KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
R. O. IRMER
B I L D E R AUS D R E...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
R. O. IRMER
B I L D E R AUS D R E I J A H R Z E H N T E N WELTLUFTVERKEHR
V E R L A G S E B A S T I A N LUX MURNAU
•
MÜNCHEN
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I N N S B R U C K . ÖLTEN
Ein Traum wird Wirklichkeit Jahrhundertelang schaute der Mensch sehnsüchtig den Vögeln nach, wie sie sich mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit, Schnelligkeit und Beherrschtheit in den Winden wiegten. Auf dem Erdboden bewegte sich der Mensch seit Anbeginn, quer über die Ozeane fuhr er seit den stolzen Zügen der Wikinger und der Südseeinsulaner, in die Erde drangen seine Bergleute seit alters. Doch in die Luft aufsteigen? Das schien dem Menschen versagt. Der Maler Leonardo da Vinci, der große Italiener um 1500, ist wohl der erste gewesen, der mit technischem Verstand darum gerungen hat, daß der Menschheitstraum vom Fliegen Wirklichkeit werde. Er entwarf eine Flugmaschine, bei deren Zusammenbau ihn das Wort des englischen Naturforschers Roger Bacon aus den Jahrzehnten vor 1300 leitete: „Ein Instrument könne gemacht werden, überall hinzufliegen: man setze sich in die Mitte des Gerätes und drehe eine Maschine, mit deren Hilfe zwei kunstgerecht zusammengesetzte Flügel die Luft nach Art eines fliegenden Vogels schlagen." Das sind bereits, auch wenn Leonardos Maschine nie geflogen ist, erste technische Erkenntnisse, keine phantastischen Träume mehr. Für das Fliegen soll also der Vogelflug das Vorbild sein. Leonardo, der Engländer Cayley — der als erster die Stromlinie zeichnet, weil er neben dem Körperbau der Vögel den Lejb der Forelle im Wasser studiert —, der gebürtige Schweizer und spätere Wiener Uhrmacher Jakob Degen, der Franzose Penaud — sie alle sind vom Vogelflug gebannt, ganz gleich, ob die von ihnen erdachten oder konstruierten beflügelten Apparate dem Vogel von heute ähnlich sehen oder den vorsintflutlichen Vogeldrachen. Nachdem gegen Ende des 18. Jahrhunderts das Fliegen mit Ballonen, die leichter als Luft sind, gelungen ist, beteiligen sich nach und nach alle Kulturnationen daran, auch das Fliegen mit Flugmaschinen, die schwerer als Luft sind, mit Flugzeugen also, zu verwirklichen. Einen neuen, vorwärtsweisenden Gedanken spricht im Jahre 1880 Werner von Siemens aus: „Ist erst eine genügend leichte
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Antriebsmaschine erfunden, so kann jeder geschickte Mechaniker eine Flugmaschine bauen. Die Erfinder aber fangen immer am verkehrten Ende an und erfinden Flugmaschinen, ohne die Kraft zu ihrer Fortbewegung zu haben." Siemens durchschaut mit klarem Blick das ganze Problem: Wer soll die Flugmaschine treiben? Der Wind? Dann bliebe es ein Segelflugzeug. Die Muskelkraft des Menschen? Sie würde nicht ausreichen. Also bleibt die „fremde Kraft", der Motor. Und diesen Gedanken setzen als erste die amerikanischen Brüder Wright in die Tat um. Sie wenden sich von der Vogelform ab, bauen Kastendrachen mit zwei übereinanderliegenden Flächen, setzen einen leichten Motor ein und bringen hinter den Kastenflügeln Luftschrauben an, plumpe langgezogene Holzblätter, die, vom Motor getrieben, sich in die Luft bohren und durch den Druck die Maschine fortbewegen. Bis zu den Brüdern Wright sind die Flugzeugbauer davon überzeugt, daß man durch die Luft segeln müsse. Der Deutsche Otto Lilienthal schreibt in seiner „Fliegekunst" viel Beachtliches darüber, was Spätere sich zunutze machen können. Als dieser große Segelflieger seine Pionierarbeit mit dem Leben bezahlen m u ß , grübelt man darüber nach, was ihn auf seinem Gleiter zum Absturz gebracht haben könne, und man kommt zu der Überzeugung, daß eine plötzliche Windbö die Schuld trage, die den Gleiter gefaßt habe, ohne daß der Flieger in seinem Flugapparat durch Verlagerung seines Körpergewichts die Normallage habe zurückgewinnen können. Den Brüdern Wright, die von Lilienthal viel gelernt haben, gelingt es, diese Gefahrenquelle auszuschalten: Ihr zweiflächiger Kastendrachen ist an seinen hinteren Tragflächenenden elastisch. Von den äußeren Endspitzen der Tragflächen gehen Drähte aus, die mit dem Körper des Fliegers verbunden sind. Neigt sich das Flugzeug zur Seite, dann drückt der im Apparat liegende Flieger Beinen Körper in die entgegengesetzte Richtung. Während die eine Seite durch die erfolgende Verwindung Auftrieb erhält, bekommt die andere Seite durch die entgegengesetzte Verwindung Abtrieb. Das Flugzeug wird in seine Normallage zurückgezwungen. Auf diese Weise sichern die Gebrüder Wright ihren Motorflug. Erst später sitzt der Flieger am Steuerknüppel. Zum 17. Dezember 1903 haben Orville und Wilbur Wright die Farmer aus der Umgebung von Kitty Hawk in Karolina (USA"! eingeladen, sich das erste Fliegen mit einem Motor anzusehen. Nach
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fast tausend Gleitflügen fühlen sich die beiden Wrights so sicher, daß sie ihren Motorflug als Schauflug der ersten öffentlichen Kritik unterziehen wollen. Da den Brüdern die damalige Motorenindustrie kaum einen geeigneten leichten Flugmotor liefern kann, haben sie alle erreichbaren Unterlagen für den Bau von Automotoren studiert und sich ihren ersten Flugmotor selber angefertigt. Er entwickelt nur zwölf PS, aber seine Kraft reicht aus, das Flugzeug, das fast dreizehn Meter Spannweite und über sechs Meter Rumpflänge aufweist und von zwei Holzpropellern hinter den Tragflächen gedrückt werden soll, in die Lüfte zu heben. Der Dezemberwind fegt feucht und frostig über die Sandhügel von Kitty Hawk, als die Wright-Maschine zum Start bereit steht. Nur zwei Männer aus der Stadt sind der Einladung gefolgt, den anderen ist das Wetter zu schlecht, vielleicht kommt ihnen die Angelegenheit auch zu „ w i n d i g " vor. Wilbur Wright verzichtet auf das Vorrecht des Älteren und überläßt dem jüngeren Bruder den Ruhm, der erste Motorflieger der Welt zu sein. Da noch drei Männer aus der benachbarten Wetterstation dazukommen, sind zu diesem denkwürdigen Ereignis sieben Menschen versammelt, die Hauptbeteiligten einberechnet. Wilbur steht an der .rechten Tragfläche und hält den Flugapparat, der auf einer Schiene ruht, im Gleichgewicht. Orville, der jüngere, liegt auf der unteren Tragfläche fest eingeschnallt. Ein kleiner Hebel regiert das Höhensteuer, dazu braucht Orville die eine Hand. Sein Körper ist in ein Joch verschnürt. Wenn er sich seitlich verschiebt, bewegt dieses Joch die Tragflächendrähte und die damit verbundenen Seitenruder. Diese Mithilfe des Körpers ist notwendig, da die zweite Hand Gas und Zündung des Motors zu regeln hat. Der Motor ist angeworfen. Gespannt verfolgen die Brüder, ob die Motorexplosionen gleichmäßig erfolgen. Auf ein Zeichen Wilburs stößt Orville den Gashebel vor und löst das Halteseil. Wilbur läuft ein Stück mit, hält mit den Händen die rechte Tragfläche, bis er spürt, daß der Flugapparat sich von der Schiene löst und vom Winde gehoben wird. Orville fliegt mit Hilfe des Motors und der beiden Luftschrauben 53 Meter weit. Die Landung erfolgt glatt. Weitere Flüge folgen. „Am Morgen des 17. Dezember, zwischen 10 Uhr und 30 Minuten und Mittag, werden vier Flüge gemacht, zwei von Orville und zwei von Wilbur Wright. Der Wind hat zur Zeit der Flüge eine Geschwindigkeit von 50 Kilometer nach An4
Aus der Frühzeit des Luftverkehrs: Drachenflugzeug, der Propeller sitzt hinter dem Doppell'lügel und drückt die Maschine nach vorn
gaben der Kitty-Hawk-Wetterstation. Unsere eigenen Messungen mit einem Hand-Windmesser in einer Höhe von 1,20 Meter über dem Boden zeigen eine Windgeschwindigkeit von 36 Kilometer, als der erste Flug vonstatten geht. Die Flüge erfolgen direkt gegen den Wind. Jedesmal startet die Maschine vom ebenen Boden, allein durch ihre eigene Kraft, ohne Unterstützung der Schwerkraft (wie beim Gleitflieger) oder irgendeiner anderen Hilfsquelle. Nach einem Lauf von ungefähr 13 Meter entlang der Schiene, die das Flugzeug etwa 20 Zentimeter über dem Grund hält, erhebt sie sich und steigt unter der Leitung des Führers auf einer geneigten Bahn, bis eine Höhe von 2,5 bis 3 Meter erreicht ist. Dann wird der Kurs so horizontal gehalten, wie es die Windböen und die begrenzte Geschicklichkeit des Führers gestatten. Mitten im Dezembersturm bahnt sich der Flieger seinen Weg vorwärts, mit einer eigenen Geschwindigkeit von 16 Kilometer über dem Boden gegen 50 bis 55 Kilometer Windgeschwindigkeit gegen den Wind. Es ist vorher beschlossen worden, daß aus Gründen persönlicher Sicherheit die ersten Versuche so nahe dem Boden wie möglich gemacht werden sollen" (nach dem Bericht der Brüder Wright). Das ist der erste Motorflugzeugaufstieg der Geschichte, denn alle bisherigen Flugversuche sind nicht über das Gleiten oder kurzfristige Segeln hinausgekommen. Was Werner von Siemens gefordert hat, der Mensch müsse „Kraft zur Bewegung der Flugmaschinen" haben, das haben die Wrights mit ihrem 12-PS-Motor in die Tat umgesetzt. Von dieser Stunde an trennen sich die Wege der Fliegerei: Ein Teil der Flugbegeisterten erforscht den Motorflug weiter, die anderen bleiben beim Segelflug, der dann — vor allem in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg — einen gewaltigen Aufschwung nimmt und bis heute nichts von seiner Anziehungskraft auf den Menschen eingebüßt hat. Gegenüber dieser Entwicklung tritt die dritte Richtung, das Fliegen mit dem Ballon und dem Luftschiff, auf die Dauer zurück. Dem Fluggerät „schwerer als Luft" gehört die Zukunft.
Die Brüder Wright kommen mit ihrer Maschine auch zu Vorführungen nach Deutschland und Frankreich. Schon bald werden in der Nachfolge der Wrights in F]uropa die Franzosen Meister 6
des Fliegens. Im Jahre 1909 überfliegt der französische Mechaniker Louis Bleriot den Ärmelkanal und beweist aller Welt, daß der Motorflug keine technische Spielerei ist. Die Franzosen stellen fest: ,,Die Brüder Wright aus Dayton, zwei einfache Mechaniker, haben in zehnjähriger Arbeit, nur auf sich selbst gestellt, für die Menschheit das Fliegen erfunden." In Frankreich stoßen immer mehr Männer zu den „Aviatikern", wie man damals sagt, in Österreich bringt es die „ T a u b e " des Ingenieurs Etrich zur Berühmtheit, in Deutschland entsteht ein Fliegerlager in Johannisthai bei Berlin. Erste ,,Flugtage" mit Schauflügen werden veranstaltet, doch gelten vielerorts die Flieger immer noch als Akrobaten, als ,,Kunstreiter auf den Winden". Den Männern, die in jener Zeit ihr Ziel in den Wolken suchen, brennt das Feuer der Begeisterung in den Augen. Noch, ist jeder Flug eine Einzelleistung. Erst im Weltkrieg 1914/18 werden es Zweckflüge der dazu ausgebildeten Soldaten. Kühnste Flugleistungen und viele technische Fortschritte verzeichnen diese Kriegsjahre auf beiden Seiten der Gegner. Aber von einer planmäßigen Verbindung zweier Orte durch ein Flugzeug, das die Entfernungen überbrückt, von einer Luftreise nach Zeit und Ziel, von einer Verkehrsfliegerei, kann noch keine Rede sein. Für die Luftreise im heutigen Sinne die ersten Flugzeuge geschaffen zu haben, ist das Verdienst des deutschen Professors Hugo Junkers. Der Blechesel neben dem Badeofen Es ist im Jahre 1888. Der leitende Mann der Deutschen Gontinental-Gasgesellschaft in Dessau sucht für seinen Batrieb einen jungen Assistenten und wendet sich an den berühmten Hochschullehrer Slaby um eine Adresse. Slaby, der als einer der bedeutendsten Rundfunkpioniere in die Geschichte eingegangen ist, erinnert sich an einen seiner Schüler, den 1859 in Rheydt im Rheinland geborenen, noch nicht dreißigjährigen Hugo Junkers. Die Besonderheit dieses jungen Ingenieurs ist es, seine Forschungsarbeit immer wieder durch die Erfahrungen bei der praktischen Arbeit in den Fabriken zu vertiefen. Junkers nimmt den ehrenvollen Auftrag an, erkennt aber schon bald, daß er zur freischaffenden Arbeit bestimmt ist. So läßt er sich 1892 in Dessau als Zivilingenieur nieder. Seine Erfindungen machen ihn schnell bekannt. 1896 erhält
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er einen Ruf als ordentlicher Professor an die Technische Hochschule zu Aachen. Im Jahre darauf entsteht dort die „Versuchsanstalt Professor Junkers". Er wendet sich den mannigfachsten Aufgaben zu. Er erfindet einen neuen Wärmemesser für die Heizwertbestimmung von Gasen, das Kalorimeter, das heute überall in der Welt angewendet wird; er entwickelt Verbesserungen für Gas-, Benzin- und Rohölmotoren; besonders schöpferisch wird er auf dem Gebiet der Luftströmungsforschung, die zur Luftfahrtforschung und im Zusammenhang mit seinen Ideen und Erfahrungen bei der Herstellung von Badeöfen zur Schaffung des ersten Metallflugzeugs führt. Junkers Forschungen kosten Geld, viel Geld. Als er seine Forschungsanstalt von Aachen nach Dessau verlegt und hier eine Badeofenfabrik errichtet, kann er sich endlich mit den Ideen beschäftigen, die um das Flugzeug kreisen und die ihn schon lange bewegen. Im Jahre 1909 erhält er ein Patent für ein Verkehrsflugzeug besonderer Art, das seiner Zeit weit vorauseilt und von dem wir noch berichten werden. Als im ersten Weltkrieg kaum noch Käufer für Badeöfen in die Läden kommen, als das Metall rationiert wird, greift Professor Junkers verstärkt seine Flugzeugpläne auf. Zwar ist er nie selbst Flieger gewesen, doch er glaubt, die Strömungsgesetze der Luft für verbesserte Flugzeugkonstruktionen genügend zu kennen. Eine Flugzeugfabrik — nein, die kann Professor Junkers in dieser Zeit noch nicht aufweisen. Er besitzt nur seine Badeofenfabrik. Doch verfügt er über Facharbeiter, die geschickte Klempner sind, die viel vom gewalzten Blech verstehen, von seinen Eigenschaften und seiner Verarbeitung. Mit ihnen zusammen wird Junkers, der im Windkanal die Luftströmungen genau erforscht hat und weiß, daß Holz niemals das Bauelement für Flugzeuge bleiben kann, in knapp drei Monaten das erste Metallflugzeug der Welt herstellen. Eine geräumige Ecke in den großen Hallen der Junkers-Badeofenfabrik ist von allen Blechbearbeitungsmaschinen freigemacht worden. Die Klempner reden jetzt hier das gewichtigste Wort. Zwar kommt es ihnen etwas sonderbar vor, daß sie an Stelle von Badeöfen Flugzeuge bauen sollen, doch wo könnte man sie sonst bauen, da es noch keine entsprechende Fabrik gibt! Die Zeichnungen, die auf den Werkbänken der „Flugzeugecke" ausgebreitet liegen, sind von Professor Junkers und einigen seiner Ingenieure entworfen worden. 8
Aus Blech wachsen die beiden Tragflächen heran, die vorn dick sind und nach hinten spitz auslaufen. Aus Blech formt sich der Rumpf. Schließlich ist auch der kleine Motor zur Stelle. Nach kurzer Zeit steht das erste Flugzeug da, das nicht mehr mit Leinwand oder Holz bespannt ist, sondern mit — Eisenblech. Die Entwicklung im Schiffbau, als man begann, die Holzplanken durch Eisenbleche zu ersetzen, wiederholt sich jetzt im Flugzeugbau. Wie aus Holzschiffen Eisenschiffe wurden, so werden aus Holz- und Leinwandflugzeugen Metallflugzeuge. Dem schwimmenden Eisen entspricht künftig das fliegende Eisen und Aluminium. W i r wissen heute nicht mehr, wann die Erprobung dieses ersten Junkers-Flugzeugs, der ,,J 1", draußen auf der Wiese — denn einen Flugplatz gibt es noch nicht in Dessau — vor sich gegangen ist. Man weiß nur, daß die Kriegspiloten, als ihnen der schlanke Eindecker vorgestellt wird, verwundert und zweifelnd den Kopf geschüttelt haben. Dieses winzige Ding, dessen „Gerüst" mit Eisenblech von einem halben Millimeter Dicke bespannt ist und dessen Flügel keine Drahtverspannungen mehr aufweisen, sollte fliegen können? Das Verschwinden der Haltedrähte ist nämlich das zweite Neue an der „J 1". Der Professor aber beweist ihnen, von welcher Festigkeit seine Konstruktion ist; er läßt so viele Männer die „freitragenden" Tragflächen des Eisenflugzeuges besteigen, wie darauf Platz haben. Und siehe, nichts passiert, die Flügel halten die Belastung ohne weiteres aus. „Blechesel" sagen die Soldaten, als das Eisenflugzeug an der Front auftaucht. Es besitzt ausgezeichnete Flugeigenschaften und erreicht eine Fluggeschwindigkeit von 170 Stundenkilometer. Eisenblech ist bestimmt nicht das idealste Flugzeugbaumaterial, das weiß der Professor auch. Als es Rückschläge gibt, entsinnt er sich, daß im Jahre 1907 von Alfred Wilm ein neuer metallener Leichtbaustoff erfunden worden ist, Duraluminium —• Dural —, Aluminium von größter Härte, das manschmieden und walzen kann. Das siebente Modell der neuen Junkersflugzeuge besteht aus Dural, aus dem noch heute alle Verkehrsflugzeuge gebaut werden. Ein anderes Modell, die „J 7", weist noch eine weitere interessante Neuerung auf: Es ist als „Tiefdecker" konstruiert, bei dem die Tragflächen unten am Rumpf angebracht sind. Als das leichte Aluminiumflugzeug bekannt wird, meinen viele, es müsse „in der Luft umfallen". Aber es erfüllt die Erwartun9
gen seiner Konstrukteure. Der „Original-Blechesel" J 1 aus dünnem Eisenblech, der inmitten der Badeöfen entstanden war, kam in das Deutsche Museum in München, wo ihm jedoch die Bomben des zweiten Weltkrieges den Garaus gemacht haben. Als der erste Weltkrieg vorüber ist, weiß man in Dessau nicht recht, was man mit der Flugzeugfabrik, die im Verlaufe des Krieges entstanden ist, anfangen soll. So fertigen die Flugzeugwerke Eßbestecke und Blecheimer an und was sonst im Alltag an Metallgegenständen gebraucht wird. Doch Professor Junkers möchte wieder Flugzeuge bauen, nicht für Sport- und nicht für Kriegszwecke, sondern Maschinen, die so sicher konstruiert sind, daß sie nach einem genauen Fahrplan von einem Ort zum anderen fliegen können. Er will die ersten Ver-' kehrsflugzeuge bauen. Ein denkwürdiger Geburtstag Der 25. Juni 1919 zeigt einen blauen Himmel. Auf einem kleinen Flugfeld bei Dessau strebt eine Gruppe Männer einem silbern glänzenden Vogel zu, der startbereit auf der provisorischen Rollbahn steht. Pilot Monz verschwindet hinter der Einstiegtür, der Propeller wird angeworfen, die Bremsklötze fliegen beiseite, schnell erhebt sich das kleine Flugzeug. Ein paar Runden, und schon landet der Silbervogel wieder. Von neuem beginnt das Fliegen, diesmal ist noch ein Beobachter dazugestiegen. Wenig höher geht's hinauf. Wieder Landung und anschließende Besprechung. Der dritte Start, diesmal mit vier Personen, führt schon höher, der Silberne erscheint wie ein wandelnder Punkt über dem Platz. Nach der Landung wird Flug vier vorbereitet. Diesmal steigen vier Passagiere dazu, die Maschine ist jetzt mit sechs Mann belastet. Mit diesem vierten Flug ist es für heute genug. Versuchsflüge eins bis vier sind beendet. Am andern Morgen: wieder ein herrlicher Tag, aber es ist wärmer geworden. Das Bodenthermonieter zeigt 20 Grad an, das Barometer 752,4 mm, der Hochdruckmesser Schönwetterlage. Sechs Männer verschwinden im Flugzeug. Heute kann man das silberne Pünktchen am Himmel kaum noch ausmachen. Doch dann ist es wieder da, der Silbervogel landet in elegantem Gleitfluge Dem Barographen, der die erreichten Höhen aufgezeichnet hat, 10
werden die Millimeterpapiere entnommen. Ablesungen und Eintragungen erfolgen, Vergleiche mit gestern. So ergibt sich für die vier Aufstiege folgendes Ergebnis: 1. Versuchsflug: Flugzeugführer, Betriebsstoff, Ballast: Fluggewicht = 1151 kg. Flughöhe knapp 500 m. 2. Versuchsflug: Flugzeugführer, Beobachter, Betriebsstoff, Ballast: Fluggewicht = 1239 kg. Flughöhe 550 m. 3. Versuchsflug: vier Personen, Betriebsstoff für 3 Stunden, Ballast: Fluggewicht = 1402 kg. Flughöhe 2000 in in 13 Minuten erreicht. 4. Versuchsflug: sechs Personen, Betriebsstoff für 3 Stunden, Ballast (40 kg): Fluggewicht = 1518 kg. Flughöhe 2000 Meter, in 15 Minuten erreicht. 5. Versuchsflug: Flugzeuggewicht 951 kg, Betriebsstoff für 61/«; S t d . = 279 kg, 6 Personen und 40 kg Ballast = 410 kg: Fluggewicht = 1640 kg. Flughöhe 3300 Meter in 45 Minuten. Dazu eine neue Zahl in den Vermerken: Nutzlast 42o/o des Fluggewichtes. Für uns Heutige bedeuten dir 25. und 25. Juni 1919 die Geburtstage des Weltluftverkehrs. Nur sechs Monate hat Diplom-Ingenieur Otto Reuter in Zusammenarbeit mit Professor Junkers gebraucht, um das kleine Wunder von der Zeichnung bis zum ersten Start zu schaffen. Und doch ist dieser Silbervogel etwas, was es bis dahin noch nicht gegeben hat: ein Leichtmetall-Passagierflugzeug als freitragender Tiefdecker, außen mit Wellblech aus Dural überzogen, innen mit einem bequemen und behaglich ausgestatteten Abteil für vier Passagiere; dahinter der Laderaum für Gepäck, Post oder was man sonst noch verstauen will. Die Reisejgeschwindigkeit beträgt 150 Stundenkilometer, der Motor entfaltet 220 PS. In aller Stille ist hier das erste Verkehrsflugzeug entstanden, während es auf der ganzen Welt nur umgebaute offene Kriegsflugzeuge aus Holz und Leinwand gibt, die man schnell dazu hergerichtet hat, Personen od^r Post zu befördern. Ein Vierteljahr später, am 13. September 1919, wird dieser Silbervogel 8 Personen 6750 Meter hinauftragen und damit einen Weltrekord erringen, den ihm allerdings niemand anrechnet, da Deutschland noch nicht zur internationalen Abmachung über Re-
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kordflüge zugelassen ist. Und doch verzeichnet heute die Geschichte der Technik mit Hochachtung, was damals, sieben Monate nach dem Zusammenbruch Deutschlands, vor sich gegangen ist.
Wenige Wochen nach den ersten Versuchsflügen erscheint in Dessau Mister Larsen aus USA. Auf die Nachricht von der Fertigstellung eines ganzmetallenen Verkehrsflügzeugs für Personen und Post ist er auf dem schnellsten Wege herübergekommen. John Larsen ist nicht irgendwer in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, sondern der Flugsachverständige der USA-Regierung. In Dessau sucht er die Lizenz zum 'Nachbau dieses kleinen W u n derflugzeugs für Amerika zu erwerben. Gewiß, Professor Junkers könnte die angebotenen Dollarmillionen gebrauchen; aber es widerstrebt ihm, schon jetzt, wenige Wochen nach dem ersten Start, die Lizenz zu vergeben. So bittet Mister Larsen um Lieferung einer Serie dieser Flugzeuge für die USA; aber so schnell können die Junkerswerke die Flugzeuge nicht bauen. Schließlich kommt ein Kaufvertrag mit längeren Fristen für 23 Silbervögel zustande, der erste Großauftrag für die im Juni 1919 gegründeten JunkersFlugzeugwerke A. G. in Dessau. Mister Larsen nimmt als alter Flieger den Silbervogel selbst noch einmal in die Zange, und es bestätigt sich, was der Maschine an Lob bereits vorausgeeilt ist. Am 1. Juni 1920 startet er mit den gelieferten Silbervögeln in den USA ein öffentliches Schaufliegen. 600 Amerikaner nehmen an Rundflügen teil. Tags darauf fliegt ein Silbervogel nach Washington, wo das Dessauer Flugzeug führenden Männern der amerikanischen Wirtschaft vorgeführt wird. Vier Wochen später legt Larsen mit einer der neuen Maschinen 1900 km zurück — 1900 km in 12 Stunden ohne Zwischenlandung! Bald danach startet die amerikanische Briefpost ihren Silbervogeldienst von Ozean zu Ozean, von New York nach San Franzisko und umgekehrt. Die Betriebskosten sind um ein Drittel billiger als bei den bisher eingesetzten Maschinen aus den Kriegsjahren. Die Flugweite ist um 50 Prozent größer, und es kann das Zweieinhalbfache an Postsachen mitgenommen werden. Im Jahre darauf fliegt ein Silbervogel in Amerika einen Weltdauerrekord von 26 Stunden und 18 Minuten. Mit Dessauer Maschinen beginnt der amerikanische Luftverkehr. 13
Diese kleine erste Luftlimousine aus Dural — sie nennt sich „Junkers F 1 3 " — wird weltberühmt. Fast ein Jahrzehnt beherrscht sie weitgehend die Fluglinien und schafft zugleich bewundernswerte Leistungen in Notfällen und bei Forschungsaufgaben in unerschlossenen Gebieten der Erde. Der Dessauer Professor Blenden wir in das Leben des Dessauer Professors zurück . .. 1896 stürzt Otto Lilienthal bei Berlin tödlich ab, der erste Mensch, der wirklich mit seinen zerbrechlichen Apparaten auf größere Strecken durch die Luft gleitet und segelt. 1903 vollbringt Orville Wright in Amerika den ersten Motorflug. Durch die Entwicklung des Automobilbaus war der Benzinmotor auf ein so niedriges PS-Gewicht gesunken, daß er als Flugmotor eingesetzt werden konnte. Die Brüder Wright benutzen, wie ihre Nachfolger, zum Fliegen kästen- oder drachenähnliche Gebilde aus Holzleisten und Leinwand. So hat es Hugo Junkers vorgefunden, als er sich im Jahre 1909 mit der Fliegerei zu beschäftigen begann. Er studierte alle vorhandenen Vorarbeiten, ergänzte sie durch seine eigenen Erfahrungen im Motorenbau, in der Metallverarbeitung und der Beobachtung der Luftströmungen und baute dann Flugzeuge nach eigenen Ideen. Zunächst konstruierte er die Zelle, wie man das Flugzeug ohne den eingebauten Motor nennt. Der Rumpf erhielt „eine etwas fisichförmige Gestalt" — so beschreibt ihn Junkers in seiner Patentschrift von 1909. Wie der Querschnitt eines Fisches sieht seit Junkers auch der Querschnitt des Flügels aus: vorn dick, nach hinten spitz auslaufend. Nach seiner Patentschrift wollte er ihn sogar so dick gestalten, daß Motore und Passagiere samt Gepäck und Fracht darin Platz hätten. Er meint, mit nur einem dicken, Flügel fliegen zu können. Deshalb ist das Reichspatent Nr. 253 755 vom 1. Februar 1910 für ein „Nurflügelflugzeug" ausgestellt. Bis heute ist es eine Utopie geblieben, wenn auch viele Einzelzüge dieser Anregung in manchen modernen Flugzeugen erkennbar sind. Junkers hat alle Drähte, die bisher über die Flügelflächen zu den Ecken der Tragflächen geführt worden waren, um die Flügel am Rumpf zu halten oder die Steuerung zu betätigen, verschwinden 14
Durch die Konstruktion des ersten Flugzeugs aus Ganzmetall und des ersten Verkehrsflugzeugs ist Professor Hugo Junkers zum Bahnbrecher für die moderne Weltluftfahrt geworden. Seine Lebensdaten: geboren 1859 in Rheydt, gestorben 1935 in Gauting. Patente und Erfindungen im Flugzeugbau: 1910 Nurflügelflugzeug, 1915 Ganzmetallflugzeug mit freitragenden Flügeln, 1918 Tiefdecker, 1919 erstes Ganzmetall-Verkehrsflugzeug u. a.
Professor Junkers
lassen. Er gab den Flügeln in sich selber den nötigen Halt und kam dadurch zum „freitragenden" Eindecker. In dieser „windschnittigen" Form fiel der Luftwiderstand der Verspannung weg. Junkers baute seine Maschinen zunächst auch als Tiefdecker, die Flügel saßen unter dem Fluggastraum der Kabine an. Für diese Konstruktion erhielt er sein Tiefdecker-Patent von 1918, das die Flugsicherheit erhöhen sollte. Wenn es zu Zwangslandungen, zu „Bauchlandungen" kam, wie es in der Fliegersprache heißt, diente der dicke Flügel als Schutzpolster beim Aufprall auf die Erde. Das Bedeutendste aber war, daß Junkers nur aus Leichtmetall baute und auf Holz und Leinwand verzichtete. Seit Junkers gab es nur noch Metallflugzeuge in der Verkehrsluftfahrt. Späterhin gewann Junkers den Wettlauf mit Packard in dei\ USA um den Schwerölflugmotor. Junkers konstruierte zu seinem Benzinflugmotor den Rohölmotor, den Junkers-Diesel für Flugzeuge. Dieselöl konnte nicht explodieren wie Benzingase und war auch im Verbrauch billiger. Als die Entwicklung soweit fortgeschritten war, führte er als erster Konstrukteur das dreimotorige Landflugzeug ein, seine „ J u 52", und setzte sie im planmäßigen Luftverkehr ein. 1923 erklärte Junkers vor Mitgliedern des Deutschen Reichstages: „Wenn Sie sich die ganzen Bedingungen nüchtern, ganz nüchtern ausgemalt haben, dann müssen Sie zu der Überzeugung kommen, der Luftverkehr wird und muß eine Bedeu15
tung annehmen zumindest so groß wie jedes andere Verkehrsmittel, wie Eisenbahn, Dampfschiff, Kraftwagen." Und Junkers blieb nicht mehr allein. In Deutschland und vielen Ländern entstanden Flugzeugfabriken, fähige Konstrukteure in der Alten und Neuen Welt zogen aus den bisherigen Flugerfahrungen die Folgerungen. Der friedliche Wettbewerb um die weitere Eroberung der Luft konnte beginnen. An einige Pioniertaten aus jenen Jahren wollen wir noch erinnern. Ju's siegen über australische Kopfjäger Der Winter 1927 ist sehr kalt. Das Thermometer auf dem Dessauer Flugplatz zeigt 24 Grad unter Null. Niemand verläßt gern die warme Stube im kleinen Häuschen der Flugplatzleitung. Es ist alles noch behelfsmäßig. Doch der verantwortliche Leiter und der „Wetterfrosch" fühlen sich in der Unterkunft wohl, auch Professor Junkers, wenn er zur Beobachtung ins Gelände kommt. Mitte Dezember ist Besuch aus Übersee eingetroffen, ein Engländer aus Neu-Guinea. In der ehemals deutschen Kolonie „Kaiser Wilhelmsland", die seit dem Kriegsende von den Engländern verwaltet wird, hat man Gold entdeckt. Etliche Gesellschaften betreiben die Ausbeutung in modernen Betrieben, aber es sind Schwierigkeiten aufgetreten. Und deswegen ist der baumlange Engländer von Australien herübergekommen. Ein ganzmetallenes Flugzeug, das einsam frierend auf dem Feld steht, wird vorgeführt. Der Motor wird angeworfen; trotz Schnee und Eis erhebt sich die Maschine prompt in die Luft. Es ist keine „F 1 3 " , die man noch immer baut, sondern eine stärkere Schwester mit der Bezeichnung „W 3 4 " , ein ausgesprochener Transporter. Zwei Tage dauern die Probeflüge, der Engländer ist des Lobes voll, und bald schon schwimmt die „W 3 4 " wohlverpackt in großen Kisten durch den Suez-Kanal nach Australien. In Rabaul, auf der Neu-Guinea benachbarten Insel Neupommern, nimmt der technische Leiter der Goldminen-Fluggesellschaft die Kisten in Empfang. Er ist nicht mit in Dessau gewesen und hat noch kein Ganzmetallflugzeug gesehen. Doch man hat der Junkers „W 3 4 " Pläne mitgegeben, so daß die Montage nach einigen Versuchen gelingt. In wenigen Tagen ist die ,,W 3 4 " einsatzbereit. Sie ist mit 16
einem Fahrgestell ausgerüstet, wenn sie als Landflugzeug eingesetzt wird, mit einem Schwimmergestell, wenn sie Flüge über das Meer ausführen soll. Von Rabaul nach Neu-Guinea geht es 740 Kilometer über das Meer nach Lae, dem „Flugplatz" der GoldminenGesellschaft. Hier verschwinden die Schwimmer, das Fahrgestell, das mit einem Dampfer nachgeschickt worden ist, tritt an ihre Stelle. Die Strecke, auf der die ,,W 3 4 " als Transporter künftig verkehren soll, beträgt noch keine Flugstunde. Ind;s ist es mit dem Fliegen in Neu-Guinea so eine Sache. Die Strecke führt über hohe, zerklüftete Gebirge, drunten in den mörderischen Regenwäldern schauen die berüchtigten Kopfjäger Neu-Guineas begehrlich zu dem Silbervogel auf. Von der Küste bis Wau, dem Golddistrikt im Quellgebiet des Waria-River, 3000 Meter über dem Meer, braucht ein schwarzer Träger 16 Marschtage durch gefährliches Gelände. Er trägt etwa 45 Pfund, wovon fast die Hälfte auf das Gewicht seiner Verpflegung entfallen. Jetzt sollen zum Ausbau der Goldminen Baggerund Bergbaumaschinenteile und ganze Holzhaussiedlungen transportiert werden. Die bisher verwendete, fast ganz aus Holz ge^ baute ,,DH 3 7 " vermag das nicht. Deshalb ist bisher von den 3000 Schwarzen, die im Minendistrikt arbeiten, ein erheblicher Teil als Träger eingesetzt werden, andere müssen den Sicherheitsdienst versehen, denn jeder Goldtransport ist durch die Eingeborenen gefährdet. Mit einem Schlage ändert sich das alles: Die Träger können durch das Flugzeug ersetzt werden, und die Kopfund Goldjäger bedeuten keine Gefahr mehr. Der Bau von Flugtzeughallen ist nicht nötig, denn die ,,W 3 4 " hält jedem Tropenregen stand. In kurzer Zeit hat die Minengesellschaft soviel Geld mit ihrer ersten ,,W 3 4 " erspart, daß ein weiterer Silbervogel in Dessau bestellt werden kann. Was sich zwischen Lae und Wau in Neu-Guinea ereignet, spielt sich auch in anderen Teilen der Welt ab: Wo in hochgebirgigen Ländern Eisenbahnen und Autos nicht Eingang finden könmen, weil der Wege- und Streckenbau zu teuer ist, und Karawanen auf Saumpfaden die einzigen Verkehrseinrichtungen sind, übernimmt das Flugzeug die Transportaufgaben. Wochenlange Reisen in Gebirgsgegenden schmelzen auf wenige Flugstunden zusammen.
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Immer höher, immer schneller Am frühen Morgen des 5. Juli 1928 wird in Dessau eine Junkers „W 33", Fabriknummer 2507, Zulassungsnummer D 1231, startbereit gemacht. Die Zelle ist nebenan in den Werken gebaut, eben^ so der Motor und der Volldural-Propeller. Nichts Besonderes ist an der Maschine zu sehen, es ist eine Lastenmaschine aus der laufenden Produktion. Die internationalen Zeugen für einen „Sportflug" sind zur Stelle. Die Gewichtsprüfungen ergeben: Rüst(=Leer)gewicht der Maschine 1362,5 kg, Einbauten und Instrumente zur Kontrolle des Fluges 13,5 kg, 2760 Liter Brennstoff 2385 kg, Schmierstoff 75 kg, Gewicht der zwei Flugzeugführer 150 kg, Verpflegung und Wasser für die Insassen 15 kg: zusammen 4001 kg. Die beiden Piloten Risticz und Zimmermann verschwinden hinter der Einstiegtür. Die Bremsklötze werden beiseite geschoben. Der Silbervogel braust über das Flugfeld. Es ist 4 Uhr und vier Minuten in der Morgenfrühe. Ein großes weißes Tuch liegt ausgebreitet, große schwarze Zahlen sind darauf zu lesen, man wird die Zahlen noch oft ändern. Sie sollen den beiden Männern droben in der Luft anzeigen, wie lange sie fliegen und was sie sonst wissen müssen. Das Flugzeug brummt immer rumd um den Platz, es weicht nicht aus dem Gesichtskreis. Der Mittag kommt, der Nachmittag, der Abend, die Nacht. Die Erdbeobachter werden abgelöst, die Flieger droben nicht. Mittlerweile ist es auch in der Stadt bei kannt geworden, daß hier draußen etwas Besonderes vor sich geht. Am Zaun des Flugplatzes sammeln sich die Zuschauer, die seitdem nicht mehr vom Platz weichen. Der 6. Juli zieht ebenso sonnenhell und heiß herauf wie der vorhergehende Tag. Noch immer kreist der Silbervogel in den Lüften, immer wieder wechseln die Zahlen auf dem weißen Signaltuch. Die Kontrollmänner notieren, während in der Stadt der Alltag seinen Lauf nimmt. Wieder sinkt die Sonne, wieder steigt eine sternenklare Julinacht herauf. Auch der 7. Juli zeigt dasselbe Bild wie an beiden Tagen zuvor: Zahlenwechsel und Kontrolleintragungen, sonst ereignet sich über Tag nicht viel. Erst am Abend des 7. Juli geben die Piloten droben das Zeichen, daß sie landen möchten. Um 21 Uhr 29 Minuten 54 Sekunden setzt die ,,W 3 4 " wieder auf. Alles ist auf den Beinen. 18
Die Flieger steigen aus, ein bißchen kreuzlahm, aber sonst frisch, trotz der ungeheuren körperlichen und seelischen Anstrengung, die hinter ihnen liegt. Aus den Tanks werden noch 66 Liter Brennstoff und 58 Liter öl zurückgewogen. Die Internationalen melden die Zahlenergebnisse nach Paris. Und bald trifft die Bestätigung ein: 65 Stunden 25 Minuten 14,9 Sekunden blieb das Flugzeug mit seinen beiden Piloten — ohne das heute bekannte Nachtanken während des Fluges — ununterbrochen in der Luft. Der WeltDauerrekord für ein Flugzeug liegt nunmehr auf lange Zeit bei Deutschland I
* Das ist ein Bild, wie es sich jetzt oft in Dessau bietet: Flugzeuge steigen zum Dauerrekord, zum Geschwindigkeitsrekord, zum Weltstreckenrekord auf. Mit Rekordsucht haben diese Versuche jedoch nichts zu tun, es geht um Leistungstests für Menschen und Maschinen. Denn noch vieles ist in dieser frühen Zeit zu erproben, wenn die Weltluftfahrt vorwärts kommen soll. Junkersflugzeuge fliegen — zum Teil in Etappen — von Berlin nach Peking, von Berlin nach Tokio, von Tokio nach Berlin, von Berlin nach Bangkok, von Helsingfors nach Kapstadt. Im Jahre 1929 steigt Fritz Neuenhofen, ein Junkers-Pilot, mit der ,,W 3 5 " als erster Mensch viele Male bis zur Grenze zwischen der Troposphäre, der untersten Schicht unserer Lufthülle, und der Stratosphäre, der nächsthöheren Schicht, auf. Im Jahre 1924 hatten Norton und Somervell bei der dritten englischen EverestExpedtion die Höhe von 8750 Metern erreicht. Neuenhofens Höchstleistung liegt, fünf Jahre danach, bei 12 740 Metern Gipfelhöhe. Seine Höhenflüge beginnen stets auf dem Dessauer Flugplatz. Auf den Motor des normalen Junkers-Metallflugzeuges sind einige schmale schwarze Kästen aufgesetzt, die das starke Turbogebläse enthalten. Wie in großen Höhein der Mensch nur mit Hilfe dejs Sauerstoffapparates atmen kann, so braucht auch der Motor bei der Verbrennung mehr Sauerstoff, als ihm die dünne Luft in diesen Höhen zuführen kann. Das Turbogebläse versorgt den Motor mit zusätzlichem Sauerstoff. Höhenflieger Neuenhofen erreicht die Grenze der Stratosphäre bei etwa 10 Kilometer. Seine Meßgeräte zeigen 55 Grad Kälte. Neuenhofen hat seine Pionierflüge mit dem Leben bezahlt. In 19
der Nähe von Dessau erhebt sich dort, wo der Stratosphärenflieger abgestürzt ist, ein schlichter Gedenkstein mitten im Felde. Erst im Jahre 1936 kann ein anderes Flugzeug Neuenhofens Gipfelhöhe mit 15 220 Metern um 2280 Meter überbieten. Die. Höhenflüge von Dessau sind wissenschaftliche Pionierflüge. Schon Anfang der zwanziger Jahre war sich Professor Junkers klar darüber geworden, daß der künftige Luftverkehr größtmögliche Höhen aufsuchen müsse, um den Wechselfällen des bodennahen Wetters zu entgehen. Auf Grund der Höhenrekordflüge des Jahres 1929 wird die erste „Höhenkammer" gebaut, eine „Stratosphärenkabine", in der Luftdruck und Wärme künstlich in irdischen Maßen gehalten werden. Die Kammer ist noch bis zum Jahre 1945 in der Dessauer Junkers-Lehrschau zu sehen gewesen. Erst nach 1945 sind dann Neuenhofens Höhenflug-Versuche zum vollen Ausreifen gekommen in den „Stratosphärenkreuzern", die in großer Höhe über die Ozeane fliegen, Giganten (der Luft, an| deren Konstruktion Deutschland nicht mehr beteiligt gewesen ist. Das Luftreisen wird bequem Dank der Anregungen des Dessauer Professors werden die Verkehrswege erkundet, die als Luftstraßen am geeignetsten sind. Es entstehen Flugplätze, Bodenorganisationen und Flugsicherungen zuerst in den Ländern, die am wenigsten mit den bisherigen Verkehrsmitteln und mit Landverkehrswegen bedacht gewesen sind. In Deutschland schließen sich die beiden Gesellschaften „AeroLloydt" und „Junkers-Luftverkehrs-AG" zur „Deutschen Lufthansa" zusammen, die schon bald weitgreifende Linien einrichtet. Andere europäische und amerikanische Luftverkehrsgesellschaften treten mit ihr in Wettbewerb. Große Weltfluglinien errichten die Engländer, Verbindungen vom Mutterland nach Indien, nach Australien und Südafrika, die Franzosen nach dem Kongogebiet, die Holländer mit ihrer Batavia-Linie vom Mutterland nach der Südsee, die Amerikaner mit dem dichten Netz ihrer Strecken von Nordnach Südamerika.
* Während sich so die Welt mit Luftlinien überzieht, ist es aufschlußreich, die Entwicklung der Flugzeugform zu betrachten, wie sie sich seit Lilienthal dauernd gewandelt hat. 20
Vor dem ersten Weltkrieg: Lilienthal erprobt die Tragkraft gewölbter Flächen, er gleitet und segelt; die Brüder Wright bauen sich Kastendrachen mit Motor und drei Steuerorganen, Bleriot fliegt den Eindecker mit noch offenem Gitterrumpf. Dberall sind die Verspannungsdrähte außen sichtbar, unter dem Rumpf befindet sich das Fahrgestell mit seinen zwei Rädern und dem Spornt unter dem Schwanz. — Das Flugzeug dient dem Einzelflug, einen regelmäßigen Luftverkehr kennt man noch nicht. Nach dem ersten Weltkrieg: Junkers Silbervögel leiten eine neue Periode ein; der freitragende Ganzmetall-Eindecker wird zum ersten Verkehrsflugzeug; Claude Dornier entwickelt das Flugboot, d. h. ein Flugzeug, das zur Dberquerung von Meeren gedacht ist. Junkers führt die dreimotorigen Landflugzeuge ein; England bleibt vorerst beim Doppeldecker mit mehreren Motoren; Junkers konstruiert die Ju 52, bei der Fahrgestell und Motoren verkleidet sind und Hilfsflügel zur besseren Landung erscheinen. — Luftverkehrsgesellschaften entstehen. Vor dem zweiten Weltkrieg: Während die bisherigen Flugzeugtypen noch verhältnismäßig langsam fliegen, beginnt jetzt der Angriff auf die Geschwindigkeit durch aerodynamische Verbesserungen. Ernst Heinkel übersehreitet mit der ,,He 7 0 " die Geschwindigkeitsgrenze von 350 Stundenkilometern, das Fahrgestell ist einziehbar, die Außenhaut wendet sich vom Wellblech ab und wird glatt. An Stelle der drei Motore treten je ein Motor links und. rechts von der Kanzel des Flugzeugs. Die Zweimotorigen gehen im Kampf um die Schnelligkeit als Sieger hervor, so u. a. die Lockheed „Electra", die „Junkers 8 5 " , die „Heinkel 111". Nicht mehr zur vollen Ausnutzung kommt durch den Ausbruch des zweiten Weltkrieges das damals größte viermotorige Landflugzeug „ J u 9 0 " mit 10 Tonnen Nutzlast, 7000 Meter Flughöhe, 360 km Reisegeschwindigkeit und einem Gastraum für 54 Passagiere. Wie bequem die Luftreise schon vor 1939 geworden ist, davon berichtet sehr anschaulich ein Reisender, der im Jahre 1939 einen Nordlandflug miterleben darf: „Vom Flughafen Tempelhof in Berlin erhebt sich eine viermotorige Maschine, die neue ,Ju 9 0 \ Wir haben unsere Überkleider in der Garderobe neben dem Einstieg abgelegt. Ein langer Gang führt durch den Rumpf. Links und, rechts breiten sich um schmale Tische bequeme Sessel. Stewardessen in der kleidsamen Uniform der Deutschen Lufthansa erkundigen sich nach den ersten Wünschen. In der kleinen elektri22
sehen Küche kann zubereitet werden, was die Zunge begehrt. Wer rauchen will, mag im Raucherabteil Platz nehmen. Vorn neben dem Kommandoraum befindet sich das Nichtraucherabteil. Zu jedem Sessel gehört ein dicker Schlauch, mit grüner Seide umsponnen. Wem während des Flugs nach Kühlung verlangt, dem kommt sie aus dem dicken Schlauch wie aus einem Fächer entgegen. So ist jeder bestens versorgt. Im Speisewagen eines D-Zuges sitzt man nicht bequemer. ' Berlin liegt unter uns, in einer halben Stunde Rügen. In einer weiteren halben Stunde ist die Ostsee überquert, zwei Stunden Flug über Schwedens Schäreaiküste: , J u 9 0 ' landet in Brömma, dem Flughafen von Stockholm. Die Wochenschaukameras surren, das Mikrophon des schwedischen Rundfunks nimmt unsere Begrüßung auf. Zum ersten Male sehen die Schweden ein modernes Großflugzeug, morgen sind die hauptstädtischen Blätter voll mit Bildern und Berichten. Zwanzig Jahre vorher flog eine Junkers ,F 13' als Postflugzeug denselben Weg. Zur Erinnerung daran sind wir gekommen. Die Schweden halten auf ihren Ruf, beste Gastgeber zu sein. Am Tage darauf sieht uns der Flugplatz Brömma wieder. Nach vier Stunr den landen wir in Berlin-Tempelhof. Unser Wochenendausflug in das Land der hellen Sommernächte ist beendet. Die Luftreise ist komfortabel geworden."
* Alle Länder sind an dem Fortschritt beteiligt. Könnte man die markantesten Flugzeuge aus den letzten Jahren vor dem zweiten Weltkrieg nebeneinander stehen sehen, etwa eine ,,Ju 8 5 " , eine „Boeing", eine „Lockheed", eine „Douglas", eine „Heinkel 111", eine „de Havilland", so ergäbe eine solche Schau ein Bild dos internationalen Wettbewerbs und der Angleichung der äußeren Formen. Die Unterschiede zwischen den Baumustern liegen fast ausnahmslos im Innern der Maschinen. Der Luftverkehr vor dem zweiten Weltkrieg führt in der Hauptsache über Landstrecken. Parallel zu der Entwicklung der Landflugzeuge läuft das Bemühen, auch die Ozeane möglichst ohne Stützpunkte zu bezwingen.
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Ozeane werden bezwungen Über Wasser zu fliegen ist eine eigene Sache. Die „Meeresflie»er" haben es erfahren. Manche schaffen es, andere finden den Fliegertod in den Wellen: 1909 Blfeiot (Frankreich) fliegt über den Kanal von Calais nach Dover. 1913 Roland Garros (Frankreich) überquert das Mittelmeer. 1919 Read (Amerika) überfliegt in Etappen, begleitet von Kriegsschiffen, in sieben Tagen mit einem amerikanischen Wasserflugzeug den Ozean Neufundland—Azoren—Lissabon. 1919 Alcook und Brown (England) legen auf einem Vickers-Flugzeug in 16 Stunden die 3024 km lange Strecke Neufundland— Irland im Ohnehaltflug zurück. 1927 starten Nungesser und Coli (Frankreich) in Paris, um New York zu erreichen. Man hat nichts mehr von ihnen gehört. In diesem Jahr finden 15 Flieger ihr Wellengrab im Atlantik. 1927 Lindbergh (Amerika) fliegt mit einem einmotorigen Landflugzeug in 331/9 Stunden im Ohnehaltflug von New York nach Paris. 1928 gelingt es den deutschen Fliegern Kohl und Flünefeld zusammen mit dem irischen Oberst Fitzmauriee den Ozean in OstWest-Richtung von Irland nach Greenly Island in 361/2 Stunden (Junkers „W 33 Bremen") zu überfliegen. Auch der Südatlantik wird überwunden, zunächst in Etappenflügen.
* Ostermontag 1934. Auf den Kanarischen Inseln in Las Palmas krähen die Hähne. Wir haben hier im Morgengrauen das Landflugzeug „ J u 52 Zephyr", das uns von Stuttgart in zwei Tagen herübergebracht hat, gegen das zweimotorige Dornier-Flugboot „Passat" vertauscht; denn die nächste Etappe der Luftpostlinie, die von Berlin über Stuttgart nach Südamerika eingerichtet ist und Ostern 1934 zum fünften Male beflogen wird, führt von den Kanarischen Inseln 1800 km über das Meer nach Bathurst in Mittelafrika. Von dort aus soll dann der Südatlantik überquert werden. Die See ist ruhig. „Passat" mit zwei brummenden Motoren fliegt in Zimmerhöhe, drei Meter über den leichten Wellen, dahin. Wir meinen, das Ozeanwasser greifen zu können. 24
Flugzeuge überqueren mit Hilfe von schwimmenJen „Flughäfen" den S3datlantik, da die Reichweite der Maschinen noch nicht genügte., .den Ozean im Ohnehaltflug zu bezwingen (vgl. die Textseiten 24 bis 30)
Der Tag neigt sich seinem Ende zu, als Bathurst in Sicht kommt. Die englische Regierung hat der Deutschen Lufthansa gestattet, Bathurst als Flugstützpunkt zu benutzen. Die wenigen Kolonialhäuser zwischen Palmen grüßen zu uns herauf. Doch nicht dem Ort gilt unser Interesse, sondern einem seltsamen Dampfer, der auf der Reede von Bathurst liegt. Die „Passat" kreist über dem Schiff. W i r wassern, eine Barkasse kommt und übernimmt uns und bringt uns an Bord des Dampfers. Der Dampfer heißt „Westfalen", er ist hier stationiert. Man hat ihn eigens für den Zweck, die Flugschiffe der Lufthansa für ihre Postflüge nach Südamerika aufzunehmen, umgebaut. Das seltsamste an dem Dampfer bildet ein Gerüst von 75 Tonnen Gewicht, der Hebekran, der die Aufgabe hat, die Flugschiffe an Bord zu heben. Es gehört viel Geschicklichkeit dazu, dabei die Dünung zu überwinden. Doch in langer Übung haben die Techniker es gelernt: Der Kran legt seine obere Hälfte aus, die sich waagerecht herabneigt. Die Seile werden an der „Passat" festgemacht. Dann zieht der Kran das Flugschiff empor und schwenkt es bedächtig auf das Deck, das einem Flugzeugträger kleineren Maßstabs ähnlich sieht. „Passat" ist an Bord genommen und gesellt sich zu einem dort bereits stehenden Flugboot, der Dornier „Taifun", deren Aufgabe es ist, die Etappe über den Ozean zu meistern. Eine Viertelstunde vergeht — und schon werfen die Schrauben des Dampfers die See auf. Die „Westfalen" gleitet hinaus auf den Ozean. Der Dampfer wird noch über 100 km auf das Meer hinausfahren, ehe eir die „Taifun" entläßt. An Bord startet ein kleines Fest. Der älteste Dornier-Flugboot-Flieger, von Clausbruch, bekommt die blaugoldene Nadel der „Lufthansa" angesteckt. Wir haben sie eben aus Berlin mitgebracht. „Für Atlantikflüge" steht darauf zu lesen. „Das Kreuz des Südens" leuchtet mit stillem Sternenglanz über uns, leicht ist der Seegang. Die Luft ist warm und lau, fliegende Fische klatschen, vom Licht der Bullaugen geblendet, gegen die Bordwände: Die „Westfalen" durchfährt ein mit Bedacht ausgesuchtes Gebiet des Südatlantik, das einst als der Schrecken aller Seefahrer gefürchtet war. Der Seemann nennt diese Zone die „Mallungen". Hier „ m a l l t " der Wind, er flaut ab. In dieser Windstille blieben früher die Segler oft gefährlich lange hängen und kamen nicht von der Stelle, weil auch die See ruhig bleibt. Dieses Gebiet hat 26
sich die „Westfalen" ausgesucht, um das Wassern und die Übernahme der Flugboote in Ruhe ausführen zu können. Da die „Mallungen" ihre Lage mit den Jahreszeiten etwas ändern, müssen die Wettermänner der „Westfalen" ebenso wie die Kapitäne der Flugboote sich drahtlos verständigen, damit sich Flugboot und schwimmender Stützpunkt im Weltmeer pünktlich treffen. In den Jahren, in denen der Transozeanflug im Südatlantik auf diese Weise vonstatten geht, ist das auch immer gut gelungen. Auf der Kommandobrücke der „Westfalen" ist es lebendig geworden. Es ist an der Zeit, Flugboot „Taifun", das unterdessen die Post aus Deutschland von der „Passat" übernommen hat, auf den Weg zu bringen, damit es recht bald die amerikanische Küste erreicht, die immerhin bis zum nächsten Landepunkt Natal in Südamerika 3100 km entfernt ist. Gespensterhaft ragt ein Flügel der „Taifun" über die Kommandobrücke, der andere wuchtet über die Bordreling über das Meer. Scheinwerfer umgreifen das Flugboot. Es ruht auf einem schweren eisernen Gestell, das Gestell aber lastet auf den Gleisen des Katapults, der Schleudereinrichtung, die das Flugboot in die Luft schleudern wird. Die Besatzung des Flugbootes, Flugkapitän, Flugzeugführer^ Flugmaschinisten und Bordfunker, verabschieden sich. Die Dampferbeleuchtung erlischt, alles liegt für Sekunden in Dunkelheit. Dann brüllen die Motoren auf, 1500 PS sind entfesselt. Blau, rot, grün zuckt es aus den Auspuffstutzen. „Abschuß!" Auf 31 Meter Gleitstreckc erhält das Flugboot durch den Katapult eine Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometer. Nur drei Sekunden dauert der Schleuderstart, dann entschwindet die Maschine in die Weite des Ozeans. Preßluft zischt noch für kurze Zeit aus den Kesseln der Katapultmaschinerie, sie ist das „Pulver", das die Maschine davonjagte. Dann herrscht Stille auf der „Westfalen". Die erste Funkmeldung von Bord der „Taifun" trifft ein: „Abschuß war klar, bei uns alles in Ordnung." 15t/2 Stunden nach dem Katapultstart meldet „Taifun" die glückliche Landung in Natal. 12 000 Briefe, die am 31. März 1934 8.30 Uhr in Stuttgart dem Flugboot übergeben worden sind, können bereits am 3. April in Natal, am 4. April abends in Rio de Janeiro, am 5. April abends in Buenos Aires von den örtlichen Postanstalten bearbeitet werden. Wir erleben auch noch das Eintreffen des Gegenflugzeugs, das 28
Das Schleppsegel am Heck der „Westfalen" erleichterte da3 Landen de« Wasserflugzeugs (vgl. hierzu auch das Bild auf der 2. Umschlagseite)
den Postdienst von Südamerika her besorgt. Es ist der „DornicrWal Monsun". Wie wird der Kran das Flugboot an Bord nehmen? Eine ebenso einfache wie originelle Idee hilft diese Schwierigkeit überwinden. Als das Flugboot „Monsun" in Sicht kommt, läßt der Dampfer ein riesiges grauschwarzes Stück Segeltuch wie einen ausrangierten Teppich über das Heck ins Wasser laufen, das Sehleppsegel. Der Dampfer stoppt. Das Flugboot kommt mit gedrosselten Motoren auf den im Meer schwimmenden Teppich zu. Leicht gleitet das Flugzeug auf, die Motoren verstummen, schnell werden Leinen festgemacht. Der Dampfer nimmt seine Fahrt wieder auf, das Segel strafft sich, der Wellengang ist abgeschwächt. Nun kann der Kran das Flugboot greifen und sicher an Bord nehmen. So entstehen aus Kran, Katapult und Schleppsegel die ersten Einrichtungen des transozeanischen Luftverkehrs. Bevor diese regelmäßigen Postflüge Berlin-Südamerika beginnen konnten, war der Katapultflug auf dem Nordatlantik erprobt worden. Der erste Schleuderstart vom Ozeanschnelldampfer „Brem e n " aus hatte im Jahre 1929 gleichsam den Grundstein gelegt. Auch hier war die Deutsche Lufthansa als Pionier vorangegangen. Bevor ein Schnelldampfer die nordamerikanische oder europäische Küste erreichte, ließ man eine weite Strecke vorher mit Hilfe des Katapults ein Flugboot abschießen und dem Dampfer voraus an Land fliegen. Viel Zeit wurde gewonnen. Die Meeresflugstrecke vom Deck der Schnelldampfer „Bremen" und „Europa" aus betrug 1200 Kilometer, das bedeutete einen Zeitgewinn in der Postzustellung Europa—Amerika und Amerika—Europa von 35 bis 48 Stunden gegenüber der gewöhnlichen Dampferpost. Die Zusammenarbeit Dampfer—Flugzeug auf dem Südatlantik stellte man wieder ein, als sich durch die Südamerika-Flüge der Zeppelin-Luftschiffe die vorteilhaftere Zusammenarbeit FlugzeugLuftschiff ergab. Bollwerk Nord-Atlantik wird überwunden. Stolze Leistungen hatten sich aneinandergereiht, seit die Brüder Wright am 17. Dezember 1903 zum ersten Male mit einem Motorflugzeug geflogen waren und Hugo Junkers 1919 das erste Metall-Verkehrsflugzeug geschaffen hatte. Nur einige wenige Ereignisse aus den mehr als drei Jahrzehnten dieser Entwicklung konnten hier in Erinnerung gebracht werden. Ihr Abschluß vor
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dem zweiten Weltkrieg ist die Tatsache, daß die Amerikaner im Jahre 1939 einen regelmäßigen Passagierverkehr zwischen der Alten und Neuen Welt über den Nordatlantik hinweg eröffnen und ihn zweimal wöchentlich mit viermotorigen Hochdeckern bewältigen.
* Nach dem zweiten Weltkrieg erscheinen neben andern die Riesen der Constellation-Flugzeugfamilie der „Lokheeds" über dem Ozean. Nach der Junkers , J u 90" ist die amerikanische Constellation ein ausgesprochenes Transatlantikflugzeug geworden. Als ihr Geburtsjahr gilt das Jahr 1939. Seitdem sind zahlreiche Großfernflugzeuge dazugekommen. Es gibt keinen Fleck der Erde mehr, der nicht überflogen werden könnte. Es gibt keine Zwischenlandungen mehr bei einem Flug von der Alten zur Neuen Welt. Die Zahl der Dberquerungen des Nordatlantik beträgt schon heute Hunderttausende, zählt man alle fahrplanmäßigen Flüge der Luftverkehrsgesellschaften zusammen. Aber die Entfernungen werden noch geringer und die Dichte des Verkehrs wird noch größer werden, wenn einmal die turbinengetriebenen Clipper in die Flotten der Verkehrsgesellschaften eingereiht sind.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Das Umschlagbild zeigt ein Flugzeug der Zukunft, die Boeing 707-320, ein Düsengroßverkehrsflugzeug, das die Deutsche Lutthansa ab 1960 in Dienst Btellen will. Abbildung auf Umsclüagseite 2: Flugboot auf dem Schleppsegel, fertig zum Anbordholen. — Fotos: Ullstein-Bilderdienst
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