O T T O ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOPPELBÄNDEN
FRÜHZEIT EURO...
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O T T O ZIERER
BILD D E R J A H R H U N D E R T E EINE WELTGESCHICHTE IN 19 EINZEL- UND 11 DOPPELBÄNDEN
FRÜHZEIT EUROPAS ist der Titel des soeben erschienenen zweiten Bandes dieses be'eutsamen Werkes, der vom „Trojanischen Krieg" bis zur Begründung der Athenischen Demokratie an der Schwelle des fünften Jahrhunderts führt.
* Die große Wanderung der Indogermanen, über die der erste Band dieser neuartigen Weltgeschichte in dichterisch-erzählender Form berichtet, führt neue Völker in den Kulturkreis des Südens und Südostens. In der Begegnung des uralten, magischen Geistes, den der Orient ausstrahlt, mit der naturhaften Art der Nordvölker entscheidet sich das Schicksal des Abendlandes. An den Küsten und Inseln der Ägäis ringt Hellas um Selbstbewußtsein und eigene Form. In farbenglühenden, einprägsamen Bildern, doch historisch getreu, wird hier die Geburtsstunde Europas erschaut und gestaltet.
Auch dieser Band ist in sich vollkommen abgeschlossen und enthält wieder ausgezeichnete Kunstdrucktafeln und zuverlässige historische Karten. Er kostet in der gleichen gediegenen Ausstattung wie der erste Band in der kartonierten Ausgabe mit zweifarbigem, lackiertem Überzug DM 2.95 und in der herrlichen Ganzleinenausgabe mit Rot- und Goldprägung und farbigem Schutzumschlag DM 3.60. Prospekt kostenlos vom
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU/MÜNCHEN
K L E I N E B I B L I O T H E K DES W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
KAPITÄN A. E.SCHMIDT
VERLAG SEBASTIAN LUX • MURNAU /MÜNCHEN
Wer an der See keinen Anteil hat, der ist ausgeschlossen von den guten Dingen dieser Welt und unseres lieben Herrgotts Stiefkind.
Vorwort Heute gilt dieses Wort noch ebenso wie vor hundert Jahren, als der Nationalökonom Friedrich List für alle Völker den freien Zugang zu allen Meeren forderte. Jedes Volk der Erde sollte an den Schätzen der See Anteil haben; denn der Reichtum des Meeres ist so ungeheuer, daß die ganze Menschheit davon zehren kann. Wir werden auf den folgenden Seiten nicht von den Gütern reden, die der Seehandel einbringt. Wir wollen die guten Dinge kennenlernen, die von der See selbst dargeboten werden. Wenn wir von Schätzen sprechen, die das Meer „verschenkt", so ist eine Erklärung nötig. „Verschenkt" im eigentlichen Sinne des Wortes wird wohl nur das Stück Bernstein, das uns die Brandung in Geberlaune vor die Füße spült, oder der Klumpen Ambra, den die Flut einem Fahrensmann in den Kurs treibt. Das sind Glücksfunde für Sonntagskinder. In allen anderen Fällen muß sich der Mensch um die guten Gaben der See redlich bemühen, muß sich als Fischer in Wind und Wetter plagen, muß, um die Ernten der See einzubringen, als Taucher nicht selten dem Tode ins Auge blicken. Hat er jedoch das Geschick dazu und bringt er den Mut dafür auf, dann bleibt der Lohn nicht aus. Die alten Waljäger wußten sehr wohl, warum sie die Beute ihrer Reisen den „Segen" nannten. Dieser Segen des Meeres winkt in mancherlei Gestalt heute noch allen, die klug genug sind, ihn zu suchen und Manns genug, ihn zu erringen. 2
Perlen und Perlmutter Sinnbild aller Schätze, die aus dem Meere kommen, Sehnsucht schönheitsdurstiger Menschen ist seit Jahrtausenden die Perle. Kenner schätzen sie höher als alle Edelsteine. Neben dem kalten Sprühen des Diamanten schimmert warm ihr zauberhaft lebendiger Glanz. Was könnte festlicher wirken als eine Kette mattsilberner Perlen oder der Perlenschmuck im Goldfiligran eines mittelalterlichen Domschrems oder eines Buchdeckels! Wer aber weiß von den Mühen der Perlensuche? Die echte Perlmuschel braucht Wärme, daher lebt sie in den tropischen Meeren, im seichten Wasser ihrer Küsten, in den tausend Lagunen der Südsee-Atolle, auf den unzähligen Sandbänken Westindiens, des Roten Meeres, im Persischen Golf, in der Sulu-, der Banda-, der Arafura-See, und wie jene Meeresbecken zwischen China und Australien sonst noch alle heißen mögen. Da liegt an der Nordwestküste von Ceylon die kleine Insel Manaar. Im flachen Wasser der Bucht gedeihen in 8 bis 12 m Tiefe die reichen Kolonien der Perlaustern. Ohne behördlichen Schutz wären sie längst ausgerottet. In den Zeiten des ungehinderten Fangs wurden dort jährlich 40 Millionen Muscheln gefischt. So arg trieben es die Eingeborenen, daß man von 1905 an die Bänke für zwanzig Jahre schonen mußte. Nun ist die Fischerei von Manaar in jedem Frühjahr für fünf bis sechs Wochen frei. In der zweiten Märzwoche beginnt die Saison. In Flotten zu fünfzig und mehr laufen die Boote um Mitternacht aus, erst gegen Sonnenaufgang erreichen sie die Bänke. Ein Kanonenschuß ist das Signal für die Taucher. Zu sechs bis zehn in jedem Boot gehen sie an die Arbeit. Eine Klammer für die Nase, ein Stein von zwanzig Kilo am langen Tau, ein Korb für die Muscheln und ein kurzer Speer aus Eichenholz für die Haie — das ist ihre Ausrüstung. Aber es ist nicht alles: Nie darf das Amulett um den Hals fehlen und der Hai-Zauberer, der vom Boot aus die Raubfische beschwört. Ob es hilft? Wenn nicht, so gibt es einen neuen Einarmigen im Fischerdorf oder einen neuen Einbeinigen zu denen, die dort schon leben — oder eine neue Witwe. Aber das stört die anderen wenig. Von Kindheit an kennen sie die Taucherei; wer ihr nachgeht, steht in Gottes Hand. Warum also sich sorgen . . ? Rund zwei Minuten bleibt so ein Nackttaucher unter Wasser, sehr geübte halten es zweieinhalb bis drei Minuten aus. Man pro3
liiere einmal mit der Uhr in der Hand, was das bedeutet. Leute, die zwei bis drei Minuten tauchten, sah der Verfasser selbst bei der Arbeit. Natürlich ist das Raubbau an der Gesundheit; selbst ein Herkules würde dabei nicht alt, auch wenn ihn der Hai verschont und der vielarmige Krake, der Schrecken aller Taucher. In der Regel jvird die Perlenfischerei heutzutage jedoch von kleinen Motorseglern aus betrieben, mit einer vollständigen Taucherausrüstung, die aus Helm und Gummianzug besteht mit allem, was dazu gehört. Man braucht ein ansehnliches Kapital, um anzufangen; an der Nordwestküste von Australien, einem der reichsten Perlmuschelgebiete der Erde, vor dem Kriege etwa 2000 Pfund Sterling. Heute wird es das Doppelte sein. Dort an der Küste zwischen der blauen Tropensee und der buschbestandenen Einöde liegt die „Stadt" Broome. Wenn es überhaupt eine Stadt gibt, die ihre Gänsefüßchen verdient, dann diese Ansammlung von Baracken und Hütten primitivster Art. Hier hausen 400 Weiße mit ihren farbigen Helfern und Kanaken, 3000 bis 4000 an der Zahl. Es sind Japaner und Chinesen, Inder, Afghanen. Malayen, Singhalesen und Mischlinge jeder Schattierung. Zwar hatte im Jahre 1905 das australische Parlament das Land allen fremdrassigen Arbeitern durch Gesetz verschlossen. Australien sollte „white man's country", „Land des Weißen Mannes", sein und bleiben. Aber was wollte man auf den Perlenbänken ohne die gelben und braunen Taucher tun? Weiße können diese Arbeit nicht leisten — nicht auf 15° Breite! Die Perlenfischerei jener Küsten schien dem Ruin verfallen. So kam man auf einen Ausweg. Farbige Hilfskräfte wurden für jeweils drei Jahre zugelassen, doch nicht für Arbeiten an Land! Nur an Bord durften sie tätig sein, und höchstens noch beim Anlandtragen der Muscheln. Das Hauptprodukt der „Perlenfischerei" sind nämlich — so seltsam es klingt — die Muscheln. Wer liebt nicht den irisierten Glanz der Perlmutter, die man schnitzen, drechseln und zu Knöpfen und Schnallen, Griffen, Medaillons, Einlegemosaiken und zu allen jenen Dingen verarbeiten kann, die unter dem Namen „Bijouteriewaren" in den Schaufenstern liegen. Seit dem Altertum liebt man diese Schmuckschalen. Auch heute noch finden sie einen guten Markt, und alle, die damit zu tun haben, werden wohlhabend — bis auf die Männer, die sie vom Grunde der See heben. Von einem reichgewordenen Taucher hat man noch nie etwas gehört. Es gibt einige dreißig Arten von Perlmuscheln, und man glaubt kaum, wie verschieden sie sind. Vom Golf von Persien an bis in die ferne Südsee reicht das Gebiet der Margaritifera vulgaris, der ge4
meinen Perlmuschel. Kaum größer als ein Handteller, gehen 40 bis 50 auf ein Kilogramm. Im Roten Meer findet man sie an fast allen Küsten. Weil man sie vor allem im Golf von Lingah fischt, kommen sie gemeinhin als „Lingahshells", Lingah-Muscheln, in den Handel; sie sind leicht kenntlich an ihrer weißlichen Färbung und der rosiggetönten Lippe. Kenner unterscheiden jedoch die helle „MassauaSchale" von der „Dschiddah" mit ihren satteren Farben. Rauchigdunkel mit schwärzlichem Rand ist die „Bombay-Schale", die bis 25 cm Durchmesser erreicht. Groß wie ein Kuchenteller und manchmal 2,5 kg schwer wird die Margaritifera maxima. Mit ihr machten die Unternehmer an der Küste von Australien ihr Glück, als man dort die Bänke entdeckte. Vor dem Kriege brachte die Tonne dieser Ware mindestens 300 Pfund ein. Durch besonders lebhaftes Farbenspiel entzückt die „Makassar" der Java-See, und zauberhaft glänzt die gelbliche „Manila" aus der Mindoro-See mit ihrem prächtigen goldigen Rand. Aber viele Liebhaber erkennen der Tahiti-Muschel die Krone zu. Ihre, geheimnisvoll tiefen Farben, das feurige Spiel von Grün und Rot gibt ihnen ihren Reiz. Die mittelamerikanischen Muscheln dagegen sind häufig spröde, desgleichen die von Sansibar, sie kommen für die Verarbeitung kaum in Betracht. Ganz seltsam muten die „Fenster-Schalen" an; sie sind so flach, daß man sich wundert, wie zwischen ihnen ein Lebewesen zu existieren vermag. Im tropischen Osten wurden sie viel als Fensterscheiben verwandt, und werden es heute noch. Jede Schale liefert ein handgroßes Stück Scheibchen, das durchscheinend wie Milchglas ist. Drei oder vier Dutzend davon in einem hölzernen Rahmen ergeben ein brauchbares Fenster in einem Klima, wo die ungehemmte Sonne ohnehin mehr Feind als Freund ist. — Japanische Muscheln sind recht klein und liefern kein besonders gutes Perlmutter. Doch spielen sie im Perlenhandel eine gewichtige Rolle, darum werden wir später mehr von ihnen hören. Perlmuscheln sind die Werdestätten und Gehäuse für die Perlen. Jeder Taucher, der eine Muschel in seinen Korb sammelt, hofft natürlich, es sei eine Perle darin verborgen — wenigstens eine. Aber viele, viele Muscheln — etwa tausend — müssen ans Licht gebracht werden, ehe eine brauchbare Perle zum Vorschein kommt. Man denke: tausend Muscheln und erst eine Perle! Sie sind wie die Treffer in einer Lotterie, deren Einsatz für den Unternehmer das Boot mit seiner Ausrüstung ist, für den Taucher die Gesundheit, seine heilen Gliedmaßen und oft genug auch das Leben. Was an Muscheln vom Meeresgrund heraufkommt, wird tagsüber an Deck gelagert. Die sengende Sonne trocknet sie, die Tiere sterben 5
und öffnen ihre Schalen, die bis dahin eisern verschlossen waren. Wenn dann die Sonne sinkt, erscheint der Muschelöffner an Bord; den Tag hat er verschlafen, jetzt beginnt seine Arbeit, die Ziehung der „Lose". Mit einem kurzen, starken Messer bricht er die schon klaffenden Schalen vollends auseinander. Flink greifen geschickte Finger in die weiche Masse hinein, tasten jede Falte ab, durchstöbern die letzte Faser. Nicht das kleinste Körnchen entgeht den geübten Griffen. Gespannt sitzt die ganze Besatzung des Schoners in der Runde. Das Allermeiste, was aus den Glücksschalen hervorkommt, sind winzig kleine Perlchen, sogenannte „Staubperlen" von der Größe eines Stecknadelkopfes. Sie sind das, was man im Mittelalter „Meergrieß" nannte oder „Meergrütze"; etwas größer sind die „Saatperlen", die blinkenden Senfkörnern gleichen. Es sind keine Perlenkinder, wie viele glauben, die größer geworden wären, hätte man die ] Muschel in Ruhe gelassen; es sind Perlenzwerge, die man nur inj der Menge wiegt und zu vielen gemeinsam bewertet. Mit der Größe eines Pfefferkorns beginnen die „Zahl- oder Stückperlen". Das Gewicht, nach denen man sie mißt, ist noch viel geringer als das Karat, nach dem man Edelsteine wiegt. Ein Karat ist ein fünftel Gramm. Ein „Gran" jedoch, die Einheit des Perlengewichts, ist nur der vierte Teil eines Karats, also ein zwanzigstel Gramm. So haargenau wiegt man die Perlen. Ihr Preis ist nicht allein durch Gewicht und Größe bestimmt. Er wird beeinflußt durch Form, Farbe und Glanz, die nur das in vielen Jahren geschulte Auge des Fachmannes richtig abzuschätzen versteht. Eine makellose Perle von drei Gran kostet etwa 120 Mark. Eine gleich schöne von sechs Gran wird aber nicht mit 240 Mark bewertet, sondern kostet 480 Mark. Der Preis steigt nämlich mit dem Quadrat des Gewichtes! Doppeltes Gewicht — vierfacher Preis, fünffaches Gewicht — fünfundzwanzigfacher Preis. Nun versteht man, warum der Fund einer „Kirschperle" die Fischer der ganzen Küste in Aufregung versetzt. Und mehr noch die Händler. Wird aber einmal das gefunden, was man eine „Paragonperle" nennt, ein Exemplar von] der Größe einer Nuß, dann geht es wie Fieber durch alle Kontore des Perlenmarktes, der über die ganze Welt reicht. Doch alles hängt in erster Linie von der Form ab. Das Ideal ist das „Perlenauge", die völlig runde Perle. Vielleicht kommt von dieser idealen Rundform der Name der Perle. Pirula heißt sie mit ihrem lateinischen Namen: „kleines rundes Ding". Aber die Idealform ist selten, sehr selten. Die weitaus meisten Perlen sind von unregelmäßiger Gestalt und höckerig; wie winzige Blumenkohlköpfe aus Perlmutter sehen sie aus. „Barockperlen" 6
nennt man sie, oder „Phantasieperlen". Der Laie wüßte damit kaum etwas zu beginnen. Dem Fachmann sind sie nicht wertlos; denn unter der mißgestalteten Hülle schlummert oft der gute Kern. Die Frage ist nur, wie tief er schlummert und wo die geschickte Hand ist, die ihn ausgräbt. Es gibt Männer, die haben eine Art sechsten Sinn dafür. Solch ein „Perlendoktor" nimmt die Barockperlen in Behandlung. Viele Stunden bearbeitet er sie mit einer zarten Klinge, schabt mit unendlicher Geduld Schicht um Schicht hinweg, bis dann endlich statt der unschönen Knolle vielleicht ein glattes schimmerndes Ding in seiner Hand liegt: eine Rundperle. Der Erfahrene hat gute Gewinnchancen dabei, manchmal aber auch großes Pech, wenn er allzuhoch spekuliert hat und kein rechter Kern herauszuschälen ist. Der Perlenhändler erkennt die Herkunft seiner Ware meist an der Farbe. Ein zartrosiger Sehein kennzeichnet die indischen Perlen und jene aus dem Golf von Persien, einer Fundgrube herrlicher Perlen. Der gelbliche Hauch im Rosenglanz verrät die von Bombay, das reine Weiß die von Madras. Unverkennbar ist der starke, metallische Silberglanz der Australperlen und das warme Goldgelb der Panamaperlen. Sehr hoch schätzt man aucji die seltsam blau-grünen Abaloneperlen der HaliotisMuscheln. Die stahlblauen, blau-schwarzen, grün-schwarzen und die rot-schwarzen Placuna-Perlen erzielen oft phantastische Preise. Es gibt auch „Chinesische Perlen", aber sie stammen nicht immer aus chinesischen Gewässern. Es sind Perlen mit einem Doppelloch, und einem Kanal, der im Winkel verläuft. Die Erklärung für diese seltsame Art der Bohrung ist ebenso einfach wie überraschend: diese Perlen haben bereits als Knöpfe gedient. Bei dem unvorstellbaren Reichtum der chinesischen Oberschicht früherer Tage kamen solche Perlen meist aus chinesischem Besitz. Wurde die Bohrung verkittet, so nannte man sie „Gestopfte Perlen". Waren sie zum Aufreihen fertig, so standen sie als „Witwen" in den Katalogen. Für ganz frische Perlen hat der Fachmann die Bezeichnung „Jungfern-Perlen". Unmöglich, alle feinen Unterschiede auch nur anzudeuten. Keine Sprache hat Worte genug, sie exakt auszudrücken. Darum greift der Fachmann zum Bildwortschatz Ostasiens, spricht vom „Kristallglanz", vom „silberwolkigen Mondesglanz", vom „Sternenschein der Frostnacht". Der geheimnisvolle Reiz einer großen Perle ist tatsächlich etwas, was man in der nüchternen Sprache des Alltags nicht schildern kann. Kein Wunder, daß die Großen aller Zeiten schöne Perlen liebten, und sie haben Unsummen dafür ausgegeben. Julius Cäsar kaufte im Jahre 59 v. Chr. eine Perle für 9 Millionen Sesterzen, etwa 1,5 Mil-
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lionen Goldmark. Als Kaiser Caligula sich mit Lollia Paulina verlobte, schenkte er ihr einen Schmuck von Perlen und Smaragden, für den er rund 10 Millionen Goldmark aus der Staatskasse entnahm. Der römische General Vitellius bestritt die Kosten eines ganzen Feldzuges mit dem Erlös einer einzigen Perle. Und die berühmten beiden tropfenförmigen Perlen, die Kleopatra als Ohrgehänge trug, schätzte der Historiker Plinius auf 60 Millionen Sesterzen! Eine der größten Perlen stammt von den Muschelbänken der Insel Margarita in Westindien. Sie war 250 Karat, 50 Gramm, schwer und wurde 1579 an den Hof Philipps II. nach Spanien gebracht. Man taxierte den Wert des taubeneigroßen Juwels auf 100 000 Dukaten, und ganz Spanien wallfahrtete nach Sevilla, um die wunderbare „Peregrina" zu sehen. Auf der Londoner Ausstellung vor hundert Jahren zeigte Mr. Hope eine Riesenperle, die 11,4 cm im Umfang maß. Die Form ließ jedoch viel zu wünschen übrig. Auch der Flußperlen sei kurz gedacht. Zuweilen enthalten nämlich auch die Muscheln der Ströme Süddeutschlands, Frankreichs, Englands und Irlands Perlen, die alle nur denkbaren Farben annehmen und mitunter sogar recht hübschen Glanz zeigen können. Doch neben einer „echten" Perle fallen sie hoffnungslos ab. Ihr Wert ist deshalb nur gering, auch wird die Ausbeute von Jahr zu Jahr kleiner und beträgt jährlich nur noch wenige tausend Mark. Welchen Umfang die Seeperlenfischerei hat, ergibt sich aus den Angaben eines der bedeutendsten Perlenhändler der Welt und eines bekannten Kenners des Perlenmarktes. Er schätzt den jährlichen Ertrag aller Perlengründe auf 50 Millionen Mark, den jährlichen Umsatz des Perlenhandels sogar auf 340 bis 350 Millionen Mark.
Zuclitperlen Der Wunsch, Perlen willkürlich zu züchten, ist natürlich. Man weiß seit langem, daß eine Perle nur dann entstehen kann, wenn ein Fremdkörper in die Muschel eindringt und sich dort festsetzt. Zum Schutze gegen den Eindringling kapselt ihn das Muscheltier mit einer Hülle aus Perlmuttersubstanz ein, mit der auch die Innenseiten der Schalen überzogen sind. Das Wunder einer Perle entpuppt sich also als ein Krankheitsprodukt, eine Art Gallenstein des Muscheltieres. Was aber, so fragte man sich, wenn man selber den Anstoß zu dieser „Krankheit" gibt? Man brauchte doch nur einen Fremdkörper in die Muschel zu bringen. Würde sie ihr Werk dann nicht automatisch verrichten? Das war kein neuer Gedanke. Schon im 13. Jahrhundert fand der Chinese Ye-jing-yang eine Methode zur Erzeugung „künstlicher" 8
Perlen. In jedem Frühjahr ließ er Muscheln sammeln. Sorgsam wurden die Schalen geöffnet, mit Bambusstäbchen kleine Kugeln von Lehm oder Holz eingeführt und die Tiere dann wieder ins Wasser gesetzt. Nach zwei, drei Jahren holte man sie heraus, öffnete sie und siehe da: sie hatten dasKügelchen mit einer Schicht von Perlsubstanz umkleidet. So wurden Millionen von „Perlen" hergestellt, die aber nicht einmal ein Kind zu täuschen vermochten. Da sie nämlich an der Schale festsitzen, von der sie mit Gewalt gelöst werden müssen, hat jede die Form einer Halbkugel; es sind „Blister"-Perlen, Blasen. Zwei Blasen zusammengesetzt ergeben eine Kugel vom Aussehen einer Perle. Aber es ist natürlich keine Perle, sondern nur ein bescheidener Ersatz. Auf die gleiche Weise werden übrigens auch jene winzigen Perlmutter-Buddhafiguren hergestellt, die man in allen Basaren des Ostens zu Tausenden sieht. Es sind Holz- oder Tonfigürchen, die man von einer Muschel mit Perlmutter bekleiden ließ, oft ein Dutzend auf einmal in einer Schale. Bis es gelang, die Muschel künstlich zur Erzeugung richtiger Perlen anzuregen, -sollte noch viel Zeit vergehen. Erst im Jahre 1913 entdeckte der deutsche Forscher Alverdes ein brauchbares Verfahren, im folgenden Jahre der Japaner Kokichi Mikimoto. Die Methode, die sie entwickelten, ging von den Zuchttricks aus, mit denen die Chinesen seit Jahrtausenden Blister-Perlen gewonnen hatten. Man tötet eine Muschel, entnimmt ihr den sogenannten „Perlsack", legt ihn um ein Perlmutterkügelchen und pflanzt ihn einer zweiten Muschel an einer bestimmten Stelle ein. Die Wunde wird sachgemäß behandelt, die Muschel schnell wieder ins Wasser gesetzt, und nun wartet man, bis sie ihre Arbeit getan hat. Das hört sich einfach an, erfordert jedoch mindestens so viel Handfertigkeit und Erfahrung, wie die Beparatur einer winzigen Damenarmbanduhr. Unzahlige Versuchsreihen waren nötig, um herauszufinden, was man der Muschel als Kern für ihre Perle anbieten sollte. Holz, Fischeier, winzige Würmer, Sandkörner — alles, was Pflanzen-, Tier- und Steinreich bieten, hat man probiert. Der Erfolg war lange Zeit ganz gering. Endlich entdeckte man, daß es Perlmutter war, was die Muschel anregte, mit äußerstem Eifer Perlsubstanz zu produzieren. Aber wie seltsam: von allen Sorten Perlmutter war es die vom Mississippi, die den besten Erfolg erzielte! Obwohl Mikimotos Perlfarm einen Überfluß an Perlmutter hatte, mußte er das Material für die Perlkerne aus dem Herzen der USA, aus Iowa, einführen. 1921 geschah es zum ersten Male, daß in Europa und Amerika makellose Perlen aus der japanischen Züchterei angeboten wurden. Die Fachleute betrachteten sie mit Mißtrauen, 1926 beschloß eine 9
internationale Konferenz von Perlenhändlern, die künstlich gezüchteten Stücke dürften nicht als „echte" Perlen angeboten werden, da sie kein Naturprodukt seien. Seitdem bietet sie der Händler, der auf sich hält, nur als „Zuchtperlen" an. Mikimoto störte das nicht. Binnen weniger Jahre überschwemmte er den Markt mit seinen Produkten. Und als 1929 mit dem wirtschaftlichen Niederbruch der USA die Handelskrise der ganzen Welt einsetzte, da eroberte der Japaner mit seinen Perlen fast alle Märkte; denn niemand konnte so billig verkaufen wie er. Nur Mikimoto konnte Perlen so billig anbieten; die Anspruchslosigkeit der Arbeitskräfte erlaubte es ihm. Alle seine Perlentaucher ' sind Frauen und Mädchen. In flachen Booten gleiten sie über die j Muschelkolonien, die in Holzkästen in der Abo-Bucht, am Strand der Provinzen Nagasaki, Ishikawa, Okinawa angelegt sind. Kilometerweit I ziehen sie sich hin, Millionen und Abermillionen von Muscheln wer- I den dort gehütet und durch Netze gegen Tintenfische und alle anderen Feinde geschützt. Die Taucherinnen lernen ihr Gewerbe von ihren Müttern, und auch ihre Töchter werden Taucherinnen sein. Es ist ein erblicher Beruf. Mikimoto wählte Frauen für diese Arbeit, weil ihre Lungen geräumiger sind als die des Mannes, und nicht nur, weil sie billiger arbeiten, wie viele sagen. Die Muscheln, die sie aus etwa 7 Meter Tiefe in Körben heraufholen, wandern in weite Arbeitssäle. Hier sitzen an Werkbänken lange Reihen von Mädchen in weißen Kitteln und hantieren mit kleinen Messern und feinen Pinzetten. Mit diesen Instrumenten führen sie jene Operation aus, die eine Muschel zur Perlenerzeugung zwingt. Ist die Übertragung gut gelungen, kommt die Muschel wieder ins Wasser und bleibt dort drei bis fünf Jahre. In dieser Zeit hat sie eine Perle von mittlerer Größe aufgebaut. Zu großen Exemplaren braucht sie bis zu zehn Jahren. Doch auch hier wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Die Erfahrung zeigt, daß etwa nur jede vierte operierte Muschel eine Perle erzeugt, und von diesen wieder liefert höchstens jede zehnte eine Perle, die Handelswert besitzt. Von tausend Operationen führen also nur fünfundzwanzig zum Erfolg. Oder anders: um 1000 Perlen zu züchten, müssen 40 000 Muscheln aufgezogen, operiert, gehegt und großgezogen werden. Trotzdem hat Mikimoto einen ganzen Saal voller Arbeiterinnen, deren jede täglich 20 Perlenketten auffädelt. Mehr allerdings nicht. Auch die gesündesten Augen könnten nicht mehr von dieser knifflichen Arbeit leisten. Die Zuchtperle von der ohne menschliches Zutun gewachsenen Perle zu unterscheiden, vermag nur der Fachmann — und auch er 10
braucht dazu mindestens ein gutes Mikroskop oder ein Durchleuchtungsgerät für ultraviolettes oder Röntgenlicht. Der wahre Kenner sieht aber mit einer gewissen Verachtung auf die Zuchtperle. Sie gilt ihm nicht als das echte Juwel, obwohl sie von der Perlmuschel aufgebaut ist. Die Königin des Perlenmarktes wird immer die Naturperle bleiben.
Die Auster des Reichen und die des K l e i n e n Mannes? Was die Auster bei ihren Anhängern beliebt macht, ist ihre große Bekömmlichkeit. Man fand ausgeschlürfte Austernschalen in Küchenabfallhaufen dänischer frühgeschichtlicher Wohnstätten. Die Römer — Kenner einer guten Küche — liebten ein Gericht Austern, das sie sich sogar aus dem fernen Britannien kommen ließen. Sie pflegten aber auch eigene Austernzucht in den Austerngärten der mittelitalienischen Seen. Nicht jedem behagt diese Muschel. Über den Geschmack läßt sich nicht streiten. Wem Austern nicht munden, der hat eben keine Zunge dafür. Man soll ihn nicht schelten! Die eßbare Auster brütet ihre Eier in den Falten ihres eigenen „Mantels" aus und entläßt die Brut — mehrere Hunderttausend an Zahl! — vom Mai bis August. Daher werden in diesen „Monaten ohne r" Austern nicht gefangen, also auch nicht gegessen. Soweit die Jungen nicht sofort von Fischen aufgefressen werden, setzen sie sich irgendwo fest. Alles hängt für sie davon ab, daß sie einen guten Ankergrund finden. Glückt es ihnen nicht, so sterben sie. Diesen Hang zur Seßhaftigkeit benutzt man, um sie in großen „Bänken" anzusiedeln. Mit Reisigbündeln fängt man die Jungen ein und setzt sie später an Steinen oder Pfählen fest. Nach etwa zwei Jahren sind sie erwachsen, fett und damit reif für den Tisch. An den Küsten der Nordsee, in Frankreich, Irland, den USA, in Japan und Neuseeland, überall züchtet man Austern. In Portugal ließ vor 100 Jahren der Marquis de Pombal eine Schiffsladung junger Brut „aussäen"; jetzt zieht man dort eine der besten Arten in großen Mengen. Diesem Beispiel folgte der englische Genießer und Geschäftsmann Lord Carnavon und gründete die berühmten Austernzüchtereien von England. Die „Austernparks" von Marennes, von Ostende, die in der Bucht von SanFranzisko und in derFundy-Bucht bei Neufundland, alle liefern vom September ab täglich viele Wagenladungen frischer Austern. Eisenbahn und Auto haben ihnen neue Märkte im Binnenland erschlossen — zur Wonne der Feinschmecker. Keine geringfügige Angelegenheit, der Austernfang! Man schätzt seinen Ertrag im Jahre in England auf 200 000 Pfund Sterling, in 11
Berge von Austernschalen in nordamerikanischem Hafen Holland auf 2 bis 3 Millionen Gulden, in Japan auf 700 000 Yen, in Kanada auf 200 000 Dollar. An der Spitze stehen die USA; sie verzehren im Jahre für 14 Millionen Dollar Austern, und der französischen Fischerei bringen sie jährlich mehrere hundert Millionen Francs. Was man also von der Auster auch halten mag, eines muß man ihr zugestehen: sie macht viele Menschen satt und hat schon manchen Fischersmann von allen Sorgen befreit. Einen Nachteil hat die Auster: sie ist leider nicht billig genug, um wirklich Volksnahrungsmittel zu werden. Darum hat die Natur in einer guten Stunde die Miesmuschel geschaffen. Sie ist „die Auster des Kleinen Mannes". Die Mytilus edulis haust an allen Küsten Europas. Mit den Fäden ihres „Bartes" klammert sie sich an Steine und Felsen und besonders gern an Pfähle fest, was ihr den zweiten Namen Pfahlmuschel eingetragen hat. Diese Vorliebe toacht, daß man sie leicht züchten kann. In vielen Hafenorten unserer Küste gewähren sie bedürftigen Fischerfamilien ein regelmäßiges Einkommen; neuerdings werden von Flensburg ganze Autoladungen nach Holland exportiert. Es gibt Stellen mit uralten Pfahlmuschelkulturen. So strandete im Jahre 1235 bei Esnandes an der französischen Küste ein irisches Schiff. Mit seinem Fahrzeug verlor der Kapitän Walton seine ganze Habe. Die Muscheln, von denen er und die Geretteten seiner Leute 12
zuerst lebten, brachten ihn auf eine Idee. Sowie das Wetter sich beruhigt hatte, ging er an die Arbeit. Er trieb Pfähle ins Watt und verband sie mit losem Flechtwerk aus Weidenruten. Daran siedelte er Pfahlmuscheln an. Sie gediehen über Erwarten gut, und bald konnte er die ersten Körbe voll verkaufen. Er hatte eine neue Existenz gefunden. Seine Nachkommen leben heute noch inEsnandes, sie gehören zu den wohlhabendsten „Boucholeurs" jener Gegend. So nennt man die Eigner eines „Bouchots", eines jener Pfahlwerke, die sich oft stundenweit in die flache Strandsee erstrecken. In dicken Klumpen geballt, sitzen daran die Muscheln zu Millionen. Sie werden das ganze Jahr hindurch geerntet, nur die heißesten Tage im Jahr fallen aus. Man sagt, daß die Zuchtbetriebe ihren Besitzern eine gute Rente abwerfen. In Frankreich, in Holland, in Westdeutschland, in den Mittelmeerländern wird die Miesmuschel gern gegessen. Und in den Küstenstädten der USA ist „clamchowder", die Muschelsuppe, zu einer Art Nationalgericht geworden.
Die Edelkoralle Passiert man im Sommerhalbjahr die Straße von Messina, dann trifft man, wenn das Wetter gut ist, oftmals auf Boote, deren Insassen ein merkwürdiges Gerät mitführen: ein Kreuz aus derben Holzbalken, etwa anderthalb Meter im Durchmesser, beschwert mit einem Stück Eisen, und daran ein starkes Netz. Sie lassen es zu Wasser, und dann sieht man, wie sie dieses Balkengerüst unter fortwährendem Auf- und Niederrucken über den Grund schleppen. Es sind Korallenfischer. Sie arbeiten nach der gleichen Methode wie die Menschen dieser Gegend vor 2000 Jahren. Mit ihrem simplen Urvätergerät die Korallenstöcke ans Tageslicht zu holen, ist nicht einfach. Einmal wachsen die besten Korallen verteufelt tief, mindestens 150 Meter, oft bis zu 300 Meter. Und dann haben sie eine Eigenschaft, die das Fischen doppelt schwer macht: sie wachsen von ihrem Standort oft nach unten. Es gehört viel Feingefühl und noch mehr Erfahrung dazu, das Gerät so zu führen, daß das Kreuz die Korallen auch richtig faßt und bricht; sie müssen genau in das Netz fallen und nicht etwa daneben zwischen die Steinblöcke des Grundes, wo sie auf immer verloren wären. Die Fischer haben ihr Handwerk von Kind an gründlich erlernt. Schon als fünfjährige „Piccaninnis"' begleiten die Buben ihre Väter im Boot; die Väter aber haben das Handwerk vom Großvater übernommen und so fort, hundert Generationen hindurch. 13
Man sieht die Korallenfischer mit ihren Booten jeweils nur an einer Stelle der Straße versammelt. Kommt man ein Jahr später durch die Meerenge, dann stehen sie alle an einem anderen Platz. Das hat seinen Grund. Um eine Ausrottung der wertvollen Korallen zu verhindern, wurde das Gebiet der Straße von Messina in zehn Reviere geteilt. Nur eines davon wird in jedem Jahre vom Staat freigegeben, so daß der Korallenbestand sich immer wieder neun Jahre erholen kann. Es soll allerdings Wilderer geben, die trotzdem nachts in die geschützten Schongebiete einbrechen und Beute machen. Korallenfang ist ein uraltes Geschäft. Schon die Frauen der Antika schätzten das glatte Rot der Koralle und zahlten gute Preise für besonders farbschöne Stücke. Wichtig war die mittelmeerische Koralle auch als Handelsware im Export zu den Völkern des Ostens. „Unsere Koralle", schreibt Plinius, der Römer, „wird in Indien so hoch geschätzt wie bei uns die indischen Perlen". In Europa ist die Vorliebe für Korallenschmuck seit Römerzeiten nie ganz erloschen. In den Schmucktruhen unserer Großmütter lagen die Ketten und Armbänder aus den schönen sattroten Perlen noch in vielerlei Herstellungsarten. Im Wechsel der Mode sind sie dann ein wenig zurückgetreten, vielleicht, daß sie in unseren Tagen wieder zu Ehren kommen. Inzwischen aber haben Chemie und Technik Nachahmungen entwickelt, die so wohlgeraten sind, daß nur noch das Auge des Fachmannes Echtes vom Falschen zu unterscheiden vermag. Die Edelkoralle wächst nur im Bereich des Mittelmeeres. Ihre Entstehung und Vermehrung umschließt einen der wundersamsten Lebensvorgänge, wie er so phantastisch nur im tausendfältigen Gewimmel der See vorkommt. Baumeister der Korallen ist ein winzig kleiner Polyp, ein Blumentier, mit blumenblattähnlichen Ärmchen. Der junge, dem Ei entschlüpfte Polyp tummelt sich frei im Wasser,, bis er unter verblüffenden Verwandlungen und Umbauten des ganzen Körpers einen Platz in der Reihe der festsitzenden Artgenossen findet. Seßhaft geworden, wird er zum Gehilfen am Bau des Korallenstockes, in dem alle Einzeltiere durch Ernährungskanäle miteinander in lebendiger Verbindung stehen. Die winzigen Körper der stockbildenden Polypen scheiden eine harte kalkige Masse aus, die vom zarten Rosa bis zum lebhaftesten Blutrot gefärbt sein kann, obwohl der Polyp selbst weiß ist. Kleiner als ein Senfkorn ist solch ein Bauarbeiter. Doch an einem Stock arbeiten ungezählte Tausende, und so wächst der Bau Tag und Nacht, bis er endlich Meterhöhe erreicht, unten abstirbt, oben aber in vielen Verästelungen weiterlebt. Frisch aus dem Wasser geholt, sieht ein Korallenstock nicht schön aus. Die orangefarbene Oberfläche strotzt von Schleim und Saft. 11
Korallenbank in der Südsee Hineingetüpfelt sind die blütenweißen kleinen Polypen, die Erbauer des Stockes. Erst wenn alles Lebende abgestreift, der Rest gebürstet und gereinigt, geteilt und poliert ist, erkennt der Laie, was er vor sich hat. Edelkorallen wachsen an den Küsten von Tunis, Algier und Marokko, in den Gewässern um Korsika, Sardinien und Sizilien und an der Mittelmeerküste Spaniens. Die beste Qualität jedoch stammt von der Küste der Provence und aus der Straße von Messina. An manchen Stellen stehen sie in flachem Wasser. Dann benutzen die Fischer lange Stangen mit einem Eisenring, unter dem ein Netz hängt; wie ein riesiges Schmetterlingsnetz sieht es aus. Damit streifen sie die Unterseiten der Klippenvorsprünge ab, denn dort, sagen sie, sitzen die schönsten Korallen. Die Händler haben merkwürdige Namen, um die vier besten Sorten zu unterscheiden: Die vom ersten und die vom zweiten Blut, die „Blume des Blutes" und schließlich den „Blutschaum". Sehr geschätzt ist die Koralle von reinem Rosarot; ihre Seltenheit macht sie zur großen Kostbarkeit. Gerade bei dieser Koralle sind viele Fälschungen im Umlauf; sie werden durch Bleichen mit Wasserstoffsuperoxyd hergestellt. Hohe Liebhaberpreise werden auch für „Schwarze Korallen" gezahlt, Stücke, die ein so tiefes Rot tragen, daß sie fast schwarz erseheinen; doch auch hier sind Fälscher am Werk. Sie legen Korallen gewöhnlicher Färbung längere Zeit in Schlamm, dem sie gewisse Chemikalien zusetzen. Das verändert die 15
Farbe so sehr, daß nur ein Vergleich mit echten Schwarzkorallen vor Schaden schützt. / Die jährliche Ernte aller Fundstellen des Mittelmeers schwankt zwischen 80 000 und 200 000 Kilogramm. Im Mittelmeer war Marseille das Zentrum des Korallenhandels und der Verarbeitung. Nach der französischen Revolution verlagerte sich jedoch der Markt nach Genua und Neapel. Dort war die Koralle in allen Schichten der Bevölkerung stets heimisch. Wer darauf achtet, wird erstaunt feststellen, wie viele Menschen dort am Halsband oder an der Uhrkette eine kleine Hand aus Koralle tragen. Es ist das unentbehrliche und das beste Mittel gegen die furchtbare „Jettatura", den bösen Blick! Und wenn ein verliebter Signorino seiner schwarzlockigen Signora ein Zeichen geben will, wie ihm ums Herz ist, dann streift er unauffällig an ihr vorbei und drückt ihr als Beweis seiner Liebe ein kleines Herz aus blutroter Koralle in die Hand. Eigens dafür, scheint es, hat das Mittelmeer diesen roten Zierat geschaffen.
Schildpatt Eigentlich müßte dieses begehrte Geschenk des Meeres „Schildpadd" geschrieben werden, denn es steckt darin das niederdeutsche Wort „Padde", Kröte; oft hört man es auch Schildkrot nennen. Es ist der durchscheinende, 3 bis 6 Millimeter dicke, hornige Belag des knochigen Rückenpanzers der Schildkröte. Das kostbarste Schildpatt ist das schwarzgelb gefleckte vom Rücken der Karett-Schildkröte, die im Indischen Ozean lebt. Die Art, wie es früher gewonnen wurde, konnte einem die Freude daran gründlich vergällen. Die Singhalesen, sonst die sanftesten Menschen, die man sich denken kann, hielten die lebend gefangenen Tiere einfach über ein Feuer und rösteten sie solange, bis sich das Schildpatt vor Hitze von den knöcheren Unterlage ablöste. Danach warf man die geschundenen Tiere wieder ins Wasser, damit sie neues Schildpatt ansetzten und es sich ein Jahr später wieder abbrennen ließen. Heute ist die Gewinnung des kostbaren Materials weniger grausam. Im Meere und an Land gibt es viele Arten von Schildkröten, große und kleine, flache und stark gewölbte Formen. Alle atmen durch Lungen; die das Wasser lieben, müssen wie die Wale auftauchen, um Luft zu schnappen. Groß sind die Schildkröten in den warmen Meeren des Ostens und in der Kariben-See, die Seeschildkröten, die vielbeliebten Suppenschildkröten. Sie werden häufig bis zu zwei Meter lang — das heißt, sofern sie nicht schon vorher gekocht und gebraten wurden. Aber auch Landschildkröten können zu Riesen anwachsen. 16
Der Verfasser sah im Victoria Garden in Bombay eine Landschildkröte, die wie ein großer Felsblock im Grase lag. Auf einmal regte sich der Felsen, Füße, die bisher im Grase verborgen waren, kamen hervor, und zum maßlosen Erstaunen der Reisenden bewegte sich der Brocken langsam, langsam weiter. Das Tier maß, vorsichtig geschätzt, fast zweieinhalb Meter in der Länge und war mindestens eineindrittel Meter hoch. Niemand konnte sagen, wie alt es war. Die kostbare Karett-Schildkröte wird selten länger als ein Meter. Der Wert ihres Schildpatts richtet sich nach dem Grade seiner Durchsichtigkeit, der Reinheit der Farben, seinem Glanz und nach der Größe und Stärke der einzelnen Platten. Schon früher kostete der Zentner roher Ware 1000 bis 1500 Dollar, und Singapur war der Hauptmarkt dafür. Wohl sind Schmucksachen aus Schildpatt, Halsketten und dergleichen, aus der Mode gekommen. Doch gibt es hunderterlei Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Schatullen und Behälter aller Art, Handgriffe für Spiegel und Bürsten, Fassungen für Brillen und Lupen, für die man mit Vorliebe Schildpatt verwendet. Und für die Herstellung guter Zierkämme hat man kaum etwas Besseres gefunden als Schildpatt. Die Sonntagstracht der Andalusierin oder der Frauen von Kuba ist nicht denkbar ohne den hohen, kunstvoll durchbrochenen Schildpattkamm, der die Spitzenmantille hält. Die alten japanischen Samurais ließen sich Ritterrüstungen aus Schildpatt herstellen, und für die Figuren der berühmten Schattenspieltheater der Malayen ist es das ideale Material. Um seine Schönheit voll zur Geltung zu bringen, wird Schildpatt sorgsam poliert. Das Öl, das man dazu braucht, liefert die entgegenkommende Schildkröte selbst. Sie produziert es in ihren Eiern, die von Fett geradezu strotzen und nicht nur Polieröl sondern auch ein überaus kräftiges Nahrungsmittel abgeben. Das bringt uns auf den zweiten Nutzen der Schildkröten, dessentwegen sie von den Feinschmeckern der ganzen Welt so hoch geschätzt werden. Auf dem Rost gebratenes Schildkrötenfleisch oder Schildkrötenragout sind erlesene Genüsse, und die Schildkrötensuppe gilt als die Krone aller Suppen. Als größten Leckerbissen jedoch rühmt der Kenner ihr Fett. Die vielen Algen, die Hauptnahrung der Schildkröten, geben ihm einen leichten grasgrünen Schimmer. An Wohlgeschmack läßt es das beste Gänsefett weit hinter sich. Wie vielen hungernden Schiffbrüchigen hat eine daherkommende Schildkröte Rettung gebracht; denn so ein Tier liefert keine knappe Mahlzeit. Exemplare von 300 Kilogramm sind keine Seltenheit, auch Halbtonner hat man schon erwischt. Um ihrer habhaft zu werden, muß man nur eins tun: sie auf den Rücken legen. Dazu gehören oft 17
zwei starke Männer, manchmal auch drei. Ist die Schildkröte aber erst einmal umgedreht, so ist sie ganz wehrlos. Unfähig, sich wieder auf die Beine zu stellen, liegt sie da, bis sie ihr Schicksal in Gestalt des Kochtopfes erreicht. Die frischen Gelege der Schildkröte sind allein schon eine ergiebige Speisekammer. Eine Seeschildkröte legt 80 bis 150 Eier, bettet sie in eine Grube, die sie am Strande ausgebuddelt hat, und deckt sie vorsorglich mit Sand zu. Das Brutgeschäft übernimmt dann die heiße Sonne der Tropen. Manche Arten von Schildkröten legen im Jahre zweimal; man sagt, sie suchten immer die gleichen Brutplätze auf, wie weit sie auch in die offene See hinausscliweifen. Zwischen Vera Cruz und Tampico an der Küste von Mexiko liegt ein unbewohntes Eiland. Es heißt Isla de Lobos, Insel der Wölfe. Aber man sollte es besser Esla de Tortugas nennen, die Insel der Schildkröten. Denn dort steigen sie regelmäßig zur Brutzeit regimenterweise ans Land. Ein ganzes Heer von Schildkröten versammelt sich an diesem Strande, eine Viertelmillion und mehr. Niemand kann sie zählen. Wenn sie wieder ins Wasser kriechen, hinterlassen sie unter der Sanddecke rund 25 Millionen Eier. So machen sie das Eiland zur Schatzinsel für die Indianer der Küste. Von weit her kommen sie gesegelt und gepaddelt, graben die Eier aus und gewinnen daraus durch Pressen oder Dampfen ein feines Öl; manche ölsorten sind nur als Lampenöl zu brauchen. Doch das Öl aus den Eiern der Seeschildkröte eignet sich vorzüglich als Speiseöl, und man sammelt davon alljährlich Tausende von Krügen voll. Der Wohlgeschmack der Eier macht sie zur Delikatesse, wenn sie richtig zubereitet werden. Es kann kein schmackhafteres Rührei geben, als Schildkrötendotter mit reichlich Zwiebeln, kleinen Würfeln von gekochtem Hummer und etwas Palenwerk und Paprika, gebraten im eigenen Fett. Die Küstenleute Südindiens machen daraus auch eine gute Wurst. Sie stopfen die Schildkröteneier in die gereinigten Därme, räuchern sie dann über offenem Feuer und haben Vorrat für magere Zeiten.
Bernstein Die alten Griechen nannten ihn Elektron; so herrlich erschien ihnen sein Leuchten, daß sie ihn göttlicher Herkunft rühmten. Es waren die Tränen der Heliaden, der Sonnentöchter, die ihren Bruder Phaeton beweinten, der aus den Himmeln gestürzt war. Der Fluß Eridanus trug diese Tränen auf seinen Wellen ins Land der Hyperboräer, zum äußersten Norden, und von dort holten die 18
Schiffe der Phönizier das „Gold des Nordens" und hrachten es auf die Markte des Ostens. . Wir nennen ihn Bernstein, „Brennstein"; brennender Stein, nichts anderes bedeutet das Wort in der niederdeutschen Sprache. Bernstein ist das gehärtete Harz untergegangener Nadelbäume der Tertiärzeit. Die Bernsteinwälder von damals glichen den heutigen Wäldern der südlichen USA und denen in Südjapan und Korea. Viele „Einschlüsse" —• die im Bernstein eingekapselten Pflanzenteile und Insekten — geben uns Auskunft über das Pflanzen- und Tierleben in der Entstehungszeit des Bernsteins. In vielen Stücken — das größte, was man bisher fand, wog neun Kilogramm! — erkennt man Holzsplitter und Blätter von Eichen, Palmen, Lorbeerbäumen, Earnen und Tausende von Tierarten, darunter fünfzig verschiedene Arten von Käfern, weiter Spinnen, Motten und kleine Schmetterlinge. Auch eine Eidechse hat in dem honiggelben Kerker die Jahrtausende unverändert überdauert, und sogar ein Floh! In kleineren und größeren Stücken liegt der Bernstein eingebettet in einer Tonschicht der Braunkohlenformation, der sogenannten „blauen Erde". Ein bis sechs Meter dick, zieht sie sich unter der Ostsee hin. Wenn ein schwerer Sturm die Wellen so hoch treibt, daß ihre Wirkung bis auf den Grund hinab spürbar wird, dann nagen diese „Grundseen" die „blaue E r d e " an und waschen den Bernstein hervor. So kommt es, daß man ihn am Strande findet und ihn in Netzen fischen kann. Dieser „See- oder Schöpfbernstein" wird vom Kenner am höchsten geschätzt. Seine Stücke sind glatt und frei von Rissen. Die ergiebigsten Fundstätten liegen an der Küste des Samlandes, der „Bernsteinküste" in Ostpreußen. Gelegentlich findet man auch kleinere Mengen in der Nordsee bei Bremerhaven und an einigen Stellen der Küsten von Holstein, Dänemark, Frankreich und Portugal. Noch häufiger sollen Stücke an bestimmte Küstenstrecken Sibiriens und des nördlichen Eismeeres angetrieben werden. Der Hauptteil des Bernsteins, der heute auf den Markt kommt, ist jedoch der im Bergbau gewonnene „Grab-Bernstein". Die meisten Gruben liegen bei Palmnicken und Knaxtepellen in Ostpreußen. Vierzig Meter tief und drei Kilometer weit erstreckt sich dort die iiernsteinführende „blaue Erde". Doch viele der hier gefundenen Stücke sind verwittert und voller Risse, selten kann sich gegrabener Bernstein an Schönheit mit dem Schöpfbernstein messen. Ihm fehlte, als er sich abgelagert hatte, der Schutz der See. Der Fachmann unterscheidet auch beim Bernstein erstaunlich viele Sorten. Am höchsten bewertet wird der „massive" Bernstein, der frei von Blasen, klar und durchscheinend wie Sonnengold ist. Die 19
halbdurchsichtige, meistens grünlich-gelb gefärbte Sorte wird als „Bastard-Bernstein" gehandelt. Was seine Klarheit trübt, sind kleine und kleinste Luftbläschen. Häufen sie sich, so entsteht der „wolkige" Bernstein. Erst das Mikroskop enthüllt die ungeheure Zahl dieser Bläschen. In einem Kubikmillimeter können bis zu 90 000 vorhanden sein. Das ist dann jenes völlig undurchsichtige Material, das mit seiner schönen Creme-Farbe an Bienenwachs erinnert. Bernstein ist manchmal noch von anderer als der uns vertrauten Honigfarbe. Im Tertiär von Galizien und Bumänien fördert man schwarze Sorten, in Sizilien und Nordafrika treten Bernsteinstücke zu Tage, die in lebhaften rötlichen und bräunlichen, manchmal auch grünen oder blauen Tönen leuchten. Alle Spielarten sind willkommenes Material der Schmuckindustrie. Man kennt den Bernstein seit Jahrtausenden. In den Königsgräbern von Mykenä fand man Bernsteinketten als Totengabe, ein Zeichen, wie hoch man sie einschätzte. Doch schon die Menschen der Steinzeit fertigten aus Bernstein Perlen, Anhänger, Zierknöpfe und Figuren. Lange war das Sammeln des Ostsee-Bernsteins frei. Wer glücklich genug war, ihn zu finden, trieb mit den Fundstücken Handel. Im 13. Jahrhundert aber erkannten die Herren der Bernsteinküste den Wert des Bernsteins als Einnahmequelle und belegten Gewinn, Gewerbe und Handel mit Abgaben. Die Gerechtsame, das „Bernsteinregal", wurden an die Bernsteindreher-Innungen vergeben. Das „Bernsteingericht" wachte darüber, daß die Fischer nicht ohne Erlaubnis schürften und zwang sie durch den „Bernsteineid" zur Ablieferung jedes gefundenen Stückes. Als Gegenleistung erhielten sie umsonst das Salz, das sie zum Einpökeln der Heringe brauchten. Später pachteten Danziger Kaufleute die gesamte Bernsteinfischerei. Das Monopol brachte ihnen im Handel mit Persien und Indien große Gewinne. Köln und Nürnberg, Frankfurt und Venedig waren die Handelsplätze. Die letzten der großen, privaten Bernsteinfirmen zahlten jährlich nicht weniger als 800 000 Mark an Pacht, ein Beweis, wieviel ihnen die Ausbeute einbrachte. 1899 kaufte der preußische Staat die Gruben, und von da an blieb die Bernsteingewinnung an den meisten deutschen Fundstätten Angelegenheit des Staates. Der Handelswert des Bernsteins ist verschieden; nach Größe und Qualität der Stücke zahlte man für ein Kilogramm 300 bis 800 Mark und mehr. Vor Jahrzehnten erregte ein Prachtstück von etwa 13 Pfund großes Aufsehen. Ein Händler bot an Ort und Stelle 15 000 Goldmark. Doch ein Armenier, der davon hörte, überbot ihn; er soll in Konstantinopel für das Rohstück 100 000 Goldmark er20
zielt haben! Doch was will das bedeuten gegen die Preise, die man im Altertum für Bernstein zahlte. Plinius berichtet, für eine kleine Figur aus dem begehrten Elektron habe man in Syrien einen ausgewachsenen, kräftigen Sklaven erstehen können. Der Name, den die Griechen dem Bernstein gegeben haben, ist auf merkwürdige Weise in den Sprachschatz der Neuzeit übergegangen. Bernstein zieht bekanntlich, wenn man es reibt, gewisse leichte Stoffe an oder stößt sie heftig ab; er wird durch die Reibung negativ elektrisch aufgeladen. Als man der geheimnisvollen Kraft, die sich so auffällig offenbarte, einen Namen geben wollte, nannte man sie darum einfach „Kraft des Elektron" — Elektrizität. Und dieser Name aus der uralten Wurzel wird vermutlich weiterleben auch dann, wenn einmal die Zeit gekommen ist, wo die See oder die ostpreußische „blaue Erde" keinen Bernstein mehr zu verschenken haben.
Badeschwämme Auf den Klippen am Grunde des Mittelmeeres, der Roten See, der Gewässer Westindiens hocken die winzigen polypenartigen Fabrikanten unserer Badeschwämme in Kolonien zu Tausenden und bauen sich Stützgerüste für ihre Tierstöcke. Ein solcher Stock sieht wie ein Kohlkopf aus oder wie eine Gurke, wie eine Glocke oder ein Fächer und manchmal wie ein Gänsefuß oder eine Löwentatze. Holt man einen solchen Stock, den Schwamm, aus dem Wasser, so ist er glibberig und scheußlich anzufassen, bedeckt mit einer dunklen unschönen Haut und erfüllt von einer eklig-schleimigen Flüssigkeit, und man kann einfach nicht begreifen, daß so etwas der Haut angenehm sein könnte. Wird das schwammige Gebilde aber mit den Füßen getreten und gequetscht, gewaschen und gespült und immer wieder gespült, ist es erst an der Sonne getrocknet und gebleicht, dann wird es weich und elastisch, wachsbleich, sandgelb oder von der Farbe des Weizens, federleicht und von wunderbarer Schmiegsamkeit — wird zum wertvollen Gebrauchsschwamm. Man fischt ihn auf dreierlei Art. Einmal mit Scharrnetzen ähnlich denen, die die Korallenfischer gebrauchen; man schleppt die Netze vom Boot aus über den Grund. Aber sie richten unter dem Schwammnachwuchs schlimme Verwüstungen an. Bei Cypern, Florida und den Bahama-Inseln wurde ihr Gebrauch daher von den Behörden verboten. Die meisten Fischer verdammen diese Netze. Sie benutzen mit viel mehr Erfolg lange Gabeln, mit zwei bis sechs Zinken, die durch Ansatzstücke wie Angelruten verlängert werden und so den Grund 21
bis zu zwanzig und fünfundzwanzig Meter Tiefe erreichen. Vorher müssen die Schwämme aber erst mit einem einfachen und praktischen Gerät ausfindig gemacht werden. Es ist ein weites Blechrohr oder ein Blechkanister mit einer Glasscheibe als Boden. Das verglaste Ende tauchen die Fischer ins Wasser, schalten dadurch die Spiegelung der bewegten Wasserfläche aus und haben nun freie Sicht auf den Seeboden. Bei sonnigem Wetter sieht man in zehn Meter Tiefe noch die kleinste Muschel! Die Gabelfischer gehen mit kleinen Segelbooten zu den Schwammgründen, meist zwei bis vier Mann in einem Boot. Nur in Westindien gibt es Fahrzeuge bis zu fünfzig Registertonnen, die Fangreisen von vier bis sechs Wochen Dauer unternehmen. Zum Fang selber steigen sie in ihre Beiboote, ganz wie die „Dory"-Fischer der Neufundlandbank, von denen wir noch hören werden. Die älteste Methode der Schwammgewinnung ist jedoch das Tauchen. Noch heutzutage gibt es auf den griechischen Inseln Männer, die ohne Taucherausrüstung tauchen, frei wie ihre Vorfahren in den Zeiten des Odysseus. Gute Taucher gehen am Tage zwanzig bis dreißig mal hinab auf Tiefen von dreißig bis vierzig Meter. Und man hört von einigen, die bis zu sechzig oder siebzig Metern tauchen können. Ihre durchschnittliche Beute sind vier bis acht Schwämme. Man denke: kirchturmtief hinabtauchen, nur um ein halbes Dutzend Schwämme zu holen. Und oft genug kehren sie mit leeren Händen zurück. Die allermeisten Schwammtaucher arbeiten jedoch heute mit dem Taucheranzug; im Mittelmeer hat er sich seit 1860 eingebürgert, in Westindien seit 1905. Damit können sie zwei bis drei Stunden arbeiten. Bis vierzig Meter Wassertiefe allerdings dürfen sie höchstens eine Stunde unter Wasser bleiben, und sollen dann ganz langsam auftauchen und anschließend zwei Stunden ruhen. Leider werden diese Regeln oft mißachtet. Besonders verderblich wirkt das zu schnelle Auftauchen; die „Taucherkrankheit" ist gefürchtet. Stickstoffausscheidungen im Blut erzeugen schwere Lähmungen, vor allem in den Beinen, allzuoft tritt der Tod ein. So kommt es, daß auf 100 000 erbeutete Schwämme immer ein Todesfall kommt. An den wenigsten sind die Haie schuld. Nur solche Schwämme sind brauchbar, deren Geäst weder Kalk noch Kieselnadeln enthält; es sind die sogenannten Hornschwämme, die aber ganz verschieden sein können. Kugelig ist der Dalmatiner Schwamm; der vom jonischen Meer ist weich und angenehm, der von Triest recht hart und rauh. Der „Zimokka" aus dem östlichen Mittelmeer ist weich und haltbar, der von Korsika oder der spani22
sehen Küste aber grob und von geringem Wert. Flach, höchstens zwei Zentimeter dick, ist das breite „Elefantenohr"; viele Handwerker brauchen diese Sorte, und es werden dafür stets gute Preise erzielt. Beim „Samtschwamm" sagte schon der Name, wodurch er sieh auszeichnet. Er wächst in Westindien und ist wirklich weich wie Samt, leider aber wenig haltbar. Bis dreißig Zentimeter Durchmesser erreicht der „Levantiner". Er gedeiht am besten in hundert Meter Tiefe, wächst im ganzen östlichen Mittelmeer und gehört zu den besten Sorten. Am größten wird der „Pferdeschwamm", der ausgewachsen fast einen Meter Durchmesser erreicht. Er ist der häufigste Nutzschwamm des Mittelmeeres, kommt aber auch in Westindien vor. Sehr geschätzt wird die Sorte, die man „sheep-wool", Schafwolle nennt. Sie wird bis zu einem halben Meter im Durchmesser und fühlt sich in nassem Zustande besonders weich und elastisch an. Es ist der ideale Badeschwamm. An den Schwämmen sieht man neben vielen kleinen Poren stets eine Anzahl größerer Öffnungen. Jede ist ein Mund, durch den das lebende Tier, oder richtiger, die lebende Tierkolonie, das von den Poren aufgenommene nährende Wasser nach seiner Verwertung wieder von sich gibt. Das Einsaugen und Ausstoßen des Wassers ist fast die einzige Lebensäußerung, die sich bei den Schwämmen bemerkbar macht. Die Verwendung der Schwämme ist ungemein vielfältig. Große Mengen werden in Lederfabriken gebraucht sowie in der Glas-, Lackund der keramischen Industrie. Das graphische Gewerbe benötigt Schwämme zu vielen Druckverfahren; auch Tischlereien, Möbelfabriken und chemische Betriebe verwenden sie. Der Bedarf an Badeschwämmen und Schwämmen zum Reinigen von Fenstern, Automobilien usw. tritt gegen den der Industrie ganz in den Hintergrund. Die starke Nachfrage hat auf vielen Schwammgründen zum Raubbau geführt. Besonders der Gebrauch der Scharrnetze hat den Bestand vielfach sehr gelichtet. So begann man Schwämme zu züchten. Schwämme, die zur Züchtung kommen sollen, werden in mehrere Teile zertrennt und die Stücke dann auf Unterlagen aus Stein, Holz oder Zementplatten befestigt und wieder ins Wasser gebracht. Bei den Riu-Kiu-Inseln zwischen Japan und Formosa setzt man die Stecklinge sogar auf Drähte, die man dicht über dem Seegrund ausspannt, und erzielt damit besonders schöne, runde Exemplare. In zwei bis vier Jahren werden sie marktfähig. Der fertig behandelte, trockene und gebrauchsbereite Schwamm wiegt höchstens noch 6°/o vom Gewicht des frisch gefischten. Wie23
viele Schwämme müssen gefischt werden, damit eine Welterzeugung von zweieinhalb Millionen Pfund erreicht wird! Ihr Wert betrug vor dem Kriege rund 3,4 Millionen Dollar. An der Spitze standen Kuba mit 855 000 Pfund, die USA mit 650 000 und die BahamaInseln mit 420 000 Pfund. Griechenland und Italien brachten je etwa 200 000 Pfund auf den Markt, und mit kleineren Mengen folgten Libyen, Ägypten und die Türkei.
Der silberne Segen des Meeres Perlen, Korallen, Bernstein — sie mögen augenfälliges Sinnbild sein für all die Schätze, die das Meer zu vergeben hat. Aber der eigentliche große Schatz, den er birgt, sind seine Fische. Ihre Vielfalt ist kaum noch zu fassen, ihre Farben und Formen sind nicht mehr zu überschauen, ihre Zahl aber ist wahrhaft unendlich groß und nur dem Ozean selber vergleichbar. Sicher ist es aufregend, die großen Herden Argentiniens über die Pampa donnern zu hören, wenn die Gauchos sie zum Verladen treiben, oder auf den Steppen Afrikas die freien Herden Gottes mit hunderttausend Hufen dahinjagen zu sehen. Aber was sind schon die größten Herden, des Festlandes verglichen mit den Milliardenheeren in den Weiten des Ozeans! An der Westküste von Südamerika gibt es Kolonien von Seevögeln, und in jeder von ihnen leben Millionen von Vögeln. Alle nähren sich von Fischen. Jeder einzelne Vogel frißt täglich, wenig gerechnet, vier Pfund Fisch. Das sind in einer einzigen Kolonie nach flüchtiger Rechnung im Jahre mehr als dreieinhalb Millionen Tonnen oder sieben Milliarden Pfund Fisch. An der ganzen Küste gibt es Hunderte solcher Kolonien. Sie fressen jahraus, jahrein, seit Jahrhunderten und Jahrtausenden, aber nichts läßt darauf schließen, daß der Fischbestand an jener Küste abgenommen hätte. So groß ist die Fruchtbarkeit des Meeres. Selbst die ungeheuerlichste Gefräßigkeit der Kreatur vermag sie nicht zu überrunden. Was geschieht aber, wenn der Mensch eingreift? Auf den Bänken der Küste von Maine und Massachusett fingen die Amerikaner jährlich etwa 350 Millionen Pfund Schellfisch und Kabeljau. Mit 100-Tonnen-Schonern segelten sie zu den Fischgründen, setzten dort die „Dories", ihre Beiboote, zu Wasser und legten ihre Angeln aus, die sie in der Woche fünfzehn bis zwanzig mal einholten. Die Köder an den Angeln — man benutzte dazu Heringe — konnten nur erwachsene Fische schlucken, also blieben 24
die jungen Fische stets unbehelligt. Der Fang war gut, die Fischer hatten ihr Auskommen und versorgten den Markt mit guter Ware. Dann erfand man das Schleppnetz, das von einem maschinengetriebenen Fahrzeug gezogen wird. Das Schleppnetz fängt alles ohne Unterschied der Größe. Holt man es auf und hievt man es an Deck, dann werden die jungen und kleinen Fische zwischen den großen zerquetscht. Der amtliche US. Fish and Wildlife Service schätzt, daß auf diese Weise in einer Fangsaison sechzig bis siebzig Millionen Pfund kleiner Fische völlig sinnlos vernichtet werden. Als man einen der Dory-Fischer umbaute und ihn mit Schleppnetz und Motor ausgerüstet hatte, fing er in den ersten vier Tagen 100 000 Pfund Schellfische. Dann traf er einen Zug kleiner Fische und zerstörte in zwei Tagen 100 000 Pfund. Der Kapitän war ein Fischer vom rechten Schlag, der ein Herz für die Tiere hatte. Angewidert brach er die Reise ab und fuhr nach Hause. Das war 1942. Er hat seither keine Stellung gefunden. Rotfisch wurde früher in Amerika gar nicht gegessen. Niemand mochte ihn. Im Kriege entdeckte man seinen Nährwert, und für die Fischer brach eine goldene Zeit an. Matrosen verdienten in einer Saison 10 000 Dollar, die Skipper oft 25 000 Dollar. Schiffe von 100 000 Dollar machten sich in acht Monaten bezahlt, in fünf Jahren stieg der Rotfischfang von fünf Millionen auf hundert Millionen Pfund. Wohlgemerkt, man fing ihn mit dem Schleppnetz. 1940 brauchten die Schiffe nur fünfundsiebzig Meilen zu ihren Fangplätzen zu segeln. Schon 1947 mußten sie bis an die Küste von Neuschottland vorstoßen, um Rotfische zu finden, an vielen Fanggründen spürt man, daß die Fische abnehmen. Zu viele werden getötet, ehe sie überhaupt einmal gelaicht haben. Es gibt ein einfaches Mittel, diese unnütze Vernichtung der Fischbestände zu verhüten. Man darf nur Schleppnetze verwenden, deren Maschen mindestens 15 cm weit sind. Sie verschonen alle jungen Fische, halten aber alle Tiere über 2V2 Pfund zuverlässig fest. Leider ist ein entsprechendes Schutzgesetz bis heute noch nicht erlassen. Vielleicht noch größere Verluste fügen dem geschuppten Heer die tierischen Feinde zu. Die See wimmelt davon! Schon der Laich wird, noch am Grund liegend, in großen Mengen gefressen, besonders von Schellfisch und Wittling. Auch die winzigen, frisch ausgeschlüpften Jungen finden viele Liebhaber. Es gibt sogar Quallen, die mit ihren Nässelfäden Heringsbrut fangen und in Massen verzehren. Die erwachsenen Heringe werden vom Kabeljau, Köhler, vom Heringsund Dornhai gejagt. Und wenn im Frühjahr der Heringszug beginnt, werden seine Schwärme von ganzen Scharen großer Thunfische be25
gleitet, die weiter nichts tun als fressen. Dazu gesellen sich Tümmler, Delphine, Finnwale, Robben und von oben das unabsehbare Heer der Seevögel. Sie alle ziehen mit den Heringen und fressen. Und trotzdem: in jedem Jahre kommen aufs neue unermeßlich große Züge heran, niemand weiß genau, woher. Sie zählen nach Milliarden. Manchmal drängen sie, gejagt von unzähligen Feinden, in einen Fjord, eine Bucht hinein und drücken dort die Fischerboote aus dem Wasser, so ungeheuerlich ist ihre Zahl. Was sie über den Wasserspiegel hebt, ist der Zug der ungezählten Millionen ihrer Artgenossen, die auf der Flucht sind vor den entsetzlichen Feinden. In ähnlichen Massen ziehen in Kanada die Lachse von der See stromauf, und die kanadischen Bauern stehen mit Heugabeln am Ufer, wenn die Schwärme herankommen. Mit jedem Gabelhieb werfen sie die blanken Fischleiber an Land, als wären es Schwaden frisch gemähten Heus. An der Küste selbst fängt man sie zu Millionen in langen Stellnetzen, an der Pazifik-Küste der USA allein alljährlich etwa sechzig bis siebzig Millionen Kilo. Den Fischern bringen sie zwanzig Millionen Dollar ein, den Fabriken achzig oder hundert Millionen Dollar. Und mit jedem neuen Jahre ziehen neue Züge heran, unermeßlich und fast unerschöpflich. In der ganzen Welt ist die Zahl der Menschen, die vom Meere leben, gar nicht zu erfassen. Sie wächst ständig an, denn immer neue Verarbeitungsbetriebe kommen hinzu, in denen aus dem Ertrag der Fänge neue Rohund Nährstoffe bereitet werden: Vitamine, Hormone und mancherlei Heilmittel, Industrie-, Nähr- und medizinische Öle und Trane, Leimstoffe und Fischmehle für die menschliche und tierische Ernährung.
Merkwürdige Leckerbissen und Seltsamkeiten Wer kennt nicht jene weißlichen spannenlangen Platten, an denen Kanarienvögel so gerne knabbern? Viele halten sie für Muscheln, sie stammen jedoch vom Tintenfisch. In einer inneren Tasche seines Mantels sitzt diese „Schulpe" als letzter Rest eines Panzers, den das Tier im Laufe der Jahrniillionen seiner Entwicklung allmählich verloren hat. Es ist „Tintenfischbein" oder „Sepiaknochen". Sepia ist der wissenschaftliche Name für jenes unheimliche Wesen, das nur aus Kopf und Armen zu bestehen scheint. Seine größten Vertreter mit Armen bis zu acht Meter Länge, die Kraken, sind mit ihrer gewaltigen Kraft der Schrecken der Taucher. Schon der starre Blick ihrer kalten Augen kann Entsetzen einjagen. (S. Abb. S. 2.) Kleinere Sepia-Arten fing man im Altertum, um ihnen die Farbdrüsen abzunehmen, aus denen sie ein Tarnmittel schießen. Verfolgt, 26
Pfähle in einem Hafen mit Muscheln, Seesternen, Polypen spritzen sie den dunklen Inhalt ins Wasser und machen sich hinter der Tintenwolke unsichtbar. Den Saft benutzten die Menschen zum Färben von Stoffen und als Schreibtinte; daher der Name „Tintenfisch" und der Name Sepia für den schwarz-braunen Farbton der Maler. Die Purpurschnecken der warmen Meere aber gaben die Farbe her für den Purpur der homerischen Könige, der Großkönige Persiens, der römischen Kaiser und für die Purpurmäntel der Kardinäle. Im Mittelmeer sind Tintenfische häufig. An allen Küsten gelten sie als Leckerbissen, man muß nur verstehen, sie richtig anzurichten. Das gleiche gilt vom stachligen Seeigel. Er sieht genau so unappetitlich aus wie der Tintenfisch. Und doch versichern seine Liebhaber, sein Inneres sei eine Delikatesse ersten Ranges. Den gleichen Genuß bieten die Seegurken, obwohl auch sie ganz ruppig aussehen. Ein Zentner dieser Ware brachte in Ostasien früher 150 bis 200 Goldmark. Man kocht dort draußen davon eine berühmte Suppe, die Millionen Menschen als Hochgenuß gilt. Hoch im Kurs stehen im fernen Osten auch die Haifischflossen. Sie allein machen die Haijagd für viele braune Fischer schon zu einem lohnenden Gewerbe. Der moderne Haifänger nutzt vom Hai aber noch ändere Teile aus. Da ist einmal die Haut, die das Chagrin, ein hervorragendes Schuhleder, ergibt. Die winzigen eisenharten Stacheln des Hais werden als Poliermaterial in der Edelstein27
Schleiferei gebraucht. Auch Magen und Darm lassen sich zu Leder verarbeiten, das gutem Schafleder gleicht. Die Leber strotzt von Tran, der für alle möglichen Zwecke nützlich ist. Und ein besonders feines öl liefern die Kiefern. Es ist an Qualität unerreicht und wandert als Schmieröl in die Lager unserer Uhrwerke — und als Brennöl in die Lampen anspruchsvoller Opiumraucher. Wenige wissen, daß der Hai mit manch anderen Seefischen auch einer der Lieferanten für Insulin ist, jene Lebensrettungsmedizin der Zuckerkranken. Noch ein Medikament sei erwähnt, das die See beschert. In früherer Zeit benutzte man die Asche vieler Tangarten — sie enthält Soda und das Element Jod — zur Seifenbereitung. Viele Menschen lebten davon. Zur Zeit der französisch-englischen Kriege brachte einem englischen Landbesitzer die Vermietung seines Strandes zum Tangfischen jährlich 10 000 Pfund Sterling Pacht. 1811 entdeckte ein Pariser Chemiker in dieser aus Tang gewonnenen Lauge das Jod, das bei Krankheiten und in der Wundbehandlung eine Rolle spielt. Eine Industrie, die noch heute an vielen Küsten in Blüte steht, baute sich auf dieser Entdeckung auf. Tausende von Tonnen Tang werden jährlich auch als Viehfutter verwendet, manche Sorten auch als Gemüse für den häuslichen Tisch. Seetang ist auch der Agar-Agar, eine Algenart. Gewaschen und in warmem Wasser aufgelöst gibt er erkaltet eine Art Gelatine. Die Industrie braucht sie als Appretur für Stoffe, die Medizin als Nährboden für Bakterienkulturen. Die Chinesen aber haben dafür noch eine besondere Verwendung, sie sagen, Agar-Agar gebe der Schwalbennestsuppe erst die letzte Vollendung. Die See schenkt unserem Gaumen noch einen besonderen Leckerbissen in den vielen Krustentieren, deren vorzüglich schmeckendes Fleisch eine überaus kräftige Kost bildet. Da sind die Hummern, aber sie sind bei uns so kostspielig, daß sie nur auf den Speisekarten teurer Restaurants erscheinen. England verbrauchte früher davon für mehr als 100 000 Pfund Sterling im Jahr. Auch die Garnelen sind bei uns leider nicht billig. Krabben jedoch gibt es reichlich an unseren Küsten, sie sind für jeden erschwinglich, und ihr Fleisch ist nicht weniger schmackhaft und bekömmlich als das des Hummers. Als Hummer kommen auch die Riesen-Seespinnen des Nordpazifik auf den Markt. Der Körper ist groß wie eine Kokosnuß, die Beine meterlang. Sie werden auf großen Fabrikschiffen verarbeitet, in Dosen gefüllt, mit bunten Etiketten versehen und als „japanisches Hummernfleisch" in alle Welt verschickt. Die Abfälle ergeben ein gutes Düngemittel, genau wie die Abfälle fast aller Fischindustrien. Der Ozean liefert aber auch eine schon gebrauchsfertige Sorte 28
Dünger. Auf den Klippen der afrikanischen und südamerikanischen Küste sammelte er sich im Laufe vieler Jahrhunderte. Heere von Seevögeln waren die Hersteller, Pinguine, Möven, Kormorane und vor allem die Pelikane. 1804 brachte Alexander von Humboldt die erste Probe davon nach Deutschland, und seit 1840 kennen die Börsen Europas den neuen Handelsartikel Guano; 1870 wurden davon 500 000 Tonnen nach Europa verschifft. Der Name Guano für diesen Dünger stammt aus der Sprache der Inkas (huano = Dünger). Besonders große Lagerstätten entdeckte man an der Westküste von Südamerika. Hier dehnt er sich mehrere Meter dick weithin unter dem Geröll des Strandes, und wo seit Urtagen nur Seevögel und Seehunde gelebt hatten, entstanden über Nacht neue Hafen. Berühmt war auch die Bucht von Saldanha und Ichabo Rock an der afrikanischen Küste und im Pazifik die einsame Baker Insel. Doch der allzu gierige Abbau hat dann viele Guanolager bald erschöpft. Mannigfaltig sind die Gaben der See! Sie sorgt selbst für unsere Kleidung. Rochenhäute sind beliebtes Schuhleder in Japan und Alaska, und Kleidungsstoff bei den Tartaren. Und kann es schönere Felle geben als die schneeweißen der jungen Sattelrobben oder das seidig-schwarze Sealskin der Bärenrobben der Beringsee? Dort werden alljährlich 60 000 Männchen erlegt. Mehr lassen die amerikanischen Aufsichtsbehörden nicht zu, um den Bestand der Herden zu sichern. Sie tun recht daran, zu arg hat Unvernunft unter den Robbenherden der Welt gewütet. Die Küsten von Süd-Georgien, der Süd-Shetland- und der Falklands-Inseln wimmelten einst von Robben. 1821 wurden in zwei Sommern auf Süd-Georgien allein 1 200 000 Pelzrobben erlegt. Von den Falklands holte noch 1890 ein schottischer Walfänger 20 000 Seale, fast „im Vorbeigehen". 1900 waren die wertvollen Tiere dort fast ausgerottet. 750 km westlich von Valparaiso liegt im Pazifik die Insel Mas-afuera. Amerikanische Schiffe besuchten sie zum ersten Male 1797. In den folgenden sieben Jahren erlegten die Yankees dort drei Millionen Seale und brachten sie zum Markt nach China. Der amerikanische Kapitän Amasa Delano berichtet, er allein habe dort mehr als 100 000 Pelzrobben erbeutet und damit sein Vermögen gemacht. Auch dort sind Seale schon lange verschwunden. Welchen Wert die Robbenjagd in unserer Zeit hat, geht am besten aus einem Bericht des norwegischen Fischerei-Ministeriums hervor. Danach betrug die Beute aller norwegischen Robbenjäger in der Saison 1950 bei Spitzbergen und Neufundland zusammen 255 000 Seehundsfelle. Ein Fell guter Qualität wurde in Norwegen mit etwa 29
100 Kronen bezahlt. Dazu kommen noch mehrere tausend Tonner« hochwertigen Trans, der ebenfalls hoch zu Buche steht. Was der Walfang für die Wirtschaft der Welt bedeutet, weiß jeder*). Hier sei nur an ein Produkt gedacht, das die Wale dem Menschen so nebenher schenken, die Ambra, den „Grauen Bernstein", eine Ausscheidung aus den Eingeweiden des Pottwals, die vielleicht zur Anlockung der Weibchen dient. Als graugelber bis schwarzbrauner Klumpen treibt sie in der See. So unansehnlich sie auch ausschaut, für die Herstellung teurer Parfüms und Duftwässer ist sie von großem Wert. In der Hand wird Ambra weich, bei hundert Grad schmilzt sie und riecht schwach nach Moschus. Zentnerstücke sind schon gefunden worden; doch ist mancher Seemann, der die schwimmenden Klumpen sah, achtlos an diesem Glücksfund vorbeigefahren. Für ein Kilogramm Ambra hätten ihm die Händler 200 bis 600 Goldmark bezahlt. Leider glänzt auf See nicht alles, was Goldes wert ist.
Gold des Meeres Auch das gab es einst: Schiffe, die bares Geld aus der salzigen See fischten, nicht Schätze einer versunkenen Silberflotte, nein, einfache Muscheln, Kauri. Im Küstenhandel Afrikas galten diese hübschen, gelblichgrauen Muscheln lange Zeit als Münze. 40 Kauri waren 1 Toki; 5 Tokis 1 Gallina und 20 Gallinas 1 Kabeß. Ganz alte Seeleute konnten sich noch erinnern, wie in Lagos und Grand Bassam abends die Kauri mit dem Besen zusammengefegt und gesammelt wurden, wenn der Handel vorbei war. Heute steht eine andere Währung im Kurs. Fern von den Küsten aber gibt es noch immer Dörfer, wo die Kauris als Bargeld dienen. Vielleicht sollte man auch das Salz, das im Seewasser enthalten ist, zum Gold des Meeres rechnen. In südlichen Ländern leben viele tausend Menschen von seiner Gewinnung. Bei Hyeres in Südfrankreich dehnen sich kilometerlange „Salzgärten", völlig ebene Strecken, mit gewalztem Ton überzogen und mit der See durch Schleusengräben verbunden. Man setzt sie unter Wasser, schließt die Schleusen und wartet nun ab, bis die heiße Sonne das Wasser verdunstet hat. Zurück bleibt eine blendend weiße Schicht Seesalz, die, sachgemäß verarbeitet, jährlich gewaltige Mengen von Kochsalz ergibt. Der Salzschatz ist unerschöpflich. In einem Kubikmeter Seewasser befinden sich im Durchschnitt 35 Kilogramm Salz, das heißt in je *) Vgl. Lux-Lesebogen Nr. 20 „Wale" von Fritz Bolle. 30
1000 Liter 70 Pfund. Welche Menge das im ganzen Weltmeer ist, können Zahlen kaum zum Ausdruck bringen. Denken wir uns Europa und Rußland bis zum Ural in Höhe des Meeresspiegels von seiner Unterlage abgeschnitten mit allen seinen Gebirgen, und Südamerika desgleichen. Die Masse dieser beiden Erdteile ist dann ungefähr so groß wie alles Salz, das im Meerwasser gelöst ist. Für die Menschen reicht dieser Vorrat aus, es sind Billionen von Tonnen. Aber auch echtes Gold findet sich im Seewasser. Es sind so winzige Mengen, daß man sie sich nicht vorstellen kann. Die reichsten Stellen fand man im Schmelzwasser grönländischer Gletscher; es waren 2 bis 8 Milligramm pro 1000 Kilogramm Seewasser. Doch nur sieben Proben ergaben diese Werte. Im Durchschnitt enthält das Meerwasser nur den fünfzigsten Teil eines Milligramms in jeder Tonne. Und doch schätzte der Gelehrte Arrhenius die Menge des Goldes im Wasser aller Ozeane auf 8 Milliarden Tonnen! Noch einen letzten Schatz birgt die See, der nichts als Segen bringt und den jeder zu heben vermag, der seine Küste erreichen kann: Gesundheit. In der Meeresluft finden die Menschen Heilung und neue Lebenskraft. Vielleicht ist das der wertvollste und jedenfalls der billigste Schatz, den die See Tag für Tag zu verschenken hat.
* Seit unendlichen Zeiten ruhen die Meere zwischen den Kontinenten, rollen ihre Wogen an den Strand, fahren Menschen auf Booten und Schiffen über ihre Tiefen von Land zu Land. Immer hat das Meer mit vollen Händen seine Schätze verschenkt an alle, die sich darum mühten. Wenig, weiß man noch über die dunklen Tiefen seiner Gründe, über das Leben in der Nacht der Tiefsee, wo Gespensterfische mit Laternenaugen auf Beute lauern, wo nie geschaute Milliardenheere ihr seit Urbeginn ungestörtes Dasein führen. Vielleicht ruhen dort unten nicht nur lebende sondern auch mineralische Schätze mannigfaltigster Art, die eines fernen Tages der Menschheit dienstbar gemacht werden können. Umschlaggestaltung Karlheinz Dobsky Bild auf der 1. Umschlagseite: geöffnete Perlmuschel, Rückseite des Umschlages: Bernstein mit Insekt als „Einschluß". L u x - L e s e b o g e n 94 ( N a t u r k u n d e ) / H e f t p r e i s 20 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (viertel], 6 Hefte DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau-München — Druck: Buchdruckerei Mühlberger, Augsburg 31
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