Mit einem gewaltigen Aufwand aller technischen Re serven werden von Kap Kennedy aus die Teile eines Superraumschiffes ...
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Mit einem gewaltigen Aufwand aller technischen Re serven werden von Kap Kennedy aus die Teile eines Superraumschiffes in eine vorausberechnete Umlauf bahn um die Erde geschossen. Eigens dafür ausgebil deten Raumingenieuren fällt die Aufgabe zu, im frei en Raum schwebend, diese Teile wie die Steine eines gigantischen Puzzlespiels zusammenzusetzen. Man hatte mit allen Schwierigkeiten gerechnet und von vornherein Vorkehrungen getroffen – nur an eines hatte man nicht gedacht: die Männer und ihr kühnes Werk würden eine leichte Zielscheibe sein, wenn sie auf ihrer Umlaufbahn um die Erde alle neunzig Mi nuten eine bestimmte Stelle passierten. Hier wären sie einem feindlichen Raketenangriff wehrlos ausgelie fert. Und der Gegner war entschlossen, mit allen Mit teln zu verhindern, daß die Vereinigten Staaten einen Vorsprung im Wettlauf um die Eroberung des Son nensystems erzielten, der nie wieder einzuholen sein würde.
Ein packender, technisch-utopischer Roman von Jeff Sutton, Autor des Ullstein Buches DIE TAUSEND AUGEN DES KRADO 1 (Nr. 2812). Ein Buch, dessen Geschehen morgen schon Wirklichkeit werden kann.
Ferner liegen vor
in der Reihe der
Ullstein Bücher:
Science-Fiction-Stories 1 (2760)
Science-Fiction-Stories 2 (2773)
Science-Fiction-Stories 3 (2782)
Science-Fiction-Stories 4 (2791)
Science-Fiction-Stories 5 (2804)
Science-Fiction-Stories 6 (2818)
Science-Fiction-Stories 7 (2833)
Science-Fiction-Stories 8 (2845)
Science-Fiction-Stories 9 (2853)
Science-Fiction-Stories 10 (2860)
Science-Fiction-Romane:
Jeff Sutton:
Die tausend Augen des Krado 1 (2812)
Samuel R. Delaney:
Sklaven der Flamme (2828)
Cyril Judd:
Die Rebellion des Schützen Cade (2839)
Eric Frank Russell:
Planet der Verbannten (2849)
Larry Maddock:
Gefangener in Raum und Zeit (2857)
Jeff Sutton
Sprungbrett
ins Weltall
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Ullstein Buch Nr. 2865
im Verlag Ullstein GmbH,
Frankfurt/M – Berlin – Wien
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
SPACEHIVE
Übersetzt von Heinz F. Kliem
Erstmals in deutscher Sprache
Umschlaglayout: Ingrid Roehling
Umschlagzeichnung: Fawcett Inc.
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 1960 by ACE Books, Inc.
Übersetzung © 1971 by Verlag Ullstein GmbH,
Frankfurt/M – Berlin – Wien
Printed in Germany 1972
Gesamtherstellung:
Augsburger Druck- und
Verlagshaus GmbH
ISBN 3-548-02865-4
1
5. Juli 1975. Ben Gore kam aus der Umlaufbahn. Um 5 Uhr 30 zündete er die Bremsraketen des Raumgleiters in einer Höhe von 560 Kilometern. Mit dem unterdrückten Dröhnen der Aggregate setzte das erste Gefühl der Schwerkraft ein. Er war ein gro ßer, schlanker, drahtiger Mann, der in seinem Raum anzug die ganze Kabine auszufüllen schien. Hinter ihm befanden sich zwei leere Sitze und der ebenfalls leere Gepäckraum. Er atmete schwer, warf einen Blick über die In strumente und blickte hinaus. Bunte Sterne glitzerten am ebenholzfarbenen Himmel in erstaunlicher drei dimensionaler Klarheit. Es waren Sternhaufen darun ter, die von der Erde aus nicht zu sehen waren. Unter ihm lag der gekrümmte Horizont der Erde mit der weißen Polarregion, die gerade von der Sommerson ne angestrahlt wurde. Er streckte sich und betrachtete die tief unter ihm liegenden Landschaften. Er überquerte die Abschuß rampen von Tjura Tam nordöstlich des Aralsees, wo die lange Halbinsel Yamal in den Karasee hineinrag te. Hier lagen die großen russischen Abschußrampen der Arktis, von den Astronauten »Zähne des Roten
Bären« genannt. Zwar war es bislang noch zu keinen offenen Konflikten gekommen, aber bei der augen blicklichen gespannten Lage ... Das Dach der Welt tauchte unter Ben Gore weg, und er atmete auf. Er wußte, daß sein Raumgleiter von der Erde aus genau beobachtet wurde – von Freund und Feind. Noch einmal überprüfte er die Armaturen. Höhe ... Position ... Geschwindigkeit ... Diese Instrumente entschieden über Leben und Tod. Im Augenblick betrug die Fluggeschwindigkeit annähernd 27 000 Kilometer pro Stunde. Die Position wurde automatisch aufgezeichnet. Der programmier te Computer sorgte für einen reibungslosen Ablauf des Fluges. Doch Ben Gore wußte nur zu gut, daß sich auch ein Computer irren konnte. Er beugte sich vor und blickte in den Weltraum hinaus. Weit über ihm zeichnete sich ein kleiner hel ler Punkt ab: Es war die neue Weltraumstation. Sie befand sich noch im Stadium der Entwicklung. Der kleine helle Punkt glänzte im Sonnenlicht. Olin und Devlin, die beiden Astronauten vom dritten Team, befanden sich dort. Die Station selbst bestand aus einer großen Kapsel. Noch schwebten die einzel nen Bauelemente um die Kapsel herum. Zu einem späteren Zeitpunkt sollten sie zusammengefügt wer den.
Eine Menge Gerüchte waren über dieses Unter nehmen im Umlauf. Ben Gore wußte lediglich, daß es kein militärisches, sondern ein ziviles Projekt war. Es sollte der weiteren Erforschung des Weltraums die nen. Er warf einen letzten Blick auf die Station und kon zentrierte sich wieder auf seine Instrumente; denn er mußte sich auf das Wiedereintauchen in die Atmo sphäre vorbereiten. Alles hing jetzt vom richtigen Eintrittswinkel ab. Der Computer schaltete die Bremsraketen ab; der freie Fall durch den Weltraum begann. Es war ein seltsam schwereloses Gefühl, an das man sich einfach nicht gewöhnen konnte. Er warf einen Blick durchs Seitenfenster auf die eng am Rumpf anliegenden Tragflächen, die dem Raum gleiter eine dreieckige Form verliehen. Die stumpfe, abgeflachte Nase diente als Schutzschild gegen die Reibungshitze. Trotz seiner anmutigen Form konnte dieser Vogel nicht aus eigener Kraft von der Erde aufsteigen. Er war die dritte Stufe von zwei Trägerra keten, die ihn auf den vorberechneten Kurs brachten. Er trug den Namen Wheelhorse und war die erste Konstruktion seiner Art. Ben Gore spürte die ungewöhnliche Ruhe um sich herum. Es war, als würde er unbeweglich auf der Stelle verharren. Nur das leise Surren des Computers war zu hören. Es erinnerte ihn irgendwie an seinen Herz
schlag. Kontrolleuchten blinkten und verloschen wie der. Der Höhenmesser zeigte an, daß er sich knapp 160 Kilometer über der Erde befand, die mit rasender Ge schwindigkeit auf ihn zuzukommen schien. Er schloß den Helm seines Raumanzuges und öff nete ein Ventil. Sein Raumanzug blähte sich auf. Er spürte den Druck, der seinen ganzen Körper umgab. Nur ungern flog er mit dem aufgeblähten Rauman zug, aber das war Vorschrift. Methodisch überprüfte er noch einmal die Skalen seiner Instrumente. Captain Jansen ist in einem zu steilen Winkel eingetaucht. Es war, als könnte er die Stimme General Bryants hören. Der Chef hatte erklärt, warum Jansen gestor ben war – das Wie erübrigte sich. Major Eberhardt ist auf die gleiche Weise ums Leben gekommen. Er schlug sich diese Gedanken aus dem Kopf und konzentrierte sich erneut auf die Instrumente. Ein kleiner Elektromotor begann zu summen und richtete die Nase des Raumgleiters ein wenig auf. Der Winkel war genau programmiert, und das Eintauchen erfolg te in einzelnen Phasen, wobei sich die Geschwindig keit mehr und mehr verringerte. Wäre der Winkel zu steil, würde der Raumgleiter wie ein Meteor verglü hen. Manch guter Astronaut war auf diese Weise ums Leben gekommen. Aber nicht Ben Gore, schwor er
sich insgeheim, und sein Blick hing wie gebannt an den Instrumenten. Der Raumgleiter näherte sich von Norden her der Erde. Deutlich zeichnete sich die Grenze zwischen Tag und Nacht ab. Ben Gore schaltete das Funk sprechgerät ein, obwohl hier in der Ionosphäre nur Statik zu hören war. Die weiße Polarregion war längst hinter ihm ver schwunden, und jetzt zeichnete sich die teilweise von Wolken verdeckte Fläche des nördlichen Kanada un ter ihm ab. Deutlich konnte er die Konturen des Gro ßen Sklavensees ausmachen. Mit rasender Geschwin digkeit kam die Lufthülle der Erde auf ihn zu. Er spürte, wie die Schwerkraft allmählich zu wir ken begann. Jeden Augenblick mußte er in die Atmo sphäre eintauchen. Schon begann ein rosiger Schim mer an der stumpfen Nase des Raumgleiters aufzu glühen. Annähernd 800 Grad Celsius. Er wurde gegen den Sitz zurückgeschleudert, und sein Atem kam in rasselnden Zügen. Der Schwer kraftanzeiger kletterte weiter nach oben. Es war wie ein Messerstich in seine Lungenflügel. Panische Angst stieg in ihm auf, und er fragte sich unwillkür lich, ob irgend etwas schiefgegangen war. Alles war auf einmal vor seinen Augen verzerrt und ver schwommen.
Es war, als sähe er die Instrumente durch einen langen schwarzen Tunnel. Zeigte die Skala wirklich sechs G an, oder spielten die Augen ihm einen Streich? Wie lange konnte ein Mensch sechs G ertra gen? Angeblich sechs bis acht Sekunden. Er biß die Zähne zusammen und atmete in schnellen, heftigen Zügen. Seine Bauchmuskeln waren verkrampft. Die Zeit schien stillzustehen. Endlich hatte er es geschafft! Diesmal war es längst nicht so schlimm wie beim erstenmal. In diesen Au genblicken wurde er sich immer der ständigen Ge genwart des Todes bewußt. Trotz der Klimaanlage in seinem Raumanzug war sein Körper in Schweiß ge badet, und alles schwamm vor seinen Augen. Durch halten ... durchhalten ... durchhalten! hämmerte es in seinem Kopf. Unvermittelt ließ der Druck auf seiner Brust nach, und er atmete den Sauerstoff tief in die Lunge. Er straff te sich in den Schultern und blickte auf die Instrumente. Er sah, daß er den kritischen Punkt überstanden hatte. Ein Lächeln huschte um seine Mundwinkel. »Du hast es geschafft!« sagte er sich. Nun würde er bald durch die Atmosphäre gleiten – wenn weiterhin alles klappte. Hier oben, an der äu ßersten Grenze der Lufthülle, herrschten mitunter unberechenbare Strömungen. An der Grenze zwi schen Tag und Nacht hingen ein paar rosa Wolken.
Hinter dem gekrümmten Horizont stand der Mond. Der Mond. Ben Gore schnitt eine Grimasse. Der Mond – sein Mond – war Harkness und Peters vom ersten Team zugeteilt worden. Sie saßen jetzt da oben in ihrer Kuppel. Dabei waren sie weder die ersten noch die einzigen, denn die Russen befanden sich be reits seit Wochen auf dem Mond. Er selbst und sein Teamkamerad Jastro waren um diesen Flug zum Mond betrogen worden – auf Anweisung dieses ver wünschten Bürokraten Clement Strecker. »Ich übertrage Ihnen das Projekt Raumstation«, hatte Strecker gesagt. »Es ist vermutlich wichtiger als der Mond.« Dummes Zeug, dachte Ben Gore. Statt den Flug zum Mond zu machen, war er jetzt nichts weiter als ein Busfahrer und raste zwischen der Erde und Raumstation hin und her. Dabei war es ihm nicht so sehr um den Ruhm, sondern um den Mond selbst ge gangen. In den Augen der meisten Menschen war es lediglich ein Trabant, der seine Bahn um die Erde zog – doch für ihn bedeutete es eine völlig neue Welt, ei nen ersten Schritt zum Mars oder vielleicht noch tie fer in den Weltraum hinein. Wieder spürte er die Schwerkraft und schob alle trüben Gedanken beiseite. Die Nase des Raumgleiters begann stärker zu glühen, aber die kritischen Augen blicke waren schneller überstanden, als er befürchtet
hatte. Die Reibungshitze blieb ein ganzes Stück unter dem kritischen Punkt. Im Westen zeichnete sich die Küste des Pazifiks ab. Glitzernde Sterne standen hinter dem gekrümmten Horizont der Erdkugel. Seufzend ließ er sich gegen die Sitzlehne zurückfallen. Er hatte es wieder einmal geschafft. Der Lautsprecher begann zu schnarren. »Station Oboe ruft Wheelhorse. Station Oboe ruft Wheelhorse.« Die Stimme hatte einen metallischen Klang. »Wheel horse, bitte kommen!« Er bediente einen Schalter. »Wheelhorse an Oboe. Verständigung einwandfrei.« Die Stimme nannte ihm einige Koordinaten, und er nahm die entsprechenden Kurskorrekturen vor. Ein kleiner Lichtpfeil pendelte sich genau auf die Lande schneise ein, und er hatte jetzt nichts weiter zu tun, als den Raumgleiter auf diesem Kurs zu halten. In einer Höhe von 20 000 Meter schaltete er die Bordraketen ein. Die kalifornische Küste breitete sich unter ihm aus. Er überprüfte Druck und Temperatur in der Kabine und öffnete das Ventil des Raumanzu ges. Dann nahm er den Helm ab, streckte die Arme und trat mit den Füßen ein paarmal auf den Boden, um die Blutzirkulation anzuregen. Von Zeit zu Zeit überprüfte er den Kurs und den Kraftstoffanzeiger. Der Kraftstoff war ziemlich knapp bemessen, so daß sich jede Abweichung vom genau
en Kurs verhängnisvoll auswirken konnte. Die kali fornische Küste verschwand hinter ihm, und er über flog Los Angeles. Er überlegte, ob er mit Dorena oder Eva schlafen sollte. Eva gewann, und er lächelte bei dem Gedan ken an die vor ihm liegende Nacht. Er schaltete das Funksprechgerät ein. »Wheelhorse an Big Strip. Wheelhorse an Big Strip.« »Big Strip. Wir hören Sie, Wheelhorse.« Er gab Höhe, Geschwindigkeit und genaue Positi on durch. »Okay, wir haben Sie auf dem Schirm. Landebahn ist frei.« Er blickte hinunter. Die Sandwüste kam auf ihn zu. Er sah die aufragenden Startrampen der Raumstation. Er bediente einen Schalter und spürte, wie der Raumgleiter von den ausgefahrenen Fallschirmen ab gebremst wurde. Der Kurs führte genau auf die Lan debahn zu, und die Sandwüste huschte vorüber. Der Raumgleiter setzte auf und rollte aus. Na ja, dachte er, vielleicht hatte er schon bessere Landungen hingelegt, aber darauf kam es jetzt nicht an. Ein Jeep, ein Wagen der Feuerwehr und ein Kran kenwagen rasten neben ihm die Landebahn entlang. Er grinste vor sich hin. Nein, diesmal brauchte er sie nicht.
2
Der Mond zog vorüber. Hell zeichnete sich der Horizont gegen den dunk len Hintergrund ab. Kalte Sterne glitzerten am Fir mament. Bizarre und groteske Formationen waren zu sehen. Eine andere, fremdartige Welt. Die ungewöhn liche Schönheit dieses Trabanten schlug Ben Gore wie stets in seinen Bann. »Tsjolkowski Krater«, sagte eine Stimme. Unmittel bar am Rand dieses Kraters lag die russische Kuppel. Kurze Zeit später tauchte eine weitere in hellem Son nenlicht liegende Kuppel auf. »Der Lomonosow-Krater«, sagte die Stimme. »Da hinter liegt das Meer von Moskau.« Alex Jastro beugte sich gespannt auf seinem Sitz vor. Er war etwas kleiner als Ben Gore, sein Teamka merad und bester Freund. Weitere Krater und Mare zogen in einer bizarr zer klüfteten Steinlandschaft vorüber. »Irgendwo da unten steht eine neue Kuppel der Russen«, sagte die Stimme. Ben Gore starrte verblüfft hinunter. Russen auf der Rückseite des Mondes? Er hörte Jastro einen Fluch ausstoßen und beugte sich auf seinem Sitz weiter vor. Die russische Kuppel konnte er natürlich nicht sehen,
aber die Topographie faszinierte ihn. Es war die sel ten gezeigte Rückseite des Mondes. Hier war alles ganz anders als die bekannten Apenninen, Leibnitzund Dörfelgebirge, der gigantische Clavius oder der Kopernikus-Krater. Nur an den Schatten waren Hö hen und Tiefen zu erkennen. Unvermittelt brach der Film ab, und das Licht wurde eingeschaltet. Verhaltenes Stimmengewirr setzte ein. Colonel Bruckman, der Abwehroffizier der Abteilung Eins, stand auf, nahm die Zigarre aus dem Mund, und es wurde ruhig im Raum. Sein Blick glitt über die Zuschauer. »Das waren unsere neuesten Aufnahmen von der Rückseite des Mondes, Gentlemen. Fragen?« »Ja, Sir. Woher wissen wir eigentlich, daß die Russen dort sind?« fragte jemand. »Wir haben ihre Spuren verfolgt«, lautete die Ant wort. »Woher wissen wir, daß es sich um ein bemanntes Fahrzeug handelte?« kam die nächste Frage. »Aus verschiedenen Gründen. Einmal war die Spur charakteristisch – und dann haben wir den Funk sprechverkehr abgehört.« Die Zuhörer begannen zu lachen, und Gore grinste vor sich hin. Die Abwehr der Air Force war über al les, was sich hinter dem Eisernen Vorhang abspielte, recht gut informiert. Ein dichtes Netz von Satelliten
umspannte den Globus und übermittelte das verräte rische Aufblitzen an irgendeiner Startrampe. Das Zeitalter der Überraschungen war vorüber. Er ließ den Blick über die Zuschauer gleiten. Die meisten von ihnen waren wie er selbst so um die dreißig. Diese Astronauten bildeten die Elite der Air Force. Im Hintergrund des Raumes entdeckte er ein bekanntes Gesicht. Strecker! Was, zum Teufel, hatte der Mann hier zu suchen? Clement Strecker war eine anerkannte Auto rität, wenn es darum ging, die einzelnen Teile einer Raumstation zusammenzubauen. Ihm hatte er es zu verdanken, daß er vom Mondflugprogramm abge setzt und der Raumstation zugeteilt worden war. Der Teufel sollte ihn holen! Sie bauen eine Raumstation am Himmel. Gore dachte über die Gerüchte nach. Irgendwie sah Strecker nicht nach einem Mann aus, der eine Welt raumstation zusammenbauen könnte. Er hatte die ty pische Kopfform mit der hohen Stirn eines Wissen schaftlers. Den zynischen Augen war kein Ausdruck zu entnehmen. Zum Teufel mit ihm! dachte Ben Gore noch einmal. Jastro sah seinen Gesichtsausdruck und sah sich im Raum um. »Was will der denn hier?« fragte er leise. »Keine Ahnung. Ich dachte immer, nur das Perso nal der Air Force dürfte an diesen Zusammenkünften
teilnehmen.« Er hörte seinen Teamkameraden fluchen und mußte unwillkürlich grinsen. »Wahrscheinlich will er uns wieder einen neuen Job aufhalsen.« Jastro fluchte noch einmal, und dann konzentrier ten sie sich wieder auf die Vorgänge im Raum. »Welche Folgen hat diese neue Kuppel der Russen auf unserer Mondstation?« fragte jemand. »Das läßt sich noch nicht sagen, denn diese Kuppel befindet sich auf der entgegengesetzten Seite des Mondes. Immerhin war es recht interessant, festzu stellen, daß sie dort sind.« »Könnte diese Station einen militärischen Zweck verfolgen?« »Wahrscheinlich«, antwortete der Colonel trocken. »Zur Zeit sieht es jedoch so aus, als wäre diese Station gewissermaßen als Sprungbrett in den Weltraum ge dacht – vielleicht für einen Ausflug zum Mars.« »Ein Nachschublager?« »Wahrscheinlich.« »Ich möchte nur wissen, warum uns die Russen immer zuvorkommen«, brummte Jastro. »Frag ihn doch mal.« »Ja, um mir meine Karriere zu ruinieren. Vielen Dank.« »Warum haben sie die Rückseite des Mondes ge wählt?« erkundigte sich jemand. »Keine Ahnung. Das haben sie uns nicht auf die Nase
gebunden«, erwiderte der Colonel und fügte, als das Lachen der Zuschauer verebbte, hinzu: »Damit haben sie jedenfalls eine Station auf beiden Seiten.« »Bringt ihnen das einen Vorteil?« »Das läßt sich noch nicht sagen. Sie scheinen gute Gründe für ihre Maßnahmen zu haben.« Eine andere Stimme fragte: »Haben wir auch Pläne bezüglich der Rückseite des Mondes?« Gore richtete sich auf und wartete gespannt auf die Antwort. Colonel Bruckman zog an seiner Zigarre, ließ eine Rauchwolke zur Decke aufsteigen und erwi derte: »Unsere Pläne schließen jeden Ort des Sonnensy stems ein, den ein Mensch erreichen kann. Es dürfte wohl ein offenes Geheimnis sein, daß wir zunächst unsere Station ausbauen wollen. Was dann kommt ...« Er zuckte die Achseln. Obwohl es eine indirekte Antwort war, gab Gore sich damit zufrieden. Er wußte, daß auf die Angaben des Colonel Verlaß war. Sobald Jastro und er die ge genwärtigen Aufgaben durchgeführt hatten, standen ihnen alle Möglichkeiten offen. Der Colonel zog wie der an der Zigarre und sah sich im Raum um. »Falls damit alle Fragen beantwortet sind, werden wir uns jetzt die Aufnahmen unserer letzten MarsSonde ansehen.« Er gab dem Filmvorführer ein Zei chen, und die Lichter im Raum erloschen.
Gore beugte sich erwartungsvoll vor. Als der Pla net auf der Leinwand auftauchte, stieß Jastro einen leisen Pfiff aus. »Noch immer nicht ganz klar, aber doch wesentlich besser als alle bisherigen Aufnahmen.« Gore nickte und starrte gebannt auf die Leinwand. Mars ... die Augen der Menschen blickten über 80 Millionen Kilometer durch den Weltraum. Diese technologische Leistung war unglaublich. Da hing der Rote Planet vor ihnen. Die elektronischen Sonden waren die Wegbereiter der Menschen. Deutlich zeichnete sich die weiße Polarkappe ab. Dunkle Flek ke waren auf dem Planeten zu erkennen. »Aus den übermittelten Daten geht hervor, daß die Atmosphäre für den Menschen nicht geeignet ist, denn sie besteht aus neunzig Prozent Stickstoff, und der Rest ist fast ausschließlich Kohlendioxyd. Der at mosphärische Druck beträgt etwa zehn Prozent des irdischen«, führte der Colonel aus. Gore nickte vor sich hin. Er hatte ohnehin keine pa radiesische Gegend auf dem Mars erwartet. Immerhin konnte ein Mensch da oben in einer Kuppel leben und forschen, Dinge sehen und erkennen, die bislang jedem menschlichen Auge verborgen geblieben waren. Nur darauf kam es an. Er sah die Oberfläche des Planeten vorüberziehen. Die Bilder waren stellenweise verzerrt. Dennoch ließ sich die Oberfläche ausmachen.
Bruckman erklärte, welcher Anstrengungen es noch bedurfte, um diese gewaltige Entfernung zu überbrücken. Er sprach Ben Gore aus dem Herzen. Als der Film abgelaufen war und das Licht einge schaltet wurde, stand Bruckman wieder auf. »Irgendwelche Fragen, Gentlemen?« »Ja«, sagte Gore. »Wann machen wir uns auf den Weg zum Mars?« Die Zuschauer lachten; alle Blicke blieben auf die untersetzte Gestalt des etwa fünfzigjährigen Colonels gerichtet. »Sobald wie möglich.« »Und wann wird das sein?« fragte Jastro. »Das kann ich noch nicht sagen. Immerhin kann ich Ihnen soviel versprechen ...« Er beugte sich ein wenig vor, und im Raum herrschte Totenstille. »Einige der Anwesenden in diesem Raum werden die Fahrt mit machen.« Gore atmete langsam aus. So bald schon? Unglaub lich! Und doch klang es irgendwie gar nicht so un wahrscheinlich. Die Anstrengungen zur Erforschung des Weltraums waren in letzter Zeit mehr als ver doppelt worden. Jede Nation schien erkannt zu ha ben, daß die Herrschaft über den Weltraum gleichzei tig die Herrschaft über die Erde bedeutete. Selbst den Politikern war das inzwischen klar geworden. Aber wie lange noch? Zwei Jahre? Fünf? Zehn? Er
war immerhin schon zweiunddreißig und konnte sich keine lange Wartezeit mehr leisten. Bruckman er wähnte, daß die westliche Welt den Russen unbe dingt zuvorkommen und die inneren Planeten des Sonnensystems zuerst erreichen müsse. Gore hörte, wie die Europäische Gemeinschaft erwähnt wurde, und blickte auf. »Die Europäer?« fragte jemand. »Nun, sie scheuen weder Kosten noch Mühen«, antwortete Bruckman. »Sie arbeiten zur Zeit an einer eigenen Mondrakete und Mondstation.« »Wie steht's mit China?« fragte jemand. »Sie sind trotz aller Propaganda noch nicht so weit«, erklärte Bruckman. »Sie experimentieren noch.« »Mit Raumraketen?« fragte ein blonder Leutnant. »Zweifellos.« »Raketen, die wie unsere mehrmals verwendet werden können?« »Nein, das ist nicht anzunehmen.« »Wie steht's mit den Venus-Sonden?« Gore und Jastro blickten sich erstaunt an. Venus, der verschleierte Planet, war schon immer das große Fragezeichen gewesen. Ein Raunen ging durch den Saal. Der Colonel ließ die Frage eine Weile im Raum stehen, ehe er sie beantwortete. »Das ist noch ge heim.« Damit war die Vorführung beendet, und Gore
stand auf. Er begegnete Streckers Blick und wandte sich der Tür zu. »Ben!« Er sah sich um. Colonel Bruckman kam auf ihn zu. »Sie auch, Alex!« rief er Jastro zu. Der Colonel blieb vor ihnen stehen und bot ihnen Zigaretten an. Offensichtlich wartete er, bis der Raum sich geleert hatte. Gore hatte ein gutes Verhältnis zu Colonel Bruckman. Sie hatten schon manche Flasche zusammen geleert. »Wie war denn der Urlaub ge stern abend?« fragte Bruckman. »Ich war in Los An geles«, erwiderte Gore, und Jastro grinste breit. »Ja, ich weiß«, sagte der Colonel. »Fünf Minuten nach Dienstschluß wart ihr bereits verschwunden.« »Die Mädchen in Los Angeles fackeln nicht lange«, schaltete Jastro sich ein. »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.« »So so.« Bruckman wechselte unvermittelt das Thema. »Möchtet ihr morgen hinüberfliegen und zu sehen, wie ein großer Vogel von der Rampe abhebt?« »Aber gern«, erwiderte Gore lächelnd. »Ich auch«, sagte Jastro. »Es sollte natürlich geheim bleiben, aber inzwi schen weiß es jeder Reporter.« Gore stieß einen leisen Pfiff aus. »Ich habe natürlich schon Gerüchte gehört, aber nicht geglaubt, daß das Ding schon fertig wäre«, meinte er nachdenklich. »Na ja, das ist eben die Frage«, erwiderte Bruck
man offen. »Sie scheinen es mit diesem Start ver dammt eilig zu haben.« »Warum eigentlich? Es wäre doch ein schwerer Rückschlag, wenn die Sache schiefgehen sollte, weil alles noch nicht ausgereift ist«, sagte Gore. »Dieser verdammte Wettlauf in den Weltraum«, brummte der Colonel. »Wir müssen ganz einfach al les einsetzen, was uns zur Verfügung steht.« »Ist es ein weiterer Start zum Mond?« fragte Gore. Der Colonel zögerte. »Nein. Der Vogel soll in eine Umlaufbahn gebracht werden.« »Aber wir sollen doch nicht nur dabei zuschauen, oder?« »Eigentlich schon, aber es wäre ratsam, besonders auf die oberste Stufe zu achten.« »Stammt die Idee von Ihnen?« »Nein, von General Bryant«, sagte Bruckman. »Wir freuen uns.« »Was ist eigentlich an diesem Gerücht dran, daß ein Raumschiff im Orbit gebaut werden soll?« fragte Jastro. »Davon habe ich noch nichts gehört«, gab der Co lonel zurück. Er wandte sich an Gore. »Morgen früh bekommen Sie die Dienstanweisungen. Ich wollte Ih nen nur vorher Bescheid sagen.« »Damit wir nicht über den Zapfen hauen?« fragte Gore mit einem breiten Grinsen.
»Stimmt; kein Whisky und keine Mädchen.« »Verdammt«, sagte Jastro. »Das bedeutet den Ruin meines Liebeslebens.« »Nach allem, was ich gehört habe, dürfte das wohl kaum zu befürchten sein«, murmelte der Colonel. »Wir freuen uns jedenfalls schon darauf, den gro ßen Vogel starten zu sehen«, sagte Gore. »Ich werde Alex unter die Fittiche nehmen und darauf achten, daß er heute abend ein sauberes Leben führt.« »In Ordnung.« Der Colonel verabschiedete sich, drehte sich aber an der Tür noch einmal zu ihnen um. »Achtet besonders auf die oberste Stufe, Gentlemen.« Gore enthielt sich weiterer Fragen und ging mit Ja stro zur Tür hinaus. Sie blieben stehen und zogen schweigend an ihren Zigaretten. »Es wäre sinnlos, darüber zu reden, denn wir wis sen noch gar nichts«, bemerkte Gore nach einer Wei le. »Gar nichts«, bestätigte Jastro und fügte hinzu: »Wir haben den Mädchen versprochen, heute abend wiederzukommen.« »Nichts zu machen«, brummte Gore und blickte abwesend auf die ersten Sterne, die sich am Wüsten himmel abzeichneten. Venus stand wie ein helles Au ge am Horizont. »Sieh dir nur mal dieses prächtige Geheimnis an«, durchbrach Jastro unvermittelt das Schweigen.
3
»Noch genau zwanzig Minuten bis zum Start.« In der Stille des Raumes hatten die Worte einen durchdringenden Klang. Gespannt verfolgte Ben Go re die Vorbereitungen. »Ich wünschte, sie würden die Sache ein bißchen schneller über die Bühne gehen lassen«, sagte der ne ben ihm sitzende Jastro. »Da bekommt der Mann eine tolle Schau gratis geboten und meckert immer noch«, brummte Gore, der genau wußte, daß sein Teamka merad an allem und jedem etwas auszusetzen fand. »Zumindest könnten sie uns die Zeit mit ein paar scharfen Striptease-Tänzerinnen vertreiben«, fügte Ja stro im gleichen Tonfall hinzu. Gore ging nicht weiter darauf ein und sah sich im Raum um. Es war das Nervenzentrum und die Schaltstelle der Abschußrampe. Der Raum lag wie ein Großteil der eigentlichen Rampe unter der Erde. Bläuliche Tabakwolken zogen durch die Luft und wurden von den Ventilatoren der Klimaanlage abge saugt. Er hatte gerade erfahren, daß die Rakete mit einem Atomantrieb ausgestattet war. Es konnte sich also nur um ein Raumschiff handeln. Das Gerücht stimmte also doch.
»Noch elf Minuten bis zum Start.« Er sah sich um und erblickte Strecker. Das feine Lä cheln des Mannes zeigte, daß er sich insgeheim über irgend etwas lustig machte. »Strecker ist hier«, sagte Gore zu Jastro. »Der Kerl geht mir auf den Wecker«, knurrte Jastro. Gore ließ den Blick erneut über die Skalen der In strumente an den Wänden gleiten. Die automatischen Fernschreibgeräte spuckten lange Papierstreifen mit Daten aus. Der für den Start verantwortliche Major saß inmitten einer ganzen Batterie von Instrumenten. Unmittelbar hinter ihm saß der Zeitnehmer, der den Ablauf der Minuten mitzählte. Jastro beugte sich zu Gore hinüber. »Genau wie in den guten alten Tagen.« Gore nickte schweigend. Der mechanische Count down war ein Anachronismus, ein Überbleibsel ver gangener Zeiten. Damals erfolgte alles stufenweise, bis die Triebwerke schließlich gezündet wurden. Heutzutage wurde alles elektronisch besorgt. Der Mensch spielte jetzt nur noch die Rolle des Beobach ters und Überwachers. Immerhin lagen die Dinge hier ein wenig anders. Es war keine gewöhnliche Rakete, sondern der Vor läufer, der Prototyp eines Raumschiffes der Zukunft. Deshalb mußte in diesem Fall noch einmal auf den veralteten Countdown zurückgegriffen werden. Es
ging um einen hohen Einsatz, aber das Wettrennen um den Weltraum ließ keine Wartezeit zu. Gore blickte auf die Monitore. Das Raumschiff mit dem offiziellen Namen Centurio, tauchte gerade aus dem unterirdischen Versorgungszentrum auf. Jetzt stand es an der Rampe, und die Nase war in den bei nah wolkenlosen Himmel gerichtet. Bis zum eigentli chen Start blieben die Verbindungen des Raumschif fes mit der Startrampe bestehen. Gore zweifelte kei nen Augenblick daran, daß die ganze Welt diesen Start genau verfolgte. »Verdammt groß«, sagte Jastro ehrfürchtig. »Ja, unheimlich groß«, pflichtete Gore ihm bei und blickte auf den Düsenring am Fuß der Rampe. Jedes einzelne Raketentriebwerk entwickelte einen Schub von fast einer Million Kilopond. Die zweite und dritte Stufe würden, nachdem sie ausgebrannt waren, ins Meer stürzen. Nur das eigentliche Raumschiff würde in die vorberechnete Umlaufbahn eintreten. »Neun Minuten bis zum Start.« Es wäre Gore entschieden lieber gewesen, wenn dieses Raumschiff bemannt gewesen wäre. Er glaubte einfach nicht daran, daß ein elektronisches System es mit einem menschlichen Gehirn aufnehmen konnte. Zumindest nicht in Notfällen. Er wurde von der glei chen Spannung ergriffen, wie die Männer, deren Aufgabe es war, dieses Raumschiff in die Umlauf
bahn zu bringen. Den Start einer Rakete hatte er schon oft erlebt, aber noch nie die Geburtsstunde ei nes neuen Satelliten. Und dieses Raumschiff hier an der Startrampe war das Produkt jahrelanger wissen schaftlicher Forschung. Sein Blick kehrte zu dem Ma jor zurück, der alle unsichtbaren Fäden in seiner Hand vereinte. Er war die Schlüsselfigur. Die kleine Armee der mit Kehlkopfmikrofonen und Kopfhörern ausgestatteten Männer, die Instrumentenskalen, die vielen Schaltan lagen mit den Knopftastaturen und die Startrampe mit den Versorgungsverbindungen – sie alle dienten einem einzigen Zweck. Die gesamte Verantwortung lag auf den Schultern des Majors. Es war eine Ver antwortung, die mit jeder verstreichenden Sekunde größer wurde. Er allein hatte jede Entscheidung zu treffen. Gore betrachtete ihn: er war ein großer, breitschult riger, grauhaariger Mann – im Augenblick wahr scheinlich der einsamste Mann der Welt. Der Major warf von Zeit zu Zeit einen Blick auf die lange, vor ihm liegende Checkliste und hakte beim Eintreffen der Meldungen und Durchsagen die ein zelnen Positionen ab. Gelegentlich sprach er ein paar Worte ins Mikrofon und legte, während er auf die Antwort wartete, den Kopf ein wenig auf die Seite. Bis jetzt schien alles genau nach Plan zu laufen.
Gore wußte, daß dies lediglich die Endphase einer Entwicklung war, die am Vorabend begonnen hatte. Jede Leitung war genau überprüft worden. Kein ein ziger Punkt im Nervensystem des Raumschiffes war dabei übersehen worden. Hier wurde nichts dem Zu fall überlassen. Die Spannung, die sich im Laufe der Nacht ange staut hatte, erreichte jetzt den Höhepunkt und erfaßte jeden Mitarbeiter. Jastro kauerte auf seinem Platz. Sein Gesicht war von der Spannung gezeichnet. Die Zeit schien im Flug zu vergehen. Gore blickte erneut auf das Raum schiff an der Startrampe. Irgendwie glaubte er nicht, es zum letztenmal zu sehen. »Hilfssystem zur Versorgung einschalten!« sagte der Major scharf in sein Mikrofon. »Roger«, erwiderte einer der vor den Instrumenten sitzenden Männer und legte einen Schalter herum. Gore versuchte, den Anweisungen und Vollzugs meldungen zu folgen. Er beneidete den Major kei neswegs um seine Aufgabe. Drei Minuten vor dem Start wurden die Ventilatoren und die Klimaanlage des unterirdischen Kommandoraums ausgeschaltet und alle Türen und Luken hermetisch geschlossen, damit im Fall einer Fehlzündung kein Gas eindringen konnte. Der Generator der eigenen Sauerstoffversor gung wurde überprüft.
»Noch zwei Minuten«, meldete der Zeitnehmer. Die äußere Stromzufuhr des Raumschiffes wurde abgeschaltet. »Noch neunzig Sekunden.« Der Major gab weitere Anweisungen. »Innere Stromversorgung an Bord einschalten.« »Roger.« In einer Ecke des unterirdischen Kommandoraums begann eine Filmkamera zu surren. »Noch dreißig Sekunden.« Gore sah die Schweißperlen auf der Stirn des Ma jors. Mit einer kurzen Handbewegung schob dieser eine graue Haarsträhne aus der Stirn und blickte auf die Instrumente. Eine ganze Batterie kleiner Lampen zeigte ihm, daß alles in Ordnung war. Er beugte sich ein wenig vor und bediente einen Knopf. Es war der letzte erforderliche Handgriff. Von nun an war alles weitere programmiert. Der Major würde sich nur ein schalten, falls irgend etwas schiefging. Gore sah, wie er sich zurücklehnte und die Hände zu Fäusten ballte. »Noch zwanzig Sekunden.« Die Atmosphäre im Raum war zum Zerreißen an gespannt. Jastro beugte sich weit vor; sein Körper war in Schweiß gebadet, und seine Augen wirkten glasig. Gebannt verfolgten die Assistenten jede Bewegung auf den Monitoren. »Noch fünfzehn Sekunden.« Gore blickte sich um. Im unterirdischen Komman
doraum schien alles erstarrt zu sein. Das Gesicht des Majors war wie aus Stein gemeißelt. Gore konnte sei ne eigenen Atemzüge hören. Ein Assistent bediente einen Schalter und setzte die Filmkameras im Raum in Betrieb. »Sechs ... fünf ... vier ...« Die ersten Flammen schossen aus dem Raketenring. Sie hatten dafür zu sorgen, daß die gesamte Schubkraft genau im richtigen Bruchteil einer Sekun de einsetzte. »Drei ... zwei ... eins ...« Jetzt schien die Zeit stillzustehen. »Zündung!« sagten die beiden Assistenten an den Periskopen. Fünfhundert Meter vom Kommandoraum entfernt zuckten gigantische Flammenbündel auf. Im Kommandoraum selbst war nichts von der gewaltigen Zündungsexplosion zu hören. Gore wandte keinen Blick vom Monitor. Alles war so programmiert, daß das Raumschiff weitere zehn Sekunden nach der Zündung an der Rampe fest gehalten wurde. Kleine Eispartikelchen lösten sich vom Mantel der Raketen und hingen wie glitzernde Schneeflocken in der Luft. Der Zeitnehmer schwieg, und jeder Mann im Kommandoraum zählte leise für sich. »... acht ... neun ... zehn!« Die Stahlarme, die die Raketen an der Rampe fest
gehalten hatten, öffneten sich und schlugen federnd zurück. Große Dampfwolken hüllten das Raumschiff ein. »Erste Bewegung!« meldete einer der beiden Beob achter an den Periskopen und fügte unmittelbar dar auf hinzu: »Raumschiff hebt von der Rampe ab!« Die Blicke aller hingen wie gebannt an den Fern sehschirmen. Der Major sprang auf, um einen besse ren Überblick zu gewinnen. Langsam stieg das Raumschiff auf und ließ unter sich an der Startrampe ein Inferno zurück. An einer Seite verflüchtigte sich die Dampfwolke ein wenig. Das Raumschiff bewegte sich jetzt immer schneller. Nach einer Weile war es nur noch ein Punkt am Himmel, als es sich anschickte, in die vorberechnete Umlaufbahn einzuschwenken. Der Major trommelte nervös mit der Faust auf sein Kommandopult. Die folgenden Minuten schienen kein Ende zu nehmen. Der Zeitnehmer begann wieder zu zählen. Der Major blieb stehen und starrte unverwandt auf den Monitor. Die Assistenten hatten ihre Aufgaben erfüllt und überwachten die Instrumente. Das Raum schiff wurde jetzt vom Bordcomputer gesteuert. »Erste Phase erreicht!« meldete eine Stimme. Ein hörbares Aufatmen ging durch den unterirdi schen Kommandoraum. »Zweite Phase erreicht!« meldete die Stimme.
Zweite Phase bedeutete das Abtrennen der ausge brannten, dritten Stufe. Es war, als könnte Gore mit dem geistigen Auge sehen, wie diese dritte Stufe all mählich zurückblieb, um dann in einem weitgezoge nen Bogen zur Erde zurückzukehren und ins Meer zu stürzen. »Go, Baby, go!« murmelte Jastro mit vor Erregung heiserer Stimme. Der Major warf den Kopf in den Nacken und blick te zur Decke hinauf, als könnte er sie mit seinen Blik ken durchdringen und das Raumschiff am Himmel sehen. Die dritte Meldung ließ länger auf sich warten. »Phase drei erreicht!« kam die Stimme endlich, und es klang wie eine Erlösung. Gore seufzte leise. Wenige Sekunden später wurde die vierte Phase gemeldet. Der atomar getriebene Mo tor arbeitete und führte das Raumschiff in die Um laufbahn. »Jetzt ist's geschafft!« stieß Jastro hervor. Ben gab keine Antwort. Die Radarstationen melde ten einen einwandfreien Flug des Raumschiffes. Nach einer Weile war die siebente Phase erreicht. Alles lief genau nach Plan. Centurio hatte die vorberechnete Umlaufbahn er reicht.
4
»Setzen Sie sich«, sagte der hünenhafte Mann. Er deu tete flüchtig mit dem Kopf auf ein paar Stühle und beschäftigte sich wieder mit den Papieren auf seinem Schreibtisch. Gore und Jastro murmelten ein Wort des Dankes und setzten sich. Sie wußten nicht recht, wie sie zu der Ehre dieser plötzlichen Unterredung ka men. Ein paar Minuten verstrichen. Nur das leise Ra scheln der Papiere war zu hören. Gore betrachtete den Mann hinter dem Schreib tisch. Das wuchtige Kinn paßte nicht recht zu der Symmetrie dieses Gesichtes. Die Nase war leicht ge bogen, und auf der Wange war eine Narbe. Es war kein hübsches Gesicht, sondern drückte eher Geduld und Kraft aus. Das dunkle Haar war von grauen Strähnen durchsetzt, doch die Augen wirkten alles andere als alt. Sie waren hart, dunkel, ausdruckslos. Es war auch kein freundliches Gesicht. Der Mann saß hochaufgerichtet und mit straffen Schultern hinter dem Schreibtisch. Seine Haltung ließ den Astronau ten erkennen. Er hieß Brigadier General Curtis Bry ant. Jastro bewegte sich unruhig. Gore konzentrierte sich auf Bryant. Er konnte diesem Mann eine gewisse Bewunderung nicht versagen; denn dieser war in ei
nem Alter in den Weltraum geflogen, in dem sich die meisten Männer an den Schreibtisch zurückzogen. Damals gab es noch die kleinen Raumkapseln, bei denen man nie so recht wußte, wie das Unternehmen ausgehen würde. Außerdem konnte man nur hoffen, daß die Kapsel selbst nach einer glücklichen Landung im Meer rechtzeitig gefunden wurde. Bryant war ein Mann, der alles auf eine Karte ge setzt und gewonnen hatte. Jetzt war er der bekannte ste Astronaut der Nation. Er hatte dafür gesorgt, daß Gore zu seiner Abteilung versetzt wurde. Gores an fängliche Freude darüber sollte jedoch von kurzer Dauer sein, denn er wurde nicht für das Mondprojekt eingesetzt. Die Schuld daran schob er Bryant in die Schuhe. Der Alte hatte dabei mit Strecker unter einer Decke gesteckt. Um diese Tatsachen kreisten Gores Gedanken, als der General unvermittelt aufblickte. »Tut mir leid, daß ich Sie warten lassen mußte, Gentlemen, aber ich habe gerade eine wichtige Mel dung erhalten.« Er deutete auf die vor ihm liegenden Papiere. Jastro murmelte ein paar unverständliche Worte. Der General schob die Papiere lächelnd beiseite. »Wie hat Ihnen der Start gefallen?« »Es hat alles reibungslos geklappt, Sir«, erwiderte Gore formell. »Eine tolle Sache«, schwärmte Jastro.
»Ja, das glaube ich auch.« Der General betrachtete die beiden Männer. »Dieser Start war ein großer Schritt nach vorn. Jetzt haben wir ein Raumschiff mit einem atomaren Triebwerk in der Umlaufbahn.« Er sprach langsam und überlegt. »Wir werden da oben ein interplanetarisches Raumschiff zusammenbauen.« »Ein Raumschiff?« wiederholte Jastro. Der General gab keine Antwort. Gore war so auf geregt, daß er sich die entscheidende Frage nicht ver kneifen konnte. »Ein SPA-Programm, Sir?« »Natürlich. Als militärisches Projekt hätten wir es niemals durchgebracht.« »Ich verstehe nicht, warum, Sir«, murmelte Jastro. »Anscheinend stellt es uns vor keine Probleme, den Reaktor in die Umlaufbahn zu bringen«, fügte der General hinzu, ohne auf Jastros Bemerkung einzuge hen. »Oh?« Gore sah den General forschend an. »Die einzelnen Teile müssen oben im Orbit zu sammengesetzt werden.« »Für SPA?« fragte Jastro. »Mit Unterstützung der Air Force«, erwiderte Bry ant. »Das bedeutet, daß wir den Großteil der Arbeit zu verrichten haben«, brummte der Astronaut.
»Nicht ganz so«, versetzte der General. »Wir wer den weiterhin für den Nachschub sorgen und uns da für einsetzen, daß es ein voller Erfolg wird.« »Das Raumschiff wurde auf der Erde gebaut, in seine einzelnen Bestandteile zerlegt und nach und nach in die Umlaufbahn geschossen«, sagte Gore nachdenklich. »Stimmt.« Die dunklen Augen forschten in seinem Gesicht. »Dann handelt es sich in erster Linie um den Zu sammenbau.« »Ja, aber mit Komplikationen.« Die Stimme des Generals wurde hart. »Es ist ein wesentlicher Unter schied, ob man ein Raumschiff auf der Erde oder im Orbit baut. Das allein wäre schon mit erheblichen Problemen verbunden. Aber in diesem Fall kommt noch hinzu, daß der Zusammenbau sozusagen unter den Augen des Gegners durchgeführt werden muß.« »Ich glaube kaum, daß sie den Abzug durchdrük ken werden, Sir.« »Nein? Ist Ihnen bekannt, daß wir während der vergangenen Wochen einen Meteor-Satelliten, einen Detektor-Satelliten und vier Nachrichten-Satelliten verloren haben? Läßt das vielleicht darauf schließen, daß sie sich scheuen, den Abzug durchzudrücken?« Gore schoß das Blut ins Gesicht, doch seine Stimme blieb gelassen. »Davon hatte ich nichts gehört, Sir.«
»Natürlich nicht, denn es waren ja geheime Kom mandosachen. Was ist Ihrer Meinung nach aus diesen Satelliten geworden?« »Keine Ahnung«, antwortete Gore aufrichtig. »Irgendwelche Vermutungen?« »Die Russen?« »Selbstverständlich – und China.« Bryant trommel te auf die Schreibtischplatte. »Die Satelliten sind ab geschossen worden, Gentlemen.« Gore hielt den Atem an, wunderte sich jedoch gleichzeitig über diese Reaktion. Schließlich gehörte nicht viel dazu, einen Satelliten abzuschießen. Der Air Force war diese Technik seit Jahren bekannt. »Von wo aus?« Fragte Jastro. Der General zögerte. »Kamschatka, Anadyr, Nowaja Semlja ...« Er zuckte mit den Schultern. »Der erwähnte Detektor-Satellit übermittelte noch die Annäherung ei ner Rakete. Sie war nördlich des Korjak-Gebirges auf gestiegen. Unsere weiteren Informationen stammten aus dem Gebiet um Tientsin.« Er schwieg. Gore verdaute diese Information, ehe er zur näch sten Frage ansetzte. »Warum haben sie eigentlich die Station noch nicht abgeschossen? Das wäre doch ein leichtes Ziel.« »Unsere Abwehr vertritt die Absicht, daß die Ge genseite es erst einmal mit psychologischer Kriegs führung versuchen will. Zunächst liegt ihnen daran,
unsere jeweiligen Reaktionen zu studieren. Der An griff auf große Ziele wie die Raumstation wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.« »Würden sie das wirklich wagen?« fragte Gore skeptisch. »Die Gegenseite kann es sich nicht leisten, uns die se Raumstation bauen zu lassen«, versetzte der Gene ral und sah seine beiden Besucher an. »Darf ich eine Frage stellen, Sir?« fragte Gore. »Gewiß.« »Bei der letzten Konferenz deutete Colonel Bruck man an, daß Informationen über Venus Verschlußsa che wären ...« »Einige Informationen. Das stimmt.« »Besteht da ein Zusammenhang?« fragte Gore. »Das Raumschiff ist für eine Umlaufbahn um die Venus vorgesehen«, antwortete der General. »Es wird eine kleinere Kapsel, genannt ›die Wespe‹, mitneh men, die die Atmosphäre der Venus erforschen soll.« Gore spitzte die Lippen wie zu einem Pfiff. »Diese Information ist Verschlußsache«, fügte Bry ant hinzu. »Gewiß, Sir«, erwiderten die beiden Astro nauten. »Ich habe Ihnen das alles erklärt, weil es mit Ihren künftigen Aufgaben zusammenhängt.« »Gewiß, Sir«, sagte Jastro noch einmal. Gore schwieg, denn er ahnte, was jetzt kommen würde.
»Diese Aufgaben betreffen Sie beide«, fuhr der Ge neral fort. Er wandte sich an Gore. »Die Konstruktion steht unter der technischen Leitung von Clement Strecker, SPA.« »Welche Rolle haben wir dabei zu spielen?« fragte Gore, ohne eine Miene zu verziehen. »Sie sorgen für Transport und Nachschub, wie Sie es ja bislang schon getan haben. Allerdings werden Sie jetzt Überstunden machen müssen, und das ist nicht so einfach. Es ist nicht nur eine Frage des Zeit aufwands, sondern das Leben der Männer da oben in der Umlaufbahn liegt in Ihrer Hand. Sie werden gele gentlich improvisieren müssen.« Gore gab keine Antwort. Der General wartete, und das Schweigen im Raum wurde drückend. »Sie arbeiten nicht gern mit Strecker zusammen?« fragte Bryant schließlich. »Nicht besonders.« »Weil er Zivilist ist?« »Weil er Strecker ist«, erklärte Gore. »Er hat Sie beide persönlich angefordert.« »Das überrascht mich nicht.« Der General zögerte erneut. »Sie starten gern in den Weltraum.« Es klang wie eine Feststellung. »Ich bin gern bei diesem Kommando«, erwiderte Gore. »Welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelau
fen, Major? Glauben Sie, um die Fahrt zum Mond be trogen worden zu sein?« »Es wäre eine erstrebenswerte Fahrt gewesen«, antwortete Gore steinern. »Glauben Sie etwa, wir könnten uns nach den per sönlichen Wünschen eines jeden Astronauten rich ten?« Bryant beugte sich vor; seine dunklen Augen blitzten. »Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen. Wir suchen die Männer für diese Aufgabe aus – nicht sol che, die diese Aufgabe gern haben, sondern Männer, die sie durchführen können. Captain Harkness und Leutnant Peters haben sich als gute Astronauten er wiesen, und deshalb haben wir sie zum Mond ge schickt. Sie werden übrigens nächste Woche von Leutnant Hegmann und Leutnant Brice abgelöst.« Er nahm keine Notiz von Jastros überraschtem Ge sichtsausdruck und fügte hinzu: »Sie und Jastro sind die besten Männer, die uns für die Raumgleiter zur Verfügung stehen.« Gore unterdrückte die aufsteigende Enttäuschung und murmelte bitter: »Es ist inzwischen eine reine Routineangelegenheit geworden.« »Routine? Captain Jansen ist beim Eintauchen in die Atmosphäre ums Leben gekommen. Major Eber hardt ebenfalls. Und dabei waren beide verdammt gute Männer, Gore.« Bryant senkte die Stimme. »Sie haben bereits zwölf Fahrten hinter sich, Ben – mehr
als sonst jemand. Alex hat es auf acht gebracht. Wür det ihr vielleicht an meiner Stelle Männer mit weniger Erfahrung in die Umlaufbahn schicken, zumal wenn es sich um ein derart wichtiges Projekt handelt?« »Schätze, nein«, räumte Gore ein. »Und Sie, Alex?« »Ich würde Ben nehmen«, erwiderte Jastro, ohne eine Sekunde zu zögern. »Er ist Ihr bestes Pferd im Stall.« Gore schnitt eine Grimasse, aber Alex fuhr un beirrt fort: »Dennoch würden Ben und ich eines Tages gern zum Mond fahren, oder vielleicht auch noch weiter in den Weltraum hinaus.« Der General lächelte ein wenig gezwungen. »Ich auch. Manchmal wünschte ich, ich brauchte nicht an diesem Schreibtisch zu sitzen. Ich komme mir wie ein verdammter Voyeur vor, der fortwährend in den Himmel blinzelt. Glaubt ihr etwa, ich möchte nicht auch etwas davon abhaben?« »Gewiß, Sir, das verstehe ich vollkommen«, ant wortete Jastro taktvoll. »Wer soll das Kommando übernehmen?« fragte Gore ohne weitere Umschweife. »In diesem Fall fungieren Sie neben Ihrer Tätigkeit als Pilot des Raumgleiters auch als Kommandant der Raumstation. Captain Olin vertritt Sie in Ihrer Abwe senheit. Der Zusammenbau des Raumschiffes ist Streckers Angelegenheit.« Bryant zögerte eine Weile.
»Diese halbmilitärischen und halbzivilen Angelegen heiten sind niemals genau abzugrenzen. Ich weiß, was Sie als Offizier dabei empfinden, aber das sind nun mal Tatsachen, mit denen wir uns im Leben ab zufinden haben. Das wissen Sie ja selbst.« »Jawohl, Sir«, gab Gore zurück. Er sah ein, daß der Kommandant sich die größte Mühe gab, ihm alles zu erklären. Außerdem mußte er selbst eingestehen, daß es ihm zum Zusammenbau eines Raumschiffes in der Umlaufbahn sowohl an Ausbildung wie auch an Er fahrung fehlte. »Wie lange wird dieses Unternehmen dauern?« fragte er neugierig. »Einen Monat. Das Raumschiff soll am 10. August aus der Umlaufbahn starten, aber wir hoffen, es noch früher zu schaffen.« Bryant sah den ungläubigen Ausdruck in Jastros Augen. »Es geht lediglich um den Zusammenbau. Wir haben das alles hier auf der Erde durchexerziert und die Verzögerungen in der Umlaufbahn einkalkuliert.« »Haben Sie auch das Verhalten der Männer einkal kuliert?« fragte Gore ruhig. »Streckers Männer sind Spezialisten und wurden mit den Bedingungen im Weltraum genügend ver traut gemacht«, beruhigte ihn der General. »Dennoch scheint es mir eine äußerst kurze Frist zu sein«, gab Gore zu bedenken.
»Uns bleibt gar keine andere Wahl, als diese Frist einzuhalten.« »Wegen der Russen?« »Ja, sie beteiligen sich an diesem Wettlauf, und sie sind uns verdammt hart auf den Fersen.« Bryant zö gerte erneut. »Ich möchte noch erwähnen, daß uns die Kostenabteilung gewaltig auf die Finger schaut. Nicht nur die Zukunft dieses Projekts steht auf dem Spiel, sondern die Zukunft des gesamten Raumfahrt programms der Nation. Wenn dieses Projekt schief geht, können wir uns in Zukunft wieder auf die In fanterie konzentrieren, zumal im Senat Stimmen ge gen unsere Pläne laut werden. Vor allem aus der Umgebung von Senator Carron.« »Jawohl, Sir«, sagte Gore. Er wünschte, er würde sich in politischen Angelegenheiten besser auskennen. Na türlich hatte er schon etwas vom Carron-Komitee ge hört. Es war eine von Senator Alexander J. Carron ins Leben gerufene Institution, die den Frieden in der Welt bewahren sollte. Soweit Gore unterrichtet war, beruhte sein Programm auf der These, daß alle Waffen abge schafft werden sollten, um auf diese Weise jeden Kriegsausbruch zu verhindern. In letzter Zeit hatte die ses Carron-Komitee besonders das Raumfahrtpro gramm aufs Korn genommen und erklärt, daß die da für ausgegebenen Summen lieber der Förderung der Berufsausbildung zugeführt werden sollten.
Gore sah, daß der General wartete, und fragte: »Wie weit sind denn unsere Satellitenzerstörungswaf fen, Sir?« »Wir haben alles in die Wege geleitet ...« »Ich habe darüber nachgedacht und bin auf eine Idee gekommen«, sagte Gore. Die dunklen Augen blickten ihn forschend an. »Ja?« »Eine Waffe besonderer Art«, erklärte Gore und blickte seinem Vorgesetzten offen in die Augen. Er sah die Spuren, die die ständige Anspannung und Verantwortung in diesem Gesicht hinterlassen hatten. Er redete eine ganze Weile. Als er mit seinen Ausfüh rungen zum Ende kam, schwieg der General eine Weile. Jastro rutschte unruhig auf seinem Sessel her um, während Gores Gesicht undurchdringlich blieb. »Wir werden es versuchen«, sagte Bryant schließ lich. »Übrigens müssen Sie bei der nächsten Reise zwei Passagiere mitnehmen.« »Ja, Sir?« fragte Gore. »Zwei Männer vom SPA.« Der General räusperte sich. »Mr. Strecker und einen gewissen Mr. Carmody, Spezialist für atomare Energieerzeugung. Das wäre alles, Gentlemen.« »Jawohl, Sir.« Jastro stand auf, und Gore folgte sei nem Beispiel.
5
12. Juli 1975. Es war unmittelbar vor dem Start. Die Sonne stand wie ein glühender Feuerball am fernen Horizont. Ben Gore saß in der Pilotenkanzel des Raumglei ters, warf einen letzten Blick auf seine Ausrüstung und sah dann zum Fenster hinaus. Die Schatten über der Wüste wurden kürzer, und der Himmel nahm ei ne verwaschen blaue Farbtönung an. Der rötliche Un tergrund des vor ihm liegenden ausgetrockneten Sees erinnerte ihn an das Gebiet von San Diego. »Sicherheitsgurte und Ausrüstung überprüfen und Vollzugsmeldung durchgeben«, sagte Gore knapp. »Roger«, kam die dumpfe Stimme Clement Strek kers von der hinteren Sitzbank. »Roger.« Lewis Carmodys Stimme klang besorgt. Gore lächelte vor sich hin. Streckers Begleiter vom SPA war nicht gerade begeistert über diesen Flug in die Umlaufbahn. Na ja, Gore konnte es ihm kaum verdenken. Normalerweise spielte sich der Dienst dieser Männer vom SPA in den Labors ab. Doch nun war der Zeitpunkt gekommen, die Labors in den Himmel zu verlegen. Carmody war Atom-Spezialist, und der Reaktor war sein Baby. Alles in allem waren zehn bis zwölf Männer vom SPA für die Arbeit in der
Umlaufbahn vorgesehen. Schlechte Aussichten für Gore. Über Sprechfunk wurde durchgegeben, daß der Start in fünf Minuten erfolgen würde. Gore bewegte sich unruhig auf seinem Sitz und blickte zu der klei nen Seitenluke hinaus. Der Raumgleiter war jetzt die oberste von drei Raketenstufen, eine bemannte Kap sel vor dem Start in die Umlaufbahn. Es sah eher nach einem Flugzeug mit deltaförmi gen Tragflächen aus als nach einem Raumgleiter, der von der Erde aus die Umlaufbahn erreichen sollte. Kein Vergleich mit jenen gigantischen Raketen, die im Gegensatz zu diesem Raumgleiter senkrecht von der Startrampe abhoben. Der Raumgleiter war das einzige Transportmittel der westlichen Welt, das in horizontaler Lage gestartet wurde, und Gore war da von überzeugt, daß die Russen nichts dergleichen zu bieten hatten. Der Schlitten war so konstruiert, daß er die Schallmauer durchbrechen konnte. Gore warf einen Blick über die Schulter. Nur ein schmaler Ring kennzeichnete die Stelle, wo der Raumgleiter mit der zweiten Raketenstufe verbunden war. Irgendwie schien das alles nicht so recht in diese abgelegene Wüstenlandschaft zu passen. Noch vier Minuten bis zum Start. Gore warf einen Blick auf das Armaturenbrett und sah dann wieder zur Seitenluke hinaus. Ein paar Männer wandten sich
einem flachen Betonblockhaus zu. Einer von ihnen blieb stehen und winkte. Gore erkannte die schlanke Gestalt seines Teamkameraden und winkte zurück. Jastro streckte zwei Finger hoch und setzte den Weg zum Blockhaus fort. Ein guter Junge, dachte Gore und blickte ihm nach, bis er hinter der Tür ver schwand. Einen besseren Teamkameraden hätte er sich gar nicht wünschen können. Team zwei – ver dammt nochmal, sie würden doch noch eine Reise zu den Planeten unternehmen. Er sah sich nach allen Seiten um. Ein paar kleinere Gebäude in der Nähe des Blockhauses waren mit An tennen ausgerüstet, und auf einem Dach glitzerte ein Radarschirm. Hinter dem Parkplatz ragte ein hoher Stahlturm auf, und dahinter lag eine weiträumige Halle. Auf einem langgestreckten Schlitten stand schon Jastros Raumgleiter, der in zwei Tagen in die Umlaufbahn nachfolgen würde. Noch drei Minuten vor dem Start. Gore blickte nach vorn. Die glitzernden Stahlschienen erstreckten sich über das Bett des ausgetrockneten Sees und schienen sich in der Ferne zu verlieren. Zwei Minuten vor dem Start sagte er: »Ventilation und Druck der Raumanzüge überprüfen und Voll zugsmeldung durchgeben.« »Roger ... Roger.« Die Worte kamen von der hinte ren Sitzbank. Er überprüfte den Sitz des Kehlkopfmi
krofons, schloß den Helm und öffnete das Druckven til. Er spürte, wie sich der Druck auf Arme, Beine und Brust legte. Der Raumanzug spannte sich. Er über prüfte die Kopfhörer und fand sie in Ordnung. »Noch eine Minute!« drang eine Stimme an sein Ohr. Er bestätigte den Empfang der Durchsage und wartete. Er spürte die übliche Spannung vor dem Start in sich aufsteigen. Vergebens versuchte er, die ses unerklärliche Gefühl abzuschütteln. War das Furcht? Er vermochte es nicht mit Sicherheit zu sa gen. Trotz der Klimaanlage des Raumanzugs wurden seine Hände feucht. Er dachte an die beiden hinter ihm sitzenden Män ner. Strecker schien die Ruhe selbst zu sein. Noch im mer lag der leicht sardonische Unterton in seiner Stim me, und die ungewohnte Umgebung schien ihm nichts auszumachen. Obwohl Gore nicht viel für den Mann übrig hatte, mußte er zugeben, daß er gewiß nicht feige war, denn er hätte ja ganz einfach einen seiner Unterge benen auf die Umlaufbahn schicken können. Bei Lewis Carmody sah das ganz anders aus. Er war wie Strecker ein ausgebildeter Weltraumingeni eur – zumindest auf dem Papier. Deutlich stand die Angst in seinem schmalen Gesicht geschrieben. Diese Angst zeigte sich nicht nur in seinen Augen, sondern schon in der Art, wie er in den Raumanzug gestiegen und dann in den Raumgleiter geklettert war. Er be
wegte sich wie ein Roboter, und er schien mit den Nerven am Ende zu sein. Gore dachte an seinen ersten Ausflug in den Welt raum zurück und konnte verstehen, was in dem Mann jetzt vorging. Der Zeitnehmer zählte jetzt die Sekunden. Zehn Sekunden vor dem Start blickte Gore ein letztes Mal über die Instrumente. »Vier, drei, zwei, eins ...« Er atmete tief ein. »Zero.« Ein tiefes Dröhnen drang durch die Außenwandung in die Pilotenkanzel. Innerhalb weniger Sekunden ar beiteten die Aggregate mit voller Kraft, und der große Schlitten begann sich zu bewegen. Der rötliche Wü stenboden kam erst langsam und dann schneller und schneller auf ihn zu. Das Dröhnen wurde noch lauter, und die Fliehkraft drückte Gore in den Sitz zurück. Er hatte kein Gefühl mehr in Armen und Beinen. Während die Wüste unter ihm dahinraste, versuch te er sich zu entspannen und dachte daran, daß diese erste Startphase stets die schlimmste war. Notfalls konnte er mit einem Knopfdruck die Kabine in die Luft katapultieren und dann am Fallschirm zur Erde schweben – aber bei dieser Geschwindigkeit kam ihm das wie glatter Selbstmord vor. Der Schlitten konnte natürlich entgleisen und explodieren. Die Triebwerke des Raumgleiters konnten durch Fehlzündung ausfal
len. Alles Erdenkliche konnte passieren. Gore spürte den Schweiß an den Händen und merkte, daß er re gelrecht Angst hatte. Diese erste Startphase gefiel ihm schon deshalb nicht, weil er als Pilot nicht eingreifen konnte. Bis zum eigentlichen Abheben von der Startbahn war al les programmiert. Und bis zu diesem Zeitpunkt war er nur Ballast an Bord. Er spürte, wie sich der Druck verstärkte und ihm die Sicht raubte. In seinen Ohren rauschte das Blut. Dennoch starrte er durch das Fen ster der Pilotenkanzel nach vorn. Die ferne Hügelkette kam auf ihn zu. Der Wüsten boden huschte so schnell unter ihm vorbei, daß keine Einzelheiten mehr auszumachen waren. Die Räder rollten über die Schienen und erinnerten ihn an eine Zugfahrt durch einen Tunnel. Schneller ... immer schneller ... »Die Trennung vom Schlitten steht unmittelbar be vor!« sagte eine Stimme in seinem Kopfhörer. Im nächsten Augenblick veränderte sich das Dröhnen – es war wie das Brummen einer gigantischen Baßgei ge. Die Triebwerke des Raumgleiters hatten planmä ßig gezündet. Das Rattern der Schlittenräder wurde von den neuen Geräuschen übertönt. Unvorstellbare Kräfte trugen den Raumgleiter von der Erde in einem steilen Winkel auf die Umlaufbahn zu. Wieder wurde er in den Sitz gedrückt, und das Blut
rauschte in seinen Ohren. Ihm war, als wäre sein Kopf leer. Füße und Hände waren bleischwer. Wieder schien er sich in einem langen dunklen Tunnel zu be finden. Der Lichtkreis am Ende des Tunnels wurde kleiner und kleiner, und Gore schloß die Augen. Er spannte die Bauchmuskeln gegen den übermenschli chen Druck an. Nur allmählich ging das Schwindel gefühl vorüber, und die Sicht wurde klar. Sein erster Blick galt dem Höhenmesser. Siebzehn Kilometer. Der Raumgleiter befand sich bereits in der Troposphäre. Kaum hatte er den ersten, klaren Gedanken gefaßt, als sie auch schon in der Stratosphäre waren. Hier war die Luft kalt und dünn; die Temperatur lag ständig bei minus 55 Grad Celsi us. Die Atmosphäre war bereits zu dünn, um Geräu sche weiterzutragen. Hier oben gab es bizarre perl mutterfarbene Wolkengebilde. Die Triebwerke summten jetzt, und die Pilotenkanzel vibrierte nicht mehr. Der Raumgleiter stieß mit unvorstellbarer Ge schwindigkeit weiter nach oben. »Eintritt in die Umlaufbahn«, sagte die Stimme im Kopfhörer. Gore blickte auf den Höhenmesser. 57 Kilometer. Das Summen des Triebwerkes brach unvermittelt ab, und die Schubkraft trug den Raumgleiter über die Grenze der Atmosphäre des Planeten hinaus in den freien Raum.
Die Temperatur stieg im Sonnenschein sprunghaft an, fiel jedoch wieder steil ab, als die Kälte des Welt raums sich auszuwirken begann. Gore wandte den Kopf und blickte zur Seitenluke hinaus. Er mußte eine Weile suchen, bis er die abge trennte Rakete fand, die sich jetzt in einem weiten Bogen der Erde näherte und ins Meer stürzen würde. Er wußte, daß die Männer im Blockhaus die Flugbahn der Rakete verfolgten, bis sie von einer Schiffsbesat zung geborgen werden würde. Schon eine Woche später würde sie ihre gewaltige Schubkraft bei einem neuen Start zur Verfügung stellen. Er konzentrierte sich auf die Instrumente. Die Flugbahn des Raumgleiters veränderte sich ein wenig. Gore spürte es an den Druckverhältnissen. Der neue Kurs führte auf die Station zu. Der Raum gleiter befand sich jetzt in der weiten Unendlichkeit des Weltraums. Statische Geräusche kamen aus dem Kopfhörer und übertönten die Stimme des Mannes im Blockhaus, der durchsagen wollte, daß die Ab trennung der zweiten Stufe erfolgte. Gore konnte die sen Augenblick kaum erwarten, denn dann war er endlich auf sich selbst gestellt. Die Abtrennung erfolgte in der Dunkelheit der Io nosphäre. Gore blickte durch die Seitenluke und sah, wie auch diese Rakete den Heimweg antrat. Heim. Bei diesem Gedanken lächelte er unwillkürlich. Sein
Zuhause war nicht unten auf der Erde, sondern hier oben im Weltraum. Das war die wirkliche Heimat der Astronauten. General Bryant hatte einmal erklärt, die Erde wäre nichts weiter als ein Sprungbrett für die Menschen, um in den Weltraum vorzudringen. Wie immer dem auch sein mochte, die neue Heimat war jedenfalls hier oben im Weltraum. Alle Mühen und Anstrengungen, sogar alle Gefahren waren ein klei ner Preis im Verhältnis zu der majestätischen Schön heit des Universums. »Raumanzüge sind nicht länger erforderlich«, sagte er in das Kehlkopfmikrofon. Er hörte die Luft durch das Ventil seines Rauman zuges zischen, und im nächsten Augenblick meldete sich Strecker. »Gratuliere, Major. Das war ein guter Flug.« »Alles programmiert«, erwiderte er. »Die Compu ter haben mir die Arbeit abgenommen.« »Ich weiß«, brummte Strecker. »Und wie hat es Ihnen gefallen, Bekanntschaft mit dem Weltraum zu machen, Carmody?« fragte Gore. »Mir steckt noch immer die Angst in den Kno chen.« Der Weltraumingenieur lachte nervös. »Zuerst kam es mir vor, als würde eine Dampfwalze über mich hinwegrollen.« Diese ehrliche Antwort gefiel Gore. »Ja, es ist nicht gerade gemütlich«, meinte er.
Er überprüfte die Instrumente und warf dann einen Blick auf die Erde. Dabei sah er, daß seine beiden Passagiere ebenfalls durch die Seitenluken blickten. Im Osten zeichnete sich deutlich der lange Finger der Bucht von Kalifornien ab. Die Grenze zwischen Tag und Nacht lag mitten über dem Pazifik. Mexiko schimmerte auf der linken Seite hell in der Morgen dämmerung. Rechts war es Tag, links Nacht. Kaleido skopartig glitzerten die Sterne am fernen Horizont. Die Raumstation und alles, was dazu gehörte, zeich nete sich als kleiner Punkt auf dem Radarschirm ab. Gore nahm eine kleine Kurskorrektur vor. Dann schaltete er das Funksprechgerät ein. »Station bitte melden.« »Station ...« Die Antwort ließ keine Sekunde auf sich warten. »Hier Devlin. Was hat der Nachschub denn heute zu bieten?« »Zwei Passagiere vom SPA.« »Weibliche?« »Nein, männliche«, antwortete Gore. »Nehmt sie wieder mit zurück zur Erde.« »Mit dem größten Vergnügen.« Gore warf einen Blick durch die Seitenluke. Zwei große Zylinder schwebten vorüber. Dahinter zeichneten sich undeut lich die Konturen eines Raumschiffes ab. Allerlei Ge rät und Zubehörteile umkreisten das Raumschiff. »Wo ist die Ladung?« erkundigte sich Gore.
»Weiter vorn. Olin und ich haben uns alles angese hen. Es braucht nur noch zusammengesetzt werden.« Gore brummte vor sich hin. Das Zusammensetzen der einzelnen Teile konnte eine verdammt kitzlige Aufgabe werden, dachte er. Bei dieser Aufgabe han delte es sich schließlich um den Bau eines interplane tarischen Raumschiffes. Doch das war schließlich Streckers Sache. Grinsend dachte er daran, daß Strecker bestimmt noch manchen Schweißtropfen verlieren würde, ehe er diese Aufgabe bewältigt hatte. Carmody tat ihm irgendwie leid, denn der Mann schien kaum die für eine solche Arbeit erforderliche Konstitution zu ha ben. Andererseits war er für Aufgaben im Weltraum gründlich ausgebildet worden. Vielleicht war er doch härter und zäher, als er auf den ersten Blick aussah. Die Station tauchte vor dem Raumgleiter auf – zu erst sehr rasch, aber dann immer langsamer. »Druck in die Raumanzüge lassen«, sagte Gore ins Kehlkopfmikrofon. Er befestigte den Helm und öffne te das Druckventil. Sauerstoff strömte ein und füllte den Raumanzug, der sich aufblähte. Die Helmscheibe lief zunächst an, wurde aber gleich wieder klar. Der Druck verteilte sich gleichmäßig auf Arme und Beine. Das Kugelgelenk des Helms gestattete ihm ei ne gewisse Bewegungsfreiheit.
Versuchsweise spannte er die Finger an und stellte fest, daß er sie kaum bewegen konnte. Er warf einen Blick auf die unter dem Raumgleiter schwebende Raumstation. Eine Gestalt in einem Raumanzug hing an einem langen Seil und kam auf den Raumgleiter zugeschwebt. Olin ... Selbst in dem schwerfälligen Raumanzug erkannte Gore ihn an seiner typischen Körperhaltung. »Wir haben's wieder mal geschafft!« sagte er ins Kehlkopfmikrofon.
6
»Willkommen in der Station«, sagte Gary Olin, als die drei Männer aus dem Raumgleiter den Druck aus ih ren Raumanzügen ließen und die Helme abnahmen. Ein schiefes Grinsen stand auf seinem seltsam blaß wirkenden Gesicht. Gore übernahm die Vorstellung. »Endlich mal wieder ein paar neue Gesichter«, ver setzte Devlin. »Es war ziemlich einsam hier bei dem armen alten Olin.« »Wenn du nicht sofort ruhig bist, lasse ich dich draußen den Meteoritenstaub einsammeln«, drohte der Astronaut. »Die Zeit der Einsamkeit ist endgültig vorbei«, ver sprach Strecker. Er schwebte ein paar Meter über dem Boden und versuchte seine Verlegenheit hinter einem verkrampft wirkenden Lächeln zu verbergen. Er wußte nicht recht, wie er diese ungewohnte Situation meistern sollte. »Schwerelosigkeit«, murmelte Olin. »Es dauert eine Weile, bis man sich daran gewöhnt.« Strecker gab keine Antwort. Er schraubte seinen Helm ab und hielt ihn vor sich. Dabei verlor er erneut das Gleichgewicht und prallte gegen einen Schrank. Carmody hatte die gleichen Schwierigkeiten. Müh
sam unterdrückten die Astronauten ein Lächeln. Mit ein paar geübten Bewegungen streifte Gore seinen Raumanzug ab. »Könnt ihr uns nicht ein bißchen helfen?« fragte Strecker gereizt. »Aber sicher«, erwiderte Olin gedehnt und zwinker te Gore zu. Er und Devlin schwebten auf Strecker zu; einer hielt ihn fest, während der andere ihm den Raum anzug auszog. Dann wandten sie sich an Carmody, dem die ganze Sache offensichtlich peinlich war. »Nur keine Aufregung«, sagte Olin. »Diese Erfah rung ist noch keinem erspart geblieben.« »Wie lange dauert es denn, bis man sich daran ge wöhnt?« fragte der Weltraumingenieur. »Mancher gewöhnt sich nie daran«, kam die Ant wort. Gore ließ seinen Raumanzug schweben und holte sich ein Paar Plastikschuhe aus dem Schrank. Er zog die Schuhe an und stellte sich auf den Boden. »Mit Magnetsohlen«, erklärte er. »Hier im Welt raum gibt es kein unten oder oben und auch kein rechts oder links. Deshalb haben wir diesen Boden improvisiert. Sie brauchen es nur zu versuchen.« Er ließ zwei Paar Schuhe auf sie zuschweben, und Strecker und Carmody konnten sie nur mit Mühe auf fangen. Olin und Devlin packten sie am Arm und ga ben ihnen ein wenig Halt. Strecker war offensichtlich
wütend. Die beiden Männer zogen die Plastikschuhe an und stellten sich auf die Metallstreifen im Boden. »Diese Schuhe verleihen Ihnen einen gewissen Halt – aber Sie müssen trotzdem vorsichtig sein«, warnte Gore. »Möchten Sie sich die Raumstation ansehen?« frag te Devlin, als die beiden Männer endlich ein wenig besser zurechtkamen. »Sie ist zwar nicht besonders groß, dafür aber recht interessant.« »Bis auf Frauen ist hier alles zu finden«, maulte Olin. »Warten Sie nur, bis Sie mal so lange verheiratet sind wie ich. Dann kommen Sie sich hier bestimmt wie im Paradies vor«, versetzte Carmody trocken. Gore grinste. Der kleine, schmächtige Mann gefiel ihm mit jeder Minute besser. Zwischen ihm und sei nem sarkastischen Begleiter bestand ein krasser Un terschied. »Die Atmosphäre besteht aus einer Mischung von Sauerstoff und Stickstoff; der Druck entspricht etwa dem in 3000 Meter über dem Meeresspiegel, und die Temperatur beträgt ständig etwas über zwanzig Grad«, erklärte Devlin. Er war ein schlanker, hell blonder Mann von fünfundzwanzig Jahren. Er hatte seine Ausbildung zum Astronauten erst vor kurzem abgeschlossen und war sehr stolz auf seine Tätigkeit in dieser Weltraumstation.
»Haben Sie irgendwelche Schwierigkeiten mit den Druckverhältnissen?« fragte Carmody. »Dafür sind alle notwendigen Vorkehrungen ge troffen«, antwortete Devlin. Dann deutete er auf die an die Wand hochgeklappten Betten und auf die Ra darschirme. Er begann sie ausführlich zu erklären, brach jedoch mitten im Satz ab, als er sich an Carmo dys Ausbildung erinnerte. Der kleine Mann lächelte breit. »Wenn ich diese Raumstation leiten müßte, dann würde ich wohl kaum einen Blick von diesen Schir men wenden«, sagte er. »Diese gewaltigen Sonnen eruptionen geben mir zu denken.« »Es ist nicht so schlimm, wie wir zunächst befürch teten. Dennoch behalten wir sie natürlich ständig im Auge.« »Zeig ihnen doch mal die anderen Räume der Sta tion«, schlug Olin vor. Während Devlin den beiden Männern die anderen Räume der Station zeigte, gab Gore Olin einen Bericht über die neueste Entwicklung im Raumfahrtzentrum. »Sieht ganz so aus, als müßten wir auch weiterhin hier ausharren«, murmelte Olin daraufhin. »Eigent lich hatte ich ja noch immer auf eine Fahrt zum Mond gehofft.« »Nichts zu machen. Team fünf – Hegmann und Brice – sind für den nächsten Start vorgesehen.«
»Ist das schon amtlich?« »Die Information stammt vom Chef persönlich.« »Dann ist es amtlich.« Olin dachte eine Weile nach. »Wie ist die Sache denn geplant?« »Keine Ahnung. Ich stelle mir vor, daß es so wie beim ersten Mal gehen wird: eine bemannte Kapsel.« »Diesmal dürfte es jedenfalls leichter gehen. Sie können in eine Umlaufbahn um den Mond ein schwenken und sich von Harkness einweisen lassen.« »Wahrscheinlich; trotzdem wird es bestimmt kein Zuckerlecken.« »Nein, wahrhaftig nicht«, pflichtete Olin ihm bei. Er zupfte nachdenklich an seiner Unterlippe. Sie unterhielten sich noch eine Weile über die letzte Unterredung, die General Bryant mit Gore geführt hatte. Dabei erwähnte Gore auch den Abschuß ver schiedener Satelliten. Diese Tatsache überraschte Olin keineswegs. »Wir sind vor derartigen Angriffen gewarnt wor den«, sagte er. »Irgendwie haben wir uns schon ge dacht, daß so etwas in der Luft liegt.« Er grinste. »Wir würden ein tolles Ziel abgeben, was?« »Der Chef hat sich etwas einfallen lassen«, gab Go re zurück. »Was denn? Vielleicht ein Staatsbegräbnis für uns?« »Darüber hat er nicht gesprochen.« Sie sahen, daß
Devlin mit den beiden Männern zurückkam, und brachen die Unterhaltung ab. Um Streckers Lippen spielte ein zynisches Lächeln, während Carmody hellauf begeistert zu sein schien. »Eine tolle Raumstation«, sagte er strahlend. »Alles ist hier so gemütlich wie in einer Wohnung.« »Mit dem einen Unterschied, daß sich diese Woh nung die meiste Zeit über dem Gebiet des Ostblocks befindet«, versetzte Devlin trocken. »Das gehört zu den üblichen Risiken«, warf Strek ker ein. »Hier schwirrt genügend Zeug herum, um auf der Erde eine totale Sonnenfinsternis zu verursachen«, brummte Olin mürrisch. »Warum, zum Kuckuck, ha ben Ihre Leute diese Weltraumstation nicht auf eine Umlaufbahn um den Äquator gebracht? Dann könn ten wir die Gefahren beim Überfliegen des Ostblocks vergessen.« »Das war in erster Linie eine Frage des Nach schubs«, antwortete Strecker. »Allerdings haben wir nicht mit offenen Feindseligkeiten gerechnet.« »Offene Feindseligkeiten?« wiederholte Devlin er staunt. »Na ja, wir haben eine Anzahl Satelliten verloren – aber das kann man kaum als Ausbruch offener Feind seligkeiten bezeichnen«, schaltete Gore sich ein. »Das will ich wenigstens hoffen«, sagte der Astro
naut. »Das wäre etwa so, als würde man mit offenen Augen ins sichere Verderben rennen.« »Möchten Sie sich nicht mal den Garten ansehen?« fragte Olin. »Den Garten?« wiederholte Carmody. »Na ja, so nennen wir die unmittelbare Umgebung unserer Raumstation.« »Hört sich gut an. Über welchem Erdteil befinden wir uns eigentlich zur Zeit?« Gore deutete auf einen Globus, der einen Durch messer von etwa 45 Zentimetern hatte und unmittel bar neben den anderen Instrumenten stand. Ein komplizierter Mechanismus drehte den Globus so, daß der jeweilige Stand der Raumstation über der Erdoberfläche genau zu erkennen war. »Sehr hübsch«, murmelte Carmody und trat näher an den Globus heran. »Da taucht Rußland auf!« sagte er. »Stimmt«, bestätigte Gore trocken. »Wenn wir uns beeilen, können wir noch einen Blick auf Stalingrad werfen.« Er wandte sich an Strecker und fügte hinzu: »Wahrscheinlich gibt es da unten Batterien von Anti Satelliten-Raketen.« »Die möchte ich mir gern einmal ansehen«, gab der Mann vom SPA unbeeindruckt zurück. Unter ihnen drehte sich die Erde – ein großer, teilwei se von Wolken bedeckter Ball, auf dem sich die Gren
ze zwischen Tag und Nacht deutlich abzeichnete. Die Raumstation überflog das Hochland von Iran. Im Westen war es hell und im Osten dunkel. Die südlich des Kaspischen Meeres gelegenen Gebirgszüge von Teheran verschwanden unter ihnen, und sie erreich ten das Gebiet von Rußland. Wie ein Mosaik breiteten sich die von Wolken ver hangenen Landflächen unter ihnen aus. Deutlich war in dem gewaltigen Kontinent ein blauer Punkt zu er kennen: das Schwarze Meer. Sie schwebten über dem Herzen Rußlands. Gore betrachtete das Kaspische Meer. Irgendwo da unten in der Dunkelheit lag Kapustin Jar. Es war ei ner der Standorte der Abwehrwaffen. Diese Standorte erstreckten sich wie ein breites Band bis zur Arktis hinauf. Hier lagen die Abschußrampen der Raum schiffe und neuerdings auch der Abwehrwaffen ge gen Satelliten. Komsomolets, Anadyr, Sewernja Seml ja – lauter Namen, die er fast so gut kannte wie die Straßennamen seiner Heimat. Namen, die den Tod bedeuten konnten. Die Astronauten hatten diesem breiten Band den Spitznamen »Boulevard der Ab schußrampen« verliehen. Gore schwebte an der Außenseite der Raumstation entlang. Seine Begleiter bewegten sich wie Schwimmer in der samtweichen Nacht. Ihre Raumanzüge glitzerten im Sonnenlicht. Im Augenblick war er mit sich und der
Welt zufrieden. Die Nachtseite der Erdkugel war eine dunkle, formlose, gigantische Masse. Nur gelegentlich tauchte der Lichtschimmer einer Weltstadt auf. Der Himmel jedoch war voller Leben. Violette, blaue, grüne, gelbe, rote und orangefarbene Tupfer schimmerten aus dem unendlichen Universum. Hier oben in der Umlaufbahn war es so ruhig und friedlich, wie es auf der Erde nie sein konnte. Es gab weder Wolken, Stürme noch sonstige Geräusche. Hier lief alles nach einem bestimmten Schema ab. Es war eine ruhige, genau zu berechnende Welt, die keinen Raum für das unruhig hastende Leben der Menschen auf der Erde bot. Gore hörte den Funksprechverkehr seiner Begleiter mit und konnte sich das Lachen kaum verkneifen. Of fensichtlich kamen Strecker und Carmody mit ihren Handraketen nicht zurecht. »Der Antrieb der Handrakete muß genau auf den Schwerpunkt Ihres Körpers wirken, wenn Sie sich nicht laufend um die eigene Achse drehen wollen«, erklärte Olin. »Ich versuche es ja ...« Gore erkannte Carmodys Stimme. Die Stimme des kleinen Weltraumingenieurs klang verzweifelt, und er tat Gore wirklich leid. Der Zustand der Schwerelo sigkeit im Weltraum war weitaus schlimmer als Seeoder Luftkrankheit.
»Na also, jetzt geht's schon besser«, ermutigte Olin die beiden. Zahlreiche Kisten und Behälter zogen ihre Bahn um die Raumstation. Das alles gehörte zur Aus rüstung des interplanetarischen Raumschiffes, das hier in der Umlaufbahn in unmittelbarer Nähe der Raumstation zusammengebaut werden sollte. Ein paar runde, faßähnliche Gegenstände schweb ten vorüber, und dahinter kam eine lange Stange, die das Sonnenlicht reflektierte. Gore konnte die Entfer nung zur Raumstation nicht abschätzen, denn hier im Weltraum waren die Begriffe relativ. All diese Gegenstände schienen rein zufällig in die se Umlaufbahn um die Erde gebracht worden zu sein. In Wirklichkeit war die Bahn natürlich genau voraus berechnet. Dennoch erstreckte sich dieser sogenannte Garten der Weltraumstation über einige Kubikkilo meter in den Weltraum. Gelegentlich schwebte einer dieser Gegenstände so dicht an ihm vorüber, daß sich das helle Sternenlicht verdunkelte. Gore paßte seinen Körper den Gegeben heiten des Raumanzugs an. Es war ein ganz anderer Raumanzug als der, den er in seinem Raumgleiter trug. Dieses aufgeblähte Ding verlieh seinem Körper geradezu gigantische Proportionen. Es war ein Raumanzug, der stundenlanges Arbeiten im Welt raum ermöglichte. Die Helmscheibe bestand aus Glasschichten, die einerseits eine einwandfreie Sicht
garantierten und andererseits gefährliche kosmische Strahlen absorbierten. Das Schaltsystem auf der Brustplatte seines Raum anzuges ermöglichte ihm eine gewisse Kontrolle und die Verständigung mit seinen Begleitern im Welt raum. Das im Helm eingebaute elektronische System verhinderte ein Beschlagen der Helmscheibe. Ein ausgeklügeltes System von eingebauten Thermosta ten sorgte dafür, daß die Temperatur im Raumanzug ständig gleich blieb – ob er sich nun im Sonnenlicht oder im dunklen Weltraum befand. Er schwebte dahin und vergaß seine Begleiter. Fer ne Sonnen blinkten in der Tiefe des Universums, und irgendwo gab es Planeten, die erobert werden muß ten. Mars und Venus waren lediglich unbedeutende Himmelskörper in unmittelbarer Nachbarschaft der Erde. Insgeheim verwünschte er es, zu früh geboren worden zu sein. Erst die Menschen der nachfolgen den Generationen würden ernten, was in diesem Zeitalter gesät wurde. Er schüttelte diese Gedanken ab und konzentrierte sich wieder auf die Raumstation. Sie schwebte wie eine überdimensionale Zigarre im Weltraum und versperr te den Blick auf die Sternensysteme. Vorne ragten eini ge Antennen heraus, die unmittelbar nach dem Errei chen der Umlaufbahn ausgefahren worden waren.
Da hörte er Carmodys Stimme im Kopfhörer. »Wo ist der Reaktor?« »Ein paar hundert Meter vor der Raumstation«, antwortete Olin. Seine Stimme klang krächzend, als hätte er sich erkältet. »Wir haben ein Seil angebracht«, fügte er kurz hinzu. »Können wir ihn uns ansehen?« Der Astronaut zögerte mit der Antwort. »Später. Zur Zeit sind wir wieder auf südlichem Kurs und müssen den Funksprechverkehr für eine Weile ein stellen.« »Sind alle Bauteile angeseilt?« fragte Strecker. »Nein, dazu hatten wir noch keine Zeit.« »Aber wie ...« »Wir sehen sie alle auf dem Monitor und können sie auf diese Weise überwachen.« »Na, wir wollen es hoffen«, brummte Strecker. »Nein, wir wissen es«, versetzte Olin.
7
Die rötliche Kugel der Sonne tauchte am Horizont auf. Die Männer in der Raumstation sahen zu, wie der Raumgleiter an Höhe gewann und allmählich auf sie zukam. Strecker und Carmody verfolgten den Ablauf der Dinge mit unverhohlener Neugier. Der Punkt auf dem Radarschirm teilte sich. Jastros Gleiter setzte den Weg in die Umlaufbahn um die Erde fort, während die Raketenstufe zurückfiel. Gore atmete langsam aus und entspannte sich. Nach dem Abtrennen der Rakete hing alles weitere von der Geschicklichkeit des Piloten im Raumgleiter ab. Von diesem Augenblick an war Jastro auf sich al lein gestellt. Während Olin das Bild auf dem Monitor schärfer und klarer einstellte, zog Gore seinen Raumanzug an. Der Raumgleiter kam wie geplant auf die Weltraum station zu. »Gleiter an Station«, ertönte Jastros Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir sind auf Empfang, Gleiter.« »Gleiterpilot an die Hippies in der Station«, sagte Jastro. »Stellt die Blaskapelle auf und rollt den roten Teppich aus. Ich bringe zwei Spezialisten mit.«
Devlin sah sich um. Gore wandte sich der Luft schleuse der Raumstation zu. »Ihr Boss ist gerade dabei, den roten Teppich aus zurollen«, sagte Devlin. »Gut, dann werde ich ihm jetzt eine Chance geben, einmal zuzusehen, wie ein erstklassiger Weltraumpi lot seinen Raumgleiter manövriert.« »Immer mit der Ruhe«, brummte Devlin. »Für Ama teure wie Sie dürfte das gar nicht so einfach sein.« Gore verließ die Luftschleuse, schwebte an der Weltraumstation entlang und sah zu, wie der Raum gleiter über der Station anhielt. Das Gefährt schim merte im hellen Sonnenschein. Jastro schaltete die Bremsraketen ein, um seine Geschwindigkeit die der Weltraumstation anzupassen. Das dauerte nur weni ge Augenblicke. Gore ergriff das Seil und schwebte daran auf die Luke des Raumgleiters zu. Die beiden Passagiere waren zwei Männer von Streckers Team: Gordon Lindenwall, ein Elektronen ingenieur und Albert Gruman, Spezialist für die Kon struktion von Weltraumschiffen und gleichzeitig Boss von Streckers Mannschaft. Beide waren gedrungene, dunkelhaarige Männer von etwa dreißig Jahren, aber das war die einzige Ähnlichkeit, die zwischen ihnen bestand. Im Gegensatz zu Lindenwalls drahtiger Ge stalt hatte Gruman schmale Hüften und ausladende Schultern. Er hatte die Hüften und Beine eines Tän
zers. Seine Stimme klang so heiser wie ein Nebelhorn. Lindenwalls Stimme war weich, fast schläfrig. Während beide Männer versuchten, sich mit dem Zustand der Schwerelosigkeit im Weltraum abzufin den, zog Jastro Gore zur Seite. »Jetzt ist da unten der Teufel los«, sagte er und be richtete über die letzten Neuigkeiten. »Bruckman hat ganz offen mit mir darüber gesprochen. Er deutete an, daß die weiteren Arbeiten hier oben am Raum schiff eingestellt werden könnten, bis eine befriedi gende internationale Regelung gefunden worden ist.« Gore schnaubte verächtlich. »Wie meint er das? Will er vielleicht warten, bis diese Weltraumstation abgeschossen wird?« »Das hat er nicht gesagt.« »Sie können die Arbeiten hier oben gar nicht ein stellen, denn der Reaktor ist ja bereits hier.« »Das habe ich auch gesagt«, pflichtete Jastro ihm bei. »Doch er gab nur zurück, daß es letzten Endes kein Projekt der Air Force wäre.« »Vielleicht ein Projekt der SPA?« fragte Gore, den dieses Argument nicht recht zu überzeugen schien. »Das glaube ich weniger.« »Ich auch nicht«, sagte Gore langsam. »Immerhin steht hier eine ganze Menge auf dem Spiel. Wenn sie diese Weltraumstation aufgeben, können sie auch gleich das gesamte Weltraumprogramm streichen.«
»Na, immerhin haben wir ja noch unsere Kuppel auf dem Mond«, gab Jastro zu bedenken. »Stimmt. Aber die Pläne für die Fahrt zu den Pla neten wären damit aufgegeben.« »Bislang haben wir die erste Runde noch immer ver loren«, versetzte Jastro lächelnd. »Meiner Ansicht nach liegt das an diesem verdammten Carron-Komitee. Die se Kerle werden in letzter Zeit immer unverschämter.« »Zum Teufel mit diesen Politikern«, sagte Gore. Da kam ihm ein Gedanke. »Wann steigt Team fünf ei gentlich auf?« »Am Freitag; der Flug ist bereits programmiert.« »Diesen Start möchte ich gern sehen.« »Ich würde den Trip lieber selber mitmachen«, er klärte Jastro mit einem schiefen Grinsen. »Bruckman erwähnte übrigens, daß der Boss nach Washington berufen wurde.« Gore dachte eine Weile nach. »Das könnte ein gutes als auch ein schlechtes Vor zeichen sein.« Er sah den Teamkameraden an. »Hat man dir eigentlich besondere Anweisungen mit auf den Weg gegeben?« »Nur was Olin über Funksprechverkehr mitgehört hat, nämlich, daß wir bei allen Nachrichtenübermitt lungen besondere Vorsicht walten lassen sollen.« »Na, das wird uns auch nicht viel helfen, wenn die ersten Geschosse hier angeflogen kommen.«
»Jedenfalls bleibt uns dann noch Zeit zu einem letz ten Gebet«, murmelte Jastro. Sie unterhielten sich noch eine Weile und gesellten sich dann zu den anderen Männern. Strecker brannte förmlich darauf, die Arbeiten endlich in Angriff zu nehmen. Zwar standen bislang nur eine Handvoll Männer zu seiner Verfügung, aber er wollte keinen Augenblick ungenutzt verstreichen lassen. Es ging ihm in erster Linie darum, die um die Weltraumstati on kreisenden Zubehörteile zu erfassen, damit end lich mit der eigentlichen Konstruktion des interplane tarischen Raumschiffes begonnen werden konnte. Nachdem Gruman und Lindenwall sich ein wenig an den Zustand der Schwerelosigkeit im Weltraum gewöhnt hatten, brachte Olin ihnen die Raumanzüge. Lindenwall warf einen skeptischen Blick auf den angebotenen Raumanzug. »In das Ding passen ja zwei Männer von meiner Größe. Habt ihr es nicht ein paar Nummern kleiner?« »Die Raumanzüge haben alle die gleiche Größe«, erklärte Gore. »Ja, und sie sind verdammt eng«, knurrte Gruman, während er seine breiten Schultern in den Rauman zug zwängte. »Sie sind eben für den Mann mit Idealfigur entwor fen worden«, sagte Jastro. »Sehen Sie, wie gut er mir paßt?«
»Na, dann müßte der Helm etwa von der Größe ei ner Erdnuß sein«, witzelte Olin. »Ja, weil ich nicht zum Team drei gehöre«, gab der Astronaut unbeirrt zurück. Gore gab den Männern ein paar letzte Anweisun gen, ehe sie die Raumstation verließen. Devlin blieb allein in der Station zurück. Als Gore die Luftschleuse verließ, sah er die Eisflä che der Antarktis unter sich liegen. Vor ihm lag das im Sonnenlicht glitzernde Meer. Er richtete den Blick auf die über ihm funkelnden Sterne. In diesem Augenblick drang Olins Stimme aus dem Kopfhörer. »Wir haben die erste Ladung mit einer Leine gesi chert.« Gruman schaltete sich ein und gab die nächsten Anweisungen. Gore erkannte auf Anhieb, daß dieser Mann alles in die Hand nahm, obwohl Strecker der eigentliche Konstrukteur dieses Unternehmens war. Gore hörte nur mit halbem Ohr zu und blickte in den weiten Weltraum hinaus. Nach einer Weile kon zentrierte er sich auf die neben ihm schwebenden Be gleiter. Sie wirkten wie kleine, von der Sonne ange strahlte Punkte, die schon vor Wochen in die Um laufbahn um die Erde geschossen worden waren. Unwillkürlich fragte er sich, ob ihnen wohl genügend Zeit bleiben würde, die einmal begonnene Arbeit im
Weltraum zu beenden. Letzten Endes ging es ja nicht nur um die Haltung des östlichen Machtblocks, son dern auch um die Opposition in den eigenen Reihen ... Er schaltete seine Handrakete ein. Nur die Entfer nung von der Raumstation zeigte ihm, daß er sich überhaupt im Weltraum bewegte. Unmittelbar vor Carmody bremste er den Flug ab. »Sieht ganz so aus, als wäre alles in Ordnung«, sag te Carmody. »Kein Wunder. Diese Ladungen sind wie Kisten voll Eier behandelt worden.« Gore musterte Carmo dy, und dabei kam ihm der Gedanke, daß ein Raum anzug einen Mann unwahrscheinlich veränderte. Dieser Knirps sah jetzt wie ein Superman aus. Gruman schwebte auf eine der in die Umlaufbahn geschossenen Kisten zu und machte sich daran zu schaffen. Gore sah interessiert zu. In dieser Kiste war der Reaktor verpackt, die Antriebskraft, die das vor der Vollendung stehende Raumschiff zu fernen Pla neten tragen würde. Gruman zappelte wie ein Schwimmer mit den Bei nen, und Gore dachte daran, daß der Weltraum sich im Grunde genommen kaum von einem See unter schied. Die Bewegungen und Reaktionen der Men schen kamen rein instinktiv und naturgegeben. Ob wohl er selbst längst an die Bewegungen im Welt
raum gewöhnt war, ertappte er sich immer wieder dabei, wie er in der Art eines Brustschwimmers die Arme kräftig durchzog. Das passierte ihm besonders unmittelbar nach dem Verlassen der Luftschleuse. Gruman hielt neben Carmody an und nickte Gore zu. »Es wird wohl nicht so ganz einfach sein, dieses Ding zu öffnen«, sagte er. »Wir müssen mit vereinten Kräften an den Enden anpacken«, riet Strecker. »Unsere Körperkraft allein reicht nicht aus«, erklär te Gore. »Wir müssen die Handraketen einsetzen.« »Sicher«, brummte Strecker. »Wir müssen die Längsachse im Auge behalten.« »Okay«, versetzte Gruman. »Wir übernehmen die se Seite, Sie die andere. Auf mein Kommando geht's los.« »Roger«, sagte Lindenwall. Gruman und Carmody verankerten sich so gut es ging am hinteren Ende der Kiste und richteten ihre Handraketen aus. »Fertig?« fragte Gruman. »Roger.« »Setzt die Raketen ein und zählt bis vier.« »Roger.« »Alles klar ... Feuer!« Die Handraketen flammten auf. »Zwei ... drei ... vier!« zählte Gruman.
Der Kistendeckel begann sich zu heben, fiel jedoch gleich wieder zurück. »Das Schmierfett ist gefroren«, knurrte Gruman. »Wir werden es gleich noch einmal versuchen.« Während die Männer die Kiste öffneten, blickte Gore auf die Erde hinunter. Das Rote Meer erstreckte sich wie ein langer, tiefblauer Finger zwischen Ägyp ten und Saudi Arabien. Gore betrachtete die Küsten konturen des Mittelmeers und konzentrierte sich auf die Türkei. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie sich erneut über russischem Gebiet befanden. »Devlin?« fragte er über die Funksprechverbin dung mit der Station. »Zur Stelle«, meldete sich der Leutnant. »Kapustin Jar taucht da unten auf.« »Ja, ich sehe es. Mein Blick weicht keine Sekunde vom Teleskop.« »Roger.« Gore wandte sich an seine Begleiter im Weltraum. Sie hatten sich inzwischen an die Bedin gungen im Weltraum gewöhnt und kamen mit ihrer Arbeit recht gut voran. »Ausgezeichnet«, sagte Gruman nach einer Weile. »Ich werde die einzelnen Teile jetzt absichern.« Er schwebte an den Einzelteilen der Ladung ent lang, und es dauerte nicht lange, bis er sich wieder über Sprechfunk meldete. »In Ordnung. Der Anfang wäre gemacht. Jetzt ha
ben wir zumindest einen Kern, um den wir alles an dere aufbauen können.« »Ich hätte eine Frage«, meldete sich Lindenwall. »Ja?« fragte Strecker zurückhaltend. »Wann bekommen wir endlich mal was zu Beißen zwischen die Zähne?«
8
Das Geschoß kam aus der weiten Region nördlich des Gebirgszugs von Korjak am ostsibirischen Meer. Es stieg sehr schnell auf. Zunächst war der Start unbemerkt geblieben, völlig verhüllt von der Atmosphäre. Kein Auge nahm Notiz von diesem Start. Die Reaktion setzte erst ein, als das Geschoß den Weltraum erreichte: die infraroten Zellen eines Satel liten über der Arktis sprachen an. Dieser Satellit er füllte genau seinen Zweck und meldete das Aufstei gen der Rakete. Weit unten im Süden lag ein dunkles zigarrenähn liches Gebilde im Kamschatkasee und wartete auf ein vorberechnetes Signal. Dieses Unterseeboot lag nun schon seit einigen Wochen auf der Lauer. Das Signal kam auf einer bestimmten Wellenlänge. Komplizierte Antennen fingen es auf. Innerhalb weniger Sekunden leitete das Untersee boot das empfangene Signal weiter. Im Handumdre hen waren alle militärischen Dienststellen informiert. Computer begannen zu arbeiten, automatisch gesteu erte Fernschreiber übernahmen die weitere Vermitt lung und lösten in den einzelnen Dienststellen die er forderlichen Kommandos aus. Verschlüsselte Nach
richten wurden über Land und Meere durchgegeben. Alle wurden von der gleichen Spannung ergriffen. Eine Vielzahl von Anweisungen stieg in den Welt raum hinauf. Doch inzwischen war längst zuviel Zeit verstrichen, um noch irgendwelche Änderungen her beizuführen. Die Menschen auf der Erde konnten den Ablauf der Dinge nur noch beobachten. Im amerikanischen Raumfahrtzentrum las ein grauhaariger Colonel die eintreffenden Meldungen und fluchte vor sich hin. Er war ebenso hilflos wie al le anderen. Trotz aller Schwierigkeiten, die die Arbeit im Welt raum mit sich brachte, ging alles ziemlich flott voran. Carmody gewöhnte sich nur mühsam an diese Gege benheiten. Es fiel ihm schwer, sich mit dem Zustand der Schwerelosigkeit abzufinden. Er wußte selbst nicht recht, ob er nun senkrecht oder waagerecht durch den Raum schwebte. Hier im Weltraum gab es weder Tag noch Nacht. Der Ablauf der Zeit war ein Phänomen, das mit kei nem anderen verglichen werden konnte. Es sei denn, daß man sich am Ablauf der unter der Raumstation rotierenden Erdkugel orientierte. Nicht nur mit der Schwerelosigkeit, sondern auch mit diesem Phäno men hatten sich die Männer vom SPA abzufinden. Nach Ablauf des zweiten Tages richteten sie sich
nach den Erfordernissen ihres Körpers, ohne einen weiteren Blick auf die Uhren zu werfen. Gore war gerade dabei, Strecker beim Einsammeln seiner im Raum verstreuten Werkzeuge zu helfen, als Devlins Stimme aus dem Kopfhörer drang. »Major ...« Er zuckte beim Klang des Wortes zu sammen. Es konnte sich um nichts Gutes handeln. Unwillkürlich dachte er daran, daß die anderen Männer dieses Gespräch über den Sprechfunk mithö ren konnten, und er zögerte mit der Antwort. Er erin nerte sich daran, daß sie gerade den Nordpol über flogen hatten. Unmittelbar hinter ihnen lag der Kam schatkasee. Er sah, daß Strecker inzwischen die Ar beit eingestellt hatte und ihn gespannt beobachtete. »Okay«, meldete er sich so ruhig wie möglich. Mit einem Blick auf den Konstrukteur des SPA fügte er hinzu: »Ich melde mich gleich wieder.« »Stimmt irgend etwas nicht?« fragte Carmody, während er auf Gore zugeschwebt kam. »Alles in Ordnung«, versicherte Gore. Er setzte sei ne Handrakete in Betrieb und sah, wie Strecker zöger te. Offensichtlich wußte der Mann nicht recht, ob er ihm folgen sollte oder nicht. Olin und Jastro kümmerten sich inzwischen um die anderen Teile der Ladung. Jastro sah ihn vorüberschweben und ließ seine Ta schenlampe aufblitzen. Gore schwebte auf die Welt
raumstation zu und bremste erst wenige Meter vor der Luftschleuse ab. Dann schwang er sich mit einer geschickten Bewegung durch die Schleuse und sah, daß Devlin bereits auf ihn wartete. »Ein Geschoß«, meldete Devlin, noch ehe Gore den Helm seines Raumanzugs richtig abgenommen hatte. »Auf dem Radarschirm?« fragte Gore und wandte sich den Instrumenten zu. »Nein, nur eine Meldung von unserem Satelliten«, antwortete der Astronaut. »Auf den Radaranlagen ist das Ding noch nicht zu sehen.« Gore stieß einen verhaltenen Fluch aus und trat an den Fernschreiber. Die beiden automatischen Schreibvorrichtungen zeichneten die Linien der Welt raumstation und des Geschosses auf. Anadyr. Nach Gores Ansicht mußte dieses Raketengeschoß im hohen Norden abgefeuert worden sein. Im Au genblick spielte das natürlich keine Rolle, denn es war längst zu spät für irgendwelche Gegenmaßnah men. Nichts auf der Welt konnte dieses Raketenge schoß mehr aufhalten. »Behalten Sie die Radarschirme scharf im Auge!« ordnete er an, ohne sich seine Unsicherheit anmerken zu lassen. Devlin nickte nur. Das war genau der Augenblick, den Gore seit langem
befürchtet hatte: ein Geschoß, gegen das es keine Ab wehrmöglichkeit gab. Die Luftschleuse zischte, und Gore wirbelte herum. Jastro kam in die Raumstation, öffnete den Helm und schlüpfte aus dem Raumanzug. »Schwierigkeiten?« fragte er. »Ein Raketengeschoß kommt auf uns zu.« »Na, darauf haben wir gerade noch gewartet. Ich dachte mir schon, daß etwas in der Luft lag, als ich Sie zur Raumstation schweben sah.« Gore setzte zu einer Erwiderung an, doch Devlin kam ihm mit einem Ausruf zuvor. »Ich habe es!« Gore wirbelte herum. Der helle Punkt auf dem Ra darschirm war unverwechselbar. »Na, jedenfalls können wir uns nicht beklagen, denn wir haben immerhin einen Platz in der ersten Parkettreihe«, sagte Jastro. Gore bewunderte die kaltschnäuzige Ruhe seiner beiden Teamkameraden. Seine Gedanken wurden un terbrochen, weil Strecker sich über das Funksprech gerät meldete. »Irgendwelche Schwierigkeiten?« Gore zögerte einen Augenblick mit der Antwort, doch er sah ein, daß es keinen Wert hatte, den Ernst der Situation zu verheimlichen. Er beugte sich über das Mikrofon. »Wir haben Alarmzustand.« »Kommt ein Geschoß auf die Station zu?«
»Wir halten es für ein Geschoß der Type A.« »Und was gedenken Sie dagegen zu unterneh men?« »Unternehmen?« wiederholte Gore. »Wir können gar nichts unternehmen.« »Ich komme sofort zur Station«, knurrte der Mann vom SPA. »Bleiben Sie gefälligst auf Ihrem Posten«, versetzte Gore. »Die militärischen Belange dieser Weltraumstation gehen Sie nichts an!« »Was nun?« fragte Carmody unsicher. Niemand antwortete. Aus dem Lautsprecher drang nur statisches Geknatter. Devlin schaltete das Tonbandgerät ein. Die Blicke der drei Männer in der Weltraumstation hingen wie gebannt an den Instrumenten. »Das Ding kommt verdammt schnell näher«, brummte Jastro. »Die Raumgleiter ...« Gore unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewe gung. »Zu spät«, brummte er und drehte an den Knöpfen des Sprechfunkgerätes. »Verteilen Sie sich in der näheren Umgebung der Weltraumstation, aber achten Sie darauf, die Orien tierung nicht zu verlieren«, ordnete er an. »Passen Sie besonders darauf auf, daß stets eine der Nylonleinen in Griffnähe ist. Alles klar, Carmody?« »Ja, Sir.« Unverkennbare Panik schwang in der Stimme des Weltraumingenieurs mit.
»Sie müssen Gegenmaßnahmen ergreifen!« rief Strecker mit schriller Stimme. Gore zuckte unwillkürlich zusammen. Er hätte nie geglaubt, daß dieser Mann vom SPA, um dessen Lip pen stets ein zynisches Lächeln schwebte, eines Tages Angst zeigen würde. »Wir können nichts weiter unternehmen, als uns zu verteilen und Deckung aufzusuchen«, versetzte Gore. »Verdammt, Gore, mir geht es in erster Linie um das Raumschiff, das wir hier oben bauen wollen. Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie dieses Baby abge schossen wird.« »Noch ist es nicht abgeschossen.« »Sie müssen auf jeden Fall etwas unternehmen.« »Es hat ja eben erst angefangen«, knurrte Gore. »Hören Sie endlich auf zu meckern und gehen Sie in Deckung.« »Eben erst angefangen? Wie meinen Sie das?« »Gehen Sie endlich aus der Leitung!« fauchte Gore ins Mikrofon. »Ich muß mich schließlich auch noch um die anderen kümmern.« »Wir haben uns bereits in Deckung begeben«, mel dete Olin ruhig. »Gut. Bleiben Sie weiterhin in Sprechfunkverbin dung mit mir. Wir müssen jetzt unbedingt engen Kontakt halten.« »Ich bewege mich auf den Reaktor zu.«
»Gruman?« »Ich bin noch bei der Kiste, die wir gerade geöffnet haben. Sie bietet immerhin gute Deckung.« »Carmody?« »Ich halte mich an einer Leine fest«, erwiderte der Spezialist vom SPA nervös. »Allerdings weiß ich selbst nicht, wohin die Leine führt.« »Halten Sie sich in jedem Fall weiter daran fest«, sagte Gore. »Lindenwall?« »Ich schwebe unterhalb der Kabine des Weltraum schiffes«, antwortete Lindenwall. »Sie kommt mit verteufelter Geschwindigkeit auf uns zu«, meldete Devlin. Gore warf einen Blick auf den Radarschirm. Ihre Zeit war annähernd abgelaufen. Er wandte sich an Ja stro und zwang sich zu einem Lächeln. »Wir brauchen zumindest einen Raumgleiter, Alex. Schwingen Sie sich in die Pilotenkapsel. Schließlich kann uns diese Rakete nicht alle beide erwischen.« »Das könnte sie durchaus, wenn sie mit einem nu klearen Sprengkopf versehen ist. In diesem Fall wür de von der ganzen Weltraumstation nichts mehr üb rig bleiben.« »Ich glaube kaum, daß das Ding mit einem nuklea ren Sprengkopf ausgestattet ist.« »Dieser optimistischen Hoffnung schließe ich mich von ganzem Herzen an. Also dann bis später.« Jastro
winkte Gore noch einmal zu, schloß den Helm seines Raumanzuges und schwebte auf die Luftschleuse zu. Gore sah ihm einen Augenblick nach und wandte sich dann an Devlin. »Möchtest du dir die Sache nicht lieber von drau ßen ansehen?« »Ich bleibe lieber hier in der Station«, antwortete der Astronaut ruhig. »Die Raumstation ist aber ein großes Ziel, Freund. Dieses Risiko brauchst du nicht einzugehen.« »Ach was, die Chancen sind doch überall gleich. Ich bleibe hier.« »Ich sehe die Rakete«, meldete Gruman über Sprechfunk. »Leg deinen Raumanzug an«, sagte Gore zu Dev lin. »Dieses Baby hier könnte immerhin getroffen werden und ein Leck abbekommen.« »Roger.« Gore öffnete das Druckventil seines Raumanzugs und schloß den Helm. Er schwebte auf die Luft schleuse zu und blickte sich noch einmal um. Devlin stand wie eine einsame und von Gott und der Welt verlassene Gestalt in der Mitte der Weltraumstation. Als Gore die Luftschleuse verließ, drang Olins Stimme aus den Kopfhörern an sein Ohr. »Devlin?« »Ich bin in der Raumstation.«
»Okay, mein Junge. Immer mit der Ruhe.« Na ja, dachte Gore, warum sollten die beiden Freunde eigentlich nicht um ihr gegenseitiges Wohl ergehen besorgt sein? Bei einem solchen Abenteuer im Weltraum kamen sich zwei Menschen notgedrun gen näher. Ihm und Jastro erging es ja auch nicht an ders. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte die Ra kete nirgends erspähen und schaltete das Mikrofon des Funksprechverkehrs ein. »Alle weiteren Gespräche über Sprechfunk sind ab sofort einzustellen, bis die Wirkung der Rakete zu er kennen ist.« »Roger«, murmelte jemand. Gore setzte seine Handrakete in Betrieb und sah die Weltraumstation hinter sich verschwinden. Ir gendwo schimmerte der Lichtkegel einer Taschen lampe durch die Dunkelheit im Weltraum. Ein eiskalter Schauer lief über seinen Rücken. Wenn er dies alles erst mal hinter sich hatte, würde er sich eines Tages eine Frau suchen, heiraten und Kin der haben. Das wäre dann die Erfüllung eines lang gehegten Traumes. Natürlich träumte er gelegentlich auch von einer Reise zu den fernen Planeten. Doch im Augenblick mußte er sich auf das Raketengeschoß konzentrieren, das mit unverminderter Geschwin digkeit auf die Weltraumstation zugerast kam ... Er erblickte den hellen Fleck, der seiner Schätzung
nach mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 000 Ki lometer pro Stunde auf die Weltraumstation zugeflo gen kam. Innerhalb weniger Sekunden analysierte Gore alle vorhandenen Möglichkeiten. Er glaubte nicht, daß die Rakete mit einem nuklearen Sprengkopf ausgestattet war. Das Risiko eines Weltkriegs war einfach zu groß. Und eine konventionelle Rakete, auch von giganti schen Ausmaßen, konnte hier oben keinen nennens werten Schaden anrichten. Das Ding wurde größer und größer. Gore sah, daß es keinen Millimeter vom programmierten Kurs ab wich. Er versuchte sich vorzustellen, wo diese Rakete detonieren würde. Irgendwie kam ihm das Ding plötzlich gewaltig vor. Er warf einen Blick in die Richtung, wo Jastro ver schwunden war. In der weiten Unendlichkeit des Welt raums kam er sich wie verloren vor. Er fühlte sich so einsam wie selten zuvor in seinem Leben. Mit einem Male schien der Himmel drohend zu wirken. Ein heller Lichtstrahl blendete Gore und er schloß die Augen. »Dev?« fragte Olin. »Roger«, meldete sich der Astronaut. »Ist das Ding explodiert?« »Amen.« Gore fragte rasch: »Irgendein Schaden an der Stati on entstanden?«
»Das läßt sich noch nicht mit Sicherheit sagen, aber ich glaube es kaum. Es scheint alles in Ordnung zu sein.« »Wie steht's mit dem Luftdruck?« »Normal.« »Gut. Behaltet alles genau im Auge, denn es könnte ein kleines Leck entstanden sein, aus dem die Luft langsam weicht.« »Roger.« »Jastro?« fragte Gore. »Hier. Soll ich hinkommen?« »Nur zu ... Strecker?« »Hier ist alles in Ordnung«, sagte der Mann vom SPA mit etwas unsicherer Stimme. »Carmody?« »Alles okay.« »Gruman?« »Ich stecke mitten in der Arbeit«, brummte der Konstrukteur. »Lindenwall?« Keine Antwort. Gore fragte lauter: »Lindenwall?« Die Stille wurde drückend. »Hat jemand Lindenwall gesehen?« fragte Gore. »Ich glaube, er befand sich am Tanklager für das Raumschiff«, erwiderte jemand. »Mein Gott!« stieß Strecker hervor. »Genau da ist das Geschoß explodiert.«
Sie versammelten sich in der Kabine der Raumstati on. Die Suche nach Lindenwall war ergebnislos verlau fen. Noch hatten sie nicht genau feststellen können, welcher Schaden im sogenannten Garten der Raum station angerichtet worden war. Sie ließen den Druck aus ihren Raumanzügen und legten die schwere Aus rüstung ab. Nur das verhaltene Summen der Klima anlage war im Raum zu hören. Gore warf einen Blick auf den Zeitmesser: 15. Juli. Lindenwall hatte sich genau einen Tag in der Um laufbahn um die Erde aufgehalten. Gore sah die Anspannung in den Gesichtern von Olin und Devlin. Diese beiden Männer befanden sich nun schon wochenlang hier oben in der Umlaufbahn. Unauffällig ließ er den Blick über die anderen Männer gleiten. Jastro war keine Nervosität anzumerken, wäh rend Strecker augenscheinlich Schwierigkeiten hatte, den Raumanzug und die Ausrüstung abzulegen. Das war der Schock, dachte Gore. Ein grimmiger Ausdruck stand in Grumans Gesicht. Allem Anschein nach war dieser Mann nicht so leicht zu erschüttern. Gore musterte Carmody. Der kleine Weltrauminge nieur hatte bislang lediglich seinen Helm abgenom men. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. »Hat jemand Hunger?« fragte Devlin. Niemand antwortete. »Wir sollten uns erst im Garten umsehen
und den angerichteten Schaden abschätzen«, meinte Gruman. »Ruht euch aus«, sagte Gore. »Ausruhen!« wiederholte Strecker bitter. Gruman sah Gores Blick und sagte: »Eine ausge zeichnete Idee. Ich werde gleich mit der Pause anfan gen.« Während sich die Mannschaft ausruhte, schickte Gore einen kurzen Bericht mit der Meldung von Linden walls Tod zum Hauptquartier. Vor allem brauchten sie jetzt eine neue Tankanlage für das Raumschiff. Der Elektronikspezialist mußte möglichst schnell er setzt werden. Als die Männer bereit waren, die Arbeit im Welt raum wiederaufzunehmen, nahm Gore Strecker zur Seite. »Wir müssen genau feststellen, welcher Schaden im Garten angerichtet wurde.« »Sicher«, brummte Strecker. »Ich brauche minde stens noch sieben oder acht Männer.« »So weit sind wir noch nicht«, entgegnete Gore. »Es läuft alles nach Plan.« »Diese Arbeiten müssen so schnell wie irgend mög lich durchgeführt werden«, sagte Strecker nachdrück lich. Gore zwang sich zur Ruhe. »Das ist Ihr Bier.«
»Beim nächsten Male könnte es nicht so glimpflich abgehen. Das Raumschiff muß so schnell wie möglich fertiggestellt werden.« »Das ist richtig, aber mit einer Tatsache müssen Sie sich abfinden: wir werden noch oft das Gebiet des eu ro-asiatischen Kontinents überqueren, ehe dieses Ba by fertiggestellt ist.« »Warum ist diese Raumstation nicht richtig ausge stattet worden?« fragte Strecker gereizt. »Eine unver antwortliche Nachlässigkeit ...« »Die Raumstation war lediglich zur Ausbildung von Astronauten gedacht und noch nicht einmal fer tig, als sie von Ihrer Abteilung übernommen wurde«, warf Jastro ein. »Dennoch sollte die Station über eine ausreichende Verteidigung verfügen«, beharrte Strecker. »Das Hauptquartier arbeitet bereits daran«, erwi derte Gore. Strecker biß sich nervös auf die Lippen, streifte Carmody und Gruman mit einem flüchtigen Blick und wandte sich dann wieder an Gore. »Zwei Monteure sollen mit dem nächsten Raum gleiter hier eintreffen. Wollen Sie sich bitte mit dem SPA in Verbindung setzen und statt des einen Mon teurs einen Elektronikspezialisten mitkommen lassen, am liebsten Herbert Anderson?« »Gewiß.«
»Es ist nicht mehr lange bis zum zehnten August«, versetzte Strecker. »Immer mit der Ruhe«, warf Jastro ein. »Vielleicht existieren wir dann gar nicht hier oben.« »Wir können nicht allzu lange auf die Tankanlagen für das Raumschiff warten«, sagte Gruman. »Beim Zusammenbau wird sie als erstes hier oben ge braucht.« »Die werden das Ding kaum heraufschicken kön nen, ohne zuvor Hunderte von Formularen auszufül len«, sagte Olin verächtlich. »Darum soll sich das SPA kümmern«, meinte Ja stro. »Nein, das geht die ganze Nation an«, versetzte Gore. Er sah Strecker an, wandte sich jedoch an Gru man. »Könnten Sie nicht zuerst den Reaktor installie ren?« »Das ließe sich machen.« »In der Zwischenzeit könnten wir weitere Bauteile einsammeln und zum Einbau herrichten.« »Natürlich liegt eine ganze Menge Arbeit vor uns, aber es wäre mir lieber, wenn wir zunächst die Tankanlagen installieren könnten«, sagte Gruman ruhig. »Mir auch.« Gore sah sich im Kreis der Männer um. Gruman wollte noch etwas hinzufügen, aber Strek ker kam ihm zuvor. »Wir wollen uns gleich an die Arbeit machen.«
9
16. Juli 1975. Genau sieben Minuten nach der Landung des Raumgleiters warf Ben Gore seine Ausrüstung in ei nen Jeep und betrat General Bryants Dienststelle. Nach dem Raketenangriff auf die Raumstation über raschte es ihn nicht, so schnell zum Chef gerufen zu werden. Bryant, Bruckman und die anderen Vorge setzten warteten bereits ungeduldig auf einen einge henden Bericht. Der General sprach gerade in das Mikrofon eines Tonbandgeräts. Als Gore eintrat, schaltete er das Ge rät aus und streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. »War wohl ein bißchen unruhig da oben, was? Na, setzen Sie sich.« Sein Tonfall ließ erkennen, daß er sich nur zu gut vorstellen konnte, wie unruhig es da oben zugegangen sein mußte. Er sah Gore forschend an. »Es hätte schlimmer kommen können, Sir.« Gore setzte sich vor den Schreibtisch. Das Gesicht des Ge nerals wirkte müde und abgespannt. »Ich fürchte, das ist erst der Anfang«, sagte der Ge neral, und Gore hoffte, daß er nicht recht behalten würde. »Schade um Lindenwall«, fügte Bryant hinzu. »Die Nachricht von seinem Tod hat mich sehr erschüttert.«
Gore gab ihm einen genauen Bericht und mußte ihn ein paarmal wiederholen, ehe sich der General zufrieden gab. »Bruckman wird Sie auch noch ausquetschen wol len«, bemerkte er abschließend, und Gore nickte. »Strecker will unbedingt weitere Männer einset zen«, sagte er. »Er fürchtet Terminschwierigkeiten.« »Dazu könnte es leicht kommen«, gab Bryant trok ken zurück. »SPA schickt einen Ersatzmann für Lin denwall mit. Er wird Sie zur Weltraumstation beglei ten.« »Strecker erwartet zwei Männer.« »Diesmal nicht.« Bryant ging nicht näher darauf ein. Er bot Gore eine Zigarette an und sprach erst weiter, als die ersten Rauchwolken zur Decke aufstie gen. »Inzwischen ist viel passiert, doch das kam kei neswegs überraschend. Die internationale Lage ist ziemlich gespannt. Zu alledem haben wir es auch noch mit diesem verdammten Carron-Komitee zu tun. Na ja ...« Er lächelte, und seine Stimme wurde freundlicher. Gore entspannte sich. Er sah es als gutes Omen an, daß der Chef sich offensichtlich keine allzu großen Sorgen machte. Gleichzeitig spürte er jedoch die for schenden, durchdringenden Blicke, mit denen der General ihn musterte. Aus einem Mann wie Bryant
wurde man nicht recht schlau. Man wußte nie, was er dachte. Der General blies erneut eine Rauchwolke gegen die Decke und kam wieder auf die Raumstation zu sprechen. »Wenn dieses Raumschiff unsere Erwartungen er füllt, haben wir das Planetensystem unserer Sonne so gut wie in der Tasche.« »Es wird die Erwartungen erfüllen«, erwiderte Go re mit Überzeugung. »Unsere Abwehr hat eindeutig erklärt, daß Rußland und China alles tun werden, um den Bau dieses Schiffes zu verhindern.« »Das können sie nicht!« versetzte Gore. »Es gehört zu ihrer politischen Strategie, Druck auszuüben, damit wir die gegenwärtige Umlaufbahn ändern und über den Äquator fliegen, statt wie bisher über ihr Gebiet.« Gore schwieg und dachte daran, daß ein Abwei chen von der Umlaufbahn über den Nordpol die Na tion um mehrere Jahre zurückwerfen würde. Es wür de darüber hinaus den Verlust der Raumstation, des im Bau befindlichen Raumschiffes und überhaupt bedeuten, daß alle bisherigen Anstrengungen um sonst gewesen wären. »Auf diese Weise wollen sie uns nur aufhalten, bis sie selbst weitere Fortschritte im Weltraum erzielen«,
sagte General Bryant. »Vermutlich wollen sie von ih ren Mondbasen aus starten, und ich fürchte, sie wer den uns nicht mehr lange darauf warten lassen«, füg te er nachdenklich hinzu. »Aber auf eine solche Politik wird sich unsere Re gierung doch nicht einlassen.« Bryant lächelte. »Ich glaube kaum. Zumindest nicht, solange Senator Bridgeman für unser Raum fahrtprogramm zuständig ist. Allerdings gewinnt das Carron-Komitee in letzter Zeit wieder mehr Einfluß. Je gespannter die Lage wird, desto nervöser werden die Menschen.« »Sie würden noch viel nervöser werden, wenn wir einen Rückzieher machen müßten.« »Ja, das stimmt.« »Ich glaube nicht, daß die andere Seite es auf einen Krieg ankommen läßt«, sagte Gore. »Wenn sie das wollten, hätten sie die Raumstation mit einer atoma ren Rakete abgeschossen.« »Es war immerhin eine Warnung«, brummte der General. »Sie werden weiter zu stören versuchen«, prophe zeite Gore. »Ja. Weil sie sicher sind, daß wir es wegen eines abgeschossenen Satelliten nicht zum Krieg kommen lassen werden. Immerhin haben Sie recht mit Ihrer Annahme, daß sie keine atomaren Raketen einsetzen
werden.« Der General lächelte wieder. »Seltsam, daß sich die Öffentlichkeit noch nie darüber aufgeregt hat, wenn wir mit konventionellen Waffen angegriffen wurden.« »Wir streuen den Leuten ja auch mit offiziellen Re gierungserklärungen Sand in die Augen«, erwiderte Gore. Der General richtete sich hinter seinem Schreibtisch auf, und seine Stimme wurde hart. »Jedenfalls müs sen wir so weitermachen, als könnte gar nichts schiefgehen.« »Es wird nichts schiefgehen.« Bryant nickte und kam auf die Terminplanung zu sprechen. Er redete von dem Projekt, als wären keine Komplikationen zu erwarten. Gore fragte sich un willkürlich, ob der Chef seiner Sache wirklich so si cher war wie er tat. Wenn man ihm zuhörte, war die ses Projekt wesentlich einfacher als die Landung auf dem Mond. Vor allem würde es hier keine eigentliche Landung geben. Die Flugbahn war in einer Ellipse um die Sonne geplant und würde über ein Jahr dau ern. Während er dem General zuhörte, kreisten seine Gedanken um das Raumschiff. Im Augenblick be stand es noch aus einer fast unübersehbaren Menge von Zubehörteilen, die um die Raumstation kreisten. Wenn alles zusammengebaut war, würde das Raum
schiff den Schlüssel zu den Planeten bedeuten. Die Hauptarbeit war bereits geleistet – zumindest auf den Zeichentischen der Konstrukteure. Jetzt mußten nur noch die einzelnen Teile wie bei einem Puzzlespiel zusammengesetzt werden. Er merkte, daß der General aufgehört hatte zu sprechen. Die dunklen Augen sahen ihn forschend an. »Noch irgendwelche Fragen?« »Die Tankanlagen. Strecker wartet darauf«, ant wortete Gore. »Das ist bereits in die Wege geleitet, und er wird die Anlagen rechtzeitig bekommen.« »Die Leute seiner Mannschaft?« »Stehen bereit. Sie, Gore, werden die Verbindung zwischen dem Hauptquartier und der Station auf rechterhalten.« »Tun wir das nicht schon längst?« fragte Gore lä chelnd. »Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln«, sagte Bryant. »Immerhin halte ich es für besser, wenn Sie mal eine Fahrt aussetzen und in der Station blei ben. Schicken Sie Olin und Devlin herunter. Jastro kann Devlins Aufgabenposten einnehmen.« Er sah die Frage in den Augen des Astronauten und fuhr fort: »Die beiden brauchen dringend Landurlaub. Sie sind schon zu lange da oben. Ein paar Tage auf der Erde werden ihnen gut tun.«
Gore nickte. »Wie steht's denn mit Waffen?« fragte er dann. »Ja, damit hatten wir nicht gerechnet. Die einzige Waffe, die dafür in Frage käme, steht noch nicht zur Verfügung.« Gore preßte die Lippen zusammen. Es konnte noch Monate dauern, bis ihnen Waffen zur Verfügung ge stellt wurden. »Wie steht's mit meinem Vorschlag, Sir?« »Wir haben uns eingehend damit befaßt. Bruckman wird Ihnen einen Mann mitgeben und alle Einzelhei ten erklären.« Ein grimmiges Lächeln trat in seine Mundwinkel. »Falls es nicht klappen sollte, können Sie uns wenigstens keine Vorwürfe machen.« »Okay.« Gore beugte sich vor. »Ich hätte da einen Vorschlag, der mir noch besser erscheint.« »Das Zeitelement?« fragte Bryant leise. »Es geht nur um Tage.« »Gut, dann lassen Sie mal hören.« Gore begann mit seinen Ausführungen. Schon nach den ersten Worten trat ein nachdenklicher Ausdruck in Bryants Augen. Es war ihm deutlich anzusehen, wie seine Gedanken alle Vor- und Nachteile abwo gen. Gore kam zum Schluß und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Phantastisch ... wir werden es versuchen.«
Das war alles, aber es genügte. Wenn der Chef die Dinge so sah, würde er sogleich alle Hebel in Bewe gung setzen. Da es offensichtlich unmöglich war, die Station und das im Bau befindliche Raumschiff aus reichend zu verteidigen, dann konnten sie es zumin dest verstecken. Gore war sehr stolz auf seine Idee. Wenn jetzt alles so klappte, wie er es sich vorstellte ... Er sah, daß der General die Besprechung als been det ansah, und raffte sich zu einer hastigen Frage auf, die ihm seit einiger Zeit am Herzen lag. »Wer wird dieses Raumschiff eigentlich fliegen, Sir – SPA oder Personal der Air Force?« »Air Force – Männer vom Weltraumkommando«, sagte Bryant. »Ist das Team bereits ausgewählt?« fragte Gore, obwohl er genau wußte, daß er sich damit aufs Glatt eis begab. Sein Herz hämmerte, während er auf die Antwort wartete. »Zwei Teams. Ihre Ausbildung hat bereits begon nen«, erwiderte der General trocken. »Jawohl, Sir.« Er unterdrückte seine Enttäuschung und war plötz lich froh, daß die Unterredung beendet war. Draußen warf er einen Blick zum Himmel hinauf und fluchte vor sich hin. Team eins und fünf saßen auf dem Mond. Team drei – Olin und Devlin – waren an die
Raumstation gebunden. Sein eigenes Team, Gore und Jastro, flogen zwischen der Raumstation und der Er de hin und her. Blieben Team vier und sechs übrig – es sei denn, das Projekt wurde einem völlig anderen Kommando zugeteilt. Mit einem letzten Blick in den Himmel kletterte er in den Jeep, ließ den Motor an und fuhr zu seiner Un terkunft. In seiner augenblicklichen Stimmung wäre er um ein Haar mit einem Lastwagen zusammenge prallt. Irgendwo hinter ihm schrillte die Pfeife eines Militärpolizisten. Er trat das Gaspedal bis zum An schlag durch. Er scherte sich jetzt den Teufel darum, ob sie ihm ein paar Tage Stubenarrest aufbrummten oder nicht. Gore machte sich Sorgen um die Raumstation. Sie umkreiste fünfzehnmal am Tage die Erde. Zwölfmal überflog sie dabei russisches und chinesisches Gebiet. Gore begann sich auszuziehen, um zu duschen, als an die Tür seiner Unterkunft geklopft wurde. Flu chend überlegte er, ob er sich melden sollte oder nicht. Wer wollte nun schon wieder etwas von ihm? »Herein!« rief er. Die Tür wurde geöffnet, und Gore atmete auf. Ein schlanker Mann in Marineuniform stand auf der Schwelle. »Major Gore?«
»Stimmt.« Er warf einen Blick auf das kantige Ge sicht mit den hellen blauen Augen. »Ich bin Leutnant MacMillan und komme gerade aus Dago. Ich soll mich bei Ihnen melden. Bernard MacMillan«, fügte er hinzu. »Einen Marineoffizier hatte ich eigentlich nicht er wartet.« Gore streckte ihm die Hand entgegen. »Für die Air Force ist das Beste gerade gut genug.« Der Leutnant umspannte Gores Hand mit festem Griff. Gore lächelte. »Ich will mich nur rasch unter die Dusche stellen.« »Ich kann später wiederkommen.« »Nein, nein, setzen Sie sich. Es dauert nicht lange.« Da fiel ihm etwas ein. »Ist Ihnen eigentlich schon ein Quartier zugewiesen worden?« »Ja, alles erledigt«, antwortete der Leutnant. »Nur über meine eigentliche Aufgabe weiß ich noch nichts. Colonel Bruckman sagte, Sie würden mir alles erklä ren.« Gore sah die Frage in seinen Augen. »Wir können uns beim Essen darüber unterhalten«, gab er zurück. »Ich habe noch nicht gegessen und ha be einen Bärenhunger.«
10
Am frühen Morgen verließ Gores Raumgleiter die Lufthülle der Erde und trat in den Weltraum ein. Die Sonne stand wie eine glühende Kugel am fernen Ho rizont, während sich ringsum die Sternbilder ab zeichneten. Der nordamerikanische Kontinent war unter dem Raumgleiter weggerutscht. Vorn war deut lich die Grenze zwischen Tag und Nacht zu sehen. Auf der von der Sonne bestrahlten Seite erstreckte sich der Pazifik bis zum Horizont. Gore war jedesmal glücklich, wenn er wieder in die Umlaufbahn um die Erde eintrat. Es war stets wie ein neues Abenteuer in der Unendlichkeit des Welt raums. Irgendwo weit unter ihm mußte Jastros Fähre zu dieser Zeit gerade zur Landung ansetzen. Gore schaltete das Funksprechgerät ein. »Na, wie gefällt's Ihnen hier oben?« »Phantastisch«, antwortete MacMillan, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Ja, es ist wirklich ein einmaliges Erlebnis«, meldete sich die zweite Stimme. Das war Herbert Anderson, der Ersatzmann für Lindenwall. Er hatte die kleine drahti ge Figur seines Vorgängers, aber ein wesentlich helle res Gesicht. Er war schon gestern nachmittag im Raum fahrtzentrum eingetroffen, und Gore hatte seine beiden
Schützlinge auf den Flug in den Weltraum vorbereitet. Wie alle Männer vom SPA hatte auch Anderson die entsprechende Ausbildung erhalten und verstand es, mit seiner Ausrüstung umzugehen. Gore gewann bald die Überzeugung, daß MacMil lan von Natur aus der geborene Mann für einen Auf enthalt in der Umlaufbahn war. »Wann werden wir das Ziel erreichen?« fragte MacMillan. »Sehr bald. Wir befinden uns bereits in der Um laufbahn.« Gore warf einen Blick auf den Radar schirm, wo sich die Station als kleiner heller Punkt abzeichnete. »Station an Gleiter«, kam eine Stimme aus dem Lautsprecher. Gore drehte an den Knöpfen. »Hier Gleiter. Was gibt's?« »Achten Sie auf die Nylonseile.« Das war Olins Stimme. »Wir haben fast alles an die Leine gelegt. Die Station sieht aus wie der Kern eines riesigen Spinn gewebes.« »Roger.« »Nähern Sie sich der Station von oben.« »Roger.« »Strecker erkundigt sich nach dem Ersatzmann für Lindenwall.« »Er ist an Bord«, erwiderte Gore gelassen. »Sonst noch jemand vom SPA?«
»Nein; ich bringe den Vertreter einer befreundeten Militärmacht mit.« »Oh ...?« Olins Stimme klang zweifelnd. »Einen Marineoffizier.« »Du meine Güte!« rief Olin aus. »Ist das wirklich Ihr Ernst?« »Ja, die reine Wahrheit.« Gore lächelte vor sich hin. »Warum gerade jemand von der Marine?« »Um euch da oben auf Zack zu halten. In letzter Zeit seid ihr mir gegenüber ein bißchen zu aufsässig gewesen.« Olin brummte eine unverständliche Erwiderung, und Gore blickte zum Fenster hinaus. Er sah einen Gegenstand im Sonnenlicht blitzen; es konnte sich nur um ein Bauteil für das Raumschiff handeln. Im nächsten Augenblick kam es ihm vor, als schwebe er durch einen Schwarm von Glühwürm chen. Die Lichter wurden heller, und er schaltete die Bremsraketen ein, während MacMillan und Ander son ihm neugierig über die Schulter blickten. Wenige Minuten später schwebte der Raumgleiter über der Raumstation. »Wir sind da«, sagte Gore. »Es war das reinste Kinderspiel. Wir hätten uns den Nachturlaub doch nicht entgehen lassen sollen«, versetzte MacMillan. »Seien Sie froh, daß Sie Ihre Kräfte gespart haben«,
entgegnete Gore. »Sie werden sie hier oben bestimmt brauchen.« »Kann ich mir vorstellen«, murmelte der Marineof fizier. »Sauerstoffdruck überprüfen und Funksprechgerä te im Raumanzug einschalten«, befahl Gore. Als die Bestätigung kam, ließ er den Druck aus der Kabine des Gleiters und öffnete mit einem Knopf druck den Ausstieg. Eine Gestalt in einem Rauman zug wartete draußen mit einer Führungsleine. Gore sah, daß es Devlin war. Während der Astronaut die Leine am Raumgleiter befestigte, wies Gore seine beiden Passagiere an: »Ta sten Sie sich behutsam an der Leine entlang bis in die Luftschleuse.« »Was ist mit meiner Ausrüstung?« fragte MacMil lan. »Die holen wir später.« Gore schwang sich hinaus, schwebte neben Devlin, wartete, bis die beiden Pas sagiere in die Luftschleuse stiegen, und folgte ihnen. »Sie haben Landurlaub bekommen«, sagte er zu Devlin. »Eine bessere Nachricht hätten Sie mir gar nicht bringen können. Vor allem sehne ich mich nach ei nem langen Bad. Ich stinke langsam wie ein Ziegen bock.« Da kam Devlin ein Gedanke. »Wie steht's denn mit Gary?«
»Er fliegt mit meinem Gleiter zur Erde zurück«, antwortete Gore. »Sobald Jastro zurückkommt, über nehmen Sie seinen Gleiter.« Er warf einen Blick auf die Lichtkegel einiger Handscheinwerfer in der Ferne. »Die bringen da drüben gerade ein paar neue Seil verankerungen an«, erklärte Devlin. »Strecker hat mit seinen Männern unermüdlich gearbeitet. Er behan delt sie wie ein Sklaventreiber.« Devlin wußte genau, daß Strecker über Sprechfunk mithören konnte. »Wen haben Sie mitgebracht, Major?« fragte Strek ker in gereiztem Tonfall. »Anderson und MacMillan.« »MacMillan?« fragte Strecker. »Sie sollten doch zwei meiner Männer heraufbringen.« »MacMillan hatte Priorität.« »Warum? Wir brauchen hier in erster Linie Techni ker.« »Eine Voraussetzung zum Schutz und zur Vertei digung der Raumstation brauchen wir noch viel mehr.« »Hinter dem Zusammenbau des Raumschiffes hat alles andere zurückzustehen«, knurrte Strecker. In der Raumstation erkundigte sich Gore sofort nach Jastro und atmete erleichtert auf, als er hörte, daß sein Teamkamerad gut gelandet war. »Ich dachte, Sie wollten mir einen Bären aufbinden, als Sie sagten, Sie würden einen Angehörigen der
Marine mitbringen«, entschuldigte sich Olin, als ihm MacMillan vorgestellt wurde. Er sah den jungen Leutnant neugierig an. »Womit wollen Sie eine Rake te abwehren – mit dem Bajonett?« »Mit einem großen Knüppel«, antwortete MacMil lan lächelnd. »Großen Knüppel? Meinen Sie etwa ei ne dieser neuen Super-Bazookas?« »Genau.« »Hol mich der Teufel! Wer ist denn auf diese blöd sinnige Idee gekommen?« »Ich«, erwiderte Gore. »Ähem«, murmelte Olin. »Peinlich wär's nur, wenn es nicht klappen sollte«, versetzte Gore. Er wandte sich an Anderson. »Hat man Ihnen eigentlich erklärt, was Sie hier oben er wartet?« »Die Raketengeschosse? Ja, das hat man mir erklärt – aber die Aufgabe muß nun mal durchgeführt wer den.« Carmody kam aus dem hinteren Raum, wo sich das chemische Bad befand. Sein Gesicht war kreide bleich, und er hielt sich nur mühsam auf den Beinen. Gore sah Devlin fragend an. »Raumkrank«, erklärte der Astronaut. Carmody schickte sich an, den Helm zu schließen. »Ruhen Sie sich erst mal ein bißchen aus«, riet Go re.
»Es geht schon wieder.« Carmody streifte die bei den neuen Männer mit einem flüchtigen Blick und begab sich in die Luftschleuse. MacMillan versuchte einen Schritt vorzutreten und schwebte unvermittelt durch den Raum. Olin konnte ihn gerade noch vor dem Radarschirm abfangen. »Zum Teufel!« brummte der Leutnant, nachdem Olin ihn wieder auf die Füße gestellt hatte. »Schwerelosigkeit«, erklärte Gore und zeigte den beiden neuen Männern, wie sie am besten mit diesem für sie noch ungewohnten Zustand zurechtkämen. Er deutete auf den Schrank mit den Vorräten und auf die Betten. MacMillan erkundigte sich nach dem Zweck der Gurte an den Betten. »Dadurch wird gewährleistet, daß Sie im Schlaf nicht plötzlich durch den Raum schweben.« MacMillan bewegte sich durch die Räume der Sta tion und sah sich alles neugierig an. »Nicht schlecht«, sagte er dann zu Gore. »Ich halte das immer noch für besser als das Kriegspielen mit Amphibienfahrzeugen in stürmischer Brandung.« »Na, hoffentlich ändern Sie Ihre Ansicht nicht.« Devlin brachte zwei Raumanzüge und Handrake ten; ausführlich erklärte er die Handhabung. »Unser Gott hier oben heißt Sauerstoff«, sagte er. »Achten Sie besonders auf die richtige Einstellung
des Druckventils.« Während die beiden neuen Män ner die Raumanzüge anlegten, gab Devlin Gore einen Bericht über den Stand der Dinge. Anschließend führte Olin Anderson zu Streckers Gruppe, und Gore und MacMillan entluden den Raumgleiter. Devlin blieb in der Station zurück. Vor dem Verlassen der Luftschleuse blieb MacMil lan auf dem Lukenrand sitzen und blickte nach un ten. »Schwindlig?« »Nein. Es scheint mir ein langer Sturz in die Tiefe zu sein.« »Es ist noch niemand hinuntergefallen«, beruhigte ihn Gore. MacMillan stieß sich von der Luftschleuse ab und ruderte mit Armen und Beinen, bis er eine Führungs leine erwischte und sich daran festhielt. »Mein Gott. Ich dachte schon, jetzt würde ich be stimmt abstürzen«, keuchte MacMillan. »Ich weiß. Am Anfang ging es uns allen so.« »Aber beim Verlassen des Raumgleiters habe ich das noch gar nicht gemerkt.« »Da hatten Sie ja auch eine Führungsleine.« »Von jetzt ab werde ich die Leine nie wieder loslas sen.« Der junge Leutnant warf erneut einen Blick auf die Erde und fragte überrascht: »Warum ist es da un ten eigentlich immer noch Morgen?«
»Es ist die Dämmerung«, korrigierte Gore. »Wir be finden uns in der Umlaufbahn über dem Pol. In süd licher Richtung geht's über den Südpol, und auf der anderen Seite der Erde wieder zum Nordpol hinauf.« »Das verstehe ich nicht.« »Nehmen wir mal an, Sie richten in einem dunklen Raum die Taschenlampe auf einen Globus. Was wür den Sie sehen?« »Auf der einen Seite des Globus wäre es hell und auf der anderen dunkel«, antwortete MacMillan. »Genau. Und wenn Sie selbst in einem rechten Winkel zu der Lichtquelle stehen?« »Dann würde ich gleichzeitig Tag und Nacht auf dem Globus erkennen.« »Und wenn der Globus nun rotiert?« »Ah, jetzt fällt der Groschen!« sagte MacMillan. »Von hier aus beobachten wir die Rotation der Erde.« »Und die damit verbundenen Lichteinwirkungen der Sonne.« »Dann müßten wir also gerade den Südpol über quert haben.« »Richtig, wir nähern uns jetzt dem Indischen Oze an«, sagte Gore. »Damit wird es Zeit, Posten zu be ziehen.« »Rußland?« »In wenigen Minuten.«
Der große schlüsselförmige Schutzschild, der in ein zelne Teile zerlegt in die Umlaufbahn gebracht wor den war und die Kabine des Raumschiffes vor der Strahleneinwirkung des Reaktors schützen sollte, wurde zusammengesetzt und montiert. Die erforder lichen Kabelverbindungen wurden hergestellt. »Bringt den Reaktor!« rief Gruman, nachdem die Montage beendet war. Ein Freudenschrei folgte seinen Worten, und Gore wurde von der gleichen Erregung ergriffen wie die Männer am Raumschiff. Der Schutzschild war in Re kordzeit montiert worden. Ein gutes Omen. Er hoffte nur, daß auch weiterhin alles klappen würde. »Weiter so!« rief Strecker freudestrahlend. Die Begeisterung des Mannes überraschte Gore. So etwas hätte er diesem Burschen gar nicht zugetraut. Vielleicht hatte er ihn doch falsch eingeschätzt. »Sauerstoffdruck und Handraketen überprüfen«, ordnete Gruman an. Gore schwebte durch den Raum, lauschte eine Wei le auf die Stimmen der Männer beim Raumschiff und setzte sich dann mit Devlin in Verbindung. »Alles in Ordnung«, meldete der Astronaut. »Wir stehen laufend in Verbindung mit den Bodenstellen.« »Roger.« Er schaltete seine Handrakete ein und warf einen Blick auf die Erde. Sie befanden sich zur Zeit etwa fünf Grad West und vierzig Grad Nord.
Unter ihnen lag Madrid. Der Atlantik war zum Teil von Wolken verdeckt. Deutlich zeichnete sich die Meerenge von Gibraltar ab. Von hier aus führte die weitere Flugbahn über Bilbao, eine Ecke von Frank reich, über England und Schottland zum Nordpol. Der größte Teil Europas lag im Schatten. Gore schwebte an der Raumstation vorüber und sah die Lichtkegel der Taschenlampen auf dem gi gantischen Zylinder, in dem der Reaktor unterge bracht war. Die Männer diskutierten die beste Me thode, den Zylinder hinter dem montierten Schutz schild anzubringen. Strecker schlug vor, beide Einheiten mit einem Tau zu verbinden und eine Winde anzusetzen. »Ausgeschlossen«, schaltete Gore sich ein. »Das würde alles in gefährliche Nähe der Raumstation bringen.« »Ich glaube, diese Entscheidung sollten Sie lieber mir überlassen«, sagte Strecker. »Nein. Es handelt sich um eine militärische Ent scheidung«, entgegnete Gore. »Es darf hier auf keinen Fall zu einer Gruppierung kommen, bei der das gan ze Projekt durch ein einziges Raketengeschoß ver nichtet werden könnte. Der Sicherheitsabstand zwi schen Raumschiff und Raumstation muß in jedem Fall eingehalten werden.« »Ich sehe das überhaupt nicht als eine militärische
Entscheidung an«, erhitzte sich Strecker. »Schließlich haben wir unseren Zeitplan einzuhalten.« »Sie müssen eine andere Lösung finden«, sagte Go re. »Ich erachte das als eine unbefugte Einmischung Ihrerseits!« »Das schert mich einen Dreck! Achten Sie darauf, daß der vorgeschriebene Abstand zwischen Raum schiff und Raumstation eingehalten wird!« sagte Go re. Betroffenes Schweigen folgte seinen Worten. Als Strecker die nächsten Anweisungen gab, klang seine Stimme, als hätte es den Zwischenfall überhaupt nicht gegeben. »Wir werden die beiden Teile hier an Ort und Stelle zusammensetzen«, sagte er ruhig. Gore verwünschte Strecker, die vor ihnen liegende Aufgabe und die ganze Welt. Seine innere Ruhe kehr te erst zurück, nachdem er eine Weile auf die rotie rende Erde hinuntergeblickt hatte. Dann schaltete er die Handrakete ein und schwebte auf die Raumstati on zu.
11
Die Raumstation überflog die Stadt Perth in Australi en, dann Java. Die dunkelgrüne Insel von Borneo tauchte auf, und dann kam bereits das Gelbe Meer. Der Schutzschild glitzerte im Sonnenlicht wie ein gigantischer Spiegel. Gore lauschte auf die Stimmen der Männer. Strecker gab keine eigentlichen Anwei sungen, sondern beschränkte sich darauf, diese in Form von Vorschlägen an Gruman durchzugeben. Gore spürte die gereizte Stimmung der Männer. Die vielen Stunden ununterbrochener Arbeit forderten jetzt ihren Tribut. Das Zusammenfügen der beiden wichtigen Teile erwies sich als wesentlich schwieriger als erwartet. Überall mußten Führungs- und Haltelei nen entfernt und wieder neu angebracht werden. Gore hielt sich in der Nähe der Raumstation auf und beobachtete von hier aus den Fortgang der Ar beit. Langsam kam der Zylinder mit dem Reaktor auf ihn zugeschwebt. Die Männer umkreisten ihn ständig und achteten darauf, daß keine Leine in den Weg ge riet. Gore ließ sich auf der Luftschleuse der Raumstati on nieder und sah plötzlich betroffen, daß der Ab stand immer geringer wurde. Ein anderer Mann er kannte die Gefahr ebenfalls.
»Der Zylinder ist zu nahe! Lenkt ihn zur Seite ab!« rief eine erregte Stimme. »Devlin!« sagte Gore scharf in sein Kehlkopfmikro fon. »Roger«, meldete sich der Astronaut sofort. »Setzen Sie Ihren Raumanzug unter Druck!« »Roger.« »Achten Sie auf den Druck in der Kabine.« »Roger.« »Bereiten Sie sich auf einen Zusammenstoß vor!« beendete Gore die Durchsage. Der Zylinder begann sich langsam um seine Mit telachse zu drehen. Dahinter glitt der massive Schutzschild auf die Raumstation zu. »Strecker!« rief Gore. »Was gibt's?« »Achten Sie auf den Schutzschild ...« Gore brach ab, denn es war bereits zu spät. Mit einem ohrenbe täubenden Krachen stieß Metall gegen Metall. Dann schwebten die beiden Raketenbauteile seitlich an der Raumstation vorüber. »Alles herhören!« rief Gore. »Ich rufe jeden einzel nen beim Namen.« Betretenes Schweigen folgte seinen Worten. »Strecker?« »Hier.« Deutliche Panik schwang in der Stimme des Mannes vom SPA mit.
»Olin?« »Roger.« »Gruman?« »Roger.« »Carmody.« Er wartete eine Weile, und als keine Antwort kam, rief er den Namen noch einmal. »Carmody?« fragte Strecker. »Anderson?« rief Gore. »Hier«, meldete sich der Mann mit unsicherer Stimme. »Carmody muß zwischen Raumstation und Rake tenbauteil eingeklemmt worden sein«, versetzte Gore. Während die Männer mit der Suche begannen, setzte er sich wieder mit Devlin in Verbindung und erfuhr zu seiner Erleichterung, daß die Raumstation nicht beschädigt worden war. Er wies Devlin an, besonders auf den Druck zu achten, schaltete die Handrakete ein und schwebte um die Raumstation herum. »Hier ist er!« rief jemand vor ihm. Ein Hand scheinwerfer blitzte auf. »Mein Gott!« Gore flog an Strecker vorüber und richtete seinen Handscheinwerfer auf den Helm von Carmodys Raumanzug. Das Gesicht des Ingenieurs war so un förmig angeschwollen, daß es fast den ganzen Helm ausfüllte. Augen und Zunge waren weit hervorgetre ten. Gore schaltete den Handscheinwerfer aus.
»Carmody ist tot«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Was ... was ist passiert?« stammelte Strecker. »Entweder ist sein Raumanzug beschädigt worden oder der Helm – jedenfalls ist der Druck entwichen.« Er wirbelte herum. »Warum, zum Teufel, haben Sie dieses Ding so nahe an die Raumstation herange bracht?« »Es war noch genügend Abstand, bis plötzlich je mand rief, man solle den Zylinder zur Seite drehen«, antwortete Strecker. Seine Stimme überschlug sich vor Erregung. »Wer hat diese Anweisung gegeben?« »Ich«, erwiderte Anderson ruhig. »Ich sah, wie der Zylinder genau auf die Raumstation zuschwebte.« »Sie haben einen Menschen getötet!« rief Strecker mit schriller Stimme. »Halten Sie den Mund!« herrschte Gore ihn an. »Er hat recht. Das verdammte Ding wäre so oder so ge gen die Raumstation geprallt. Carmody war ganz ein fach im falschen Augenblick an der falschen Stelle.« Strecker gab keine Antwort. Gore blickte auf den Toten im Raumanzug. Der Mann hatte die meiste Angst von allen gehabt und dennoch unverdrossen seine Pflicht erfüllt. »Schafft ihn auf die andere Seite der Raumstation, bis wir ihn bestatten können«, sagte er müde. Ir gendwie hatte er das Gefühl, daß es nicht bei diesem einen Unglücksfall bleiben würde.
»Ihn bestatten?« fragte jemand entgeistert. »Im Weltraum«, murmelte Gore. »Sein Körper wird der Unendlichkeit des Alls übergeben.« Als er sich abwandte, drang Devlins Stimme aus dem Kopfhörer. »Major!« »Ist die Raumstation leck?« »Nein, Sir.« »Komme sofort.« Er warf einen letzten Blick auf die Männer, die den Toten wegschafften, und schwebte auf die Luftschleuse zu. Nach Devlins Stimme zu schließen, war wieder etwas los. »Was ist denn?« fragte Strecker ungeduldig. »Ich weiß es noch nicht, bestehe aber ab sofort auf absoluter Stille im Funksprechverkehr«, sagte Gore. »Die Verbindungen stehen vorerst ausschließlich dem Militärpersonal zur Verfügung. Ist das klar?« Er wartete einen Augenblick, aber Strecker meldete sich nicht mehr. Er durchquerte die Luftschleuse, ließ den Druck aus dem Raumanzug und öffnete den Helm. MacMillan arbeitete an den mitgebrachten Waffen. »Ich glaube, es ist ein Raketengeschoß!« sagte Dev lin. »Auf dem Schirm?« »Nein, ich habe Bruchteile einer Meldung aufge fangen.« Gore warf einen Blick auf den automatischen Posi
tionsanzeiger und runzelte die Stirn. Sie befanden sich über China. »Wir sind ziemlich weit entfernt von unseren eige nen Bodenstationen«, meinte er zweifelnd. »Ich habe die Meldung aber gehört«, beharrte Dev lin. »Wahrscheinlich wurde die Wellenfrequenz ver zerrt.« »Verschlüsselt?« »Verschlüsselt«, bestätigte Devlin. »Keine möglichen Rückschlüsse auf den Absender?« »Keine.« »Achten Sie weiter auf Meldungen.« Gore wandte sich an MacMillan. »Machen Sie alles schußbereit!« »Jawohl, Sir.« Der Marineleutnant schloß seinen Helm, ließ Druck in den Raumanzug und schwebte mit seiner Waffe und einem Nylonsack voll Munition auf die Luftschleuse zu. »Sperren Sie Augen und Oh ren auf und geben Sie mir sofort Bescheid, wenn sich etwas tut. Ich bin draußen bei unserem Marine korps«, sagte Gore zu Devlin und begab sich eben falls in die Luftschleuse. »Achtung!« sagte er draußen ins Kehlkopfmikro fon. »Es besteht die Gefahr, daß ein Raketengeschoß auf uns zukommt. Verteilt euch über das gesamte Gebiet um die Raumstation und nehmt Deckung hin ter möglichst kleinen Behältern.« »Roger«, murmelte jemand.
»Und haltet weiterhin absolute Funkstille. Diese Anweisung gilt nach wie vor.« Er sah, wie die Lichter sich zurückzogen und ver teilten. MacMillan wartete unmittelbar neben der Raumstation. »Ist das Baby geladen?« fragte Gore. »Ja, aber auf was soll ich denn zielen?« fragte der Marineleutnant. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß«, gab Gore zurück. »Wenn wirklich ein Raketenge schoß auf uns zu kommt, werden wir es erst sehen, wenn es fast bei uns ist.« »Dieses Ding hat nur eine kurze Reichweite«, be merkte MacMillan. Gore betrachtete die Waffe. Sie war in erster Linie zur Panzerabwehr gedacht. Er verließ sich darauf, daß das Raketengeschoß die einmal eingeschlagene Bahn nicht mehr ändern würde. MacMillan wartete auf eine Antwort. »Im Weltraum ist es nicht von kurzer Reichweite«, erklärte Gore. »Hier oben gibt es weder Schwerkraft noch Luftwiderstand.« »Soll das heißen, daß das Ding einfach weiterflie gen wird?« »Ja.« Gore blickte auf die Erde hinab. Die weite, graue, mosaikartige Fläche unter ihnen war China. Vor ihnen erstreckte sich Sibirien.
Falls wirklich ein Raketengeschoß auf sie zu kam, konnte es nur in China abgefeuert worden sein, aber er hoffte noch immer, daß Devlin sich bezüglich der Meldung geirrt hatte. Noch vor wenigen Stunden hat te er sich selbst zu dem schnellen Fortgang der Arbei ten beglückwünscht, und nun saßen sie plötzlich wieder in der Klemme. Sie brauchten unbedingt mehr Männer hier oben, und zwar verdammt schnell. Und Waffen. In knapp vier Stunden würde Jastro zwei weitere Männer vom SPA bringen – und hoffentlich auch Nachrichten über die von ihm angeregte Waffe. Dann würde Olin zur Erde zurückkehren. Er beobachtete MacMillan und versuchte sich zu ent spannen. Der Marineleutnant machte einen ruhigen und beherrschten Eindruck. Plötzlich blickte er auf. »Die Granaten sind ein bißchen unhandlich, so daß ich beim Nachladen vielleicht Hilfe brauche. Ge wöhnlich wird diese Waffe von zwei Mann bedient.« »Okay«, erwiderte Gore. »Binden Sie sich lieber an einer Halteleine fest.« »Die Granaten haben keinen Rückstoß, und die Waffe springt auch nicht beim Abschuß«, sagte MacMillan. »Ja, aber schon der geringste Rückstoß könnte sie hinunter zur Erde befördern«, versetzte Gore trocken. MacMillan grinste breit. »Wäre das denn so schlimm?«
»Unter Umständen schickt der Rückstoß Sie auch in die entgegengesetzte Richtung.« »Na, für diesen Fall werde ich mich doch lieber festbinden«, brummte MacMillan. Da kam Devlins Stimme aus den Kopfhörern. »Ich habe etwas auf dem Schirm, aber ...« Er brach ab. »Nun?« fragte Gore scharf. »Drei Punkte«, berichtete der Astronaut mit er zwungener Ruhe. »Drei Babys kommen auf uns zu!« Er machte eine Angabe über die ungefähre Höhe und Geschwindigkeit. »Ich würde sagen, daß ihre Flugbahn auf unsere Umlaufbahn programmiert ist.« »Wahrscheinlich«, pflichtete Gore ihm bei. »Versu chen Sie weitere Daten zu ermitteln.« Er wandte sich an MacMillan. »Alles klar?« »Abschußbereit«, meldete der Leutnant. Gore deutete in eine bestimmte Richtung. »Ziemlich schnell, was?« »Verdammt schnell.« »Dann kann ich sie vielleicht gar nicht ins Visier bekommen.« »Sie werden nicht gerade, sondern in einer ge krümmten Linie auf uns zu kommen«, erklärte Gore. »Möglicherweise wird es Minuten dauern, bis sie unmittelbar vor uns sind. Der erste Schuß könnte Ih nen einen Anhalt für das Ziel geben.«
»Okay«, versetzte MacMillan knapp. Devlin meldete sich: »Es scheint sich um den glei chen Typ zu handeln wie beim letztenmal.« »Nur mit dem Unterschied, daß es diesmal chinesi sche Erzeugnisse sind«, brummte Gore. Wenn sie Glück hatten und die Raketen groß genug waren, um ein gutes Ziel abzugeben, konnten sie sie vielleicht treffen und zur Detonation bringen. Er be sprach diese Möglichkeit mit MacMillan. »Mir wäre es lieber, wenn es Panzer wären«, ver setzte der junge Marineleutnant. Die helle Hälfte der Erdkugel war mit schweren Wolkenfeldern verhangen. Gore konzentrierte sich auf die unmittelbare Umgebung der Raumstation. Ir gendwo schimmerte ein Handscheinwerfer, und es sah aus, als würde dort jemand an einem Halteseil hinaufklettern. Er versuchte sich die Standorte der Männer einzuprägen. »Jetzt dürften sie auf Sichtweite heran sein«, melde te Devlin und gab noch einmal die Daten durch. Gore unterteilte den vor ihm liegenden Raum in Gedanken in Sektoren und suchte sie systematisch ab. Da fiel sein Blick auf eine kaum wahrnehmbare Spur, und dann tauchten die Raketengeschosse auf. »Ich sehe sie«, murmelte eine Stimme. MacMillan erspähte sie im gleichen Augenblick. Drei blitzende Punkte hielten in einem weiten Bogen
auf die Stelle zu, die die Raumstation in wenigen Se kunden erreichen würde. Sie sahen aus wie Hornis sen. MacMillan brachte die Waffe in Anschlag. Die dik ken Handschuhe des Raumanzuges bereiteten ihm erhebliche Schwierigkeiten. Nur mühsam konnte er durch die Scheibe des Helms die Visierlinie anpeilen. »Immer mit der Ruhe«, sagte Gore. »Zielen Sie zu erst auf die vorderste Rakete.« »Das Ding sieht verdammt klein aus«, brummte der Leutnant. Im gleichen Augenblick erfolgte eine automatische Kursänderung der ersten Rakete. »Guten Flug«, sagte MacMillan und drückte den Abzug durch. Der Rückstoß warf ihn gegen die Hal teleine. Irgendwie gelang es ihm jedoch, die Waffe im Anschlag zu behalten. Gores Blicke folgten dem Geschoß, während er die Halteleine festhielt. »Nur gut, daß ich hier angebunden bin, sonst wäre ich jetzt bestimmt weiß Gott wo«, brummte MacMil lan und lud die Waffe neu. In diesem Augenblick erfolgte eine weitere Kurs korrektur der ersten Rakete. MacMillan drückte ab und wurde erneut zurückgeworfen. Gore zog ihn wieder heran. Als sie luden, meldete sich Devlin. »Irgend etwas stimmt nicht mit der letzten Rakete!« Gore wirbelte herum und sah, daß die letzte Rakete
völlig vom Kurs abgekommen war und sich in Schlangenlinien durch den Weltraum bewegte. »Um dieses Baby brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen«, sagte Gore. »Ich komme mir vor wie bei der chinesischen Neu jahrsfeier«, sagte MacMillan und feuerte ein weiteres Geschoß ab. Sekunden später explodierte die erste Rakete. »Ich habe sie erwischt, ich habe sie erwischt!« stieß MacMillan freudestrahlend aus. Ehe er mit Gores Un terstützung erneut laden konnte, explodierte auch die andere Rakete. »Alle der Reihe nach melden!« befahl Gore. Als sich der letzte Mann gemeldet hatte, atmete er er leichtert auf. »Stellen Sie sofort den angerichteten Schaden fest, Strecker!« Gore fühlte sich plötzlich sehr müde und abge spannt. Seine Hände zitterten, und dieses Vibrieren setzte sich allmählich durch den ganzen Körper fort. Die Nerven, dachte er. Verdammt, ich komme mir langsam wie ein altes Weib vor. »Schätze, ich kann nicht gerade einen großen Erfolg verbuchen«, entschuldigte sich MacMillan. »Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen«, erwiderte Gore. »Wir haben ja nicht ahnen können, daß drei Raketen geschosse auf einmal kommen würden. Alle drei konnten Sie ohnehin nicht abschießen.«
»Was ist denn mit der letzten Rakete passiert?« »Wahrscheinlich ein Fehler in der Steuerung.« »Alle Wetter. Ich hoffe nur, daß sich das nicht Tag für Tag wiederholen wird.« »Es wird sich aber wiederholen«, versetzte Gore. »Darauf können Sie sich verlassen.«
12
Carmody wurde doch nicht im Weltraum bestattet. Bevor Olin zur Erde flog, schlug er vor, den Toten mitzunehmen. Strecker unterstützte den Vorschlag. »Wir können ihn nicht hier im Raum bestatten«, sagte er. »Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Welt raum die letzte Ruhestätte für viele Menschen wird«, versetzte Gore grimmig. »Das ist doch barbarisch!« rief Strecker aus. Gore sah ihn forschend an. Der hysterische Klang in seiner Stimme war ihm nicht entgangen. »Es vereinfacht alles, wenn ich ihn einfach ins Hauptquartier mitnehme«, sagte Olin. Gore sah ein, daß es tatsächlich die beste Lösung war, und gab seine Zustimmung. Strecker wandte sich ab, um zu seinen Leuten zurückzukehren. Gore blickte ihm nach. Carmodys Tod schien den Mann schwer erschüt tert zu haben. Dennoch war er auf eigenen Wunsch per sönlich in die Umlaufbahn gekommen, um hier eine Aufgabe durchzuführen, die er ohne weiteres einem seiner Untergebenen hätte übertragen können. Der Ehrgeiz war wirklich eine starke Triebfeder. Als Strecker in der Ferne verschwand, wandte Gore sich wieder um und half Olin, den Toten in der Kabi
ne des Raumgleiters unterzubringen. Als sie damit fertig waren, blickte Olin auf. »Welches Datum haben wir heute?« »Den neunzehnten«, antwortete Gore. »Sieben Tage«, sagte Olin. »Er hat es sieben Tage durchgestanden.« »Erinnern Sie Bruckman daran, daß er seiner Fami lie schreibt – nach Möglichkeit recht ausführlich.« »Roger.« »Und gehen Sie recht behutsam mit dem Gleiter um.« »Das Ding könnte nicht in besseren Händen sein.« Olin winkte noch einmal und kletterte in die Piloten kanzel. »Haltet die Festung!« »Okay.« Gore schwebte zurück, während der Astronaut den Kurs zur Erde programmierte. »Sechzig Sekunden bis zum Start«, meldete Devlin. »Roger«, erwiderte Olin mit einem Blick auf die In strumente. »Mach's gut, Dev.« »Du auch in deinem Feuerstuhl. Noch dreißig Se kunden bis zum Start.« »Roger.« Zum programmierten Zeitpunkt schossen kleine bläuliche Flammen aus den Raketen des Raumglei ters. Eine ganze Weile schien nichts weiter zu gesche hen. Dann legte der Raumgleiter von der Raumstati on ab und nahm Kurs auf die Erde.
Der Raumgleiter verschwand als kleiner Punkt in der Ferne. Gore wies Devlin an, ihn sofort zu ver ständigen, wenn Jastros Gleiter auf dem Radarschirm erschien. Dann schwebte er zu den SPA-Männern hinüber. Seit dem letzten Angriff auf die Raumstation spürte er eine merkwürdige Unruhe in sich. Die Ex plosion des Raketengeschosses hatte einen Container zerstört, der eine Luftfilteranlage für das Raumschiff enthielt. Das bedeutete, daß Ersatz dafür in die Um laufbahn gebracht werden mußte. Kleinigkeiten, die jedoch den ganzen Zeitplan über den Haufen werfen konnten. Er hatte den Zwischenfall verschlüsselt an Bruck man gemeldet und eine Beschreibung der vermutlich chinesischen Raketengeschosse mitgeliefert. Kurz darauf war eine neue Warnung von einem Satelliten an die Raumstation durchgegeben worden. Er hatte den Männern gegenüber nichts davon er wähnt, denn er wollte abwarten, welche Nachrichten Jastro mitbringen würde. Strecker hatte Gore ersucht, ihm MacMillan zur Verfügung zu stellen, solange sie sich nicht über feindlichem Gebiet befanden. Damit hatte Gore sich sofort einverstanden erklärt, denn er wußte, daß es jetzt auf jeden Mann ankam. Der Angriff der Raketen hatte das Militärpersonal und die SPA-Männer zu ei ner Einheit zusammengeschweißt. Das Projekt war
jetzt ein einziges Rennen gegen die Uhr. Sie brauch ten Zeit – und sie brauchten weitere Männer. Die Arbeit im Weltraum war ungemein schwierig. Der gewaltige Reaktor war schwerelos, aber die Männer mußten auf jede Bewegung achten, um nicht plötzlich in den freien Weltraum hinausgeschleudert zu werden. Gore sah, daß die Arbeit dem kleinen Anderson schwerer fiel als den anderen. Das war an seinen fah rigen Bewegungen in dem schweren Raumanzug und an seiner keuchenden Stimme zu erkennen. Strecker meckerte wegen jeder vermeintlichen Ver zögerung im Arbeitsablauf. Mitunter steigerte er sich in eine völlig unmotivierte sinnlose Erregung hinein. Er selbst schuftete wie ein Berserker und verlangte dasselbe von seinen Männern. Er jammerte über jede Pause, die von Zeit zu Zeit eingelegt werden mußte. Gruman hielt dagegen alle Fäden besonnen in der Hand und wirkte als ausgleichendes Element. Den noch fragte sich Gore, wie lange die Männer diese ungeheure Anspannung würden ertragen können. Devlin meldete, daß Jastros Gleiter auf dem Radar schirm auftauchte. Gore wechselte ein paar kurze Worte mit Strecker und machte sich auf den Rückweg zur Raumstation. Ein Blick zur Erde zeigte ihm, daß sie gerade über der kalifornischen Bucht schwebten. Kurz vor der Raumstation sah er den Raumgleiter
aus der Dunkelheit auftauchen. Kurze bläuliche Flammenstöße kamen aus den Bremsraketen, als Ja stro den Raumgleiter unmittelbar über der Station anhielt. Gore schwebte auf den Raumgleiter zu. Die Luke wurde geöffnet, und Jastro kam mit schwingenden Armen heraus, als wollte er fliegen. »Clown!« knurrte Gore. »Endlich wieder im guten alten Erholungsheim.« »Zum Teufel mit dem Erholungsheim! Du hast ja keine Ahnung, was hier inzwischen los war.« »Und du hast keine Ahnung, was auf der Erde los ist!« »Höchste Alarmbereitschaft?« »Das kann man wohl sagen. Sämtliche Raketen und Abwehreinheiten sind in Bereitschaft versetzt wor den.« Gore warf einen Blick auf die beiden Passagiere, die sein Teamkamerad mitgebracht hatte. Zwei wei tere Männer für Strecker. Sie kamen mit ungeschick ten Bewegungen aus der Luke und streckten instink tiv die Arme aus, als fürchteten sie, abzustürzen. »Lieber Himmel, alles dreht sich einem vor den Augen, wenn man zur Erde blickt«, murmelte einer von ihnen. »Dann schau halt nicht hin«, riet sein Kollege. »Die ganze Sache ist in den Zeitungen mächtig
aufgebauscht worden, und Bruckman ist sauer, weil er glaubt, das verwünschte Carron-Komitee würde dahinter stecken.« Er wandte sich an seine beiden Passagiere und erklärte ihnen, wie sie an der Halte leine zur Luftschleuse der Raumstation schweben könnten. Er sah ihnen eine Weile zu, verankerte den Raumgleiter und wandte sich wieder an Gore. »Du bist ein gefeierter Held«, sagte er. »Was?« fragte Gore verblüfft. »Irgendwie haben die Reporter deinen Namen er fahren und dich als eine Art Halbgott beschrieben.« »Ach du lieber Himmel.« Die beiden Passagiere warteten an der Luftschleu se, deren Mechanismus sie nicht kannten. Gore gab ihnen die erforderlichen Erklärungen und folgte ih nen mit Jastro in die Raumstation. Devlin nahm sich ihrer an. Der große, breitschultrige Tolenberg entsprach in jeder Beziehung Gores Vorstellungen von einem rich tigen Weltraummann. Trotz seiner Größe – er war etwa zehn Zentimeter größer als Gore – bewegte er sich in der ungewohnten Schwerelosigkeit des Welt raums mit katzenhafter Geschmeidigkeit. Erst später erfuhr Gore, daß er ein vortrefflicher Monteur war. Sein Begleiter Graybell war von mittlerer Größe und hatte helle Augen. Seine Hände waren von Schwielen übersät.
Gore konzentrierte sich ausschließlich auf Tolen berg. Der Mann sah wie ein Tiger aus. Irgendwie er innerte er Gore an MacMillan. Während Devlin den beiden Männern die Raumstation zeigte, zog Gore Ja stro beiseite. »Wie sieht's denn unten aus?« »Es ist die Hölle.« »Das hast du schon mal gesagt. Was für eine Hölle?« Jastro grinste finster. »Rußland und China haben angekündigt, daß sie in den kommenden Wochen verschiedene neue Abwehrwaffen testen wollen.« Gore pfiff leise vor sich hin. Das erklärte die Warnmeldung des Satelliten. »Wo sollen sie abgefeuert werden?« »Das haben sie nicht erwähnt.« »Was für Waffen?« »Auch das haben sie nicht verraten.« »Ein Korb voller Schlangen«, murmelte Gore nach denklich. Natürlich hatte jede Nation das Recht, Ab wehrwaffen zu testen. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob es sich nun um Anti-Satelliten-Raketen han delte oder nicht. Es sah ganz so aus, als ob das Raum schiff, das hier oben gebaut wurde, als Zielscheibe herhalten sollte. Und die Raumstation natürlich auch. »Welche Reaktion hat das ausgelöst?« fragte er. »Junge, Junge, du solltest mal die Zeitungen lesen. Die Reporter überschlagen sich förmlich ...«
»Ich meine die offizielle Reaktion«, unterbrach Go re. »Das Außenministerium faßt gerade eine scharfe Protestnote ab«, sagte der Astronaut. Er sah den har ten Blick in den Augen seines Freundes und fügte hinzu: »Ich weiß es selbst nicht. Die Situation ist völ lig undurchsichtig.« »Was haben sie dir gesagt?« »Die Tankanlage kommt morgen herauf. Schätze, das zeigt, daß wir noch nicht auf der Stelle treten. Bruckman läßt dir ausrichten, daß die Operation Na del in wenigen Tagen in Angriff genommen wird. Entsprechende Ausführungsbestimmungen folgen.« »Falls nicht wieder irgendein Politiker die Nerven verliert«, sagte Gore. »Es wird davon gesprochen, die SPA-Mannschaft zu evakuieren.« »Das können sie nicht tun!« empörte sich Gore. »Die Erwägung stammt nicht von der Air Force«, erklärte Jastro. Er zögerte einen Augenblick und frag te dann geradeheraus: »Was bedeutet Operation Na del?« »Es stammt vom Sprichwort von der Nadel im Heuhaufen, wenn ich es richtig sehe.« Kurz erklärte er seinem Teamkameraden, welche Bewandtnis es mit dieser Operation hatte. Jastro stieß einen leisen Pfiff aus.
»Eine tolle Sache!« rief er. »Wer ist denn auf diese Idee gekommen?« »Ich«, antwortete Gore nicht ohne Stolz. »Mein Gott, du bist ja ein militärisches Genie!« »So etwas gibt es in jeder Generation«, sagte Gore. »Wie, zum Teufel, können wir hier oben ohne nen nenswerte Abwehrwaffen die Stellung halten?« »Der Chef hat meinen Gleiter bis zum Rand volla den lassen«, erwiderte Jastro. »Munition für die Super-Bazooka?« »Ja. Außerdem eine zweite Waffe und noch so ein Ding mit einer breiten Streuung. Das von MacMillan abgeschossene Raketengeschoß hat im Land Furore gemacht.« »Mit vollem Recht.« »Der Stanniolstreuer ist von der gleichen Sorte, wie sie in den alten Tagen gegen die Flakabwehr einge setzt wurde – nur natürlich wesentlich moderner«, erklärte Jastro. »Bruckman hofft damit die Zielsteue rung der angreifenden Raketen durcheinander brin gen zu können.« »Was wir hier in erster Linie brauchen, sind starke Strahlgeräte, mit denen wir die verdammten Rake tengeschosse auf weite Entfernung ausmachen und vernichten können.« »Daran wird gearbeitet.« »Ja«, brummte Gore.
Er hörte ein Geräusch an der Luftschleuse, wandte sich um und sah Strecker in die Station kommen. Der SPA-Mann nickte ihm kurz zu und wandte sich an Devlin, der den beiden neuen Männern gerade das Drucksystem der Raumstation erklärte. »Willkommen an Bord«, sagte Strecker. »Sie kom men gerade zur rechten Zeit für eine verdammt kitz lige Aufgabe.« »Das haben wir nicht anders erwartet«, gab Tolen berg zurück. Der Händedruck, den sie tauschten, zeigte deutlich, daß sie schon früher zusammengear beitet hatten. »Erst muß ich laufen lernen. Ich komme mir wie eine Feder im Wirbelsturm vor.« Seine Stim me klang ruhig und beherrscht. »Das werden Sie schneller lernen als Sie glauben«, sagte Strecker. Er wechselte ein paar Worte mit Dev lin, und der Astronaut trat an den Schrank mit den Ausrüstungen. »Sie können es kaum erwarten, an die Arbeit zu kommen«, versetzte Jastro trocken.
13
20. Juli 1975. Die Tankanlage traf ein. Die beiden ersten Raketenstufen fielen, nachdem sie ihre Energie verbraucht hatten, ins Meer zurück, während die dritte die Tankanlage zur Raumstation brachte. Gore und Jastro sahen zu, wie die dritte Raketen stufe mit der Tankanlage immer näherkam. Jetzt hing alles davon ab, daß diese Raketenstufe in die richtige Umlaufbahn einbog. Das Raumschiff mußte in genau drei Wochen zusammengebaut sein, dachte Gore, und dabei schien es, als hätten sie kaum mit der ei gentlichen Arbeit begonnen. Jetzt durften keine wei teren Rückschläge mehr eintreten. Gore sah Jastro an. Im Gesicht des Astronauten spiegelte sich die Anstrengung der hinter ihnen lie genden Wochen. Ja, sie hatten alle unter diesem ver dammten Zeitdruck zu leiden. Irgendwie kam es ihm vor, als würde alles zu glatt ablaufen. Vor einer halben Stunde hatte Devlin mit dem Glei ter die Fahrt zur Erde angetreten. Olin war unmittel bar vor der Rakete mit der Tankanlage von der Erde gestartet und schwebte jetzt direkt über der Raumsta tion, wo er den Gleiter verankern würde.
Gore atmete erleichtert auf, als die dritte Raketen stufe mit der Tankanlage eine Position unterhalb der Raumstation einnahm. Jastro wandte sich um und grinste seinem Teamkameraden zu. »Das wäre geschafft. Jetzt braucht das verwünschte Ding nur noch zusammengebaut werden.« »Drei Wochen. Wir haben noch drei Wochen«, gab Gore zurück. »Das werden drei verdammt anstren gende Wochen ...« »Aber es ist zu schaffen«, sagte Gore. »Dann brin gen wir das Baby so weit von der Erde weg, daß kein verdammtes Raketengeschoß es je erreichen kann.« »Ja, und dann kommen ein paar aufgetakelte Astronauten und machen sich in der Kabine breit«, murmelte Jastro bitter. »Das sind eben Glückspilze.« »Ja, manche Astronauten bekommen den Mond, manche die Planeten, und weißt du, was wir bekom men?« Er sagte es, und Gore grinste. Er hörte das Zischen der Luftschleuse und wandte sich um. Olin kam mit einem breiten Lächeln herein. Hinter ihm tauchten zwei weitere Angehörige von Streckers Mannschaft auf. Sie ruderten mit den Hän den und suchten verzweifelt nach einem festen Halt. Der Astronaut kümmerte sich nicht weiter um sie. Er ließ den Druck aus seinem Raumanzug weichen und öffnete den Helm.
»Habt ihr was von Dev gehört?« war seine erste Frage. »Nach den Meldungen der Satelliten zu urteilen, dürfte alles in bester Ordnung sein«, antwortete Gore. Olin nickte. »Na, dann kann ja alles weitergehen. Die Tankanlage hat das Ziel ohne Abweichungen er reicht.« »Hör dir den Burschen nur mal an«, sagte Jastro. »Er hat anscheinend einen tollen Landurlaub hinter sich.« »Von wegen Landurlaub! Sie haben mich einem Verhör unterzogen, so daß ich froh war, endlich wie der in die alte Kiste klettern zu können. Ich konnte mir gerade mit Mühe und Not ein paar Glas Bier lei sten.« »Wirklich eine Schande«, murmelte Jastro mit ge spielter Anteilnahme. Olin stellte seine beiden Passagiere Schwartz und Meredith vor. »Ich will verdammt sein, wenn ich nicht luftkrank bin«, brummte Schwartz, als die Vorstellung vorüber war. Schweißperlen standen auf seinem runden, blas sen Gesicht, und er schnappte wie ein Fisch nach Luft. »Die üblichen Symptome«, sagte Gore. »Meistens gehen sie rasch vorüber.« »Wollen es hoffen«, warf Meredith ein. Er hatte ein
langes, schmales Gesicht und sah sich nervös im Raum um. Jastro zog ein Paar Schuhe mit Magnetsohlen aus dem Schrank. »Ziehen Sie die an, bis sie sich ein we nig an die Schwerelosigkeit gewöhnt haben.« »Magnetisch?« fragte Schwartz, während er die Schuhe anzog und versuchsweise ein paar Schritte machte. Wieder ruderte er dabei mit den Armen in der Luft herum. »Ich werde Ihnen die Station zeigen«, sagte Jastro, nachdem sie sich einigermaßen sicher bewegen konn ten. »Viel Zeit wird uns nicht mehr bleiben, bis Ihr Chef Sie holt.« »So bald schon?« fragte Schwartz betroffen. »Ich schätze, in etwa zehn Minuten.« »Dann würde ich lieber gleich gehen«, erklärte Me redith. »Es ist eine schöne Welt, wenn man sich erst mal daran gewöhnt hat«, versetzte Jastro grinsend. Während er sie in den Nebenraum führte, zog Olin einen Brief aus dem Raumanzug und reichte ihn Gore. »Anweisungen«, sagte er. »Vom Chef?« Olin nickte. »Sie sind plötzlich ein hohes Tier ge worden.« Gore warf einen Blick auf den Brief und schob ihn in die Tasche.
»Bruckman ist äußerst besorgt über die Lage«, sag te Olin. »Unten oder hier oben?« »In jeder Beziehung. Ein Krieg scheint unvermeid lich zu sein.« »Ist das vielleicht nur eine Drohung, oder ist die Lage tatsächlich so ernst?« »Denkbar ernst.« Gore pfiff leise vor sich hin. »Und was macht unser Generalstab?« »Unsere Leute halten den Finger am Abzug.« »Hoffentlich verliert niemand die Nerven.« »Amen. Kein Wunder, wenn man dabei Magenge schwüre bekommt.« »Hat er etwas von der Operation Nadel gesagt?« »Er hat sie mir erklärt«, antwortete der Astronaut. »Es sind ein paar Probleme aufgetaucht, aber die Sa che scheint anzurollen.« »Wir hier oben haben auch unsere Probleme«, brummte Gore. »Haben Sie Munition mitgebracht?« »Nur Sauerstoffnachschub«, gab Olin zurück. »Das dürfte bei der Massenbevölkerung, die Strecker hier heraufkommen läßt, dringend erforderlich sein.« »Na, wir müssen mit dem auszukommen versu chen, was uns hier zur Verfügung steht«, sagte Gore. Er blickte in die Ecke, wo Jastro den neuen Männern den Gebrauch der Raumanzüge erklärte. »Wir wollen
uns so schnell wie möglich auf den Weg machen. Die Tankanlage wartet.« Vor dem Verlassen der Raumstation öffnete er den Brief und las die Anweisungen. Dann schob er den Brief zurück in die Tasche und trat ans Mikrofon. »Alles herhören. Hier spricht Major Gore.« Er hielt inne und wartete. »Was gibt's?« fragte Strecker. Gore überhörte die Frage und fuhr fort: »Anordnung des Kommandierenden Generals der Air Force. Mit sofortiger Wirkung übernimmt der rangälteste Offizier die Gesamtleitung der Projekte Raumstation und des im Bau befindlichen Raum schiffes.« Er trat vom Mikrofon zurück. Jetzt lag die Verant wortung für das Schicksal aller Männer, die an diesen beiden Projekten arbeiteten, allein in seiner Hand. Es überraschte ihn kaum, als Strecker sich nach einer kurzen Pause meldete. »Die Männer des SPA sind kein Militärpersonal!« plusterte er sich auf. »Sie unterstehen der Militärgerichtsbarkeit«, gab Gore ruhig zurück. »Ich habe keine Anweisungen erhalten.« »Ich habe sie Ihnen gerade vorgelesen.« »Aber nicht von meinem unmittelbaren Vorgesetz ten.«
»Ich glaube, wir dürften auf höherer Ebene wohl den gleichen Vorgesetzten haben«, sagte Gore. »Ich bestehe aber auf direkten Anweisungen«, ver setzte Strecker kalt. Gore unterdrückte die aufsteigende Wut. Auf kei nen Fall durfte die weitere Zusammenarbeit durch persönliche Zerwürfnisse gefährdet werden. »Möchten Sie vielleicht eine Fahrt zur Erde unter nehmen, um sich persönlich von der Richtigkeit der Anweisungen zu überzeugen?« fragte er. »Sie wissen doch genau, daß das nicht geht«, ant wortete Strecker. »Gruman könnte die Montage bis zu Ihrer Rück kehr leiten.« »Nein!« »Dann müssen Sie sich eben an die Anweisungen halten«, erklärte Gore. Längere Zeit blieb es still in den Funksprechgerä ten. Als Strecker sich endlich wieder meldete, klang seine Stimme, als hätte es die Meinungsverschieden heit gar nicht gegeben. »Wir brauchen die neuen Männer«, sagte er. »Es wird nicht so einfach sein, die Tankanlage zu montie ren.«
14
»Kommandant!« Der scharfe Klang von Jastros Stimme riß Gore förmlich den Kopf in den Nacken. »Schon unterwegs ...« Er feuerte die Handrakete ab und sah, daß sie gerade die kalifornische Küste über flogen. »Was gibt's?« fragte jemand. »Absolute Funkstille!« ordnete Gore an. Die Männer reagierten auf das geringste Anzeichen einer drohenden Gefahr. Der Klang von Jastros Stimme genügte, Alarm auszulösen. Es gab nur drei Möglichkeiten: Olin befand sich auf der Fahrt zum Hauptquartier, Devlin war unterwegs zur Raumstation, und dann war da noch die dreistu fige Rakete mit dem Nachschub für das Raumschiff. Mit ausgestreckten Händen fing er den Schwung an der Luftschleuse der Raumstation ab und tauchte hinein. Im Handumdrehen ließ er den Druck aus dem Raumanzug und öffnete den Helm. Jastro saß am Funkgerät; statisches Geknatter kam aus dem Laut sprecher. »Was gibt's?« fragte Gore rasch. »Devlin ... irgendwie scheint er in Schwierigkeiten geraten zu sein.«
»Hast du ihn auf dem Radarschirm?« fragte Gore, während er neben seinen Teamkameraden trat. Jastro nickte. Gore schaltete die Sprechanlage ein. »Station an Gleiter. Melden Sie sich, Gleiter!« »Ich hatte ihn, aber dann war er plötzlich weg«, sagte Jastro. »Der verdammte Lautsprecher knattert wie ein Maschinengewehr.« Gore nickte und versuchte weiter, Verbindung mit dem Raumgleiter aufzunehmen. Er drehte an den Knöpfen. »Station an Gleiter. Melden Sie sich, Gleiter ... mel den Sie sich.« »Gleiter ...« Es war zunächst ein verzerrter Flüster ton, der unvermittelt lauter wurde. »Station, ich höre Sie.« »Was ist los?« fragte Gore, obwohl er sich die Ant wort auf diese Frage denken konnte. »Ein Ausfall der Antriebssysteme ...« Devlins Stimme klang seltsam ruhig. »Die zweite Raketenstu fe hat sich nicht gelöst.« »Haben Sie mit dem Handmechanismus nachge holfen?« »Nichts zu machen – keine Möglichkeit zur Ab trennung.« Die Worte hatten einen Klang der Endgül tigkeit. »Unsere Bahn führt bereits wieder nach un ten.«
Die Gedanken überschlugen sich förmlich in Gores Kopf. Die beiden ersten Stufen waren zur Landung im Meer programmiert, wo sie von der Marine aufgefischt wurden. Das zusätzliche Gewicht des Raumgleiters konnten sie unmöglich tragen. Die Kapsel des Raum gleiters konnte zwar im Notfall katapultiert werden – wie aber sollten sich die Insassen an der unmittelbaren Grenze des offenen Weltraums am Leben erhalten? »Sie können die Kabine jetzt nicht abtrennen«, sag te Gore. »Ich weiß.« »Wissen es Ihre Passagiere auch?« »Ich habe die Bordanlage des Funksprechverkehrs ausgeschaltet«, antwortete der Astronaut. »Setzen Sie die Bremsraketen und die Fallschirme ein. Verringern Sie die Geschwindigkeit so gut es geht.« »Ich will's versuchen, aber alle Bordanlagen schei nen tot zu sein ... ein Versagen des Hauptsystems.« Er fügte noch etwas hinzu, aber alle weiteren Worte wurden von statischem Knattern übertönt. Gore versuchte verzweifelt, die Verbindung wieder herzustellen. »Ich rufe Gleiter ... ich rufe Gleiter ...« Das Geknatter wurde immer stärker. Plötzlich kam eine andere Stimme aus dem Laut sprecher. »Brown Field ruft Station. Brown Field ruft ...«
»Hier Station. Wir hören Sie.« »Wir haben Ihren Raumgleiter auf dem Schirm. Sämtliche zur Verfügung stehenden Rettungsmann schaften sind einsatzbereit.« »Roger. Beobachten Sie weiter.« Das Geknatter brach unvermittelt ab, und dann blieb alles ruhig. Gore wischte sich den Schweiß aus den Augen und versuchte vergebens, eine Verbin dung mit Devlin herzustellen. Er warf einen Blick auf seinen Teamkameraden. Jastro war kreideweiß. »Verdammt!« sagte Gore leise und dachte an das eingebaute Rettungssystem, das in diesem speziellen Fall so gut wie keinen Wert hatte. »Sie werden irgendwo in der Bucht von Kalifornien landen«, sagte Jastro tonlos. Gore gab keine Antwort. Er spürte, daß er am gan zen Körper zitterte. Die Kabine des Raumgleiters war mit allem ausgestattet, um die Insassen bis zum Ein treffen der Rettungsmannschaften am Leben zu erhal ten. Aber ihre Geschwindigkeit würde unmittelbar vor dem Aufschlag unvorstellbar hoch sein. Jastro wußte, daß kein weiteres Wort über die Situation zu verlieren war. Er konzentrierte sich auf den Radar schirm. Devlins Gleiter war verschwunden. Die Raketengeschosse kamen auf die Raumstation zu. Sie durchbrachen die dichte graue Wolkendecke
über dem östlichen Sibirien und setzten ihre pro grammierten Kurse fort. Fünf Kilometer von der unterirdischen Abschuß rampe entfernt lagen zwei Männer auf einem Wald hügel. Das Dröhnen der aufsteigenden Raketen drang wie ferner Donner an ihr Ohr. Einer von ihnen blickte zum Himmel hinauf und nahm mit einer raschen Bewegung einen Feldstecher vor die Augen. Das Dröhnen wurde lauter. »Drei«, sagte er. Sein Begleiter beugte sich über ein tragbares Sprechfunkgerät, schaltete es ein, wartete einen Au genblick, nannte eine Nummer und wiederholte sie, bis er Antwort bekam. Dann gab er eine verschlüssel te Meldung durch, schaltete das Gerät ab und sah seinen Begleiter an. »Wir sollten hier verschwinden, als wäre der Teufel hinter uns her«, versetzte er trocken. »Ja, sie werden bestimmt nicht lange auf sich war ten lassen.« Sie packten ihre Sachen zusammen und kletterten einen steilen Abhang hinunter, um den Weg zu den nahen Wäldern einzuschlagen. Wenige Minuten später hörten sie lautes Motoren geräusch. Sie blickten sich um. Drei Hubschrauber kreisten genau über der Stelle des Hügels, die sie ver lassen hatten. »Gerade noch geschafft«, brummte einer der beiden
Männer. Als sie die ersten Bäume erreichten, drehte sich der andere um und blieb wie erstarrt stehen. »Sieh mal!« rief er und deutete zum Himmel hin auf. Sein Begleiter riß den Kopf herum. Ein altes Propel lerflugzeug tauchte über dem Hügel auf. Fallschirme öffneten sich und sanken langsam zur Erde. »Mein Gott, Fallschirmtruppen!« rief der Mann. »Nichts wie weg.« Sie orientierten sich mit einem kurzen Blick und verschwanden in den dunklen Schatten der sibiri schen Wälder. Als Jastro die Nachricht übermittelt wurde, hatte er die Raketengeschosse bereits auf dem Radarschirm. Gore, der sich außerhalb der Raumstation aufhielt, rief in sein Kehlkopfmikrofon: »Alarm – Raketenge schosse! Verteilen Sie sich und halten Sie Funkstille!« »Roger«, brummte jemand. »Bleiben Sie möglichst weit von der Tankanlage weg, denn das ist das größte Ziel«, fügte er hinzu. Er konzentrierte sich auf die Stelle, wo die Raketen nach Jastros Angaben auftauchen mußten. Rosig schimmerten dort die von der Sonne angestrahlten Wolken. »Ich sehe sie!« rief Tolenberg unvermittelt, und Go re folgte der Richtung seiner ausgestreckten Hand.
Drei schlanke Raketen kamen auf die Raumstation zugeschwebt. Jastro gab die Daten durch. »Noch nicht schießen«, sagte Gore. MacMillan brachte brummend die schwere Waffe in Anschlag. Am östlichen Horizont zog die einsam gelegene Insel Kamschatka vorüber. Die Raketen nä herten sich nur langsam; offensichtlich war ihre Ge schwindigkeit kaum größer als die der Raumstation. Gore erinnerte sich an den letzten Angriff und glaub te den Ablauf der Geschehnisse voraussagen zu kön nen. Diesmal brauchten sie wirklich viel Glück, um sich mit heiler Haut aus der Affäre zu ziehen. Die Führungsrakete nahm eine leichte Kurskorrek tur vor. »Feuer!« befahl Gore. Er brachte seinen Stanniolstreuer in Anschlag, ziel te genau und feuerte die Ladung ab. Der Rückstoß traf ihn mit der Wucht eines Peitschenhiebes und schleuderte ihn gegen das Halteseil zurück. Tolen berg und MacMillan erging es nicht anders. Der Hü ne stieß einen Fluch aus. Gore feuerte zwei weitere Salven ab, ehe er nach vorn sah, um die Wirkung ih rer Maßnahmen abzuwarten. Auf halbem Weg explodierten die Geschosse des Streuers, und die Stanniolladungen glitzerten fächer förmig im Sonnenlicht. Es sah wie Silberregen aus. Die Führungsrakete änderte noch einmal leicht den
Kurs, explodierte jedoch schon in der nächsten Se kunde. Jemand stieß einen Freudenschrei aus, und Gore sah sich nach MacMillan und Tolenberg um. Sie bereiteten in aller Ruhe den nächsten Schuß vor. Völlig unerwartet explodierte die letzte der drei Raketen und löste sich in eine Rauchwolke auf. »Das wäre erledigt!« rief MacMillan. »Jetzt nehmen wir uns die andere vor!« fiel Tolen berg ein. Die zweite Rakete bog aus unerklärlichen Gründen von der programmierten Bahn ab und verschwand aus dem Blickfeld der drei Männer. »Oh, Gott ... oh, Gott!« rief eine ängstliche Stimme, und kurz darauf meldete eine andere die Detonation dieser Rakete. Gore atmete auf: wenigstens hatte sie die empfind liche Tankanlage nicht getroffen. »Die Vorstellung ist vorüber«, meldete Jastro ruhig. Gore ließ seine Waffe sinken und winkte MacMil lan und Tolenberg zu. »Alles mal herhören!« Er wartete, bis in den Kopf hörern absolute Ruhe eintrat, und forderte die Män ner dann auf, sich einzeln namentlich zu nennen. »Ist Schaden angerichtet worden?« »Nein«, antwortete Gruman. »Ich habe die Explosi on beobachtet. Sie erfolgte hinter dem Container, in dem die Tankanlage verpackt gewesen war.«
»Gott sei Dank«, sagte Gore. »Dann können wir uns ja wieder an die Arbeit machen.«
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24. Juli 1975. Operation Nadel. Die Satelliten wurden von Raketen heraufgebracht und auf die Umlaufbahn geschickt. »Start der Operation Nadel ... steigt ... und steigt ...« meldete eine Stimme. »Station, können Sie mich hö ren?« »Roger, ich höre Sie!« schrie Gore förmlich ins Mi krofon, um sich über das Knattern hinweg verständ lich zu machen. In der Kabine der Raumstation hörte es sich an, als würde hier ein Feuerwerk abgebrannt werden. Es knatterte an allen Ecken und Kanten. Gore blickte auf den Radarschirm. Sie befanden sich über Kalifornien. Er konzentrierte sich auf Los Angeles. Die Stadt erstreckte sich im Süden bis nach San Diego. Deutlich standen die Einzelheiten dieser Stadt vor sei nem geistigen Auge. Dort unten hatte er tolle Stunden verlebt – und er würde noch weitere verleben. Eine tiefe Sehnsucht regte sich in ihm. Blaue Berge, die schier endlose Wüste, die weitflächige Metropole und das blaue Meer – das war das Land, das er liebte. Er sah Baja California vorüberziehen. Irgendwo weiter vorn wartete der Pazifik ...
Er schaltete das Sprechfunkgerät ein. »Wenn ihr jetzt die Augen offenhaltet, werdet ihr zwei hübsche Babys sehen.« »Was für Babys?« fragte MacMillan. »Das werden Sie schon sehen.« Seine Stimmung stieg. Die Arbeit am Raumschiff ging zügig voran, und nun kam Operation Nadel. Jetzt würde es der Gegenseite kaum noch gelingen, ihren genauen Standort zu ermitteln. Die Station und das Raum schiff waren von nun an die sprichwörtlichen Nadeln in einem Heuhaufen. In diesem Fall handelte es sich bei dem Heuhaufen um eine silberne Tarnung am Himmel. »Halt die Stellung«, sagte Gore zu Jastro. »Ich gehe mal hinaus und sehe mir die Ankunft dieser Babys etwas genauer an.« »Beeil dich aber, wenn du nichts versäumen willst. Sie sind schon ziemlich nahe.« Gore schloß den Helm, setzte den Raumanzug un ter Druck und schwebte durch die Luftschleuse hin aus. Stimmengewirr drang aus dem Kopfhörer. Die Männer wußten mit dieser Situation offensichtlich nichts anzufangen. Er blickte zur Erde. Mexiko ver schwand gerade am östlichen Horizont. »Siehst du sie?« fragte Jastro ungeduldig. »Noch nicht ... doch ja, jetzt sehe ich sie!« Die Satelliten glitzerten im Sonnenlicht. Sie ver
langsamten ihren Flug, um sich der Geschwindigkeit der Raumstation anzupassen. Es kam diesmal nicht so sehr auf die Satelliten selbst, als auf ihren Inhalt an. Und auf diesen Inhalt wartete Gore. Es war der dreiundzwanzigste – nein, sogar schon der vierundzwanzigste. Zwei Tage waren seit dem letzten Angriff vergangen, und das Raumschiff gewann mehr und mehr an Form und Aussehen. Mit diesem zusätzlichen Schutz der Operation Nadel, konnte eigentlich gar nichts mehr schiefgehen ... Grumans Stimme unterbrach seine Gedanken. »Was bringen sie uns diesmal – weiteres Material für das Raumschiff?« Nach dem Tonfall seiner Stim me zu urteilen, konnte er sich die Sache nicht recht erklären. »Nein.« Außer Jastro hatte niemand die geringste Ahnung von der Operation Nadel. Die Überraschung würde ihnen ganz schön in die Glieder fahren. Er konnte nur hoffen, daß es eine angenehme Überra schung wurde. »Wo bleibt der Raumgleiter?« fragte Strecker un geduldig. »Er kommt diesmal nicht mit.« »Und meine Männer?« »Sie werden noch ein wenig warten müssen.« »Na, was haben sie denn diesmal heraufgeschickt?« fragte er.
»Ein Versteck«, antwortete Gore. »Ein ... was?« »Ein Versteck. Etwas, das uns von der Erde aus so gut wie unsichtbar zwischen den Sternen macht.« »Sind Sie übergeschnappt?« Jemand hielt bei Streckers unverschämter Frage hörbar den Atem an, aber Gore ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Keineswegs«, erwiderte er gelassen. »Sehen Sie sich diese Babys nur mal richtig an.« Es wurde still in der Sprechfunkverbindung, und Gore konzentrierte sich ausschließlich auf die beiden Satelliten. Die Entfernung war zu groß, um den Ge genstand erkennen zu können, den Nadel Eins jetzt ausstieß. Einen Augenblick später bildete sich ein hel ler Fleck in der Dunkelheit des Weltraums. Es war wie eine Nova. Der Fleck wurde größer und von der Sonne angestrahlt. »Was ist das?« fragte eine Stimme. »Sehen Sie zu«, erwiderte Gore. Der helle Fleck breitete sich zu einem großen Ball aus. Überall erschienen ähnliche Gebilde. »Das sind Nachrichtensatelliten«, erklärte Gruman. »Von der gleichen Sorte«, bestätigte Gore. »Wozu das?« fragte Strecker. Gore gab keine Antwort; er sah zu, wie die einzel nen Ballons wuchsen. Er hatte eine ungefähre Vorstel
lung davon, wie das vonstatten ging. Jeder einzelne dieser gigantischen Ballons war ursprünglich eng zu sammengefaltet im Satelliten gewesen. Sobald die Sa telliten das Ziel erreichten, spien sie die Ladung aus. Jeder Ballon blies sich zu seiner vollen Größe auf, bis der Durchmesser etwa dreißig Meter betrug. »Sieht aus wie auf einem Rummelplatz«, sagte je mand. Auch diesmal gab Gore keine Antwort. Eine ganze Kette von Ballons umgab jetzt die beiden Satelliten. »Wie funktioniert das?« erkundigte sich Tolenberg. Gore erklärte es ihm kurz. Er war stolz auf sein Werk. Bis alle Ballons ihren endgültigen Umfang erreicht hat ten, schwebten sie bereits über dem Indischen Ozean. Sie wirkten wie gigantische Schatten im Sternenlicht, nur auf einer Seite von der Sonne angestrahlt. »Mit diesen Babys wird unsere Sprechfunkverbin dung zum Teufel gehen«, warnte Gruman. »Sie wer fen alle Strahlen zurück und lassen keinen einzigen durch.« »Wir hoffen, daß das auch auf die Raketengeschos se zutrifft«, versetzte Gore. »Sobald ein Mann hinter einen dieser Ballons gerät, ist sein Funksprechgerät so gut wie tot«, wiederholte der Monteur seine Warnung. »Sie halten also nicht viel von dieser Idee?« »Das habe ich nicht gesagt. Ich wollte Ihnen nur die
damit verbundenen Komplikationen vor Augen füh ren«, brummte Gruman. »Die Dinger werden uns beim Zusammenbau der einzelnen Teile in die Quere geraten«, sagte Strecker. »Vielleicht, aber mit Sicherheit läßt sich das noch nicht sagen«, entgegnete Gore. »Mir gefällt das nicht.« Es dauerte einen Augenblick, bis Gore Merediths Stimme erkannte. »Warum nicht?« fragte er. »Sie blockieren den Blick zur Erde.« »Genau das ist ihr Zweck.« »Das verstehe ich nicht.« »Die Ballons wirken wie ein Schutzschild.« »Inwiefern?« fragte Schwartz. »Sie sind viel zu empfindlich, um irgend etwas aufhalten zu können.« »Sie werden dafür sorgen, daß die Raketengeschos se explodieren, ehe sie uns erreichen.« »Es bedarf nur einiger Splitter, um Ihre Ballonsper re zu durchbrechen«, warf Gruman ein. »Na, wir werden sehen«, sagte Gore, um jede wei tere Diskussion abzubrechen. Im Augenblick war er vollauf zufrieden, die Bal lonkette an ihrem Platz zu haben. Von der Erde aus gesehen, mußte es wie eine silberne Wolke wirken. »Wir sind über dem Iran. Im Hintergrund taucht der Rote Bär auf!« rief Jastro warnend.
Es überraschte Gore, wie schnell die Zeit verstri chen war. Hastig rief er MacMillan und Tolenberg auf die Plätze. Gleichzeitig ordnete er absolute Funkstille an. »Können wir die Arbeit fortsetzen?« fragte Strek ker. »Ich wüßte nicht, was Sie daran hindern sollte«, gab Gore zurück. »Woher sollen wir wissen, ob wir in Deckung ge hen sollen, wenn wir nichts von unten ankommen se hen?« »Ich würde vorschlagen, Sie begeben sich in Dek kung, sobald der erste Ballon platzt«, erwiderte er. Strecker brummte nur, gab seinen Männern eine letzte Anweisung, und dann war es eine Weile still in den Kopfhörern. Gore sah, daß die Männer unver drossen weiterarbeiteten. Die Spannung wuchs. Unter ihnen lag das Kaspi sche Meer. Sie strebten dem Herzen des Roten Bären zu. Die silbern schimmernden Ballons schienen stän dig in Bewegung zu sein. Gelegentlich schoben sie sich enger zusammen und ermöglichten auf diese Weise einen kurzen Blick auf die Erdoberfläche. »Wie ist unsere Position?« fragte Gore. »Fünfundfünfzig Grad Nord«, antwortete Jastro prompt. Damit waren sie etwa zwölf Grad östlich von Mos
kau. Die Minuten dehnten sich zu einer Ewigkeit aus, und Gore wurde immer ruheloser. »Der Rote Bär ist unter uns verschwunden«, melde te Jastro. Gore sah, daß sich ein paar Ballons zwischen die Raumstation und das Raumschiff geschoben hat ten. Nach ein paar Sekunden fiel ihm auf, daß es diesmal nach dem Überqueren des feindlichen Gebie tes still in der Funksprechverbindung blieb. Nur ver einzelte Wortfetzen drangen an sein Ohr. »MacMillan«, sagte er. »Roger.« Der Leutnant drehte sich um und sah ihn an. »Ich wollte nur die Verbindung überprüfen. An scheinend hat Gruman recht, und diese silbernen Ba bys erschweren tatsächlich die Verständigung.« »Wir könnten sie ja zur Seite schieben«, schlug MacMillan vor. »Na, vielleicht müssen wir eine Art Lichtung schaf fen. Wenn Sie an die Arbeit zurückkehren, richten Sie Strecker aus, daß die Funkverbindung nicht mehr so recht klappt – falls er das noch nicht selbst bemerkt haben sollte.« »Okay«, sagte MacMillan. Sie verstauten die Waf fen, und Gore kehrte in die Raumstation zurück. »Die Funkverbindung ist beim Teufel«, meldete Ja stro, während Gore den Helm des Raumanzuges öff nete. »Die Leitungen sind vollkommen tot.«
»Das habe ich auch schon gemerkt.« »Na, es hat wenigstens den Vorteil, daß wir uns nicht dauernd Streckers Gefasel anhören müssen.« Gore grinste. »Hältst du es für möglich, daß wir ei ne Meldung zum Hauptquartier durchgeben kön nen?« »Wir können es ja mal versuchen.« Jastro zupfte sich nachdenklich an der Oberlippe. »Es wird für Olin nicht einfach werden, wenn er mit dem Gleiter kommt.« »Er muß weit oberhalb der Station bleiben.« Es war nicht einfach, sich mit der Handrakete einen Weg zwischen den Ballons zu bahnen. Gore geriet dabei ins Taumeln, und es dauerte eine Weile, bis er seinen Körper wieder unter Kontrolle hatte. Es kam ihm vor, als würde er in einem Sportflugzeug über die Talsohle eines tiefen Canyons fliegen. Den Män nern vom SPA mußte es noch schwererfallen, denn mit Ausnahme von Gruman und Tolenberg hatten sie ja kaum Erfahrungen im Umgang mit den Handrake ten. Gelegentlich erhaschte er zwischen den Ballons ei nen Blick auf das Raumschiff, und in diesen kurzen Sekunden funktionierte die Sprechfunkverbindung wieder. Er fragte sich, ob es nicht doch besser wäre, eine kleine künstliche Lichtung zu schaffen. Die Bal
lons veränderten ständig ihre Position. Es sah aus, als könnten sie einen Menschen erdrücken, wenn er da zwischen geriet. Diese Furcht war natürlich völlig unbegründet, aber sie war nun einmal da. Gore versuchte sich vorzustellen, wie das Raum schiff nach der Fertigstellung aussehen würde. Im Augenblick wirkte alles ein bißchen bunt zusammen gewürfelt. Der Rumpf sah gleichzeitig massiv, aber auch zerbrechlich aus. Dennoch war es unvorstellbar schön. Irgendwie war dieser Konstruktion schon jetzt anzusehen, daß sie für einen Flug zu fernen Welten bestimmt war. »Halt ... halt!« befahl Gruman. Die Lichtkegel der Handscheinwerfer richteten sich auf eine bestimmte Stelle. »Fertig zur Montage?« fragte Strecker ungeduldig. »Noch nicht ganz. Ein wenig weiter vor auf Ihrer Seite, Tolenberg.« »Okay.« Gruman schwebte ein Stück zurück, um einen wei teren Überblick zu bekommen. Dabei entdeckte er Gore und gab ihm mit dem Handscheinwerfer ein Zeichen. »Sieht ziemlich kompliziert aus«, bemerkte Gore. »Ja, es ist schon ein Unterschied, ob man ein sol ches Schiff auf der Erde zusammenbaut oder hier oben.«
»Sie hatten recht mit der Funkverbindung.« »Uh-huh.« Der Monteur schwebte noch ein Stück weiter zurück. »Jetzt machen wir erst mal Pause und versuchen es dann noch einmal.« »Es liegt an den verdammten Ballons«, brummte Meredith. »Ballons? Hier ist doch gar keiner«, entgegnete To lenberg. »Mag sein, aber die verdammten Dinger gehen mir an die Nerven.« »Mir gefallen sie.« Tolenberg erblickte Gore und rief: »Hallo, Kommandant! Sieht das verdammte Ding nicht wie ein trächtiger Wal aus?« Nach einer kurzen Pause nahm Gruman die Arbeit wieder auf, und diesmal klappte die Montage auf Anhieb. »Geschafft!« jubelte jemand. »Sauerstoffvorrat überprüfen!« befahl Gruman. »Wir sollten lieber gleich die anderen Ladungen heranziehen«, schaltete Strecker sich ein. »Bei den verdammten Ballons wird das nicht so einfach sein.« Ballons, dachte Gore, immer wieder die Ballons. Niemand schien die Dinger gern zu sehen. Unwill kürlich fragte er sich, ob sein Plan vielleicht doch nicht so gut war, wie er es erwartet hatte. Er kehrte in die Raumstation zurück. Noch immer bestand keine Funkverbindung zur Erde.
»Macht nichts. Das Hauptquartier weiß genau, wo wir uns befinden.« Jastro grinste schief. »Mir gefallen die Ballons jedenfalls.« »Den anderen nicht.« »Wem denn?« »Strecker, Schwartz, Meredith – sogar Gruman.« »Die werden noch froh sein, wenn sie uns erst mal die Raketengeschosse vom Hals halten«, brummte Ja stro. »Wir wissen noch nicht, ob sie das schaffen.« »Nein, aber wir werden es herausfinden.« »Ganz sicher.« Gore löschte seinen Durst und schwebte hinaus. Vereinzelte Wortfetzen drangen aus seinem Kopfhörer, und er sah ein paar Männer zwi schen den Ballons schweben, um die Ladungen der Container zum Raumschiff zu bringen. Streckers Befürchtung erwies sich als richtig. Die großen Ballons erschwerten die Aufgabe ungemein. Nicht daß sie nicht leicht aus dem Weg zu schieben gewesen waren – aber ihre Hülle war so dünn und empfindlich, daß selbst der geringste Kontakt ver mieden werden mußte. Dennoch ließ sich das nicht ganz verhindern, und einige Ballons schrumpften plötzlich in sich zusammen. »Ich lehne die Verantwortung für die Verzögerung ab, die durch diese Ballons eingetreten ist«, sagte Strecker zu Gore.
»Lassen Sie das ruhig meine Sorge sein«, antworte te Gore. Er schwebte auf die Tankanlage zu und sah dort ein paar Männer bei der Arbeit. Der Lichtschein der Hand scheinwerfer verlieh der Szene einen bizarren Anblick. Der Angriff erfolgte ohne Warnung. Die Station und das Raumschiff befanden sich ir gendwo über der Weite Sibiriens. Gore schwebte auf den Container zu, an dem die Waffen befestigt waren. Als MacMillan und Tolen berg sich zu ihm gesellten, sah er, wie Streckers Män ner sich verteilten und Deckung aufsuchten. Gores Nerven waren zum Zerreißen angespannt, und er zwang sich mühsam zur Ruhe. »Fünfzig Nord«, gab Jastro über Sprechfunk durch. »Roger«, erwiderte er und atmete ein wenig auf. Wenigstens befanden sie sich jetzt nicht mehr unmit telbar über russischem Boden. Gelegentlich erhaschte er zwischen den schweben den Ballons hindurch einen Blick auf die Erde. »Raketengeschosse!« Tolenbergs Ruf schreckte Go re auf. Ein paar Ballons platzten und hingen in silber nen Fetzen im Raum. »Verteilen ... noch weiter verteilen!« rief jemand hastig. »Achtung! Wir werden von Raketen angegriffen!«
Gore hielt einen Augenblick inne und fügte hinzu: »Raumstation unter Druck setzen, Alex.« »Roger«, erwiderte der Astronaut mit gepreßter Stimme. Gore warf einen Blick auf seine beiden Kampfgefährten. Sie waren einsatzbereit. »Da ... da unten!« rief Tolenberg und deutete auf die Erde. Das Land unter ihnen lag im ersten Schein der Morgensonne. Zwei Raketengeschosse kamen auf die Raumstation zu. »Sind Ihre Männer verteilt, Strecker?« fragte Gore ruhig. »Schon seit einer ganzen Weile«, kam die unwir sche Antwort. »Graybell und Anderson kann ich nicht erreichen.« »Sie wissen, worum es geht.« Gore konzentrierte sich erneut auf die beiden näherkommenden Rake tengeschosse. MacMillan feuerte, und Gore riß ebenfalls den Ab zug durch. Der Rückstoß schleuderte ihn gegen die Halteleine. Während er keuchend die frühere Position einnahm, sah er, daß MacMillan und Tolenberg be reits nachluden. Die Raketengeschosse kamen unerbittlich näher ... »Sie ist explodiert!« rief jemand. Inzwischen war eine ganze Reihe weiterer Ballons geplatzt. Es sah aus, als wären sie am Himmel ausra diert worden.
MacMillan lud erneut nach. Das zweite Raketengeschoß verschwand hinter ei ner Gruppe dicht beieinander schwebender Ballons. »Sie ist explodiert!« rief jemand. »Mitten zwischen uns!« Die Stimmen überschlugen sich im Kopfhörer. »Achtung ... alle einzeln melden!« ordnete Gore an. Strecker, Gruman, Anderson – dem seine größte Sorge galt – Schwartz, Graybell ... Dann wurde es plötzlich still in den Leitungen. »Meredith!« rief Gruman. »Wo ist Meredith? Er hat sich noch nicht gemeldet.« »Vielleicht steckt er irgendwo hinter den verdamm ten Ballons und kann sich nicht melden«, murmelte jemand. »Ballons!« schnaubte Strecker verächtlich. »Hat ihn jemand gesehen?« fragte Gore. Als nie mand antwortete, fügte er hinzu: »Wir verteilen uns über das gesamte Gebiet und rufen laufend seinen Namen. Irgendwann muß er uns hören.« »Roger«, gab Gruman zurück. Meredith ... Meredith ... Meredith! Die Stimmen geisterten wie ein Echo durch Gores Kopfhörer. Die Männer suchten das Gebiet hinter den Ballons ab. Er setzte sich mit Jastro in Verbindung und atmete erleichtert auf. Die Raumstation hatte nichts abbekommen. Sie konnten wirklich von Glück reden, daß sie die
sen Angriff überstanden hatten. Sie brauchten jetzt dringend neue Ballons, weitere Munition für die Ba zookas und noch vieles andere. Er diktierte Jastro eine Meldung zum Hauptquar tier. Diesmal würde er den Funkspruch sicher ohne Schwierigkeiten durchgeben können, denn die Bal lonreihen hatten sich merklich gelichtet. Dann rief er Gruman zu sich, um den angerichteten Schaden ab zuschätzen. »Ich werde mich unterdessen an Ihrer Stelle an der Suchaktion nach Meredith beteiligen«, sagte er. »Den hat's bestimmt erwischt«, erwiderte der Mon teur. »Vielleicht.« Gore setzte seine Handrakete in Betrieb, schwebte in einem weiten Bogen um ein paar Ballons herum und rief von Zeit zu Zeit den Namen. Meredith ... Meredith! Der Ruf wurde immer schwächer in den Kopfhö rern, bis er schließlich völlig verstummte.
16
26. Juli 1975. Die Bodenstation auf der tief in der Arktis gelege nen Prinz-Albert-Halbinsel rief die Raumstation, als diese sich auf siebzig Grad Nord befand. Gore, der neben den Instrumenten stand, nahm den Funkspruch entgegen. »Die Übermittlung erfolgt sofort.« Die Stimme war bei dem starken statischen Knattern gerade noch zu hören. »Major Gore?« Gore zuckte zusammen. Das war unverkennbar General Bryants Stimme. »Wir stehen hier unten vor einer Reihe schwieriger Probleme«, sagte der General. »Captain Olin wird Sie über die Einzelheiten unterrichten.« »Jawohl, Sir.« »Drei Satelliten der Operation Nadel sind unter wegs.« »Drei?« »Ja, sie wurden gleichzeitig in die Umlaufbahn ge schossen.« Er erklärte die besondere Bewandtnis die ser drei Satelliten. Einer würde beim Eintreffen bei der Raumstation die Ballons ausspucken, während die beiden anderen in der Umlaufbahn auf ein be sonderes Funksignal warteten.
Gore hielt das für eine ausgezeichnete Idee. Auf diese Weise verfügten sie über einen ständigen Nach schub an Ballons, falls diese bei einem Angriff in Mit leidenschaft gezogen wurden. »Wann rechnet Strecker mit der Fertigstellung des Raumschiffs?« fragte der General. »Ich habe erst vorhin mit ihm darüber gespro chen«, erwiderte Gore. »Er meint, er würde es plan gemäß bis zum zehnten August schaffen.« »Er muß es schneller schaffen – mindestens um ei ne Woche. Die Arbeiten müssen bis zum dritten ab geschlossen sein.« »Unmöglich!« stieß Gore entgeistert aus. »Das ist ein Befehl«, versetzte der General nach drücklich. Gore zögerte. Mein Gott, hatte der Chef denn über haupt eine Ahnung, wogegen sie hier oben anzu kämpfen hatten? Der dritte August – acht Tage! Das war wirklich unmöglich. »Was verursacht diese Vor verlegung des Termins?« »Druck ...« Er ließ das eine Wort in der Luft stehen, und Gore wußte, daß es sich nur um politischen Druck handeln konnte. Das verdammte Carron-Komitee! »Und wenn wir es nicht schaffen?« »Dann wird es gar kein Raumschiff geben«, ant wortete Bryant hart. Es knatterte erneut im Lautspre cher.
Gore wartete ungeduldig, bis sich eine andere Bo denstation meldete, um die Übermittlung fortzusetzen. »Bodenstation am Sklavensee. Warten Sie auf eine Übermittlung.« Es knatterte noch ein paar Sekunden. Dann war General Bryant wieder zu hören. Er sprach, als hätte es keine Unterbrechung gegeben. »Gore, Team sieben und acht sind von der Ostküste hergebracht worden, um das Zivilpersonal zu evaku ieren.« »Nein!« explodierte Gore. »Doch, es stimmt genau. Wir haben keine Kontrolle mehr über die Situation.« »Kommt mir vor, als würden wir kampflos aufge ben.« Gores Stimme klang bitter. »So lauten die Befehle«, knurrte Bryant. »Was ist denn mit unseren Teams vier und sechs? Wenn es schon so verdammt unter den Fingernägeln brennt, warum können diese beiden Teams nicht die Evakuierung vornehmen?« »Die Raumgleiter stehen unglücklicherweise zur Zeit in der Fabrik zum Umbau.« Aus der Stimme des Generals ging deutlich hervor, daß er diese Tatsache keineswegs bedauerte. Er fügte hinzu: »Tun Sie alles in Ihren Kräften stehende, um den neuen Termin ein zuhalten.« »Ich werde das verdammte Ding eigenhändig auf den Weg zur Venus bringen«, sagte Gore.
Die Verbindung wurde erneut unterbrochen und nach einer Weile über die Bodenstation Spokane wie der aufgenommen. »Die Sache mit Meredith ist wirk lich schlimm«, sagte der General, und Gore spürte ei ne Frage hinter diesen Worten. »Wir wissen nicht, wie das passierte. Er ist ganz einfach verschwunden.« »Ja, und das hat letzten Endes bei der Entschei dung den Ausschlag gegeben«, sagte der General. »Nun, wir werden wahrscheinlich noch weitere Verluste hinnehmen müssen. Schließlich ist das hier oben kein Kindergarten.« »Tun Sie alles, was in Ihren Kräften steht.« »Jawohl, Sir.« Das statische Geknatter wurde stär ker. Gore warf einen Blick auf den Positionsanzeiger. »Fünfundvierzig Nord«, sagte Jastro. »Sie müssen jeden Augenblick in der Umlaufbahn auftauchen.« »Uns steht die Evakuierung bevor«, versetzte Gore finster. »Das habe ich mitbekommen.« »Die Arbeiten der SPA-Mannschaft sollen in acht Tagen, am dritten August beendet sein.« »Eher werden wir am Ende sein«, brummte Jastro. »Na, vielleicht ist das gar nicht mal so schlimm. War um schicken Sie eigentlich weitere Ballons herauf, wenn wir die Raumstation im Stich lassen sollen?«
»Eine passive Verteidigungsmaßnahme, bis sie sich über die weiteren Schritte einig werden.« Ja, dachte Gore, so mußte es sein. Das ging auch aus der Tatsache hervor, daß zwei der Satelliten durch ein Funksignal entladen werden konnten. Die ses Signal konnte nicht nur von der Raumstation, sondern auch von der Erde durchgegeben werden. »Ich glaube, sie bilden sich ein, sie können die Raumstation mitsamt dem Raumschiff weiterhin in der Umlaufbahn belassen, bis sie sich da unten über die nächsten Schritte geeinigt haben, um dann die Arbeiten hier oben fortzusetzen.« »Der Chef sollte es doch wirklich besser wissen.« »Weiß er auch.« Gore war am Ende seiner Kräfte. Er hatte harte Tage hinter sich, und es würden jetzt noch härtere folgen. Es kamen keine weiteren Meldungen. Was gab es schließlich noch zu sagen? Der Chef hatte seine Be fehle durchgegeben, weil er gar nicht anders konnte. »Achte auf die Instrumente«, sagte er. »Olin und die Satelliten müssen jeden Augenblick in die Um laufbahn einbiegen.« Er warf einen Blick auf den Po sitionsanzeiger. »Er ist fällig.« Gore überprüfte seinen Sauerstoffvorrat, schloß den Helm, ließ Druck in den Raumanzug und schwebte durch die Luftschleuse in den Weltraum. Er dachte an die Worte des Generals.
Evakuierung. Jastro erblickte die Satelliten auf dem Radarschirm. Im gleichen Augenblick erspähte Gore den Raumglei ter. Er bog hoch über die Raumstation ein, bremste ab und verharrte auf der Stelle. »Sag ihm, er soll auf die Ballons über der Station achten«, sagte Gore. »Schon erledigt«, gab Jastro zurück. Gore ergriff eine Führungsleine und schwang sich nach oben. Auf halbem Weg warf er einen Blick auf die näherkommenden Satelliten und konzentrierte sich dann wieder auf den Raumgleiter. Olin hatte den Raumgleiter bereits abgestellt und kam nun zur Luke heraus. Er winkte Gore zu und be trachtete die schwebenden Ballons. »Sieht aus wie in einem Zirkus«, bemerkte er. »Schon eher wie auf einem Schießstand.« »Die ganze Welt ist eine riesige Tontaube«, versetz te Olin bitter und wollte gerade etwas hinzufügen, als er von Jastros Stimme unterbrochen wurde. »Da stimmt etwas nicht!« »Was gibt's?« fragte Gore. Er wirbelte herum und blickte zur Erde. Jastros Stimme blieb ruhig. »Der erste Satellit schlägt den Rückweg zur Erde ein. Wahrscheinlich ein Versagen der Antriebsrake te.«
Gore konnte im Augenblick nichts von den Satelli ten sehen, da ein paar Ballons im Weg schwebten. Trotzdem atmete er erleichtert auf, denn es lag offen bar kein Unfall vor. »Dagegen können wir nichts unternehmen. Melde die Sache dem Hauptquartier.« »Das ist bereits über die Nachrichtensatelliten un terrichtet«, gab Jastro zurück. »Schick ihnen trotzdem eine Meldung.« Gore wandte sich wieder an Olin. Der Astronaut starrte in die Richtung der Satelliten, als könnte er den Absturz sehen. Wahrscheinlich stellte er sich gerade vor, wie es bei Devlins Absturz vorgegangen war. Gore suchte nach einem Wort des Trostes und murmelte: »Die Sache mit Dev tut uns leid.« »Yeah.« Olin kam erst darauf zurück, als sie sich be reits in der Kabine der Raumstation befanden. Die Pres se hatte Wind von den Todesfällen in der Umlaufbahn bekommen und die Sache mächtig aufgebauscht. »Carmody, Lindenwall, Meredith, Dev – sie haben ihre Bilder ganz groß auf den Titelseiten herausge bracht«, berichtete er tonlos. Gore hörte aufmerksam zu. Nach dem Aufblasen der Ballons war die Raumstation am hellen Tage deutlich von der Erde aus zu sehen gewesen. Rußland und China hatten prompt behauptet, die Dinger
als gewaltige Wasserstoffbomben identifiziert zu ha ben. Bomben in der Umlaufbahn um die Erde! Die Welt hatte förmlich aufgeschrien. »Die Betschwestern jammern um die Männer, die hier oben ums Leben gekommen sind, und sie führen allen vor Augen, wie es aussieht, wenn diese Bomben auf amerikanisches Gebiet fallen«, fuhr Olin in seinem Bericht fort. »Pazifisten und Polizisten sind sich bereits in die Haare geraten, und die Demonstrationen werden immer schlimmer. Die Mehrheit der Abgeordneten hat sich hinter das Carron-Komitee gestellt und die Unter brechung aller weiteren Unternehmungen im Welt raum durchgesetzt, bis auf internationaler Ebene neue Vereinbarungen erzielt worden sind.« »Vereinbarungen!« schnaubte Gore. »Der Befehl zur Evakuierung kam von ganz oben. Eigentlich sollten wir heute schon damit beginnen, aber die Teams sieben und acht waren noch nicht einsatzbereit.« »Ich weiß«, brummte Gore. »Der dritte August ist der äußerste Termin. Bis dahin soll das Zivilpersonal evakuiert sein.« »Acht Tage«, murmelte Olin nachdenklich. »Acht lausige, kurze Tage, um ein halbgebautes Raumschiff fertigzustellen!« explodierte Gore. »Mein Gott, das ist unvorstellbar!« »Dem Chef sind die Hände gefesselt.«
»Sicher. Wessen Hände sind denn nicht gefesselt?« Er bezähmte die aufgestiegene Wut. Die Raumstation überquerte den Pazifik, die Antarktis, den Indischen Ozean und kam dann wieder über russi sches Gebiet. Gore konnte sich lebhaft vorstellen, daß die Raumstation mit den neu aufgeblasenen Ballons von der Erde aus gesehen ein grandioses Bild abgab. Es war wie ein langgestreckter silberner Gürtel. Nordpol. Pazifik, Südpol, Atlantik, Europa, Nordund Südamerika, Afrika, Asien, Australien – die Astronauten setzten ihren Weg fort, als gäbe es kein anderes Universum. Nur der Chronometer und der automatische Positionsanzeiger verliehen der Situati on einen Anflug von Realität. Olin hatte Jastro in der Raumstation abgelöst. Von Zeit zu Zeit gab er die Position durch. Die Arbeit am Raumschiff wurde jetzt mit einem Tempo fortgesetzt, die alle bisherigen Forderungen Streckers in den Schatten stellten. Die Männer schuf teten mit dem Mut der Verzweiflung, als wollten sie das Projekt möglichst rasch beenden, um vor dem großen Knall zur Erde zurückkehren zu können. Sie warteten nicht lange auf Anweisungen, sondern packten von sich aus zu und beschränkten sich auf ein Minimum von Ruhepausen. Dennoch, der dritte August ...
Dieses Datum war wie mit glühenden Lettern in Gores Gehirn eingebrannt. Der Termin kam immer näher, und die Zeit verstrich immer schneller, als würde die Uhr plötzlich verrückt spielen. Er versuch te, nicht ununterbrochen daran zu denken, aber aus dem Unterbewußtsein vermochte er den Termin nicht zu verdrängen. Die Zeit verging ihm förmlich unter den Händen ... Gore schwebte gerade auf Gruman zu, als er un vermittelt eine Gestalt erblickte, die weit unter den Ballons hinwegtauchte. Er versuchte Verbindung mit der Gestalt aufzunehmen, aber die Entfernung war bereits zu groß. »Gibt's was?« fragte Gruman. »Jemand ist gerade unter den Ballons wegge taucht«, erwiderte Gore gereizt. »Graybell. Er will eine Ladung von der hinteren Seite holen, und dieser Weg bedeutet eine Abkür zung«, erklärte der Konstrukteur. »Mir gefällt das nicht.« »Oh?« »Er hat keine Funkverbindung mit uns. Wenn nun seine Handrakete ausfällt oder ein System in seinem Raumanzug versagt?« »Es ist ziemlich sicher«, brummte Gruman. »Sicher? Wie war es denn bei Meredith?« »Ach, das war eine ganz andere Sache.«
»Inwiefern?« fragte Gore verdutzt. »Ich habe Meredith schon lange gekannt. Er war ein guter Mann«, versetzte Gruman. »Er hat in einem Bergwerk gearbeitet.« Er blickte gedankenverloren auf die Tankanlage. »Und?« drängte Gore. Gruman drehte sich um und sah ihn an. »Bei einem Unfall war er fünf Tage von der Au ßenwelt abgeschnitten.« »Klaustrophobie?« fragte Gore ruhig. »Ja, genau.« »Ohhh.« Gore erinnerte sich an Merediths unver kennbare Unsicherheit beim Betreten der Raumstati on. Der Mann hatte nur den einen Wunsch gehabt: möglichst schnell die Raumstation wieder zu verlas sen und in den freien Raum zu schweben. Jetzt er kannte er, daß Meredith die Enge in der Kabine nicht hatte ertragen können. »Der Weltraum«, sagte Gruman, »das entsprach seinen Vorstellungen. Es bedrückte ihn, wenn er sich in engen Räumen aufhalten mußte.« Ein bitterer Ton schwang in seiner Stimme mit. »Die Ballons?« »Stimmt, er konnte ihren Anblick nicht ertragen. Als dann der Angriff kam, hatte er nur den einen Ge danken, sich möglichst weit zu entfernen. Dabei hat er sich zu weit entfernt – das ist alles.«
»Tut mir leid, das hatte ich nicht gewußt.« »Nur wenige haben es gewußt«, murmelte der Monteur. »Er hat es immer zu tarnen verstanden.« Er wandte sich um und sah Strecker und Anderson. Er entschuldigte sich bei Gore und schwebte zu den bei den Männern. Carmody, Lindenwall, Meredith, Devlin ... Gore verdrängte die Gedanken an diese Männer aus seinem Kopf und schlug den Weg zu der Stelle ein, wo er Tolenberg und MacMillan zum letztenmal gesehen hatte. Schwartz brach als erster zusammen. Zum Glück entdeckte Graybell ihn noch rechtzeitig. Gore hörte den Alarmschrei und schwebte heran. Strecker versuchte sich einzuschalten, aber Gore schnitt ihm das Wort ab. Als er Schwartz erreichte, überprüfte er mit einem raschen Blick seinen Sauer stoffvorrat und atmete erleichtert auf. »Wir müssen ihn sofort in die Station bringen!« rief er. Graybell kam ihm zu Hilfe, und sie schafften ihn gemeinsam in die Station. Gore öffnete Schwartz' Helm. Der Mann schnarchte fröhlich vor sich hin. »Totale Erschöpfung«, stellte Gore erleichtert fest. Sie streiften dem Schlafenden den Raumanzug ab, legten ihn auf eine Pritsche und sicherten ihn mit den
Gurten. Dann wich Gore einen Schritt zurück. Er wies Olin an, den Schlafenden im Auge zu behalten, ver ließ die Raumstation und informierte Strecker. »Wenn das so weitergeht, werden wir es nie schaf fen«, murrte Strecker. »Ich kann Ihnen nur raten, es dennoch zu schaf fen«, sagte Gore nachdrücklich. Strecker gab keine Antwort. Gore wandte sich ab. Er sah ein, daß er dem Mann gegenüber zu barsch gewesen war, aber schließlich waren sie alle mit ihren Nerven am Ende. Dennoch machte die Arbeit Fortschritte. Die endgültige Form des Raumschiffs zeichnete sich immer deutlicher ab. Die Außenarbeiten waren bereits abgeschlossen, und nun mußten die einzelnen Elemente installiert werden. Die Landefähre, die spä ter die Atmosphäre der Venus durchdringen würde, sollte erst im allerletzten Augenblick in die Umlauf bahn geschossen und im Raumschiff untergebracht werden. Alle anderen Elemente schwebten bereits in der Nähe des Raumschiffs und warteten auf die In stallation. Jastro kam mit einem langen Zylinder auf Gore zu geschwebt und sah ihn an. »Welcher Tag ist heute eigentlich?« »Der achtundzwanzigste.« »Wir werden es schaffen.«
»Natürlich. Hast du je daran gezweifelt?« »Tu doch nicht so. Ich habe genau gesehen, wie du geschwitzt hast«, brummte Jastro. »Na, du vielleicht nicht?« »Um der Wahrheit die Ehre zu geben: ich schwitze immer noch.« Die Stimme des Astronauten wurde ernst. »Irgendwie habe ich mir das alles nicht so recht vorstellen können. Es war ein schöner Traum – aber eben doch nur ein Traum. Jetzt aber ...« Er brach un vermittelt ab. »Falls man uns keinen Strich durch die Rechnung macht«, murmelte Gore. »Ja, falls sie uns keinen Strich durch die Rechnung machen.« Jastro fummelte an der Führungsleine. »Ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden, daß ich dieses Baby aufgeben und einem anderen überlassen soll.« »Yeah.« »Die anderen wissen ja gar nicht zu schätzen, was sie da in die Hand bekommen«, knurrte Jastro. »Sie kön nen gar nicht ermessen, mit wieviel Schweiß und Trä nen dieses Ding zusammengebaut wurde.« Er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf das Raumschiff. »Ich weiß«, murmelte Gore. Schweigend setzten sie die Arbeit fort. Nach einer Weile kam Olins Stimme aus dem Kopfhörer. »Der Rote Bär taucht unter uns auf.«
17
»Angriff!« Sie befanden sich sechzig Grad Nord über dem Baikalsee, als Tolenberg den Alarm auslöste. Gore sah ihn an der unteren Ballonkette schweben. »Eine Rakete kommt auf uns zu«, meldete Tolen berg. »Eine?« wiederholte Gore überrascht. Er hatte sich daran gewöhnt, daß die Raketen immer zu dritt ka men. »Ja, mehr konnte ich nicht erkennen. Sie kommt mit hoher Geschwindigkeit auf uns zu. Sieht ver dammt komisch aus«, fügte Tolenberg hinzu. »Inwiefern komisch?« fragte Gore. »Sie sieht aus ... na ja, als hätte sie Flügel.« »Wie ein Raumgleiter?« »Ja, genau wie ein Raumgleiter.« »Unmöglich!« kam Streckers Stimme aus dem Kopfhörer. Gore nahm keine Notiz davon. »Begeben Sie sich unverzüglich zur Station!« »Roger.« Tolenberg feuerte seine Handrakete ab und nahm Kurs auf die Raumstation. Gore sah sich schnell um. Jastro und MacMillan hielten die Waffen schußbereit in den Händen und
sahen ihn erwartungsvoll an. Offensichtlich waren sie gespannt auf seine Anweisungen. Er wies Strecker an, seine Männer zu verteilen und riet Olin, seinen Raumanzug unter Druck zu setzen. Dann wandte er sich an Jastro. »Ich tauche jetzt weiter nach unten, um mir die Sa che etwas genauer anzusehen. Übernimm inzwischen das Kommando.« »Ich würde mich auch gern ein bißchen umsehen.« Gore tauchte unter die Ballonkette. Vereinzelte Wortfetzen drangen aus dem Kopfhörer an sein Ohr. Er spähte zur Erde. Der Baikalsee erstreckte sich wie ein langer blauer Finger zwischen Sibirien und der Mongolei. Dahinter ragten dunkle Gebirgszüge auf. Er sah die feindliche Rakete sofort. Sie war – bemannt! Die stummelartigen, stark angewinkelten Tragflä chen konnten nur zum Wiedereintritt in die Atmo sphäre dienen. Da fiel ihm etwas auf, und es dauerte einen Au genblick, bis er diese Erkenntnis verdaute. Dieser Raumgleiter kam nicht auf die Raumstation zu. Er hatte den Höhepunkt seiner Flugbahn bereits über schritten und befand sich noch ein ganzes Stück un terhalb der Ballonkette. Sollte die Raumstation etwa nur ausgekundschaftet werden?
Er verwarf diesen Gedanken. Während er noch versuchte, den eigentlichen Zweck dieses Unterneh mens zu ergründen, lösten sich plötzlich ein paar sil bern schimmernde Kugeln vom Raumgleiter. Raketengeschosse! Ungläubig starrte er die Geschosse an und begann automatisch zu zählen. Sechs ... sieben ... acht Raketen kamen auf die Raumstation zu, und es sah aus, als wären sie alle gleichzeitig abgefeuert worden. Gore wirbelte herum, feuerte die Handrakete ab und glitt zwischen den Ballons hindurch nach oben. »Druck aus der Kabine ablassen, Olin!« bellte er ins Kehlkopfmikrofon. »Ablassen?« »Damit sie bei einem Treffer nicht explodieren kann. Jastro, zieh dich mit den Männern bis in die oberste Region über der Raumstation zurück!« »Roger. Aber warum knallen wir sie nicht einfach ab?« »Weil wir kein Ziel haben.« »Kein Ziel?« fragte jemand verdutzt. »Acht kleine Raketengeschosse kommen auf uns zu«, sagte er. »Sie sind so klein, daß wir sie nicht tref fen können. Strecker, achten Sie darauf, daß Ihre Männer sich da oben gut verteilen.« »Acht?« fragte der Chef der SPA. »Haltet die Funkverbindungen offen!« rief Gore. Er
sah Jastro, Tolenberg, MacMillan und ein paar andere Männer über den Ballons schweben. »Mein Gott, die Ballonkette!« stieß jemand aus, und Gore blickte sich rasch um. Die großen, silbern schimmernden Hüllen schienen sich in nichts aufzulösen. Immer deutlicher wurde der Ausblick zur Erde. Alles war innerhalb weniger Sekunden vorüber. »Olin ...« Er zwang sich zur Ruhe. Nach einigen endlosen Sekunden kam der Astro naut endlich zur Luftschleuse heraus. »Die Kabine ist durchlöchert wie ein Sieb«, ver kündete er ruhig. »Zum Glück war der Druck fast abgelassen, als der Einschlag kam, denn sonst wäre sie bestimmt explodiert.« »Na, fein«, brummte Gore. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt. Keine Raumstation, kein Raumschiff, gar nichts. Er wünschte jetzt, er hätte Flügel. Er rief die Männer einzeln beim Namen; zum Glück meldeten sie sich alle. Augenscheinlich waren die Raketen in der Nähe der Raumstation explodiert, wobei hunderte kleinster Metallsplitter durch den Raum gespritzt waren. Bei dem Gedanken an den an gerichteten Schaden zuckte er zusammen. Nur zögernd versammelten sich die Männer um ihn. Sie hatten den Schlag noch nicht überwunden und fühlten sich hilflos den Elementen ausgeliefert.
Unter ihnen lag die von der Sonne angestrahlte Ark tis. Olin schwebte ruhelos neben ihm. Es kam den Männern vor, als weilte plötzlich ein ungebetener Gast unter ihnen. In den Funksprechgeräten herrschte absolute Stille. Gore blies flüchtig in sein Kehlkopf mikrofon und stellte erleichtert fest, daß die Anlage noch intakt war. »Die Station«, sagte Strecker nach einer ganzen Weile. »Er sagte, sie wäre getroffen worden!« Es klang wie ein verzweifelter Monolog. »Ist es schlimm?« fragte Gruman. »Das müssen wir erst feststellen.« »Diese verdammte Idee mit den Ballons!« knurrte Strecker. »Ohne die verwünschten Dinger hätten wir die Raketen kommen sehen und sie abschießen kön nen.« »Bei diesen Babys gab's nichts abzuschießen«, ent gegnete Gore. »Gruman, wieviel Zeit brauchen Sie, um das Raumschiff zu installieren?« »Ein paar Stunden – falls es unbeschädigt geblieben ist.« »Stellen Sie das gleich fest!« befahl Gore. »Setzen Sie alle zur Verfügung stehenden Handscheinwerfer ein und machen Sie so schnell wie möglich.« »Roger.« »Noch etwas: wie lange wird es dauern, bis das Ding flugtauglich ist?«
»Sie meinen für eine Weltraumfahrt?« »Ja. Bis die Antriebsaggregate arbeiten«, erwiderte Gore. »Ein paar Tage, aber es wird mindestens drei bis vier Tage dauern, alles so herzurichten, daß das Raumschiff in den Weltraum vordringen kann.« »Wir müssen es schneller schaffen.« »Wir können es versuchen.« Gruman ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Zunächst wollen wir mal nachsehen, in welchem Zustand sich das Raumschiff befindet.« »Wir können hier nicht bleiben!« rief Strecker schrill. Gore sah die Männer der Reihe nach an. Andersons Gesicht wirkte schmal, aber keineswegs beunruhigt. Schwartz und Graybell schwebten nebeneinander und blickten zur Erde. »Wir können nur noch zu retten versuchen, was zu retten ist«, sagte Gore ruhig. »Wir hätten längst evakuiert werden sollen!« stieß Strecker aus. »Es ist Selbstmord, noch länger hier oben zu bleiben.« Graybell blickte hastig auf. »Wir haben immer noch den Raumgleiter«, sagte Gore beschwichtigend. »Raumgleiter?« Strecker deutete mit der Hand nach oben und lachte hart. »Da, sehen Sie nur!«
Gore wirbelte herum. Der Gleiter schwebte neben einem silbernen Ballon. Die Spitze der einen Tragflä che war völlig abgerissen. Er versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Na, wenigstens können wir die Kabine noch be nutzen.« Sein Tonfall zeigte, daß er sich mit dem Un abwendbaren abgefunden hatte. »Was ist denn mit den bereitstehenden Teams?« fragte Strecker scharf, und Gore mußte an sich halten, um nicht vor Wut aus der Haut zu fahren. Auf keinen Fall durfte jetzt eine Panik unter den Männern aus brechen. »Wenn die Zeit gekommen ist, werden wir die Evakuierung durchführen«, antwortete er ruhig. »Die Zeit ist längst gekommen, und Sie sollten auf der Stelle eine Meldung zum Hauptquartier durchge ben«, beharrte Strecker. Ein rechthaberischer Ton schwang in seiner Stimme mit. »Als Konstruktions chef habe ich an die Sicherheit meiner Leute zu den ken.« »Ihnen geht's doch nur um die eigene Haut«, warf Tolenberg ein. »Ich bestehe darauf, daß Sie sofort eine Meldung an General Bryant durchgeben«, schloß Strecker, als hät te er Tolenbergs Einwurf gar nicht gehört. »Wenn wir am Leben bleiben wollen, müssen wir erst dafür sorgen, daß wir wenigstens eine der zur
Verfügung stehenden Kabinen benutzbar machen«, entschied Gore. Er wandte sich an Olin. »Versuchen Sie eine Meldung durchzugeben. Den Schlüssel ken nen Sie ja.« »Roger.« »Alex, du kannst mir und MacMillan helfen. Wol len mal sehen, was wir mit der Station anfangen kön nen. Tolenberg, Sie helfen Gruman.« »Roger.« Gore sah Olin zögern. »Was gibt's denn noch?« »Der Satellit mit den zusätzlichen Ballons – soll ich ihn mit dem Funksignal entladen?« »Das hatte ich ganz vergessen.« Gore überlegte kurz. »Nein, damit wollen wir noch warten, denn wir brauchen jetzt möglichst einwandfreie Funkverbin dungen.« »Wir müssen noch einmal über Rußland und China hinweg, ehe wir den Ausgangspunkt der Umlauf bahn erreichen«, bemerkte der Astronaut. »Sie haben noch niemals so schnell hintereinander zugeschlagen. Im Augenblick wollen wir noch abwar ten.« »Okay, aber ich komme mir ziemlich nackt vor«, murmelte Olin. »Ich auch.«
Gruman inspizierte das Raumschiff und meldete schon nach wenigen Minuten Einschlaglöcher. »Sieht es schlimm aus?« fragte Gore. »Die Löcher sind zum Glück ziemlich klein, aber es ist eine ganze Menge.« »Können sie abgedichtet werden?« »Sicher, aber das dauert eine Weile.« »Fangen Sie gleich damit an, denn wir müssen die ses Baby unbedingt fertigstellen«, ordnete Gore an. »Meine Güte!« Jastro warf einen Blick auf die Raumstation. »Möchte nur wissen, was sie sich jetzt wieder einfallen lassen.« »Bestimmt wieder eine tolle Sache«, brummte Go re. Der Schaden an der Kabine der Raumstation war schwerer festzustellen, als Gore es ursprünglich er wartet hatte. Es war zu einer absoluten Dekompressi on gekommen. Jastro und Gore entdeckten einige Löcher und Ris se in der Außenwandung und dichteten sie ab. Dann ließen sie Druck einströmen und starrten gespannt auf den Druckanzeiger. Irgendwo strömte der Druck wieder aus. Gore fluchte und begann nach weiteren undichten Stellen zu suchen. Nachdem sie zwei weitere Löcher abgedichtet hatten, versuchten sie es noch einmal mit dem Druck, und wieder ließ er langsam nach.
»So können wir nicht weitermachen«, brummte Ja stro. »Dazu reicht unser Sauerstoffvorrat nicht.« »Stimmt«, pflichtete Gore ihm bei. Als sie Kanada erreichten, verkündete Gruman, daß der Schaden am Raumschiff nunmehr behoben sei, so daß sie sich wieder mit Hochdruck der weite ren Installation widmen konnten. Endlich eine gute Nachricht! »Komm«, sagte Gore zu seinem Teamkameraden. »Mit der Kabine kommen wir jetzt nicht weiter. Wir wollen lieber Gruman helfen.« »Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte Jastro. »Du lieber Himmel, wir haben schon den er sten August.« »Noch drei Tage«, versetzte Gore grimmig. Der dritte August hing wie ein drohendes Schwert über ihren Köpfen. Sie erreichten den Punkt, an dem die Station ur sprünglich in die Umlaufbahn um die Erde gebracht worden war. Die meisten Männer unterbrachen die Arbeit und blickten zur Erde. Weder Gore noch Strecker hatten etwas dagegen einzuwenden. Mögli cherweise war es ihre letzte Chance, einen Blick auf die Heimat zu werfen. Es war ein klarer, sonniger Tag, und die kaliforni sche Küste zeichnete sich deutlich ab. Schweigend prägten sich die Männer das Bild ein. Gruman blieb
als einziger im Rumpf des Raumschiffes, um die Ar beit fortzusetzen. »Ich halte jede Wette, daß der Chef ununterbrochen am Funkgerät sitzt und sich Gedanken darüber macht, was aus uns wohl geworden ist«, sagte Jastro. »Sie haben längst gesehen, was aus den Ballonsper ren geworden ist«, erwiderte Gore trocken. »Wahr scheinlich haben sie uns abgeschrieben.« Kalifornien verschwand unter ihnen, und die Män ner kehrten an die Arbeit zurück. Wenige Sekunden später meldete Olin die Annähe rung eines Raumgleiters. »Oh-oh«, machte Jastro leise, und sofort wurde von allen Seiten munter drauflos geplappert, bis Gore sich einschaltete und absolute Funkstille befahl. Er warf einen Blick zum Horizont und sah den Raumgleiter kommen. Der Pilot lenkte den Raumgleiter über die obere Ballonkette, und Gore schwebte ihm entgegen. Der Pilot parkte neben dem lädierten Gleiter und kam aus der Luke. »Willkommen!« rief Gore. »Ich bin Major Ben Gore, der Kommandant dieser Tontaube am Himmel.« »Leutnant Farragut, Sir«, stellte sich der Pilot vor. »Haben Sie denn gar keine Funkverbindung?« »Wir hatten nach einem kleinen Angriff noch keine Zeit, den angerichteten Schaden abzuschätzen.«
»Da können Sie aber von Glück reden, denn ich bin unter anderem auch in Elektronik ausgebildet wor den. Wenn es nicht zu schlimm ist, werde ich den Schaden beheben können.« »Die Außenwandung der Station ist durchlöchert.« »Junge, Junge, da brauchen Sie wirklich Hilfe. Kein Wunder, daß sie mich heraufgeschickt haben.« »Dies ist mein Teamkamerad, Captain Alex Jastro«, stellte Gore vor. »Er ist zwar nicht gerade eine Leuch te, dafür aber ein fleißiger Arbeiter.« Farragut grinste. »Welche Nachrichten bringen Sie uns denn von der schmutzigen Kugel da unten?« fragte Gore. »Na, bis jetzt hat noch niemand auf den ominösen Knopf gedrückt, aber im Kreml scheinen sie ziemlich durcheinander zu sein.« »Und was ist mit uns?« »Als die Funkverbindung zu Ihnen abbrach, war da unten der Teufel los. Alle glauben, daß es um Sie ge schehen sei. Ich sollte hier eigentlich die Toten zählen.« »Sonst noch etwas?« fragte Gore. »Yeah, falls noch jemand am Leben wäre, sollte ich alles zu einer Evakuierung vorbereiten«, antwortete Farragut widerstrebend. »Sobald wir den Punkt zum Wiedereintritt in die Atmosphäre erreichen, sollen wir mit der SPA-Mannschaft anfangen. Mein Team kamerad wird die nächste Ladung abholen.« Er fügte
hinzu, als schuldete er ihnen Erklärung: »Das haben die Politiker ausgeheckt.« »Fertig?« fragte MacMillan. »Fertig«, antwortete Tolenberg, und sie feuerten ih re Handraketen gleichzeitig ab, um mit den Waffen Posten unterhalb der Ballonsperre zu beziehen. Gore brütete über dem Befehl zum Evakuieren. Immerhin war der Kampf noch nicht verloren. Farra gut mußte mindestens einen ganzen Tag in der Um laufbahn bleiben, um den günstigsten Punkt zum Wiedereintritt in die Atmosphäre abzuwarten. Er konnte nicht mehr als zwei Passagiere mitnehmen. Bis sein Teamkamerad die beiden nächsten abholte, würde wieder ein ganzer Tag vergehen. Jetzt kam es ihm gut zustatten, daß sein eigener Raumgleiter nicht manövrierfähig war. Nach den Berechnungen des Hauptquartiers hätten schon beim ersten Trip vier Männer evakuiert werden sollen. Gore war entschlossen, Gruman bis zuletzt in der Umlaufbahn zu behalten. Vielleicht ... vielleicht ... Gruman und Schwartz arbeiteten bereits an der Luftschleuse des Raumschiffes. Die Männer hatten das alles unter ganz ähnlichen Umständen auf der Erde durchgespielt, so daß jeder Handgriff genau saß. Anschließend konnte die Kabine des Raumschiffes unter Druck gesetzt werden.
Aber die Zeit ... Die Männer ruhten sich abwechselnd in den beiden Kabinen der Raumgleiter aus. Das war zwar nicht sonderlich bequem, aber unbedingt erforderlich. Alle waren mit ihren Kräften fast am Ende. Strecker be wegte sich wie ein Automat und starrte oft minuten lang in den Weltraum, während Gruman alle erfor derlichen Anweisungen gab. Nur Tolenberg und MacMillan zeigten keine Spur von Erschöpfung. Überhaupt hielten die Astronauten besser durch als die SPA-Mannschaft, denn sie waren ja für diese Verhältnisse im Weltraum geschult worden. Farragut erwies sich als unschätzbarer Gewinn. Er sprühte vor Eifer und reparierte nicht nur den Scha den am Funkgerät, sondern auch die Außenwandung der Kabine. Gore ließ sich von seinem Elan mitreißen und setzte die Kabine der Raumstation noch einmal unter Druck. Doch es mußte noch immer eine undich te Stelle geben, denn wieder ließ der Druck langsam nach. Er konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. »Zumindest hält der Druck lange genug, um einen Funkspruch durchzugeben«, sagte Olin. »Nein, das wäre zu gefährlich«, widersprach Gore. »Was ist denn hier oben nicht gefährlich?« »Ohne Raumanzug kannst du nicht hinein.« »Ich kann das Funkgerät nicht in einem Rauman zug bedienen«, brummte Olin.
»Na, wollen mal sehen, ob wir das letzte Loch nicht auch noch finden«, schaltete sich Farragut ein. Es kam zu keinen weiteren Zwischenfällen, und Gore schöpfte neue Hoffnung. Die SPA-Mannschaft stürzte sich mit dem Mut der Verzweiflung in die Arbeit. Selbst Strecker griff wieder tüchtig zu. Gru man verkündete, daß die Kabine des Raumschiffes nun bald unter Druck gesetzt werden könnte. Bald – viel zu schnell nach Gores Ansicht – würde der Zeitpunkt kommen, da Farragut an den Wieder eintritt in die Atmosphäre denken mußte. Trotz sei ner Begeisterung und seines unermüdlichen Einsat zes war es dem Astronauten nicht gelungen, die un dichten Stellen der Kabine auszumachen. Gore rang sich zu einem Entschluß durch. »Setz die Kabine lange genug unter Druck, um ei nen Funkspruch durchzugeben«, sagte er zu Olin. »Geht nicht wegen der Ballons«, brummte Olin. Verdammt, das hatte er ganz vergessen! »Vernichtet ein paar Ballons, damit wir eine Funk verbindung mit der Bodenstation bekommen!« befahl er. »Roger.« »Erst setzen Sie die verdammten Ballons aus, und dann vernichten Sie sie«, meldete sich Strecker spöt tisch. Gore nahm keine Notiz von ihm und wandte sich
an Olin. »Ich werde Farragut in der Umlaufbahn be halten, denn wir brauchen die Kabine seines Raum gleiters.« »Ich dachte, die Kabine des Raumschiffs wäre schon einsatzbereit«, brummte Olin. »Nein, sie ist noch nicht ganz so weit.« »Na ja – aber das Hauptquartier wird sich be stimmt nicht vor Freude überschlagen. An dem Be fehl zur Evakuierung gibt's nichts zu rütteln.« »Zum Teufel mit dem Hauptquartier. Hier hast du den Funkspruch.« Die Raumstation überquerte die Arktis, als die Bo denstation einen Funkspruch vom Hauptquartier übermittelte. Aus dem Hauptquartier meldete sich Colonel Wil ly, der Stellvertreter des Kommandeurs. Gore schnitt eine Grimasse. Willy war kein Astronaut, sondern eher der Typ eines Bürokraten. »Major Gore«, begann er, »der Start des Raumglei ters zur Evakuierung Ihrer Raumstation mußte ver schoben werden.« »Ausgezeichnet!« rief Gore, und Willy verschlug es die Sprache. »Stimmt es, daß Sie die Raumgleiter da oben in der Umlaufbahn festgehalten haben?« »Ja, das stimmt.« »Aber der Befehl lautet doch ausdrücklich, daß sie zur Erde kommen sollen.«
»Ist General Bryant da?« fragte Gore. »Er ist in Washington, um Ordnung in dieses heil lose Durcheinander zu bringen«, erwiderte Willy kühl. Es war seinem Tonfall zu entnehmen, daß er Gore die Schuld an diesem Durcheinander gab. »Was ist also mit den Raumgleitern?« »Ich habe den Raumgleiter hier behalten, weil wir dringend die Kabine brauchen ...« »Sie haben zwei Raumgleiter da oben«, schnitt der Colonel ihm das Wort ab. »Nur einen«, sagte Gore nachdrücklich. »Der eine ist beschädigt. Das haben wir Ihnen gemeldet.« »Und der andere?« fragte Willy. »Uns steht keine andere Kabine zur Verfügung«, erwiderte Gore. Er gab einen zusammengefaßten Si tuationsbericht und mußte zwischendurch eine Pause einlegen, weil die Übermittlung von der Bodenstation am Sklavensee fortgeführt wurde. »Der Befehl besagte, daß Leutnant Farragut zu die ser Zeit bereits wieder hier sein sollte«, sagte Willy gereizt. »Das können wir nicht machen«, versetzte Gore. »Der Befehl kam von ganz oben.« »Von so hoch oben, wie wir es sind, bestimmt nicht«, gab Gore zurück. »Wir sehen hier oben alles in einem ganz anderen Licht.« Statisches Rauschen unterbrach die Verbindung,
und Willy versuchte, dieses Rauschen zu übertönen. »Sie tragen die volle Verantwortung für Ihr eigen mächtiges Vorgehen, Major Gore!« »Na, was denn sonst, zum Teufel?« knirschte Gore. Willys Erwiderung ging im Rauschen unter. Gore wandte sich an Olin. »Sollte dieser Dummkopf sich noch einmal über die Bodenstation Spokane melden, dann richte ihm aus, daß ich zum Friseur gegangen bin.« Olin und Farragut grinsten breit, während er sei nen Helm schloß, den Raumanzug unter Druck setzte und durch die Luftschleuse schwebte.
18
2. August 1975. Die Raumgleiter kamen herauf. Sie kamen irgendwo aus den weiten Flächen Sibiri ens, als die Station gerade den Nordpol überquert hatte. MacMillan, der neben dem Container mit den Waf fen schwebte, erspähte sie zuerst und gab Alarm. Go re blickte in die angegebene Richtung und entdeckte dort die Formation von drei Raumgleitern auf die Raumstation zukommen. »Jetzt gilt's!« rief Tolenberg. Die Worte hatten einen Klang von Endgültigkeit. Gore betrachtete die drei Raumgleiter. Es sah aus, als würden sie sich gar nicht für die Raumstation interes sieren. Er versuchte, sich dieses merkwürdige Verhal ten zu erklären. »Sieht ganz so aus, als wollten sie seitlich über uns hinwegsteigen«, sagte MacMillan. »Bringen Sie die Waffen über die obere Ballonsper re!« befahl Gore. »Aye, aye, Sir«, sagte der Marineleutnant, gab To lenberg ein kurzes Zeichen, und sie schwirrten zu sammen mit dem Container auf die obere Ballonsper re zu.
»Absolute Funkstille! Jastro?« »Hier.« »Hol die Leute aus dem Raumschiff und aus den Raumgleitern. Gib Olin und Farragut in der Station eine Warnung. Alle sollen sich unter die untere Bal lonsperre zurückziehen.« »Da unten?« »Sie werden uns von oben angreifen.« »Okay. Wieviele?« »Drei Raumgleiter.« Er hob die Stimme an. »Strek ker?« »Ich höre.« Streckers Stimme klang leblos. »Es ist alles Ihre Schuld, denn Sie hätten die befohlene Eva kuierung längst durchführen sollen.« »Achten Sie darauf, daß sich Ihre Männer unter der Ballonsperre verteilen«, knurrte Gore. Ein hohlklingendes Lachen kam aus dem Kopfhö rer. »Hoffentlich kann ich bei der Verhandlung gegen Sie als Zeuge auftreten, Gore.« »Wenn Sie sich nicht auf der Stelle bewegen, werde ich wohl eher an Ihrer Bestattung teilnehmen. Los, machen Sie schon!« Gore feuerte seine Handrakete ab und schwirrte nach oben. MacMillan und Tolenberg lagen mit den Waffen in Stellung. Er sah die Angreifer hoch über der Raumstation. Die beiden Männer feuerten ihre
Waffen ab. Die Geschosse hinterließen eine sichtbare Spur. Weiß schimmernde Punkte lösten sich von den drei Raumgleitern. »Geschosse!« rief MacMillan, während er in aller Eile seine Waffe nachlud. »Diese Babys müssen wir knacken!« knurrte Tolen berg. Wieder feuerten sie gleichzeitig. Gore sah, daß die Raumgleiter sich außerhalb ihrer Reichweite befan den. »Feuer einstellen!« befahl er. »Was ist denn?« erkundigte sich eine schwache Stimme. Gore nahm keine Notiz davon und konzen trierte sich weiter auf die drei Raumgleiter. Seltsam, daß die drei Angreifer es augenscheinlich nicht auf das Raumschiff abgesehen hatten, obwohl es das größte Ziel darstellte. »Die Station!« schrie jemand. »Die Station ...« Strecker lachte schrill. »Was werden Sie nun ma chen, Gore?« Er wirbelte herum und sah, daß die Kabine der Raumstation völlig eingedrückt war. Olin und Farra gut – der Gedanke an die beiden Männer jagte ihm einen kalten Schauer über den Rücken. »Alex!« krächzte er. »An Deck«, meldete sich der Astronaut. »Was ist mit Olin und Farragut?«
»Sie sind unterwegs zur oberen Ballonsperre.« »Das werden Sie büßen!« fauchte Strecker. »Der Kerl soll endlich das verdammte Maul hal ten!« schimpfte jemand. »Irgend etwas ist hinter dem Raumschiff explo diert!« meldete eine Stimme. Gore zwang sich zur Ruhe. »Irgendein Schaden?« fragte er. »Sieht aus, als wären ein paar Container getroffen worden ...« »Die Notausrüstung für das Raumschiff«, schaltete Jastro sich ein. »Gruman hatte sie zur Installation be reitgestellt.« »Wo ist Gruman?« fragte Gore. »Keine Ahnung. Ich hatte ihm aufgetragen, aus dem Raumschiff zu verschwinden.« »Sie haben versagt, Gore!« schrie Strecker. Gore hatte gerade zu einer Anordnung ansetzen wollen. Er hielt inne. Es klang, als hätte Strecker den Verstand verloren. »Sie haben versagt ... Sie haben versagt ...« »Er ist übergeschnappt«, sagte Jastro. Gore gab ihm recht. Strecker hatte die an den Nerven zerrende Spannung nicht länger ertragen können. Er überlegte, was er unternehmen könnte. Strecker wie derholte laufend seine Anschuldigungen, bis Gore ihm über den Mund fuhr und absolute Funkstille befahl.
»Sieh mal nach den Männern an der oberen Ballonsperre, Alex.« »Roger.« Der Astronaut schwirrte nach oben, und Gore wandte sich noch einmal an Strecker. »Kommen Sie heraus!« »Ich bin hier am Raumschiff«, verkündete der Mann höhnisch. »Sie haben versagt, Major Gore.« »Niemand hat versagt«, erwiderte Gore ruhig. Er schwebte langsam auf das Raumschiff zu, denn er wollte verhindern, daß Strecker dort im letzten Au genblick noch irgendeinen Unfug anstellte. »Wissen Sie, warum Sie hier oben sind? Weil ich dafür gesorgt habe«, höhnte Strecker. »Ich habe nichts dagegen, hier oben zu sein.« Er ver suchte, das Versteck des Mannes auszumachen, ohne den Handscheinwerfer einzuschalten. Das Raumschiff zeichnete sich in groben Umrissen vor ihm ab. »Ich habe dafür gesorgt, daß Sie diesen Posten be kamen – und nun werden Sie hier oben sterben.« »Das glaube ich kaum.« Gore schaltete die Hand rakete ein und schwebte auf das Raumschiff zu. »Das war mein Lebenswerk. Ich habe auf der Erde alles vorbereitet, um diesen Zusammenbau hier oben vornehmen zu können. Sie haben alles vernichtet.« Streckers Stimme überschlug sich. »Wissen Sie, war um ich dafür sorgte, daß Sie diesen Posten beka men?«
»Warum?« fragte Gore neugierig. Er spähte in die dunklen Schatten. Plötzlich schien irgendeine Dro hung von diesem unförmigen Raumschiff auszuge hen. Er schlug sich diese Gedanken aus dem Kopf und drang weiter vor. »Bryant, General Bryant«, sagte Strecker bitter. »Er sagte, Sie wären sein bester Mann, und deshalb habe ich dafür gesorgt, daß Sie hier heraufkamen. Mein Lebenswerk ...« »Ich bin froh ...« »Sie sind ein Stümper – ein ganz verdammter Stümper!« gellte Strecker. »Ein verdammter Stümper sind Sie, Gore.« »Hier ist überhaupt nichts gestümpert worden.« Er sah eine kauernde Gestalt vor der Tankanlage und hielt an. »Ihr werdet sterben – ihr werdet alle sterben!« »Ben?« fragte Jastro unvermittelt. »Hier am Raumschiff.« »Gruman ist nicht hier oben.« »Der Narr steckt noch immer drinnen, um die An lagen zu installieren!« rief Strecker. »Der Narr ... der Narr ...« »Vorsicht da unten!« rief Jastro warnend. Gore wirbelte herum und sah, wie die untere Bal lonkette zerfetzt wurde und den Blick auf die Erde freigab.
Er versuchte zu ergründen, was das zu bedeuten hatte. Ein Ballon nach dem anderen wurde getroffen und schrumpfte zusammen. Sein nach oben gerichte ter Blick fiel auf die beiden Raumgleiter der Station, und es dauerte eine Weile bis er begriff, daß sie sich bewegten. »Was hat das zu bedeuten, Alex?« »Keine Ahnung«, gab Jastro zurück. »MacMillan?« »Aye, Sir.« »Wohin wollen sie mit den Raumgleitern?« »Der Teufel soll mich holen, wenn ich das weiß. Vorsicht, da kommt eine weitere Ladung!« Ein schriller Aufschrei kam aus dem Kopfhörer. Gore blickte besorgt auf Strecker. Der Mann kauer te noch immer neben dem Raumschiff, als wollte er dort Schutz suchen. Zum Teufel mit ihm, dachte Gore und feuerte seine Handrakete ab. Er sah die Geschos se in der Sonne glitzern. Weit vor ihnen lagen die drei silbernen Punkte der feindlichen Raumgleiter. Es war wirklich ein Wunder, daß das Raumschiff noch im mer nicht getroffen worden war. Ein besseres Ziel gab es weit und breit nicht. Er blickte den beiden Raumgleitern der Station nach. Beide Raumgleiter lagen eng beieinander. Weitere Ballons schrumpften, und wieder schrie jemand auf. Gore wußte, daß die Ladungen der Con
tainer längst beim Teufel waren. Er sah, daß sie jetzt Australien überquerten und blickte erneut auf das Raumschiff. »Strecker!« Das war Grumans Stimme. Gore warf einen letzten Blick auf die langsam in der Ferne verschwindenden Raumgleiter. Olin würde schon wissen, was er tat. Gruman rief noch einmal Streckers Name. Ein grel ler Lichtkegel flammte auf. Eine Gestalt flatterte wie eine vom Licht angezogene Motte herum. Es war Strecker auf dem Weg zur Erde. Gore wußte es mit absoluter Gewißheit. Die Gestalt im Lichtschein ent fernte sich mehr und mehr in Richtung Erde. »Versagt ... versagt ...« Ein hohlklingendes Lachen folgte diesen Worten, und Gruman rief erneut Strek kers Namen. Gore sah, daß Gruman sich anschickte, Strecker nachzutauchen. »Halt, Gruman!« warnte er. »Er ist schon zu weit weg! Versuchen Sie nicht, ihn einzuholen!« »Er wird sich umbringen!« rief der Monteur. Den noch bremste er seinen Fall ab und rief immer wieder Streckers Namen. »Versagt ...« Der schrille Klang der Stimme jagte Gore eine Gän sehaut über den Körper. Mein Gott, hier oben war alles vernichtet: die Män
ner, die Raumstation, die Pläne ... die Träume. Ben Gore, der König der Sterne! Er lachte bitter. Vielleicht hatte Strecker gar nicht mal so unrecht. »Feuer einstellen!« rief MacMillan. Gore drehte sich um. Er schlug sich alle weiteren Gedanken an Strecker aus dem Kopf. »Die Raumgleiter!« rief jemand. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Gore die Raum gleiter im matten Sternenlicht ausmachen konnte. Als er sie sah, hielt er unwillkürlich den Atem an. Die beiden Raumgleiter rasten in voller Geschwindigkeit auf die feindliche Formation zu. Bläuliche Flammen zuckten aus ihren Antriebsraketen. Einer der drei feindlichen Raumgleiter taumelte unvermittelt nach unten. Sie waren so dicht beieinan der geflogen, daß sie sich jetzt gegenseitig in den Weg gerieten. An der Stelle, wo sie eben noch geflogen waren, setzte eine strahlend helle Explosion ein – eine zweite folgte unmittelbar darauf. Gore war vorübergehend geblendet. »Sie sind zusammengeprallt!« rief Tolenberg. »Sie sind verschwunden ... sie sind verschwunden ...« Gore straffte sich in den Schultern und suchte den Horizont ab. Sein Körper war in kaltem Schweiß ge badet. Olin, einer der Besten ...
Er hatte einmal vom Mond geträumt. Die Nach richt von Devlins Absturz war für ihn ein Schlag ge wesen, den er nicht verwinden konnte. Mit dieser Nachricht waren all seine hochtrabenden Träume ge storben. Gore wußte das alles nur zu gut. Und Farragut – er wünschte, er hätte den Mann näher gekannt. Verzweifelt schob er all diese Gedan ken beiseite, denn jetzt gab es eine Menge zu tun. Er zitterte bei dem Gedanken an die erlittenen Verluste. Er brachte gerade die Handrakete in Anschlag, als er MacMillans Aufschrei hörte. »Sie greifen uns an – sie haben Männer hier oben!« »Was?« fragte Gore ungläubig. Er wirbelte herum und blickte auf die Stelle, wo die Raumgleiter abge stürzt waren. Er erkannte einen schimmernden Punkt in der Dunkelheit des Raumes. Eine lange, rötliche Feuerzunge zuckte über MacMillans Container mit den Waffen hinweg. »Was war das?« fragte Gore. »Ein automatisches Gewehr«, erwiderte der Mari neleutnant. »Ganz unverkennbar.« »Mein Gott, was denn nun noch?« fragte Tolen berg. »Wir müssen sie schnappen«, knurrte MacMillan. Gore überdachte die Situation. Automatische Ge wehre waren ideale Waffen im Weltraum.
»Wir müssen mit dem Container Stellungswechsel vornehmen«, bellte MacMillan. »Jastro?« fragte Gore. »Hier.« »Bleib in Deckung!« »Aber sicher.« »Ich werde ihnen den Container mitsamt der Muni tion in den Rachen schieben!« rief MacMillan. Gore kam sich völlig hilflos vor. Verdammt, wenn er doch nur eine Waffe hätte! »Alex, übernimm das Kommando!« befahl er. »Was hast du vor?« »Ich werde ihnen am Container helfen.« »Bleiben Sie zurück, Gore!« rief MacMillan. »Wol len Sie getroffen werden?« »Ich komme«, gab er zurück. »Hier ist nur Platz für zwei.« Der Container setzte sich in Bewegung. »Geschosse!« rief jemand. Sie kamen jetzt aus allen Richtungen. Schlagartig durchschaute Gore die Pläne der An greifer. Diese Männer wollten das Raumschiff nicht vernichten, sondern unversehrt in die Hand bekom men. Nur auf diese Weise ließen sich ihre Maßnah men erklären. »Wenn wir unterliegen, mußt du das Raumschiff vernichten, Alex.«
»Vernichten?« »Ja, ihr dürft dann keine Sekunde länger zögern. Vernichtet es gründlich!« »Roger.« »Ich bin bereit«, meldete sich Gruman. Gore wandte sich erneut um. MacMillan und To lenberg waren nur noch als kleine Punkte zu erken nen. Sie schoben den Container auf das floßartige Ge bilde zu, auf dem die Angreifer hockten. Gore schickte sich gerade an, den beiden tollküh nen Männern zu folgen, als etwas gegen seine Schul ter prallte. Es war ein Helm mit einem Kopf – vom Rest des Körpers war weit und breit nichts zu sehen. Graybell ... Gore wurde schwarz vor Augen. Der Helm mit dem Kopf schwebte vorüber, und Gore wandte sich wieder um. »Mac!« kam Tolenbergs Stimme aus dem Kopfhö rer. »Wir erwischen sie!« Im nächsten Augenblick zuckte ein greller Licht schein durch die Dunkelheit. Weiße und rötliche Streifen huschten hin und her. Eine weitere Explosion folgte. »Mac!« rief Tolenberg. Keine Antwort. Gore zündete seine Handrakete und schwirrte los. Eine ganze Reihe von Glühwürm
chen schimmerte weit vor ihm. Es war die Stelle, wo die Raumgleiter aufeinander geprallt waren. »MacMillan!« rief er. Stille. Die Stille des Todes. »Tolenberg!« Wieder und wieder rief er die beiden Namen, ohne eine Antwort zu bekommen. »Sie haben sie erwischt!« rief eine aufgeregte Stimme. Gore blickte auf die Stelle, wo er eben noch das floßartige Gebilde des Feindes gesehen hatte. Dort war nichts mehr zu erkennen. Der Container war mit MacMillan und Tolenberg mit voller Wucht gegen das floßartige Gebilde geprallt – und nun war nichts mehr von ihnen übrig. »Major Gore.« Der Name kam ein paarmal aus dem Kopfhörer, ehe er begriff, daß er gemeint war. »Hier«, meldete er sich. »Schwartz ist tot. Ich habe seinen Körper eben ge sehen.« »Ja, die meisten sind tot«, erwiderte er bitter. »Wir müssen das Werk vollenden«, sagte Gruman. »Das Werk?« Gore lachte hart. »Ich habe die Kabine des Raumschiffes unter Druck gesetzt.« »Aber die Notausrüstung ist doch beim Teufel«, schaltete Anderson sich ein. »Habt ihr denn verges sen, daß sie völlig vernichtet wurde?«
»Arbeiten die Antriebsaggregate?« fragte Gore und wartete atemlos auf die Antwort. »Ja, sie arbeiten einwandfrei«, verkündete Gruman. »Und was versprechen Sie sich davon?« fragte An derson. »Wir haben weder die erforderliche Naviga tionsausrüstung noch sonst etwas.« Er schwebte zur Seite und blickte zur Erde. »Wir können in eine andere, höhere Umlaufbahn einbiegen«, versetzte Gore, während er auf das Raumschiff zuschwebte. »Wir werden abgeschossen werden, sobald wir wieder über feindliches Gebiet kommen«, murmelte Anderson. »Nein, sie wissen ja noch nicht, wie das Unterneh men ihrer Männer hier oben ausgegangen ist.« Gore schöpfte neue Hoffnung. »Jetzt haben wir Zeit, uns eine neue Umlaufbahn auszusuchen.« »Zeit zu sterben ...« »Sauerstoff, Rationen, Vorräte – wir suchen einfach alles zusammen, was irgend noch brauchbar ist.« Eine leichte Vibration erschütterte die Kabine, als die gewaltigen Kräfte der Antriebsaggregate zum Leben erwachten. Nur eine geringe Bewegung nach vorn war zu spüren – und dennoch würde diese Kraft aus reichen, um das Raumschiff durch den Weltraum zu tragen.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe die Reste der ehemaligen Raumstation hinter ihnen verschwanden. Es war der dritte August, dachte Gore. Er blickte sich um. Gruman und Anderson schlie fen nun schon seit Stunden. Jastro lag nur mit der Un terhose bekleidet auf der Pritsche. Sein Gesicht war schmal geworden, und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er merkte, wie Gore ihn ansah. »Wir haben es geschafft.« »Ja, wir haben es geschafft.« Gore dachte daran, daß ihr Flug von den Bodenstationen verfolgt wurde. Irgendwo hier oben konnten sie auf die Raumgleiter warten, die sie abholen würden. Es mochte noch ein paar Tage dauern, aber der Chef würde sie bestimmt nicht im Stich lassen. Dann konnten sie den letzten Schliff anlegen und dieses Raumschiff für die lange Reise zur Venus ausrüsten. Vielleicht ... vielleicht ... Jastro unterbrach seine Gedanken. »Weißt du, ich habe gerade daran gedacht, daß der Mond eigentlich doch gar keine so überaus tolle Sa che war.« »Nein?« »Wenigstens nicht im Vergleich zu dem Ziel dieser Rakete.« Er sah Gore an. »Ich habe so eine Ahnung ...« »Du bist schon startbereit, was?«
»Nein, nicht bevor ich Urlaub genommen habe«, antwortete Jastro. »Im Augenblick schwebt mir etwas vor Augen, das mich sogar noch mehr reizt als die Venus ...«