Leigh Michaels
Süß wie Cinderella Julia 1409
Scanned by suzi_kay
s
1. KAPITEL Das fröhliche Lachen eines Kindes er...
16 downloads
588 Views
341KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Leigh Michaels
Süß wie Cinderella Julia 1409
Scanned by suzi_kay
s
1. KAPITEL Das fröhliche Lachen eines Kindes erfüllte den Baum. Webb stützte sich auf den Ellbogen und beugte sich über das mit einem Schlaf anzug bekleidete kleine Mädchen, das über den Orientteppich vor dem Kamin krabbelte. Mit einem spielerischen Brummen streckte er den Finger aus, um erneut ihren Bauch zu kitzeln. Sie kreischte vergnügt auf und griff in sein Haar. Ganz in der Nähe rückte die weiß uniformierte Frau auf die Kante ihres Stuhls. "Mr. Copeland, jetzt ist Madelines Schlafenszeit." Wen interessiert das? hätte er am liebsten geantwortet. Mich nicht und Madeline ganz gewiß auch nicht. "Ich sehe meine kleine Tochter nur zwanzig Minuten am Tag, Mrs. Wilson. Können wir die Schlafenszeit nicht noch ein bißchen hinausschieben?" "Ich würde sage, das ist Ihnen bereits gelungen", erwiderte die Kinderschwester mißbilligend. "Jetzt ist sie so aufgeregt, daß es mindestens eine Stunde dauern wird, bis sie wieder zur Ruhe gekommen ist." Webb seufzte und schwor sich im Stillen, daß er morgen das Büro pünktlich verlassen würde, egal, was passieren mochte. "Na schön." Er beugte sich erneut über die Kleine. "Jetzt ist Schluß, Maddy. Gib mir noch einen Kuß, bevor du ins Bett gehst." Madelines große braune Augen - die Augen ihrer Mutter - blickten ihn bittend an, aber Webb zog die Kleine an sich und stand auf. Er schmiegte die Wange an ihr weiches dunkles Haar und küßte sie auf die Stirn, bevor er sie der Kinderschwester reichte. Bekümmert sah er ihnen nach, wie sie die mit Marmorfliesen ausgelegte Halle durchquerten und die breite Treppe hinaufstiegen. Die kleine Frau im Schaukelstuhl neben dem Kamin blickte nicht von dem rosafarbenen Garn auf, das sich auf ihrem Schoß türmte. Der flackernde Feuerschein betonte die tiefen Falten auf ihrem Gesicht. "Ich begreife nicht, warum du diese Frau behältst, Webb." "Weil sie die beste Kinderschwester in Cook County ist." Camilla Copeland stieß einen verächtlichen Laut aus. "Wer behauptet das?" "Sie wurde mir wärmstens empfohlen." "Sie ist streng." "Was willst du, Gran? Du hast selbst gesagt, daß Kinder feste Regeln brauchen." "Ich sagte, sie brauchen Sicherheit und Ordnung. Das bedeutet aber nicht, daß ich für strikte Reglementierung bin."
Webb schloß den obersten Knopf seines Hemdes und rückte die Krawatte zurecht. "Bitte, Gran, fang nicht wieder damit an." Genauso gut hätte er versuchen können, ein Kriegsschiff zu stoppen. "Madeline ist erst fünfzehn Monate. Meinst du nicht, daß sie für ein Internatsleben mit Regeln, Klingelzeichen und Kommandos ein bißchen jung ist?" Camilla Copeland blickte ihren Enkel eindringlich an. "Das Kind braucht eine Mutter." Webb setzte sich in einen Sessel. Da diese Diskussion - wie die unzähligen anderen, die sie in letzter Zeit geführt hatten - noch eine Weile dauern würde, wollte er es sich zumindest gemütlich machen. Camilla war unerbittlich. Etwas sanfter fuhr sie fort: "Ich weiß, wie sehr du gelitten hast, als Sybil..." "Du hast nicht einmal annähernd eine Ahnung davon, Gran." "Seit ihrem Tod ist über ein Jahr vergangen, und es wird allmählich Zeit, daß du dein Leben wieder aufnimmst." "Ich habe mein Leben wieder aufgenommen, aber ich habe nicht vor, je wieder zu heiraten." "Ach, mein Lieber. Seit dem Unfall bist du wie betäubt, fast wie in Trance, doch du solltest nicht glauben, daß du dich nie wieder für Frauen interessieren wirst, nur weil sie dir im letzten Jahr gleichgültig waren. Diese ... Bedürfnisse sind nicht erloschen, Webb." Trotz seines Ärgers über sie mußte er ein Lächeln unterdrücken. Die liebe alte Gran mit ihrer altmodischen Ausdrucksweise. Sie war sogar ein wenig errötet, die gute Seele. Oder war es nur der Widerschein des Feuers auf der rosa Wolle gewesen? Camilla nahm die Stricknadeln wieder auf. "Webb, ich verspreche dir, daß du eines Tages ganz versessen darauf sein wirst, eine Frau in deinem Leben zu haben." Er fragte sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn er ihr erklärte, daß er lediglich eine zweite Ehe, nicht aber eine neue Partnerin ausschloß. "Außerdem wird Madeline eine Stiefmutter jetzt leichter akzeptieren als später", fügte Camilla nachdrücklich hinzu. Webb stutzte. Er hätte schwören können, daß er die Unterhaltung in allen Variationen von der ersten bis zur letzten Zeile auswendig kannte, doch dies war eine völlig neue Wendung. "Nur weil du überzeugt bist, daß ich eines Tages ohnehin wieder heiraten werde, meinst du, ich sollte es sofort tun - egal, ob ich dazu bereit bin oder nicht -, solange Maddy in dem richtigen Alter ist, um sich an ihre Stiefmutter zu gewöhnen?" "So habe ich es nicht formuliert", wandte Camilla ein. "Ich sagte nur, du solltest die Möglichkeit nicht ganz von der Hand weisen."
Er schüttelte den Kopf. "Nein, du warst bei weitem nicht so flexibel, Gran. Angenommen, ich beherzige deinen Rat und heirate - wider besseres Wissen -, nur damit Maddy eine Stiefmutter bekommt..." "Du darfst dabei natürlich nicht nur Maddys Wohl im Auge haben. Bestimmt stellst du auch gewisse Ansprüche." "Wie großzügig von dir!" spottete er. "Ich bin dir sehr dankbar für dein Verständnis." "Sei nicht so frech, Webb." Camilla steckte die Stricknadeln ins Garn. "Es läutet zum Dinner. Leider können wir unser Gespräch nicht beim Essen fortsetzen." Weil der Butler mithören würde, dachte Webb. Dem Himmel sei Dank für diese Atempause. "Versprich mir wenigstens, daß du darüber nachdenkst." Er reichte ihr seinen Arm. "Ich versichere dir, daß ich deinen Vorschlag in angemessener Weise in Betracht ziehen werde", erwiderte er ernsthaft. Camilla sah ihn prüfend an, ignorierte jedoch seinen ironischen Unterton. "Und wir werden wieder über dieses Thema reden." Und genau davor habe ich Angst, dachte Webb. Es war kurz vor drei Uhr, und die Aufmerksamkeit der Studenten im Hörsaal ließ spürbar nach. Papier raschelte, Notizhefte wurden vernehmlich zugeklappt, und Bücher scharrten, als sie in Taschen verstaut wurden. Endlich, mitten im Satz, schien auch der Professor zu merken, wie spät es war. "Vergessen Sie den Test am Montag nach den Thanksgiving-Ferien nicht", erinnerte er, bevor der Ansturm zur Tür begann. Janey Griff in blieb auf ihrem Platz in der hinteren Reihe sitzen und beendete seelenruhig ihre Notizen. In ein paar Minuten würde sich die Menge zerstreut haben, dann konnte sie in Ruhe das Gebäude verlassen. Außerdem mußte sie die letzte These des Professors unbedingt niederschreiben, denn wenn sie heute Nacht von der Arbeit kam, würde sie sie nicht mehr rekonstruieren können. Vor dem Saal wartete eine zierliche Blondine auf Janey. "Hast du noch Zeit für eine Tasse Kaffee?" Janey schüttelte den Kopf. "Ich muß in einer Stunde bei der Arbeit sein. Du kannst mich aber zu meinem Apartment begleiten und dich mit mir unterhalten, während ich mich umziehe. Worum geht es, Ellen? Schon wieder Probleme mit deinem Freund?" "Dennis ist ein Scheusal." Ellen klang fast geistesabwesend. "Aber das ist ja nichts Neues. Ich fasse einfach nicht, daß du diesen Job noch immer hast." "Wieso? Ich bin eine gute Arbeiterin. In einem Monat ist meine Probezeit vorbei, und ich bekomme sogar eine Lohnerhöhung..."
"Und eine andere laute, schmierige, widerwärtige Maschine, die du bedienen mußt." "Irgendjemand muß schließlich Achsen herstellen, Ellen. Sonst wäre dein niedlicher roter Wagen nur ein Briefbeschwerer und kein Transportmittel." Janey überquerte die Straße, die den Campus von einem Wohngebiet trennte. Ellen mußte sich beeilen, um mit ihr Schritt zu halten. "Aber warum ausgerechnet du? Wenn du deine Hände noch ein Jahr schmutzig machst, wirst du das Öl nie wieder aus der Haut bekommen. Ich begreife nicht, weshalb du nicht längst gekündigt hast." "Man verdient viel Geld, und die Schichten lassen sich gut mit meinen Vorlesungen vereinbaren. Was sollte ich denn sonst machen? Als Kellnerin jobben? Tut mir Leid, Liebes, aber mir ist der Geruch von Maschinenöl lieber als der von ranzigem Frittierfett. Ganz zu schweigen vom Umgang mit auf dringlichen Gästen ..." Der würde auch nicht einfacher sein als der tägliche Kontakt mit den Burschen am Fließband, dachte sie. Ellen schien ihre Gedanken erraten zu haben. "Belästigen dich die Männer noch immer?" "Gelegentlich", räumte Janey ein. Sie eilte die Außentreppe eines schäbigen alten Hauses hinunter, die zu ihrer Kellerwohnung führte. "Was heißt das? Stellen sie dir pausenlos nach, oder lassen sie dich auch mal in Frieden?" fragte Ellen. "Warum hast du sie noch nicht gemeldet?" "Wozu soll das gut sein? Man würde mich als Unruhestifterin abstempeln, und das kann ich vor Ablauf meiner Probezeit wirklich nicht gebrauchen. Ihre Anzüglichkeiten sind nicht so kraß, daß es auffallen würde, sonst hätten die Vorarbeiter schon etwas gemerkt." "Dann übergeh deine Vorgesetzten." "Oh natürlich. Ich marschiere einfach in Webb Copelands Büro und verkünde, daß an seinem Fließband ein paar sexistische Machos stehen. Zweifellos wird er mich daraufhin zur Vizepräsidentin befördern und mit der Organisation firmeninterner Benimmkurse betrauen!" Sie öffnete die Tür. Das Apartment sah schlimmer als sonst aus. Die Kleidungsstücke und Habseligkeiten ihrer Wohnungsgenossin waren über die gesamte Einrichtung verstreut. Ellen schaute sich um. Beherbergt Kasey neuerdings entflohene Strafgefangene? Man könnte fast meinen, hier hätte eine Razzia stattgefunden." Janey lächelte. "Eigentlich stellt es sogar eine Verbesserung dar. Kasey zeigt bei der Auswahl ihrer Garderobe einen besseren Geschmack als unser Vermieter bei Möbeln."
Ellen presste die Lippen zusammen. "Du hast einen grauenvollen Job, du studierst zu den unmöglichsten Zeiten, du lebst in einem Rattenloch..." "Ellen, bitte!" "Ich finde es nur schrecklich, daß du für all das so hart arbeiten mußt." Tränen schimmerten in Ellens Augen, und sie ballte wütend die Hände zu Fäusten. "Harte Arbeit ist gut für meine Seele", erwiderte Janey betont fröhlich. "Außerdem ist es die gerechte Strafe dafür, daß ich nicht früher zum College gegangen bin. Da ich zwischendurch Geld verdient habe, kann ich keine finanziellen Zuschüsse mehr beanspruchen." Sie kramte eine Packung Papiertaschentücher unter einem Berg Sweatshirts von Kasey hervor und reichte sie Ellen. "Vielleicht könnte dir mein Vater Geld leihen", schlug Ellen vor. "Wage es ja nicht, ihn darum zu bitten", befahl Janey. "Selbst wenn er etwas erübrigen könnte, wäre es nicht fair, ihn so in die Enge zu treiben. Ich würde nie jemanden um ein Darlehen bitten, solange ich keine Sicherheiten bieten kann und das ist ebenso unwahrscheinlich wie die Chance, von einem Blitz getroffen zu werden. Schau, Ellen, ich weiß, daß du dieses Thema nur anschneidest, weil du dir Sorgen um mich machst. Doch indem du mich ständig an meine Lebensumstände erinnerst, änderst du nichts an ihnen, sondern bestärkst mich nur in meinem Selbstmitleid." Ellen putzte sich geräuschvoll die Nase. "Ich hatte ja keine Ahnung, daß du dich bemitleidest." Janey lächelte. "Gut, daß es bislang niemand bemerkt hat." Sie ging in ihr winziges Schlafzimmer, um die ausgeblichene Jeans und das alte Flanellhemd anzuziehen, die sie in der Fabrik immer trug. Während sie sich abschminkte - bei den in der Werkshalle herrschenden Temperaturen würde jegliches Make-up ohnehin dahinschmelzen - und ihr Haar zu einem festen Zopf flocht, damit es nicht versehentlich in eine der Maschinen geriet, versuchte sie, Ellens Ermahnungen zu verdrängen. Es war ja schließlich nicht so, daß jemand ihr die Pistole an den Kopf gehalten und ihr diesen Lebensstil auf gezwungen hätte. Janey hatte sich aus freien Stücken entschlossen, ihre Ansprüche zurückzuschrauben und einen ungeliebten Job auszuüben, weil ihre langfristigen Ziele ihr wichtiger waren. In ein paar Jahren würde sie in ihrer Ausbildung so weit sein, daß sie sich um ein Praktikum bewerben konnte, das ihr die Möglichkeit bot, Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Später würden ihr diese Verbindungen vielleicht helfen, einen Full-Time-Job zu finden. Leider waren diese Praktikantenstellen rar und schlecht bezahlt, und selbst wenn sie eine ergatterte, würde sie nicht genug verdienen, um damit ihren Unterhalt und das letzte Studienjahr finanzieren zu können.
Also mußte sie in der Zwischenzeit so viel sparen, wie sie konnte - was wiederum bedeutete, daß sie die nächsten beiden Jahre in der Wechselschicht von Copeland Products arbeiten würde. Zwei weitere Jahre an lärmenden, ölverschmierten Maschinen, die schwere Metallplatten zu Autoteilen stanzten und formten. Zwei weitere Jahre mit Kollegen, die es nicht gewöhnt waren, Seite an Seite mit einer Frau am Fließband zu stehen, mit Männern, die ihr Unbehagen durch anzügliche Bemerkungen zum Ausdruck brachten. Zwei weitere Jahre, in denen sie erst nach Mitternacht völlig erschöpft und verschmutzt heimkehren würde, wo sie ein Berg Hausaufgaben und ein Wecker erwarteten, der viel zu früh wieder klingelte. Zwei weitere Jahre ... Es klang wie eine Ewigkeit. Janey atmete tief durch.und rang sich ein Lächeln ab. Sie würde einen Tag nach dem anderen angehen, und sie würde es schaffen - weil sie es mußte. Die Werkhallen von Copeland Products waren hell erleuchtet und unerträglich laut, denn die Maschinen liefen auch während des Schichtwechsels weiter. Als Janey sich beim Vorarbeiter meldete, baumelte die Sicherheitsbrille an einem Band um ihren Hals, die Ohrenschützer hatte sie jedoch bereits aufgesetzt. Diese Ohrenschützer waren alles andere als bequem, aber dank modernster Technik dämpften sie das Dröhnen der Pressen, Fräsen und Stanzen auf ein halbwegs erträgliches Maß, während menschliche Stimmen klar und deutlich blieben. Hätte man Janey zwischen diesem elektronischen Wunderwerk und normalen Wattestöpseln wählen lassen, wäre ihre Entscheidung wahrscheinlich zugunsten Letzterer ausgefallen - dann hätte sie nämlich ihre Kollegen nicht mehr gehört. Pünktlich auf die Minute erreichte sie den ihr zugewiesenen Platz, und der Mann, der die Fräse während der Tagschicht bedient hatte, trat einen Schritt beiseite. "Sie läuft ein bißchen unregelmäßig", erklärte er. "Ich habe sie zwar mehrfach justiert, aber trotzdem schleudert sie die Späne zur Seite, statt sie in den Kasten zu werfen. Allmählich glaube ich, daß wir nur eine Partie minderwertigen Stahl erwischt haben und die Maschine gar keine Schuld trifft." "Fabelhaft", meinte Janey und ließ sich die Änderungen zeigen, die er vorgenommen hatte. Nachdem der Kollege gegangen war, zog sie sich einen hohen Stuhl heran, Von dem aus sie alle beweglichen Teile im Auge behalten konnte. Wenn sie schon auf die Maschine aufpassen mußte, wollte sie es wenigstens bequem haben. "Ich wünschte, ich könnte bei meiner Arbeit auch sitzen", rief der Mann an der benachbarten Stanze. Verwundert blickte sie zu ihm hinüber. Der Mann, der normalerweise dieses Gerät bediente - und sich die Zeit damit vertrieb, Janey mit anzüglichen Bemerkungen zu ärgern -, war nirgends zu entdecken. Der Neue war offenbar die Vertretung.
Genieß die Verschnaufpause, sagte sie sich. Er wird vermutlich morgen wieder da sein. Entgegen allen Warnungen benahm sich die Maschine in der ersten Schichthälfte tadellos. Während Janey automatisch Metallstücke vom Vorratsstapel nahm, auf die Werkbank spannte und danach in die Kiste mit den zur Weiterverarbeitung vorgesehenen Teilen legte, ging sie im Geist die Vorlesung vom Vormittag noch einmal durch und dachte an den Test in der kommenden Woche. Es war fast Pausenzeit, als die Maschine plötzlich zu rütteln und ächzen begann, genau so, wie der Kollege von der Tagschicht es beschrieben hatte. Janey drosselte die Drehzahl fast bis zum Stillstand und bückte sich nach der Werkzeugkiste. Sie hatte gerade die Schutzabdeckung geöffnet, um die notwendigen Einstellungen vorzunehmen, als der Aushilfskollege ihr vorschlug, die Pause mit ihm zusammen auf dem Rücksitz seines Wagens zu verbringen, und mit unmißverständlichen Worten beschrieb, welche Art von Betätigung ihm dabei vorschwebte. Janey war so verblüfft, daß sie sich zu ihm umwandte und ihn fassungslos anstarrte. In diesem Moment fraß sich das Schneidmesser fest und verkantete. Ein rotglühender Span löste sich und traf Janeys ungeschützten Nacken. Sie hörte das Zischen, noch bevor sie die Hitze spürte. Sofort klappte sie die Abdeckung wieder zu und griff mit der behandschuhten Rechten nach der Wunde. Als der Schmerz sie wie eine heiße Woge durchflutete, krümmte sie sich unwillkürlich zusammen. Sekunden später war der Vorarbeiter bei ihr. "Verdammt, Griffin", rief er. "Du warst auf dem besten Weg, einen unfallfreien Monat zu haben, und nun das!" "Wie gut, daß ich dich gerade nach deiner Familie gefragt habe, Griffin", warf der Mann an der benachbarten Maschine verschlagen ein. "Wenn du dich nicht zu mir umgedreht hättest, wäre dir das Stück glatt ins Gesicht geflogen." Diese dreiste Lüge und der stechende Schmerz verschlugen ihr buchstäblich die Sprache. "Sieht ganz so aus", bestätigte der Vorarbeiter. "Warum hast du überhaupt die Schutzabdeckung geöffnet?" Hinter Janey ertönte eine andere Stimme - tief, sehr männlich und mit einem beinahe freundlichen Unterton. "Wir sollten uns erst um die Verletzung kümmern, Leute, bevor wir den Unfallhergang diskutieren." Wie in Trance drehte Janey sich langsam zu dem Mann um, der gesprochen hatte. Sie hatte Webb Copeland schon früher gesehen, wenn er seine regelmäßigen Inspektionsgänge durch die Produktionshallen machte, allerdings war es nie so spät abends gewesen. Und sie war ihm noch nie so nahe gewesen.
Er war größer, als sie gedacht hatte. Vielleicht lag es aber auch an dem tiefschwarzen Trenchcoat, den er offen über dem dunkelgrauen Nadelstreifenanzug trug, daß er so groß und breitschultrig wirkte. Seine Augen waren so grau wie der Stahl, mit dem sie tagtäglich hantierte, sahen jedoch nicht so kalt aus. Er hatte die dunklen Brauen zusammengezogen, Besorgnis spiegelte sich auf seinen attraktiven Zügen wider. Und dann bemerkte Janey etwas Sonderbares. Der Dunst von Öl und Schmierfett in der Halle war so stark, daß er normalerweise alle anderen Gerüche überdeckte. Doch plötzlich drang aus anderthalb Metern Entfernung der Duft von Webb Gopelands Rasierwasser zu ihr herüber. Er machte sie sogar ein bißchen benommen... Webb Copeland sah sie prüfend an. "Sie gehen sofort zur Krankenstation und lassen die Wunde untersuchen. Am besten bringe ich Sie selbst hin." Die Feministin in Janey hätte am liebsten geantwortet: Ich gehe zur Krankenstation, wann es mir passt, und auf gar keinen Fall lasse ich mich dort wie ein kleines Kind abliefern! Am Ende siegte jedoch die Vernunft, und Janey folgte ihm gehorsam zu der Tür, die die Werkshalle vom Verwaltungstrakt trennte. Erst als das Dröhnen der Maschinen immer schwächer wurde, fiel ihr auf, daß sie noch immer die elektronischen Ohrschützer trug, und sie nahm sie ab. "Ich weiß nicht einmal, wo die Krankenstation ist", erklärte sie zögernd. "Falls Sie mir damit sagen wollen, daß Sie sich sonst bei der Arbeit nicht verletzen, können Sie unbesorgt sein", erwiderte er mit einem Anflug von Ironie. "Würden Sie zu Unfällen neigen, hätte ich schon längst davon erfahren." "Das habe ich nicht gemeint... Ich wollte lediglich sagen, daß ich bislang nur einmal im Büroflügel war, und zwar am Tag meiner Einstellung." "Wann war das?" "Vor zwei Monaten." Insgeheim fragte sie sich, ob er das Gleiche dachte wie sie: daß ihre Probezeit erst in einem Monat ablief und die Firma noch genügend Zeit hatte, um zu entscheiden, ob es sich lohnte, sie als Arbeiterin zu behalten. Fabelhaft, Janey, schalt sie sich im Stillen. Du ignorierst nicht nur die Arbeitsschutzvorschriften, sondern tust es auch noch direkt vor der Nase vom Chef! Und dann erzählst du ihm auch noch, wie unerfahren du bist. Eine Frau mittleren Alters in einem weißen Kittel kam aus einem Raum am Ende des Flurs. "Der Vorarbeiter hat angerufen und mir mitgeteilt, daß Sie auf dem Weg hierher sind." Sie warf einen kurzen Blick auf Janeys Hals. "Verbrennung zweiten Grades - glücklicherweise nicht groß und auch nicht besonders tief. Es wird eine Weile teuflisch wehtun, und Sie werden vermutlich eine Narbe zurückbehalten. Kommen Sie. Ich muß die Wunde reinigen und desinfizieren."
Janey blieb mit der Kappe ihres stahlverstärkten Arbeitsstiefels an der Schwelle zum Behandlungszimmer hängen und stolperte. Webb Copeland hielt sie fest. "Die Dinger sind keine Ballettschuhe, oder?" "Das kann ich nicht beurteilen. Ich hatte nie Ballettunterricht." Sie setzte sich auf einen Stuhl neben dem Behandlungstisch. "Natürlich nicht. Entschuldigen Sie." Beschämt über ihren unhöflichen Ton, fuhr sie sich über die Augen. "Tut mir Leid, daß ich Sie so angefaucht habe. Ich will Ihnen nicht zur Last fallen. Es ist weder meine Angewohnheit, über Türschwellen zu stolpern, noch erwarte ich, daß mich der nächststehende Mann auffängt. Ich jogge. Ich stemme Gewichte." Zumindest habe ich das früher getan, als ich noch die Zeit dazu hatte, dachte sie wehmütig. "Als ich einen Wagen hatte, habe ich sogar das Öl selbst gewechselt. Falls Sie also irgendeinen Zweifel haben, ob ich die Maschine bedienen kann, Mr. Copeland ..." Er lehnte sich an einen der glänzenden Stahlschränke. "Ich wußte, daß Sie dieses Thema anschneiden würden." Die Krankenschwester unterbrach das Gespräch. "Halten Sie einen Moment still. Es ist zwar nur antibakterielle Seife, aber sie brennt ein bißchen." Diese Behauptung erwies sich als Untertreibung des Jahrhunderts. Janey kämpfte ziemlich erfolglos gegen die Tränen an. Webb Copeland öffnete einen der Schränke und inspizierte den Inhalt. Janey war ihm für sein Taktgefühl dankbar. "Wo sind die Magentabletten, Nadine?" So viel zu seinem Taktgefühl, dachte Janey. Sie hätte wissen müssen, daß er nicht nur ihretwegen hier war. "Unteres Fach, ganz links", erwiderte die Schwester. Er fand die Flasche und entnahm ihr drei Tabletten. "Tut mir Leid, daß ich Ihnen auf den Magen geschlagen bin", flüsterte Janey. Webb Copeland hatte die Hand schon halb zum Mund geführt, hielt aber mitten in der Bewegung inne. "Wenn es darum geht, mir Sodbrennen zu verursachen, können Sie auch nicht annähernd mit meiner Großmutter konkurrieren, Miss ... Mir ist leider Ihr Name entfallen." Aber nach unserer heutigen Begegnung wirst du ihn natürlich nie wieder vergessen, dachte Janey zynisch. "Griffin." Er stellte die Flasche zurück und lehnte sich erneut an den Schrank. "Und nun erzählen Sie mir genau, was mit der Maschine los war." Sie beschrieb den Fehler so detailliert wie möglich, und als sie den Bericht beendete, hatte die Schwester die Verletzung am Hals versorgt und mit einem Verband bedeckt.
Webb Copeland äußerte währenddessen kein Wort, sondern blickte nur versonnen drein. Die Schwester zählte einige Schmerztabletten in einen Umschlag und reichte ihn Janey mit der Anweisung, in ein oder zwei Tagen wieder auf der Krankenstation vorbeizuschauen. Sie wollte sich dann vergewissern, daß die Wunde sich nicht entzündet hatte. Janey bedankte sich bei ihr, dann nahm sie ihre Handschuhe und die Ohrenschützer. Sie mußte sich zwingen aufzustehen. Der Gedanke, an die Arbeit zurückzukehren und weiterhin mit der störrischen Maschine zu kämpfen, hatte absolut nichts Verlockendes für sie. Aber sie hatte nur eine leichte Verbrennung und keinen schweren Unfall erlitten - und außerdem wurde sie vom Boß beobachtet. Webb Copeland begleitete sie hinaus auf den Gang. Janey sah ihn nicht an. "Es war nett von Ihnen, bei mir zu bleiben", sagte sie schließlich. "Sie hätten das nicht tun müssen." "Eigentlich sollte ich mich bei Ihnen bedanken", erwiderte er. "Mir waren nämlich die Ausreden für meine Überstunden ausgegangen, und Sie haben mich mit einer neuen versorgt." Sie stutzte. Er brauchte Ausreden, um länger zu arbeiten? Warum, um alles in der Welt, wollte er nicht nach Hause? Er folgte ihr in die Werkhalle. Sekundenlang war Janey verwundert, doch dann fiel ihr ein, daß er auf dem Weg nach draußen gewesen war, als der Eisenspan sie getroffen hatte. Der Vorarbeiter inspizierte noch immer die Maschine. "Das hat ja ganz schön lange gedauert", bemerkte er vorwurfsvoll, als sie sich ihm näherte. "Was haben sie mit dir angestellt? Hauttransplantationen?" Er wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. "Mit der Fräse scheint alles in Ordnung zu sein. Falls du mir also keinen guten Grund nennen kannst, warum ich dich nicht wegen grober Fahrlässigkeit melden soll, Griffin ..." Nach kurzem Überlegen schüttelte Janey den Kopf. Der widerwärtige Kerl an der anderen Maschine war zwar der eigentliche Anlaß für ihre Unachtsamkeit gewesen, aber sie allein war so leichtsinnig gewesen, die Schutzabdeckung zu öffnen, ohne mit ihren Gedanken bei der Sache zu sein. "Dann geh wieder auf deinen Platz", befahl der Vorarbeiter. Hinter ihr räusperte Webb Copeland sich vernehmlich. "Es wird keine Meldung wegen grober Fahrlässigkeit geben, denn die Maschine wird als gefährlich eingestuft und aus der Produktion genommen, bis sie von einem Fachmann untersucht wurde. Und da Miss Griff in somit kein Gerät mehr hat, mit dem sie arbeiten könnte, wird sie nicht an ihren Platz zurückkehren, sondern nach Hause gehen. Und zwar sofort."
Dem Vorarbeiter blieb der Mund offen stehen. Der ekelhafte Bursche nebenan schnappte verblüfft nach Luft. Janey zögerte. Da sie jedoch kaum mitten in der Halle einen Streit anzetteln konnte, holte sie resigniert ihre Sachen aus ihrem Spind im Pausenraum und folgte Webb Copeland zum Personalausgang. Auf dem Parkplatz blieb sie stehen. Der eisige Novemberwind drang durch ihren Mantel. "Sagten Sie nicht, Sie hätten keinen Wagen?" fragte er. "Der Bus kommt gleich. Ich wünschte, Sie hätten das nicht getan, Mr. Copeland." "Was hätte ich nicht tun sollen? Und warum?" "Alles. Es wird nämlich eine Menge Gerede geben." "Worüber?" "Offenbar sind Sie nicht viel mit den Burschen in der Fabrik zusammen." Es war kalt, und ihr Nacken schmerzte. "Egal", lenkte sie ein. "Auch wenn es vielleicht kleinlich klingt - wird mir der Lohn gekürzt, weil ich früher nach Hause gehe?" "Nein. Es ist schließlich nicht Ihre Schuld. Kommen Sie, ich fahre Sie heim. Sie brauchen nicht in der Kälte auf den Bus zu warten." Er marschierte los, ohne sich zu vergewissern, daß sie ihm folgte. Irgendwie hatte sie sich ihn in einem schnittigen Zweisitzer vorgestellt, doch statt dessen entpuppte sich sein Wagen als eine geräumige Limousine. "Natürlich", meinte sie. "Großmutter." Webb nahm hinter dem Lenkrad Platz. "Wie bitte?" Janey war viel zu verlegen, weil er sie bei einem Selbstgespräch ertappt hatte. "Ich habe nur gerade überlegt, daß es für Ihre Großmutter schwer wäre, bei einer Corvette ein- und auszusteigen." Er runzelte die Stirn. "Sie kennen meine Großmutter nicht, oder?" "Machen Sie Witze? Natürlich kenne ich sie nicht. Woher auch?" "Eine ausgezeichnete Frage", räumte er ein. "Wo wohnen Sie?" Einen flüchtigen Moment lang erwog sie, Webb Copeland zu bitten, sie am Campus und nicht vor ihrer Tür abzusetzen. Aber war es so wichtig, wenn er glaubte, sie wohne in einem Slum? Nein, sagte sie sich trotzig. Denn er war nicht wichtig. Absolut nicht. Webb parkte vor einem der schäbigsten Gebäude, die er je gesehen hatte. "Ich warte, bis Sie im Haus sind." "Nicht nötig", wehrte Janey ab. "Ich laufe jede Nacht zwei Blocks von der Bushaltestelle hierher - und zwar später als heute und ganz allein." Er wartete trotzdem, bis das Licht in der Souterrainwohnung eingeschaltet wurde. Dann lehnte er sich zurück, trommelte mit den Fingern auf das lederbespannte Lenkrad und lächelte versonnen.
Sie ist perfekt, sagte er sich zufrieden. Absolut perfekt. Als Janey am nächsten Tag den Pausenraum betrat, erkannte sie, daß alles noch schlimmer war, als sie befürchtet hatte. Die anzüglichen Blicke waren übel genug, doch kaum wandte sie ihren Kollegen den Rücken zu, um ihre Sachen im Schrank zu verstauen, da setzte zu allem Überfluss das Getuschel ein. "Ich wette, der Boß hätte mich nicht auf die Krankenstation begleitet." "Oder bei dir Händchen gehalten, während die böse Schwester dich verarztet." "Oder dich anschließend nach Hause gefahren." Irgendjemand lachte verächtlich. "Ich frage mich, ob die Sache sich für ihn gelohnt hat." Janey hatte genug gehört. Sie drehte sich um und erklärte laut: "Falls ihr wissen wollt, ob Webb Copeland die Nacht bei mir verbracht hat: Nein, das hat er nicht." Einer der Männer grinste obszön. "Nun, die ganze Nacht hat er dazu bestimmt nicht gebraucht." Janey knallte ihren Spind zu und verließ den Pausenraum. Draußen vor der Tür stand eine ältere Frau mit einem Block in der Hand. Sie blickte von ihren Notizen auf. "Sind Sie Miss Griffin?" "Zu meinem größten Bedauern, ja", erwiderte Janey wütend. Die Frau zuckte mit keiner Wimper. "Würden Sie bitte mitkommen? Ich bin Mr. Copelands Privatsekretärin. Er wünscht, mit Ihnen zu sprechen." "So? Ich würde ihm auch gern ein paar Sachen sagen. Gehen wir." Sie gingen einen anderen Flur entlang als den, der zur Krankenstation führte. Je weiter sie in den Verwaltungstrakt vordrangen, desto prächtiger wurde die Umgebung. Der Teppichboden war weicher, die Wände waren entweder tapeziert oder mit Holz getäfelt, statt einfach nur mit Ölfarbe gestrichen, und jedes Büro, an dem sie vorbeikamen, war größer als das vorherige. Und jeder, der ihnen unterwegs begegnete, schien verblüffter über ihren Anblick zu sein. Janey fand die Situation fast komisch. Der Kontrast zwischen ihr - in Arbeitskleidung mit Sicherheitsschuhen, Schutzbrille und Ohrenschützern und der eleganten, weißhaarigen Sekretärin konnte vermutlich nicht krasser sein. Am anderen Ende des Gebäudes angelangt, öffnete die Sekretärin eine schwere Teakholztür. "Mr. Copeland? Miss Griffin ist hier." Janey machte zwei Schritte in das riesige Büro und beobachtete, wie Webb Copeland sich langsam von seinem ebenfalls riesigen Schreibtisch erhob. "Setzen Sie sich." Er deutete auf zwei Sessel vor dem Marmorkamin, der eine Ecke des Zimmers einnahm. "Ich würde gern ein wenig mit Ihnen plaudern." "Nun, das Gleiche gilt für mich."
Skeptisch betrachtete Janey die blassblauen Seidenbezüge. Ihre Jeans waren zwar frisch gewaschen, aber einige Ölspuren würden sich wohl nie wieder entfernen lassen. Wenn die empfindliche Seide Flecken bekam... Dann ist das einzig und allein Webb Copelands Problem, dachte sie. Was ging das sie an? Sie hatte schließlich nicht darum gebeten, herzitiert zu werden. Aus purem Trotz ließ sie sich demonstrativ lässig in einen der teuren Sessel plumpsen - ihre Mutter hatte sie immer angefleht, ein wenig Rücksicht auf die Sprungfedern zu nehmen, wenn Janey sich als Teenager so hingelümmelt hatte. Zu ihrer maßlosen Enttäuschung lächelte Webb Copeland nur. "Ich möchte Sie etwas fragen." Er setzte sich ihr gegenüber und richtete sorgfältig die Bügelfalten seiner Hose, bevor er sich zurücklehnte. "Miss Griffin, wären Sie gern eine Zeit lang mit mir verlobt?"
2. KAPITEL Webb Copelands Augen waren so groß und unschuldig, sein Lächeln war so ernst und sein Tonfall so kühl und aufrichtig, daß es ein paar Sekunden dauerte, bis Janey klar wurde, dieser Mann steckte mitten in einer schweren psychischen Krise. Wie, um alles in der Welt, behandelte man jemanden in einer solchen Phase? Redete man ihm gut zu? Versuchte man, ihn zur Vernunft zu bringen? Oder lief man einfach schreiend davon? "Verlobt?" wiederholte sie. "Sind Sie sicher, daß Sie das sagen wollten? Bestimmt meinen Sie nicht ,verlobt' im Sinne von ,verlobt, bevor man heiratet', oder?" "Nicht in diesem Fall. Ich meine, ja, genau so eine Verlobung habe ich im Sinn - allerdings ohne Heirat." Janey atmete tief durch. "Am besten fangen Sie noch einmal ganz von vorn an, Mr. Copeland. Gibt es hier so etwas wie eine Kaffeemaschine? Jetzt könnte ich nämlich einen Kaffee brauchen." Er lächelte. "Louise bringt Ihnen eine Tasse. Mit Milch und Zucker?" "Schwarz, bitte." Er ging zur Tür und rief seine Sekretärin. Janey nutzte die Gelegenheit, sieh im Büro umzuschauen. Es hatte nur einen Ausgang, und dieser wurde von Webb Copeland versperrt. Eine Wand bestand vollständig aus Glas, einige der unteren Scheiben waren offenbar zu besseren Belüftung geöffnet. Die einzelnen Fenster waren zwar nur klein, aber mit ein bißchen Glück konnte sie sich vielleicht hindurchzwängen ... Andererseits war sie kein Mensch, der vor einem Problem schreiend davonlief. Ehrlicherweise mußte sie zugeben, daß dies nicht der eigentliche Grund war, weshalb sie blieb. Eines wußte sie nämlich mit absoluter Sicherheit: Wenn sie nicht die ganze Geschichte hörte, würde sie für den Rest ihres Lebens nachts wach liegen und versuchen, hinter die Lösung des Rätsels zu kommen. Webb kehrte mit zwei schweren Steingutbechern zurück, die das Firmenzeichen von Copeland Products trugen. Janey war ein wenig enttäuscht, denn es waren die gleichen Tassen, wie sie im Pausenraum der Belegschaft standen. Gehörte es nicht zu den Privilegien im Verwaltungstrakt, daß man hier aus echtem Porzellan trinken durfte? Der Kaffee war allerdings besser als im Pausenraum. Sie umfaßte den Becher mit beiden Händen. "Was wollten Sie sagen?"
"Ach ja, von Anfang an." Webb setzte sich wieder. "Vor etwas über einem Jahr verlor meine Frau auf einer vereisten Straße die Kontrolle über ihren Wagen und starb." "Das tut mir Leid. Ich habe natürlich von dem Unfall gehört, aber nicht mehr daran gedacht." Angesichts seiner erstaunten Miene fügte sie hinzu: "Die Arbeiter reden, Mr. Copeland." "Über meine Frau?" "Sie reden über alles. Wenn ich geahnt hätte, daß mich dieses Thema irgendwann persönlich berühren würde, hätte ich besser aufgepasst. Zumindest nehme ich an, daß es mich persönlich berührt, sonst hätten Sie es wohl kaum erwähnt oder?" Er lächelte, vermied es aber, ihr direkt darauf zu antworten. "Unsere Tochter Madeline war beim Tod ihrer Mutter noch keine zwei Monate alt." "Oh." Diesen Teil der Geschichte kannte sie noch nicht. "Das arme Kind." "Sie macht sich recht gut. Sie hat eine Kinderschwester, und außerdem ist meine Großmutter zu uns gezogen, um mir zu helfen." Er trank einen Schluck Kaffee. "Und genau das ist mein Problem - meine Großmutter. Sie ist überzeugt, ich sollte Maddy zuliebe wieder heiraten, und nun versucht sie, mich dazu zu überreden." Zweifelnd sah sie ihn an. "Ach, kommen Sie, Mr. Copeland, Sie haben über fünfhundert Angestellte und keinerlei Schwierigkeiten, sie herumzukommandieren. Erwarten Sie wirklich, daß ich Ihnen glaube, Sie könnten Ihrer Großmutter nicht sagen, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern?" "Ich habe es ihr gesagt. Und sie hat tatsächlich aufgehört, darüber zu sprechen das letzte Mal hat sie dieses Thema vor drei Wochen angeschnitten. Doch seit ihrem letzten Vortrag darüber, wie dringend Madeline eine Stiefmutter brauche, bin ich in der Nähe meines Hauses nicht mehr sicher." "Ist Ihre Großmutter so wütend, daß ..." "Sie ist keineswegs wütend, sondern nur zu allem entschlossen. Sie hat mein Haus in einen Taubenschlag verwandelt. Ich habe nichts dagegen, schließlich ist es ihr gutes Recht, Freunde zu empfangen. Allerdings scheinen plötzlich all ihre Freundinnen allein stehend, unter Dreißig und allesamt bildhübsch zu sein. Wenn ich abends pünktlich heimkomme, um mit Maddy noch ein bißchen zu spielen, bevor sie ins Bett muß, bin ich gezwungen, Gran und der einen oder anderen jungen Schönheit beim Dinner Gesellschaft zu leisten." "Deshalb haben Sie also gestern Abend so lange gearbeitet." Er nickte. "Ich bin vor einer Blondine geflohen. Glücklicherweise habe ich sie gesehen, bevor Gran mich entdeckt hat - nur so bin ich dem Essen entronnen. Ich
habe es wirklich nur mit knapper Not geschafft, aber ich schätze, die Blondine hat den ganzen Abend auf mich gewartet." Mir waren nämlich die Ausreden für meine Überstunden ausgegangen, und Sie haben mich mit einer neuen versorgt, hatte er vor der Krankenstation gesagt. Allmählich dämmerte Janey, was er damit gemeint hatte. "Ich kann mein eigenes Haus nicht betreten, ohne sofort belagert zu werden aber wenn ich fernbleibe, sehe ich mein kleines Mädchen überhaupt nicht mehr." "Demnach haben Sie noch nicht in Betracht gezogen, Ihre Großmutter in ein Seniorenheim zu verfrachten und ihren Freundinnen zu sagen, sie mögen sie dort besuchen?" Er seufzte resigniert. "Sie kennen meine Großmutter nicht, Janey." "Na schön, ich kann Ihnen also auch nicht helfen. Sie könnten natürlich einen Rechtsanwalt einschalten, aber ..." "Ich weiß eine viel einfachere Lösung. Ich werde ihr genau das geben, was sie will." "Offenbar habe ich etwas verpaßt", meinte sie verwundert. "Sie sagten doch gerade, nur eine Ehe könne Sie davor bewahren, weiter von Ihrer Großmutter zur Ehe gedrängt zu werden. Irgendwie ist das ..." "Keineswegs", unterbrach er sie. "Ich werde ihr die Frau präsentieren, die ich dazu auserkoren habe, Maddys Stiefmutter - und damit auch meine Frau - zu werden." Janey schlug die Beine übereinander und wippte mit dem Fuß. "Ich begreife immer noch nicht, was ich damit zu tun habe." "Sie sind perfekt", erklärte er ruhig. "Sie wird Sie hassen." Sie hielt mitten in der Bewegung inne. "Weil ich mich grundlegend von den Damen auf ihrer Liste unterscheide?" "Sehr richtig. Sie wird entsetzt sein." Janey sah seine Großmutter förmlich vor sich: Adleraugen, kerzengerade durchgedrückter Rücken, ungeduldig auf den geringsten Schnitzer wartend und bereit, jeden sofort zu verurteilen, der nicht hundertprozentig ihren Maßstäben entsprach. Er hat Recht, dachte Janey, die Frau muß mich hassen. Allerdings war seine Einschätzung keineswegs besonders schmeichelhaft... "Und nach einer Weile beenden Sie dann die Verlobung", folgerte sie. Er nickte. "Gran wird so erleichtert sein ..." "... daß sie ihre Bemühungen sofort wieder aufnehmen wird", beendete sie den Satz für ihn. "Ich weiß nicht, was Sie damit auf lange Sicht gewinnen wollen." "Oh nein, sie wird es nicht noch einmal versuchen", beteuerte er. "Sobald sie erkannt hat, daß ich notfalls bereit bin, aufs Ganze zu gehen, wird sie es nie wieder wagen, mich zu drängen." "Sie wollen ihr alles erzählen und gestehen, daß es nur ein Trick war?"
"Natürlich nicht. Sie muß glauben, daß es mir ernst war, sonst wäre das Täuschungsmanöver reine Zeitverschwendung." Er überlegte. "Das bedeutet jedoch, daß Sie diejenige sind, die die Verlobung lösen müssen - zumindest sollte es so aussehen." "Und Sie bleiben mit einem gebrochenen Herzen zurück", spottete Janey. "Dadurch dürften Sie tatsächlich etwas Zeit gewinnen. " Sein Vorschlag wies etliche Fehler auf, doch Webb hatte sie schließlich nicht aufgefordert, seinen Plan zu kritisieren, sondern lediglich gebeten, eine Weile seine Verlobte zu spielen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und blickte ihn herausfordernd an. "Und was ist dabei für mich drin?" Er schien über diese unverblümte Frage verblüfft zu sein. "Falls mein Job von meiner Zustimmung abhängen sollte ...", begann sie mißtrauisch. "Selbstverständlich nicht. Das wäre sexuelle Belästigung." "Wie schön, daß wenigstens einer in der Firma diesen Ausdruck kennt!" konterte sie trocken. "Also, was bieten Sie mir?" "Was schwebt Ihnen denn vor?" Während sie ihren Kaffee trank, dachte sie kurz nach. Dann stellte sie den Becher beiseite. "Geld, natürlich." Plötzlich wurde der Blick seiner grauen Augen so kalt und bedrohlich wie Sturmwolken. Was, um alles in der Welt, hat er denn erwartet? fragte Janey sich halb belustigt. Er hatte sie doch längst als dreist, ungebildet und sozial benachteiligt eingestuft - warum sollte sie nicht auch noch geldgierig sein? "Und zwar eine ganze Menge." Sie nannte ihm die exakte Summe. Er schluckte trocken. "Sie haben Recht - es ist eine ganze Menge." Sie zögerte. Für ihre Arbeit bezahlt zu werden war eine Sache, doch der Betrag, den sie verlangt hatte, erfüllte schon eher den Tatbestand der Erpressung allerdings erwartete sie nicht, daß er ihr das Geld sofort gab. Sie mochte zwar nicht kreditwürdig genug sein, um bei einer Bank ein Darlehen aufzunehmen, aber wenn sie mit Webb kooperierte... Warum nicht? Er konnte es sich leisten. "Nennen wir es ein zinsfreies Darlehen. In ungefähr drei Jahren kann ich mit der Rückzahlung beginnen", sagte sie. "Natürlich können Sie das," In seiner Stimme schwang unverhohlene Ironie mit. "Und warum wollen wir drei Jahre warten? Wofür ist dieses Darlehen'?" "Wofür ich das Geld ausgebe, geht Sie absolut nichts an", entgegnete sie schulterzuckend. "Falls Sie sich sorgen, ob ich es zurückzahle, müssen Sie sich schon auf meinen Charakter verlassen. Sollten Sie jedoch mit diesem Arrangement nicht zufrieden sein, brauchen wir die Diskussion gar nicht erst fortzusetzen", fügte sie mit einem zuckersüßen Lächeln hinzu.
Er schwieg so lange, daß Janey schon fürchtete, sie habe es zu weit getrieben. Na schön, dachte sie, es wäre zumindest eine tolle Chance gewesen. Sie hatte gespielt und verloren. Es gab keinen Grund, enttäuscht zu sein. Sie war nicht schlechter dran als in dem Moment, da sie das Büro betreten hatte. "Einverstanden", sagte er. Janey traute ihren Ohren kaum. Sie verspürte grenzenlose Erleichterung - ein bißchen Angst vor dem Job, den sie übernommen hatte. "Ich will, daß wir gleich anfangen. Zuallererst müssen wir uns daran gewöhnen, einander zu duzen", fuhr er fort. "Heute Abend werde ich Gran die Neuigkeit mitteilen, und morgen kannst du sie beim Dinner kennen lernen. Komm gegen halb sieben ..." Sie schüttelte den Kopf. "Unmöglich. Haben Sie ... hast du vergessen, daß ich in der Spätschicht arbeite?" "In Anbetracht des Vermögens, das ich dir zahle, dachte ich, du würdest kündigen." Das könnte sie natürlich tun. Mit dem Geld im Hintergrund brauchte sie keinen Tag länger zu arbeiten. Es würde ausreichen, um ihre Studiengebühren zu begleichen und ihr einen angenehmen, wenn auch nicht gerade luxuriösen Lebensstil zu ermöglichen. Sie würde sich weder mit ihren Kollegen herumärgern noch die gräßlichen Ohrenschützer tragen oder gar mitten in der Nacht mit dem Bus quer durch die Stadt fahren müssen ... Andererseits hatte sie nicht die geringste Garantie dafür, daß Webb Copeland sie bezahlen würde. Da dies vom Erfolg des Plans abhing, durfte sie es nicht riskieren, auf die Sicherheit zu verzichten, die ihr der Gehaltsscheck bot. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als auf ein baldiges Ende zu hoffen, und sich bis dahin weiter einzuschränken. "Ich denke, ich werde vorerst weiterarbeiten", sagte sie. Webb atmete tief durch, verzichtete aber darauf, mit ihr zu streiten. "Na gut. Dann eben Lunch." Janey überlegte kurz. Morgen war Mittwoch, der Tag vor den ThanksgivingFerien. Die Nachmittagsvorlesungen fielen allesamt aus. "Aber nicht so früh. Vielleicht gegen eins." "Gut. Ich hole dich ab." Er erhob sich. Das Gespräch war für ihn offenbar beendet. Sie blieb jedoch hartnäckig sitzen. "Was trägt man beim ersten Treffen mit deiner Großmutter?" Er betrachtete sie versonnen. "Wie wäre es mit deiner Arbeitskleidung? Nach dem Essen fahre ich dich zur Fabrik, damit du die Schicht pünktlich antreten kannst."
"Hältst du das nicht für ein bißchen übertrieben? Ich dachte eher daran, mich wie ein Clown anzumalen und das Oberteil eines hautengen, trägerlosen Kleides mit allen verfügbaren Taschentüchern auszustopfen." Webb lächelte zum ersten Mal aufrichtig amüsiert: Janey fand, daß es ihm ausgezeichnet stand. An seinen Augenwinkeln bildeten sich winzige Fältchen, und seine Augen glänzten ... Das reicht, ermahnte sie sich streng. Er war der Boß, er hatte sie für einen Job engagiert, und sie wurde nicht mit einem Lächeln bezahlt. Nachdem Janey gegangen war, rief Webb seine Sekretärin herein. "Schicken Sie das in die Personalabteilung zurück." Er schob Janeys Akte über den Tisch. "Und rufen Sie meine Großmutter an. Richten Sie ihr aus, daß ich sie heute Abend allein sprechen möchte. Sie soll also alle Möchtegern-Bräute hinauswerfen." Louise lächelte. "Ich werde Sie mit dem größten Vergnügen zitieren." Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ sie das Büro. Webb schob seinen Stuhl zurück, legte die Füße auf den Schreibtisch und blickte aus dem Fenster. Es läuft alles hervorragend, dachte er. Janey Griffin war die Idealbesetzung für diese Rolle. Sie war nicht nur schlagfertig, unverfroren und absolut taktlos - Eigenschaften, die Camilla Copeland mit Sicherheit die Wände hinauftreiben würden -, sondern zudem auch noch sehr hübsch anzuschauen. Zugegeben, Janey war nicht schön, sie konnte nicht annähernd mit den Kandidatinnen seiner Großmutter konkurrieren, aber selbst in Arbeitskleidung bot sie einen netten Anblick. Sie war groß und schlank, hatte eine wohlgeformte Figur, große braune Augen, ein energisches kleines Kinn und seidiges braunes Haar - kurz, seine Großmutter würde sich über sein Interesse an Janey nicht wundern. Es gab Frauen, bei denen Gran einfach nicht glauben würde, daß er sich in sie verliebt hatte, gleichgültig, wie überzeugend die Geschichte sein mochte, die man ihr erzählte. Janey Griffin gehörte nicht dazu. Aber wenn Camilla erst mit Janeys Schlagfertigkeit, Unverfrorenheit und Taktlosigkeit konfrontiert wurde... Und Janey würde ihren Job behalten, genau wie er es gehofft hatte. Der bloße Gedanke an eine Schwiegerenkelin, die ihr Geld mit Schichtarbeit in der Fabrik verdiente, würde Camilla die Schamröte ins Gesicht treiben. Er hatte Recht: Janey könnte nicht perfekter sein. Webb stand auf und holte seinen Trenchcoat aus dem Schrank. Louise würde den Anruf inzwischen erledigt haben - er konnte also unbesorgt nach Hause fahren, mit seiner kleinen Tochter spielen und seine Großmutter schockieren. Er freute sich schon darauf. Nicht nur der Vorarbeiter, sondern auch alle Kollegen in der Schicht wußten, daß Janey zu spät kam, weil sie zum Boß zitiert worden war. Und da sie ihnen
kaum erzählen konnte, worum es bei dieser Besprechung gegangen war, blieb ihr nichts anderes übrig, als die anzüglichen Kommentare zu ignorieren. Als sie nicht darauf reagierte, legte sich die Aufregung ein wenig. Die Bemerkungen wurden harmloser, obgleich sie noch immer ziemlich ärgerlich waren. Mit ein bißchen Glück würde sie diese Zoten nur noch ein paar Wochen ertragen müssen ... Sie hatte ganz vergessen, Webb zu fragen, wie lange er die Scheinverlobung aufrechthalten wollte, aber zwei Jahre würde es bestimmt nicht dauern. Und wenn alles zu Ende war, würde es ihr an nichts fehlen. Sie würde nicht mehr arbeiten müssen und könnte sich ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren. Natürlich würde sie das Geld unter allen Umständen zurückzahlen. Ihr war klar, daß Webb Copeland ihr kein Wort geglaubt hatte, doch für Janey war das Honorar nichts anderes als eine Art Kredit. Abgesehen von den Zinsen. Sie freute sich schon auf Webbs Gesicht, wenn er erkennen mußte, daß sie ihr Versprechen ernst gemeint hatte. Plötzlich merkte Janey, daß das Stimmengewirr in der Halle nahezu verstummt war, nur die Maschinen dröhnten weiter. Es herrschte eine geradezu gespenstische Atmosphäre, denn es war fast Mitternacht, und normalerweise wurden die Unterhaltungen zum Ende der Schicht hin eher lauter. Sie blickte sich verwundert um - und konnte nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrücken. Webb Copeland kam zielstrebig auf sie zu, die Hände in den Taschen seines Trenchcoats. Janey wandte sich wieder der Maschine zu und würdigte ihn keines Blickes, als er neben ihr stehen blieb. "Nicht schon wieder", sagte sie. "Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viel Ärger du mir durch deine bloße Anwesenheit machst?" "Ich bin nur gekommen, um dich nach Hause zu fahren", erwiderte er schulterzuckend. "Ach ja, und um dir das hier zu geben." Er zog eine kleine Schachtel aus der Tasche und ließ sie aufschnappen. In einem Polster aus schwarzem Satin steckte ein Ring. Der Stein hatte ungefähr die Größe von Janeys Daumennagel. Das grelle Licht der Neonröhren brach sich in seinen Facetten und tanzte in allen Farben des Regenbogens über den Fabrikboden. Die Arbeiter verrenkten sich fast die Hälse, um besser sehen zu können. "Bitte sag, daß es ein Zirkon und kein Diamant ist", flüsterte sie. "Das würde auch nichts an der Tatsache ändern. Außerdem wäre der Juwelier, der ihn mir verkauft hat, nicht sonderlich begeistert von dieser Behauptung." "Wo hast du kurz vor Mitternacht noch einen Juwelier gefunden? Nein, eigentlich will ich es gar nicht wissen." "Zu Hause vor dem Fernseher, aber als ich ihm meinen Wunsch schilderte, hat er sofort eingewilligt, mich in seinem Geschäft zu empfangen. Gefällt dir der Ring
nicht? Ich hätte dich ja gern selbst wählen lassen, doch ich dachte, Gran würde unliebsame Fragen stellen, falls du morgen keinen Ring trägst." Janey hätte ihn am liebsten erwürgt. "Ob er mir gefällt oder nicht, ist völlig unwichtig. Nicht genug damit, daß du mir einen mittleren Felsen kaufst..." "Gran würde alles andere für schäbig halten." Er dachte immer nur an seine Großmutter! "Aber warum bringst du das Ding hierher?" "Hast du wirklich geglaubt, unsere Verlobung würde lange geheim bleiben?" Janey drehte sich um - und blickte in hundert neugierige Gesichter. "Jetzt jedenfalls nicht mehr." "Seit ich meine Großmutter informiert habe, breitet sich die Neuigkeit mit der Geschwindigkeit eines Steppenbrandes aus." Es gibt kein Zurück mehr. Für Janey war dieser Gedanke ebenso überraschend wie verwirrend. Warum sollte sie zurückwollen? "Hat dir die Mitteilung so viel Spaß gemacht, wie du erwartet hast?" Er sah sie prüfend an. "Ja. Und nun komm mit, draußen erzähle ich dir mehr." Eingedenk der gaffenden Kollegen verzichtete Janey auf jeglichen Protest. Statt dessen verstaute sie ihre Sicherheitsausrüstung und holte ihren Mantel. Webbs Wagen stand direkt vor der Werkhalle im Halteverbot. "Sie war absolut sprachlos", berichtete er, als er für Janey die Beifahrertür öffnete. "Ich habe ihr beim Dinner gesagt, daß ich die Frau meiner Träume gefunden hätte. Zuerst hat sie sich an der Suppe verschluckt, doch dann war sie recht gefaßt." "Das ist gut. Es wäre mir sehr unangenehm, wenn du einen Herzanfall auf dem Gewissen hättest." Sie runzelte die Stirn. "Hast du überhaupt ein Gewissen?" Er tat so, als hätte er die Frage nicht gehört. "Gran wollte morgen mit uns ins ,Coq au Vin' gehen - ihrer Meinung nach ist es das einzige Restaurant in der Stadt, wo man eine Verlobung stilvoll feiern kann." "Mr. Copeland... Webb, ich möchte deiner Großmutter nicht in irgendeinem schicken Restaurant zum ersten Mal unter die Augen treten." "Kein Problem. Ich habe ihr gesagt, du würdest uns lieber zu Hause besuchen, damit du ein bißchen Zeit mit Madeline verbringen kannst. Und da Gran ein wenig besorgt ist, weil du Maddy kaum kennst..." "Kaum kennen? Ich habe das Kind noch nie gesehen!" "Ich habe die Kleine ein paar Mal ins Büro mitgenommen, um sie herumzuzeigen. Du könntest sie bei einer dieser Gelegenheiten gesehen haben." "Ich will versuchen, daran zu denken. Hoffentlich ist nicht mehr als ein Kind da. Es wäre doch peinlich, wenn ich mit dem falschen herumschäkere." "Im Zweifelsfall suchst du nach braunen Augen in der Größe des MichiganSees, dann kannst du gar nichts falsch machen. Soviel also zu Maddy und dem Lunchtermin. Müssen wir sonst noch etwas besprechen?"
"Ja. Wie lange soll die Farce dauern?" "Bist du so versessen auf das Geld? Nun, es ist fast Ende November ... ich würde sagen, bis Weihnachten." "Wie reizend!" spottete Janey. "Deine Großmutter wird sich über ihr diesjähriges Weihnachtsgeschenk bestimmt freuen - sie wird mich wieder los." "Ja, und ich muß es nicht einmal einpacken", pflichtete Webb ihr fröhlich bei. "Oh, da fällt mir etwas ein: Wir haben uns noch nicht auf eine Geschichte geeinigt." "Sie will Detaüs hören, oder?" "Eigentlich ist sie nicht besonders neugierig, ich denke daher, wir können auf Einzelheiten verzichten. Bislang habe ich ihr nur erzählt, daß du bei Copeland Products arbeitest und wir uns in der Firma kennen gelernt haben." "Wie hat sie auf meinen Job reagiert?" "Ich habe ihr nicht genau gesagt, was du machst. Ich schätze, morgen ist auch noch Zeit dafür." "Wie wäre es, wenn ich einfach das Öl an meinen Fingern lasse? Dann brauchst du ihr nichts mehr zu erklären." Er schüttelte beinahe bekümmert den Kopf. "Und du dachtest, ich würde es mit der Arbeitskleidung übertreiben? Nun ja, wie auch immer. Ich finde, ich sollte dir weitgehend freie Hand lassen. Halte dich trotzdem möglichst dicht an die Wahrheit - das ist meist das Sicherste, Ich folge dir dann." "Und sammelst du Scherben auf?" konterte sie trocken. Als Webb den Wagen vor ihrem Apartment parkte, fügte sie hinzu: "Vielen Dank fürs Nachhausefahren. So bleibt mir wenigstens genug Zeit, mein Haar zu bleichen und mir die Nägel giftgrün zu lackieren." Da das Apartment über keine Klingelanlage verfügte, klopfte Webb an die Tür und beobachtete fasziniert, wie sich diverse Farbbrocken lösten und zu Boden fielen. Als Janey die Tür öffnete, hatte sie bereits einen Mantel an, und Webb verspürte ein leichtes Unbehagen. Ihre Bemerkung, sie würde ein hautenges, trägerloses Kleid tragen, war doch nur ein Scherz gewesen, oder? Ihr Haar hatte sie jedenfalls nicht gebleicht, obwohl das schlichte Braun, an das er sich erinnerte, heute fast golden zu schimmern schien. Janey hatte es zwar wie üblich zu einem Zopf geflochten, doch auch dieser wirkte lockerer und femininer als in der Fabrik. "Ich hätte auch draußen warten können", sagte sie, "aber ich fürchte, dieser Ring und die Nachbarschaft passen nicht zusammen." Sie bewegte die linke Hand. Selbst im Halbdunkel der Kellertreppe leuchtete der Diamant wie eine Fackel. "Kein giftgrüner Nagellack?" fragte Webb und schämte sich sofort über die Erleichterung, die er dabei empfand.
"Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen, aber meine Wohnungsgenossin hat die letzte Flasche verbraucht, bevor ich gestern nach Hause kam. Als Entschädigung hat sie mir ein Kleid geliehen." Das Unbehagen wurde stärker, doch bevor er noch etwas erwidern konnte, schloss Janey die Tür hinter sich ab. "Mich wundert, daß du deine Großmutter nicht mitgebracht hast, um ihr die Gegend zu zeigen", meinte sie, während er sich hinters Lenkrad setzte. "Oder hebst du dir das für später auf - für den Fall, daß du ihr endgültig den Rest geben willst?" Sie klingt ein bißchen gereizt, dachte Webb. Ihre Nervosität war verständlich, selbst jemand, der wußte, was ihn erwartete, würde der ersten Begegnung mit Camilla Copeland zweifellos mit sehr gemischten Gefühlen entgegenblicken. "Warum lebst du überhaupt hier? Ich weiß, ich zahle dir kein Vermögen jedenfalls noch nicht jetzt -, aber du verdienst trotzdem gutes Geld." Janey sah unverwandt geradeaus. "Weil sowohl Lakeshore Towers als auch Marina ausgebucht waren, als ich ein Apartment suchte." Mit anderen Worten, sie wollte es ihm nicht sagen. Nun, allem Anschein nach war sie nicht gerade stolz auf die Gegend - vielleicht hatte sie sich irgendwie bis über beide Ohren verschuldet und schämte sich dessen. Ein solches Eingeständnis hätte allerdings ein schlechtes Licht auf ihr Versprechen geworfen, die gewaltige Summe zurückzuzahlen, die er ihr geben würde, wenn alles vorbei war. Andererseits hatte er die Zusicherung von Anfang an nicht ernst genommen. In Anbetracht der kurzen Entfernung, die Janeys Kellerwohnung von dem neoklassizistischen Herrenhaus der Copelands trennte, das seit mehr als einem Jahrhundert von Generation zu Generation vererbt wurde, hätte der Kontrast zwischen den Viertem nicht krasser sein können. Webb parkte den Wagen am Ende der elegant geschwungenen Auffahrt und wandte sich dann Janey zu, um ihre Reaktion auf das Haus zu beobachten. Er sah jedoch nur ihren Zopf. Sie blickte wie hypnotisiert aus dem Fenster, und er meinte fast, sie trocken schlucken zu hören. Unwillkürlich fragte Webb sich, welches bauliche Detail sie wohl am meisten beeindrucken mochte. Waren es die sechs zehn Meter hohen dorischen Säulen, die das Portal flankierten? Der mit klassischen Ornamenten verzierte Fries unter dem Dach? Oder hatten ihr - was wohl am wahrscheinlichsten war - die gewaltigen Dimensionen den Atem verschlagen? Er umrundete den Wagen, um ihr die Tür zu öffnen. "Es ist ziemlich überwältigend, oder? Wenn ich längere Zeit weg bin, vergesse ich selbst manchmal, wie imposant es wirkt." Es schien sie einige Überwindung zu kosten, den Blick von der Fassade zu wenden. "Es ist unglaublich", flüsterte sie.
Allmählich wurde er wirklich nervös - allerdings bereitete ihm die bevorstehende Begegnung mit seiner Großmutter weniger Sorge als Janeys Benehmen. Er hätte niemals damit gerechnet, daß die unverfrorene, schlagfertige junge Frau, die er für diesen Job engagiert hatte, bei der ersten Herausforderung vor Ehrfurcht erstarren würde. Er nahm ihren Arm und schüttelte sie leicht - nur ganz sanft, für den Fall, daß seine Großmutter zufällig gerade aus dem Fenster blickte. "Werde jetzt bloß nicht schwach. Du brauchst niemandem etwas vorzumachen. Sei einfach du selbst." Janey hatte sich inzwischen ein wenig gefaßt. "Ich wünschte, du würdest das als Kompliment meinen." Ihre Stimme hatte wieder den bissigen Unterton, der Webb bereits so vertraut war. Er lächelte zufrieden. Der Butler öffnete die Tür, als sie die oberste der breiten Eingangsstufen erreichten. Nach einer leichten Verbeugung erkundigte er sich, ob er ihnen die Mäntel abnehmen dürfe. Janey schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Statt dessen ging sie drei Sehritte in die Halle, legte den Kopf zurück und blickte hinauf zur Kuppel, die sich zwei Stockwerke über ihnen wölbte. "Du hast hoffentlich nichts dagegen", sagte sie. "Aber ich hätte mir nie träumen lassen, dies einmal zu sehen." Webb trat hinter sie. "Übertreib es nicht", raunte er ihr warnend zu. Janey ließ sich zwar aus dem Mantel helfen, doch Webb war nicht sicher, ob sie die Mahnung überhaupt gehört hatte. Beinahe andächtig betrachtete sie die geschwungene Freitreppe, als Camilla Copeland an der Tür zum Großen Salon erschien. "Komm, Liebling", bat er, und sein Flüstern war bühnenreif. Endlich kehrte auch Janey in die Wirklichkeit zurück. Camilla eilte mit ausgestreckten Händen auf sie zu. "Ich freue mich so, Sie kennen zu lernen, Janey." Webb fand, daß ihre Stimme ein bißchen gekünstelt klang, und verspürte leichte Gewissensbisse. Diese Anwandlung war jedoch rasch vorbei, denn ohne Camillas wenig taktvolle Bemühungen, ihn zu verkuppeln, wäre er nie auf die Idee verfallen, Janey Griff in in sein Haus zu bringen. Außerdem würde die angebliche Verlobung nur so lange dauern, bis Camilla begriffen hatte, daß jeder weitere Versuch, ihn zu manipulieren, zu unerwünschten Konsequenzen führen würde. Und wenn Janey ihre Rolle gut spielte ... "Was für ein hübsches Kostüm!" sagte Camilla, und Webb riskierte einen ersten vorsichtigen Blick auf Janeys Garderobe. Entgegen ihrer Drohung trug sie kein trägerloses hautenges Kleid - im Gegenteil, das graue Tweedkostüm hätte zu nahezu jedem Anlaß gepaßt.
Und dennoch... Irgend etwas stimmte nicht. Der Rock war kürzer, als die Mode vorschrieb, und bewies, daß die Kombination mindestens zwei Jahre alt war. Camilla hatte dies gewiss sofort erkannt. Bestimmt war ihr auch das weiße Top, das unter der Jacke hervorlugte, genauso wenig entgangen wie ihm. Ein heutzutage sehr beliebtes Kleidungsstück, doch dieses unterschied sich grundlegend vom Durchschnitt. Es war nicht nur sehr knapp - nein, der seidig glänzende Stoff und der tiefe, mit Spitzen verzierte Ausschnitt verrieten überdies, daß Janey keineswegs darauf angewiesen war, ihre Oberweite mit Taschentüchern auszupolstern. Für Webb grenzte es an ein Wunder, daß Camilla keinen Schlaganfall erlitten hatte. Was allerdings den Rock betraf, so mußte er einräumen, daß jede Frau, die Beine wie Janey hatte, dumm wäre, sie zu verstecken - egal, ob es der Mode entsprach oder nicht. Janey strich über den Rock. "Danke. Ich werde es meiner Wohnungsgenossin ausrichten. Das ganze Outfit stammt übrigens von ihr, denn ich besitze nichts annähernd Vergleichbares." Camillas Lächeln erstarrte. Webb hätte am liebsten applaudiert und beschloß, die günstige Gelegenheit zu nutzen. "Ich wette, du hast nicht einmal ein Kleid, Janey. Jedenfalls habe ich dich noch nie in einem gesehen. Du hättest dabei sein sollen, als sie mit hohen Absätzen Laufen geübt hat, Gran. So etwas Komisches habe ich seit Jahren nicht mehr erlebt. Im Job trägt sie immer diese schweren Arbeitsschuhe mit Stahlkappen ..." Er verstummte, als er Camillas verblüffte Miene bemerkte. "Oh. Habe ich etwa vergessen zu erwähnen, daß Janey in der Fabrik von Copeland Products arbeitet?" Camilla schien einem Schreikrampf nahe. Webb wandte sich Janey zu, um herauszufinden, ob sie die Situation ebenso sehr genoss wie er. Zu seiner maßlosen Verwunderung entdeckte er jedoch ein wütendes Funkeln in ihren Augen. "Wie interessant!" Camilla atmete tief durch. "Kommen Sie doch mit in den Salon, Janey. Es dauert noch ein paar Minuten, bis der Lunch serviert wird. Wir sollten die Zeit nutzen, um uns besser kennen zu lernen." Sie ging voran. Janey folgte Camilla, doch nach drei Schritten blieb sie erneut stehen, um sich umzuschauen. "Es ist erstaunlich. Trotz der gewaltigen Dimensionen gibt es hier keinen Nachhall." "Es ist ein architektonischer Trick", erläuterte Webb. "Obwohl die Wände gerade wirken, sind sie leicht gewölbt, so daß sie den Schall schlucken, statt ihn zurückzuwerfen. Glaub mir, die Details werden dich nicht interessieren. Sie sind viel zu kompliziert."
Sie blickte ihn gereizt an. Plötzlich hatte er das unerklärliche Gefühl, man hätte ihm einen Eimer Eiswasser über den Kopf geschüttet. Glücklicherweise war Camilla schon im Salon und machte es sich in ihrem Lieblingssessel am Kamin bequem. Seine Großmutter konnte also nicht sehen, was sich im Foyer abspielte. Janeys Stimme war sehr leise und trügerisch sanft. "Zu kompliziert? Du meinst, ich würde es ohnehin nicht verstehen?" "Nun ja ... Ich dachte nur, es wäre nicht unbedingt deine Art von..." "Du meinst also, ich wäre außerstande zu begreifen, daß dieses Haus ein spätes Beispiel für neoklassizistischen Stil ist. Daß seine Architektur nicht nur wegen der akustischen Kunstgriffe bedeutsam ist, die Henry Bellows bei dem Entwurf angewandt hat, sondern auch wegen der Tatsache, daß es sich um das erste Gebäude handelt, das er mit einer Stahlkonstruktion und nicht nur mit Holz und Ziegeln errichten ließ. Du hast Recht - das übersteigt mein Vorstellungsvermögen!" Sie würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern machte auf dem Absatz kehrt und stürmte in den Salon. Obwohl es dank Henry Bellows Künsten kein Echo in der Halle gab, hatte Webb den Eindruck, es würden überall Alarmglocken schrillen.
3. KAPITEL Noch bevor sie den Kamin erreichte, neben dem Camilla Copeland saß, war Janey klar, daß es nicht sonderlich klug gewesen war, Webb quasi vor der Nase seiner Großmutter zurechtzuweisen. Trotzdem hatte es ihr gut getan. Sie nahm auf dem ihr von Camilla zugewiesenen Stuhl Platz und wärmte sich die Hände am prasselnden Feuer. "An einem so grauen Tag wie heute wirkt ein Holzfeuer besonders behaglich", meinte sie. "Demnach mögen Sie auch keine künstlichen Kamine?" Camilla lächelte. "Allerdings bin ich auch nicht diejenige, die das Holz hereintragen und die Asche hinausschaffen muß ..." Sie blickte auf. "Warum holst du Janey nicht einen Sherry, Webb?" Janey hatte gar nicht gemerkt, daß Webb sich zu ihnen gesellt hatte. Als sie sich zu ihm umwandte, beschlich sie der böse Verdacht, daß er ihr am liebsten Rattengift in jeden gewünschten Drink gemischt hätte. "Danke, aber ich habe wirklich nichts für Sherry oder andere alkoholische Getränke übrig. Und die Arbeit an den Maschinen hat mich noch vorsichtiger gemacht." Camilla deutete auf Janeys linke Hand. "Hoffentlich gehen Sie auch mit diesem Ring vorsichtig um." Sie nahm ein großes Wollknäuel aus dem Korb zu ihren Füßen und begann zu stricken. Janey betrachtete den funkelnden Diamanten. Am vorigen Abend war er ihr im kalten Licht der Neonröhren ziemlich protzig erschienen, doch als der Stein jetzt den flackernden Feuerschein reflektierte, wirkte er geradezu klassisch - und geheimnisvoll. "Etwas so Kostbares würde ich niemals gefährden." Camilla schüttelte den Kopf. "So habe ich es nicht gemeint. Vor vielen Jahren hätte mein Schwiegervater beinahe einen Finger verloren, als eine der Maschinen sich in seinem Logenabzeichen verfing. Der Ring war fast platt, und der Finger wurde ebenfalls stark gequetscht." Webb füllte für Camilla ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit und stellte es auf den kleinen Tisch neben ihrem Sessel. "Gran würde mehr Mitgefühl zeigen, wenn es sich um seinen Trauring statt um das Erkennungszeichen eines Männerbundes gehandelt hätte." Er lehnte am Kaminsims und sah Janey kalt an. Offenbar hatte er ihr die Szene im Foyer noch nicht verziehen. Camilla trank einen Schluck Sherry und widmete sich wieder ihrer Handarbeit. "Es freut mich, daß Ihnen das Haus gefällt, Janey. Es wäre auch zu schrecklich, an einem Ort leben zu müssen, der einem gleichgültig ist. Webb würde das Anwesen niemals aufgeben."
Einen Moment lang war Janey perplex, doch dann sagte sie sich, daß sie überempfindlich reagiere. Camilla hatte zwar beobachtet, daß sie von der Halle fasziniert gewesen war, doch den kurzen Disput mit Webb konnte die alte Dame unmöglich mit angehört haben. Unwillkürlich fragte Janey sich, welche Antwort er von dem einfältigen Ding erwarten mochte, das er engagiert zu haben glaubte. Es ist gerade groß genug, um all meine Verwandten unterzubringen - zumindest die, die bei uns leben wollen? "Es ist Ehrfurcht gebietend", erwiderte sie schließlich. "Wie ein Museum." "Das Gleiche habe ich gedacht, als ich als Braut hierher kam." Prüfend blickte Camilla Janey an. "Mir scheint, Sie haben sich ausführlich mit Henry Bellows befaßt. Er liegt uns natürlich sehr am Herzen, doch verglichen mit den wesentlich berühmteren Architekten von Chicago ist er nahezu unbekannt." Es dauerte ein paar Sekunden, bis Janey sich wieder gefangen hatte. Sie hatte die Akustik des Foyers unterschätzt - es gab zwar keinen Widerhall, aber offenbar wurde selbst ein Flüstern über weite Strecken getragen. Camilla Copeland hatte also zumindest Teile des leisen Wortwechsels verstanden. Tröstlich war nur, daß Webb ebenso verblüfft war wie Janey. Fabelhaft, dachte sie, nun ist er nicht nur wütend, sondern auch erstaunt. Das hatte sie wirklich toll gemacht. "Architektur ist eines von Webbs Lieblingsthemen", fuhr Camilla seelenruhig fort. "Hat dieses gemeinsame Interesse euch beide zusammengebracht? Verratet mir nur eines: Wie, um alles in der Welt, kommt man am Fließband darauf zu sprechen?" Resigniert sagte Janey sich, daß dies die vermutlich kürzeste Verlobung in der Geschichte der westliehen Zivilisation war. Doch statt den Schwindel auffliegen zu lassen, hüllte Webb sich in Schweigen. Da es zu spät war, sich weiterhin dumm zu stellen, entschied sie sich für die Wahrheit. "Einer unserer Architekturdozenten am College ist Bellows-Fan", gestand sie. "Er zitiert ständig Beispiele seiner Arbeiten - erst vor ein paar Monaten haben wir die akustischen Besonderheiten studiert. Seine Beschreibung Ihres Foyers war beinahe poetisch." Webb sah aus, als würde er sie mit dem größten Vergnügen erwürgen. "Als ich damals von diesem Haus hörte, hätte ich mir nie träumen lassen, es einmal von innen bewundern zu dürfen." "Webb muß Sie nach dem Lunch herumführen", erklärte Camilla. Er verließ seinen Platz am Kamin. "Warum fangen wir nicht gleich damit an? Da Mrs. Wilson gewiß darauf brennt, ihren freien Nachmittag anzutreten, sollten wir jetzt Madeline holen, nicht wahr, Janey?" Es war weniger eine Frage als vielmehr ein unmißverständlicher Befehl.
Janey lächelte Camilla Entschuldigung heischend an. "Ich möchte unbedingt das Kinderzimmer sehen", behauptete sie, bevor sie von Webb förmlich aus dem Salon gezerrt wurde. Wie sie feststellten mußte, hatte er inzwischen begriffen, daß in der Halle eine private Unterhaltung unmöglich war. Also zog er sie mit sich die Treppe hinauf zu einer Nische im ersten Stock. Dort ließ er sie los, stemmte die Hände in die Hüften und schaute sie vorwurfsvoll an. "Ich hatte keine Ahnung, daß sie mich hören kann", versicherte sie; "Eine tolle Ausrede." "Du wußtest es doch auch nicht", verteidigte sie sich. "Was, zum Teufel, ist eigentlich los? Hast du dich auf den ersten Blick in das Haus verliebt und beschlossen, aufs Gänze zu gehen? Oder hattest du alles schon vorher genau geplant?" "Aufs Ganze gehen?" wiederholte sie stirnrunzelnd. "Meinst du, ich würde versuchen, dich zu einer Heirat zu zwingen, nur um dieses Haus zu bekommen? Vergiß es. Selbst Henry Bellows' Meisterwerk wäre es nicht wert, sich dafür mit dir herumärgern zu müssen." "Du hast mich angelogen." "Oh nein. Du hast dich nie nach meinem Hintergrund erkundigt, sondern in Anbetracht meines Jobs sofort angenommen, ich wäre erst letzte Woche aus dem Urschlamm gekrochen! Ich wette, du hast nicht einmal ein Kleid, Janey. Du hättest dabei sein sollen, als sie mit hohen Absätzen Laufen geübt hat, Gran", zitierte sie ihn bitter. "Was wolltest du ihr als Nächstes erzählen? Natürlich muß ich ihr noch Lesen und Schreiben beibringen?" "Zugegeben", räumte er verlegen ein, "ich wollte, daß Gran etwas in der Art denkt, und vielleicht habe ich ein bißchen übertrieben - aber was ist mit der Rolle, die du spielen solltest?" "Ich brauche keine schmutzigen Fingernägel, um ihr zu zeigen, daß du und ich nicht zueinander passen. Auch wenn ich nicht gerade das Musterbeispiel für Dummheit und Armut bin, wird sie mich hassen, Webb." Zweifelnd schaute er sie an. In diesem Moment bemerkte Janey eine Bewegung auf dem Flur, der von der Galerie abzweigte und sich in scheinbar endlose Feme erstreckte. Eine Frau in einem schweren Mantel näherte sich ihnen mit einem dunkelhaarigen Kind auf dem Arm. "Mrs. Wilson", sagte Webb erfreut. "Ich wollte Maddy gerade holen." "Es wurde ja auch Zeit", erwiderte die Frau kühl. "Oder hatten Sie vergessen, daß ich den ganzen Nachmittag und nicht nur ein paar Stunden freihabe?" "Es tut mir Leid. Wir wurden unten aufgehalten." Janey traute ihren Ohren kaum. Webb Copeland entschuldigte sich!
Er nahm der Frau das Mädchen ab. Maddy kuschelte sich strahlend an ihn. Während Mrs. Wilson sich die Handschuhe überstreifte, warf sie Janey einen geringschätzigen Blick zu. "Da ich nicht pünktlich Schluss machen konnte, werde ich natürlich auch erst später zurückkommen." "Lassen Sie sich so viel Zeit, wie Sie wollen", beteuerte Webb. Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, ging das Kindermädchen hoch erhobenen Hauptes die Treppe hinunter. Von seinem sicheren Platz in Webbs Armen aus blickte die Kleine Janey neugierig an. "Hallo", begrüßte Janey sie fröhlich, und sofort versteckte Maddy das Gesicht hinter seiner Schulter. "Spricht sie?" "Normalerweise sagt sie jedes Wort nur einmal und legt es dann zu den Akten", erklärte Webb. "Außer ,nein', natürlich." Er glättete den Rock ihres roten Samtkleides. "Es läutet zum Lunch. Wir gehen besser nach unten, bevor Gran einen Suchtrupp losschickt." Janey rührte sich nicht von der Stelle. "Wie sieht der weitere Plan aus? Soll ich so tun, als wüßte ich nicht, was eine Serviette ist? Oder soll ich den Kaffee von der Untertasse schlürfen?" "Warum fragst du ausgerechnet mich?" konterte er mit einem Schulterzucken. "Du bist doch diejenige mit den guten Ideen. Aber merk dir eines, Griffin: Wage es nicht, mich im Stich zu lassen. Du bist eine Verpflichtung eingegangen und wirst sie erfüllen." "Warum? Weil es jetzt zu spät für dich ist, ein Ersatzdummchen zu finden?" Als er ihr wortlos den Rücken zuwandte, streckte Janey ihm die Zunge heraus. In diesem Moment spähte Maddy über Webbs Schulter und kicherte. Er drehte sich um und ertappte Janey bei einer weiteren Grimasse. Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, dann ging sie an seiner Seite die Treppe hinunter. Als sie nach dem Lunch zum Kaffee in den Salon zurückkehrten, erkundigte Camilla sich, wann die Hochzeit stattfinden solle. "Vorerst noch nicht", erklärte Webb nachdrücklich. "Ihr solltet euch bald für einen Termin entscheiden", beharrte Camilla. "Es gibt so viel zu erledigen, außerdem sind gute Lieferanten und Tanzorchester auf Monate hinaus ausgebucht." Janey schaute von den Plastiksteinen auf, die Maddy ihr auf den Schoß legte. "Webb will keine große Feier." Diese Behauptung war gewiß ungefährlich, da er schließlich überhaupt keine Hochzeit wollte. "Ich habe nicht viele Angehörige ..." "Was Webb will, ist völlig unerheblich", warf seine Großmutter ein. "Die Braut bestimmt den Rahmen des Festes." "Nun, in diesem Fall könnten wir vielleicht ..." Nach einem kurzen Blick auf Webbs düstere Miene besann sie sich eines Besseren. Momentan würde er
vermutlich wenig Gefallen an der Planung für die glanzvollste Hochzeit des Jahrhunderts finden - auch wenn die umfangreichen Vorbereitungen eine brillante Ausrede gewesen wären, um die Trauung zu verschieben, und zwar für immer. Rasch fuhr Janey fort: "Es eilt uns wirklich nicht. Wir wollen zunächst, daß Maddy sich an mich gewöhnt." Camilla beobachtete das Kind, das Janey unverdrossen einen Baustein nach dem anderen reichte. "Madeline scheint in dieser Hinsicht keine Probleme zu haben", stellte sie trocken fest. "Ich glaube, sie würde sich noch leichter an Sie gewöhnen, wenn sie Sie häufiger sehen könnte. Findest du nicht auch, Webb?" Der Butler erschien an der Tür und räusperte sich diskret. "Mr. Copeland, Ihre Sekretärin ist am Telefon. Es geht um irgendeine Verabredung." Webb sah auf die Uhr und fluchte leise. "Ich bringe dich nach Hause, damit du dich für die Arbeit umziehen kannst, Janey." "Um Himmels willen, nein, Junge", protestierte Camilla. "Wir haben dich lange genug vom Büro fern gehalten und wollen dir nicht noch mehr Umstände bereiten." Janey überlegte. Was war schlimmer: mit Camilla allein zu bleiben oder mit Webb in einem Wagen zu sitzen? Angesichts seiner schlechten Laune war es wahrscheinlich klüger, ausnahmsweise den Feigling zu spielen. "Du brauchst meinetwegen keinen Umweg zu machen, Webb", versicherte sie. "Ich nehme den Bus." "Das wäre also geklärt", verkündete die alte Dame. "Geh ruhig. " Er hatte jedoch noch nicht die Tür erreicht, als sie ihm nachrief: "Hast du nicht etwas vergessen, mein Lieber?" Janey unterdrückte ein Stöhnen. Was immer nun folgen mochte, sie war sicher, daß es ihr nicht gefallen würde. Allmählich dämmerte ihr, daß die kleinen Sticheleien seiner Großmutter leichter zu ertragen waren als deren Arglosigkeit. "Ich bin zwar eine alte Frau, Webb, aber ich habe die Erfahrung gemacht, daß zwei Menschen, die heiraten wollen, einander zum Abschied küssen." "Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen, Gran", meinte er ausweichend. "Ich verlange ja nicht von dir, daß du Janey auf den Teppich zerren und vor meinen Augen schänden sollst", wies sie ihn kühl zurecht. "Ich wollte lediglich andeuten, daß du auf mich keine Rücksicht zu nehmen brauchst - und auf Madeline ebenso wenig. Je eher sie sich der Zuneigung bewusst wird, die ihr beide füreinander empfindet, desto besser." Sie sah ihn prüfend an. "Wenn du allerdings keine Lust hast, Janey zu küssen ..." "Ich habe immer Lust, Janey zu küssen", behauptete Webb. Auf Camilla mochte er wahrscheinlich wie ein Mann wirken, der in Gedanken bereits bei seinen Geschäften war, doch Janey erinnerte er an jemanden, der unter heftigen Zahnschmerzen litt.
Es ist keine große Sache, sagte sie sich. Von Webb kurz auf die Wange geküßt zu werden ist nur halb so schlimm wie ein durchschnittlicher Gutenachtkuss nach einem ersten Rendezvous. Webb beugte sich zu ihr herab. Er strich leicht über ihre Schläfe hinunter zum Kinn und zwang sie sanft, ihn anzublicken. Obwohl er ihre Lippen nur ganz flüchtig berührte, mußte der KUSS aus einiger Entfernung durchaus echt erscheinen. Janey wollte schon erleichtert aufatmen, als er plötzlich seinen Mund fester auf ihren presste. Der Duft seines Rasierwassers umfing sie, und all ihre Sinne schienen sich einzig und allein auf diesen KUSS zu konzentrieren. Webb umfasste ihren Nacken und zog sie enger an sich. Erwidere den Kuß, lautete die stumme Botschaft dieser Geste. Sorg dafür, daß es echt wirkt. Unwillkürlich legte sie den Kopf zurück und hob die Hände, um Webbs Gesicht zu liebkosen. Und was nun? fragte eine immer leiser werdende innere Stimme. Noch ehe Janeys benebelter Verstand eine Antwort darauf finden konnte, kletterte Maddy empört auf ihren Schoß und streckte Webb die Ärmchen entgegen. Webb gab Janey frei - oder zog sie sich zurück? Sie räusperte sich verlegen und sah Camilla an. "Genau aus diesem Grund wollen wir Maddy mehr Zeit lassen", sagte sie. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, daß Camilla ihr zustimmen würde möglicherweise sogar ein wenig ironisch. Auch ein Stirnrunzeln hätte sie nicht im Mindesten gewundert. Aber Camilla lächelte. Janey erschrak - bis sie erkannte, daß es kein sanftes, romantisches Lächeln war, kein wohlwollendes oder aufmunterndes Lächeln. Weit gefehlt! Camilla lächelte triumphierend! Als Camilla ein Taxi für die Heimfahrt rufen wollte, lehnte Janey dies mit der Begründung ab, sie habe kein Geld für derartigen Luxus übrig. Webbs Großmutter zog die Brauen hoch. "Ich wußte gar nicht, daß es heutzutage noch eine Frau gibt, die sich nicht schämt, offen zu sagen, wenn sie sich etwas nicht leisten kann." Janey war nicht sicher, wie sie das auffassen solle. Trotz des kühlen Tonfalls hatten die Worte fast wie ein Kompliment geklungen. "Das heißt also, ich habe Ihre Erlaubnis, den Bus zu nehmen?" "Oh nein", entgegnete Camilla energisch. "Es heißt lediglich, daß Albert den Chauffeur bezahlen wird, wenn er Sie abholt." Noch bevor Janey etwas erwidern konnte, hatte die alte Dame dem Butler entsprechende Anweisungen erteilt. Als Janey zu Hause eintraf, hatte sie nur noch den Wunsch, sich mit einer kalten Kompresse auf der Stirn hinzulegen und den Rest der Welt zu vergessen -
insbesondere den Teil, der Webb Copeland beinhaltete. Leider waren ihr nicht einmal ein paar Minuten Ruhe vergönnt. Ihre Mitbewohnerin hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und sah sich ein Video an. Ellen saß neben ihr auf einem wackeligen Stuhl. "Kasey sagte mir, du hättest eine geschäftliche Verabredung zum Lunch und würdest bald zurück sein. Du hast hoffentlich nichts dagegen, daß ich gewartet habe. Ich brauche nur ein paar Minuten ..." Ellen stutzte. "Janey, bitte erzähl mir nicht, daß du in diesem Outfit zu einem Geschäftsessen gegangen bist!" "Was stimmt nicht an dem Kostüm? Sei vorsichtig mit dem, was du sagst - es gehört Kasey." "Das ist zumindest ein kleiner Trost." Ellen seufzte. "Die Farbe steht dir nicht. Du solltest niemals Grau tragen. Zu dem Goldton in deinem Haar paßt besser Braun oder Grün oder Beige ..." Kasey kicherte. "Auf mich hat sie ja nicht gehört. Ich habe ihr das Gleiche gesagt." "Und dieses Top", fuhr Ellen entsetzt fort. "Deinem Gegenüber müssen die Augen aus dem Kopf gefallen sein!" "So ist es", bestätigte Janey, obwohl Webb den offenherzigen Ausschnitt anscheinend kaum zur Kenntnis genommen hatte. Andererseits hatte sie das Oberteil nicht ihm zuliebe, sondern wegen seiner Großmutter gewählt... Trotzdem hätte er es bemerken müssen, und sei es auch nur, um zu würdigen, wie geschickt sie ihren vermeintlich schlechten Geschmack zur Schau stellte. Doch er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. "Willst du etwa andeuten, du hättest absichtlich ..." Ellen verstummte und starrte wie hypnotisiert auf Janeys Diamantring, der im Lichtschein des Fernsehers glitzerte. "Und in welche Art von Geschäft willst du einsteigen?" "Modeschmuck", behauptete Janey kühn. "Er sieht wirklich echt aus, oder? Ich brauche das Zeug nur zu tragen, und die Leute werden es mir förmlich aus den Händen reißen ... Du glaubst mir kein Wort, oder?" setzte sie resigniert hinzu. Ellen schüttelte den Kopf. "Ich habe eher den Eindruck, du hast dich irgendeinem dubiosen Hostessenservice angeschlossen. Allerdings werfen die Typen, die dort als sogenannte Beschützer füngieren, nur selten mit Diamantringen um sich. Heraus mit der Sprache, Janey - wer ist der Bursche?" "Ach, Ellen, falls die Sache in ein oder zwei Tagen noch aktuell ist, werde ich dir alles erzählen. Ansonsten ... Glaub mir, es ist keine Geschichte, von der du auch nur die Hälfte hören willst. Außerdem habe ich dafür jetzt keine Zeit, denn ich muß zur Arbeit." "Und ich dachte, ich allein hätte Ärger mit Männern." Ellen stöhnte. Ich würde gern mit dir tauschen, hätte Janey um ein Haar erwidert.
Sie wußte selbst nicht, was ihr so viel Unbehagen bereitete. Der Gedanke an Webb war es jedenfalls nicht, dessen war sie sicher. Vielleicht Camilla? Unter anderen Umständen hätte Janey die Frau sogar gemocht. Und auch Madeline - die kleine Maddy, die sich wenige Minuten, nachdem ihr Vater gegangen war, in Janeys Arme gekuschelt hatte und eingeschlafen war? Janey wußte es wirklich nicht. Sie wußte nur, daß sie zutiefst verwirrt war. Es wunderte Janey nicht im Mindesten, daß sie noch vor Schichtbeginn zum Vorarbeiter gerufen wurde. "Der Boß will dich sehen. Und zwar pronto!" Fälschlicherweise hatte sie darauf vertraut, acht Stunden durcharbeiten zu können, ohne daß Webb sich einmischte. Die Frage war nun, warum er sie unbedingt sprechen wollte. Um sich für den nächsten Tag mit ihr zum Lunch zu verabreden? Oder um die Scheinverlobung zu beenden? Janey hoffte, er möge die Sache nicht platzen lassen. Sie brauchte das Geld noch immer. Und in Anbetracht ihrer sinkenden Arbeitsleistung war sie noch dringender darauf angewiesen. Sie zog sich die Baseballmütze mit dem Copeland-Products-Firmenzeichen tiefer in die Stirn und kehrte in den Pausenraum zurück, um ihre Sicherheitsausrüstung im Spind zu verstauen. "He, Griffin", rief der Vorarbeiter ihr hinterher. "Sag mir Bescheid, falte du dich jemals wieder entschließen solltest zu arbeiten, okay?" Wütend machte sie sich auf den Weg zum Verwaltungstrakt. Vor Webbs Büro wartete bereits seine Sekretärin und reichte ihr lächelnd einen dampfenden Kaffeebecher. Janey bedankte sich bei Louise und öffnete die Tür ohne anzuklopfen. Webb hatte sich über den Drucker gebeugt. Der Anblick seines gesenkten Kopfes erinnerte sie unwillkürlich daran, wie weich sich sein Haar angefühlt hatte. Ihre Fingerspitzen begannen zu prickeln. Dumme Gans, schalt Janey sich. "Tut mir Leid", sagte sie, als er aufschaute. "Ich habe mich schon so an meine Rolle gewöhnt, daß ich alle Höflichkeitsregeln verdrängt und nicht angeklopft habe." "Vergiss es, Janey." Er faltete das Dokument zusammen und legte es beiseite. Dann deutete er auf die Sessel vor dem Kamin. "Wir hatten keine Gelegenheit mehr, unsere Unterhaltung zu beenden." Worauf wollte er hinaus? Würde sie sein Büro mit einer neuen Verabredung, um Camilla abzuschrecken, verlassen - oder ohne diesen Zusatzjob? Um ihre plötzliche Nervosität zu verbergen, versuchte sie es mit einem Scherz. "Ach wirklich? Ich dachte, wir hätten alle Möglichkeiten ausgeschöpft."
"Im Gegenteil", entgegnete er nachdrücklich. "Wir haben noch nicht einmal damit angefangen." Sie ist eine völlig andere Person als bei ihrem letzten Besuch in meinem Büro, überlegte Webb, während er beobachtete, wie Janey den Raum durchquerte. Trotz der schweren Sicherheitsschuhe bewegte sie sich mit der Anmut eines Models in hochhackigen Pumps. Trotz der ausgeblichenen Jeans setzte sie sich so graziös wie eine Frau, die einen aufreizend kurzen Rock trug. Trotz des schlichten Flanellhemdes, das ihre vorhin noch so offenherzig präsentierten Brüste bedeckte, lud ihr zarter Hals zum Küssen ein. Der geöffnete oberste Kragenknopf wirkte deshalb so verführerisch, weil er ihre Weiblichkeit andeutete, aber nicht enthüllte. Sie war natürlich nicht wie Sybil, vielleicht hatte er sich dadurch täuschen lassen. Es gab nur sehr wenige so feminine Frauen wie Sybil. Oder hatte er selbst sich seit gestern geändert? Hatte er gestern in Janey nur das gesehen, was er hatte sehen wollen, und die Augen vor der Realität verschlossen? Eigentlich war es völlig gleichgültig, wie er in dieses Chaos hineingeraten war. Tatsache war, daß er auf sie angewiesen war. Er stocherte in der Glut herum, bis die Flammen aufloderten, dann setzte er sich Janey gegenüber. "Wir müssen uns auf eine neue Strategie einigen. Da du heute den ursprünglichen Plan ohne Vorwarnung über den Haufen geworfen hast..." "Brauchen wir denn eine Strategie?" unterbrach sie ihn. "Ich dachte, du hättest es dir vielleicht noch einmal überlegt, nachdem du dich von Camilla verabschiedet hast..." "Ich habe mir alles gründlich überlegt und bin zu dem gleichen Schluss gelangt wie vorher. Mir bleibt keine andere Wahl, als weiterzumachen. Selbst wenn ich die Verlobung jetzt lösen würde, müßte ich Monate warten, bevor ich einen neuen Versuch starten könnte, meine Situation zu verbessern." "Verstehe." Janey nickte. "Würdest du nächste Woche eine neue Braut mit einer ähnlichen Geschichte präsentieren, könnte Camilla womöglich ein bißchen mißtrauisch werden." Unverhohlene Ironie schwang in ihrer Stimme mit. Janey könnte das Problem zumindest ernst nehmen, dachte er bitter. Statt dessen schien sie seine Zwangslage jedoch zu genießen. Warum hatte er nicht früher daran gedacht, daß er sich ihr mit dieser Geschichte auslieferte? "Und in der Zwischenzeit", fuhr er fort, "wird Gran ihre Bemühungen verdoppeln, eine Frau zu finden, die sowohl hübsch als auch raffiniert genug ist, mich in die Falle zu locken." Janey lächelte. "Und darüber hinaus dumm genug, dich zu wollen." Sie hob die Hand und schob eine vorwitzige Strähne unter die Mütze. "Vielen Dank." Er sah sie prüfend an. "Wo ist dein Ring?"
"Auch ohne die Warnung deiner Großmutter wäre ich nicht so verrückt, den Ring in der Fabrik zu tragen - außerdem ist Schmuck laut Arbeitsanweisung verboten." "Du hast ihn doch nicht etwa in deiner Wohnung gelassen?" "Was blieb mir anderes übrig? Aber keine Sorge, er ist absolut sicher verwahrt. Ich habe ihn in einem Joghurtbecher versteckt und dann in den Kühlschrank gestellt. Apfel-Zimt, um genau zu sein. Meine Mitbewohnerin haßt diese Sorte, es besteht also keinerlei Gefahr, daß sie sich daran vergreift." Ihre Augen funkelten wie Sonnenlicht auf dem Meer. Sie weiß genau, daß sie mich an der Leine hat, und sie genießt es, daran zu zerren, dachte Webb. Und er hatte nicht die geringste Chance, daran etwas zu ändern - jedenfalls nicht im Moment. Bevor die Sache vorbei ist, grübelte er weiter, werde ich sie wahrscheinlich erwürgt haben. "Okay, ich verlasse mich auf dich, aber du bist für den Ring verantwortlich." Sie lächelte ihn an. "Was willst du tun, wenn ich ihn verliere? Mich mit Handschellen an eine der Maschinen ketten, bis ich jeden Cent zurückgezahlt habe? Das dürfte höchstens vierzig oder fünfzig Jahre dauern." "Nein, ich warte, bis du den ersten großen Auftrag als Architektin bekommen hast, und dann klage ich das Geld ein. Falls du allerdings deinen Teil des Handels nicht zu meiner vollsten Zufriedenheit erfüllst, werde ich dafür sorgen, daß du nicht einmal eine Hundehütte bauen wirst." Janey schien nicht im Mindesten beeindruckt. Im Gegenteil, sie unterdrückte ein Gähnen. Webb änderte seine Taktik. "Hat Gran dir das Haus gezeigt, nachdem ich gegangen war?" "Nein", entgegnete sie enttäuscht. "Wir hatten keine Zeit mehr, schließlich mußte ich ja zur Arbeit." Sie schaute demonstrativ auf die Kaminuhr. "Hätte ich geahnt, daß ich hier nur herumsitze, statt an der Maschine zu stehen, hätte ich genauso gut das Haus besichtigen können." "Wann hast du eigentlich zum ersten Mal von dem Haus gehört?" "Im vergangenen Jahr. Mein Professor sprach davon, aber er erwähnte weder den Namen des Besitzers noch die Gegend, in der es liegt. Erst als du davor gehalten hast, wurde mir der Zusammenhang klar." Sie beugte sich herausfordernd vor. "Glaubst du etwa immer noch, daß ich in diesem Moment beschlossen habe, dem Idealbild deiner Großmutter zu entsprechen, damit sie mir hilft, dich einzufangen?" Aus ihrem Mund klang diese Theorie völlig abwegig, und dennoch ... "Das ist doch lächerlich", beteuerte sie. "Selbst wenn ich wollte - was nicht der Fall ist -, könnte ich mich niemals in ein Wesen verwandeln, das ihren Vorstellungen entspricht. Ich bin nicht annähernd dein Typ, Webb."
Stimmt, dachte er, du bist wirklich nicht mein Typ. Er konnte nur hoffen, daß Camilla das auch so sah. "Deine Großmutter ist nicht dumm. Ich habe deine Geschichte lediglich ein bißchen abgeschwächt, um sie glaubhafter zu gestalten - mehr nicht." Sie stand auf und wärmte sich die Hände am Feuer. "Welchen Unterschied macht es, ob sie mich inakzeptabel findet, weil ich die falsche Gabel benutze, oder weil ich mich nicht scheue, mit ihr über Henry Bellows zu streiten - er ist nämlich keineswegs unfehlbar -, oder weil ich eine eigene Karriere anstrebe, während ihr eine aufopferungsvolle Mutter für Maddy vorschwebt. Wichtig ist nur, daß ich absolut ungeeignet bin und Camilla grenzenlos erleichtert sein dürfte, wenn du die Verlobung löst." "Du bist dir dessen ziemlich sicher." Sie drehte sich zu ihm um. "Natürlich bin ich das. Gütiger Himmel, Webb, selbst Maddys Kindermädchen hat auf den ersten Blick erkannt, daß wir nicht zueinander passen. Meinst du, deine Großmutter ist blind?" Er enthielt sich einer Antwort. Statt dessen erklärte er: "Gran hat mich kurz nachdem du das Haus verlassen hast angerufen." "Was ist so ungewöhnlich daran?" "Sie stört mich nur sehr selten im Büro, und dann hat sie immer einen guten Grund. Diesmal sagte sie - ich zitiere: ,Kein Wunder, daß du immer so lange arbeitest.'" "Oh. Vielleicht hat sie es ironisch gemeint." "Außerdem hat sie mir aufgetragen, dich zu einem verlängerten ThanksgivingWochenende einzuladen - schließlich seien wir jetzt deine Familie." Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. "Also noch einmal von vorn, Janey. Was sagtest du doch gleich über ihre Abneigung gegen dich?" 4. KAPITEL Sekundenlang sah Janey ihn wortlos an und bemühte sich, ein Kichern zu unterdrücken. Vergeblich. Schließlich gab sie die Anstrengungen auf und lachte, bis ihr die Seiten wehtaten und sie nach Atem rang. "Ich hoffe, daß du nicht häufiger unter derartigen hysterischen Anfällen leidest", bemerkte Webb kühl. Sie sank zurück in ihren Sessel und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Das ist keine Hysterie, sondern pure Heiterkeit." "Wie schön, daß du die Einladung amüsant findest, aber ..." "Wir sind jetzt ihre Familie. Ich wette, deine Großmutter hat dabei regelrecht treuherzig geklungen." "Stimmt. Aber was hat ihre Tonlage damit zu tun?"
"Weißt du denn gar nichts über Frauen?" Sie schüttelte ungläubig den Kopf. "Wie lange warst du verheiratet?" "Ein knappes Jahr." Janey wurde schlagartig wieder ernst. Die Antwort auf ihre scherzhafte Frage machte sie traurig. Webb war praktisch noch in den Flitterwochen gewesen, als er seine Frau verloren hatte. Kein Wunder, daß er von der Vorstellung, eine andere könnte ihren Platz einnehmen, wenig begeistert war. "Das ist jedoch bedeutungslos", fügte er nachdrücklich hinzu. "Das meinst du", erwiderte sie sanft. "Wärst du länger verheiratet gewesen, hättest du zumindest eine vage Ahnung von den Gedankengängen des anderen Geschlechts. Begreifst du denn nicht, was Camilla vorhat? Sie fordert mich heraus!" Webb sah sie an, als wären ihr plötzlich Hörner gewachsen. "Die Einladung zu einem Wochenendbesuch ist eine Herausforderung?" "Oh ja. Sie hat mir den Fehdehandschuh hingeworfen - ich soll beweisen, daß ich würdig bin, in eurer Familie aufgenommen zu werden, und dabei habe ich keine Hilfe von ihr zu erwarten. Sie selbst wird im besten Licht dastehen, denn sie hat keineswegs die Absicht, dir Vorhaltungen zu machen. Jedes Wort gegen deine Braut würde dich nur in deinem Vorsatz bestärken. Also ebnet sie mir den Weg..." "Sagtest du nicht gerade, sie wurde dir nicht helfen?" "Nun ja, sie erweckt zumindest den Anschein, als würde sie alles für mich tun, doch insgeheim vertraut sie darauf, daß mir ein Fehler nach dem anderen unterläuft und du endlich erkennst, wer ich wirklich bin: ein nichtsnutziges, dummes, kleines Ding. Hinter deinem Rücken wird sie jede Gelegenheit nutzen, um mich ,zu blamieren." Er stieß einen leisen Pfiff aus. "Und das alles entnimmst du zwei kurzen Sätzen?" "Und der Tatsache, daß du als Überbringer der Einladung ausgewählt wurdest. Auf diese Weise muß sie auf dich wie eine Heilige wirken, die eine Fremde im Schoß der Familie aufnimmt. Sie hätte mich auch anrufen können. Egal, sie hat bereits heute Nachmittag begonnen, alles einzufädeln." "So? Ich hatte nicht den Eindruck, als würde sie dich ablehnen. Sie hat dich doch praktisch in ihre Arme geschlossen." "Oh nein. Hast du nicht auf ihren Tonfall geachtet? Laß dich nicht von der Episode mit dem Abschiedskuß täuschen - du hättest ihr triumphierendes Gesicht sehen sollen, nachdem sie uns dazu gedrängt hatte. Das war übrigens ziemlich leichtsinnig von uns, wir hätten darauf vorbereitet sein müssen." Beinahe bewundernd schüttelte Janey den Kopf. "Deine Großmutter ist eine raffinierte Frau, Webb. Sie kennt alle Tricks." "Ich finde die Lage überhaupt nicht komisch."
"Das wäre sie auch nicht, wenn wir beide es ernst meinen würden. Ihre Bemühungen, Fußangeln für mich auszulegen, wären sogar höchst unangenehm. Ich würde verzweifelt versuchen, jeden Fauxpas zu vermeiden, während sie eifrig neue Fettnäpfchen aufstellt." "Ach, so läuft das. Da wir jedoch wollen, daß du möglichst unvorteilhaft wirkst..." "Endlich begreifst du es. Sie hat nicht die leiseste Ahnung, und das macht die Sache so komisch. Ich werde mich prächtig dabei amüsieren, mich total danebenzubenehmen, und sie wird entzückt beobachten, wie ich mich zum Narren mache, und die Minuten zählen, bis sie mich los ist." Allerdings würde Camilla ihm sofort nach der Trennung neue Heiratskandidatinnen präsentieren, um ihren Enkel unter die Haube zu bringen, bevor er sich erneut in eine unpassende Frau verlieben konnte. Aber das ist nicht mein Problem, dachte Janey. "Was hat sie deiner Meinung nach vor?" erkundigte er sich. Versonnen blickte sie zur Zimmerdecke hinauf. "Ich wette, sie serviert einige wirklich exotische Gerichte, in der Hoffnung, ich wüßte nicht, wie man sie ißt womit sie vermutlich Recht haben dürfte. Ich hatte noch nie eine Artischocke auf dem Teller und lege eigentlich auch gar keinen Wert darauf. Außerdem wird Camilla mich einer deiner alten Freundinnen vorstellen, um den Kontrast zwischen ihr und mir zu verdeutlichen. Anschließend wird sie sich in deiner Gegenwart bei mir entschuldigen, weil sie so unhöflich gewesen war, in meinem Beisein mit dem Mädchen über Leute, die ich nicht kenne, und Orte, an denen ich nie war, zu plaudern. Damit dürfte allen Beteiligten ein für alle Mal klar sein, daß ich nicht in eure Welt passe." "Du glaubst tatsächlich, Gran würde ..." "Irgendwie erinnerst du mich an einen Sechsjährigen, der soeben die Wahrheit über den Weihnachtsmann erfahren hat", unterbrach Janey ihn. "Vergiß nicht, wir sprechen von derselben Frau, die dir ,rein zufällig' Tag für Tag beim Dinner eine neue Schönheit serviert hat." "Aber dich absichtlich zu blamieren ..." "Sie hat viel zu viel Stil, um dies offen zu tun. Nein, sie möchte, daß du glaubst, es wäre deine eigene Idee, mich fallen zu lassen, um die Familie vor einer geldgierigen Person zu retten." "Die du ja auch bist." Dieser Vorwurf schmerzte, doch Janey hatte sich rasch wieder in der Gewalt. "Mag sein, aber das College ist ein ziemlich teures Hobby. Ich habe kein schlechtes Gewissen, denn auch du profitierst von unserer Abmachung - sie kommt dich auf lange Sicht wesentlich billiger als der Unterhalt für eine Ehefrau." Sie stand auf. "Da wir gerade vom Geld reden... Ich bin so versessen darauf, daß
ich besser wieder an die Arbeit gehe, bevor ein Ersatz für mich eingestellt wird. Wann beginnt offiziell das Wochenende?" "Wir essen um eins, damit das Personal den Rest des Tages frei hat. Ich hole dich um zwölf ab." "Gut. Wenn du möchtest, kannst du gern deine Großmutter auf einen Drink mitbringen. Wir haben zwar keinen Sherry, aber Kasey hat immer ein paar Flaschen Bier im Kühlschrank. Ich bin sicher, Camilla wurde es mögen." "Ich will nur, daß sie endlich Ruhe gibt, Janey, sie soll nicht der Schlag treffen." "Dann sollten wir uns die Einladung für das große Finale aufsparen. Und eines noch, Webb: Mach dir keine Sorgen wegen der Details, darum kümmere ich mich. Du brauchst lediglich von Zeit zu Zeit ein bißchen konsterniert auszusehen." Sie lächelte. "So wie jetzt, zum Beispiel. Ich schätze, es wird dir bald zur lieben Gewohnheit werden." Camilla war ausgegangen, und so holte Webb zu Maddys größtem Entzücken seine alten Plastikboote hervor, um sein Töchterchen damit in der Wanne spielen zu lassen. Später hüllte er sie in ein großes Frotteetuch und trocknete sie ab. Gab es auf der ganzen Welt etwas, das besser duftete als ein frisch gebadetes Baby? Statt ihr das Haar umständlich zu föhnen - eine Prozedur, vor der er einen Heidenrespekt hatte -, bürstete er es, bis es seidig glänzte. Daß sich dabei keine rechte Frisur erkennen ließ, störte weder ihn noch Maddy. Und als Camilla heimkam und der Kleinen einen Gutenachtkuß geben wollte, zog sie lediglich verwundert die Brauen hoch, äußerte sich jedoch nicht weiter dazu. Nachdem Webb Maddy in ihren rosa Schlaf sack gesteckt hatte, reichte er sie seiner Großmutter. Camilla schloß sie in die Arme. "Sollte Mrs. Wilson nicht schon längst zurück sein?" "Ich habe ihr gesagt, sie könne heute so lange ausbleiben, wie sie wolle." "Wieso? Du läßt dir von dieser Frau zu viel bieten. Aber wenn du und Janey erst einmal verheiratet seid ..." Camilla verzichtete darauf, den Satz zu beenden. Erst am Nachmittag hatte Janey ihn gewarnt, daß seine Großmutter sich für Maddy jemanden wünsche, der sich in die traditionelle Mutterrolle füge und keine eigene Karriere anstrebe. Nun, vielleicht sollte er diesen Punkt sofort klären. "Und daran wird sich auch so schnell nichts ändern. Janey kann schließlich nicht mit einem Baby zu den Vorlesungen erscheinen." "Hm ..." Mehr äußerte Camilla nicht dazu. Trotzdem meinte er, ein zufriedenes Glitzern in ihren Augen bemerkt zu haben. Sosehr es ihm auch mißfiel, er mußte Janey insgeheim Recht geben. Ja, Camilla hatte im vergangenen Monat versucht, ihn in die Falle zu locken, aber ihr
Plan war offensichtlich und leicht zu durchschauen gewesen. Nun hatte sie jedoch die Taktik geändert, und diese Intrige konnte schnell außer Kontrolle geraten und jemanden verletzten. Er hoffte inständig, daß Janey wußte, was sie tat. Andererseits ... Warum sollte er sich darüber den Kopf zerbrechen? Er bezahlte sie für diesen Job - und zwar gut. Und ob ihr Ego dabei Schaden nahm, war allein ihr Problem und nicht seines. Webb setzte sich in den Schaukelstuhl, und Maddy kuschelte sich an ihn. "Was hältst du von ihr?" "Von Janey?" Camilla tat so, als müßte sie überlegen. "Sie ist recht... interessant. Natürlich ist sie nicht wie Sibyl," Sie streichelte Maddys Kopf, küßte Webb auf die Wange und verließ das Kinderzimmer. Die nun folgende Stille wurde nur vom leisen Knarren des Schaukelstuhls durchbrochen. Webb betrachtete seine Tochter, deren Lider immer schwerer wurden. Eines Tages würde sie eine schöne Frau sein, genau wie ihre Mutter. Das seidige Haar, die ausdrucksvollen Augen und das herzförmige Gesicht erinnerten ihn an Sibyl. Wenn er die Augen schloß, sah er sie noch immer so deutlich vor sich wie an dem Tag, als sie gestorben war. Sie ist nicht wie Sybil, hatte Camilla gesagt. Das war die Untertreibung des Jahres. Noch lange, nachdem Maddy eingeschlafen war, wiegte er sie hin und her. Als plötzlich die Tür geöffnet wurde, zuckte er zusammen. Mrs. Wilson zog die sorgsam gezupften Brauen hoch. "Wie lange schläft sie schon?" Webb verspürte leichte Gewissensbisse. Eigentlich hatte er Maddy ins Bettchen legen wollen, wo sie tiefer und besser schlafen würde, doch die Nähe des Kindes hatte etwas ungemein Tröstliches gehabt. Widerstrebend legte er sie ins Bettchen. Sie seufzte leise, schlummerte aber friedlich weiter. "Sie wird heute Nacht mindestens zweimal aufwachen und nach Ihnen verlangen", sagte die Kinderschwester. "Das tut sie immer, wenn Sie sie zu Bett gebracht haben." "Das haben Sie mir nie erzählt", erwiderte er stirnrunzelnd. "Nein, ich habe mich einfach selbst darum gekümmert." "Nun, das nächste Mal können Sie sich darum kümmern, mich zu rufen." Ein Anflug von Ärger schwang in seiner Stimme mit. Er strich Maddy zärtlich übers Haar, bevor er auf Zehenspitzen den Raum verließ. Bis auf die schwache Sicherheitsbeleuchtung war es dunkel im Haus. Webb ging an der geschlossenen Tür zu Camillas Zimmer vorbei. Seine Großmutter hatte sich offenbar schon zurückgezogen. In seinem Zimmer angekommen, sah er, daß das Bett bereits aufgeschlagen war. Ein blauweiß gestreifter Pyjama lag ordentlich neben dem Kopfkissen.
Lächelnd hängte Webb den Schlafanzug ebenso ordentlich über einen Stuhl. Am nächsten Morgen würde der Butler Hose und Jacke zusammenfalten, in einer Schublade verstauen und am Abend erneut ausbreiten. Obwohl Albert vehement jeden Sinn für Humor leugnete, glaubte Webb ihm kein Wort. Der Butler hätte das leidige Pyjamaspiel längst aufgegeben, wenn er es insgeheim nicht auch amüsant gefunden hätte. Ein seidener Pyjama gehörte einfach in das Schlafzimmer des Hausherrn und nicht in den kleinen angrenzenden Raum, den Webb seit einem Jahr für sich beanspruchte. Nach Sibyls Tod hatte er nicht mehr den Wunsch verspürt, in dem großen Bett zu schlafen. Zu vieles in diesem Zimmer erinnerte ihn an Sibyl - ihre Sachen, ihr Duft... Sibyl. Beim ersten Glatteis des vergangenen Jahres war ihr BMW ins Schleudern geraten, gegen einen Betonpfeiler geprallt und schließlich eine Böschung hinuntergestürzt. Man hatte Webb gegen Mitternacht angerufen, doch er war zu spät im Krankenhaus eingetroffen... Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte ihm, daß es nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht war. Er fühlte sich sonderbar rastlos und schaute aus dem Fenster auf die Auffahrt hinab. Die Nacht war kühl und klar, die Straßen waren trocken und sauber und dennoch meinte er um diese Zeit stets, das Glitzern von Eis erkennen zu können. Die drohende Gefahr. Die Schicht würde bald enden, und Janey würde die Fabrik verlassen, um mit dem Bus quer durch die Stadt zu fahren. Wenigstens trägt sie nicht den Ring, versuchte er sich zu trösten. Zu dieser späten Stunde waren Menschen schon für weitaus weniger umgebracht worden. Bei dem Gedanken an den Joghurtbecher, in dem ein Diamant für mehrere tausend Dollar steckte, müßte er unwillkürlich lächeln, Camilla hat Recht, überlegte er. Janey war nicht wie Sibyl. Webb holte seinen Mantel, ging die Treppe hinunter und durch die Küche in die Garage. Wenn er sich beeilte, würde er pünktlich zum Schichtende vor dem Fabriktor stehen. Webbs Wagen war das Letzte, was Janey am Personalausgang zu sehen erwartet hatte. Sie blieb so unvermittelt stehen, daß ein Kollege gegen sie prallte. Er fluchte leise vor sich hin und beschwerte sich, daß niemand für ihn das Eis von der Windschutzscheibe kratzen, geschweige denn, ihm eine Heimfahrt in vorgeheizten Auto anbieten würde. Als Janey auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, wandte sie sich Webb zu. "Ich dachte, du sagtest ,Mittag' und nicht ,Mitternacht'?" "Nun, wenn du nicht nach Hause gefahren werden willst..."
"Darum geht es nicht. Aber irgend jemand wird sich schon bald über Diskriminierung beschweren." "Wer wird dadurch benachteiligt, daß ich meine Verlobte heimbringe?" "Eigentlich niemand, aber sie fangen allmählich an, sich über andere Dinge zu wundern - beispielsweise über die Sonderbehandlung, die mir zuteil wird. Mein Vorarbeiter ist bereits ziemlich wütend, und was die übrigen Jungs in der Produktion betrifft, na ja ..." "Es würde mich nicht im Mindesten stören, wenn du kündigst." Mich auch nicht, dachte sie. Die Bemerkungen, die sie sich gefallen lassen mußte, waren nicht mehr ganz so anzüglich und zahlreich wie noch in der letzten Woche, dafür hatte sich jedoch ein neuer Unterton eingeschlichen - Verärgerung. Und das war eine völlig neue Erfahrung für sie. Falls sie allerdings kündigte und Webbs Plan aus irgendeinem Grund scheiterte, dann würde sie mit leeren Händen dastehen. "Wann bist du normalerweise zu Hause, wenn du den Bus nimmst?" fragte er. "Gegen Viertel vor eins. Warum?" "Dann schläfst du ein bißchen, verbringst den ganzen Tag im Hörsaal und bist um vier Uhr nachmittags wieder in der Fabrik. Wann lernst du eigentlich und machst den Papierkram?" "Das erledige ich zwischen den Vorlesungen." "Darauf könnte ich wetten. Du hast Recht, das College ist ein kostspieliges Hobby - ich hätte dich nicht als geldgierige Person bezeichnen dürfen." Janey zögerte. "Heißt das, du glaubst mir endlich, daß ich dich nicht heiraten will?" "Wenn du klug bist, versuchst du erst gar nicht, mich zur Ehe zu überreden. Täusch dich nicht über meine Gefühle. Ich habe lediglich ein schlechtes Gewissen, weil du dich neben allem, was du sonst noch bewältigen mußt, auch noch mit meinen kleinen Problemen belastest." Wäre sie nicht so erschöpft von der Arbeit und dem langen Tag gewesen, hätte sie wahrscheinlich nicht die Hand ausgestreckt und ihm spielerisch das Haar zerzaust. "Wie du meinst, Webb. Sollte mir je in den Sinn kommen, dich heiraten zu wollen, bist du der Erste, der es erfährt." Beide Zeiger der Uhr näherten sich unaufhaltsam der Zwölf, während Janey sich noch immer überlegte, wie sie ihr Haar tragen solle. Schließlich beugte sie sich vor und bürstete es so lange gegen den Strich, bis es ihr wie eine seidige Mähne über die Schultern fiel. Kasey kam mit einem Doughnut in der einen Hand und einem Becher Kaffee in der anderen herein. "Willst du das Truthahnrezept meiner Mutter mitnehmen die Füllung wird mit Bourbon abgeschmeckt. Das dürfte die alte Lady schockieren."
"Zu spät. Der Vogel ist bestimmt schon im Ofen." Kasey zuckte mit den Schultern. "Ist vermutlich auch besser so. Das Rezept klingt besser, als es schmeckt." Janey betrachtete sich kritisch im Spiegel. "Wolltest du heute den Tag nicht mit deinen Eltern verbringen?" "Doch, aber ich schiebe es so lange wie möglich hinaus. Normalerweise wird bei derartigen Familientreffen nämlich nicht nur der Truthahn mit Whiskey gefüllt." Mitfühlend schaute Janey die Freundin an. "Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen." "Unsinn", entgegnete Kasey fröhlich. "Du spielst nur den Trampel, während ich tatsächlich einer bin. Im direkten Vergleich mit mir würdest du fabelhaft aussehen - und das ist wohl kaum das, was du beabsichtigst, oder?" Janey lächelte. "Du irrst dich in so ziemlich allen Punkten, aber ich habe jetzt nicht die Zeit, mit dir zu streiten." Kasey hatte ohne Zweifel ihre Ecken und Kanten, doch Janey fand, daß Einfühlsamkeit und Sinn für Humor die Schwächen der Freundin mehr als wettmachten. "Verdammt, es läutet, und ich bin noch nicht fertig! Würdest du Seine Hoheit hereinbitten?" Kasey nickte begeistert. "Ich werde ihm meine Malen-nach-Zahlen-Bilder zeigen. Oder soll ich ihm erzählen, es seien deine Werke? Das dürfte ihm die Sprache verschlagen." Während Janey den Lidschatten auftrug, drangen Stimmen durch die geschlossene Tür zu ihr herüber. Sie konnte allerdings nicht verstehen, was gesagt wurde. Nachdem sie das Make-up beendet hatte, nahm sie ihr Nachtgepäck und den Rucksack mit Büchern und verließ das Bad. Webb stand mitten im Wohnzimmer und hielt seine mit einem gelben Schneeanzug bekleidete Tochter auf dem Arm. Er wandte sich zu Janey um, als sie hereinkam. In dem dicken Pullover, der weichen schwarzen Lederjacke und der dunklen Hose wirkte er lässiger, als sie ihn bislang je gesehen hatte. "Entschuldige die Verspätung", sagte sie. "Dabei kann ich zu meiner Verteidigung nicht einmal vorbringen, daß ich mich nicht entscheiden konnte, was ich anziehen sollte, denn das ist im Großen und Ganzen meine gesamte Garderobe." Sie wies auf die jadegrüne Tweedhose und den beigegrünen Sweater aus Kaseys Beständen. "Nach dem Aufstand, den ich nach deiner Bemerkung, ich hätte nicht einmal ein Kleid, gemacht habe... Nun, heute muß ich es zugeben: Ich habe keines. Es bleibt also bei Jeans ..." Ich rede Unsinn, dachte sie. Eigentlich gar keine so schlechte Idee. Wenn ich weiterhin solchen Schwachsinn von mir gebe, dürfte Camilla unweigerlich zur Sherryflasche greifen.
Webb schien an ihrem Geplapper keinen Anstoß zu nehmen. Er sah müde aus. Unwillkürlich fragte sie sich, ob er trotz des Feiertages in der Firma gewesen war. Schließlich hatte nicht nur sie, sondern auch er einen Großteil des Arbeitspensums versäumt. Ihr zuliebe hatte er seinen Terminplan auf den Kopf gestellt, um den Lunch mit seiner Großmutter zu ermöglichen. Janey streichelte die Wange des Kindes. "Hallo, Maddy. Du siehst heute wie ein kleiner Schneehase aus - eigentlich fehlen dir nur noch die Ski." "Soll ich den Rucksack nehmen?" erkundigte Webb sich. "Und außerdem das Baby tragen?" Sie schüttelte den Kopf. "Ich bin das Gewicht gewöhnt. Hoffentlich haßt Camilla Jeans, denn an diesem Wochenende wird sie an mir nichts anderes zu sehen bekommen." "Sie hat sich nie über meine beschwert, allerdings habe ich nur selten Zeit, welche zu tragen. Soweit ich mich erinnere, hatte Sibyl überhaupt keine Jeans." Sibyl. Der Name passt zu ihr, überlegte Janey. Glamourös, elegant und geheimnisvoll. Janey sah sie förmlich vor sich - weniger ihr Gesicht als vielmehr ihr Erscheinungsbild. Sibyl war mit Sicherheit schlank, anmutig und kultiviert gewesen - all das, was sie, Janey, nie sein würde. Und genau aus diesem Grund sollte sie, Janey, das Wochenende mit Webb Copelands Familie verbringen. Weil sie sich so grundlegend von seiner verstorbenen Frau unterschied. Das ist eine Tatsache, ermahnte sie sich im Stillen, und je fester ich mich an dieses Wissen klammere, desto besser ist es für mich. "Noch irgend etwas?" fragte Webb. Janey überlegte. "Der Ring! Fast hätte ich ihn vergessen." Sie eilte zur Küchenzeile, die eine Ecke des Wohnzimmers einnahm. Hinter dem halbhohen Bücherregal, das als Raumteiler fungierte, verbarg sich der Kühlschrank. Janey öffnete die Tür und stocherte mit einem Eßstäbchen in einem Joghurtbecher herum, bis sie das Gesuchte gefunden hatte. Nicht genug damit, daß der Ring mit einer weißen, schleimigen Masse überzogen war, zu allem Überfluss hatte sich auch noch eine Rosine in der Fassung des Steins verfangen. Webb verzog das Gesicht, als hätte er heftige Zahnschmerzen. "Tut mir Leid." Janey seufzte. "Diesen Anblick wollte ich dir eigentlich ersparen." Sie hielt das Schmuckstück unter fließendes Wasser, und schon bald glänzte das Gold wieder, und der Diamant funkelte. Zufrieden schob sie sich den Ring auf den Finger. Als sie wenig später im Wagen saßen, fragte sie: "Gibt es noch irgend etwas, das ich wissen sollte, Webb? Dinge, von denen deine Großmutter erwartet, daß du sie mir erzählt hast? Wann ist beispielsweise Maddys Geburtstag?" "Ende September." "Und deiner?"
"Im März. Du brauchst dir also wegen möglicher Überraschungspartys keine Sorgen zu machen." "Schade. Es wäre die ideale Gelegenheit gewesen, deine Großmutter zu schockieren." "Indem du eine Stripperin aus der Torte springen läßt?" "Oh nein. Mir wäre gewiss etwas viel Originelleres - und Schlimmeres eingefallen. Hat sie sich gut mit Sibyl verstanden?" "Natürlich!" Die Überzeugung in seiner Stimme, das leichte Heben seiner Augenbrauen, so als würde er sich maßlos über diese Frage wundern, zerrten an Janeys Nerven. "Camilla hat aber nicht bei euch gewohnt, oder? Es ist durchaus möglich, daß man jemanden sehr gern hat und trotzdem nicht mit ihm zusammenleben kann." "Sie mochten einander. Sibyls Eltern sind mit Gran befreundet", erwiderte Webb kühl. Was für eine Überraschung, dachte Janey. Das erklärte auch, warum Camilla all die jungen Frauen präsentierte - sie suchte jemanden wie Sibyl. Vielleicht tat sie nur das, was sie schon einmal getan hatte. Falls sie damals die Ehe zwischen Webb und der Tochter ihrer Freunde gestiftet hatte, warum sollte sie nicht versuchen, ihren Erfolg zu wiederholen? Die Fahrt war viel zu schnell vorbei, und bevor Janey weitere Fragen stellen könnte, hielt der Wagen vor dem Haus. Webb hob Maddy aus dem Kindersitz, während Janey die Gelegenheit nutzte, Henry Bellows Meisterwerk näher zu betrachten. Webb befreite Maddy gerade aus dem Schneeanzug, als Camilla die Stufen heruntereilte. "Hallo, Janey. Wie schön, daß Sie uns Gesellschaft leisten!" "Vielen Dank für die Einladung, Mrs. Copeland." "Papperlapapp, Liebes. Und nennen Sie mich bitte Camilla. Schließlich werden Sie bald selbst Mrs. Copeland sein." Sie schaute das Baby an. "Da fällt mir ein ... Was ist eigentlich mit Maddy?" Ein eisiger Finger schien über Janeys Rücken zu streichen. "Ich habe ganz vergessen, mich zu erkundigen, wie sie zu Ihnen sagen soll. Am besten fangen Sie gleich mit der richtigen Anrede an - das ist viel einfacher, als später etwas ändern zu wollen. Also, was ist Ihnen lieber: Mama oder Mummy?" Die Kälte hatte inzwischen Janeys Nacken erreicht und verursachte ihr Kopfschmerzen. Camilla würde sich also nicht mit Artischocken oder alten Freundinnen begnügen, sondern direkt zum Todesstoß ansetzen, indem sie Webb zwang, sich mit dem Gedanken anzufreunden, daß seine Tochter Janey "Mutter" nannte und seine geliebte Sibyl somit verdrängt wurde ... Maddy krauste die Stirn. "Ma", krähte sie und klatschte strahlend in die Hände.
Camilla sah an Janey vorbei zu Webb, und für den Bruchteil einer Sekunde bemerkte Janey ein triumphierendes Funkeln in den Augen der alten Dame. Wirklich kein Wunder, daß sie zufrieden ist, dachte Janey. Webb blickte so fassungslos drein wie ein Mann, der nichts ahnend ein undichtes Federkissen geschüttelt hatte und nun vor dem Problem stand, alle Daunen wieder einsammeln und in die Hülle zurückstopfen zu müssen.
5. KAPITEL Janey suchte verzweifelt nach einer Antwort. Auf keinen Fall wollte sie das Kind ermutigen, sie als Mutter zu betrachten. Spätestens in ein paar Wochen würde sie nur noch eine vage Erinnerung für die Kleine sein. "Ich finde, wir sollten es im Moment noch bei meinem Namen belassen", erwiderte sie ruhig. Camilla zog leicht die Brauen hoch. Obwohl Janey wußte, daß jedes weitere Wort gefährlich sein konnte, schien ihre Zunge ein Eigenleben zu führen. "Maddy ist zwar noch jung, aber trotzdem wäre es mir unangenehm, Sibyls Platz einnehmen zu wollen. Erstens könnte ich das überhaupt nicht..." - Das beweist schon ein Blick auf Webbs Gesicht, dachte sie. Hoffentlich glaubt Camilla, daß er sich nur über die unzähligen Verschlüsse und Spangen an Maddys Schneeanzug ärgert. Inzwischen war es Janey egal, ob sie die Sache noch schlimmer machte oder nicht. "Außerdem möchte ich nicht, daß Maddy eines Tages denkt, ich hätte versucht, ihre Mutter völlig zu verdrängen." Endlich hatte Webb es geschafft, Maddy zu befreien. "Wer entwirft eigentlich diese Dinger? Es muß jemand sein, der noch nie ein Baby angezogen hat." Er stellte seine Tochter auf die Füße. "Vielleicht sollten wir das Thema ruhen lassen, bis Maddy selbst entscheiden kann." Janey atmete erleichtert auf. "Sehr richtig." Sie lächelte ihn an. ,"Mama' ist ein Titel, den man sich verdienen muß." Dann beugte sie sich über das Kind. "Also denk gut darüber nach, Madeline." "Ma", sagte Maddy strahlend. "Mir scheint, sie hat sich bereits entschieden", meinte Camilla. "Ich werde Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen, Janey. Albert kann sich später um Ihr Gepäck kümmern." Ohne eine Antwort abzuwarten oder die alte Reisetasche und den schäbigen Rucksack auch nur eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich zur Treppe. Janey fand die Bezeichnung "Gepäck" für ihre Habseligkeiten ausgesprochen taktvoll. Als sie die obere Galerie erreicht hatten, deutete Camilla auf den Flur zu ihrer Linken. "Webbs Zimmer ist natürlich dort." Was soll ich mit dieser Information anfangen? überlegte Janey. Denkt sie etwa, ich würde mich zu ihm schleichen? Und falls sie das denkt - will sie mich warnen oder ihre stillschweigende Billigung ausdrücken?
Ich habe zu viel von Kaseys Seifenopern gesehen, sagte Janey sich energisch und schaute sich um. Nach der Anordnung der Türen im Korridor zu urteilen, mußte Webbs Zimmer ungefähr dreimal so groß sein wie ihr gesamtes Apartment - und vermutlich auch wesentlich behaglicher. "Darum müssen wir uns an diesem Wochenende auch kümmern", fuhr Camilla fort. "Bestimmt wollen Sie das Schlafzimmer umgestalten - vielleicht auch die ganze Suite. Solche Dinge erfordern sehr viel Zeit." Janey hatte den Verdacht, Camilla hoffte, die Renovierung möge ewig dauern, oder zumindest so lange, bis Webb seine Verliebtheit überwunden hatte. "Oh ja, es wäre viel besser, wenn man es völlig verändern würde. Webb würde sich gewiß viel wohler fühlen." Sie bemühte sich um einen möglichst bescheidenen Tonfall. "Und ich mich natürlich auch. Denn wenn Sibyl auch nur annähernd so kultiviert und elegant war, wie ich vermute ..." Camilla blieb stehen und betrachtete Janey von Kopf bis Fuß. "Das war sie." Dann drehte sie sich um und ging den Flur entlang, der in den gegenüberliegenden Teil des Hauses führte. Die Botschaft, die sich hinter den Worten versteckte, war für Janey unmissverständlich. Du bist es nicht. Camilla würde diese Kritik natürlich nie laut aussprechen. Hätte Janey sich tatsächlich etwas aus Webb gemacht und ernsthaft den Wunsch gehegt, Sibyls Platz einzunehmen, wäre sie von Camillas Bemerkung nicht nur verletzt, sondern geradezu niedergeschmettert gewesen. So jedoch konnte sie sie abschütteln und kontern. "Es gilt unzählige Entscheidungen zu treffen, und die Vorbereitungen beanspruchen so viel Zeit." Janey seufzte. "Ich weiß, es wäre vernünftiger, die Hochzeit zu verschieben, aber manchmal hat die Vorstellung, noch länger zu warten ..." Sie ließ den Satz absichtlich unbeendet, denn Camilla würde auch so garantiert die richtige Schlußfolgerung ziehen. Ich will ihn so schnell wie möglich vor den Altar zerren, damit er sich nicht eines Besseren besinnen kann. Irgendetwas in der Art würde Webbs Großmutter schon einfallen. "Natürlich." Camilla nickte versonnen. "Das Haus hat acht Schlafzimmer. Falls Webb es also wirklich eilig haben sollte ..." Sie öffnete eine Tür. "Dies ist das Gelbe Zimmer. Ich dachte, es würde Ihnen vielleicht wegen der Aussicht auf den Garten zusagen." Die Frau war unschlagbar. In Sekundenschnelle hatte sie Janeys Anspielung aufgegriffen und zu ihrem eigenen Vorteil genutzt, indem sie andeutete, daß Webb offenbar von ersten Zweifeln geplagt wurde, denn sonst hätte er bereits einen Hochzeitstermin festgelegt. Eine taktische Meisterleistung, wie Janey neidlos anerkennen mußte.
Camilla durchquerte den Raum und zog die Vorhänge zurück. "Selbst ohne Blumen und grüne Bäume finde ich den Garten in seiner winterlichen Schlichtheit reizvoll." Janey war ihr gefolgt. "Sehr hübsch", bestätigte sie. "Der Anblick ist so unterschiedlich, wie eine Tintenzeichnung und ein Ölgemälde es sind - beides ist schön, aber völlig gegensätzlich." In der spiegelnden Fensterscheibe meinte sie, ein leichtes Lächeln um Camillas Lippen zu erkennen, doch als die alte Dame sich zu ihr umwandte, war davon nichts mehr zu sehen. Das Zimmer war zwar nicht riesig, aber geräumig genug für ein massives Himmelbett und zwei bequeme Sessel im Erker. Der Teppichboden und die Polster waren in einem dunklen Grün gehalten, die Tagesdecke und Vorhänge in einem zarten Gelb. "Das Bad ist gleich nebenan", erklärte Camilla. "Ich habe mich heute Morgen vergewissert, daß alles vorhanden ist. Sollten Sie dennoch etwas vermissen, sagen Sie mir Bescheid. Mein Zimmer ist gleich gegenüber." Ich werde es nicht wagen, irgend etwas zu vermissen, dachte Janey. "Es läutet zum Lunch", verkündete Camilla. "Albert ist heute ein bißchen früh dran. Wahrscheinlich kann er es nicht erwarten, zu seiner Schwester und ihrer Familie zu kommen. Wollen wir nach unten gehen?" An der Tür blieb sie stehen und deutete den Flur entlang. "Madelines Kinderzimmer befindet sich am anderen Ende, direkt hinter der Ecke." Direkt hinter der Ecke? Für Janey hätte es auch in der Äußeren Mongolei liegen können, zumindest war es so weit wie möglich von Webbs Räumen entfernt. "Ich dachte, das Kinderzimmer würde zur Suite des Hausherrn gehören." Camillas Brauen näherten sich gefährlich dem Haaransatz. "Aber, meine Liebe ... Und das Kindermädchen?" Janey errötete. ."Nennen Sie mich ruhig naiv und unerfahren", sagte sie, "aber dort, wo ich herkomme, kümmern sich die Leute selbst um ihre Kinder und möchten nachts nicht eine halbe Meile laufen, um das zu tun." "Und wo ist das?" erkundigte Camilla sich höflich, während sie gemeinsam zur Treppe gingen. "Ich stamme aus einem kleinen Nest in Illinois, von dem Sie vermutlich noch nie gehört haben. Elmwood ist so winzig, daß man den ganzen Ort problemlos auf diesem Grundstück unterbringen könnte." Camilla lächelte. "Leben Ihre Eltern noch?" "Nein. Sie sind beide vor ungefähr fünf Jahren gestorben. Meine Mutter hatte in unserem Haus eine Kindertagesstätte eingerichtet, und mein Vater war Tischler. Von ihnen habe ich gelernt, daß man sich seiner Hände Arbeit nicht zu schämen braucht." "Ah", sagte Camilla.
Im Eßzimmer hätten mühelos zwanzig Gäste Platz gefunden, aber wie beim Lunch am Vortag war der Tisch auch diesmal nicht ausgezogen und für vier Personen gedeckt. Webb und Camilla saßen jeweils am Kopfende, Janey an einer Seite und Maddy ihr gegenüber auf einem Hochstuhl. Geschickt tranchierte Webb den mächtigen Truthahn. Maddy hat seine Hände geerbt, dachte Janey unwillkürlich. Schöne Hände mit langen Fingern und wohlgeformten Nägeln. Wann, um alles in der Welt, war ihr dieses Detail aufgefallen? Verstohlen betrachtete sie ihre eigenen Hände, die sie im Schoß gefaltet hatte. Es gab an ihnen nichts zu beanstanden, was man nicht durch gründliches Einweichen mit Wasser und Seife - innerhalb von ein oder zwei Wochen beseitigen könnte, vorausgesetzt, der Prozedur folgte eine sorgfältige Maniküre. Zu den kurz geschnittenen Fingernägeln, den Ölspuren und Schrammen wirkte Webbs riesiger Diamant noch unpassender. Camilla nickte dem Butler zu, als er ihr ein Glas Weißwein einschenkte. "Ich habe für Freitagabend ein paar Gäste auf einen Drink eingeladen", verkündete sie. "Das ist schön, Gran", erwiderte Webb. "Eine große Party wäre momentan wohl kaum angemessen." Webbs Miene nahm erneut den resignierten Ausdruck an, der Janey mittlerweile schon so vertraut war. "Inwiefern?" "Eure Verlobung dürfte für sehr viele Leute eine echte Überraschung sein. Ich halte es deshalb für ratsam, die Neuigkeit langsam durchsickern zu lassen", fügte Camilla hinzu. "Anstelle einer aufwendigen Gesellschaft möchte ich nur einige unserer besten Freunde einladen. Sobald sie informiert sind, wird die Nachricht rasch die Runde machen, und wir können bald darauf die offizielle Verlobungsparty veranstalten." "Gran", begann er nachdrücklich, "wir sind noch lange nicht so weit, irgend etwas bekannt zu geben. Wir rechnen mit einer langen Verlobungs..." "Unsinn", unterbrach sie ihn ungerührt. "Janey trägt einen Ring, und das ist offiziell genug. Dir beide zeigt euch gemeinsam in der Öffentlichkeit, oder wollte ihr euch etwa bis zur Hochzeit verstecken - wann immer sie stattfinden mag? Du wirst sie unseren Freunden vorstellen, sie zum Dinner ausführen und Partys mit ihr besuchen. Wir können nicht leugnen, was so offensichtlich ist, und außerdem würden wir unsere Freunde damit nur kränken." Janey überlegte fieberhaft. Schlimmstenfalls mußte sie sich damit herausreden, daß sie mit ihren Studien zu beschäftigt sei, um mit Webb auszugehen. "Du verlangst doch nicht etwa, daß sie den Ring abnimmt und so tut, als wäre sie nur eine flüchtige Bekannte, wenn sie dich begleitet?" Camilla wartete Webbs Antwort gar nicht erst ab. "Allerdings halte ich es für ein Gebot der Höflichkeit, wenn du zuerst in aller Stille Sibyls Eltern informieren würdest."
Das ist ihr Rettungsring, dachte Janey. Falls Sibyls Eltern zurzeit nämlich nicht erreichbar waren, würde es auch keine Verlobung geben. Camillas Plan war nahezu perfekt: Sie konnte damit drohen, die Party des Jahrhunderts zu veranstalten, Webb in Panik versetzen, indem sie ihm tausend Kleinigkeiten vor Augen führte, die möglicherweise schief gehen würden, und trotzdem würde sie nie in die Verlegenheit geraten, tatsächlich die Gastgeberin bei diesem potentiellen Desaster zu spielen. "Vielleicht solltest du Janey mitnehmen, wenn du es ihnen erzählst, Webb", schlug Camilla sanft vor. Die alte Lady verdient einen Oscar. Der bloße Gedanke, den trauernden Eltern der Frau präsentiert zu werden, die sie, Janey, ersetzen sollte, jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken. "Jedenfalls habe ich den Freitag für unsere kleine Zusammenkunft gewählt, weil du Janey am Samstag bestimmt ausführen willst", fuhr Camilla fort. "Am Abend findet ein Sinfoniekonzert statt, und außerdem werden ein paar ausgezeichnete Theaterstücke in der Stadt gespielt." "Ich muß am Wochenende viel fürs College lernen", warf Janey ein. "Unsinn." Camilla würdigte sie kaum eines Blickes. "Sie brauchen doch weder heute noch morgen zu arbeiten, weil die Fabrik geschlossen ist, oder?" "Nun ja..." "Sie können also in der Zeit, in der Sie sonst im Werk sind, lernen und das Wochenende unbeschwert genießen." Camillas Logik war nicht zu widerlegen. "Ich habe keine passenden Sachen mitgebracht." "Mit anderen Worten, Sie besitzen keine angemessene Garderobe", stellte Camilla indigniert fest. Janey rang sich ein Lächeln ab. "So ist es." "Dann müssen wir eben einkaufen gehen, nicht wahr? Sie brauchen ohnehin tausend Kleinigkeiten vor der Hochzeit. Aber darüber sprechen wir später, wir wollen Webb schließlich nicht langweilen. Webb, mein Lieber, Janey hat mir vorhin berichtet, wie sie ihre Liebe zu Häusern entdeckt hat. Ist es nicht eine interessante Geschichte?" Der vernichtende Blick, mit dem er sie bedachte, reizte Janey. Immerhin hatte sie ihn gebeten, ihr zumindest ein paar Details aus seinem Leben mitzuteilen, damit sie nicht völlig im Dunkeln tappte. Er hingegen hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich nach ihrem Leben zu erkundigen, und nun würde Camilla ihn festnageln. Trotz ihres Ärgers konnte Janey ihren Partner nicht im Stich lassen. "Ich erinnere mich gern daran, wie ich meinen Vater zu den Baustellen begleitet habe, auf denen er arbeitete." Wenn Webb auch nur einen Funken Verstand besaß, würde er hoffentlich den Wink verstehen.
"Ich könnte Janeys Erzählungen stundenlang zuhören, Gran", beteuerte er scheinheilig. "Du auch?" Janey entspannte sich ein wenig. Er hatte sich geschickt aus der Affäre gezogen. Camilla legte ihre Serviette beiseite. "Sie können abräumen, Albert. Das Dessert und den Kaffee nehmen wir im Salon." Janey sprang förmlich auf. "Ich bin sicher, das Dessert ist köstlich, aber ich bin viel zu satt, um es jetzt richtig zu würdigen. Wollen wir damit nicht noch ein bißchen warten? Albert, Sie haben schwer gearbeitet und scheinen es eilig zu haben. Warum machen Sie nicht Schluß und genießen den Feiertag? Mr. Copeland und ich kümmern uns um das Geschirr." Camilla, die sich gerade hatte erheben wollen, sank wie vom Donner gerührt auf den Stuhl zurück. Janey beugte sich zu Webb vor und umarmte ihn kurz. Mit dieser Geste demonstrierte sie nicht nur spontane Zuneigung, sondern konnte ihm gleichzeitig unbemerkt etwas zuflüstern. "Wir müssen unbedingt ein paar Dinge klären." "Ganz meine Meinung", erwiderte er ebenso leise. Laut sagte er: "Albert, nachdem Sie Mrs. Copelands Kaffee im Salon serviert haben, können Sie gehen." Der Butler schien völlig verwirrt. "Ja, Sir. Wie Sie wünschen, Sir." Janey umrundete den Tisch, hob Maddy aus ihrem Hochstuhl und stellte sie auf den Boden. "Komm, Maddy. Wir erkunden jetzt die Küche. Wäschst du gern ab?" Camilla stand auf. "Ich bezweifle, daß sie es je versucht hat." "Dann ist es höchste Zeit, damit anzufangen", erwiderte Janey. "Ich brenne darauf, die Küche zu inspizieren. Wusstest du eigentlich, daß die Küche der einzige Schwachpunkt in Henry Bellows Entwürfen für dieses Haus ist?" Sie trug zwei Platten und bemerkte, daß Camilla stehen geblieben war. "Er hat so viele Anrichten, Einbauschränke und Kammern vorgesehen, daß man nichts darin wieder findet." Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Verbindungstür zum Wirtschaftstrakt. "Offenbar hat er in seinem Leben nie einen Tisch abgeräumt, sonst hätte er zwischen Eßzimmer und Küche kein solches Labyrinth von Gängen ..." Sie verstummte, als die Tür aufschwang und den Blick auf einen breiten Gang freigab. Die unzähligen Nebengelasse waren hohen Glasvitrinen gewichen, in denen Porzellan und funkelndes Silber prangten. In der Küche dominierten zwar Edelstahl und alle modernen Geräte, die eine Köchin sich nur wünschen konnte, aber dank der leuchtend blauen Schrankfronten sowie der schimmernden Kupfertöpfe wirkte der Raum überraschend behaglich. Gegenüber den Originalplänen stellte der Umbau eine tausendprozentige Verbesserung dar. Janey war der Verzweiflung nahe. Wenn die Renovierung ein Beispiel für Sibyls Stilgefühl war ... Kein Wunder, daß Webb wütend auf seine Großmutter
war, weil diese glaubte, irgendeine dieser jungen Schönheiten könnte Sibyls Platz einnehmen! Maddy umklammerte Janeys Beine und zog an ihrem Pullover. Janey stellte das Geschirr ab und suchte in den Schubladen nach einer Schürze. Nachdem sie eine gefunden hatte, wickelte sie Maddy darin ein. Natürlich war das Kleidungsstück viel zu groß, und so mußte sie die Bänder unter den Achseln des Kindes befestigen. Als sie es endlich geschafft hatte, füllte sie eine Schüssel mit lauwarmem Seifenwasser, trug sie zum Tisch und zog einen Stuhl heran, auf dem Maddy stehen konnte. In diesem Moment kam Webb mit einem voll beladenen Tablett herein. "Die Küche ist ein Traum", erklärte sie. "Und so praktisch." Er schaute sich um, als würde er den Raum zum ersten Mal aus einer völlig neuen Perspektive betrachten. "Mag sein, aber früher fand ich es hier viel schöner. Ich kannte ein Dutzend fabelhafter Verstecke, in denen man mich nie aufgestöbert hätte." "Die Renovierung war also nicht deine Idee?" "Nein, Gran meinte, es sei unvermeidlich, wenn wir die Köchin behalten wollen", erwiderte er trocken. "Du konntest ihr keine größere Freude machen, als ihre Verbesserungsvorschläge zu loben." Wenigstens war es nicht Sibyls Werk. Rasch verdrängte Janey diesen Gedanken. "Woher sollte ich das wissen? Wenn du mir erzählt hättest..." "Und woher sollte ich wissen, daß du anfangen würdest, die Küche zu kritisieren? Willst du wirklich alles mit der Hand abwaschen?" "Das gibt uns Zeit zum Reden." "Die hätten wir au9h, wenn wir den Geschirrspüler laden und uns mit einer Tasse Kaffee hinsetzen würden. Gran würde den Unterschied nicht merken." Er stellte das Tablett ab und kehrte ins Eßzimmer zurück. Maddy planschte selig mit einem Plastikbecher herum, den Janey ihr gegeben hatte. Während das Wasser ins Becken lief, betrachtete sie versonnen das Kind. Als Webb mit den letzten Tellern zurückkam, sagte sie, ohne ihn anzusehen: "Maddy ist dir nicht sehr ähnlich, oder?" "Nein, sie ist das Abbild ihrer Mutter." Sibyl war also tatsächlich eine Schönheit gewesen. "Also, worüber möchtest du mit mir sprechen? Ich finde, ich habe die Sache mit deinem Vater recht gut bewältigt. Woher weiß Gran eigentlich, daß er Bauunternehmer ist?" "Sie hat mich danach gefragt, als wir vor dem Dinner oben waren. Ich hatte keine Gelegenheit mehr, dich zu warnen. Außerdem war er kein Bauunternehmer, sondern Kunsttischler. Er wurde geholt, wenn jemand gedrechselte Treppengeländer oder maßgefertigte Schränke haben wollte."
"Und du hast ihm zugeschaut und dabei deine Liebe zum Handwerk entdeckt. Siehst du, so schwer ist es gar nicht, eine Verbindung herzustellen." "So? Wart's nur ab, was ihr noch alles einfallen wird. Mir schwirrt schon der Kopf." "Wegen Gran?" Janey nickte. "Ich hätte nicht erwartet, daß sie so direkt auf ihr Ziel zusteuert. Offenbar hat sie vor mir mehr Angst, als ich dachte." Sie wusch den ersten Teller ab und legte ihn zum Abtropfen beiseite. Webb nahm ein Geschirrtuch und fing an abzutrocknen. "Oder sie ist beeindruckt von dir. Ich meine noch immer, daß du dich in ihr täuschst. Sie meint es ernst. Warum sonst sollte sie Maddy ermutigen, dich ..." Mutter zu nennen. Janey spürte, daß ihm dieses Wort nicht über die Lippen wollte. Die Vorstellung, seine Tochter könnte diese Anrede für eine andere Frau als Sibyl benutzen, war für ihn zu schmerzlich.. "Damit ist sie wirklich zu weit gegangen", räumte sie ein. "Wahrscheinlich glaubt sie, Maddy sei zu klein, um die Bedeutung zu begreifen, zumal sie keine Erinnerung an Sibyl hat. Ich traue deiner Großmutter durchaus zu, daß sie unserer vermeintlichen Verlobung noch an diesem Wochenende den Garaus machen will und somit wäre die Mama-Sache ohnehin vom Tisch." "Und was ist mit der Party? Gran hat immerhin all ihre Freunde eingeladen. Für mich klingt das so, als würde sie fest damit rechnen, daß unsere Verbindung den kommenden Montag überlebt." "Im kleinen Kreis bei einem Drink darüber zu plaudern ist auch nicht schlimmer als das, was du getan hast, indem du mit dem Ring in der Fabrik aufgetaucht bist. Vergiß nicht, einer offiziellen Bekanntgabe ist sie geschickt ausgewichen. Du mußt also nur behaupten, du hättest Sibyls Eltern nicht erreicht, denn wenn du sie nicht informieren kannst..." "Und wie soll ich das anstellen? Ich kann Gran schließlich nicht einreden, ich hätte den Namen vergessen." "Ich wette, die beiden sind auf einer Safari oder einer Tour durch den Himalaja, und Camilla weiß darüber Bescheid." "Sie machen sich nichts aus Safaris oder Bergsteigen." "Dann sonnen sie sich eben in der Karibik, oder was auch immer. Vielleicht erholen sie sich in einem ebenso exklusiven wie abgeschiedenen Golfclub. Ich bin jedenfalls ziemlich sicher, daß es dir nicht gelingen wird, mit ihnen Kontakt aufzunehmen - und deshalb wird es keine formelle Verlobungsfeier geben." "Da könntest du Recht haben." "Natürlich habe ich Recht. Sie hat es nur gesagt, um dir einen Schreck einzujagen. Die Gäste sollen dir am Freitag durch ihre Reaktion lediglich vor Augen führen, wie unpassend ich für dich bin." Sie griff nach einem weiteren
Geschirrstapel. "Es würde mich allerdings brennend interessieren, wer alles kommen wird." Maddy patschte mit der flachen Hand aufs Wasser, bis der Schaum in alle Richtungen flog. Eine besonders große Flocke landete auf Webbs Augenbraue, und als Janey ihn auslachte, schnippte er die Seifenblasen auf ihre Nase. Sie revanchierte sich, indem sie einen faustgroßen Schaumberg aus dem Spülbecken fischte und ihn auf seinem Kopf platzierte. Maddy krähte vor Begeisterung, weil die Erwachsenen sich an diesem wunderbaren neuen Spiel beteiligten. Sie rührte eifrig in der Schüssel, bis fast das ganze Wasser herausgespritzt war. Dann zupfte sie Webb am Ärmel. "Mehr", verlangte sie. Schaum glitzerte auf ihrem dunklen Haar und den Schultern ihres pinkfarbenen Kleidchens. Die Schürze war völlig durchnässt. Lächelnd beobachtete Janey, wie Webb seine Tochter zuerst abtrocknete und dann die Schüssel auffüllte. Zufrieden machte die Kleine sich daran, den Plastikbecher erneut abzuwaschen. "Es ist nicht nötig, daß du sie weiter ermutigst", sagte er unvermittelt. "Sie ermutigen?" fragte sie verwirrt. "Wen - Maddy?" "Nein, Gran." "Wovon redest du?" "Von deinem Benehmen. Du spielst die Unschuldige ganz ausgezeichnet. Dieses Lächeln, diese scheinbar zufälligen Blick unter gesenkten Wimpern hervor ..." "Fängst du schon wieder damit an? Bildest du dir tatsächlich ein, keine Frau könnte dich ansehen, ohne dir zu Füßen zu sinken? Du magst ja recht attraktiv sein, Webb, aber finde dich damit ab: Du bist kein Märchenprinz. Wenn ich auf der Suche nach einem Mann wäre - was nicht zutrifft -, würdest du ganz unten auf meiner Liste stehen." "Du sendest jedenfalls völlig andere Signale aus. Zum Beispiel gestern bei dem Kuß. Um Gran gegenüber den Schein zu wahren, war es nicht erforderlich, so zu tun, als würdest du in meinen Armen dahinschmelzen." "Das ist wohl eher Wunschdenken von dir", entgegnete sie kühl. "Ich habe nur dafür gesorgt, daß es halbwegs echt wirkte." "Nun, das hast du wirklich, und nicht nur Gran zuliebe, dessen bin ich sicher. Da wir gerade von aufreizenden Küssen sprechen..." Janey wandte sich wieder dem Abwasch zu. "Du meinst, ich wäre auf eine Wiederholung aus? Ich hatte geglaubt, du hättest einige Erfahrung mit Frauen, aber offenbar habe ich mich gründlich geirrt. Wenn du diesen KUSS für aufreizend hältst, mußt du noch eine Menge lernen, Webb!" Er sagte kein Wort. Das war auch nicht nötig - seine Miene verriet, was er dachte.
Ohne sich die Hände abzutrocknen, drehte Janey sich zu ihm um, schob ihn gegen den Küchentresen und legte die Arme um ihn. Eng an ihn geschmiegt, fuhr sie mit den Fingern durch sein Haar, dann umfaßte sie seinen Kopf und zog ihn zu sich herab. Wenn er etwas Aufreizendes will, werde ich ihm etwas Aufreizendes zeigen, dachte sie. Sie küßte ihn, als wäre er der Mann ihrer Träume, und vertraute ganz auf ihren Instinkt. Die Wärme seines Körpers drang durch ihren Pullover. Webbs Lippen schmeckten nach dem trockenen Weißwein, den sie zum Dinner getrunken hatten. Statt jedoch wie am Vortag ein wohliges Prickeln in ihr auszulösen, verwirrte dieser KUSS ihre Sinne. Voller Verlangen seufzte sie auf. Bevor die Demonstration in Verführung ausufern konnte, gewann Janeys Selbsterhaltungstrieb die Oberhand. Sie trat einen Schritt zurück. "Das war ein aufreizender Kuß", erklärte sie heiser. "Daran besteht nicht der geringste Zweifel", ertönte Camillas spöttische Stimme von der Tür her. Mit hochrotem Kopf blickte Janey zu der alten Dame hinüber. "Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich euch nicht beim Aufräumen geholfen habe", fügte Camilla hinzu. "Deshalb wollte ich wenigstens meine Tasse in die Küche bringen. Offen gestanden, hatte ich ja keine Ahnung, wie ... anregend ... Abwasch sein kann." Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ sie den Raum. "Perfektes Timing." Webb klang noch immer ein wenig atemlos. "Du denkst vermutlich, ich hätte diese Störung arrangiert? Webb, du wirst nie allein sein - dein überdimensionales Ego reicht für zwei. Hoffentlich weißt du jetzt, was ein aufreizender Kuß ist. Vergiß ihn nie, denn es war der letzte, den du von mir bekommen hast." Janey schnappte sich das Geschirrtuch, trocknete sich die Hände ab und ging hinaus.
6. KAPITEL Die Verbindungstür zum Wirtschaftstrakt hatte selbstschließende Flügel. Was für ein Glück, dachte Webb - in Anbetracht der Wucht, mit der Janey sie zugeschlagen hatte, wäre sonst vermutlich der Rahmen aus der Wand gebrochen. Eine kleine Hand zupfte ihn am Ärmel. "Ma?" fragte Maddy kummervoll. Dies war schon das dritte Mal, daß sie die Anrede gebrauchte. "Ihr Name ist Janey", erklärte Webb nachdrücklich. Maddy blickte ihn mit großen Augen an und überlegte. Dann sagte sie etwas, das mit viel Phantasie als "Janey" gedeutet werden konnte. "Sehr schön", lobte er. "Jetzt hast du es begriffen." Sie klatschte erfreut in die Hände und bekam vor Aufregung einen Schluckauf. Webb wickelte sie aus der durchweichten Schürze, dann nahm er sie auf den Arm. Erschöpft schmiegte sie den Kopf an seine Schulter. Allmählich ließ der Schluckauf nach. Seine Tochter auf dem Arm, ging er durch das Haus. Es war ungewöhnlich still. Normalerweise gab es immer irgendwelche Geräusche im Hintergrund: das Summen eines Staubsaugers, leise Musik, gedämpfte Stimmen, ein Lachen. Heute war absolut nichts zu hören. Unwillkürlich fragte er sich, ob Janey seine Großmutter aufgesucht habe. Falls ja, hätte er zu gern bei dem Gespräch Mäuschen gespielt. Dein überdimensionales Ego reicht für zwei, hatte Janey ihm vorgeworfen. Ehrlicherweise mußte er einräumen, daß in dieser Behauptung ein Körnchen Wahrheit steckte. Allerdings handelte es sich weniger um Eitelkeit als vielmehr um Vorsicht. Er war lange genug das Ziel weiblicher Aufmerksamkeit gewesen - sowohl vor als auch nach seiner Ehe -, um auf Annäherungsversuche überempfindlich zu reagieren. Das Copeland-Vermögen, die gesellschaftliche Stellung der Familie und das Haus waren einzeln genommen schon Grund genug, scharenweise Frauen anzulocken, hinzu kam die Tatsache, daß er ein halbwegs intelligenter, ansehnlicher Mann war. Diese an sich bereits reizvollen Faktoren wurden durch die Herausforderung, einen trauernden Witwer zu trösten, geradezu unwiderstehlich ... Webb machte sich keine Illusionen: In den Augen heiratswütiger Damen war er ein Geschenk des Himmels. Deshalb war er auch so verärgert über Camillas Ambitionen als Ehestifterin. Zugegeben, Janey unterschied sich grundlegend von den jungen Schönheiten, die seine Großmutter ihm präsentiert hatte, und vielleicht war es ungerecht, ihr
niedere Motive zu unterstellen. Schließlich hatte sie ihn sich nicht ausgesucht oder gar die Verbindung vorgeschlagen. Andererseits hatte sie sein Angebot nicht abgelehnt, im Gegenteil, sie war sogar begeistert darauf eingegangen. In vielen Punkten mußte er sich blind auf ihr Wort verlassen - daß sie zu diesem Zeitpunkt nicht geahnt hatte, wem das Haus ihrer Träume gehörte, daß sie Camilla gegenüber nicht absichtlich erwähnt hatte, mehr zu sein als nur eine kleine Fabrikarbeiterin, daß sie nicht mehr aus ihrem Handel herausschlagen wollte und ein größeres Ziel anvisiert hatte. Er hatte keine Beweise, daß sie die Wahrheit sagte, entweder vertraute er ihren Beteuerungen oder nicht. Am besten begegnete er Janey mit der gleichen nüchternen Zurückhaltung, mit der er jede andere Frau behandelte. Da es natürlich immer noch galt, Camilla zu berücksichtigen und zu überzeugen, konnte er Janey schlecht auf Armeslänge von sich fern halten. Aber ansonsten ... Trotzdem ist es schade, dachte er. Verdammt, die Frau küßte wie ... Fast hätte er gesagt "wie ein Engel", doch der Kuß war nicht im Mindesten zaghaft, kühl oder gar tugendhaft gewesen. Er fragte sich, wo sie diese Tricks gelernt haben mochte, und verbrachte ein paar Minuten damit, sich auszumalen, wie nett es wäre, wenn er ihr helfen könnte, ihre Technik zu vervollkommnen. Warum eigentlich nicht? flüsterte ihm eine vorwitzige innere Stimme zu. Was, um alles in der Welt, hatte Janey zu diesem Kuß bewogen? Sie mußte doch gewußt haben, daß sie mit dem Feuer spielte. Hatte sie versucht, sein Interesse an ihr als Frau zu wecken? Hatte sie gehofft, er würde den Handel aufkündigen und ihr etwas Besseres bieten? War es denn so wichtig, welche Absichten sie damit verfolgt hatte? Was immer sie damit bezweckt hatte, es änderte nichts am Ergebnis. Der KUSS hatte ihn zutiefst aufgewühlt. Und nach dem leichten Zittern ihrer Stimme zu urteilen, war es ihr genauso ergangen. Wenn sie also die gleiche prickelnde Neugier empfand wie er, warum sollten sie sie dann nicht befriedigen - und zwar gemeinsam? Waren die Konsequenzen das wert? Er trug Maddy ins Kinderzimmer hinauf und wechselte ihre Windel. Doch statt seine Tochter anschließend zum Mittagsschläfchen ins Bett zu legen, nahm er sie zusammen mit ihrem Teddybär und einer leichten Decke mit sich ins Fernsehzimmer im Erdgeschoss. Sie konnte dort genauso gut schlafen wie oben, und er konnte sich ein Footballspiel anschauen, da sich ja offenbar niemand mit ihm unterhalten wollte. Webb griff nach der Fernbedienung und drückte auf einige Knöpfe. Lautlos glitten die Türen eines Schrankes auf und brachten den Großbildfernseher in Position. Maddy hob schläfrig den Kopf von seiner Schulter und murmelte: "Ma."
Er drehte sich um und entdeckte Janey auf der langen schwarzen Ledercouch. Sie hatte die Schuhe abgestreift und die Beine angezogen. Neben ihr lag ein aufgeschlagenes Buch, sie hatte einen Block auf dem Schoß und einen Stapel Papiere auf dem niedrigen Tisch vor dem Sofa ausgebreitet. Verblüfft blickte sie von ihren Notizen auf. Webb lächelte sie an. "Wie es scheint, folge ich dir wie ein Magnet." Sie wirkte keineswegs geschmeichelt. "Sei ehrlich, das Spiel interessiert dich mehr als ich. Ich wußte gar nicht, daß hier ein Fernseher ist. Ich habe nur eine ruhige Ecke zum Lernen gesucht." Sie begann, ihre Notizen einzusammeln. "Geh nicht. Würde dich die Übertragung stören, wenn ich den Ton ganz leise stelle? Es gibt im Haus leider keinen zweiten Apparat." Janey zögerte. "Wahrscheinlich nicht. Ich habe bei Seifenopern gelernt, also kann ich auch bei einem Footballspiel arbeiten." Sie beugte sich, wieder über den Block. Er schaltete den Apparat ein, dämpfte die Lautstärke und setzte sich ans Ende der Couch. Maddy, die ihre Augen kaum noch offen halten konnte, entwand sich seinen Armen und krabbelte über die Sitzfläche. Sie zog die Decke mit sich und kuschelte sich fest an Janeys Seite. Als Webb nach dem Kind greifen wollte, schüttelte Janey den Kopf. "Sie schläft gleich. Stör sie nicht." "Ich würde mich lieber mit dir unterhalten", sagte er. "Du hast mich vorhin mißverstanden." "In mehr als einer Hinsicht, davon bin ich überzeugt." Es klang nicht so, als wäre sie sonderlich daran interessiert, mehr darüber herauszufinden. "Ich habe absolut nichts gegen das einzuwenden, was du tust. Bitte glaub nicht, ich wüste die kleine Demonstration vorhin in der Küche nicht zu würdigen." "Ach wirklich? Meine Mutter hat mich immer gewarnt, daß ich es eines Tages bereuen würde, meine Beherrschung verloren und impulsiv gehandelt zu haben. Sie hatte ja so Recht." "Es stört mich nicht, wenn du mir verliebte Blicke zuwirfst und mich schüchtern anlächelst." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Und mich aufreizend küßt." "Ich dachte, du willst nicht, daß ich Camilla ermutige." "Sie denkt ohnehin, was sie will. Es gibt keinen Grund, weshalb wir beide uns nicht ein bißchen amüsieren sollten. Ich wollte lediglich verdeutlichen, daß ich an keiner dauerhaften Beziehung interessiert bin. Solange dir das klar ist..." "Wärst du bereit, dich von mir verführen zu lassen." Janey sah ihn wütend an. "Erinnerst du dich, was ich über die Größe deines Ego gesagt habe, Webb? Ich nehme alles zurück - es reicht nicht nur für zwei, sondern für eine ganze Hundertschaft." Ihre Stimme hatte einen scharfen Unterton angenommen; Maddy
regte sich und begann zu weinen. Janey legte den Block beiseite und schloß das Baby in die Arme. "Ist ja gut", flüsterte sie. Maddy entspannte sich wieder und schmiegte das Gesicht an Janeys Brust. "Ach, komm schon, Janey. Wenn dieser Kuß keine Einladung war..." "Ich habe dich nicht geküßt!" "So unerfahren bin ich nun auch wieder nicht", versicherte Webb fröhlich. "Ich erkenne einen Kuß, wenn ..." "Ich habe dir etwas gezeigt." "Oh ja, das hast du", bestätigte er. "Begreif endlich, daß ich an dir persönlich nicht interessiert bin. Du meinst, du willst nichts Dauerhaftes - der bloße Gedanke läßt mich schaudern. Ehrlich gesagt, die Vorstellung, dich zu verführen, läßt mich schaudern! Ich will nur das Geld, das du mir versprochen hast, okay? Hast du mich verstanden?" Er fragte sich, ob sie tatsächlich glaubte, nicht an ihm interessiert zu sein, denn der leidenschaftliche Kuß hatte etwas ganz anderes verraten. Es sei denn, sie küßte jeden Mann, den sie kannte, mit der gleichen Hingabe. Sie machte es nämlich verdammt gut. "Wie wäre es mit einer kleinen Wette?" "Einer Wette?" wiederholte sie mißtrauisch. "Daß es nicht der letzte aufreizende Kuß war, den du mir gegeben hast?" Sie erwiderte nichts darauf, doch das hatte er auch nicht erwartet. Seelenruhig verließ er die Couch und legte sich bäuchlings auf den Teppich, um das Footballspiel zu verfolgen. Erst kurz vor der Halbzeitpause bemerkte er, daß Janey auffallend still geworden war. Schon seit geraumer Zeit hatte sie nicht mehr mit den Papieren geraschelt. Er mußte sie nicht sehen oder hören, um zu wissen, daß sie da war, denn der schwache Duft ihres Parfüms hing in der Luft. Oder haftete es seit jenem unglaublich sinnlichen Kuß an seiner Haut? Wie auch immer, der Geruch von Veilchen beflügelte seine Fantasie. Webb wandte sich um. Janey war in einer höchst unbequemen Position zusammengesunken. Sie hatte die Augen geschlossen, ein Bein hing von der Couch, und Maddy lag tief schlummernd, ausgestreckt auf ihr. Obwohl sie selbst fest schlief, hielt Janey das Kind sicher umfangen. Wenn sie noch länger in dieser Haltung bleibt, wird sie nachher völlig verspannt sein, überlegte Webb. Er zog behutsam das Buch unter Maddys Füßen, hervor und legte es auf den Tisch. Der Block war schon schwieriger zu entfernen, er klemmte unter Janeys Ellbogen. Als Webb danach griff, bewegte sie sich und seufzte leise. Er wartete einen Moment, bevor er versuchen konnte, sie in eine etwas bequemere Lage zu drehen.
Ihre Lider flatterten, als er Janey berührte, und er schaute in ihre Augen. Das dunkle Grün mit braunen Pünktchen erinnerte ihn an tiefe Waldseen - ruhig und dennoch voller Geheimnisse. Sie streckte die Hände nach seinem Gesicht aus, doch mitten in der Bewegung schien die Kraft sie zu verlassen, und sie ließ die Arme sinken. Das erste völlig natürliche Lächeln, das er je bei ihr gesehen hatte, umspielte ihre Lippen. Zum ersten Mal versuchte sie nicht, Camilla zu beeindrucken oder ihn zu verspotten. Sie lächelte einfach. Und trotzdem war es nicht einfach nur ein Lächeln. Es war teils unschuldig, teils verführerisch - und überaus verlockend. Sanft schob er ihr das Haar aus der Stirn und beugte sich weiter zu ihr herab, bis sein Atem ihre Wange streifte und sein Mund nur noch Millimeter von ihrem entfernt war. In der Halle schrillte laut das Telefon. Janey schlug die Augen auf. Webb war nicht sicher, ob er sich über die unvermittelte Störung ärgern oder über Janeys entsetzte Miene amüsieren sollte. Vorsichtshalber richtete er sich rasch auf, als sie erneut die Hand hob, denn diesmal würde sie ihn bestimmt nicht streicheln wollen. Ehrlicherweise mußte er zugeben, daß er die Ohrfeige verdient hätte. Einer schlafenden Frau - und ausgerechnet Janey - einen Kuß stehlen zu wollen ... Was war nur in ihn gefahren? Hatte er nichts Besseres zu tun? Sie hatte geträumt, das wußte Janey - allerdings hatte sie nicht geträumt, daß sein Gesicht ihrem so nahe sein würde, wenn sie die Augen öffnete. Aber hatte sie die leichte Berührung seiner Finger und die Andeutung eines Kusses auch nur geträumt? Sie vermochte nicht zu entscheiden, was schlimmer war. Falls die Fantasie ihr diese Liebkosungen nur vorgegaukelt hatte, dann war mit ihrem Unterbewußtsein definitiv etwas nicht in Ordnung, und je eher sie dieses Problem löste, desto besser. Falls sie sich die Zärtlichkeiten jedoch nicht eingebildet hatte, dann waren sie tatsächlich geschehen. Und wenn er sie geküßt hatte ... Ihre Lippen prickelten. War es eine Reaktion oder eine Warnung? Webb würde wahrscheinlich sagen, es handele sich um freudige Erwartung, dachte Janey. Sie lag ausgestreckt auf dem Rücken und wurde von Maddys Gewicht in die Polster gedrückt. Behutsam, um das Kind nicht zu stören, richtete sie sich auf. In diesem Moment kehrte Webb ins Zimmer zurück. Mühelos hob er Maddy hoch und bettete sie aufs andere Ende der Couch. Janey blickte ihn fragend an. "Schlechte Nachrichten?" "Ich bin sicher, Gran wird es nicht so sehen. Da sie das Ganze vermutlich eingefädelt hat, dürfte sie nicht sonderlich überrascht sein." Wie aufs Stichwort erschien Camilla an der Tür.
"Das war Mrs. Wilsons Schwester", sagte er, als seine Großmutter eintrat. "Sie hat mir mitgeteilt, daß Mrs. Wilson heute nicht mehr zum Dienst kommen wird. Und morgen vermutlich auch nicht." Camillas Augen funkelten. "Heißt das, sie hat gekündigt? Was für ein Glück! Ich habe die Frau nie gemocht..." "Nein, Gran." Webbs Blick suchte Janeys, und sie konnte seine Gedanken förmlich lesen. Falls Camilla diese Szene arrangiert hatte, würde sie selbst unter Folter leugnen, daß sie wußte, wovon er redete. "Ihre Schwester sagt, sie habe sich mit einem Virus infiziert und sei so krank, daß wir in den nächsten Tagen nicht mit ihr rechnen können." Camilla nickte ungerührt. "Bestimmt war der Truthahn nicht richtig durchgebraten. Ich bin überzeugt, sie ist Samstag wieder auf den Beinen." "Und woher willst du das wissen?" erkundigte Webb sich ironisch. Camilla schaute ihn treuherzig an. "Es ist nur so eine Ahnung, mein Lieber. Wenn ich es mir recht überlege, kann ich mir nicht vorstellen, daß irgendein Puter auf dieser Welt mutig genug ist, Mrs. Wilson zu vergiften. Also wird es sich eher um eine ansteckende Krankheit handeln." Sie strahlte ihn an. "Du hast natiu> lieh Recht, wir dürfen nicht riskieren, daß sie zu früh zurückkommt und Maddy gefährdet. Am besten gibst du ihr die ganze Woche frei." Im Stillen bewunderte Janey die Raffinesse, mit der die alte Dame dem Gespräch eine neue Wendung gegeben hatte. "Nein", entgegnete Webb trocken. "Das überlasse ich dir. Du solltest sie gleich anrufen und ihr diese Sorge abnehmen." Camilla zuckte mit keiner Wimper. "Morgen ist früh genug. Vielleicht wird sie ja auf wundersame Weise wieder gesund." Was Webb dachte, war unverkennbar: Sie wird nur gesund, wenn du es ihr sagst. Camilla setzte sich in einen Sessel. "Spielen Sie Bridge, Janey?" "Nein, tut mir Leid. Ich habe es nie gelernt." "Kein Problem. Zu dritt macht es ohnehin keinen Spaß. Ich dachte nur, es wäre für Sie nach all der Arbeit eine nette Abwechslung." Camilla betrachtete die auf dem Couchtisch ausgebreiteten Notizen. "Aber morgen werden Sie genug Ablenkung haben. Wir werden einkaufen gehen und unterwegs eine Kleinigkeit essen ..." Sie zögerte. "Bist du morgen sehr beschäftigt, Webb?" "Ja. Wenn ihr bummeln geht, nehme ich Maddy am besten mit ins Büro..." "Haben morgen nicht alle frei?" warf Janey verwundert ein. "Doch", bestätigte er. "Alle, außer mir. Endlich kann ich in Ruhe den ganzen Papierkram erledigen."
"Du brauchst nicht den ganzen Tag auf Maddy aufzupassen", meinte Camilla. "Nur vielleicht eine Stunde über Mittag. Ich habe einen Tisch reservieren lassen ..." "Ich bin mit einem Lieferanten zum Lunch verabredet." Lächelnd lenkte seine Großmutter ein. "Auch gut. Dann haben Janey und Maddy endlich Gelegenheit, sich besser kennen zu lernen." Sie stand auf. "Wie wäre es mit dem Dessert? Da ihr beide abgewaschen habt, werde ich euch jetzt ein bißchen bedienen." Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie hinaus. Webb setzte sich neben Janey auf die Couch. "Glaubst du wirklich, sie hat Mrs. Wilson aufgefordert, eine Krankheit vorzutäuschen?" fragte sie. "Du bist doch diejenige, die ihr Tricks unterstellt", erinnerte er sie. "Nun ja ... Vielleicht will sie sich ein Bild von meinen Qualitäten als Mutter machen. Wenn ich nur wüste, wie ich sie am wirkungsvollsten desillusioniere!" Sie betrachtete das friedlich schlummernde Kind. "Vielleicht wäre es am besten, wenn ich die Kleine völlig ignoriere. Wenn ich Camilla zeige, wie wenig mich das Baby interessiert, solange du nicht in der Nähe bist, um meine mütterlichen Tugenden zu bewundern ..." Als Webb nichts darauf erwiderte, fuhr sie fort: "Das Ganze hat übrigens auch einen Vorteil. Mrs. Wilsons Infektion macht Camillas Partypläne für Freitag zunichte." "Wieso?" "Du brauchst nur anzudeuten, daß Maddy sich vielleicht bei ihr angesteckt hat. Camilla kann es nicht riskieren, daß die Kleine ausgerechnet an diesem Abend krank wird. Schließlich ist kein Kindermädchen da, das sich um Maddy kümmert. Deine Großmutter kann diese Möglichkeit nicht von der Hand weisen, ohne zuzugeben, daß Mrs. Wilsons Virus reine Erfindung ist." Webb sah sie versonnen an. "Janey, du bist fast so durchtrieben wie Gran." "Vielen Dank. Zumindest brauchst du Sibyls Eltern nicht mehr als Ausrede vorzuschieben, um unsere angebliche Verlobung geheim zu halten. Ich bin zwar nach wie vor überzeugt, daß sie irgendwo im Südpazifik kreuzen, aber falls sie ein Funktelefon mitgenommen haben ..." "Ausgeschlossen." "Haben sie etwas gegen Handys?" "Sibyls Mutter wird seekrank. Wo immer sie auch sein mögen, jedenfalls nicht auf einem Schiff." Er lächelte. "Allmählich gerate ich doch in Versuchung herauszufinden, ob du Recht hast." Janey hoffte, er würde es lassen. Sie fand, daß sie ihr Glück bereits genug auf die Probe stellten.
Vor dem Schlafengehen hatte Camilla Janey erklärt, sie könne zu jeder beliebigen Zeit zum Frühstück erscheinen. Sie selbst, so hatte sie hinzugefügt, würde die Mahlzeit allerdings bereits um acht Uhr einnehmen. Janey hatte den Wink verstanden und betrat kurz nach acht das kleine Frühstückszimmer im hinteren Teil des Hauses, das Camilla ihr am Vorabend gezeigt hatte. Hohe Fenster, üppige Grünpflanzen, Holzdielen und ein altmodischer runder Glastisch vermittelten den Eindruck einer Gartenlaube. Für Ende November war es ein ungewöhnlich heller, freundlicher Tag. Janey schaute sich kurz um, bevor sie den Raum durchquerte und auf dem Stuhl neben Maddys Kindersitz Platz nahm. Sie streichelte den Kopf der Kleinen. "Hallo, Süße. Ich dachte immer, Haferflocken wären für den Bauch bestimmt. Bist du denn schon alt genug für eine Gesichtsmaske?" Fröhlich schlug Maddy mit dem Löffel auf die hölzerne Abstellfläche des Hochsitzes. Camilla hatte eine Tasse Kaffee und ein Notizbuch vor sich. Als Janey sich setzte, schrieb die alte Dame etwas auf und schob dann das Buch beiseite. Großzügig sah sie über Janeys ausgeblichene Jeans hinweg und wünschte ihr einen guten Morgen. Dann griff sie nach der kleinen Glocke neben ihrem Teller und läutete nach dem Butler, bevor sie ihren Enkel vorwurfsvoll anschaute. "Darf ich dich daran erinnern, daß ein Gentleman aufsteht, wenn eine Dame den Raum betritt, Webb?" "Hallo, Janey." Er erhob sich leicht, ohne jedoch den Blick von der Zeitung zu wenden. Janey zog die Brauen hoch und fragte Camilla: "Ist irgend etwas Besonderes passiert, oder benimmt er sich morgens immer so?" "Immer", warf Webb mit gesenktem Kopf ein. "Es ist nur eine schlechte Angewohnheit", erwiderte Camilla. "Ich bin überzeugt, du wirst sie ihm mühelos austreiben, Janey." Zu Janeys größter Verwunderung hatte Webbs Großmutter ihr am Vorabend das Du angeboten - vermutlich ein weiterer Trick, um zu beweisen, wie großzügig seine Verlobte im Kreis der Familie aufgenommen wurde. Eine schlechte Angewohnheit. Janey fragte sich, wann er sie sich zugelegt hatte und warum. Vielleicht war das Frühstück für ihn die Mahlzeit mit den schmerzlichsten Erinnerungen. Zu dieser frühen Stunde waren Sibyl und er wahrscheinlich völlig ungestört gewesen. Suchte er in der morgendlichen Lektüre Zuflucht, um den Verlust von Sibyl zu verdrängen? Janey war so in ihre Überlegungen vertieft, daß sie erst beim zweiten Mal auf Alberts Frage, was sie zu essen wünsche, reagierte. "Nur Toast und Kaffee. Danke, Albert."
"Wir haben viel vor", sagte Camilla mahnend. "Einkaufsbummel sind anstrengend." Janey ließ sich von Albert Kaffee einschenken. "Eigentlich brauchen wir nicht mehr einkaufen zu gehen", meinte sie. "Da wir Samstag zu Hause bleiben ..." "Wieso das denn?" unterbrach Camilla sie verwirrt. "Wenn Mrs. Wilson nicht zurück ist, können wir Maddy nicht allein lassen." "Unsinn. Glaubst du, ich hätte vergessen, wie man ein Kind badet? Ich bin zwar alt, aber keineswegs verkalkt." Camillas Lächeln wirkte fast ein wenig boshaft. "Wenn Webb den Tisch im Restaurant für einen etwas späteren Termin reservieren läßt, können wir Maddy vorher noch gemeinsam ins Bett bringen." Damit waren alle Argumente von Janey entkräftet. "Außerdem brauchst du ein Kleid für heute Abend", fügte Camilla nachdrücklich hinzu. Dies war der richtige Zeitpunkt, um Camilla einzureden, Maddy hätte sich womöglich bei Mrs. Wilson angesteckt. Allerdings konnte man angesichts dieses fröhlichen, putzmunteren Kindes schwerlich behaupten, daß es einen kränklichen Eindruck mache. Webb war offenbar zu dem gleichen Schluß gelangt, denn er zuckte nur wortlos die Schultern. "Du denkst hoffentlich daran, Sibyls Eltern zu informieren, Webb. Ich möchte nicht, daß sie es durch Dritte erfahren." Camilla riß die oberste Seite aus ihrem Notizbuch und reichte sie Janey. "Ich habe eine Liste der Sachen gemacht, die du für heute Abend unbedingt benötigst." Janey verzichtete darauf, die einzelnen Punkte zu lesen, die bloße Länge der Aufstellung genügte, um sie in Panik zu versetzen. Wovon, um alles in der Welt, sollte sie die Anschaffungen bezahlen? Webb faltete die Zeitung zusammen und stand auf. "Wie viel brauchst du, Janey?" Er zog eine Geldklammer aus der Tasche. "Sei nicht albern", wehrte Camilla ab. "Du kannst Janey vor der Hochzeit keine Kleidung kaufen, das wäre unschicklich. Wenn du ihr natürlich einen Wagen zur Verlobung schenken willst..." "Willst du damit diskret andeuten, daß ich euch heute meinen überlassen soll?" "Nein, zum Einkaufen nehme ich lieber ein Taxi." Camilla bot ihm die Wange zum Kuß. "Sollen sich ruhig andere Sorgen um einen Parkplatz machen." Er kam um den Tisch herum, befreite Maddys Stirn gerade so weit von Haferbrei, daß er einen Kuß darauf drücken konnte, dann beugte er sich über Janey. "Bleib sitzen", bat er. "Sonst lenkst du mich nur ab." Seine Stimme klang zärtlich - wegen Camilla, redete sie sich ein. Der nun unweigerlich folgende Kuß war auch nur Show. Sie beschloß, sich nicht zu rühren
und nicht darauf zu reagieren, weil sie ihm beweisen wollte, daß sie ihre Bemerkung über aufreizende Küsse ernst gemeint hatte. Er berührte mit den Lippen ihren Mund sanft, langsam und verwirrend sinnlich. Janey mußte ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ruhig zu bleiben, und das spürte Webb genau. Mit amüsiert funkelnden Augen richtete er sich auf. Gestern hatte sie behauptet, den spontanen Kuß zu bereuen, aber erst jetzt dämmerte ihr, welche Probleme sie sich durch ihren Leichtsinn eingehandelt hatte. Er konnte sie jederzeit küssen, solange er ein entsprechendes Publikum hatte, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihn gewähren zu lassen. Camilla wartete, bis Webbs Schritte verklungen waren, dann schob sie ihre Tasse beiseite. " Sobald du fertig bist und wir Madeline gesäubert haben, können wir mit der Besichtigung des Schlafzimmers beginnen. Du mußt dir langsam Gedanken darüber machen, wie du es umgestalten willst. Vielleicht schaffen wir es noch, beim Innenausstatter vorbeizuschauen, nachdem wir die Sachen für dich besorgt haben." Allmählich fragte Janey sich, warum Webb einer behaglichen Vernunftehe so ablehnend gegenüberstand. Keine Ehefrau - insbesondere dann, wenn sie keine romantischen Gefühle für ihn hegte - konnte je so besitzergreifend und dominant sein wie Camilla. Eine Stunde später näherte Janey sich zögernd der Suite des Hausherrn. Sie war hin- und hergerissen zwischen brennender Neugier und instinktiver Scheu, in Webbs Privatsphäre einzudringen. Camilla schienen derartige Skrupel fremd zu sein. Sie öffnete die Tür und betrat energisch das Zimmer. Janey blieb nichts anderes übrig, als ihr mit Maddy zu folgen. Helles Sonnenlicht strömte durch die hohen Fenster an drei Seiten des Raumes, der das gesamte Ende des Hausflügels einnahm, und fiel auf pfirsichfarbene Satinvorhänge, einen pfirsichfarbenen, flauschigen Teppich, die pfirsichfarbene Bettdecke und den pfirsichfarbenen, spitzenbesetzten Morgenmantel, der auf der pfirsichfarbenen Chaiselongue lang. Auf den ersten Blick schien alles, außer dem Kamin, pfirsichfarben zu sein - und gerüscht. In einem kleineren Zimmer hätte die Einrichtung lächerlich gewirkt, doch dieser Eindruck wurde um Haaresbreite vermieden. "Du lieber Himmel!" Mehr brachte Janey nicht heraus. Über dem Kamin hing ein Ölgemälde, das eine atemberaubend schöne Frau zeigte. Daß es sich dabei um Sibyls Bild handelte, bewiesen die großen dunklen Augen, die Maddys so ähnlich waren, und das herzförmige Gesicht, obwohl Sibyls Wangen, im Gegensatz zu den Pausbäckchen ihrer Tochter, schmal wie die eines Models waren.
Ein Porträt über dem Kamin ... Der seidene Morgenrock auf der Liege ... Dies war kein Schlafzimmer, sondern ein Schrein! Kein Wunder, daß Camilla darauf bestanden hatte, es ihr zu präsentieren. Besser hätte sie nicht verdeutlichen können, daß die praktisch denkende Janey Lichtjahre von der romantischen Sibyl entfernt war. "Wie kann jemand mit einer solchen Frau konkurrieren?" fragte Janey, ohne nachzudenken. "Ich persönlich würde vorschlagen, du versuchst es erst gar nicht", meinte Camilla. Ungläubig drehte Janey sich zu ihr um. In der Stimme der alten Dame hatte nicht der leiseste Anflug von Sarkasmus mitgeschwungen, ihr Tonfall war völlig sachlich gewesen. Camilla hatte nicht sticheln, sondern lediglich eine Tatsache feststellen wollen. Eine Tatsache, die auch Janey anerkannte. Es war zudem ein unwiderlegbarer Beweis, daß Webbs Plan funktionierte. Sie hatten es darauf angelegt, daß Camilla Janey inakzeptabel finden sollte, und das war ihnen gelungen. Warum, um alles in der Welt, empfand Janey dann Camillas Bemerkung wie eine Ohrfeige?
7. KAPITEL Janey war noch immer wie betäubt, als Camilla fortfuhr: "Ich meine natürlich, daß du ganz anders bist als sie. Vielleicht ist ja gerade dieser Kontrast einer der Gründe, weshalb Webb dich so anziehend findet." Das kam der Wahrheit gefährlich nahe. Janey zog es daher vor, das Thema zu wechseln. Beinahe auf Zehenspitzen ging sie über den weichen Teppich. Im Kamin waren Holzscheite aufgeschichtet, neben dem Rost lagen genügend Späne, um ein behagliches, romantisches Feuer zu entfachen - das, nach dem peinlich sauberen Rost zu urteilen, hier nie gebrannt hatte. Rechts und links von der Feuerstelle standen zwei riesige Schränke, deren Holz pfirsichfarben gestrichen war. "Hoffentlich sind es keine antiken Stücke." Sie ließ die Fingerspitzen über die glatte Oberfläche gleiten. Offenbar hatte sie unabsichtlich einen Schließmechanismus betätigt, denn die Tür sprang auf. Im Schrank befand sich ein Fernsehgerät, das fast genauso groß war wie der Apparat unten. "So viel zu Webbs Behauptung, es gebe keinen zweiten Fernseher im Haus", sagte Janey. "Hat er dir das erzählt?" Camilla klang interessiert. "Mag sein, daß dieses Gerät noch nicht repariert wurde", fügte sie hinzu. "Es war einmal - wie soll ich es ausdrücken - Ziel gewisser Frustrationen." Und wie lange ist das her? hätte Janey am liebsten gefragt. Aber die Sache ging sie nichts an. Zweifellos verspürte Webb von Zeit zu Zeit den Wunsch, irgend etwas zu zerschlagen. Wahrscheinlich würde sein Kummer eher wachsen, je älter Maddy wurde. Der Verlust, den er erlitten hatte, würde ihm in mancher Hinsicht noch schmerzlicher bewußt werden - nicht nur seiner selbst willen, sondern wegen seiner Tochter, die ihre Mutter nie kennen lernen würde. Janey schloß den Schrank und drehte sich um. "Das Ankleidezimmer und das Bad sind dort drüben", erklärte Camilla. "Beides ist vermutlich auch in Apricot gehalten, oder?" Erleichtert stellte Janey fest, daß die von Henry Bellows ausgewählten Armaturen und Objekte nicht ausgetauscht worden waren. Allerdings war die mächtige Wanne mit den Klauenfüßen jetzt mit einer gerüschten pfirsichfarbenen Blende verkleidet, die so frivol wirkte, daß Janey sie am liebsten zerfetzt hätte. Ansonsten gab es keine gravierenden Veränderungen - zumindest keine, die nicht rückgängig gemacht werden konnten.
Falls Webb je den Überredungskünsten seiner Großmutter erliegen und eine der jungen Schönheiten heiraten sollte, würde die neue Mrs. Copeland die Räume gewiß nach ihrem eigenen Geschmack ausstatten wollen. Andererseits würde Webb, wenn er nicht bis über beide Ohren in seine neue Frau verliebt war, die Erinnerung an Sibyl mit allen Mitteln verteidigen. Janey hätte zu gern bei diesem Streit Mäuschen gespielt. "Du hast mir einiges zum Nachdenken gegeben." "Das war meine Absicht", erwiderte Camilla. "Für den Augenblick habe ich genug gesehen." Janey ging an dem breiten Bett vorbei und bemühte sich, das gepolsterte Kopf teil aus pfirsichfarbenem Samt zu ignorieren. Sie wollte sich Webb nicht inmitten dieses Meeres aus Rüschen, Spitze und Satin vorstellen. Webb zwischen den dekorativen Kissen ... Webb lächelnd und unbeschwert... Webb und Sibyl. Du wirst nicht daran denken, ermahnte Janey sich im Stillen. Maddy langweilte sich und begann zu quengeln. "Ich bin hier", rief Janey. "Und deine Großmutter steht direkt hinter dir. Wir lassen dich nicht allein." Maddy tapste auf sie zu, und Janey nahm sie auf den Arm. Sofort lächelte die Kleine sie strahlend an. So viel zu meinem Vorsatz, sie auf Distanz zu halten und kein Interesse an ihr zu zeigen, dachte Janey resigniert. "Du hast Recht. Wir sollten nach unten gehen." Camilla schaute auf die Armbanduhr. "Das Taxi müßte gleich hier sein, und wir haben noch viel zu erledigen." Am Fuß der Treppe blieb Janey unvermittelt stehen. "Was ist mit Maddys Kindersitz? Sie braucht ihn im Auto, aber wo lassen wir ihn zwischen den Fahrten?" "Ich habe ebenso wenig vor, das Ding durch die Läden zu schleppen, wie ich mich mit den Paketen belasten will", entgegnete Camilla nachdrücklich. "Deshalb miete ich das Taxi immer für den ganzen Tag, wenn ich einen Einkaufsbummel mache." Der Tag nach Thanksgiving war traditionell der beliebteste Tag des Jahres für Einkäufe und der offizielle Beginn der Weihnachtssaison. Die Straßen und Geschäfte waren dementsprechend überfüllt, und es dauerte länger als üblich, bis sie das Stadtzentrum erreichten. Zu Janeys Erstaunen bog der Wagen in eine kleine Nebenstraße ab und hielt vor einem unauffälligen Laden, der beinahe verlassen wirkte. Im Inneren der Boutique blickte sie sich neugierig um. Die gesamte Einrichtung glich einem eleganten Salon, nur ein einzelnes Goldlamekleid, das,
dezent von einem Scheinwerfer angestrahlt, in einer Nische ausgestellt war, verriet, daß man sich in einem Modehaus befand. Möglicherweise meinte Camilla es nur gut, indem sie Janey in ihre Lieblingsgeschäfte brachte, ohne allerdings einen Gedanken an die Kosten zu verschwenden. Oder war dies nur ein weiterer Schritt, um ihr zu beweisen, daß sie nicht in Webbs Welt gehörte? Welche Motive Camilla auch dazu bewegen haben mochten, unstrittig war, daß Janey sich in diesem exklusiven Geschäft nicht einmal einen Atemzug, geschweige denn ein Kleidungsstück leisten konnte. "Ich kann die Preisschilder nicht bezahlen", flüsterte sie. "Die Sachen sind vielleicht gar nicht so teuer, wie du denkst." "Ich rede nicht von den Modellen, sondern davon, daß ich nicht einmal genug Geld habe, um eines der Etiketten zu bezahlen." Camilla lachte. Fasziniert beobachtete Janey die wundersame Wandlung, die sich mit dem Gesicht der alten Dame vollzog. "Ich kann dir zu Weihnachten schlecht Töpfe und Pfannen schenken", sagte Camilla. "Selbst wenn du sie gebrauchen könntest, hättest du nicht viel Spaß daran. Geschenke sollten ein bißchen leichtsinnig und frivol sein, findest du nicht? Warum also nicht ein Kleid? Ein hinreißendes und völlig unpraktisches Kleid." Janey betrachtete sehnsüchtig die Kreation aus Goldlame. Maddy beugte sich in ihrem Sportwagen vor, zupfte an Janeys Jacke und deutete auf das Kleid. "Schön." Janey hatte das Gefühl, als hätten sich alle gegen sie verschworen, und so fügte sie sich in ihr Schicksal. Webb und der Lieferant, mit dem er verabredet gewesen war, ergatterten den letzten freien Tisch im "Coq au Vin". In dem sonst so ruhigen Restaurant herrschte heute ungewöhnlicher Trubel. Lachen und lebhaftes Stimmengewirr erfüllten den Speisesaal. Irgendwo schrie ein Kind: "Daddy!" Webb wunderte sich, daß jemand ein Kind hierher mitbrachte. Selbst Camilla, die äußerst ungern woanders aß als im "Coq au Vin", hatte gewiß die Reservierung storniert, nachdem sie erfahren hatte, daß Maddy sie auf dem Einkaufsbummel begleiten würde. Oder? Vorsichtshalber schaute er sich um, und tatsächlich - vier Tische weiter entdeckte er seine Tochter auf einem Hochstuhl. Er hatte nicht einmal geahnt, daß das Restaurant auch auf kleine Gäste eingerichtet war. Webb seufzte. Maddy mochte zwar erst etwas über ein Jahr alt sein, aber wenn sie Aufmerksamkeit erregen wollte, konnte sie die Stimmgewalt eines Kirchenchors entwickeln. Und da sie ihn bereits erspäht hatte ...
"Tut mir Leid, Jack", sagte er. "Wenn Sie mich einen Moment entschuldigen würden. Meine Tochter hat mich entdeckt." Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte er zu Camillas Tisch. Maddy streckte die Arme nach ihm aus, ihr Blick flehte um Rettung. "Sieh mich nicht so an", befahl er lächelnd. "Ich bezweifle, daß man dich gefoltert hat, und außerdem ist der Einkaufsbummel für dich bestimmt lustiger als ein Nachmittag in meinem Büro, wo du ein Schläfchen machen müßtest." Die Kleine schien darüber nachzudenken. Jack tauchte hinter Webb auf. "Ich möchte unbedingt vorgestellt werden." Webb bemerkte, daß der Blick seines Geschäftsfreundes wie hypnotisiert auf Janey ruhte. "Meine Damen, das ist Jack Baxter. Jack, meine Großmutter Camilla Copeland. Meine Tochter Madeline. Und dies ist Janey Griff in." Er machte eine kleine Pause, bevor er hinzufügte: "Meine Verlobte." Jack zuckte zusammen. "Ihre ..." "Ich freue mich, Sie kennen zu lernen", sagte Camilla. "Webb, ich glaube, euer Kellner wartet. Wenn ihr euch nicht beeilt, vergibt er den Tisch an andere Gäste. Bist du fertig, Janey? Madeline langweilt sich." Webb hob Maddy aus dem Stuhl und reichte sie Janey. "Wie läuft es?" erkundigte er sich leise. Er fand, daß auch Janey ein bißchen benommen wirkte, wenngleich nicht ganz so stark wie Jack, der sie hingerissen anstarrte. "Ich sehe gar keine Päckchen und Tüten." "Sie hat den Taxifahrer nach Hause geschickt, um den Kofferraum zu entladen. Du hättest mich warnen sollen, daß deine Großmutter beim Einkaufen keine Kompromisse macht. Sie legt ein Tempo vor, als würde sie in direkter Linie von Dschingis Khan abstammen." Lachend küßte er sie auf die Wange. "Das kann sie in ihrem Alter nicht mehr lange durchhalten." "Soll das ein Trost sein? Wir sehen uns heute Abend - falls ich überlebe." Sie lächelte Jack kurz zu, dann eilte sie Camilla hinterher. Jacks Augen waren noch immer etwas glasig, als er Webb gegenüber Platz nahm. Webb konnte es ihm nicht verübeln. Der arme Bursche war ohne jede Vorwarnung mit Janeys hautengen Jeans konfrontiert worden. In der Fabrik war sie in dieser Aufmachung schon verwirrend genug, aber hier, in dieser eleganten Umgebung ... Jack ahnte ja nicht, daß sie keine andere Garderobe besaß, und vermutete wohl, sie sei lediglich ein wenig exzentrisch und selbstsicher genug, um ungeachtet der Konventionen zu tragen, was ihr gefiel. Verdammt, sie war wirklich sexy! Und mit seiner Tochter auf dem Arm sah sie aus wie ... Vergiß es, ermahnte Webb sich energisch, du handelst dir nur Ärger ein.
Als Webb nach Hause kam, liefen im Erdgeschoß die Vorbereitungen für Camillas Party auf Hochtouren. Im ersten Stock war es hingegen wohltuend ruhig. Die Tür zu Camillas Zimmer war ebenso geschlossen wie zu Janeys, das Kinderzimmer war still und leer. Er klopfte leise an die Tür von Janeys Zimmer. Es dauerte einen Moment, bis sie die Tür einen Spaltbreit öffnete. "Ich habe dein Klopfen fast überhört." "Ich wollte Gran nicht stören. Kann ich dich vor der Party kurz sprechen?" Schweigend sah sie ihn einen Moment lang an. "Komm herein." Nur ihre Zehen schauten unter dem Saum des voluminösen weißen Bademantels hervor, der den moralischen Ansprüchen jedes Klosters genügt hätte. Als sie von der Tür zurücktrat, erhaschte Webb einen flüchtigen Blick auf ein langes, wohlgeformtes Bein. Der Anblick war besonders reizvoll, da alles andere seiner Fantasie überlassen blieb - trug sie überhaupt etwas unter dem weiten Mantel? "Wie schade!" meinte er leise. "Endlich gelingt es mir, in dein Schlafzimmer vorzudringen, und nun fehlt die Zeit, um die Situation auszunutzen." "Mach dir keine Illusionen", warnte sie ihn, "denn ..." Ein wütender Schrei drang aus dem Bad herüber. "Ma!" "Maddy sitzt in der Wanne", erklärte Janey überflüssigerweise und eilte zu der Kleinen. Auf dem Weg ins Bad bemerkte Webb das Kleid auf dem Bett und war ein wenig enttäuscht. Es war dunkelgrün, sehr schlicht, langärmelig und hochgeschlossen, lediglich ein paar Ausschnitte an Hals und Schultern verliehen ihm einen gewissen Reiz. Unwillkürlich fragte er sich, ob Janey es ausgewählt hatte oder Camilla. "Im Kinderflügel ist doch ein Bad", sagte er. Janey rümpfte die Nase. "Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, daß die Räume praktisch steril sind? Außerdem ist es schon spät, und es war einfacher, Maddy herzubringen, als all meine Sachen hinüberzutragen. So kann ich mich wenigstens für die Party fertig machen, während sie spielt." "Lass dich von mir nicht stören." Lächelnd setzte er sich auf den Wannenrand. "Ich dachte, du wolltest sie ignorieren?" "Ich habe es versucht", verteidigte sie sich. "Mit dem gleichen Erfolg wie du heute im Restaurant." "Touche.' "Ich will damit nur sagen, daß ich nichts dafür kann, wenn sie mich mag. Sie ist jetzt hier, weil deine Großmutter völlig erschöpft war, als wir nach Hause kamen, und ansonsten jeder mit den Partyvorbereitungen beschäftigt ist." Janey griff nach dem Lidschatten. "Worüber wolltest du mit mir sprechen?"
"Ich wollte dir lediglich mitteilen, daß ich die Herringtons nicht erreichen konnte." Als sie ihn ratlos anschaute, fügte er hinzu: "Sibyls Eltern." "Ich habe es dir gesagt." "Aber ich habe bei dem Hausmädchen eine Nachricht hinterlassen." Maddy hatte genug herumgeplanscht und verlangte, aus dem Wasser geholt zu werden. Webb wickelte sie in ein Badetuch und setzte sie sich auf den Schoß. "Du hast dem Hausmädchen doch nicht alles erzählt, oder?" fragte Janey ungläubig. "Natürlich nicht. Ich habe lediglich darum gebeten, daß die Herringtons mich nach ihrer Rückkehr anrufen möchten." Er rubbelte Maddys Haar trocken. "Wo mögen die beiden nur sein?" "Das hat die Frau mir nicht verraten." Janey trug vorsichtig Lidschatten auf. "Zumindest muß Camilla mit der großen Ankündigung noch eine Weile warten." Webb stellte Maddy auf eine Kommode und nahm den Haartrockner aus der Wandhalterung. "Trotzdem hat Gran Recht - solche Geheimnisse lassen sich nicht lange bewahren. Nachdem ich dich im Restaurant einem Geschäftsfreund als meine Verlobte präsentiert habe, ist es zu spät, um den Geist wieder in die Flasche zurückzubeordern. Ich fürchte, wir müssen heute Abend mit einigen Überraschungen rechnen." Sie streckte die Hand aus. "Gib mir den Föhn, so wird das nie etwas mit Maddys Frisur." Geschickt brachte sie das Haar der Kleinen in Form. "Du hättest mich ja nicht vorzustellen brauchen. Warum hast du ihm nicht einfach gesagt, ich sei eine Freundin der Familie?" "Um dann daneben zu stehen, während er mit dir flirtet und dich um eine Verabredung bittet? Und wie hätte ich das später Gran erklären sollen?" "Glaubst du, er hätte mit mir geflirtet?" hakte sie neugierig nach. Webb wurde allmählich ärgerlich. War sie von dem ersten Zusammentreffen ebenso geblendet gewesen wie Jack? "Falls du noch immer an Jack Baxter interessiert sein solltest, nachdem das hier vorbei ist, kann ich dich gern mit ihm zusammenbringen." Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, und einen Moment lang dachte er, sie würde über ihre eigene Dummheit lachen. Die bloße Vorstellung, daß sie ausgerechnet wegen Jack Baxter den Kopf verlieren sollte ... Stattdessen erwiderte sie jedoch: "Danke, Webb, du bist ein echter Freund. Ich werde darauf zurückkommen. Willst du Maddy für die Party anziehen, oder soll ich das machen?" Als Webb später mit Maddy herunterkam, wartete Camilla bereits im Salon. Nachdem sie das neue himmelblaue, spitzenverzierte Samtkleid des Kindes hinlänglich bewundert hatte, sagte sie: "Das war ein wirklich erfolgreicher
Einkaufsbummel." "Ich persönlich bin in diesem Punkt geteilter Meinung." Webb reichte ihr ein Glas Sherry. "Wieso hast du sie dieses Kleid aussuchen lassen?" Verwundert betrachtete Camilla ihre Urenkelin. "Gefällt dir der hellblaue Samt nicht? Zugegeben, dunkle Farben stehen ihr fast noch besser, aber ..." "Ich rede von Janey." "Dabei war ich felsenfest überzeugt..." Sie blickte an ihm vorbei in die Halle hinaus. Webb wandte sich um. Ihm stockte der Atem, als er Janey die geschwungene Treppe herunterkommen sah. Vorhin, auf dem Bett, hatte das Kleid schlicht und formlos gewirkt, aber jetzt .... Der moosgrüne Samt paßte sich perfekt Janeys Figur an. Er umschmeichelte sie, ohne sie wie eine zweite Haut einzuengen. Obwohl der Rock nicht übermäßig kurz war, betonte er ihre wundervollen Beine. Und die Farbe war keineswegs so langweilig, wie Webb gedacht hatte - im Gegenteil, sie ließ Janeys Augen eher meergrün als braun schimmern. Die Ausschnitte an Hals und Schultern, die ihm vorhin so merkwürdig erschienen waren, kamen nun erst richtig zur Geltung. Sie waren zahlreicher, als er vermutet hatte. Genau genommen handelte es sich um schmale Träger, die am Hals zusammengefasst waren. Das eigentliche Dekollete war wesentlich tiefer angesetzt und enthüllte viel nackte Haut. Die langen Ärmel endeten zwar über den Handgelenken, aber sie reichten nur bis zu den Oberarmen, wo sie von einem Netzwerk aus Samtbändern gehalten wurden. Der Kontrast zwischen dem unauffälligen Schnitt des Modells und der atemberaubenden Wirklichkeit war weitaus aufreizender als ein völlig schulterfreies Kleid. Webb war froh, daß Jack Baxter sie nicht so sah. Wenn Janey ihm schon in Jeans die Sprache verschlagen hatte, so würde er bei diesem Anblick zu einem stammelnden Idioten mutieren. "Findest du es nicht attraktiv?" erkundigte Camilla sich unschuldig. Webb rang noch immer nach Atem. "Ich will nur wissen, wer es ausgesucht hat." "Madeline natürlich. Allerdings glaube ich, daß sie sich mehr für den Stoff als für den Stil interessiert hat - das Goldlamekleid schien ihr zunächst noch besser zu gefallen, doch dann hat sie sich daran gekratzt." Maddy war inzwischen in die Halle hinausgetappt. Sie stand neben Janey, die Wange an den Rock geschmiegt, während Janey ihr sacht den Kopf streichelte. In diesem Moment läutete es an der Tür, und die ersten Gäste trafen ein. Webb sah, wie Janey die Schultern straffte, während Albert das Foyer durchquerte, um zu öffnen.
"Keine Angst", raunte Webb ihr zu. "Alle werden viel zu beschäftigt damit sein, das Kleid anzustarren, als auch nur einen Gedanken an die Trägerin zu verschwenden." "Deshalb hat es Camilla wahrscheinlich ausgesucht", flüsterte sie, und gleich darauf wurden sie von Gästen umringt. Erst eine Stunde später fand sich eine Gelegenheit zu einem privaten Wort. Webb begutachtete gerade eine Platte mit Horsd'oeuvres, als Janey zu ihm trat. "Offenbar wissen alle Bescheid", sagte sie. "Aber obwohl jeder den Ring anstarrt, macht niemand eine Bemerkung. Camilla hat sie wohl zum Schweigen verpflichtet." "Was immer sie getan hat, es wird nicht lange geheim bleiben. Hat Gran tatsächlich dieses Kleid ausgesucht?" "Glaubst du etwa, es wäre meine Idee gewesen? Es war später Nachmittag, und ich war todmüde. Maddy hatte aufgegeben und war in ihrem Sportwagen eingeschlafen, nur deine Großmutter war noch putzmunter. Ich war zu erschöpft, um mit ihr zu streiten." Janey nahm sich ein mit Krebsfleisch gefülltes Pastetchen. "Wie viele der anwesenden Frauen sind alte Flammen von dir, Webb?" "Weniger, als du denkst." "Sag schon, wie viele deiner Freundinnen hier sind, und ich sage dir, wer sie sind," Herausfordernd schaute sie ihn an. "Ich wette, das schaffst du nicht. Es sind übrigens drei." "Nur drei? Ich hatte mit mindestens sechs gerechnet - nach einem Tag mit Camilla weiß ich, daß sie zu Übertreibungen neigt." Versonnen spießte sie ein Fleischbällchen auf. "Die Blondine mit dem Martiniglas und die zierliche junge Dame mit dem kurzen Haar und den Grübchen. Sie tuscheln gerade in der Halle über uns." Er drehte sich leicht um und nickte. "Nicht schlecht." "Das war nicht schwer. Und was die dritte betrifft ..." Janey ließ den Blick noch einmal über die Gästeschar schweifen. "Die stattliche Brünette, die mit dem Offizierstyp flirtet." Webb war wider Willen beeindruckt. "Du hättest die Wette annehmen sollen." "Das wäre dir gegenüber nicht fair gewesen. Sie haben sich verraten, indem sie zuerst neiderfüllt auf den Diamantring blickten und mich dann giftig anstarrten. Bist du sicher, daß es nur drei sind?" Er verschluckte sich beinahe an einem Eiswürfel. "Was soll das? Wenn ich nicht weiß, wie viele ..." "Ich hätte auch noch auf die Rothaarige gesetzt, die Camilla an den Bridgetisch gelockt hat. Sie hat mich genauso angesehen." "Ach, die ... Sie war keine richtige Freundin von mir." "Nicht?" Sie lächelte. "Das dachte ich mir."
Als sie sich zum Gehen wandte, hielt er sie zurück. "Wohin willst du?" "Ich will hören, was sie über dich und mich zu sagen haben. Camilla wäre bestimmt sehr enttäuscht, wenn ich nicht die Gelegenheit nutzen würde herauszufinden, wie man sich über unsere Verlobung die Mäuler zerreißt." Hinter ihnen räusperte sich der Butler. "Verzeihen Sie die Störung, Sir. Mr. Herrington ist am Telefon und wünscht Sie in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen." Janey wurde wieder ernst. Webb stellte den Teller beiseite und folgte Albert. Webb blieb lange fort, und Janey wurde mit jeder Minute nervöser. Camilla stellte Bridgerunden zusammen, und während die Spieler sich auf die Karten konzentrieren, hörte Janey zwei amüsante Anekdoten über Webb sowie einige recht boshafte Kommentare über sich selbst von seinen ehemaligen Freundinnen. Maddy war frustriert, weil es ihr nicht gelingen wollte, einen eckigen Stein durch das runde Loch in ihrem Baukasten zu schieben. Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf und begann zu schreien. Froh über diese Ausrede, nahm Janey die Kleine und zog sich mit ihr in die Bibliothek zurück, wo sie es sich vor dem Feuer gemütlich machten. Von ihrem Platz aus hatte sie einen guten Blick auf die Halle und die Party, würde selbst aber wegen der schwachen Beleuchtung im Raum von den Gästen kaum gesehen werden. Sie beobachtete, wie Webb zurückkehrte und sich zu seinen Freunden gesellte. Bildete sie es sich nur ein, oder klang sein Lachen tatsächlich ein wenig gekünstelt? Irgendwann endete die Bridgepartie, und die Gäste verabschiedeten sich. Nachdem der letzte Besucher gegangen war, nahm Camilla Janey das schlafende Kind ab, um es hinaufzubringen. "Ich gehe ebenfalls schlafen", verkündete sie. "Wir können uns morgen beim Frühstück über die Party unterhalten." Janey streckte die Arme aus und lockerte die verspannten Muskeln. Webb beobachtete sie mit sonderbarer Miene. Sie schaute sich um und bemerkte, daß sie allein waren - nur Albert räumte noch Gläser und Teller zusammen. Kurzerhand ergriff sie ein paar leere Weingläser und stellte sie auf ein Tablett. Der Butler erbleichte. Webb lächelte. "Du machst Albert schon wieder nervös", sagte er. "Er verkraftet es nicht, wenn man sein System durcheinander bringt." "Tut mir Leid, Albert. Ich dachte nur, Sie wären schneller fertig, wenn wir alle mit anpacken würden." "Wie Sie wünschen, Miss." Albert klang keineswegs überzeugt. Webb stand auf. "Ich glaube, die Situation verlangt nach einer Vermittlung. Janey,. Albert wäre es lieber, wenn du dich nicht in seinen Job einmischen würdest. Albert, Miss Griffin meint, daß Sie die restliche Arbeit morgen früh
erledigen sollten. Also machen wir für heute Schluß. Janey, ich begleite dich nach oben." Oben angekommen, drehte sie sich zu Webb um. "Was ist passiert? Was hat er gesagt?" "Roger Herrington? Nun, im Großen und Ganzen hat er so reagiert, wie du prophezeit hast." Janey war fast so frustriert wie Maddy wegen des widerspenstigen Bausteins. Warum konnte Webb sich nicht klarer äußern? Andererseits ging sie Roger Herringtons Antwort nichts an. Das war eine Sache zwischen den beiden Männern, die Sibyl geliebt hatten. Wäre die Verlobung echt gewesen, hätte sie jedes Recht gehabt zu erfahren, wie die Neuigkeit aufgenommen worden war. Aber so ... Janey erschrak. Hatte sie jeglichen Bezug zur Wirklichkeit verloren und sich zu sehr mit ihrer Rolle identifiziert? Hatte sie vergessen, daß sie nichts weiter war als eine Schauspielerin, die man für diesen Job engagiert hatte? Vor ihrem Schlafzimmer blieb sie stehen. "Ich bin müder, als ich dachte, Webb. Vielleicht sollten wir lieber morgen darüber reden." Es hatte keinen Sinn, ihn weiter zu drängen. Die Aussprache würde natürlich nicht stattfinden. Statt einer Antwort strich er sanft über die Samtbänder auf ihren Schultern. Dann ließ er die Finger unter die schmalen Bänder gleiten, streichelte ihre Haut, bis er ihre Kehle erreichte. Janey lehnte sich an die Tür und bemühte sich, nicht vor ihm zurückzuweichen, bemühte sich, ihm nicht zu zeigen, wie sehr diese leichte Berührung sie aufwühlte. "Alle Männer haben das heute Abend tun wollen." Seine Stimme klang rau, seine Augen waren dunkel. "Keiner hat es versucht", erwiderte sie. Er lächelte. "Bist jetzt." Sie erwartete, daß er sie an sich ziehen würde, um den intimen Körperkontakt wiederherzustellen, der ihren spontanen Kuß zu einem so unvergeßlichen Erlebnis gemacht hatte. Aber Webb tat nichts dergleichen. Er beugte sich nur vor, stützte eine Hand oberhalb ihrer Schulter gegen den Türrahmen und nahm ihr so jeglichen Bewegungsspielraum, während er mit dem Finger die Konturen jedes einzelnen Trägers nachzeichnete, die ihr Kleid zusammenhielten. Unwillkürlich fragte sie sich, wie viele Bänder es wohl geben mochte und wie lange sie diese süße Folter noch ertragen würde. Nicht genug damit, daß sie jede federleichte Berührung überdeutlich spürte, nein, ihre Haut schien zudem vor Erwartung zu prickeln. Er senkte den Kopf und ergriff von ihrem Mund Besitz - behutsam und zärtlich, bis ihre verräterisch bebenden Lippen sich teilten. Das war die
Aufforderung, auf die er offenbar gewartet hatte. Er küßte sie voller Verlangen. Es war der Kuß eines erfahrenen Liebhabers, leidenschaftlich und fordernd. Als Webb sich von Janey löste, zitterten ihr die Knie, doch um keinen Preis der Welt wollte sie ihm zeigen, wie überwältigt sie war. "Warum hast du das getan? Wir sind allein, es ist niemand hier, den du beeindrucken müßtest." "Ich habe dich geküßt, weil ich es wollte. Und du hast den Kuß aus dem gleichen Grund erwidert." Er trat ein wenig näher. "Ich nehme an, du willst mich nicht hereinbitten, oder?" "Niemals." "Dann muß ich es weiter probieren", meinte er und zuckte die Schultern. Janey floh förmlich in ihr Zimmer. Aufatmend lehnte sie sich gegen die Wand, nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Sie wußte, daß es verrückt war, einen Mann zu begehren, der seine tote Frau noch immer liebte. Ihr war klar, daß Liebe und Sex nicht das Gleiche waren; was Webb für sie empfand, wurde höflich als "Verlangen" umschrieben - und weniger höflich als "Lust". Er würde bedenkenlos mit ihr schlafen und sich dann ohne Reue von ihr trennen, sobald seine Neugierde und sein Interesse an ihr befriedigt waren. Aber wenn sie ihn weiterhin zurückwies, würde er auch das akzeptieren genauso gelassen und ruhig wie heute Abend. Er würde ihre Gesellschaft genießen, doch er würde sich nicht vor Sehnsucht nach ihr verzehren, denn es war für ihn bedeutungslos, ob sie mit ihm schlief oder nicht. Sie war für ihn bedeutungslos. Er sollte für sie auch bedeutungslos sein. Warum, um alles in der Welt, verspürte sie dann den beinahe überwältigenden Drang, die Tür aufzureißen, ihn zurückzurufen und sich in seine Arme zu werfen?
8. KAPITEL Webb saß bereits am Frühstückstisch, als Janey am Samstagmorgen herunterkam. Er hielt Maddy auf dem Schoß und war halb hinter der Zeitung verborgen. Camillas Platz war bis auf eine benutzte Tasse leer, die alte Dame selbst war nirgendwo zu sehen. Mit leuchtenden Augen schob Maddy die Zeitung beiseite und strampelte so lange, bis sie mit ausgestreckten Ärmchen auf Webbs Oberschenkel stand. Janey überlegte. Es war lächerlich, das Kind nicht aufnehmen zu wollen, nur weil sie sich Webb dann hätte nähern müssen. Eines war sicher: Er würde sie nicht packen, um den leidenschaftlichen Kuß vom Vorabend zu wiederholen. Vielleicht zögerst du deshalb, flüsterte eine innere Stimme ihr zu. Obwohl du weißt, daß er es nicht tun wird, sehnst du dich danach. Unabsichtlich streifte sie seinen Pullover, als sie das Baby hochhob. "Guten Morgen. Ich hoffe, du hast gut geschlafen." Nur mit Mühe gelang es ihr, ruhig zu sprechen. Anscheinend hatte er tatsächlich gut geschlafen. Er sah genauso munter aus wie Maddy. Die Zurückweisung hatte ihm offenbar keinen Kummer bereitet warum auch. Und Janey hatte auch keinen Grund, gekränkt zu sein. Zugegeben, in der vergangenen Nacht hatten ihre Hormone verrückt gespielt, aber das war nichts, dessen sie sich hätte schämen müssen. Der Mann konnte mit seinen Küssen eine Marmorstatue zum Leben erwecken, welche Frau aus Fleisch und Blut würde bei seinen Zärtlichkeiten nicht dahinschmelzen? Wichtig war allein, daß sie in Zukunft noch vorsichtiger war und nicht die Beherrschung verlor. Gestern Abend war sie zu müde gewesen, um einen klaren Gedanken zu fassen, und außerdem hatte sie den verhängnisvollen Irrtum begangen, sich einzubilden, Webb würde ohne Publikum auf die Show verzichten. Inzwischen wußte sie es besser ... Maddy strampelte, bis sie auf Janeys Arm eine bequeme Position gefunden hatte. Webb faltete die Zeitung zusammen. "Leider habe ich nicht so gut geschlafen, wie es möglich gewesen wäre." Um der stillen Botschaft, daß er besser geruht hätte, wenn Janey bei ihm geblieben wäre, Nachdruck zu verleihen, betrachtete er sie voller Verlangen. In diesem Moment kam Camilla herein. Sie trug ein hellgrünes Kostüm und war perfekt frisiert. "Welche Pläne habt ihr beide für heute?"
Webb ließ sich von Albert Kaffee nachschenken. "Falls Janey nichts dagegen hat, könnten wir mit Maddy die Wale und Delphine im Shedd-Aquarium besuchen." "Ich muß noch für eine Zwischenprüfung am Montag lernen", protestierte Janey. "Nur für den Vormittag", schränkte Webb ein. "Du hast den ganzen Nachmittag zum Lernen und kannst vor dem Dinner sogar noch ein Nickerchen machen." Ohne Janeys Antwort abzuwarten, fuhr er fort: "Ich nehme an, du willst uns nicht begleiten, Gran?" "Es würde mir nicht im Traum einfallen, das fünfte Rad am Wagen zu spielen", beteuerte Camilla spöttisch. "Falls du allerdings hoffst, Roger Herrington dort zu begegnen, muß ich dir sagen, daß er meines Wissens nicht mehr im Vorstand des Aquariums ist." Janey biss sich auf die Zunge. Hatte er seiner Großmutter noch nichts von dem Gespräch mit Sibyls Vater berichtet? Als sie schließlich im Wagen saßen, konnte sie ihre Neugier nicht länger bezähmen. "Hast du ihr nichts von dem Anruf gestern Abend erzählt?" "Doch, gleich heute früh." "War sie nicht verärgert, daß du so lange gewartet hast?" "Nein, nicht nachdem ich seine Worte wiederholt hatte." "Oh. War es so schlimm?" "Er war nicht gerade begeistert." Sie räusperte sich. "Das ist eigentlich eine gute Nachricht. Ich meine, wenn Sibyls Vater bei der Nachricht von deiner Verlobung quasi durch die Decke geht und du dir daraufhin die Sache noch einmal überlegst, muß Camilla denken ..." Sie schüttelte den Kopf. "Allmählich wird es wirklich kompliziert." "Da hast du Recht. Du glaubst also immer noch, Gran hält dich für ungeeignet..." "Du hättest nicht den geringsten Zweifel mehr, wenn du ..." Sie verstummte, weil sie nicht zugeben wollte, daß sie in seinen Räumen gewesen war. "Wenn du gehört hättest, was sie mir gestern erzählt hat", improvisierte sie rasch. "Ich habe sie schon viel erzählen hören, und das meiste hat sich widersprochen. Meiner Meinung nach sollten wir den Plan vereinfachen." "Inwiefern?" "Brich mir das Herz." Fassungslos schaute sie ihn an. "Abgesehen davon, daß es völlig unmöglich ist, wüßte ich nicht, wie uns das helfen sollte." "Du sollst es mir natürlich nicht wirklich brechen. Aber wenn wir unsere Beziehung ein bißchen ausbauen würden und eine stürmische, leidenschaftliche Affäre hätten ..."
"Ich hätte mir denken können, in welche Richtung dein Vorschlag zielt." "Und wenn du mich dann sitzen läßt..." "Selbstverständlich auf deine Anweisung hin. Und das wird erst passieren, wenn du genug von mir hast." Sie war stolz darauf, daß ihre Stimme so ruhig klang, obwohl ihr Herz wie wild klopfte. "Nachdem wir all diesen Ärger auf uns genommen haben, können wir ruhig ein wenig Spaß dabei haben", erklärte Webb. "Wenn alles vorbei ist, werde ich mein gebrochenes Herz pflegen, und Gran muß mich in Frieden lassen." Janey schüttelte den Kopf. "Im Gegenteil, sie wird mit allen Mitteln versuchen, dich abzulenken. Und dann..." Sie beugte sich vor. "Das ist das bizarrste ..." "Ich würde es nicht als bizarr bezeichnen", entgegnete er. "Mir erscheint die Idee recht vernünftig. Außerdem brauchen wir keine neuen Regeln festzulegen." "Was für Regeln? Oh, ich habe nicht von deinem lächerlichen Plan gesprochen. Ich meinte dieses Haus." Sie deutete auf ein Anwesen, das von einem hohen schmiedeeisernen Gitter umgeben war. "Ich habe noch nie einen gotischen Salzstreuer gesehen." "Das ist gar nichts im Vergleich mit anderen Gebäuden in der Nachbarschaft. Wenn du möchtest, kann ich dir ein paar echte Gruselkabinette zeigen. Wie wäre es mit einem kleinen Spaziergang um den Block?" Janey war hin und her gerissen. "Und der Abstecher ins Aquarium?" "Fällt aus. Da Gran das Meeresleben nur dann interessant findet, wenn es auf dem Promenadendeck eines Luxusdampfers stattfindet..." "Hast du diesen Ausflug vorgeschlagen, weil du wußtest, sie würde nicht mitkommen", folgerte Janey. "Stimmt." Sie beobachtete ihn, während er Maddys Sportwagen aus dem Kofferraum holte und auseinander faltete. Er war ein gut aussehender Mann, .und sie konnte verstehen, weshalb Frauen fasziniert von ihm waren. "Ich habe dich nie gefragt, auf welchem Gebiet du später als Architektin arbeiten willst." "Berufsanfänger können nicht wählerisch sein. Wenn ich ein Angebot von einer Industriedesignfirma bekomme, werde ich Fabriken konstruieren." Sie paßte sich seinen Schritten an. "Handelt es sich um ein Wirtschaftsunternehmen, plane ich eben Einkaufszentren. Nur Parkhäuser möchte ich lieber nicht planen." "Und Wohnhäuser ziehst du gar nicht in Betracht? Dabei scheinen dir die am meisten am Herzen zu liegen." Mißtrauisch schaute sie ihn an. Der verständnisvolle Unterton in seiner Stimme machte sie stutzig. "Diese Branche ist besonders hart umkämpft. Nur noch wenige Bauherren engagieren einen Architekten für ihr Eigenheim. Die meisten entscheiden sich aus Kostengründen für ein Fertighaus. Man braucht schon viel
Glück, wenn man gleich nach dem College in einem solchen Konstruktionsbüro einsteigen will." Sie blieben vor einem Haus stehen, das einer mittelalterlichen Burg nachempfunden war. "Ich wäre natürlich durchaus imstande, dort zu arbeiten, aber ..." "Aber du möchtest ein Projekt durch alle Phasen begleiten und das fertige Ergebnis sehen", beendete er den Satz für sie. Zum zweiten Mal hatte er nun ihre Gedanken erraten. Janey wurde allmählich nervös. Das Gespräch hatte eine zu persönliche Richtung eingeschlagen. Sie wollte ihm nicht so viel über sich verraten. "Am liebsten wäre ich so gefragt, daß ich es mir leisten könnte, einen Klienten abzulehnen, wenn er nicht die richtige Einstellung zum Bauen hat", räumte sie halb scherzhaft ein. "Leider dürfte es noch Jahre dauern, bis ich so weit bin, und bis dahin muß ich von irgend etwas leben. Ganz zu schweigen von den Schulden, die ich zurückzahlen muß." Er nickte versonnen. "Du steckst also in einer echten Zwickmühle. Einerseits könntest du weiterarbeiten, damit du nicht so viel Geld borgen mußt, aber dann kannst du dich nicht auf das Studium konzentrieren und wirst am Ende vielleicht keine so guten Noten bekommen, um deinen Traumjob zu ergattern. Wenn du dir andererseits Geld leihst, könntest du in Ruhe lernen und..." Janey nickte. "Ich muß jeden Job annehmen, den man mir anbietet. Allerdings ist das für mich eher eine Herausforderung als ein Nachteil." "Vielleicht lasse ich dich deine Schulden abarbeiten", sagte Webb. "Und wie? Soll ich ein neues Haus für dich entwerfen? Du würdest Bellows Meisterwerk doch nie verlassen, oder?" "Nein. Zeigst du mir deine Arbeiten?" "Du willst meine Skizzen sehen?" fragte sie ungläubig. "Ist das so abwegig? Wenn sie mir gefallen, bekommst du den Auftrag, eine neue Fabrik für mich zu bauen, und ich erlasse dir dafür deine Schulden." "Das wäre mal was Neues", meinte Janey trocken. "Erst läßt du den Architekten am Fließband stehen, und dann soll er ein ganzes Werk bauen." Sonderbar, wie weit der Maschinenlärm, der Ölgeruch und die Sticheleien der Kollegen auf einmal entfernt schienen. Janey fühlte sich wie Aschenputtel, das für ein paar Tage der Plackerei entronnen war. Sie beobachtete Webb, der hingebungsvoll mit seiner Tochter spielte. So glücklich und entspannt hatte sie ihn noch nie erlebt. Alles ist so, wie es sein soll, sagte sie sich energisch. Er hat die Komödie nur Maddy zuliebe arrangiert, und in ein oder zwei Wochen würde er sein Ziel erreicht haben. Dann wäre er frei von allen Zwängen - frei, um seine Tochter zu lieben. Janey freute sich für ihn. Aufrichtig.
Gegen Mittag kehrten sie in einem Hamburgerrestaurant ein, und als sie die Mahlzeit beendet hatten, schwebten die ersten Schneeflocken vom Himmel. Maddy fiel vor Aufregung fast aus dem Kinderwagen, weil sie versuchte, die weiße Pracht zu fangen. Fröhlich plaudernd kehrten sie zum Wagen zurück und fuhren nach Hause. Der Spaziergang an frischer Luft forderte seinen Tribut. Nachdem Janey sich zum Lernen zurückgezogen hatte, setzte Webb sich mit Maddy in einen Sessel und wiegte sie in den Schlaf. Am Ende döste er selbst ein. Als er aufwachte, schlummerte Maddy noch immer. In der Bibliothek war es bis auf das flackernde Kaminfeuer dunkel. Von seinem Platz aus konnte er den Salon sehen, wo seine Großmutter wieder einmal mit Stricken beschäftigt war. Auf dem Teppich zu ihren Füßen saß Janey. Sie schien zu spüren, daß er wach war, denn sie stand auf und durchquerte die Halle. Obwohl sie, ihren eigenen Worten zufolge, nie Ballettunterricht genommen hatte, bewegte sie sich anmutig wie eine Tänzerin. An der Tür blieb sie stehen. "Ich habe vorhin nachgeschaut, ob du irgend etwas brauchst, aber offenbar hattest du alles unter Kontrolle." Hinter ihr räusperte sich der Butler. "Verzeihen Sie, Sir. Mrs. Wilson läßt Ihnen ausrichten, daß sie zurück ist und ihren Dienst wieder antritt." Webb blickte zu Camilla hinüber, die ungerührt die Nadeln klappern ließ. Sie war von Anfang an überzeugt, daß die Frau spätestens Samstag wiederkommt, dachte er. Sein Verdacht, daß seine Großmutter alles nur arrangiert hatte, um herauszufinden, ob Janey sich mit Maddy vertragen würde, verstärkte sich. Allerdings mußte er zugeben, daß Mrs. Wilson nicht gerade das Bild blühender Gesundheit bot. Ihr Gesicht war fast ebenso weiß wie ihre Uniform. Ihr Blick war jedoch so scharf wie immer, und als sie das schlafende Baby auf seinem Schoß entdeckte, presste sie missbilligend die Lippen zusammen. "Ich nehme Madeline jetzt mit nach oben, Sir." "Sie fühlt sich hier ganz wohl", erwiderte er ruhig. "Wenn sie aufwacht, bringe ich sie selbst hinauf." "Sie auf dem Schoß schlafen zu lassen beschwört nur Probleme herauf", verkündete sie. "Bestimmt ist sie in den letzten Tagen so verwöhnt worden, daß es Wochen dauern wird, bis der Schaden behoben ist." Janey, die bislang völlig still neben der Tür gestanden hatte, trat einen Schritt vor. "Vielleicht sollte man den Schaden gar nicht beheben. Vielleicht verträgt Maddy es sogar recht gut, ein bißchen verwöhnt zu werden - zumal Sie offenbar glauben, daß es an Verhätscheln grenzt, wenn man einem Kind ganz normale Aufmerksamkeit schenkt." Sie sah Mrs. Wilson sekundenlang kühl an, bevor sie die Bibliothek verließ.
Webb genoß das verblüffte Gesicht des Kindermädchens. Hätte Maddy plötzlich eine Opernarie gesungen, hätte die Frau nicht fassungsloser sein können. Von dem Restaurant, in das Webb Janey am Abend führte, hatte sie noch nie etwas gehört. Es war offenbar das Beste vom Besten. Es befand sich in einem alten Stadthaus und vermittelte die Atmosphäre eines privaten Heims. Der Oberkellner geleitete sie in einen der hinteren Räume, in dem nur vier Tische standen - und alle waren noch frei. Webb rückte ihr den Stuhl zurecht. "Ein Privatsalon?" fragte sie verwundert. "Muß ich jetzt beeindruckt sein, weil man dich für eine so wichtige Persönlichkeit hält, oder will mich der Empfangschef nur von den anderen Gästen fern halten?" "Weder noch", erwiderte Webb. "Die anderen Tische sind reserviert." Janey streifte Camillas Nerzjacke von den Schultern und drapierte sie über die Stuhllehne. Sie hatte sich das teure Stück eigentlich nicht borgen wollen, aber Camilla war unerbittlich gewesen. Du bist Aschenputtel, sagte sie sich. Und Mitternacht rückt unaufhaltsam näher. Nachdem Webb dem Weinkellner seine Wünsche mitgeteilt hatte, beugte sie sich vor. "Ich möchte mich entschuldigen, daß ich mich heute Nachmittag in dein Gespräch mit Mrs. Wilson eingemischt habe. Es ging mich nichts an, und ich hätte den Mund halten sollen." "Mach dir deshalb keine Gedanken. Ich habe es genossen, ihr Gesicht zu beobachten, als du ihr erklärt hast, ich würde Maddy nicht verwöhnen." "Offen gestanden, Webb, wenn du Maddy weiterhin in deinen Armen schlafen läßt, wird sie sich zu einem kleinen Mädchen entwickeln, das gar nicht mehr in sein Bett will. Es wird dich nerven und sie aufsässig machen." Eine schmale Falte bildete sich zwischen seinen Brauen. "Warum hast du dann etwas gesagt? Wenn du mit Mrs. Wilson übereinstimmst..." "Ich habe ihre Kompetenz nie angezweifelt", versicherte sie. "Aber die überhebliche Art dieser Frau treibt mich zur Raserei." "Bist du sicher, daß du Gran nicht beeindrucken wolltest? Seit Gran bei mir eingezogen ist, herrscht zwischen ihr und Mrs. Wilson kalter Krieg - indem du ihre Partei ergreifst, sammelst du bei Gran unweigerlich Punkte." Wollte er damit andeuten, daß Mrs. Wilson ältere Rechte hatte? War sie bereits vor Camilla im Haus gewesen? Andererseits war Camilla bestimmt nicht unmittelbar nach Sibyls Tod bei ihrem Enkel eingezogen, bestimmt hatte sie ein eigenes Haus oder Apartment gehabt, das sie erst aufgeben mußte. Maddy war damals erst zwei Monate alt gewesen, und er hatte natürlich unverzüglich ein Kindermädchen gebraucht. Der Weinkellner erschien mit einer staubigen Flasche, die er geschickt entkorkte. Webb kostete und nickte zustimmend. Schweigend füllte der Keller ihre Gläser und zog sich diskret zurück.
Versonnen blickte Janey in die rubinrote Flüssigkeit. "Sehen die Herringtons Maddy häufig?" Webb antwortete nicht sofort. "Nein. Ich glaube, sie werden sich mehr für sie interessieren, wenn sie älter ist." Janey war das unbegreiflich, aber nachdem sie Sibyls Porträt gesehen hatte, wußte sie, wie sehr das Kind seiner Mutter ähnelte. Die Kleine mußte für die Herringtons eine ständige Erinnerung an den schmerzlichen Verlust darstellen. Ein Kellner servierte die Appetizer. Stirnrunzelnd betrachtete sie die üppig mit Forellenmousse verzierten Häppchen. "Stimmt etwas nicht?" erkundigte Webb sich. Da sie ihn schlecht um eine Erklärung für das sonderbare Verhalten der Herringtons bitten konnte, schüttelte sie den Kopf. "Oh nein. Ich dachte nur gerade ... Gewiß, das Restaurant ist traumhaft, aber mir hat unser Lunch besser gefallen. Wie Maddy versucht hatt von deinem Hamburger abzubeißen ..." Sie lächelte bei der Erinnerung. "Mit dieser Mousse würde sie wesentlich besser zurechtkommen." "Dann sollten wir sie das nächste Mal mitbringen. Schon allein, um das Gesicht des Empfangschefs zu sehen." Nur leider würde es kein nächstes Mal geben ... Janey atmete tief durch und beschloß, den Abend doppelt zu genießen. Beim Hauptgang fragte sie beiläufig: "Willst du wirklich eine neue Fabrik bauen?" "Ja. Selbst im Dreischichtenbetrieb können wir die Aufträge kaum bewältigen. Wieso?" "Du erwähntest vorhin ... Würdest du ernsthaft in Betracht ziehen ..." Sie verstummte verlegen. "Dir den Job zu geben?" "Oh nein", wehrte sie ab. "Ich würde nie erwarten, daß du dich schon jetzt festlegst. Aber wenn du mir eine Chance einräumen würdest, mich an der Ausschreibung zu beteiligen ..." "Ich erkenne dich kaum wieder. Ist das die gleiche Janey, die mir vor ein paar Tagen ein Vermögen abgepreßt hat?" "Du weißt genau, wofür ich das Geld brauche, und außerdem beabsichtige ich, es zurückzuzahlen." "Deshalb wundert mich, daß du plötzlich so zaghaft bist. Wenn du dich in diesem Beruf behaupten willst, mußt du Selbstvertrauen entwickeln." "Heißt das, du sagst nicht Nein?" "Natürlich nicht. Ich bin Geschäftsmann und werde auf einen kostenlosen Entwurf gewiß nicht verzichten."
Janey hob das Kinn. "Ich habe nicht gesagt, daß ich völlig ohne Honorar arbeite nur der Plan ist gratis." Es war schon spät, als sie das Restaurant verließen. Es war inzwischen gut gefüllt, und noch immer trafen neue Gäste im Foyer ein. Janey hätte wetten mögen, daß eine der Frauen Camillas Jacke auf den Penny genau taxierte. Dann betrachtete die Frau neugierig ihr Gesicht. "Was für ein Zufall, daß wir uns ausgerechnet hier treffen", bemerkte Webb spöttisch. "Marilyn, darf ich dir ..." "Nein, du darfst nicht." Trotz des kultivierten Tonfalls klang die Stimme der Frau unüberhörbar geringschätzig. "Das ist also die Person, die den Platz meiner Sibyl einnehmen soll." Webb nahm seinen Mantel von der Garderobe. "Marilyn..." Er legte die Hand auf Janeys Arm. Janey war wie betäubt. Das also war Sibyls Mutter. Nun sah sie auch die Ähnlichkeit mit dem Porträt, sie beruhte allerdings mehr auf der Gesichtsform als auf der Haarfarbe. Marilyn Herrington war dunkelblond und hatte blaue Augen. "Jack Baxter erzählte uns, daß du ihm deine Verlobte vorgestellt hast", sagte Marilyn. "Ich habe mich schon gewundert, weshalb Roger nicht sonderlich überrascht war. Eigentlich hätte ich mir denken können, daß Jack euch informiert. Das erklärt natürlich auch eure Anwesenheit hier." "Ich mußte mich mit eigenen Augen überzeugen. Wir konnten kaum fassen, was Jack berichtete. Zuerst hielten wir es für ein Missverständnis, und als er erwähnte, daß ihr heute herkommen würdet ..." Sie musterte Janey verächtlich. "Du hast eine schreckliche Wahl getroffen. Er sagte, sie sei so geschmacklos gewesen, das ,Coq au Vin' in Jeans aufzusuchen!" Webbs Blick war kalt. "Hat er euch auch erzählt, wie sie in Jeans aussieht? Fast so gut wie in diesem Kleid." "Nun, schlimmer als ihr Auftritt in Camillas Nerz kann es auch nicht sein." Marilyn Herrington verzog verächtlich die Lippen. "Wie ein kleines Mädchen, das Erwachsensein spielt, bevor es die leiseste Ahnung hat, wie man sich benimmt." Schockiert über so viel Taktlosigkeit hob Janey abwehrend die Hand. Marilyn starrte auf ihre Finger. "Ist das etwa Sibyls Ring?" "Nein", entgegnete Webb. "Wenigstens hast du noch einen Funken Anstand", stellte Marilyn sichtlich erleichtert fest, "und weißt, was du unserem Mädchen schuldig bist." Sie winkte einen großen weißhaarigen Mann herbei, der gerade das Foyer betreten hatte. "Roger, meinst du nicht, daß wir unter den gegebenen Umständen Sibyls Ring verwahren sollten, damit Madeline ihn eines Tages bekommt. So, wie die Dinge liegen..."
"Ich finde, ihr solltet euch um eure eigenen Angelegenheiten kümmern", erwiderte Webb. Roger Herrington brauste auf. "Junger Mann, ich dulde nicht, daß du..." "Und was euer Mädchen betrifft", fuhr Webb ungerührt fort, "so darf ich euch daran erinnern, daß ihr Leben vorbei ist und ich weder ihr - noch euch - den Rest von meinem schuldig bin. Wenn ihr meiner Verlobten keine Höflichkeit entgegenbringen könnt, erwarte ich, daß ihr euch fern haltet." Janey zitterte - aber nicht vor Empörung über die Beleidigungen, wie sie verwundert feststellte. Die Reaktion der Herringtons wunderte sie nicht im Mindesten. Nein, sie zitterte, weil er sie verteidigt hatte. Webb hatte ihre Partei ergriffen. Wie schön wäre es gewesen, wenn er es ernst gemeint hätte! In diesem Moment erkannte sie, daß all ihre verzweifelten Bemühungen, ihn auf Distanz zu halten, um ihr inneres Gleichgewicht zu wahren, vergeblich gewesen waren. Er hatte sie wie Aschenputtel aus der Spülküche ins Schloß geholt, und - wie Aschenputtel - hatte sie sich in ihren Märchenprinzen verliebt. Und es gab keine Möglichkeit, die Uhr zurückzudrehen.
9. KAPITEL Janey hatte auf einmal das Gefühl, statt normaler Bewegungsabläufe eine blitzschnelle Folge von Momentaufnahmen zu sehen: Zorn auf Marilyn Herringtons Gesicht, Verachtung auf dem ihres Mannes, Empörung in den Augen der anderen Gäste. Webb nahm nicht ihren Ellbogen, um sie hinauszuführen, sondern legte ihr den Arm um die Schultern, Draußen wehte ein eisiger Wind, und Janey fröstelte, während sie darauf warteten, daß Webbs Wagen gebracht wurde. Am liebsten hätte sie sich eng an Webb geschmiegt, und zwar nicht, weil ihr kalt war. "Entschuldige die Szene", bat er leise. Sie mied seinen Blick. "Sie sind noch immer in tiefer Trauer." Genau wie du, hätte sie gern hinzugefügt. Und du leidest außerdem unter Schuldgefühlen. Durch die vermeintliche Verlobung mit Janey hatte er Salz in die Wunden der Herringtons gestreut. Vielleicht hatte er erst jetzt das wahre Ausmaß ihres Kummers erkannt und deshalb so gereizt auf ihre Vorwürfe reagiert. "Du solltest ihnen die Wahrheit sagen", riet sie. "Sie werden es früh genug erfahren", erwiderte er nach kurzem Schweigen. "Für sie ist es am schlimmsten. Deine Großmutter ist mit mir zwar nicht einverstanden, aber ich reiße bei ihr keine alten Wunden auf. Die Herringtons hingegen ..." "Es liegt nicht an dir, Janey. Sie würden jede ablehnen." "Darum geht es ja, Webb. Du schuldest ihnen die Wahrheit. Sag ihnen, daß es niemanden gibt." Und es wird auch nie jemanden geben, der Sibyls Platz in seinem Leben und seinem Herzen einnehmen kann. Schon gar nicht ich, Auf der Heimfahrt wechselten sie kaum ein Wort. Genau wie Webb hing auch Janey ihren Gedanken nach. Sie hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt und stets gedacht, daß Zuneigung sich langsam und stetig entwickeln würde. Verzweifelt versuchte sie sich einzureden, daß es noch zu früh sei, von Liebe zu sprechen, und sie nur Schwärmerei für Webb empfand. Sie konnte sich unmöglich innerhalb weniger Tage verliebt haben. Sie liebte ihn nicht, sie wollte ihn nicht lieben, weil es zu aussichtslos, zu schmerzlich und zu kompliziert wäre. Tief in ihrem Herzen wußte sie jedoch, daß sie sich selbst etwas vormachte. Sie hatte sich gewundert, daß der Alltag in weite Ferne gerückt war. Daran waren weder der verhaßte Job noch die ungewohnten Annehmlichkeiten wie das Haus, das Personal und die neuen Kleider schuld, sondern einzig und allein die
Tatsache, daß sie die Tage mit Webb verbracht hatte. Er hatte den Zauber erschaffen. Mit ihm zu lachen, zu reden, Gemeinsamkeiten zu entdecken ... und ihn zu lieben. Daheim angekommen, half Webb ihr aus dem Wagen. Seine Berührung war fast unpersönlich, und obwohl er Janey zu ihrem Zimmer begleitete, nahm er nicht einmal ihre Hand. Er schien sich der fürsorglichen Geste im Restaurant, als er den Arm um sie gelegt hatte, zu schämen. Als sie die Tür öffnete, drehte sie sich nicht noch einmal zu ihm um, weil sie nicht wollte, daß er es als Einladung zu einem Kuß auffasste. Sie wollte nicht den Schmerz in seinem Blick sehen. Stattdessen wollte sie die letzte Nacht in Erinnerung behalten, als er sie geneckt - und begehrt - hatte. "Janey..." Er ließ den Finger leicht über ihren Nacken gleiten. "Du bist ein sehr nettes Mädchen." Sie nickte kurz und schlüpfte schnell in das dunkle Schlafzimmer. Das war sie also für ihn - ein sehr nettes Mädchen! Das unverbindliche Kompliment war Lichtjahre von dem entfernt, was sie von ihm wollte. Aber mehr würde sie nicht bekommen, und das durfte sie nie vergessen. Statt seinen eigenen Raum aufzusuchen, ging Webb in das große Schlafzimmer. Das Zimmer war makellos sauber, das Personal kümmerte sich offenbar genauso gewissenhaft darum wie Albert, der allabendlich einen frischen Pyjama auf das Kopfkissen des Hausherrn legte. Der Duft von Sibyls Parfüm war verflogen, selbst der spitzenbesetzte Morgenrock auf der Chaiselongue roch nicht mehr nach Shalimar. Webb trat vor den Kamin, über dem Sibyls Porträt hing. Er stützte die Arme auf den Sims und schaute zu ihr auf. Blasses Mondlicht tauchte ihr hübsches Gesicht in einen sanften Schimmer. Schöne, charmante Sibyl - so sinnlos gestorben. Sag ihnen die Wahrheit, hatte Janey ihn gedrängt. Ja, er würde den Herringtons die Wahrheit sagen. Sobald er herausgefunden hatte, wie die Wahrheit lautete. Nach dem Lunch am Sonntag machte Janey es sich in der Bibliothek gemütlich, um für den Test am nächsten Tag zu lernen, allerdings fiel es ihr schwer, sich auf den Stoff zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften ständig von statischen Berechnungen zu ihrer hoffnungslosen Liebe zu einem Mann, der seine tote Frau noch immer vergötterte, und außerdem wurde sie immer wieder von Webb gestört. Als er zum dritten Mal in die Bibliothek kam, legte Janey das Buch beiseite. "Ich wünschte, du würdest mir verraten, was dich beschäftigt. Falls du nicht
weißt, wie du mir sagen sollst, daß du mich nach Hause bringen willst, brauchst du nicht um den heißen Brei herumzureden. Das Wochenende ist fast vorbei, auf ein paar Stunden kommt es nicht mehr an." "Du willst nach Hause?" "Dort könnte ich wenigstens in Ruhe lernen", erwiderte sie vorwurfsvoll. "Entschuldige, ich wollte dich nicht unterbrechen. Das Haus wirkt wie ausgestorben, seit Maddy wieder im Kinderflügel ist." Janey begann, ihre Unterlagen einzusammeln. "Ich gehe gleich nach oben und packe meine restlichen Sachen. Danach muß ich mich nur noch von Camilla verabschieden." Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie hinaus. Sie hatte bereits am Morgen die meisten ihrer Habseligkeiten zusammengeräumt, und bei jedem Stück hatte sie das Gefühl gehabt, ihr würde das Herz brechen. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis sie die verbliebenen Kleinigkeiten verstaut und sich vergewissert hatte, daß alle Kleider, die Camilla ihr gekauft hatte, ordentlich im Schrank hingen. Nach einem letzten Blick auf das Zimmer nahm sie Reisetasche und Rucksack und ging hinaus. Auf dem Weg zurTreppe hielt sie inne. Webb würde sie nicht so schnell unten erwarten, und trotz aller guten Vorsätze mochte sie nicht aufbrechen, ohne Maddy ein letztes Mal gesehen zu haben. Also brachte sie das Gepäck zurück in ihr Zimmer und lief zum Kinderflügel. Eine letzte Umarmung von Maddy - dafür lohnte es sich, der strengen Mrs. Wilson gegenüberzutreten. Ohne anzuklopfen, öffnete sie die Tür zum Kinderzimmer, so wie sie es sich in den vergangenen Tagen angewöhnt hatte. Erst als sie Mrs. Wilsons Stimme hörte, fiel ihr ein, daß das Kindermädchen über diese Störung seiner Privatsphäre verärgert sein könnte. Im Kinderflügel befand sich nicht nur Mrs. Wilsons Arbeitsplatz, sondern auch ihr Schlafzimmer. Janey atmete erleichtert auf, als sie erkannte, das die Frau telefonierte und keinen Besuch hatte. Mrs. Wilson wandte ihr den Rücken zu und sagte sanft: "Ich bin auf dem Weg nach draußen. Seien Sie bereit." Janey klopfte an die geöffnete Tür, und die Frau drehte sich um. Für den Bruchteil einer Sekunde schien ein haßerfüllter Ausdruck über ihr Gesicht zu huschen. Janey fröstelte. "Ich hätte mir denken können, daß Sie keine Rücksicht auf das Privatleben anderer Leute nehmen", rief Mrs. Wilson. "Entschuldigen Sie", erwiderte Janey kühl. "Daran habe ich nicht gedacht." Ein kleines, in einen Schneeanzug gehülltes Wesen kam auf sie zu. "Ma!" Janey hob das Baby hoch. "Ich will mich nur von Maddy verabschieden." "Das ist kein passender Zeitpunkt. Ich habe Madeline gerade für einen Spaziergang zurechtgemacht." Mrs. Wilson griff nach dem Kind.
Janey zählte im Stillen bis zehn. "Das sehe ich. Trotzdem können Sie bestimmt ein oder zwei Minuten warten." Sie drehte dem Kindermädchen den Rücken zu und umarmte Maddy. Mrs. Wilson klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. "Sie wird zu schwitzen anfangen und eine Erkältung bekommen." Janey ignorierte die Frau. Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an und versuchte, sich auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren: Maddys sauberen Duft, die großen braunen Augen, die samtweiche Wange. Daran wollte sie sich immer erinnern. Schweren Herzens gab sie Mrs. Wilson das Kind und wandte sich mit tränenblindem Blick zum Gehen. An der Tür stolperte sie über einen großen Windelbeutel. Sie stellte ihn wieder hin und eilte hinaus, ohne Mrs. Wilson auf Wiedersehen zu sagen. Erst als sie mit ihrem Gepäck unten in der Halle stand, nahm der nagende Verdacht in ihrem Hinterkopf Gestalt an. Es war ein sehr großer Beutel gewesen - und ziemlich schwer für einen Spaziergang, zumal Mrs. Wilson Maddys Windel kaum bei Minusgraden auf einer Parkbank wechseln würde. Und warum gingen sie an einem solchen Tag überhaupt hinaus? Maddy würde es im Schneeanzug mollig warm haben, aber wollte Mrs. Wilson sich der Kälte aussetzen, nachdem sie gerade halbwegs von einer Infektion genesen war? Und dann der Blick, den sie Janey zugeworfen hatte. Es hatte nicht nur Hass darin gelegen, sondern auch Überraschung. Und Furcht. Und Schuldbewußtsein. Janey ließ ihr Gepäck auf den Marmorboden fallen. Der laute Knall lockte Albert herbei. "Ist alles in Ordnung, Miss?" "Wo ist Webb?" "Im Fernsehzimmer, glaube ich. Kann ich ..." Webb hielt sich im anderen Ende des Hauses auf und würde nicht rechtzeitig hier sein. Janey schaute zur Treppe, doch die Kinderschwester war noch nicht in Sicht. "Halten Sie Mrs. Wilson auf, Albert." Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte sie den Flur entlang und um die Ecke, bis sie den Fernsehraum erreichte. Webb stand auf, als sie hereinkam. "Ich wußte ja nicht, daß du es so eilig hast..." Janey atmete tief durch. War sie überängstlich? Welche Beweise hatte sie, um ihren Verdacht zu untermauern? Ein gut ausgebildetes Kindermädchen wollte mit seinem Schützling einen Spaziergang unternehmen ... Webb würde sie für verrückt halten! "Mrs. Wilson will mit Maddy ausgehen", platzte sie heraus.
Er zog die Brauen hoch. "Und was erwartest du jetzt von mir? Soll ich applaudieren oder in Tränen ausbrechen?" "Komm mit und sieh selbst. Irgend etwas stimmt nicht, Webb. Sie hat telefoniert, als ich ins Kinderzimmer kam, und sich mit jemandem verabredet." Sie wußte selbst, daß ihre Erklärung wirr klang. Warum sollte das Kindermädchen sich nicht mit einer Freundin treffen? Trotzdem ergriff Janey Webbs Arm und zerrte ihn zur Tür. "Bitte..." Stirnrunzelnd folgte er ihr. In der Halle krabbelte Maddy fröhlich über den Boden, während Albert sich umständlich bemühte, den Sportwagen auseinander zu klappen. Mrs. Wilson sah ihm verärgert zu. "Lassen Sie mich das machen", befahl sie. Sichtlich erleichtert richtete Albert sich auf, als Janey und Webb um die Ecke bogen. "Ich wollte nur helfen, Mrs. Wilson." "Mit Ihrer Hilfe würden wir hier nie rauskommen." Mühelos klappte sie den Buggy auseinander und beugte sich vor, um Maddy hochzunehmen. In diesem Moment entdeckte sie Webb und Janey. Der Blick, mit dem sie beide bedachte, verriet sie. Dann lächelte Mrs. Wilson entschlossen. "Sag auf Wiedersehen zu deinem Daddy, Madeline." "Sie machen einen Spaziergang?" erkundigte Webb sich harmlos. "Ich glaube, wir werden Sie begleiten. Ein bißchen Bewegung kann uns nicht schaden, oder, Janey?" "Ich ...", begann Mrs. Wilson. Es gibt keine plausible Ausrede, dachte Janey. Schließlich kann sie schlecht behaupten, das Kind würde unnötig verwöhnt, wenn sein Vater neben dem Kinderwagen läuft. "Es ist ziemlich kalt", wandte die Frau ein. "Ach was", wehrte Webb treuherzig ab. "Wir gehen doch nur einmal um den Block. Soll ich Ihnen mit dem Buggy helfen?" Mrs. Wilson presste die Lippen zusammen. "Nein, danke." "Willst du sie nicht aufhalten?" flüsterte Janey. "Und mit welcher Begründung?" Webb nahm einen Parka von der Garderobe und eilte zur Tür. Janey folgte ihm dicht auf den Fersen und prallte mit ihm zusammen, als er unvermittelt stehen blieb. "Was ist?" Sie spähte über seine Schulter und entdeckte eine luxuriöse schwarze Limousine vor dem Haus. "Das ist Roger Herringtons Cadillac", sagte Webb. Sie stöhnte. "Ein perfektes Timing für einen Höflichkeitsbesuch." "Ja, nicht wahr?" Plötzlich fügte sich ein weiteres Puzzleteil an seinen Platz. Natürlich, dachte Janey, sie hat Maddys Sachen im Windelbeutel, weil sie das Kind zu ihnen bringt!
Am Vorabend hatte Marilyn Herrington Sibyls Ring verlangt, um ihn vor Janey zu retten. Nun waren die Herringtons offenbar zu dem Schluß gelangt, daß sie auch Maddy beschützen müßten - und statt sie zu fordern, wollten sie sich die Kleine einfach nehmen. Webb erreichte den Cadillac kurz nach Mrs. Wilson. "Ein kleines Plauderstündchen, Mrs. Wilson?" Sie richtete sich kerzengerade auf. "Warum nicht? Sie sind die Großeltern des Kindes." "Ich wußte gar nicht, daß Sie einander so gut kennen." Er klopfte an die Scheibe, die langsam heruntergelassen wurde. Marilyn sah ihn wütend an. "Wie nett, daß ihr uns besucht!" Roger Herrington schaltete den Motor aus. "Wir wollen mit dir reden, mein Junge." "So?" Webb lächelte bitter. "Dann kommt herein. Sie begleiten uns, Mrs. Wilson. Wir verschieben den Spaziergang auf später. Maddys Großeltern wären bestimmt sehr enttäuscht, wenn sie ihre Enkelin verpassen würden." Janey legte die Hand auf den Kinderwagen, als Mrs. Wilson ihn an ihr vorbei ins Haus schieben wollte. Nachdem sie das Kind herausgenommen hatte, trug sie es in den Salon. Dort setzte sie sich mit Maddy in eine Ecke und begann, den Schneeanzug aufzuknöpfen. Camilla saß wie immer mit ihrem Stickzeug am Kamin. "Was für eine Überraschung", rief sie. "Eine angenehme, wie ich betonen möchte." Erfreut registrierte Janey, daß der boshafte Unterton der alten Dame nicht allein ihr vorbehalten war. "Albert, bringen Sie bitte Tee. Und vielleicht kann die Köchin auch noch einen kleinen Imbiss zubereiten." Die Herringtons nahmen auf der Couch Platz, Mrs. Wilson auf einem Stuhl neben der Tür, und Webb ließ sich - noch immer im Parka - auf der Armlehne eines Sessels nieder. Janey war es inzwischen gelungen, Maddy auszuziehen. Mit großen Augen schaute die Kleine sich um, bevor sich das Gesicht an Janeys Schulter schmiegte. Trotz des eisigen Schweigens im Raum spielte Camilla die perfekte Gastgeberin. "Welchem Umstand verdanken wir die Ehre eures Besuches?" fragte sie. "Dem unstillbaren Drang, eine Entführung zu begehen", warf Webb ein, bevor die Herringtons antworten konnten. Camilla schnalzte mit der Zunge. "Wenn du vielleicht den Mantel ablegen würdest, mein Lieber ..." "Es ist keine Entführung, wenn man ein Kind vor Schaden bewahren will", platzte Marilyn heraus.
"Das ist Definitionssache. Was ihr als Schaden bezeichnet, würde ich nicht so nennen." Webbs Stimme klang kalt. "Darum geht es ja", behauptete Marilyn. "Du willst das Umfeld unserer Enkelin zerstören und sie einer ungebildeten, unkultivierten ..." "Das reicht!" unterbrach er sie. Marilyn war jedoch noch nicht fertig. "Sieh sie doch an!" Sie deutete auf Maddy, die das Gesicht noch immer an Janeys Brust verbarg. "Das tue ich. Maddy macht einen recht zufriedenen Eindruck - bis auf die Tatsache, daß sie von dem Lärm hier verschreckt ist. Soll Janey sie dir bringen, damit du herausfinden kannst, ob sie genauso gern auf deinem Schoß sitzt?" "Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie du dieses Kind ruinierst, Webb." Roger Herringtons Stimme war tief und ruhig. "Bislang habt ihr es getan." "Wir haben bereits mit unserem Anwalt gesprochen." Roger ergriff die Hand seiner Frau. "Und er hat euer Vorgehen gebilligt?" Roger achtete nicht auf Webbs Frage. "Er erledigt alle Formalitäten, damit wir das Sorgerecht erhalten." "Wenn ihr euch dessen so sicher seid, warum dann dieser Kidnappingversuch?" "Wir wollten nicht riskieren, daß du gewarnt wirst und sie vielleicht wegbringst", erklärte Marilyn trotzig. Webb stand auf. "Das war's. Hinaus." "Nein." Janey räusperte sich. "Die Sache ist völlig außer Kontrolle geraten." Albert kam mit einem großen Silbertablett herein. "Danke", sagte Camilla freundlich. "Wie wäre es mit einer Tasse Tee? Marilyn? Roger?" Marilyn ignorierte sie. Roger schüttelte den Kopf. "Webb", begann Janey erneut, "sie handeln aus Liebe und Sorge für Maddy. Siehst du das nicht?" "Eine fehlgeleitete Art von Liebe", entgegnete er. "Natürlich. Sie wollen nicht, daß Maddy unter meinem Einfluss aufwächst. Aber sagtest du nicht, daß sie jede andere Frau genauso ablehnen würden wie mich?" "Mag sein", räumte er zögernd ein. Sie wandte sich zu Marilyn und Roger um. "Der Schmerz um Ihre Tochter ist noch groß, und Sie möchten nicht, daß eine andere Frau Sibyls Platz in Webbs Leben einnimmt." "Janey", warnte er sie. "Wage es nicht..." Sie ließ sich jedoch nicht beirren. "Er will Sibyl nicht ersetzen. Der ganze Streit ist also sinnlos und überflüssig."
"Hör auf, Janey!" "Nein. Es ist schon viel zu spät, Webb." Sie schaute Camilla fest an. "Es gibt keine Verlobung. Es hat nie eine gegeben. Nur eine Übereinkunft, so zu tun." Roger und Marilyn starrten sie an. Webb fluchte leise. Camilla lächelte wie eine Katze, die gerade den Kanarienvogel verspeist hatte. "Möchtest du Milch und Zucker in deinen Tee, Janey?" Janey schüttelte verwundert den Kopf. "Gar nichts, danke." "Aber Jack erzählte uns ..." Marilyns Stimme schwankte. "Und Webb sagte gestern Abend doch auch ... Sie tragen einen Diamantring..." "Webb wollte, daß Camilla endlich aufhört, ihn zur Ehe zu drängen. Er dachte, wenn er jemanden nach Hause bringt, der völlig unpassend ist..." Janey atmete tief durch. "Jemanden wie mich ... Er dachte, sie wäre dann so entsetzt - und erleichtert, wenn er sich wieder von mir trennt -, daß sie ihn dann in Ruhe lassen würde." Camilla hielt eine Tasse hoch und deutete damit in Webbs Richtung. Sein finsteres Stirnrunzeln war anscheinend Antwort genug, denn sie füllte die Tasse und trank den Tee selbst. "Leider hat er dabei vergessen, daß er mit seiner Handlungsweise auch anderen Menschen wehtut", fuhr Janey fort. "In Wahrheit hatte er nie vor, mich zu heiraten. Weder mich noch eine andere Frau." Sie gab Webb das Kind. Protestierend streckte Maddy die Arme nach ihr aus. "Ma!" Janey sah Webb an und bemerkte den Ärger in seinen Augen. Dann zog sie den Ring vom Finger und hielt ihm das kostbare Stück hin. Bevor er aber danach greifen konnte, schoß Maddys kleine Faust vor und schlug ihn Janey aus der Hand. Der Ring flog durch die Luft und landete neben Camillas Schaukelstuhl. "Ich muß jetzt gehen", erklärte Janey. "Du hast gesagt, was du sagen wolltest, und nun bin ich an der Reihe." Webb klang gefährlich ruhig. "Darüber zu reden ist zwar eine nette Geste, aber dies ist weder der richtige Ort noch der rechte Zeitpunkt, Webb", stellte Camilla nachdrücklich fest. Sie kann es nicht erwarten, mich loszuwerden. "Wir unterhalten uns später, Webb", versprach Janey. "Du hast jetzt anderes zu tun. Außerdem weißt du ja, wo du mich findest." Schweigend verließ sie den Salon. Auf dem Weg hinaus bemerkte sie, daß Mrs. Wilson verschwunden war. Da ihr Gepäck nicht mehr in der Halle war, mußte Janey Albert bitten, es zu holen. Sie mußte sich jedoch gedulden, bis er Marilyn Herrington in den Mantel geholfen hatte. Roger Herrington räusperte sich unbehaglich. "Miss Griffin ...? Können wir Sie irgendwohin mitnehmen?"
Janey rang sich ein Lächeln ab. "Das ist sehr freundlich, aber ich laufe lieber. Ich muß über einiges nachdenken." Er nickte verständnisvoll, und kurz darauf war das Ehepaar verschwunden. Während Albert Janeys Sachen holte, drang das leise Knarren von Camillas Schaukelstuhl aus dem Salon. "Hier ist der Ring, Webb. Du wirst ihn noch brauchen", sagte die alte Dame. Seine Antwort war nicht zu verstehen. Camilla hingegen klang völlig ruhig. "Du sitzt in der Falle, nicht wahr, mein Lieber? Solche Spielchen ..." "Miss Griffin?" Albert reichte ihr Rucksack und Tasche. "Ich möchte Ihnen sagen, daß es mir Leid tut. Das gesamte Personal bedauert, daß Sie gehen." Unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen, nickte Janey stumm. Als sich die Haustür hinter ihr schloß, warf sie einen letzten Blick zurück. Sie fühlte sich nicht mehr wie Aschenputtel, nicht einmal wie das Mädchen aus der Spülküche. Sie fühlte sich wie der Kürbis - am Boden zerstört.
10. KAPITEL Das Examen am Montagnachmittag war schwieriger, als Janey erwartet hatte. Obwohl sie den Stoff beherrschte, verließ sie am Ende den Hörsaal mit Kopfschmerzen. Draußen wartete bereits ihre Freundin Ellen. "Ich begleite dich nach Hause." Nach einem kurzen Blick auf Janeys Gesicht fügte sie hinzu: "Ich seh' schon, es war ein schwerer Test. Jetzt ist er ja vorbei, und du kannst dich entspannen." Die schlimmste Prüfung steht mir erst noch bevor, dachte Janey. Sie mußte heute an die Arbeit zurück, und das bedeutete, Webb wieder zu sehen und ihn anzuhören. Hoffentlich hatte sein Ärger sich inzwischen gelegt. Verlaß dich nicht darauf, warnte eine innere Stimme sie. "Und nun erzähl mir alles", drängte Ellen. "Du hast gesagt, du würdest es nach den Feiertagen tun." Janey erinnerte sich kaum noch an das leichtfertige Versprechen, das sie Ellen gegeben hatte, als diese den Ring bemerkt hatte. "Ich wollte es dir erzählen, falls es noch aktuell wäre", erwiderte sie ausweichend. "Meine Eltern haben dich am Samstag mit einem tollen Mann beim Dinner gesehen - das ist für mich aktuell genug." Als sie um die Ecke bogen, bemerkten sie den Lieferwagen eines Blumengeschäfts vor Janeys Haus. Während sie zu dem Kellerapartment gingen, rief ihnen der Fahrer hinterher: "Haben Sie eine Ahnung, wo ich Janey Griffin finden kann?" "Hier." Lächelnd deutete Ellen auf ihre Freundin. Der Mann stieg aus und holte einen riesigen, in Folie verpackten Strauß aus dem Wagen. Janey erschrak. Hatte Webb ihr Blumen geschickt? Wollte er sich auf diese Weise dafür entschuldigen, daß er so wütend auf ihr Geständnis reagiert hatte? War es eine Geste der Dankbarkeit, weil Camilla ihn nun hoffentlich in Ruhe lassen würde? Ein stummes Lebewohl? Oder bereute er gar, sie gestern gehen gelassen zu haben? Rasch verdrängte sie die aufkeimende Hoffnung. "Janey, nimm die Blumen", befahl Ellen. "Der arme Mann schlägt sonst noch Wurzeln." Wie in Trance gehorchte Janey. Durch die Folie erkannte sie Rosen, Levkojen und Maßliebchen, außerdem ein paar Tulpen und andere Blumen, die sie nicht identifizieren konnte. "Willst du immer noch behaupten, die Sache wäre vorbei?" beschwerte Ellen sich, als sie die kleine Wohnung betraten.
Janey legte den Strauß ab und zog den kleinen Umschlag heraus, der daran befestigt war. Die Nachricht war mit Maschine geschrieben. "Bitte verzeihen Sie uns, daß wir Sie falsch eingeschätzt haben", stand auf der Karte. "Roger und Marilyn Herrington." Der schwache Hoffnungsfunke, der trotz allem geflackert hatte, erlosch. Da Ellen ihr ungeniert über die Schulter spähte, reichte Janey ihr seufzend die Karte. "Ich muß zur Arbeit. Wenn du willst, kannst du den Strauß ins Wasser stellen." "Was können denn die Blumen dafür, daß du wütend bist?" Stimmt, dachte Janey. Obwohl die Entschuldigung nicht von der Person kam, von der sie es erwartet hatte, war es schön zu wissen, daß die Herringtons ihr vorschnelles Urteil bedauerten. Sie konnte nur hoffen, daß Webb inzwischen ebenfalls zur Vernunft gekommen war, ansonsten würde die Aussprache zwischen ihnen verdammt unangenehm werden. Punkt vier betrat Janey die Werkhalle. So schnell, wie sie sich an die Vorstellung gewöhnt hatte, nie mehr an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren, so schnell mußte sie sich nun wieder mit dem Gedanken anfreunden, den ungeliebten Job weiter auszuüben. Nach dem gestrigen Zwischenfall war es höchst unwahrscheinlich, daß Webb ihr das vereinbarte Honorar zahlen würde. Also mußte sie das Beste aus der Situation machen. Früher oder später würde das Getuschel über sie und den Boß schon verstummen. Zu ihrem größten Erstaunen schickte der Vorarbeiter sie nicht sofort ins Büro, sondern an ihre Maschine. Vielleicht hatte Webb sich ja tatsächlich beruhigt und beschlossen, die Dinge so weiterlaufen zu lassen wie bisher. Warum sollte er dann noch mit ihr reden wollen? Ihre Hoffnungen, die neue Fabrik für ihn entwerfen zu dürfen, konnte sie folglich auch begraben ... Tapfer kämpfte sie gegen die Tränen an. Erst jetzt - viel zu spät - erkannte sie, wie viel ihr an dem Auftrag gelegen hätte. Nicht aus Karrieregründen, sondern weil Webb und sie dann viel Zeit gemeinsam mit den Planungen verbracht hätten. Doch auch diese Chance war vertan. Kurz vor der Pause begann der Mann an der Nachbarmaschine wieder mit anzüglichen Bemerkungen. Janey ignorierte ihn eine Zeitlang, bis er sie schließlich fragte, was sie in der halbstündigen Pause zu tun gedenke. Sie blickte nicht auf. "Ich habe etwas vor." "Was denn? Willst du dem Boß eine Sonderbehandlung zukommen lassen?" erkundigte er sich höhnisch. Hinter Janeys Rücken ertönte Webbs Stimme. "Sie wollen doch nicht noch deutlicher werden, oder?" Der Mann drehte sich erschrocken um. "Äh ... Ich habe nichts Besonderes damit gemeint ... Nur ein kleiner Scherz. Sie wissen schon, wir behandeln sie wie einen von den Jungs."
Janey hob den Blick zur Hallendecke. "Du scheinst an seinen Worten zu zweifeln, Janey. Wie lange geht das schon so?" "Seit dem ersten Tag. Warum, glaubst du wohl, wollte ich unbedingt hier weg?" Ein Arbeiter auf der anderen Seite lästerte: "Sie war so versessen darauf, daß sie..." Er verstummte, bevor er sich um Kopf und Kragen reden konnte. Webb bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. "Immerhin scheinen Sie zu wissen, wann Sie den Mund halten müssen. Sie beide werden sich morgen vor Beginn Ihrer Schicht bei mir melden, zusammen mit dem Vorarbeiter, und dann werden wir die Angelegenheit ein für alle Mal klären. Komm mit, Janey, damit du mir einen vollständigen Bericht erstatten kannst..." Wütend sahen die Männer ihnen hinterher. Im Verwaltungstrakt nahm Janey Schutzbrille und Ohrschützer ab. "Du machst mich unmöglich", beschwerte sie sich. "Verdammt, Janey, warum hast du das nicht gemeldet?" Er ging weiter, und sie mußte sich beeilen hinterherzukommen. "Wie denn? Hättest du es heute Abend nicht selbst gehört, würdest du doch glauben, ich wäre lediglich überempfindlich. Und wenn du mich nicht kennen würdest, wärst du vermutlich der Meinung, ich hätte die Männer provoziert. Was willst du dagegen unternehmen? Willst du während der Schicht hinter mir stehen, damit sie es nicht wagen, mich noch einmal zu belästigen?" "Ich könnte eine Menge tun - beispielsweise die beiden feuern." "Fabelhaft! Das würde mich bei den Kollegen wirklich beliebt machen!" Webb stemmte die Hände in die Hüften. "Was verlangst du dann von mir?" Auf einmal war all ihr Zorn verraucht und grenzenloser Müdigkeit gewichen. "Keine Ahnung. Du bist schließlich der Boß und nicht ich. Weshalb bist du überhaupt in die Halle gekommen? Ich dachte, du wärst schon längst zu Hause." Sie hatten inzwischen Webbs Büro erreicht. Während er die Tür schloss, setzte sie sich in einen Sessel. "Du dachtest also, du wärst vor mir sicher. Ich hatte heute einige wichtige Dinge zu erledigen, die, im Gegensatz zu dir, nicht warten konnten." Damit hatte er sie nachdrücklich auf ihren Platz verwiesen. "Mrs. Wilson und die Herringtons? Hast du Anzeige erstattet?" "Mit welcher Begründung? Es ist ähnlich wie mit den Schmutzfinken am Fließband - man weiß, was los ist, aber man kann es nicht beweisen. Mrs. Wilson wollte mit Maddy spazieren gehen. Und Eoger und Marilyn ..." "Es war ziemlich dumm von ihnen, zum Haus zu kommen", sagte Janey. "Hätten sie sich mit Mrs. Wilson im Park verabredet, hätten sie mit Maddy
verschwinden können, bevor überhaupt jemand gemerkt hätte, was passiert ist. Ist dir nie in den Sinn gekommen, daß sie vielleicht geschnappt werden wollten?" "Ich habe keine Lust, ihre Gedankengänge zu erforschen. Auf jeden Fall haben sie heute von ihrem Anwalt eine Lektion erhalten, und sie dürften in Zukunft keine Probleme mehr machen." "Und was ist mit Mrs. Wilson?" "Solange sie mich nicht um ein Zeugnis bittet, kann sie tun und lassen, was sie will." "Ist sie fort?" Sie brauchte keine Antwort. "Warum bist du dann noch hier und nicht daheim bei Maddy? Laß uns die Sache schnell hinter uns bringen. Es tut mir Leid, Webb, daß ich durch mein Geständnis deinen Plan vorzeitig verraten habe. Allerdings bereue ich nicht, die Wahrheit gesagt zu haben", fügte sie rasch hinzu. "Ich habe nur die Gefahr gesehen, in der Maddy schwebte, und ihre Sicherheit war mir wichtiger als alles andere." "Das habe ich gemerkt." Er klang nicht mehr verärgert, sondern nur noch müde. "Mach dir keine Gedanken wegen des Geldes", fuhr sie fort. "Ich erwarte nicht, daß du deinen Teil des Handels erfüllst, nachdem ich meine Rolle vorschnell beendet habe." Sie stand auf. "Ich bin dir nicht böse und hoffe, du trägst mir auch nichts nach." Dann streckte sie ihm die Hand entgegen. Er ignorierte die Geste. "Du brauchst noch immer Geld." Janey hatte nicht damit gerechnet, daß er auch an ihre Bedürfnisse denken würde. "Ich habe einen Job." Sie bemühte sich um einen heiteren Tonfall, damit er ihre Rührung nicht bemerkte. "Es sei denn, du willst mich hier nicht mehr sehen." Webb trat an seinen Schreibtisch und zog die mittlere Schublade auf. "Hier, nimm das. Ich habe dafür keine Verwendung." Er hielt ihr das schwarze Samtetui mit einer merkwürdig vertrauten Bewegung hin. "Du kannst den Ring verkaufen und das Geld ausgeben." Er ließ die Schachtel in ihre Hand fallen, als hätte er sich daran verbrannt. Wie versessen er doch darauf war, sie loszuwerden und alle Erinnerungen zu verdrängen, die mit diesem Ring verbunden waren! Erinnerungen an sie. Der Gedanke machte Janey wütend. "Und wie soll ich das anstellen? Ich kenne keinen einzigen Juwelier und kann wohl schlecht in ein Geschäft gehen, zehntausend Dollar für den Ring kassieren und wieder verschwinden, ohne zuvor einige peinliche Fragen beantworten zu müssen," "Fünfundzwanzigtausend", warf er ein. Fassungslos blickte sie auf das Etui. Sie war seelenruhig durch Chicago gelaufen und hatte einen Ring im Wert von ... "Oh, da fühle ich mich gleich viel besser", spottete sie.
Verzweifelt kämpfte sie gegen den Wunsch an, den Ring einzustecken, sich zu bedanken und ihrer Wege zu gehe. Trotz seines Wertes würde sie ihn nie, nie verkaufen, denn es hingen zu viele Erinnerungen daran. Angenehme Erinnerungen: Abwasch mit Webb, Herumtollen mit Maddy, Gespräche über die neue Fabrik. Wenn der Ring ihm irgend etwas bedeutet hätte, wenn er ein echtes Geschenk gewesen wäre und nicht nur ein unliebsames Erinnerungsstück, von dem er sich unbedingt trennen wollte, dann hätte sie ihn genommen. So aber legte sie die Schachtel in Webbs Hand zurück. "Behalte den Ring, Webb. Er soll dich daran erinnern, daß du dich nicht mehr auf alberne Spielchen einläßt." "Komisch. Genau das Gleiche hat Gran gesagt." Versonnen betrachtete er die kleine Schmuckschatulle. Für Janey gab es keinen Grund mehr, länger zu bleiben. Widerstrebend wandte sie sich zum Gehen. Sie war schon fast an der Tür, als er leise sagte: "Maddy hat heute Morgen nach dir geweint." Das Herz wurde ihr schwer. "Das tut mir Leid. Ich wollte nicht..." "Ich weiß." "Meinst du, es würde helfen, wenn ich sie besuche? Aber wahrscheinlich würde das die Sache nur noch schlimmer machen." "Wahrscheinlich. Es sei denn ..." Sie wartete gespannt. "Es sei denn ...?" "Du magst sie sehr gern, oder?" "Dumme Frage. Man muß Maddy einfach mögen." "Nicht jeder hätte ihretwegen einen so lukrativen Handel platzen lassen wie du. Studiengebühren, Lebensunterhalt und den Auftrag für eine Fabrik - all das hast du aus Sorge um ein einjähriges Kind aufs Spiel gesetzt. Du hättest nur den Mund halten müssen." "Erinnere mich nicht daran." "Du könntest noch immer alles haben, Janey. Genug Geld, um das Studium zu beenden, ohne es je zurückzahlen zu müssen." "Um welchen Preis?" "Mich", erwiderte er kurz angebunden. "Eine Vernunftehe." Janey traute ihren Ohren kaum. Innerhalb von Sekundenbruchteilen hatte er ihr die Welt geboten und wieder aus der Hand gerissen. Sie könnte den Mann, den sie liebte, haben, aber sie würde immer wissen, daß sein Herz Sibyl gehörte. Sie könnte seine Frau sein, aber nur dem Namen nach. "In dieser Woche habe ich gelernt, daß Gran zumindest in einem Punkt Recht hat: Maddy braucht nicht nur eine Mutter, sie sehnt sich sogar nach ihr. Sie hat eine tiefe Zuneigung für dich entwickelt, und du magst sie auch. Also ..."
Sie könnte die Mutter seines Kindes sein, aber sie würde nie sein Baby unter dem Herzen tragen. "Und deshalb hast du einfach so", Janey schnippte mit den Fingern, "beschlossen dein Junggesellenleben aufzugeben." "Wir kommen gut miteinander aus", sagte er und zuckte die Schultern. "Außerdem wären wir ja nicht richtig zusammen." Und genau das war Janeys Problem. "Moment mal. Erst neulich hast du mir eine Affäre vorgeschlagen. Warum bist du auf einmal so ein begeisterter Verfechter des Zölibats?" "Ich habe nie behauptet, das wir keinen Spaß im Bett haben könnten. Ich meinte lediglich, daß wir es nicht tun müssen." Während sie über seine Wort nachdachte, fuhr er sanft fort: "Ich verlange nicht, daß du deine Karriere aufgibst. Maddy braucht eine Mutter, aber die muß nicht ständig um sie sein. Du könntest dir ein eigenes Konstruktionsbüro aufbauen, Janey, dir die Aufträge aussuchen und hättest immer noch genug Zeit für Maddy." Das ist unfair, überlegte sie. Er bot ihr das Universum, außer der kleinen Ecke, die ihr am wichtigsten war. "Liebe ist nicht das Einzige, worauf eine Ehe basiert." "Sex auch nicht, aber trotzdem ist beides wichtig, sonst wird es eine verdammt harte Zeit." Sie atmete tief durch. Ihr Körper sagte Ja, ihr Verstand Nein. Aber wie sollte sie etwas ablehnen, wonach sie sich so verzweifelt sehnte? "Ich habe schon einmal eine Frau geheiratet, die mich nicht liebte. Warum nicht wieder?" "Sibyl?" fragte sie ungläubig. "Aber das ist unmöglich. Wie kann eine Frau dich nicht..." Sie verstummte erschrocken. Das war die Lösung! Hier bot sich ihr eine Möglichkeit, ihrem Schmerz ein Ende zu bereiten und Webb daran zu hindern, sie weiter zu einer Vernunftehe zu drängen. Noch ahnte er nicht, daß sie sich in ihn verliebt hatte. Wenn ein Mann eigentlich gar nicht heiraten wollte, mochte er sich vielleicht zu einer kühlen, unverbindlichen Vernunftehe überwinden, aber eine Frau zu ehelichen, die ihn liebte, die womöglich seine Aufmerksamkeit beanspruchte oder gar versuchte, seine Liebe zu wecken ... Diese Aussicht würde einen Mann wie Webb unweigerlich in die Flucht schlagen. Und Janey war gern bereit, eine kurze, einmalige Demütigung auf sich zu nehmen, wenn sie dadurch aus diesem Gewissenszwiespalt befreit würde. Sie straffte die Schultern. "Ich wollte sagen, wie kann eine Frau dich nicht so lieben wie ich?" An seinem Schweigen erkannte sie, daß er fassungslos war. "Nun, damit wäre wohl alles zwischen uns geklärt. Ich werde jetzt gehen und dich ..."
"Wage es nicht!" Er kam auf sie zu. "Es gibt noch einiges, das der Klärung bedarf. Zum Beispiel das ..." Ehe sie reagieren konnte, hatte er sie in die Arme gerissen und küßte sie fordernd, zärtlich, verlangend -, bis sie um Atem rang. Sehnsüchtig schmiegte sie sich an ihn und erwiderte seinen KUSS voller Leidenschaft. Nach einer kleinen Ewigkeit, wie ihr schien, löste er sich von ihr. "Du liebst mich ..." "Das sagte ich bereits", antwortete sie gereizt. "Und weil ich dumm genug war, dir das zu erzählen, erwartest du, daß ich heute Nacht mit dir schlafe." "Nur wenn du darauf bestehst. Ich bin gern bereit, damit bis nach unserer Hochzeit zu warten." "Ich werde dich nicht heiraten: Das ist unfair, Webb. Ich versuche, dir zu erklären, warum ich dich nicht heiraten kann, und du nutzt die Situation aus, um ..." "Ich liebe dich, Janey." Ungläubig hob sie den Kopf - und las die Wahrheit in seinen Augen. "Natürlich braucht Maddy eine Mutter, aber deshalb habe ich dich nicht gebeten, mich zu heiraten. Ich habe dir ein eigenes Büro und die Freiheit, deine Aufträge aussuchen zu können, angeboten, weil ich glaubte, daß diese Argumente verlockender wären. Nun ja... eigentlich wäre es mir völlig gleichgültig gewesen, warum du mich nimmst, wenn du es nur getan hättest." "Verlockender als du?" Verwundert schüttelte sie den Kopf. "Ich hätte nie gedacht, daß du so wenig Erfahrung mit Frauen hast, Webb. Wie bist du auf diese dumme Idee gekommen." "Ich habe sogar sehr viel Erfahrung mit weiblichen Wesen", entgegnete er. "Mit Frauen schon weniger - und schon gar nicht mit einer Frau wie dir. Deshalb habe ich vermutlich auch so lange gebraucht, um zu begreifen, was mit mir geschehen ist. Also, wann willst du mich heiraten?" "Bist du sicher, Webb? Du bist so gegen diese Institution ..." "Ich habe absolut nichts gegen die Ehe. Nach Sibyl hatte ich allerdings Zweifel an meinem Urteilsvermögen, und einen zweiten Fehler hätte ich nicht ertragen. Ich dachte, sie würde mich lieben. Leider war mir nicht klar, daß sie viel zu selbstbezogen war, um einen anderen Menschen außer sich selbst zu lieben. Als ich das erkannte, war es zu spät und Maddy unterwegs. Erst da entdeckte ich die wahre Sibyl. Sie hatte immer beteuert, wie gern sie Kinder hätte, aber in Wirklichkeit hat sie die Pille genommen. Ich wußte nichts davon, bis das Mittel versagt hat. Sibyl geriet in Panik - glücklicherweise, sonst hätte ich nie von der Schwangerschaft erfahren. Sie hätte es in aller Stille ... geregelt." "Oh nein", flüsterte Janey.
"Als sie begriff, was los war, war die Schwangerschaft bereits ziemlich weit fortgeschritten. Ich habe ihr unmißverständlich klar gemacht, wie ich reagieren würde, falls dem Kind irgend etwas zustoßen sollte." "Der Fernseher?" Auf seinen ratlosen Blick hin fügte sie hinzu: "Das defekte Gerät im Schlafzimmer." "Oh nein. Hätte ich das gemacht, hätte Sibyl am nächsten Tag einen neuen liefern lassen. Sie hat ihn selbst zertrümmert - in der Nacht, als sie starb." Er zögerte. "Gleich nachdem ich sie gefragt hatte, warum sie sich nicht von einer Brücke stürzen würde, wenn sie so unglücklich mit mir sei." "Und das hat sie getan. Oh Webb ..." Er schüttelte den Kopf. "In jener Nacht herrschte Glatteis, und sie ist immer zu schnell gefahren. Ich habe es nie für Selbstmord gehalten, denn sie war viel zu egoistisch, um sich selbst zu zerstören. Allerdings wollte sie Maddy mitnehmen ..." "Hat sie das versucht?" "Es war Mrs. Wilsons freier Abend - das war übrigens auch einer der Gründe für den Streit. Sibyl wollte ein zweites Kindermädchen engagieren, weil ich ihrer Meinung nach Maddy zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Ich lehnte ab, sie schnappte sich das Baby, ich riss es ihr aus den Armen, sie schleuderte die Fernbedienung in den Fernseher und stürmte hinaus. Das war das letzte Mal, daß ich sie gesehen habe. Die Polizei informierte mich über den Unfall, doch als ich ins Krankenhaus kam, war sie bereits tot." Janey streichelte tröstend seine Wange. "Kein Wunder, daß du es nicht eilig hattest, eine Stiefmutter für Maddy zu finden. Warum versteht Camilla das nicht?" "Gran hat davon keine Ahnung, und so soll es auch bleiben." Sie bezweifelte, daß Camilla Sibyls wahren Charakter nicht durchschaut hatte. Auf einmal bekamen all die kleinen Spitzen und Bemerkungen eine völlig neue Bedeutung. Vielleicht hatte sie gar nicht so viel gegen Janey einzuwenden, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. "Du hast meine Frage nicht beantwortet", erinnerte er sie zärtlich. "Willst du mich heiraten?" "Und was ist mit Camilla?" wandte sie ein. "Wenn sie mich für unpassend hält..." "Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorgeht, und es interessiert mich auch nicht. Allerdings hat sie mir erst gestern gesagt, daß du dreimal so viel wert seist wie ich. Sie meint, ich hätte eine kunstvolle Falle gebaut, in der ich mich letztendlich selbst gefangen hätte. Heute ist übrigens Roger Herrington bei mir gewesen, um sich zu entschuldigen. Seinen Worten zufolge sollte ich mich auf meinen Geisteszustand untersuchen lassen, falls ich immer noch glaubte, du wärst
für mich nicht die Richtige. Von dieser Seite haben wir also auch keinen Ärger zu erwarten. Willst du mich nun endlich heiraten, Janey?" "Was bleibt mir anderes übrig?" "Gut." Überglücklich riß er sie an sich und küßte sie. "Nachdem das nun geklärt ist, wirst du noch heute Abend deinen Job kündigen. Was hältst du von einer Hochzeit zu Weihnachten? Während der Semesterferien?" "Ich denke, das läßt sich einrichten." Weder Janey noch Webb hatten bemerkt, daß die Tür zum Büro lautlos geöffnet worden war. Sie wären wohl noch länger ungestört geblieben, wenn Maddy - auf den Armen ihrer Urgroßmutter - nicht Janey erspäht und aus Leibeskräften gerufen hätte: "Mama!" Die beiden fuhren erschrocken herum und sahen Camilla an. Die alte Dame betrachtete sie eine Weile schweigend, dann meinte sie: "Ist es nicht schön? Endlich hat Maddy es begriffen." Sie reichte ihnen das Baby und lächelte zufrieden, als Webb Janey erneut an sich zog, diesmal jedoch mit ihrer Tochter auf dem Arm.
-ENDE-