A. L. ESHBACH
Rächer vom Jupiter (MUTINEERS OF SPACE)
ZUKUNFTSABENTEUER
Mitglied des Remagener Kreises e. V.
ERICH ...
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A. L. ESHBACH
Rächer vom Jupiter (MUTINEERS OF SPACE)
ZUKUNFTSABENTEUER
Mitglied des Remagener Kreises e. V.
ERICH PABEL VERLAG RASTATT (BADEN) • POSTFACH 36
UTOPIA-Kleinband 97 Originaltitel: „Mutineers of Space“ Aus dem Amerikanischen übersetzt und bearbeitet von Axel Nord Ein deutscher Erstdruck Erhältlich überall im Zeitschriftenhandel und in allen Bahnhofsbuchhandlungen Das Titelbild zeichnete Karl Stephan
UTOPIA-Kleinband erscheint vierzehntäglich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus. (Mitglied des Remagener Kreises e. V.) Einzelpreis: 0,50 DM. Anzeigenpreise laut Preisliste Nr. 5. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druckund Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Bad.). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung der Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany. – Scan by Brrazo 05/2011
Sie marschieren am Feuersee vorbei. Acht, neun, zehn … Sie sollen zur Schicht in den Mittelvortrieb und das ist ein Spaß, den man nicht einmal dem Teufel gönnt. Die zehn sind Erdenmenschen, aber sie können sich nicht mehr vorstellen, wie es auf dem Planeten aussehen mag, von dem sie stammen. Sie haben nur noch Eis und Feuer um sich. Und die Schritte schlürfen, eintönig, ergeben, hoffnungslos. Unter den schweren Panzerstiefeln ist der schmale eisglatte Pfad, an dem linker Hand eine kalkige weiße Wand aufsteigt, an der rote und grüne Moose kleben. Ekelhafte Moose, die die menschliche Haut versengen, wenn sie damit in Berührung kommen. Rechts geht es steilab in ein riesiges Becken, auf dessen Grund der Feuersee lodert. Viele Meter über ihnen steigt die Eisdecke der endlosen schauerlichen Höhle aus dem Mittelvortrieb schräg hoch. Der unruhige rote Schein, den der heiße Grund nach oben wirft, geistert fingernd und drohend darüberhin. Der Pfad am Feuersee ist noch lange nicht zu Ende. Hinter ihnen schiebt sich J.X. 194 vorwärts. Es ist nicht gut, ihn hier am Feuersee hinter sich zu wissen, denn der Gigant J.X. 194 ist die abscheulichste aller abscheulichen Jupiterbestien, und wenn er in besonders guter Stimmung ist, macht er sich das Vergnügen, einen der lachhaft armseligen Erdenmenschen mit seinen elefantenrüsselartigen roten Saugarmen hochzuheben und in den Feuersee zu schleudern. Der schreit dann, während er durch die von Hitze und Kälte zerrissene Luft nach unten saust, dann hört man ein widerliches Patschen, noch einen tierhaften Schrei und dann nichts mehr. Doch: man hört, wie J.X. 194 ein Glucksen von sich gibt, so, als stiegen Blasen in ihm hoch, – es ist aber nichts als ein Zeichen dafür, daß er mit sich und seinem Dasein zufrieden ist. 5
Verdammt, es ist wirklich nicht gut, J.X. 194 im Rücken zu haben. Acht, neun, zehn … Die Beine stemmen die Panzerstiefel vorsichtig auf das schmutzig schimmernde Eis des Pfades. Einer nach dem anderen. Die Oberkörper etwas vornübergeneigt und alle Muskeln gespannt, um den Sturz in die flammende Tiefe möglichst noch zu verhindern, wenn die Panzerstiefel abgleiten sollten. Große Gestalten in blauen, dicken Schutzanzügen und mit weißen, breiten Atemmasken unter den flachen Helmen. Hinter sich hören sie das leise Pfeifen der pendelnden Saugarme von J.X. 194. Die Oberkörper neigen sich noch mehr vornüber. * Die Erde bewegt sich mehr als 650 Millionen Meilen von dieser Szenerie entfernt. Auf der Erde schreiben sie den 12. 9. 2561. Der September ist kalt und klar. Captain Ell Morrison vom Raumsicherheitsdienst spürt es plötzlich, als er sich dem geöffneten Filterfenster nähert. Ein scharfer Wind stößt aus der Klarheit des ausgesternten Himmels gegen die hellerleuchtete Fassade des hohen Rundhauses in Oceana, dem neuen Küstenort südlich von New York. Ell Morrison bleibt stehen, drückt auf den weißen Knopf in der mit gelber asiatischer Seide bespannten Wand, worauf sich die Schrägfilter im Fenster schließen. Der Mann, der in der Tiefe des Arbeitszimmers im Sessel sitzt und scheinbar mit großer Aufmerksamkeit den Bewegungen des Captains folgt, wendet seinen Blick von ihm ab. Der Blick aus randlosen Augengläsern geht zu einer kleinen grünen Ledermappe auf dem Schreibtisch. Die Augengläser täu6
schen, denn Forst Barrymoore ist ein Bursche, der sich bereits die Hölle von unten und oben angesehen hat, was ihm den Ruf einbrachte, der verrückteste und genialste TV-Reporter der Erde zu sein. Heute ist er allerdings ziemlich sprachlos. „Nee, Morrison, – kann ich nicht glauben …“ „Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, mein Liebster!“ „Beweise!“ „Beweise?“ sagt Ell Morrison beinahe höhnisch und geht über den dicken grünen Teppich an seinem Gast vorbei auf den Schreibtisch zu. „Hier haben Sie Beweise, die kein böser Geist mehr aus der Welt zaubert!“ Seine breiten Hände lassen das Schloß der Mappe aufklicken. „Aber ich denke nicht daran, damit gegen die I.T.L. vorzugehen …“ „Weiß der Oberst davon?“ „Nur Sie und ich – sonst keiner –“ „Warum?“ „Es ist besser so! Die I.T.L. ist kein singender Jungmännerverein. Ich werde mir in den nächsten Wochen Urlaub geben lassen und mir mal die I.T.L.-Zentrale auf Venus besehen! Machen Sie mit?“ „Möglich!“ „Ich hoffe, daß es ausreichen wird, um Brodeur und ein paar andere in die Falle zu bekommen. Übrigens – wissen Sie, daß Brodeur noch in diesem Jahr die Ehrenplakette des ‚Internationalen Clubs für Humanität’ erhalten soll?“ „Das ist ein Witz“, nickt der andere und grinst. „Wie sind Sie darauf gekommen?“ „Ich machte mir so meine Gedanken.“ Ell Morrison öffnet die Ledermappe und nimmt ein Tonband heraus, zwei Fotografien und einige maschinenbeschriebene Bogen. „Das kommt von ganz allein, wenn man ein ganzes Jahr nichts tut, als Inspektion zwischen den Planeten zu fliegen und dabei seine Nase in alle 7
möglichen Dinge steckt! Sehen Sie sich mal die Karte dort drüben an.“ Forst Barrymoore folgt der Handbewegung des Captains und sieht auf die große dunkle Projektionstafel mit der leuchtenden Darstellung des Sonnensystems an der Wand. Vier der Planeten leuchten rot auf, die anderen sind weiß. „Auf vier der Planeten unseres Sonnensystems gibt es Wesen, die man als Menschen bezeichnen kann: auf Erde, Venus, Jupiter und Uranus. Die Wesen von Erde und Venus ähneln einander stark, die von Jupiter sind affenartige Giganten, denen ein unergründlicher Weltengeist neben einem Gespensterkörper ein gewisses Maß an Intelligenz gegeben hat – und die Uranusmenschen sind Zehnmeterriesen, klug aber erstaunlich hilflos.“ „Und?“ „Diese ganze Welt wird beherrscht von der Erde. Sie ist technisch und geistig den anderen so weit voraus, daß sie ein Recht dazu hat. Aber der ‚Zentrale Rat’ der Erde hat dieses Recht einigen Privatgesellschaften übertragen und –“ „Bisher hat es sich auch bewährt.“ Ell Morrison lacht bellend auf, was sich gar nicht schön anhört. „Großartig hat es sich sogar bewährt! Die eine der drei Gesellschaften ist nichts anderes als eine hervorragend funktionierende Verbrecherorganisation, die über ein ganzes Sonnensystem herrschen kann, wie es ihr beliebt. Wir mit unserem armseligen Raumsicherheitsdienst können da normalerweise nicht viel reinriechen. Die beiden anderen – die Venus-DS-Companie und die kleine KKZ – sind harmlos und werden von friedlichen Bürgern geleitet – aber die –“ „I.T.L.! – ‚Interplanetarische Transport-Linien’ …“ „… ist ein Haufen, der endlich einmal auseinandergewirbelt werden muß! Ihr Präsident, der gute Onkel Max Brodeur, trieft 8
von Edelmut und läßt sich von hinten und vorn beweihräuchern! Dabei sollte man ihn öffentlich hinrichten …“ „Wäre nicht schlecht!“ Der TV-Mann mit den scharfen Augengläsern steht auf und tritt neben den Captain. „Ich sehe gern einen Felsen stürzen, aber wir werden es ziemlich schwer haben! Was Sie da vorbringen, geht einfach über das Begriffsvermögen vieler frommer Gemüter. Sie beschuldigen die I.T.L. des Schmuggels mit Uranusmenschen, des Massenmordes an Sklaven in geheimen RadiumBergwerken auf Merkur und in ähnlichen Gewinnungsstätten auf anderen Planeten, des Schmuggels mit Stoffen, die dem Weltmonopol unterstehen, der Freiheitsberaubung und des Mordes an Wissenschaftlern, die angeblich vor Jahrzehnten auf der Erde verstorben sind – Mensch, Morrison – das ist ein Weltuntergang –“ „Ich bin mir im klaren darüber.“ „Und was haben Sie da?“ Der Captain öffnet das Tonband und zieht ein Wiedergabegerät über die spiegelnde Schreibtischplatte zu sich heran. „Ein kleines, nettes Geständnis, Barrymoore. Aufgenommen in der Schnyder-Wüste auf Mars, als wir ein abgestürztes I.T.L.Raumschiff bargen. In dem Bordfunker war nicht mehr viel Leben, und ich habe ihm gleich das Mikrofon hingehalten. Er sagte mir, daß vor drei Jahren drei Angehörige der I.T.L. von einem Raumschiff in Venus-Nähe aus versucht hätten, ein Schiff des Raumsicherheitsdienstes anzurufen. Der Funkspruch wurde aber von der Überwachung der I.T.L.-Zentrale auf Venus abgefangen, in der der Funker tätig war. Mit dem Funkspruch sei der Raumsicherheitsdienst aufgefordert worden, Max Brodeur zu verhaften, da sie ihn des Mordes beschuldigten …“ „Damned! Und was ist aus den drei geworden?“ „Sie sind verschwunden! Der Funker wußte nur, daß einer von ihnen Alan Sarett hieß. Er nahm an, daß man sie zum Jupi9
ter gebracht hat, wo in riesigen Schwefelhöhlen viele Erdenmenschen arbeiten sollen.“ Forst Barrymoores Augen werden eng. „Dann müßte man also zum Jupiter! Ich habe ein eigenes Raumschiff, Morrison!“ „Weiß, Barrymoore!“ „Man könnte“, fährt der TV-Mann langsam fort, „sich leicht über dem Jupiter von der I.T.L. gefangennehmen lassen, wie?“ „Es wird kein reines Vergnügen sein“, kaut der Captain vorsichtig, der erkennt, worauf Forst Barrymoore hinaus will, „aber abgesehen davon – man könnte es schon …“ Dann beginnt das Wiedergabegerät zu surren. *
Vierzig Minuten später ist der Captain allein. Forst Barrymoore verläßt das rundwandige Hochhaus des Raumsicherheitsdienstes durch einen der an der Südseite untereinander angebrachten Etagengärten. Ell Morrison packt das Tonband, die Fotografien und die Papiere, die dem großen M. B. das Genick brechen sollen, wieder in die grüne Ledermappe und raucht dabei eine Zigarette. Er hat nun einen Mitwisser. Es ist gut, daß er Forst Barrymoore eingeweiht hat, denn in der nächsten Stunde geschieht etwas, woran Ell Morrison heute abend nicht denkt. Er raucht seine Zigarette auf und streicht sich über die Stirn, hinter der die Erregung hämmert und klopft. Ich habe es schon lange geahnt, Max Brodeur, daß hinter deinem populären Zähnefletschen die Heimtücke lauert, aber ich werde den Menschen bald erzählen, was sie an dir haben. Ell Morrison nimmt die Mappe auf und verläßt das Arbeitszimmer. Hinter ihm erlischt automatisch das Flutlicht. Der beste Cap10
tain des Raumsicherheitsdienstes geht mit seinen lautlosen Schritten durch den zweiten Etagengarten, besteigt seinen roten Flugwagen und rast los. Die Bäume des Parkstreifens am Hochhaus drehen sich schräg weg. Irgendwo weit oben ziehen weiße Schleier vor das Sternbild der Leier. Ell Morrison bemerkt nicht den Flugwagen, der einige hundert Meter links abgeblendet neben ihm herfliegt. Der Captain ist aufgeregt. Mit der Linken zerrt er schon wieder eine Zigarette aus der aufgerissenen Packung und starrt gedankenlos auf den schräggestellten Bildschirm vor dem Gabelsteuer, über den die Tagesschau rollt. Der Ton kommt verzerrt und schwankt etwas unter den leichten Stößen der unruhig fliegenden Maschine. Die Tagesschau bringt ein Pferderennen, aber dann plötzlich etwas anderes. Ell Morrison zuckt zusammen, als auf der gläsern leuchtenden Scheibe der Mann erscheint, an den er so liebevoll denkt. Natürlich, sie müssen ihn zweimal in der Woche bringen. Max Brodeur sieht es gern. Max Brodeur gibt heute abend im NewYork-Palast der I.T.L. einen Empfang und bewegt sich hochgewachsen und breitschultrig im tadellos sitzenden Smoking zwischen denen, die gekommen sind, um sich an seiner Gunst zu wärmen. Neben sich hat er gerade den Gouverneur des III. amerikanischen Kontinentaldistrikts Edward Forman und Gloria Ratkin, die Schauspielerin mit dem süßesten Lächeln der Welt. Mit Augen, die eng und schmal sind vor Haß, starrt der Captain auf den Bildschirm. Von weither wischt tänzelnde Musik darüberhin. Dann verschwindet das Bild, und der Sprecher der Tagesschau taucht geisterhaft aus der gläsernen Tiefe auf. „Sie warfen einen Blick in die Räume des New-York-Palastes der I.T.L., in denen Präsident Brodeur vor dem Empfang offiziell bekanntgab, daß in 11
zwei Monaten die größte Raumfahrtgesellschaft der Erde in ihrer Zentrale auf Venus ein Großwerk zur Gewinnung kosmischer Energien einweihen wird und daß zu diesem Anlaß alle führenden Männer der Erde auf dem Nachbarplaneten die persönlichen Gäste von Präsident Brodeur sein werden. –“ Persönliche Gäste von Max Brodeur? grinst Ell Morrison böse, und er sieht nicht gut aus dabei. Seine Hände bewegen nachlässig das Gabelsteuer. Von links stößt in diesem Augenblick ein harter Scheinwerferstrahl an den Seitenscheiben vorbei. Unten gleitet der weite Oceana-Park heran. Dunkel und verlassen. Mit hohen schlanken Zierbäumen, in deren trockenen Blättern der frostige Wind des nahenden Herbstes jammert. Ell Morrisons Gedanken sind weit weg, sie sind bei Max Brodeur und seinem menschenfreundlichen Unterfangen, die Männer der Erde auf Venus um sich zu sammeln. Sie werden kommen! Oh, wer kommt nicht, wenn der große M. B. ruft! Doch Ell Morrison gefällt es gar nicht, was er da vorhat. Verdammt, das kann bedeuten, daß sie die Erde nicht wiedersehen werden, wenn … Der Captain kommt nicht dazu, seinen Gedanken zu Ende zu spinnen, denn ein breiter Flammenstrahl trifft ihn im Rücken und haut ihn mit dem Gesicht nach vorn auf das Gabelsteuer. Der Flugwagen stellt sich steil und rast mit der Schnauze nach unten in den verlassenen Oceana-Park. Gleich darauf steigt eine Stichflamme hoch, und dann dröhnt es dumpf und berstend. *
Auf Jupiter schlürfen Panzerstiefel über eisige Pfade … Im Höllenglühen des sonnennahen Merkur verbrennen Hunderte von Uranusmenschen. 12
Davon weiß die Erde nichts. New York weiß es nicht. New York erfährt am nächsten Morgen über die Bildschirme und Nachrichtenfassaden, daß die I.T.L. die Prominenten der Erde zu einem Besuch ihrer Zentrale auf Venus eingeladen hat. Große erhabene Tage stehen der Menschheit bevor. Und die große Stadt erfährt, daß der berühmte Captain Ell Morrison, einer der fähigsten Beamten des Raumsicherheitsdienstes, auf einem Heimflug vom Dienst einem schweren Unglücksfall zum Opfer gefallen ist. Einen Mord hält man nicht für ausgeschlossen. Alle TV-Zeitungen bringen das Bild Ell Morrisons. Die I.T.L. spricht dem Raumsicherheitsdienst ihre tiefe und aufrichtige Anteilnahme aus, und Max Brodeur spricht von dem schweren Verlust, der auch ihn getroffen habe, denn Captain Morrison sei immer für das Recht im Weltraum eingetreten. „Unsere Ideale waren auch seine – unser Wollen traf sich in unserer Entschlossenheit, den Geboten der Menschlichkeit auch außerhalb der Erde Geltung zu verschaffen …“ Die grüne Ledermappe findet man nicht bei dem Toten. Auf Jupiter schlürfen Panzerstiefel über eisige Pfade … Die I.T.L. erscheint in großer Besetzung zu den Trauerfeierlichkeiten für Ell Morrison. Daß einer fehlt, der unter normalen Umständen daran teilgenommen hätte, fällt nicht auf: Forst Barrymoore. Keiner weiß, wo er steckt. Er verläßt in diesen Tagen die Erde. * Auf Jupiter schlürfen Panzerstiefel über eisige Pfade … Alan Sarett gehört zu denen, die von den Jupiterbestien in die Vortriebe gebracht werden. In den Vortrieben wartet die Hölle in ihrer heißesten und interessantesten Ausgabe auf sie – 13
sie sind nichts als riesenhafte Ausbuchtungen in diesem Höhlensystem auf der Nordseite des Jupiter und enden vor einer schwefelgelben Wand. Rotglühende Dämpfe quellen aus den feinen Rissen und Poren der Wand. Mit weißflammenden Brennern müssen die Männer gegen sie angehen. Die knallende weiße Helle springt und tanzt vor den Augen und schneidet große Brocken aus der verfluchten heißen Wand. Die Brocken kommen auf große flache Schlitten. Die Kerle, die auf diesen Schlitten die dampfende Ernte der Furchtgetriebenen zu einem fernen Sammelplatz fahren müssen, sind immer noch am besten dran. Der Sammelplatz liegt weiter unten und nördlich von der Wand, und von ihm aus geht eine breite Straße direkt zu einem Startfeld für Raumschiffe. Wer eine Schicht vor der Schwefelwand verbracht hat, kämpft verzweifelt gegen das erbärmliche Gefühl, blind zu werden. Das grüne Spezialglas in der weißen Atemmaske hält nicht alle schädlichen Einwirkungen ab. – Wer das zum erstenmal mitmacht, brüllt und heult und preßt die Fäuste vor die Augen, als könnte er die Blindheit von ihnen abhalten. Fünf Stunden dauert so eine Schicht, und das sind genau fünf Stunden zu viel für einen normalen Menschen. Keiner weiß, was mit den herausgeschnittenen dampfenden Schwefelbrocken geschieht. * Es sind zwei Wochen nach der Ermordung Ell Morrisons. In den Jupiterhöhlen ahnen sie nichts von dem kurzen verzweifelten Kampf eines Captains des Raumsicherheitsdienstes. Wieder müssen sie am Feuersee vorbei, und das tierhafte Ungeheuer, das sich gut achtzehn Meter hoch, einäugig und auf seinen dicken behaarten Affenbeinen hinter ihnen her bewegt, 14
trägt die schreckliche Nummer J.X. 194. Auf einer schmalen weißen Tafel unterhalb der linken Schulter. Alan Sarett beschließt die Reihe der Sklaven. Er hat J.X. 194 unmittelbar hinter sich und zwingt sich, nicht auf das leise Pfeifen der pendelnden Rüsselarme zu hören. Die neun, die vor ihm marschieren, kennt er nicht alle. Jon Cory und Lief Parker sind dabei, Alaska und der Franzose Francis und noch ein paar Bekannte mehr, aber an der Spitze taumeln zwei, die bestimmt das erstemal an der Schwefelwand gewesen sind. Sie haben die Hände vor das Gesicht gepreßt und stöhnen in sich hinein. Arme Teufel, denkt Alan Sarett. J.X. 194 ist unruhiger als sonst. Die Rüsselarme pendeln wie schwingende Peitschen über Saretts Kopf. Das Glucksen in seinem Körper ist wie das harte Knallen von Pistolenschüssen. Alan Sarett ist heilfroh, als der Feuersee hinter ihnen liegt und sie sich dem Felsvorsprung nähern. Hinter dem Felsvorsprung biegen sie nach links ab und marschieren durch einen künstlich angelegten Gang auf eine Reihe von ovalen Hermetiktüren zu, die in einer silberglänzenden Metallwand angebracht sind. Aus einer breiten Röhre an der Eisdecke des Gangs fällt blaues Licht … Die ovalen Hermetiktüren sind numeriert. Elf gibt es. Als der vorderste einen Kontaktstreifen im Gangboden erreicht, öffnet sich mit hellem Zischen die dritte der Hermetiktüren. Sie stolpern halbtot in den langen Waschraum hinein, der sich vor ihnen auftut. Einer nach dem anderen. J.X. 194 bleibt draußen. Es ist gut, daß die Bestie nicht auch noch in die Aufenthaltsräume der Arbeitssklaven hineinkann. Der Waschraum ist von einer geradezu großartigen Primitivität und hat neckischerweise blaue Wände, die nicht gerade Ruhe und Geborgenheit ausströmen. Auch der Schlafraum der zehn, 15
der sich anschließt, ist in dieser Farbe gehalten. Er ist so komfortabel wie der Waschraum und hat zehn Pritschen aufzuweisen, deren Anblick Wohltätigkeitsorganisationen der Erde in Weißglut bringen würde. An der Stirnseite dieses herrlichen Heims befindet sich ein Fernsehobjektiv, das starr auf die zehn gerichtet ist und alles, was hier geschieht, oben im Kontrollraum der Zentrale auf einen Bildschirm wirft. Wenn es Joe Hudson paßt, kann er alles genau verfolgen. Und es paßt ihm verdammt oft. Die neuen beruhigen sich immer noch nicht. Die anderen werfen schon ihre schmutzigklebrigen Schutzanzüge ab und stellen sich unter die Brause, aus der das trübe Wasser der Jupiterhöhlen rinnt. Alan Sarett geht an der Vertiefung im Fußboden vorbei, in der die Männer stehen und sich abzuwaschen beginnen. Er legt einem der neuen die Hand auf die Schulter. Der krümmt sich im Stehen und wimmert und flucht. „Wird schon vorübergehen, alter Junge“, knurrt Alan Sarett gutmütig. „Die Augen sind nicht weg! Das fühlt sich nur so an …“ „Verdammte Schweinerei!“ wimmert der andere und wird dann still. Alan Saretts Hände reißen schon die Verschlüsse des Schutzanzuges auf und ziehen ihm das klebrige Zeug vom Körper. Auch die Atemmaske nimmt er ihm ab. Ein längliches Männergesicht kommt zum Vorschein, das von den weitaufgerissenen entzündeten Augen seltsam entstellt wird. „Ich bin Alan Sarett! Noch neu in unserem Paradies, wie?“ „Vor drei Tagen eingetroffen! Ford Snider kannst du mich nennen, aber wenn du zufällig dieser Ingenieur Sarett bist, der mal versucht hat …“ – die entzündeten Augen richteten sich auf ihn – „… den Raumsicherheitsdienst zu alarmieren …“ Sarett schleudert aus dem Handgelenk heraus den Schutzanzug zu einem Bündel zusammen und wirft ihn nach drüben auf 16
den Kleiderlift, der zur Reinigung führt. Ihm ist keine Überraschung anzumerken. „Was dann?“ fragt er so nebenbei. „Dann haben wir uns noch allerhand zu sagen …“ Der Ingenieur zieht sich selber aus. „So?“ murrt er mißtrauisch. „Hast mich wohl gesucht, was?“ „Schon – aber ich habe verdammt viel Glück dabei gehabt.“ „Und?“ „Ich meine, wir sollten uns mal unter vier Augen sprechen.“ „Gleich.“ *
Von der Spitze des Kontrollturms flammt es in Intervallen. Weiße Lichtbalken jagen abwechselnd nach Süden und nach Norden. Stoßen vor in ein rötlichverschwimmendes Zwielicht, das die ganze verlorene Jupiterlandschaft einhüllt … Vor einem rauhzerklüfteten Bergzug im Norden liegt ein felsiges Tiefland, das eingebettet ist in einen gewaltigen Ozean, der dreimal so groß ist wie Europa und nichts enthält als flüssiges Ammoniak und gewaltige Ebenen von ewigem Eis. Das Tiefland selber ist einige hundert Meilen lang und verhältnismäßig schmal. Nur wenige Meilen von den letzten Ausläufern des Bergzuges entfernt ragt der Kontrollturm hoch. Im Halbkreis gehen weit vor ihm drei Tunnel schräg nach unten in die Welt der Schwefelhöhlen und Sklaven. Unaufhörlich zucken die Richtfeuer hoch. In der Spitze des Kontrollturms steht Joe Hudson. Wer in Joe Hudsons Nähe arbeiten muß, ist immer allerhand netten Überraschungen ausgesetzt. Wenn es dem Herrn des Jupiters paßt, verteilt er kleine hübsche Kinnhaken und nennt das fröhlich lächelnd ein „abgekürztes Disziplinarverfahren“ … Joe kann es sich leisten, denn er ist ein Bär von Kerl und war 17
in seinen tugendsamen Zeiten Kontinentalmeister im Schwergewicht. Der stille, fromme Abraham Flamingo zittert denn auch heftig, als er in der Helle der Kuppel vor ihm steht und seine Meldung herunterleiert: „Wir haben die Neuen eingesetzt, Boß. Einer von den fünf ist ein Fremder, der mit einem Einmann-Raumschiff über Planquadrat Q118 heruntergeholt wurde, Snider heißt er. Und die vier aus dem Werk Venus II sind …“ Joe Hudson hebt die Rechte und spreizt den klobigen Daumen von der Pranke ab. 23 Männer arbeiten in der Zentrale der Jupiterhöhlen und alle 23 wissen, was diese Geste bedeutet: Es ist gut, wenn man sieht, daß man Land gewinnt. Abraham Flamingo sirrt ab, daß man nur noch seinen schmächtigen Rücken sieht. Joe Hudson wendet sich wieder Dr. Armstrong zu, der neben ihm steht. Um sie dehnt sich das Rund der Tunnelkuppel mit den Reihen der Bildschirme und dem großen Geschütz der Elektronenoptik, mit dem man das ganze Tiefland übersehen kann. Dr. Armstrong, ein lächerlicher Zwerg in knallgelbem Schutzanzug und mit dem erloschenen Gesicht des heruntergekommenen Akademikers, starrt dem Davonlaufenden nach. „Haben Sie diesen Fremden an Venus gemeldet, Boß?“ „Diesen Snider?“ fletscht Joe belustigt sein gelbes Raubtiergebiß. „Ich glaube nicht, daß was dahintersteckt, Doc, aber natürlich habe ich seinen Steckbrief an Roddigon durchgegeben. Mal sehen, ob er ein Schnüffler ist. Ist auch verdammt unwichtig im Augenblick, Doc – die Urrus machen mir mehr Sorgen.“ Die Urrus sind die Uranusmenschen. Es steht nicht gut um sie und ihr großes Lager. „Die Biester im Nordlager werden aufsässig, wie?“ lacht Dr. Armstrong meckernd wie eine hungrige Ziege. „Lassen Sie eine Batterie Atomwerfer auffahren …“ 18
„Noch nicht, Doc! Habe Anweisung von Venus, die Urrus leben zu lassen, bis Solar-X angelaufen ist. Dann sollen sie mit ihrem Lager in das Reich der Wolken befördert werden.“ Der Doktor spielt mit einer Zigarettenpackung, die er aus einer der Seitentaschen zaubert und aufreißt. „Und – dann –?“ „Kommen neue“, sagte Joe Hudson trocken. „Auf Uranus sind einige Millionen von diesen Riesenbabies.“ „Hm – und wann soll die Aktion ‚Solar-X’ anlaufen?“ Joe streckt die Pranke aus und zieht sich selbst eine Zigarette aus der Packung. Dr. Armstrongs Feuerzeug klickt fast gleichzeitig auf. „Wenn die Bonzen der Erde in I.T.L.-Venus sein werden, soll die Solar-X-Flotte unterwegs sein! Auf den Spaß freue ich mich schon! Wenn wir den großmächtigen Herren unser nettes grünes Pulver unter die Nase halten, werden sie – äh – ahem.“ Er unterbricht sich, als habe er schon zuviel gesagt, aber Dr. Armstrong hat ihn verstanden und meckert wieder wie eine hungrige Ziege. In diesem Augenblick brummt über ihren Köpfen ein Summton auf, der sie zusammenfahren läßt. Der Summton wiederholt sich zweimal. Ohne ein Wort zu sagen, wuchtet Joe über den Plattenboden und stürzt die große Spirale hinab, die nach unten in den Betriebsraum A führt. Die Aufregung, die hier herrscht, ist ziemlich groß. Ein ganzer Haufen von I.T.L.-Männern von der üblen Sorte drängt sich vor einem hohen Bildschirm in der Mitte des Raumes. „Was ist los?“ brüllt der Bär schon von der Spirale aus. Hinter ihm trippelt aufgeregt Dr. Armstrong. Unten dreht sich irgendeiner um. „Die Urrus kommen! Sie haben drei J.X.s überwältigt und marschieren auf Tunnel II zu! Nehme an, sie wollen zum Raketenfeld …“ „Stoppen“, keucht der Zwerg von Doktor aufgeregt und in einer Angst, die ihn jäh anspringt. „Joe, schicken Sie doch …“ Joe Hudson winkt ab. 19
Wuchtet in den Betriebsraum und starrt benommen auf das, was sich ihm auf der großen Scheibe bietet: eine große Masse von Riesen mit weißen bartlosen Gesichtern taucht aus dem Zwielicht des Jupitertages auf. Gespenstisch – unwirklich – fremd. „Achtzig J.X.s in die Rundhalle!“ befiehlt er etwas hastiger als sonst. „Achtzig J.X.s in die Rundhalle! Okay!“ * Hunderte sind es – Die Schritte der Zehnmeterriesen wuchten schwer auf den Felsboden, daß ein Beben vor ihnen herläuft. Seltsame Wesen vom siebenten Planeten. Riesen mit weißen Kindergesichtern. Was sie vorwärtsdrängt, was ihnen Kraft gibt zu diesem Marsch, ist ein untergründiges dumpfes Gefühl. Wut mag es sein. Sicher ist es Verzweiflung. Und Sehnsucht. Aus den erstaunlich kleinen Mündern dringen Laute. Schreie. Gesungene Schreie, die modulieren in einer Inbrunst, die wehmütig durch die Verlorenheit des Jupiters hallt. „Die drei Götter des Meeres sind fern, so fern wie das Meer selber …“ Hunderte marschieren – In dicken Anzügen aus festem metallartigem Kunststoff mit leuchtenden großen Nummern. Heben sich grau ab von dem unruhigen Rot des Bergzuges. Sie wollen zum Raketenfeld, das tief eingebettet in das Höhlensystem liegt. Sie müssen durch Tunnel II, wenn sie zu den Raketen und Raumschiffen wollen. Von innen strahlend hell erleuchtet und weitaufklaffend liegt er vor ihnen. 20
Keiner hindert sie, sich dem Tunnel zu nähern. Auf dem Raketenfeld aber liegen nur zwei kleinere Raumschiffe. Ein drittes taucht weißleuchtend aus der Wolkenlandschaft der Atmosphäre auf und kurvt weit vor ihnen. An der Spitze der Urrus marschieren vier mit klugen, strafferen Gesichtern. Einer ist unter ihnen, der weiß, daß sie in ihr Unglück marschieren. * Ford Snider schlürft die dampfende Brühe. Neben ihm hockt Alan Sarett auf der Bank, die zwischen den Pritschen im Schlafraum steht, und auf der anderen Seite von ihm zwei, die sich Jon Cory und Lief Parker nennen. Das blaue Licht, das aus der Höhe über ihnen fällt, ist unruhig und schwankt in einem schweren, gleichbleibenden Rhythmus. Sie achten nicht darauf, obwohl es sonst nicht so ist. Alan Sarett kippt den Rest aus seinem Trinkgefäß hinter die unrasierte Kehle und leckt sich mit der Zunge die fettigen Lippen. „So – Forst Barrymoore heißt du! Dachte mir gleich so was!“ „Ich hoffe, daß mein echter Name nicht die Runde durch alle Höhlen machen wird“, grinst der TV-Mann etwas kläglich, denn was er in den letzten Tagen erlebt hat, hat ihn ziemlich durcheinandergeschüttelt. „Ihr wißt nun, was auf der Erde passiert ist. Dieser Captain Morrison wollte Brodeur den Hals umdrehen, aber der kam ihm zuvor. Nun werde ich die Partie zu Ende spielen.“ „Und wir spielen mit“, kaut Lief Parker unter seiner gewaltigen Hakennase hervor. „Kannst dich drauf verlassen! Uns fehlt nur ein anständiges Raumschiff – und dann ab –!“ 21
„Auf der Erde hatte Morrison nur einige Anhaltspunkte“, sagte Forst Barrymoore abwehrend. „Ich muß aber wissen, was wirklich mit Brodeur und der I.T.L. ist – eher gehe ich hier nicht wieder weg!“ Er sucht die Taschen ab, findet aber nur seine leere Shagpfeife und schiebt sie zwischen die Zähne. „Was ich hier gesehen habe, ist schlimm, Leute, – so stell ich mir die Hölle vor.“ „Es ist die Hölle“, sagt Lief Parker schwer. „Wir kamen selber nur durch einen Zufall dahinter, daß in der I.T.L. was nicht stimmte“, berichtet Alan Sarett und schiebt Barrymoore eine halbvolle Tabakdose hin. „Wir arbeiteten in der zentralen Raumflugbasis von I.T.L.-Venus. Parker und Cory in der Erprobung und ich in der nautischen Abteilung. Der Job war erstklassig. Meine Schwester ist noch als Ingenieurassistentin bei der I.T.L. Aber wir drei waren nun mal Idioten, die nicht die Augen zumachen konnten. Kennst du I.T.L.-Venus?“ „Vor drei Jahren war ich mal da.“ „Zu der Zeit also, als es mit uns passierte, wie? Damals hat man dich freundlich aufgenommen, dir alles gezeigt, alles – nur nicht die Lymmadschungel nördlich vom Äquatorgebirge und die geheime Abteilung VI. Und man hat dir auch nicht gezeigt, daß man bereits daran ging, das ganze Dschungelgebiet zu kultivieren, um es für die Aufnahme von einigen hundert Millionen Erdenmenschen vorzubereiten.“ Forst Barrymoore glotzte dumm. „Äh – was sagst du da?“ „Du hast mich schon verstanden, Junge! Wir kamen dahinter, als wir einen der feinen Herren von Abteilung VI ziemlich betrunken aus einem Sumpf ziehen mußten – wir erfuhren noch mehr von ihm.“ „Hundert Millionen Erdenmenschen?“ kaut Forst Barrymoore benommen. „Einige Hundert sagte ich“, grinst der Ingenieur und Cory und Parker nicken. „Ich will dir genau sagen, was man bei der 22
I.T.L. ausbrütet: Man will auch noch die Erde! Verstehst du, die Erde! Dann hat man nämlich das ganze Sonnensystem fest in der Hand. Aus dem Schwefelstoff, den wir hier abbauen, wird ein Mittel gewonnen, das die Fähigkeit hat, den Menschen zu verjüngen. Das hat man uns gesagt! Man hat uns aber nicht gesagt, daß man daraus auch den Sprengstoff Solar-X herstellen kann und daß man es auch tut und diesen hier auf Jupiter lagert.“ „Wozu?“ Forst Barrymoores Stimme klingt heiser. „Max Brodeur will damit die Erde zwingen, sich zu ergeben. Ich habe keine große Phantasie, aber ich nehme an, daß er es versuchen wird, den Zentralen Rat gefangenzusetzen und dann die Menschen der Erde nach und nach auf Erde und Venus zu verteilen, um so seine Herrschaft zu sichern. Schön nicht, Barrymoore?“ „Diese Schurken!“ sagt der TV-Mann kalt und zerbeißt sich die Unterlippe. Verdammt, das ist viel schlimmer, als Ell Morrison ahnen konnte. „Eine glatte Rechnung, Barrymoore! Und sie geht auf, denn Solar-X sprengt kleinere Planeten auseinander, wenn es darauf ankommt.“ „Wo lagert das Zeug?“ „Weit ab von hier“, mischt sich der schlaksige Junge mit den hellen guten Augen ein, der Jon Cory heißt. Er hat eine merkwürdige helle, schwingende Stimme. „Ich hörte mal, daß die I.T.L.-Leute in Raketenmaschinen zu dem Gebiet fliegen, in dem Solar-X lagert. Es muß also sehr weit ab liegen. Angeblich soll sich dort auch eine Werft befinden, auf der neuartige Raumschiffe gebaut werden.“ „Zum Angriff auf die Erde“, kaut Lief Parker wieder unter seiner Hakennase hervor. Forst Barrymoore sagt nichts. Sie schweigen alle mit einemmal und es wird ihnen bewußt, daß das blaue Licht schwankt und daß ein Ton von weither durch die blauen Metallwände dringt. 23
Auch Alan Sarett hebt den Kopf und horcht. Dann springt er auf. „Jungens! Da stimmt was nicht!“ „Das sind die Urrus!“ schreit einer von den anderen und schleudert in wilder Aufregung sein Trinkgefäß weg. „Die Urrus stürmen!“ Einer rennt los. Alaska ist es. Rennt auf die Stirnwand zu. * Forst Barrymoore reißt es hoch von der Bank. Der Klageton hört sich so an, daß er sein Herz spürt, daß es ihm die Kehle schnürt. Singen ist es – ein noch sehr weit entferntes Singen, das aber näher kommt. Alaska hat die Stirnwand erreicht. Reißt einen Hebel herunter. Eine Tür öffnet sich, die Forst Barrymoore erst jetzt bemerkt. Im gleichen Augenblick wird das Singen zu einem urhaften Orgeldröhnen, das das ganze Höhlensystem auszufüllen scheint. Sie rennen alle los. Jenseits der Tür befindet sich ein Gang, der parallel zu den nebeneinanderliegenden Schlafräumen läuft. Er ist aber verhältnismäßig schmal und stößt mit seiner ganzen Breite gegen eine hohe Wand aus glasartigem Kunststoff. Hinter der Wand ist es taghell. Sie rennen alle hinter Alaska her. Sie sind nicht die einzigen im Gang. Aus allen Schlafräumen kommen die Männer von den Freischichten und stoßen sich fast die Köpfe ein an der glasartigen Wand. Sie blickten erstarrt in einen Aufruhr, den die Jupiterhöhlen noch nicht gesehen haben. Forst Barrymoore hält sich neben Alan Sarett. Der Ingenieur zwängt sich mit ihm zwischen drängende und schiebende Schultern. Barrymoore zuckt zusammen, als er in 24
einen riesigen Rundraum blickt, der tief unter ihnen beginnt und weit oben irgendwo endet. Die größten Bauwerke der Erde könnten hier stehen. Höhlenartig ist dieser Rundraum, und doch sieht Barrymoore auf den ersten Blick, daß hier hochqualifizierte Techniker am Werk gewesen sind. Die Wände sind aus Eis, in das aber ein ganzes System von gigantischen Metallträgern eingelassen ist. Auf Galerien, die etagenartig übereinanderliegen, stehen Scheinwerferbatterien und kranähnliche Geräte. Und J.X.s, die drohend zu der Glaswand des Gefangenenblocks heraufstarren und aufgeregt mit den Rüsselarmen pendeln. Der Boden ist eine silberne Ebene, auf die aus den Eiswänden heraus vier Tunnel führen. Auf einen dieser Tunnel konzentrieren sich die Scheinwerfer. In diesem Tunnel lebt es. Drängt es. Singt es. Eine Armee von grauen Riesen kommt heraus, wuchtet mit vorgebeugten Oberkörpern hinein in die Grelle. Die Grelle ist hart, sachlich. Die Grelle ist wie ein Hohnlachen. Alan Sarett atmet schwer und gepreßt. Nicht nur er. Sie alle können sich nicht rühren. In breiter Front stehen hundert Meter vor dem Tunnel J.X.s. Achtzig J.X.s. Ihre Rüsselarme pressen sie gegen ihre Affenkörper. Sie bewegen sich kaum. Auf einer Plattform, die an einem der Kräne über den Jupiterbestien hängt, steht ein einsamer Mann. Forst Barrymoore ist kein Feigling, aber er wendet unwillkürlich den Blick ab von dem, was kommen muß. Blickt auf diesen Mann. Erkennt, daß er eine schwarze Maske trägt und vor sich ein Schaltgerät mit drei roten Tasten stehen hat. Ohne daß er es eigentlich will, sieht Forst ihn sich genau an. Stutzt. Der Einsame mit der schwarzen Maske, von dem in den nächsten Sekunden viel abhängen wird, trägt den blauen Schutzanzug der Sklaven. 25
Aber er kann doch kein Sklave sein! Der Mann ist mittelgroß und hager, aber man sieht ihm an, daß verdammt viel Energie in ihm steckt. Forst Barrymoore sieht, daß der Zeigefinger des Mannes sich auf eine Taste legt. Dann geschieht es schon. Wie Roboter reagieren die Jupiterbestien auf den Befehl. Die Starre ihrer Front bricht sich in einem Tosen, das alle die Männer zusammenfahren läßt. Sie pressen ihre Gesichter noch fester gegen die Wand, um nichts von der Gespensterschlacht zu versäumen. J.X.s gegen die Urrus! Die J.X.s sind eine disziplinierte Truppe, die gegen einen Haufen verzweifelter Aufrührer vorgeht. In ihrem Gehirn brodelt dumpf die Feindschaft gegen diese fremde Wesen. In ihren Gliedern hämmern die Befehle des unbekannten Mannes. Für ein paar Herzschläge stocken die Urrus. Dann sind sie ineinander. Rüsselarme packen zu, Peitschen hoch. Reißen die ersten grauen Riesen aus der drängenden Masse. Schleudern sie nach hinten weg. Die ersten weißen Kindergesichter schlagen auf dem silbernen Boden auf. Hart. Knallend. Bleiben liegen und rühren sich nicht mehr. „Die Urrus sind hilflos“, stößt Alan Sarett atemlos hervor. „Sieh mal – sieh …!“ Forst Barrymoore sieht es schon. Die Front der rasenden Rüsselarme reißt die Masse auseinander. Sie schreien wieder, die Urrus. Aber es ist ein jämmerliches klägliches Schreien. Forst Barrymoore zählt die Riesenleiber, die durch die weiße Grelle fliegen. Er gibt es gleich wieder auf. Nach einigen Minuten ist alles entschieden. Die ersten Urrus werfen sich herum. Wollen zurück in den Tunnel. Im Tunnel tauchen J.X.s auf. „Verdammte Schweinerei“, flucht Lief Barker erbittert los. „Jetzt machen sie die Riesenbabys fertig!“ 26
„Arme Urrus!“ sagte einer. „Arme Urrus“, denken sie alle. * Jupiter ruft Venus … Die Energiefelder des Weltalls tragen die Meldung, die wenige Minuten später vom 300-Meter-Funkturm am südlichen Rande des Tieflandes Hinausgegeben wird an das Raumschiff „I.T.L. A III“, das ständig in einem bestimmten Gebiet zwischen Venus und Erde kreist und nur die eine Aufgabe hat, die Meldungen an I.T.L.-Venus weiterzugeben, die von Jupiter kommen. In den Jupiterhöhlen heult und tobt noch die Wut der J.X.s und der Schmerz der Urrus, da erreicht die Meldung ein hellerleuchtetes Hochhaus. Das Hochhaus steht auf einer Anhöhe mitten in I.T.L.-Venus und wird scharf bewacht. In ihm arbeitet die Abteilung VI der I.T.L.-Verwaltung, und die Männer, die hier an den Arbeitstischen sitzen, wissen, daß sie ein Spiel treiben, das nur mit einer absoluten Herrschaft über ein Sonnensystem oder vor dem Henker enden wird. Auch Daniel Henderson weiß es. Daniel Henderson ist verantwortlich für die Aktion „Solar-X“. Er wirkt wie ein stiller Gelehrter und stammt auch aus jenen Kreisen, die auch einen Dr. Armstrong von sich gestoßen haben. Er liest den Schriftstreifen durch und drückt auf einen Knopf. Gleich darauf tritt einer ein, der einen grauen Straßenanzug trägt und sich so benimmt, als befände er sich in New York oder Paris. Henderson sieht ihn nicht einmal an. „Hudson meldet eben, was ich schon lange befürchtete.“ 27
„Die Urrus werden aufsässig, wie?“ fragt der andere und langt nach dem Schriftstreifen. Dann streicht er sich über seine phantastisch bunte Krawatte und legt das aufgerollte Papier wieder zurück. „Gut pariert von dem Bären, – er hat sie in die Enge getrieben und läßt sie zusammenschlagen …“ „Trotzdem! Er sollte vorsichtig sein!“ Henderson steht auf und kommt um den nierenförmigen Schreibtisch herum. „Die Urrus kann er halten, die werden rasch wieder weich werden, und wir brauchen sie noch. Ich habe bereits Anweisung durchgegeben, daß er das Nordlager auflösen und sie auf die Höhlen verteilen soll. – Sie werden ein bißchen mehr frieren als sonst, aber das haben sie sich selber zuzuschreiben.“ Der im eleganten Straßenanzug wird aufmerksam. „Es ist nicht nur wegen der Urrus?“ „Da ist ein Fremder in einem Einmann-Raumschiff über Jupiter heruntergekommen. Angeblich war er durch eine Havarie in den Anziehungsbereich des Planeten geraten. Hudson hat ihn an die Schwefelwand geschickt und dem Sicherheitsdienst über TT-Bildfunk sein Bild übermittelt. Hier ist es …“ Er reckt ihm die Aufnahme hin, die von der TT-Kamera in der Raumfunkstation aufgenommen wurde. „Tja, Henderson, das sagt mir nicht viel …“ „Ihnen nicht, aber dem Sicherheitsdienst. Man ist dort nämlich der Meinung, daß es sich um einen Mann handelt, der auf der Erde in der letzten Zeit mit Captain Morrison zusammen gesehen wurde.“ „Dann soll Hudson ihn sich vornehmen.“ „Das wird er! Verlassen Sie sich drauf!“ Unter einer der drei geriffelten Lautflächen an der Wand glüht eine rote Röhre auf. Eine Stimme hallt hart in den Raum. „Achtung! An alle! Raumschiff ‚Universum’ mit Präsident an Bord landet! Achtung! An alle …“ „Brodeur hat sich wieder mal lange auf der Erde aufgehalten!“ 28
Henderson wendet sich ab, um dem anderen nicht zu zeigen, daß er ironisch lächelt. Von der Lautfläche bellt wieder die Bekanntmachung. „… mit Präsent an Bord landet …“ * Die Brenner knallen die Glut gegen die schmutziggelbe Wand. Verfluchter Jupiter! Alan Sarett hat es nie so empfunden, wie ausgestoßen und verdammt sie sind, wie in dieser ersten Schicht nach dem vergeblichen Urrus-Aufstand. Sie haben eben Forst Barrymoore weggeholt. Zwei Gangster vom Stab Hudsons und J.X. 194 waren es, – und das ist ein verdammt schlechtes Zeichen. Neben ihm arbeiten Cory und Parker. Weiter nach rechts zu drei Urrus. In der Hocke sitzen sie, tief in sich zusammengeduckt, um wenigstens einigermaßen die gleiche Höhe mit den Brennern halten zu können wie die viel kleineren Erdenmenschen. Es ist eine gemeine Quälerei, aber Sarett und die anderen können nichts dagegen tun. Überall an den Höhleneingängen sind J.X.s postiert. „Das gefällt mir nicht, Alan“, hört der Ingenieur Corys Stimme neben sich. „Barrymoore machen sie fertig.“ Sarett kämpft verzweifelt gegen ein entsetzliches faules Gefühl in den Knien an. „Wie lange ist er schon weg?“ „Schätze eine halbe Stunde“, knurrte Parker. Sie horchen auf. Einer der Urrus erhebt sich und kommt heran. Seinen Brenner hält er vor sich, als wolle er nur seinen Arbeitsplatz wechseln. Er geht so langsam, wie es alle Sklaven tun. Dann hören sie seine Stimme. Vorsichtig und doch so, daß sie das Knallen der Brenner übertönt. Sie kennen und verstehen schon diese eigenartigen Kehlkopflaute der Urrus. „Warum holten sie euren Mann ab?“ 29
„Er ist einer von den neuen Gefangenen.“ „Wer bist du?“ „Ich bin Tull! Ich habe euch beobachtet, seit der Mann weg ist – ihr habt was –“ „Was sollten wir haben?“ „Wenn ihr fliehen wollt, so tut es bald! Als wir über die Ebene heranmarschierten, sah ich eine mittlere Raumrakete landen. Es wird eine Proviantrakete gewesen sein! Ihr Erdenmenschen wißt doch, wie man sie steuert. Tull will auch fliehen.“ Lief Parker schaltet an seinem Brenner, daß das Knallen in ein langgezogenes Zischen übergeht. „Das möchten wir alle gern, Tull.“ „Tull ist Chemiker und weiß, wie er es machen soll, daß das Feuer aus dem Boden bricht. Der Boden ist weich und unruhig, und mit Lavaströmen kann man eine Panik hervorrufen, die alles durcheinanderwirft.“ Diesmal ist es Alan Sarett, der ganz plötzlich schaltet. Er wirft auch sein Gesicht mit der scheußlichen weißen Maske herum. „Ist das dein Ernst? Tull?“ Im Kindergesicht des Riesen spielt ein trauriges Lächeln. „Ich wollte es tun, bevor meine Brüder zum Tunnel marschierten, doch es hätte sie gefährdet. Nun aber, wo sie in den Höhlen verteilt sind, werden sie am besten davonkommen. Es ist Wasser, das ich aus den Dämpfen der Wand gewonnen habe.“ Sarett sieht, daß Tull unter seinem Brenner eine Art Ampulle trägt. „Nur Wasser, aber es enthält dieselben Substanzen …“ Alan Sarett weiß, wie schwer es ist, Wasser aus diesem verfluchten Schwefelstoff zu gewinnen. „Und – wie kann man es machen?“ „Tull kann es in die Wand brennen. Dann wird es ein kleines Gebiet der Schwefelwand zerreißen und durch die dadurch wieder entstehenden Dämpfe eine Detonation hervorrufen, die immer weiter um sich greift.“ 30
In Tulls Augen blitzt es auf. Er nimmt mit der linken Hand die Ampulle unter dem Brenner weg und schreitet auf die Wand zu. Noch regen sich die nächsten J.X.s nicht, denn es kommt oft vor, daß die Sklaven die Arbeitsplätze vor der Wand wechseln. Um Lief Parkers Ohren weht ein heißer lockender Wind. Die Chance nimmt ihm fast den Atem. Er sieht die Ampulle in Tulls Riesenfaust und schluckt. „Einer von euch könnte damit durchbrechen zum Raumschiff …“ „Barrymoore kommt nicht wieder“, kaut Jon Cory heiser und kümmert sich nicht mehr um seinen Brenner, der irgendeine schiefe Linie in die bröckelnde Wand schneidet. „Wir müssen ihn rausholen, Alan.“ Während er das noch hervorbringt, löst sich aus dem nächsten Höhleneingang ein J.X. und schiebt sich auf sie zu. Dann geht alles sehr schnell. * „Du bist Forst Barrymoore, du Hundesohn.“ „Ich bin Ford Snider.“ Die Antwort ist ein Fausthieb, der den TV-Mann an der Nase trifft, daß er zurücktaumelt. Aber hinter ihm stehen zwei in gelben Schutzanzügen, die ihn freundlich halten. Neben Joe Hudson steht noch einer. Ein Mann, der eine schwarze Maske trägt und darunter einen blauen Schutzanzug, obwohl er kein Sklave sein kann. Wenn ich nur wüßte, wer das ist, schießt es dem TV-Mann durch den schmerzenden Schädel. Joe Hudson sieht nicht besonders zuckersüß aus, was verständlich ist. Dieser Bursche regt ihn auf. Und das mit den Urrus hat ihn auch ziemlich mitgenommen. Trotzdem versucht er so etwas wie ein Lächeln um seine breite Nase zu zaubern. „Der 31
saß, mein Junge! Joe Hudson hat schon ganz andere Figuren auf die Bretter gelegt. Willst du mir nicht lieber sagen, daß du Forst Barrymoore bist und mit dem seligen Ell Morrison ein bißchen viel getuschelt hast, Darling?“ „Bruder, du entwickelst eine Phantasie wie ein Romanfabrikant“, grinst Forst Barrymoore und wischt sich das Blut aus dem mißhandelten Gesicht. „Warum aber sollte ich meine Seele mit einer schwarzen Lüge belasten?“ Joe Hudson mag so etwas gern. Seine Faust geht schon wieder hoch, aber der neben ihm räuspert sich. Darauf geht die zarte kleine Faust wieder herunter. Er macht mit dem Kopf eine kurze Bewegung. Die beiden in den gelben Schutzanzügen packen fester zu und führen Forst Barrymoore aus dem Turmkuppel. „Es ist wirklich dieser TV-Mann, von dem man so viel gehört hat“, knurrt Joe wütend. „Natürlich ist er es“, sagt der mit der schwarzen Maske kalt. „194 soll ihn in den Feuersee werfen.“ „Das sicherste Mittel, Sir“, nickt Joe Hudson erstaunlich unterwürfig. „Abgekürztes Verfahren …“ * J.X. 194 wuchtet hinter Forst Barrymoore her. Die beiden in den gelben Schutzanzügen haben ihn vor dem Kontrollturm an J.X. 194 übergeben, und der treibt ihn durch Tunnel III und durch den zentralen Rundraum mit dem silbernen Boden in das Labyrinth des eigentlichen Höhlensystems. Forst Barrymoore hat Mühe, sich aufrecht zu erhalten. Im Rundraum wird ihm so schlecht, daß er sich am liebsten auf den Silberboden werfen würde. Aber das Pfeifen der Rüsselarme hinter ihm läßt ihn weitertaumeln. Die Eiswand unter dem Gefangenenblock schluckt sie mit einem schmaleren Tunnel 32
und mit einer Kälte, die wie mit peitschenden Ruten auf sein blutendes Gesicht schlägt. Die Atemmaske! Verflucht, warum haben sie ihm nicht die Atemmaske wiedergegeben! Das kann doch nur bedeuten, daß er nicht wieder in den Vortrieb soll! Forst Barrymoore spannt sich, um noch ruhig zu bleiben. Er weiß plötzlich, daß hinter ihm sein Mörder ist. Der neue Tunnel führt schräg nach oben. Das Gehen fällt ihm schwer, denn in diesem Tunnel scheint das magnetische Kraftfeld nicht wirksam zu sein, das sie über das ganze Höhlensystem gelegt haben, um die ungeheure Anziehung des riesigen Planeten aufzuheben. Forst Barrymoore will sich nicht verloren geben. Vor ihnen ist die rechte Tunnelwand unterbrochen. Ein tiefroter Schein wischt in Intervallen herein. Spielt mit glitzernden Zungen über das kaltblitzende Eis heran. Der Feuersee. Einer der scheußlichen Rüsselarme tastet aufgeregt um seinen Kopf. Ich werfe mich gleich herum, entschließt sich Barrymoore. Ich zähle bis fünf, und dann gehe ich einfach gegen das Biest an. Er kommt nicht mehr dazu. Gestalten stürzen auf einmal weit vor ihm in den Tunnel. Von den Höhlen aus. Rennen ihm entgegen. Die Rüsselarme stutzen – fächeln unsicher zurück. Dann steigt aus dem ewigen Fauchen des nahen Feuersees und dem fernen Knallen der Brenner ein Brechen auf, das andauert und sich zu einer Hölle von Tosen und Brüllen steigert. Die vorderste der Gestalten ist schon heran. Wirft sich in rasender Entschlossenheit an Barrymoore und J.X. 194 vorbei. * 33
Es ist Lief Parker. Er weiß, warum er sich so an J.X. 194 vorbeiwirft. Er ist entschlossen, sich von nichts aufhalten zu lassen. Von ihm hängt jetzt alles ab. Wenn er das Proviantschiff erreicht, soll er es hochreißen und zum Plateau südlich des Tunnelhalbkreises vor dem Kontrollturm fliegen. Wenn es ihm gelingt. Der abfallende Tunnelboden liegt glatt vor ihm. Er muß aufpassen, daß er nicht ins Rutschen kommt. Lief Parker achtet nicht darauf, was hinter ihm geschieht. Nur das Beben spürt er, das vom kochenden und flammenden Mittelvortrieb aus durch das ganze Höhlensystem läuft. Mit dem Bersten greift es um sich, daß es die Hölle aus ewigem Eis zerstört und aus ihr eine neue Flammenhölle auftosen läßt. Lief Parker blickt angestrengt nach vorn. Der zentrale Rundraum ist frei von Menschen und Jupiterbestien. Die silberne Ebene neigt sich ihm entgegen und sinkt wieder von ihm weg. Mit weiten Schritten überquert er sie, rast auf den hellen und schwankenden Schlund von Tunnel II zu. Mit aufgerissenen Augen. Und fluchend. Ein gelbuniformierter Gangster wirft sich ihm entgegen. Werfer zucken in den Fäusten. Aber einer wie Lief Parker ist in diesen Minuten nicht zu verwunden. Er wirft sich im Vorjagen aus der Bahn der Feuerstöße und boxt auf den Burschen ein, daß er japsend in die Knie geht. Der Tunnel führt zum Raketenfeld. Als er weiterrennt, spürt Lief Parker seine Beine. Sie werden schwer. Unheimlich schwer. In den Kniekehlen ist etwas wie Klumpen von Blei, das ihn niederzureißen droht, das seine Bewegungen immer langsamer werden läßt. Wie in einem bösen Alptraum ist es. 34
Lief Parker will seine Beine nicht spüren. Verdammt noch mal, ich muß weiter, ich muß – laß mich doch laufen – Weit vor ihm öffnet sich Tunnel II. In eine harte weiße Helle getaucht schließt sich das Raketenfeld an. In seiner Mitte zuckend und pendelnd der große aufgerichtete Körper des Proviantschiffes. Neben dem Proviantschiff am Einsteigelift Menschen in gelben Schutzanzügen. Lief Parker macht sich auf allerhand gefaßt, aber er bemerkt, daß sie sich vom Proviantschiff entfernen. Sie fliehen. Sie wollen rennen und können es nicht. Sie stemmen sich in groteske gummiartige Bewegungen hinein. Verfluchter Jupiter! Dann sieht Lief Parker noch mehr. Aus einem Spalt in der Felswand, die das Raketenfeld nach Westen zu abschließt, wälzt sich ein feuriger Strom auf das ebene Feld. Lava. Wälzt sich auf das Proviantschiff zu. * „Zurück, Forst!“ Forst Barrymoore reagiert auf den Zuruf. Aber er reagiert falsch. Die verzweifelte, schnelle Bewegung bringt ihn nicht aus dem Bereich der Rüsselarme. J.X. 194 faßt zu. Die schlangenartigen Rüsselarme packen ihn und heben ihn in aufrasender Wut vom glitzernden Eisboden hoch. Die Bestie wirft sich voran. Dem Feuersee entgegen … Alan Sarett und Jon Cory rennen unter hochgereckte Rüsselarme durch, die den TV-Mann halten. Sie wissen, daß Forst Barrymoore keine großen Chancen mehr hat, aber sie wissen auch, wie man den Jupiterbestien beikommt. Ihre Brenner werfen weiße knallende Glut. Werfen sie der Bestie gegen die Knie. J.X. 194 hält inne in seinem Vorwärtsstürmen. 35
Steht starr und regungslos. Sekundenlang. Heult dann auf und schleudert den Erdenmenschen von sich. Forst Barrymoore hat sehr viel Glück, aber er denkt später nicht gern an diesen Augenblick zurück. Die flammende Höllenwand des Feuersees fliegt auf ihn zu. Er dreht sich unter der Gewalt des Wurfes und streckt beide Arme von sich. Es ist ganz unmöglich, daß er von sich aus seinen Sturz in den Tod regulieren könnte, aber vor seinen Augen schießt schräg einer der Felszacken hoch, die den Feuersee zum Tunnel zu abgrenzen. Forst Barrymoore stößt mit der rechten Seite dagegen. Wird zurückgeworfen in den Tunnel und landet auf dem Rücken, Das nimmt ihm für weitere Sekunden die Fähigkeit zu denken und zu empfinden. Er nimmt nur verschwommen und in einer Woge von Schmerz und Übelkeit wahr, daß ein Riese über ihn hinwegspringt. Der Riese ist Tull. Er stößt Kelle, scharfe Kehlkopflaute aus, die nicht schöner sind als das Heulen der schmerzgepeinigten Bestie. Aber in ihnen entlädt sich sein ganzer Triumph. Denn hinter ihm zerbricht die verfluchte gelbe Schwefelwand und zergeht in aufbrüllenden Lavaströmen, die sich in die Höhlen ergießen. Es ist gut, daß Tull kommt. Alan Sarett und Jon Cory können das rasende Affenscheusal nicht mehr halten. J.X. 194 überwindet bereits den furchtbaren Schmerz. Die Rüsselarme schießen wieder vor und sind vor Corys Kopf. Als sie die jubelnden Schreie des Urrus hören, schalten sie instinktiv die Brenner ab. Tull rast an ihnen vorbei. Der mächtige graue Körper ist vor ihren Augen. Dann ein Zusammenprall. Körper gegen Körper. Wut gegen Wut, Ein aufgeregtes Glucksen in der Brust von J.X. 194. Wilde, vorschießende Rüsselarme, die zupacken wollen … 36
Aber er kann sie nicht mehr anbringen. Der Anprall war zu heftig. J.X. 194 rutscht, kann sich nicht mehr halten. Balanciert verzweifelt unter der schrecklichen Wucht auf den Feuersee zu … J.X. 194 haut gegen einen Felszacken. Er stürzt heulend und tobend hinunter. Alan Sarett faßt sich als erster wieder. „Los!“ brüllt er Jon Cory zu. „Lauf! Lauf!“ Dann hebt er Forst Barrymoore auf. * „Lauft! Lauft!“ Das sind Hunderte von Panzerstiefeln. Sie hämmern in diesen Minuten durch die Höhlen, die Gänge, die Tunnel. Das Höhlensystem bebt unter der Kettenreaktion. Aus ihr flackern kleine Flammen hoch und werden emporgewirbelt von den kochenden Lavaströmen, die aus der Zersetzung der Schwefelwand entstehen und sich in die Höhlen ergießen. Die Panzerstiefel hämmern. Sie fliehen und fliehen. J.X.s und Erdenmenschen. Urrus und Gangster. Die J.X.s halten sie nicht auf. Die Gangster in den gelben Schutzanzügen schon gar nicht. Tull kann jubeln. In diesen Minuten zittert nicht nur der Jupiterboden. Joe Hudson verliert alle Farbe aus seinem Totschlägergesicht, und nicht einmal seine Fäuste zucken hoch. Er hört das Bersten und Donnern aus den Höhlen und duckt sich. Irgendwo dort unten kämpft sich einer auf das Proviantschiff zu. Der 300-Meter-Funkturm am Rande des Tieflandes setzt die erste Alarmmeldung ab. „Achtung! Achtung! An I.T.L.-Venus …“ 37
* Lief Parker wundert sich, daß das Proviantschiff verlassen ist. Aber die Burschen sind einfach nicht hart genug gewesen, um in der roten See aus Lava und Dämpfen auszuhalten, der sich gurgelnd und glühendheiß über das Raketenfeld ergießt. Lief Parker kämpft immer noch um jeden Schritt. Aber er kämpft jetzt auch um sein Leben, denn die Panzerstiefel fangen an zu glühen und die Mundfilter in der weißen Atemmaske können nicht gegen die zähen gelben Dämpfe an, die an den Beinen hochkriechen. In der Mundhöhle ist ein widerlicher, süßlicher Geschmack. Lief Parker hat die aufragende große Rakete vor sich. Der Einstieglift an der Backbordseite ist ausgefahren, und er murmelt etwas, was wie Beten klingt, als er heran ist und seine Finger über eine Skala am Startgestell gehen. Er findet den Auslöseknopf gleich und wirft sich mit letzter Kraft auf den Lift. Der Einsteigelift funktioniert noch. Er läßt ihn an der Backbordwand hochgleiten, über die schon gelbe Dämpfe fingern. Das Hermetikluk vor dem oberen Mannloch ist geöffnet. Lief Parker zwängt sich hinein, pendelt seinen Oberkörper aus und tastet nach einer zweiten Skala, die in jedem Raumschiff neben dem Mannloch zu finden ist. Sein Daumen drückt wieder einen Knopf, worauf aus allen Innenwänden ein bläuliches Licht fällt. Lief Parker hat eine kurze schmale Leiter vor sich, über die er in den Mittschiffsgang klettert. „Jupiter VIII“ steht auf einer silbernen Tafel über der Leiter. Lief Parker blickt den Mittschiffsgang entlang, der still und leise vibrierend daliegt. Er kann sich vorstellen, wie es in den Höhlen aussieht, und er weiß auch, daß er höchstens noch fünf Minuten Spielraum hat. Joe Hudson wird den Schreck viel zu schnell überwinden. 38
An den Seiten des Mittschiffsgangs sind wieder Stufen, über die er nach oben zum Bug klettert. Kontrollraum und Bugkanzel sind so verlassen wie alles. Lief Parker reißt im Vorbeiklettern am Kontrolltisch zwei weiße und einen schwarzen Hebel über Halbrundskalen und verhält einen Herzschlag wie erstarrt. Hört dann aus den beiden roten Röhren, die vom Kontrolltisch aus durch das ganze Schiff laufen, ein helles, kräftiges Singen aufsteigen und atmet auf. Genau zwei Minuten und vier Sekunden später erhebt sich „Jupiter VIII“. Die Preßluft der Startdüsen jagt es hoch. Lief Parker läßt es bei 10 000 Meter umkippen und steuert es in einem großen Halbkreis zum Plateau zurück. Um das Plateau brodelt der kochende Lavasee. Die gelben Schwaden streifen tief über die Köpfe der Angstgepeitschten, die durch schmale Höhlenspalten auf die braunfelsige unebene Fläche hinausdrängen. Noch schweigt Joe Hudson, noch kann er nichts tun. * Da ist Lief Parker schon heran. Wieder kippt er „Jupiter VIII“ um. Kommt mit dem Heck voran herunter. Auf die wogende Masse zu. Es ist verdammt hart und gemein, sie gleich enttäuschen zu müssen – aber es geht nicht anders. Sie wollen Max Brodeur unschädlich machen. Lief Parker blickt mit weit aufgerissenen Augen auf den Bildschirm über den drei Steuersäulen. Alles, was auf dem Plateau geschieht, wird von den Selenkammern aufgenommen und geistert lautlos und unwirklich vor ihm. Die brodelnde Masse wird ruhiger, als das große grüne Raumschiff langsam auf sie zukommt. Das ist die Rettung! jubeln sie. Sie holen uns raus – irgendwer holt uns raus. 39
Lief Parker beißt die Zähne zusammen. Bleibe hart, Alan! Bleibe hart! Das kann doch noch nicht die Rettung für alle sein! Alan Sarett bleibt hart. Er ist mit Jon Cory und dem noch schwankenden Forst Barrymoore auf dem Plateau. Sie boxen sich zu einer Hügelkette durch, die deichartig am Rand des Plateaus aufragt. Alan Sarett hat plötzlich Strahlenwerfer in den Fäusten. Lief Parker sieht es deutlich. Alan Sarett hat zwei in gelben Schutzanzügen neben sich. Sie drängen gegen ihn und wollen ihm die Strahler aus den Fäusten winden. Er schleudert sie von sich und wuchtet die Hügelkette hoch. Hinter ihm Cory und Barrymoore, der verzweifelt gegen seine Schwäche ankämpft. Dann kommt Tull. Er schließt die Kette ab, geht rückwärts und hält ihnen alles vom Leibe, was ihnen nachdrängt. Tull kann noch einmal zeigen, was für Kräfte in ihm stecken, aber es sind seine letzten Minuten. Parker kann deutlich sehen, wie aus der Menge ein weißer, dünner Atomstrahl hochschießt und hart auf sein verzerrtes Kindergesicht trifft. Der Riese reißt beide Arme hoch und fällt vornüber. Fällt in die Menge und läßt mit sich noch andere sterben. Aber über ihn hinweg stürmen sie vor, sind schon am Hügel. Lief Parker überlegt nicht lange. Er schießt steil herunter. Verhält wieder, als er drei Meter über dem Hügelkamm ist und schaltet die Außenlautsprecher ein. „Zieht euch an den Innenklauen hoch! Beeilt euch! Springt! Springt doch!“ Forst Barrymoore springt als erster. Er kann mit der ausgestreckten Hand einen eckigen Vorsprung an der mittleren Heckdüse erreichen und zieht sich hoch. Dann Jon Cory – „Alan! Alan!“ Alan Sarett kann nicht mehr tun, als brüllen und boxen. Er ist 40
eingekeilt zwischen drei Sklaven, die sich benehmen, als wollten sie ihn in Stücke reißen. „Haut ab!“ brüllt er zu Cory hin. „Ich melde mich! Ich mache hier weiter!“ Jon Cory hört es. Er macht ein Zeichen zur Bugkanzel hinauf. Es ist verdammt hart, und er schämt sich entsetzlich in diesen Sekunden. Aber Alan Sarett handelt richtig, und er hätte es auch getan, wenn er die Strahlenwerfer gehabt hätte. Als Jon Cory das untere Mannloch erreicht hat, hebt sich „Jupiter VIII“. In diesem Augenblick jagt einer aus der rasenden Menge an Sarett vorbei, jagt den anderen voraus, die noch versuchen wollen, dem hochgehenden Proviantschiff nachzustürzen und springt. Faßt noch mit der Rechten den Vorsprung an der mittleren Heckdüse und zieht sich hoch. Es ist eine Szene, die Freund Hein beleidigen muß. Mit der Linken greift er im Hochziehen nach der nächsten Innenklaue in der Außenwand und hängt so am Schiff, das immer schneller wird. Klettert dann auf das Mannloch zu. Jon Cory blickt ihm erstarrt entgegen. * In I.T.L.-Venus hämmern die Meldungen. Alarmmeldungen – „In den Schwefelhöhlen durch starke Lavaausbrüche Chaos und Untergang“, meldet Joe Hudson über Raumfunk. „Können nichts tun.“ Auf der Venus glauben sie zunächst an eine Naturkatastrophe und stoßen Flüche aus, die nicht gerade ein Zeichen von großer Frömmigkeit sind. Nach der nächsten Meldung glauben sie nicht mehr daran. 41
„Rechne mit Anschlag! Eigene Leute benehmen sich wie Feiglinge! Erbitte Ablösung!“ Dann: „In Tunnel II kämpft sich einer zu einem Proviantschiff vor! Können es nicht verhindern.“ Dann: „Jones verschwunden! Keinerlei Anhaltspunkte! Erbitte Nachricht, ob dort etwas bekannt! Möglich, daß Jones Jupiter verlassen will!“ Daniel Henderson fährt sich mit der flachen Hand über die Gurgel. Die vier, die hier im Betriebsraum der Sendestation um ihn herumstehen und hastig nach den aufgerollten Schriftstreifen greifen, wenn er sie überflogen hat, sehen es. Wagen aber nichts zu sagen. Sie haben noch nie etwas von einem Jones gehört. Sie haben nur gehört, daß auf Jupiter seit einigen Jahren ein prominenter und wichtiger Gefangener lebt. Daniel Henderson wiederholt die Bewegung, die nachdenklich und sorgenvoll zugleich ist. Geht durch den chromblitzenden Bedienungsraum und tritt an die hohe Sichtscheibe. Draußen prasselt seit Stunden der Tropenregen der nördlichen Breiten auf das Gebiet der Zentrale herab. Ein Mann folgt Henderson. „Verdammte Schweinerei, das! Wenn darüber was zur Erde durchsickert, kann das peinlich für Brodeur werden!“ „Das darf nicht durchsickern!“ sagt Henderson hart. „Das nicht!“ Nach wenigen Minuten wird ihm ein neuer Schriftstreifen gebracht. „T 1111/ 21 HM – Proviantschiff von Meuterern genommen! Können nicht feststellen, ob Jones an Bord gegangen ist.“ Daniel Henderson steckt sich eine Zigarette zwischen die Zähne, ohne, daß er es weiß. Er zündet sie sich auch nicht an. Seine Gedanken sind weit weg. Natürlich haut Jones mit den 42
Meuterern ab! Ähnlich sieht es ihm! Zum Teufel, was soll nur werden? Er schließt die Faust und öffnet sie wieder. * Der Mann kann sich kaum noch halten. Lief Parker reißt das Proviantschiff durch die unteren wolkenschweren Schichten der Jupiteratmosphäre. Der Donner der Startmaschinen rollt tief unter ihnen weg und mischt sich mit dem Tosen der feuerspeienden Hölle. Der Mann rührt sich nicht. Minutenlang nicht. Er hängt an der unteren glatten Backbordwand und preßt das Gesicht mit der weißen Maske gegen die grüne Außenhaut, um überhaupt noch etwas Atemluft in die Lungen zu bekommen. Zwanzig Meter über ihm hockt Jon Cory breitbeinig im Mannloch. Es ist eine ganz verrückte Situation, und das Leben des Fremden ist weniger als ein Cent wert. Jon Cory verschwindet im Schiffsinnern. Die Linke des Mannes rührt sich zuerst wieder. Sie löst sich unendlich vorsichtig von den Innenklauen in den Vertiefungen der Außenhaut und tastet die Wand hoch. In der Bugkanzel schaltet Lief Parker voll. Das ist der Augenblick, der dem Verrückten an der Bordwand des hochjagenden Raumschiffes die letzte Chance nehmen sollte, denn aus den Heckdüsen bricht der Feuerstrahl, der es den Bann durchbrechen lassen wird, mit dem der größte Planet des Sonnensystems alles festhält. Aber die Linke findet weiter oben wieder Halt. Der Unterarm spannt sich und zieht den Körper hoch. Der Mann ist bei vollem Bewußtsein. Er handelt richtig. Eng gegen die grüne Außenhaut gepreßt arbeitet er sich höher. 43
Greift ins Mannloch. Arme sind über ihm, Fäuste, die zupacken, die ihn hineinziehen. Davon spürt er nichts mehr. Sein Körper wird schlaff. Cory und Barrymoore müssen ihn auf der Leiter halten. Neben ihnen schließt sich das Hermetikluk. Als er wieder zu sich kommt, ist er noch auf der Leiter. Die beiden sind dabei, seine Atemmaske abzunehmen. Forst Barrymoore sieht ihn nicht sehr freundlich an. Sein längliches Gesicht ist grau und verfallen. „Na …?“ deutet er eine Frage an. „Ich bin Walker Jones“, stößt er hervor und versucht, sich aufzurichten. „Laßt mich leben! Nehmt mich um der Barmherzigkeit willen mit!“ „Das müssen wir wohl“, grinst Jon Cory wesentlich freundlicher. „Aber soviel Schwein wie du möchte ich auch mal haben.“ „Das hat man nur einmal“, keuchte der andere. * Alan Sarett wirft seine Strahlenwerfer von sich. Er weiß, daß ihm nur noch sein blauer Schutzanzug helfen kann, die nächsten Minuten zu überleben. Hunderte tragen solche Schutzanzüge, und die weißen Atemmasken verbergen ihre Gesichter. Er duckt sich, packt noch einmal zu und schleudert einen von denen, die ihn bedrängen, in die stampfende, heulende Menge von Sklaven, Gangstern und Urrus zurück. Rennt dabei geduckt in eine Lücke und richtet sich hinter einem breiten gelben Rücken wieder auf. Alan Sarett ist verschwunden. Er ist untergetaucht, und er ist entschlossen, sich nicht wieder fangen zu lassen. Alan Sarett bleibt ganz ruhig stehen, um die ganze Aufregung der letzten Stunden abklingen zu lassen. 44
Sie starren alle nach oben. Ein leuchtendes donnerndes Phantom entfernt sich immer weiter. Hoffnung und Tod kann das bedeuten. Sie sind durch, aber du bist allein, Alan Sarett! Links und rechts von dir sind nur weiße Masken – und das ist gut. – Der Lavasee steigt nicht weiter. Das Beben, das Tull ausgelöst hat, der arme, hingestreckte, verklingt, während „Jupiter VIII“ weit oben die Grenze zum Weltall durchbricht. Die Menge wird ruhiger. Die Angst um das nackte Leben weicht. Aber die prickelnde Erregung, die zur sensationslüsternen Neugier wird, bleibt. Sie stehen und warten auf das, was mit ihnen geschehen wird. Nach drei Stunden tauchen in der Verschwommenheit der sinkenden Jupiternacht von Süden her große Raketenmaschinen auf, kurven über dem Plateau und schrauben sich immer tiefer. Gleichzeitig kommt der Befehl, in den linken Vortrieb zurückzukehren, der etwas höher liegt und von den Lavaströmen verschont geblieben ist. Der breitschultrige Gangster wuchtet vor Alan Sarett her, als 200 Menschen über untereinandergeschachtelte Felsvorsprünge vom Plateau zurück in die Höhlen klettern. Müde. Willig. Froh, noch zu leben. Die Raketenmaschinen kreisen tief. Viele liegen hier unten, die sich nicht mehr rühren. Unter einem tiefeinbuchtenden Felsvorsprung einer, der ebenfalls den gelben Schutzanzug der I.T.L.-Gangster trägt. Auch er wird sich nicht mehr rühren. Alan Sarett wirft sich neben ihm nieder. Bleibt so liegen, bis die anderen an ihm vorbei sind. Dann tritt Ruhe ein. Eine schauerliche Ruhe. Um die, die hier liegen, kümmert sich keiner. Alan Sarett hält eine Viertelstunde so aus. Neben einem, der sicher nicht viel getaugt hat, aber nun noch von seinem eigenen Sklaven eine respektvolle Behandlung ver45
langt. Alan Sarett horcht in die Stille hinaus, die voller Unruhe ist, die weiter unten in den Höhlen von fernen Stimmen und einem anhaltenden Zischen aufgehoben wird. Aber um ihn lastet es schwer und verloren. Der Ingenieur beugt sich über den Toten. Löst unendlich vorsichtig die Verschlüsse seines gelben Schutzanzuges. Blickt sich noch einmal hastig um. Reißt dann den eigenen blauen Schutzanzug von seinem Körper und legt ihn um den Gangster. Minuten später klettert er im gelben Schutzanzug über die letzten felsigen Vorsprünge auf die weiße Eisebene herab, die schräg weg in den Vortrieb führt. Er trägt am linken Ärmel das Kennzeichen TCT und seinen Namen Wamm. Der Gangster TCT Wamm marschiert auf einen traurigen Zug zu, der sich gerade im Vortrieb formiert, Joe Hudson gönnt den armen Teufeln keine Ruhe. Die Sklaven werden schon wieder von den aufgeregten und maßlos bösartigen J.X.s zusammengetrieben und neu eingeteilt. Um den Gangster TCT Wamm kümmert sich keiner. Alan Sarett lächelt hart und zufrieden. In den ovalen Muscheln an den Ohren tickt und pfeift es ununterbrochen. In der Zentrale scheinen sie doch ziemlich durcheinander zu sein. Dann plötzlich eine verzerrte harte Stimme auf der Sprechfrequenz. „Conna, Son-Li, Bob, Stuart und Wamm zum Chef!“ Alan Sarett tastet die Taschen nach Waffen ab. Er möchte dem Chef ebenbürtig gegenüberstehen. Dann biegt er links ab. * Das Ticken und Pfeifen ist überall. In allen Empfängern auf Jupiter. In allen Ohrmuscheln. Das Ticken und Pfeifen ist bösartig und voller Wut. Alarm! schreit es. 46
Joe Hudson jagt bereits „Jupiter VIII“. Er alarmiert eine Station, die mehr als 23 000 Meilen vom Höhlensystem entfernt liegt. Von dort aus erheben sich zwei bullige doppelrümpfige Raumschiffe von einem neuen Typ, der auf der Erde noch unbekannt ist. Sie donnern durch die Atmosphäre und umkreisen den Planeten auf einer Bahn, die auch „Jupiter VIII“ genommen hat. Nach sechs Stunden sichten sie das fliehende Raumschiff. Ihre Geschwindigkeit ist wesentlich größer als die der „Jupiter VIII“. Sie kommen rasch heran. * Zwischen Jupiter und Venus schweigen die Funkmeldungen nicht. „Habe Verfolgung von ‚Jupiter VIII’ aufnehmen lassen! Lage in den Höhlen beruhigt sich. Gefangene werden neu eingeteilt.“ Daniel Henderson geht ruhelos auf und ab. Die Hände in die Hosentaschen gestemmt. Halb auf den prasselnden Venusregen hinaushorchend und halb auf das leise Stimmengewirr vor den Empfängern im Betriebsraum. „Verfolger nähern sich rasch Proviantschiff.“ Daniel Henderson geht auf und ab. Zwischendurch ruft Max Brodeur an. Max Brodeur verhandelt in seinem Hochhaus mit einem Vertreter des „Zentralen Rates“ der Erde, der mit ihm zur Venus gekommen ist. Daniel Henderson klärt ihn über die Lage auf und schaltet dann rasch sein Sprechgerät wieder ab. Wieder schiebt er sich eine Zigarette zwischen die Zähne, zündet sie diesmal aber an. Dann eine neue Meldung. Eine, die ihn herumwirbeln läßt. „Achtung! Achtung! An Henderson! Sehr wichtig! An Henderson! Jones an Bord von ‚Jupiter VIII’ …“ 47
Darauf Kat Henderson gewartet. Er raucht seine Zigarette weiter, als er die Sendestation durch einen Tunnel verläßt, der direkt zum Hochhaus der Abteilung VI führt. In seinem Arbeitszimmer nimmt er aus einem verborgenen Safe im Schreibtisch eine schmale rote Mappe und schlägt sie auf. Auf der ersten Seite steht in unscheinbarer Maschinenschrift: „Anweisung B. Nur nach Direktmeldung von Hudson.“ Daniel Henderson liest die nächsten Seiten durch. Raucht dabei eine Zigarette nach der anderen. * Forst Barrymoore beugt sich tiefer herab. Dem Mann, der auf so waghalsige Weise an Bord gekommen ist, geht es noch nicht gut. Er will trinken, trinken, und die Haut ist über den spitzen Backenknochen gesprungen und sieht aus wie verbrannt. Seine Arme zucken. Die Hände greifen immer wieder zu, als müßten sie sich um die Innenklauen schließen. Nach der dritten Portion einer milchartigen, extraktreichen Flüssigkeit gibt es sich … Forst Barrymoore ist bei ihm in der einzigen Kabine des kleinen Raumschiffes. Jon Cory ist vorn bei Lief Parker. Sie fliegen mit der höchsten Geschwindigkeit, die die Aggregate zulassen, aber die beiden doppelrümpfigen Verfolger kommen immer mehr aus dem Schatten des Riesenplaneten heran. In siebzig Minuten werden sie ran sein. Walker Jones schmatzt und richtet sich auf. „Verdammt“, grinst er, „da hatte ich schlapp gemacht!“ Dann grinst er nicht mehr, er hebt den Kopf, als horche er nach draußen. „Werden wir verfolgt?“ „Schon! Zwei I.T.L.-Flitzer.“ „Wir sind doch bewaffnet?“ 48
„Wir …?“ „Na, Mann, ich will doch dasselbe, was ihr wollt! Wenn ich Max Brodeur in die Hände bekomme, kann er sich beglückwünschen! Zigaretten gibt es hier wohl nicht?“ Er kommt erstaunlich rasch wieder zu sich. Forst Barrymoore schüttelt den Kopf. „Lieber nicht. Unsere Oxygen reichen nicht lange. Wie kommst du eigentlich darauf, daß wir Brodeur an den Kragen wollen?“ Ihre Blicke ruhen sekundenlang ineinander. Forst Barrymoore mag den anderen nicht. Wahrscheinlich ist er überempfindlich, aber das ändert sich auch nicht, als Jones seinem Blick gelassen standhält. „Wie ich darauf komme? Ich kenne euch nicht, ich weiß nicht einmal deinen Namen, aber wer einen solchen Anschlag durchführen kann, kann auch mehr. Wie ist es nun, sind die Bordwaffen intakt?“ „Wir können ja nach vorn gehen.“ * Jon Cory hat die beiden Raumschiffe im Rundbild der Elektronenoptik. Er steht neben dem breiten schwarzen Sitz, von dem aus Parker die „Jupiter VIII“ in die Sternenräume hinausjagt. „Das sind verdammte Biester“, murrt er verbissen. „Wenn die uns einholen.“ „Haben sie nicht mal nötig.“ Lief Parker sieht nicht sehr freundlich aus. „Die knallen uns aus sicherer Entfernung ab. Distanz?“ „Noch gut 300 0000 Meilen.“ Jon Cory nimmt flüchtig das Gesicht vom Wulstrand der E-Optik und blickt zu den beiden hin, die sich nacheinander durch die Schottür zwängen. „Hallo, Jones, wie gehts? Links von dir ist ein Bordwerfer! Kannst du damit umgehen?“ 49
Walker Jones antwortet nicht, nickt aber und stolpert ziemlich unsicher über den Plattenboden auf das Rohr zu, das aus der grünen gebogenen Wand herausragt und mit einem schwarzen, gläsernen Schaltbrett versehen ist. Es ist nichts als einer der vier Bordwerfer. In seiner Kammer steckt atomare Energie genug, um ein mittleres Raumschiff auseinanderreißen zu können, wenn man es richtig anbringt Sie sprechen nicht mehr miteinander, sie kommen allerdings auch nicht dazu, die Bordwerfer auszuprobieren. Jon Cory meldet plötzlich, daß die doppelrumpfigen Raumschiffe sich trennen und auseinanderstreben. „Was?“ ruckt Lief Parker hoch und kaut mechanisch. „Zum Teufel, was haben die vor?“ Zum ersten Mal mischt sich Walker Jones ein. „Vielleicht wollen sie uns in weitem Abstand überholen oder uns in die Flanken fallen.“ Jon hat beide noch im Rundbild, aber sie entfernen sich mit großer Geschwindigkeit voneinander. Die Hände an der E-Optik fassen in die Tasche und ziehen eine alte abgekaute Shagpfeife hervor, die sie zwischen die Zähne des runden Jungengesichtes stecken. Jon Cory beißt aufgeregt darauf herum. „Wir müssen aufpassen und sehen, daß wir weit in den freien Raum kommen“, sagt Lief Parker und sieht auf den blitzenden Strich, der neben den Steuersäulen über eine Zahlenreihe tanzt. „Ich fürchte aber, wir kommen nicht durch.“ „Zur Venus?“ fragt Walker Jones, ohne sich von seiner netten Kanone abzuwenden. Parker wirft seinen Kopf herum. Erst jetzt wird ihm bewußt, daß einer an Bord ist, der nicht zu ihnen gehört. „Hallo, alter Junge, komm doch mal her!“ Jones respektiert sofort den Befehl und stampft wieder über das leise vorwärtsjagende Vibrieren des Plattenbodens. Baut sich neben Parker auf. Der Bursche muß Schmerzen haben, denkt er, verdammt noch mal … 50
„Schneid hast du ja“, kaut er nicht gerade unfreundlich. „Aber wer bist du? Was hast du vor? Nur Angst gehabt oder …“ „Ich habe was mit Brodeur zu besprechen“, stößt Jones haßvoll hervor. „Und mit ein paar anderen! Ich will das, was ihr wollt! Das könnt ihr mir glauben! Ich habe das dringende Bedürfnis, Brodeur dem Raumsicherheitsdienst zu übergeben.“ „Du scheinst es ja schwer mit ihm zu haben.“ „Ich werde euch mal erzählen, was dahintersteckt“, fährt er etwas ruhiger fort. „Ihr könnt Vertrauen zu mir haben! Wenn ihr wollt, verhalte ich mich natürlich ruhig, bis wir an der Venus sind, würde mich aber gern unterwegs nützlich machen.“ Forst Barrymoore stellt das Mittelvisier mit einem unterdrückten Fluch fest und kommt ebenfalls heran. Ich tue ihm unrecht, verflucht noch mal, aber er soll uns sagen, was mit ihm los ist. „Hör mal, Jones, wer bist du eigentlich?“ „Das hat Zeit“, wehrt Lief Parker ab. „Wenn Jones mitmachen will, habe ich nichts dagegen. Wir können ihm ja immer auf die Finger sehen.“ „Was ist denn nun – kommen wir zur Venus durch oder …“ „Zur Venus kommen wir nicht, und unser Sender reicht auch nicht weit“, stellt Parker fest und hebt die Schultern. „Dazu ist der Kasten zu schwerfällig und schwach. Wir müssen umsteigen. Haben wir was in der Nähe?“ Forst Barrymoore tritt an Jones vorbei, der gedankenlos auf seinen schmächtigen Rücken starrt. Hinter dem Bildschirm über den Steuersäulen steckt eine nachlässig zusammengerollte große Raumkarte. Er zieht sie hervor und rollt sie auseinander. „38 Quadrate weiter zur Sonne ist allerhand los. In den Planetoiden schwirrt es nur so. In der Nähe haben wir nichts, oder – doch hier: ‚Vulcan’ –“ „Passagierschiff?“ 51
„Ablöseschiff mit I.T.L.-Personal. Muß zum Ganymed unterwegs sein. Wenn der Kasten voll ist, müssen wir ihn nehmen …“ „Wir haben zwei Kanister Gapa-Öl an Bord“, grinst Jon Cory. Walker Jones fährt herum. „Gapa-Öl vom Mars? Das ist gut!“ Auch er grinst, aber es verzerrt sein entstelltes Gesicht nur. * Sie setzen SOS-Rufe ab. Forst Barrymoore bedient den Bordsender. Walker Jones steht breitbeinig daneben und kaut auf einem Kaugummi. Von den beiden Jagdhunden, die Joe Hudson ihnen auf den Hals geschickt hat, sehen sie nur noch kleine blitzende Punkte. Aber die Gangster dürfen die SOS-Rufe nicht auffangen. Forst Barrymoore hat allerhand zu tun, um das mit Vertikalpeilung und anderen Tricks hinzukriegen. Er hilft sich, indem er gleich die ihnen bekannte Frequenz der „Vulcan“ wählt. Das Ablöseschiff muß nach den Angaben auf der Karte drei Millionen Meilen vor ihnen stehen und wird weit im Nordquadrat ihrer eigenen Positionsbestimmung vorbeirasen, wenn es nicht seinen Kurs ändert. Walker Jones macht ein paar schnoddrige Bemerkungen, was ihn Forst Barrymoore schon sympathischer werden läßt. Die „Vulcan“ antwortet nicht. * Auf Jupiter erhält Joe Hudson einen Befehl. Er kommt von Daniel Henderson und trägt vor dem eigentlichen Text den Vermerk „B/Jones“. Der Text selber ist so, daß Joe Hudson erst den armen Abraham Flamingo aus dem Raum jagt und mit Dr. Armstrong allein bleibt. 52
„Solar-X-Flotte sofort zum Angriff klarmachen! Angriff erfolgt unmittelbar auf die Erde, sobald von hier Kommandoreihe B bis L in Reihenfolge 4 durchgegeben ist!“ „Warum?“ fragt Dr. Armstrong nur und kneift die listigen Augen zusammen. „Hängt das mit diesem Hund zusammen, der in das startende Raumschiff kletterte?“ „Ja“ sagt Joe Hudson. Er sagt es so, daß Dr. Armstrong nicht weiterfragt und ganz bescheiden wird. Joes Pranke ist fast so groß wie das ganze Gesicht des kleinen Doktors. Der Bär raucht erst eine Zigarette und gibt dann von sich aus einen Befehl. In drei Raketenmaschinen werden seine Gangster in Marsch gesetzt. Einer ist unter ihnen, den sie mit Wamm anreden. * Zwischen Mars und Jupiter fliegt ein Raumschiff. Es hat das weite Gebiet der äußeren Planetoiden verlassen und steht in dauernder Verbindung mit Jupiter und dem Kontrollschiff „I.T.L. X“ das in der Nähe eines großen Planetoiden verhält. In diesen ersten fünfzehn Stunden nach dem Start von „Jupiter VIII“ ist eine ziemliche Bewegung in diesen Gebieten des Sonnensystems. Vor allem sind es die berüchtigten Kontrollschiffe Max Brodeurs, die durch das All fliegen, um sich an bestimmten Punkten zu Staffeln zusammenzuschließen. Davon merken allerdings die paar rotweißen Raumflitzer des Raumsicherheitsdienstes nichts. Gegen 22 Uhr allgemeiner Raumzeit – auf der Erde haben sie den letzten Septembertag und die TV-Presse ist voll von dem großen bevorstehenden Ereignis, daß die führenden Männer des Planeten zur Venus reisen sollen – fängt das Schiff, das 53
den Namen „Vulcan“ trägt, SOS-Rufe auf, die aus relativ geringer Entfernung kommen. Der Erste wird zum Kapitän gerufen. „Die Notrufe sind direkt an uns gerichtet, was beweist, daß man über unseren Routendienst gut unterrichtet ist. Sie enthalten aber keine Kennzeichnung des Schiffes, das sie absetzt. Man meldet nur eine schwere Havarie …“ „Position?“ „Position geben sie an, – es könnte die ‚Jupiter VIII’ sein.“ „Ich würde vorsichtig rangehen.“ * Mit brüllenden Antrieben landen die Raketenmaschinen. Der Gangster Wamm, der im stillen betet, daß keiner auf den Gedanken kommen möge, den Toten unter dem Felsvorsprung genauer zu untersuchen, sitzt an einer der ovalen Sichtscheiben. Ihm gegenüber zwei, die pokern, daß die Karten fliegen. Wenn es noch Schnaps dazu geben würde, wäre ihnen wohler, aber Feuerwasser wird von Hudson nur tropfenweise genehmigt. Unter ihnen ein gut hundert Meter breites leuchtendes Band, über das gerade der runde Schatten eines der Jupitermonde geistert. Das Band besteht aus vier Leuchtröhren. Alan Sarett beobachtet es schon vierzig Minuten lang. Er kann sich nur denken, daß es ein Markierungsstreifen für die Raketenmaschinen ist, die von den Höhlen herüberkommen. Schwarz dehnt sich vor ihnen ein Tafelland, das schon seit Stunden unter ihnen weggerissen wird. Das gigantische und mit nichts auf der Erde zu vergleichende Bergmassiv, das sie in der ersten Hälfte ihres Fluges überflogen, liegt weit zurück. Im Norden wälzt sich viele Meilen breit eine gewisse Schwadenfront über den Horizont. Wahrscheinlich begrenzt dort einer der riesigen Ammoniakseen das Tafelland. 54
Das leuchtende Band führt zu einer Anlage, die vor ihnen märchenhaft und von einer satanischen fremden Schönheit aus der Verlorenheit herauswächst. Von zwei schlanken Rundtürmen, die fast achthundert Meter aufragen und einige Meilen voneinander entfernt stehen, spannt sich ein blauleuchtender Bogen. Wie von spielenden Händen gebaut wirkt er, und nur wenige wissen, daß von ihm aus die Raumschiffe mit Solar-XEnergie beladen werden sollen. Diese Raumschiffe stehen einige Meilen vor dem Bogen, nebeneinandergereiht wie die Maschinen eines Fluggeschwaders. Sie stehen scheinbar im Freien, doch das täuscht, denn ein gewaltiges Zelt aus einem durchsichtigen Plastikmaterial wölbt sich über sie. Mehr als vierzig Raumschiffe stehen hier. Sie bilden die Flotte, die Solar-X-Energie zur Erde tragen soll. * Die Raketenmaschinen überfliegen den Bogen und landen. Wamm marschiert mit den anderen über einen Laufsteg auf eine Rampe, auf der schwere Schlepper, Männer in dicken kunststoffartigen Schutzanzügen und J.X.s auf sie warten. Alan Sarett muß gegen ein ungutes Gefühl kämpfen, als er die Jupiterbestien sieht. Er wird einem Kommandotrupp zugeteilt. Das gefällt ihm schon besser, denn das ist eine reelle Chance, an einen der TT-Raumsender heranzukommen. Vielen Dank, Joe Hudson! * Max Brodeur ist bei Daniel Henderson. Der Präsident der I.T.L. ist nicht mehr ganz so selbstsicher, 55
wie ihn Millionen von den Bildschirmen her kennen. Auch sein Zähnefletschen ist durchaus nicht mehr wohlwollend. „Ich fürchte, da hat Jones sich etwas eingebrockt, was er nicht auslöffeln kann.“ „Es wäre das erste Mal“, bemerkt Henderson trocken und schiebt beide Hände tief in die Hosentaschen. „Wir können jedenfalls nicht anders, als nach Anweisung B handeln, und die schreibt vor, daß wir Solar-X unverzüglich starten, den Erdmond zerstören und damit dem ‚Zentralen Rat’ die vorteilhafte und konkurrenzlose Wirkung unseres neuen Mittels vor Augen führen. Ich schlage vor, daß wir so verfahren, Präsident.“ Er sagt das in einem Ton, der nicht gerade großen Respekt vor dem Erfolgsmenschen Brodeur verrät. Der Präsident sitzt in einem Sessel vor einer gebogenen schwarz-gelben Wand. Er blickt ihn nachdenklich an und steht auf. Nein, er ist heute wirklich nicht so, wie ihn die Menschen der Erde kennen. Seine Rechte tastet mit einem Seidentuch über die Stirn. „Ich lasse Sie jetzt allein, Henderson! Unter diesen Umständen halte ich es für besser. Ich habe noch einiges mit dem Herrn vom ‚Zentralen Rat’ zu besprechen – wir wollen so tun, als ob die Einweihungsfeierlichkeiten noch stattfinden würden.“ Er reicht seinem ersten Mann die Hand, und der verneigt sich ganz kurz. Dann geht Max Brodeur auf eine hohe gepanzerte Tür zu, die sich automatisch vor ihm öffnet. Jenseits der Tür stehen zwei, die ihn mit weit größerer Achtung grüßen und mit ihm davongehen. Daniel Henderson steckt sich eine Zigarette an. Etwas hastiger als sonst. Er ist froh, daß der Präsident draußen ist. Nach einigen tiefen Zügen nimmt er noch einmal die Meldungen zur Hand, die zuletzt aus dem Weltall eingetroffen sind. Die eine stammt von dem Raumschiff „Vulcan“. „Haben SOS-Rufe von Position ‚Jupiter VIII’ aufgenommen. Fliegen an …“ 56
Henderson blickt auf seinen Zeitmesser und stellt fest, daß die beiden Raumschiffe in weniger als einer Stunde zusammentreffen können. Er weiß auch, daß jetzt alles von Walker Jones abhängen wird. Die andere Meldung stammt von Joe Hudson. „Flotte startklar. Lasse vorsichtshalber meine Leute überprüfen, da Spione vermute …“ Henderson greift nach einem Mikrofon. „Geben Sie Kommandoreihe B zum Jupiter durch!“ * In der „Jupiter VIII“ erwarten sie die „Vulcan“. Während Forst Barrymoore am Funkgerät ausharrt und sich von der „Vulcan“ bestätigen läßt, daß sie zu Hilfe eilt, klettert Jon Cory in den Heckraum. In den Fäusten hält er zwei silberne Kanister, die für sie mehr wert sind als alles Gold auf der Erde. Gapa-Öl vom Mars ist in den Kanistern. Und wenn ein Mensch die Dämpfe des braunen klebrigen Zeugs in die Kehle bekommt, legt er sich in der Regel nieder und schläft sanft ein paar Stunden lang. Mehr passiert ihm nicht. Aber das ist das, was Jon Cory will. Die „Vulcan“ ist bereits am Firmament auszumachen. * Daniel Henderson wartet zwei Stunden. Er ist der eigentliche Lenker des Angriffs auf die Erde, der wie ein Blitz aus heiterem Himmel herunterfahren wird. Max Brodeur erwartet eine präzise Arbeit von ihm. Nach Ablauf dieser zwei Stunden greift er wieder nach dem roten Mikrofon und sagt ganz gelassen: 57
„Geben Sie Kommandoreihe C zum Jupiter durch!“ „Okay!“ kaut einer mit Kaugummistimme. * „Fertig?“ „Fertig! Die Herren können anlegen!“ Aus der Tiefe der Sternenräume heraus schält sich die gewaltige, langgestreckte Rundwand der „Vulcan“, die schräg auf sie zukommt. Sie haben bereits Sprechverbindung, und der Kapitän, mit dem Forst Barrymoore verkehrt, heißt Manville. Lief Parker hat die linke Steuersäule auf Verhaltflug getrimmt, was in der Bugkanzel der „Vulcan“ den Eindruck macht, als hätten sie eine schwere Havarie. Er marschiert jetzt mit Cory und Barrymoore über den Mittschiffsgang zur Steuerbordschleuse. Sie tragen Raumanzüge. Handwaffen haben sie nicht, dafür tragen sie an einer Klammer auf dem Rücken Schläuche, die sehr lang sind. Vor der Schleuse liegt ein Rohr, das von dem Heckraum herankommt und mit einem viermäuligen Verschluß endet. Sie haben es eben gelegt. Sie bücken sich und schließen ihre Schläuche an. Dann gleitet die Panzertür der Schleusenkammer weg. Von vorn kommt Barrymoore. Er schraubt sich die durchsichtige Kopfhaube fest und drückt den Knopf an der Brust ein, der die Sprechfunkverbindung einschaltet. „Sie kommen längsseits! Wir wollen zwei Mann an Bord schicken!“ „Ein merkwürdiges Verhalten.“ Walker Jones dreht an einem Schlauchverschluß, daß es laut knackt. „Aber sie sollen ihren Spaß haben. Fertig, Barrymoore?“ Forst Barrymoore nickt. Sie wuchten nacheinander durch die Schleusenkammer. Lief Parker tritt an ein Bullauge, vor dem 58
sich eine graue Masse immer näher heranbewegt. Während er genau beobachtet, wie sich der Zwischenraum zwischen den Raumschiffen immer mehr verringert, gehen seine Gedanken zu seinem Kameraden, der jetzt irgendwo in der brutalen Verlorenheit des Jupiters versucht, sich durchzuboxen. Mach es gut, Alan Sarett! Wir müssen es schaffen! Dann geht ein Ruck durch das Schiff. Lief Parker wartet noch ein paar Minuten. Drückt dann einen Hebel ein. Vor ihnen schiebt sich das große Mittelluk auseinander. Sie starren auf das schwarze Luk der „Vulcan“. Auch das Luk öffnet sich und gibt eine tiefgehende Schleusenkammer frei. Kein Mensch ist drüben zu sehen. „Los!“ befiehlt Parker kurz und tritt in das andere Raumschiff über. Jon Cory folgt. Dann Jones mit Barrymoore, der ihn nicht aus den Augen läßt. „Wo sind denn hier die Ehrenjungfrauen?“ bemängelt Jon Cory mit seiner Knabenstimme. Ehrenjungfrauen gibt es nicht, aber über einige Stufen, die rechts im Hintergrund in die Kammerwand gehen, kommt eine Front von weißuniformierten Männern heran, die freundlich grinsen und freundlich die Händchen heben. In den Händen tragen sie Strahlenkanonen mittleren Kalibers, die nicht nur kitzeln, wenn man ihre Auslöser betätigt. Die vier rühren sich nicht, und das leise Zischen, das aus den Schläuchen dringt, merken die anderen erst, als es ihnen schon schwarz vor den Augen wird. Sie sacken mit glasigen Augen in die Knie und legen sich lang. Das verursacht ein ziemliches Durcheinander, aber Jon Cory rast schon vor. Springt über einen, der sich gerade malerisch hinstreckt, reißt ihm die Kanone aus der Hand und ist schon im Gang, auf den die Stufen führen. Flucht und feuert plötzlich. Springt einen großen breitschultrigen Burschen an, der auf dem linken Ärmel die Rangabzeichen 59
eines I.T.L.-Kapitäns trägt und ihm seinen Strahlenwerfer unter die Nase halten möchte. „Sind Sie Kapitän Manville?“ herrscht Cory ihn schon an. „Damned“, knurrt der andere überrascht, „ich …“ Ein Faust langt nach ihm und befördert ihn an Parker weiter. Die Faust gehört Forst Barrymoore. Parker setzt ihm gleich die Faust aufs Kinn, daß er friedlich wird. Das Zischen der GasSchwaden dringt weiter in das Schiff vor. Gestalten aus allen Seitengängen und Kammern brechen hervor und sacken gleich zusammen. Nur ein paar sammeln Cory und Barrymoore so ein. Unter ihnen einige, die durchaus einen günstigen Eindruck machen. Auch ein junges Mädchen ist darunter. Sie achten erst nicht besonders auf das rotblonde Ding, das sie feindselig und voller Abscheu anblickt. Erst als Barrymoore bemerkt, daß sie die Hände vor das Gesicht schlägt und sich gegen die Schwaden wehrt, nimmt er ihren Arm und führt sie in einen Raum, der noch nicht verseucht ist. Er sieht, daß sie volles, rotblondes Haar hat und ein schmales Gesicht, das nicht sehr ebenmäßig ist, aber doch ausreicht, um als hübsch bezeichnet zu werden. Schön sind ihre Augen, die ihn zornig anfunkeln. „Gangster wie Sie sollte man im Weltall umkommen lassen!“ „Ich kann den Blumenstrauß leider nicht akzeptieren“, grinst er trocken. „Wenn Sie mit Gangstern reden wollen, müssen Sie schon einen von den Burschen aufsammeln, die uns mit Spielzeugkanonen empfingen. Wenn Sie trotzdem gestatten – mein Name ist Barrymoore, meine Kameraden heißen Parker, Cory und Jones, ein vierter sonnt sich noch auf dem Jupiter – Sarett heißt er.“ Ihr Benehmen ändert sich schlagartig, Sie schreit auf und hebt die Arme. „Sarett – mein Gott – doch nicht Alan –“ 60
Sein Blick geht wieder über ihr Gesicht, er findet, daß es ihm bekannt vorkommt. * Draußen blitzt es ununterbrochen. Es kommt von den Entladungen um den Bogen, der die beiden Rundtürme verbindet und den schönen nützlichen Stoff Solar-X enthält. Unter dem Bogen sind auf drei Gleitbahnen die ersten drei Raumschiffe der Todesflotte aufmarschiert. Sie werden beladen, und das geht so vor sich, daß über den Gleitbahnen aus dem Bogen heraus gläserne Kolben gleiten und sich mit anderen Kolben treffen, die aus den darunterstehenden Raumschiffen hochkommen. In den Kolben entsteht eine bläuliche Helle, die ununterbrochen von grellweißen Blitzen zerrissen wird. Die Männer, die von den Rundtürmen aus die Aufladung der Raumschiffe mit Roboterarmen dirigieren, sind die bestbezahltesten Spezialkräfte im ganzen Sonnensystem. Ihr Reichtum hat nur einen Schönheitsfehler: Sie haben nach einer solchen Ladearbeit höchstens noch zehn Jahre zu leben. * Draußen blitzt es ununterbrochen. Die beiden schrankbreiten Gangster, die an dem langen tischartigen Gestell im Kommandobunker vorbeimarschieren, gehören nicht zu den Männern, die hier den Start der Todesflotte überwachen sollen. Sie haben einen besonders ehrenvollen Auftrag auszuführen. „Wamm!“ bellt der eine der beiden mit breitem Lachen. Am tischartigen hochbeinigen Gestell stehen viele in gelben 61
Schutzanzügen an ovalen Tafeln mit Zahlen und Tastaturen. Das Bellen hört sich nicht besonders schön an. Sie fahren auf und werfen ihre Köpfe herum. Auch Alan Sarett. Er steht neben einem Raumnautiker mit zwei Doktortiteln und abgefeimter Visage. Die Decke über ihnen ist aus Kunstglas. Sie ist voller Zucken und aufblitzender Unruhe. „Wamm! Komm mal her!“ Alan Sarett weiß, daß er zwei Strahlenwerfer in den Taschen hat, und das ist jetzt der einzige Trost in dieser verdammten Situation. Er dreht sich gemächlich um, guckt sich die beiden Schläger an, sagt aber nichts. „Hör mal her, Wamm!“ bellt der eine wieder und will sich wichtig tun. „Wie ist es möglich, daß du Hund tot und mit einem blauen Schutzanzug zugedeckt im …“ Alan Sarett läßt ihn nicht aussprechen. Seine Hände gehen etwas tiefer und kommen mit Strahlern wieder hoch. Er schießt ohne weiteres, weil er keine andere Möglichkeit mehr hat, und er trifft genau. In das Krachen der zusammenbrechenden schweren Körper hinein zischt neben ihm ein Fluch auf. Der Raumnautiker mit den zwei Doktortiteln will sich einmischen, aber Sarett ist schon herum, reißt ihm einen handlichen Peilsender vor der Nase weg und schleudert ihn gleichzeitig mit der Linken gegen die anderen, die wild werden. In großen Sätzen wirft er sich auf die nahe Selentür zu. Tritt auf den Kontaktstreifen. Von der Tischreihe feuert einer auf ihn. Ein weißer Strahl zischt ihm über die linke Schulter. Dann ist er schon durch. Die Selentür gleitet hinter ihm zu. Aber Alan Sarett ist weit davon entfernt, Jubellieder anzustimmen. Er weiß, daß sich in diesen Sekunden seine Chancen um neunzig Prozent verringert haben. Er steht zwischen Selentür und Felsen auf einem grauen Boden, von dem aus rechts und links Stufen nach oben führen. Auf gut Glück rennt er die Stu62
fen links von sich hoch. Ist noch nicht im Aufstieg, der sich über ihm auftut, als hinter ihm im Bunker und irgendwo über ihm Alarmsirenen aufheulen. Alan Sarett wirft sich gegen eine Klappe, die hochfedert. Mit angezogenen Beinen schleudert er sich auf die Ebene. Steht einen Herzschlag lang betäubt in dem Zucken der blitzgepeinigten Jupiternacht und rennt auf die Ebene hinaus. Von irgendwoher Gestalten. Alan Sarett feuert blindlings auf sie und rennt weiter. Er weiß, daß es um sein Leben geht. * „Kennen Sie Alan Sarett?“ „Ja“, sagt das rotblonde Mädchen, das immer noch nicht zu begreifen scheint, was gespielt wird. „Er ist mein Bruder.“ Draußen auf dem Mittschiffsgang der „Vulcan“ wuchtet Walker Jones vorbei. Er dreht den Kopf und grinst. „Hallo, Forst! An der Beute könnte ich mich auch beteiligen!“ Forst Barrymoore antwortet nicht. Gedankenlos starrt er Jones nach, der in seinen schweren Stiefeln nach vorn wuchtet. Er macht dabei eine Bewegung, die dem TV-Mann irgendwie bekannt vorkommt. Dann weiß er plötzlich, daß er Walker Jones schon einmal gesehen hat. Nicht hier in den Raumschiffen, sondern auf Jupiter, wo er vor einem Kommandogerät stand und dabei auch diese reflexartige Bewegung machte. Walker Jones war der einsame Mann über den Jupiterbestien, und er hetzte sie gegen die wehrlosen Urrus! Forst Barrymoore mahlt mit den Zähnen, daß das Mädchen ihn scheu anblickt. „Ich bin Irene Sarett“, fährt sie leise fort. „Bitte, sagen Sie mir doch, wo Alan ist und was das alles bedeutet.“ 63
Ohne, daß er recht dabei ist, sagt er ihr alles. Ziemlich rauh und rücksichtslos bringt er es heraus. Ein glühendes Mädchengesicht ist vor seiner Brust. „Ich bin Ingenieurassistentin bei der I.T.L. und habe schon jahrelang nichts von meinem Bruder gehört. Aber die I.T.L. ist keine Gangsterbande – das ist nicht wahr.“ Forst Barrymoore nimmt seine Kopfhaube ab. „Durchaus nicht“, grinst er böse. „Ihr Bruder ist auf Jupiter unter die Engel gefallen und schwebt mit einer Harfe herum.“ Wieder kommt einer den Mittschiffsgang herunter. Jon Cory ist es. Der Junge sieht aus wie einer, der Magenschmerzen hat. Er sieht das Mädchen gar nicht. „Geh nach vorn! Parker und Jones kommen mit dem Sender nicht klar. Parker will den Raumsicherheitsdienst anrufen.“ „Das will ich auch“, nickt Barrymoore trocken und läßt das Mädchen los. * Der Mittschiffsgang mündet unmittelbar in den Kontrollraum. Forst Barrymoore muß sich erst an diese Bauart gewöhnen, und er läßt sich auch nicht viel Zeit, als er nach vorn geht, so daß alles etwas überraschend für ihn kommt. Im halbrunden, von hellem Metall blitzenden Kontrollraum sieht er eine Gestalt eine Drehung um ihre Achse machen und dann zusammenzubrechen. Es ist Lief Parker, und der Bursche, der ihn zusammenhaut, ist Walker Jones. Forst Barrymoore empfindet so etwas wie eine Genugtuung. Aber er achtet nicht auf den Schleusengang, der noch vor dem Kontrollraum steuerbordwärts abzweigt. Er zuckt zusammen, als plötzlich etwas an seinem Rücken ist, das sich verzweifelt nach einer Werfermündung anfühlt. Dann hört er auch die Schritte hinter sich, und eine Männerstimme, die nicht einmal 64
unfreundlich sagt: „Nimm lieber die Hände hoch – der Boß möchte dich noch einmal in deines Lebens Blüte sehen.“ Der TV-Mann schenkt sich eine sinnlose Widerrede. Er weiß, daß der hinter ihm keinen Spaß macht und hebt die Hände hoch. Sieht sich um und sieht in Kapitän Manvilles reizvolles Antlitz. Weiter zurück beschäftigen sich zwei Gangster mit Jon Cory, der verzweifelt um sich schlägt. Eine schöne Falle. Neben dem runden klobigen Kontrolltisch steht Walker Jones. Er hat jetzt ebenfalls Strahlenwerfer in den Fäusten und blickt Forst Barrymoore mit einem Lächeln entgegen, das den Blutdruck steigen läßt. „Ich kann dich beglückwünschen, Barrymoore – du hast eine Witterung wie ein Jagdhund.“ „Tut mir aufrichtig leid, daß wir dir geholfen haben, an Bord zu kommen.“ „Verständlich! Aber du fragtest mich vorhin mal was.“ „Ich hätte dich lieber gleich umlegen sollen!“ Forst Barrymoore weiß, daß er eine Chance hätte, wenn nur Jones ihm allein gegenüberstände. Aber dieser bullige Kapitän hinter ihm wird sofort feuern, wenn er sich bewegt. Und Cory wird sich gegen seine Gegner nicht halten können. „Wer bist du, Jones?“ „Den schönen Namen laß lieber weg – ich bin Max Brodeur.“ Forst Barrymoore rührt sich nicht, aber er zittert plötzlich und hat eine scheußliche Schwäche in den Beinen. Seine Kinnbacken bewegen sich – er will Worte finden und weiß nicht, was er sagen soll. „Du denkst, ich will dir etwas vorzaubern, Barrymoore“, lächelt der andere und kommt weich und geschmeidig heran. „Sieh mich genau an.“ „Wenn du Max Brodeur bist, hast du dich aber ziemlich verändert.“ 65
„Ich habe drei Jahre im verborgenen gelebt“, sagt der Mann, der unmittelbar vor ihm steht. „Es gab nur drei, die es wußten – Henderson, Hudson und mein zweites Ich.“ Bei allen bösen Geistern, er könnte es sein, hämmert es in Barrymoore. Sein Gesicht weist Merkmale auf, die auf der Erde allen Menschen bekannt sind. Barrymoores Kinnbacken bewegen sich nicht mehr. Er ist ganz ruhig. Das zweite Ich? denkt er. „Ich hielt es für besser, von der Venus zu verschwinden“, sagt Jones alias Max Brodeur. „Wer ein Spiel mit einem so großen Einsatz wagt, muß immer damit rechnen, daß man ihn durchschaut. Dein Freund Morrison war schon nicht weit davon entfernt. Was glaubst du, Barrymoore, wenn sie den großen Max Brodeur verhaftet hätten und sie hätten nur den Falschen bekommen. Ich wollte Bewegungsfreiheit für alle Fälle – verstehst du mich?“ „Ich verstehe dich“, nickt Barrymoore, und es schwingt beinahe so etwas wie eine düstere Anerkennung in seinen Worten mit. „Du hattest also in den letzten Jahren ein Double …“ „Du kannst es so nennen“, lächelt Brodeur freundschaftlich. „Mein guter Gastron hatte ziemliche Mühe, sich in mein Ich einzuleben. Nun, zwei berühmte Ärzte halfen ihm dabei – leider überlebten sie es nicht lange.“ Ein Teufel – und was für einer! „Hattest du das erwartet, Barrymoore?“ „Nein“, sagt der TV-Mann. * „Nein“, sagt er noch einmal. Und dann verliert er jede Überlegung, sieht nur noch, daß zwischen den beiden Strahlenkanonen in Max Brodeurs Fäusten ein ziemlich breiter Zwischenraum ist und jagt schmächtig und 66
elastisch hinein. Seine Faust zuckt hoch und landet über den kalten, höhnenden Augen. In diesem Schlag entlädt sich alles an Haß und Wut, was sich in ihm angesammelt hat. Der Schlag ist gut und reißt Max Brodeur einige Zentimeter hoch. Das Herrschergesicht mit der rotunterlaufenen Stelle über den Augen bleibt vor ihm. Barrymoore kann seinen eigenen Schwung nicht bremsen. Fliegt mit dem Kerl auf den Kontrolltisch zu. Brodeur knallt mit der Wirbelsäule gegen die scharfe Kante, was ihm nicht gut bekommt. Er wirft in einem unerträglichen Schmerz den Kopf weit zurück und macht eine halbe Drehung. Barrymoore plumpst über ihn. In Brodeurs Brustkasten knackt es laut und unschön. Max Brodeur seufzt und feuert endlich seine Strahlenkanone ab. „Manville! Manville!“ Das ist das einzige, was über seine Lippen kommt. Aber Kapitän Manville ist vergeblich bemüht, seinen Werfer anzubringen. Als Brodeur feuert, steht er ungünstig. Er taumelt unter den Atomstrahlen seines eigenen Herrn zusammen. Brodeur und Barrymoore sind allein. Die Partie steht fünfzig zu fünfzig. Lief Parker rührt sich immer noch nicht. Im Mittschiffsgang schlägt sich Jon Cory noch immer mit seinen Widersachern, während ein anderer Gangster Irene Sarett hält, die wie eine wilde Katze gegen ihn angeht. Auf das harte Scharren, das im Augenblick durch die „Vulcan“ geht, als Max Brodeur über den Kontrolltisch fällt, achtet keiner. Sie sollten lieber darauf achten. Die beiden nebeneinander fliegenden Raumschiffe werden durch das Scharren aus der Bahn geschleudert. Barrymoores Fäuste trommeln ohne Gnade, aber Max Brodeur ist nicht einer, der sich einfach zusammenhauen läßt. Er erkennt, daß er seine Strahler nicht günstig herumbekommt und 67
läßt sie fallen. Mit offenen Auslösern. Kriegt dafür seine Hände hoch und schließt sie um den Hals des TV-Mannes. Zieht sich an seinem Hals hoch, was Barrymoore beinahe die Luft nimmt. Brodeur ist ein großartiger Fighter, Barrymoore! Er weiß, daß es jetzt nur darauf ankommt, die Klammer um Barrymoores Hals nicht zu öffnen und die Schläge einzustecken, die pausenlos in sein aufquellendes Gesicht prasseln. Max Brodeur kalkuliert richtig, aber er denkt nicht an die offenen Strahler, die neben ihm liegen. Sie lehnen nicht ruhig über den Kontrolltisch, die beiden, die wissen worum es geht. Sie wälzen sich und rutschen ganz langsam ab. Und dann geschieht es plötzlich, daß Brodeur keinen Halt mehr hinter seinem Rücken hat – er fällt. Fällt auf die offenen Strahler und brüllt los wie zehn verwundete Raubtiere. Forst Barrymoore stolpert über ihn weg, überschlägt sich und knallt weiter weg auf. Ist gleich wieder hoch. Sieht in fassungslosem Entsetzen, wie Brodeurs Kopf in der weißen Grelle mit aufgerissenen Augen und aufgerissenem Mund immer größer zu werden scheint – und sieht dann nichts mehr – Vernimmt nur noch leichte Schritte, die herankommen. * Die Schritte stocken vor dem schauerlichen Anblick des verbrennenden Mannes. Man sieht es Irene Sarett an, daß sie es ziemlich sauer gehabt hat, sich gegen den Gangster zu wehren. Hinter ihr taucht Jon Cory auf. Er blutet an der Stirn, und seine rechte Hand ist so, daß er 68
damit eigentlich zum Arzt müßte, aber wahrscheinlich merkt er es gar nicht – er winkt aufgeregt. „Verdammte Schweinerei! Was ist mit Jones?“ „Mit Brodeur solltest du lieber fragen.“ Forst kommt hoch und zeigt auf den Plattenboden, auf dem nichts mehr ist als ein verkohlter lebloser Körper. „Da ist nichts mehr zu machen.“ Jon Cory starrt darauf mit einem Gesicht, über das tiefe Schatten ziehen. Dann starrt er auf Barrymoore, als wollte er sagen: Also war er doch einer von der anderen Seite – aber er sagt etwas anderes. „Das Triebwerk ist hin! Wir treiben ab!“ Das ist ein Hieb, auf den Forst Barrymoore wirklich nicht vorbereitet ist. Er wird jetzt erst richtig blaß, denn er weiß, was das bedeuten kann. „Wir treiben – ab?“ Irene Sarett nickt dazu und zeigt auf die Sichtscheibe neben den Stufen zur Bugkanzel. In der schwarzen Unendlichkeit steht das Sternenfirmament wie eine ferne Wand. Als Forst Barrymoore einige Minuten darauf blickt, bemerkt er, daß sich ein Sternbild nach dem anderen aus seinem Blickfeld wegdreht. Hölle und Teufel! Er legt seinen Arm flüchtig um Irene Sarett, als wollte er sie schützen, aber dann wuchtet er auf Jon Cory zu. Vor ihnen rührt sich Lief Parker. Er richtet sich langsam auf und macht häßliche Bemerkungen. „Das geht schnell“, sagt Barrymoore schwer. „Ich kann mir nur denken, daß wir in einen wandernden kosmischen Energiestrom geraten sind, der zum Mittelpunkt des Sonnensystems hinstrebt, also zur Sonne. Mit einem ausgefallenen Triebwerk ist da nichts zu machen. Die Sonne wird rasch größer werden für uns.“ Irene Sarett beißt sich in die Unterlippe. „Und – wann werden wir an der Sonne sein?“ „In einigen Stunden“, weicht Barrymoore aus und bewegt sich auf die Funkbox zu. „Ich rufe den Raumsicherheitsdienst an! 69
Hoffentlich kommt der Sender noch durch! Sieh nach den I.T.L.-Leuten, Cory – wir müssen sie umladen.“ Cory versteht ihn nicht, aber er beeilt sich. * Forst Barrymoore schickt seine Signale in den Weltraum hinaus. Sie bemerken noch nicht, daß sie nicht allein sind in diesem kosmischen Energiestrom. Die beiden doppelrumpfigen Raumschiffe machen ihren Sturz in einigen zehntausend Meilen Entfernung mit. Ihre Triebwerke sind intakt und ihre Kapitäne haben die bulligen Kästen fest in der Hand. Sie nähern sich sogar während dieser mit menschlichen Vorstellungen von Raum und Zeit nicht mehr zu messenden Todesfahrt der „Vulcan“. Für die vier in der Bugkanzel der „Vulcan“ aber tut sich ein neues grausiges Wunder auf. Der Sonnenball wächst ihnen entgegen. Weit im Westen tanzen kleine Weltkörperchen an ihnen vorbei. Die Planetoiden … * Alan Sarett rennt und rennt. Das Heulen der Alarmsirenen über dem weiten Tafelland verstummt immer noch nicht, und dabei hat er schon einige Meilen zurückgelegt. Sie hetzen ihn wie ein Tier. Alan Sarett ist entschlossen, sich bis zuletzt zu verteidigen, aber er gibt sich keinen Hoffnungen hin. Sein Organismus wird das nicht lange mitmachen, sein Herz, seine Lunge. 70
Er rennt im Schutze einer roten meilenlangen Mauer, die ein weites Gebiet absteckt. Das Blitzen vom Solar-X-Bogen her, das auch während des Alarms ununterbrochen andauert, nimmt nur noch einen Teil des Himmelsgewölbes ein und erschwert ihm nicht mehr so die Orientierung. Alan Sarett erblickt rechts vor sich ein schmales langgestrecktes Gebäude, auf dessen Flachdach stabähnliche Gebilde hochragen, auf deren Spitzen sich gelbe und rote Scheiben drehen. Dahinter schieben sich J.X.s heran. Fünf, sechs zählt der Ingenieur im keuchenden Dahinjagen. Ihre Augen sind wie leuchtende weiße Insekten, die sich immerzu zusammenziehen, um sich wieder auszudehnen. Ein scheußlicher Anblick. Alan Sarett läßt sich mit der linken Schulter gegen die Mauer fallen und bleibt stehen. Sie haben ihn! Es hat keinen Sinn mehr – sie werden gleich bei ihm sein, und dann werden ihre Rüsselarme vorstoßen und ihn fassen. Schauer des Ekels und der Todesangst erfassen ihn. Er sackt in die Knie. Dabei gleitet ihm der kleine Peilsender aus der Hand, und das instinktive Zufassen reißt ihn wieder hoch. Alan Sarett blickt zu dem langgestreckten Gebäude hinüber, das wie verlassen dasteht. Wenn ich mich beeile, kann ich es vielleicht noch erreichen! überlegt er. Dann jagt er schon los. Rennt den J.X.s entgegen. Erreicht die weiße Wand und richtet in verzweifelter Entschlossenheit seinen Strahler gegen eine der rechteckigen Sichtscheiben. Ich muß sie noch anrufen, hämmern seine Gedanken – noch einmal. Hinter ihm jagt ein Trupp von I.T.L.-Leuten heran. * 71
An Bord der „Vulcan“ hören sie ihn. Vier Minuten, nachdem Alan Sarett seinen Strahler gegen die Sichtscheibe richtet. Mehr als 350 Millionen Meilen weit ab. Barrymoore, der ziemlich hart mitgenommene Lief Parker und Irene Sarett drängen sich in der kleinen Funkbox des stürzenden Raumschiffes. Der Raumsicherheitsdienst ist alarmiert. Was Sarett und seine Kameraden schon vor drei Jahren versucht hat, gelingt in diesen Minuten dem TV-Mann Forst Barrymoore: Ein Schiff des Raumsicherheitsdienstes, das in Erdnähe fliegt, antwortet, bittet um Wiederholung des Textes und genaue Positionsangabe. Diese Antwort kommt noch dreimal. Wahrscheinlich ringen die an Bord des R-Raumschiffes „R II“ ziemlich nach Luft. „Sie sollen uns rausholen“, sagt Irene Sarett. Sie sagt es kleinlaut und klammert sich an Forst Barrymoore, den sie erst so verachtete. Ihre Augen sind groß und starr. Sie sind auf die glühende Scheibe gerichtet, die sich mit flammenden Spiralen von der Schwärze der Unendlichkeit abhebt und wie ein Höllenschlund näher kommt. – „Wie lange – wird das noch dauern?“ Lief Parker erhebt sich taumelnd, zerkaut eine Pfefferminztablette zwischen den Zähnen und nickt Barrymoore zu. Er will nach achtern, er muß Jon Cory helfen. Jon Cory trägt auf seinen verletzten Armen einen der I.T.L.Gangster nach dem anderen durch die Schleusenkammer in die „Jupiter VIII“, die noch immer längsseits liegt und diesen Sturz in den Tod mitmacht. Die Wahrscheinlichkeit ist nicht groß, daß das kleine Schiff mit seinem relativ schwachen Antrieb sich wird gegen diesen kosmischen Energiestrom durchsetzen können – aber sie müssen es versuchen. – Mit schmerzendem Zeigefinger hämmert Barrymoore ihre Positionsangabe in das Weltall hinaus. Mitten in diese fiebrige 72
Tätigkeit, die das Denken schwermacht und die nichts mehr ist als eine Pflichterfüllung bis zum letzten, pfeift es aus dem kleinen Peilempfänger über dem TT-Kasten in einem harten, hastigen Rhythmus. „Das ist ein Peilsender!“ Barrymoore fährt auf. Irene richtet sich in einer dunklen Ahnung am Tisch auf und beugt sich zu dem Peilempfänger hin. „Barrymoore, das kommt sehr stark durch! Haben wir ein Raumschiff in der Nähe?“ Forst Barrymoore schüttelt den Kopf. „Das kann aus einer sehr großen Entfernung kommen. Die Peilzeichen sind in den Energiestrom geraten und kommen deshalb so stark durch.“ „Wenn es Alan ist!“ „Ruhig, Irene! Er gibt einen Text durch!“ Seine Lippen formen die Worte mit. „Hallo, Parker! Hallo, Parker!“ * Der Kapitän der „R II“ braucht eine gewisse Zeit. Es ist nun einmal nicht ohne weiteres zu verdauen, was ihm dieses abstürzende I.T.L.-Raumschiff aus Venusnähe zuruft. „Max Brodeur tot! I.T.L. ist Gangsterorganisation! Besetzt I.T.L.-Zentrale Venus, Jupiter und Merkur.“ Der Kapitän ist zum Glück keiner von denen, die an die Unfehlbarkeit der größten Raumfahrtsorganisation der Erde glauben. Er hat Ell Morrison gut gekannt, und nach dessen Tod geisterten Gerüchte – seltsame Gerüchte. Er bemerkt auch, daß zwei bullige Raumschiffe unbekannten Typs in das Gebiet hineinrasen, in dem die „Vulcan“ sich befinden muß. Und das gibt den Ausschlag. Im Küstenort Oceana vor New York wird Alarm gegeben. Der Raumsicherheitsdienst greift ein. 73
* Noch geht es. Alan Sarett liegt langgestreckt in einer großen Bodenwanne mitten in einem Raum, der schräg in die Tiefe führt und so schmal ist, daß höchstens zwei ausgewachsene Männer nebeneinander hineinkönnen. Davor liegt ein langer Gang. Alan Sarett leistet in diesen Minuten übermenschliches. Er hat eine allgemeine Raumfrequenz gewählt, von der er annehmen kann, daß sie auch die „Jupiter VIII“ umfaßt. Er funkt, aber er weiß nicht, was draußen im All geschieht. Er weiß nicht, daß sie umgestiegen sind und dem Sonnenball entgegenstürzen. Mit der Linken funkt er. Mit der Rechten feuert er auf die gelbuniformierten Gestalten, die sich vor dem Raum drängen. Nur das kurze harte Zischen der Feuerstöße und das Ticken des Peilsenders ist zu hören. Alan Sarett gibt die von ihm geschätzte Position der Solar-XAnlage durch. Dreimal. Dann geht es nicht mehr. Ein weißer Strahl haut ihm gegen die rechte Schulter, daß er aufspringt und wimmernd wieder hinfällt. Aus! denkt er. Aus! Jetzt schießen sie dich ab! Irene, kleine Schwester, wenn ich dich noch einmal wiedersehen könnte! Aber sie schießen nicht mehr. Sie rennen auf die Schräge, reißen ihn hoch und boxen in blinder Wut auf ihn ein. Alan Sarett sackt zum zweitenmal wieder weg. Fühlt, wie einer ihm einen kühlen Stab gegen die Schläfe hält. Fühlt ein Zucken im Hinterkopf, das ihn aus der halben Betäubung herausreißt. Seine Arme werden nach hinten gebogen. Er kann sich nicht mehr rühren. Kein Laut fällt. Das ist das Furchtbarste. 74
Sie zwingen ihn, vorauszugehen und führen ihn aus dem Gebäude und vor eine Front dunkler Riesengestalten. „Nein!“ brüllt er los und wirft sich in der Klammer des Judogriffes. „Nicht das! Nicht das!“ Seine Augen sind groß, und in ihnen irrlichtert eine kreatürliche Furcht, die grenzenlos ist. Die Front der J.X.s steht steif und stumm. „Du sollst eine große Überraschung erleben“, sagt neben ihm eine Stimme, die so weich und schmeichelnd ist wie die eines Sektenpredigers. „Unsere Freunde werden dich ein wenig verwandeln. Du wolltest uns den Raumsicherheitsdienst auf den Hals schicken, mein Junge. So etwas tut man doch nicht.“ Alan Sarett fliegt am ganzen Körper. Er duckt sich und wendet den Kopf. Unwillkürlich und in einer eigenartigen plastischen Härte steht nicht weit von ihnen eine mannsgroße gläserne Kugel vor dem dunkelwogenden Jupiterhimmel. „Viel Vergnügen, mein Junge“, fährt die Stimme fort. „Sie werden dich in die Kugel heben, und dann werden die Strahlen unserer neuen Kraft dich zu dem machen, was sie bereits sind.“ „Nein!“ brüllt es tierhaft und zornig aus ihm. „Nein!“ Aber zwei Rüsselarme tasten auf ihn zu. * „… er sendet nicht mehr …“ Irene Sarett wirft sich herum und packt die Oberarme Forst Barrymoores. Der TV-Mann steht noch immer etwas vorgebeugt vor dem Peilempfänger. Sein Gesicht ist eine harte Plastik. „Er brach plötzlich ab. Mitten im Satz.“ „Warum habt ihr ihn im Stich gelassen?“ begehrt sie auf. „Warum seid ihr ohne ihn abgeflogen!“ „Ich lasse keinen Menschen im Stich, merken Sie es sich!“ herrscht er sie an, hebt einen Metallklotz auf und knallt ihn in 75
den Peilempfänger. Es kracht und splittert. Er hebt ihn wieder auf, wirft ihn in den TT-Kasten … „Kommen Sie! Wir müssen raus!“ Sie rennen den Mittschiffsgang entlang zur Steuerbordkammer. Die kleine „Jupiter VIII“ liegt noch immer längsseits und wird mitgerissen. Auf den Platten im Gang liegt eine silberne, flimmernde Helle, die kaum noch zu ertragen ist. Wenn sie durch die Bullaugen sehen, erblicken sie eine brennende Riesenscheibe, die auf sie zukommt. Dazwischen liegen noch Millionen Meilen – aber was bedeuten sie. Rechts von ihnen wirbelt ein Weltkörper weg, der Planet, der der Sonne am nächsten steht. Erde und Venus liegen bereits hinter ihnen. In der Schleusenkammer taucht Jon Cory auf. Er winkt sie halb und halb zufrieden heran. „Wir haben sie umgeladen! Parker läßt den Antrieb anlaufen.“ „Hoffentlich tut der ihm den Gefallen!“ Forst Barrymoore läßt erst das Mädchen an Bord der „Jupiter VIII“ gehen und tritt dann selbst über. Die „Vulcan“ ist leer – nur die Leichen Max Brodeurs und Kapitän Manvilles liegen noch in der Bugkanzel. Sie werden mit dem Raumschiff in die Sonne stürzen. Hinter Forst Barrymoore schließt sich das Außenluk. * Dann löst sich die „Jupiter VIII“. Lief Parker muß vorsichtig manövrieren, um nicht die letzten Chancen zu vergeben, die sie noch haben. Er muß stufenweise den Sog des Energiestromes abschwächen und sie dann in einer weiten Schleife, die um Merkur herumführt und dessen Anziehungskraft ausnutzt, endgültig frei machen. 76
Was dann kommt, müssen sie abwarten. Walker Jones ist nicht mehr an Bord. Walker Jones ist nicht mehr. Für ihn geht neben Forst Barrymoore ein schmales rotblondes Mädchen. Und auf allen Kojen, auf allen Klappbänken und auf dem im Sonnenfeuer blitzenden Boden liegen die, die sich immer noch nicht rühren. „Die werden sich wundern, wenn sie in der Hölle wieder zu sich kommen“, grinst Forst Barrymoore gefühllos. Irene wendet sich ab. * Nach drei Stunden nähern sich ihnen zwei Raumschiffe. Sie tauchen als winzige Punkte nördlich vom Merkur auf. Jon Cory macht sie mit der E-Optik aus. Die Punkte gefallen ihm nicht. Sie werden größer. Er erkennt, daß es doppelrümpfige Raumschiffe sind und flucht sehr unfein. „Die Jagdhunde! Sie fangen uns in Merkurnähe ab“, ruft er Lief Parker zu, der die mittlere Steuersäule festgestellt hat und mit den äußeren einen verbissenen Zweikampf mit den kosmischen Energien führt. Sein Gesicht ist grau und müde und dabei von einer unnatürlichen Schärfe. „Der Raumsicherheitsdienst …“ „Der Raumsicherheitsdienst wird genug mit der Venus zu tun haben“, sagt Jon Cory heiser. „Um Merkur werden sie sich erst später kümmern.“ Aber da irrt er sich. Er kann noch sehen, wie sich die Umrisse der rasch näher kommenden Doppelrümpfe vergrößern und er beginnt schon, sich auszurechnen, wann von dort der erste Feuerstrahl fallen wird, da bewegt sich plötzlich im Planquadrat T 28 ihrer Positionsbestimmung eine Staffel schnittiger schlanker Schiffe. 77
Planquadrat T 28 liegt so, daß sie in der Bugkanzel hochblicken müssen, um es zu sehen. Sie sind nur einige tausend Meilen von ihnen entfernt. Es sind R-Raumschiffe. Sie jagen direkt auf die Doppelrümpfe zu. Scheinbar in den Planeten hinein. Kurz darauf sieht Jon Cory es Hoch über der Merkurlandschaft aufblitzen. Zweimal. Inzwischen werden sie eifrig angefunkt. „Fliegt Merkur an! Schiff ‚R XVI’ bleibt in eurer Nähe.“ Sie jubeln hemmungslos auf, als sie das hören, und sie haben allen Grund dazu. Das bedeutet ihre Rettung. * Der Raumsicherheitsdienst schlägt hart zu. Der „Zentrale Rat“ der Erde, in dem die I.T.L. ihre Freunde hat, ist für die entscheidenden nächsten Tage ausgeschaltet. I.T.L.-Venus wird von einem R-Geschwader besetzt. Es gibt Kämpfe in den höchsten Schichten der weißwogenden Venusatmosphäre, aber auch die Verluste, die der Raumsicherheitsdienst hier einstecken muß, können das Strafgericht nicht aufhalten. „Mein zweites Ich“ wird festgenommen, kann sich aber losreißen und eine Kapsel schlucken, die sein Leben des Scheins beendet. Es kommt nie heraus, wer dieser Gastron eigentlich gewesen ist, denn Daniel Henderson schweigt – er wird schweigen bis zu seinem letzten Schritt auf den Henker zu. Ob sie von Joe Hudson etwas erfahren werden, ist noch sehr ungewiß. Ein starker Verband von R-Raumschiffen, gebildet aus Einheiten, die gerade jenseits des Mars operierten, rast dem Jupiter entgegen. Joe Hudson wird kämpfen – das ist sicher. 78
* Alan Sarett gibt sich verloren. Die roten Rüsselarme haben ihn über das Tafelland getragen, ohne ihn noch mehr zu verletzen. So behutsam waren die J.X.s noch nie zu einem Erdenmenschen, der ihnen ausgeliefert war. Aber es ist eine Behutsamkeit, hinter der eine abgrundtiefe Bestialität lauert. Sie tragen den brüllenden und kämpfenden Alan Sarett in die offene Kugel, in der nichts ist, nicht ein Gerät, nicht ein Vorsprung, an dem er sich halten kann. Verzweifelt versucht er, sich aufzurichten. Muß mit ansehen, wie sich die Kugel über ihm schließt. Die J.X.s bilden einen festen Ring um die Kugel, treten aber wie auf ein Kommando zurück. Die Kugel hebt sich, von unbekannten Kräften bewegt. Fliegt in mäßiger Höhe auf die weiße Schwadenfront des Ammoniaksees zu, der das Tafelland abgrenzt. Alan Sarett hockt in den Knien und ist stumm. Rührt sich auch nicht mehr. Wartet mit hilfloser Ergebenheit auf das, was kommen muß. Er ahnt, daß sie ihn nicht töten werden, aber wahrscheinlich wäre der Tod noch eine Gnade. Die Solar-X-Energie soll ihn in eine Jupiterbestie verwandeln. Alan Sarett verliert nach einigen Stunden das Bewußtsein. Er spürt auch nicht, daß die Kugel mit ihm fünf Tage lang über dem Ammoniaksee schwebt. Am fünften Tage brechen Blitze aus dem Jupiterhimmel. Nach den Blitzen Raumschiffe, die nicht zum I.T.L. gehören. Stunden später gelingt es Raketenmaschinen, in denen Männer des Raumsicherheitsdienstes sitzen, die Kugel vom Ammoniaksee herunterzubringen. Auch Joe Hudson kann nichts mehr aussagen. Er hat sich 79
nach erbittertem Widerstand mit dem Kontrollturm in die Luft gesprengt. Auf der Erde erklärt der „Zentrale Rat“ die I.T.L. für aufgelöst. Für Alan Sarett aber kommt die Hilfe, bevor er seine menschliche Gestalt verliert. Sie bringen ihn in das einzige Hospital auf Jupiter. * Als Alan Sarett zu sich kommt, steht Forst Barrymoore neben seinem Lager. Es ist in den Stunden, da die Urrus ihren Heimflug in großen Transportschiffen antreten. Sie werden ihren Göttern sagen, daß einer ihnen den Weg in die Freiheit bahnte. Tull heißt er. Sie werden ihn nicht vergessen. „Die I.T.L. ist gewesen, wie? Das ist gut! Wir werden eine neue Gesellschaft aufbauen müssen, die sauber ist.“ „Ich war auf Merkur“, berichtete Barrymoore und sein Gesicht ist sehr ernst dabei. „Ich und Parker und Cory! Und Irene! Ich kann dir nur sagen, Sarett, daß keine Strafe schwer genug ist für diese Gangster, die wirklich keine Menschen mehr sind.“ Alan Sarett nickt, fängt aber gleich wieder an zu grübeln. „Mir ist nur eines nicht klar: Warum kletterte Max Brodeur in die aufsteigende ‚Jupiter VIII’? Wenn er sich ruhig verhalten hätte, wäre vielleicht alles anders ausgelaufen.“ „Vielleicht! Aber er fühlte sich nicht mehr sicher, seit ihr vor drei Jahren versucht habt, den Raumsicherheitsdienst zu alarmieren! Und als das hier geschah, verlor er die Nerven.“ „Es ist gut, daß er die Nerven verlor“, sagt Alan Sarett hart. – Ende –
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Der Herzog-Filmverleih zeigt im Beiprogramm zu dem NaturFarbfilm von Walt Disney „Eine Welt voller Rätsel“
Die Vorbereitungen für den Abschuß eines um die Erde kreisenden Flugkörpers, des sogenannten Erdsatelliten, sind bereits weit vorangetrieben worden. Er soll im Rahmen des Geophysikalischen Jahres 1957/58 erfolgen. So gewinnt Walt Disneys Beiprogrammfilm „Der Mensch im Weltraum“ brennende Aktualität. Wir bringen nachfolgend den Begleittext dieses Films, der einen unterhaltsamen und interessanten Einblick in das Problem der Weltraumforschung gibt. Die einleitenden Worte spricht Walt Disney selbst: „Eine Fahrt in den Weltenraum ist schon immer der Traum der Menschheit gewesen, ein Wunschtraum. Bis vor kurzem schien die Erfüllung unmöglich zu sein – aber große, umwälzende Entdeckungen brachten uns an die Schwelle einer neuen Grenze – der Grenze des interplanetarischen Raums. Der Entschluß der Vereinigten Staaten zum Aufbau eines künstlichen Erd-Satelliten-Programms brachte die Weltraumreise aus dem Reiche der Phantasie in die Welt der Wirklichkeit. Die Wissenschaft ist der Ansicht, daß ein raketenbetriebenes Raumschiff in der Lage ist, diesen alten Traum der Menschheit zu erfüllen. 82
Beginnen wir unseren Bericht mit einem Rückblick in die Vergangenheit, in dem unser Sprecher die Entwicklung der Raketen und die ersten Ideen der Menschheit über eine Fahrt in den Weltraum beschreibt. Die Rakete ist letzten Endes keine moderne Erfindung. Tatsächlich begegnen wir ihr schon im 13. Jahrhundert in China (Schlacht von Kai-Fung-Fu). Ungefähr 500 Jahre später erklärte Newton das Prinzip der Rakete, indem er sagte: „Jede Kraft ruft eine gleich große, entgegengesetzte Kraft hervor.“ DRUCK ERZEUGT GEGENDRUCK Dasselbe Prinzip tritt in Kraft, wenn wir eine gewöhnliche Rakete entzünden. Wirkung – Gegenwirkung. Der erste, der wissenschaftlich die Raumschiffahrt mit dem Gebrauch von Raketen in Verbindung brachte, war Hermann Ganswindt. Seine Idee war, daß die Rakete das Schiff ziehen statt ger Gedanke – aber er blieb nur schieben sollte. Ein ganz eigenartiger Traum eines Erfinders. Im Jahre 1902 löste Georg Melies das Problem auf seine Weise. Er machte den ersten Film über eine Reise in das Weltall mit dem Titel „Eine Reise zum Mond“. DIE V 2 ALS AUSGANGSPUNKT Einige Jahrhunderte später wurde in der Entwicklung der Raketen ein wichtiger Schritt vorwärts gemacht, als der amerikanische Professor Robert Goddard eine mit Flüssigkeit gefüllte Rakete einführte, die mit Brennstoff und flüssigem Sauerstoff anstatt mit Schießpulver angetrieben wurde. Dieser kleine Vorläufer unserer großen heutigen Raketen stieg an einem trüben Wintertag 20 Meter in den Himmel NeuEnglands. Das führte zu einer Periode fieberhafter Tätigkeit unter den Raketenforschern. Ende der zwanziger und in den 83
frühen dreißiger Jahren wurde fast jede Art von Fahrzeug mit Raketenantrieb ausprobiert.
Unterdessen gründete in Deutschland eine Gruppe ernsthafter Ingenieure eine „Gesellschaft für Raumschiffahrt“. Als Folge davon schuf die deutsche Armee ein eigenes Raketenprogramm. Die Entwicklung der ersten Raketengeschosse folgte. Dieses mit großer Hast betriebene Raketenprogramm gipfelte im Bau eines Vorläufers des kommenden Raumschiffes, der V 2. 84
Die V 2 trat am Ende des letzten Weltkrieges in Aktion und war damals die erfolgreichste Rakete, die je von Menschen entworfen wurde. 75 erbeutete V 2 Raketen, wurden 1945 zu dem Raketenprüffeld nach White Sands in Neu-Mexiko gebracht. Hier wurden ausgedehnte Studien und Versuche für die Planung einer neu zu schaffenden Raketenforschung durchgeführt. Es dauerte auch nicht lange, und in Neu-Mexiko hörte man das Brüllen der neuen Raketen, der „Viking“, „Corporal“, „Aerobee“ und anderer amerikanischer Raketen. Anfang 1949 wurde ein weiter Schritt vorwärts getan, als eine zweistufige Rakete gebaut wurde, indem man eine kleine „Wac-Corporal-Rakete“ auf die Spitze einer V 2 setzte. Wenn die große V 2 ihre Höchstgeschwindigkeit erreicht hatte, entzündete sich die kleine Rakete. Diese zusätzliche Steigerung der Geschwindigkeit befähigte die „Wac-Corporal“, einen neuen Höhenrekord mit 400 km aufzustellen. Der nächste folgerichtige Schritt wird der Bau einer dreistufigen Rakete sein, wie sie von Willy Ley entworfen wurde. Jede dieser drei Stufen hat ihren eigenen Antrieb. Der erste „Treibsatz“ hebt die ganze Rakete von der Erde. Nachdem sie genügend Geschwindigkeit hat, wird die erste Stufe in ca. 35 km Höhe abgeworfen. Bei 75 km wird die zweite Stufe losgelöst. Die dritte Stufe arbeitet dann, bis sie eine Höhe von 115 km erreicht. DER ERDSATELLIT An diesem Punkt hat unsere Rakete eine ungeheure Geschwindigkeit erreicht und der Antrieb stellt sich ab. Ihre Vorwärtsbewegung würde sie immer weiter in den Raum schleudern, wenn nicht die Anziehungskraft der Erde wirksam würde. Dieser Zug der Schwerkraft nach unten biegt den geraden Weg der Rakete zu einer Kurve. 85
Wenn die Rakete schnell genug um die Erde herumgeschleudert wird, entsteht eine Zentrifugalkraft, die den Zug der 86
Schwerkraft ausgleicht. Da es im Vakuum des Weltraumes keine Reibung gibt, wird die Rakete niemals langsamer werden und zurückfallen. Sie wird für immer die Erde umkreisen.
In einer Höhe von 1700 km muß die Rakete eine Geschwindigkeit von fast 25 000 km pro Stunde haben und die Erde alle zwei Stunden einmal umkreisen. Nachdem man einige Korrekturen ihres Laufes gemacht hat, wird diese dritte Stufe ein selbständiger, Instrumente tragender Erdsatellit. Um die wissenschaftlichen Apparate, die in diesem künstlichen Satelliten eingebaut sind, in Gang zu halten, wird ein Spiegel die intensiven Sonnenstrahlen auf eine Silicon-Batterie leiten, und so die Sonnenenergie in Elektrizität umwandeln. 87
Eine Fernsehkamera wird Bilder der Erde aufnehmen und uns zeigen, wie die Erde aus einer Höhe von 1700 km aussieht. Wir werden sehr wichtige Daten über die Wirkung der geheimnisvollen kosmischen Strahlen sammeln können. Sogar Treffer von Meteoriten in der Größe eines Sandkornes werden aufgezeichnet. Alle zwei Stunden, wenn der Erdsatellit den Nordpol passiert, wird sein Sender alle Informationen einer dort befindlichen Empfangsstation übermitteln. Das wird der erste Außenposten bei der Eroberung des Raumes durch den Menschen sein. Fortsetzung im nächsten Band: „Das schwierigste Problem: der Mensch“ „Eine Welt voller Rätsel“ heißt der Natur-Farbfilm von Walt Disney, in dessen Beiprogramm Sie auch „Der Mensch im Weltall“ sehen werden. Zwei sehenswerte Filme für alle UTOPIA-Leser. Verleih: Herzog-Film
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