Eric Frank Russell
Reaktion (Impulse) (aus „Ullstein Science Fiction Stories 53“)
gescannt von Brrazo 2004
Dr. Blains...
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Eric Frank Russell
Reaktion (Impulse) (aus „Ullstein Science Fiction Stories 53“)
gescannt von Brrazo 2004
Dr. Blains Sprechstundenhilfe und Faktotum hatte heute Ausgang, somit war er gezwungen, den automatischen Türöffner selbst zu bedienen, um den späten Patienten einzulassen. Ehe er diesen jedoch aus dem Wartezimmer holte, stellte er einige Geräte und Gegenstände wieder an Ort und Stelle, eine Tätigkeit, die ansonsten seinem Gehilfen oblag. Dann, nachdem er seinen weißen Mantel ein wenig zurechtgezogen hatte, ging er hinüber zur Tür und öffnete sie. Der Patient lag mehr als er saß in einem der bequemen Sessel. Dr. Blain stutzte einen Moment, als er die leichenblasse Gesichtsfarbe des Besuchers erblickte, in die hervorquellenden Fischaugen sah und auf die weißen, blutleeren Hände starrte. Die Kleidung hing dem Fremden gleich einem Sack schlotternd um den Körper. Blain schätzte den Besucher gleich als einen sehr ernsten Fall ein, oder aber als einen Versicherungsvertreter. Er hatte nicht die Absicht, eine Versicherung abzuschließen. Der Mann machte einen unheimlichen Eindruck und flößte ihm unsagbares Grauen ein. »Sie sind Dr. Blain«, stellte der Besucher fest. Die Stimme hatte
einen seltsamen Tonfall, sie war unsicher und nicht normal. Blain erschrak, ohne zu wissen warum. Ohne eine Antwort abzuwarten und die starren Augen auf Blain gerichtet, fuhr der Fremde fort: »Wir haben eine leichenblasse Gesichtsfarbe, besitzen hervorquellende Fischaugen, und unsere Hände sind blutleer.« Dr. Blain sank fassungslos in den nächsten Sessel. Seine Finger umkrallten die Lehne, bis die Knöchel weiß hervortraten. Sein Besucher sprach mit der seltsam gurgelnden Stimme weiter: »Die Kleidung hängt uns wie ein Sack schlotternd um den Körper. Wir sind entweder ein sehr ernster Fall oder aber ein Versicherungsvertreter, dessen Angebot Sie abzulehnen gedenken. Wir machen einen unheimlichen Eindruck auf Sie und flößen Ihnen ein unsagbares Grauen ein.« Der Fremde rollte mit den bisher so todesstarren Augen und sah Blain, der wie vom Donnerschlag gerührt im Sessel lag, kalt an. Dann fuhr er fort: »Das plötzliche Rollen unserer todesstarren Augen hat Sie so erschreckt, daß Sie wie vom Donnerschlag gerührt sind.« Blain riß seine ganze Willenskraft zusammen und lehnte sich vor. Er zitterte am ganzen Körper und fühlte, daß die Haare in seinem Nacken zu Berge standen. Ehe er jedoch seinen Mund auch nur öffnen konnte, sagte sein Gegenüber die Worte, die er zu sagen beabsichtigt hatte: »Herr im Himmel! Sie lesen meine Gedanken!« Während die kalten Totenaugen Blain ansahen, sprang dieser entsetzt auf die Füße. Doch der Fremde befahl: »Bleiben Sie sitzen!«
Blain blieb stehen. Kalter Schweiß brach aus seinen Poren, lief in perlenden Tropfen die Stirn hinab und rollte in die Falten seines plötzlich sehr müden Gesichtes. Dringlicher und warnender gurgelte der andere: »Setzen Sie sich!« Blain fühlte die Schwäche in seinen Knien und sank wieder in den Sessel zurück. Sein Blick löste sich von den starren Pupillen des anderen. Er stammelte: »Wer sind Sie?« »Das!« sagte der Besucher und schob ihm eine Zeitungsnotiz hin, die augenscheinlich aus dem Abendblatt herausgerissen worden war. Blain warf einen schnellen Blick darauf, stutzte, las dann aufmerksamer. Er hob den Kopf und protestierte: »Diese Meldung besagt, daß aus der städtischen Leichenhalle unter merkwürdigen Umständen eine Leiche verschwunden ist!« »Stimmt!« »Was soll denn das?« Blains Gesicht zeigte nichts als Verwunderung, die sogar seine namenlose Furcht zu verdrängen schien. »Dies«, sagte der andere und zeigte mit einem seiner weißen Finger auf sich selbst, »ist diese Leiche.« »Was?« Zum zweitenmal sprang Blain aus dem Sessel hoch. Achtlos flatterte der Zeitungsausschnitt zu Boden. Fassungslos sah er auf den Fremden hinab und suchte vergeblich nach Worten. »Dies ist die Leiche!« wiederholte der Unbekannte, und seine Stimme klang, als käme sie blubbernd durch dickes Öl. Er zeigte auf den Zeitungsausschnitt am Boden. »Sie haben vergessen, sich das
Foto anzusehen. Betrachten Sie es genau. Und dann vergleichen Sie es mit dem Gesicht, welches wir haben.« »Wir?« wiederholte Blain und hatte das Gefühl, als bestehe sein Gehirn aus einer durcheinanderwirbelnden Masse. »Ja, wir! Es sind viele von uns! Wir haben uns in den Besitz dieses Körpers gesetzt. Setzen Sie sich!« »Aber...« »Sie sollen sich setzen!« Das Wesen ließ die Hand in die Tasche des zu großen Anzuges gleiten. Als es sie wieder herauszog, lag in ihr eine schwere Pistole. Der Lauf zeigte auf Blain. Dem schien es, als blicke er in ein großes, dunkles Loch. Langsam setzte er sich, hob dabei den Zeitungsausschnitt vom Boden auf und starrte auf das Bild. Die Unterschrift lautete: Der verstorbene James Winstanley Clegg, dessen Leiche unter geheimnisvollen Umständen verschwand. Blain sah auf den Fremden, dann auf das Bild, und schließlich wieder auf den Fremden. Es gab keinen Zweifel mehr: Sein Besucher und die verschwundene Leiche waren identisch. Das Blut begann in Blains Adern zu hämmern. Die Mündung der Pistole sank ein wenig, schwankte leicht hin und her, kam dann aber wieder hoch. »Um Ihre Fragen gleich zu beantworten, die Sie zu stellen beabsichtigen«, sagte der verstorbene James Winstanley Clegg mit seiner blubbernden Stimme, »folgendes: Sie sehen hier keinen Fall von Wiedererweckung eines Toten. Dieser Gedanke ist zwar logisch, würde aber nicht das Gedankenlesen erklären.« »Was ist es denn sonst?« fragte Blain schwach. »Eine Besitzergreifung, mehr nicht! Wir haben von diesem
Körper Besitz ergriffen. Im übrigen scheint es so, daß dieser Mensch, in dem wir jetzt wohnen, zu Lebzeiten einen gewissen Sinn für Humor besessen hat.« »Aber das ist doch ...« »Ruhe!« Die Mündung der Pistole zeigte auf seine Brust. »Wir reden, Sie haben nur zuzuhören. Ihre Gedanken werden von uns verstanden.« Blain lehnte sich zurück in den Sessel und sah hinüber zur Tür. »Gut«, sagte er und war allmählich davon überzeugt, es mit einem Irren zu tun zu haben. Es konnte gar nichts anderes sein, selbst trotz des Gedankenlesens und der Ähnlichkeit zwischen Zeitungsfoto und Besucher. »Vor zwei Tagen«, begann Clegg oder was einst Clegg gewesen war, »ging außerhalb dieser Stadt ein Meteor nieder.« »Ich habe davon gelesen«, gab Blain zu. »Aber obwohl man ihn suchte, konnte man keine Einschlagstelle finden.« »Man wird sie nie finden, denn es war kein Meteor, sondern das, was Sie als Raumschiff bezeichnen würden.« Die blasse Hand sank ein wenig herab, und auf den Knien blieb sie liegen, die Waffe fest umklammernd. »Es war das Raumschiff, welches uns von unserer Heimatwelt Glantok hierher gebracht hatte. Von irdischem Standpunkt aus gesehen war es nur ein kleines Schiff, aber auch wir sind sehr klein. Gewissermaßen mikroskopisch klein — aber zu Milliarden kamen wir. Nein, keine intelligenten Bakterien!« beantwortete er die gedachte Frage Dr. Blains. »Wir sind noch weniger als das.« Er machte eine Pause, als suche er nach einer rechten Erklärung. »Im Ganzen gesehen ähneln wir vielleicht einer Flüssigkeit. Betrachten Sie uns ruhig als intelligente Viren, das käme der Wahrheit ein wenig nahe.«
»Oh!« machte Blain und überlegte, wie viele Schritte es bis zur Tür waren. Er würde sie erreichen müssen, ohne seine Absicht gedanklich verraten zu müssen. »Wir Glantokaner sind Parasiten, denn wir vermögen nur in den Körpern der niederen Lebewesen zu wohnen. Wir kamen zu Ihrer Welt in dem Körper eines kleinen Tieres unserer Welt.« Er hustete mit einem rauhen und blubbernden Geräusch. Dann fuhr er fort: »Als wir landeten und das Schiff verließen, jagte ein Hund unser Tier und fing es auch. Wir fingen den Hund. Das Tier starb, als wir es verließen. Der Hund war für unsere Zwecke nicht geeignet, aber er brachte uns in die Stadt und ließ uns diesen menschlichen Körper finden. Wir siedelten in ihn über. Als wir den Hund verließen, starb er.« Draußen im Vorgarten ging das Türchen; schnelle, leichte Schritte wurden hörbar. Sie näherten sich der Haustür. Blain saß da und wartete. Seine Augen hatten sich weit geöffnet. »Wir übernahmen also diesen toten Körper, verflüssigten das geronnene Blut, beseitigten die Totenstarre und aktivierten die erhärteten Muskeln. Das Gehirn dieses Menschen besaß eine beachtlich hohe Intelligenzquote. Selbst jetzt sind wir noch in der Lage, einzelne Erinnerungen wahrzunehmen. Die Kenntnisse des toten Hirns kamen uns sehr zunutze, denn sonst könnten wir jetzt nicht mit Ihnen sprechen. So aber lernten wir schnell, mit Ihren Gedanken zu denken.« Die näherkommenden Schritte waren nicht mehr weit entfernt. Blain zog seine Füße ein wenig zurück, stützte sich auf sie. Seine Hände legten sich um die Sessellehnen, und er strengte sich an, nicht an das zu denken, was er tat. Sein Gegenüber schien nichts zu bemerken. Es starrte Blain mit seinem Leichengesicht nur an und fuhr in seiner Rede fort:
»Unter unserer Kontrolle stahl dieser Körper Kleidung und eine Waffe. Wir erfuhren, wie man sie benutzt. Auch erzählte uns das tote Gehirn von Ihnen.« »Von mir?« Blain sah den ehemaligen Clegg verwundert an. Er schätzte die Entfernung ab und wußte, daß er kaum schnell genug sein würde, um dem eventuellen Schuß auszuweichen. Draußen hatten die Schritte die Treppe erreicht. »Vorsichtig!« warnte die blubbernde Stimme des Dings, das behauptete, eine Leiche zu sein. Die Waffe hob sich. »Ihre Gedanken sind anders als Ihre Worte.« Blain lauschte. Die Schritte machten vor der Flurtür Halt. »Eine Leiche ist nur Notbehelf«, fuhr der Fremde fort. »Was wir benötigen, ist ein lebender Körper. Und zwar ein gesunder lebender Körper. Wenn wir uns vermehren, benötigen wir weitere Körper. Unglücklicherweise steht doch die Empfindlichkeit des menschlichen Nervensystems in direktem proportionalen Gegensatz zur Intelligenz des Betreffenden. Daher können wir nicht garantieren, ob ein intelligenter Mensch, den wir besitzen, normal bleibt. Wahrscheinlich jedoch ist, daß er wahnsinnig wird. Und ein solches Gehirn ist für uns noch nutzloser als ein totes.« Die Schritte draußen klangen wieder auf, nachdem sich die Flurtür geöffnet und wieder geschlossen hatte. Sie kamen näher und hielten vor der Tür zum Wartezimmer. »Daher ist es notwendig«, sprach Blains Gegenüber weiter, »daß wir von dem Körper während einer Bewußtlosigkeit Besitz ergreifen und vollkommene Kontrolle darüber haben, wenn er wieder erwacht. Wir benötigen also die Hilfe einer Intelligenz, die willig ist, genau nach unseren Wünschen zu handeln. Sie muß die Menschen
bewußtlos machen, ohne daß etwas auffällt. Mit anderen Worten: Wir benötigen die Hilfe eines Arztes!« Die todesstarren Augen quollen hervor. »Da es selbst nicht in unserer Macht liegt, diesen Körper, in dem wir uns jetzt befinden, länger zu beleben, benötigen wir schnellstens einen neuen Körper, einen frischen, lebenden und gesunden Körper.« Die Tür zum Wartezimmer öffnete sich. In diesem Augenblick lehnte sich der tote Clegg vor und zeigte mit dem linken Zeigefinger auf Blain, während die Pistole unverändert ihre Stellung beibehielt. »Sie werden uns dabei helfen!« sagte er. Dann wies der gleiche Finger zur Tür. »Und dieser Körper wird fürs erste genügen.« Das Mädchen stand auf der Schwelle. Es war eine blonde, hübsche Person, etwas zu mollig vielleicht. Ihre schreckhaft geöffneten Augen waren auf die blutleere Maske hinter dem ausgestreckten Finger gerichtet. Für einen Augenblick herrschte vollkommenes Schweigen. Der Fremde hatte sich erhoben und ging einige schwankende und unsichere Schritte auf das Mädchen zu, das ihm entsetzt entgegenstarrte. Dann schrie sie auf, gellend und furchtbar. Der lebende Leichnam streckte die Hände nach ihr aus — und das war zuviel für sie. Mit geschlossenen Augen sackte sie zusammen. Noch ehe sie den Boden berührte, war Blain bei ihr. Ein gewaltiger Satz brachte ihn an Clegg vorbei. Nur so konnte er verhindern, daß sie hart aufschlug. Er fing sie in seinen Armen auf, legte sie dann auf den Teppich. »Sie wurde ohnmächtig«, sagte er ärgerlich. »Vielleicht ist sie krank und benötigt Hilfe. Vielleicht...«
»Genug!« Die blubbernde Stimme war kurz und hart, trotz der Unsicherheit in ihr. Der Lauf der Automatik zeigte auf Blains Kopf. »Der Zustand der Ohnmacht ist ein vorübergehender, wie wir aus Ihren Gedanken erfahren können. Vertiefen Sie die Ohnmacht durch ein Betäubungsmittel, damit wir von dem jungen Körper Besitz ergreifen können. Er wird uns gute Dienste leisten.« Blain kniete neben dem Mädchen und sah zu dem Fremden auf. »Der Teufel soll dich holen, du Scheusal!« sagte er. »Warum sagen Sie das, wir verstehen Sie auch so!« sagte die Leiche mit einem teuflischen Grinsen. »Wenn Sie nicht das tun, was wir befehlen, dann tun wir es eben selbst. Eine Kugel durch Ihr Herz, und wir übernehmen Ihren Körper. Die Wunde wird geheilt, und Sie gehören uns. Aber wir wollen Sie lebend, hören Sie?« Da nun Blain seine augenblickliche Hilflosigkeit einsah, schickte er ein Stoßgebet zum Himmel und ärgerte sich sofort über das hämische Grinsen im Gesicht des Fremden. Er hob das Mädchen auf und trug es hinüber in das Behandlungszimmer, wo er es in einen Sessel legte. Das Wesen, welches den Körper von Clegg beherrschte, stolperte hinter ihm her. Der Arzt begann, die bleichen Wangen des Mädchens zu reiben. Röte überzog das Gesicht, die Augenlider zuckten. Blain trat hinüber zum Schrank, seine Hände griffen nach einem Glasbehälter, auf dem SAL VOLATILE stand. Im gleichen Augenblick stieß etwas Hartes gegen seinen Rücken. Es war der Lauf der Automatik. »Sie vergessen immer wieder, daß ihre Gedanken für uns ein offenes Buch sind! Sie versuchen Zeit zu gewinnen und das Mädchen zu beleben.« Die gräßliche Stimme wirkte lähmend auf seine Muskeln. »Legen Sie den Körper auf den Tisch dort und
narkotisieren Sie ihn.« Unwillig löste Blain seine Finger von dem Glasbehälter. Er schritt zurück zum Sessel, hob das Mädchen heraus und legte sie wie befohlen auf den Tisch. Dann schaltete er die grelle Lampe ein. »Löschen Sie das Licht! Eine Lampe genügt!« Blain schaltete die Lampe wieder aus. Er drehte sich langsam um und sah in die Mündung der Waffe. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. »Hören Sie zu, ich mache Ihnen einen Vorschlag!« »Unsinn!« Der verstorbene Clegg kam mit langsamen Schritten auf ihn zu. »Sie wollen Zeit gewinnen; Ihre Gedanken verraten das nur zu deutlich.« Er machte eine Pause und sah zum Mädchen hin, das sich bewegte und unverständliche Worte zu murmeln begann. »Schnell, die Narkose!« Bevor einer von ihnen es verhindern konnte, richtete sich das Mädchen auf — und schaute direkt in das gräßlich verzerrte Gesicht eines Wahnsinnigen. Sie stieß einen Schrei aus, ehe sie sagte: »Laßt mich hier heraus! Bitte, laßt mich 'raus!« Eine blasse Hand streckte sich aus, und ehe sie in Berührung mit ihr kam, sank sie auf den Tisch zurück. Blain glaubte, aus dieser Situation einen Vorteil ziehen zu können. Seine Hände tasteten hinter seinem Körper über die Wand und fanden metallischen Widerstand. Der kleine Klopfhammer! Noch während er die provisorische Waffe ergreifen wollte, drehte sich der Tote um und richtete die Pistole auf ihn. »Sie vergessen sich!« sagte er blubbernd. »Telepathie kennt keine
Grenzen! Wir sehen auch dann, wenn die Augen in die andere Richtung blicken. Binden Sie das Mädchen!« Gehorsam fand Blain Stricke und band das Mädchen am Tisch fest. Seine grauen Haare waren genauso feucht wie das Gesicht. Er verknotete die Stricke und blickte in die angstvoll aufgerissenen Augen des Mädchens. »Nur Mut!« flüsterte er und warf einen bezeichnenden Blick auf die an der Wand hängende Uhr. »Haben Sie keine Furcht!« »Aha, Sie erwarten Hilfe!« sagten die intelligenten Viren durch den Mund des Toten. »Ihren Assistenten Rod Mercer. Er sollte eigentlich schon hier sein? Wir wundern uns darüber, daß Sie von ihm Hilfe erwarten, obwohl Sie doch nicht viel von seiner Intelligenz halten. Ihrer Meinung nach ist er ein Ochse, mehr nicht.« »Sie Teufel!« sagte Blain. »Lassen Sie diesen Mercer nur kommen — wir werden uns über ihn freuen. Ein lebender Dummkopf ist nützlicher als ein toter Intellektueller. — So, und nun betäuben Sie endlich das Mädchen, wir haben lange genug gewartet.« »Ich habe keinen Äther«, stellte Blain plötzlich fest. »Sie haben schon etwas da, was unserem Zweck genügt. Und nun beeilen Sie sich, sonst übernehmen wir Ihren Körper — auf Kosten Ihres Verstandes allerdings.« Blain ging erneut zum Schrank und hob die Hand. Während er angestrengt dachte: »Äther! Äther! Äther!« griff seine Hand zu einer Flasche, auf der »Schwefelsäure« stand. Es war furchtbar anstrengend, nur an Äther zu denken, dabei jedoch die Schwefelsäure zu ergreifen. Seine Hand erreichte die Flasche und entfernte den Glaspfropfen. Als er sich umdrehte, blickte er in die Pistolenmündung.
»Äther!« höhnte die Stimme von Clegg. »Ihre Gedanken rufen ständig dieses eine Wort, aber im Unterbewußtsein denken Sie an Säure. Glauben Sie, uns irreführen zu können? Glauben Sie etwas zerstören zu können, was schon tot ist? Sie Narr! Los, holen Sie nun den Äther!« Die Pistole machte eine warnende Bewegung. Blain gab keine Antwort. Er stellte die Flasche wieder an ihren Platz, ging zu einem anderen Schränkchen und nahm die Flasche mit Äther heraus. Während er den Schrank verschloß, stellte er die Flasche auf die Heizung. Aber schon sagte Clegg: »Nehmen Sie die Flasche von der Heizung! Sie hoffen, daß die Hitze den Äther verdampfen läßt und so die Glaswandung der Flasche sprengt.« Blain nahm die Flasche und ging langsam zum Tisch. Das Mädchen sah ihm entgegen, mit schreckverzerrten Zügen. Er blickte zur Uhr. Doch der Unheimliche hatte den Gedanken schon erraten. »Er ist bereits da!« sagte er blubbernd. »Wer ist da?« begriff Blain nicht so schnell. »Rod Mercer, Ihr Assistent. Er ist draußen auf dem Flur. Seine Gedanken zeugen von einer außerordentlichen Dummheit. Sie hatten wirklich recht mit Ihrer diesbezüglichen Diagnose.« Eine Tür schlug zu. Das Mädchen richtete sich auf, schien neuen Mut zu schöpfen. »Schieben Sie ihr etwas zwischen die Zähne. Sie werden ihren Körper durch den Mund betreten.« Im Wartezimmer wurden Schritte laut. »Und holen Sie den Idioten herein. Wir brauchen ihn ebenfalls.« Blain fühlte die Adern an seiner Schläfe anschwellen, als er rief: »Rod! Kommen Sie hierher.«
Er fand einen Zahnknebel, während die Erregung durch seinen Körper raste. Wenn Rod sich nur richtig stellen würde, damit Clegg zwischen ihnen war. Eine Pistole kann niemals gleichzeitig nach zwei Richtungen zugleich schießen. Oder wenn ... »Denken Sie nicht an solche Dinge«, warnte die blubbernde Stimme. »Sonst machen wir es kurz und übernehmen euch beide.« Rod Mercer kam in das Zimmer. Er war ein korpulenter, massiger Mann mit einem Mondgesicht, auf dem zweitägige Bartstoppeln sprossen. Er blieb stehen, als er das Mädchen auf dem Tisch liegen sah. Sein fragender Blick ging zu Blain. »Teufel, Doc«, sagte er verwundert. »Ich hatte eine Reifenpanne, daher verspätete ich mich ein wenig.« »Das macht nichts«, kam eine spöttische Stimme blubbernd von der Seite. »Sie haben noch Zeit genug.« Rod drehte sich langsam um und bewegte dabei seine Füße, als seien sie einige Zentner schwer. Er starrte das Ding an, das einst Clegg gewesen war, und sagte: »Verzeihung, Mister. Ich hatte Sie nicht gesehen.« Seine großen Kuhaugen wanderten desinteressiert über den Körper des Fremden, über die auf ihn gerichtete Automatik und schließlich hinüber zu Blain. Dann öffnete er den Mund, als wolle er etwas sagen, aber statt dessen erschien auf seinem Gesicht ein Ausdruck leichter Verwunderung. Seine Augen kehrten zu Clegg zurück. Und betrachteten die Pistole. Er schien sie erst jetzt zu sehen. Und in der gleichen Sekunde handelte er. Seine Faust kam hoch, traf das schwammige Gesicht des Toten mit einem furchtbaren Schlag, der diesen taumeln und stürzen ließ. »Schnell!« rief Blain und stürzte vor. »Die Pistole!«
Er schob den Tisch zur Seite, der samt Mädchen umkippte und zu Boden fiel. Die Pistole lag noch in der Leichenhand Cleggs. Rod Mercer stand unbeweglich da. Seine Augen sahen etwas erstaunt drein und suchten die von Blain. Der Arzt trat mit dem Fuß in die Richtung des Handgelenks. Aber Clegg zog dies schnell beiseite und feuerte. Der Schuß krachte, und das Projektil zischte an Blain vorbei in die Wand. Er trat ein zweites Mal zu, abermals daneben. Diesmal ging die Kugel in den Schrank. Zerbrechendes Glas gab Aufschluß über das Ziel, das sie gefunden hatte. Das Mädchen schrie gellend auf. Dieser Schrei war es, der Mercer endlich begreifen ließ. Er stampfte seinen schweren Fuß auf den Boden und zerquetschte das Handgelenk des unheimlichen Gegners. Dann bückte er sich, nahm die Pistole aus den eiskalten Fingern. Er richtete sie auf den Kopf des sich unruhig Bewegenden. »So kannst du es nicht töten!« rief Blain und stieß Mercer beiseite. »Los, schaffe das Mädchen hinaus, schnell. Schnell!« Blains drängende Stimme genügte, Mercer aus seiner Lethargie erwachen zu lassen. Er reichte dem Arzt die Waffe, lief zum Tisch hinüber und löste die Stricke. Dann trug er das weinende Mädchen aus dem Raum. Auf dem Boden wand sich die lebende Leiche und versuchte, wieder auf die Füße zu kommen. Die Augenhöhlen waren leer, aber dafür quoll aus ihnen jetzt eine grünliche, dickflüssige Masse. Der Mund hatte sich geöffnet, und das gleiche widerliche Schauspiel wiederholte sich auch hier. Die Bewohner von Glan-tok verließen den menschlichen Gastkörper. Der Körper setzte sich aufrecht hin, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Die Glieder zuckten in einem gräßlichen Krampf. Immer
mehr von dem grünen Schleim verließ den Körper, wand sich in Schlangen über den Boden des Raumes. Blain erreichte mit einem einzigen Satz die Tür, wobei er blitzschnell die Ätherflasche ergriff, die den Fall heil überstanden hatte. Er warf sie mit aller Wucht hinein in die Pest, daß sie zerbarst. Gleichzeitig ließ er das Feuerzeug aufflammen, warf es hinterher. Ein greller Blitz zuckte auf, hüllte das Zimmer in glosendes Feuer. Die Hitze trieb ihn und die anderen aus dem Haus. Das Mädchen hing an Blain, der den Arm um sie gelegt hatte. Sie sahen hinüber zu dem brennenden Haus. »Ich wollte Sie holen«, sagte sie mit immer noch zitternder Stimme. »Mein kleiner Bruder hat die Masern.« , »Ich werde nach ihm sehen«, versprach Blain. Eine Limousine kam die Straße herauf, hielt mit kreischenden Bremsen direkt vor der Gruppe. Ein Polizist steckte den Kopf aus dem Fenster. »Himmel, was für ein Feuer! Wir haben die Feuerwehr benachrichtigt!« »Die wird, fürchte ich, zu spät kommen«, sagte Blain ruhig. »Sind Sie versichert,« erkundigte sich der Polizist mitfühlend. »Ja.« »Keiner mehr im Haus ?« Blain schüttelte den Kopf, worauf der Polizeiwagen anfuhr. Doch der Mann am Steuer sagte noch: »Wir müssen weiter. Irgendwo hier in der Gegend befindet sich ein Irrer. Er ist aus der Anstalt entsprungen.« »He!« brüllte Blain und lief dem Wagen nach. »Warten Sie!«
Er erreichte den haltenden Wagen. »Hieß der Verrückte etwa James Winstanley Clegg?« »Clegg?« fragte der Polizist verwundert. »Das ist doch die Leiche, die aus dem Leichenhaus verschwand, als der Wächter ihr für einen Augenblick den Rücken kehrte. Komische Sache das. Sie fanden an der Stelle, an der die Leiche hätte liegen müssen, einen toten Hund. Die Reporter meinen zwar, es sei ein Werwolf, aber für mich bleibt und ist es ein ganz normaler Hund.« »Jedenfalls suchen wir einen Wilson, und keinen Clegg«, unterbrach ihn der andere Polizist, den Blain nicht gesehen hatte. »Hier, sehen Sie sich das Bild an. Vielleicht kennen Sie ihn.« Er hielt eine Fotografie aus dem Fenster, und Blain warf im Schein der Laterne einen kurzen Blick darauf. Es hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit seinem Besucher. »Ich werde mir das Gesicht merken«, versprach Blain. »Wissen Sie etwas Neues über diesen Fall Clegg?« fragte der Fahrer. »Ich weiß nur, daß er tot ist!« sagte Blain wahrheitsgemäß; der Polizeiwagen fuhr davon. Dann sah er hinüber zu den lodernden Flammen, die sein Haus einäscherten. Er wandte sich schließlich an Mercer. »Eins verstehe ich nicht: Wie konntest du das Ding niederschlagen, ehe es deine Gedanken erriet und dich niederschoß?« »Ich sah die Pistole und schlug zu.« Mercer schien sich entschuldigen zu wollen. »Ich schlug einfach zu, ohne mir etwas dabei zu denken.« »Ohne dir etwas dabei zu denken!« wiederholte Blain und erkannte des Rätsels Lösung. »Ohne zu denken!«
Nach einem hellen Aufflackern sank das Dach in das Flammenmeer hinab. Blain stand da, nagte an seiner Unterlippe. Nicht mit seinen Ohren, aber mit seinem Verstand vernahm er ein unirdisches Gewimmer, das schwächer und schwächer wurde, bis es schließlich erstarb. Und dann hörte er nur noch das Prasseln der Flammen. Originaltitel: IMPULSE