisation
Parameter der organisatorischen Gestaltung
Integrationsmaßnahmen
Integrationsgeschwindigkeit
1-3 Monate sehr bedeutsam, um Inhalte zu vergleichen und Vorgehensweisen/Strategien abzuleiten 6-12 Monate als bedeutsamste Zeit, um Quick-Wins zu realisieren und zu kommunizieren (=> Motivation)
Organisatorische Maßnahmen
Auswahl der richtigen Integrationsform (z.B. Kooperation, Verschmelzung, gemischt zentraldezentral) Operative Verzahnung von Geschäftsbereichen in Abhängigkeit der geeigneten Integrationsform Transfer und Bindung von Führungskräften durch sinnvolle Anreizmechanismen und neue Aufgaben Verzahnung von Führungsstrukturen und -systemen durch Team- und Arbeitsgruppenbildung Einbindung von Externen und Promotoren
Lieferanten management
Verbesserung der Lieferantenbewertung Reduzierung/Optimierung der Lieferantenbasis Stärkere Einbindung von einigen wenigen strategischen Lieferanten Schaffung von Wertschöpfungspartnerschaften
Operative Einkaufsprozessschritte
Optimierung der Materialgruppenstruktur Vereinheitlichung des Sourcingprozesses Etablierung eines Reportingsystems Vereinheitlichung IT-Ausstattung
Mitarbeiterverhalten
Integrationsbarrieren
Ausrichtung ind. Verhaltens
Motivationsworkshops Verpflichtung von prominenten Trainern (z.B. aus dem Sport) Verpflichtende Handlungsleitlinien Aufbau offener Kommunikationsstrukturen Wollensbarrieren
Überwiegend durch landeskulturelle Unterschiede geprägt (Mentalität) Entsprechende Schulungen und Job Rotation als Lösung (Motivation) Neue Einkaufsphilosophie als Orientierung und Verhaltensleitlinie, die für alle gleich ist
Könnensbarrieren
Mangelnde soziale Kompetenz Fehlende fachliche Kompetenz Fehlende Sprachkenntnisse Sprachkurse, Weiterbildungen und Job Rotation als Lösung
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Procurement Event Monitoring
Prof. Dr. Martin Tschandl, Dr. Sabine Hanusch und Prof. Dr. Wolfgang Ortner
Abstract Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt „Procurement Event Monitoring (PEM)“ waren die beiden Hypothesen, dass einerseits vorhandene IT-Werkzeuge nicht ausreichend gewartet und genutzt werden, um den Einkauf zu optimieren, und andererseits vorhandene Strukturen und Prozesse die kreative Ausnutzung von (neuen) Beschaffungspotentialen verhindern. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde daher ein Vorgehensmodell entwickelt, mit dessen Hilfe Industrieunternehmen die Effizienz und Effektivität in der Beschaffung durch die Entwicklung eines systematischen, wartungsähnlichen Vorgehensmodells optimieren können. Zielsetzung des vorliegenden Beitrags ist es, die im Forschungsprojekt zugrunde gelegten Konzepte sowie die Vorgehensmodelle darzustellen. In einem ersten Schritt werden die Rahmenbedingungen für ein Optimierungsvorgehen und eine Methode zur Eingrenzung der zu beobachtenden Schlüsselteile anhand einer Materialklassifzierung aufgezeigt. Danach starten zwei inhaltlich getrennte (Teil-)Kreisläufe zur Optimierung der Effizienz und Effektivität in der Beschaffung, indem einkaufsprozessrelevante Potentiale durch systematische Überwachung (Event Monitoring) erkennbar werden. Im Effizienzkreislauf werden materialwirtschaftliche Prozesse auf Basis der tatsächlichen Transaktionen und der damit verbundenen Bewegungsdaten pro Materialklasse in den betrieblichen Informationssystemen analysiert und optimiert. Im Effektivitätskreislauf wird ein prozessuales und wartungsorientiertes Vorgehen beschrieben, um Einsparungspotentiale auf Material(-gruppen)ebene systematisch und regelmäßig zu erkennen.
1
Einleitung
Die Beschaffung im Allgemeinen und der Einkauf im Speziellen spielen als Unternehmensprozesse und -funktionen in vielen Branchen und Unternehmen noch immer eine untergeordnete Rolle. Speziell in der produzierenden Wirtschaft müsste dies aufgrund des hohen Anteils an der gesamten Wirtschaftsleistung (in Europa rund 30 % gemessen an der Produktionsleistung, in Österreich im Jahr 2004 beispielsweise 36,82 %; Schneider et al., 2006, S. 49) und der innerhalb der Industrie im Durchschnitt hohen
Anwendungsnahe Beiträge
(Material-)Zukäufe (in Europa rund 50-60 % der Gesamtkosten, in Österreich 60 %; Tschandl et al., 2002, S. 195) anders sein. Daraus resultiert unabhängig vom Image des Einkaufs eine starke Hebelwirkung auf den Gewinn bzw. die Rentabilität der Unternehmen, die sich über ROI-(return on investment) Simulationen leicht nachvollziehen lässt (Tschandl/Schentler, 2008, S. 10-13). Auch in der Literatur wurde dem Einkauf nicht die seiner Ergebniswirkung entsprechende Bedeutung zugemessen, was sich aus der Quantität der Publikationen und der fehlenden Geschlossenheit in den theoretischen Grundlagen ableiten lässt. Letztere spiegelt sich etwa bei den strategischen und operativen Aufgaben wider, bei denen keine einheitliche Abgrenzung feststellbar ist. Während zahlreiche Autoren beispielsweise die Beschaffungsmarktforschung als die strategische Aufgabe des Einkaufs betrachten (Schulte, 2001; Boutellier/ Corsten, 2002; Wildemann, 2008), sehen sie andere als zentrale operative Aufgabe an (Bogaschewsky, 2003; Kluck, 1998; Pfohl, 2000; Krüger/Homp/Rohm, 2002; Bichler/ Krohn, 2001).
Tabelle 1:
Übersicht der Aufgaben in der industriellen Beschaffung (adaptiert von Tschandl et al., 2007, S. 14) Eschenbach
Kluck
Oeldorf/ Olfert
Ballou
Weber/ Kummer
Arnolds/ Heege/ Tussing
Boutellier/ Locker
Pfohl
Bichler/ Krohn
Hartmann
Krüger/ Homp/ Rohm
Bogaschewsky
MelzerRidinger
Wildemann
1990
1998
1998
1998
1998
1998
1998
2000
2001
2002
2002
2003
2004
2008
Aufgaben des/der industriellen Einkaufs/Beschaffung Umsetzung der Unternehmenspolitik/ Entscheidung über Einkaufspolitik Spezifikation von Zukaufteilen/Wertanalysen Lieferantenentwicklung
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Auditierung
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Mitarbeit bei Logisiktkonzepten
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Planung eines Einkaufsmarketing-Mix (Budgetierung, Ergebniskontrolle)
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Abschluß von Qualitäts- und Rahmenverträgen
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Ausarbeitung und Durchsetzung von Beschaffungsstrategien
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Make-or-Buy-Entscheidungen
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Bestellmengenplanung/Bestandsmengenplanung
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Entscheidung über Beschaffungskooperationen
Festlegung der Preispolitik/interne Verrechnungspreise/Preisfindung Materialdisposition Beschaffungsmarktforschung Lieferantendatenpflege/Pflege der Lieferantenstammdatensätze Anbahnung des Einkaufs/der Beschaffung Überprüfung des Mengengerüstes/ Bedarfsmeldung Anfragen erstellen/ Angebotseinholung/ Angebotsauswertung Ausschreibung Vergleichbarmachen von Angeboten/ Angebotsbearbeitung Auswahl des Lieferanten Abschluss der vorgelagerten Einkaufstätigkeiten (Steuerung) Abschlussverhandlung Vertragsgestaltung, -abschluss Bestellentscheidung, -erteilung, -genehmigung Bestellabwicklung/Einkaufsabwicklung Warenbereitstellung für nachgelagerte Stufe Lieferantendaten koordinieren
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Zahlungsabwicklung z
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Rechnungsprüfung/Rechnungsfreigabe
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Auftragsbestätigung Bestands-, Bestell-, Terminüberwachung, Reklamationen, Mahnwesen Warenannahme/Wareneingangsprüfung
Lieferantenauswahl und -bewertung
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Procurement Event Monitoring
In Tabelle 1 wird die betriebswirtschaftliche Begriffsvielfalt bei zu diesem Thema häufig zitierten Autoren systematisch verglichen. Die grau hinterlegten Zeilen sind die am häufigsten von den Autoren genannten Aufgaben des industriellen Einkaufs. Auffallend ist, dass dem Einkauf von Eschenbach, Kluck, Arnolds/Heege/Tussig, Bichler/Krohn, und Hartmann keine strategische Aufgabe zugesprochen wird. Des Weiteren zeigt sich, dass es innerhalb der vergangenen knapp 20 Jahre nicht gelungen ist, ein einheitliches Verständnis des betrieblichen Versorgungsmanagements sicherzustellen, was die Notwendigkeit einer definitorischen Klarstellung für den vorliegenden Beitrag unterstreicht. Die Beschaffung (Procurement) umfasst die operativen und strategischen Aktivitäten der Versorgung(ssicherheit) eines Unternehmens (Halusa, 1996, S. 10; Bogaschewsky, 2003, S. 32; allgemein Benton, 2007; Zheng et al., 2007), wobei teilweise mit dem Begriff Beschaffung vor allem die strategischen Aspekte der Versorgungsfunktion betont werden (Katzmarzyk, 1988, S. 8; Jahns, 2005a, S. 350). Bei Beschaffung im weiteren Sinn fokussiert man den gesamten Inputbereich eines Unternehmens – also die Versorgung mit allen Beschaffungsobjekten (Sachgüter, Materialien, Dienstleistungen, Rechte, Personal, Informationen, Anlagegüter, Energie, Finanzmittel) – auf eine Funktion. Während diese Art der Beschaffung nur als theoretischer Entwurf existiert, hat sich in Wissenschaft und Praxis die Beschränkung auf die Beschaffung im engeren Sinn – die Verantwortlichkeit der Beschaffungsfunktion für Sachgüter, Materialien und Dienstleistungen – durchgesetzt (Bichler/Krohn, 2001, S. 2; Reichmann, 2006, S. 341). Auf Basis dieser Konzeption benötigen Industrieunternehmen für ihre strategischen Entscheidungen in der Beschaffung genaue Kenntnisse über ihre materialwirtschaftlichen Prozesse, von der Bedarfsentstehung und/oder -planung über den eigentlichen Einkaufsprozess bis hin zur Mittelverwendung, die an den Lagerungsprozess anschließt. Den Unternehmen stehen für die Steuerung und Überwachung der angeführten Prozessbereiche (v. a. Materialdisposition, Arbeitsvorbereitung und Beschaffung) traditionell funktionsorientiert ausgerichtete Instrumente zur Verfügung, die eine Gesamtbetrachtung der materialwirtschaftlichen Prozesse jedoch nur bedingt unterstützen. Diese fehlende prozessorientierte Betrachtungsweise ist auch im Bereich der Datenverarbeitung vorzufinden, wo nur selten durchgängige, zuverlässige und jederzeit abrufbare Daten zu den Materialflüssen und Lagerbeständen (Mengen, Werte, Kosten) zur Verfügung stehen (Keller/Teufel, 1997, S. 59-62; Held, 2003, S. 97; Schweiger/Auer 2008, S. 316ff). Daraus resultiert, dass Potentiale zur Reduzierung des Materialeinsatzes bzw. zur pro-aktiven Steuerung des Unternehmensbereiches der Materialwirtschaft notwendige Informationen vielfach nicht systematisch erkannt, bewertet und genutzt werden können. Der Mangel an relevanten Daten bzw. systematischer Informationsnutzung besteht trotz eines mit ca. 75 % hohen Einsatzgrades von betrieblicher Standardsoftware in der Industrie (Kohlhammer, 2007, S. 37-38). Obwohl also die grundsätzlichen IT-Instrumente zur Verfügung stehen, zeigt sich, dass Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologien (I&KT) offensichtlich nicht immer von den erwarteten Produktivitätssteigerungen begleitet werden (Piller,
263
Anwendungsnahe Beiträge
1997, S. 6-8, 12-13; auch in Brynjolfsson, 1993, S. 67-77 oder Stickel, 1997, S. 67), was nicht zuletzt an mangelnder Abstimmung zwischen I&KT, Organisation und den Geschäftsprozessen liegt (Weitzendorf, 2000, S. 25; auch: Business/IT-Gap; Josuttis, 2008, S. 1). In der betrieblichen Beschaffungspraxis ergeben sich häufig Probleme durch unsystematisch und unvollständig gewartete Stammdaten, die zu Ineffizienzen in der Materialdisposition führen. Unsystematisches Vorgehen beklagt die Praxis jedoch auch bei wiederkehrenden Beschaffungsprozessen, die oft ineffektiv nicht an neue Möglichkeiten (z. B. neue Lieferanten, neue Materialien/Substitute) angepasst werden. Das Forschungsprojekt „Procurement Event Monitoring“ (PEM) hatte zum Ziel, die Effizienz und Effektivität in der industriellen Beschaffung durch die Entwicklung eines systematischen, wartungsähnlichen Vorgehensmodells zu optimieren. Zielsetzung des vorliegenden Beitrags ist es, die im Forschungsprojekt zugrunde gelegten Konzepte sowie die Vorgehensmodelle darzustellen (Kapitel 2). In einem ersten Schritt werden die Rahmenbedingungen für ein Optimierungsvorgehen und eine Methode zur Eingrenzung der zu beobachtenden Schlüsselteile anhand einer Materialklassifizierung aufgezeigt (Kapitel 3). Danach starten zwei inhaltlich getrennte (Teil-)Kreisläufe zur Optimierung der Effizienz und Effektivität in der Beschaffung, indem einkaufsprozessrelevante Potentiale durch systematische Überwachung (Event Monitoring) erkennbar werden. Im Effizienzkreislauf werden materialwirtschaftliche Prozesse auf Basis der tatsächlichen Transaktionen und der damit verbundenen Bewegungsdaten pro Materialklasse in den betrieblichen Informationssystemen analysiert und optimiert (Kapitel 4). Im Effektivitätskreislauf wird das prozessuale und wartungsorientierte Vorgehen beschrieben, um Einsparungspotentiale auf Material(-gruppen)ebene systematisch und regelmäßig zu erkennen (Kapitel 5).
2
Grundlagen des Procurement Event Monitoring
Eine systematische Verwertung der im Unternehmen vorhandenen Daten und Informationen sowie des Wissens über Materialien und materialwirtschaftliche Prozesse führt zur Steigerung der Effizienz und Effektivität der den Einkauf betreffenden Prozesse bzw. erhöht seine Wirkung. Effizienz beschreibt das operative Verhältnis zwischen dem erzielten Output und dem eingesetzten Input. Man unterscheidet zwischen dem Minimalprinzip, bei dem mit geringstmöglichem Input (Ressourcen) ein vorher festgelegter Output (Ergebnis) erreicht werden soll, und dem Maximalprinzip, wo bei bestehendem Input der größtmögliche Output angestrebt wird (bezogen auf Wirtschaftlichkeit, also monetär, Gutenberg, 1983, S. 469-470; bezogen auf Produktivität, Tschandl/Ortner, 2004, S. 5). Effektivität wird als das Ausmaß der Ergebniserreichung bzw. hier als Grad der strategischen Zielerreichung definiert.
264
Procurement Event Monitoring
Es wird hypothetisch angenommen, dass ERP-Systeme im Bereich Einkauf nicht permanent an die veränderten Umweltbedingungen angepasst und somit nicht effizient genutzt werden (können). Eine Verbesserung der operativen Beschaffung sei des Weiteren über effiziente ERP-Systemunterstützung möglich (Einkaufseffizienz). Außerdem erfolge „außerhalb“ der ERP-Systeme keine systematische Auseinandersetzung mit dem Einkauf in Hinblick auf Optimierungspotentiale, obwohl wesentliche Einsparungspotentiale in diesem Bereich zu erwarten sind (Einkaufseffektivität). Schließlich wird davon ausgegangen, dass ein systematisches Überwachen bzw. Hinterfragen (Event Monitoring) der einkaufsprozessrelevanten Parametereinstellungen bzw. Beschaffungsrisiken und -chancen von ermittelten Materialgruppen bzw. Schlüsselteilen zu einer nachhaltigen Sicherung des unternehmerischen Bestehens beiträgt. Durch eine solche Effizienz- und Effektivitätsoptimierung werden die dargestellten Hebelwirkungspotentiale der Beschaffung ausgenutzt. Das in den Kapiteln 4 und 5 vorgestellte Vorgehensmodell soll als ein strukturiertes und kontinuierlich durchzuführendes Wartungsmodell des industriellen Einkaufs zur Senkung der Material- und Prozesskosten und zur Entlastung der Einkäufer von wiederkehrenden operativen Tätigkeiten führen, womit eine Fokussierung auf für den Unternehmenserfolg relevante einkaufsstrategische Tätigkeiten möglich wird. Wie kann man nun den Einkauf konkret durch Effizienzsteigerungsmaßnahmen sowie strategische Entscheidungen im Bereich der Beschaffung optimieren? Die Ergebnisse des Forschungsprojektes „Procurement Event Monitoring“ führten – methodisch in Kombination des Systemansatzes mit dem Kerngedanken des situativen Ansatzes – nicht zu einer gültigen, optimalen, sondern zu mehreren situationsbezogenen, angemessenen Handlungsalternativen. Ein wesentlicher Erkenntnisgewinn liegt hierbei vor allem in der Schaffung eines interdisziplinären „Fits“ zwischen den fachlich-inhaltlichen Entscheidungen im Einkauf (Betriebswirtschaft) und den IT-Systemeinstellungen der Standardsoftware (Angewandte Informatik/Technik) (Kieser/Kubicek, 1992, S. 56 ff bzw. Staehle 1981, S. 215). Andere praxisorientierte und aktuelle Ansätze zur Optimierung des Einkaufs bzw. der Beschaffung sind beispielsweise das 15M-Strategie-Modell von Heß (2008), das 3Ebenen-Modell von Appelfeller/Buchholz (2005), das pragmatische Einkaufsschachbrett von Schuh et al. (2008), das House of Sourcing and Supply Management von Eßig (2005), das House of Purchasing Excellence von Hapke/Jung (2005), der Supply Management Navigator von Jahns (2005b) und das Integrierte St. Galler Beschaffungsmanagement-Modell von Schober/Middendorff/Jahns (2001). Das 15M-Strategie-Modell für Supply Management (Heß, 2008, S. 61-357) ist ein Leitfaden, der strukturiert und praxisorientiert Unternehmen unterstützen soll, im Rahmen von 15 Teilmodulen Supply-Strategien systematisch zu entwickeln. Nach der Implementierung einer Supply-Rahmenstrategie (Direktion) mit den Schritten „Basisstrategie entwickeln“, „Supply-Ziele formulieren“, „Strategy Map entwickeln“ und „Supply-Märkte definieren und priorisieren“ werden detailliert Supply- und Marktstrategien abgeleitet. Im Teil Koordination der Supply-Rahmenstrategie wird die Syn-
265
Anwendungsnahe Beiträge
chronität und Gestaltung des Supply-Managementsystems diskutiert. Die Module des Controllings der Strategieerreichung bilden mit der Zielsetzung der Steuerung und erneuten Supply-Strategie-System-Entwicklung den Abschluss dieses Systems. Das Einkaufsschachbrett – Mit 64 Ansätzen Materialkosten senken und Wert schaffen (Schuh et al., 2008) – der Unternehmensberatung A.T. Kearney – ist ein praxisnaher Ansatz zur systematischen Optimierung des betrieblichen Einkaufs. Ausgehend von einer 4Felder-Portfolio-Matrix mit den Achsen Nachfrage- und Angebotmacht werden vier Basisstrategien abgeleitet („Natur der Nachfrage ändern“, „gemeinsam mit den Lieferanten nach einem Vorteil suchen“, „Nachfrage steuern“ und „Wettbewerb unter den Lieferanten nutzen“). Mit Hilfe eines deduktiven Ansatzes leiten sich je Basisstrategie wiederum 16 Hebel ab, die sich in 64 Ansätze verzweigen. Die jeweiligen Strategien, Hebel und Ansätze werden unter dem Aspekt von Normstrategien beschrieben. Das 3-Ebenen-Modell des Supplier Relationship Managements (SRM) (Appelfeller/Buchholz, 2005, S. 14) wird in die Ebenen „Beschaffungsgesamtstrategie“ (Ebene 1), „strategischer Beschaffungsprozess auf Materialgruppenebene“ (Ebene 2) und „operativer Beschaffungsprozess“ (Ebene 3) untergliedert. Diese Struktur leitet sich aus einem strategischen Managementkonzept mit Gesamtunternehmensstrategie und Geschäftsfeldstrategie ab. Für die einzelnen Detailschritte innerhalb der Ebenen finden Untergliederungen in Teilprozesse statt. Das Modell umfasst sowohl strategische als auch methodische Normstrategien, wobei ein besonderes Augenmerk auf die IT-Implementierung (Basisarchitektur eines Beschaffungssystems) gelegt wird. Der praxisnahe Supply-Management-Navigator-Ansatz (Jahns, 2005b, S. 71 ff) – als weiterer ganzheitlicher Ansatz des Beschaffungsmanagements – systematisiert jene Managementthemen, die für erfolgreiches Supply Management aus Sicht der Autoren als besonders relevant erachtet werden. Primäre Zielsetzung des Ansatzes ist es, Führungskräften einen ganzheitlichen Rahmen zur Einordnung zentraler strategischer und operativer Initiativen zu geben (z. B. Supply Organization, Supply Human Resource Management, Supply Process Management), welche ein nachhaltiges Supply Management positiv beeinflussen. Das House of Sourcing and Supply Management (Eßig, 2004, S. 16 ff) beruht auf der integrativen und interfunktionalen – aus dem Qualitätsmanagement – stammenden „House of“-Methodik und basiert auf den fünf sich bedingenden Kernelementen „Supply Target“, „Supply Strategy“, „Supply Structure“, „Supply Operations” und „Supply Controlling”. Konkret fußt der Ansatz auf dem House of Purchasing and Supply-Ansatz (A.T. Kearney, 1998) sowie dem House of Purchasing Excellence (Hapke/ Jung, 2005) und erweitert diese um eine stärkere Management- sowie Supply-(Chain)Fokussierung. Das Integrierte St. Galler Beschaffungsmanagement-Modell (Schober/Middendorff/Jahns 2001, S. 38 ff) stellt schließlich den Versuch dar, die aus Sicht der Autoren wesentlichen Einflussfaktoren erfolgreichen Einkaufs zu systematisieren. In Anlehnung an den St.
266
Procurement Event Monitoring
Galler Management-Ansatz werden darin die Aspekte „Einkaufsvisionen“, „strategisches Lieferantenmanagement“, „effektives Prozessmanagement“, „kundenorientierte Aufbauorganisation“, „Teile- und Prozess-Standardisierung“, sowie „ganzheitliches Beschaffungscontrolling“ zu einem integrativen Gesamtrahmen kombiniert. Jedes der angeführten Modelle liefert Ansätze zur strukturierten Optimierung des Einkaufs. Sowohl das House of Sourcing and Supply Management als auch der Supply Management Navigator und das integrierte St. Galler BeschaffungsmanagementModell liefern ganzheitliche Ansätze und Rahmen, wie man Supply Management verbessert. Das Einkaufsschachbrett und das 15M-Strategie-Modell fokussieren speziell auf die Entwicklung von Normstrategien, lassen allerdings den IT-Aspekt weitestgehend außer Acht. Das 3-Ebenen-Konzept fokussiert schwerpunktmäßig auf die Prozess- und IT-Komponente im Rahmen des SRM-Konzeptes, wobei allerdings die operative Umsetzung nicht (ausreichend) bearbeitet wird. Das Procurement-EventMonitoring(PEM)-Vorgehensmodell hingegen erhebt den Anspruch einer Umsetzungsorientierung, die den Anwender im Detail unterstützt, diese Ansätze anzuwenden und zum großen Teil mit Hilfe der IT umzusetzen. Zu Beginn des PEM-Forschungsprojektes stand der Effizienzgedanke im Vordergrund. Demnach wurden in einem ersten Schritt die für die Materialwirtschaft relevanten Prozesse systematisch erhoben, wobei der Fokus auf den Prozessen der Bedarfsanforderung, der Bestellung, des Wareneingangs, der Lagerung sowie der Warenentnahme durch die Produktion lag. Daran orientierte sich in Folge ein Werkzeug zur Systemund Datenanalyse von betrieblichen Informationssystemen bzw. Enterprise-ResourcePlanning-Systemen (ERP) (weiterführende Informationen zu ERP-Systemen Monk/ Wagner, 2008 und Botta-Genoulaz/Millet/Grabot, 2005), welches von im Projekt mitarbeitenden Industriepartnern erprobt wurde.1 Die daraus gewonnenen Erkenntnisse verfeinerten und optimierten das Vorgehensmodell, wodurch in den betriebswirtschaftlichen Kontext der industriellen Beschaffung ein Wartungskonzept implementiert werden konnte, das durch roulierende „Event-Monitoring-Aktivitäten“ zur Steigerung der Effizienz der industriellen Beschaffung führen sollte. Bereits in der Konzeption des im Folgekapitel beschriebenen Effizienz-Kreislaufes und im transdisziplinären Austausch mit Industrieunternehmen zeigte sich, dass neben den Effizienzgewinnen durch optimierten IT-Einsatz relevante Potentiale in der Änderung grundsätzlicher Einkaufsverhaltensmuster liegen. Dadurch sollte die Wirkung (Effektivität) der Beschaffung im Sinne einer Erhöhung der Rentabilität und vor allem zu einer Steigerung der strategischen Wettbewerbsfähigkeit führen. Ergebnis war ein Teil-Vorgehensmodell (Kreislauf) zur laufenden Beobachtung und Bewertung sowie
1
Validierende Praxisevaluierung waren die „Materialklassifikation und Parameteroptimierung von Dispositions- und Beschaffungsprozessen bei der AVL“ und „Effizienzmessung von ERP-Systemen im industriellen Einkauf unter der Verwendung des Reverse Business Engineer bei Böhler Edelstahl“.
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Anwendungsnahe Beiträge
Dokumentation so genannter Schlüsselteile. Darauf aufbauend wurde ein Optimierungsprozess in der Beschaffung institutionalisiert, mit dem erreicht wurde, Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen, um somit die Einkaufskosten für definierte Materialklassen mittel- bis langfristig zu senken.
3
Die Vorbereitung im Procurement-EventMonitoring-Vorgehensmodell
Das Procurement-Event-Monitoring(PEM)-Vorgehensmodell gibt Unternehmen systematisch einzelne Schritte vor, die durchlaufen werden müssen, um sowohl die Effizienz (operativ) als auch die Effektivität (strategisch) der Beschaffungsprozesse zu verbessern. Die grafische Umsetzung der Grobstruktur des Vorgehensmodells (siehe Abbildung 3) ist in Form zwei sich schließender Kreise bewusst gewählt und soll den roulierenden Charakter des Modells betonen (Instandhaltungs- und Controllinggedanke des industriellen Einkaufs). Abbildung 3: PEM-Vorgehensmodell im Überblick (Tschandl et al., 2007, S. 42) Rahmenbedingungen schaffen
Schritt 1
Materialspektrum klassifizieren
Schritt 2 Effizienz
Ermittlung Key Performance Parameter
Schritt 5 Effizienz
Schritt 2 Effektivität
Auswahl Kriterien
Effizienz-Monitoring Schritt 5 Effektivität
Maßnahmenentwicklung und -umsetzung Schritt 3 Effizienz Schritt 4 Effizienz
Soll-Ist-Abgleich
Umsetzung im ERP-System Schritt 3 Effektivität
Effizienz Schritt 4 Effektivität
Laufendes Monitoring der Kriterien
268
Effektivität
Erhebung der Ausprägungen
Procurement Event Monitoring
Das Modell umfasst im Überblick die einzelnen Phasen der beiden Teilbereiche Effizienz (dunkelgrauer Pfeil) und Effektivität (hellgrauer Pfeil). Die beiden Kreisläufe im Vorgehensmodell sind jeweils in fünf Schritte unterteilt. Zusätzlich wurden dem Modell im Forschungsprojekt drei (Lebenszyklus-)Phasen (Auswahl-, Aufbau- und Produktivphase) hinterlegt (siehe Abbildungen 2 und 5; in Analogie zu Strobl-Vogt, 1997, S. 64; Lehner et al., 1995, S. 26 ff), mit dem Hintergrund, dass es Inhalt des dargestellten Modells ist, …
…nach Auswahl und Bestimmung der optimalen Rahmenbedingungen …die zu beschaffenden Schlüsselteile und deren aktuelle Beschaffungsprozesse gemäß Methoden der Materialklassifikation und Datenextraktion herauszufiltern;
…für den Bereich der Effektivität Kriterien abzuleiten und auszuwählen, die einen wesentlichen Einfluss auf die Beschaffung der Schlüsselteile besitzen;
…im Bereich der Effizienz für die ermittelten Schlüsselteile die „richtigen“ Key Performance Parameter zu bilden, die eine effiziente Materialversorgung gewährleisten;
…diese umzusetzen und im Sinne eines permanenten Procurement Event Monitorings (Management by Exception) zu überwachen. Der Effektivitätsteil des Vorgehensmodells bietet – in Analogie zur Instandhaltung – eine Methodik für eine systematische und strategische Überwachung der für den Unternehmenserfolg signifikanten Schlüsselteile mit der Zielsetzung an, mittel- bis langfristig die Kosten der zugekauften Teile (Materialkosten) zu senken. Der Effizienzteil beschäftigt sich hingegen mit den operativen Prozessen des Einkaufs und deren optimalen Unterstützung durch Enterprise-Resource-Planning-Systeme (ERP). Zielsetzung ist es, die Prozesskosten sowie die Kapitalbindungskosten aufgrund hoher Bestände zu senken beziehungsweise gering zu halten und durch Automatisierung operativer Einkaufsprozesse eine Beschaffungskostensenkung zu bewirken. Die Unterteilung in die Analysebereiche „Effizienz“ und „Effektivität“ erfolgt bewusst, um sich in der kreativen Phase der effektivitätsfördernden Überlegungen nicht davon leiten zu lassen, welche Dinge auch operativ am „einfachsten“ oder am effizientesten umsetzbar sind. Trotzdem kann in bestimmten Fällen eine zeitliche Abhängigkeit der effektivitäts- und effizienzfördernden Überlegungen gegeben und deren Berücksichtigung auch sinnvoll sein, da angestrebt wird, nur die vorab als „richtige Dinge“ definierten Maßnahmen (Bereich Effektivität) auch „richtig“ umzusetzen (Bereich Effizienz) (Drucker, 1963, S. 54; Tschandl/Ortner, 2004, S. 6). Vor den beiden (Teil-)Kreisläufen der Effizienz und Effektivität sind als Vorbereitung die organisatorischen Rahmenbedingungen für das Optimierungsprojekt abzugrenzen (Boutellier, 2002 und Rinza, 1998), also vor allem der Zeitplan, die Größe und Zusammensetzung des Projektteams sowie der erwartete Output bzw. die Ziele. In Schritt 1 ist in weiterer Folge eine Einschränkung auf jene Materialien und jenen Zeitraum vorzunehmen, die von besonderer Bedeutung sind (zum Beispiel wegen 269
Anwendungsnahe Beiträge
eines hohen Kostenblocks oder administrativen Aufwands) und somit primär untersucht werden sollen. Diese Abgrenzung kann beispielsweise bezogen auf eine Geschäftssparte, eine Abteilung, eine Produktgruppe oder eine Stoffgruppe erfolgen. Hieraus wird ersichtlich, dass das PEM-Vorgehensmodell zu beschaffende Materialien als das zentrale Kriterium definiert, auf welche alle weiteren Untersuchungen und Aktivitäten fokussieren. Um eine zielgerichtete Beschäftigung mit den wesentlichen Materialien eines Unternehmens sicherzustellen, werden diese in homogene Klassen eingeteilt. Hierfür wird auf die ABC-Analyse nach Jahresbedarfswert der betrachteten Materialien zurückgegriffen (Planwerte). Eine Erweiterung erfolgt durch die Analyse der Bedarfsvorhersagegenauigkeit mit Hilfe der XYZ-Analyse, die zusammen die Basis für die weitere Vorgehensweise im PEM-Effizienzbereich darstellen (Lensing/Sonnemann, 1995, S. 88-93). Die sich daraus ergebende neunklassige Einteilung erlaubt schließlich eine differenzierte und klassenspezifische Betrachtung und Behandlung der Materialien. Die Wahl auf die ABC/XYZ-Analyse als für das PEM-Vorgehensmodell zentrales Vorbereitungsinstrument fiel vor allem deshalb, weil…
…zahlreiche Ableitungen für Best Practice im Bereich der Disposition und Beschaffung auf Basis der ABC/XYZ-Clusterung bereits vorhanden sind,
…das Instrument eine hohe allgemeine Bekanntheit und somit hohe Akzeptanz in der Industrie genießt,
…die ABC/XYZ-Analyse auch für komplexe Fragestellungen einfach anwendbar ist,
… und die betrachteten ERP-Systeme hierfür Unterstützungsmöglichkeiten bieten. Die ABC-Analyse in der Beschaffung kann nach unterschiedlichen Kriterien wie zum Beispiel dem Jahresverbrauchswert, dem Lagerbestandswert oder dem Beschaffungswert durchgeführt werden. Im PEM-Vorgehensmodell wird bei der ABC-Analyse auf die Jahresbedarfswerte (Jahresbedarf multipliziert mit dem Bestandsbewertungspreis oder mit dem gleitenden Durchschnittspreis) fokussiert. Materialien, deren kumulierter Wert im Bereich der Wertgrenze von 70-80 % liegt, stellen klassischerweise die Klasse der A-Materialien dar. Materialen, die Wertgrenzen von 10-20 % erfüllen, sind B-Materialien, und jene, die den Rest auf 100 % ausmachen, werden als C-Materialien klassifiziert (Hoppe, 2005, S. 50 ff; Arnolds et al., 1998, S. 39 ff; Oeldorf/Olfert, 2004b, S. 17). Oeldorf/Olfert fassen zusammen, dass für industrielle Unternehmen etwa 15 % der Güter etwa 80 % Anteil am Gesamtwert (Jahresbedarfswert) ausmachen (A-Güter), etwa 35 % der Güter 15 % Anteil (B-Güter) und die restlichen 50 % der Güter ungefähr 5 % Anteil am Gesamtwert haben (C-Güter) (Oeldorf/Olfert, 2004a, S. 92; Schulte, 2005, S. 308). Mit der ABC-Analyse können jedoch keine Aussagen über den Bedarfsverlauf getroffen werden, weshalb sie im Rahmen des Effizienz-Kreislaufes mit einer XYZ-Analyse kombiniert wird. Auf Basis regelmäßiger (X-Artikel), schwankender (Y-Artikel) oder unregelmäßiger (Z-Artikel) Bedarfe in der Vergangenheit kann so mit hoher, mittlerer oder geringer Vorhersagegenauigkeit auf die Bedarfe der Zukunft geschlos-
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Procurement Event Monitoring
sen werden (Oeldorf/Olfert, 2004a, S. 93; Schmitz, 2004, S. B2-9). Um eine Klassifikation in XYZ-Materialien zu ermöglichen, wird die Schwankung des Verbrauchs der einzelnen Artikel im Zeitablauf mathematisch analysiert. Die dafür verwendete statistische Kenngröße ist häufig die Standardabweichung (s)2, die jedoch als absoluter Wert im vorliegenden Kontext nur bedingt geeignet ist (große Zahlen haben auch bei geringer Schwankung eine hohe Standardabweichung). Daher wird im Rahmen des PEM-Vorgehensmodells die Standardabweichung durch den Variationskoeffizienten (V) ersetzt (Schulte, 2005, S. 309), indem man die Standardabweichung durch den Mittelwert (x) dividiert. Man erhält die prozentuelle Schwankung der Daten (Schwankung des monatlichen Verbrauchs) um den Mittelwert, was ein Vergleichen der Datensätze (Verbrauchswerte) ermöglicht. Anders als bei der ABC-Analyse zeigen sich beim Setzen der Grenzen zwischen den XYZ-Klassen in der Praxis sehr unterschiedliche Ansätze. So ist die (saisonale) Schwankung des Materialverbrauchs in der Automobilindustrie häufig geringer als in Handelsunternehmen. Aus diesem Grund sind die Grenzen für jedes Unternehmen individuell – auf Basis von Erfahrungswerten – festzulegen (Schmitz, 2004, S. B2-9). Für zugrunde liegendes Vorgehensmodell werden die Klassengrenzen für XYZ – basierend auf der Erfahrung aus Industrieprojekten – folgendermaßen gesetzt: X-Klasse: V bis maximal 50 %, Y-Klasse: V zwischen 51 und 100 %; Z-Klasse: V größer 100 %. Das Ergebnis der Analysen kann anschließend in einer ABC/XYZ-Matrix mit neun Beschreibungsklassen dargestellt werden (Oeldorf/Olfert, 2004a, S. 93). Die Daten für diese Matrix sind teilweise direkt aus dem ERP-System zu generieren; am Beispiel der Standardausführung von SAP R/3 bzw. ECC 6.0 ist die ABC-Analyse direkt ermittelbar, die XYZ-Analyse jedoch nur durch eine externe Analyse möglich. Dadurch entsteht die Notwendigkeit, die im Rahmen PEM konzipierte spezielle Form der ABC/XYZ-Analyse beispielsweise mit einem klassischen TabellenkalkulationsProgramm („manuell“) durchzuführen. Der Nachteil dieser Variante ist jedoch im erhöhten Zeitbedarf zu sehen, der sich vor allem daraus ergibt, dass je Material die aktuellen Parametereinstellungen in den Materialstammdaten einzeln auszulesen sind. Um den dargestellten Schritt zu unterstützen, wurde im Effizienz-Kreislauf ein Datenanalyse-Tool konzipiert und zu einer Applikation entwickelt. Damit ist es auf Basis weniger Grundeinstellungen und eines durchgeführten Datenaufbereitungsprozesses möglich, eine vollständige, auf die PEM-Projekterfordernisse abgestimmte ABC/XYZ-Analyse des gesamten Materialspektrums zu generieren. Anders im Effektivitätskreislauf, der zwar auch eine erste Klassifizierung nach Menge und Wert (ABC) nutzt, dann jedoch anhand von eigenen Kriterien versucht, so genannte Schlüsselteile festzulegen. Darunter werden in der vorliegenden Arbeit all jene Teile verstanden, die aufgrund ihres Jahresverbrauchswertes bzw. der inneren oder 2
Mit der Standardabweichung wird die durchschnittliche Schwankung der Daten im Zeitablauf bezogen auf den Mittelwert gemessen.
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Anwendungsnahe Beiträge
äußeren Wichtigkeit von besonderer Relevanz für den derzeitigen und/oder zukünftigen Unternehmenserfolg sind. Wesentliche Auswahlfaktoren sind beispielsweise
die Eigenschaften des Beschaffungsgegenstandes, die Struktur des Beschaffungsmarktes, die Konkurrenzverhältnisse am Zuliefermarkt, die allgemeine und branchenspezifische Wirtschaftsentwicklung, die geltende Rechtsordnung, das Produktionsprogramm und/oder der Fertigungstyp. Diese Faktoren können nur unternehmensspezifisch bzw. eventuell branchenspezifisch festgelegt werden. Um dennoch eine Hilfestellung für die Auswahl zu geben, werden folgende Methoden zur Auswahl vorgeschlagen:
Sinnvoll ist eine Klassifizierung der Materialien nach dem Jahresverbrauchswert entsprechend der oben beschriebenen ABC-Analyse.
Unabhängig vom Wert ist auch die innere und äußere Wertigkeit ein wesentlicher Aspekt. Unter der äußeren Wertigkeit kann dabei der Wert verstanden werden, den ein Zukaufteil auf die Nutzenerwartung und/oder die Zufriedenheit von Kunden hat. Im Hinblick auf die innere Wertigkeit muss beurteilt werden, inwieweit Zukaufteile einen besonders großen Einfluss auf den Produktionsprozess oder die Funktionalität der erzeugten Güter haben.
Daneben sind auch alle Teile für ein Unternehmen strategisch relevant, die ein hohes Risiko aufweisen und wo große Änderungen in Zukunft zu erwarten sind. Sind die Rahmenbedingungen abgestimmt, der Warenkorb definiert sowie die Materialien nach den genannten Kriterien klassifiziert, so teilt sich das Vorgehen in zwei Stoßrichtungen:
Optimierung der Einkaufseffizienz zur Senkung der Prozesskosten und Bestandskosten (siehe PEM-Vorgehensmodell im Überblick (Abbildung 3): Schritte 1 bis 4 im Effizienzteil)
Optimierung der Einkaufseffektivität zur Senkung der Materialkosten und Sicherstellung der Materialverfügbarkeit (siehe PEM-Vorgehensmodell im Überblick (Abbildung 3): Schritte 1 bis 5 im Effektivitätsteil)
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Der Effizienzkreislauf
Nach der strukturierten Auswahl der zu untersuchenden Materialien werden nun deren beschaffungsrelevante Parametereinstellungen (Key Performance Parameter)
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Procurement Event Monitoring
betrachtet. Ausgangspunkt der nachfolgend dargestellten Analysen ist die auf Experteninterviews gestützte Hypothese, dass sowohl der Wissensstand über die Möglichkeiten von ERP-Systemen als auch deren Parametereinstellungen häufig auf dem Stand der Systemimplementierung sind. Anpassungen bezüglich geänderter unternehmerischer Rahmenbedingungen erfolgen – wenn überhaupt – oft nur durch den Zukauf von externem Know-how. Abbildung 2: PEM-Effizienzkreislauf im Detail A us wahlphas e
A ufbauphas e
P roduktivphas e
Vorg ehens modell E ffiz ienz
Abbildung 2 zeigt den Effizienzkreislauf mit den oben angeführten Phasen und Schritten. Nach der allgemeinen Auswahlphase (ABC/XYZ-Analyse) erfolgte in der Aufbauphase in einem ersten Schritt die Ermittlung der Key Performance Parameter. Hierzu wurden im Rahmen des PEM-Forschungsprojektes sowohl die wissenschaftliche Literatur hinsichtlich Parametereinstellungen analysiert (Bäck et al. 2007a, S. 163181; Gudehus 2004, S. 85 ff, S. 294 f; Arnolds et al. 1998, S. 42 ff; Hoppe 2005, S. 146 f, S. 197 ff, S. 350; Oeldorf/Olfert 2004a, S. 154 ff, S. 162; Tempelmeier 2003, S. 135 ff; Dittrich et al. 2003, S. 98 ff , S. 125 ff; Heiserich 2002, S. 62 ff.), als auch unternehmerische Evaluierungen und Experteninterviews durchgeführt und folgende Key Performance Parameter abgeleitet: Dispositionsverfahren, Losgrößenverfahren, Meldebestand, Sicherheitsbestand, Lieferzeit, Lieferbereitschaftsgrad, Bestellabwicklungsverfahren. Für jedes Unternehmen, jede Materialnummernklasse aber auch für jede Materialnummer besteht ein unterschiedliches Anforderungsprofil an die Supply-Chain-Leistung. Bei der Anwendung dieses Modells ist deshalb die Ermittlung der Key Performance Parameter (KPP) für die klassifizierten Artikel eine besondere Herausforderung. In einem zweiten Schritt werden die Ist-Werte den KPP-Best-Practice-Werten gegenüber273
Anwendungsnahe Beiträge
gestellt beziehungsweise mit diesen abgeglichen. Ziel ist es, dass Unternehmen die ERP-Informationssystemeinstellungen kritischer Materialien selbst optimieren zu können (ERP-Umsetzung und Effizienz-Monitoring). Durch Zugriffe auf produktive ERP-Datenbanken und deren Dateninhalte (z. B. mittels Reports, Queries, aber auch Data Warehouses) ist eine schnelle Erhebung dieser Parameter möglich, um so ein genaues Belegungsmuster für die maßgeblichen KPP zu bekommen. Es werden dabei sowohl Stammdaten als auch Bewegungsdaten aus dem Bereich der Materialwirtschaft extrahiert. Die Reproduzierbarkeit dieser Selektion gewährleistet die Kontinuität für ein permanentes Parametermanagement. Das im Rahmen dieses Forschungsprojektes entwickelte Diagnosewerkzeug unterstützt die Schritte „Material klassifizieren“ und „Ist-Analyse“ und stellt somit diese Anforderungen sicher. Diese Ist-Situation gilt es mit der – auf Basis Theorie- und Expertenmeinung aus der Praxis – erarbeiteten Best-Practice-KPP-Einstellung (Soll-Ist-Abgleich) zu vergleichen. Die transparente Darstellung dieser Soll-Parameter erfolgt im PEMScenariomanager (Abbildung 3) (Tschandl et al., 2006, S. 63), einer Excel-Applikation wiederum aufbauend auf der ABC/YXZ-Analyse. Im Rahmen der empirischen Evaluierung dieses Vorgehensmodells zeigte sich, dass es in dieser Phase des Soll-Ist-Abgleichs besonders wichtig ist, das Verständnis für die Errechnung dieser zu schulen und damit eine Identifizierung der Mitarbeiter mit den Sollwerten zu erreichen. Deshalb ist beim kritischen Hinterfragen der vorgeschlagenen Soll-Parameter die Einbeziehung der verantwortlichen Disponenten/Einkäufer des jeweiligen Unternehmens sinnvoll, da die Best-Practice-Vorschläge durch firmeninterne Spezifika oder aber externe Einflüsse nicht immer in die Praxis umgesetzt werden können (Plausibilitätsprüfung). Als besondere Faktoren können beispielhaft Produkthaltbarkeit, Mindestbestellmengen, Verpackungsvorschriften, Lagerkapazität oder Lademitteleinschränkungen erwähnt werden. Auf Basis der verschiedenen Soll-Parametereinstellungen ist eine Potentialberechnung möglich und sinnvoll, um entsprechende Personalkapazitäten für die Umsetzung im ERP-System freigestellt zu bekommen. Auch hier liefert das PEM-Modell mittels eines Leitfadens eine konkrete Hilfestellung in Form einer ausführlichen Dokumentation, wie vorgeschlagene Ausprägungen der Parameter systemtechnisch umzusetzen sind und welche Rahmenbedingungen als Basis vorliegen müssen. Abschließend gilt es, die im ERP-System umgesetzten und operativ laufenden Dispositions- und Beschaffungsprozesse nach definierten Soll-Werten und Intervallen auf deren Effizienz hin zu untersuchen, um im Sinne negativer Abweichungen (EventMonitoring) steuernd einzugreifen. Neben klassischen materialwirtschaftlichen Kennzahlen wird aufgrund der komplexen Datenanalyse in ERP-Systemen bewusst auf Standardtools wie den Reverse Business Engineer (RBE) (Wenzel-Däfler, 2001) oder den Process Performance Manager (PPM) referenziert. Hinsichtlich Prozessanalyse mittels RBE werden neben einer ausführlichen Dokumentation zur richtigen Anwendung (Verfahrensanweisung) Referenzwerte für die am System durchzuführen-
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den Transaktionen analytisch ermittelt und Kennzahlen definiert. Letztere sollen Auskunft darüber geben, wie effizient der industrielle Einkauf im ERP-System abgewickelt wird. Auf Basis der Kennzahlen können letztendlich Aussagen über die effiziente Nutzung des Systems getroffen werden und ob die Mitarbeiter für die Abwicklung der Prozesse am System besser zu schulen sind (Bäck/Gössler, 2006, S. 162).
Abbildung 3: Der Scenariomanager
Sind diese Prozessschritte durchgeführt, so ist – im Falle einer unbefriedigenden Performance, veränderter Rahmenbedingungen in der Beschaffung sowie fortgeschrittener Lebenszyklen der Produkte – der PEM-Durchlauf mit einer erneuten Analyse der Parameter zu wiederholen (roulierendes Wartungsmodell).
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Anwendungsnahe Beiträge
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Der Effektivitätskreislauf
Sollen mit dem im obigen Abschnitt dargestellten Vorgehensmodell Effizienz die ITunterstützten Beschaffungsprozesse optimiert werden, kann das Vorgehensmodell Effektivität die Unternehmen dabei unterstützen, mittels „kreativer Events“ über eine (Neu-)Ausrichtung der Beschaffung positiven und direkten Einfluss auf den Unternehmenserfolg zu nehmen. Der zu institutionalisierende Optimierungsprozess soll beschaffungsrelevante Chancen, Risiken und Potentiale erkennbar machen und über deren Bearbeitung eine signifikante Senkung der Kosten bzw. eine Risikominimierung bewirken (Schentler, 2007, S. 91-92). Erreicht wird das über eine Erhöhung der Transparenz der Einkaufsentscheidungen, die Einschränkung des Beschaffungsrisikos, die Vermeidung nicht nachvollziehbarer Einkaufsentscheidungen und die Wissenssicherung durch Aufzeichnung von Entscheidungen und beschaffungsrelevanten Entwicklungen (in Analogie zu Eschenbach, 1990, S. 176). Methodisch werden mittels systematischer Aktionen die Einkaufsaktivitäten laufend hinterfragt, wobei die gesamten Produktions- und Vertriebsabläufe sowie Produktlebenszyklen eingebunden sind (Anderson, 1997, S. 130 f.), da aus günstig zugekauften Materialien, Werkstoffen und Dienstleistungen aufgrund möglicher Folgekosten (z. B. erhöhter Werkzeugverschleiß aufgrund neuer Materialqualitäten) und Opportunitätskosten (z. B. Unzufriedenheit bei Kunden) nicht zwangsweise günstige Endprodukte resultieren. Mit dem Teilkreislauf Effektivität im PEM-Vorgehensmodell wird eine laufende Überwachung ähnlich einer kontinuierlichen und pro-aktiven Instandhaltung ermöglicht. Während die „klassische“ Instandhaltung früher als Hilfs- oder Servicefunktion der Produktion gesehen wurde, verfolgen neue Ansätze wie Total Quality Management (TQM), Total Productive Maintainance (TPM) oder Six Sigma (weitere Informationen zu diesen Konzepten Evans/Lindsay, 2005; Houtenburg/Knöfel 2007; Besterfield, 2003 sowie Al-Radhi/Heuer, 1995) wesentlich weitergehende Zielsetzungen (Matyas, 1999, S. 31). Besonders TQM stellt einen umfassenden Ansatz dar (Forschung und Entwicklung, Beschaffung, Produktion und Vertrieb), der die Qualität in den Mittelpunkt aller unternehmerischen Handlungen stellt und in der gesamten Wertschöpfungskette angewendet wird sowie möglichst viele Mitarbeiter einbezieht. TPM betrachtet den Aufgabenbereich Produktion im Rahmen von TQM, wobei nach Al-Radhi und Heuer fünf wesentliche Säulen im Mittelpunkt stehen: „Beseitigung von Schwerpunktproblemen“, „autonome Instandhaltung“, „geplantes Instandhaltungsprogramm“, „Instandhaltungsprävention“ sowie „Schulung und Training“ (Al-Radhi/ Heuer, 1995, S. 28-31). In den letzten Jahren wurden unter Anwendung des TPM signifikante Leistungsverbesserungen und Kosteneinsparungen in den Produktionsbereichen von Industrieunternehmen erzielt. Dieses „moderne“ Instandhaltungskonzept wurde im Rahmen des PEM-Ansatzes auf Transponierbarkeit in den Beschaffungsbereich untersucht, und in Abstimmung mit den Projektpartnern hat sich das Thema „Beseitigung von Schwerpunktsproblemen“ – und in abgewandelter Form von „Schwerpunktpotentialen“ (z. B. mögliche Materialsubstitute oder neue Beschichtung
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mit Nanotechnologie) als besonders relevant herauskristallisiert. Auch „Schulung und Training“ haben im Effektivitätskreislauf des PEM-Vorgehensmodells ihre Bedeutung, da für kreative Verbesserungsprozesse ein geschultes Vorgehen in den einzelnen Prozessschritten (z. B. Workshops) Voraussetzung ist. Die anderen drei Säulen sind im Kern eher für produktionsnahe TPM-Abläufe konzipiert. Das Konzept von Six Sigma fand gleichfalls zuerst auf der Produktionsebene Anwendung und wurde danach in allen anderen Unternehmensbereichen angewendet. Der Six-Sigma-Kreislauf DMAIC – define, measure, analyze, improve, control – (Magnusson et al., 2001, S. 17) wurde daher als weiteres Vorgehensmodell zur Steigerung der Effektivität in der Beschaffung untersucht. Da sein Schwerpunkt in der Messung und Verbesserung der Effizienz von Detail-Prozessen liegt, kann es im qualitativen Optimierungsprozess des Effektivitätsteils keine Anwendung finden. Es ist also das Ziel, durch intensive, laufende, interdisziplinäre und allumfassende Veränderungen der Beschaffung wesentliche Merkmale einer pro-aktiven, vorbeugenden Instandhaltung zu implementieren (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4: Instandhaltung und Beschaffung (Bäck et al., 2007b, S. 91) Oftmals aktueller Stand in der Beschaffung (Ist)
Merkmale der Instandhaltung (Soll in der Beschaffung)
Häufig einzelfallbezogene Maßnahmen
Kontinuierlicher Prozess
Reaktiv aufgrund von Problemen
Proaktiv aufgrund vorab definierter sinnvoller Intervalle
Know-how liegt in den Köpfen der Einkäufer
Dokumentation des Prozesses und der Ergebnisse
Unstrukturiertes Vorgehen
Systematische Vorgehensweise
Der Effektivitätsteil ist als überschaubares und einfach durchzuführendes Modell zur laufenden Bewertung und Beobachtung der Schlüsselteile zu verstehen, auf Basis deren ein Optimierungsprozess in der Beschaffung institutionalisiert werden kann (siehe Abbildung 5). Die Beschaffungspraxis zeigt, dass der Großteil der Unternehmen in vielen operativen Bereichen der Beschaffung gute Arbeit leistet: Lieferantenbeziehungen werden gepflegt, Liefer- und Zahlungsbedingungen optimiert und Preise verhandelt. Aufgrund der Vielzahl der Materialien und Zukaufteile, die angeschafft werden müssen, kann jedoch sehr häufig die strategisch wichtige Frage – wie die nach den für den Unternehmenserfolg signifikanten Schlüsselteilen und deren Entwicklung in der
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Anwendungsnahe Beiträge
Zukunft sowie die Entwicklung der Lieferanten dieser Teile – kaum beantwortet werden. Es ist aber davon auszugehen, dass ein langfristiger Erfolg des Unternehmens nur dann erreichbar ist, wenn durch eine laufende Überwachung der Schlüsselteile mögliche Bedrohungen und potenzielle Risiken schnell erkannt werden, um darauf richtig zu reagieren. In der Auswahlphase werden daher mit einer „Materialklassifikation“ Schlüsselteile eruiert (siehe Teilkapitel 2). Darunter werden in der vorliegenden Arbeit all jene Teile verstanden, die aufgrund ihres Jahresverbrauchswertes bzw. der inneren oder äußeren Wichtigkeit von besonderer Relevanz für den derzeitigen und/oder zukünftigen Unternehmenserfolg sind.
Abbildung 5: PEM-Effektivitätskreislauf im Detail (Bäck et al., 2007b, S. 92)
A us wahlphas e
A ufbauphas e
P roduktivphas e
Vorg ehens modell E ffektivität
In der Aufbauphase sind als Voraussetzung für ein laufendes Monitoring der Schlüsselteile die (Überwachungs-)Kriterien auszuwählen, die sowohl Aspekte für die Zukaufteile selbst (z. B. Menge, Preis, Auswirkung/Kritikalität, Eigenschaften, Sourcing-Strategie, Funktionserfüllung, Lieferanten – jeweils mit entsprechenden Detailkriterien), deren Lieferanten wie auch inner- und außerbetriebliche Einflüsse (z.B. Technologie, Flexibilität, Vertragsbedingungen, Kooperation, Zuverlässigkeit, Macht, Qualität, externes/internes Risiko – ebenfalls jeweils mit Detailkriterien) umfassen. Neben der Auswahl der Kriterien sind aber auch noch spezifische Richtlinien für die einzelnen Kriterien festzulegen: das Wartungsintervall, die Zuständigkeit für die Wartung wie auch die Kritikalität der Bewertung.
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Procurement Event Monitoring
In der Produktivphase sind die Schlüsselteile anhand der für das jeweilige Unternehmen ausgewählten Kriterien laufend zu überwachen. Ein im Forschungsprojekt hierfür entwickeltes Instrument ist der PEM-Materialmonitor, der anhand des beschriebenen Kriterienkatalogs eine „ganzheitliche“ Bewertung der Zukaufteile ermöglicht (siehe Abb. 6). Jedes vorgeschlagene Kriterium (Wert und/oder Menge des Zukaufteils, Sourcingstrategie, Flexibilität und/oder Zuverlässigkeit des Lieferanten) besteht aus der Bezeichnung, den Messgrößen, der Gewichtung und der verschiedenen Einstufungen (Risikozone/Chancenzone) von 1 bis 5. Das Kriterium schließt mit einer gewichteten Einstufung ab, aus deren Summe sich die Gesamtbewertung des Zukaufteiles ergibt. Bei entsprechenden Abweichungen oder (negativen) Entwicklungen wird eine Frühwarnfunktion aktiv, die dem verantwortlichen Einkäufer einen Handlungsbedarf signalisiert (Beschaffungs-Frühaufklärungssystem; Reinschmidt, 1989, S. 127). Dadurch soll der Gedanke des Risikomanagements verstärkt berücksichtigt werden, indem Gefahrenpotentiale erkannt und durch präventive Maßnahmen vermieden oder vermindert werden (Matzenbacher et al., 1999, S. 8).
Abbildung 6: PEM-Materialmonitor (Bäck et al., 2007b, S. 103)
Die zahlreichen auf die Beschaffungsprozesse wirkenden Risiken werden in Zukunft aufgrund des sich weltweit verschärfenden Wettbewerbs sowohl in der Anzahl als auch in den möglichen Auswirkungen noch weiter zunehmen (Matzenbacher et al., 1999, S. 8). Für das Beschaffungsmanagement als wichtiger Kernprozess im Unternehmen ist es daher von großer Bedeutung, jene Risiken rechtzeitig zu erkennen, die sich negativ auf die Erfüllung von Beschaffungszielen auswirken können. Aus diesem Grund ist ein Risikomanagement in der Beschaffung zu implementieren. Ziel und Aufgabe des Risikomanagements besteht aber nicht in der Vermeidung sämtlicher
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Anwendungsnahe Beiträge
Risiken, sondern im bewussten und zielorientierten Umgang mit ihnen (Romeike, 2003, S. 149). „Das Risikomanagement als immanenter Bestandteil der Unternehmensführung stellt die Integration organisatorischer Maßnahmen, risikopolitischer Grundsätze sowie die Gesamtheit aller führungsunterstützenden Planungs-, Koordination-, Informations- und Kontrollprozesse dar, die auf eine systematische und kontinuierliche Identifikation, Beurteilung, Steuerung und Überwachung unternehmerischer Risikopotentiale abzielen und eine Gestaltung der Risikolage des Unternehmens mit dem Ziel der Existenzsicherung ermöglichen.“ (Diederichs, 2004, S. 15). Des Weiteren sollen Abweichungen ein Benchmarking bzw. einen Konkurrenzvergleich auslösen, um Rationalisierungs-, Qualitäts- und Leistungssteigerungspotentiale im eigenen Unternehmen aufdecken zu können (Koppelmann, 2004, S. 391 ff; Bodmer, 2003, S. 799 ff.). In diesem abschließenden Schritt der Maßnahmenentwicklung und -umsetzung erfolgt somit die anfangs angesprochene Bearbeitung der Schwerpunktprobleme und -potentiale. Durch das Monitoring ist es somit (permanent) möglich, Chancen und Risiken in der Materialbeschaffung zu verstehen und so mittel- bis kurzfristig eine Senkung der Materialkosten sowie Sicherstellung der langfristigen Materialverfügbarkeit zu bewirken (Vollrath/Nase, 2002, S. 19). Besondere Beachtung finden neben den Aspekten eines Risikomanagements auch solche des Wissensmanagements (z. B. durch zentrale Speicherung wesentlicher Daten). Wissensmanagement wird in dieser Arbeit als ein integriertes Modell, bestehend aus Methoden, Konzepten und Strategien zum Management der organisationalen Wissensbasis einer Unternehmung, beschrieben (Willfort, 2001, S. 49). Aufbauend auf der Säule „Beseitigung von Schwerpunktproblemen“ des TPM-Ansatzes sowie auf den Anforderungen des Risikomanagements und des Wissensmanagements lässt sich ein kontinuierliches, vorausschauendes Monitoring ausgewählter Schlüsselteile im Beschaffungsbereich und eine systematische Bearbeitung der daraus resultierenden Vorschläge in interdisziplinären Teams ableiten. Mit diesen Tätigkeiten kann in Analogie zum Qualitätsmanagement der Instandhaltungsgedanke in der Beschaffung verankert werden, um ähnlich der kontinuierlichen schwerpunktmäßigen Wartung von Maschinen auch eine kontinuierliche Wartung von Zukaufteilen zu etablieren, die entsprechend dokumentiert wird. Wesentlich ist die laufende Wiederholung der Anstrengungen. In weiterer Folge soll eine Optimierung geschaffen werden, die über Prozessverbesserungen hinausgeht. Bei kritischen Abweichungen oder ermittelten Chancen gibt das PEM-Vorgehensmodell Hilfestellungen, wie es möglich ist, in vom Management einzusetzenden interdisziplinären Optimierungsteams – die entweder ausschließlich aus Mitarbeitern des Unternehmens aber auch aus externen Beratern bestehen können – unter Verwendung kreativer Methoden einen Maßnahmen- und Umsetzungsplan zu erstellen. Der Bedarf an interdisziplinären Teams ergibt sich vor allem daraus, dass im Bereich des betrieblichen Einkaufs aufgedeckte Chancen und Risiken zumeist Auswirkungen und/oder Ursachen auf/in vor- oder nachgelagerte/n Prozesse/n der Wertschöpfung haben, die nur durch Einbeziehen aller betroffenen Personen auch sinnvoll und fundiert erhoben und bearbeitet werden können. Des Weiteren ist es im Effektivitätsteil – in Anlehung
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an das „lessons learned“-Konzept – wichtig, stets zu wissen und zu dokumentieren, welche Aktionen und Maßnahmen zu welchen Ergebnissen geführt haben (Wissensmanagement-Ansatz). Somit kann einerseits sichergestellt werden, in Zukunft die gleichen (Fehl-)Entscheidungen zu vermeiden, aber auch im Falle des Ausscheidens von Mitarbeitern deren Know-how weitestgehend im Betrieb zu halten.
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Zusammenfassung und Ausblick
In den vergangenen Jahren lässt sich ein Trend erkennen, dass der (industriellen) Beschaffung immer mehr Bedeutung beigemessen wird. Ausgehend von der Hypothese, dass vorhandene IT-Werkzeuge nicht ausreichend gewartet und genutzt werden, um den Einkauf (weiter) zu optimieren, wurde im Forschungsprojekt „Procurement Event Monitoring (PEM)“ ein Vorgehensmodell entwickelt, mit dessen Hilfe Industrieunternehmen die Ist-Situation der dargestellten materialwirtschaftlichen Prozesse auf Basis der tatsächlichen Bewegungsdaten in beschaffungsrelevanten Teilen der betrieblichen Informationssysteme ermitteln können (Effizienz im Einkauf erhöhen). Diese Informationen bilden die Basis für weiterführende Effizienzsteigerungsmaßnahmen sowie für strategische Entscheidungen im Bereich der Beschaffung. In einem ersten Schritt wurde ein Fachkonzept zur systematischen Erhebung der für die Materialwirtschaft relevanten Prozesse entworfen. Bei diesem PEM-Vorgehensmodell wurde der Fokus auf die Prozesse der Bedarfsanforderung, der Bestellung, des Wareneingangs, der Lagerung sowie der Warenentnahme durch die Produktion gelegt. Daran orientiert sich in weiterer Folge ein Werkzeug zur System- und Datenanalyse von betrieblichen Informationssystemen bzw. Enterprise-Resource-PlanningSystemen (ERP), das bei den im Projekt mitarbeitenden Industriepartnerunternehmen (Böhler Edelstahl sowie AVL) erprobt wurde. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse verfeinerten und optimierten das Vorgehensmodell, wodurch in den betriebswirtschaftlichen Kontext der industriellen Beschaffung ein Wartungskonzept implementiert werden konnte, das durch roulierende „Event-Monitoring-Aktivitäten“ zur Steigerung der Effizienz des industriellen Einkaufs führen soll. Bereits in der Konzeption des Effizienz-Vorgehensmodells und im transdisziplinären Austausch mit Industrieunternehmen zeigte sich, dass neben den Effizienzgewinnen durch optimierten IT-Einsatz relevante Potentiale in der Änderung grundsätzlicher Einkaufsverhaltensmuster liegen. Das PEM-Vorgehensmodell wurde in Folge um einen Effektivitätsteil erweitert. Die dargestellten Teilbereiche „Effizienz“ und „Effektivität“ des PEM-Vorgehensmodells können auch – je nach zu Beginn aufgestellter Zielsetzung – getrennt durchlaufen werden. Zusammenhänge sind jedoch einerseits darin zu sehen, dass durch die im PEM-Effizienzteil angestrebte Optimierung/Automatisierung von Standardtätigkeiten des industriellen Einkaufs mehr Zeit für strategisch wichtigere Aufgaben bleibt. Andererseits kann durch zeitlich vorab durchgeführte effektivitätssteigernde Maßnah-
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Anwendungsnahe Beiträge
men sichergestellt werden, dass nur die als die „richtigen Dinge“ definierten Tätigkeiten auch auf deren „richtige Umsetzung“ hin überprüft werden. Der Nutzen des Ansatzes liegt neben genannter Zielsetzung (Material-, Prozess- und Bestandkostensenkung in der Beschaffung) in der einfach in der unternehmerischen Praxis anzuwendenden Methodik. Der Anwender wird auf seinem Weg zu einer effektiveren und effizienteren Beschaffung durch eine IT-gestützte Roadmap unterstützt, welche neben den zu vollziehenden Schritten auch fundiertes theoretisches Wissen zu den einzelnen Prozessschritten beinhaltet. Damit soll – neben der Darstellung einer theoretischen Basis – vor allem sichergestellt sein, dass das roulierende PEM-Vorgehensmodell keine (großen) zusätzlichen Anstrengungen für die einzelnen (Beschaffungs-)Mitarbeiter mit sich bringt, sondern vielmehr zu einem integralen Bestandteil des Tagesgeschäfts des (im Sinne eines kontinuierlich nach Verbesserung strebenden) industriellen Einkäufers wird. Weitere Forschungsaktivitäten bieten sich speziell bei der noch wenig erforschten ITUnterstützung im (qualitativen) Effektivitätsbereich, aber auch bei spezifischen Optimierungspotentialen – wie beispielsweise Ansätzen, Methoden und Modellen im Lieferantenmanagement – an.
Acknowledgment Dieses Forschungsprojekt hätte ohne die kreativen, praxisorientierten Ideen von Hrn. Dr. Matauschek und DI (FH) Dr. Schentler im Themenbereich Effektivität, dem Fachinput von DI (FH) Peßl und DI (FH) Schweiger, MSc im Bereich ERP-Systeme und Effizienz sowie der Mitarbeit von DI (FH) Clemens Bregenzer nicht entstehen können. Wir möchten uns an dieser Stelle für ihren Input bedanken, der wesentlich zum Gelingen beigetragen hat.
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Anwendungsnahe Beiträge
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289
Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Ansätze zur Überwindung des Produktivitätsparadoxons der Informationstechnologie im elektronischen Katalogeinkauf Dr. Thomas Andreßen
Abstract Mit der Einführung von elektronischen Einkaufssystemen (E-Procurement) verbinden Unternehmen eine hohe wirtschaftliche Erwartung, welche in der Praxis aber häufig nicht erreicht werden kann. Neben technischen Ursachen liegt ein Erklärungsansatz im „Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie“ begründet, wonach ITSysteme für sich gesehen zwar eine hohe Produktivität versprechen, jedoch durch die Nichtberücksichtigung ihrer organisatorischen Besonderheiten in ihrer Wirkung gehemmt werden. Ein erfolgreiches strategisches Management des elektronischen Katalogeinkaufs – als Teilsystems der IT-Landschaft – berücksichtigt diese Besonderheiten. Hierbei lassen sich fehlerhafte Entscheidungen bei der Systemeinführung, bei der Neulieferantenanbindung und bei Katalogupdates durch den Einsatz von ControllingInstrumenten vermeiden. Zur Reduzierung von Wirkungsverzögerungen bei der Produktivitätssteigerung sind neben Systemeinstellungen insbesondere flankierende Schulungs- und Dokumentationsmaßnahmen notwendig. Hierbei liegt das Ziel des strategischen Managements in der Gestaltung eines optimalen Kommunikations-Mix für die elektronische Beschaffung. Ein weiteres Feld sind verunsicherte Mitarbeiter als Folge einer sehr hohen Anzahl verfügbarer Artikel in den elektronischen Katalogen, verstärkt durch die relativ unaufwändigen Überwachungsmöglichkeiten von Vorgesetzten (tracing capability). Die hierbei auftretende Furcht vor Fehlentscheidungen führt zu Produktivitätsminderungen, welche im strategischen Management durch das Updatemanagement und eine geeignete Kontrollintensität gemindert werden können. Eine weitere Ursache geringer Produktivität liegt in dem Fehlen von Verbundwirkungen und Netzeffekten, welche durch Standardisierungsstrategien, Integrationsstrategien und Nutzerstrategien zu beheben sind. Schlussendlich liegt die wesentliche Aufgabe des strategischen Managements in der Abstimmung und Verknüpfung der einzelnen Maßnahmen zu einer Gesamtstrategie, um die interdependenten Wirkungszusammenhänge zwischen den einzelnen Maßnahmen zu berücksichtigen.
Anwendungsnahe Beiträge
1
Einleitung
Mit der rasanten Entwicklung der Internettechnologie fand ein Paradigmenwechsel im Beschaffungsmanagement statt. An die Stelle personalkostenintensiver manueller Beschaffungsvorgänge traten elektronische, (teil-)automatische Beschaffungsprozesse des E-Procurement (Electronic Procurement; elektronischer Einkauf). Die Einführung eines E-Procurement-Systems dient der deutlichen Reduzierung von Beschaffungskosten auf der Prozess- und der Produktebene. Doch trotz des hohen Enthusiasmus bei der System-Einführung ist in der Praxis zu beobachten, dass die realisierten Produktivitätssteigerungen deutlich hinter den Erwartungen zurückbleiben. Somit bleibt die Erkenntnis, dass die Realisierung der Erfolgspotentiale eines E-Procurement eine noch nicht abschließend gelöste Herausforderung an das strategische Beschaffungsmanagement darstellt. Eine mögliche Ursache für den ausbleibenden Erfolg im E-Procurement liegt im Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie begründet. Hierunter ist zu verstehen, dass trotz der Einführung effizienter IT-Systeme kaum Steigerungen der Produktivität auf Unternehmensebene zu messen sind. Ursächlich für dieses Paradoxon ist die Erkenntnis, dass sich über technische Ausprägungen lediglich Teile des Erfolges von IT-Systemen beeinflussen lassen. Weitere wesentliche Erfolgsfaktoren liegen in dem strategischen Management der Prozessbeteiligten und der Einbettung des IT-Systems in die Gesamtorganisation des Unternehmens verborgen. Bisher wurde das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie im Wesentlichen auf einer allgemeinen, nicht beschaffungsbezogenen Ebene diskutiert. Durch die folgende Fokussierung auf den Beschaffungsbereich ergeben sich neue Erkenntnisse für ein erfolgreiches strategisches Management von E-Procurement-Systemen.
2
Produktivitätsparadoxon im E-Procurement mit elektronischen Katalogen
Die Weiterentwicklung der modernen Internettechnologie hat die Möglichkeiten im Beschaffungsmanagement erheblich verbessert. E-Procurement wird in unterschiedlicher Form abgegrenzt, je nachdem wie stark der Einsatzgrad der Internettechnologie oder die Einbindung der Lieferanten definiert wird (hierzu und im Folgenden Niedereichholz/Reske/Kronenwett 2005, S. 389 f.). Im Folgenden wird unter E-Procurement die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen über das Internet verstanden. Bei der Anbahnung, Verhandlung und Abwicklung von Beschaffungsaktivitäten können unterschiedliche, internetbasierte Instrumente zum Einsatz kommen (z.B. E-Auktionen, Niedereichholz/Reske/Kronenwett 2005, S. 390). Ein wesentliches Element des EProcurement ist die direkte Versorgung von Mitarbeitern über elektronische Katalogsysteme (Direct Purchasing, Desktop Purchasing, Self Service Procurement). Hierbei
292
Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
übernehmen bestellberechtigte Mitarbeiter die Produktsuche, die Auswahlentscheidung und das Auslösen der Bestellung bei angebundenen Lieferanten innerhalb freigegebener Produktsortimente. An die Einführung eines E-Procurement-Systems können hohe Erwartungen geknüpft werden, denn die elektronischen Prozesse sind weitaus effizienter als traditionelle Bestellprozesse. Nach einer erfolgreichen Integration des E-Procurement-Systems sind Produktivitätssteigerungen im beschaffenden Unternehmen durch zwei Effekte zu erwarten:
Steigerung der Produktivität durch die Einsparung von Prozessschritten im Bestellprozess bzw. durch die Reduzierung/Einsparung von Serviceprozessen (Post, Hauspost, Archivierung) und
Steigerung der Produktivität durch den Ersatz manueller Prozesse durch elektronische, automatische Prozesse. Nicht jeder Prozess im E-Procurement muss elektronisch abgebildet werden (Walzner 2006, S. 16 ff.). Allgemein gilt: je höher die Integration des E-Procurement in den Geschäftsprozess der Beschaffung ist, desto höher ist der hierbei geschaffene Automatisierungsgrad. In Abbildung 1 wird dieser Zusammenhang veranschaulicht, indem der manuelle Bestellprozess zwei exemplarischen elektronischen Bestellprozessen aus einer Kataloganbindung gegenübergestellt wird.
Im manuellen Bestellprozess in Abbildung 1 formuliert der Anforderer seinen Bedarf auf einem Formular in Papierform und sendet es über verschiedene Genehmigungsstufen zur Einkaufsabteilung. Nach einer Anfrage, einem Angebot und einer Angebotsannahme per Fax/Brief wird die Ware mit Lieferschein geliefert. Anschließend erfolgt die Rechnungsstellung durch den Lieferanten und dessen Abwicklung im kaufenden Unternehmen.
Die beiden elektronischen Varianten in Abbildung 1 zeigen, dass Prozessschritte eingespart werden können (1) bzw. manuelle Prozesse durch effizientere elektronische Prozesse ersetzbar sind (2). Die Lösung „stand alone“ (mittlere Darstellung in Abbildung 1) hat hierbei einen geringeren Integrationsgrad als die Lösung „integrated“ (rechte Darstellung in Abbildung 1). Ebenfalls deutlich wird das Erfolgspotential der System-Integration im Rechnungsbereich, welcher eher der Finanzbuchhaltung als dem Beschaffungsbereich zuzuordnen ist: An die Stelle einer Rechnungsstellung durch den Lieferanten wird nach dem Wareneingang eine Gutschrift beim Abnehmer erzeugt und elektronisch an den Lieferanten übertragen (Kollmann 2007, S. 118). Die Bezahlung erfolgt ebenfalls automatisch gemäß Zahlungsbedingungen. Hierdurch entfallen Prozesse (z.B. Rechnungsprüfung in der Finanzbuchhaltung), während andere Prozesse durch effiziente elektronische Prozesse ersetzt werden (z.B. manuelle Rechnungsprüfung durch elektronische Vorkontrolle der Kontierung).
293
Anwendungsnahe Beiträge
Abbildung 1: Traditionelle Bestellung vs. E-Procurement unterschiedlicher Integrationsgrade Traditioneller Bestellprozess
E-Procurement -stand alone-
E-Procurement -integratedSingle-Sign-On
Anmeldung im Netzwerk
Niederschrift Bedarf auf Papier
Suche in E-Katalogen/-Shops
Suche in E-Katalogen/-Shops
1. Genehmigung
Genehmigung -elektronisch-
Genehmigung -elektronischKontierungsprüfung
2. Genehmigung
(2)
3. Genehmigung Anfrage Einkauf
(1)
Angebot per Brief/Fax Bestellung per Brief/Fax
(1)
Bestellfreigabe -elektronisch-
Lieferung mit Lieferschein
Lieferung mit Lieferschein Wareneingang mit Gutschrift
Auftragsbestätigung per Fax Lieferung mit Lieferschein
(1) (2)
Bestellfreigabe -elektronisch-
E-Procurement-System
Anmeldung im E-Procurement
Rechnung per Brief
Rechnung per Brief
Rechnungsprüfung (sachlich)
Rechnungsprüfung (sachlich)
Rechnungsprüfung (rechnerisch)
Rechnungsprüfung (rechnerisch)
Zahlungsanweisung
Zahlungsanweisung
Zahlungsüberwachung
Zahlungsüberwachung
Zahlungsüberwachung
Legende Aktivität des Abnehmers Aktivität des Lieferanten
(1)
Einsparung von Prozessschritten
(2)
Ersatz durch elektronische, automatische Prozesse
Mit der Einführung des E-Procurement können ganz unterschiedliche Ziele verfolgt werden. Hierunter fallen beispielsweise die Fehlerfreiheit des Beschaffungsprozesses oder die Erhöhung der Informationsqualität (Wannenwetsch/Nicolai 2004, S. 92 f.). Durch die automatisierte, elektronische Abwicklung des Beschaffungsprozesses zielt die Implementierung eines E-Procurement jedoch im Wesentlichen auf die Reduzierung der Beschaffungskosten und Beschaffungszeiten (Walzner 2006, S. 19 f.). Weiterhin ermöglicht die Bedarfsbündelung eine Reduktion der Einstandspreise beim einkaufenden Unternehmen, welche direkt GuV-wirksam wird (Kollmann 2007, S. 169). Die realisierbaren Potentiale des E-Procurement wurden im Zeitablauf unterschiedlich eingeschätzt: Als im Jahr 2000 die ersten E-Procurement-Systeme in den Markt eingeführt wurden, erhofften sich die Unternehmen durch die System-Einführung ein Einsparungspotential von 50-60% oder mehr. Schon bald mussten diese Erwartungen jedoch auf Wertebereiche von 10-20% reduziert werden (Prada 2002, S. 10). Dennoch ist der Einsatz des E-Procurement in der Praxis generell akzeptiert, was eine Befra-
294
Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
gung der GfK Group im Jahr 2008 belegt: Hiernach nutzen 74% der befragten Unternehmen ein eigenes elektronisches Einkaufssystem (GfK Group 2008, S. 11 f.). Eine Untersuchung des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. im Jahr 2008 bestätigt dieses Ergebnis: 71% aller befragten Unternehmen setzen ein elektronisches Einkaufssystem ein. Von diesen sind jedoch fast ein Drittel mit der Funktionalität und der Bedienerfreundlichkeit nicht zufrieden. Zudem konnten 63% der Befragten bei A/B-Gütern bzw. bei 53% bei C-Gütern keine Reduzierung der Einstandspreise verzeichnen (BME 2008, S. 2 ff.). Hieraus leiten sich die zentralen Fragen einer Erfolgsfaktorenforschung ab: Welche Erfolgspotentiale besitzt ein E-Procurement-System tatsächlich? Warum werden diese Potentiale nicht realisiert? Plausible Antworten hierauf gibt ein generell zu beobachtendes Phänomen in der Informationstechnologie (IT): Statistische Auswertungen zeigen, dass die erwarteten Einsparungen und angestrebten Effizienzsteigerungen nach der Einführung von IT-Systemen nur zum Teil realisiert werden können. Dieser Effekt ist generell als Produktivitätsparadoxon in der Informationstechnologie bekannt, wonach in verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen kein allgemeiner, empirisch gehaltvoller Kausalzusammenhang zwischen IT-Investitionen und einer Erhöhung der Produktivität/Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen nachgewiesen werden konnte (Piller 1998, S. 257 f.). Allerdings konnten im Rahmen neuerer empirischer Untersuchungen auf der Basis verbesserter Datenmodelle oder unter Berücksichtigung eines zeitlich versetzten Effekts auch positive Zusammenhänge zwischen dem Einsatz der Informationstechnologie und dem Unternehmenserfolg nachgewiesen werden (Wecker 2006, 65 ff.). Generell besagt das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie, dass ITSysteme für sich gesehen zwar eine hohe Produktivität und hieraus einen Wettbewerbsvorteil versprechen, in der Praxis aber in der Entfaltung dieser Effekte gehemmt werden. Neben volkswirtschaftlichen Erklärungsansätzen und Wirkungsverzögerungen gelten vier Gründe als ursächlich für das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie (Piller 1998, S. 258):
Managementfehler und unzureichende Nutzung der Technikpotentiale, Wirkungsverzögerungen durch Lern- und Anpassungseffekte, negative Auswirkungen eines Informationszuwachses sowie fehlende Verbundwirkungen und Netzwerkeffekte. Wird der Fokus auf elektronische Beschaffungssysteme verengt, könnten sich alle vier aufgezeigten Ursachen negativ auf die Produktivität eines E-Procurement-Systems auswirken. Um Gegenmaßnahmen abzuleiten, sind die o. g. Ursachen auf die speziellen Merkmale eines elektronischen Einkaufssystems zu überführen. In Tabelle 1 werden die Ursachen des Paradoxons der Informationstechnologie als Probleme im Kontext des E-Procurement aufgezeigt. Die im Folgenden zu skizzierenden Maßnahmen dienen der Abschwächung von negativen Einflussgrößen auf das E-Procurement und 295
Anwendungsnahe Beiträge
somit einer nachhaltigen Realisierung der mit dem E-Procurement angestrebten Produktivitätssteigerungen.
Tabelle 1:
Ursachen des Produktivitätsparadoxons im E-Procurement
Ursache
Ursache im Kontext des E-Procurement
Managementfehler und unzureichende Nutzung der Technikpotentiale
• Fehlinvestitionen beim E-Procurement-System
Wirkungsverzögerungen durch Lernund Anpassungseffekte
• Fehlende Einbettung in die organisationale Struktur
Negative Auswirkungen eines Informationszuwachses
• Hohe Kosten der Informationssicherheit beim Anwender
Fehlende Verbundwirkungen und Netzwerkeffekte
• Fehlende interne Vernetzung • Fehlende unternehmensübergreifende Vernetzung
• Anbindung von Lieferanten mit geringem Potential • Ineffiziente Systemanpassungen • Verzögerungen durch Lernbedarf • Neue Anforderungen an das Qualifikationsprofil • Fehlen eines angemessenen Kommunikations-Mix • Tracking & Tracing Capability führt zu Risikoaversion
• Nichterreichung kritischer Massen
Im Folgenden werden die aufgeführten Ursachen des Produktivitätsparadoxons analysiert, um Handlungsempfehlungen im Kontext eines strategischen Managements für das E-Procurement mit Katalogen abzuleiten.
3
Ansätze zur Überwindung des Produktivitätsparadoxons im elektronischen Katalogeinkauf
3.1
Managementfehler und unzureichende Nutzung der Technikpotentiale
Im Kontext des E-Procurement kann unter Managementfehlern die Beschaffung bzw. Implementierung von Systemen verstanden werden, welche für das Unternehmen nicht geeignet sind. Derartige Managementfehler im IT-Umfeld resultieren aus der Furcht des Managements, an einer innovativen Entwicklung nicht teilzuhaben (Piller 1998, S. 260). Als Folge basieren die Entscheidungen auf einer nicht ausreichenden Datenbasis und auf rudimentären Analysephasen. Diese generelle Problematik kann im E-Procurement bedeutende Folgen haben, denn die Einführung eines ungeeigneten Systems verursacht nicht nur Kosten der Fehlinvestition, sondern mindert zudem die generelle Akzeptanz der elektronischen Beschaffung bei allen betroffenen Bereichen (Anforderer, Einkauf, Rechnungswesen, Lieferanten etc.). Hieraus folgen erhebliche 296
Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Imageeinbußen bei den verantwortlichen und ausführenden Funktionsbereichen Einkauf und IT. Der unausweichliche Projektabbruch und ein anschließender Relaunch einer Systemimplementierung (evtl. mit einer vollkommen anderen IT-Lösung) wären als Folge nur unter erheblichem Change Management mit entsprechendem Ressourceneinsatz realisierbar. Die negativen Wirkungen von (potenziellen) Managementfehlern können durch den obligatorischen Einsatz der Wirtschaftlichkeitsanalyse antizipiert und verhindert werden. Es existieren diverse Ansätze der Wirtschaftlichkeitsanalyse, die je nach Erfahrung mit IT-Systemen und geplanter Investitionssumme eingesetzt werden können. Zur qualitativen Beurteilung eines E-Procurement-Systems kann auf Checklisten zurückgegriffen werden, anhand derer die notwendigen technischen, funktionalen und Content-bezogenen Aspekte eines elektronischen Einkaufssystems bewertet werden können (Arndt 2004, S. 137 ff.). Zur Unterstützung einer quantitativen Beurteilung unter Berücksichtigung qualitativer Aspekte eignet sich beispielsweise ein auf das EProcurement ausgerichtetes Scoring Modell. Für die Beurteilung des langfristigen Investitionserfolges stehen den Entscheidungsträgern Ansätze der Kostenvergleichsrechnung (Binnewies 2006, S. 161 ff. Schweiger/Ortner/Tschandl 2007, S. 68 ff.) bzw. der dynamischen Investitionsrechnung (Budde 2007, S. 232 ff.) oder modifizierte Ansätze der Sensitivitätsanalyse (Kellerbach 2006, S. 184; Budde 2007, S. 260 ff.) zur Verfügung. Nach der Einführung des E-Procurement-Systems liegt eine Anzahl an elektronischen Katalogen oder Shops vor. Elektronische Kataloge (buyside catalogs) haben einen festen Datensatz und werden im System des abnehmenden Unternehmens bereitgestellt. Aufgrund des statischen Charakters müssen elektronische Kataloge in gewissen Abständen aktualisiert werden (Updates). Elektronische Shops (sellside catalogs) liegen im System des Lieferanten. Bei Letzterem gelangt das einkaufende Unternehmen über einen Internet-Link auf die elektronischen Shops. Aufgrund der Dynamik dieser E-Procurement-Variante kann der Lieferant jederzeit und bei kleinsten Änderungen Updates durchführen (Walzner 2006, S. 22 ff.). Jede Anbindung und Pflege eines Kataloges oder Shops im E-Procurement-System verursacht Prozesskosten beim beschaffenden Unternehmen. Die Höhe der Anbindungs- und (jährlichen) Pflegekosten unterscheiden sich hierbei je nach Systemvariante, Erfahrung oder Sortiment. Hieraus folgt, dass nicht jede Anbindung eines Lieferanten an das E-Procurement-System wirtschaftlich sinnvoll ist. Dementsprechend sollte das Potential jedes Katalog-Lieferanten vor einer Anbindung im Rahmen eines Projektcontrolling geprüft werden. Nur bei ausreichendem Potential erfolgt eine Anbindung an das System. Ein Ansatz zur Bestimmung der Wirtschaftlichkeit von Projekten liegt in der Break-Even-Analyse, in welcher ein zu erwartender Nettonutzen unter Risikoaspekten bestimmt werden kann. Dieser Ansatz der Potentialanalyse ermöglicht sowohl die Bewertung einzelner Katalog-Projekte als auch eine vergleichende Bewertung mehrerer Katalog-Projekte, um Entscheidungen zur Optimierung des Projekt-Programms zu unterstützen (hierzu Andreßen 2009a).
297
Anwendungsnahe Beiträge
Somit stehen Unternehmen sowohl in der Implementierungsphase als auch in der Betriebsphase ausreichend Instrumente zur Potential- und Wirtschaftlichkeitsanalyse zur Verfügung. Da ein implementiertes E-Procurement-System keine kurzfristige Nutzungsdauer hat, sollten alle Entscheidungen im E-Procurement durch die Verwendung der aufgezeigten Methoden und Verfahren gestützt werden. Die unzureichende Nutzung der Technikpotentiale umschreibt das Versäumnis, die aus der Systemeinführung realisierten Zeitgewinne unternehmenszielkonform zu nutzen. So sind die Zeitgewinne aus dem E-Procurement zur Steigerung der Qualität von anderen Aufgaben der Prozessbeteiligten einzusetzen (z.B. bei anderen Beschaffungsvorgängen). Weiterhin besteht die Gefahr, dass die Möglichkeiten von IT-Systemen unbegrenzt erscheinen, was in der Forderung der Prozessbeteiligten nach Sonderprogrammierungen mündet. Exemplarisch sei hier ein elektronisches Bestellformular angeführt, das exakt alle Formularfelder seiner papierbezogenen Vorversion enthalten muss, ohne die Notwendigkeit dieser Formularfelder zu hinterfragen. Eine weitere Forderung könnte sein, Bestellvorgänge automatisch, je nach Situation oder je nach Beschaffungsobjekt, durch komplexe, wechselseitig bedingte Genehmigungswege zu schleusen. Würden diese Anforderungen umgesetzt, bestünde die Gefahr, dass wesentliche Produktivitätspotentiale des E-Procurement-Systems verloren gehen. Somit sollte das E-Procurement-System möglichst weit am Standard eingeführt und auch betrieben werden. Unterliegen die Systeme zudem regelmäßigen Release-Wechseln, führen Programmierungen abseits vom Standard zu aufwendigen Nachprogrammierungen für den nächsten Release-Stand. Bestehen dennoch besondere Anforderungen seitens der Anwender, empfiehlt sich die Einführung eines Komitees, in welchem über Anpassungswünsche unter Berücksichtigung von Bedienfreundlichkeit und ökonomischer Effizienz entschieden wird.
3.2
Wirkungsverzögerungen durch Lern- und Anpassungseffekte
Wirkungsverzögerungen beziehen sich auf Time-lags zwischen der Einführung einer Technologie und der Realisierung der hieraus abzuleitenden Produktivitätssteigerung. Diese Wirkungsverzögerung basiert auf zeitverzögerten Lerneffekten der Anwender: Die Automatisierung von Routineaufgaben durch das E-Procurement-System verlagert das Aufgabenfeld der Anwender zu komplexeren, situationsbezogenen Aufgaben, welche einer höheren Qualifikation bedürfen (Piller 1998, S. 259). Weiterhin sind selbst einfach konstruierte E-Procurement-Systeme für Anwender mit geringer IT-Affinität gewöhnungsbedürftig. Hieraus leitet sich Schulungsbedarf sowohl für das E-Procurement-System als auch für das hierdurch ausgelöste Job Enrichment ab. Um Wirkungsverzögerungen zu verringern, sind neben einer Initialschulung auch Nachfassaktionen sowie einfache, aktuelle und verständliche Nutzerdokumentationen zur Eigenschulung anzubieten.
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
In Tabelle 2 werden die aufgezeigten Maßnahmen zur Verkürzung von Wirkungsverzögerung bei der Gestaltung und Einbindung eines E-Procurement-Systems um weitere Maßnahmen ergänzt. So kann die Bildung einer pyramidal organisierten KeyUser-Struktur helfen, direkte Ansprechpartner als Experten im jeweiligen Arbeitsumfeld zu schaffen. Die Vereinfachung des Systemzugangs über einen On-the-fly-Ansatz verringert Zugangsbarrieren der Anforderer und hilft dadurch, Lerneffekte schneller zu realisieren.
Tabelle 2:
Maßnahmen zur Verkürzung von Wirkungsverzögerungen im E-Procurement
Maßnahme
Inhalt der Maßnahme
Durchführung von Schulungen und Nachschulungen
• für E-Procurement-System
Dokumentation und Kommunikationsprozesse
• Helpdesks
• für neue Aufgabenfelder aus dem Job Enrichment • Push-Informationen per Newsletter • Pull-Informationen zur Eigenschulung per Intranet/Portal (FAQ’s, Manuals, Dokus, Guidelines) • Web 2.0 (Wikis, Blogs)
Key-User-Struktur
• Installation von Key-Usern an Standorten/ innerhalb von Funktionsbereichen zur Reduzierung natürlicher Hemmnisse und Barrieren bei Problemen • Integration der Key-User in eine Key-User-Hierarchie, um eine Bottom-Up-Kommunikation zur System-Administration zu ermöglichen
Kundenzufriedenheitsanalysen
• Regelmäßige Messung der Kundenzufriedenheit • Ableitung von neuen Sortimenten für das E-Procurement • Technische Anpassung, wenn notwendig
Maximales Template-Niveau
• Maximale Anzahl an Voreinstellungen (Stammdaten wie Kostenstelle, Adresse etc.) • Geringe Sub-Systemvielfalt innerhalb des E-Procurement (z.B. Anbindung eines Marktplatzes (buyside catalog) mit mehreren Lieferanten anstelle einer Vielfalt von sellside catalogs von Lieferanten)
On-the-fly-Ansatz
• Wenige Passworteingaben der Anwender • Single-sign-on im Rahmen eines Portalansatzes
An die Stelle einer Nutzerkultur sollte eine interne Kundenkultur treten. Hierbei wird ein Geflecht komplementärer Kommunikationsbeziehungen erzeugt (siehe Abbildung 2), in welchem der Nutzer des Systems als interner Kunde das Zentrum der Kommunikation bildet und von drei Kommunikationsbausteinen umrahmt wird (Andreßen 2009b, S. 24):
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Anwendungsnahe Beiträge
Knowledge Base Management Im Knoweldge Base Management bestehen sowohl einseitige als auch zweiseitige Kommunikationsbeziehungen. Die einseitige Kommunikation zum Anwender wird über bereitgestellte Manuals (z.B. Dokumentationen, Frequently Asked Questions) aufgebaut, welche durch den Anwender selbst nicht verändert werden können. Anders ist dies bei den dynamischen Web 2.0-Applikationen, welche ein Knowledge Sharing ermöglichen: hier erarbeiten die Anwender die Dokumentationen (Wikis) oder tauschen sich über interaktive Systeme aus (Blogs).
Support Die Kommunikationsbausteine des Supports dienen der Ad-hoc-Klärung offener Fragen und Probleme. Hierfür sind speziell ausgebildete Key-User als dezentrale Ansprechpartner einzusetzen. Key-User bzw. Champions sind Nutzer, die das System intensiv anwenden und anderen Nutzern als erste Ansprechpartner zur Seite stehen. Das Helpdesk ist z.B. als Hotline telefonisch verfügbar, wenn KeyUser nicht weiterhelfen können oder technische Probleme vorhanden sind.
Feedback Für die Systemverantwortlichen setzt sich das Feedback-System aus Teilen der anderen Kommunikations-Bausteine zusammen: Systemfehler werden vom Helpdesk an die Systemverantwortung berichtet. Weiterhin sind die Systemverantwortlichen im Web 2.0-Bereich präsent, um bei Bedarf mit Informationen weiterzuhelfen. Als zusätzliches Element des Feedbacks sollte eine regelmäßige interne Kundenzufriedenheitsanalyse durchgeführt werden, um Anforderungen der Nutzer zu erfassen und Veränderungen im Anforderungsprofil der Nutzer festzustellen. Der optimale Kommunikations-Mix im E-Procurement hängt von der Unternehmensgröße und der Mächtigkeit der technischen Lösung ab. Hierbei steigen die Anforderungen an den Mix mit dem Innovationsgrad des E-Procurement. Der Innovationsgrad erhöht sich mit der Neuartigkeit der technischen Lösung, der Neuartigkeit der Beschaffungsprozesse/Beschaffungsphilosophie und der Neuartigkeit des E-Procurement für die beteiligten Lieferanten. Je höher der Innovationsgrad ist, desto wichtiger ist ein breiter Kommunikations-Mix. Gleichzeitig steigt mit dem Innovationsgrad die Schwierigkeit, einen angemessenen Kommunikations-Mix zu realisieren, da die entsprechenden Ressourcen zunächst aufgebaut werden müssen.
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Abbildung 2: Bausteine eines optimalen Kommunikations-Mix (Andreßen 2009b, S. 24)
Manuals (Dokus, FAQ‘s)
Key-User (dezentral)
Nutzer = interner Kunde Knowledge Sharing (Wikis, Blogs)
Knowledge Base Management
Interne Kundenzufriedenheitsanalyse
Systemverantwortliche
Helpdesk (z.B. Hotline)
Support
Feedback Einseitige Kommunikationsbeziehung Zweiseitige Kommunikationsbeziehung
3.3
Negative Auswirkungen eines Informationszuwachses
Bei einer traditionellen Beschaffung formuliert der Anforderer seinen Bedarf, während die Beschaffungsaktivität durch die Einkaufsfunktion wahrgenommen wird. Somit obliegen der Einkaufsfunktion die mit der Auswahl des Beschaffungsobjektes verbundenen Preis- und Qualitätsvergleiche. Mit der Einführung einer elektronischen Katalogbeschaffungslösung wird diese Einkaufsverantwortung an den Anforderer selbst übertragen. Bei ungünstigen Rahmenbedingungen kann diese Delegation zu einer Überforderung der Anforderer führen, was im Folgenden genauer zu analysieren ist. Im E-Procurement kann das Produktangebot in elektronischen Katalogen durch die Anbindung weniger Lieferanten relativ schnell gesteigert werden. Bei dem Salz- und Düngemittelhersteller K+S AG liegt das Gesamtangebot in Deutschland im Jahr 2008 bei über 1,7 Mio. Artikeln. Dieses Angebot wird durch die Anbindung von 60 Lieferanten realisiert, welche mit einem elektronischen Sortiment von 5 bis zu 400.000 Artikeln vertreten sind. Diese hohe Anzahl an Artikeln kann den Anforderer dahingehend
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Anwendungsnahe Beiträge
verunsichern, ob wirklich der richtige und preisgünstigste Artikel ausgewählt wurde. Eine solche Unsicherheit mündet in zeitintensiven Produktvergleichen, die aufgrund geringer Beschaffungswerte auf der Basis von verhandelten Rahmenverträgen ineffizient sind. Verstärkt wird dieses Phänomen durch die hohe Transparenz des elektronischen Einkaufs (tracing capability): Ein Anforderer befürchtet, selbst für kleine Fehler von Vorgesetzten zur Verantwortung gezogen zu werden. Zur Vermeidung der negativen Auswirkungen des Informationszuwachses ist es hilfreich, eine Single oder Dual Sourcing-Strategie innerhalb eines abgegrenzten Sortiments zu realisieren. Hierdurch werden die möglichen Alternativen im Angebotssortiment begrenzt. Weiterhin können Überschneidungen (z.B. bei der Anbindung mehrerer Großhändler) durch Sortimentsausgrenzungen vermieden werden. Wichtig ist hierbei der Ausschluss von Artikeln, die eine besondere Gefährdungsbelehrung notwendig machen (Andreßen/Himme 2009). Die Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen erfordert ein standardisiertes Updatemanagement seitens des verantwortlichen Einkaufsbereiches. Hierbei sind nicht nur Preisveränderungen sondern insbesondere Sortimentsentwicklungen bei jedem Katalogupdate zu prüfen. Als Folge kann der Anwender davon ausgehen, dass jegliche Beschaffung innerhalb des Systems einen akzeptierten Preis bei hoher Qualität garantiert. Die aus dem Informationszuwachs generierte Unsicherheit wird gemindert. Somit ist sowohl bei der Anbindung neuer Sortimente bzw. bei der Prüfung von Updates sicherzustellen, dass adäquate Sortimente selektiert wurden und dezidierte Preisanalysen bzw. Preisverhandlungen durchgeführt wurden. Dies kann zu nicht unerheblichem administrativen Aufwand in der verantwortlichen Einkaufsfunktion (Katalogmanagement) führen. Trotz aller Maßnahmen zur quantitativen und qualitativen Optimierung des Sortimentes steht den Anwendern im E-Procurement eine Vielzahl an Artikeln zur Verfügung, welche im Idealfall mit detaillierten Produktinformationen versehen sind. Durch die hohe Anzahl an Informationen nimmt „der psychische Druck durch die Angst vor Fehlentscheidungen … zu“ (Piller 1998, S. 260). Bei einer hohen Kontrollintensität kann diese Furcht dazu führen, dass z.B. fehlerhafte Vergangenheitsentscheidungen wiederholt werden, da hier keine Begründungen von Kontrollinstanzen erwartet werden. Zudem ist den Anwendern die hohe tracing capability des E-Procurement bewusst. Hierdurch kann es zu einer intensiven Informationssammlung und Informationsspeicherung kommen, um in der Lage zu sein, die Beschaffungsentscheidung im Nachgang begründen zu können. Da es sich bei elektronischen Katalogbestellungen häufig um C-Artikel handelt, ist eine solche Vorgehensweise nicht anzustreben. Aus diesem Grund sollte ein ‚vertrauensvolles Überwachungskonzept’ zum Einsatz kommen, um die negativen Auswirkungen des Informationszuwachses zu vermeiden: Im Rahmen der Überwachung des E-Procurement sind stichprobenartige ex post Kontrollen den kontinuierlichen Kontrollen jedes Bestellvorganges vorzuziehen. Hierbei liegt der Kontrollzweck in der Identifikation von Beschaffungsvorgängen, die nicht der unterzielkonformen Verwendung dienen (Andreßen/Himme 2009). Weiterhin sind
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Feedbackinformationen von Bedeutung, welche gutes Bestellverhalten bei Nutzern honorieren und bei Fehlern auf bessere Bestellmöglichkeiten hinweisen. Zur Unterstützung von Bestell- und Überwachungsprozessen können Guidelines erstellt und unternehmensintern veröffentlicht werden.
3.4
Fehlende Verbundwirkungen und Netzwerkeffekte
Fehlende Verbundwirkungen entstehen durch den isolierten Einsatz der Informationstechnologie (IT). Über die Vernetzung komplementärer IT-Systeme entfalten Hardund Software ihre vollen produktivitätssteigernden Wirkungen (Piller 1998, S. 260). Vernetzungen bedeuten in diesem Zusammenhang harmonisierte Schnittstellen, Prozessdurchläufe über unterschiedliche IT-Sub-Systeme und konsolidierte Daten. Deutlich wird dies im elektronischen Bestellprozess (siehe Abbildung 1, rechte Darstellung), wo das Bestellsystem und das Finanzbuchhaltungssystem auf einem führenden Beleg (Bestellbeleg) basieren. Die Verknüpfung der Teilprozesse führt zu einer sukzessiven, teilautomatischen Abwicklung: Beispielsweise wird nach dem Wareneingang automatisch eine Gutschrift erzeugt. In einer SAP-Landschaft ist diese Vernetzung sichtbar: Bestellanforderungen werden mit unterschiedlichem Initial im Wartungssystem (z.B. SAP-PM), der Materialwirtschaft (z.B. SAP-MM) oder aus der Produktionsplanung (z.B. SAP-PP) automatisch generiert. Die Bestellung kann aus einem elektronischen Katalogsystem (z. B. SAP-SRM) erfolgen und abschließend wird eine Gutschrift in der Finanzbuchhaltung erzeugt (Z.B. SAP-FI) (Andreßen/Himme 2009). Die Prozessdarstellung macht deutlich, dass die Produktivität der einzelnen Teilsysteme vom Integrationsgrad in das gesamte IT-System abhängt. Bei der Gestaltung eines E-Procurement-Systems sollte demnach ein Fokus auf der Kompatibilität des elektronischen Einkaufssystems mit den anderen Sub-Systemen liegen. Dies gilt einerseits für das eigene Unternehmen und andererseits für eine integrative Anbindung an bzw. von Lieferantensystemen. Verbundeffekte liegen hiernach in den verwendeten Standards begründet. Zu empfehlen ist, dass ein führender Warengruppenstandard in allen Unternehmensbereichen (eCl@ss oder UNSPSC) eingesetzt wird (Wannenwetsch/Nicolai 2006, S. 161). Für eine internationale Ausrichtung des E-Procurement sind länderspezifische Anforderungen bei der Gestaltung zu berücksichtigen. So existieren je nach Region unterschiedliche Warengruppenstandards oder Datei-Austauschstandards. Weiterhin erschweren internationale Gesetzgebungen die elektronischen Bestell- und Abwicklungsprozesse. Beispielsweise existieren unterschiedliche Anforderungen an die elektronische Archivierung von Belegen (Beck 2008, S. 108 f.), die sich innerhalb von Europa noch weiter unterscheiden. Ein weiteres Hindernis stellt die Auskunftspflicht an die nationalen statistischen Bundesämter dar. Die Meldepflicht (z. B. Intrastat bei innereuropäischem Handel) bezieht sich auf den grenzüberschreitenden Warenverkehr. Werden hierbei bestimmte Wertgrenzen überschritten, muss jedem grenzüberschrei-
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Anwendungsnahe Beiträge
tend gehandelten Objekt eine zusätzliche statistische Warennummer zugeordnet werden (Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 638/2004 des Europäischen Parlamentes und des Rates; Gehle 2005, S. 1425 ff.). Hieraus ergeben sich für jedes Unternehmen mehrfache Klassifizierungsanforderungen (für jedes einzelne Objekt), wäre beispielsweise neben einem führenden Warengruppensystem (z.B. eCl@ss) noch eine unternehmensindividuelle Kodifizierung notwendig (z.B. für Ersatzteile), so stellt die statistische Warennummer (Intrastat) das dritte Klassifizierungskriterium dar, was parallel zum Einsatz käme (Abbildung 3). Es wird deutlich, dass die Auswahl von geeigneten Klassifizierungssystemen eine produktivitätsrelevante Wirkung inne hat.
Abbildung 3: Interne, externe sowie internationale Klassifizierungsanforderungen
Unternehmensübergreifende Klassifizierung z.B. eClass/UNSPSC
Import-/Export-Klassifizierung z.B. Intrastat
Interne Klassifizierung z.B. nach Ersatzteilarten
Weitere Netzeffekte liegen in der Notwendigkeit begründet, kritische Massen innerhalb des Systems zur erreichen (im Folgenden Andreßen/Himme 2009). Beispielsweise bedarf es eines Mindestangebotes an elektronisch angebotenen Sortimenten. Wird dieses Mindestangebot unterschritten, entsteht beim Anforderer die Problematik, dass nicht alle Bedarfe aus dem bereitgestellten Angebot im E-Procurement gedeckt werden können. In diesem Fall muss der Anforderer einen Teil über das E-Procurement bestellen, für fehlende Teile ist die Einkaufsfunktion einzuschalten, wie es bereits vor dem E-Procurement üblich war. Somit ist anstelle eines effizienten Prozessdesigns nur ein zusätzlicher elektronischer Prozess eingeführt worden, der neben dem traditionellen Bestellprozess existiert. Da diese Situation von den Anwendern antizipiert wird, verliert das elektronische Einkaufsystem automatisch an Akzeptanz und Nutzungsintensität. Zur Lösung dieser Problematik sollte ein Mindestangebot an Artikeln im EProcurement-System nicht unterschritten werden, weiterhin sind zu starke Sortimentsbeschränkungen zu vermeiden. Eine weitere Lösungsvariante besteht in der Realisierung einer Fokusstrategie bei der Sortimentsgestaltung. Im Rahmen einer Fokusstrategie werden Schwerpunkte bei der
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Sortimententwicklung gesetzt, z.B. Festlegung des Fokus auf „Mobilität“. Hierbei liegt das Ziel darin, ein komplettes Sortiment aus den Bereichen „Kfz-Ersatzteile“ und „Kfz-Zubehör“ bereitzustellen. Die Vervollständigung des Angebotes könnte über Dienstleistungen rund um die „Mobilität“ erfolgen, z.B. durch einen „TÜV-Katalog“ oder auch mit Angeboten aus den Bereichen „Hotel, Leasing, Bahn oder Mietwagen“. Als Folge kann nahezu jeder Bedarf im Bereich „Mobilität“ aus dem E-ProcurementSystem gedeckt werden, was die traditionellen, einzelfallbezogenen und damit ineffizienten Beschaffungswege innerhalb dieser Waren- und Dienstleistungsgruppen überflüssig werden lässt. Im E-Procurement lassen sich generell vier kritische Massen bzw. kritische Niveaus unterscheiden. In Tabelle 3 werden die kritischen Massen/kritischen Niveaus aufgeführt und um Maßnahmen zu ihrer Erreichung ergänzt.
Tabelle 3:
Kritische Massen/kritische Niveaus im E-Procurement
Kritische Masse/ kritisches Niveau
Maßnahme
Kritische Systemintegration: Integration des E-Procurement in die bestehende Systemlandschaft. Hohe Vielfalt an Systemen.
• ERP-System als führendes System • Verknüpfung mit Lieferant (z.B. Bestellübertragung als Datenstrom) • Single-Sign-On über Portalanwendung
Kritische Warenverfügbarkeit: Angebot von Artikeln in den elektronischen Katalogen
• Mindestsortimentsbreite • Fokusstrategie: Schaffung eines breiten Angebotes innerhalb eines Fokussortiments
Kritische Anwenderzahl: Anzahl an Nutzern des Systems
• Breiter Zugriff auf das E-Procurement
Kritische Berechtigung: Sortimentsausgrenzungen und Kontrollintensität der Beschaffungsvorgänge
• Vermeidung von Sortimentsbegrenzungen • Wenige, standardisierte Genehmigungsstufen
• Vermeidung der Delegation von Beschaffungen zwischen Anwendern
• Pragmatische Mindestvollmachtshöhe
Kritische Massen bzw. kritische Niveaus kennzeichnen eine notwendige Menge bzw. einen notwendigen Freiheitsgrad, der für das eigenständige Wachstum eines Systems notwendig ist (Clement/Litfin/Peters 2001, S. 102 ff.). So führt eine hohe Nutzerzahl tendenziell zu höheren Umsätzen im E-Procurement, was sich positiv auf Verhandlungen mit Lieferanten auswirkt. Aufgrund höherer Umsätze lassen sich bessere Konditionen erzielen, was weitere Personen zur Nutzung des E-Procurement-Systems überzeugt. Ein zu geringes Artikelangebot im E-Procurement führt lediglich zu der bereits diskutierten Teilbedarfsbefriedigung über das elektronische Beschaffungssystem. Weiterer Bedarf ist traditionell zu beschaffen. In diesem Fall wird der traditionelle manuelle Beschaffungsweg, wie bereits oben beschrieben, um einen zusätzlichen elektronischen Beschaffungsweg erweitert. In der Studie des Bundesverbandes Materialwirtschaft,
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Anwendungsnahe Beiträge
Einkauf und Logistik e.V. wird die Aktualität der kritischen Warenverfügbarkeit deutlich. So schätzen nur 9% der befragten Unternehmen, dass sie über 90% des katalogfähigen Angebotes tatsächlich abgebildet haben. 50% der Befragten geben an, dass maximal die Hälfte des E-Procurement-fähigen Sortimentes als Angebot tatsächlich verfügbar ist (BME 2008, S. 4.). Die notwendige Anzahl an Nutzern eines E-Procurement-Systems sowie deren Berechtigungsstufen stellen zwei weitere kritische Massen dar: Ist die Anzahl der Anwender im elektronischen Einkaufssystem zu gering, werden Bestellvorgänge von „nicht bestellberechtigten Anforderern“ an „bestellberechtigte Anforderer“ delegiert. Die beauftragten Anwender entwickeln sich bildlich gesprochen zu dezentralen „Kleinstbedarfs-Einkäufern“ (Andreßen/Himme 2009). Über das E-Procurement soll die Einkaufstätigkeit jedoch gerade vom jeweiligen Anforderer selbst getätigt werden. Bei dem Pflanzenschutz- und Düngemittelhersteller K+S AG wird beispielsweise das Ziel formuliert, dass mindestens jeder 4. Mitarbeiter eine Berechtigung für das EProcurement besitzen soll (Andreßen 2008, S. 60). Das kritische Berechtigungsniveau kennzeichnet die notwendige Freiheit der Mitarbeiter, die elektronischen Angebote im E-Procurement auch tatsächlich nutzen zu dürfen. So führen anwendergruppenbezogene Sortimentsbeschränkungen und komplexe Genehmigungswege zu einer verringerten Systemnutzung und Systemeffizienz. Bei der Analyse von kritischen Massen/kritischen Niveaus ist zu beachten, dass es kaum möglich ist, objektive Mindestgrenzen für ein Unternehmen abzuleiten. Dies wird an der Spannweite bei der Artikelanzahl deutlich: Der Salz- und Düngemittelhersteller K+S formuliert ein Minimalsortiment von 200.000 aus 6 Metasortimenten als Untergrenze im E-Procurement (Andreßen 2008, S. 60). Dem gegenüber erreicht das Telekommunikationsunternehmen Bell Canada bereits mit einer Sortimentsbreite von 6.000 Artikeln eine hohe Zufriedenheit ihrer Nutzer (Martindale 2007, S. 66). Solange keine belastbaren empirischen Erkenntnisse vorliegen, verbleibt es in der alleinigen Verantwortung des strategischen Managements, kritische Massen und Niveaus zu schätzen und Maßnahmen zu ihrer Erreichung festzulegen.
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Abbildung 4: Kritische Massen als Erfolgsfaktoren im E-Procurement (in Anlehnung an Andreßen/Himme 2009).
Prozesseffizienz & Vermeidung redundanter Prozesse
Skaleneffekte durch Bündelung
Vertrauen in Mitarbeiter
Vertrauen in Lieferanten
Kritische Berechtigung Kritische Warenverfügbarkeit
Kritische Anwenderzahl
Kritische Systemintegration
Technische Aspekte
Funktionalität
Content Management
Im Modell kritischer Massen stellen die technisch geprägten Merkmale den ersten Baustein eines erfolgreichen E-Procurement-Systems dar (siehe Abbildung 4). Diese Merkmale sind entweder rein technisch (Soft- und Hardware, ERP-Integration etc.), funktional (Bedienbarkeit, Bezugsquellenidentifikation, Bestellverfolgung etc.) oder dem Content Management (Preise, Suchfunktionalität etc.) zuzuordnen (Arndt 2004, S. 137 ff.). Der zweite Baustein wird durch die Erreichung kritischer Massen bestimmt. Hierbei ist zu beachten, dass sich kritische Massen wechselseitig beeinflussen können: Beispielsweise verbessert eine hohe Artikelanzahl die Attraktivität des Systems, wodurch die Anzahl der Anwender tendenziell steigt. Keinesfalls darf der dritte Baustein vernachlässigt werden: Im E-Procurement ist eine vertrauensvolle Basis zu den eigenen Mitarbeitern und zu den angebundenen Lieferanten notwendig. Das Vertrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitern ermöglicht die Erreichung kritischer Anwenderzahlen und Berechtigungsniveaus. Das Vertrauen gegenüber den Lieferanten ist notwendig, da aufgrund der hohen Artikelzahlen eine Kontrolle der Rahmenvertragskonformität im E-Procurement unter wirtschaftlichen Aspekten kaum möglich ist.
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Anwendungsnahe Beiträge
4
Fazit
Die hohe „potenzielle Effizienz“ von E-Procurement-Systemen und damit deren „potenzielle Wirkung auf die Produktivität“ hat eine besondere Attraktivität für Unternehmen. Beispielsweise schätzen 37% der befragten Unternehmen in einer aktuellen Studie den Bereich „Elektronischer Einkauf/E-Procurement“ als ein aktuelles Trendthema ein (GfK Group 2008, S 11). Diese Einschätzung zeigt exemplarisch, dass noch erhebliche Potentiale im E-Procurement bestehen. Weiterhin bleibt festzuhalten, dass ein wesentlicher Anteil der Potentiale eines E-Procurement-Systems von den Unternehmen nicht realisiert werden kann. Damit stellt das Produktivitätsparadoxon der Informationstechnologie ein relevantes Problem im Kontext des E-Procurement dar. Das Paradoxon ist zunächst nur eine Beobachtung. In der wissenschaftlichen Diskussion zur Überwindung des Paradoxons zeigte sich, dass die technische Ausprägung der IT und damit des E-Procurement-Systems ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, über den allerdings nur ein Teil des Erfolgspotentials realisiert werden kann. Diese Einschätzung kann durch Befragungsergebnisse gestützt werden. In einer internationalen Studie zum Business Process Outsourcing (BPO) werden die größten Hürden im E-Procurement erhoben. Von den befragen 406 Unternehmen wird der Themenbereich Change Management/Akzeptanz (~73%) als „hohe Hürde“ eingeschätzt. Erst an zweiter Stelle wird die Komplexität der Technik (~68%) als „hohe Hürde“ genannt (Siemens IT Solutions and Services & Munich School of Management 2009, S. 32). Insgesamt ergeben sich die vier dargestellten Gestaltungsansätze im strategischen Management (siehe Abbildung 5), um die vollen Potentiale einer effizienten elektronischen Beschaffung ausschöpfen zu können.
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Abbildung 5: Ansätze für ein erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
Managementfehler und unzureichende Nutzung der Technikpotenziale
Negative Auswirkungen eines Informationszuwachses • Single Sourcing oder Dual Sourcing je Warengruppe • ggfs. Sortimentseinschränkungen (z.B. Gefahrstoffe) • Updatemanagement - Pricing und Qualität des Content - Ex-post-Kontrollen anstelle von kontinuierlichen Kontrollen
• Analysen bei Systemimplementierung - Checklisten - Scoring-Modelle - Wirtschaftlichkeitsrechnung • Potenzialanalyse neuer Lieferanten • Nutzung dicht am Standard • Komitee zur Änderung bzw. Anpassung jenseits des Standards
E-ProcurementSystem Fehlende Verbundwirkungen und Netzwerkeffekte
Wirkungsverzögerungen durch Lern- und Anpassungseffekte • Schulung und Nachschulungen • Von der Anwenderkultur zur internen Kundenkultur • Key User Struktur • Kundenzufriedenheitsanalysen • Maximales Template-Niveau • Minimales wahrgenommenes Sicherheitsniveau
• Integrationsstrategie • Realisierung kritischer Massen und Niveaus - Kritische Systemintegration - Kritische Warenverfügbarkeit - Kritische Anwenderzahl - Kritische Berechtigungen
In Abbildung 5 werden die Ansätze für ein erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement im Überblick dargestellt. Hierbei ist zu konstatieren, dass es Abhängigkeiten zwischen den aufgezeigten Feldern gibt. Die generellen Managemententscheidungen über die Nutzung und Ausprägung des Systems stellen den Ausgangspunkt dar. Darauf aufbauend sind Entscheidungen im Beschaffungsmanagement bzw. im Katalogmanagement zu treffen, welche den Informationszuwachs im E-Procurement determinieren. In diesem Rahmen werden wesentliche Voraussetzungen für die Nutzung von Verbundwirkungen und Netzeffekten festgelegt. Beispielsweise unterstützt der gering ausgeprägte Informationszuwachs eines Single Sourcing den positiven Effekt einer kritischen Anwenderzahl. Allerdings ist dabei zu beachten, dass sich die Beschaffungsstrategie des Single Sourcing auch negativ auf die kritische Warenverfügbarkeit auswirken kann. Analog bedarf es der Realisierung von Lern- und Anpassungseffekten, um die Effekte der kritischen Massen ausschöpfen zu können. Die hinter den Ansätzen liegenden Zielkonflikte sind im strategischen Management zu berücksichtigen. Zur Realisierung der Produktivitätspotentiale ist eine vertrauensvolle Delegation an die Mitarbeiter im beschaffenden Unternehmen erforderlich. Bisherige wissenschaftliche Analysen zeigen in diesem Zusammenhang, dass der Erfolg von IT-Investitionen zu einem großen Anteil von den beteiligten Menschen abhängt. Weiterhin wird vermutet, dass die Hälfte der Nutzenwirkungen von IT-Systemen durch unternehmens-
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Anwendungsnahe Beiträge
übergreifende Faktoren (z.B. Netzeffekte, Ausbildung) bestimmt wird (Lutz/Lehner 2005, S. 376), was ebenfalls eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Lieferanten notwendig macht (Andreßen/Himme 2009). Hierbei bestätigt die Kooperationsforschung, dass es sich lohnt, ein vertrauensvolles Verhältnis zum Lieferanten aufzubauen. Die im Rahmen einer Kooperation zu leistenden, spezifischen Investitionen, die lediglich für den einzelnen Kooperationspartner getätigt werden, verstärken aufgrund ihrer Bindungswirkung den Erfolg einer Zusammenarbeit (Andreßen 2006, S. 76 ff.). Somit können wesentliche Erfolgspotentiale nur über ein primär nicht technisch geprägtes strategisches Management realisiert werden. Diese strategische ManagementHerausforderung im E-Procurement erfordert die Übernahme von Verantwortung für die notwendigen Veränderungen der Organisation und der internen Prozesse (Weill/Ross 2003, S. 78 ff.). Die zentrale Herausforderung liegt hierbei in der Gestaltung aller vier Ansätze unter Berücksichtigung der komplexen Interdependenzen im E-Procurement.
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Erfolgreiches strategisches Management des E-Procurement
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Anwendungsnahe Beiträge
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Autorenverzeichnis Dr. Thomas Andreßen Dr. Thomas Andreßen studierte Betriebswirtschaftslehre (Controlling, Corporate Finance) im Anschluss an eine Ausbildung zum Bankkaufmann bei der Dresdner Bank AG. Nach dem Abschluss des Studiums promovierte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Controlling an der Universität Kiel zum Thema „System Sourcing – Erfolgspotentiale der Systembeschaffung: Management und Controlling von Kooperationen“. Dr. Andreßen leitet den Bereich Instrumente/Systeme im Einkauf der K+S Aktiengesellschaft in Kassel und hat zwei Lehraufträge an der Verwaltungsund Wirtschaftsakademie sowie der Berufsakademie in Kassel in den Fächern „Logistik“ und „Logistik-Controlling & E-Logistik“. Daneben ist Dr. Andreßen im Vorstand des BME Hamburg (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V.) tätig. Als zertifizierter Projektmanager (GPM-IPMA) arbeitet Dr. Andreßen an der beschaffungsbezogenen Weiterentwicklung des Projektmanagements sowie des Projektcontrolling.
Dr. Alexander Batran Dr. Alexander Batran studierte technisch orientierte Betriebswirtschaft an der Universität Stuttgart mit den Schwerpunkten Einkauf, Finanzwirtschaft und Logistik. Seine Promotion zum Thema „Realoptionen in der Lieferantenentwicklung: Bewertung von Handlungsspielräumen dynamischer Wertschöpfungspartnerschaften“ schloss er 2008 an der Universität der Bundeswehr München (Lehrstuhl Prof. Eßig) ab. Für seine Promotion erhielt er den BME-Wissenschaftspreis 2008. Herr Batran ist als Berater bei der h&z Unternehmensberatung AG mit Schwerpunkt Einkauf tätig, insbesondere Materialkostensenkung, Warengruppenoptimierung sowie Lieferantenmanagement.
Marc Braun Marc Braun studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Technischen Universität Darmstadt und an der École des Hautes Études Commerciales (HEC) sowie der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), Schweiz, mit den Schwerpunkten Finanzierung, Produktentwicklung und Produktion. Begleitend absolvierte er Studienaufenthalte an der St. Petersburg State University of Economics and Finance, Russland, ebenso Praktika im Bereich Wirtschaftsprüfung und in verschiedenen Technologieunternehmen, u.a. als Analyst in der Strategieabteilung der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) in Paris. Seine Diplomarbeit verfasste er im Bereich Technology & Operations am INSEAD in Fontainebleau und an der TU Darmstadt/ Fachgebiet für Produktion & Supply Chain Management - Prof. Dr. Herbert Meyr. Zur Zeit ist er Teilnehmer am EADS Förderprogramm für Nachwuchskräfte im Bereich Supply Chain Management in Frankreich.
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Prof. Dr. Udo Buscher Udo Buscher studierte Betriebswirtschaftslehre in Lüneburg und Göttingen und war danach als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktionswirtschaft (Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky) an der Technischen Universität Dresden tätig. Nach Abschluss der Promotion setzte er seine wissenschaftliche Arbeit am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Industriebetriebslehre an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg fort. Dort folgte im Jahr 2003 die Habilitation zum Thema „Kostenorientiertes Logistikmanagement in Metalogistiksystemen“. Seit 2004 leitet Udo Buscher den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre insb. Industrielles Management an der Technischen Universität Dresden. Seine aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Supply Chain (Risk) Management, Reverse Logistics, Produktionsplanung und -steuerung sowie Maschinenbelegungsplanung.
Sebastian M. Durst Sebastian M. Durst studierte an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und an der Heriot-Watt University in Edinburgh Europäische Wirtschaft mit den Schwerpunkten Logistik und logistische Informatik, Marketing und Internationales Management. Seit Februar 2005 arbeitet er als Berater bei Roland Berger Strategy Consultants im Competence Center Operations Strategy. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Supply Chain Management und Einkauf. Aktuell promoviert er am Lehrstuhl für Produktion & Logistik (Prof. Sucky) der Universität Bamberg zum Thema strategische Lieferantenentwicklung.
Prof. Dr. Elisabeth Fröhlich Elisabeth Fröhlich studierte Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig Maximilian Universität in München sowie an der Universität zu Köln. Nach ihrer Dissertation zum Thema ‚Lieferantenbewertung’ setzte sie ihre wissenschaftliche Laufbahn am Seminar von Prof. Koppelmann für Beschaffung und Produktpolitik der Universität zu Köln fort und beendete 2005 ihre Habilitation zum Thema ‚Zur Modellierung von Berufsbildern in der Beschaffung’. Seit Ende 2007 ist Elisabeth Fröhlich Professorin an der Cologne Business School und zeichnet dort verantwortlich für den Bereich Beschaffungsmanagement und Marketing sowie den Aufbau eines Research Centers für Supply Management. Sie ist Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Verbänden. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich des Supplier Relationship Management, dem Cash Management in der Beschaffung, Nachhaltigkeit in der Beschaffung sowie personalpolitischer Fragestellungen in diesem Funktionsbereich.
Dr. Sabine Hanusch Sabine Hanusch studierte an der Montanuniversität (Leoben) Kunststofftechnik mit dem Schwerpunkt Chemie und Werkstoffprüfung. Ihre Promotion schloss sie 1993 am Institut für Betriebswirtschaft (Prof. Oberhofer) an der Montanuniversität Leoben zum Thema „Logistik-Informations-Systeme“ ab. Nach langjähriger Tätigkeit als selbstän-
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dige, international agierende Unternehmerin im Themenbereich der Logistik nahm Frau Hanusch die Berufung zur FH-Professur für Logistik und Angewandte Informatik am Studiengang Industrial Management/Industriewirtschaft an. Als Leiterin des Master-Lehrgangs universitären Charakters Supply Management, mit einem Lehrauftrag an der Montanuniversität Leoben, Studiengang Industrielogistik zu den Themen Supply Chain Management und Beschaffungslogistik vertiefte sie ihren Bezug zum Beschaffungsmanagement. Weitere Aktivitäten: Mitgliedschaft im European Leadership Team des Supply Chain Councils, Projektleitung des mehrjährigen Forschungsprojektes MRC (Management of Requirements in Collaborations) und zahlreiche Publikationen im Themengebiet Logistik und Supply Chain Management.
Dr. Erik Hofmann Dr. Erik Hofmann studierte an der Technischen Universität Darmstadt (D) und am Institut National Politechnique (INPG) in Grenoble (F) Wirtschaftsingenieurswissenschaften mit der technischen Fachrichtung Maschinenbau. Seine Promotion schloss er 2004 am Fachgebiet Unternehmensführung & Logistik (Leitung: Prof. Pfohl) zum Thema "Synergiemanagement" ab. Neben seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter war er in dieser Zeit als Dozent für allgemeine Betriebswirtschaftslehre tätig und hat zahlreiche Projekte zum Supply Chain Management und zur Unternehmensführung bearbeitet. Seit 2004 arbeitet Dr. Hofmann als Projektleiter am Lehrstuhl für Logistikmanagement (Leitung: Prof. Stölzle) der Universität St.Gallen (CH). Er ist Senior Lecturer für Logistik- und Wertschöpfungsmanagement. Seine persönlichen Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Logistikbewertung, Supply Chain Finance und Kontraktlogistik. Er ist Autor von über 60 Fachartikeln zur Logistik und zum Supply Chain Management. Zurzeit absolviert Dr. Hofmann einen Forschungsaufenthalt an der Copenhagen Business School (DK).
Prof. Dr. Arnd Huchzermeier Prof. Dr. Arnd Huchzermeier leitet den Lehrstuhl für Produktionsmanagement an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar seit 1993. 1986 beendete er sein Studium Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Karlsruhe. 1991 erhielt er den Ph.D. in Operations Management von der Wharton School der University of Pennsylvania (USA) und lehrte wiederholt an der Graduate School of Business der University of Chicago (tenure track 1990-93) und der Wharton School der University of Pennsylvania. Prof. Huchzermeier ist u.a. Associate Editor von Management Science und Production and Operations Management sowie Executive Editor des Journals International Commerce Review von ECR Europe. Er ist u. a. Mitglied des Boards des International Commerce Institute von ECR Europe, akademischer Direktor des Industriewettbewerbs “Die Beste Fabrik / Industrial Excellence Award” (gemeinsam mit der Wirtschaftswoche und INSEAD) sowie Associate der Real Options Group. Seine Forschungsgebiete konzentrieren sich auf Produktions- und Dienstleistungsmanagement, insbesondere Managementqualität und Industrielle Exzellenz, Supply Chain Management, Realoptionen und ECR. Prof. Dr. Arnd Huchzermeier veröffentlichte in führen-
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den internationalen Zeitschriften wie z. B. Interfaces, Management Science, Manufacturing & Service Operations Management, Marketing Science und Operations Research. Prof. Dr. Arnd Huchzermeier wurde mit dem Mercurius Award 2000 (Belgien), dem Franz Edelman Finalist Award 2002 (USA), dem ISMS Practice Prize 2003 (USA), den Management Science Strategic Innovation Prize 2003 (EU) sowie den ECCH Case Award (UK) in der Kategorie ‚Production and Operations Management‘ ausgezeichnet.
Prof. Dr. Tatjana König Prof. Dr. Tatjana König ist Professorin für A-BWL, insbesondere Marketing, an der Business School der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW) in Saarbrücken. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der JohannesGutenberg-Universität in Mainz promovierte sie berufsbegleitend bei Prof. Dr. Christian Homburg an der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung (WHU Vallendar) bzw. der Universität Mannheim (2001). Nach mehrjähriger Praxistätigkeit, u.a. als Unternehmensberaterin und als Pricing-Managerin, nahm sie 2004 den Ruf an die HTW, Saarbrücken an. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Kaufverhalten (B-2-B und B-2-C), interne und internationale Dienstleistungsbeziehungen sowie internationale Marktsegmentierung, insbesondere im Bereich 50+.
Prof. Dr. Rudolf Large Prof. Dr. Rudolf O. Large ist Professor für Allgemeine BWL und Dienstleistungsmanagement, insbesondere Unternehmenslogistik an der Universität Stuttgart. Nach dem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens promovierte er am Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt, wo er sich schließlich 2003 mit einer Schrift zum Kommunikationsverhalten von Beschaffungsmanagern habilitierte. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen auf den Gebieten Logistik, Beschaffungsmanagement, Verkehrswesen und Internationales Management. Prof. Large ist Autor des Lehrbuchs „Strategisches Beschaffungsmanagement“ (4. Aufl., 2009) sowie zahlreicher Aufsätze, die u.a. in der Zeitschrift für Betriebswirtschaft, dem International Journal of Physical Distribution and Logistics Management, dem Journal of Purchasing and Supply Management und dem Journal of Supply Chain Management erschienen sind.
Prof. Dr. Rainer Lasch Prof. Dr. habil Rainer Lasch studierte Wirtschaftsmathematik an der Universität Augsburg, an der er auch zum Dr. rer. pol. promovierte (1992) sowie mit der Venia in Betriebswirtschaftslehre habilitierte (1998). Seit 1998 ist er Inhaber des Lehrstuhls für BWL, insbes. Logistik an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der TU Dresden, seit 2002 Gastprofessor an der Università degli studi di Trento und seit 2006 wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft- und Sozialwissenschaften der Dresden International University. Rainer Lasch ist Autor von zahlreichen, auch international anerkannten Publikationen, Gutachter für mehrere internationale Zeitschriften sowie profi-
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lierter Forschungspartner des BMBF und der Wirtschaft insbesondere bei den Themen Benchmarking in der Logistik, marktorientierte Prozessgestaltung, Lieferantenbewertung, Supply Chain Management, Risikomanagement, Ersatzteillogistik sowie quantitative Planungsverfahren in der Logistik. Darüber hinaus ist er Mitglied in zahlreichen wissenschaftlichen Gesellschaften und Verbänden sowie im wissenschaftlichen Beirat des Bundesvorstands des BME.
Tanja Lingohr Tanja Lingohr studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. Im Anschluss an das Studium verfasste sie ihre Dissertation zum Thema ‚Zur Gestaltung von Lieferantenverhandlungsprozessen’ am Seminar von Prof. Koppelmann für Beschaffung und Produktpolitik der Universität zu Köln. Seit dem Jahre 2004 ist Tanja Lingohr bei der BERODE Business Consulting GmbH als Manager tätig. Dort leitet sie langjährige Beratungsprojekte im Bereich Value Procurement sowie Value Engineering und verantwortet forschungs- und veröffentlichungsrelevante Themen u.a. in Kooperation mit dem BME und dem VDI. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich cash-wirksamer Maßnahmen und Wertanalysen im Einkauf.
Dr. Michael Oberländer Dr. Michael Oberländer wurde 1973 in Hof an der Saale geboren, wuchs in Helmbrechts (Oberfranken) auf und ist seit 1999 wohnhaft in Bamberg. Nach dem Abitur am Gymnasium Münchberg studierte er zuerst Mathematik mit Nebenfach Informatik an der Universität Bayreuth und dann, unterbrochen durch 13 Monate Zivildienst, Wirtschaftsinformatik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Er belegte dabei die Spezialfächer „Logistik und logistische Informatik“, „Systementwicklung und Datenbankanwendung“ sowie „Versicherungsökonomik“. Im Mai 2008 schloss Oberländer sein Promotionsverfahren an der sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bamberg ab. Der Titel seiner von Prof. Dr. Günther Diruf betreuten Dissertation lautet: „Optimale Beschaffungs- und Postponementstrategien in ModeSupply-Chains – Entscheidungswirkungen alternativer Risikopräferenzen bei hohem Absatzrisiko“. Von 2002 bis 2007 war Oberländer als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Logistik und logistische Informatik von Prof. Diruf tätig. Seit April 2007 arbeitet er am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik (Prof. Dr. Eric Sucky), wo er auch die Habilitation anstrebt. Oberländers Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Supply Chain Management und Operations Research, außerdem ist er Experte für die Entwicklung von Simulationsmodellen in Produktion und Logistik.
Prof. Dr. Wolfgang Ortner Wolfgang Ortner ist Professor für Angewandte Informatik am Studiengang Industriewirtschaft/ Industrial Management und Fachbereichskoordinator für Angewandte Informatik an der FH JOANNEUM. Des Weiteren ist er Lektor im Bereich betrieblicher Informationssysteme an der Montanuniversität Leoben und selbständiger Unterneh-
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mensberater im Consulting Team Graz. Sein Studium der Betriebswirtschafslehre absolvierte Wolfgang Ortner mit den Schwerpunkten Informationswissenschaften und Innovationsmanagement an der Karl-Franzens-Universität Graz, wo er auch an der Entwicklung eines hypertextbasierenden Informationssystems mitwirkte. Seine Dissertation befasste sich mit dem Thema Effizienzsteigerung des Einsatzes von Enterprise-Resource-Planning-Systemen mit einem speziellen Fokus auf Workflow-Management-Systemen. Effizienz(steigerung) bildet auch den Kern seiner derzeitigen Forschungstätigkeit im Bereich von E-Business und Supplier Relationship Management. Die damit verbundenen Themenstellungen bringt er derzeit im Rahmen des Forschungsprojektes „Management of Requirements in Collaborations“ der FH JOANNEUM ein.
Dr. Fabian J. Sting Fabian J. Sting ist Post Doctoral Research Fellow im Bereich Technology & Operations Management am INSEAD in Fontainebleau, Frankreich. Als Programmleiter koordiniert er europaweit den „Industrial Excellence Award“. Er promovierte zum Dr. rer. pol. am Lehrstuhl für Produktionsmanagement der WHU – Otto Beisheim School of Management über Beschaffungsstrategien im Kontext unsicherer Beschaffungsquellen. Zuvor studierte er Produktions- und Logistikmanagement an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, der University of Melbourne, Australien und als Promotionsstudent an der Kellogg School of Management und der McCormick School of Engineering der Northwestern University, USA. Parallel zu seiner Forschung absolvierte Herr Sting ein Graduiertenstudium zum M.Sc. in Mathematik—Methoden und Modelle an der Fernuniversität Hagen. Bevor Herr Sting die wissenschaftliche Laufbahn einschlug, sammelte er für drei Jahre Erfahrung im Bereich der Vertriebslogistik in der Chemie- und Kunststoffindustrie. Im April 2006 wurde Herr Sting in das Stipendiatenprogramm der Daniela und Jürgen Westphal-Stiftung aufgenommen. Er wurde 2007 mit dem „Best Teacher Award“ für exzellente Lehre — vergeben an Assistenten — der WHU ausgezeichnet.
Prof. Dr. Eric Sucky Eric Sucky ist seit April 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Produktion und Logistik, an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg. Eric Sucky promovierte und habilitierte sich am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungsschwerpunkte betreffen insbesondere das unternehmensübergreifende Master Planning in Supply Chains, Methoden und Instrumente zur Unterstützung der strategischen Partnerwahl in Supply Chains sowie die Analyse des Bullwhip-Effekts in Wertschöpfungsnetzwerken.
Prof. Dr. Martin Tschandl Martin Tschandl promovierte 1993 nach Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Graz und an der New York University zum Dr. rer. soc. oec. Neben den
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folgenden Tätigkeiten als Assistent der Geschäftsführung bei einer Organisation für internationale Hilfsaktionen sowie als Controller und Leiter Betriebswirtschaft in Industrieunternehmen war er laufend als Universitätslektor tätig. Derzeit ist Martin Tschandl Professor für Betriebswirtschaftslehre und Controlling, Leiter des Studiengangs und Transferzentrums Industriewirtschaft/Industrial Management an der FH JOANNEUM Campus Kapfenberg, wissenschaftlicher Leiter des Master-Lehrgangs universitären Charakters „Supply Management“, Leiter des Arbeitskreises Österreich II des Internationalen Controllervereins, Vorstand im Verein Netzwerk Logistik und Leiter der Region Österreich Süd, Fachbereichssprecher „International Business“ an der FH JOANNEUM, Regionalkreisleiter im Österreichischen Verband der Wirtschaftsingenieure, Partner im Consulting Team Graz und Herausgeber der Buchreihe „Industrielles Management“. Seine Arbeitsschwerpunkte in Lehre und Forschung sind Controlling (derzeit speziell im Bereich Moderne Budgetierung), Supply Management und strategische Unternehmensentwicklung. Er hat zu diesen Themen in über 50 Forschungs- und Industrieprojekten mitgewirkt, ebenso viele Vorträgen/Seminare durchgeführt und über 40 Publikationen veröffentlicht.
Dr. Andreas Wels Andreas Wels studierte Wirtschaftsmathematik an der Technischen Universität Dresden. Seine Promotion schloss er im Januar 2008 am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre insb. Industrielles Management (Prof. Dr. Udo Buscher) an der Technischen Universität Dresden zum Thema „Quantifizierung von Lieferzeitabweichungen zur Unterstützung eines effektiven Supply Chain Risikomanagements“ ab. Dabei erfolgten zahlreiche Publikationen zum Thema Risikomanagement in Supply Chains.
Philip Wessely Philip Wessely studierte an der Technischen Universität Darmstadt und der National University of Singapore Wirtschaftsingenieurwesen. Während seines Studiums absolvierte er Praktika bei Porsche Consulting, Heidelberger Druckmaschinen sowie Pepperl und Fuchs. Darüber hinaus war er im Rahmen seiner Aktivitäten in der studentischen Unternehmensberatung Junior Comtec Darmstadt bei einigen Unternehmen als externer Berater tätig. Seit Oktober 2006 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Logistikmanagement der Universität St.Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Supply Chain Controlling, Supply Chain Finance sowie dem Working Capital Management.
Stefan Winter Stefan Winter studierte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (2002-2008) Betriebswirtschaftlehre mit Abschluss als Diplom-Kaufmann und an der University of Hull (2006-2007) in Großbritannien Business mit Abschluss als Bachelor of Arts. Seit Oktober 2008 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbes. Logistik an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der TU Dresden.
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