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Von W. Michael Gear erschienen in der Reihe HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY: SPINNEN-ZYKLUS: Spinnenkrieger 06/5045 Spinnenfäden 06/5046 Spinnennetze 06/5047
W.Michael Gear
SPINNENFÄDEN Zweiter Roman des SPINNEN-ZYKLUS Deutsche Erstausgabe
HEYNE SCIENCE FICT1ON & FANTASY Band 06/5046
Titel der amerikanischen Originalausgabe THE WAY OF SPIDER Deutsche Übersetzung von Horst Pukallus Das Umschlagbild malte Sanjulian
Redaktion: E. Senftbauer Copyright © 1989 by W. Michael Gear Erstveröffentlichung by DAW Books, Inc., New York Copyright © 1993 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1993 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: Manfred Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Eisnerdruck, Berlin ISBN 3-453-06617-0
1 Spinne entschied das Schicksal eines Planeten. Männer und Frauen blickten furchtsam in die von Leuchterscheinungen durchzuckte Dunkelheit empor, bewegten stumm den Mund, während droben gezackte Finger grellen Tods den Himmel spalteten. In einem Teil des Firmaments schössen fürchterliche violette Strahlen umher, sengten die Wolkendecke, waberten durchs Gewölbe der Nacht, flackerten in unheimlichem Lavendelblau. Über dem Dorf sausten in ihrer Lautlosigkeit grausige Sternenblitze hin und her, während die Sternenschiffe Tod verschleuderten, der das Begriffsvermögen jedes Romananers überstieg. Beiderseits Susan Smith Andojars raunten von Ehrfurcht erfüllte, gedämpfte Stimmen mit unwirklichem, wie körperlosem Klang. Sie sah sich um, als ein neuer violetter Strahl rauhe, vom Wetter abgehärtete Gesichter erhellte; ein Zwinkern oder das Verziehen eines harten Munds verrieten Stärke, Geist und Charakter der jeweiligen Person. Eine Spannung, wie ihr gewalttätiges Volk sie nur zu gut kannte, knisterte in der Luft. Verhutzelte, vom Alter gebeugte Greise spähten trotz ihrer Fehlsichtigkeit aus schwärzlichen Augen nach oben. Mahagonidunkle Lippen zahnloser Gaumen verzerrten sich zu einem krampfhaften Ausdruck der Furcht und Hoffnung. Vor Entsetzen starre Frauen, manche jung, manche alt, standen wortlos dabei. Andere kauerten auf über festgetretene Erde gebreiteten, farbenfrohen Wolldek-ken oder hockten, gestützt auf aus Mänteln, Ballen und Häuten zurechtgeschobene Polster, auf den Ladeflächen von Karren. Da und dort umfingen Arme ein Kind, das unge-
achtet der Glutbahnen des Todes, die oben den Himmel durchschnitten, in gesundem Schlaf lag. Auch die wenigen anwesenden Krieger konnten nur ratlos hinaufblicken. Ihre Augen spiegelten den Kummer der Machtlosigkeit. Bei jedem Aufblitzen der Sternenwaffen verfielen sie in Bewegung, schwangen sinnlos ihre Gewehre an den bewölkten Himmel, betasteten die Skalpe, die an ihren Kriegsröcken und Gürteln hingen; sie wußten, daß sie die größte Gelegenheit zum Erringen von Ansehen und Ehre seit dem vor langem erfolgten Aufstand des Volkes gegen die Sobjets versäumten. Männer, Frauen und Kinder beteten zu Spinne — beteten um ein Ende des Sternentods und die Rettung ihrer Welt. Susan schlang die Decke fest um ihre Schultern und entfernte sich langsam aus der Menschenmenge. Selbst während am Nachthimmel der Tod wütete, lebte sie in innerer Absonderung von den anderen, war sie allein, ertrug sie Spinnes Spott. Wie so oft in ihrem Leben suchte sie Zuflucht in ihrem Innern, auf das die Verwandten ihrer toten Eltern keinen Einfluß hatten. Im bedrohlichen Gleißen und Gluten der Todesstrahlen ging sie einen ihr altvertrauten Weg. Schließlich kletterte sie die Balken eines Pferchs hinauf und lehnte sich gegen einen hohen Pfosten, beobachtete von erhöhtem Standort aus weiter das gespenstische Blitzezucken des Himmels und wartete, indem sie in grüblerische Gedanken versank, das Kommende ab. Die Wolken wanderten fort, trieben rasch ostwärts. Ein unangenehm blendend-grelles Strahlen flammte über den gepeinigten Himmel. Susan zog sich die rauhe Wolldecke über den Kopf. Beklemmung quälte sie. Würde ihre Seele im letzten, höllischen Moment zu Spinne fahren? Die Kühle der Frühjahrsnacht drang ihr in die Glieder. Geruch nach mit Holz und Dung unterhaltenen Feuern
vermischte sich mit den Düften von Pferden, Mist, Fäule und Gewürzen, die im Wind wehten. Nicht einmal die Decke konnte das makabre Schauspiel der Sternenwaffen vor Susan verbergen. Noch wehrte sich das abtrünnige Sternenschiff Projektil. Am schlimmsten war jedoch das Schweigen der Propheten. Zwei von ihnen waren mit den Sternenmenschen gegangen und in ihren ST an den Himmel emporgeflogen. Die beiden anderen Greise saßen in ihrer Kammer im alten Wrack der Nikolai Romanan und warteten, nickten vor sich hin und lächelten, trieben die Menschen mit ihrer Weigerung, sich zur Zukunft zu äußern, beinahe in den Wahnsinn. Susan kaute auf der Lippe, fragte sich, wie die Sterne so hoch am von Tod zerrissenen Himmel wohl aussehen mochten. Doch auch wenn die Spinnenkrieger und ihre Sternenfreunde siegten, würde sie es nie erfahren. Ihr Herz ließ einen Schlag aus. Aber falls sie ... Hastig verdrängte sie den Gedanken, verscheuchte ihn aus ihrer Vorstellung. Solche Dinge waren einer Frau des Volkes nicht bestimmt. Ihr Onkel Ramon Luis Andojar hatte sie, wegen ihres sonderbaren Benehmens und ihrer Träume verdrossen, schon gedrängt, Willy Roter Falke Pferdefänger zu heiraten. Durch den Brautpreis hoffte er für die Belastung, als die er ihre Anwesenheit empfand, entschädigt zu werden. Im Schutz ihrer Decke verzog Susan angewidert das Gesicht. Sie verabscheute Pferdefänger. Er mochte ein angesehener Krieger sein. Viele Blicke folgten ihm, wenn er das Lager durchquerte. Die Leute redeten über ihn nur Gutes. Allerdings ließ er sich seinen Hochmut anmerken. Hinter seinen glutig-schwarzen Augen versteckte sich etwas Unheilvolles; eine Drohung von Bösem und Ehrverlust. Ihn heiraten? Niemals! Kein Mensch verstand sie. Susan spürte und hörte, wie sie aus Verbitterung mit den Backenzähnen mahlte.
Wieder zuckte ein Blitz, diesmal sogar heller als vorher. Susan lugte unter der Decke hervor, blinzelte an den nächtlichen Himmel, sah einen kleinen Schwarm glühender Trümmer herabstürzen. War eines der Sternenschiffe vernichtet worden? Leise, nervöse Ausrufe aus den Reihen des Volkes übertönten zeitweilig das Säuseln des schwachen Winds. Eine trostlose Zukunft lag vor Susan. Tod durch eine Sternenwaffe — oder Hochzeit mit Pferdefänger. Es gab keinen Ausweg. Es war besser, meinte sie, schnell und endgültig zu verbrennen, sobald Sternenwaffen Welt verwüsteten, als den langsamen Tod eines öden Daseins zu sterben. Wenn sie sich nur ausmalte, wie Pferdefänger ihren Körper begrapschte, sein Kind in ihrem Leib heranwuchs ... Von körperlicher Übelkeit gepackt, preßte Susan die Arme auf ihre Magengrube. Sie fühlte sich wie in einer Falle. Sie konnte sich Pferdefänger nicht ewig vom Hals halten. Nicht wenn ihr halbverrückter Onkel, der seit jeher nach Pferdefängers hochgeschätzten Pferden schielte, von ihr zu heiraten verlangte, damit sie ihm, seiner Familie und ihrem Klan eine Last zu sein aufhörte. Sie ballte lange braune Finger zu einer Faust, versuchte die Empfindungen der Bitterkeit und Furcht zu bezähmen. Spinne hatte dem Volk ein Gesetz gegeben. Spinne hatte verkündet, daß Männer sich so und Frauen anders verhalten mußten. Vor vielen Jahrhunderten hatte Spinne das Volk von den Sobjets erlöst und es nach Welt gebracht, damit es ein freies Leben führen durfte. Sie konnte sich unmöglich gegen Spinne stellen. Ihn war sie, anders als es ihr bei der Verwandtschaft gelang, nicht zu überlisten, auszutricksen oder durch Argumente abzuwimmeln imstande. Ihm mußte sie gehorchen. Spinne war Gott. Trotz ihrer deprimierten Stimmung entging es ihr nicht, als die tödlichen Lichter endlich erloschen. Sie hob den
Blick und sah im Schwarz nichts als Sterne und hinter den Bärenbergen im Osten Erster Mond aufgehen. Schwachgelbes Glimmen streifte den Himmel wie Sternschnuppen; es stammte von den ST, den Sturmtransportern der Sternenmenschen. Wer hatte gesiegt? Würde sie am Leben bleiben? Vielleicht wußten die Sternenmenschen im Dorf es. Behend sprang Susan auf den mit Dung bedeckten Untergrund, beruhigte die Pferde und lief zwischen die im Dunkeln liegenden Hütten. Die Sternenmenschen waren in einer der Versammlungshallen zusammengekommen. In der Tür blieb Susan stehen, plötzlich erschrocken über die eigene Kühnheit. Die Sternenmenschen hatten sich um ein Gerät gedrängt, das Bilder zeigte. Ein Mann bemerkte sie im Augenwinkel. Von Kopf bis Hals bekleidete ihn eine weiße Uniform, die allerdings die Hände frei ließ. Am breiten Gürtel an seiner Hüfte hingen seltsame Metallkästchen und Ösen aus Draht. Weit auseinanderstehende blaue Augen musterten sie aus einem so auffällig blassen Gesicht, als wäre er noch nie in der Sonne gewesen. Sein kurz wie ein Mäusefell geschnittenes Haar hätte einen unansehnlichen Coup abgegeben. Er richtete sich auf und wandte sich um, das Gesicht faltig von Sorge und Müdigkeit. Er hatte eine wohlklingende Stimme, sprach Susan jedoch in der unverständlichen Sternenmenschensprache an. »Ich wüßte gerne, wer gesiegt hat«, sagte Susan, hielt die Augen gesenkt, wie es sich für eine unverheiratete Frau gehörte, die mit einem Mann redete. Ein Blick hatte ihr genügt. Ihr Staunen über die unglaubliche Kleidung, die die Sternenmenschen trugen, würde nie vergehen; sie bestand aus leuchtend-weißem, leichtem Material, das sich dem Körper anschmiegte. Nie hatten sie schwere Lederhäute oder kratzige Wolle an. An ihren Gürteln hatten sie merkwürdige Metallgegenstände
befestigt, die geheimnisvolle Zauberwirkungen ausübten, es ihnen ermöglichten, sich über gewaltige Entfernungen hinweg zu unterhalten oder zu sehen. Die Sternenmenschen selbst wiesen eine Fülle von verschiedenen farblichen Hauttönungen und Haarfarben auf; sogar ihre Augen hatten alle Schattierungen von Grün, Blau, Grau und Braun. Der Mann nahm einen kleinen Kasten vom Tisch. Alle Aufmerksamkeit galt nun Susan, und sie wünschte, sie könnte in die groben, aus dem Holz von Säulengewächsen gefertigten Dielen des Fußbodens sinken. Es war ein Fehler gewesen, die Sternenmenschen aufzusuchen. Sie wandte sich zum Gehen/schimpfte sich eine Närrin. »Warte!« Die Stimme verwendete die Sprache des Volkes. Überrascht vom leblosen Klang der Stimme, drehte Susan sich um. Während die anderen Sternenmenschen ihre Reaktion beobachteten, sprach der Mann in den kleinen Kasten, den er in die Hände genommen hatte. Die Wörter klangen blechern und hatten eine komische Betonung. »Dein Volk ist gerettet. Die Raumschiffe haben den Kampf eingestellt. Ein Waffenstillstand ist beschlossen worden.« »Sie werden die Siedlungen nicht zerstören?« Susans Herz schlug schneller. »Es wird niemand mehr sterben«, sagte das Kästchen, nachdem der Mann etwas hineingesprochen hatte. In stumpfer Ergebenheit nahm Susan die Auskunft zur Kenntnis. Von nun an würde Onkel Ramon sie noch stärker zur Heirat drängen. Pferdefänger hatte von Anfang an mit den Sternenmenschen zu tun gehabt. Bestimmt bestand Ramon darauf, daß sie Pferdefänger heiratete. Tat sie es nicht, würde der Clanrat eingreifen und sie ihm einfach geben — möglicherweise ohne Brautpreis; das wäre zu allem übrigen auch noch eine Demütigung. Susan betrachtete die Sternenmenschen, wunderte sich erneut über die Frauen unter ihnen, die sie jetzt aus
leicht verkniffenen Mienen anstarrten, aber mit Neugierde in den Augen. Weibliche Patrouillensoldaten hatte sie — mit Staunen — schon gesehen, sich zunächst gefragt, ob sie wohl dem Vergnügen der Männer dienten. Später hatte sie sie mit Blastern beobachtet, mit denen sie so aufrecht und stolz wie die Männer umherstapften. Aus Furcht hatte sie gezögert, sie anzusprechen. Das große Raumschiff, das sie Projektil nannten, war vor einem halben Jahr von den Sternen gekommen und hatte unverzüglich den Krieg zwischen dem Spinnenvolk und den Santos zum Erliegen gebracht. Gleichzeitig hatten die Sternenmenschen das Volk zu unterjochen versucht. Mit nichts als bloßem Mut und Gewehren hatten die Krieger gegen ST und Blaster Widerstand geleistet, Spinne ihre Verehrung zugeschrien, waren ehrenvoll in violetten Glutstrahlen gefallen, die ihr Fleisch aufplatzen ließen und es verkohlten. Spinne war Ehre erwiesen worden, ihre Seelen waren zu Gott zurückgekehrt. John Smith Eisenauge, der größte aller Spinnenkrieger, hatte sie alle vor Schlimmerem bewahrt, indem er zwischen den Stämmen und den Sternenmenschen ein Bündnis schmiedete. Ein von Unbehagen geprägter Friede hatte geherrscht, während Spinnen- und Santoskrieger in der entlegenen Berghöhle mit dem Namen Lager im Nabel gemeinsam neue Kampf weisen lernten. Danach waren sie zu dem Sternenschiff hinaufgeflogen, und der Kriegshäuptling der Sternenmenschen, Oberst Damen Ree, hatte sich zu dem Entschluß durchgerungen, für das Volk einzutreten. Gerüchte behaupteten, Spinne hätte durch den Propheten Chester Armijo Garcia zu ihm gesprochen, und er sei eins mit Spinne geworden. Als aus der Schwärze des Weltalls andere Sternenmenschen kamen, hatte die Projektil den Kampf für das
Volk aufgenommen. Dank der Projektil durfte das Volk überleben. Das hatte dieser Sternenmann mit seinem Sprechkästchen erklärt. Abermals hatte Spinne sein Volk geschützt. Keine Sobjets würden erscheinen, um es zu Gefangenen zu machen. Sie wußte, was die Sternenmenschen sahen, während sie geduckt an der Tür stand. Ein hochgewachsenes, mageres Mädchen mit langen, schwarzen, strähnigen Haaren, das sein Äußeres unter einer dreckig-speckigen Decke versteckte. Sie hatte die Decke gefunden; irgendwer hatte sie weggeworfen gehabt. Doch ihren gequälten Blick und die blauen Flecken infolge der Schläge, die Ramon ihr regelmäßig verabreichte, mußten ihnen auffallen. »Ich bedanke mich sehr«, sagte Susan halblaut und wandte sich nochmals zum Gehen. »Warte«, rief das Kästchen ihr noch einmal nach. Sie hielt den Blick gesenkt. »Du bist doch unter den Leuten gewesen. Ist euer Volk auf uns wütend?« Susan schaute auf. »Ich verstehe die Frage nicht.« Sie runzelte die Stirn. »Weshalb sollte es wütend auf euch sein? Die Sternenmenschen dort oben haben mit John Smith Eisenauge für uns gekämpft. Ihr seid unsere Freunde. Ihr habt dem Volk Ehre erwiesen. Wir achten euch.« Der Mann wurde bleich, trat unbehaglich auf der Stelle. Susan blickte sich am Tisch um, sah Männer und Frauen wegschauen, ihren plötzlich neugierigen Blick meiden. »Weißt du nicht Bescheid?« fragte eine Frau. Susan schüttelte den Kopf. »Was soll ich wissen?« erkundigte sie sich. »Wir haben es abgelehnt, für euch zu kämpfen«, erläuterte ein anderer Mann ihr durch das Übersetzungsgerät. »Wir konnten nicht gegen unseren Eid verstoßen. Unsere Waffen nicht gegen die Patrouille wenden. Man nennt uns Verräter.«
Susan erkannte die Scham in ihren Gesichtern. »Warum seid ihr dann hier?« fragte Susan, spürte ihr Blut in Wallung geraten. Waren diese Personen Feiglinge? Bei diesem Gedanken schauderte es ihr. War es möglich, daß Sternenmenschen ...? Die Lippen des Mannes, der als erster mit ihr geredet hatte, zeigten ein schiefes Lächeln. »Wir sind hier als Geiseln abgesetzt worden, um eurem Dorf eine gewisse Sicherheit zu bieten. Oberst Ree hat gehofft, daß das Direktorat euch nicht angreift, solange wir im Schußfeld sind.« Sein Gesicht lief rot an; doch in seinen Augen funkelte ironische Belustigung. »Ich glaube, wir sind genauso froh darüber wie ihr, daß sich jetzt alles anders entwickelt hat.« »Seid ihr Feiglinge?« fragte Susan, hatte schon einen Anflug von Verachtung in der Stimme. Der Mann lauschte auf die Übertragung des Geräts und schüttelte dann gelassen den Kopf. »Nein. Wir hatten bloß eine andere Auffassung von Treue. Wir haben nur getan, was wir für richtig hielten. Ist das denn Feigheit?« Auf einmal mußte Susan an ihr eigenes Sonderlingstum denken. Sie beugte sich dem Willen der Leute nicht, mochte den überkommenen Platz einer Frau nicht einnehmen. Waren diese Sternenmenschen vielleicht vom gleichen Schlag? »Nein«, antwortete sie leise. Noch immer beschäftigte das Vorhandensein weiblicher Patrouillenmitglieder Susan. Sie bot allen Mut auf. »Weshalb habt ihr Frauen bei euch?« fragte sie, sah zu den Frauen hinüber, die beisammenstanden, bei ihrer Frage den Kopf hoben. Das plötzliche Stimmengewirr überforderte den Translator. »Warum sollten wir nicht dabei sein?« stellte schließlich eine der Frauen eine Gegenfrage. Susan bemerkte den Unterton von Verunsicherung in ihrer Stimme, noch ehe der Translator dolmetschte,
»Weil eine Frau in der Welt einen anderen Platz hat.« Ihre Antwort, fiel Susan auf, klang trotzig. Eine ältere Frau mit stahlgrauem Haar trat vor. »Eine Frau kann alles, was ein Mann kann ... vorausgesetzt, sie gibt sich die Mühe, genauso fähig und tüchtig zu sein.« Susans Herz krampfte sich ein wenig zusammen, sie spürte eine Regung neuer Hoffnung. »Bist du ... eine Kriegerin?« Die Frau grinste. »O ja. Ich bin Obergefreitin. Eine Offizierin. Äh ... So was ähnliches wie ein Kriegshäuptling, glaube ich.« »Wie ein Kriegshäuptling?« Susan schnappte nach Luft, ehrfürchtig hob sie ihre Finger an die Lippen. »Wie denn das? Wieso hat man dir erlaubt, so etwas zu werden?« »Erlaubt?« wiederholte die Obergefreitin versonnen, während sich ihr Gesicht nachdenklich furchte. In ihren grauen Augen glitzerte eine Andeutung von Härte. »Ich bin einfach ... Naja, meine Bewerbung um Aufnahme in die Patrouille ist angenommen worden. Ich habe fleißig studiert, die Prüfungen bestanden und bewiesen, daß ich ...« »Aber die Männer ... Haben sie nicht versucht...?« Susans Stimme erstickte, furchtsam schaute sie die Sternenmänner an, deren Blicke ausnahmslos auf ihr ruhten. Die Obergefreitin nickte, faltete die Hände. »Ach, ich verstehe, was du meinst. Eure romananischen Verhältnisse sind anders als bei uns. Unsere Technik ... ahm ... die Maschinen, die wir benutzen, um unsere Existenzbedingungen zu verändern ... haben uns von der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung befreit. Bei uns ist es nicht mehr üblich, daß ...« Für einen kurzen Moment schien es im Raum heller zu sein. »Könnte ich ... Könnte ich auch bei euch mitmachen?
Kriegerin werden? In Raumschiffen zu den Sternen flie ...?« »Susan!« Der Zuruf ihres Onkels, seine Stimme, traf sie wie ein Peitschenhieb. »Sofort hinaus mit dir!« Susan fuhr herum, als ihr Onkel auf sie losging — wich durch Ducken dem Schlag mit dem Handrücken aus, den er gegen ihren Kopf führte —, und huschte flink nach draußen, ins Dunkle. »Du wirst’s nie lernen, eine Frau zu sein!« schrie er ihr hinterher. »So eine Schamlosigkeit! Wie konnte meine geliebte Schwester nur so eine wie dich zur Welt bringen!?« Hinter sich hörte Susan sein Gewinsel, während er sich bei den Sternenmenschen entschuldigte. Dann bog sie um die Ecke des Gebäudes, ihre bloßen Füße stoben Erdreich auf, während sie in die sicheren Arme der Nacht floh. *
*
*
Ein Raum scheinbar endlosen verwaschenen Blaus ohne Tiefe oder Dimensionalität, eingeblendet in die Ewigkeit. Zerstreut starrte Direktor Skor Robinson ins diesige Tiefblau, lauschte ängstlich auf das Wummern des Herzschlags in seiner Brust. Inmitten des Null-G-Mi-lieus regte er sich schwach, die Katheder, die ihn am Leben hielten, krümmten sich hinter seinem Rücken wie Schlangen. Furcht: Sie erfüllte ihn, pochte durch seine Adern, verursachte ihm die zurückentwickelte Wirbelsäule hinauf und hinab kaltes Schaudern. Krieg! Tod! Gewalt im Direktoratsweltall! Ein Gefecht war auf seinen Befehl beendet worden. Auf eigene Verantwortung hatte er einen Pakt mit Barbaren und Verrätern geschlossen. »Und was habe ich nun bewirkt, Prophet?« hatte er den
romananischen Schamanen Chester Armijo Garcia gefragt. Freiheit... Freiheit... Freiheit... Das Wort hallt hohl durch Skor Robinsons enormes Gehirn. Innerhalb eines flüchtigen Augenblicks, mit der einen Entscheidung, das Rebellenschiff — die Projektil — und die an Bord befindlichen Romananer zu verschonen, hatte sich sein gesamtes Universum verändert, war es zu einer anderen Realität transmutiert. Freiheit... Freiheit zur Furcht...! Ich habe dazugelernt, Prophet, dachte Skor; trotz seiner Furcht reagierte jedes der vielen Segmente seines Verstands, befaßte sich mit Einschätzungen. Freiheit ist also die stärkste Form des Ausgeliefertseins. Ja, ich bin vom Universum zu lernen bereit. Was wird es mich lehren ? Welches Grauen ist mit euch Romananern nun entfesselt? Skor verkrampfte sich, ächzte, als er sich dazu zwang, den wie Schilfrohr dünnen Arm zu heben und die Computer-Kontakthaube aus grauem Metall zu berühren, die seinen riesigen, runden Schädel umgab. Schmerz stach durch den Arm — die Rache seit seiner Geburt unbenutzter Muskeln. Das Erlebnis des Anfas-sens flößte ihm ehrfürchtiges Staunen ein, er empfand das Gefühl der kühlen Kontakthaube unter seinen dürren, knochigen Fingern als vollständig fremdartig. Skor schwebte als Karikatur eines Menschen gewichtslos in der Nullschwerkraft. Der mächtigsten Person im von Menschen bewohnten Weltraum grauste es bei den eigenen Gedanken. Ich bin allein. Ein Mutant! Aufgewachsen in einem Zuchtbehältnis und spezialisiert auf Schnittstellenkontakt mit den Giga-VerbundComputern. Ich kann niemals ein richtiger Mensch sein! Skor zwinkerte, versuchte atrophierte Glieder zu spannen, spürte ein durch die Beanspruchung der betroffenen Muskeln hervorgerufenes Brennen. Direktor? Wieder versuchte Assistenz-Direktor Semri Nawtow ihn zu erreichen. Dringende Anfragen um
Informationen prickelten am Rande seiner Wahrnehmung, wie mit Fühlern machten sich im Grenzbereich von Skors Bewußtsein zahlreiche Nachfragen bemerkbar. Ich bin frei. Und ausgeliefert. Stur ignorierte Skor das wilde Durcheinander der Anrufe, das die quantenelektronischen Schalter seiner Giga-Verbund-Schnittstelle blockierte. Ein Gefühl immenser Leere breitete sich in seinem vielschichtigen Geist aus, während er die Effekte des Funkspruchs beobachtete, dessen Text noch immer durchs ganze besiedelte All ging. Bevor sie im Kampf um Welt ums Leben kam, hatte Leeta Dobra eine Katastrophe angerichtet. Unter Umgehung des Giga-Verbunds — so wie ihr Ex-Geliebter Jeffray, der später Selbstmord verübte, es früher zu praktizieren gedroht hatte — war die vollständige Geschichte der Expedition, die zur Entdeckung der Romananer führte, von ihr in den bewohnten Weltraum gefunkt worden. Nun stellte die gesamte Menschheit aufgebracht und befremdet die Handlungen des Direktorats in Frage. Wie hätte ich Völkermord rechtfertigen können? Gott sei Dank, daß die Romananer noch leben. Er überlegte. Aber welche andere Wahl hatte ich denn ? Im Siriussystem ist eine Revolte ausgebrochen. Ich bin einen Pakt mit Barbaren und Verrätern eingegangen, um einen Direktoratsplaneten auf die Knie zu zwingen. Im ganzen Weltall der Menschheit rührt sich soziale Unruhe. Subraum-Transduk-tions-Funksprüche stauen sich in den Jota-Regga-Dimensio-nen, stören ihre von Gravitation und Masse unbeeinflußten Frequenzen. Wie kann ich die Zivilisation retten? Die Menge der Anfragen nach Informationen belastete sogar die unglaublichen Kapazitäten der Giga-Ver-bundSysteme. Hatte das Direktorat wirklich den Massenmord an einem ganzen Volk befohlen? Die Vernichtung eines kompletten Planeten angeordnet? Verwirrung herrschte. Skor spürte die Erschütterung erschrockener Milliarden
von Menschen bis ins Innerste des arcturianischen GigaVerbunds. Und im Siriussystem war ein Brandherd entstanden, ein Krebs der Rebellion. Die Ordnung ist dahin. Fortwährend betastete Skor mit seinen zierlichen Fingern die Kontakthaube. Man nennt uns Wasserköpfe. Schimpft uns Mißgeburten. Haben wir der Menschheit und ihren Bedürfnissen so schlecht gedient? Er sandte eine mentale Anforderung in die Computer, ließ die Aufzeichnung des Gefechts zwischen Projektil sowie Viktoria und Bruderschaft über dem recht schön anzusehenden Planeten Welt noch einmal abspielen. Nochmals sah er sich an, wie Damen Ree und sein Renegatenschiff, an Feuerkraft unterlegen und schon angeschlagen, sich den Patrouillenkameraden zum Endkampf entgegenstellten. Blasterstrahlen perforierten die Raumschiffe, Rümpfe barsten auf, Luft schoß heraus, Geräte und Menschen sausten aus den Lecks einem feurigen Untergang entgegen, dem Verglühen in der planetaren Atmosphäre. Schutzschirme durchschillerten das gesamte Farbspektrum, flackerten unter dem Anprall ungeheurer Energien. Wahnsinn! Trotzdem hämmerte Skors Herz, pumpte ungewohntes Adrenalin in seinen Blutkreislauf. Die vom Giga-Verbund gesteuerten Kontrollanlagen registrierten seine veränderte Blutzusammensetzung und veranlaßten Ausgleichsmaßnahmen, senkten als Gegenmittel den Stoffwechselaustausch. * * * »Ich wünschte nur, drüben könnten sie uns in die Augen sehen«, murmelte Ree halblaut vor sich hin, »dann wäre ihnen klar, daß sie uns in den Tod treiben, aber daß sie uns — bei Spinne! — nicht besiegt haben!« »Ree!« Sheila Rostostiew, die Kommandantin der Bruderschaft, hatte ihn angerufen, auf den Monitorbild-
flächen der Kommandobrücke der Projektil war ihr Konterfei erschienen. »Was haben Sie eigentlich vor?!« »Wir werden alle sterben«, lautete Rees Antwort, die er mit einer seltsamen Miene heiterer Gelassenheit erteilte. »Es sei denn, versteht sich, Sie geben nach.« Was für eine abartige Unbeeindrucktheit. Etwas ganz ähnliches wie dieser ständige Ausdruck von Weisheit in Chester Garcias Augen. Was nimmt die Romananer an der Spinnenreligion so stark ein ? Wodurch erweist sie sich auch für Zivilisierte als so attraktiv? »Sie wollen Ihr Schiff vernichten, um uns zu töten?« hatte Obristin Maya ben Achmad ausgerufen, die Kommandantin des Patrouillenraumschiffs Viktoria. Sie hatte das dunkle, ältliche Gesicht zu einer Miene der Ungläubigkeit verzogen. »... auf jeden Fall werde ich erst einmal verhindern, daß Sie die Romananer vernichten«, entgegnete Ree starrköpfig. »Ich werde diesen Kampf gewinnen, während Sie alle das Leben für gar nichts verlieren.« Ree hatte auf eine Weise gelacht, wie sie dem tragischen Ernst der Situation überhaupt nicht entsprach. »Sie können nicht entwischen, ehe ich die Reaktion einleite. Wir sind zu nah zusammen.« »0 Gott, nein!« kreischte Sheila, fing wie eine bösartige Irre die Bildschirme anzuschreien an, heulte wie ein gequältes Tier. Skor zuckte zusammen, schluckte schwer, sah Anspannung in Maya ben Achmads herbem Gesicht, während Soldaten Sheila, die trat und seiberte, von der Kommandobrücke der Bruderschaft zerrten. Fasziniert beobachtete Skor, wie Ree das Gespräch mit Maya fortsetzte. »Wollen Sie nicht doch nachgeben? Noch gibt’s ‘ne Chance, Maya.« Erwartungsvoll hatte Ree den Kopf in die Höhe gereckt. »Ich kann nicht, Damen. Es besteht eine geringe Aussicht, daß Sie bluffen, und dann käme ich mir wie ‘ne Idiotin vor. So wie Sie sich für das entschieden haben, was
Sie für das Richtige halten, muß ich meine Befehle befolgen. Das ist eben meine Überzeugung, verstehen Sie?« Maya hatte Ree zugelächelt, in den Augen eine sonderbare Herzlichkeit; fast war es wohlwollende Sympathie, die sich darin widerspiegelte. Respekt. Sie muß Damen Ree bewundern, obwohl er sie ins Verderben stürzt, sie kann nicht anders. Warum? Was bedeutet das ? Verblüfft starrte Skor die Bilder des Geschehens an, die Unlogik der Abläufe brachte sein überragendes Hirn aus der Fassung. »Wir sind viel zu prächtige Leute für diesen Robinson, ist Ihnen das eigentlich klar?« Danach hatte Ree salutiert und die Klappe der Notfallschaltung geöffnet, die Finger um den großen, roten Schalter geklammert, durch dessen Umlegen die Stasisfelder rings um die Antimaterie erloschen wären; dadurch wäre eine Reaktion mit der Materie des Raumschiffs ausgelöst worden. Mental wandelte Skor diese Szene in Standbilder um, forschte in Rees Miene. Die kantigen Gesichtszüge des Obersten zeigten nahezu Verzückung, ein innerer Glanz schien sie zu erhellen; es war das Gesicht eines siegreichen Mannes. Maya dagegen, deren Raumschiff die Projektil schwer beschädigt hatte, wirkte stark mitgenommen. In ihrem Gesichtsausdruck mischte sich ein merkwürdiges Zusammenspiel widerwilliger Hochachtung und Bewunderung mit dem Schrecken vor dem eigenen, nahen Tod, der Vernichtung ihres Raumschiffs mitsamt der Besatzung. Während Skor die Bilder betrachtete, er Mayas Furcht vor der Niederlage sah, wuchs sein Wissensdurst. »Und da habe ich eingegriffen«, sagte Skor laut; seine überbeanspruchten Stimmbänder entstellten seine Worte zu einem Schnarren. »Den Cusp entschieden. Ich habe beschlossen, sie alle am Leben zu lassen.« Er blinzelte, fühlte in seiner Brust einen beklemmenden Knoten unvertrauter Emotionen. Skor wartete, bis die Computer die Kontrolle über seinen Metabolismus
wiedererlangt hatten, bemerkte die Verlangsamung seines Herzschlags, empfand das Schwinden ungewohnter Gefühle aus seinem erschöpften Körper. Noch einen Moment lang musterte er die Gesichter, versuchte anhand der Mienen und Körperhaltungen die Gedanken zu erraten, ihnen in die Gehirne selbst zu blikken. »Chester Armijo Garcia behauptet, ich hätte meine Menschlichkeit verloren.« Trockenen Gaumens schluckte Skor. »Ist es das, was es heißt, Mensch zu sein?« Direktor! Per Korrekturfunktion durchbrach Semri Nawtow die mentale Abschottung Skor Robinsons. Sie haben unsere Bitten um Auskünfte unbeantwortet gelassen. Befinden Sie sich wohlauf? Wir haben in der chemischen Zusammensetzung Ihres Körpers signifikante Anomalien festgestellt. Ihr Organismus ist aus dem Gleichgewicht geraten. Falls Sie innerhalb statistisch akzeptabler Parameter der Logikfähigkeit keine Reaktion zeigen, wird Ihr Giga-Verbund-Kontakt desaktiviert, und ich übernehme die Primärkontrolle. Skor widmete sich wieder der Gegenwart, ließ die Bilder Damen Rees und Maya ben Achmads in sein Gedächtnis entgleiten. Rasch schaltete er sich den Systemen zu, entnahm den biologischen Monitoren — trotz eines plötzlichen Versuchs Nawtows, sie ihm zu verwehren — gewisse Daten. Er fand, was er erwartet hatte. Ich schlage Ihnen vor, sich Ihre eigenen biologischen Meßdaten anzusehen, Assistenz-Direktor, erwiderte Skor mit schneidender Schärfe, indem er die Anzeigen sichtete. Sowohl Sie wie auch Assistenz-Direktor An Roque weisen Abnormitäten auf. Verzichten Sie darauf, mir Vorwürfe zu machen, solange Sie offensichtlich selber an körperlichen Abweichungen leiden. Wir stehen vor einem Debakel! antwortete Nawtow durchs System, ging auf das Thema der Stoffwechseldaten, nachdem er in dieser Beziehung eine Schlappe hatte
einstecken müssen, nicht mehr ein. Die SubraumKommunikation ist durch Überlastung lahmgelegt. Der Pirat Ree hat ein Desaster verursacht. Wir können leugnen, daß etwas passiert ist, können abstreiten, daß wir die Vernichtung der Romananer befohlen haben, aber Ree sendet seine Aufzeichnungen ununterbrochen weiter. Alles ist an die Öffentlichkeit gelangt. Die Ordnung ist gefährdet. Die soziale Unruhe steigt in beispiellosem Maß an — bei der Randzonen-Population um bis zu zehn Statistikpunkte. Wir bemerken ein plötzliches, relevantes Nachlassen der Akzeptanz unter den Arpeggianern und Zionisten. Der am schlimmsten gestiegene DiskrepanzIndex zeigt uns, daß die Position der sirianischen Renegaten gestärkt worden ist. Ngen Van Chow spielt den Funkspruch der Projektil den sirianischen Rebellen vor... verhöhnt damit das Direktorat. Bei den Konservativen haben wir an Unterstützung eingebüßt. Nur noch unter elf Prozent der Bevölkerung steht zu uns ... Und das halten Sie für den richtigen Zeitpunkt, um unsere Anrufe zu ignorieren? Skor Robinson unterzog die von Nawtow genannten Statistiken einer Sichtung. Assistenz-Direktor Nawtow, es ist jetzt an der Zeit, daß wir uns mit dieser Angelegenheit auf rationaler Grundlage befassen. Die Romananer sind unsere einzige Hoffnung, um die Rebellion im Siriussystem zu unterdrücken. Dieser Ngen Van Chow — dieser Schmuggler und Schwerverbrecher — ist von uns zu lange toleriert worden. Wir... Wie konnte es geschehen, daß wir sein Bedrohungspotential unbeachtet gelassen haben ? Wieso ist keine Frühwarnung erfolgt? Nawtow zögerte. Könnte es sein, daß der Direktor sich das Malheur geleistet hat, durch seine Beschäftigung mit den Romananern für die Destabilisierung im Sirius blind zu bleiben ? Könnte es sein, erwiderte Skor, daß der für
gesellschaftliche Fragen zuständige Assistenz-Direktor es sich geleistet hat, den Anforderungen seines Verantwortlichkeitsbereichs nicht gerecht zu werden ? Unvermittelt meldete sich durch die mentalen Kommunikationskanäle An Roque zu Wort. Ich stelle Uneinigkeit fest. Wie sollen wir die Kontrolle behalten können, wenn wir selber völlig wirr sind? Ich bin beträchtlich beunruhigt. Ich brauche von Ihnen beiden vollständige Berechenbarkeit.Aus welcher Quelle ist diese Disharmonie entstanden? Ich kann in Ihren Gedankengängen keine rationale Entschlußfähigkeit mehr beobachten. Sollten Sie dabei bleiben, unlogische Mätzchen zu treiben, müssen Sie beide Ihrer Funktion enthoben werden. Skor fuhr sich mit der Zunge über den Boden des Gaumens, staunte über das Gefühl, das er dadurch verursachte. Assistenz-Direktor An Roque hat recht. Assistenz-Direktor Nawtow wird seine Pflicht erfüllen. Gleichzeitig müssen wir uns an die Zurückerlangung der vollkommenen Kontrolle machen. Ich werde ein Programm plausibler Dementis erarbeiten. Die Gefahr, die von Damen Ree und den Barbaren ausgeht, muß langfristig erst gemildert, dann neutralisiert und schließlich ausgemerzt werden. Ich schlage vor, daß Sie diesem Problem ausgiebige Überlegungen widmen. * * * Ngen Van Chow, Erster Bürger der Unabhängigkeitspartei, lachte gedämpft vor sich hin, während er drunten in den Straßen die Menschenmassen sich vorüberwälzen sah. Die Geschäftigkeit der Stadt war zeitweilig zum Stillstand gekommen, weil die gigantischen Frei-licht-HoloProjektoren die gebannte Aufmerksamkeit sämtlicher Bürger auf sich zogen, die die illegale Übertragung der Schlacht um die Romananer anschauten. »Ach, das ist einfach prachtvoll«, sagte er laut.
»Ich muß sagen«, stimmte Leona Magill zu, das Patrizierinnengesicht versonnen, »das Timing ist wirklich bestens. Wie war es bloß möglich, daß das Romananerproblem gerade jetzt auftaucht und sich so zu unseren Gunsten auswirkt?« Sie hob einen langen, manikürten Daumen an ihre üppigen Lippen, fing nachdenklich daran zu knabbern an. Hängst du wieder deinen sträflich idealistischen Träumen nach, Leona? überlegte Ngen, ließ seinen Blick an den makellosen Umrissen ihrer Kinnpartie entlangwandern. Eine so schöne Frau ... Zu dumm, daß sie seine Absichten und Ziele nicht mit ihm teilte. Doch was zählte, ging es ums Ganze, eine schöne Frau mehr oder weniger? Und auf die Zukunft war kein Verlaß. »Man soll das Schicksal nicht beschreien«, meinte Pika Vitr. Seine magere, in Schwarz gekleidete Gestalt ragte zu stattlicher Größe empor. Er war fortgeschrittenen Alters, und sein Schopf weißen Haars verlieh ihm ein herrisches Aussehen — eine Tatsache, die Ngen, verglich er damit seine mittelgroße Erscheinung, die schwärzliche Haut und das breite, platte Gesicht, stets Mißmut bereitete. Trotz seiner begrenzten Phantasie und beschränkten Fähigkeiten sah Pika wie ein typisches würdevolles Staatsoberhaupt aus. Dagegen hatte Ngen, wie geschmackvoll er sich auch in teure, bunte Modekleidung hüllte, nie das Empfinden, die Nachwirkungen der vergangenen Realität seines Daseins als Waisenkind und Strichjunge am Raumhafen wirklich abgestreift zu haben. Er hob den Blick in Vitrs adlerhafte Gesichtszüge und hob die Schultern. »Wie unwahrscheinlich es auch sein mag, aber wir können ja mitansehen, wie der Lauf der Dinge sich für uns als vorteilhaft erweist. Die restlichen Konservativen stehen vor dem Zerfall. Der Romananerskandal spült den Rückhalt des Direktorats fort wie das
Meer Sand von einem Strand.« Das gewaltige Holo zeigte den couragierten Oberst Damen Ree, wie er Maya ben Achmad anblickte. »Wir sind viel zu prächtige Leute für diesen Robinson, ist Ihnen das eigentlich klar?« Rees Stimme hallte durch die Straßen, in denen es von Menschen wimmelte. Jubel schwoll an, unterstrich die Bemerkung. »Ausblenden!« befahl Ngen. Das Holo flimmerte und erlosch, und statt der Aufzeichnung erschien Ngens Abbild. »Sie haben es gehört und gesehen, Mitbürger.« Ngens holografierte Augen schweiften über die Menge. Hervorragend, wie die Kamera seinen teilnahmsvollen, sympathischen Blick wiedergab! Damit nahm er die Massen jedesmal für sich ein. »Wir sind nicht allein! Gewiß, das Direktorat hat uns drei Jahrhunderte des Friedens beschert. Aber heute hält es uns in einem Gefängnis der Stagnation in Ketten. Gemeinsam haben wir den Sirius vereint und ihn zu einem neuen Leuchtfeuer der gesamten Menschheit erhoben.« Ngens Stimme dröhnte über das Publikum hinweg, seinem Bild galt die ungeteilte Beachtung aller, während er Revolution zu predigen begann. Wieder erscholl mit wachsender Lautstärke Beifall, mündete in einen Sprechchor. »Ngen! Ngen! Ngen!« Die Rufe brandeten immer frenetischer auf, bis sie aus jeder der Kehlen unten in den Straßen drangen. »Ich weiß nicht, wie sie das schaffen«, sagte Pika leise, schüttelte den Kopf, während er nachdenklich die Massen der Zuschauer beobachtete. Während seine Stimme aus den Lautsprechern tönte, hob Ngen eine Schulter und seufzte. »Ich verbringe viel Zeit vorm Recorder, Bürger. Außerdem sind meine Erfahrungen in der Bürgernähe des Raumhafens mir eine Hilfe. Dort habe ich gelernt, den Leuten aus dem Herzen zu sprechen, ihr Bedürfnis zu wecken, an etwas zu glauben.«
»Sie sind ein kleiner Popoldi gewesen«, konstatierte Leona patzig. Ngen verzichtete auf eine sofortige Abfuhr. Indem er sich zur Ruhe zwang, erwiderte er den abweisenden Blick ihrer grünen Augen. »Genau das ist jeder Politiker, Leona. Ein Mensch, der für alles hinhalten muß, um den Mob wohlwollend zu stimmen und zu überzeugen, ein scharfsinniger, redegewandter Lügner.« Und irgendwann in nächster Zeit, mein idealistisches Alabasterschätzchen, werde ich mir dich nehmen ... dich so klein machen, daß du unter jede Tür paßt... dich in meinen Armen spüren und dich winseln hören. »Erster Bürger?« rief Giorj Hambrei in unsicherem Tonfall aus dem Hintergrund. »Entschuldigung.« Ngen verneigte sich knapp, sah die Herausforderung in Leonas nachdenklichem Blick. Er ging zu Giorj, ließ sich von seinem blaßgesichtigen Handlanger zur Seite ziehen. »Ja?« Der bleiche Ingenieur hob den fahlen Blick. »Ich habe eine Neuigkeit. Soeben hat das Direktorat einen Bündnisabschluß mit den Romananern bekanntgegeben. Die Patrouille und die Barbaren wollen mit vereinten Kräften gegen uns vorgehen ... Sie kommen, um unsere Erhebung zu ersticken.« Ungläubig blinzelte Ngen ihn an. »Ein Bündnis? Nein, das ist... unmöglich!« In Giorj s Augen ließ sich erkennen, daß er die Wahrheit gesprochen hatte. »Na schön«, fügte Ngen gelassen hinzu. »Ich baue darauf, daß wir mit der Situation fertigwerden.« Es mußten neue Voraussetzungen geschaffen werden. Es galt den Helden Damen Ree anzuschwärzen. Da eine unauffällige Manipulation, eine Fehlinformation dort... und schau an!, schon standen die Romananer als Verräter am Sirius und der Revolution da.
Giroj nickte. »Sie werden Zeit brauchen, bis sie hier sind. Ich schätze, uns bleibt eine Frist von zwischen sechs und neun Monaten. Bis dahin wird der Umbau der erbeuteten Raumschiffe beendet sein.« »Lassen Sie mich nicht im Stich, Giorj.« Ngen betastete sein Kinn, kaute auf der Unterlippe. Die Romananer und die Patrouille? Verbündete? Was mochte das bedeuten? Eine andere Behauptung beunruhigender Art, die gegenwärtig kursierte, betraf die angebliche Fähigkeit der romananischen Schamanen, die Zukunft zu erkennen. Was hatte es mit diesem Humbug um vorgebliches Hellsehen auf sich? »Eine Nachricht von meiner Mutter ist eingetroffen, Erster Bürger. Ihre Behandlung verläuft sehr zufriedenstellend.« Giroj neigte den Kopf. »Meine Sachen sind gepackt. Ihre Privatjacht ist startbereit, und ich werde in der Sache, die wir diskutiert haben, unverzüglich nach Frontier fliegen.« Er wandte sich ab und entfernte sich. »Ja«, raunte Ngen in kaum hörbarem Selbstgespräch. »Du weißt, wem du die Treue zu halten hast, was, Giorj? Leiste erfolgreiche Arbeit, guter Mann.« Er atmete tief ein, füllte seine Lungen mit Luft, drehte sich um und betrachtete die Rücken seiner Kampfgefährten. Danach werde ich schnell handeln müssen. Wenn die Patrouille kommt, muß der Sirius mein sein — mit Herz, Leib und Seele. Und was die Patrouille angeht... Nun, wir werden eine kleine Überraschung für sie bereithalten, nicht wahr?
2 Susan rannte durchs dunkle Dorf, sah Männer und Frauen ihren Weg durch die Straßen gehen, ihre Behausungen aufsuchen, um sich zu Bett zu legen. Die Schlacht war vorbei, die Frage beantwortet: Das Volk durfte überleben. In ihrem Trübsinn bemerkte Susan weder die allgemeine Erleichterung, noch den frohen Klang der Stimmen. Geduckt huschte sie durch einen Corral, redete leise auf die Pferde ein, um sie zu beruhigen. Sie schlich zur Futterkrippe und kletterte auf das Stroh. Einen Moment lang verschnaufte sie, kauerte benommen da, nagte am Knöchel ihres Daumens. Gereizt schob sie die Hand tief unter die Decke. Die Sternenmenschen hatten Frauen, die Befehle gaben — wie Kriegshäuptlinge. Sie wußte, daß sie weibliche Krieger hatten. Aber Frauen, die befehligten? Ihr war klar, daß sie nach Hause zurückkehren müßte. Sicherlich wartete Onkel Ramon dort schon auf sie ... Um sie zu prügeln, ja. Anschließend würden Tante Maria und die anderen sich über ihr absonderliches Verhalten lustig machen. Susan schloß die Lider und lehnte sich ins Heu, achtete darauf, sich nicht etwa an womöglich dazwischen verstecktem Degengras zu stechen. Die Schläge waren nicht so schlimm. Ramon Luis Andojar ließ sich nur selten dazu hinreißen, ihr wirklich wehzutun. Körperlicher Schmerz verging. Unter dem Spott dagegen litt sie dauerhaft. Die Äußerungen ihrer Tante schnitten ihr wie ein Messer in die Seele. Und wenn Maria fertig war, verhöhnten die anderen Verwandten Susan noch tagelang. Anschließend sprach sich alles herum, wie
es sich in der Siedelei nun einmal verhielt. Auf der Straße schauten die Leute, die davon erfahren hatten, daß die eigene Familie sie wieder einmal ausschimpfte, sie belustigt an. Bereits bei der bloßen Vorstellung wünschte Susan sich beinahe, von den Santos entführt zu werden. Sie brauchte ja nichts anderes als Vergewaltigung und Sklaverei zu erdulden — ein Los, das sich von ihrer hiesigen Zukunft nicht unterschied. Die Sternenmenschen haben weibliche Kriegshäuptlinge. Dieser Gedanke besänftigte ihren erschöpften Körper und Geist und lullte sie in den Schlaf. Die Morgensonne weckte sie nicht aus ihrem Schlummer unter der Decke, doch ein durchdringendes Pfeifen schreckte sie so schlagartig hoch, daß sie sich den Kopf an einem niedrigen Querbalken stieß. Sie brummte mißgelaunt und zog sich die Decke vom zerzausten Haar. Sie blinzelte, lenkte ihren Blick über die Pferche hinaus, versuchte Heu aus der Decke und ihrer Kalbslederkleidung zu zupfen. Ein schmaler, weißer ST schwebte herab, senkte sich langsam neben dem Wrack der Nikolai Romanan auf den Erdboden — dem Transportraumschiff der Sobjets, das ihre Ahnen vor Jahrhunderten erobert und zu dieser Welt gesteuert hatten. Nach diesem Raumschiff hatten die Sternenmenschen ihr Volk Romananer genannt. Männer und Frauen eilten zum Dorfplatz, schwatzten unterwegs aufgeregt durcheinander. ST waren noch immer eine Sehenswürdigkeit — und dieser Flugapparat kehrte gerade aus der Schlacht zurück. Susan schloß sich der Menschenmenge an, die zusammenlief, blieb jedoch am Rande und hoffte, daß sie nicht auffiel; sie fürchtete sich davor, ihrem Onkel oder jemandem vom Rest ihrer Familie zu begegnen. Der inzwischen geläufige Anblick, wie die Rampen auf den Boden rumsten, flößte Susan ein seltsames Gefühl der Sehnsucht ein. Bei den Sternenmenschen lebten die Frauen als Gleichrangige. Sie hatte die Geschichten um
Rotschopf Viele Coups gehört, die Ster-nenkriegerin, die Coups an ihrem Gürtel trug. Dem Erzählen zufolge sollte sie fünf Gegner in einem einzigen Kampf getötet haben — eine Großtat, die sonst nur John Smith Eisenauge zuzutrauen gewesen wäre. Erst strömten die Patrouillensoldaten in glänzendweißer Panzerkleidung die große Sturmrampe herunter, die Blaster in der Armbeuge. Susan hörte Keuchen aus der Menge, reckte den Hals, spähte in die Richtung, in die zahlreiche Finger deuteten. Sie schlug sich eine Hand auf den Mund, als sie sah, was die Aufregung verursachte. Die Patrouillensoldaten hatten Spinnenbilder und SantosKreuze auf ihre Panzerkleidung gemalt. Und ja, es befanden sich Frauen dabei! Susan erstieg einen Karren, um besser sehen zu können. Hinter ihr erstreckte sich das Gewirr der Siedelei, unregelmäßige Ansammlungen von mit Lederhäuten gedeckten Runddächern, aus deren Abzugslöchern Rauch emporkräuselte. Im warmen Sonnenschein des neuen Tages lagen die braunen Höcker der Hütten nach allen Seiten rings um den grauen Rumpf der Nikolai Ro-manan ausgebreitet. Vor Eingängen standen Pferde angebunden, und aus Pfosten und Balken von Säulen-pflanzenholz erbaute Pferdecorrals verliefen in unordentlichen Reihen bis hinaus zu den Viehherden, die im üppigen Grasland der Umgebung weideten. Ein Ausruf lenkte sie ab, und sie drehte den Kopf, sah nun Krieger die Rampe herabkommen. Ihre romananische Lederbekleidung stand in krassem Kontrast zum Strahlendweiß der Patrouillensoldaten, doch dafür boten die romananischen Krieger ein farbenprächtigeres Schauspiel. Die vordersten Zuschauer schraken zurück, sobald sie erkannten, daß sich unter den eigenen Kriegern auch Santoskrieger befanden, und ein Murmeln lief durch die Menschenmenge. Hier traten zum erstenmal Santos und
Spinnenkrieger als Brüder auf, hatten sich gegenseitig die Arme über die Schultern gelegt, während sie lauthals zum blauen Himmel hinaufjohlten und -schrien. Sie sangen Medizinlieder und hoben schwere Gewehre in die Höhe, manche feuerten — ein altüberliefertes Zeichen des Sieges — einige Schüsse in die Luft ab. Übermütige Ausgelassenheit befiel den Menschenauflauf, während darüber ein zweiter ST vom Himmel abwärtsschwebte, unweit von Susans Standort landete, auf die dichtgedrängten Gaffer eine Staubwolke, heiße Luft und einen fremdartigen Geruch fauchte. Weitere ST kreisten am Himmel, man hörte ihr Pfeifen, während sie geeignete Landeplätze suchten. Das helle Weiß der ST ergab einen augenfälligen Gegensatz zum düsteren, rostigen Rumpf der Nikolai Romanan; Susan empfand ihn als symbolischen Vergleich des Lebens der Sternenmenschen mit ihrem Dasein. Sie nahmen ihr regelrecht den Atem, so erregend glanzvoll und herrlich war das Neue, das sie verkörperten. Sie fragte sich, auf welche Weise die Sternenmenschen wohl heiraten mochten, da sah sie inmitten der Volksmenge den schiefen, mit weichem Leder umhüllten Kopf ihres Onkels. Als Jugendlichem war bei ihm einmal halb der Coup genommen worden. Aber schließlich hatte er den Santos getötet, von dem ihm diese Schmach zugefügt worden war, und dadurch seine Ehre zurückerlangt. Die Sturmrampe des zweiten ST wurde geöffnet, und noch mehr Patrouillensoldaten und Krieger kamen zum Vorschein. Zuletzt schubsten Soldaten in Panzerkleidung und mit schußbereiten Blastern einen hochgewachsenen Santos ins Freie. Wahrscheinlich war er der größte Mann, den Susan je gesehen hatte. Er verzog das Gesicht zu einer gehässigen Fratze und spie in den Dreck. Seine harten Augen musterten die plötzlich auffällig ruhig gewordenen Umstehenden voller Verachtung. Lediglich leise Gespräche von Person zu Person wurden noch geführt.
»Das ist Großer Mann«, hörte Susan eine Stimme ehrfürchtig sagen. »Er hat das Volk verraten — seins, unseres und den Projektil-Stamm.« Noch einmal blickte sie zu Großer Mann hinüber, der die Leute boshaft anfeixte. Selbst aus der Entfernung spürte sie an ihm etwas, das ihr ein Schaudern über den Rücken jagte. »John Smith Eisenauge hat ihm Messerfehde geschworen«, erklärte jemand mit unterdrückter Stimme. Noch eine Gestalt trat aus dem ST. Sonnenlicht schimmerte auf schulterlangem, rotem Haar. »Rotschopf Viele Coups!« ertönte ein Ruf aus der Menge. Rotschopf Viele Coups blieb, die Hände in die Hüften gestemmt, am Fuß der Rampe stehen, erwiderte die vielen Blicke. Die romananische Lederkleidung verbarg die Rundungen der sportlichen Frau kaum. Sie stellte sich der Aufmerksamkeit der Menschen, auf ihren Schultern lastete Bürde wie ein schwerer, dunkler Mantel. Ihre grünen Augen hielten dank der Kraft einer festen, inneren Entschiedenheit allen Blicken stand. Am Gürtel um ihre Taille glänzte im Sonnenschein Menschenhaar und verlieh ihr den Rang einer wahren Kriegerin. Susan strengte die Augen an, um sie genau zu betrachten. Sie war Wirklichkeit. Es stimmte! Sie zwang ihre ausgedörrte Kehle zum Schlucken. Für einen Moment schwelgte sie in Phantasien, malte sich aus, wie sie frei durch die Ebenen ritt, ein Gewehr in der Hand, Ausschau nach Santoskriegern und ihren wertvollen Pferdeherden hielt. Eine grobe Hand umklammerte ihren Fußknöchel. Erschrocken schaute sie hinab und ins von Zorn verzerrte Gesicht ihres Onkels. »Da bist du ja, Bankert meiner Schwester«, knurrte er. »Geh sofort heim! Deine Tante braucht dich. Heute nachmittag haben wir Roter Falke Pferdefänger zu bewirten.« Kritisch beäugte er sie. »Im Heu geschlafen, hä? Bei Spinne, ich hoffe, du
warst allein! Du bringst uns genug in Verlegenheit, auch ohne daß in unserer Familie noch ‘n Bankert geboren wird.« Susan fühlte, wie sie vom Wagen gerissen wurde und mit dem Hintern in den Matsch plumpste. Jemand lachte, während sie ihren Onkel böse anstarrte. »Also, gehst du nun?!« schnauzte Ramon Luis Ando-jar hämisch. »Nichtsnutziges Kind ...« Er streckte den neugierigen Augen etlicher Zuschauer die Hände entgegen. »Nur weil ich meine Schwester geliebt habe, bin ich so nachsichtig mit ihr ... Was kann ‘n alter Krieger denn gegen die heutige Jugend ausrichten, hä?« Weiteres Gelächter erfüllte Susans Ohren mit Schande. »Beim Sternenvolk werden Frauen anders behandelt ...!« Entsetzt bedeckte Susan ihren Mund mit der Hand. Zu spät. Ein junges Mädchen widersprach den Eltern niemals! Ramons Gesicht zuckte, seine Augen wurden absonderlich glasig. Er zog die braunen Lippen zurück und bleckte abgebrochene, gelbe Zähne. Der Hieb kam schnell, aber Susan konnte ausweichen. Ramon trat nach ihr, doch sie schaffte es knapp, zur Seite zu hüpfen. Aufgrund ihrer Beweglichkeit geriet der Alte aus dem Gleichgewicht und taumelte gegen den Karren, stieß sich den Ellbogen und fluchte laut. Immer mehr Leute fingen zu lachen an. Susan versuchte wegzulaufen, aber Ramon Andojars Finger grapschten zu und klammerten sich in den Saum ihres Kleids, so daß sie der Länge nach hinstürzte. Sie wälzte sich beiseite und sprang auf die Füße, war jedoch von der Menschenmenge eingekeilt. Ramon Luis Andojar trieb sie in die Enge. »Verfluchtes Weibsstück!« schrie er sie an. »Ich breche dir alle Knochen im Leib! Was hast du da über Sternenmenschen geschwätzt? Du willst wohl wie sie sein, hä? Der Clan deiner Mutter ist dir nicht mehr gut genug, was?«
»Sie prügeln ihre Frauen nicht!« zischte Susan, sich darüber im klaren, er beabsichtigte sie diesmal so zu verdreschen, daß es weh tat, aber es war ihr gleichgültig. Die Umstehenden grölten, stachelten Ramons wilde Wut zusätzlich an. »Wenn du mich noch einmal schlägst, werde ich ... werde ich ...!« hörte Susan sich schreien. »Ist das der Dank, den du deinem Clan schuldest?« wollte Ramon wissen. Dieses Mal war sie zu langsam, als sie sich duckte. Seine Faust traf sie gegen die Kante des Wangenknochens und brachte sie ins Torkeln. Sie versuchte sich zu wehren, trat und kratzte, überschüttete seinen massigen Körper mit wirkungslosen Fausthieben. Ein wuchtiger Schlag traf sie unters Kinn und raubte ihr beinahe die Besinnung. Unversehens flackerte Helligkeit im Hintergrund ihrer Augen. Sie sackte zusammen, ihr schwindelte. Ihre Finger krallten sich ins Erdreich, während sie sich bemühte, sich aufzuraffen. »Du Abschaum!« Nicht einmal das Gebrüll ihres Onkels konnte sie noch richtig hören. Er versetzte ihr einen Tritt in die Rippen, Schmerz durchstach ihren Leib. »Du bist verflucht, Susan Smith Andojar! Kein Clan will dich haben. Kein Mann will dich. Du sagst, es paßt dir nicht mehr, in meinem Haus zu leben? Von mir aus, mir soll’s recht sein! Vor diesen Zeugen werfe ich dich hinaus! Hinaus! Hast du verstanden? Mein Clan kennt deinen Namen nicht mehr.« Sein Speichel klatschte ihr mitten ins Gesicht. Sie spürte rauhe Hände an der Rückseite ihres Kleids, als er sie hochriß. Er gab ihr eine Reihe von Ohrfeigen. Das Brennen ihrer Wangen holte sie weitgehend ins Bewußtsein zurück. Susan zwinkerte in seine rot umränderten Augen. Ramons geballte Faust warf ihr den Kopf nach hinten, rief in ihrem Gehirn etwas ähnliches wie Wetterleuchten
hervor. Ihr Schädel wumste mit hohlem Klang gegen ein Wagenrad. Sie wimmerte, keuchte vor Schmerz, versuchte etwas zu sehen. »Schluß!« Die Stimme bezeugte Autorität. Verzweifelt blinzelte Susan, bot alle Mühe auf, um ihren Onkel zu erkennen. Er hatte die Augen weit aufgesperrt. Die Faust hatte er sinken lassen. Susan kauerte schlaff auf dem Erdboden. Entschlossen rappelte sie sich hoch, wischte sich das Blut vom Gesicht, das ihr aus der Nase sickerte, nicht zu rinnen aufhören wollte. Als sie erneut auf Ramon loszugehen versuchte, stieß er sie von sich. »Schluß, habe ich gesagt!« erklang die Stimme nochmals. »Bring sie nach Hause, Alter«, befahl sie. »Wie ist dein Name?« Sie hatte einen grimmigen Tonfall. »Ra-Ramon Luis Andojar.« »Sieh zu, daß sich jemand um sie kümmert. Wenn du sie noch mal anpackst, kriegst du’s mit mir zu tun.« Es war eine Frauenstimme. Sie sprach mit leichtem Akzent. Susan blickte auf, verkniff im grellen Sonnenlicht die Augen. Sie konnte das Gesicht nicht unterscheiden. Die Sonne umschillerte es mit rötlichen Strahlen. Susan senkte den Blick und sah am Gürtel der Frau etliche Coups aufgereiht hängen. Wieder versuchte sie sich auf das Gesicht zu konzentrieren. »Du weißt, wer ich bin?« fragte die Frau mit fester Stimme. Langsam nickte Ramon. Als sich ihre Sicht klärte, warf Susan ihrem Onkel einen trotzigen Blick zu, bevor sie ihre Retterin anschaute. Sie sah in grüne, gebieterische Augen, in denen nun ein Ausdruck von Grimm stand. Und von ... Schmerz? Waren sie getrübt von Trauer und Leid? »Gut.« Rotschopf Viele Coups straffte sich. »Achte darauf, daß du meine Wünsche befolgst.« Auf dem Absatz wandte die Sternenkriegerin sich ab und stapfte davon,
während Leute ihr hastig aus dem Weg wichen, ein Tuscheln ging durch die Menge. Wackelig erhob sich Susan, ihre Nase schien zu glühen, und sie spürte immer noch warmes Blut herausfließen. Ramon Luis Andojar stützte sich am Karren, schnaufte schwer und tupfte sich verdrossen das Gesicht ab. »Sie haben kein Recht«, murrte er halblaut, »sich in unsere Angelegenheiten einzumischen.« Die Menge begann sich zu zerstreuen. Ramon betrachtete Susan mit Abneigung und Wut in der faltigen Miene. »Geh heim! Wir müssen heute nachmittag Pferdefänger bewirten. Mach dich ausnahmsweise mal nützlich. Ich bezweifle, daß er dich nach diesem Vorfall noch heiraten wird ... geschweige denn, mir Pferde für dich gibt.« Er schubste sie roh vorwärts, und Susan wankte los. Fortgesetzt tupfte sie sich die Nase ab, während sie da-hintaumelte, ohne sich um das Blut zu scheren, das in ihrem Gesicht und auf der Kleidung gerann. An den neugierigen Blicken störte sie sich kaum. Schon das Betreten der Hütte verursachte ihr am Ansatz ihrer Kehle ein Gefühl der Beengung. Dicke Säu-lenpflanzenpfosten, herunterbefördert aus den Bergen, stützten ein Dach aus aufgespannten Lederhäuten und Erde. Die etwa zehn Meter lange und teils in den Untergrund gebuddelte Behausung bot Schutz gegen den eisigen Winterwind — und war im übrigen bestenfalls ein elendes Gefängnis. Gebückt trat Susan ein, zwinkerte ins dunkle Innere. Die gedämpfte Unterhaltung verstummte. Licht drang nur durch den Eingang und den Rauchabzug herein. Wortlos zog sich Susan auf den schmutzigen Haufen Häute zurück, der ihre Schlafstelle abgab. Sie wußte, daß die gesamte Familie sie beobachtete. Man mußte bereits von dem Zwischenfall erfahren haben. Aus dem strengen Gesicht der Tante und den Mienen der anderen Kinder, die alle, Rabe ausgenommen, jünger als Susan waren, sprach zor-
nige Verurteilung. Rabe war mittlerweile Krieger und würde sich später einfinden, sofort in üble Laune geraten, sobald er hörte, was seinem Vater passiert war, in den Augen ein Funkeln bekommen. Sie senkte den Kopf, beugte sich vor, um das Blut aus dem Gesicht zu waschen. Niemand sagte etwas, während sie sich in ihrem kleinen, eckigen Bruchstück eines Spiegels ansah. Die Beschichtung auf der Rückseite des Spiegels, dem Produkt einer anderen Welt und der fernen Vergangenheit, war stellenweise abgeblättert, so daß das Glas nun Flecken hatte. Als wäre es ein Spiegel ihres Lebens. Ein hageres Gesicht mit zermürbtem Ausdruck schaute sie aus der schäbigen Spiegelscherbe an. Das schwarze Haar war verfilzt. Ihre gerade Nase war geschwollen. Auch an den festen Umrissen ihres Kinns bildete sich eine beulenartige Schwellung. Die Jungs hatten sie immer als schön bezeichnet. Sie bewunderten ihren Körper, flüsterten hinter vorgehaltener Hand über ihre straffen Brüste, die Rundlichkeit ihrer Hüften und die Art, wie sie die langen Beine bewegte. Jeder hätte sie nur zu gern einmal für eine Nacht gehabt — so waren Männer eben —, doch keiner hatte Lust, sie zur Ehefrau zu nehmen. »Zu unbändig«, sagten sie. »Zu eigenwillig. Kein Weib für einen Krieger.« Nachdem sie sich gereinigt und gekämmt hatte, ging sie mit der verbeulten Metallschüssel vor die Tür und schüttete das blutige Wasser auf die Straße. Sie nahm ein Messer, schnitt Steaks aus der Rinderkeule, die in einem schattigen Winkel der Hütte hing, und fing sie zuzubereiten an, fühlte bei allem, was sie tat, Blicke auf sich ruhen, Sie hörte die Verwandten leise darüber reden, wie Ramon sie verstoßen und Rotschopf Viele Coups ihn zum Einlenken gezwungen hatte. Innerlich machte sie sich auf schlimme Folgen gefaßt. Es wäre besser gewesen, die Sternenfrau hätte sie als Bettlerin auf der Straße weiterleben lassen, statt Ramon zum Zurücknehmen seiner
Entscheidung zu nötigen und ihm dadurch um so mehr Schande zuzufügen. Nun brütete Haß in der Stickigkeit der Hütte. Susan schaute zu, wie die Flammen das Fleisch umzüngelten, während sie das Blattgemüse schnipselte, das sie tags zuvor, beim Hüten der Rinder und Schafe, gesammelt hatte. Sobald sie sah, daß das Grünzeug richtig köchelte, entrollte sie eine Haut, fing die mühsame Arbeit an, sie gekrümmten Rückens sauberzuscha-ben, während das Fleisch garte. Ich kann unmöglich bleiben. Eines Tages wird Ramon mich umbringen ... oder Rabe. Hier kann ich nicht leben. Ich bin eine Sklavin. Hinter ihr ging das Flüstern weiter. Aber wohin könnte sie gehen? Wo ließe sich eine Zuflucht finden? Welchen Ausweg gab es? Niemand nähme sie bei sich auf. Zu viele Leute dachten wie Ramon Luis Andojar. In jüngeren Jahren war er ein hervorragender Krieger gewesen. Nach der Denkweise und den Ansichten des Volkes lag der Fehler auf ihrer Seite. Sie war in die Familie aufgenommen, ernährt, bekleidet, gewärmt und beschützt worden. Und heute lieferte sie dem Haus und dem Clan Grund zur Scham. Susan stapelte das gebratene Fleisch neben dem Feuer, wo es warm blieb, beschäftigte sich in Gedanken mit ihrem Problem. Der Weg in die Berge stand ihr jederzeit offen. Der Frühling war da. Von Melonennußsträuchern könnte sie sich ausreichend ernähren ... Falls kein Bär sie erwischte. Bei dieser Vorstellung gruselte es ihr. Bei diesen riesigen, einheimischen Raubtieren handelte es sich um doppelschwänzige, drachenartige Geschöpfe, die ihre Beute mit Saugnäpfen ergriffen. Bestand die Möglichkeit, daß sie einen der kleineren Stämme ausfindig machte, die sich von den Santos und dem Spinnenvolk abgespalten hatten? Würde man ihr vielleicht dort Unterschlupf und Schutz gewähren? Welche andere Wahl hatte sie?
Rotschopf Viele Coups? Ob die Sternenfrau sie bei sich duldete? Ohne jeden Coup? Ein Mädchen ohne Familie oder Clan? Nein, keine große Kriegerin würde sie bei sich haben mögen. Sie hatte Schande über ihren Clan gebracht. »Haltet euch bereit«, rief Ramon von draußen herein. »Willy Roter Falke Pferdefänger ist da.« Susan schluckte, entfernte sich zu ihrer Bettstatt im Hintergrund der Hütte, versuchte sich klein und unauffällig zu machen. * * * »Schadenskontrollzentrale, erbitte möglichst umgehend Zustandsmeldung«, befahl Damen Ree, massierte sich das Gesicht, während die letzten ST ablegten — mit zahlreichen Romananern an Bord — und Kurs auf die Planetenoberfläche nahmen. Nach der Verringerung der Mannschaftsstärke und den erlittenen Verlusten würden die Reparaturarbeiten auf der Projektil nun für länger jede volle Tagschicht beanspruchen. Strengen Blicks betrachtete Ree den Bildschirm, der die mehrere Hundert Kilometer entfernte Viktoria und ihr beschädigtes Schwesterschiff Bruderschaft zeigte. Geschichte war gemacht worden. Patrouillenkriegsschiffe hatten aufeinander geschossen. Das bedeutete das Ende einer Zivilisation. Wie viele tüchtige Männer und Frauen hatten wegen der Wasserköpfe das Leben verloren? Wieviel mußten noch sterben? »Wie soll es nun weitergehen?« überlegte Ree laut, vom Lauf der Ereignisse selbst verunsichert. Durch Reiben versuchte er die Durchblutung seiner Wangen anzuregen, während er in der Mattscheibe eines abgeschalteten Monitors das eigene Gesicht musterte. Ein Ausdruck von Zermürbung in den Augen ließ ihn verhärmt wirken, argwöhnisch und ... alt. »Tja, das bin wahrhaftig ich«, sagte er gedämpft, spürte die Erschöpfung, die er zu vielen hintereinander im
Kommandantensessel verbrachten Stunden verdankte. Wie lange war es her, daß er zuletzt geschlafen hatte? Wie viele Tage? Er zwinkerte sein Spiegelbild an, sah einen stämmig gebauten Mann von strammer Erscheinung und mit herben Gesichtszügen, deren breite Flächen eine knubbelige Nase umgaben. Sein Haar war sehr kurz geschnitten, so daß sein Quadratschädel auf den fleischigen Schultern einem knochigen Höcker ähnelte. Inzwischen wies das schwarze Haar silberne Strähnen auf, und die Jahre als Raumschiffskommandant hatten sich seiner Miene tief eingeprägt. »Ich bin der erste Oberst der Patrouille, der sich je gegen seine Vorgesetzten aufgebäumt hat.« Hinter seinen Augen plagte ihn das quälende Druckgefühl von anhaltendem Kopfschmerz. Ich benötige Schlaf. Das Kommunikationspersonal sprach unaufhörlich leise ins System, versah seine endlose Pflicht. Endlos? Seit der letzte Schuß gefallen war, hatte Ree zwei Schichtwechsel erlebt. Und vor dem Gefecht war in Doppelschichten gearbeitet worden. Ree schnaufte gereizt. »Anscheinend ist auch der Weg des Verrats kein leichter Weg.« Verrat? Ja, sie hatten die Grenze zum Verrat überschritten. Eine Ära war vorbei. Patrouille hatte auf Patrouille geschossen. »Fünfhundert Jahre Ehre — weggeblastert.« Geistesabwesend beobachtete er den Bildschirm, sah die Lichtpünktchen wandern, die die Bewegungen von Bugsierschleppern rings um die beiden anderen Raumschiffe anzeigten; er wußte, daß die Projektil von weitem genauso aussah. »Irgendwann wär’s sowieso passiert«, murmelte er zerstreut. »Wenn nicht ich, hätte irgendwann Maya oder Toby oder sonstwer einen Befehl erhalten, dessen Ausführung sich von selber verbot. Skor, du hast deine GravoAbsorber überlastet, als du mir befohlen hast, die Romananer zu vernichten. Das ist alles. Es hätte jeder sein
können. Verfall der menschlichen Zivilisation ... Und nun rebelliert obendrein der Sirius.« Er stieß ein Brummen bitterer Belustigung aus. »Das ist der Anfang vom Ende, Skor. Genau wie früher in den alten irdischen Imperien. Jetzt sind die Barbaren losgelassen. Der Zusammenbruch erfolgt von innen.« »Oberst?« Aus der Kommu drang Neal Iversons Stimme. »Hier«, antwortete Ree, aktivierte mental das Kontaktron, das wie eine goldene Krone auf seinen Kopf paßte. »Ich habe den Eindruck, ich kann Leutnant Sarsa nicht erreichen, Sir. Ich habe an sie einige Fragen zu den ...« »Sie ist unten auf dem Planeten, Neal.« Ree unterdrückte ein Gähnen, seine Augen fühlten sich an, als wären sie mit Sand gefüllt. Verrat war offenbar Schwerarbeit. »Äh ... Tja, dann werde ich versuchen, sie drunten zu erreichen. Vielleicht kann die ST-Kommu sie ...« »Lassen Sie’s sein, Neal.« Ree erhob sich aus dem Sessel, schaute sich auf der Kommandobrücke um, bemerkte rußgeschwärzte Wändsegmente, die er vorher nie anders als in makellosem Weiß gesehen hatte. »Eisenauge muß ‘n Messerduell mit Großer Mann austragen. Rita ist dabei als unsere Repräsentantin anwesend.« »Haben Sie ‘ne Ahnung, wann sie zurück sein wird, Sir?« Neals Stimme klang, als wäre er perplex. Verdammt! Spinne und das gesamte Drumherum machten sie alle perplex. »Nein.« Ree kratzte sich in den Stoppeln seines Dreitagebarts. »Und ich erwarte sie nicht allzu rasch zurück. Bei der Dekompression auf dem oberen Backbord-Geschützdeck ist Philip ums Leben gekommen.« Ree rieb sich den Nacken, das Spinnenbild, das Leeta Dobra an die Decke gemalt hatte, erregte seine Beachtung. »Viele sind umgekommen, Neal«, fügte er in ruhigem Ton hinzu. »Lassen Sie ihr Zeit zum Trauern.« Wir alle
brauchen Zeit zum Trauern. »Jawohl, Sir. Äh ... ich glaube, ich ... ich werde mich auch ohne sie zurechtfinden, Sir.« »Sie sind ‘n fähiger Mann, Neal. Ich bin vollständig der Überzeugung, daß Ihnen die Koordination der Reparaturarbeiten bestens gelingen wird. Falls Sie mich brauchen, melden Sie sich einfach noch mal.« »Tja, dann ...« Die Stimme, die aus der Kommu kam, klang nach Überraschung und Dankbarkeit. »Vielen Dank, Sir.« Die Verbindung wurde getrennt, und Ree hatte wieder seine Ruhe. Versonnen lachte er vor sich hin, dazu außerstande, den Blick von der auf die Deckenverkleidung gemalten Spinne zu wenden. Sein Schwermut kehrte zurück. »Ach, Leeta«, flüsterte er mit gepreßter Stimme. »Du warst für alle zu gut.« Ausgiebig besah er sich das Bild. Trotz der seelischen Belastung hatte Leeta eine einwandfrei proportionierte Spinne gezeichnet, als hätte in jenen Momenten äußerster Anspannung ein Künstler ihre Hand geführt. Von ihrer Hand war aus der Projektil ein Spinnenraumschiff geworden. »Zeit zum Trauern?« Kummervoll schüttelte er den Kopf. Er hatte am Monitor mitangesehen, wie ihr in Weiß gehüllter Leichnam zur Externalisationsluke hinauskatapultiert worden war; aus besonderem Respekt hatte man sie von den anderen Toten getrennt dem All übergeben. In Rees Herz klaffte Leere. Er schüttelte den Kopf. Im Zustand solcher Ausgelaugtheit, wenn Müdigkeit das Gemüt verdüsterte, sollte man nicht auch noch an tote Freunde denken. Dadurch verschlimmerte sich der Gram um so mehr; das Leid wurde beinahe zu einer körperlichen Beeinträchtigung. Ein Matrose schob einen Reinigungsapparat durch den Haupteingang herein, grüßte achtlos, während er die ioni-
sierungsstarken Bürsten und Saugstutzen einstellte. Der Mann wirkte erschöpft, so wie viele Besatzungsmitglieder, stolperte praktisch vor Mattigkeit. »Keine Minute, Oberst, und Sie können auf der Kommandobrücke wieder vom Fußboden essen.« Ree nickte; er wußte nicht, was er sonst hätte tun sollen. Anscheinend behielt das Kommunikationspersonal, obwohl es ebenso wie der Rest bloß aus übermüdeten Augen vor sich hinstierte, die Lage an Bord des Raumschiffs unter Kontrolle, koordinierte die Reparaturen, gewährleistete die Nachrichtenverbindungen. »Ich werde mir jetzt für ‘n paar Stündchen ‘n Nickerchen gönnen«, rief er zum Kommu-Apparat hinüber. »In Notfällen kann man mich aber wecken.« »Jawohl, Sir«, gab Anthony zur Bestätigung durch. »Angenehmen Schlaf, Sir.« Der Matrose drückte eine Taste, seine Maschine fing zu surren an; er begann die Saugstutzen über die rauchgeschwärzten Wandschränke und Monitoren zu lenken. »Wenn ich wiederkomme«, sagte Ree im Vorbeigehen zu dem jungen Mann, »will ich die Spinne da oben auf der Abdeckung noch vorfinden. Falls nicht, werden Sie ... Na, jedenfalls werden Sie’s bereuen, das dürfen Sie mir glauben.« Der Matrose schluckte, schaute zu der Spinne hinauf und nickte so energisch, daß der ganze Kerl ins Schlottern geriet. Die Korridore kamen Ree fremd vor, völlig anders, als er sie in Erinnerung hatte; doch schließlich hatte die Projektil inzwischen auch ihre Feuertaufe überstanden. Zum erstenmal in ihren dreihundertundfünfzig Dienstjahren hatte die Projektil Kampfschäden davongetragen. Aber das galt für alle. Für das Direktorat, die Patrouille; sie würden nie wieder dieselben sein ... Und am wenigsten konnte Damen Ree je wieder der alte sein. Im brandgeschädigten Abschnitt eines Korridors blieb
er stehen, Schmerz wühlte in seiner Seele, während er die geschwärzte Verkleidung, geschmolzenen Stahl und ein geborstenes Schott betrachtete. Er hatte die Wirkung, die der Anblick der Schäden auf ihn haben würde, weit unterschätzt. »Ach, Projektil«, seufzte er. »Wissen Sie, wir gäben ein gräßliches Liebespaar ab«, hörte er in seiner Erinnerung Leetas Stimme. Damen verharrte, preßte die Lider fest zusammen, stützte die Stirn gegen die beschädigten Abdeckplatten seines Raumschiffs. »Und ich habe gefragt, wieso«, sagte er zu dem kalten Graphitmetall, strich mit den schwieligen Fingern über die von der Hitze blasig gewordenen Platten, war im Schmerz eins mit dem Schiff. Er sah sie noch genau vor sich, wie sie ihn über den Rand des Glases angeschaut, gelassen arcturischen Wein getrunken hatte. Ihre blauen Augen waren nachdenklich gewesen, ihr Blick hatte ihn erforscht, ihn als genau den und das erkannt, wer und was er war. »Zuerst mal wäre ich nicht dazu imstande, Sie mit Ihrem Raumschiff zu teilen.« Damen saugte Luft in seine plötzlich wie fiebrigen Lungen, drosch die Handfläche auf das beulig gewordene Metall, blickte sich um. »Und dabei liebte sie schon die ganze Zeit Eisenauge.« Die Leere in seiner Brust wurde noch abgründiger. »Aber sie hat recht gehabt. Du hast für mich immer an erster Stelle gestanden. Ich habe mich schon vor langen Jahren so entschieden ... Tja, altes Mädchen, wir haben’s denen doch noch gezeigt, was? Obwohl wir weniger Geschütze hatten. Obwohl zwei gegen einen standen und wir nicht manövrieren konnten.« Zärtlich streichelte er das Metall. »Trotz allem haben wir den Planeten gerettet, bestes aller Schiffe.« Und Leetas verkohlter Leichnam trudelte nun erkaltet durchs Vakuum, ihr scharfer Geist war in der Schädelhöhle ihres hübschen Kopfs verschmort. Innerhalb von zwei Tagen mußte sie in die Atmosphäre stürzen. Ree
hatte es eigens für sie so vorherberechnet, damit ihre Asche sich über den Planeten verteilte, für den sie ein Komplott, sie Pläne geschmiedet hatte, um ihn zu retten. Das war ein Ende, wie sie es verdiente. Schwach lächelte Damen Ree, spürte das Raumschiff unter seinen Füßen beben. »Tja, Projektil, ich habe vor Leeta Dobra geschworen, daß ich dich niemandem überlassen wollte ... daß Skor Robinson dich mir nie wegnehmen könnte.« Er schwieg, ein tiefes Runzeln furchte seine Stirn. Er spitzte die Lippen. »Ich werde mein Wort halten.« Während er den leeren Korridor hinauf- und hinabspähte, drückte er rasch den Handteller auf einen Stahlzacken, riß sich daran die Haut der Hand auf. Sorgsam verrieb er das Blut auf dem Metall. »So, altes Mädchen. Ich setze voll und ganz auf uns zwei. Damit soll es besiegelt sein. Hier und jetzt verspreche ich dir, daß dich mir niemals irgend jemand wegnehmen wird.« Er zwinkerte den Wänden des Korridors zu, die ihn umgaben, und auf einmal war ihm, als würde eine schwere Last von seiner müden Seele gehoben. »Zahlenmäßig und an Feuerkraft unterlegen«, betonte er nochmals, schritt in seinem typischen, breitbeinigen Raumfahrergang den Korridor entlang. »Und trotzdem haben wir sie geschlagen.« In seiner Kajüte fand er nur einige wenige Stündchen Schlaf, ehe ein Traum von Leetas verkohlter Leiche ihn aufschreckte. Kalter Schweiß verursachte ihm ein Frösteln, als er den Kopf in die Hände senkte, in die Stille seiner Unterkunft blinzelte. Mühsam schluckte er. »Verflucht noch mal...!« Wie ein Verdammter streifte er die vom Gefecht schmutzige Uniform über den schlappen Körper und öffnete am Servomaten per Handflächenabtastung die Tür; der Dienst, wußte er, konnte seine Gedanken von Leeta Dobra ablenken.
3 Die schwere Stahlplatte mochte dick sein, doch indem der Luftdruck stieg, fing sie trotzdem zu knarren an. Unteroffizier Hans Yeager zuckte zusammen, lenkte die Scheinwerfer seines Schutzanzugs auf die Sicherheitsleine, um sie nochmals zu überprüfen. Dieser Abschnitt des Decks war schon einmal ausgefallen, als eine schlechte Schallschweißnaht platzte. Die Dekompression hatte Keech ins Vakuum geschleudert gehabt, wo er solange geblieben war, bis jemand zusätzliche Einsatzzeit zu seiner Bergung abgezweigt hatte. Hans checkte die Sensorkabel, die in den Holo-Betrachter führten. Die Anschlüsse waren in Ordnung. Die Darstellung auf dem kleinen Bildschirm wechselte unablässig, verschiedenerlei Farben kennzeichneten die erhöhte Belastung des Stahls. Hans ließ die Scheinwerferlichter über das neue Rumpfsegment wandern. Es machte einen recht guten Eindruck. Wie viele Stunden hatte er mittlerweile ohne Schlaf zugebracht? Erst hatte er die zerrüttungsintensive Anspannung des Gefechts durchstehen müssen, vor allem das Grauen der zerblasterten, vom Feuer der Viktoria getroffenen Decks. Er war dem Tod verflucht nahe gewesen, als ein direkter Treffer in seiner Sektion eine Dekompression hervorrief. Nur Glück — reines Glück — hatte sein Leben bewahrt, während es andere Besatzungsmitglieder in den violetten Tod hinausgerissen hatte. Danach waren praktisch nur noch Schadenbekämpfungsbefehle durchgekommen. Seitdem bestand der Dienst aus einer einzigen Hetzerei. Hans beobachtete den Monitor, er sah Mikroverände-
rungen im Stahl, lehnte sich an eine provisorische Stützstrebe des Rumpfs, geriet dabei ins Schweben. Es galt die Beleuchtung, die Temperaturregelung sowie die künstliche Schwerkraft wiederherzustellen, ehe der Reparaturtrupp der Kommu sich ans Beheben der Schäden im Leitungssystem machen konnte. Und anschließend mußten noch drei weitere Sektionen des Decks vollständig repariert werden. Er schloß während des Abwartens die Augen, sein Schutzanzug knisterte, als der Druck stieg. Er nahm einen tiefen Atemzug, seufzte, fühlte sich schweben ... »Wach auf«, brummte Breeze mürrisch. Ruckartig schlug Hans die Augen auf, zwinkerte benommen sein Meßinstrument an. »So wird’s halten«, stellte er fest, während er die Feldlinien der Spannungen besah, die den reparierten Abschnitt durchliefen. »Gut ist’s nicht, aber halten wird’s.« »Na schön. Naja, wenn wir hier drin erst mal wieder Luft haben, werden die Reparaturen schneller vorangehen.« Breeze öffnete seinen Raumhelm und kippte ihn sich vom verschwitzten Haar nach hinten. Rund um seinen Kopf wallte eine Wolke ausgeatmeter Luft ins Licht empor. Vor Mund und Nase kondensierte sein Atem. »Verdammt, ist das hier kalt.« Hans klappte ebenfalls den Helm auf, genoß die beißend-eisige Kälte. Er warf einen Blick auf die Kontrollanzeigen des Anzugs, bevor er über ein deformiertes Stück Maschinerie klomm und eine Kommu-Meßsonde ins System schob. Durch die erneuerte Innenluft erzeugter Frost glitzerte auf sämtlichen Flächen, während die wärmere Luft auf die tiefkalten Apparate und Verkleidungen stieß. »Kein Grund zur Sorge«, rief er. »Es sind bloß zehn Grad minus.« Sein schweißnasses Haar war inzwischen von der Kälte gefroren. Ihm begann die Nase zu laufen. »Das langt, wir machen die Anzüge lieber wieder zu.«
»Wie lang dauert’s noch, bis die Heizung läuft?« Breeze schnaufte, seine Anzugscheinwerfer durchflackerten die Schwärze, als er den Helm schloß. Hans las die Daten ab. »Ahm ... Ist gleich soweit.« Er entnahm seinem Werkzeugkasten den Leitungsdetektor, brach einen Teil des verformten Schotts ab. Plasma des Blasterfeuers hatte das Metall versengt und sogar die darunter befindlichen dicken Kabelstränge durch -trennt. »Wohl in zehn Minuten.« Geschickt fingen seine Hände die schwierige Arbeit des Wiederverbindens der zertrennten Drähte an. Ein Aufjuchzen hallte durch seinen Helm, als er den Leitungsstrang der Beleuchtung neu verband. Aber das Deck hell zu erleuchten bedeutete keine große Abhilfe — die Helligkeit enthüllte nur noch mehr Schäden. Hans richtete sich auf, bückte sich und berührte den Fußboden des Decks mit einem Sensor. Die Digitalanzeige flimmerte, langsam nahmen auf der Celsiusskala die Zahlen zu. Mit bedächtiger Vorsicht, weil die Schwere zurückkehrte, indem die Erzeugung künstlicher Gravitation auch in dieser Sektion wiederaufgenommen wurde, kniete er sich vor das nächste Kabelbündel. »Leg mal ‘ne Pause ein«, ordnete Breeze an. Hans ließ sich auf eine Kondensatorabdeckung sinken, während Breeze und einige Kameraden herübergeschlendert kamen. »Durch die Erwärmung des Metalls und die dadurch verursachte Ausdehnung«, sagte er trübselig, »kann vielleicht alles wieder auseinanderbrechen.« Matt nickte Breeze. »Ja sicher.« Zwei Romananer, die man daran erkannte, daß sie sich in den Raumanzügen noch recht unbeholfen bewegten, lenkten einen mit ausgebauten Abdeckplatten beladenen Antigrav-Transportwagen an zerschmolzenen Anlagen vorbei. Offenbar hatten sie die Reparatur der Beleuchtung abgewartet. Hans konnte es ihnen nicht verübeln. Durchs Dunkel zu stolpern und dabei soviel träge Masse antigra-
visch steuern zu sollen, grenzte an Selbstmord. »Romananer ... Wer hätte das gedacht.« Hans schüttelte den Kopf. »Vor ‘n paar Monaten haben wir noch auf sie geballert.« Er gähnte, hatte alle Mühe, zu verhindern, daß ihm vor Übermüdung der Kopf wackelte. »Hm-hn«, grunzte Breeze. »Ich hätte erwartet, daß du dich unten rumtreibst und eins ihrer Mädchen anmachst. Weißt du, so ‘ne Doofe, die sich bloß mit Kühen und so was auskennt und nicht merkt, daß du ...« »Ach, halt’sMaul!« Breeze grinste. »Tja nun, so eine hätt’s ja nicht gemerkt, daß du in bezug auf Weiber ‘n totaler Anfänger bist. Kann sein, so eine hätte ...« »Verflucht noch mal, Breeze!« Hans winkte ab. »Ich komme schon ohne deine Ratschläge klar.« »Und warum bist du dann rot wie ‘ne Tomate geworden, als wir dich an Maria verkuppeln wollten? Man hätte meinen sollen, du ...« »Halt die Klappe! Ich ... ich war bloß ... zu überrascht war ich, das war’s, sonst nix. Eben nur zu verdutzt.« Hans schluckte, das Gluckern in seiner Kehle gurgelte noch laut genug durch den Helmfunk, um Breeze ein Röhren der Erheiterung zu entlocken. »Schluß jetzt! Ich gehe wieder an die Arbeit.« Trotz seiner Ermüdung machte er mit dem Aufspüren von Kommu-Kabeln weiter, restaurierte nach und nach an zerblasterten Wänden und Schotts die interne Kommunikationsfähigkeit des Schlachtschiffs. Scheißkerle! Scheißkerle allesamt! Verdammt, das wird mir ewig anhängen. Jeder Mistsack auf diesem Deck kriegt eine Verabredung hin, nur ich nicht Na gut, von mir aus. Es ist eben nicht jeder für den Umgang mit Frauen geboren. Ich müßte irgendein Mädel finden, das ähnliche Schwierigkeiten mit Männern hat. Das vor mir soviel Angst hat, wie ich vor Frauen habe. Adrenalin schoß in seinen Kreislauf, möbelte ihn auf,
sobald er daran dachte, wie sämtliche Kameraden zugesehen hatten, als die üppig gekurvte Patrouillensoldatin Maria Sash sich eines Abends zu ihm in die Koje schwang. Noch jetzt lief Hans rot an, als er sich an seine aus Ratlosigkeit in panischer Hast ergriffene Flucht erinnerte. Heiliges Kanonenrohr! Wie sollte ein Mann nach so einem Erlebnis überhaupt je mit Frauen zurechtkommen können? Er war zum Dauerwitz des ganzen Raumschiffs geworden. Aber eines, befand er, stand fest, während er hinter einem neu verschweißten Wandsegment zügig Kommunikationskabel wieder zusammenspleißte: Diese geilen Schweine mochten ja im Bett abgebrühte Sexperten sein, aber wenn es auf Kommu-Reparaturen ankam, konnte keiner von ihnen Hans Yeager irgend etwas vormachen. *
*
*
Die Ankunft Willy Roter Falke Pferdefängers ging mit lautstarken Begrüßungen, gewaltigen Umarmungen und hemmungslosem Gelächter vonstatten. Herzhaft schlug er Ramon auf den Rücken und zog Tante Maria gutmütig auf. Die Augen in Pferdefängers schmalem Adlergesicht sahen alles, sie glitzerten, sobald er im Hintergrund Susan bemerkte. Er war groß und muskulös, die vier Coups, die er von Santos und anderem Räubergesindel errungen hatte, baumelten an seinem Kriegsrock. Von Kopf bis Fuß sah er wie ein Krieger aus, hatte breite Schultern, eine schmale Taille und krumme Reiterbeine. Er bewegte sich mit einer gewissen katzenhaften Geschmeidigkeit. Der Kriegsdolch an seinem Gürtel glänzte im Feuerschein. Auch in diesem Moment ließ sich in seinen Augen seine Gerissenheit und Grausamkeit erkennen. Während er mit Ramon sprach, bogen sich seine Mundwinkel zu einem leicht spöttischen
Ausdruck herab. Die hageren Umrisse seines Gesichts deuteten ein ständiges Schmunzeln an. Ich traue ihm nicht. Er würde Ramon jederzeit hintergehen. Er ist nicht eins mit Spinne ...Er ist anders, voller Habgier, er beschreitet den Weg der Ehre nur so lange, wie er ihm nutzt. Habsucht und Machtstreben sind seine einzigen Maßstäbe. Eher will ich sterben, als daß er mich bekommt. Ramon nahm seinen Pfeifenbeutel von der Wand. Sorgsam holte er mit den Fingern die lange, geschnitzte Pfeife aus dem weichen Lederbeutel, stopfte den Pfeifenkopf bedächtig mit Tabak. Mit ernster Miene begann Ramon die Siegesfestzeremonie. Leise sang er, während er die Pfeife entzündete und rauchte, sie schließlich Pferdefänger reichte; beide bliesen den Qualm zu Spinne empor. Nach den Gebeten und Liedern machte Pferdefänger sich dankbar über Fleisch und Gemüse her, die Maria ihm vorsetzte. Aus dem Schatten schaute Susan zu, wie er das Essen verschlang. Zum Schluß hob Pferdefänger den Blick und rülpste höflich, lächelte Maria zu, die — natürlich — für die Mahlzeit das gesamte Lob einstrich. »Du hattest also Streit mit Rotschopf Viele Coups?« Pferdefänger musterte Ramon nachdenklich, bevor er zu Susan hinüberblickte, die im Schatten kauerte und sich wünschte, unter die Erde kriechen und sich verstekken zu können. »Sie hat dir Schande bereitet, Ramon. Dein Wort ist für ungültig ...« »Verflucht soll sie sein!« brauste Ramon auf, zeigte unverhohlen seine ganze Erbitterung. »Es ist unrecht, Coups am Gürtel eines Weibs zu sehen. Sie müßte bloß ... bloß mal tüchtig durchgefickt werden, das würde ihr die Flausen austreiben. Irgendwann wird ‘n Mann wie du kommen und ihr den Arsch versohlen.« Gereizt lenkte er vom Thema ab. »Aber erzähl uns doch lieber von dem Kampf oben im Weltall.« Pferdefänger lachte. »Im Lager im Nabel habe ich versucht, ihr den Arsch zu verbleuen. Statt dessen hat sie
mich nach allen Regeln der Kunst verprügelt, alter Freund. Du darfst nicht erwarten, daß die Sternenfrauen so zahm wie unsere Weiber sind. Vielmehr ist’s so ... Na, sie sind wie die Männer des Raumschiffs. Manche sind Kriegsführer, so wie Rotschopf Viele Coups. Sie können dich ohne weiteres töten ...« — seine Stimme sank herab, und er verkniff die Augen — »... und zwar im Handumdrehen.« »Wie die Männer?« Ramon runzelte die Stirn, sein Blick streifte Susan. Dann lachte er schallend. »Sie stellen die Welt auf den Kopf? Werben sie um Männer, um sie zu heiraten? Ich kann nicht begreifen, wie so was ... Wer kocht denn bei ihnen? Und wer wird schwanger, hä? Das ist verkehrt, Krieger. Spinne hat nicht vorgesehen, daß Frauen wie Männer sein sollen. Sie sind da, um uns zu dienen. Nachts unsere Betten zu wärmen ...« »Kann sein, Ramon. Aber laß mich dir eines sagen, alter Freund.« Für einen Moment schwieg Pferdefänger versonnen. »Neue Zeiten brechen an. Uns steht der Weg zu den Sternen offen, wenn wir die Projektil-Sternenmenschen in den Krieg gegen Räuber begleiten, die sie Sirianer nennen. Deshalb ist der Kampf gestern eingestellt worden.« »Ihr wollt auf den Kriegspfad? Fern von hier ...? Zwischen den Sternen?« In Ramons Tonfall klang eine zaghafte Sehnsucht an. »Werden dort viele Coups zu nehmen sein? Wäre ich nur ...« »Viele Coups.« Ramon setzte ein gemeines Lächeln auf. »Und nicht allein Coups, mein Freund, sondern uns ist auch reiche Beute versprochen worden. Wir werden die gleichen Sachen wie die Sternenmenschen haben. Wer weiß, wie das alles noch enden wird? Dieses Direktorat der Sternenbewohner ist schwach geworden. Sie haben wenig Soldaten und wenig Raumschiffe. Deshalb benötigen sie uns, obwohl sie noch vor kurzem uns und die Propheten am liebsten vernichtet hätten. In einer derartigen Lage kann ein tapferer Mann manches erreichen ...«
»Wäre ich nur jünger.« Ramon schloß die Augen, die Flammen bewirkten, daß ein sonderbares Schattenspiel über seinen in Leder gehüllten Schädel huschte. »Dann könnte ich zwischen den Sternen neue Ehren gewinnen.« »Das sind die Gründe, warum es Veränderungen geben wird, Ramon. So ist eben der Lauf der Dinge. Unser Volk wird ...« »Spinne wird nichts ändern.« Ramon schüttelte den Kopf. »Was sollte er denn tun? Etwa dieses jämmerliche Zerrbild eines Mädchens da« — er deutete auf Susan — »zur Kriegerin machen? Wie diese Rotschopf Viele Coups? Hä? Spinne hilf!« Er stieß einen Laut des Widerwillens aus, vollführte eine Gebärde, als schüttete er Wasser weg. Ruckartig straffte sich Susan. Im nächsten Augenblick zwang sie sich, den Kopf wieder zu senken, um nicht erst recht die Aufmerksamkeit des Alten auf sich zu ziehen. »Vielleicht. Ich werde draußen zwischen den Sternen Macht erlangen...« Pferdefänger verstummte, furchte die Stirn. »Eine neue Lebensweise wird Einzug halten. Was wir immer hatten, immer geglaubt haben, wird ...« »Pah!« Ramon spie ins Feuer und grinste, als es darin zischte. »Das wäre falsch. Spinne wird uns nicht vom Weg der Freiheit und Kraft abweichen lassen. Wir haben ... Wir sind im Besitz der Wahrheit!« Mit knorriger Faust drosch er sich aufs knochige Knie. »Es gibt jetzt welche unter uns, die sich mit den Santos verbrüdert haben«, sagte Pferdefänger. »Hätten wir so was früher für möglich gehalten?« fragte er. »Ich sage dir...« »Wenn wir zu den Sternen vordringen ...« Ramon zukkte die Achseln. »Vielleicht bekommen wir auch Sternenwaffen für uns, hä? Dann wären wir... Wir brauchten die Santos nicht mehr. Es ist nicht richtig, daß das Spinnenvolk sie als Freunde anerkennt.«
»Spinne hat den Sternenmenschen ein Raumschiff entwunden, Ramon.« Pferdefänger lehnte sich zurück, beachtete den erbitterten Blick des Älteren nicht, nahm einen Becher Tee. »Die Projektil ist kein reines Patrouillenraumschiff mehr. An Bord gibt’s Männer, die zu Spinne und Herrjesses beten. Eine Mischung ist entstanden. Und genauso wird unsere ganze Welt werden. Ein Wandel ...« »Unsere alte Lebensweise ist gut genug«, widersprach Ramon. »Durch sie sind wir stark ...« »Ist sie’s wirklich?« unterbrach Pferdefänger ihn nachsichtig, wölbte die Brauen. »Es gibt Wundervolles zwischen den Sternen. Ich bin wie der Wind übers Land hinweggesaust. Ich habe die Sterne von nahem gesehen ... Diese Welt aus dem All... So etwas kann man nicht... Wir wollen einfach einmal festhalten, alter Freund, daß dort gewaltige Macht existiert. Und wo Macht ist, kommt ein Mann, um sie sich anzueignen.« Pferdefänger schloß die Finger zu einer fest geballten Faust. Für eine Weile herrschte Schweigen. Der Alte hatte gut zugehört, zuletzt eine finstere Miene geschnitten. »Hast du mit den Propheten geredet? Wissen sie von deinem großen Ehrgeiz?« Pferdefänger winkte ab. »Die Propheten wissen von allem Großen, das bevorsteht. Sie sehen die Zukunft. Was glaubst du wohl, weshalb die Sternenmenschen uns vernichten wollten?« »Du wirst mit den Santos auf den Kriegspfad ziehen?« Ramon schüttelte den Kopf. »Daran ist nichts Gutes. Sie haben keinen Gott. Ich habe gehört, daß Spinnenkrieger und Santos zusammen beten. Das ist eine schlechte...« »Die Santos sind im Glauben weniger fest als wir.« Hämisch lachte Pferdefänger. »Großer Mann hat versucht, sich mit den anderen Patrouillenschiffen gegen uns zu verbünden. Nun sehen die Santos in Herrjesses Verrat. Die Macht ist auf Spinnes Seite. Großer Mann hatte einen Santospropheten dabei. Herrjesses beginnt aus dem
Denken der Menschen zu verschwinden. Inzwischen beten manche Santoskrieger nur noch zu Spinne. Alles wird anders.« Ramon schabte sich am faltigen Kinn. »Und was ist mit Großer Mann? Er ist ein starker ... Was soll aus ihm werden?« Pferdefänger feixte. »John Smith Eisenauge hat ihm Messerfehde geschworen. Es geht um Blutrache. Er haßt Großer Mann. Übermorgen werden sie vorm Lager im Nabel zum Zweikampf antreten. Und falls Eisenauge unterliegt...« Geheime Überlegungen veranlaßten Pferdefänger zu einem Lächeln. »Da würde ich gerne zuschauen.« Ramon schlürfte Tee. »Der größte Spinnenkrieger und der größte Santoskrieger beim Messerkampf. Dem Sieger wird Ehre zufallen. O ja, höchste Ehre ...« Pferdefängers Augen funkelten. »Ich werde das Duell nicht versäumen. Wir sollten beide hinreiten und es uns ansehen.« Einige Augenblicke lang saßen die Männer wortlos da. Schließlich gab Pferdefänger ein Seufzen von sich. »Was soll mit diesem mißratenen Mädchen geschehen, das dir soviel Kummer verursacht? Was hast du mit ihr vor?« Susan erstarrte. Erneut spuckte Ramon ins Feuer. »Ich hätte sie heute früh aus dem Haus gewiesen. Verflucht sei Rotschopf Viele Coups, die mich zum Zurücknehmen des Hinauswurfs gezwungen hat! Nimm sie. Ohne Brautpreis. Dazu bin ich um unserer Freundschaft willen ...« »Tut mir leid, Ramon.« Zum Ausdruck des Bedauerns hob Pferdefänger eine Hand. »Sie hat mich zu oft verhöhnt, als daß eine Verbindung mit ihr für mich noch ehrenvoll sein könnte. Ich kann sie nicht mehr von dir zur Frau nehmen. Ich werde mir von den Sternen Weiber mitbringen, die mir das Haus versehen.« Er widmete Susan einen tückischen Blick, grinste dabei geheimnistuerisch. »Sie ist das schönste Mädchen der Siedelei. Ich hatte
gehofft, ihr die Aufsässigkeit austreiben zu können, sie handzahm zu machen, wie ein Mann eine Frau braucht. Ich glaube, sie wäre starke Söhne zu gebären fähig ... Aber nach dem, was heute morgen passiert ist...?« Er schüttelte den Kopf. »Vielleicht solltest du sie«, fügte er hinzu, »Tatterich Wattie geben.« Susan konnte nicht verhindern, daß sie laut nach Luft schnappte. Ramon hörte es und blickte hoch, seine Verwirrung wich langsam ansatzweisem Verstehen. »Tatterich Wattie?Aber niemand würde ihm ... ein Weib....« »Sie hat dich heute öffentlich mit Schmach überhäuft«, sagte Willy Roter Falke Pferdefänger zerstreut. »Du wirst für sie keine Pferde bekommen. Eher müßtest du Pferde geben, um sie loszuwerden.« Er legte die Fingerspitzen zu einem Giebel aneinander, musterte Ramon durch zu Schlitzen verengte Lider. »Wieso solltest du sie nicht bestrafen? Warum sie nicht Tatterich Wattie ins Bett legen? Sie könnte noch lange leben und deinen ... äh ... Großmut auskosten.« Ramon leckte sich die Lippen, seine Miene begann sich aufzuheitern. »Das werde ich. Ich werde sie Tatterich Wattie geben. Als Preis werde ich für sie bloß ‘ne Roßhaar-Reitpeitsche verlangen.« Susan versuchte zu vermeiden, daß ihr die Tränen kamen, um nicht auch noch sich selbst Schande zu machen. Tatterich Wattie hatte nur ein Bein; das andere hatte er schon in seiner Jugend verloren, als ein eifersüchtiger Gatte es ihm zerschoß. Zudem war ihm von der Frau, die er zu vergewaltigen beabsichtigt hatte, ein Auge ausgekratzt und er beinahe totgeschlagen worden. Seither lebte Wattie als schmachbeladene Memme am Rande der Siedelei. Er bettelte um Essensreste und Abfälle, von denen er sich ernährte, und beklagte sich bei jedem, der ihm zuzuhören sich erbarmte, er hätte noch nie ein Weib gehabt. Derben Scherzen zufolge
sollte eine Frau bei den Santos besser als bei ihm aufgehoben sein. Susan warf Ramon einen furchtsamen Blick zu. Sie sah seinen fratzenhaften Gesichtsausdruck, und das Glimmen von Befriedigung und wütendem Haß in seinen Augen flößte ihr Entsetzen ein. War sie erst einmal die Ehefrau eines Außenstehenden, trug der Clan keine Verantwortung mehr für sie, verkörperte sie für ihn kein Problem mehr, ganz gleich, was Rotschopf Viele Coups dazu sagen mochte. Susans Lungen rangen um Atem, sie bemühte sich, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Der abstoßende Anblick Tatterich Watties schwebte ihr vor Augen, sein geiles Grinsen, wenn er vorbeigehenden Frauen nachstierte, sein in Lumpen gewickelter, dreckiger Beinstumpf, der Seiber, der ihm übers haarige Kinn sickerte, während er mit dem unversehrten Augen zwinkerte. Sie konnte den Gedanken an seine schmutzigen, rissigen Hände nicht mehr aus ihrem Bewußtsein verdrängen. Sie stellte sich seine Erregung vor, wenn er sie an sich zöge, fühlte in ihrer Phantasie regelrecht, wie seine Pranken ihr das Kleid hochschoben, ihre weiche Haut betatschten. Panikartig sprang sie hoch und ergriff die Flucht, schrie Schimpfworte, als sie geduckt zur Hütte ihres Onkels hinausstürzte, ins trübe, düsterrote Licht der im Sinken begriffenen Sonne floh. Hinter ihr gellte Ramons Grölen der Genugtuung. Halb von Sinnen rannte sie drauflos, ihre nackten Füße patschten übers Erdreich, sie ruderte mit den Armen, das lange Haar wehte ihr hinterher. Als das Abenddunkel herabzusinken begann, lief sie noch immer, verlangsamte in regelmäßigen Abständen ihre Schnelligkeit auf Laufschrittgeschwindigkeit, hielt jedoch ihre langen Beine in dauernder Bewegung, obwohl ihre Lungen keuchten, strebte pausenlos nach Osten, auf die Berge zu, die dort aufragten.
»Spinne ...!« stöhnte sie. »Laß mich fort! Bring mich fort, und ich will mein ganzes Leben lang niemand anderem gehören.«
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Aus dem großen Lagerfeuer loderten hohe Flammen empor, während beiderseits davon ganze Kälber sich über roter Kohlenglut drehten, aufmerksame Frauen die Tiere ständig mit Fett begossen, so daß es nur so brutzelte. Menschen wimmelten durch die Dunkelheit, manche hörte man durchs allgemeine Stimmengewirr singen, andere lachten. Da und dort kreiste ein Krug mit örtlich gebranntem Obstschnaps von Mund zu Mund. Szchinzki Montaldo vom Planetologischen Forschungsinstitut des Direktorats grinste freundlich, während er seinen beschränkten Romananischwortschatz an einer alten Frau des Gelbes-Bein-Clans erprobte, die ihm mit dürren Fingern den Bauch tätschelte. »Sie sagt, sie ist froh, daß du gekommen bist«, dolmetschte Jose Grita Weißer Adler. »Sie sagt, ihr Sternenmänner müßt romananisches Essen haben, damit ihr was auf die Rippen kriegt.« »Ahm ... Tja, wenn sie’s sagt...« Montaldo nickte, auf den Lippen ein gekünsteltes, routiniertes Lächeln. Das Gebrabbel der Greisin wich aus seinem Gehör, indem sie auf von Arthritis geschwollenen Fußknöcheln ins Gedränge davonwackelte. »Hier ist ja ganz schön was los«, meinte Montaldo zu Weißer Adler. Der Santos schenkte ihm ein verschmitztes Lächeln. »Es kommt nicht alle Tage vor, daß eine Welt durch ein Weltraumgefecht gerettet wird. Und der Gelbes-Bein-Clan
hatte einige junge Männer als Teilnehmer im Kampf. Freitag Garcia Gelbes Bein war bei denen, die mit Rita den Reaktorraum erobert haben. Nicht nur das, er hat außerdem einigen Soldaten das Leben gerettet, als das Geschützdeck getroffen worden ist. Der abgesägte kleine Hosenscheißer ist mit ‘m Roßhaarseil an die Kante einer aufgeblasterten Schiffssektion gekrochen und hat mehrere Soldaten, die durch die Dekompres-sion ins All gerissen worden waren, mit dem Lasso an Bord zurückgezogen. Mit dem Lasso!« Montaldo nickte, erinnerte sich an die Furcht, die er in der Nacht vor der Auseinandersetzung empfunden hatte, während er sich noch im Bodenstützpunkt der Anthropologen aufhielt, sich darüber im klaren, daß sie auf der Planetenoberfläche als nächste eliminiert werden würden, falls die Projektil unterlag. Das Direktorat hätte keine Augenzeugen eines Völkermords am Leben gelassen. »Und obendrein ist so ‘ne Feier« — Jose winkte rundum — »die einzige Gelegenheit zu wirklich gesellschaftlichem Gemeinschaftsleben, die wir haben, abgesehen von den Ritualen, die einmal im Jahr zu Ehren Spinnes veranstaltet werden. Ach sicher, ab und zu heiratet jemand, so daß ‘s ‘n Hochzeitsfest gibt, oder wer wird in ‘m Kampf getötet, so daß ‘ne Totenfeier anfällt. Aber im allgemeinen führen wir Romananer ein schweres Leben.« Jose schüttelte den Kopf. »Ich meine, die ersten Aufnahmen, die Rotschopf Viele Coups uns gezeigt hat... Wir konnten’s nicht glauben. Daß Menschen so lebten ... Wenn man nie Elektrizität gekannt, noch nie etwas fliegen, nie ‘n Motor ein Fahrzeug fortbewegen gesehen hat, erhält man den Eindruck, im Direktorat funktionierte alles ... durch Zauberei.« S. Montaldo lächelte und nickte. Grita wies in die Richtung der Greisin. »Alte Mama Gelbes Bein da hat ihr Lebtag an allen sieben Tagen der
Woche zehn Stunden lang gearbeitet. Sie hat keinen Zahn mehr im Mund. Nie im Leben hat sie ‘ne Schmerztablette geschluckt. Siehst du, wie krumm sie ist? Das kommt vom Gerben der Häute, Schlachten des Viehs, Kindergebären, Holzstapeln, Essenkochen, Pferdezähmen und davon, daß sie mitansehen mußte, wie von jeweils fünfen ihrer Kinder drei in den ersten Lebensjahren starben. Sie glaubt, daß die ST mit Drähten an der Projektil hängen, sie bildet sich ein, das wäre die Weise, wie sie fliegen.« »Sicherlich habt ihr über Raumschiffe und Weltraumkrieg noch jede Menge zu lernen«, förderte Montaldo den Wechsel des Gesprächsthemas. Weißer Adler hob die Schultern. »Dank des StimuUnterrichts lernen wir vieles buchstäblich im Schlaf, anderes eignen wir uns durchs Erwerben eurer Sprache an. Ich hatte ‘n frühen Start. Ich war schon beim erstenmal dabei, als Rotschopf Viele Coups — äh, Rita Sarsa — im Nabel-Lager mit dem Stimu-Unterricht anfing. Als offizieller Santos-Verbindungsmann muß ich immer so tun, als wüßte ich viel mehr, als ich bis jetzt weiß.« Die schrumpelige Alte kam zurückgewatschelt, schaukelte unterwegs auf ihren kurzen Beinen von einer zur anderen Seite. Sie grinste mit ihrem zahnlosen Mund und nickte Montaldo zu, reichte ihm das gebratene, triefendfettige Bein eines Lamms, schnatterte unterdessen unaufhörlich wie eine arcturische Bettlerin. S. Montaldo erwiderte höflich das Nicken, behielt mit Mühe sein Lächeln bei, während ihm warmes Fett die Unterarme hinabrann. Jose Grita Weißer Adler plauderte lebhaft auf romananisch mit der Alten, und sie klopfte Montaldo, ohne auf die Fettigkeit ihrer Hände zu achten, auf den Rücken, ehe sie kichernd wieder fortlatschte. »Das ist ja ‘n Bein von ‘m Tier«, rief Montaldo entsetzt. »Natürlich. Iß!« Mit ein paar kurzen Sätzen grüßte
Weißer Adler einen Spinnenkrieger, der an ihnen vorbeiging. Der Spinnenkrieger bog den Kopf nach hinten und rülpste laut. Montaldo zuckte zusammen. »Das ist bei uns ein Zeichen guter Manieren«, erklärte Jose. »Damit stellt man klar, daß das Essen schmeckt... Da wir gerade davon reden, du solltest jetzt wirklich zu futtern anfangen, sonst wird Alte Mama Gelbes Bein, wenn sie das nächste Mal herguckt, tieftraurig sein. Mit dem Fleisch hat sie dich geehrt.« »Wie ist es denn mit ...?« setzte Montaldo zu einer Frage an. »Ich meine, kennt man denn bei euch keine Teller? Äh ... Und Gabeln? Und irgendwas, womit man sich das Fett vom Leib hält? Bei Herrjesses, ich habe nicht mal das kleinste Taschenmesserchen dabei.« »Dafür hat Gott dir ja Zähne gegeben.« Weißer Adler lachte. »Hör mal, ich weiß selbstverständlich, daß du bisher nie ... Mach’s einfach so.« Jose nahm das Fleisch und biß mit den Zähnen einen großen Brocken heraus, fing tüchtig zu kauen an. Er reichte Montaldo die schwere Keule zurück und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Da. Ganz einfach so.« »Spielen Sie ruhig mal den Barbaren, Doktor.« Bella Vola, die auch zu den Anthropologen zählte, stand plötzlich an Montaldos Schulter. »Der Spaß lohnt sich. Lassen Sie Ihre feinen Tischsitten sausen und sich’s gutgehen. Mann, gestern abend haben wir noch geglaubt, keiner von uns würde den heutigen Tag erleben.« Sie warf ihr Haar in den Nacken und grinste. »Außerdem, wenn Sie in den Toronhandel dieses Planeten einsteigen möchten, dürfte es ratsam sein, Sie gewöhnen sich an seine Bewohner, denen das Toron gehört.« S. Montaldo seufzte, streckte den Kopf vor und nahm einen Bissen. Nachdenklich kaute er, obwohl ihm der Saft, der ihm das Kinn hinabsickerte, regelrechtes Grausen verursachte. Er schluckte und betrachtete das Fleisch. »He,
das ist ja wirklich ‘n völlig anderer Geschmack. Äh ... Kräftiger, wissen Sie. Es hat ein volleres Aroma.« »Ja, genau«, stimmte Bella zu. »Es ist nicht in ‘m NullG-Stall gewachsen oder geklont worden. Es ist echtes Fleisch, direkt vom Tier.« Montaldo schluckte. »Direkt vom... Mir wird schlecht.« Natürlich werde ich hier leben müssen, rief er sich in Erinnerung. Und irgendwann muß ich mich über die Einheimischen informieren. Vom Direktorat werden wenig Lieferungen kommen. Und es schmeckt eigentlich nicht übel. Er biß noch einmal ab. »Wo steckt Marty Bruk?« fragte Jose. Bella hob die Schultern. »Er ist mit Freitag weggegangen.« »Ja, und wo ist Freitag hin?« fragte auch Montaldo. »Müßte er nicht hier sein? Ich dachte, er wäre der große Held dieser Veranstaltung.« Weißer Adler begann von einem Fuß auf den anderen zu schaukeln, als jemand eine riesige Trommel zu schlagen anfing. »In dieser Menschenmenge kann man ihn übersehen. Freitag ist der kleinste Mann, den ich je gesehen habe, der kein Knabe ist. Aber wäre er hier, könnte man die Leute über seine Witze lachen hören. Entweder das, oder irgendwer schriee herum, weil er ihm, während niemand hingeguckt hat, einen toten Felsenegel zwischen die Decken geschoben hat.« »Wie fühlst du dich bei der Vorstellung«, erkundigte Bella sich, »zum Sirius zu fliegen, Jose?« Der Santos hob die Schultern und feixte. »Oberst Ree hat versprochen, es wären viele Coups zu gewinnen. Er sagt, dort gäb’s Reichtümer, die jede Vorstellungskraft übersteigen. Ich bin bereit, reich zu werden. Und wie ist dir dabei zumute, hier zu bleiben? Ich habe gehört, Chem ist mit einer Blitzkorvette zum Arcturus befördert worden. Also hast du jetzt die Leitung, hm?«
»Ich habe gemischte Gefühle, Jose. Leetas Tod ... Naja, das ist was schmerzliches.« Bella zuckte die Achseln. »Andererseits habe ich Marty, einen ganzen Planeten mit euch kuriosen Romananertypen zu studieren und darüber zu schreiben, und ‘n Transduktions-Funkgerät, um meine Berichte durchzugeben. Das alles gefällt mir ganz wahnsinnig toll. Wäre bloß das mit Leeta nicht passiert...« Sie schloß die Augen. »Ach, zum Teufel!« »Da kommt Marty«, sagte Montaldo, wechselte hastig den Gesprächsstoff, wies ruckartig mit dem Kopf in Martys Richtung, weil er die Hände voller heißer Lammkeule hatte. Verdammt noch mal! Alle hatten sie Leeta gern gehabt. Leicht war es nicht mit ihr gewesen, doch als er von ihrem Tod erfuhr, war in S. Montaldos Seele ein Loch entstanden. Marty Bruk, der auf die Humanphysis spezialisierte Anthropologe aus Dr. Dobras Team, stieg auf ein Airmobil, brüllte irgend etwas, fuchtelte mit den Händen. Die Menschen blickten auf, ihr Stimmengewirr verebbte. Schließlich blieb als einziges Geräusch das Knistern der Feuer hörbar. Orangerote Funken wirbelten durch die Nachtluft. Montaldo mampfte an seiner Lammkeule und stellte zu guter Letzt fest, daß das Fleisch ihm wirklich schmeckte. »Krieger«, rief Marty laut in tadellosem Romana-nisch. »Spinnen- und Santoskrieger! In der vergangenen Nacht hat das Raumschiff Projektil uns tapfer einen Sieg erfochten — uns das Leben gerettet. Heute abend feiern wir, was uns durch diesen Sieg geschenkt worden ist.« Geheul und Gejohle erscholl; er winkte ab, bis das Grölen verstummte. »Wir ihr alle wißt, wird John Smith Eisenauge morgen dem Verräter Großer Mann zwecks Austragung der Messerfehde entgegentreten.« Montaldo bemerkte, wie hier und da Santoskrieger Anzeichen von Nervosität zeigten. Selbst Jose Grita Weißer Adler verkrampfte sich unwillkürlich. Kein gutes
Thema, Bruk, dachte Montaldo. Mit ernster Miene hatte Marty inzwischen die Hände in die Höhe gereckt. »Wir wissen alle, daß John Smith Eisenauge das Duell gewinnen wird. Aber ich komme gerade von einem anderen Helden des Volkes. Einem Mann, den ihr alle kennt. Wahrhaftig, ich behaupte, er ist der Tapferste des gesamten Volkes! Niemand ist mutiger als er.« Krieger tuschelten, runzelten die Stirn. Wieder beschwichtigte Marty durch Abwinken die Unruhe. »Ach, ich weiß: Noch spottet ihr über ihn. Doch zur gleichen Zeit war dieser tapferste aller romananischen Krieger in hohen Gefilden, hat Medizin gemacht und Geistkraft erlangt. Im Ergebnis ist seine Macht weit über sein Äußeres hinausgewachsen. Er hat geschworen, Großer Mann bis in den Tod zu hetzen, sollte John ihn morgen nicht zur Strecke bringen.« Rufe ertönten aus der Versammlung. An einer Seite brach jemand in Jubel aus. »Nicht nur das, dieser tapferste aller romananischen Krieger hat eine solche Kraft in sich vereint, daß er nun zudem der größte Mann auf Welt ist — sogar größer als Großer Mann!« Das Gemurmel der Menschenmenge nahm zu, verriet Ungeduld. »So groß ist kein Mann«, verstand Montaldo trotz seines begrenzten Romananischvokabulars den höhnischen Zwischenruf eines stämmigen Kriegers. »Wer ist dieser kühne Krieger?« Marty drehte sich um, deutete in die Dunkelheit. »Alt und Jung, hier seht ihr Freitag Garcia Gelbes Bein!« Grita lachte auf. »Freitag und groß? Sein Scheitel reicht mir kaum bis zur Brust.« Montaldo strengte seine Augen an, als sich hinter den Romananerhütten etwas Hohes abzeichnete, dann näherstapfte, bei jedem Riesenschritt hin- und herschwankte. »Der größte aller Romananer!« grölte Freitags Stimme,
während er hoch über den Köpfen der in Gelächter ausgebrochenen Menge in den Helligkeitskreis der Feuer gestakst kam. Der stämmige Krieger vor Montaldo prustete und schüttelte den Kopf. »Das hätte ich mir denken können.« »Wo ist Großer Mann?« brüllte Freitag von seinen langen Säulenpflanzenholz-Stelzen herunter. »Ich reiße ihm die Glieder einzeln ab!« Er stelzte durch die fröhliche Menschenmasse. Leichtes Tuch umhüllte die Stangen und täuschte Hosenbeine vor. »Wollen doch sehen, ob er mich kleinkriegen kann!« Mit geballter Faust schlug er sich auf den festen, muskulösen Bauch. »Heda, Freitag«, rief Geflügelter Stier Reesh, schwang einen Krug Whiskey über dem Kopf. »Was machst du eigentlich da oben?« »Ich bin’s satt, mir immer an euren Kniescheiben blaue Augen zu holen«, johlte Freitag, und die Menge verfiel in schallendes Gelächter. »Nein, ich will euch die Wahrheit sagen. Wißt ihr, während ich oben in der Projektil war, habe ich durch eins der Guckfenster hinausgeschaut. Da habe ich gesehen, wie Welt aussieht. Tja, und das war das erste Mal, daß ich über ‘n Pferdeapfel hinausgeblickt habe — und bei Spinne, ‘s hat mir gefallen!« Er faltete über dem Kopf die Hände und schüttelte sie in uralter Siegergeste. »Wie willst du denn wieder herunterkommen?« rief Marty Bruk; offenbar fragte er aufgrund vorheriger Verabredung. »So!« schrie Freitag. Er griff nach unten und tat irgend etwas. Die oberen Enden der Stelzen verschwanden in grellen Explosionen, in Blitzen und Rauch. Freitag sprang auf einen Felsen, vollführte einen sauberen Purzelbaum und kam auf den Füßen auf, während die Menge lärmte und Beifall klatschte.
»Benimmt er sich immer so?« wollte Montaldo erfahren. »Nein«, brachte Jose mühsam hervor. »Häufig ist er schlimmer...« »Ich glaube, wir werden einen interessanten Flug zum Sirius haben«, brummte S. Montaldo. Er nahm erneut einen tüchtigen Bissen von der Hammelkeule, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und schmunzelte.
4 Messerfehde. Romananische Gerechtigkeit. Der Leichnam des toten Santoskriegers Großer Mann lag der Länge nach schlaff im losen Staub, und unter dem Toten breitete sich eine rote Lache aus. Großer Manns blutüberströmter Schädel glänzte, wo Eisenauge Haar und Kopfhaut abgetrennt hatte: Der Verrat war vergolten worden. Krieger sprachen den Kampf mit gedämpften Stimmen eifrig durch. Im hellen Sonnenschein leuchteten bunt die farbenfrohen Farben der Santos und des Spinnenvolks. Da und dort standen Patrouillenmitglieder und unterhielten sich, gestikulierten dabei. Während sie einzeln und zu zweit davonschlenderten, nickten sie respektvoll zum Sieger hinüber. Romananer schwangen sich in Sättel, nahmen die Zügel ihrer Pferde, oder sie stiegen zu Patrouillenangehörigen in Airmobile. Andere liefen zu geparkten ST. John Smith Eisenauge schnappte nach Luft und krampfte sich starr zusammen, während Rita Sarsa die lange Schnittwunde in seiner Schulter desinfizierte und nähte. Aus seinen harten, schwarzen Augen blickte er zu ihr hoch. Großflächige Wangenknochen verliehen seinem Gesicht ein markiges Aussehen. Er hatte eine hohe Stirn; die Breite der Nase bezeugte seine Abstammung von den Arapahoindianern. Lange, schwarze Zöpfe hingen ihm auf die wuchtigen, muskelbepackten Schultern. Seine von Jahren unter der heißen romanani-schen Sonne dunkle Haut gab einen krassen Kontrast zu Ritas Hellhäutigkeit ab. Der dünnlippige, bewegliche Mund saß straff in einem von Tragödien gefurchten Gesicht. An seinem ganzen Körper spielten Muskeln, als er sich umwandte.
Schrill jaulte beim Start ein ST. Ein paar letzte Spritzer von Regentropfen erinnerten noch einmal an das Unwetter, das sich soeben verzogen, die Luft des Planeten gereinigt hatte, den das Direktorat unter dem Namen Atlantis kannte. Eisenauge wischte sich Großer Manns Blut ab, das ihm das Gesicht gesprenkelt hatte, und säuberte auch die aufs Vorderteil seines Kriegsrocks gemalte Spinne davon. »Den Sirius kenne ich noch nicht«, sagte Rita bedächtig, warf sich rote Locken über die Schulter. »Ich auch nicht«, scherzte Eisenauge, zuckte zusammen, als er die verletzte Schulter bewegte. Er stand auf und ging zu seiner Rappenstute, bevor er den rotbraunen Wallach holte. Trotz seiner Verwundung half er Rita in den Sattel. »Ich hatte Furcht, du könntest unterliegen«, gestand sie, wies auf Großer Manns Leiche, die zu holen sich zu seiner Schande keine Verwandten eingefunden hatten. »Ich verliere ungern«, entgegnete Eisenauge leise, wobei er eine verbissene Miene aufsetzte. Rita trieb das Pferd an, lenkte es von dem enormen Felsüberhang fort, der die alte romananische Herbergsstätte kennzeichnete, die man Lager im Nabel nannte. Gespensterhände des Grams zupften an ihrem Gemüt, um sie zu quälen. In den finsteren Schatten hinter ihrem Rücken sah sie immer nur Philips Gesicht. Gemeinsam hatten sie von einer neuen Welt geträumt, von Ehre, kühnen Veränderungen — und um deretwillen trudelte Philip jetzt tot durchs Weltall. Sie zwinkerte, bis das Brennen in ihren Augen nachließ. Der Anblick seiner leblosen Gestalt sollte in ihrer Erinnerung immer lebendig bleiben, hatte sich ihrem Gedächtnis eingefressen wie Frost. Niemals könnte sie vergessen, wie sein Blut kristallisierte und schaumig erstarrte, so wie es im Vakuum eben mit Flüssigkeiten geschah. Hervorgequollene Augen stierten aus ihren Höhlen.
Noch immer spürte sie in ihren nutzlos gewesenen Armen Philips Zuckungen der Pein und Qual. Noch jetzt hörte sie Atemluft aus dem zerschossenen Rumpf der Projektil fauchen, die größte Liebe ihres Lebens auf Nimmerwiedersehen in die Leere hinaussaugen. Er war in ihrem turbulenten Leben eine sichere Zuflucht der Ruhe gewesen. Weißt du noch, wie seine Augen funkelten, die sonnenbraune Haut seines Gesicht sich zu Lachfältchen runzelte? Siehst du noch vor dir, wie seine sanften, braunen Augen die Tiefe seiner Seele widerspiegelten? Du warst ein mitleidiger Mensch, Philip. Ein zartfühlender Mann. Heißer Schmerz glomm hinter Ritas Augen. Wo soll ich wieder jemanden deinesgleichen finden ? Philip Smith Eisenauge hatte zu den Sternen fliegen wollen. Während sie im Vakuum des zerblasterten Geschützdecks geschwebt hatte, ließ sie seinen Leichnam aus ihren Fingern gleiten, ihn hinaustreiben ... hinaus in die Dunkelheit des Weltraums. Ritas früherer Ehemann hatte sich bei der Suche nach einem anderen Traum zugrundegerichtet. Mußte sie immer Männer an Träume verlieren? Danach hatte sie einen Zickzackweg von Mann zu Mann beschrieben, zwischen einer Vielfalt von Männern, von denen keiner ihre Sehnsucht nach einem wirklichen Gefährten zu stillen vermochte. Jetzt hatte sie erneut einen Geliebten verloren. Verfluchte Träumerei! Das Dröhnen des Knalls, mit dem ein ST die Schallmauer durchstieß, schreckte sie aus dem Grübeln. Ein Traum war Wahrheit geworden. Dank Philips, Johns, Dr. Dobras und ihres eigenen Einsatzes hatte ein Volk überlebt. Dr. Leeta Dobra ... Gleichfalls ein schwerer Verlust. Sarsas Blick huschte hinüber zu John, sie sah ihm den tiefen Schmerz an, den er mit solcher Würde trug. John Smith Eisenauge hatte die Anthropologin geliebt. Im
Gegensatz zu Rita und Philip war ihm und Leeta keine Zeit füreinander geblieben. Wer hatte den schwereren Verlust erlitten? Sie schnaubte und merkte, wie Eisenauge ihr daraufhin einen ausdrucklosen Blick der Erschöpfung und Ermattung zuwarf. »Wir sind ein tolles Paar, was?« meinte sie verbittert. »Spinne wird seine Absichten haben. Vielleicht wissen die Propheten die Antwort, Rotschopf Viele Coups.« Sie schüttelte den Kopf. »Als ob sie je was ausplaudern.« »Sie sind Männer Gottes.« Eisenauge hob die Schultern. Rita blieb von seiner nüchternen Akzeptanz unbeeindruckt, die er den Propheten entgegenbrachte. Statt dessen hob sie die Augen an den grauen Himmel. »Na egal. Ich denke mir, wir leisten einfach das Beste, was wir können.« »Genau das ist Spinnes Weg.« Eine Zeitlang ritten sie in völligem Schweigen dahin. Schließlich blickte Eisenauge auf. »Ist Friede zuviel verlangt? Erst habe ich Jenny geliebt... meine Clanschwester. Sie war mir verboten ... für mich tabu. Mein Volk hätte unsere Liebe als Blutschande betrachtet. Großer Mann hat sie getötet. Dann kam Leeta und hat meinen Zorn in Liebe verwandelt. Sie gab mir einen Grund zum Weiterleben, zum fortgesetzten Dienst am Volk. Aber Spinne hat sie mir genommen! Das ist ungerecht.« »Die Propheten sagen«, erinnerte ihn Rita, »wir seien auf Erden, um zu lernen ... für Gott zu lernen.« Ein Ausdruck abartigen Humors trat in Johns matte Augen. »Ich habe das Leiden ziemlich gut gelernt.« »Aber wenn ... wenn wir Gottes Werkzeuge sind, werden wir vielleicht zu um so stärkeren Werkzeugen geschmiedet, indem uns der Sieg gegen einen so hohen Preis geschenkt worden ist? Hm? Was meinst du?« Rita blinzelte in die Ferne.
»So wie man einen guten Gewehrlauf schmiedet.« Ruckartig knapp nickte Eisenauge. »Es ist keine Sache des Augenblicks.« Er schwieg. »Aber daß Spinne uns so tüchtig schmiedet, so gründlich, gibt Anlaß zu Befürchtungen, denkt man an das Kommende. Wir wollen hoffen, daß der Stahl nicht brüchig wird.« »Dufte Überlegung«, brummte Rita. »Ich kann’s kaum erwarten.« Für eine Frau, die sich einmal etwas darauf eingebildet hatte, Anhängerin des Agnostizismus zu sein, hatte sie sich recht schnell zum romanani-schen Gottesbegriff bekehrt. Es schauderte ihr. »Tja sicher, da kann ‘n Mensch ... ins Nachdenken geraten.« »Ich habe einmal einen Propheten gefragt, weshalb er mir in die Berge gefolgt sei.« Eisenauges Blick ruhte auf dem schweren Gewehr, das quer über seinem Sattelknauf lag. »Er hat mir die Gegenfrage gestellt, ob er mir gefolgt wäre, oder ob in Wirklichkeit ich ihm. Das gleiche Problem entsteht, wenn man Gottes Pläne vorherzusehen versucht.« »Weißt du, früher wollte ich mal nichts anderes als Ehefrau sein. Meinem Mann Kinder gebären, vielleicht nebenher ‘ne Teilzeittätigkeit ausüben.« Rita saß gebeugt im Sattel, schaukelte im Takt mit den Bewegungen des Wallachs. »Kann sein, das war gar keine so schlechte Idee.« »Du würdest zu Spinne nein sagen?« Eisenauges Brauen rutschten hoch. »Dich der Bestimmung verweigern, die er für dich festgelegt hat?« Langsam und ausdruckslosen Blicks nickte Rita. John Smith Eisenauge konnte seine Belustigung nicht verbergen. »Du lügst, Rotschopf Viele Coups«, hielt er ihr unumwunden vor. Rita straffte den Oberkörper. »Ich muß schon sagen, nicht viele Leute hätten die Unverfrorenheit, mich eine Lügnerin zu nennen.« Eisenauges Blick schweifte über die vom Wind gewell-
te Graslandschaft. »Suchtest du nicht deine Bestimmung, wärst du nicht hier. Du und ich, wir sind uns sehr ähnlich. Werkzeuge Gottes .. Uns gäbe er nicht so leicht frei. Der Stolz treibt uns vorwärts, Rita. Das ... und der Wunsch, Gott herauszufordern. Spinne mag uns in der übelsten Art und Weise mitspielen, aber wir glauben, daß wir uns am Ende behaupten ...« »Du gibst dich ja reichlich selbstsicher«, schnob Rita, teils allerdings, um die Erregung zu verheimlichen, die seine Äußerungen ihr verursachten. In plötzlichem Unbehagen wand sie sich im Sattel hin und her. Ist das eine Form von Hybris? Ob sie mich vernichten wird1. »Du hast mal gesagt, hättest du die Gelegenheit, würdest du Gott in den Hintern treten.« Eisenauge lachte. »Nun sag bloß, das wäre keine Herausforderung Gottes!« »Und du hast geantwortet, Gott müßte das als Ehre bewerten.« Rita hob die roten Brauen. Eisenauge lenkte seine schwarze Stute voraus. »Ob’s dir paßt, Rotschopf Viele Coups, oder nicht, wir sind Krieger. Ganz gleich, was du redest, den Anforderungen deiner Bestimmung kannst du dich nicht entziehen. Auch das ist ein Teil deines freien Willens. Ganz egal, wie schwer es fällt, wieviel Leid es bereitet, du mußt herausfinden, wie weit du zu gehen imstande bist... und mit was du durchkommen kannst.« »Und du bist genauso!« schrie sie ihm nach, trieb den Wallach an, um an Eisenauges Seite zu bleiben. »Ich bin es«, räumte er ein, ritt an die Bewegungen des Pferds mühelos angepaßt. »Ich bin nicht mehr als ... Vorsicht!«- Eisenauge zügelte seine Stute, verlangsamte sie aufs Schrittempo. »Dort ist jemand.« Er zeigte mit dem Gewehr ins hohe Gras. Rita zog den Blaster aus dem Halfter und spähte durch die Infrarot-Zielvorrichtung. »Ein Mensch.« Das Gras schwankte, während sich eine Gestalt hindurchschob.
»Zeig dich!« rief Eisenauge, ritt mit schußbereitem Gewehr auf die Person zu. Aus dem grünen Teppich des Graslands lugte zuerst ein Kopf, nach dem sich der Rest zeigte, ein in Decken gehülltes Mädchen, das sich wie durch Zauberei aus dem Gras zu erheben schien. Es richtete sich langsam auf, schaute John Smith Eisenauge, der sich näherte, mürrisch und trotzig entgegen. Rita ritt, den Blaster locker bereit, auf der anderen Seite zu dem Mädchen. Der Blick des Mädchens zuckte zu ihr hinüber, überrascht stutzte es. »Wer bist du?« fragte Eisenauge; seine Augen deuteten eine gewisse Freundlichkeit an. »S-Susan Smith Andojar.« Scheu sah das Mädchen zu Boden. Rita betrachtete die Blutergüsse im Gesicht des Mädchens. »Du bist weit von der Siedelei entfernt.« Wieso kam diese Person ihr so verdammt bekannt vor? »Verzeiht mir...« »Verflucht noch mal, sieh mich an, wenn du redest!« befahl Rita. »Wer hat dir beigebracht, derartig nach unten zu glotzen?« »Sie ist unverheiratet«, erklärte John Smith. »Deshalb gilt so ein Verhalten als — wie sagt man? — züchtig.« »Hast du mich je so erlebt?« fragte Rita. »Schau mich an, Kindchen«, forderte sie dann das Mädchen in sachlichem Ton auf. »Kennst du mich?« Durch einen Filz verdreckten schwarzen Haars hob das Mädchen den Blick. Nach einem Bad, etwas Haarpflege und in einigen anständigen Klamotten hätte es recht attraktiv ausgesehen; vielleicht sogar schön. »Ich bin dir am Tag nach dem Kampf im Weltraum in der Siedelei begegnet. Du hast mich vor Schlägen bewahrt.« »Wer hat dich geschlagen?« erkundigte sich Eisenauge, beugte sich über den Sattelknauf.
Das Mädchen stand mit gespitzten Lippen und gesenktem Blicks da und blieb stumm. »Hat er dich wieder geprügelt?« fragte Rita, die sich jetzt an den Vorfall entsann. Ein großer Kerl mit schiefem, in Lumpen gewik-keltem Schädel hatte auf das Mädchen eingedroschen. In ihrer nach Philips Tod gereizten Gemütsverfassung hatte sie sein Benehmen unterbunden. Das Mädchen starrte nur ins Gras. »Wo willst du hin?« fragte Eisenauge. »In dieser Richtung gibt’s nichts außer den Bergen. Ein Bär würde dich verschlingen. Hast du keine Verwandten, die sich um dich kümmern?« »Warum hat der Alte sie wohl geschlagen?« meinte Rita, stieg ab, trat zu dem Mädchen und stellte verblüfft fest, es war um einen halben Kopf größer als sie. »Wahrscheinlich ist sie von ihrem Vater bestraft worden«, mutmaßte Eisenauge gleichmütig, »weil sie mit einer Freundin faul herumgebummelt hat.« »Er ist nicht mein Vater«, widersprach das Mädchen leise. »Mein Vater und meine Mutter sind tot.« Rita schob dem Mädchen einen Finger unters Kinn und hob es an, blickte in ein Paar furchtsamer Augen. »Und wo möchtest du jetzt hin?« fragte sie halblaut. »Vor dir liegt nichts als der Tod. Bist du fortgelaufen? Raus mit der Sprache! Ich werde dich beschützen.« Susan nickte, senkte wieder den Blick. Eisenauge war ebenfalls abgesessen und nähergetreten. »Warum verläßt du deinen Clan?« fragte er mit Sorge in der Stimme. »Bei ihm wärst du in guter Obhut.« »Mein Onkel ist Ramon Luis Andojar.« Susan hielt den Blick achtsam auf den Untergrund gerichtet. »Er hat geschworen, mich mit dem alten Tatterich Wattie zu verheiraten.« Bei dieser Äußerung schauderte sie zusammen. Johns Augen drückten gelinde Erheiterung aus. »Kein Mensch kann einer Verwandten so ein Schicksal wünschen.«
»Wer ist dieser Wattie?« wollte Rita wissen, die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Ein Elender, der außerhalb der Siedelei haust.« Man konnte Eisenauges Miene seinen Widerwillen ansehen. »Er hat nur ein Bein. Außerdem hat eine Frau ihm ein Auge ausgekratzt. Er bettelt um Lebensunterhalt. Sein einziger Beitrag für die Gemeinschaft besteht aus den Reitpeitschen, die er aus Haaren von Pferdeschwänzen flicht und mit denen er handelt. Niemand käme, egal wie, auf die Idee, ihm eine Frau zur Gattin zu überlassen.« »Ramon hat es in Willy Roter Falke Pferdefängers Dabeisein geschworen«, behauptete Susan in einem Tonfall, der überzeugte. »Es ist jetzt ‘ne Ehrensache.« »Pferdefänger?« wiederholte Rita verwundert. »Wieso? Verdammt noch mal, ich kapiere nicht, weshalb ...« Susan Smith Andojar warf Rita einen furchterfüllten Blick zu. »Um mich zu bestrafen.« »Das wäre eine verdammt strenge Strafe.« Ungläubig schüttelte Eisenauge den Kopf. »Ich will mehr als bloß ‘n Ehemann. Ich will Kriegerin werden.« Zum erstenmal schaute Susan, Verzweiflung im Blick, Eisenauge an. »Von so etwas hat man noch nie gehört«, entgegnete Eisenauge gedämpft. »Eine Frau hat keinen Platz unter ...« »Warum nicht?« fragte Rita plötzlich dazwischen, fuhr herum, musterte ihn hitzig. »Die Jugend will Veränderung? Na gut, dann ...« »Es ist eben nicht die Weise der Frauen.« John Smith Eisenauge hob die Schultern. »Spinne hat Männer so geschaffen ... und Frauen so.« Rita verzog die Lippen. »Susan, möchtest du wirklich Kriegerin werden?« Rasch nickte Susan, Hoffnung und Verlangen röteten ihr Gesicht, als ihr Blick die Coups an Ritas Gürtel streifte.
Der Ausdruck von Bestürzung in Eisenauges Gesicht bereitete Rita stilles Vergnügen. »So, das ist Spinnes Einstellung, hä?« Sie lachte laut. »Kann sein, ich kann ihn nicht in den Arsch treten, aber wenn dies Mädchen ‘ne Chance haben will, zu lernen, ‘ne Kriegerin zu werden, dann soll’s sie verdammt doch auch bekommen!« Eisenauges Blick verriet Mißbilligung. »Dadurch würde bei den Clans Unruhe verursacht.« »Und was könnten sie tun? Mir ‘ne Messerfehde aufhalsen? Denkst du wirklich, einer von den Burschen könnt’s mit mir aufnehmen?« Ritas Tonfall bezeugte Ungläubigkeit. »Niemand wird sich darum scheren«, flüsterte Susan. »Mein Onkel denkt nur an den Brautpreis. Er sagt, ich sei undankbar.« »Wie hoch ist so ein Brautpreis?« fragte Rita, warf Eisenauge einen Blick der Verachtung zu. »Im allgemeinen beträgt er zwei oder drei Pferde.« Eisenauge neigte den Kopf zur Seite. »Ramon hat gesagt, er will mich Tatterich Wattie für eine Roßhaar-Reitpeitsche geben«. Vor Scham brachte Susan das Bekenntnis nur kaum hörbar heraus. »Ich glaube, soviel kann ich mir leisten.« Rita grinste. »Komm mit, Kindchen.« Schwungvoll bestieg sie den Wallach und streckte dem Mädchen die Hand hinab. Eifrig nahm Susan sie, plötzlich begann ihre Miene froh zu werden. »Das wird zu Schwierigkeiten führen«, sagte Eisenauge voller Bedenken, als er sich auf sein Pferd schwang, um den beiden Frauen zu folgen. *** Oberst Damen Ree bückte sich unter einem enormen Stück Stahl hindurch, in dem er einen ehemaligen Bestandteil einer Schleusenarmierung erkannte. Früher war sie mit den Spanten des Geschützdecks verschweißt
gewesen; jetzt war sie dauerhaft verbogen und verhinderte, daß gesprungene Rumpfplatten in den Weltraum hinausstoben. Trotzdem arbeitete der Reparaturtrupp in Schutzanzügen, hielt die Helme — für den Fall, daß doch noch ein Leck entstand — jederzeit verschlußbereit. Die Projektil stand nach den schweren Gefechtsschäden, die sie hatte einstecken müssen, noch immer vor ernsten Problemen. Ein Leutnant erläuterte einem aufmerksamen Romananer etwas über das Schweißen. Eine ganze Anzahl junger romananischer Männer war an Bord geblieben, um an den Reparaturen mitzuarbeiten. Aufgrund ihrer Unkenntnis schrien sie geradezu nach Wissen und wuchsen bei ihrer Tätigkeit — nach Rees Ansicht eine noch vorteilhaftere Entwicklung — zu einer Mannschaft zusammen. Ree sah erneut ein an die Wand gemaltes Spinnenbild. Zwei Romananer schwatzten unbekümmert, während sie mit Vibro-Schneidern einen zerschmolzenen Blaster zerschnitten, der umgekippt, in Schräglage, auf dem zu Schlacken zerflossenen Deck lehnte. So viele Schäden ? Meine geliebte Projektil, werden wir dich je wieder zusammenbauen können? Durch sein Kontaktron erreichte ihn eine Meldung. »Obristin Maya ben Achmad und Brevet-Obristin Arish Amahanandras treffen in fünfzehn Minuten mit dem Shuttle ein.« Ree ließ seinen Blick über das wandern, was er von der Wiederherstellung des Geschützdecks überschauen konnte. Das Schlachtschiff hatte so starke Schäden erlitten, so viele Leben waren verloren worden ... Einen der Glückstreffer, die selbst die beste Taktik verdarben, hatte die Viktoria erzielt. Während er sich umdrehte und über ein Gewirr verbogenen Metalls kletterte, sah er aus dem Durcheinander einen Fuß ragen. Die zersplitterten Enden von Schien-
und Wadenbein stachen aus ausgedörrtem, schwarzgewordenem, in Verwesung übergegangenem Fleisch hervor. »Hier her«, rief Ree einem Techniker zu, deutete auf die schauerlichen Überreste. »Lassen Sie ihn bergen und die Bordklinik die Identifizierung vornehmen. Man soll dort auch die Bestattung veranlassen.« Der Mann kam herübergelaufen, beugte sich vor, um zu betrachten, was sich von dem Toten erkennen ließ, salutierte dann und sprach per Kontaktron die Kommu an. Ree überkletterte den Rest der Trümmer und setzte den Weg zum Shuttle-Hangar fort. Als der Direktor angerufen hatte, war der Kampf fast vorbei gewesen. Die schwer angeschlagene Projektil hatte, die Geschütze ausgefallen, die Schutzschirme kurz vorm Versagen, kehrt gemacht und war auf einen Kurs zwischen die beiden anderen Patrouillenschlachtschiffen eingeschwenkt, die das Direktorat geschickt hatte, damit sie die Renegaten liquidierten. Ree hatte beschlossen gehabt, verzweifelt alles auf eine Karte zu setzen, den Materie-Antimaterie-Reaktor zur Explosion zu bringen und dadurch die Gegner mit ins Verderben zu reißen. Im Lift kontaktierte er den Konferenzraum, verständigte die Bordküche und dachte über die bevorstehende Zusammenkunft nach. Seine alte Erzfeindin, Obristin Sheila Rostostiew, Kommandantin des Patrouillenschlachtschiffs Bruderschaft, war unter der seelischen Belastung des Gefechts zusammengebrochen. Arish Amahanandras hatte sie abgelöst, verkörperte ein neues Element, das berücksichtigt werden mußte. Maya ben Achmad dagegen blieb ein Faktor bekannter Größe, und Ree erübrigte für die alte Schrapnell mehr als nur ein wenig Respekt. Ree nahm am Kopfende des Konferenztischs Platz und verstellte seinen Sessel so, daß die Kommandantinnen zu ihm aufzublicken hatten, verlieh sich damit einen kleinen psychologisch-taktischen Vorteil. Er checkte seine
Recorder und orderte eine Tasse Kaffee. Sobald er saß, spürte er erst richtig, wie müde er war; die Überwachung der Reparaturen hatte seit der Beendigung der Kampfhandlungen jede Minute seines Wachseins beansprucht. Die Bruderschaft war am stärksten beschädigt worden. Lediglich um Haaresbreite hatte ihr Chefmaschinist einen Defekt ihres Materie-Antimaterie-Reaktors abwenden können. Selbstverständlich hatte Ree das Raumschiff zu vernichten beabsichtigt, zumal es Sheila unterstand; gegen sie hegte er einen alten Groll. Mit einem Streich war es ihm gelungen, das Schlachtschiff außer Gefecht zu setzen und seine langjährige Rivalin zum Zusammenklappen zu bringen. Doch danach hatte die Viktoria seine Blastergeschütze ausgeschaltet und damit das Blatt gewendet. Ree sah zu, wie das Shuttle anlegte, beobachtete anschließend auf dem Monitor, wie eine gemischte Eskorte aus Patrouillensoldaten und romananischen Kriegern die zwei Kommandantinnen herbegleitete. Das Interesse, das seine beiden Offizierskolleginnen an den Roma-nanern zeigten, rang ihm ein Lächeln ab. Die Zugangstür öffnete sich, und Ree stand auf, sobald Maya und Arish, beide in makellosen Uniformen, den Raum betraten. Er schaute an seiner Kluft hinab, die zerknittert war, Ölflecken aufwies, stellenweise Risse hatte, von Ruß strotzte. Dem Stoff haftete der Gestank des verwüsteten Geschützdecks an. Boshaft lächelte Maya ihm zu. Sie war eine kleine Frau und hatte Haut im Farbton einer speckigen Walnuß. Jahrelanger Kommandantinnendienst hatte ihrem Gesicht Furchen eingekerbt. Ihre angegrauten Haare trug sie streng nach hinten gekämmt. Ihr Mund hatte einen harten Ausdruck, aber ihre blauen Augen glänzten lebhaft, während sie Ree musterte. Er machte vor den Frauen eine Verbeugung, doch sie
fiel knapp und steif aus, blieb eine angedeutete Geste unter Gleichrangigen. Seine blauen Augen schienen mit ihrem Funkeln Maya durchbohren zu wollen. »Damen.« Maya ben Achmad salutierte. »Maya ...« Ree erwiderte ihr Lächeln. »Freut mich, Sie so fit zu sehen. Entschuldigen Sie meinen Zustand. Ich habe zu tun gehabt.« »Reparieren Sie dieses verdammte Wrack denn eigenhändig?« fragte Obristin ben Achmad launig. Unbefangen ließ sie sich in einen Sessel sinken. Ree ging auf die Frage nicht ein, sondern wandte sich an die Obristin Arish Amahanandras. »Willkommen an Bord der Projektil, Obristin.« Diesmal verbeugte Ree sich tiefer, verschaffte sich einen Eindruck von der neuen Kommandantin der Bruderschaft. Sie war groß, ungefähr fünfzig Jahre alt, hatte von weißen Strähnen durchzogenes, schwarzes Haar sowie eine knollige Nase, die den durchdringenden Blick ihrer schwarzen Augen betonte. Aufgrund der Einblicke, die Ree kürzlich ins Fachgebiet Anthropologie genommen hatte, vermutete er, daß bei ihr eine terranische Herkunft südasiatischer Abstammung vorlag. »Ist mir eine Freude, Oberst«, antwortete Arish mit dunkler, kehliger Stimme, indem sie sich gleichfalls verbeugte. »Bitte nehmen Sie Platz.« Ree deutete auf einen Sessel und setzte sich ebenfalls wieder hin. Vor nicht allzu langer Zeit war der Konferenzsaal Mittelpunkt hitziger Debatten zwischen Wissenschaftlern und Anthropologen über die Natur der romananischen Kultur gewesen. Hier erinnerte sich Ree gern an Leeta Dobra, an ihren klaren, scharfen Blick, ihren Eifer zum ständigen Weiterbetreiben ihrer Studien. »Wir sollten alles Brimborium auslassen«, sagte Maya. »Damen, wir haben ein Problem.« Sie schaute Arish an. »Oberst Ree, die Bruderschaft ist während unserer
kürzlichen Auseinandersetzung schwer beschädigt worden. Meine Leute arbeiten rund um die Uhr. Trotzdem wird es einige Zeit dauern, bis wir die Reparaturen soweit beenden können, daß die Mindestanforderungen für den Überlichtflug erfüllt sind. Nach dem von Direktor Skor Robinson vorgegebenen Zeitplan sollen wir innerhalb von sechs Monaten Standardzeit im Siriussystem eintreffen. Infolge der eingetretenen Schäden und der Höhe der personellen Verluste kann ich diesen Termin leider nicht einhalten.« Ree lächelte freundlich, während man den Offizierinnen diverse Häppchen reichte. »Ich habe Personal abkömmlich, das sehr froh wäre, Ihrem Befehl unterstellt zu werden.« Maya lachte auf. »Den Haufen, den Sie auf dem Planeten abgesetzt und während des Kampfs sich selbst überlassen haben?« »Genau.« Ree legte die Fingerkuppen gegeneinander. »Alle befinden sich noch auf Welt bei den Romananern. Ich wäre sehr froh, könnte ich sie an Bord der Bruderschaft schicken.« Arish wirkte erfreut, während Ree eine Liste der betreffenden Personen mit ihrer jeweiligen Qualifikation anforderte. »Ganz ausgezeichnet«, sagte die Obristin versonnen. »Wahrhaftig, das ist wirklich ganz ...« Auf einen Ellbogen gestützt, beugte Maya sich vor, betrachtete Ree nachdenklich. »Auf diese Weise sind Sie sämtliche Unzuverlässigen losgeworden, stimmt’s?« Andeutungsweise zwinkerte sie. Verdammtes Weib! Ree rang um Beherrschung. »Ich will mal sagen: Ich hatte meine Zweifel daran, daß sie dazu fähig wären, mit dem Rest meiner Besatzung ... äh ... zu harmonieren.« Er zwang sich zu einem Lächeln. Maya stieß ein gekünsteltes Lachen aus. »Ach, wie hat die Patrouille sich verändert. In meiner wilden Jugendzeit hat kein Kommandant so auf die Treue seiner
Untergebenen geachtet. Damals standen die Dinge ...« »Anders?« Gereizt blickte Ree sie an. »In Ihrer Jugend hätten Sie auch nicht das Feuer auf die Projektil eröffnet. Nichts ist mehr wie früher, Maya. Das Direktorat wackelt an allen Ecken und Enden. Wir selbst haben jetzt Geschichte gemacht.« Maya nickte. »Sagen Sie mir, Damen, was finden Sie an ... Ich meine, warum eigentlich sind Ihnen diese barbarischen Romananer so wichtig? Weshalb sind Sie ... abtrünnig geworden? Wir hatten Befehl, den Planeten anzufliegen, jedes lebende Wesen auf ihm wegzubrennen und die Wissenschaftler zum Schweigen zu bringen. Als die Bruderschaft eintraf, hat Skor Robinson uns befohlen, Sie zu vernichten. Das ist doch völlig .,. Verdammt noch mal, Damen! Mann, was ist überhaupt los?« Ree griff sich eine seiner terranischen Zigarren und beschnupperte sie der Läge nach. Er entzündete sie, paffte zufrieden und lehnte sich zurück, spürte die Müdigkeit in seinen Gliedmaßen. »Es fing alles mit einem Radiosignal an, das ein unbemannter Funklenkfrachter aufgefangen hat«, begann er. »Die Information wurde automatisch dem Giga-Ver-bund des Direktorats zugeleitet, und die Projektil ist zu einem Erkundungsflug in den hiesigen Raumsektor abkommandiert worden. Wir haben eine Drohnensonde in die allgemeine Richtung geschickt, aus der das Signal kam, und schließlich diesen Planeten entdeckt. Die Universität gab uns ein Team Anthropologen mit, weil es den Anschein hatte, als handelte es sich um eine vergessene Kolonie. Während wir immer mehr Daten sammelten, verlegten die Anthropologen sich darauf, diese Welt Atlantis zu nennen. Nach unserer Ankunft ließ sich das dort unten in den Boden eingesunkene Raumschiff dann rasch eindeutig identifizieren. Es ist die Nikolai Romanan, ein sowjetischer Transporter aus der Ära des Exils vor sechshundert Jahren. Das Anthropologenteam, das hinabflog,
stand unter der Leitung Dr. Leeta Dobras. Die erste Überraschung erlebten wir durch einen der Männer, die die Romananer als Propheten bezeichnen. Wir haben ihn durch die Bordsensoren unter Beobachtung gehabt, und merkwürdig ist, er war eine volle Woche unterwegs, um unser Landungsteam abzupassen.« Einen Moment lang schwieg Ree. »Eine Woche, bevor wir überhaupt wußten, daß wir landen.« »Das verstehe ich nicht.« Obristin Amahanandras furchte die Stirn. »Wir haben’s ebensowenig kapiert, aber es ist bald genug alles klar geworden.« Nun war Rees Tischbombe an der Reihe. »Wissen Sie, es ist so, daß die Propheten die Zukunft kennen.« Ree lächelte in die ungläubigen Blicke der beiden Frauen. »Es ist wahr, sie sind Hellseher.« Verdrossen verkniff Maya die Augen. »Ach, nun hören Sie aber mal auf, Damen! Niemand kann in die Zukunft schauen. Das Prinzip der Kausalität beweist... Sie können Skor Robinson doch unmöglich von so etwas überzeugt haben.« Leichthin nickte Ree. »Stimmt genau. Darum haben wir Chester — das ist dieser, äh, der romananische Prophet — zu Skor Robinson geschickt. Erst nachdem Skor Robinson selbst festgestellt hatte, daß diese Männer wirklich die Zukunft sehen, hat er die Zerstörung dieser Welt und die Ausmerzung aller Zeugen befohlen, die in der gegenwärtigen Situation lästig werden könnten. Gleichzeitig benutzte er das Siriusproblem als Vorwand, um die Aufmerksamkeit der anderen Direktoren von uns und den Romananern abzulenken. Effektiv wie ‘ne Ionenwolke, meinen Sie nicht? Wer hätte je erfahren, daß er hier einen Völkermord begangen hat? Bloß hat ihm Sirius ‘n Strich durch die Rechnung gemacht.« Arish saß stumm an ihrem Platz, doch Maya lehnte sich vor und richtete einen Finger mit langem, spitzem Nagel auf Ree. »Nehmen wir mal an, ich glaube das alles.
Warum hätte er sie vernichten sollen? Es hätte genügt, den Planeten zur Verbotenen Zone zu erklären.« »Das hatte ich ja schon getan.« Ree grinste, als er sich daran erinnerte. »Denken Sie daran, Maya, das Direktorat begründet seine Existenz mit seiner Fähigkeit, ökonomische Fehlentwicklungen vorhersehen und Konflikte zwischen Regierungen eindämmen zu können, richtig? Und wie macht es das wohl?« »Es verwendet Computer«, antwortete Arish, »um wirtschaftliche Trends vorauszusagen. Mehr leistet es nicht. Das Direktorat hat keine reale Macht. Der Weltraum ist eine offene Ressourcenquelle. Die Direktoren koordinieren lediglich.« »So?« meinte Ree mit Betonung. »Und aufgrund welcher Befehle sind Sie hier? Wie kann eine Organisation ohne Macht Ihnen befehlen, mein Raumschiff zu vernichten?« Er sah den Mienen seiner Gesprächspartnerinnen an, daß diese Argumente ihre Wirkung nicht verfehlten. »Stellen Sie sich einmal die Folgen für unsere Zivilisation vor«, fügte Ree hinzu, indem er Maya anschaute, »sollte bekannt werden, daß wir auf Menschen gestoßen sind, die die Gabe besitzen, in die Zukunft zu sehen. Falls es in der Galaxis je einen wirklich destabilisierenden Einfluß gegeben hat, dann ist es diese Hellsichtigkeit. Und berücksichtigen Sie, daß das Volk, das diese Propheten hervorbringt, Krieger umfaßt, die Raubzüge verüben und sich aus Spaß gegenseitig abmurksen. Beachten Sie diese Parameter, was glauben Sie, wie viele Optionen Skor Robinson hatte?« »Völkermord verstößt gegen jedes Gesetz, das seit der Konförderation und dem Untergang der Sowjets Gültigkeit gehabt hat.« Arish schüttelte den Kopf. »Es ist... Das ist einfach unmöglich!« Maya betastete ihr Kinn. »Eine freie Betätigung der Romananer in der Galaxis hätte eine vollkommene gesell-
schaftliche Auflösung zur Folge gehabt. Natürlich mußte Robinson angesichts dieser Aussichten ihre Ausrottung anordnen. Man denke bloß an die Konsequenzen! Versicherungen wären überholt. Wer würde sich noch mit Geschäften abgeben? Weshalb sollte irgendwer noch was riskieren? Es wäre das totale Chaos.« Nicht zum erstenmal hatte Damen Ree den Eindruck, ihrer Stimme einen Anflug ehrfürchtigen Staunens anzuhören. »Verbrechen wären ausgeschlossen. Man wüßte vorher, wen man heiratet.« Sie grinste wie eine Wölfin. Arish schnitt eine mürrische Miene. »Die Sache hat irgendeinen Haken.« Sie musterte Ree. »Warum haben Sie dann überhaupt den Kampf aufgenommen? Sie hätten vorhersehen müssen, daß wir wegen der Siriuskrise zurückgepfiffen werden.« Ree schüttelte den Kopf. »Nur läuft’s so nicht.« Er paffte an seiner Zigarre. »Zuerst haben wir’s uns auch so vorgestellt. Wozu überhaupt weiterleben, wenn jemand genau voraussagen kann, was aus einem wird? Aber beachten Sie, daß nicht jeder Romananer in die Zukunft blicken kann, es sind nur einige wenige Auserwählte mit abweichender Gehirnstruktur. Die Propheten versuchen nie, die Zukunft zu beeinflussen. Fragt man einen dieser gerissenen alten Knaben irgend etwas, nickt er nur und schmunzelt. Lassen Sie mich aber etwas deutlicher werden. Die Natur Gottes hat immer ein philosophisches Problem aufgeworfen. Man kann’s folgendermaßen formulieren: Wenn Gott tatsächlich allwissend ist, kennt er auch die Zukunft.« Ree sah beide Frauen nicken. »Tja, und das hieße, wenn Gott schon über Anfang, Mitte und Ende des Universums Bescheid weiß, hätte dessen Existenz eigentlich keinerlei Sinn. Alles wäre vorherbestimmt. Im Ergebnis dieser Überlegung ist die Natur Gottes immer unsicher geblieben. Nun sehen diese Propheten die Zukunft. Gleichzeitig jedoch — und damit berufe ich mich auf Erklärungen Chester Armijo Garcias — unter-
nimmt Gott alles, um den freien Willen zu bewahren. Verstehen Sie, es gibt nicht nur eine Zukunft, sondern verschiedene Zukünfte, die Wirklichkeit werden können. Die Propheten verändem sie nie zum eigenen Nutzen. Täten sie’s, gerieten sie insofern in eine Falle, weil jede von ihnen gefällte Entscheidung eine exponentielle Anzahl künftiger Auswirkungen hätte, deren jede zu einer noch exponentiel-leren Zahl von Alternativen führte — kurzum, sie müßten sich, weil diese Tendenz sich ständig in die Zukunft fortsetzt, in einem Wirrwarr von Möglichkeiten verheddern. Sie bekämen es mit einer Ewigkeit voller Wahlmöglichkeiten zu tun, die den Geist überfordert. Dann wird so ein Prophet vor lauter Vertiefung in sich selbst irre.« »Um was dreht’s sich dabei also wirklich?« erkundigte sich Maya. »Es geht darum, daß sie sich als Lehrer betrachten.« Ruckartig deutete Ree mit der Zigarre auf sie. »Sie versuchen lehrreich zur Seite zu stehen, während wir unsere Entschlüsse fassen. Wir verkörpern, was sie Cusps nennen, und sie lehnen es ab, auf uns Einfluß zu nehmen. Andernfalls kämen sie in die eben beschriebene Falle. Ihnen zufolge besteht der Sinn des Lebens aus dem, was wir in seinem Verlauf lernen. Indem wir auf der Grundlage des eigenen freien Willens Entscheidungen treffen, werden unsere Erlebnisse zu Erfahrungen Gottes. Sie nennen ihn übrigens Spinne.« »Dann ist Gott in ihrer Kosmologie weder allmächtig«, fragte Arish, »noch allwissend?« »Doch, allmächtig durchaus«, berichtigte Ree. »Aber nicht allwissend.« »Und woher stammen sie?« Maya lehnte sich zurück; sie wirkte noch immer skeptisch. »Ist das einfach ‘ne einzigartige Mutation?« »Die Propheten stammen von den Arapahos ab, einer Volksgruppe nordamerikanischer Ureinwohner. Pro-
pheten werden von Anthropologen bereits in den ersten Ethnografien erwähnt, in Dokumenten, die beinahe achthundert Jahre weit zurückreichen. Während der Periode der Akkulturation und der Reservationen galten die Propheten als ausgestorben. Später führten die Vorfahren der Romananer gegen die Sowjets, die Nordamerika okkupiert hielten, einen sehr erfolgreichen Guerillakrieg. Darum wurden sie schließlich alle deportiert, gemeinsam in einem Raumschiff mit mexikanischen Freiheitskämpfern, dem einen oder anderen Rancher und sonstigen Einheimischen. Man muß beachten, sie waren von Anfang an Kämpfer. Sie haben das Transportschiff gekapert... aber dann konnten sie’s nicht steuern.« »Vielleicht haben ihre Propheten sie hergebracht?« warf Arish versonnen ein. »Wie sie’s geschafft haben, ist nicht so wichtig. Tatsache ist, sie sind da, und Skor Robinson hat in ihnen eine Gefahr erkannt. Also hat er ihre Ausrottung befohlen, ehe sie die Planungen des Direktorats über den Haufen werfen konnten. Davor hatte ich das Kriegsrecht durchzusetzen versucht. Es hat nicht geklappt. Sie mochten nicht aufgeben. Sie wollten lieber im Kampf mit ihren Gewehren gegen unsere Blaster und ST in den Tod gehen. Dr. Dobra schlug eine Methode vor, wie wir sie vielleicht akkulturieren könnten, während Chester zu Skor Robinson flog, um mit ihm zu verhandeln. Wir haben sie erprobt, und es hatte den Anschein, als funktionierte sie. Dabei entging mir allerdings eine Konspiration zwischen den Anthropologen und den Romana-nern. Schließlich enterte ein Leutnant zusammen mit Romananern das Schiff. Leutnant Sarsa besetzte den Reaktorraum und drohte uns alle hochzujagen.« Ree lächelte. »Anscheinend hatte sie von den Romananern zuviel übernommen, sie hat, wie sich die Anthropologen ausdrücken, die Barbarin zu spielen angefangen.«
»Und was war mit den Sicherheitsvorkehrungen?« fragte Maya betroffen. »Sicherheitsvorkehrungen?« rief Ree laut, schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sicherheit! Da unten gab’s ja nur ‘n Haufen Primitiver, die auf Pferden ritten. Nicht einmal unsere teure Sheila hätte sie als Bedrohung empfunden. Sie lassen nicht mal Drachen fliegen. Wer hätte sich denken können, daß sie ‘ne Gefahr fürs Schiff werden?« Er spürte, wie er sich in unvernünftigem Maß aufregte, und zwang sich zur Ruhe. »Meine Stellvertreterin, Majorin Antonia Reary, hat versucht, das Raumschiff unter ihr Kommando zu bringen und einen Angriff auf die Romananer befohlen. Das band mir die Hände. Gleichzeitig traf die Weisung zur Vernichtung der Romananer ein. Aber warum hätte ich ihn befolgen sollen? Er war ... er widersprach der Politik, die ich zu verteidigen geschworen habe. Dort unten leben Männer, Frauen und Kinder. Soll die Geschichte doch jemand anderen als Spießgesellen Hitlers und Dschingis Khans verzeichnen ... nicht Damen Ree.« »Sie hätten die Befehlsgewalt abtreten und die Angelegenheit jemandem überantworten können«, sagte Arish. »Nein.« Ree seufzte. »Wissen Sie, da hatte ich auch schon was von den Romananern gelernt. Ich habe gelernt, daß die Menschheit während dieses unseres Zeitalters des Direktorats etwas verloren hat, nämlich Initiative und Wagemut. Das Direktorat unterdrückt die persönliche Leistung. Sicherlich, es kursieren Geschichten um Bürger, die ein Kind vorm Ertrinken retten oder ihren Körper auf ein Druckleck pressen, aber ihre Namen erfährt man nie. Wer sind diese Menschen? Und gleichzeitig: Entsinnen Sie sich der größeren Forschungsexpeditionen im Laufe Ihres Lebens? Nein? Die Menschen reisen nicht mehr zwischen den Sternen umher. Warum nicht? Der überwiegende Teil aller Fracht wird durch FLF-Raumschiffe befördert. Nur die Patrouille fliegt noch durchs All. Nur die
Patrouille sieht noch über die Stationen und Planeten hinaus, und wir werden jedes Jahr weniger.« Er hieb die Faust noch einmal auf den Konferenztisch. Arish schüttelte den Kopf. »Aber es herrscht Ordnung. Die Menschheit hat keinen Ärger mehr mit Piraten, Kriegen oder religiösen Streitigkeiten. Wir leben in Frieden und Sicherheit. Es hat seit...« »Um einen Preis«, räumte Ree ein. »Ich glaube nicht, daß es diesen Preis wert ist. Anscheinend ist kein Ausgleich möglich. Ich wollte ungern ins Chaos der Konföderation zurückfallen, aber ebenso möchte ich wissen, daß es Menschen gibt, die für den Fortschritt tätig sind. Ich würde gern einen Komponisten kennen, der großartige Musik komponiert hat, oder den Ingenieur, dem wir eine sicherere Reaktorversion verdanken.« »Ehrgeiz ist Sünde«, sagte Maya sarkastisch, zitierte damit ein Direktoratsdogma. »Hm-hmm«, brummte Ree. »Und Ehrgeiz hat Ihnen zum Kommando über die Viktoria verholfen.« Belustigt sah er Maya an. »Wissen Sie, der Rest der Menschheit betrachtet uns als Dinosaurier.« »Egal was wir sind, wir haben gewiße Probleme zu beheben.« Arish hob den Kopf und trank von ihrem Tee. »Auf welchem Stand ist die Einsatzbereitschaft der romananisehen Söldner?« »Sie lernen das Nötige. Die Mehrzahl hat ja sowieso das ganze Leben mit begrenzter Kriegsführung zugebracht. In der Schlaf synchronisation eignen sie sich moderne Kampftechniken an, und sobald man ihnen erst einmal richtiges Zielen eingetrichtert hat, sind sie mit dem Blaster bessere Schützen als die meisten meiner Patrouillensoldaten.« »Wie Ihnen bekannt ist, verstößt die Rekrutierung irregulären Personals gegen die Vorschriften.« Arish musterte Ree durch verengte Lider. »Das gleiche läßt sich von meiner Weigerung sagen, Sheilas Befehl zu befolgen, mein Kommando abzutreten.«
Ree bemühte sich um gleichmütigen Tonfall. »Der Kern des Ganzen ist die Tatsache, daß für die Patrouille eine neue Epoche begonnen hat.« Ree sah, wie Arish bestürzt die Augen aufriß. Mayas dünne, blutleere Lippen waren zu einem bitteren Lächeln verzogen. »Wovon reden Sie?« fragte Arish verunsichert. »Sind Sie der Auffassung, Sie stünden nun über dem Gesetz?« Ree lachte. »Gesetz? Welches Gesetz, Obristin? Ich hatte die Anweisung bekommen, einen von berittenen Viehzüchtern bewohnten Planeten völlig zu vernichten, nur weil ihre alten Schlaumeier mehr als andere Menschen sehen. Und wo bleibt da die Ehre der Patrouille? Wie steht es dabei um unsere Pflicht, Obristin? Zum erstenmal in der gesamten Patrouillengeschichte haben wir aufeinander geschossen/ Wir haben unsere Kameraden umgebracht. Uns gegenseitig Löcher in die Raumschiffe geblastert, weil ein wasserköpfiges Scheusal es so wollte!« Ree maß die Obristin zornigen Blicks. »Nennen Sie den Direktor kein Scheusal!« fuhr Arish ihn an. »Heiliges Kanonenrohr, wie nennen Sie ihn denn?« schnauzte Ree zurück. »Schluß!« Maya klatschte die Handfläche auf die Tischplatte. Sie wandte sich an Arish Amahanandras. »Sie legen sich quer, um das Kommando zu behalten, Majorin. Aber als Brevet-Obristin sind Sie nur nominell Obristin, bis vom Arcturus Ihre Beförderung offiziali-siert wird. Denken Sie daran!« »Anscheinend fällt’s schwer.« Die Lider zusammengekniffen, musterte Ree Arish aufmerksam. »Wissen Sie, ich bin sicher, daß Skor Robinson beabsichtigt, sobald wir das Siriusproblem beseitigt haben, mich des Kommandos zu entheben. Bestimmt haben Sie überlegt, ob die Zusammenarbeit mit mir Ihnen schaden könnte.« Volltreffer. Er sah es Arishs Miene an. »Na schön.« Maya seufzte. »Wir versetzen Ihre Abtrünnigen auf die Bruderschaft. Dadurch müßten die Re-
paraturen rechtzeitig abgeschlossen und die Verluste ausgeglichen werden können. Wann wird es möglich sein, romananische Söldner an Bord zu nehmen?« »Wann wollen Sie welche haben?« »Wie schnell wird ihre Ausbildung beendet sein?« Maya spreizte die Hände. Ihr Blick fiel auf die Krieger an der Tür. »Sie sehen aus, als ob ...« »Als ob sie bereit wären?« Ree lachte. »Ist Ihnen bekannt, wessen es bedarf, um in der romananischen Gesellschaft als Krieger zu gelten?« Er sah die beiden Frauen den Kopf schütteln. »Ein Mann muß entweder einem anderen Stamm Pferde stehlen oder einen Coup erbeuten.« »Was ist das, ein... Coup?« erkundigte Arish sich mißmutig. Ree hob eine Hand, und ein Romananer trat näher. Damen wies auf das Haar, das der Mann am Kriegsrock trug. »Das ist ein Coup.« »Woher ist es?« fragte Maya, die unbeeindruckt wirkte. »Er hat’s vom Kopf eines Manns geschnitten, der von ihm im Kampf getötet worden ist.« Ree verspürte Genugtuung, als er bemerkte, wie seine beiden Gegenüber zusammenzuckten, den Skalp anstarrten. »Jetzt dürfte Ihnen wohl klar sein«, fügte Ree hinzu, »daß sie nicht mehr als das Zurechtkommen in Null-G und den Umgang mit unseren Waffensystemen zu lernen brauchen. Was das Kämpfen betrifft — darin haben sie mehr Erfahrung als Ihre gesamten Patrouillensoldaten.« Nachdem das Shuttle die zwei Kommandantinnen zu ihren Schlachtschiffen zurückbefördert hatte, suchte Ree sein Quartier auf, um sich etwas Ruhe zu gönnen. Während er auf der Koje lag, betrachtete er die romananischen Gewehre, die er an die Wand gehängt hatte. Es stimmte: Nach der Aktion gegen Sirius würde sein Kommando gefährdet sein. Es empfahl sich, gründlich darüber nachzudenken, wie er sich auf diesen Tag vorbereiten könnte.
5 Vom Dach seines Hochbaus aus konnte Ngen Van Chow unter sich ganz Ekrania, die si-rianische Hauptstadt, ausgebreitet liegen sehen. Er lehnte sich in den Relaxer, schaltete den Polarisatorschirm seines Kontaktrons dunkler, bis das Licht der Sonne Sirius und ihres Begleiters, eines Weißen Zwergs, seine Augen nicht länger blendete. Allem Anschein nach hatte er die Lage im Siriussystem vollauf in der Hand. Trotzdem, was sollte werden, falls etwas schiefging? Er zupfte an einer Strähne seines schulterlangen, schwarzen Haars. Ganz gleich, wie gut die Dinge aussahen, eine gute Hafenratte hielt sich immer einen Hinterausgang offen. Und deshalb hatte er eine schnelle Raumjacht bereitstehen. War er erst einmal vom Planeten gestartet, vermochte nichts in diesem Raumsektor ihn einzuholen. Er streckte seine langen Arme und nippte an einem alkoholhaltigen Limonellengetränk. Seine Informationen hatten sich als richtig herausgestellt. Die Revolte hatte die Patrouille vollkommen überrascht. Erst in frühestens sechs Monaten konnten Schlachtschiffe das Siriussystem erreichen. Bis dahin mußte er Druck auf die Arbeitskräfte ausüben, eine Aufgabe, die von Tag zu Tag mehr Einfallsreichtum verlangte. Sie machen sich keine Sorgen mehr. Sie haben keine Patrouillensoldaten vom Himmel herabschwärmen gesehen. Zu viele haben schon zu glauben angefangen, die Gefahr sei vorbei, daß das Direktorat vor ihnen Respekt hätte. Wie also kann ich ihnen Furcht einflößen ? Wie ziehe ich sie vollends auf meine Seite? Ngen runzelte die Stirn. Drei Ereignisse hatten die Unabhängigkeitspartei regelrecht zu einer frühzeitigen
Revolte gedrängt. Erstens waren die Getreidevorräte ausgegangen, und das Direktorat hatte keine Ersatzlieferungen zugeteilt. Zweitens hatte ein anonymer Spender ihr eine halbe Milliarde Kredits aufs Konto überwiesen. Und drittens — kein unwesentlicher Umstand — war das Direktorat vollständig mit den Romananern beschäftigt gewesen. Was für ein Glücksfall, daß die Romananeraffäre sich für Skor Robinson als Bumerang erwiesen hatte! Ngen furchte die Stirn tiefer. Glück? Er strich mit langen, sonnengebräunten Fingern an den feuchten Seiten seines Glases hinab, durchdachte die Ereignisse in nachträglichem Rückblick. Eine anonyme Spende in Höhe einer halben Milliarde Kredits? Von wem? Ngen aktivierte die Kommu und ließ sich noch einmal die illegale Funknachricht abspielen, die die Anthropologin Leeta Dobra von Atlantis gesendet hatte. Wie war es möglich gewesen, daß dem Direktorat alles dermaßen aus der Kontrolle geriet? Wieso hatte es die Reaktion der Sirianer nicht erwartet? Noch bedeutsamer waren Meldungen seiner Agenten, aus denen hervorging, daß sich auf sämtlichen Welten und Stationen des Direktorats Unruhe zu regen begann. Die Menschen forderten Informationen über die Romananer. »Pika?« fragte er in die Kommu. «Hier, Erster Bürger.« Die Holo-Projektion zeigte direkt unter seinem Polarisatorschirm eine Wiedergabe von Pikas grämlicher Miene. »Wir müssen es wie Damen Ree machen und die Fakten über unsere Revolution auf einer allgemein empfangbaren Frequenz in die Galaxis funken. Die Kommunikationseinrichtungen des Direktorats sind von uns übernommen worden. Senden Sie alles, was vorliegt. Sämtliche Reden, die Aufnahmen, wie das Volk das Joch der Direktoratsunterdrückung abschüttelt.« Pika lächelte andeutungsweise, die Augen in seinem
langen Gesicht wurden schmal. »Ja natürlich! Das wird ein Schlag in die Fratzen der Wasserköpfe.« Kurz schwieg er. »Weshalb haben wir nicht sofort daran gedacht?« »Es ist eine Frage der Gewöhnung, Pika«, sinnierte Ngen. »Wie viele andere gangbare Wege haben wir nicht beschritten, weil wir glaubten, sie stünden uns nicht offen?« Pika befeuchtete mit der Zunge die Lippen. »Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde unverzüglich ein Team zusammenstellen, das sich damit befassen soll.« »Hervorragend.« Ngen trennte die Verbindung. Er merkte, daß er wieder auf der Unterlippe kaute, eine ärgerliche, nervös bedingte Angewohnheit. Er versuchte sie abzulegen, seit er als Gossenjunge im Unrat des Raumhafens gelebt, die heikle Gratwanderung zwischen Verhungern, Zuhältern, Psyching und Banden gemeistert hatte. Erneut introierte er sich dem Kommu-Anschluß. Als Holo-Projektion erschien in seiner Sicht das Konterfei der Ersten Bürgerin Leona Magill. »Meinen Gruß«, sagte Ngen leise. »Ich habe nachgedacht.« Magill warf schwarzes Haar über die Schulter nach hinten, während ihre Lippen zuckten. »Tatsächlich?« spöttelte sie mit ihrer sinnlichen Kontraaltstimme. Ihre grünen blickten mit versonnenem Ernst in Ngens schwarze Augen. »Es ist einen Monat her, seit wir die Verwaltungsstellen des Direktorats zerstört haben. In der ganzen Zwischenzeit haben wir keinerlei Mitteilung von unserem reichen Gönner erhalten. Kommt das Ihnen nicht auch merkwürdig vor? Ich hätte erwartet, daß er mittlerweile ein, zwei Ansprüche bei uns geltend gemacht hätte. Soviel Geld wird niemandem ohne Gegenleistungen zugeschoben ... Außer es handelt sich um eine Falle.« »Diese Überlegungen haben wir schon bei Eingang der Überweisung angestellt«, erinnerte Magill ihn in unter-
kühltem Ton. »Wir kannten die Risiken ...« »Und haben beschlossen, das Geld trotzdem zu nehmen,« Ngen verkniff die Lider. Immer wirkst du, als wärst du aus Eis. Weißt du eigentlich, meine Liebe, daß ich dich mit meinen Anatomiekenntnissen zum Schmelzen bringen könnte? Ob du es willst oder nicht. »Und sagen Sie mir folgendes, Ngen: Wo stünde die Revolution heute ohne das Geld? Woher es auch gekommen sein mag, jetzt ist es zu spät, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wir haben gesiegt. Die Resultate sprechen für ...« »Ich weiß. Anders gehandelt zu haben, wäre ... Nun ja, es war genau die Art von Förderung, die wir noch brauchten. Aber gleichzeitig sollten wir sehr wachsam sein. Je mehr Zeit vergeht, ohne daß wir von unserem Spender Nachricht erhalten, um so stärker wird meine Sorge.« Magill hob die Schultern, neigte keß den Kopf zur Seite, ihre Augen glitzerten. »Das ist doch ganz gleich. Übrigens wollte ich Sie gerade anrufen. Ich habe etwas Sonderbares erfahren. Einer unserer Informanten in Arcturus-Stadt hat mir eine hochinteressante Neuigkeit übermittelt. Anscheinend bildet das Direktorat diese barbarischen Romananer zu Patrouillensoldaten aus.« Sie lachte, entblößte dabei weiße Zähne. »Was halten Sie davon, Ngen? Wie sollen Romananer...? Na, Sie brüsten sich doch mit Ihrer Fähigkeit zum Planen. Also, was soll man davon denken?« Ach! Das weiß ich doch schon seit einer Woche. »Ganz einfach, Leona: Sehen Sie, das Direktorat hat nicht mehr die Mittel, um mit Unruhen fertigzuwerden. Es ist von innen her morsch geworden. Es muß Barbaren heranziehen, Söldner. Ohne fremde Hilfe kann es nicht einmal noch die Revolte eines einzelnen Planeten unterdrücken.« Offenbar war das nicht die Antwort, die Leona erwartet hatte. Ngen erkannte Enttäuschung in ihrer Miene.
»Müssen wir uns deswegen Sorgen machen?« »Leona, sie reiten auf Pferden, meine Liebe. Wie könnten analphabetische ...« »Ich bin nicht Ihre Liebe!« Ihre makellosen Gesichtszüge erstarrten zu einem Ausdruck kalter Ablehnung. Ironisch lächelte Ngen und nickte. »Entschuldigen Sie meine plumpe Vertraulichkeit.« »Geben Sie mir Nachricht, falls Sie etwas Neues hören.« Magill musterte ihn mit kaum verhohlenem Abscheu im Blick. Mit anmutiger Hand schob sie sich üppiges, glänzend-schwarzes Haar über die weiße Schulter. »Darf ich davon ausgehen, daß mit der Hiram Lazar keine Probleme auftauchen?« »Ihr Giorj hat mit den Plänen ausgezeichnete Arbeit geleistet. Die Schutzschirmgeneratoren sind installiert. Die Energiezufuhr für die schweren Blastergeschütze hängt lediglich noch von der Lieferung einer Anzahl Toronkristalle ab. Die Kristalle, die wir durchs Ausschlachten der FLF gewonnen haben, sind dafür unbrauchbar, ihre Spektraleigenschaften stimmen nicht. Es müßten nur ...« »Das Toron wird innerhalb eines Monats eintreffen. Ich habe Giorj damit beauftragt, es aus dem Gulag zu holen, sobald er auf Frontier alles erledigt hat.« »Mit Ihrer Privatjacht? Und Sie haben sich selbst dafür gut bezahlt, vermute ich.« Verächtlich schnaubte Magill. »Sobald wir die Kristalle haben ... Vielleicht dauert’s dann noch zwei Wochen bis zur Herstellung eines einsatzfähigen Zustands. Dastar und Helk sind ähnlich hinter dem Zeitplan zurück. Hätten wir mehr Hy-perkonduktoren, wäre es ...« »Bauen Sie in stationären Systemen welche aus. Wir müssen Opfer für die große Sache bringen, ist doch klar. Sonst irgend etwas, das Sie beschäftigt?« »Nein«, entgegnete Magill, »Sie wissen jetzt über alles Bescheid. Sie könnten sich ruhig noch ein paar Gedanken mehr über die Angelegenheit mit den Romananern
machen.« Man konnte ihren Tonfall kaum noch als höflich einstufen. »Und Sie über die halbe Milliarde Kredits«, erwiderte Ngen. Magills Abbild verschwand aus der Kommu-Verbindung. Sie war eine bemerkenswert attraktive Frau; ihr geschickter Umgang mit der Macht erregte Ngen. Wäre es nicht ein Riesenvergnügen, sie kleinzukriegen? Ihre Kompetenz in winselnde Unterwerfung zu verwandeln? Tatsächlich konnte jeder menschliche Körper gegen sich selbst ausgenutzt werden. Sicherlich ließ sich ein Weg finden, um es mit Leona Magill zu versuchen. Ngen wechselte die Schräge des Relaxers, kippte die Rückenlehne in die Vertikale und rief per Kommu die Daten über die Romananer ab, sichtete nochmals Leeta Dobras Report. Ihre Ältesten sollten in die Zukunft schauen können? Pah! Unmöglich. Da war irgend jemandes Phantasie übergeschäumt. Er betrachtete erneut die Holos. Die Romananer hatten dunkle Haut, sie war jedoch weniger dunkel als bei etlichen Völkern der Menschheit. Sie trugen nicht sonderlich sorgfältig geschneiderte Lederbekleidung. Ihre Waffen bestanden hauptsächlich aus primitiven, einschüssigen Büchsen mit durchschnittlichen Kalibern zwischen acht und zehn Millimetern; dazu führte jeder Mann ein stattliches Kampfmesser von ungefähr vierzig Zentimetern Länge. Sie schmiedeten ihre Gewehre in Handarbeit aus Metall, das sie dem Wrack der Nikolai Romanan ausbauten und mischten auf Salpeterbasis ein einigermaßen taugliches Schießpulver. Und das war schon der Gipfel ihrer Technologie? Dem Bericht zufolge kannten sie keinerlei Flugapparate, ganz zu schweigen von Raumfahrt. Und trotzdem bildete das Direktorat sie zu Patrouillensoldaten aus? — Ngen schnitt eine düstere Miene und nippte von seinem Getränk, das er nach dem Anruf bei Leona zeitweilig vergessen hatte.
Parallelen zu Rom im fünften, den Sowjets im einundzwanzigsten Jahrhundert sowie Arpeggio gegen Ende des Jahres 2460 gingen ihm durch den Kopf. Er stieß ein hohles Lachen aus. Also trug die Direktoratspolitik endlich Früchte, die Erntezeit sah an allen Ästen nur Fäulnis. Das Direktorat stand vor dem Chaos; zum erstenmal seit... Natürlich! Skor Robinson hatte der Unabhängigkeitspartei die halbe Milliarde Kredits überwiesen. Die Romananer hatten ihm Furcht eingeflößt. Wenn er die Sirianer sich ein bißchen austoben ließ, mußte seine Überlegung gelautet haben, würde die allgemeine Aufmerksamkeit von Atlantis abgelenkt. Nur hatten sich sowohl Romananer wie auch Sirianer als tüchtigere Aufrührer erwiesen, als Robinson es sich vorgestellt hatte. Gedanken, kühl und klar wie eine Brise, durchzogen Ngens Verstand. Wenn die Romananer Skor Robinson überraschen konnten, hatte die wasserköpfige Mißgeburt sich wohl gedacht, um wieviel leichter mußte es ihnen fallen, Ngen Van Chow, der keinen direkten Zugriff auf das Giga-Verbund-Computersystem besaß, eine Überraschung zu bereiten? Wieder trank Ngen etwas und ordnete seine Gedanken, versuchte sich das Direktorat in weiterem Sinne, in seiner Gesamtheit, zu vergegenwärtigen. Er malte sich die immense interstellare Gesellschaft in ihrer gegebenen Verfassung aus, eine Masse gesichts- und namenloser Wesen, Tag für Tag verwöhnt, ernährt, gekleidet und choreografiert, jedes Bedürfnis wurde erfüllt. Und das waren die Innovativen. Die andere Hälfte der Direktoratsbevölkerung schwebte in ihren Stationen durchs All und scherte sich um den Rest der Menschheit so gut wie nicht. Sie produzierte gerade genug zur Dekkung ihres Bedarfs; nur die Transduktive SubraumKommunikation verband sie mit der übrigen Spezies. Sie
verehrten primitive Fusionsreaktoren als Gottheiten, studierten Verwandtschaftsverhältnisse — und ignorierten die Planetenbewohner fast völlig. Ausschließlich zufällige Ausrutscher zeigten Initiative. Abweichler wie Ngen Van Chow, dem es gelungen war, dem Gesetz zu entgehen — und damit dem Psy-ching, das ihn zu einem zufriedenen, arbeitsamen Bürger umkonditioniert hätte. Am Raumhafen hatte Ngen Leid, Zumutungen, Hunger und Ehrgeiz kennengelernt. Seine Geistesschärfe hatte ihm beim Überleben geholfen. Dem Direktorat schuldet er gar nichts; was er war und hatte, verdankte er nur sich selbst. Und nun werde ich mir alles nehmen. Seine eine große Sorge war gewesen, daß die Sirianer unzulängliche Soldaten abgäben. Er seufzte. »Erst einen Monat ist es seit der Revolution«, murmelte er, »und fast sehe ich meine Befürchtungen bestätigt. Überall rund um mich schlafft die Rebellion ab. Das Direktorat sucht sich Soldaten bei den Romananern, aber ich habe niemanden außer meinem lauen sirianischen Volk, um Truppen zu rekrutieren. Wie stählt man ein verhätscheltes Schaf zu einem harten Soldaten?« Er besah sich die im holografischen Kommu-Display dargestellte Aufnahme eines romananischen Kriegers an. Der Mann war hager, sehnig, seine Augen glommen in mörderischer Bedrohlichkeit. Keine zivilisierte Welt hatte je solche Exemplare Mensch hervorgebracht. Mit dem letzteren Sachverhalt befaßte Ngen sich ausführlicher. Ja! Er lachte vor sich hin, während er ihn genau durchdachte. Da lag die Lösung. Ein Mensch, der alles hatte, bemühte sich um nichts. Die Romananer hatten nichts ... und trotzdem irgendwie das Direktorat zum Zurückstecken genötigt. Falls meine Sirianer auch nichts mehr zu verlieren haben, werden sie dann ebenso zu einer Kraft, mit der man rechnen muß? »Ja wahrhaftig«, flüsterte Ngen, sein Blick schweifte
über die vertraute Skyline Ekranias. »Mein Volk, für dich ist die Zeit gekommen, um wieder den Wert des Lebens zu begreifen. Ja, du sollst lernen, was es heißt, Furcht zu haben. Ich werde dich vor die Wahl stellen. Entweder kannst du durch mich leben ... oder du mußt sterben!« * * * Chester Armijo Garcia hatte den Umgang mit der Zeit erlernt. Kein Mensch konnte vor ihr Bestand haben. Statt es zu versuchen, nahm er einfach hin, daß sie verstrich, ließ sich von ihr umfließen, sie über sich hinweg und durch sich hindurchströmen. Er las die Schriften ungenannter Physiker, erfuhr daraus, daß sie Zeit als ein Zusammenspiel von Bewegung und Raum einschätzten, obwohl ihre mathematische Beweisführung ihm zu hoch blieb. Zeit, mochte sie nun gekrümmter Raum oder nicht sein, füllte Chesters Universum aus, wurde zu seinem Element. Anfangs hätte das Bemühen, mit der Zeit zurechtzukommen, ihn beinahe ins Verderben gestürzt, es hatte ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ein Durcheinander von Szenen, Lauten und anderen Wahrnehmungen aus der Zukunft hatte ihn wie ein fürchterlicher Mahlstrom durchwirbelt. Ursprünglich hatte er lediglich den Ehrgeiz gehabt, Viehzüchter zu werden, einen recht guten Ruf als Pferdedieb zu erwerben und viele Kinder zu zeugen, die er im Alter auf den Knien schaukeln könnte. Das hatte sich an dem Tag geändert, als der Prophet kam und ihm befahl, sich ihm und Philip Smith Eisenauge anzuschließen. Zunächst hatte es den Anschein gehabt, als wäre es Philip, dem die Zuwendung des Propheten galt. Doch zum Schluß war Philip vor Furcht wie gelähmt und dazu außerstande gewesen, seine Visionen zu akzeptieren. Die Versuchung, die Zukunft abzulehnen, um sich Leid und Schmerz zu ersparen, war zu stark gewesen.
Gleichzeitig hatte ehester mit gesteigerter Klarheit in die Zukunft zu sehen begonnen; es schien, als hätte Spinne es sich anders überlegt und sich statt für Philip für ihn entschieden. Unter Anleitung der Alten lernte ehester den Umgang mit den Visionen. Aus den grauen Nebeln der unbekannten Bereiche seines Geistes traten sie hervor und entfalteten sich; zuerst waren es unbewegte Bilder, doch indem die Sinne seiner Hellsichtigkeit sich entwickelten, fingen sie zusehends an bewegter zu werden. Schließlich sah er lebhaftes Geschehen mitsamt allen dazugehörigen Geräuschen und sonstigen Eindrücken. Die Propheten waren dem Volk immer ein Rätsel gewesen. Heute verstand Chester den Grund. Um geistig gesund zu bleiben, mußte ein Prophet dem Aufihnzukommen der Zeit nachgeben, es passiv auf sich einwirken lassen, schlichtweg annehmen, was werden sollte, ohne durch Gefühle oder andere Anteilnahme darin verstrickt zu werden. Er mußte sich völlig aufgeben, durfte weder der Zeit noch der Bestimmung widerstreben. Er hatte zu vergessen, wer er war, mochte er Che-ster Armijo Garcia oder sonstwer sein. Für ihn galt es, sein Menschsein zu vergessen, eins mit Spinne und dem Universum zu werden. Jetzt lächelte er wohlwollend den drei monströsen Visagen zu, die sich in holografischer Tiefenschärfe vor ihm zeigten. Das nahezu selige Lächeln seines freundlichen Gesichts wich einem Ausdruck der Sympathie, des Verstehens, der Einsicht, was es bedeutete, Mensch zu sein und sich mutig gegen eine bedrohliche Krise zu stemmen, ohne zu ahnen, daß alle Anstrengungen vergeblich sein sollten. Das Lächeln blieb in seiner Miene, doch es war bittersüß geworden, ähnlich wie bei einem Elternteil, der ein Kind sich gegen die Unausweichlichkeit des Erwachsenwerdens sträuben sieht. Die Gesichter, die vor ihm in der Luft schwebten, hatten ein groteskes, disproportioniertes Aussehen. Chester
sah an zu Übergröße herangewucherten Schädeln, teils verborgen unter glänzenden, engen Hauben, die die ballonartigen Schädeldecken umhüllten, Karikaturen menschlicher Körper hängen. Die Direktoren; sie waren die Herrscher des Direktorats. Genetisch veränderte Menschen, die über die Fähigkeit verfügten, durch ihre Kontakthauben direkt mit dem Giga-VerbundComputersystem zu kommunizieren. Ihre Entscheidungen betrafen die Gesamtheit des von Menschen bewohnten Weltraums, steuerten Bevölkerungswachstum, Industrieproduktion, Forschung und Kommunikation. »Chester Armijo Garcia«, sagte der Direktor mit den blauen Augen zur Begrüßung. »Direktor Skor Robinson.« Chester lächelte breiter und nickte ihm knapp zu. »Das sind meine Kollegen.« Skor Robinson stellte sie vor. »Assistenz-Direktor Semri Nawtow.« Einer der riesigen Köpfe deutete ein Nicken an; die dunklen Augen blieben ausdruckslos. »Assistenz-Direktor An Roque.« Der dritte Kopf nickte. Unentwegt lächelte Chester, fühlte den ununterbrochenen Lauf der Ereignisse wie das Wirken einer unaufhaltsamen Kraft. »Ihr seid besorgt wegen der Sprengstoffanschläge auf Sirius«, konstatierte Chester. »Aber ihr hättet kaum irgend etwas dagegen tun können. Die Voraussage der ...« »Diese Information ist nicht für die Allgemeinheit freigegeben worden.« An Roques Stimme klang monoton, als hätte er seine Stimmbänder jahrzehntelang nicht benutzt. »Du hast die Berichte über mich gelesen«, sagte Chester in umgänglichem Ton. »Dies ist unser erstes Gespräch, Direktor Roque. Du mußt dich erst persönlich davon überzeugen, daß das, was Direktor Robinson dir über mich erzählt hat, wahr ist. Gleichzeitig bist du ratlos, weil du den Sinn der Explosionen nicht durchschaust. Es verbirgt sich darin für euch etwas Lehrreiches. Möchtet ihr
es erfahren?« ehester neigte den Kopf, faltete die Hände im Schoß. »Belehre uns, Prophet.« Robinsons Stimme knarrte spröde, Chester kümmerte sich nicht um die Abneigung in seinen Augen. »Direktor Robinson weiß es schon, ihr anderen dagegen nicht«, erklärte Chester in warmherzigem Tonfall; er spürte das Harmonische der Zeit. »Als Prophet habe ich die Aufgabe des Lehrens. Ich werde euch keine Empfehlungen geben. Ihr sollt wissen, daß Ngen Van Chow sich daran gemacht hat, sein Volk zu disziplinieren. Auf meinem Planeten ist diese Lektion wohlbekannt, man atmet sie mit dem ersten Atemzug ein, das Dasein als solches lehrt sie uns. Der Grund, weshalb ihr sein Vorgehen als irrational bewertet, liegt in eurer Entfremdung vom Rest der Spezies.« Schmerzlich verzog Direktor Nawtow das Gesicht. Jahre waren verstrichen, seit er die Gesichtsmuskeln das letzte Mal beansprucht hatte. »Ich begreife es noch immer nicht. Er beschuldigt uns, seine Bürger zu töten, aber wir tun nichts dergleichen. Warum funkt er derartige Lügen ins ganze All? Welchen vernünftigen Sinn hat es, unter anderen Direktoratsbürgern Unruhe hervorzurufen?« Chester konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Miene des Assistenz-Direktors. »Was er getan hat, ist sehr einfach. Menschen brauchen Motivation. Sie lassen sich durch die Erwartung entweder einer Belohnung oder einer Strafe motivieren. Ngen hat ihnen einfach diese Art von Motivation geliefert. Seine Strategie flößt ihnen die Erwartung ein, daß das Direktorat, falls es in der jetzigen Konfrontation siegt, sie bestrafen wird, und gleichzeitig, daß sie, falls der Sirius sie gewinnt, in Sicherheit sein werden. Infolgedessen werden ihre Emotionen geschürt, nimmt ihre Bereitschaft, sich für ihre Sache zu engagieren, wieder zu. Die Toten verringern die Zahl der Münder, die die Unabhängigkeitspartei ernähren muß, während der
Wunsch nach Rache die Erwartung des Lohns verstärkt. Alles in allem handelt es sich um einen sehr gut eingesetzten gesellschaftlichen Stimulus. Es ist der Zweck seiner Sendungen, das übrige Direktorat zu demoralisieren, eure Kräfte zu schwächen, die Bevölkerung zu spalten und die Basis eures politischen Systems zu unterminieren.« »Wenn es sich so verhält«, fuhr Nawtow auf, »ist er ein Ungeheuer!« »Gingt ihr anders vor, wenn’s aufs Überleben ankäme?« fragte Chester und lächelte ungezwungen. Nawtows Augen funkelten. »Er hat seine Mitbürger ermordet. Aber uns schiebt er die Schuld am Tod von Frauen und Kindern zu. Ein Wohngebiet hat er ausradiert. Er behauptet, wir hätten den Sirianern Vernichtung angedroht. Das sind Lügen!« »Aber es sind nützliche Lügen. Seine Fabriken produzieren wieder. Die revolutionäre Tendenz der Menschen hat neuen Aufschwung erhalten.« Während des Großteils des bisherigen Wortwechsels hatte Robinson geschwiegen. »Werden wir am Ende siegen, Prophet?« fragte er jetzt. Chester zuckte die Achseln. »Vielleicht.« »Was soll das heißen, >vielleicht?<« brauste Roque auf, überanstrengte seine atrophierten Stimmbänder. »Wenn du wirklich die Zukunft siehst, dann sag’s uns! Wir befehlen es dir.« Chester spreizte die Hände. »Ich kann es nicht sagen. Das Direktorat ist im Umbruch begriffen. Die Geschehnisse entziehen sich eurer Kontrolle. Eine Vielzahl von Cusps — Entschlüssen auf der Grundlage freien Willens — steht bevor, die die verschiedenerlei möglichen Zukünfte beeinflussen und abändern. Ich kann den Verlauf nicht vorhersagen, das weißt du doch, du hast die Berichte zur Kenntnis genommen. Gott schützt den freien Willen mit großem Eifer. Ihr selbst verkörpert Cusps. Deshalb erachte ich eure Analyse Ngen Van Chows als interessant.
Laßt mich eine Warnung aussprechen.« Für einen Moment schwieg Chester, um seinen folgenden Worten erhöhten Nachdruck.zu verleihen. »Hütet euch vor euren Gefühlsaufwallungen, Direktoren. Ihr seid seit langem von allen sonstigen menschlichen Wesen abgesondert. Ihr lebt mit euren gigantischen Computerkomplexen und habt eure Wurzeln vergessen. Je nach dem Ausgang der Cusps bleiben dem Direktorat noch bis zu sechzig Jahre. Falls ihr duldet, daß eure Egos eure Reaktionen auf Leute wie Ngen Van Chow diktieren, könnt ihr innerhalb eines Jahrs eure Zivilisation bis ins letzte zugrunderichten. Ihr seid gewarnt. Mehr habe ich nicht zu sagen.« Roques und Nawtows Konterfeis verflimmerten. Es überraschte Chester nicht, daß Skor Robinson die Verbindung noch beibehielt. »Ich bin ein großes Risiko eingegangen, Romananer. Eigentlich bist du mir nur vorgeführt worden, weil ich feststellen wollte, was für eine Art von Geschöpf du bist, ehe ich dich und dein Volk vernichte.« »Aber du stehst nun vor einer Situation, die du selber geschaffen hast«, erwiderte Chester liebenswürdig. »Du hast die Lage auf Sirius so werden lassen, wie sie jetzt ist. Deine Entschlüsse sind aus freiem Willen gefaßt worden.« Erneut lächelte Chester. »Hast du etwas gelernt, Direktor?« »Ich habe gelernt, daß du und die anderen deines Schlages für unsere Gesellschaft ein Gift sind.« Skor Robinons Miene entbehrte jeder Emotion. »Vielleicht sollte ich doch eure Annihilation befehlen?« »Die Entscheidung liegt bei dir, Direktor.« Chester nickte. »Du müßtest vor mir Furcht haben.« In der aufgequollenen Masse seines Schädels wirkten Robinsons blaue Augen winzig. Er wartete auf Chesters Reaktion. »Weshalb?« fragte Chester schließlich. »Kannst du die Realität verändern? Hast du die Macht, um meiner Seele
Schaden zuzufügen? Kannst du Gott gefährlich werden?« »Ich könnte dir grausame Schmerzen bereiten, bevor du stirbst«, antwortete Robinson. »Leiden ist nie angenehm.« »Wenn du es wünschst, kannst du es tun«, bestätigte Chester in aller Ruhe. »Aber dir ist klar, daß das nur ein Eingeständnis deiner Unfähigkeit wäre, dich mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen.« Robinson musterte ihn aus fischkalten Augen. Zuletzt nickte der Direktor. »Du hast recht. Jetzt sage ich dir zu deiner Warnung, daß ich aus deiner Erläuterung des sirianischen Problems tatsächlich etwas gelernt habe. Von Ngen Van Chow habe ich gut gelernt. Schönen Tag noch, Prophet.« Robinsons Abbild verblaßte, seine Worte klangen einen Moment lang hohl nach. Chester entspannte sich, er spürte, wie eine Entscheidung fiel, sie Änderungen anbahnte, ein Cusp Früchte trug. Er erahnte eine Umwandlung in der Matrix der Zukunft und wartete, während sie auf ihn zufloß. *
*
*
»Sag Rita zu mir, Kindchen«, forderte Rotschopf Viele Coups Susan auf, als sie sich über die Kruppe vom Rükken des rotbraunen Wallachs rutschen ließ. Vor ihnen stand auf seinen Landekufen ein großer, glänzend-weißer ST. Susan atmete tief durch, während sie Rita die Rampe zum Einstieg hinauffolgte, die Maße des Flugapparats brachten sie zum Staunen; der schlanke, mörderisch gefährliche ST hatte eine Länge von über einhundert Metern, er verschlang sie nachgerade beim Einsteigen. Ein Patrouillensoldat salutierte zackig, als sie die Maschine betraten, und Susan stockte der Atem. Konnte es in der gesamten Welt ein größeres Wunder als dieses Flugding geben?
Das makellos blitzend-weiße Innere machte sie regelrecht benommen. »Was ist los, Kleines?« fragte Rita, indem sie sich umdrehte. Ihre grünen Augen blickten kühl und versonnen. »Dir steht der Mund offen wie ‘n Schleusentor.« »Ich... ich...« Ratlos hob Susan die Hände. »Dies Ding haben Menschen hergestellt?« In freudloser Belustigung lachte Rita auf. »Jawohl. Und es ist bloß ‘n gewöhnlicher Sturmtransporter. Du müßtest mal die Weltraumstationen sehen. Die sind wirklich riesig ... Na, ist egal. Komm, wir wollen dir mal ‘n paar anständige Kleider besorgen.« Ehrfürchtig ging Susan ihr nach, die Monitoren und die allgemeine Fremdartigkeit dessen, was sie sah, schüchterte sie ein. Ein ST mußte einfach Zauberwerk sein. Wie hatte das Volk je dazu den Mut gefunden, dagegen zu kämpfen — gegen solche Magie? Rita legte den Handteller an eine weiße Wand. Susan schrak zurück, als eine Türöffnung erschien, plötzlich scheinbar in der massiven Wand klaffte. Nervös und scheu folgte sie Rita hindurch. Ein erstickter Aufschrei entfuhr ihr, als sich die Wand wieder schloß; furchtsam starrte sie die Stelle an, wo die Tür verschwunden war, bemerkte diesmal jedoch, wo sie sich befunden hatte, einen Unterschied in Färbung und Aussehen der Wand. »Nur die Ruhe, Susan.« Rita runzelte die Stirn. »Du wirkst wie eine verängstigte Katze.« »Ist das Ma-Magie?« fragte Susan, deutete auf die Tür. Für einen Moment gruben Rita Sarsas Zähne sich in die Unterlippe. »Nein, keine Magie. Wissenschaft. Es gibt eine Anlage ... äh ... ein Gerät, das meine Hand spürt, wenn ich sie an die Wand lege. Es tastet meine Handlinien ab und schaltet einen Motor ein, der die Tür öffnet.« Susan nickte, versuchte die Erklärung zu begreifen, schaute sich wie entrückt in dem kleinen Raum um. Rita
drückte eine Fingerspitze auf eine andere Stelle der Wand, und ein klarer, runder Gegenstand kam zum Vorschein. Sie stellte ihn in eine kleine Nische, Ein Keuchen entfuhr Susan, als eine Flüssigkeit ihn füllte. »Aus den Wänden fließt Wasser?« Susan blinzelte, schüttelte den Kopf. »Ihr Sternenmenschen seid ein mächtiges Volk.« Rita trank aus dem durchsichtigen Gefäß, ließ sich auf eine Art schmalen Wandbretts sinken, in dem Susan nun ein Bett erkannte. »Susan ...« Ritas Stimme wurde leiser, während ihre grünen Augen unterkühlt blieben. »Ist dir eigentlich bewußt, wie stark du dich im Hintertreffen befindest? Ich meine, du hast dein ganzes Leben damit zugebracht, im Schneidersitz auf Lehmböden zu hocken. Du kennst kein einziges Wort der Standardsprache. Dein Lebtag hast du noch keinen elektrischen Schaltkreis gesehen. Guckst du hin, hältst du Kommu und Verpflegungsautomaten für Magie.« Susan schluckte. »Ich möchte Kriegerin sein«, flüsterte sie; ihre Ehrfurcht wich, Sorge wegen Sarsas Tonfall löste sie ab. Rita stieß ein Brummen aus und nickte. »Kann sein, Eisenauge hat doch recht. Vielleicht nehme ich mir mehr vor, als machbar ist.« Sie heftete ihren harten Blick auf Susan. »Du willst Kriegerin werden? Wie sehr? Was würdest du dafür opfern?« Susan senkte den Blick, ihre Schultern sanken herab. »Alles«, antwortete sie mit hohlem Klang ihrer Stimme. »Anders wär’s ja mein Tod. Wenn ich keine Kriegerin werde, nicht mit euch Sternenmenschen gehe ... werde ich ohnehin sterben ... Auf die eine oder andere Weise.« »Sieh mich an, wenn du mit mir redest«, knurrte Sar-sa. Zögerlich schaute Susan hoch; sie fühlte sich verlegen, gehemmt, in die Enge gedrängt. Stoßartig atmete Sarsa aus, schlug die Hände auf die
Oberschenkel, erhob sich von der Pritsche. Grimmig richtete sie einen Raubvogelblick auf Susan, jagte ihr neue Furcht ein. »Na gut, verdammt noch mal!« raunzte sie. »Du sollst deine Chance haben ... aber unter einer Bedingung.« Susan nickte, die nervliche Belastung und Furcht wühlten in ihren Eingeweiden. »Du mußt mir etwas versprechen«, verlangte Rita. »Bei deinem Leben mußt du mir vor Spinne versprechen, daß du tun wirst, was ich sage. Verstanden? Du mußt mir zusagen, daß mein Wort für dich Gesetz ist!« Ein sommersprossiger Finger wies aus nächster Nähe auf Susans Nase. »Ich ...« Susan rang mit dem Kloß, der ihr im Hals zu stecken schien. »Ich versprech’s, Rita.« Das Blut rauschte in Susans Ohren. Sie forschte in den schrecklichen grünen Augen nach einer Spur von Wohlwollen. Nicht die geringste Andeutung entdeckte sie. Konnte Rotschopf Viele Coups wirklich dermaßen hart sein? »Gut«, fauchte Sarsa, »denn du wirst dich perfekt bewähren müssen, Susan.« Ihre Stimme nahm einen Ausdruck fürchterlicher Unerbittlichkeit an. »Du wirst dir keinen einzigen Fehler erlauben dürfen, verstehst du mich? Du repräsentierst die Chancen sämtlicher Frauen auf dieser Welt. Fällst du mir in den Rücken, dann bringe ich dich um, das schwöre ich dir bei Spinne!« Susan zitterte. Das Klappern, das sie auf einmal hörte, stammte von ihren Zähnen. Erschrocken biß sie die Kiefer zusammen. Sie mußte ihren ganzen Mut bis ins letzte aufbieten, um Rita Sarsas Blick standhalten zu können; es gelang ihr nur mit knapper Not. »Du machst mir den Eindruck, als ob du dich fürchtest«, meinte Rita halblaut, entzog ihr den Blick, schob ein Wandfach auf und begann Stapel vielfarbener Sternenstoffe durchzusehen. »Es ist auch so«, bekannte Susan, bereute es jedoch sofort, legte sich eine Hand auf den Mund.
Sarsa lachte, als sie ihre aufgerissenen Augen sah. »Beruhige dich, Susan.« Jetzt klang ihre Stimme freundlicher. »Daß du Furcht hast, ist normal. Das Fürchten ist das erste, was ein Krieger lernt, aller Angeberei und Prahlerei zum Trotz.« Sie warf Susan etwas Blauschimmerndes zu. »Da, nimm das. Zieh dich aus und stell dich hier hinein. Man nennt das ‘ne Dusche. Hast du was gegessen?« Susan fing den weichen Stoff auf, dessen Schönheit ihr ein Keuchen entlockte, schüttelte den Kopf. Sie strich behutsam über das Kleidungsstück, zögerte, lief rot an. »Na los«, grummelte Rita, die ihr Zögern irritierte. »Um Himmels willen, ich bin doch selbst Frau. Wir sind alle gleich gebaut.« Sie grinste. »Außerdem zählt Zimperlichkeit nicht eben zu den romananischen Tugenden.« Dagegen ließ sich kaum etwas einwenden. Susan legte ihr Kalbslederkleid ab und trat in die enge Kammer, die Rita ihr gezeigt hatte. Ritas Fingerkuppen huschten über farbige Flecken an der Wand. Wohlig warm schoß Wasser über Susans Haut. Sie jauchzte, während unsichtbare Finger ihren Körper hinabzugleiten, das Wasser abwärtszustreifen schienen, bis es in ein Loch im weißen Material des Bodens gurgelte. Susan bebte, als sie die Kammer verließ, spürte das Prickeln ihrer Haut. Sauber! Sie war völlig sauber geworden. Ihr Haar glänzte. Aus Rita Sarsas Hand nahm sie den Sternenstoff entgegen und zog sich das blaue Gewebe über den Kopf, staunte über das leichte Gewicht. »Verflucht noch mal«, schalt Rita, erneut verärgert, weil Susan wegen der Dusche so große Augen machte. »Das ist doch bloß ‘ne blöde Dusche. Damit hat’s absolut nichts weiter auf sich.« Susan nickte und schluckte. Bin ich unverändert? Hat sie meine Seele fortgespült? Was für Wunder diese
Sternenmenschen beherrschen! Sie müssen vollkommen sein, wenn sie über soviel Gottmacht verfügen. »Komm her!« Rita deutete auf eine Reihe bunter Perlen an der Wand. »Das ist ein Ausgabeautomat der Küche. Nichts Magisches, kapiert? Jede Farbe dieser Tasten hat einen bestimmten Sinn. Die Speisen- und Getränkeauswahl zu lesen, kannst du später lernen. Drück die rote Taste. Hab keine Angst.« Das Ding, das Sarsa als Taste bezeichnete, gab unter Susans Fingerdruck nach. Unwillkürlich sprang Susan zurück, als die Wand einen mit dicker Suppe gefüllten Teller ausgab. »Ich habe dir doch gesagt, ‘s ist ‘ne Maschine.« Sarsa grinste. »Du beherrschst sie.« Der Essensduft brachte Susans Magen zum Rumpeln. Wieviel Zeit war vergangen, seit sie zuletzt etwas gegessen hatte? Drei Tage inzwischen? Ihre Finger zitterten, während sie den Teller mit ängstlicher Vorsicht nahm und ein wenig schlürfte. Die Suppe war heiß, so daß sie sich die Lippen verbrannte. In Susans Mund sammelte sich Speichel, der Hunger überwand den Schmerz. »Setz dich hin.« Rita wies auf den Sessel. Susan nahm Platz, rückte sich umständlich zurecht, fühlte sich unbeholfen. Sie war es gewohnt, auf einer Decke auf dem Boden zu sitzen. »Zivilisierte Leute schlappern ihr Essen nicht aus dem Teller«, sagte Rita. Sie setzte sich der Romananerin gegenüber, benutzte zum Essen einen merkwürdigen Gegenstand; ein gleiches Gerät reichte sie Susan. »Du mußt das hier verwenden. So.« Susan ahmte sie nach, bog linkisch die Finger um den am Ende eines Stiels befindlichen, kleinen Schöpftrog. Wärme und Kraft durchströmten sie, flossen in ihre Glieder, linderten ihre Furcht und vertrieben die vom Hunger verursachten Beschwerden. »Man könnte meinen, du hättest tagelang nichts zu
essen gekriegt«, bemerkte Rita. Susan nickte, ließ sich einen zweiten Teller Suppe geben, aß langsam, um die Mahlzeit bei sich zu behalten. Einige Minuten später lächelte sie, während sie sich die Essensmaschine genauer besah. »Und jetzt komm hier her.« Rita klappte etwas aus der Wand, das sich zu einem Stuhl entfaltete. Susans Blick fiel auf mattschwarzes Glas, als sie sich auf den Sitz schob; noch hatte sie Schwierigkeiten bei dieser Art des Sitzens. »Das hier ist ein Kontaktron«, sagte Rita, stülpte Susan einen goldenen Reif auf den Schopf. Das schwarze Glas flackerte, und Susan schnappte wieder nach Luft, krampfte sich zusammen. »Bleib ganz ruhig.« Rita neigte den Kopf zur Seite. »Sag die folgenden Wörter.« Sorgfältig äußerte sie zwei Wörter in einer Sprache, die Susan nicht verstand. Susan brauchte drei Versuche, um die Aussprache richtig zu wiederholen; da bildeten sich zu ihrer Überraschung auf dem Glas Reihen von Figürchen. »Was du jetzt getan hast, war nichts anderes«, erläuterte Rita im Tonfall nachdrücklicher Ermutigung, »als dir eine Verbindung zur Kommunikation herzustellen. Mit diesem Apparat kannst du alles lernen, was du wissen mußt. Er wird’s dir beibringen ... Sogar wenn du schläfst.« Rita setzte sich gleichfalls ein Kontaktron auf. »Willkommen in deinem neuen Leben, Kleines. Heute wirst du das Alphabet lernen.« *
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Susans Gedanken wirbelten, während sie zur ST-Luke hinausstrebte. »Ich hole meine Sachen«, sagte sie und drehte sich nach Rita um. »Viel habe ich nicht, bloß ‘n paar Kleinigkeiten.« Sie zuckte die Achseln. »Alles klar.« Rita nickte. »Ahm ... Hör mal zu. Du wirst
auf dem Flug zum Sirius noch reichlich Zeit zum Lernen haben. Äh, vielleicht kennst du ja ... ahm ... ‘n jungen Mann oder so, du weißt schon. Es dauert noch mindestens einen Tag, bis wir abfliegen. Also laß dir Zeit. Verabschiede dich. Heiliges Kanonenrohr, vielleicht willst du ja doch noch ‘n Rückzieher machen.« »Danke, Rita.« Susan lächelte und verdutzte sich damit selbst. Ein Lächeln? Ein wirklich ungezwungenes Lächeln? Das Alphabet kreiste ihr durch den Kopf, während sie die dunklen Straßen durchquerte. Man fügte es zu Wörtern zusammen. Verschiedene Buchstaben bedeuteten verschiedene Laute. Wie recht Sarsa gehabt hatte. Ein neues Leben bot sich Susan unter den Fingerspitzen an. Welche Wunder mochte die Kommu noch enthalten? Eine Maschine? Tatsächlich? Keine fremde Art von Gott? In ihrer Nachdenklichkeit merkte sie nicht, wie Willy Roter Falke Pferdefängers geschmeidige Füße ihr fast lautlos nachschlichen. Sie schrak erst zusammen, als dicke Arme sie umschlangen, eine harte Hand sich auf ihren Mund preßte. »Ich hab sie.« Pferdefänger lachte, während Ramon hinter einer Hütte hervorgewieselt kam und Susan die Gliedmaßen, mit denen sie um sich schlug und trat, mit Weidedraht fesselte. »Und nun, mein Freund« — Ramon kicherte — »wollen wir sie uns ein für allemal vom Hals schaffen. Das war das letzte Mal, daß sie mir Schande bereitet hat. Ohne deine Hilfe hätte ich’s nicht geschafft.« Pferdefänger lachte auf. »Man weiß nie, wann ich eine Gegenleistung gebrauchen kann, Ramon. Irgendwann könnte es sein, daß ich von dir ...« »Du brauchst mich nur zu fragen, mein Freund. Du kannst dich jederzeit an mich wenden. Das weißt du doch genau.« »Wir müssen sie weitab von der Siedelei töten«, sagte
Pferdefänger. »Es wäre schlecht, fände jemand ihre Leiche, bevor ich zu den Sternen fliege. Angesichts der neuen Gepflogenheiten, die uns die Patrouille bringt, wär’s ungünstig.« »Na gut«, stimmte Ramon zu. »Aber sie ist bloß ‘n Mädchen. Du weißt, was Weiber wert sind.«
6 Beim Geräusch von Wasser, das auf die Felsen plätscherte, erwachte John Smith Eisenauge, zwinkerte sich ins Wachsein zurück. Rings um ihn erstreckte sich das Lager Gessali, abgesehen vom Wasser, das im Freien aus den grauen Nebeldünsten herabprasselte, still wie ein Grab. Er schauderte in der kalten Luft, wickelte sich, zumal das Feuer neben ihm, wie er bemerkte, erloschen war, enger in seine Decke. Über seinem Kopf strahlte ein im Schatten des Felsüberhangs verborgenes Bild Spinnes Macht aus. Eisenauge blinzelte in die Dunkelheit; er kannte die vielfältigen Einzelheiten der Malerei ganz genau. Unter diesem Zeichen hatte Leeta sich verändert. Dank Spinne hatte die vorher ängstlich und immer unpersönlich kühl gewesene Anthropologin neue Kraft gefunden. Sie hatte den durch eine Kugel der Santos verwundeten, dem Tode nahen John Smith Eisenauge ins Lager Gessali geschleift. Bei dem Mann, den sie getötet hatte, nahm sie den Coup; die fauligen Leichen der Toten hatte sie hinaus ins Unwetter geworfen. Hier war sie zu einer Spinnenkriegerin ausgewachsen, hatte sie sich dem Volk geweiht... und Spinne. Und hier hatte John Smith Eisenauge sie zu lieben begonnen. Eisenauge unterdrückte seinen Kummer. »Und du hast sie mir genommen, so wie jede Frau, die mir etwas bedeutet hat.« Er verkniff die Lider. »Du magst Gott sein, Spinne, aber warum quälst du mich? Müssen deine und meine Absichten jedesmal unvereinbar sein? Muß ich dein Wirken stets verfluchen? Mußt du immer jene vernichten, die ich liebe?« Er raffte sich hoch, stieß sich dabei den kleinen Finger
und zuckte zusammen. Die Fingerspitze hatte er nach Jennys Tod abgeschnitten und unter einem Felshügel hoch oben in den Bärenbergen begraben. Jetzt lag auch das zweite Fingerglied an einem erhöhten Ort begraben — und mit ihm der Schmerz um Leetas Tod. Der Brauch, bei tiefem Leid von einem Stück des Körpers Abschied zu nehmen, besänftigte die Seele, machte Gram tragbar, war ein handfestes Symbol des Wehs und Verlusts. Als Eisenauge den Finger hob, um ihn zu betrachten, löste die Bewegung ein Brennen und Jucken in der im Heilen begriffenen Schulter aus, an der Großer Mann ihm eine Verletzung beigebracht hatte. »Ach, Leeta«, flüsterte Eisenauge, spürte in der steinernen Gebärmutter des Lagers Gessali ihre Gegenwart. »Nun fliege ich zu den Sternen, um deinen Traum wahrzumachen. Sieh selbst. Schaust du dich um? Das Volk lebt. Diesmal haben wir gesiegt.« Er lugte in die rußige Finsternis über seinem Kopf empor. »Falls Spinne uns nicht hereingelegt hat.« Er füllte seine Lungen mit der feuchten Luft des gewittrigen Regenwetters, blickte zum einem aufgesperrten Rachen ähnlichen Höhlenausgang des Lagers Gessali hinaus. Modriger Geruch nach Regen, Schlamm und frischem Pflanzenwuchs drang in seine Nase. Vor dem Felsüberhang der Höhlenöffnung, von dem dauernd ein Vorhang aus Wasser herabtroff, wallten graue, schwere Dünste, durchrieselt von ätherischen Regenschleiern; die Felsen des Canons gleißten von Nässe, und schon bildeten sich die ersten Rinnsale. Eisenauges schwarze Stute stand klatschnaß, den Kopf gesenkt, im Regen, graste im gedämpften Morgenlicht, fraß unterhalb der Felshöhle üppiges Grün von den Hängen. »Leeta, sei bei mir«, raunte Eisenauge dumpf, als könnte er dem Gestein selbst Ausläufer ihrer Seele entziehen, sich in die Erinnerung an sie hüllen.
Für eine längere Weile kauerte er mit gebeugtem Rükken da, die schweren Schultern hingen herab, während er in den Regen hinausspähte. Seine Gedanken trieben mit den Empfindungen, die ihm die Örtlichkeit einflößte, er erinnerte sich an verschiedenerlei Anblicke Leetas, wie sie sich gegen den Feuerschein abgezeichnet hatte, erinnerte sich an das Gefühl ihrer Hände auf seinem fiebrigen Leib. Bei der Erinnerung an das grausame Wüten des Whiskeys in seiner Wunde, den sie benutzt hatte, um sie zu säubern, verkrampfte er sich. Ja, sie war da, überall ringsherum. Ein schrilles Pfeifen durchdrang die Wolken, nahm an Lautstärke zu, erfüllte schließlich den gesamten Canon mit durchdringendem Heulen. Eisenauge stieß eine Verwünschung aus, stand auf, rammte die Füße in seine Stiefel und faßte das Seil, mit dem die Rappenstute angepflockt war, zog sie heran, als das Dröhnen des ST anschwoll, beruhigte sie. Die Regenschleier stoben unterm Himmel zu seltsamen Mustern durcheinander, während der Lärm Eisenauges Ohren betäubte. Er duckte sich, sah zu, wie der große Flugapparat abwärtsschwebte und vor der Höhle, gleich in der Höhe des Eingangs, zur Landung ansetzte, den Steilhang auf der anderen Seite der Schlucht wie eine weiße Wolke verdeckte. Der scheußliche Gestank der Abgase stach ihm scharf in die Nase. Geschickt vollführte der ST-Pilot eine Kufenlandung, und die Rampe fuhr aus. Ein Patrouillensoldat in Freizeituniform kam heraus, überschattete mit der Hand seine Augen, um im Regen besser sehen zu können, ehe er den rutschigen Hang erklomm und in den Schatten der Felshöhle trat. »Kriegshäuptling Eisenauge?« rief er mit leicht unsicherer Stimme durchs Jaulen des ST. Eisenauge nickte, und der Mann näherte sich im Laufschritt. »Weißt du«, erklärte Eisenauge ihm kurzgefaßt, »du
solltest nicht so einfach auf einen Krieger zugehen. Im Hinterland sind euch nicht alle Romananer freundlich gesonnen. Manche nähmen bei dir den Coup, bloß um dem ST zu trotzen, weil er ihnen Ruhe und Frieden gestört hat.« Der junge Mann schluckte. »Jawohl, Sir. Äh ... Der Oberst hat uns hinuntergeschickt, um Sie ausfindig zu machen. Schönen Gruß vom Oberst, Sir. Er möchte gerne mit Ihnen die Sirius-Unternehmung diskutieren. Er sagt, er braucht Ihre Mitwirkung.« Eisenauge seufzte. »Na gut. Ich reite zurück zur Siedelei und besteige dort einen ST.« Kaum merklich zuckte der Soldat zusammen. »Äh, Sir, wenn’s Ihnen nichts ausmacht, der Oberst, glaube ich, möchte so schnell wie möglich mit Ihnen sprechen.« Resigniert nickte Eisenauge. »Dann hilf mir beim Verladen der Stute. Sie ist schon mit ST geflogen. Sie mag sie nicht, aber sie ist ein gutes Pferd. Wir können uns doch soviel Zeit nehmen, um sie in meinem Corral abzusetzen, oder?« »Ich ... ahm ... Ja, Sir, sicherlich können wir das.« Eisenauge drückte dem ängstlich zurückweichenden jungen Mann die Zügel in die Hände und machte sich ans Packen. Die Sternenmenschen waren sonderbar. Sie konnten durch die Luft fliegen, ohne sich dabei etwas zu denken, aber gab man ihnen die Zügel eines abgerichteten Kriegspferds in die weichen Händchen, fingen sie in ihren Stiefeln zu schlottern an. Im düsteren Hintergrund der Höhle rollte er seine Decken ein, packte seine persönlichen Habseligkeiten ins Bündel. Einmal verhielt er dabei für einen Moment, blikkte sich um, weil das aufdringliche Gejaule des ST ihn reizte. »Bis zum nächsten Mal, Leeta. Spinne und mein Volk rufen mich. Mein Leben gehört nicht länger mir. Ich liebe dich. Gib auf diese Stätte gut acht.« Zum letztenmal hob
er den Blick zu der aufs Felsgestein gezeichneten Darstellung Spinnes, dann lief er hinaus zum ST. Die Rappenstute verdrehte die Augen und schnaubte, während sie mit zurückgebogenem Kopf und aufgestellten Ohren die Rampe hinauftänzelte. Sie blähte die Nüstern und bebte unter Eisenauges Hand, als er sie an Bord fest ankoppelte. »Richte dem Piloten aus«, befahl Eisenauge, »er soll keine gewagten Manöver fliegen, sonst reißt sich die Stute los und tobt durch die Maschine.« Der Patrouillensoldat kontaktierte die Kommu, gab die Warnung mit halblauter Stimme weiter. Der Flugapparat hob ab; durch eine Blaster-Stückpforte schaute Eisenauge hinunter ins finstere Maul des Lagers Gessali. Eine Stunde später sah er —• inzwischen stand das Pferd im Pferch — unter sich Welt in Sturm und Regen schrumpfen. Der ST sauste durchs Gewölk aufwärts ins Sonnenlicht und danach ins immer tiefere, dunklere Blau des Himmels, an dem gleichzeitig die Sterne — gemeinsam mit Welts drei kleinen Monden — heller zu glitzern anfingen. Die Projektil erschien als leuchtend-weißer Punkt über der Krümmung des Horizonts im Blickfeld. Dahinter schwebten die beiden Patrouillenschlachtschiffe Bruderschaft und Viktoria. Aus der Entfernung waren ihre Gefechtsschäden kaum zu erkennen. »Solange ich lebe«, murmelte Eisenauge vor sich hin, »wird dieser Anblick mich unfehlbar beeindrucken.« Von der Seite sah die Projektil lang und schnittig aus, lediglich der Ausleger, den der Kommunikationsturm des STLeitzentrums abgab, störte das Gesamtbild. Außer Sensoren und Transduktionsantennen ragten, angeordnet in bestimmten Winkeln, große Schutzschirmgeneratoren vom Rumpf ins All. Hie und da gab es schwarz-randige, teils mit grauen Metallplatten geflickte Lecks zu sehen, und wie winzige Lichtlein umschwärmten bordgestützte
Bugsierschlepper die in Reparatur befindlichen Abschnitte des Raumschiffs. Als der ST ins unsichtbare Koordinatenmuster eines Anlegemanövers einschwenkte, schienen die Umrisse der Projektil ihm entgegenzuschwellen, der vielfach tropfenförmig ausgewölbte Rumpf mit den auf gesamter Länge — oberhalb der ausgedehnten Rundungen der gigantischen, in Kardanaufhängung montierten Reaktionstriebwerke auf beiden Seiten des Schlachtschiffs — aufgereihten Rechtecköffnungen der ST-Hangars wurde in Eisenauges Blickfeld zusehends breiter, großflächiger. Erst als der ST auf einen Hangar zuhielt, rückte der enorme Schiffsrumpf der Projektil in eine normale Perspektive. Das riesige, über anderthalb Kilometer lange Raumschiff schien den ST, sobald er zum Andocken in den Hangar glitt, zu verschlucken. Eisenauge erhob sich, ordnete seine Sachen, schaute sehnsüchtig hinüber zu der Stelle, wo die Stute gestanden hatte und jetzt nur noch ein Haufen grünlichen Pferdemists lag. Ein Matrose kam mit einem Säuberungssauger, gerade als das Signal der Hangarkontrolle ertönte, und schon verschwand auch Eisenauges letztes Bindeglied zur gewohnten, althergebrachten Wirklichkeit außer Sicht. »Kriegshäuptling?« rief eine junge Unteroffizierin. Eisenauge schulterte sein Bündel und das Gewehr, folgte der jungen Frau die Ausstiegsrampe hinab, durch eine wuchtige Schleuse und ins endlose Labyrinth der weißen Korridore. Nach der vorangegangenen Schlacht würde das Raumschiff nie mehr wie vorher sein. Da und dort waren auf Schotten gekritzelte Bilder Spinnes zu sehen, und auf Luken, Kommu-Terminals und sogar an die Decken von Räumen hatte man Kreuze gemalt. Die Projektil hatte sich verändert, war in etwas anderes verwandelt worden. Die Unteroffizierin, die Eisenauge durchs Schlachtschiff führte, trug einen Coup am Koppel.
Daß das romananische Brauchtum des Skalpierens sich unter seinen Soldaten verbreitete, hatte bei Oberst Ree anfangs keine unerhebliche Verstörung ausgelöst. Die Unteroffizierin blieb stehen. »Kriegshäuptling Eisenauge ist da, Sir«, rief sie. »Herein«, erklang Rees Stimme durch die Türsprechanlage, und die Schiebetür rollte beiseite. Eisenauge betrat die Privatkajüte des Obersten, schwang sich den Packen von der Schulter und stellte ihn mit dem Gewehr in eine Ecke. Er strebte an der ihm schon vertrauten Dekoration aus romananischen Waffen vorüber, die Ree an die Wand gehängt hatte, und sah den Oberst in einem üppig gepolsterten, körperflexiblen Antigrav-Sessel sitzen. Vor ihm drehte sich das Holo eines Planeten; Wolken fehlten, dafür glommen Lichtpünktchen über den topografisch wiedergegebenen Kontinenten. »Sirius«, konstatierte Ree, winkte mit der Hand auf das Holo. »Das ist die Welt, die wir... angreifen werden.« Eisenauge nickte, trat näher, widerstand dem Drang, einen Finger in die Projektion zu bohren. Wie so vieles der Direktoratstechnik rang ihm auch die Holografie noch immer Bewunderung ab. Er empfand sie wie Magie, wie etwas, das aus dem Nichts kam. Doch er nahm sich zusammen, betrug sich, wie man es von einem Kriegshäuptling der Romananer erwarten konnte. »Und was sind diese Lichter hier in der Kreisbahn?« fragte Eisenauge, zeigte auf eine Reihe in gleichmäßigen Abständen verteilter Miniatursphären. »Orbitalstationen«, antwortete Ree. »Ursprünglich handelte es sich um Navigationszentralen, Wetterkontrollsatelliten, Kommunikationszentren, Null-G-Fabriken, solche Einrichtungen. Nun werden sie für die pla-netare Verteidigung ausgestattet. Aber um sie brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Über was wir uns unterhalten müssen, ist der Planet.« »Du siehst aus, Oberst, als hättest du drei Tage lang
nicht geschlafen«, sagte Eisenauge. »Du mutest dir zuviel zu, Oberst.« Heiser lachte Ree, fuhr sich mit schwieliger Hand übers blasse Gesicht. »Ja, wahrscheinlich. Was hast du mit deiner Hand angestellt? Romananisches Begräbnis, nicht wahr? Wenn wir fertig sind, werde ich den Finger mal von ‘m Bordarzt untersuchen lassen.« Eisenauge seufzte, ging zum Spendeautomaten, verkniff die Augenwinkel. »Blau ist Kaffee?« fragte er, versuchte sich zu erinnern. »Ja. Drück zweimal, ich kann auch welchen vertragen.« Eisenauge reichte ihm den Becher. »Hast du das mit dem Santosburschen mitgekriegt?« wollte Ree wissen. »Er war derartig hingerissen von einem Automaten, daß er die volle Zuteilung für die gesamte Sektion gezogen hat. Stundenlang stand er davor und drückte die Taste, bis ‘s im Gang keinen Platz mehr für die vielen Kaffeebecher gab.« Eisenauge lachte. »Eure Projektil überfordert uns nach wie vor. Das alles hat zuviel Ähnlichkeit mit Zauberei. Du mußt es einmal aus der Sichtweise der Romananer sehen. So viele Wunder auf einmal...« Ree trank vom heißen Kaffee, schmatzte mit den Lippen. »Oh, ich muß sagen, ich habe auch Grund zum Staunen. Sie lernen bemerkenswert schnell. Manche können inzwischen Sonikschweißer besser als unsere Techniker handhaben.« Ree wies auf das Holo. »Das ist unser unmittelbares Problem. Wie sollen wir nach deiner Meinung unser Vorgehen koordinieren?« Eisenauge genoß den Kaffee. Ein wundervolles Getränk. »Wie du eben so richtig angedeutet hast, Oberst, dürften meine Romananer auf Sirius Schwierigkeiten haben. Es ist eine technische Welt. Wir werden im Nachteil sein.« Ernst nickte Ree. »Ich hatte gehofft, daß du’s einsiehst.«
Eisenauge wandte den Kopf. »Ich möchte es anders ausdrücken. Wir Romananer haben ein Sprichwort: >Ein Kriegshäuptling, der nicht so weit sieht, wie sein Pferd läuft, wird keinen Sieg erleben.< Du weißt, was auf Welt ein Pferd für einen Krieger bedeutet?« Ree rieb sich im Nacken. »Ja, ich versteh’s, es geht um die Beachtung der Kleinigkeiten, von denen das Gelingen oder Scheitern eines Beutezugs abhängen kann.« »Und ein Krieger muß seine Grenzen kennen und auf ihrer Grundlage planen, sonst werden seine Pferdeherden niemals größer.« »Tja, und was versprecht ihr Romananer euch vom Sirius?« Ree neigte den Kopf zur Seite. »Was sind eure Bedingungen?« Eisenauge verschränkte die Arme. »Wir wünschen Bildung, Medizin, die Leute, deren es bedarf, um uns von Pferdedieben zu Produzenten umzuschulen. Wir möchten einen Weg zu den Sternen. Ich weiß es nicht, aber ich vermute, wir werden Dinge zu sehen bekommen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Mein Volk muß noch so vieles lernen. Wir haben hinsichtlich der ganzen übrigen Kenntnisse der menschlichen Technologie und Technik erst aufzuholen. Wir müssen Eigenes entwickeln. Uns eigene Sterne suchen.« »Weißt du, was euch das kosten wird?« Ree senkte das Kinn. Eisenauge nickte. »Leeta hat mich sehr vieles gelehrt. Ich weiß es. Ich glaube, tief im Innern weiß es auch mein Volk. Aber gleichzeitig wollen wir zu den Sternen. Spinne hält uns zum Lernen an, es ist sein Wille, daß wir aus dem Leben das Beste machen, bevor er unsere Seelen zurückruft. Die Propheten wissen, was es uns kosten wird. Sie haben uns eingeweiht. Wir werden den Preis zahlen.« »Ja klar«, sagte Ree nachdenklich. »Leeta hat dir bestimmt alles über Akkulturation erzählt.« Traurig schüt-
telte er den Kopf. »Ich... ich vermisse sie. Nein, schau mich nicht so an. Sie war einer der besten Freunde, die ich je hatte.« Matt erhob Ree sich aus dem Sessel. »Du kannst das nicht nachvollziehen, aber ein Oberst der Patrouille hat im Normalfall keine Freunde. Wir haben ein System des gegenseitigen Halsabschneidertums etabliert, eines ständigen Konkurrenzkampfs ums Erreichen der Spitze ... und um dort zu bleiben. Leeta hat mich als gleichwertigen Mitmenschen behandelt, offen mit mir geredet, mich als Menschen betrachtet... nicht als eventuellen Rivalen.« Er stieß ein dumpfes Lachen aus. »Hast du ‘ne Ahnung, was es für einen Menschen heißt, sein Leben lang allein zu sein? Zum erstenmal kannte ich jemanden, mit dem ich sprechen, dem ich mich anvertrauen konnte ...« Er ließ den Kopf sinken. »Sie ... sie fehlt mir.« Eisenauge stützte sich auf eine Konsole. »Spinne hat mir einen auffassungsfähigen Verstand geschenkt, Oberst. Ich glaube, ich kann mir denken, wie so etwas ist.« Ree drehte sich um, betrachtete ihn ernsten Blicks. »Und ich kann mir ausmalen, was ihr Verlust für dich bedeutet.« Er legte die Fingerkuppen aneinander, schritt langsam neben dem Holo des Sirius auf und ab, das vor ihm rotierte. »Du und ich, Eisenauge, tragen jetzt für alles die Zuständigkeit. Auf deinen und meinen Schultern lastet die Verantwortung für den gesamten Verlauf der romananischen Zukunft.« Eisenauge maß den Obersten aufmerksam. »Ich habe meine Entscheidung an dem Tag gefällt, als ich deine Majorin Reary tötete. Du weißt, was ich für mein Volk zu geben bereit bin. Solang meine Ehre unbesudelt bleibt, werde ich erledigen, was es zu bewältigen gilt.« Ree nikkte, hatte ein nervöses Lächeln auf den Lippen. »Ich habe den Eindruck, wir verstehen uns.« Er schwieg kurz. »Du mußt wissen, wir dürfen uns keine Niederlage erlauben. In
diesem Fall nähme man mir das Raumschiff weg. Und euch den kompletten Planeten. Sirius ist nicht der einzige Gegner, dem wir gegenüberstehen.« Angestrengt furchte Eisenauge die Stirn, nestelte an einem seiner Zöpfe, während er seinen Kaffee austrank. »Es ist nicht Spinnes Art, uns die Dinge leicht zu machen. Nun gut, ich habe meinen Schmerz begraben, meine Gebete gesprochen und mich den Gesichten gestellt. Also können wir ans Werk gehen, Oberst. Unterrichte mich über Sirius, erzähle mir alles.« Er lächelte verzerrt. »Ich verliere ebenso ungern wie du.« Ree musterte ihn. »Weißt du, du hast ‘n aufgeweckten Charakter, Eisenauge. Zuerst konnte ich nicht begreifen, was sie an dir gefunden hat.« Eisenauge widmete Ree ein kaltes Lächeln. »Das gleiche habe ich von dir gedacht. Und nun informiere mich über Sirius, dann werde ich dir sagen, wie die Romana-ner so eingesetzt werden können, daß er sich knacken läßt wie ein angeschlagenes Ei.« Ree machte schmale Augen. »Ich bin froh, daß wir auf derselben Seite stehen, das muß ich schon sagen. Gott weiß, was wir, du und ich, der Menschheit antun werden.« »Spinne hat uns erwählt.« Eisenauge schob den leeren Kaffeebecher in den Automaten zurück. »Was wir der Menschheit antun, ist Spinnes Wille.« Ree stemmte die Fäuste in die Hüften, heftete den Blick auf das Hologramm. »Das ist ja beruhigend.« »Ist es das wirklich«, fragte Eisenauge ironisch, »berücksichtigt man das Leid, das Spinne mir zugefügt hat?« Ree erwiderte nur aus stumpfen Augen seinen Blick. *
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Weil er klein und stämmig war, eine Tonnenbrust und krumme Beine hatte, einem durchschnittlich großen Krieger nicht einmal bis zur Schulter reichte, spotteten Männer über Freitag Garcia Gelbes Bein. Frauen sahen ihn an und prusteten los. Nichts davon verdroß Freitag. Er freute sich des Lebens, weil er fest daran glaubte, daß Spinne ihn so geschaffen hatte, damit er aus seinem Dasein etwas lernte. Wenn er anders war, dann hatte Spinne eine Verwendung für seine Andersheit. Unter diesem Gesichtspunkt hatte er selbst seinen Spaß am Lustigen seiner geringen Größe und immer alles dazu beigetragen, um die Heiterkeit, die sie auslöste, möglichst weit zu verbreiten. In dieser Nacht jedoch erübrigte Freitag Garcia Gelbes Bein keinerlei Gedanken für Heiteres. Endlich spürte er — nach vier Tagen des Betens, Fastens und Dür-stens — die Gegenwart der Wesenheit. Er blinzelte in die Nacht wie eine Eule; eine kühle Brise koste seinen glutheißen Körper. Beiderseits der hohen Felsnadel, auf der er hockte, gähnten schwarz schwindelerregende Abgründe. »Was wünschst du?« Die Stimme schien aus dem Nachtwind zu dringen. »Ich bin gekommen, um Stärke und Kraft zu erbitten«, sang Freitag seine Antwort. »Ich bin gekommen, um Spinne zu bitten, daß er mich zu einem Krieger macht, der ihm Ehre einbringt und seinen Namen mit Recht nennen darf.« »Wer ist es, der das wünscht?« fragte die Wisperstimme. »Ich heiße Freitag Garcia Gelbes Bein.« Freitag richtete sich auf und verbeugte sich respektvoll in alle vier Himmelsrichtungen. »Dein sei Kraft, Ich höre dein Gebet. Spinne hört dein Gebet. Beschreite nicht den Weg der Propheten, denn ihr Weg ist nicht der deine. Möchtest du, daß dein Name Sterne erzittern läßt? Willst du die Liebe des Volkes genie-
ßen? Magst du das Leben mit einer Frau teilen? Würdest du gerne viele Kinder haben ? Welchen Sinn soll deine Bestimmung haben, Garcia Gelbes Bein?« Freitag runzelte die Stirn. »Ich will meinem Volk Ehre und Größe erringen. Ich will, daß es so mächtig wie das Sternenvolk wird. Ich möchte Spinnes Netz zwischen den Sternen sehen.« »Spinne ist schon zwischen den Sternen«, flüsterte die Stimme. »Ich wünsche«, ergänzte Freitag, »daß die Sternenmenschen seinen Namen kennen. Ich möchte Spinnes Krieger sein.« »Und wenn diese Verpflichtung vernichtet, was du am meisten liebst?« fragte die Stimme. »Bist du diesen Preis zu entrichten bereit? Und wäre es dein freier Wille?« »Ja«, erwiderte Freitag Garcia Gelbes Bein. »Ja, es wäre mir alles wert.« »Auch dein Leben?« Die Stimme schien zu seufzen. »Mein Leben gehört Spinne.« »Dann geh!« befahl die Flüsterstimme. »Fliege zu den Sternen und webe Spinnes Netz. Weise den Sternenvölkern Spinnes Weg. Du bist sein Botschafter. Bringe den Sternen sein Wort.« Daraufhin erschien vor Freitags geweiteten Augen ein Glitzerlicht. Es funkelte, schimmerte, stieg gemächlich empor an den Nachthimmel. Freitag schaute ihm beim Hinaufschweben nach, sah es zwischen den zahllosen Sternen einen Platz finden — und war sich schon im nächsten Moment, nach dem nächsten Augenzwinkern, gänzlich unsicher, um welchen der vielen Lichtpunkte es sich gehandelt haben mochte. Seine ausgedörrte Kehle versagte, als er zu schlucken versuchte. Seit er das letzte Mal etwas getrunken hatte, waren vier Tage verstrichen. Vier Tage des Singens, des Fastens und des Gebets. Er hatte sich zum Wachbleiben gezwungen, Kälte und Regen sowie Sonnenglut erduldet.
Trotz des Flimmerns vor seinen Augen, des Nachlassens seines Sehvermögens, hatte er in die grünen Weiten der Plains ausgeblickt, die sich bis zum Ozean erstreckte. Und jetzt hatte er nach allem Leiden, Hungern und Durst seine Vision gehabt. Freitag schlang sich die Decke um die Schultern; plötzlich war ihm eisig bis in die Knochen. Er erhob sich, steckte seine magischen Amulette in den Beutel und machte sich auf den Weg hinab vom Berg. Er hatte eine Vision gehabt; ein Geisthelfer war gesandt worden, um seine Lieder und Gebete zu beantworten. So entsprach es der Lebensart des Volkes. Spinne hatte ihn vernommen. Freitag war auserwählt worden. Er hatte sein Leben Spinne geweiht; dafür war er zum Werkzeug Gottes eingesetzt worden, um den Sternenmenschen sein Wort zu vermitteln. Erstmals begannen Gedanken über Spinnes Preis Freitag Garcia Gelbes Bein zu beschäftigen. Die übernommene Pflicht sollte zerstören, was er am meisten liebte? Was konnte das sein? Das Volk? Sein Clan? Der Planet? Was wohl? Auf einmal kroch ihm ein Frösteln durch den Leib. Obwohl er nicht darüber Bescheid wußte, daß die Menschheit es seit Zeitaltern kannte, fing Freitag Garcia Gelbes Bein nun das stets gleiche Dilemma der Menschen zu erfassen an, die von ihren Göttern zu Auserkorenen erwählt worden waren; er verspürte die unvermutete Unsicherheit, die jeder kennenlernte, der heiligen Boden betrat: Es kribbelte regelrecht unter den Füßen. »Egal«, murmelte er vor sich hin. »Man wird mich ehren, ich werde zwischen den Sternen ein großer Mann sein. Ich werde helfen, Spinnes Netz zu weben.« Er erlebte eine Aufwallung von Euphorie. Trotz seiner vom Hunger geschwächten Beine lief er den Bergpfad im Laufschritt hinab. Als Freitag zu seinem Pferd gelangte, war die euphorische Stimmung vorüber, ein Gefühl dunkler Vorahnung
hatte sie verdrängt, ihn überkommen, als hätte ihm jemand einen Mantel umgeworfen. Freitag trank aus einem Bach, sein entwässertes Gewebe saugte das kühle Naß regelrecht auf, erneuerte seine Lebensgeister. Erschöpft aß er ein wenig und legte sich schlafen. Am folgenden Morgen zog er bei leichtem Nieselregen den Pflock aus der Erde, an den die Leine des Pferds geknotet war, überzeugte sich davon, daß es dem Tier während seiner Abwesenheit, seines Trachtens nach einer Vision, an nichts gefehlt hatte, und sattelte es. Er sah das Gewehr nach und schnallte seinen Dolch um. Während er mit Klingenbuschwurzeln gebackenes Brot kaute, lenkte er das Pferd in die Richtung der Siedelei. Es gelang nicht, das Empfinden nahen Unheils abzuschütteln. Irgend etwas Bedrohliches lag unmittelbar hinter dem Horizont der Zeit... Es rückte beständig näher. Er hatte sich auf eine Festlegung eingelassen. War er seine Pflicht zu erfüllen imstande? Durch die eigenen, so unsteten inneren Regungen mit ehrfürchtiger Scheu erfüllt, schaute er zu, wie Dritter Mond langsam ins Meer sank, schwacher Morgenschein der ersten Dämmerung die Umrisse der Bärenberge aufhellte. Gegen Mittag erspähte Freitag die Reiter. Er zügelte das Pferd, sprang aus dem Sattel und beobachtete sie. Die Reiter, die sich recht wachsam verhielten, führten einen Rotschimmel mit, auf der in einer Haltung, die Niedergeschlagenheit bezeugte, eine dritte Gestalt saß. Freitag fühlte seinen Herzschlag dumpf durch den ganzen Körper pochen. Halb durch Klingenbusch-Dickicht gegen Sicht geschützt, machte er, von seinen Ahnungen dazu getrieben, sein Gewehr bereit, wartete aufs Herankommen der Reiter. Merkwürdig, wie oft sie sich umblickten, ganz als ob es ihnen Sorge bereitete, womöglich gesehen zu werden. Ramon Luis Andojar! Freitag schnitt eine düstere Miene. Ein verrückter alter Kerl. Daß die Santos bei ihm
den Coup genommen hatten, war schon lange her, doch danach war er nie wieder wie früher gewesen. Hinterihm ritt Willy Roter Falke Pferdefänger. Und ein junges Mädchen — aha, ja, Susan —, und zudem trug sie Sternenvolk-Kleidung. Erleichtert schwang sich Freitag wieder in den Sattel und ritt ihnen entgegen. Sie sahen ihn, hielten an, steckten die Köpfe zusammen und besprachen sich leise. Susan erstarrte sichtlich vor Furcht. »Meinen Gruß«, rief der alte Ramon. »Wen habt ihr da?« erkundigte sich Freitag, dessen Verunsicherung wuchs. Diese Sache würde übel enden. In seiner Familie floß ein starker Anteil von Prophetenblut. Auch wenn er die Zukunft nicht klar voraussehen konnte, war er sie doch vorher zu fühlen fähig. »Das ist meine Nichte«, fauchte Ramon. »Sie hat Schande auf mich geladen und ist zu den Sternenbewohnern ausgerissen. Als sie nach Hause kam, um ihren Krempel zu holen, habe ich sie in Fesseln gelegt. Ich hatte sie nämlich schon einem Mann zur Gattin versprochen. Sie würde mir noch mehr Schmach bereiten, liefe sie weg und bräche damit mein Wort.« Freitag besah sich das Mädchen genauer. Es war hübsch, gut gewachsen, hatte ein Aussehen, das fast an Schönheit grenzte. Deshalb hatte Susan schon gelegentlich seine Aufmerksamkeit erregt. Wäre nicht die hektische Furcht in ihren Augen gewesen, hätte Freitag gelächelt. Hinter dem Ausdruck des Schreckens glomm ein Funke eines Trotzes, der Gelbes Bein Bewunderung abnötigte. Wer sollte so weit außerhalb der Siedelei Susan zur Frau nehmen? Die Santos haßte Ramon. »Wen wird das Mädchen heiraten?« fragte Freitag neugierig, war sich währenddessen des hochmütigen Blicks bewußt, mit dem Pferdefänger ihn musterte. Durch schmale Lider schielte er den Krieger an. An Pferdefängers Gürtel hingen vier Coups. Plötzlich drehten Freitags
Gedanken sich um seinen Kriegsrock, an dem nur zwei Coups baumelten. Ramon feixte gehässig. »Sie wird Tatterich Wattie heiraten.« Er antwortete in hämischem Tonfall, schmunzelte boshaft, als er Freitags Miene sah. »Tatterich Wattie?« Ungläubig schüttelte Freitag den Kopf. »Das ist doch Blödsinn, Ramon!« »Sie hat mir Schande gemacht!« krakeelte Ramon unerwartet los. »Sie hat ihrem Clan Schmach beschert! Zu den Sternen wollte sie fliegen, um Kriegerin zu werden!« Aus unbeherrschter Wut zitterten ihm die mageren Gliedmaßen, seine Augen glitzerten nur so vor Empörung. »Denk dir mal so was, eine Frau des Volks versucht Kriegerin zu werden! Das ist lästerlich! Tragen Männer vielleicht Weiberkleider?« Freitag dachte darüber nach. Ein weiblicher Krieger? War das noch so ein Jux Spinnes? Ein Späßchen auf Kosten des Begriffsvermögens seines Volks? Wieso nicht? »Die Sternenmenschen haben weibliche Krieger. Ich habe, genau wie Willy Roter Falke Pferdefänger, an ihrer Seite gekämpft. Vielleicht ist es falsch, unsere Frauen eingesperrt zu halten wie das Vieh. Neue Zeiten brechen an.« Freitag bemühte sich um einen umgänglichen Ton. »Möglicherweise wirst du es bereuen, wenn dein Zorn abgekühlt ist, sie Wattie überlassen zu haben.« Ramons Greisenstimme bebte und quäkte. »Du, junger Freund, hast mir, einem Älteren, nicht zu sagen, was ich tun soll.« Freitag sah in den Augen des Alten Irrlichter des Wahnsinn tanzen. »Trotzdem solltest du sie nicht Wattie geben. Laß John Smith Eisenauge über ihr Schicksal entscheiden.« Freitag versuchte in maßvoller Lautstärke zu sprechen. In den Augen des Mädchens leuchtete plötzlich Hoffnung auf. »Eisenauge hat in diesen Angelegenheiten schon genug das Sagen«, mischte Pferdefänger sich ein. »Und du hast jetzt auch genug geredet. Dein Mundwerk wird frech.
Verschwinde, Bürschchen! Ich möchte ungern Zeit damit vergeuden, dir das Hinterteil zu verdreschen.« Freitags Kopfhaut fing zu jucken an. »Verdreschen?« wiederholte er versonnen, beinahe wie im Selbstgespräch. »Frech?« Er betrachtete Pferdefänger durch verengte Lider. »Wattie wohnt dort drüben, hinter euch. Ich hätte darüber hinweggesehen, Willy.« Ein schiefes Lächeln verzog ihm die Lippen. »Jetzt nenne ich dich einen Lügner.« Freitag entsann sich seiner Vision. Als Spinnes Auserwählter konnte er in diesem Streit unmöglich zurückweichen. In seiner Brust schwoll die Empfindung eines Unrechts an. Voraus in der Zeit, jenseits ihres Horizonts, zeichnete sich Schmerz ab wie ein Glimmen. Ließ er das Mädchen mit Ramon gehen, würde am Ende jemand dafür büßen müssen. »Sie wollen mich ermorden!« schrie Susan auf einmal. »Hör nicht auf ihr ...« Pferdefängers rauhe Hand traf sie, das Klatschen hallte laut durch die Morgenluft. »Hysterisches Weibsbild«, brummte er, schob grimmig das Kinn nach vorn, indem er den Blick auf Freitag richtete, um zu sehen, wie er reagierte. »Du weißt, wie sie sich in dieser Zeit des Monats benehmen.« Freitag enthielt sich einer bissigen Bemerkung. Im Gesicht des Mädchens wechselten sich Ausdrücke der Furcht und Verzweiflung ab, ihr Anblick griff Freitag ans Herz. Mit herrischem Gehabe trieb Ramon Smith Andojar sein Pferd an ihm vorbei. Willy grinste widerwärtig, als er vorüberritt. Freitag handelte rasch, riß den Dolch aus dem Gürtel und schnitt blitzschnell die Führungsleine des Rotschimmels entzwei. Als Pferdefänger gewendet hatte, wies Gelbes Beins Gewehr bereits mitten auf seine Brust. »Wir haben gemeinsam gekämpft, du und ich«, sagte Freitag leise. »Wir sind Brüder. Zwinge mich nicht, dich bloß wegen einer Frau zu erschießen. Ich kann aus alldem
hier häßliche Ereignisse voraussehen. Vielleicht ist es mir noch möglich — mit etwas Glück —, sie abzuwenden. Wer hat dem Mädchen gesagt, es könnte Kriegerin werden?« »Rotschopf Viele Coups«, rief Susan selbst. »Sie würde Ramon totschlagen, wüßte sie, was er mit mir machen will. Sie hat mir gestattet, mit zu den Sternen zu fliegen!« »Und Eisenauge wird davon wissen.« Freitag nickte, bemerkte den glühenden Haß, der sich angesichts seines Verhaltens in Pferdefängers Augen widerspiegelte. »John Smith Eisenauge ist mein Kriegshäuptling«, fügte Freitag hinzu. »Er hat uns vor dem Sternenvolk geschützt. Nicht nur, daß Rotschopf Viele Coups dich im Lager im Nabel beschämt hat, Pferdefänger, sie hat uns auch an Bord der Projektil gebracht. Es ist unklug, sich gegen die zu stellen, die Spinne erwählt hat.« »Spinne?!« brüllte Ramon, fuchtelte mit den dürren Armen. »Was weißt du von Spinne? Vor meinen Augen spottest du der Gebote Gottes. Spinnes Wille war’s, daß Männer anders als Frauen sind. Wer soll das Essen kochen und die Kinder gebären? Wer soll unsere Hütten behaglich halten? Spinnes Zorn wird dich treffen! Weiber sind schwache Wesen. Sie sind wie Tiere. Kannst du etwa in ihr einen Krieger erkennen? Wenn man dies Mädchen keine Unterordnung lehrt, werden andere Weibsbilder diese Unarten nachmachen! Wo soll das alles denn hinführen, du dummer Junge?« Erbittert stierte der Alte Freitag an. »Dafür werde ich dich töten«, sagte Pferdefänger. »Ich werde dich töten, weil du mit dem Gewehr auf mich zielst... Und ich werde dich töten, weil du meinen Freund Ramon schmähst. Ich nenne dich einen Feind des Volkes. Ich schwöre dir die Messerfehde, Freitag Garcia Gelbes Bein.« Hoch richtete der Krieger sich im Sattel auf. »Dreimal willst du mich umbringen? Innerhalb einer so kurzen Rede? Ich warte darauf, daß diese Großtat dir
gelingt, Pferdefänger.« Freitag nickte und grinste, obwohl sich ihm beim Gedanken daran die Kehle einschnürte. »Na schön, du hast die Messerfehde geschworen. Ich gedenke mich dir zum Duell zu stellen. Am liebsten wär’s mir am ... Ach ja. Der Zweikampf soll heute in einem Monat stattfinden.« Das Mädchen hatte inzwischen die Augen aufgesperrt, würdigte Freitag Gelbes Beins Kühnheit mit einem Blick der Bewunderung, des Staunens und der Betroffenheit. Pferdefänger lachte. »Du mußt den Tag eher festsetzen, du Trottel! Bis dahin werde ich längst zum Sirius unterwegs sein.« »Und ich auch.« Gelbes Bein nickte. »Du und ich werden auf der Projektil kämpfen, um herauszufinden, wem von uns der Weg zu den Sternen bestimmt ist. Ramon, erkennst du die Messerfehde an?« Freitag blinzelte hinüber zum Alten. »Ja«, grummelte Andojar. »Du hast dich gegen die Lebensweise des Volkes gewandt. Auf die Sitten und Bräuche der Ahnen hast du gespuckt, wie sie uns von Gott gestiftet worden sind. Du bist ein Nichtsnutz.« Ein Ton der Bösartigkeit erfüllte die Stimme des Alten. »Komm, Susan«, sagte Freitag halblaut zu dem Mädchen. »Die beiden werden dich jetzt nicht mehr belästigen. Du bist in Sicherheit. Eine Messerfehde ist geschworen worden.« Sobald er die Fesseln an Susans Handgelenken durchgeschnitten hatte, trieb er seinen Wallach vorwärts. »Ich bin Freitag Garcia Gelbes Bein.« Er schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln, wurde sich dabei dessen bewußt, wie alles Düstere aus seinem Denken stob, als ob sich Nebel im Sonnenschein verflüchtigte. Frohsinn, Hoffnung und etwas anderes, das er noch nicht so richtig durchschaute, verscheuchten sein Unbehagen. »Du hast Willy Roter Falke Pferdefänger Messerfehde geschworen«, sagte Susan entgeistert. »Er ist ein sehr gro-
ßer Krieger. Du könntest... Ich meine, bist du sicher, daß du dich wirklich darauf einlassen willst? Was ist, wenn Ramon recht hat? Was soll werden, wenn du ... Falls du Spinne herausforderst? Vielleicht solltest du mich fliehen lassen ... und dich danach bei Willy entschuldigen. Dann müßte er den ... den Blutschwur zurücknehmen.« Ihre Besorgtheit rührte Freitag. Er fühlte, wie sein Herz sich für diese außergewöhnliche Person erwärmte. »Möchtest du lieber den alten Tatterich Wattie heiraten?« fragte er. »Ich kenne Ramon seit langem. Er ist kein Miesling. Kann sein, ‘n bißchen verrückt, aber nicht schlecht. Wie hast du ihn bloß in eine derartige Verzweiflung gestürzt?« Susan errötete, schaute zu Boden. »Alle behaupten, ich hätte keinen Respekt vor meinem Clan oder meiner Familie. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Sie sollte meinen Vater heiraten, sobald er von einem Raubzug zu den Pferdeweiden der Santos heimkehrte, er hatte vor, Pferde zu stehlen, um den Brautpreis begleichen zu können. Er... ist aber nie zurückgekehrt. Dadurch geriet meine Mutter in Schande. Sie hat niemanden geheiratet. Die jungen Männer ... schauen mich nicht an. Sie glauben, ich würde ... nur Ärger machen.« »Nein!« rief Freitag spöttisch. »Ärger? Du?« Susan zögerte. »Es wäre unrecht, sollte Willy Pferdefänger dich umbringen, nur weil... weil ich so ungehorsam bin. Ich würde lieber umkehren, als ... als deinen Tod zu verursachen.« Perplex durch das, was ihre Äußerungen unausgesprochen enthielten, schimpfte Freitag innerlich vor sich hin. Verfluchtes Mädchen! »Glaubst du wahrhaftig, Roter Falke könnte mich besiegen?« schalt er, blähte seinen gewölbten Brustkorb auf, schlug sich mit der Faust aufs Brustbein, reckte das Kinn vor und bog den Kopf zurück. »Ich bin Freitag Garcia
Gelbes Bein! Um mich zu bezwingen, brauchte er mehr als nur Glück. Ich komme gerade vom Beten aus den Bergen zurück. Die Geisthelfer haben mir meine Bestimmung enthüllt. Ich werde nicht durch Pferdefängers Messerklinge sterben.« Als er sich diese Gewißheit verdeutlicht hatte, schnaubte er vor Verachtung. »Ich kann ohne weiteres noch mal ausreißen«, entgegnete Susan lediglich, glaubte ihm offenbar nicht. »Du kannst nicht gewinnen ...« Sie biß sich auf die Lippe, zog den Kopf zwischen die Schultern. »Ich bin dein Leben nicht wert.« »Das zu entscheiden, liegt bei Spinne«, murrte Freitag mißmutig. Was für eine Diplomatin, das Mädchen! »Ich glaube, es ist sowieso nicht dein Ernst.« Er sah die Antwort in ihren Augen: Plötzliche Ablehnung. »Warum hast du’s dann gesagt?« »Wie soll man denn sonst mit Männern zurechtkommen?« hielt sie ihm hitzig entgegen. »Kriecht man nicht vor ihnen... wird man geschlagen.« Sie verkrampfte sich, als rechnete sie auch jetzt mit Hieben. »Die meisten Frauen wünschen gar nicht mehr als einen Mann und Kinder«, erwiderte Gelbes Bein. »So wie du nicht erkennst, daß vor dir der größte aller Spinnenkrieger ...« »Wenn’s so ist, dann nur, weil man die Träume aus ihnen herausprügelt«, brauste Susan auf. »Bei unserem Volk werden Pferde mit mehr Achtung als Frauen behandelt!« Ihre schwarzen Augen blitzten, lebhaft verfärbten sich ihre Wangen. »Es ist kein Wunder, daß Ramon dich an Tatterich Wattie verheiraten wollte. Wahrlich, Susan Smith Andojar, ich glaube, du hast tatsächlich den Geist eines Kriegers.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Wieso denkst du«, fragte er dann, »es wäre für mich besser, dich Ramon zurückzubringen?« »Ich erwarte von einem Mann nichts anderes«, antwortete Susan unwirsch.
»Allmählich bekomme ich den Eindruck, du hast was gegen Männer.« »Es ist nicht so, daß ich was gegen dich hätte. Es liegt bloß daran, daß du ‘n Mann bist. Männer haben mir ... weh getan. Immer wieder. Eine Frau ... eine einzelne Frau ... kann einem Mann nicht trauen.« Freitag legte die Stirn in Falten. »Dann bleibt mir ein Monat, um dir zu beweisen, daß man auch einem Mann vertrauen darf. Ich möchte es eines Tages schaffen, daß deine Augen fröhlich glänzen. Darin sehe ich eine echte Aufgabe. Bis dahin kannst du mir ... äh ... bei der Körperertüchtigung helfen, um mich auf den Sieg über Pferdefänger vorzubereiten.« »Du würdest mit einer Frau den Kampf üben?« fragte Susan ungläubig. »Ich glaube, ich werde deine Gesellschaft während dieses letzten Monats meines Lebens genießen. Ja sicherlich. Wenn’s dir mit deiner Verrücktheit ernst ist, natürlich.« Er begann leise zu brummein. »Ich wußte doch, daß etwas Fürchterliches passiert...« »Was hast du gesagt?« »Nichts«, brummte Freitag, bewegte den Mund, als hätte er im Gaumen einen bitteren Geschmack. Kurz schaute er sich über die Schulter um und sah, daß Ramon und Willy noch nicht weitergeritten waren; statt dessen beobachteten sie Susan und ihn aufmerksam. Selbst über den Abstand hinweg spürte Freitag ihren Haß. Ganz gleich, was er dem Mädchen vormachte, die Wahrscheinlichkeit war hoch, daß Pferdefänger ihn tötete oder schwer verletzte. Leid stand bevor. * * * Susan winkte Freitag zum Abschied zu, während sie die Rampe hinauf in den ST stieg, erwiderte den Gruß der Wache. In Ritas Kabine blieb Susan müde mitten im Raum
stehen, blickte sich um; überall lagen Sachen des Leutnants. Zaghaft zog sie, so wie Rita es ihr gezeigt hatte, den Klappsitz heraus. Die unverhüllte Mattscheibe des Kommu-Monitors schien sie wie ein schwarzes Auge anzustarren. Klopfenden Herzens setzte Susan das goldgelbe Kontaktron auf, sah den Kommu-Bildschirm aufflackern. Wie geschah das bloß? Ihre Gedanken gingen kreuz und quer durcheinander, während sie sich Zugriff verschaffte, auf der Bildfläche das Alphabet erschien. »Soviel zu lernen ... Und so wenig Zeit dafür. Und nun muß obendrein meinetwegen jemand sterben.« Sie konnte sich nicht auf die Lektion konzentrieren. Sie merkte nicht, wie sie, während die Kommu ihrem Gehirn ununterbrochen Informationen fütterte, irgendwann einschlief.
7 Susan Smith Andojar stemmte das schwere Gewehr an die Schulter, lugte verkniffen am langen Lauf entlang, versuchte das Wackeln des Korns, indem sie auf das entfernte Ziel anlegte, zu verhindern. »Ganz locker«, ermutigte Freitags Stimme sie, »und achte auf deine Atmung. Du darfst nicht am Abzug rukken. Halte diesmal die Augen offen, nicht zwinkern. Wenn du den Schuß verreißt, geht er wieder daneben.« Der Rückstoß rammte ihr den Gewehrkolben gegen den Wangenknochen, und der Schmerz stach bis in die Schulter. Der Knall schien ihr die Ohren zu zerfetzen. Sie blinzelte, schielte in die Richtung des Ziels. »Gar nicht übel.« Freitag grinste. »Du hast nur um ‘ne Handbreit verfehlt. Ehe du dich versiehst, wirst du besser als Rotschopf Viele Coups schießen. Ramon scheißt sich schon in die Stiefel.« Susan bewegte das Kinn, versuchte durch Schlucken den in ihren Ohren entstandenen Druck auszugleichen; der Knall hallte noch in ihrem Gehör nach. »Muß der Rückstoß so hart sein?« fragte sie, rieb mit der Hand die geprellte Schulter. Es tat so weh, daß sie zusammenzuckte. Susan malte sich den schauderhaften Bluterguß aus, der jetzt entstehen mußte. Freitag ruckte den Abzugsbügel abwärts und warf, indem sich der Verschlußkopf aus der Waffe senkte, die verbrauchte Patronenhülse heraus. Er schob ein neues Geschoß hinein, arretierte das Gewehrschloß und kippte den Sicherungsflügel. »Um einen Bären zu töten, ist ‘ne große Kugel erforderlich. Für Personen genügte ‘ne kleine Kugel. Auf diese Weise kann ein Gewehr beiden Zwecken dienen. Am wichtigsten ist es, daran zu denken, daß man das Gewehr ruhig halten muß. Der Rückstoß tritt erst auf, nachdem die Kugel den Lauf verlassen hat.«
Susan nickte, machte die Augen zu, vergegenwärtigte sich nochmals die genaue Reihenfolge der beim Schießen durchzuführenden Handlungen. Sie verdeutlichte sich aus der Erinnerung, wie das Gewehr sich anfühlte, die Erwartung des Schusses. »Laß ‘s mich noch einmal versuchen. Ich glaube, ich kann’s hinkriegen, richtig zu treffen.« Sie buckelte die Schultern, als sie die Waffe erneut hob, brachte die Arme in die Haltung, die Freitag ihr eingeschärft hatte, stützte den Lauf fest auf die Handknochen. Indem sie tief durchatmete, schwenkte sie das Korn aufs Ziel ein. Für den nächsten Moment existierten für sie nur noch Korn, Kimme sowie das dahinter sichtbare Ziel. Unbarmherzig stieß das Gewehr sie zurück, sie verlor das Gleichgewicht und taumelte zur Seite. Nur mit Mühe konnte sie verhindern, daß das Gewehr in den Dreck fiel. Freitag, dem vor Lachen die Luft wegblieb, grapschte sich die schwere Waffe, während Susan sich abfing. »Verdammt noch mal.,.! Hab ich getroffen?« »Hast du was abbekommen?« fragte Freitag in typisch männlicher Erpichtheit. »Ich hab nichts!« fuhr Susan auf. »Heraus mit der Sprache, oder... oder ich wickle dir den Lauf um den Hals! So leicht klappe ich nicht zusammen. Du meinst, bloß weil... Also, ich muß dir ganz klar sagen, daß ich genau soviel wie du einstecken kann.« Sichtlich gekränkt nickte Freitag Gelbes Bein, spähte hinüber zu dem an der Grabenböschung eines ausgetrockneten Wasserlaufs festgehefteten Ziel. »Ich sehe keine neu aufgeworfene Erde in der Nähe des Ziels. Wir müssen wohl hin und genauer nachsehen.« Susan klopfte sich den Staub ab, richtete sich auf, lud die Waffe nach und sicherte sie. Das kleine Lederrechteck befand sich gut hundert Meter entfernt. Während sie sich näherte, bemerkte sie die Fehlschüs-
se: Dunklere Stellen im Erdreich, an denen die schweren Kugeln in den Grund geschlagen waren. Freitag lief die Böschung hinauf und gab plötzlich einen leisen, gedehnten Pfiff von sich. Er juchzte freudig, als er, das Leder in der Hand, die Schräge herunterschlitterte. »Das bewahrst du am besten mal für ‘ne Weile auf.« Sein Grinsen, bei dem er jedesmal zahlreiche Zähne bleckte, verkündete einen vollen Erfolg. Beim Anblick des kleinen, runden Lochs mitten in dem Lederflicken wurde Susan vor Triumphgefühl richtiggehend schwummrig zumute. »Ich glaube, das reicht für heute«, äußerte sie. »Schösse ich mit dem nächsten Schuß daneben, wäre ich beim übernächsten Mal deswegen nervös.« »Ich wollte, wir könnten dir ‘n Blaster besorgen, um damit zu üben.« »Wie sind sie?« Susan sah auf Freitag hinab. Sie war bestürzt gewesen, als sie ihn zum erstenmal auf den eigenen Füßen gesehen hatte. Er war rund dreißig Zentimeter kleiner als sie. »Im Gegensatz zu Gewehren erzeugen sie keinen Rückstoß.« Neckisch zwinkerte er ihr zu. »Es entsteht kein starker Ruck, lediglich ‘ne Art von ständigem Druck gegen die Hand. Die Zielvorrichtungen sind einfach wunderbar. Sie vergrößern ... sehen im Dunkeln ... verraten einem die Entfernung. Man braucht die Richthöhe nicht zu beachten, weil Blasterstrahlen der Zielrichtung folgen. Die Entfernungsmessung hat nur den Zweck, zu klären, ob die vorhandene Ladung noch für die Zielentfernung ausreicht. Einfach prachtvoll...« »Haben die Sirianer Blaster?« erkundigte sich Susan. Freitag langte nach den Zügeln seines Pferds. »Ja. Und Körperpanzerung auch. Da dringen Kugeln nicht durch. Blasterstrahlen ja, obwohl sie ebenfalls abprallen können, man muß einen Volltreffer erzielen.« Er grinste nochmals. »So wie hier in dem Leder.«
Susan klomm in den Sattel. »Wann fliegst du hinauf zur Projektil?« »Morgen«, antwortete Freitag, während er einen Sprung vollführte und das Bein über die Hinterpausche des Sattels schwang. »Hättest du was dagegen, wenn ich dich begleite?« fragte Susan etwas zu hastig. Sie spürte, wie ihr rot gewordenes Gesicht brannte. »Freitag«, fügte sie in plötzlicher Verärgerung hinzu, »du bist der einzige Freund, den ich habe! Rotschopf Viele Coups ist schon oben. Gestern abend hat sie gepackt und ist an Bord eines ST gegangen. Ich ... ich bin nur unten geblieben, um heute mit dir Schießübungen zu machen. Ich habe niemanden, mit dem ich reden könnte. Ich ... ich fürchte mich davor, daß Ramon ...« Freitag stutzte, sein Blick forschte in ihren Augen. Sie erwiderte seinen Blick, fragte sich zur gleichen Zeit, weshalb sein Gesichtsausdruck sie innerlich so sehr berührte. »Sicher bin ich einverstanden.« Seine Stimme klang rauh. »Es ist immer nett, jemanden dabei zu haben, der mir’s Haar trocknet.« »Das Haar trocknet?« »Klar.« Seine lausbübische Miene verzog sich zu einem Lächeln. »Manchmal werden meine Haare nämlich naß, wenn ich an ‘m Eimer Wasser vorbeigehe.« »So klein bist du ja wohl auch wieder nicht.« »Keine Ahnung.« Freitags Augen glommen. »Du redest über meinen Kopf hinweg.« Susan setzte zu einer Entgegnung an, da schwirrte etwas an ihrem Ohr vorüber. Sie zuckte zusammen und drehte sich Freitag zu, hörte einen Knall. Freitag tat mit ausgestreckten Armen, Erschrecken in den Augen, einen Satz durch die Luft, die Lippen zu einem gräßlichen Zähnefletschen zurückgezogen. Er prallte gegen sie, bevor sie es verhindern konnte, schleuderte sie aus dem Sattel, plumpste schwer auf sie. Wie eine Rasende drosch sie in
der bösartigsten Art und Weise auf ihn ein, versuchte ihn von sich zu stoßen. Die Furcht verlieh ihr zusätzliche Kräfte, doch mit ihm war sie es trotzdem aufzunehmen außerstande. Er umklammerte ihre Arme und drückte sie gewaltsam ins dichte Gras. »Bleib unten!« herrschte er sie erbittert an. In ihrer Hilflosigkeit zitterte Susan krampfhaft vor sich hin, wartete auf seine Brutalitäten. Aber seine Beachtung galt überhaupt nicht ihr. Sie hörte, wie irgend etwas unregelmäßig — Zisch-Flopp! — durchs Gras sauste, danach wieder einen dumpfen Knall. Ihr Herz wummerte, als müßte es das Gefüge der Rippen sprengen. Sobald Freitag seinen Griff lockerte, versuchte sie sich aufzurichten. »Bleib unten, verflucht noch mal!« knirschte er. »Irgendwer schießt auf uns.« Diese Mitteilung versetzte Susan in Fassungslosigkeit. Das war also das Sirren und Schwuppen durchs Gras gewesen? »Entschuldigung«, flüsterte sie Freitag zu. Nun fing ihr Herz wirklich zu hämmern an. In ihren Eingeweiden begann die Furcht nach altbekannter Art zu rumoren. Freitag rutschte von ihr und robbte auf das Pferd zu, das ein paar Schritte gegangen, dann jedoch stehengeblieben war; es warf ihnen befremdete Blicke zu. Susan wälzte sich auf den Bauch und folgte Freitag, kroch ihm nach. Sie hörte ein Pfeifen und Klatschen, danach aus der Ferne wieder den Schuß knallen, sah das Geschoß an der Stelle, wo sie eben noch gelegen hatte, eine Furche ins Erdreich schrammen, und es schauderte ihr. Kaum dröhnte der Schuß, sprang Freitag auf, rannte zum Pferd, zerrte das Gewehr aus seinem Behältnis. Susan hörte das satte Schmatzen, mit dem eine Kugel in Fleisch schlug. Freitag ließ sich fallen, während das Pferd sich aufbäumte, schrill wieherte und zusammenbrach.
»Halunke!« brüllte Freitag hinüber zu den stillen Hügeln. Susan suchte hinter dem gefällten Pferd Deckung; sie fühlte, wie sich unter ihr das warme Blut des sterbenden Tiers ausbreitete. »Zu dumm«, meinte Susan, »daß wir nur ein Gewehr haben.« »Und bloß noch ein Pferd. Die wichtigste Frage lautet: Mit wie vielen Gegnern haben wir’s zu tun?« Freitag räusperte sich, spie dann aus, als wollte er dadurch die Bedeutsamkeit der Frage unterstreichen. »Was ... was machen wir nun?« fragte Susan, grub sich tiefer in den weichen Untergrund, fuhr zusammen, als sie einige Halme Degengras streifte. »Er steckt irgendwo dort oben.« Freitag wies mit dem Finger in die Hügel, krauchte unter eines der Pferdebeine. Vorsichtig hielt er über den Hals des Tiers hinweg Ausschau. »Zieh deine Bluse aus.« »Was?« Susan heftete ihren Blick ungläubig auf seine Beine, die Krabbelbewegungen ausführten. »Was hast du ...?« »Zieh deine Bluse aus und laß sie neben dem Pferd sehen«, ertönte Freitags gedämpfte Antwort. »Kann sein, daß er darauf schießt. Falls das Mündungsfeuer Rauch aufwirbelt... kann ich vielleicht sein Versteck erkennen.« Indem sie sorgsam darauf achtete, Deckung zu halten, streifte Susan die Bluse ab. Flüchtig bewunderte sie noch den Stoff — nie hatte sie damit gerechnet, einmal so etwas tragen zu dürfen —, dann ballte sie das Kleidungsstück zu einem Bündel und warf es vor die Hinterbeine des Pferdekadavers. Ein kurzes Zisch-Patsch! ging einem Knallen vorher. Unwillkürlich stieß Susan ein Johlen aus. »Ich hab nichts abgekriegt«, flüsterte sie. »Hast du was gesehen?« Wie zur Antwort zerriß ein Schuß aus Freitags Gewehr die Stille der Luft. »Er ist dort zwischen den Felsen.
Weshalb hast du geschrien? Du hast mir ‘n mordsmäßigen Schreck eingejagt.« »Ich weiß nicht recht«, gestand Susan. »Vielleicht dachte ich, ‘s könnte für uns ‘n Vorteil sein. Weißt du, vielleicht denkt er jetzt, er hätte mich getroffen.« »Hm, ausgeschlossen ist’s nicht.« Freitag fing an zu brüllen. »Du hast eine Frau erschossen! Möge Spinne dir die Eier am Leibe verschimmeln lassen! In den Fotzen deiner Töchter sollen Maden hausen! Dafür werde ich dich umbringen!« Freitag kroch unter dem Pferdebein hervor. Er kaute auf der Lippe, schnitt eine nachdenkliche Miene, zögerte. »Kannst du ...? Ach, verdammt! Leg dich hinter das Bein. Nimm das Gewehr. Schieb den Lauf auf den Pferdehals, damit er ‘ne Unterlage hat. Dort oben ist ‘n Vorsprung ... Diese Felsen da auf der Hügelkuppe. Hier ist meine gesamte Munition. Sobald du siehst, daß sich dort was regt, schieß! Wenn sich die Gelegenheit bietet, knall ihn ab. Feuern, laden, bis drei zählen und noch einmal feuern. Tu das sechsmal. Danach laß dir Zeit. Du mußt darauf achten, daß uns nicht die Munition ausgeht.« »Was hast du denn vor?« Die Furcht schien eiskalte Klauen in Susans Unterleib zu krallen. »Ich will mich von hinten anschleichen und ihn mit dem Messer erledigen.« Freitag grinste. »Du wolltest doch Kriegerin werden. Was ist’s jetzt für ein Gefühl?« »Ich ... ich fürchte mich«, flüsterte Susan, senkte den Blick, holte tief Atem. »Das gehört dazu. Und jetzt da hin und geschossen! Wenn wir Glück haben, glaubt er tatsächlich, du wärst tot.« Gleich darauf schubste er sie vorwärts, half ihr unter das schwere Pferdebein. Eine Kugel sirrte über ihren Kopf hinweg. Aus Beunruhigung erwiderte sie das Feuer zu eilig, legte das Gewehr nicht fest genug an die Schulter. Unterhalb des Felsens, auf den Freitag gedeutet hatte, flog Dreck hoch, während Susan mühselig die
Tränen fortzwinkerte, die der Schmerz in der Schulter ihr abrang. Sie besann sich auf Freitags Anweisung, lud neu, zählte bis drei und schoß zum zweitenmal. Wieder verursachte der Rückstoß, obwohl sie den Gewehrkolben diesmal energisch gegen die Schulter drückte, ihr Beschwerden. Nachladen, zählen, feuern. Zu ihrer Genugtuung stoben Steinsplitter von den Felsen. Irgendwann verlor sie über die Häufigkeit ihrer Schüsse den Überblick. Die neben ihr aufgestapelte Munition begann dahinzuschwinden. Mittlerweile mußte Freitag zu dem Hügel gelangt sein. Mit einem Klatschen grub sich eine Kugel in den Pferdekadaver. Der Knall ertönte eine halbe Sekunde später. Susan hob die Augen ganz knapp über den Pferdehals und beobachtete das Felsversteck. Einen Moment später pfiff ein Geschoß so dicht an ihrem Schädel vorbei, daß sie den Luftzug spürte. Ein flaues Gefühl sickerte ihr durch die Glieder, als sie daran dachte, wie knapp diese Kugel sie verfehlt hatte. Zum erstenmal erlebte Susan das Bewußtsein, sterben zu können. Es ginge ganz schnell, in der einen Sekunde gäbe es sie noch, zielte sie über Kimme und Korn, im nächsten Moment wäre sie tot — totes Fleisch, geradeso wie das Pferd. Sie richtete die Mündung auf den Haufen Felsen, entdeckte eine Bresche, durch die sie Bewegung bemerkte. Mit trockener Kehle schluckte sie. Ihre Sicht drohte feucht zu verschwimmen, als sie über die Zielvorrichtung auf den dunklen Spalt in den Felsen anlegte. Genau wie sie es bei den Schießübungen getan hatte, verdrängte sie alles andere aus ihrer Wahrnehmung, bemühte sich um äußerste Konzentration. Das Korn glänzte mitten in der Kimme. Zwischen zwei Atemzügen zögerte Susan noch, fühlte an ihrer Fingerspitze den Abzug.
Fast hörte sie gar nicht, wie der Schuß fiel, und auch den Rückstoß spürte sie infolge ihrer hochgradigen Konzentriertheit weniger als vorher, nur halb. Aus den Felsen erscholl ein wüster Fluch, als Susan ein weiteres Projektil in die Geschoßkammer rammte. Sie wartete ab. Nichts geschah. Heiß loderte die Sonne ihr auf den Rücken. Sanft säuselte ihr schwacher Wind über die heißen Wangen, die Erde unter ihr zeichnete sich durch tröstliche Festigkeit aus. Ihre Sinne waren jetzt kristallklar, als wäre sie mit der Welt ringsherum eins geworden. Wieviel Zeit war inzwischen vergangen? Es kam ihr vor, als wäre Freitag erst seit ein paar Sekunden fort. Sie zählte die noch vorhandenen Kugeln. Sie hatte noch drei — und fünfzehn leere Patronenhülsen herumliegen. So oft hatte sie geschossen? Waren fünf Minuten verstrichen? Zwanzig? Am Hang des Hügels polterte ein Stein abwärts. Susans Gewehrmündung wies auf den Mann, der sich dort unsicher hochgerafft hatte. Wie selbstverständlich, ohne weiter nachzudenken, zielte Susan auf die Gestalt. Ihr Herz raste, als wollte es einen Trommelwirbel schlagen, das Blut rauschte in ihren Adern. Ihr Opfer versuchte fortzuhasten, und das Blut stieg ihr ruckartig zu Kopf. Das große Gewehr dröhnte, erbebte in ihren Händen, der Lauf nahm ihr die Sicht auf den Flüchtenden. Zittrig lud Susan nach, bekam dabei Schwierigkeiten, während ihr Blick das Gelände nach dem Gegner absuchte. Endlich gelang es ihr, hinter der vorletzten Patrone den Verschluß zum Einrasten zu bringen, sie stützte das Gewehr auf und wartete aufs Wiedererscheinen ihres Ziels. Nichts. Stille. Auf dem Hügel wedelten nur vom Wind gestreifte Gräser hin und her. Was sollte sie tun? Noch länger warten? Nach Freitag rufen? Aufstehen und nachschauen, ob der letzte Schuß getroffen hatte? Die Zunge
klebte ihr am Gaumen, als sie erneut zu schlucken versuchte. Fliegen sammelten sich, um den Rüssel ins Blut des toten Pferds zu tauchen. Sie saugten sich voll und kitzelten Susan auf dem Rücken, verstärkten noch ihre Gereiztheit. »Susan?« Das war Freitags Stimme. »Alles klar! Er ist tot.« Seitlich der Felsen richtete sich Freitag auf, winkte lebhaft. Die plötzliche Erleichterung ermattete Susan völlig. Sie klaubte die Bluse auf, besah sich das Einschußloch, streifte das Kleidungsstück über, bevor sie zu ihrem Pferd lief und sich die Zügel griff. Das schwere Gewehr auf der Schulter, führte sie das Tier den Hang hinauf, zu der Stelle, wo Freitag stand. In ehrfürchtiger Benommenheit kostete sie ihre Empfindungen aus, die Gefühle, die Wirklichkeit des Lebens. Sie lebte noch! Die Leiche lag beinahe versteckt im hohen Gras. Freitags grimmige Miene verriet Widerwillen, während er den Toten betrachtete. Harte, schwarze Augen sahen Susan an, erhöhten um so mehr den Nervenkitzel des Lebens, das so unbekümmert mit ihrem Empfinden spielte. Der kehlige Klang von Freitags Stimme überraschte sie. »Er ist dein. Du hast ihn getötet. Du mußt den Coup nehmen, Kriegerin.« Freitag maß sie festen Blicks, indem er ihr den Kriegsdolch reichte. Als Susan die Hand nach dem Messer ausstreckte, begann ihr der Arm zu zittern. Die große Klinge ruhte schwer, kühl und unhandlich in ihrer Faust. Das Zittern ihrer Hand steigerte sich zum Schlottern, Susan schöpfte tief Atem, fühlte sich wie betäubt, ängstlich, ihrer selbst wieder unsicher. »Deinen Coup«, schnauzte Freitag mit gepreßter Stimme, zeigte mit einem knubbligen Finger auf den schlaffen Leichnam. Auf einmal verspürte Susan den Wunsch, vor diesem
schrecklichen Mann und der schauerlichen, zusammengesunkenen Masse Fleisch vor ihr im Gras die Flucht zu ergreifen. »Ich will ihn nicht«, wimmerte sie. »Nimm ihn!« donnerte Freitag sie an. »Es ist bei unserem Volk so Sitte. Oder bist nur ein Mädchen, das gern einen Mann spielen würde?!« Eine Verachtung zeichnete sich in seinem Tonfall ab, die Susan bitter traf. Sein Ton weckte in ihr tiefsitzende innere Kraft. Sie widmete ihm einen Blick hitzigen Trotzes und ließ sich auf die Knie sinken. »Ich weiß nicht, wie man’s macht«, bekannte sie leise. »Du mußt kräftig an den Haaren ziehen, so daß die Kopfhaut angespannt wird. Dann schneide die Haut rund ums Haar ein, ohne locker zu lassen. Was an Gewebe am Skalp bleibt, kann danach abgetrennt werden.« Freitags Stimme klang fast gleichgültig. Erst jetzt schaute Susan richtig hin, sah die ledernen Binden, den schiefen Schädel. »O mein Gott...!« Bei der erstmaligen Berührung des Haars zuckte ihre Hand zurück. Sie schluckte, wickelte die dunklen Strähnen um ihre Finger, zog die Behaarung stramm. Schlapp rollte der Kopf herum, so daß sie dem Toten ins Gesicht blickte. »Den Coup!« knurrte Freitag, zerrte ihm die Lederbinden herunter. »Er hat die Ehre seines Clans verletzt. Die Regeln der Messerfehde gebrochen. Er ist ehrlos. Nicht mehr als ein Vieh. Er hatte den Tod verdient.« Susan bibberte noch vor sich hin, da schien ein unerbetener Bestandteil ihres Gemüts die Herrschaft über sie anzutreten, zwang sie dazu, das schwere Messer entschlossen an Ramon Luis Andojars Kopfhaut anzusetzen. Wie im Traum zerschlitzte sie rundum das widerspenstige Fleisch. Für Susan dauerte es eine Ewigkeit, die blutige Trophäe brauchtumsgerecht von der Schädeldecke zu lösen.
Der Skalp baumelte ihr lose aus den Fingern. Sie stand auf, spürte den Wind an den Fleischfetzchen zupfen. Sie wandte sich um und schenkte Freitag einen Blick wutentbrannten Abscheus, begegnete jedoch in seinen Augen Verständnis, Sympathie und vor allem Respekt. »Du weinst«, stellte er halblaut fest. »Zerbrich dir deshalb nicht den Kopf. Beim ersten Coup habe ich selbst geweint. Nun mußt du dich läutern. Such eine hochgelegene Stätte auf und bete. Finde deinen Geisthelfer. Spinne wird deine Worte vernehmen. Du bist stark. Ich dachte ... Ich dachte, du würdest zusammenbrechen. Du wirst deinen Weg zwischen den Sternen ehrenvoll gehen.« Ohne Vorwarnung stülpte sich Susans Magen um. Immer wieder erbrach sie sich ins Gras. Sie keuchte, rang um Atem, straffte sich, suchte Halt an Freitags Arm. Krampfartiges Zittern ging durch ihre Glieder. Mit schwachen Knien japste sie reine Luft in ihre Lungen. Ihre Faust umklammerte den blutigen Skalp, vor ihr lag der reglose Leichnam. Schon umsummten Fliegen den fransigen roten Fleck auf dem Schädel. Stumm nickte sie und langte nach dem Arm, den Freitag ihr von ihrem Pferd herab entgegenstreckte. Er übergab ihr Ramons Gewehr und Patronengurt. Gemeinsam trabten sie in die Umgebung, um Ramons irgendwo angebundenes Reittier ausfindig zu machen. Danach ritten sie Seite an Seite; Freitag kehrte mit Susan in die Berge zurück, um auf den Höhen eine Stätte zum Beten zu suchen. Eine Stunde lang konnte man sie auf ihrem Weg nach Osten noch sehen, ein Mann und eine Frau, beide mit einem Gewehr bewaffnet. * * * Die Sonne wanderte westwärts, senkte sich immer tiefer auf den Ozean hinab, der jenseits des Weidelands der Romananer lag, in dem der Wind unablässig das Gras wellte. Während sich die Schatten vertieften, näherte sich
von der Siedelei ein anderer Reiter. Er saß über den Hals des Pferds gebeugt im Sattel, folgte den schwachen Spuren im hohen Gras, die eine inzwischen nur noch schwer ersichtliche Fährte ergaben. Indem er auf verschlungenem Pfad zu einer Hügelkuppe hinaufstrebte, schnaubte Wills Roter Falke Pferdefängers Stute plötzlich beunruhigt und tänzelte zur Seite. In geschmeidigem Bewegungsablauf glitt der Krieger aus dem Sattel, duckte sich, das Gewehr fest in den Händen. Seine Augen, scharf wie bei einem Raubvogel, erspähten die Fliegen, die die Leiche umschwirrten. Wachsam schlich Willy darauf zu, las aus dem Gras den Verlauf des Gefechts ab. Als er den Toten erreichte, wälzte er den Leichnam mit dem Fuß herum, stieß ein Brummen aus, als er erkannte, um wen es sich handelte. Pferdefänger richtete sich auf, blickte in den Osten, hinüber zu den Bergen. Er stellte den Gewehrkolben vor sich ins Gras und stützte die Hände auf die Mündung. Seine Zeit würde kommen. Eine Messerfehde hatte Vorrang, mußte zuerst ausgetragen werden. Doch wer konnte wissen, was danach geschah? Anschließend durfte er jederzeit Rache nehmen. * * * »Das sind jetzt alle«, konstatierte John Smith Eisenauge, während er auf dem Monitor beobachtete, wie der zuletzt eingeschwenkte ST im Hangar das Anlegemanöver beendete, seine einhundertzwanzig Meter Länge in den Rumpf der Projektil flanschte. »Tja, Kriegshäuptling, das war’s. Alles ist soweit.« Rita Sarsa lehnte sich zurück und kreuzte die Arme auf der Brust. »Verdammt, wer hätte je gedacht, daß wir’s schaffen?« Ihr Blick wurde trüb, und sie schüttelte den Kopf. »Weißt du, Eisenauge, als wir uns dazu verstiegen haben, das zu versuchen, sind wir verrückter als echte Irre gewesen.«
»Hatten wir denn eine andere Wahl?« Eisenauge zuckte mit den Schultern, sah Patrouillensoldaten das Umsteigen des als letzte Einheit heraufgeflogenen Trupps romananischer Krieger überwachen. Vom grausamen Schmerz, den Leetas Tod ihm verursacht hatte, war nur eine Leere in seinem Herzen zurückgeblieben. Im Vorbeigehen nickte er denen zu, die er kannte. Die Mienen der Ungläubigkeit, die die neuen Männer zeigten, waren beinahe komisch. »Freitag Garcia Gelbes Bein«, rief Eisenauge, als er den Kleingewachsenen aus der ST-Luke treten sah. Hinter dem abgesägten Krieger kam ein ... Nein! Es war wahrhaftig dieses romananische Mädchen. Es trug — mit deutlichem Stolz — eine Bordmontur, hatte das schwarze Haar zu einem Zopf geflochten. In den Händen schleppte es ein Gewehr, und im Gürtel stak sehr auffällig ein langer Kriegsdolch. Eisenauge blinzelte und schüttelte den Kopf. Außerdem hing nämlich ein Coup am Gürtel des Mädchens. »John Smith Eisenauge!« begrüßte Freitag ihn herzlich, in seinen Augen funkelte Fröhlichkeit. »Wie schön, nun an Bord zu sein. Fast hätten wir den letzten ST verpaßt. Ich dachte schon, wir müßten mit den Fingernägeln an ihm festgekrallt nach oben fliegen.« Rita neigte den Kopf auf die Schulter. »Ich habe beinahe befürchtet, du würdest klein beigeben, und nun hast du dich hinter meinem Rücken zu einer Kriegerin gemausert.« Selbstbewußt erwiderte Susan Smith Andojar den Blick Rita Sarsas. »Ich bin gerade erst von der Vision zurückgekehrt, die ich suchen mußte. Ramon hat gegen die Messerfehde-Regeln verstoßen ... Ich ... ich brauchte Zeit zu meiner Läuterung. Jetzt bin ich bereit für Sirius, Rotschopf Viele Coups.« »Du hast dir eine große Bürde auf die Schultern geladen, Weib«, sagte Eisenauge leise. »Ich mache mir Sorgen wegen der Auswirkungen, die du auf meine Männer haben
wirst.« Sie hinterließ jetzt einen recht selbstsicheren, stärkeren, härteren Eindruck. Ja, sie hatte Aussichten, eine Kriegerin zu werden. Sein Herz krampfte sich zusammen. »Sie hat einen Mann getötet, von dem die MesserfehdeRegeln gebrochen worden war«, erklärte Freitag leicht barsch. »Einen Mann getötet, der sie zu ermorden beabsichtigte.« »Wen?« fragte Rita, blickte nervös Eisenauge an. »Ramon?« Susan antwortete mit beherrschter Leidenschaftlichkeit. »Er hat uns aufgelauert und wollte uns umbringen, nachdem er Freitag Garcia Gelbes Bein eine ehrenhafte Anerkennung der Messerfehde geschworen hatte. Ich habe ihn erschossen.« Stolz verlieh der Stimme des Mädchens einen rauhen Klang. »Deinen Onkel?« vergewisserte Eisenauge sich gedämpft. »Du hast unter seinem Dach gewohnt.« »Er hat versucht, dies Mädchen zu ermorden!« Freitag schnitt eine grimmige Miene. »Eine neue Zeit ist da, John. Wir fliegen zu den Sternen. Bei den Sternenmenschen gibt’s weibliche Krieger. Ich nenne nur Rotschopf Viele Coups. Sie hatten auch Leeta.« Das Weh, das seine Bemerkung Eisenauge bereitete, bewog Freitag keineswegs zur Zurückhaltung. Der kleine Krieger stemmte die Fäuste in die Hüften und starrte ihm erbittert ins Gesicht. »Spinne weist uns neue Wege. Wenn Susan gehen muß... gehe ich auch. Entscheide, Kriegshäuptling!« »Susan«, unterbrach Rita, ihren Blick auf John Smith geheftet, den Wortwechsel in scharfem Ton. »Ich ernenne dich zu meiner persönlichen Adjutantin. Schaff deine Sachen in mein Quartier. Du hast noch ‘ne Menge zu tun. Du sprichst kein Wort Standard, kannst nicht lesen, hast nicht die mindeste Ahnung von unserer Ausrüstung. Setz dich schleunigst ans Lernen, nimm dir doppelte Lektionen vor. Gelbes Bein, sorg dafür, daß sie alles macht. Dich möchte ich ebenfalls in meinem Stab haben.«
Das wird Probleme geben, beharrte eine Stimme tief im Innern Ritas. »Leutnant Rita Sarsa und Kriegshäuptling John Smith Eisenauge«, hallte es aus der Kommu. »Melden Sie sich umgehend im Konferenzsaal bei Oberst Ree.« Sofort machte Eisenauge auf dem Absatz kehrt und stapfte, die Rückenmuskulatur verkrampft, einen Niedergang hinab. Rita folgte ihm unmittelbar, holte ihn am Lift ein. Sobald sie im Lift standen, die Türflügel sich geschlossen hatten, hob Rita den Blick in Eisenauges starres Gesicht. »Also, was ist los?« fragte Rita, verengte die Lider. »Du hast doch gewußt, daß es zu solchen Vorgängen kommen mußte. Verdammt, was ist denn daran so schlimm, wenn das Mädchen mit uns ins All fliegt?« Eisenauge behielt seine ausdruckslose Miene bei. »Es herrscht genug Wirrwarr«, sagte er schließlich, »ohne daß wir zusätzliche Unruhe schüren. Es ist falsch.« »Falsch? Wieso?« Rita schüttelte den Kopf. »Anscheinend hat’s dich ja nicht gestört, daß Leeta bei unserer Mattsetzung des Direktorats eine führende Rolle übernahm. Dabei hast du selbst sie unterstützt. Du hast nichts dagegen, daß ich deinen Kriegern Befehle erteile. Um was geht’s also? Komm schon, John. Das ist doch gar nicht deine Art.« »Spinne hat uns einen Weg gezeigt, wie wir leben sollen.« Eisenauge sprach nicht lauter. »Jedem von uns hat er gewisse Dinge zu tun gegeben. Männer führen Krieg ... Frauen kümmern sich ums Heim und ziehen die Kinder auf. Ihr seid von den Sternen. Eure Bräuche sind ... anders. Das Volk ...« »Du meine Güte!« entfuhr es Rita unterdrückt. »Du bist doch gescheiter, Eisenauge, du weißt es besser. Nach derselben Logik muß Spinne uns Sternenmenschen zu eurem Volk geschickt haben. Ursprünglich hatte er’s wohl so eingerichtet, daß ihr und die Santos euch gegenseitig
abmurkst, wo ihr euch in die Quere kommt, als ... als wärt ihr Ratten oder so was. Wenn Susan wegen Spinne keine Kriegerin werden können soll... Ach, zum Donnerwetter, wozu dann das Ganze, woraus bestünde der Unterschied? Hä?« Wie konnte er ihr erklären, welche Befürchtungen er hatte? Daß sie nicht Susan betrafen, sondern ihn selbst? Die Liftkabine stoppte, rasch öffnete sich die Tür. Eisenauge gab keine Antwort, sondern strebte zum Konferenzsaal voraus. Die Tür rollte beiseite, er trat ein und nahm Platz, versuchte Rita zu ignorieren, die sich neben ihn setzte. Nach ihnen betrat Hauptmann Neal Iverson den Saal. »Du magst nicht drüber reden, hm?« brummelte Rita, im Gesicht rot, die Augen verkniffen. »Na, das sagt genug.« Mit verpreßten Kiefern biß Eisenauge die Zähne zusammen. Aus den Getränkespendern der Verpflegungsautomaten gluckerten Kaffee und Tee in Becher. Ree kam herein und grüßte, ehe er seine vierschrötige, muskulöse Gestalt auf den Sitz am Kopfende des Konferenztischs senkte. »Zur Sache«, sagte Ree; es klang fast, als besänne er sich erst nachträglich auf die Tagesordnung. »An erster und wichtigster Stelle: Alle romananischen Krieger sind an Bord, wir haben Beschleunigung aufgenommen und verlassen den Orbit. Bruderschaft und Viktoria sind uns um drei Flugstunden voraus und leiten in Kürze den Übergang zum Überlichtflug ein. Die Mitglieder des wissenschaftlichen Personals, die lieber bleiben möchten, befinden sich drunten auf dem Planeten, ebenso Dr. Szchinzki Montaldo, der die Interessen der Romananer in bezug aufs Toron vertreten wird. Marty Bruk und Bella Vola werden vom Basislager aus ihre anthropologischen Forschungen fortzuführen. Chem und seine
Mitarbeiter kehren per Blitzkorvette zur Universität zurück. Hat jemand irgendwelche Fragen?« Oberst Ree musterte die Gesichter der Anwesenden. »Tja, wir haben bisher keine rechte Gelegenheit gehabt, um uns einmal zusammenzusetzen und die Meinungsverschiedenheiten auszudiskutieren, mit denen wir uns im Laufe der vergangenen sechs Monate herumärgern mußten. Wir haben verflucht viel zuviel zu tun gehabt. Kurz gesagt, meine Damen und Herren, wir halten jetzt Kriegsrat. Keiner von uns wird diesen Raum verlassen, ehe wir eine neue Kommandostruktur etabliert haben.« Hauptmann Iverson stand auf und salutierte mit steifem Rücken und nach vorn gerichteten Augen. »Mit Ihrer Erlaubnis, Oberst, ich bitte ums Wort.« Blond und hochgewachsen, wie er war, glich er dem Musterbild eines tapferen jungen Offiziers. Damen Ree winkte ihm zu. »Rühren, Neal. Für die Dauer dieser Beratung suspendiere ich sämtliche Förmlichkeiten. Ich bestehe darauf, daß alle mit schonungsloser Offenheit sprechen. Setzen Sie sich und erzählen Sie mir, was Sie beschäftigt.« Iverson ließ sich wieder im Sessel nieder. »Oberst, wenn ich ehrlich sein soll, wir müssen hinsichtlich der Romananer etwas unternehmen. Es mag sein, daß sie wie Teufel kämpfen, aber sie verkörpern ein Disziplinproblem für meine Untergebenen. In mancherlei Beziehung ist es so, sie an Bord zu haben, als hätte man eine Horde Kinder in einer Bonbonfabrik losgelassen. Überall stecken sie ihre Nase hinein, und meine Offiziere können ihnen nichts verbieten.« Ree warf Eisenauge einen Blick zu. »Bevor ich dazu meine Gedanken darlege, möchte ich Major Neal Iverson zu seiner Beförderung gratulieren. Und Majorin Rita Sarsa zu ihrer.« Aufmerksam beobachteten Rees Augen die Reaktionen in der Runde. Es gab Mienen der Überraschung und Betroffenheit am Tisch zu sehen. Mit einem
Heben der Hand brachte Ree das plötzliche Stimmengewirr zum Schweigen. »Mir ist klar, daß einige von Ihnen sich jetzt zurückgesetzt fühlen. Es ist nicht meine Absicht, irgend jemanden zu verdrießen, indem ich Rita vom Leutnant zur Majorin befördere.« Ree machte ein strenges Gesicht. »Sie, Rita, sind nämlich für die Romananer verantwortlich. Gleichzeitig ernenne ich John Smith Eisenauge zu Ritas Stellvertreter. Wie Sie sich die Zuständigkeiten mit ihm teilen, ist Ihre Angelegenheit — Hauptsache, es klappt alles.« Etlichen Personen am Tisch kam allmählich der Durchblick, sie begannen zu nicken. »Aha, ich sehe, Sie kapieren, auf was ‘s mir ankommt.« Ree wirkte zufrieden. »Keiner von Ihnen kennt die Romananer besser als Rita Sarsa. Ferner übernimmt Neal den vakant gewordenen Posten Majorin Rearys. Im Falle meines ... äh ... Todes geht das Kommando auf ihn über. Ich möchte eindeutig klarstellen, Neal, daß Sie mein volles Vertrauen genießen.« Kurzer, gedämpfter Beifall schloß sich der Erklärung an. »Wir stehen vor einer außerordentlich schweren Aufgabe, Leute«, ergänzte Ree grimmig seine Ausführungen. »Wir müssen die Romananer so ausbilden, daß sie ein funktionierender Teil des Schlachtschiffs werden. Zur gleichen Zeit hat sich aber vieles verändert. Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen schon ausgiebigere Überlegungen bezüglich der Veränderungen angestellt hat, die eingetreten sind. Denken Sie daran, wie unschön es auch ist: Die Patrouille hat ihr eigenes Blut vergossen. Dadurch sind wir alle zu Gesetzlosen geworden.« Rees Blick wurde härter. »Glauben Sie, man wird uns das Schiff lassen, nachdem wir die sirianische Rebellion erstickt haben?« Stimmengemurmel entstand. »Oberst, was könnte man denn gegen uns unternehmen?« fragte Leutnant Mosche Raschid. »Ich hatte keine Bedenken gegen das
Zurückschießen, als die Bruderschaft uns eliminieren wollte. Ich bin der Meinung ... ahm ... Selbstverteidigung ist erlaubt.« Als der Stimmenlärm anschwoll, stand Rita trotz des formlosen Charakters der Besprechung auf. »Ich möchte einmal versuchen, ob ich die Situation zusammenfassen und in die richtige Perspektive rücken kann«, eröffnete sie ihren Diskussionsbeitrag. »Mit dem Entschluß, dem Direktorat den Gehorsam zu verweigern, haben wir uns unwiderruflich festgelegt. Wir können nicht zurück.« Ihre grünen Augen musterten nacheinander alle Offizierinnen und Offiziere. »Was die Patrouille angeht, werden wir momentan gebraucht. Aber überlegen Sie mal. Wie steht’s, wenn wir die Sirianer niedergeworfen haben? Ich bin zwei Monatsbezüge zu wetten bereit, daß dann ein Riesenhaufen Versetzungsbescheide auf uns zukommt. Und sobald die Crew zerstreut ist, wird jeder von uns einzeln in Pension geschickt... Oder schlimmer, irgendwann bei einer jährlichen Med-Unter-suchung durch ‘n Psychingteam ‘n bißchen ... äh ... >re-orientier< Eines dürfen wir als sicher voraussetzen: Daß man unter diesem oder jenem Vorwand Damen Ree des Kommandos enthebt und mit allen möglichen Ehrungen pensioniert. Und glaubt jemand von Ihnen im Ernst, daß das Direktorat Neal Iverson oder irgendeinem anderen Besatzungsmitglied das Kommando über die Projektil geben wird? Hören Sie zu, man betrachtet uns als eine Bedrohung des Direktorats. Man hält uns für gefährlich. Einmal haben wir schon rebelliert, und niemand kann ausschließen, daß wir’s ‘n zweites Mal tun. Unser Verhalten ist für das Direktorat unberechenbar geworden.« Einen Augenblick lang schwieg sie, ihre Fingerspitzen strichen über die Tischplatte. »Was mich persönlich betrifft, ich habe zuviel aufgegeben, um in Pension zu gehen und auf irgendeiner Station zu vergammeln. Oder mir von irgendeinem Drecksack in weißem Kittel, der sich dabei ins
Fäustchen lacht, das Gehirn zurechtrücken zu lassen.« »Verdammt, Sarsa, ich verfluche den Tag, an dem Sie mit Ihrem Gesindel in meine Reaktorzentrale geplatzt sind«, sagte Major Glick, der Cheftechniker, mit gehörigem Mißmut. Er schaute in die Runde. »Aber gleichzeitig komme ich nicht umhin, zu sagen, daß Rita recht hat. Im Grunde genommen ist das doch uns allen völlig klar. Man wird uns nicht einfach in Ruhe lassen. Das ist ausgeschlossen. Denken Sie bloß an die Konsequenzen in der Patrouille. Ein Schlachtschiff hat die Befehle verweigert und ...« »Aber es waren idiotische Befehle«, rief Hauptmann Adam Chung dazwischen. »Wir konnten doch nicht den ganzen Planeten vernichten! Für was halten die uns denn eigentlich, verdammt noch mal? Für Mörder? Sollen wir Menschen verbrennen wie ... wie ...?« Ree unterdrückte ein Auflachen, weil er sich an Chungs anfängliche Bereitschaft erinnerte, die Romana-ner tüchtig zu dezimieren. Jetzt hatte er eine Spinne auf die Uniform gemalt. »Nein, konnten wir nicht«, stimmte Glick zu. »Aber humane Rücksichten zählen in diesem Zusammenhang nicht. Sie ändern nichts an der Tatsache, daß wir — wir alle — eine Order Direktor Robinsons persönlich nicht ausgeführt haben. Wie würden Sie reagieren, unterstünde Ihnen die Patrouille?« Vorgeschobenen Kinns und mit gewölbten Brauen lehnte Glick sich an seinem Platz zurück. »Bei unserem Volk geschieht es dauernd«, erläuterte Eisenauge in seinem noch leicht gebrochenen Standard, »daß sich Gruppen abspalten. Viele Jahre nach der Landung der Nikolai Romanan von den Sternen waren wir alle ein Volk geworden. Aber die Gritas und die Weißen Adler waren mit der Weise, wie man die Siedelei führte, nicht einverstanden. Sie zogen in die Berge, um dort eine eigenen Gott anzubeten und eigene Propheten zu haben. Und
noch mehr haben das Spinnenvolk verlassen ... und auch die Santos ... um fortzugehen und zu leben, wie es ihnen gefiel. Weshalb fürchten die Sternenmenschen sich davor, eigenständige Gruppen zu gründen?« Er spreizte die Hände. »Haben wir nicht genau das getan, als wir die Clans Spinnes, der Santos und der Projektil vermischten? Ist dadurch nicht etwas Neues geschaffen worden?« Ree nickte. »Mit der Gründung des Direktorats haben alle Kriege aufgehört«, antwortete er. »Es wird befürchtet, eine Aufspaltung könnte die Ursache neuer Kriege sein.« »Also mir soll’s recht sein«, brummte Mosche Raschid. Er blickte in die Runde. Einige Sitzungsteilnehmer nickten, andere schnitten skeptische Mienen. »Na, wofür sind wir denn ausgebildet worden? Was haben die Wasserköpfe ...« »Um zu beschützen!« raunzte Ree. »Um zu verhindern, daß Menschen sich gegenseitig massakrieren.« »Und was hat’s uns gekostet?« fragte Rita. »Damen, welche Errungenschaften hat unsere Rasse während der vergangenen zweihundert Jahre zustandegebracht? Ich habe ein paar Recherchen vorgenommen, um besser zu durchschauen, was wirklich aus uns geworden ist. Die Ära der Konföderation war eine Zeit des Heldentums. Wenn wir zu Unterhaltungszwecken lesen, uns etwas angucken oder in der Schlafstimulation zu Gemüte führen, dann drehen alle Geschichten sich ums Zeitalter der Konföderation, als es noch Menschen gab, die den Durchschnitt überragten, stimmt’s? Unsere Technologie stammt aus Konföderationszeiten. Sie ist unverändert geblieben ... Abgesehen davon, daß sie nach und nach minderwertiger geworden ist. Wir stagnieren. Viel schlimmer, wir entwickeln uns zurück. Die alten BruderschaftsRaumschiffe kommen uns heute wie reinste Zauberei vor! Sie bestanden nicht bloß aus komplizierten Computern, wie wir sie heute nicht mehr herzustellen verstehen. Und das ist nur ein Beispiel. Denken Sie über diese Dinge
nach, und Ihnen werden sicherlich weitere Beispiele einfallen. Wieviel Menschen reisen noch? Unsere Populationen sterben, wo sie geboren sind.« Eisenauge betrachtete Ree. »Wir haben nun eine Anzahl von Auffassungen gehört, Oberst. Was ist mit dir? Ich achte dich. Du bist ein ehrbarer Führer. Was sollten wir deiner Ansicht nach tun?« Oberst Ree trank von seinem Kaffee und furchte angestrengt die Stirn, als ob er seine Gedanken besonders intensiv zu konzentrieren versuchte. »Die meisten von Ihnen kenne ich seit zwanzig Jahren. Also seit langem. Im Laufe dieser Zeitspanne haben wir allerlei Bemerkenswertes erlebt. Ich habe Sie in verschiedenerlei Hinsicht unterstützt oder Ihnen in anderen Fragen Kontra gegeben, je nachdem, um was ‘s ging, dabei jeden von Ihnen mit seinen Anforderungen wachsen gesehen, so wie Sie zweifellos Ihrerseits mich im Blick behalten haben. Wie alle und jeder von Ihnen habe ich mein Dasein der Patrouille verschrieben. Mir stehen vielleicht noch vierzig Jahre Dienst bevor, ehe ich zu senil bin, um weiter mit dem Kommando über die Projektil betraut bleiben zu können. Ja, ich muß Ritas Argumente um eines ergänzen: Wir haben auch die medizinischen Methoden zur Lebensverlängerung verloren. Mein Leben ist dieses Schiff.« Rees Gesicht war starr geworden, als wäre es aus Holz geschnitzt. »Mir mißfällt die Vorstellung, auf... einem Planeten oder in einer Station zu sterben, wo ich keine Bewegungsfreiheit hätte. Und genau so etwas würde das Direktorat mir zumuten. Das steht völlig außer Frage. Wie sollen wir uns also verhalten?« Rees Augen forschten in den Mienen rundum am Konferenztisch. »Ich kann lediglich Vorschläge unterbreiten, Freunde. Von dem Moment an, als Skor Robinson uns befahl, die Romananer auszurotten, hat sich, wie ich glaube, die Natur unserer Pflicht gewandelt. Damit nenne ich nur einen der Gründe. Nach meiner Überzeugung hat sich in dem Moment, da
ein FLF-Transportschiff erstmals Radiosignale der Romananer auffing, das gesamte Direktorat verändert.« Ree zögerte; er sah die Erwartung in den Augen seiner Offiziere. »Ich glaube«, sagte er, beobachtete unterdessen genau die Reaktionen auf seine Worte, »es wäre für uns am vorteilhaftesten, die Patrouillentätigkeit geradeso wie vorher fortzusetzen.« »Verstehe ich Sie richtig?« Chung wirkte vollkommen ratlos. »Und wenn das Oberkommando es uns verbietet? Wie sollen wir .. .?«? Erneut trank Oberst Damen Ree Kaffee. »Könnte es uns denn daran hindern?« fragte er. In der bedeutungsschweren Stille, die seiner Gegenfrage folgte, sprach niemand ein Wort. »Wir haben den Auftrag, den Außensektor zu sichern. Nach dem Kampf um Atlantis wird sich niemand offen mit uns anlegen wollen. Ich weiß nicht, wie Sie sich’s denken, aber ich nehme meinen Eid ernst. Sollte die Patrouille es vorziehen, bloß noch sich selbst zu dienen, müßte ich mich für den ursprünglichen Sinn meiner Pflicht entscheiden.« Schweigen. Schließlich nickte Neal Iverson zum Zeichen des Verstehens. »Die einzige Neuheit wäre, daß wir keine Befehle mehr von der Patrouille annähmen.« »Nur noch gewisse Befehle«, berichtigte Ree. »Wenn die Patrouille von uns verlangt, einer beschädigten Station zu helfen, werden wir das erledigen. Falls sie fordert, Major Neal Iverson zur Durchführung eines Disziplinarverfahrens auszuliefern« — er lachte auf — »würden wir ablehnen.« »Und was ist mit dem Nachschub an Ersatzteilen, Vorräten und dergleichen, mit Personalnachwuchs?« fragte Raschid. »Hätten wir eine Basis auf Atlantis«, wandte Ree sich an Eisenauge, »würden die Romananer uns Toron, Krieger, Nahrungsmittel und Rohstoffe verfügbar machen?«
Der Kriegshäuptling lachte. »Natürlich! Die jungen Männer kämen sich doch jämmerlich vor, könnten sie nicht zu den Sternen fliegen wie ihre Väter.« »Außerdem sollten wir an der Universität ehrgeizige Studenten anwerben, die Fähigkeiten haben, wie wir sie hier brauchen«, meinte Rita. »Es gibt Verfahren, mit denen sich die Direktoratsbürokratie umgehen läßt.« »Um die Personalkosten zu decken«, sagte Chung nachdenklich, »könnten wir kommerzielle Transport-und Geleitschutzdienste anbieten.« Major Glick nickte. »Wir sind nur ein paar Produkte nicht selber zu fabrizieren imstande. Die Rohstoffe sind alle vorhanden. Das Toron ist der maßgebliche Faktor, aber es gibt auf Atlantis mehr, als wir jemals allein aufbrauchen können. Der Rest läßt sich jederzeit gegen Erzeugnisse einhandeln, deren Herstellung uns nicht möglich ist.« »Ich schlage vor, daß wir uns nach der Sirius-Aktion für unabhängig erklären.« Iverson blickte in die Runde. »Sollen wir darüber abstimmen?« Rees Blick schweifte über die Gesichter der Versammelten. »Also, meine Damen und Herren, was soll werden?« Das Abstimmungsergebnis fiel einmütig aus. In diesem Moment verübte die Projektil vollständigen Hochverrat. Nun würde Robinson sie alle liquidieren müssen. »Eines noch«, sagte der Oberst leise. »Was wir beschlossen haben, darf vorerst außerhalb dieses Raums nicht bekannt werden. Haben Sie verstanden? Wir werden in der Zukunft noch genug Zeit für unsere Unabhängigkeitserklärung haben. Schaffen Sie bis dahin für diesen Tag die Voraussetzungen.«
8 »Was soll das heißen? Eine Messerfehde? Auf meinem Schiff?« Ruhelos stapfte Damen Ree auf und ab, drosch wiederholt die Faust in die Handfläche. »Auf meinem Schiff?!« Freitag Garcia Gelbes Bein stand in schroffer Haltung da, den Kopf zurückgebogen, seine Miene wirkte so unerschütterlich, als wäre sie aus Bronze gegossen. Die dikken, von Muskelsträngen prallen Arme hatte er stramm auf der Brust verschränkt; dadurch betonte er die beiden Coups an seinem Kriegsrock. Er hatte die Beine weit gespreizt, und weil sein Blick ununterbrochen von einem zum anderen Gesicht huschte, entging ihm nichts. John Smith Eisenauge seufzte und rieb sich die Gesichtszüge. »Du hast’s gewußt, Freitag. Trotzdem bist du mitgekommen — auf den Kriegspfad —, obwohl du gewußt hast, daß Willy Roter Falke Pferdefänger um seiner Ehre willen bei der Blutrache bleiben mußte.« »Nein, Kriegshäuptling«, knurrte Freitag, während seine Augen, die hart wie Feuerstein aussahen, schmal wurden. »Er ist mitgekommen, obwohl er wußte, daß er Blut geschworen hatte.« »Das ist das gleiche«, sagte Rita grob. »Ich sollte euch zweien die Gräten brechen. Ihr könntet genausogut in der Bordklinik zum Sirius fliegen ... Oder in der Arrestzelle.« »Der Fall ist ausgestanden.« Ree drehte sich um, wo er stehengeblieben war und die an der Wand befestigten romananischen Waffen angeschaut hatte. »Die Sache ist ganz einfach. Ich bin Kommandant dieses Schiffs — und ich ordne an, daß der Streit beendet ist.« Rita blickte nervös Eisenauge an.
»So leicht läßt’s sich nicht regeln«, wandte Eisenauge sotto voce ein. »Wenn du die Austragung der Messerfehde verbietest, erzürnst du die Krieger. Dadurch wird die Kampfmoral beeinträchtigt, die sie für den Einsatz auf Sirius nötig haben. Der Mut der Männer wird schwinden.« Ree verzog das rauhe Gesicht zu einem verkniffenen Ausdruck. Mit ausgestrecktem Finger zeigte er in Gelbes Beins Richtung. »Du kannst ihm befehlen, davon Abstand zu nehmen, oder?« John Smith Eisenauge nickte. »Das kann ich.« Freitag Garcia Gelbes Bein begann zu zittern, seine Miene verzerrte sich zu einer finsteren Grimasse, und er preßte die Kiefer aufeinander. »Aber ich würde nicht empfehlen, so vorzugehen, Oberst. Es wäre mir unrecht, Freitag Garcia Gelbes Beins Ehre anzugreifen. So ein Befehl wäre eine Beleidigung sowohl für ihn wie auch für Pferdefänger.« Ratlos breitete Eisenauge die Arme aus. »Sie sind beide gleichermaßen dafür verantwortlich, daß eine Messerfehde in die Zeit des Kriegspfad verschleppt worden ist. Ich hatte, als Freitag es mir mitteilte, einen Eindruck von Lächerlichkeit. Vielleicht treibt Spinne Scherz mit uns, macht sich mit uns einen Spaß. Aber es gibt einen anderen Ausweg.« »Ich bin ganz Ohr«, brummelte Ree. Eisenauge furchte die Stirn, musterte den Oberst. Er zwinkerte. »Ganz Ohr?« Den Kopf seitwärts geneigt, betrachtete er Rees Ohren. »Ich weiß nicht... äh ...« »Das ist eine umgangssprachliche Wendung«, bemerkte Rita halblaut und mit einem Anflug von Belustigung. »Du mußt mehr Zeit für die Sprachlektionen erübrigen, Kriegshäuptling. Der Oberst meint, er ist dazu bereit, sich deine Ratschläge anzuhören.« »Aha! Jetzt verstehe ich, was gemeint ist. Ja, Oberst, gut, mein Rat lautet folgendermaßen: Laß sie das Duell auskämpfen. Dadurch wird die Ehre aller Beteiligten
gewahrt, die Romananer werden dich bewundern, der Kampfgeist wird gestärkt, das Problem behoben, und der Verlierer fliegt zur Externalisationsluke hinaus. Und es wird keine neue Messerfehde geschworen, solange wir auf dem Kriegspfad sind. Bis zu unserer Rückkehr vom Sirius wirst du keine Schwierigkeiten mehr haben.« »So, >der Verlierer fliegt zur Externalisationsluke hinaus<, hm?« Ree faltete die Hände auf dem Rücken, legte den Kopf in den Nacken, schloß die Augen, während er seine Optionen durchdachte. »Tja, das könnte die Lösung sein«, äußerte er gedämpft. »Vorher wollen wir aber noch versuchen, Pferdefänger diese blöde Angelegenheit auszureden. Probieren können wir’s doch wenigstens, oder?« »Ja«, willigte Freitag ein. »Aus Rücksichtnahme auf den Kriegszug gegen Sirius wäre ich mit einem beiderseitigen Verzicht auf den Zweikampf einverstanden. Das wäre eine ehrenvolle Beendigung der Streitigkeit.« Rees Lächeln fiel humorlos aus. »Ehre, Freitag, soso ...? Weißt du, das ist eines der Dinge, die ich an euch Burschen zu schätzen weiß, daß ihr noch Ehre kennt. Ich hatte bloß keine Ahnung, daß sie derartige Komplikationen verursachen kann.« »Um was geht’s dabei überhaupt?« erkundigte sich Rita mit einem verdrossenen Gesichtsausdruck des Widerwillens. »Wie hat’s angefangen?« Schüchtern lächelte Freitag. »Ich habe Ramon und Willy dabei erwischt, wie sie Susan Smith Andojar entführten, um sie zu ermorden.« Eisenauge stutzte, drückte sich den Handteller auf die Stirn. »Das Mädchen! Ich habe ja gesagt, daß sie uns Ärger macht.« *
*
*
»Befassen sich eigentlich keine Menschen mehr selber mit Computerdesign?« nuschelte Unteroffizier Hans Yeager, den Rücken bis zur Schmerzgrenze verrenkt, während er tief im System der Kommunikationsanlage seinen Arm durch ein Gewirr von Hauptschaltplatten wand. Majorin Sarsas Kommunikator mußte höhergestuft werden, und die Erledigung dieser Arbeit war ihm zugefallen. Er streckte sich so weit es ging, seine Finger lösten die Klemmen der K-Deck-Schaltkreise. »Ich komme mir vor wie ‘n Affe, der ‘n Fußball fickt«, knirschte er durch die Zähne, rutschte rückwärts aus der Anlage. Als jemand eintrat, sprang Hans überstürzt auf, um zu salutieren, weil er dachte, es sei die Majorin. »Du brauchst vor mir nicht zu salutieren.« Es war die falsche Stimme, und außerdem sprach sie das Standard mit ausgeprägtem Akzent sowie gelegentlichem Stok-ken; offensichtlich handelte es sich nicht um die Majorin. Unter seiner an die Stirn gehobenen Hand schielte Hans die Person an und blickte in schwarze Augen, sah ein herzförmiges Gesicht, das eine feste, gerade Nase und volle, rote Lippen umrahmte. Das dicke, rabenschwarze Haar des Mädchens glänzte, hing in üppigem Zopf über eine Schulter. Und nicht nur das: Hans hatte es auch noch nie gesehen. »Du bist eine Romananerin«, mutmaßte Hans. »Das bin ich.« Die Unbekannte nickte und grinste ihm zu. »Du machst hier ... äh ... was?« Hans lief rötlich an. »Also, ich ... Ich setze bloß der Majorin ‘ne neue Schaltplatte in die Kommu. Sie ist ja befördert worden, deshalb kriegt sie nun ‘n leistungsfähigeren Anschluß.« Hans spürte, wie er immer stärker errötete. Hat er jemals eine so schöne Frau gesehen? Im ganzen Leben noch nicht. Das Mädchen schenkte ihm ein hinreißendes Lächeln, suchte sich einen Stuhl, streifte ein Kontaktron über und
begann sich mit irgendwelchen Studien zu befassen. Hans setzte die Höherstufung der Kommu-Anlage fort, checkte die Schaltkreise samt und sonders vier-oder fünfmal, um immer wieder über die Schulter dieses entzückende weibliche Wesen beäugen zu können, das sich am Bildschirm auf die Lektionen konzentrierte. Schließlich stand das Mädchen auf und verschwand in die Toilette. Hans wartete, bis es zurückkehrte, schraubte die Anlage zu und steckte das Testinstrument ins Behältnis. »Ahm ...« Er fing zu stammeln an, kaum daß er den Mund aufmachte. »Ich glaube, ich bin hier ... äh ... fertig.« Das Mädchen hörte ihm zu und nickte. Hans kam immer mehr durcheinander. »Naja, äh ... vielleicht... hm ... Dann gehe ich wohl mal lieber.« Allzu hastig lächelte Hans. Ich benehme mich wie ein Trottel. Wieder einmal. »Tja, hm ... Ich gehe also jetzt... am besten.« Er klatschte die Hände zusammen, grinste, wippte auf unruhigen Zehen. Mit einem neuen Lächeln raubte das Mädchen ihm nahezu den Verstand, sein Herz blieb buchstäblich stehen. »Wohin gehen du?« fragte es, die Lider halb geschlossen, die Stirn leicht gefurcht, während es auf die eigene Aussprache lauschte. »Nun ja, ahm ... in die Cafeteria ... um ‘n Täßchen Kaffee zu trinken ... würde ich sagen.« Hans’ Zunge lag ihm bleischwer im Mund; er blinzelte die Romananerin an. »Ich mag Kaffee«, antwortete sie, achtete nach wie vor mehr auf ihre Aussprache als auf Hans. Sie öffnete die Augen weiter. »Hab ich das gut gesagt?« »O ja, äh ... fabelhaft... Einfach toll.« Hans lachte. »Du sprichst sehr gut Standard. Lernst du’s gerade?« »Vor zwei Tagen hab ich angefangen, beim Schlafen Sprachlektionen zu haben.« Sie schmunzelte. »Ich lerne Standard schnell.«
Ihre eifrige Miene begeisterte Hans. »Für zwei Tage Unterricht bist du wirklich schon ganz hervorragend.« Er zögerte nervös. »Äh, sag mal, hast du noch zu tun? Ich meine ... ich würde gerne mit dir zusammen ‘n Kaffee trinken. Wenn’s dir ... ahm ... recht ist.« Er schluckte schwer — und hörbar. Was habe ich denn jetzt angestellt? Hans biß die Zähne zusammen und wartete auf die Ablehnung. Das Mädchen lächelte breiter. »Wirst du mit mir Standard ... Standard üben?« »Na, na klar, ja ...«, stotterte Hans, fühlte sich wieder rot werden. »Klar doch, ich spreche mit dir soviel Standard, wie du willst. Sicher.« »Ich mitkomme.« Das Mädchen drehte sich um und machte einen Wandschrank voller Kleidungsstücke auf; eilig zog es einen Gürtel heraus, an dem ein großes romananisches Messer hing, schlang ihn sich um die Wespentaille. Es wandte sich Hans zu und lächelte. »Fertig. Ich sein ... äh ... Ich bin Susan Smith Andojar.« »Unteroffizier Hans Yeager.« Mit der Handfläche aktivierte er den Türmechanismus. Als das Mädchen ihm in den Korridor folgte, fiel ihm der Coup auf. Ruhig bleiben, Junge, dachte er. Lächeln...! Heiliges Kanonenrohr! Dieser zierliche Fratz hat jemanden umgebracht. »Bin erfreut, dich kennenzulernen«, sagte Susan Andojar, indem sie sich knapp verbeugte und ihm die Hand reichte. Zittrig schüttelte Hans sie, und das Mädchen verengte die Lider. »Stimmt was nicht?« Mitten im Korridor blieb es stehen. »Tja ... ahm, weißt du ...« Hans rieb sich die Hände, versuchte zu grinsen. In diesem Moment bog Leutnant Ara Breeze um die Ecke eines Niedergangs und stoppte, als wäre er gegen eine Wand geprallt, der Unterkiefer sackte ihm herab. Der sardonische Ausdruck seiner Lippen verzog sich zu einem verzerrten Grienen. Mir Maria in die Koje stecken, was? Mich zu einem ver-
dammten Stümper abstempeln, wie? Ärger krampfte Hans’ Herz zusammen. Möglicherweise macht sie mich auch kalt... skalpiert mich ... Aber keines von den Arschlöchern hat je eine Verabredung mit einer Romananerin gehabt! »Nein.« Hans zwang seine Stimme zu einem gleichmäßigen Tonfall. »Alles ist völlig in Ordnung.« Er bot Susan den Arm an, und sie hakte sich ein. Hans stolzierte hochaufgerichtet an Breeze vorüber und pfiff dabei fröhlich vor sich hin. »Ich dachte, du hättest dir... äh ... es dir anders überlegt.« Im Augenwinkel bemerkte er den Blick, mit dem sie in seiner Miene forschte. »Ach ... ah ... Ich ... Weißt du, ich bin noch nie einer Romananerin begegnet... Persönlich, meine ich. Na, ich will damit sagen, ich habe deinen Coup gesehen. Ich hatte gehört, Frauen nähmen bei euch keine Coups. Soviel ich gehört hatte, solltet ihr ... ahm ... Nonkombat-tanten sein.« Er spürte, wie er erneut rot wurde. Susans Gesicht nahm einen leicht feindseligen Ausdruck an. »Du findest nicht gut?« In ehrlicher Verneinung schüttelte Hans den Kopf. »Nein, das meine ich überhaupt nicht. Äh, eigentlich meine ich ... Es freut mich, daß ein Mädchen, das ‘n Coup hat, mit mir zum Kaffeetrinken geht. Äh, auf ro-mananisch würde man wohl sagen, ‘s bedeutet für mich eine Ehre ... Nur kenne ich die Wörter nicht.« »Ehre?« In Susans Augen funkelte es, als sie ihn angrinste. Sie übersetzte seine Äußerung ins Romananische und korrigierte ihn, als er sie in ihrer Sprache zu wiederholen versuchte. In der Cafeteria des Geschützdecks verfolgten zahlreiche Blicke sie bis zu dem Tisch, an dem sie Platz nahmen. Hans entschied sich endgültig für Kaffee. »Willst du lieber was anderes? Ich hole dir gern, was du möchtest.« »Tatsächlich?« Susans Augen leuchteten. »Würdest du mir eine ... eine Limonade besorgen?«
Hans’ Wangen glühten vor Erregung, als er sich neben das Mädchen setzte; fast ängstigte es ihn, Susan anzuschauen. Er fand sie sehr schön, und er konnte nicht verhindern, daß sein Blick wiederholt rundumwanderte, die betroffenen Mienen in ihrem Umkreis streifte. Ja, das war womöglich das Ende seiner Reputation, ein Versager zu sein! *
*
*
Giorj Hambrei stand auf der Kommandobrücke der Hiram Lazar und nickte vor sich hin, während die Monitore übertrugen, wie die grell-rotbläulichen Laserstrahlen des Raumschiffs in die Oberfläche des Monds schössen. Staub, Gesteinstrümmer und Dampf brodelten von der Kruste des viele Kilometer entfernten Himmelskörpers empor. Müde gähnte er; er spürte die Auswirkungen der hohen Gravitation und der langen Arbeitsstunden. Für einen sirianischen Mann war Giorjs Statur unterdurchschnittlich entwickelt. Wegen seiner Magerkeit — er bestand im wahrsten Sinne des Wortes nur aus Haut und Knochen — hatte er gleichfalls ein unterhalb der Normalität einzustufendes Körpergewicht. Doch es war seine farbliche Besonderheit, die ihm Aufmerksamkeit verschaffte; oder vielmehr, sein Farbmangel. Er war ein Mann in verwaschenem Grau, ohne richtigen Teint, das Haar klebte dünn und stumpf an seinem Kopf. Blasse Augen glotzten aus einem dermaßen ausdruckslosen Gesicht, daß manche Leute es als >tot< bezeichneten. Strahlung hatte es in einer durchaus realen Hinsicht so gemacht. »Prächtig!« stieß Ngen Van Chow an seinem Platz im Kommandantensessel gedämpft hervor. Rings um ihn glomm und blinkte die Brücke der Hiram Lazar von Datendisplays. Gebückt hockten mehrere Offiziere an Kommu-Geräten und beobachteten das Monitoring von
Energieerzeugung, Schutzschirm-Energiepegel und Systemfunktionen. »Es hat erhebliche Mühe gekostet«, sagte Giorj, ohne daß seine gräuliche Miene irgendwelche Emotionen vermittelt hätte. Ausschließlich seine Bewegungen bezeugten seine Befriedigung. »Die Informationen waren die ganze Zeit lang vorhanden. Zur Hölle mit der Bruderschaft, weil sie in diesem verfluchten Code geschrieben hat... Aber anhand der Diagramme haben wir allgemeine Vorstellungen gewonnen. Im gesamten Direktorat gibt es keine Blaster, die sich mit diesen Geschützen vergleichen ließen. Gleichzeitig haben unsere Schutzschirme jetzt die doppelte Belastbarkeit, und zwar auch bei vollem Blastereinsatz. Wir können mit jedem beliebigen der drei Patrouillenschlachtschiffe, die man gegen uns in Aktion schickt, ohne weiteres fertigwerden. Die Patrouille hat nichts Vergleichbares zu bieten. Feuer einstellen!« Gleich nach seinem Befehl erlosch das violette Licht, und nur die von der leblosen Mondoberfläche weit drunten in die Höhe gewallte Wolke aus Staub und Stein blieb sichtbar. »Wieso nicht?« erkundigte sich Ngen Van Chow halblaut, stützte sich auf den Ellbogen. »Verfallserscheinungen innerhalb des Direktorats«, antwortete Giorj sachlich. »Die Patrouille existiert völlig konkurrenzlos. Darum bleibt ihre Bewaffnung in der Qualität immer mittelmäßig. Meine Aufgabe bestand darin, ihre maximale Leistung zu übertreffen. Am schwierigsten war daran das Aufspüren der Informationen. Die Bruderschaftsarchive befinden sich noch auf Frontier.« »Die Bruderschaft besteht noch?« Ngen wirkte verblüfft. Er begann auf der Unterlippe zu kauen. »Natürlich.« Giorj nickte, in Gedanken halb bei den Anzeigen der Computer. »In so verkommenem Zustand wie alles andere. Dort wissen sie doch gar nicht, was sie an Wertvollem haben. Kann sein, der Großmeister hat ‘ne
gewisse Ahnung, aber er ist ‘n seniler alter Tropf. Ich bin ihm während meines Aufenthalts begegnet. Das Vermächtnis des Direktorats heißt Entropie.« »Schade, daß wir nicht an ihre sämtlichen Informationen gelangen können.« Ngen heftete den Blick auf Giorj. Was für ein Prachtexemplar von Ingenieur du bist, mein Teurer. Genialität tritt manchmal in der sonderbarsten Verpackung auf. »Wenn wir die Patrouille geschlagen und das Direktorat aufgerollt haben, sind wir dazu fähig, sie uns alle zu verschaffen.« Giorj las die Endresultate der Testauswertung ab und verriet seine Zufriedenheit durch ein Lächeln. »Es ist nur eine Frage der Zeit, Ngen«, fügte der Ingenieur hinzu. Er drehte sich um und sah den Ersten Bürger an, verschränkte die knochigen Arme auf der Hühnerbrust. »Uns bleiben noch drei Monate, bis die Patrouillenschlachtschiffe eintreffen«, sinnierte Ngen. »Genügt das? Und wie ist der Status der restlichen Flottille?« Ein Großteil seiner Überlegungen galt bereits Frontier und den dort gelagerten Daten. »Bis die Patrouillenschiffe in Aktionsreichweite sind, werden wir die Helk und die Dastar mit dem gleichen Gefechtspotential wie die Hiram Lazar in Kampfbereitschaft versetzt haben. Mit ihrer ganzen Flotte, glaube ich, könnten sie eine Aussicht haben, uns zu besiegen. Aber beim Einsatz von jeweils nur wenigen Schiffen« — er hob die Schultern — »dürften wir dazu imstande sein, sie abzuwehren und die Patrouille nach und nach größtenteils zu vernichten.« Befremdet schüttelte Ngen den Kopf. »Mich erstaunt der Gedanke, daß solche fortgeschrittenen physikalischen Kenntnisse so lange ignoriert worden sind. Weshalb hat das Direktorat sie sich nie zunutze gemacht? Nun wird diese Borniertheit sein Untergang sein. Ich begreife das einfach nicht...« Giorj wirkte verdutzt. »Es wäre gefährlich gewesen,
Bruderschaftsgeheimnisse auszugraben. Ihre Erwähnung hätte Interesse an der Bruderschaftsphilosophie auslösen können. Der Wissensdurst dieser Philosophie wäre möglicherweise bei den Unwissenden des Direktorats zur Ursache von Unruhe geworden. Eine Bevölkerung, die dumm wie Schafe ist, läßt sich leichter regieren als eine, die nachdenkt und Fragen stellt.« Ngen blickte auf, hing noch immer Grübeleien nach. »Was haben wir in den vergangenen dreihundert Jahren eigentlich gemacht? Wo stünden wir heute, hätten unsere Vorfahren nicht die Bruderschaft diskreditiert und statt der Konföderation das Direktorat etabliert? Man muß sich das mal ausmalen ... Welche technischen Wunderdinge hätten wir heutzutage zur Verfügung, wären die Leute ehrgeizig und strebsam gewesen, anstatt sich wie hirnloses Vieh bloß verwalten zu lassen?« Giroj zwinkerte matt. »Was einmal gewesen ist, zählt nicht mehr, Erster Bürger. Was uns beschäftigen muß, ist das, was bevorsteht...« »Nur zu wahr«, räumte Ngen nachdenklich ein. »Vielleicht gelingt es uns, das Direktorat zu Fall zu bringen und in einem Abwasch diese barbarischen Romananer unschädlich zu machen, die es gegen uns hetzt.« Er lachte. »Steinzeitkrieger, stellen Sie sich das mal vor ... Gegen unsere neuen Heimwehr-Legionen? Patrouillentruppen wären ein Anlaß zur Besorgnis. Aber diese Kuhhirten? Kanonenfutter für unsere Männer. Geistlose Pappkameraden, die ...« »Sie wissen, Erster Bürger, wir brauchen überhaupt keine landen zu lassen. Das Satelliten-Verteidigungssystem müßte sämtliche ST abfangen können.« Giorj ließ die Lider nahezu ganz sinken. Ngen stand schwungvoll auf und fing hin- und herzustapfen an. »Nein. Ich halt’s für klüger, wir nehmen’s in Kauf, daß ein paar durchbrechen. Es ist erforderlich, daß wir sie auf dem Planeten vernichten ...«
»Sie würden schwere Schäden anrichten. Es müßte Menschenleben kosten, Erster Bürger.« Giorj orderte sich an einem Automaten einen Becher Kaffee und trank. »Und geopferte Menschenleben, mein guter Giorj, geben für Sirius Märtyrer ab. Märtyrer motivieren die Menschen stärker als Drohungen einer Regierung. Die Leichen unserer Mitbürger werden allen die Tatsache verdeutlichen, daß wir um unser Leben kämpfen. Beachten Sie, daß die, die nichts zu verlieren haben, die sich schon als tot betrachten, sich als die tüchtigsten Soldaten bewähren.« »Also werden weitere Bombenanschläge stattfinden, ehe die Patrouille eintrifft?« fragte Giorj nach einer längeren Gesprächspause. »Die Produktion von Rüstungsgütern sinkt. So wie die Kurven absacken, wird’s Mitte des nächsten Monats zu einem wesentlichen Einbruch kommen. Das kann ich nicht dulden. Darum wird das Direktorat einen neuen >Vergeltungsschlag< gegen uns führen ... Ah ... Wie wär’s am Samstagmorgen?« Ngen lächelte. Giorj kehrte an die Schiffskontrollen zurück. »Allem Anschein nach sind die Menschen wirklich ein vernunftarmer Haufen. Ich bin darüber unermeßlich froh, daß Sie so gut mit ihnen umzuspringen verstehen, Erster Bürger.« Er fuhr mit dünnen, weißlichen Fingern über die Kommu-Konsole, seine Stimme klang jetzt nachdenklich. »Die Ingenieurswissenschaft dagegen ist eine durch und durch rationale Sache. Klar und sauber, ohne jedes moralische Dilemma, Verfahren Sie mit Ihrer Schafherde, wie Sie’s für richtig halten, Ngen. Dressieren Sie sie, wie Sie sie brauchen. Lassen Sie mir die Freiheit zum Experimentieren, und ich werde ... zu Ihren Methoden, was Fleisch und Blut betrifft, nichts sagen.« Bedächtig nickte Ngen, seine Überlegungen schweiften wieder zu den Geheimnissen ab, die die Bruderschaft in ihren wunderbaren Computern gespeichert hatte. So vieles
war in Vergessenheit geraten. Wie wäre es mit der Menschheit weitergegangen, hätte das Direktorat ihre Entwicklung nicht gehemmt? Zuerst muß ich meine Rivalen beseitigen. Dann ist die Patrouille an der Reihe. Ohne sie ist das Direktorat wehrlos — wie ein Schaf, das ein Wolf jederzeit an der Kehle packen kann. Danach bleibt nur noch eine Frage offen: In welche Richtung lenke ich unsere Zukunft? * * * Wütend starrte Willy Roter Falke Pferdefänger in die hageren Gesichter rings um ihn. »Mir ist es egal, was John Smith Eisenauge sagt. Er gehört nicht mehr zum Volk. Das Mädchen — diese Susan Smith Andojar — hat uns alle mit Schmach bedeckt. Sie hat dem Smith-Clan und dem Andojar-Clan Schande gemacht. Sie ist ein ehrloses Geschöpf. Sie verhält sich ...« — damit stieß er die schlimmste Beleidigung hervor, die man beim Spinnenvolk aussprechen konnte —, »als hätte sie keine Verwandten.« »Wir alle lernen gegenwärtig verschiedene neue Dinge.« Jose Grita Weißer Adler, Kriegshäuptling der San-tos, zuckte die Achseln. »Ich betreibe Studien unter einer Kriegerin. Warum soll nicht auch unser Volk die Frauen, die’s wünschen, zu den Sternen fliegen lassen? Schadet’s unseren Kindern? Vielleicht nicht. Kann es nicht sein, daß eine Frau, die ebenfalls auf dem Kriegspfad gewesen ist, dem Nachwuchs eines Kriegers stärkeres Blut mitgibt?« Unter den Männern, die rundherum auf übereinander angeordneten Kojen hockten oder an Tischen saßen, Gewehre reinigten oder Messer schärften, ertönte da und dort ein zustimmendes Brummen. »Sie hat ihren Onkel erschossen!« schrie Pferdefänger. »Gibt das euch denn gar nicht zu denken? Den Mann ermordet, der sie ernährt hat! Man sieht sie mit Sternenmännern durch die Gänge gehen. Sie spreizt ihre Beine
wie eine Sklavin!« Voller Abscheu verzog er die Lippen, während er auf- und abschritt, sah in etlichen Augenpaaren Ärger aufblitzen. »Würdest du Rotschopf Viele Coups das gleiche vorwerfen?« fragte Toby Garcia Andojar. »Sie hat mit Philip Smith Eisenauge geschlafen. Sie hat ihn geliebt. Vielleicht liebt Susan diesen Unteroffizier. Oder liebt sie Freitag Garcia Gelbes Bein? Mein Standpunkt lautet, mich schert’s nicht. Und dabei ist sie ein Mitglied meines Clans. Ich plage mich ihretwegen mit keinen sonderlichen Sorgen. Der alte Ramon war sowieso ‘n bißchen merkwürdig im Kopf. Du machst...« »Pah!« grölte Ray Smith dazwischen, fuchtelte zornig. »Frauen gehören ins Haus!« Pferdefänger stand mit angespannt hochgezogenen Schultern, geballten Fäusten und gesenktem Kopf mitten im Raum, schaute von Gesicht zu Gesicht. »Wir irren von unserem Weg ab.« Er sprach jetzt leise. »Spinne kam zu den Großvätern unserer Großväter. Er ist an ein Holzkreuz genagelt worden ... genagelt, hä ...? Damit wir frei sind und nie wieder Sklaven solcher Leute wie die Sobjets werden. Als Henry Garcia Hyänenfreund ihn vom Kreuz nahm, verkündete Spinne den Menschen die großen Volksgesetze. Er erklärte den Menschen, wie sie leben müßten, um stark zu sein. Er sagte auch den Frauen, wie sie leben sollen. Genauso war’s. Er gebot es ihnen! Hier ... in diesem Raumschiff... da haben wir keine hohen Stätten, an denen wir zu Spinne beten könnten. Die Propheten haben uns nicht auf den Flug begleitet. Warum wohl nicht... hä? Sie bleiben beim Volk.« Seine Stimme verfiel in ein durchdringendes Ge-zischel. »Es ist kein Wunder, daß ihr Spinne den Rücken zukehrt.« »Willy Roter Falke Pferdefänger hat recht!« Sam Gelbes Bein Eisenauge schwang sich von seiner Koje. Seine Lippen bebten. Er war ein rüstiger Alter mit einem von zahlreichen Kämpfen gegen Santos zernarbten Gesicht.
Eine neuere Narbe stammte von einem Blasterschuß, der ihn im Gefecht gegen Patrouillensoldaten gestreift hatte. »Wir verlieren unseren Weg aus dem Auge, Spinnes Weg! Ich sehe junge Männer umherlaufen und höre sie über ... über Kondensatoren reden, ja? Über Wellenlängen, hä? Photonendichte ... Rotverschiebung ... Quanten, wie? Und noch mehr Begriffe, die ich nicht kenne. Aber höre ich euch zu Spinne beten? Hm? Raus mit der Sprache! Wie oft ruft ihr eure Geisthelfer um Weisung an? Ihr Narren, glaubt ihr, eure Geisthelfer wären bloß für die Beratung vor dem Kriegspfad gut? Sie sind eure Wegweiser für jeden Tag des Lebens!« Er schwieg kurz, um sich Speichel vom Mundwinkel zu wischen. »Ihr benehmt euch wie Kinder. Ihr vergeßt, wer ihr seid ... Statt euch wie Männer zu betragen, spielt ihr wie Knaben kurzerhand ein neues Spiel.« Schweigen ergab sich, Augen betrachteten verlegen muskulöse, braune Hände. Manche Krieger wanden sich unwohl in ihrer neuen Sternenkleidung. Andere spitzten beschämt die Lippen. »Wir beten zuwenig«, raunte schließlich jemand in die bedrückende Stille. »Ich bete jeden Tag.« Eine kraftvolle Stimme scholl durch den Raum. Die Blicke ruckten hinüber zum Eingang. Dort stand in trotziger, hochmütiger Haltung, die Arme auf der Brust verschränkt, Freitag Garcia Gelbes Bein. »Ich auch.« John Smith Eisenauge schob sich an dem Leichtgewichtkrieger vorbei, trat ein; seine Augen funkelten die Anwesenden an. »Und zu wem betest du?« fragte Sam Eisenauge; seine Stimme klang so trocken, wie man die Bärenberge im Herbst vorfand. »Zu Spinne, Großvater«, antwortete John Smith Eisenauge in höflichem Ton, indem er, wie es sich gehörte, vor dem Alten nach unten schaute. Nach den beiden Romananern kam Oberst Damen Ree
herein. »Und was ist mit mir?« meinte er im Tonfall aufrichtiger Neugier. »Auch ich habe mir angewöhnt, zu Spinne zu beten. Ist es dabei von Bedeutung, daß ich nicht eurem Volk entstamme, Großvater?« Als Kommandant des Raumschiffs lehnte Ree es ab, den Blick zu senken. »Ich weiß es nicht«, brummelte Sam, hob in bitterer Verzweiflung die Hände. »Ich sehe nur, daß die Zustände nicht... nicht richtig sind. Unsere Menschen sind nicht mehr wie früher. Ich kenne Spinnes Wille nicht mehr. Es sind keine Propheten hier, die uns Aufschluß erteilen könnten. Sie sind auf Welt geblieben ... beim Volk. Vielleicht war’s falsch, zu den Sternen zu fliegen.« Seine alten Augen forschten in Damen Rees Blick. »Großvater«, sagte Ree in ehrlichem Ton zu dem kurz vorm Greisentum befindlichen Krieger, »du kannst den Propheten eine Nachricht beliebigen Inhalts senden. Ich mache dir dieses Angebot aus Respekt vor deiner Weisheit. Du mußt den jungen Männern ein Führer sein. Es wäre schlecht, wenn sie von Spinnes Weg abweichen. Ich habe in Leeta Dobras Büchern gelesen. Deshalb weiß ich, was aus Völkern wird, die sich selbst vergessen. Eure Jugend nähme dadurch Schaden. Ich überlasse es deinem Ermessen, die Propheten zu kontaktieren. Du bist ein weiser Mann, also mußt du die Jüngeren anleiten.« Förmlich verbeugte sich Ree. Sams Augen glänzten, nahmen einen schärferen, klareren Ausdruck an, als er die erneuerte Achtung bemerkte, mit der die anderen Krieger ihn anschauten. Er öffnete den Mund, beabsichtigte wohl Dankbarkeit zu äußern, doch Pferdefänger kam ihm zuvor. »Ein Gerede, das so schmeichlerisch ist wie Weibergeschwätz!« Ree schnitt eine Miene, als hätte er eine Ohrfeige erhalten. Er verengte die Lider, sein Gesicht verfärbte sich rötlich, er drehte sich auf dem Absatz um und Pferdefänger zu, beugte sich leicht vor.
»Was würdest du anders machen?« fragte John Smith Eisenauge, versuchte die Situation zu entspannen. »Die Krieger nach Welt zurückbringen? Ihnen die Gelegenheit verwehren, Coups zu erringen? Wolltest du ihnen die Ehre ...« »Ich würde sicherstellen, daß das Volk seinen Weg nicht verläßt«, schnauzte Pferdefänger. »Weshalb bist du hier, Eisenauge? Um mit weichlichen Worten das Blut der Krieger in Wasser zu verwandeln?« Eisenauge blieb starr stehen. Ree ergriff das Wort; infolge seiner verpreßten Kiefer klang seine Stimme auf barsche Weise abgehackt. »Ich habe Freitag Garcia Gelbes Bein hergebracht, um die Möglichkeit zu prüfen, ob ich die Messerfehde, die ihr heute abend austragen möchtet, abwenden kann. Wenn ich alles richtig verstanden habe, steht mir ein Versuch zu, einen Kompromiß auszuarbeiten.« Pferdefänger wirbelte zu Gelbes Bein herum. »Du bist ein Feigling? Du traust dich nicht, gegen mich zu kämpfen?« Er brach in schallendes Gelächter aus, straff zuckten die Muskeln unter seiner bronzebraunen Haut, als er mit dem Zeigefinger auf Freitag deutete. »Du bist nur ein Wurm. Die Maden sollen deine Hoden zerfressen.« Freitags Gesicht wurde aschfahl. »Ich bin gekommen, um zu sehen, ob es möglich ist, mit dir wie mit einem Mann umzugehen statt wie mit einer Bergschnecke. Aber es war ein Irrtum, so etwas zu hoffen.« »Heiliges Kanonenrohr!« brauste Ree auf, warf die Arme in die Höhe und wandte sich ab. »Ich habe den Eindruck«, sagte Eisenauge mit betont ruhiger Stimme, »es ist ausgeschlossen, den Zwist friedlich beizulegen.« Damen Ree atmete hastig durch und drehte sich zu Eisenauge um. »Ich kann die Sache durch meine Befehlsgewalt unterbinden. Ich überlege, ob ich beide einlochen soll.«
»Tu’s doch, Sternenmann!« höhnte Pferdefänger. »Du bist genauso ein Wurm wie Gelbes ...« Ree handelte schnell wie ein Blitz. Er schoß auf Pferdefänger zu, hieb ihn mit einem sauberen Hammerschlag zu Boden, warf sich auf ihn, als wäre er schwer wie eine Tonne Neutronen. »Verfluchter Scheißtyp!« knirschte Ree, drückte den muskulösen Unterarm auf Pferdefängers Kehle. »Das langt!« Mühsam schluckte er, zitterte vor Wut am ganzen Körper, indem er wutentbrannt in Pferdefängers halb umnachtete, schwarze Augen starrte. »Solange du dich an Bord dieses Schiffs aufhältst, bin ich auch dein oberster Befehlshaber! Wenn du zu mir noch einmal einen derartigen Ton anschlägst, breche ich dir den verdammten Hals!« Im nächsten Moment stand Ree wieder auf den Beinen, schaute in die Mienen der Bestürzung, die ihn ringsum anstierten. »Will sich noch jemand mit mir anlegen? Ich bin der Kommandant dieses Raumschiffs.« Er wies mit dem Daumen auf seine Brust. »Ich bin euer rechtmäßiger Anführer, nicht anders als ein Kriegshäuptling. Falls euch irgendwas nicht paßt, ihr keine Befehle von mir entgegennehmen wollt, dann sagt’s jetzt!« »Er ist der höchste Kriegshäuptling«, stellte Eisenauge klar. »Auf diesem Kriegspfad führt er uns.« Sam Gelbes Bein nickte, ein Lächeln auf den alten Lippen. »Pferdefänger hat sich ehrlos benommen. Man beleidigt seinen Kriegshäuptling nicht.« Seine Miene zeugte von Verwirrung. »Warum hast du ihn nicht getötet, Oberst? Du hattest dazu das Recht... Ging’s denn nicht um deine Ehre?« »Ein guter Anführer verzichtet ungern auf ‘n starken Krieger, oder?« Ree wölbte die Brauen, während er beobachtete, wie Pferdefänger sich japsend aufsetzte und seine Gurgel betastete. Johlen der Zustimmung ertönte, die Krieger schwangen ihre Gewehre und Dolche.
»Ausgezeichnet gemacht, Oberst«, flüsterte Eisenauge. »Jetzt hast du sie auf deine Seite gezogen.« »Willst du die Messerfehde widerrufen?« Grimmig richtete Ree den Blick auf Pferdefänger. »Nun geht’s um meine Ehre!« röchelte Willy zur Antwort, befühlte sich, das Gesicht verzerrt von Haß, den Hals. Langsam nickte Freitag Garcia Gelbes Bein. »Es muß zu Ende gebracht werden, Oberst. Im tiefsten Innern Willy Roter Falke Pferdefängers hat sich Verderbtheit eingenistet. Es ist eine Entscheidung Spinnes. Wäre Pferdefänger zu einer friedlichen Regelung bereit, wäre ich es auch. Ich habe nicht den Wunsch ...« »Die Verderbtheit«, fauchte Pferdefänger, »steckt in dir, du häßlicher, lächerlicher Zwerg! Du bist’s, der... der den Wegen der Väter den Rücken gewandt hat... seinen Wichtelmann in das Scheusal von Mädchen bohrt, das ... Von dem der eigene Onkel ermordet worden ist. Das den Namen des eigenen Clans mit Scheiße bewirft... uns alle mit Schande befleckt!« Mit äußerster Selbstbeherrschung hielt Freitag Garcia Gelbes Bein sich davon zurück, sich auf Pferdefänger zu stürzen. Überall im Raum wurden die Lider schmal. Ree hielt sich erneut kampfbereit, um dazwischengehen und den niederschlagen zu können, der als erster nochmals zu Gewalttätigkeiten griff. »Es wird Blut fließen«, sagte Eisenauge mit tonloser Stimme in die allgemeine Spannung. »Freitag, komm mit! Heute abend wirst du deine Chance haben. Spinne wird zwischen euch zweien wählen.« Er legte eine Hand fest auf die Schulter des jungen Manns und schob ihn hinaus; unter dem weichen Leder seiner Kleidung sah man seine Muskeln spielen. Ree schloß sich an; er schüttelte den Kopf, während er mißgestimmt vor sich hinmurmelte. Endlich hob er den Blick. »John, und wenn ich diesen Unfug wirklich verbiete? Was würde passieren?«
Nachdenklich blieb Eisenauge stehen. »Darüber haben wir schon gesprochen. Es wäre ungünstig. Es entstünde der Eindruck, Roter Falke hätte recht. Dann würden viele glauben, daß wir uns von Spinne entfremden.« Verdrossen lachte Ree. Aber plötzlich lockerte sich seine Miene. Er klatschte die Faust in die Handfläche. »Ach, was soll’s? Nur zu, von mir aus macht euch gegenseitig kalt. Ihr tragt die Duelle mit Messern aus, stimmt’s?« In seinen Augen glomm Erleichterung. »Freitag, ich hoffe, du säbelst den Mistkerl in Scheibchen.« Damit entfernte sich der Oberst, dem man nun eine gewisse Erwartung anmerkte, und strebte zur Kommandobrücke. Zwei Matrosen kamen auf die beiden Romananer zu, hielten auf einmal an, sobald sie Gelbes Bein erkannten, begafften ihn; sie tuschelten miteinander, vertieften sich, als Freitag vorbeiging, ins Betrachten der Wand. »Anscheinend bin ich tatsächlich ein Quell der Zerstreuung geworden«, murrte Freitag mit bitterem Auflachen. »Ein >häßlicher, lächerlicher Zwerg<, was? Ausgerechnet ich, hm?« »Hast du dich schon innerlich auf den Zweikampf vorbereitet?« erkundigte sich Eisenauge. »Sicherlich.« Freitag nickte. »Erst schneide ich ihn mir passend zurecht, dann denke ich drüber nach, was ich mit dem Rest anstelle.«
9 Auf Range hat die Bürgerversammlung eine Petition formuliert, mit der um weitere Informationen über unsere politische Linie gegenüber den Romananern ersucht wird. Neu-Zion verlangt eine Erklärung unserer Handlungsweise bezüglich Atlantis. Die Terranische Verteidigungsliga möchte, daß wir zum Vorwurf des Völkermords Stellung nehmen. AufStar’s End ist es zu regelrechten Unruhengekommen, bei denen man den Abbruch der Verbindungen zum Direktorat gefordert hat. Von Antares V meldet Direktoratskoordinator Fidor Roch Aufwiegelungsversuche in den Kuppeln, die Wände werden mit direktoratsfeindlichen Graffitti bekritzelt. Aus der Station Tierbault, einem Habitat mit langer historischer Tradition, wird berichtet, daß fugendliche Protestkomitees gründen, die lautstark Aufmerksamkeit für die Romananerfrage und Wiedergutmachung fordern. In So-lakriis konnte ein Krawall nur durch verzweifelte Notstandsmaßnahmen beendet werden ... So und ähnlich ging Nawtows Report ununterbrochen weiter. Es genügt, übermittelte Skor Robinson durch die Kommu. Ich kann die Daten selbst sichten. Ihr fortgesetztes Aufzählen jedes Zentrums sozialer Unruhe ist nicht mehr... Wir haben ein direktionsweites Problem! entgegnete Nawtow starrsinnig. Und es wird schlimmer. Dr. Dobras Funksendung hat wie Hefe in Zuckerwasser gewirkt. Überall im Weltraum beginnt es zu gären. Diese Vorgänge stehen außerhalb jeder Berechenbarkeit. Wie sollen wir... Schweigen Sie! hallte An Roques mentale Präsenz donnerähnlich durch den Giga-Verbund. Die gesamte Problematik widerspricht jeder Rationalität. Der Effekt der erwähnten Funksendung bringt das Direktorat ins Wanken. Ngen Van Chow gießt Öl ins Feuer, schürt den durch Leeta Dobra mit der Funksendung gelegten Brand auf seine Weise. Welche
Absichten verfolgt er? Seine Handlungen sind vernunftwidrig. Skor Robinson verlangte seinerseits durch das Computersystem Ruhe. Der Prophet war von Anfang an im Recht. Wir haben den Kontakt zur Realität verloren. Unsere Bemühungen zur Beseitigung dieser Störeinflüsse sind wirkungslos geblieben. Logik und gesellschaftliche Lenkung haben nichts mehr miteinander zu tun. Wenn Sie eine Lösung kennen, kritisierte Nawtow, dann übernehmen Sie bei der Problembehebung die Leitung. Welche Hinweise geben uns unsere gewaltigen Schätze menschlichen Wissens darauf, wie wir die gegenwärtige Krise bewältigen könnten? Selbst die sirianischen Rebellen jubeln diesen Damen Ree und seine meuterischen Piraten zu Helden hoch. Sogar die Sirianer! Jetzt ruft Ngen Van Chow den gesamten bewohnten Weltraum dazu auf, den Giga-Verbund zu zerschlagen, den einzigen Faktor auszumerzen, der unserer Spezies so viele Jahre hindurch Frieden und Sicherheit garantiert hat. Das ist Unvernunft! Irrsinn! Skor Robinson wartete, bis Nawtow die Tirade beendet hatte. Der Prophet hat recht. Uns ist die Fähigkeit zur Informationskontrolle abhanden gekommen. Diese lange verschwiegene Tatsache hat sich nun auf einmal als allgemeine Kenntnis ausgebreitet wie ein Schimmelpilz. Letzten Endes, ergänzte Roque ihn, müssen dieser Ree und seine Romananer, nachdem auf Sirius wieder Normalität eingekehrt ist, liquidiert werden. Dem stimme ich zu, antwortete Nawtow. Ich schlage vor, daß wir eine dementsprechende Planung erarbeiten. Es wird ein, zwei Tage dauern, bis die Sirianer zur Räson gebracht worden sind. Danach wird der Pirat Ree sich der Übermacht unserer loyalen Patrouillenflotte gegenübersehen. Seine Romananer können durch unsere Streitkräfte am Boden effektiv eliminiert werden. Dadurch läßt sich der Schaden auf eine Verbotene Zone beschränken. Es
werden keine weiteren Informationen in den besiedelten Weltraum gelangen. Warten Sie ab, riet Skor Robinson. Ich bin mir nicht sicher, ob es so reibungslos ablaufen wird. Ich beordere drei Patrouillenschiffe zurück. Ich dachte, wir hätten beschlossen, die gesamte Patrouille zur Niederwerfung der sirianischen Revolte einzusetzen? meinte Roque. Dann hätte Ree keinerlei Aussicht, uns entkommen zu... Zu dieser Schlußfolgerung führt uns die Logik, pflichtete Robinson ihm bei. Aber wir dürfen nicht außer acht lassen, daß die Logik uns im Stich gelassen hat. Nein, ich habe von dem Propheten gelernt, diesem Chester Armijo Garcia. Vielleicht empfiehlt in diesem Fall die Besonnenheit, einen Teil der Flotte in Reserve zu halten. Nehmen wir doch bloß einmal an, es bräche gleichzeitig eine neue Rebellion auf Desseret aus? Oder Fernab? Die Wahrscheinlichkeit, daß ... Völlig unlogisch.’behauptete An Roque obstinat. Das gilt ebenso für Dobras Funksendung, rief Robinson ihm in Erinnerung. Meine Herren Assistenz-Direktoren, das Universum hat sich verändert. Nun müssen wir uns darauf einstellen — falls es uns noch gelingen kann. Die Bevölkerung will etwas, von dem sie gar nicht wußte, daß es ihr fehlt, ehe Dobar und Van Chow sie darauf aufmerksam machten. Ich sehe finstere Zeiten voraus. Und es besteht die reale Gefahr, meine Herren Assistenz-Direktoren — Skor Robinson sprach in aller Offenheit — daß wir möglicherweise in diesem Konflikt unterliegen. Ausgeschlossen! zeterte Roque störrisch. Robinson unterbrach die Verbindung. Er widmete seine Beachtung dem Stau von Verwaltungsaufgaben, der sich während der Konversation angesammelt hatte, befaßte sich auf anderer Ebene seines vielschichtigen Verstands jedoch weiterhin mit der akuten Krise. Unmöglich? Das Herz begann im fragilen Gehäuse sei-
ner Rippen zu hämmern. Noch vor einiger Zeit wäre er wohl auch An Roques Meinung gewesen. Dann war er Chester begegnet und hatte begriffen, was die Roma-naner anrichten konnten. Kaum hatte er sich daran erinnert, bestellte er den Propheten zu sich. Wie üblich kam Chester im Antigrav-Sessel in den von bläulicher Helligkeit erfüllten Raum geschwebt, die Miene so undurchschaubar freundlich wie stets. Skor Robinson nahm nochmals Einsicht in die Kompilation der Wirren, die sich im Direktorat zusammenbrauten, und zeigte sie dem Propheten. »Sage mir, Prophet: Was suchen diese Menschen, das wir ihnen nicht geben können?« Chester lächelte; die Herzlichkeit in seinen Augen verursachte Robinson jedesmal unweigerlich innere Beunruhigung. »Möchtest du noch mehr dazulernen, Direktor?« »Hätte ich dich sonst hergerufen?« erwiderte Skor Robinson unwirsch; bei dieser Gelegenheit merkte er, daß seine Stimme viel kräftiger geworden war, ihr Gebrauch ihm zusehends leichter fiel, seit er sie wieder benutzte. »Ihr könnt ihnen totale geistige und körperliche Sicherheit gewährleisten, Direktor«, erläuterte Chester in seinem altklugen Ton. »Aber wie verhält’s sich mit den übrigen menschlichen Bedürfnissen? Denk einmal darüber nach. Welcher Teil des Menschen muß essen, wenn auch kein Brot? Trinken, allerdings keinen Wein? Fühlen, jedoch ohne Finger? Forschen, ohne zu sehen? Rufen, ohne eine Stimme zu haben? Handeln, ohne daß...« »Genug!« schnauzte Skor Robinson. »Du machst dich wieder einmal über mich lustig.« Chester schüttelte den Kopf. »Zu so etwas ist ein Prophet nicht fähig. Weißt du, was das ist?« Er hielt ein normales Kontaktron hoch. Robinson musterte ihn nur übellaunig. »Aha, ich sehe schon. Du würdest es als Kontaktron bezeichnen.« Chester seufzte, betrachtete das
goldgelbe Rund des Reifs, strich mit den Fingern nachgerade liebevoll über das glatte Metall. »Nein, Direktor, es ist ein Fenster. Ein herrliches Fenster, durch das ich Einblicke in andere Welten erhalten habe, die menschliche Geschichte, in Musik, Kunst, Literatur und ...« »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, maulte Robinson ihn an; der Direktor fühlte sich diesem rätselhaften Mann, der ein so kleines Gehirn hatte und anscheinend doch soviel mehr als er wußte, unerklärlich unterlegen. »Das ist wahr«, gestand Chester in liebenswürdigem Tonfall. »Doch durchs Warten wird dein Interesse erhöht. Du wirst dann eingehender über meine Antwort nachdenken. Was ihr den Menschen nicht schenken könnt, ist eine Seele. Ja, Seele. Den Teil des Menschen, der zur Nahrung kein Brot benötigt, keinen Wein ...« »Das reicht! Ich hab’s gehört. Mein Lebtag habe ich noch keine Seele gesehen, Prophet. Ich ...« »Ebensowenig hast du jemals eine Idee in ihrer Reinform gesehen«, sagte ehester. »Trotzdem kreisen eure Probleme um genau dies fundamentale menschliche Bedürfnis — um Nahrung für die Seele. Überlegt euch dafür eine Lösung, und ihr gewinnt das Direktorat zurück. Doch ich muß dich warnen. Es wird nie mehr das gleiche sein.« »Und du weißt, wie sich’s schaffen ließe?« fragte Robinson. Er sah Chesters heiter-gelassenes Nicken. »Dann verrat’s mir«, fügte er hinzu. Betrübt schüttelte Chester Armijo Garcia den Kopf. »Nein, Direktor. Diese Entdeckung müßt ihr selbst machen. Würde ich’s euch sagen, käme ich um den Verstand, und ihr hättet nichts gelernt.« »Du wirst es mir sofort sagen!« befahl Skor Robinson. Chester füllte die Lungen mit Luft und atmete gedehnt aus. »Hast du je die alten Stücke des Euripides gelesen?« »Nein, hab ich nicht. Her mit der Antwort!« Chesters gütige Augen musterten ihn mit seltsamem
Sanftmut. »Ach, ich hatte gehofft, wir könnten darüber diskutieren. Es sind wunderbare Stücke. Es handelt sich um einige der ältesten erhalten gebliebenen Theaterstücke, die schon eine ziemliche Ausgefeiltheit in der Darstellung von ...« »Du willst mir nicht antworten?« »Nein. Aber ich würde mich gerne mit dir über antikes Theater unterhalten, es ist sehr bemerkenswert, was die thematische Gestaltung der ...« »Hinaus!« * * * »Susan?« Hans’ Stimme überraschte Susan. Sie speicherte die Mathematikaufgabe, mit der sie sich gerade beschäftigte, für später, nahm das Kontaktron ab. »Komm herein, Hans. Die Tür läßt dich ein.« Susan faltete vor der Kommu den Klappsitz zusammen und sah Hans entgegen, als er eintrat. Er lächelte zaghaft, blieb unmittelbar hinter der Schwelle stehen, bewegte an seinen Seiten unruhig die Hände. »Äh ... Ich habe gewartet, bis die Majorin bei Oberst Ree angetanzt ist.« Nervös schaute er sich um. »Ich würde wetten, Rita Sarsa hängt mir das Kreuz aus, wenn sie mich hier erwischt.« Sein Respekt erheiterte Susan. »Doch nicht, wenn du mich besuchst. Nimm Platz. Magst du ‘n Becher Kaffee? Oder was anderes? Du kannst dich am Spender bedienen.« Unbeholfen stand Hans lediglich da, als hätte er ihre Worte nicht gehört, schaute überall hin, nur nicht Susan an. »Stimmt irgendwas nicht?« fragte Susan, furchte die Stirn. »Was ist denn, Hans?« Er holte tief Atem. »Ahm ... Auf ‘m Geschützdeck kursiert ‘n komisches Gerücht...« Er senkte den Blick. »Ach, übrigens, weißt du, daß dein Standard sich erheblich verbessert hat?« »Das hängt doch wohl kaum mit dem Geschützdeck
zusammen«, entgegnete Susan, die spürte, wie in ihrer Magengegend ein mulmiges Gefühl entstand. »Äh ... nein, das nicht«, gab Hans ihr recht, pflügte die Finger durch sein blondes Haar. »Verdammt, setz dich doch hin, Hans!« Susan wurde leicht ungeduldig. »Du platzt ja gleich. Die Majorin wird dich nicht skalpieren, bloß weil du dich hier aufhältst. Du besuchst doch mich.« Ratlos hob sie die Hände. Zappelig nickte Hans, setzte sich endlich. »Äh ... Ich meine ... Wie kommst du mit den Lektionen klar?« Er wirkte, als wäre seine Anteilnahme echt. Susan seufzte und stand auf, ging zum Automaten und orderte einen Becher Tee. Geistesabwesend schüttelte sie den Kopf. »Ich ... Ehrlich gesagt, ich weiß ‘s selbst nicht.« Sie bemerkte, wie er perplex aufblickte. »Hm, es ist wohl so ...« Sie versuchte es mit einer Erklärung. »Du mußt’s dir so vorstellen, als ob man Maschinenteile in ein Frachtschiff verlädt. Von jedem Teil, das du zur Hand nimmst, kennst du die Bezeichnung. Du weißt aber nicht, an welche Stelle der jeweiligen Maschine es paßt, zu welcher Maschine es gehört... und schon gar nicht, wie es funktioniert.« Sie schlürfte Tee. »So ähnlich ist es, was die Schlafstimulation und die vielen Stunden an der Kommu in meinem Kopf tun. Gedanken, Informationspakete ... das alles wird vermischt.« »Könnte ich dir irgendwie helfen?« fragte Hans spontan und offensichtlich aufrichtig besorgt. »Ich meine, das klingt ja furchtbar. Vielleicht kann ich dir dabei behilflich sein, alles ... äh ... gewissermaßen zu sortieren ...« Er verstummte, wirkte plötzlich konfus. Verlegen starrte er auf seine unruhigen Finger hinab. »Willst du mir nicht sagen, was dich so irritiert?« fragte Susan leise, stützte ihr Kinn auf die Rücklehne ihres Stuhls. Eine Sekunde lang kaute Hans auf den Lippen. »Kennst du diesen Freitag Garcia Gelbes Bein? Pferdefängers
Duellgegner?« Er verzog das Gesicht zu einem bitteren Ausdruck. Susan nickte in plötzlich höchster Aufmerksamkeit. »Tja, nun ... Äh, auf ‘m Geschützdeck laufen solche Gerüchte um.« Hans rieb sich im Genick. »Die Leute sagen«, rückte er auf einmal mit der Sprache heraus, »das Duell wäre deinetwegen verabredet worden.« Susan schloß die Lider, sie spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Das ... das ist wahr, Hans. Sie haben ...« Sie öffnete die Augen und sah ihn gehen. »Hans?« rief sie ihm nach und sprang auf. »Hans?« Doch er war schon fort, mit gedämpftem Zischen fiel hinter ihm die Tür zu. Susan sah sie einrasten, empfand dabei ein sonderbare Hohlheit in ihrer Brust. Für etliche Minuten widerstand sie der Versuchung, ihm nachzulaufen, ihn zur Rede zu stellen und aus ihm herauszuquetschen, was er sich dabei gedacht, was er mißverstanden hatte. Aber schließlich setzte sie sich — zuletzt verärgert, weil ihre Gedanken nur noch um Freitag und Hans kreisten — wieder an die Kommu. Entschlossen nahm sie das Kontaktron und streifte es über, zwang sich zur Weiterarbeit an den Mathematikaufgaben. Sie hatte sich knapp eine Stunde lang damit befaßt, da hörte sie Freitags Stimme und setzte sich ruckartig auf. Sie kam sich albern vor, weil sie mit solcher Hast zur Tür rannte. Freitag stand im Korridor und schmunzelte mit unsicherer Miene. »Du wirst nicht erraten, was es Neues gibt.« »Was denn?« schnaufte Susan. »Pferdefänger hat den Zweikampf abgesagt?!« »Falsch.« Freitag prustete, betrat geschmeidigen Gangs die Kabine. Susan machte ein langes Gesicht. »Was ist es denn sonst?« »Naja, es ist so, ich habe den neuesten Stand der
Wettabschlüsse um den Ausgang des Zweikampfs erfahren. Die Wetten stehen drei zu eins ... zu Pferdefängers Gunsten.« »O nein!« »O doch, es hat seine Berechtigung«, erwiderte Freitag, krampfhafte Anspannung in den zu klein geratenen Gesichtszügen. »Ich weiß es ja selbst am besten.« Susan ergriff seine Hand, blickte ihm ins Schimmern der Augen. Die beklemmende Leere, die Hans’ Abgang in ihrer Brust hinterlassen hatte, begann sich auszuweiten. Dieser Mann würde für sie sterben. Und doch umspielte, während er hier vor ihr stand, die Andeutung eines Lächelns seine breiten Lippen. In diesem Moment erkannte Susan, wieviel ihr an ihm lag, welche große Opferbereitschaft er für sie aufbrachte. »Wie sollte ich’s nicht?« fügte Freitag verwirrt hinzu. »Er ist doppelt so groß wie ich, stimmt’s? Ich brauche ihn ja bloß versehentlich zu halbieren, und’s sind zwei gegen einen, verstehst du?« Susan schloß die Augen, drückte ihn an sich. »Freitag Garcia Gelbes Bein, du bist... du bist unmöglich!« »Genau das hat meine Mutter bei meiner Geburt auch gesagt. Sie dachte, sie wäre meinem Vater immer treu gewesen.« »Freitag!« schrie Susan. Der Druck in ihrem Innern wuchs. Sie senkte den Blick, indem sie Freitag von sich schob, ihr war, als müßte ihr das Herz brechen. »Hör zu ... Es ist ja noch Zeit. Geh zu Pferdefänger und entschuldige dich bei ihm. Ich ... ich bin dein Leben nicht wert. Er wird dich ...« »Pssst«, machte Freitag leise und umarmte sie. Seine gespielte Lustigkeit verflog. Zärtlich streichelte er sie, seine Finger strichen sacht durch ihr langes Haar. »Sprich nicht davon. Nichts dergleichen wird passieren. Außerdem will ich noch erleben, wie du vorankommst. Ich habe ein paar Wetten abgeschlossen, daß aus dir die größte
Spinnenkriegerin überhaupt wird, und es ist gewaltig dagegen gesetzt worden. Ich werde ein Vermögen machen, also möchte ich’s noch ausgeben können ... mit dir gemeinsam.« Klopfenden Herzens blickte Susan ihm in die Augen, erkannte darin seine verborgene Sanftheit, seine geheime Verletzlichkeit. Und wenn er doch ums Leben kam? Die Erkenntnis, wieviel er ihr wirklich bedeutete, durchdrang allmählich die Sorge um seine Person, drängte sie in den Hintergrund. Ihre Lippen berührten sich, sie spürte seinen Kuß warm auf ihrem Mund. Seine Augen glänzten, eine bittersüße Sehnsucht wetteiferte mit seiner Angespanntheit. »Das hatte ich mir erhofft«, murmelte er beglückt. »So werde ich zufrieden sterben.« »Ach, Freitag ...«, setzte Susan zu einer Antwort an, doch er küßte sie ein zweites Mal. Klägliches Elend begann Susan zu befallen. »Bitte tu’s nicht. Nicht für mich. Ich ... ich könnt’s nicht ertragen, wenn du ...« »Schhht... Die Majorin hat jetzt ein Gespräch mit Eisenauge. Eher als in zwei Stunden kommt sie nicht zurück. Uns bleibt noch genügend Zeit, um ... uns zu unterhalten. Oder ein bißchen umherzuspazieren. Oder was du willst.« Susan nickte, fühlte Enge in ihrer Kehle. Am liebsten hätte sie sich ganz um Freitag gewunden, ihn in ihr Inneres aufgenommen, wo er in Sicherheit gewesen wäre. Sie hielt ihn fest gegen ihre straffen Brüste gepreßt, verspürte den eigentümlichen Kitzel der Lust. Sie küßten sich erneut, und Susans Atemzüge beschleunigten sich, das Gefühl seiner Hände ermutigte sie, erzeugte tief in ihr ein Beben der Erregung. Lange Minuten hindurch steigerte sich die Empfindung der Begierde. Hitze durchströmte sie, ersetzte die unendliche Verwirrung. Honigweiche Wärme breitete sich von ihren Hüften bis in die Schenkel aus, kribbelte sogar in den Zehen. Sie klammerte sich regelrecht an Freitag,
schmiegte sich fest an ihn, während seine Küsse von ihren Lippen immer mehr forderten. Er ging auf kurzen Abstand, erforschte eindringlich ihre Miene. »Du weißt, wie das ausgehen wird?« Sie nickte, die Erregung erwärmte ihren gesamten Körper. »Aaah ... Aber ich will dich nicht, bloß weil du vielleicht ‘n schlechtes Gewissen hast.« Er zog den Kopf ein. »O je, was für ein schlechter Lügner ich bin ...« Susan kicherte, als er an ihrem Fleisch zu knabbern begann. Ihre Sicht verschwamm immer mehr, während seine Finger ihre Haut kosteten. Sie zitterte, als er ihr die Bluse aufknöpfte, und sie fühlte, wie sich ihre Hose lokkerte und ihr auf die Fußknöchel rutschte. Mit zielsicheren Fingern, geleitet durch ihren Trieb, knöpfte sie ihm den Kriegsrock auf. Ihre Atmung verkürzte sich zu ungleichmäßigem Keuchen, ihre Finger glitten über seinen Leib, erkundeten die harten Muskeln des Brustkorbs und der Schultern, während er sie küßte. Sie ließ die Hände sinken, ertastete sein steifes Glied. »O Freitag ...« Das Verlangen erstickte ihre Stimme. »Ich habe noch nie ... noch nie so was getan ...« Er senkte den Mund an ihre Brust, reizte eine Brustwarze, bis sie sich erhärtete. Susans Busen wogte, als sie ihn zu der Koje führte. Den weichen Stoff spürte sie kaum unter ihrem Rücken. Freitags Haut, unter der sich die starken Muskeln wölbten, schien auf Susans Haut zu glühen, als er sich auf sie schwang. Sie zog ihn auf sich herab, und er drang behutsam in sie ein. * * * In seiner Unterkunft setzte John Smith Eisenauge sich auf den Platz vor dem Monitor und wartete interessiert auf das weitere. Zu seiner Verblüffung reichte Rita ihm ein Glas Scotch. »Was ist mit den Sirianern?« fragte er, die Stirn gerun-
zelt. »Du hast gesagt, du wolltest mir über sie einige Daten zeigen.« Rita schnippte sich Haarsträhnen aus dem Kragen und ließ sich in einem Sessel nieder. »Warst du im Umgang mit Leeta auch derartig begriffsstutzig?« »Ich verstehe nicht, was du meinst.« Eisenauge beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie. »Freitag wollte mit Susan allein sein, Kriegshäuptling«, antwortete Rita in scharfem Ton. »Irgend etwas mußte ich ja sagen, um dich endlich wegzulocken.« Eisenauge dachte einen Moment lang darüber nach; dann schüttelte er, Belustigung in der Miene, den Kopf. »Begriffsstutzig? Ja, ich glaube schon. Nein, es ist wahr, meistens vergesse ich solche Dinge. Hältst du das für einen schlimmen Fehler?« Ungezwungen lachte Rita. »Nur im Hinblick auf persönliche Angelegenheiten. Es ist komisch mit dir, Eisenauge ... Privat hinkst du dauernd hinterher. Ich habe den Eindruck, du hast nie kapiert, wie Menschen eigentlich sind ... Außer auf ‘m Kriegspfad.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und nickte. »Wahrscheinlich nicht.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Wie ich auf dem Kriegspfad mit Freitag zurechtkomme, weiß ich genau ... Aber in Sachen Liebe?« In angestrengtem Überlegen verkniff er die Augen. »Andererseits... Vielleicht heiratet sie ihn und macht mit diesem lächerlichen Kriegerinnenspiel Schluß.« »He!« fuhr Rita ungnädig auf, sackte im Sessel zusammen und musterte Eisenauge über den Rand ihres Glases Scotch hinweg. »Wieso, Eisenauge? Was stört dich wirklich? Und fang mir nicht wieder mit der alten Leier an, daß Spinne Männer so und Frauen anders geschaffen hätte. Es geht um etwas, das mit dir selbst zu tun hat. Etwas Persönliches.« Wortlos kaute er für ein Weilchen auf der Unterlippe; ein düsterer Gesichtsausdruck legte seine Stirn in tiefe
Falten. »Ich ... hm ... ich glaube, es ist folgendermaßen«, sagte er endlich mit von Verunsicherung verzerrter Stimme. »Für uns — uns Romananer, meine ich — sind Frauen in erster Linie Mütter. Die ... die Kraftquelle des Volkes, wenn man so will. Ein Mann, ein Krieger ... Na, er ist eben ersetzbar. Töte einen Mann, und ein anderer nimmt seinen Platz ein. Sterben viele Männer, werden einem Mann mehrere Frauen verheiratet. Aber stirbt eine Frau, wird der Stamm um drei oder vier Kinder gebracht. Eine Frau ist die Zukunft. Ein Mann ist nichts, ein Experiment, austauschbar. Ein einziger Mann allein könnte durch Zeugung die Zukunft sichern ... wenngleich er dabei sicherlich mehr als alle Hände voll zu tun hätte. Bliebe dagegen nur eine Frau übrig ... müßte das Volk aussterben.« »Ein Stier für die ganze Herde?« äußerte Rita sarkastisch. »Ich bin nicht der Ansicht, daß man es so ausdrükken ...« »Sterne und Kometen«, brummte Rita, neigte den Kopf seitwärts. »Hast du schon mal daran gedacht, was passiert, wenn eure stolzen Krieger mit ihren neuen >Ehefrauen< vom Sirius heimkehren? Diese sirianischen Frauen werden allesamt ähnliche Vorstellungen wie Susan haben ... oder wie ich. Sie haben bestimmt keine Lust, hinter irgendeinem Mann zurückzustehen, Kriegshäuptling. Sie werden keine unterwürfigen, unwissenden, gebückten Kriecherinnen sein, die ständig auf den Boden gucken. Wie werden alte Krieger vom Schlage Sam Gelbes Beins das verkraften? Wollen sie sie alle totprügeln? Eine Sklavin hat tot keinen großen Wert, hä?« Mit schwieliger Hand rieb sich Eisenauge das Gesicht. »Nein, eine Frau zu Tode zu prügeln, gilt als unehrenhaft. Ich bin der Meinung ... Ach, bei Spinne, was soll’s, wir werden uns eben ändern müssen, Rita. Daran führt kein Weg vorbei. Neuartige Ideen greifen um sich... Nun ja, ich
denke mir, wir müssen einfach abwarten und sehen, was geschieht.« Er kniff ein Auge zu, blickte Rita verdrossen an. »Du und Leeta ... Frauen wie ihr machen nichts als Scherereien.« »So?« erwiderte Rita in provokantem Tonfall. »Und was ist mit Susan?« Eisenauge breitete die Arme aus. »Sie ist ja dabei, oder nicht?« »Aber du mißbilligst es.« »Verdammt noch mal, nein! Ich .. .«Eisenauge atmete tief ein, schaute zur Seite. »Vielleicht lerne ich noch dazu. Lebenslange Überzeugungen verflüchtigen sich nicht so einfach wie Morgendunst in den Bärenbergen.« Rita lächelte ihm zu. »Nein, aber wenigstens gibst du zu, daß ein anderer Weg denkbar ist. Laß ihr ‘ne Chance. Wenn ich der Kleinen genug Informationen vermitteln kann, wird sie’s vielleicht schaffen.« »Vielleicht?« »John, hast du überhaupt ‘ne Ahnung, gegen welche Schwierigkeiten sie anzugehen hat? In fünf Monaten landen wir auf Sirius, und sie muß sich Hals über Kopf auf einer Welt in den Kampf stürzen, von der sie keinerlei Vorstellungen hat. Ja, klar, die Stimu-Apparate können ihr Informationen pur eintrichtern. Aber das ist so, als ... Es ist, als ob man dir ‘ne Enzyklopädie ins Gehirn knallt. Man braucht immer noch seine individuelle Intelligenz, um herauszufinden, wie man sie richtig benutzt, zu verhindern, daß die Berge einzelner Daten einen seelisch verschütten.« »Und du glaubst, sie kann das leisten?« »Ich habe auf sie gewettet, John. Ich ... Naja, ein Mensch kann daran kaputtgehen, wenn er nicht einer bestimmten Norm entspricht, es ist möglich, daß er davon geplättet wird ... Aber erzähl ihr davon nichts, sie hat genug Sorgen. Aber es kommt manchmal vor... Na, daß der Apparat Erinnerungen überschreibt. Es gibt Menschen,
die einen solchen Verlust nicht verwinden können. Sie werden ... äh ... ein bißchen wirr. Man nennt das Identitätsschock.« Eisenauge nickte. »Diese Maschine ... Hat sie einen ähnlichen Effekt wie das Psychen?« Rita nickte. »Jetzt weißt du, weshalb ich etwas beunruhigt bin. Manche Romananer, nämlich die mit Prophetenblut, werden dabei zu regelrechten Amokläufern. Aber Susan reagiert positiv, ich glaube nicht, daß bei ihr irgendwelche Probleme ...« »Aha.« Eisenauge nickte. »Also darum haben die Techniker diese vielen Tests vorgenommen, als die Gefechtssimulatoren auf die Krieger adjustiert worden sind. Es mußten Umstellungen erfolgen, damit wir, wenn die Maschinen mit unserem Geist zusammenarbeiten, nicht zu Tollwütigen werden.« Rita spitzte die Lippen. »Genau richtig. Inzwischen haben wir herausgefunden, wie man mit der romananischen Neurophysiologie umgehen muß. Mit Sicherheit werden dadurch beim Einsatz auf Sirius viele Leben gerettet. Susan bekommt allerdings sozusagen die doppelte Dosis verpaßt. Sie zeigt gegenüber den Unterrichtsgeräten eine bemerkenswerte Toleranz.« Eisenauge seufzte, sein Blick schweifte durch sein Quartier. »Wann erreichen wir Sirius? Rita, ich ... Nun, es wird wohl nicht so leicht werden, wie wir erwarten. Ich habe ganz einfach ein ... So ein Gefühl, Rita. Nenn’s von mir aus die Vorahnung eines Kriegers. Ich beobachte überall um mich herum Optimismus, aber er ist... unangebracht. Zwar bin ich hier von all dieser vielen Technik umgeben ... aber mit dem Kriegspfad kenne ich mich aus. Damit habe ich die meisten Erfahrungen ... Ich habe oft Männer auf den Kriegspfad geführt. Irgend etwas tief in meinen Knochen sagt mir, daß der Kampf auf Sirius schrecklicher verlaufen wird, als irgendwer von uns es sich momentan ...«
»Ach, nun hör aber auf! Du weißt, über welche Kräfte die Patrouille verfügt. Wie soll ein Planet, der ein paar FLF zu Kriegsschiffen umbaut, sich gegen uns behaupten können? Ich meine, wir setzen doch die gesamte Flotte ein. Die Sirianer sind keine Krieger, sie sind ...« »Jeder wird kämpfen, wenn er nichts mehr zu verlieren hat.« Eisenauge hob eine sonnengebräunte Hand. »Nein, es geht mir um etwas anderes. Meine Romananer und ich, wir sind schlichtweg im Nachteil. Wir sollen eine hochtechnisierte Welt angreifen. Welche Fallen kann ein kluger Mann dort einem Barbaren stellen? Wie soll ich einem Santoskrieger, der schon beim Anblick unserer Siedelei fassungslos die Augen aufreißt, die Größe eines arkologischen Komplexes schildern?« Einige Augenblicke lang vertiefte Rita sich bei ihrem Drink in die Frage. »Ich möchte mich über deine Bedenken nicht lustig machen, aber verdeutliche dir die Situation doch mal gründlicher. Sobald die Patrouille die Raum- und Luftherrschaft errungen hat, sind wir dazu imstande, die sirianischen Bastionen anzugreifen, wann und wo wir wollen. Wir können sie von oben demoralisieren. Dank der ST werden wir die höhere Beweglichkeit haben. Falls die Romananer irgendwo in die Klemme geraten, sind wir jederzeit zur Verstärkung Patrouilleneinheiten einzufliegen fähig, die sie ...« »Nein, nein«, brummte Eisenauge. »Das wäre schlecht für Ehre und Moral der Romananer. Nein, wir müssen unsere Siege selbst erkämpfen, unsere soldatische Arbeit selber machen, oder es wäre besser, wir blasen jetzt alles ab. Meine Männer müssen auf Sirius die Last des Kampfes allein tragen. Jedes andere Vorgehen hätte verheerende Folgen für ...« »Was sollte denn schieflaufen?« fragte Rita skeptisch. »Die Patrouille erscheint mit ganzer Macht, und der betroffene Planet gibt nach. So ist es immer gewesen ... Weshalb schaust du mich so an?«
Eisenauge streckte seine von der Sonne braune Hand aus und legte sie auf Ritas bläßliche Finger. »Rita«, sagte er ernst, »vertrau mir. Du und eure Patrouille, ihr könnt auf eine lange Praxis von >Polizeieinsätzen< im Direktorat zurückblicken. Was mich betrifft... Hinter mir liegen die gesammelten Erfahrungen vielmaligen Kriegspfads. Was den Krieg anbelangt, habe ich daraus eine eiserne Regel gelernt.« »Und die lautet?« »Daß man nichts vorhersehen kann. Gewiß, es läßt sich planen, aber nichts läuft je nach Plan ab.« Er lächelte. »Mein Vetter Chester ist Prophet. Philip wäre beinahe Prophet geworden. Der Großvater meines Bruders war auch Prophet. In mir ist das Prophetenblut schwach. Trotzdem spüre ich deutlich, daß uns im Siriussystem Grauenvolles erwartet. Die Aktion wird nicht so verlaufen, wie wir es möchten. Ich sehe die Frage in deinen Augen ... Nein, ich kann nicht voraussagen, was nicht klappen wird, ich weiß bloß, daß wir Schwierigkeiten haben werden.« »Hast du darüber mit Ree gesprochen?« Eisenauge zuckte die Achseln. »Im Herzen ist er Romananer. Wir haben uns unterhalten. Er hört zu, nickt und überlegt. Dann macht er sich Gedanken zu dem, was ich gesagt habe, und wir diskutieren etwaige Probleme. Aller Art, wie sie uns einfallen. Wegen dieser Einstellung habe ich großen Respekt vor ihm entwickelt. Endlich bin ich einem Befehlshaber begegnet, dem ich vertrauen und dem ich mich unterordnen kann.« Rita blickte hoch, die grünen Augen geweitet. »Ich vermute ... daß ... na, daß es dich beträchtliche Überwindung kostet, das zuzugeben, oder?« Andeutungsweise verzog Eisenauge die Mundwinkel. »Ja, mehr als du dir überhaupt vorstellen kannst«, bestätigte er gedämpft. Mit offensichtlichem Unbehagen zappelte er auf dem Stuhl herum. »Und es dir einzugestehen ... Nun, auch dafür braucht’s meinerseits Respekt und Vertrauen.«
Rita öffnete den Mund, sagte jedoch nichts; ihre Augen spiegelten plötzlich tiefe Empfindsamkeit. Für einen ausgedehnten Moment schauten sie und Eisenauge sich an. »Vielen Dank für dein Vertrauen«, sagte Rita schließlich leise. »Ich ... ich will versuchen, dessen würdig zu sein.« Eisenauge lachte. »Ach, ich glaube, das wird dir gelingen. Und ich ... Vielleicht... Nun ja, wenn das alles vorüber ist... Na, vielleicht werdet du und Ree mich auf der Projektil eingesetzt lassen? Damit ich zu anderen Welten fliegen, sie sehen und noch mehr dazulernen kann? Ich ... ich bin nicht davon überzeugt, daß ich, um mir ‘n Lebensunterhalt zu sichern, künftig noch Santos überfallen kann.« Rita lachte. »Damen wird dich bestimmt behalten. Anscheinend kommt ihr zwei ja gut miteinander aus. Und was mich angeht...« Sie senkte ihre Lautstärke. »Mir wär’s recht, wenn du bei uns bleibst. Wir verstehen uns, du und ich. Kein Außenstehender könnte begreifen, wie es mit Philip und ... und ...« Sie blickte zur Seite. Eisenauge faßte ihre Hand fester, ließ alles, was er zu sagen hatte, durch sein warmes Fleisch aussprechen. »Mein Scotch geht zu Ende. In einer halben Stunde tritt Freitag gegen Pferdefänger an.« Ihre Stimme klang müde. »Auf die Patrouille.« Sie leerte den kräftigen Drink. »Und auf Spinnes Weg.« * * * »Willy Roter Falke Pferdefänger versucht seinen Status mit einer Kampagne für die Umkehr zu den alten Sitten zu erhöhen.« Rita starrte zur Deckenverkleidung empor. »Ziemlich früh dafür. Im allgemeinen treten heimattümlerische Bewegungen und TraditionswiederbelebungsBestrebungen erst später auf.« »Was?« Freitag, der gerade mit einem Trainingsrobot
übte, mit flinker Leichtigkeit umhertänzelte, sich aufwärmte, schaute herüber. Von der Seite beobachtete Eisenauge ihn kritischen Blicks. »Das habe ich aus Dr. Dobras alten Büchern.« Rita schüttelte den Kopf. »Es gibt Methoden, mit denen Leute ihre ursprüngliche Kultur wiederaufbauen, die mythischen guten, alten Zeiten wiederherstellen möchten. Eigentlich haben die Romananer in dieser Hinsicht noch zuwenig ablegen müssen, um sich deswegen schon den Kopf zu zerbrechen. Pferdefänger ist der Tendenz ein Stück weit voraus.« Nachdem Freitag die Übungsfläche verlassen und sich seitlich auf eine Sitzbank hatte sacken lassen, ging Susan zu ihm, setzte sich neben ihn, ergriff seine Hand. »Wirst du siegen?« Aus ihren Augen glomm eine innige Herzenswärme, die Rita irritierte. Freitag lachte. »Ich hoff’s. Ich habe noch jede Menge zu tun. Daß Pferdefängers Dolch aus meinem Bauch ragt, ist nicht meine Vorstellung von einem schönen Dasein. Wenn er neue Skalpe für seinen Kriegsrock haben will, soll er sie den Sirianern abschneiden. Was mich betrifft, mein Schädel kriegt zu leicht Sonnenbrand, dan-keschön. Außerdem kann ich’s mir nicht erlauben, noch was von mir abzugeben, weil ich schon so klein bin. Falls das häufiger vorkommt, bleibt der Tag nicht aus, an dem man mich nicht mehr sehen kann.« »Du wirst siegen«, sagte Rita und nickte nachdrücklich. Der Ausdruck in Susans Rehaugen fiel ihr gehörig auf die Nerven. Verdammt noch einmal... sie katzbuckelt vor ihm ...! »Bist du sicher?« fragte Susan. »Er kämpft bloß, weil... Es ist meine Ehre, die das verursacht hat.« Jetzt blickte ihr Kummer aus den Augen. »Vielleicht sollte ich mit Willy reden. Kann sein, es läßt sich alles beilegen, indem er mich tötet... und bei mir den Coup nimmt.« Ritas Augen verengten sich.
Bei Susans Tonfall straffte sich Freitag. An den Schultern drehte er sie sich zu. »Ich habe die Messerfehde angenommen. Kein Mann dürfte eine Clanangehörige an einen Kerl wie Tatterich Wattie verheiraten. Und Pferdefänger mochte ich sowieso nie leiden. Er ist immer...« »Ich bin dein Leben nicht wert.« Eigensinnig schüttelte Susan den Kopf. »Ich bezweifle, daß er verlieren kann«, sagte Rita, der war, als ob sich in ihrer Brust etwas verhärtete. Los doch, Mädchen, Kopf hoch! Wenn du sentimental und weich wirst... dann bist du schon so gut wie mausetot. »Wieso nicht?« wollte Eisenauge erfahren. »Der Tod kann jeden ereilen. Spinne könnte entschieden haben, Freitag heute zu sich zu holen. Vielleicht hat er gelernt, was er in seinem Leben zu lernen hatte.« »Mir fällt plötzlich sehr vieles ein, was ich gerne noch lernen würde«, antwortete Freitag. »Ich glaube, ich muß noch sehr viel mehr wissen. Zum Beispiel, wie das Morgen aussieht.« Er bog den Kopf nach hinten, legte die Hände an den Lippen zu einem Schalltrichter zusammen. »Hörst du mich, Spinne? Ich werde niemals genug wissen!« »Von allen Romananern, die ich kenne«, sagte Rita zu Eisenauge, indem sie Freitags Auftritt ignorierte, »ist Freitag im Nahkampf am besten. Ich habe ihn an den Übungsgeräten Überstunden machen lassen. Mit mir kann er’s bis jetzt nicht aufnehmen, aber noch sechs Monate Training, und er dürfte dazu in der Lage sein, mit mir fertigzuwerden. Ich habe mit Pferdefänger gekämpft. Tatsache ist — das weiß ich genau —, daß er mehr Zeit mit Prahlen als mit Körperübungen zubringt.« Susan umklammerte fest Freitags Hand, Verzweiflung im Blick. »Trotz allem kann etwas Unglückliches passieren. Der Fuß kann ausrutschen, oder im falschen Moment brennt einem Schweiß in den Augen. Man kann Zufälle nicht ausschließen. Es ist so vieles möglich ...«
Freitag lachte herzhaft. »Ich werd’s überleben, meine Kleine. Um mich brauchst du keine Bange zu haben.« Rita überwand ihre Gereiztheit. Du meine Güte, das Mädchen hat sich wohl jetzt das erste Mal mit einem Mann abgegeben. Weshalb sollte es mich stören, wenn sie ein wenig Getue um ihn veranstaltet? Ja, ja, klar: Weil sie zugrunde geht, wenn sie nicht alles perfekt hinkriegt. Verfluchte Scheiße! Warum kann Gott zu Frauen nicht fairer sein? Rita biß die Zähne aufeinander. Und wenn Pferdefänger nun doch Freitag tötet... und Susan bricht zusammen ... Was dann ? »Es ist soweit«, sagte Eisenauge. Rita hob den Blick und sah Willy Roter Falke Pferdefänger die Sporthalle betreten. Er kam in herausfordernder Haltung herein, schwang lebhaft die Arme an den Seiten. Durch einen anderen Eingang betraten Oberst Ree sowie mehrere Sanitäter mit Antigrav-Med-Einheiten im Schlepp die Halle. Susans Gesicht wurde aschgrau, ihre Augen zeugten von tiefster innerer Erschütterung. Mist! Du siehst jetzt schon halb zerrüttet aus, Mädchen. Was soll werden, wenn sie nicht durchhält? Weshalb regt die Möglichkeit, daß sie zusammenbricht, mich überhaupt so auf? Beunruhigung verkrampfte Ritas Herz, während Freitag fröhlich Pferdefänger entgegengrinste. * * * Giorj Hambrei ließ ein Testprogramm durch die Computer laufen. Die Holo-Anzeigen besagten, daß die Feldgeneratoren den Anforderungen des Ersten Bürgers genügten. Er schaltete das System ab, schaute sich in der nach Ngen Van Chows Anweisungen ausstaffierten Räumlichkeit um. Sie war bis zum letzten Quadratzentimeter gepolstert. Keine einzige scharfe Kante war übrig. Sämtliche Apparaturen staken in abschließbaren Wandschränken. Um sein Bett hatte Van Chow ein Fixierfeld installieren lassen.
Aus Verwunderung über den Zweck der frisierten Psychingmaschine fragte sich Giroj, ob der Erste Bürger möglicherweise Schwierigkeiten mit Träumen hatte. Er betrachtete das von ihm überm Bett in der Wand installierte Gerät. Welches vorstellbare Bedürfnis mochten implantierte Phantasien bei Ngen Van Chow erfüllen? Giorj s Miene blieb unbewegt, als er den Meßsensor an seinen Gürtel hakte. Was Van Chow tat oder ließ, spielte keine Rolle, solange Giorj s Mutter ihre medizinische Behandlung erhielt und er selbst unbeschränkt Mittel und Material für seine Arbeit. Er verließ Van Chows Bordquartier, überprüfte die komplizierte Sicherheitsanlage zweimal und machte sich auf den Weg zu den Shuttle-Hangars. Auf Van Chows Anordnung war kein Posten aufgestellt worden. Vor einer Stunde war’ Leona Magill eingetroffen. Sie und Van Chow hatten eine umfangreiche Tagesordnung zu diskutieren. Giroj betrat den Schleusenraum, strebte zu Leona Magills Shuttle und stieg in die enge Pilotenkanzel. Er sah sich die Kommu-Anlage an, entfernte sorgsam Abdeckungen, nickte vor sich hin. Mit flinken Fingern löste er zwei der Hauptschaltplatten aus den Befestigungen und begann die Modifikationen vorzunehmen, die ihm Van Chow befohlen hatte. *
*
*
Der Kanonierssitz paßte sich der Körperform Hans’ an, der zusammengesunken im Halbdunkel des menschenleeren Geschützdecks hockte. Der Schatten des großen Blastergeschützes gab ein gutes Versteck ab. Hans kaute auf den Lippen, schnitt düstere Gesichter und rang mit seinen verworrenen Gefühlen. Natürlich hatte er sich in sie verliebt! Was war denn anderes zu erwarten gewesen? Keine andere Frau im Raumschiff reichte an ihre tadellose Schönheit heran. Ihr langes, schwarzes Haar, die
abgründigen Augen, aus denen ihre Herzensempfindungen sprachen, die jugendliche Vitalität ihrer Haut — das alles ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Und nun kämpfte ein anderer Mann um ihre Ehre. Voller Elend schloß Hans die Lider. Sie würde ihn kein zweites Mal anschauen. Welche Chancen hatte ein mickriger Unteroffizier mit dem Spezialgebiet Computer gegen einen romananischen Krieger mit Coups? Einen Krieger, der nicht weniger als sein Leben für sie riskierte? Hans warf einen Blick auf sein Chronometer. Das Duell sollte per Kommu ins ganze Schlachtschiff übertragen werden. Jedes Augenpaar, das nicht anderes beanspruchte, würde auf einen Monitor gerichtet sein. Mit Ausnahme allerdings von Hans Yeagers Augen. Im Halbdunkeln des Geschützdecks verschränkte er die Arme, lehnte sich in den Kanonierssitz, dachte an die fürchterliche Stärke des Blasters. Er malte sich aus, wie er das schwere Geschütz ausrichtete und zielte, während die Projektil ums Überleben focht, nur sein geschickter Einsatz der Waffe das Schiff und Susan vor einem sekundenschnellen, feurigen Ende bewahrte. Die Phantasterei nutzte sich rasch ab. Er sah nochmals nach der Zeit. Jetzt war es gleich soweit. Er hatte sich nicht dazu bringen können, im Bereitschaftsraum des Geschützdecks zu bleiben — nicht bei der Anwesenheit Breezes und des Rests. Noch hatten sie ihn nicht zu hänseln angefangen. Doch es mußte unausweichlich dazu kommen. Was für ein Gesprächsstoff, daß zwei romananische Krieger um Hans Yeagers Schwärm kämpften! »Guter Gott«, flüsterte Hans. »Warum muß ich immer so ein Pech haben?« Was konnte er tun? Gar nichts. Kaum eine Minute war es noch bis zum Zeitpunkt, an dem das Duell beginnen sollte. Hans’ Stiefel scharrten in
den Fußstützen, er stierte finsteren Blicks in die inaktiven Holo-Visiere. Immer wieder verschränkte er die Arme auf der Brust. Wie von selbst ruckten seine Hände ständig aufund abwärts, betasteten wiederholt, ohne daß er die Absicht gehabt hätte, den Uniformstoff. Er konnte nicht stillsitzen. Verdrossen kletterte er von der Geschützplattform, latschte nervös das Deck entlang. Ach, was sollte es — er durfte ruhig einen kurzen Blick auf den Bildschirm werfen. Schlimmer würde es dadurch wohl kaum noch werden. Außerdem: Was wäre, wenn dieser Typ namens Freitag Gelbes Bein das Duell verlor? Wie stünde die Sache dann? Was würde aus Susan? Hans bemerkte nur am Rande, daß er in Laufschritt verfiel. Welcher Monitor kam in Frage? Jedenfalls keiner auf den Geschützdecks. Überall, nur da nicht. Soviel Genugtuung mochte er Breeze nicht zugestehen. Er huschte gerade noch rechtzeitig um eine Ecke, um auf der Bildfläche eines Deckenmonitors die zwei Kontrahenten sich aufstellen zu sehen. Patrouillentechniker verfolgten das Geschehen mit offenem Mund und aufgerissenen Augen. Wer von den beiden Romananern war Gelbes Bein? Doch wohl unmöglich der häßliche Zwerg. Hans beobachtete den anderen, hünenhaften Krieger, erkannte scheele Bösartigkeit in seiner Miene, sah an seiner Jacke Coups baumeln. Irgend etwas in Hans Yeager krampfte sich zusammen. Dieser miese Strolch? Er war Susans Liebling?
10 Ree stapfte in die Mitte der Sporthalle und maß Pferdefänger mißgelaunten Blicks. »Ich möchte unmißverständlich klarstellen, mir gefällt der Gedanke, daß auf meinem Schiff eine Messerfehde ausgetragen wird, überhaupt nicht,« Er war davon überzeugt, daß jetzt vor jedem Monitor an Bord der Projektil eine Gruppe Zuschauer saß. »So etwas widerspricht sämtlichen Vorschriften der Patrouille. Es ist barbarisch, grausam und abscheulich — aber ich habe mein Wort gegeben, daß das romananische Volk seinen Sitten treu bleiben darf. Wenn es Spinnes Wille ist... dann soll es sein.« Mit strenger Miene drehte Ree sich der Kamera des Monitors zu. »Ich möchte bekanntgeben, daß Willy Roter Falke Pferdefänger der Insubordination angeklagt wird. Er hat den Kommandanten und Obersten dieses Schlachtschiffs sowie auch seinen Vorgesetzten beleidigt, Kriegshäuptling John Smith Eisenauge. Auf meine Veranlassung ist er bis zur Beendigung der Messerfehde auf freiem Fuß geblieben. Jeder Romananer auf diesem Schiff muß wissen, daß ich anderes Verhalten gegenüber einem Kriegshäuptling als den angebrachten Respekt nicht dulden werde.« Bitterböse blickte er direkt in die Optik. »Wir können anfangen.« Er stapfte an Ritas Seite. »Es geht auf meinem Schiff zu wie in einem römischen Zirkus!« Er kochte vor Wut, so sehr fühlte er sich verärgert. Seit dieser Hurensohn Pferdefänger gesagt hatte, er hätte Weibergeschwätz von sich gegeben, war er nicht mehr dazu fähig gewesen, sich abzuregen. Es war kein Wunder, daß er ihn niedergeschlagen hatte. Die Erinnerung an die Frechheit und den Tonfall des Manns entfachten Rees erbitterten Zorn immer wieder
neu. »Und was noch schlimmer ist, ich habe mich zu ‘ner Festlegung hinreißen lassen, die ich nicht hätte treffen dürfen.« Ree wippte auf Fersen und Zehen. »Ich habe versprochen, dafür zu sorgen, daß die Romananer weiter ihre Bräuche pflegen können. Heiliges Kanonenrohr, wie konnte es nur dahin kommen, daß ich in so eine Klemme gerate? Womit habe ich das bloß verdient, daß ich ...« »Nur die Ruhe, Damen. Es wird sich alles einrenken.« Rita grinste. »Das Schiff befindet sich im Überlichtflug, wir sind unterwegs. Es kann nichts schiefgehen. Die beiden« — eine humorige Anwandlung verzog ihre Lippen — »verwenden lediglich Messer.« Ree blieb stehen. Langsam begann auch er zu grinsen. »Ja, stimmt, nur Messer.« Er schaute kurz zu den MedTeams hinüber, die an den Wänden der Sporthalle bereitstanden. »Freitag und Pferdefänger haben ja nicht die leiseste Ahnung, daß ...« Am anderen Ende der Sporthalle legte Susan eine Hand auf Freitags Schulter. »Es ist noch immer nicht zu spät, um den Zweikampf abzuwenden. Sag ... sag Pferdefänger, du bestehst nicht länger auf der Messerfehde.« »Würdest du das tun, wärst du an meiner Stelle?« fragte Freitag; sein knappes Lächeln erzeugte um seinen Mund Falten. Susan senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Ich muß mich vorbereiten.« Verschwörerisch zwinkerte Freitag ihr zu und entfernte sich, um ein paar Augenblicke ganz für sich zu verbringen. Von ihrem Platz aus konnte Susan sehen, wie er den Mund bewegte, während er das Lied sang, das er von seinem Geisthelfer kannte. Pferdefänger kam zur Mitte der Halle, erregte damit Susans Aufmerksamkeit. Er äugte herüber, seine Lippen zuckten von unausgesprochenen Drohungen. Die vier Coups an seinem Kriegsrock besagten genug über seine Tapferkeit... Und Freitag hatte noch nie im Leben eine Messerfehde ausgetragen.
Gelbes Bein streifte sein Hemd ab. Auf biegsamen Beinen schritt er in die Mitte der Halle, hielt das Messer tief. »Willy Roter Falke Pferdefänger, du bist eine Entehrung unseres Geschlechts. Spinne betrachtet dich als leibhaftiges Greuel.« Pferdefänger lachte, indem er sich über seine Klinge beugte. »Du verstehst nichts von unserem Volk. Du benimmst dich, als wärst du nicht mit Menschen verwandt.« Blitzartig griff er an, führte einen schnellen Rückhandstoß. Freitag sprang zurück, aus Pferdefängers Nähe, er blieb zum Gegenangriff außerstande, während sein Gegner, der den Vorteil einer sehr großen Reichweite genoß, ihn immer wieder attackierte. Der hochgewachsene Krieger lachte boshaft, weil Freitag nur hin- und hersauste und sich ihm entzog. »Kämpf!« schrie Pferdefänger mit vor aufgeregter Siegeserwartung verpreßter Stimme. Er schnitt Fratzen, stach unablässig nach Freitag, in seinen Augen funkelte die Verheißung des Todes. Freitag bewegte sich mit sichtlicher Leichtigkeit, aber Willys glänzende Klinge verfehlte sein Fleisch oft nur knapp. Verzerrten Gesichts und mit beschleunigter Atmung drehte und duckte sich Freitag, bog sich und wich aus. »Tüchtige Fußarbeit bei Freitag«, hörte Susan Oberst Ree murmeln. Freitag Gelbes Bein war Pferdefänger gegenüber physisch im Hintertreffen. Pferdefänger hatte die Möglichkeit, jederzeit nach Belieben zuzustechen, ohne Freitag je die Gelegenheit zu einem Gegenstoß zu lassen. Abgesehen vom Füßescharren und Keuchen der zwei Duellanten herrschte Stille im Sportsaal. Plötzlich ging Freitag geduckt vor, wehrte Pferdefängers Klinge von unten her ab und stieß den Dolch nach oben, ritzte dem Größeren die Seite ein und brachte das erste Blut des Zweikampfs zum Fließen.
Pferdefänger reagierte augenblicklich, schlitzte noch beim Ausweichen Freitag die Schulter auf. »Warum wendet er keine Nahkampftricks an?« wandte Rita sich an Eisenauge. »Er hätte ihn schon ein paarmal gegen die Messerhand treten können. Bis jetzt ist das alles bloß Gehacke.« Als hätte Freitag sie gehört, vollführte er auf einmal einen Satz und streckte das Bein zu einem fürchterlichen Tritt. Er traf Pferdefängers Schulter. Eisenauge verzog das Gesicht, als er das Knacken eines brechenden Knochens hörte. Pferdefänger begann zurückzutorkeln, die Miene vor Schmerz verzerrt. In seinen wilden schwarzen Augen stand auf einmal eine Andeutung von Schrecken. Achtsam setzte Freitag nach. Mit fast tänzerischer Behendigkeit verringerte Freitag den Abstand zum Gegner, seine Klinge zuckte auf Pferdefängers Leib zu. Auch diesmal verhinderte Willys größere Reichweite, daß Freitag ihm mehr beibrachte als Kratzer an Armen und Beinen. Doch sein nutzlos gewordener Arm erschwerte es Pferdefänger, im Gleichgewicht zu bleiben. Sein neuer Stich erfolgte mit unvorhersehbarer Plötzlichkeit. Pferdefänger schwang den Dolch von unten aufwärts. Trotz der Schnelligkeit des wütenden Angriffs gelang es Freitag, der Klinge auszuweichen, aber er schaffte es nicht, ihr völlig zu entgehen. Sie traf ihn tief in den Bauch, die Spitze bohrte sich in den Mittelbereich des Darmbeins. Susan kreischte vor Furcht und schlug sich eine Hand auf den Mund. Pferdefänger drängte nach, offenbar in der Absicht, Freitag gegen den Kopf zu treten. Als Willy mit dem Fuß nach hinten ausholte, machte der kleinere Freitag einen Sprung nach vorn, ohne auf das Metall zu achten, das in seinem Körper stak und ihn zerfleischte. Die beiden
Krieger begannen zu ringen, stemmten sich gegeneinander, ihr Blut vermischte sich und beschmierte ihre erhitzten Gestalten. Mit heftigem Ruck warf Freitag sich zur Seite. Er rammte seine Klinge mit aller Kraft nach oben, die Messerspitze zertrennte Pferdefängers harte Bauchmuskeln, entblößte Eingeweide und Gedärm. Pferdefänger heulte einen gräßlichen Schrei hervor, bis der Dolch sein Diaphragma zerschnitt. Er und Freitag taumelten auseinander, brachen auf dem Polsterboden der Sporthalle zusammen. Gemeinsam bildete ihr Blut zusehends größere Lachen. Ein säuerlicher Geruch nach Körperflüssigkeiten, die zerschlitzten Innereien entsickerten, breitete sich in der Luft aus. Während die Meds zu den Kontrahenten eilten, raffte Freitag sich vom Boden auf, sein kleines Gesicht zuckte vor Schmerz und Anstrengung. Eine Hand umklammerte das Messer, das schaurig aus seinem Unterleib ragte. Er ließ es lange genug los, um Pferdefänger den Coup vom Schädel zu schneiden, ihn hoch über den eigenen Kopf zu heben und sein Siegeslied anzustimmen. Die Sanitäter, weiß im Gesicht geworden, blieben bei diesem Anblick stehen. Susan versuchte sich gegen das Schwindelgefühl zu behaupten, das sie gepackt hatte. Indem sie in die Welt blinzelte, die rings um sie grau zu werden drohte, drehte sie sich Rita zu, grub ihr Gesicht in die Schulter der Frau, biß sich auf die Lippen, bis Blut herausquoll, um nicht aus Furcht und Entsetzen laut zu schreien. »Ich bin schuld an seinem Tod ...!« hörte sie sich benommen mehrmals hervorpressen. »Quatsch!« Rita Sarsas Stimme klang hart wie Stahl. »Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!« Ihr Tonfall strafte Susan mit bitterer Verachtung. »Er wird durchkommen. Ich glaube, die Bordklinik kann sogar den Drecksack Pferdefänger wieder auf die Beine stellen.«
Susan zwinkerte; ihre Augen brannten von Tränen, die nicht fließen wollten. »Was?« Ungläubig wandte sie den Kopf. Die Sanitäter hatten Pferdefänger schon auf eine Antigrav-Bahre gelegt und beförderten ihn schleunigst hinaus. »Heiliges Kanonenrohr, ja«, brummte Rita. »Du hast doch nicht angenommen, Ree würde erlauben, daß die sich abmurksen, oder? Mit Blastern wär’s vielleicht anders ausgegangen ... Aber solang einer dieser Idioten nicht dem anderen den Kopf abschlägt, können die Ärzte ihn wieder zusammennähen. Aber ich bin zu wetten bereit, daß Pferdefänger ‘ne ganze Weile in der Horizontalen zubringen wird.« »Ist das wahr?« fragte plötzlich Eisenauge, heftete den Blick argwöhnisch auf Ree. »Verdammt wahr«, bestätigte Ree, biß einer seiner terranischen Zigarren das Ende ab. »Dann hättest du auch Majorin Reary, nachdem ich sie mit dem Messer gefällt hatte, retten lassen können«, mutmaßte Eisenauge in vorwurfsvollem Ton. Unbekümmert nickte Ree. »Hätte ich können. Aber sie hatte an mir Verrat begangen.« Der Oberst hob den Blick, verzog mürrisch die Lippen. »Ich kann Leute nicht leiden, die mich verraten. Gerade jetzt... bin ich drin-gendst auf Loyalität angewiesen. Reary hätte mich danach immer gehaßt. Sicher, du und Rita, ihr habt mir auch Kummer gemacht, aber inzwischen haben wir uns derselben Sache verschworen. Ihr gefährdet... äh ... meine Position nicht.« Ree sah Freitag Gelbes Bein an, der soeben — sein Gesicht war schmerzverzerrt — auf einer Antigrav-Bahre vorüberschwebte. Dahinter folgte Susan, rang die Hände. Ritas eisgrüne Augen wurden schmal. »Ich frage mich, ob’s nicht ‘n Fehler war, das Mädchen mitzunehmen«, sinnierte sie im Tonfall bitterlichen Sarkasmus’. Ree paffte zufrieden an seiner Zigarre und schaute zu, wie der für das Deck zuständige Reinigungstrupp schon
den Boden vom Blut und stinkigen braunen Ausfluß zu säubern anfing. »Wieso?« erkundigte er sich. »Ich dachte, sie mögen die Kleine.« Johns Augen ähnelten Feuerstein, als er den Blick auf Rita richtete. »Ich habe dir gesagt, daß ein romananisches Mädchen an Bord Ärger bedeutet.« Rita schaute zwischen den beiden Männern hin und her. »Hm, nun ja ... Ich weiß nicht... Ich kann nicht vorhersehen, ob sie die ganze Sache auf lange Sicht durchhalten kann. Sie ist zu emotional. Sie läßt sich von ihrem Herz leiten, statt das Gehirn zu gebrauchen. Das könnte sie eines Tages das Leben kosten.« »Sie ist noch jung«, konstatierte Ree zerstreut. Er wandte seine kantigen Gesichtszüge Rita zu. »Ich bin sicher, daß sie härter wird, wenn Sie ihr ein paarmal den Kopf zurechtgerückt haben. Bei uns treten Figuren von Männern den Dienst an, die man als schlechteres Rohmaterial als dieses Mädel bewerten muß.« Ree bemerkte in Rita Sarsas kritischer Miene keine Veränderung und verkniff das Gesicht. »Kommen Sie, Majorin! Momentan benutzen Sie selbst nicht Ihr Hirn. Wie alt ist sie, achtzehn? Doch wohl höchstens zwanzig? Welche Qualitäten haben Sie in dem Alter gehabt? Erinnern Sie sich mal an früher.« Ree grinste, versetzte Rita einen kameradschaftlichen Knuff an die Schulter und entfernte sich mit seinen breitbeinigen Raumfahrerschritten. »Na?« Rita schaute John Smith auf herausfordernde Weise in die Augen. »Was denkst du?« »Du kennst meinen Standpunkt, was sie angeht.« Der Blick des Kriegshäuptlings blieb fest. »Ja, dein Standpunkt ist mir in der Tat bekannt«, sagte Rita in schnippischem, trotzigem Ton. »Bloß kenne ich den Grund dafür nicht.« Damit strebte sie zum Ausgang hinaus. *
*
*
Susan legte den Handteller gegen den Öffnungsmechanismus der Tür und betrat das Quartier der Majorin. Sarsa lag rücklings, die Knie angezogen, auf ihrer Koje, die Augen fast geschlossen, auf dem Kopf ein KommuKontaktron. Susan klappte ihre Koje aus und sank müde auf die harte Matratze. Völlig erschöpft entledigte sie sich der Kleidung und schaltete die Temperatur höher. »Wo bist du gewesen?« Rita musterte sie aus schmalen Lidern. »In der Bordklinik.« »Wie steht’s um ihn?« »Es geht ihm einigermaßen gut. Er hat beinahe den ganzen Nachmittag geschlafen. Die Meds sagen, in einer Woche wird er aufstehen können. Pferdefänger... steht noch auf der Kippe. Seine inneren Verletzungen waren schwieriger zu beheben. Es hieß, normalerweise hätte jemand damit Überlebensaussichten von dreißig Prozent. Bei einem Romananer wissen sie’s nicht genau. Sechzig Prozent, schätzen sie.« »Den ganzen Nachmittag hat er geschlafen?« Rita setzte sich auf, steckte die Kontaktron in die Halterung. »Und hast du deine Taktik-Grafiken durchgearbeitet?« Susan senkte den Blick. »Nein, das wohl nicht...« Ruckartig schaute sie auf. »Ich war zu besorgt um Freitag. Was wäre gewesen, wäre er gestorben, während ich mich mit den Grafiken befaßt hätte?« »Ich nehme an, du wärst zur Beisetzungsfeier gegangen«, entgegnete Rita kaltschnäuzig. »Von jetzt an lasse ich keine Ausreden mehr gelten. Du wirst deine Aufgaben täglich komplett erledigen.« Sie schwieg kurz — dann brach die aufgestaute Erbitterung aus ihr hervor. »Verflucht noch mal, Mädchen!« Ihre harte Faust knallte auf die Konsole. »Du stammst von einer Welt, die nicht mal ‘ne Schriftsprache hat. Innerhalb eines Monats hast du fünfzehn Jahre des Lernens nachzuholen. Dich erwartet ...«
»Ich dachte, ich machte gute Fortschritte, Majorin.« Susan konnte Sarsas feindseligem Blick nicht standhalten. »Das will ich gar nicht bestreiten, Schätzchen. Aber du mußt beachten, daß du in einem Monat in jeder Beziehung auf dem laufenden zu sein hast. Es gibt einen ganzen Planeten voller Sirianer, die dich umbringen möchten. Tot sehen! Kapierst du? Dann bleibt dir keine Zeit mehr, um dich mit Sorgen um Gelbes Bein zu belasten ... oder um sonst irgend jemand. Dann wird dein Leben von dir allein abhängen.« Susan schluckte und nickte. »Nehmen wir einmal ein Beispiel. Sagen wir, deine Gruppe kämpft sich durch einen Vorort. Plötzlich geht schweres Blaster-Sperrfeuer eines ST auf euch nieder. Wo sucht ihr Deckung?« Eine Sekunde lang überlegte Susan. »Na, ich denke mir, hinterm nächstbesten Bauwerk.« »In doppelter Hinsicht falsch.« Sarsas Stimme bekam einen eisigen Klang. »Erstens hast du zu lange darüber nachgedacht. Zweitens springt ihr sofort in die Kabelschächte. Das sind die Einstiegslöcher zu den Stollen, in denen Energie-, Glasfaser- und Kommunikationsleitungen verlegt werden.« »Von Kabelschächten habe ich noch nie gehört«, verteidigte sich Susan, war sich des gegen sie gerichteten Zorns in der Stimme der Majorin schmerzlich bewußt. »Genau das ist es ja, um was ‘s mir geht.« Rita stand auf. »Jetzt schlaf dich erst mal aus. Morgen bekommst du einen neuen Unterrichtsplan. Ich möchte, daß du die Taktik-Lektionen möglichst schnell abschließt. Und ich möchte, daß du dir Informationen über den Sirius einprägst. Alle. Von der sowjetischen Siedlungsgeschichte bis zum Abfall-Recycling. Ich will, daß du über alles Bescheid weißt.« Rita machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Kabine. Mehrere Minuten lang saß Susan schockiert da, Das
Herz wummerte ihr gegen die Rippen. Gereizte Nerven und Hunger quälten ihren Magen. Sie fühlte sich miserabel, unzulänglich und verängstigt. Schließlich orderte sie am Automaten einen Imbiß und hockte sich an die Kommu. Verflucht sollte Rita sein! Sie nahm sich vor, das Durcharbeiten der Taktik-Grafiken noch heute zu bewältigen. Mit Kaffee schluckte sie zwei Stimu-Tablet-ten, rief die Taktik-Lektionen ab, mit denen sie sich zuletzt beschäftigt hatte und begann weiterzulernen. »Ich werd’s ihr zeigen«, knirschte Susan vor sich hin. Die Ungerechtigkeit der Majorin wurmte sie enorm. »Bei Gott, der werd ich’szeigen!« * * * Eisenauge hatte sich immer noch nicht an die Funktionsweise der Türen in dem Sternenschiff gewöhnen können. Er wußte, daß er das Handlinienschloß auf seine Handfläche adjustieren und dadurch den Zutritt in seine Kabine sich allein vorbehalten konnte. Aber was gab es darin zu stehlen? Oder wer auf diesem Raumschiff sollte aufs Stehlen wert legen? Eisenauge war innerlich nach wie vor die romananische Art gewohnt, der zufolge jeder, wenn er es wollte, jederzeit eintreten durfte. »Eisenauge?« ertönte sein Name durch die Türsprechanlage. »Ja?« Er stemmte sich von der Koje hoch, stellte sich rasch auf eine Realität um, die sich vollkommen von der inzwischen nahezu traumähnlich gewordenen Wirklichkeit unterschied, die er noch vor einiger Zeit mit seiner längst um viele Hundert Millionen Kilometer hinter ihm zurückgelassenen Rappenstute geteilt hatte. »Ich bin’s, Rita. Schläfst du?« »Komm herein.« Die Beleuchtung war aufgeflammt; auch so ein Wunderding dieser Sternenfahrer. Automatisches Licht, Elektrizität, Fusionsenergie — alles war völ-
lig anders, und er fand keine Zeit, um es begreifen zu lernen. In vielerlei Beziehung fühlte sich John Smith Eisenauge, größter Krieger des Spinnenvolks und deshalb zurecht zum obersten Kriegshäuptling der Romananer ernannt, hilflos wie ein unwissendes Kind. Als die Tür aufglitt, trat Rita ein. Ihre flinken Augen sahen ihn schläfrig blinzeln. »Ach was, lassen wir’s«, meinte sie halblaut. »So verdammt wichtig ist es nun auch wieder nicht.« »Warte ... Nimm Platz. Was gibt’s denn?« Der Stress begann Ritas Augen mit Krähenfüßen zu umknittern. Seit Philips Tod wirkte sie ständig gestresst. Ohne eine einzige Sekunde des Zögerns ließ Rita sich in einen Sessel sinken. Den Kopf in nahezu unmöglichem Winkel zurückgebogen, rieb sie sich die Augen und schöpfte tief Atem. »Verdammt, John, ich stehe kurz vorm Durchdrehen. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Eben kam das Mädchen rein, war offensichtlich fix und fertig, hatte sich um Gelbes Bein schier krankgesorgt, und ich hab ihr obendrein noch ‘ne volle Breitseite verpaßt. Im einen Moment denke ich, sie ist das größte gottgesandte Naturtalent, das ich seit dem Anfang dieser beschissenen Karriere gesehen habe ... Im nächsten Moment glaube ich, sie ist völlig bescheuert. Ich verlange von ihr, ständig perfekt zu sein, obwohl ich weiß, daß so was ausgeschlossen ist. Bei Spinne, ist dir eigentlich klar, wieviel das Mädchen zu lernen hat? Normalerweise spräche alles gegen sie... Aber ich glaube, sie wird’s schaffen.« »Möchtest du von mir das Gegenteil hören?« fragte Eisenauge, orderte am Automaten zwei Becher Kaffee. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie stark das Raumschiff Susan verwirren mußte. Wüßte er es nicht besser, hätte er selbst die Kräfte, die im Schiff wirkten, als magisch erachtet. Rita nahm den Becher, den er ihr anbot. »Nein, ich weiß, daß sie dazu fähig ist. Der Oberst hat heute nachmittag den
Nagel auf den Kopf getroffen. Als ich in ihrem Alter gewesen bin, war ich ... Da war ich ein Nichts. Sie ist dem einfältigen Geschöpf, das ich damals war, weit voraus. Wenn ich bis jetzt alles durchgestanden habe, warum bin ich dann dazu unfähig, bei jemandem wie ihr die gleiche Erfolgschance vorauszusetzen?« Rita schlürfte Kaffee. »Du bist seit Philips Tod hartherziger geworden, Rotschopf Viele Coups«, antwortete Eisenauge. »Und du bist dabei, aus dir eine noch härtere Person zu schmieden.« Er rückte seine muskelbepackte Gestalt auf der schmalen Koje zurecht. »Ich habe den Eindruck, du verlangst zuviel von dir ... Und auch von anderen. Philip ist tot. Hör auf, dich dafür zu bestrafen.« Rita lachte. »Weißt du, ich würde gerne glauben, daß das Leben noch irgendeinen anderen Inhalt hat als Draufgängertum, Blut und Schwielen. Herrgott, ich habe dem Mädchen vorhin die Lektionen verdoppelt. Ich habe ihr befohlen, alles zu lernen, soviel sie überhaupt kann, damit man ihr auf ‘m Sirius nicht den Arsch abschießt.« »Vielleicht liegt dein Problem im folgenden ...« Eisenauge hob den Kopf. »Du siehst sie, wie du einmal gewesen bist. Als junges Ding mit großen Augen, was? Bereit zum Losstürmen und die Galaxis umzukrempeln, wie?« Er wölbte die Brauen. »Du machst dir Sorgen, daß sie fallen könnte. Ist es ...« Er biß sich auf die Lippe, seine schwarzen Augen blieben unnachsichtig. »Stört es dich so sehr, daß dir an ihr etwas liegt? Daß dir klar ist, vielleicht steht dir neuer Schmerz bevor?« Langsam nickte Rita; sie wirkte vollständig ausgelaugt. »Ja, kann sein, ich sehe es so.« Sie schwieg. »Daran habe ich noch nicht gedacht.« »Das Leben sollte, so wie du’s gesagt hast, mehr als bloß Härten zu bieten haben. Sie müßte daheim sein und eine Familie gründen. Sie sieht aus, wie früher meine kleine Schwester ausgesehen hat.« Eisenauge lächelte, gab sich Erinnerungen hin.
Rita schaute ihn an, auf ihrer Stirn vertieften sich Falten. »Mein Gott, mir ist nie in den Sinn gekommen, daß du ‘ne Schwester haben könntest. Es ist schwierig, sich vorzustellen, daß du... der unbezwingbare Eisenauge ... mal ‘ne Familie hattest.« Er hob die Schultern, seine Augen spiegelten das Schweifen seiner Gedanken wider. Voller Unbehagen hob er den Blick. »Auf Welt ist es schwer, sanftmütig zu bleiben.« »Und deine Schwester?« fragte Rita. »Wie war sie? Hat sie sich auch mit Menschenhaar geschmückt?« Belustigt schüttelte Eisenauge den Kopf. Seine zerfurchten, herben Gesichtszüge glätteten sich ein wenig. »Sie hat dauernd Spaße getrieben. Sie und Jenny waren die besten Freundinnen. Immer haben sie was ausgeheckt, um mich zu ärgern. Du weißt schon ... Ständig neue Streiche. Ich konnte mich nie zum Essen auf meine Decke setzen, ohne vorher nachzuschauen, ob sie mir nicht ein Degengrasblatt hineingewickelt hatten. Sie war jung, schäumte über vor Lebensfreude, hatte leuchtende Augen und rote Wangen. Ich glaube, sie war das schönste Mädchen der Welt.« Er verstummte; innere Verkrampfung verlieh seinem Gesicht plötzlich ein spitzes Aussehen. »Was ist aus ihr geworden?« »Eines Abends holte sie das Vieh von der Weide, und da schlugen Räuber zu. Wir haben sie nie erwischt, um Rache zu nehmen. Sie wollten sie entführen und zu einer ihrer Frauen machen. Aber sie wehrte sich so heftig, daß sie die ganze Aktion gefährdete. Zum Schluß schossen sie sie in den Hinterkopf und ließen sie liegen. Fast zwei Wochen vergingen, bis wir ihre Leiche fanden. Es war Sommer. Die Maden hatten sich schon lange an ihr gemästet.« Wortlos schloß Rita die Augen. Für lange Minuten tranken sie und Eisenauge nur Kaffee.
»Es muß für alles einen Grund geben.« Sie streckte einen Arm und strich mit der anderen Hand über ihr festes Fleisch. »Darüber haben wir schon einmal diskutiert.« »Ich weiß. Ich halte lediglich an dem Gedanken fest, daß wir irgendwann einmal auch dazu in der Lage sein müßten, etwas zu tun, statt bloß zu reden.« Sie blickte auf, ihre grünen Augen hatten einen tiefsinnigen Ausdruck angenommen. »Ich glaube, ich habe herausgefunden, weshalb du Susan nicht leiden magst.« »Es ist keineswegs so, daß ich Susan nicht leiden könnte.« Gereizt sah Eisenauge sie an. »Ich bin nur der Meinung ...« »Immerhin wär’s dir lieber«, entgegnete Rita, »sie wäre nicht dabei.« »Das gleiche denke ich von Pferdefänger.« »Du befürchtest, du könntest zu ihr Zuneigung entwickeln. Das ist es, nicht wahr? Jeder Mensch, den du bisher gerne gehabt hast, ist eines schrecklichen Todes gestorben.« Rita spitzte die Lippen. »Das ist Unsinn«, widersprach Eisenauge leise, schüttelte den Kopf. »Es ist ganz einfach ...« »Mir hast du eben das gleiche vorgehalten«, unterbrach Rita ihn. »Und es ist nicht mal ausgeschlossen, daß du ... daß du recht hast.« Starrsinnig schüttelte Eisenauge nochmals den Kopf. »Es liegt ein kultureller Unterschied vor. Wir sind’s nicht gewöhnt, unsere Frauen auf dem Kriegspfad zu sehen. Unser Leben lang sind wir gelehrt worden, die Frauen und Familien zu beschützen. Und jetzt will Susan in den Krieg. Was soll werden, falls alle unsere Frauen es künftig so machen? Wer zieht dann die Kinder groß?« »Wer macht’s denn bei uns?« erwiderte Rita. »Nicht alle Männer nehmen an Kriegen teil... Nicht mal in euerer Gesellschaft. Ebensowenig werden alle eure Frauen an den Sternen, an Blut und Gewalt interessiert sein. Nein,
schau mich nicht so an. Das weißt du doch selbst. Die Menschen sind verschieden.« »Aber der Drang ist...« »Schwachsinn!« unterbrach ihn Rita. Er blickte ihr mit nun sanften Augen ins Gesicht. »Müßte ich nicht befürchten, daß du mir das Genick brichst, würde ich dich erdrosseln.« Rita stieß ein aufrichtiges, befreites Lachen aus. »Solltest du dich jemals dazu entschließen, wäre ich mir nicht sicher ... ob ich dich daran hindern könnte.« »Ich glaube, jetzt fühlst du dich wohler, was?« Spontan nickte Rita. »Du hast die Gabe, bei mir einen Ausgleich zu bewirken. Es ist merkwürdig, aber du bist der einzige Freund, den ich noch habe. Seit der Beförderung bin ich nicht mehr einfach ein Mitglied der Besatzung. Anscheinend bin ich ... dadurch zu jemandem geworden, vor dem man auf der Hut sein oder den man zu beeinflussen versuchen muß. Ich finde nicht mal noch Trainingspartner beim Sport.« Sie sprach mit ganz leiser Stimme. »Danke.« John Smith’ Augen glänzten, während er Rita musterte, die katzenhafte Kraft ihres Körpers bewunderte, die weichen Kurven ihrer Weiblichkeit. Ihre Haarfarbe hatte ihn immer fasziniert. Sie war eine beeindruckende Frau, ihre Erscheinung befand sich in einem Zustand völliger Ausgewogenheit, ihre Gestalt zeichnete sich durch vollkommene Proportionen aus. Sie bewegte sich mit sicherer Anmut, dem Merkmal einer hervorragenden Sportlerin. »Du kannst immer zu mir kommen, wann dir danach ist.« Er verbarg seine Gedanken hinter einem beklommenen Lächeln. Seit Leetas und Philips Tod war sein Inneres stets angespannt. Unmittelbar hinter seiner Fassade lauerte der Schmerz. Vorsichtig umgingen seine Überlegungen alles Gefühlsmäßige, achteten darauf, nichts Emotionales aufzuwühlen.
Ritas Seufzen steigerte sich zu einem melancholischen Aufstöhnen. »Das könnte häufiger der Fall sein. Bis heute habe ich mir keine Leck-mich-doch-Einstel-lung zugelegt. Ich fühle mich alt.« »Ich hätte angenommen, du wärst zu stark davon beansprucht, Männer abzuwimmeln. Wie ich gehört habe, warst du mal die begehrteste Schönheit des Schiffs.« Die Äußerung rutschte Eisenauge einfach so heraus. Interessiert wartete er auf Ritas Reaktion. Sie lachte. »Kann sein, ich war’s mal, ja. Aber seit ich in die höheren Ränge aufgestiegen bin, läßt sich niemand mehr blicken.« »Vielleicht wird einer deiner Bewunderer diese alberne Zurückhaltung überwinden und sich wieder melden.« Eisenauge lächelte freundlich, ohne jede Anzüglichkeit, wunderte sich über seine Anteilnahme an Ritas persönlichen Beziehungen. »Möglicherweise.« Ihr Lächeln wich. »Es müßte aber schon der Richtige sein. Ich bin mir nicht sicher,’ ob ich ... Es ist eben so, daß ... Weißt du, an Philip gemessen zu werden, ist eine schwere Herausforderung.« Rita stand auf, zögerte jedoch. »Verdammt, eigentlich möchte ich jetzt nicht zu Susan. Ich würde mich gern irgendwohin zurückziehen. Wir brauchten im Schiff einen Lagerplatz und ‘n paar Dutzend Pferde.« Ihre Augen spiegelten einen Anflug von Sehnsucht wider. »Da.« Eisenauge klappte eine zweite Koje heraus, die er nie benutzte. »Leg dich hier lang.« Nachdenklichen Blicks, die Lippen nach vorn geschoben, betrachtete Rita die Koje. »Ich ... Ach was, vielleicht ist das ‘ne gute Idee. Aber ich ...« »Was?« »Ach, nichts.« Sie schüttelte den Kopf und seufzte versonnen. »Ich hätte es lieber, wir sprechen offen miteinander.
Jeder von uns hat nur den anderen. Kein Außenstehender könnte unsere Ursprünge begreifen ... oder wer wir sind.« Er neigte den Kopf seitwärts. Ritas Miene spiegelte ein inneres Ringen. »Naja, ich würde gerne für ‘ne Weile ... im Arm gehalten werden. Sonst nichts, Eisenauge.« Sie schloß die Lider. »Es wäre einfach schön, zu wissen, daß es im Universum noch einen zweiten warmen, menschlichen Leib gibt.« »Ich glaube, das verstehe ich«, antwortete Eisenauge. »Komm, leg dich neben mich. Ich werde dir nichts tun.« »Was sollte ich ohne dich nur anfangen, Eisenauge«, flüsterte Rita resigniert, indem er sich ausstreckte und die Arme um sie schlang. Innerhalb weniger Minuten zeugte Ritas Atmung von tiefem Schlaf. Lange Stunden hindurch hielt Eisenauge sie in seiner Umarmung; sein Blick schweifte durch die Dunkelheit, während er seinen eigenen Gedanken nachhing. * * * Leona Magill bemerkte das erste Anzeichen einer Unregelmäßigkeit, als das Shuttle den Kurs wechselte. Sie legte die Stirn in Falten und aktivierte die manuellen Kontrollen. Vergeblich. Sie funktionierten nicht. Da flog ein anderes Shuttle in die Reichweite ihrer Erfassungsgeräte. Sie schaltete die Kommu ein und versuchte Kontakt aufzunehmen. Eine Antwort blieb aus. Ein kurzer Check des Systems zeigte, daß die Kommunikationsanlage sich außer Betrieb befand. Um alles noch schlimmer zu machen, hatte das Shuttle inzwischen über dem Planeten dessen Rund so weit umflogen, daß es jetzt außer Sicht der Helk schwebte, an deren Bord Leona gewesen war, um sich über die neuen Schutzschirme zu informieren. In rasender Hast riß sie die Kontrollkonsole auf. Das schwarze Kästchen, das sie darin fand, hätte nicht vorhan-
den sein dürfen. Sie entdeckte mit dem Computer und der Kommu verbundene Drähte. Sorgsam verschaffte sie sich einen Überblick über die Manipulationen und wurde dabei auch auf ein mit dem schwarzen Kästchen durch einen winzigen Silbefdraht verbundenes EnergietechnikNetzteil aufmerksam. Eine Zündvorrichtung. Sie hätte Spezialwerkzeug gebraucht, um es zu entfernen, andernfalls brächte sie die Kontrollen des Cockpits zur Explosion. Sie schimpfte vor sich hin, hob den Blick zum MonitorBildschirm und sah das andere Shuttle zum Anlegemanöver einschwenken. Die Patrouille? Hatte sie diese raffinierte Falle ausgebrütet, um sie gefangenzunehmen? In verzweifelter Wut zückte Leona ihren Blaster und durchquerte den Verbindungsgang zum Hauptdeck. Es konnte niemand anderes als die Patrouille dahinter stecken. Verdammte Bande! Aber Skor Robinson sollte nicht das Vergnügen habe, sie lebend in seine Gewalt zu bekommen. Niemals gedachte sie eine psychische Reorientierung zu erdulden! Leona Magill wollte lieber sterben, als in eine nette, zufriedene Direktoratsmarionette umkonditioniert zu werden. Ein Klirren und Dröhnen hallte, als das andere Shuttle festmachte. Leona spürte ein Zittern durch den Rumpf schwingen. Sie spähte hinüber zur Schleuse. Die Instrumente zeigten einen geringen Druckverlust an. Die innere Schleusenpforte entriegelte sich und schwang weit auf. Leona duckte sich hinter einen Sitz und richtete den Blaster in die Schleuse, den Finger gespannt um den Abzug gekrümmt. »Leona?« rief eine freundliche Stimme. Verärgert verzog sie das Gesicht. »Ngen? Sind Sie das? Zum Donnerwetter, was ist hier eigentlich los?« »Geduld, ich bin gleich bei Ihnen.« Van Chows Stimme zeugte von einer gewissen Erleichterung.
»Irgendwer hat an meinen Kontrollen herumgepfuscht«, sagte Leona barsch. »Ich bin in keiner Stimmung für miese Spielchen. Sind Sie etwa auch daran beteiligt?« »Oh, es gibt für alles eine Erklärung«, rief er fröhlich, erschien mit wohlwollendem Lächeln auf den Lippen in der Schleuse. Beim Anblick des Blasters weiteten sich seine Augen. »Wissen Sie nicht mehr, daß ich auf Ihrer Seite stehe?« Mißtrauisch und mit unverminderter Wachsamkeit erhob sich Leona aus ihrer Deckung. »Wieso sind Sie hier? Woher wußten Sie, daß ich Schwierigkeiten haben werde?« »Haben Sie’s nicht gehört?« Ngen verschränkte die Arme und lehnte sich an den Schleusenrahmen. »Na, es hätte sowieso nichts geändert.« »Was gehört?« fragte Leona, indem sich ihre Miene stärker verdüsterte. Nach wie vor wies der Blaster auf Van Chows Bauch. Ngen entging keineswegs, daß die Waffe noch auf ihn zeigte. »Eigentlich sind Sie doch immer... äh ... Wie soll ich mich ausdrücken? Immer sehr auffassungsfähig gewesen. Ich reagiere auf Ihren Notruf.« Sein umgänglicher Ton verunsicherte Leona völlig. »Sie haben meine Kontrollen sabotiert? Aber ... warum denn?« Er stieß sich von der Wand ab und vollführte in der Nullschwerkraft einen Purzelbaum über eine Sessellehne hinweg, hielt dabei jedoch von Leona Abstand. »Natürlich.« Er nickte. »Aber die Zeit drängt. Uns bleiben nur noch ein paar Minuten, um auf dieser Umlaufbahn ohne weitere Umstände die Hiram Lazar ansteuern zu können.« Unter Leonas Herz begann sich Angst zu ballen. Blut pulste angestrengt durch ihre Adern, ihr Gaumen wurde trocken. »Wovon reden Sie da? Sagen Sie’s mir, Ngen. Raus mit der Sprache ... oder ich erschieße Sie.«
Heiter lachte Van Chow auf, in seinen dunklen Augen schimmerte eine unnatürliche Erregung. »Ach, ich wußte, daß Sie mich nicht freiwillig begleiten, meine liebe Leona.« »Ich bin nicht Ihre Liebe!« fauchte Leona. »Jetzt nicht und überhaupt nie, Sie dreckiger ...« Ihre Angst wuchs. Es flimmerte ihr vor Augen, sie zwinkerte; ein schwaches Beben befiel ihren Körper. Ngen lächelte stillvergnügt. »Das wird ein großer Spaß, Leona. Ich habe mich schon immer gefragt, welche Empfindungen ein Mann mit Ihnen erleben kann.« Unter Leonas Füßen schien das Shuttle zu schwanken. Verzweifelt zielte sie und drückte ab, erwartete einen Blasterstrahl aufglühen zu sehen. Doch nichts geschah. Sie zog den Abzug noch wiederholt durch, während rings um sie das Interieur des Shuttles zu verschwimmen schien. Plötzlich stülpte sich ihr Magen um, und sie erbrach seinen halbflüssigen Inhalt aufs Deck. Verwaschen sah sie Ngen beiseitespringen und sich dann ihr nähern. »Prachtvoll!« Ngen prustete vor Erheiterung, packte sie am Arm, den sie nicht einmal noch zur Gegenwehr heben konnte. »Du hättest mich also im Handumdrehen umgepustet. Du wirst mir viel Freude machen, meine Liebe. Selbstverständlich mußte ich deinem Blaster eine leere Batterie einsetzen. Giorj hat diese Kleinigkeit für mich nebenbei erledigt, als er deine Kontrollen ... äh ... sagen wir mal, umgebaut hat.« »Waaaa ...« Mühsam versuchte Leona den Mund zu bewegen. »Waaa ...« »Was ich getan habe?« fragte er, während er sie durch die Schleusenkammern zerrte, die eigene Schleuse schloß. Wie einen schlaffen Sack schleifte er Leona — dabei wirkte sein andauerndes, affiges Lächeln regelrecht unschuldig — in sein Shuttle. »Ganz einfach, liebe Leona. Ich habe dich mit Gas unschädlich gemacht.« Benommen sah sie zu, wie er sich winzige Röhrchen
und Stöpsel aus der Nase pfriemelte. Sein Schnurrbart hatte sie vollständig verborgen. »Ach sicher, ich hätte warten können, bis du auf der Nase liegst, bevor ich mich dir gezeigt habe.« Ein auffälliger Tic zuckte in seiner Wange. »Aber das hätte mich um die aufregende Erfahrung gebracht, zu erleben, wie leicht du dazu bereit warst, mich zu töten. Nun werde ich an dir um so größeren Reiz finden.« Merklich zufrieden pfiff er vor sich hin, während er Leona in einen Sitz schnallte. Indem sie sich mit äußerster Willenskraft mühselig darauf konzentrierte, gelang es ihr, den Kopf soweit zu drehen, daß sie ihn ins Cockpit klettern sehen konnte. Bei der Beschleunigung wurde ihr flau zumute. Langsam verstrich Zeit. Irgendwann später kam Ngen wieder heruntergestiegen, und Leona spürte Gravitation. Mühelos schwang er sie sich auf die Schulter und ging zur Schleuse. Auf deren anderer Seite erkannte Leona trotz aller Mattigkeit das Innere der Hiram Lazar. In den leeren Korridoren begegneten sie keinem Menschen. Durch eine schwer gesicherte Tür betrat Ngen mit dem luxuriösesten sirianischen Mobiliar eingerichtete Räumlichkeiten. Die schummrige Beleuchtung wechselte von einem hellen Orangeton über Gelb zu Grün. Ngen warf Leona auf ein Bett, band ihr Arme und Beine mit polizeiüblichen Plastikfesseln zusammen und schaltete die Kommu ein. »Wir sind da, Giorj. Wie ist das Ergebnis?« »Bestens«, antwortete der fahle Ingenieur; seine folgenden Worte rannen in Leonas Gehör zu einem unverständlichen Brabbeln ineinander. Gutgelaunt nickte Ngen, seine Mundwinkel deuteten schwach ein Lächeln an. In seinen Augen stand allerdings höchste Konzentriertheit. »Ich werde die Kommandobrücke aufsuchen und eine Rede an die Massen halten«, sagte er nach einem Weilchen. »Immerhin ist das ja
ein schrecklicher Rückschlag.« Die Monitor-Bildfläche erlosch, und Ngen wandte sich an Leona. »Ich muß einige Worte an unsere Mitbürger richten, liebste Leona. Sie sind wegen deines beklagenswerten Ablebens sehr aufgebracht. In einer solchen Stunde tiefer Trauer suchen sie Führerschaft. Aber keine Sorge, mein Liebste, ich komme zurück, um dir Erfüllung zu schenken. Außerdem wirst du mir viel mehr Genuß bereiten, wenn du wieder ganz bei dir bist.« Damit erhob er sich flink und eilte hinaus. In der Stille, in der sie zurückblieb, versuchte Leona nachzudenken. Die Bevölkerung sollte aufgebracht sein? Wegen ihres Ablebens? Sie begriff überhaupt nichts. Ihr halb umnachteter, zu zielgerichteten Überlegungen unfähig gewordener Verstand ließ von den Fragen ab. Wie eine graue Wolke senkte sich Besinnungslosigkeit über sie. Vorübergehend fand Leona Zuflucht in einem Traum. Sie genoß die Geborgenheit ihres Vaterhauses. Eine ausgedehnte, grauschwarze Felslandschaft schillerte in dem Strahlen des blauen Sterns, der sein Licht der Minenwelt Atlas IV spendete. Außerhalb der Kuppel erstreckten sich eine hinter anderen Erhebungen aus Fels und Methaneis. Geschmeidig räkelte sie sich im Komfort ihres Heims, selbst noch, als sie sich daran erinnerte, daß diese Zeit längst vorüber war; sie wollte sich umdrehen, blieb jedoch dazu außerstande. Verdrossen zappelte sie und erwachte, blickte ins Holo eines Sternenhimmels. Sie gähnte und versuchte die Arme zu recken. Die Fesseln saßen stramm. Sie konnte sich einfach nicht rühren. »Was, zum ...?« Krampfhaft blinzelte sie und unternahm einen Versuch, die Fesseln abzustreifen. Gleichzeitig betrachtete sie ihre sonderbare Umgebung. Ngen? Auch das mußte ein Traum gewesen sein, genau wie der Aufenthalt im Haus ihres Vaters. Sie hob den Kopf und blickte an ihrem nackten Körper hinab. Als sie den Hals verdrehte, konnte sie die
Plastikfesseln erkennen. Das Ganze war kein Traum. Sie war, wie ihr einfiel, bekleidet gewesen. Ihr Blaster! Leona machte ihren Hals so lang wie nur möglich. Der Raum war völlig kahl. »Zu Hilfe!« schrie sie mit voller Lautstärke ihrer Lungen. »Hilfe! Bitte! Hilfe...!« Nichts. Nur die allgegenwärtige Stille dauerte an. »Lassen Sie mich frei, Ngen Van Chow! Verdammter Schweinehund!« Noch zwanzig Minuten vergingen, bis er wiederkam. Sein Lächeln war so leutselig wie immer. »Verfluchter Schuft!« fuhr Leona ihn an. »Lassen Sie mich sofort gehen!« Wütend musterte sie ihn, sich dabei ihrer Hilflosigkeit bewußt. Gleichmütig setzte Ngen sich auf die Bettkante, sein Blick glitt wollüstig über Leonas warmes Fleisch. »Ich wollte wissen, wie du unter den altbackenen Klamotten aussiehst, die du offenbar gerne trägst. Ich hatte keine Ahnung, daß du so verführerisch reizvoll bist.« Seine Stimme klang nach Schmeichelei. »Was soll... denn ... das?« fragte Leona mit unsteter Stimme, als er sie zu streicheln anfing. Wild begann sie sich zu winden. Die Fesseln schienen nur um so enger zu werden. »Ich habe die Absicht«, erklärte Ngen in gedämpftem Tonfall, indem er sein Hemd abwarf und aus der Hose stieg, »dich Lust zu lehren.« Aus aufgerissenen Augen starrte Leona seine nackte Gestalt an. »Sie sind verrückt! Das ist Vergewaltigung! Ngen, Sie sind ja wahnsinnig!« »Aber nein, meine liebste Leona, ich bin keineswegs wahnsinnig.« Er setzte sich wieder zu ihr. »Ich muß dich loswerden. Du verursachst zu viele Probleme. Weißt du, deine Auffassungen sind so, daß ich dir nicht mehr traue. Das Volk braucht gerade jetzt einen neuen Märtyrer, eine für die Sache gefallene Führungspersönlichkeit. Dafür bist
du genau die richtige Person. Sämtliche Gewerkschaftsund Arbeiterverbände bejubeln deine Hingabe an die Revolution. Gegenwärtig paradieren sie mit deinem Bild durch die Straßen und singen ihre armseligen Lieder. Morgen werden sie doppelt soviel wie heute produzieren.« Leona schauderte zusammen, als er sich über sie beugte. Sie wimmerte, versuchte ihm auszuweichen. »Was ... was ha-haben Sie mit mir vor?« Überrascht schaute er auf. »Na, dir Sinnesfreuden zu bereiten, liebste Leona.« »Ich ... ich meine ... danach.« Sie bemühte sich um einen ruhigen Ton, dazu außerstande, Van Chows in die Augen zu blicken. Belustigt lachte er. »Meine Teure, ich werde dich immer wieder in Ekstase versetzen. Solange ich an dir meine Freude habe, werde ich dich bei bester Gesundheit halten. Eine faire Abmachung, findest du nicht auch?« Er senkte wieder den Kopf. »Du meinst, die Bevölkerung denkt, ich sei... ich sei tot ?« Leonas Stimme war heiser geworden. Er legte den Kopf an ihren Hals, küßte sie, knabberte an ihrer Haut. Sie versuchte von ihm abzurücken, doch er hielt sie fest. »Ja natürlich, meine Alabasterschöne. Dein Shuttle ist beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglüht. Es sieht so aus, als scheute das Direktorat keine Gemeinheit, um uns zu schaden. Momentan unternimmt es Anstrengungen, um die Revolution der Führerschaft zu berauben.« »Also werde ich hier niemals lebendig hinausgelangen?« Die Wörter hatten in Leonas Mund einen kalten Geschmack. »Daraus entstünde wahrhaftig eine Verlegenheit.« Ngens Bedauern klang echt. »Aber sicher möchtest du das Volk doch nicht enttäuschen. Es suhlt sich so schön im Tragischen dieses Vorfalls.« »Sie sind ein Ungeheuer!« zischte Leona, Furcht und
Scham überwältigten sie, als Ngen eine Hand zwischen ihre Beine schob und mit dem Finger eindrang. Sie zuckte bei seiner Berührung zusammen. »Und du bist noch Jungfrau«, stellte Ngen sachlich fest. »Wie hast du denn das geschafft? Und dabei bist du Ende zwanzig.« Leona drehte den Kopf zur Seite, rang um Selbstbeherrschung. Gleich darauf ließ Ngen von ihr ab. Sie lag zitternd auf dem Bett. Ungläubig und halb von Sinnen starrte sie zu ihm hoch. Plötzlich wallte Hoffnung in ihr empor. Konnte es sein ... daß er sie nun doch verschonte? Er mixte sich einen Drink und trank ihn in aller Ruhe auf der Bettkante, beachtete Leona anscheinend gar nicht mehr. Endlich sah er sie wieder an. »Geht’s dir jetzt besser?« Er lächelte und stellte das Glas ab, holte aus einem Wandfach ein sonderbares Kontaktron, stülpte es ihr behutsam über den Schädel. »Entspann dich«, sagte er leise. »Wir haben reichlich Zeit, und ich will nicht, daß du dich so verkrampfst. Das Kontaktron wird dir helfen.« Er senkte erneut den Kopf auf Leona. Sie bäumte sich auf, als sie seine Zunge fühlte. Sie biß die Zähne zusammen und versuchte sich zu wehren. Aber alles Winden schien ihre Lage lediglich zu verschlimmern. Der Psychingapparat projizierte Bilder in ihr Bewußtsein, Wärme begann durch ihren Leib zu strömen. Entsetzt bemerkte sie, wie ihr Körper auf Ngens Zärtlichkeiten empfänglich zu reagieren anfing. Sie spreizte unwillkürlich die Beine. »Da siehst du’s«, säuselte er. »Du lernst es zu genießen.« Sie schrie, ihre Blase und der Darm entleerten sich, als er sich auf sie wälzte.
11 »Am wichtigsten ist, daß du gut zuhörst und lernst«, erklärte Rita, patschte unablässig die Fingerkuppen der einen in die Handteller der anderen Hand, während sie und Susan sich durch einen langen, weißen Korridor beeilten. »Strategie dient dazu, eine militärische Operation vorher planmäßig zu konzipieren. Man muß die Strategie immer im Kopf behalten, denn sobald die Kämpfe in Gang sind, geht auch schon irgend etwas schief. Das kann man als die erste Regel der Kriegsführung bezeichnen. Wenn man nicht weiß, welches Ziel die Operation verfolgt, ist man nicht auf taktische Änderungen gefaßt und kann sich nicht umstellen, ohne die Situation noch viel stärker zu verwirren.« Susan nickte, darum bemüht, sich das Bombardement von Gedanken einzuprägen, mit denen Majorin Sarsa sie überschüttete. Im Laufschritt bogen sie in einen Niedergang ab. Susan unterdrückte ein Gähnen und blinzelte angestrengt, versuchte jede Darlegung Ritas im Kopf zu wiederholen. Die Eingangstür zum Planungssaal öffnete sich, als Rita verlangsamte, und Susan folgte ihr geduckt hindurch; ein derartig chaotischer Lärm schlug ihr entgegen, als liefe sie gegen eine Wand. Alle redeten gleichzeitig, einer übertönte den anderen, ein lautstarkes Tohuwabohu herrschte. Jeder Quadratmeter Wandfläche leuchtete von Farbmonitoren, die Darstellungen von Tabellen, Grafiken, Zahlen oder Holos des Siriussystems, dortigen Städten oder Kriegsschiffsklassen zeigten. Nervös schluckte Susan, ihr Blick streifte die höheren Offiziere, während sie unmittelbar hinter Rita blieb. Sie sah Mosche Raschid und Eisenauge über einer topografi-
schen Oberflächenkarte diskutieren. Mosche deutete auf etwas, und Eisenauge nickte, das Gesicht in Falten der Konzentration gelegt. »Ten’shun!« hallte der traditionelle Hab-Acht-Befehl der Patrouille. Jeder der Anwesenden, die im Saal durcheinanderwimmelten, straffte sich augenblicklich zu gerader, strammer Haltung, alle Versammelten verstummten mitten im Satz. Hochaufgerichtet stand Susan da wie ein Standbild — sie kannte sich mit den dienstlichen Umgangsformen längst aus —, hielt Kopf und Schultern nach hinten gedrückt. Im Augenwinkel bemerkte sie, wie Oberst Ree schwungvollen Schritts eintrat und salutierte. »Rühren!« erscholl sein Befehl. Die stocksteifen Gestalten lok-kerten die Gliedmaßen und scharten sich unter vielfachem Füßeschlurfen und halblaut fortgesetzten Gesprächen um den Instruktionstisch in der Saalmitte. Rita suchte sich einen Stuhl und nahm Platz, zog eine Kontaktron über und widmete ihre Aufmerksamkeit kurz irgendwelchen Daten. Susan setzte sich hinter Rita. Eisenauge schob seine wuchtige Erscheinung durch die Stuhlreihen und ließ sich auf dem Sitz neben Rita nieder, unterhielt sich dabei gedämpft weiter mit Mosche. »Sie alle haben vorab die grundsätzlichen Einschätzungen erhalten«, begann Rita, indem sie am Kopfende der Tafel aufstand und die Arme verschränkte. Ihre Augen glänzten. »Die meisten von Ihnen sind mit den Prozeduren vertraut. Das einzige Element, das vom standardmäßigen Training abweicht, sind der Einsatz der Romananer und die Frage, wie sie auf die Gefechtssituation reagieren.« Eisenauge verengte die Lider zu so schmalen Schlitzen, wie man sie sonst nur bei Raubtieren sehen konnte. Ein Holo des größten Kontinents des Sirius leuchtete auf; Susan erkannte Ekrania, in dessen Umland sich das sirianische Industriegebiet befand.
Die Holo-Projektion dehnte sich aus. »Hier sehen Sie« — Lichtpünktchen erschienen — »die erfaßten Abwehrsatelliten. Es handelt sich um kleine, bemannte, mit Blastern und Laserkanonen bewaffnete Orbitalstationen. Von ihnen haben wir beim ST-Einflug die größten Schwierigkeiten zu erwarten. Mosche?« Rees Blick fiel auf Raschid. Leutnant Mosche Raschid erhob sich, stieß ein Räuspern aus. »Die ST starten zwanzig Minuten vor Erreichen der maximalen Gefechtsentfernung. Unserer Meinung zufolge werden wir durch weiträumiges Ausschwärmen geballtes Sperrfeuer vermeiden können, und wir wollen unter völliger Funkstille anfliegen, um die Chancen einer frühzeitigen Ortung und Erfassung durch den Gegner zu verringern. Nach den uns vorliegenden Berichten unterschätzt er die Manöverierfähig-keit und die Geschwindigkeit der ST. Beim anfänglichen Anflug auf den Planeten lokalisieren und speichern wir die Positionen der Abwehrsatelliten und divergieren vom Delta-Vektor. Beim nachfolgenden Einflug schalten wir die Orbitalstationen aus und bremsen zwecks Vorstoß in die planetaren Oberfläche ab. Kampfgruppe Eins, die aus den Soldaten und romananischen Kriegern der Projektil besteht, wird die hauptsächlichen Ballungszentren um Ekrania angreifen. Indem wir die industrielle Basis des Planeten zerstören, entziehen wir den Rebellen den logistischen Rückhalt und bringen ihnen einen schweren psychologischen Schlag bei. Die Kampfgruppen Zwei und Drei von der Bruderschaß und der Viktoria werden gegen die anderen Kontinente eingesetzt ...« Ree unterbrach Raschids Ausführungen. »Eisenauge, ist deinen Leuten klar, wie sie vorzugehen haben?« Beiderseits der verpreßten Lippen vertieften sich die Furchen seines Gesichts. Eisenauge stand auf; aus seinen Augen funkelte die gespannte Unruhe eines angeketteten Falken. »Ich glaube
ja, Oberst. Jede meiner Gruppen hat die KommuSzenarien gesehen. Mit Ausnahme der Tatsache, daß wir den Planeten nicht aus eigener Erfahrung kennen, müssen wir lediglich im Rahmen fortgeschrittener militärischer Raffinessen unseren bewährten, normalen Kriegspfadgewohnheiten folgen.« Ree schabte sich am Kinn. »Wir haben deine Romananer schon in Aktion erlebt, Kriegshäuptling.« Ree hob den bulligen Schädel. »Unser Befehl lautet, am Sirius ein Exempel zu statuieren. Sind deine Männer dazu fähig, die Zivilbevölkerung wirksam zu terrorisieren? Die Direktoren verlassen sich aufs Zustandekommen dramatischer Effekte.« Spöttisch zuckten Eisenauges Lippen. »Oberst, ich bin mir nicht sicher, ob Skor Robinson wirklich weiß, wen er hier auf die Sirianer losläßt.« An ihrem Platz erhob sich Tory Jarowitsch, die Verbindungsoffizierin der Viktoria, um die Beachtung auf sich zu lenken. Verlegen heftete sie den Blick auf Eisenauge. »Einige unserer Offiziere haben Vorbehalte gegen den Einsatz der Romananer gegen Ekrania. Ahm ... Mr. Eisenauge, unsere Besorgnis betrifft die Reaktionen Ihrer Truppe bei der Konfrontation mit moderner Taktik und modernen Waffen. Wenn Sie die Frage entschuldigen, Sir, aber woher wissen wir, daß sie nicht Reißaus nimmt?« Tory setzte sich, ihr dunkles Gesicht spiegelte Skepsis wider. In dem Schweigen, das sich ihren Äußerungen anschloß, richtete Eisenauge versonnen den Blick auf Ree. »Oberst, du hast schon persönlich gegen unser Volk gekämpft. Würdest du, was den Mut von uns Romana-nern betrifft, einen Kommentar angeben?« Ree beugte sich vor, schaute zu den zwei Verbindungsoffizieren der beiden anderen Patrouillenschiffe hinüber. »Sie sind unnachgiebig«, erklärte er barsch. »Obwohl sie gegen unsere ST nur Schießgewehre aufzubieten
hatten, sind sie unbeugsam gewesen. Als wir auf Atlantis das Kriegsrecht durchzusetzen versuchten, sind sie davon völlig unbeeindruckt geblieben.« Nachdrücklich schüttelte Jarowitsch den Kopf. »Aber wie verhält es sich im Fall eines Offensiveinsatzes auf einer fremden Welt? Ich kann verstehen, daß jemand sich verzweifelt verteidigt, wenn eine Niederlage den Untergang bedeutet... Aber wie tüchtig kämpfen sie, wenn nicht die eigenen Familien und das private Eigentum bedroht sind? Wir sind ja eben nicht in einer Situation, in der ...« »Das kann ich erläutern.« Ernst sah Eisenauge sie an. »Hast du dich über unsere Religion informiert? Nicht? Dann mußt du wissen, daß wir den Tod nicht fürchten. Alle die tapfer in Spinnes Dienst sterben, werden reich belohnt. Bei eurem Volk ist die Zukunft ungewiß, was jenseits des Grabes liegt, ist unbekannt. Unsere Propheten haben uns dagegen gelehrt, mit der Zukunft zu leben. Wir wissen, daß der Tod in vielerlei verschiedenen Formen existiert. Unsere Heiligen Ältesten sehen unsere möglichen Tode voraus. Aber wann und wie wir sterben, wird von unseren Entscheidungen beeinflußt. Daß wir den Tod nicht entrinnen können, ist uns jedoch allen klar. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ... eure von unserer Orientierung.« Tory wirkte keineswegs, als wäre sie überzeugt worden. »Religion interessiert mich nicht. Ich frage nach der Motivation.« Eisenauge überlegte einen Moment lang, ehe er, offenbar zufrieden mit dem Ergebnis seines Nachdenkens, schließlich nickte. »Also gut, ich werde dir eine Motivation nennen, die dir verständlich sein dürfte. Auf unserem Planeten erlangt man Frauen, Pferde, Ehre, Ansehen, Rang und Reputation — alles Erstrebenswerte — durch das Beschreiten des Kriegspfads, durch Beutezug. Mit leeren Händen heimzukommen, bedeutet den
größten Ehrverlust. Diese Männer, meine Romananer, setzen ihr Leben ein, um als Helden nach Hause zurückzukehren. Meine Welt, von euch Atlantis genannt, kennt keine feine Kleidung, keine Kommu-Geräte, keine Airmobile, keine Reaktoren. Es gibt nur einen Elektromotor, der jetzt sechshundert Jahre alt ist. Wir möchten Flugapparate haben. Raumschiffe wie dieses hier. Wir möchten eine Klinik, gepflasterte Straßen und Fabriken. Wir werden sie uns von den Sirianern holen. Alle Krieger, die nach Atlantis heimkehren, werden reiche, mächtige Männer sein. Sie bringen den Reichtum der Sterne zu uns. Ihre Clans und sogar die Clans ihrer Feinde werden ihre Namen in Liedern verherrlichen. Was könnte einen Mann stärker motivieren? Glaubst du, daß ...« Tory schüttelte den Kopf. »Wie barbarisch! Und die Direktoren haben sich auf derartige ... Vorstellungen eingelassen ?« Gespannt heftete Susan, allem außer dem Wortwechsel gegenüber taub und blind, den Blick in Torys Gesicht. »Die Direktoren halten sich inzwischen selbst einen romananischen Propheten«, bemerkte Rita mit unter kühltem Schmunzeln. »Das genügt wohl zu diesem Aspekt«, sagte Ree zur Beschwichtigung, hob eine Hand. »Gehen wir einfach einmal von der Annahme aus, daß die Romananer unerschrocken kämpfen werden.« Unter Rees Offizieren entstand gedämpftes Gelächter. Sie wußten darüber nur zu gut Bescheid. Unvermutet zog der Oberst eine strenge Miene. »Eisenauge, du hast Befehl, deinen Männern jede Freiheit zu gewähren. Wir sind hier, um die Rebellion zu erstik-ken, bevor sie einen ganzen Raumsektor destabilisiert. Sie dürfen zerstören, plündern, vergewaltigen und rauben, soviel sie wollen, solange sie sicherstellen, daß am Boden kein organisierter Widerstand übrigbleibt. Hast du das verstanden?« Befriedigt grinste Eisenauge. »Jawohl, Oberst.«
Erneut stand Rita auf. »Ich schlage hinsichtlich der Romananer vor, jedem ihrer Teams einen Patrouillentechniker mitzugeben, Oberst. Bei der Planung ist offensichtlich geworden, daß die Romananer zwar schnell lernen, aber trotzdem in problematische Umstände geraten könnten. Was geschähe, um ein Beispiel anzuführen, falls ein Romananer, ohne sich dabei etwas zu denken, mit dem Blaster auf einen Energiereaktor ballert? Wie sollen die Krieger so eine Anlage erkennen? Die AntimaterieDetonation würde den halben Planeten auseinandersprengen.« »Eine ausgezeichnete Anregung«, gestand Ree zu. »Mosche, veranlassen Sie das Erforderliche.« Nun erhob sich Major Neal Iverson. »Oberst, können wir am Boden Unterstützung seitens der einheimischen Bevölkerung erwarten?« Langsam schüttelte Ree den Kopf. »Der Mann, der im Siriussystem die Regie hat, ist ein gewisser Ngen Van Chow. Eine ziemlich schillernde Persönlichkeit, aufgewachsen in der übelsten Gegend des Raumhafens. Er ist mehrmals wegen irgendwelcher Gesetzesbrüche angeklagt, allerdings nie schuldiggesprochen worden. Im Rückblick steht fest, daß man ihn aus allgemeiner Prävention hätte psychen sollen. Außer der Bombenattentate, für die man dem Direktorat die Schuld zugeschoben hat, werden wir jetzt der Beseitigung einer Führerin der revolutionären Partei bezichtigt, einer Frau namens Leona Magill, die mit der Koordination aller wissenschaftlichtechnischen Angelegenheiten der Revolte betraut gewesen ist. Im Ergebnis all dessen ist die gesamte Öffentlichkeit so auf die neue Lage eingestimmt worden, daß praktisch der ganze Planet bewaffnet gegen uns steht. Auch alle Gruppierungen, die vorher zum Direktorat tendierten, treten nun entschieden für die Revolution ein. Konservative Personenkreise haben entweder politisch kapituliert, oder sie sind eingesperrt worden.«
»Dann ist die Lage ernster als von uns erwartet.« In tiefer Nachdenklichkeit runzelte Neal die Stirn. »Und wie ist das Kräfteverhältnis im Raum? Liegen neue Erkenntnisse vor? Hat die Fernaufklärung sich auch in dieser Beziehung geirrt?« Ree verkniff die Miene. »Ja.« Stille folgte dem Bekenntnis. »Ursprünglich haben wir unterstellt, sie könnten nur die Hiram Lazar zu militärischen Zwecken umbauen. Aber mittlerweile haben unsere Agenten auf dem Planeten uns gemeldet, daß die Rebellen irgendwie genügend Toron aufgetrieben haben, um auch die Helk und die Dastar umzurüsten.« Er drehte sich einem Bildschirm zu. Die Wiedergabe eines kastenartigen Frachtschiffs erschien; aus den dunkelgrauen Rumpfseiten schössen starke violette Strahlen. »Dieses Holo der Hiram Lazar ist von unserer Fernauf -klärungs-Observationssonde aufgenommen worden. Wie Sie sehen, ist das Raumschiff einsatzbereit. Zudem haben spektrografische Analysen der Blasterstrahlen ergeben, daß die benutzten Blastergeschütze denen entsprechen, die vor mehreren Jahrhunderten die Bruderschaft verwendet hat.« Aus den Reihen der Offiziere, die um den Instruktionstisch saßen, ertönte ein kaum hörbares, gemeinschaftliches Schnappen nach Luft. »Sir.« Adam Chung meldete sich, indem er aufstand, zu Wort. »Ist es möglich, daß ... das in Wirklichkeit Raumschiffe der Bruderschaft sind? Wäre es denkbar, daß sie wieder aktiv wird?« Die Mienen waren grimmig geworden. Susan erkannte in ihnen Anzeichen der Furcht. Sie nahm sich vor, sich über die Bruderschaft zu informieren. »Nein.« Unmißverständlich schüttelte Ree den Kopf. »Wie sehr man sie auch verteufelt hat, als die Konföderation ihr Ende nahm, sie hätte niemals die Bevölkerung so diabolisch manipuliert, wie es allem Anschein nach
Ngen Van Chow macht. Das ist ihre Technik... aber nicht ihre Politik.« Eine sichtliche Bewegung der Erleichterung ging durch die Offiziere. Nur Rita und Eisenauge waren — zumindest äußerlich — unbeeindruckt geblieben. »Jedenfalls können wir infolge dessen nicht absehen«, fügte Ree hinzu, »wie der Empfang ausfallen wird. Und was das Kräfteverhältnis im All angeht... Tja, wer weiß? Nach den erhaltenen Informationen sind die Patrouillenschlachtschiffe Miliken, Toreon und Trutz in Marsch gesetzt worden. Sie haben ihren Kurs koordiniert und fliegen mit dreißig Ge, während wir das Siriussystem mit zwanzig Ge anfliegen. Wir dürften also zur gleichen Zeit eintreffen. Demnach ist das Verhältnis sechs zu drei. Wir müßten sie zu schlagen fähig sein, egal wie überlegen ihre Blaster sind.« »Heiliges Kanonenrohr ...!« flüsterte jemand. »Ein respektabler Flottenverband«, konstatierte Ree in nüchternem Ton. »Die Entwicklung ist längst viel zu weit gediehen. Ganz gleich, welche Maßnahmen das Direktorat gegen den Sirius ergreift, die Vorgänge werden starke Rückwirkungen auf unsere gesamte Zivilisation haben und sie vielleicht bis in die Grundfesten erschüttern.« Rita lehnte sich zurück. »Ich habe einiges von Leetas ... äh ... Dr. Dobras Fachliteratur gelesen. Anscheinend ist es im Lauf unserer Geschichte als Spezies immer so, daß eine Gesellschaft unweigerlich irgendwann eine ... sagen wir mal, eine gewisse maximale Dichte erlangt. Sobald dieser Punkt erreicht ist, kann offenbar, nichts, was irgendwer unternimmt, sie noch zusammenhalten.« Ihre Augen glitzerten. »Die Direktoren sind unglaublich intelligent. Sie sind speziell für die alleinige Aufgabe gezüchtet worden, das Gleichgewicht der menschlichen Gesellschaft zu garantieren. Die Sumerer, Assyrer, Hethiter, Babylonier, Griechen, Römer, Byzantiner, das Weltreich Großbritanniens, die Sowjets und die Konföderation sind
nach Erlangen der kritischen Masse alle zugrundegegangen. Jede dieser Gesellschaften degenerierte innerlich, und dann löste ein Katalysator eine soziale Reaktion aus.« Rita atmete tief ein. »Ich frage mich, ob in unserem Fall vielleicht die Romananer der Katalysator sind.« Über den Tisch hinweg trafen erschrockene Blicke sie. »Chester Armijo Garcia hat zu Skor Robinson gesagt, ohne die Romananer käme das Ende des Direktorats innerhalb von sechs Monaten«, ergänzte Ree ihre Worte. »Davon sind jetzt drei verstrichen. Die Romananer haben ...« »Sie messen diesen Barbaren zuviel Bedeutung bei«, behauptete Tory Jarowitsch auf ihre herablassende Weise. Ree würdigte sie keiner Antwort. Seine Offiziere hielten sich ebenso zurück. Susan knirschte mit den Zähnen. Dummes Weib! Was glaubte sie wohl, was ein Prophet wäre? Ein unwissender Wilder? »Eisenauge«, fragte Iverson, »was hat euer Volk, daß es bei all diesen Ereignissen eine solche Schlüsselrolle einnimmt? Wie soll...? Ich meine, euer demoralisierender Effekt auf die Sirianer schießt uns ja noch nicht ihre drei Kriegsschiffe aus dem Weg und erzwingt keine totale Blockade.« Eisenauges Miene blieb unverändert, als er die schwieligen Hände spreizte. »Ich weiß es nicht, Major. Spinne bestimmt über unser Schicksal. Wir sind nur seine Werkzeuge.« Tory feixte. Unter Susans Herz bildete sich bei diesem Anblick ein Klumpen Haß. »Weitere Fragen?« wollte Ree erfahren. Niemand meldete sich, und er beendete die Besprechung. Unverzüglich verließen sämtliche Anwesenden ihre Plätze, begannen durcheinanderzureden. Rita strebte sofort auf Tory Jarowitsch zu. »Einen Moment, Hauptmann Jarowitsch.«
Mit ausdrucksloser Miene wandte Tory sich um. »Ja, Majorin?« »Nur damit Sie’s wissen, ich bin zu wetten bereit, daß meine Romananer die Sirianer schneller in die Flucht jagen als die Soldaten der Viktoria.« Rita grinste. »Darauf würde ich fünftausend Kredits setzen.« »Fünftau ...« Tory sackte der Unterkiefer abwärts. »Das ist ja ein Jahressold.« »Daran sehen Sie, wie sicher ich mir bin. Wetten Sie ... oder nicht?« »Ich wette!« schnaufte Tory erregt, Begeisterung tönte ihr Gesicht rosig. »Susan ...« Rita wandte sich um. »Sorge bitte für allgemeine Bekanntgabe.« »Jawohl, Majorin.« Susan, vom Schlafmangel verhärmt, grinste naiv. »Das wird den Kriegern gefallen. Sie werden so viele Coups nehmen, daß man zum Abtransport ‘n Airmobil braucht.« »Glauben Sie?« Tory schenkte ihre Aufmerksamkeit Susan. »Daraus muß ich wohl schlußfolgern, daß Sie keine gute Meinung von unseren Patrouillensoldaten haben.« »Durchaus nicht, Gnädigste.« Susan schüttelte den Kopf; ihr gefiel Jarowitsch nicht, und noch weniger paßte ihr das hämische Schmunzeln auf ihren Lippen. »Weißt du, Rita hat die Wette zu einer Sache der Ehre gemacht. Die Krieger werden sie so ernst wie ‘ne Messerfehde nehmen.« »Messerfehde?« wiederholte Tory mit einem Auflachen des Befremdens. »Und was ist das?« Sie wölbte die Brauen. »Ein Duell auf Leben und Tod zwischen Personen, deren Ehre auf dem Spiel steht«, antwortete Susan. »Das ist ja köstlich.« Tory wandte sich an Rita. »Jetzt verstehe ich, weshalb Sie sie in ihrem Stab behalten. Sie hat ja beachtlichen Unterhaltungswert. Duell, wahrhaftig! Wie putzig.«
Susans Blut begann zu rauschen. »Susan, keine ...« Ritas Hand faßte sie an der Schulter. »Du Hexe!« Susans müdes Gemüt konnte sie nicht mehr mäßigen. »Dich sollte ich eigenhändig aufschlitzen!« »Susan/« Ritas Stimme durchdrang ihre Wut wie ein Peitschenhieb. »Verdammt noch mal! Jetzt nicht! Und nicht hier!« »Also wirklich.« Tory lachte. »Mich aufschlitzen? Dieses dünne Mädel? Ich kann mir richtig vorstellen, wie sie rohes Fleisch mampft.« Verstimmt gab Susan ein kurzes Auflachen von sich. »Entschuldigung, Majorin. Aber sie ist schon während der ganzen Sitzung, wie man so sagt, ein lästiges Stück Scheiße gewesen. Wäre sie nicht zu feige, würde ich ihr die Messerfehde schwören und ihr ein bißchen Anstand einritzen.« Rundum hatten sich Gaffer gesammelt. Eisenauge zwängte sich durchs Gedränge, dichtauf gefolgt von Ree. »Ich bin gerne bereit, Ihr Spielchen mitzuspielen«, entgegnete Tory gehässig, lachte über die Absurdität, die sie darin sah. »Also veranstalten wir deine Messerfehde.« Ihr Tonfall troff von Geringschätzung. »Muß ich vorher eine Spinne töten? Hmm? Schwarze Magie ausüben, um mir den Sieg zu sichern? Vielleicht um Mitternacht ‘ne Jungfrau opfern?« Nur Ritas rasches Eingreifen verhinderte, daß Susan der Frau einen gut gezielten Tritt versetzte. Hauptmann Tory Jarowitsch wich ruckartig zur Seite, während Rita und der Kriegshäuptling Susan trotz all ihres Wutgeheuls in die Knie zwangen. »Ten’shun!« brüllte Major Iverson mit voller Lautstärke seiner Lungen. Sämtliche Offiziere nahmen Haltung an, auch Rita. Eisenauge zerrte Susan hoch, knurrte ihr Drohungen ins Ohr.
»Was, zum Donnerwetter, hat denn das nun wieder zu bedeuten?« erkundigte sich Oberst Ree mit verkniffenem, gerötetem Gesicht. Tory wandte sich Ree zu und salutierte. »Ich bin beleidigt und tätlich angegriffen worden, Sir. Dieses ... Geschöpf hat sich abfällig über meine Person und meinen Rang geäußert und mich zum Messerkampf herausgefordert. Dann ist sie auf mich losgegangen.« »Wir stehen in Messerfehde«, fauchte Susan wie zu sich selbst, während ihr Körper das Adrenalin abzubauen anfing. »Sie hatte kein Recht, Spinnes Name durch den Dreck zu ziehen!« »Deinen Scheißgott?!« schnauzte Tory. »Pah!« Alle Umstehenden erstarrten. Ausschließlich Eisenauges stahlharten Armen, mit denen er Susan, die ins Toben verfiel, unnachsichtig festhielt, blieb es zu verdanken, daß sie Jarowitsch nicht umgehend an die Kehle fuhr. »Messerkampf?« krächzte Ree, als hätte er eine Kröte verschluckt. Er drehte sich nach Rita um, die bisher geschwiegen hatte. »Stecken Sie da auch mit drin, Majorin?« »Lediglich in der Hinsicht, daß ich mit Hauptmann Jarowitsch gewettet habe«, erteilte Rita in forschem Ton Antwort, »meine Romananer würden Ekrania eher bezwingen als ihre Soldaten die leichte Aufgabe bewältigen, die ben Achmad ihnen zugewiesen hat.« Markig salutierte sie. »Eisenauge«, maulte Ree, »du bist der Kriegshäuptling. Sag mir, was in dieser Situation korrekt ist. Ich kann nicht zulassen, daß die Romananer durch eine neue Messerfehde in ihrer Disziplinlosigkeit bestärkt werden... und ebensowenig darf ich dulden, daß jemand Verbindungsoffiziere beleidigt, die an meinen Einsatzbesprechungen teilnehmen.« »Die Messerfehde ist aufgehoben«, sagte Eisenauge durch zusammengebissene Zähne. Mit unerbittlicher
Härte glitzerten seine Augen Tory an; es kostete ihn offensichtliche Überwindung, seine Entscheidung bekanntzugeben. »Du wünschtest Kriegerin zu werden, Weib«, fügte er im etwas geschraubten Hochromanisch hinzu, als Susan Smith Andojar die Augen aufriß. »Wir beschreiten den Kriegspfad. Gestützt auf das Gesetz, erkläre ich die Messerfehde für nichtig.« Susan schluckte mühsam, aber nickte. Sie wandte sich an Hauptmann Jarowitsch und wiederholte die Zurücknahme auf Standard, Haß in ihren zu Schlitzen verengten Augen. Dann salutierte sie vor Ree und Sarsa und stapfte aus dem Saal. »Hauptmann ...« Ree schlug, während er Jarowitsch musterte, einen bösartigen Ton an. »Die Romananer nehmen ihre Ehre und ihren Gott sehr ernst. Und ich nehme ihre Ehre und ihren Gott auch ernst. Würden Sie wohl in Zukunft meinen Untergebenen den gleichen Respekt wie mir entgegenbringen? Dann kann ich meinerseits gewährleisten, daß sie auf meinem Schiff Ihre Position und Ihre Autorität respektieren.« Er deutete eine Verbeugung an und kehrte ihr den Rücken zu, wies Rita mit einem Wink an, ihm zu folgen. Mit rotem Kopf starrte Jarowitsch ihnen nach, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt. »Majorin«, fragte Ree, »warum hat Susan Smith Andojar Hauptmann Jarowitsch gedroht?« »Ich habe keine Ahnung, Sir.« Ree strich sich übers Kinn. »Während der Besprechung habe ich gemerkt, daß sie ... äh ... ziemlich wak-kelig auf den Beinen stand. Entweder war sie angetrunken, oder sie muß reichlich erschöpft gewesen sein. Was war der Fall?« »Ich weiß es nicht, Sir. Daß sie sich betrunken hat, bezweifle ich. Ihr einziges Laster ist anscheinend Limonade.« »Limonade?« fragte Ree verdutzt, offenbar etwas erstaunt über die Antwort.
»Auf Welt gibt’s keine Limonade, Sir. Für Romananer ist sie noch eine echte Novität.« »Das klingt ja ziemlich harmlos«, meinte Ree. »Also muß ich davon ausgehen, daß sie übermüdet gewesen ist. Schuftet sie sich zu Tode ... oder treibt sie zuviel Sport?« Rita erlaubte es sich, Ree eine Sekunde lang verdrossen anzuschauen. »Ich versuche dafür zu sorgen, daß das Mädchen eine ausreichende Bildung und Ausbildung erhält. Sie hat einen straffen Arbeitsplan, um einen Ausgleich für ihre unzulänglichen Voraussetzungen zu schaffen.« Ree stieß ein Brummen aus und legte die Stirn in Falten. »Die Romananerinnen sind der Abschaum der atlantischen Gesellschaft. Ich kenne Sie, Rita. Sie sind eine kämpferische Natur. Sie haben bei Ihren Zöglingen eine Ungerechtigkeit festgestellt, und Sie würden über Leichen gehen, um sie zu beseitigen.« Er erstickte ihren Widerspruch im Ansatz, indem er die Hand hob. »Sie ist eine gescheite, sehr motivierte junge Frau, Majorin. Gelegentlich sollten Sie sie auch mal loben. Bestimmt wird sie sich dann um so mehr...« »Wenn sie scheitert, wird’s ein Fehlschlag stellvertretend für sämtliche romananischen Frauen«, erwiderte Rita hitzig. »Die Männer werden’s zu Hause überall erzählen. Sie muß sich unbedingt perfekt bewähren.« Sie betonte ihre Auffassung durch ein Schütteln der geballten Faust. »Sie wissen, welches Schicksal junge Mädchen auf dem Planeten erwartet. Sie haben keinen höheren Stellenwert als Vieh. Sie geben Sklaven des Clans, der Familie, der Krieger und sogar der Kinder ab. Bei Kriegszügen gehören sie zur Beute, sie sind nur Lustobjekte der...« Ree schob das Kinn nach vorn. »Und hätten wir nicht das Glück gehabt, daß Eisenauge sie aus dieser Messerfehde-Sache noch einmal herausholen konnte? Was dann? Tory hätte sie kaltgemacht. Jarowitsch ist kein ...kein Romananer. Sie hätte Susan derartig zerschnippelt, daß die
Bordklinik sie nicht mehr hätte zusammenflicken können. Tory ist eine Profi-Soldatin.« »Das Leben ist voller Risiken«, murrte Rita trotzig. »Aber vermeiden Sie überflüssige, zusätzliche Risiken«, sagte Ree barsch. »Ich mag die Kleine. Ich bewundere die Courage, mit der sie sich so beharrlich gegen die Traditionen ihres Volkes behauptet... Und das sollten Sie ebenso halten.« Er deutet mit dem Finger auf Ritas Brustkorb. »Hören Sie auf, sie dermaßen unter Druck zu setzen, Sarsa! Sonst kriegen Sie mit mir solchen Ärger, daß Sie glauben, ‘n Meteor hätte sie getroffen.« »Jawohl, Sir.« Rita nahm Haltung an und salutierte. Sie schielte kurz im Saal rundum und zwang sich zu einem würdevollen Abgang. Es dauerte noch eine Stunde, bevor Ree Kriegshäuptling Eisenauge von Mosche Raschids Stabskarten weglotsen konnte. »Was nervt denn Sarsa derartig?« fragte er. »Irgend etwas an Susan bringt sie völlig unverhältnismäßig in Rage.« »Susan hätte bei ihrem Volk bleiben sollen.« Eisenauges Gesicht hatte die Starre einer Maske der Undurchschaubarkeit angenommen. »Jetzt komm mir nicht auch auf so eine Tour«, entgegnete Ree enttäuscht. »Was soll denn mit dem Mädchen nicht stimmen? Sie übertreibt ‘n bißchen, aber sie ist in Ordnung. Ich habe sie beobachtet, John. Auf diesem Schiff gibt’s zwei Personen, die sie verehrt — dich und Rita. Und gleichzeitig lehnt ihr beide sie ab. Aber jedesmal, wenn ihr denkt, ihr hättet sie endlich so heruntergemacht, daß sie aufgibt, tritt sie neu an, um sich durchzusetzen. Was muß denn erst noch passieren?« Als er verstummte, zeichneten sich an Rees Kinn fest und hart die Kiefermuskeln ab. Eisenauge schwieg. »Ach, verdammt, wozu rede ich überhaupt?« Resigniert streckte Ree die Hände in die Höhe. »Geh an deine Planungsangelegenheiten zurück. Aber du solltest ruhig
mal darüber nachdenken.« Ratlos hielt er nach dem Spendeautomaten Ausschau. *
*
*
Susan zwinkerte sich heiße Tränen aus den Augen, während sie den Niedergang hinabstampfte. Aufgrund der Weise, wie ihr Kopf glühte, wußte sie, daß ihr die Scham im Gesicht geschrieben stand. Vor der Tür zur Unterkunft zögerte sie. Obwohl sie sich ausgelaugt und niedergeschlagen fühlte, mochte sie aus Stolz nicht ohne weiteres klein beigeben. Verdammt noch einmal! Weshalb mußte alles so schwierig sein? Ihr eigener Geist gehörte ihr nicht mehr. Er war zu einem fremden Ding geworden. Doch Susan Smith Andojar mußte mehr als eine Anhäufung willkürlich angeordneter Fakten verkörpern. Wer war sie? Sie drosch die Faust gegen die Tür und hastete aufgewühlt durch den Korridor in eine andere Richtung. Hans schlief fest und tief in seiner Koje, als sie eintrat. Sie hockte sich zu ihm und rüttelte ihn behutsam an der Schulter, statt ihn, wie sie es aus Ungeduld gern getan hätte, gewaltsam aus der Koje zu wälzen. »Hä?« nuschelte er, blickte benommen hoch. Sobald seine Augen Susan erkannte, sperrte er sie weit auf. »Susan? Was ... ahm ... ist... äh ...« Sein Mund zuckte mehrmals, doch kein Wort kam mehr heraus. Nervös schaute er sich um, bemerkte die neugierigen Blicke, die seine Kameraden aus dem benachbarten Bereitschaftsraum des Geschützdecks herüberwarfen, und wurde im Gesicht knallrot. »Hans, ich muß mit jemandem reden«, zischelte Susan. »Du bist der einzige Bekannte, an den ich mich wenden
kann. Freitag hat Dienst... und ich weiß nicht... Ich bin mir nicht sicher, ob er mich verstehen würde. Können wir irgendwo hingehen?« Sie sah sich nach den Männern um, die sie anzuglotzen begonnen hatten. »Äh ... ja ... sicherlich.« Hans raffte sich empor und zog die Uniformjacke an. Beiläufig fiel Susan auf, wie aufgeregt er reagierte. Sie setzten sich in einer der Beobachtungskuppeln des Geschützdecks zusammen. Hinter einem Spektro-meter ließ Susan sich schlaff hinsinken und bemühte sich ums Ordnen ihrer Gedankengänge. Ihr Gemüt befand sich in vollständiger Konfusion. Bedrückt stützte sie den Kopf in die Hände. »Du siehst total schlapp aus, Susan«, sagte Hans leise; er war verwirrt, wußte nicht, was als nächstes an die Reihe kommen sollte. »Wo bist du gewesen? Wir sind uns wochenlang nicht begegnet.« »Nachdem Freitag bei dem Zweikampf verletzt worden war, hat Rita meinen Ausbildungsplan aufgestockt. Für irgendwas anderes als lernen hatte ich überhaupt keine Zeit.« Sie betrachtete ihre Hände, bewegte langsam die Finger. »Ich habe dich in der Sporthalle gesehen. Die Gerüchte besagten, daß ... äh ... Gelbes Bein ... ahm ... dein Freund wäre.« Hans versuchte zu lächeln, doch seine Lippen brachten nur Zuckungen zustande, Panik stand ihm in den Augen. »Er ist...« Susan verstummte mit einem Achselzukken. »Ich weiß nicht, was er ist. Er hat mich am Leben gehalten. Für meine Ehre gekämpft. Mir geholfen, zu werden, was ich heute bin, was das auch immer sein mag.« »Wie meinst du das?« rief Hans verdutzt, vergaß seine Nervosität. »Du weißt doch genau, wer du bist. Ich weiß es auch. Du bist Susan.« »Und wer ist Susan?« fragte sie. »Ich kann mich an
manches nicht mehr erinnern.« Sie hob die Hand. »Siehst du diese Narbe? Ich weiß, wie ich sie mir zugezogen habe. Ich meine, ich weiß, daß ich es weiß ... aber ich weiß es nicht mehr.« Hans begriff sie sofort; gedehnt atmete er aus. »Ach, du hast dich zu lange mit den Unterrichtsgeräten abgegeben.« »So?« »Tja, alles hat seinen Preis. Schlafstimulation und dauernder Gebrauch des Kontaktrons zu Lernzwecken können solche Folgen haben. Du mußt dir das so vorstellen: Seit der genauen Kartografierung des Gehirns besteht die Möglichkeit, es direkt zu unterrichten. Ich meine, denke mal daran, wie du lernst. Du siehst etwas, der Sehnerv wird gereizt, ein bestimmter Teil deines Hirns speichert das Gesehene. Die Synapsen bilden es zu Erinnerung um. Die Unterrichtsanlage verfährt durch die Kommu ebenso, bloß ohne vorherige Zwischenschaltung deiner Sinne. Statt dessen wird beliebigen Synapsen ein elektromagnetisches Muster aufgeprägt. Schwupp, augenblicklich hast du ‘ne neue Erinnerung.« »Und wieso kann ich mich nicht mehr entsinnen, woher ich diese Narbe habe?« »Die Erinnerung ist vorhanden, aber du kommst nicht mehr dran. Teile der Synapsenanordnung sind überschrieben worden.« Hans runzelte die Stirn. »Weißt du, es läuft so: Das Kommu-Kontaktron spricht einen zufallsabhängigen Großteil freier Synapsen an und prägt ihnen Informationen ein. Werden zu schnell zu viele Informationen übermittelt, fängt sie unter den übrigen Synapsen zu selektieren an, sie überschreibt die Erinnerungen, die den unwichtigsten Eindruck hinterlassen. Was heißt >unwichtig< in diesem Zusammenhang? Es sind die, die am seltensten abgerufen werden, so daß diese Synapsen den unbeanspruchten Synapsen ähnlich sind.«
»Ach, das ist ja wunderbar.« Susan stöhnte auf. »Nicht nur, daß ich verrückt werde, ich verliere obendrein mein Selbst.« »Nein, nein, das geht nicht. Außer man benutzt die großen Psychingapparate. Die Unterrichtsgeräte beeinflussen weder Denken und Persönlichkeit, noch das Wahrnehmungsvermögen oder Verhalten... nur manchmal das Gedächtnis, wenn dem Gehirn zuwenig Zeit bleibt, um alles richtig zu sortieren und sich die beim Lernprozeß entstandenen, neuen Ordnungssysteme zu merken. Wir gebrauchen nur einen kleinen Teil unseres Hirns.« »Und das ist der Grund, wieso ich so schnell lerne?« Susan stützte das Kinn in die Hand. »Da wird man — mir nichts, dir nichts — zum Genie ... Im Tausch gegen ein paar belanglose Erinnerungen. Kein Wunder, daß ich durchdrehe.« »Daß du durchdrehst?« »Vorhin bin ich aus dem Planungssaal gekommen. Ich wollte der Verbindungsoffizierin der Viktoria die Messerfehde schwören. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen placke ich mich mit dem Lernen ab. Ich sehe dich nicht, ich sehe Freitag nicht, ich sehe bloß die Bilder, die diese gottverdammte Maschine mir in den Kopf projiziert!« Sie hatte das Empfinden, als müßte sie wieder die Beherrschung verlieren; in der Hoffnung, daß der Schmerz ihr einen Bezugspunkt gab, der sie daran hinderte, wie ein Kalb zu blöken anzufangen, biß sie sich in den Finger. Hans rückte näher und schlang einen Arm um sie, zog sie an sich. »Hör auf, beruhige dich. Mit dir ist nichts Kritisches los. Ich bin Unteroffizier Hans Yeager, entsinnst du dich? Der Mann, der alles reparieren kann. An einem romananischen Mädchen habe ich mich noch nie versucht, aber ich glaube nicht, daß deine Schaltkreise zu kompliziert sind, um sie zu verstehen ...« Plötzlich stockte er und lachte laut über sich selbst.
»Meine Güte, wer soll mir denn das abnehmen? Ich liefere doch die Lacher für fünf Decks.« Sein sarkastischer Tonfall bewog Susan zum Aufblicken. »Inwiefern?« Hans zog, auf einmal verlegen, seine Arme zurück. »Ach, äh ... weißt du, es ist so ... Ich habe mit Tony — Tony in der Kommu — ‘ne Abmachung getroffen. Er läßt mir den Vortritt bei jedem Mädchen im Schiff.« Er erhob sich und drehte ihr gesenkten Kopfs den Rücken zu. »Das einzige Problem ist, mir fehlt der Mumm, um eins anzusprechen. Sobald ich’s versuche, bin ich gehemmt und bringe kein Wort mehr raus. Weißt du, genau wie an dem Tag im Quartier der Majorin.« »Ich habe mit dir Limonade getrunken«, erinnerte sich Susan versonnen. »Ich war froh, mit dir reden zu können. Mein Eindruck war, daß du dich tadellos mit mir unterhalten hast... Du bist gesprächiger als ich gewesen.« Hans nickte, wandte sich ihr wieder zu, ein sonderbares Grinsen im Gesicht. »Das ist es ja eben. Du hast keine Ahnung, wie ich mich da ins Plaudern hineinsteigern mußte. Kann sein, es hat deswegen geklappt.« »Du sprichst doch auch jetzt völlig normal mit mir.« Er zögerte, furchte die Stirn. »Ja, wahrscheinlich. Aber das ist so, weil... weil du eine Schwierigkeit hast. Ich versuche dir behilflich zu sein ... Wieso reden wir dann eigentlich über mich?« »Vielleicht haben wir jetzt unsere Verständigungsebene gefunden.« Susan stieß ein schweres Seufzen aus. »Ich kann weder der Majorin irgendwas richtig machen, noch Eisenauge. Ich weiß nicht mehr, was ich tu. Und nun erklärst du mir, daß mein Verstand gar nicht mehr mein alter Verstand ist. Ich bin mir nicht mehr sicher, daß ich durchhalten kann, Hans. Weißt du, was das für mich bedeutet, wenn ich’s nicht schaffe? Daß ich zurück nach Welt muß, mein Clan mich verheiratet, ich schwan-
ger werde und für den Rest meines Lebens wie ein Insekt unter Glas in ‘ner Hütte festsitze.« Hans nahm wieder an ihrer Seite Platz. »Was geht denn schief? Was glaubst du, in welcher Hinsicht es nicht klappt?« »Ich kann nicht schnell genug genügend lernen. Und nach dem, was du mir eben gesagt hast, weiß ich nicht mal, ob ich’s überhaupt noch will. Manchmal erzählt Rita mir von anderen Frauen, wie von Dr. Dobra, die ... Was ist dir?« Hans’ Haltung hatte sich versteift. »Ich habe Dr. Dobra gekannt. Eines schönen Tages, den ich lieber vergessen würde, hatte ich sie vor meiner Blastermündung stehen.« »Für Rita und Eisenauge ist sie fast so etwas wie eine Heilige. Ich habe sie nur ein paarmal gesehen, als sie die Siedelei besuchte. Was war sie für ein Mensch?« Nervös lachte Hans. »Eine starke Frau! Bevor die Santos sie entführten, war sie allerdings eine völlig andere Person. Dann kam der Tag, an dem wir sie gefunden haben ... Fast hätten wir sie umgelegt, weil wir dachten, sie wäre auch bloß so ‘n Romananer, wir... Ach, ahm ... Entschuldigung, das war jetzt wohl...« Er wurde rot. »Weiter.« »Tja, sie war echt raffiniert. Sie hat Kapitän Helstead, den Oberst und die Romananer allesamt in die Tasche gesteckt. Rita hat die Truppe ausgebildet, aber Dr. Dobra war sozusagen das Gehirn.« Hans nickte. »Jawohl, das Gehirn. Sie hat immer alles ganz gründlich durchdacht. Sie hatte sich überlegt, was der Oberst wohl am liebsten von ihr hören würde, und damit hat sie ihn geködert. Und das gleiche hat sie mit den Romananern gemacht. Und während der gesamten Zeit, in der sie Eisenauge in unserem ST durch die Gegend flog, kam uns nie der Verdacht, sie könnte in ihn verknallt sein. Eine außerordentlich bemerkenswerte Frau.«
»Kannte sie Tricks der Bruderschaft?« fragte Susan unvermittelt. »Der Bruderschaft? Nein, das bezweifle ich. Woher weißt du von der Bruderschaft? Sie ist beinahe mehr so etwas ähnliches wie ‘ne Sage. Ich glaube, die meisten Informationen, die sie betreffen, unterliegen der Geheimhaltung.« »Geheimhaltung?« wiederholte Susan sinnend. »Was würde ich geben, um diese Informationen mal einsehen zu dürfen ... Ich dachte, die Bruderschaft wäre nur eine politische Bewegung in der Konföderation gewesen. Warum bringt ihr noch heute jeder soviel Ehrfurcht entgegen?« Wachsam blickte sich Hans um, bevor er sich näherbeugte. »Sie war viel mehr als lediglich ‘ne politische Richtung. Ihre Raumschiffe grenzten an Magie. Ihre Technik war überragend ... Besser als alles, was uns heutzutage zur Verfügung steht. Sie hatte in der Konföderation nicht einmal Sitz und Stimme, aber wenn sie etwas sagte, brachte sie ganze Raumsektoren zum Rotieren ...« »Sie hatte also eine besondere Macht? Was es wohl...?« Susan fing an zu grübeln, und ihre Stimme verklang. »Ich glaube, ich werde einfach mal in den Datenbanken nachforschen und ...« »Na, dann mal viel Glück.« Beunruhigt lachte Hans auf. »Die Informationen sind als geheim eingestuft — habe ich eben erwähnt, erinnerst du dich? —, und die Dateien sind entsprechend gesichert. Nimm’s mir nicht übel, aber jemand, der erst vor ‘m Monat lesen gelernt hat, ist mit dem Knacken von Sicherheitscodes schlichtweg überfordert. Wenn du diese Dateien abzurufen versuchst, blinken auf der Kommandobrücke sämtliche roten Lämpchen.« »Wer kann mir denn darauf Zugriff verschaffen? Der Oberst?« Susan hatte das Gefühl, daß ihr Verstand wieder einwandfrei funktionierte, und zum erstenmal seit langem
stand sie vor einem konkreten Problem. Einige der Tausende von Fakten, mit denen sie ihr Gedächtnis vollgestopft hatte, lieferten ihr Hinweise auf die Wichtigkeit dieser Angelegenheit. »Schon möglich.« Nachdenklich verkniff Hans die Augen. »Ich habe nicht den kleinsten Schimmer, was alles in der Kommu schlummern könnte. Vielleicht ist manches nicht durch die normalen Programme der Bordcomputersysteme zugänglich. Andererseits ist die Projektil über dreihundert Jahre alt. Man kann nicht sagen, was möglicherweise noch in den alten Speicherbänken steckt.« »Ich nehme an, wenn ich versuche, diese Sachen an meinem Terminal abzurufen, löse ich irgendeinen Alarm aus?« Mittlerweile fühlte Susan sich wohler. »Mit Sicherheit. Dir fehlen einfach die Vorkenntnisse. Ich bin nicht mal sicher ob’s mir gelänge, ‘s hinzubiegen ... Und dabei befasse ich mich schon jahrelang mit solchem Zeug. Ich... Woran denkst du? O nein! Hn-nh...! Susan, diese Daten sind geheim.« Langsam schüttelte Hans den Kopf, schaute sich verstohlen auf dem Geschützdeck um. »Hans«, sagte Susan exaltiert und mit leuchtenden Augen, »denk doch nur, das ist vielleicht ‘ne Möglichkeit, um sie mal zu sichten. Du kannst es bestimmt schaffen.« »Und ich kann mir damit knallhart die Laufbahn versauen«, jammerte Hans. »Mit ‘ner Degradierung vom Unteroffizier zum ... zum Latrinenwart.« Susan schenkte ihm ein Lächeln, von dem sie hoffte, daß es ihr möglichst betörend gelang. »Hans, du sagst, du weißt nicht, wie man mit Frauen umgeht, stimmt’s? Wie wär’s, wenn wir ‘ne Vereinbarung treffen? Ich bringe dir bei, dich im ganzen Leben nicht mehr vor irgendeiner Frau zu fürchten, und du zeigst mir, wie man aus Computern geheime Informationen klaut.« Begeistert klatschte sie in die Hände.
Er holte tief Luft, blähte beim Ausatmen die Wangen. »Lebenslang Junggeselle zu bleiben wäre immer noch besser, wenn du mich fragst, als ‘n halber Tag vorm Kriegsgericht.« »Hans«, sagte Susan schmeichlerisch, ergriff seinen Arm und lehnte sich vertraulich an seinen Oberkörper, »niemand auf dem Geschützdeck würde sich je wieder lustig über dich machen. Wär’s dir lieber, ich müßte alles hinschmeißen? Willst du mir nicht dabei helfen, zu erfahren, weshalb die Bruderschaft solche Macht hatte?« »Ich weiß nicht«, murmelte er, als spräche er mit sich selbst, fing bei ihrer Berührung zu zittern an. »Hör mal, mir ist klar, daß ich keine Schönheit bin, aber...« Heftig unterbrach er sie. »Soll das ‘n Witz sein?! Die Hälfte aller Männer auf diesem Schiff gäbe allerhand dafür, dich näher kennenlernen zu können. Bloß nehmen sie an, daß Freitag Gelbes Bein ‘n Vorrecht hat. Mein Gott, Susan, sogar jetzt, in diesem Zustand, in deiner Erschöpfung, bist du die schönste Frau an Bord!« Ungläubig blinzelte sie ihn an. »Das hast du nett gesagt, Hans, aber so leicht bin ich nicht an der Nase rumzuführen. Ich weiß, daß ich ...« »Hast du schon mal bemerkt, wie die Männer dir nachgaffen, wenn du durch ‘n Korridor gehst? Ist dir je aufgefallen, wie viele dir zulächeln? Dir Türen öffnen? Dir in der Sporthalle beim Zusammenräumen helfen?« »Ja, aber ...« Verblüfft verstummte Susan mitten im Satz. »Ich ... ich dachte, es wäre bloß ... aus Höflichkeit.« »Es hat auch einen anderen Beweggrund«, erläuterte Hans ernst. »Und sie tun’s ebensowenig bloß, weil du die einzige Romananerin des Schiffs bist.« »Und warum weist du mich dann ab?« fragte Susan schnippisch. »Haben wir jetzt eine Vereinbarung — oder nicht?«
»Und was ist mit Freitag?« wollte Hans in plötzlicher Skepsis wissen. »Nach dem Messerkampf mag sich niemand der Besatzung mit ihm anlegen. Ich möchte meine Därme auch lieber da lassen, wo sie sind, dankeschön. Pferdefänger muß noch in der Bordklinik bleiben, voraussichtlich sogar bis nach der Ankunft im Siriussystem. Es mag ja sein, daß Dolche in der heutigen Zeit keine so lebensgefährlichen Waffen mehr sind, aber wer hat schon Lust, sich mit den Schmerzen rumzuquälen?« »Was mit Freitag ist?« meinte Susan, ging ein wenig auf Abstand, um Hans in die Augen schauen zu können. »Er ist mein Freund. Für das, was er für mich getan hat, schätze ich ihn sehr, und ich werde ewig in seiner Schuld stehen. Das bedeutet aber nicht, daß ich sein Eigentum wäre. Du bist auch mein Freund. Sicher, du warst nicht dabei, als ich meinen ersten Coup nahm. Aber du bist jetzt da. Jetzt möchte ich eine andere Trophäe erringen ... Und es ist ein Risiko damit verbunden, na klar, Hans. Das Risiko ist ein Bestandteil jedes Spiels. Spinne gedeiht durch Risiken. Männer und Frauen lernen durch Gefahr. Also riskiere nun was mit mir. Wir können uns große Ehre ...« »Es könnte auch ein großes Unheil geben«, murmelte Hans. »Dadurch wird die Ehre nur um so größer.« Susan verzog ungnädig das Gesicht. »Sind im Direktorat alle Männer so bang?« »Ich bin nicht bang«, widersprach Hans mit Nachdruck. »Ich kann alles leisten, was jeder Mann kann. Man könnte fast meinen, du hältst mich für einen Feigling!« »Selbstverständlich bist du kein Feigling.« Susan lächelte, als sie den richtigen Ansatzpunkt fand. »Deshalb wirst du mir natürlich helfen. Nur ein Feigling würde sich weigern.« »Es versteht sich doch von selbst, daß ich dir helfen werde ... Ich werde ...« Hans Yeagars Gesicht verfärbte
sich rötlich. Er schwieg nur kurz. »Ach, verdammt, du bist derart schlau, daß wir vielleicht sogar damit durchkommen. Wieso interessierst du dich ausgerechnet für die Bruderschaft?« Diesmal schob er sie ein Stück weit von sich, forschte in ihren Augen. »Vor einer Viertelstunde warst du noch voller Selbstmitleid wegen deiner Schwierigkeiten, und jetzt schwärmst du auf einmal von der Bruderschaft. Was macht sie für dich so wichtig?« Susan spitzte die Lippen, las aufmerksam in seiner Miene. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich’s dir verraten soll.« »Na hör mal, wir haben uns doch gerade zusammengetan«, erinnerte Hans sie, wobei er die Stirn noch stärker runzelte. »Ja, wenn du mich auffliegen läßt, lasse ich dich auffliegen«, sagte Susan und nickte. »Na schön. Wir haben Fotos des größten sirianischen Kriegsschiffs vorliegen. Den Holos zufolge verfügen die Sirianer anscheinend über einen speziellen Typ von Blaster. Die Offiziere der Auswertung sind der Ansicht, er basiert auf einem früheren Modell der Bruderschaft.« »Susan, ich ... ich bin auf Frontier geboren worden.« An ihrem begriffsstutzigen Blick merkte er, daß sie ihn nicht verstand. »Das war die Heimatwelt der Bruderschaft«, stellte er klar. »Für uns dort sind ihre wunderbaren Erfindungen keine Mythen. Sie gelten als verlorenes Erbe. Wenn die Sirianer Bruderschafts-Blaster besitzen — oder bloß schlechte Kopien davon —, dann steht der Projektil ein echter Schlamassel bevor.«
12 Sekunden bevor die Holo-Bilder vor Chester Armijo Garcia aufflimmerten, hob er den Blick von seiner Lektüre. Freundlich nickte er, zeigte sich gegenüber Skor Robinson besonders aufmerksam. Endlos versetzten die aufgequollenen Schädel der Direktoren ihn immer wieder ins Staunen. »Die Sirianer haben eine neue Waffe«, konstatierte Robinson ohne alle formellen Floskeln. »Du meinst den Blaster.« Chester nickte, die Lippen zu seinem permanenten Lächeln verzogen. »Warum hast du uns nicht gewarnt?« schnauzte Sem-ri Nawtow, Feindseligkeit in den winzigen Schweinsäuglein. »Es wäre wohl abgedroschen, darauf zu antworten, daß niemand mich gefragt hat. Aber die Wahrheit ist, daß viele Dinge sich nicht vorhersehen lassen. Denkt an die Cusps, Direktoren. Die Zukunft ist ein Irrgarten. Stellt euch einen Wald vor, in dem die Baumwipfel in-einanderragen, Lianen alle Zweige zu einem undurchschaubaren Gewirr verflechten. Malt euch eine Darstellung eines dieser Bäume aus. Stellt euch an eine Wurzelspitze. Da liegt in der Vergangenheit eure Geburt. Indem ihr euch die Wurzeln hinaufbewegt, ein Weg den anderen kreuzt, gelangt ihr schließlich in den Stamm, der die Gegenwart repräsentiert. Wenn ihr vom Stamm nach oben blickt, seht ihr nach allen Seiten viele dicke Äste abstehen. Diese Äste verkörpern die Zukunft. Entscheidet euch für einen Ast, und eure einzigen Optionen sind die Zweige dieses Asts. Jede Option bedeutet einen Cusp. Oder werdet ihr euch an einer Liane auf einen ganz anderen Baum hinüberhangeln? Kann ich vorher wissen, welche Entschlüsse ihr fällt? Kann ich raten, welches Blatt euer Ziel ist? Nein.« Friedlich lächelte Chester, glättete den edlen arcturischen
Stoff auf seiner Brust. »Das ist freier Wille. Spinne — oder Gott, wenn man will — beeinflußt den freien Willen nicht. Ich habe euch schon gesagt, daß er ihn — ganz im Gegenteil — sorgsam schützt. Unternähme ich einen Versuch, das Blatt zu sehen, das euer Ziel ist, würde mein Geist sich so tief zwischen den Zweigen verirren, daß ich den Rückweg zu euch nicht mehr fände. Dann befiele mich der Irrsinn, den ich schon oft erwähnt habe. Wenn Gott den freien Willen nicht antastet, sollte ich es mir erlauben?« »Dein Gefasel ist eine Unverschämtheit«, sagte An Roque mit seiner leblosen Stimme. Chester spürte den Haß, den der Direktor auf ihn empfand. Die vernunftwidrige Kraftentfaltung der Emotion bewog ihn zu einem kurzen Schweigen; er empfand Bedauern für den Mann. »Wäre es euch lieber, ich belöge euch?« fragte Chester mit aller Zurückhaltung. »Ich werde euch alles sagen, was ich kann, solang’s nicht meine geistige Gesundheit oder meine Integrität gefährdet. Laßt uns den Aufwand der neuen Drohungen sparen, Direktoren, die ich von euch voraussehe. Sie sind nutzlos. Wenn’s euer Wunsch ist, tötet mich. Der Tod ist nichts. Er wartet überall beiderseits unseres Wegs, ein Cusp bringt uns ihm näher, ein anderer entfernt uns von ihm. Statt dessen solltet ihr eure Motive prüfen und etwas über euch selbst lernen. Wie ich erfahren habe, ist es an der Universität zu Unruhen gekommen. Im Gulag-Sektor wird verstärkte Schmuggelaktivität beobachtet. Ihr seid unsicher, welche Bedeutung das Angebot Refugiums an die Romana-ner hat. Rings um euch erblickt ihr nichts als Durcheinander. Ihr seid Druck ausgesetzt. Was lernt ihr dabei über euch?« Skor Robinson hatte die Lider halb geschlossen. »Wir sitzen in der Klemme, Prophet. Du mußt uns lehren, was wir brauchen.«
»Er wird uns lehren, wie wir geradewegs Selbstmord begehen«, behauptete Roque gallig. »Wir sollten ihn liquidieren.« Chester unterband weitere Ausfälle, indem er die Hand zu einer Geste der Beschwichtigung hob. »Direktor Roque, du neigst zur Unvernunft... Der Verlust deiner Kontrolle über Respit macht dich irrational. Sei vorsichtig in bezug auf deine Emotionen, Direktor, deinesgleichen ist so etwas nicht gewohnt. Gefühle zählen zu den stärksten Kräften im Universum. Bezähmt man sie, führen sie zur Größe ... Bleiben sie ungebändigt, können sie dich in unsinnige, beklagenswerte Destruktion stürzen.« Roques ballonähnlicher Kopf lief langsam rot an. »Roque!« fauchte Robinson unter gehöriger Beanspruchung seiner degenerierten Stimmbänder. Robinsons und Nawtows Augen war anzumerken, daß sie innerhalb ihrer hochkomplizierten Computerkonnektio-nen in hektischer Kommunikation standen. Roque schloß die Augen, nahm einen tiefen Atemzug, der seinen schmächtigen Brustkorb dehnte, und atmete aus. Nach Minuten des Schweigens schlug er die Augen wieder auf und warf Chester einen bösartigen Blick zu. »Direktor...« Chester verbeugte sich. »Durchdenke einmal das, was gerade geschehen ist. Beachte, wie dicht du davor gestanden hast, blinder Wut zu erliegen. Stelle objektive Überlegungen über die Tragweite der eben erlebten Gefühlsregungen an. Zu was hätten sie dich verleitet?« Sein Blick hielt Roques Stieren stand, doch seine Stimme klang von Satz zu Satz immer sanfter. »Welche Veränderungen hättest du damit in der Gesellschaft ausgelöst?« Roques Gesicht zitterte merklich, ehe sein Holo erlosch. Robinson und Nawtow ließen die Lider sinken, um intensiv zu kommunizieren. Skor beendete den Vorgang als erster, öffnete die kleinen, blauen Augen und
musterte Chester. Eine Sekunde später tat Nawtow das gleiche. »Du spielst mit der Gefahr.« Robinsons Stimme quäkte brüchig. »Fordere ihn nicht heraus. Wir sind nur um Haaresbreite einem Desaster entgangen.« Chester neigte den Kopf. »Es war ein Cusp, Direktoren. An Roque ist von euch am wenigsten menschlich. Ich bin ein Lehrer, und ihr habt mich zu euch geholt, um zu lernen. Ich habe ihm die Rudimente einer allen Menschen gleichermaßen gegebenen Waffe gezeigt. Einer Waffe, die ihr zwar besitzt, aber so gut wie nicht begreift. Ihr seid darauf konditioniert worden, leidenschaftslos und objektiv zu regieren, in völliger Entfremdung vom konkreten Dasein der Menschen. Ihr lebt in völliger Absonderung von der Menschheit. Euer Umgang mit anderen Leuten erfolgt durch Kommu-Vernetzungen und Dechiffrierungen des Giga-Verbunds. Die Antriebsgründe des Handelns gewöhnlicher Menschen bleiben euch unnachvollziehbar.« »Aber Roques Reaktion war... war unlogisch«, stellte Nawtow fest. »Minutenlang hat er sich völlig irrational verhalten, war er von nichts als dem Willen besessen, dich zu vernichten. Hätte er es getan, wäre es zu einem Bruch in der gesamten weiteren Entwicklung unserer Zivilisation gekommen. Steht uns denn eine Ära des Wahnsinns bevor?« »Nein, Direktor Nawtow.« Knapp schüttelte Chester den Kopf. »Es war lediglich erforderlich, euch die Stärke und formative Kraft des Gefühls zu verdeutlichen. Ngen Van Chow, Damen Ree, die Romananer und auch die Sirianer werden alle auf die gleiche Weise wie vorhin Roque motiviert. Wir stehen keineswegs an der Schwelle einer Epoche des Wahnsinns, auch wenn du vielleicht diesen Eindruck gewinnst. Wir stehen am Übergang in ein Zeitalter der Leidenschaft.« »Leidenschaft?« wiederholte Skor Robinson. »Emotionen? Ist das nicht das gleiche?«
»Sind Ziegelsteine und Mauern das gleiche?« entgegnete Chester. »Leidenschaft ist kanalisierte Emotion ... So wie eine Mauer aus aufgeschichteten Ziegeln zusammengefügt ist. Begreifst du, was ich damit...?« »Und das Leben der Menschen wird von solchen Leidenschaften bestimmt?« Nawtows Krächzstimme zeugte von Ungläubigkeit. »Je weiter Menschen sich vom wirklichen Leben entfernen, Direktor, um so weniger wissen sie von Leidenschaft.« ehester zuckte andeutungsweise die Achseln. »Euer Direktorat hat versucht, die Menschen von sich selbst und den grundsätzlichen Antrieben, die auszuleben sie doch geboren werden, zu isolieren. Liebe, Haß, Eifersucht, Schuld, Neid, Rache, Gerechtigkeit, Freiheit, Ansehen, Macht und andere grundlegende Triebfedern des Seins sind nun einmal nicht rationaler Natur. Trotzdem üben sie mehr Einfluß als der reine Intellekt aus.« »Weshalb gibst du uns diese Erläuterung?« fragte Skor Robinson. »Was sind deine Beweggründe? Bist du in diesem Konflikt mit den Sirianern auf unserer Seite? Oder verfolgst du gewisse Zwecke zugunsten der Ro-mananer?« »Meine Motivation ist das Lehren, Direktor.« Ungezwungen nickte Chester, seine friedfertige Miene strahlte heitere Gelassenheit aus. »Ich kenne keine Leidenschaft. Ich kenne nur Zukunft, in die die Vergangenheit sich wie ein Fluß ergießt. Würde ich schimpfen, ergäbe es für Spinne einen Unterschied? Hätte ich Pläne, veränderten sie die Eigenschaften meiner Seele? Sammelte ich Reichtümer an, könnte ich durch sie eine höhere Wahrheit als Göttlichkeit entdecken? Nein, ich habe an nichts mehr Bedarf. Ich brauche nicht einmal noch das Leben selbst. Mein Körper ist nur eine Hülse — so wie deiner auch —, die irgendwann abgelegt wird.« »Wozu dann überhaupt leben?« Nawtows kratzige Stimme verriet Skepsis.
»Hast du etwas von mir gelernt, Skor Robinson?« fragte Chester in gütigem Ton. »Oder du, Semri Nawtow?« »Du hast mich Dissonanzen gelehrt.« Robinsons Stimme klang gepreßt. »Ich habe dich das Leben gelehrt«, berichtigte Che-ster. »Leben heißt Erfahrungen sammeln, nicht eine Aneinanderreihung akademischer, durch eure Giga-Verbund-Computer interpretierter Puzzle. Euer Leben ist für euch bedeutungslos, Direktoren. Betrachtet eure Seelen. Ihr seid davon überzeugt, keine zu haben, daß Rationalität Seelen ausschlösse. Aber ihr habt auch einmal angenommen, Gefühle stünden außerhalb der Ab-geschirmtheit eurer abgehobenen Existenz. Inzwischen habe ich euch wenigstens gezeigt, daß ihr, obwohl ihr eure Menschlichkeit leugnet, noch Menschen seid. Vielleicht bin ich auch im Hinblick auf eure Seelen gar nicht so im Unrecht.« »Möchtest du uns zu deinem Gott Spinne bekehren?« In Nawtows Tonfall schwang Verachtung mit. Gutmütig sah ehester ihn an. »Gott, ob man ihn Spinne oder anders nennt, braucht keine Bekehrten. Die Seele ist ja Gott, wie könnte sie also zu ihm bekehrt werden? Kann man einen Fisch in einen Vogel verwandeln? Gott zu Gott bekehren zu wollen, ist ein Paradoxon.« »Dann ist dein gesamtes Handeln sinnlos«, sagte Robinson, seine kleinen Äuglein zwinkerten mit einem Ausdruck des Triumphs. »Wenn unsere Seelen Gott sind und Gott unsere Seelen ist, hat es keine Bedeutung, was wir lernen. Du hast selbst gesagt, daß Leidenschaft keinen Sinn hat.« »So ist es nun wieder nicht«, erwiderte ehester. »Heute seid ihr euch Gottes bewußt. Vor fünf Monaten, Skor Robinson, bestand dein Leben aus nichts als Sterilität. Du hast überm Giga-Verbund geschwebt und komplizierte Probleme gelöst. In einem selbstgeschaffenen Vakuum hast du das Dasein von Millionen Menschen prädestiniert
und manipuliert. Heute machst du dir Gedanken über Richtig und Falsch, Gut und Böse, Leid und Freude. Deine Seele erntet die Früchte dessen, was du erfährst, und indem du dazulernst, lernt auch Gott.« »Wieso muß Gott lernen?« fragte Nawtow. »Es dürfte doch im Universum keine qualitativ höherstehende Entität als Gott geben.« »Völlig richtig«, stimmte Chester zu, und in seiner Stimme klang Begeisterung an. »Andererseits hat Spinne ja das Universum erschaffen, so daß es einem Zweck dienen muß. Ein Prophet zu sein, heißt daher, das Universum als Spinnes Umwelt zu sehen. Jede Seele ist ein Stück Göttliches. Wolltest du, wenn dein körperliches Dasein vorüber ist, diesen Funken Göttlichkeit, den wir Seele nennen, schwach und bedeutungslos zur Gottheit zurükksenden? Wäre es dir nicht lieber, wenn aus ihm Erkenntnisse leuchten?« »Soll ich dich so verstehen, daß wir Gottes Sinne sind?« erkundigte sich Nawtow. »Ist es das, was du lehrst?« »In der Tat, wir sind Augenlicht, Gehör, Geruchsund Tastsinn, Schmerz- und Lustempfinden der Gottheit. Was fühlst du vom Leben? Was hast du beizutragen? Systeme? Die Matrixalgebra der Ökonomie? Rationalität? Du bist Wissen ohne Substanz. Du bist etwas Steriles. Fragen heißt fühlen. Wo ist deine Erleuchtung?« »Helfen Erleuchtungen uns dabei«, fragte Nawtow, »die sirianischen Rebellen zu schlagen?« Ganz knapp schüttelte Chester den Kopf, sein heiteres Lächeln blieb unverändert. »Nein.« »Welchen Nutzen haben wir unter diesen Umständen von ihnen?« wollte Robinson wissen. »Ihr habt nicht erkannt, um was es mir geht, Direktoren. Es ist gleichgültig, wer in dem bevorstehenden Kampf siegt. Es genügt festzustellen, daß euer Imperium nicht in einem Bürgerkrieg untergehen wird, wie es ohne
die Romananer der Fall wäre. Ich bin zu euren Gunsten hier — nicht zum Vorteil des Direktorats. Überlegt euch meine Worte. Wenn ihr mich nicht mehr braucht, schickt mich fort. Ein Prophet findet immer den Weg zu denen, die nach Wissen suchen. Es gibt stets Menschen, die lernen möchten.« »Du bist ein ständiger Quell der Irritation«, ertönte Nawtows leblose Stimme. »Ich wüßte gerne, was du wirklich taugst.« Auch darauf reagierte Chester mit nichts als Nachsicht. »Ein Lehrer ist zwangsläufig eine ständige Irritation. Und der Wert eines Menschen ist gleich Gott.« »Und der Blaster, auf den wir dich eigentlich angesprochen haben?« meinte Skor Robinson. »Wirst du uns mitteilen, wie er sich gegen unsere Flotte auswirkt?« »Er wird ein entscheidender Faktor sein«, antwortete Chester unbekümmert. »Der Blaster ist der Mittelpunkt mehrerer Cusps, die in der Zukunft eine maßgebliche Rolle einnehmen. Freier Wille wird die Entscheidungen prägen. Der letztendliche Sieg der Direktoratsstreitkräfte hängt von den Cusps ab und ist insofern in Frage gestellt. Ngen Van Chow, Damen Ree, Susan Andojar, Freitag Gelbes Bein, Rita Sarsa und andere befinden sich auf dem Baumstamm und schauen ins Geäst. Ich weiß nicht, welche Äste und Zweige zu betreten sie sich entschließen werden ...« »Pah!« höhnte Nawtow dazwischen. »Dagegen weiß ich, daß keine Seite die tatsächlichen Konsequenzen ihres Handelns absieht. Jede erwartet eine Zukunft, die keine Realität werden wird. Eure gelehrten Prognosen, Oberst Rees Strategie, Van Chows Zuversicht und die Hoffnungen beider Seiten werden sich auf grausame Weise als falsch erweisen ... Beachtet die Lektion, die ihr heute gelernt habt. Ergründet die Wirkungen der Leidenschaft, denn in wenigen Stunden werden die Flottillen aufeinanderprallen, und im Direktorat wird das
Zeitalter der Leidenschaft anbrechen. Jeder von euch sollte darüber nachdenken, was Gefühl ist, wie Leidenschaft den anerkannten Wert des Lebens verändern kann. Gemütsbewegung ist ein Schlüssel zum Wissen. Das ist der Weg Spinnes.« Chester verbeugte sich bescheiden, schloß die Augen, und blieb gleichgültig gegenüber den zusätzlichen Fragen, die Robinson und Nawtow ihm stellten. Nach einigen Minuten wachsender Aufgeregtheit erloschen auch ihre Holos. Chester schaute die nun stille Wand an, nickte lächelnd und setzte seine Lektüre Jean Paul Sartres fort. * * * Damen Ree vollführte eine Drehung und trat mit dem Fuß zu. Eisenauge fing ihn ab, knurrte vor Anstrengung und schwang sich seitwärts, schleuderte Ree auf die Matte, warf sich auf ihn und wollte den Unterarm über die Kehle des Obersten legen. Ree bäumte sich auf, krümmte sich, schob ein gebeugtes Knie zwischen sich und Eisenauge. Mit einem stoßartigen Aufbrüllen wälzte er Eisenauge von sich, machte einen Hocksprung, rollte sich zur Seite und schlug dem Kriegshäuptling mit voller Kraft die Fäuste in den Leib. Die beiden trennten sich, keuchten und schwitzten, Schweiß rann ihnen über die hochrot erhitzten Gesichter, ihre Augen glänzten. Eisenauge tat einen Satz nach vorn, stemmte einen Fuß fest auf den Boden, griff mit einem Ausfallschritt an, rammte Ree und trieb den kleineren Mann durch die bloße Wucht des Anpralls rückwärts gegen die Wand. Ree wand sich in Eisenauges Umklammerung, hämmerte mit aller Gewalt auf Brust und Bauch des Kriegshäuptlings ein, drängte ihn zurück, stürzte ihn auf die Matte und setzte die Finger an die Gurgel des Romananers.
»Jetzt bist du... erledigt!« japste Ree, schluckte schwer, rang um Atem. Eisenauges breites Gesicht verzog sich langsam zu einem Grinsen. »Aber ich werde besser. Am Anfang hätten du und Rita mich jederzeit umbringen können.« Ree ließ sich von dem Größeren rutschen und neben ihm rücklings auf die kühle Matte plumpsen. »Puu-uh ...«, stöhnte er. »Ich bin nicht... nicht mehr ... der Jüngste. Ja, du bist schon besser geworden. Es kann nicht lange dauern, und du bist mir überlegen.« Eisenauge setzte sich auf, stützte gesenkten Kopfs die Arme auf die weit gespreizten Knie. »Diese Panzerkleidung ... Ohne sie hättest du mich wohl ein paarmal totgeschlagen. Ich merke schon, wie blaue Flecken entstehen.« »Da bist du nicht allein.« Ree schnaufte schwer, kauerte sich ebenfalls hin und fing an, den paßgenauen, körperengen Schutzpanzer abzulegen. »Weißt du was? Seit du an Bord bist, werde ich wieder richtig fit. Sonst kann ich niemanden dazu überreden, mit mir zu trainieren. Ich muß ‘n Trainingsrobot nehmen.« Eisenauge hörte die Einsamkeit, die in der Stimme des Obersten anklang, und nickte. Mittlerweile war das Trainieren von Nahkampftechniken in der Freizeit für sie beide zu einer Art feststehender Gewohnheit geworden. »Wie kommst du mit dem Lesenlernen voran?« fragte Ree. »Nur allmählich«, brummte Eisenauge. »Ich bin auf ‘ne Redensart gestoßen, die besagt, man könne alten Hunden keine neuen Tricks beibringen. Ich glaube, ich bin zu oft auf der Pirsch nach Santospferden und -coups gewesen und habe zu selten den Propheten zugehört. Vielleicht ist mein Hirn für Buchstaben ungeeignet. Aber ... aber ich hab’s Leeta versprochen.« Ree zuckte zusammen, erhob sich, hielt dem Romananer eine Hand hin, um ihm beim Aufstehen zu helfen.
»Tja, alte Hunde und neue Tricks ...« Nachdenklich schwieg er für einen Moment, wischte sich den Schweiß ab, der ihm den massigen Hals hinabsickerte. »Es sieht aus, als sollte auch Ngen Van Chow uns noch was vormachen.« Eisenauge entledigte sich des Schutzpanzers. »Du bist wegen dieser Blaster besorgt?« Ree hob eine Schulter. »Sicherlich bin ich in Sorge. Jeder Kommandeur, der sein Gewicht in Sauerstoff wert ist, ist wegen solcher Dinge beunruhigt, über die er keine genaue Klarheit hat. Wenn’s zum Kampf kommt, mag ich keine Überraschungen.« »Und die Bruderschaft?« »Die Bruderschaft...!« schnob Ree, warf sich den Schutzpanzer über die Schulter. »Mit der Zeit werden solche Überlieferungen überbewertet und ins Unverhältnismäßige verzerrt. Sie werden legendär, du weißt schon ... Der Kern der Geschichte, um sie in Kurzfassung zu schildern, ist folgendes: Vor sechshundert Jahren war die Bruderschaft — ähnlich wie ihr — ein Stachel im Fleisch der Sowjets. Wie sämtliche anderen Dissidenten wurde auch sie deportiert. Die Sowjets verfrachteten sie nach Frontier und hofften, dort würden die Bruderschaftsmitglieder ihre Kräfte in der Auseinandersetzung mit den Riesenstachelschliefern und dem lebensfeindlichen Klima austoben. Das taten sie auch, aber gleichzeitig brachten sie den Aufbau der führenden Untergrund-Universität des ganzen Weltalls zustande. Es ging den Sowjets wie allen großen Imperien, sie wurden wohlhabend, fett und faul, ihre Armee stagnierte, ihre Gesellschaft begann von innen her zu vermodern. Auf Frontier zündete die Bruderschaft die Lunte für die Konföderationsrevolution an. Während der nächsten dreihundert Jahre bildete die Bruderschaft weiterhin die Avantgarde der menschlichen Entwicklung. Ihre Philosophie besagte, daß man keine Waffen brauchte, um
die Macht auszuüben, sondern nur klüger als alle anderen sein müßte. Und sie sind tatsächlich immer die Klügeren geblieben. Sie hatten Raumschiffe, die denken konnten, weißt du, sie waren mit eigenen Gehirnen ausgestattet. Die Medizin war dermaßen fortgeschritten, daß wir heute nur noch davon träumen können. Sie erschlossen im All völlig neue Raumsektoren, merzten die Piraterie aus, unterwiesen die besten und gescheitesten ...« »Trotzdem haben sie heute keine Macht mehr«, sagte Eisenauge. »Ja, richtig...« Ree trat unter die Dusche, ließ das Wasser auf sich herabrauschen. »Anscheinend hat die Bruderschaft die menschliche Neigung unterschätzt, nachtragend zu sein. Auf jeden Fall, als die Situation sich aufgrund des sirianischen und arpeggianischen Drucks verschärfte und zuspitzte, packte sie einfach ihre Sachen und zog sich aus allem zurück, statt ihre Mitglieder drangsalieren zu lassen oder einen Krieg zu führen.« »Und niemand weiß, wohin sie verschwunden ist?« Eisenauge schnitt eine sehr nachdenkliche Miene. »Nein, niemand. Bekannt ist nur, daß sie sich, als sich die Entstehung des Direktorats abzeichnete, aus dem besiedelten Weltraum abgesetzt hat. Buchstäblich bis zum allerletzten Kommu-Holo hat sie alles ab- und weggeräumt, in den Schiffen ihrer Flotte eingelagert, und dann ist sie im Überlichtflug abgedüst. Kein Mensch weiß wohin. Jahrelang betrachtete man das als großes Geheimnis. Aber danach hat die Zeit, so wie’s mit allem geht, die Aufregung geglättet, die Leute verloren das Interesse. Das Direktorat gewährt darüber bloß noch einigen wenigen Experten Informationen.« »Aber Van Chow hat anscheinend irgend etwas entdeckt«, meinte Eisenauge. Unwillkürlich verkrampfte er sich, als energetische Felder über seine Haut glitten, ihn trockneten. Er beugte sich über die Trennwand, indem er die Arme auf sie lehnte. »Wenn du besorgt bist, Damen, ist
das für mich gleichfalls ein Anlaß zur Besorgnis. In was führe ich meine Männer? Ich kenne eure Gepflogenheiten nicht, aber wäre ich auf Welt auf dem Kriegspfad, müßte ich mir sagen, ich hätte schlechte Medizin, würde nach Hause umkehren und einen günstigeren Zeitpunkt abwarten.« Ree klatschte die Hand auf den Trockner. »Tja, ich wünschte, das könnten wir auch machen.« Er deutete rundum. »Das Schiff ist sowieso angeschlagen. Klar, wir haben alles repariert, aber es ist bloß beschissenes, provisorisches Flickwerk. Nach den Schäden, die die Viktoria bei uns angerichtet hat, wäre eigentlich ‘ne Generalüberholung in der Werft fällig gewesen. Wir brauchten Zeit, um die Ersatzleute, die für unsere Verluste und die Deserteure eingesprungen sind, ordnungsgemäß auszubilden. Unsere volle Kampfkraft ist noch nicht wiederhergestellt.« Eisenauge kratzte sich unterm Kinn. »Aber uns bleibt keine Wahl, nicht wahr? Spinnes Weg liegt vor uns. Wer ihn nicht geht, erlangt keine Ehre.« Ree streifte sich die Uniform über den Kopf, schnallte sich den Instrumentengürtel um die Taille. »Krieger haben nie ‘ne richtige Wahl, stimmt’s? Ich habe den Eindruck, wir werden ... Verdammt, John, ich weiß auch nicht, was für einer Schweinerei wir entgegenfliegen. Ich wollte, wir hätten ‘n Propheten dabei.« Eisenauge zog seine nagelneue Patrouillenuniform an — sie war viel leichter als seine gewohnte Lederkleidung —, betastete das Bild Spinnes, das Rita auf die Brustfläche gestickt hatte. Er schob sich die Zöpfe über die breiten Schultern, streckte die Arme, um den dünnen Uniformstoff zu straffen. »Die Propheten werden von euch viel zu hoch bewertet. Hätten wir einen dabei, würde er dich lediglich in den Wahnwitz treiben, indem er dir Fragen stellt und mehrdeutige Antworten gibt. Propheten verderben einem Mann den Schlaf. Für uns normale
Menschen ist die Zukunft kein Bereich, mit dem wir uns beschäftigen sollten. Man erblickt dort nur Schreckliches. Man möchte sein Schicksal gar nicht kennen ... die Tragödien, die noch bevorstehen.« Gedankenschwer furchte Ree die Stirn. »Kann sein, John, aber berücksichtige, daß es für uns im Siriussystem ums Ganze geht. Im Krieg kann soviel mißlingen ... Denk bloß an den Glückstreffer, den uns Maya verpaßt hat. Verdammt, du kennst dich doch selbst im Erdkampf aus, du weißt, wovon ich rede. Bei dieser Operation gibt’s zu viele unbekannte Faktoren. Eine unerprobte Truppe, unbekannte sirianische Kapazitäten, unsichere Führung, politische Intrigen ... Mensch, vielleicht fällt uns im letzten Moment sogar die Patrouille in den Rücken! Man könnte sich wirklich fragen, was wir tun sollen, wenn sich zum Schluß herausstellt, daß Spinne uns ‘n Streich spielt.« Eisenauge patschte ihm die Schulter. »Keine Bange, mein Freund. Mit Spinne habe ich meine Erfahrungen. Einer Ungewissen Zukunft bin ich schon häufiger entgegengegangen.« »Ja, mag sein, aber Sirius ist für euch eine fremde Welt. Diesmal wird’s für euch eine ganz andere Art von Pferdediebstahl... Wenn du verstehst, was ich damit sagen will.« Eisenauge zwinkerte ihm zu. »Spinne wird uns beschützen. Ich muß mich jetzt wieder an meine Lektionen setzen.« »Und wenn Spinne nun wegguckt?« meinte Ree eigensinnig. »Dann muß ich eben mein Vorgehen ändern.« Eisenauge zögerte. »Sorge dich nicht zu sehr, Oberst. Jeder Kriegshäuptling muß sich vom einen zum anderen Moment umsteilen können. Gelingt’s dem Sirius, das Blatt zu wenden, nachdem wir gelandet sind, werden wir ganz einfach nach unserer Eingebung handeln. Am wichtigsten ist aber, daß ich ungern unterliegen möchte. Kein Romananer verliert gern. Das hält uns stark.«
Ree schabte sich am Kinn, während der Kriegshäuptling den weißen Korridor hinabging. »Ich hoffe, wir sind stark genug.« *
*
*
Hans blinzelte unaufhörlich, wünschte sich, es beanspruchte nicht seine gesamte Konzentration, lediglich wach zu bleiben. »Weißt du«, brummelte er, »wir haben nur noch wenig Zeit.« Er und Susan saßen schon seit zwei Tagen unter der zentralen Kommunikationsanlage der Projektil. Gerade als sie sich gefragt hatten, wie sie es je schaffen sollten, die Zeit für eine ernsthafte Untersuchung der Bordcomputer abzuzweigen, war plötzlich Rita ins Quartier gekommen und hatte Susan — obwohl mit spürbarem Widerwillen — einen Kurzurlaub zur Erholung vom dauernden Unterricht genehmigt, ihr gesagt, sie solle sich ein paar Tage Ruhe gönnen und entspannen. Unmittelbar danach beantragte Unteroffizier Hans Yeager, ohne daß irgendwer etwas Böses ahnte, zwei Tage Sonderurlaub zwecks >Absolvierung weiterführender Bildungsmaßnahmen für fortgeschrittene Spezialisten auf dem Gebiet der Computerwartung< und erhielt sie bewilligt. Dreiundvierzig Stunden später — als längst ein Stapel leerer Proviantpackungen in einer Ecke und ein luftdicht verschließbarer Container mit Körperausscheidungen in einem anderen Winkel standen — hatten sie noch keine wesentlichen Ergebnisse erzielt. »Ich probier’s mal mit ‘m Kapitäns-Zugriffscode«, meinte Hans schließlich, las die Anzeigen des tragbaren Terminals ab. »Damals, in den alten Zeiten, haben keine Obersten, sondern Kapitäne die Raumschiffe kommandiert.«
Im nächsten Moment flimmerte auf Susans MonitorBildfläche eine Reihe von Symbolen. »Was ist das?« In dem engen Wartungsstollen schob sich Hans um ihren Körper herum. Sie waren in einen streng dienstlichen Bereich des Schiffsinneren eingedrungen, doch nur im Fall einer schwerwiegenden Computerstörung würde jemand die Abdeckplatten entfernen und durchs Gewirr der Kabel, Leitungen und Vakuumröhren zu der Stelle klettern, wo sie sich versteckt hielten. »Mann!« stieß Hans hervor. »Das ist es! Nun brauchen wir uns bloß noch die Autorisation zusammenzureimen. Ich überlege, ob ...« »Meinst du, die Informationen könnten unter >Bru-derschaft< einsortiert sein?« fragte Susan. »Wenn diese Speicherbänke so alt sind, wie du denkst, unterlagen sie vielleicht noch keiner Geheimhaltung und sind ungeschützt.« »Ausgeschlossen. Sie ...« Doch augenblicklich fing der Monitor Daten zu projizieren an. »Ach wirklich?« äußerte Susan selbstgefällig, wagte jedoch nicht einmal, um aus Triumph zu grinsen, den Blick von der Bildfläche zu wenden. »Huch, das Zeug ist ja nicht mal als vertraulich eingestuft ...!« Hans geriet außer sich vor Staunen. »So, nun schauen wir mal unter >Technik< nach«, schlug Susan vor, verschaffte sich Zugriff auf einen anderen Dateienkomplex der Speicher. Grün glommen Zahlen und Symbole auf. »Da, sagt dir das irgendwas?« Hans kroch neben sie, sich ihres Geruchs und der Berührung ihres Körpers an seinem nackten Arm bewußt. Mit Mühe entzog er dem Mädchen seine Aufmerksamkeit und sah das Verzeichnis durch. »Wir gucken unter >Waffen<«, entschied er. »Es war der verfluchte Blaster, der uns überhaupt erst auf diese Idee gebracht hat.« Er rief die Daten ab, betrachtete mehrere Diagramme und Rißzeichnungen, die auf dem Bildschirm erschienen.
»Ist ‘n echter Unterschied zu den Typen, die wir benutzen«, murmelte er. »Mensch, ist auch kein Wunder, sieh dir mal das da an! Diese schweren Blaster haben alle ein großes Hyperkonduktorteil.« »Was ist das für ‘n Ding?« »Also ... für uns ist es heute ‘ne teure, schwierig verarbeitbare Legierung. Ein Superkonduktor läßt ein Elektron ohne Widerstand passieren, klar? Tja, und ein Hyperkonduktor geht noch ‘n Schritt darüber hinaus, er weist das Elektron ab, schubst es weiter, allerdings nur mit begrenzter Kapazität und in eine bestimmte Richtung. Nun schau dir den Blaster an. Das Stromkabel, das hineinmündet, liefert Energie, klar? Der Hyperkonduktor umschließt das Anschlußstück des Stromkabels und den Schwerelementkern, der sozusagen als Munition dient. Sobald das Kabel unter Strom gesetzt wird, unterbricht das vom Hyperkonduktor erzeugte Feld die Kräfte, die den Atomen im Schwerelementekern Zusammenhalt verleihen. Beim Zerfall der Atome entsteht eine heftige Reaktion in gewisser Stärke. Durch diese Reaktion wird der Hyperkonduktor angesprochen und stößt mit gleicher Stärke die atomaren Trümmer fort, das heißt, durch den Blasterlauf. Gravitationsfelder kanalisieren den Ausstoß und ermöglichen es, ihn in minimalem Fokus zu bündeln. Diese Aufgabe erfüllen die Ringe rund um das Geschützrohr.« »Durch einen größeren Hyperkonduktor wird also mehr Energie verschossen?« »Im Prinzip ja. Ich sehe hier aber noch etwas anderes, das ich nicht kapiere. Siehst du das Bauteil da? Man nennt es Fujiki-Verstärker. Ich weiß nicht... Welche Funktion kann er wohl haben?« »Weshalb haben wir keine leistungsfähigeren Hyperkonduktoren?« »Auf die Frage kann ich leicht antworten«, entgegnete Hans gedämpft, während er angestrengt auf die Dar-
stellung starrte, herauszufinden versuchte, welchen Zweck der Fujiki-Verstärker hatte. »Das Material ist, wie gesagt, außerordentlich schwierig zu verarbeiten. Ohne es lassen sich atomare Kraftfelder nur umständlich ausnutzen, will man keine riesigen Maschinenanlagen und gewaltigen Energiewerke einsetzen. Kann man Substanz und Spin stark geladener Leptonen nicht separieren und abändern, ist die Handhabung vollkommen unmöglich. Deswegen hat das Direktorat den gesamten Hyperkonduktorbestand der Produktion von Gravo-Kompensatoren für WeltraumStationen, Energieaggregaten für Antimaterie-Reaktoren, Subraum-Transduktoren und all der sonstigen Annehmlichkeiten der modernen Zivilisation vorbehalten. Wahrscheinlich hat man den Patrouillenschiffen nur die völlig unentbehrlichen Hyperkonduktoren belassen, damit man den gesamten Rest der zivilen Nutzung zuführen konnte.« Susan schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich verstehe nicht richtig, wieso keine größeren Anstrengungen unternommen werden, um mehr herzustellen.« »Um an die erforderlichen metamorphierten Kristalle zu gelangen, muß man erloschene Sterne anbohren. Ich denke mir, die technischen Probleme, die dabei bewältigt werden müssen, dürften dir leicht einsichtig sein.« Er kaute am Daumennagel, zerbrach sich den Kopf über das Diagramm. »Aber ich habe gelernt, daß diese schweren Kristalle auch aus erlöschenden Sternen herausschießen«, äußerte Susan. »Supernova verlaufen nicht immer normal. Bei soviel Schwerkraft und Energie passieren die seltsamsten Sachen. Materie wird ausgeworfen. Es kommt immer wieder zu derartigen Zufallsvorgängen.« »Ja, das gesamte frei auffindbare Material ist aber während der vergangenen sechshundert Jahre sorgfältig aus dem ganzen bekannten Weltraum zusammengesucht worden«, rief Hans in Erinnerung. »Was glaubst du, warum
das Direktorat gegründet worden ist? Um sicherzustellen, daß seltene Materialien wie Hyperkonduktoren und Toron zum größten Nutzen der gesamten Menschheit verwendet werden.« »Klar«, murrte Susan, »aber man hätte gleichzeitig Sonden ausschicken sollen, um mehr von dem Zeug aufzuspüren. Was ist denn außer den Waffen noch auf den Mindestbedarf zurückgeschraubt worden? Weißt du, ich lese immer, der Weltraum wäre eine unbegrenzte Rohstoffquelle, und trotzdem gibt’s im Direktorat Mangelerscheinungen.« Nachdenklich sah sie Hans an. »Unbegreiflich, daß das niemandem auffällt.« Hans senkte den Blick. »Nein.« Seine Stimme klang rauh. »Ich weiß, wie man’s dahin gebracht hat. Du wirst es selbst sehen, wenn du Sirius kennenlernst. Das Direktorat kontrolliert die Gesellschaft. Abweichler unterzieht man einer psychischen Reorientierung. Der Rest wird von Kindheit an darauf konditioniert, für das Gemeinwohl alle Instruktionen zu befolgen. Nachdenken über das Weltall außerhalb des Direktorats oder auch bloß über andere Welten gilt als störend. Die Faustregel des Direktorats lautet, daß persönlicher Ehrgeiz und Gewinn bedeuten, jemand anderes muß für deinen Vorteil leiden. Würdest du mir schaden, um mehr Hyper-konduktoren fabrizieren zu können?« »Ein ganzes Volk von Schafen ...!« Ungläubig verzog Susan das Gesicht zu einem Ausdruck des Abscheus. »So sehen die Leute es nicht. Sie halten sich für eine Zivilisation ... äh ... eben »zivilisiertem Männer und Frauen. Ahm ... Für aufgeklärt und verständig. Sie leben ohne Risiken oder Gefahren. Wenn man niemandem Nachteile verursacht, hat man keine Schuldgefühle. Sicher, es gibt immer Abweichler. Das Spektrum des menschlichen Verhaltens umschließt auch alle Arten obskurer Rückfälle. Die landen geradewegs beim Psychen. Wirkt die Psychingbehandlung nicht, bringt man sie um
oder sperrt sie zu Forschungs-und Studienzwecken ein. Im Laufe von dreihundert Jahren hat man diese wissenschaftlichen Methoden beträchtlich weiterentwickelt. Was meinst du denn, auf welchen Grundlagen man die Unterrichtsapparate konzipiert hat?« »Mein Gott«, sagte Susan leise. »Die Romananer werden sie am Boden massakrieren. Die gesamte Kultur wird einen Schock erleiden. Die Sirianer werden uns für feuerspeiende Dämonen direkt aus der Hölle halten.« Hans nickte, erkannte sofort einen Zusammenhang. »Ich bin mir sicher, daß das genau der Effekt ist, den das Direktorat durch euch hervorrufen möchte. Ihr sollt für die Sirianer und alle anderen, die möglicherweise an Rebellion denken, eine leibhaftige Lektion abgeben, die zeigt, daß Revolte sich nicht lohnt. >Schaut da! Das sind Tiere in Menschengestalt. Wollt ihr wie sie sein? Also bewahrt Ruhe! Gehorcht den Weisungen. Vertraut der höheren Natur der Direktoren. Sonst werdet ihr auch wie die!<« »Und was ist mit all den tüchtigen Patrouillensoldaten passiert?« fragte Susan. »An Bord der Projektil habe ich wenig Schafe bemerkt. Den Kampf des Schiffs gegen Bruderschaß und Viktoria mitanzusehen, hat mir Furcht eingejagt. Auch die Leute um mich herum hatten Furcht.« Hans schenkte ihr ein verzerrtes Lächeln. »Wir sind ja auch gar nicht normal. Die paar Mißratenen, die geistig stabil genug sind, um ein anspruchsvolles Universitätsstudium absolvieren zu können, oder die ‘n ausgeprägten Hang zum Militärischen zeigen, steckt man eben in die Patrouille. Skor Robinson und seine Handlanger brauchen ja für alle Fälle ‘ne Art von Polizei. Innerhalb gewisser Schranken erlaubt die Patrouille das Ausleben von Individualität.« »Ehrgeiz habe ich ‘ne Menge auf diesem Schiff beobachtet«, bemerkte Susan, schaute ihm in die Augen, wartete.
»Wir sind alle auf Atlantis gewesen. Wir haben gegen euch Romananer gekämpft, und eigene Kameraden sind im Kampf gegen das Direktorat gestorben.« Seine Lautstärke sank herab, seine Augen schienen in weite Ferne zu blicken. »Wir haben erlebt, wer und was ihr seid. Wir... haben von euch gelernt.« Hans schluckte mit trockenem Gaumen. »Am Anfang der ... der Pazifizie-rungsaktion habe ich ... Ich entsinne mich, daß ich einmal einen Mann vor meiner Blastermündung hatte, dem gerade ein Bein abgeschossen worden war...« Er schüttelte den Kopf, atmete tief durch. »Ui, muß der Kerl Schmerzen gehabt haben! Er hätte ‘n Blaster nicht von ‘m Kuhfladen unterscheiden können. Trotzdem kroch er starrsinnig zu der Stelle, wo ihm die Knarre entfallen war, und ich stand da und war zu nichts mehr fähig, als ihm zuzusehen. Begreifst du, was ich meine? Er war erledigt, Susan. Er war so gut wie tot, es war nur noch ‘ne Frage der Zeit. Er hätte ... hätte aufgeben und mit sich seinen Frieden machen müssen. Statt dessen zog er sich mit den Fingern vorwärts. Als er das Gewehr erreicht, wälzte er sich herum ... Wir schauten uns in die Augen, und ich sah, wie er regelrecht triumphierte. Er hat gegrinst, als er auf mich schoß. Und er johlte, als wäre er der Sieger. Er dachte, er hätte mich getötet, mich mit in den Tod genommen.« Hans schluckte nochmals, schüttelte erneut den Kopf, als könnte er das Vorgefallene noch immer nicht glauben. »Und was ist dann passiert?« fragte Susan, faßte ihn an der Schulter. Hans riß sich mit sichtlicher Mühe von seiner Erinnerung los. »Wheeler blasterte ihm den Kopf ab. Ich hatte nichts abgekriegt. Die Kugel ist an meinem Schutzpanzer abgeprallt. Naja, das Wichtige, was ich damit verdeutlichen will, ist aber: Wir haben vor euch Respekt gehabt. Wir haben so was wie Edelmut kennengelernt, menschliche Eigenschaften, auf die man stolz sein darf. Und nun können wir nicht mehr dahinter zurück.«
Susan nickte. »Allmählich sollten wir jetzt mal daran denken, von hier zu verschwinden. Ich habe sämtliche Verzeichnisse kopiert. Von nun an kann ich die Daten an meinem Computerterminal laden. Hier, schau’s dir mal an. Wir müssen sicher sein, daß ich nichts verbockt habe.« Um sich davon zu überzeugen, sichtete Hans die Kopie. Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut, als er feststellte, daß Susan die Verzeichnisse sämtlicher Dateien mit Informationen über die Bruderschaft kopiert hatte. Viele von ihnen waren als geschützt gekennzeichnet, hatten sich jedoch alle kopieren lassen. In Susans Mini-Terminal gab es gerade noch ausreichend freien Speicherplatz für die Zugriffscodes. »Das wär’s. Es ist tatsächlich alles in den Bordcomputer-Speicherbänken. Ich wäre zu wetten bereit, daß nicht mal der Oberst was davon ahnt. Moment mal, was ist denn das ...?« Hans suchte im Programm. »Was zum ...?« Er besah sich die Angaben; dabei wuchs seine Aufregung. »Die Bruderschaft ist gar nicht ausgestorben.« Hans hob den Blick. »Sie existiert noch. Irgendwo außerhalb des bewohnten Weltraums ... Und treibt wer weiß was. Fort seit Jahrhunderten. Kein Wunder, daß das Direktorat die gesamten Informationen zu unterdrücken versucht hat. O Mann!« »Dann könnten wir sie ja suchen«, meinte Susan kaum hörbar. »Und was würden wir finden?« Hans hatte ein eisiges Gefühl von Vorahnungen. »Kann sein, ihre Macht ist so enorm geworden, daß die Bruderschaftsmitglieder im Vergleich zu uns wie Götter sind. Vielleicht würden sie die Menschheit versklaven.« »Und das Direktorat hat sie nicht versklavt?« schnob Susan. »Nicht zu glauben!« Hans’ Blick huschte über den Text. »Die Projektil war eins der Raumschiffe, die ihnen von Frontier aus Geleitschutz gegeben haben. Dem
Funkverkehr ist überhaupt nichts von Feindschaft anzumerken. Der Kapitän der Projektil hat ihnen Glück und Gottes Segen gewünscht. Also waren die Bruderschaft und die Patrouille Verbündete. Mein Gott, und uns ist immer eingetrichert worden, die Bruderschaft wäre unser Gegner gewesen ... ein Feind der Menschheit!« »Im Moment ist das egal, du mußt in einer Stunde wieder den Dienst antreten, und ich muß mich wieder an meine Lektionen hocken.« Susans Enthusiasmus verflog. »Bei Spinnes heiligem Namen, weshalb bin ich bloß andauernd so müde ...?« Mit seiner gewohnten Geschicklichkeit in solchen Angelegenheiten koppelte Hans die beiden Mini-Terminals ab. Gleichzeitig wirbelten seine Gedanken, kreisten wie um eine Gravitationsquelle um das Schwerwiegende der Entdeckungen, die sie in den alten Datenspeichern der Projektil aufgespürt hatten. »Ich würde wetten, seit dreihundert Jahren hat niemand mehr diese Informationen abgerufen«, murmelte er in ehrfürchtigem Staunen. »Wenn diese Daten bekannt werden, könnten sie das Direktorat ins Kippen bringen. Skor Robinson hatte schon Sorgen wegen der Romananer, aber man stelle sich mal vor, welche Tragweite es hätte, tauchte eines schönen Tages irgendwo ein Superraumschiff der Bruderschaft auf.« Susan stopfte die leeren Proviantpackungen in einen Plastiksack und nahm vorsichtig den Abortcontainer zur Hand. Sie warf Hans einen kurzen Blick zu, erinnerte sich daran, wie verlegen er gewesen war, als sie ihn zum erstenmal benutzt hatte. Noch dunkler war sein Gesicht allerdings angelaufen, als er zuletzt dazu genötigt gewesen war, sich gleichfalls zu erleichtern. Wenigstens gab Hans sich jetzt über die Weiblichkeit keinen Illusionen mehr hin. Sie unterlag der biologischen Realität so gut wie er. »Alles klar«, flüsterte Hans, sobald er die Abdeckplatte des Wartungsschachts von innen gelockert hatte. »Hoffen
wir, daß sich niemand im Korridor aufhält. Ich wüßte nicht, wie ich das alles erklären sollte.« Er wischte seine schweißigen Hände an der schmuddeligen Hose ab. »Warte«, bat Susan hastig, flüsterte gleichfalls. »Falls man uns ertappt, wird man bestimmt in mein Terminal gucken. Man würde die Informationen über die Bruderschaft sofort bemerken.« »Zeig mal her.« Hans langte nach dem Gerät, sah es sich an. Er nickte, grinste, beugte sich über seinen Werkzeugkasten. Er kramte mehrere Instrumente heraus, entfernte die Rückwand des Miniatur-Terminals, runzelte die Stirn. Während er rasch zwei dünne Platinen miteinander verband, lächelte er vor sich hin; dann schloß er den Apparat wieder. Er schaltete ihn ein und setzte sich ein Kontaktron auf den Kopf. Aus seinem Terminal speiste er Daten in Susans Gerät. Hochzufrieden lächelte er, als er Susan das Kontaktron reichte. »Du mußt dir ‘n Codewort ausdenken, das niemals irgend jemand erraten kann. Verrat’s mir nicht, ich will’s gar nicht wissen.« Sie nickte, musterte ihn verwundert. »Und jetzt?« »Du kannst abschalten. Ich habe dir einen Text einer kompletten Direktoratsgeschichte und zwei Logikspiele eingegeben, die allgemein zugänglich sind. Du brauchst nur dein Codewort zu verwenden, und statt dieser Daten erscheinen die Bruderschafts-Informationen. Wenn du dem Speicher mal von dem überflüssigen Kram ausräumst, hast du doppelt soviel Platz.« »Und ich kann sie nicht versehentlich löschen?« »Nicht ohne vorher das Codewort zu nennen.« Susan nickte, knipste die Beleuchtung aus und krabbelte zur Schachtöffnung hinaus — geradewegs ins Verhängnis. »Halt!« erscholl ein scharfer Zuruf. Susan sprang in den Korridor, drehte sich um und sah Major Neal Iverson mit gezücktem Blaster näherkommen.
13 »Äh... öh...«, stammelte Hans, schien zu schrumpfen, obwohl er im selben Moment stramm Haltung annahm. Sie hatte Gewissensbisse, und ihre Wangen röteten sich. Strengen Blicks kam Iverson näher. »Ich hoffe. Sie haben dafür eine verdammt gute Erklärung abzugeben, Unteroffizier!« Hans versuchte zu schlucken, stieß ein »Äh!« hervor, das starke Ähnlichkeit mit einem Aufjapsen hatte. »Kakein Grund zu igendwelchen Ausreden, Sir«, stammelte er mit mehr Nachdruck. »I-ich habe der jungen Dame nur ... fortgeschrittene Computerreparatur gezeigt.« Hans drohte die Fassung zu verlieren. Würde er schlappmachen? Susan hatte von den Psycho-Vernehmungsmethoden gehört. Auf die eine oder andere Weise wäre man aus ihm herauszuquetschen imstande, daß er sich zu als geheim eingestuften Daten Zugriff verschafft hatte. Sie holte tief Atem. »Schon gut, Hans. So hat’s wohl keinen Zweck.« Hans warf ihr einen Blick der Verzweiflung zu. Iverson bemerkte es und neigte den Kopf seitwärts, sein Blick ruckte vom einen zum anderen verschmierten Gesicht. »Sie dürfen’s auf keinen Fall herumerzählen, Major«, bat Susan flehentlich. »Gelbes Bein würde Messerfehde schwören. Hans und ich ... Nun ja ... Ich meine, es war sonst nirgends Gelegenheit. Es gibt ja keine Privatsphäre hier...« »Susan!« schrie Hans. »Nicht! Was machst du?« Aus äußerster Betroffenheit sackte ihm das Kinn herab.
Sie drehte sich ihm zu. »Hör mal, es ist doch so: Schön, der Major weiß Bescheid. Aber es muß sich ja nicht weiter rumsprechen. Wenn er uns zur Vernehmung bringt, erfährt davon das ganze Schiff. Und was passiert dann? Freitag würde ... Es gäbe ne’ neue Messerfehde ... Und dir ist sicher klar, daß Freitag dich umbrächte ... Trotz aller Befehle Eisenauges und der Regeln des Kriegspfads. Dann hätten wir Streit zwischen den Romananern und den Patrouillenmitgliedern!« Sie hob die Arme zu einer beschwörenden Geste. »Wir müssen jetzt dem Major vertrauen.« Offensichtlich bereitete das Atmen Hans Schwierigkeiten. »Ich ... ich ... Es ist wohl... äh ...« Sein Gesicht verfärbte sich puterrot. »Ach, Susan, was werden bloß die Leute sagen ...?« Iversons Blick bezeugte heimliche Erheiterung, während er im Gesicht so starr einen bösen Ausdruck beibehielt, daß es an gegossene Bronze erinnerte. »Offen gestanden, ich bin schockiert, Unteroffizier. Einen Wartungsstollen für Liebschaften zu mißbrauchen, ist ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften. Was soll ich nach Ihrer Meinung nun mit Ihnen anstellen?« »Ich ... ich weiß nicht, Sir«, antwortete Hans unterwürfig, widmete Iverson einen kläglichen Blick. »Junge Dame«, wandte Iverson sich an Susan, »Sie unterstehen nicht meinem Kommando, aber Sie dürfen sicher sein, daß Majorin Sarsa von diesem Vorfall erfährt. Sie wird über etwaige disziplinarische Maßnahmen gegen Sie entscheiden. Da ich die Majorin kenne, gehe ich davon aus, daß die Folgen für Sie um so schwerer sein werden. Darf ich mir mal Ihren Computer ansehen?« Susan händigte ihm gesenkten Blicks das Mini-Terminal aus, nahm die eingesunkene Haltung ein, in der sie immer vor Ramon gestanden hatte. Iverson besah sich die im Gerät gespeicherten Programme; die Andeutung eines Schmunzelns verzog seine
Lippen. Er gab ihr den Apparat zurück. »Am besten hauen Sie jetzt ab, junge Dame.« Mit einer Gebärde schickte er Susan fort. Während Susan den Korridor entlangschlurfte, hörte sie, wie hinter ihr Iverson anfing, Hans eine Standpauke zu halten. »Unteroffizier Yeager, ich kann’s kaum glauben! Ich dachte, Sie wären die einzige Null unter all den geilen Schnellhoblern an Bord dieses Schiffs. Und jetzt das — und mit der Schrippe! Sie kennen unsere Einstellung zum Sexualleben, Mister! Was Sie privat machen, ist Ihre Sache, aber wenn Sie in ‘n dienstlichen Teil des Schiffs abtauchen, um dort eine Vögelorgie ...« Susan bog um eine Ecke des Korridors und konnte den Rest nicht mehr hören; sie erlaubte sich ein verschmitztes Grinsen. Sie war der Ansicht, die Angelegenheit mit Rita regeln zu können. Freitag Garcia Gelbes Bein würde bestimmt etwas zu Ohren kommen. Das bedeutete ein gewisses Problem. Was sollte sie tun? Voraussichtlich war es erforderlich, zur Vorbeugung ein wenig seinem männlichen Stolz zu schmeicheln. Susan schüttelte den Kopf, während sie im Lift zu dem Deck hinaufsauste, in dem sich ihre Unterkunft befand. Der arme Hans ...! Was für Ärger er nun durchstehen mußte ... Aber ob er es so wollte, oder nicht: Lustig würde sich nie wieder jemand über ihn machen. Noch einmal regte sich kurz ihr Gewissen, während sie an der Wand der Liftkabine lehnte, das kostbare MiniTerminal unter den Arm geklemmt. Hans war ein feiner Kerl. Weniger in seinem Auftreten, als hinsichtlich der Qualitäten, die tiefer saßen, wie Ehrlichkeit, Anstand, Edelmut. Wie entsetzt er gewesen war, es fast zu glauben unfähig, daß sie nicht nur überhaupt daran denken konnte, sondern es sogar über sich brachte, ihren guten Ruf zu schädigen, statt den Eingriff in die Systeme des Raumschiffs zuzugeben! Susan mußte kichern. Als der Lift stoppte, zögerte sie flüchtig, hatte plötzlich
Falten auf der Stirn. Warum rührten Hans’ Reaktionen sie so? Sie grübelte darüber nach. Wenn sie sich an den Schrecken in seiner Miene erinnerte, wurde ihr warm ums Herz. Ihre Erinnerung hatte beinahe etwas Verträumtes angenommen, als sie das Quartier erreichte. Rita schlief in ihrer Koje. Susan stellte das Mini-Terminal auf den eigenen Schlafplatz und setzte sich hin, um in Ruhe nachzudenken. Versonnen schüttelte sie den Kopf. Sie hatte den einzigen vernünftigen Weg gewählt, indem sie Major Iverson genau das einredete, was er hatte hören wollen. Gefühlsmäßig hatte er die scheinbare Plausibilität ihrer Erklärung für die Situation sofort anerkannt. Ihr Freund stand in der Reputation, gerne Messerduelle auszutragen; was lag also näher, als Freitags Mädchen in einem Versteck zu verführen, auf das unmöglich jemand käme? Selbstverständlich ließ Iverson umgehend den Wartungsstollen auf irgendwelche Anzeichen von Herumgemurkse überprüfen, doch Hans war sehr geschickt vorgegangen. Es würden keine Spuren festzustellen sein. Susan warf den Abortcontainer und den Beutel mit den Essensresten in den Konverterschacht. Logischerweise müßte man in der Kabine postkoitales Beweismaterial vermuten. Sie zog die verschmutzte Kleidung aus und übergab sie ebenfalls dem Konverter. Eilig nahm sie eine Dusche und unterzog sich in Anbetracht der entfernten Möglichkeit, jemand könnte eine ärztliche Untersuchung anordnen, einer ausgiebigen Scheidenspülung. Heimlich lieh sie sich Ritas Spermatizid und führte sich etwas davon ein. Sobald sie sich angekleidet und das Haar nach hinten gekämmt hatte, ging sie zu Ritas Koje und setzte sich davor auf einen Stuhl. »Rita?« rief sie halblaut. »Ich muß mit dir sprechen. Ich habe was Schreckliches angestellt.«
Sarsa schlug die Augen auf. Sie stemmte sich in eine Sitzhaltung hoch. »Echt höchste Zeit, daß du dich blicken läßt... Menschenskind, wo hast du denn so lange gesteckt? Ich dachte schon ... Hä? Was ist denn los?« Susan senkte den Blick und versuchte ein Erröten vorzutäuschen. Möglicherweise hatte sie dabei Erfolg, denn die Majorin legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Also, was gibt’s?« erkundigte sie sich in mütterlichem Tonfall. Susan ließ den Blick nach unten gerichtet und tischte ihr eine Geschichte mit dem Tenor auf, wie lange Hans und sie sich schon gewünscht hätten, einmal ganz zu zweit sein zu können, wie sie die Gelegenheit genutzt hätten, als sie zwei volle Tage frei erhielt; und wie sie sich angeblich vor Freitags Reaktion fürchteten; daß Iverson sie ertappt hatte und nun womöglich Hans etwas Gemeines antat. Dann ging Susan aufs Ganze. Trotzig schaute sie Rita ins Gesicht. »Hör zu, Majorin, ich weiß, ‘s ist meine Schuld. Ich will mich gar nicht rausreden. Als ich an Bord dieses Schiffs kam, bin ich Jungfrau gewesen. Mir eröffnet sich eine völlig neue Welt. Ich kann Freitag gut leiden ... Aber ich möchte auch meine Chance, um Erfahrungen zu sammeln ...« »Majorin Sarsa«, drang es tonlos aus der Kommu, »bitte melden.« Rita schob das Kontaktron über und lauschte. »Ja, ich habe kapiert. Ihre Angaben decken sich mit dem, was sie mir gebeichtet hat.« Schweigen. »Nein, ich glaube auch nicht, daß es allzu tragisch zu nehmen ist.« Noch eine Pause. »Naja, lassen Sie mich erst mal hören, was sie sonst noch zu sagen hat. Schön, vielen Dank für den Anruf, Neal. Ich rufe zurück.« Sie nahm das Kontaktron ab und hängte es sorgfältig in die Halterung. »Das war Major Iverson. Er überlegt, ob er Hans aufknüpfen oder ihm bloß ‘n Minuspunkt in die Personalakte schreiben soll.«
»Minuspunkt?« »Egal.« »Es war nicht seine Schuld«, sagte Susan hartnäckig. »Ich weiß nicht, wie du nun in meinem Fall vorgehen wirst... Wenn du’s willst, kannst du mich natürlich fix und fertig machen, nehme ich an ... Nach Atlantis zurückschicken. Das wäre wohl für mich am schlimmsten ... wenn der Andojar-Clan mich an ... an irgendeinen Viehzüchter verheiratet.« In offener Herausforderung erwiderte sie den durchdringenden Blick aus Ritas grünen Augen. »Das Risiko war mir bewußt«, fügte Susan hinzu, als Rita keine Antwort gab. »Iverson ist eben rein zufällig vorbeigekommen, gerade als Hans die Abdeckung des Wartungsschachts geöffnet hat. Ich hoffe bloß, er hält dicht. Wenn Freitag das mitkriegt... Naja, du kannst dir schon denken ... daß dann Probleme entstehen.« Rita überraschte sie mit der Frage: »Bist du wenigstens so umsichtig gewesen, daß du nicht schwanger wirst?« Susan feixte sie frech an. »Ahm ... Majorin, ich habe dein Zeugs verwendet.« Rita entfuhr ein Gelächter, sie stand auf und reckte die Glieder. Sie lachte fortgesetzt vor sich hin, während sie sich die sommersprossigen Arme rieb. Sie ließ sich vom Verpflegungsautomaten einen Becher Kaffee ausgeben, lehnte sich rücklings an einen Spant, im Gesicht einen Ausdruck von Boshaftigkeit. »Weißt du, Kriegerin, falls die Emanzipierung der romananischen Frau ein ganzes Heer solcher Unruhestifterinnen deiner Sorte hervorbringt, bin ich mir nicht mehr sicher, ob das Direktorat so was verkraften kann.« Susan warf die Hände in die Höhe. »Weshalb darf ich nicht die gleiche Freiheit wie andere genießen? Ich komme mir vor wie... wie unter einem Mikroskop. Ich möchte in meinem Leben auch ein paar Abenteuer zu verzeichnen haben. Ich will die Männer kennenlernen ... und zwar in
mehr als nur einer Hinsicht. Ich fühle mich ... wie im Käfig.« Langsam nickte Rita. »Darf ich dich etwas fragen? Ich würde sagen, du mußt nicht antworten, wenn’s dir unrecht ist.« Susan nickte. »Warum Hans?« fragte Rita. »Was interessiert dich an so einem ...?« »Er ist einfach ‘n dufter Kerl«, erklärte Susan mit Nachdruck. »Ein richtig süßer, netter Bursche.« Kurz schwieg sie, ergänzte danach ihre Auskunft. »Nicht nur das, er verursacht auch keinerlei Scherereien. Äh ... Ich ... ahm ...« Verständnisvoll nickte Rita. Dann lachte sie auf. »Menschenskind, mir ist, als wäre ich deine Mutter! Und dabei bin ich gar nicht so viel älter als du ...« »Mir wär’s lieber, du könntest dich als meine Freundin betrachten.« Susan bemühte sich um einen gleichmäßigen Ton; nur ein leichter Anflug eines Anspruchs klang in ihrer Stimme an. »Bis jetzt habe ich mich ja ohne Mutter zurechtgefunden.« Beifällig grinste Rita. »Weißt du, ich habe zu dir eine irgendwie ganz sonderbare Einstellung. Vielleicht verkörperst du letzten Endes etwas, das ich nie hatte.« Sie senkte den Blick. »Früher habe ich mir mal ‘ne Familie gewünscht. Hat aber nicht geklappt. Kann sein, ich habe in dir die Erfüllung eines Wunschs gesehen, von dem ich dachte, ich hätte ihn längst erstickt.« Sie sprach offenbar über etwas, das ihr geheimen Kummer bereitete. Susan spürte, wie sie rot wurde. »Dadurch fühle ich mich geehrt, Rita. Vielleicht bist du anfangs für mich ein zu großes Idol gewesen. Ich habe dich für vollkommen gehalten, für jemanden, der wie aus Eisen geschaffen ist, jemand Unbezwingbares, einen Inbegriff der Tüchtigkeit und soldatischen Professionalität. Möglicherweise habe ich dabei vergessen, in dir auch einen Menschen zu sehen.« Ein etwas peinliches Schweigen entstand. »Darf ich dir auch eine Frage stellen?«
Rita lächelte und schwang sich in ihre Koje, ihr Blick war sanfter und freundlicher geworden; allerdings merkte man ihr ein wenig Nervosität an. »Klar.« Es erstaunte Susan, daß Rita Sarsa einwilligte, und gleichzeitig verspürte sie eine gewisse Scheu vor der eigenen Courage; die ungewohnte Verletzlichkeit, die sie Rita jetzt anmerkte, verunsicherte sie. »Da wir gerade beim Thema Männer sind: Was hast du in bezug auf Eisenauge vor?« Rita machte große Augen. »Eisenauge?« »Ihr habt doch beide sehr viel füreinander übrig.« Susan wandte den Blick nicht von Ritas Augen. Ruckartig bildeten sich Falten auf der Stirn der Majorin, als sie nachdenklich den Blick senkte. Schließlich zuckte Rita die Achseln. »Ich weiß es selbst nicht. Wir betrachten uns nicht als Liebende. Ich habe keine Ahnung, in was für einem Verhältnis wir zueinander stehen. Hinter uns liegt zuviel Leid. Die Menschen, die wir geliebt haben, sind längst tot. Spinne hat uns übel mitgespielt.« Schließlich zog sie die Schultern hoch. »Ich habe ihn und mich nie im Rahmen einer Beziehung gesehen. Wenigstens nicht bewußt...« »Wenn du dich irgendwann mal darüber aussprechen möchtest...« »Nett von dir«, sagte Rita leise; ihre Augen glänzten. »Wegen Major Iverson brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ich werd’s hinkriegen, daß er sich abregt... Und mit Freitag werde ich auch fertig, wenn’s sein muß. Du siehst ganz schön mitgenommen aus. Hans muß mehr zu bieten haben, als ich ihm zugetraut hätte.« Sie grinste listig. »Wenn er so gut ist... Vielleicht schließe ich mal mit ihm nähere Bekanntschaft, sobald er dich langweilt.« »Das fände er bestimmt toll«, log Susan, die genau wußte, daß Hans glattweg in Ohnmacht fiele. »Wenn du morgen ‘n bißchen später an deine Studien gehst, habe ich wohl nichts dagegen.« Rita zwinkerte ihr anzüglich zu und schaltete das Licht aus.
Im Dunkeln entkleidete Susan sich und bettete ihren müden Körper in ihre Koje. Sie gestattete sich ein breites Grinsen des Triumphs. Die unsterblich gewordene Dr. Leeta Dobra hätte es nicht besser als Susan Smith Andojar machen können. * * * »Und schaut her! Nicht mal ‘ne Narbe!« Freitag hatte die Hosen halb hinabgelassen und deutete auf die glatte Haut seines Unterleibs. »Woher hat so ‘n kleiner Wicht so große Hoden?« knurrte Patan Smith. »Hast du sie ‘m Pferd abgeschnitten, oder was?« Freitag warf ihm einen festen Blick zu und zog die Hosen hoch. »Wenn du meinst, meine Eier wären groß, solltest du erst mal den Striegel sehen, wenn er ... Ach, warum soll ich euch Burschen Grund zum Neid liefern. Wißt ihr, das ist halt der Vorteil, wenn man klein bleibt. Während ihr alle richtig groß geworden seid, habe ich mich kurz gehalten, damit andere Körperteile, die mir wichtiger sind, um so besser wachsen konnten ...« »Hm-hmm«, brummte Toby Garcia Andojar vom Kommu-Apparat herüber. Er wirkte, als hätte er Langweile. Er nahm das Kontaktron ab, rieb sich die roten Druckstellen, die es an seinen Schläfen hinterließ. »Mir ist schon gar nicht mehr bewußt gewesen, wie schön das Leben ohne dich war, Freitag.« Mit einem Wink wies er auf die Kommu. »Alles, was wir jetzt noch tun können, ist bloß, an diesen Geräten rumzuhocken und uns die Zeit mit Holo-Spielen zu vertreiben. Ich weiß nicht... Ich bin mir nicht sicher, ob der Weg zu Coups durch eine Maschine führt.« »Ich habe schon gehört, daß die Krieger murren«, sagte Freitag. »Sie wären mit den Verhältnissen unzufrieden, ist mir erzählt worden.« Willy Grita nickte. »Ich habe viele Coups errungen. Ich
hatte in meinem Dorf die größte Pferdeherde. Noch nie habe ich irgend was von einer Maschine gelernt!« Er sprach die Bezeichnung mit äußerster Verachtung aus. »Warum also machen wir das alles?« überlegte Sam Gelbes Bein laut. »Das ist doch kein Kriegszug. Es sind nur Bilder im Kopf.« Freitag schnitt eine Miene des Unwillens. »Ich bezweifle, daß der Kriegshäuptling uns zu so was anhielte, wenn’s keinen Sinn hätte. Habt Geduld. Es wird sich ...« »Ha!« schnob Grita. »Weshalb soll ich ...« »Du brauchst die Maschinen«, rief an der Tür Eisenauge. Die Männer drehten sich um, sahen seine wuchtige Gestalt den Eingang ausfüllen. Er trat ein. »Man merkt’s nicht gleich«, fügte er hinzu, »aber durch diese Bilder im Kopf lernt man etwas.« »Woher willst du das wissen?« rief Sam Gelbes Bein. »Auf diesem Schiff gibt’s dreitausend Krieger.« Eisenauge klappte vor einem Monitor einen Sitz aus der Wand und setzte sich. »Durch etwas, das man Statistik nennt.« Er hob die Hände, räumte seinen mangelhaften Durchblick ein. »Ich verstehe auch nicht genau, wie’s funktioniert. Es hat irgendwie mit Zahlen zu tun. Denkt doch mal daran, wie’s vorher war: Wißt ihr noch, wie oft die Apparate euch am Anfang besiegt haben? Jetzt kommt das nicht mehr so häufig vor, oder?« Reesh streifte sich das Kontaktron vom Kopf, betrachtete mißmutig den Monitor, dessen Bildfläche sich vor ihm verdunkelte. »Ja, aber wer hat schon mal von Straßenkämpfen gehört? Natürlich kostet’s uns nicht das Leben. Es ist wie ... wie auf ‘m Kriegspfad, gleichzeitig aber nicht so. Solange man alles nur im Kopf sieht, spürt man kein Feuer im Blut. Man empfindet nichts, man fühlt nicht einmal das Gewehr in der Hand. Es ist nicht... nichts Wirkliches.« »Wie bist du das letzte Mal in der Simulation umgekommen, Reesh?«
Der Krieger furchte die Stirn und spitzte die Lippen. »Da war so ein schwarzes Ding, es sah aus wie ‘n Balken. Ein Stromkabel. Ich hatte keine geeignete Stelle, um mein Messer wegzulegen, also hab ich’s in den Balken gestochen, so wie ich’s daheim bei ‘m Säulenpflan-zenast täte.« »Ist dir eigentlich klar«, rief Freitag, »wieviel Elektrizität durch so ein Kabel strömt? Du geistesschwacher Sohn Spinnes, du bist...« »Aber auf dem Sirius wirst du deinen Dolch nun nicht mehr in ein Stromkabel stechen, oder?« fragte Eisenauge freundlich. »Naja, nein, nachdem ich jetzt weiß, daß ...« »Aber es ist nicht echt«, sagte Sam starrsinnig. Eisenauge streckte die Beine. »Das soll es auch gar nicht sein. Stellt’s euch so vor: Krieg geschieht auf zwei Ebenen. Eine betrifft die Art, wie man denkt. Die andere ist die Weise, wie man vorgeht und handelt. Ein guter Krieger muß beides beherrschen, das Denken und das Handeln. Wir, das Volk, wir Spinnen- und Santoskrieger, wissen genau, wie wir auf Welt denken und handeln müssen. Darin sind wir unübertroffen. Darum ist jetzt keine Zeit des Handelns. Auf Sirius erwartet uns der Tod in vielerlei Gestalt, die wir aus der Heimat nicht kennen. Deshalb müssen wir gegenwärtig richtig zu denken lernen. Dafür ist jetzt die Zeit. Handeln werden wir dann, wenn’s soweit ist.« »Diese Zauberapparate ...« Sam Gelbes Bein deutete auf den Bildschirm. »Gibt es so was wirklich? Ich meine diese großen Maschinen, die in der Luft fliegen? Haben sie dort tatsächlich solche Sachen?« »Und ich sehe nie Pferde«, nörgelte Patan. »Ich kann mir überhaupt kein Volk vorstellen, das ohne Pferde lebt. Und’s gibt keine Pflanzen, kein Gras, gar nichts, wie wir’s kennen. Die Holo-Maschinen zeigen Gegenden, wo’s überhaupt keine Erde zu sehen gibt. Ist es dort in
Wirklichkeit so? Alles nur Riesenhäuser und riesengroße Bauwerke?« Eisenauge verschränkte die Arme. »Genau so verhält es sich dort. Aus diesem Grund ist es dermaßen wichtig, daß ihr viel Zeit an den Apparaten zubringt. Denkt an eure Fehler, denkt dran, wie ihr euch geärgert habt, weil Lastfahrzeuge euch überfahren haben oder ihr in der Falle gesessen habt, bloß weil ihr nicht wußtet, was ‘n AntigravLift ist. Zu eurem Glück sind euch diese Fehler nur im Kopf unterlaufen, nicht auf Sirius. Ich wünschte, wir hätten zu Hause solche Geräte, um die Jungs das Pferdestehlen zu lehren.« »Ho-ho«, grölte Willy Gritas Stimme durch den Raum, »selbst mit den Maschinen könntet ihr Spinnenkrieger nicht mal lernen, ‘m toten Gaul die Knochen zu stehlen!« »Wir werden Sirius ausgeplündert haben«, johlte Toby Andojar zurück, »während ihr Santos euch noch dumme Witze ausdenkt!« »Ich habe die Geräte und die Bilder in meinem Kopf satt«, murrte Ray Smith, kreuzte die Arme auf der Brust. »Zu diesem Quatsch habe ich aber keine Lust mehr.« »Genau deshalb bin ich hier«, erklärte Eisenauge, »nämlich um euch zu verdeutlichen, daß es nötig ist, beharrlich an den Unterrichtsmaschinen tätig zu bleiben. Wir müssen lernen.« Grita richtete den Blick auf Eisenauge. »Sag mir, Kriegshäuptling, wer erzielt an den Apparaten die besseren Ergebnisse? Die Spinnenkrieger? Oder die Santos?« Eisenauge wölbte die Schultern, holte tief Luft. »Es schmerzt meine Seele, aber die Statistiken, die ich erwähnt habe, zeigen unzweifelhaft, daß die Santos im Straßenkampf besser als die Spinnenkrieger sind.« »Kein Santos kann besser als ich sein!« schrie Ray Smith. Augenblicklich brach Chaos aus, die anwesenden
Spinnenkrieger heulten vor Wut, während die Santos juchzten und jubelten. Eisenauge winkte ab, bis der Tumult abschwoll. »Glaubt nicht, das sei ein endgültiger Sieg. Nicht alle Coups in diesem Spiel fallen den Santos zu. Ich glaube, daß die Spinnenkrieger, wenn sie sich etwas stärker anstrengen, aufholen können. Sobald die Santos zu prahlen und sich die Schultern zu klopfen anfangen, werden sie eines Morgens aufwachen und von ihnen übertroffen worden sein.« »Woher wissen wir, wer an der Spitze liegt?« erkundigte sich Felix Weißer Adler. Im Hintergrund entstand ein Stimmengewirr, das der gleichen Fragestellung galt. Wieder sorgte Eisenauge durch wiederholtes Abwinken für Ruhe. »Ich werde jeden Morgen den neuen Stand aushängen. Dann könnt ihr sehen, wie der Wettstreit um die Coups verläuft. Und wenn alles vorbei ist, wir die Sirianer geschlagen haben, werden wir die echten Coups zählen.« Die Krieger dachten nur kurz darüber nach. Mit glänzenden Augen stachelten sie sich gegenseitig an, man spürte, wie sich alte Rivalitäten bemerkbar machten. »Jawohl, häng die Zahlen aus«, rief der alte Sam Gelbes Bein. »Wir wollen doch mal sehen, wer der Bessere ist, wenn wir Sirius erreichen.« »Und was dich angeht, Ray«, sagte Eisenauge und stand auf, »leider waren deine Ergebnisse heute früh die schlechtesten.« Ray Smith senkte den Blick, fing in sichtlicher Verlegenheit auf seinem Sitz zu zappeln an. »Das wird von nun an nie mehr vorkommen.« Eisenauge nickte, hatte ein knappes Lächeln auf den schmalen Lippen. »Ich habe mir gedacht, daß es sich so entwickelt.« Köpfe duckten sich mit wildentschlossenen Mienen der Konzentration vor die Unterrichtsapparate, nahmen geistig den Kampf gegen Sirianer auf.
Freitag sah eine Gelegenheit und folgte Eisenauge hinaus in den Korridor. »John?« Der Kriegshäuptling wandte sich um. »Äh ... Ich habe Susan anzurufen versucht. Die Kommu konnte sie aber nicht finden.« Freitag neigte den Kopf zur Seite. »Ich meine, die Kommu kann doch normalerweise, falls ich’s richtig verstanden habe, an Bord jeden ausfindig machen. Ich habe gedacht, sie wäre da, wenn ich die Bordklinik verlasse. Irgendwie meine ich, das wäre das wenigste gewesen, was sie hätte tun können.« Eisenauge hob die Schultern. »Frag mich nicht nach Susan. Du hast sicher gehört, daß sie Krach mit einer Verbindungsoffizierin der Patrouille hatte? Ich weiß von Rita, daß sie Susan zwei freie Tage genehmigt hat.« Eisenauge schmunzelte. »So wie sie aussah, als ich ihr zuletzt begegnet bin, dürfte es am vernünftigsten von ihr gewesen sein, beide Tage durchzuschlafen.« Freitag verzog das Gesicht zu einer nachdenklichen Miene. »Tja, das wird’s wohl sein. Es ist alles ein bißchen hart für sie. Ich weiß, zu wieviel Unterrichtsstunden sie sich gezwungen hat.« Eisenauge patschte ihm auf die Schulter. »Mach dir ihretwegen keine Sorgen. Sie ist Störenfriedin für zwei. Sie wird schon noch einiges von ihren Problemen auf dich abwälzen.« Freitag lachte auf. »Ja, wahrscheinlich.« »Geht’s dir wirklich gut?« Eisenauge schüttelte den Kopf. »Ich kann noch immer nicht so recht glauben, wie wunderwirksam die Patrouillenmedizin ist. Deine Wunde hätte dich eigentlich geradewegs zu Spinne senden müssen.« »Es ist nicht einmal eine Narbe vorhanden«, rief Freitag. »Willst du’s sehen?« Er hatte die Hosen bereits halb runtergelassen, da bogen zwei Patrouillensoldatinnen um die Ecke des Korridors und blieben schlagartig stehen.
Freitag erstarrte mitten in der Bewegung, sein Gesicht wurde aschfahl. Die Frauen gafften ihn aus aufgesperrten Augen an und kicherten. »Bist am Protzen?« fragte die eine im Vorübergehen in beherrschtem Tonfall. Freitag schluckte schwer und zerrte seine Hosen hoch, und dabei zerriß der weiche Stoff mit lautem Geräusch. Eisenauge biß sich auf die Lippe, um eine neutrale Miene zu bewahren, schaute auf Freitag hinunter, dessen Gesicht im Rot eines Sonnenuntergangs glühte, während er die Fäuste ins zerfetzte Gewebe krallte. »Wenn ich’s mir genau überlege, brauchst du Susan nicht, um Schwierigkeiten zu kriegen. Das schaffst du ganz gut allein.« * * * Skor Robinson trieb durch das ewig diesige Blau. Kollegen Direktoren, Sie alle haben Ngen Van Chows zuletzt gesendeten Propagandaauftritt zur Kenntnis genommen. Wieder ist beträchtlicher Schaden angerichtet worden. Nunmehr läßt das Ausmaß seines Einflusses auf die Bevölkerung sich nicht mehr abschätzen. Trotzdem müssen wir uns damit abfinden, daß ein meßbarer Effekt traditioneller Methoden der gesellschaftlichen Lenkung nicht länger erwartet werden kann. Roque ergriff das Wort. Es hat Krawalle an der Universität gegeben! Auf Basar sind Plünderungen und Morde vorgefallen. Der Giga-Verbund-Komplex auf Saggitarius Drei ist sabotiert worden. Bei politischen Protestkundgebungen sind Menschen umgekommen! Ums Leben gekommen! Seit dreihundert Jahren sind keine öffentlichen Unruhen aufgetreten. Das gesellschaftliche Geßge ist brüchig geworden. Vor unseren Augen gerät die Ordnung ins Bröckeln. Ich stimme vollständig mit Ihnen überein, Assistenz-Direktor, es verhält sich tatsächlich so, übermittelte Nawtow
seine Auffassung. Der romananische Prophet hat uns davor gewarnt. Leidenschaft hat er dergleichen genannt. ]a, das ist es, was wir jetzt mitansehen müssen. Van Chow versteht es, diese atavistische Leidenschaft, die in der Spezies noch latent vorhanden ist, zu seinen Gunsten zu aktivieren. Daß ein emotionaler Appell den rationalen Gedanken außer Kraft setzt, übersteigt jedes Verständnis. Welche Art von Freiheit erhoffen sich die Massen ohne jede Lenkung? Ich stütze meine Argumentation auf folgende Informationen ... Flüchtig sichtete Skor die von Nawtow zugeleiteten Datenmengen, schob jedoch den größten Teil in Speicherplätze ab. Assistenz-Direktor Nawtow, Sie brauchen mich von dieser Einschätzung nicht erst zu überzeugen. Nicht ich bin es, der die jetzige gesellschaftliche Gärung fördert. Vielmehr ist es erforderlich, die vielen Milliarden von Menschen draußen davon zu überzeugen, die immer unübersehbarer dazu neigen, Van Chows Charakter etwas Heroisches abzugewinnen. Und dem Piraten Ree sowie seinen schmutzigen romanani-schen Bestien, rief Nawtow in Erinnerung. Die illegale Funksendung Dr. Dobras hat bei den Menschen einen zu tiefen, nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Sie schwärmen davon, finden darin Anlaß zu Träumereien, fast verherrlichen sie das Bild, das sie sich von diesen ungebildeten Wilden machen. Wir sollten eine eigene Kampagne starten, trug Roque zu der Diskussion bei. Ich werde auf Ngen Van Chows Anschuldigungen reagieren, indem ich unwiderlegbare Beweise dafür vorlege, daß Van Chows politisches System zwangsläufig Unordnung und soziale Turbulenz impliziert. Skor Robinson untersuchte das logische Gerüst der Beweisführung, die Roque mit Unterstützung der Computer auszuarbeiten anfing; Gigabytes an Daten entfalteten sich in Schüben mathematischer und algebraischer Sequenzen. Was könnte ein vernünftiger Mensch dagegen noch einwenden?
Doch gleichzeitig ging ihm Chester Armijo Garcias sonderbare Voreingenommenheit bezüglich der Seele nicht aus dem Sinn. Besaß er, Direktor Skor Robinson, die mächtigste Person des gesamten Direktorats, tatsächlich eine Seele? Konnten Berge von Daten Menschen beschwichtigen, die es nach Seele verlangte? Was war eine Seele überhaupt? Robinson quälte sich mit seinen Überlegungen regelrecht ab, versuchte seine komplette geistige Kapazität auf die Lösung des Problems zu verlagern, aber das Resultat bereitete ihm eine Enttäuschung. Ausgezeichnet, Assistenz-Direktor Roque, ließ Nawtow sich vernehmen. Ich glaube, dank der Vorlage Ihrer unwiderleglichen Beweisführung wird die Menschheit wieder zu Verstand kommen. Was sollte jemand gegen derartig emdeuti-ges Beweismaterial erwidern können ? Vielleicht haben Sie damit uns alle gerettet, Assistenz-Direktor. Ja, vielleicht hatte er es. Welchen Nutzen hatte eine altmodische Konzeption wie die Seele in der modernen Welt? Nach der Ausmerzung der Religionen aus dem Corpus der Gesellschaft hätte ein Rückfall in die Irrtümer der Vergangenheit nichts als Unannehmlichkeiten zur Folge. Seele? Ja wahrhaftig! Eine Phantasterei des gedankenlosen Mobs. In meiner Eigenschaft als Direktor, erklärte Robinson, gratuliere ich Ihnen zu Ihrem gelungenen, mustergültigen Beispiel für überzeugungskräftige Propaganda, AssistenzDirektor Roque. Lassen Sie den Text so schnell wie möglich verbreiten und uns sehen, welche Frucht diese Daten tragen werden. Es könnte wirklich sein, daß die Menschheit künftig enorm in Ihrer Schuld steht. Für einen Moment zog Skor Robinson das Konsultieren des romananischen Propheten in Betracht; allerdings sprachen die aus Roques politischen Thesen ableitbaren Konsequenzen hundertprozentig für sich und waren nicht im mindesten zu leugnen. Niemand konnte An Roques logische Entgegnung auf Van Chows emotionale Tiraden
in ihrer Richtigkeit in Zweifel ziehen. Da die sirianische Revolte nun auf diese Weise diskreditiert werden konnte, blieb lediglich noch die Aufgabe übrig, den Renegaten Damen Ree und sein Piratenschiff zu entwaffnen. Sobald man die Projektil erst einmal neutralisiert hatte, ließen die Romananer allein sich bald ebenso unschädlich machen. *
*
*
Die Kommu rief Susan. Sie setzte das Schulungsprogramm zeitweilig außer Betrieb und nahm den Anruf entgegen; auf dem Monitor erschien Hans’ Gesicht. »Bist du vors Kriegsgericht gestellt worden?« begrüßte sie ihn, zwinkerte ihm keß zu. »Oder als Schänder junger romananischer Frauen nur getadelt worden?« Mühsam schluckte Hans. »Zur Strafe muß ich Doppelschichten schieben. Aber an Schlimmerem bin ich irgendwie noch mal vorbeigeflutscht.« Seine Augen ruckten hin und her, sein Mund zuckte. »Hör mal, wegen dieser Sache, die wir ... äh ... Du weißt doch, worüber wir schon ausgiebiger gesprochen haben. Ich glaube, wir sollten damit zum Oberst gehen. Schließlich könnte es ja wichtig sein. Du weißt ja, ich meine dieses Fujiki-Ding.« Susan schnitt eine ernste und bedenkliche Miene. »Und was ist mit unserem Verstoß gegen die Geheimhaltung?« Hans verdrehte die Augen. »Tja, das ist dabei der einzige Haken. Kannst du dir vorstellen, was man mit ‘m kleinen Unteroffizier macht, der plötzlich mit geheimem Datenmaterial aufkreuzt?« Er schloß die Lider. »Aber wir wissen zuwenig. Ich meine, was soll werden, wenn die Siraner wirklich solche Blaster zur Verfügung haben? Diese Informationen können für viele Menschen den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Sieh mal, ich habe das letzte Mal geholfen, diesen Kahn nochmals zusammenzuflicken. Ich weiß, in welchem Zustand sich der Rumpf befindet.«
»Dann sag Bescheid«, keuchte Susan. »Aber die Daten tragen doch den Geheimhaltungscode«, rief Hans. »Ich meine, ich kann doch nicht einfach hingehen und sagen: Übrigens, als ihr kürzlich dachtet, ich hätte im Wartungsstollen der Bordcomputer mit Susan ... äh ... ahm ... — na du weißt schon —, haben wir in Wirklichkeit aus hochgeheimen Altspeichern Staatsgeheimnisse geklaut. Das ist doch klar, Susan. Mir gefällt mein Körper ganz gut, wie er ist, ich lege keinen Wert drauf, daß er platzt wie ‘ne Brühwurst, wie’s nämlich passieren wird, wenn Ree mich wegen Hochverrats zur Schleuse hinauspfeifen läßt.« »Dann sag niemandem was.« »Es ... es könnte aber ... doch unerhört wichtig sein«, jammerte Hans verzweifelt. »Tja ...« Susan beugte sich vor, kaute am Daumennagel. »Wär’s ... wär’s nicht möglich, daß du irgendwo ‘n Hinweis hinterlegst? Wo Iverson ihn finden muß ... Oder Ree ... Oder sonstwer.« Trübsinnig musterte Hans sie. »Ähm ... Susan, kann sein, du bist fix wie ‘n geölter Neutrino, wenn’s darum geht, sich aus einer Patsche zu schwindeln, aber sobald’s darauf ankommt, eine Problemstellung technischer Natur zu lösen, würdest du dich innerhalb eines Moments um Kopf und Kragen bringen.« »Hans, ich bin keine ... keine ...« »Doch, bist du.« Er schenkte ihr einen sorgenvollen Blick. »Sagen wir mal, Ree entdeckt den Hinweis als anonyme Meldung in seinem Kommu-Apparat. Er sieht sofort, was es betrifft, und ruft gleich Tony in der Kommu an, fragt ihn, woher der Tip stammen könnte. Tony legt sich umgehend ins Zeug und findet im untersten Winkel der Bordcomputer die geheimen Speicher mit den Dateien voller Bruderschafts-Informationen. Klar?« »Klar.« Susan zog den Kopf ein. »Hm-hm. Und die nächste Frage lautet: Wer hat sich
darauf Zugriff verschafft? Das Kommu-Log zeigt, daß dafür kein reguläres Terminal benutzt worden ist. Welche Möglichkeit bleibt also übrig?« Hans’ Grinsen gerann fast zu einem Starrkrampf. »Daß jemand mit ‘m tragbaren Terminal die betreffenden Speicher direkt gemolken hat. Na, und wer waren wohl die Personen, die zuletzt unerlaubt in die ...« »Ich erkenne das Problem.« Susan rieb sich die Nase. »Also erwischt man uns, wenn du die Information weitergibst. Verrat, hä? Mir wär’s vielleicht lieber gewesen, dieses Wort eurer Sprache nicht lernen zu müssen.« Hans blicke sie kläglich an. »Ich muß wieder an die Arbeit. Ich wollte bloß mal kurz mit dir reden.« Hastig überlegte Susan. »Unternimm noch nichts. Wir halten noch für ‘n Weilchen still. Laß uns abwarten und sehen, was passiert. Anscheinend ist Rita der Meinung, daß wir mit sechs Patrouillenschiffen die Sirianer, sobald wir aus dem Überlichtflug gehen, ohne viel Drum und Dran zu Plasma zerblastern. Falls es so abläuft, erledigt sich das Problem von selbst.« Widerwillig nickte Hans zum Zeichen der Zustimmung. »Na schön. Bis auf weiteres werde ich mal die Klappe halten. Bloß ist mir gar nicht wohl bei...« »Hans?« rief Susan gedämpft dazwischen. »Hm?« »Danke. Einfach weil du so bist, meine ich. Du bist ein ganz besonderer Mensch.« Ihm hing der Mund offen. »Sagst du ... Sagst du das im Ernst?« Sie nickte. »Ja, selbstverständlich. Du bist... Naja, ich weiß nicht, was ich ohne dich anfangen sollte. Ich brauche deine ... Na, weißt du, du bist eben mein bester Freund.« Sie sah, wie er sich im Sitzen hoch aufrichtete, seine Augen begannen zu leuchten. »Und du, mußt du wissen, bist so ungefähr die beste ...« »Unteroffizier Yeager!« donnerte eine Stimme im Hin-
tergrund. »Heiliges Kanonenrohr, was glauben Sie eigentlich, was Sie hier...?« Hans trennte die Verbindung, sein Abbild verflimmerte. Susan lachte, in Gedanken noch bei ihm, leise vor sich hin. *
*
*
Ngen Van Chow kreischte vor Lachen und schlug sich auf die Schenkel. »Oh, das ist ja köstlich!« Giorj Hambrei lugte aus dem Gehäuse des Feuerkontrollcomputers, den er gerade aus einem Umbau fabrizierte. Ursprünglich hatte das Gerät Laser in Bergwerksbetrieben gesteuert; in Zukunft sollte es, ausgestattet mit neuer Programmierung und beschleunigter Rechenleistung, in den Reihen der Patrouille Tod und Vernichtung säen. »Köstlich, Erster Bürger?« Das unentwegte Lächeln in Van Chows breitem Gesicht wirkte, als paßte es nicht im entferntesten zu dem sonst dauernd in düsteres Grübeln vertieften Herrscher des Sirius, an den Giorj sich inzwischen gewöhnt hatte, ähnlich wie Van Chows schwarzes Haar in krassem Gegensatz zum Weiß der Kommandobrücke stand. Was für ein sonderbarer Mensch, mußte Giorj wieder einmal denken. »Wahrhaftig, Ingenieur, köstlich!« krähte Ngen. »Das Direktorat schlägt zurück. Ach, und wie es zurückschlägt! Jetzt sendet es schon seit Minuten ununterbrochen. Da! Schauen Sie’s sich selbst an.« Mit lascher Hand winkte Ngen in die Richtung der Kommu-An-lage. Behutsam stellte Giorj die Platine beiseite, an der er momentan arbeitete, latschte hinüber zur Kommu und schob sich ein Kontaktron über den Kopf. Die Informationsmenge, die man den Computern zufunkte, erwies als in der Tat überwältigend umfangreich. Noch unglaublicher war, daß immer mehr Informationen eingingen, ohne Unterbrechung immer noch mehr und mehr. »Da!« heulte Ngen, klatschte die Hände zusammen.
»Jetzt haben sie die Speicherkapazität der Bordcomputer überlastet!« Giorj hob sich das Kontaktron vom Schädel und blieb ratlos stehen, betrachtete nachdenklich den KommuMonitor. »Ist denen denn nicht klar, daß überhaupt kein Mensch soviel Informationen geistig aufnehmen kann?« Ngen Van Chow prustete vor Heiterkeit. »Natürlich nicht! Giorj, die Direktoren haben keinen Begriff von ... von der Realität. Sie glauben, sie könnten unsere Sendungen mit nacktem Datenmaterial kontern? Damit graben sie sich das eigene Grab nur um so schneller. Wie würden Sie darauf reagieren? Hmm?« Ngen verstummte. »Ach, egal. Sie sind ja auch kein richtiger Mensch.« Der Erste Bürger entzog Giorj seine Aufmerksamkeit und beugte sich näher zur Kommu, stellte eine Verbindung zu Pika Vitr her. Kein richtiger Mensch? Diese Behauptung beschäftigte Giorj nach und nach zunehmend stärker, während er die Platine wieder zur Hand nahm und pflichtgemäß die Arbeit fortsetzte. Kein richtiger Mensch? Geduldig bastelte er weiter, wunderte sich unterdessen darüber, wie sehr Ngens überhebliche Bemerkung ihn kränkte. »... dermaßen abstrakt und kompliziert, daß niemand es verstehen kann!« johlte hinter ihm Van Chow. »Der Durchschnittsbürger wird darin keinerlei Sinn entdek-ken. Was? Natürlich! Kapieren Sie denn nicht? Wir verursachen ihnen ernste Schwierigkeiten. Stimulierten wir nicht den gesamten bewohnten Weltraum zu neuen Gedankengängen, würden sie überhaupt nicht auf uns reagieren. Nein, wir müssen unsere Sendetätigkeit unbedingt ausweiten. Sie noch tiefer treffen, die Lage zum Kochen bringen. Sie hätten uns keine bessere Handhabe liefern können. Ich werde diese Sache gegen sie verwenden, warten Sie nur ab ...« Giorj kaute auf seinen dünnen, grauen Lippen, befaßte
sich mit seiner Mutter drunten auf dem Planeten. Sah Ngen in ihr einen Menschen? Hielt er überhaupt ir-gendwen für einen Menschen? Er seufzte, war froh über die kühle, elegante Einfachheit seiner Apparaturen.
14 »Hieb!« schrie Rita Sarsa in schneller Reihenfolge. »Stich! Parade! Ducken!« Susan rang um Atem, warf ruckartig den Kopf nach hinten, um sich den Schweiß aus den Brauen zu schleudern, ehe er ihr in die Augen rann und darin zu brennen anfing. »Bevor du mich erstichst, würde ich an Altersschwäche sterben«, spottete Rita, nahm nun selbst wieder eine Angriffshaltung ein. »Gib acht, daß du das Messer in der Hand behältst!« Susan blieb gerade noch genug Zeit, um das Messer fester zu packen, da sprang Rita schon vor, stieß mit einem brutalen, tief angesetzten Stich gegen den Unterleib zu. Susan blockte ihn ab, fuhr zurück und führte einen wilden Streich nach Ritas Kopf. Rita unterlief ihn, machte einen Hocksprung und schwang sich zur Seite, trat Susan das Messer aus der Faust. Sie stand nun unbewaffnet Rita gegenüber, ihre Waffenhand fühlte sich taub an, kribbelte. Rita duckte sich wieder zum Angriff, rückte näher, umkreiste Susan. Ihre Hand zuckte wie ein Blitz auf Susan zu, die auswich, eine Halbdrehung ausführte und Rita den angewinkelten Ellbogen in die Rippen rammte. Die Majorin japste, als ihr der Atem aus dem Brustkorb geprellt wurde; einen Augenblick lang blieb sie aktionsunfähig. Während sich Susan aus der Bewegung heraus gegen sie warf, schlang sie einen Arm um Ritas Schulter und schleuderte sie auf die Matte. Als Sarsa sich fortwälzen wollte, hielt Susan sie mit auf ihren Hals gedrücktem Knie nieder. »Wie gefällt dir das?« röchelte Susan, saugte überstürzt Luft in ihre nach Sauerstoff gierige Brust. »Schau mal... nach meiner... rechten Hand«, vermochte
Rita noch hervorzupressen, ehe sie einen Hustenanfall erlitt. Susan blickte nach unten und erstarrte: Die Messerspitze war an ihrer Seite, dicht unter den Rippen, fest gegen ihren Schutzpanzer gedrückt. Ohne ihn wäre die scharfe Spitze ihr durch die Leber, den unteren rechten Lungenflügel sowie ins Herz gedrungen. Zur Anerkennung ihrer Niederlage nickte sie, dann seufzte sie und richtete sich auf; Schweiß glänzte auf ihrer Haut, ihre Brüste wogten, während sie für eine Weile gründlich durchatmete. Rita blieb auf der Matte liegen, hustete und versuchte ihre Atmung zu beruhigen. »Alles klar mit dir?« fragte Susan, reichte Rita die Hand hinab. Rita nickte und ergriff die Hand, raffte sich, halb von Susan gezogen, von der Matte hoch. Vor Schmerz verzerrte sie das Gesicht. »Weißt du was, Kindchen?« stöhnte sie, stützte sich auf die Jüngere. »Der Schutzpanzer nimmt einem Anprall sehr viel Kraft. Im Ernstfall hättest du mich mit dem Stoß in die Rippen erledigt.« »Ich dachte, ich hätte verloren«, sagte Susan keuchend, schaute Rita verwirrt an. »Autsch ...!« Ritas Gesicht wurde spitz, während sie sich reckte. »Ich bin nicht mehr die Jüngste. Verdammt, tut das weh! Nein, damit hättest du gewonnen. Mir ist ‘n Fehler unterlaufen. Ich habe dich für unbeholfener gehalten, als du’s tatsächlich bist.« »Ich vermute, das Intrapsychische Training hat mir weitergeholfen.« Susan bückte sich und hob ihr Messer auf, schob die schwere Klinge in den Gürtel. »Noch einmal?« Sie mußte sich zu der Frage zwingen, während sie in ihren ermatteten Gliedern die für ein neues Match erforderlichen Kräfte zu sammeln versuchte. »Nicht mit mir«, nuschelte Rita, deren Miene Beschwerden und Erschöpfung widerspiegelte. »Solche Keile habe ich nicht einstecken müssen, seit... seit vor der
Abkommandierung der Projektil nach Atlantis. Ich bin nicht mehr in Form.« »Gott sei Dank«, brummte Susan, als wollte sie ihr recht geben. Sie schüttelte ihre Hand, die noch kribbelte, und fing an, den Schutzpanzer vom Leib zu pellen. Die Dusche empfand sie wie ein Geschenk des Himmels, doch beim Anblick der dunkelroten Prellung an Ritas Seite erschrak sie. »Vielleicht solltest du das lieber mal in der Bordklinik vorzeigen.« Erneut hustete Rita, schüttelte jedoch den Kopf. »Mir ist nichts, Kleines. Ich hatte bloß keine Ahnung, daß du soviel geballte Kraft auf Lager hast.« »Ich war verzweifelt«, rief Susan. »Ich wollte nicht... nicht noch mal unterliegen.« Der Bluterguß, der sich zusehends bläulicher färbte, behielt nach wie vor ihre Aufmerksamkeit. Sie hatte Schuldgefühle. »Auf genau die Weise gewinnt man, Mädchen.« Rita nickte, zuckte zusammen. »Verzweiflung verhilft zum Erfolg. Man muß kühn sein. Sonst ist man bloß ‘n Schaf.« »Ich bringe dich zur Bordklinik«, beschloß Susan, lutschte an der Innenseite ihrer Backe. »Ach was!« »Du kommst mit. Wenn ich dich nicht zwingen kann ... dann tu’s wenigstens als persönliche Gefälligkeit für mich. Ich werde unmöglich meine Studien weiterbetreiben können, solang ich nicht weiß, daß du nicht in der nächsten Dienstbesprechung umkippst.« Sobald sie trocken war, legte Susan beide Hände auf Ritas Schultern und blickte ihr tief in die Augen. »Na gut«, rief Rita, hob in ratloser Gebärde des Ein-lenkens die Arme. »Ich tu alles, nur damit du mich in Ruhe läßt.« Beinahe hätten sie es nicht bis zur Bordklinik geschafft. Zunächst ging.Rita ganz zügig, murmelte unterwegs mißmutig vor sich hin; doch ihre Verfassung verschlechterte
sich rasch. Als sie die Klinik erreichten, hatte Rita sich zusammengekrümmt, hielt sich den Leib, konnte sich nur noch mit Mühe bewegen. Susan spürte Ansätze zur Panik, während die Meds Rita aus ihren Armen in Empfang nahmen und sie in eine der großen Maschinen legten, aus der nur noch ihr Kopf hervorragte. Sie blickte zu Susan herüber und zwinkerte ihr zu. Susan holte tief Atem und fing beunruhigt auf- und abzustapfen an. Sie beschloß, Eisenauge zu verständigen, rief ihn an. »Ich bin bei Rita in der Bordklinik ...« Schon sah sie, indem er sich im Laufschritt vom Monitor entfernte, einen leeren Bildschirm vor sich. Während sie sorgenvoll wartete, nahm sie sich einen Moment Zeit zum Durchdenken ihrer Situation. Nach dem Zwischenfall mit Hans hatte ihr Dasein sich wieder routinemäßig eingependelt. Susan betrieb das Lernen mit aller Hingabe und beschäftigte sich in ihrer Freizeit mit den Geheimcodes der Bruderschaft. Nachts koppelte sie ihren Körper an die Schlafsynchronisation und lernte im Intrapsychischen Manövertraining moderne Kampftechniken, ihr Geist reagierte im Traumzustand, während ihre Muskeln zuckten, indem neurale Kondi-tionierung ihnen Bewegungsabläufe einprägte. Ihre Schulung umfaßte täglich vierundzwanzig Stunden, darunter auch Phasen computergesteuerten Tiefschlafs, in denen sie komprimierte Schnellehrgänge absolvierte. Die langen Aneinanderreihungen von Fakten, die die Unterrichtsgeräte ihrem Hirn einflüsterten, begannen sich nun zu klareren Wissensstrukturen zusammenzufügen. Gelegentlich kamen ihr blitzartig Einsichten, die ihr vorher undurchschaubare Kleinigkeiten plötzlich in Erkenntnisse verwandelten. Sechs Monate ununterbrochener Ausbildung hatten sie ausgelaugt. Soviel hatte sie gelernt, aber so wenig begriffen! Sie erinnerte sich an Maria Gelbes Bein Andojar und
die hoffnungslose Natur ihrer Existenz; um so schlimmer, daß ihr Ehemann jetzt tot war, und dafür trug Susan die Verantwortung. »Aber was habe ich verloren?« flüsterte sie zu sich selbst. »Wieviel von mir ist noch die Alte?« Sie dachte an Hans’ Schilderung, wie die Maschine in ihrem Kopf synaptische Muster überschrieb. Mit einem seltsamen Gefühl innerer Leere betastete sie die Narbe an ihrer Hand; sie versuchte sich an ihren Ursprung zu entsinnen, jedoch ohne Erfolg. »Was ist passiert?« schreckte Eisenauges Stimme sie aus ihren Überlegungen. »Ich glaube, ich habe Rita beim Messerkampfüben die Rippen gebrochen.« »Du?« stieß er halblaut ungläubig hervor. »Bist du sicher, daß sie nicht schon davor verletzt war?« Susan schüttelte den Kopf, eine Anwandlung des Ärgers verdrängte einen Teil ihrer Sorge. Sie öffnete den Mund, um ihrem Empfinden Ausdruck zu verleihen, aber tat es dann doch nicht, kniff die Lippen zusammen. Konnte er sie denn nie ernstnehmen? Verdammter sexi-stischer Kerl! Was fand Rita bloß an ihm so toll? Wie, um alles in der Welt, war er bloß je mit Dr. Dobra ausgekommen? Eisenauge schaute sich um, bis sein Blick Ritas kühlen Augen begegnete. Auf einmal verzog er die Lippen zu einem einfältigen Lächeln, und vor Susans Augen schrumpfte der Kriegshäuptling zu einem schüchternen Männlein. »Bist du wohlauf?« rief er Rita leise zu, vermied es ängstlich, den Meds in die Quere zu geraten. Mangels größerer Bewegungsfreiheit hob Rita die Brauen, ihre Miene drückte angesichts ihrer hilflosen Lage einen gewissen Humor aus. »Was ist denn vorgefallen, Susan?« erkundigte sich Eisenauge in weichem Ton. »Habt ihr keine Unfallverhütungsvorkehrungen getroffen?«
Seine ungewohnte, tiefe Empfindsamkeit erstaunte Susan außerordentlich. War das ein und derselbe Eisenauge? »Mir war die Vorstellung unerträglich, wieder zu verlieren, John.« Spontan nannte sie ihn beim Vornamen. »Sie hat mir das Messer aus der Hand getreten, da mußte ich’s ihr einfach zeigen, ehe sie mir noch einmal was auf die Nase gibt. Ich hatte nichts zu verlieren, also habe ich instinktiv gehandelt und ihr eins in die Seite verpaßt...« »Nichts zu verlieren, so«, meinte Eisenauge versonnen, wurde nachdenklich. »Ich hatt’s schon vergessen ... Ich hatte auch einmal nichts mehr zu verlieren. Oder wenigstens dachte ich’s. Merkwürdig, wie man dieser Ansicht sein kann, bevor... Na, bevor man etwas verliert, von dem man gar nicht wußte, daß man’s hatte.« »Sprichst du von Leeta?« fragte Susan mit Zurückhaltung. »Und jetzt machst du dir Sorgen um Rita?« Er musterte sie, die Lippen fest zusammengepreßt, aus harten Augen. »Ach, nun komm, hör auf«, schnauzte Susan. »Rita nimmt bestimmt keinen Schaden. So fürchterlich habe ich nun auch wieder nicht zugeschlagen. Wenn die Bordärzte Blasterverbrennungen und solche Wunden, wie Freitag eine Pferdefänger beigebracht hat, heilen können, werden sie ja wohl ohne weiteres dazu fähig sein, einen Rippenbruch zu versorgen. Wir sind doch nicht auf Welt.« Unerschrocken stellte sie sich seinem Unwillen. »Was glaubst du eigentlich, wie ich mich jetzt fühle? Schließlich bin ich schuld. Weißt du, ich habe sie auch gern!« In seinen Augen glitzerte schwach ein Funke. Doch alles, was er zu erwidern beabsichtigte, blieb unausgesprochen, weil eine Stabsärztin zu ihm und Susan trat. »Sie wird in Kürze völlig wiederhergestellt sein.« Gelassen nickte die Frau. »Durch einen leichten Leberriß hat
eine geringfügige innere Blutung stattgefunden. Zwei Rippen sind gebrochen, und ein Knochensplitter hat die Leber verletzt. Inzwischen hat die Blutung aufgehört, wir behandeln die Rippen und das geschädigte Gewebe mit Elektrostimulation. In zwanzig Stunden steht sie wieder auf den Beinen.« »In dreißig Stunden wollen wir die Sirianer angreifen«, konstatierte Eisenauge. »Wird sie bis dahin wieder einsatztauglich sein?« Insgeheime Anspannung klang in seiner Stimme an. Konnte es wirklich sein, daß seine Hand zitterte? »Wahrscheinlich«, sagte die Stabsärztin und nickte. »Wir werden sie wohl in fünfzehn Stunden entlassen können.« Sie winkte hinüber zu der Med-Einheit. »Wie Sie sehen, haben wir mit ihr keinen sonderlichen Aufwand. Hätte sie einen geringeren Dienstgrad, könnten wir der Behandlung wohl mehr Zeit einräumen, aber die Majorin ist für die Landung auf dem Planeten und den Bodenkampf eingeplant. Deshalb möchten wir sie schleunigst in vollkommener Einsatzfähigkeit entlassen. Sie kann hier per Kommu-Verbindung an Konferenzen und Einsatzbesprechungen teilnehmen.« »Gott sei Dank«, flüsterte Susan. Sie sah Rita an, die inzwischen schlief; die Med-Einheit hatte sich ihres Körpers angenommen. Matt schleppte Susan sich in ihre Unterkunft und vertiefte sich erneut ins endlose Lernen. * * * Die Stimme drang in ihren Traum ein. Susan schaute zu, wie Hans an einem Blaster einen Fujiki-Verstärker montierte. Sie stand Schmiere, während Hans ein dickes Kabel um den oberen Bereich des Blasters wickelte. »Susan?« hallte Freitags Stimme. »Hier kann er uns nicht finden«, rief sie, als sie die Furcht in Hans’ Augen bemerkte.
»Susan Smith Andojar? Ich bin’s, Freitag. Mach auf!« Im Tonfall seiner Stimme schwang starke innere Aufgewühltheit mit. »Lauf!« beschwor sie Hans. Er hob nur die Schultern und setzte das Umwickeln des Blasters mit dem Kabel fort. Susan wälzte sich herum und schrak aus dem Schlaf. Sie blinzelte, schüttelte den Kopf, stemmte sich hoch. Am Abend hatte sie es vorgezogen, auf die Schlaf Stimulation zu verzichten. Hatte sie damit einen Fehler begangen? »Susan, das ist deine letzte Gelegenheit«, erscholl Freitags Stimme durch die Tür. »Wenn du nicht mit mir reden willst, dann sag’s.’« »Freitag!« schrie sie flehentlich, grapschte nach der Kleidung auf dem Fußboden. »Warte! Ich habe geschlafen.« Die Kleider einfach auf den Boden zu werfen, bedeutete auf einem Kriegsschiff eine Disziplinlosigkeit; doch der Luxus, ausnahmsweise eine Nacht ohne Ritas Anwesenheit verbringen zu dürfen, war eine zu große Versuchung gewesen, es einmal nicht so genau zu nehmen. In aller Hast streifte sie die Uniform über, lief zur Tür, strich das Haar nach hinten, rieb sich die Augen. Durch Handflächenkontakt öffnete sie die Tür und trat zurück, als Freitag hereinkam, dessen Gesicht einer Maske glich. »Was ist denn los?« Susan spürte, wie böse Vorahnung sie ins Beben brachte. »O mein Gott!« entfuhr es ihr plötzlich. »Es ist doch nichts mit Rita? Ihr geht’s doch gut, oder nicht?« »Es geht ihr bestens«, antwortete Freitag nachdrücklich. »Ich komme, um mit dir zu sprechen.« »Worüber?« Doch im gleichen Moment wurde es ihr klar. Freitag wirkte, als hielte er sich zum Kampf bereit, hatte die Schultern zurückgebogen, seine Augen hatten einen feindseligen Ausdruck. Seine ganze Gestalt war verkrampft, am kurzen Oberkörper schwollen die Muskeln.
»Ich habe von dieser Sache mit Hans Yeager gehört. Es wird behauptet, du und er hättet euch zwei Tage lang in irgendeiner Röhre versteckt gehalten. Ist das wahr?« Seine Stimme klang hart wie Stahl. Kurz davor, zu schlottern anzufangen, widerstand Susan dem Drang, seinem vorwurfsvollen Blick auszuweichen. Um Zeit zu gewinnen, drehte sie sich dem Spendeautomaten zu und orderte einen Becher Kaffee. »Möchtest du auch was?« fragte sie lasch. »Nein.« »Ich glaube, es wäre sinnlos, so zu tun, als wäre überhaupt nichts geschehen.« Als sie sich umwandte und seinen hitzigen Blick erwiderte, hatte sie sich wieder voll in der Gewalt. »Allerdings.« Seine Miene blieb unverändert, doch es hatte den Anschein, als zöge er sich innerlich von Susan zurück. »Ich sollte ihn töten ... Und dich vielleicht auch.« »Warum?« fragte Susan, stellte den Becher ab und trat auf Freitag zu, schaute ihm in die Augen, in denen erbitterte Wut glomm. »Ich bin nicht deine Gattin. Wir haben keine Abmachungen getroffen. Nicht nur das, Hans und ich haben nichts Verwerfliches getan. Wenn du ihm was antust, Freitag Garcia Gelbes Bein, dann ... dann bringe ich dich um.« Freitags Mundwinkel zuckten. Gewalttätigkeit schimmerte aus seinen Pupillen. Auf dem Absatz wandte er sich zum Gehen. »Warte!« verlangte Susan. Er zögerte nur kaum merklich. »Ich brauche mir so etwas nicht von dir gefallen zu lassen. Ich mag dich gern, Freitag. Du bist einer meiner besten Freunde. Ebenso zählt Hans zu meinen engsten Freunden. Komm her, setz dich hin und laß mich dir alles erklären. Ich ... Es ist eben so, daß ich ...« Er blieb stehen, die Hand schon an den Abtaster des
Tür-Servomaten gehoben. »Wozu, Kriegerin? Was haben wir uns noch zu sagen?« Susan nahm ihren Kaffee und kauerte sich auf ihre Koje. »Weil ich darauf ein Recht habe, mich dazu äußern zu dürfen. Du hast dich kühn für mich eingesetzt, als es meine Ehre zu schützen galt. Kann sein, sie steht auch diesmal in Frage. Als ich verzweifelt war, warst du für mich da. Ich möchte dir erläutern, wer ich geworden bin ... und wieso.« »Es ist mir gleich, wer du ...« »Ich glaube, du bist mehr als ein gewöhnlicher Mensch. Dich halte ich für einen sehr klugen, auffassungsfähigen Mann. Bist du stark genug, um deine Gefühle mit Logik zu meistern und mich anzuhören?« Sie musterte ihn durch halb herabgesunkene Lider. Freitag ging zum Spendeautomaten, kehrte ihr den Rücken zu; seine Finger befummelten einen Becher. Ein undisziplinierter Teil ihres Gehirns fragte sich unversehens, ob die Patrouille möglicherweise die Automaten genau aus dem Grund in den Kabinen installiert hatte, um Gespräche zu erleichtern. »Ich werde dir zuhören«, sagte Freitag, drehte sich mit seinem Becher Kaffee um. Wie ein Löwe im Käfig ließ er sich im Sessel nieder, den Kaffee in seiner Hand jedoch unbeachtet; seinen steinharten Blick richtete er fest in Susans Augen. Sie nickte, gab sich mit seinem teilweisen Zurückstekken vorerst zufrieden. »Du kannst es glauben, Freitag, oder nicht, aber Hans und ich haben uns nicht mit Intimitäten befaßt. Hätten wir es getan, ging’s dich nichts an ... So wie unser Verhältnis umgekehrt Hans nichts angeht.« Ein Mundwinkel Freitags ruckte aufwärts. Seine Miene blieb neutral. Er schwieg. »Davon abgesehen, bin ich nicht mehr das Mädchen, das auf Welt verträumten Blicks an den Himmel hinaufge-
glotzt hat. In meinem Leben hat sich so vieles gewandelt, Freitag ... Genau wie in deinem. Wir werden uns alle verändern. Das ist unvermeidlich. Hans hilft mir beim Hineinwachsen in die Veränderungen ... So wie du auch.« »Dann soll er dir helfen«, knurrte Freitag. »Es tut mir leid, falls ich dir nicht besser helfen konnte. Vielleicht wärst du dann bei mir geblieben. Vielleicht wäre mein Herz groß genug für ...« Susan hörte den Schmerz in seiner Stimme, schloß die Augen und holte tief Luft. »Das ist es, Freitag. In dieser Hinsicht habe ich an dir nichts auszusetzen. Ich möchte nicht, daß du dich aus meinem Leben entfernst. Aber gleichzeitig ... Deine Frau zu werden, bin ich nicht bereit. Möglicherweise habe ich an dem Tag, als wir uns geliebt haben, falsch gehandelt. Aber ich hatte das Gefühl ... das Richtige zu tun, und ich wollte unseren gemeinsamen Nachmittag um nichts missen, weil...« »Weißt du, daß ich dich liebe?« fragte Freitag mit brüchiger Stimme. »Ich würde dich heiraten!« Er ballte eine Hand zur Faust. »Und du wärst ein hervorragender Gatte.« Sie hörte ihm seine Ehrlichkeit an; doch sie ängstigte sie. »Ich finde, daß du in vielerlei Beziehung ein ganz besonderer Mann bist... Aber ich bin einfach nicht zu heiraten bereit. Falls ich’s einmal bin, wirst du mich voraussichtlich nicht mehr haben wollen. Ich kann dich nicht heiraten und ... und danach weiter auf meinen Rechten bestehen. Das wäre eine zu starke Belastung für unsere Ehe ...« Ihre Stimme verklang im Flüsterton. »Du glaubst, ich könnte dich hassen?« erkundigte Freitag sich in aufrichtiger Verwirrung. »Wenn ich deine Frau wäre ... ja.« Sich vollauf dessen bewußt, wie weit voraus sie ihm dank ihrer Schulung war, nickte Susan ernst. Trotzdem blieb er in mancher Weise für sie ein Vorbild, zeichnete er sich durch Eigenschaften
aus, die sie als erstrebenswerte Vorzüge empfand. Sein Verständnis des Lebens beruhte auf dem ungetrübten Realitätssinn eines Kriegers, der in eine grausame, schroffe Welt hinausblickte, ohne sich etwas vorzumachen. Er stand auf, trank Kaffee, darum bemüht, irgend etwas mit der nervösen Kraftballung anzufangen, die sich in seinem Körper staute. »Wären wir verheiratet, wär’s dir wichtig, für mich zu sorgen. Du würdest erwarten, daß ich mich dem überlieferten, alten Schema anpasse, in das sich die Frauen des Volks immer gefügt haben. Wie stündest du dazu, wolltest du unverzüglich ein Kind, aber ich nicht? Und was wäre, wollte ich zum Arcturus, du dagegen heim nach Welt? Oder nehmen wir mal an, ich werde befördert — zur Patrouillenoffizierin — und möchte auf diesem Schiff Dienst tun? Würdest du bei mir bleiben?« Sein andeutungsweises Grinsen wurde breiter. »Weißt du was? Du faszinierst mich, Susan. Ich ... ich nehm’s dir ‘n bißchen übel... aber du ziehst mich an wie Blut eine Fliege.« Sein Blick maß, erforschte sie. »Du bist nicht eben das, was man eine gute, bescheidene Frau nennt. Andererseits erfüllt dein Leib mich mit dem größten Verlangen. Nachts träumte ich von dir. Beim Training sehe ich vor mir dein Gesicht. Vielleicht ist es so, daß Spinne mein Glück an einem Faden seines Netzes vor mir herunterbaumeln läßt. Unter Umständen wäre ich dich bald leid, wüßte ich, daß ich dich zur gehorsamen Ehegattin haben könnte ... und würde dich fortjagen ... oder gehen lassen. Weshalb quälst du mich so?« Er hob die Hände; sie sackten ihm kraftlos herab. Susan lachte, sie spürte die feine Verschiebung in Freitags Auftreten. »Ich quäle dich nicht, Freitag Gelbes Bein. Das Problem sitzt in deinem Kopf. Ich glaube, du bist ein ... ein Träumer. Weil du der kleinste Krieger des Volkes bist, willst du dauernd höher als alle anderen hin-
aus. Ich habe das Gefühl, daß du dir wünschst, viel mehr als jeder andere zu erreichen. Du bist unzufrieden, wenn du keinen Traum verfolgst.« »Gefällt es dir, als Traum betrachtet zu werden?« fragte er mit einem halben Lächeln auf den Lippen. »Ja«, bestätigte Susan, machte eine verklärte Miene. »Es bedeutet, daß ich exotisch und begehrenswert bin. Solang ich. ein Geheimnis bleibe ... außerhalb deiner Reichweite ... wirst du mich haben wollen.« »Du hältst mich zum Narren«, erwiderte Freitag in allzu unbekümmertem Ton, indem seine Stimme einen Anklang von Neckischem bekam. Offenbar hatte sie einen Nerv getroffen; doch es war nicht unbedingt nötig, daß er darunter litt. Erneut fühlte sie das Anziehende, das von ihm auf sie ausging, und sie mußte an den Nachmittag denken, an dem sie es miteinander getrieben hatten. Innere Erwärmung breitete sich in ihr aus. »Warum spielst du den Witzbold, Freitag? Du legst es immer aufs Komische an. Deine Streiche sind längst legendär geworden. Du fühlst dich sogar zum Scherzen gehalten, wenn du dein Leben riskierst. Aber ich entsinne mich der Messerfehde. Da war es anders. Da hast du für mich gekämpft.« »Der Kampf betraf Ehre«, antwortete er halblaut. »Teils deine, ja ... und teils meine.« Von neuer Ruhelosigkeit befallen, stapfte er in dem engen Quartier hin und her, hatte den Kaffee in seiner Hand vergessen. »Sagen wir mal, du hast recht. Gehen wir davon aus, daß ich nach den Sternen greife, während ich mit den Füßen im Dreck stehe. Ist das denn kein edles Ziel? Ist es nicht besser als ...« »Du wärst mir weniger lieb, wärst du kein solcher Träumer, Freitag. Du hättest mich vor einem Heer solcher Kerle wie Ramon retten können, und ich hätte in deiner Schuld gestanden ... aber dich deswegen nicht geliebt. Schau mich nicht so an! Ich liebe dich tatsächlich, Freitag.
Für das, was du bist... und wovon du träumst. Du verkörperst die Zukunft des Volks. Du bist Traum und Wirklichkeit... ineinander vermischt.« Mit konzentrierter Aufmerksamkeit musterte sie ihn, die Lippen gespitzt. »Du liebst mich, willst aber dein Leben nicht mit meinem verbinden?« Skeptisch wölbte Freitag die Brauen. »Ich liebe dich so sehr ... daß ich es gar nicht wagen kann, dich zu heiraten.« Susans Tonfall klang nach einer klaren Entscheidung. »Daran ist gar nichts Rätselhaftes. Nein, ich sehe dir an, was du denkst. Ich möchte lieber in Freiheit deine Freundin sein als deine Gegnerin in einer Ehe. Du wirst mich übertreffen wollen ... und ich dich. Spinne hat uns das Streben und Wünschen gelehrt. Ich könnte nicht hinnehmen, von dir überboten zu werden, Freitag.« In seinen Augen funkelte Anerkennung. »Und wie soll ich mit meinem Verlangen nach dir weiterleben? Hm? Wie soll ich meine Eifersucht auf den Mann bezähmen, von dem du sagst, daß du ihn ebenfalls liebst? Wie könnte ich es verwinden, wenn er dich heiratet? Vielleicht sollte ich doch hingehen und ihn vorsorglich töten. Ihn aus dem Weg ...« »Ich werde ihn nicht heiraten, bei Spinne, Gelbes Bein! Hans ist ein ganz ungewöhnlicher Mensch ... aber niemand, den ich jemals heiraten würde.« Sie überlegte, furchte die Stirn. »Ähnlich wie du gilt er als Witzfigur, wird er als Spaßvogel betrachtet. So wie du hat er sich meinetwegen geändert. Könntest du über deine krumme Männernase hinaussehen, wäre er dir sympathisch. Wie du ist er in dem, was er zu tun hat, sehr tüchtig. Im Gegensatz zu dir hat er allerdings keine Kriegertugenden, die ihm in schwierigen Situationen Halt verleihen. Er ist nie ernsthaft auf die Probe gestellt worden.« »Ich werde ihn nicht umbringen«, beschloß Freitag, feixte kauzig. »Wenn du ihn magst und er zu deinem Glück beiträgt, behalte ihn. Spinne macht mich zum
Narren — wie immer. Ich bin ein Hahnrei ohne jeden Anspruch. Moment mal! Habe ich der Frau, die ich liebe, wirklich gerade empfohlen, einen anderen zu lieben?« Er schüttelte den Kopf. »Ging’s um eine andere Frau als dich, ich würde ihn der Länge nach aufschlitzen, von der Gurgel bis ...« Susan beobachtete die geschmeidigen Bewegungen seiner sehnigen Gestalt; sie liefen mit straffer, athletischer Anmut ab. Sie erhob sich, seufzte, trat zu ihm. »Danke«, sagte sie leise, legte ihre Arme um seinen Hals. Zärtlich küßte sie ihn auf die Lippen. Er schlang die Arme um ihre Taille. Susans innere Glut wuchs an. »Vielleicht ist er zäher als Pferdefänger«, scherzte Freitag. »Im Grunde meines Herzens bin ich ein Feigling.« Susan schauderte wohlig zusammen, als sein muskulöser Körper sich an ihren Leib drängte. Sein Brustkorb drückte ihre weichen Brüste flach. Seine Arme flößten ihr ein Gefühl der Sicherheit ein. Sie fühlte, wie sich sein Glied versteifte, ihre Erregung sich weiter steigerte. »Du hast mir gefehlt«, flüsterte sie. »Ich habe von dir geträumt.« »In welcher Art geträumt?« Ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich zeig’s dir«, raunte Susan. Hingebungsvoll küßte sie ihn noch einmal auf den Mund, zog ihn in ihre Arme, atmete mit einem neuen wohligen Schaudern tief durch. Freitags Gestalt zitterte, als er sie vom Boden hochhob und auf die Koje schwang, seine Finger bebten, während er, den Geschmack ihrer Küsse auf der Zunge, an ihrer Kleidung zupfte und zerrte, sich ganz von seiner wilden Begierde treiben ließ. Susan keuchte vor Wollust, als sie sich ihm öffnete. »Ich liebe dich«, flüsterte er leidenschaftlich und drang in sie ein. Susan schnappte nach Luft, als ihr ein flüchtiger Ge-
danke an Hans kam und sie dabei ein ganz sonderbares Gefühl der Verdrehtheit erlebte. Dann bestand ihre Realität nur noch aus Freitags lüsternem Leib, den sie mit Armen und Beinen umklammerte. * * * Leona Magill rang, hohläugig geworden, schwächlich um Atem, während Ngen Van Chow aufstand, mächtig gähnte, Arme und Schultern reckte. Dumpf stierte sie auf sein nur halb erschlafftes Glied. Ermüdete er eigentlich nie? »So, meine Eiskönigin, da siehst du’s selbst, ich brauche das Psyching nicht mehr, um dich willig zu machen. Dein Fleisch hat’s gelernt. Ich muß dich nur leicht anfassen.« Mit einem Finger strich er sachte über ihr Bein und verursachte ihr ein Zittern. Wieder hatte ihr verräterischer Körper reagiert. Konnte sie denn überhaupt nichts dagegen tun? Sie drehte den Kopf zur Seite. Sie schloß, vollauf erfüllt mit Abscheu vor sich selbst — und vor ihm —, die Augen. Könnte sie nur allem ein Ende machen ... Im einen Augenwinkel bildete sich eine einzelne Träne und rann langsam die Wange hinab, sickerte durch die Falten, die ihre fest zusammengepreßten Lider neben dem Auge in die Haut furchten. Versucht hatte sie es. Doch es gab nichts in diesem Raum, mit dem sie sich hätte das Leben nehmen können. Kein Stück Stoff, keine Länge Kabel, um sich zu erhängen. Kein Wasser, um sich zu ertränken. Dicke Polsterung bedeckte sämtliche Wände. Die Steckdosen blieben völlig unzugänglich. Nichts war scharf oder spitz genug, um sich damit zu schneiden oder zu stechen. Sie hatte sich aufs Verhungern verlegt. Aber Van Chow hatte ihr ein Medikament die unwillige Kehle hinabgezwungen, das Heißhunger zur Folge gehabt hatte; sie aß wieder und haßte sich dafür um so mehr.
»Ach, wie prachtvoll, liebe Leona.« Er betrat die Dusche und wusch sich ab. »Du bist wirklich ‘n geiles junges Ding. Siehst du, wie gut ich meine Versprechen einhalte? Ich brauche dich nur mit dem Finger zu streicheln, und schon lechzt dein Körper nach mir.« »Lieber wäre ich eine Straßenhure«, zischte sie. »Da schau! Deine Furcht ist verschwunden, mein Blümchen. Ich wußte, daß ‘s so kommt. Das Leben ist nicht zum Fürchten gedacht. Es ist zur Freude da, meine Süße. Wenn ich deinen wundervollen Leib in den Armen halte, bereitet es mir das höchste Vergnügen, zu wissen, daß dein schlauer Verstand den Empfindungen nicht widerstehen kann, die ich bei dir hervorrufe.« »Könnte ich dich bloß umbringen«, keuchte sie durch zusammengebissene Zähne. Fröhlich lachte Van Chow. »Ach, mein Röschen, diese Anwandlungen machen dich ja eben um so attraktiver für mich.« Er schwieg für einen Moment. »Ich weiß, es ist für dich traurig, aber ich muß dich ‘ne Zeitlang allein lassen, meine Liebste. Die Patrouille kommt. In wenigen Stunden wird sie in Reichweite sein.« »Wenn es in diesem Universum noch Gerechtigkeit gibt, hoffe ... hoffe ich, daß sie dich und dies höllische Schiff in die Ewigkeit blastert!« krächzte Leona mit rauher Stimme, vermied es ängstlich, Van Chow anzublikken. Sie wußte, sie würde seine recht muskulöse Erscheinung in der Beleuchtung glänzen sehen. O ja, er hatte diesen Raum in jeder Hinsicht perfekt vorausgeplant. »Redet man so mit dem Mann, nach dem du jedesmal schier verschmachtest, wenn er fort ist?« schalt seine Stimme in vertraulichem Ton. »Wo würdest du je jemanden wie mich finden, mein sinnliches Früchtchen?« »In der Hölle!« »Na so was«, erwiderte er regelrecht betroffen. Sie zuckte zusammen, als sie spürte, wie seine Gestalt sich neben ihr auf dem Bett niederließ. »Und dabei habe ich
mir mit dir solche Mühe gegeben, Leona.« Seine Hand senkte sich auf ihre Hüfte, und sie schauderte zusammen, bemühte sich darum, ihren Körper zu bändigen, versuchte von Van Chow abzurücken — und es gelang ihr. Krampfhaft drückte sie sich an die Wand, bis sie sich keinen Millimeter mehr vorwärtszuschieben vermochte. »Dann will ich deinem unschuldigen Seelchen wohl mal lieber ein bißchen das Gedächtnis auffrischen«, sagte er gedämpft, beugte sich über das Bett. Nur ganz zart berührten seine Fingerkuppen ihr Fleisch, indem sie an ihrem Rückgrat entlangstrichen. »Du begehrst mich schon wieder, nicht wahr, mein Engel der Liebe?« Die brünstigen Untertöne seiner leisen Stimme bedrängten Leonas Gemüt. »Nein!« Energisch schüttelte sie den Kopf. »O Gott, nein!« Doch schon fing ihr Körper zu reagieren an. Ihre Brustwarzen richteten sich auf. Diesmal gab es keine Ausreden: Der Apparat hatte sie einfach zu wirksam konditioniert. Die Stimulierung, das alte Reiz-ReaktionPrinzip des bedingten Reflexes in neuer Form, funktionierte auch bei ihr, ganz gleichgültig, wie sehr ihr von Grauen geschütteltes Hirn in stummer Qual heulte. »Ah, ich verstehe. Du möchtest, daß ich bleibe. Dein Körper verrät mir, was dein Verstand mir verheimlichen will.« Gemächlich ließ er von ihr ab. Es schauderte Leona, die innere Zerrissenheit zerrüttete sie, mit jeder Sekunde haßte sie sich noch tiefer. »Geh«, flüsterte sie mit ausdrucksloser Stimme. »Hau ab!« »Was ist das, meine Liebe?« fragte Ngen in besorgtem Ton. »Ich höre deiner Samtstimme eine Spur von Ablehnung an.« Man hätte meinen können, er empfände deshalb aufrichtigen Kummer. Leona wandte den Kopf, blickte in seine affektierte Miene. »Du bist ein Scheusal, Ngen. Ich bezweifle, daß es in der Menschheitsgeschichte je schon einmal ein dermaßen niedriges Individuum wie dich gegeben hat. Du bist
übergeschnappt, ein Ekel zum Kotzen. Das gemeinste, schmutzigste, übelste Subjekt auf zwei Beinen.« Seine Augen bezeugten gelinden Schmerz. »Habe ich dir denn irgend etwas Übles geboten, meine Teure? Was verlangst du, das ich dir bisher verweigert habe?« »Den Tod«, flüsterte Leona. Belustigt lachte Van Chow. »Den Tod, mein Blümchen? Nein wirklich, ich habe nicht die Absicht, dich so weit zu vernachlässigen. Im Gegenteil, ich würde viel lieber noch mehr Zeit für dich erübrigen können.« Entsetzt hob Leona den Blick und erkannte in Ngens Augen, daß er es ernst meinte. »O Gott...!« Ihr schwindelte. »Das ist ja prächtig«, rief Van Chow boshaft-vergnügt. »Verspürst du angesichts meines Verlangens nach dir soviel Lust, daß dir die Sinne schwinden?!« Langsam schüttelte Leona den Kopf. Dieser Mann hatte sie zugrundegerichtet, sie zermalmt, unterworfen bis zur vollkommenen Erniedrigung. In einem Anfall von Raserei raffte sie sich hoch, stürzte sich auf ihn, kratzte ihn, biß, schlug und trat auf ihn ein, wollte ihm verzweifelt irgend etwas anhaben, die scheußliche Selbstgefälligkeit seines Gesicht verunstalten. Geschickt wehrte Ngen sie ab, umklammerte mit starken Fäusten ihre Handgelenke. Er neigte den Kopf unter ihr Kinn und biß sie seitlich in den Hals, bis sie vor Schmerz schluchzte, preßte seinen Körper gegen ihren Leib. Brutal schleuderte er sie zurück aufs Bett, warf seine Gestalt wuchtig auf sie. »O ja!« keuchte er, während seine Hände sie unter ihm niederdrückten, sein Mund nach ihren Lippen haschte. »O ja, wahrhaftig...! So ist’s wunderbar, meine herrliche Leona!« »Verfluchtes Vieh!« schrie sie, ihre Furcht wuchs, wetteiferte mit Haß und Selbstabscheu. »Fahr zur Hölle, verdammter Lumpenhund!«
Er zerrte sich die Kleidung herunter, und Leona brach in Tränen aus, als sie sein Glied spürte, das sich heiß an ihr Fleisch drängte. Nochmals schrie sie — halb irrsinnig vor Scham und Widerwillen —, als er es mit kräftigen Stößen in sie bohrte. Nachdem er endlich doch gegangen war, lag sie schlaff und matt da, suhlte sich im eigenen seelischen Unrat. Sie brüllte, überwältigt von Grausen vor sich selbst, die tauben Wände an. Nicht vollends tot, aber nicht mehr ganz am Leben, keuchte Leona Magill ihre letzte Verzweiflung hervor. Ihr Widerstandswille verfiel endgültig, wich völlig aus der Stumpfheit und Benommenheit ihrer Seele. Ein Mensch war gestorben. *
*
*
Ngen verließ seine verschwiegene Geheimkammer in wahrer Euphorie. Er fühlte sich resolut, aufgemöbelt, der Bedrohung durch die Patrouillenschiffe, die gegenwärtig in den sirianischen Weltraum vorstießen, energisch entgegenzutreten bereit, verspürte frischen Schwung. Die letzte Kraftprobe mit Leona hatte ihn innerlich abgeklärt, ihn mit ungetrübtem Optimismus erfüllt. Er hob den Kopf und runzelte die Stirn. Wie kam es, daß solche lebhaften Aktivitäten ihm derartige Empfindungen des Gestärktseins und des Gleichmuts einflößten, obwohl er nach aller Voraussicht in wenigen Stunden vor der Niederlage stand? Leona hatte ihm zu einer Perspektive zurückverholfen. Nun war er dem Kampf entgegenzusehen fähig. Er bezwang seine Ungeduld, fügte sich ins Warten auf die Patrouillenschiffe. Dynamisch betrat er die Kommandobrücke, nahm dezidiert im Kommandantensessel Platz. An der Kommu blickte Giorj Hambrei auf und schenkte ihm einen neugierig-verwunderten Blick verstohlenen Abschätzens. »Es
bleiben keine vollen zwei Stunden mehr, bis der Gegner in die maximale Einsatzentfernung gelangt, Erster Bürger. Erwarten Sie eine wesentliche Veränderung der Situation?« Ngen sah sich auf der Kommandobrücke um. Fünf Offiziere waren anwesend — die Elite der sirianischen Raumfahrt. Wegen Giorj fiel sein Lächeln ein wenig gezwungen aus. Der Ingenieur hatte ihm diskret ein Hintertürchen geöffnet. Noch hatten sie die Möglichkeit, die Flucht zu ergreifen, sich der Gefahr zu entziehen, eine etwaige Katastrophe zu vermeiden. Mit strahlend-zuversichtlicher Miene schüttelte Ngen in uneingeschränkter Verneinung den Kopf. »Wir stellen uns zum Kampf.« Ngen lächelte. »Wir verkörpern eine schikksalhafte Bestimmung, meine Herren. Dem Direktorat muß verdeutlicht werden, daß man Menschen, die nach der Freiheit greifen, nicht aufhalten kann. Ich habe zu Ihnen — und den Grundideen unserer Sache — volles Vertrauen.« »Sie wirken außerordentlich zuversichtlich, Erster Bürger«, bemerkte Giroj, den Blick der bläßlichen Augen auf Ngen geheftet, die gräuliche Miene ausdruckslos. Ja, Giorj, mir ist bekannt, daß du die Raumjacht provian-tiert hast und startbereit hältst. Du bist ein tüchtiger Mann. An der Jacht sind von dir wahre Wunder verrichtet worden. Alles was ich brauchte, ist ein kleiner Vorsprung. Den Rest erledigen deine technischen Leistungen. Aber heute werde ich siegen. Ich spüre es. »Ich will es einmal so ausdrücken, meine Herren: Mir ist ein gutes Omen begegnet. Der Sieg ist nah. Ich glaube fest daran.« Er verstummte mit zufriedenem Lächeln. Giorj nickte, obwohl in seinen stumpfen Augen eine auffällige Zurückhaltung stand. Schade um Giorj. Vor Jahren hatte ein Strahlungsunfall den Mann sterilisiert, während er Ngens Schmugglerraumschiff frisierte. Ihn impotent gemacht.
Van Chow überlegte, ob er Leona, sobald sie zu verschlissen war, um noch unterhaltsam zu sein, an Giorj weiterreichen sollte — als rein symbolisches Geschenk. Trotz des einen Schwachpunkts, den er hatte — eine gealterte Mutter, deren Leben von medizinischer Vollversorgung abhing —, wäre es vielleicht ganz nützlich, um dagegen vorzubeugen, daß Giorj zum Übermut neigte. »Ich vertraue stärker auf Bruderschaftstechnik als auf Omen, Erster Bürger.« Giorj wich um keinen Schritt von seinen Instrumenten. »Unsere Waffen und der Schutzschirm ...« Ngens Blick huschte über die Monitoren. »Ach was, Giorj, es sind nur sechs Schiffe. Ich bin der Überzeugung, daß wir uns glänzend behaupten werden. Die günstigsten Extrapolationen, die uns vorliegen, enden mit ihrer vollständigen Vernichtung. Die unvorteilhaftesten Szenarien rechnen mit dem Verlust der Dastar oder der Helk, aber nicht beider. Stimmt’s?« »So lauten die Voraussagen der Computer, Erster Bürger«, bestätigte Giorj ohne Begeisterung. »Haben Sie zusätzliche Anweisungen für die orbitalen Abwehrsatelliten? Sie können durchaus die ST abfangen, ehe sie ...« »Nein. Die Romananer sollen landen ... Die ST mit barbarischer Bemalung auf dem Rumpf. Stellen Sie sicher, daß die Geschützbedienungen sie nicht unter Beschüß nehmen. Wir werden die Söldner am Boden vernichten.« Ngen lehnte die Fingerkuppen aneinander. »Jawohl, Sir.« Girojs Finger glitten über das Kontrollpult der Kommandobrücke. Per Kontaktron instruierte er die Abwehrsatelliten. Leona war wegen der Romananer besorgt gewesen. Ngen amüsierte sich darüber. An Leona amüsierte ihn alles, bis hin zu dem Ausdruck, den er zuletzt in ihren trüben Augen gesehen hatte. Ja, das war Sieg! Er hatte sie vollkommen bezwungen, ihren Willen gebrochen und ihre Identität ausgemerzt. Ein warmes Gefühl tiefer
Befriedigung breitete sich in seiner Brust aus. So wie er sie zertreten hatte, würde er auch die Patrouille zerschmettern — und danach den Direktoratssitz im Arcturussystem. Arcturus, die rote Sonne mit dem Ring von Stationen, die sie umkreisten, besaß in mehr als einer Beziehung einen hohen Symbolwert. Seit den Zeiten der Sowjets war sie im All immer das Zentrum der Macht gewesen. Noch nie jedoch hatte von Arcturus aus ein Einzelner geherrscht. Ich, Ngen Van Chow, werde der erste sein! beschloß er in Gedanken. Leona bedeutete lediglich einen kleinen Triumph. Es gab andere Frauen, die höher standen als Leona und darum tiefer fallen würden. Zu dumm, daß sich gegenwärtig unter den Direktoren keine Frauen befanden. Er furchte die Stirn. Wie es wohl mit einer Direktorin wäre? Direktoren hatten keinerlei Begriff von Sexualität. Könnte ein Experte in Kenntnissen des menschlichen Körpers wie er bei einer Direktorin sexuelles Verlangen erzeugen? Zu welchen Höhen würde er die Menschheit führen können? Welche Herrlichkeiten erwarteten seine Techniker, wenn sie auf Frontier die Datenbanken der Bruderschaft knackten? Das Potential, das sich darin verbarg, erregte ihn auf körperliche Weise. Er konnte die Grenzen des menschlichen Wissens erweitern, den Siedlungsraum der Menschheit tiefer in den Weltraum ausdehnen, in bisher unbekannte Zonen. Als personifizierte Fackel des Fortschritts würde er den verblödeten Menschenmassen Licht bringen. Die Ära der geistigen Verfinsterung stand vor ihrem Abschluß. Die menschliche Spezies konnte revitalisiert werden — und er, Ngen, gab die Triebkraft der Erneuerung ab. So wie er seine Vitalität durch die Personen auffrischte, die er bis zum äußersten erniedrigte, durfte das Menschengeschlecht aus ihm Kräfte der Neubelebung gewinnen.
»Die Patrouillenschiffe testen ihre Blastergeschütze, Erster Bürger«, rief Giorj. »Ausgezeichnet«, meinte Ngen und kniff die Augen zusammen. »Funkspruch an die Flottille, Ingenieur. Ab sofort sind Probeschüsse mit den Blastern erlaubt. Feuerleitoffizier, ich wünsche, daß aus jedem Bordgeschütz drei Schüsse von je einer Sekunde Dauer abgefeuert werden.« »Waffen feuern, Sir.« Der Feuerleitoffizier nahm den Blick nicht von seinen Kontrollen. »Das wird ‘ne böse Überraschung geben«, kommentierte Ngen. »Wenn sie die Resultate der Spektrografie sehen, werden sie ins Staunen geraten. Ich hoffe, die Neuigkeit verbreitet sich schnell. Ja, wirklich ... Heute abend, meine Herren, werden wir auf Sirius’ Raumhafen landen. Wir werden unsere Gefangenen ins Große Auditorium bringen und die Patrouillenoffiziere exekutieren, die es ablehnen, mir die Treue zu schwören. Und dann sind die Romananer an der Reihe ...« Ngen verfiel in einen höhnischen Tonfall. »Vielleicht sollten wir an die antike Tradition der Gladiatorenspiele anknüpfen. Kann sein, es dauert ein paar Tage, bis wir sie alle zusammengetrieben haben, aber es werden sicherlich genug zur Verfügung stehen.« »Und dann?« Giorj hob den Blick. »Und danach ...« Ngen lächelte, genoß eine flüchtige Erinnerung an Leonas ermatteten Leib auf dem Bett, ihr Weinen. »Anschließend besetzen wir Arcturus-Stadt und richten die Direktoren hin. Von dort aus, meine Herren, werden wir den gesamten bewohnten Weltraum unserem Einfluß unterwerfen, bis wir jeden Mann, jede Frau und jedes Kind zu einem Mitglied unserer Gesellschaft gemacht haben.« Beiläufig fragte sich Van Chow, ob unter den Patrouillengefangenen wohl einige temperamentvolle Frauen sein würden. Immerhin mußte er sich bald für Leona Ersatz verschaffen.
15 Geduldig, die Hände gefaltet, wartete Susan. Es war ihr gelungen, ihrem Terminal die Analysekapazitäten des Kommunikations- und Computersystems der Projektil zuzuschalten und sie fürs Entschlüsseln der Bruderschafts-Geheimcodes einzuspannen, deren Kompliziertheit sie gräßlich frustrierte. Während sich jetzt die Bordcomputer mit dem Aufdröseln und Dechiffrieren der Codes befaßten, sichtete Susan die historischen Informationen einer der ungesicherten Dateien. Die Bruderschaft als solche konnte auf eine faszinierende Geschichte zurückblicken. Ihre eigentlichen Wurzeln blieben im Altertum verborgen, weil sie auf die ältesten irdischen Kulturen zurückdatierte. Nachdem sie schon seitens zahlreicher Regierungen und Kirchen ständigen Verfolgungen ausgesetzt gewesen war, hatten die Sowjets sie am Ende — in der Erwartung, daß sie entweder die Riesenstachelschliefer und das unfreundliche Klima meisterte oder ausstarb — komplett nach Frontier deportiert. Doch dann hatte die Bruderschaft bei der Revolte gegen die Sowjets die Führung übernommen und die Konföderation gegründet, die eine über zweihundertjährige Periode der menschlichen Expansion zwischen den Sternen einleitete. In den Sitz gelehnt, furchte Susan angesichts der Bilder, die ihr das Kontaktron ins Gehirn projizierte, die Stirn. Die fortwährenden Probleme der Gewalt, Piraterie und sozialer Unruhen hatten schließlich ihren Tribut gefordert. Sirius und Arpeggio standen an der Spitze der politischen Bewegung, die zum Schluß auch die Konföderation zerschlug. Der Vorschlag zur Etablierung des
Direktorengremiums und des Giga-Verbunds kamen ursprünglich vom Sirius. Die gemeinsamen, nachdrücklichen Bestrebungen Sirius’ und Arpeggios mündeten endlich in die tatsächliche Einrichtung dieser Institutionen. Als die öffentliche Meinung sich gegen sie wandte, der Mob auf der Straße über Bruderschaftsvertreter herfiel und sie lynchte, man Frontier mit Verwüstung drohte, da packte die Bruderschaft ihre Sachen und ging fort. Zu dem Zeitpunkt war das Direktorat längst gefestigt gewesen, und ihr Abgang erregte kein sonderliches Aufsehen. Die famose Bruderschaft verschwand durchs All an einen unbekannten Zufluchtsort. Und was trat an ihre Stelle? Stagnation! Das Direktorat war seitdem dermaßen heruntergekommen, daß es nicht einmal die Eroberung eines primitiven Planeten — sah man davon ab, daß die Romananer den Vorteil ihrer Propheten und die Unterstützung eines abtrünnigen Patrouillenschlachtschiffs genossen — noch erfolgreich durchführen konnte. Und wie stand es um die Zukunft? Welche Rolle könnte Susans Volk künftig spielen? Das Volk, das an seinem Gott Spinne hing, ihn liebte, würde auf den Welten des Direktorats das menschliche Äquivalent von Schafen antreffen. Ihre Lippen verzogen sich zu einem schaurigen Lächeln. Die Ergebnisse eines romanani-schen Überfalls auf eine Welt wie Range oder die Erde hätte sogar Susan Smith Andojar ungern gesehen. Susan schrie auf, als jemand sie von der Seite packte. Sie sprang vom Sitz, grapschte nach dem Messer an ihrer Taille. Die durch das Kontaktron projizierten Bilder verschwanden blitzartig aus ihrer Sicht, als sie sich den Reif vom Kopf riß und herumwirbelte, sich duckte, die Klinge zu einem Stich von unten ansetzte, bereit zum Zustoßen. »Nicht übel, Liebchen.« Rita kicherte und wich zurück, stemmte die Fäuste in die Hüften.
Susan legte sich eine Hand auf die Brust und schnaufte tief. »Verdammt noch mal, Rita! Du hast mich zu Tode erschreckt. Mach bloß nicht so was mit mir! Ich hätte dich stechen können.« Sie versuchte, das Gewum-mer in ihrer Brust zu beruhigen, fragte sich, ob ihr Herz sich an den Rippen wohl Prellungen zugezogen haben mochte. Rita lachte. »Ich wollte nur deine Reaktionen testen. Ich dachte, vielleicht wärst du, während ich in der beschissenen Med-Einheit schier vergammelt bin, lahmarschig und schlapp geworden.« »Wie geht’s dir?« erkundigte sich Susan mit schlechtem Gewissen. Sie hob das Kontaktron auf und schaltete das Lernprogramm ab. »Ich bin so fit, wie ich überhaupt sein kann.« Rita zukkte die Achseln, fing an, in ihren Sachen zu kramen und für den Einsatz eine Tasche mit persönlichen Habseligkeiten zu packen. »Wo willst du hin?« fragte Susan erstaunt, als sie sah, wie die Rothaarige sich den Gürtel mit ihren Coups um die schlanke Taille schnallte. »Ich werde bestimmt noch stundenlang in der letzten Besprechung sitzen, Kindchen.« Der Blick, den Rita ihr zuwarf, zeugte von Lustlosigkeit. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich danach noch Zeit finde, um meinen Kram zusammenzusuchen. Wenn mein Zeug schon bereitliegt, habe ich die Gewißheit, daß ich noch rechtzeitig in den ST gelange. Ich möchte, daß du den Krempel in Nummer Zweiundzwanzig ablieferst. Das ist auch dein LandungsST.« Susan schluckte schwer. »Also ist es wirklich bald soweit«, sagte sie leise. »Ich hab’s mir noch gar nicht richtig klargemacht. Wir greifen in Kürze tatsächlich an.« »Sieh zu, daß du’s nicht verpennst, Mädchen. Du mußt in vier Stunden mit den anderen einsatzbereit antreten. Sammelpunkt ist Hangar Zweiundzwanzig. Du fliegst mit mir. Am Boden vereinigen wir uns mit Eisenauges
Abteilung, sobald wir einen Perimeter gesichert haben. Erstes Angriffsziel ist der Raumhafen. Dadurch unterbinden wir den sirianischen Shuttle-Verkehr. Dann stoßen wir von dort aus in die Hauptstadt Ekrania vor und verstärken die übrigen romananischen Einheiten.« »Was ist eigentlich mit Pferdefänger?« fragte Susan plötzlich. Rita lächelte. »Er liegt noch in der Bordklinik ... Er schäumt vor Wut, mußt du wissen. Möglicherweise würde er ‘n Einsatz durchstehen, aber Dr. Hardy sagt, seine inneren Verletzungen sind noch nicht völlig verheilt, und sie könnten schon durch ‘n harten Ruck wieder aufplatzen.« »Ich kann mir denken, daß er außer sich ist.« Susan lachte. »Wächst ihm Haar nach?« »Freitag hat ‘n reichlich großes Stück Kopfhaut einkassiert. Aber in ein, zwei Wochen hat Pferdefänger vielleicht wieder ‘n paar Härchen.« Rita richtete sich auf und schaute sich rasch in der Kabine um. »Ich glaube, das war’s. Achte darauf, daß dein Gewehr im ST ist. Wir setzen Blaster ein, aber es kann nie schaden, man hat ‘ne Zweitknarre dabei.« »Noch fünf Stunden.« Susans Gesicht rötete sich. Sie hob den Blick. »Ob ich genügend vorbereitet bin? Weiß ich genug? Meinst du, ich kann’s schaffen?« Rita zuckte die Achseln. »Herzchen, man ist nie ausreichend vorbereitet. Dir sind die Daten als Rohmaterial ins Gehirn gepackt worden. Sie richtig zusammenzufügen, liegt bei dir. Du hast Taktik studiert. Du bist im Umgang mit Messer, Gewehr und Blaster sowie im Nahkampf ausgebildet worden. Ob du durchhältst, hängt nun von dir ab. Das stellt sich erst heraus, wenn Blasterschüsse um deinen Kopf knattern und du im Gefecht deine Aufgaben erfüllen mußt. Ich habe auf Atlantis allerhand Praktisches dazugelernt. Vielleicht du auch, als du deinen ersten Coup genommen hast. Wie ist dir dabei zumute gewesen?« »Ich hatte genug Schiß, um mir in die Hose zu ma-
chen«, antwortete Susan halblaut, als sie sich daran erinnerte. »Erst danach habe ich mich richtig wundervoll gefühlt. Mir war regelrecht schwummrig, alles habe ich viel klarer als vorher wahrgenommen. Ich habe alles so intensiv gerochen. Irgendwie war’s ein höherer Bewußtseinszustand. Ich konnte ...« »In rund zehn Stunden wirst du dich ähnlich fühlen, Liebchen.« Rita stutzte. »Ach, jetzt hätte ich doch fast was vergessen. Du hast dein Bestes gegeben, Susan. Dich echt abgeschuftet. Du hast das Ausbildungspensum von Jahren innerhalb von sechs Monaten nachgeholt. Ich hätte das nicht leisten können. Hier, die hast du dir verdient.« Sie zog Susans Schutzpanzer aus dem Wandschrank und klebte zwei Obergefreitensterne an den Ärmel. »Gratuliere, Kleines.« »Aber das sind ...« »Verdammt richtig. Jemand muß doch die Kerle beschämen, damit sie sich mehr anstrengen.« Rita lachte und schlug Susan eine Hand auf die Schulter. Susan blinzelte und schüttelte den Kopf, versuchte zu glauben, was sie erlebte. Rita wandte sich zum Ausgang, blieb jedoch noch einmal stehen; in ihren grünen Augen spiegelte sich jetzt Ernst. »Äh ... Gib dort unten gut auf dich acht. Tu ‘ner alten Tante wie mir ‘n Gefallen und laß dich auf keine unnötigen Risiken ein. Halt die Rübe unten ... Du mußt mitdenken. Und noch was will ich dir sagen ...« Rita zögerte. »Was denn?« fragte Susan. »So zurückhaltend zu sein, ist gar nicht deine Art.« Rita setzte sich auf den Rand der Koje; es funkelte in ihren Augen. »Du weißt, du bist eine sehr schöne, junge Frau. Weißt du auch, was mit weiblichen Gefangenen geschieht? Sie werden ... Naja, du kannst’s dir denken. Mach dir klar, daß du’s überstehst, falls du nicht umgebracht wirst... Wahrscheinlich tut’s weh. Manche Mäd-
chen ... ahm ... gehen daran zugrunde. Andere nicht. Du kannst nur überleben, wenn du’s wirklich willst.« Susan schluckte, während sich ihr Inneres zusam-menkrampfte. Rita hob einen Finger, die grünen Augen kalt wie Eis. »So, nun hör mal gut zu. Wenn ein Kerl dich schnappt und auf dir liegt, laß ihn erst mal machen, bis er zum Orgasmus kommt. Dann verliert er die Konzentration. Das ist für dich der Moment zum Handeln. Du bohrst ihm die Finger an seiner Nase so tief in die Augen, wie’s geht. Man nennt die Knochen an dieser Stelle Lacrimal-knochen, sie sind ganz dünn und zerbrechlich. Du drückst mit aller Kraft, du wirst genug haben, das darfst du mir glauben. Diese kleinen Knochen brechen, und er wird vor Schmerz blind und wehrlos sein. Dann tötest du ihn mit einem schnellen Tritt gegen den Hals. Eine Alternative ist’s, ihm die Hoden vom Balg zu reißen, falls du sie mit der Hand greifen kannst.« Susans Miene war starr geworden. »Auf Welt leben die Frauen ständig in der Gefahr der Vergewaltigung, Majorin. Es passiert gar nicht so selten, daß ein Mädchen einen Mann umbringt, der es entführt hat. Wir sind nicht zimperlich. Ich werd’s jedem Mann heimzahlen, der mir das antut, ich schneide ihm so oder so alles ab, und er kann sehen, wie er damit klarkommt. Von mir aus soll er für den Rest seines Daseins von Messern träumen.« »Gut so.« Sarsa nickte. »Das ist die richtige Einstellung. Viel Glück, Susan. Komm mir heil zurück. Hol dir Coups für deinen Gürtel und zeig’s diesen sexistischen Lumpen.« Sie gab Susan einen leichten Boxhieb in die Seite. »Du auch, Majorin.« »Klar, Mensch. Sei pünktlich beim Sammeln. Vergiß meine Tasche nicht, sonst werde ich dir deinen hübschen Hintern versohlen.« Rita grinste, salutierte und ging hinaus. Stumm saß Susan da, betrachtete die Sterne, die an
ihrem Schutzpanzer schimmerten, fragte sich, in Gedanken beim Sirius, wie sie sich dort wohl zurechtfand. Sie gab sich den alten, stets gleichen Gedanken aller Soldaten hin, die irgendwo auf ihr Schicksal warteten. Am Rande ihres Bewußtseins lauerte der Schatten des Todes — immer gegenwärtig, jedoch nie faßbar. Dieser schwarze Schatten forderte Anerkennung, doch blieb unweigerlich außerhalb des Glaubhaften. Susan blickte aufs Chronometer und erkannte eine brutale Realität des Krieges: Am schlimmsten war es, einfach nur herumzuhocken, zu warten und zu grübeln. Sie rang sich zum Aufstehen und Zusammenpacken der eigenen Sachen durch. Sie hatte nur wenig. Das Gewehr und die dafür bestimmte Munition lagen schon bereit. Sie schlang den Gürtel für die Coups um die Taille, strich zerstreut mit den Fingern durch Ramons Haar, um daraus Kraft zu gewinnen. Sie wechselte die Kleidung und streifte den Schutzpanzer über, der noch leicht nach ihrem Schweiß roch. Nachdem Rita verletzt worden war, hatte Susan vergessen, den Schutzpanzer zu waschen. Für das gesamte Packen brauchte sie nicht mehr als zehn Minuten. Sie reinigte ihr Gewehr und wiederholte während der folgenden zwanzig Minuten die Reinigung. Hans rief an und erzählte, daß man ihn einer romananischen Abteilung als technischen Berater zugeteilt hatte. Sein Befehl lautete, mit ST 21 zu fliegen. Er wirkte ausgeruht, aber nervös. Susan lächelte, versicherte ihn ihrer Zuneigung; sie beendeten das Gespräch, sobald er sich wieder seinen Pflichten widmen mußte. Nochmals acht Minuten waren vergangen. Die Zeit schleppte sich dahin. Am Monitor sah sich Susan ein Holo an. Sie aß ununterbrochen irgend etwas und trank soviel Kaffee, daß sie den Eindruck hatte, es müßten Liter sein. Schließlich begann die Uhr dem festgelegten Zeitpunkt zum Sammeln entgegenzukriechen. Wenn sie eine halbe Stunde zu früh zur Stelle war, über-
legte Susan, mußte das immer noch besser sein, als weiter zu warten. Sie atmete tief durch, stand auf, blickte sich in dem winzigen Raum um, der ihr als Quartier gedient hatte, und fragte sich, ob sie ihn jemals wiedersehen sollte. Ihr war, als sähe sie in der Koje ihre und Freitags Umrisse. Es schien ihr, als wäre dort lautlos und bittersüß etwas wie ein geisterhafter Rest ihrer Jungfernschaft zurückgeblieben. Würde sie Freitag je wiederbegegnen? Hier hatte sie sich eine andere Welt erschlossen, eine neue Sprache zu sprechen und zu lesen gelernt. Hier war sie von einem jungen Mädchen zu einer Frau herangewachsen. »Um welchen Preis?« fragte sie, dachte an all das, was das Kontaktron aus ihrem Kopf gelöscht haben mußte, um ihr in so kurzer Zeit derartig viel Neues vermitteln zu können. Ihre langen Finger glitten über die Abdeckung der Kommu, die Hans immer wieder und wieder getestet hatte, während er genug Mumm zusammenraffte, um sie zu einem Kaffee einzuladen. Auch seine unsicheren Äußerungen, das Lächeln seiner aus Verlegenheit roten Wangen und seine flehentlichen blauen Augen waren ihr so gegenwärtig, als befände sich sein Geist in der Kabine. Mit gemischten Gefühlen, weil es Unfug sein mochte, sich jetzt noch damit zu befassen, streckte sie die Hand nach ihrem ihr wertvoll gewordenen, noch der Kommu angeschlossenen Mini-Terminal aus. Sie nahm das Kontaktron — in den letzten Monaten war es ihr zum ständigen Begleiter geworden — und schaute abschließend, wie es Vorschrift war, ehe man ein Gerät abkoppelte, noch einmal nach dem Stand der Analyse. Zu ihrer Überraschung waren die Bruderschafts-Codes inzwischen entschlüsselt und die geschützten Dateien zugänglich gemacht worden. Susan sah die Informationen durch: Sie enthielten alle technischen Daten der Bruderschaftspolitik, die No-
menklatura, Register von Raumschiffen, Einschätzungen des Menschenpotentials sowie vertrauliche ErnstfallChiffren der Patrouille. Der Anblick des Materials machte ihr Gemüt vor Betroffenheit benommen. Die Daten umfaßten den gesamten Reichtum einer verschollenen Zivilisation. »Achtung!« plärrte es aus der Kommu. »Alles Personal auf die Gefechtsstationen! Die Landungs-ST werden zum Start in einer Stunde vorbereitet. Dies ist die erste Durchsage. Bitte melden Sie sich auf Ihren Posten.« Susan hob den Blick. Plötzlich war die halbe Stunde verflogen. Hastig speicherte sie die aktive Datei mitsamt ihrem Zugriffs-Code im Mini-Terminal und stopfte es in ihre Tasche. Vorhin war die Zeit geschlichen, jetzt erkannte Susan, daß sie sich zu verspäten drohte. Aus Übereiltheit verhedderte sie sich, während sie beide Taschen umhängte, die Gewehre schulterte, sich zum Schluß nochmals in der Kabine umsah. Alles war sauber und aufgeräumt, nur ihr Kontaktron lag noch vorm Monitor. Susan wankte unter der Last, als sie den Reif in die Halterung steckte, und öffnete per Handflächenkontakt die Tür. In Hangar 22 herrschte geordnetes Durcheinander. Die Besatzung der Projektil hatte mehr praktische Erfahrung als die Crew jedes anderen Patrouillenschiffs im All. Trotzdem liefen Männer und Frauen hin und her, beförderten Ausrüstung und Packkisten die offenen Rampen hinauf und herab. Susan lehnte die Taschen an die Rampe, schlitterte um einen Antigrav-Stapler, der einen großen Plastikcontainer verlud. Sie erspähte an der Einstiegsluke den zuständigen Offizier und meldete sich zur Stelle. »Nur eine Tasche, Obergefreitin«, sagte der Mann, gab der Kommu ihre Ankunft durch. »Mehr lassen die Vorschriften nicht zu.« »Ich habe bloß eine Tasche«, erklärte Susan. »Wenn sie die andere nicht an Bord nehmen möchten ... äh ...« — sie
las Name und Rang ab, die in den Schutzpanzer des Offiziers gestanzt standen —, »... Obermaat Naguchi, müssen Sie’s Majorin Sarsa mitteilen, der sie gehört. Sie wird bestimmt wissen wollen, wer befohlen hat, daß sie hier bleibt.« Naguchis Blick fiel auf die Tasche. Er sah das Namensschild, schluckte und winkte rasch ab. »Grüßen Sie die Majorin von mir.« Sofort beschäftigte er sich mit anderen Aufgaben. Susan bahnte sich einen Weg durchs Gedränge und Geschiebe im Innern des ST. Techniker prüften ein letztes Mal die Relais der Blaster. Menschen quetschten sich an Susan vorbei. Die Luft schien vom Klang aufgeregter Stimmen und des Füßescharrens zu schwirren, mit Adrenalin gesättigt zu sein. Die wirren Mißtöne der Aktivitäten schufen eine dumpfe Geräuschkulisse, deren Lärmpegel nach Susans Empfinden eigentlich hätte höher sein müssen. Spürbar knisterte gehörige Spannung in der Luft, erinnerte sie daran, daß ST 22 in wenigen Stunden um seine Existenz kämpfen mußte — und sie um ihr Leben. Sie zwängte sich an Schultern und Ellbogen vorüber, sah den Mannschaftsraum vollbesetzt mit Romananern und vereinzelten Patrouillensoldaten. Unsicher zögerte sie, blieb neben dem Eingang stehen. Ihr Blick schweifte über die vielen Gesichter; es waren viele Männer dabei, die sie aus der Siedelei kannte, aber auch zahlreiche Fremde. Es handelte sich um eine sowohl aus Santos-wie auch Spinnenkriegern zusammengesetzte Truppe. Gedämpft lachten die Krieger, erzählten sich gegenseitig Witze, zogen einander auf oder prahlten. Das Abenteuer, das sie momentan durchlebten, war für sie so phänomenaler Natur — von einer Art, wie sie sie sonst ausschließlich im Traum erlebt hätten —, daß Susan sich darüber im klaren war, es hatte für sie einen weitgehend unwirklichen Charakter. Sie hatten nicht die gering-
ste Ahnung von der Gefahr, in der sie schwebten, sobald ST 22 dem Beschuß durch die Abwehrsatelliten ausweichen mußte. Sie wußten nicht, daß sie in einem Feuerball sterben konnten, lange bevor sie die planetare Atmosphäre erreichten. Was Dekom-pression war, begriffen sie nicht. Ihnen war nicht bewußt, daß ihr Ende darin bestehen mochte, Hunderte von Kilometern tief in den Tod zu stürzen. Ebensowenig hatten sie eine Vorstellung, welche Verteidigung am Boden — falls sie dort je hingelangten — auf sie wartete. Die Ausbildung, die Susan genossen hatte, war ein zweischneidiges Schwert. Hätte Rita nicht darauf bestanden, daß sie Lektionen in Raumkriegsführung nahm, wäre Susan jetzt genauso unbefangen in den Kampf geflogen, hätte mit nichts schlimmerem als einem Beutezug auf einem anderen, reichen Planeten gerechnet. Die romananischen Krieger hatten sich noch gar nicht richtig verdeutlicht, daß es für sie, falls man ihre ST abschoß, die Projektil im Raum vernichtete, keinen Heimweg mehr gab. Susan schleifte die Taschen zu ihrem Platz, verstaute sie auf die Weise, wie Rita es ihr gezeigt hatte, unter dem Druckpolster, und stellte ihr Gewehr ins Wandregal. Daneben stand ein Blastergewehr. Unverzüglich schob sie die Batteriekammer auf und überprüfte die Ladung. Die gefährliche Waffe war schußbereit. Während sie sich ihre Gurte ansah, merkte sie plötzlich, daß irgendwer sie erkannt hatte. Krieger stießen ihre Nebenmänner an und wiesen mit dem Finger auf sie, die Bewegung ging wie eine Welle in dauernder Wiederholung durch die Reihen der Truppe; man beobachtete sie, tuschelte. Weil sie nichts anderes ansehen konnte als die Wand oder die romananischen Krieger, gab sie, innerlich angespannt wie eine mechanische Feder, der Wand den Vorzug. Blase und Dickdarm drängten um ihre Aufmerksamkeit. Sie löste die Gurte,
stand auf — wunderte sich über die nervöse Zappeligkeit ihrer Beine — und ging zur Toilette. Nachdem die Tür zugefallen war, fand Susan umgehende Erleichterung. Sie öffnete ihren Schutzpanzer und kauerte sich auf das Freie-Fall-Toilettenbecken, staunte über den Druck in Blase und Darm. Ihre Hände zitterten. Sie atmete zu schnell. Sie empfand die Luft als stickig und fragte sich, weshalb es ihr so wichtig gewesen war, so verdammt früh da zu sein. »Fünf Minuten bis zum Ablegen«, gab die Kommu bekannt. Es folgten noch mehrere Durchsagen, und während Susan die Verschlüsse des Schutzpanzers wieder zuhakte, erschrak sie, erinnerte sich an Ritas Tasche. Sie schloß den Schritt des Schutzpanzers und prüfte ihr Äußeres. Nach Verlassen der Toilette nahm sie Ritas Tasche und trug sie nach vorn. Der Weg zur Kommandozentrale führte sie durch verschlungene Korridore und ständiges Gewimmel von ST-Matrosen und Patrouillensoldaten. Während sie sich an verschwitzten Gestalten vorbeidrängelte, hörte sie Männer und Frauen derbe Scherze rufen, makabre testamentarische Verfügungen treffen, sich gegenseitig die Stiefel oder Lieblings-Sex-Holos vermachen. Ein mit einem Blaster bewaffneter Patrouillensoldat versperrte ihr den Zugang in die ST-Zentrale. »Name, Rang, Auftrag«, wollte er wissen; seine Miene verriet innerliche Anspannung. »Obergefreitin Susan Smith Andojar.« Zackig salutierte Susan. »Ich bringe Majorin Sarsas Tasche.« »Passieren«, sagte der Soldat routiniert, indem er Haltung annahm und den Blaster zurück über die Schulter schwang. Ein wenig ängstlich ging Susan durch die große Panzerpforte in die Kommandozentrale. Auch dort geriet sie mitten in dynamische Betriebsamkeit. Frauen und Männer führten Checks der Instrumente durch, riefen sich
Codesequenzen zu. Einige saßen mit geschlossenen Augen vor Kontrollpulten; Kontaktrone beanspruchten ihre volle Beachtung. »Susan«, ertönte Ritas Stimme von der anderen Seite der Zentrale, wo sie mit dem ST-Kapitän über einen Monitor gebeugt stand. Susan strebte hinüber, versuchte alles auf einmal wahrzunehmen, befaßte sich insgeheim mit der Frage, ob diese Männer und Frauen, die hier die Anlagen überprüften, Monitoren betrachteten, schlau genug waren, um den ST vor feuriger Vernichtung zu bewahren. »Majorin ...!« Susan straffte sich und salutierte. »Das ist meine Tasche?« fragte Rita, die Aufmerksamkeit weiter halb dem Monitor gewidmet. »Jawohl, Sir«, antwortete Susan stolz. »Wie fühlen sich die Jungs hinten? Haben sie Bammel?« »Sie wissen nicht mal, was los ist, Majorin. Sie denken, alles läuft reibungslos. Für sie ist der Anflug auf Sirius ‘ne so einfache Sache wie der Shuttle-Verkehr, den sie schon von Welt kennen. Daß die Sirianer schießen werden, ist ihnen noch gar nicht klar.« Rita erübrigte während ihres Betrachtens der MonitorBildfläche soviel Zeit, um Susan zuversichtlich zuzulächeln. Beiläufig erkannte Susan auf dem Bildschirm Eisenauge. War er nicht an Bord des ST? Rita sah sie stutzen und zuckte die Achseln. »Na, du darfst nicht glauben, wir stecken unsere Offiziere alle in einen ST, hm? Wenn wir sie verteilen, kommt wenigstens einer durch, der ‘n Überblick hat. Du gehst jetzt zur Truppe zurück. Ich will, daß du bei diesen Gorillas bist. Falls ‘s hart wird, sorge dafür, daß sie dich sehen können. Die Jungs sind zu stolz, um sich Schwäche anmerken zu lassen, während ‘ne Frau Stärke beweist. Ich bau auf dich. Vergiß nicht, daß du von nun an Befehle geben darfst. Wenn Durchsetzung gefragt ist, nimm den Blaster, aber
verwende nur die schwächste Stufe, es genügt, ungehorsame Lümmel vorübergehend flachzulegen.« Rita grapschte einen Stift vom Tisch und malte eilig eine Spinnendarstellung auf Susans Schutzpanzer. »Das bringt Glück, Liebchen. Und vergiß nicht die Gebete und deine Medizin, bevor du zur Luke hinausrennst. Während des Anflugs zeigt euch der Monitor das Ziel an. Paß auf dich auf.« Rita wandte sich ab und beugte sich wieder über den Monitor, setzte das Gespräch mit Eisenauge hastig fort. Susan salutierte hinter Ritas Rücken und entfernte sich nahezu benommen. Im Mannschaftsraum zerrte Susan ihr Gepäck unterm Sitz hervor und legte es ganz vorn am Ausgang bereit. Patrouillensoldaten kamen herein, liefen zwischen den Romananern umher. Bei Susans Anblick salutierten die Patrouillenmitglieder. Aus großen Augen schauten die Romananer zu, schüttelten den Kopf und flüsterten hinter vorgehaltener Hand. Ein schriller Signalton gellte durch die weißen Korridore, Metall dröhnte, ein Beben durchzitterte die Bodenplatten des Decks. »Achtung! Alles auf die Plätze! Start ist erfolgt. Ab sofort gelten die Vorschriften für den Kampfeinsatz. Dekompressionsschutz ist erforderlich.« Ohne nachdenken zu müssen, stülpte Susan den Helm über den Kopf, überzeugte sich davon, daß die Krieger, die in ihrer Nähe saßen, ihre Helme richtig angelegt hatten. Sie zurrte über dem Schutzpanzer die Sicherheitsgurte stramm an, zog den Verschluß so zurecht, daß er nicht drückte. Jetzt befanden sie sich unwiderruflich im Einsatz. Schlagartig entfiel die Gravitation, bis die Gravo-Kompensatoren die Nullschwerkraft behoben; in dem kurzen Moment dazwischen hatte Susan ein Gefühl des Stürzens. Ihr Magen schien zu schlingern, und sie hörte das verhaltene Gelächter, mit dem die Krieger ihre Verunsicherung
zu übertünchen versuchten. Einsatz. Susans Gedanken kreisten immer wieder um dieses Wort. Sie hockte zwischen romananischen Kriegern und Patrouillensoldaten eingekeilt — und blieb gleichzeitig in ihrem Innern völlig mit sich allein. So verhielt es sich, begriff sie, für jeden. Alle hörten sie das leise Rasseln des Atems, den die Lungen einsaugten und ausstießen; den Herzschlag; den Puls, dessen Pochen schließlich die ganze Welt zu durchhallen schien. Das Universum war, hätte man meinen können, auf den halbhell beleuchteten Mannschaftsraum hinter der Sturmrampe zusammengeschrumpft. Die Wand füllte Susans Blickfeld aus. Lediglich eine dünne Wandung aus Graphitstahl trennte sie und das offene Weltall voneinander. Sie schaute sich um, sah ringsum überall das Glänzendweiß von Schutzpanzern. An der Ausdruckslosigkeit in den Augen der Patrouillensoldaten merkte man, daß sie alle eigenen Gedanken nachhingen. Die Romananer, denen sich ansehen ließ, daß die Fremdartigkeit des Geschehens sie nun doch ein wenig aus der Fassung brachte, blickten sich an, die ungewohnten Helme verhinderten, daß sie die Stimmung mit Späßen auflockerten; auf das Weiß ihrer Schutzpanzer waren seltsame Muster gemalt, Zeichen ihrer jeweiligen Geistkraft. Weiße Schutzpanzer. Weiße Wände. Eine weiße Welt. Weiße Wirklichkeit. Susan merkte, daß ihr Gaumen trokken geworden war, fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, zwang sich zum Schlucken. Das Weiß des Schutzpanzers sollte es ermöglichen, falls sie ins All hinausgeschleudert wurde und nicht sofort von einem Blasterschuß gebraten, sie leichter zu sehen; im schroffen Licht des Weltraums ließ Weiß sich besser erkennen. Außerdem bot die Farbe einen gewissen Schutz, weil sie Licht nicht absorbierte, sondern reflektierte. Susan krümmte die Finger, ihr kam zum erstenmal zu
Bewußtsein, wie unglaublich kompliziert die Hand war, wie fein gewachsen. Weil es gegenwärtig nichts zu tun gab, saß sie inmitten der reduzierten Schwerkraft einfach nur da und wartete, bewegte ihre Finger, rieb unterm Schutzpanzer die Fingerkuppen aneinander und genoß das Gefühl, das dabei entstand. Plötzlicher Andruck schob sie seitwärts. Ein Ausweichmanöver! Sie befanden sich unter Beschuß. Wieviel Zeit mochte seit dem Start von der Projektil vergangen sein? Eine Stunde? Eine halbe? Drei Stunden? Stress und Angst erschwerten eine zuverlässige Zeitschätzung sehr. Susans Blase war wieder voll. Im Verdauungsbereich hatte sie ein schlaffes und flaues Gefühl. Ihr Herz schlug einen Takt der Furcht. Erneut trat Schwerelosigkeit auf. Susans Krieger warfen sich Blicke des Unbehagens zu. Sie waren tatsächlich, verdeutlichte sie sich, ihre Krieger. Diese Männer waren unter derselben Sonne wie sie aufgewachsen. Was taten sie alle so weit von Welt entfernt? Mußten sie allesamt in einem der nächsten Augenblicke in einer plötzlichen Freisetzung geballter Energie über einem fremden Planeten sterben, den sie noch nie gesehen hatten? Susan wünschte, sie könnte schreien; doch sie konnte und durfte überhaupt nichts tun. Ihr Schicksal befand sich außerhalb ihrer Einflußnahme, es hing von den Fingerspitzen der ST-Piloten ab, der Treffsicherheit der Zielcomputer und Kanoniere, den Ortungsanlagen der planetaren Verteidigung. Möglicherweise drückte auf einer Welt, die sie gar nicht kannte, ein Mann, der ihr unbekannt blieb, einen Feuerknopf, und ein bläulichroter Strahl flimmerte durchs All, ohne daß er je erfuhr, damit Susan Smith Andojar getötet zu haben. Susan entsann sich Ritas Ermahnung und stimmte ihr Lied an, das, wie sie dank ihrer Medizin wußte, ihr zu Kraft Zuversicht und Mut verhalf. Sie hörte sich zu Spinne beten, ihm versprechen, dem Universum seinen Weg zu
weisen. Nochmals ging ein Ruck durch den Sturmtransporter, Andruck preßte sie in den Polstersitz, warf sie unmittelbar danach in das Gurtgeschirr, das sie festhielt. »Achtung!« erscholl Ritas ruhige Stimme aus dem Lautsprecher. »Wir sind im Landeanflug.« Die Beleuchtung trübte sich, als die Bordblaster feuerten und erhöht Energie verbrauchten. ST 22 schoß zurück. Auf dem Großbildschirm des Mannschaftsraums erschien eine Aufnahme. Sie zeigte ein viereckiges, weißes Bauwerk. »Das ist unser Angriffsziel. Nehmt bei jedem Sirianer, dem ihr dort begegnet, den Coup. Demoliert sämtliche Einrichtung. Eure technischen Berater haben euch informiert, daß ihr in diesem Fall keine Bedenken zu haben braucht. Es handelt sich um das Kommunikationszentrum des Raumhafens Ekrania. Zerstört es, und die Nachrichtenverbindungen der Sirianer sind wesentlich behindert.« Susan sah Köpfe nicken. Jetzt grinsten die Krieger sich an. Manche betasteten die Coups unter ihren Schutzpanzern. »Schwärmt nicht zu weit aus«, warnte Rita. »Kriegshäuptlinge, haltet eure Männer beisammen! Keine Sorge, es wird reichlich Beute für alle geben. Wenn wir das Gebäude genommen haben, wird uns ein neues Angriffsziel zugeteilt. Denkt daran, es ist für uns gegenüber der Viktoria eine Ehrensache, keinesfalls zu kapitulieren.« Hinter Helmen konnte Susan in Kriegeraugen wölfischen Glanz erkennen. Schon die Andeutung einer etwaigen Niederlage verursachte bei den Romananern Murren. Der ST wurde durchgerüttelt. Durch den Helm hörte Susan das Röhren des Antriebs. Starke Vibrationen schüttelten ihren Sitz so heftig, daß ihre Sicht beinahe verschwamm. »Es bleibt keine Minute mehr bis zur Landung. Sobald der ST völlig zum Stillstand gekommen ist, betätigt die
Gurtöffner, nehmt eure Blaster und stürmt das weiße Gebäude. Viel Glück!« Ritas Stimme verstummte. Noch wiederholt flackerte die Beleuchtung herab, wenn die Bordblaster Tod und Vernichtung verschossen. Susan malte sich aus, wie Kampfflugzeuge verzweifelt den ST attackierten. Sie stellte sich vor, wie schwarze Rauchfahnen getroffener, vernichteter Angreifer den Himmel schraffierten. Sie sah regelrecht vor sich, wie grelle Blasterstrahlen den Boden versengten, Abwehrstellungen bestrichen und außer Gefecht setzten. Trotz ihrer Furcht begriff sie in diesem Moment, daß sie jetzt die andere Seite des Kriegs erlebte, den sie vor längerem auf Welt mitangesehen hatte. Vor längerem? Es schien eine Ewigkeit her zu sein, während eines vorangegangenen Lebens stattgefunden zu haben. Ein Stoß fuhr durch den ST, bei dem sich Susan fast der Magen umdrehte. Furchtsam klammerte sie sich fest an den Sitz. Waren sie getroffen worden? War der Antrieb ausgefallen? Stürzten sie bereits ab und in den Tod? Der ST trudelte durch die Luft, und zu verhindern, daß sich ihr Magen aufbäumte, kostete Susan alle Mühe. Ihre Furcht wuchs, als sie überlegte, wie es wohl wäre, falls der ST aufbarst, sie einen ewig langen Sturz ins Verhängnis durchleben mußte. Luft würde ihren Körper umbrausen, die Planetenoberfläche unter ihr zu kreiseln, auf sie zuzufallen scheinen, sie selbst, wie gewichtslos geworden, aus vollem Hals schreien, sich fragen, ob sie den Aufprall wohl spürte. Wieder preßte Andruck sie in den Sitz. Der Andruck stieg. Sie schloß die Augen, holte tief Atem, ließ anschließend den Blick ein letztes Mal durch den Mannschaftsraum huschen. Die Krieger saßen starr vor Furcht da. Der ST fing den Sturzflug ab, die Gewalt, die sich wie tausend Ge anfühlte, sie ins Polster gedrückt hatte, ver-
schwand vom einen zum anderen Moment. Immer wieder verdüsterte sich die Beleuchtung. Beim Aufsetzen warf der ST Susan nochmals ins Druckpolster. Natürliche Schwerkraft wurde spürbar, ein Signalton schrillte. Susan schlug die Faust auf den Gurtöffner und sprang auf, riß sich den Helm herunter. »Vorwärts!« schrie sie, zerrte den Blaster aus dem Wandgestell. »Vorwärts, Krieger! Wollt ihr ein Mädchen den ersten Coup erringen lassen?!« Gesichter drehten sich in ihre Richtung, die Krieger schnitten harte Mienen. Susan eilte nach vorn zur Rampe, während Warnlichter oszillierten. Die schweren Blaster des ST belegten die Umgebung mit Sperrfeuer. »Seid ihr Feiglinge?!« verhöhnte sie ein Grüppchen Männer, das noch mit geweiteten Augen zusammengeduckt auf den Plätzen hockte, die Hände schienen den Kriegern an den Gurten gelähmt worden zu sein. Doch ihr Spott scheuchte sie unverzüglich hoch, sie griffen nach ihren Blastern. Im Laufschritt stürmte Susan die Rampe hinab ins Licht einer Abendsonne, deren Schein nach der Trübheit des Mannschaftsraums ausreichte, um sie nahezu zu blenden. Alle Furcht wich von ihr, kaum daß sie festen Boden unter den Füßen hatte. Voraus ragte das Gebäude empor, aus Einschußlöchern in den Mauern tasteten ihr violette Strahlen entgegen. Ein Blastertreffer des ST bohrte sich in das Bauwerk, sprengte in einem Auseinanderstieben von Stein, Mörtel, Staub einen großen Abschnitt der Außenmauer heraus, entblößte Böden und Zwischenwände. Menschen flüchteten ins Innere des Gebäudes. Susan rannte, das Blastergewehr schwer in ihren Armen, auf das Kommunikationszentrum zu. Etwas knatterte an ihrem Ohr vorbei, und sie hörte hinter sich einen Mann aufbrüllen. Sie heulte ihren Kriegsschrei und begann ihre Geistkraft mit einem Lied zu beschwören. Indem sie Spinnes Namen rief, kletterte sie
über den Schutt einer Bresche ins Gebäude, trennte reflexartig mit einem gutgezielten Blasterschuß einen Mann entzwei, der auf sie zielte. Sie ließ sich gerade genug Zeit, um sich zu bücken und mit dem Messer dem Opfer den Skalp vom Schädel zu schneiden. Sie hatte es wirklich geschafft! Sie hatte tatsächlich den ersten Coup genommen! Wie eine Irrsinnige lachte sie, während sie die bluttriefende Trophäe über ihrem Kopf wirbelte. Ihre Hände bebten, als sie den Coup an den Gürtel knüpfte. »Spinne!« hallten die Stimmen der Krieger im Chor durch die Luft, während die Romananer in die Räume des Gebäudes feuerten, mit Geschrei durch die Breschen hineinströmten. »Spinne! Spinne!« Sie johlten, sangen, grölten und lachten beim Sturm ins Innere, ihre Blasterstrahlen knisterten kreuz und quer in die Räume. Das Kommunikationszentrum hielt sie nicht im geringsten auf. Über eine zerbröckelte Wand hinweg sah Susan, daß sich wie gigantische Käfer weitere ST herabsenkten, die Sturmrampen aufklappten und Horden von Romananern sowie Abteilungen von Patrouillensoldaten unter Gebrüll in den letzten abendlichen Sonnenschein des Sirius herauswogten. »Obergefreitin Susan Smith Andojar«, rasselte Ritas Stimme aus ihrem Gürtelkommunikator. »Ich höre«, antwortete Susan, spähte durch den Rauch. »Susan, schnapp dir soviel Männer, wie du kannst, und stoß mit ihnen auf den Boulevard vor, der vor euch liegt. Wir beobachten eine größere sirianische Gruppierung, die auf euch zuhält. Schutzpanzer trägt der Gegner nicht, aber offenbar ist er gut bewaffnet. Sei vorsichtig, Liebes. Halte mit mir Verbindung. Informiere uns über die Lageentwicklung. Ende.« »Verstanden.« Susan schlang sich das Blastergewehr über die Schulter. Die Mehrzahl ihrer Männer tappte noch im eingenommenen Bauwerk umher, bestaunte die zer-
trümmerten Apparaturen, aus denen Funken stoben und Rauch quoll. »Will jemand Spinne Ehre und sich selbst Coups sichern?« rief sie. »Rotschopf Viele Coups sagt, eine Gruppe Sirianer kommt auf der Straße dort auf uns zu. Laßt uns ihnen entgegenstürmen!« Sie machte auf dem Absatz kehrt und lief durch die zerschossene Tür hinaus ins Zwielicht. »Achtet darauf, auf wen oder was ihr schießt«, rief sie. »Wenn’s zu dunkel wird, vergeßt nicht die Nachtsichtbrillen aufzusetzen.« Ihr zusammengewürfelter Haufen begrüßte den Abend mit Gesängen, wildem Gelächter, Schmähungen des Feinds sowie gutmütigen Kommentaren über das Mädchen, das den ersten Coup genommen hatte. Susan grinste verzerrt. Genau wie nach dem Schußwechsel mit Ramon hatte sie ein Gefühl der Euphorie. Ein schwacher Gestank, der schwer und dumpf in der Luft hing, wehte ihr in die Nase. Niedrige Häuser säumten beide Seiten des Boulevards. Spontan bildeten Männer an beiden Straßenrändern Schützenketten, unterhielten sich halblaut über die fremdartigen Verhältnisse. Verärgert wurde Susan bewußt, daß sie die entsprechenden Befehle hätte geben sollen. Sie fing taktisch zu denken an. »Teilt euch richtig auf«, ordnete sie an. »Wir latschen argloser als Grüne Schnitter die Straße entlang. Die Hälfte dort hinüber! Der Rest da hin! Spinne sei mit euch.« Sie beeilte sich, nach vorn zu kommen, blieb in der Deckung, die die Bauten boten. Blasterfeuer loderte aus der Düsternis des Abends. Dunkelgekleidete Männer kamen auf der Straße in Sicht. Blaue Blasterstrahlen flammten auf. Susan ließ sich auf ein Knie nieder, zwinkerte ins Infrarotbild. Sie erschoß einen Gegner nach dem anderen, stellte am Rande fest, daß ihre Romananer — gute
Schützen von Kindesbeinen an — die sirianische Abteilung rasch aufrieben. Nach wenigen Minuten löste sich der Feind von ihnen und zog sich fluchtartig in die Nacht zurück. »Denen fehlt’s an Mut«, konstatierte ein Santos angewidert. »Sie haben sich noch gar nicht richtig rangewagt.« »Los doch, kommt!« schrie ein anderer Krieger fröhlich. »Dort vorn warten Coups auf uns.« Unter wüstem Geheul rannten Romananer vorwärts, schwangen ihre langen Dolche. Von da an verlor die Nacht für Susan ihren Zusammenhang. Sie bildete als Kern ihrer Truppe einen kleinen Stoßtrupp und drang an ihrer Spitze unaufhaltsam in die Stadt vor. Völlig kopfscheu flüchteten die Sirianer vor dem Ansturm der Romananer. Später erinnerte Susan sich an den Abschuß von Airmobilen, ans Umgruppieren ihrer Truppe, um siriani-sche Straßensperren zu überwinden, ans Schießen auf Kampfflugzeuge, an grausamen Nahkampf und daran, Blasterstrahlen ausgewichen zu sein. Aufwallungen der Ekstase folgten Perioden stumpfsinniger Erschöpfung. Tiefstes Entsetzen schlug mit irrwitziger Unerwartetheit in Anwandlungen blöder Heiterkeit um. Und Entsetzliches gab es unaufhörlich zu sehen. Die Nacht war voller Feuer und Tod. Sie lachte beim Anblick dreier Romananer, die einen Antigrav-Wagen vor sich herschoben, hoch beladen mit Kleidung, Bildern, Haushaltsgeräten, Metallgegenständen und Waffen sowie fünf schreienden Mädchen. Die Männer zankten um die Beute, obwohl ringsum noch unangetastete Reichtümer lagen. Sie brachen Häuser auf, in denen massenhaft zusammengedrängte Menschen in heiseres Lamentieren der Panik verfielen, sobald Susan bloß einen Lichtkegel über ihre vor Grauen halb wahnsinnigen Gesichter lenkte. Sie waren Bewohner einer Welt von Schafen, duckten sich,
aus Schrecken erstarrt, vor Susan, fürchteten sich dermaßen, daß sie sich besudelten. Der Ekel vor ihnen schnürte Susan die Kehle ein. Explosionen erschütterten die großen, flachen, ausgedehnten Gebäudekomplexe der Sirianer; viele Bauten waren, wie Susan wußte, bereits vor sechshundert Jahren errichtet worden. Als am östlichen Himmel das erste Tageslicht heraufdämmerte, sah sie die Gegend von einer dichten, fast unbewegten Rauchwolke verschleiert. Die breiten, leeren Straßen waren übersät mit Leichen, Trümmern und Bündeln persönlicher Besitztümer, die entweder Flüchtlinge fortgeworfen oder plündernde Romananer verloren hatten. Fünf Mann befanden sich von ihrer Truppe noch bei ihr; alle übrigen hatten sich irgendwo in der Umgebung zerstreut, waren abgesondert worden oder hatten anderswo amüsantere Möglichkeiten des Zeitvertreibs gefunden. »Majorin Sarsa«, krächzte Susan mit rauher Stimme in ihren Kommunikator. »Hier Obergefreitin Andojar.« Matt blinzelte sie, wunderte sich über den Grus in ihren Augen. Sie und ihre Männer lehnten an einem niedrigen, zerborstenen Mauerrest, müde bis in die Knochen, die Schutzpanzer bespritzt mit Blut, schmierig vom Qualm und stellenweise von Schüssen angesengt. In den verschmutzten, rußigen Gesichtern hoben sich die Rinnsale von Tränen und die Krähenfüße ebenso schroff wie das Weiß der Augen ab. Ich bin den Krieg jetzt schon satt. Ich möchte nach Hause. Susan schloß die Lider und nahm einen tiefen Atemzug verpesteter Luft. »Susan, bist du’s?« Eisenauge antwortete. »Bist du gesund und munter?« »Alles klar, John. Wir sind ungefähr sechs Kilometer vom Raumhafen entfernt. Vor unserer Position gibt’s kaum Aktivitäten zu beobachten. Der Großteil der Truppe ist hinter uns verstreut. Wir hier sind völlig
erschöpft. Abgekämpft. Was sollen wir jetzt unternehmen?« »Macht kehrt, Susan. Wir schicken ein paar Spähtrupps in eure Richtung. Die Sirianer gruppieren am Stadtrand um. Ein ST hält sie unter Observation, und wir haben einige Vorposten eingerichtet, um ihre Bewegungen zu beobachten. Es ist dringendst erforderlich, daß wir den Angriff neu organisieren. Ich glaube, Rita kann deine Unterstützung gebrauchen.« »Verstanden, wir kommen. Ahm ... Hör mal... Falls ‘s irgendwie möglich ist, schick uns auf der Unionsavenue ‘n Airmobil entgegen. Wir wüßten das sehr zu schätzen.« Susan klemmte den Kommunikator zurück ans Koppel und nötigte ihre Begleiter, sich wieder aufzuraffen. Susan konnte sich nicht daran erinnern, schon jemals derartig ausgelaugt gewesen zu sein. An ihrem Gürtel baumelten Skalpe. Blut sickerte ihr an den Beinen hinab. Insgeheim empfand Susan Ekel und Scham. Das Volk daheim auf Welt würde nicht begreifen können, was für einen geringen Wert auf solche Weise errungene Coups hatten. Es war kein Kampf, es war ein Abschlachten gewesen. Auf dem Rückweg sahen sie zahllose Leichen auf der Straße liegen. Da und dort standen Häuser in Flammen, zerstörte Airmobile bildeten richtige Schrotthaufen. Die Verwüstung besaß gewaltige Ausmaße. »Airmobil«, rief Geflügelter Stier Reesh und suchte Deckung. Susans Romananer verschwanden in den Winkeln und Einbuchtungen eines Gebäudes. »Hans!« schrie Susan, sobald sie das mit Spinnendarstellungen verzierte Airmobil erkannte. »Wie steht’s?« fragte sie, als sie in den Sitz fiel. Sie küßte ihn auf die Lippen, wünschte sich, sie könnten sich irgendwohin zurückziehen und allein sein, um sich in den Armen zu halten und miteinander zu reden. Vielleicht wüßte er all dem Gräßlichen und den Greueln
eine Bedeutung zu geben. Der Gestank verbrannten Fleisches wich nicht mehr aus ihrer Nase. Susan hätte nichts lieber getan, als sich das Blut aus Gesicht und Haaren zu waschen und zu schlafen. »Hat mich gefreut, zu hören, daß du am Leben bist.« Hans grinste, momentan machte nicht einmal ihr Kuß ihn nervös. »Am besten fliegen wir sofort zurück. Ich weiß nicht, was los ist, aber Rita und Mosche sind sehr in Sorge.« »Wir haben sie abgeschlachtet wie ‘ne Schafherde«, meinte Susan. »Mein Gott! Ich hätte nie gedacht, daß es so leicht wäre. Das sind alles Feiglinge, Hans. Sie leisten gar keine echte Gegenwehr. Sie winseln, jammern, und flehen um Gnade. Sehen zu, wie ihresgleichen vergewaltigt und ermordet werden, ohne den Finger zu rühren. Ist es das, was das Direktorat herangezüchtet hat?« Hans blickte sie nervös an; seine Augen spiegelten Beunruhigung wider. »Wir haben keinen Kontakt mehr zur Projektil.« »Oh.« Unwillkürlich hob Susan den Blick, schaute an den gering bewölkten Himmel empor. Eine ungewohnte Enge in ihrer Brust verursachte ihr Beklemmung.
16 John Smith Eisenauge stand dabei, während man den Angriffsplan vervollständigte. »Noch irgendwelche Fragen?« erkundigte sich Ree, der sich aus der Hüfte über eine Holo-Aufnahme Ekra-nias beugte. Seine Haltung erinnerte an einen romananischen Bären, der gerade ein einjähriges Kalb packte. »Kennt jeder sein Ziel?« Rees harte, blaue Augen forschten in Gesichtern. »Dann abtreten! Und viel Glück, Leute!« Die Besprechungsteilnehmer gingen auseinander. Nur Eisenauge betrachtete noch die Straßenzüge Ekranias, versuchte sich die Einzelheiten der Stadt ein letztes Mal einzuprägen, fragte sich, wie es dort unten wohl wirklich aussah. Er blickte hoch, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. »Na, Kriegshäuptling, was hältst du davon?« Eisenauge richtete sich auf, schaute in Damen Rees Augen. »Ich glaube, auf alle Fälle trennt uns inzwischen viel vom Lager Gessali. Ob Leeta wohl etwas von dieser Entwicklung geahnt hat?« Damen Ree schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund, das bezweifle ich ... Obwohl sie zu so vielem den Anstoß gegeben hat. Wenn überhaupt irgendwer etwas vorausgesehen hat, dann die Propheten.« »Und sie verraten nie etwas.« Eisenauge lächelte Ree bitter zu. »Ich gehe jetzt wohl besser an Bord meines ST.« Ree nickte. »Und ich auf die Kommandobrücke. Wenn alles reibungslos verläuft, haben wir die absolute Luftherrschaft. Dann werden wir aus dem Orbit, falls nötig, taktische Unterstützung leisten können.« »Wir werden sehen.« Eisenauge zuckte die Achseln.
»Ich hatte noch nie auf einem Kriegszug solche Vorteile auf meiner Seite.« Er grinste. »Außerdem wären sowieso die Pferde scheu geworden.« Ree lachte verhalten, »Ja, wahrscheinlich. Trotzdem mache ich mir ‘n bißchen Sorgen. Wir greifen eine Industriewelt an. Es kann ‘ne Menge schiefgehen. Deine Krieger sind noch ...« »Unwissende Wilde?« »Klar, aber ich bin zu diplomatisch, um so was auszusprechen.« Eisenauge füllte die Lungen mit Luft und gab einen Stoßseufzer von sich. »Sollten wir in zu ernsten Schwierigkeiten stecken, ziehen wir uns zurück, sammeln uns in der Wildnis, gruppieren um und versuchen, den Gegner an der Flanke aufzurollen. Vielleicht lassen meine Krieger sich dann effektiver einsetzen.« »Es gibt drunten kaum >Wildnis<. Ursprünglich war Sirius ein Terraformingprojekt. Die Sowjets sind ganz schön resolut vorgegangen, sie haben einen Sauerstoffkreislauf initiiert, einen Treibhauseffekt stimuliert und normale irdische Pflanzen eingeführt. Die ersten zweihundert Jahre sind für die Sirianer ... äh ... ziemlich aufregend gewesen.« Ree runzelte die Stirn. »Kann sein, sie haben infolge der vielen biotechnischen Prozesse irgend was Merkwürdiges in den Genen. Seitdem sind sie immer Quertreiber gewesen.« Eisenauge neigte den Kopf seitwärts. »Sauerstoffkreislauf? Treibhauseffekt?« »Ist jetzt egal. Du kannst dich übers Terraforming informieren, wenn wir alles hinter uns haben.« »Das problematischste an allem ist, die Verbindung zu meinen Männern durch die Handkommunikatoren zu halten. Sie sind’s gewöhnt, ihren Kriegshäuptling in Rufweite zu haben. Aber wir werden uns wohl auch darin anpassen müssen. Ein verläßlicher, tüchtiger Mann, dem man ein Ziel gibt, kann auch die Verantwortung tragen. Ja, es könnte verdammt viel schieflaufen.«
»Ich sehe, du hast dir darüber schon deine Gedanken gemacht.« Ree rieb sich, die Stirn in Falten gelegt, am Kinn. »Ich verliere ungern«, rief Eisenauge ihm in Erinnerung. »Mir ist auch nicht wohl dabei, Maya und Arish hinterm Rücken zu haben. Diese anderen PatrouillenKriegshäuptlinge sind mir fremd. Ihnen geht der Vorteil ab, all die Wahrheiten Spinnes kennengelernt zu haben. Wir wissen nicht, welchem Stamm sie angehören ... Als wären sie Räuber in der Nacht.« Ree nickte, an seinem Unterkiefer zuckten Muskeln. »Ich werde sie im Auge behalten, sobald wir die sirianische Flottille ausgeschaltet haben.« Eisenauge lächelte, legte beide Hände auf Rees Schultern, schüttelte ihn sachte. »An dir habe ich keine Zweifel, Oberst. Bis später.« Ree faßte Eisenauge fest an den Armen. »Sei vorsichtig, mein Freund. Gib dort unten auf dich acht. Ich würde gar nicht gern wieder mit Übungsrobots trainieren, auch wenn du mich kürzlich besiegt hast.« Eisenauge lachte und wandte sich dem Ausgang zu. Einmal winkte er noch, dann ließ er Damen Ree allein, der gesenkten Kinns nachdenklich die Holo-Karten betrachtete. * * * ST 21 erwies sich als Ballungspunkt des größten Wirrwarrs, während Eisenauge die Kommandozentrale aufsuchte, zur Stelle meldete und seinen Schutzpanzer überstreifte. Danach nahm er unverzüglich mit Rita Kontakt auf, inspizierte seine Truppe und beschwichtigte unruhige Krieger. Die Zeit zog sich hin. »An alle: Ab sofort befinden wir uns unter Gefechtsbedingungen!« Das Warnsignal schrillte. Weil Eisenauge ein Kontaktron auf dem Kopf hatte, merkte er kaum, wie der ST den Katapultstart aus der Projektil vollführte. Das
Stimmengewirr seiner Romananer beanspruchte sein Gehör, er beantwortete Fragen, erklärte nochmals die Angriffstaktik und erinnerte die Krieger an die gesetzten Ziele. An seinem Platz ins Druckpolster geschnallt, spürte er den ST erbeben, Manöver durchführen, Andruck preßte ihn in den Sitz. Wenn die Feuerleitzentrale Ziele anvisierte, verminderte der Energieentzug durch die Blaster die Helligkeit der Beleuchtung. Im Augenwinkel sah er flüchtig eine orbitale Blasterstation aufflammen und verglühen. »Gleich ist’s soweit, Krieger«, rief er in die Kommu. »Auf dem Bildschirm seht ihr jetzt das Shuttle-Wartungsgebäude. Willy Grita, du und deine Abteilung greift es an. Euer Tech zeigt euch, welche Maschinen ihr zerschießen sollt. Patan, deine Abteilung nimmt sich das Haus da vor. Es ist die Raumhafendirektion, die Verwaltung. Blastert das Ding in Stücke!« Lediglich ein kaum merklicher Ruck ging durch den ST, als er aufsetzte. »Vorwärts!« Eisenauge beobachtete ihr Gewimmel, während die Romananer sich mehr oder weniger in Reih und Glied aufstellten, zog leicht den Kopf ein, wenn er sie im Durcheinander einer über den anderen stolpern sah, bis sie schließlich die Sturmrampe hinabpolterten. »Naja, ‘s war ihr erster Versuch«, murmelte er. »Wenigstens ist keiner totgetrampelt worden.« Auf den Monitoren der Kommandozentrale verfolgte er mit, wie sie zum Angriff ausschwärmten. Also das war ein anderer Planet? Er wirkte so ... so künstlich. Ringsum erstreckte sich nach allen Seiten — bis zu den ersten Bauten — nur eine ununterbrochene, ebene Fläche. Der Planet schien eine Welt der Grau-in-grauPerspektiven und der Sterilität zu sein, nicht von irgend etwas Lebendem. Die Häuser sahen auf den Bildschirmen nicht anders als in den Holo-Projektionen aus, anhand der man die Romananer geschult hatte.
Nichts Überraschendes bot sich Eisenauges Blick. Der einzige Unterschied, den er vom Kontrollpult aus wahrnahm, bestand aus einer etwas höheren Schwerkraft, als er sie von Bord der Projektil kannte. Schon landeten weitere ST, klappten die Sturmrampen aus, Patrouillensoldaten und Romananer quollen hervor. »Kriegshäuptling?« drang Ritas Stimme durch die Kommu. »Hier. Wir sind unten. Eben sind meine Krieger losgestürmt um Ruhm und Coups zu erringen.« Eisenauge lehnte sich zurück, sah Blasterfeuer nach den Kriegern zucken, die übers Raumhafengelände stürmten. In seiner Leibeshöhle breitete sich ein sonderbares Gefühl der Leere aus. Er sollte draußen sein, mit ihnen laufen, nicht hier sitzen wie ein Greis, der einen Corral bewachte. »Wir sind auch gelandet«, antwortete Rita. »Meine Truppe nimmt das Kommunikationszentrum ein. Sieht so aus, als hätten wir den Raumhafen schon eingesackt. Die Bodentruppen fühlten sich den ST wohl nicht gewachsen. Sie haben gleich das Weite gesucht. Es ist jetzt Zeit, um unsere Position zu konsolidieren und die Nachschubfragen zu regeln.« Die damit verbundenen Aufgaben nahmen den gesamten Tag in Anspruch. Der folgende Abend verdunkelte eine schaurige Szenerie, schwarz zeichneten sich die unregelmäßigen Umrisse der Gebäude gegen das rote Gluten von Bränden ab. An den Bildschirmen begleitete Eisenauge seine Truppe durch die Stadt. Dank der Fischaugenkameras der Aufklärungsdrohnen warnte er seine Männer vor Widerstandsnestern, half ihnen, durch die endlosen Straßen ihren Weg zu finden. Zum Glück stellten die Romananer sich sofort darauf ein, Befehle per Funk zu erhalten, sie vertrauten Eisenauges Einschätzung der Situation. Zuerst stand er der Möglichkeit, ST zur Luftunterstütz-
ung anzufordern, ratlos gegenüber; erst als er sie wie leichte Kavallerie einzusetzen begann, begriff er ihre volle Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit. Unglaublich! Er konnte jede feindliche Stellung aus der Luft beschießen lassen, seine Krieger aus gefährlichen Schußfeldern fernhalten und sehen, in welche Richtung die Sirianer in welcher Stärke zurückwichen. »Da!« Shig Gulanan, der ST-Kapitän, zeigte nach oben. Auf den Deckenmonitoren durchfuhren blaurote und violette Strahlen den Himmel. »Der Oberst knöpft sich Ngen Van Chow vor. Jetzt dauert’s nicht mehr lang, und wir haben den Sirius in der Tasche.« Reihenweise kehrten nun Romananer von der Front zurück, taumelten unter dem Gewicht der Beute, die sie sich aufgeladen hatten. Allmählich verebbten die Gefechte im Stadtinnern, den Kriegern gingen langsam die Kräfte aus. Eisenauge verschaffte sich einen Überblick der Lage und beschloß, seine Streitkraft sich einigeln zu lassen. Im Laufe der nächsten Stunden schickte er Ablösungen nach vorn, setzte Patrouillensoldaten mit ihrem besseren Verständnis des Straßenkampfs ein, um seine noch unerfahrenen Krieger in den vorderen Linien zu verstärken. »Eisenauge?« meldete Rita sich durch die Kommu. »Hier.« »Kannst du in den ST Zweiundzwanzig rüberkommen? Ich möchte gern einmal den Stand des bisher Erreichten besprechen.« »Klar.« Eisenauge hob sich das Kontaktron vom Schädel, massierte seine Schläfen. »Verdammtes Ding ... Es muß doch Magie sein. Wie bei Spinnes Netz soll sonst ‘n Stück Metall die Gedanken eines Menschen erkennen können?« Er trat, neugierig auf die Gerüche des Sirius, hinaus in die Nacht. Die ganze Gegend roch widerlich, ein beißendscharfer Gestank hing in der Luft. Verräuchert, das war das richtige Wort. Die Luft hatte etwas bedrückendes, sie
war feucht, und gleichzeitig ätzte sie infolge des Rauchs und brennender Chemikalien die Schleimhäute. Alles in allem empfand Eisenauge den Geruch als sehr unangenehm. Unter seinen Füßen spürte er das harte Material des Raumhafens. Beton hieß es. Rundum ragte eindrucksvoll die Stadt namens Ekrania auf, gegenwärtig erhellt durch die im Kampf von Blastern entfachten, ungelöschten Brände. Der Himmel leuchtete in unheimlichem Glanz. Eisenauge spähte empor und sah, daß die Wolken kein Mondlicht reflektierten, nur die Lichter der Stadt und den Schein der Feuersbrünste zurückwarfen, die die größten Gebäude verwüsteten. Violette Strahlen durchschossen keine mehr den Himmel. Seltsamerweise glommen an dem dunklen Ausschnitt des Firmaments, den er sehen konnte, nur wenig Sterne, ganz anders als der Anblick, der sich im Weltraum bot. Vielmehr flößte der Nachthimmel Eisenauge ein Gefühl der Düsterkeit ein, einer Bedrohung, die irgendwo im Finstern lauerte. »Jetzt stehe ich also auf einer anderen Welt«, sagte er leise, hörte in der Ferne Detonationen, das Klirren von Glas und Metall, als ein Bauwerk explodierte. Er schloß die Lider, gab sich den Eindrücken der fremden Umwelt hin, versuchte den Planeten ringsum zu erahnen, ein Empfinden seiner Seele zu erlangen. Eine laue Brise strich über seine Wange, der Gestank der Umgebung ließ sich nicht völlig aus der bewußten Wahrnehmung verdrängen. Unter sämtlichen Gerüchen, von denen etliche ihm unbekannt waren, neu, entdeckte er keinen Hauch irgendeiner Vegetation, keinerlei modrigen Erdduft bloßer, durchfeuchteter Scholle. Er vermißte den herzhaften Mief von Mist, die leichte Würzigkeit des Rauchs von Säulenpflanzenholz. Statt dessen schien Sirius’ Luft auf seiner Haut zu brennen. Sein Unbehagen wuchs. »Ein Planet ohne Seele wird
meinem Volk nichts Gutes bringen.« Er öffnete die Augen, sein Blick suchte für eine Weile das Umfeld nach Gefahr ab, während er, das Blastergewehr in der Armbeuge, auf Ritas ST zuschritt. Der Antrieb des ST 22 winselte im Leerlauf, man hielt die Maschine und alle ihre System für einen etwaigen Blitzstart und sofortigen Einsatz in Bereitschaft. Eisenauge grüßte die Wache und eilte die Sturmrampe hinauf; drinnen veranlaßte die plötzliche Helligkeit der Beleuchtung ihn zum Verkneifen der Lider. Er trat mitten in lebhafte Betriebsamkeit. Beim Durchqueren des Eingangs zur Kommandozentrale sah er Rita gebannten Blicks vor einem Monitor sitzen. »Was ist los?« fragte er, indem er sich neben sie hokkte. Rita schüttelte den Kopf, verzog unaufhörlich die Lippen, in ihren Kiefern zuckten Muskeln. »Ich weiß es nicht. Das Raumgefecht ist zu Ende, inzwischen müßten wir aus dem Orbit eine Klarmeldung vom Oberst vorliegen haben. Es läßt sich schwer beurteilen, was passiert sein könnte, aber vielleicht haben die Kommunikationsanlagen Schäden davongetragen. Kann sein, die Antenne ist getroffen worden. Jedenfalls stimmt irgendwas nicht.« Eisenauge füllte die Lungen mit Atem und stieß ein schweres Seufzen aus. »Kann sein, Spinne fängt nun an, uns ernsthaft auf die Probe zu stellen, Majorin.« »So darfst du nicht mal zum Spaß daherreden!« Rita nahm sich die Zeit, um ihn aufmerksam zu mustern; ihre kühlen, grünen Augen blickten besorgt. »Ist dir bewußt, was es heißen kann, wenn’s oben wirkliche Probleme gibt?« Eisenauge hob die Schultern. »Rita, wenn es Spinnes Wille ist, kann ich hier genausogut wie woanders sterben. Spinne wird meine Seele auf alle Fälle zu sich rufen. Aber bleibt mir eine Wahl, wär’s mir lieber, meine Knochen vermodern auf Welt.«
Rita widmete ihre Beachtung wieder dem Bildschirm. »Möglicherweise hast du die Wahl nicht.« Bedächtig richtete Eisenauge sich auf, klatschte die Handfläche auf seinen Schutzpanzer. »Nun ja, wir werden sehen. Ich sag’s dir immer wieder: Ich verliere ungern.« »Ich werde versuchen, mir’s zu merken«, entgegnete Rita, ohne daß sich ihre Besorgnis verringerte, während sie erneut einen Funkruf in den stummen, nachtschwarzen Himmel emporsandte. *
*
*
Oberst Damen Ree stand auf der Kommandobrücke, seine Augen erfaßten die Monitoren. »Start«, ordnete er an. Kaum hatte er den Befehl erteilt, verließen die ST ihre Hangars, gingen mit Hilfe der Lenkdüsen auf Kurs und schossen davon, hoben sich wie weiße Lanzen vom Grauschwarz des sternenübersäten Alls ab. »Möge Spinne euch alle beschützen«, flüsterte Ree inbrünstig, während er ihnen nachschaute, in Gedanken bei der Spinnendarstellung, die vor nicht allzu langer Zeit, kurz vor einem anderen Gefecht, Leeta an die Deckenplatten der Kommandobrücke gemalt hatte. Voraus schimmerte Sirius, ein Ziel von Tod und Vernichtung. Dahinter flimmerte, leicht backbords, das Doppelgestirn Sirius, dessen Emissionen beträchtlichen Schwankungen unterlagen, so daß der Planet, indem sein blauweißer Globus die Reflektionen zurückwarf, in seiner Helligkeit merklich variierte. »Geschützbatterien testen«, brummte Ree, heftete den Blick auf die Anzeigen. Jeder der großen Blaster schoß drei Strahlbahnen in die Dunkelheit hinaus. »Meldung, Sir«, rief der Feuerleitoffizier. »Testergebnis: Einhundertprozentig einwandfreie Funktion.« »Ausgezeichnete Leistung, ein Lob für die Kanoniere«,
antwortete Ree. In der Tat war das gar kein schlechtes Resultat für ein Schlachtschiff, das vor erst vier Monaten den Ausfall eines kompletten Geschützdecks hatte hinnehmen müssen; es war ein Beweis für die Tüchtigkeit der Besatzung. Die Kommu lenkte seine Aufmerksamkeit auf eine von den anderen Schiffen seines Verbands erwünschte Konferenzschaltung. Auf Monitoren erschienen die Gesichter Arish Amahanandras’ und Maya ben Achmads. »Unsere ST befinden sich im Einsatz«, sagte Ree zur Begrüßung. »Die Projektil hält den Zeitplan ein.« Maya grinste. »Die Mehrzahl unserer ST ist gleichfalls auf dem Weg, Damen. Arish hat allerdings einige widrige Umstände gegen sich. Ein paar der provisorischen Reparaturen verursachen der Bruderschaß technische Probleme.« »Ernste?« fragte Ree, wobei seine Brauen ruckartig aufwärtsrutschten. »Muß ich meine Bodentruppen wegen Ihrer Mängel reorganisieren?« Er bemühte sich um einen ruhigen Tonfall. »Wir werden unsere Truppen genau nach Plan auf dem Planeten landen«, erwiderte Arish hitzig. »Damen ...« Maya warf ihm einen gereizten Blick zu. »Wir liegen noch vollkommen innerhalb der Zeitplanung. Drehen Sie eine Runde um den Planeten und unterstützen Sie uns, falls es erforderlich wird.« »Sicher, Maya. Ich würde wetten, Sie haben Van Chow schon ausgeknipst, wenn ich die Umrundung beende. Das wird’s mir ermöglichen, entweder Dastar oder Helk anzugreifen, falls der zweite Verband sie nicht erwischt.« »Oberst!« unterbrach ihn der Feuerleitoffizier. Damen wandte den Kopf. »Die Himm Lazar testet die Waffen, Sir. Die spektrografischen Daten der Blaster liegen erheblich oberhalb der Schätzungen, die uns die Aufklärungsabteilung genannt hat.« Anscheinend erhielten die beiden Kommandantinnen
momentan ähnliche Meldungen. »Haben Sie’s mitgekriegt, Maya?« fragte Damen. »Selbstverständlich.« Sie nickte, dachte offenbar angestrengt nach. »Ich bezweifle, daß dieser Waffengang so leicht wird, wie wir ihn uns anfangs vorgestellt haben. Wir sollten für den schlimmsten Fall sicherstellen, daß jemand zum Arcturus fliegen kann, um ...« »Solche Überlegungen halte ich für völlig unsinnig.« Arish wirkte regelrecht bestürzt. »Sie können doch nicht im Ernst glauben, drei umgebaute Frachtraumschiffe wären ... wären eine Gefahr für sechs Patrouillenschlachtschiffe?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Wir werden wohl erst Gewißheit finden, wenn das Gefecht beginnt«, entgegnete Ree. »Ihre Überlegung ist vernünftig, Maya. Ich schlage vor, das Schiff, das als letztes noch genug Energie verfügbar hat, setzt sich ab. Falls man die Projektil zusammenblastert, erwarte ich also nicht, daß Sie mir zu Hilfe kommen.« Er verstummte mit einem Auflachen. »Vielleicht tu ich’s doch, bloß um Sie zu ärgern.« Maya lachte. »Ich gebe die Festlegung der Trutz durch. Sie hat den Auftrag, zu unserem Verband Kontakt zu halten.« »Ich bleibe auf Frequenz.« Ree drehte den Monitoren den Rücken zu. »Kurskorrektur. In Kreisbahn einschwenken.« Er kehrte sich wieder den Kommu-Apparaten zu. »Obristinnen, ich wünsche Ihnen guten Flug, erfolgreichen Einsatz und viel Glück!« »Viel Glück, Damen.« Maya neigte den Kopf. Daß Arish nichts sagte, wunderte Ree nicht. Zog die Bruderschaft bösartige Weibsbilder an, oder hatte sie aus reinem Zufall zwei Kommandeurinnen hintereinander, die Ree nicht ausstehen konnte? »Lassen Sie allen für den Gefechtseinsatz unwichtigen Decks die Luft ab«, rief Ree Major Iverson zu. »Sir?« Verdutzt schaute Iverson auf. »So eine
Maßnahme entspricht nicht den Vorschriften, Sir. Darf ich mich nach dem Grund erkundigen?« »Erstens verringert sich dadurch unsere Masse, Neal. Zweitens können luftleere Decks nicht durch Dekompression beschädigt werden, wie’s uns das letzte Mal passiert ist. Ohne Luft sparen wir uns die Brandbekämpfung, Major ... Und die Besatzungsstärke ist sowieso zu gering.« Ein Mundwinkel Rees verzog sich zu einem schiefen Lächeln, während seine Augen todernst blieben. »Jawohl, Sir«, erwiderte Iverson und gab die Anweisung weiter. Auf den Bildschirmen ließ sich mitansehen, wie hinter der Projektil lange, weiße Schleier kondensierter Luft ins All stäubten. Ree holte tief Atem und checkte seinen Schutzanzug. Die Kontrollämpchen von Sauerstoffversorgung und Heizung glommen grün. Es gab nichts zu tun als zu warten und den schon auf den Planeten im Anflug befindlichen ST zu folgen. Sie schwirrten dem Planeten entgegen wie ein Heuschreckenschwarm. Wie gut waren die Geschütze der Satelliten? Hatte man dort einen Begriff von der Manövrierfähigkeit der ST? Wieviel Praxis hatte man im Laufe der vergangenen vier Monate mit den Feuerleitcomputern erworben? Er rieb die Hände aneinander, erinnerte sich an die leuchtend-violetten Blasterstrahlen, die er aus der Hi-ram Lazar zucken gesehen hatte. Waren die Schutzschirme der Projektil stark genug, um ihren Beschuß abzuwehren? Ree atmete tief durch, er spürte, wie es in seinen Gedärmen zu rumoren anfing. Um sich zu beruhigen, trank er einen Becher Kaffee. »Schätzungsweise Frist bis zum Erreichen der maximalen Kampfentfernung?« »Eine Stunde und drei Minuten, Sir. Für Viktoria und Bruderschaft fünfundvierzig Minuten.« Ree gab den Computern potentielle Taktikvarianten ein, beobachtete den Bildschirm, überdachte die Ergebnisse.
Er ließ seinen Verstand quasi eins mit dem Raumschiff werden, versuchte jede mögliche Handlung Ngen Van Chows vorauszusehen und dagegen Vorkehrungen zu planen. Die Zeit verstrich. Die Projektil steuerte in weitem Abstand von Helk und Dastar, die zum Abfangen der Direktorats-Kriegsschiffe Trutz, Miliken und Toreon in Position gegangen waren, die Rückseite des Planeten an. Ree sah den Verband in die Einflußzone der Gravitationsquelle fliegen, während die Projektil, durch sie abgebremst, Kurs auf ihren Aktionsbereich nahm. Den ersten Schußwechsel hatte er nicht beobachten können, doch die beiden Patrouillenschiffe Viktoria und Bruderschaft standen inzwischen im Gefecht mit der Hiram Lazar, feuerten alle verfügbare Energie in die Schutzschirme der Sirianer. Ree veranlaßte eine leichte Kurskorrektur und befahl zu beschleunigen. Die Art, wie die sirianischen Schutz -schirme lohten, gestattete die Schlußfolgerung, daß sie standhielten. Ngen Van Chow hatte irgend etwas unternommen, um seine Abwehreinrichtungen unvermutet gründlich zu stärken. Vier. Drei. Zwei. Eins. Ree wartete, er hatte vor, die Projektil möglichst nah an den Gegner zu lenken. Erst als die Gewißheit bestand, daß es keine Fehlschüsse mehr geben konnte, befahl er, das Feuer zu eröffnen. Zwischen der Projektil und ihrem Ziel begannen Blaster -strahlen zu gleißen. Violette Glutbahnen waberten über die Schutzschirme der Hiram Lazar, Lichterscheinungen durchschillerten das gesamte Farbspektrum, während die Schutzschirme zuviel Energie absorbierten und zu flakkern anfingen, zusammenzubrechen drohten. Ree kicherte vor sich hin. Ein ganz einfacher Fall! Er hatte gehofft, daß Van Chow wenigstens ein paar Manöver ausführte und sich für kurze Zeit die Gelegenheit zu einem richtigen Kampf bot. Doch genau in dem Moment, als er erwartete, den
Gegner in einem grellen Aufblitzen verglühen zu sehen, flammten rings um die Projektil hellviolette Strahlen auf. Die erste Salve ging daneben. Van Chow hatte das Bremsvermögen der Projektil unterschätzt. Viktoria und Bruderschaft verfehlte er nicht. Bestürzt sah Damen Ree, wie die starken sirianischen Blaster die Schutzschirme der beiden anderen Patrouillenschiffe wiederholt durchschlugen. Gleich darauf kam das Feuer der Bruderschaft zum Erliegen: Ihre Geschütze mußten ausgefallen sein. Die Hiram Lazar konnte den ersten Erfolg verbuchen. Eine Sekunde später erloschen die Schutzschirme der Bruderschaft, entblößten das Raumschiff ungeschützt dem Feind. Blendend-weißes Licht loderte im Vollschub aus den Düsen des Schlachtschiffs, als Arish in einem verzweifelten Versuch, das Leben der Besatzung zu retten, den Materie-Antimaterie-Reaktor auf maximale Leistung hochfuhr. Als weitgehend funktionsuntüchtiges Wrack trudelte es durchs All davon. Die Viktoria entfernte sich in weitem Bogen, um Distanz zum Gegner zu gewinnen und in Abstimmung mit der Projektil umzugruppieren. Während er Mayas Kursänderung beobachtete, erkannte Ree, daß die Blasterstrahlen, die ihr Schiff trafen, einen fürchterlichen Tribut forderten. Aber Maya wich dem Feind nicht ohne weiteres, sie blasterte dem Sirianer alles in die Schutzschirme, was sie aufzubieten hatte. »Können wir den Geschützen mehr Energie zuführen?« rief Ree. »Wir müssen alles rausballern, was wir haben.« »Nur auf Kosten der Schutzschirme, Oberst«, ertönte rauh Iversons Stimme. Niemand hatte damit gerechnet, daß die Bruderschaft so schnell ausfallen könnte. Ree holte Luft, um den entsprechenden Befehl zu erteilen, doch in diesem Moment hatte die Hiram Lazar die optimale Schußentfernung gefunden. Ihre furchtbaren Blaster feuerten auf die Projektil. »Überlastung!« hörte Ree, als das Schlachtschiff wieder
beschleunigte, und hoffte, daß die Kanoniere ihr Ziel im Visier behielten. Doch es gelang nicht, sie Van Chows Blastern zu entziehen. Er spürte, wie die Projektil erbebte und zitterte, wenn die enorm leistungsfähigen sirianischen Blastergeschütze sie bestrichen. Trotzdem konzentrierten seine Kanoniere ihr Feuer auf das Rebellenraumschiff, verschossen die gesamten ihnen verfügbaren Energiemengen in die unnachgiebigen Schutzschirme der Hiram Lazar, die in allen Regenbogenfarben schillerten. Damen Ree schaltete die Energiezufuhr ständig zwischen Schutzschirmen und Blastern hin und her, belieferte sie jeweils mit dem Maximum, sich darüber im klaren, daß die Geschützbedienungen wegen der Energiefluktuationen ihrer Blaster schier bis zur Weißglut gereizt werden mußten. Durch dies Jonglieren rettete er während des ersten Zusammenpralls das Schiff, stand ihn länger als die Viktoria durch, doch seine Hoffnung, die gegnerischen Schutzschirme perforieren zu können, erwies sich als vergeblich, sie wirkten, als wären sie vollkommen undurchdringlich. »Wir haben die Schußreichweite verlassen, Sir«, meldete Neal, ohne daß es dessen bedurft hätte. Ree hob den Blick zum Hauptmonitor der Kommandobrücke, wischte sich den Schweiß der Anspannung von der Stirn. »Schadensmeldung!« »Reaktor stabil, Grünzustand«, rief Iverson. »Steueranlagen Grünzustand. Sauerstoffversorgung Grünzustand. Decks Sieben und Acht ausgefallen, Sir. Alle Waffensysteme funktionieren. Schleusen Sechs, Fünfzehn und Neunzehn außer Betrieb. Sektion Drei sowie Decks Vier und Fünf in Dekompression. Personenverluste unbekannt.« »Bei Spinne!« schimpfte Ree. »Drei Schlachtschiffe haben maximal Energie in den Schweinehund gebla-stert, und keine Wirkung!« Er schlug mit der Faust auf die Rücklehne seines Kommandantensessels. »Keine Wirkung, verdammt noch mal!«
»Damen?« rief Maya. Er drehte den Kopf und sah auf dem Bildschirm ein Holo ihres sorgenvollen Gesichts. »Wir sind schwer angeschlagen. Auf dem SteuerbordGeschützdeck treten Schwankungen der Energiekapazität auf, Tendenz fallend. Unser Reaktor ist in Ordnung. An Bord der Bruderschaft sind alle Funktionen erloschen, es ist keine energetische Aktivität mehr zu messen. Heiliges Kanonenrohr, was hat Van Chow denn bloß in dem Kasten? Zwei Reaktoren?« »Bruderschaftstechnik, Maya«, antwortete Ree gedämpft. »Ich habe keine Ahnung, wie’s möglich sein könnte, aber das ist es, woran’s mich erinnert.« Ein Anruf von der Miliken kam, und Ree blickte hoch; auf einer Bildfläche erschien Toby Kuryakens Gesicht. »Wir haben beim ersten Schußwechsel die Trutz verloren. Sie ist von den beiden Sirianern — Helk und Dastar — ins Kreuzfeuer genommen worden. Ihre Blaster haben das Schiff zu Schlacke zerschmolzen, bevor es ausweichen konnte ... Die Antimaterie ist explodiert. Uns sind einige Schäden verpaßt worden. Die Toreon ist noch zu neunzig Prozent intakt.« Stoisch listete Ree die Beschädigungen der Projektil auf. »Hat jemand irgendwelche Vorschläge?« »Wir massieren unsere Kräfte und greifen sie einzeln an, einen nach dem anderen.« Maya zuckte die Achseln. »Dann haben wir zumindest den Vorteil zusammengefaßter Feuerkraft. Wäre Arishs Bruderschaft nicht abgeschlagen worden, hätten wir’s vielleicht geschafft, die Schutzschirme der Hiram Lazar zu durchdringen.« Rees Blick schweifte über die Monitoren. »Die gegnerischen Einheiten manövrieren, sie bleiben in gegenseitiger Sichtweite. Ich glaube, Ihr Vorschlag läßt sich nicht verwirklichen. Neal, wie kommen die ST voran?« »Glänzend, Oberst. Nur die Viktoria hat einen verloren. Der Rest hat beim Durchbruch alle Abwehrsatelliten ausgeschaltet.«
Maya machte eine grimmige Miene. »Also sitzen unsere Truppen auf dem Planeten. Van Chow beherrscht den Orbit und den Luftraum. Unsere Truppen können nicht zurück ... und wir nicht zu ihnen.« »Was sollen wir tun?« meinte Toby. »Ich bin der Auffassung, daß ein zweiter Schußwechsel uns nichts einbringt als den Verlust weiterer Schiffe.« »Leider muß ich dem zustimmen«, pflichtete Maya bei; ihre Stimme klang, als hätte sie einen Kloß im Hals stekken. »Wir schließen uns zur Formation zusammen«, entschied Ree. »Toby, nehmen Sie Kurs auf unsere Position. Bringen Sie die Toreon mit. Verstreut, wie wir gegenwärtig sind, kann der Gegner uns nacheinander in die Zange nehmen. In der Formation haben wir zumindest den Vorzug geballter Feuerkraft, auch wenn dadurch unsere jeweilen Schutzschirme nicht effektiver werden.« »Einverstanden.« Maya nickte, in ihrer Miene war bittere Enttäuschung. »Und was dann?« fragte Toby. »Wir verkörpern die stärkste militärische Macht im Weltraum. Trotzdem stekken wir hier — bei einem zahlenmäßigen Kräfteverhältnis von vier zu drei — in einer ausweglosen Klemme!« Damen Ree kratzte sich am Kinn. »Wir sollten uns einmal, glaube ich, kollektiv die Gehirne zermartern, sämtliche existenten Gefechtsberichte sichten und überlegen, auf welchem Weg wir Van Chow überlisten könnten.« »Das widerspricht den Vorschriften.« Jaischa Mendez’ dunkles Gesicht erschien auf einem Monitor. Die Toreon hatte sich der Konferenzschaltung angeschlossen. »So? Na und? In den vergangenen Monaten bin ich mehrmals mit Situationen konfrontiert worden, wie sie in den Vorschriften nicht berücksichtigt sind. Wir müssen herausfinden, wie wir die Lage zu unseren Gunsten verändern können, und es ist offensichtlich, daß die Standardtaktiken dafür nicht genügen.« Trotzig musterte
Damen Ree die Gesichter seiner Gesprächspartnerinnen, man merkte seinem herausfordernden Blick an, daß er auf bessere Einfälle wartete. »Die Vorschriften haben dreihundert Jahre lang Lösungen für alle Probleme geboten«, widersprach Mendez. »Sie dürfen doch nicht einfach ...« »Ich bin Damens Meinung«, sagte Maya. »Außerdem brauche ich Zeit, um auf meinem Schiff die Schäden zu reparieren. Falls wir nochmals solche Salven einstecken müssen, wird die Viktoria wie ‘n Schweizer Käse aussehen.« »Neal, liegen Meldungen von Sarsa oder einer anderen Kampfgruppe vor?« fragte Damen Ree. »Nein, Sir.« Iverson schüttelte den Kopf. »Anhand der Observation ist rege Kampftätigkeät rund um den Raumhafen festzustellen. Ich nehme an, die Truppe ist im Moment zu beschäftigt für solche Angelegenheiten. Allerdings ist das Signal für die Landungsmeldung eingegangen. Alle sind sicher hinuntergelangt.« »Übermitteln Sie per Spezialcode sämtliche bisherigen Erkenntnisse und Aufzeichnungen zum Arcturus, Neal.« Ree setzte sich wieder in den Kommandantensessel; plötzlich fiel sein Blick auf seinen inzwischen eiskalten Kaffee. Der Becher hatte einen Rand bekommen. Wie lange war es her, daß er sich den Kaffee geholt hatte? »Halte durch, Rita«, flüsterte Ree, während seine Besorgnis wuchs. »Gott weiß, wie lang’s dauern wird, aber irgendwie holen wir euch dort raus. Das schwöre ich bei Spinne und seinem heiligen Namen.« Er fühlte sich in einem Maße niedergeschlagen, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte. Zum erstenmal im Leben bezweifelte er, daß die Möglichkeiten der Projektil ausreichten, um ihn und die Besatzung lebend durchzubringen.
17 Das Blastergewehr fest an die Brust gedrückt, huschte Freitag geduckt um eine Ecke. Er keuchte, seine Lungen rangen nach Atem, an den Seiten seines Schutzpanzers rann Schweiß hinab. Spinne! Gab es denn keinen Teil dieser gräßlichen, wie von Bären verseuchten Stadt, der nicht aus rechten Winkeln bestand? Konnten die Sirianer nichts Rundes oder Ge-kurvtes bauen? Blaue Blasterstrahlen zischten und knisterten durch die Luft, schmetterten an der Ecke hinter seinem Rük-ken Bruchstücke aus den Wandplatten. »Sich vorzustellen«, rief Henry Weißer Adler von der anderen Seite der Passage herüber, »daß ich das Wort Arcologie vorher noch nie im Leben gehört hatte ...« »Geht das denn immer so weiter?« fragte sich hinter Henry laut ein Santos. »Herrjesses, wir sind schon zehn Kilometer weit vorgestoßen und immer noch in ein und demselben Gebäude!« An Leichen gefallener Romananer vorbei kam der Patrouillentechniker nach vorn. »Wo hakt’s?« Freitag deutete mit dem Kinn. »Dort drüben sperrt ‘n Trupp Milizionäre die Passage.« Über die Schulter sah Freitag sich um. »Wo könnten sie uns umfassen? Uns überraschen?« Der Patrouillenangehörige betrachtete die Deckenverkleidung. »Praktisch überall. Durch die Decke, den Fußboden, sogar durch die Wände der Wohneinheiten. Hier dürfen wir nicht bleiben. In einem Haus bedeutet Rumlungern baldigen Tod. Man muß ununterbrochen in Bewegung bleiben. Hat jemand noch ‘ne Sonikgranate übrig?« Von Hand zu Hand wurden ihm zwei Granaten zuge-
reicht. Der Tech machte die Zünder scharf. »Also, wenn ich die Dinger werfe, gebt ihr beide Feuerschutz. Die anderen sehen zu, daß sie dort in den Seitengang gelangen. Wenn wir uns teilen, zwei Teams um diesen Wohnblock dort in der Mitte schicken, kommen wir mit ein bißchen Glück weiter vorwärts.« »Wer hat bloß die dufte Idee gehabt, diesen Planeten anzugreifen?« meinte ein Spinnenkrieger. »Es hatte alles so geklungen, als wär’s ‘ne günstige Gelegenheit, um Beute zu machen und Coups zu holen«, brummte Henry. »Wie hätte ich ahnen können, daß ‘s hier so ist? Wer hat je von Kämpfen im Innern von Gebäuden gehört?« »Ich nicht, Bruder«, sagte leise ein Santos. Bruder? Wie erstaunlich, welcher brüderlich enger Gemeinschaftssinn hier, so weit entfernt von Welt und inmitten einer undurchschaubaren Realität, zwischen den Roma-nanern entstand! Der Tech schleuderte die Granaten. »Los!« Als die Detonationen dröhnten, schnellte Freitag hoch, trat aus der Deckung und schoß, Henry an seiner Schulter, bis er die Blasterbatterie geleert hatte. Durch das Hallen der Explosionen und den Rauch schrie ein Mensch. Ein Alarmton heulte laut durch das Gewirr aus Schutt und Trümmern. Gepanzerte Füße stampften, während Romananer schleunigst die gefährliche Stelle durchquerten. »Das war die letzte«, rief der Techniker, lief in die Passage. Freitag lud seinem Blastergewehr eine Batterie nach, spähte zwischen die geborstenen Wände und verbogenen Träger, die langsam durch das Wallen des Qualms sichtbar wurden, in die Zerstörungen am anderen Ende der Passage. »Spinne!« stieß er hervor, eilte seiner Gruppe im Laufschritt nach. Im Seitengang begegneten sie zwei weiteren Milizionärstrupps — oder es war derselbe. Beide
Male machten die Sirianer kehrt und zogen sich zurück. »Verflucht!« knirschte Freitag. »Sie kennen hier alles in- und auswendig. Wir tappen sozusagen im dunkeln. Wir wissen zu wenig. Wenn sie uns nun irgendwo auflauern...? Äh... Oder sonstwie ‘ne Falle stellen... oder so was ...?« Henry schüttelte den Kopf. »Weißt du, ohne den Patrouillentech wären wir da hinten nie um die Ecke ...« Hinter ihnen öffnete sich, wo eine massive Wand zu sein schien, eine Tür. Ein Milizionär schoß, eine volle Blasterentladung knatterte Henry in den Rücken, Fetzen seines Körpers und des Schutzpanzers spritzten ringsum an die Wände und auf den Boden. Freitag warf sich der Länge nach hin, feuerte beim Aufprall, und der Blasterstrahl traf den Sirianer in den Unterleib. Freitag brüllte vor Wut, raffte sich auf, glitt fast in Henrys Blut aus, als er wie ein Geschoß durch die offene Tür sprang, einen anderen Sirianer, der gerade die Schwelle betrat, rammte und niederstieß. Indem er seine Furcht hinausschrie, vollführte er, außer sich vor Rachedurst, einen Satz mitten zwischen die Sirianer. Der Kampf verschwamm zu einem Gewimmel dunkelgekleideter Gestalten, dem dumpfen Klatschen zerreißenden Fleischs, dem Stinken verbrannter Leiber und verkohlten Haars. Danach entsann er sich, wie die Batterie seines Blasters erneut leer gewesen war, er seinen Kriegsdolch gepackt, um sich gestochen und getreten hatte, dem dichtgedrängten Herantümmeln seiner Gegner seine gesamte berserkerhafte Tollwut und seine Erbitterung entgegenheulte. Dann erschütterte ein Ruck den Raum, der Boden bäumte sich auf, und Freitag plumpste in einen Haufen Sirianer. Benommen schluckte er, Qualm und Gestank verschlugen ihm den Atem, so daß er röchelte und japste. Seine Hand gehorchte ihm nicht, und er stierte seine Finger an: Sie umkrallten den Messergriff, die Klinge stak
in den Rippen eines Toten. Er riß sie heraus, alles schien, als er aufzustehen versuchte, um ihn zu kreisen. Mit den Knien stieß er jemanden beiseite, der auf seinen Beinen lag und noch zuckte; der Körper rutschte fort und wumste eine Sekunde später schwer auf. Verwirrt rappelte Freitag sich langsam hoch, blinzelte ins Durcheinander. Ein greuliches Singen durchschrillte sein Gehör. Die Nachwirkung einer Sonikgranate. Irgendwer mußte sie während des Kampfs geworfen haben. Nur der Schutzpanzer hatte Freitag davor geschützt, er und ein Wall sirianischer Leiber. Er lugte in das Loch, in das der Tote gefallen war; im unteren Stockwerk lagen zuhauf noch mehr verstümmelte Sirianer. Aus einer zertrennten Stromleitung im zerblaster-ten Fußboden sprühte knisternd Elektrizität. Freitag stützte sich an eine halb eingestürzte Trennwand, starrte durch die Lücken, die darin klafften, in eine verwüstete Wohnung. Schließlich kehrte er in die Passage zurück, traf dort jedoch keine Kameraden mehr an, fand nur Henrys zerfetzten Leichnam vor. Ihn schmerzten alle Knochen und sämtliche Gelenke, als er sich bückte und Henrys Blastergewehr aufhob. Er hinkte und humpelte, während er umherirrte und seine Kameraden suchte. Eine Stunde später schielte er um eine Ecke und schluckte schwer: Er sah einen Antigrav-Lift, der möglicherweise einen verlockenden Ausweg bot. Freitag befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen, sein Herz hämmerte. Ringsum schienen ihn die Pastellfarben des arcologischen Komplexes zu verhöhnen. Welcher Weg führte ins Freie? Er schluckte nochmals, lief zum Antigrav-Schacht, sah ihn sich an. Woher wußte man, ob er funktionierte, oder wie man ihn in Betrieb setzte? Er machte kehrt, blasterte eine Tür auf, stieß sie mit der Schulter aus dem Rahmen und betrat eine Wohnung. Alles wirkte ordentlich, in dem großen Zimmer stand Mobiliar verteilt.
Vorsichtig schlich er nach nebenan: Dort befand sich so etwas wie ein Eßzimmer. Dank der Holo-Bänder erkannte Freitag Speiseautomaten und Haushaltsgeräte. Im Schlafzimmer entdeckte er, was er suchte. »Ihr da«, forderte er auf Standard, »steht auf!« Zwei junge Leute, ein blonder Mann und eine Frau, die sich hinters Bett duckten, glotzten ihn entsetzt an. Langsam richteten sie sich auf, der Mann schüttelte, Tränen in den Augen, den Kopf, brabbelte Freitag zu, ihnen nichts anzutun. »Kommt mit!« befahl Freitag. Verkrampft blieben sie hinterm Bett stehen. »Kommt her, sage ich!« schnauzte Freitag, der ihre Furcht spürte, als ließe sie sich mit Händen greifen. Um seine Aufforderung zu unterstreichen, blasterte er eine Bresche zur Nachbarwohnung in die Wand. Das Paar kam zu ihm. Er sah sich nach allen Seiten um, ehe er zurück in den Korridor huschte. »Da entlang.« Sie gehorchten wie Schafe. Am Antigrav-Lift deutete Freitag auf die Kontrollen. »Bringt mich hinaus. Sofort! Wir gehen zusammen.« Der junge Mann nickte, seine Hand schlotterte, als er eine Taste drückte. Mit dem Kinn wies er auf den Lift. »Er... er ist jetzt eingeschaltet. Sie ... Sie können hinunter.« »Du zuerst«, fuhr Freitag, verärgert über die Bummelei, ihn an, faßte das Mädchen am Arm und fühlte, wie es vor seinem blutverschmierten Schutzpanzer zurückschrak. Noch einmal nickte der junge Mann und trat mitten in die Luft des Antigrav-Schachts. Freitag folgte ihm, zog das Mädchen mit; sein Herz tat einen Satz, als sein Fuß ins scheinbar Bodenlose schwang. Im nächsten Moment schwebte er mit den beiden Sirianern im Schacht. »Gesegnet sei Spinne«, murmelte er, hörte seine
Stimme brüchig klingen. Sie sanken abwärts, ohne irgend etwas zu spüren. »Dort hinüber«, sagte der junge Mann unterwürfig, betrat einen offen angelegten Schachtausgang. Freitag zerrt das Mädchen hinter sich her, sah eine in Straßenhöhe befindliche, eingeschossene Tür. Ein Milizionär, der hinter einem hufeisenförmigen Pult in Dekkung kauerte, blickte sich über die Schulter um. Freitag erschoß ihn, schubste das Mädchen fort und rannte zu dem Pult. Aus einer Nebentür kam ein zweiter Mann, blaue Blasterstrahlen fuhren an Freitags Schopf vorbei, als er einen Purzelbaum hinter das Pult schlug. Über ihm krachten Plastik und Metall explosiv auseinander, überschütteten ihn mit Splittern. Auf Händen und Knien kroch Freitag um das Pult, warf einen raschen Blick um die Kante. Mit schußbereitem Blaster und angespanntem Ausdruck in den Augen wartete der Milizionär auf eine neue Gelegenheit. »Spinne lebt!« grölte Freitag, schwenkte die Waffe herum und bestrich die gesamte Gegenüberseite des Foyers. Der Blasterstrahl schnitt den Mann entzwei, und Freitag verließ mit einem Satz die Deckung, sprintete wie ein Besessener zur zerstörten Tür. Draußen warf er sich, wieder freien Himmel überm Kopf, hinter eine niedrige Hecke, die den arcologischen Komplex säumte. Er blieb flach auf dem Rücken liegen, keuchte heiser vor sich hin, bis sein Herzschlag sich einigermaßen beruhigt hatte. Angewidert schüttelte er den Kopf. »Ich habe den Eindruck, hier gefällt’s mir überhaupt nicht.« Achtsam verschaffte er sich einen Überblick, bemerkte nach einer Weile im Morgenlicht, das zusehends aufhellte, die hohen Gebäude des Raumhafens. Nervös wie ein Grüner Schnitter, der die Fährte eines Bären kreuzte, lenkte er seine müden Füße in ihre Richtung, schlich unter-
wegs durch Schatten, wo es nur ging, erforschte jede dunkle Tür mit seiner IR-Brille nach Anzeichen eines Hinterhalts, bevor er sich weiter voranwagte. * * * »Ein Anruf der Milizführung, Sir.« Giroj drehte den Kopf und schaute Ngen Van Chow an. Der Erste Bürger saß zurückgelehnt im KommandosesseL den Fuß auf eineiKonsole gelegt, einen Ellbogen aufs Knie gestützt. Perplex beobachtete er die vier Patrouillenschiffe. Was hatte ihr Vorgehen zu bedeuten? Sie waren auf Distanz gegangen, ließen ihre schwachen Landeköpfe auf dem Planeten ohne Unterstützung. War es möglich, daß die Patrouille aus Feiglingen bestand? »Sir?« hakte Giorj halblaut nach. Ngen winkte zerstreut. »Schalten Sie durch!« Auf dem Bildschirm erschien ein Gesicht. Es hatte einen grimmigen Ausdruck und herbe Falten, spiegelte eine vom Leben verbitterte Persönlichkeit wider. Der Mann nahm Haltung an, wartete ab, bis Ngen zuerst das Wort ergriff. »Was haben Sie zu melden?« Ungeduldig hob der Erste Bürger die Hände. »Erster Bürger«, begann der Mann, »ich weiß nicht, wie ich es Ihnen sagen soll... Aber auf unserem Planeten ist die Hölle los. Unbeschreibliche Schrecken, die das Begriffsvermögen eines normalen Menschen übersteigen, suchen uns heim. Satan selbst wütet entsetzlich unter den Unschuldigen, vergießt ihr Blut...« »Wie lautet Ihre Meldung?« unterbrach Ngen ihn gereizt. »Haben Sie drunten die Lage unter Kontrolle, oder nicht?« »Wir versuchen sie zu bereinigen, Erster Bürger.« Der Mann verfiel beinahe ins Flehentliche, sein Gesicht wurde aschfahl. »Wir gruppieren die Miliz um. Uns war nicht klar, daß wir’s mit... mit Bestien zu tun haben! Wilden
Barbaren, die den Menschen die Haare mitsamt der Haut vom Kopf schneiden! Sich das Haar an den Gürtel binden! Es sind ... Das sind Männer, die ein kleines Kind genauso bedenkenlos wie einen bewaffneten Gegner töten. Sie ... sie vergewaltigen unsere Frauen! Sie wissen gar nicht, was Niederlage heißt. Es sind schmutzige ...« »Wie lange brauchen Sie noch, um die Landeköpfe zu beseitigen, Prätor? Raus mit der Sprache! Nennen Sie mir einen Zeitpunkt... Und ich gebe Ihnen den guten Rat, den Auftrag zu erledigen, sonst bekommen Sie’s mit mir zu tun. Wenn Sie Ihre Aufgabe nicht erfüllen, werden die Patrouillensoldaten das geringste Problem sein, das Sie haben.« »Jawohl, Erster Bürger«, antwortete der Prätor gequält. »In fünf Tagen können wir ...« »Drei!« schnauzte Ngen dazwischen. »Drei Tage. Oder Sie müssen sich vor mir persönlich verantworten.« »Ja-jawohl, Erster Bürger.« »Schicken Sie mir Aufnahmen. Ich möchte diese Romananer im Einsatz sehen. Ich hätte ganz gern auch Aufzeichnungen der Patrouillensoldaten in Aktion. Unsere Bodentruppen müssen ihnen im Verhältnis hundert zu eins überlegen sein. Veranlassen Sie bitte, daß genügend aufschlußreiche Aufnahmen gemacht und mir übermittelt werden, beyor Sie die Landeköpfe aufrollen.« »Jawohl, Erster Bürger«, sagte der Prätor kläglich, nickte resigniert. »Haben Sie weitere Befehle, Erster Bürger?« »Vielleicht werden einige Romananer oder Patrouillensoldaten gefangengenommen. Sie erwiesen mir eine Gefälligkeit, wenn Sie mir ein paar Frauen überstellen ... Wenn Sie sich also darum kümmern würden, Prätor.« Ngen lächelte. »Das wäre alles.« »Jawohl, Erster Bürger, ja natürlich.« Der Prätor salutierte, wirkte dabei, als hätte er lieber den Befehl erhal-
ten, barfuß durchs Feuer zu gehen. Der KommuBildschirm flackerte und erlosch. Ngen schnitt eine finstere Miene. »Giorj, wie viele ST sind zur Planetenoberfläche durchgebrochen?« Ngen wandte sich dem Ingenieur zu, seine Gedanken rasten. »Wir wissen es nicht, Erster Bürger. Es ist ihnen gelungen, sämtliche Abwehrstationen auszuschalten. Drei haben komplette Dekompressionen mit Totalverlust der Besatzung erlitten. Zwei Stationen sind noch teilweise funktionsfähig, aber ohne unverzügliche medizinische Hilfe wird die freigesetzte Strahlung die Überlebenden innerhalb weniger Tage töten.« »Wie hoch sind die bisherigen Gesamtverluste der Abwehrsatelliten?« erkundigte sich Ngen, erwartete die Antwort mit Unbehagen. »Dreiundsechzigtausendneunhundert und ein paar. Mit dem Eintreffen weiterer Meldungen dürfte die Zahl steigen.« Giorjs ausdruckslose Stimme verriet nichts von seinen Gefühlen. »Wie haben sie uns einen so schweren Schlag versetzen können?« wunderte sich Ngen. »Angeblich sollten die ST leichte Ziele abgeben.« »Offenbar waren unsere Informationen falsch. Die Standardvorschriften der Patrouille sehen einen ST-Einsatz für den Schiff-Schiff-Enterkampf vor, nachdem die Schutzschirme der gegnerischen Einheiten ausgefallen sind und man ihre Rümpfe aufgebrochen hat. Die ST-Bugs sind speziell zum Rammen konstruiert. Durch diese Bekämpfung der Raumschiffe sollen Landungsoperationen abgesichert werden. Aber es sind keine ST gegen unsere Raumschiffe eingesetzt worden.« Giorj neigte den Kopf seitwärts, als dächte er lediglich über abstrakte Daten nach. »Meine Annahme ist, daß sie aufgrund ihrer Übermacht die Abwehrstationen niederkämpfen konnten. Hätten sie sich nach den Vorschriften gerichtet, wären wir
mühelos dazu imstande gewesen, die gegen unsere Flottille gestarteten ST, die nur einen Teil der STGeschwader ausgemacht hätten, zu vernichten.« »Wieviel Truppen sind schätzungsweise gelandet?« Hektisch überlegte Ngen. Wie übel ist die Lage eigentlich? »Legen wir den standardmäßigen Einsatz der Patrouillensoldaten nach den Vorschriften zugrunde, müssen die sechs Schlachtschiffe zum Landen von sechstausend Mann fähig gewesen sein. In diesem Fall bedeutet die Stärke der romananischen Söldnertruppe einen unbekannten Faktor. Möglicherweise hat ein Raumschiff in der Größe der Projektil bis zu dreitausend zusätzliche Personen transportiert und per ST gelandet.« »Neuntausend Mann?« Ngen dachte nach. »Wir haben über eine halbe Million Mann unter Waffen. Es dürfte überhaupt kein Problem verursachen, dieses primitive Geschmeiß zu eliminieren. Wir müßten die Landeköpfe durch unsere rein zahlenmäßige Überlegenheit annihilieren können.« »Wenn ich darauf hinweisen darf, Erster Bürger, es sind gleichzeitig ungefähr einhundertachtzig ST auf die Planetenoberfläche gelangt. Dadurch verfügt der Feind über einen taktischen Vorteil, der sich mit schlecht ausgebildeten Infanteristen nur schwer ausgleichen läßt.« Giroj sprach leise, damit die Offiziere der Kommandobrücke seine Äußerungen nicht hörten. »Wir müssen energischer gegen die Landeköpfe vorgehen«, beschloß Ngen Van Chow. »Lokalisieren Sie die Landeköpfe. Sobald Sie sie eingegrenzt haben, nehmen Sie sie unter Beschüß.« Er rief bei der Kommu Oberflächenkarten ab, veranlaßte das Computersystem, das Einflugmanöver der ST zu rekonstruieren. Eine interessante taktische Situation hatte sich ergeben. Er konnte die ST aus dem Orbit beschießen. Sie konnten nicht zu ihren Schiffen zurück, die Patrouillenschlachtschiffe ihnen keine Unterstützung leisten.
Solange er die feindlichen Bodentruppen in Schach hielt, blieb es ihnen unmöglich, aus den Landeköpfen auszubrechen. Doch wie sollte er währenddessen die Umlaufbahn weit genug verlassen, um die Patrouillenschiffe anzugreifen? Alle seine drei Raumschiffe waren erforderlich, um die gesamte planetare Oberfläche im Schußbereich der Blaster zu behalten. »Anruf vom Planeten, Sir.« Giorj hob den Blick. »Auf Kommerzfrequenz.« »Sagen Sie denen, wir haben jetzt keine Zeit.« Ngen verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Widerwillens. »Es ist das Vorstandssekretariat der Union der Gewerkschafts- und Arbeiterverbände, Erster Bürger.« »Na schön.« Ngen runzelte die Stirn. Auf dem Monitor erschien das Bild eines älteren, weißhaarigen Manns. Respektvoll nickte Van Chow ihm zu. »Meinen Gruß, Vorstandssekretär Pika Vitr.« Ngen beugte sich vor. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie sich kurz fassen, ich muß noch vier Patrouillenschlachtschiffe zerstören.« »Meinen Gruß, Erster Bürger. Wir feiern Ihre Erfolge gegen die Direktoratstyrannen mit Freude, Bewunderung und Genugtuung.« Ein Lächeln unterstrich Pika Vitrs Anerkennung. »Wären Sie wohl so zuvorkommend, uns über Ihre Planung für die Säuberung unserer Städte vom Patrouillengesindel zu informieren? Besonders dieser psychotischen Romananer, Erster Bürger. Man fragt sich hier mit großer Sorge, wann diese Untiere endlich unschädlich gemacht werden. Es sind wahrhaftig keine richtigen Menschen, Erster Bürger. Ich bin der Auffassung, daß sie tatsächlich einer völlig pathologischen Gesellschaft entstammen.« Ngen empfand einen Anflug von Eisigkeit tief in seinem Innern. »Würden Sie sich bitte deutlicher ausdrükken, Vorstandssekretär? Ich habe eben noch mit dem Milizprätor in Kontakt gestanden, und er hat mir zugesichert, daß wir sie in drei Tagen aufgerieben haben wer-
den. Es sind doch bloß Primitive, oder wie?« »Schauen Sie’s sich selbst an«, entgegnete Pika lakonisch. Als nächstes flimmerte eine Aufnahme dreier Männer in Schutzpanzern über die Bildfläche, die ein junges Mädchen vergewaltigten. Danach erblickte Van Chow einen Mann mit grellbunten Pinseleien auf dem Schutzpanzer, der funkelnden Blicks jemandem ein langes Messer durch die Kopfhaut ritzte. Fasziniert beobachtete Ngen, wie er ihm die Schädelbehaarung abriß und sie über dem eigenen Kopf rundumwirbelte. Eine weitere Aufzeichnung zeigte eine Milizabteilung, die in guter Disziplin vorrückte. Plötzlich schlug ihr, wo vorher eine menschenleere Straße gewesen zu sein schien, Blasterfeuer entgegen. Die Abteilung schoß zurück, blasterte Brocken aus Häusern, versengte Sträucher. Doch jeder feindliche Blasterschuß fand sein Ziel mit unheimlicher Treffsicherheit. Nach wenigen Sekunden suchte die Milizabteilung das Weite, floh nach hinten, während aus Löchern im Straßenbelag, Büschen und hinter Ecken Romananer zum Vorschein kamen, sich regelrecht ausgelassen auf die Toten stürzten, um ihnen die Haare samt Kopfhaut abzuschneiden. Auf dem Bildschirm erschien wieder Pikas Gesicht. »Und das ist noch nicht alles, Erster Bürger. Diese Bestien schänden nicht nur die Toten, sie haben obendrein keinerlei Achtung vor dem Privateigentum. Was sie nicht wegschleppen können, demolieren sie. Sie sind nichts anderes als Räuber mit der Moral von Hafenpöbel.« Obwohl Pika offensichtlich zu erregt über die Verheerungen war, die die Romananer in Ekrania anrichteten, um zu merken, was er da gesagt hatte, spürte Ngen, wie sich bei der Erwähnung seiner ursprünglichen Herkunft unwillkürlich etwas in ihm zusammenzog. »Wir werden sie so schnell wie möglich exterminieren, Vorstandssekretär«, beschwichtigte Ngen ihn. »Wir grei-
fen ihre ST an und brennen sie gleichzeitig überall weg, wo sie sich festgesetzt haben. Wenn Sie irgendwo eine Ansammlung feststellen, geben Sie mir bitte die Koordinaten durch und veranlassen Sie den Rückzug der Miliz aus diesem Gebiet. Dann säubern wir es aus dem Orbit.« Zutiefst erleichtert lächelte Pika. »Herzlichen Dank, Erster Bürger. Diese abstoßenden Teufel in Menschengestalt erschweren es uns, die kämpferische Moral aufrechtzuerhalten. Die Leute tuscheln, es sei besser, beim ersten Anblick dieser Bluthunde zu flüchten, als sie die eigenen Haare an ihre Gürtel hängen zu lassen. Leider befürchte ich sehr, wir werden, wenn alles durchgestanden und vorbei ist, ein Massenabtreibungsprogramm durchzuführen haben. Sie sind ... Nun ja, sie beeinträchtigen die seelische Integrität unserer Frauen. Und die Männer verlieren die Fähigkeit zu klarem Denken, wenn ihre Frauen brutal vergewaltigt werden. Solche Vorfälle haben schwere psychische Traumata zur Folge.« Ngen kaute auf der Lippe und betastete dabei sein Kinn. »Wir befinden uns in einer sehr bedauernswerten Situation. Sie verstümmeln die Männer, die sie gefangennehmen! Sind das noch Menschen?« Aus Ungläubigkeit steigerte Pika sich in Erregung hinein. Bis jetzt hatte er große Mühe aufgewendet, um die Fassung zu wahren. »Gott muß diese abscheuliche Geißel aus irgendeinem Grund zu uns gesandt haben! Was haben wir getan, daß wir eine solche Erniedrigung und derartige Infamien verdienen? Was ist geschehen, daß ...« »Nicht doch, hören Sie auf, so etwas dürfen Sie nicht denken, mein Teurer«, versuchte Ngen Van Chow ihn zu beruhigen, während sich ihm der Magen umzudrehen drohte. »Diese Kreaturen werden dafür büßen. Das schwöre ich Ihnen beim Andenken unserer gemeuchelten Märtyrerin Leona Magill. Sie werden der gerechten Vergeltung nicht entgehen, Vorstandssekretär.«
Pika Vitr war dermaßen verzweifelt, daß er ihm bereitwillig glaubte. »Und nun muß ich mich daran machen, die Lage zu bereinigen, damit wir in unser normales Leben zurückkehren können. Vergessen Sie nicht, uns Zielkoordinaten heraufzufunken.« Ngen deutete eine Verbeugung an und gab Giorj ein Zeichen, daß er die Verbindung trennen sollte. Er hatte Pika immer für einen Mann wie aus Stein gehalten. Wie hatte eine Horde analphabetischer, mit Flinten bewaffneter Wilder so gut Taktik lernen können? Eine tadellos organisierte und vorbildlich disziplinierte militärische Formation war von ihnen mit bestens gezieltem Blasterfeuer in die Flucht gejagt worden. Sie hatten die eiserne Selbstbeherrschung des hohen Unionsssekretärs Pika Vitr zerstört — der Mann stand am Rande des Zusammenklappens. Wie konnten sie ansonsten intelligenten, gebildeten und aufrechten Männern ein derartiges Entsetzen einflößen? Schließlich bemerkte Ngen, daß er auf seiner Lippe kaute. Gelang es nicht, die Romananer bald zu eliminieren, stand zu erwarten, daß die Moral seiner Anhänger vollends aufweichte. Er nahm sich vor, die Blaster aus dem Orbit einzusetzen, sobald Zielkoordinaten vorlagen. Er beabsichtigte sofort den Beschuß einzuleiten. Falls dabei auch liebe Mitbürger ums Leben kamen, ließ sich die Schuld auf die Romananer abwälzen. Verhinderte er dadurch, daß Augenzeugen von Greueln und Überlebende der Vergewaltigungen alles ihren Familien und Freunden erzählten, war das nur ein Vorteil. Solche Berichte begünstigten das Ausbrechen von Panik. Und Panik könnte ihn ebenso schnell zu Fall bringen wie die Blaster der Patrouille. Es war unbedingt notwendig, die Romananer wegzusengen, bevor sie in andere Umgebungen vordringen konnten. Noch befanden die Wilden sich im Umkreis ihrer Landeköpfe. Er mußte umgehend handeln.
»Richten Sie sämtliche Schiffsgeschütze auf das Raumhafengebiet. Blastern Sie alles zusammen, der ganze Distrikt ist bis aufs Muttergestein einzuschmelzen.« Ngen nickte vor sich hin. Das würde die kritische Situation in der Hauptstadt beheben. Danach konnte er sich mit anderen Kampfzonen befassen. Giorj blickte herüber, sein ausdrucksloses Gesicht war fahl. »Sind Sie sicher, daß das eine gute Idee ist, Erster Bürger? Dort halten sich Tau sende von ...« »Genug gequatscht!« fuhr Ngen ihn an. »Feuer!« Giorj holte tief Luft, sein gewöhnlich von Emotionen freies Gesicht zuckte sonderbar. »Wie Sie wünschen, Erster Bürger. Geschützbatterien, alle Waffen visieren den Raumhafen Ekrania an. Feuer frei bis zum Gegenbefehl!« Mühsam schluckte Giorj, vermied es, in Ngen Van Chows vom Machtrausch fiebrige Augen zu schauen. * * * Susans Blick schweifte über das Landefeld des Raumhafens. Wie das Blökvieh, an das sie sie erinnerten, schoben sich Massen sirianischer Bürger auf den Platz. Gleichzeitig rang ihr Anblick Susan ein gewisses Mitleid ab, wenn sie sich an ihre Zeit als Ramons und Marias buchstäbliche Sklavin entsann. Das Schicksal, dem sie entgangen war, erwartete nun diese geduckten Gestalten. Wieviel von ihnen würden die Kraft zum Überleben haben? Ein kleines, in Gelb gekleidetes Mädchen, das sich an den Rock der Mutter schmiegte, schaute aus großen Augen auf, als Susan ihm ein Lächeln schenkte. Die Kleine grinste, ein freundliches Gesicht genügte, um ihre Gemütsverfassung zu bessern. Ihre Kinderaugen bezeugten vorsichtige Neugier. »Warte mal«, sagte Susan, indem sie die Hand hob; Hans stoppte das Airmobil und lenkte es rückwärts. Die
Frau hatte das Mädchen auf die Arme genommen, wich zurück, wilde Furcht in den Augen. »Halt!« befahl Susan. Der Panik nahe, blieb die Frau stehen. Susan betrachtete das kleine Mädchen, sah ihm keine Furcht an, nur Wachsamkeit. »Wie heißt du, Kleines?« fragte Susan in freundlichem Ton. »Mara«, antwortete das Mädchen. »Mara ...« Susan lachte. »Möchtest du, wenn du groß bist, Kriegerin werden?« »So eine wie du?« »Wie ich.« »Ja«, rief Mara zum Grausen ihrer Mutter. Streng musterte Susan die furchtsame Frau. »Falls jemand euch belästigt, sagst du, ihr steht unter dem Schutz von Obergefreitin Susan Smith Andojar. Verstanden?« Die Frau nickte, als Hans das Airmobil wieder vorwärtssteuerte. ST 22 schimmerte weiß im Morgenlicht, während Hans das Airmobil darauf zulenkte. Susan blinzelte — in ihren Augen brannte es —, sie sah die fünf Krieger ihres Stoßtrupps, die den ganzen Tag verschlafen hatten. Hier stank die Luft scheußlicher als überall sonst; schwarze Rauchwolken hingen niedrig über ausgebrannten Hallen, aus denen in besseren Zeiten der pla-netare Handel Güter zu den Sternen verfrachtet hatte. Susan ließ zu, daß Hans sie aus dem Airmobil hob, wünschte sich für einen flüchtigen Moment, er hielte sie nun für immer, sie dürfte in seinen kräftigen Armen schlafen. Ihre verkrampften Muskeln schmerzten, während ihre erschöpften Beine sie zittrig die Rampe hinauftrugen. Sie passierte mehrere Patrouillensoldaten in blitzblanken Schutzpanzern, die markig salutierten; sie hatten den ST bis jetzt nicht einmal verlassen. Vor der ST-Zentrale nannte Susan ihren Namen und durfte eintreten.
Mit einiger Erleichterung sah sie, daß Ritas Haut noch in gesundem Rosa glänzte, obwohl man ihr hinter der Fassade ebenfalls erhebliche Ausgelaugtheit anmerkte. »Melde mich zurück, Majorin.« Susan salutierte, schwankte dabei, schon das Geradeausschauen kostete sie beträchtliche Mühe. Alles in der Zentrale drohte ihr ständig vor den Augen zu verschwimmen, schien eine Neigung zu haben, zu trudeln anzufangen. Ihre Beine bebten, das harte Gewebe des Schutzpanzers rasselte. »Besondere Vorkommnisse, Susan?« erkundigte sich Eisenauge, blickte vom Kommu-Apparat herüber. »Nein, John.« Susans Stimme klang, als schabten Kiesel über Wellblech. Humorvoll schmunzelte Rita. »Das ist ja ‘n ganz beachtliches Bündel Haar an deinem Gürtel. Ich habe den Eindruck, du hast nun wirklich die Bestimmung deines Lebens gefunden. Setz dich, Susan, du siehst aus, als würdest du gleich umfallen.« Susan merkte gar nicht, wie sie in den bequemen Kommandosessel sackte. Das letzte, was sie hörte, war ein Befehl Mosches. »Wir wechseln die Position. Je schneller, um so besser. Ich möchte hier nicht abwarten, bis der Segen von oben kommt.« »Sind die anderen ST schon verlegt?« Ritas Stimme schien einen dichten, grauen Nebel zu durchdringen. »Ja. Wir lassen nur eine Kompanie hier, um die Gefangenen zu bewachen. Ein Tech-Team beschäftigt sich bereits mit der Installation eines Generators, um Energiebarrieren zu errichten. Dann brauchen wir auch keine Wächter mehr ...« Susan schlief ein. »He!« Grob rüttelte eine Hand an ihrer Schulter, schreckte sie aus dem wohltuenden Schlaf. »Wach auf, Schätzchen, ich glaube, das wirst du sehen wollen.« Die Aufregung in Ritas Stimme bewog Susan, die wie Blei schweren Lider zu heben. Sie zog eine Grimasse, gähnte,
rieb sich mit dreckigen Fingern fest die Augen und heftete den Blick auf die Monitoren. Schwarzer Rauch, der in dicken Ballungen den gesamten Himmel verfinsterte, umbrodelte grelle, violette Strahlen, die ununterbrochen herabschössen. Mit dem Staub wallte Qualm, loderten Flammen empor, Explosionen zuckten, Trümmer flogen in die Höhe. Dampfschwaden verdichteten sich immer mehr zu einer Dunstwolke, die blaurot flimmerte und flackerte, wenn die Strahlbahnen der Blaster dunkler oder heller glühten. »Was ist das?« fragte Susan, setzte sich, um besser sehen zu können, jedoch ohne die Bedeutung des spektakulären, teils hinter benachbarten Bauwerken unsichtbaren, den Darbietungen einer Lichtorgel ähnlichen Schauspiels zu begreifen. »Das ist der Raumhafen«, erklärte Rita grimmig. »Wir haben vor zwanzig Minuten den Standort gewechselt. Ich vermute, man hat sich nicht erst die Zeit genommen, ihn zu scannen.« »Diese Energiebarrieren, die Mosche erwähnt hat...« Susan mußte ihren Grips anstrengen, um alles zu kapieren. »Schützen sie die vielen Menschen dort?« Sie erinnerte sich an Mara, von der sie für kurze Zeit gehofft hatte, sie zu einer Kriegerin heranwachsen zu sehen. In den kleinen Augen waren die Funken der dafür unentbehrlichen Leidenschaft erkennbar gewesen. »Nein«, antwortete Rita in dumpfem Tonfall. »Sie sind alle tot, Susan. Die Ironie ist, daß es sich nicht um unsere Blaster handelt. Es sind die Geschütze der Hiram Lazar. Der Drecksack hat gerade eigene Bevölkerung massakriert. So um die hundert Romananer dürfte er auch erwischt haben, sicher, aber mehr bestimmt nicht.« »All diese Menschen ...«, murmelte Susan fassungslos. »Es waren doch Tausende.« Darunter ein kleines Mädchen in Gelb, das sich nicht gefürchtet hatte.
»Ungefähr fünftausend«, konkretisierte Eisenauge in hörbarem Befremden. »Was für eine rücksichtslose Härte ...!« »Wir haben euch Romananer immer für ziemlich fies und gemein gehalten«, sagte Mosche halblaut. »Aber ich bezweifle, daß irgendwer so etwas wie das hier vorhergeahnt hat... Die meisten Gefangenen waren Frauen, die deine Romananer angeschleppt hatten. Sie waren alle noch jung.« »Sie sollten unsere Gattinnen werden«, sagte Eisenauge traurig. »Wir hätten sie nach Hause mitgenommen und geheiratet, sie wären mit unseren Clans eins geworden. Von nun an wird es noch viel mehr Gewalt geben. Die Krieger werden sich an den Sirianern dafür rächen wollen, daß sie ihnen geraubt haben, für das von ihnen gekämpft, was von ihnen ehrenvoll errungen worden ist. Ich kann sie nicht zurückhalten.« Er schüttelte eine massige Faust. »Und es fiele mir auch gar nicht ein, ‘s zu versuchen. Sie werden diese Siedelei in Schutt und Asche zurücklassen. Von jetzt an werden sie die Sirianer fürchten und hassen. Bisher haben sie sie bloß verachtet.« »Am besten entfernen wir unsere Sturmtruppen von diesem konzentrierten Feuer so weit wie möglich«, fällte Rita einen Entschluß. Sie beugte sich über die Kom-mu und erteilte in barschem Ton knappe Befehle. Langsam schüttelte Susan den Kopf, ihr war, als müßte ihr das Herz brechen. Beim Durchqueren der Atmosphäre widerfuhr den Blasterstrahlen ein Energieverlust um zwei Drittel. Bei der Kollision mit den Gasen der planetaren Lufthülle entstand eine starke Streustrahlung. Krieger, die ihre Schutzpanzer abgelegt hatten, bekamen nun großflächigen Sonnenbrand. Schlagartig erlosch das Leuchten der Blasterstrahlen, das Farbgeflacker der Vernichtung wechselte von Bläulichrot über zum Rötlichgelb, in dem die Flammen waberten, die unter den undurchdringlich schwarzen
Qualmwolken loderten. Wo die Strahlbahnen die Atmosphäre durchbohrt hatten, bildete sich nun eine Gewitterfront. Auf einmal explodierte etwas mit einer orangeroten, von schwarzen Rauchballungen durchsetzten Pilzwolke, deren Glut zu einem Feuerball auseinander und zum dunkler gewordenen Himmel emporstob. »Heiliges Kanonenrohr, da haben wir den Schlamassel«, rief Mosche Raschid. »Jetzt stehen die ST unter Beschüß.« Sorgenvollen Blicks wandte er sich um. »Ich habe das Gefühl, nun geht’s erst richtig los. Das ist keine Polizeiaktion mehr, um auf Sirius aufzuräumen. Wenn wir nicht gewinnen, können wir nicht weg. Können wir nicht fort, bedeutet das für uns alle den Tod.« »Was ist mit der Projektil?« fragte Susan plötzlich. »Hans sagte, ihr könntet keine Verbindung herstellen. Was ist denn schiefgegangen? Weshalb hat der Oberst das Raumschiff, das eben geschossen hat, nicht längst vernichtet?« Rita atmete tief durch und maß Susan mit kühlem Blick. »Die Patrouille hat beim ersten Gefecht zwei Schlachtschiffe verloren. Dagegen hat die sirianische Flottille nicht einen einzigen Kratzer abgekriegt.« »Das verstehe ich nicht.« Susan schüttelte den Kopf. »Ich dachte, die Patrouille wäre der größte Machtfaktor der Galaxis.« Rita lachte bitter auf. »Wir waren es ... Bis Ngen Van Chow diese Frachtraumschiffe umgebaut hat. Ich glaube, gegenwärtig verschiebt das Kräfteverhältnis sich sehr rasch. Weißt du, wir haben vor einer Weile mit dem Oberst in Kontakt gestanden. Wir hier unten sind das einzige, was ihn vor der Vernichtung bewahrt. Solange wir auf der Oberfläche agieren und die Kräfte der siria-nischen Raumflottille binden, kann sie nicht die Kreisbahn verlassen, um zu eliminieren, was von unserem Patrouillenverband übrig ist. Liebchen, es ist mir unangenehm, dir das sagen zu müssen, aber wir sind momen-
tan in einer wirklich verzweifelten Lage. Ich denke mir, sie wird sich nicht bessern, bis wir dazu imstande sind, den Planeten — trotz der verfluchten sirianischen Raumschiffe da oben — mit Drohungen zur Kapitulation zu zwingen.« Susan furchte die Stirn, versuchte mit ihrem vor Übermüdung trägen, begriffsstutzigen Verstand die Ereignisse zu durchschauen. »Diese Bruderschafts-Blaster ...«, überlegte sie laut. »Starke Hyperkonduktoren und das FujikiGerät... Deswegen sind sie so effektiv... « »Was?« Mosche hatte nur beiläufig zugehört, bis sie die Hyperkonduktoren erwähnte. »Ach, ‘s ist bloß was, auf das Hans und ich gestoßen sind ...« Susan merkte, was sie redete, schlug sich eine schmutzige Hand auf den Mund. Schuldbewußt huschte ihr Blick von Mosches gespanntem Gesichtsausdruck in Ritas ratlose und zum Schluß in Eisenauges apathische Miene. »Davon mußt du uns mehr erzählen, Susan«, forderte Mosche sie nachdrücklich auf, erhob sich, plötzlich hellwach und rege, von seinem Platz. »Ist das etwas, das ihr letzte Nacht während eures Vordringens in die Stadt entdeckt habt?« Susan holte tief Luft, schüttelte bedrückt den Kopf. Jetzt war es unwiderruflich heraus. Unbeabsichtigt war sie Hans in den Rücken gefallen. Mosche hatte seine Hände auf ihre Schultern gesenkt. »Wo hast du von solchen Sachen erfahren?« Er richtete sich auf, als Susan keine Antwort gab. »Hans Yeager sofort zu mir«, rief er in die Kommu. Susan unterdrückte einen Weinkrampf. Sie war völlig erschöpft, vollkommen zerschlagen, der vergangene Tag hatte sie emotional ausgezehrt, sie hatte zuwenig geschlafen ... Ein Mädchen in Gelb war tot... Und jetzt das. Hans kam, betrat zappelig die ST-Zentrale. Mosche winkte ihn zu sich. Kurzgefaßt wiederholte er, was Susan
geäußert hatte. Hans wurde totenblaß und schluckte nervös. »Ich werde kein Wort mehr verraten, Hans«, beteuerte Susan spontan. Sie heftete den Blick auf Mosche. »Hör zu, ‘s ist alles meine Schuld. Gefunden habe ich die Daten, Hans hat sie mir auf meinen Wunsch nur erklärt. Er hat sich die Diagramme angeschaut und mir das mit dem Hyperkonduktor erläutert. Was der Fujiki-Verstärker leisten kann, war ihm überhaupt nicht klar, und mir auch nicht. Laß ihn in Ruhe, ich bin die Verantwortliche.« Sie stand auf und seufzte, händigte Mosche ihren Kriegsdolch und den Blaster aus. »Du kannst mich jetzt verhaften.« »Verdammt, was machst du da eigentlich?« wollte Rita wissen. »Vielleicht bin ich verrückt...« Hans lachte, schüttelte den Kopf. »Aber es kann sein, daß die Lösung zu dem ganzen Patt, das sich ergeben hat, da drinsteckt.« Flink drehte er sich um und tippte mit dem Finger auf Susans Mini-Terminal. »Was?« fragte Rita, angesichts der leichten Entspannung der Situation sichtlich erleichtert. Niemand erhielt noch eine Gelegenheit, um es ihr darzulegen. Eine wuchtige Explosion erschütterte den ST. Susan packte Blaster und Dolch, eilte zum Ausgang der ST-Zentrale. Sie hörte mit Gewehrschüssen vermischtes Fauchen von Blasterstrahlen. Während Susan ihr an einer Luke Feuerschutz gab, stürmte Rita an ihr vorbei hinaus. Es war unerklärlich, wie die Sirianer so nahe hatten herankommen können. Nach der Masse der Angreifer zu urteilen, waren es zuviel, um sie zurückzuschlagen. War das der Tod? Susan verzog das Gesicht, ihr Blaster spie Glut in die Reihen der dunkel uniformierten Gestalten.
I8 »Welche Optionen haben wir?« fragte Maya. »Wir könnten den ganzen Planeten auseinandersprengen ... Oder bis in den Untergang kämpfen. Egal wie wir verfahren, gegenwärtig hängen wir hier in der Schwebe, und unsere Leute dort unten sitzen auch fest. Van Chow kann sie orten, sie ausradieren und sich anschließend uns vorknöpfen.« »Es steht uns jederzeit frei, unsere Verluste zu minimieren«, stellte Toby klar, »indem wir den Planeten und damit Van Chow mit einem Kobaltsprengkopf aus der Welt schaffen.« »Eine höllische Art, ‘n Krieg zu gewinnen«, murrte Ree. »Nein, das kommt nicht in Frage.« »Wie ist das nur möglich?!« brauste Jaischa Mendez auf. »Wir können Van Chows Schutzschirme nicht penetrieren, weil unsere Blaster für seine Abschirmung zu leistungsschwach sind. Andererseits können wir den Planeten nicht einfach mit Nuklear- und Antimateriesprengköpfen bombardieren und alles Leben auf ihm ausmerzen. Overkill oder Niederlage? Sind das unsere Alternativen?« »Nicht so voreilig«, sagte Ree, hob eine Hand, starrte geistesabwesend vor sich hin. »Vielleicht gibt’s noch einen anderen Weg. Haben Sie sich schon über sonstige Möglichkeiten Gedanken gemacht?« »Welche denn?« fragte Maya erstaunt. »Sie kennen unsere Kapazitäten so gut wie ...« »Wir müssen uns doch nicht auf das vorhandene Arsenal beschränken.« Ree straffte seine Haltung. »Uns steht doch jede Menge gewitzter Leute zur Verfügung. Die besten Hirne, die wir in den letzten Jahrzehnten an der Universität rekrutieren konnten, stimmt’s? Also sollen sie
nun mal was ausklügeln. Und wir werden auch mal ‘n bißchen daran knobeln. Wäre vielleicht ‘n Gravo-FluxGenerator nützlich? Oder irgendeine Art von Weichgeschossen?« Maya lachte ironisch. »Wissen Sie, Damen, während der letzten Monate habe ich angefangen, Sie zu bewundern. Sie haben die Begabung, die unwahrscheinlichsten Pläne auszuhecken.« »Naja, das sind nur so Einfälle.« Ree winkte ab. »Zu mehr als zum Spekulieren sind wir ja im Moment nicht imstande.« »Van Chows Schiff hat die Bruderschaft in Schlepp genommen«, gab Toby Kuryaken durch. »Anscheinend holen die Sirianer die Überlebenden an Bord. Verdammt, was glauben Sie, was man mit ihnen anstellt?« »Der Mann hat vorhin den eigenen Raumhafen zu-sammengeblastert«, sagte Maya in grobem Ton. »Siria-nische Bevölkerung ermordet. Was erwarten Sie von so jemandem? Ich wäre nicht überrascht, wenn er versucht, sie als Geiseln gegen uns auszuspielen.« »Auf so etwas dürfen wir uns nicht einlassen.« Ree seufzte, blickte noch immer starr geradeaus, überlegte offenbar angestrengt. »Hier steht zuviel auf dem Spiel. Ich denke gerade daran, zu wie vielen Erkenntnissen die Erbeutung des Schlachtschiffs Van Chow verhelfen wird.« Er seufzte nochmals, schüttelte den Kopf. »Wär’s bloß möglich, ihm die Bruderschaft unter der Nase zu Plasma zu zerblastern ... Nein, von nun an müssen wir davon ausgehen, daß er weiß, über welche Kapazitäten wir verfügen, wie armselig wir eigentlich dran sind.« »Ganz zu schweigen von dem, was er alles an Informationen aus den Computersystemen herausholen kann. Ich hoffe, Arish hat noch genug Zeit gehabt, um möglichst viele Daten zu löschen.« »Ob sie wohl daran gedacht hat?« meinte Ree mit bissigem Sarkasmus.
»Es sind immerhin unsere Kameraden«, rief Jaischa. »Ob sich eine Befreiungsaktion planen läßt? Wir tragen für ihr Schicksal Verantwortung.« Ree nickte. »Ja, ich weiß. Jetzt können sie sich vielleicht ‘ne gewisse Vorstellung davon machen, was ich über Atlantis mit dem Romananerproblem durchzustehen hatte.« »Na gut, hier ist aber nicht Atlantis«, sagte Toby unfreundlich. »Ich bleibe bei meiner Ansicht, wir sollten das Risiko hoher Verluste vermeiden und den Planeten als Ganzes entsorgen. Sicherlich, dabei verlieren wir Soldaten und Romananer. Aber ich habe die Holos gesehen, es sind ja nur Barbaren. Wilde ...!« Maya fuchtelte zur Beschwichtigung mit den Händen. »Kann sein, aber die romananischen Söldner sind ganz eindeutig eine außergewöhnlich schlagkräftige Truppe. Sie haben sämtliche Abteilungen der sirianischen Miliz oder Heimwehr-Legionen geworfen, die ihnen in die Quere kamen. Sie erleiden unglaublich schwere Verluste, aber ihre Kampfmoral verlieren sie offenbar nicht.« »Wie schaut’s auf Ihrem Schiff aus?« erkundigte sich Ree. »Sind an den Wänden schon Malereien aufgetaucht?« Grimmig sah Maya ihn an. »Verdammt, ja! Woher wissen Sie das?« »Spinne hat die Gabe, sehr schnell seinen Weg ins Herz eines Kriegers zu finden«, antwortete Ree in gleichmütigem Tonfall. »Nein, Maya, unterliegen werden wir nicht. Ich bin ... Ich spüre es einfach. Und nicht nur das. Ich glaube zudem, ich habe eine Idee. Ich werde Major Glick damit beauftragen, die Sache einmal zu prüfen, dann sehen wir ja, was sie taugt.« »Wissen Sie was?« sagte Maya mit verschleiertem Blick. »Ich habe die Direktoren kontaktiert. Offensichtlich sendet Van Chow Aufzeichnungen romanischer Greueltaten in den gesamten Weltraum. Selbst wenn wir
siegen, wird voraussichtlich die Öffentlichkeit laut danach schreien, diese ... äh ... sagen wir mal, diesen gesellschaftlichen Störfaktor zu beseitigen.« Ruckartig richtete Ree sich höher auf. »Sendet? Ja natürlich!« »Was wollen Sie damit...?« »Van Chow benutzt romananische Barbarei als Propagandawaffe gegen uns?« Ree schnippte mit den Fingern. »Na, aber wer benimmt sich denn barbarischer? Meine Krieger mit ihren Blastern und Dolchen, oder Van Chow, der auf dem Raumhafen zu Tausenden die eigene Bevölkerung brät?« Maya verengte die Lider zu Schlitzen. »Ich glaube, ich verstehe, was Sie andeuten... Aber wozu soll’s gut sein?« »Psychologie. Van Chow benutzt die Umstände dieses Krieges zur Stimmungsmache gegen das Direktorat. Es ist höchste Zeit, daß wir seine Handlungen gegen ihn ausnutzen.« Jaischa Mendez schüttelte den Kopf. »Damen, das verstößt vollständig gegen die Vorschriften ...« »Neal«, rief Ree über die Schulter. »Senden Sie unsere Aufnahmen der sirianischen Attacke auf den Raumhafen. Filmen Sie von nun an lückenlos Van Chows Aktionen. Funken Sie alles ins All, was irgendwie nach Schweinerei aussieht.« »Jawohl, Sir.« »Damen!« knirschte Mendez. »Sie weichen völlig von den Vorschriften ab. Das grenzt an Insubordination ... Solche Maßnahmen liegen in der Zuständigkeit der Direktoren. Sie können nicht ohne weiteres die Direktoratspolitik in die eigenen Hände nehmen und ...« »Entschuldigen Sie mich bitte«, sagte Ree, erhob sich aus dem Kommandantensessel. »Ich glaube, ich habe da ‘n Einfall, wie ich die Situation ein bißchen zu unseren Gunsten verändern kann. Ich rufe in ‘n paar Stunden wieder an und erzähle Ihnen, ob’s funktioniert.« Er unterbrach
die Verbindung, machte sich zügig auf den Weg zum Maschinenraum. * * * »Er ist eine Gefahr«, behauptete Jaischa Mendez. »Das kann durchaus sein«, räumte Maya ein, blickte in den Monitor, das Kinn in die Hand gestützt. »Aber gleichzeitig ist er ‘n hervorragender Kommandeur.« »Wenn ich mich nicht schwer irre, Maya, kann er nicht mehr als zuverlässig eingestuft werden. Direktor Robinson bezeichnet ihn als Piraten.« Toby forschte aufmerksam in Mayas Miene. »Sie können doch unmöglich daran denken, einen ... einen Abtrünnigen zu unterstützen? Einen Gesetzlosen?« Maya straffte sich zu gerader Haltung, drückte die Ellbogen durch. »Skor hat ihn einen Piraten genannt?« Toby verzog die Lippen, bis sie einen dünnen Strich bildeten. »Was soll er denn sonst sein? Er hat Befehle mißachtet. Auf Sie und Sheila geschossen. Wenn das keine Piraterie ist, was ...« »Wir haben zuerst auf ihn gefeuert«, rief Maya ihren Gesprächspartnerinnen sardonisch in Erinnerung. »Und was den Vorwurf der Piraterie angeht, wissen Sie, was daraus folgert. Ihnen ist bekannt, was die Vorschriften in dieser Hinsicht besagen, und ...« »Sie haben die Filme gesehen«, sagte Jaischa. »Diese Romananer sind eine Plage. Sehen Sie sich doch Ihr Personal an. Sagten Sie nicht, Sie haben überall im Schiff diese Graffitti? Ihre Soldaten unten auf dem Planeten haben ihre Kleidung auch so bemalt. Sie schneiden den gegnerischen Gefallenen die Haare vom Kopf und tragen es am Koppel, genau wie die Barbaren. Bedeutet das Ihrerseits etwa eine Billigung dieser Art von...?« »Na schön, vielleicht sind’s Barbaren1.« fuhr Maya auf. »Verdammt noch mal, na und?! Meine Sturmtruppen, die
mit Romananern kooperieren, haben ein drei- oder viermal so großes Gebiet besetzt wie Ihre Soldaten. Zum Donnerwetter, das ist noch gar nichts! Arishs Sturmtruppen haben sich Eisenauge und Rita Sarsa unterstellt. Sie sind ... gewissermaßen übergelaufen. Ihre Patrouillensoldaten ...« »Sind es nicht unsere Patrouillensoldaten?« Toby kniff die Augen zusammen. »Also gut, Maya, ich stelle Ihnen jetzt eine konkrete Frage. Wenn alles vorbei ist, sind Sie dann dem Direktorat treu ... oder halten Sie zu Damen Ree?« Maya biß sich, einen harten Glanz in den Augen, auf die Lippe. »Ich bleibe loyal. So wie über Atlantis, als Damen uns mit ins Verderben reißen wollte. Nein, ich wechsle die Seite nicht, Toby. Ist ‘ne kleine Marotte von mir, müssen Sie wissen. Hat was mit Ehre zu tun.« Jaischa nickte bedächtig, als ob sie einen Entschluß fällte. »Sicher ist Ihnen klar, daß wir zum Schluß wahrscheinlich den Befehl erhalten werden, die Projektil zu vernichten. Die Zivilisation muß geschützt werden. Wir dürfen auf keinen Fall die Romananer in einer friedlichen Gesellschaft ein Chaos anrichten lassen. Denken sie mal über die Folgen nach! Stellen Sie sich vor, wie diese Schlächter unter Direktoratsbürgern wüten würden. Solche Vorbilder können wir dem Durchschnittsbürger unmöglich bieten ... Es gäbe überhaupt nicht genug Psychingapparate, um sämtliche Verhaltensgestörte zurechtzubiegen.« Maya hob das Kinn, die Kiefermuskeln zuckten. »Es ist mir zuwider, daran zu denken, aber ... Wenn’s drauf ankommt, werden wir Damen wohl liquidieren müssen. Schon weil’s uns befohlen wird.« Sie schlug die Hand aufs Pult. »Ja, verdammt noch mal! Sie können auf meine Verläßlichkeit zählen. So, nun sind die Karten auf dem Tisch. Sie wissen, woran Sie mit mir sind ... Und Spinne steh uns bei.«
Sie trennte die Kommu-Verbindung und erhob sich aus dem Kommandosessel, bog den Rücken nach hinten, preßte die Lippen zusammen, während sie sich ausgiebig rekkte. Sie blickte zur Tür hinüber, sah die kleine, schwarze Spinnendarstellung, die ein Romana-ner — trotz des expliziten Verbots aller Schmierereien — daraufgemalt hatte. Oder war es ein Patrouillenmitglied gewesen? »Verflucht noch mal, Damen. Ich kann’s nicht ändern. Wenn der Befehl kommt... Tja, ich habe nun einmal einen Treueschwur abgelegt und auch meine Ehre.« Sie schloß die Augen und schüttelte den Kopf. »Und ich habe eben Spinne angerufen? Ich?!« *
*
*
Skor Robinson beobachtete Chester, während sich der Prophet, die Hände im Schoß gefaltet, Filmaufnahmen eines Krawalls in der Station Tawara anschaute. »Siehst du’s?« fragte Robinson. »Die Menschen sind ... verrückt geworden.« »Ihr hättet Roques gegen Van Chow gerichtetes Datenkompendium nicht veröffentlichen sollen«, sagte Chester freundlich. »Ich hatte daran gedacht, mit euch darüber zu reden, euch zu raten, das Problem genauer zu durchdenken, aber ihr hättet nicht auf mich gehört, darin eine Einmischung gesehen und mich weggeschickt.« »Du hast diese Konsequenzen vorausgesehen und uns verschwiegen, daß ein Desaster bevorsteht?« Skor Robinson bewegte den Mund, öffnete und schloß ihn wiederholt. »Selbstverständlich wußte ich Bescheid. Komm, Direktor, das muß dir doch klar sein. Es war ein Cusp. Ich stand gefährlich dicht davor, muß ich zugeben, auf den Lauf der Zukunft einzuwirken. Nein, für so etwas war es nicht die rechte Zeit, Außerdem hätte meine Einmischung
derzeit nichts gefruchtet, außer daß es zwischen euch und mir neuen Konfliktstoff gegeben hätte.« Einen Moment lang zögerte Robinson, die schwache Andeutung eines Runzeins auf seiner immensen Stirn. »Na gut. Dann kläre mich auf.« »Im wesentlichen habe ich euch die Zusammenhänge schon erklärt. Eure Vorstellungen von der Menschheit sind in bedrohlichem Maß abwegig. Euch ist der Kontakt zu euren Ursprüngen abhanden gekommen. Denke einmal darüber nach. Ihr unterstellt den Menschen, daß sie ausnahmslos rationale Wesen sind — und in gewissem Umfang sind sie’s tatsächlich. Aber kann ein normaler Mensch die Datenmengen aufnehmen und begreifen, die Roque zusammengestellt und gesendet hat? In Wirklichkeit kann niemand es, und darum kann der gewöhnliche Bürger sich dadurch nur vor den Kopf gestoßen fühlen. Das ist die Reaktion, die Van Chow für sich nutzt. Er kehrte eure Bemühungen gegen euch, zeigt mit dem Finger auf eure Arroganz gegenüber der Durchschnittsperson. Er ist sehr raffiniert, dieser Ngen Van Chow. Ein äußerst gescheiter Denker.« »Du bewunderst ihn?« fragte Skor Robinson. »O ja.« Chester stieß einen Seufzer aus. »Er ist ein Ungeheuer, aber seine Fähigkeit, Menschen zu manipulieren, ist höchst bemerkenswert. Könnte doch Spinne seine Seele läutern und zu sich holen ... Aber leider wird er gewaltiges Unheil anrichten.« Chester hob den Kopf. »Es ist eine faszinierende Zweiteilung. Ihr Direktoren bietet eine von Rationalität und Logik gekennzeichnete, eine sterile Zukunft. Van Chows Zukunft wird durch Emotionen und Leidenschaft bestimmt. Und zur Zeit verhält es sich so, daß die Menschheit zwischen euren beiden Parteien wählen muß.« »Wieso kann sie sich nicht für einen anderen Weg entscheiden?« wollte Robinson wissen. »Menschen sind vernunftbegabte Wesen. Sie ...«
Chester hob die Hand. »Deine gesamte Argumentation ist mir ersichtlich, Direktor. Du brauchst sie nicht darzulegen. Die Antwort auf deine Frage lautet ganz einfach, daß sie keine Befähigung mehr aufweisen, ihr Schicksal selbst zu lenken. Und weshalb ist es so?« Einige Sekunden lang schloß Skor Robinson die Augen, seine Lippen zitterten, während er überlegte. »Ich verstehe, was du meinst«, sagte er schließlich. »Du glaubst, unsere Politik hat dazu geführt. Aber wir haben nichts Schlechtes getan.« »So haben alle Regierungen der menschlichen Geschichte immer auf Kritik reagiert, Skor.« Chester lächelte. »Ihr habt nichts Falsches gemacht ... Aber habt ihr das Richtige angefangen?« »Es hat keine Kriege gegeben!« Aus innerer Aufgewühltheit leierte Robinsons Stimme. »Es gab nie Hungersnöte ... keine Seuchen ... keine politischen Massenhinrichtungen ...!« »Aber die Bevölkerung hat die Fähigkeit zu selbständigem Denken verloren ... Selbst für sich zu sorgen. Ihr habt ihnen ihr Anpassungsvermögen genommen.« »Anpassung bedeutet Veränderung«, entgegnete Skor. »Veränderungen lassen sich nur in den seltensten Fällen mit Voraussehbarkeit vereinen.« »Was ist die grundlegende Prämisse der Anthropologie?« hielt Chester ihm entgegen. »Sicher kannst du Leeta Dobras Bibliothek sichten. Was ersiehst du daraus über die Menschheit und Anpassung?« Kummervoll hob Robinson den Blick. »Ich sehe den Schlüssel zum Erfolg der Spezies, Prophet. Dann ist es also wahr? Ist das Menschengeschlecht zum Leiden verdammt?« Gutmütig lächelte ehester. »Das ist Spinnes Weg, Direktor.« »Aber alles andere als das Direktorat bedeutet Chaos«, sagte Skor Robinson starrsinnig. »Ein Ungewisses Dasein
ist nicht lebenswert. Nein, Prophet, ich kann deine Prämisse nicht anerkennen. Die Menschheit ist über den Zustand der Wildheit hinausgewachsen. Wir werden Frieden stiften. Egal um welchen Preis. Du siehst doch die Zukunft. Willst du mir die Zukunft schildern, in der ihr Romananer euch freizügig im Weltraum tummelt? Du hast die Holos der Romananer gesehen, die auf Sirius töten und vergewaltigen. Verrate mir doch einmal den höheren Wert dieses Leids! Du irrst dich, und ich werde dafür sorgen, daß du und deinesgleichen aufgehalten werden.« »Dann werden wir eben aufgehalten. Aber bist du nicht der Ansicht, die Spezies könnte durch eine Kombination rationalen Handelns mit Emotion und Leidenschaft einen Vorteil erlangen? Durch Nahrung für die Seele, die ...« »Das Direktorat soll sich mit jemandem wie Van Chow einlassen?« rief Skor betroffen. »Das werde ich niemals dulden, Prophet!« Robinsons Holo flimmerte und erlosch. Kurz nickte Chester vor sich hin, ehe er sich im Sessel umdrehte und Mikis Theodorakis’ Dritte Sinfonie laufen ließ. Sich vorzustellen, daß man derartige Genialität im zwanzigsten Jahrhundert ignoriert hatte! »Niemals willst du’s dulden? Ach, Direktor, du wirst von Tag zu Tag menschlicher.« Er lächelte, seine Augen nahmen einen weichen Ausdruck an, während die Klänge der Musik den Raum erfüllten. *
*
*
Susan schob eine neue Batterie in ihr Blastergewehr und drückte die Waffe in ihre Armbeuge. Sie schwenkte den Strahl durch eine Welle von Gestalten, die mit Gebrüll auf den ST zustürmte, sah Leiber zucken und zerplatzen. Vom Heck des Flugapparats hörte sie Geschrei, Rufe und Explosionen, Blasterstrahlen durchbohrten Menschen und Metall. »Wie konnten sie bloß so nah heran?« meinte Rita.
»Wir müssen bei ‘m Stützpunkt gelandet sein«, rief Mosche. »So ein verdammtes Pech!« Die schweren Blaster an den Rumpfseiten des ST begannen zu feuern. Sie hatten eine furchtbare Vernichtungskraft, die den Angriffsschwung der Sirianer sofort brach, sie wichen zurück. Wenn die dicken Strahlbahnen sie trafen, schienen sie sich in nichts aufzulösen. Die Überlebenden zogen sich in anscheinend aus Beton gegossene Konstruktionen zurück. »Hier sind wohl unterirdische Bunkeranlagen«, mutmaßte Rita. »Kein Wunder, daß wir soviel Platz zum Landen hatten.« Während die Sirianer die Attacke einstellten, setzte eine Gruppe von Romananern und Patrouillensoldaten ihnen nach. Im Feuerschutz der ST-Blaster fielen sie den Sirianern in den Rücken. »Das ist Irrsinn!« murrte Eisenauge, der neben Rita kauerte, zur von Rauchschwaden durchwehten Schleuse hinausspähte. »Man wird sie niedermachen.« Susan spürte, wie ihr Herz stockte. »Das da vorn ist Freitag! Seht genau hin! Man erkennt ihn an seiner besonderen Art des Laufens. Wir müssen ihm beistehen.« Sie stürmte hinaus, ehe sie das letzte Wort hervorgestoßen hatte. Warnungen und Zurufe schollen ihr nach. Sie achtete nicht auf Ritas Befehl zum Umkehren und rannte los. Detonationsdruck prallte ihr entgegen, als wäre sie gegen ein Stahlschott gelaufen, riß sie vom Boden hoch und schleuderte sie durch die Luft, wie in Zeitlupe schien das Universum sich um sie zu drehen, zu kreiseln. Mit genug Wucht, um sich die Knochen zu brechen, schlug sie hin. Beton- und Erdbrocken hagelten herab, prasselten auf ihren ungeschützen Kopf. Qualvoll versuchte sie einzuatmen. Ihre Nerven schlotterten. Schmerz tobte in ihren Gelenken. Sie vermochte nicht zu atmen, hatte das Gefühl, als hätte sich ein enormes Gewicht auf ihre Brust gesenkt. Am schlimmsten
war, daß sie sich auch nicht mehr bewegen konnte. Ihr benommenes Bewußtsein schrie, doch ihre Glieder versagten ihr den Gehorsam. Wie aus dem Nichts duckte sich plötzlich Hans neben sie, pausenlos knatterte sein Blaster. Ich sterbe. Es tut gar nicht so weh. Komisch. Ich habe keine Furcht. Sterben ist nicht besonders schrecklich. Flehentlich hob sie den Blick in Hans’ von Panik verzerrte Miene. Er schoß nochmals, griff nach ihr; heftiger gegnerischer Beschuß zwang ihn abermals zum Feuern. Susan wehrte sich gegen die Umnachtung, die ihren Geist bedrohte, versuchte ihn zu drängen, er sollte zurück in Deckung gehen, sich in Sicherheit bringen, ihm klarzumachen, daß er sie nicht mehr retten konnte. Eine Schweißperle rann ihm über die hochrote Wange, während er in rasender Hast eine neue Batterie in den Blaster rammte. Er kniete an Susans Seite, das Gesicht grimmig-entschlossen, hob die Waffe und schoß erneut. Die leidenschaftlich-wilde Hingabe an sein Tun rührte Susan. Er biß die Zähne so gewaltsam zusammen, daß sich an seinem Kinn die Muskeln schroff abzeichneten. Und ... Nein, es war kein Schweiß. Es war eine Träne! Rita warf sich in Susans Blickfeld auf den Boden, ihr schweres Blastergewehr summte, während die Strahlen, die es verschoß, laut wie Böller knatterten. »Gib mir Feuerschutz!« schrie Hans ihr zu, zog Susan in seine Arme. Wie seltsam: Er hatte nie den Eindruck erweckt, dermaßen stark zu sein. Alles ringsum schien wie verrückt auf- und niederzuhüpfen, als Susans Kopf und Körper durchgerüttelt wurden, während er sie zum ST schleppte, unterwegs hin- und herschwankte. Ein Blasterstrahl zischte an ihrem Ohr vorbei und riß ein Bruchstück aus der weißlichgrauen Außenbeschichtung des ST. Hilfreiche Fäuste zerrten sie und Hans in die Schleuse, Rita sprang und rollte sich hinein. Und Freitag? Susan
stellte fest, sie konnte den Kopf drehen. »Wo ist Gelbes Bein?« flüsterte sie mühsam. »Ist Freitag in Sicherheit?« Schwächlich japste sie nach Atem, versuchte ihre Lungen mit Luft zu füllen. Hans hatte ihre Hand ergriffen, in seinen Augen standen vorbehaltlose Zuneigung und — wie Susan zu ihrer Überraschung plötzlich sah — tiefes Verständnis. »Ich hole ihn dir.« Aus Kummer und Weh klang seine Stimme undeutlich. »Es geht schon wieder«, murmelte Susan, versuchte sich aufzusetzen. Zu sehen, daß ihr nichts weggeschossen worden war, verblüffte sie. »Was ist mit mir passiert?« »Direkt neben dir ist ‘n dicker Blasterstrahl eingeschlagen«, rief Rita ihr über die Schulter zu, bevor sie zur ST-Zentrale eilte. »Wir schwirren von hier ab.« »Freitag?« raunte Susan, das Gesicht spitz und käsig vom Schmerz, der in ihren sämtlichen Gelenken wühlte. Hans tat einen Satz zur Schleuse hinaus. Grimmig kroch Susan an den Rand der großen Schleusenöffnung, lugte in das verqualmte Gelände, das sich draußen erstreckte. Im diesigen Licht ähnelten die Blasterschüsse einem Feuerwerk in blauen und violetten Farbtönen, in den Strahlen verglühten mit prachtvollem Geglimmer Staubkörner, verflimmerten im Unendlichen. Sobald er sich wieder im Freien befand, lief Hans zu einem Grüppchen Männer, die sich jämmerlich hinter eine zusammengebrochene Mauer ducken mußten und — so gut es ging — auf eine feindliche Stellung blasterten, die Susan nicht sehen konnte. Hans wehrte einen Großteil eines Flankenangriffs ab, den die Sirianer in diesen Minuten einleiteten, doch obwohl er ununterbrochen aus seinem Blaster in ihre Reihen feuerte, gelang es einigen, die romananische Stellung zu überrennen. Heldenhaft warfen Freitag und seine Männer sich ihnen entgegen. Blaster feuerten aus unmittelbarer
Nähe. In hilfloser Untätigkeit sah Susan wo sie lag Dolche blitzen, hörte Schreie der Wut. Nun fiel Hans die Sirianer von hinten an, drosch und hieb mit dem Kolben seines inzwischen leergeschossenen Blastergewehrs zu. Susan sah, wie er Befehle brüllte, auf den ST wies. Eine kleine Gruppe Romananer zog sich aus der Stellung zurück, rannte herüber zum Sturmtransporter. Blasterstrahlen zerschnitten zwei Männer, verstreuten ihre Überreste über den dampfenden Boden. Die Bordblaster des ST griffen ein, schossen die Sirianer gnadenlos zusammen. Als letzte befanden sich Hans und Freitag außerhalb der Maschine, sie liefen um ihr Leben, um den blauen Todesstrahlen zu entgehen, die nach ihnen haschten. Susan fühlte sich körperlich elend, während sie zu ihnen hinausstarrte, der Anblick schien sie zu lähmen. Hans erreichte die Schleusenluke in dem Moment, als der ST startete. Er klammerte sich an den Rand und stemmte sich herauf. Er schwang sich herein, indem der ST abhob. »Zu hoch!« schrie Freitag, auf seinen Lippen zuckte ein ironisches Lächeln. Kopfüber warf sich Hans aus der Luke, baumelte mit den am Pneumatikgummi rechtwinklig gebeugten Knien an der Kante. »Spring! Das ist deine letzte Chance, Mann! Um Gottes willen, spring!« Seine Finger streckten sich nach Freitag. Freitag vollführte mit aller Kraft seiner kurzen Beine einen Hochsprung. Hans bekam sein Handgelenk zu fassen. Der ST stieg zehn, fünfzehn, zwanzig Meter hoch empor. Freitag reckte seine andere Hand aufwärts, krallte die Finger in eine lockere Abdeckplatte. Seine Augen stierten glasig vor Furcht. Über die Schulter tat er einen flüchtigen Blick nach unten, hinab auf den Untergrund, der immer tiefer zurückblieb.
Susan sah, wie sein Handgelenk Hans’ Faust langsam zu entgleiten drohte. Hans bemühte sich, das knallrot angelaufene Gesicht verzerrt, Freitags Gewicht im Griff zu behalten. »Hilfe!« schrie Susan. »Bei Spinne! Zu Hilfe!« Sie umklammerte Hans’ Waden, um zu verhindern, daß er hinausrutschte. Eine Erschütterung schüttelte den ST. Freitag hüpfte unterm Rumpf der Maschine wie eine Marionette. Mit übermenschlichem Kraftaufwand und Willenseinsatz hielt Hans ihn fest, an seinem Hals quollen die Adern hervor, mit keuchenden Atemzügen schnappte er nach Luft. Ringsum wechselte das Licht zu grellem Violett. »Macht die Augen zu!« befahl Hans. »Ihr könnt erblinden! Das sind Blasterstrahlen!« Der ST schlingerte. Hans ruckte ein Stück weit aus der Luke. Susan hörte sich wie von Sinnen schreien, während sie versuchte, ihren vor Schmerzen fast bewegungsunfähigen Körper zum Gehorchen zu zwingen, zum Handeln. Hans hing jetzt bloß noch mit einem Fuß im Winkel der Schleusenöffnung. Susan versuchte, seine Füße beide hereinzuziehen. Sie sah, wie die Kante der Luke in Hans’ Fleisch schnitt. Heiß sengte violettes Licht ihre Haut. »Hilfe!« schrie sie nochmals aus vollem Hals. »Helft mir!« Ihre Stimmbänder hatten im Vergleich zum Wind, der an der Luke vorüberbrauste, und dem Röhren der Blasterstrahlen, die nach dem Flugapparat zuckten, zuwenig Kraft. Eisenauge sprang den Niedergang herab, erfaßte die Situation mit einem Blick, packte unverzüglich Hans’ anderen Fuß. »Rette dich!« brüllte Freitag herauf. »Es muß nicht sein, daß wir beide sterben!« »Ich habe dich an der Hand«, rief Hans. »Halt durch! Gleich haben wir’s geschafft!«
»Deine Hand rutscht ab!« Freitag versuchte, Verzweiflung in den Augen, zu grinsen. »Es macht mich stolz, dich gekannt zu haben, Krieger. Du bist mein Seelenbruder. Meine Coups sollen dir gehören.« Dank Eisenauges zusätzlicher, gewaltiger Körperkräfte gelang es, Hans bis zur Hüfte ins Innere des ST zu zerren. »Halt durch, Mann!« schrie Hans. »Nur noch ‘n bißchen! Sie kriegen mich schon hinein!« »Da unten könnten sie ruhig mit dem Feuerzauber aufhören!« scherzte Freitag, brüllte gegen den Wind an. »Mir wird ja die Haut vom Leib gesengt!« »Schau nicht hinein«, ermahnte Hans. »Du kannst davon erblinden.« Susan drückte Hans’ Beine nieder. Eisenauge beugte sich hinaus und ergriff Freitags Hand, bevor sie aus Hans’ Faust rutschen konnte. Hans packte Freitags andere Hand. Indem Hans und Eisenauge sich sein Gewicht teilten, schafften sie es, den Krieger, der unterm Rumpf des ST pendelte, in die Schleuse zu heben. Plötzlich warf Andruck sie alle gegen die Wand, als Mosche ein Schwenkmanöver flog, um Blasterfeuer auszuweichen. »Heiliges Kanonenrohr, jetzt hätte ich dich nicht länger halten können«, schnaufte Hans, keuchte laut auf vor Schmerz, als er die Finger zu krümmen versuchte. Freitag nickte, er bebte fast von Kopf bis Fuß, atmete stoßweise, befühlte behutsam die Stellen seiner Haut, die durch die UV-Streustrahlung der Blasterschüsse verbrannt worden waren; in seinem Nacken fingen sich Blasen zu bilden an. Ein letztes Mal schaute er zur Luke hinaus, grinste breit, als er — mittlerweile weit unten — die planetare Oberfläche sah. Völlig benommen saß Susan da, betrachtete fasziniert Hans’ Gesicht: Eine Seite war weißlich hell, die andere von den Blasterstrahlen rotgesengt. Eisenauge lachte und schlug beide auf den Rücken; er
schloß die Luke, ehe er sich auf den Rückweg in die Zentrale machte. »Warum ... warum hast du das getan?« fragte Freitag schließlich. »Du hättest... du hättest doch ums Leben ...« Zerstreut massierte er sich das Handgelenk, an dem der Unteroffizier ihn so hartnäckig gehalten hatte. Matt grinste Hans. »Wenn’s mir vor Bammel in die Hose geht, sag ich dir Bescheid.« Susan ließ sich zusammensinken, spürte nun wieder den Schmerz, der durch ihren Körper stach. Was sie eben erlebt hatte, würde sie nie vergessen: Wie Freitag in Lebensgefahr hoch über der sirianischen Landschaft baumelte, die unter ihm wegsauste; wie Hans sich verzweifelt angestrengt hatte, um das Schlenkern und Ruk-ken des ST durchzustehen — und einen Rivalen zu retten. »Was ich geschworen habe, war mein Ernst, Unteroffizier Yeager«, erklärte Freitag grinsend. »Meine Coups gehören dir. Du hast mir Ehre erwiesen. Künftig stehe ich dir zu Diensten.« Susan öffnete die müden Augen, erkannte in Freitags Augen tiefe Ernsthaftigkeit. Seine Äußerungen konnten ihm nicht leichtfallen. Sie entsann sich noch genau an den Tag, an dem er erwogen hatte, Hans die Messerfehde anzusagen. Hans schüttelte den Kopf. »Ich habe von alldem keine Ahnung. Von euren Bräuchen verstehe ich nichts.« Kurz schwieg er, nickte in Susans Richtung. »Sie liebt dich. Ich konnte unmöglich zusehen, wie sie den Mann verliert, den sie liebt.« »Was?« entfuhr es Susan in völliger Verblüffung. »Wieso bist du noch nicht bei den Meds?« Aus Verlegenheit errötete Hans’ Gesicht vollends, als er das Thema wechselte. »Wir wollen doch nicht, daß du uns hier stirbst, oder?« »Stirbst?« wiederholte Freitag bestürzt; erstmals bemerkte er Susans mitgenommenes, blutiges Äußeres. »Sie ist nur knapp von einem Blasterschuß verfehlt
worden. Als sie zusammenbrach, dachten wir, sie sei tot. Komm, Susan, wir bringen dich...« — er verstummte, als der ST fürchterlich bebte — »... in die Lazarettstation. Falls wir noch so lange leben.« Susan schrie auf, als die beiden Männer sie anhoben. Sie biß die Zähne zusammen, unterdrückte ihre Tränen, lehnte es ab, getragen zu werden. Statt dessen stützte sie sich auf sie und zwang sich dazu, einen Fuß vor den anderen zu setzen, während sie die Korridore des ST durchquerten, der auf seinem Kurs unaufhörlich gierte und taumelte. Gerade als sie die Lazarettstation betraten, stabilisierte der ST den Flug; allem Anschein nach befand er sich bis auf weiteres außer Gefahr. Die Lazarettstation glich der Szenerie eines Alptraums, überall lagen Männer und Frauen. Manche ruhten in gelber Flüssigkeit, hatten geleeartige Substanz auf Arm- und Beinstümpfe gestrichen; andere hatten das gleiche Zeug auf Rippen, über denen ihnen das Fleisch weggebrannt worden war; einige schwebten sichtlich am Rande des Todes. Ein Sani befaßte sich zuerst mit Susan, bewegte einen Scanner an ihrem Körper auf und ab, ehe er sie trotz aller Einwände in eine Med-Einheit schob. Es ging ihr jetzt so, wie sie vor einiger Zeit Rita behandelt hatte. Genervt schaute sie aus der Med-Einheit zu, wie Sanitäter Salbe auf Hans’ und Freitags Verbrennungen schmierten. »Du hast bloß ‘ne Anzahl Prellungen und Verstauchungen abgekriegt«, sagte der überarbeitete Med schließlich zu ihr. »Du darfst raus. Gönn dir ‘n paar Tage Ruhe und Erholung. Es wird alles heilen. Bis dahin« — er stopfte ihr eine Pille in den Mund — »wird das hier die Beschwerden dämpfen. Aber denk dran, daß du nichts spürst, heißt keineswegs, du wärst gesund.« Kaum hatte Susan die Lazarettstation verlassen und sich hingesetzt, erschien auf einem Kommu-Bildschirm Ritas Konterfei. »Alles in Ordnung, Herzchen?«
»Ja klar.« Susan straffte sich, stand auf, spürte glutheißes Brennen in jedem Muskel. »Ich bin schon unterwegs, um dich in den Hintern zu treten.« »Hervorragend.« Rita lachte. »Du ahnst gar nicht, wie wenig gefehlt hat, und die Hiram Lazar hätte deinen Hintern geröstet. Und wir sind noch längst nicht außer Gefahr. Wir überfliegen ‘ne dicht bevölkerte Gegend. Wenn sie weiter aus ‘m Orbit auf uns ballern, werden sie noch ziemlich viel Siriusbewohner umbringen. Der Halunke dort oben hat bei dem Versuch, uns abzuschießen, am Boden schon reichlich Leute niedergemacht. Komm rauf ins Kasino. Wir müssen uns ‘ne neue Taktik ausdenken.« Ritas Gesicht verschwand vom Monitor. Mit steifen Gliedern tappte Susan, indem sie bei jedem Schritt aufkeuchte, zu den zwei Männern, die noch schlaff an der Wand kauerten; plötzlich musterten beide sie argwöhnischen Blicks. »Ich muß zu Rita«, sagte Susan ungezwungen, staunte über die unvermutete Änderung in ihrem Dreiecksverhältnis. Freitag schien, als er aufstand, völlig mit seinem Daumennagel beschäftigt zu sein. Hans starrte die Deckenverkleidung an. »Hast du auch wirklich nichts?« brachte Freitag mühsam hervor. »Hans ...«, begann Susan; ihr fehlten fast die Worte. »Vielen Dank. Für das unten, meine ich. Sie hätten mich erwischt...« Er grinste und schüttelte den Kopf. »Wir sind quitt«, sagte er leise. Susan nickte, ließ die beiden hocken, sich nervös gegenseitig anschielen, strebte den Korridor entlang; wie schmutzig die Wände geworden waren, bemerkte sie jetzt zum erstenmal. Sie hatte sie leuchtend-weiß in Erinnerung. Und wie fühlte sie sich? Susan biß sich auf die Innenseiten ihrer Wangen, blinzelte übermüdet geradeaus. Sie
fühlte sich halb tot. Was Hans und Freitag betraf, konnte sie immer noch Klarheit schaffen, wenn sie sich gründlich ausgeschlafen hatte. * * * »Die Situation steht für uns gar nicht gut«, erklärte Rita in düsterer Stimmung. Sie wandte sich um; ihre Miene spiegelte Zermürbung wider. »Es ist nicht ausgeschlossen, daß wir alle hier den Tod finden werden.« Eisenauge grinste sie verzerrt an. »Hast du erwartet, ewig zu leben? Dann solltest du dich mal gelegentlich mit einem Propheten unterhalten.« Rita nickte. »Ja, mir ist klar, was du meinst. Aber es paßt mir irgendwie überhaupt nicht, daß mich ‘ne Herde zivilisierter Schafe abservieren soll.« Abgehackt lachte sie auf. »Es wäre besser, beim Pferdediebstahl von ‘ner Santoskugel niedergestreckt zu werden, hä? So wär’s ehrenhafter.« Eisenauge legte eine Hand auf ihre Schulter, wandte sich ihrem Gesicht zu, blickte ihr in die grünen Augen. »Noch hat Spinne uns nicht im Stich gelassen.« Rita forschte in seiner Miene, während ihre Gedanken sich überschlugen. »Aber was sollen wir tun? Ohne Unterstützung durch die Projektil... und angesichts Van Chows Beherrschung des Luftraums und des Orbits ... Verdammt noch mal! Es muß doch einen Ausweg geben!« Eisenauge tätschelte ihre Schulter. »Also sitzen wir in der Falle?« Er trat vor einen Monitor, betrachtete das Panorama der Stadt, die der ST überflog, eine Ansammlung glänzender Kanten, aus der da und dort häßliche Rauchsäulen emporquollen. Rings um das Gebiet des Raumhafens, seine Überreste, toste eine gewaltige Feuersbrunst. Und Ngen Van Chow schlachtet das eigene Volk ab wie ein Räuber die Familien anderer Leute? Was für eine
Sorte Mensch sind diese Direktoratssirianer? Welche Art von Zivilisation kann Menschen ohne Ehrgefühl hervorbringen? Rita kam zu ihm, blieb neben ihm stehen. »Ja, wir stecken in der Falle. Außer der Oberst läßt sich noch ‘n guten Trick einfallen, wie wir Van Chow die Möbel geraderücken können.« Er musterte sie im Augenwinkel. »Wieso die Möbel ...? Und warum >geraderücken Ich verstehe nicht, was ...« »Ach, egal...« Rita seufzte. »Ist bloß ‘ne Redensart.« »Trotz allem verhält es sich so«, sagte Eisenauge, zupfte an einem der langen Zöpfe, die ihm auf den Brustkorb hingen, »daß Spinne uns für diese Aufgabe geschaffen hat. Darum werden wir irgendwie irgendeinen Ausweg finden.« Er hob den Blick aufwärts, in die Richtung des Himmels. »Van Chow ist mit all seiner Macht dort oben, er hat die Mittel, um die Projektil zu vernichten. Wir sind hier unten, barbarische Romana-ner, die gegenwärtig noch im Rausch des Plünderns taumeln. Aber meine Krieger werden daran die Lust verlieren, die Fremdheit dieser Welt wird sie beunruhigen, sobald die erste Erregung des Kampfs vorbei ist. Momentan sind sie außer sich vor Wut. Van Chow hat die gefangenen Frauen hingemetzelt und damit die Männer um die Beute der ersten Nacht gebracht. Ich bin Kriegshäuptling. Für mich lautet die Frage: Wie kann ich diese Lage zu meinem Vorteil nutzen?« Sachlich nickte Rita. »Wir brauchen ihnen nur zu sagen, daß es keinen Heimweg mehr gibt.« Eisenauge blickte in den auf dem Monitor sichtbaren, trüben Himmel, dachte noch immer darüber nach, was für ein Mensch es sein könnte, der so völlig bedenkenlos Frauen und Kinder des eigenen Volks tötete. »Van Chow, es ist dir in deiner himmlischen Höhe noch gar nicht klar, aber wir sind hier unten ein Felsenegel im Fleisch deiner Gesellschaft geworden! Du wirst bald sehen, welche Säuren wir deinem Volk einspritzen. Ja, Sirianer, den
gestochenen Körperteil abzuhauen — schnell abzutrennen —, ist die einzige Möglichkeit, um das Gift eines Felsenegels zu bekämpfen. Tut man’s nicht, gibt’s keine Rettung!« Ritas Augen funkelten. »Weißt du was? Diese Einstellung gefällt mir. Es könnte sein, daß wir’s schaffen, uns damit gegen ihn zu behelfen. Den Kriegern sagen, daß sie mit Felsenegeln zu vergleichen sind? Weshalb nicht?« Eisenauge zwinkerte ihr zu. »Tja, wären wir auf Welt, wär’s jederzeit möglich, dem Feind die Pferde zu stehlen und nach Hause zu reiten. Wie stiehlt ein Krieger auf dem Sirius ein Raumschiff?« An Ritas Augen vertieften sich die Lachfältchen. »Also wirklich, ich wünschte ... Nein, es ist nicht so einfach, Kriegshäuptling. Nicht einmal für dich.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, wir können auf nichts anderes als das zurückgreifen, was du da draußen siehst. Komm, wir wollen mal die Köpfe zusammenstecken und überlegen, ob sich nicht doch ‘ne Lösung finden läßt.« »Aber große Hoffnungen machst du dir nicht«, bemerkte Eisenauge. Rita schüttelte nochmals den Kopf. »Nein. Aber wir werden den Lumpen zeigen, wie man ehrenvoll stirbt, hm?«
19 Im engen Kasino herrschten, als Susan sich hineinzwängte, Gedränge und lebhafte Geschäftigkeit. Sie entdeckte einen freien Stuhl, war heilfroh, sich setzen zu können. Sie merkte gar nicht, wie sie einnickte, bis der Mann, der neben ihr saß, sie mit einem rauhen Rippenstoß aufschreckte. Sie blinzelte, rieb ihre Augen. Rita hatte zu sprechen angefangen. »Wir müssen uns eine neue Taktik überlegen. Ein paarmal ist es uns gelungen, Funkverbindung zum Oberst herzustellen. Der Flottenverband wartet in einem Fernorbit, repariert die Schäden, und man denkt auch dort darüber nach, wie man als nächstes verfahren könnte.« Eisenauge stand auf, sein Blick glitt über die abgehärmten Gesichter. Kannte der Mann eigentlich keine Müdigkeit? »Beim Durchdenken unserer Optionen hat Majorin Sarsa mir erläutert, daß ihr Patrouillenleute kein Raumschiff stehlen könnt, um heimzufliegen, so wie wir auf Welt Pferde stehlen.« Seine Äußerung brach die Spannung mit einem kurzen, jedoch allgemeinen Gelächter. »Ich habe die Situation mit der Majorin diskutiert. Einen taktischen Vorteil sehe ich in unserer Lage: Wir haben die sirianische Bevölkerung als Geisel. Ich schlage vor, sie gegen Van Chow auszuspielen.« Ein ST-Kapitän der Viktoria schüttelte den Kopf. »Das wäre Barbarei. Nach den Regeln der Kriegsführung sollen Unschuldige geschont werden.« Viele Anwesende nickten. »Das ist hier kein normaler Krieg«, widersprach Rita. Alle Blicke hefteten sich auf sie. »Sehen Sie sich doch die Realität draußen an. Weshalb sollen wir die Bevölkerung nicht als Geisel benutzen? Van Chow selbst hat auf dem
Raumhafen Tausende verbrannt. Die Mehrzahl bestand aus Frauen und Kindern. Blicken Sie mal zurück in unsere Geschichte, Kameradinnen und Kameraden. Entsinnen Sie sich an die Konföderation und die Sowjets? Der Zweck heiligt die Mittel. Solange wir an dem Selbstbetrug festhalten, irgend etwas anderes zu glauben ... sind wir verloren.« Susan schaute in jedes Gesicht; alle Mienen spiegelten Betroffenheit wider. »Sie hat recht«, meinte sie leise. Am Tisch dominierte Eisenauges Persönlichkeit. »Wir Romananer bewerten Ehre sehr hoch. Für uns ist es ehrenhaft, in einer scheinbar ausweglosen Situation doch noch den Sieg zu erringen. Spinne ist Gott. Spinne sagt uns, auch ohne Hoffnung den Kampf fortzusetzen. Spinne hat uns gelehrt, daß der Tod besser ist als Unterwerfung. Was wird denn passieren, wenn wir diesen Planeten nicht erobern? Dann kann die Patrouille die sirianische Flottille nicht bezwingen, weil ihre Geschütze den sirianischen Blastern unterlegen sind. Wenn die Patrouille geschlagen wird, wer ist danach an der Reihe? Falls der Sirius siegt, droht ein neues totalitäres Regime.« »Stimmt genau.« Rita Sarsa nickte. »Die Population ist unser einziger Ansatzpunkt. Bis jetzt hat unsere Strategie nur die Form abgestufter Machtdemonstrationen gehabt. Ich glaube, es ist allerhöchste Zeit, daß wir nicht kleckern, sondern klotzen.« »Aber die Prinzipien der Patrouille ...«, begann ein Offizier mit einem Einwand. »Sind Blödsinn!« donnerte Eisenauges Stimme dazwischen. »Fort mit allem, was in den vergangenen Jahrhunderten des Friedens bewährt und gut genug gewesen ist! Hier und jetzt, in diesem Augenblick, kämpfen wir um unser Leben. Habt ihr das noch nicht kapiert? Niemand wird von den Sternen kommen und uns heraushauen. Entweder zwingen wir diesen Planeten mit den Methoden nieder, die uns offenstehen ... oder uns erwartet der Tod.«
In den Augen des Kriegshäuptlings glomm leidenschaftlicher Kampfgeist. »Ich stimme ihm zu«, sagte Mosche in nüchternem Tonfall. »Van Chows Erfolg beruht zum Teil darauf, daß er weiß, der Planet bietet ihm Rückhalt. Verliert er ihn als Basis, seine ganze Unterstützung, bleibt ihm als einzige Alternative nur noch die Piraterie ...« »Warum schlägt er diesen Weg nicht ein?« erkundigte sich Eisenauge. »Das Räuberdasein ist eine sehr gute Lebensart.« »Er will mehr«, erklärte Rita halblaut. »Außerdem wäre Piratentum für ihn bloß ‘ne zeitweilige Lösung, die nur taugte, bis das Direktorat leistungsfähigere Blaster entwickelt hätte. Zu guter Letzt würde man ihn doch erwischen. Nein, er ist auf die Akzeptanz der Bevölkerung angewiesen. Um sie sich zu sichern, muß er Sirius zu einem Exempel machen. Bis wir eingetroffen sind, hatte er ...« »Aber wir reden doch über die Vernichtung Tausender, vielleicht Millionen von Leben«, rief ein anderer ST-Kapitän. »Ach, zum Teufel« schnob Susan. Die Grenzen ihrer Wahrnehmung verschwammen vom hellem Geflimmer — oder der geistigen Störung —, die das Bewußtsein beeinträchtigte, sobald das Gehirn zu stark ermüdete. »Sie haben ‘ne Verantwortung für sich selbst... Genau wie wir.« Matt schaute sie rundum. »Immerhin ist doch, ist die Kuh mal geschlachtet und ausgenommen, die Bevölkerung der Gegenstand des gesamten Kriegszugs. Sieger des Kriegs wird, wer schließlich die Bevölkerung für sich gewinnt. Tun wir’s ... oder bleibt sie auf Van Chows Seite?« »Ist jemand anderer Auffassung?« Auch Rita blickte in die Runde. »Das ist tatsächlich der Sinn unserer Militäraktion, läßt man mal allen Firlefanz beiseite. Wir sind hier, um eine Rebellion zu beenden. Die Sirianer haben Ngen Van Chow an die Macht gehoben, und nur sie kön-
nen ihn auch wieder stürzen. Es kommt drauf an, daß wir sie dazu bringen — nicht darauf, wie wir’s machen.« »Und wie lautet Ihr Vorschlag, auf welche Weise wir das erreichen wollen?« fragte ein ST-Kapitän. »Wir haben geschworen, immer für die Aufrechterhaltung ...« »Durch Furcht«, fauchte Susan. »Schafe scheuen vor allem zurück, was ihnen nicht gefällt oder nicht be-hagt.« In ihrer Erinnerung war sie bei den Mengen niedergeduckter Menschen, die ihr in der ersten Nacht des Angriffs begegnet waren. Eisenauge warf ihr einen wölfischen Blick zu. »Wirst du vielleicht doch noch eine tüchtige Kriegerin?« Wütend starrte Susan ihn an. Eisenauge feixte. »Ja, sie fürchten uns Romananer. Wir halten uns an keine Regeln. Wir schlagen sie, wo sie es am ärgsten spüren. Die Patrouillensoldaten demonstrieren lediglich Macht. Wir jagen ihnen Furcht ein. Wir rütteln an ihrem Empfinden der Realität. Terror ist gegen sie eine starke Waffe.« »Ich habe dafür kein Verständnis.« Ein weiblicher STKapitän schüttelte den Kopf. »Ich meine, es ist doch barbarisch, wenn ... wenn man ...« »Ich verstehe diese Überlegungen vollkommen.« Rita sah die Offizierin an, die zuletzt gesprochen hatte. »Die Patrouille verkörpert nur eine schon bekannte Drohung. Wir besetzen den Planeten, aber ansonsten bleibt alles beim Alten. Naja, ich meine, selbstverständlich wird die Regierung ausgewechselt. Es wäre nicht besser als vor dem Machtantritt der Unabhängigkeitspartei, aber auch nicht schlimmer. Sollten jedoch die Romananer die Macht übernehmen — was dann?« Die Offizierin schrak mit regelrechtem Grausen in den Augen zurück. Susan lachte, obwohl sie am Rande der Bewußtlosigkeit döste. Nacheinander las Eisenauge in den Gesichtern der Anwesenden, in seiner Miene zeigte sich etwas
Raubtierhaftes, während er eilig die gebotenen Möglichkeiten durchdachte. »Sie müssen berücksichtigen, Kameradinnen und Kameraden«, fügte Rita hinzu, »die Sirianer haben keinen Begriff von den Romananern. Eine Zukunft unter barbarischer Herrschaft schreckt nicht einfach bloß ab, sie bedeutet für sie Wirklichkeit gewordenes Grauen. Sollen sie einmal darüber nachdenken. Sie sollen ruhig ihre Phantasie spielen lassen. Sollen sie sich die schlechte Alternative vorstell...« »Schlecht sind wir nicht«, erhob Eisenauge Einspruch. »Ja, richtig«, pflichtete Rita bei. »Aber das wissen die Romananer ja nicht.« Verdrossen schaute Mosche auf. »Ngen Van Chow hat sich auf dieser Welt als Meister der massenpsychologischen Manipulation erwiesen. Er hat’s geschafft, trotz aller allgemeinen Apathie die Produktion anzulei-ern. Gelungen ist es ihm durch bestens getimete Sabotage, Vorzeigen von Märtyrern und diverse andere Mittel. Dagegen muß doch irgendwie anzukommen sein, oder nicht?« »O doch.« Rita grinste vergnügt. »Als befehlshabende Offizierin unserer Landungstruppen erkläre ich hiermit, daß den sirianischen Ballungszentren, die die Waffen niederlegen und sich der Patrouillenautorität unterordnen, die romananische Besatzung erspart bleibt, wogegen alle, die sich nicht ergeben, romananischer Gewalt unterstellt werden.« Rita wirkte sehr zufrieden. »So, nun haben sie die Wahl zwischen uns, Ngen und den Romananern.« Im Kasino brach eine halblaute Diskussion aus. Ein paar Minuten später fing der ST plötzlich zu taumeln an, beschleunigte, bremste ab, schlingerte wild. »Zentrale?« rief Mosche in die Kommu. »Bitte Meldung!« »Blasterbeschuß, Sir.« Die Stimme des Piloten klang
ganz gelassen. »Wir fliegen Ausweichmanöver. Anscheinend haben sie uns besonders ins Visier genommen ... Als wüßten sie, daß wir die Operationsleitung an Bord haben.« »Bringen Sie uns da durch!« befahl Mosche. »Jawohl, Sir. Allem Anschein nach hat der Feind Schwierigkeiten bei der Zielverfolgung, Sir. Seine Weltraum-Scanner mögen tauglich sein, aber in einer Atmosphäre bewährt sich die Ortung dieser umgebauten Frachter wohl weniger gut.« »Hauptsache, Sie halten uns am Leben.« Es gelang Mosche, mit ganz ruhiger Stimme zu sprechen. * »Jawohl, Sir.« Der Pilot machte einen merkwürdig exaltierten Eindruck. Die Kommu sagte eine allgemeine Warnung durch. »Achtung, an alle! Zum Anlegen der Sicherheitsgurte wird geraten. Stellen Sie sich auf eine harte Landung ein.« Rings um Susan begannen Männer und Frauen die Gurtgeschirre zu schließen. Sie schaffte es, obwohl ihre Finger wie taub waren, sich ebenfalls anzuschnallen. Der Stoß, der etwas später durch den Sturmtransporter rumste, fiel weniger heftig als erwartet aus. Vom Heck ertönte eine gedämpfte Explosion. »Heiliges Kanonenrohr, was war denn das?« fragte Rita, während sie sich aus dem Gurtwerk freizappelte. »Zentrale, Meldung!« schnauzte Mosche in den Kommu-Apparat. »Sir, ich glaube, wir haben den Gegner irregeführt.« Die Stimme des Piloten klang jetzt vergnügter. »Wenn seine Scanning-Kapazitäten unter planetaren Bedingungen so unzulänglich sind, wie wir annehmen, wird er wohl davon ausgehen, uns mit dem letzten Schuß getroffen zu haben. Ich habe uns nach dem Aufsetzen in ein Gebäude gelenkt, und die Heckblaster haben zusätzlich dafür gesorgt, daß es dramatisch aussieht und himmelhoch qualmt. Man dürfte uns nun für tot und erledigt halten.«
»Ist so ein Verfahren denn durch die Vorschriften gedeckt?« fragte Mosche in die Kommu. »Nein, Sir«, gab der Pilot zu. »Ich ... äh ... ich verdanke die Idee einem Romananer.« Jemand lachte. Rita erhob sich von ihrem Platz. »Ich möchte, daß ein paar von Ihnen sich damit befassen, Einzelheiten für die militärische Verwaltung dieses Mistklumpens auszuarbeiten. Eisenauge, garantiere bitte, daß wir hier sicher sind. Such dir Leute für ‘n Spähtrupp zusammen, macht alle Sirianer dingfest, die sich noch darin aufhalten. Susan, du und Hans, ihr kommt mit mir in die Zentrale. Wir wollen diese Angelegenheit mit dem Bruder-schafts-Blaster zu Ende bringen.« Hans, verdreckt vom Gefecht — gleichzeitig jedoch sah er mit der Brandsalbe auf der rotversengten Wange irgendwie komisch aus —, zog eine Miene, die Gewissensbisse verriet, als Rita ihn zur Tür hinauswinkte. »Also los«, sagte sie, sobald sie sich in der ST-Zentrale befanden, »dann laßt mal hören. Fangt am besten ganz vorn an.« Susan befeuchtete mit der Zunge die Lippen. »Es ist meine Schuld gewesen. Erinnerst du dich an die Dienstbesprechung, nach der ich dieser Offizierin namens Jarowitsch fast Blutfehde geschworen hätte?« Den Rest der Geschichte erzählte Susan, zu müde zum Denken, an einem Stück herunter. Rita hörte zu, runzelte die Stirn und nagte am Daumen. Zum Schluß stieß sie einen unterdrückten Pfiff aus. »Ist das auch kein Jux? Bei Spinne, wir müssen ‘ne Verbindung zum Oberst herstellen. Das könnte die Wende bedeuten. Wenn Ree es hinkriegt, die Geschütze der Projektil aufzurüsten ...« Rita blickte sich um, wirkte plötzlich verunsichert. »Hört mal, Leute, das ist ‘ne streng geheime Sache, klar? Niemand darf davon erfahren. Niemand!« Susan nickte.
Rita nahm Susans verbeultes Mini-Terminal und setzte sich an die Kommu. Sie stülpte sich das Kontaktron auf den Kopf und funkte die Projektil an. »Oberst? Hier Sarsa. Verwürfeln Sie unser Gespräch so gut wie möglich. Mein Lieblingsschützling ist auf interessante Informationen gestoßen, die ich Ihnen gleich übermittle.« Rita gab Susan mit einer Geste zu verstehen, daß sie ihr Terminal anschließen sollte. »Die Verbindung ist ungleichmäßig, Herzchen, aber ich glaube, es wird alles anlangen.« Susan gehorchte, aktivierte die Dateien und benutzte ihr Codewort. »Wir senden, Oberst«, sagte Rita. »Ist alles vollständig eingetroffen?« fragte sie, nachdem das Kommu-Computersystem Susans Daten zur Projektil gefunkt hatte. Schließlich hob Rita den Blick und winkte Susan zu. »Das war alles, Schätzchen. Leg dich in meine Kabine und gönn dir ‘n bißchen Ruhe. Du siehst völlig fertig aus.« Hans, der ebenso matt und erschöpft war, begleitete Susan aus der ST-Zentrale. Susan schaute ihn an, gähnte herzhaft. »Wo ist Freitag?« »Mit Eisenauge auf Spähtrupp gegangen. Dieser übergeschnappte Pilot hat uns in einem Lagerhaus voller exotischer Lebensmittel geparkt, ich glaube, hier wird’s mir gefallen.« »Bei Spinne, wie müde ich bin...« Susan hatte das Gefühl, als kostete es ihre letzten Kräfte, nur zu nicken. »Komm mit, du darfst dich in ‘ne Koje knallen, wo dich so bald niemand stört.« Hans führte sie durch einen Korridor zu Ritas kleiner Kabine. »Zwanzig Stunden lang kannst du sie für dich allein haben.« Per Handflächenkontakt öffnete er die Tür. »Aber wo soll Rita ...?« »Sie bleibt in der Zentrale. So wie die Dinge stehen, wird sie reichlich beschäftigt sein. Komm!« Hans zog sie durch den Eingang hinein. Susan stöhnte, als sie sich an die Wand lehnte. Hans
begann ihr den Schutzpanzer abzustreifen, warf die rußfleckigen, verdreckten, blutbespritzten Einzelteile einfach auf den Fußboden. Seine Ellbogen stießen an die Wände der engen Kabine. Susan sah aufs Chronometer. »Jetzt bin ich seit beinahe zwei Tagen auf den Beinen.« »Ich habe mir zwischendurch mal ‘n Schläfchen erlauben können.« »Ich muß wie eine Sau aussehen.« »Du bist so schön wie immer«, beteuerte Hans leise, nahm ihr das Rückenteil der Panzerung ab. »Ich stinke«, sagte Susan und kicherte. »Ich habe schon Pferde gerochen, die im Vergleich zu mir wie Frischluft dufteten. Ich dusche erst einmal.« Hans lief nicht rot an, während Susan sich vor seinen Augen völlig entkleidete und die winzige Duschzelle betrat. Sie fühlte sich durchs Duschen wenigstens einigermaßen belebt, als sie sich getrocknet hatte und hinausstieg. Lasch ließ sie sich auf die Koje fallen und klimatisierte, indem sie ein paar Tasten drückte, die Kabine auf die ihr behaglichste Weise. Hans hatte sich in den einzigen, kleinen Sessel gesetzt. Versonnen musterte Susan ihn; ihr völlig übermüdetes Hirn spielte ihren Sinnen Streiche. »Warum hast du’s getan?« »Was?« »Uns geholfen. Freitag und mir. Du weißt selbst, du hättest dabei zehnmal ums Leben kommen können.« »Spinne stand auf meiner Seite.« Hans verzog die Lippen. »Vermutlich mag er närrische Typen.« Er wurde wieder ernst. »Außerdem hätten die Sirianer die ganze Gruppe ausgelöscht. Du hast doch ihren Vorstoß von der Flanke gesehen. Das wäre Freitags Tod gewesen. Dieser Gedanke war mir unerträglich... Es hätte dir schrecklich wehgetan.« Er senkte den Blick auf seine Hände, rieb sie sacht aneinander, als ob er sich des Gefühls der schweißigen Haut Freitags entsänne.
»Du weißt, daß ich euch beide liebe«, flüsterte Susan. »Dich und Freitag. Ich kann mir kein Dasein ohne einen von euch beiden vorstellen.« Hans regte sich nicht, hatte den Blick auf irgendeinen Punkt fern im Unendlichen außerhalb des Schotts gerichtet. »Du mußt jetzt schlafen, Susan«, mahnte er nach einem Weilchen mit leiser, rauher Stimme. »Du bist kaputt. Du kannst nicht mehr richtig denken.« Susan schüttelte den Kopf; sie merkte Hans an, wie er mit seinem Ehrbegriff rang. In ihrer Erinnerung sah sie wieder den Ausdruck vor sich, den er in den Augen gehabt hatte, während er sie und Freitag rettete. Darin waren innere Kraft, Charakterstärke und Opfermut zu erkennen gewesen. Sie mißachtete die Beschwerden in ihren Gliedern, schwang sich von der Koje und zog ihn aus dem Sessel hoch. Er zitterte, während sie ihm — seltsamerweise erwiesen sich ihre Finger trotz ihrer Mattigkeit als geschickt — den Schutzpanzer abnahm. »Susan«, fragte er, als sie ihm die Unterwäsche vom Leib zupfte, »bist du ... sicher, daß du das willst? Ich meine.... wegen Freitag ...« »Ich kann nicht schlafen, Hans, ich bin viel zu überdreht. Außerdem will ich dich jetzt haben. Ich wünsch’s mir. schon lang. Es war mir bloß nicht so richtig klar. Du bist der aller ...« »Aber was bedeutet es für dich?« fragte er, reagierte spürbar auf sie, als ihre Finger über seine Brust strichen. »Es bedeutet, daß ich dich heute fast verloren hätte. Und wir können immer noch einer den andern verlieren, das weißt du doch. Es wäre falsch, käme einer von uns um und wir hätten nicht... wären uns nicht nah gewesen. Unser Leben wäre ärmer.« Sie zog ihn mit sich auf die Koje. »Ich bin noch nie mit einer Frau zusammen gewesen«, sagte er kaum hörbar. »Vielleicht... vielleicht verstehe ich davon nichts.«
»Wir haben zwanzig Stunden Zeit, um’s rauszufinden«, flüsterte Susan und begann zärtlich an seinem Ohr zu knabbern. * * * »Erster Bürger!« Beharrlich drang Giorjs Stimme immer wieder in Ngen Van Ghows geistige Randbereiche vor, drängte ihn zum Erwachen. In seinem Traum wand sich vor ihm eine junge, schwarzhaarige Romananerin in Fesseln. Mit einer Elektropeitsche streichelte er ihren strammen Körper, wechselte ab und zu die Entladungsstärke, während er das Mädchen damit piesackte, hörte es unterm Einfluß der Bilder stöhnen, die der frisierte Psychingapparat projizierte. »Erster Bürger? Bitte antworten Sie.« »Ja, ja ...« Der Traum zerstob, erregt und geröteten Gesichts fand Ngen in die Wirklichkeit zurück. »Wir haben Patrouillenfunksprüche mitgehört, Erster Bürger«, informierte ihn Giorjs tonlose Stimme. »Ich war der Meinung, Sie benachrichtigen zu müssen. Ich komme gerade von dem erbeuteten Schlachtschiff zurück. Dessen Kommu habe ich benutzt, um den feindlichen Funkverkehr abzuhören. Sie sollten wissen, dachte ich mir, daß der Projektil Daten zugeleitet worden sind. Es ist mir nicht gelungen, sie aufzufangen, aber sie stehen im Zusammenhang mit Bruderschafts-Informationen, die in den Bordcomputern der Projektil gespeichert sind. Die Projektil hat beträchtliche Datenmengen in ihren Altspeichern, darunter anscheinend auch Informationen der Art, wie sie sich auf Frontier befinden. Offenbar sind sie schon seit Jahrhunderten an Bord vorhanden.« »Was? Worum geht’s dabei?« Ngen fuhr vom Bett hoch, rieb sich den Schlaf aus den Augen. Neben ihm hatte Leona gelegen, ihr Leib war noch heiß und verschwitzt von den Anstrengungen, zu denen er sie getrieben hatte.
»Ich bin mir nicht sicher, Erster Bürger. Sagen kann ich soviel: Eine Majorin Sarsa ist der Ansicht, damit könnte die jetzige Pattsituation überwunden werden.« Giorjs Augen glänzten, während er seine Fingerkuppen aneinanderrieb. »Welche Geheimnisse wohl darin verborgen sind ...« Er schüttelte den Kopf. »Könnte ich nur auf das Schiff...!« »Giorj«, schnauzte Van Chow, »wie ernst ist das zu nehmen?« Der Ingenieur hob die Schultern. »Wir haben keine Ahnung. Leider stehe ich bei der Untersuchung der Kommunikationsanlagen noch am Anfang. Technische Daten stehen nicht zur Verfügung. Wir konnten, wie erwähnt, die Raffersendung nicht auffangen, und ich kannte zu dem Zeitpunkt noch nicht die Speicherfunktionen. Aber ich habe Ihnen den wesentlichen Inhalt des Begleitgesprächs wiedergegeben. Zudem ist auf dem Planeten eine Proklamation ausgestrahlt worden. Sie werden sie bestimmt sehen wollen.« Auf dem Monitor erschien das Holo einer rothaarigen Frau. Sie war ziemlich attraktiv. Die Härte in ihren grünen Augen zog sofort Ngens Aufmerksamkeit an. Er erkannte Herausforderung in ihrem Blick. Eine Art von Herausforderung, auf die er spontan reagierte. Er speicherte das Holo. »Bürger des Sirius!« Ihre tiefe Kontraaltstimme rührte tief im Innern Ngens an einige seiner speziellen Saiten. »Im Namen des Direktorats verkünde ich folgende militäramtliche Verlautbarung: Jede Person beziehungsweise alle Personen, die sich auf diesem Planeten nicht binnen zehn Stunden der Direktoratsautorität unterordnen, werden als feindlich behandelt. Sämtliche planeta-ren Gebiete, die dem Direktorat Loyalitätserklärungen abgeben, werden unter dem Schutz der Patrouille stehen. Dagegen werden die Gebiete, die weiter die Politik der verbotenen Unabhängigkeitspartei unterstützen, der roma-
nanischen Nation zur Unterwerfung überlassen. Diese den Romananern unterstellten Gebiete werden auch nach Wiederherstellung der Ordnung auf diesem Planeten nicht unter die Jurisdiktion des Direktorats zurückkehren. Hiermit wird klargestellt, daß die Romananer eine eigenständige politische Einheit verkörpern und durch die im Direktorat gültigen Gesetze, Konventionen oder Verträge nicht gebunden sind. Sie haben lediglich nominell den Status politischer Verbündeter. Die ihnen zugefallenen sirianischen Gebiete werden auf Dauer in ihrem Besitz bleiben. Naturgemäß haben sie, wie gesagt werden muß, ihr eigenes Wirtschaftssystem und eigene Distributionsmethoden für ihre Ressourcen. Sie werden zahlreiche Sirianer zu ihrer Heimatwelt transportieren, damit sie dort Viehherden hüten, Gewehre, Messer und Zaumzeug herstellen, Äk-ker pflügen und Pferche säubern. Man wird Frauen mitnehmen, damit sie kochen, die Hütten reinigen und Kinder gebären. Frauen aus wohlhabenderen Familien werden verheiratet. Lassen Sie sich davon nicht abschrecken, meine Damen. Die Arbeitsbelastung wird begrenzt sein, weil die Krieger, die heimkehren, reiche Männer sein werden. Sie dürfen sich Ihre ehelichen Pflichten mit bis zu sieben anderen Ehefrauen teilen. Auch die Industrie in den romananischen Sektoren wird unter romananischer Verwaltung bleiben. Löhne, Gewinne und Steuern werden in sämtlichen Produktionsbereichen von ihnen kontrolliert. Die Patrouille nimmt an, daß die zur romananischen Heimatwelt deportierten Sirianer als Garanten dafür dienen werden, daß die Produktion die romananischen Anforderungen erfüllt. Ich glaube, man könnte diese Individuen als Geiseln bezeichnen hätten die Romananer kein so gütiges, menschenfreundliches Naturell. In allen Gebieten, die sich unter die Obhut der Patrouille begeben, werden so schnell wie überhaupt menschenmöglich die normalen Verhältnisse wiederhergestellt. Wir wissen, daß
politischer Betrug Sie zu dem Irrglauben verführt hat. Sie hätten künftig unter dem Direktorat Tod und Unheil zu erwarten. Tatsächlich jedoch wird die Industrie normalisiert und der Export wie früher fortgesetzt. Funklenkfrachter halten sich zum Start von Range, Zion und Erde bereit, um angesammelte Nahrungsüberschüsse zum Sirius einzufliegen, sobald die hiesigen Schwierigkeiten beigelegt worden sind. Sie werden dafür von Ihnen fabrizierte Generatoren, Metalle und Fertigprodukte an Bord nehmen. Wenn die Führer der Unabhängigkeits-partei uns ausgeliefert werden, beabsichtigt die Patrouille keinerlei kollektive Strafmaßnahmen zu verhängen. Bürger des Sirius, Sie haben zehn Stunden Bedenkzeit. Nach deren Ablauf stehen Sie entweder unter unserem Schutz — je nachdem, wie Ihre Entscheidung ausfällt —, oder werden dem Vorgehen der romananischen Streitkräfte ausgeliefert sein. Sie haben die Wahl.« Das Bild verschwand vom Monitor. Ngen schnitt eine mißmutige Grimasse. Die Patrouille hatte sich recht schnell auf die Situation einzustellen und zu handeln verstanden. Die Dinge liefen anders als geplant. Er hatte gehofft, den Patrouillenverband beim ersten Zusammenstoß aus dem All blastern zu können. Danach hätten Miliz und Heimwehr-Legionen im Erdkampf die Romananer geworfen — in zweifellos zwar harten Gefechten, doch das wäre nur vorteilhaft gewesen, um sie zu lehren, was Revolution hieß. Aber der Patrouillenverband existierte noch. Auf dem Planeten fanden heftige Kämpfe statt, in denen seine Truppen bei schwersten Verlusten nur geringe Fortschritte erzielten. Und jetzt das! Wie mochte die Bevölkerung reagieren? Ngen Van Chow stand auf, kleidete sich an und nahm vor dem Kommu-Apparat Platz. »Giorj, ich werde eine Ansprache halten. Bereiten Sie eine globale Ausstrahlung vor.«
Rasch verlieh er seinen Gesichtszügen einen ernsten Ausdruck. »Geschätzte Mitbürger! Ach, wie zutiefst beklagenswert ist es, daß solche Gemeinheit dem menschlichen Geist entspringen kann, um unsere erneuerte Gesellschaft zu vergiften! Was die Patrouille nicht durch Waffengewalt erreicht, versucht sie durch Hinterlist und Lügen durchzusetzen. Erinnern Sie sich an unsere geliebte Leona Magill? Durch Heimtücke verlor sie ihr Leben. Sie ist gestorben, damit Sie leben können, und zwar ...« — Bedeutungsschwer pausierte er, seine Augen begannen zu funkeln, als er weitersprach — »... wie ich hinzufügen muß, von der Hand derselben rothaarigen Patrouillenamazone, die Sie vorhin auf Ihren Bildschirmen gesehen haben! Mitbürger, kennt jemand von Ihnen sie? Wenn ja, teilen Sie mir Ihre Kenntnisse mit. Unsere Abwehragenten haben Sie schon vor Monaten als die Täterin identifiziert. Energisch haben wir nach ihr gefahndet, um sie für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen. Vergeblich haben unsere Sicherheitskräfte sie zu finden versucht, um in ihrer Gestalt die dunkelsten Seiten des Direktorats zu entlarven.« Er drosch eine Faust in die Handfläche, in seinen Augen leuchtete fanatischer Überzeugungswille. »Das ist an allem der Gipfel der Ungeheuerlichkeit: Daß die Direktoratsmutanten sie vorschicken, um den Versuch zu unternehmen, Sirius in ihre Krallen zurückzuzerren! Was sagt uns das übers Direktorat? Über die Patrouille, die verlangt, daß wir uns dieser höllischen Sadistin unterwerfen? Ausgerechnet ihr, die unsere Fabriken mit Bombenanschlägen sabotiert und unsere ruhmreiche Führerin Leona Magill ermordet hat! Wer mag sich darauf einlassen? Wer will auf so etwas hören? Ich nicht, Volksgenossen.« Eine Sekunde lang starrte er durchdringenden Blicks in die Kommu-Optiken. »Nein ...«, fügte er danach in gemäßigterem Ton hinzu. »Ich nicht. Wir haben zu große, zu viele Opfer gebracht, um nun jenen achtlos den Rücken zuzukehren, die das
Direktorat abgeschlachtet hat. Wenn wir jetzt kapitulierten — wie sollten wir uns vor den Seelen jener verantworten können, die ihr Leben hingaben, um einen Traum zu verwirklichen?« Er streckte die Hände zu einer Geste der Beschwörung aus. »Könnten Sie einem dieser edelmütigen Toten ins Gesicht sagen, daß Sie auf sein Gedenken gespuckt haben?« Van Chow ließ seinen Zuhörern fünfzehn Sekunden Zeit, um darüber nachzudenken. »Und nun droht man uns mit einer Barbarenherrschaft«, konstatierte er anschließend. »Man droht uns an, unsere Familien in die Sklaverei zu verkaufen. Was mag als nächstes kommen? Sollen wir mitansehen, wie man unsere Töchter fortschleppt, um sie zu Straßenhuren der viehischen Kerle zu machen, die sich das Haar ihrer Opfer an den Gürtel binden? Wollen wir, daß sie ihre ungewaschenen, stinkigen Leiber den reinen, sauberen, jungfräulichen Körpern sirianischer Mädchen aufzwingen?« Ngen steigerte sich in äußerste Entrüstung empor. »Halten Sie sich das Schicksal Ihrer Kinder vor Augen«, rief er in leidenschaftlichem Appell. »Malen Sie sich aus, wie Ihre Töchter bei Massenorgien wiederholt vergewaltigt werden. Stellen Sie sich vor, wie ihre jungen Leiber von der teuflischen Brut dieser Kreaturen schwellen, die dem Namen der Menschheit spotten. Denken Sie daran, daß man Ihre Söhne Ihren starken Händen entreißen und ihnen die abscheuliche, wilde Lebensart der Barbarei zeigen wird. Daß Sie unter der blutigen Kopfhaut tanzen werden, die sie zivilisierten Menschen vom Kopf gerissen haben. Jetzt wissen Sie, was Sie Ihren Kindern antun, wenn Sie sie dem Feind ausliefern.« Ngen lehnte sich zurück, sein Gesicht zuckte, als ränge er um Fassung. »Mitbürger, auch diese Barbaren sind nur Menschen. Töten Sie sie in den Straßen! Töten Sie sie am Himmel! Töten Sie sie in unseren Häusern und Fabriken. Jeder von ihnen stirbt nur einmal. Aber wir werden, wenn wir uns ergeben, tausend Tode sterben. Ich werde nicht
kapitulieren. Ich bin von Ihrem Blut, Mitbürger, geboren aus Ihrem Fleisch, dem Leib des Volkes. Ich werde diesen Kampf um unsere Zukunft bis in den Tod führen. Beobachten Sie in Ihrer Mitte Verräter, ergreifen Sie sie und verfahren Sie mit ihnen, wie sie es verdienen. Das Leben schenkt nichts her. Leona Magill hat für unsere Freiheit das höchste Opfer gebracht. Sie wird niemals die Früchte dessen sehen, was wir geleistet haben. Vielleicht werde auch ich sie nicht mehr erleben, und vielleicht werden ebensowenig viele von Ihnen sie noch genießen dürfen, liebe Mitbürger. Aber wollen wir anderen die Erfüllung ihres Traums verweigern, nur weil wir sie möglicherweise nicht mehr miterleben? Beherzigen Sie all das, teure Mitbürger! Und vergessen Sie nicht die Rothaarige, die es zu finden gilt, für die ich eine Million Kredits biete, wenn man sie mir lebendig bringt. Gemeinsam werden wir sie vor Gericht stehen sehen. An ihr wollen wir für die ganze Galaxis ein Exempel dafür statuieren, daß es zumindest auf Sirius noch Gerechtigkeit gibt.« Van Chow beendete die Sendung, schaltete zu Giorj zurück. »Ich denke mir, das wird ihrer dümmlichen Proklamation die Wirkung nehmen.« Ngen lächelte zufrieden. »War mein Auftritt gut?« »Glanzvoll, Erster Bürger.« Giorj deutete eine Verbeugung an, doch seine Augen konnten ein gewisses Zögern nicht verhehlen. »Was ist denn, Giorj?« fragte Ngen. »Nichts Wichtiges, Erster Bürger. Es ist bloß so ... daß die Romananer auf Angla vorrücken, wo das Haus meiner Mutter steht.« »Sie wird nicht in Gefahr geraten, Giorj«, beteuerte Ngen mit vorgespiegelter Zuversicht und vorgetäuschter Aufrichtigkeit. »Falls die Lage dort ernster wird, werde ich persönlich einen Einsatztrupp hinschicken, der sie evakuiert.« »Vielen Dank, Erster Bürger.« Giorj nickte.
»Ach, übrigens«, fügte Ngen hinzu, als wäre es ihm gerade erst eingefallen, »sämtliche Stadtviertel, die sich der Patrouille ergeben, sind durch Blasterbeschuß einzuebnen. Das wird für unsere Anhänger eine kleine Erinnerung daran sein, daß Treue zu unserer Partei an erster Stelle steht. Als offiziellen Grund nennen wir natürlich, daß wir Konterrevolutionäre und Romananer ausschalten müssen.« Giorj tippte Tasten. »Zu Befehl, Erster Bürger. Ich informiere sofort die Feuerleitoffiziere.« Befriedigt lächelte Van Chow, informierte sich über die aktuelle Position der Patrouillenschiffe und runzelte die Stirn. Er hatte die Absicht, sie in Kürze zu eliminieren. Aber was mochte es mit den Bruderschaftsgeheimnissen auf sich haben, die sich in den Datenspeichern der Projektil versteckt befanden? Was betrafen diese Daten? »Giorj?« »Ja, Erster Bürger?« »Sobald der Patrouillenverband wieder aktiv wird, konzentrieren Sie die gesamte Feuerkraft auf die Projektil. Wir müssen das Schiff erbeuten und in den Besitz dieser Bruderschaftsdaten gelangen. Sie haben sich das erbeutete Schlachtschiff angeschaut und kennen sich jetzt damit aus — sind Schwachpunkte feststellbar gewesen?« »Jawohl, Erster Bürger.« »Gut«, sagte Ngen und schloß die Lider zu schmalen Schlitzen. »Den Helden Damen Ree, den Retter von Atlantis, zum Gefangenen zu machen, wäre ein einzigartiger Erfolg, nicht wahr? Ein klares Zeichen unserer Stärke.« »Das wäre es tatsächlich, Erster Bürger.« Giorj nickte; in seinen Augen hatte er noch den ungewohnten Glanz. »Und ich bekäme«, fügte er beinahe atemlos hinzu, »Informationen über Bruderschaftstechnologie.« »Allerdings, Giorj«, bestätigte Van Chow aalglatt. »Ich schenke die Projektil komplett Ihnen. Und geben Sie bekannt, daß der Kanonier, der sie gefechtsuntauglich
schießt, eine angemessene Belohnung zu erwarten hat. Dagegen wird jeder Kanonier, der ihren Reaktor trifft oder die Computer beschädigt, den Romananern überlassen, bevor wir sie vernichten.« »Jawohl, Erster Bürger.« »Das war alles, Giorj.« Der Kommu-Bildschirm erlosch. Die Patrouille versuchte sich also zu behaupten, mit dem Schrecken, den die Romananer verbreiteten, seine Revolution auszuhebein. Unwillkürlich entsann Ngen sich des Entsetzens in Pika Vitrs Augen, während er die HoloAufnahmen von in Aktion befindlichen Romananern vorgespielt hatte. »Aber ich habe ja meine Gegenmaßnahmen getroffen ... Nun müssen wir abwarten und weitersehen ...« Er lächelte Leona zu, weidete sich am glasigen Ausdruck des Grauens in ihren Augen. Doch er schlenderte an ihr vorbei und setzte sich auf die Kante eines benachbarten Betts, auf dem eine zweite Frau lag. Sie war an Händen und Füßen gefesselt, starrte ihn wütend an. Ngen schmunzelte vergnügt, strich mit einem Finger über ihre spitzen Brustwarzen. »Jetzt wirst auch du die Sinnesfreuden richtig kennenlernen, meine sportliche Schönheit«, versicherte er gutgelaunt. »O ja, es wird eine Wonne sein, deinen Willen zu brechen. Am Ende werden all dein Selbstbewußtsein, deine Kräfte und deine Autorität dir überhaupt nichts nutzen. Ich, Ngen Van Chow, werde deinen Körper dazu bringen, dich zu verraten. Ich werde dich lehren, sich selbst zu verabscheuen, mein prächtiges Goldstück.« In ihren Augen glitzerte hitziger Zorn, während sie in den Knebel brabbelte, der ihr im Mund stak. Sie würde ihn wirklich im Handumdrehen umbringen; Ngen sah es ihr an. Ihre muskulösen Arme und Beine bezeugten auf den ersten Blick, daß sie sich immer in Form gehalten hatte. Van Chows Gedanken erregten ihn. »Ja, mein liebes Täubchen, ich erkenne den Haß in dei-
nem Blick.« Er schmatzte mit den Lippen. »Aber es ist jetzt soweit, wir wollen mit den Lektionen anfangen. Du wirst vor Sehnsucht nach mir in Geheul ausbrechen. Dahinschmelzen wirst du vor mir. Deine ganze Kraft wird nur noch Wachs in meinen Händen sein.« Vorsichtig senkte er das Kontaktron auf ihren Kopf, wartete ab, bis ihre Augen sich verschleierten. Dann nahm er der Frau den Knebel aus dem Mund, begann ihren Hals zu küssen, mit den Fingern ihre Brüste und ihren Bauch zu streicheln. Obristin Arish Amahanan-dras versuchte zu schreien, aber sie brachte keinen Ton hervor. *
*
*
Die ST flogen ihre Attacken paarweise, das Pfeifen ihrer Triebwerke durchdrang schrill den Himmel, während sie über die vorderen Linien hinwegbrausten, ihre Bla-ster beschossen die glänzenden arcologischen Komplexe am Rande Anglas, eines der größeren Industriegebiete bei Ekrania. Hinter ihnen bog sich und qualmte zerschmetterter Graphitstahl, zersplitterte Glas, schwarze Wolken quollen an den rauchverhangenen Himmel empor. »Das wird uns den Weg freimachen«, meinte Hans. »Aufschließen!« befahl Susan. Schnelle Gestalten eilten durch die von Schutt und Wracks verstopfte Straße, in der die Miliz den Vormarsch der Romananer vorübergehend wie in einem Flaschenhals gebremst hatte. »Spinne sei Dank für ST.« »Behaltet die Fenster unter Beobachtung«, mahnte Eisenauge. »Deckung!« schrie Hans. »Sirianer!« Die flinken Romananer duckten sich hinter zerstörte Lastfahrzeuge und hinter geborstenes, teils zusammengestürztes Mauerwerk, huschten in Eingänge, die Blaster schußbereit.
»Nicht schießen!« befahl Susan hastig. »Sie tragen ‘ne Weiße Fahne. Sie geben auf.« Aus den weitläufigen Bauten des arcologischen Komplexes kam ein stetiger Strom von Heimwehr-Legionären zum Vorschein, sie hielten die Arme hoch erhoben, zerbrochenes Glas knirschte unter ihren Stiefeln. Manche schwankten auf den Beinen, waren völlig benommen von der höllischen Wirkung des Blasterfeuers, dem die ST sie ausgesetzt hatten. Andere versuchten unterwegs das Bluten ihrer Wunden zu stillen. Einige stierten dumpf zu Boden. Die Mehrzahl jedoch schlotterte ganz einfach vor Furcht, suchte mit furchtsamen Blicken die Schatten ab. »Na gut.« Susan seufzte, winkte Ray Smith und Pa-tan Reesh zu sich. »Ihr kennt das Verfahren, bringt sie nach hinten.« Verächtlich schnoben die beiden Romananer, als sie sich aufrichteten und — die Blaster nach wie vor bereit — den Sirianern durch Zeichen zu verstehen gaben, schleunigst die Ruinen zu räumen. Auch Susan erhob sich; sie wußte, daß sechzig romananische Gewehre ihr Schutz gewährten. Hans näherte sich von der anderen Straßenseite, als einer der Heimwehr-Legionäre herantorkelte; er hatte Offiziersstreifen am Ärmel. »Wir ergeben uns. Tut uns nichts! Verstümmelt uns nicht!« Susan blieb vor dem Mann stehen, widmete dem trüben, bewölkten Himmel flüchtig einen Blick des Unbehagens. »Euch passiert nichts. Romananer schonen Gegner, die kapitulieren. Es fällt uns bloß schwer, euch zu respektieren.« Ein Spinnenkrieger, der hinter einem umgekippten Airmobil kauerte, lachte unterdrückt. Der Sirianer schluckte mühsam. »Naja, was erwartet ihr denn?« In seinen Augen stand ein Ausdruck der Ver-störung. »Wir haben doch die Aufnahmen gesehen. Die Aufzeichnungen, die Leeta Dobra von der Projektil ins
ganze All gefunkt hat. Wir wissen über die Propheten Bescheid. Es hat sich überall rumgesprochen. Wie sollen wir gegen euch kämpfen, wenn ihr die Zukunft kennt? Wie können wir planen, wenn ihr jede unserer Maßnahmen im voraus wißt? Wenn euch schon vorher klar ist, daß ihr siegt? Wie sollen wir dagegen ankommen?!« »Die Propheten?« fragte Susan erstaunt. »Was haben denn sie mit...?« »Ja«, rief der Sirianer. »Diese Männer, die in die Zukunft schauen können. Wie wär’s sonst möglich, daß ihr jedesmal gewinnt? Alle unsere Schwächen kennt? Ihr hättet ja gar nicht angegriffen, wüßtet ihr nicht genau, daß ihr siegt. Dagegen sind wir doch machtlos.« Susan lachte, schlug sich aufs Knie. »Ja wahrhaftig, wie sonst? Nun erkennt ihr Spinnes Macht, Sirianer. Und jetzt verschwindet uns ganz schnell hier aus der Quere! Wir haben einen Planeten zu erobern.« Reesh wies die Sirianer mit einem Wink an, sich hinter die romananischen Linien zu flüchten; die lange Reihe marschierte von dem ausgedehnten, zerschossenen Gebäudekomplex herüber, während Susans restliche Abteilung hinüberrannte, um die von den Sirianern verlassenen Stellungen zu besetzen. »Haltet die Augen wegen zertrennter Stromkabel offen!« brüllte Freitag den Kriegern nach, während er mit einer Geste die Kameraden zum sturmartigen Stellungswechsel vorschickte, dabei gleichfalls nervös zum Himmel hinaufschaute. Militärischen Erfolgen schlossen sich mit beunruhigender Regelmäßigkeit Feuerschläge aus dem Orbit an. »Hans?« rief Susan, ging in einem zerstörten Transportbandtunnel in Deckung. »Freitag? Was hat das zu bedeuten? Dieses Gerede über die Propheten?« Freitag schenkte ihr ein spitzbübisches Lächeln. »Würdest du gegen jemanden auf den Kriegspfad ziehen, der die Zukunft vorhersehen kann?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber diese Leute verstehen doch gar nicht, wie es sich mit den Propheten verhält. Ein Prophet plaudert nicht aus, was er in der Zukunft sieht, er müßte wahnsinnig werden. Außerdem haben wir überhaupt keinen Propheten bei uns.« Hans winkte ab. »Nein, aber das wissen sie ja nicht. Ich habe den Eindruck, das ist was Wichtiges.« Er hob den Kommunikator vom Gürtel an die Lippen. »Verbinden Sie mich mit Majorin Sarsa!«
20 Interessiert betrachte Damen Ree den Torpedo. »Sind Sie sicher«, fragte er, »daß das Ding funktioniert?« Ratlos breitete Major Glick die Hände aus. »Ich habe keine Ahnung, Sir. Das hängt von der Leistungsfähigkeit der sirianischen Technik ab. Ich würde wetten, daß man in die Verteidigungselektronik wenig Aufwand gesteckt hat. Die Störsysteme, die wir diesem Schätzchen eingebaut haben, sind ziemlich kompliziert.« Ree schabte sich am Kinn, während er sich die große Metallröhre näher besah. Im wesentlichen handelte es sich lediglich um einen von einem Stasisfeld umhüllten Antimateriegenerator. Um das Geschoß zu improvisieren, hatte man den Maschinenraum der Projektil zu einem erheblichen Teil ausschlachten müssen. Es beanspruchte sehr viel Platz, um es bis zum Einsatz zu lagern, war ein ganzer Hangar erforderlich. Auf das Vorderteil der Konstruktion hatte jemand ein riesiges, meisterhaft ausgeführtes Bild einer Spinne mitten im Sprung gemalt, wie sie die Beine spreizte, um ihre Beute zu packen. Der Rachen klaffte, entblößte zwei große Reißzähne, die von Gift troffen. Ree dachte sich, daß der Torpedo, wenn in seine Technik gleich viel Talent eingeflossen war wie in die Bemalung, ihnen zweifellos den Sieg garantieren müßte. Falls nicht, wußte Spinne sicherlich wenigstens die künstlerische Bemühung zu würdigen. »Kommu, verbinden Sie mich mit Obristin ben Achmad.« Er blickte auf, als ihr Konterfei auf dem Bildschirm erschien. »Ich glaube, wir sind soweit. Möchten Sie die Operation noch einmal mit mir durchsprechen?« Maya schüttelte den Kopf. »Nein, Damen, es ist alles
völlig klar. Wir fliegen einen Angriff mit dreißig Ge Beschleunigung und durchqueren den Wirkungsbereich der Gravitationsquelle. Wir hoffen, daß Ihre Schutzschirme halten werden, obwohl Sie Ihren Maschinenraum so gut wie demontiert haben, um den Torpedo zu bauen, und der Rest von uns zieht soviel Feindfeuer wie möglich auf sich.« »Hoffen wir bei Spinne, daß alles klappt«, murmelte Ree vor sich hin und wünschte, er hätte einen Propheten an Bord, der ihm eine der für ihresgleichen typischen, hochgradig ärgerlichen Belehrungen erteilen könnte. »Es kann jederzeit losgehen, Damen«, sagte Maja. »Also gut.« Ree hob die Schultern. »Glick, zurück in den Maschinenraum. Sie müssen mir das Ding auf ‘n Weg schicken.« Rees Blick streifte ein letztes Mal den häßlichen Torpedo. »Herrgott, ich hoffe, das Ding fliegt uns nicht um die Ohren, wenn wir den Zünder scharfmachen.« »Ich auch, Sir«, meinte Glick, indem er sich auf den Weg zum Reaktorraum machte. Mit dem Lift fuhr Ree zur Kommandobrücke. Auf den Monitoren der Außenbeobachtung sah er, wie die übrigen Schlachtschiffe in die Richtung des Planeten beschleunigten. Der Verband bildete eine Formation, an deren Spitze Viktoria und Toreon standen; die Projektil flog in der Mitte, während die Miliken am Schluß folgte. Damit gab der hintere Teil der Formation ihre schwächste Stelle ab. Falls die Attacke mißlang, mußte die Miliken das stärkste feindliche Feuer abbekommen. Verlief der Angriff planmäßig, vernichtete der Torpedo eines der sirianischen Schiffe, legte seine Antimaterie-Störstrahlung die Zielcomputer der zwei anderen sirianischen Schiffe lahm. In diesem Fall käme die Miliken ungeschoren davon; im ersteren Fall dagegen könnte sie es als großes Glück bezeichnen, wenn es ihr gelang, sich dem Gegner zu entziehen.
Nun blieb nichts anderes mehr übrig, als zu warten. Sobald sie in den Einsatz flogen, konnten sie nichts unternehmen, bis sie in Schußentfernung gelangten. Schon bei ihren ersten Manövern hatten auch die Siria-ner eine Formation zu bilden angefangen. Doch Ree hatte keineswegs damit gerechnet, daß die sirianischen Offiziere schliefen. »Tony?« rief er. »Hat die Kommu in bezug auf diese geheimen Bruderschaftsdateien was festgestellt?« »Jawohl, Sir. Sie sind tatsächlich vorhanden, genau wie Rita es gesagt hat. Ohne sie hätte nie jemand herausgefunden, daß in der guten, alten Projektil derartige Informationen versteckt sind.« »Hat Glick sie sich schon angeschaut?« »Nein, Sir. Er ist zu stark mit dem Torpedo beschäftigt gewesen. Und das gilt nicht bloß für ihn, sondern für alle Techniker.« Ree saugte an der Unterlippe. »Geben Sie ihm nach dem Einsatz — vorausgesetzt, daß wir ihn überleben — sofort eine Kopie der Daten, er soll mal sehen, was er damit anfangen kann. Vielleicht finden wir darin ‘ne Methode, wie sich Van Chows Schutzschirme durchdringen lassen.« »Zu Befehl, Sir.« Gewohnheitsmäßig orderte Ree sich einen Becher Kaffee, trank davon, während er seinen Schutzpanzer anlegte. Die üblichen Checks hatten für ihn den Eindruck des Routinemäßigen; er hatte dabei eher das Gefühl, eine althergebrachte Tradition zu pflegen. Auf einem Bildschirm sah er den leblosen, zerstörten Rumpf der Bruderschaft. Beiläufig fragte sich Ree, was aus den Überlebenden geworden sein mochte. Falls Glicks Reaktor ebenfalls versagte, würden sie es bald erfahren. »Noch zwanzig Minuten bis zur maximalen Kampfentfernung, Oberst«, rief Neal Iverson ihm von der Seite zu. »Ich habe Kontakt zu den Bodentruppen, Sir. Majorin
Sarsa meldet gleichzeitige Angriffe auf sämtliche sirianischen Bastionen des Landungsgebiets. Die ST fliegen Luftunterstützung, was das Zeug hält, Sir. Unsere Truppen unterbrechen die feindlichen Nachrichtenverbindungen und demolieren alles, was ihnen vor die Knarren kommt.« »Hervorragend!« Zufrieden nickte Ree. »Wir wollen hoffen, daß sie einen Teil der feindlichen Aufmerksamkeit von uns abziehen.« Er schaute hinauf zu der Spinnendarstellung auf der Deckenverkleidung. Im Vergleich zu der prächtigen Malerei auf dem Torpedo machte sie wenig her, aber sie war von Leeta gezeichnet worden, sie stammte von ihr; sie hatte damit dem Schiff eine Art von Segen gesichert. Ree trank Kaffee, behielt die Monitoren im Auge. Nur noch kurze Zeit bis zum Zusammenprall. Fast war es soweit. Man sah die Blasterstrahlen der sirianischen Raumschiffe in die planetare Atmosphäre hinabsengen. Doch die Entlastung der Bodentruppen stand unmittelbar bevor. Allerdings würde der Gegner unglücklicherweise dann die Blastergeschütze auf ihn und seine geliebte Projektil richten. Die Kapazitäten des Schlachtschiffs waren in beträchtlichem Umfang vermindert worden, um den Antimaterie-Sprengkopf für den Torpedo improvisieren zu können, der dem Geschoß eine solche Gefährlichkeit verlieh. Das Erzeugen und Isolieren von Antimaterie war eine höchst diffizile Angelegenheit. »Viktoria und Toreon haben Feindkontakt, Sir«, ertönte von der Seite Neals ruhige Stimme. Ree sah, wie die mörderischen sirianischen Blasterstrahlen über die Schutzschirme der beiden Patrouillenschiffe waberten. Die Schlachtschiffe boten einen grellen, prächtig-bunten Anblick oszillierender Regenbogenfarben, während ihre Schutzschirme die fürchterlichen Todesstrahlen absorbierten und abwehrten. Der Abstand war noch zu groß, über diese Entfernung hinweg verloren die Blasterstrahlen zuviel Energie.
Doch indem die Distanz schrumpfte, wurde die Lage ernster. Dann würden die bereits erhitzten SchutzschirmGeneratoren allmählich überlastet. Die Schirmfelder konnten sich verformen, Abschnitte des Schiffsrumpfs entblößen. Blasterschüsse konnten von da an die Hülle durchschlagen, Decks würden aufbersten und Dekompressionen stattfinden, Menschen müßten sterben. Gleichzeitig erhielten die Sirianer jedoch, obwohl sie über diese Entfernung hinweg kaum Aussichten hatten, bei den Patrouillenschiffen Wirkungstreffer anzubringen, dazu Gelegenheit, Beschleunigungswerte und Kurs der Schlachtschiffe zu messen und die Daten ihren Zielcomputern einzuspeisen; dadurch ermöglichten sie ihren Geschützbatterien eine zuverlässigere Zielverfolgung. »Maschinenraum«, rief Ree, »halten Sie sich bereit zum Torpedoabschuß. Schwenken Sie den Torpedo aus!« »Jawohl, Sir«, rief eine Stimme zurück. >»Spinnes Rache< ist außenbords geschwenkt, Sir.« >»Spinnes Rache?<« wiederholte Ree. »Äh ... So nennen hier manche Techs das Ding, Sir.« Deutlich hörte man der Stimme Verlegenheit an. »Hoffen wir, Techniker, daß es seinem Namen Ehre macht.« »Die Viktoria ist angeschossen, Sir«, rief Neal. »Ich beobachte Gasaustritt infolge Dekompression der Decks Sieben und Acht. Die vorderen Schutzschirme der Toreon sind überlastet, aber halten noch. Unsere Zielcomputer sind justiert.« »Dann fangen Sie mit dem Countdown an!« Violette Strahlbahnen haschten nach den geschwächten Schutzschirmen der Projektil. Die Viktoria wechselte den Kurs, lenkte den Großteil des feindlichen Feuers auf sich, die verräterischen Dunstfahnen der Dekompression wehten ihr fast wie ein Kometenschweif nach. In der
Weltraumkälte kristallisierten Gase und Dämpfe. Alles nicht fest Installierte, etwa Kaffeebecher, Papier, Einrichtung, Utensilien — und Menschen, stob durch die unregelmäßigen Einschußlöcher im Rumpf hinaus, blieben hinter dem weiter in Beschleunigung befindlichen Raumschiff zurück. »Zehn«, begann Neals Stimme mit dem Countdown. »Neun ... acht...« Wie gebannt haftete Rees Blick auf der Bildfläche, die den Torpedo zeigte. »Drei... zwei... eins. Torpedo ausgeklinkt.« In achtzig Sekunden sollte Glick den Schalter zwecks Fernaktivierung des Zünders umlegen. Falls der provisorisch zusammengebastelte Antimaterie-Sprengkopf funktionierte, die Sirianer den Torpedo nicht zerschossen, nicht durch elektronische Störmaßnahmen die Lenk- und Zündvorrichtungen unbrauchbar machten, sie ihn vielleicht als durch ihren Blasterbeschuß abgetrennten oder abgebrochenen Schrott betrachteten, mochte es sein, daß es der Projektil gelang, das Blatt zu wenden. Damen Ree zuckte zusammen, fing nicht nur innerlich, sondern beinahe auch körperlich zu beben an, als die Projektil in die Schußweite der Hiram Lazar gelangte. »Feuer!« befahl Ree. Er hatte für einen schwerpunktmäßigen Einsatz der verringerten Schiffsbewaffnung vorgesorgt: Es schossen wenige Batterien, dafür allerdings mit voller Energiezufuhr. Für den Einsatz aller Geschütze waren zu viele Kabel entfernt und dem Torpedo eingebaut worden. »Der Zünder in >Spinnes Rache< ist scharfgemacht, Sir«, gab Major Glick durch. »Wenigstens ist er nicht explodiert, als ich den Schalter betätigt habe.« »Schadensmeldung, Sir. Treffer in sämtlichen Decks. Dekompression in Decks Zwei und Vier.« Neals Stimme ließ sich nicht einmal der Anflug eines Zitterns anhören. Zum Nachteil der Bugblaster leitete Ree den Schutzschirmen erhöhte Energie zu. Er konnte sich vorstellen,
wie die Kanoniere über seine Entscheidung schimpften und fluchten. »O nein!« schrie Neal plötzlich. »Sie schießen auf den Torpedo.« »Kurskorrektur«, rief Ree. Er konnte erkennen, daß zwei Bordblaster der Helk ihr Feuer ausschließlich auf den Torpedo konzentrierten. »Kurs auf die Helk! Alle Blaster die Helk unter Beschüß nehmen! Wir werden’s den Kerlen zeigen.« Ree verstärkte wieder die Energiezufuhr der Blaster, sich dessen bewußt, daß er die Aggregate des Maschinenraums überforderte. Er sah die Schutzschirme in derselben Sekunde erlöschen, als Neal ihm ihren Ausfall meldete. Dadurch erhielten die Blaster um so mehr Energie, und für einen kurzen Moment hatten die Patrouillenangehörigen das Vergnügen, die Schutzschirme der Helk flackern und zusammenbrechen zu sehen. Eine Wolke aus Gas und Trümmern brodelte aus dem Rumpf der Helk, bevor die Blasterstrahlen der Projektil verflimmerten, die Geschütze endgültig versagten; doch zumindest hatten sie einen letzten, sehr wirksamen Treffer erzielt. Nun war das Raumschiff wehr- und schutzlos, und Ree befahl abzudrehen. Nichts geschah. »Glick! Was ist los?« »Die Stasisfelder werden schwächer, Oberst.« Glicks Stimme klang nach erzwungener Gefaßtheit. »Ich fahre auf halbe Kraft runter. Es muß sein ... Oder uns geht in wenigen Minuten die Antimaterie hoch.« »Na schön. Maschinenraum, schalten Sie den Antrieb ab. Unsere Geschwindigkeit ist für diesmal hoch genug, und wir haben getan, was wir konnten.« Ree spürte, wie sich sein Magen Zusammenkrampfte. Im gleichen Moment, als er erneut an die feindlichen Blaster dachte, sah er einen Strahl auf die Projektil zusausen. »Spinne«, knirschte er leise, ein widerliches
Sodbrennen im Leib, »wenn du Gott bist, dann laß den Torpedo funktionieren!« * * * »Beschleunigen!« befahl Ngen Van Chow. »Sie sind schwer angeschlagen. Die Waffen sind ausgefallen. Die Schutzschirme sind dahin. Der Energiepegel steht fast auf Null. Ich will dieses Schiff haben!« »Anfrage von Helk und Dastar, Sir.« An der Kommu blickte Giorj auf. »Sie fragen, ob sie Flankensicherung fliegen sollen. Allerdings ist die Helk, wie ich erwähnen muß, beschädigt worden.« »Es muß jemand im Orbit bleiben. Mein Befehl lautet, den Vormarsch der Patrouillen-Bodentruppen zum Stehen zu bringen.« Ngen runzelte die Stirn, während er beobachtete, wie die anderen Patrouillenschiffe beschleunigten, aus der Reichweite der sirianischen Waffen flohen. Die Taktik hatte gewirkt. Er hatte die Projektil abgeschlagen, Girojs Batterien hatten das Schiff schwer beschädigt. Die Hiram Lazar akzelerierte mit 20 Ge. In einer Stunde und zwanzig Minuten müßte sie das Patrouillenschiff einholen. »Und wenn es eine Falle ist?« meinte Giorj. »Dann muß sie uns auf ganz brillante Weise gestellt worden sein.« Ngen prustete vor Heiterkeit. »Beim ersten Angriff hat die Projektil mit uns den längsten Schußwechsel geliefert. Ist Ihnen aufgefallen, wo sie ihren Platz in der Formation hatte? Sie war in der Mitte, Giorj. Die anderen Schlachtschiffe wollten sie decken. Offenbar hat man gehofft, uns so stark zusetzen zu können, daß das mittlere Schiff möglichst weit geschont wird. Der Gegner kann zwar bedeutende Feuerkraft aufbieten, aber nur zu Lasten seiner Schutzschirme, verstehen Sie? So sind nun mal die taktischen Realitäten des Raumkriegsführung.« Ngen empfand höchste Zufriedenheit mit sich selbst. Nun
hatten sie die Möglichkeit, ein zwar beschädigtes, wahrscheinlich jedoch reparables Schlachtschiff der Patrouille zu erbeuten. Die Bruderschaft war, als sie in sirianische Hand fiel, schon ein Wrack gewesen. Die Projektil würde man instandsetzen und zudem in ihren Datenspeichern die Bruder-schaftsgeheimnisse finden können. Ngen Van Chow begann auf der Kommandobrücke hinund herzustapfen, wartete ab, während sie dem Patrouillenschiff langsam näherrückten. »Jetzt ist es soweit, daß wir auf Tricks achten müssen.« »Eine Funkausstrahlung des Patrouillenraum ...« Da blitzte hinter der Hiram Lazar eine blendend-weiße Explosion von Licht und Strahlung. »Was war das?« fragte Ngen, sah an den Monitoren, daß die Optiken sich befilterten, um die Emissionen zu kompensieren. Giorj ließ die Aufnahme der Explosion auf einem Bildschirm wiederholte Male laufen, jedesmal in langsamerer Zeitlupe; währenddessen betrachtete er die Anzeigen der Computeranalyse. »Materie-Antimaterie-Reaktion, Erster Bürger.« Mit ausdrucksloser Miene blickte er Van Chow an. »Die Dastar befindet sich nicht mehr im Orbit.« Ngen schaute auf die Monitoren, während starke Strahlungsschübe die Hiram Lazar umschwirrten. Tatsächlich war jenseits der planetaren Atmosphäre, wo sie außerhalb der gegnerischen Reichweite schwebte, nur noch die Helk zu erkennen. Als Giorj die Helk anzufunken versuchte, knisterte nur Statik aus den Lautsprechern. »Infolge der Explosion fliegen jede Menge Trümmer durch die Umgebung«, sagte Giorj. »Es wird eine Weile dauern, bis die Materiereste sich verstreut haben.« Ngen schloß die Augen, atmete tief ein. Der Gegner hatte seine Flottile um ein Drittel verkleinert — durch irgendeine Art von Antimateriegeschoß, das niemand
kommen gesehen hatte. Er nahm im Kommandantensessel Platz und starrte auf den Monitor, von dem sich die Distanz zu dem beschädigten Patrouillenschiff ablesen ließ. »Ein Schiff haben sie mir vernichtet«, murmelte er vor sich hin. »Jetzt hole ich mir eins von ihnen.« Das zähe Verstreichen der Minuten zermürbte seine Nerven. Auf den Bildschirmen schien das Patrouillenschiff nur unendlich langsam größer zu werden. Ngen ging auf und ab, behielt aber den Monitor unter Beobachtung. Längs des versengten Rumpfs des Schlachtschiffs konnte er schwach die Beschriftung PROJEKTIL P-8 erkennen. Die Projektil war ein altes Schiff. Sie stand seit vielen, vielen Jahren in Patrouillendiensten. Kein Wunder, daß sie Geheimnisse der Bruderschaft mit sich umhertrug. Mittlerweile konnte Van Chow dank der verringerten Entfernung die Einschußlöcher unterscheiden, die seine Blaster in das Raumschiff gebrannt hatten. Vorher war es strahlend-weiß gewesen; jetzt sah es stark in Mitleidenschaft gezogen aus, an den Seiten verliefen Rußstreifen entlang, die entstanden waren, als sie während der erlittenen Dekompressionen beschleunigte. Wie ihm bereits bei der Bruderschaft aufgefallen war, hatte auch dieses Raumschiff schon vor dem Angriff auf Sirius Gefechtsschäden davongetragen gehabt. Beide Schiffe waren in den Kampf um Atlantis verwickelt, beide schon vor der Ankunft im Siriussystem geschwächt gewesen. Wie könnte er daraus, überlegte Van Chow, für sich einen Vorteil machen? »Oberst Damen Ree«, flüsterte Ngen, »der Held von Atlantis ... Giorj, verbinden Sie mich mit dem Oberst.« Sobald der Kontakt hergestellt war, der Bildschirm aufleuchtete, blickte Ngen in das kantige Gesicht Oberst Rees, das er aus Leeta Dobras Funksendung kannte. »Meinen Gruß, Oberst.« Ngen grinste. »Möchten Sie mir die Ehre Ihrer Kapitulation erweisen?«
»Keinesfalls«, erwiderte Ree ihm mit nachdrücklicher Betonung. »Es wäre eine Schande, Ihr Schiff mitsamt der ganzen Besatzung zu vernichten, Oberst. Sie wissen doch bestimmt, daß Sie keine Verteidigungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung haben. Ist Ihnen Ihr altmodischer Ehrbegriff so viele Menschenleben wert?« Ngen setzte eine hündische Miene falscher Kameradschaftlichkeit auf. »Wir sind der Ansicht, dazu stehen zu müssen.« Ree grinste kämpferisch. »So einfach schmeißen wir nicht alles hin, Van Chow. Wir haben gelernt, daß das Leben ausschließlich zu unseren, nicht zu fremden Bedingungen akzeptabel ist.« »Na gut.« Ngen wandte sich vom Monitor ab. »Giorj, ich glaube, wir haben genug Energie, um sie mit uns zu lotsen. Magnetisieren Sie den Rumpf der Projektil und nehmen Sie sie in Schlepp.« Er nickte Ree zu. »Oberst, mir fehlt die Zeit für Faxen. Gegenwärtig brauche ich Sie dringender als lebende Geiseln und weniger als tote Helden. Ihren Rumpf werden wir knacken, wenn uns wieder mehr Zeit bleibt.« Er trennte die Verbindung, sah Giorj an. »Also, Ingenieur, welche Streiche könnten sie uns spielen?« Giorjs stumpfe Augen erwiderten seinen Blick. »Es wäre möglich, genug Antimaterie für eine Reaktion zu generieren, um den gleichen Trick anzuwenden, mit dem sie bei Atlantis die Romananer gerettet haben.« »Können Sie das verhindern?« »Selbstverständlich. Das heißt, ich kann’s, wenn das Schiff nach demselben Schema wie die Bruderschaft gebaut ist. Ich muß zwei Bordblaster einsetzen. Es dürfte nicht länger als fünf Minuten dauern.« »Kümmern Sie sich darum.« Ngen nahm wieder im Kommandantensessel Platz. Giorjs gezielter Beschüß beanspruchte keine drei Minuten. Luft wallte aus den Löchern, die er in die Projektil feuerte. An Bord des Schlachtschiffs erloschen nahezu sämtliche Funktionen.
»Es sind jetzt keine für die Aufrechterhaltung des normalen Betriebs erforderlichen Stromkabel mehr intakt«, erklärte Giorj. »Der Reaktor läuft natürlich noch, aber sie müßten ein zusammenhängendes Kabelnetz haben, um ihn benutzen zu können.« Mit dem Finger zeigte Giorj, während er seine Erläuterungen abgab, auf eine ausgedruckte, schematische Übersicht der Schiffskonstruktion. »Der Rumpf ist magnetisiert.« Er hob den Blick, ließ ihn über die Monitore wandern. »Steuerzentrale, langsam voraus, Kurs null Punkt zwo.« Zufrieden nickte Ngen Van Chow, während Giorj den kürzesten Rückflugkurs zum Sirius festlegte. Die Vorgänge auf dem Hauptmonitor beherrschten Ngens Gedanken vollständig, er kaute auf der Lippe, weil ihn die Nähe eines Schlachtschiffs, das ihn vielleicht doch noch mit ins Verhängnis reißen könnte, nervös machte. Aber Ree würde nicht das Leben seiner Besatzung opfern, solange er sich in treffsicherer Reichweite der Blastergeschütze eines intakten Raumschiffs befand — oder doch? Die drei übrigen Patrouillenschiffe hatten sich weit über Gefechtsentfernung zurückgezogen. Der Patrouillenverband war zur Hälfte vernichtet worden, wogegen Van Chow lediglich ein Drittel seiner Flottille eingebüßt und zudem ein Schiff erbeutet hatte. Die Schlacht im Weltraum nahm einen ausgezeichneten Verlauf. * * * Damen Ree hockte im trüben Glanz der Notbeleuchtung und zermarterte sich das Gehirn. Die Sirianer hatten ihn gekascht. Obendrein kannte irgendwer auf Van Chows umgebautem Transporter sich mit Patrouillenraumschiffen aus. Offenbar hatte ein sehr tüchtiger Techniker sich das Wrack der Bruderschaft gründlich angesehen.
»Verbindung zu Obristin ben Achmad steht, Sir«, teilte ihm Neal mit. »Wie ist die Lage, Damen?« »Wir mußten die Lebenserhaltungssysteme aktivieren. Der Halunke hat uns das Kabelnetz zum Großteil zerschossen, er wußte genau, was er tat. Passen Sie bloß auf, Maya. Der Reaktor läuft mit Minimalstärke. Ansonsten geht’s uns nicht allzu übel. Die Besatzung und ich sitzen im Schutzpanzer herum, einige in dekomprimierten Sektionen, wir warten aufs Kommende. Anhand der Computer hat Neal errechnet, daß wir in sechs Stunden im Orbit sein werden. Die Magnetisierung des Rumpfs wirkt sich natürlich insofern nachteilig aus, als sie die Computer recht unzuverlässig macht.« »Und was wollen Sie jetzt unternehmen?« »Mein Schiff retten, Maya«, brummte Ree. »Wenn er’s in Atome zerblastert, ist er der Gewinner. Bis es dahin kommt, werden wir kämpfen und siegen oder sterben, oder wir nehmen den Dreckskerl, falls wir’s schaffen, den Reaktor neu zu verkabeln, mit in den Tod.« »Damen, ich will eins sagen ...« — Statik knisterte dazwischen — »... sind ein ganz verteufelter... werde Ihre sture Rübe vermissen. Wir werden bis zum ...« Der Rest blieb aus. »Vielen Dank, Maya, falls Sie mich noch hören können. Ich habe Sie immer für eine der Tüchtigsten von uns gehalten. Für den Fall, daß wir uns nicht wiedersehen, danke ich Ihnen für alles. Befassen Sie sich an meiner Stelle ‘n bißchen mit der Zukunft der Menschheit.« Versonnen saß er da und starrte den dunklen Monitor an. »Wissen Sie, sie ist wirklich in Ordnung.« »Eine gute Kommandantin«, stimmte Neal zu, der im fahlroten Licht einen besonders abgespannten Eindruck machte. »Tja, na schön, wenigstens haben wir Van Chow gegenüber einen Vorteil«, stellte Ree schließlich fest.
»Ich bin ganz Ohr, Sir.« Neal hob den Blick. «Ich bezweifle, daß er uns entern und das Schiff besetzen kann. Im direkten soldatischen Kampf unter NullG-Bedingungen sind wir die Besseren. Wir verfügen reichlich über alle Arten von Handwaffen und kennen unser Schiff in- und auswendig. An die Arbeit, Neal! Kooperieren Sie mit Glick. Überlegen Sie, wo er uns am wahrscheinlichsten zu entern versuchen könnte, dann verminen Sie diese Sektion, installieren Sie alle erdenklichen Fallen, veranlassen Sie, daß jeder Quadratzentimeter verteidigt wird. Sollen sie ruhig kommen — sie werden’s schwer mit uns haben!« Neals grimmiges Lächeln sagte genug, ohne daß es weiterer Worte bedurfte. Ree konnte auf den Rückhalt der Besatzung bauen. Sie würde die Projektil nicht im Stich lassen. Das Schicksal des alten Mädchens lag in guten Händen. Ein sirianisches Raumschiff hatten sie vernichtet. Ree schaute die Spinnendarstellung auf den Abdeckplatten über dem Kommandantensitz an, und da er nichts anderes zu tun hatte, kramte er einen Stift heraus und fing an, sich ein ähnliches Bild aufs Brustteil seines Schutzpanzers zu malen. »An alle Besatzungsmitglieder der Projektil«, rief er in die Kommu. »Hier spricht der Oberst. Man wird uns demnächst entern. Wenn es soweit ist, denkt an das Vorbild, das uns die Romananer gegeben haben. Sie haben uns die Bedeutung der Freiheit und das Kämpfen gelehrt. Wir sollten uns als ihnen ebenbürtig erweisen.« In den Decks, die noch Luft enthielten, brach Jubel aus. Patrouillensoldaten, Matrosen und Techniker checkten Blaster, verbarrikadierten Korridore, legten Bomben und verstärkten Trennwände mit Panzerplatten, bereiteten das Raumschiff zur Verteidigung vor. In Deck Sieben hockte Willy Roter Falke Pferdefänger im Dunkeln neben einem halb zerschmolzenen Schleusentor und zitterte. Nicht die geringste Wärme blieb in seinem Winkel zurück. Doch jedesmal, wenn ihm dermaßen
kalt war, daß er ernste Anzeichen der Unterkühlung zu spüren begann, drehte die Schleuse sich wieder der Sonne zu, und die Temperatur stieg zu unerträglicher Hitze an, so daß ihm der Schweiß ausbrach. Danach fing alles wieder von vorn an. Wie lange ging es schon so? Mehrere Stunden? Er konnte den Planeten ständig größer werden sehen, runder, schöner. Pferdefänger prüfte den Stand seines Sauerstoffvorrats. Der Tank, den er dabei hatte, war noch halb voll. Das war gut, er würde damit, falls er nicht vorher erfror, noch zehn Stunden auskommen. Er merkte, wie sehr ihn vor allem die Kälteperioden mitnahmen, jede schwächte ihn mehr als die vorangegangene. Nach einer Zeitspanne, die er nahezu wie eine Ewigkeit empfand, fiel Willy, während er vor Kälte vor sich hinbibberte, plötzlich auf, daß sich an dem sirianischen Raumschiff eine Luke geöffnet hatte. Ein kleines, bewaffnetes Raumfahrzeug schwebte heraus und entfernte sich von der Hiram Lazar. Willy stieß sich ab und sprang. Jetzt oder nie, der Augenblick zum Handeln war da. Er hoffte bei Spinne, daß die Sirianer nicht erst schossen, statt Fragen zu stellen. Welche Treue schuldete Willy Roter Falke Pferdefänger einem Mann, der ihn als ungehorsam beschimpfte, die Überlieferungen des Volkes verhöhnte und ihn so lange — wie einen Gefangenen — in der Med-Einheit hatte herumliegen lassen? Er hatte sich für einen Weg über die Leiche und zum Coup des Sternenhäuptlings entschieden. Damen Rees kurzes Haar sollte an seinem Gürtel hängen. Und ebenso — wenn die Sirianer gesiegt hatten — das Haar Freitag Garcia Gelbes Beins und dieses elenden Weibsstücks Susan; sie beabsichtigte er allerdings am Leben zu halten, ihr kahler Schädel sollte sie daran, wer ihr Herr und Meister war, immer erinnern. Als er zur Schleusenöffnung hinaussauste, begann er zu trudeln. Er geriet in Panik, vor Furcht außer sich, stram-
pelte und zappelte er in der Nullschwerkraft. Er hatte angenommen, es wäre nur ein normaler Weitsprung erforderlich; doch in derselben Sekunde, als er die Wirkungszone der Gravo-Kompensatoren verließ, bäumte sich sein Magen auf, er verlor den Gleichgewichtssinn, das Gefühl für oben und unten. Er wand und krümmte sich, jedoch vergeblich, er kreiselte hilflos durchs Vakuum. Als sein Magen den Inhalt an die Innenseite der Helmscheibe entleerte, schrie Willy Roter Falke Pferdefänger, würgte an dem dünnflüssigen Erbrochenen, das ihm in Augen und Nase brannte. Er schnappte nach Luft, schrie noch einmal, als sein Magen sich heftig nochmals umstülpte. Er prustete, saugte einen zweiten Mundvoll Kotze in die Lungen. Den Greifarm, der sich zehn Minuten später um sein Bein legte, fühlte er nicht mehr. Er merkte nicht, wie er in das kleine Raumfahrzeug geladen wurde. Willy Roter Falke Pferdefänger war am eigenen Mageninhalt erstickt. * * * Maya schluckte, rang mit einer Aufwallung widerwärtigen Unwohlseins, während sie ihre Beachtung den Bildschirmen widmete; ein Monitor zeigte die Auseinandersetzung um die Projektil, weitere Monitoren zeigten die Gesichter der anderen Kommandantinnen. Zum Glück verfügte Van Chow über keine Sturmtransporter. Inzwischen hielt Ree seit einem vollen Tag aus. In der Hochauflösung konnte sie die Leichen sehen, die die Projektil umschwebten. Unaufhörlich pendelten Van Chows Shuttles zwischen der Hiram Lazar und der Projektil hin und her. Wie lange mochte es noch dauern, bis Van Chow entschied, daß der Preis zu hoch war, den er zollen mußte, und das alte Schlachtschiff zu Schlacken zer-blasterte? »Was mich betrifft, muß ich sagen, ich bin erleichtert«, drang Tobys Stimme aus der Kommu.
»So?« fragte Maya tonlos, richtete den Blick auf den Kommu-Monitor. »Unser Verband ist auf drei Schiffe geschrumpft. Oder ist Ihnen das noch nicht aufgefallen? Nicht nur das, dort unten kämpfen und sterben unsere Kameraden, während wir völlig ratlos hier im All hängen und nichts anderes zustandebringen, als ein Schiff nach dem anderen zu verlieren. So jämmerlich war mir nicht zumute, seit...« »Kameraden?« schnob Toby geringschätzig. »Ich hatte sowieso längst meine Befehle, Maya. Nach Sirius’ Einnahme sollten Jaischa und ich die Projektil besetzen und die Romananer zur Schleuse hinauswandern lassen. Die Zustände im Direktorat sind zu anfällig, als daß wir ...« »Sie hatten was?« Maya fuhr aus dem Sitz hoch. »Sie meinen, das wasserköpfige Scheusal hat sein Wort gebrochen? Ich habe sein Versprechen selbst gehört. Er hatte offiziell zugesagt, daß ...« Jaischa straffte sich zu voller Körpergröße. »Wie haben Sie den Direktor genannt?« »Sie haben’s doch gehört«, fauchte Maya. »Er hat gelogen! Ich war dabei, ich weiß, welches Versprechen von ihm abgelegt worden ist. Er hat sein Wort gegeben ...« »Einem Piraten!« schnauzte Jaischa. »Ree ist zum Verräter am Direktorat geworden. Er hat gegen seinen Treueschwur verstoßen, seinen Eid, der ihn zum Dienst in der Patrouille und zur Einhaltung ihrer Traditionen verpflichtete! Sie können doch unmöglich der Auffassung sein, daß er...« »Das kann ich, verdammt noch mal, sehr wohl«, widersprach Maya in eisigem Tonfall, musterte die beiden anderen Frauen bitterbösen Blicks. »Ach, was für eine glorreiche Patrouille sind wir geworden! Ein zwei Bit schlauer sirianischer Ganove vernichtet unseren halben Flottenverband. Barbaren können einen Planeten unterwerfen, zu dessen Eroberung wir unfähig sind. Als einziger hat Damen einen Erfolg gegen die sirianische Flot-
tille zu verbuchen, und während er um sein Leben kämpft plant der Direktor mit seinen Kollegen Ree zu liquidieren, falls er doch siegt.« Sie spie zwischen ihre Füßen aufs Deck. »Das ist für den Direktor, Obristinnen!« Geraden, aufrechten Gangs verließ sie die Kommandobrücke, blieb unterwegs nur kurz stehen, um die Spinnendarstellung anzuschauen, die jemand auf die Panzertür gemalt hatte. * * * »Wie können wir kapitulieren?« erkundigte sich ein feister Sirianer per Kommu. »Wir können nicht länger gegen eure Propheten Krieg führen. Aller Widerstand ist sinnlos. Welche Chance haben wir, wenn ihr die Zukunft kennt?« Er breitete die Arme aus. »Was sollen wir tun? Wie können wir verhindern, daß eure barbarischen Romananer über uns herfallen?« Eisenauge kratzte sich, ein Bein gegen die Konsole gestützt, am Kinn. »Wenn ihr aufgeben wollt... wenn ihr euch auf unsere Seite stellen möchtet... dann malt eine Spinne auf euer Haus. Unter dem Zeichen Gottes werdet ihr verschont.« Eifrig nickte der Mann, sein Mehrfachkinn wabbelte. Er rang die dicklichen Hände. »Und werdet ihr uns, wenn wir uns ergeben, das Wunder eures Gottes erklären? Dürften ... dürften wir vielleicht mit eurem Propheten sprechen, der die Zukunft sieht?« »Vielleicht... wenn der Krieg vorbei ist.« Eisenauge neigte den Kopf seitwärts. »Aber ich kann dir jetzt schon sagen, daß Spinne kein Wunder ist. Spinne ist ganz einfach Gott, der Schöpfer, durch den das Universum geschaffen worden ist. Du bist ein Teil Gottes. Deine Seele ist lediglich ein Mittel Spinnes, Erfahrungen zu sammeln, zu lernen. Auch ihr Sirianer seid ein Teil seines Netzes.« Der Mann blinzelte. »Wir ein Teil Gottes? Aber das
Direktorat hat uns immer gesagt, Gott sei ein Mythos ... Opium für die unwissenden Massen. Gott bedeutet Streitigkeiten, Krieg und Leid.« Eisenauge hob die Schultern. »Na und? Entzünde ich unter dir ein Feuer, gehst du beiseite. Du änderst dein Leben und besserst dich. Zünde ich zum zweitenmal ein Feuer unter dir an, wirst du wütend und jagst mich fort. Dadurch änderst du ebenfalls deine Welt und folglich auch dich selbst. Du hast etwas gelernt.« Er runzelte die Stirn. »Nein, ich erkenne wirklich keinen Nutzen in eurem Direktorat. Wo bleibt der Anstoß für das Neue? Wenn ihr euch faul herumfläzt, lahm werdet, fett und träge, nichts Neues, nichts Wichtiges anfangt, welchen Wert haben dann eure Seelen für Spinne?« »Aber ich ...« »Das Leben hat einen Zweck!« Mit brüsker Gestik drosch Eisenauge eine Faust in die schwielige Hand. »Du mußt es nur leben, Mann! Geh hinaus und lerne, was es über deine Welt und dich zu lernen gibt! Was soll deine Seele Spinne bringen, wenn du gestorben bist? Willst du etwa vor Gott stehen und sagen: >Mein Leben war langweilig, aber angenehm. Außer zu essen, zu schlafen, zu scheißen und für Fortpflanzung zu sorgen habe ich nichts geleistete? Und wenn Gott dich fragt: >Was hast du über die Wirklichkeit erfahren? Über dich, der du ich bist?< Was wirst du dann antworten, Sirianer?« Betroffen schnitt der Mann eine trübsinnige Miene. Sein Mund zuckte, er leckte mit der Zunge über die Lippen, betrachtete seine Hände. »Nun ... ich ... ich weiß nicht. Daran habe ich noch nie gedacht. Niemals.« Freundlich lächelte Eisenauge. »Du bist noch nicht tot, mein Freund. Male eine Spinne an deine Hauswand und denke nach. Draußen spielt sich außer Krieg und Sterben nichts ab. Du kannst ruhig ein bißchen deiner Zeit für Überlegungen zu deinem Leben und deiner Seele abzweigen, über die Frage, was du Gott, wenn du’s können soll-
test, einmal darbringen möchtest. Ist ein kleiner Krieg wichtiger als solche Fragen?« Der Mann nickte, sein fleischiges Gesicht spiegelte Bereitwilligkeit. »Ja ... Ja, darüber kann ich mir mal Gedanken machen. Du ... du bist Eisenauge? Der roananische Kriegshäuptling?« »Ja, der bin ich.« »Ich ... äh ... ich habe unser Gespräch aufgezeichnet. Hättest du ... äh ... was dagegen, wenn ich die Aufnahme ein paar Freunden zeige?« Der Sirianer biß sich auf die Lippe, seine Schultern sanken leicht herab. »Ich meine ... Weißt du, es könnte vielleicht etwas dazu beitragen, den Leuten zu verdeutlichen, wer ihr Romana-ner eigentlich seid. Weshalb ihr... naja, weißt du ... weshalb ihr so wild seid.« Eisenauge lachte, er fühlte sich auf seltsame Weise belustigt. »Mir ist es gleich, was du mit meinen Worten machst. Zeige deine Aufnahmen, wem du willst. Das wirklich Wesentliche geschieht zwischen Spinne und dir. Außer wie man seine Seele nährt und speist, zählt im Leben nichts ... Was man für Gott lernt.« Der Mann bebte beinahe. »Danke, Kriegshäuptling. Vielen herzlichen Dank.« Eisenauge trennte die Verbindung, senkte den Blick, betastete seine Coups. »Wieder einer?« fragte Rita, schaute von ihrem Platz an den ST-Kontrollen herüber. »Ja.« Skeptisch betrachtete Eisenauge verkniffenen Blicks den Monitor, der das Innere des Lagergebäudes rings um ST 22 zeigte. »Alle diese Menschen gehen hungrig durch ihr Leben.« Er begann auf- und abzu-schlendern. »Es gibt hier keinerlei Herausforderung, nichts zwingt sie zum Dazulernen, zum Verbessern ihres Daseins, zu Bemühungen zur Vervollkommnung ihrer Seele. Kein Wunder, daß sie nur Schafe sind. Man hat sie für eine Existenz von Schafen abgerichtet! Wer ist eigentlich das größere Ungeheuer? Ngen Van Chow oder Skor Robinson?«
Rita schob das Kontaktron aus der Stirn, rieb sich die Augen und lehnte sich in die körpergerecht nachgiebige Polsterung des Kommandosessels. »Ich weiß es nicht. Was glaubst du, warum Leeta und ich zu euch übergelaufen sind? Wir sind ebensowenig dahintergekommen.« Ernst musterte sie Eisenauge. »John, was wirst du tun, wenn der Krieg aus ist und sie ‘n Propheten zu sprechen verlangen?« »Ich habe nie behauptet, daß wir hier einen Propheten haben.« Mit Unschuldsmiene spreizte er die Hände. »Was die Sirianer gerne glauben möchten, ist ihre Angelegenheit.« »Du wirst nicht sehr glaubhaft wirken, wenn du ihnen zu erklären versuchst, daß wir keinen Propheten bei uns haben.« Eisenauge grinste, als wäre er ein ganz schlichtmüti-ger Mensch. »So? Es ist doch gut für sie, wenn sie glauben, daß wir den Sieg einem Propheten verdanken. Schau nur, wie die sirianische Gegenwehr zusammenbricht. Inzwischen ist fast ganz Ekrania in unserer Hand. Die Geschichte mit den Propheten breitet sich wie ein Präriebrand durch die restlichen sirianischen Widerstandsnester aus. Immer mehr zivile Führer, so wie eben der Dicke, sehen in uns und unserer Magie Hoffnung. Wer bin ich, daß ich sie darum berauben dürfte?« Rita lächelte. »Naja, kann sein, du hast ihnen keinen Propheten zu bieten, aber weißt du, jedenfalls wollen sie alle mit dir reden. Allmählich habe ich ‘n Gefühl, als wäre ich ‘ne Giga-Kommu-Operatorin... oder deine Privatsekretärin. Vielleicht solltest du lieber ‘n unteren Dienstgrad an den Apparat setzen, der von nun an die Anrufe für dich annimmt, statt ‘ne Majorin mit den Aktivitäten deines Fanclubs zu belasten.« >»Fanclubs?<« »Figuren wie der Fettsack vorhin ... Alle die sich da-
nach drängen, schleimig in der Nähe deiner zerschrammten Heldenerscheinung Schutz zu suchen. Die Leute, die in dir ‘ne Art von übermenschlichem Heilsboten zu sehen beginnen.« Eisenauge lachte und holte tief Luft. »Einige Gefangene haben verlangt, sich den romananischen Streitkräften anschließen zu dürfen. Sie sagten, sie wollten gemeinsam mit unseren Kriegern marschieren und Coups gewinnen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann’s nicht begreifen.« Rita drehte das Kontaktron zwischen den Fingern, betrachtete zerstreut den Monitor-Bildschirm. »Es wird noch schlimmer, soviel kann ich dir voraussagen. Es handelt sich um eine merkwürdige psychische Reaktion, die häufig bei Leuten auftritt, die alles verloren haben. Eure eigenen Vorfahren auf der Erde haben sich, als die Weißen sie unterjochten, genauso verhalten. Sie ordneten sich in Massen der Lebensart der Weißen unter und glaubten, sie könnten dadurch etwas von der Macht abkriegen. Offenbar glauben Menschen, die nachhaltig geschlagen werden, daß mit ihrem System etwas entscheidendes nicht stimmt, dagegen mit dem des Siegers Wunder gewirkt werden können. Es wird nicht mehr lange dauern, und sie skandieren in den Straßen deinen Namen.« Eisenauge zuckte die Achseln. »Kann sein. Währenddessen sollten wir uns mit der endgültigen Besetzung Anglas und des gesamten restlichen Kontinents befassen.« »Du möchtest wieder an die Arbeit, hä?« fragte Rita launig. »Das habe ich schon befürchtet. Ich hätte dich auf Welt und weiter Pferde stehlen lassen sollen. Dann hätte ich erheblich mehr Freizeit.« *
*
*
Freitag Garcia Gelbes Bein warf, als er den großen Raum betrat, John Smith Eisenauge einen argwöhnischen
Blick zu. Da blieb er wie versteinert stehen, starrte die Holo-Bilder an den Wänden an. Vor ihm schien sich eine Landschaft Welts zu erstrecken: Die Bärenberge, ihr rosaroter Granit sah dermaßen wirklichkeitsgetreu aus, daß er sich vorzustellen imstande gewesen wäre, ihn unter seinen Füßen zu spüren, wäre nicht die Stinkigkeit der sirianischen Luft gewesen. Eisenauge grinste. »Ein Stück Heimat.« Freitag nickte. »Äh ... Du hast ‘n ST geschickt, um mich zu holen. Um was geht’s?« »Wenn wir hier fertig sind, schicken wir dich zurück«, versicherte Eisenauge. »An was wir gegenwärtig arbeiten, nennt man Propaganda. Wir haben was aufgenommen, das man als Werbesendung bezeichnet. Das ist... äh ... ‘ne Geschichte, die’s erleichtern soll, etwas zu verkaufen. Im Moment >verkaufen< wir uns Romananer, um Ngen Van Chow vom >Markt< zu verdrängen.« Freitag neigte den Kopf zur Seite. »Würdest du mir wohl erklären, was das bedeuten soll?« Nervös betrachtete er die vielen HoloKameras und die Techniker, die ihn aus glänzenden Augen beobachteten. Mit freundlicher Miene verschränkte Eisenauge die Arme. »Neue Methoden. Um’s in romananischen Begriffen auszudrücken, wir wollen versuchen, die Siria-ner zu überreden, uns ihre Pferde kampflos abzutreten. Äh ... Ihnen klarzumachen, daß sie die Waffen niederlegen sollen, weil Van Chow für sie schlimmer ist als wir.« Freitag schabte mit der Stiefelspitze am falschen Erdreich, sah plötzlich auf den fernen Höhen einen Bären und einen Grünen Schnitter hocken. Verdutzt blinzelte er. »He ...!« Er zeigte darauf. »Diese Tiere würden doch nie ...« »Das ist Kunst.« »So? Du hast mich mitten aus ‘m Feuergefecht geholt. Wofür brauchst du mich?« Eisenauge trat näher, gab Freitag einen Klaps auf die Schulter. »Um den Sirianern Spinne zu >verkau-
fen<. Also, sieh dir mal mich an: Ich bin ein grober Klotz, rauh, gemein und häßlich. Aber wer, Freitag, ist der bescheidenste Mensch ganz Welts? Wer erzählt in der gesamten Siedelei die tollsten Geschichten? Wer hat von allen die flinkste Zunge? Wer könnte einer Mutter den Brei ihres Kinds abschwatzen? Wer hat das größte ...?« Freitag verdrehte die Augen. »Ah ... Ich weiß nicht, ob ich ...« »Natürlich kannst du’s«, rief Eisenauge. »Es ist ganz leicht. Den militärischen Teil habe ich schon erledigt, nämlich darauf hingewiesen, wie regelmäßig jeder durch uns eingenommene Stadtteil von Van Chow zu-sammengeblastert worden ist. Das Unheil, das er dem eigenen Volk zugefügt hat, haben wir schon dokumentiert. Seine violetten Todesstrahlen gewissermaßen auf ihn selbst umgelenkt. Ich habe den unschönen Teil gemacht, aber ...« Unversehens zog er eine Miene gespielter Einfältigkeit. »Na, weißt du, ‘s ist so, alle fünf Minuten ruft irgendwer mich an. Dauernd möchte irgendein hiesiger Führer etwas über Spinne erfahren. Mir bleibt keine Zeit mehr für die Kriegsführung, weil ich ständig etwas über Seelen, Spinne und unsere romananische Kultur erzählen muß. Dann hat mich dieser Fette angerufen, und da kam mir die Idee ...« »Ich bin sicher, daß du das ganz gut allein schaffst«, rief Freitag über die Schulter und ging zur Tür. Eine schwere Hand klatschte auf seine Schulter, riß ihn herum, und er blickte direkt in Eisenauges grimmige Augen. »Dir wird es viel besser gelingen.« Mühsam schluckte Freitag. Man zog seine romananische Ledertracht aus der Tasche mit seinen Besitztümern. Krampfhaft grimassierte er, während er den verrußten Schutzpanzer ablegte und das weiche Leder überstreifte. Als man die Holo-Recor-der auf ihn richtete, trocknete seine Kehle aus, er brachte nur
ein Krächzen hervor. Mit erwartungsvollem Lächeln im Gesicht schaute Eisenauge zu, wie Patrouillentechniker Freitag vor der holografischen Wiedergabe der Bärenberge zurechtsetzten. »Ich ...«, röchelte Freitag, als er die Kontrollämpchen aufleuchten sah. »Ich ...« Unsichtbare Finger schienen sich in seine Gurgel zu krallen. »Ich ...« »Halt mal!« Eisenauge kam herüber, die Erwartung in seiner Miene war einem Ausdruck des Mißmuts gewichen. »Du mußt einfach sprechen. Weißt du, genau als ob du Kindern etwas über Spinne erzählst.« Freitag schüttelte den Kopf. »Ich bin kein ...« Verkniffenen Blicks musterte Eisenauge ihn. »Habe ich dich nicht prahlen hören, deine Medizin bestünde aus der Aufgabe, Spinnes Ruhm zwischen den Sternen zu verbreiten?« »Nun ja, ich ...« »Hast du mir nicht gesagt, Spinne hätte dich mit der erforderlichen Kraft begnadet? Daß die Aussicht, einen hohen Preis entrichten zu müssen, dich vor Entsetzen schier um den Verstand gebracht hätte? Daß du’s Spinne trotzdem geschworen hast?« Freitag erinnerte sich an den Tag, den er vor Monaten auf einem Berggipfel verbracht hatte, einem Gipfel wie dem, den jetzt hinter ihm das Holo wiedergab. Unbewußt zogen seine Fingerspitzen die Umrisse des Bilds einer schwarzen Spinne auf seinem Kriegsrock nach. »Was wünschst du?« hörte er die Stimme noch einmal. »Wer ist es, der das wünscht?« Freitag sah John Smith Eisenauge an, nickte, winkte ihn zurück. Furchtlos blickte er in die Holo-Kameras. »Ich bin Freitag Garcia Gelbes Bein«, erklang seine Stimme. »Es ist mein Bestreben, daß die Völker des Direktorats den Namen Spinnes kennenlernen. Von meiner Heimat, dem Planeten Welt, bin ich zu euch berufen worden.« Gutmütig und verständnisvoll lächelte er, erweiterte den Einfluß sei-
nes Bewußtseins auf die unsichtbaren Massen seiner Zuhörer, versuchte die Seele jedes einzelnen zu erreichen. »Laßt mich euch von Spinne erzählen. Laßt mich euch erklären, was wir Romana-ner gelernt haben. Wir sind nicht eure Feinde. Wir bringen euch nicht den Tod. Vielmehr bringen wir euch neuen Glauben — ein neues Leben. Wir weisen euch den Weg in eine bessere Zukunft. Nun hört zu, ich will euch von Spinne und dem Opfer erzählen, das er gebracht hat, damit die Menschen frei sein sollen ...« Von der Seite schaute Eisenauge zu, spürte Freitags Anziehungskraft, fühlte sogar sich selbst durch die ausdrucksstarken Worte des kleinwüchsigen Kriegers seltsam berührt. »Wie klappt’s?« erkundigte sich Rita, als sie hereinkam. »Wenn’s nicht in einer Woche überall auf Sirius Spinnenkulte gibt, ernenne ich den alten Tatterich Wattie zum Kriegshäuptling.«
21 Kalt, leblos und finster erstreckte der Korridor sich bis in undurchdringliche Schwärze, ein Tunnel aus Nacht und Tod. Damen Ree wartete, schaukelte in der Nullschwerkraft leicht an seiner festgehakten Sicherheitsleine; die meisten der in Plattenform in den Schiffsrumpf integrierten Gravo-Kompen-satoren funktionierten infolge von Blastertreffern oder Stromausfall längst nicht mehr. Bewegung. Ree setzte das schwere Blastergewehr an die Schulter. »An meinem Abschnitt sind sie vorbei«, flüsterte Hansons Stimme aus Rees Helmfunk. »Lassen Sie sie noch näher ran«, zischelte Ree zurück. »Behalten Sie die Nerven, versuchen Sie ein, zwei lebend gefangenzunehmen. Ich will wissen, hinter was sie her sind. Sie versuchen immer wieder zur Kommandobrücke vorzustoßen. Warum? Was gibt’s da außer der Kommu und abgeschalteten Monitoren?« Jetzt konnte er sie erkennen: Menschliche Gestalten erschienen am anderen Ende des Korridors im dunklen Hintergrund. Sie schlichen äußerst achtsam vorwärts. Allen Grund hatten sie dazu: Das weitverzweigte Innere der Projektil war zum Schlachtfeld geworden. Überall im Raumschiff lauerte der Tod, versteckt in der Form gelegter Minen, durch Stolperdrähte auslösbarer Bomben, verbarrikadierter und hartnäckig verteidigter Gänge sowie als Sprengsätze verwendeter Energiebatterien verzweifelten Patrouillenpersonals, das um sein Schiff und sein Leben kämpfte. Aber so nach und nach unterliegen wir. Der Gegner verschleißt unsere Kräfte. Langsam, aber sicher lernt er das Gangsystem kennen. Egal in welchem Umfang wir die
Wände auseinanderschweißen und umbauen, wie gut wir die Flure verminen, wieviel Angreifer wir töten, sie kommen immer wieder, durchkämmen die Korridore, finden heraus, wie stark wir sind. Aber weshalb? Was suchen sie in der Projektil, daß so viele in den Tod gehen müssen, um uns wenige Verteidiger zu besiegen ? »Jetzt!« befahl Ree, drückte den Abzug des Blasters, schoß den Vorrückenden eine Entladung entgegen. Die sonische Erschütterung versetzte ihm einen Ruck, er schaukelte trotz des Vakuums in dem evakuierten Korridor heftig an der Sicherheitsleine. Kristalle und gefrorene Flüssigkeiten wirbelten, schwirrten und tanzten in den Lichtkegeln, die plötzlich den Korridor durchfluteten. »Vorsicht, Leute«, rief Ree zur Warnung. »Wir wissen nicht, wie wirksam sie betäubt sind.« »Hier ist einer«, antwortete Hanson, »der wie irgendeine Sorte Offizier aussieht. Er hat so komische Abzeichen an seinem Raumanzug. Ach, und da ist noch einer.« »Na fein. Nehmen Sie sie mit.« Ree hakte die Sicherheitsleine aus und stieß sich von der Wand ab, schwebte zu einem im Finstern schwer erkennbaren Steigschacht. Er klappte die Luke auf, schubste den Blaster voraus und zwängte sich hinein, drehte sich in der engen Röhre um, befestigte eine Sprengladung an der Wandung und spannte quer über die Unterseite der Luke einen Stolperdraht. Er schwebte dreißig Meter weit, plumpste auf einen Abschnitt eines Decks, den Gravo-Kompensatoren noch unter künstlicher Schwerkraft hielten, kroch darüber hinweg, schwebte dahinter weiter und erreichte schließlich eine Panzertür. Er pochte dagegen, gab ein verabredetes Klopfzeichen und wartete, bis man ihm die Tür öffnete. Er blieb in einem kleinen Raum stehen, bis die provisorische Schleuse unter Druck gesetzt worden war, betrat danach einen trüb beleuchteten Gang. Ein Matrose half ihm beim Ablegen des Raumhelms.
»Habe gehört, Sie haben sie erledigt, Sir.« Der Matrose grinste. »Jawohl, stimmt.« Ree schlug dem Mann kameradschaftlich auf den Rücken. »Hansons Männer werfen sie schon hinaus. Ich frage mich, ob Van Chows Mannschaft ‘s nicht langsam satt hat, Leichen einzusammeln.« Die Miene des Matrosen wurde härter. »Wenn nicht, geben wir ihnen noch mehr zu tun, Sir. Denen werden wir zeigen, was ‘s heißt, sich mit der Projektil anzulegen ...!« Ree schenkte dem Mann ein Lächeln der Aufmunterung und machte sich auf den langen Weg zur Kommandobrücke. »Anruf aus der Bordklinik«, teilte Neal bereits mit, kaum daß Ree den Eingang zur Kommandobrücke durchquert hatte. Ree nahm Platz. »Schon. Ja klar, wieso nicht...? Jetzt dauert’s ja ‘ne Weile, bis man hier ist. Schalten Sie durch, Neal.« »Oberst?« fragte eine Stimme. »Hier.« »Major Glick hat den Psychingapparat zusammengefummelt, Sir. Wir haben den sirianischen Hauptmann sofort unters Kontaktron gesetzt. Eile war geboten, ihm ist ein Arm weggebrannt worden. Jedenfalls, folgende Information liegt vor: Van Chow will das Raumschiff für seine Zwecke umbauen. Ich glaube, das war uns allen schon vorher klar. Zweitens sollen seine Soldaten — und das ist an allem am wichtigsten — auf gar keinen Fall die Kommunikationsanlagen beschädigen. Das hat Van Chow explizit befohlen. Die Computer sind intakt zu erbeuten, Schluß und fertig.« »Also deshalb greifen sie immer wieder an, ganz egal, wie viele tote Sirianer wir täglich zur Luke hinauswerfen?« Rees Finger trommelten auf der Armlehne des Kommandantensessels.
»Bleiben Sie dran, Sir, ich frage den Burschen noch mal genauer.« Schweigen. »Ja, Sir. Van Chow will die Kommu unbeschädigt übernehmen können. Äh ... Soll ich den Leutnant auch verhören?« »Natürlich.« Die zweite Aussage enthielt das gleiche: Die Kommunikationsanlagen sollten um jeden Preis ohne Beschädigung in Besitz genommen werden. »Na gut, in Ordnung, vielen Dank, Phil. Ich weiß Ihre Tüchtigkeit zu schätzen.« Ree trennte die Verbindung, stützte den Kopf, den Ellbogen auf die Armlehne gestemmt, in die Hand. »Die Kommu? Wieso?« »Vielleicht um an Informationen zu gelangen?« meinte Neal Iverson von seinem Sitz herüber. »Glauben Sie, sie könnten’s auf geheime Patrouillendaten abgesehen haben?« »Was für geheime Patrouillendaten?« fragte Ree verwundert. »Was gäb’s denn noch, was sie nicht schon aus der Bruderschaft wissen ...? Ach du heiliges Kanonenrohr, meinen Sie etwa, daß er ...« »Daß Van Chow weiß, wir haben Bruderschaftsgeheimnisse an Bord?« beendete Iverson den Satz. Betroffen schluckte Ree. »Sarsas Funkspruch kam, nachdem Van Chow Obristin Amahanandras’ Schiff erbeutet hatte. Na gut, nehmen wir mal an, sie hatte keine Zeit mehr, um die Kommu zu demolieren. Das heißt, daß alles, was Rita gesendet hat, auch durch die Kommu der Bruderschaft empfangen werden konnte.« »Folglich hat er ihren Anruf abgehört. Sie hat auch Kopien der Daten übermittelt.« Neal fuhr sich mit schmutzigen Fingern durchs strohblonde Haar, im düsteren Licht glänzten die Umrisse seines Kinns. »Weshalb sollte er also scharf auf das sein, was in den Datenspeichern der Projektil steckt?« »Vielleicht wenn er nicht alles mitgekriegt hat. Es handelte sich um komprimierte Daten. Möglicherweise hat
jemand die Raffersendung lediglich bemerkt, wissen Sie, am Monitor beobachtet, aber nicht aufgezeichnet. Entweder das ... oder er denkt, Susans Datenmaterial wäre bloß der Bruchteil einer größeren Datensammlung. Daß es an Bord der Projektil viel mehr als das gibt, was Hans und Susan aus den Datenbanken geholt haben.« Ree schabte an seinem verdreckten Schutzpanzer herum, senkte die Hand und kratzte mit dem Daumennagel an einer verschrammten Stelle, die ein sirianischer Bla-sterstrahl beinahe durchbohrt hatte. Neal grinste. »Na, nach allem, was wir bis jetzt durchgemacht haben, ist’s doch ganz nett, zu erfahren, daß er uns doch mag. Und ich dachte schon, er hätte was gegen uns und wollte das Ausmaß unseres heroischen Widerstands feststellen.« »Kann sein, er will bloß Sie haben. Womöglich hat er ja von der Vaterschaftsklage auf Capettle Vier gehört. Dort dürfte ‘ne ansehnliche Belohnung auf Sie ausgesetzt sein, Neal.« »Dann soll er sie sich doch verdienen.« Neal lachte. »Es war ‘ne unbeabsichtigte Zeugung. Die Frau hat mich betrunken gemacht und dann meinen Zustand ausgenutzt. Nein, ich habe gar nichts dagegen, mich der Vaterschaftsklage zu stellen — aber diese Person heiraten?! Puuh! Lebend wird er mich niemals dort abliefern.« »Oberst?« drang eine Meldung aus der Kommu. »Hier ist Deck Neun. Feindliche Stoßtrupps versuchen durch die Transduktions-Kabelschächte vorzudringen. Wir bereiten ihnen ‘n heißen Empfang vor.« »Viel Glück«, rief Ree. »Falls Sie Verstärkung brauchen, geben Sie Bescheid. Dann schicke ich Ihnen Leute hinunter.« »Ich glaube, wir halten uns auch so, Oberst. Aber ... es könnte knapp werden.« »Neal, senden Sie Verstärkung.« Ree winkte in Iversons Richtung, betrachtete auf einem der wenigen noch in
Betrieb befindlichen Monitoren eine Rißzeichnung des Raumschiffs. »Wie finden sie bloß so viele Schlupflöcher?« »Sie müssen jemanden haben, der sich verdammt gut mit Patrouillenraumschiffen auskennt«, brummte Neal. »Wahrscheinlich ist es dieselbe Person, die Van Chows Geschützbedienungen gezeigt hat, wie sie unser Schiff so nachhaltig lahmlegen können.« »Wenn ich den Scheißkerl in die Finger kriege«, knurrte Ree, »breche ich ihm die Knochen einzeln im Leib! Vorausgesetzt natürlich, wir leben noch lange genug.« »Überleben ist momentan das wichtigste.« Neal straffte sich an seinem Platz. »Eine zweite Feindgruppe rückt von den ST-Hangars an ... Hui, das sieht nach ‘m Großangriff aus, Oberst. Es treffen Alarmmeldungen aus dem ganzen Schiff ein.« Ree seufzte, raffte sich matt aus dem Kommandosessel hoch. »Sagen Sie den Männern, daß ich komme.« Er schulterte das schwere Blastergewehr. »Sollte mir was passieren, Neal, sind Sie hier der letzte. Dann sprengen Sie die Kommu, so gründlich es geht. Ich will, daß nichts als Staubkörnchen übrigbleiben!« Neal blickte auf, angespannte Beunruhigung in den blauen Augen. »Sind Sie sicher, Sir, daß es klug ist, vorn mitzukämpfen, Sir? Wenn wir Sie verlieren ... Naja, Sie sind schließlich jetzt sozusagen von allem das Herz und die Seele.« Ree patschte ihm die Hand auf die Schulter. »Und warum ist das so, Neal? Ja doch, Sie wissen’s selbst. Eben weil ich mit den Männer in einer Reihe stehe, genauso schwer wie sie um die Projektil kämpfe. Wir sehen uns später. Wenn die Sirianer so weitermachen, müssen wir morgen zwei Räumtrupps einteilen, um ihre Leichen zur Schleuse hinauszuschmeißen.« »Falls wir’s noch erleben«, sagte Neal Iverson leise. *
*
*
Vor unseren Augen nimmt die Siriuskrise immer dramatischere Formen an, berichtete Skor Robinson. Die Unterstützung der öffentlichen Meinung für die Unabhängigkeitspartei wächst. Die militärische Situation im Siriussystem bleibt bei einem Patt. Der Pirat Damen Ree hat sein Schlachtschiff verloren, obwohl bewaffnetes Bordpersonal noch bestimmte Sektionen des funktionsuntüchtigen Schiffs verteidigen und halten. Am Boden erzielen die Romananer, die Patrouille im Rük-ken, weitere Geländegewinne und behalten trotz fortgesetzten Blasterbeschusses durch Van Chows Kriegsschiffe aus dem Orbit ihre Positionen bei. Nawtow nahm die Mitteilungen zur Kenntnis und wertete gleichzeitig die Ergebnisse der in der Öffentlichkeit durchgeführten Meinungsumfragen aus, die ihm aus sämtlichen Teilen des von Menschen bewohnten Weltalls zugingen. Wir haben die Option, die Schlachtschiffe Kamikaze, Uhuru, Gregorius und Ganges zu einem Verband zusammenzuziehen. Vielleicht lohnt sich das Risiko, die gesamte Flotte aufzubieten, um den Sirianern eine schwere Niederlage beizubringen. Ihre unerbittliche Unterwerfung wäre... ,Nein! entschied Skor Robinson mit Nachdruck. Wir können unsere militärische Präsenz im übrigen Direktorat nicht für die Zeitspanne aufgeben, die so ein Vorgehen erforderte. Das käme einem Eingeständnis unserer Fehlbarkeit gleich — einer noch größeren Fehlbarkeit, als der Verlust dreier Patrouillenschiffe im Siriussystem sie anzeigt. Wenn die Menschen sehen, daß wir unsere gesamten Streitkräfte auf Sirius konzentrieren, werden sie daran unsere gegenwärtige Schwäche erkennen. Beachten Sie, daß Santa del Cielo eine Brutstätte des Aufruhrs geworden ist. Die Uhuru muß im dortigen Orbit erscheinen und als Garant für die innere Sicherheit des Direktorats Macht demonstrieren. Die Gregorius habe ich bereits für die Verwendung gegen die Unruheherde New Maine und Zion
eingeplant, sie muß dort für Ordnung sorgen. In Station Kobalt ist es zu Krawallen und Sabotageakten gekommen. Die Kamikaze ist schon mit der Stabilisierung der Situation beschäftigt und hat Befehl, danach Re-fugium anzufliegen, wo die Minenarbeiter aus Solidarität mit Ngen Van Chow zu streiken drohen. Neu-Israel verlangt die Wiederzulassung der alten Religion. Auf Frontier beginnt es ebenfalls zu gären. Wollen wir etwa neues Interesse an der Bruderschaft und ihrer subversiven Politik einer unterschiedslosen Bildung entstehen lassen? Mehrere Sekunden lang dachte Nawtow nach. Nein, ich sehe ein, daß die übrige Flotte unabkömmlich ist, um die Gesellschaft zu stabilisieren. Ein Desaster wie auf Sirius genügt. Unsere Präsenz aus dem übrigen Direktorat abzuziehen, könnte sich als entscheidender Fehler erweisen. Im Rückblick ist mir jetzt klar, daß wir einen Irrtum begangen haben, als wir der Bevölkerung die allgemeine Benutzung von Transduk-tionsempfängern zugestanden. Sie hätten Sonderzwecken vorbehalten bleiben müssen, so wie Waffen, Bücher, Reisen und Bildung. Skor empfand eine Anwandlung des Kummers. In der Tat. Aber die Transduktionstechnik ist ein integraler Bestandteil der ökonomischen Struktur des Direktorats. Unsere Vorgänger haben es als ausreichend erachtet, die Verbreitung von Sendeanlagen der Kontrolle zu unterstellen. Wer hätte gedacht, daß Empfänger sich einmal so schädlich auswirken könnten! Einen Sender kann man orten — aber Empfänger! Leute für das Monitoring des Transduktionsempfangs einzusetzen, hätte die Arbeitsbelastung des Direktoratspersonals verdoppelt. Wir wären bloß noch mit der Funküberwachung der eigenen Bevölkerung befaßt gewesen. Und nun sollen wir dafür mit sozialen Unruhen büßen? meinte Roque, der die Unterhaltung mitgehört hatte. Wir hätten uns das erweiterte Monitoring leisten können, indem wir den Luxus der Bevölkerung um sechs Komma sie-
benhundertachtundfünfzig Prozent kürzten. Ich kann keinen Grund ersehen, weshalb Menschen Schokolade, Parfüm, Schnaps und Schlafstimulation brauchen. Der Mindestkonsum für das normale Überleben ist längst bis hin zum letzten Joule umfassend dokumentiert. Die Verfügbarmachung sogenannter Erfrischungen dient keinem wertvollen gesellschaftlichen Zweck. Allein auf Salam wird im Kaffee fünfzehn Prozent mehr Zucker als woanders konsumiert, und vom Kaffee trinkt dort jede männliche Person täglich drei Tassen mehr als der Direktoratsdurchschnitt. Wir hätten längst eine Beschränkung erlassen sollen, um... Dabei handelt es sich um gewohnheitsmäßige Verhaltensabweichungen, die durch die arabische Abstammung der Salamer bedingt sind, erinnerte Skor Robinson den Assistenz-Direktor. Nehmen Sie ihnen ihren Kaffee, und Sie machen sie sich zum Feind. Auf Planeten wie Basar hassen die Shi’ah uns noch heute, trotz aller Verbote betreiben sie in Wüstenenklaven ihre religiösen Kulte weiter. Um sie daran zu hindern, müßten wir sie alle ausrotten. Sie führen ihre Herkunft auf Hussein den Märtyrer zurück, und mit uns hätten sie am liebsten überhaupt nichts zu schaffen. Wenn wir ihnen ihre verhaltensmäßigen Krücken wegnehmen — wie Kaffee —, entsteht daraus Gewalt, die sich selbstständig immer mehr hochschaukelt, über die Grenzen von Planeten und Stationen hinaus um sich greift, bis überall nur noch Chaos herrscht. Ich befürchte, gestand Nawtow, daß es bereits zu spät ist. Anhand der statistischen Extrapolationen sehe ich eine weitere Zunahme des allgemeinen Interesses an der Situation im Siriussystem ab. Van Chows Funksendungen, die schon kurz nach Leeta Dobras Funkausstrahlung anfingen, haben die Phantasie der Menschen angeheizt. Vielleicht hätten wir schon vor langem ein genetisches Programm institutionalisieren sollen, um diese lästige
Eigenschaft aus der Menschheit herauszuzüchten? Jedenfalls ist jetzt der sprichwörtliche Geist aus der Flasche entwischt. Wir können den Status quo nicht wiederherstellen. Vielmehr müssen wir unsere Strategien der neuen Lage anpassen. Skor Robinson spürte ein Rumoren in seinem Magen. Er hatte sich dagegen gewehrt, daran zu denken, daß es schon soweit sein könnte. Die von ihm veranlaßten Berechnungen über den Effekt der durch An Roque ausgestrahlten Anti-Van-Chow-Argumentation waren in das Resultat gemündet, daß der Assistenz-Direktor damit die Widerspenstigkeit der Bevölkerung erst recht geschürt hatte. Wie hatten sie die Reaktion der Menschen auf ihre Argumente nur so kraß fehleinschätzen können? Vielleicht. Sind wir uns vorerst darin einig, daß die Flotteneinheiten Handlungsfreiheit genießen, um Aufsässigkeit und Aufruhr zu beenden ? Roque gab seine Zustimmung. Die Kommandantinnen Toby Kuryaken und ]aischa Mendez, fügte er hinzu, haben darauf verwiesen, daß es in bezug auf Sirius eine gangbare Option wäre, einfach den ganzen Planeten und Van Chows Flottille mit Antimaterie- und Nukleargeschossen zu vernichten. Skor Robinson durchdachte die Idee. Das wäre wirklich eine leichte Problemlösung. Aber seien wir klug. Nehmen wir einmal an, wir radieren die Sirius-Revolte mitsamt dem Planeten aus, und daraufhin rebelliert Arpeggio. Als nächstes müßten wir dann Arpeggio auslöschen, je nachdem, wie weit die Menschen noch überschnappen, könnte es sich ergeben, daß wir nach und nach das gesamte Direktorat abschaffen. Nein, der Sirius bedeutet für uns eine beachtliche Industriekapazität. Der Planet ist reich an Metallen und nimmt hinsichtlich des Frachtverkehrs im ganzen Direktorat eine zentrale Position ein. Es wäre mir außerordentlich zuwider, eine so wertvolle Ressourcenquelle zu verlieren. Zudem hielt der Gedanke
an Chester Armijo Garcia und das, was er dazu sagen würde, Robinson davon ab, dem Vorschlag der Kommandeurinnen zuzustimmen. Wir brauchen Sirius. * * * Susan trank kalten Kaffee. Die magischen Dosen, deren Inhalt sich erwärmte, wenn man am Boden drehte, hatten anfangs alle Romananer bestürzt, erstaunt und erfreut. Diese Dose — inzwischen zwei Wochen alt — war verfallen. Der Kaffee blieb kalt. Jeder Sinn, den der Krieg einmal gehabt haben mochte, war längst dahin, genau wie die unschuldige Wildheit, mit der die Romananer ihn zunächst geführt hatten. Viertel der Hauptstadt, die dem Direktorat ihre Loyalität erklärten, wurden plötzlich aus dem All beschossen. Dadurch wuchs die Panik der Einwohner, man hörte ununterbrochen ihr Geschrei, während sie flohen: Verbrannt, erblindet, todgeweiht durch Strahlung. Flüchtlinge durchwimmelten die Stadt, endlose Kolonnen von Menschen, die letzten Habseligkeiten auf den Köpfen, verstopften die Hauptverkehrsstraßen, strömten in die Vororte und die umliegenden Bergbaugebiete, in denen sie jedoch zumeist nur blieben, bis der Hunger sie nach und nach, grüppchenweise, ins Ballungszentrum zurücktrieb. Ausdauernd rebellische Zonen — wie das Stadtgebiet, in das Susan im Moment durch verengte Lider hinüberspähte — waren jeder denkbaren Art der Plünderung und des Beutemachens ausgesetzt, der Coupjagd, Sabotage oder beliebigen Vergeltungsaktionen. Daß es alles keinen Sinn mehr ergab, spielte keine Rolle; jedenfalls bewährte es sich. Viertel um Viertel war die Hauptstadt gefallen. Jede sirianische Gruppe, die Frieden wollte, mußte dem Direktorat die Treue schwören, um neue Angriffe der Romananer zu vermeiden. Gerüchte über romananische Sklavenlager breiteten sich von Tag zu Tag weiter aus, die Demoralisierung der Bevölkerung ver-
tiefte sich so weit, daß viele Sirianer glaubten, die Barbaren seien unbesiegbar — ganz zu schweigen davon, daß ihre Propheten die Zukunft sehen konnten —, es keinen Zweck hätte, länger an Widerstand zu denken. »Sie müßten bald kommen«, murmelte Hans, sein neuer, anderthalb Zentimeter langer Bart verlieh ihm ein abenteuerliches Aussehen. Er kratzte noch immer darin herum. »Die Informanten können sich unmöglich geirrt haben. Vielleicht gelingt’s uns heute, endlich reinen Tisch zu machen.« »Ich hätte gedacht, du wärst vergangene Nacht hart genug im Einsatz gewesen, um dein kampfgieriges Gemüt zufriedenzustellen«, stichelte Freitag leise und in spöttischem Ton. »Ich?« Hans schüttelte den Kopf. »Susan macht die ganze Arbeit. Ich schlafe meistens durch.« »Du auch?« meinte Freitag verdutzt. »Ich dachte, ich wäre der einzige.« Gelächter hallte durch den Stollen. »Wie, du bist doch unser Holo-Star! Wie viele Spinnenbilder sind inzwischen zu sehen? Ich habe gehört, vorgestern hat eine komplette Brigade Milizionäre sich der eigenen Führung widersetzt. Sie erhielten Befehl, ‘n Trupp Romananer anzugreifen, befolgten ihn aber nicht, sondern schossen ihre eigenen Offiziere nieder. Das ist der rechte Geist! Und sie nahmen die Coups!« »Na gut, kann ja sein, aber weißt du, eigentlich sähst du hologener als ich aus, du wirkst so abgehärmt, seit Susan ...« »Ruhe da, ihr beiden!« schnauzte Susan. »Ihr werdet euch noch wünschen, ihr dürftet schlafen.« Sie empfand genug Verlegenheit, um zu erröten. Was, sie? Sie war noch zum Rotwerden imstande? Ihr Verhältnis zu Freitag und Hans hatte schon mehr als nur ein paar Redereien verursacht. Sie schlief mit beiden, allerdings nie in derselben Nacht. Zu jedem hatte sie eine ganz spezielle Art der Zuneigung entwickelt. Wenn
Freitag und Hans darüber sprachen, rissen sie ihre Witze. Wenn sie allein waren, vermutete Susan jedoch, setzten sie sich wohl in eine Ecke, tranken eine halbe Flasche Whiskey und grübelten über die Aufteilung der Beute nach — und vor allem über die Frage, wie sie sich am besten sie teilen könnten. Aber es ging gut. Sie konnte beide lieben, beiden zur Seite stehen, und beide liebten sie. Freitag erwies sich unverändert als stark, männlich, kraftvoll, im Bett unermüdlich und gleichzeitig als fröhlich und unbekümmert. Er unterstützte selbst ihre verrücktesten Einfälle. Er verkörperte ihr Band zu dem Volk, dem sie beide entstammten, mit ihm konnte sie darüber sprechen, wie in Frühlingsnächten Welts drei Monde schimmerten, oder wie sich wohl die Propheten über den Krieg äußerten. Sie verließ sich in bezug auf Lageeinschätzungen und taktische Erwägungen sehr auf sein Urteil. Ferner trug er, wenn es sein mußte, zur Disziplinierung der Truppe bei. Hans erfüllte andere Bedürfnisse Susans, seine Stärken lagen mehr im spirituellen Bereich. Er erkannte Gutes und Böses, Richtiges und Falsches, verstand sie voneinander abzugrenzen. Bei ihren Liebesspielen vermied er jede Rauheit, sie durfte einem so sanften, zärtlichen Mann ohne Bedenken ihre Ängste anvertrauen. Danach hielt er sie jedesmal in den Armen, als wäre sie ein kostbares Gefäß, das es zu bewahren und zu pflegen galt. Er stellte ihrem Team technisches Fachwissen zur Verfügung, das sie mehr als einmal aus heiklen Situationen gerettet hatte. Er bot die Antwort auf die Fragen ihrer Seele und ihres Gemüts, während Freitag ihre Emotio-nalität und die Begierden ihres Körpers stillte. Anscheinend spürten beide intuitiv, was sie für sie taten. Und beide respektierten, daß sie verschiedenerlei Bedürfnisse hatte, daß keiner von ihnen sie ihr alle erfüllen konnte. Obwohl sie ein solches Maß an Verständnis und Einfühlungsvermögen sehr zu würdigen wußte, emp-
fand sie es als ungerecht, nicht beide zu einer Person verschmelzen zu können. »Geduld«, sagte Freitag mit breitem Grinsen. Er drehte sich zu dem Mann um, der hinter ihm kauerte, reichte ihm eine Stulle. Die Krieger, die in langer Reihe im Halbdunkel des Kabelstollens hockten, reagierten auf zwangsweises Wartenmüssen mit Langeweile, Klaustrophobie und Gereiztheit. »Seht!« Ruckartig verkrampfte Susan sich zu einer angespannten Haltung. Da kamen sie: Heimwehr-Legionäre. »Zehn, zwanzig, dreißig... Bei Spinne, ‘s könnte ‘ne Million sein.« Sie hatten es nicht mehr mit den gleichen HeimwehrLegionären wie am Anfang zu tun. Mit der Zeit und mit wachsender Verzweiflung waren sie härtere Gegner geworden; trotzdem ergriffen sie nach wie vor, sobald sich eine einigermaßen günstige Gelegenheit bot, die Flucht. Die Romananer hatten gelernt, sie nicht zu stark unter Druck zu setzen. Solang ihnen ein Ausweg blieb, verließen sie die Stellungen und suchten das Weite. In die Enge gedrängt, kämpften sie wie tollwütige Wölfe. »Anscheinend ein größerer Angriff.« Fast entfuhr Hans ein Aufschrei, während immer mehr Soldaten an ihrem Versteck vorübereilten. Er hob den Kommunikator ans Gesicht, flüsterte leise aufgeregt ins Mikrofon. »Habe mit Mosche gesprochen«, sagte er anschließend. »ST-Einsatz erfolgt in den nächsten Minuten. Sobald sie gehörig dazwischengeblastert haben, erledigen wir den Rest.« »Es sind über tausend, würde ich sagen.« Freitag schmunzelte. Er packte den erstbesten Krieger in seiner Reichweite an der Schulter. »Stell dir mal vor, das sind zwanzig auf jeden von uns.« Gedämpftes Auflachen hallte längs der ganzen Reihe von Männern ins Dunkel des Stollens. Ein Pfeifen schwoll an. Bevor die Heimwehr-Legionäre Deckung suchen konnten, sausten die ST auf sie herab,
ihr Blasterfeuer loderte in den Aufmarsch der Siria-ner, die unter Geschrei auseinanderstoben. Der Erdboden bebte, während die Bordblaster ihr furchtbares Werk verrichteten. Drei Minuten lang flammte aus den PatrouillenST Tod vom Himmel herunter. Dann ertönte ein dunkles Brausen, als ein sirianisches Kriegsschiff sie aus der Umlaufbahn ins Visier nahm, und die ST heulten rasend schnell davon. Weitere vier oder fünf Minuten vergingen, während der gewaltige Blasterstrahl des Kriegsschiffs die Nachbarschaft bestrich. Zuletzt herrschte unheilvolle Stille in der Straße. »Auf und los!« Susan sprang allen Kriegern voran aus dem Tunnel. Der Qualm, der aus den Schutthalden zerblasterter Gebäude aufwallte, und der Gestank gerösteten Menschenfleischs hing in der Luft. Sie führte die Männer in Schützenlinie vorwärts. Da und dort buddelten sich Sirianer aus den Trümmern. Die Mehrzahl war blind, schwer verwundet oder halb verrückt vor Furcht. Mit gezückten Dolchen gab man ihnen den Gnadenstoß und nahm man den Coup. »In Deckung!« rief ein Krieger. Susan warf sich zwischen die Trümmerberge. Sie legte den Blaster an und sah zu ihrer Überraschung voraus noch eine sirianische Marschkolonne. Diesmal näherten die Sirianer sich vorsichtig, der Anblick der neuen Verwüstung machte sie nervös. »Freitag!« Susan schickte ihn mit einem Wink ans äußerte Ende der Schützenlinie. »Hans!« Sie teilte Hans der anderen Flanke zu. Wenn sie diesen Vorort der Hauptstadt einnahmen — er hieß Angla —, konnte Rita den gesamten Rest des Stadtgebiets und seiner Umgebung bis zum Ende der Woche besetzt haben. Es kam darauf an, einen letzten, entschlossenen Vorstoß zu unternehmen, um zu demonstrieren, daß man die Stadt unter Kontrolle hatte, bevor sie vollends fiel; wenn es soweit war, mußte Van Chows Revolte zusammenbrechen,
so wie ringsum die Häuser. Susan spie zwischen die staubigen Betonbrocken und blinzelte durch die Zielvorrichtung des Blastergewehrs. Bei seinen letzten Holo-Ansprachen war Van Chow nahezu hysterisch aufgetreten. Seitdem seine Unterstützung bei der Bevölkerung schwand, appellierte er auf hochgradig emotionaler Ebene an sie. Seit zwei Wochen stand er in aussichtslosem Kampf um die Projektil. Als Schlachtschiff war sie nicht mehr einsetzbar, doch Van Chows Männer schafften es nicht, sie einzunehmen. Die Patrouille hatte es nochmals mit einem Antimaterie-Torpedo versucht, aber jetzt kannten die Sirianer den Trick. Sie schössen ihn ab, nachdem die Viktoria ihn ausgeklinkt hatte, hielten sich für den Fall, daß es zwei Torpedos waren, dicht bei der Projektil. Ree ließ Iverson sich mit den in den Bordcomputern vorgefundenen Bruderschaftsdaten beschäftigen. Alles was sie nun noch brauchten, war eine Bezugsquelle für Hyperkonduktoren; das war die Schwierigkeit bei der Sache. Die Sirianer — diesmal waren es Milizionäre — rückten unaufhörlich näher. Susans Team wartete. Als der Feind nur noch fünfzig Meter entfernt war, richtete sie den Gewehrlauf auf einen der vordersten Männer. Noch zehn Schritte, entschied sie, zählte sie ab, während die Kolonne näherkam. Würden sie es nie lernen, beim Vorrücken jede vorhandenen Deckungsmöglichkeit zu nutzen? Susan drückte ab und sah, wie der Blasterstrahl den Mann traf und auseinanderriß. Ihre Krieger schossen gleichfalls, feuerten mit der kühl-gelassenen Zielsicherheit, die man sich dank großer Kampferfahrung aneignete. Wie Grüne Schnitter beim Auftauchen eines Bären wichen die Milizionäre fluchtartig nach den Seiten aus, gerieten jedoch sofort ins zusammengefaßte Kreuzfeuer der Flankensicherungstrupps von Freitag und Hans. Völlig beherrscht von Verwirrung und Verzweiflung, flohen die Sirianer.
Susan winkte ihre Gruppe vorwärts, stürmte geduckt voran. Rasch und stoßkräftig setzten sie dem Feind nach. Jedesmal, wenn die weitgehend kopflos gewordenen Sirianer hielten und sich zur Gegenwehr einrichten wollten, ließ Susan es zu, ließ aber ihre vordersten Widerstandsnester gleichzeitig an den Flanken umfassen. Das Brausen schreckte sie hoch. Am Himmel flammte es blaurot. Susan rannte zum nächstgelegenen Kabelstollen. Sie zerblasterte den Deckel und sprang mit den Füßen zuerst in den Einstiegsschacht, schlug sich fast den Schädel auf, als ihre Füße von den dicken Kabelsträngen auf dem Boden des Stollens abrutschten. Hastig wälzte sie sich zur Seite, wich dem violetten Strahl aus, der durch das offene Einstiegsloch herabsengte. Aus dem Freien schollen gräßliche Schreie herein. Den Weg, den der in der Mitte noch immer stark gebündelten Blasterstrahl beschrieb, begleitete eine ununterbrochene Folge von Explosionen. Der halb verschmorte Leichnam eines Heimwehr-Legionärs rollte in den Einstieg, die Uniform war zerschmolzen, qualmte auf seiner verkohlten Haut, das verkokelte Haar ähnelte glänzendem Plastik. Susan spürte, wie sie vor Furcht zitterte. »Spinne ist alles Dank Spinne bin ich voller Mut Seht diese Frau voller Mut Spinne ist das Eine und das Alles Lob sei Spinne und Dank seinem Propheten. Ich erklomm den Berg Auf dem Berg erschlug ich das Böse Lob sei Spinne Zu Spinnes Lob will ich singen.« Susan sang ihr Medizinlied, während das Herz ihr im Leib hämmerte. Draußen mußten auch Freitag und Hans inzwischen Deckung gefunden haben — oder tot sein.
Und wenn sie tot waren? ihre Kehle schnürte sich ein, machte ihr das Schlucken unmöglich. Ihre Hände fingen zu schlottern an. »Susan?« rief jemand in der Sprache des Volkes in den Kabelstollen. »Wer da?« »Freitag Garcia Gelbes Bein und zehn Mann«, ertönte die Antwort; in der Enge des Stollens hallte Freitags Stimme mit unheimlichem Klang. Der Blasterbeschuß hatte aufgehört. Susan krampfte sich zusammen, während sie an den glühendheißen Steigeisen des Schachts hinaufkletterte, vorsichtig den Kopf aus dem Loch streckte. Rundum gab es nichts als trostlose Vernichtung zu sehen. Gewohnheitsmäßig schluckte Susan für den Fall, daß irgendwelche Strahlung ihren Schutzpanzer durchdrungen hatte, eine Po-lymerasekapsel. Sie robbte zu einem nahen Schutthaufen; die Hitze, die aus den Überresten einer eingestürzten Mauer wallte, drohte sie schier zu ersticken. »Beim Barte Herrjesses!« brummte Freitag, als er aus der Schachtöffnung kroch. »Sie müssen mehrere Bordblaster zusammen eingesetzt haben«, befand Susan, schüttelte den Kopf. Sie nahm den Kommunikator zur Hand. »Spinnenteam Drei-Eins, Hans? Bist du da?« Ihr Herz stockte für einen Augenblick. Mühsam schluckte sie. »Wo war seine Position?« »Drüben.« Ein Krieger wies in die entsprechende Richtung. Eine glasige Fläche schimmerte dort, offensichtlich zu heiß, um sie nur betreten zu können. Wie so oft, nachdem die gewaltigen Blasterstrahlen der sirianischen Kriegsschiffe die Wolken durchdrungen hatten, fing es zu regnen an. Susan nahm die Qual auf sich, durch die verbrannte Zone zu laufen, ohne auf die heftigen Beschwerden in ihren Füßen zu achten. Ihr Blick fiel auf breite Furchen
explosiv umgepflügter, versengter Erde. Hans war tot. Nichts konnte einen solchen Beschüß überleben ... Niemand. Ein ungewohnt-fremdartiges Heulen schien durch Susans Gehirn zu gellen, ein Klagen und Winseln seelischer Marter. Sie torkelte, unterdrückte den Schmerz, zuckte zusammen, griff sich ans Herz. »Sie hauen ab.« Freitag deutete auf die Linien der Heimwehr-Legionäre. Geistesabwesend nickte Susan. »Sie ha-haben Ha-Hans umgebracht und ... und ... Zahlt’s ihnen heim!« Das taten sie. Susan mußte sich wiederholt bei Gefallenen mit neuen Batterien für ihren Blaster versorgen. Selbstverständlich hatten die Sirianer ihre Ausrüstung nach Direktoratsnorm fabriziert. Drei Tage der äußersten Gewalt hindurch, der Hinterhalte, der Vorstöße und des Ausweichens, drängten sie den schwer angeschlagenen Heimwehr-Legionären nach, mußten immer wieder vor den Todesstrahlen, die vom Himmel herabbrausten, Deckung suchen, aber blasterten sich unaufhaltsam, in brutaler Raserei, eine Schneise des Todes durch Angla. Das Heulen des Leids in Susans Gemüt wurde in dem Maße unhörbarer, indem sie es wie hinter Mauern einschloß. Etwas wie ein Damm begann ihre Gedanken von Erinnerungen abzutrennen, von denen sie nichts mehr wissen wollte. Susan verknotete die Coups und schlang sie sich um den Schutzpanzer, ohne sich um das Blut zu scheren, das aus den noch frischen Skalpen rann. Ihr Herz ruhte tot in ihrer Brust. Leere verödete ihre Seele. * * * »Möchtest du darüber sprechen?« fragte Freitag am folgenden Abend, während die übrigen Krieger im Schutz der Igelstellung schon schliefen. »Worüber sprechen?«
»Hans«, sagte Freitag leise. »Ich meine, jemanden auf diese Weise zu verlieren, muß doch ...« »Es geht mir gut«, erklärte Susan im Tonfall geistiger Abgetretenheit. »Wir sind hier, um Sirianer zu töten. Wenn wir das tun, werden wir siegen. Und wenn der letzte Sirianer noch immer Widerstandswillen hat, werde ich es sein, die ihm den Coup nimmt.« »Das klingt mir aber nicht, als ob’s dir gut ginge«, entgegnete Freitag halblaut. »Ich sehe in deinen Augen etwas Abgestorbenes.« »Es geht mir gut«, wiederholte Susan in gleichmütigem Ton und trockenen Auges, hielt ihre inneren Mauern aufrecht. Sie war eine wunderbare Sache, diese innerliche Abschottung, sie wehrte die Erinnerung an Hans ab. Dahinter lauerten dumpf Trauer und Grauen. Solange die Mauern standen, blieb sie davor sicher ... Und Hans lebte weiter. Freitags sanfte, braune Augen forschten in Susans Blick. »Ich glaube, das ist nicht die volle Wahrheit, Susan Smith Andojar. Seit der Blasterattacke bist du bloß noch vorn. Keiner stürmt eher als du zwischen die Sirianer. Niemand nimmt früher Coup.« Er zögerte, versuchte hinter die Verschleierung ihrer Augen zu schauen. »Du hast angefangen, sie zu kastrieren, Susan. Zuerst warst du selbst es, der den Kriegern das ausdrücklich verboten hat.« Sie erwiderte seinen Blick. »Ich werde damit aufhören, ihnen das Gehänge abzuschneiden, wenn ich Männern begegne! Es ist besser, solche Schafe zu entmannen, dann bleiben sie friedlich.« Freitag schüttelte den Kopf. »Ich habe Hans auch gemocht. Ich verdankte ihm mein Leben ... und deins. Am Tag seines Todes ist in dir irgend etwas zersprungen, Susan. Du bist nicht mehr du selbst. Du treibst es zu weit. Sirianer zu töten — nun, dazu sind wir hier. Coups zu nehmen, ist üblich. Aber Menschen zu verstümmeln, ist ekelhaft und verwerflich.«
»Ich mache, was ich will«, schnauzte sie ihn an und wandte sich brüsk ab. »Verstümmeln ist die Art, wie eine kranke Seele Überlegenheit beweisen möchte«, sagte Freitag hartnäckig. »Du brauchst Feinde nicht zu entehren.Du nimmst bei ihnen den Coup, das ist das Zeichen des Sieges.« »Ich zeige meine Siege so, wie’s mir paßt, Freitag!« Feindseligen, hohlen Blicks starrte sie ihn an. Freitag bemerkte die Stumpfheit, die Ausdruckslosigkeit ihres Blicks. Ich sehe einen Teil ihrer Seele. Aber welchen Teil ? Werde ich je wieder das andere des Geists, den ihr Spinne geschenkt hat, in ihren Augen sehen? Wird das Schicksal in dieser Frau, die ich liebe, nur das Ungeheuer zurücklassen ? Die Worte, die er vor geraumer Zeit, so fern jenseits des Sternenmeers, auf einem Berg vernommen hatte, schienen jetzt, als er sich ihrer entsann, wie Donner vom Himmel durch sein Gemüt zu hallen. »Ich habe dafür, daß ich Spinnes Wort zwischen den Sternen verbreiten darf, den Preis entrichtet«, flüsterte Freitag, zog den Kopf ein. Er blinzelte, fühlte Leere in seinem Innern, betrachtete seine blutbefleckten Hände. »Sirius wird Spinne zufallen. Und Susan?« Sein Herz krampfte sich zusammen. * * * Das wenige, was von Angla noch übrig war, fiel am nächsten Tag. Die Bewohner verließen die paar Häuser, die noch standen, malten Spinnen auf die Gehwege und Wände, um ihre Kapitulation anzuzeigen, reihten sich anschließend einer nach dem anderen in eine Warteschlange ein, um dem Direktorat Loyalität zu schwören. Freitag sah die zahlreichen furchterfüllten Augen der Menschen, während er mit Susan im Airmobil an Kolonnen geschlagener Sirianer vorüberschwebte. Sie überquerten eine verheerte, eingeebnete Gegend, eine
Landschaft aus zersplittertem Glas, verbogenem Stahl und geborstenen Fertigbauplatten. Tiefe Furchen bloßen Erdreichs, die wie Schützengräben kreuz und quer durch die Umgebung verliefen, bildeten ein von den Attacken aus dem Orbit, mit denen Van Chow die verstreuten romananischen Bodentruppen hatte einäschern wollen oder die schnellen ST zu vernichten versucht hatte, hinterlassenes Muster. »Was für eine Verwüstung«, murmelte Freitag betroffen, obwohl er schon seit vielen Tagen mitten darin lebte. Er konnte hören, wie die Sirianer hinter vorgehaltener Hand tuschelten, wenn sie an ihnen vorbeigingen. »Da ist die Spinnenkriegerin ... Sie ist Erste beim Töten und beim Skalpieren ...« Die Leute senkten den Blick, sobald Susan in ihre Nähe gelangte, weil sie sich davor fürchteten, nur ihre Aufmerksamkeit zu erregen, eventuell ihrem Zorn ausgesetzt zu werden. »Sie steckt so voller Wut, weil Van Chow ihren Liebsten umgebracht hat«, hörte Freitag jemanden eine Erklärung raunen. »Als ihr Liebster starb, verwandelte er sich in eine Spinne und sprang hinauf in den Himmel«, gab ein anderer Sirianer zum besten. »Ein Prophet hat ihren Wahnsinn vorhergesagt«, behauptete wieder ein anderer. »So was passiert, wenn Spinne die Seele eines Menschen anrührt.« Da sah einer von ihnen Freitag. »Schaut da! Das ist Freitag Garcia Gelbes Bein. Er ist der Entsandte, er ist der Mann, den Spinne uns geschickt hat!« »Freitag?« rief ein Sirianer laut. »Siehst du die Spinne, die ich auf mein Hemd gemalt habe? Siehst du sie?« »Wir haben deine Rede gehört«, krächzte eine Frau. »Wir haben uns auf Spinnes Seite gestellt. Ist es wahr, daß Van Chow ihren Geliebten ermordet hat?« Freitag blickte hinüber und nickte ernst, sah sie vor seinem Gesichtsausdruck zurückschrecken.
Und Hans? überlegte Freitag. Ja, ohne Zweifel nahm Spinne sich seiner Seele gnädig an. Freitag warf Susan einen kurzen Blick zu, während er ihr zum Airmobil folgte, betrachtete ihren stocksteifen Rücken. Sie hatte Hans Yeager zu dem Mann gemacht, der sich an einem Fuß aus der Luke eines im Start befindlichen ST baumeln ließ, um Freitag Garcia Gelbes Bein das Leben zu retten. Sie hatte den stets verlegenen, kleinen Unteroffizier, der nicht mit Frauen hatte reden können, ohne knallrot zu werden, in eine Legende verwandelt. Doch um welchen Preis? Freitag nahm neben Susan im Airmobil Platz. Sie schaute weder nach links noch rechts, als der Flugapparat abhob. Sie starrte nur geradeaus, beließ den Blick, das Gesicht ohne Ausdruck, reglos in der Flugrichtung.
22 Unten auf dem Planeten hatten die Patrouillen-ST am sirianischen Himmel die Luftherrschaft errungen, und Ngen Van Chow sah sich dazu außerstande, sie ihnen zu entreißen. Seine starken Blaster, wie verheerend sie auch die Landschaft trafen, schafften es nicht, eine präzise Zielverfolgung der ST zu leisten, die schnell umhersausten, Schraubenmanöver flogen, während sie die Heimwehr-Legionen, die Miliz und verschiedenerlei Produktionsanlagen mit allen Arten von Tod und Vernichtung überschütteten. Abweisenden Blicks betrachtete Van Chow den Monitor. »Erster Bürger, wir müssen etwas unternehmen! Unsere Bevölkerung muß hilflos mitanschauen, wie rings um sie ihre Welt zusammenbricht. Die Menschen hungern und sterben in den Ruinen.« Matt breitete Pika Vitr die Arme aus, seine schwarze Kleidung war verschmutzt und fleckig. Sein Gesicht war schmaler geworden; Sorgenfalten verliehen seinen Gesichtszügen ein ungewohnt abgehärmtes Aussehen. Ein schwacher Schleier der Niedergeschlagenheit trübte den alten Glanz seiner Augen. »Und nicht nur das, es bricht mehr als unsere Welt zusammen. Die Willenskraft des Volks erlischt, Ngen.« In plötzlicher Beklommenheit senkte Pika Vitr die Stimme. »Die Leute rufen diesen Eisenauge an, den sogenannten romananischen Kriegshäuptling. Er hat eine HoloDokumentation erstellt, die zeigt, wie Ihre Blaster große Teile Ekranias einebnen. Er hat Augenzeugen auftreten lassen — Sirianer, die Sie den Zerstörer nennen. Die Menschen ... Tja, inzwischen haben sie vor der Hiram Lazar mehr Furcht als vor den Barbaren.«
»Ich dachte, meine Holo-Ansprachen hätten den genauen Sinn und Zweck der Vergeltungsmaßnahmen unmißverständlich dargelegt«, entgegnete Ngen kaltschnäuzig. Pika füllte die Lungen mit Luft. »Sie haben’s. Aber es nützt nichts, Ngen. Eindeutiger kann ich es Ihnen nicht sagen. Jedesmal wenn Sie die Blaster eingesetzt haben, fliegen Romananer und Patrouille mit den ST umher und übertragen Direktaufnahmen aus den betroffenen Gebieten, und dieser Eisenauge gibt dazu laufend Kommentare ab. Der Feind nutzt die angedrohte Vergeltung gegen Sie aus. Das Volk wendet sich gegen Sie, Ngen, mit offenen Armen nimmt es diese Spinnenreligion an, es redet nur noch von Freitag Gelbes Bein und seinem abscheulichen Insektengott.« »Spinnen sind keine Insekten, Pika, sie sind Arachniden.« »Ganz egal, die Philogenie schert mich jetzt nicht. Was mich interessiert, ist die hohe Zahl von Sirianern, die die Romananer nachäffen und stolz mit auf die Hemden gemalten Spinnen durch die Straßen laufen. Zu unserem Erstaunen ist diese Subversion sogar in die Reihen der Miliz eingesickert. Nicht nur bei den Lümmeln der Heimwehr-Legionen ... sondern sogar der Miliz!« Pika schüttelte den Kopf. »Und das alles wegen dieses abstrakten Quatschs um Seelen? Ngen, wir stecken hier unten in den ärgsten Schwierigkeiten!« Ngen nagte an seinem Daumennagel. »Wir haben alle Optionen durchprobiert, die wir im Orbit haben, der Rest hängt von Ihnen ab, Pika. Sie haben den Befehl über die Bodentruppen. Auch nach den bis jetzt erlittenen Niederlagen sind sie den Romananern und den Patrouillen-Sturmtruppen noch immer zahlenmäßig weit überlegen. Wenn Sie drunten nicht endlich Ihrer Verantwortung gerecht werden, bleibt es hier oben wohl beim Versuch, Ihre Truppen aus dem Orbit zu unterstützen.
Verlasse ich die Kreisbahn, um den Patrouillenverband anzugreifen, werden die Patrouillen-Bodentruppen Sie vernichten. Also kann ich, um Sie ganz klar darauf aufmerksam zu machen, die Patrouille nicht besiegen, bevor Sie drunten die Lage bereinigt haben.« »Ich bin mir der Situation vollauf bewußt«, stöhnte Pika. »Aber es kursiert ein bösartiges Gerücht, dem zufolge die Romananer irgendwo einen ihrer Propheten versteckt haben. Wie sollen die Miliz und die Heimat-Legionäre kämpfen, wenn sie glauben, daß der Ausgang der Kämpfe schon feststeht — der Ansicht sind, die Romananer gingen gar nicht in die Schlacht, wüßten sie nicht, daß sie gewinnen? Wie kann man Soldaten davon überzeugen, daß sie ...« »Das ist doch blödsinniger Aberglaube!« fuhr Van Chow auf. »Nichts als Phantasterei, die auf den Bericht dieser Anthropologin zurückgeht! Hätte die Patrouille mich etwa angegriffen, wäre ihr vorher bekannt gewesen, daß sie den halben Flottenverband verliert? Ein ...« »Ich weiß«, rief Pika verzweifelt. »Aber die Soldaten in den Straßen wollen’s nicht glauben. Es ist aussichtslos, ihnen etwas Rationales verdeutlichen zu wollen ... Wirklich, wer ist denn abergläubischer als ein Soldat?« Ngen seufzte. »Und meine Reden? Sprechen sie das Gemüt der Menschen nicht mehr an?« Pika rieb sich mit der Hand die hohe Stirn, strich sich die patrizierhaften, silberweißen Haare über den langgestreckten Schädel nach hinten. »Ein bißchen helfen sie. Nach jeder Ansprache fassen die Menschen wieder Mut... Das heißt, wenigstens dort, wo sie nicht durch Ihren Blasterbeschuß getroffen worden sind.« Pika schaute zur Seite. »Erster Bürger, es gibt Gegenden ... Naja, ich hab’s Ihnen ja gesagt.« Ngen überlegte, sein Gesicht erstarrte zu emotionsloser Maskenhaftigkeit. Zum erstenmal begann er ein wenig an sich zu zweifeln. »Ich habe dem Volk erklärt, daß mir
keine Wahl bleibt. Daß alle, die nicht gegen die Romananer kämpfen ... Welche Alternative gibt es denn? Sagen Sie dem Volk, daß es sich wehren muß, wenn es überleben will. Es ist sein Kampf!« Er drosch mit der Faust auf die Monitorkonsole. Was ist geschehen ? Was ist aus der Triebkraft der Revolution geworden? Diese Dummköpfe müssen doch erkennen, was für Alternativen drohen? Wie konnte es dahin kommen, daß primitive Wilde — Leute, die größtenteils nicht einmal lesen können — meine überlegenen Streitkräfte dezimieren ? »Es ist längst zu spät für Rückzieher, Pika. Wir stehen kurz davor, den Gegner auszubluten. Sie müssen dem Volk noch einmal einen letzten, allesentscheidenden Einsatz abringen! Es muß den Abgrund erkennen, an dessen Rand wir stehen. Sprechen Sie zu den Menschen, Pika, flößen Sie ihnen Mut ein, reißen Sie sie mit, drängen Sie sie zum Durchhalten!« Pika nickte. »Natürlich, ich meine ja nur ...« »Ja?« »Sie sind eben kriegsmüde, die Zerstörungen haben sie zu stark erschreckt. Die Vorstellung, sterben zu sollen, weil...« »Bei allen verfluchten Göttern! Es ist ihr Kampf, ihre Freiheit steht auf dem Spiel! Ihr Überleben! Wie oft muß ich ihnen noch sagen, daß es ihr Krieg ist?!« Mühsam schluckte Vitr, hob schmerzlich den Blick. »Ich frage mich nur, ob sie noch die Bereitschaft haben, ihn zu führen, Erster Bürger.« * * * Methodisch setzte Giorj Hambrei seine Beobachtung der Projektil fort. Wie gelang es den Patrouillenmitgliedern, so lange darin auszuhalten? Für jedes neue Vorgehen, das Giorj sich ausdachte, ersannen Rees Leute eine Gegentaktik.
Er legte die dünnen, weißlichen Finger auf seine Lider und massierte sie, fühlte die Beschwerden der Müdigkeit in den überanstrengten Augäpfeln. Er brauchte mehr Schlaf. Aber die Projektil faszinierte ihn; noch stärker faszinierte ihn allerdings ihre Besatzung. Zum erstenmal war er an einen innovativen Genius geraten, der die Fähigkeit aufwies, sich mit seinem Denken zu messen. Wer es auch war, der in der Projektil die Verantwortung für die Technik trug, der Mann besaß offenbar ein geradezu unheimliches Talent, wenn es darum ging, Kabel zu legen und zu verbinden, um schwerpunktmäßig Atemluft und Gravitation zu erzeugen. Kaum hatte Giorj den Standort eines Generators ausgemacht und Vorbereitungen getroffen, um ihn zu vernichten oder dem Gegner durch Stoßtrupps nehmen zu lassen, war der Standort durch die Patrouillentechniker auch schon verändert worden. So lange dieses Versteckspiel andauerte, blieb es unmöglich, die Besatzung der Projektil durch Ersticken oder Erfrieren zu eliminieren. Und es bestand nach wie vor die Gefahr, daß sie den großen Materie-Antimaterie-Reaktor neu anschlossen. In dem Fall könnten sie die Stasisfelder wieder kontrollieren und genug Antimaterie isolieren, um das Schlachtschiff, wie Ree es bereits über der Heimatwelt der Romananer angedroht hatte, in eine Bombe zu verwandeln. »Sie externalisieren die Leichen«, bemerkte der Shuttle-Offizier. »Pünktlich auf die Minute«, fügte er ironisch hinzu. Giorj schaute zur Observationskuppel hinaus, sah eine Masse schlaffer Gestalten zur Schleuse der Projektil herausquellen. Kurz darauf erfolgte eine zweite Externalisation, noch mehr Tote schwebten ins Vakuum, eine Dunstwolke aus Kristallen umflimmerte die Leichen, die ins All trudelten. »Schicken Sie jemanden zum Einsammeln. Lassen Sie sie wie üblich über den Polen der Atmosphäre übergeben.«
Giorj stützte das Kinn aufs Knie, betrachtete die weißen Rumpfseiten der Projektil, zerstreut glitt sein Blick über die großflächigen, jetzt funktionsuntüchtigen Transduktions-Trichterantennen, fragte sich, welche Funksprüche sie im Laufe dreier Jahrhunderte des Betriebs wohl gesendet haben mochten. Nein, nicht die Projektil trotzte ihm; es waren die Männer in ihrem Rumpf. Ein Schiff konnte man erbeuten, steuern, verstehen und meistern. Ein Raumschiff verkörperte nicht mehr als ein technisches Problem. Menschen dagegen...? Auf einem seitlichen Monitor erschien Ngen Van Chows Konterfei. »Ingenieur? Ich bin informiert worden, daß auch der letzte Vorstoß in die Projektil... Ich will mal sagen: Nicht allzu erfolgreich verlaufen ist. Würden Sie mir bitte Art und Umfang der diesbezüglichen Problematik erläutern?« »Ich bin kein General«, antwortete Giorj mit schwerem Aufseufzen. »Aber Sie sind meine zuständige Autorität für Patrouillenschlachtschiffe. Worin besteht das Problem? Weshalb machen wir nur so langsam Fortschritte?« Giorj straffte seine Haltung. »Erster Bürger, ich kann das Schiff zu Schlacke einschmelzen. Ich kann es mit Strahlung verseuchen, zerblastern, es ist mir möglich, Gravitationsfluxionen zu induzieren, die alle Gegenwehr paralysieren. Aber alle diese Methoden, wie wirksam sie auch gegen Menschen sind, müßten die Informationen in den Computern löschen. Außerdem ist aus der Weise des Widerstands abzuleiten, daß Damen Ree mittlerweile das Ziel der Angriffe erkannt hat. Ich könnte die Blaster der Hiram Lazar zwar einsetzen, um die Widerstandsnester auszuräuchern, aber sie sind um für uns wichtige Teile des Raumschiffs gruppiert. Verstehen Sie? Vernichten wir die Patrouillenmitglieder durch unsere überlegene Blastertechnik, zerstören wir gleichzeitig das Schiff und die Daten.«
Ngen verkniff die Lider zu Schlitzen. »Allmählich verliere ich die Geduld, Giorj. Ganz davon zu schweigen, daß jedesmal, wenn sie drüben unsere Verluste externalisieren, die Moral unserer Truppe sinkt.« Ausdruckslos sah Giorj ihn an. »Ich erwarte Ihre Befehle, Erster Bürger.« Ngen saugte, Falten auf der Stirn, an seiner Unterlippe. »Nach und nach kommen Sie ja voran. Also gut, machen Sie weiter. Es kann sein, drüben sind sie dicht vorm Aufgeben. Verstärken Sie die Angriffe. Gönnen Sie dem Gegner keine Pause. Vielleicht können wir ihn erdrücken.« Giorj nickte. »Kümmern Sie sich gleichzeitig persönlich um meine Raumjacht, Ingenieur«, ergänzte Ngen seine Anweisungen. »Stellen Sie sicher, daß alle Bordsysteme hundertprozentig einwandfrei funktionieren sowie alle Vorräte und Lager maximal aufgefüllt sind.« »Sehr wohl, Erster Bürger.« »Vielen Dank.« Das Holo-Bild erlosch. Nachdenklich spähte Giorj hinüber zur Projektil. Zum erstenmal seit langem fing Van Chow an, in seine alten Verhaltensmuster zurückzufallen, an die er sich vor der sirianischen Revolution gehalten hatte. Giorjs Blick schweifte über die Umrisse der Projektil. Konnte es sein, daß die feindlichen Bodentruppen sich auf dem Planeten als ähnlich harter Brocken wie die Besatzung der Projektil erwiesen? Als die Projektil beschädigt worden war, hatten die Romananer in der Nähe Anglas gestanden. Rücksichtsvoll hatte Van Chow ihn mit der Aufgabe betraut, die Patrouillenbesatzung aus dem Schlachtschiff zu werfen. Falls seiner Mutter etwas zustieß ... * * * »Oberst?« Neal holte Ree aus festem Schlaf. »Hmm?« Ree blinzelte und gähnte.
»Ich habe Van Chow am Apparat. Er hat sich über eine Außenantenne in eine intakte Leitung gemogelt.« »Schalten Sie durch.« Auf der verrußten Monitor-Bildfläche zeigte sich Van Chows gereizte Miene. »Bereit zur Kapitulation, Ngen?« fragte Ree, heftete den Blick auf den Bildschirm. »Ich finde Ihren Versuch, Humor zu bewahren, recht amüsant, Oberst Ree. Nein, ich möchte Ihnen einen Handel um Ihr Schiff vorschlagen. Ich biete Ihnen das Leben, freie Beförderung zu einem Planeten oder einer Station Ihrer Wahl sowie zusätzlich ...« »Ngen, ich habe den Eindruck, Sie mißverstehen mich. Wir haben nicht die Absicht, vor Ihnen ...« »Oberst, ich versuche, Ihnen ein vernünftiges Angebot zu machen. Den Märtyrer zu spielen, wäre reiner Unfug, denkt man daran, wie das Direktorat...« »Daß ‘n Schwarzes Loch Sie verschlinge!« * * * »Es ist alles bloß noch eine Frage der Zeit. Helg und Apahar sind die einzigen größeren Widerstandszentren, die es um Ekrania noch gibt.« Rita atmete tief durch, während sie sich im ST-Kasino umschaute. »Noch hält Oberst Ree die Projektil, aber jetzt setzt man wieder Bla-ster gegen sie ein, also könnte es sein, daß Van Chow die Geduld ausgeht. Er hat die Möglichkeit, das Raumschiff jederzeit zu vernichten. Für den Fall, daß wir nicht kapitulieren, hat er auch schon damit gedroht.« Den Mund verpreßt, beugte Rita sich über den Tisch. »Ich habe abgelehnt.« Freitag sah Susan an, bemerkte keine Veränderung ihrer Miene. Ihr getrübter Blick blieb auf Rita gerichtet. Der Tod so vieler Besatzungsmitglieder, die sie gekannt hatte, hinterließ bei ihr anscheinend keinen Eindruck. »Gibt’s keinen Weg, wie wir hinauffliegen und ihm das
Schiff wegnehmen könnten?« erkundigte Freitag sich spontan. »Wenn die ST in der Atmosphäre manövrieren, dicht über der Gravitationsquelle, können seine Blaster sie als Ziel nur schwer erfassen. Wie wäre es denn bei einem ST-Angriff auf seine Raumschiffe?« »Diese Möglichkeit habe ich schon erwogen.« Bedächtig nickte Rita. »Die Sache ist bloß, daß wir den militärischen Druck auf dem Planeten nicht abschwächen dürfen. Wer garantiert uns, daß die Sirianer, wenn die ST plötzlich abfliegen, nicht glauben, sie hätten uns in die Flucht geschlagen?« Freitag grinste. »Niemand, aber würdest du nicht gern erleben, wie sie aufstöhnen, daß man’s in der halben Galaxis hört, wenn wir zurückkehren?« »Wir werden es wohl letzten Endes versuchen«, sagte Rita. »Aber vorher müssen wir Helg und Apahar haben. Van Chow betreibt von Helg aus noch einen reduzierten Shuttle-Verkehr. Es ist unsere erste Priorität, ihn zum Erliegen zu bringen. Wenn wir Helg eingenommen haben, gibt Apahar vielleicht von selbst auf. Sobald wir ganz Ekrania unter unserer Kontrolle haben, wird der Widerstand rasch zusammenbrechen.« Mosche stand auf, seufzte. »Ein anderes Problem, mit dem wir uns befassen müssen, ist unsere Verlustquote. Je länger wir hier im Erdkampf stehen, um so weniger werden wir. Sehen Sie sich nur mal um. Fünfzig Prozent unserer Streitkräfte haben wir verloren. Fast sechzig Prozent der romananischen Truppen sind gefallen oder so schwer verwundet worden, daß viele Männer, falls sie überleben, nie mehr fronttauglich sein werden.« »Andererseits haben wir jetzt bessere Krieger als je zuvor.« Eisenauge ließ den Blick grimmig rundumwandern. »Wir haben über die Direktorats-Kriegsführung viel gelernt. Ungefähr fünfzig Prozent unserer Verluste mußten wir Romananer an den beiden ersten Tagen hinnehmen. Danach sind die Verluste wesentlich geringer geworden.
Aber ich versuche keineswegs, die Lage zu beschönigen. Sie ist ernst.« »Ja, ich habe gleich gemerkt«, frotzelte Freitag dazwischen, »als ich den Raumhafen betrat, daß Sirius ‘n Problem darstellt.« Eisenauge zog die Schultern hoch und holte tief Luft. »Das bringt uns auf eine weitere Schwierigkeit.« Rita rieb sich den Nacken. »Romananer eignen sich nicht so gut für den Garnisonsdienst. Je mehr wir an Gebiet erobern, je stärker wir unsere geschwächten Kräfte überspannen, um so weniger Leute stehen uns zur Verfügung, um noch von Sirianern beherrschte Bereiche anzugreifen.« Eisenauge nickte. »Andererseits muß ich feststellen, ohne die Patrouillentruppen kritisieren zu wollen, daß wir Romananer mehr Gelände besetzen und anschließend weniger Ärger mit Aufständen haben.« Freitag tippte mit der Fingerspitze vor sich auf die Tischplatte. »Wir gehen vor wie ein Grüner Schnitter auf einem Feld. Die Patrouillensoldaten denken in militärischen Bahnen — wir denken in Begriffen der vollständigen Eroberung. Naja, wäre ich Kriegshäuptling, wäre ich der Auffassung, daß uns eine psychologische Waffe verfügbar ist — eine hervorragende Waffe, setzt man sie richtig ein —, eine Folgetaktik, die an unsere anfängliche Proklamation anknüpft: Besatzungszonen, die nach der Eroberung revoltieren, werden von Roma-nanern übernommen.« »Gute Idee.« Zufrieden nickte Rita. »Es ist der Zweck dieser Besprechungen, daß wir uns ‘n paar Gedanken machen.« Eisenauge massierte sich den Hals. »Dann sollten wir vielleicht bekanntgeben, daß die Aufgabe, Helg und Apahar einzunehmen, den romananischen Streitkräften zufällt — abgesehen von der Mitwirkung technischer Berater der Patrouille?«
Freitag warf einen Blick hinüber zu Susan. Ein schauderhaftes Lächeln verzog ihr die Lippen. Er räusperte sich. »Der Feind weiß, daß wir nicht mehr so stark wie am Anfang sind.« Sämtliche Anwesenden richteten die Blicke auf ihn. »Ihm ist auch bekannt, daß wir die meisten Verluste erleiden, weil es nicht immer möglich ist, vor dem Blasterbeschuß aus der Kreisbahn rechtzeitig in Deckung zu gehen. Folglich hat er damit begonnen, die Einstiege zu den Kabelstollen in Fallen zu verwandeln. Es werden Stolperdrähte gespannt, die Schächte unter Strom gesetzt oder Minen gelegt. Manchmal pumpt man Gas hinein. Ich muß wohl nicht erst erklären, welchen Effekt die Blasterstrahlen aufs Gemüt ausüben, wenn man weiß, daß man vor ihnen keine Deckung mehr finden kann.« Eisenauge nickte. »Wir haben alle Möglichkeiten durchdacht. Unseres Wissens gibt’s keine Aussicht, den Blastern zu entgehen, bis wir die Hiram Lazar unschädlich gemacht haben. Aber sobald das geschafft ist« — das fügte er langsam und genüßlich hinzu — »werde ich mir Ngen Van Chow vorknöpfen.« »Aber zur gleichen Zeit bringen sie so viele Angehörige der eigenen Bevölkerung um ...« — Mosche schüttelte den Kopf — »Das muß doch irgendeine Wirkung auf die Moral haben.« »Nach allem, was wir in den Straßen erleben, halb und halb.« Freitag zuckte die Achseln. »Manche gegnerischen Einheiten kämpfen härter, weil sie wissen, daß sie möglicherweise von den eigenen Kriegsschiffen unter Feuer genommen werden, andere verlieren völlig jeden Kampfgeist und schmeißen alles hin, weil sie so oder so den Tod vor sich sehen. Es hängt viel von der jeweiligen Einheit und ihrem Befehlshaber ab.« »Wir müssen noch etwas berücksichtigen«, sagte Rita gedehnt. »Es besteht die Gefahr, daß wir beim Sturm auf diese beiden letzten Ortschaften einen Großteil unserer Streitmacht verlieren.«
Freitag musterte sie; ihre Äußerung flößte ihm Nervosität ein. Susan beugte sich vor, der harte Glanz ihrer Augen verschärfte sich zum GlitzernRita ordnete ihre Gedanken, faßte sie in Worte. »Bis jetzt hat die Front sich ununterbrochen verlängert. Erst während der beiden vergangenen Wochen haben wir unseren Aktionsradius eingeschränkt. Van Chow hat seine Blaster, während wir weit verstreut waren, mit nur begrenztem Erfolg gegen uns eingesetzt. Seine Chance, uns zu treffen, war geringer. Nun müssen wir unsere Streitkräfte konzentrieren, und wie sollen wir da, wenn die Kabelstollen bestenfalls noch Ungewissen Schutz bieten, die Verluste minimieren, die uns der Blasterbeschuß von oben beibringt?« Stille herrschte im Kasino, während die Besprechungsteilnehmer sich das Dilemma verdeutlichten. Wenn die Bodentruppen Helg einnahmen, erhielt Van Chow die Gelegenheit, die Mehrheit der Romananer zu eliminieren, indem er den ganzen Ort zusammenbla-sterte und alles tötete, was dort lebte. Wer wollte diesen Preis zahlen? Freitag schaute in die Mienen der übrigen Anwesenden. »Kleine Stoßtrupps«, sagte Susan in das bedrückende Schweigen. »Wie soll das gehen?« fragte Rita; ihre Augen bekamen einen sanfteren Ausdruck, als sie das Mädchen anblickte. »Ihr bringt uns hinein, und wir schießen uns ‘n Weg durch die feindlichen Linien. Wir stören die feindlichen Verteidigungsmaßnahmen und bleiben dabei ständig in Bewegung. Wenn wir schnell genug sind, verbrennen die Kriegsschiffe höchstens Stellen, die wir schon wieder verlassen haben.« Eisenauge grinste, nickte Susan bewundernd zu. Er stand auf und projizierte einen Karte Helgs an die Wand. »Nehmen wir mal an, wir schicken nach festgelegtem Plan fünf ST im Tiefflug los und lassen sie an diesen strategisch wichtigen Punkten« — er zeigte sie auf der Karte — »klei-
ne Teams von nicht mehr als zwanzig Kriegern absetzen. Wenn wir dafür unsere besten Männer einteilen, wird’s leicht möglich sein, dadurch im Rücken des Gegners Verwirrung und Chaos zu verursachen. Ich glaube, wir sollten auch die Ortsränder infiltrieren.« »Kleine Teams?« wiederholte Rita nachdenklich. »Sollen sie in dünnen Schützenlinien operieren?« »Was sollte den Feind daran hindern, seine Kräfte zusammenzufassen und sie zu überrennen?« fragte Mo-sche. »Beweglichkeit«, sagte Susan unumwunden. »Wir wechseln andauernd die Position.« »Susan hat recht«, erklärte Eisenauge mit ernstem Nachdruck. »Es ist ein Bestandteil unserer Kampfme-thoden, zuzuschlagen, uns zurückzuziehen, wieder zuzuschlagen, uns erneut zurückzuziehen und abermals zuzuschlagen. Wenn der Gegner fortwährend versucht, unsere Teams zum Kampf zu stellen, muß er dementsprechend starke Verbände aufbieten, und macht er das, wird infolgedessen seine Front geschwächt. Die eingeflogenen Teams werden mit wenigen Männern ebenso effektiv wie eine größere Abteilung sein. Falls der Feind es vorzieht, seine Kräfte in der Vorneverteidigung konzentriert zu lassen, können die Teams nach Belieben Furcht und Schrecken verbreiten, und beide sind für uns tüchtige Verbündete.« »Überlaßt Furcht und Schrecken mir, ich werde sie schon verbreiten ... Ihren häßlichen Köpfen werde ich sie einhämmern!« Susan schlug die Faust auf den Tisch, sah sich herausfordernd im Kasino um. »Es könnte Selbstmord sein«, warnte Rita. Also genau das, was sie will, dachte sich Freitag; tiefer Kummer quälte sein Herz. »Wäre er nicht ehrenvoll?« fragte Susan mit ausdrucksloser Miene. »Hätte ein Angriff mit konzentrierten Kräften nicht unendlich höhere Verluste, viel mehr Tote zur Folge? Ich empfehle, uns Romananer so einzusetzen,
wie wir am wirksamsten handeln können. Wir sind Überfälle durchzuführen gewohnt, Majorin. Wir schlagen blitzartig und mörderisch zu. In der ganzen Stadt werden wir Zeichen unserer Stärke hinterlassen. Schon das Auftauchen einiger von uns kann den Feind in Schafe verwandeln. Wird er dann noch lange Gegenwehr leisten?« »Ich unterstütze Susans Idee.« Entschieden blieb Eisenauge bei seiner Haltung. »Sie wird die Sirianer in die Knie zwingen. Vielleicht nehmen Van Chows große Blaster uns ‘n Teil der Arbeit ab.« »Den Versuch ist’s wert«, stimmte Mosche zu. »Falls Andojars Plan aus irgendeinem Grund schiefläuft, können wir immer noch mit zusammengefaßten Kräften angreifen.« »Wer stellt diese Selbstmordkommandos auf?« fragte Rita. »Ihr wißt, daß wir sie nicht hinfliegen können, ohne die ST schwerem Beschüß auszusetzen.« »Wir melden uns freiwillig«, fauchte Susan nachdrücklich. »Wir sind Romananer. Spinne wird alle zu sich holen, die sterben, und alle« — sie lächelte — »die mit dem Leben davonkommen, holt er irgendwann gleichfalls zu sich.« Warum nicht? Weshalb sollte man nicht das Leben einer kleinen Anzahl Personen riskieren, um einen großen Erfolg zu erzielen? Sicherlich war das eine gangbare Methode. Aber wieso, fragte sich Freitag, mußte wieder Susan an der Spitze stehen? »Wir sollten uns die Tatsache zunutze machen, daß Van Chow bisher in jedem Wohngebiet, das von ihm ins Visier genommen worden ist, mehr Schaden als wir angerichtet hat. Wenn wir dafür sorgen, daß das allgemein bekannt wird, feuert er vielleicht nicht auf uns, bloß um uns zu widerlegen.« Freitag war sich darüber im klaren, daß er Susan begleiten mußte. Wenn er nicht dabei war, um wenigstens etwas auf sie achtzugeben, würde sie geradewegs in den Tod rennen. »Ja wahrhaftig!« Rita grinste.
»Verbreitet die Information, daß wir Helg in drei Tagen angreifen«, sagte Susan plötzlich. »Aber in Wirklichkeit greifen wir morgen an.« »Können wir das Organisatorische so schnell leisten?« wandte Rita sich an Mosche. »Es ist eine einfache Operation.« Mosche hob die Schultern. »Wir schicken soviel ST, wie erforderlich sind, lassen sie nacheinander aus verschiedenen Richtungen in die Einsatzzone fliegen. Sie überfliegen die Stadt und landen, wo Susan es für richtig hält, die Ro-mananer springen hinaus, und die ST fliegen weiter zur nächsten Stelle.« »Gleichzeitig landen wir Krieger am Ortsrand, die weit auseinandergezogene, aber zusammenhängende Schützenlinien bilden«, sagte Eisenauge. »Sie brauchen keine Geländegewinne zu erringen. Sie können vorgehen, wie sie wollen.« »Was soll verhindern, daß die Sirianer euch durch starke Einsatzgruppen vernichten?« fragte Rita. »Ihr könnt keine Entscheidungskämpfe durchstehen.« Susan schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Wir müssen uns auch gar nicht darauf einlassen. Wir brauchen sie nur dahin zu bringen, daß sie ihre Kräfte verschleißen, Majorin. Wir besiegen sie nicht. Sie machen sich selbst kaputt. Unsere Teams zeigen ihnen, daß sie nicht dazu fähig sind, die eigene Stadt unter Kontrolle zu behalten. Wir schneiden sie von der Energieversorgung, vom Wasser und vom Nachschub ab. Sie werden unterliegen.« »Und sie werden glauben, daß der Prophet auch das vorhergesagt hat«, meinte Eisenauge, zupfte an seinem langen Zopf. »Vergeßt nicht, diese Ansicht zu fördern, wann und wie es überhaupt geht. Die Vorstellung, daß jemand ihre Niederlage schon im voraus gesehen hat, kann in den Auswirkungen so stark wie Van Chows Blaster sein.« »Also gut, wir machen’s so«, brummte Rita. »Susan, du kriegst, was du brauchst. Such dir deine Freiwilligen
zusammen. Du kannst losschlagen, sobald du der Überzeugung bist, alles ist bereit. Wir kümmern uns um die propagandistische Seite und spielen dem Gegner durch eine Kontaktperson vorab falsche Informationen zu.« Während die Versammlung sich auflöste, gelang es Freitag, Ritas Arm zu fassen. »Hast du trotz deiner umfangreichen Planungsaufgaben mal ‘n Momentchen für mich Zeit?« »Wegen Susan?« Ritas kühle, grüne Augen erwiderten seinen Blick. Er nickte und ließ sich von Rita zu ihrer Kabine führen. Freitag nahm den Becher Kaffee, den Rita ihm reichte, setzte sich in den kleinen Sessel. »Ich weiß einfach nicht, was ich in bezug auf sie anfangen soll.« Rita betrachtete den Becher in ihren Händen. »Ich auch nicht. Sie verhält sich völlig selbstzerstörerisch. Ich kenne das. Letztes Mal habe ich’s bei mir selbst erlebt.« Rita seufzte und hockte sich auf die Koje. »Der einzige Unterschied war, als ich mich so benommen habe, gab’s keinen Krieg. Ich habe mich meiner Patrouillenkarriere gewidmet und mich durch die Hierarchie nach oben gestrampelt.« »Die Sirianer hassen sie«, konstatierte Freitag. »Für sie ist sie eine Verkörperung des Bösen. Auf ihren Kopf ist ‘ne Belohnung von fünfzigtausend Kredits ausgesetzt.« Rita lachte. »Na und? Für mich gibt’s ‘ne Million ... Als Lebende.« »An dich kommen sie nicht heran«, stellte Freitag klar. »Susan dagegen könnten sie erwischen.« Schweigen zog sich zwischen ihnen in die Länge. »Du weißt, woran es liegt.« Rita hob den Blick. »Susan hat nicht gelernt, mit ihren Schuldgefühlen zu leben. Das ist schlimm genug ... Aber obendrein hat sie nicht um ihn getrauert. Sie will die Trauer nicht zulassen.« Rita schüttelte den Kopf, aus Bitterkeit zuckte ihr Mund. »Guter Gott, und ich hatte gedacht, sie könnte zu weich sein.«
»Sie richtet sich zugrunde«, rief Freitag. »Ich kann nicht mehr mit ihr reden. Kannst du’s?« »Nein.« Langsam schüttelte Rita den Kopf. »Es ist ihre Sache, Freitag. Sie hat einen Teil ihres Innenlebens abgekapselt. Irgendeinen Schlüssel, um dahin vorzudringen, wird’s wohl geben. Aber niemand kann sie zwingen, sich damit auseinanderzusetzen. Es wird dazu kommen, wenn’s soweit ist... Falls sie noch so lange lebt.« »Ich ... ich ertrag’s ganz einfach nicht.« Hilflos warf Freitag die Hände in die Höhe. Dann stieß er ein Aufseufzen aus. »Nun, jetzt verstehe ich, um was ‘s in meiner Vision ging. Ich bin reingelegt worden.« »Vision?« Freitag nickte resigniert. »Ich habe mich Spinne angebiedert. Der Geisthelfer ... der sich mir als schimmerndes Licht gezeigt hat... Er hat mich gefragt, ob ich für Spinne hingeben wollte, was mir am kostbarsten sei... Und ich habe ja gesagt. Und jetzt befürchte ich... Ich kann nur hoffen, es bedeutet nicht, daß Susan ... daß sie stirbt.« Er blickte sie trostlos an. »Wir sterben alle mal«, erinnerte Rita ihn seufzend. »Das ist die eine große Wahrheit.« »Sieh mal, Freitag, fiele mir irgendeine Möglichkeit ein, um sie aus Schwierigkeiten herauszuhalten, ich würde sie nutzen. Das weißt du. Ich würde sicherstellen, daß ...« »Ich werde sie begleiten«, sagte er entschlossen. »Vielleicht kann ich verhindern, daß sie in den Tod geht. Es kommt nur darauf an, daß ich zur richtigen ...« »Diesmal bist du nicht dabei, Freitag«, sagte Rita bedächtig. »Ich brauche dich hier.« »Rita!« Er raffte sich hoch. »Du bist verrückt! Damit bin ich nicht einverstanden!« »Doch, du wirst einverstanden sein, Freitag Gelbes Bein.« Ritas Miene wurde hart. »Ich brauche dich dringender, als Susan dich braucht. Verdammt, die Menschen hier brauchen dich! Deine Ehre erfordert’s. Weißt du, du
wirst’s nämlich sein, der den Angriff am Ortsrand befehligt. Es muß jemand da sein, bei dem ich mich darauf verlassen kann, daß er mir Informationen zuleitet, eine Person, die sich für die Spinnenpropaganda eignet. Du hast ja gar keine Ahnung, wie effektiv deine HoloAnsprache gewesen ist. Die Sirianer wollen dich sehen. Sie möchten mit dir sprechen. Du bist ab sofort in die Führung kooptiert, Freitag. Du bist für den Krieg wichtiger als für Susan.« Benommen vor Fassungslosigkeit sackte Freitag zurück in den Sitz. Rita ließ ihm einen Moment Zeit, ehe sie ihre Darlegungen fortsetzte. »Du bist jetzt in der Kommandostruktur unsere Nummer Drei. Eisenauge und ich haben deine Beförderung schon offiziell gemacht. Überlege mal, was sollten die Krieger von einem Mann halten, der einer Frau ins Gefecht nachrennt, anstatt sich um die gesamte Truppe zu kümmern? Sie respektieren dich, Freitag. Für sie bist du eine Mischung aus Altem und Neuem. Du bist Spinnes Krieger ,.. und gleichzeitig so kühn, ihre größte Heldin zu lieben.« Sie zögerte. »Nein, du bleibst da.« Er sah sie an, erkannte das innere Ringen, das sie durchstand. Rita schüttelte den Kopf. »Ich... ich ... kann nicht anders handeln. Für mich ist’s genauso schwer wie für dich. Ich ... habe sie auch gern. Gäb’s irgendeinen anderen Weg ... Mir ist, als ob ich sie in den Tod schickte. Aber gäbe ich ihr den Befehl, es zu unterlassen, würde sie nicht gehorchen, sie will dort sein, wo gekämpft wird. Es ... es ist jetzt einfach Spinnes Wille.« Langsam erhob sich Freitag; er begriff, daß sie recht hatte. Er ließ den Becher Kaffee auf der Sessellehne stehen, ohne einen Schluck getrunken zu haben, und ging zur Tür. »Freitag?« rief Rita ihm nach. »Ich schlage vor, du wendest dich an Mosche. Stellt fest, was ihr haben müßt,
sucht Freiwillige zusammen. Ihr könnt nicht jeden einsetzen ... Nehmt nur die Besten. Ihr könnt alles haben, was erforderlich ist.« Im nächsten Augenblick hatte er die Kabine verlassen. Rita lehnte sich auf ihrer Koje zurück. Wer... oder was war aus ihr geworden? Donnerwetter, sie hatte wirklich angefangen, sich wie eine Majorin zu verhalten! Wo war die alte, ungezähmte Rita Sarsa mit ihrer Scheiß-dochdrauf-Einstellung geblieben? »Diese Rita ist mit Philip gestorben«, murmelte sie vor sich hin. Ihr kamen Erinnerungen an das Aufregende ihrer gemeinsamen Erlebnisse, stoben wie frischer Wind durch die angestaubten Gänge ihres Gedächtnis. Sie und Philip hatten sich gegen die ganze Galaxis gestellt, ohne Rücksicht auf irgend etwas das Direktorat herausgefordert. Sie entsann sich des Gefühls seines Körpers an ihrem Leib. Sie erinnerte sich daran, wie er ihre Seele zum Leben erweckt hatte. Trotz der Schmerzlichkeit der Erinnerungen waren ihr auch die wilden Höhepunkte ihrer Leidenschaft noch gegenwärtig, alle kostbaren Augenblicke, die sie am Rande des Untergangs hatten miteinander zubringen dürfen. »Und wofür lebe ich jetzt?« fragte si’e sich. »Was ist mein Ziel? Wohin gehe ich?« Sie preßte die schwieligen Handflächen auf ihre müden Lider. »Ach Spinne, ich bin dermaßen kaputt...«
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Akar Heistrom hörte das Pfeifen und hob den Kopf, versuchte es einzuordnen. Er runzelte die Stirn. Die Patrouille verwendete Flugapparate, die beim Anflug ein lautes Pfeifen erzeugten. Konnte das einer sein? Er blieb stehen, nahm den Gürtelkommunikator zur Hand. Wenn er nun einen Alarm auslöste, und es war doch keine Patrouillenmaschine? Während Akar überlegte, was er tun sollte, schwoll das Pfeifen an. Schließlich steigerte es sich zu einem Heulen, wie er noch nie eines gehört hatte. »Gruppe Sieben, Meldung«, rief er durch das Jaulen ins Mikrofon. »Auf Empfang«, ertönte es aus dem Kommunikator. »Hier ist ‘n Pfeifgeräusch«, schrie Akar. Da schwebte etwas schwarz vom Himmel herab, senkte sich einen halben Häuserblock entfernt mit Dröhnen und Knirschen aufs Straßenpflaster. Fast so plötzlich, wie es gelandet war, hob es ab und sauste davon, ein Schwall Heißluft fegte durch die Nacht, dann verklang das Jaulen in der Weite des Nachthimmels. »Sind eigene Flieger in unserem Abschnitt?« erkundigte sich Heistrom. »Negativ.« »Eine Straße weiter ist etwas gelandet.« Heistrom schnitt eine düstere Miene. »Warten Sie«, sagte die Stimme aus dem Kommunikator. »Das gleiche geschieht gerade in der ganzen Stadt«, gab sie nach kurzem Schweigen durch. »Rufen Sie Ihre Gruppe zusammen. Wir sind nicht sicher, aber es kann sein, der Feind hat Truppen abgesetzt.« Die folgenden drei Tage verliefen wie ein Alptraum. Akar führte seine kleine Gruppe die Straßen hinauf und hinab, griff ein, wo jemand Alarm schlug, geriet mit seinen Männern so unerwartet unter Feuer, als hätten sie Phantome zu Gegnern. Zur gleichen Zeit sah er überall die Resultate der romananischen Aktivitäten. Er fand Untergebene mit durchschnittenen Kehlen und skalpiert. Nicht selten sogar verstümmelt.
Furchterfüllt umdrängten Zivilisten ihn, erzählten von einer schauderhaften, schwarzhaarigen Frau mii auf den Schutzpanzer gemalter Spinne. Wenn Akar seine Soldaten zu der Stelle führte, wo man sie zuletzt gesehen hatte, entdeckte er nur noch Tote und Verstümmelte. Gleichzeitig machten alle Arten von Gerüchten die Runde. Flüchtlinge verstopften die Straßen, liefen vor den Romananern davon, die sich unaufhaltsam näherten, von Haus zu Haus herankämpften. Dabei sah man stets nur einen oder zwei da, fünf oder zehn dort, nie genug an einem Fleck, um das Abrufen von Luftunterstützung rechtfertigen zu können. Indem sich das Netz um den Stadtkern immer enger zusammenzog, begann Akar häufiger furchtsam an den Himmel emporzuschauen, sich einen Überblick der umliegenden Kabelstollen zu verschaffen, zu merken, welche man vermint hatte. Mit dem Sonnenuntergang fing jeden Abend eine Zeit des Schreckens an. Während der langen Stunden der Dunkelheit schienen allerlei Kreaturen durch die Schatten zu schleichen. Ganz gleich, wie angestrengt Akars Gruppe tagsüber die Gegner aufzuspüren versuchte, ohne auf sie zu stoßen, nachts lauerten sie allgegenwärtig im Finstern. Detonationen unterbrachen Stromleitungen; Häuser explodierten, ihr Schutt prasselte in die dunklen Straßen. Das Trinkwasser roch nach Gift. Hinterhalte dezimierten Spähtrupps der Heimwehr-Legionen. »Gruppe Sieben«, drang es verknistert aus dem Kommunikator, gerade als Akar seine Männer in die Rippen trat, um sie zu wecken. »Feindaktivität bei A Zehn. Romananerüberfall. Nehmen Sie unverzüglich die Bekämpfung der Feindgruppe auf. Verstärkung ist unterwegs.« Akars Mut sank. Wie oft hatte er schon ähnliche Befehle ausgeführt? Jedesmal war er mit seinen Männern zu spät eingetroffen oder — noch schlimmer — in eine Falle
der Romananer gelaufen. Von den dreißig Mann, die man ihm unterstellt hatte, lebten nur noch neun. »Ihr Prophet hätte sie nicht geschickt«, nuschelte hinter ihm ein Mann, »stünde nicht fest, daß sie gewinnen.« Akar buckelte die Schultern. Blödsinn! Klar, Akar, rede dir nur ein, es sei Blödsinn. Aber die Barbaren zermalmen den gesamten Planeten. Und wie schaffen sie das? Dank ihres Gotts. Es liegt an diesem Spinne und seinen Propheten, denen er die Zukunft zeigt. Wieso stehen wir eigentlich noch auf Van Chows Seite, wenn wir zu den Siegern gehören könnten ? Zum Teufel, die Romananer werden das ganze Direktorat unterwerfen! An der Ecke A und Zehnte Straße wirkte alles still, während er mit seinen Soldaten die Straße entlangzog, sie sich, wie die Erfahrung sie inzwischen gelehrt hatte, dicht an den Wänden hielten. Die Explosion überraschte Akar vollständig. Außer an das Aufblitzen, den Knall und etwas, das ihn schmerzhaft wuchtig aufs Pflaster schmetterte, entsann er sich danach an nichts. Das erste Gefühl, das er anschließend empfand, stammte von der rauhen, körnigen Fläche, auf der seine Wange lag. Er versuchte zu atmen, saugte langsam kühle Luft ins Brennen seiner Lungen. Das Klingen wich nicht aus seinen Ohren. Zusammen mit dem Schmerz und dem harten Beton, auf dem er ruhte, machte es sein gesamtes Universum aus. Plötzlich packte jemand sein Haar und zog daran. Er spürte ein Stechen und Reißen, sein Blickfeld ruckte, als ihm der Kopf hinund herflog. Warme Flüssigkeit rann ihm ins Ohr: Blut. In der Schwärze rings um ihn regte sich ein Schatten. Vorsicht! Stell dich tot! Furcht verursachte ein Beben in seinen Gliedmaßen, während er klare Gedanken zu fassen versuchte. Er bewegte die Finger und Zehen, bemerkte dadurch, daß er sich nichts gebrochen hatte. Langsam spannte er, den Blaster an die Brust gedrückt, seine Muskeln.
Was soll ich tun ? Aufspringen und schießen ? Weiter den Toten spielen? Gütiger Gott, laß mich überleben’. Finger zerrten an seinen Hosen. Vor Entsetzen wie versteinert, blieb Akar steif liegen. Der glutheiße Schmerz auf seinem Schädel wurde schier unerträglich. Angestrengt versuchte er, etwas zu erkennen, seine Sicht zu klären, und da sah er im trüben Licht der Nacht, wie sich eine Gestalt über seine entblößten Beine beugte. Glänzender Stahl schimmerte, als die Gestalt sich bükkte. Akar fühlte eine Hand an seinen Geschlechtsteilen, und auf einmal begriff er, wen er vor sich hatte. Er erlebte die schlimmste aller alptraumhaften Situationen. Plötzlich trat er mit von der Furcht verliehener, neuer Kraft zu, schrie auf, stieß die Frau zurück. Einen Moment später stand er auf den Beinen, schwang mit aller Gewalt, die er dem Grauen verdankte, seinen Blaster. Er hörte ein dumpfes Wumsen, als er traf, sah die Frau mit erschlafften Gliedern aufs Straßenpflaster zusammenbrechen. Zittrig wich er beiseite, als aus dem Dunkeln hinter ihm eine zweite Gestalt heranschnellte. Ein harter Arm umschlang seine Kehle, beugte ihn rükklings über einen muskulösen Körper, erstickte seinen Schrei in der Gurgel. Akar sah etwas schimmern, grapschte nach dem Dolch, doch es gelang ihm nicht, die Spitze abzuwehren, die sich kalt in seine Eingeweide bohrte. In seiner Panik zog er den Abzug des Blasters durch, die Entladung brach ein Stück Mauer aus einem Gebäude auf der anderen Straßenseite. Mit einem Aufgleißen stach das Messer, wobei der Arm um seinen Hals noch fester zudrückte, noch mehrmals in sein Fleisch. Blasterstrahlen durchfauchten über Akars Kopf die Luft. Der Angreifer fuhr herum, rief etwas in einer fremden Sprache, floh zusammen mit einem wirren Haufen weiterer Gestalten in die Dunkelheit. Akar sank zusammen, sein Blaster klirrte auf die Straße.
Ihm war plötzlich sehr kalt, er betastete die Nässe an seinem Bauch. Sie war warm, ein gewisser Geruch ging davon aus, Gestank nach ... nach ... Er wischte das Blut weg, das ihm in die Augen sickerte. Neue Blasterschüsse stachen ihre Strahlbahnen durch die Nacht, lösten Brocken aus Gebäuden. »Wer ... wer ist dort? Wer da?« Akar hörte, daß seine Stimme aus verzweifelter Furcht schrill klang. Seine Blase lief leer, er sackte auf die Knie, begann zu Allah zu beten, wie es ihm vor langem seine Großmutter beigebracht hatte. Unversehens verspürte er das Bedürfnis, an Gott zu glauben. Rund um ihn erschienen Gestalten aus der Nacht, gekleidet in die schwarzen Uniformen der Heimwehr-Legionen, und ihr Anblick versetzte Akar Heistrom vor Erleichterung ins Schlottern. »Eine hab ich erledigt«, flüsterte er ungeachtet des Bluts, das ihm zwischen den Fingern hervorsprudelte, die er auf den von Wummern durchpochten Leib preßte. Noch mehr Blut troff ihm vom Schädel, hinterließ in seinem erhitzten Gesicht kühle Streifen. »Eine hab ich erledigt.« Akar Helmstrom zitterte. In seiner Brust krampfte sich etwas straff zusammen. Ringsum verfärbte die Welt sich grau, während Hände ihn unter den Schultern stützten. Er hustete schaumiges Blut, das ihm über die Lippen quoll, ihm das Atmen unmöglich machte, erneut packte ihn Panik. »Sie lebt«, hörte er durch den Nebel der Erschöpfung, der ihn zu umnachten begann. »Er hat sie niedergeschlagen. O du lieber Gott! Wißt ihr, wer das ist?« Doch Akar Hei ström entschwebte wehmütig ins Dunkel der Ewigkeit.
23 »Pallas!« grüßte Ngen Van Chow mit pfiffigem Grinsen, als auf dem Transduktor-Bildschirm ein Konterfei aufflimmerte. »Pallas Mikros! Wie schön, Sie mal wieder zu sehen. Sagen Sie, wie stehen die Geschäfte?« Pallas spreizte die dicklichen Händchen, so daß der über seine feisten Arme drapierte, kostbare Stoff im Licht schillerte. »Das Geschäft ist, wie immer, höchst einträglich ... wenn auch ein bißchen gefährlich. Möglicherweise ist es heute sogar gewinnbringender als früher. Ich nehme an, das Toron hat Ihren Erwartungen entsprochen? Haben Sie nachbestellt? Ich kann zur Zeit außergewöhnlich große Kristalle in wirklich guter Qualität anbieten.« ‘ Ngen deutete, indem er eine Schulter hob, ein Achselzucken an. »Vielleicht. Wie sieht’s auf ‘m Markt aus?« »Eng.« Pallas lächelte; die Anstrengung straffte einige Flächen seines fetten Gesichts. »Auf dem Markt hat eine regelrechte Jagd nach Toron eingesetzt, alter Freund.« Er seufzte. »Ach, und das alles verdanke ich Ihnen und Ihren Sirianern. Überall im Direktorat gärt Unruhe. Da und dort kommt’s zu Krawallen. Die Patrouille fliegt wie verrückt von Planet zu Planet und von Station zu Station, versucht vorzutäuschen, es sei alles in bester Ordnung. Für Blaster werden beispiellose Preise gezahlt. Es läuft einfach wunderbar. Der Konflikt zwischen Ihnen und den Romananern macht mich zum reichen Mann, während ich mich früher vorsehen mußte wie eine Ratte unter der Diele. Heute rennen Regierungsbonzen mir die Tür ein.« Ngen lachte. »Dann können Sie mir vielleicht verraten, was ich wissen muß?«
»Ich sage jedem alles, was mir bekannt ist«, antwortete Pallas schmierig, indem er die Hände auf dem Schmerbauch faltete, »wenn er einen entsprechenden Preis entrichtet.« Ngen schüttelte den Kopf. »Nicht mit mir, alter Freund. Nicht mit dem Mann, der Sie reich gemacht hat. Nicht mit dem Mann, der Ihnen zu noch mehr Reichtum verhelfen kann. Sagen wir mal, wir unterhalten uns wie zwei Geschäftspartner, hmm?« Pallas’ ausgeprägte Hamsterbacken sackten abwärts. »Ich halte mir keine Partner, Ngen. Sie wissen doch genau, daß ...« »Nicht einmal Partner, denen es möglich ist, Patrouillenschlachtschiffe aus dem All zu blastern? Nicht einmal Partner, die Ihnen Reichtum und Macht bescheren können, die Ihre kühnsten Träume übertreffen ...? Oder einen so gräßlichen Tod, daß Ihnen das Fett von den Knochen trieft...?« Pallas straffte seine Haltung. »So etwas könnte mich unter Umständen von der Zweckmäßigkeit einer Geschäftspartnerschaft überzeugen. Erzählen Sie mir Näheres.« Ngen lachte. »Ich weiß Ihren pragmatischen Ansatz zu schätzen, Pallas. Ja wirklich.« »Und ausgerechnet jetzt, als Führer der glorreichen sirianischen Revolution, brauchen Sie einen Partner? Wofür, Ngen? Liegt es daran, daß die industrielle Kapazität Sirius’ Sie nicht mit Frauen oder anderen Vergnügungen versorgen kann? Welchen Wunsch haben Sie?« Ngen Van Chow lehnte sich in den Sessel, deutete mit dem Finger auf den Bildschirm. »Gesetzt den Fall, jemand möchte einen Planeten ausfindig machen, den eine Population von Fanatikern bewohnt, die nur auf die richtige Führergestalt wartet. Nehmen wir an, er braucht als Menschenmaterial eine Masse Unwissender, die Sorte Deppen, die nicht selbst zu denken versteht, die glauben,
was eine Führerpersönlichkeit ihnen auf tischt. Wenn er Fanatiker braucht, Fundamentalisten ... Wo ließen sie sich finden?« Pallas verkniff die Lider, bis die Augen in den Fettpolstern des Gesichts wie tiefsitzende, dunkle Pünktchen glitzerten. Für einen langen Moment überlegte er, rieb sinnlich die fleischigen Finger aneinander. »Aha ... Kann es sein, daß die Direktoratspropaganda die Wahrheit enthält? Ist es möglich, daß die glorreiche sirianische Revolution doch nicht so ruhmvoll verläuft, wie die Unabhängigkeitspartei es gerne gehabt hätte?« »Es kann sein, daß das hiesige Volk die glorreiche Revolution nicht verdient hat«, räumte Van Chow unumwunden ein. »Aber ich habe durch die Sirianer ‘ne Menge dazugelernt. Auf der Grundlage der geeigneten Kombination von Unwissenheit und Glaubenseifer könnte ich noch viel mehr ...« »Wie übel steht die Situation?« Pallas neigte den Kopf zur Seite. »Sagen wir mal, ich tausche mit Ihnen Informationen aus... Im Rahmen einer Geschäftspartnerschaft, wie Sie’s nennen. Erklären Sie mir, was an allem, was über Sirius verbreitet wird, wahr ist und was gelogen. Haben Sie drei Patrouillenschlachtschiffe zerstört?« »Das habe ich.« »Und stimmt es, daß die Romananer trotzdem die si-rianische Rebellion niederwerfen?« Pallas hob die Brauen. Van Chow winkte ab. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Den Sirianern fehlt der Mumm zum Krieg. Sie hatten noch nie die richtige Einstellung. Intrigen, Pläneschmieden, Tüchtigkeit in der Produktion, das sind si-rianische Vorzüge, ja. Berücksichtigt man, von welchen Voraussetzungen ich ...« »Und jetzt schauen Sie sich nach einem neuen Schlupfloch um«, konstatierte Pallas unverblümt. »Vielleicht.« Ngen verengte die Lider zu Schlitzen. »Die Situation hat sich hier gegenwärtig in ‘n Unent-
schieden festgerannt. Sie kann sich, je nachdem, wie gewisse Schlüsselfaktoren sich entwickeln, so oder so ändern. Momentan ist alles noch in der Schwebe ... Und ich kann mich im Hinblick auf die Entscheidung nur auf einen feigen Mob stützen.« »So? Und wenn Sirius Ihnen genommen wird, was soll dann ich für Sie tun?« Ngen lächelte. »Die Gewinne sind nie höher gewesen, sagen Sie? Sie sagen, die Leute schreien nach Waffen? Sehen Sie genau hin, mein schlauer Freund, es ist die alte Ordnung, die vor Ihren Augen zusammenbricht, in die Vergangenheit entschwindet. Die Kontrollgewalt des Direktorats ist gelockert worden. Wie Sie selbst sehen, kann man jetzt viel Geld verdienen. Aber vielleicht setzen Sie Ihre Ziele zu niedrig an. Mit dem, was Sie wissen, und dem, was ich weiß, gäben wir ein prächtiges Gespann ab.« »Ich habe Ihre Reden gehört, Ngen. Einfach wundervoll. Fast hätte sogar ich das alles geglaubt. Die Lage muß scheußlich sein, wenn die Romananer dazu fähig sind, gegen eine so herzzerreißende Rhetorik anzugehen.« Pallas winkte ab. »Und nun ist es vorbei mit den aufrüttelnden Appellen? Mit Ihrer edelmütigen Absicht, in den Armen Ihrer Brüder zu sterben? Hmm?« Van Chow lachte. »Ich bin Politiker, Pallas, Sie erwarten doch wohl nicht, daß ich die Wahrheit spreche! Es ist die Aufgabe eines Politikers, das Volk am Gängelband zu führen, es seinem Willen und seinen Absichten unterzuordnen. Jeder Führer weiß, daß die Lüge seine schärfste Waffe ist. Wenn diese sirianischen Schäflein schwach werden, muß ich mir eben andere suchen, mein Talent an einer Bevölkerung erproben, die die Bereitschaft zu hingebungsvollerem Einsatz hat. Und die Romananer haben mich eine wertvolle Lektion gelehrt, was die Macht der Religion hinsichtlich des Motivierens betrifft. Eine so effiziente Methode zur gesellschaftlichen Lenkung darf man nicht unbeachtet lassen.«
Pallas nickte. »Ich werde mir Ihr Angebot überlegen. Und den von Ihnen erwähnten Bedarf zwischenzeitlich nicht vergessen. Was glauben Sie, wie bald Sie meine Empfehlung haben müssen?« Ngen lachte auf. »In einer Woche planetarer Zeit? Nächstes Jahr? Heute in fünf Jahren? Warten wir ab, wie das Glück mir mitspielt.« »Hoffen wir, daß das Glück es gut mit Ihnen meint, Ngen Van Chow. Viel Erfolg ... gegen die Barbaren.« »Und ich wünsche Ihnen erfolgreiche Geschäfte. Sie können inzwischen etwas tun, um sie weiter zu fördern. Alle Arten sozialer Unruhen sind zur Umsatzsteigerung geeignet.« »Völlig richtig. Ich warte auf Neuigkeiten von Ihnen.« Der Kommu-Bildschirm erlosch. Ngen Van Chow kaute auf seiner Unterlippe, sein Blick schweifte über die anderen Monitore. Per Kontaktron wandte er sich an die Kommu, während er aufstand und sich ankleidete, dann ließ er das menschliche Wrack allein, das hinter ihm stöhnte, und das einmal Arish Amahanandras gewesen war; er durchquerte die Korridore und traf Giorj auf der Kommandobrücke an. »Sie haben mich gesucht, Erster Bürger?« Der blasse Ingenieur wirkte in sich gekehrt und verhärmt. »Ja, Giroj.« Ngen setzte eine strenge Miene auf. »Sie haben sich um meine Privatjacht gekümmert?« »Jawohl, Erster Bürger.« Van Chow atmete tief durch, sein Blick forschte in Hambreis verwaschen-stumpfen Augen. »Giorj, die Situation auf dem Planeten erweckt den Eindruck, als nähme sie ihren Verlauf zu unseren Ungunsten.« »Dessen bin ich mir bewußt, Erster Bürger.« Giorj zögerte. »Darf ich nach der Lage in Angla fragen? Ich habe die dortige Parteileitung nicht erreichen können. Meine Mutter...« Ngen hob die Hand. »Ja, ich weiß. Der Feind drückt in
Richtung Angla. Ich habe für den Fall, daß die Kämpfe sich ihrem Wohnsitz nähern, Befehl zur Evakuierung Ihrer Mutter gegeben. Sie wissen, wie sehr ich mich um sie sorge, Giorj. Sicherlich ist Ihnen klar, ich ließe nie zu, daß ihr etwas zustößt.« Der gräuliche Mann senkte den Blick. »Ich ... ich bin Ihnen dafür immer dankbar gewesen. Sie ... sie hat mir...« »Ich weiß. Sie ist eine wunderbare Frau.« Ngen legte eine Hand auf Hambreis Schulter. »Aber Sie merken ja selbst, wie die Situation inzwischen aussieht. Ich möchte, daß Sie ein paar kleine Umbauten am Reaktor vornehmen. Nur als Vorsichtsmaßnahme, nämlich für den Fall, daß wir das Schiff aufgeben müssen, verstehen Sie? Wie immer lege ich darauf Wert, gegebenenfalls meine Spuren zu verwischen. Wenn Sie die Sache diskret erledigen, veranlasse ich, daß Ihre Mutter an Bord der Hiram Lazar gebracht wird. Sollte es dahin kommen, daß wir uns absetzen müssen, nehmen wir sie mit auf meine Raumjacht. Das verspreche ich Ihnen.« Giorj stieß einen Seufzer aus. »Vielen Dank, Erster Bürger. Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Sorgen ich mir gemacht habe. Der Gedanke, daß ihr ...« »Für Sie tu ich alles. Ich weiß, was ich Ihnen schulde.« Zur Ermutigung gab Ngen dem Ingenieuer einen Klaps auf den Rücken. »Wie steht’s um Fortschritte in der Projektil ?« »Wir haben wieder ein Deck besetzt. Ich glaube, wir haben jetzt angefangen, die Kräfte der Verteidiger zu verschleißen. Sie sind so weit zurückgedrängt worden, daß sie die Toten nicht mehr externalisieren können.« »Sehr gut.« Van Chow furchte die Stirn. »Wissen Sie, es ist möglich, daß wir sie doch zerblastern müssen, um zu verhindern, daß die Patrouille sie zurück in Besitz nimmt. Es ist besser, niemand erfährt die Bruderschaftsgeheimnisse, als daß sie der Patrouille zufallen.«
»Über diese Möglichkeit bin ich mir im klaren.« Giorj wirkte bekümmert. »Tja, aber vielleicht kapitulieren sie drüben ja noch rechtzeitig, um ihr Leben zu retten.« »Ahm ... Erster Bürger?« »Ja, Giorj?« »Ich habe eine gute Nachricht. Während Ihres Transduktorgesprächs hat Vitr angerufen. Er meldet, daß man eine Romananerin erwischt hat... lebend.« * * * Maya ben Achmad hockte vor dem Monitor, betrachtete ratlos die Telescanning-Anzeigen. »Können wir denn überhaupt nichts tun?« »Es stehen uns keinerlei Optionen mehr offen, Sir. Van Chow anzugreifen, könnte ihn reizen, so daß er die Projektil aus dem All blastert. Ich schlage vor, bis auf weiteres einfach abzuwarten und zu sehen, ob es Rita Sarsa und den Romananern gelingt, den sirianischen Widerstand am Boden zu brechen. Fällt der Planet, wird es uns wieder möglich, zusammen mit den ST zu operieren. Alles andere würde Van Chow nur zur Verlust-minimierung bewegen.« »Und die Projektil wäre für uns verloren.« Maya klatschte eine Hand aufs Knie. »Um am miesesten ist, daß Miliken und Toreon bloß im All rumhängen und untätig bleiben. Nein, Toby will keinen Finger rühren. Verfluchtes Weib! Ihr und Jaischa macht’s in Wirklichkeit ‘n Riesenspaß, daß Damen Ree und seine Männer dort in dem Wrack verbluten. Verdammt, er hat wahrhaftig was anderes verdient! Er ist ein echter Soldat.« Sie zeigte auf die Wiedergabe der Projektil auf der Bildfläche, die zahlreichen sirianischen Angreifer, die das Schlachtschiff umschwärmten. »Er leistet da drin noch immer Gegenwehr. Das ist es, was früher in der Patrouille etwas ge-
golten hat. Ehre, Tapferkeit, Mut!« Der Erste Offizier schüttelte den Kopf, hob den Blick vom Kommu-Monitor. »Ich habe sämtliche Permutationen durchgerechnet, Sir. Die Viktoria könnte das zusammengefaßte Feuer von Hiram Lazar und Helk nicht länger als fünf Minuten verkraften. Danach wären wir bloß noch Schrott, genau wie die Projektil. Wenn Toreon und Miliken ...« »Aber sie lehnen’s ab!« brauste Maya wütend auf. »Sie beschimpfen Ree als Piraten, nur weil der verdammte Wasserkopf ihn so genannt hat.« Sie machte eine Gebärde der Hilflosigkeit. »Alles Quatsch! Bei Spinne, schauen Sie sich doch nur an, was sich drunten abspielt! Die Romananer gewinnen diesen beschissenen Krieg. Und ... und sie sind die Leute, die Skor Robinson eigentlich am dringendsten loswerden wollte.« Maya stand auf, ging auf der Kommandobrücke hin und her. »Ich weiß nicht, Ben«, meinte sie halblaut. »So wie sich die Entwicklung abzeichnet, hat’s den Anschein, als ob die Romananer den Planeten unterwerfen. Sie kennen Sarsas Berichte. Wenn sie unten Helg nehmen, wird der sirianische Widerstand um Ekrania zusammenbrechen. Apahar kann ihnen dann nichts mehr entgegenstellen. Ähnliches passiert auf den anderen Kontinenten. Sobald die Romananer den Durch-bruch errungen haben, brauchen unsere Truppen bloß noch aufzuräumen. Sagen Sie mir, wie’s laufen soll, Ben. Die Romananer erobern den Planeten. Wir starten einen koordinierten Angriff auf Van Chow, setzen die Schlachtschiffe gegen ihn ein und nehmen seine Kriegsschiffe unter Beschuß, während gleichzeitig die ST in den Orbit aufsteigen und sie attackieren. Wir nehmen die Hiram Lazar und die Helk, weil unsere ST, obwohl Van Chow das anscheinend nicht klar ist, seine Feuerleitkontrollen ausmanövrieren können. Und damit ist alles vorbei — und dann sollen wir den Romananern, den Leuten, die für uns den Krieg gewonnen haben, die Gurgel
durchschneiden?« Sie blickte in die harten Augen des Ersten Offiziers. »Wie fühlen Sie sich bei dieser Vorstellung, Ben? Hm? Wie ein direktoratstreuer Held, oder wie?« Der Erste Offizier neigte den Kopf seitwärts. »Viele Besatzungsmitglieder haben für die Romananer, während wir welche an Bord hatten, Sympathien entwickelt, Obristin. Sicher, sie waren lästig und haben Ärger verursacht, aber wir haben so einiges von ihnen gelernt. Sind Ihnen die Spinnenbilder in den Korridoren aufgefallen? Sie tauchen immer wieder auf, und dabei sind die Romananer schon seit Wochen fort.« Maya verschränkte die Arme, schaute finster zu den beiden anderen Patrouillenschlachtschiffen hinüber, die außenbords schwebten und ihre Gefechtsschäden reparierten. »Irgendwann in Kürze müssen wir uns entscheiden, Ben.« Ihr Erster Offizier nickte. »Ja, Sir.« »Wie wird sich die Crew verhalten?« »Sie wird zu Ihnen stehen, Obristin.« Maya senkte den Blick; der Erste kritzelte mit seinem Stift die krakelige Zeichnung einer Spinne. »Egal wie ich mich festlege?« Maya hob die Brauen. * * * Beschwerden pulsierten hinter Susans Augen. Doch als noch unangenehmer erwies sich die Verrenktheit ihrer Arme. Sie waren ihr auf den Rücken gebogen und dermaßen stramm gefesselt worden, daß sie ihre Brustmuskeln dehnten und ihr das Atmen erschwerten. »Sie kommt zu sich.« Die Stimme sprach mit merkwürdigem Akzent und in sonderbar unpersönlichem Ton. Susan versuchte zu überlegen. Sie befand sich auf dem Sirius. Sie hatte an einer Aktion gegen sirianische Truppen teilgenommen. Ihre Männer hatten ein paar Häuser
zusammengeschossen, um Sirianer anzulocken. Heimwehr-Legionäre waren aufgetaucht. Susans Gruppe hatte Granaten nach ihnen geworfen. Sie hatte Coups genommen und zweien das Gehänge abgeschnitten. Während ihr Team sich abzusetzen begann, hatte sie sich einen dritten Mann vorgenommen. Sie entsann sich an nichts, was danach geschehen sein mußte. Umsichtig benutzte sie ihre Sinne, um ihren Körper durch und durch zu erkunden. Sie hatte den Eindruck, daß noch alles vorhanden war, obwohl sie wußte, daß man bei von Blasterschüssen Verstümmelten Fälle von Phantomschmerz beobachten konnte. Sie öffnete die Lider zu Schlitzen. In dem Raum, in dem sie lag, war es hell; fast schrak sie vor dem Lichtschein zurück. Ein Kreis von Gesichtern blickte auf sie herunter. Sirianer in Uniform. Heimwehr-Legionäre. Susan schlug die Augen vollends auf und schaute sie, indem sie den Schmerzen trotzte, die ihr das Denken so zur Mühe machten, voller Haß an, »Sieh mal da.« Ein weißhaariger Mann nickte zufrieden. »Wo bin ich?« fragte Susan. »In Helg, Barbarin.« Der Weißhaarige strich sich mit langen Fingern durchs Haar. »Es hat uns erhebliche Anstrengungen gekostet, eine Romananerin gefangenzunehmen. Der Erste Bürger möchte dich vernehmen. Bisher hatten wir nur wenige romananische Gefangene. Nur solche, die irgendwie außer Gefecht gesetzt worden waren, so wie du.« Mühsam schluckte Susan, wünschte sich, sie könnte die Finger in seinen dünnen Greisenhals krallen. Sie malte sich aus, wie die Knochen dumpf knackten. »Und genau wie du sind sie alle schweigsam geblieben.« Der Weißhaarige verstummte, verschränkte die Arme und hob die Finger einer Hand ans Kinn. »Bei mehreren haben wir’s mit Psychingbehandlung versucht . Aber
in allen diesen Fällen waren die Ergebnisse ganz schlecht. Weißt du, wir kennen natürlich die Informationen, die Dr. Dobra verbreitet hat. Wir wissen, daß sich euer Gehirn von unserem Hirn unterscheidet. Es ärgert uns gehörig, daß wir euch nicht psychen können. Es würde uns einiges wesentlich erleichtern.« »Pika«, rief ein anderer Mann. »Ich habe den Ersten Bürger an der Kommu.« Der Mann namens Pika beugte sich über einen Monitor, führte mit ruhiger Stimme eine Unterhaltung. Als er sich aufrichtete, zuckte sein Gesicht ein wenig. Etwas war, folgerte Susan, beschlossen worden. Ihr Tod? Mit Trauer vermischte Erleichterung wühlte ihr Gemüt auf: Für Freitag wäre es ein schwerer Schlag. Andererseits flöge ihre Seele unverzüglich mit allem, was sie erfahren und gelernt hatte, empor zu Spinne. Es gab schlimmere Schicksale, als eine Dienerin Gottes zu sein. Pika lehnte sich ein Stück weit über sie, und sie roch den schwachen Duft seines Parfüms. Der Geruch stieß sie ab. Da stand kein Mann! Er war ein Fatzke. »Der Erste Bürger hat angeordnet, daß du ihm umgehend überstellt wirst.« Pikas Miene spiegelte Enttäuschung wider. »Ich hatte gehofft, dich erst ein paar Tage lang meinen Männern überlassen zu können.« Er wirkte aufrichtig verstimmt. »Werde ich erst noch eine Chance erhalten, dich zu töten?« fragte Susan, nahm sich zusammen. »Messerfehde! Ich gegen dich, den Schwächling Pika. Verstehst du den Begriff >Ehre?<« Jemand gab ein Brummen von sich. »Vielleicht haben wir uns getäuscht. Möglicherweise ist sie noch primitiver als die Kerls.« »Ja, das ist wirklich möglich«, sinnierte Pika leise, hatte die Finger wieder lasch ans Kinn gelegt. Ansätze einer Idee verfestigten sich in Susans Gedankengängen. Offenbar wußten die Sirianer tatsächlich
äußerst wenig über die Romananer. Die gefangengenommenen Krieger mußten in der Absicht gepsycht worden sein, sie ausfragen, ihnen Informationen zu entpressen. Manchmal wurde ein Romananer durchs Psychen wahnsinnig; bei der Mehrzahl blieb das Verfahren völlig wirkungslos; nur in ganz seltenen Fällen erzielte es den gewünschten Erfolg. Offensichtlich hatte kein Gefangener irgend etwas ausgeplaudert. »Gib mir ‘ne Chance, dich zu killen«, schnaufte Susan, verlieh ihrer Stimme einen Unterton grimmigen Knurrens. »Zeig mir, daß du ‘n Mann bist, kein Schaf!« »Schaf?« fragte Pika verständnislos. »Schaf!« wiederholte Susan und spuckte ihn an. »Feiglinge! Wir schlachten euch ab wie Schafe!« »Sie müssen ihre Befehle von der Patrouille bekommen«, mutmaßte ein magerer Sirianer. »Ohne Zweifel sind sie unfähig zu taktischem oder strategischem Denken.« »Na egal«, sagte Pika mit merklichem Widerwillen. »Von nun an ist sie das Problem des Ersten Bürgers. Ich bedaure es, daß nicht vorher unsere Männer sie haben dürfen. Wahrscheinlich gäbe sie das harmloseste Vergnügen ab, die sie seit Jahren gehabt haben.« Sämtliche Sirianer brachen in schallendes Gelächter aus. Susan verzog die Lippen zu einem bösen Zähnefletschen. Von Kopf bis Fuß verschnürt, wälzte man sie auf eine Antigrav-Bahre, schnallte sie darauf fest und schob sie hinaus, als wäre sie eine Rinderhälfte. Während des Wegs durch die Korridore prägte sie sich alles, was sie sah, gut ein. Wenn sie an Posten vorüberschwebte, die sie harten Blicks anschauten, spie sie in ihre Richtung aus, erwiderte so ihren Haß, der bei ihr so tief saß wie bei ihnen. Ohne besondere Umstände kippte man sie von der Antigrav-Bahre in ein offenes Airmobil. Eine kühle, abendliche Brise strich über ihre heißen Wangen. Wie lange mochte es her sein, daß sie niedergeschlagen worden war — Stunden, Tage? Sie hatte keine Ahnung. Das
Airmobil sank unter die Erde und glitt in eine geräumige unterirdische Kammer. Unterm harschen Licht der Deckenleuchten verliefen Treibstoffleitungen, standen Laufstege und sonstige Anlagen von komplizierter Beschaffenheit, warfen Schatten auf die Rumpfseite eines Shuttles. Das Airmobil stieg aufwärts, bis es die Höhe einer Luke erreichte. Rauhe Hände packten Susan, trugen sie hinein und schnallten sie auf die kalten Bodenplatten des Decks. »Bis Sonnenaufgang dreißig Minuten.« Eine wie körperlose Stimme durchdrang das Jaulen unter Susans Ohren. »Keine Ortung von Patrouillen-ST. Laß uns abzischen. Sie werden ziemlich bald wieder Aufklärung fliegen.« »Hauptportal wird geöffnet. Fünf Minuten bis zum Start.« Das Jaulen gewann an Lautstärke, bis Susan die gedämpften Stimmen der Crew nicht mehr hören konnte. Dann schien die Hand eines Riesen sie auf die Stahlplatten zu drücken, ihr den Atem aus dem Leib zu wuchten, die Welt rings um sie wurde erst verschwommen und grau, danach schwarz. Als ihre Besinnung wiederkehrte, hatte sie das Gefühl des Fallens. In ihrer Panik glaubte sie, das Shuttle sei abgeschossen worden. Ihr Herz hämmerte, sie ließ zu, daß ihr Erinnerungen an Hans kamen, an die Zärtlichkeit, durch die er sich ausgezeichnet hatte. Sie krümmte sich, erkannte das ganze Ausmaß der Trauer, die sie hinter den inneren Dämmen ihres Bewußtseins zurückhielt. Wie hätte sie darunter gelitten, hätte sie sie zugelassen ...! Sie zwang sich zu Gedanken an Freitag, sperrte die Trauer um Hans weiter in den Abgründen ihres Gemüts ein. Sie malte sich den Humor in seinen Augen aus, sein lebhaftes Lächeln, die enorme Anerkennung, die sein Blick für sie zum Ausdruck brachte. Ob er zuließ, daß sein
Leid ihn abtötete, so wie es sich bei ihr ergeben hatte? Sie schloß die Lider und betete zu Spinne, schnell und würdevoll sterben zu dürfen. »Andockmanöver«, ertönte eine ruhige Stimme aus dem Cockpit. Susan runzelte die Stirn. Der Pilot redete nicht, als drohte ihm der Tod. Schwerelosigkeit! Das winzige Shuttle hatte keine Gravo-Kompensatoren. Warum nicht? Es war lediglich ein wenig Hyperkonduktor erforderlich. Wenn die Sirianer über so verflucht viel Hyper-konduktoren verfügten, um derartig starke Blaster zu bauen, weshalb setzten sie sie nicht für die vielfältigsten Zwecke ein? Susan wand sich auf der Stelle und schaute sich in dem Shuttle-Abteil um. Deck und Schotts waren völlig kahl. Schwach konnte sie die schmalen Rillen erkennen, die die Stellen anzeigten, wo man normalerweise zur Erzeugung von Gravitationsfeldern mit Hyperkonduktor gefüllte Platten einfügte. Ein solcher Gravo-Kom-pensator hätte direkt hinter ihrem Kopf sein müssen. Eine Sekunde lang glaubte sie, sie kugelte sich die ohnehin überlasteten Schultergelenke aus, doch es gelang ihr, einen Blick — wenn auch nur einen flüchtigen — aufs Schott zu werfen. Anscheinend waren die Schweißarbeiten erst kürzlich vorgenommen worden, die in der Raumfahrt überall übliche, weiße Farbe war auf den Schweißnähten noch ziemlich frisch. Susan grinste. Also hatte Van Chow, um die Blaster zu konstruieren, den ganzen Planeten um einen bedeutsamen Teil des technischen Komforts beraubt. Wenn sie sich nun diese Blaster genauer ansehen und einen Bericht an Oberst Ree oder Rita durchgeben könnte ... Ihr Körper kreiselte um die eigene Achse, während das Shuttle Manöver vollführte. Minuten verstrichen. Sie hörte ein Rumsen und spürte ein Schrammen durchs dicke Metall vibrieren. Als das Shuttle anlegte, schwuppte sie durch den Ruck zur Seite.
Die Crew stieg aus dem Cockpit herab und schnallte sie los. Wehrlos zappelte sie, die Männer fingen sie buchstäblich aus der Luft, trugen sie durch die Luke und in dahinter vorhandene Gravitation. In seinen Kriegsschiffen hatte Van Chow offenbar nicht an Hy-perkonduktoren gespart. »Das ist eine Romananerin?« Der Mann, der Susan beäugte, sah krank aus, bleich, beinahe grau. Er hatte ein völlig ausdrucksloses Gesicht. »Wir übergeben sie jetzt Ihrer Verantwortung, Ingenieur.« Der Shuttlepilot zuckte die Achseln. »Gibt’s auf diesem Kahn irgend was Anständiges zu essen? Unten werden die Rationen allmählich knapp. Mir ist zumute, als hätte ich ‘ne Woche lang nichts gefuttert.« »Wie ernst ist die Lage?« wollte der Ingenieur erfahren. »Gelangt noch Nachschub nach Angla?« »Sie meinen, Sie wissen noch nicht Bescheid?« Der Pilot beugte sich vor, besah sich etwas auf einem Monitor. »Die Patrouille hat Angla letzte Woche überrannt. Daraufhin hat die Helk das Kaff komplett von der Landkarte gesengt. Herrgott, dort sieht’s wie ‘ne Mondlandschaft aus. Ich habe gehört, der Erste Bürger wäre darauf versessen, jeden Romananer zu eliminieren, den er ins Visier kriegen kann, ganz egal, wie oder um welchen Preis.« Susan ließ den Blick auf den Ingenieur geheftet. Er hatte sich zusammengekrampft, die Finger um die Fernbedienung der Antigrav-Bahre geklammert, auf der Susan inzwischen wieder lag. Jetzt stand Schmerz in seinen vorher leblosen Augen. Warum? »Ich bin dort gewesen«, sagte Susan leise. »Es war schrecklich. Die Einwohner hatten kapituliert und die Heimwehr-Legionäre weggejagt. Ich habe bloß überlebt, weil ich schnell genug in ‘n Kabelstollen abgetaucht bin.« »Meine Mutter... hat dort gewohnt«, flüsterte der
Ingenieur, ehe er merkte, mit wem er sprach. »Er hat gesagt, er wollte sie beschützen.« Seine Stimme erstickte, straff verzog er um seinen Mund die Muskeln. »Oh, tut mir leid, das zu hören«, gab der Shuttlepilot ein gewisses Beileid zu verstehen. Er wirkte nervös. Mit einem Nicken strebte er rasch hinaus. Susan empfand ein Fünkchen Hoffnung. »Mein ... der Mann, den ich geliebt habe, ist auch im Blasterbe-schuß verbrannt«, flüsterte sie, überrascht über die Leichtigkeit, mit der sich ihr Schmerz — wie selbstverständlich — in ihrer Stimme niederschlug. »Gott, es war entsetzlich ...!« Der Ingenieur sah auf sie herab, bemerkte das Leid in ihren Augen. Er setzte die Antigrav-Bahre in Bewegung. »Möchtest du mir davon erzählen?« Susan blickte ihm tief in die sonderbaren, bläßlichen Augen. Konnte sie bei ihm etwas erreichen? Wie weit gefährdete sie, wenn sie mit ihm sprach, ihre vorgetäuschte Unwissenheit? »Es wäre dann bloß noch schmerzhafter für dich«, antwortete sie leise. »Es ist auf beiden Seiten schon genug gelitten worden. Dieser Krieg hat allen nichts als Leid gebracht.« Er nickte. »Meine Mutter war meine einzige ...« Ruckartig schloß er den Mund und schluckte. »Du hast sie geliebt«, meinte Susan mitfühlend. »Daran ist nichts Falsches. Danke Spinne dafür, daß du eine Mutter gehabt hast. Meine Mutter... Naja, sie ist schon gestorben, als ich noch klein war ... Ich hätte gerne was über deine Mutter gehört. Ich habe mich immer gefragt, wie’s wäre, Eltern zu haben.« Der Ingenieur verkniff die Augen. »Du hattest keine Eltern?« Susan schüttelte den Kopf, versuchte die insgehei-men Reaktionen des Ingenieurs wahrzunehmen. »Ich war Waise. Dadurch ist’s wohl dahin gekommen, daß ich schließlich hier enden mußte.« »Es kann schon sein«, sagte der Ingenieur mit seiner
gedämpften Stimme im Ton einer Warnung, »daß das kein Glücksfall gewesen ist.« »Wie lautet dein Name, Ingenieur? Wieso soll mein Glück mich nun im Stich lassen?« Susan verlieh ihrer Stimme einen weichen, weiblichen Klang. »Ich heiße Giroj Hambrei.« Er schaute sie an. »Du wirst die Räume des Ersten Bürgers niemals lebendig verlassen. Er hat dich unter großem Aufwand herzuschaffen befohlen, um zu sehen, ob er dich kleinkriegen kann. Es macht ihm Spaß, die Schwäche anderer Menschen auszunutzen, um sie zu beherrschen. Bei Frauen genießt er es, sie zu erniedrigen. Als Ebenbürtige kann er Gegenspieler nicht ertragen. Dich zugrundezurichten, gibt ihm Kraft.« Susan erinnerte sich an ähnliche Äußerungen aus Freitags Mund. »Das ist ein Merkmal einer kranken Seele«, erklärte sie halblaut. »Ich hätte es nicht besser formulieren können.« Giorj blieb stehen, als ränge er um einen Entschluß. Aus Beunruhigung huschte sein Blick hin und her, er bewegte den Mund, leckte mit der Zunge über die nahezu farblosen Lippen. »Wie stark bist du, Romananerin?« »Man weiß nie, wie stark man ist«, gab Susan zur Antwort. »Ich glaube, man findet Kraft durchs Bewältigen der schwersten Aufgaben. Ich habe schon viele Schwierigkeiten überwunden. Wie steht’s mit dir, Giorj?« Er starrte geradeaus; seine Miene war völlig undeutbar. An seinem Mundwinkel zuckte ein Muskel. »Ich weiß es nicht. Kann sein, ich habe noch nie etwas Schwieriges geleistet. Vielleicht hatte ich immer zuviel zu verlieren.« Er senkte den Blick. »Ich wüßte nicht, was ich tun könnte, um dir zu helfen. Aber ich kann ...« »Wieso solltest du auch?« fragte Susan in plötzlicher Besorgnis. »Ich bin Romananerin, eine Feindin deines Volks.« Giorj erregte den Eindruck, innerlich zu verfallen.
»Möglicherweise bist du nicht der einzige Feind, den unser Volk hat.« »In diesem Fall« — Susan grinste — »bin ich auch bereit, dir zu helfen. Wenn ich’s irgendwie kann. Die Patrouille hat den Planeten inzwischen so gut wie besetzt. Es wird nicht mehr lange dauern, und sie gewinnt auch im All die Oberhand. Die Bevölkerung hungert, sie ist am Ende. Sie kann nichts mehr gegen uns ausrichten. Immer wenn Van Chow uns zu verbrennen versucht, tötet er dabei Tausende von Sirianern.« »Er hat gelogen! Er hat mir, mir, direkt in die Augen geschaut und gelogen! Er sagte, er hätte befohlen, sie zu evakuieren, obwohl er wußte ... wußte, daß unsere eigenen Waffen sie längst zu Asche zerblastert hatten!« »Tut mir leid«, flüsterte Susan. »Es sind so viele ums Leben gekommen. Alles ist für... ja für was gewesen? Hätte es ohne Van Chow je Krieg gegeben?« »Ich kann dir jetzt nicht mehr sagen«, raunte Giorj ihr zu. »Du mußt nun stark sein.« Der Ingenieur aktivierte durch Handflächenkontakt einen Öffnungsmechanismus, der eine Tür zur Seite schob. Aus ihrer Lage auf der Antigrav-Bahre konnte Susan einen großen, rundum gepolsterten Raum mit schummriger Beleuchtung erkennen. Seitlich standen zwei Betten an der Wand, und es gab eine Tür, die wohl, wie Susan vermutete, in einen Umkleide- oder Waschraum führte. Auf jedem Bett lag eine Frau; beide blickten Susan apathisch entgegen. Giorj streckte die Hand aus, an den Gurten, die Susan auf der Bahre festgeschnallt hielten, öffneten sich die Verschlüsse. Susan setzte sich auf, zuckte beim Schmerz, den sie in den Schultern spürte, zusammen. Wortlos streifte Giorj ihr den Schutzpanzer ab, stapelte die Bestandteile auf die Bahre. »Dort ist die Waschgelegenheit.« Er deutete auf die zweite Tür, die Susan schon bemerkt hatte. »Ich muß dir
sie« — er hielt zwei schmale Bänder hoch — »um die Handgelenke legen.« »Ich will sie nicht!« fauchte Susan, sich dessen bewußt, daß sie unter Beobachtung standen. Angesichts der Veränderung ihres Betragens flackerte es für vielleicht einen Sekundenbruchteil in Giorjs Augen. Er zeigte eine dünne Stange vor, die an der Spitze glomm. »Dann benutze ich das hier. Bitte glaub mir, es geht nicht anders.« »Ich will keinen Schmuck von euch stinkigen Schafen«, zischte Susan, richtete sich zu voller Größe auf, verschränkte aufsässig die Arme. Mit Absicht ließ sie ihm keine Wahl. Als ihr Bewußtsein wiederkehrte, lag sie nackt auf einem der Betten; sie war gewaschen — zum erstenmal seit Wochen —, und Giorj war fort. »Wo bin ich?« fragte sie die zwei Frauen, die jetzt beide auf dem anderen Bett kauerten. Eine, die jüngere, lachte nur, brabbelte hysterisch. Die zweite Frau sah sie aus stumpfen Augen gequält an. Susan betrachtete ihr Gesicht. An Nase und Augen kam ihr einiges bekannt vor ... Gleich darauf fiel ihr ein, wer diese Person war: Obristin Arish Amahanandras! Hier?! Die hochmütige Obristin — nackt und gedemütigt? »Wo bin ich?« wiederholte Susan mit erhöhtem Nachdruck. »Was ist das für ein Loch? Wo sind meine Waffen und mein Schutzpanzer?« Arish stöhnte, wandte den Kopf zur Seite, als drohte sie in Panik zu geraten. Susan wollte sich vom Bett schwingen, aber ein Stoß warf ihren Oberkörper aufs Bett zurück. Ein seltsames Feld umgab es, eine Art von nach innen gewandtem Schutzschirm. Ein Schaudern dumpfen Grauens ging Susan über den Rücken, als sie nochmals zu Arish hinüberschaute, das befremdliche Glitzern in den Augen der anderen Frau flößte ihr Furcht ein.
Sie betastete die schmalen Bänder um ihre Handgelenke. Ein gleichartiges Paar Bänder hatte sie um die Fußgelenke. Sie sah sich in dem Raum um, konnte nichts erkennen, das auch nur im entferntesten einer Waffe geähnelt hätte. Alles war gepolstert, es gab keine scharfen Kanten oder spitzen Stellen. Sie hatte nichts als den eigenen Körper zur Verfügung ... Und das Wissen, daß sie schon mehr als einen Mann mit bloßen Händen getötet hatte. Sie ließ sich auf das Bett sinken, fühlte die Schwere der Erschöpfung in ihren Gliedern. Nachdem ihr Blick ein letztes Mal durch den Raum geschweift war, rollte sie sich zusammen und schloß die Lider. Konnte sie Giorj als Freund, oder mußte sie ihn als Feind einstufen? Welche Aussicht bestand, sich mit Oberst Ree oder Majorin Sarsa in Verbindung zu setzen? Was hatte man mit ihr vor? Die letztere Frage machte ihr Sorge. Erwartete die Vergewaltigung durch eine Männerhorde sie? Möglicherweise. Sie könnte es den Sirianern nicht einmal verübeln. Vielleicht gab sie den Ersten Preis in irgendeiner Art von Wettstreit ab? Tatsache war, man hatte sie am Leben gelassen — jedenfalls bis auf weiteres. Und nun? Wie wirst du damit umgehen, Susan ? fragte sie sich. Ihre Gedankengänge kreisten immer wieder um diese Frage, sie erinnerte sich an Ritas Warnungen. Sie entsann sich dessen, was mit den Frauen geschehen war, die sie in die Hände von Romananern hatte fallen sehen. Überwiegend überlebten sie es. Freitag hatte erklärt, es wäre etwas ähnliches wie ihre neue Angewohnheit, Männern die Geschlechtsteile abzuschneiden. Kälte griff nach ihrem Herzen, breitete sich längs ihrer Wirbelsäule aus. Spinne lieferte ihr eine Kostprobe ihrer eigenen Medizin. Wiederholt mußte sie — sie konnte nicht anders — an Arish und die andere Frau denken, die mit ihr in diesem Gefängnis festsaßen. Arish Amahanandras war kein
Schwächling gewesen. Solche Leute hatten keine Chance, in die obere Kommandohierarchie der Patrouille aufzusteigen. Trotzdem machte Arish einen völlig zerrütteten Eindruck. Wieso? Weshalb? Eisige Furcht krampfte Susans Eingeweide zusammen. Mut, sagte sie sich, Mut war es, von dem nun alles abhing. Ob sie den Mut behielt oder nicht, entschied darüber, ob sie überlebte oder starb. Doch so oder so, auf alle Fälle hatte sie Maßstäbe gesetzt. Das unwissende Mädchen, das sich einmal nichts dringlicher gewünscht hatte, als zu den Sternen zu fliegen, hatte seitdem einen weiten Weg hinter sich gebracht. Darum war sie jetzt hier. Außerdem hatte sie den Respekt ihrer Untergebenen errungen, sie ins Gefecht geführt, sogar Eisenauge von ihrem Plan überzeugen können. Sie mußte einfach durchhalten, bis die Patrouille angriff. Wenn die ST das Raumschiff attackierten, die Sturmtruppen es enterten, würde man sie finden. Bis dahin mußte sie am Leben bleiben. »Aha ...!« Die leise, affektierte Stimme überraschte Susan. Sie blickte auf und sah in die sanften Augen Ngen Van Chows. Blitzartig und zu allem bereit sprang sie auf die Beine. Nur einen Schritt sollte er noch tun, und sie würde ihm das Herz zum Rücken hinaustreten. »Das ist aber eine ziemlich feindselige Begrüßung, meinst du nicht auch, liebes Kind?« säuselte Van Chow. »Komm, laß uns Freunde sein.« Eine Ausdruck des Mißmuts furchte tief sein Gesicht, als hätte ihn ehrlicher Kummer ergriffen. »Ich bin hier, um dich Lust zu lehren.« Im Augenwinkel sah Susan, wie Arish sich kriecherisch niederduckte. Die Schwachsinnige dagegen entspannte sich beim Klang der Stimme Van Chows, ihre hohlen Augen begannen zu glänzen, als sie mit den Fingern das eigene Fleisch zu kosen begann. In Susan wallte Entsetzen empor.
Ngen tat einen Schritt auf Susan zu, gerade als sie ihre Muskeln noch stärker spannte. Sie trat nach ihm; doch sie traf ihn nicht. Statt dessen plumpste sie auf das Bett, mit einem unwiderstehlichen Ruck klirrten die Reifen an ihren Hand- und Fußgelenken aneinander, schon spürte sie unter den Ringen Druckschmerz. »Aber meine Liebe«, rief Van Chow, fing sich auszuziehen an. »Wir müssen dir beibringen, daß Lust durch Hingabe entsteht... nicht durch Gewalt.« Susan sträubte sich gegen die Metallbänder, die ihr Arme und Beine fesselten. Sie zerrte und riß daran, schabte sich bei den Anstrengungen die Haut auf. Obwohl sie ihre Körperkräfte wie eine Tigerin aufbot, gaben die Reifen nicht im geringsten nach. »So, mein wunderbares Engelchen ...«, gurrte Van Chows Stimme in schmeichlerischem Tonfall. Susan fuhr herum, starrte ihm haßerfüllt ins Gesicht. Als sie ihn zu beißen versuchte, stopfte er ihr den Mund kunstgerecht mit einem Knebel. »Was für eine Schande, meine Schöne. Aber uns bleibt noch viel Zeit, um dich die Lektionen der Lust zu lehren. Sieh dir nur einmal meine liebe Leona da drüben an.« Seine Finger begannen über Susans Haut zu streichen, als sie den Blick auf die Frau richtete. Leona Magill! Mit neuem Interesse sah Susan sie an, während die ehemalige Erste Bürgerin sich selbst streichelte, dabei vor sich hinstöhnte. »Auch du wirst ganz mir gehören, meine wundervolle, herrliche Schönheit, genau wie sie.« Van Chow kicherte vor Vergnügen. Susan zappelte, warf sich halb hysterisch von einer zur anderen Seite. »Und nun, mein süßes Schätzchen«, fügte Van Chow freundlich hinzu, »wollen wir einmal nachschauen, was du denn so im Kopf hast.« Er senkte ein merkwürdiges, großes Kontaktron auf Susans Schläfen.
Augenblicklich erfüllte Susan Ruhe, die Maschine las in ihrem Geist, sortierte aus dem tiefsten Innern ihres Gemüts Bilder hervor, die mit den Gesichtszügen Ngen Van Chows verschwammen, Feind in Freund verwandelten. Hans, rief Susan innerlich, sah ihn sich über sie beugen, sich anschicken, ihren Leib zu umarmen. NEIN! schrillte eine Warnung durch ihr Bewußtsein. Hans ist tot! TOT! Es ist Van Chow. Du wirst vergewaltigt Wehr dich! Doch zu ihrem Grausen reagierte ihr Körper positiv, er fühlte Hans’ zärtliche Berührungen, obwohl die Augen, in die Susan blickte, schwarz waren, hitzig und leidenschaftlich. Bereitwillig küßten ihre Lippen den fremden Mund, obschon ihr Geist entsetzt zurückprallte. In den Tiefen ihres Bewußtseins begann ein gräßliches Heulen, schwoll an, durchgellte ihr Gehirn, sie wimmerte hysterisch vor sich hin, während ihr verräterischer Leib die Wogen der Wollust begierig willkommen hieß und sich bereitwillig öffnete.
24 Mit ausdruckloser Miene starrte Rita Sarsa auf den Monitor. »Bist du sicher?« Bitter nickte der Krieger, »Wir haben Angehörige der Heimwehr-Legionen gefangengenommen und zum Reden gebracht. Susan ist zu Van Chows Kriegsschiff hinaufgeflogen worden.« Ritas Herz stockte. »Tja, dann wird’s wohl so sein. Ich nehme an, wir werden trotzdem einfach tun müssen, was es zu ...« »Wir tun’s schon. Blut wird fließen. Heute nacht wird Helg zittern. Die Sirianer sollen erfahren, was es heißt, eine Frau des Volks zu verschleppen.« Die Kommu-Verbindung wurde getrennt. In kläglicher Stimmung stand Rita reglos vor dem Apparat. Nur die Augen bewegten sich. Eine ganze Reihe von Erinnerungen an Susan Smith Andojar wurde in ihr wach. An dem Tag, als sie das Mädchen zum erstenmal gesehen hatte — während sein Onkel es verdrosch —, hatte hell die Sonne geschienen. Die Prügelei war zu einem Spektakel geworden, fast einer Freilichtveranstaltung, massenhaft hatten Zuschauer gejohlt, gejubelt und gejuchzt. Die trotzige Miene des Mädchens hatte in Rita etwas angesprochen. Das wirre, schwarze Haar, das Susan in Strähnen ins Gesicht fiel, hatte ihr ein lächerliches Aussehen verliehen. Doch der Funke des Selbstbehauptungswillens in ihr war hinter dem Schmerz und der Erniedrigung durchaus erkennbar gewesen. Und an dem Tag, als Rita und Eisenauge auf dem Rückritt vom Duell mit Großer Mann gewesen waren, hatten sie Susan wiedergetroffen, wie sie — nach wie vor voller ungebrochenem Trotz — ins Blaue flüchtete.
Ungeachtet der wilden Geschöpfe, die in den Bergen hausten, und der noch wilderen Männer, die ihr über den Weg laufen mochten, hatte sie ihr Schicksal in die eigene Hand genommen gehabt. Bei ihrer nächsten Begegnung war sie ein eifriges, allerdings noch unsicheres junges Mädchen mit einem frischen Coup am Gürtel und dem feierlichen Gebaren gewesen, das von der ersten Vision zurückblieb. Enthusiastisch hatte sie sich leuchtenden Blicks in die Studien vertieft, jedes Problem bewältigt und mit ihren Leistungen allen eine Überraschung bereitet. Rita entsann sich an den Tag, als Susan und Hans an Bord der Projektil dabei ertappt worden waren, wie sie aus dem Wartungsschacht der Bordcomputer kletterten. Grimmig lächelte sie. Das kleine Luder hatte sich hingestellt und frech einen Ausweg aus der ganzen vertrackten Angelegenheit erlogen. Rita nickte vor sich hin. Und sie war wirklich äußerst raffiniert gewesen. Rita sah sie noch vor sich, wie sie nach dem ersten Kampftag auf dem Sirius ausgesehen hatte: Ausgelaugt, voller Blutspritzer, Skalpe aller Haarfarben hingen an ihrem Gürtel, obwohl es sie noch Mühe kostete, überhaupt zu durchschauen, was vorging. In Susan hatte mehr gesteckt, als Rita ihr hatte zutrauen wollen. Während des Kriegsverlaufs war Rita andauernd zu stark beansprucht gewesen, um zu merken, wie schnell Susan über das Bild hinauswuchs, das sie von ihr hatte. Nach dem Fall Anglas und Hans’ Tod im Blasterfeuer hatte sie hinnehmen müssen, wie ihre Vorstellung von Susan in einer gewalttätigen Realität zerstob. Da war es zu spät gewesen. Sie erinnerte sich daran, wie Susans erloschene Augen aus starrem Gesicht in eine Welt stierten, die zurückgebissen hatte. Und Freitag, in dessen Blick regelrechte Anbetung stand, dessen Herz für sie schlug, hatte gelitten wie ein Märtyrer.
Rita senkte den Kopf und stützte ihn auf die Arme, zwang sich dazu, sich innerlich auf das Nächste vorzubereiten. Irgendwann straffte sie sich und aktivierte die Kommu. Auf dem Bildschirm erschien Freitags Gesicht. »Majorin!« begrüßte er sie; seine Augen hatten dunkle Ränder, Staub verdreckte in Schmierstreifen sein Gesicht. »Gerade wollte ich dich anrufen. Wir rücken nach Helg ein. Heimwehr-Legionäre und Zivilisten ziehen uns in Mengen entgegen, auf jedem Haus ist eine Spinne zu sehen. Wir haben gesiegt.« »Vorgestern nacht haben sie Susan erwischt«, sagte Rita, als hätte sie ihn nicht gehört. »Ihre Männer haben Gefangene gefoltert, bis sie von ihnen erfuhren, daß man sie zur Hiram Lazar hinaufgeflogen hat.« Freitags Miene wurde spitz. »Ich habe verstanden. Ich ... ich ... Wir unterhalten uns später.« Er beendete das Gespräch. Rita betrachtete den Monitor, als könnte sie im Nachbild noch die Beklommenheit in Freitags Augen erkennen. »Susan, Susan ...«, stöhnte sie. »Ist das nun der Ausgang, den dein ganzer Ehrgeiz nimmt?« flüsterte sie. »Habe ich etwas falsch gemacht? frage ich mich. Hätte ich Freitag dich begleiten lassen sollen? Ist alles mein Fehler?« Benommen stand sie auf. Von Eisenauge befehligte Kommandoteams waren in der vergangenen Nacht in Apahar abgesetzt worden. Sie wendeten die durch Susan entwickelte Taktik an, machten überall in der Stadt eiskalte Finger der Furcht spürbar. Nun blieb alles bloß noch eine Zeitfrage. Das war Susans Geschenk an ihr Volk. Mosche steckte den Kopf zur Tür herein. »Eben ist per Funk eine Meldung angekommen. Helg kapituliert.« Verkrampft lächelte Rita ihm zu. »Großartig.« Nur eine sirianische Bastion leistete noch Widerstand, doch romananische Würmer hatten sich bereits in ihr Holz vorgefressen. Und Helg war nicht durch Van Chow unter
Blasterbeschuß genommen worden. Solange die Romananer nicht geschlossen in größeren Einheiten operierten, blieben sie vom Feuer der starken Bord-blaster seiner Kriegsschiffe verschont. Allerdings sendete Van Chow unermüdlich eine Ansprache nach der anderen, forderte die Sirianer auf, die Direktoratstyrannei zu stürzen. Aber zum erstenmal hörten die Sirianer nicht auf ihn. Physisch und emotional vollkommen erschöpft, starrten sie die Romananer und Patrouillensoldaten, die an ihnen vorübermarschierten, lediglich teilnahmslos an. Auch die anderen Kontinente erlagen dem Ansturm der Patrouille, indem die Romananer in die sirianische Verteidigung einsickerten, die Kampfmoral der Sirianer wie Säure zersetzten. Dort hatten die kleineren Städte sich den ST und Patrouillentruppen nach nur geringer Gegenwehr ergeben. Ekrania war, wie sich zeigte, das eigentliche sirianische Machtzentrum gewesen. Die Kommu rief Rita. Apathisch nahm sie den Anruf entgegen. Vom Bildschirm sah Eisenauge sie an, die Augen glänzten hart wie Feuerstein in seinem kantigen Kriegergesicht, die Zöpfe baumelten beiderseits der Kehle. »Möchtest du ‘n ST rüber zu uns nehmen? Apahars führende Bürger bitten um Frieden und erwarten dafür von uns, daß wir sie durchfüttern.« Ein wenig trug die Mitteilung zu Ritas Aufmunterung bei. »Ich bin gleich dort«, versicherte sie, empfand jedoch keineswegs die große Siegesfreude, die sie aus diesem Anlaß hätte verspüren müssen. Sie ließ die Kommu sie nochmals mit Freitag verbinden. Er sah aschfahl aus, als hätte jemand ihn in den Unterleib getreten. »Funk uns deine Position zu, wir holen dich ab.« Praktisch in Sekundenschnelle hatte Mosche den ST in der Luft. Rita sah die Wolken auf sich zusausen, als bildeten sie eine Wattewand, die der gepanzerte Bug des ST zum Einsturz brachte. Ringsum blinzelten vom Gefecht verschmuddelte Patrouillenmitglieder auf die Monitore,
achteten auf die ersten elektronischen Warnsignale eines eventuellen Einsatzes der fürchterlichen Blaster mit ihren violetten Todesstrahlen. Es geschah längst gewohnheitsmäßig, daß man den ST im Zickzackkurs und unter ständigen Manövern flog, um den sirianischen Kriegsschiffen im Orbit die Zielerfassung und -Verfolgung zu erschweren. Zwanzig Minuten später — nach einer Zwischenlandung, um Freitag und seine Begleiter an Bord zu nehmen — senkte ST 22 sich vom Himmel und setzte im Zentrum Apahars sanft auf. Während der aufgewirbelte Staub sich verzog, kam Eisenauge aus einem benachbarten Gebäude, in Reih und Glied gefolgt von zehn Sirianern in ihrem Rebellenschwarz. An den Seiten der Landungsstelle hielten Romananer sie wachsam unter Beobachtung, tuschelten hinter der Hand. Eisenauge führte die Sirianer die Rampe des Heckeinstiegs herauf, während Rita ihr Gurtgeschirr öffnete, kurz ihr Äußeres begutachtete. Sogar eine blinde Raumhafenratte hätte ihr angesehen, daß sie heute nicht ihren besten Tag hatte. Ihr Gesicht war hager geworden, die grünen Augen waren an den Winkeln zu permanenten Krähenfüßen verkniffen. Sie wirkte müde. Statt wie um die dreißig sah sie wie eine Fünfzigjährige aus. Am Bildschirm verfolgte sie den Weg der Delegation durch den ST, bis sie im Kasino Platz genommen hatte. Sie beorderte Freitag zu sich und wartete, gab Anweisung, der Abordnung Kaffee, Tee oder etwas nach Wunsch zu servieren. »Majorin?« Freitag erschien in der Tür. Er machte auch keinen besseren als den vorherigen Eindruck. »Du hast nicht zufällig ‘ne Garnitur Lederkleidung dabei, oder?« fragte Rita mit glänzenden Augen. »Doch, natürlich.« Freitag hob die Schultern. »Ich wußte ja nicht, wie lange wir hier bleiben müssen.« »Dann zieh dich um.« Rita lachte, machte auf dem
Absatz kehrt. Heiliges Kanonenrohr, es konnte gar nicht schaden, diese blöde Delegation noch ein Weilchen schmoren zu lassen. Schließlich hatte sie hier das Sagen. Sie streifte das kühle, gegerbte Leder über den Körper, schnallte sich straff den Gürtel mit den Coups um. Nachdem sie den schweren romananischen Kriegsdolch hineingeschoben hatte, nahm sie das Gewehr, das sie vor nun schon längerem von Großer Mann erbeutet hatte, und stieg den nächsten Niedergang hinab. Die Patrouillenangehörigen, die sie sahen, gafften sie entgeistert an, sagten jedoch nichts. Freitag fand sich in ähnlicher Kleidung ein; die Ärmel seines Kriegsrocks waren in den Farben Spinnes gefärbt. »Du bist mein Herold«, erklärte Rita mit verzerrtem Grienen. »Geh ins Kasino voraus und kündige mich an, erst auf romananisch, dann auf Standard. Und vergiß bloß keinen meiner Titel.« »Was ist denn eigentlich los?« erkundigte sich Freitag, die Augen eingesunken in dunkle Höhlen der Mattigkeit und des Leids. »Hast du’s nicht gehört?« »Was gehört?« Sein Ton zeugte von Irritation. »Die sirianischen Bodentruppen kapitulieren«, antwortete Rita ruhig, sah Freitags Kinn herabsacken, ehe er den Mund zu einem bitteren Lächeln verzog. Er betrat in seinem Schlendergang das Kasino und klopfte mit dem Kolben des Blastergewehrs viermal auf den Fußboden; die Vier war Spinnes heilige Zahl. Sonor dröhnte seine Stimme durch den Saal, er sprach, wie Rita ihn angewiesen hatte, erst das Romananische, dann das Standard. »Achtung! Rotschopf Viele Coups, Majorin Rita Sarsa von der Direktoratspatrouille, Oberkommandierende der romananischen Streitkräfte und der Patrouillen-Sturmtruppen auf dem Sirius.« Er beendete die Ankündigung mit einem zackigen Salut. Rita reagierte rechtzeitig und trat gleichfalls ein, blaffte
eine markige Antwort. Sie hörte, daß einige Personen nach Luft schnappten. Bedächtig drehte sie sich den Anwesenden zu, musterte eines nach dem anderen die Gesichter der Sirianer. Von Eisenauges rauher Miene ging ein Strahlen des Triumphs aus. Die Sirianer starrten Rita an, als wären sie dem Schlaganfall nahe. »Meine Herren, mir ist mitgeteilt worden, daß Sie über den Vollzug der Kapitulation sprechen möchten.« Unbarmherzigen Blicks maß Rita die Männer. Die Delegation bestand nur aus Männern: Wie sonderbar. Einer von ihnen, ein weißhaariger Patriziertyp, erhob sich, erwiderte ihren Blick. »Wir möchten mit Ihnen in Verhandlungen eintreten, und zwar über ...« Rita hob die Hand und unterbrach ihn mitten im Satz. »Verhandlungen werden keine stattfinden, meine Herren. Wir fordern Ihre bedingungslose Kapitulation. Ihre Heimwehr-Legionäre und Milizionäre haben die Waffen niederzulegen und ihre Einheiten aufzulösen. Es . gibt viel zu tun, meine Herren, um diesen Planeten wieder auf eine stabile ökonomische Basis zu stellen. Ich habe vor, dafür zu sorgen, daß diese Aufgabe unverzüglich in Angriff genommen wird.« Rita verengte die Lider. »Wie ist Ihr Name, Sir? Sie werden als Sprecher der Abordnung fungieren. Ich rede ungern mit Komitees.« Der Mann verbeugte sich, atmete tief ein. »Ich heiße Pika Vitr. Ich bin Vorstandssekretär der Union der Gewerkschafts- und Arbeiterverbände.« »Erklären Sie die Kapitulation?« fragte Rita halblaut. Ratlos blickte Pika Vitr am Tisch rundum, sah nur Nicken oder Mienen der Resignation. Er straffte sich und schaute Rita in die Augen. »Ja, Majorin. Wir liefern uns Ihrer Gnade aus. Hunger quält das Land. Unsere Kinder leiden an Unterernährung. Wir können unmöglich länger zusehen, wie sie dahinsiechen.« Und ihr habt die Herrschaß über den Planeten vollstän-
dig verloren, fügte Rita in Gedanken hinzu. Ngen kann euch nicht mehr helfen. Die Romananer sind eure letzte Rettung, ihr könnt euch an sonst niemanden wenden. »Also gut.« Rita deutete eine Verbeugung an. Sie griff in ihre Gürteltasche und holte die Kapitulationsurkunde hervor. »Unterzeichnen Sie alle, mitsamt den Titeln oder Rängen, die Sie zum Unterschreiben autorisieren und Ihre Unterschrift verbindlich machen. Mir ist klar, daß ich an sich auch die Unterschrift des Ersten Bürgers Van Chow brauchte ... Aber er gilt sowieso als Krimineller.« Langsam wanderte das Papier um den Tisch. Nachdem sämtliche Sirianer es unterzeichnet hatten, setzte Rita ebenfalls ihre Unterschrift darunter und reichte es zuletzt Eisenauge. Umständlich krakelte er seinen Namen hin, die Stirn in angestrengter Konzentration tief gefurcht, die Zungenspitze lugte ihm seitlich aus dem Mund. Der sirianischen Abordnung sträubten sich schier die Haare; die Lippen zitterten den Männern, es kostete sie erhebliche Mühe, ihn nicht anzustarren. Rita gab das Dokument Freitag, der in Habachthaltung dabeistand, nickte ihm knapp zu. »Unterzeichne das, Krieger. Ich schreibe deinen Namen darauf. Du machst daneben dein Zeichen.« Freitag beugte sich vor und nahm den Stift. Bedächtig und ausgesprochen feierlich malte er neben den Schriftzug seines Namens, den ihm Rita zeigte, das Bild einer Spinne. Anschließend richtete er sich wieder zur vorschriftsmäßigen Haltung auf, die nun durch und durch Stolz bezeugte. »Sie haben unverzüglich die Freilassung aller Kriegsgefangenen sowie die Auflösung der gesamten Streitkräfte in die Wege zu leiten«, ordnete Rita an. Pika Vitr nickte. »Könnten wir wohl über Lebensmittellieferungen diskutieren?« »Wir werden die FLF anfordern, sobald Van Chows Kriegsschiffe aus dem Orbit entfernt sind.« Rita setzte
sich auf einen Stuhl und betrachtete ihre ehemaligen Kriegsgegner. Sie hinterließen keinen sonderlich starken Eindruck. Schweigen zog sich hin; Eisenauge biß sich versonnen auf die Lippe. »Was geschieht nun mit uns?« erkundigte sich endlich ein Sirianer. Sein Blick fiel auf Freitag und seinen Blaster. »Darüber bestimmt das Direktorat«, antwortete Rita, zuckte die Achseln. Sie hatte sich schon gewundert, wie lange es dauern mochte, bis sie nach ihrem weiteren Schicksal fragten. »Und wie werden sich die Romananer verhalten?« fragte ein anderer Mann. »Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Romananer sich unter Mitnahme all dessen, was sie mitnehmen möchten, auf ihre Heimatwelt zurückziehen. Wir werden Bevollmächtigte ernennen, die hier ihre Interessen vertreten. Es war kein Scherz, als wir bekanntgegeben haben, daß die von Romananern eroberten Gebiete ro-mananisch bleiben werden.« Vor Schreck sperrten die Sirianer die Augen auf; ein Mann schüttelte den Kopf, als traute er seinen Ohren nicht. Rita merkte, wie die allgemeine Spannung zunahm. »Meine Herren«, stellte sie vorwurfsvoll klar, »man veranstaltet keine Revolution, ohne gewisse Konsequenzen zu riskieren. Soviel werden die Romananer nicht wegschleppen. Die Sirianer haben einen kompletten Planeten. Allein die Einwohnerschaft Apahars ist größer als die Gesamtpopulation der romananischen Heimatwelt.« »Und unsere jungen Frauen?« fragte Pika Vitr in dumpfem Flüsterton. Sein Blick ruckte von Rita hinüber zu Freitag; man konnte seine Gedankengänge ohne Schwierigkeiten erraten. »Was ist mit Susan Smith Andojar?« fragte plötzlich
Freitag mit der Schärfe eines Peitschenknalls. »Ihr habt sie gefangengenommen. Lebt sie noch?« Eisenauge sah ihn an. »Sie haben Susan?« Seine Augen bekamen einen härteren Ausdruck, an seinem Körper verkrampften sich die Muskeln. Ein Mundwinkel zuckte. »Ich hoffe für euch, sie ist gut behandelt worden, oder ich werde ...« »Ich habe keinerlei Ahnung, von wem sie sprechen«, unterbrach ihn Pika Vitr. »Die Obergefreitin ist vor drei Tagen in Helg Gefangene Ihrer Truppen geworden.« Rita maß ihn verkniffenen Blicks. »Wir verlangen mindestens die Übergabe ihres Leichnams.« »Sie meinen das Spinnenweib?« Auf einmal begriff Vitr. »Sie ist nicht mehr bei uns«, ergänzte er hastig seine Frage. »Sie befindet sich auf der Hiram Lazar. Das letzte gestartete Shuttle hat sie mitgenommen.« Er hob die Hände. »Beim Start war sie unversehrt. Wir haben ihr kein Haar gekrümmt.« »Gut gesprochen«, knurrte Eisenauge, die Finger am Gürtel mit seinen Coups. Um den Tisch breitete sich ein Schweigen der Verzweiflung aus. Freitags Augen glommen. Rita spürte, wie ein Teil des Drucks von ihrem Herzen wich. »Also werden unsere jungen Frauen in die Sklaverei verschleppt«, murmelte ein grauhaariger Mann und stützte den Kopf in die Hände. »Durchaus nicht«, widersprach Eisenauge entrüstet. »Sie werden als Kriegsbeute mitgenommen. Man wird sie mit Kriegern verheiraten und den Clans eingliedern. Bestimmt kennt ihr die Proklamation der Majorin.« Eisenauge lächelte den Sirianern zur Aufmunterung zu. »Es ist gar kein so schreckliches Los. Wie ihr an Freitags Beispiel seht, sind unsere Krieger stattliche Männer. Auch ich habe vor, mir eine Sirianerin als Braut auszusuchen. Ich verspreche euch, daß ich sie genauso wie jede andere
Frau lieben werde. Und unser Planet ist nicht im entferntesten so übel wie eurer. Unsere Luft ist sauber. Unsere Enkel werden stark sein und lernen, als freie Männer durchs Weideland zu reiten. Eure jungen Frauen werden unserem Volk zahlreiche Kinder gebären. Sie werden den Weg der Propheten und Spinnes lernen, der Gott ist. Eure Frauen werden erfahren, welche Freude es bereitet, das Haus eines Kriegers zu versorgen. Sie werden ...« »Kriegshäuptling«, mischte Rita sich ein, weil sie sah, wie in den Gesichtern der zumeist älteren Sirianer sich immer größeres Entsetzen breitmachte, als Eisenauge die Aussichten der Sirianerinnen immer enthusiastischerer schilderte, »ich glaube, diesen Männern fehlt das Hintergrundwissen, um richtig würdigen zu können, was für ein Glück diese Frauen erwartet.« Verdutzt blickte Eisenauge sich um, hob die Schultern. »Wer würde denn seine Tochter an einen Sirianer verheiraten und sie hier herziehen lassen?« Rita überhörte seine Bemerkung. »Die wesentliche Tatsache ist, meine Herren, daß die Unabhängigkeitspartei die Schuld an unserer Anwesenheit trägt. Sie haben gegen die Macht des Direktorats revoltiert. Ihre eigenen Kriegsschiffe haben die planetare Oberfläche großflächig beblast ert und dadurch viel mehr Zivilisten und Militärangehörige umgebracht, als sämtliche Ro-mananer und Patrouillentruppen zusammen. Wenn Sie darauf Wert legen, tragen Sie Ihren Fall dem Direktorat vor. Vielleicht kauft es Ihre jungen Frauen für Sie frei. Das müssen Sie mit den Direktoren ausmachen, nicht mit der Patrouille. Außerdem steht es Ihnen frei, mit einzelnen Romananern in Unterhandlungen einzutreten. Sie können versuchen, sie zum Zurücklassen ihrer Kriegsbeute zu bewegen. Ihnen ist von uns Beute als Lohn für ihre Unterstützung zugesagt worden. Wenn Sie ihnen mehr bieten wollen, als sie von der Beute hätten, tun Sie’s ruhig.« Rita schenkte den Männern einen Blick kühler Herausforderung.
»Auf welche Weise beabsichtigen Sie Ngen Van Chow aus dem Orbit zu vertreiben?« fragte Pika Vitr. «Ihre Patrouillenschlachtschiffe sind gegen ihn machtlos.« »Es ist unsere Sache, uns das zu überlegen, und Van Chow wird’s noch früh genug merken, Vorstandssekretär Vitr. Ich darf Sie daran erinnern, daß Sie nicht unbedingt zu unserem engsten Freundeskreis zählen. Ich wüßte keinen Grund, weshalb ich Ihnen von unseren Verbündeten erzählen sollte. Nur mit ST können wir natürlich nichts gegen ihn ausrichten.« Mit einer Geste zeigte Rita an, daß sie auf dieses Thema nicht näher einzugehen gedachte. Verbündete? fragte Eisenauge sich hinter seiner maskenhaft reglosen Miene. »Und was wünschen Sie zwischenzeitlich von uns?« wollte Pika Vitr wissen. »Sie sind in die sirianische Regierungstätigkeit eingearbeitet, Vorstandssekretär. Bitte nehmen Sie Ihre Pflichten weiter wahr. Alle Ihre Entscheidungen sind durch mich oder Leutnant Mosche Raschid zu genehmigen. Sie können auch bei Eisenauge Genehmigungen einholen, aber ich muß sie vorher warnen: Die romana-nische Vorstellung vom Regieren weicht von unserer beträchtlich ab. Er ist der Kriegshäuptling. Was er sagt, müssen Sie tun.« Grimmig lächelte Rita. Nach den Ansichten, die Eisenauge über ihren Planeten geäußert hatte, würden die Sirianer sich bestimmt geflissentlich an sie halten. Pika Vitr wirkte, als wäre eine Last von seinen Schultern gefallen. Rita erhob sich von ihrem Platz. »Das war’s, meine Herren. Gehen Sie nun bitte an Ihre Arbeit. Teilen Sie der Bevölkerung mit, daß alles in Ordnung kommt. Die Romananer werden die Plünderungen einstellen, die Patrouille wird polizeiliche Aufgaben versehen. Lassen Sie mich noch einmal eine deutliche Mahnung aussprechen: Ich persönlich werde nichts zu Ihrer Bestrafung unternehmen, aber ich empfehle Ihnen sehr dringend, dem
Direktorat unmißverständlich Ihre Loyalität und Ihren guten Willen zu beweisen. Jedes Anzeichen für einen Verstoß Ihrerseits gegen die Bedingungen der Kapitulationsurkunde, die Sie vorhin unterzeichnet haben, müßte mich und die Romananer sehr verärgern.« Sie wandte sich ab und verließ, dichtauf gefolgt von Freitag, die Offiziersmesse. »Was für Verbündete?« erkundigte sich Freitag, sobald sie Ritas Kabine betreten hatten. Rita grinste, während sie siebzig Jahre alten Scotch in zwei Gläser füllte. »Komm, Freitag, du hast doch wohl nicht geglaubt, ich verrate denen, daß wir vorhaben, dem Halunken mit den ST auf den Leib zu rücken, oder?« Freitag trank, nickte angesichts der Qualität des Scotchs. Eisenauge gesellte sich zu ihnen, und Rita schenkte auch ihm ein. »Auf den Sieg!« »Auf den Sieg!« Sie tranken sich zu. »Wann können wir Susan befreien?« fragte Freitag, wippte schon auf den Zehenspitzen. »Wahrscheinlich morgen.« Rita hob die Schultern. »Momentan müssen die Sirianer erst einmal den Schock der Niederlage verkraften. An den letzten drei Tagen habe ich die ST am Boden gelassen, man hat sie gründlich gewartet. Es ist alles in Bestzustand gebracht worden, ohne daß wir dabei viel Aufhebens gemacht hätten. Ich will, daß die Truppe ausgeruht ist und sich einsatzbereit hält... Oder was von ihr übrig ist.« »Deshalb müssen jetzt alle nachts in den ST schlafen?« mutmaßte Eisenauge. »Nicht schlecht für eine Heidin.« Freitag grinste; seine Miene lockerte sich, indem Hoffnung seinen Kummer und die Sorge ablöste. »Kann sein, sie ist gar nicht froh, wenn sie uns wiedersieht«, äußerte Rita. »Wir wissen nicht, was Van Chow mit ihr anstellt.« Freitag schüttelte den Kopf. »Nein, das wissen wir
nicht. Sie ist in Spinnes Hand. Er verfährt mit ihr, wie er es für richtig hält. Wenn Spinne fertig ist — welche Gründe er auch für sein Vorgehen haben mag —, wird Susan ihren Weg kennen.« »Auf Spinnes Weg.« Eisenauge hob das Glas, bemerkte dabei, daß Rita an die Decke ihrer Kabine ein Spinnenbild gemalt hatte. War das ein Vorzeichen des Kommenden? *
*
*
Am Abend machte Eisenauge einen letzten Rundgang, inspizierte die Posten, lachte da und dort mit jemandem über einen Witz, hörte woanders einer Geschichte zu. Die ST waren rundum weiträumig gesichert worden. Der Sirius war eine so völlig andersartige Welt... Eisenauge blickte empor an den Himmel, er vermißte die Monde seines Heimatplaneten. Die Sterne — soweit er welche sehen konnte — standen in ganz anderer Verteilung am Firmament, die Wolken schwebten niedrig und düster über der Welt. Er schnupperte im schwachen Wind, roch die beißend-scharfen Gerüche. Den Horizont bildete — ganz im Gegensatz zu den Hügeln und Felsklippen Atlantis’ — ein Sammelsurium unregelmäßiger Umrisse, ein Schattenriß dunkler Silhouetten, die im Dunkeln bleiben mußten, bis die Stromleitungen repariert werden konnten und die Beleuchtung wieder funktionierte. Die Geometrie der Stadt, einer Stätte der Winkel, Kanten und Kurven, ergab für Eisenauge keinen Sinn. Der Sirius war für einen Krieger schlicht und einfach kein Aufenthaltsort. Wie sollte jemand auf Beton Fährten lesen? Wo konnte man einen hochgelegenen Ort zum Beten finden? Auf dem Dach eines Hochbaus? Ob Spinne dort zu einem Sterblichen sprach? In einer Gegend ohne Sinn hatte ein sinnloser Krieg
stattgefunden. Krieger flogen in gestohlenen, mit Coups regelrecht vollgestopften Airmobilen. Sie häuften als Beute Blaster, Frauen, Elektrogeräte und Pulsationsmotoren an. Natürlich rafften sie auch Silber, Gold, Kredits, Radiatoren, Kommunikatoren, Computer und eine Vielfalt anderer Dinge zusammen. Sie würden Beutegut, das alles bis dahin Gekannte übertraf, nach Welt heimbringen. Das Plündern mochte sich wirklich außerordentlich gelohnt haben, doch auch der Blutzoll war hoch gewesen. So viele Krieger blieben da, waren in Fetzen zersprengt oder in ihre Atome zerblastert worden; andere hatten sie in feindlicher Erde begraben, manche waren zurückgelassen worden, wo sie gefallen waren, oder man hatte die Leichen in Konverter geworfen. Ganz gleich, was jetzt noch geschah, auf Welt konnte es von nun an niemals wieder wie früher sein. Langsam spazierte Eisenauge, tief in Gedanken, zurück zum ST. Er nickte dem Patrouillensoldaten zu, der am Einstieg Wache stand, nannte der Luke das Losungswort. Das helle Licht im ST-Innern blendete ihn. Er suchte seine kleine Kabine auf. Am Kommu-Apparat blinkte hartnäkkig das rote Signallämpchen. »Ja, Kommu?« fragte Eisenauge. »John?« Auf dem Bildschirm erschien Ritas Konterfei. »Könntest du zu mir kommen?« Er lächelte, es freute ihn, zu sehen, daß ihr rotes Haar in Wellen auf die Schultern fiel, sie zum erstenmal seit langem wieder entspannt wirkte. In ihren Augen, leuchtendgrün inmitten der kräftigen Rottönung ihrer Haare und des Gesprengsei von Sommersprossen um ihre Nase, stand Verlockung. Vor ihrer Kabine aktivierte er per Handkontakt den TürServomaten und trat ein; es überraschte ihn, Rita nicht in Uniform anzutreffen. Als Bekleidung trug sie nur ein an der Hüfte verknotetes Laken, unter dem sich ihre Rundungen verführerisch abzeichneten.
»Möchtest du noch was von dem guten Scotch?« »Ja.« Verlegen nahm er das Glas, das sie ihm anbot, wußte nicht recht, was er sagen sollte. Mit geschickten Fingern zog sie ihm den Schutzpanzer aus. Eisenauge zögerte, als ihm der eigene Körpergeruch in die Nase stieg. Seit mehreren Tagen hatte er, weil er meistenteils in vorderster Linie gewesen war, keine Gelegenheit zum Duschen gehabt. »Stell dich erst mal unter die Dusche«, sagte Rita, als hätte sie seine Gedanken gelesen. »Fühl dich wie daheim, John. Heute abend muß gefeiert werden.« »Ich habe keine sauberen Sachen«, wandte er ein, als sie ihn in die Dusche schubste, die schmutzige Kleidung nahm, die er hinausreichte. »Mach dir deswegen keine Sorgen.« Ihre Stimme hatte einen neckischen Klang, den alten, sinnlichen Unterton, als wären die letzten Monate wie eine alte Haut von ihr abgefallen. Als Eisenauge eine Hand aus der Dusche streckte, gab sie ihm eine Bahn losen Stoffs. »Was soll ich denn damit?« »Komm raus«, verlangte Rita. Er verließ, den Stoff um den Leib gelegt, die Dusche. Rita unterdrückte ein Lächeln, als sie ihm seine Nervosität ansah. »Wie wär’s, wenn du heute abend mal alles ganz lokker laufen läßt?« Sie wölbte die Brauen, während sie die Zipfel des Tuchs ergriff und es ordentlich um ihn wikkelte. »Hübsches Zeug«, brummte Eisenauge, betastete das dünne Gewebe zwischen den Fingern. Er widerstrebte nicht, als Rita ihn auf die Koje schob und sich zu ihm kauerte. Aus ihren leicht schrägen, grünen Augen musterte sie ihn. »Also, was ist’s für ‘n Gefühl, ‘n Planeten zu erobern?«
Er lachte und trank einen Schluck Scotch. »Vorhin habe ich versucht, darüber Klarheit zu erlangen. Ich weiß es nicht, es ist irgendwie unwirklich. Hier herrschen andere Werte vor, alles ist anders. Was wir getan haben, hatte keine Ähnlichkeit mit einem gutgeplanten, ruhmvollen Kriegspfad. Statt der Genugtuung empfindet man nur enorme Erleichterung, weil dieser Teil, das Kämpfen ... vorbei ist.« Rita massierte die Muskelstränge seines Rückens, um die Verkrampfungen zu lösen. »Das ist eben der Unterschied zwischen einem Kriegsspiel und der Realität.« »Ich kann nicht anders, ich wundere mich ... Ich meine, ich frage mich, ob die Veränderungen, die sich bei seinem Volk vollziehen, ihn wohl zufriedenstellen.« Schwermütig seufzte Eisenauge. »Wir haben uns verändert. Wir sind reifer geworden.« Rita schwieg, benutzte ihre Finger, um seine Verspannungen zu beseitigen, ihn so zu beschwichtigen. »Und was ist mit Leeta?« fragte sie schließlich. »Hast du’s geschafft, ihrem Tod einen Sinn abzugewinnen? Kannst du inzwischen mit ihrem Verlust leben?« Eisenauges Miene spiegelte innere Distanz wider. »Vermissen werde ich sie immer. Sie hat mir soviel gegeben. Ich werde stets bedauern ... Verdammt noch mal! Wir hatten gar keine Zeit füreinander. Das ist ungerecht. Außer Pläne gegen das Direktorat zu schmieden, haben wir nichts Gemeinsames getan. Wir haben keine Gelegenheit gefunden, um ... um unsere Liebe zu leben.« »Ich habe erkannt, wie sich Philips Tod rechtfertigen läßt und wie ich mich damit abfinden kann«, sagte Rita. »Ich bin darauf gekommen, als ich von Susans Schicksal erfuhr.« Sie sah ihn an. »Ich bin von meinem Weg abgeirrt, Eisenauge. Außer zu Toten gibt es in meinem Dasein keine Liebe mehr. Ich habe niemanden, den ich in die Arme nehmen kann ... Bei dem ich einfach nur Mensch sein darf. Ich bin jederzeit die harte Majorin. Aber ich
glaube, ich brauche mehr, um zu leben.« »Und wer ist der Mann, der stark genug ist, um dich zufriedenzustellen?« fragte Eisenauge, die Lider halb geschlossen, während Rita fortgesetzt seinen Rücken massierte. »Du ... Falls du Interesse hast.« »Du weißt, daß ich dich liebe«, sagte er, drehte sich ihr zu, blickte in ihre Augen. »Du hättest nichts dagegen, mich mit einem Geist zu teilen?« »Ich habe auch meine Geister. Macht das dir was aus?« Sie atmete tief durch. »Philip war etwas ganz besonderes. Ich habe ihn mehr geliebt, als es mir damals klar gewesen ist.« Eisenauge zog sie zu sich herab. »Ich bin der Meinung, wir sollten es ruhig mal versuchen. Du bist die beste Freundin, die ich je hatte, Rotschopf Viele Coups. Niemand außer dir könnte mich je verstehen. Mein ganzes Leben lang habe ich einen warmen Leib vermißt. Vielleicht kann ich mich an einen gewöhnen.« »Ich habe gehofft, daß du’s so siehst«, sagte Rita leise, sie ihn an sich drückte. »Wir wollen mal schauen, ob dir noch eine Eroberung gelingt.« »Ausgeschlossen«, murmelte er in ihr Haar. »Ich bin bereits selbst erobert.« * * * »Sie müssen verstehen, daß wir keine Wahl hatten, Erster Bürger. Es gab keine Alternative zur Kapitulation. Die Menschen haben schlichtweg den Mut verloren. Und ich ... Vielleicht kann ich es ihnen gar nicht einmal übelnehmen.« Vitr wirkte durch und durch niedergeschlagen, jeder Glanz war aus seinen Augen gewichen, seine sonst geraden Schultern hingen vor Demorali-siertheit herab. Ngen Van Chow fauchte eine Beschimpfung und unterbrach die Kommu-Verbindung, drehte sich nach Giorj um. »Sie haben’s selbst gehört, Ingenieur. Der
Planet ist gefallen.« Ausdruckslosen Blicks nickte Giorj. Van Chow verkniff die Augen. »Stimmt etwas nicht? Sie kommen mir so mißmutig vor, irgendwie verärgert.« »Und meine Mutter?« fragte Giorj mit gepreßter Stimme, die Hände an den Seiten fest zu Fäusten geballt. Wie schlage ich daraus einen Vorteil? Es ist dumm genug, daß ich ihm keine Informationen über ihr Wohlergehen geben konnte. Trotzdem ... Van Chow verzog das Gesicht zu einem glaubhaften Ausdruck der Erbitterung. »Mein alter Freund«, begann er halblaut, »wir hatten sie schon. Meine Leute hatten sie nach Apahar evakuiert. Mein Befehl lautete, sie ins letzte Shuttle zu bringen. Es hat noch zu starten versucht. Der Pilot tat, was er konnte. Aber die Patrouillen-ST haben es abgefangen ... Tja, ich versichere Sie meines tiefempfundenen Beileids. Wir müssen darin noch mehr Blut an den Händen der Patrouille sehen ...« Giorj schaute fort, man hörte ihn laut mit den Zähnen knirschen. Als er sich wieder umwandte, erkannte Ngen erstickte Wut in seinem sonst so emotionslosen Gesicht. Prachtvoll! Wenn ich es richtig anfange, kann ich ihn noch enger an mich binden. Die Liebe zu seiner Mutter läßt sich in Haß auf die Patrouille und das Direktorat verwandeln — und er wird zu einer um so stärkeren, gefühlsmäßig motivierten Waffe in meiner Hand. »Wir werden sie rächen, Giorj«, fügte Ngen hinzu. »Aber im Moment ist es, weil die Sache nun einmal anders als erwartet läuft, dringend nötig, daß Sie für mich gewisse Dinge erledigen. Haben Sie dem Reaktor die Selbstzerstörungsvorrichtung installiert?« Giorj nickte. »Ausgezeichnet. Als nächstes ist folgendes erforderlich. Ich brauche für das Feuerleitsystem Zielkoordinaten von
Reaktorraum, Kommunikationsanlagen und bautechnischen Schwerpunkten der Projektil. Wenn ich sie nicht bekomme — und nicht die Bruderschaft-Informationen in ihren Speicherbänken —, soll niemand sie haben. Falls es der Patrouille wirklich gelingt, das Blatt endgültig zu ihren Gunsten zu wenden, schießen wir das Schlachtschiff zu Schrott und lassen es in die Atmosphäre stürzen.« Giorj nickte, machte sich an der Kommu Notizen. »Und der Planet?« »Ja, der Planet. Es wäre schlecht, würde Sirius ein Exempel unseres Scheiterns.« »Das ist richtig«, pflichtete Giorj mit sonderbarer Feindlichkeit in seinem Tonfall bei. »Wissen Sie dagegen Abhilfe?« Ngen lächelte. »Ich sehe, Sie ahnen schon, in welche Richtung meine Überlegungen gehen. Wir kennen die Koordinaten sämtlicher Kraftwerke auf dem ganzen Planeten. Geben Sie sie gleichfalls den Feuerleitcomputern ein. So wenig wie die Projektil soll irgendwer Sirius bekommen, wenn wir ihn nicht haben können.« Giorj s Brauen zuckten zeitweilig, widerspiegelten Zögern. »Er ist von unserem Volk bewohnt, Erster Bürger. Unseren Waffengefährten. Die ganze Zeit hindurch haben sie die Partei unterstützt und ...« »Sie haben uns im Stich gelassen.« Ngen verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Kummers, einer Miene, wie ein Vater sie angesichts eines störrischen Kinds aufsetzen mochte. »Es wird mich zutiefst schmerzen... Aber wir müssen an die Zukunft der gesamten Menschheit denken, Giorj. Wie ich schon so oft und auf verschiedenerlei Weise gesagt habe: Opfer sind eine Grundbedingung des Wachsens.« Nimmst du mir das ab, Ingenieur? Nein? Sehe ich da ein Gemisch von Zaudern und Zorn in deinen Augen ? Wir wollen doch einmal schauen, ob ich dich leimen kann, Giorj, so wie ich ursprünglich alle Sirianer geleimt habe.
Um den Mund einen Ausdruck der Bitterkeit, sprang Ngen auf, begann hin- und herzustapfen, schlug die Faust in den Handteller. »Denken Sie nur daran, was wir hier eigentlich für einen Anfang gemacht haben, Giorj! Wir haben dem Direktorat das Rückgrat gebrochen. Uns seiner Macht entgegengestellt und es zum Stehen gebracht — und wir hätten gesiegt, wären nicht diese Barbaren gewesen! Gegen die stärkste Raumflotte des Alls haben wir ein Patt erzielt! Obwohl wir zahlenmäßig unterlegen waren ... Und das ist uns gelungen, weil wir unseren Grips angestrengt haben. Weil wir Initiative gezeigt haben.« Er drehte sich um, blickte in Giorjs Augen. »Und wenn wir nun aufgeben, was dann? Auf Sirius wird der Status quo wiederhergestellt, und die Menschheit steckt weiter in der alten Sackgasse der Stagnation fest. Nein, Giorj, Ihnen und mir, uns ist eine größere Bestimmung zugedacht.« Er schwenkte den Arm hinüber zu den Bildschirmen, auf denen man die Sterne sehen konnte. »Dort irgendwo existiert ein Volk, das unserer Fähigkeiten würdig ist’... ein Volk, das dazu bereit ist, die Fackel wiederaufzunehmen, die die Sirianer haben feige fallen lassen, und die Menschheit zur Wiedergeburt zu führen! Einer Wiederauferstehung zur Freiheit und Expansion sowie des Wissens! Zu viele Märtyrer sind gestorben. Denken Sie auch daran! Gedenken Sie der Toten! Wieviel edelmütige Menschen haben das Leben geopfert, für den Bestand der Revolution alles verloren? Auf den Barrikaden standen sie mit nichts als ihrem Mut gräßlichen Barbarenhorden gegenüber. Und zum Schluß hat das eigene Volk ihnen einen Dolchstoß in den Rücken versetzt! Mir ist es unmöglich, nun einfach alles sein zu lassen.« Wie in äußerster Verzweiflung hob Ngen die Hände. »Gott! Was für ein Schlag ins Gesicht des Volkes, das die Sirianer hätten sein können, eines Volkes, das für den Glauben, das menschliche Dasein ließe sich verbessern, in den Untergang gegan-
gen wäre ... den Glauben, die Menschheit könnte wieder wachsen, wieder wahrhaft leben!« Giorj neigte, Unerforschlichkeit in den Augen, den Kopf zur Seite. »Denken Sie einmal nach!« donnerte Ngen. »Denken Sie auch daran, was Ihre eigene, geliebte Mutter gegeben hat, um Ihnen eine Chance einzuräumen! Sie hat leiden müssen, damit die herausragenden Talente ihres Jungen Anerkennung finden. Ist das etwa Gerechtigkeit? Sind Sie dazu imstande, ihrem Grab den Rücken zuzukehren und zu sagen, es sei alles umsonst gewesen? Nein, zu so etwas sind Sie nicht fähig! Und genausowenig kann ich es. Sie sind ein Teil all dessen, Giorj, ein Teil des Traums. Ihre Mutter darf nicht vergeblich gestorben sein. Ihretwegen müssen Sie weitermachen. Sie sind es ihr schuldig!« Giorj nickte. »Ich glaube, ich habe verstanden, Erster Bürger. Möchten Sie, daß ich die Projektil jetzt zerblaste-re? Anschließend könnten wir die Traktorstrahlen aktivieren und sie zum Absturz in die Atmosphäre bringen.« Ngen kaute auf der Lippe, die Stirn, während er überlegte, tief gefurcht. »Nein, noch nicht. Ich möchte lieber noch einmal versuchen, sie zu stürmen. Falls wir das Schiff nehmen, haben wir die Möglichkeit, es für unsere Zwecke umzubauen. Uns bleibt noch einige Zeit, bis die Patrouille ihre Streitkräfte umgruppieren und Offensivschwerpunkte bilden oder Verstärkungen einfliegen kann. Sicherlich Zeit genug, um das Raumschiff umzubauen... Ja, sicher, ich glaube ja. Ich will das Schiff haben! Mit unserer Technik und den Kapazitäten der Projektil wird niemand im Weltall uns noch aufhalten können.« Er stieß ein Seufzen aus, ließ sich wieder in den Kommandantensessel sinken. »Dann wird es uns möglich sein, den Traum von Millionen zu verwirklichen.«
Giorj neigte leicht den Kopf. »Sehr wohl, Erster Bürger. Ich werde einen letzten Sturmangriff unter Aufbietung aller vorhandenen Kräfte auf das Schlachtschiff befehlen. Und falls auch er fehlschlägt ... vernichte ich es.« Zum Zeichen der Zustimmung nickte Ngen und schöpfte tief Atem. »Danach blastern wir den Planeten in Stücke. Treffer in den Kraftwerken werden die MaterieAntimaterie-Reaktoren destabilisieren, und die Explosion wird Sirius buchstäblich auseinandersprengen. Dann starten wir, schießen die übrigen Patrouillenschlachtschiffe im Hochorbit ab und versuchen eines davon zu kapern, um es für uns umzubauen.« Giorj machte eine Verbeugung. »Ich werde mich darum kümmern, Erster Bürger.« »Ach, und eins noch, Giorj«, sagte Ngen. »Bitte verraten Sie von alldem nichts der Crew. Sie haben doch die Fähigkeit, die Angelegenheit selbst mit den Blastern zu regeln, nicht wahr? Es ist vorteilhafter, die Kanoniere glauben an einen Fehlschuß, wenn der Planet zerstört wird — an einen Defekt in den Zielcomputern. Sie können sie doch so programmieren, oder?« Mit einem Lächeln auf den Lippen nickte Giorj. »Erster Bürger, ich kann sogar dafür sorgen, daß das System den Kanonieren vortäuscht, sie hätten Volltreffer in Erdpositionen der Patrouille erzielt. Anhand der Monitoren werden sie nicht feststellen, was sie tatsächlich treffen.« »Ausgezeichnet, Sie haben meine Erlaubnis, an den Feuerkontrollen alle Adjustierungen vorzunehmen, die Sie für richtig halten, solange dadurch nicht für den Endkampf mit den Patrouilleneinheiten ihre Zielgenauigkeit beeinträchtigt wird.« Er zögerte. »Stehen Sie noch zu mir, Giorj?« »Natürlich, Erster Bürger.« Giorj deutete eine neue Verbeugung an. Ngen schaute ihm nach, während der Ingenieur, nach-
dem er sich auf dem Absatz umgewandt hatte, steifen Gangs die Kommandobrücke verließ. *
*
*
Freitag Garcia Gelbes Bein stand auf dem ausgedehnten Flachdach eines der arcologischen Komplexe und blickte über die dunkle Stadt aus. Da und dort quollen schwarze Rauchsäulen an den Himmel empor. Dank der Nachtsichtbrille konnte er drunten, auf den Hausdächern der Umgebung, hastig hingepinselte Spinnendarstellungen erkennen — das Bekenntnis, das Gott für sein Wohlwollen gefordert hatte. Für Freitags Geruchssinn roch die Luft noch immer schlecht, hinterließ auf den Schleimhäuten seiner Nase ein unangenehmes Brennen. Freitag spähte durch die Nachtsichtbrille nach oben, stellte den Grad der Vergrößerung höher ein, so daß ihm die Sterne entgegenzufallen schienen. Er wußte die ungefähre Richtung, in der er suchen mußte, entdeckte rasch als erstes die Projektil, deren weißer Rumpf im unsteten Licht des sirianischen Doppelgestirns am hellsten leuchtete. Von der Projektil aus fand er bald auch die Hiram Lazar, deren Rumpf ebenfalls, jedoch deutlich schwächer glomm, wo er leicht rechts oberhalb der Projektil schwebte. Winzige Lichtpünktchen, bei denen es sich um kleinere Raumfahrzeuge handeln mußte, krochen zwischen den beiden Raumschiffen hin und zurück. Freitag adjustierte die Brille voll auf die Hiram Lazar. Der umgebaute FLF-Transporter reflektierte die Helligkeit so schwach, daß man fast nur seine Umrisse sah. Ein Gefühl der Beklemmung drückte auf Freitags Herzgegend, tief in seinem Innern pochte Schmerz. »Halte aus, Susan!« knirschte Freitag. »Ich komme und hole dich dort raus!«
25 Susan erwachte augenblicklich, als die Tür aufglitt. Sie verkrampfte sich, und ihr Herz begann zu wummern, und sie hoffte, daß sich diesmal eine Gelegenheit zur Flucht ergab ... zum Töten. Langsam näherten sich leise Schritte. Noch waren die Ringe an ihren Händen und Füßen nicht aneinandergeklirrt. Erhielt sie dieses Mal eine Chance zum Zuschlagen? »Susan?« Diese zögerliche Stimme gehörte nicht Ngen Van Chow. »Giorj«, rief sie und fuhr herum. »Die Monitoren sind abgeschaltet.« Giorj kauerte sich ans Fußende des Betts, gab mit einer Geste zu verstehen, daß er auch das Fixierfeld deaktiviert hatte. »Ich tu dir nichts. Ich bin nur hier, um mit dir zu reden. Du machst... einen freundlichen Eindruck. Ich dachte, vielleicht erzählst du mir, wie’s war, als Angla durch die Blaster eingeebnet worden ist. Als Gegenleistung kann ich dir bloß ... verbalen Beistand geben.« »Ich nehme ihn gern an.« Susan seufzte. »Der Schweinehund hat mich schon dreimal gevögelt. Bei Spinnes haarigen Beinen, ich könnte kotzen!« »Dir ist hoffentlich klar, daß es ihm weniger um deinen Körper, sondern hauptsächlich um deinen Geist geht.« Giorj winkte in die Richtung der zwei anderen Frauen. Plötzlich schauderte Susan zusammen. »Er kriegt’s hin. Die Weise, wie er das Psyching nutzt... O Gott! Es splittet Geist und Körper. Mein Körper glaubt, er sei Freitag Garcia Gelbes Bein ... oder Hans.« Sie schluckte, verfiel in Zittern, beinahe Konvulsionen. »Ich weiß selbst nicht mehr, was ich von mir halten soll. Wenn er nur zu quasseln
anfängt... spreche ich körperlich schon darauf an — und wie schnell! —, während mein Gemüt sich gegen ihn verzweifelt aufbäumt, heißt ihn mein Körper ...’ Fast treibt er mich dazu, daß ich versuche, mir das Genick zu brechen. Seine Stimme braucht nur aus der Kommu zu-ertönen, und schon fängt Leona an ... sich selbst zu streicheln.« Susan geriet ins Beben, duckte sich, die Arme um den Leib geschlungen, krampfartig zusammen. »Mit Obristin Amahanandras steht’s fast ebenso schlimm, sie wimmert nur vor sich hin und beschmutzt sich selbst, aber sie hat einen Orgasmus nach dem anderen, wenn er sie besteigt.« »Du mußt stark sein.« Giorjs Blick huschte beiseite. »Ich verstehe davon nichts. Für mich ergibt das alles keinen Sinn. Allerdings verhält es sich so, daß mein körperlicher Trieb erloschen ist. Ich habe einmal einen Unfall gehabt. Durch Strahlung bin ich ... nun ja, impotent geworden.« Sein Kopf sank herab. »Weißt du, ich bin kein richtiger Mann mehr. Ich ...« »Van Chow ist auch keiner!« fauchte Susan. »Ihn würdest du sowieso nicht verstehen. Kein geistig gesunder, normaler Mensch kann für jemanden wie ihn Verständnis haben. Van Chow ist ein ... ein abscheuliches Vieh! Ich werde ihn, wenn’s soweit ist, zerschnipseln wie einen Wurm. Er ist...« Es schauderte Susan, sie stützte den Kopf in die Hände, schlotterte hemmungslos. »Er mißbraucht meine eigene Seele gegen mich ...!« Ein warmer Arm legte sich um Susans Schultern, Giorj zog sie fest an sich. Leise sprach er auf sie ein, bis sie das Beben ihrer Glieder zu unterbinden vermochte, ihre Augen trockneten. »Ich weiß. Auch ich kusche vor ihm ... Ich frage mich immer, was Frauen wohl über mich sagen würden ... Wüßten sie über mich Bescheid, gäbe es Gelächter.« Flehentlich sahen seine bläßlichen Augen Susan an. »Wenn du nicht über mich lachst... komme ich wieder.
Ich werde versuchen, mit dir zu reden... wie ein Freund.« »Das ... das täte mir gut.« Mit den Fingerspitzen hob Susan sein Kinn. »Deshalb hast du deiner Mutter so starke Gefühle entgegengebracht, stimmt’s? Weil du gedacht hast, sie sei die einzige Frau der Welt, die dich lieben könnte?« Kläglich nickte Giorj. »Und sie hat soviel für mich getan ...« »Erzähl mir von ihr.« »Was gibt’s über sie zu erzählen?« Giorj zuckte die Achseln. »Ich wollte Ingenieur werden. Reich waren wir nicht. Vater hatte uns schon vor Jahren verlassen gehabt. Meine Mutter übernahm jeden Job, den sie ergattern konnte, aber viel kam dabei nicht heraus. Sie gab gegen Geld ihren Körper hin, arbeitete in Bädern, als Hostess auf Parties. Sie hat für mich sogar eine ihrer Nieren verkauft.« In seinen Augen schimmerte Weh. »Ich belegte jeden Kurs, den ich mir leisten konnte, lernte die ganze Zeit, damit... damit Mutter Grund zum Stolz auf mich hätte. Ich habe eine natürliche Begabung für Physik und Technik. Man betraute mich mit der Wartung von FLF. Weil ich mich bewährte, bin ich dann befördert worden ...« »Weiter«, ermunterte Susan ihn, als er stockte. »Eines Tages fand ich sie vor, als ich zu Hause eintraf, wie sie auf dem Fußboden lag. Das Kopfhaar fiel ihr aus. Sie hatte soviel für mich gegeben, mir sämtliche Studien ermöglicht, und nun bezahlte sie dafür mit ihrer Gesundheit. Ich war außer mir, ich rief die Ambulanz, und man steckte sie in eine Med-Einheit. Sie hatte sich eine sehr seltene Krankheit zugezogen. Für den Rest ihres Lebens benötigte sie ein ganz spezielles, sehr kostspieliges Medikament. Meine Sterili... Der Unfall ... Er passierte, während ich einen Materie-Antimaterie-Reaktor im Raumfahrzeug eines Privatschmugglers montierte. Schmuggel ist heute kein einträgliches Geschäft mehr,
aber Van Chow verdiente dadurch die Mittel für gewisse Anschaffungen. In diesem Fall handelte es sich um Waffen für die Unabhängigkeitspartei. Ich war ihm auch nützlich, er konnte nicht zulassen, daß ich starb, und seine Schmuggeltätigkeit durfte nicht auffliegen. Ich war für ihn wichtig... und gleichzeitig eine Belastung.« »Und Van Chow hat deiner Mutter das Medikament besorgt«, schlußfolgerte Susan, »so daß sie am Leben blieb.« Giorj breitete die Arme aus und erwiderte Susans Blick. »Sie hatte soviel für mich getan. Hätte ich da kleinlich sein können? Sie hatte ihre Seele verschachert, damit ich studieren konnte ... etwas aus mir würde. Schau mich an! Ich bin der bedeutendste Ingenieur, den Sirius je hervorgebracht hat. Jetzt ergründe ich sogar die Geheimnisse der Bruderschaft.« Trauer trübte seinen Blick. »Und Mutter wird’s nun nie erfahren. Ngen hat sie auf dem Gewissen ... und mich belogen. Und nun hat er die Absicht, all die Menschen, die zu ihm aufgeschaut haben, einfach zu ... Ach, meine arme Mutter!« Susan spürte sein inneres Ringen. »Kennst du unseren Gott?« »Diesen Spinne? Für einen Ingenieur ist ein Gott ohne Belang.« »Unsere Propheten lehren, daß die Seele ein Teil Gottes ist, den wir Spinne nennen. Als deine Mutter starb, hat sie nicht gelitten. An dem Tag mußten nur die leiden, die mit dem Leben davonkamen. Eure Strahlenwaffen wirken schnell... sie sind effizient. Ihre Seele — ihr Funke Gottes — ist zu Spinne zurückgekehrt und inzwischen mit seinem Wissen eins geworden. Du siehst, nicht nur deine Mutter, auch Gott ist auf dich stolz.« Skeptisch musterte Giorj sie. »Ich bin ebenfalls stolz auf dich.« Zur Ermutigung drückte Susan ihn. »Was du für deine Mutter getan hast, ist einen Coup wert. Du hast ihr
Ehre gemacht, und darum ist es eine Ehre, dich zu kennen, Ingenieur Giorj.« »Und die Seele ist ein Teil Gottes? Wieso?« Giorj wirkte ratlos. »Damit er dazulernt«, antwortete Susan. »Ich bin kein ... Du müßtest wirklich einmal mit einem Propheten darüber sprechen.« Einen Moment lang schwieg Susan. »Vielleicht bist du ein Cusp.« »Und was ist das?« »Unsere Propheten sehen die Zukunft«, begann Susan zu erklären, »und ...« Giorj schüttelte den Kopf. »Die Kausalität beweist, daß etwas derartiges ausgeschlossen ist.« »O doch, sie können’s. Ich weiß, daß eure Physik dagegen spricht. Weder hat die Patrouille es geglaubt, noch das Direktorat, aber jetzt glauben sie es. Unter Cusps versteht man Entscheidungen des freien Willens, die die Zukunft beeinflussen. Wenn du deinem Leben einen Sinn verleihen willst, Giorj, wende dich an die Propheten. Vielleicht verhelfen sie dir zu einer echten Herausforderung für deinen Intellekt.« Mit gerunzelter Stirn betrachtete Giorj sie. »Warum spielst du manchmal die Wilde und zeigst dich manchmal als normaler Mensch? Du bist eine intelligente ...« »Aus demselben Grund, weshalb du deine Gefühle vor deiner Umgebung verbirgst: Aus Selbstschutz. Meine Wildheit und deine scheinbare Gefühllosigkeit tarnen unsere geheimen Fähigkeiten. So werden wir nicht als Bedrohung empfunden. Dadurch halten wir uns unsere Optionen offen.« »Würden diese Propeten mit mir reden?« fragte Giorj versonnen, »obwohl ich kein richtiger Mann bin?« Ernst nickte Susan. »Sie verstünden dich besser, als du’s dir vorstellst. Die Propheten bedürfen keiner leiblichen Identität. Sie leben in Zeit... Raum ... und Gott. Sie kennen keine Emotionen, sie sind so, wie du zu sein vor-
gibst. Wenn man die Hand Gottes sieht, werden menschliche Gefühle Banalitäten, nehme ich an, die ...« Giorj lachte wahrhaftig auf. »Und ich habe die Bruderschaft für enorm raffiniert gehalten.« Susan sah ihn an, beschäftigte sich nochmals mit dem, an das sie vor einer Weile gedacht hatte. »Hat Van Chow zusammen mit mir mein Mini-Terminal hochbringen lassen?« »Ja, hat er.« Giorj wirkte abwesend. »Könnte ich es haben ...? Und würdest du mir ‘n Kommu-Anschluß zeigen?« Giorj ging merklich auf Distanz, aufmerksam beobachtete er sie, die Augen wieder stumpf. »Wofür?« fragte er in dumpfem Ton. »Laß den Argwohn«, sagte Susan, spielte ihr Gekränktsein nur teilweise. »Es kann eine Möglichkeit sein, um uns beiden zu helfen. Ich vertraue dir. Du vertraust mir. Darauf sollten wir aufbauen. Ich möchte deine Freundin sein. Ich brauche dich ... Und wenn bloß, damit jemand mit mir redet... Mit dem Mini-Terminal kann ich dir vielleicht — als Gegenleistung dafür, was du für mich tust — mehr Bruderschaftsdaten verschaffen. Dann können wir uns gemeinsam mit ihnen befassen.« Für einen Sekundenbruchteil leuchteten Giorj s Augen. »Du weißt etwas über das Datenmaterial, das Sarsa zur Projektil gefunkt hat?« »Darauf schwöre ich bei Spinnes Namen einen Bluteid.« »Bring mich ... zu einem Propheten, damit ich mit ihm reden kann. Versprich’s mir ... und ... und ich gebe dir dein Terminal und helfe dir.« Trotz seines starren Gebarens merkte man Giorj, sobald er das gesagt hatte, etwas von seiner Erleichterung an. Ein gedämpftes Läuten ertönte. Giorj sprang auf. »Er ist aufgestanden. Tut mir leid, aber ich muß das Fixierfeld wieder einschalten ... Vielleicht kann ich später behilflich
sein ... dir das Terminal herschaffen.« Er zögerte. »Bis dahin bleib stark ... Freundin.« Susan konnte ihm nur tatenlos nachschauen, als er hinauseilte. Zwei Stunden verstrichen, bis Ngen Van Chow sich erneut einfand. Er trat ein und lächelte, als er sah, wie wütend Susan ihm entgegenstarrte. »Brauchst du neue Milch, Schafhirt?« fragte Susan, verzog hämisch die Lippen. Ngen machte ein langes Gesicht. »Meine Liebste, Sarkasmus wird zu gar nichts führen. Mit so was verstärkst du nur die Reibungen zwischen uns. Du bist meine größte Schönheit. Denk an Harmonie, mein wildes Schätzchen. Denk an Lust und Leidenschaft. Male dir die höchsten Wonnen aus, die ich dir bereiten werde. Du schwatzt frech daher, aber dein Körper singt ein völlig anderes Liedchen, und zwar lauter als Worte.« Gleichgültig sah Susan zu, wie er seine Kleidung abstreifte. Er bewegte sich mit einer gewissen Eleganz und Anmut. Geradezu weibisch. Wie könnte sie daraus einen Nutzen ziehen? Susan blieb keine Zeit, um eine ausgefeilte Argumentation vorzuformulieren. Van Chow berührte eine Kontrolltaste, und die Ringe um ihre Hand- und Fußgelenke sausten unwiderstehlich an die vier Bettpfosten. Sie hob, alle vier Glieder wehrlos gespreizt, den Kopf, schaute ihm wutentbrannt ins Gesicht. »Du jämmerlicher Ficker!« schrie sie ihn an. »Käme ich nur mit meinen Fäusten an deinen stinkigen Balg, ich risse dir mit bloßen Händen die Eingeweide heraus!« Van Chows Laune besserte sich ein wenig, als er ihren Zorn sah. »Du liebe Güte, was für eine Tobsucht, mein süßes Engelchen. Komm, laß midi dir den Weg zu Friede und Freude zeigen.« Seine Augen spiegelten Eifer, als er sich über das Bett beugte. Er begann ihre Schenkel zu streicheln, und Susan spürte — wie schon vorher —, wie
sich ihr Körper erwartungsvoll entspannte. »Was?« zischte sie. «Diesmal kein Psyching? Willst du’s mal mit eigener Kraft probieren?« Er blickte ihr in die Augen. »Nein, es ist überflüssig geworden. Fühlst du deinen Körper? Ich habe ihn mir abgerichtet, Susan. Dieses Mal möchte ich dich nicht mit Bildern teilen. Nun gehörst du ganz mir.« Grinsend drang er in sie ein und begann sich langsam zu bewegen ... Als er endlich fertig war, hatte er Susan erschöpft. Die Lungen wogten in ihrem Brustkorb, sie rang um Atem ... Und ihr Leib glühte innerlich regelrecht von dem sexuellen Höhepunkt, den sie erlebt hatte. Verdammtes Fleisch! Verflucht soll ich sein! Ich begehe an mir selbst Verrat! Verrat... Verrat... Genau darauf kommt es ihm an! schien eine leise Stimme in ihrem Kopf zu heulen. Er will dir Abscheu vor dir selbst einflößen! »So, mein süßes Blümchen«, säuselte Van Chow, strich mit den Fingern über ihre erhitzte, schweißige Haut. »Ist das etwa nicht schöner als Wüten und Toben? Ist dir nicht zumute, als ob du auf Wolken schwebtest, meine Liebe? Spürst du, wie die Erregung langsam aus deinem Körper weicht? Erinnert dein Gemüt sich an die Empfindungen des Entzückens? Hast du je zuvor solche Lust und solche Wonne erlebt?« Susan bemühte sich um Beherrschung, erwiderte seinen Blick. »Einmal besprang mich ein ... ein wildgewordener Stier ... auf einer Weide. Er hatte ein größeres Glied als du dürrer Sirianer. Die Lust, die er mir bereitet hat, war wie plötzliches Licht an einem dunklen Himmel. Er hat mir Erfüllung geschenkt. Du ...« — sie hob die Schultern — »du bist nicht schlecht... Ja, tatsächlich ... sogar besser als die meisten. Aber der Stier, du kleiner sirianischer Stutzer, war göttlich. Wenn eine Frau von einem Gott bestiegen worden ist, was kann ihr dann noch ein gewöhnlicher Mann bieten?«
Van Chows Haltung hatte sich gestrafft. »Schlaue Lüge, Barbarin.« Seine Stimme klang gepreßt. »Bloß glaube ich dir kein Wort.« Er lachte auf. »Oh, du bist eine herrliche Herausforderung, teure Susan. Es wird mir ein Riesenvergnügen sein, dich soweit zu bringen, daß du um meine Berührungen bettelst.« »Vielleicht«, entgegnete Susan spöttisch. »Aber glaubst du wirklich, du könntest eine Frau auf Dauer mit so etwas befriedigen?« Erbittert schluckte Van Chow. Für einen kurzen Moment flackerte Blindwütigkeit in seinen Augen. »Komm«, fügte Susan gönnerhaft hinzu, »versuch’s noch mal. Vielleicht klappt’s diesmal besser.« Sie musterte ihn, die Lider gelangweilt halb geschlossen. Er warf sich auf sie, drang grunzend erneut in sie ein. »Und wie wär’s noch mal?« fragte sie anschließend, obwohl sie vor Schmerz zitterte. »Ich sehe, du lernst dazu, du jämmerlicher Schafskopf. Naja, ‘s wundert mich nicht, daß eure Krieger von unseren wie Grashalme niedergemäht wurden.« »Meine Liebe...« Van Chows Augen funkelten, er verpreßte die Kiefer. »Ich habe dies Raumschiff zu befehligen und Sirius zu regieren. Ich kann nicht den ganzen Tag mit dir zubringen. Du denkst wohl, du wärst...« - »Dann geh doch zu deinen Direktoratsschäfchen.« Sie wies mit dem Kinn zur Tür. »Laß dich erst wieder blikken, wenn du für meine Lust genug Zeit erübrigen kannst.« Sie verzog angeödet das Gesicht und starrte die Wand an. »Du bist wirklich eine Herausforderung«, konstatierte Van Chow halblaut. »Ich glaube, jemanden wie dich könnte ich lieben lernen, Susan. Ich habe den Eindruck, ich habe endlich eine Frau gefunden, die meiner würdig ist.« Er stand auf und verschwand in die Dusche. Susan atmete tief durch und kniff fest die Lider zusammen. Der Trotz hatte sie viel gekostet. Sie war er-
niedrigt und beschämt worden — doch jetzt hatte sie sich zum erstenmal behauptet. Bei Spinne, wie lange konnte sie ihn zum Besten halten? Was mochte geschehen, falls sie ihn zuletzt richtiggehend überforderte? Wie lange würde sie dann noch am Leben bleiben? Mit einem Ruck lösten sich die Ringe, die ihre Fesseln abgaben, von den Bettpfosten, und Susan wechselte in eine Sitzhaltung. Über der Toilette glomm ein Licht auf, zeigte an, daß sie nun ihren körperlichen Bedürfnissen nachgeben durfte. Langsam erhob sie sich vom Bett, krümmte sich zusammen. Van Chow hatte sie verletzt; sie zwang sich dazu, sich nichts anmerken zu lassen, verlor unterwegs den einen oder anderen Tropfen Blut, schwor sich währenddessen, die Stärkere zu sein. Giorj weckte sie aus tiefem Schlaf. Sie setzte sich zu hastig auf, und ein Keuchen entfuhr ihr. »Hast du Beschwerden?« fragte Giorj in plötzlichem Erschrecken. »Ein wenig«, brummte Susan. »Das letzten Mal hat er mir echt wehgetan. Aber ... aber ich glaube, ich habe ‘ne Möglichkeit gefunden, wie ich bis auf weiteres mit ihm zurechtkommen kann.« »Momentan ist er beschäftigt«, sagte Giorj. Er machte etwas an der Wand, und zu Susans Überraschung fuhr eine Med-Einheit aus. »Der Planet hat kapituliert. Pika Vitr und der Unionsvorstand haben die Kapitulationsurkunde unterzeichnet. Er hat fürchterliche Wut gehabt, als er von dir kam. Er brauchte ein Sedativum aus der Bordapotheke, um weiterschlafen zu können. Gegenwärtig ist er ein ungeheuer gefährlicher Mann.« Susan stöhnte, während Giorj ihr in die Med-Einheit half. Ihre Augen weiteten sich, als die Maschine ihren Unterleib zu untersuchen begann. »Keine Sorge«, beruhigte Giorj sie. »Da ... Das müßte bald verheilt sein. Wärst du geschwächt, würde Ngen es gegen dich ausnutzen.« Als sie aus dem Gerät stieg, war der Schmerz ver-
schwunden. Giorj schob die Med-Einheit zurück in die Wand und hockte sich auf die Bettkante. Unter seiner Kleidung holte er ein zerkratztes, Susan wohlbekanntes Mini-Terminal hervor. Susan drückte es an die Brust, dann umarmte sie Giorj. Dieses Terminal hatte einmal Hans in der Hand gehabt. »Los, komm, wir brauchen jetzt einen Kommu-Anschluß. Ich werde dir zeigen, was ich da habe.« Sie spürte keine Schmerzen, als sie aufstand, aber es grauste ihr beim Anblick der Blutflecken. »Ich wollte, ich könnte dich fortbringen«, sagte Giorj leise, als er die Druckstellen sah, die ihren Körper sprenkelten. »Alles zu seiner Zeit, mein Freund«, antwortete Susan gedämpft, warf den zwei Frauen einen Blick zu, die am anderen Ende des Zimmers stumpfsinnig vor sich hinglotzten. Leona stierte meistens ins Leere oder ma-sturbierte. Arish vermied es beharrlich, Susan anzusehen. An seinem Kommu-Apparat schloß Giorj das MiniTerminal den Bordcomputern an. Susan stülpte ein Kontaktron über und gab ihren Code ein. Daten flimmerten über den Bildschirm. »Woher hast du das?« erkundigte Giorj sich atemlos. »Das ist unbezahlbar! Wenn wir bloß eine Rißzeichnung fänden, aus der sich das Design ihrer Raumschiffe ersehen ließe...« »Es ist alles, was ich in den Computern der Projektil entdeckt habe.« Susan stieß ein Seufzen aus. »Die technischen Daten kapier ich nicht. Der Mann, der sie verstanden hat... ist im selben Blasterfeuer wie deine Mutter umgekommen.« »Wie hast du die Sicherheitscodes umgangen?« rief Giorj. »Das ist ja eine ganz großartige Sache!« »Warte mal... Aha, ja, da ...« Susan zeigte auf die Blaster-Konstruktionszeichnungen. »Ist das die Art von Geschütz, wie die Hiram Lazar sie hat?«
Giorjs Blick wanderte über die Darstellungen. »Nein. Und nicht nur das, es ist auch ein viel größeres Modell. Dieser Fujiki-Verstärker ist eine Neuheit.« »Könntest du so einen Blaster bauen?« »Ja, natürlich, vorausgesetzt, ich bekomme die erforderlichen Materialien.« Giorj rieb sich die Hände. »Und wie verhält’s sich mit diesen Schutzschirm-Generatoren?« fragte Susan, indem sie eine andere Datei lud. Giorj s fahle Augen huschten über das Diagramm, erfaßten die Linien und Kennzeichnungen in einer Weise, der man anmerkte, daß er genau begriff, was er sah. »Bestens! Sie waren hervorragend konstruiert. Besorge mir das Material, und ich kann alle diese Dinge bauen.« »Hat Van Chow die Projektil schon vernichtet?« »Nein, er hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, das Schiff erbeuten zu können. Allerdings steht er unter Zeitdruck. Ich habe den Zielcomputern alle erforderlichen Daten eingespeist, um es zu zerstören, sobald er es befiehlt.« Giorj schnitt eine mürrische Miene. »Wären in der Projektil und der Bruderschaft genug Hyperkonduktoren vorhanden, um diese Geräte zu bauen? Würde die Projektil damit ausgerüstet, wäre sie unbesiegbar, oder nicht?« »Vollständig. Denk nur an die Hiram Lazar. Mit einem umgebauten FLF haben wir die Bruderschaft und die Trutz bezwungen, und die Projektil ist uns praktisch ausgeliefert.« Susan schlang die Arme um Giorj und drückte ihn verzweifelt an sich. »Mein Freund, mein wunderbarer Außenseiter der Gesellschaft... Wie gefiele es dir, zu uns übrigem Abschaum überzulaufen?« Giorj betrachtete sie. »Wie lautet dein Vorschlag?« »Du hast gesagt, die Romananer hätten Sirius erobert? Was schuldest du Van Chow? Der Mann ist ein Scheusal. Er hat dich wie einen Sklaven behandelt. Komm zu uns ... Sei ein freier Mann! Wir, das Volk Welts, brauchen einen
Ingenieur. Wir haben dir viel zu bieten, Giorj. Unsere Propheten werden dich faszinieren. Sie sehen die Zukunft, weil Spinne will, daß wir lernen. Und du könntest die Projektil umkonstruieren ... Mit aller Technik, die du willst.« »Ich ...« Giorj wirkte entgeistert. »Ich ...-« »Deine bedingungslose Treue zu deiner Mutter ist etwas, das deine Freundschaft für uns zur Ehre macht. Wir schätzen Ehre hoch. Unser Volk geht damit nicht leichtfertig um. Es ist dein Cusp, Giorj. Ich glaube, ich bin geschickt worden, um dich kennenzulernen. Ich bin der Ansicht, Spinne will, daß du zu uns stößt.« Giorj lehnte sich zurück, sein Blick glitt über die Programm-Menüs. »Du weißt, daß auf Frontier noch mehr Bruderschaft-Informationen aufbewahrt werden. Sie sind mir unzugänglich geblieben, weil ich die Codes nicht kannte. Der Blastertyp, den ich für den Sirius gebaut habe, galt damals, zu Bruderschaftszeiten, schon als veraltet.« »Ich habe diese Codes hier geknackt«, sagte Susan und ihre Miene hellte sich auf. »Vielleicht können wir nach Frontier fliegen und auch die dortigen Codes enträtseln. Erstaunt sah er sie an. »Es gibt dort nicht nur militärische Geheimnisse. Man hat dort Informationssammlungen, die der gesamten Menschheit von Nutzen wären.« »Falls wir jemals hingelangen«, meinte Susan leise, weil ihr in diesem Moment wieder einfiel, wo sie war und wie wenig Sinn es hatte, jetzt an Flucht zu denken. »Ich kann dich nicht von diesem Schiff fortschaffen«, sagte Giorj traurig. »Zumindest in den nächsten Tagen nicht. Niemand weiß, was Ngen unternehmen wird, nachdem jetzt der Planet kapituliert hat. Die Patrouille ist keine Gefahr. Sie kann uns nichts anhaben.« In Susans Augen schien es aufzuglühen. »Die Patrouille vielleicht nicht«, antwortete sie mit schiefem Lächeln. »Aber es kann sein, es ist Spinne, den Van Chow fürchten muß.«
»Euer Gott?« »Und seine Romananer.« Susans Augen glitzerten. »Wer hat Van Chow trotz seiner Superblaster den Planeten entrissen? Wer hat gegen die unglaublichsten Widerstände das Direktorat zum Nachgeben gezwungen? Wir sind nicht zu schlagen, Giorj ... Nicht einmal im Tod. Wir sind Spinnes Weg. Wir sind da, um uns durchzusetzen, der Menschheit ein neues Leben zu bringen.« »Das kommt mir ziemlich unlogisch vor«, gestand Giorj. »So? Bruderschaft und Trutz sind mit Patrouillenpersonal bemannt gewesen. Sogar die Patrouillenleute, die nicht mehr unter Oberst Ree dienen wollten, befanden sich an Bord der Bruderschaft. Sie besteht nur noch aus Schrott. Die Projektil schwebt in der Nähe, sie ist schwer beschädigt, aber sie kann noch repariert und umgebaut worden. Weshalb hat Van Chow sie nicht gleichfalls vernichtet?« »Zufall«, sagte Giorj leise. »Und der Mut ihres Kommandanten hat dazu beigetragen.« »Der auch an Spinnes Botschaft glaubt.« Das gedämpfte Läuten erscholl. »Er erwacht.« Rasch schaltete Giorj den Kommu-Apparat ab; er seufzte, während sich die Klappe des Wandfachs über der Anlage schloß. »Behalte das Terminal, Giorj. Wenn’s geht, besorg dir meine Waffen. Sollte irgendwas geschehen, durch das wir ‘ne Chance zur Flucht erhalten, brauchten wir uns nur bis hinüber zur Projektil durchzuschlagen.« Susan schlurfte zum Bett. Am Ausgang blieb Giorj noch einmal stehen. »Weißt du, es ist kaum zu glauben, daß es jemanden wie dich gibt. Du stehst da nackt, EM-Bänder an Armen und Beinen, blau und grün von den Vergewaltigungen, in der Bewegungsfreiheit durch ein Fixierfeld auf ein Bett beschränkt ... Und doch planst du mitten in diesem großen
Kriegsschiff, das zu seiner Verteidigung über die stärksten Blaster der Galaxis verfügt, eine neue Welt!« »Und es wird sie geben, Giorj.« Susan winkte ihm zu. »Das heißt, wenn wir das hier überstehen, die richtigen Personen die richtigen Entscheidungen fällen ... und Spinne mich nicht vorher zu sich ruft.« Gleich darauf war Giorj wieder fort. Susans Mut verflog, sie schluckte schwer und schloß die Augen. Sie ballte vor sich eine Hand zur Faust. »Ich werde durchhalten!« schwor sie sich. »Ich muß bloß überleben! Nichts als einfach überleben!« * * * »Die Kommu-Verbindung zur Bordklinik ist unterbrochen, Oberst«, meldete Neal Iverson. »Das bedeutet, der Gegner ist in Deck Sechs vorgestoßen. Glick im Maschinenraum habe ich noch erreichen können. Er hält die Reaktorzentrale, aber die Luft wird schlecht. Nach wie vor hat er keine Möglichkeit, um den Reaktor hochzufahren und zur Bombe zu machen. Er brauchte Energiezufuhr, sonst verursacht der Reaktor einen gerade so großen Knall, daß sein Teil des Schiffs hochgeht. Ach ja, und einige der Notgeneratoren zur Sauerstofferzeugung sind uns abgeschaltet worden.« Verdrossen starrte Damen Ree ins Innere seines Raumhelms. »Verdammt noch mal!« »Ich halte Sie ständig auf dem laufenden, Oberst.« »Danke, Neal. Wenn wir hier raus sind, kriegen Sie ‘ne Beförderung.« »Es wimmelt an Bord nur so von gegnerischen Stoßtrupps, Oberst. Wir haben fast überall Feindkontakt. Könnte ‘n Großangriff sein. Außerdem ... Ich dachte, die Patrouille wollte uns loswerden?« »Ja, offensichtlich. Aber ich werde dafür sorgen, daß die Romananer Ihnen ‘ne eigene Pferdeherde geben.« »Ich ... äh ... Klar, Oberst. Hätte ich die Erwartung, daß
wir diesen Kampf überleben, müßte ich mir darüber Gedanken machen. Ich und Pferde?« »Ich werde ...« Statt den Satz zu beenden, entlud Ree die energetische Glut seines Blasters in die Richtung der dunklen Gestalten, die sich geisterhaft aus einem unbeleuchteten Niedergang näherten. Eine Traube plötzlicher Dekompression ausgesetzter Leiber, die umeinan-dertrudelten, versprühte kristallisiertes Blut und warme Körperflüssigkeiten in die eisige Null Schwerkraft des Hauptkorridors. Ein abgetrennter Arm prallte schlaff gegen die Deckenplatten, aus der verstümmelten Schulter stoben in spiraligen Fontänen karmesinrote Kristallwolken. Bläulich-violette Strahlen von Blasterfehlschüssen sprengten vor Ree in lautlosen Explosionen Brocken aus den Wandplatten. Ree stieß sich ab, schwebte seitwärts, spähte um die Ecke, sah die Sirianer auf panikartigem Rückzug. Er legte das schwere Blastergewehr an die Schulter und erzielte im wirren Haufen der Flüchtenden Treffer um Treffer, bis ihm schließlich die Körper der Toten oder Sterbenden, die durch die Dunkelheit kreiselten, weiteres Schießen unmöglich machten. So mußte es in der Hölle aussehen — oder in den Alpträumen eines Psychopathen. »Das wird euch lehren, euch auf meinem Schiff rumzutreiben, sirianisches Pack!« Sicherlich, die einzige Person, die ihn hörte, war Neal Iverson, der mit einem Stoppelbart und verhärmten Blicks unerschütterlich wie Stein an einem Kommu-Apparat saß und dabei half, die zunehmend schwächere Verteidigung der Projektil zu koordinieren, doch jedenfalls tat es Ree gut, laut zu schimpfen. Ree wich zurück, ein Bündel violetter Strahlen blasterte flimmrigen Dunst hinter ihm aus dem Schott. Er bückte sich, um eine neue Batterie ins Blastergewehr zu stecken, da stemmte sich unter ihm ein >Toter< hoch, brachte ihn
aus dem Gleichgewicht, eisenhart schlang ein Arm sich um die Vorderseite des Raumhelms. Ree spürte, wie Finger nach dem Verschlußhebel griffen. Ein Offnen des Helms hätte Dekompression und Tod zur Folge. »Hab ich dich, Patrouillenschwein!« drang eine Stimme an Rees Ohren; bei ihrem Ringen drückte sich der Raumhelm des Sirianers gegen seinen Helm. »Glaubst du das, sirianischer Lump?« knirschte Ree, warf sich hin und her, dachte an die Blasterstrahlen, die das Schott zerschossen hatten und jetzt Bereitschaftsraum 3 des Geschützdecks verwüsteten. »Ja, Mann! Ich hab dich so, daß du mir nicht entwischst. Du kannst den Blaster nicht laden und nicht auf mich richten. Du bist erledigt.« Ree ließ das Blastergewehr los, hörte Blut in seinen Ohren rauschen, ihn packte Furcht. Er schlug auf die von den Anzughandschuhen geschützten Finger des Sirianers, die nach dem Verschlußhebel grapschten, mit der anderen Hand tastete er am eigenen Koppel herum. Er drosch die Hand auf die Finger des Manns, drückte sie auf den Hebel, knurrte vor Anstrengung, brach in seinem Schutzanzug in Schweiß aus. Säuerlich stieg ihm der Gestank seiner Furcht in die Nase. »Eines noch, Sirianer ...« »Ja?« »Ein Geschenk der Romananer.« Rees Faust schwang den großen Kriegsdolch, den Eisenauge verwendet hatte, um Antonia Reary zu erstechen, um seine Hüfte, stach aufwärts, fühlte die Klinge den Raumanzug des Sirianers durchbohren und spürte, wie die scharfe Schneide über Knochen schrammte, als er sie zurückzog. Trotz der gräßlichen Schreie des Manns und der Dunstwolke aus Blut und Gasen, die aus dem Schutzanzug brodelte, stieß Ree noch mehrmals zu. Anschließend überprüfte er zweimal den Verschlußhebel an der Seite des Raumhelms. Willenlos ließ er sich
schweben, die Gliedmaßen matt, das Gesicht erhitzt, bis er, während er vor sich hinjapste, gegen eine Wand wumste. »Oberst? Verflucht noch mal! Damen, sind Sie noch da?« »Hier, Neal.« Ree schluckte, schien einen faustgroßen Klumpen in der Kehle zu haben. »Warten Sie ‘n Moment, ich muß dem Burschen den Helm aufmachen. Ich werde mir den Coup nehmen.« »Äh ... Coup, Sir? Ich dachte, Sie hielten nichts von ...« »Verdammt, Mann, ich hab ihn mir verdient«, schnaufte Ree, bemühte sich noch immer darum, seinen Herzschlag zu beruhigen. »Bitte beeilen Sie sich, Oberst. Die Situation ist ganz schön ernst. So starken Druck haben sie bei noch keinem Angriff ausgeübt. Ich ... nun, Sir, ich bin mir keineswegs sicher, daß wir’s auch diesmal überstehen.« Ree besah sich den langen Kriegsdolch in seiner Hand; zu glitzernden Kristallen gefrorenes Blut bildete Muster auf der schweren Klinge. »Dann bereiten Sie Ihre Seele auf die Heimkehr zu Spinne vor, Neal. Wir lassen nicht nach, bis der letzte von uns gefallen ist.« »Jawohl, Sir. Das ist Ehrensache.« Ree nickte ins Dunkel des Korridors, nahm seinen Coup. Danach griff er sich wieder seinen Blaster, tätschelte den verrußten Graphitstahl der Wand. »Tja, altes Mädchen, ich habe dir versprochen, daß niemand dich kriegt, solang ich lebe. Jetzt ist es soweit, Projektil, wir zwei bleiben beisammen ... bis zum Ende.« * * * Am schlimmsten an Susans Gefangenschaft war das Warten. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich dermaßen unglaublich gelangweilt. Sie schaute hinüber zu Leona, sah ihre ausdruckslosen, stumpfen Augen. Da bestand natürlich ein Zusammenhang. Van Chows Opfer hat-
ten nichts anderes zu tun, als über ihr Schicksal nachzudenken. Im Zustand extremer Langweile und bei minimalen äußeren Reizen konnten sie nur über ihre Zeit mit ihm grübeln ... und darüber, wie tief sie gesunken waren. Voller Staunen schüttelte Susan den Kopf. Trotz allem mußte sie die geniale Raffiniertheit des Manns bewundern. Hatte er erst einmal den Willen der Frauen gebrochen, vollzog ihr endgültiger Niedergang sich von selbst... Und danach suhlten sie sich nur noch in ihrer Verkommenheit. Nein, Van Chow war abartig, krank im Kopf, eine degenerative Abweichung. Sein brillanter, aber verdrehter Geist brachte — in Verbindung mit seinem Drang zur Dominanz — nur Unglück über die Menschheit. Gleichzeitig verstand er gut zum Kampf anzufeuern. Susan lehnte sich zurück, erinnerte sich an die vielen Niederlagen der Sirianer und daran, wie Van Chows Blaster ihre Städte eingeebnet hatte, die Bevölkerung demoralisiert worden war, weil die Romananer ihre jungen Frauen als Bräute fortschleppten, wie man ihre Industrieanlagen pulverisiert hatte. Aber jedesmal hatte Van Chow eine neue Rede gehalten, und sie nahmen den Kampf erneut auf, während er sicher in seinem unangreifbaren Raumschiff blieb. Er hatte Hans getötet und ... Sie unterbrach den Gedankengang, schwitzte kalten Schweiß aus. Mühsam schluckte sie, zog die Knie an, drückte sie gegen die Brust. Hans? Tot? Ein leises Winseln erstickte in ihrer Kehle, als sie den Blick zu dem Psyching-Kontaktron außerhalb des Fixierfelds hob, das ihre Bewegungsfreiheit aufs Bett begrenzte. Sie wehrte sich innerlich gegen Van Chows Anschläge auf ihre geistige Gesundheit und ihr Selbstwertgefühl. Die Trauer um Hans wollte sich wieder bemerkbar machen. Doch das konnte sie nicht dulden — nicht solange sich während der Vergewaltigungen durch
Van Chow Traum und Wirklichkeit vermischten. »Nein, Susan«, krächzte sie, »denk an was anderes! Er will, daß du an Freitag und Hans denkst, dich damit quälst, wie dein Körper reagiert, wenn die gottverdammte Maschine dir ihre Bilder in den Kopf proji-ziert... während du die ganze Zeit weißt, daß er’s ist. Daß er in dir ist, alles Wertvolle an dir zugrunderichtet, mit deinem Geist spielt.« Sie füllte ihre Lungen tief mit Atem, schüttelte den Kopf. »Mit deinem Geist spielt... spielt, Susan. Dich fertigzumachen versucht, dich gegen dich selbst aufhetzen will.« Sie sprang auf die Beine, latschte ein paar Schritte und hieb wütend eine Faust in das Feld, das sich wie Gummi anfühlte, von dem ihre Hand mit der gleichen Kraft zurückprallte. »Warum, Van Chow? Warum tust du Menschen so etwas an?« Weil es sie demütigte. Er hatte keine Seele. Alle Menschen behandelte er gleich. Mit jedem, der seinem glatten Geschwätz glaubte, stellte er das gleiche an. Er brauchte nur zu rufen, ihnen zu schmeicheln, und sie taten, was er verlangte. Van Chow hatte Sirius so unfehlbar ruiniert, wie er Leona zertreten und Arishs Willen gebrochen hatte. »Aber auf Welt wäre dir das nicht gelungen, du Made!« heulte Susan die schallsichere Deckenvertäfelung an. In Anwesenheit von Zeugen hätten die Propheten ihn gefragt, zu welchem Zweck er seine Gegner so gründlich martern müßte, daß er Spinne ihre Seelen verdarb — und die Menge hätte ihn gelyncht. Die Wurzel des Übels stak woanders. Susan biß auf ihren Lippen herum, sie wußte, wohin ihre Gedanken führten. Das Direktorat schuf den Nährboden, der die Grundlage für den Aufstieg eines Manns wie Ngen Van Chow abgab. Das Direktorat hatte eine Metamorphose durchlaufen, war zum wohltätigen Feind der Menschheit geworden. Es war das Direktorat, das die menschlichen
Schafe heranzüchtete, die sich von Typen wie Van Chow so leicht lenken ließen. Dieser Mißstand, begriff Susan, wäre unschwer behebbar. Die Projektil konnte unbesiegbar gemacht werden. Aber wozu die Mühe? Was ging es sie an, daß die Menschen sich wie Schafe verhielten? Sie hatten selbst Gehirne. Dächten sie nach, könnten sie die Stagnation ihres ganzen Daseins erkennen. Susans Gedanken zerstoben, als Van Chow mit verzerrtem Gesicht eintrat. »Meine liebe Barbarin«, begrüßte er sie, »bedauerlicherweise habe ich nur wenig Zeit für dich übrig.« Die Ringe rissen ihr wieder die Glieder auseinander, wie sehr sie sich auch sträubte, hefteten sie magnetisch an die Bettpfosten. Plötzlich verrückte ein Mechanismus das Bett, stellte es hochkant an die Wand. Susan fühlte, wie das Metall, das ihre Hände und Füße hielt, in ihre Haut schnitt. Van Chow musterte sie kummervoll, als er hinterm Rücken eine Elektropeitsche hervorholte. »Deine Romananer haben mir eine schwere Schlappe beigebracht, Susan«, gestand er. »Sie haben mir meinen Planeten genommen. Ich muß dich bestrafen, weil du genauso bist wie sie. Ihr Romananer müßt lernen, daß ihr euch mir nicht ungestraft widersetzen dürft.« »Besiege sie doch, wenn du’s kannst, Schafhirt«, fauchte Susan, fühlte Furcht ihre Eingeweide zusam-menkrampfen. »Oh, keine Bange.« Van Chow lächelte. »Ich habe nicht vor, dich von nun an nur noch zu prügeln. Der Schmerz wird dir eine einfache Lektion erteilen. Sicher weißt du, was man einen bedingten Reflex nennt. Unser letztes Beisammensein war für mich sehr aufschlußreich. Du hast meine Gefühle verletzt, obwohl ich an nichts anderes denke, als wie ich dir Freude bereiten kann ... dir zeigen, wie es dir möglich ist, den eigenen Körper zu genießen.
Und jetzt habe ich zudem den Sirius verloren. Aber das ist nicht weiter schlimm. Ich kann anderswo hingehen und dort von vorn anfangen. Wenn ich mit dir fertig bin, werde ich abfliegen. Wir werden die restlichen Patrouillenschiffe vernichten. Sie belauern mich noch, mußt du wissen. Und was Sirius betrifft... Dort hat man an mir Verrat verübt. Alles, was ich für die Sirianer zu leisten versucht habe, ist von ihnen verworfen worden. Beim Abflug werde ich sie alle verbrennen. Sie und ihre Welt werden hinter mir als Schlackeklumpen zurückbleiben. Das Direktorat wird nicht mehr als eine Kugel aus Schmelzmasse behalten. Und das, liebste Susan, soll der gesamten übrigen Galaxis eine Lehre für den Fall sein, daß noch einmal jemand auf die Idee kommt, sich gegen mich zu stellen ... wie du und deine Romananer es getan haben.« Er senkte den Blick und strich mit einem Finger an der Peitsche entlang. »Dir ist anscheinend nicht klar, daß ich dir zwei Empfindungen verursachen kann, teuerste Susan.« Ganz leicht berührte er mit der Spitze der Peitsche die Seite ihres Körpers, und sie biß sich, als sie ihren Aufschrei unterdrückte, beinahe die Zunge ab. »Da, merkst du’s?« Van Chow schenkte ihr ein versonnenes Lächeln. »Das war bloß eine schwache Berührung. Du darfst noch ein paarmal probieren.« Die Peitsche hüpfte über Susans Leib, rief Schübe heißer Pein hervor, bei denen ihr die Sicht vor den Augen schwand. »Merk dir, Susan, daß du dich mir niemals widersetzen solltest«, empfahl Van Chow ihr mit seidenweicher Stimme. »Ich möchte dir Lust bereiten, und du zwingst mich, dir Schmerz zuzufügen. Ich kann soviel für dich tun... Für die ganze Menschheit. Wenn ihr mich nur laßt.« Durch die roten Schleier vor ihren Augen hörte Susan sich kreischen. Bei jedem Herabzucken der Peitsche verstärkte sich der Schmerz, während sie versuchte, Atem in den gequälten Leib zu saugen. In einer kurzen Pause, in der Van Chow sich auszog, wurde ihr bewußt, daß seine
Kenntnis der Schmerzzentren, wie gut sein Wissen der erotischen Zonen des Körpers auch war, es überbot. Immer wieder traf die Peitsche Susan, und trotz ihrer halb glasig gewordenen Augen beobachtete sie, daß ihr Zappeln ihn sexuell erregte. Sie kämpfte gegen die Umnachtung an, die ihrem Verstand drohte, versuchte sich zu vergegenwärtigen, daß sie Susan Smith Andojar war, Kriegerin des Volkes, und Spinne ihr Gott, daß es im Universum Wahrheit gab. Irgendwann fiel ihr auf, daß sich das Bett — von ihr unbemerkt —, in die Horizontale zurückverschoben hatte. Van Chow zwängte ihr etwas zwischen die Lippen, zwang sie zum Schlucken. Es belebte Susan, beendete das Zittern ihrer Muskeln, ihre Atmung verlangsamte sich, ihr Bewußtsein wurde wieder klar. Van Chows Finger streichelten ihren Leib. »So, meine Liebe, nachdem du eine Lektion in Schmerz gelernt hast, wollen wir nun ans Lernen der Lust zurückkehren«, flüsterte er ihr genüßlich ins Ohr. »Glaubst du, du bist besser als der Stier?« röchelte sie heiser. Van Chow erstarrte, seine Augen bekamen einen hohlen Blick. »Ach, meine liebe Susan, ich habe gehofft, du hättest dazugelernt.« Sie spürte, wie er seine Gestalt reckte, dann die Kühle des Kontaktrons auf dem Kopf. »Nein! Sei verflucht, Van Chow, ich ... ich ...« Wärme durchströmte sie, als sie in Freitags liebevolle Augen blickte. Seine Gesichtszüge verwandelten sich in Van Chows Fratze, wenn er sich bewegte. Freitags warme Finger schienen ihr Fleisch zu kosen. Sie warf den Kopf hin und her, versuchte damit das ihr projizierte Gedankenbild zu verwischen, um die Wirklichkeit, um Van Chow zu sehen, während sie auf Verstandesebene die Wahrheit wußte, geführlsmäßig aber in der Lüge schwelgte.
»Du siehst, ich kann dir viel beibringen.« Van Chow knabberte zärtlich an ihrem Hals. »Da....« Er meinte die Bereitwilligkeit, mit der sie körperlich auf ihn ansprach. »Du wirst die höchste Wollust auskosten dürfen, meine wunderbare Susan. Du hast die Lektion gelernt. Du wirst mir die Gelegenheit, dir Freude zu bereiten, nicht mehr verweigern..« Die Stimme, die ihr ins Gehirn träufelte, gehörte niemand außer Ngen Van Chow. Sein öliger Tonfall durchdrang sie, zerfaserte den Zusammenhalt ihrer Überlegungen, von ihrem Widerstandswillen blieben nur Fetzen übrig. »Bevor diese Woche um ist, meine süße Susan, werde ich dich nach mir winseln hören. Ich werde von dir hören, wie sehr du dich geirrt hast. Du wirst mir sagen, daß du dir von mir Wonne statt Schmerz wünschst. Du wirst sagen, wie ungeheuer du dich danach sehnst, daß ich dir Erfüllung schenke. Der Eindruck seiner Worte erschütterte Susan benommenes Gemüt. Ihre bruchstückhaft gewordenen Gedanken fügten sich zu keiner Identität mehr zusammen. Sie schrie auf, als sie erkannte, daß er die Oberhand erlangte. Er nahm sie, während ihre Emotionen noch infolge des Psychings betäubt waren, der rationale Bestandteil ihres Bewußtseins zur Gegenwehr unfähig blieb. Trotz der künstlichen Euphorie des verabreichten Stimulans war ihr Hirn noch aufgrund der physischen Schmerzerlebnisse beeinträchtigt. Van Chows neues Vorgehen hatte sie bezwungen.... Und sobald Susan das einsah, verabscheute sie sich selbst. Nachdem er gegangen war, lag sie erschöpft und in seltsamer Losgelöstheit von allem einfach da. In der Kahlheit des Raums erinnerte sie sich daran, wie seine Berührungen ihren Leib zum Beben gebracht hatten. Sie erinnerte sich an das hemmungslose Entzücken ihres sexuellen Höhepunkts. Den Körper zur Fötalhaltung
zusammengekrümmt, konnte sie nichts anderes mehr tun, als haltlos zu wimmern. Sie zitterte, hielt die Lider fest zusammengekniffen, schlug sich wie eine Rasende wiederholt die Fäuste gegen die Schläfen, versuchte sich die Erinnerung an Freitag Garcia Gelbes Bein aus dem Kopf zu hämmern, sah andauernd vor sich, wie seine Augen sich veränderten, von Freitags in die Augen.... Ngen Van Chows verwandelten... Und umgekehrt. »Susan?« ertönte Van Chows Stimme aus der Kommu. Voller Grauen bemerkte Susan mit einem Teil ihres Verstands, daß ihr Körper auf den Klang seiner Stimme schon wieder lüstern reagierte. »Nein!« schrie sie. »Nein!Nein!NEIN!« Aber ihr Körper erwärmte sich zusehends, erwartete Van Chows sanfte Berührungen.
26 Freitag Garcia Gelbes Beins Blick blieb unentwegt auf den Monitor gerichtet. Die Beschleunigung preßte ihn auf die Andruckliege. Obwohl er seine Aufregung kaum bezähmen konnte, flößte die Vorstellung, den Orbit zu verlassen, ihm ein Gefühl der Ehrfurcht ein. Am Wechsel der Farben des Himmels ließ sich die zunehmende Höhe ablesen. Freitag wußte, daß ringsum weitere einhundertacht Sturmtransporter aufstiegen, um Kurs auf die sirianischen Kriegsschiffe zu nehmen. Einhundertacht — mehr waren von den Patrouillen-ST nicht übriggeblieben. Zur gleichen Zeit steuerten Viktoria, Miliken und Toreon in der Hoffnung aus dem Hochorbit näher, die Sirianer zur Annahme eines Gefechts bewegen, ihre Scanner vom Planeten auf den Weltraum ablenken zu können. Ob es gelang, würden Freitag und die anderen in den ST bald genug merken. Seine Atmung ging schneller als gewöhnlich. Bevorstehende Bodenkämpfe beunruhigten ihn viel weniger stark. Er begann Druck in der Blase zu verspüren, sein Dickdarm schien sich in Knoten zu verschlingen. Sein Herz machte den Eindruck, als wummerte es direkt gegen die Rippen. Wieso wurden vor einem Kampf immer Zunge und Gaumen trocken? Um sich zu beruhigen, fing er sein Kriegsgebet zu murmeln an. Es war reine Nervosität, oder etwa nicht? Einen Mann, der sich kaum je — ausgenommen während der Kämpfe auf Welt und des Flugs zum Sirius — höher überm Grund und Boden befunden hatte, als ein Pferd ihn schleudern konnte, mußte die Vorstellung, viele Kilometer hoch über einen Planeten aufzusteigen, zwangsläufig
wenigstens nervös machen. Bei den ersten Flügen war ihm überhaupt nicht richtig klar gewesen, daß lediglich eine dünne Metallwand ihn vom Nichts trennte... Freitag hielt seine unruhigen Finger still und atmete tief durch. Spinne entschied über sein Schicksal. Alle Menschen starben. Wenn es soweit war, kehrten ihre Seelen zu Gott heim. Das war alles, was er wissen mußte: Wahrheit. Aber die Art des Sterbens ist wichtig, widersprach der traditionsbewußte Teil seines Gemüts. Fünfzehn oder dreißig Kilometer tief in den Tod zu stürzen, erachtete Freitag als keine besonders würdevolle Todesart. Auf dem Kriegspfad oder einem Beutezug, der Frauen und Pferden galt, durch eine Kugel gefällt zu werden, empfand er dagegen als hinlänglich ruhmvollen Tod. Er dachte über seine Reaktionen nach. Weshalb hatte er diesmal so große Sorge? Er war von Welt zur Projektil hinaufgeflogen. Von der Projektil war er zum Sirius hinabgeflogen. Zwischen diesen beiden Flügen hatte er eine so weite Strecke Weltraum durchquert, daß das Licht — von dem er wußte, daß es sehr schnell war — ein-hundertfünfundsechzig Jahre brauchte, um sie zurückzulegen. Warum also verursachte dieser kurze Flug ihm soviel Beunruhigung? Weil auf dem ersten Flugs niemand auf ihn geschossen hatte. Weil er beim zweiten Flug gar keine Klarheit darüber gehabt hatte, mit was man auf ihn schoß. Weil man während dieses dritten Flugs vielleicht mit den verfluchten violetten Blasterstrahlen auf ihn feuerte, die schon drei Patrouillenschlachtschiffe in Schrott verwandelt hatten. Und weil am Ende dieses Flugs Susan auf mich wartet. Freitag biß die Zähne zusammen. Vor dieser Aussicht graute ihm genauso nachhaltig wie vor den scheußlichen Blastern. Van Chows Blaster hatten ihn bereits zu viele Freunde gekostet; als sie Hans töteten, hatten sie ihm gleichzeitig Susan geraubt.
»Erste Welle schwärmt planmäßig aus«, erscholl eine Durchsage aus der Kommu. An Bord der ST der ersten Welle saßen die Sturmtruppen, die die Helk entern sollten. Ein Schlingern ging durch Freitags Eingeweide, als der ST erneut die Höhe wechselte, der Magen schien ihm in die Kehle hochzurutschen. Prächtig. Wie soll ich da jemals das Kämpfen unter Nullschwerkraftbedingungen ler-
nen ? Er und die anderen Krieger hatten nur einen Monat lang im Teilzeittraining eine gewisse Praxis erworben. In Nullschwerkraft wurde ihm schwindelig; Brechreiz befiel ihn, er wußte nie, nach welcher Seite er greifen mußte. Wenn nun die Gravo-Kompensatoren ausfielen, sobald sie die Hiram Lazar rammten? Er drehte den Hals, blickte sich um, schaute in die grimmigen Gesichter seiner Untergebenen. Auch in ihren Augen schimmerte Besorgnis, während sie seinen Blick erwiderten, sie glitzerten wie die Lichter in die Enge gedrängter Wölfe. Einige mahlten mit den Kiefern, knirschten mit den Zähnen, als dächten sie daran, wo sie waren, wohin sie flogen. Jeder konnte sich mit einem Tod auf festem Boden abfinden. Aber im Nichts zu sterben? Das war wirklich etwas anderes. Sie flogen in das erste Raumgefecht, in dem sie das Schießen zu erledigen hatten. Das letzte Mal hatten die Romananer, die an Bord der Projektil gewesen waren, rund um sich ein riesengroßes Schlachtschiff gehabt. Solche Überlegungen anzustellen, lenkte Freitag von Gedanken an Susan ab. Er seufzte und lehnte sich in den Gurten zurück, sein Raumhelm drückte ins Polster. Wie mochte sie sich verhalten, sobald sie ihn wiedersah? Weglaufen? Sich verstecken? So tun, als würde sie ihn nicht kennen? Weil er nichts Gescheiteres anzufangen wußte, legte Freitag sich Möglichkeiten zurecht, wie er sie ansprechen könnte. Er durchdachte alles, von >Hallo, Susan, da bin
ich wieder< bis zu >Hör mal, ich weiß, du hast allerhand durchgemacht, aber .. .< Er nagte auf seiner Unterlippe, wünschte sich, er wäre etwas anderes zu tun imstande, als hier festzusitzen wie eine Fliege im Honig. Geballte Kräfte stauten sich in seinem Körper, denen er noch kein Ventil bieten konnte. Auf dem Monitor sah er dünne Lichtbahnen durchs All gleißen. Selbst durch den Raumhelm hörte er die Männer ringsum gedämpfte Gespräche anfangen. »Das Feuer, das ihr jetzt beobachtet, ist auf die Patrouillenraumschiffe gerichtet«, informierte die Kommu. »Sie haben die Hiram Lazar pünktlich angegriffen. Bis jetzt ist noch auf keinen ST geschossen worden. Leute, anscheinend haben wir heute ‘n Glückstag.« Gemurmel der Erleichterung raunte durchs Deck. Freitag sprach rasch ein weiteres Stoßgebet zu Spinne. Zu was riete ein Prophet ihm in bezug auf Susan? Was für eine Erkenntnis ließe sich aus den Ereignissen ziehen? Enttäuscht sah Freitag ein, daß er sich davon nicht die geringste Vorstellung zu machen verstand. Auf der Projektil hatte er einmal einen Holo-Spielfilm gesehen, in dem die Schöne sich nach ihrer Rettung aus der Gewalt von Raumpiraten dem jungen Helden in die Arme geworfen, ihn mit Küssen bedeckt hatte. Freitag schloß die Lider, dachte nach. Im Gegensatz zu der Frau in dem Spielfilm konnte man Susan nicht als zarte Jungfrau einstufen; er hatte sie mit einem anderen Mann teilen müssen. Anders als die Filmfrau vermochte sie sehr gut selbst auf sich achtzugeben; sie hatte mehr Coups als Freitag Garcia Gelbes Bein errungen. Mit wachsender Besorgnis fragte sich Freitag, ob sie sich vielleicht inzwischen von ihm entfremdet hatte. Nicht einmal unter günstigeren Umständen als gegenwärtig hatte er alle ihre Bedürfnisse erfüllen können. Würde sie ihn nun, nachdem sie so lange Spielzeug der Sirianer gewesen war, überhaupt noch eines Blicks würdigen? Ihm den Versuch erlauben, ihr zu helfen?
Noch schlimmer belastete ihn die Frage: Konnte er je verstehen, was sie über das Erlebte dachte, wie sie sich danach fühlte? Unwillkürlich krampfte Freitag sich zusammen, während er sich ausmalte, wie feiste, schweißige Sirianer Susan schändeten. Er vermochte sich die verzweifelte Wut in ihren Augen vorzustellen, während Schafböcke sie vergewaltigten. Hans hatte, als er starb, einen Teil ihrer Seele mitgenommen. Was hatten die Sirianer unterdessen mit dem Rest angestellt? Freitag duldete, daß diese Frage sich langsam, als kröche ein Wurm ihm durchs Hirn, in seinem Bewußtsein festsetzte. Er hatte sie lange verdrängt. Nun jedoch stand er vor der Tatsache, daß er Susan bald wiedersehen sollte. Und wenn sie ein menschliches Wrack mit stumpfen, leeren Augen geworden war? Er ließ die Augen geschlossen und klammerte sich ans Gurtgeschirr. ST 22 vollführte einen ruckartigen Schlenker zur Seite. Die Monitore zeigten eine grell-violette Strahlbahn, die am Rumpf vorüberzuckte. Die Hiram Lazar hatte nun auch auf die ST Abwehrfeuer eröffnet. Geschickt steuerte der Pilot den ST, der plötzlich wild schlingerte, durch den sirianischen Himmel. »Tut mir leid, Jungs«, wandte er sich per Kommu an die Krieger. »Anscheinend haben unsere Freunde in der oberen Etage jetzt ihre Aufmerksamkeit zwischen den Patrouillenschlachtschiffen und uns geteilt.« »Jawohl, so sieht’s aus«, schnaufte Freitag in seinen Kommu-Anschluß. »Halt uns bloß aus den Blasterstrahlen raus. Wenn du das schaffst, Mann, schenk ich dir ‘n Rotfuchspony mit vier weißen Füßen.« Rund um ihn ertönte Gelächter. »Wer war das?« fragte die Stimme des Piloten. »Außer auf den Bildern, die wir auf Atlantis gemacht haben, ist mir noch nie ‘n Pferd vor Augen gekommen.«
»Hier spricht Freitag Garcia Gelbes Bein. Sorg dafür, daß ich am Leben bleibe, und das Pferd ist dir sicher. Sieh zu, daß ich in einem Stück bleibe, und ich schwöre, dem Pony nie mehr eins in die Rippen zu hauen, wenn’s mir ins Gesicht furzt.« Das Gelächter schwoll an. Gut, so konnte er die Männer von der Lage ablenken. »Was, Pferde furzen?« fragte der Pilot, während er einem Blasterstrahl auswich, der nach dem ST haschte. »Hm-hm, meistens warten sie, bis man hinter ihnen steht. Aber das ist noch gar nichts. Bisher hat sie noch niemand so abgerichtet, daß sie ‘ne Null-G-Toilette benutzen könnten.« »Vielleicht verzichte ich doch lieber auf das Pony, Freitag.« Die Stimme des Piloten klang niedergeschlagen. »Naja, ich habe Sirianer sagen hören, wir Romananer wüßten auch nicht, wozu ‘n Klo gut ist«, scherzte Freitag. »Also bring uns ganz einfach durch, falls dir’s nichts ausmacht, weil ich gleich austreten muß. Mein Raumanzug wird voller schmierigem Zeugs stecken, falls du die Todesstrahlen noch mal in unsere Nähe läßt.« Durch die Kommu hörte man auch aus der ST-Zentra-le Heiterkeit. »So leid’s mir tut, Freitag, aber sobald ich diese Kiste erst mal in Fahrt gebracht habe, halte ich für niemanden mehr.« Der Pilot antwortete, ohne zu stocken, während er erneut einem violetten Strahl auswich. »Wir kennen keine Bremsstrecke, mußt du nämlich wissen. Meine Methode, das Ding zu stoppen, besteht darin, es dem Kriegsschiff dort oben in die Seite zu rammen.« »Jetzt mach ich mir wirklich in die Hose«, rief Freitag. »Hast du in so was denn überhaupt schon Erfahrung?« »I wo«, bestätigte der Pilot Freitags Befürchtung. »Ich habe mal im Handbuch geblättert. Da steht drin, daß es geht. Es ist auch ‘n kleines Bild dabei.« »Weißt du«, gestand Freitag, »es gibt Gelegenheiten, da
bin ich mehr als erfreut, weil ich nicht lesen kann. Wir Analphabeten sind einfach zu schlau, um uns zu so was hinreißen zu lassen.« »Echt?« fragte der Pilot. »Ja klar.« »Na, wenn ihr so verdammt gewitzt seid, warum sitze ich dann hier vorn und fliege dies Ding, während ihr alle hinten hockt?« »Weil du in dem Ende sitzt, mit dem das Schlachtschiff, das wir da auf dem Monitor sehen, gerammt wird, deshalb. Du bist näher am Aufprall.« »Da hast du allerdings recht«, räumte der Pilot ein. »Noch dreißig Sekunden, Jungs. Ein bißchen bremsen wir schon noch ab.« Die Bugdüsen des ST spien Reaktionsmasse. Freitag schaltete die Kommu ab und sang sein Medizinlied, sich dessen bewußt, daß ein beachtlicher Stoß durch den ST fahren mußte, wenn er sich in das Raumschiff bohrte. Plötzlich erlosch der Monitor. Eine Halbsekunde später erfolgte der Anprall. Die Gurte fingen einen Großteil der Wucht auf, warfen Freitag hin und her wie einen Ball an einem Gummiband. Als die Erschütterung vorbei war, hätte er beinahe aufgeschrien. Er hatte ein Empfinden, als ob sie abstürzten. Der ST mußte sich vom Raumschiff gelöst haben, möglicherweise trudelte er mit ausgefallenen Bordfunktionen zurück in Richtung des Planeten. »Wir stecken drin!« dröhnte die Stimme eines Patrouillenangehörigen aus der Kommu. »Vorwärts, Männer!« Freitag hieb die Hand auf den Schnellöffner und schwebte aus dem Gurtsystem in die Höhe, fing zu kreiseln an, während er darum rang, alles unter Kontrolle zu behalten. Er verschaffte sich an einer Sitzbank Halt, stieß sich ab und sauste auf den Ausgang zu. Hinter ihm brachen die Krieger in Kriegsgeheul aus,
während sie sich ebenfalls von den Gurten befreiten. Freitag aktivierte seinen Kommunikator. »Haltet euch hinter mir, Krieger! Los, zeigen wir der Patrouille, was wir gelernt haben! Wir machen’s genau wie bei den Übungen.« Es klappte. Die Männer schoben und schubsten sich gegenseitig nach vorn, das Training bewährte sich. Am Ausstieg ließ Freitag, seine Truppe im Rücken, die Arretierung der Sturmschleuse ausrasten und sie vorsichtig vom ST in das Kriegsschiff ausfahren. Die Scheinwerfer huschten durch eine zertrümmerte Observationskuppel, der Rumpf des Kriegsschiffs klaffte, wo der ST eingedrungen war, in Streifen auseinander, ähnlich wie bei einer halb geschälten Banane, das Material der Beschichtung war dabei zerschrammt oder völlig weggerieben worden. Man konnte hören, wie durch Risse im Rumpf Luft ins All hinauspfiff. In der Deckung verbogener Stahlplatten hielten Patrouillensoldaten sich bereit, ihre Blastergewehre drohten ins Dunkel. Ringsum erbebte das Kriegsschiff, als weitere ST sich in die Hiram Lazar bohrten. Freitag setzte die Sturmschleuse gegen ein Schott und verankerte sie. Er betätigte den Intrationsmechanis-mus, winkte seine Männer zurück. Um den Rand der Schleusenluke erhitzte sich Metall, leuchtete von Rot über Orange bis zur Weißglut. Der Stahl gab nach, die Luft drückte ins Innere des Kriegsschiffs. Die Teleskopschleuse dehnte sich zu einem längeren Einstiegstunnel, die noch heiße Kontaktfläche bildete die Rückwand. »Sieh mal an«, rief Geflügelter Stier Reesh. »Das ist ganz schön pfiffig. Diese Patrouillenleute können manchmal richtig gerissen sein.« »Vorwärts!« befahl Freitag. Die Patrouillensoldaten standen eher als er und seine Männer an der Luke. Zur Einleitung schleusten sie eine Handgranate aus. Ein Soldat nickte, die Hand am Schott, als er die Erschütterung der Detonation spürte.
Die Patrouillensoldaten stürmten als erste ins Kriegsschiff, aber Freitag ärgerte sich darüber nicht ernstlich. Er betrat die Schleuse. Sie faßte zehn Mann, die Hälfte seines Zugs. Er merkte, wie der Druck zunahm. Rasch öffnete sich die innere Luke, und Freitag stürzte sich fast zu Tode, als er rücksichtslos in die Bordschwerkraft der Hiram Lazar sprang. Auf dem Deck lagen zwei zerfetzte Leichen. Opfer der Granate? Freitag winkte seinen halben Zug vorwärts, die Männer stolperten aus der Sturmschleuse. Das Vorhandensein von Gravitation bedeutete einen maßgeblichen Unterschied. Seine Zuversicht kehrte zurück, während er durch einen langen, beleuchteten Korridor stürmte, in dem schon kreuz und quer von den Patrouillensoldaten zurückgelassene Gefallene lagen. Freitag war völlig unklar, wohin er lief. Per Tastendruck öffnete er eine Tür, die den Zutritt zu einem Geschützdeck freigab. Die Kanoniere hoben nicht einmal den Blick, als Freitag das Deck betrat und das Blasterge-wehr an die Schulter legte. Gelassen schoß er sie nieder, bevor sie an Gegenwehr denken konnten. Er rannte weiter, feuerte auf andere Sirianer, es verschaffte ihm eine tiefe Genugtuung, es den Halunken an den Bord-blastern heimzuzahlen. Eine Explosion schleuderte ihn hoch, er überschlug sich in der Luft, prallte aufs Deck. Er wollte sofort wieder aufspringen, sackte jedoch zusammen, starrte entsetzt das Blut an, das aus einem Beinstumpf sprudelte, wo sich vorher sein Knie befunden hatte. Schien- und Wadenbeinsplitter ragten hervor wie blutige Dolche. Freitag hörte kaum, wie er schrie. * * * »So, es ist soweit.« Ngen Van Chow lehnte sich in den Kommandosessel, beobachtete die Patrouillenschlachtschiffe, wie sie den Hochorbit verließen, die Viktoria leicht hinter und unter den zwei anderen Raumschiffen.
»Achtung, an alle Besatzungsmitglieder«, sagte Ngen in die Kommu. »Der Zeitpunkt zur vollständigen Vernichtung des Patrouillenverbands ist da. Alle Mann auf die Gefechtsstationen! Sobald wir die Schlachtschiffe besiegt haben, werden wir den Planeten zurückerobern.« Ngen sah Fluktuationen auf den Monitoren, während man den Hauptreaktor hochfuhr, Schutzschirmen und Bordblastern Energie zuführte. Er spürte, wie die Hiram Lazar ringsherum regelrecht pulsierte. Soviel Macht bereitete ihm ein Hochgefühl — und sie stand vollkommen zu seiner Verfügung. Er ballte die Hand zu einer knochigen Faust, schüttelte sie erregt. Ähnlich wie er den Willen des romanani-schen Mädchen gebrochen hatte, beabsichtigte er auch alle anderen, die gegen ihn waren, zu zerschmettern. Alles kam nun wieder in Ordnung. Wie albern von ihm, daran gezweifelt zu haben. Zu guter Letzt bewährte die Hiram Lazar sich als unbezwingbare Bastion, die ihm im Rachen der Niederlage doch noch zum Endsieg verhalf. »Kampfentfernung erreicht«, rief der Feuerleitoffizier. Helle, violette, gebündelte Strahlen schössen wie tödliche Blitze durchs All. Die Zielcomputer traten in Funktion, versuchten die Patrouillenschlachtschiffe im Visier zu behalten. Ngen schwang sich aus dem Sessel, begann auf- und abzugehen, schaute währenddessen zu, wie die Strahlbahnen durch den Weltraum geisterten. Die Patrouillenschiffe blieben verschont, die Strahlen umflirrten sie, aber es kam zu keinen Treffern. »Feuerleitoffizier, verbessern Sie die Zielgenauigkeit.« »Ich versuch’s andauernd, Sir.« Der Mann blickte mit finsterem Gesicht vom Monitor hoch. »Wir haben ein Problem mit den Dopplereffektberechnungen. Die Kommu leitet die Zahlen zu ... die Zielcomputer verarbeiten die Daten ... und jedesmal feuern wir um ein paar Tausendstel Grad daneben.«
Ngen rümpfte die Nase, schniefte, dann lächelte er. »Lassen Sie sie noch etwas näher herankommen. Dank unserer überlegenen Schutzschirme bleibt uns der Vorteil erhalten.« »Die Helk feuert«, drang eine Mitteilung aus der Kommu. Die Blasterstrahlen des anderen Raumschiffs, das sich in geringerer Schußentfernung befand, verfehlten die Patrouillenraumer zunächst ebenfalls, dann jedoch fanden sie die Ziele, trafen die Schutzschirme und umwaberten sie, erzeugten darauf grelle Leuchterscheinungen. »Erster Bürger«, rief der Pilot. »Ich habe Dopplereffektmessungen von etwas, das vom Planeten aufsteigt. Kommt mir wie Raketen vor, Sir.« Ngen fuhr herum, drehte sich dem Monitor zu. »Detaillieren Sie das Bild.« Bei verschärfter Auflösung konnte Ngen erkennen, um was es sich handelte. ST. Es war ein ganzes Geschwader, das auf hundert verschiedenen Trajektorien ins All heraufschwärmte. »Was?« Van Chow begriff die Gefahr. »Feuerleitoffizier, veranlassen Sie die Vernichtung der Sturmtransporter. Achtung, an alle Besatzungsmitglieder! Bereiten Sie sich zur Abwehr von Enterkommandos vor.« Ngen wandte sich ab, verließ die Kommandobrücke. Er betrat einen Lift und suchte das Frachtdeck auf. Per Kontaktron lauschte er aufs Stimmengewirr, das auf der Kommandobrücke herrschte. »Verdammt!« hörte er. »Sie sind schnell.« »Weshalb kriegen wir sie nicht in die Zielverfolgung? Ach, jetzt hab ich einen drin. Feuer! Erwischt — nein, daneben! Hatten die bloß Glück, oder was?« Ngen trat aus dem Lift und kletterte in die Hauptluke seiner Raumjacht. »Giorj?« rief er in deren Bordkommunikationssystem. »Giorj, ich brauche sie unverzüglich in meiner Privatjacht.« Schweigen. Der Ingenieur antwortete nicht. Van Chow aktivierte die Rundrufanlage der Hiram
Lazar, so daß seine Stimme nun aus jedem Lautsprecher des Kriegsschiffs hallte. »Ingenieur Giorj Hambrei, melden Sie sich sofort beim Ersten Bürger!« Ngen wartete, setzte sich in den Kapitänssessel; ringsum flackerten die Monitoren auf. Rasch verschaffte er sich einen Überblick, stellte fest, daß sich an der Situation der Patrouillenschlachtschiffe nichts geändert hatte. Die Blast er der Helk verursachten noch immer auf den Schutzschirmen der Patrouillenschiffe Gewaber, wogegen das Feuer der Hiram Lazar — dem unzweifelhaft entscheidende Bedeutung zukam — harmlos an den gegnerischen Raumschiffen vorbeiging, die Strahlen fern im Schwarz des Weltalls verschwanden. »Feuerleitoffizier, verbessern Sie die Zielgenauigkeit!« wiederholte Van Chow seinen Befehl, während in seiner Brust ein Gefühl hilfloser Wut tobte. Das war er, der Endkampf — und bisher hatten seine Geschütze noch kein einziges Ziel getroffen! Warum nicht? Woran konnte es liegen ...? »Ich versuch’s unaufhörlich, Sir. Es hat den Anschein, daß nach jeder Zielerfassungskorrektur, die wir beim Beschuß der Patrouillenschiffe vornehmen, die Zielverfolgung hinsichtlich der ST schlechter wird. Korrigieren wir die Zielverfolgung der ST, verfehlen wir die Schlachtschiffe. Sir, wir haben offenbar einen ernsten Defekt in den Zielcomputern. Wo steckt Ingenieur Hambrei? Vielleicht kann er die Schwierigkeit beheben. Die Lage wird kritisch, Sir.« »Giorj!« schrie Ngen in die Kommunikationsanlagen. »Giorj, reparieren Sie die Feuerleitcomputer! Sofort!« »Sir«, rief der Pilot, »die ST kommen näher. Bei dem Abstand und der Geschwindigkeit bestehen nur geringe Aussichten, sie alle abzufangen, selbst wenn wir das Feuerleitsystem noch in Ordnung bringen können.« Ngen lehnte den Kopf an die Rücklehne des Sessels, seine Gedanken wirbelten. »Giorj?« meinte er halblaut.
»Hast du dabei die Hand im Spiel?« Durch die Kommu wandte er sich nochmals an die Kommandobrücke. »Also gut, Feuerleitoffizier, Sie zerstören nun die Projektil. Schießen Sie sie zum Wrack. Ein unbewegliches Raumschiff können Sie doch treffen, oder?« »Jawohl, Sir. Äh ... Erster Bürger? Unsere Männer ... Naja, sie stehen drüben auf dem Schlachtschiff noch im Kampf, Sir. Sind Sie sicher, daß ... Ich meine ...« Ngen unterdrückte mühsam einen Tobsuchtsanfall. »Das ist mir bekannt. Schießen Sie trotzdem. Anschließend visieren Sie umgehend die Patrouillenstützpunkte auf dem Planeten an und eliminieren sie. Haben Sie verstanden? Oder möchten Sie lieber mit mir über Taktik diskutieren, während Romananerdolche Ihnen unter die Haut fahren?« »Wird gemacht, Sir.« Ngen saugte an seiner Lippe, sah die Patrouillenschlachtschiffe sich nähern, ihre Schutzschirme dem heftigen Feuer der Helk standhalten. »Warum hast du mich verraten, Giorj? Nach allem, was ich für dich getan habe, tust du mir so etwas an ...« Ngen empfand heißen Zorn, während er sämtliche Systeme seiner Raumjacht aktivierte, die beiden starken Reaktoren zu voller Leistungskraft hochfahren fühlte. War er erst einmal gestartet, konnte nichts im All ihn einholen, am wenigsten die Patrouillenschlachtschiffe. »Das Timing muß genau richtig sein«, murmelte er, speiste Daten in die Kommu, behielt die Patrouillenschiffe, die sich immer weiter näherten, unter Beobachtung. Natürlich würden sie vorbeirasen, ihre Beschleunigung war zu hoch. Ihr Manöver verfolgte schlichtweg den Zweck, den ST taktische Unterstützung zu geben. Die Bordblaster der Patrouille stellten ihr Feuer auf die Hiram Lazar ein, das Lodern und Flackern der Schutzschirme endete, und Van Chow erhielt klare Sicht auf die ST, die auf sein Kriegsschiff zusausten. Die
Blasterstrahlen zuckten da- und dorthin, aber immer knapp an den ST vorbei, die Zickzackmanöver oder spiraligen Kurs flogen. Als Van Chow die ersten Rammstöße durchs Raumschiff beben spürte, schlug er die flache Hand auf den Kontrollmechanismus der Frachtraumluke. Als letzte Handlung nahm er per Fernsteuerung die Aktivierung der Selbstvernichtungsvorrichtung vor, die Giorj im Reaktor montiert hatte. Zumindest ihre Funktionstüchtigkeit hatte Ngen persönlich überprüft. »So«, sagte er leise zu sich selbst. »Nun bekommt niemand etwas.« Die Statusanzeige der Reaktionsmasse befand sich im Rotbereich. Er mußte einen Blitzstart durchführen. Ringsherum erbebte die Hiram Lazar und zitterte, als ST um ST sich durch ihre dünne Rumpfwand bohrte. *
*
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Toby Kuryakens Finger trommelten nervös auf die Armlehne ihres Kommandosessels. Sie beobachtete das Gefecht auf den Bildschirmen. Das Feuer der Helk brachte die Schutzschirme zum Glühen. »Nur die Ruhe, Leute.« Mit trockener Kehle schluckte sie. Ihr Feuerleitoffizier hob den Blick von den Zielcomputern. »Die Projektil wird wieder angegriffen, Sir. Sind Sie ganz sicher, daß Sie ...?« »Die Befehle, die Sie erhalten haben, sind unverändert gültig. Wenn sich auf dem Wrack irgendein Lebenszeichen regt, blastern Sie die Projektil aus dem All, kapiert?« Der Offizier nickte. »Jawohl, Sir. Sobald irgend etwas auf der Projektil darauf hindeutet, daß der Reaktor hochgefahren wird, schießen wir sie zu Klump.« *
*
*
Die Tür glitt auf; Susan sah aus leblosen Augen Giorj flink den Raum durchqueren. »Susan?« rief er. »Susan, komm, ich brauche dich!« »G-Geh weg!« schrie sie hysterisch, duckte, krümmte sich, rollte sich zusammen. Giorj beugte sich über sie und bemerkte, wie sie schlotterte. »Mein Gott! Wie hat er das mit dir fertiggebracht?« Susan spürte seine Hände an ihren Handgelenken. Die EM-Bänder rutschten von ihrer Haut. Sie verkniff sich Tränen. »Wa-Warum bin ich hier?« fragte sie in regelrechter Panik, schlang die Arme um seinen Hals, schluchzte enthemmt. »Wa-Was habe ich unrechtes gemacht? Warum ha-hat er... mi-mir so was angetan?« »Um dich zu zerbrechen. Ist es ihm gelungen? Bist du am Ende, Susan Smith Andojar? Verflucht noch einmal! Dein Traum wird wahr. Sie kommen! Die Romananer greifen an. Du hast mit allem angefangen, mich in alles hineingezogen. Verdammt noch mal, nun hilf mir!« Grob rüttelte er an ihren Schultern. Er erkannte keine Reaktion in ihren Augen und versetzte ihr mehrere kräftige Ohrfeigen. »W-Wie lautet der... der Na-Name Go-Gottes?« stotterte Susan, indem sich ihr Blick, während ihre Wangen sich rot verfärbten, normalisierte. »De-Der Na-Name GoGottes? W-Wie la-lautet...?« »Der Name Gottes lautet Spinne, wenn man dir glauben will.« Giorjs Augen funkelten. »Jetzt haben wir die Chance zum Gegenschlag. Noch sind wir nicht unterlegen. Es hängt ganz von dir ab. Jetzt ist dein Mut gefragt. Hörst du? Ich brauche dich! Allein schaff ich’s nicht.« »Spi-Spinne ...«, stammelte Susan gedämpft, zwinkerte, zwang sich zum Aufsetzen, rieb ihr Gesicht. »Spinne. Hast du Wa-Waffen?« Sie stemmte sich vom Bett hoch, schwankte auf den Beinen, grapschte nach den Teilen des Schutzpanzers, die Giorj ihr reichte. Es war ihr
Schutzpanzer, gewaschen und gereinigt, auf weißem Hintergrund glänzte schwarz die Spinnendarstellung. Sie drückte die Stücke an die Brust, schauderte zusammen, das Bild flößte ihr Kraft ein. »Da.« Giorj händigte ihr den Blaster sowie den Kriegsdolch aus. Als er den haarigen, weil mit Coups geschmückten Gürtel in der Hand hatte, zögerte er nervös, doch dann übergab er ihn ihr ebenfalls. Mit geübten Handgriffen schlüpfte Susan ins Untertrikot und begann die Bestandteile des Schutzpanzers anzulegen. Sie nahm ihren Kriegsdolch. Es schauderte ihr nochmals. »Scha-Schalte ihr Fixierfeld ab.« Mit dem Messer wies sie auf Leona und Obristin Arish Amaha-nandras, die zuschauten, ohne die Vorgänge zu verstehen. »Wir können sie später befreien.« »Jetzt!« zischte Susan. Giorj nickte. Er zuckte die Achseln, betätigte einen Schalter an seinem Instrumentengürtel. Als er noch einmal nickte, ging Susan zu den beiden Frauen und tötete sie. »Warum das?« fragte Giorj entsetzt. Mit grimmiger Miene wandte Susan sich um. »Ich ... ich habe ihnen nur einen Gefallen getan. W-Wo ist Van Chow? Ich will ihn mir schnappen ... Und zwar umgehend.« Ein Ruck durchfuhr das Kriegsschiff. »Die ST«, konstatierte Giorj leise. Ein zweiter Stoß durchbebte die Hiram Lazar. »Ich glaube, sie werden alle durchkommen. In den Zielcomputern hat sich ein ... äh ... kleines technisches Problem entwickelt. Susan, wir müssen zum Reaktorraum.« »Ich will mir Van Chow greifen!« brauste Susan auf. Sie liefen in den Gang. Ihr Instinkt erlangte die Oberhand, verdrängte bis auf weiteres die Erinnerung an das erlebte Grauen. »Komm mit«, rief Giorj. »Komm mit mir. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Susan folgte ihm, ihr Verstand bemühte sich um ein klares Gesamtbild der Lage, forschte nach fehlenden Aspekten, die entglitten waren, dem Bewußtsein entfallen und ins Unbewußte abgerutscht. Immer wieder wumsten Stöße durch das Raumschiff, brachten das Deck unter Susans Füßen ins Zittern. Es schien, als ob sämtliche auf dem Planeten stationierten ST sich in das sirianische Kriegsschiff bohrten. Zwei Besatzungsmitglieder bogen um eine Ecke. Als sie Giorj sahen, blieben sie stehen, langten unsicher nach ihren Blastern, doch da trafen schon Susans ohne Zögern abgefeuerte Blasterschüsse sie, ihre Gestalten zerplatzten. Giorj keuchte, der Anblick erschreckte ihn tief. Trotzdem eilte er weiter. Susan schoß ihnen einen Weg durch noch zwei Grüppchen von Crewmitgliedern. Als sie einen offenen Korridor erreichten, erfüllte längst wahnwitzige Wut sie. »Dort«, japste Giorj, dem infolge der Hast die Luft wegblieb, zeigte nach vorn. »Wir müssen durch diese Tür.« Sirianer drehten sich um, hielten die Blastergewehre bereit, waren jedoch offensichtlich unsicher, ob sie, während Giorj in der Schußrichtung stand, feuern sollten. »Zu viele bewaffnete Wachen«, knirschte Susan. Flüchtig grinste sie Giorj zu. Sie trat vor, hob die Stimme zu höchster Lautstärke. »Jungs, wollt ihr die Romananerin sehen, die eure Skalpe an ihren Gürtel hängen wird? Ich werde euch nämlich jetzt umbringen, ihr Schafe.« »Eine Romananerin«, hörte Susan einen Ausruf. Ein anderer Sirianer riß das Blastergewehr an die Schulter. Susans Schuß sprengte ihm den Brustkorb auseinander. Die restlichen Posten wichen zurück, die Gesichter weißlich geworden, und gleich darauf flüchteten sie. Susan hastete auf die große Panzerpforte zu. »Abgesperrt«, rief sie, schickte den Sirianern, die schleunigst Deckung suchten, ein paar Strahlbahnen nach. »Beeil
dich, sie kommen bestimmt gleich wieder. Sogar Schafe können sich manchmal zum Kämpfen zwingen.« Giorj kam zur Panzertür, legte die Hand auf die Kontaktfläche. Langsam rollte die große Pforte beiseite. »Hinein! Schnell!« Susan tat einen Satz hindurch, gerade als der Eingang sich wieder zu schließen anfing. Überall im Reaktorraum sprangen Männer auf. »Nicht schießen!« schrie Giorj, vertrat Susan den Weg, breitete die Arme aus, um sie aufzuhalten. »Wenn du hier das falsche Kontrollpult triffst, sind wir alle tot.« »Das ist doch der Reaktorraum«, schnauzte Susan. »Wo ist Van Chow?« Die Sirianer äußerten ein Durcheinander von Fragen, kamen auf die beiden zu. »Nimm dein Messer, Susan!« schrie Giorj sie wie ein Halbverrückter an. »Halt sie uns vom Leib, damit ich alles erklären kann!« Susan verkniff die Augen, zückte den langen romananischen Kriegsdolch und nahm eine geduckte Kampfhaltung ein. Sofort standen die Sirianer still, ihre Blicke huschten zwischen ihr und Giorj hin und her. »Was soll das?« erkundigte sich ein Techniker. »Wir werden angegriffen, Giorj, und Sie ... Sie bringen sie hierher?« »Wir müssen den Reaktor abschalten!« brüllte Giorj, im fahlen Gesicht brach ihm der Schweiß aus. »Van Chow hat eine Bombe in der Reaktorhauptsteuerung installieren lassen. Sobald er sich in sicherer Entfernung befindet, wird er sie zünden.« » Was ? Haben Sie den Verstand ver...?« »Es ist die Wahrheit!« Giorj spreizte die Hände. »Meinen Sie etwa, wir könnten die Romananer zurückschlagen? Tausende entern das Schiff — jetzt, während wir hier reden! Denken Sie vielleicht, der Mann, der dazu imstande war, unseren eigenen Planeten mit den Bordblastern großflächig zu versengen, würde zögern, dieses Schiff,
wenn wir’s zu verlieren drohen, in Fetzen zu sprengen?« »Ist das wirklich wahr?« fragte ein anderer Sirianer, den Kopf zur Seite geneigt. »Ich bi-bin dabei gewesen«, lallte Susan. »Ich ha-ha-be in eurem Bla-Blasterfeuer gelegen. Van ... Van Chow hat mehr Angehörige eures Volkes getötet als wir... Viel, viel mehr. Laßt Giorj die Bombe entschärfen... oder ich schlitze euch auf!« Sie bewegte sich, das Messer tief gehalten, langsam vorwärts. »Entscheidet euch für Tod oder Leben!« schrie sie. »Jetzt sofort!« »Schon gut, schon gut.« Der Cheftechniker willigte mit einem Nicken ein. »Ptor, fahr den Reaktor runter! Giorj, welche Konsole?« Giorj lief zu einem Kontrollpult und machte sich daran, die Verkleidung abzuschrauben. Susan behielt den Reaktorraum unter Beobachtung und den Blaster schußbereit, ihr Blick ruckte von Mann zu Mann, sie achtete auf Anzeichen irgendeiner Hinterlist. Durch ihr Gemüt wallten schwarze Schatten, kratzten an der Mauer, hinter der sie die Erinnerung an Hans verbarg. Hans? Freitag? Sie sah ihre Gesichter vor sich ... Aber ihre Augen flimmerten, verwandelten sich in die schwarzen Augen Ngen Van Chows. Es kostete sie Mühe, ihre Furcht nicht einfach in den Reaktorraum hin-auszuschreien, bei jedem Geräusch erschrak sie aufgrund der Befürchtung, Van Chow könnte sich hinterrücks angeschlichen haben. Sie stellte sich mit dem Rücken an die Wand; doch innerlich blieb ein Teil ihres Wesens an das verfluchte Bett gefesselt, auf dem er sie immer wieder genommen hatte. Sie es genossen hatte ... Sie fing zu zittern an, nahm den Finger vom Abzug, um nicht durch ihre heftige Reaktion versehentlich eine Bla-terentladung auszulösen. »Gerade ist die Raumjacht gestartet«, rief ein Sirianer. »Verdammt!« entfuhr es Giorj. »Wir müssen uns beei-
len.« »Du meinst, er... er flieht?« fragte Susan, biß die Zähne zusammen, bekämpfte ihre Furcht mit Zorn. »Wir werden ihn später zu fassen kriegen«, rief Giorj in flehentlichem Ton, ohne von dem Kasten aufzuschauen, den er im Innern des Kontrollpults freigelegt hatte. »Wenn du tot bist, erwischst du ihn nie, Susan.« Schweißperlen standen auf Giorjs Stirn. Die Techniker waren, als sie den Kasten sahen, aschfahl geworden. Susan ging hinüber, betrachtete das schwarze, vierekkige Behältnis, in das dünne Stromkabel mündeten. Sie zwang sich zum Hinschauen, brachte sich dazu, diesen Behälter und feurigen Tod mehr zu fürchten als Van Chows Geist in ihrem wie zerfransten Gehirn. »Da liegt also nun der Tod genau vor uns«, sinnierte sie. Wie lange mochte es noch dauern, bis Van Chow das Zündsignal funkte? »Die Raumjacht beschleunigt mit vierzig Ge.« Der Techniker, der sie am Scannermonitor beobachtete, stöhnte auf. »Los doch, Giorj, du bist der beste von uns. Mach schnell!« Ein anderer Techniker wippte auf den Füßen, zog pausenlos ruckartig an seinen Fingern. Eine Explosion rumste gegen die Panzertür. Mit schußfertigem Blastergewehr lief Susan hin, um den Zugang gegen etwaige Sirianer zu verteidigen. Durch den dicken Stahl hörte man den Lärm eines heftigen Feuergefechts. »Wie ist der Reaktorstatus?« fragte Giorj laut. »Siebzig Prozent, Kapazität fällt weiter ab«, rief jemand zurück. »Ein Prozent genügt, um uns alle umzubringen«, bemerkte ein stämmiger Mann, lachte nervös. Eine neue Detonation erschütterte den schweren Graphitstahl. Die Panzertür begann sich zu bewegen. Susan kniete sich zum Schießen nieder, legte den Blaster an, ihr Herz hämmerte.
»Hier ist die Patrouille!« brüllte eine feindselige Stirnme herein. »Sie haben unverzüglich aufzugeben und den Reaktorraum an uns abzutreten.« »Zu spät«, rief Susan zur Antwort. »Eine Romananerin ist euch zuvorgekommen. Rein mit euch, ihr könnt mit uns beten.« Ein Kopf in einem Raumhelm lugte kurz herein, fuhr blitzartig zurück. Im Laufschritt stampften nervöse Patrouillensoldaten in angekokelten Schutzpanzern in den Reaktorraum. »Ich hab’s!« gellte Giorjs Stimme. Er hob den Kasten aus der Kontrollkonsole und rannte damit zur Tür. »Weg da!« schrie er zur Warnung, warf sie zum Ausgang hinaus. »Eine Bombe!« Ein, zwei Sekunden verstrichen, dann dröhnte im Korridor ein dumpfer Knall. Susan umarmte, drückte Giorj, der seine schweißigen Hände an der Kleidung abwischte. Hinter ihr schniefte der Cheftechniker laut, Tränen der Erleichterung rannen ihm über die Wangen. Die Patrouillensoldaten schnitten Mienen der Entgeisterung. »Und jetzt hole ich mir Van Chow!« schwor Susan. * * * Damen Ree duckte sich, zog sich hinter ein verbogenes Stück Stahlplatte. Von vorn ähnelte es, wie sich da Blütenblätter gräulich-weißen Graphitstahls zu entfalten schienen, einer Riesenblume, einer Blume des Todes, erblüht infolge einer Minenexplosion. Sie gab eine ausgezeichnete Deckung für einen Scharfschützen ab, die Aufgabe, die Ree gegenwärtig erfüllte. Blau-violette Strahlbahnen zuckten an seinem Ohr vorbei. »Verdammte sirianische Dreckfresser«, knirschte Ree, wünschte sich, er hätte noch Gefühl im Bein. Fast hätte die Sonikgranate ihn vollends erledigt. Er schob die Mündung
des schweren Blastergewehrs neben eine krumme, verdrehte Länge Stahl, spähte durchs Visier in die Dunkelheit. Wenigstens verfügten sie über bessere Nachtsichtgeräte als die Sirianer. Das war der einzige Umstand, der ihnen jetzt noch in der stygischen Finsternis der Korridore und stillen Räume an Bord der Projektil das Überleben ermöglichte. Eine menschliche Gestalt, die sich gebückt näherte, erschien in der Zielvorrichtung. Gelassen blasterte Damen Ree den Mann entzwei, hörte währenddessen das Summen, das eine Erschöpfung der Blasterbatterie anzeigte. Er schob eine neue Batterie in die Waffe, erforschte erneut durchs Visier das Dunkel, sah einen Kopf, schoß darauf. Der Leichnam flog rückwärts, zuckte noch einige Sekunden lang auf den Bodenplatten des Decks. Zu dumm, daß sie inzwischen so weit zurückgedrängt worden waren; unter Null-G-Bedingungen kämpften die Sirianer deutlich schlechter. Ree schluckte. Er ließ sich Zeit. Zwei Batterien hatte er noch übrig. Er erwischte noch einen Sirianer, als der Mann auf ein Pumpenrohr des Antriebs zusprang. »Oberst?« drang Neal Iversons Stimme in Rees Gehör. »Ich kann Kampflärm hören. Es klingt, als ob sie versuchen, von Deck Drei zur Kommandobrücke vorzustoßen. Ich habe veranlaßt, daß Amira die gesamten Kommunikationsanlagen mit Sonikgranaten versieht, auch den Wartungsstollen, durch den Hans und Susan zu den alten Speichern gelangt sind.« Ree lachte, hörte das Kratzen, das entstand, wenn seine Bartstoppeln über die Kinnstütze des Raumhelms schabten. »Gut gemacht, Neal. Passen Sie auf, daß die Lumpen Sie nicht an Ihrem Platz umlegen, während Sie mit mir oder sonst jemandem ein Schwätzchen halten.« »Wird mir bestimmt nicht passieren, Oberst. Sie und die Kameraden woanders im Schiff haben bisher den ganzen
Spaß allein gehabt. Ich möchte gerne selbst ein oder zwei der Kerle zu Spinne heimschicken.« In Anbetracht der Umstände mußte man Iversons Äußerungen als besonders forsch einschätzen. Aber was sollte es, verdammt nochmal, sie quatschten jetzt alle so daher. Ständig wurden grimmige Spaße und Albernheiten durch die Kommu hin- und hergegrölt. Es war erstaunlich, wie ein Mensch, wenn er sich schon als tot betrachtete, jede Sekunde seiner restlichen Frist auskostete, des bißchen Lebens, das ihm noch blieb, das Beste daraus machte. Ree feuerte auf eine Gestalt, die durch sein Schußfeld lief, verfehlte sie jedoch; er wartete ab, hielt sich bereit, beobachtete die Stelle, wo der Mann sich in Deckung geworfen hatte. Eine Minute später zahlte seine Geduld sich aus, als der Sirianer sich um die Ecke beugte, um sich einen Überblick zu verschaffen. Ree drückte ab. Er blinzelte, weil Grus in seinen Augen brannte. Er fühlte die Müdigkeit in sämtlichen Knochen, während er zwinkerte und gähnte. »Nichts als Ärger mit den verdammten Romananern, seit mir das erste Mal einer unter die Nase gekommen ist, habe ich keine Nacht mehr anständig geschlafen.« Neal Iverson lachte in die Kommu. »Sie können sich ja bei Spinne darüber beschweren.« In einigem Abstand machten im Korridor mehrere Gestalten kehrt und liefen davon. Ree schnitt eine verkniffene Miene. Nein, er sah richtig. Die Sirianer zogen sich zurück. »Neal und alle anderen, geben Sie acht, der Gegner setzt sich aus meiner Sektion ab. Möglicherweise hat er ein Umfassungsmanöver vor.« »Verstanden, ich frage bei Hanson nach.« Eine Gesprächspause folgte. »Hm, Hanson sagt, in seinem Abschnitt hauen die Sirianer auch ab. Das gleiche meldet Ngorikuku von seinem Standort. Der Feind zieht sich überall zurück.« Ree wartete, biß die Zähnen aufeinander. »Tja, kann
sein, sie legen jetzt überall Sprengladungen, haben vor, uns auf diese Weise zur Hölle zu schicken.« »Hanson sagt«, antwortete Neal, »er glaubt, daß sie’s drangeben.« »Klar«, knurrte Ree, »und ich bin ‘ne wasserköpfige Matschbirne von Direktor. Drangeben? Sie haben uns doch endlich soweit, daß sie uns bloß noch auszuheben brauchen.« Er runzelte die Stirn, versuchte die Schleier der Erschöpfung abzuschütteln, die seinen Geist trübten wie Spinnweben. Er seufzte. »Na schön«, befahl er gedämpft, »wir besetzen wieder, was sie uns abgerungen haben. Vorwärts, Leute! Aber um Spinnes willen, seid vorsichtig! Wir werden am Schluß wenig genug sein, auch ohne daß wir noch mehr Kameraden an Minenfallen verlieren... Was gäbe ich« — den letzten Satz stöhnte er zu sich selbst — »für ‘ne Nacht richtig guten Schlafs ...!« Auf seinem gefühllosen Bein humpelte er langsam aus dem Versteck, seine scharfen Augen suchten die Umgebung nach Hinterhalten, Stolperdrähten, Annäherungssensoren und mobilen Sprengminen ab.
27 Während die Viktoria vorüberflog, beobachtete Maya das Geschehen. ST schwärmten auf den Rumpf der Hiram Lazar zu — darunter auch welche der Viktoria —, Dutzende ragten schon aus den Seiten des sirianischen Kriegsschiffs wie weiße Splitter. »Die Hiram Lazar feuert auf die Projektil, Obristin«, rief hinter ihr Ben. Maya richtete den Blick auf einen anderen Monitor, sah die mörderischen violetten Strahlbahnen an dem leblosen Wrack der Projektil vorbeiflirren; dabei erhielt ein sirianisches Shuttle einen Treffer und verglühte in einer grellen Explosion. Sie schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Wie ist es möglich, daß sie danebenschießen? Derartig miserabel können die Zielcomputer doch gar nicht sein. Schließlich haben die Sirianer uns ja schon schwere Verluste zugefügt.« Die Schutzschirme der Viktoria glommen im Feuer der Helk auf und flimmerten herab, wobei die Schüsse, während sich ST um ST in den Rumpf des sirianischen Kriegsschiffs rammte/ immer häufiger fehlgingen, die Strahlbahnen eine nach der anderen erloschen, Geschützstationen ausfielen. Maya rieb sich am Kinn. »Sieht so aus, als wär’s bald zu Ende, Ben. Die ST und das, was Van Chows Zielcomputer gestört hat, haben uns den Krieg gewonnen.« Ben nickte, die Stirn gefurcht, während er auf Informationen aus der Kommu lauschte, Daten weiterleitete. »Die Romananer haben den Krieg gewonnen, Obristin. Sie haben den Planeten erobert. Die ST sind von ihnen bemannt worden. Ohne sie hätten wir nicht genug Sturmtruppen gehabt, um während des Angriffs auf den sirianischen Verband noch ausreichend Besatzungstruppen auf dem Planeten belassen zu können.«
Maya neigte den Kopf seitwärts, machte die Lider schmal. »Wahrscheinlich.« »Wir orten ein von der Hiram Lazar gestartetes FluchtRaumfahrzeug«, rief Ben. »Offenbar auf der Flucht. Bestes Timing, es hat gewartet, bis wir vorbei sind, und jetzt beschleunigt es mit Kursnahme auf einhundertachtzig Grad Divergenz von unserem Vektor.« Maya widmete ihre Aufmerksamkeit einem Monitor, der die telemetrischen Angaben der Ortungsgeräte anzeigte. »Wollen wir wetten, daß ‘s Van Chow ist, der sich da aus der Schlacht verdrückt, um die eigene Haut zu retten?« »Schauen Sie nur, wie er abzischt!« Ben stieß einen Pfiff aus. »Müssen vierzig Ge sein. Wie hat er bloß solche Energiekapazitäten in ein so kleines Raumfahrzeug gequetscht? Das muß doch ‘n Vermögen in Kredits gekostet haben.« Maya fluchte. »Verbinden Sie mich mit...« Doch da erschienen schon die Gesichter Jaischas und Tobys auf Bildschirmen. »Offenbar flieht dort jemand, wir bremsen mit vollem Gegenschub, aber bei so hoher Geschwindigkeit ist es schwierig, zügig auf Gegenkurs zu gehen.« Toby schüttelte den Kopf. »Maya, können Sie die Verfolgung aufnehmen, während wir die Situation im Orbit bereinigen?« Maya öffnete den Mund, um die Frage zu bejahen, stutzte aber plötzlich, schaute hinüber zu Ben, der sie verschleierten Blicks beobachtete. »Leider nicht, Toby, Sie müssen sich selbst darum kümmern. Wir haben Gefechtsschäden erlitten« — mit Unschuldsmiene log sie drauflos — »die Helk hat uns ein paar Treffer verpaßt.« Toby warf Jaischa Mendez einen verstohlenen Blick zu. »Wir kriegen ihn«, antwortete sie kurzangebunden. Maya straffte sich, wölbte die Brauen, während sie die Gesichter der zwei anderen Obristinnen musterte, auf
Vorwürfe wartete. Was hat dieser heimliche Blick zwischen den beiden zu bedeuten ? »Maya«, fragte Jaischa in verhaltenem Tonfall, »stehen Sie und Ihre Crew treu zum Direktorat?« Maya nickte. »Das sind wir. Ohne Ausnahme.« Jaischa wirkte erleichtert. »Na gut. Dann wollen wir mal sehen, wie die Situation drüben beschaffen ist.« Maya unterbrach die Kommu-Verbindung und sah Ben an. »Irgend etwas ist da oberfaul. Ich kann’s geradezu riechen.« * * * »Neal?« rief Ree in die Kommu, während er sich mit einer Sicherheitsleine befestigte, achtsam durch einen Riß im Rumpf der Projektil hinausspähte. »Sind Sie noch da?« »Jawohl, Oberst. Was ist los?« Langsam drehte Ree den Kopf, seine Augen forschten in jedem Schatten, jedem Winkel, jedem Spalt, überall wo sich jemand versteckt halten mochte. »Nichts. Es hat den Anschein, als ob sie diese Sektion tatsächlich geräumt haben. Aber warum sollten sie ...? Bleiben Sie dran, ich schaue mich mal weiter oben um.« Er hakte die Leine los, stieß sich ab und schwebte durch die Schatten aufwärts, mied den Sternenschein. Er verschaffte sich Halt, hangelte sich an geschmolzenem Graphitstahl entlang, schob schließlich den Kopf vorsichtig über den Rand der in den Rumpf geschossenen Bresche. »Ich sehe sie«, brummte er. »Es müssen mehrere Hundert sein. Sie gehen von Bord, wechseln durch die Schleuse auf ein Shuttle über. Aber weshalb geben sie auf? Ach du lieber Pulsar!« »Was? Was ist denn, Oberst?« Ree schaltete die Vergrößerungsfunktion seiner Raumhelmscheibe ein. »Es ist wegen der Hiram Lazar, Neal. Sie ist mit ST nur so gespickt. Rita und John sind
durchgekommen. Sie haben sich Van Chow vorgeknöpft!« Er gab ein Aufjauchzen von sich, das ihm in der Enge des Raumhelms fast die Ohren betäubte. »Oberst?« »Glick? Sind Sie’s? Sie sind noch am Leben?« »Jawohl, Sir.« »Der Kontakt zu Ihnen war vor längerem abgebrochen. Was ist passiert? Wo stecken Sie?« »Heckwärts von ST-Hangar Vierunddreißig, Oberst. Ich weiß nicht, wieso es so kam, Oberst, aber die Sirianer haben uns nicht allzu stark bedrängt. Anscheinend hatten sie größeres Interesse an der Einnahme der Kommandobrücke. Und nicht nur das: In der letzten Phase des Kampfs hat Van Chow uns mit seinen Bordblastern zu treffen versucht, aber seine Geschütze haben unseren Rumpf verfehlt, wenn auch bloß ganz knapp, um fünf Meter, jeder Schuß hat das Schiff quasi nur gestreift, bis Sarsa die Blaster der Hiram Lazar unschädlich gemacht hat.« Kurz schwieg Glick. »Heiliges Kanonenrohr, ich könnte mit verbundenen Augen besser schießen.« »Oberst?« drang nun wieder Neals Stimme aus der Raumhelm-Kommu. »Äh ... Wir haben ‘n Anruf von den Sirianern erhalten, Sir. Sie möchten kapitulieren. Wie lautet Ihr Befehl, was mit ihnen geschehen soll?« Ree hakte sich erneut an ausgebrannten Trümmern der Rumpfwandung fest. »Sagen Sie ihnen, sie sollen zur Hiram Lazar übersetzen, hier können wir sie nicht gebrauchen.« Mattigkeit erzeugte vor seinen Augen Geflimmer, und er blinzelte. »Verdammt, wir wissen nicht mal, wer noch lebt und wer tot ist.« »Ja, Sir, ich richt’s ihnen aus.« Gleich darauf meldete Iverson sich nochmals. »Sir? Sie wollen wissen, ob sie ungehindert ablegen können.« »Ja, hiermit gebe ich den entsprechenden Befehl. Feuer auf die Sirianer einstellen, Leute, solange sie friedlich abziehen. Glick?«
»Jawohl, Oberst?« »Wie steht’s um die Projektil? Können wir sie noch einmal reparieren?« Sein Herz lag schwer wie ein Brok-ken Blei in Rees Brust. Er hielt den Atem an. »Ich glaube, Van Chow hatte die ganze Zeit hindurch die gleiche Absicht, Oberst. Obwohl sie schrecklich aussieht, hat sie keine Schäden davongetragen, die nicht durch reichlich Kabel, jede Menge Stahlplatten und Verkleidungen sowie einen tüchtigen Reinigungseinsatz behoben werden könnten. Am dringlichsten ist es, den Reaktor wieder an die Systeme anzuschließen, damit wir wieder Energie zur Verfügung haben.« Ree gab einen Stoßseufzer der Erleichterung von sich. »Danke, Glick. Die erste Priorität gilt dem Herstellen einer Verbindung zu Rita drüben auf dem sirianischen Kriegsschiff. Danach muß als nächstes die Kommunikation mit der Kommandobrücke zustandegebracht werden. Und danach ... Na, mir wird schon noch was einfallen.« Ree hakte sich los, blickte umher, hatte seine stille Freude am Anblick des letzten sirianischen Shuttles, dessen Düsen Reaktionsmasse spien, während es langsam drehte und auf die Hiram Lazar zusteuerte. »Neal? Ich bin unterwegs nach unten. Wir sehen uns gleich. Haben Sie dort Kaffee?« »Die Spendeautomaten sind so gut wie leer, aber ich glaube, ich kann noch ein, zwei Becher rausholen. Allerdings nur kalten Kaffee, Oberst.« Ree stieß sich ab, schwebte in die finsteren Innenbereiche des Schlachtschiffs, »tja, nun ja, man kann eben nie alles haben.« * * * »Ja, es stimmt, Obristin Kuryaken, an Bord der Raumjacht befindet sich Ngen Van Chow. Nach meinen Informationen hat die Jacht Überlichtflugkapazität, aber die
Schutzschirme sind schwach, und sie hat lediglich zwei Bordblaster mit beschränktem Zielvermögen.« Rita widmete dem grauhäutigen Ingenieur noch einen kurzen Blick. »Noch etwas?« »Ich bezweifle, daß man ihn einholen kann«, erklärte Giorj schuldbewußt. »Den zweiten Reaktor habe ich selbst eingebaut. Die Jacht hat ein enorm vorteilhaftes Masseverhältnis, und die Gravo-Kompensatoren können gewaltigen Andruck ausgleichen, bis zu fünfundvierzig Ge.« »Haben Sie’s gehört, Miliken ?« fragte Rita. »Wir haben’s mitgekriegt. Wir betrachten das als Herausforderung. Wollen Sie mit uns wetten, Majorin?« Tobys Gericht hatte sich vor Aufregung gerötet und den Ausdruck einer Jägerin auf der Pirsch angenommen. Ritas Blick streifte Susans bleiche Miene. »Nein, Obristin. Sie werden ihn fangen. Hiram Lazar Ende.« Die Kommu trennte die Verbindung. »Wir müssen mit dir, Eisenauge und dem Oberst allein sprechen.« Susans Stimme hatte einen festen Klang, von dem man jedoch merkte, daß sie ihn erzwingen mußte, ihre Stimme jeden Moment versagen konnte. »Unverzüglich, Majorin.« Rita musterte Susan einen Augenblick lang. »Also gut«, beschloß sie. »Vorhin hat Neal mich angerufen. Drüben sind sie noch am Leben ... Mosche!« Rita winkte den Offizier heran. »Anscheinend haben wir hier alles ordentlich unter Kontrolle. Schicken Sie die Sirianer unter Bewachung zum Planeten hinunter und veranlassen Sie, daß die ST aus dem Rumpf entfernt werden. Die Helk ist inzwischen besetzt worden. Falls irgend etwas anliegt, rufen Sie mich auf der Projektil an.« Im Lift betrachtete sie Susan aufmerksamer. Das Mädchen hatte einen glasigen, verstörten Blick, der ihr eine Gänsehaut verursachte. Susan Smith Andojars Augen vermittelten den Eindruck, als stünde sie am Rand eines
Abgrunds seelischer Verfinsterung. Ihre Miene blieb so scheinbar seelenlos wie das Gesicht des sonderbaren Ingenieurs. Und Hambrei? Ein Freund und Verbündeter, behauptete Susan. Angeblich der Mann, der den Blastergeschützen der Hiram Lazar das Treffen unmöglich gemacht und dadurch Tausende von Menschenleben gerettet hatte. Rita biß die Zähne zusammen, Ärger schwelte in ihrem Gemüt. In der Bordklinik lag Freitag Garcia Gelbes Bein, ihm war das rechte Bein unterm Knie abgeschossen worden, und Susan wirkte völlig desinteressiert. Und ich habe ziemlich ungeschickt gelogen, als ich ihm sagte, mit Susan stünde alles gut. Weshalb hat er mich so angeschaut? Ich habe nur gesagt, Susan wäre momentan zu beschäftigt, um ihn zu besuchen. Freitag, dem man ansah, daß er am liebsten vor Schmerz geschrien hätte, hatte nur genickt — viel zu schnell — und den Blick gesenkt. Angesichts der doppelten Bürde an Leid, die er in die Bordklinik mitnahm, hatten sich Ritas Eingeweide nahezu zu einem Gordischen Knoten verschlungen und verkrampft. Durch verengte Lider maß sie Susan, bezähmte den Drang, das schweigsam gewordene Mädchen zu erwürgen. Doch sie war gar nicht mehr Susan. Nicht die Susan, die Rita einmal gekannt hatte. Dieser komische sirianische Ingenieur hatte ihnen also das Leben gerettet? Machte das ihn so verflucht wichtig? Und Freitag lag in der Bordklinik, er liebte Susan Smith Andojar und sorgte sich krank um sie. * * * Der ST, mit dem sie übersetzten, hatte Schwierigkeiten, im demolierten Rumpf der Projektil einen benutzbaren Hangar zu finden. »Bei Spinne!« hörte Rita sich unwillkürlich flüstern, während ihr Blick über die schweren Schäden schweifte. »Wird die Projektil je wieder fliegen?« Fast erstickte ihre Stimme.
»Ich glaube, wir können sie innerhalb eines Monats wieder einsatzfähig machen«, meinte Giorj, dessen Augen das Raumschiff sozusagen verschlangen, als nähme er es jetzt persönlich in Besitz. Auf den stahlharten, kritischen Blick, mit dem Rita ihn maß, reagierte er überhaupt nicht. Eisenauge schüttelte den Kopf. »Es gibt viele Löcher, die von einer bis zur anderen Seite reichen. Man kann durch sie Sterne sehen.« Der ST legte in Hangar 25 an, in dem vor geraumer Zeit Dr. Dobra ihre Romananer an Bord gebracht hatte. »Statusermittlung zeigt im Hangar Vakuum an«, gab der Pilot durch. Sie stülpten Raumhelme über und stiegen durch die Schleuse hinaus in die luftleere Finsternis. Eisenauge zappelte zunächst unbeholfen in der Nullschwerkraft umher, bis Rita ihm half und mit einer Hand an der Hüfte mitzog. Giorj war auf ähnliche Weise Susan behilflich, die auch vom Deck abtrieb, sich allerdings besonnen betrug und stillhielt. In den Lichtkegeln der Anzugscheinwerfer in Umrissen sichtbar, gähnte ihnen im Schwarz der Eingang einer Notschleuse entgegen. »Einer nach dem anderen«, sagte Rita. »Nach dir, Eisenauge. Stell dich einfach hinein. Wenn das grüne Licht blinkt, verlaß die Schleusenkammer durch die Innentür und schließ sie hinter dir.« Er nickte und schwang sich hinein. Einen Moment später leuchtete die Außenanzeige auf, und Rita schickte ihm Susan nach. Es erwies sich als unheimliches Gefühl für Rita, allein mit dem blutarm aussehenden Siria-ner im Finstern zu stehen. Rita ließ auch Giroj den Vortritt und schleuste anschließend als letzte sich selbst ins Schlachtschiff; es überraschte sie, als sie aus der Schleusenkammer trat, in Gravitation, Beleuchtung und Luft zu gelangen. Susan, Eisenauge und Giorj hatten die Raumhelme abgelegt und warteten neben der Innentür.
Eine Gestalt in versengtem, mit einer Spinnendarstellung verzierten Schutzpanzer begrüßte Rita, reichte ihr eine Hand. »Willkommen, Majorin. Schön, Sie wiederzusehen.« Rees Stimme rasselte, kam aus einem geschwärzten, bärtig gewordenen Gesicht. »Ich bedaure, daß ‘s hier nicht mehr so gemütlich ist, wie Sie’s in Erinnerung haben, aber hinter uns liegt ‘ne schwere Zeit.« »Jawohl, Sir«, antwortete Rita, betroffen durch den Anblick der von Qualm rußigen Wände. »Wie ist der Zustand des Schiffs?« Ree wirkte müde. »Seit dem Tag des Stapellaufs ist er noch nie dermaßen schlecht gewesen. Ich bin nicht sicher, ob wir’s noch einmal reparieren können, aber Glick sagt, ‘s wäre möglich. Mir ist schon unbegreiflich, wie er verhindert, daß der Reaktor von einer zur anderen Sekunde einfach hochgeht.« »Wenn Sie mir eine Besichtigung gestatten«, meldete Giorj sich von der Seite zu Wort, »kann ich dazu ein Gutachten erstellen.« »Wer sind Sie?« fragte Ree; seine mürrische Miene spiegelte Gereiztheit wider. Susan trat vor. »Könnten wir vielleicht woanders hingehen und alles durchsprechen, ehe wir hier Mißverständnisse riskieren? Ich habe den Eindruck, wir sind uns gegenseitig zu helfen imstande.« Rita nickte, obwohl sie sich über Susans irgendwie verzweifeltes Engagement wunderte. Ree zuckte die Achseln und ging voraus; er hinkte, ein Bein bereitete ihm offensichtlich Beschwerden. Selbst durch den Schutzpanzer konnte Rita eine Schwellung erkennen. Sie strebten durch notdürftig zurechtgeflickte Korridore, deren Metall Brandspuren aufwies, wo man andernorts ausgebaute Stahlplatten auf Löcher geschweißt hatte. Ree mied Korridore, die sie auf kürzestem Weg ans Ziel gebracht hätten. Da und dort lagen haufenweise Leichen — überwiegend Sirianer —, schwer durchzog der
Gestank nach Blut und zerrissenen Eingeweiden die Luft. Gleichgültig stieg Ree über die Toten hinweg, während Ritas Magen sich aufbäumte. »Weshalb benutzen wir nicht die Hauptkorridore?« erkundigte sie sich. »Wegen der Minenfallen sind sie nur noch Sackgassen«, brummte der Oberst. »Das gesamte Raumschiff ist zu einem einzigen Rattenlabyrinth belüfteter Gänge geworden. Manche Bereiche, die nach wie vor über Energiezufuhr verfügen, haben sogar noch Gravitation. Das Klimasystem pumpt Sauerstoff aus, so schnell konvertiert werden kann. Trotzdem wird’s noch ‘ne Weile dauern, bis genug zum Füllen des ganzen Schiffs hergestellt ist.« »Dieser Umstand könnte durchaus von Vorteil sein.« Endlich sah man Giorjs blassen Gesichtszügen eine gewisse Anteilnahme an. »Strukturveränderungen lassen sich am leichtesten längs der drei hauptsächlichen Durchschußkanäle des Rumpfs vornehmen. Das Kabelsystem muß wohl teilweise umverlegt werden, aber zum Schluß dürfte dabei eine stabilere und besser geschützte Gesamtstruktur herauskommen.« »Was wissen Sie über das Kabelsystem?« fragte Ree, blieb stehen, drehte sich auf dem unverletzten Bein um. Nervös lächelte Giorj. »Nun ja, Oberst, ich war’s, der ... der es ihnen zerblastert hat.« Für einen Augenblick dachte Rita, Ree erlitte einen Herzanfall. Der Oberst erhob sich auf die Zehenspitzen, sein Gesicht grimassierte, er ballte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten. Giorj machte sicherheitshalber einen Schritt rückwärts, und Susan trat zwischen die beiden Männer. »Bewahren Sie die Ruhe, Damen«, empfahl Rita sachlich. »Ich glaube, wir hören uns erst mal alles an.« »Hm-hm«, brummte Ree, rang um Selbstbeherrschung. »Wahrhaftig, warum laß ich mich von etwas, das Romananer treiben, eigentlich noch überraschen?«
Er murrte fortgesetzt vor sich hin und schüttelte wiederholt den Kopf, während er unbeholfen den anderen voraus einen Niedergang hinabstieg. In regelmäßigen Abständen rieselten Flocken von seinem verkokelten Schutzpanzer. Gelegentlich mußten er und seine Begleiter Sektionen mit Nullschwerkraft durchqueren; unterwegs sahen sie immer häufiger von Blastern verunstaltete Leichen, die noch relativ frisch wirkten. »Die Sirianer haben einen höllischen Blutzoll entrichtet«, sagte Ree. »Bevor die Lage wirklich ernst geworden ist, haben wir die Toten jeden Tag externalisiert.« Der Planungssaal hatte im wesentlichen noch das Aussehen, das Rita in Erinnerung hatte, war jedoch düster, und die Wände wirkten schäbig-schmuddelig. Alle Teilnehmer der Besprechung nahmen Platz, während Ree für sie Kaffee aus den Spendeautomaten holte. »Vielleicht ist es ratsam, Ihr Cheftechniker nimmt an der Aussprache teil«, äußerte Giorj eine Anregung. »Ich weiß es nicht genau, aber nach dem, was mir aus Unterhaitungen mit Susan klar geworden ist, könnte der Zeitfaktor eine wichtige Rolle spielen.« Unter finsteren Brauen hervor maß Ree ihn beherrschten Blicks, dann benachrichtigte er Glick. »Es wird ‘n Weilchen dauern, bis er hier ist. Er muß durch drei Abschnitte Vakuum.« Rita forschte in Susans ausdrucksloser Miene. »Obergefreitin, du kannst uns nun informieren, um was es bei alldem geht. Die Angelegenheiten, die Glick betreffen, lassen sich bestimmt auf nachher verschieben.« Susan hatte ihren Kaffee nicht angerührt. »Wir wollen die Projektil zu einem besseren Schlachtschiff umbauen. Wir wüßten keinen Grund, weshalb sie nicht — abgesehen von dem, was die Bruderschaft hat — das leistungsfähigste Schiff der Galaxis werden sollte. Aber die Bruderschaft bleibt ja immer eine unbekannte Größe.« Ree strich mit einer Hand über sein wirres Haar. »Um
ehrlich zu sein, Susan, wir haben bisher noch gar keine Gelegenheit zum Sichten der Daten gefunden, die von Ihnen und Hans gefunden worden sind. Es hat uns zu stark in Anspruch genommen, provisorische Reparaturen durchzuführen und Enterkommandos abzuwehren.« Susan nickte. »Dessen bin ich mir vollkommen bewußt, Oberst. Allerdings hat Giorj innerhalb dreier Monate drei FLF so umgebaut, daß sie zufriedenstellende Gefechtskapazitäten erhielten. Er und ich haben bis jetzt keine ausreichende Zeit zum Ausarbeiten von Einzelheiten gehabt, aber jedenfalls gibt die Projektil für einen Umbau einen günstigeren Grundstock ab.« »Ich bilde mir ein, den Lauf der Zukunft absehen zu können, Oberst«, sagte Giorj. »Auch wenn Sie Sirius dem Direktorat zurückerobert haben, es wird weitere solche Fälle geben. Der Mythos der Patrouille ist zerstört.« Ree nickte. »Da dürfte was dran sein.« Er beugte sich vor. »Ich habe eine Frage an Sie, junger Mann. Was versprechen Sie sich von alldem? Welche Vorteile wird’s für Sie haben, wenn ...?« Statt Giorj antwortete Susan, indem sie den Oberst mitten im Satz unterbrach. »Er will ‘ne Chance zum Umbauen der Projektil, Oberst. Van Chow hat Giorjs Dankbarkeit für die Lebensrettung seiner Mutter ausgenutzt, um von ihm die sirianische Flottille aufstellen zu lassen. Die Bordblaster der Hiram Lazar haben sie getötet, als sie Angla wegbrannten. Ich habe aufs Blut geschworen, Giorj nach Welt zu bringen, damit er dort nach Herzenslust als Ingenieur tätig sein kann. Ich will an Bord eines Schlachtschiffs zu meinem Heimatplaneten zurückkehren ... und ich will das beste Schlachtschiff.« Rees Gesicht verfärbte sich rot, er kniff die blutunterlaufenen Augen zusammen; an seiner Schläfe begann eine Ader zu pochen. »Sie wollen...? Einen Moment mal, Obergefreitin, ich ...«
Rita hob, weil sie die Spannung wachsen spürte, die Hand. Susan hatte sich verkrampft, eine Haltung der Kampfbereitschaft eingenommen, eine Hand hatte sie schon am Blaster. Verdammt! Ein falsches Wort, und sie dreht durch. Was ist nur drüben im Raumschiff geschehen, daß ein so völlig fremder Mensch aus ihr geworden ist? »Bleiben Sie locker, Damen.« Sie wandte sich an Susan. »Ist das nicht ‘n bißchen anmaßend?« »Nein«, erwiderte Susan rundheraus. »Ich werde mich nie mehr auf Welt niederlassen. Mein Zuhause ist jetzt die Projektil. Ich kämpfe für mein Volk. Wenn dies mein Schiff sein soll, weshalb sollte ich mich mit dem zweitbesten Kahn zufriedengeben? Weißt du, Giorj und ich haben vor, die Projektil unbezwingbar durch alles zu machen, was Menschen während der nächsten Generation konstruieren werden können ... und vielleicht sogar für noch länger.« In diesem Moment kam Glick herein; er stank nach Schweiß, und sein Schutzpanzer war, falls möglich, noch verdreckter als der von Ree. Rita wunderte sich, weil sie angesichts der Zustände nicht anders konnte, wie es der Projektil-Besatzung zu vermeiden gelang, daß all die Qualm- und Schmutzpartikel, die in der Luft schwebten, die Computer beeinträchtigten. »Major Glick«, begrüßte Susan ihn, »ich darf dir Ingenieur Giorj Hambrei von der Hiram Lazar vorstellen.« Glick reagierte zurückhaltend; er warf Ree einen kurzen Blick zu, um zu sehen, wie er zu der Situation stand, dann drückte er dem Ingenieur die Hand und setzte sich. »Ich muß Ihnen ein Kompliment machen«, sagte Giorj in aufrichtiger Bewunderung. »Sie haben, berücksichtigt man die Umstände, eine erstaunliche Vielzahl von Reparaturen zustandegebracht.« »Danke«, antwortete Glick reserviert. »Also dann.« Susan stand auf und stöpselte ihr ziemlich in Mitleidenschaft gezogenes Mini-Terminal einem
Kommu-Apparat an. Sie zog ein Kontaktron über und lud die Bruderschaft-Informationen. »Giorj, würdest du bitte diese Daten den Offizieren erläutern?« Sie nahm wieder Platz, während Giroj sich erhob und das künftige Raumschiff, das er im Kopf bereits konzipiert hatte, zu beschreiben anfing. Susan saß da wie ein Roboter, ihre Augen blieben ausdruckslos. Giorjs Erregung steckte erst Glick an, dann auch, sobald Ree den Sinn der Diagramme durchschaut hatte, den Obersten. Eisenauge, der dem gesamten Vortrag des Ingenieurs nichts abzugewinnen vermochte, wartete schlichtweg ab, ließ jedoch seinen Blick nie von Susans starrer Miene. Rita sah ihm seine Bestürzung, die Sorge und seine Bedenken an, obwohl er sie gut verheimlichte. Neal Iverson traf ein, und bald hatte die allgemeine Begeisterung auch ihn gepackt. Wie Eisenauge beobachtete auch Rita fortgesetzt Susan, fragte sich, was wohl in ihrem Kopf vorgehen mochte. Sie überlegte, ob sie zu dieser plötzlich so fremden Person je wieder ein engeres Verhältnis haben konnte. Glick tippte Tasten, um sich verschiedene Details näher anzusehen, während er und Giorj sich über die erforderlichen Materialien verständigten. »Die Bruderschaft und die Hiram Lazar schlachten wir also aus? Trotzdem brauchen wir noch mehr, um die Projektil komplett umzubauen.« Glick machte ein skeptisches Gesicht. »Wir werden’s erhalten«, beteuerte Susan unbekümmert. »Wir können jederzeit vom Direktorat verlangen, es uns zu liefern.« Ree runzelte die Stirn. »Sie meinen, die Direktoren wären dazu bereit?« »Könnten sie’s denn allen Ernstes ablehnen?« Ein längeres Schweigen entstand, während sämtliche Anwesenden darüber nachdachten. »Glick, wie lautete Ihre Stellungnahme zu der ganzen
Sache?« fragte Ree zu guter Letzt, lehnte sich in den Sessel und trank Kaffee. »Dem zufolge, was Giorj mir erläutert hat, müßten die Umbauten in knapp über einem Monat ausführbar sein. Gleichzeitig können wir schon jede Menge Veränderungen im voraus entwerfen und sie dann später, wenn mehr Hyperkonduktoren verfügbar sind, praktisch verwirklichen.« »Und was sagen Sie beide?« wandte sich Ree an Rita und Iverson. »Ich bin dafür, Oberst«, erklärte Iverson, den Blick enthusiastisch auf die Darstellung gerichtet, die Giorj und Glick aufgrund gemeinsamer Überlegungen auf den Monitor projiziert hatten. Rita blinzelte das Monitorbild an, verdeutlichte sich, wozu ein Schlachtschiff mit derartigen Kapazitäten imstande wäre. »Ich bin dagegen, die Hiram Lazar auszuschlachten. Meines Erachtens sollte sie den Schutz der romananischen Heimatwelt übernehmen. Wir können auf Sirius eine Suchaktion nach übriggebliebenen Hyperkonduktoren veranstalten. Gleichzeitig haben wir währenddessen wenigstens ‘n Auge auf den Planeten. Wir müssen auch die Interessen der Romananer beachten, ihre Beute muß verladen werden. Ansonsten bin ich der Meinung, wenn’s uns für die nächste Runde ‘ne günstigere Ausgangsposition verschafft, sollten wir’s machen.« Doch ihre Aufmerksamkeit galt Susan. Wo der Sieg hätte Triumph widerspiegeln müssen, stierte nichts als dumpfe Leere aus ihrer Miene. In ihren Augen stand eine gespenstische Art von Halbtotheit. * * * Haben Sie den Bericht gelesen? Ngen Van Chow flieht aus dem Siriussystem. Der Trajektorie zufolge könnte er den Überlichtflug überall im Weltraum auf einer Strecke von einhundert Lichtjahren beenden,
revektorieren und erneut in den Überlichtflug gehen. Er wird gegenwärtig von der Miliken verfolgt. Obristin Kuryaken meldet mit Bedauern, daß er den Abstand vergrößert. Wir müssen uns mit der Tatsache abflnden, daß Van Chow weiter frei sein wird. Skor Robinson ließ seinen Kollegen Zeit zum Durchdenken der Informationen. Und die Romananer? erkundigte sich Roque. Sie treiben auf dem Planeten ihr Unwesen und stiften Zwietracht. Die romananischen Propagandasendungen haben zum Entstehen von Spinnenkulten geführt. Die Menschen begeistern sich für diese neue Philosophie — diesen >Weg Spinnes< —, sie rufen nach Eisenauge und seinem Kumpanen Gelbes Bein. Sie haben darin eine neue Motivation gefunden. Außerdem haben sie den Umgang mit Raumfahrzeugen gelernt. Sie werden ... Es ist noch schlimmer! mischte Nawtow sich ein. John Smith Eisenauge hat mitgeteilt, daß sein Volk die Hiram Lazar und die Helk als Kriegsbeute behalten wird. Wir dürfen den Romananern auf gar keinen Fall eine eigenständige Raumfahrt gestatten. Diese Möglichkeit ist vollkommen untragbar, insbesonders angesichts von Raumschiffen, die unseren Patrouillenschlachtschiffen überlegen sind, wie es sich sowohl bei der Hiram Lazar wie auch der Helk verhält. Skor Robinson entschloß sich, durchs Giga-VerbundSystem eine Ermahnung zu übermitteln. Wir haben ihnen Kriegsbeute versprochen, sie soll eine Gegenleistung für ihre ... Beute? meinte Nawtow hitzig. Gewiß. Aber zwei kriegstaugliche Sternenschiffe? Mit dem Potential? Wir wissen doch, daß mindestens vier Patrouillenschlachtschiffe aufgeboten werden müßten, um sie zu vernichten. Wie wollen Sie es rechtfertigen, unter Direktoratsbürgern, deren Schutz unsere Aufgabe ist, Leute sich austoben zu lassen, die von Natur aus Piraten sind, BARBAREN?
Wir haben ein Versprechen gegeben, begann Robinson eine Antwort, und nun ... Versprechen ? wiederholte Roque. Haben wir ihnen auch unsere Herzen und Seelen versprochen ? Nein, unsere Großzügigkeit hat Grenzen. >Seelen<, Assistenz-Direktor? fragte Skor Robinson. Haben Sie sich etwa doch gewisse Ansichten des romananischen Propheten zu eigen gemacht? Abfällige Bemerkungen sind überflüssig, Direktor, entgegnete Roque. Es bleibt die Tatsache bestehen, erklärte Nawtow, daß wir unmöglich derartig gewalttätige Geschöpfe nach Lust und Laune in Kriegsschiffen umherfliegen lassen dürfen. Ich möchte meinen Standpunkt eindeutig klarstellen: Ich kann es nicht dulden. Und Sie, Roque? fragte Robinson. Ich unterstütze die Entscheidung Assistenz-Direktor Naw-tows. Auch ich kann es keinesfalls dulden. Nachdem er seine Ansicht offengelegt hatte, begründete Roque sie mit einer Reihe hochgradig detaillierter statistischer Extrapolationen. Nun gut, dann werden wir den Romananern die zwei umgebauten FLF verweigern. Als nächstes müssen wir uns mit dem Problem der von den Romananern gemachten Gefangenen befassen. Sirianische Bürgerinnen sind versklavt worden, um als Konkubinen zu dienen. Nach dem Pathos-Abkommen ... Mit dem Pathos-Abkommen sind wir vertraut, Direktor, unterbrach ihn An Roque. Aber da die Romananer den Direktoratsgesetzen nicht unterstehen, vertrete ich die Meinung, daß wir ihnen die fraglichen Techniker und jungen Frauen überlassen sollten. Die ... Dem kann ich nicht zustimmen, protestierte Nawtow vehement und ließ seinem Einspruch eine ausführliche juristische Begründung folgen. In dieser Sache, ließ Robinson ihn wissen, muß ich mich
auf Assistenz-Direktor Roques Seite stellen. Ich glaube, diese Konsequenzen sind eine heilsame Lehre für alle, die möglicherweise auch gerne gegen uns rebellieren möchten. Der Hinweis, daß Bürger, die revoltieren, sich nicht nur außerhalb des Gesetzes stellen, sondern sich auch um seinen Schutz bringen, wird andere davon abschrecken, sich in Zukunft gleichfalls derartige Freiheiten herauszunehmen. Ree lebt noch, konstatierte Nawtow. Man wird die Projektil reparieren. Ich rege hiermit an, unverzüglich gegen diese potentielle Gefahr einzuschreiten. Der Pirat wird nie mehr in einer so ungünstigen Lage sein. Er hat durch die Kämpfe schwere Verluste erlitten. Sein Raumschiff ist beschädigt. Ich schlage vor, daß eine Abteilung Sturmtruppen die Projektil entert und Ree festnimmt. Anschließend kann die Viktoria die überlebenden Romananer und ihre Beute nach Atlantis zurückbefördern. Wenn diese Maßnahmen abgewickelt sind, haben wir den Schaden hinlänglich begrenzt und sind die Erfüllung unsere Aufgabe, die Menschheit zum Erstreben sinnvollerer Ziele anzuleiten, fortzusetzen imstande. Skor überlegte. Und Ihre Meinung, Assistenz-Direktor Roque? Ich stimme zu. Nach kurzem Zögern ergänzte er seine Einwilligung um zusätzliche Darlegungen. Es ist unverzichtbar, daß wir Ree und seine Besatzung wegen Insubordination vor Gericht stellen. Ich betrachte den jetzigen Zeitpunkt als sehr günstig. Wir sollten ihn nutzen, der Patrouille befehlen, sein Raumschiff zu beschlagnahmen und ihn sowie seine Crew dingfest zu machen. Die Toreon kann ihn zur Aburteilung nach Arcturus fliegen. Skor Robinson zögerte. Er hatte zwei Stimmen gegen sich. Ein schwaches, unterschwelliges Unbehagen begleitete seine Gedankengänge, verursachte ihm ein seltsames Empfinden des Widerwillens. Er seufzte: Nun gut, meine Herren Assistenz-Direktoren. Ich übermittle die Befehle.
Für lange Momente schwebte Skor im diesigen Blau, während sein Gemüt sich in ungewohntem Aufruhr befand. Ein Gefühl hatte ihn gepackt, das er noch nie erlebt hatte, und bereitete ihm regelrechte Verstörung. Spontan stellte er eine Kommu-Verbindung zu Chester Armijo Garcia her, hörte im Hintergrund die Klänge irgendeines barocken Musikstücks abschwellen. Als Skor ein Gespräch anzuknüpfen versuchte, merkte er, daß es ihm sonderbar schwerfiel, er fand nicht die richtigen Worte. Chester hob den Blick und lächelte, Herzlichkeit und Freundschaftlichkeit in der Miene. »Eigentlich möchtest du von mir erklärt haben, wieso dir so merkwürdig zumute ist.« Chester winkte gelassen mit der Hand. »Was dich so verwirrt, Skor Robinson, ist ein Schuldgefühl. Ein sehr menschliches Problem. Die Wurzeln dieser Emotion — übrigens kann sie sich äußerst nachteilig auswirken — sind darin zu sehen, daß du eine Ungerechtigkeit erkennst. Du hast das Gefühl, eben an Oberst Ree und den Romananern ein Unrecht verübt zu haben. Du bist mit dir selbst unzufrieden ... Du sorgst dich, deinen eigenen bisherigen Maßstäben nicht zu genügen.« Skors Herz begann zu wummern. Er blinzelte. »Habe ich etwas Schlechtes getan, Prophet?« In seinem Tonfall klang Verunsicherung an. Chester breitete die Arme weit aus, in Wellen entfaltete sich das Schimmern feinsten Stoffs. »Das hängt von den Cusps ab, Direktor. Die Entscheidungen liegen ebenso in deinen wie in fremden Händen. Was kommt, wird vom freien Willen bestimmt — deinem, Rees, ben Achmads, Obristin Mendez’. Andere werden danach handeln.« »Was wird geschehen?« schnauzte Skor. »Eine von mehreren Alternativen wird eintreten. Die Weiterentwicklung einer so komplizierten Situation verläuft über eine ganze Anzahl von Cusps. Eine Person fällt einen Entschluß. Um diesen Entschluß drehen sich die Handlungen einer zweiten Person. Die Zukunft entfaltet sich exponential.«
»Und du willst mir nicht verraten, was ich zu tun habe?« Chesters Lächeln zeugte von Bedauern. »Möchtest du etwa von mir abhängig werden? Was würde dann aus deinem freien Willen? Wie wolltest du deine Seele nähren? Willst du, daß dein Verantwortungsgefühl verweht wie Staub im Wind? Nein, Skor, so etwas täte ich nicht, selbst wenn ich’s könnte. In der Zukunft erwarten dich auch ohne zusätzliche Abhängigkeiten genug Prüfungen.« »Ich ...« Robinson verstummte, weil er die Wahrheit in den Worten des Propheten erkannte. »Das war alles, Prophet.« * * * Maya ben Achmad betrachtete das Gerät voller Unbehagen. »Das wär’s also.« Sie hob den Blick in Jaischas holografisch wiedergegebenes Gesicht. »Sie haben Befehle erhalten?« erkundigte Jaischa sich mit ausdrucksloser Miene. »Ich... Ja, Jaischa, habe ich.« In Mayas Stimme schwangen Anklänge von Alter und Müdigkeit mit. Trostlosen Blicks musterte sie die Kommandeurin der Toreon. »Es wäre einfacher, ihn einfach aus dem All zu blastern.« »Die Direktoren wollen ihn lebend haben. Mitsamt der Besatzung. Ich habe vor, die Befehle zu befolgen und ihn am Leben zu lassen, Jaischa. So bin ich eben, ich habe auch meine Angewohnheiten, verstehen Sie?« »Ihr Schiff ist der Projektil am nächsten. Ich schicke Ihnen eine Abteilung meiner Sturmtruppen hinüber. Wir können Ree gemeinsam angreifen.« »Schicken Sie sie.« Maya richtete den Blick auf die Statusanzeigen. »Sie sollen in Hangar Sieben anlegen. Ich stelle dort Leute bereit.« »Verstanden.« Jaischa zögerte. »Ja, Obristin?« »Dieser Vorgang macht Ihnen zu schaffen, nicht wahr?«
Maya nickte. »Sie kennen meine Haltung dazu. Ich bewerte es als Pflichterfüllung, Jaischa. Auch in dieser Hinsicht habe ich meine Prinzipien. Auch wenn ich der Meinung bin, daß es eine üble Sache ist. Aber Sie wissen ja, wie’s ist, Obristin, an irgend etwas muß man glauben.« Sie trennte die Kommu-Verbindung, schaute hinüber zu Ben, der sich an seinem Platz starr aufgerichtet hatte. Sie schnippte ihm die dünne Folie mit der Schriftfassung der Anweisungen zu. Nachdem er den Text gelesen hatte, blickte er auf, die Falten um seinen Mund verkniffen sich tiefer. »Sie servieren sie ab.« Maya beugte sich über die Kommu-Konsole, setzte einen Fuß dagegen, betastete ihr dunkles Kinn. »Haben Sie mit einigen unserer Leute gesprochen? Den Soldaten, die drunten auf dem Planeten gewesen sind?« Ben nickte, Wachsamkeit in den Augen. »Wer hat während der gesamten Siriusaktion die schwersten Schläge einstecken müssen? Wer hat den Widerstandswillen der Sirianer gebrochen?« »Die Romananer«, antwortete Ben fest. »Es sind ständig Gesuche um Gespräche mit ihren Propheten eingegangen. Dort unten ist ein schwunghafter Handel mit Holos der Dobra-Funksendung und Gelbes Beins Rede über Spinne im Gange.« »Warum?« Ben hob eine Schulter. »Normale Massenpsychologie dürfte die Erklärung liefern. Wenn die anderen gewinnen, müssen sie wohl etwas richtig gemacht, irgendeinen entscheidenden Vorteil haben. Allem Anschein nach ist daran, wie sie vorgehen, etwas besser. Dazu kommt das Gefühl, daß man, wenn die Zukunft nun einmal diesen Lauf nimmt, wohl lieber mitzieht. Da ist Anpassung am Werk, Obristin.« Er runzelte die Stirn. »Und die Sirianer«, fügte er dann hinzu, »erkennen noch etwas: Ehre. Die Einstellung der Romananer zu Spinne und der
Notwendigkeit des Lernens — die Seele zu nähren —, spricht sie nach all den Lügen Van Chows stark an. Spinne verleiht allem, was sich ereignet hat, nachträglich einen Sinn.« Maya drehte sich um, heftete den Blick auf den Monitor, auf dem man die Projektil im Orbit sah; schon umschwärmten Reparaturtrupps das Raumschiff. »Und wie werden die Sirianer reagieren, wenn das Direktorat ihre neuen romananischen Helden kippt?« Ben holte tief Atem und schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Er schwieg für einen Moment. »Werden Sie zur Freiwilligenmeldung aufrufen, um Oberst Ree das Schlachtschiff nehmen zu lassen?« Maya kehrte sich ihm zu, ein Gefühl dumpfen Wehs in der Brust. »Halten Sie das für eine gute Idee?« Ben schaute fort. »Ja.« Seine Stimme war kaum hörbar. Maya verengte die Lider, sah die kleine Spinnendarstellung auf der Schulter seiner Uniform. »Weshalb?« Er zuckte die Achseln, den Blick unverändert zur Seite gewandt. Ein hohles Auflachen entfuhr Maya. »Verstehe, Ben. Na schön, rufen Sie zur Freiwilligenmeldung auf. Dadurch werden wir die Stimmungslage der Besatzung testen, hm? Wir werden erfahren, wieviel von uns dazu bereit sind, ihm das Schiff wegzunehmen, nachdem er und seine Leute so aufopfernd darum gekämpft haben, es zu behalten.« Ben schaute sie an, an seinem Kinn spannten sich Muskeln, Härte stand in seinem Blick. »Maya, Sie und ich, wir fliegen schon lange zusammen durchs All. Wir sind besser als die meisten höheren Offiziere miteinander ausgekommen, weil ich nie versucht habe, Sie abzusägen, Ihnen in den Rücken zu fallen, ich hab’s nie getan, weil ich Sie respektiere. Bloß bin ich der Ansicht, daß...« »Seht...!« Mit einem Wink ihrer Hand unterbrach ihn Maya. »Da auf dem Monitor sehe ich Jaischas Sturmtruppenabteilung von der Toreon ablegen. Ist schon
eine unserer Abteilungen vom Planeten zurück, die sich dort bewährt hat? Wer hat sich am tüchtigsten geschlagen?« Man merkte Ben an, daß er sich zum Verzicht auf Widerspruch zwingen mußte. »Hauptmann Dyad«, gab er mißmutig Auskunft. »Er ist dafür bekannt, Befehle aufs Wort zu befolgen, Obristin.« »Er und seine Abteilung sollen sich an Hangar Sieben bereitstellen«, ordnete Maya an, straffte sich, nahm eine aufrechte Haltung an. »Der Reaktor ist hochzufahren, die Gefechtsstationen sind zu besetzen. Ich wünsche, daß wir jederzeit die Möglichkeit haben, auf meine Weisung hin ein Raumschiff zu Plasma zu zerblastern.« Sie spürte Bens Blick wie ein Brennen in ihrem Rükken, während sie vor den Wandschrank trat und ihren Schutzpanzer aus den Fächern zog.
28 »Oberst?« Neal Iversons Stimme schreckte Ree aus tiefem, bekömmlichem Schlaf. Ree stöhnte auf, stemmte sich empor, griff gewohnheitsmäßig nach dem Schutzpanzer. »Pennen Sie eigentlich niemals, Neal?« »Äh ... Doch, Sir. Es ist mehrere Stunden her, daß Sie sich hingelegt haben. Ahm ... Sir, ST der Viktoria halten auf uns zu. Mir ist gesagt worden, Sie wollten geweckt werden, sobald die anderen Patrouilleneinheiten irgend etwas unternehmen.« »Danke, Neal. Liegt schon eine Nachricht von Maya vor?« »Ja, Sir. Sie ist zu uns unterwegs. Äh ... und, Sir...« »Hmm?« »Die Viktoria fährt den Reaktor hoch, Sir.« »Fährt hoch, so ... Das klingt, als würde sie in Alarmzustand versetzt. Verdammt noch mal! Es ist soweit. Sie haben genug Zeit gehabt, um sich was auszudenken. Geben Sie Rita auf der Hiram Lazar verschlüsselt Bescheid, Sie soll den Reaktor auf volle Kapazität schalten und alle Besatzungsmitglieder der Viktoria oder Toreon, die sich drüben aufhalten, in Gewahrsam nehmen. Man will uns jetzt einsacken.« »Jawohl, Sir!« Ree streifte sich das Brustteil des Schutzpanzers über den Oberkörper, wischte das beschmutzte Spinnenbild sauber, empfand plötzlich auf den Coup an seinem Gürtel Stolz. Für einen Augenblick verhielt er, legte eine Hand auf den kalten Stahl einer Luke. »Tja, altes Mädchen«, sagte er in zärtlichen Ton zu dem Raumschiff. »Ich glaube, nun haben sie’s schon wieder auf uns abgesehen. Wenn’s nicht Van Chow ist, dann halt
Skor Robinson. Na, warten wir mal ab, wer diesmal gewinnt.« Schnaufend und außer Atem traf er an der Schleuse ein; er kam gerade zurecht, um zuschauen zu können, wie ein ST in einem der noch benutzbaren Hangars andockte. In den Hangar dahinter glitt ein zweiter ST; er trug die Markierungen der Toreon. »Sie halten uns wohl für richtige Waschlappen«, brummte Ree, freute sich zum erstenmal darüber, daß die Projektil gegenwärtig ein Labyrinth von nahezu ausnahmslos in Fallen verwandelten Gängen und Korridoren bildete. »Oder sie denken, sie könnten uns im Schlaf überraschen.« »Oberst?« erreichte ihn Neals wie immer gelassene Stimme. »Hier.« »Wir sind fertig. Es ist der gleiche Plan, nach dem wir bei den Sirianern vorgegangen sind. Verdammt, wären’s bloß keine ...« »Ja, Neal, ich weiß«, meinte Ree ruhig. »Es ist wieder wie über Welt. Zwei zu eins, hm?« Doch so verhielt es sich in Wirklichkeit gar nicht. »Ja, Sir, genau. Ich habe Majorin Sarsa verständigt, sie fährt den Reaktor hoch. Sie haben drüben Van Chows sämtliche Bordblaster bemannt.« »Dann sind wir vielleicht doch noch nicht erledigt«, sagte Ree leise, strich mit den Fingern über das Spinnenbild auf seiner Brustpanzerung. Aber wenn Maya mit den Geschützen der Viktoria das Feuer eröffnete, wäre die Projektil zerblastert, ehe die Hiram Lazar es erwidern konnte. Patrouillensoldaten der Projektil durchquerten in Schutzpanzern eine Schleuse. Sofort verteilten sie sich mit mustergültiger Präzision zu einem abwehrkräftigen Perimeter. »Kein Geballer«, befahl Ree. »Wir möchten tragische Mißverständnisse vermeiden.«
»Gute Idee«, ertönte Mayas rauhe Stimme verknistert auf Rees Frequenz. »Sind Sie das, Damen? Wir haben Sie nicht beim Verdauungsnickerchen erwischt, wie?« »Sind Sie gekommen, um mir das Schiff wegzunehmen?« »Der Befehl ist vor einer Stunde eingegangen.« »Wir überlassen’s Ihnen, den ersten Schuß abzufeuern. Danach ist uns alles egal. Wir geben das Schiff nicht ab.« Schweigen. »Damen?« »Hm-hmm?« »Ich glaube, wir beide sollten uns einmal ausführlich unterhalten. Persönlich.« »Das wird nichts ändern.« »Kann sein, doch. Sie und ich allein ... Auf Ihrer Kommandobrücke.« Ree schnitt eine verdrossene Miene. »Na gut, Maya, kommen Sie durch.« Das Herz klopfte Ree ihm Hals, während er beobachtete, wie sie die Schleuse betrat, die Reihen ihrer sichtlich nervösen Patrouillensoldaten durchmaß. Bei den Sturmtrupps schmückten mehr als nur ein paar Spinnendarstellungen die Schutzpanzer. »Das könnte ein richtiges Blutbad werden«, sagte Ree zur Begrüßung; das makellos blendende Weiß von Mayas Schutzpanzer ärgerte Ree ein wenig. Sie sah ihn an, ihr scharfer Blick durchdrang ihn, ein grimmiges Lächeln verlieh ihren dunklen, glatten Gesichtszügen Härte. »Sie sehen aus, als wären Sie durch den Fleischwolf gedreht worden, Damen. Jedesmal wenn ich Sie besuche, machen Sie einen mitgenommeneren Eindruck als das vorherige Mal. Und dieses Wrack, an dem Sie so hängen, kommt mir vor, als wär’s bloß noch ‘n Berg Schrott.« »Muß an der Gesellschaft liegen, die wir in letzter Zeit hatten. Sie möchten mit mir reden? Weshalb auf der Kommandobrücke?«
»Ich brauche die Kommunikatkmsanlagen«, antwortete Maya unwirsch. »Gehen wir.« »Nicht da entlang. Nach zehn Schritten flögen sie in die Luft. Folgen Sie mir.« Er führte Maya durch die zerborstenen und demolierten Korridore zur Kommandobrücke. »Äh ... Halten Sie sich die Nase zu, wenn Sie über die Leichen da steigen. Sie stehen bei der Planung unserer Aufräumarbeiten an erster Stelle, aber bis jetzt haben wir dafür noch keine Zeit gefunden.« Maya nickte, setzte geringschätzig die Füße zwischen die Toten, während sie sich ihren Weg durch den Haufen verkrümmter Leichen suchte. »Verdammt, was haben Sie hier eigentlich, ‘n Schauhaus?« »Diese Leute sind einfach so hier reinspaziert.« Sie schwiegen, während sie sich durch einen Nullschwerkraft-Abschnitt hangelten; Blasterschüsse hatten die Wände mit Kratern übersät. »Haben Sie sich jetzt auch angewöhnt, solche Haare am Gürtel zu tragen?« fragte Maya, wies mit dem Daumen auf Rees Gürtel. »Ich habe sie mir verdient«, knurrte Ree. »Sie hätten hier sein müssen. Wir waren darauf eingestellt, in Ehren zu sterben.« »In Ehren«, wiederholte Maya kaum hörbar, nickte andeutungsweise. Maya erwiderte beim Betreten der Kommandobrücke Neals Gruß, als er salutierte; ihr Schutzpanzer war unterwegs leicht angeschmutzt worden. Aus verengten Lidern sah sie sich um, betrachtete die verrußten Konsolen. Mehrere funktionierten noch. Einige Bildschirme zeigten den zerlöcherten Rumpf der Projektil. Auf einem Monitor erkannte man vor dem weißen Hintergrund einer Kommandobrücke das strenge Gesicht Rita Sarsas. »Alles in Ordnung, Dyad?« erkundigte Maya sich bei dem Hauptmann. »Gut. Ich bin auf der Kommandobrücke. Bleiben Sie auf der Hut... und vermeiden Sie alles, was
Unannehmlichkeiten auslösen könnte.« Sie wandte sich an Neal. »Major Iverson, bitte verbinden Sie mich mit der Viktoria.« Ree nickte zum Zeichen seiner Einwilligung Neal zu, verschränkte die Arme und wartete ab. Maya blickte hoch, als auf einem Bildschirm das Gesicht ihres Ersten Offiziers sichtbar wurde. »Ben? Ich bin da. Statusreport.« »Wir sind alle in Bereitschaft, Obristin. Ahm ... Die Hiram Lazar hat den Reaktor auf volle Leistung geschaltet und etwas beigedreht, die Geschützdecks sind jetzt uns zugewandt.« Er schluckte, wartete auf Antwort. Maya lachte halblaut. »Und was machen Jaischas Leute?« »Schäumen vor Wut, Obristin.« »Verdammt, was ist hier eigentlich los?« fragte Ree. Maya ben Achmad zog eine düstere Miene. »Sie wissen, daß ich Anweisung erhalten habe, Ihr Schiff zu besetzen und Sie mitsamt der Crew zu verhaften. Außerdem habe ich Befehl, den Romananern die Hiram Lazar und die Helk wegzunehmen. Oder ich sollte wohl sagen, wir alle haben diese Befehle bekommen.« Sie strich mit einem Finger über eine Konsole und schnitt, als er sich schwarz verfärbte, eine Grimasse. Ree neigte den Kopf. »Es steht Ihnen jederzeit frei, ‘s zu versuchen, Maya.« Sie spitzte die Lippen, bewegte den Mund, eine tiefe Falte furchte ihre Stirn. »Major Iverson, verbinden Sie mich mit Obristin Mendez auf der Toreon.« Wieder gab Ree durch ein Nicken sein Einverständnis zu erkennen. »Es ist wohl an der Zeit, Flagge zu zeigen«, sagte Maya versonnen, unmittelbar bevor auf dem einzigen weiteren erhaltenen Monitor Mendez’ Gesicht erschien. »Darf ich davon ausgehen, daß Sie Erfolg gehabt haben?« fragte Jaischa in patzigem Ton. »Wie ich sehe, ist
Ree schon in Ihrem Gewahrsam. Ich muß sagen, ich hätte nicht gedacht, daß es so einfach ist. Und ich hatte auch nicht unbedingt damit gerechnet, daß Sie sich selbst in Gefahr bringen.« Maya senkte den Kopf, rieb sich den Nacken. »Es war keineswegs einfach, Obristin. Ich mußte dabei sein. Sie werden die Projektil nicht bekommen. Die anderen Raumschiffe gehören den Romananern. Die Viktoria stellte sich auf die Seite Rees und der Romananer. Die Direktoren sind ...« »Sie? Maya, Sie sind ...zu ihnen übergelaufen ?« Mendez beugte sich in ihrem Kommandosessel vor, stützte sich auf die Armlehnen. Erbittert richtete Maya den Blick auf die Bildfläche. »Haben Sie vor, einen Feuerzauber zu veranstalten, Jaischa? Ben vertritt mich auf meiner Kommandobrücke, unsere Zielcomputer haben die Toreon im Visier. Unser Reaktor arbeitet mit Höchstleistung, alle Vorbereitungen sind getroffen, um die Projektil gegen Sie oder Toby, wenn sie zurückkehrt, zu verteidigen.« Jaischa zögerte, ihr Mienenspiel spiegelte deutlich ihre gemischten Gefühle. »Meine Befehle lauten, daß ich ...« »Daß Sie sterben müssen?« fragte Maya. »Darauf läuft’s nämlich hinaus. Sie sind uns an Feuerkraft unterlegen, und ich bezweifle, daß Ihr Reaktor auf volle Leistung geschaltet ist. Ein Wort von mir, und die Viktoria wird das Feuer auf Sie eröffnen, Jaischa.« »Aber ich glaube, als erste werden die Geschütze der Hiram Lazar Sie erwischen, Obristin«, ergänzte Rita Sarsa die Drohung Mayas. »Wenn’s nicht anders geht, werde ich befehlen, die Batterien schwerer Bruderschaft-Blaster gegen Sie einzusetzen.« Sie schaute auf einen Monitor. »Ich sehe, daß Mosche auch auf der Helk den Reaktor hochgefahren hat.« Mendez schüttelte den Kopf. »Warum, Maya? Weshalb tun Sie das ... für sie?«
Matten Blicks sah Obristin Maya ben Achmad sie an. »Aus Verantwortungsgefühl, Obristin. Und vielleicht aus Respekt. Ja, auch darum. Wir können diese Menschen nicht einfach benutzen und dann aus dem Verkehr ziehen. Ich bin nicht so weit gekommen, um jetzt den Sirianern vorzuführen, was Heuchelei ist, oder um gegenüber den Romananern wortbrüchig zu werden. Nein, Ree und seine Leute haben mich etwas gelehrt. Kann sein, die Zeit ist reif, um zu erkennen, daß wir uns gegenseitig nötig haben. Ob’s uns paßt oder nicht, Ähnliches wird nun überall passieren. Sirius war bloß der Anfang. Andere Planeten werden sich lossagen. Es bricht eine Zeit an, in der nicht Berechnung, sondern Treue und Ehre wieder etwas gelten, Jaischa.« Sie blickte hinüber zu Ree. »Vielleicht ist das Spinnes Weg, hm?« Mendez, die anscheinend zwischendurch eine andere Kommu-Verbindung hergestellt hatte, hob den Blick. »Was ist mit meiner Sturmtruppenabteilung?« »Sie befindet sich an Bord der Viktoria. Ben hat mir gesagt, die Männer wären ‘n bißchen sauer, aber sie haben keinen Anlaß zu ernsten Klagen. Wir mußten Ihren ST kapern, um sicherzustellen, daß Damen und Sarsa nicht überrascht werden.« »Obristin?« rief Ben aus dem anderen Monitor. »Eine Nachricht aus Arcturus-Stadt ist eingetroffen. Wir werden aufgefordert, die vorherigen Befehle zu ignorieren. Direktor Robinson persönlich hat mitgeteilt, sie hätten auf ... einem bedauerlichen Irrtum beruht. Einem Übertragungsfehler.« Maya schaute erstaunt Ree an. »Heiliges Kanonenrohr, was ist denn das? Der alte Knabe hat das Schwindeln gelernt!« Ree ließ sich in seinem verdreckten Kommandantensessel zusammensinken. »Gefechtsbereitschaft aufheben, Rita. Möglicherweise sind wir nochmals in letzter Minute
vor Schlimmerem bewahrt worden. Aber bleibt wachsam, Leute.« * * * Indem die Tage verstrichen, konnte Freitag Garcia Gelbes Bein mitverfolgen, wie die Projektil sich veränderte. Auf seiner zeitweilig erforderlichen Prothese humpelte er auf der Hiram Lazar umher. Das Gerät faszinierte ihn: Das Kunstbein enthielt einen Elektrostimulator, der das Gewebe zur Regeneration anregte. Ein Mediziner hatte Freitag allerhand über DNS, Regeneration und genetische Nodi erläutert. Alles nur Worte. Trotzdem wurde im Laufe der Zeit sein Bein immer länger. Unterdessen lernte er lesen, büffelte mit äußerster Gründlichkeit Strategie und Taktik und Raumkriegsführung und informierte sich über die Umbauten, die Patrouillentechniker in der Hiram Lazar vornahmen — dem ersten romananischen Raumschiff. Freitag fand Gefallen am sirianischen Theater, das er für ungeheuer komisch hielt. Er studierte die Geschichten der alten Erde und las die von Leeta Dobra verfaßten, in den Datenbänken der Projektil gespeicherten, inzwischen in die Speicher der Hiram Lazar überspielten Ethnografien. Am häufigsten jedoch hockte er herum und hoffte, daß Susan ihn schließlich doch noch besuchte. In regelmäßigen Abständen zwang er sich zur immer wieder neuen Besichtigung des Raums, in der ein Patrouillen-Stoßtrupp die Leichen von Leona Magill und der Obristin Amahanandras entdeckt hatte. Freitag war dabei gewesen, während man die Einrichtung Stück um Stück demontierte, hatte sich das dritte, blutbefleckte Bett angesehen und sich die Geschehnisse vorzustellen versucht. Eines Tages war Rita zu ihm gekommen, um ihm Holos zu zeigen, die ein Techniker in Van Chows Privatsammlung gefunden hatte. Es waren Dutzende von Ver-
gewaltigungsszenen. Man konnte anhand der Aufnahmen beobachten, wie Leona und Arish nach und nach in Van Chows Händen zugrundegerichtet wurden. »Gibt’s Aufnahmen Susans?« hatte Freitag mit heiserer, fast erstickter Stimme gefragt. »Mehrere«, hatte Rita mit steinharter Miene geantwortet. »Sie war zäher. Einmal hätte sie ihn beinahe überlistet.« »Ich bin nicht sicher, ob ich sie überhaupt...« »Du wirst sie nicht sehen. Ich habe sie vernichtet. Es war nichts drauf, was ein Mensch gerne sähe.« »Und Susan?« »Van Chow hat als Bestandteil der Konditionierungsmethode einen Psychingapparat verwendet. Der Tech, der ihn auseinandergenommen hat, sagte mir, das Ding läse die Engramme im Gehirn, die synaptischen Gedächtnisaufzeichnungen. Van Chow hat gegen seine Opfer ihre eigenen Erinnerungen benutzt. Freitag, wahrscheinlich bist du es gewesen — oder war’s Hans —, den sie gesehen hat, wenn Van Chow sie ...« »Aber ist sie denn gesund?« erkundigte Freitag sich flehentlich; seine Phantasie hatte ihn mit den gräßlichsten Befürchtungen gequält. »Sie ist mir völlig fremd geworden, Freitag. Sie ist... sie ist...« Freitag hatte die Rechte gehoben und Ritas Hand getätschelt, die auf seiner Schulter ruhte. Stumm hatte er die Augen geschlossen und sich der Tränen, die ihm über die Wangen rannen, nicht geschämt. * * * Einen Monat später erhielt er ein neues Kunstbein; sein Stumpf war im Verlauf der letzten vier Wochen erneut um drei Zentimeter gewachsen. Gegenüber hatte die Projektil wieder weiß zu glänzen begonnen; ein Großteil der äußerlich erkennbar gewesenen Gefechtsschäden war mittler-
weile behoben worden. Baugerüste umgitterten das Raumschiff, die wirkten, als wäre es mit einem zierlichen Gestell umgeben worden. Dort drüben an Bord war Susan ... Irgendwo. »Freitag«, rief Rita, kam zu ihm, drückte ihn. Er grinste zu ihr auf, sah Eisenauge heranschlendern. »Hallo, Majorin. Wie geht’s voran?« »Ich kann nicht klagen. Heute ist eine Mitteilung des Direktoriums eingegangen. Miliken und Toreon haben die reguläre Patrouillentätigkeit wieder aufzunehmen. Ab morgen regelt ein ziviles Verwaltungskomitee des Direktorats die Angelegenheiten auf dem Sirius. FLF transportieren ständig Lebensmittellieferungen an, und wir haben einiges von den erbetenen Hyperkonduktoren erhalten.« »Und Van Chow?« Rita senkte den Blick. »Keine Spur von ihm, Freitag. Er ist der Miliken schlichtweg davongeflogen. Ist als erster in den Überlichtflug gewechselt. Er kann überall wiederaufgetaucht, den Vektor geändert und noch einmal auf Überlichtflug gegangen sein.« »So groß ist die Galaxis ja wohl nicht«, meinte Freitag heftig. »Er steckt irgendwo und ist bestimmt schon wieder dabei, das Leben unschuldiger Menschen zu ruinieren. Wir können doch nicht einfach ...« »Er wird sich irgendwann bemerkbar machen«, sagte Eisenauge. »Wir haben auf allen Planeten und Stationen bekanntgegeben, daß wir Romananer für seine Ergreifung ihn in Toron aufwiegen würden. Als Volk haben wir ihm Blutrache geschworen.« »Wenn ich das höre, fühle ich mich schon etwas wohler ...« Freitag zögerte, hob den Blick. »Irgendwelche Veränderungen bei Susan?« Rita atmete tief durch. »Nein, sie überwacht die Umbauarbeiten und verbringt ihre meiste Zeit mit Giorj. Die beiden unterhalten sich viel, wenn niemand zuhört.« Rita betrachtete ihre Hände.
Plötzlich spürte Freitag ein flaues Gefühl in der Magengrube. »Das ist doch ganz gut, würde ich sagen. Sie braucht jemanden. Glaubst du, daß er ... daß er ihr eine Hilfe ist?« »Ja«, antwortete Rita leise. »Ich glaube, er ist’s. Du mußt berücksichtigen, daß sie nicht mehr die Susan ist, die du einmal gekannt hast. Sie ist eine andere geworden, eine Person ohne normale menschlichen Eigenschaften. Ihr Leben findet nur noch in ihrem Kopf statt. Als ob ... als wäre ein Teil ihrer Seele abgestorben. Van Chow hat sie völlig verdreht, Freitag. Es kann sein, er hat sie für immer kaputtgemacht.« »Erwähnt sie Hans oder mich nie?« fragte Freitag gedämpft. »Sie wohnt mit Giorj zusammen. Beide haben eine gemeinsame Unterkunft. Tut mir leid, Freitag, aber es ist wohl besser, du hörst’s von mir, als von jemand anderem.« »Weißt du, ich bin ihm mal begegnet«, sagte Freitag dumpf. »Ich habe kurz mit ihm gesprochen, während die großen Bordblaster modifiziert worden sind. Er hat ‘n ganz netten Eindruck auf mich gemacht, war aber anscheinend stark von der vielen Arbeit in Anspruch genommen.« Sein Blickfeld verschwamm. Eisenauge legte eine Hand auf Freitags Schulter. »Ich bin der Ansicht, du solltest mit mir auf den Planeten hinunterkommen. Du müßtest dich einmal, glaube ich, um deinen Beuteanteil kümmern, die ganzen Sachen werden zur Zeit für den Abtransport verladen. Bis jetzt hast du nichts als Coups beisammen.« »Gebt meinen Krempel den Witwen und Waisen.« Freitag bemühte sich um einen gleichmütigen Tonfall. »Ich erteile dir einen Befehl, Krieger.« Eisenauges Worte ließen keinen Widerspruch zu. »Ich brauche Unterstützung, und du bist sie zu leisten imstande. Du hast dir mit der Rede zu Spinnes Ehre einen Namen erworben. Die
Sirianer wollen dich kennenlernen. Sie achten dein Wort. Ich brauche dich, damit du für mich die ... Wie nennt man das doch gleich wieder?« Er blickte Rita an. »Öffentlichkeitsarbeit, Kriegshäuptling.« »Ja, die mußt du für mich erledigen, Freitag.« »Ich ...« »Das ist ein Befehl.« Freitag nickte, sein Blick schweifte hinüber zu dem glänzend-weißen Raumschiff, von dem ihn ein Abstand unüberbrückbaren Weltraums trennte. Dort entstand etwas Neues, an dem Freitag Garcia Gelbes Bein keinen Anteil hatte. Weshalb hatte der Sirianer, von dem ihm das Bein abgeschossen worden war, nicht ein bißchen besser gezielt? Warum war das MedTeam nicht ein klein wenig später eingetroffen? * * * Bei den letzten Klängen von Beethovens Neunter minderte Chester Armijo Garcia die Lautstärke der Musik, und während die Schlußtöne verhallten, erschien auf dem Bildschirm Skor Robinsons Gesicht. Chester lächelte. »Ich kann es dir nicht sagen, Direktor. Er ist im Gulag-Sektor bei Freunden gewesen, die ihn in der Vergangenheit mit Waffen beliefert haben. In einigen Tagen wird er seinen nächsten Entschluß fassen. Er ist andauernd unterwegs, trifft täglich kleinere Entscheidungen. Sein Cusp ist noch nicht beendet.« Unter Robinsons gewölbter Stirn glommen die winzigen Äuglein. »Mit dir zu sprechen, Prophet, macht mich nervös«, erklärte er mit seiner Krächzstimme. »Das bedauere ich, Direktor.« Chester neigte den Kopf. »Ich möchte die Gelegenheit dieses Gesprächs nutzen, um dir zu sagen, daß ich morgen zu der Welt abreisen will, die ihr Atlantis nennt. Würdest du so freundlich sein und mir ein Transportmittel zur Verfügung stellen?« Bestürzung zuckte über Robinsons Gesicht. »Warum
hast du das vor? Vielleicht erfüllst du deinen Zweck am besten hier?« »Kann sein. Allerdings habe ich noch andere Pflichten, deren Erfüllung ich Spinne schuldig bin. Hier bin ich für eine bestimmte Aufgabe hergebracht worden, Direktor. Deine Entschlüsse zeigen Ansätze zu höherer Vernunft. Deine Seele ist erblüht. Ich gehe, wohin ich gerufen werde. Andererseits kannst selbstverständlich auch du deinen freien Willen ausüben. Du kannst mich festhalten, aber dann steht dir selbst ein Cusp bevor«, erwiderte Chester lächelnd. »Was ist besser für das Direktorat?« Chester schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung, Direktor Robinson. Auf dem einen Weg wird durch Leid und Blut Neues geboren werden ... Eine neue Ordnung wird in ein neues Leben münden. Der andere Weg kann, abhängig von den Cusps, zum Gleichgewicht führen ... oder zu Stagnation und Sklaverei. Das erlangte Wissen wird anderer Natur sein, obwohl ich in dieser Zukunft tote Seelen voraussehe... Doch vielleicht hat dies Resultat gleichfalls seine Berechtigung. Ich kenne Spinnes Beweggründe nicht.« »Dein Gott ärgert mich, Prophet!« »Er ärgert viele.« »Auf ganz Sirius sprießen Spinnenkulte.« Skors Mund zuckte. »Dort wollen sie jetzt auch einen Propheten haben. Bist du sicher, daß du nicht lieber zu den Si-rianern gehen möchtest?« »Vielleicht werde ich es tun ... Letzten Endes.« Chester war nachdenklich geworden. »Gegenwärtig tu ich’s nicht. Ich kann einen jungen Mann sehen, der Visionen hat. Er betet schon seit vielen Tagen, singt Spinne Loblieder. Noch ist der Zeitpunkt seines Cusps nicht da, aber ich glaube, er ist es, der nach Sirius gehen wird.« »Wieso gründen die Sirianer Spinnenkulte, nachdem die Romananer sie geschlagen, ihnen Furcht und Schrecken eingeflößt, Greuel verübt haben?«
»Eben weil wir sie geschlagen haben, Direktor.« ehester schmunzelte. »Was einem Menschen Furcht einjagt, zwingt ihn zu tieferer Einsicht. Gleichzeitig bietet die romananische Kultur ihnen schlichte Wahrheit. Ehrgefühl, Wissensdurst und Tapferkeit sind Tugenden — selbst wenn Barbaren sie repräsentieren —, die auch die Sirianer auf Anhieb verstehen können. Ihre Welt ist ins Wanken geraten, Skor. Sie sind belogen worden, man hat ihre Realität zerblastert, der Krieg hat sie verwüstet. Spinne gibt ihnen etwas, woran sie Halt finden. Hoffnung für die Zukunft. Wir haben einmal über Seelen diskutiert, Direktor. Die Romananer haben zu den Siria-nern über die Seele gesprochen. Zunächst hat es die Sirianer amüsiert, aber inzwischen erkennen sie, daß daran Wahres ist. Wie deine Seele darben auch ihre Seelen, hungern nach Nahrung. Nun wollen sie lernen, um neue Erfahrungen zu sammeln, ihr Dasein zu verbessern.« »Für meine Begriffe klingt das nicht sonderlich ermutigend.« Mit merklichem Unbehagen schluckte Skor. »Das Leben ist nun einmal nicht leicht, Direktor. Andernfalls könnten wir nichts lernen, und unsere Seelen blieben unbefruchtet.« »Oberst Ree verlangt mehr Hyperkonduktoren, ein kostspieliges, strategisch hochwichtiges Metall. Auch das ist nicht gerade erfreulich.« »Kannst du verhindern, daß er sich für sein Raumschiff Hyperkonduktoren verschafft?« »Ich weiß es nicht.« Skor verzog die dünnen, blutleeren Lippen. »Wäre es nicht günstiger, sie ihm zu schicken, als daß er sich welche auf andere Weise besorgt?« »Ich weiß es nicht«, wiederholte Skor mit monotoner Stimme. »Du hast noch immer die Absicht«, konstatierte Chester versonnen, »zu befehlen, daß er seines Kommandos enthoben wird.«
»Er entwickelt sich zu einem echten Störfaktor«, gab Skor zur Antwort. »Eigentlich hat er längst die Pensionierung verdient. Die Patrouille hat jüngere Offiziere, die obere Kommandoposten besetzen können. Wir werden ihm für seine langjährige Dienstzeit reichlich Orden und Kredits gewähren. So ist es besser. Er wird mit größerer Anerkennung in Pension gehen dürfen, als je ein Patrouillenoberst in den letzten dreihundert Jahren.« Chester nickte verständnisvoll. »Was sollen wir machen, wenn wir dich wieder einmal hier benötigen, Prophet?« »Gebt mir einfach Bescheid. Wenn ihr euch neues Wissen anzueignen wünscht, werde ich kommen.« Chester lächelte, als er sah, wie ein weiterer Baustein der Zukunft sich an seinen Platz fügte. Skors Entschluß stand fest. Chester ließ sich, indem sich vor seinem Geist neue Visionen abzeichneten, von der Zeit durchströmen. »Fürs erste habe ich genug von deinem Wissen«, murmelte Skor im Selbstgespräch — ein Verhalten, das er früher nie an den Tag gelegt hatte. »Das mag sein«, meinte Chester gelassen. »Widersprichst du niemals?« »Sollte ich?« »Hast du denn keine eigenen Gedankengänge?« Schwache Fältchen bildeten sich auf Skor Robinsons Stirn. »Hätte ich welche, ergäbe sich daraus ein Unterschied?« »Nichts als Gegenfragen!« schimpfte Skor. Chester schwieg. »Soll ich Oberst Ree Hyperkonduktoren liefern?« Skors Stimme begann leicht schrill zu klingen. »Würde er sie gegen mich verwenden?« »Die Frage, die du stellst, muß folgendermaßen durchdacht werden«, entgegnete Chester freundlich. »Hätte Ree einen Grund, um sie gegen dich zu gebrauchen? Hast du
Hinweise darauf, daß solche Lieferungen gegen dich benutzt werden könnten? Und käme es dahin, wären die Konsequenzen am Ende gut oder schlecht?« Skor Robinson musterte ihn aus scharfen, blauen Augen. »Guten Flug, Prophet.« Sein Holo-Abbild erlosch. Chester lächelte vor sich hin, während abermals ein Baustein der Zukunft sich säuberlich an seinen Platz schob. Er entschied sich für Mozarts Quartett in A-Moll, Köchel-Verzeichnis 581, als nächstes Musikstück, das er gerne hören wollte. *
*
*
Techniker und Matrosen schufteten rund um die Uhr. Zahlreiche Mitarbeiter sirianischer Schiffsausstatter tummelten sich an den planetaren Anlieferplätzen und in den für Konstruktionszwecke verwendeten Orbitalstationen. Giorj funkte technische Daten und sonstige Spezifikationen hinab, und im Eiltempo schaffte man per Shuttle oder ST erforderliche Fertigteile für Decks oder Wände und Kabel herauf. Die Romananer wurden mit Bitten um Freilassung dieser oder jener Geiseln oder Annahme von Geschenken im Austausch für junge Frauen überschüttet, manchmal mit Erfolg, manchmal nicht. Gelegentlich entschied eine der Frauen, freiwillig mit einem der Krieger zu gehen; andere begingen Selbstmord, weitere sträubten sich vehement, einige gaben sich aus Verzweiflung selbst völlig auf; nichts von allem beeindruckte ihre romananischen Männer, die darüber nur lächelten. Es kam zu Morddrohungen. Viele Sirianer mochten die Greuel der Romananer nicht so schnell vergessen, doch im großen und ganzen war die Bevölkerung vom Krieg ausgemergelt worden. Ihren Planeten in Ruinen zu sehen,
machte sie fassungslos; viele ließen alles, was sich ereignete, teilnahmslos über sich ergehen. Eine Mehrheit allerdings fand an den Romananern mehr als bloßes Interesse. Die ehemaligen verhaßten Feinde waren zu einer Art von kulturellem Gewinn geworden. Man lud romananische Krieger da- und dorthin ein, damit sie bei Bürgervereinen und Religionsgemeinschaften Vorträge hielten. Einen zornigen Romananer wollte niemand in seiner Nähe haben. Friedlich gesonnen dagegen faszinierten sie, bedeuteten eine aufregende Attraktion. Besonders Eisenauge hatte jetzt im Frieden mehr zu tun als vorher im Krieg. Abgesehen von den Gesuchen um Freigabe junger Frauen, mit denen man ihn fortwährend bestürmte, lauerten ihm ständig Geschäftsleute auf, die Eisenauge-Figuren zu fabrizieren wünschten, die Lizenz zur Produktion romananischer Kriegsdolche erschachern, romananische Coups vermarkten oder Urlaubsreisen nach Atlantis — beziehungsweise Welt, wie die Sirianer den romananischen Heimatplaneten zu nennen gelernt hatten — buchen wollten. Autoren belagerten das romananische Hauptquartier wie ein Fliegenschwarm, versuchten die Krieger, die dort kamen und gingen, nach biografischen Angaben auszuquetschen. Ähnlich kreuzten überall Holo-Film-produzenten auf, versuchten stahläugige Krieger für HoloSpielfilme zu verpflichten. Auf einmal liefen sirianische Jugendliche in Lederkleidungimitaten umher — gefärbt in Spinnenkriegerund Santosfarben —, rannten mit Geheul durch die Straßen und trugen Spielzeugblaster und als Ersatz für Coups Stoff- oder Teppichfetzen oder Perücken am Gürtel. Bei den Medien waren Krieger, die die Bereitschaft hatten, Kriegslieder zu singen, sehr gefragt. Publizisten und Feuilletonisten aller Medien veröffentlichten fortwährend Essays, Monografien und sonstige Abhandlungen über
Themen wie die Konzeption Spinnes als Gott, die romananische Moral, die Sozialstruktur Welts und die Rolle der Frau in der romananischen Gesellschaft. Spinnenbilder verbreiteten sich auf Mauern und Wänden, Airmobilen und Firmenbauten, wurden in Logos eingearbeitet. Eisenauge empfand gehöriges Unbehagen bei der Vorstellung, daß sein Gesicht — neben den Mienen Ritas und Rees — in Holo-Reklame, Zeitschriftenartikeln und auf Plakatwänden auftauchte. In billigen Holo-Spielfilmen spielten Schauspieler seine Rolle, und ein Reporter, dem er eines abends, nach zuviel Scotch-Ge-nuß, ein paar Anekdoten erzählt hatte, verdiente jetzt ein Vermögen durch eine Schilderung, wie Eisenauge mit einer Hand und bloßer Faust atlantische Bären getötet hätte. Darüber lachten viele Romananer. »Das ist ja alles vollkommen unbegreiflich!« Eisenauge schrie seinen Kommentar fast, während er und Ree an einer Plakatwand vorbeisausten, auf der Eisenauges Lieblingsrestaurant mit ihm Reklame machte. Der Umfang der Wiederaufbauarbeiten, die in der kurzen Zeit seit der Verwüstung des Planeten bewältigt worden waren, hatte Damen Ree überrascht. Sein Blick streifte die nagelneue Plakatwand. »Es kann ja nicht schaden. Haben die Agenten dich auch bequengelt?« Eisenauge stöhnte laut auf und nickte. »Unaufhörlich. Dauernd erzählen sie mir, wieviel Kredits mir entgehen. Ich glaube, sie meinen, ich kann mir Kredits verdienen, wenn ich sie meinen Namen verwenden lasse. Aber was bedeuten Kredits schon für einen Krieger? Was ist mit meiner Ehre und meinen Coups? Denken sie daran denn nicht? Warum gerade ich?« »Du hast eben Glück, würde ich sagen.« Ree lachte schadenfroh. »Muß an deinem gutaussehenden Gesicht liegen.« Eisenauge wirkte nicht im geringsten erheitert. »Hör zu, es ist nun einmal so, daß du ein Held bist«,
erklärte Ree. »Du bist für sie ein Vorbild, eine Persönlichkeit, zu der man aufblickt. Natürlich gehen sie bei alldem zu weit. Aber dafür sind Helden eben da, um Spinnes willen!« Eisenaüge stieß ein Knurren aus. »Wär’s dir lieber, sie bewunderten noch immer Ngen Van Chow?« »So was solltest du nicht mal im Spaß sagen. Wir haben hier genug geblutet.« Eisenauge schüttelte den Kopf. »Wie sehr ich Großer Mann gehaßt habe, Van Chow ist... Er ist... ein Scheusal.« »Ich kann dich verstehen. Aber ihr verrichtet hier Spinnes Werk, mein Freund.« Ein versonnenes Lächeln im Gesicht, schüttelte Ree den Kopf. »Uns liegen Bewerbungen von über zwanzigtausend jungen Männern und Frauen vor, die nach Welt mitgenommen werden und dort lernen möchten, wie man Krieger wird.« »Frauen?« schnob Eisenauge. »Susan ist sehr berühmt geworden.« »Sie wissen gar nicht, auf was sie sich einlassen«, entgegnete Eisenauge verärgert. »Und Susan ist...« Seine Lippen zuckten. »Stimmt«, pflichtete Ree bei, »sie wissen’s nicht. Aber es ist ein Anfang. Wir haben viele Bewerbungen angenommen, John. Wir brauchen tüchtige Männer und Frauen, um unsere Verluste auszugleichen.« »Aber nicht als Krieger«, widersprach Eisenauge. »Sirianer sind keine ...« »Nein, als Techniker, Kommunikationsexperten, Kanoniere und so weiter.« Ree schabte sich am Kinn. »Es gibt genug junge Romananer, die dazu bereit sind, Welt den Rücken zu kehren und mit uns ins All zu fliegen.« Überm Regierungszentrum steuerte Ree das Airmobil abwärts. »Maya ist schon da«, stellte Eisenauge fest, beobachtete mißtrauisch die Menschenmenge, die sich vor dem Gebäudekomplex drängte. »Um so besser«, erwiderte Ree lachend. Die Menge
teilte sich, ließ sie landen. Holo-Recorder wurden auf sie eingeschwenkt, als Oberst Damen Ree schwungvoll festen Boden betrat, man seine Galauniform im hellen Licht des sirianischen Doppelgestirns leuchten sah. Eisenauge sprang aus dem Airmobil, seine Lederbekleidung war frisch gesäubert. Den Kriegsdolch hatte er gründlich poliert, so daß er regelrecht blitzte; im Vergleich zu den dichtbehangenen Gürteln, die seine Krieger trugen, wirkte der Gürtel mit seinen Coups allerdings bescheiden. Sein frisch gewaschenes, neu zu Zöpfen geflochtenes Haar glänzte im Sonnenschein. Ree und er erklommen die Freitreppe und betraten das Gebäude. Ein Patrouillensoldat in blendend-heller Panzerkleidung brachte sie in Mayas provisorisches Büro. Sie wandte den Blick von einem Kommu-Apparat. »Wie läuft’s, Maya?« »Es ist schrecklich, Damen«, brummelte sie. »Ich bin Raumfahrerin, nicht irgend so eine blöde Kolonialgouverneurin.« Sie nahm das Kontaktron vom Kopf und rieb sich das Gesicht. »Trotzdem, inzwischen haben wir die wesentlichsten Probleme ausgebügelt. Für Militärverwaltung bin ich nicht geschaffen. Aus Arcturus-Stadt liegt eine Mitteilung vor, daß Kimianjui eine Horde Bürokraten schickt, die diese Angelegenheiten übernehmen soll. Sie wird in ein, zwei Monaten eintreffen.« »Dieser Raumsektor fällt nun mal jetzt in Ihre Zuständigkeit«, erinnerte Ree sie, setzte sich in einen Sessel. Mit schwachem Lächeln erwiderte er ihren bösen Blick. »Na, ist ja egal. Jedenfalls sind wir jetzt da. Darf ich annehmen, die Papiere sind fertig?« In ihrem Antigrav-Sessel drehte Maya sich Eisenauge zu. »Haben Sie über meinen Vorschlag nachgedacht?« Eisenauge nickte. »Habe ich. Ich bin der Ansicht, fürs erste handelt es sich um eine gute Idee.« Maya reichte ihm eine Vertragsurkunde. »Da, hier steht alles drin, um was in den letzten Monaten gefeilscht wor-
den ist. Den Romananern stehen zehn Prozent des gesamten sirianischen Bruttosozialprodukts zu. Bis auf weiteres wird die Militärverwaltung dafür sorgen, daß sie ihren Anteil erhalten. Danach müssen Ihre Leute sich selbst um die Wahrnehmung ihrer Interessen kümmern.« Maya schmunzelte humorlos. »Ich wünsche Ihnen viel Glück. Willkommen im Halsabschneidergewerbe der Buchhaltungen, Kredits und Debets.« Eisenauge lächelte. »Halsabschneider...?« »Ich vermute, Sie machen sich gar keine Vorstellung davon, wie vielerlei verschiedene Methoden des Be-scheißens es ...« »Nein, aber ein Prophet kann’s.« Eisenauge zwinkerte Maya frech zu, so daß sie überrascht stutzte. Ree griff ein. »Die Materialien für die Projektil sind pünktlich angekommen. Nach dem Stand der Dinge sind wir wieder flugtüchtig, das Schiff ist zum größten Teil gesäubert, es enthält frische Luft. Sobald wir auf der Projektil noch ein paar abschließende Checks durchgeführt haben, fliegen wir ab.« Maya betrachtete ihn, trotz ihres professionellen Auftretens deuteten ihre Lippen ein leicht trauriges Lächeln an. »Ich werde Sie vermissen, Damen. Ach, und auch das Wrack, in dem Sie hausen. War eine höllisch schwere Militäraktion, hm?« Ree rieb die Hände aneinander. »Wissen Sie, Maya, Sie sind in Ordnung. Ich habe immer viel Respekt für Sie übrig gehabt. Und Sie haben für die Projektil den Kopf hingehalten. Wir sehen darin — nach romananischer Sitte — eine große Ehre für die Viktoria. Falls Sie uns mal brauchen, melden Sie sich.« Zerstreut drehte Maya das Kontaktron in den Händen, während sie Ree unverwandt musterte. »Bestimmt ist Ihnen auch klar, Damen, daß Schwierigkeiten bevorstehen. Das Direktorat zerfällt wie ein zu stark aufgeladener Molekularstrang. Ich habe Ihre Art immer gemocht,
Damen.« Zwischen ihnen beiden herrschte eine unterschwellige Verständigung. Eisenauge erhob sich, stieß ein Räuspern aus. »Im Namen meines Volkes danke ich dir, Obristin. Ich habe gehört, daß einige unserer jungen Männer an Bord der Viktoria bleiben möchten. Richte ihnen aus, daß sie unserem Volk Ehre tun. Dein Raumschiff wird an unserem Himmel jederzeit willkommen sein. Du kannst von uns Toron haben, soviel du brauchst.« Beim Hinausgehen schaute er Damen an. »Ich warte, bis du fertig bist, Oberst. Laß dir Zeit.« Über die Schulter sah Ree ihm nach, als Eisenauge das Büro verließ. »Tüchtiger Mann.« Maya lächelte, atmete hörbar aus. »So wie der gesamte Rest. Sie hängen an Ihnen.« Ihr Blick fiel erneut auf Ree, ihre Augen bekamen einen sanfteren Ausdruck. »Was ich gesagt habe, war mein Ernst... Daß Sie mir fehlen werden.« Ree lachte, entspannte sich zum erstenmal an diesem Tag. »Es hat mir Vergnügen gemacht, daß wir im vergangenen Monat so oft zusammengegessen haben.« Er schwieg einen Moment lang. »Ich hatte jahrelang niemanden, mit dem ich reden konnte, müssen Sie wissen. Dann flogen wir Welt an, und plötzlich trat eine ganze Schar neuer Menschen in mein Leben, Leeta, Sarsa, Eisenauge ... Sie. Jetzt fliege ich nach Welt zurück ... und Sie bleiben hier.« Maya stand auf, schlenderte ans Fenster und blickte hinaus auf die sirianische Szenerie. »Kommandoposten lassen einem keine Zeit für persönliche Beziehungen, Damen. Mitten unter zahllosen Menschen wird unsereins zum inneren Exilanten.« »Mir ist aufgefallen, daß Ben ‘ne Spinne auf seiner Uniform hat.« Maya lachte. »Tja, Sie hatten mich ja gewarnt. Das ist eben Spinnes Weg. Eine Philosophie, die schleichend um
sich greift.« Sie rieb sich gequälter Miene den Nacken. »Und ich habe mich damit einverstanden erklärt, Romananer in meinem Raumschiff zu dulden? Ich muß wirklich um meinen gottverdammten Verstand gekommen sein.« Eine Zeitlang schwiegen sie beide. »Damen ...? Wissen Sie, Sie könnten auch bleiben. Ich könnte Ihre Versetzung beantragen.« Maya wandte sich um; ihr Blick spiegelte Verletzlichkeit wider. »Glauben Sie, wir zwei wären gemeinsam auf einem Schiff zu leben fähig?« fragte Ree leise. »Die letzte Frau, an der ich Interesse hatte, sagte mir, es wäre ihr unmöglich, mich mit der Projektil teilen zu müssen. Nein, schauen Sie mich nicht so an. Käme jemand in Frage, dann Sie. Aber wir sind nun mal, wer wir sind. Men-schenskind, vielleicht verstünden wir uns überhaupt nicht. Wir sind beide dominante Persönlichkeitstypen, nicht wahr?« Er seufzte. »Und ich kann die Projektil einfach nicht aufgeben.« Zärtlich lächelte er, betastete eine schwache Narbe im Fleisch seiner Handfläche. »Mein Blut ist in ihrem Stahl.« Maya trat näher, schaute ihm ins Gesicht. »Wer weiß, was die Zukunft bringt, Damen? Vielleicht läßt’s sich eines Tages doch einrichten.« Eisenauge scherzte mit romananischen Kriegern, als Ree eine halbe Stunde später aus dem Regierungsgebäude wieder zu ihm stieß. Nachdem sie ins Airmobil geklettert waren, trat die romananische Ehrenwache ab, schüchterte die Ansammlung Neugieriger mit bloßen Blicken ein. Ree lenkte das Airmobil in die Höhe. »Damit ist jetzt alles geregelt. Keine Besatzungsaufgaben für die Romananer, nur ein ordentliches Stück vom Kuchen. Zehn Prozent vom Sirius? Nicht schlecht.« Eisenauge spreizte die Hände. »Wir sind zufrieden. Rechnet man die Beute hinzu, ist das ein schönes Ergeb-
nis. Und Maya ist eine gute Bundesgenossin.« Man merkte, daß er eine Frage unausgesprochen ließ. Ree nickte. »Ich ... nun ja, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich glaube, ich fand sie schon immer sympathisch. Es wäre mir arg gewesen, sie damals im Orbit um Welt mit in den Tod reißen zu müssen. Sie hat Verstand.« »Und?« Ree hob eine Schulter; sein Blick bekam einen weicheren Ausdruck. »Ach, ich weiß ‘s eben nicht... Sie hat mich gebeten, zu bleiben. Aber es wäre wohl nicht gutgegangen, wenn wir... Ich denke mir, es ist lediglich so, daß wir uns gut verstehen. Weißt du, wir haben Gemeinsamkeiten. Vielleicht wäre es, wenn ... Ach, was, ich habe mich schon längst, vor Jahren, endgültig festgelegt. Meine Liebe... Naja, sie schwebt oben in der Kreisbahn.« »Wie bald werden wir abfliegen können?« fragte Eisenauge, dessen Blick über die sirianische Hauptstadt schweifte. In der Ferne ragte noch in schiefem Winkel das Heck eines abgestürzten ST empor. Nach und nach verschwanden die Spuren des Krieges; doch schnell ging es nicht. Angla war jetzt noch eine eingeebnete Trümmer wüste. »Die Projektil kann jederzeit fliegen. Die Hiram Lazar... Entschuldigung, Spinnes Favorit auch, sobald du’s willst.« Verwundert sah Ree den Kriegshäuptling an. »Dann soll sie starten. Viele Krieger brennen darauf, zu ihren Familien heimzukehren und vor ihren Clans zu prahlen. Welchen Sinn haben all die Coups, solange man sie niemandem zeigen kann?« »Und du? Möchtest du gleichfalls mit Spinnes Favorit zurückfliegen?« Eisenauge sah ihn belustigt an. »Und Rita verlassen? wofür hältst du mich, für irgendeinen verrückten Romananer? Nein, ich habe in meinem Leben schon zu viele Frauen verloren, die ich liebte, um diesmal etwas als selbstverständlich zu betrachten.« Mit einer Geste un-
terstrich er seine Worte. »Außerdem ist die Projektil genauso ein Schiff Spinnes. Sie ist jetzt mein Zuhause.« »Das zu hören, schmeichelt mir außerordentlich.« Mit einem Lächeln der Befriedigung nickte Ree. »Weißt du, sie ginge nämlich mit dir. Sie liebt Welt so sehr, wie sie dich liebt. Und’s täte mir sehr leid, sie weggehen zu sehen. Ich habe in der letzten Zeit zu viele gute Offiziere verloren.« »Du hast jetzt uns.« Ree landete das Airmobil neben dem gereinigten, wieder blitzblanken ST 22. »Möchtest du mit hinauffliegen? Rita läßt sich ständig von Iverson, Giorj und Glick informieren, um zu gewährleisten, daß ich anschließend erfahre, was für ein Chaos sie in meinem Schiff angerichtet haben.« Er hob die Hände. »Neuerdings verirre ich mich an Bord. In meiner eigenen, über alles geliebten Projektil!« Eisenauge spähte hinüber zu der Warteschlange von Schaulustigen, Handelsvertretern, Agenten, Reklamefachleuten, Promotern und Autogrammsammlern. »Ich habe das Gefühl, ich bin urlaubsreif.« Die romananische Wache bahnte ihnen einen Weg, stapfte stolz durchs Gedränge der Sirianer, die von den Romananern noch immer verachtet wurden, obwohl sie nicht mehr vor ihnen krochen. Ree lehnte sich ins Andruckpolster und lockerte seine Gliedmaßen. Der steife, menschenfeindliche Schnitt der Galauniformen war ihm immer zuwider gewesen. »Wir sind hier so gut wie fertig«, sagte Ree. »Hast du je gedacht, es wäre aus mit uns?« Eisenauge hob eine schwielige Hand. »Es hätte so kommen können. Die Entscheidung lag bei Spinne. Aber ich selbst... Nein, ich nicht.« Seine Augen glitzerten wie bei einem Raubtier. »Ich bin Krieger, Damen. Es ist mir angeboren. Ich kann’s nicht leiden, zu verlieren. Wie oft habe ich dir das schon gesagt?« »Wie dumm von mir. Ihr
Romananer...! Was möchtest du heute abend essen? Wir werden eine kleine Feier einlegen.« »Ich könnte ein anständiges Steak vertragen.« »Ich glaube, ein paar haben wir noch übrig. Die Vorräte sind stark geschrumpft, du weißt ja, wie’s zuging ... So ein verdammter sirianischer Kanonier hat das Proviantlager getroffen. Aber ein, zwei Stück, nehme ich an, lassen sich noch auftreiben.« Der ST dockte fast unmerklich an, und Ree sprach dem Piloten ein Lob aus. Eisenauge betrat einen frisch gestrichenen Korridor und folgte dem Obersten zu einem reparierten Lift. Ree stülpte sein Kontaktron über, checkte per Kommu den Status des Schlachtschiffs. »Rita kommt zu uns in meine Kajüte. Ich spendiere die Getränke. Sie sagt, Giorjs neue Blaster funktionieren erstklassig. Der Fujiki-Verstärker bündelt den Strahl noch stärker und verleiht ihm irgendwie sogar höhere Geschwindigkeit. Irgendeine komplizierte Beeinflussung der Komplementarität macht das möglich. Heiliges Kanonenrohr, die Partikel flitzen doch schon mit Lichtgeschwindigkeit ab, wie können sie eigentlich noch schneller werden?« Ree runzelte die Stirn. »Denk dir mal, da wird mit der Kausalität rumgepfuscht.« Eisenauge zuckte die Achseln. »Bis ich euch Sternenmenschen begegnet bin, war ich immer der Meinung, die Verläßlichkeit meines Gewehrs grenze an Zauberei.« Rita wartete bereits in Rees Kajüte. Ihre Finger strichen über eine der romananischen Büchsen, die zur Dekoration an der Wand hingen. Damen sah, wie Eisenauge den prachtvollen Rotschopf küßte und empfand ein bißchen Neid. Warum ist mir nie aufgefallen, wie attraktiv sie ist, bevor sie eine Schwäche für Romananer entwickelte? Fühlst du dich einsam, Alter? Unten ist Maya. Sie hat dir ein Angebot gemacht. Vielleicht wäre eine Flasche guten Weins, etwas Musik in einer luxuriösen sirianischen
Penthousewohnung jetzt für mich das ... Ach was, für so etwas bin ich zu alt. Es muß die Projektil sein ... oder gar nichts. »Ist alles ohne Haken und Ösen unter Dach und Fach?« fragte Rita, während der Blick ihrer grünen Augen mit Eisenauges Blick verschmolz. »Ja«, begann Ree, »die Romananer erhalten zehn ...« »Subraum-Transduktionsgespräch für Sie, Oberst«, drang es aus der Kommu. »Höchste Priorität.« Ree füllte Scotch in Gläser. »Schalten Sie durch.« Auf dem Holo-Bildschirm erschien Skor Robinsons knollenartiger Riesenschädel. »Meinen Gruß, Oberst.« »Ihr Anruf ist mir wirklich eine große Ehre, Direktor.« Ree verspürte unwillkürlich Anspannung. Offenen Munds starrte Eisenauge in unverhohlener Entgeiste-rung die Bildfläche an. Rita stellte sich neben ihn, als ob sie, diese eisenharte Frau, seines Schutzes bedürfte. »Ich habe Ihre Militäraktion im Siriussystem einer Begutachtung unterzogen. Ich möchte Ihnen persönlich für Ihre ausgezeichneten Leistungen danken. Die von Ihnen angeforderten Hyperkonduktoren sind von mir expediert worden. Sie werden auf dem Planeten Atlantis bereitliegen, wenn Sie dort eintreffen.« »Herzlichen Dank, Direktor.« Ree neigte den Kopf. »Ich weiß Ihre Hilfsbereitschaft sehr zu schätzen.« »Außerdem möchte ich Ihnen zu Ihrer Beförderung zum Admiral gratulieren, Damen Ree.« Robinsons ausdruckslose Augen verengten sich. »Admiral?!« Fast keuchte Ree. »Aber ... aber was ist mit Admiral Kimanijui?« »Der illustre Admiral ist von Ihren Fähigkeiten dermaßen stark beeindruckt, daß er diese Gelegenheit zum Anlaß genommen hat, um in Pension zu gehen, Admiral Ree. Sie haben nunmehr Befehl, den Transfer der Projektil zum Planeten Atlantis sowie dort die Installation der gelieferten Hyperkonduktoren bis zu Ihrer vollen Zufriedenheit
zu überwachen. Danach werden Sie sich an Bord der Blitzkorvette begeben, die gegenwärtig den romananischen Propheten Garcia nach Welt heimbefördert, zu uns nach Arcturus-Stadt fliegen und hier die Oberkommandotätigkeit eines Admirals antreten.« »Vielen Dank, Direktor.« Ree salutierte. »Ich fühle mich sehr geehrt. Ich sehe meiner Ankunft auf Atlantis mit großen Erwartungen entgegen. Wir werden Sirius innerhalb von drei Tagen verlassen. Darf ich annehmen, daß Ihre Planungen diese Frist gestatten?« »Bestens, Admiral. Lassen Sie mich Ihnen nochmals — im Namen der gesamten Menschheit — für den von Ihnen geleisteten Dienst danken. Guten Tag.« Das Ho-lo-Bild verflimmerte. »Das war ein Direktor?« fragte Eisenauge im Flüsterton. »So ... monströs?« Ree holte tief Atem und trank von seinem Scotch. »Admiral...?« »Heiliges Kanonenrohr, Damen«, fragte Rita, sobald sie ihre Betroffenheit überwunden hatte, »was werden Sie nun anfangen?« »Wahrscheinlich eine Stabskonferenz einberufen und einen von Glicks Jungs ‘ne Anzahl Admiralsstandarten basteln lassen.« Er öffnete sich den Kragen und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, während Eisenauge ihn mit glänzenden Augen beobachtete. »Damen!« entfuhr es Rita. »Mann, was sind denn das für Äußerungen?« »Wir wußten doch, daß da noch was nachkommt.« Ree hob die Schultern. »Es wird wieder mal versucht, mir die Projektil wegzunehmen. Die Hyperkonduktoren sind bloß ‘ne Art von Gratifikation.« »Also, ich frage noch einmal«, sagte Rita. »Was wollen Sie tun?«
29 »Lust, liebste Susan...« Ngen Van Chows Stimme durchdrang Susan ganz und gar, brachte ihren Körper zum Beben. »Ich habe gewonnen, mein Engel...!« Vergnügt prustete Van Chow. Susan versuchte fortzulaufen, aber ihre Füße staken fest, irgendeine klebrige Substanz hielt sie zurück. »Laß mich!« schrie sie ihn an, Entsetzen umfing sie ein wie ein Netz, erfüllte sie mit Beklemmung, ihre Seele kreischte. »Aber ich bin die verkörperte Lust, meine Liebste«, raunte Van Chow, als Susans Leib mit Verlangen auf ihn zu reagieren begann. »Warum hast mir... das angetan? Ich hasse ... Lump! Ich hasse ... hasse dich ... Ich hasse mich selbst!« Ihre Stimme steigerte sich zu einem Heulen, das jedem, der es gehört hätte, das Blut in den Adern hätte gerinnen lassen, während Dunkelheit und Wollust sie wie ein Sumpf der Erniedrigung umschlossen. »Ich hasse mich!« schrie sie nochmals, wand sich und zappelte, um sich zu befreien, vor ihren Erinnerungen und dem Körper, der sie verraten hatte, zu fliehen. »Susan!« Durch das Grauen erreichte Giorjs Stimme sie. »Susan! Du bist in Sicherheit. Bitte wach auf! Es ist nur ein Traum!« Sie blinzelte, schauderte zusammen, schlotterte hemmungslos, erschlaffte dann und brach in wildes Schluchzen aus, Zuckungen der Furcht und Erbitterung packten sie. »Na, na ...« Giorj versuchte sie zu beruhigen, streichelte ihr das lange, glänzende Haar. »Es ist alles gut, Susan. Du bist auf der Projektil und in Sicherheit. Er ist nicht da. Du bist bei mir, mitten in diesem riesigen Raumschiff. Es ist vorbei.«
»Er ist immer da ...« Susan schniefte. »Hans habe ich verdrängt... und Freitag. Den Schmerz kann ich vergessen, Giorj. Ich kann auch die Schuld vergessen. Weshalb kann ich nicht verdrängen, was der Schuft mir angetan hat?« Giorjs Finger glätteten ihre zerfurchte Stirn. »Vielleicht könnte dir der Psychingspezialist irgendwie helfen.« »N-Nein«, rief Susan. Ihre Stimme zitterte. Heftig schüttelte sie den Kopf. »Nein ... Niemand darf wissen, was mir zugestoßen ist. Ich ... ich könnt’s nicht ertragen, Giorj. Es ... es wäre mein Tod, wenn jemand davon erführe. Ich muß vollkommen sein. Jawohl, vollkommen. Ich muß stark sein. Niemand darf erfahren, daß er mich ... mich kleingekriegt hat.« »Freitag fragt noch immer nach dir«, erklärte Giorj mit leiser, aber fester Stimme. »Jedesmal wenn ich ihm begegne, verheimlicht er tapfer seinen Kummer. Aber wenn wir uns ‘n Weilchen unterhalten haben, siegt seine Sorge um dich über seinen Stolz, und er fragt wieder nach dir. Susan, er liebt dich.« »Nein!« zischte Susan halblaut. »Das kann nicht sein! Es ist unmöglich. Er braucht jemand anderes als mich.« Sie preßte fest die Augen zu, drückte sich die zittrigen Hände auf die Ohren. Giorj nickte teilnahmsvoll. »Schlaf, Susan. Der Traum wird nicht wiederkehren. Ich versprech’s dir. Ich muß jetzt fort und noch einmal die Temperaturabsorber überprüfen. Die Arbeiten müßten inzwischen nahezu abgeschlossen sein. Gönn dir Ruhe, meine Freundin.« »Laß ... laß mich nicht allein!« »Sei stark, Kriegerin«, ermahnte er sie; seine Besorgnis war ihm deutlich anzumerken. Dann ging er hinaus. Susan stand auf, trat unter die Dusche. Das Wasser war an Bord der Projektil noch rationiert; sie konnte nicht allzu lang unterm warmen Naß stehen. Nachdem sie sich angekleidet hatte, blieb sie vor dem Spiegel stehen, bis sie sich durch und durch gefaßt, ihrem Gemüt Granithärte einge-
flößt hatte, alle ihre Emotionen sorgfältig weggesperrt. Mit gründlich betäubter Seele öffnete sie per Handflächenkontakt die Tür und machte sich auf den Weg zum Sportsaal. Es war für sie zum täglichen Ritual geworden, gegen Trainingsroboter zu Sparren, sie wirbelte nur so umher, sprang vor und zurück, schlug, trat, wich aus, täuschte, setzte sich ein, als hätte sie tatsächlich vor, die Maschine restlos zu zerstören. Mittlerweile beherrschte sie die Nahkampftechniken vollauf professionell, ihr Körper vollzog alle erforderlichen Reaktionen, ohne daß es eines bewußten Gedankens bedurfte. Sie schonte sich beim Strecken, Ducken und Zuschlagen nicht im geringsten. Indem sie einen Hochsprung vollführte, traf sie den Roboter mit einem blitzartigen, fürchterlichen Hieb am Kopf, schmetterte ihn danach mit einem Überwurf derartig wuchtig auf die Matte, daß einem Menschen das Rückgrat gebrochen wäre. »Ich bezweifle, daß ich’s besser gekonnt hätte.« Rita Sarsas Stimme erschreckte Susan. Adrenalin durchschoß ihre Adern, sie schwang sich vom Boden hoch. In geduckter Kampfhaltung, bereit zu jeder Art von Auseinandersetzung, fuhr sie um die eigene Achse, ihr Herz wummerte vor Furcht. Rita stieß sich von der Wand ab, an die sie sich gelehnt hatte. »Du bist wirklich kein Neuling mehr im Nahkampf. Vielleicht solltest du dich demnächst einmal um den Kampfsportpokal bewerben.« »Den hast du doch«, entgegnete Susan und richtete sich mißtrauisch auf. Mit äußerster Konzentration verwandelte sie ihr Gesicht in eine Maske. »Es ist ‘n Wanderpokal.« Rita hob die Schultern. »Natürlich müßtest du ihn mir erst abnehmen.« Susan bewahrte ihre äußerliche Ruhe. Sie nickte und wollte sich zu den Duschen entfernen.
Sarsa vertrat ihr den Weg. »Weißt du, wir landen morgen.« Susan nickte ein zweites Mal, ihr Herz begann zu rasen, ihre Furcht, durchschaut zu werden, wuchs. Rita sah ihr festen Blicks in die Augen. »Eins muß ich dir lassen, du bist echt toll darin, Freitag aus ‘m Weg zu gehen. Du bist in ‘ner Menge Sachen echt toll... Außer darin, mit dir selbst zurechtzukommen.« »Entschuldigung, Majorin, laß mich durch.« Susan zwang, während ihre Furcht sich weiter steigerte, ihre Stimme zur Ruhe. »Schiß davor, Schwäche zu zeigen, Susan?« fragte Rita mit merklichem Befremden. »Was glaubst du eigentlich, wie lange du das durchhalten kannst, bevor du zusammenklappst?« Susan verkniff sich eine Erwiderung. Ihre Kiefermuskeln krampften sich zusammen, bis die Zähne knirschten. »Ich habe die Holos gesehen, die Van Chow aufgenommen hat.« Ritas Stimme klang mühsam beherrscht. »Ich weiß, was du durchgemacht hast. Ich weiß, wie dicht du davor stehst, zusammenzubrechen und dich nie wieder zu erholen.« »Es geht mir gut«, stieß Susan hervor, zwang ihr Gesicht zu einem matten Lächeln. Sarsa weiß Bescheid! Ihr wurde heiß. Wer noch? Freitag? Eisenauge? Die Krieger? Hinter den Mauern in ihrem Bewußtsein schäumte die Furcht immer höher. Schweiß strömte ihr übers Gesicht. »Sicher.« Rita nickte. »Und sobald du mich davon überzeugt hast, daß du nicht dabei bist, dich selbst völlig aufzureiben, werde ich’s dir gerne glauben.« »Ich nehme an, die Holos sind jetzt Bestandteil meiner Personalakte?« fragte Susan mit gedämpfter Stimme. »Das ist gut. Irgendwann werde ich sie mir mal anschauen. Van Chow war stellenweise recht amüsant, meinst du nicht?«
Vorsicht. Selbstbeherrschung. Denke genau nach. Behalte alles in der Gewalt. Du darfst jetzt nicht weich werden. Ritas grüne Augen waren eisig geworden; langsam schüttelte sie den Kopf. »Nein, Susan, er war nicht amüsant. Ich habe die Aufnahmen vernichtet. Wahrscheinlich ist die falsche Taste gedrückt worden ... Bloß ‘n Mißgeschick, verstehst du?« »Wie schade.« Susan hielt die Fassade aufrecht, festigte sie mit mentalen Nieten. »Ich dachte, vielleicht hätten die Psychingexperten sie gerne für ihre Perversitätensammlung gehabt.« »Susan ...« In Ritas Stimme klang nun eine gewisse Drohung an. »Ab sofort bist du als nur beschränkt dienstfähig eingestuft. Der Zutritt zu Sicherheitsbereichen ist dir verboten. Deine Bewegungsfreiheit ist auf die Speise- und Freizeiteinrichtungen des Raumschiffs eingeschränkt.« Innerlich durchtobte Susan Geheul. »Findest du nicht, daß du übertreibst?« fragte sie, wölbte andeutungsweise die Brauen. Mit eisernem Willen ballte sie die Hände zu Fäusten und unterband das Zittern ihrer Glieder. Rita musterte sie kühl. »Weißt du, ich habe im Leben schon allerhand gesehen, Susan. Ich erkenn’s, wenn jemand sich im kompletten emotionalen Zusammenbruch befindet. Ich habe dir doch von meinem früheren Ehemann erzählt. Bei ihm war’s das gleiche, man konnte ihm ansehen, wie er sich unbedingt zusammenzunehmen bemühte. Es klappte immer nur behelfsmäßig, genau wie bei dir. Geschafft hat er’s letzten Endes nicht. Du bist noch nicht völlig am Ende. Du hast noch den Kern deiner Identität. Nach wie vor hast du Antrieb, du hältst dich mit Stückwerk aus Hoffnung zusammen, das du da und dort mit Mut übertünchst. Aber irgendwann in nächster Zeit wird die Tünche rissig werden, und dein Untergang nimmt seinen Lauf. Wenn du nicht zuläßt, daß ich dir helfe, will ich dich nirgends haben, wo du
dann irgendwem außer dir selbst Schaden zufügen kannst.« Sarsa sprach in freundlicherem Tonfall weiter. »Hör mal, wenn du zu mir kommen und reden möchtest, weißt du ja, wo du mich findest. Ich werde keine Fragen stellen, dich unter keinerlei Druck setzen. Du erzählst mir einfach, was dich beschäftigt, und ich hör dir zu.« »Also gut, Majorin.« Susan lächelte schief. »Die Dienstfähigkeitsbeschränkung soll mir recht sein, ich kann ‘ne Verschnaufpause gebrauchen.« Sie salutierte und strebte zu den Duschen. Ritas düsterer Blick folgte ihr. In der Dusche sackte Susan nieder, von der inneren Anstrengung, zu der sie sich gezwungen hatte, bebten ihr die Hände. Fast winselte sie vor sich hin, während sie sich hochstemmte, straffte, ihren erhitzten Körper mit kaltem Wasser abbrauste, bis sie haltlos schlotterte. Sie ließ eisiges Wasser über ihren Leib rieseln, obwohl ihr Fleisch erbärmlich fror, lenkte sich damit ab, bis es ihr gelungen war, ihren gefährdeten Verstand noch einmal zu flicken. Das war knapp gewesen. Die schon ausgebeulten Wände in ihrem Geist hatten unter dem Gewicht, das an ihnen lehnte, nachzugeben gedroht: Der Trauer um Hans, den Schuldgefühlen wegen der Weise, wie sie Freitag behandelte, ihrem Abscheu vor sich selbst und ihrer Erniedrigung. Die Erinnerungen wollten sie zu einem Menschenwrack zermalmen. Wieviel konnte sie noch ertragen? Soviel ich muß, belog sie sich.
*
*
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Der helle Sonnenschein Welts schmückte das Land mit zartgoldenen Farbtönen. Die spätsommerliche Vegetation hatte sich von Lind- in Gelbgrün zu verfärben begonnen
und kündete so den Herbst an. Zusammengesunken kauerte Rita in der Beobachtungskuppel, während ST 22 durch die wenigen, dünnen Wolken, die flockig den Himmel sprenkelten, zur planetaren Oberfläche hinabschwebte. Das graue Wrack der Nikolai Romanan begann sich als dunkler Fleck in der Landschaft abzuzeichnen, umgeben von den schmutzbraunen, mit Leder gedeckten Hütten der Spinnenvolk-Siedelei. Rita warf den Romananern, die sehnsüchtig auf die Landung warteten, einen Blick zu; ihre Augen spiegelten offen ihre Empfindungen und Gedanken wider. Manche wirkten erleichtert. Ein Krieger tupfte sich beim Anblick seiner Heimatwelt Nässe aus den Augen. Andere verglichen in lebhaftem Gespräch die viele Quadratkilometer großen Megalopolen Sirius’ mit der unten sichtbaren Ansammlung primitiver Behausungen. Was mochten sie nun von den Trampelpfaden halten, den Schanzen aufgeworfener, schwärzlich-dunkler Erde, den Abfällen, die man den Grünen Schnittern als Futter in die >Straßen< kippte? Wie würden ihnen die Talgkerzen vorkommen, die ledernen Wasserschläuche mit den Trinkschnäbeln aus Horn, die Gruben mit den Feuerstellen fürs Kochen? Haben wir den Romananern eine Gefälligkeit erwiesen, als wir sie zu den Sternen mitnahmen ? Wo jetzt noch an den Lehmpfaden, die sie als Wege und Straßen erachteten, Kühe grasten, würden bald Airmobile parken. Zu Füßen der Bärenberge bemerkte Rita flüchtig eines der Geschöpfe, denen die Berge ihren Namen verdankten, einen riesigen, doppelschwänzigen, einem Drachen ähnlichen romananischen Bären, ein gewaltiges Raubtier, das seine Beute mit Saugtellern packte und dessen Erlegen häufig Romananern, die ungeduldig-eifrig ihre Männlichkeit und Ehre zu beweisen beabsichtigten, als Initiationsritual diente. Ein Mädchen des Spinnenvolks war fortgelaufen und
Spinnes gefürchtetste Kriegerin geworden. Andere Frauen würden es ebenso wie Susan machen wollen. Gleichzeitig sollten Sirianerinnen den romananischen Clans eingegliedert, auf einer Welt zwangsangesiedelt werden, auf der sie nicht geboren waren; das Scheitern vieler ließ sich voraussehen, doch ihre Ideen würden Welts Kultur durchdringen. Ein Sturm war entfesselt worden, erkannte Rita. Nicht nur das Sturmgewitter, in dessen Verlauf romana-nische Barbaren die Sirianer unter ihre eiserne Ferse gezwungen hatten; die Heimkehr eines völlig anderen Typs von romananischem Krieger mußte auf Welt vergleichbar dramatische Konsequenzen haben. Veränderungen würden Welt nicht weniger gewaltsam umkrempeln — wie ein Wirbelwind —, als sie Sirius heimgesucht hatten. Und möglicherweise erwiesen nur die Propheten sich als dazu fähig, ihn zu bändigen. Der Untergrund schien den Ankömmlingen entge-genzuschwellen. Der Pilot landete ST 22 und schaltete die Systeme ab. Romananer begannen die Maschinen zu umschwärmen, während weitere ST sich auf den Platz in der Nähe des Wracks der Nikolai Romanan herabsenkten. Sobald die Rampen fielen, stürmten die Krieger hinaus, heulten und johlten, ballerten mit ihren lange vernachlässigten Gewehren an den Himmel, schwangen Fäuste voller Coups über den Köpfen. Das Volk begrüßte sie in wahrer Hingerissenheit mit wüstem Geschrei und Jubel. Irgendwo setzte der dumpfe Klang einer Trommel ein und dröhnte durch die Menschenmasse, während Krieger ihre Triumph- und Siegeslieder sangen. Rita stieg hinab zur Luke und ging hinaus. »Rotschopf Viele Coups!« hörte sie Gebrüll. Eisenauge trug man schon auf Schultern durchs Gewühl, Ungläubigkeit und Heiterkeit strahlten ihm aus der Miene. Fröhliche Jugendliche hoben auch Rita hoch und trugen sie mit sich.
Über das Gewimmel der vielen Menschen hinweg sah sie Susan Smith Andojar die Rampe herabkommen. Man begrüßte sie weniger enthusiastisch, bis jemand bemerkte, daß ihr selbstgenähtes Kleidungsstück vollständig bedeckt war mit Menschenhaar. »Ein Coup-Mantel!« schrie jemand, und junge Männer luden Susan lauthals jauchzend auf ihre Schultern. So und ähnlich ging es den ganzen Morgen und bis lang in den Abend hinein zu. Über Feuergruben brieten und brutzelten Ochsen an Spießen. Whiskey gurgelte literweise durch die Kehlen. Die Bevölkerung bestaunte mit »Ah!« und »Oh!« verwirrte Sirianerinnen sowie die jungen Männer, die Romananer dazu überredet hatten, sie mitzunehmen und zu Kriegern zu machen, und die jetzt mit aufgerissenen Augen die Szenen anstarrten. Airmobile, Kommunikatoren und Generatoren, alle möglichen sirianischen Gebrauchs- und Luxusgüter breitete man vor den bestürzten Romananern aus, die die Wunder Sirius’ zu begreifen versuchten, von denen heimgekehrte Krieger ihnen mit leuchtenden Augen erzählten. Greise und Greisinnen schüttelten skeptisch den Kopf, machten schmale Lider, wenn sie Geschichten über himmelhohe Häuser hörten, über Städte, die sich weiter erstreckten, als man zu sehen vermochte. Allerdings konnte auch die tragische Seite der Heimkehr nicht ignoriert werden. Etwas krampfte sich in Rita zusammen, wenn sie sah, wie sich junge Frauen, Dek-ken über die Köpfe gebreitet, zur Seite schlichen. Ununterbrochen machten Hinterbliebene sich mit Pferd oder Wagen zu den Bergen auf, um dort zu Spinne zu beten. Viele würden sich ein Fingerglied abschneiden und es unter einem Steinhügel begraben — und damit ihre Trauer um den verlorenen Toten. Statt der traditionellen Aufbahrung der Leichen stellte man diesmal auf dem dafür bestimmten Holzgerüst in Stellvertretung der Gefallenen persönliche Erinne-
rungsgegenstände aus ihrem Besitz aus. Die Hälfte der Krieger, die Welt verlassen hatten, sollte niemals wiederkehren. Nicht ihre Leichname, nur die privaten Habseligkeiten der Toten lagen auf dem Gerüst. Die Vielzahl der Exponate bot einen erschreckenden Anblick. Auf Ritas Vorschlag schickte Ree eine Anzahl Gegenstände herunter, die die gefallenen Männer und Frauen der Patrouille jeweils persönlich repräsentierten. Eigenhändig legte Rita Hans’ Galauniform auf das Totengerüst. Sie sattelte ihren Wallach, da sah Montaldo sie, der Direktoratsplanetologe. »Machen Sie ‘n Ausflug?« »Nein, ich fühle mich bloß von allem etwas überfordert. Ich muß ganz einfach fortreiten, um in Ruhe zu beten und nachzudenken. Bis jetzt hat mir die Zeit zu Betrachtungen gefehlt. Mir ist es wichtig, daß mir klar wird, was eigentlich passiert ist, und warum. Eisenauge ist schon auf seiner Rappenstute in die Wildnis geritten. Ich glaube, er möchte eine Zeitlang allein im Lager Ges-sali zubringen. Ich will erst einmal zum Nabel-Lager reiten und dort mit den Geistern sprechen, und anschließend werde ich mir ‘ne hochgelegene Stelle suchen und meinen Frieden mit Spinne machen.« »Wir haben die erforderlichen Firmen für den Toronabbau gegründet.« Montaldo verzog das Gesicht. »Bisher habe ich bloß ‘n paar junge Männer gefunden, die sich für den Bergbau interessieren. Der Rest ist auswärtiger Herkunft. Alles ändert sich, und ich kriege von den Romananern keine Unterstützung.« »Sie werden weitere Hilfe erhalten.« Rita legte dem rotbraunen Wallach die Satteltaschen über und hielt still, bis das Pferd zu schnauben aufhörte, ehe sie den Packgurt festschnallte. »Die Sirianer können’s kaum erwarten, wirtschaftlich wieder hochzukommen, um die Möglichkeit zu haben, Welt als Touristen zu besuchen.« »Ich dachte, Tourismus wäre hier nicht gefragt.«
»Man kann nicht auf einem Berggipfel Welts beten, wenn man ihn bloß in Ekrania als Holo sieht.« Rita hob die Schultern. »Die Sirianer möchten ‘n eigenen Propheten haben, aber noch eiliger wollen sie als Pilger herreisen.« »Das ist ja besorgniserregend. Ich wünschte, Dr. Do-bra wäre da. Sie wüßte bestimmt, wie man dagegen vorbeugt, daß solche Entwicklungstendenzen Überhand bekommen.« Er schüttelte den Kopf. »Ja, ich vermisse sie auch.« Versonnen lächelte Rita. »Es wird wohl so gewesen sein, daß Spinne sie nicht mehr dabei haben wollte. Also hat er sie zu sich gerufen. Sie mußte wohl gelernt haben, was sie zu lernen hatte.« Sie schwieg einen Moment lang, blinzelte Montaldo zu. »Was meinen Sie, was uns Übriggebliebenen wohl noch zu lernen bleibt?« »Ich vermute, wir werden’s demnächst merken. Es liegt alles in Spinnes Hand. Das versichern uns jedenfalls die Propheten.« Montaldo erweckte den Eindruck, mit außerordentlich tiefsinnigen Gedanken beschäftigt zu sein. »Spinne? Sind Sie inzwischen auch bekehrt, Montaldo?« Rita schwang sich in den Sattel. »Wir sollten uns mal zusammensetzen, wenn ich zurück bin. Es brechen schwierige Zeiten an. Ree befaßt sich mit der Beschaffung von Hyperkonduktoren. Die Projektil wird sich von der Patrouille lossagen und für unabhängig erklären, sobald der Druck seitens des Direktorats zu stark wird. Ich dachte, ‘ne Vorwarnung dürfte Ihnen angenehm sein.« »Guter Gott«, rief Montaldo. »Und wenn man uns die Patrouille auf den Hals schickt?« »Und wenn schon?« Er grinste und nickte. »Genießen Sie den Ausritt, Majorin.« Er senkte die Lautstärke seiner Stimme. »Grüßen Sie Philip von mir.« Rita nickte ernst, winkte ihm zu, ehe sie in den
Abend davonritt; Gewehr und Blaster hingen an ihrem Sattel. Szchinzki Montaldo sah der Reiterin nach, bis sie das Pferd zum Handgalopp antrieb, lehnte sich dann an einen Dachpfosten. »Tja«, murmelte er vor sich hin, »dadurch werde ich wohl zum neuen Aufbau- und Wirtschaftsminister befördert. Mir wär’s allerdings lieber, diese Leute hätten gelernt, eins nach dem andern zu machen.« Er lächelte schief und schüttelte den Kopf. * * * Admiral Damen Ree öffnete die Tür und blickte unversehens in Chesters gutgelaunte Miene. Der Prophet verbeugte sich und trat unaufgefordert ein. Die Kommu erklärte, Chester hätte sich vor einem ST eingefunden und darum gebeten, zur Projektil geflogen zu werden. In würdiger Haltung wäre er am Wachpersonal vorbeistolziert und geradewegs zu Rees Kajüte gegangen. »Chester?« stammelte Ree. »Wa ... was tust denn du hier?« »Ich beobachte.« Chester deutete auf den KommuApparat. Admiral Ree sah einen nach dem anderen, als der Bildschirm sich teilte, in holografischer Wiedergabe die Direktoren erscheinen. Ree schüttelte den Kopf, salutierte, betrachtete voller Unbehagen die drei überproportional großen Köpfe, blickte ins Schimmern der viel zu kleinen Augen. »Meinen Gruß, Admiral.« Robinson nickte ihm zu. »Ich gehe davon aus, daß die Hyperkonduktoren zu Ihrer Zufriedenheit gewesen sind.« »Das waren sie, Direktor«, antwortete Ree mit Zurückhaltung. Er schaute kurz hinüber zu Chester, der ihm zum Zeichen der Ermutigung zunickte. »Weshalb sind Sie noch nicht an Bord der Blitzkorvette
nach Arcturus gegangen? Haben sich neue Schwierigkeiten ergeben?« Robinsons Stimme betonte die Fragen kaum. Ree verneinte mit einem gemessenen Kopf schütteln. Der Zeitpunkt zum Flaggezeigen war da. »Sie können jetzt, meine Herren Direktoren, auf Ihren Monitoren die Unabhängigkeitserklärung von Offizieren und Crew der Projektil zur Kenntnis nehmen. Ich hoffe, Sie ersehen aus dem Dokument das Erfordernis, Admiral Kimanijui in seiner Position zu belassen.« »Sind Sie auch zum Rebellen geworden?« fragte Robinson betroffen, sein Gesicht zuckte. »Keineswegs, Direktor.« Ree schüttelte erneut nachdrücklich den Kopf. »Nach wie vor unterstützen wir das Direktorat, und die Projektil wird weiterhin ihren Patrouillendienst zwischen den Planeten und Stationen ausüben, die auf ihren Rückhalt und ihre Hilfe angewiesen sind. Im Fall künftiger derartiger Erhebungen, wie eine auf dem Sirius stattgefunden hat, werden wir — und ebenso die Romananer — gegen angemessene Vergütung wieder für Militäraktionen zur Verfügung stehen. Wir nehmen auch in Zukunft von Ihnen Befehle entgegen, allerdings innerhalb bestimmter Grenzen. Wenn Sie unseren Einsatz wünschen, müssen wir die Gewißheit haben, daß Ihre Forderungen sich mit den Bedürfnissen der Direktoratsbevölkerung decken. Wir haben geschworen, Gesetz und Ordnung zu schützen und aufrechtzuerhalten. Aber wir verstehen uns darüber hinaus als Friedenswächter.« »Und woher wollen Sie Ersatzpersonal und Ersatzteile für Ihr Raumschiff beziehen?« fragte Samri Nawtow. »Von den Welten, denen wir mit unseren Diensten von Nutzen sind. Wir werden Leute an die Universität schikken, so wie es bei der Patrouille immer üblich war, und im Laufe der Zeit können Romananer unseren Personalbestand auffüllen.«
»Und wenn wir Ihre Unabhängigkeitserklärung nicht akzeptieren?« fragte An Roque; seine ohnehin schwache Stimme klang fast piepsig. »Dann akzeptieren Sie sie eben nicht.« Ree hob die Schultern. »Ich bezweifle, daß Sie sich mit Gewalt gegen uns durchzusetzen imstande sind. Erstens haben wir die Leistung der sirianischen Blaster erheblich verbessert. Unsere Schutzschirme sind stärker als alles, was die Patrouille aufzubieten hat. Und zweitens würden wir, was wohl auch nicht zu verachten wäre, die Romananer nach Arcturus schicken, sollten wir irgendwelche feindseligen Handlungen gegen einen unserer Planeten bemerken. Nehmen Sie unsere Unabhängigkeit mit Würde hin, meine Herren Direktoren. Es ist vorteilhafter, wir arbeiten zusammen als gegeneinander.« Ein langes Schweigen entstand, während die Direktoren unter sich kommunizierten. »Wir werden so verfahren, Admiral«, lautete schließlich die Antwort. »Was treibt der Prophet bei Ihnen?« »Ich bin hier, um zu sehen, ob meine Lehren eine Wirkung zeigen«, gab Chester unbekümmert Auskunft. »Ich freue mich, zu erleben, daß es so ist.« »Danke, Prophet.« Skor Robinsons Stimme zeugte nicht gerade von Begeisterung. Chester nickte. »Wir erkennen Ihre Unabhängigkeit an, Admiral. Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie irgend etwas benötigen, das Ihnen das Direktorat liefern kann.« Robinsons Tonfall erweckte den Eindruck, als herrschte im Direktorat die schönste Harmonie. »Und verständigen Sie uns, wenn Sie uns brauchen.« Ree machte eine elegante Verbeugung. Die Holos erloschen. Ree schöpfte tief Atem und ließ sich in einen Sessel plumpsen. »Ich hätte nicht gedacht, daß sie so schnell ner-
vös werden. Sie müssen unseretwegen wirklich große Sorgen gehabt haben.« Chester nickte. »Sie waren schon seit geraumer Zeit beunruhigt. Direktor Skor Robinson hat sogar für diese Eventualität vorausgeplant. Ich glaube, er ist jetzt ein besserer Direktor. Auch die Assistenz-Direktoren werden dazulernen. Er hat viel über sich selbst herausgefunden.« Mit sachlicher Miene besah Ree sich seine Hände. »Ich hatte nicht erwartet, daß sie so bald nachgeben.« »Ihr habt die Fujiki-Blaster und Bruderschaftstechnik. Wie hätten sie eine Weigerung riskieren können?« Chester schwieg kurz. »Hättest du dich geweigert, Oberst?« Ree grinste über den bedächtigen, gleichzeitig bündigen Ton, in dem Chester sprach. »Und was ist mit dir, Chester? Wie hast du dir die Zeit vertrieben?« »Ich hatte in Arcturus-Stadt einen herrlichen Aufenthalt.« Aus Chesters braunen Augen leuchtete Erregung. »Ich habe Bücher kennengelernt, Literatur, und Kunst und Musik. Meine Zeit dort ist wirklich wundervoll gewesen.« »Gefühle, Chester? Ist so was gut für einen Propheten?« Ree schenkte exzellenten sirianischen Scotch, den sie erbeutet hatten, in zwei Gläser. Chester neigte den Kopf zur Seite. »Natürlich Gefühle, Admiral. Du mußt beachten, daß die Seele eines Propheten sich von der Seele eines normalen Menschen nicht unterscheidet. Auch ich habe das Verlangen, all das zu lernen und zu verstehen, was über das hinausgeht, das Spinne mir schon in meinen Visionen gezeigt hat. Jede Seele ist wie ein Schwamm, sie muß aufsaugen, was sich ihr bietet. Wie ich festgestellt habe, verdrängt Literatur die Seele, verwandelt sie für eine kurze Weile in etwas anderes. Musik dagegen ergreift und besänftigt sie. Kunst ist Ausdruck von Emotion. Alles wird darin zu abgewandelten Gefügen von Realität, denen Spinne, davon bin ich überzeugt, schon seit langer, langer Zeit seine Aufmerksamkeit schenkt.«
»Ich habe dich vermißt, Chester«, gestand Ree, den die Aufrichtigkeit des Romananers rührte. »Und du hast viel gelernt, Damen«, lobte Chester ihn. »Aber ich bin gekommen, um mit dir über eine andere Angelegenheit zu reden. Es gibt da einen jungen Mann, der dich demnächst aufsuchen wird. Noch verstören ihn die Visionen, die er hat, und er sträubt sich gegen die Zukunft. Selbstverständlich wird er diesen inneren Zwiespalt überwinden, geradeso wie ich. Er wird um einen Flug zum Sirius bitten. Kannst du ihm ihn ermöglichen?« Admiral Damen Ree nickte. »Ich glaube ja. Wie soll ich ihn erkennen, wenn er ...?« »Komm, Damen, denkst du wirklich, das wird ein Problem sein?« Ree lachte, hob seinen Scotch und prostete Chester zu. * * * Trotzig stand Susan neben der ausgestreckten Gestalt. Sie hielt den blutigen Kriegsdolch fest gepackt, wandte sich um, musterte die Ältesten. Zwei Patrouillensanitäter kamen angerannt und hoben den Verletzten auf. Sie liefen zu einem Airmobil, ohne die Rufe der Umstehenden zu beachten, und transportierten den in Lebensgefahr befindlichen Mann zum nächsten ST. »Warum tun sie das?« erkundigte sich aus dem Kreis düsterer Gesichter einer der Greise. »Um sein Leben zu retten«, hörte Susan sich wie im Traum antworten. »Aber es war eine Messerfehde«, rief ein anderer Ältester. »Rabe Andojar Garcias Tod wäre eine Verschwendung ausgezeichneter Kampfkraft«, entgegnete Susan in ausdruckslosem Ton. »Er ist ein besserer Krieger als früher. Gibt es weitere Herausforderungen, Männer des AndojarClans? Ich habe Ramon Luis Andojar getötet, nachdem er
vorher auf mich geschossen hatte. Mir blieb keine Wahl. Ich habe getan, was ich tun mußte.« Sie wirbelte Rabes frisch abgeschnittenen Coup überm Kopf durch die Luft, um das Blut wegzuschleudern. Sie hatte ihm keine Chance gelassen. »Es gibt keine Herausforderungen mehr«, sagte ein Ältester halblaut, indem er den Kopf schüttelte. »Du hast ehrenvoll gehandelt... Weib.« Bestürzung und Betroffenheit kennzeichnete ringsum spürbar die Stimmung, weil eine Frau eine Messerfehde gewonnen hatte. Und nicht nur diese, bei der ein Angehöriger des Andojar-Clans unterlegen war, sondern auch Messerfehden gegen Mitglieder des Smith- und des Garcia-Clans. Diese drei Coups, die nun an Susans Gürtel hingen, hatten ihre Bedeutung. Auf Eisenauges Anweisung waren bei jedem Duell Patrouillensoldaten und -Sanitäter zugegen gewesen, um die Verwundeten schleunigst zu Med-Einheiten zu befördern, damit versucht werden konnte, ihnen das Leben zu retten. Neues durchdrang die alten Bräuche. Irgendwo zwischen den scharfsinnigen Denkfunktionen ihres Verstands empfand Susan ein verschwommenes Verlustge-fühl. Die Med-Einheiten sorgten dafür, daß die Wunden der Verletzten heilten, ihnen sogar auf dem Schädel Haar nachwuchs. Natürlich hätte sie sie sofort umbringen können, jeder vom Sirius heimgekehrte Krieger wußte heute genau, wie man Stichverletzungen zufügte, die auch MedEinheiten nicht beheben konnten. Doch dergleichen war für sie nicht mehr wichtig. Ihr war überhaupt nichts mehr wichtig. Nachdem sie den Coup am Gürtel befestigt hatte, nickte sie den Ältesten knapp zu. Jenseits des Helligkeitsscheins der Lagerfeuer gleißte der Nachthimmel in wunderschöner Sternenpracht. Dort oben schwebte in ihrer Kreisbahn die Projektil, reflektierte das Licht der romananischen Sonne: Susans Schlachtschiff, die Verkörperung ihrer Zukunft. Ihr
galt es sich wieder zu widmen. Susan mußte Furcht und Schmerz in die Abgründe ihrer Seele zurückdrängen. Es kam darauf an, daß sie sich selbst bezwang. Wenn ihr das nicht gelang, ließ Rita sie nicht zurück an Bord. Am schlimmsten war, daß sie niemanden hatte, in dessen Armen sie nachts hätte schlafen können. Obwohl Giorj sich mittlerweile mit dem Propheten Chester unterhalten hatte, befaßte er sich dermaßen intensiv mit der Montage der Blastergeschütze und SchutzschirmGeneratoren in der Projektil, daß er keinen Fuß aus dem Raumschiff setzte. Susan unterdrückte ein Schluchzen. Und sie konnte nicht zu ihm hinauf. Die Mauern in ihrem Bewußtsein bebten und wankten. Voller zorniger Entschlossenheit stemmte sie sich dagegen, versuchte alles, was dahinter brodelte, zu ersticken. In den Nächten suchten lüsterne Träume von Ngen Van Chow sie heim. Doch jetzt war Giorj nicht da, wenn sie erwachte, um sie in den Armen zu halten, ihr zuzuhören. Sie war allein, mörderisch einsam, und die Schatten krochen ihr immer näher. Selbst bei hellem Tageslicht schien Van Chows Stimme mitten aus der Luft auf sie einzuraunen, einzusäu-seln, ihr zu schmeicheln, sie zu umgurren. Dann schauderte es ihr, und sie griff unwillkürlich nach dem Dolch an ihrem Gürtel. Rita hatte sie auf die Planetenoberfläche verbannt. Auf den Boden! Aber ... aber angenommen, sie tötete Rita im Messerfehden-Zweikampf? Könnte sie dann an Bord der Projektil zurückkehren? Doch anschließend müßte sie auch Eisenauge töten. Wer wäre danach dazu imstande, sie von ihrem geliebten Schlachtschiff fernzuhalten? Ree? Bestand die Möglichkeit, auch dem Admi-ral die Messerfehde zu erklären? Nähme er an? Brachte sie sie alle um, wer stünde ihr zuletzt noch im Weg? Im Nahkampf, besonders im Messerkampf, war sie gut, vielleicht am besten auf dem ganzen Schiff. Niemand
konnte es mit ihr aufnehmen. Ihre geistigen Wälle knarrten und knirschten; ihr war, als hörte sie hinter ihnen lautes Gezischel von Stimmen. Wäre es durchführbar, sie alle zu töten, bevor die Dämme brachen? Verdammte Rita! An dem Tag im Sportsaal hätte die Majorin ihr beinahe den Rest gegeben. Wenig hatte gefehlt; sie hatte unmittelbar vor einem Desaster gestanden. Susan weinte leise vor sich hin, während sie durch die Nacht stapfte. Erst war sie von ihrem Körper an Van Chow verraten worden; nun drohte ihre Seele sich vor Rita zu entblößen. In dieser Nacht schlief sie in dem Corral, in dessen Heu sie sich vor so langem vor Ramon versteckt gehabt hatte. Damals wie jetzt ging es um ihr Überleben. Die ganze Nacht hindurch marterten Träume sie, die an den Mauern in ihrem Geist rüttelten und rissen, so daß sie ohne den verbissenen Widerstand, mit dem sie ihre Erinnerungen abkapselte, die Trauer und die Furcht, wohl eingestürzt wären. * * * Als sie sich am nächsten Morgen aus ihrem Traum freikämpfte, Van Chows samtig-weicher Stimme entfloh, saß jemand neben ihr, sie schrak panisch zurück, richtete die Messerspitze auf den Fremden, um ihn sich vom Leib zu halten. Daß er sich ihr so hatte nähern können, verursachte ihr ein Beben des Entsetzens. »Wer ... wer bist du?« fauchte sie furchtsam. Es war ein Mann! Ein Mensch, von dem Gefahr ausging, der sie vielleicht anfaßte, sie demütigte. Ein Mann, der versuchen könnte — geradeso wie alle anderen —, sie in den Dreck zu treten. »Wer ich bin, ist unwichtig, Susan Smith Andojar. Aber wer bist du?« Seine Stimme hatte einen freundlichen, beruhigenden Klang. »Bist du gekommen, um mir Messerfehde zu schwö-
ren?« Susan fuhr hoch, ihn anzuspringen bereit. »Bist du hier, um mir meinen Weg zu versperren ... mich von meinem Schlachtschiff fernzuhalten?« Vor Furcht stierten ihre Augen glasig, sie rang um Beherrschung, aber ihre Hand begann heftig zu zittern. Vor ihr klaffte und lockte der Abgrund. »Ich bin gekommen, um dich zu deinem Raumschiff zurückzubringen.« Er war ein junger Mann, etwa um die dreißig, sah auf seine Weise gut aus. In seinen Augen glomm eine feinsinnige, kluge Herzlichkeit, wie Susan sie noch nie bei jemandem bemerkt hatte. Giorj? Konnte er ein Freund Giorjs sein? »Wer... wer hat dich hergeschickt?« »Du selbst hast mich zu Hilfe gerufen, um zu deinem Raumschiff zurückkehren zu können.« Der Mann lächelte. »Ich kenne ein Vorgehen, das leichter ist als das Töten so vieler Freunde, die dich lieben. Die Wahl liegt bei dir. Ich kann dir deine Entscheidung nicht vorschreiben. Ich kann dir nur die Optionen aufzeigen. Letzten Endes läuft alles aufs gleiche hinaus. Möchtest du etwas über dich selbst erfahren?« »Ich weiß genug über mich«, fauchte Susan, spürte in ihrem Hirn, wie die Deiche erbebten. »Ich brauche... Ich muß mein Schlachtschiff haben ...!« »Wer bist du?« wiederholte der Mann seine Frage. »Möchtest du’s wissen?« »Willst du sterben?« schrie sie ihn an, fühlte sich in die Enge gedrängt, empfand seine Gutwilligkeit als Drangsal. Ruckartig setzte sie die Messerspitze dicht an seinen Leib. »Wenn du mich nicht in Ruhe läßt, bring ich dich um!« Heiser erstickte ihre Stimme. Der Mann öffnete sein Hemd. »Hier, tu’s nur, wenn du glaubst, daß es dir hilft.« Er deutete auf die blasse Haut seiner Kehle. »Du bist verrückt!«
»Du bist dabei, deine Seele abzutöten, Susan, und dich selbst aufzugeben.« »Nein!« kreischte sie ihm ins Gesicht. »Ich bin stark. Sieh mich an! Sieh meine Coups! Ich bin stark, stark! Ich könnte dich jetzt töten. Laß mich in Ruhe, zwing mich nicht, dich umzubringen!« Die Mauern wackelten, Susans Widerstandswille drohte zu erlahmen. Ihr Bewußtsein lehnte sich mit aller Kraft gegen die Wände, stopfte die Breschen mit dem Flickwerk des Leugnens. Ein Erinnerungsbild von Hans begann vor ihr zu entstehen, doch sie wies es zurück, weil sie wußte, er würde sich in Van Chow verwandeln. Durch die trüben Ödzonen ihrer Erinnerungen hallten Echos von Freitags Stimme nach, aber sie hörte nicht hin, sie wußte, sie würde wie zum Hohn zum Gesäusel Van Chows. Es war Ngen Van Chow, der ihr Inneres vollständig ausfüllte, beherrschte, immer war es seine Stimme, die ölig durch Spalten und Risse der Mauern sickerte. »Ich kann dich nicht zwingen, mich zu töten«, widersprach der Mann leise. »Magst du mich zu jemandem begleiten, der dir dein Raumschiff wiedergeben wird? Sie möchte dich sprechen. Sie will dich nach deinem Schiff fragen.« Rita! Ein Leuchten funkelte in Susans Augen auf. Dieser Mann hatte ihr die Dienstfähigkeitsbeschränkung ausgeredet! Nun brauchte sie Rita doch nicht zu töten. Es hätte wehgetan, Rita umbringen zu müssen. Aber der Tod gehörte zum Leben. Rita hätte sie verstanden. Rita kannte sich aus. »Ja«, flüsterte Susan erleichtert. »Führ mich zu ihr. Sie wird mich zurückkehren lassen ... zurück aufs Schlachtschiff.« »Ist das dein freier Wille?« fragte der Mann völlig ungeniert. »Steh auf! Verdammt noch mal!« Susan stand schon auf den Beinen, stieß mit dem Messer nach ihm.
Langsam erhob er sich und ging voraus; Susan schloß sich ihm an, versuchte ihn zu einem schnelleren Tempo anzutreiben. »Heute ist ein schöner Tag«, sagte der Mann, lächelte in den Sonnenschein, in das der romananische Morgen getaucht war. »Sicher«, meinte Susan kurzangebunden. »Wo steckt die Frau?« »Folge mir ...« Unentwegt lächelte der Mann. Susan zuckte die Achseln, unterdrückte plötzliche Zweifel. Es mußte Rita sein, niemand anderes konnte ihr wieder den Zutritt ins Schiff ermöglichen. »Das dauert ja ewig«, nörgelte Susan. Ihre geistigen Wände bewegten sich erneut, rückten auf sie zu, um sie zu zermalmen. Wenn der Mann sie zu Rita brachte und die Majorin das Verbot zum Betreten der Projektil aufhob, konnte Susan sie wieder von sich schieben. »Da sind wir.« Er zeigte auf eine niedrige Hütte, deren Fußboden tief unterhalb der Erde lag. Kurze Pfosten stützten das steife Rohleder, das die Überdachung abgab. Susan wollte hineingehen, aber der Mann hielt sie mit einer Geste auf. »Es ist besser, du siehst sie in der Schönheit dieses prachtvollen Morgens.« »Beeil dich!« maulte Susan, die Finger ihrer Messerhand zuckten. »Falls das ein ... ein schlechter Scherz ist, hacke ich dich auf der Stelle in Stücke.« Der Mann lächelte. »Ich bin gleich wieder da«, sagte er, zwängte sich geduckt durch den Eingang. Susan richtete sich zu voller Größe auf, verschränkte die Arme, um Rita Sarsa trotzig begegnen zu können. Sie hielt die Wände fern. Ihre Entschlossenheit, Rita stark gegenüberzutreten, verlieh ihr ausreichende Kraft. Ließ die Majorin sie nicht aufs Schlachtschiff zurückkehren, beabsichtigte sie sie sofort zu töten. Der Mann kam rücklings aus der Hütte. Susan hörte den ungezwungenen, freundlichen Tonfall seiner Stimme.
»Hier, ich habe Susan Smith Andojar mitgebracht.« Er drehte sich um, hatte ein kleines Mädchen mit lokkigen, braunen Haaren und zutiefst andächtigen braunen Augen auf den Armen. »Sie ist da«, rief die Kleine und wand sich in seinen Armen. Er setzte sie ab, und sie kam scheu auf Susan zu, zögerte, einen Finger im Mund. »Meine Mama sagt, ich kann wie du sein, wenn ich groß bin«, sagte das kleine Mädchen, als Susan in die Knie ging. »Ja«, bestätigte Susan mit rauher Stimme, »sicherlich kannst du das.« Die Mauern stürzten, die Dämme brachen, Trauer und Scham fluteten durch ihre Seele und spülten das Grauen fort. Tränen blendeten ihre Augen, so daß sie nicht sah, wie Freitag Garcia Gelbes Bein und Giorj die Hütte verließen, sich zufrieden angrinsten. Ebensowenig sah sie Chesters weises, gütiges Lächeln, während er davonschlenderte, sich am hellen Sonnenschein erfreute, während in seinem Innern noch Mozarts Musik nachhallte, er sie in der Erinnerung hörte und genoß. Ihr war nichts bewußt außer Schmerz und Schuld, als sie zittrig die Hände ausstreckte das kleine Mädchen mit dem gelben Kleid umschlang und es hochhob. * * * Ngen Van Chow hatte es sich in der Zentrale seiner Raumjacht im Kapitänssessel bequem gemacht, konnte von seinem Platz aus auf dem Monitor die Sterne blinken sehen. Er vertrieb sich die Zeit, indem er im Katalog der Planeten und Stationen blätterte. Frontier erregte seine Aufmerksamkeit. Frontier? Die Heimat der Bruderschaft und verschollener Herrlichkeiten. Aber auch die Erde lag lediglich eine kurze Strecke entfernt. Die Erde, die alte, ausgelaugte Hervorbringerin der Menschheit, hatte längst ihre
Hegemonie verloren. Was konnte es den Menschen dort schon bedeuten, von einem weitab befindlichen Direktor regiert zu werden, der sich nie persönlich auf einem Planeten blicken ließ? Die Erde war eine Welt mit einigen der besten Küchen und hochentwickeltsten Künsten der Galaxis. Ehemalige Kolonien, die sie früher mit exotischen Dingen beliefert hatten, die heutzutage als Alltags- und Massenware galten, bremsten ihre ökonomische Entfaltung. Ngen stülpte das Kontaktron über und informierte sich über alles, was er an Daten über den Planeten finden konnte. Sein Blick huschte über das Datenmaterial. Aha, sieh mal an! Vielleicht eine religiöse Erweckungsbewegung? Aber warum nicht Zion oder Range? Auf den älteren Planeten der Konföderation hatte man möglicherweise eine Neigung zum Zurückgewinnen einstigen Einflusses. Im Gulag-Sektor reifte Rebellion heran. Das hatte er bereits bemerkt, noch ehe er dort — vor Jahren — Blackows Verräterei durchkreuzte. So, die Romananer boten für Ngen Van Chow sein Gewicht in Toron? Dank sei Gott für Pallas Mikros, der weiter zu sehen verstand, als seine gewöhnliche Habgier es eigentlich zuließ. Van Chow hatte den Vorsatz gefaßt, Pallas eines Tages zu belohnen. Ngen Van Chow entspannte sich, nippte an dem Brandy, den er am Spendeautomaten geordert hatte. Ein Mann mit seinem Charisma war jederzeit dazu fähig, einen dogmatischen Kult zu gründen, der seinen Zwecken diente. Kam vielleicht eine Art von ökumenischer Wiedererweckung in Frage? Eine erneuerte Frömmigkeit? Zufrieden lächelte Ngen vor sich hin, während er einen neuen Kurs eintippte. Bestimmt fand er irgendwo genau die richtige Situation vor, in der seine Saat der Zwietracht aufgehen und gedeihen konnte. Er trank den Brandy aus und kehrte in seine Unterkunft zurück. Wenn er an die Romananerin dachte, an Susan, hatte er jedesmal das Gefühl eines ernsten Ver-lusts. Er
hatte soviel Vergnügen an ihr gehabt... Es war genau wie in dem Traum gewesen, den er einmal geträumt hatte. Wie köstlich es anzuschauen gewesen war, wie sie sich wälzte und schrie, wenn er mit der Elektropeitsche ihren üppigen Leib gezüchtigt hatte. Ob der unterbrochene Traum so geendet hätte wie die Version im wirklichen Leben, wußte er nicht. Die romananischen Propheten, die angeblich die Zukunft zu sehen vermochten, hätten es nicht besser als er machen können. Irgendwann, am liebsten schon bald, mußte er diesen verfluchten Romananern eine Lektion erteilen. Man wußte nie, wie es kam, vielleicht konnte er sich seine verlorene Susan zurückholen. Ihr Wille war gebrochen gewesen. Er hatte gewonnen gehabt. Als er sie das letzte Mal bestiegen hatte, waren ihr alle Anzeichen des Zusammenbruchs anzumerken gewesen. Ob es gelang, sie wiederaufzurichten? Er hob die Schultern. Am gnädigsten wäre es gewesen, sie gleich zu töten. Ngen grinste. Nicht alles war dahin. Er drückte eine Taste. Er reckte sich, streifte das Hemd ab und entledigte sich der Hose. Anschließend rief er das Holo ab und streckte sich auf dem Bett aus. Wieder sah er, wie er mit der Elektropeitsche Susan Smith Andojars Brüste umspielte, damit die Brustwarzen reizte, danach die Peitsche zwischen ihre Schenkel stieß. Aber das war noch längst nicht das Beste. Er beugte sich vor, bewunderte das goldblonde Mädchen, das neben ihm lag. Es war hochgewachsen, eine Stationsgebürtige, deren Körper sich durch strahlende Jugendlichkeit auszeichnete. Ihre großen, blauen Augen starrten entsetzt das Holo an. »Schau ruhig hin, meine Liebe«, gurrte Ngen Van Chow gutgelaunt, während er sich auf sie wälzte und sich schnaufend Zugang verschaffte. »Aber du brauchst diese Lektion der Schmerzen nicht zu lernen. Ich bin hier, um dich Lust zu lehren ... Und wir haben jede Menge Zeit.«