Nr. 309
Porquetor der Stählerne Der gefahrvolle Weg zur Feste Grool von H. G. Francis
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Nr. 309
Porquetor der Stählerne Der gefahrvolle Weg zur Feste Grool von H. G. Francis
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist durch die energetische Schutzschirmglocke nur eingedämmt und nicht bereinigt worden. Der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan, Lordadmiral der USO, und Razamon, der Berserker – er wurde beim letzten Auftauchen von Atlantis oder Pthor von den Herren der FESTUNG auf die Erde verbannt und durch einen »Zeitklumpen« relativ unsterblich gemacht – sind die einzigen, die den »Wölbmantel« unbeschadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Leiter der Invasion ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Allerdings verlieren die beiden Männer bei ihrem Durchbruch ihre gesamte Ausrüstung. Und so landen Atlan und Razamon – der eine kommt als Späher, der andere als Rächer – nackt und bloß an der Küste von Pthor, einer Welt der Wunder und der Schrecken. Ihre ersten Abenteuer bestehen sie am »Berg der Magier«. Ihr weiterer Weg führt sie über die »Straße der Mächtigen« zu den Seelenhändlern und der Stadt der Roboter. Jetzt, als der Arkonide und der Pthorer auf dem Weg durch den Blutdschungel sind, begegnet ihnen PORQUETOR, DER STÄHLERNE …
Porquetor der Stählerne
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Die Hautpersonen des Romans: Atlan und Razamon - Die beiden Unsterblichen auf gefahrvollen Pfaden. Fenrir - Der Riesenwolf wird Atlans neuer Weggefährte. Porquetor - Der Stählerne wird zum Zerstörer. Troton und Dadan - Zwei Kämpfer gegen die Feste Grool.
1. Atlan blieb stehen und hob warnend die rechte Hand. Razamon schloß zu ihm auf und blickte ihn fragend an. »Hörst du nichts?« fragte der Arkonide. Seitlich von ihnen raschelte etwas im Blutdschungel. Die beiden Männer verhielten sich völlig still. Als gedämpfte Schrittgeräusche hörbar wurden, legte Razamon Atlan die Hand auf den Arm. »Das hört sich an, als ob da ein Reiter kommt«, meinte der Arkonide. Einige Äste brachen. Dann teilte sich das Gebüsch, und ein Reiter kam daraus hervor. Atlan hielt verblüfft den Atem an. Der Mann auf dem Pferd trug eine Ritterrüstung. Er sah aus, als sei er direkt aus einem Bild Dürers herausgestiegen. Das Visier war geschlossen, so daß nicht zu erkennen war, wer in der Rüstung steckte. An der Seite trug der Reiter ein langes Schwert, das in einer geschmückten Scheide steckte. Riesige Sporen zierten die Füße. In der rechten Hand hielt er ein zweites Schwert, das er locker über den Hals des Rappen gelegt hatte. Neben seinem linken Bein ragte ein Stahlspeer empor, der an der Spitze mit einer roten Fahne versehen war. Das Pferd war mit einer schimmernden Kettendecke gepanzert, die auch Hals und Kopf umfaßte, die Augen, die Nüstern und das Maul allerdings freiließ. Atlan trat zwei Schritte auf den Unbekannten zu, als er seine erste Überraschung überwunden hatte. »Hallo, Rittersmann«, sagte er in deutscher Sprache. Als der Reiter darauf nicht reagierte, wiederholte er seine Worte in englisch und französisch, jedoch ohne Erfolg.
Der Ritter führte sein Pferd dicht an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Erst etwa zehn Meter weiter hielt er es kurz an. Der rechte Arm fuhr hoch. Das Schwert blitzte in der Sonne. Er hieb es gegen einen armdicken Ast und durchtrennte ihn mit einem Schlag. Geschickt fing er ihn danach auf und pflückte eine apfelähnliche Frucht davon ab. Dann ließ er den Ast fallen, schlug das Visier hoch und biß von der Frucht ab. Danach ließ er diese ins Gras fallen, schloß das Visier, trieb sein Pferd mit den Sporen an und ritt wortlos davon. Razamon fluchte. Atlan drehte sich zu ihm um. »Kannst du mir sagen, wer dieser seltsame Vogel war?« fragte er. Doch dann biß er sich auf die Lippen. Er trat auf Razamon zu. »Was ist los mit dir?« Razamons Gesicht hatte sich verzerrt. Seine Augen waren fast geschlossen. Plötzlich stürmte er an Atlan vorbei. Er eilte zu der Stelle, an der die apfelähnliche Frucht im Gras lag. Er nahm sie auf und drehte sie in seinen Händen. »Was ist denn?« fragte Atlan. »Hast du Hunger?« Er ging zu ihm. Razamon hielt ihm schweigend die Frucht entgegen. Deutlich zeichneten sich die Spuren der Zähne des Unbekannten darin ab. Plötzlich fuhr Razamon herum und schleuderte die Frucht mit voller Kraft gegen einen Baumstamm. Sie platzte auseinander. »Du kennst den Knaben also«, stellte Atlan fest. »Nun gut. Wer ist es?« Razamon antwortete nicht. »Porquetor war es nicht«, sagte der Arkonide. »Vielleicht sein Bruder?« Razamon ging nicht auf diese scherzhaft gemeinten Worte ein. Er zog die Sehne sei-
4 ner Skerzaal bis fast an die Spannbügel hoch und ließ sie wieder frei, so daß sie singend zurücksprang. Dann drehte er sich um und ging mit weitausgreifenden Schritten davon. »Na schön«, sagte Atlan. »Du willst nicht antworten. Auch nicht weiter schlimm.« Er grinste und folgte Razamon. Das Geheimnis des Ritters interessierte ihn zwar, er sah es jedoch nicht als so wichtig an, daß er sofort eine Antwort haben wollte. Andererseits nahm er es auch nicht auf die leichte Schulter. Die heftige Reaktion Razamons zeigte ihm, daß sein Begleiter mit dieser Begegnung nicht gerechnet hatte, und daß er sie psychisch erst bewältigen mußte. Er behielt einen Abstand von etwa fünf Metern bei, um Razamon zu zeigen, daß er ihn in Ruhe lassen wollte. Die beiden Männer bewegten sich im nördlichen Randgebiet des Blutdschungels in Richtung der Feste Grool voran. Atlan hoffte, einen Blick auf diese Feste werfen zu können, wenn sich hin und wieder das Dickicht lichtete, aber er wurde enttäuscht. Mehr als ein schemenhaftes Gebilde konnte er nicht erkennen, da die Luft diesig war, und sich die Abenddämmerung herabsenkte. So war auch die Entfernung bis zur Feste nur schwer abzuschätzen. Einige Male blickte Atlan in den Himmel hinauf, und er fragte sich, warum er keine Luftfahrzeuge sah. Wo blieben die Aufklärungsgleiter? Weshalb suchte man nicht nach ihm? Gelang es den Mutanten nicht, durch den Energieschirm zu kommen, der Atlantis gegen die Außenwelt abriegelte? Das war kaum denkbar, da dieser Schirm von außen auf Atlantis projiziert wurde, so daß jederzeit eine Strukturlücke geschaffen werden konnte. Atlan hielt es jedoch für möglich, daß bestimmte Kräfte auf der Insel etwas von innen gegen den Energieschirm gestellt hatten. Nur in einem solchen Fall war erklärbar, weshalb Hilfe von außen ausblieb. Längst mußten die Sicherheits- und Abwehrdienste auf seine Aktivitäten auf der Insel aufmerksam geworden sein. Von den Sa-
H. G. Francis telliten aus wurde die Erde ständig überwacht. Objekte von einer Größe von zehn cm an konnten einwandfrei ausgemacht und identifiziert werden. Das bedeutete, daß man außerhalb von Atlantis wußte, was hier geschah. Man konnte seine Spur exakt verfolgen. Man war über seine enormen Schwierigkeiten informiert. Dennoch geschah nichts zu seiner Entlastung. Atlan hatte keine Erklärung dafür. Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als Razamon stehenblieb. Im gleichen Moment vernahm er ein drohendes Knurren aus dem Gebüsch zu ihrer Seite. Unmittelbar darauf brachen einige Äste, und ein großes Tier flüchtete ins Dickicht. Razamon zuckte mit den Schultern und ging weiter. Doch schon nach wenigen Schritten blieb er erneut stehen. Dieses Mal hörte Atlan ein eigenartiges Winseln. Irgend etwas scharrte über den Boden. »Was ist das?« fragte er. »Ich habe keine Ahnung«, antwortete Razamon. »Komm. Wir gehen weiter.« »Ich werde nachsehen.« Mit seinem Schwert schob Atlan einige Äste zur Seite. Dann arbeitete er sich Schritt für Schritt voran. »Sei vorsichtig«, sagte Razamon hinter ihm. »Es kann eine Falle sein.« Atlan blieb stehen. Aus dem Dickicht heraus blickten ihn zwei gelblich schimmernde Augen an. »Fenrir«, sagte er. »Da liegt der Wolf.« Er wollte weitergehen, doch Razamon riß ihn zurück. Zentimeter von Atlans Gesicht entfernt schnellte ein weißes Band sirrend in die Höhe und verharrte federnd über seinem Kopf. Einige Zweige, die von ihm zerschnitten worden waren, fielen auf den Boden herab. »Das war knapp«, sagte Razamon. »Das Ding hätte dir die Arme abtrennen können.« Atlan hieb mit dem Messer nach dem Faden. Dieser gab einige Zentimeter weit nach und zerriß dann mit einem Knall. Die Enden schossen zu beiden Seiten hinweg und ver-
Porquetor der Stählerne schwanden im Dunkel. »Was war das?« fragte der Arkonide. »Das weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall war es gefährlich.« Atlan war gewarnt. Er wußte jetzt, daß Fenrir in eine Falle geraten war, aus der er sich selbst nicht befreien konnte. Vorsichtig schob er das Messer vor sich her über den Boden, um so einen weiteren Faden aufzuspüren und rechtzeitig zu zerschneiden. Doch unter dem Laub verbarg sich nichts mehr. Dafür brach plötzlich ein riesiger Käfer aus dem Unterholz hervor und griff die beiden Männer an. Er glich einem Hirschkäfer, war jedoch etwa zwei Meter lang und einen halben Meter hoch. Wütend zischend versuchte er, Atlan mit seinen mächtigen Zangen zu packen. Der Arkonide warf sich gedankenschnell zur Seite und entging so den messerscharfen Mordwerkzeugen. Razamon sprang dem Rieseninsekt auf den Rücken und bohrte ihm die Klinge seines Messers dicht hinter dem Kopf unter den Panzer. Es knackte vernehmlich, als der Stahl die Chitinschale durchbrach. Eine stark riechende, farblose Flüssigkeit schoß aus der Wunde und ergoß sich über die Hände Razamons. Dieser stieß sich sofort ab und sprang vom Rücken des Käfers herab. Das riesige Insekt verharrte auf der Stelle. Es streckte die beiden Zangen weit vor, bewegte sich jedoch nicht. Endlos lange Sekunden verstrichen, bis die Beine des Tieres endlich einknickten und der Körper den Boden berührte. Das Insekt gab eine Reihe von klagenden Lauten von sich, dann erstarrte es erneut. Das Sirren der Mundwerkzeuge erstarb. »Das Biest ist tot«, stellte Razamon fest. Er stieß den Käfer mit dem Fuß an, um sich davon zu überzeugen, daß auch wirklich kein Leben mehr in ihm war. Atlan trat näher an Fenrir heran. Der Riesenwolf sah vollkommen erschöpft aus. Blut verschmierte seinen Kopf und seine Brust. Deutlich konnte Atlan sehen, daß der Stahl-
5 bolzen, den Balduur abgefeuert hatte, noch immer im Rachen des Tieres steckte. Doch diese Verletzung war nicht der einzige Grund dafür, daß der Wolf sich in akuter Lebensgefahr befand. Er steckte mit seinem Körper fast vollkommen in einer spinnwebartigen Hülle, die mit zahlreichen Bändern an den umstehenden Bäumen und Büschen befestigt war. Spuren bewiesen, daß der riesige Käfer ihn so eingesponnen und dabei auch noch in einer Mulde vergraben hatte. Offensichtlich hatte er sich mit dem Fenriswolf einen Speisevorrat anlegen wollen. »In so einer Hülle könnten wir jetzt auch stecken«, bemerkte Razamon erschaudernd. »Wir haben viel Glück gehabt. Wenn uns der Springfaden erwischt hätte, wäre alles ganz anders gekommen.« Er legte Atlan die Hand auf die Schulter. »Komm jetzt«, sagte er. »Ich lasse den Wolf nicht so liegen«, entgegnete der Arkonide entschlossen. »Wir müssen ihm helfen.« Razamon blickte den Wolf an. Auch ihm war klar, daß dieses Tier über eine wesentlich höhere Intelligenz verfügte, als sie zunächst angenommen hatten. »Was hast du vor?« fragte Razamon. »Wir müssen den Bolzen aus dem Rachen entfernen.« »Davon kann ich nur abraten. Der Wolf wird nicht stillhalten.« »Ich versuche es jedenfalls«, erklärte der Arkonide. Razamon sah ein, daß er ihn nicht umstimmen konnte. »Also gut«, erwiderte er. »Du mußt den Bolzen herausschneiden. Anders geht es nicht. Dazu mußt du dein Messer sterilisieren, sonst geht das Tier an der Infektion ein. Darüber hinaus müssen wir aber auch die Wunde mit einem antibiotisch wirkenden Mittel behandeln, weil der Bolzen schließlich nicht keimfrei ist.« »Am besten schlagen wir auf der nächsten Lichtung, die wir finden, unser Lager auf. Wir müssen ein Feuer machen.« Razamon trat mit dem Fuß gegen eine
6 Baumwurzel und fluchte. »Du bist also wirklich entschlossen, das Tier zu retten«, stellte er fest, »obwohl wir dadurch viel Zeit verlieren.« »So ist es.« »Na schön. Schneide du ihn aus den Spinnfäden heraus. Ich gehe ein Stück weiter und mache ein Feuer an. Dorthin mußt du Fenrir schon bringen.« Hinkend eilte er davon, ohne auf eine Antwort Atlans zu warten. »Du hast es gehört, Fenrir«, sagte der Arkonide zu dem Wolf. »An die Arbeit.« Das Tier verhielt sich völlig ruhig, als Atlan vorsichtig den Kokon zerstörte, in dem es gefangen war. Es blieb auch noch in der Mulde liegen, als es frei war. Der Aktivatorträger beugte sich über den Wolf, legte ihm die Hände unter die Brust und hob ihn behutsam an. Winselnd stemmte Fenrir die Beine gegen den Boden und stand auf. Atlan schob ihn voran. Doch der Wolf war so erschöpft, daß er wieder zu Boden stürzte, kaum daß er aus der Mulde heraus war. Atlan erkannte, daß er ihn nicht dazu bewegen konnte, genügend weit zu laufen. Er war gezwungen, ihn an Ort und Stelle zu operieren. Er sammelte ein paar trockene Äste zusammen, schälte zwei davon ab, die er für besonders geeignet hielt, kerbte einen von ihnen ein und füllte die Kerbe mit pulvertrockenem Moos. Dann stemmte er das Ende des anderen Astes gegen das Moos und drehte das Holz zwischen den Händen. Das Moos begann schon bald zu glimmen. Atlan streute weiteres Moos darüber und blies behutsam in die Glut, bis eine erste Flamme aufzüngelte. Danach legte er dünne Zweige in das Feuer. Sie entzündeten sich rasch, so daß sich in wenigen Minuten ein ausreichend starkes Feuer entwickelte. In den Flammen erhitzte er die Klinge seines Messers, um sie keimfrei zu machen. Er ließ es wieder abkühlen. Dann kniete er sich vor Fenrir auf den Boden und schob ihm eine Hand zwischen die mächtigen Zähne. Das Tier röchelte leise. Die Kiefer zuck-
H. G. Francis ten, so daß der Arkonide die Hand unwillkürlich zurückzog. »Ganz ruhig«, sagte er besänftigend. Abermals drückte er die Kiefer auseinander, bis er sehen konnte, wo der Bolzen eingedrungen war. Der Stahl steckte in der hinteren Gaumenplatte und saß so fest, daß er sich nicht bewegen ließ. Atlan spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat. Vorsicht, mahnte sein Logiksektor. Das Biest wird zuschnappen, wenn es Schmerzen spürt. Das ist eine instinktive Reaktion, die sich nicht verhindern läßt. Du mußt dich absichern. Der Arkonide blickte sich um, fand einen armdicken Ast und schob diesen Fenrir zwischen die Zähne. Das Holz behinderte ihn zwar beträchtlich, bot ihm aber eine Mindestsicherung, auf die er nicht verzichten konnte. Nun packte er den Bolzen mit der linken Hand, bog den Kopf des Wolfes zurück und öffnete ihm den Rachen noch ein wenig mehr. Dann stieß er die Spitze des Messers dicht neben dem Bolzen in den Gaumen und vergrößerte so die Wunde. Fenrir knurrte laut, doch seine Kiefer bewegten sich nicht. Es schien, als wisse er genau, wie er sich zu verhalten hatte. Da der Ast ihn allzu sehr störte, entfernte Atlan ihn und arbeitete ohne jede Sicherung weiter. Blut schoß aus der Wunde und verschmierte seine Hände. Er drehte den Bolzen vorsichtig und stellte fest, daß er nun schon erheblich lockerer saß. Nun führte er die Messerspitze tief in den Gaumen hinein bis hin zur Bolzenspitze. Dann zog er das Geschoß mit samt der Klinge mit einem Ruck heraus. Krachend schloß sich der Rachen des Tieres. In den Augen loderte es auf. Für einen kurzen Moment schien es, als werde Fenrir sich von seinen Schmerzen überwältigen lassen, dann senkte sich der mächtige Kopf auf den Boden. Atlan sah, daß Blut über die Lippen quoll, aber er wußte, daß sich die Wunde bald beruhigen würde.
Porquetor der Stählerne »Wir können nicht hier bleiben«, sagte er. »Hier ist es zu unsicher.« Er hatte kaum ausgesprochen, als ihm ein intensiver Raubtiergeruch in die Nase stieg. Fenrir richtete sich halb auf. Er fletschte die Zähne. Doch diese Kraftanstrengung war schon zu groß für ihn gewesen. Die Beine rutschten ihm zur Seite weg, und er fiel ins Gras zurück. Atlan sprang auf. Keinen Moment zu früh. Aus dem Dunkel der Büsche schnellte sich ihm eine riesige Tiergestalt entgegen. Fingerlange Reißzähne schnappten nach ihm. Das Tier prallte gegen ihn und schleuderte ihn zu Boden. Eine Hyäne, signalisierte ihm sein Extrasinn. Der Blutgeruch hat die Bestie angelockt. Atlan schlug mit unbändiger Wildheit zurück. Er wußte, daß es um Bruchteile von Sekunden ging. Wenn sich die riesigen Zähne erst einmal in seine Schulter oder seinen Hals vergraben hatten, dann gab es keine Rettung mehr. Er stemmte der Hyäne die linke Hand gegen den Hals und trieb das Messer mit der rechten in den Körper hinein. Er hörte, daß Fenrir knurrte und winselte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er, daß der Wolf vergeblich versuchte, auf die Beine zu kommen und in den Kampf einzugreifen. Die Hyäne schnellte sich zur Seite und griff erneut an. Atlan entging diesem Angriff nur, weil er sich zur Seite rollte und dann aufsprang. Geduckt stand er dem Tier gegenüber, das geifernd vor ihm kauerte. Er war sich darüber klar, daß er den Kampf schnell beenden mußte, weil er der überlegenen Kraft der Bestie auf längere Sicht nichts entgegenzustellen hatte. Eine zweite Hyäne trottete aus dem Dickicht heran. Das Tier schien es nicht besonders eilig zu haben, da die vermeintliche Beute nicht mehr entkommen konnte. Dann aber griffen beide Tiere plötzlich gemeinsam an, als hätten sie sich verständigt. Das erste konnte Atlan noch abwehren. Er riß den linken Arm hoch und lenkte so
7 die gierig zuschnappenden Zähne ab. Mit der rechten Hand führte er das Messer gegen die Kehle der Hyäne und tötete das Tier. Dann aber war der zweite Angreifer heran und warf ihn einfach um. Wie ein Spielball flog er in die Büsche. Er warf die Arme haltsuchend hoch und verlor dabei das Messer. Die Bestie raste hinter ihm her und war über ihm, bevor er die Arme heben konnte. Die Reißzähne schnappten nach seinem Hals. In diesem Moment vernahm Atlan einen dumpfen Schlag. Die Hyäne stöhnte auf. Die Beine sackten unter dem Tier weg, und es stürzte schwer auf den Arkoniden. »Mir scheint, ich bin gerade noch rechtzeitig gekommen«, sagte Razamon, packte den Kadaver und zog ihn von Atlan herunter. Geschickt schnitt er den Bolzen aus dem Schädel des Tieres heraus und steckte ihn in den Köcher zurück, nachdem er ihn vom Blut gesäubert hatte. Atlan erhob sich. Er nickte Razamon zu. »Das war knapp«, sagte er. »Danke.« »Schon gut. Das nächste Mal bist du dran, mir zu helfen.« Er zeigte auf Fenrir, der noch immer auf dem Boden lag. »Es ist nicht weit. Wir können ihn tragen.« Atlan schlug vor, eine einfache Trage zu bauen, weil es wesentlich einfacher war, den Wolf damit zu transportieren. Sie schnitten einige kräftige Äste von den Bäumen und banden sie mit Schlingpflanzen zusammen. Dann legten sie Fenrir darauf und hoben ihn hoch. Das Tier wog fast vier Zentner, der Boden war uneben, und das Unterholz war dicht, so daß sich der Transport als schweißtreibende Arbeit erwies. Sie kamen nur sehr langsam voran. Für etwa zweihundert Meter bis zu einem Hügel auf einer Lichtung benötigten sie fast eine halbe Stunde. Sie legten Fenrir am Fuß des Hügels ab, weil sie zu erschöpft waren, ihn zur Kuppe hinaufzutragen. »Ich gehe noch einmal zu den Hyänen zurück«, erklärte Razamon. »Er braucht Fleisch, wenn er wieder zu Kräften kommen soll.« Atlan hielt ihn nicht zurück. Er stieg zum
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Feuer hinauf und warf noch einige Äste in die Flammen. Es dunkelte rasch. Der Blutdschungel hallte von dem Geschrei der jagenden Tiere wider. Fenrir erhob sich mühsam und kroch zu einem nahen Bach hinüber. Atlan beobachtete ihn, wie er gierig trank. Als er seinen Durst gelöscht hatte, kehrte der Wolf zum Hügel zurück und kroch ein kleines Stück an seiner Flanke hoch, bis er eine Mulde fand, in der er liegen konnte. Razamon kam mit dem Hinterteil einer ausgeweideten und geschälten Hyäne aus dem Dschungel. Er warf Fenrir das Fleisch hin und stieg dann zu Atlan hinauf. »Da hinten hat sich bereits allerlei Getier eingefunden«, berichtete er. »Die Kadaver werden in spätestens einer Stunde restlos verschwunden sein.« Er reichte Atlan zwei faustgroße Früchte, die er ebenfalls mitgebracht hatte, ließ sich ins Gras sinken, schloß die Augen und schlief augenblicklich ein. Der Arkonide übernahm die Wache am Feuer. Voller Unbehagen spähte er ins Dunkel hinaus. Er ahnte, daß ihnen eine unruhige Nacht bevorstand.
2. Atlan schreckte auf, als ein dumpfes Brummen ertönte. Er erhob sich und warf etwas Holz nach. Unruhig blickte er in die Dunkelheit hinaus. Er konnte sich dieses Geräusch nicht erklären. Es klang, als ob irgendwo ein Motor in Betrieb sei, doch im Blutdschungel konnte es nach seinen Informationen nichts geben, was mit einem Motor versehen war. Das motorisierte Objekt näherte sich ihm, zog am Hügel vorbei und umkreiste ihn einmal. »Was ist los?« fragte Razamon verschlafen. »Ich weiß nicht«, entgegnete der Arkonide. »Was ist das für ein Geräusch?« Der Atlanter hob ratlos die Schultern. Er wußte keine Antwort. Fenrir wurde unruhig.
Er knurrte leise und hustete einige Male. »Da ist ein Licht«, sagte Razamon. Tatsächlich leuchtete zwischen den Bäumen eine helle Lampe auf. Sie näherte sich jetzt dem Hügel. »Das Ding kommt zu uns her«, stellte Razamon fest. Er nahm seine Skerzaal auf, legte einen Bolzen ein und spannte die Sehne. Atlan bereitete seine Skerzaal in gleicher Weise vor. Wenig später beschleunigte das unbekannte Objekt. Röhrend raste es auf die beiden Männer zu, schoß die Hügel hinan und rollte dicht am Feuer vorbei. Es war ein altertümliches Motorrad, das knatternd und brummend seine Abgase durch zwei verrostete Rohre entließ. Darauf saß ein nach mittelalterlicher Mode gekleideter Mann, dessen Gesicht durch eine rote Maske verhüllt war. Auf dem Kopf trug er einen Schlapphut mit einer Krempe, die über seine Schultern hinausragte. Die Füße steckten in Lederstiefeln, die ihm bis über die Knie reichten. Darüber trug er einen Wanst, der mehrfach ausgestellt und ausgepludert war. Ein breiter Gürtel schlang sich um seine Hüften. Darin steckten zwei Trommelrevolver. Razamon brüllte wütend auf. Er rannte auf den Motorradfahrer zu, blieb dann aber auf halbem Wege stehen, obwohl er ihn ohne weiteres hätte erreichen können, riß die Skerzaal hoch und feuerte sie ab. Der Bolzen fuhr dem Unbekannten durch einen Pluderärmel und zerfetzte ihn. Razamon schleuderte die Waffe wütend zur Seite, als er erkannte, daß er den Motorradfahrer nicht getroffen hatte. Er riß sein Messer aus dem Gürtel und rannte hinter ihm her. Der Maskierte drehte sich um, blickte den Atlanter an, zog einen Revolver aus dem Gürtel und legte auf ihn an. Razamon ließ sich auf den Boden fallen. Der Maskierte schoß dreimal, verfehlte ihn jedoch. Dann hatte das Motorrad den Fuß des Hügels erreicht. Es beschleunigte lärmend und raste durch die Nacht davon.
Porquetor der Stählerne »Warum hast du nicht geschossen?« brüllte Razamon. Er lag im Gras und blickte zu Atlan auf. Dieser stellte bestürzt fest, daß er die Augen seines Begleiters nicht sehen konnte. Wo sie sein sollten, befanden sich nur zwei dunkle Höhlen. Doch der Eindruck änderte sich sogleich, als Razamon sich erhob, und sich die Flammen in seinen Augen spiegelten. »Ich habe dir eine Frage gestellt«, schrie er zornig. Atlan grinste. »Und ich habe dir keine Antwort gegeben«, erwiderte er. »Ist dir das nicht aufgefallen?« Razamon beugte sich vor. Er streckte die Arme aus und krümmte die Finger zu Krallen. Sein gelblich schimmerndes Gesicht verzerrte sich. »Wie war das?« fragte er drohend. »Ich habe auch eine Frage«, erklärte Atlan ruhig. »Glaubst du an die ausgleichende Gerechtigkeit der Natur?« Razamon war verblüfft und verunsichert. Er richtete sich auf. Seine Haltung normalisierte sich. Damit verringerte sich auch die Gefahr, daß er in einen Zustand der Raserei verfiel, in dem er sich nicht mehr kontrollieren konnte. »Was soll das?« »Nichts weiter, Freund«, sagte Atlan. »Ich wollte nur wissen, ob du an die ausgleichende Gerechtigkeit der Natur glaubst.« »Es gibt keine Gerechtigkeit in der Natur«, erwiderte Razamon heftig. »Natürlich gibt es sie«, beteuerte der Arkonide mit todernstem Gesicht. »Das solltest du gerade wissen. Du hinkst.« »Allerdings, weil ich den Zeitklumpen habe.« »Du bist ein lebendes Beispiel für die ausgleichende Gerechtigkeit der Natur.« Atlan lächelte. »Sieh mal, wenn einer hinkt, dann hat er ein kurzes Bein.« »Richtig«, sagte Razamon unlustig. »Und die Natur schafft den Ausgleich dadurch, daß sie ihm dafür das andere Bein länger gemacht hat.« Razamons Kinnlade sackte nach
9 unten. »Das ist … das ist …«, sagte er stammelnd. »Die ausgleichende Gerechtigkeit der Natur«, ergänzte Atlan vergnügt. Der Atlanter brüllte wütend auf. Er schleuderte sein Messer auf den Boden, so daß es fast darin verschwand. Dann griff er Atlan an. Seine Arme streckten sich vor. Die Finger krümmten sich, und die Lippen zogen sich weit über die Zähne zurück. Bevor er den Arkoniden jedoch erreichte, schoß das Motorrad röhrend aus dem Blutdschungel hervor und raste am Hügel vorbei. Razamon verzichtete darauf, mit Atlan zu kämpfen. Er warf sich herum und rannte den Hügel herunter. Der Maskierte fuhr langsamer, ließ ihn bis auf zwei Schritte herankommen, beschleunigte dann scharf und fuhr ihm davon. Razamon sprang ihm nach, erreichte ihn jedoch nicht, sondern landete auf dem Bauch im Gras. Trotz der Dunkelheit sah Atlan, wie sich seine Hände in den Boden gruben, und wie sie die Grassoden herausrissen. Razamon wühlte sich in den Boden hinein, als habe er den Verstand verloren. Plötzlich aber erhob er sich, strich sich den Dreck von der Kleidung und kam zu Atlan. Sein Gesicht war ruhig und entspannt. Es verriet nicht, was in ihm vorging. Er setzte sich ans Feuer. »Ich habe Hunger«, sagte er. »Haben wir kein Fleisch, das wir am Feuer rösten können?« »Nichts«, erwiderte der Arkonide. »Ich habe noch eine Frucht. Du kannst sie haben.« Er hielt Razamon die Frucht hin. Dieser nahm sie und aß sie schweigend auf. »Wer ist der Maskierte?« fragte Atlan. Der Atlanter schüttelte den Kopf. »Lassen wir das. Ich habe den Mann bereits vergessen.« Er blickte den Arkoniden kurz an. Atlan erkannte, daß er auch jetzt nichts erfahren würde. Er verzichtete auf weitere Fragen,
10 weil er wußte, daß er doch keine Antwort bekommen würde. Fenrir kroch zu ihnen heran. Sie bemerkten ihn erst, als er unmittelbar neben ihnen war. Seine Lefzen waren geschwollen, und Wundflüssigkeit floß ihm aus dem Maul. »Wir müssen etwas für ihn tun«, sagte Atlan, »sonst geht er ein.« Razamon nickte. »Komm«, sagte er. »Hilf mir.« Er nahm einen brennenden Ast aus dem Feuer und stieg den Hügel hinab. Atlan begleitete ihn, nachdem er sich ebenfalls mit einer Fackel versehen hatte. Razamon ging, ohne zu zögern, in den Dschungel hinein. Schon nach wenigen Schritten fand er einen Busch, an dem traubenartige Früchte wuchsen. Er pflückte einige von ihnen ab und gab sie Atlan. »Nichts davon essen«, sagte er warnend. »Sie sind giftig.« Wenig später nahm er von einem Baum einige Steinfrüchte, riß einige Pilze aus dem Boden und wählte einige Kräuter aus. So ausgerüstet, kehrte er mit Atlan zum Feuer zurück. Dabei löste er ein kürbisartiges Gewächs aus einem Busch und nahm es ebenfalls mit. Er trennte am Feuer eine Scheibe davon ab und höhlte die Frucht danach aus. Dann gab er alle anderen Teile hinein und stellte alles ins Feuer. Atlan erwartete, daß der Kürbis dabei verbrennen würde, aber die Fruchtschale hielt. »Die Schale wird durch die Hitze erst richtig fest«, erklärte Razamon nach einigen Minuten. Atlan konnte sehen, daß sich aus den anderen Teilen eine Brühe gebildet hatte, die heftig kochte. Razamon warf nun noch einige Pilze, die er am Fuß des Hügels gefunden hatte, dazu und wartete, bis auch sie sich fast aufgelöst hatten. Dann nahm er alles aus dem Feuer und fischte die ausgekochten Teile heraus, so daß schließlich nur die Brühe übrigblieb. »Ich glaube, daß alles darin ist, was darin sein muß«, sagte er. »Ich habe nichts vergessen. Die Brühe wirkt antibiotisch. Du kannst
H. G. Francis die Wunde damit versorgen.« »Gehen daran nur die Bakterien zugrunde oder Fenrir auch?« fragte Atlan. Razamon lachte leise. Seine dunklen Augen blitzten auf. »Wenn ich vorgehabt hätte, den Wolf umzubringen, hätte ich es leichter haben können«, erwiderte er. Fenrir erkannte, worum es ging. Widerstandslos ließ er sich den Rachen öffnen und die streng riechende Brühe auf die Wunde streichen. Der Wolf kroch zu seiner Mulde zurück, rollte sich dort zusammen und schlief ein. »Gute Wache«, sagte Atlan. »Jetzt werde ich mich aufs Ohr legen.« »Das geht nicht«, entgegnete Razamon. »Tut mir leid.« »Was spricht dagegen?« fragte Atlan. »Die Riesenlurche«, erwiderte Razamon gelassen. Er deutete ins Dunkel hinaus, nahm einen brennenden Ast und warf ihn den Hügel hinunter. Trockenes Gras fing Feuer und loderte kurz auf. Im Licht der Flammen sah Atlan vier etwa zwei Meter lange Lurche, die lauernd zu ihm hinaufblickten. In ihren geöffneten Rachen blitzten nadelscharfe Zähne. »Das ist Sache der Wache«, sagte der Arkonide. »Oder solltest du nicht in der Lage sein, dich um solche Kleinigkeiten zu kümmern?« Der Fenriswolf hob den Kopf und knurrte drohend. »Es ist die Jagdtaktik dieser Tiere, die es einem Mann allein fast unmöglich macht, sich gegen sie zu behaupten«, erklärte der Atlanter. »Du weißt nie, wer von ihnen wirklich angreift und wer nur fintiert. Sie sind intelligenter als jede andere Tierart, die ich kennengelernt habe.« Atlan nahm die Bedrohung durch die Lurche keineswegs auf die leichte Schulter. »Was tun wir?« fragte er. »Abwarten.« »Warum greifen wir nicht an?« »Das könnte genau das sein, was sie wollen. Während wir uns auf diese vier Tiere da
Porquetor der Stählerne unten konzentrieren, rücken vielleicht von hinten vier andere auf uns zu und erledigen uns, wenn wir am wenigsten damit rechnen.« »Du könntest auf sie schießen, während ich dir den Rücken decke«, schlug Atlan vor. Aber auch damit war der Atlanter nicht einverstanden. »Ich bin nicht davon überzeugt, daß sie uns wirklich angreifen wollen«, erklärte er. »Es könnte sein, daß sie sich ein ganz anderes Opfer ausgesucht haben. Wir müssen abwarten, was geschieht. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, verbreiten diese Lurche einen ungewöhnlich intensiven Blutgeruch, sobald sie verletzt sind. Damit locken sie weitere Raubtiere an, und genau das müssen wir vermeiden.« »Also gut«, sagte Atlan seufzend. »Ich werde um meinen wohlverdienten Schlaf kommen.« Razamon lächelte. »Du kommst mit wenig Schlaf aus. Das weiß ich genau. Rege dich also nicht auf.« Schweigend saßen die beiden Männer im Gras und beobachteten die Lurche. Stunde um Stunde verstrich, ohne daß etwas geschah. Als der Morgen heraufdämmerte, brüllten die Lurche plötzlich auf. Im Blutdschungel wurde es laut. Ein großes Tier verteidigte sich gegen einige Angreifer. Der Kampf dauerte mehrere Minuten, dann flüchtete das Opfer. Die beiden Männer auf dem Hügel sahen es durch das Dickicht rennen. Es kam auf die Lichtung heraus. Es war ein Tier, das einem Nilpferd ähnlich war. Auf dem plumpen Kopf erhob sich jedoch ein vierarmiges, wuchtiges Geweih, und eine zottige Mähne bedeckte Nacken und Schultern des Tieres. Die Reste von einem Lurch hingen noch im Geweih. Tiefe Bißwunden an den Flanken des Kolosses zeigten an, wie schwer der Kampf gegen die Raubtiere gewesen war. Die Lurche sahen den Angriff als gescheitert an und verzichteten auf weitere Aktionen. Fluchtartig zogen sie sich in den Dschungel zurück, während ihr blutendes Opfer den Hügel halb umrundete und dann
11 schnaufend im Dickicht verschwand. »Siehst du«, sagte Razamon. »Sie haben uns gar nicht gemeint. Hätten wir sie angegriffen, dann hätten wir jetzt ein Menge Ärger.« Er deutete auf die Schweißspur, die am Fluß des Hügels entlangführte. »Das da wird andere Bestien anlocken. Wir sollten daran denken, möglichst bald von hier zu verschwinden.« »Wir warten noch, bis es ganz hell ist. Dann brechen wir auf. Solange schlafe ich noch.« Atlan legte sich ins Gras und schlief sofort ein. Etwa eine Stunde später wachte er wieder auf. Razamon hatte einige Früchte zusammengetragen, die er ihm als Frühstück reichte. Atlan blickte zuerst zum Wolf hinüber. Fenrir hatte sich erhoben. Auf wackeligen Beinen stand er in der Mulde und verzehrte einige Fleischbrocken, die von den erlegten Hyänen stammten. Er hatte die Krise bereits überwunden. »Hoffentlich kann er uns folgen«, sagte Razamon. »Wir können ihn nicht tragen.« »Er kann gehen. Bestimmt.« Der Tag war diesig. Die Sicht reichte nicht weit. Die Feste Grool war nur schemenhaft von der Kuppe des Hügels aus zu sehen. Doch das genügte den beiden Männern, da sie nur wissen wollten, in welche Richtung sie gehen mußten. Mit den Einzelheiten der Feste konnten sie sich später beschäftigen. Nun kam es erst einmal darauf an, den Blutdschungel zu verlassen und die nächsten Stunden zu überleben. Atlan schüttelte unwillkürlich den Kopf, als er daran dachte, wie leicht alles gewesen wäre, wenn er nur einen Kombistrahler bei sich gehabt hätte. Mit einer solchen kombinierten Energiestrahl und Paralysewaffe hätte er leicht alle Probleme lösen können. Kein einziges Tier im Blutdschungel wäre eine echte Bedrohung gewesen, und den geheimnisvollen Unbekannten, der sich ihnen einmal als Ritter, einmal als mittelalterlicher Landsknecht auf einem Motorrad präsentiert hatte, hätte er mühelos paralysieren können.
12 Die beiden Männer gingen den Hügel hinunter. Atlan blickte zu Fenrir zurück, der sich ihnen zögernd anschloß. Das Tier hatte Mühe, seine Bewegungen richtig zu koordinieren. Es bekam sich jedoch von Schritt zu Schritt mehr unter Kontrolle, und als sie den Waldrand erreicht hatten, machte es bereits einen kräftigeren Eindruck. Razamon hielt seine Skerzaal schußbereit in der Hand. Atlan verzichtete darauf, die Sehne gespannt zu halten. Er war davon überzeugt, daß er die Waffe notfalls schnell genug einsatzbereit machen konnte. Als sie sich dem Waldrand näherten, blieb Razamon plötzlich stehen. Er zeigte nach vorn. »Der Ritter«, sagte Atlan überrascht. Neben einigen steil aufsteigenden Felsnadeln stand eine schimmernde Gestalt. Sie verhielt sich völlig still. »Nicht der Ritter«, verbesserte der Atlanter. »Das ist Porquetor. Sieh doch, das Visier. Außerdem ist Porquetor deutlich größer als dieser …« »Sprich weiter«, forderte der Arkonide ihn auf, doch Razamon preßte die Lippen zusammen und schwieg. Langsam arbeiteten sie sich durch das Gebüsch voran auf Porquetor zu, jene geheimnisvolle Gestalt, die ihnen im Kampf gegen die gefährlichen Raubschweine geholfen hatte. »Porquetor«, rief Razamon. Die schimmernde Gestalt drehte ihnen den Rücken zu und schritt davon. Sie verschwand hinter den Felsnadeln. Verblüfft blickten ihr die beiden Männer nach. »Das verstehe, wer will«, sagte Razamon. »Ich verstehe es nicht.« Atlan eilte zu den Felsen hinüber. Deutlich erkannte er die Spuren, die der Gepanzerte auf dem Boden hinterlassen hatte. Sie führten zu einem Felsspalt, der etwa drei Meter hoch und anderthalb Meter breit war. Fenrir kam zu dem Arkoniden. Knurrend schob er die Schnauze an der Spur Porquetors entlang. Dann setzte er sich hin und ließ den Kopf hängen.
H. G. Francis »Folgen wir ihm?« fragte Razamon. »Ich würde ganz gern wissen, was sich hier in den Felsen verbirgt«, antwortete Atlan. »Oder kannst du es mir sagen?« Razamon schüttelte den Kopf. »Ich bin nie hier gewesen.« Atlan ging einige Schritte weit in den Gang hinein. Dann stießen seine vorgestreckten Hände gegen ein glattes Hindernis. Er tastete es ab, bis er einen Hebel fand. Diesen legte er um. Die Wand erwies sich als Türschott. Sie glitt knirschend zur Seite und gab den Blick auf einen dunklen Gang frei. An der Decke befanden sich matt leuchtende Platten, die ein dämmeriges Licht schufen. Die Wände waren mit teils gegenständlichen, teils abstrakten Zeichnungen geschmückt. »Was haben wir denn da?« fragte Razamon überrascht. »Sagtest du nicht, daß nach einer alten Legende irgendwo unter dem Blutwald eine unbekannte Zivilisation bestehen soll?« »Davon spricht man«, erwiderte der Atlanter, »doch zu meiner Zeit hatte man keinerlei Beweise dafür gefunden. Das kann sich natürlich im Laufe von zehntausend Jahren geändert haben.« Atlan blickte sich um. Fenrir lag im Felsspalt. Er hatte den Kopf auf die ausgestreckten Vorderpfoten gelegt und beobachtete sie. »Komm«, rief der Arkonide, doch der Wolf reagierte nicht. So entschloß Atlan sich, ihn zu lassen, wo er war. Das Schott ließ er offen, so daß Fenrir ihnen folgen konnte, falls er sich dazu entschloß. Zusammen mit Razamon ging er den Weg weiter, den Porquetor zuvor auch genommen haben mußte. Einige Male blieb er stehen und legte eine Hand gegen die Wand. Dabei spürte er, daß darin kleine Spalten waren, aus denen kühle Luft strömte. Wenig später vernahm er eine fremdartige Musik. Sie drang ebenfalls aus den Spalten in der Wand. Der Gang endete nach etwa hundert Meter an einer schwarzen Wand. Auch hier fand
Porquetor der Stählerne sich bald ein Hebel. Atlan legte ihn um, und knirschend glitt die Wand zur Seite. Eine heiße, von fremdartigen Gewürzen durchsetzte Luft schlug ihnen entgegen. Sie blickten auf einen schmalen Fluß, der sich durch eine Felsschlucht schlängelte. An den Felsen waren zahlreiche Glasbehälter befestigt, die als Öllampen dienten. Sie schufen ausreichendes Licht. Im Fluß standen tiefgebeugte, blasse Gestalten, die große Handsiebe schwenkten, so daß die Erde, die sich darin befand, vom Wasser ausgewaschen wurde. »Was sind das? Goldsucher?« fragte Atlan überrascht. Razamon gab ihm mit einer Geste zu verstehen, daß er weitergehen sollte. Atlan trat zwei Schritte vor. Die Wand schloß sich hinter ihm und dem Atlanter. Kaum war sie eingerastet, als hinter den Felsen zehn untersetzte Gestalten hervorkamen und sich drohend vor ihnen aufbauten. Sie waren nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Sie waren humanoid. Auf ihren Köpfen wuchsen Schaufelgeweihe, die zu beiden Seiten bis zur Höhe ihrer Oberarme ausluden. Die Gesichter waren scharfgeschnitten. Sie hatten zwei Augen, die für Menschen normalgroß waren und die an der gleichen Stelle wie bei Atlan oder Razamon saßen. Darüber befanden sich jedoch noch zwei kleine Knopfaugen, die weiter auseinanderstanden als die großen Augen. Auch sie waren nach vorn gerichtet. Aus der Zahl und der Anordnung der Augen schloß Atlan, daß sie hervorragende Nachtseher waren. »Legt die Waffen ab«, befahl einer von ihnen in pthorischer Sprache. »Soweit sind wir noch nicht«, entgegnete Atlan. »Es ist Sitte und Brauch, daß man bei uns ohne Waffen kämpft. Nur die Hände und Füße sind erlaubt«, erklärte Atlans Gegenüber. Razamon trat vor. Er legte sein Messer und die Skerzaal auf den Boden und blickte Atlan kurz an. Der Arkonide nickte ihm zu.
13 Er würde aufpassen, daß niemand diese Waffen an sich brachte. Als Razamon sich den braunen Gestalten zuwandte, griff ihr Sprecher an. Aus dem Stand heraus schnellte er sich hoch und schmetterte Razamon die nackten Füße in die Herzgegend. Der Atlanter überstand diesen Angriff nur, weil er ihm die größte Wucht dadurch nahm, daß er den Oberkörper nach hinten neigte. Beide Männer stürzten zu Boden. Sie umschlangen sich und wälzten sich keuchend hin und her. Dann endlich gelang es Razamon, die Umklammerung zu sprengen. Er schleuderte seinen Gegner bis ans Wasser zurück. Atlan stellte verwundert fest, daß die Männer, die im Fluß arbeiteten, auch jetzt nicht aufblickten. Sie unterbrachen ihre anstrengende Arbeit nicht, sondern holten sich immer Siebe voller Sand vom Flußufer, um diesen dann im Wasser auszuwaschen. Da Atlan zu sehr auf den Kampf achtete, sah er zunächst noch nicht, was aus dem Sand gewonnen wurde. Razamon und sein Gegner hatten sich voneinander gelöst. Sie waren aufgesprungen und versuchten nun, sich mit einer Reihe von Griff und Schlagkombinationen gegenseitig zu überwältigen. Dem Atlanter gelang es schließlich, den Kampf mit einem gewaltigen Faustschlag gegen das Kinn des anderen für sich zu entscheiden. Keuchend blieb er neben dem Bewußtlosen stehen und blickte die anderen Geweihmänner an, doch keiner von ihnen schien gewillt zu sein, den Kampf fortzusetzen. Einer von ihnen, ein hochgewachsener, fast dünn wirkender Mann, trat auf Atlan zu und streckte ihm herausfordernd die Arme entgegen. Der Arkonide legte seine Waffen ab und trat auf ihn zu. Er war auf der Hut. So konnte er dem ersten Angriff entgehen, der mit einer Beinschere gegen ihn vorgetragen wurde. Er wartete gar nicht erst, bis der zweite Angriff erfolgte, sondern übernahm die Initiative. Er setzte eine Dagorkombination an,
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mit der er seinen Gegner aushob und ihn aufs Kreuz warf, nachdem er den Blutstrom im Gehirn mit zwei blitzschnellen Handkantenschlägen gegen den Hals unterbrochen hatte. Der Mann blieb bewußtlos auf den Felsen liegen. Die anderen drehten sich enttäuscht ab und trotteten davon. Auch Razamons Gegner verschwand in den Felsen. Atlan wollte den Mann, mit dem er gekämpft hatte, nicht ohne weiteres ziehen lassen. Er blieb bei ihm, bis er wieder bei sich war und sich aus eigener Kraft aufrichten konnte. »Du gehst nicht, bevor du mir gesagt hast, warum ihr unbedingt kämpfen wolltet«, befahl er. »Wolltest du denn nicht kämpfen?« fragte der Geweihmann zurück. »Nicht unbedingt«, erklärte Atlan. »Wozu?« »Ihr habt beide gewonnen«, erhielt er zu Antwort. »Damit habt ihr euch das Recht auf Arbeit erworben.« »Ich bin nicht gerade scharf auf Arbeit«, sagte Razamon. »Ihr habt gekämpft, also müßt ihr arbeiten.«
3. Sie nannten sich Paarlen. Das war alles, was sie über sich berichteten, während Atlan und Razamon mit ihnen zu verhandeln versuchten. Vergeblich bemühten sich die beiden Männer, ihnen beizubringen, daß sie keineswegs gekämpft hatten, um dann arbeiten zu dürfen. Aus den Felsspalten und Grotten kamen immer mehr Paarlen hervor. Sie nahmen eine drohende Haltung ein, bis Atlan schließlich erklärte, daß sie arbeiten würden. »Wir haben dann Zeit, uns besser zu informieren«, raunte er Razamon in englischer Sprache zu. Die Paarlen waren zufrieden. Sie lächelten den beiden Männern freundlich zu und zogen sich zurück.
Am Ufer des Flusses lagen zwei Siebe. Atlan und Razamon nahmen sie auf, füllten sie mit Schlamm und stiegen ins Wasser. Augenblicklich fühlten sie die schwere Last. Das Wasser machte den Schlamm noch schwerer, und da sie vornübergebeugt stehen mußten, spürten sie, wie hart der Rücken beansprucht wurde. Atlan konnte sich nicht vorstellen, daß er lange durchstehen würde. Er schwenkte das Sieb kräftig, um möglichst schnell möglichst viel Schlamm auszuschwemmen. Dabei spähte er zu den Paarlen hinüber, um herauszufinden, was sie überhaupt suchten. Erst als er das vierte Sieb gefüllt und wieder ausgeschwemmt hatte, bemerkte er, daß sie kirschgroße, schwarze Klumpen ausfilterten. »Erdöl«, sagte Razamon und legte zur Seite, was er gefunden hatte. Die Paarlen versteckten ihre Beute in kleinen Spalten am Ufer. »Was wollen die mit dem Zeug?« »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Atlan. »Vielleicht benutzen sie es als Brennstoff?« Razamon war enttäuscht. Er hatte erwartet, daß sie nach besonderen Kostbarkeiten suchten. Er hatte gehofft, Edelsteine oder etwas Vergleichbares zu finden. »Verfluchte Schinderei«, sagte er ärgerlich. »Haben wir denn den Verstand verloren, daß wir deshalb diese Torturen auf uns nehmen?« »Diese Torturen, wie du es nennst, sind ein Privileg«, erwiderte Atlan ironisch. Der Schweiß lief ihm in Strömen über Gesicht und Hals herunter. »Außerdem habe ich den Eindruck, daß du im Lauf deines langen Lebens vergessen hast, was Muskelarbeit ist. Du solltest vielleicht öfters so etwas machen, anstatt ein Stahlbad zu nehmen.« Razamon grinste. »Wenn ich nicht bis zu den Hüften im Wasser stehen würde, dann würde ich dir einen kräftigen Tritt in deinen edelsten Körperteil versetzen«, antwortete er. »Dazu reicht meine Kraft immer noch.« Ein scharfer Pfiff ertönte. Augenblicklich warfen die Paarlen die
Porquetor der Stählerne Siebe weg und stiegen aus dem Fluß. Sie holten die ausgesiebten Ölklumpen aus ihren Verstecken hervor und winkten Atlan und Razamon zu, sich zu beeilen. Die beiden Männer hatten bei weitem noch nicht soviel Öl erbeutet wie sie. Dennoch waren sie mit dem Ergebnis ihrer Arbeit zufrieden. Ein mit bunten Tüchern, farbigen Steinen und Federn geschmückter Paarle kam aus einem Felsspalt hervor. Das Geweih war mit grünen und gelben Farben bemalt. Er hob die Arme und schüttelte mit Glocken besetzte Scheiben, so daß es ein rasselndes Geräusch gab. Dann drehte er sich mit erhobenen Armen um und schritt würdevoll vor ihnen her. Die Paarlen schlossen sich ihm sofort an. Diszipliniert blieb einer hinter dem anderen. Atlan und Razamon diskutierten flüsternd miteinander. Atlan schlug vor, sich nach draußen abzusetzen und sich nicht weiter um das rätselhafte Geschehen in diesen Höhlen zu kümmern. Razamon jedoch war dafür, zu klären, was hier geschah. »Irgendeinen Sinn muß dies hier alles haben«, sagte er. »Es dauert gewiß nicht lange, bis wir herausgefunden haben, was das alles soll. Soviel Zeit haben wir noch. Außerdem benötigt Fenrir eine Pause. Gönnen wir sie ihm doch.« Atlan war einverstanden. Sie fügten sich in die Reihe der Paarlen ein und folgten dem Priester, der sie durch eine Reihe von Gängen und Grotten führte. Atlan stellte fest, daß die Felsen kaum bearbeitet worden waren. Alles war so geblieben, wie die Natur es geschaffen hatte. Das war ein eindeutiger Beweis dafür, daß sie es mit einer primitiven Kultur zu tun hatten. Dazu paßten lediglich die Einrichtungen am Eingang der Höhle nicht. Die Schotte und der Gang konnten nicht von den Paarlen angelegt worden sein. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde lang marschiert waren, erreichten sie ein Gewölbe, das etwa dreißig Meter hoch, vierzig Meter breit und hundert Meter lang war. An den Wänden steckten überall brennende Fackeln in hölzernen Halterungen. Kleine
15 Hütten waren als Unterkünfte für die Paarlen errichtet worden. Große, getrocknete Blätter und Holzstangen dienten als Baumaterial. Vor den Hütten kauerten in dicke Decken gehüllte Frauen. Sie hatten im Gegensatz zu den Männern kein Geweih. Der Priester führte die Ölwäscher durch das Gewölbe zu einer etwa fünf Meter breiten Tür. Zwei halbwüchsige Jungen schoben die Tür zur Seite. Dahinter wurde eine Holzbahn sichtbar, die ungefähr anderthalb Meter breit war und in der Mitte eine tiefe Kerbe hatte. Direkt hinter der Tür am Anfang der Holzbahn befand sich ein großer Dorn. Die Paarlen jubelten, als sie die Holzbahn sahen. »Was soll das?« fragte Razamon. »Kannst du dir darunter etwas vorstellen?« »Wenn die Bahn nicht leicht anstiege, würde ich sagen, es ist eine schlecht gebaute Kegelbahn«, antwortete Atlan. »Allerdings weiß ich nicht, was die Kerbe soll.« »Wir werden es erfahren.« Der Priester sammelte nun mit einem Topf die Ölklumpen ein, die die Paarlen ausgewaschen hatten. Er überreichte dafür jedem Wäscher kleine Holzstäbchen, wobei deren Zahl sich nach der Zahl der Klumpen richtete. Razamon und Atlan erhielten nur jeder zwei Stäbchen. Die Ausbeute der Arbeit im Fluß wanderte nun zu einem offenen Feuer. Der Priester hängte den Topf darüber auf. Die Frauen eilten herbei, gossen verschiedene Flüssigkeiten dazu und warfen einige Kräuter hinein, so daß sich bald ein stark riechendes Gebräu entwickelte. Während die Paarlen diesen Vorgang mit leisen Gesängen begleiteten, flüsterte Razamon Atlan zu: »Hoffentlich müssen wir das Gebräu nicht trinken.« »Wieso? Magst du kein Erdöl?« »Ich habe sonst nichts gegen Cocktails, aber dieser dürfte absolut ungenießbar sein.« Die Befürchtungen des Atlanters erwiesen sich jedoch als unbegründet. Der Priester nahm den bis zum Rand gefüllten Topf vom Feuer und goß das Gebräu durch ein Sieb, so daß Unreinheiten ausgefiltert wurden und ei-
16 ne klare Flüssigkeit übrig blieb. Diese verteilte er nun an die Wäscher, wobei er sie in kleinere Gefäße umfüllte. Kaum hatte der erste Paarle das für ihn bestimmte Gefäß entgegengenommen, als er sich auch schon umdrehte und in den Gang lief. Dumpf hallten seine Schritte von der Holzbahn wider. Da dieser Gang nur am Anfang durch zwei Fackeln erhellt wurde, verschwand der Mann rasch im Dunkel. Atlan erwartete nun, daß die anderen Paarlen ihm folgen würden, sobald auch sie ihre Portion erhalten hatten. Das war jedoch nicht der Fall. Sie stimmten vielmehr einen kämpferischen Gesang an und bildeten einen Halbkreis, so daß jeder in den Gang sehen konnte. Nach etwa fünf Minuten kehrte der erste Paarle daraus zurück. Er kroch über den Boden und rieb die Kerbe in der Mitte der Holzbahn mit dem Schmiermittel ein, das der Priester gebraut hatte. Die letzten Tropfen vergoß er unmittelbar am Dorn. Als er das Gefäß abstellte, blickte er sich prüfend um, dann winkte er drei andere Paarlen zu sich heran. Zusammen mit ihnen verschwand er wieder im Dunkel. Dieses Mal kehrte er schon nach etwa einer Minute wieder zurück. Schritt für Schritt kämpfte er sich mit den anderen voran. Sie zerrten ein straff gespanntes, silbern schimmerndes Band hinter sich her. Je näher sie dem Dorn kamen, desto langsamer kamen sie voran. Nun eilten ihnen zwei weitere Paarlen zu Hilfe, und mit ihnen zusammen gelang es ihnen, das Band über den Dorn zu legen. Razamon lachte leise. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann ist das so eine Art Maxi-Skerzaal.« Die Paarlen schleppten einen mit Nägeln versehenen Bolzen heran. Das Geschoß war etwa einen Meter lang und zehn Zentimeter dick. Sie legten es vor den Dorn. Der Priester schrie schrill auf, wobei er sich mit der flachen Hand vor die Lippen schlug. Einige Männer rissen Tücher von der Wänden. Dahinter wurde ein großes Spei-
H. G. Francis chenrad sichtbar. Sie drehten es einige Male herum, und knirschend schob sich ein ungefähr vier Meter breites Stück Fels zur Seite. Durch den entstehenden Spalt konnte Atlan direkt auf die Feste Grool sehen. Die Paarlen, die das Öl ausgewaschen hatten, drängten sich vor diesem Spalt zusammen. Der Priester gab einem von ihnen ein Zeichen, und der Mann schlug den Dorn mit einem Hammer zur Seite. Ein scharfer Knall ertönte, als die Sehne gegen den Bolzen schlug und diesen vor sich her trieb. Er rutschte quietschend und polternd in der Kerbe entlang und verschwand im Dunkel des Ganges. Sekunden später sah Atlan ihn wieder. Er flog mit hoher Geschwindigkeit auf die Feste Grool zu, wobei er sich immer wieder überschlug. Der Nebel hatte sich gehoben, so daß er die Feste recht gut sehen konnte. Sie glich einem riesigen Zuckerhut. Aus ihrer Spitze ragten einige antennenartigen Gebilde hervor. Aussichtsfenster führten spiralförmig um sie herum. Und zwei Kugeln flankierten sie wie zwei Beiboote. Sie schienen sich an großen Dornen, die aus dem Zuckerhut hervorragten, selbst aufgespießt zu haben. Das Geschoß prallte gegen die untere der beiden Kugeln und glitt wirkungslos daran ab. Dennoch brüllten die Paarlen vor Begeisterung über diesen Treffer, als hätten sie damit bereits die ganze Feste in Trümmer gelegt. Nun eilte der zweite Paarle in den Gang hinein, und alles wiederholte sich. Er schmierte die Kerbe jedoch offensichtlich nicht sorgfältig genug, denn der von ihm abgefeuerte Bolzen erreichte die Feste Grool nicht. Dennoch bejubelten die anderen den Beschuß kaum weniger begeistert als den ersten. Auch die darauf folgenden Bolzen richteten nicht den geringsten Schaden an. Einige trafen die Feste Grool, einige wirbelten daran vorbei, und wiederum andere erreichten sie gar nicht erst. Atlan traf, erzielte jedoch keine Wirkung. Ebenso war es bei Razamon. Er war der letzte, der schießen durfte.
Porquetor der Stählerne Danach ließ der Priester die Öffnung wieder schließen. Die Paarlen tanzten wie im Rausch. Sie umarmten sich und lachten, als hätten sie einen epochalen Sieg erzielt. Sie bezogen auch Atlan und den Atlanter in ihre Siegesfeier mit ein, als seien diese beiden schon seit Jahren Mitglied ihrer Gemeinschaft. Frauen schleppten schwere Gefäße mit einem süßlich riechenden Getränk herbei. Die Männer tranken gierig, und schon nach Minuten trat die berauschende Wirkung ein. Atlan und sein Begleiter taten nur so, als ob auch sie sich eifrig bedienten. Beide fanden den Geschmack dieser Flüssigkeit jedoch so unangenehm, daß sie nur ein paar Tropfen davon über die Lippen brachten. Die Paarlen merkten es nicht. Schwärmerisch prahlten sie mit ihren Taten. Jeder von ihnen wußte genau, wie das von ihm abgefeuerte Geschoß geflogen war, und wo es aufgeprallt war. Und sie alle schienen fest davon überzeugt zu sein, daß die Bewohner der Feste Grool nun so eingeschüchtert und verängstigt waren, daß sie auf Wochen hinaus kampfunfähig waren. »Warum kämpft ihr gegen die Feste Grool?« fragte Atlan, als er einmal für ein paar Minuten mit dem Priester allein war. »Die Feste ist der Sitz der bösen Geister«, antwortete der Paarle, der kaum noch Herr seiner Zunge war. »Und wir, als die Vertreter der höchsten Kultur auf Pthor, haben die heilige Pflicht, sie zu bekämpfen.« »Es gibt keine höher entwickelte Kultur auf Pthor?« fragte der Arkonide amüsiert. »Natürlich nicht«, erwiderte der Priester bestimmt. »Hast du nie von der Legende gehört, daß unter dem Blutdschungel eine hochentwickelte Kultur besteht? Daß hier das mächtigste und intelligenteste Volk des Universums lebt?« »Ich hörte davon.« »Nun, wir sind dieses Volk«, erklärte der Paarle stolz. Er legte beide Hände gegen die nackte Brust und lächelte verschmitzt. »Dabei war es gar nicht schwer, es zu werden.«
17 »Das kann ich mir vorstellen«, sagte Atlan behutsam. »Wir sind einfach hinuntergegangen und haben diese Höhlen besetzt«, erläuterte der Priester. »Seitdem ist die Legende Wirklichkeit geworden.« Er nickte Atlan zu, erhob sich und ging schwankend davon. Razamon lachte leise. »Siehst du«, bemerkte er. »So einfach ist es, das mächtigste und intelligenteste Volk des Universums zu werden. Du brauchst nur in eine Höhle zu klettern und so tun, als seist du derjenige, von dem die Legende erzählt, und schon hast du es geschafft.« »Ich schlage vor, daß wir uns zurückziehen«, sagte Atlan. »Wer weiß, ob man uns noch freiläßt, wenn alle ihren Rausch ausgeschlafen haben. Und einige Stunden im Fluß als Ölwäscher reichen mir außerdem vollkommen.« »Einverstanden«, entgegnete Razamon. »Es führt zu nichts, wenn wir noch länger bleiben.« Die beiden Männer erhoben sich und schlenderten durch die Höhle. Dabei entfernten sie sich immer mehr von den Paarlen, die sich das Recht erkämpft hatten, auf die Feste Grool zu schießen. Niemand hielt sie auf. »Hast du eigentlich verstanden, weshalb sie die Feste angreifen?« fragte der Atlanter. »Sicher«, antwortete Atlan. »Weil sie da ist. Das ist alles. Sie schießen auf die Feste, weil sie dieses Riesenkatapult hier in den Höhlen vorgefunden haben, und weil es gerade auf die Feste gerichtet war. Würde es auf etwas anderes zielen, würden sie auf etwas anderes schießen und sich einbilden, das sei wichtig.« Die Menge der Paarlen blieb hinter ihnen zurück. Sie eilten schneller durch die Gänge und Grotten. Nur selten einmal blieben sie stehen, um kurz darüber zu diskutieren, welchen Weg sie nehmen sollten, wenn sich ihnen mehrere Möglichkeiten boten. Bald schon hörten sie den Fluß rauschen. Atlan zog Razamon plötzlich in eine Nische. Er legte den Finger vor die Lippen.
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Und dann hörte der Atlanter es auch. Schritte näherten sich ihnen. Metall klirrte. »Das könnte Porquetor sein«, sagte Atlan. Sie zogen sich noch etwas weiter ins Dunkel zurück und warteten. Etwas eine Minute verstrich, dann eilte Porquetor an ihnen vorbei. Sie hielten sich versteckt, da sie keinerlei Risiko eingehen wollten. »Wir müssen wissen, was er hier treibt«, flüsterte Atlan, als die metallene Gestalt an ihnen vorbeigelaufen war. »Folgen wir ihm.« Razamon nickte nur. Lautlos schritten sie hinter ihm her. Sie schlossen immer nur so weit zu ihm auf, daß sie ihn hören konnten. Porquetors Ziel war das große Gewölbe, in dem die Paarlen feierten. Als er es erreichte, begannen die Paarlen zu schreien. Metall klirrte. Einige der Männer versuchten offensichtlich, sich gegen Porquetor zu behaupten. Kleine Gestalten huschten an Atlan und Razamon vorbei. Sie verschwanden fluchtartig in den Felsspalten. »Wir wissen genug«, sagte der Arkonide. »Damit haben wir nichts zu tun. Ich schlage vor, daß wir verschwinden.« Sie flüchteten durch die Gänge und Grotten bis zum Fluß zurück, so daß sie von dem Kampflärm bald nichts mehr hörten. »Hoffentlich hat er Fenrir in Ruhe gelassen«, sagte Razamon, als Atlan das Ausgangsschott öffnete. Sie eilten über den mit Zeichnungen geschmückten Gang weiter. Auch das zweite Schott setzte ihnen keinen Widerstand entgegen. Es glitt zur Seite, als Atlan den Hebel berührt hatte. Winselnd kam ihnen der Wolf entgegen. Atlan streckte ihm die Hand hin, und Fenrir leckte sie dankbar.
* Es war abzusehen, daß sie die Feste Grool vor Einbruch der Dämmerung nicht mehr erreichen würden. Atlan und Razamon wan-
derten am Waldrand entlang. Das Gelände war hügelig, dennoch aber recht übersichtlich. Fenrir trottete hinter ihnen her. Er hatte einige kleinere Tiere erlegt und gefressen, und er hatte auch reichlich Wasser zu sich genommen. Er erholte sich schnell. »Wir sollten rechtzeitig ein Lager aufschlagen und Feuer machen«, empfahl Razamon. »Wenn wir das Lager rechtzeitig vorbereiten, gibt es auch keine Schwierigkeiten.« Atlan war einverstanden. Auf offenem Gelände machten sie zwischen einigen Hügeln ein Feuer und legten danach vier weitere Feuerstellen an, die ihr Lager nach außen hin begrenzten. Darüber hinaus schichtete Razamon trockenes Holz auf, so daß sie in der Nacht nicht danach suchen mußten. Mit seiner Skerzaal erlegte er ein kleines Tier, das eine starke Ähnlichkeit mit einem Reh hatte. Er weidete es aus und hängte es auf ein Gestell. Atlan beobachtet, daß Fenrir einige gefährlich aussehende Tiere aus der Nähe des Lagers vertrieb. Systematisch suchte der Wolf die Umgebung ab. Erst nach einer Stunde war er zufrieden. Er kehrte zu den beiden Männern zurück und legte sich neben Atlan auf den Boden. »Gut gemacht«, lobte der Arkonide. Fenrir blickte ihn an, und ein Leuchten in seinen Augen zeigte Atlan an, daß er ihn verstanden hatte. Razamon sprang plötzlich auf und blickte in die Dunkelheit hinaus. Ein Scheinwerfer näherte sich ihnen. Das Licht tanzte in der Ferne auf und ab, und allmählich wurde das dumpfe Brummen eines Motors hörbar. Razamon setzte sich wieder, nachdem er erkannt hatte, daß er noch etwas Zeit hatte. Er griff zu seiner Skerzaal und spannte sie. Atlan sah, wie seine Lippen zuckten. Er schwieg. Er war entschlossen, Razamon dieses Mal keine Fragen zu stellen. Wenn der Freund nicht über den Unbekannten sprechen wollte, dann wollte er auch keine Neugier zeigen. Minuten später war der Fremde bereits
Porquetor der Stählerne auf Schußweite heran. Er fuhr direkt auf das Lager zu. Razamon legte sich einige Meter seitlich von einem Feuer auf den Boden, wo er schwer auszumachen war. Er wartete mit angeschlagener Schußwaffe. Der Motorradfahrer begann mit seltsamen Manövern. Er fuhr einige Male um einen Hügel, raste über Bodenkuppen hinweg, so daß er mehrere Meter weit durch die Luft flog, blieb mit heulendem Motor auf der Stelle stehen oder arbeitete sich steile Hänge hinauf, wobei er Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. Dann aber fuhr er wieder auf das Lager zu. Atlan hörte Razamon atmen. Der Atlanter wurde ungeduldig. Der Unbekannte beschleunigte plötzlich. Er schoß förmlich aus der Dunkelheit hervor. Als er das erste Feuer passierte, sah Atlan, daß er einen feuerroten Sturzhelm trug. Das Gesicht verbarg er hinter einer dunklen Scheibe. Ein enganliegender Lederanzug umspannte den Körper. Die Füße steckten in langen Lederstiefeln. Fenrir winselte. Er drückte den Kopf auf den Boden. Mit weit geöffneten Augen beobachtete er die seltsame Erscheinung. Razamon richtete sich ein wenig auf. Deutlich sah Atlan, wie er aus nächster Nähe auf den Motorradfahrer schoß, und er glaubte, den Bolzen sehen zu können, wie er auf den Mann zuflog. Als der Fremde etwa zwei Meter neben Atlan war, verschwand er plötzlich. Der Bolzen fiel irgendwo weitab von den Feuerstellen wirkungslos ins Gras. Razamon sprang auf. Sein Gesicht war von Haß entstellt. Fassungslos blickte er auf die Stelle, an der der Motorradfahrer eben noch gewesen war. Er ging zögernd dorthin, wo der Fremde verschwunden war, kniete sich auf den Boden und untersuchte die Spur. In diesem Moment heulte zwei Schritte neben ihm der Motor des Rades auf. Der Fremde erschien aus dem Nichts heraus und setzte seine Fahrt in der gleichen Richtung
19 fort, als sei nichts geschehen. Er verschwand in der Dunkelheit zwischen den Hügeln. Atlan sah das Rücklicht der Maschine noch einige Male auftauchen. Dann wurde es still. Atlan blickte Razamon an. Der Atlanter kniete noch immer auf dem Boden. Er hielt die Augen geschlossen. Seine Lippen zuckten. Er hatte sichtlich Mühe, diese Niederlage zu verwinden.
4. Auf den Hügeln vor der Feste Grool standen zahllose windmühlenähnliche Gebilde. Die Flügel drehten sich im heißen Wind, der aus dem Wüstengebiet Fylln wehte. Als sie bis auf etwa hundert Meter an die erste Windmühle herangekommen waren, konnten sie kleine Kästen sehen, die sich im Zentrum der Windräder befanden. Von ihnen führten Kabelstränge nach unten, wo sie sich mit anderen Kabeln vereinigten. Ein Hauptkabel führte aus dem Gebiet der Windmühlen zur Feste Grool hin. »Elektrizität für die Feste«, sagte Razamon. »Einfach, aber wirksam.« »Vorausgesetzt, es weht der Wind«, fügte Atlan hinzu. »Auf jeden Fall kommt nicht viel elektrische Energie dabei heraus.« »Vielleicht genügt das für die Feste.« Auf Tieren, die Atlan an weiße, gepanzerte Stiere erinnerten, ritten hochgewachsene, dunkelhäutige Männer zwischen den Windmühlen umher. Sie bewachten die Anlagen und nahmen Reparaturen vor, wo sie notwendig waren. »Kennst du sie?« fragte Atlan. »Ich komme nicht auf ihren Namen«, erwiderte Razamon und schnippte mit den Fingern, als könne ihm das helfen, die Erinnerung wieder aufzufrischen. Sie standen hinter einigen Büschen, so daß sie von den Wächtern nicht sogleich entdeckt wurden. »Was tun wir?« fragte Atlan. »Marschieren wir mittendurch oder schlagen wir einen weiten Bogen?« Razamon hob unentschlossen die Schul-
20 tern. »Ich weiß nicht, wie sie reagieren werden.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Jetzt weiß ich, wer sie sind. Es sind Dalazaaren. Ich schätze, daß Porquetor sie dazu gebracht hat, hier Dienst zu tun.« Die Dalazaaren waren überwiegend schlank. Sie trugen das Haar lang, so daß es bis auf den Rücken der Stiere herabfiel. Sie kleideten sich mit grob zusammengenähten Ledersachen, die den Eindruck machten, als seien sie aus der dicken Haut der Stiere gefertigt. »Ich schlage vor, daß wir durch die Wüste Fylln ausweichen und diese Gegend auf diese Weise umgehen«, sagte Atlan. »Einverstanden«, erwiderte Razamon und wandte sich um. Im gleichen Moment schrie er auf. Atlan fuhr herum. Er sah, daß ein Dalazaar sich mit erhobenem Messer auf Razamon warf. Dieser fing ihn mit einem einzigen Schlag ab. Er traf ihn in der Herzgegend. Es hallte dumpf, als die Faust aufprallte, und der Dalazaar stürzte betäubt zu Boden. Unmittelbar darauf jagten zwei weitere Wächter auf ihren Stieren heran. Sie stießen beide Arme drohend in die Luft und schrien gellend. Dadurch machten sie die anderen Dalazaaren aufmerksam, so daß eine Flucht für Atlan und Razamon aussichtslos wurde. »Wir zeigen es ihnen«, sagte der Atlanter entschlossen. »Wir bringen ihnen Respekt bei.« Die Dalazaaren versuchten, sie mit ihren Stieren umzurennen. Mit vollem Tempo rasten sie auf sie zu. Die Stiere senkten ihre Köpfe, um sie mit den weit ausladenden Hörnern umzureißen. Unter diesen Umständen hatte es keinen Sinn, sich dem Kampf sofort zu stellen. Atlan und Razamon trennten sich um einige Meter, damit sie genügend Platz für ein Ausweichmanöver hatten. Als die Stiere heran waren, warfen die beiden Männer sich weit zur Seite. Atlan verspürte einen Schlag am Fuß. Er überschlug sich zweimal, bevor er in einem Blumenbusch landete. Eine Wolke
H. G. Francis von betäubend riechenden Sporen hüllte ihn ein. Er hielt den Atem an, bedeckte das Gesicht mit dem Unterarm und rollte sich aus dem Busch hervor. Seine Augen tränten, so daß er für einige Sekunden nichts sehen konnte. Nur schemenhaft erkannte er den Stier, der sich ihm näherte. Zur Seite! befahl ihm sein Logiksektor. Er handelte, ohne nachzudenken, als er abermals zu Seite sprang. Um Zentimeter nur verfehlten ihn die Hörnerspitzen. Ein Messer wirbelte durch die Luft und bohrte sich ihm in die Schulter. Atlan riß es heraus und schleuderte es weit von sich. Endlich beruhigten sich seine Augen, so daß er wieder besser sehen konnte. Razamon war es gelungen, seinen Gegner vom Rücken des Stieres zu zerren. Er kämpfte mit ihm, wobei er Mühe hatte, dem immer wieder blitzschnell zustoßenden Messer auszuweichen. Atlans Gegner riß seinen Stier herum und trieb ihn erneut an. Das Tier stürmte schnaubend auf den Arkoniden zu. Dieser beobachtete den Dalazaaren, der nun waffenlos war. Aus seiner Haltung schloß er, daß er abermals versuchen wollte, ihn umzurennen. Atlan ging tief in die Knie. Er wartete ab. Seine Muskeln spannten sich. Der Stier näherte sich ihm rasend schnell. Er hielt den Kopf so tief, daß das Gras gegen die Nüstern peitschte. Als er etwa zwei Meter von Atlan entfernt war, schnellte sich dieser in die Höhe. Der Stier rannte mit unverminderter Geschwindigkeit weiter und erreichte den Arkoniden, noch bevor eine Sekunde verstrichen war. Der wuchtige Kopf flog nach oben. Atlan befand sich jedoch noch hoch über ihm. Die Hörner erreichten ihn nicht. Der Dalazaar saß hoch aufgerichtet auf dem Rücken des Stieres. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er Atlan an. Unwillkürlich streckte er die Arme aus, doch den Zusammenprall konnte er nicht verhindern. Atlan saß plötzlich vor ihm auf dem Rücken des Stieres. Ihre Körper schlugen krachend
Porquetor der Stählerne gegeneinander. Der Dalazaar flog in weitem Bogen vom Rücken des Stieres. Atlan konnte sich allerdings auch nicht mehr halten. Er blieb nicht, wie er gehofft hatte, auf dem Stier, sondern rutschte über dessen Hinterhand herunter. Er stürzte ins Gras. Das Tier stürmte brüllend weiter. Es raste in Richtung der Wüste davon und verschwand hinter den Hügeln. Atlan sprang auf und stürzte sich auf den Dalazaaren, der ihn entsetzt anblickte. Er wirbelte ihn herum, riß ihm die Hände nach hinten und hielt ihn wie einen Schild vor sich, um so die nun heranstürmenden Dalazaaren davon abzuhalten, ihn in gleicher Weise anzugreifen wie die beiden ersten. Doch schon Sekunden später mußte er erkennen, daß die Dalazaaren gar nicht daran dachten, auf das Leben des Gefangenen Rücksicht zu nehmen. Fünf Windmühlenwächter rasten dicht nebeneinander auf ihren Stieren heran. Der Dalazaar in Atlans Armen schrie ihnen in panischer Angst Befehle zu. Er flehte sie an, doch sie ließen sich nicht von ihrem Plan abbringen. Atlan schleuderte den Gefangenen zur Seite. Er riß sich die Skerzaal von der Schulter, legte sie an, und schoß. Der Bolzen durchschlug die Stirn eines der Stiere und fällte ihn. Der Reiter flog im hohen Bogen durch die Luft und stürzte zu Boden. Razamon feuerte seine Skerzaal ebenfalls ab, und auch er traf so gut, daß der Stier zusammenbrach. Auf diese Weise schufen sich die beiden Männer eine ausreichend große Lücke. Bevor die Dalazaaren entsprechend reagieren konnten, rannten Atlan und Razamon auf sie zu und sprangen über die getöteten Tiere hinweg. Links und rechts von ihnen jagten die Stiere mit ihren Reitern vorbei. Sie versuchten sofort, ihre Tiere herumzuwerfen. Doch die Stiere waren viel zu schwerfällig, um rasch genug auf die Befehle der Reiter eingehen zu können. Sie rannten etwa vierzig Meter weiter, wurden erst dann deutlich langsamer und drehten sich
21 zögernd um. »Verdammt noch mal«, schrie Razamon triumphierend. »Ich hätte nicht gedacht, daß sie ausgerechnet an der Stirn so leicht verletzbar sind. Ihre Panzerung sieht aus, als könne sie nur von Thermo-Raks oder einem Energiestrahl durchbrochen werden.« »Das ist bei den meisten so, die eine dicke Haut haben«, entgegnete Atlan lächelnd. »Es sieht nur so aus, als könne man sie nicht verletzen.« Die Dalazaaren berieten miteinander. »Sie haben Angst um ihre Tiere«, stellte Atlan fest. »Uns hilft das leider nicht viel«, entgegnete Razamon. Er deutete auf eine Gruppe von zwanzig Dalazaaren, die sich ihnen auf Stieren näherten. »Wir sollten versuchen, einen Stier zu bekommen«, schlug Atlan vor. »Vielleicht gehorchen uns die Tiere.« »Eine gute Idee«, stimmte der Atlanter zu. Die Dalazaaren sprangen von ihren Reittieren und liefen auf Atlan und Razamon zu. Sie hielten Messer in den Händen. Mit ihrer Hilfe gedachten sie, den Kampf schnell zu beenden. Die beiden Freunde warteten ab, bis die Wächter bis auf wenige Schritte an sie herangekommen waren, dann rannten sie auf ein Zeichen des Arkoniden los. Die Dalazaaren blieben stehen, um sie zu empfangen. Atlan und Razamon wirbelten ihre Skerzaals um den Kopf und griffen an. Die Wächter wichen aus, um von den Kolben der Waffen nicht getroffen zu werden. Sie erwarteten, daß ihre beiden Gegner nun stehenbleiben und sich dem Kampf stellen würden. Atlan und Razamon aber liefen weiter. Bevor die Dalazaaren begriffen hatten, was sie beabsichtigten, hatten sie die Stiere erreicht. Die Tiere schnaubten nervös, griffen sie jedoch nicht an. Atlan und seine Begleiter schwangen sich auf den Rücken von zwei Stieren und hieben ihnen die Fersen in die Flanken. Die Stiere reagierten anders als erwartet. Sie schnellten sich hinten hoch und schleuderten die beiden Männer nach vorn. Weder
22
H. G. Francis
Atlan noch Razamon konnten sich halten. Sie stürzten ins Gras. Sie flüchteten vor den Hufen und den Hörnern der Tiere, wurden jedoch wider Erwarten nicht verfolgt. Die Dalazaaren aber nutzten die Chance. Sie warfen sich auf Atlan und Razamon, wobei sie tatkräftige Unterstützung von weiteren Wächtern erhielten. Atlan versuchte, sich mit einigen Dagortricks zu befreien, doch es gelang ihm nicht. Drei Treffer am Kinn schalteten ihn aus. Razamon konnte sich einige Sekunden länger behaupten, weil er bedeutend kräftiger war als der Arkonide. Doch dann war der Kampf auch für ihn zu Ende. Während er zu Boden stürzte, wurde ihm noch bewußt, daß er bei allem Pech Glück gehabt hatte. Die Dalazaaren hatten ihre Messer nicht eingesetzt, als sie erkannt hatten, daß sie klar überlegen waren.
* Als Atlan wieder zu sich kam, war Razamon schon auf den Beinen. Er stand an einem vergitterten Fenster und blickte hinaus. Als der Arkonide sich erhob und sich dabei stöhnend an den Kopf griff, drehte er sich um. »Ich dachte, ein Zellaktivator sorgt dafür, daß man keine Schmerzen hat«, sagte er spöttisch. »Das ist auch richtig«, entgegnete Atlan. »Doch das richtet sich immer danach, wieviel man abbekommen hat.« Razamon pfiff schrill durch die Zähne. »So war das also«, sagte er. »Während ich mich noch meiner Haut wehrte, hast du einfach die Augen zugemacht, um deine Ruhe zu haben.« »Genauso«, antwortete Atlan. »Und dabei muß ich wohl eingeschlafen sein.« Razamon lächelte flüchtig. Er deutete über die Schulter zurück zum Fenster hin. »Soeben reitet einer der Burschen zur Feste Grool. Ich vermute, um dort Bescheid zu sagen.« »Das hätten wir doch auch übernehmen
können«, sagte Atlan und blickte zum Fenster hinaus. Sie befanden sich in einem Gebäude, das mitten im Feld der Windmühlen lag. Er erinnerte sich daran, einen relativ kleinen Bau gesehen zu haben, zu dem zahlreiche Kabel hinliefen. Am Rande des Feldes bewegte sich etwas. Fenrir tauchte aus einem Gebüsch auf und lief unschlüssig hin und her. Er hatte nicht in den Kampf eingegriffen, weil er zu schwach war. Atlan war nicht enttäuscht darüber, daß der Fenriswolf geflüchtet war, als die Dalazaaren angegriffen hatten. Er hatte nichts anderes erwartet. Angesichts des jämmerlichen Zustands, in dem er sich befand, hätte Fenrir kaum etwas Vernünftigeres tun können. Bei ihm hätten die Windmühlenwächter sicherlich nicht darauf verzichtet, den Kampf mit dem Messer zu entscheiden. In unmittelbarer Nähe des Gebäudes hielt sich niemand auf. Atlan ging zur Holztür und rüttelte daran. Sie war von außen mit einem Riegel versperrt. Die Wände bestanden aus dicken Holzbalken. Durch einen Spalt in der Wand konnte der Arkonide in einen Nebenraum sehen. Dort standen einige Maschinen. Daneben war allerlei Gerümpel in dem Raum enthalten. Auch in dem Raum, in dem Atlan und Razamon sich befanden, lag altes Gerät herum. Atlan prüfte alles, was auf dem Boden lag. Eine alte Schaufel setzte er als Hebel an die Tür. Er konnte sie damit jedoch nicht aufstemmen. Die Schaufel brach ab. Razamon verfolgte diese Aktionen schweigend. Erst als Atlan die zerbrochene Schaufel zur Seite warf, sagte er: »Was glaubst du eigentlich, was ich getan habe, während es bei dir noch dunkel war?« »Du hast also aufgegeben«, stellte Atlan fest. Razamon preßte ärgerlich die Lippen zusammen. »Ich habe nicht aufgegeben«, erwiderte er scharf. »Ich weiß jedoch, daß es auf diese Weise nicht geht.« Vorsicht! warnte der Logiksektor. Wenn er in diesem engen Raum zu toben beginnt,
Porquetor der Stählerne bist du das Opfer. »Was schlägst du vor?« fragte Atlan ruhig. »Wir sollten warten, bis Porquetor kommt.« Damit war Atlan nicht einverstanden. Er war nicht bereit, einfach nur abzuwarten und anderen die Initiative zu überlassen. Er sah sich im Raum um. Dicht unter der Decke liefen mehrere armdicke Stromkabel entlang. Das ist der Ausweg, signalisierte der Extrasinn. Bevor Atlan dazu kam, weiter darüber nachzudenken, stöhnte Razamon laut auf. Er stand am Fenster und blickte hinaus. Der Arkonide ging zu ihm und stellte sich hinter ihn. Fünfzig Meter von ihnen entfernt stand ein Mann in einem silbrig schimmernden Raumanzug aus den Pionierjahren der Raumfahrt. Der Raumhelm umschloß seinen Kopf. Die Sichtscheibe war mit einer spiegelnden Goldfolie versehen, so daß Atlan das Gesicht dahinter nicht sehen konnte. Mit schwerfälligen Bewegungen marschierte die Gestalt auf das Gebäude zu, in dem die beiden Männer gefangengehalten wurden. Razamons Hände fuhren vor. Sie umklammerten die Gitterstäbe vor dem Fenster. Atlan trat einen Schritt zurück. Er beobachtete den Atlanter, der sich zusehends mehr erregte. Wieder fragte er sich, was das alles zu bedeuten hatte. Welches Geheimnis verband Razamon mit diesem Unbekannten, der ihnen in ständig wechselndem Aufzug begegnete? Wer war dieser Unbekannte? Das Geheimnis reichte über mehr als zehntausend Jahre hinweg. Es hatte seine Wurzel in jener Zeit, als Razamon noch auf Atlantis gelebt hatte. Razamon hatte in dieser Zeit zu den Berserkern gehört, die von Pthor aus Eroberungsfeldzüge unternommen hatten. Bei seinem letzten Besuch auf der Erde hatte er einen Fehler gemacht, der zu seiner Verban-
23 nung geführt hatte. Der Fehler war gewesen, menschliches Gefühl zu zeigen, ein Gefühl, das nicht in das Charakterbild der Berserker paßte. Hatte ihn nun seine Vergangenheit wieder eingeholt? Gehörte jener Fremde da draußen zu den Berserkern? Kam er immer wieder, um Razamon leiden zu lassen? Und erinnerte sich Razamon wirklich voll an das, was ihn mit dem Unheimlichen verband? Zu seiner Verbannung hatte eine fast völlige Amnesie gehört, so daß er zwar Pthora sprechen konnte, aber nicht mehr viel über die Verhältnisse auf Pthor wußte. Er kannte sein Schicksal und auch dessen Verursacher. Reichte sein Wissen aber tatsächlich soweit, daß er diesen Maskierten eindeutig identifizieren konnte? Genügte dazu der Abdruck eines Gebisses in einer apfelähnlichen Frucht oder die Art, wie er sich bewegte, und wie er sich verhielt? Razamon zitterte am ganzen Körper. Er rüttelte um so heftiger am Gitter, je näher der Fremde dem Fenster kam. Zwei Meter von ihnen entfernt blieb der Unbekannte stehen. Seine Arme hingen schlaff an seinen Seiten herunter. Er stand völlig still und blickte sie durch die Sichtscheibe an. Atlan glaubte, diese Blicke fühlen zu können, obwohl er die Augen hinter der Scheibe nicht sehen konnte. Razamon stöhnte laut in seinem ohnmächtigen Zorn. »Verschwinde«, sagte er keuchend. »Verschwinde doch endlich.« Als die Minuten verstrichen, ohne daß etwas geschah, fuhr er herum, packte ein Eisenstück, das auf dem Boden lag, und schleuderte es gegen das Fenster. Es prallte gegen das Gitter und fiel auf den Boden zurück. Razamon bückte sich nach einem anderen Gegenstand, mit dem er werfen konnte. Als er sich wieder aufrichtete, war der Fremde im Raumanzug verschwunden. Atlan hatte gesehen, daß er mit schneller Bewegung zur Seite gegangen war. »Wo ist er?« schrie der Atlanter. Er stürzte sich auf Atlan und packte ihn
24 an den Armen. Mit flammenden Augen blickte er ihn an. Ruhe bewahren! befahl der Logiksektor. Razamon steht unmittelbar vor dem Zusammenbruch. Atlan blieb ruhig stehen. Er wich den Blicken nicht aus. Kein Muskel zuckte in seinem Gesicht. Fast zwei Minuten lang standen sich die beiden Männer so gegenüber, bis Razamon endlich die Arme fallen ließ. »Verzeih«, sagte er. »Ich habe die Nerven verloren.« »Den Eindruck hatte ich allerdings auch«, entgegnete der Arkonide. Razamon kauerte sich in einer Ecke des Raumes auf den Boden, schlang die Arme um die Beine und stützte das Kinn auf einem Knie ab. Er schloß die Augen und brütete vor sich hin. Atlan ließ ihn in Ruhe und bemühte sich, einen Ausweg zu finden. Mit einem Draht durch einen Spalt versuchte er, den Riegel an der Tür zu bewegen. Er schob den Draht durch einen Spalt an der Tür und bog ihn um den Riegel herum. Mit einem zweiten Draht holte er das gebogene Ende zurück, so daß eine Schlinge um den Riegel lag. Er arbeitete zwei Stunden lang, bis es ihm endlich gelang, diese Schlinge zu vollenden. Danach mußte er feststellen, daß er den Riegel auf diese Weise nicht bewegen konnte. Nun versuchte er, ihn nach oben zu heben, aber auch das gelang ihm nicht. Schließlich suchte er sich einen spitzes Eisenstück aus dem Gerümpel heraus und bearbeitete die Tür damit. Er schnitt Holzstreifen auf Holzstreifen heraus und verbreiterte auf diese Weise in stundenlanger Arbeit einen Spalt über dem Riegel immer weiter. Razamon blieb auf dem Boden sitzen und verhielt sich still. Erst als der Spalt in der Tür breit genug war, erhob er sich. »Ich will es versuchen«, sagte er. »Meine Hand ist kleiner als deine.« Er schob seine Hand durch den Spalt und packte den Riegel. Er mußte ihn um seine Längsachse drehen, um die Sperre zu über-
H. G. Francis winden. Danach erst konnte er ihn zur Seite schieben. Knarrend öffnete sich die Tür. Dahinter lag ein weiterer Raum, der mit allerlei Werkzeugen und Gerümpel gefüllt war. »Entscheidend weiter sind wir immer noch nicht«, stellte Razamon mürrisch fest und rüttelte an der Eisentür, die diesen Raum verschloß. Atlan ging zu dem einzigen Fenster. Es war vergittert. Er versuchte, es aus seiner Verankerung zu reißen, doch das gelang ihm nicht. Auch Razamon hatte keinen Erfolg, als er es Atlan nachmachte. Selbst mit einer Eisenstange, die sie als Hebel benutzten, schafften sie es nicht, das Gitter zu beseitigen. »Es sieht so aus, als säßen wir endgültig fest«, sagte Atlan. Razamon schleuderte die Eisenstange wütend gegen die Tür. Atlan stand am Fenster und blickte hinaus. Es wurde langsam dunkel. Fenrir streifte noch immer in der Gegend herum. Er wartete darauf, daß sie endlich wieder herauskamen. Als der Arkonide sich umdrehte, fiel sein Blick auf die Stromkabel, die auch in diesem Raum unter der Decke entlangliefen. Plötzlich hatte er eine Idee. »Was werden die Dalazaaren tun, wenn es hier einen Kurzschluß gibt?« fragte er. »Sie werden sich bestimmt nicht bei uns bedanken«, erwiderte Razamon. »Sieh dir die Kabel an«, forderte Atlan. »Sie sind schlecht isoliert. Man könnte …« »Die Bude würde in Brand geraten«, unterbrach ihn Razamon. »Und wenn wir Pech haben, holen die Dalazaaren uns nicht heraus.« Er trat an das Fenster und blickte hinaus. Etwa hundert Meter von ihnen entfernt brannte ein großes Feuer. Auf einem Gestell darüber drehte sich einer der Stiere, die sie getötet hatten. Razamon zählte dreißig Dalazaaren, die sich in der Nähe des Feuers aufhielten und darauf warteten, daß das Fleisch
Porquetor der Stählerne gar war. Der Magen krampfte sich ihm zusammen. »Ich habe Hunger«, sagte er. »Hoffentlich denken sie daran, uns etwas zu bringen.« »Da kommen sie schon«, bemerkte Atlan. An der Tür scharrte etwas. Er ging zu ihr hinüber und horchte. Er hörte, daß jemand angestrengt atmete. Dann bewegte sich quietschend der Riegel. Die Tür öffnete sich, und eine kleine Gestalt glitt lautlos in den Raum. Atlan packte zu, ließ aber sogleich wieder los, als er ein Geweih in den Händen verspürte. »Ein Paarle«, sagte er verblüfft. »Komm«, flüsterte der Paarle. »Schnell, bevor die Dalazaaren etwas merken.« Atlan und Razamon überlegten nicht lange. Sie flüchteten durch die Tür hinaus. »Eure Waffen«, sagte der Paarle. »Dort im Gras liegen sie.« Die Windmühlenwächter hatten die beiden Skerzaals, die dazugehörigen Köcher und die Messer im Gras vor dem Bau abgelegt. Atlan und der Atlanter nahmen sie auf. Dann eilten sie zusammen mit dem Paarlen in die Dunkelheit hinaus. Minuten später tauchte ein dunkler Schatten neben ihnen auf. »Fenrir«, rief Atlan. Der Wolf winselte leise. Er blieb neben dem Arkoniden.
5. Vor dem Felsspalt blieben sie stehen. »Danke«, sagte Atlan. »Ich glaube, ohne dich hätten wir es nicht geschafft.« »Doch«, erwiderte der Paarle. »Bestimmt. Es hätte nur etwas länger gedauert.« Hinter diesen Worten wurde soviel Zuversicht und Vertrauen erkennbar, daß der Arkonide überrascht aufhorchte. »Wir hatten einige Vorbereitungen getroffen«, erklärte er. »Ich wußte es«, antwortete der Paarle. Er öffnete das Schott. Das Licht der Deckenplatten erhellte sein Gesicht. In seinen Augen blitzte es auf. »Mein Name ist Troton«, sagte er und
25 blickte Atlan und Razamon fragend an. Sie nannten ihm ihre Namen, und er fuhr fort: »Ich wußte von Anfang an, daß ihr anders seid als wir. Ihr gehört zu den Höchsten, und doch habt ihr getan, was unsere Gesetze vorschreiben. Niemand kann euch das Recht auf Arbeit streitig machen. Euch hätte der erste Schuß auf die Feste Grool gehört. Der Priester hätte euch diesen ersten Platz einräumen müssen. Er hat für sein Versäumnis gezahlt.« »Wir denken nicht daran, unser Recht auf Arbeit wahrzunehmen«, antwortete Atlan, der keinerlei Verlangen hatte, erneut in den Fluß zu steigen und körperlich schwerste Arbeit darin zu verrichten. »Niemand kann euch zwingen«, erwiderte Troton. »Und ich kann verstehen, daß ihr als Höhere auch ohne Arbeit ein Recht zum Schießen habt.« Atlan nickte nur. Er legte dem Paarlen die Hand auf die Schulter und schob ihn durch das Schott, das sich wenig später hinter ihnen schloß. Er wußte noch immer nicht, weshalb der Paarle ihn befreit hatte. War es aus eigenem Antrieb heraus geschehen, oder hatte der Priester ihn geschickt? Sie passierten auch das zweite Schott und schritten dann am Fluß entlang. Nur wenige Fackeln erhellten den Gang. Niemand arbeitete im Wasser. »Warum hast du uns geholt, Troton?« fragte Razamon. »Du wirst es erfahren. Was du gleich sehen wirst, wird alles viel besser erklären, als es viele Worte können.« Nach diesen rätselhaften Worten beschleunigte der Paarle seine Schritte. Fenrir, der dieses Mal mit in die Höhlen gegangen war, knurrte leise. Atlan legte ihm beruhigend die Hand auf den Kopf, doch das Tier wurde zusehends nervöser. Als sie das große Gewölbe betraten, aus dem heraus sie auf die Feste Grool geschossen hatten, blieb Fenrir stehen und knurrte laut. Atlan und Razamon achteten nicht darauf. Entsetzt blickten sie auf die toten Paarlen,
26 die zwischen den Hütten auf dem Boden lagen. Atlan zählte zwanzig Männer, Frauen und Kinder. Sie alle wiesen schwerste Verletzungen auf. Der Priester befand sich unter ihnen. Er war grausam verstümmelt worden. »Porquetor«, erklärte Troton mit tränenerstickter Stimme. Er sagte nur dieses eine Wort. Das genügte. Weil die Paarlen die Feste Grool beschossen hatten, war der Stählerne in die Höhlen eingedrungen und hatte sich grausam gerächt. Atlan machte sich bitterste Vorwürfe, weil er nicht hiergeblieben war und den Paarlen geholfen hatte. »Ich konnte mir nicht vorstellen, daß so etwas geschehen würde«, sagte er mühsam beherrscht. »Ich dachte nicht, daß Porquetor irgend jemanden töten würde.« Tatsächlich war er davon überzeugt gewesen, daß die Rache des Stählernen ebenso harmlos ausfallen würde wie der Beschuß der Feste Grool. Keines der Geschosse hatte Schaden angerichtet. Die ganze Aktion war aus seiner Sicht kaum mehr als eine Spielerei von Wilden gewesen, die etwas nachäfften, was sie im Grunde genommen nicht begriffen hatten. Wäre es anders gewesen, hätten sie ihren »Sieg« nicht so gefeiert. Warum hatte Porquetor so grausam darauf reagiert? »Ist so etwas schon einmal passiert?« fragte Razamon. »Vor vielen Jahren«, antwortete Troton. »Damals tötete Porquetor neun Männer, sechs Frauen und zwei Kinder.« »Und wie oft schießt ihr auf die Feste?« erkundigte sich Atlan. »Zwölfmal im Jahr«, eröffnete ihm Troton. Die anderen Paarlen kamen aus ihren Hütten und aus Felsspalten hervor. Sie näherten sich ihnen zögernd und ängstlich. In ihren Gesichtern zeichnete sich der Schock, den sie erlitten hatten, überaus deutlich ab. »Und sonst passiert nichts?« fragte Razamon. »Nichts. Sonst ist die Angst der Leute von der Feste zu groß vor uns«, erwiderte Troton
H. G. Francis mechanisch. Erst danach schien er sich dessen bewußt zu sein, was er gesagt hatte. Er stutzte und legte sich die Hand vor den Mund. Fragend blickte er Atlan an. Der Arkonide lächelte nicht. Er blieb ernst. »Dieses Mal ist ihm der Kragen geplatzt«, stellte Razamon kühl fest. »Er wollte euch einen Denkzettel verpassen. Nur ist er dabei erheblich zu weit gegangen.« Troton hob die Hände. »Einige von uns wollen schießen«, sagte er. »Ist das richtig?« »Absolut nicht«, entgegnete Atlan. »Es wäre ein großer Fehler. Porquetor könnte zurückkommen.« »Fürchtest du dich vor ihm?« fragte einer der Paarlen, die nun um sie herum standen. »Ich fürchte mich nicht vor ihm. Ich fürchte nur, daß noch mehr von euch sterben müssen, wenn ihr die Feste erneut angreift. Das ist es, was ich verhindern will.« »Du kannst es nicht mehr verhindern«, erwiderte der Paarle triumphierend. »Während Troton dich geholt hat, haben wir gehandelt.« »Ihr habt geschossen?« schrie Troton entsetzt. »Wir haben geschossen«, antworteten mehrere Paarlen aus der Menge zugleich.
* Troton stürzte sich wutentbrannt auf einen der Männer und rammte ihm das Geweih gegen die Brust. Der Angegriffene stürzte schreiend zu Boden. Troton hieb mit beiden Fäusten auf ihn ein, doch er behauptete sich, wehrte die meisten Schläge ab und schlug selbst zurück. Dabei traf er Troton einige Male so schwer, daß Atlan befürchtete, er werde ihn töten. Der Arkonide packte Troton und riß ihn hoch. »Hört auf zu kämpfen«, befahl er. »Dadurch wird nichts besser.« Troton wollte sich losreißen, doch Atlan hielt ihn fest. Jetzt versuchte der andere, Troton anzugreifen. Razamon stellte sich
Porquetor der Stählerne ihm in den Weg. Einige Sekunden lang schien es so, als würden sich alle Paarlen auf Atlan und den Atlanter stürzen. Troton beruhigte sich jedoch überraschend. »Laßt sie in Ruhe«, rief er. »Sie kennen unsere Gesetze nicht. Woher sollen sie wissen, daß es unwürdig ist, einen Kampf zu unterbrechen?« Atlan ließ ihn los. Er wollte etwas sagen, als es plötzlich still wurde. Die Paarlen blickten an ihm vorbei zu den Felsspalt, durch den er mit Troton hereingekommen war. Er drehte sich um. Ein Dalazaar stand in dem Spalt. Er hielt Netze in beiden Händen, die prall mit gebratenem Fleisch gefüllt waren. Scheu lächelnd kam er näher und legte die Netze vor Atlan ab. »Ich bin ein Freund«, sagte er in pthorischer Sprache. »Ich komme in Frieden.« Die Paarlen drängten sich schwatzend um ihn und nahmen das Fleisch auf. Freudig erregt verteilten sie es und begannen sofort damit, es zu verzehren. Atlan gab dem Dalazaaren einen Wink und bat ihn damit zur Seite. Dankbar nahm der Windmühlenhüter an. »Wie heißt du?« fragte der Arkonide ihn. »Dadan. Ich muß euch warnen. Porquetor ist auf dem Wege hierher.« »Wann kann er hier sein?« fragte Razamon. »In jeder Sekunde.« Razamon pfiff schrill auf den Fingern. Augenblicklich wurde es still in der Höhle. Die Paarlen blickten ihn fragend an. »Porquetor kommt zurück«, rief er mit hallender Stimme. »Das ist der Erfolg der Schießerei. Versteckt euch.« Die Paarlen schrien verängstigt auf und rannten in allen Richtungen davon. Innerhalb weniger Sekunden war das Gewölbe leer. Nur noch Atlan, Razamon, der Dalazaare, Fenrir und Troton blieben zurück. »Ich lasse euch nicht allein«, erklärte der Paarle entschlossen. Aus der Ferne klang metallisches Klirren herbei. Schritte näherten sich ihnen.
27 »Er kommt«, wisperte Dadan furchtsam. »Wo können wir uns verstecken?« fragte Atlan. »Schnell.« »Folgt mir«, rief der Paarle. Er lief zu der Öffnung des Schußkanals, durch den die Paarlen die Riesenbolzen auf die Feste Grool abgeschossen hatten. Er stieg hinein. Atlan zögerte kurz. Das Versteck erschien ihm zu unsicher. Doch dann gab ihm Razamon einen leichten Stoß mit der Hand und trieb ihn hinein. Der Arkonide kroch hinter Troton her. Dieser stemmte sich mit dem Rücken gegen die Wand, nachdem er etwa zehn Meter zurückgelegt hatte. Die Wand wich knirschend zur Seite. Atlan konnte in eine kleine Höhle sehen, in der eine Fackel brannte. »Schnell«, mahnte der Paarle. Diese Aufforderung war kaum nötig, denn die Schritte Porquetors waren bereits deutlich zu hören. Selbst Fenrir schien zu spüren, daß sie keine Zeit verlieren durften. Er folgte den Männern in die kleine Höhle, die bis auf die Fackel und ein paar Decken leer war. Troton schloß den Eingang wieder, indem er sich erneut gegen den Stein stemmte. Porquetor hatte das große Gewölbe erreicht. Es wurde für einige Minuten still. Die Männer in der Höhle wagten kaum zu atmen. Sie waren sich darüber klar, daß sie nicht die geringste Überlebenschance hatten, wenn der Stählerne sie hier auftreiben sollte. Sie zuckten zusammen, als Porquetor zu wüten begann. Die Geräusche verrieten, daß er seine Wut an den ärmlichen Hütten und den Gebrauchsgegenständen der Paarlen ausließ. Eine halbe Stunde lang tobte der Stählerne in der Höhle. Dann wurde es still. Troton wollte das Versteck bereits verlassen, doch Atlan hielt ihn mit einer mahnenden Bewegung zurück. Seine Vorsicht erwies sich als berechtigt, denn nur Sekunden später ertönte ein schriller Angstschrei. Dumpfe Schritte erschütterten den Boden. Offenbar gelang es dem allzu früh zurückgekehrten Paarlen jedoch, sich in Sicherheit zu bringen, denn ein zweiter Schrei war nicht zu hören. Holz zer-
28 splitterte krachend. Dann wurde es erneut still. Wenige Minuten später pfiff jemand. »Er ist weg«, sagte Razamon und stemmte sich gegen den Stein, der die Höhle verschloß. Knirschend glitt er zur Seite und gab den Weg frei. Razamon kroch als erster heraus. Von den Hütten der Paarlen war so gut wie nichts mehr übriggeblieben. Porquetor hatte alles in Stücke gehauen, was die Paarlen in jahrelanger Arbeit mühsam aufgebaut hatten. Ratlos standen die Höhlenbewohner nun vor den Trümmern ihrer Habe. »Wir haben bekommen, was wir verdient haben«, sagte Troton verbittert. »Porquetor hat sich gerächt. Und das wird er immer wieder tun, solange wir auf die Feste Grool schießen.« »Feigling«, fuhr ihn ein anderer Mann an und versuchte, ihm die Spitzen seines Geweihs ins Gesicht zu stoßen. Troton trat einen Schritt zurück und entging so dem Angriff. Um weitere Gewalttätigkeiten zu verhindern, trat Atlan zwischen die streitenden Männer. »Er hat recht«, sagte er. »Erst wenn ihr eine wirklich wirksame Waffe gegen Porquetor habt, hat es Sinn, gegen ihn zu kämpfen. Vorläufig aber habt ihr nichts. Ihr müßt stillhalten.« »Warum hast du nicht gekämpft?« fragte eine Frau und zeigte auf die Skerzaal. »Du hast eine Waffe.« »Sie ist nicht wirksam genug«, erklärte der Arkonide. Er wußte nicht, ob das auch zutraf, denn bis jetzt hatte er noch nicht auf Porquetor geschossen. Er hatte keinen Grund dafür gehabt. Im Gegenteil. Er verdankte dem Stählernen das Leben. Freundschaftliche Gefühle für ihn empfand er jedoch nicht mehr, seitdem er gesehen hatte, was Porquetor angerichtet hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich nicht vorstellen können, mit welcher Grausamkeit dieses Wesen zuschlagen konnte. Für Porquetor mußte der Angriff der Paarlen auf die Feste Grool ebenso belanglos und unbedroh-
H. G. Francis lich sein wie für ihn. Porquetor mußte erkannt haben, daß die Bolzen höchstens ein bißchen Farbe von der Feste abkratzen konnten, mehr aber nicht. Die Gegenreaktion auf den Beschuß war in keiner Weise zu rechtfertigen. »Wir müssen den Toten helfen«, sagte Troton, und es wurde still im Gewölbe. Die Paarlen räumten die herumliegenden Trümmer zur Seite. Einige Frauen holten stabförmige Musikinstrumente aus den Felsspalten hervor und stimmten eine schwermütige Melodie darauf an. Sie bestand aus nur wenigen Tönen und wiederholte sich in verschiedenen Tonlagen und mit unterschiedlichen Tempi immer wieder. Währenddessen banden die Männer den Toten bunte Tücher über die Augen und versahen die Körper mit farbigen Symbolen, von denen die meisten fischförmig waren. Diese Vorbereitungen dauerten etwa eine Stunde. Als sie abgeschlossen waren, hoben die Männer die Toten auf Tragbahren und schleppten sie zu dem unterirdischen Fluß, aus dem sie am Tage zuvor Erdölklumpen ausgewaschen hatten. Sie warfen die Leichen ins Wasser und stimmten einen schrillen Gesang an, der erst verstummte, als alle Toten von den Fluten durch ein Felstor fortgetragen worden waren. »Wo bleiben sie?« fragte Atlan Troton. »Das weiß niemand«, antwortete dieser. »Der Fluß trägt sie fort. Er verschwindet im Boden, und niemand hat je gesehen, ob er wieder nach oben kommt. Wir glauben, daß die Toten ins Reich der ewigen Ruhe eingehen.« Für die meisten Paarlen schien nun vergessen zu sein, was geschehen war. Sie schwatzten fröhlich miteinander, als bestünde keinerlei Gefahr mehr für sie. Atlan, Razamon, Fenrir, Troton und der Dalazaar kehrten in die große Höhle zurück. Auch hier zeigte sich, daß die Paarlen den Schock bereits überwunden hatten. Sie arbeiteten daran, die Hütten wieder aufzubauen.
Porquetor der Stählerne Atlan bemühte sich, aus Dadan ein paar Informationen herauszuholen. »Warum hast du uns geholfen?« fragte er ihn. »Ich hasse Porquetor«, erklärte der Hüter. »Er hat viel Leid über unser Volk gebracht. Er hat meinen Bruder getötet.« »Habt ihr nie versucht, gegen ihn zu kämpfen?« fragte Razamon. Dadan schüttelte den Kopf. »Wir können nicht gegen ihn kämpfen«, erwiderte er. »Niemand kann Porquetor besiegen.« »Das wird sich zeigen«, sagte Razamon. »Du willst mit ihm kämpfen?« Dadans Augen weiteten sich. »Ich will nicht«, entgegnete Razamon nachdenklich, »aber es könnte sein, daß ich dazu gezwungen bin.« »Porquetor hat ein ewiges Leben«, behauptete der Dalazaar. »Niemand kann es auslöschen.« »Das stimmt«, bekräftigte Troton. »Porquetor lebt, solange es Pthor gibt. Seit unendlichen Zeiten. Es gibt viele Legenden über ihn, die bis in die Anfänge der Zeit zurückreichen.« Mehr wußten weder Dadan, noch Troton. Atlan und Razamon stellten noch eine Reihe von Fragen, aber etwas Neues ergab sich aus den Antworten nicht. Atlan bat Troton, ihm die Höhle zu zeigen. Bereitwillig kam der Paarle dieser Bitte nach. Er führte Atlan durch die Gewölbe. Razamon interessierte sich nicht dafür. Er blieb mit Fenrir in der Haupthöhle zurück. Er wollte die Schußanlage näher untersuchen. Atlan merkte bald, daß Razamon die bessere Entscheidung getroffen hatte. Es gab wirklich nicht viel zu sehen, abgesehen von ausgedehnten Pilzbeeten, die die Paarlen in einigen Höhlen eingerichtet hatten, und die ihre Hauptnahrungsquelle darstellten. Wichtig war allein, daß die Höhlen noch zwei weitere Ausgänge hatten. Sie waren allerdings so schmal, daß man sich nur mit Mühe hindurchzwängen konnte. »Porquetor könnte nicht durch sie hineinkommen«, sagte Atlan, als Troton sie ihm
29 gezeigt hatte. »Man müßte den anderen Eingang zerstören.« »Daran haben wir auch schon gedacht, aber wir wissen nicht, wie man das machen kann«, erwiderte der Paarle. Er blickte Atlan hoffnungsvoll an. »Weißt du einen Rat?« »Ich will mich mal umsehen.« Sie kehrten zu Razamon und Fenrir zurück, die im Hauptgewölbe auf sie warteten. Atlan erklärte dem Atlanter seinen Plan. »Das äußere Schott ist ein Panzerschott«, sagte er. »Damit wird Porquetor nicht fertig, wenn wir es blockieren.« »Abwarten«, bemerkte Razamon skeptisch. Zusammen mit dem Arkoniden ging er zum Hauptausgang der Höhlen. Hier untersuchten sie die beiden Schotte und den Gang mit den Leuchtplatten. Fenrir war bei ihnen. Dadan und Troton waren im Hauptgewölbe zurückgeblieben, um bei den Aufbauarbeiten zu helfen. Das äußere Schott war, wie Atlan gesagt hatte, sehr stark gepanzert. Bei ihm war anzunehmen, daß es dem Ansturm Porquetors standhalten würde. »In der Rüstung steckt ein menschliches Wesen«, sagte Atlan. »Davon müssen wir ausgehen. Dieses Wesen lebt seit geraumer Zeit auf Pthor. Hier herrschen etwa die gleichen Gravitationsverhältnisse wie auf Terra. Das bedeutet, daß Porquetor zwar sehr stark sein kann, sich aber nicht etwa mit einem Überschweren oder einem Haluter vergleichen läßt, deren Körper unter dem Einfluß einer wesentlich höheren Gravitation viel größere Kräfte und eine deutlich höhere Widerstandskraft entwickelt haben.« »Klug gesprochen, Lordadmiral«, entgegnete Razamon ironisch. »Solange die Hauptvoraussetzung vom menschlichen Wesen stimmt, ist alles in Ordnung. Porquetor kann aber auch etwas ganz anderes sein.« »Was zum Beispiel?« »Darauf kann ich dir noch keine Antwort geben. Ich weiß es nicht. Und Spekulationen helfen uns nicht weiter. Wichtig ist nur, daß wir jetzt noch keine Maßstäbe festlegen, sonst könnten wir eine böse Überraschung
30 erleben.« Atlan mußte ihm recht geben. Sie wußten in der Tat noch zu wenig über Porquetor. Alles, was sie wußten, hatten sie von dem Dalazaaren und den Paarlen erfahren. Diese aber waren selbst nicht besonders gut über den Stählernen informiert. Troton hatte ihnen von einer Legende berichtet, in der es hieß, daß Porquetor einst zu den Herren der Festung gehört, sich nach einem blutigen Streit aber von ihnen getrennt hatte. Seitdem, so hatte Troton gesagt, lebte er allein auf der Feste Grool, nachdem er die früheren Eigentümer der Feste daraus vertrieben hatte. Dadan, der Dalazaar, hatte erzählt, daß Porquetor als der erste Entdecker der Stahlquelle galt, aus der er auch seine Rüstung und das Breitschwert bezogen haben sollte. Atlan und Razamon hatten noch viele Fragen gehabt. Was tat Porquetor auf der Feste? Hatte ihn je jemand bei einer ungewöhnlichen und nicht kriegerischen Tätigkeit gesehen? Wie oft verließ er die Feste Grool? Lebte er allein dort, oder hatte er Gehilfen? Ging er stets zu Fuß, oder benutzte er hin und wieder einen Reitstier? Hatte je jemand mit ihm gesprochen? Auf all diese Fragen hatten sie nur unklare Antworten bekommen, die Porquetor nur noch rätselhafter erscheinen ließen. Niemand wußte offenbar genau über ihn Bescheid. Es gab auch keinen Priester oder Stammeshäuptling, von dem man sagte, daß er mehr wußte. Sonst hatte Atlan bei seinen Expeditionen in die Weiten des Universums immer irgendwo irgend jemanden aufgespürt, der mehr Informationen besaß als andere. Es gehörte geradezu zu den Kultur der meisten kosmischen Völker, daß es immer jemanden gab, der Wissen besaß, und der dieses Wissen sorgfältig hütete, weil es ihm Macht verlieh. Das Wort Wissen ist Macht hatte Atlan durchaus nicht nur bei den Menschen der Erde angetroffen, sondern überall im Universum. Hier aber schien es niemanden zu geben,
H. G. Francis der durch sein Wissen eine Sonderstellung einnahm. »Ich werde keine Ruhe finden, bevor ich alles über Porquetor weiß«, erklärte Razamon. »Ich auch nicht«, antwortete Atlan. »Und ich werde auch nicht weiterziehen, bevor ich weiß, daß die Paarlen sicherer leben können als bisher.« »Es ist nicht unsere Aufgabe, für Ordnung auf Pthor zu sorgen«, erklärte Razamon. »Soweit ich weiß, willst du das Geheimnis von Pthor klären, und du willst verhindern, daß es immer wieder zu verhängnisvollen Katastrophen kommt, wenn Atlantis auf der Erde auftaucht.« »Vielleicht werden wir bald feststellen müssen, daß Porquetor zu jenen gehört, die für solche Katastrophen verantwortlich sind«, entgegnete Atlan. »Was wissen wir denn schon? Bisher haben wir nur gesehen, was nach außen hin geschieht. Was aber passiert da drinnen in der Feste Grool? Ich glaube nicht daran, daß sie einfach nur eine Art Burg ist, die lediglich dazu dient, Angriffe auf die Bewohner von vornherein so gut wie unmöglich zu machen. Ich glaube, daß die Feste Grool noch mehr in sich birgt als das Geheimnis Porquetors.« »Ich wußte, daß du so etwas sagen würdest«, erwiderte Razamon. »Du kannst nicht an Grool vorbeimarschieren, bevor du dir selbst nicht ein paar Fragen beantwortet hast.« »So ist es. Ich glaube beispielsweise nicht daran, daß Porquetor wirklich schon so alt ist, wie die Legende behauptet.« »Warum nicht? Du und ich sind nicht weniger alt. Warum sollte er es nicht sein?« »Warum die Rüstung? Könnte sich dahinter nicht immer wieder ein anderer Mann verbergen? Diese Maske läßt nicht erkennen, wer hinter ihr steckt, und deshalb hat sie für mich nur einen Sinn, wenn mehrere Männer und Frauen sie benutzen.« Razamon antwortete darauf nicht. Er hatte die Verschalung der elektronischen Schaltung für die Schotte geöffnet. Jetzt tippte er
Porquetor der Stählerne gegen ein Modul. »Wir brauchen es nur herauszunehmen, und das Schott ist blockiert«, sagte er. »Dann nimm es heraus.« Razamon blockierte das äußere Schott. Er verzichtete darauf, auch das innere auf diese Weise zu schließen, weil es schwächer gepanzert war. Sollte es Porquetor gelingen, das erste Schott zu durchbrechen, würde das zweite kaum noch ein Hindernis für ihn sein. »Wo lassen wir das Teil?« fragte der Atlanter. »Einer von den Paarlen sollte das hohe Amt des Modulbewahrers übernehmen. Was meinst du?« Bevor Atlan antworten konnte, stürzte Troton durch einen Spalt herein. »Sie schießen wieder«, rief er verstört. »Ich konnte es nicht verhindern. Dieses Mal wollen sie die Feste Grool zerstören. Sie nehmen leichtere Bolzen, weil sie weiter fliegen. Der Dalazaar Dadan hat es ihnen geraten.« »Diese verdammten Narren«, fluchte Razamon. »Kommt.« Sie eilten durch die Gänge und Felsspalten zu der Grotte zurück, in der nun schon wieder einige notdürftig hergerichtete Hütten standen. Alle Paarlen befanden sich hier. Sie drängten sich um die Sichtluke und begleiteten jeden Schuß mit wildem Geschrei. Atlan sah sofort, daß die Bolzen wirklich besser flogen. Einige Fenster der Feste waren zerschmettert worden, sonst aber waren über diese Entfernung hinweg keine Schäden festzustellen. Ein paar Sekunden, nachdem sie die Höhle erreicht hatten, raste wieder ein Bolzen aus dem Schußkanal. Er traf eines der antennenartigen Gebilde an der Feste Grool und fetzte es hinweg. Grenzenloser Jubel brach unter den Paarlen aus. Selbst Troton warf nun alle Bedenken über Bord. Mit glänzenden Augen stand er vor Atlan und schrie ihm zu: »Noch niemals zuvor haben wir einen solchen Erfolg gehabt. Die Feste Grool fällt! Sie ist besiegt. Porquetor ist erledigt. Wir sind die Großen der Tiefe. Wir sind mächtiger als er.«
31 Atlan ließ die erhobenen Hände resignierend sinken. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte, mit den Paarlen zu diskutieren. In ihrem Erfolgstaumel waren sie nicht mehr ansprechbar. Nun feuerten sie Schuß auf Schuß ab. Dazu benutzten sie schließlich auch die Trümmer, die der Stählerne hinterlassen hatte. Und als sich darunter nicht mehr finden ließ, was als Geschoß zu gebrauchen war, legten sie faustgroße Steine in die Schlußkerbe. Die meisten von ihnen ließen sich tatsächlich hinausschleudern. Und wiederum fiel eines der antennenartigen Gebilde. Dieses Mal war es eines von den beiden an der oberen Seitenkugel. Die Paarlen waren nicht mehr zu halten. Die meisten von ihnen rannten wie besessen in den Höhlen herum, um nach einem Gegenstand zu suchen, der sich als Geschoß eignete. Dabei kam eine Frau auf den Gedanken, einen mit einer öligen Flüssigkeit gefüllten Topf in die Abschußkerbe zu legen. Wenig später wirbelte das Gefäß zur Feste hinüber, zerschmetterte ein Fenster und verursachte ein kleines Feuer, das jedoch schon nach wenigen Sekunden erlosch. Dieser Scheinerfolg war zuviel für die Paarlen. Sie umarmten sich, sangen und tranken, als hätten sie Porquetor vernichtet und damit für alle Zeiten den Frieden gewonnen. Atlan legte Razamon die Hand auf die Schulter. »Komm«, schrie er, um den Lärm zu übertönen. »Wir gehen zum Schott. Ich will wissen, ob Porquetor es schafft, es zu durchbrechen.« Der Atlanter nickte nur. Zusammen mit dem Arkoniden und Fenrir verließ er das Gewölbe. Kopfschüttelnd ging Razamon neben Atlan her. »Seltsam«, sagte er ratlos. »Militärische Erfolge, und seien sie noch so klein, rufen eine Euphorie hervor. Niemand denkt daran, was später kommt.« »Es gibt bald nichts mehr, womit sie
32 schießen können. Und dann ist Ruhe.« »Das glauben die Paarlen wahrscheinlich auch. Aber sie irren sich. Wenn sie nichts mehr haben, was sie als Geschoß benutzen können, müssen sie nach draußen. Sie müssen sich das Material für neue Hütten und für die Gebrauchsgegenstände besorgen. Porquetor hat es gar nicht nötig, zu ihnen in die Höhle zu kommen. Er macht sie draußen fertig.« Razamon blieb abrupt stehen. Sein gelblich schimmerndes Gesicht verzerrte sich. Sie hatten den Anfang eines Ganges erreicht, der etwa dreißig Meter lang war. An den Felswänden brannten drei Fackeln. In ihrem Licht war der Fremde deutlich zu erkennen, der am Ende des Ganges ihnen gegenüberstand. Er trug eine silbrig glänzende Kombination, die seinen Körper hauteng umschloß. Atlan schätzte ihn auf etwa 1,80 Meter. Das Gesicht verbarg sich unter einem Kampfhelm mit dunkler Sichtscheibe. Solche Helme hatten Antigravstreiter getragen. An sie erinnerte sich Atlan noch recht gut. Sie hatten in Großarenen wilde Kämpfe durchgeführt, die in den Jahren um 2340 eine große Rolle auf der Erde gespielt hatten. Atlan erinnerte sich besonders gut an sie, weil es so außerordentlich schwer gewesen war, diese Kämpfe zu verbieten. Sie waren unmenschlich und grausam gewesen, weil sie mit ihren Effekten an die niedersten Instinkte der Menschen appelliert hatten. Doch eine Gruppe von skrupellosen Anwälten hatte es geschafft, das Verbot immer wieder zu verhindern, so daß diese Kämpfe über einige Jahre hinweg zum großen Geschäft hatten werden können. Der rätselhafte Unbekannte trug die mit Dornen besetzten Handschuhe, die zu dieser Ausrüstung gehörte, und er stand auf winzigen Antigravplattformen, die wenige Zentimeter über dem Boden schwebten. Razamon blieb einige Sekunden lang wie erstarrt. In seinem markanten Gesicht arbeitete es. »Nicht«, sagte Atlan mahnend.
H. G. Francis »Beherrsche dich.« Er beobachtete Fenrir, der sich winselnd auf den Boden sinken ließ und keinerlei Anstalten machte, den Fremden anzugreifen. Razamon stieß Atlan zur Seite und rannte los. Dabei riß er sich die Skerzaal von der Schulter, ohne sie jedoch zu spannen. Er wollte sie als Schlagwaffe benutzen. Als er bis auf fünf Meter an den geheimnisvollen Unbekannten herangekommen war, holte dieser leicht aus und hieb seine rechte Faust wuchtig gegen eine vorspringende Felsnase. Die Arkonitstahldornen bohrten sich in den Fels, und dieser zersplitterte zu staubfeinen Partikeln, die Razamon entgegenwirbelten. Es war, als sei ein Geschoß in den Fels gerast. Razamon blieb bestürzt stehen. Er erkannte, daß es chancenlos gegen den Maskierten war. »Verschwinde«, rief er stammelnd. »So verschwinde doch endlich.« Seine sonst so tiefe Stimme klang schrill. Der Fremde schob einen Fuß nach vorn und glitt lautlos auf Razamon zu. Spielerisch leicht schwebte er über den Boden. Razamon hob die Skerzaal über den Kopf. »Noch einen Schritt weiter«, sagte er. »Und dein Ende ist gekommen.« Der Unbekannte ließ sich nicht abschrecken. Atlan bemerkte, daß Razamon zögerte und einen halben Schritt zurück machte. »Sei vernünftig«, rief er dem Freund zu. »Komm hierher, Razamon. Es hat keinen Sinn, mit ihm zu kämpfen.« Abermals schlug der Maskierte die Faust gegen den Fels, und wiederum pulverisierte er ihn. Seine Faust schien aus härtestem Arkonit zu sein, daß sie dieser Belastung standhielt. »Zeig mir dein Gesicht«, schrie Razamon erregt. »Herunter mit der Maske.« Atlan ging entschlossen zu Razamon. Dicht hinter ihm blieb er stehen. Er lud seine Skerzaal, spannte sie und zielte auf die dunkle Sichtscheibe des Helms. »Wir wollen dein Gesicht sehen«, sagte er
Porquetor der Stählerne drohend. »Ich werde dir die Sichtscheibe zerschießen, wenn du dich nicht zeigst.« Der Fremde wandte sich Atlan zu. Es schien, als bemerke er ihn zum erstenmal. Razamon schien für ihn nicht mehr vorhanden zu sein. Er hob eine Hand, und es schien, als ob er etwas sagen wollte. In diesem Moment erreichte Porquetor das Außenschott und versuchte, es zu öffnen. Donnernd schlugen seine Fäuste gegen die Tür. Der Maskierte verschwand so plötzlich, wie er gekommen war.
6. Mächtige Glockenschläge schienen das Höhlensystem bis in den letzten Winkel hinein zu erschüttern. Das ferne Geschrei der Paarlen, die ihren vermeintlichen Sieg feierten, verstummte. Atlan und Razamon blickten sich an. »Jetzt wird es sich zeigen«, sagte der Arkonide. »Komm, wir ziehen uns zurück.« »Ich bleibe«, erklärte Razamon trotzig. Atlan lächelte. »Genügt es nicht, wenn die Paarlen sich heldenhaftes Verhalten einbilden?« Razamons Kopf fuhr herum. Das Gesicht spannte sich für einen kurzen Moment. Er entblößte seine Zähne. »Du hast recht, Lordadmiral«, antwortete er. Sie zogen sich weiter zurück, bis sie das Außenschott gerade noch sehen konnten. Sie beobachteten, wie es bei jedem Schlag erzitterte und erbebte. Um den Rahmen herum platzte Felsgestein und Kunststoffverschalung weg. Darunter wurden Stahlverstrebungen sichtbar, die tief in den Fels hineinführten. »Er schafft es nicht«, stellte der Arkonide fest. »Auf diese Weise nicht.« Troton und einige weitere Paarlen tauchten neben ihnen auf. Wortlos blickten sie auf das Schott. Ihre Gesichter waren bleich und von Furcht gezeichnet. Die Minuten verstrichen. Immer wütender ging Porquetor gegen das Panzerschott vor, aber immer deutlicher
33 zeichnete sich auch ab, daß er es nicht brechen konnte. Dann plötzlich wurde es still. Ein paar kleine Steine fielen von der Decke, und dann hörte Atlan nur noch den keuchenden Atem der Paarlen neben ihm. »Es ist vorbei«, sagte er. »Porquetor hat begriffen, daß er auf diesem Wege nicht mehr in die Höhlen kommt. Sorgt nun dafür, daß er keinen anderen Weg findet.« Die Stimmung schlug um. Plötzlich klang Jubel auf. Vergeblich versuchte Atlan, die Paarlen zur Ruhe zu bringen. Sie brüllten die ganze Anspannung der letzten Stunden aus sich heraus, ohne daran zu denken, daß sie Porquetor dadurch zu weiteren Angriffen provozieren konnten. Der Stählerne ließ sich jedoch nicht herausfordern. Er verhielt sich still. Er wartet darauf, daß jemand töricht genug ist, das Schott zu öffnen, stellte der Logiksektor fest. Niemand wird so dumm sein, widersprach Atlan in Gedanken. Warte nur ab! Einige Minuten verstrichen. Die meisten Paarlen zogen sich zurück. Auch Razamon war bereits gegangen. Plötzlich trat ein Paarle, der ein auffallend wuchtiges Geweih hatte, auf Atlan zu und streckte ihm fordernd die Hände entgegen. Siehst du! »Gib es mir«, sagte der Mann. Atlan schüttelte den Kopf. »Eher würde ich es zerstören«, antwortete er. »Porquetor steht da draußen vor der Tür. Glaubst du wirklich, daß ich zulassen werde, daß du die Tür jetzt öffnest? Ganz bestimmt nicht. Ihr werdet einen Priester aus eurer Mitte wählen, den ich in das heilige Amt des Türverantwortlichen einweisen werde. Er wird die Macht über das Schott aus meinen Händen erhalten. Niemand sonst.« Der Paarle ließ sich augenblicklich beeindrucken. In seinen Augen leuchtete es begierig auf. Das genannte Priesteramt war mit Macht verbunden, und das gefiel ihm. »Bestimme mich dazu«, rief er.
34 »Das werde ich nicht tun«, entgegnete der Arkonide entschlossen. »Ihr Paarlen werdet selbst entscheiden.« Damit ließ er den Mann stehen und kehrte in die Haupthöhle zurück, in der sich mittlerweile fast alle Bewohner eingefunden hatten. Hier wiederholte er seinen Vorschlag und empfahl Troton für das Priesteramt. Der Paarle mit dem mächtigen Geweih, der das Amt von ihm gefordert hatte, blickte ihn drohend an, aber Atlan ignorierte ihn. Troton sprang auf einen kleinen Holzstapel und hielt eine kurze Rede, in der er bewies, daß er die Problematik des neuen Amtes voll und ganz begriffen hatte. Ihm ging es nicht um die Macht, sondern um die Verantwortung. Der Paarle mit dem wuchtigen Geweih wandte sich anschließend an die Bewohner des Höhlensystems. Er war jedoch ungeschickt genug, durchblicken zu lassen, wie er das Amt sah. Bei der darauf folgenden Wahl fiel er durch. Troton erhielt vier Stimmen mehr als er. Atlan zog sich nun mit ihm zum Schott zurück, während Razamon und Fenrir darüber wachten, daß sie niemand belauschen konnte. Fenrir vertrieb knurrend und fauchend einige neugierige Paarlen, die durch bisher verborgen gebliebene Felsspalten versuchten, in die Nähe des Schottes zu kommen. Geduldig unterwies Atlan den neuen Priester in sein Amt. Er zeigte ihm immer wieder, wie das Modul eingesetzt werden mußte, wie die Elektronik geschlossen wurde, und wie man sie absicherte. Er hütete sich jedoch, das Schott zu öffnen. Erst als er absolut sicher war, daß Troton alles begriffen hatte, überreichte er ihm das Modul. »Wir müssen einen Behälter dafür herstellen«, sagte er, »damit es nicht feucht und schmutzig wird. Am besten trägst du es immer bei dir. Und bilde rechtzeitig einen Vertreter und Nachfolger aus, der das Amt übernehmen kann, wenn sich dein Leben dem Ende zuneigt.«
H. G. Francis Du mußt ihm eine einfache Zeichnung anfertigen, signalisierte der Logiksektor. Porquetor kann ihn täglich erwischen. Ein Nachfolger muß dann aus der Zeichnung ersehen können, was zu tun ist. Gegen diese Feststellung war nichts einzuwenden. Das Leben auf Pthor war so gefährlich, daß niemand langfristige Pläne aufstellen konnte, der nicht so mächtig war wie beispielsweise Porquetor. Nun aber erhob sich das Problem, Papier oder etwas vergleichbares in ausreichender Qualität und eine entsprechende Tinte aufzutreiben. Atlan diskutierte einige Stunden lang zusammen mit Fenrir, Troton und Dadan über diese Fragen, obwohl der Dalazaar von Anfang an eine Antwort parat hatte. Es gab ein weißes, hauchdünnes Leder mitten im Windmühlenfeld in einem Wachhaus. Dort war auch der Extrakt aus Aalblut enthalten, der sich als Tinte gut eignete. Dadan schwor, daß sich eine Schrift mit dieser Tinte auf diesem Leder ewig hielt. Er behauptete, beim Volk der Dalazaaren seien Berichte vorhanden, die über dreitausend Jahre alt seien, und die man dennoch mühelos lesen könne, weil die Schrift nicht verblaßt und das Leder nicht zerfallen sei. Atlan mochte sich jedoch nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß sie zu den Dalazaaren zurückkehren sollten, nachdem sie ihnen mit der Hilfe Dadans entkommen waren. Er suchte nach einer anderen Möglichkeit, fand jedoch auch in stundenlanger Arbeit keine, die wirklich befriedigte. »Also gut«, stimmte er endlich zu. »Wir gehen zurück.«
* Die Nacht war dunkel und sternenlos. Atlan konnte zunächst überhaupt nichts sehen, als sie das Höhlensystem durch einen schmalen Felsspalt verlassen hatten. Er hatte das Gefühl, unter einem lichtundurchlässigen, schwarzen Tuch zu stehen. »Die Luft ist rein«, sagte Troton. »Ich sehe nichts«, bemerkte Razamon un-
Porquetor der Stählerne ruhig. »Verdammt, was ist, wenn Porquetor uns hier irgendwo auflauert. Wir könnten uns doch nicht einmal wehren.« »Er ist nicht da«, beteuerte der Paarle. »Niemand hält sich in unserer Nähe auf.« »Bei dieser Dunkelheit kannst du doch gar nichts sehen«, entgegnete Dadan. »Wir Paarlen können bei diesem Licht fast so gut sehen wie am Tage«, erklärte Troton. Ihm war anzuhören, daß er sich über seine Überlegenheit freute. Seine Nachtsichtigkeit war etwas, was ihn über die anderen erhob. »Ihr könnt euch auf mich verlassen. Es ist wirklich alles in Ordnung.« Fenrir hielt sich dicht bei Atlan. Auch er konnte sich in dieser Dunkelheit nicht gut orientieren. Troton streckte seine Hände aus. »Folgt mir«, sagte er. »Ich führe euch.« Atlan ergriff seine linke Hand und ging hinter ihm her. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Konturen wurden sichtbar, die ihm vorher verborgen geblieben waren. Er entdeckte Hindernisse und wich ihnen aus, noch bevor Troton ihn darauf aufmerksam machte. Auch die anderen fühlten sich nach und nach sicherer, so daß die Gruppe immer schneller vorankam. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde marschiert waren, zogen die Wolken ab, und die Sterne kamen durch. Die Feste Grool schälte sich aus der Dunkelheit. Sie war noch etwa fünfhundert Meter von ihnen entfernt. Und dann merkte Atlan, daß sie bereits mitten im Windmühlenfeld waren. Er vernahm das Schnauben eines Reitstiers, der nicht weit von ihm entfernt sein konnte. »Da drüben ist das Wachhaus«, sagte Troton und zeigte in eine Richtung, in der die anderen überhaupt nichts erkennen konnten. Vorsichtig gingen sie weiter. Kurz darauf sah Atlan etwas im Gras aufblitzen. Es war, als leuchte für einen Sekundenbruchteil eine winzige Lampe auf. Er blieb stehen. »Troton«, sagte er unruhig. »Ich habe etwas aufblitzen gesehen.« Der Paarle blieb
35 stehen. »Nicht bewegen«, flüsterte Dadan. »Was ist los?« fragte Razamon. »Skorpionwürmer«, antwortete der Dalazaar. »Hin und wieder sichern wir das Wachhaus mit ihnen ab.« Troton zog sich furchtsam einige Schritte weit zurück. Auch der Fenriswolf blieb nicht bei Atlan. Lautlos verschwand er in der Dunkelheit. »Wenn der Schamane das Zwiegespräch mit den Göttern aufnimmt, streut er Skorpionwächter um das Lager, damit ihn und seine Gläubigen niemand stören kann. Wer sich dem Lager in dieser Zeit nähert, stirbt, wenn er in die Skorpionfalle gerät. Und niemand entgeht dieser Falle, es sei denn, daß er Napham hat.« »Zum Teufel, was ist das nun wieder?« fragte Razamon. »Der Blütenstaub der Naphampflanze«, erwiderte der Dalazaar. »Er betäubt die Skorpionwürmer, so daß man sie einsammeln und für das Blasrohr verwenden kann.« Atlan begriff. Die Dalazaaren hatten sich in den Besitz einer ungewöhnlich gefährlichen Waffe gebracht, die eine bessere Sicherung für sie darstellte als jede Wache. Aber nicht nur das. Sie benutzten die Skorpionwürmer auch als Geschosse, indem sie sie in ein Blasrohr steckten und mit dem Giftstachel voran abschossen. Es überlief ihn kalt, als er sich vorstellte, daß irgendwo vor ihnen in der Dunkelheit vielleicht ein Dalazaar stand und mit einem auf diese Weise präparierten Blasrohr auf sie zielte. »Wie bekommen wir den Blütenstaub?« fragte Atlan. »Und wieso müssen wir uns vor den Skorpionwürmern in acht nehmen, während die Dalazaaren im Lager sich vor ihnen nicht zu fürchten haben?« »Napham müssen wir sammeln. Ich weiß eine Stelle, an der viel davon vorhanden ist. Es ist nicht weit«, erwiderte Dadan. »Meine Brüder im Lager brauchen sich nicht vor den Würmern zu fürchten, weil niemand von ih-
36 nen auf den Gedanken kommen würde, sich ihnen mitten in der Nacht zu nähern. Die Würmer bleiben bei den Honignestern, die der Schamane angelegt hat. Wenn es hell ist, betäubt er sie und sammelt sie ein.« »Wir wollen uns beeilen«, entschied Atlan. »Je früher wir diesen Blütenstaub haben, desto besser.« »Lohnt sich der ganze Aufwand?« fragte Razamon. »Läßt sich das alles nicht auch viel einfacher bewerkstelligen?« »Wir bleiben bei unserem Plan«, entschied Atlan. »Führe uns, Dadan.« Razamon war nicht mit der Entscheidung Atlans einverstanden. Er wäre viel lieber direkt zur Feste Grool gezogen, weil er hoffte, hier Hinweise zu finden, die Aufschluß über seine Vergangenheit gaben. Er beugte sich jedoch dem Willen des Arkoniden, als dieser Dadan folgte. Leise fluchend schloß er sich ihm an. Dadan wußte in dieser Gegend gut Bescheid. Er schien jeden Stein und jeden Strauch zu kennen. Sicher umging er jedes Hindernis, obwohl der Paarle ihm kaum half. Als sie etwa zweihundert Meter vom Wachhaus der Dalazaaren entfernt waren, gesellte sich Fenrir wieder zu ihnen. Atlan begrüßte ihn mit einem Schnalzen der Zunge. »Er hat einige Hyänen verjagt«, berichtete Troton. »Ich habe es deutlich gesehen. Sie hätten uns gefährlich werden können.« Wenig später erreichten sie ein mit duftenden Büschen bewachsenes Gebiet. »Wir müssen ein paar Äste anstecken, damit wir etwas sehen können«, sagte Troton. Er kramte in seinen Taschen herum. Dann flammte ein Zündholz auf, und kurz darauf brannte ein großer Ast in seinen Händen. Er reichte ihn Atlan und entzündete zwei weitere Äste, von denen er einen Razamon gab, während er den anderen selbst behielt. Er bat Troton, die Wache zu übernehmen, weil er am besten sehen konnte. Dann zeigte er Atlan die Naphamblüten. Sie erinnerten den Arkoniden an terranische Orchideen. In kirschgroßen Beuteln befand sich der Blü-
H. G. Francis tenstaub. Die Behälter ließen sich leicht von den Blüten ablesen. »Laßt euch nicht von den Bienen stechen«, warnte der Dalazaar. »Das gibt unangenehme Wunden.« Es tauchten jedoch kaum Bienen auf, und Atlan ließ alle Blüten unberührt, an denen diese Insekten hingen. Nach einer knappen Stunde hatten sie genügend Blütenstaub gesammelt. Dadan schnitt nun von einer bambusähnlichen Pflanze ein zwei Meter langes Stück ab und erhitzte es über der Flamme. Weißes Mark floß heraus. Er ließ es achtlos auf den Boden fallen. Einige Minuten später hatte er alles Mark entfernt, so daß er über ein Blasrohr verfügte. Er füllte es mit dem Blütenstaub, nachdem er es auf einer Seite mit etwas Mooskraut verstopft hatte. So ausgerüstet, machte er sich auf den Rückweg. Es war mittlerweile ein wenig heller geworden, so daß die anderen nicht mehr darauf angewiesen waren, daß der nachtsichtige Paarle sie führte. Einige Raubvögel strichen dicht über die Köpfe der Männer hinweg, verzogen sich jedoch wieder, als Fenrir knurrend in die Höhe sprang und nach ihnen schnappte. Vorsichtig näherten sie sich dem Wachhaus der Dalazaaren, bis Dadan die Arme hob und ihnen hieß, zurückzubleiben. Gebückt pirschte er sich näher heran. Es war nun bereits so hell, daß Atlan die Reitstiere sehen konnte, die neben dem Wachhaus auf dem Boden lagen und schliefen. Sie waren mit schweren Ketten gefesselt. Etwa fünfzig Meter vom Wachhaus entfernt richtete Dadan sich auf und hob das Blasrohr an den Mund. Er blies kräftig hinein, und eine Wolke gelben Blütenstaubs wehte auf die Wachstation zu. Sie senkte sich allmählich ins Gras. Dadan wartete einige Minuten, dann pustete er abermals in das Rohr, zielte aber in eine andere Richtung. Nach wiederum einigen Minuten entleerte er das Rohr völlig. Dann winkte er Atlan und seinen Begleitern
Porquetor der Stählerne zu. »Ihr könnt kommen«, rief er mit gedämpfter Stimme. Sie schlossen zu ihm auf. Er ging vor ihnen her, und sie blieben in seiner Spur, wobei sie versuchten, einige Skorpionwürmer zu finden. Das gelang ihnen jedoch nicht. Dazu war es noch zu dunkel. Ungehindert erreichten sie das Wachhaus. Laute Schnarchtöne verkündeten davon, daß die Dalazaaren schliefen. »Ich gehe allein hinein«, sagte Dadan. »Wir gehen alle«, entgegnete Atlan. »Einer sichert den anderen ab, damit es keine Katastrophe gibt, wenn einer von deinen Freunden zu früh aufwacht.« Er selbst blieb direkt hinter dem Dalazaaren, als dieser die Tür öffnete. Ein strenger Geruch schlug ihnen entgegen. Razamon hielt sich die Nase zu. »Muß ich wirklich hineingehen?« fragte er. »Du kannst hier an der Tür stehenbleiben«, antwortete der Arkonide. »Schließlich will ich dich nicht in akute Lebensgefahr bringen.« »Mich wundert nur, daß da drinnen etwas überleben kann«, entgegnete Razamon grinsend. »Ich verstehe nicht«, sagte Dadan. »Wovon sprecht ihr?« Atlan schob ihn wortlos in die Hütte hinein. Der Innenraum, in dem die Dalazaaren schliefen, war etwa hundert Quadratmeter groß. Atlan schätzte, daß darin wenigstens neunzig Männer lagen und schliefen. Unter diesen Umständen war es nicht verwunderlich, daß die Luft nicht gut war. Dadan eilte lautlos durch das Halbdunkel. Er wußte genau, wie er gehen mußte, damit er niemanden aufweckte. Doch dann geschah etwas, womit niemand hatte rechnen können. Einer der Reitstiere brüllte schmerzerfüllt auf, sprang hoch und zerrte mit aller Gewalt an seinen Ketten. Seine Reaktion veranlaßte wiederum Fenrir zu wütendem Knurren. Die anderen Stiere erwachten und stimmten in das Gebrüll ein.
37 Der Lärm schreckte die Dalazaaren hoch. Atlan und Dadan rannten zum Ausgang zurück. Sie wollten an Razamon vorbei, doch dieser riß sie zurück. Im gleichen Augenblick erkannten sie auch, warum. Die Panzerstiere drängten sich vor dem Eingang zusammen. Sie hatten Troton und den Fenriswolf eingekesselt. Beide reagierten blitzschnell und richtig. Der Paarle schnellte sich hoch auf den Rücken eines Stieres. Von dort aus sprang er dem nächsten Tier auf den Rücken und erreichte dann Atlan. Der Wolf raste geduckt unter den Leibern der Stiere hindurch, bevor sie ihn mit ihren Hörnern aufspießen konnten. Nun warfen sich die Dalazaaren auf die Eindringlinge. Sie überwältigten sie innerhalb weniger Sekunden. Fenrir erhielt einen Schlag mit einer Eisenstange über den Kopf. Er brach zusammen und blieb regungslos liegen. Dadan tat so, als sei er soeben erst von einem erfolglosen Jagdausflug zurückgekommen. Wütend wies er die Behauptung zurück, er habe etwas mit Atlan und seinen Begleitern zu tun. Die Dalazaaren verließen den Raum und sperrten Atlan, Razamon und Troton darin ein. Fenrir ließen sie draußen liegen. »Verdammt, ich habe es gewußt«, rief Razamon ärgerlich. »Es war ein Fehler, hierher zurückzukehren.« Der Arkonide blieb gelassen. »Sei nicht so pessimistisch«, sagte er und rieb sich die Schulter. Die Wunde war noch nicht völlig verheilt und juckte leicht. »Dadan ist frei. Er wird uns noch einmal befreien. Davon bin ich fest überzeugt. Inzwischen werden wir nach dem Leder und der Tinte suchen.« Razamon weigerte sich, sich daran zu beteiligen. »Glaubst du denn wirklich, daß sie uns ausgerechnet bei diesem Zeug einsperren?« fragte er. »Warum denn nicht?« Atlan lachte leise. »Sei nicht unlogisch, Freund. Die Dalazaaren haben keine Ahnung, was wir hier wol-
38 len. Sie können nicht wissen, daß wir es auf Tinte und ein Stück Leder abgesehen haben.« Razamon biß sich auf die Lippen. Offensichtlich belastete ihn die Situation, in der sie sich befanden, außerordentlich stark. Nach zehntausend Jahren war er nach Pthor zurückgekehrt. Jetzt zog es ihn mit aller Macht in das Gebiet, das er für seine Heimat hielt. Zögernd zunächst, dann aber immer eifriger beteiligte er sich an der Suche, und er war es auch, der sowohl das Leder als auch die aus Pthor-Aalen gewonnene Tinte fand. Triumphierend hielt er sie hoch. Atlan nahm sie entgegen, setzte sich mit Troton zusammen und fertigte geduldig die Zeichnungen an, wobei er erneut erklärte, wie das Modul zu behandeln war. Einige Stunden gingen darüber hin, bis Atlan endlich zufrieden war. Troton steckte das Leder ein. Kurz darauf wurde es vor dem Gebäude laut. Die Tür flog auf, und mehrere Dalazaaren warfen den übel zugerichteten Dadan in den Raum. Er stürzte zu Boden und blieb stöhnend liegen. Die Tür schloß sich wieder. Atlan beugte sich über den Dalazaaren und drehte ihn auf den Rücken herum. Dadan blutete aus zahlreichen Wunden. Sein Gesicht war durch Schwellungen so stark entstellt, daß er kaum noch zu erkennen war. »Man hat ihn nach Strich und Faden verprügelt«, stellte Razamon fest. »Wahrscheinlich ist man ihm auf die Schliche gekommen.« »Es sieht so aus«, stimmte Atlan zu. Er hielt den Kopf Dadans. »Was ist passiert?« »Sie haben die Spuren gefunden«, antwortete der Gefolterte mühsam. »Sie wissen alles.« Er richtete sich auf. Troton reichte ihm etwas Wasser, das er aus einem Gefäß in der Ecke des Raumes entnahm. »Zwei Boten sind zu Porquetor unterwegs«, fuhr der Dalazaar fort. »Wir müssen von hier verschwinden.« Razamon lachte grimmig. »Das ist leicht gesagt, Freund. Ich sehe
H. G. Francis vorläufig nicht, wie wir hier herauskommen sollen.« »Wir müssen es durch das Dach versuchen«, erklärte Dadan. »Es ist viel schwächer gebaut als das von der Hütte, in der ihr vorher eingesperrt wart.« »Was war mit dem Stier los?« fragte Atlan. »Wieso hat er plötzlich so einen Lärm gemacht?« »Er ist von einem Skorpionwurm gestochen worden«, antwortete Dadan. »Er ist tot. Wir haben seinen Todesschrei gehört.« Atlan fuhr ein Schauer über den Rücken, als ihm bewußt wurde, wie stark das Gift der Skorpionwürmer sein mußte, wenn es ausreichte, diese riesigen Panzerstiere zu töten. »Also los, fangen wir an«, sagte er. »Wenn ihr es schafft, werde ich einen Stier besorgen, mit dem wir fliehen können«, versprach der Dalazaar. »Seht aus dem Fenster. Dort steht ein Tier. Es hat nur halbe Hörner. Es gehört mir, und es gehorcht meinen Befehlen.« Atlan stieg auf den Rücken Razamons, so daß er die Decke mit den Händen erreichen konnte. Sie bestand aus einfachen Brettern, die nebeneinander gelegt, aber nicht miteinander verbunden waren. Durch die Spalten konnte er die Dachkonstruktion sehen, die ebenfalls nur aus stufenförmig übereinander gelegten Brettern bestand. Direkt über den Brettern der Decke verliefen mehrere armdicke Kabel. Atlan schob ein Brett zur Seite und prüfte die Isolation des Kabels. Sie war schlecht, und in seinen Augen war es ein kleines Wunder, daß diese Hütte noch nicht abgebrannt war. Er ließ sich auf den Boden herunter und berichtete den anderen, was er herausgefunden hatte. »Ich werde das Isoliermaterial abbrennen und dann ein Eisenstück auf die blanken Stellen fallen lassen«, schloß er. »Das gibt einen herrlichen Kurzschluß, bei dem das halbe Dach wegfliegt. Der Rest ist ein Kinderspiel.« »Vorausgesetzt, wir leben dann noch«,
Porquetor der Stählerne sagte Razamon. Er blickte auf die Holztür und hieb die rechte Faust klatschend in die linke Hand. »Ich könnte die Tür zertrümmern. In der richtigen Stimmung befinde ich mich.« »Die Dalazaaren wären schnell hinter uns her«, wehrte Atlan ab. »Wenn aber die Hütte brennt und ein Teil des Energieversorgungssystems zusammenbricht, haben die Dalazaaren andere Sorgen, als sich um uns zu kümmern.« »Das ist richtig«, sagte Dadan. »Das ist der beste Weg.« Er reichte Atlan einen Zündstein und ein gelbliches Pulver. Er verstreute etwas von dem Pulver auf die Kabel, nachdem Razamon ihn erneut hochgehoben hatte, und schlug mit einem stählernen Zündstift Funken aus dem Stein. Das Pulver entflammte augenblicklich, und das Isoliermaterial fing Feuer, so wie Atlan es erwartet hatte. Es brannte auf einer Strecke von etwa einem halben Meter ab, dann erlosch es wieder. Der Arkonide blies die Asche hinweg. Darunter zeigte sich blankes Metall. Atlan nahm nun einen Holzbalken und eine kurze Eisenstange, legte diese quer über das Ende des Balkens und hob damit das Eisen vorsichtig hoch. Er führte es zwischen den beiden Kabeln hindurch und ließ es dann fallen. Ein grellweißer Blitz schoß krachend aus den Kabeln. Das Eisen glühte auf. Das Holz fing Feuer, und ein Teil des Daches wurde von der Wucht des Kurzschlusses hinweggeschleudert. Troton warf sich stöhnend auf den Boden. Er preßte zunächst das Gesicht auf die Erde, dann aber blickte er Atlan mit geweiteten Augen an. Der Arkonide packte ihn am Arm und riß ihn hoch. »Das hat nichts mit göttlicher Kraft zu tun, Troton«, sagte er. »So etwas wirst du vielleicht auch bald lernen.« »Du bist einer von den Großen«, sagte der Paarle stammelnd. Atlan antwortete nicht. Es eilte zu einem Fenster und blickte hinaus. Der Kurzschluß
39 hatte die umliegenden Windmühlen lahmgelegt. Zwei von ihnen brannten. Von allen Seiten eilten die Dalazaaren herbei und versuchten, die Generatoren zu retten. »Es wird Zeit, daß wir verschwinden«, bemerkte Razamon. »Oder wollt ihr hier noch lange herumstehen und bewundern, was ihr angerichtet habt?« »Eigentlich nicht«, entgegnete Atlan. »Ich bin mehr dafür, daß wir uns auf die Socken machen.« Geradezu spielerisch leicht schnellte Razamon sich zum Dach hinauf, das nur auf einer Seite der Hütte brannte. Danach hielt er Atlan eine Latte herunter. Dieser ergriff sie, und Razamon zog ihn mit einer schwungvollen Bewegung nach oben. Anschließend hob er Dadan und Troton auf die gleiche Weise hoch. Sie sprangen auf den Boden herab und nahmen ihre Waffen auf, die auf einem Ablagegestell in der Nähe der vierfach verriegelten Tür lagen. Bei den Dalazaaren hatte niemand damit gerechnet, daß die Gefangenen ausbrechen könnten, obwohl das schon einmal geschehen war. Bis auf ein Messer Dadans waren alle Waffen da. Sogar das Blasrohr lehnte an der Wand. Dadan nahm es an sich und stürmte dann voran zu einem mächtigen Panzerstier. Auf dem Weg dorthin schrie er dem Tier Befehle zu. Als er es erreicht hatte, löste er die Ketten und rief Atlan und den anderen zu: »Steigt auf. Schnell.« Er selbst schwang sich dicht hinter dem Kopf auf den Rücken des Stieres und packte ihn bei den gestutzten Hörnern. Atlan setzte sich hinter ihn. Ihm folgte Razamon, und den Abschluß bildete Troton. Dadan stieß einen gellenden Schrei aus. Der Stier stürmte los. Atlan blickte zurück. Die Flammen hatten mittlerweile die gesamte Hütte erfaßt, doch die Dalazaaren kümmerten sich nicht um sie oder um die flüchtenden Gefangenen. Ihre einzige Sorge galt den Windmühlen. Atlan tippte Dadan an, nachdem der Stier
40 sie etwa zwei Kilometer weit getragen hatte. »Vergiß nicht, daß wir zur Feste Grool wollen«, rief er. »Wir werden es durch die Schneise versuchen«, antwortete der Dalazaar. »Dort werden wir bestimmt nicht behindert.« Wenig später fiel das Land ab. Dadan trieb den Stier in einen Hohlweg hinein, der auf beiden Seiten von hochwachsenden Nadelbäumen begrenzt wurde. Die Äste ragten so weit über die Kanten des Weges hinweg, daß sie sich hoch über den Köpfen der vier Männer berührten. »Und ich?« schrie Troton protestierend. »Was wird aus mir? Ist euch klar, daß ich zu den Höhlen zurück muß? Was soll ich auf der Feste Grool?« Dadan riß den Kopf des Stieres mit einem Ruck nach hinten. Das Tier gehorchte auf einen knappen Zuruf und hielt schnaubend an. »Wir haben einige Umwege gemacht heute nacht«, erklärte Dadan gelassen. Er streckte einen Arm aus und zeigte auf einige rot blühende Büsche. »Geh dort entlang«, riet er dem Paarlen. »Nach ungefähr einer Stunde kommst du zu dem großen Blutbaum, der bei den vier Felsen steht.« »Von dort an finde ich den Weg allein«, antwortete Troton, sprang ab, verneigte sich vor Atlan und sagte: »Ich danke dir, Großer. Du hast mein Volk gerettet. Hoffentlich sehen wir uns nicht wieder.« »Du willst mich nicht wiedersehen?« fragte Atlan ebenso verblüfft wie belustigt. Troton schüttelte den Kopf und griff sich mit einer Hand an das Geweih. »Nein, Großer«, erklärte er. »Denn an dir klebt die Gefahr. Wenn wir uns wiedersehen, dann würde das abermals eine große Gefahr für mein Volk bedeuten, das aber möchte ich vermeiden.« »Du meinst also, daß ich eine Gefahr für dein Volk bedeute?« »Du selbst nicht«, antwortete der Paarle. »Aber es ist nun einmal dein Schicksal, daß dir die Gefahr stets nahe ist, ob du willst
H. G. Francis oder nicht.« »Da ist etwas Wahres dran«, sagte der Arkonide nachdenklich. Er strich sich das silberweiße Haar aus der Stirn. »Mach's gut, Troton.« »Mach's besser, Atlan.« Der Paarle neigte den Kopf, fuhr dann herum und eilte davon, ohne die anderen zu beachten. Als er den blühenden Busch erreichte, tauchte dort plötzlich Fenrir auf. Troton stutzte kurz, lief dann aber weiter, ohne den Wolf zu beachten. Fenrir knurrte und zog die Lefzen hoch. Er ließ den Paarlen jedoch vorbei und trottete langsam zu Atlan hinüber. Dieser begrüßte ihn mit einem Schnalzen der Zunge. »Ich hatte kaum noch gehofft, dich wiederzusehen«, sagte er. Dadan trieb den Stier an.
7. Als sie aus dem Hohlweg herauskamen, waren sie nur noch etwa zweihundert Meter von der Feste Grool entfernt. Das Gebiet war hügelig und unübersichtlich. Hohe Bäume und dichte Büsche bildeten Barrieren, die teils undurchdringlich waren, und die selbst der Stier nicht durchbrechen konnte. Dadan kannte sich hier jedoch gut aus. Er lenkte das Reittier über einige Hügel hinweg zu einer Bodenrinne, die direkt zur Feste Grool führte. Am Boden der Rinne lagen vier armdicke Kabel, die vom Windmühlenfeld hinauf zur Feste führten. Atlan blickte zum Windmühlenfeld hinüber. Das Feuer hatte mittlerweile etwa die Hälfte aller Windmühlen erfaßt. »Das ist nicht gerade das, was wir uns vorgestellt hatten«, sagte Razamon. »Nein. Wirklich nicht«, stimmte Atlan zu. »Ich hatte nicht vor, die Windmühlen zu vernichten.« »Moralische Bedenken?« fragte Razamon spöttisch. »Ein wenig«, gab der Arkonide zu. »Ich finde es nicht gut, wenn wir eine Spur der Zerstörung hinter uns lassen.«
Porquetor der Stählerne »Die Dalazaaren hätten uns nicht einsperren sollen«, erwiderte Razamon. »Wir haben ihnen keinen Grund gegeben, uns anzugreifen. Wir haben sie nicht provoziert.« »Das ist richtig«, sagte Dadan. Er schürzte verächtlich die dunklen Lippen und zeigte über die Schulter hinweg zur Feste Grool hinauf. »Porquetor ist schuld. Er ist der große Zerstörer. Nun hat es ihn selbst einmal getroffen.« »Weiter«, befahl Atlan. »Wir wollen uns nicht länger aufhalten, als unbedingt nötig.« Fenrir wurde plötzlich unruhig. Er rannte vor dem Stier hin und her, als wolle er ihm den Weg versperren. Seine Nackenhaare sträubten sich, und er senkte den Kopf lauernd bis auf den Boden herab. »Was ist los, Fenrir?« fragte Atlan. »Irgend jemand kommt«, sagte der Dalazaar. Im Gehölz krachte es, und zwischen den Blättern blitzte es metallen auf. »Nein«, sagte Razamon stöhnend. »Nicht schon wieder!« Atlan ließ sich vom Rücken des Stieres gleiten. Er entfernte sich einige Schritte von den anderen und ging zu Fenrir. Beruhigend sprach er auf ihn ein, doch der Fenriswolf stürmte plötzlich voran. Die hundert Schritte, die sie noch von dem Unbekannten trennen, überwand er in wenigen Sekunden. Er verschwand im Gebüsch und stürzte sich heulend auf die metallene Gestalt. Äste zersplitterten krachend. Fenrir jaulte. Atlan und seine Begleiter hörten, daß er sich immer wieder auf das Wesen im Gehölz stürzte, und sie vernahmen ein eigenartiges Pfeifen, wie es entsteht, wenn jemand einen dünnen Gegenstand durch die Luft schlägt. Hin und wieder folgten dumpfe Schläge diesem Pfeifen. Und einige Male heulte Fenrir kläglich auf. Dann wurde es still. Einige Minuten verstrichen. Atlan wollte schon losgehen, um nachzusehen, was mit dem Fenriswolf passiert war, als sich die Blätter teilten und die metallene Gestalt aus dem Dickicht hervortrat.
41 Es war Porquetor! Atlan blickte Razamon an. Auf dessen schmalem Gesicht zeichnete sich maßlose Überraschung ab. Er hatte einen anderen erwartet. Porquetor hob das Breitschwert. Als er sich Atlan näherte, bemerkte dieser, daß es für einige Sekunden aufglühte, als sei es mit Energie geladen. »Ich hoffe, wir können friedlich miteinander verhandeln«, sagte Atlan. Er wich zwei Schritte zurück, um den Abstand zwischen ihm und dem Stählernen beizubehalten. »Du hast uns vor den Raubschweinen gerettet, Porquetor. Das muß einen Grund gehabt haben.« Er hoffte, daß diese Worte eine Wirkung auf Porquetor erzielen würden, aber er irrte sich. Er wirkt schwerfällig, stellte der Logiksektor fest und diagnostizierte: Extrapyramidale Störungen. Tatsächlich sah es so aus, als könne der Stählerne die Bewegungsabläufe seines Körpers nicht mehr so perfekt steuern wie sonst. Hatte Fenrir ihn verletzt? Atlan konnte keine Blutspuren erkennen. Der Stahlpanzer schien überall voll intakt zu sein. Razamon sprang vom Rücken des Stieres herab. Dadan stieß einen gellenden Schrei aus. Er packte die Hörner seines Panzerstiers und drückte sie nach vorn. Schnaubend und brüllend griff das gewaltige Tier Porquetor an. Dieser blieb stehen. Atlan glaubte zu sehen, wie es hinter den Sehschlitzen aufblitzte. Dann fuhr die Rechte mit dem Breitschwert hoch. »Vorsicht, Dadan«, schrie Atlan. Der Dalazaar schnellte vom Rücken seines Stieres zur Seite. Porquetor wich den zustoßenden Hörnern mit einer geschickten Bewegung aus. Im nächsten Moment wirbelte das Breitschwert pfeifend durch die Luft, verfehlte Dadan jedoch. Der Dalazaar stürzte zu Boden und prallte mit dem Kopf gegen einen Stein. Bewußtlos
42 blieb er liegen. Mit unglaublich schneller Bewegung schlug Porquetor erneut zu, während der Panzerstier noch an ihm vorbeistürmte. Und mit dem zweiten Schlag traf er ihn am hinteren Schenkel. Das Tier bäumte sich schmerzgepeinigt auf und raste davon. Nun standen Atlan und Razamon dem vielfach überlegenen Gegner allein gegenüber. »Schieß auf den Teufel«, schrie der Atlanter in höchster Erregung. Er riß seine Skerzaal an die Schulter und feuerte sie ab. Er traf den Stählernen an der Brust, doch der Bolzen glitt wirkungslos von ihm ab. Atlan hob seine Skerzaal. Porquetor marschierte mit aufglühendem Breitschwert auf ihn zu. Ruhig zielte der Arkonide auf die Augenschlitze. Diese erschienen ihm als die schwächsten Stellen der Panzerung. Als Porquetor noch etwa fünf Meter von ihm entfernt war, gab Atlan die Sehne frei. Sie schoß nach vorn und schob den Stahlbolzen mit wachsender Beschleunigung vor sich her. Das Geschoß traf das angepeilte Ziel auf den Millimeter genau, doch der Erfolg war ebenso gering wie zuvor bei Razamon. Der Bolzen prallte von dem transparenten Material der Sehschlitze ab und wirbelte davon. Nun stürzte sich Razamon zwischen ihn und den Stählernen. Aus einer Entfernung von knapp zwei Metern schoß er mit der Skerzaal auf Porquetor. Bei dieser geringen Entfernung traf der Bolzen mit der höchstmöglichen Wucht auf, doch auch er erzielte keinerlei Wirkung. Porquetor schlug blitzschnell zu. Er traf Razamon mit der Breitseite des Schwertes. Der Atlanter stürzte zu Boden, wobei es schien, als würden ihm die Beine zur Seite geschleudert. Er rollte einige Meter weit eine Schräge hinunter und blieb wie tot liegen. Atlan wich vorsichtig zurück. Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, Porquetor aufzuhalten. Noch einmal mit der Skerzaal zu schießen, erschien ihm völlig sinnlos. Dennoch versuchte er es. Wie befürch-
H. G. Francis tet, ohne Erfolg. Er drehte sich um und rannte einige Meter weit, um zu prüfen, wie schnell ihm der Stählerne folgen konnte. Dieser machte einen Satz nach vorn. Die Distanz zwischen ihnen änderte sich nicht. Atlan bückte sich und nahm einen armdicken Ast auf, der quer über die Stromkabeln lag. Er stemmte ihn gegen die Brust Porquetors. Dieser blieb stehen, ohne spürbaren Druck auf den Ast auszuüben. Fast eine Minute lang standen sich die beiden ungleichen Kämpfer gegenüber. »Ich wüßte gern, was das alles soll«, sagte Atlan so ruhig wie möglich. »Was soll dieser Kampf? Warum rettetest du uns vor den Raubschweinen, um uns jetzt zu töten?« Porquetor antwortete nicht. Er bewegte das Breitschwert langsam zur Seite. Dann fuhr der Arm hoch. Porquetor hieb das Schwert gegen den Ast und durchtrennte ihn mit einem Schlag. Atlan hielt den Rest abwehrend vor sich und wich langsam zurück. Als der Stählerne versuchte, den Ast abermals zu verkürzen, zog Atlan ihn rasch zur Seite. Das Schwert flog pfeifend an dem Holz vorbei. Atlan erwartete, daß der Stählerne nun aus dem Gleichgewicht kommen würde. Er setzte seine ganze Hoffnung darauf, ihm dann den Ast seitlich gegen den Kopf schlagen zu können. Aber es schien, als sei Porquetor unlösbar mit dem Boden verbunden. Mühelos fing er den Schlag ab, ohne Atlan eine schwache Stelle zu bieten. Dann hob er das Schwert erneut und schritt auf den Arkoniden zu. Als dieser ihm den Ast erneut entgegenstreckte, packte er ihn mit gedankenschneller Bewegung und riß ihn zu sich hin. Atlan reagierte instinktiv richtig. Er ließ den Ast los, so daß Porquetor ihn nicht mitziehen konnte. Polternd fiel der Ast auf den Boden. Porquetor hob das Schwert erneut und drang auf Atlan ein. Du hast keine Chance mehr, stellte der Logiksektor kühl fest. Tränen der Erregung schossen dem Arkoniden in die Augen. Er
Porquetor der Stählerne wollte einfach nicht glauben, daß dies das Ende war. Irgendeinen Ausweg mußte es doch geben. Porquetor konnte nicht unbesiegbar sein. Er mußte eine Schwäche haben. Doch da war keine Schwäche, die Atlan nutzen konnte. Pfeifend fuhr das Breitschwert durch die Luft. Atlan konnte sich nur noch mit blitzschnellen Ausweichmanövern retten. Porquetor rückte auf ihn zu. Unerbittlich trieb er ihn vor sich her, und er versuchte nicht, ihn mit der Breitseite des Schwertes zu treffen, so wie er es bei Razamon getan hatte. Er wollte ihm den Kopf von den Schultern trennen. Bei einem verzweifelten Schritt nach hinten prallte Atlan mit der Ferse gegen einen Stein und stürzte. Er stieß mit dem Hinterkopf gegen einen anderen Stein, blieb bei klarem Bewußtsein, war jedoch wie gelähmt. Es gelang ihm nicht, wieder auf die Beine zu kommen. Porquetor holte zum letzten, tödlichen Hieb aus. In diesem Moment explodierte etwa hundert Meter von ihnen entfernt einer der Akkumulatoren bei den Windmühlen. Atlan spürte das Kabel, das von dort kam, unter seinem Rücken. In seiner Todesfurcht gelang es ihm, sich ein paar Zentimeter weit zur Seite zu drehen. Sein Rücken berührte das Kabel nicht mehr. Das war die Entscheidung in diesem Kampf. Das Kabel verwandelte sich plötzlich in eine weißglühende Schlange. Atlan spürte die Hitze. Sie veranlaßte ihn zu einer weiteren Fluchtbewegung. Das Breitschwert verfehlte ihn um einige Millimeter, dann umloderten weiße Flammen den Stählernen, der mit einem Fuß auf dem Kabel stand. Porquetor schwankte. Die Flammen erloschen, doch der ganze Stahlpanzer schien noch zu glühen. Dann stürzte Porquetor langsam zur Seite und blieb bewegungslos auf dem Boden liegen.
43 Atlan rückte unwillkürlich noch weiter vom Kabel weg, obwohl von diesem kaum mehr als schwärzliche Asche übriggeblieben war. Fühlbare Hitze ging davon nicht mehr aus. Atlan erhob sich. Die Schwäche wich schnell von ihm. Der Zellaktivator pulsierte kräftig in seiner Brust. Razamon stöhnte leise. Atlan blickte zu ihm hinüber und sah, daß er sich aufrichtete, wobei er sich den Kopf hielt. »Was ist mit dir?« fragte der Arkonide. »Bist du in Ordnung?« »Mir brummt der Schädel«, erwiderte Razamon. Auch Dadan kam allmählich wieder zu sich. Sein Panzerstier weidete direkt unter der Feste Grool zwischen den Bäumen. Fenrir kroch winselnd aus den Büschen hervor. Er hatte zwei blutende Wunden an der Schulter, wo ihn das Schwert getroffen hatte, aber sonst schien er nicht verletzt zu sein. »Komm her. Faß an«, forderte Atlan. »Wir wollen Porquetor vom Kabel wegziehen. Besser ist besser.« »Mir genügt es, daß er tot ist«, antwortete Razamon gleichgültig. »Ich hoffe, daß er noch lebt«, entgegnete der Arkonide scharf. »Eine kleine Chance besteht immerhin.« Widerwillig half Razamon, Porquetor einige Meter weit zu schleppen. Dann drehte Atlan den Stählernen um und suchte nach dem Verschluß der Rüstung. Verblüfft stellte er fest, daß es keinen zu geben schien. »Der Kerl kann doch nicht ständig in dieser Rüstung stecken«, sagte Razamon. »Das Ding dürfte auf die Dauer selbst ihm zu schwer sein.« So sehr Atlan und er sich jedoch bemühten, sie fanden nicht heraus, wie die Rüstung geöffnet werden konnte. Dadan legte Atlan die Hand auf die Schulter. »Sieh doch«, sagte er und deutete zur Feste Grool hinüber. Von dort her näherte sich ein Dalazaar, der den Panzerstier Dadans führte. »Es ist Hervool. Ein Freund von
44 mir.« »Gut«, entgegnete Atlan, »das bringt mich auf eine Idee. Wir werden Porquetor auf den Rücken des Stieres legen und ihn so zur Feste hinauftragen lassen. Glaubst du, daß du den Stier dazu bringen kannst?« »Das ist kein Problem«, behauptete Dadan. Er eilte seinem Freund entgegen und umarmte ihn, um ihm für seine Hilfe zu danken. Aus seinen Gesten schloß Atlan, daß er Hervool dazu bewegen wollte, zu ihnen zu kommen. Hervool lehnte jedoch ab. Er überreichte Dadan einen Lederbeutel und schlug sich dann seitlich in die Büsche. »Er will damit nichts zu tun haben«, sagte Dadan, als er wieder bei Atlan war. »Er sagt, daß Porquetor unsterblich ist, und daß er alle töten wird, sobald er wieder aus seinem Schlaf erwacht ist.« Razamon stieß den Stählernen verächtlich mit dem Fuß an. »Er wird nie wieder erwachen«, behauptete er. »Porquetor ist tot.« Er zeigte zur Feste Grool hinauf. »Uns kommt es jetzt nur noch darauf an, denen da oben den Toten zu präsentieren.« »Denen da oben?« fragte Dadan. »Porquetor lebte allein in der Feste.« »Das glaube ich nicht«, entgegnete Atlan. »Hast du nicht erwähnt, daß ihr Dalazaaren gehalten seid, stets reichlich Nahrungsmittel an die Feste zu liefern. Fleisch, Gemüse, Obst, Brot und Teigwaren sowie Getränke?« Dadan wurde nachdenklich. »Das ist richtig. Wir haben aber immer geglaubt, daß diese Dinge nur für Porquetor sind oder vielleicht für seine Gäste, falls welche kommen.« »Ihr habt nie darüber nachgedacht«, korrigierte Atlan. »Ihr habt getan, was Porquetor euch befohlen hat, und sonst habt ihr euch um nichts gekümmert.« »Das ist richtig«, gab der Dalazaar nach einiger Zeit zu. »Ja, das stimmt.« »Vielleicht seid ihr noch nicht einmal die einzigen, die die Feste versorgen«, fuhr der Arkonide fort. »Grool liegt am nördlichen Rand des Blutdschungels. Ich halte es für
H. G. Francis möglich, daß es von der Feste aus zum Dschungel noch weitere Verbindungen gibt, von denen sonst niemand etwas ahnt. Der Dschungel birgt noch viele Geheimnisse. Vielleicht gibt es dort ein Volk, das ebenso wie ihr für die Bewohner der Feste Grool sorgt. Wer wollte das ohne weitere Information sagen?« Er gab Razamon und Dadan einen befehlenden Wink. Gemeinsam packten sie Porquetor und hoben ihn hoch. Das Gebilde aus blau glänzendem Stahl war über drei Zentner schwer. Der ganze Körper war schlaff und ohne innere Spannung, so daß er nicht leicht zu tragen war, sondern Atlan und seinen Helfern ständig aus den Händen zu rutschen drohte. So verging einige Zeit, bis es ihnen gelang, den Stählernen bäuchlings über den Rücken des Panzerstiers zu heben, zumal der Stier sich unruhig verhielt und ständig nervös auswich. Schließlich aber lag Porquetor auf seinem Rücken. Dadan setzte sich hinter ihn. »Ich habe noch eine Frage«, sagte Atlan und deutete auf den Lederbeutel, den der Dalazaar von Hervool erhalten hatte. »Was ist eigentlich darin?« »Skorpionwürmer«, antwortete Dadan mit einem strahlenden Lächeln. Er hob das Blasrohr triumphierend über den Kopf. »Sollte uns jemand in die Quere kommen, werde ich ihm Skorpionwürmer ins Gesicht blasen und ihn töten.« Atlan krauste die Stirn. Er war nicht damit einverstanden, daß Dadan plötzlich derartige Pläne entwickelte. Auch erschien es ihm gefährlich, daß der Dalazaar diese Tiere bei sich hatte. Er fragte sich, wo die Skorpionwürmer blieben, wenn Dadan seinen Gegner verfehlte. Bestand dann nicht die Gefahr, daß sie selbst auf einen derartigen Wurm traten und sich dabei vergifteten? Atlan sah, wie die Augen des Dalazaaren funkelten. Er bemerkte, mit welchem Stolz Dadan seine Hände auf den Rücken Porquetors stützte, und er schwieg. »Also los«, sagte Razamon, als Atlan bereits zehn Schritte von ihnen entfernt war.
Porquetor der Stählerne »Komm, Dadan.« Der Dalazaar trieb seinen Stier an. Das Tier gehorchte und folgte Atlan. Nun ging es steil nach oben. Atlan blieb in der Rinne, da diese ihm als der bequemste Weg zur Feste Grool erschien. Fenrir schloß zu ihm auf und blieb von nun an ständig an seiner Seite. Seine Wunden bluteten nicht mehr. Als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, erschien plötzlich ein grauhaariger Dalazaar zwischen den Büschen am Rand der Rinne. Atlan hätte ihn nicht bemerkt, wenn Fenrir nicht so heftig reagiert hätte. Der Wolf wollte den Alten angreifen, doch der Arkonide rief ihn zurück. Zwei Meter von dem Dalazaaren entfernt kauerte Fenrir sich auf den Boden. Der Alte beachtete ihn nicht. Er hatte nur Augen für Dadan, den Stier und Porquetor. »Willst du das Volk der Dalazaaren ins Unglück stürzen?« fragte er mit hoher Falsettstimme. Dadan erbleichte. Seine Hände krallten sich um das Blasrohr. »Wir bringen den Stählernen zur Feste Grool hinauf, Erster«, rief er stammelnd und voller Ehrfurcht. Der Alte machte eine verächtliche Geste. Er steckte zwei Finger zwischen die Lippen und pfiff schrill. Der Panzerstier Dadans bäumte sich auf und schüttelte sich. Dadan konnte sich halten, der Stählerne jedoch rutschte vom Rücken des Stieres, polterte zu Boden und stürzte die Bodenrinne wieder hinunter, wobei er sich mehrfach überschlug. Dort, wo er vom Stromschlag gefällt worden war, blieb er wieder liegen. »Ich verfluche dich«, rief der Erste. »Du wirst noch heute sterben.« »Verschwinde, Alter«, brüllte Razamon und schleuderte einige Steine nach dem Ersten. »Oder sollen wir den Wolf auf dich hetzen?« Der Alte drehte sich wortlos um und verschwand in den Büschen. Dadan blickte ihm mit angstvoll geweiteten Augen nach. »Laß dich nicht einschüchtern«, bat Atlan
45 und legte ihm beruhigend den Arm um die Schulter. »Du wirst mit uns ziehen. Der Erste kann dir nichts anhaben.« »Er hat mich verflucht«, antwortete Dadan ängstlich. »Seine Flüche haben sich stets erfüllt.« »Sie erfüllen sich nur bei jenen, die darüber sich selbst vergessen«, erklärte Atlan. »Du brauchst keine Angst zu haben. Nichts wird geschehen, wenn du es nicht selbst willst.« »Ich will versuchen, mich zu wehren.« »Gib dich nicht selbst auf, dann ist dein Wille viel stärker als der des Ersten.« Atlan löste sich von ihm und stieg zu Porquetor hinunter, nachdem er Dadan gebeten hatte, den Stier ebenfalls nach unten zu bringen. Razamon folgte dem Arkoniden. Fenrir blieb, wo er war. Er beobachtete das Geschehen. Plötzlich griff Razamon nach Atlans Arm. »Sieh doch, Lordadmiral«, rief er keuchend. »Sieh dir Porquetor an!« Atlan schüttelte Razamons Hand ab. Er sprang die Schräge hinunter und kniete neben dem Stählernen nieder, als er ihn erreicht hatte. Sekunden später war Razamon bei ihm. »Die Rüstung ist aufgebrochen«, sagte der Atlanter erregt. »Und darunter ist nichts«, ergänzte Atlan mit tonloser Stimme. »Porquetor ist hohl!«
8. Ratlos standen sie vor der Hülle, nachdem sie sie untersucht hatten. Die Rüstung war tatsächlich hohl, doch befand sich darin ein Gewirr von Drähten, Kabeln, Relais und Servos. Sie alle dienten dazu, die Rüstung zu bewegen. »Porquetor ist gar kein lebendes Wesen?« fragte Dadan ehrfürchtig. »Wie konnte er sich dann bewegen?« Atlan wies zur Feste Grool hinauf. »Ich bin überzeugt davon, daß er von dort oben ferngesteuert wurde«, antwortet Atlan. »Porquetor ist tatsächlich nur eine Maschi-
46 ne, die von jemandem gelenkt wurde, der in der Feste lebt.« »Dabei wäre durchaus Platz für einen Mann darin«, stellte Razamon fest. »Mit einiger Mühe könnte man sich hineinzwängen.« »Es war aber niemand darin«, entgegnete der Arkonide. »Das halte ich für ausgeschlossen.« »Warum? Wäre es nicht möglich, daß ein Mutant darin versteckt war? Er könnte sich per Teleportation gerettet haben, als die Rüstung mit dem Stromkabel in Verbindung kam.« »Daran glaube ich nicht«, widersprach Atlan. »Kein Mutant hätte sich zu diesem Zeitpunkt noch retten können. Alles ging blitzschnell. Die gesamte Rüstung stand unter Strom. Wenn ein Teleporter in dem Ding versteckt gewesen wäre, dann wäre er jetzt tot.« »Du mußt es wissen«, sagte Razamon. »Du hast eine ganze Menge Erfahrung mit Mutanten.« »Eben.« »Also gut. Kein Mutant«, bemerkte Razamon einlenkend. »Und was geschieht jetzt?« »Wir haben jetzt noch viel mehr Veranlassung, diesen ferngesteuerten Roboter auf die Feste zu bringen«, erwiderte Atlan. »Und genau das werden wir tun. Damit nehmen wir denen da oben viel Arbeit ab, die sie sonst selbst erledigen müßten, wenn sie bei den Dalazaaren nicht beträchtlich an Ansehen verlieren wollen.« Dadan verstand so gut wie nichts. Er machte einige beschwörende Gesten, um sich vor bösen Geistern zu schützen. In seinem Gesicht zeichnete sich Furcht ab. Atlan konnte ihm ansehen, daß er unter einer erheblichen psychischen Belastung stand. Der Fluch des Alten hatte ihn bereits bis ins Innerste getroffen. Die neuen Entdeckungen über Porquetor waren daher zuviel für ihn. »Porquetor ist eine Maschine«, sagte Atlan eindringlich. »Verstehst du denn nicht, Dadan? Er ist eine Maschine, so wie die Windmühlen auch Maschinen sind. Oder
H. G. Francis diese Skerzaal hier ist ebenfalls eine. Sie ist eine Schußmaschine. Weiter nichts. Im Grund genommen ist auch dein Blasrohr eine Maschine, wenn auch eine sehr einfache. Daran ist nichts, was geheimnisvoll oder unerklärlich wäre. Nichts, wovor man sich fürchten müßte.« Dadan nickte mehrmals, aber der Ausdruck seiner Augen änderte sich nicht. Atlan machte sich Sorgen um ihn. Er wußte, was ein Fluch bewirken konnte. Für Angehörige primitiver Stämme wie Dadan konnte er verhängnisvoll sein. Wie tief die Furcht in Dadan steckte, merkte Atlan, als er ihm befahl, mit anzupacken und Porquetor auf den Rücken des Stieres zu legen. Er brauchte lange Minuten, bis er Dadan endlich soweit hatte, daß er gehorchte. Der Dalazaar schwang sich auch wieder auf den Rücken seines Stieres, doch saß er längst nicht mehr mit der stolzen Haltung wie zuvor darauf. Die Angst krümmte ihm den Rücken und ließ sein Gesicht fahl erscheinen. Atlan trieb den Panzerstier voran. Dieses Mal blieb er bei ihm. Wenn das Tier nicht rasch genug ging, berührte er es mit dem Breitschwert Porquetors. Das wirkte. Ein geheimnisvoller Energiestrom schien durch das Breitschwert in den Körper des Tieres zu fließen. Es kämpfte sich nach jeder Berührung energisch voran, bis sie die Anhöhe überwunden hatten. Nun trennten sie nur noch wenige Schritte von dem glatten Weg, der zwischen einigen verkrüppelten Bäumen hindurch zur Feste Grool hinaufführte. Links von diesem Weg fiel das Land sanft ab, rechts davon stieg es recht steil an. Von der Anhöhe zur rechten Seite des Weges stieg der Erste herab. Er trug nun einen weiten Umhang, der um seinen dürren Körper flatterte. Sein langes, graues Haar wehte wie eine Fahne hinter seinem Kopf, aufgewirbelt von einer kräftigen Brise, die von Süden heraufkam. Dadan hielt den Stier an. Sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. Auch Razamon
Porquetor der Stählerne blieb stehen. Nur Atlan und Fenrir gingen weiter. Als der Alte den Weg erreicht hatte, der zur Feste führte, blieb er stehen und streckte beide Arme hoch, um ihnen Halt zu gebieten. Atlan ging weiter. Fenrir knurrte drohend und fletschte die Zähne. »Aus dem Weg, Alter«, befahl der Arkonide. »Wer auch immer du bist, wenn du nicht sofort verschwindest, wirst du von mir Prügel beziehen, wie du sie wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr bekommen hast.« Der Erste blickte den Arkoniden mit geweiteten Augen an. Seine Augen waren weißlich grau. Pupillen waren kaum zu erkennen. »Du wagst es, mit zu drohen?« fragte er schrill. »Dabei ist nichts zu wagen«, erklärte Atlan. Knapp einen Meter von dem Alten blieb er stehen. Der Dalazaar war ebenso groß wie er auch. »Aus dem Weg.« »Die Befehle erteile ich«, schrie der Erste. »Das gilt vielleicht für die Dalazaaren, Freund, nicht aber für uns. Klar?« Der Alte griff zu seinem Gürtel, doch Atlan hielt seine Hand fest. Mit der anderen Hand riß er einen Lederbeutel vom Gürtel des Alten ab und schleuderte ihn weit den Abhang hinunter. Er wußte, was darin war. Skorpionwürmer. Der Erste verfärbte sich. »Du hast es gewagt, mich zu berühren. Das ist dein Tod.« Seine Augen weiteten sich noch mehr als zuvor. Er streckte einen Arm aus und berührte Atlans Brust mit seinen Fingern. »Höre, was ich dir befehle.« »Na schön«, sagte Atlan kaltblütig. »Das höre ich mir noch an, und dann verschwindest du von hier. Einverstanden.« »Hör mich an«, rief der Alte mit hoher Falsettstimme. »Ich gebe dir den letzten Befehl.« »Und wie lautet der?« Der Alte hielt Atlan die Hände mit gespreizten Fingern schalenförmig über die Herzgegend. »Stirb!« flüsterte er. »Stirb hier und jetzt!
47 Stirb!« Atlan verspürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Plötzlich gab der Zellaktivator intensiver Impulse ab. Sie zeigten eindeutig an, daß eine akute Gefahr für den Aktivatorträger bestand. Er hat parapsychische Kräfte, stellte der Logiksektor eiskalt fest, so als ob er selbst von jeglicher Gefahr ausgeschlossen sei. Atlan packte den Ersten mit beiden Händen bei den Hüften, hob ihn hoch und schleuderte ihn den Berg hinunter. Der Alte schrie entsetzt auf. Er stürzte ins Gras und rollte den Abhang hinunter. Immer wieder versuchte er, sich irgendwo festzuhalten, doch es gelang ihm nicht. Er verschwand schließlich etwa dreihundert Meter von Atlan entfernt tief unter ihnen im Gebüsch. Der Arkonide drehte sich um. »Wir können weitergehen«, wollte er sagen, doch diese Worte kamen nicht über seine Lippen. Dadan saß verkrümmt auf dem Rücken des Stieres. Seine Augen waren unnatürlich geweitet. »Wer bist du?« fragte der Dalazaar keuchend. »Wie kommt es, daß du dem Fluch des Ersten widerstehen kannst?« Atlan war zutiefst erschüttert. In seinem mehr als zehntausend Jahre währenden Leben hatte er nur sehr selten Menschen gesehen, die sich innerhalb kürzester Zeit so radikal verändert hatten wie Dadan. Es schien, als sei der Dalazaar um Jahrzehnte gealtert. Er sah aus wie ein Greis. Atlan lächelte gezwungen. Er zuckte kurz mit den Schultern. »Dadan«, sagte er in gewollt lockerem Ton. »Das liegt nicht an mir. Das liegt einzig und allein an dem saft- und kraftlosen Fluch des Ersten. Es steckt nichts dahinter. Wirklich nicht, denn sonst wäre ich wohl tot umgefallen. Oder?« »Du hättest tot sein müssen«, bestätigte der Dalazaar. »Ich habe mich gegen diesen Unfug gewehrt. Warum tust du es nicht auch?« Atlan wußte, daß Dadan sich nicht weh-
48 ren konnte. Der Glaube an die Macht des Ersten war tief in ihm verwurzelt. Seine Reaktion auf den Fluch des Alten wurde von seinem Unterbewußtsein gesteuert, und auf sein Unterbewußtsein hatte er nicht den geringsten Einfluß. Atlan wußte, daß nur noch dann eine geringe Chance bestand, wenn Dadan für mehrere Tage in ein künstlichen Tiefschlaf versetzt und dabei mit mechanohypnotischen Mitteln behandelt wurde. Nur so konnte die verheerende Selbstvernichtung, die von seinem Unterbewußtsein ausging, aufgehalten werden. Das wäre in TerraniaCity ohne weiteres möglich gewesen. Dort gab es Spezialkliniken, die über alle notwendigen Einrichtungen verfügten. Sie aber befanden sich auf Atlantis, der geheimnisvollen Insel, die plötzlich mitten im Atlantik aufgetaucht war, und die nun unter einem Energieschirm lag, den niemand von ihnen durchbrechen konnte. Atlan konnte nicht helfen. Fenrir begann plötzlich zu toben. Er rannte auf einen Busch zu, warf sich hinein und zerrte einen Dalazaaren daraus hervor, in dessen Oberarm er sich verbissen hatte. Sekunden später stürmten etwa fünfzig Dalazaaren auf ihren Panzerstieren durch die Bodenrinne nach oben. Atlan riß die Skerzaal an die Schulter. Der Stahlbolzen flog ihm fast wie von selbst in die Finger. Er legte ihn ein, spannte die Sehne und jagte den Bolzen hinein. Im gleichen Augenblick schoß auch Razamon. Atlan traf einen der Stiere in der vordersten Linie an der Stirn. Wie erhofft, durchbohrte der Bolzen die Schädeldecke und fällte das Tier. Der Reiter stürzte schreiend über den Kopf des Stieres auf den Boden. Die anderen Stiere drängten wütend nach, doch vor ihnen lagen zwei um sich schlagende, sterbende Tiere, die sie behinderten. Dadurch wurden sie aufgehalten, wenn auch nur für Sekunden. Diese kurze Zeitspanne genügte Atlan und Razamon jedoch, die Skerzaals erneut zu laden, zu spannen und abzuschießen. Und
H. G. Francis wiederum gelang es Atlan, einen Stier zu töten. Der von Razamon abgefeuerte Stahlbolzen prallte dicht unter den Hörnern gegen den Schädel des Tieres, auf das er gezielt hatte, und prallte wirkungslos davon ab. »Tiefer halten«, brüllte der Arkonide. Er stand deckungslos auf dem Weg, der zur Feste Grool führte. Razamon fand einen gewissen Schutz dadurch, daß der Stier Dadans ihn abschirmte. »Dadan«, schrie Atlan. »Willst du nichts tun? Wehre dich!« Der Dalazaar saß noch immer regungslos auf dem Rücken seines Reitstiers, ohne auf den Angriff aus der Ebene zu reagieren. Er war wie gelähmt, und er schien noch gar nicht richtig erfaßt zu haben, was geschah. Die Worte des Arkoniden jedoch schreckten ihn auf. Er zuckte zusammen und griff dann hastig nach seinem Blasrohr. Unter den angreifenden Dalazaaren war eine chaotische Unruhe entstanden, weil es den Reitern der ersten Reihe nicht gelang, die Stiere über die drei Kadaver hinwegzutreiben. Die anderen Reiter drängten nach und machten die Situation für die vorderen dadurch noch schwieriger. So gewannen Atlan und seine Begleiter kostbare Sekunden, in denen sie die Waffen neu laden konnten. Als Atlan seine Skerzaal anlegte, sah er, daß etwas Zuckendes auf ihn zuflog. Instinktiv warf er sich zur Seite, und dann erkannte er, daß ein fingerdicker Wurm, der mit einem nadelfeinen Stachel versehen war, an ihm vorbeiwirbelte. Die Dalazaaren schossen mit Skorpionwürmern. Von maßlosem Ekel erfüllt, hieb er den Kolben der Skerzaal auf den Boden und zerschmetterten den Giftwurm. Dann riß er die Waffe hoch und feuerte sie ab. Er traf wiederum. Dieses Mal erwischte er gerade den Stier, der als erster Aussicht hatte, über den Wall der erlegten Tiere hinwegzukommen. Er traf ihn tödlich. Razamon fluchte voller Wut und Enttäuschung, weil es ihm nicht gelungen war, einen so wirksamen Treffer zu setzen. Der
Porquetor der Stählerne Bolzen aus seiner Waffe war einem anderen Stier in die Nüstern gefahren. Das Tier bäumte sich brüllend auf und behinderte die anderen Reiter. Jetzt endlich griff Dadan ein. Er lud sein Blasrohr mit einem Skorpionwurm, setzte das Mundstück an die Lippen und schoß den Wurm ab. Das Tier klatschte gegen die Brust eines Stieres und stach zu. Atlan hörte das getroffene Tier schreien und toben, während ihm Skorpionwürmer um den Kopf flogen. Er wehrte die gefährlichen Tiere mit dem Kolben seiner Waffe ab und verhinderte so, daß sie ihn erreichten. Dabei kam er jedoch selbst nicht mehr zum Schuß. Entsetzt beobachtete er, daß die Würmer, die ihn verfehlt hatten, mit unglaublich schneller Bewegung auf ihn zukrochen und seine Füße zu erreichen suchten. Ihm wurde bewußt, daß er dabei war, die Übersicht zu verlieren. Er konnte sich nur auf die Abwehr konzentrieren und mußte den Angriff vernachlässigen. Der Anfang vom Ende, diagnostizierte der Logiksektor. Atlan hämmerte den Kolben der Skerzaal auf den Boden und tötete sechs Würmer, die ihn fast erreicht hatten. Dann rannte er einige Schritte weit zur Seite, lud die Skerzaal und feuerte sie dreimal hintereinander ab. Glücklicherweise war es Razamon ebenfalls gelungen, sich in eine sichere Schußposition zu bringen. Auch er schoß. Dadan saß hochaufgerichtet auf seinem Stier, der wie zu Stein erstarrt auf der Stelle stand. Der Dalazaar setzte sein Blasrohr energisch ein, aber auch er zielte nur auf die Stiere. Der Angriff der Dalazaaren brach endgültig zusammen. Die Windmühlenhüter standen hinter dem Wall der Kadaver und luden ihre Blasrohre. »Ihr verdammten Narren«, schrie Dadan. »Porquetor hat unser Volk schon immer gequält. Er hat uns gefoltert. Er hat getötet, wenn es ihm gefiel. Er hat uns unsere Freiheit genommen. Wir haben ihn besiegt. Und
49 was tut ihr? Anstatt uns zu helfen, den Sieg vollkommen zu machen, versucht ihr, uns zu töten.« Ein Skorpionwurm flog auf ihn zu. Dadan blickte ihm entgegen und wischte ihn dann mit lässig anmutender Bewegung mit seinem Blasrohr zur Seite. Er bot das Bild eines Mannes, der sich vollkommen gefangen hatte. Das Greisenhafte war verschwunden. Seine Augen waren wieder von jenem Feuer erfüllt, das Atlan von Anfang an fasziniert hatte. Doch der Arkonide spürte, daß dieses äußere Bild täuschte. Er ist nicht stärker als sein Unterbewußtsein, stellte der Logiksektor kühl fest. Ein weiterer Skorpionwurm flog auf Dadan zu. Lachend wehrte er ihn ab. »Ihr Narren«, schrie er, fischte geschickt einen Wurm aus dem Lederbeutel und schob ihn in das Blasrohr. Falsch herum, warnte der Extrasinn. Atlan schrie auf. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. »Dadan, nicht«, rief er. »Du hast den Wurm falsch herum in das Rohr gesteckt!« Dadan blickte ihn verächtlich an. »Falsch herum«, sagte er verständnislos. »Was denkst du von mir?« Er setzte das Blasrohr an die Lippen. »Nein«, schrie Atlan. Der Dalazaar erstarrte. Er ließ das Blasrohr fallen. Sein Gesicht verzerrte sich. Seine Hände fuhren zu den Lippen und krallten sich in sie hinein, während sich seine Augen vor Entsetzen weiteten. »Falsch herum«, sagte er keuchend und blickte Atlan an. »Es war der Fluch. Er war stärker.« Sein Kopf sackte schlagartig nach vorn. Dadan kippte vom Stier und fiel auf den Boden. Atlan ging zu ihm, als seien die anderen Dalazaaren nicht mehr vorhanden. Er kniete neben ihm nieder. Auf der Oberlippe Dadans war deutlich der Einstich des Giftstachels zu erkennen. Dadan war tot.
50 Atlan drückte ihm die Augen zu und erhob sich. Erst jetzt merkte er, daß Razamon ihn mit seinem Körper abgeschirmt hatte. Doch das war nicht mehr notwendig. Die Dalazaaren zogen sich zurück. Fenrir lag auf den toten Stieren und beobachtete sie. »Wir wollen ihn begraben«, sagte Atlan tonlos. »Wir werden ihn mit Steinen bedecken.« Er tötete einen Skorpionwurm, der seine Füße zu erreichen suchte. Dann hob er Dadan hoch und trug ihn zum Wegrand. Er legte ihn neben einem großen Stein nieder, sammelte zusammen mit Razamon Steine und schichtete sie über den Leichnam, bis er sich dessen sicher war, daß Dadan nicht von Hyänen oder Raubvögeln ausgegraben werden konnte. Danach barg er die Stahlbolzen, die er und Razamon verschossen hatten. Die meisten von ihnen konnte er nur mit Hilfe seines Messers aus den Tierkadavern herausholen. Diese Arbeit war unumgänglich, da der Vorrat an Stahlbolzen bereits kritisch geworden war. Sie konnten es sich nicht leisten, auch nur ein einziges Geschoß liegenzulassen. »Komm«, sagte er anschließend zu Razamon, der den Weg von allen noch lebenden Skorpionwürmern gereinigt hatte. »Wir bringen Porquetor zur Feste.« Atlan versuchte, Dadans Stier anzutreiben, doch das Tier reagierte nicht auf seine Befehle. Fenrir merkte, welche Schwierigkeiten der Arkonide hatte. Er sprang den Stier von hinten an, knurrte und biß endlich sogar, aber auch das blieb ohne Erfolg. »Wir ziehen die Rüstung hinter uns her«, entschied Atlan. »Das schwere Ding?« wandte Razamon ein. »Wir sind trotz unseres hohen Alters wohl noch rüstig genug, das zu schaffen«, sagte Atlan lächelnd. »Oder nicht, du Greis?« Razamon lachte. »Okay, Lord der USO. Wir werden es schon schaffen.« Sie stießen Porquetor vom Rücken des
H. G. Francis Stieres herunter und ließen ihn auf den Boden poltern. Dann packten sie ihn an den Stulpenhandschuhen, die fest mit dem Stahl der Armverkleidung verbunden waren, und zerrten ihn hinter sich her. »Es geht leichter, als ich gedacht habe«, gestand Razamon ein. Fenrir blieb zurück. Atlan beobachtete, daß er große Fleischstücke aus den Flanken und den Schenkeln der toten Stiere riß und sie gierig verschlang. Er ließ ihn gewähren. Der Fenriswolf brauchte diese Stärkung dringend. »Jetzt werden wir hoffentlich bald erfahren, wer dieses Ding ferngesteuert hat«, sagte Razamon, während sie sich der Feste näherten. »Ich bin gespannt, wer der echte Porquetor ist.« »Oder dessen Bezwinger.« »Wie meinst du das?« fragte Razamon verblüfft. »Vielleicht ist Porquetor, also derjenige, der die Rüstung fernsteuert, schon vor Jahren von einem anderen ausgeschaltet worden? Vielleicht haben Generationen von ständig wechselnden Persönlichkeiten da oben in der Feste Grool gesessen und diesen Halbroboter ins Land hinausgeschickt.« »Es ist eine eigenartige Vorstellung, daß wir im Blutdschungel von einem Halbroboter vor den Raubschweinen gerettet wurden«, bemerkte Razamon. »Da oben in der Feste sitzt also jemand, der genau beobachtet hat, was geschehen ist. Warum hat er uns erst geholfen, um sich dann gegen uns zu stellen? Wodurch sind wir für ihn zu einer Gefahr geworden?« »Ich weiß es nicht«, sagte der Aktivatorträger. »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht hätte er uns in den Höhlen der Paarlen ungeschoren gelassen, vielleicht aber hätte er uns auch umgebracht, weil wir Zeugen seiner Untaten geworden sind.« Sie hatten die Brücke erreicht, die über eine Schlucht zu einer der Stützsäulen der Feste Grool hinüberführte. Atlan blickte an dem riesigen Gebäude hoch. Die Spitze mit den antennenartigen Auswüchsen ver-
Porquetor der Stählerne schwand im Nebel. Überrascht stellte er fest, daß alle Schäden, die durch den Beschuß der Paarlen entstanden waren, bereits behoben worden waren. Am Ende der Brücke befand sich das Tor, das aus zwei Flügeln bestand. Diese wurden offenbar mit Hilfe einer Kette bewegt, die einige Meter höher aus dem Stützpfeiler herauskam und wiederum einige Meter höher in einer runden Öffnung verschwand. Sie stellte einen unbegreiflichen Anachronismus zu den sonst so modern wirkenden Einrichtungen der Feste dar. Nirgendwo über ihnen ließ sich jemand sehen. »Und jetzt?« fragte Razamon ratlos. »Was machen wir jetzt? Wo ist die große Glocke, mit der wir die Bewohner aus dem Schlaf holen können?« Atlan ließ den Arm Porquetors los und ging allein über die Brücke. Das Doppeltor bestand aus einem glatten, fugenlosen Material. Dort, wo die beiden Torflügel zusammenstießen, befand sich eine tiefe Kerbe, die eine deutliche Teilung anzeigte. Nirgendwo befand sich etwas, was als Signalgeber anzusehen war. Suchend blickte Atlan an den Wänden der Feste hoch. Über ihm blitzte es auf. Aus den antennenartigen Auswüchsen zuckten lautlos Energieblitze in den Himmel hinauf. Atlan konnte nicht erkennen, ob sie ein Ziel anstrebten, da der Nebel über ihm alles verdeckte. Fenrir schloß knurrend zu ihm auf, rannte an ihm vorbei und warf sich gegen das Tor. Es dröhnte dumpf, als der schwere Körper aufprallte, sonst geschah nichts weiter. »Ich werde die da oben mal ein bißchen munter machen«, erklärte Razamon. Sorgfältig präparierte er seine Skerzaal, indem er sie erst spannte und danach erst den Bolzen einlegte. Während des Kampfes hatte er aus Zeitgründen ebenso wie Atlan den Bolzen schon vorher eingelegt. Er hob die Waffe und bewegte sie suchend hin und her. »Nimm eines der Fenster«, riet Atlan ihm. »Wenn es klirrt, wird man schon auf uns aufmerksam werden.«
51 Razamon grinste breit. »Es wird mir ein besonderes Vergnügen sein, die Feste anzugreifen«, antwortete er. »Wir brauchen ja nicht mehr zu befürchten, daß Porquetor wie ein Racheengel daherkommt und uns in Stücke reißt.« Er trat mit dem Fuß gegen den Halbroboter, der neben ihm auf dem Boden lag. Porquetor bewegte sich nicht. Die Kurzschlüsse hatten seine Systeme funktionsunfähig gemacht. Razamon feuerte einen Bolzen ab. Das Geschoß stieg pfeifend auf und prallte hoch über ihnen gegen eines der Fenster der unteren Halbkugel. Das Glas zersplitterte klirrend. »Ein guter Schuß«, lobte Atlan. Er kehrte zu dem geheimnisvollen Atlanter zurück. Da die Paarlen mit ihrem Beschuß eine so prompte Reaktion bewirkt hatten, erwartete er unwillkürlich, daß nun auch etwas geschehen würde. Aber er irrte sich. Niemand reagierte. »Und was nun?« fragte Razamon ratlos. »Wir müssen etwas anderes versuchen«, erwiderte Atlan. Er kniete neben der aufgebrochenen Rüstung Porquetors nieder und untersuchte sie sorgfältig. »Was soll das?« fragte Razamon. »Hast du vor, wissenschaftliche Studien zu treiben? Es fängt bald an zu regnen. Dann möchte ich in der Feste im Trockenen sitzen.« »Das wirst du auch«, behauptete der Arkonide. Er hatte eine winzige Batterie entdeckt, die nicht von den Kurzschlüssen zerstört worden war. Er löste sie aus der Halterung und hob sie hoch. »Sie gehört zum Kommunikationssystem. Mal sehen, ob man damit nicht ein Funksignal abgeben kann. Das wird die da oben vielleicht munter machen.« Atlan klemmte die Batterie in ein anderes System und führte dann rhythmisch zwei Drähte zusammen. Jedesmal wenn sie sich berührten, sprang ein kleiner Funke über. Während Atlan sich noch über den Halbroboter beugte, schrie Razamon plötzlich
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H. G. Francis
auf. Der Arkonide hob den Kopf und blickte zum Tor der Feste hinüber. Fenrir kam ihm winselnd entgegen. Das Tor war nicht mehr da. An seiner Stelle gähnte ein schwarzes Loch. Aus diesem kam eine hochgewachsene Gestalt hervor. Atlan erhob sich. Der Mann im Tor trug eine schwarze Robe, die ihm fast zu den Knien reichte. Er ließ sie achtlos fallen, als er die Brücke erreicht hatte. Darunter wurde ein ebenfalls schwarzer Anzug sichtbar, der aus einem hemdartigen Oberteil und enganliegenden Hosen bestand. Der Kopf verbarg sich unter einer flammend roten Kapuze, in die Schlitze für die Augen und den Mund eingelassen worden waren. In den Händen trug der Mann ein Henkersschwert, wie es in den Jahren um 1590
in Frankreich verwendet wurde. Atlan erinnerte sich an Hinrichtungen, bei denen er Zeuge gewesen war. Damals war er in der Maske eines Staatsdieners aufgetreten. Er selbst hatte Glück gehabt, dem Henkersschwert zu entgehen. Breitbeinig blieb der Henker vor dem Tor am Beginn der Brücke stehen. Er stieß die Spitze des Schwertes auf den Boden und stützte beide Hände darauf. Atlan hörte Razamon stöhnen. Er blickte seinen Begleiter an. Razamon hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen. Seine Schultern zuckten. Ein schrecklicher Verdacht stieg in Atlan auf.
ENDE
ENDE