KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR KUND LI CHE
HANS
HEFTE
HARTMANN
HEINRI...
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KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR KUND LI CHE
HANS
HEFTE
HARTMANN
HEINRICH HERTZ STRAHLENMEER AN DER S C H W E L L E DES RUNDFUNKZEITALTERS
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • MÜNCHEN • I N N S B R U C K - BASEL
Es war wie vor 70 Jahren . . . Am 22. Februar 1957 in Karlsruhe. Die ehemalige großherzogliche Residenzstadt, in deren Geschäftszentrum alle Straßen strahlenförmig auf das Schloß zulaufen, so daß der Untertan von einst das Haus des Fürsten und ihn selber nie aus den Augen verlieren konnte, beging wieder einen ihrer großen Gedenktage. In dieser seit ihrer Planung und Gründung im 18. Jahrhundert geistig und künstlerisch so beweglichen Stadt lebt ja die Erinnerung an viele historisch bedeutsame Ereignisse fort. Stätte des Gedankens war an diesem Wintertag die ehrwürdige Fridericiana, die Technische Hochschule. Die Stadt selber bot nur die anmutige Kulisse, allerdings eine sehr bildhafte Kulisse, wenn man die Strahlenform des Stadtkerns ins Auge faßt. Denn hier wurden zum erstenmal jene Strahlen drahtlos hinausgesendet und wieder empfangen, die heute Tag für Tag von 850 Fernsehsendern aus auf achtzig Millionen Fernsehschirme der Welt Bilder zaubern und von 6000 Rundfunkstationen aus in viele hundert Millionen Wohnungen Radioklänge tragen; es sind die gleichen Strahlen, mit deren Hilfe heute Raketen in die Umlaufbahn um die Erde gelenkt oder auf und um den Mond gesteuert werden können. Die wissenschaftliche Welt — eigentlich hätte die ganze fernsehund rundfunkfreudige Welt dabei sein müssen — feierte am 22. Februar 1957 in Karlsruhe den hundertsten Geburtstag von Heinrich Hertz, jenem Frühvollendeten, der als der Begründer des Rundfunkzeitalters in die Geschichte eingegangen ist. Die erlauchten Gäste hatte man in das „Geburtszimmer" dieses Zeitalters eingeladen, einen Hörsaal der Karlsruher Hochschule. Als die ungewöhnliche Feststunde begann, waren die sieben Jahrzehnte seit der Entdeckung der drahtlosen Wellen vor etwa siebzig Jahren wie weggewischt. Der Hörsaal war in das Laboratorium von Heinrich Hertz zurückverwandelt worden. Statt Festgir2
landen und Fahnengehängen fanden die Gäste die Originalapparaturen des großen Physikers vor: große flache Blechwände, die Heinrich Hertz zur Spiegelung „seiner" Wellen gedient hatten, und Hohlspiegel, in denen er sie zu bündeln und zu richten verstand. Man sah den unscheinbaren, genial einfachen aus Draht und Metallkugeln bestehenden Sender, der die Wellen ausschickte, und den noch einfacheren Empfänger, ein simples Drahtgebilde, mit dessen Hilfe Hertz das Vorhandensein der Sendewellen nachgewiesen hatte. Um die Originalversuche im zeitlich knappen Rahmen der Feierstunde wiederholen zu können, waren lediglich einige allzu zeitraubende Versuchsanordnungen von damals durch moderne Einrichtungen ersetzt worden. Es war beinahe unfaßbar, daß mit diesen schlichten Geräten und in diesem Saal und mit den gleichen Experimenten, wie sie den Teilnehmern der Feststunde vorgeführt wurden, Heinrich Hertz das Band der Funkwellen im unermeßlichen elektromagnetischen Wellenmeer überhaupt hatte ausfindig machen können. Der Hörsaal, das „Auditorium", hatte ihm zudem in den entscheidenden Jahren — 1886 und 1887 — nur gelegentlich zur Verfügung gestanden. Ein großer Teil seiner grundlegenden Versuchsergebnisse war in einem für solche weitgreifenden Zwecke unzulänglich kleinen Institutsraum zustande gekommen. Nur wenn nicht gerade Vorlesungen waren, und am Wochenende und in den Semesterferien, hatte Hertz seine Geräte ins „Auditorium" hinüberbringen können; er mußte sie mühsam abbauen, wenn am Montag oder nach Ferienschluß die Studenten auf den Saal wieder Anspruch erhoben. Die Teilnahme an der glanzvollen Karlsruher Erinnerungsfeier und an der Wiederholung des ersten Auffunkeins und „Aufgreifens" künstlich erzeugter, ohne Drahtleitung sich ausbreitender elektromagnetischer Wellen, und das Nacherleben der genialen Versuchsfolge des jungen Professors Hertz wurden für die Zuhörer und Zuschauer ein Ereignis, das sie nicht vergessen werden. Der Bewunderung und Ergriffenheit der Anwesenden gab einer der Festredner Ausdruck: „Heinrich Hertz hat wohl bei seinen Versuchen kaum daran gedacht, daß sie den Anfang einer geradezu lawinenartigen Entwicklung eines Zweiges der Elektrotechnik bilden würden, der Entwick3
lung wohl einer der populärsten Techniken überhaupt. Denn die drahtlose elektrische Nachrichtentechnik, die sich auf den Grundexperimenten von Heinrich Hertz aufbaut, ist mit ihren Rundfunkund Fernsehgeräten' bis in den Familienkreis eingedrungen und hat, das kann wohl ohne Übertreibung gesagt werden, unser kulturelles, wirtschaftliches und politisches Leben in einem Maße beeinflußt, wie es nur wenige Entdeckungen getan haben. In alter klassischer Zeit würde man gesagt haben, Heinrich Hertz sei dem Neide der Götter zum Opfer gefallen. Doch er hat die knappen zehn Jahre, die ihm zur Entfaltung nach Abschluß seiner Ausbildung gegeben wurden, in wahrhaft königlicher Art ausgenutzt." Die letzten Worte vom „Neide der Götter", die dem Menschen seine Triumphe nicht gönnen, spielten an auf den frühen Tod des großen Physikers, der, noch nicht 37 Jahre alt, am 1. Januar 1894 unter tragischen Umständen aus seinem Schaffen herausgerissen worden ist — als einer der berühmtesten und verehrtesten Männer seiner Zeit. örsteds Kompaß macht Sprünge Es war der 4. Oktober 1886 — der Tag steht genau fest —, als Heinrich Hertz nach fast zweijährigen Vorarbeiten zum erstenmal seine Geräte zu den Prüfversuchen ansetzte, die dann nach Jahresfrist, 1887, zum Erfolg führen sollten. Was die Elektrizität sei, diese fast unheimlich rätselvolle Erscheinung, was der nicht minder geheimnisvolle Magnetismus sei, das beschäftigte im vorigen Jahrhundert die Physiker und Philosophen nicht weniger, als heute die Frage nach dem Wesen der Atomkraft oder im Altertum die Frage, was das Feuer oder was die Luft sein könne. In allen Kulturländern saßen Wissenschaftler und Techniker über ihren Geräten, Influenzmaschinen, Kondensatoren, Induktoren, Spulen, Galvanometern, Akkumulatoren und Transformatoren, schickten den Strom durch Drahtgewinde und Kabel, durch Flüssigkeiten aller Art, durch tierische Nervenstränge und ließen Geißlersche Röhren in zauberhaften Farbenspielen erstrahlen. Für viele magnetische und elektrische Erscheinungen wurden Formeln gefunden, in denen die Gesetze der magnetischen und elektrischen Vorgänge in Zahlen und Zeichen dargestellt wer4
Der „Oszillator" von Hertz, der erste Sender der Welt. Unten rechts Batterie als Stromquelle, links der Induktor, der den Strom hochspannt, A und B die „Sammler", die sich stoßweise entladen und in wechselnder Richtung Funken von a nach b oder von b nach a überspringen lassen. Um die Funkenstrecke bilden sich schwingende Kraftfelder, die sich als Wellen in den Raum fortpflanzen (vgl.Abb.S.13) den konnten. Es fehlte nicht an Versuchen, die Vielfalt der Gesetzlichkeiten auf einen einzigen Nenner zu bringen, auf eine Grundformel, wie wir heute sagen würden. Man wußte, daß Elektrizität und Magnetismus etwas Gemeinsames haben mußten und daß sie in Wechselwirkung zueinander standen. Der dänische Physiker ö r sted hatte bereits im Jahre 1820 die aufsehenerregende Theorie 5
vorgetragen, daß der elektrische Strom in einem Draht nichts anderes sein könne, als das Fließen von kleinsten Elektrizitätscinheiten, Elektrizitätskörperchen — Elektronen —, die zwischen die Metallmoleküle eingelagert seien. Er lehrte, daß jedes dieser ins Strömen gebrachten Elektrizitätsteilchen und alle gemeinsam ein magnetisches Kraftfeld um sich bildeten, örsted war durch einen Zufall zu dieser Erkenntnis gekommen: In seinem Arbeitsraum hatte er eine galvanische Batterie in Betrieb gesetzt, während entfernt von den Drahtleitungen ein Kompaß lag. So oft er den Strom schloß, begann die Magnetnadel heftig zu tanzen. Da keiner der Drähte mit Kompaß und Magnetnadel in Verbindung stand, mußte es zwischen dem fließenden Strom und der Nadel eine magnetische Beziehung geben. Diese Wirkung hatte örsted schon dreizehn Jahre vorher auf Grund anderer Beobachtungen und vieler Überlegungen vermutet. Endlich hatte ihm ein Glücksfall die Bestätigung erbracht. Diese Glücksstunde wurde die Geburtsstunde des Elektromagnetismus. Jetzt fand man auch eine Erklärung für manche Schiffskatastrophen der Vergangenheit. Die Schiffe waren vom Kurs abgekommen und in Untiefen geraten oder gegen Klippen geprallt, weil bei schweren Gewittern mit ihren Elektrizitätsentladungen die Kompaßnadeln aus der Nord-Süd-Richtung abgewichen waren, ohne daß die Steuerleute die Abweichung bemerkt hatten. So waren die Segler auf den gefährlichen Kurs geraten. Es ergab sich daraus, daß nicht nur der drahtdurchfließende Strom, sondern auch Elektrizitätsentladungen in der freien Atmosphäre an entfernten Punkten magnetische Kräfte „aufwolken" lassen. Auf örsteds Spuren . . . Auf örsteds Spuren bewegten sich in der folgenden Zeit viele andere Physiker in den Forschungslaboratorien der Welt. Der entscheidende Schritt vorwärts gelang dem Engländer Michael Faraday, der bis zu seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahre als Buchbinder gearbeitet hatte und im Umgang mit den Büchern geistig so weit gereift war, daß ihn der englische Chemiker und Physiker Sir Humphry Davy im Jahre 1813 als Gehilfen in sein Laboratorium aufnahm. Dreizehn Jahre später war Faraday Professor am berühmten Königlichen Institut in London. 6
Die entscheidende Idee blitzte in Faraday auf, als er in seinem Arbeitsraum sich mit örsteds elektromagnetischen Experimenten befaßte. Sollte es nicht möglich sein, örsteds Versuch mit der Magnetnadel umzukehren und mit Hilfe eines Magneten elektrischen Strom zu erzeugen? Man erzählt sich, Michael Faraday habe jahrelang ein Stück magnetisches Eisen und einen Kupferdraht in der Tasche mit sich herumgetragen, damit er sich stets an diese Aufgabe erinnere. Wo sich ihm nur eine Gelegenheit bot, kramte er seinen Tascheninhalt hervor, um immer von neuem damit zu experimentieren. Aber die Sternstunde war ihm erst im Jahre 1831, als er bereits Professor in London war, beschieden. Er hatte wieder einmal einen Kupferdraht zur Hand genommen, ihn zu einer Schlinge, einer Spule, gebogen und die Drahtenden an ein Galvanometer, ein Gerät zur Stromfeststellung und -messung, angeschlossen. Neugierig näherte er seinen Magneten dem Drahtgebilde, als plötzlich der Zeiger am Galvanometer auszuschlagen begann. Brachte er den Magneten zur Ruhe, dann schlug der Zeiger auf den Nullpunkt zurück. Entfernte er den Magneten, so begann auch der Zeiger des Galvanometers sich wieder zu regen, diesmal in entgegengesetzter Richtung. Das war eine ganz überraschende Erscheinung, aber Faraday wußte genau, was sich hier abspielte. Sobald der Magnet sein Magnetfeld verschob und sich dem Kupferdraht näherte, begannen die Elektronen in dem Metalldraht nach einer Seite zu strömen, entfernte er den Magneten, wurde also das Magnetfeld wieder schwächer, so wendeten sich die Elektronen und strömten in der entgegengesetzten Richtung. Wie durch Zauberhand kam ein Wechselstrom in Bewegung. Der heftig nach links und dann nach rechts ausschlagende Zeiger des Galvanometers war dafür der deutliche Beweis. Es genügte nicht, den Magneten nur in die Nähe der Drahtschlinge zu halten, um einen Strom zu erzeugen; sein Kraftfeld mußte sich ändern: man mußte es entweder auf die Spule zu oder von der Spule weg bewegen. Immer wenn sich das Magnetfeld änderte, kamen die Elektronen im Kupferdraht zum „Strömen". Um einen Wechselstrom von Dauer zu erhalten, montierte Faraday den Magneten auf eine kreisende Scheibe, bei deren Umlauf der Magnet sich mit großer Geschwindigkeit der Spule näherte oder sich von ihr entfernte. Die Kraftzone, in der
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sich diese Wirkung kundtat, nannte er elektrisches und magnetisches Kraftfeld, die erstaunliche und geheimnisvolle Stromerzeugung lediglich mit Hilfe des Magnetismus nannte er Induktion (Hineinbeförderung). Faraday trug zwar, als er die Induktion von elektrischem Strom durch magnetische Feldwirkung entdeckte, die Werner von Siemens später in seiner Stromerzeugungsmaschine, dem Dynamo, nutzbar gemacht hat, den Titel eines königlichen Professors; aber gewisse Fachkollegen seiner Zeit sahen in ihm immer noch den ehemaligen Buchbinderlehrling und trauten dem aus dem Handwerk Aufgestiegenen nicht solche umstürzenden Erkenntnisse zu. Andere aber machten sich daran, das magnetische Feld um den stromdurchflossenen Draht örsteds und das stromerzeugende Feld um den hinund herbewegten Magneten Faradays und ihre Einwirkung aufeinander näher zu durchforschen. Jahrzehntelang bemühte man sich, hinter die Naturgesetze zu kommen, die sich hier offenbarten. Hartnäckig, ja erbittert kämpfte man um das Problem, wielange es dauere, bis ein bewegter Magnet die Elektronen im Draht der Spule zum Strömen bringe, und umgekehrt, wie lange es dauere, bis das elektrische Kraftfeld eines stromdurchflossenen Drahtes eine entfernt stehende Magnetnadel in Unruhe versetze. Deutsche Forscher neigten zu der Ansicht, daß diese Frage unsinnig sei, daß die magnetischen und elektrischen Kräfte zu ihrer Ausbreitung keine Zeit nötig hätten, daß sich alles zugleich abspiele, daß eine unerklärliche „Fernwirkung" vorliege und man von Geschwindigkeit gar nicht sprechen dürfe. Die Engländer aber schlugen sich im allgemeinen auf die Seite ihres Landsmannes Faraday, der behauptet hatte, daß eine gewisse, wenn auch ungeheuer kurze Zeit vergehe, bis die elektrische oder magnetische Kraft in ihrer Wirkung an den nächsten oder entfernteren Stellen bemerkbar werde. Ein gewisses Etwas pflanze die Kräfte in einer Kette von „Nahwirkungen", Punkt um Punkt im Räume fort. Das gewisse „Etwas" Die Phantasie der alten Griechen hatte beim Nachdenken über die Entstehung der Welt an den Anfang alles Werdens das göttliche Chaos gesetzt, in dem alle Gegensätze: Hell und Dunkel, Feuer 8
Der erste Empfänger für drahtlose Wellen, wie ihn Hertz entwickelt hat. An winzigen elektrischen Fünkchen, die, nur durch ein Fernrohr zu sehen, an der Unterbrechungsstelle des Drahtkreises übersprangen, erkannte er das Vorhandensein der elektromagnetischen Wellen, Der Strom im Draht war durch sie „induziert". Mit einer Schraube konnte Hertz den Empfänger auf den Sender abstimmen, indem er die Unterbrechungsstelle verkleinerte oder vergrößerte. und Wasser, Erde und Luft noch vereinigt waren. Aus diesem chaotischen Urgrund der Dinge sei der Äther hervorgegangen, der mit der Erde die göttlichen Wesen gezeugt habe. Die reinere Himmelszone über der Lufthülle der Erde sei zum Wohnraum des Äthers geworden. Auf der Suche nach einer Bezeichnung für das gewisse räumliche „Etwas", in dem die magnetischen und elektrischen Kraftfelder sich bewegten, entschieden sich die Physiker des vorigen Jahrhunderts für den Namen des göttlichen Äthers; er sei Träger der elektrischen und magnetischen Kräfte im Raum, ähnlich wie die Luft für den Schall. Man dachte ihn sich als einen unendlich zarten, unwägbaren, unstofflichen, alles durchdringenden und den leeren Raum ausfüllenden Träger. Auf den Flügeln des Äthers gelange auch das Licht der Sonne mit einer Geschwindigkeit von 300 000 Kilometern in der Sekunde durch den sonst leeren Raum zu uns auf die Erde. Das Merkwürdige war, daß selbst die feinsten Messungen dieses ätherische „Etwas" zu fassen nicht in der Lage waren. Im Hin und Her der Meinungen wurde der englische Physiker James Clerk Maxwell zu Beginn der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts zum zuverlässigsten Wegweiser in die Zukunft. Er behauptete, die elektromagnetischen Kräfte bewegten sich in den elektromagnetischen Kraftfeldern wie Wellen, die sich durch den Raum ausdehnten. Auch das Sonnenlicht sei ein elektromagnetischer Wellenvorgang, der durch unvorstellbar schnelle Bewegungen von elektrischen Kräften in der Lichtquelle — der Sonne — ausgelöst werde. Wie der Strom ein Magnetfeld erzeuge auch ohne Magnet, 9
so könne auch ein Magnetfeld ein elektrisches Feld aufwachsen lassen, ohne daß vorher dort Elektronen vorhanden waren. Licht entstehe durch elektrische Ströme in der Sonne, die in der Umgebung ein magnetisches Feld hervorbrächten, dieses wieder induziere, sobald es zusammenfalle, in der Nachbarschaft ein elektrisches Feld; und das wiederhole sich unendliche Male, bis das Licht unser Auge erreicht habe. Die Folge der immer neu von der wirbelnden Sonnenenergie hervorgebrachten Kraftfelder werde zu dem unaufhörlichen Lichtstrom, der unser Dasein erhelle. Maxwell schloß aus all seinen Überlegungen und Versuchen, daß solche einander folgenden, sich gegenseitig „induzierenden" Magnet- und Elektrizitätsfelder auch entstehen müßten, wenn zwischen zwei stromführenden, durch eine Lücke getrennten Drähten ein elekscher Funke überschlage. Um die Funkenstrecke wachse ein Magnetfeld an, das nach dem Funkenschlag wieder in sich zusammensinke. Dieses Zusammensinken wirke sich in die Umgebung wie ein bewegter Magnet aus, es entstehe in der Nähe ein elektrisches Kraftfeld, das ebenfalls nach kürzester Zeit in sich zusammenfalle. Das Zusammenfallen entspreche einem elektrischen Stromstoß, und dieser lasse ein weiteres Magnetfeld in der Nähe anwachsen. So pflanzten sich Felder in den Raum hinein als elektromagnetische Wellen fort. Maxwell fand auch die Formeln für diese Theorie — die indes Theorie bleiben mußte, solange es nicht gelang, diese Aufeinanderfolge von elektrischen und magnetischen Feldern in Empfangsgeräten zu registrieren. Man hatte bis dahin mit „Leydener Flaschen" die erforderliche Zahl von Funkenschlägen nicht hervorbringen können. Denn es mußten, wie Hertz später feststellte, mindestens 80 bis 100 Millionen Entladungen je Sekunde sein, bevor mit den Mitteln der Zeit überhaupt Wellen im Raum aufgespürt werden konnten. Niemand glaubte damals daran, daß Maxwells kühne Ideen je praktisch bewiesen würden. Heinrich Hertz sollte diese Großtat gelingen. Blick in ein Tagebuch • Im Dezember des Jahres 1884 war der junge Professor Heinrich Hertz von Kiel nach Karlsruhe berufen worden, um an der Techniscnen Hochschule Vorlesungen zu halten und sich neuen Experi10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.14 11:05:13 +01'00'
menten zu widmen. Aber sein Weg zu dem großen Erfolg war keineswegs ein Siegeslauf. Er erkämpfte sich den Pfad zum Gipfel unter größten Hemmnissen und oftmaligem Verzagen. Bereits an der Universität Kiel hatte er begonnen, ein Tagebuch zu führen. Es ist uns kein anderes ähnliches Tagebuch von. einem großen Genie im Reiche der Physik bekannt. Eine solch eingehende Art der Selbstbeobachtung und ein gleich großes Mitteilungsbedürfnis wird man bei andern vergebens suchen. Röntgen war in seiner verhaltenen Schweigsamkeit Heinrich Hertz völlig entgegengesetzt. Er hat nie darüber gesprochen, wie er bei seinen Forschungen vorgegangen ist, auch nicht bei seinen wichtigsten, der Entdeckung der Röntgenstrahlen. Gewiß darf man nicht den Verdacht haben, als ob Röntgen und mit ihm mancher andere ganz gefühllos, rein sachlich, gleichsam wie ein unbeteiligter Zuschauer, seinen eigenen Leistungen gegenübergestanden habe. Aber er und andere haben nie etwas davon mitempfinden lassen. Die Blätter des Tagebuches von Heinrich Hertz, das durch Briefe an seine Eltern und an seinen Lehrer Helmholtz, den „Physikerfürsten" in Berlin, ergänzt wird, sind gerade in den entscheidungsvollen Karlsruher Jahren von 1884 bis 1889 für seine persönlichen Erlebnisse und seine wissenschaftlichen Arbeiten besonders aufschlußreich. An Helmholtz schrieb er zwischen dem 5. Dezember 1886 und dem 30. November 1888 sechs Briefe, in denen er den jeweiligen Stand seiner Forschung über die elektromagnetischen Wellen in geradezu klassischer Weise formulierte. Hertz bemühte sich, auch seinem Lehrer gegenüber den Fortgang seiner Arbeiten verständlich darzulegen. Gleich zu Beginn des Sommersemesters 1885 beschäftigte sich Hertz mit elektrotechnischen Problemen. Er wollte mit einer Dynamomaschine Messungen vornehmen, aber der Gasmotor streikte. Deshalb probierte er eine kleine elektrische Lampe, um sie im luftverdünnten Raum zu beobachten: „doch ging's nicht recht". Bald überfielen ihn, zumal ihm auch die Vorlesungsarbeit nicht behagte, pessimistische Anwandlungen, zu denen er zeitlebens neigte. Am 31. Mai 1885 notierte er in seiner knappen Form: „Einige Besuche gemacht, sonst über die Gasentladung nachgedacht und spazieren 11
gegangen, trübselig genug im Vergleich zu vorigem Jahr". Am 12. Dezember des gleichen Jahres lesen wir: „Wieder mit unnützen Gedanken mich geplagt", am nächsten Tage „Vormittags einsamer Spaziergang im Schneegestöber nach Ettlingen", am 14. Dezember: ,Die Vorlesungen machen mir schon wieder Mühe", am 15. Dezember: „Abends wieder einen kleinen Akkumulator probiert, mehr aus Spielerei", am 22. Dezember: „Alle diese Zeit schwer mit Mißmut und Hoffnungslosigkeit gekämpft". Und am 31. Dezember schrieb er in sein Buch: „Froh, daß dies Jahr herum und hoffend, daß kein solches folgt". Forschungs- und persönliche Vermerke ziehen sich auch durch die Tagebuchblätter des folgenden Jahres. Oft sind in nur ein oder zwei Zeilen eingreifende Geschehnisse zusammengefaßt: So am 10. April 1886: „Kraftübertragung fertig und Tafel über magnetische Dimensionen gemacht", am 12. April: „Ausflug mit Dolls nach Bühl und auf die Windeck. Verlobt mit Elisabeth Doli"; und am 31. Juli: „Hochzeitstag". Als ein großer Tag erschien ihm der 2. Dezember 1886: „Gelungen, Resonanzerscheinung zwischen zwei elektrischen Schwingungen herzustellen." Aber am 21. Dezember mußte er bereits wieder von einem Mißerfolg bei Versuchen über die Einwirkung sogenannter dielektrischer (nichtleitender) Stoffe berichten. Am 19. Juli 1887 schwand ihm völlig die Lust zur Arbeit. Am 15. September stellte er zu seinem Schrecken fest: „Eigentümliche Störung in den Versuchen, große Mühe". Das war die Zeit, in der er spürte, daß ein kleiner Raum nicht genüge, um exakte Messungen vorzunehmen. Er ging daher am nächsten Tage mit seinen Apparaten in das „Auditorium". Alles schien nun aufs beste zu gelingen. Er sandte einen zuversichtlichen Bericht an Helmholtz, der ihm erwiderte: „Manuskript erhalten. Bravo! Werde es Donnerstag überreichen zum' Druck." Seine Gattin teilte die frohe Nachricht ihren Eltern mit: „Heinz hat Montag schon neue Versuche begonnen, und als er abends nach Hause kam, sagte er mir, er habe ßie Apparate aufgestellt, versucht, und innerhalb einer Viertelstunde seien ihm schon wieder die schönsten Versuche gelungen; er hat eine neue Arbeit schon so gut wie fertig. Und diese sei noch schöner wie die abgeschickte. Er 12
Se stellte sich Heinrich Hertz die Entstehung und Ausbreitung der drahtlosen elektromagnetischen Wellen, der Funkwellen, vor: in der Mitte der Sender (s. Abb. Seite 5) mit dem Funkensprung; der Funke läßt ein magnetisches Feld entstehen, das magnetische Feld ein elektrisches Feld, und so fort. Eine Welle breitet sich allseitig im Räume aus schüttelt gegenwärtig die schönen Sachen nur so aus dem Ärmel. Das macht ihn natürlich sehr vergnügt und mich auch, wenn er mir mit strahlendem Gesicht davon erzählt." Aber schon wenige Tage später drohte die schlimmste Krise, als Hertz auf einen Irrweg geriet und alles hätte scheitern können, wenn er nicht zäh seinen Weg weiter verfolgt hätte. Das war, als er das so heftig umstrittene Problem durchdachte, ob die elektromagnetischen Wirkungen zeitlos an jedem beliebigen Punkt des Weltalls eintreten oder ob sie sich „in der Zeit" Stück um Stück 13
ausbreiten als Wellen. Er gesteht am 17. November 1887: „Andere Versuche über endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wirkungen gemacht, geben ebenfalls negatives Resultat." Am folgenden Ta<^e: „Die Versuche sehr sorgfältig wiederholt. Überlegungen über die Maxwellsche Theorie." Und am 26. November, überaus deprimiert: „Experimentiert ohne rechten Eifer." Dann aber raffte er sich von neuem auf. Noch im gleichen November gelang ihm, nachdem er elektromagnetische Schwingungen mit einer Frequenz von weit über 50 Millionen erzielt hatte, der Nachweis, daß diese Schwingungen von gleicher Art seien wie die des Lichtes und daß der Mensch sie mit Lichtgeschwindigkeit hinaussenden könne. Als er seinen Lehrer in Berlin von den Ergebnissen seiner Experimente in Kenntnis setzte, gab Helmholtz die Nachricht sogleich der Physikalischen Gesellschaft bekannt. Einer der Teilnehmer an dieser denkwürdigen Sitzung berichtet darüber: „Es herrschte eine Atmosphäre der Erwartung, als ob etwas ganz Ungewöhnliches im Werke sei. Helmholtz erhob sich und sah ernster aus als sonst; ich bemerkte jedoch ein triumphierendes Leuchten in seinen Augen, und ich fühlte intuitiv, daß er im Begriff sei, etwas ganz Ungewöhnliches anzukündigen, und so geschah es auch." Helmholtz begann mit den Worten: „Meine Herren! Ich habe heute die wichtigste physikalische Entdeckung des Jahrhunderts mitzuteilen." „Ein Geschenk des Himmels" In der Stunde seines größten Triumphes schien alles so einfach gewesen zu sein. Aber mit welcher Mühsal, mit wieviel Rückschlägen, Enttäuschungen, auf wieviel Umwegen hatte Heinrich Hertz das alles geschaffen: das Gerät — den Sender — zur Erzeugung der millionenfachen Funkensprünge und zur Aussendung der elektromagnetischen Wellen in den Raum, der vorerst nur ein Hörsaal war; das Empfängsgerät — den Empfänger —, um die ausgesandten Wellen zu suchen und einzufängen; die Apparate und die Verfahren zur Messung der Wellenlänge und der Strahlgeschwindigkeit, die der des Lichtes genau entsprach. Als Kraftquellen für den ersten Sender der Welt — Hertz nannte ihn Oszillator — dienten eine Batterie und ein Induktor, 14
der ihm einen Wechselstrom von hoher Spannung lieferte. Der an den Induktor angeschlossene Sender selber bestand aus zwei Metallkugeln — „Sammler" —, die den Strom anstauten und untereinander mit einem Draht oder einem Metallstab so verbunden waren, daß in deren Mitte eine Lücke blieb, so daß bei Stromfluß aus den verschiedenen aufgeladenen Kugeln der hin- und herwechselnde Funkenschlag einsetzte. Jeder Funken sollte — wie es Maxwell gelehrt hatte, in der Umgebung ein magnetisches Kraftfeld hervorzaubern, jedes Magnetfeld ein elektrisches Feld, dieses wieder ein Magnetfeld und so fort. Die Schwingungen sollten ringsum in den Raum ausstrahlen. Auch der Hertzsche Empfänger — von ihm Resonator genannt — war von denkbarer Einfachheit: ein Drahtring, ebenfalls mit einer Lücke, damit Funken überspringen konnten. Die richtige Größe des Ringes konnte er mit Hilfe einer Schraube auf den Sender abstimmen, das heißt, er konnte die Lücke verkleinern oder vergrößern. Als er mit dem Resonator den Hörsaal abtastete, in dem er experimentierte, ergab sich, daß selbst bei völliger Verdunkelung mit bloßem Auge Funken in der Ringlücke nicht zu erkennen waren. Erst als er ein kleines Fernrohr vor die Ringlücke montierte, jubelte er auf. Dreizehn Meter von seinem Sender entfernt, sprach sein Empfänger an. Die ausgesandten elektromagnetischen Schwingungen hatten den Drahtring mit Strom „induziert", der sich in einem winzigen Fünklein im Fernrohr zu erkennen gab. Der Unermüdliche aber gab sich mit dem Senden und Empfangen drahtloser Wellen nicht zufrieden. Im Gegenteil, jetzt erst sollte der Beweis erbracht werden, daß die elektromagnetischen Wellen sich wie Lichtwellen verhielten, daß sie reflektiert (gespiegelt), gebrochen und gebeugt werden konnten wie Lichtwellen und daß sie nur in einer einzigen Ebene schwangen, daß sie polarisiert waren. Er stellte seinen Sender in die Brennlinie eines Hohlspiegels, und es gelang ihm, die Wellen zu bündeln. Die gebündelten Wellen ließ er in einigem Abstand auf eine Metallfläche auftreffen, und sie wurden reflektiert. Wurden sie in die Ausstrahlungsrichtung zurückgeworfen, so bildeten die ausgestrahlten mit den reflektierten Schwingungen „stehende Wellen" mit „Bäuchen" von heftiger Funkenbildung — den Wellenbergen — und toten Punkten, 15
Knoten", an denen sein Empfänger kein Fünkchen zeigte, weil die einander entgegengesetzten Schwingungen sich hier aufhoben (s. Abb. S. 17). Hertz maß die Entfernung der Knotenpunkte voneinander und erhielt dadurch die Wellenlänge, dividierte sie durch die Zahl der Schwingungen und bestimmte so die Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit 300 000 Kilometern in der Sekunde. So konnte er Maxwells Formeln glänzend bestätigen. Aus 16 Zentner Asphalt, 9 Zentner Pech, 2 Zentner Schwefel und 1 Zentner Paraffin formte er sich ein Prisma von über einem Meter Höhe und schickte die Strahlen hindurch. Sie wurden . abgelenkt, wie Lichtstrahlen im Prisma abgelenkt werden. An Gittern konnte er die Schwingung in "einer Ebene — die Polarisation — und die Beugung demonstrieren. Auch die Beugung bewies ihm, daß die „elektromagnetischen Wellen Lichtwellen mit allen physikalischen Eigenschaften in millionenfacher Vergrößerung sind" (s. Abb. S. 21). „Der Triumphzug der elektromagnetischen Theorie konnte beginnen", schrieb der amerikanische Physiker Michael Pupin in der Erinnerung an diese Leistung. Überschwenglich setzte er hinzu: „Die Physiker Europas brauchten die Führung eines Helmholtz, um den hohen Stand zu halten, den die Theorie Faradays und Maxwells schon erreicht hatte. Hertz verwandelte die Theorie in die irdische Wirklichkeit, und sie lebte unter den Menschen und wurde ein Teil ihres Denkens. Es war ein Geschenk des Himmels, das Hertz auf die Erde brachte." Viele Umwege zum Ziel In der Galerie der größten Physiker der neueren Zeit erkennen wir die verschiedensten Charaktere und Lebensschicksale. Ihre Biographien verraten uns, wie mannigfaltig die Arbeitsweisen waren, mit denen sie sich ihrem mehr oder weniger deutlich vorschwebenden Ziel genähert haben. Gerade dies macht uns Männer wie Heinrich Hertz, Max Planck, Albert Einstein, Max von Laue, Otto Hahn, den Engländer Rutherford, den Dänen Niels Bohr, den Italiener Enrico Fermi, den Franzosen Louis de Broglie menschlich so interessant und liebenswert. Einige von ihnen gingen von Anfang an mit geradezu nachtwandlerischer Sicherheit auf den höchsten Gipfel los. Sie taten keinen vergeblichen Schritt, und wenn 16
sie sich auch gelegentlich korrigieren mußten und vorher nicht genau wissen konnten, mit welchem Werk sie einmal unvergänglichen Ruhm erwerben würden, so haben sie doch ihre Kräfte nicht verzettelt, sie haben Seitenwege oder gar Abwege vermieden, die sie ihrem noch verborgenen Ziel nicht näher gebracht hätten. Andere aber, und zu ihnen gehört Heinrich Hertz, haben alle möglichen Probleme aufgegriffen, haben das Reich der physikalischen Rätsel bald in dieser, bald in jener Richtung durchstöbert, drangen vielleicht ziemlich weit vor; aber etwas Besonderes zu lei-
So berechnete Hertz die Fortpflanzungsgeschwindigkeit „seiner" Wellen. Von der Funkenstrecke des Senders A schwingen die Wellen aus (fette Linie) und werden an der mit Zinkblech beschlagenen Wand B zurückgeworfen (gestrichelte Linie), Eine „stehende" Welle war entstanden. Hertz schritt mit seinem Empfänger von der Zinkblechwand zum Sender, es zeigte sich, daß in regelmäßigen Abständen bei b und a die Funken an seinem Empfänger ganz verschwanden („Knoten"), während zwischen diesen Nullpunkten sich stärkste Funken zeigten („Wellenbäuche"). Der Abstand zwischen zwei „Knoten" entsprach einer halben Wellenlänge. Indem er die Schwingungszahl seines Senders, die er kannte, mit der Wellenlänge multiplizierte, erhielt er die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der drahtlosen Wellen (300 000 km in der Sekunde). Diese geniale Berechnung führte er in einem Hörsaal der Karlsruher Hochschule durch. sten, war ihnen zunächst nicht beschieden — so lange, bis eines Tages die große Aufgabe vor ihnen stand und der Funke zündete. Dann widmeten sie sich ausschließlich mit all ihren Kräften dieser Aufgabe und öffneten die Tore in die Zukunft. Auch die Entwicklung von Heinrich Hertz ist einem Zickzackweg zu vergleichen, bevor er den wirklichen Beruf erkannte. Oft war seine Entschlußkraft ins Wanken geraten, seine Hoffnung, etwas Rechtes zu leisten, getrübt. Seine Bescheidenheit und Befangenheit hat ihn manches Mal verzagen lassen. Heinrich Hertz war das älteste von fünf Kindern des Oberlandesgerichtsrats und späteren Justizsenators Hertz in Hamburg, der ihn
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zu einem charakterfesten Jungen erzog. Mit verständnisvoller Liebe umsorgte ihn seine Mutter. Sie hat sieben Jahre nach seinem frühen Tode ihre Erinnerungen aus seiner Kindheit niedergeschrieben. Sie erzählt, wie sie einmal mit dem Knaben in einem Dämmerstündchen zusammen saß und über die Schule mit ihm plauderte. Sie fragte ihn nach seinem besten Freund, und Heinrich Hertz berichtete ihr, vor wenigen Tagen habe der Lehrer die Klasse gefragt, wer wohl der gutmütigste unter ihnen wäre, und da hätten sie alle auf diesen Freund namens Hesselmann gewiesen. Die Mutter sagte zu ihm: „Ei wie schön, das möchte ich wohl von dir hören." Verlegen erwiderte Heinrich: „Ich könnte dir wohl auch etwas sagen, aber ich geniere mich." „Das brauchst du nicht, ich bin doch deine Mutter." „Ja", sagte Heinrich, „der Lehrer fragte auch, wer wohl der klügste und der geschickteste wäre, und da wiesen sie alle auf mich." „Oh, das hat dir aber doch Freude gemacht?" „Das wohl", erwiderte Heinrich, „aber in diesem Augenblick hätte ich gern unter der Bank gesessen." Dieses Zwiegespräch zwischen Mutter und Sohn zeigt nicht nur das glückliche, ungetrübte Leben der Familie, in der Heinrich Hertz aufwuchs und für das er sein kurzes Leben hindurch in vielen ergreifenden Briefen an die Eltern dankbare Worte fand. Es zeigt auch, daß ihm jede Spur von Eitelkeit fehlte, daß er über jedes Lob beschämt war. Als nach seiner Entdeckung sein Ruhm ins Ungemessene stieg und fast täglich neue Ehrungen, Ernennungen zum Mitglied wissenschaftlicher Gesellschaften oder Akademien, Ordensauszeichnungen, Einladungen ins Ausland auf ihn herniederprasselten, finden sich immer wieder Äußerungen, daß er das doch eigentlich gar nicht verdient habe oder daß es ihm viel zu viel würde. So hat er, auch aus gesundheitlichen Gründen, vieles abgesagt und ist den Möglichkeiten, Mittelpunkt zu sein, ausgewichen, wo er nur konnte. Als ihm wieder einmal ein Preis zuerkannt wurde, schreibt er an seine Eltern über diesen, den sogenannten „Turiner Preis": „Mir wäre es lieber, der Preis hätte auf eine neue Gelegenheit des Preisens gewartet, meine Freude ist nicht nur mit 50 Prozent Beschämung, sondern auch mit 20 Prozent Mißbehagen oder Befürchtung gemischt, es könne den Freunden und Kollegen schließ18
lieh langweilig werden, mir immer wieder zu gratulieren, und ich könne an ihrer Freundschaft und guten Meinung mehr einbüßen, als mir der Preis wert ist. Außerdem kommen noch 10 Prozent eines peinlichen Gefühls über den Geldwert des Preises hinzu; die Freude über eine Medaille oder eine Mitgliedschaft ist eigentlich reiner. Indessen, man muß sich in das Unvermeidliche mit Anstand fügen, die Feste feiern, wie sie fallen, und ehrenvoll ist der Preis, glaube ich, sehr; denn soviel ich weiß, ist er für die beste Arbeit in einem sehr weiten Gebiet und in einer Reihe von Jahren bestimmt. Werdet Ihr schließlich auch nicht müde zu gratulieren? Wieviel Menschen sind mit kleineren Preisen zufrieden, dürsten nach der kleinsten Auszeichnung und erhalten gar keine. Es geht doch nicht nach Verdienst, die einen bekommen zu viel und die anderen zu wenig. Es ist nicht gut, daß für eine Arbeit viele Preise gegeben werden. Indessen haben wir die Welt nicht gemacht und eingerichtet, und ihre Unvollkommenheiten sind in diesem Falle für mich nicht so schwer zu tragen." Obwohl Heinrich Hertz sich schon als Schüler mit physikalischen Fragen und Experimenten beschäftigte, war es keineswegs selbstverständlich, daß er die Physik zum Beruf erwählte. Sein Interessenkreis war überaus weit gezogen. Als er eines Tages auf dem Bücherkarren eines Straßenhändlers eine arabische Grammatik entdeckte, kaufte er sie und begann mit Eifer zu studieren. Sein Vater gab ihm den Rat, sich von dem Orientalisten Professor Redslob Stunden geben zu lassen. Es dauerte nicht lange, so kam Professor Redslob zu seinem Vater und bat ihn, er möge Heinrich Orientalist werden lassen, ein solches Talent für die arabische Sprache sei ihm noch nicht vorgekommen. Die Orientalistik lockte indes Heinrich Hertz nicht so sehr, daß er sie zum Lebensberuf erwählt hätte. Vielmehr wurde beschlossen, er solle Bauingenieur werden. In dem Lebenslauf, den Hertz wie alle Abiturienten vor dem Examen schreiben mußte, lesen wir: „Ich gedenke, wenn es mir gelingt, die Maturitätsprüfung (das Abitur) zu bestehen, nach Frankfurt am Main zu gehen und dort ein Jahr bei einem preußischen Baumeister zu arbeiten, wie es für die spätere Ablegung des Staatsexamens im Ingenieurfach erforderlich ist; nur in dem Falle, daß ich mich für diesen Beruf nicht geeignet zei19
gen sollte oder daß meine Neigung zu den Naturwissenschaften noch wachsen sollte, werde ich mich der reinen Wissenschaft widmen. Daß ich dasjenige ergreife, für das ich am tüchtigsten bin, dafür mag Gott sorgen." Der Weg führte ihn nach Ableistung dieses Jahres zum Studium , nach München, wo er durch die damalige eintönige Lehrweise im Bauingenieurfach und wohl auch durch die Lehrer bald abgeschreckt wurde. Er beklagte sich über das ewige, ermüdende Fachzeichnen und die für ihn phantasielose Behandlung der Materialkunde. Mit herzlicher Teilnahme wird man den ebenso ehrerbietigen wie vorsichtig abgefaßten Brief an seine Eltern lesen, in dem er behutsam anfragt, ob er nicht zum Studium der Naturwissenschaften umsatteln könne. Er hatte das Gefühl, damit seinen Eltern einen Schmerz zuzufügen, nicht wegen der umsonst aufgewandten Kosten — denn er stammte aus einem recht begüterten Hause; vielmehr galt damals das Umsatteln meist als ein Zeichen der Unstetigkeit und erweckte die Furcht vor dem völligen Scheitern im Beruf. Der Vater gab nach kurzem Zögern sein Einverständnis, und in einem Briefe des jungen Studenten aus jener Zeit lesen wir einen Satz, der uns ganz tief in seine Seele blicken läßt: „Ich habe mir öfter gesagt, daß ich lieber ein bedeutender Naturforscher als ein bedeutender Ingenieur, aber lieber ein unbedeutender Ingenieur ; als ein unbedeutender Naturforscher sein möchte. Ich fühle, wie ich 1 mich den Naturwissenschaften doch ganz und gar mit Begeisterung widmen könnte." Hier klingt der Ruf nach der großen Leistung, ja ein Vorgefühl der wahrhaften Berufung ganz deutlich an. In seiner Studienzeit in München und Berlin hat Heinrich Hertz viel mehr durch Bücher als durch Vorlesungen gelernt. Bei aller Bescheidenheit schreibt er später einmal ganz stolz, daß er durch selbständiges Denken zu den gleichen Ergebnissen gekommen sei wie sein berühmter Lehrer Kirchhoff in Berlin, der auch der Lehrer von Max Planck gewesen ist: „Ein großer Teil dessen, was Kirch- hoff vorträgt, stimmt mit dem überein, was ich mir zu Hause selbst entwickelt habe." Es hat übrigens ein merkwürdiger Zufall zwischen den beiden fast gleichaltrigen Männern Heinrich Hertz und Max Planck gewaltet. Beide haben in München und Berlin studiert, beide hatten in München den damals berühmten Professor Joliy, 20
Originalgeräte von Heinrieh Hertz im Deutschen Museum in München. An dem mit senkrechten Drähten bespannten Holzrahmen (links) bewies er, daß die drahtlosen, die elektromagnetischen Wellen nur in einer Ebene schwingen, daß sie „polarisiert" sind. Sie laufen stets parallel zur Achse des Senders. Wird der Sender um 90 Grad gedreht, so fangen die Drähte die Wellen ab, das Drahtgitter wird undurchlässig. Rechts das aus Asphalt, Pech, Schwefel und Paraffin geformte, mit Brettern schützend eingefaßte, 1,5 m hohe Prisma. Drahtlose Wellen, die Hertz hindurchschickte — Holz läßt diese Wellen passieren —, wurden aus ihrer Richtung abgelenkt, „gebrochen". Auch mit diesem Versuch bewies Hertz, daß Funkwellen und Lichtwellen gleicher Art sind. Lichtwellen werden ebenfalls in einem Prisma gebrochen.
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einen Experimentalphysiker, zum Lehrer und in Berlin Helmholtz und Kirchhoff. Aber es liegen keinerlei briefliche oder mündliche Zeugnisse vor, daß sie sich in ihrer Studienzeit je persönlich begegnet seien. Auch die Studienjahre von Heinrich Hertz verliefen in einer inneren Unrast. Immer wieder nahm er neue experimentelle Aufgaben in Angriff, dann wieder versank er längere Zeit in ernstes Nachdenken über theoretische und mathematische Fragen. Immer war er tätig. Erholung hat er sich kaum gegönnt, und auch in den Ferien arbeitete er ruhelos weiter. Am 26. Dezember 1877 schrieb der damals noch nicht Einundzwanzigjährige Student von München an seine Eltern: „Mir ist es zu Weihnachten besser gegangen, als ich gedacht hatte, denn ich war doch etwas trübselig in dem Gedanken, den Abend entweder mit Bekannten, die mir nicht besonders zusagen, oder allein auf meinem Zimmer zuzubringen. Ich muß übrigens die Vermutung und den Vorwurf ablehnen, als stände ich auf dem besten Wege, ein sogenannter Bücherwurm zu werden. Die Bücher sind mir durchaus nicht das Höchste, aber wenn man auch vieles nicht aus den Büchern lernen kann, so kann man vieles auch nicht anders als aus den Büchern lernen .. . hätte ich Menschen um mich, von denen ich mehr erfahren könnte als aus den Büchern, so würde ich diese in die Ecke werfen. Dann ist auch nicht das Lesen selbst mein Zweck, sondern das, was in den Büchern enthalten ist, und ich muß aus ihnen die Anregung zu eigenem Nachdenken nehmen, die ich anderswo jetzt nicht finde; ich hoffe selbst, daß dies nicht immer so bleiben
wird." Hertz war zweifellos ein Grübler, der nicht ruhte und rastete, ehe er ein Problem wirklich verstand, und der auch die mathematischen Möglichkeiten zu seiner Lösung völlig beherrschte. Aber ein theoretischer Physiker wollte er doch nicht werden. Deshalb empfand er es als ein großes Glück, daß er im Herbst 1878 nach der Übersiedlung zur Universität Berlin im Institut von Helmholtz nach Herzenslust experimentieren konnte. Hier konnte er sich in täglichen Versuchen die Sporen verdienen und seine naturgegebene große experimentelle Begabung außerordentlich verfeinern. Daneben suchte er in geduldigem Studium die im Laboratorium auftau22
chenden physikalischen Probleme in ihrer Bedeutung für die Gesamtphysik zu bewerten. „Wieviel Geduld ist nicht in bezug auf die eigene Arbeit nötig!" schrieb er den Eltern. „In einem Tag kann man sich mehr Versuche und Arbeiten ausdenken, als man in einem Jahre machen kann; ehe man die Hälfte dessen ausgeführt hat, was man sich vorgenommen, ist die Kraft schon erlahmt und das Interesse schon zu anderen Gegenständen übergegangen. So kommt bei mir wohl eine Kleinigkeit nach der anderen heraus, aber nichts Großes und Ganzes. Es wäre rein zum Verzweifeln, wenn man nicht sähe, daß es anderen nicht besser ginge und teilweise schlechter, indem manche nicht einmal Kleinigkeiten zustande bringen. Also Geduld und wieder Geduld. Lebt wohl, liebe Eltern, nehmt die vorigen Sätze nicht für das Resultat wochenlangen Philosophierens, sondern für dasjenige eines halbstündigen Schmollens in der Sofaecke." Um trotz des ständigen Wechsels seiner Experimente Ordnung in seinem Leben zu bewahren, hielt er sich an eine genaue Zeiteinteilung: „Ich arbeite jeden Morgen von halb sieben bis halb elf ganz ungestört für mich, dann bis halb vier im Laboratorium und auch — gestört — für mich, dann gehe ich zum Essen und mache einen weiteren Spaziergang bis etwa sieben oder halb acht, dann lese ich oder arbeite noch etwas und gehe um halb elf ungefähr zu Bett. Ich habe so jeden Tag eine ganz regelmäßige Arbeitszeit, in der ich frische Kräfte habe." Vater und Mutter ließ er an allem teilnehmen, was er unternahm. In dieser Zeit konstruierte er ein neues Hygrometer, ein Instrument zur Messung der Luftfeuchtigkeit. Seine Eltern interessierten sich dafür, aber er mußte ihnen darüber etwas recht Betrübliches berichten. „In der Physikalischen Gesellschaft (wo er schon als Student Vorträge hielt) hat es keinen Beifall gehabt, denn es war schon sehr spät und überhaupt ist es schon viel, wenn man nach einem Vortrag nicht heruntergerissen wird, aber die Herren, denen ich es privatim gezeigt habe, haben es alle recht hübsch gefunden und mit ihrer Anerkennung nicht zurückgehalten. Es ist übrigens so einfach, daß es fast gar nichts ist. Warum es für manche Zwecke Vorzüge vor allen bekannten Hygrometern hat, könnte ich Euch wohl auseinandersetzen, es würde aber etwas lang sein, da ich erst 23
alle bekannten Hygrometer beschreiben müßte." Und dann erwähnt er doch einige Einzelheiten, wie er es gemacht habe und wie man es verbessern könne und ob es wohl geeignet sei, die Feuchtigkeit im Zimmer der Eltern auch genau anzuzeigen. Auf diese Frage antwortete er: „Gewiß, nur müßte ihm eine etwas elegantere und weniger zerbrechliche Form gegeben werden. Übrigens spielte ich einmal Weihnachten darauf an, ob Ihr wohl könntet ein Hygrometer brauchen, da ich aber zu bemerken glaubte, daß dies nicht der Fall sei, so schwieg ich davon." Wie oft aber wurde er mutlos, nicht nur seiner Arbeit, sondern auch der Welt gegenüber. Mehrfach finden sich Äußerungen von ihm, daß wir die Welt und die Dinge und die Menschen doch nicht ändern könnten, wir sollten uns da also nicht zu viel vornehmen und zu viel Hoffnungen machen. Er wollte deshalb den Menschen auch nicht imponieren. Nie lag ihm etwas daran, sich in Szene zu setzen, auf die Vorzüge seiner Arbeiten hinzuweisen oder sie besser zu beurteilen als die Arbeiten anderer. Das so heikle Kapitel der „Priorität", die Frage, wer zuerst etwas entdeckt oder erfunden habe, spielte bei ihm kaum eine Rolle. Wieviel häßliche Züge sind in die Geschichte der Wissenschaften dadurch gekommen, daß Forscher eifersüchtig darüber wachten, sie selbst und nicht der andere, der vielleicht gleichzeitig eine ähnliche Entdeckung gemacht hatte, habe das wirkliche Verdienst daran. Heinrich Hertz ist einfach Schritt für Schritt seinen Weg gegangen, er hat sich dadurch ganz von selbst einen Vorsprung gesichert. Er hatte wohl auch das Gefühl, daß ihn gerade auf dem Gebiet der elektromagnetischen Wellen niemand so leicht einholen könne, aber es ging ihm doch in erster Linie um die Sache, und er wäre nicht betrübt oder ärgerlich und eifersüchtig gewesen, wenn ein anderer das von ihm Erreichte an einem wichtigen Punkt selbständig weitergeführt hätte. An seinem 25. Geburtstag kam wieder einmal eine gewisse Niedergeschlagenheit über ihn. „Es ist recht traurig", so schreibt er, „daß man so schnell älter wird und so wenig in der kurzen Zeit fertig bringt, aber in Hinsicht auf seine Unabänderlichkeit muß man sich in dies Geschick schon fügen. In Rücksicht auf das, was es fertig gebracht hat, bin ich mit dem verflossenen Jahr nicht allzufrieden und hoffe Besseres von der Zukunft, indessen habe ich mich in 24
demselben doch im allgemeinen zufrieden und glücklich gefühlt, und das ist ,bei den elenden Sterblichen' (das schreibt er auf griechisch) ja schon sehr viel. Von der Arbeit, bei der ich jetzt bin, hoffe ich noch sehr, daß sie sich hübsch gestalten werde und mir die viele Zeit, die ich schon an sie verwandt und die ein großer Teil -des verflossenen Jahres ist, lohnen werde, da sie sich auf einem scheinbar naheliegenden und dennoch gänzlich unerforschten Gebiet bewegt und im günstigen Falle in der Tat zu wichtigen Aufschlüssen führen kann, aber einstweilen kann ich mir weder über die Theorie völlig klar werden, noch haben meine Versuche die Genauigkeit, die ich bei der Mühe, die ich mir gegeben habe, erhofft hatte. Nun muß ich mich eilen, noch die Versuche, bei denen ich jetzt bin, vor den Ferien zu Ende zu bringen, dann kommt wieder eine Unterbrechung von einigen Wochen und dann das neue Semester, in dessen Anfang ich auch nicht sehr viel Zeit habe. So kann ich mich zwar nicht wundern, wenn es so langsam geht, aber angenehm ist es mir nicht." Nach drei Wochen mußte er betrübt schreiben, daß er zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen sei. Im Gegenteil, bald zeigten ihm neue Versuche, daß er einen großen Teil seiner Mühe auf unfruchtbarem Boden verwendet hatte. Er fand Fehlerquellen, die wohl kaum einer in dieser Größe vermuten konnte, und das so trefflich erscheinende Resultat, das er zu haben glaubte, verwandelte sich ins Gegenteil. Zuerst war er ganz zerschlagen, aber dann hat er doch wieder neuen Mut gefaßt. Wenn er dann wieder in seine Versuche vertieft war, scheute er keine Arbeit: „Ich arbeite ganz wie ein Fabriksarbeiter, da ich jeden Handgriff tausendmal zu wiederholen habe, so daß ich stundenlang nichts tue als ein Loch neben dem anderen bohren, einen Blechstreifen neben dem anderen biegen, dann wieder stundenlang einen nach dem anderen lackieren und so weiter. 250 Elemente habe ich schon fertiggestellt, die anderen 750 werden nun auf einmal gemacht; in acht Tagen, denke ich, wird alles fertig sein. Es fällt mir sehr schwer, mich davon zu trennen, darum habe ich Euch noch nicht früher geschrieben. Auf einige Zeit mag ich die eintönige Arbeit ganz gern." 25
Ein andermal schreibt er, daß er eine Arbeit über die Verdunstung vorhabe. Sie sei ihm so unbequem, daß er fast froh sei, sie nicht in ihrem ganzen ursprünglichen Umfang ausarbeiten zu müssen. Dann beschäftigt er sich wieder einen ganzen Tag bis zum Abend mit Lichterscheinungen in verdünnten Gasen, und zwar in den sogenannten Geißlerschen Röhren, die auch Röntgen später benutzte, als er die X-Strahlen entdeckte. Er gab sich ganz den Versuchen hin, weil er hier Neuland zu betreten hoffte. Immer neue Röhren schloß er in den Stromkreis, er arbeitete so besessen, daß er sich nicht einmal Notizen machte. Das Experiment hielt ihn gebannt. Mit jener etwas zögernden und sich selbst gegenüber kritischen Art schildert er seinen Eltern, wie er sich einstweilen ohne feste Methode auf diesem neuen „Stoff" herumtummele. Er lerne das bereits Bekannte genauer kennen, wiederhole die von anderen angestellten Versuche und mache auch einige neue, die ihm „gerade einfallen". Das mache ihm schon allein das größte Vergnügen, da die Lichterscheinungen in den Geißlerschen Röhren mit ihren prächtigen Farben meist wunderschön und außerordentlich mannigfaltig seien. Auf das Glasblasen komme dabei viel an: „Ich bin viel zu ungeduldig", berichtete er nach Hause, „als daß ich heute eine Röhre beim Glasbläser bestellen könnte, die ich in einigen Tagen erst hätte; so beschränke ich mich lieber auf das, was meine geringe Kunst leisten kann." Aber die Versuche mit den Geißlerschen Röhren bereiteten ihm nicht nur Freude. Das Auspumpen der Röhren, die möglichst luftleer zugeschmolzen werden mußten, führte er meist mit einer gewöhnliehen Luftpumpe durch. „Das ist auch eine ganz gehörige Anstrengung auf die Dauer", gesteht er, „ich habe gelegentlich aus rein körperlicher Ermüdung die Versuche abbrechen müssen. Es ist auch im übrigen kein Vergnügen, im völlig verdunkelten Zimmer zu sitzen, während die Sonne auf die Läden brennt und eine recht hohe Temperatur erzeugt und im Zimmer allerlei Drähte herumlaufen, die bei unvorsichtiger Berührung recht empfindliche elektrisehe Schläge versetzen. Indessen geht es nun nicht anders vorwärts. Zum Trost steht denn auch in der Mitte die leuchtende Glasglocke, in der die Gase unter dem Einfluß der Entladungen sich wie verrückt gebärden und die sonderbarsten, mannigfaltigsten und bunt26
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farbigsten Erscheinungen veranstalten. Es sieht jetzt wirklich bei mir recht sehr wie in einer Hexenküche aus." Schon bald hat er sich einem anderen Arbeitsgebiet zugewandt, das ihn mehr reizt. Die Eltern lesen: „Mit den Geißlerschen Röhren habe ich mich in der letzten Zeit nicht mehr so viel beschäftigt." Er berichtet ihnen von Vorversuchen, die ihm noch notwendig erscheinen. Er beginnt, sich wieder eine Batterie von tausend Elementen zusammenzustellen. Binnen zwei Monaten ist die Batterie in der Hauptsache fertig, und nun schildert er in seiner lebhaften Weise, wie sie angefangen habe, „Feuer zu spucken und elektrische Rohre zu erleuchten." Aber als ob ein Kobold mit im Spiele wäre, muß er schon nach weiteren vierzehn Tagen bekennen, er habe die allererste Station seiner Versuche nur mit genauer Not erreicht; denn die Batterie meldete sich krank, und ihre Krankheit erwies sich sogar als sehr gefährlich, anfangs glaubte er sogar als unheilbar. Aber er fand doch einen Ausweg, mußte dazu allerdings die Batterie der tausend Elemente zum großen Teil auseinander nehmen. Er machte das aber nicht rein schematisch, sondern sein ständig wacher Sinn ließ ihn diese Panne dazu benützen, an seinen Apparaturen eine Reihe Verbesserungen anzubringen. Nach einigen Monaten hat er schon wieder Pech. Da er sie eine Zeitlang nicht benutzt hat, ist die Batterie völlig zerfressen worden. „Ich bin zweifelhaft", schreibt er, „ob ich mir diese große Arbeit (die Reparatur), die wieder einige Wochen kostet, machen soll oder mir einen anderen Stoff suche." Dieses Herumtasten an immer neuen Arbeiten hatte auch in anderer Beziehung seine Gefahr. Er konnte nicht ewig Assistent bei Helmholtz bleiben, sondern mußte sich für seine wissenschaftliche Laufbahn erst die Lehrbefugnis, die Habilitation, erkämpfen. Seine Gewissenhaftigkeit ließ ihn mit Grausen an diese Bewährungsprobe denken: „Mir steht das Habilitieren entsetzlich bevor, so wie das Hineindringen ins Gewühl an einem überfüllten Schalter, aber ich sehe nicht, wie man sonst ein Billet bekommen kann." Das „Billet" war freilich unentbehrlich für die Laufbahn eines Universitätsprofessors. Auch während der Vorbereitungen auf die schwere Prüfung geht er oft hinüber ins Laboratorium. Ein scheinbar abgelegenes Problem hat ihn gepackt; er denkt über das Gleich27
gewicht einer schwimmenden Eisplatte nach, auf der ein Mensch steht. Aus den Ergebnissen seines Nachdenkens und seiner Experimente entsteht eine Schrift, die er veröffentlicht und die sich in seinen gesammelten Werken findet. Eine überraschende Erscheinung kann er darin aufklären. Er schildert sie seinen Eltern, die zwar nicht viel von Physik verstehen, aber mit wahrer Freude alles in sich aufnehmen: „Die Eisplatte wird sich natürlich etwas durchbiegen; aber welche Form nimmt sie an, wieviel genau beträgt die Senkung usw.? Man kommt da zu ganz paradoxen Resultaten, nämlich erstens, daß der Mensch zwar unter sich eine Vertiefung erzeugt, in einem gewissen Abstand aber eine kreisförmige Erhöhung des Eises, auf welche dann wieder eine Vertiefung folgt und so fort. Die Erhöhungen und Vertiefungen nehmen zwar so schnell ab, daß man sie nie wird wahrnehmen können, aber für das geistige Auge sind unzählig viele zu erkennen. Noch viel paradoxer ist dies, daß man unter gewissen Bedingungen eine Scheibe, die schwerer ist als Wasser, die also untersinkt, wenn man sie aufs Wasser legt, dadurch zum Schwimmen bringen kann, daß man noch ein Gewicht auf sie setzt; sobald man dann das Gewicht abhebt, sinkt sie unter. Die Auflösung ist die, daß mit dem Gewicht die Scheibe eine Bootform annimmt und nun das Gewicht und sich selber trägt;*nimmt man nun das Gewicht allmählich fort, so wird die Scheibe flacher und flacher, schließlich kommt ein Augenblick, wo das Boot zu flach geworden ist, und sie versinkt mit dem Rest des Gewichts. Dies ist das Ergebnis der Theorie, und so erläutere ich es mir, aber einstweilen sind Rechenfehler nicht ausgeschlossen. Es geht mir sonderbar mit einer solchen Sache; seit acht Tagen kämpfe ich, sie mir aus dem Kopf zu bringen, da sie doch eigentlich sehr gleichgültig ist und ich anderes zu tun habe, zum Beispiel die eventuelle Habilitationsarbeit aufzuschreiben, die ich nur im Kopf fertig habe, aber keinen Strich auf dem Papier. Aber es ist nicht möglich, rein abzuschließen, immer bleibt irgendein Widerspruch oder eine Unwahrscheinlichkeit, und so lange das ist, ist es mir fast unmöglich, den Geist davon fortzubringen. Und die Formeln für die richtige Lösung, welche ich habe, sind so verwickelt, daß es immerhin viel Zeit und Mühe erfordert, ihre Bedeutung sich klarzumachen. Aber 28
wenn ich auch ein Buch nehme oder sonst was tue, so kommen beständig die Gedanken darauf zurück: Sollte es nicht so gehen? Ist dies nicht doch ein Widerspruch? Das ist eine wahre Plage, wenn einem an dem Resultat gar nicht so viel liegt. Heute abend ist bei von Hansemanns großes Fest, ich habe keine große Lust und bin auch nicht in der Stimmung, immer die schwimmenden Platten vor den Augen, aber es ist wohl ganz gut, etwas herausgerissen zu werden." Entgegen allen Befürchtungen gelingt ihm die Habilitation ohne Schwierigkeiten, im Frühjahr 1883 steht er bereits auf dem Katheder vor den Studenten der Universität Kiel. Eineinhalb Jahre später beruft man ihn dann nach Karlsruhe. Vom Tode gezeichnet Vielleicht begreift man manche pessimistisch klingende Notiz, die sich im Tagebuch aus der Karlsruher Zeit findet und die wir wiedergegeben haben, besser, wenn man weiß, daß Heinrich Hertz schon bei seiner Übersiedlung in die badische Hauptstadt die Keime zu seinem frühen Tod in sich trug. Vermutlich durch eine nicht beachtete Erkältung verursacht, hatte sich die Krankheit in ihm festgesetzt. Aus einem bakterienerfüllten Herd streute sie eine schleichende Vergiftung über den ganzen Körper, und kein Arzt erkannte, wie verheerend sie an ihm zehrte, fast zehn Jahre lang. Die Zähne erkrankten, es flimmerte ihm vor den Augen, Müdigkeit und das Gefühl des Uberlastetseins überfielen ihn. Der Fuß vereiterte, mußte mehrmals geschnitten werden und verursachte heftigste Schmerzen. Heroisch ertrug er, von Augenblicken der Schwermut abgesehen, was ihm an Leid und Schmerz aufgebürdet war. Als im Jahre 1889, nach der Entdeckung der drahtlosen Wellen, der ehrenvolle Ruf an ihn erging, den Lehrstuhl für Physik an der Universität Bonn zu übernehmen, war sein Lebensmut von neuem geweckt. Kindlich freute er sich auf das Haus, das er sich in Bonn gekauft hatte, auf die Einrichtung des physikalischen Instituts, wo vieles noch auszubauen war, auf die mittelrheinische Landschaft. Der ihn berufende Ministerialdirektor sicherte ihm freies Arbeiten zu: „Er soll freie Zeit zu seinen Arbeiten behalten und seine Aus29
breitungsgeschichten zu Ende bringen." Aber Heinrich Hertz war schon neuen Aufgaben zugewandt. In Bonn untersuchte er die Erscheinungen bei elektrischen Drahtwellen, wobei ihm seine Erfahrungen mit drahtlosen Wellen sehr zustatten kamen. Als einer der gefeiertsten Gäste nahm er an der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Heidelberg teil, vor der er über die Beziehungen zwischen Licht und Elektrizität sprach. Hier traf er mit dem Amerikaner Thomas Alva Edison zusammen, der der ganzen Welt als der größte Erfinder des Jahrhunderts galt. Edison hatte neben vielen anderen Dingen den Phonographen, die Kohlenfadenlampe, den Film, den Projektionsapparat erfunden und 1882 das erste Elektrizitätswerk erbaut. Am Abend dieses Tages setzte Heinrich Hertz sich an den Gasthoftisch, um, wie er es gewohnt war, wieder einmal mit seinen Eltern zu plaudern: „In Heidelberg hat es mir, wie Ihr Euch denken könnt, sehr gut gefallen, und es wird eine sehr schöne Erinnerung für mich sein. Alle kamen mir aufs freundlichste und ehrendste entgegen und schließlich war ich froh, wieder allein zu sein, um nicht mehr Komplimente zu hören. Doch dies war weniger das Vergnügen als das Zusammensein mit den Fachgenossen. Auch sehr viel gelernt habe ich. Als ich am Dienstag ankam, fühlte ich mich zunächst etwas einsam in dem durchfrorenen Hotelzimmer, aber bald traf ich Bekannte. Abends war allgemeine Begrüßung im Museum; hier wurde ich Siemens vorgestellt, der sehr freundlich war und auch in den folgenden Tagen keine Gelegenheit versäumte, mir zu sagen: Das ist alles Unsinn. Sie müssen nach Berlin kommen. Ebenso sprach ich -mit Edison, der sich vergewisserte, ob ich der ,man' sei, ,who made the experiments about vibrations and sparks' (der die Versuche mit Schwingungen und Funken macht). Dann erzählte er mir, er habe früher auch einmal etwas Ähnliches versucht, und als ich ihm, mein Bedauern ausdrückte, daß er es nicht zu Ende geführt, meinte er, seine Sache sei ,only inventions, no science' (nur Erfindungen, keine Wissenschaft). Doch war die Unterhaltung sehr kurz, andere ließen sich vorstellen, und es war ein großes Gedränge um ihn. Der Phonograph wirkt wunderbar, aber die Art, wie er dort vorgeführt wurde, war Reklame und nach unseren Begriffen nicht sehr würdig." 30
Zwei Männer — zwei Welten! Der geniale, geschäftstüchtige Erfinder neben dem stillen, ernsten Forscher, der es trotz vieler Angebote ablehnte, aus seiner Entdeckung Geld zu machen. Doch hat jeder von beiden den andern anerkannt. Nach der Rückkehr nach Bonn verschlimmerte sich sein Zustand. Im Oktober 1891 schwoll das Ohr an, eine weitere Operation wurde nötig, viele Körperstellen waren nun von der Infektion befallen. Er begab sich nach Baden-Baden, machte mit seiner Tochter Johanna in den ersten Tagen Ausflüge in die Umgebung und stellte eine leichte Besserung fest. Aber schon am nächsten Tag trat ein Rückfall ein. Er notierte: „Rückkehr des Leidens in Nase und Rachen", und zwei Tage später: „Unglückliche Tage; Versuch, mich mit Fasten und Laufen zu kurieren, und schnelles Herunterkommen." An die Eltern schrieb er: „Nichts ist schwerer als ein Kampf, den man nicht um den Sieg kämpft, sondern um nicht unanständig zu fallen." Und einige Monate danach: „Wenn mir wirklich etwas geschieht, so sollt Ihr nicht trauern, sondern sollt ein wenig stolz sein und denken, daß ich dann zu den besonders Auserwählten gehöre, die nur kurz leben und doch genug leben. Dies Schicksal habe ich mir nicht gewünscht und gewählt, aber wo es mich getroffen, muß ich zufrieden sein, und wenn mir die Wahl gelassen wäre, würde ich es vielleicht selbst gewählt haben." Mit größter Selbstüberwindung hielt er am 7. Dezember 1893 seine letzte Vorlesung, nachdem er schon vorher seine Tätigkeit an der Universität erheblich hatte einschränken müssen. Mit vollem Bewußtsein sah er den Tod auf sich zukommen, der ihn am 1. Januar 1894 erlöste. In der Physikalischen Gesellschaft zu Berlin gedachte am 16. Februar 1894 Max Planck des Heimgegangenen: „Das junge Jahr hat mit einem Trauerfall begonnen, dessen erschütternde Tragik mit elementarer Gewalt bis weit über die Kreise der physikalischen Wissenschaft hinaus gedrungen ist. Noch an der Schwelle des reiferen Mannesalters ist Heinrich Hertz mitten aus rastloser Arbeit und großen Plänen heraus, nach einem von fast beispiellosen Erfolgen gekrönten Wirken, einer heimtückischen Krankheit zum Opfer gefallen und mit ihm einer der Führer unserer Wissenschaft, ein Stolz und eine Hoffnung der Nation, zu Grabe getragen worden." Nachdem Max Planck die von dramatischen Spannungen erfüllte 31
Arbeit von Heinrich Hertz geschildert hatte, schloß er mit den Worten: „Keiner, der je auf seinen Gebieten arbeitet, wird sich seinem Einflüsse entziehen können, tausendfältig, wie die Früchte seines Wirkens, sind die Keime, die er in seinen Schriften niedergelegt hat und die sich auf dem rechten Boden zu neuen Trieben entwickeln können. Ausgesprochen oder unausgesprochen wird der Name Hertz als der ersten einer gegenwärtig sein, solange überhaupt elektrische Schwingungen von Menschen wahrgenommen werden." Ein Jahr später begann der Italiener Guglielmo Marconi die große Entdeckung von Heinrich Hertz technisch und wirtschaftlich auszuwerten. Sieben Jahre später war der Atlantische Ozean mit „Hertzschen Wellen" überbrückt. Das Rundfunkzeitaker hatte begonnen.
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(Physik)
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