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Pferdediebe � Sie sind schon ein seltsames Quartett, die vier Männer – der junge, verwegene Johnny Warlok, der Mexikaner Paco Hermandes, der Texaner Jim Fletsher und – Cass Longdale, der Yankee-Captain mit Sonderauftrag. Yeah, Cass soll tausend Pferde stehlen, um damit den Rebs eine entscheidende Schlappe beizubringen. Doch das kann er nur mit Hilfe von Johnny Warlok, den er vor dem Galgen bewahrt hat, und mit der Unterstützung von Paco Hermandes und Jim Fletsher, die er mit dem Versprechen auf lohnende Beute von den heimischen Fleischtöpfen weglockte. Als sie am späten Nachmittag in Richtung Nogales reiten, stellen sie schon bald fest, daß ihnen ein Reiter folgt. Der Reiter ist ein froschgesichtiger Bursche, noch jung, mit fast farblos wirkenden Haaren, die ihm bis auf die Schulter fallen, und trotzig blickenden Augen. »He, Jube«, fragt Johnny Warlok, »warum reitest du hinter uns her? Du bist doch Jube Perrit, mit dessen großem Bruder ich manchmal ritt? Der hatte auch so ein Froschgesicht und bekam dennoch fast jedes Girl. Wie der das gemacht hat? Wo ist er denn jetzt?« »In der Hölle«, erwidert Jube Perrit, und seine Stimme klingt belegt und heiser. »Ein Ehemann erwischte ihn beim Herausklettern aus dem Fenster. Er stieß die Leiter um, und so brach mein großer Bruder sich den Hals. Er kam bestimmt nicht in den Himmel. Darf ich mitreiten?« Der vorliegende Roman erschien in dieser Reihe bereits als � Band 192 und im Western-Bestseller als Band 881 �
Er stellt die Frage ganz wie ein Junge, der schon zu groß und zu stolz ist, um zu betteln. Johnny Warlok lacht leise, und auch Jim Fletsher und Paco Hermandes grinsen. »Junge, du willst schon mit Männern reiten?« fragt Johnny Warlok mit einer Spur von Nachsicht in der Stimme. Da wird der froschgesichtige Junge richtig wild und giftig. Er richtet sich vor Stolz noch gerader auf im Sattel. »Ich kann besser …« beginnt er, beißt sich dann auf die Lippen und fügt sehr viel ruhiger und zugleich auch beherrschter hinzu: »Ich bin besser mit dem Colt, mit dem Lasso und auf einer Fährte als mein Bruder. – Ich weiß, daß ein Johnny Warlok keine kleine Sache vorhat, wenn er mit Männern wie Mister Fletsher und Señor Hermandes reitet. – Und dieser Mister sieht auch nicht unbedeutend aus. Nehmt mich mit!« Er fordert es stolz. Die Männer zögern. Sie betrachten ihn kritisch. Dann schüttelt Johnny Warlok den Kopf. Er verständigt sich mit Cass Longdale durch einen kurzen Blick. Dann grinst er Hermandes und Fletsher an. Aber dann geschieht es. Johnny Warlok stößt einen Pumaschrei aus. Es ist ein gemeiner Schrei, ein Kreischen, welches jedes Lebewesen sofort erschreckt. Dieser Schrei eines angreifenden Pumas ist wahrhaftig markerschütternd. Und so explodieren die Pferde auch sofort. Man kann es nur mit »explodieren« bezeichnen, so sehr gehen sie hoch, krümmen ihre Rücken und keilen dann nach allen Seiten aus, als kämen mehrere Pumas angesprungen. Doch vier der Reiter bleiben dennoch in den Sätteln – nur Jubal Perrit fliegt zu Boden. Sein Pferd rast davon – es wird viele Meilen laufen.
Die vier Reiter aber haben noch eine ganze Weile zu tun, bis sie ihre Pferde unter Kontrolle haben. Der ganze Platz, auf dem dies geschieht, wird im Staubwirbel unsichtbar. Erst nach einer Weile hat sich alles beruhigt, lichtet sich auch der Staub. Der Junge steht mit gesenktem Kopf da. Wahrhaftig, er schämt sich. Die vier Reiter betrachten ihn ernst. Johnny Warlok sagt fast sanft: »Siehst du, Jube, das ist der Unterschied. Muß ich ihn dir noch erklären?« »No, Sir«, erwidert Jube Perrit. Dann wendet er sich ab und folgt der Fährte seines Pferdes. Er wird ihr viele Meilen weit folgen müssen. Sie sehen ihm nach. »Diese Jungens …« murmelt Johnny Warlok. »Ich war auch mal so. Die können es nicht erwarten, sich einen Kriegsnamen zu schaffen.« Niemand erwidert etwas. Sie reiten schweigend weiter. Erst nach einer Weile sagt Jim Fletsher: »Es war ja auch ziemlich gemein von dir, Johnny. Auch ich wäre fast vom Pferd gefallen, obwohl ich die meisten deiner Tricks schon kenne.« * Natürlich halten sie sich fern vom Wagenweg. Immerhin wird Johnny Warlok ja gesucht. Er möchte verhindern, daß man ihn zu oft erkennt auf dem Weg nach Süden. Es sind ja immer noch tausend Dollar Kopfpreis auf ihn ausgesetzt. Sie folgen also verborgenen Pfaden und halten sich in Deckung der Hügel und Canyons. Dieses Land hier ist einsam und gefährlich. Seitdem die Truppen abgezogen wurden, um auf den
Kriegsschauplätzen des Bürgerkrieges zu kämpfen, ist die Zivilbevölkerung auf sich selbst angewiesen. Aber die wahren Herren des weiten Landes sind die Apachen. Die Städte und Ortschaften wurden zu Inseln. So manche Straße wird von den Apachen gesperrt. Man hat Prämien auf Apachenskalpe ausgesetzt. Die Stadt Tucson zum Beispiel zahlt gute Preise dafür. Die vier Männer beziehen nach Anbruch der Nacht ein geschütztes Camp. Nach Mitternacht beginnt für Johnny Warlok die Wache. Etwa zwei Stunden nach Mitternacht hören sie ihn fluchen, und er schießt mehrmals in die Nacht hinein. Der Hufschlag von Pferden entfernt sich. Es sind Pferde, die gestohlen wurden – jawohl, ihre eigenen Tiere. Sie fluchen nicht mehr, aber sie ersticken fast an ihrem Grimm. Und Jim Fletsher knirscht heiser, so, als spürte er Bauchschmerzen: »Das gibt es doch nicht. – Wir sind doch erfahrene Pferdediebe, die einem großen Banditen tausend Pferde stehlen wollten. – Ich sagte wollten! Denn daraus wird wohl nichts mehr. Pferdediebe, die sich ihre eigenen Tiere stehlen lassen, können einpacken.— Oder etwa nicht?« Sie knirschen nur als Antwort. Ja, sie schämen sich. Johnny Warlok aber, der ja Wache hatte, sagt gar nichts. Er bringt kein Wort heraus. Doch er lädt seinen Colt nach, mit dem er in die Nacht feuerte. Da er aber gewiß nicht auf ihre Pferde schoß, muß er die Pferdediebe gesehen haben. Deshalb fragt Paco Hermandes: »Apachen?« »Nein«, knirscht Johnny Warlok, »keine Apachen. – Ich sah nur einen einzigen Burschen im Mondlicht, als er die Pferde vor sich her aus dem Canyon auf die Ebene jagte und deshalb den Schatten verlassen mußte. Ich war ihm ja ein Stück
hinterhergelaufen, diesem Hundesohn. – Aaah, ich glaube, es war dieses Froschgesicht, dieser Jube Perrit.« Er heult fast, so sehr ist er zerknirscht. Aber bevor sie noch etwas sagen können, tönt eine Stimme durch die Nacht. »Hoiii! Hört ihr mich?« »Das ist er«, sagt Cass Longdale feierlich. »Und er ist wahrhaftig der beste Pferdedieb von uns allen.« Nach diesen leise gesprochenen Worten läßt er seine Stimme tönen: »Ja, mein Junge, wir hören dich!« »Ich bin nicht Ihr Junge, Mister! Ihr habt mich vier Meilen laufen lassen, bis ich endlich wieder mein Pferd fand. – Ihr habt mich mit einem miesen Trick reingelegt und vier Meilen laufen lassen. – Ihr müßt fünf Meilen laufen. Denn so weit ist es bis zur nächsten Relaisstation der Postlinie. – Dorthin bringe ich eure Pferde. Und hoffentlich habt ihr begriffen, daß ich kein schlechter Partner gewesen wäre für euch!« Als er die letzten Worte ruft, hört man deutlich den verletzten Stolz in seiner Stimme. Die vier Männer aber sagen nichts mehr. Es gibt nichts mehr zu sagen für sie. Und auch Flüche würden nichts ändern. Sie müssen laufen. * Als sie drei Meilen gelaufen sind, hören sie Schüsse. Es ist inzwischen schon grauer Morgen. Sie halten inne, lauschen, und sie haben längst schon den Wagenweg nach Nogales erreicht, an dem ja die Relaisstation liegt. Nach einer Weile sagt Paco Hermandes knapp: »Apachen.« Johnny Warlok und Jim Fletsher nicken sofort. Aber auch Cass Longdale ist der gleichen Meinung, obwohl er sich in diesem Land nicht so gut auskennt wie die drei
anderen Männer und bisher auch mit Apachen nichts zu tun hatte. »Sie haben die Station angegriffen«, sagt Johnny Warlok. »Und wenn der Junge vorher unsere Pferde dort abgegeben hat …« Er spricht nicht weiter. Denn das wäre nur unnütze Wortverschwendung. Jeder der anderen Männer weiß, daß sie verdammt viele Meilen werden laufen müssen, wenn es ihnen nicht gelingt, die Apachen zu vertreiben, bevor diese die Station kleingemacht haben. Sie sehen sich an. Und es ist bezeichnend für sie, daß sie jetzt gar keine Worte mehr reden müssen, um sich über ihr Tun zu verständigen. Für sie ist alles selbstverständlich. Sie verlassen sofort wieder die Wagenstraße und laufen zu den Hügeln hinüber. Das kostet sie zwar eine Viertelmeile, doch sie bewegen sich nun in guter Deckung vorwärts. Nun erst zeigt es sich, was in ihnen steckt. Obwohl sie schon mehr als drei Meilen liefen und dies als Reiter wahrhaftig nicht gewöhnt sind, traben sie jetzt wie die Apachen. Jim Fletsher, der sonst leicht hinkt und auch Übergewicht hat, merkt man beides nicht mehr an. Er bewegt sich ebenso leicht und ausdauernd wie die anderen Männer. Wer diese vier Männer so trotten sieht, der muß unwillkürlich an vier Wölfe denken, die sich auf einer heißen Fährte befinden und unbarmherzig über das Wild herfallen werden, sobald sie es erreicht haben. Immer wieder hören sie Schüsse. Es sind drei Waffen, welche immer wieder krachen, nämlich ein Colt, eine Schrotflinte und ein Büffelgewehr. Es müssen die Waffen der Verteidiger sein. Die Apachen greifen offenbar ohne Schußwaffen an. Vielleicht wollen sie nur Munition sparen, die ja bei ihnen oft sehr knapp ist – vielleicht aber auch wäre ihr Schießen wirklich
nur Verschwendung. Letzteres aber kann nur bedeuten, daß sie schon sehr dicht an der Station sind und diese im nächsten Moment schon anzünden können. Die vier Männer wissen dies alles. Sie bekommen dann endlich von halber Hügelhöhe aus Sicht auf die Station. Diese liegt am Rand des Wagenweges. Und sie entstand allein dort, weil es einen Brunnen gibt, der wahrscheinlich nicht sehr tief abgeteuft werden mußte und dennoch das ganze Jahr Wasser gibt, weil eine unterirdische Quelle ihn speist. Sonst wirkt alles trostlos. Es gibt außer dem Haupthaus nur noch einen Schuppen, einen Stall, eine halboffene Schmiede und ein paar Corrals. Ein kleiner Garten und Wassertröge, die aus den Brunnen gefüllt werden müssen, vervollständigen das Ganze. In der Nähe gibt es noch ein Maisfeld. Beim Brunnen liegt ein Mann. Er ist tot. Man kann den Pfeil sehen, der aus seinem Rücken ragt. Zwischen dem Brunnen und dem Haus steht die Postkutsche. Ihr Gespann war schon ausgespannt worden. Es befindet sich mit anderen Pferden in den Corrals. Dort bei den Corrals liegen auch weitere Tote. Die Apachen müssen lautlos angegriffen haben zwischen Nacht und Tag, nachdem die Postkutsche angekommen war und das Gespann wechseln wollte. Sie konnten die meisten Leute dort auf der Station, bei der Kutsche und den Korrals mit den Pfeilen erledigen. Nun zünden sie die Kutsche an, in deren Deckung sie sich hielten, so daß die Kugeln, die aus dem Haus auf sie abgefeuert werden, wenig Schaden unter ihnen anrichten. Es sind kaum mehr als zehn Apachen. Doch das ist nur natürlich. Denn die stärkeren Banden finden in diesem kargen Land abseits von Siedlungen nur wenig Nahrung. Apachen
streifen daher selten in größeren Banden umher. Die vier Männer auf dem Hügel sehen sich an. »Auf was warten wir noch?« fragt Johnny Warlok trocken. Niemand erwidert etwas. Aber sie machen sich auf den Weg. Und sie gehen nun ganz offen den Hügel hinunter und auf die Station zu. Der Rauch gibt ihnen vorerst Deckung. Dann aber dreht sich der leichte Wind etwas. Sie werden für die Apachen sichtbar. Ein schriller, wilder, böser Schrei tönt; es ist mehr als nur ein Warnschrei. Nein, dies ist die Aufforderung zum Angriff. Die Apachen wollen sich die Beute nicht mehr entreißen lassen. Sie haben die Postkutsche und das Haus in Brand gesetzt. Die meisten der Weißen sind bereits tot. Reiche Beute war ihnen schon sicher – Waffen, Munition, Pferde und Proviant. Und daß die vier Weißen da so offen und furchtlos den Hügel herunterkommen, dies verstehen die Apachen sofort als Herausforderung. Diese vier Weißen dort wollen den offenen Kampf. Nun, den können sie haben. Und so ist dieser wilde und böse Schrei für sie alle ein Signal. Sie nehmen ihn auf, erwidern ihn. Dann stürmen sie den vier Weißen entgegen. Aber ist es denn ein Kampf mit gleichen Chancen? Apachen sind gefährlich. Sie gelten als die besten Guerillakämpfer der Welt. Apachen wurden schon oft genug mit einer Übermacht fertig. Apachen fürchten sich nicht. Und vor vier Weißen schon gar nicht, wenn sie in fast dreifacher Übermacht sind. Als sie endlich erkennen, in was sie hineinrennen, ist es zu spät.
Denn sie rennen in das Feuer von vier Revolvermännern. Und es handelt sich nicht um zweit- oder gar drittklassige Revolverschwinger, nein, um Große dieser Gilde. Dies konnten sie nicht wissen. Sie rennen hinein in den Kugelhagel aus vier Colts. Und fast jede Kugel trifft, obwohl laufende und springende Apachen fast so schwer wie Wölfe oder Wildkatzen zu treffen sind. Sie feuern selbst ihre Waffen ab und sparen nicht länger mit ihrer Munition – aber es hilft ihnen nicht viel. Sie können auch nicht mehr umkehren oder gar aufgeben, denn sie würden sonst wie flüchtende Hasen beschossen werden und kämen zu spät in Deckung. O ja, sie begreifen alle, daß sie gewissermaßen in eine Falle rannten – in die Falle von vier Revolvern, von denen jeder unheimlich schnell und sicher schießt. Ihre einzige Chance ist der Angriff. Und so kreischen sie wie Pumas, machen sich Mut, hoffen, den Gegner zu verunsichern. Sie werfen ihre Messer, schießen auch, stürmen vorwärts, ducken sich, pendeln, springen im Zickzack. Sie tun alles, was Apachen von Kindheit an gelernt haben, wenn es darum geht, deckungslos einen gefährlichen Gegner anzugreifen. Aber sie haben keine Chance. Zehn Apachen haben keine Chance gegen vier Revolvermänner. Dann geht es vorbei. Von den Weißen ist keiner ernsthaft verletzt. Sie gehen weiter den Hang abwärts. Als einer der scheinbar toten Apachen aufspringt und sein Messer in Cass Longdales Bauch stoßen will, weicht Longdale gedankenschnell aus. Er tritt den Apachen in die Seite, so daß dieser sich überschlägt, hangabwärts rollt. Als er unten still
liegt, trifft ihn eine Kugel. Der Rauch wird vom leichten Wind überallhin getrieben. Die Flammen schießen hoch. Kutsche, Haus und Schuppen brennen lichterloh. Nur die Scheune wurde verschont, um die Pferde in den Corrals nicht zu sehr zu beunruhigen. Dennoch sind die Tiere dort nervös. Beim Brunnen bemühen sich zwei Gestalten um eine dritte, die an der Brunnenmauer lehnt. Die vier Revolvermänner treten hinzu. Denn sie sehen Jube Perrit. Aber sie staunen nicht so sehr über ihn, sondern über die Frau an seiner Seite. Jube und diese Frau bemühen sich um einen alten Mann, den es ziemlich schlimm erwischt hat. Sie lassen ihn trinken, waschen ihm das bärtige Gesicht. Er öffnet noch einmal die Augen und murmelt: »Es ist gleich vorbei. – Nur noch ein paar Atemzüge. – Habt Dank.« Sein Blick richtet sich nun auf die vier Revolvermänner. »Um das Girl und den Jungen wäre es schade gewesen«, sagt er noch sehr präzise. Dann schließt er die Augen und erschlafft. Er ist tot. Ein abgebrochener Pfeil ragt aus seinem Bauch. »Der war gut«, sagt Jube Perrit. »Der hat bis zuletzt mit der Büffelflinte geschossen, und der Rückstoß dieser Waffe war schlimm für ihn, weil er doch den Pfeil im Bauch hatte. – He, was werdet ihr denn mit mir machen?« Er fragt es ganz sachlich. Sie betrachten ihn und erkennen, daß er nicht betteln wird. Wahrscheinlich hat er Furcht. Jeder Mann an seiner Stelle hätte Furcht. Doch er zeigt sie nicht. Er hat ihnen die Pferde gestohlen, um sich für etwas zu revanchieren, was seinen Stolz arg verletzte. Dann hatte er
ihren Stolz verletzt. Denn auch sie mußten laufen wie er. Nun wartet er auf das, was sie tun werden. »Mein Colt ist leer«, grinst er. »Ich habe meine letzte Kugel verschossen. Doch wenn ich noch eine hätte, würde ich mich mit dem besten Schützen von euch messen. Das könnt ihr mir glauben.« Sie starren ihn immer noch an. Dann murmelt Jim Fletsher: »In dem haben wir uns wohl ein wenig getäuscht, nicht wahr?« Und Paco Hermandes grinst sogar, wenn auch etwas grimmig und bitter. »Schließlich hat er unserem guten Johnny die Pferde stehlen können«, spricht er dann. »Und dazu gehört schon was. Der muß in seinem früheren Leben ein Pferd gewesen sein. Dabei sieht er aus wie ein Frosch.« Sie blicken nun alle auf Johnny Warlok. Dieser starrt Jubal Perrit eine Weile an. Aber Jubal hält seinem Blick stand, wartet ruhig, ja fast stolz. Endlich grinst Johnny Warlok. Er deutet mit dem Daumen auf Cass Longdale. »Er ist der Boß«, sagt er. »Aber ich hätte nichts mehr dagegen, mein Junge, daß du mit uns reitest. Du hast uns dein Zeichen eingebrannt. Das war notwendig, weil wir dich unterschätzten und du uns dies klarmachen mußtest. – Doch von nun an sei vorsichtig. – Verstehst du?« »Genau«, nickt der Junge. »Ich wollte euch nur zeigen, daß ich nicht schlechter bin als ihr. – Daß ich bei euch nur der fünfte Mann sein werde, ist mir völlig klar. Mehr steht mir auch nicht zu.« »Er redet ganz vernünftig«, wendet sich Johnny Warlok an Cass Longdale. »Und er reitet mit uns«, nickt dieser Jubal Perrit zu. Und weil sie nun endlich fertig sind mit ihren eigenen Problemen, wenden sie sich anderen zu.
Und sie begreifen sofort, daß da einiges auf sie zukommt. Denn da ist dieses Mädchen. Sie sitzt halb auf dem Brunnenrand, wahrscheinlich deshalb, weil ihr die Beine noch zu sehr zittern. Sie verharrt starr und sieht sie unbeweglich an. Nur einmal leckt sie sich über die Lippen, so, als wollte sie etwas sagen. Doch sie läßt es sein und wartet. Ja, sie ist mehr als hübsch. Auf eine rassige und eigenwillige Art ist sie fast schön, auf jeden Fall jedoch mehr als nur reizvoll. Auch unter tausend anderen Frauen und Mädchen wäre sie eine der begehrenswertesten. Sie hat gewiß mit der Schrotflinte gekämpft. Ihr Gesicht ist vom Pulverrauch geschwärzt. Aber ihre grünen Augen blitzen, verraten Energie, Lebenskraft, Selbstvertrauen. Sie gehört zu der in diesem Land nicht seltenen Sorte der Frauen, die jedem Mann gerade in die Augen blicken. Cass Longdale ist es, der schließlich fragt: »Sind Sie in Ordnung, Schwester?« Sie nickt. Dann wendet sie den Kopf, weil nun die brennende Postkutsche zusammenbricht. Eine Eisenkiste fällt dabei aus dem hinteren Gepäckfach. »Vielleicht können Sie diese Kiste etwas aus dem Feuer ziehen«, spricht sie. »Da ist nämlich meine große Aussteuer drin – Geschirr, Glaszeug und dergleichen Dinge. Es ist zwar alles sorgfältig verpackt und verträgt gewiß auch einen Sturz. Doch wenn die Eisenkiste zu heiß wird …« Sie staunen über ihre sachlichen Worte. Dann nickt Johnny Warlok. Er geht hin, hält einen Arm schützend vor das Gesicht wegen der Flammen. Mit der anderen Hand, an der er noch seinen Reithandschuh trägt, ergreift er die Kiste an einem der eisernen Tragegriffe und zieht sie einige Schritte weit aus der Gefahrenzone. »Na, die ist aber schwer«, sagt er dann, wieder nähertretend. »Porzellan, Glas, Zinn und dergleichen sind schwer«,
erwidert die junge Frau. »Ich muß mich sehr bei Ihnen bedanken, Gentlemen – und bei diesem jungen Mann. Der sprang plötzlich herein und warnte uns, die wir vorerst als einzige im Haus waren. Draußen war gar nicht viel zu hören. – Ich bedanke mich sehr. Und ich hoffe, daß Sie mich mit nach Nogales nehmen werden.« * Sie können erst gegen Mittag weiter nach Nogales. Sie mußten die Toten begraben und eine Menge anderer Dinge erledigen. Nun treiben sie alle Pferde der Station mit. Denn wahrscheinlich werden sie jetzt schon von den Apachen beobachtet. Ein solches Rudel wie dieses hier streift selten allein durch das Land. Es hält stets Verbindung zu anderen Rudeln, auch zum irgendwo verborgenen Dorf, in dem die Frauen und Kinder leben. Sie lassen nichts zurück, was den Apachen nützlich sein könnte. Auf einem der Pferde transportieren sie die Kiste mit der Aussteuer der jungen Frau. Ginger Lane heißt sie – und sie sagt ihnen, daß sie unterwegs ist, um zu heiraten. Deshalb ist ihr auch die Kiste mit der Aussteuer so wichtig, denn es handelt sich vor allen Dingen um Erbstücke ihrer Vorfahren. Sie läßt die Männer auch einen Blick in die Kiste werfen. Ja, es ist Geschirr darinnen, kostbares Porzellan, Vasen aus Kristall, kunstvoll geschliffen. Und alles ist gut verpackt. Die Eisenkiste hat diese Dinge auch vor den Flammen der brennenden Kutsche geschützt. Immer wieder spähen sie scharf in die Runde. Mit einem Apachenangriff müssen sie eigentlich jeden Moment rechnen. Denn mit den Apachen ist es so, daß sie manchmal besonders
nahe sind, wenn man glaubt, meilenweit allein zu sein. Es sind gut zwanzig Meilen bis Nogales. Als es dunkel wird, sind die Lichter der Stadt vor ihnen. Es stellt sich heraus, daß auch Ginger Lane auf die andere Seite will, also in den mexikanischen Teil der Stadt jenseits der Grenze. Sie geben die Pferde der Postlinie beim Wagenhof ab. Dort stellt man gerade ein Aufgebot zusammen, welches nach der überfälligen Postkutsche sehen soll. Paco Hermandes und Jim Fletsher schildern den Leuten alles. Cass Longdale und vor allen Dingen Johnny Warlok halten sich zurück. Jubal Perrit aber ist mit Ginger Lane schon weitergeritten. Denn Ginger Lane ist am Ende ihrer Kraft und verlangt, so schnell wie möglich in ein Hotel gebracht zu werden. Die vier Männer, die unterwegs sind, um tausend Pferde zu stehlen, treffen Jubal Perrit dann jenseits der Grenze. Er tritt ihnen, das Pferd am Zügel haltend, aus dem Schatten eines Gebäudes entgegen. »Sie liegt schon im Bett«, sagt er. »Dort im Sonora-Hotel. Und ich mußte ihr die Kiste auf das Zimmer tragen. – Ich schaffte das kaum. Aber sie wollte ihre Kiste neben dem Bett haben. – Sie ist so schön wie der Himmel und so kalt wie das Eis am Nordpol – oder?« Er wirkt ein wenig ratlos, dieser wilde Junge, und sicherlich hofft er, daß ihm die vier erfahrenen Männer etwas erklären. Doch das können sie nicht. Denn sie sind selbst irgendwie ratlos, was diese Ginger Lane betrifft. Sie ist so völlig anders als alle Frauen, denen sie bisher begegnet sind. Schließlich sagt Jim Fletsher: »Ich glaube schon, daß sie eine Menge Feuer hat und dies auch geben kann, wenn der richtige Mann kommt. – Aber …«
Nun verstummt er hilflos. Jubal Perrit sitzt nach einem kurzen Zögern auf. Dann reiten sie weiter. Sie wollen sich nicht aufhalten lassen in Nogales. Denn sie sind ja unterwegs, um tausend Pferde zu stehlen. Und es ist nur gut für sie, wenn man sie gar nicht sieht. Schon allein für Leute, die sich auskennen im Land, könnte es sehr aufschlußreich sein, diese fünf Männer als Mannschaft reiten zu sehen. Sie müssen etwa zwei Tage reiten, jedoch stets ziemlich nahe an der Grenze bleiben. Dann kommen sie in das Macht- und Einflußgebiet von Don Estobal de Francisco. Die Stadt Santa Rosa ist gewissermaßen sein Eigentum. Wenn er will, kann er drei- oder vierhundert Mann in die Sättel bringen. Daß die meisten dieser Reiter barfüßig sind, hat nichts zu bedeuten. Denn kämpfen können sie alle, und bestimmt kämpfen sie sogar besser als die Satten, die sich keine Stiefel mehr wünschen. Don Estobals Hazienda befindet sich einige Meilen weiter südlich der Stadt in einem wunderschönen Tal. Außer Cass Longdale waren alle anderen Männer schon mal dort, sogar Jubal, der einmal seinem Bruder half, ein paar gestohlene Pferde dorthin zu treiben. Bei Don Estobal kann man immer gestohlene Pferde verkaufen. * Nun reitet Cass Longdale schon einige Tage mit diesen vier Männern, und auch diesmal wieder – als sie beim Feuer hocken und er im Flammenschein ihre Gesichter betrachtet – muß er über sie nachdenken, versucht er, diese Männer besser zu begreifen. Es wird nämlich bestimmt noch sehr wichtig für ihn werden.
Es wird gewiß noch sehr darauf ankommen, daß er jeden dieser Männer richtig beurteilt. Da ist Johnny Warlok, den er vor dem Strick bewahrte. Gewiß, Johnny ist ein Pferdedieb, aber kein kleiner. Er ist eher schon ein Sattelpirat und zugleich ein Revolverkämpfer. Johnny Warlok würde niemals einem Cowboy ein Pferd stehlen. Nein, solch ein Pferdedieb ist er nicht. Aber er stiehlt kostbare Zuchtstuten und liefert dann der ihn verfolgenden Mannschaft ein kluges Katz-und-Maus-Spiel. Das alles macht ihm Spaß. Johnny Warlok besitzt auch Stolz. Und aus diesem Grund muß er auch Ehre besitzen. Johnny Warlok ist ein Sattelpirat, dem es Spaß und Befriedigung bereitet, sich mit einer großen Ranch und deren Mannschaft zu messen. Dies allein gibt ihm das Gefühl der Freiheit. Und dann ist da dieser Paco Hermandes, der zu faul ist zu arbeiten und seiner Frau ständig Kinder macht. Wahrscheinlich liebt er seine Frau und seine Familie wirklich sehr. Dennoch kann er seine Faulheit nicht besiegen. Und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als dann und wann schnelles Geld zu machen. Gewiß ist er – wenn es erst darauf ankommt – ein ganz besonders schlauer Pferdedieb. Und kämpfen kann er. Dies bewies er gegen die Apachen. Paco Hermandes könnte mit seiner Schießkunst ein richtiger Revolverheld sein. Daß er es nicht wurde, kann nur damit zusammenhängen, daß er eigentlich ein friedlicher Mensch ist. Er reitet mit, weil seine Frau für sich und die Kinder zwanzig Dollar Vorschuß bekommen hat – eine lächerlich geringe Summe. Aber was wird er verlangen, wenn es ihnen gelingen sollte, wirklich die tausend Pferde zu stehlen und in Sicherheit zu bringen? Diese tausend Pferde sind gewiß zwanzig- und dreißigtausend Dollar wert unter Brüdern. Und wenn Paco Hermandes einen fairen Anteil haben will …
Cass Longdale denkt gar nicht weiter. Indes er vorsichtig den heißen Kaffee schlürft, betrachtet er über das Feuer den dritten Mann seiner Mannschaft: Jim Fletsher. Auch dieser Jim Fletsher ist nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Wahrscheinlich ist er Johnny Warlok sehr ähnlich, nämlich ebenfalls piratenhaft, verwegen und von dem Zwang beherrscht, frei jagen zu können. Jim Fletsher war in einem »Goldenen Käfig« gefangen. Das hat ihm eine Weile gefallen, denn diese Ruth ist ein Klasseweib. Aber er wurde übergewichtig. Die freie Jagd fehlte ihm. Er hatte Sehnsucht nach Schweiß, Staub, Durst und all den vielen anderen Dingen, die da draußen auf all den Fährten warten. Er mußte mitreiten; er mußte das einfach tun, um sich wieder als freier Mensch fühlen zu können, um sich selbst zu beweisen. Ja, dieser Jim Fletsher reitet nicht so sehr wegen des Geldes für die große Beute. Nein, für Jim Fletsher geht es mehr um den Beweis, jederzeit reiten, jagen und sich behaupten zu können. Und da ist noch der Junge, dieser Jube Perrit. In diesem Jungen haben sie sich alle getäuscht. Wahrscheinlich ist er zu weiteren Überraschungen fähig. Wird es auch bei ihm um viel Geld gehen? – Oder wird ihm der Beweis, ein gewagtes Spiel gewonnen zu haben, durch Verwegenheit und Tüchtigkeit, genügen? Wird ihm das Gefühl des Stolzes Lohn genug sein? Cass Longdale bezweifelt das. Doch er weiß, daß sie irgendwann allesamt als das zu erkennen sein werden, was sie wirklich sind. Von diesen Männern hier ahnt nur Johnny Warlok, wer er ist, nämlich ein Unionsoffizier, der den Befehl hat, sich als ganz großer Pferdedieb zu versuchen, damit die Konföderierten ihre
Kavallerie nicht verstärken können. Nun, tausend Pferde sind gewiß nicht kriegsentscheidend. Doch das sind viele Dinge für sich allein nicht. Zusammengenommen aber mögen sie vielleicht entscheidender und wichtiger sein als eine große Armee. Und deshalb muß er, Captain Cass Longdale, seine Pflicht tun und seinen Auftrag befehlsgemäß auszuführen versuchen. * Als sie Santa Rosa erreichen, ist es schon später Nachmittag. Sie reiten in die Stadt hinein. Denn nun, da sie sich in Don Estobals Machtbereich befinden und sie ja zu ihm selbst wollen, brauchen sie nicht mehr auf verborgenen Pfaden zu reiten und sich zu verstecken. Überdies sind sie ja auch in Mexiko. Nicht mal Johnny Warlok hat jetzt etwas zu befürchten vom Gesetz. Jedem von ihnen ist von vornherein klar, daß sie sich nicht anschleichen können, um dann tausend Pferde zu stehlen und mit dieser Riesenherde allen Verfolgern zu entkommen. Nein, so geht es nicht. Das kann man mit einem Rudel schneller Tiere in einer dunklen Nacht versuchen, doch nicht mit tausend Pferden und in Don Estobals Machtbereich. Sie müssen es anders machen. Aber wie? Das fragen sie sich alle fünf. Und keiner hat bisher eine brauchbare Idee. Sie wissen jedoch, daß sie eine Chance erkennen werden, sollte es eine geben. Vorerst müssen sie erst einmal in Don Estobals Nähe kommen. Aber das wird nicht schwer sein. Denn Don Estobal führt ein gastliches Haus. Und bis auf Cass Longdale waren sie ja alle schon »Geschäftspartner« von ihm.
Sie reiten also nach Santa Rosa hinein und halten vor der Fonda an. Es wird hier offenbar ein Fest gefeiert, denn rings um das große Gasthaus ist ein buntes Durcheinander. Musik erklingt, Tanzpaare drehen sich. Über der Glut von Feuern drehen sich ein Jungstier, Hammel, Schweine. Und es gibt schon eine Menge Betrunkener. Ein großer Mexikaner kommt schwankend heran, schwingt eine Tequilaflasche und prostet Paco Hermandes zu. »Ay, Paco! Willkommen, Compadre! Sind das deine Amigos? Dann seid ihr alle eingeladen. – Steigt ab! Eßt soviel ihr könnt! Und dann betrinkt euch, daß es aus den Ohren läuft! Feiert mit uns! Denn heute sind wir alle nur Amigos! Die ganze Welt besteht nur aus Amigos! Versteht ihr?« »So ist es, Manuelo«, erwidert Paco Hermandes lachend. »Es ist schön, daß wir uns mal wiedersehen. – Und was wird hier gefeiert? – Was ist der Anlaß zu diesem Fest? Was gibt es?« »Der Gringo-Captain«, grinst Manuelo. »Der kam von drüben und warb Männer an für das lange Treiben. – Tausend Pferde kauft er von Don Estobal – tausend gute Pferde, versteht ihr? – Er muß bare Dollar zahlen! Golddollar! Und alle Treiber bekamen schon einen Vorschuß. Deshalb das große Fest. – Wir hatten hier schon lange kein großes Fest. – Wollt ihr auch Arbeit als Treiber beim Gringo-Captain? Oder seid ihr gekommen, um ihm die tausend Pferde zu stehlen? Hahahaha! Ich sehe, Paco, daß deine Amigos etwas von Pferden verstehen. Die sind von deiner und meiner Sorte. – Hey, das spürt ein Bursche wie ich sofort! Soll ich euch zum Captain bringen? Soll ich ein gutes Wort für meinen alten Compadre Paco und seine Amigos einlegen?« Er ist ziemlich betrunken, dieser Manuelo. Doch er weiß gewiß noch, was er sagt. Überdies wirkt er wie ein mit allen Wassern gewaschener und Salben gesalbter Bursche. Seine Kleidung ist gut, fast nobel. Er sieht auch wie ein Mann aus, der anderen Männern Befehle zu erteilen gewohnt ist.
Paco Hermandes sieht sich im Kreis der inzwischen abgesessenen Männer um. Cass Longdale nickt ihm kaum merklich zu. Denn Longdale erkennt sofort die große Chance, und zugleich begreift er, daß sie nicht mal eine einzige Stunde zu früh gekommen sind. Denn Don Estobal werden sie die Pferde gar nicht mehr stehlen müssen. Die Konföderiertenarmee hat sie gewissermaßen schon übernommen. Und eigentlich ist ihnen alles das recht so. Paco sieht Manuelo wieder an. »Si, Amigo«, nickt er, »führe uns zu diesem Gringo-Captain, damit vielleicht auch wir ein paar Gringo-Dollars verdienen können. Und leg ein gutes Wort für mich und meine Amigos ein, si?« Manuelo bekommt einen Moment schmale Augen, und er wirkt in diesem Moment auch gar nicht betrunken, sondern sehr nüchtern und wachsam. Doch dies sieht nur einen Augenblick so aus. Dann wirkt er wieder sehr angetrunken. »Kommt, Amigos, kommt! Denn wenn auch ihr Vorschuß erhaltet, haben wir noch mehr Geld zum Feiern. – Kommt nur, Amigos!« Sie folgen ihm zum Haus hinüber, nachdem sie ihre Pferde zwischen all den vielen anderen Tieren angebunden haben. Auf der großen Veranda der Fonda sehen sie ihn dann sitzen. Ja, er ist auf den ersten Blick als ein Offizier der Südstaaten zu erkennen. Er ist sozusagen die Verkörperung des texanischen Gentleman. Diese Sorte hat damals unter General Houston die Mexikaner aus Texas verjagt und die Republik ausgerufen. Und die Söhne dieser Sorte wuchsen dann auf den großen Baumwollplantagen auf, sozusagen mit goldenen Löffeln im Munde, betreut von schwarzen Ammen, erstklassigen Privatlehrern aus dem alten Europa und jeden Tag reicher gemacht von all den vielen Sklaven.
Diese Sorte hält sich für die Aristokratie des Südens, und sie läßt nur ihresgleichen neben sich gelten. Cass Longdale kennt diese Sorte. Einst gehörte er dazu. Jetzt nicht mehr. Denn es gab einige Jahre, da lernte er die Not und das Elend an der Ostküste kennen und begriff viele andere Zusammenhänge. Neben diesem typischen Konföderiertenoffizier, der selbst seine Zivilkleidung wie eine Uniform trägt, sitzen noch einige andere Männer, die wie Soldaten wirken, aber nicht wie Offiziere, sondern Sergeanten und Korporale in Zivil. Manuelo führt die fünf Ankömmlinge um den langen Tisch herum, an dem sie alle sitzen und den roten Wein trinken, dazu das gebratene Fleisch, Nüsse und Brot essen. »Señor Capitan«, sagt Manuelo und deutet auf die fünf Männer hinter sich. »Das sind Paco Hermandes und seine Amigos! Das sind die besten Männer für Sie, Señor Capitan! Pferde- und Apachenjäger, Wolfstöter! Es ist ein Glück für Sie, Señor Capitan, daß sie zufällig nach Santa Rosa kamen. – Vielleicht können Sie diese wertvollen Helfer anwerben – vielleicht!« Und der Konföderierten-Captain betrachtet die Ankömmlinge. Er zieht sich grinsend etwas zurück. Diese sehen natürlich nicht sehr salonfähig aus, sondern eben wie arg von einem primitiven Leben mitgenommene Rauh- und Langreiter. Sie sind stoppelbärtig, staubig, abgerissen – und sie wirken hungrig – was sie ja auch sind. Der Captain betrachtet sie hart. Oha, so sauber und geschniegelt er auch auf den ersten Blick wirkt, ein harter Bursche ist er ganz gewiß. Die Armee der Südstaaten hat gewiß einen der besten Offiziere für diesen Auftrag abkommandiert. Und auch seine Männer sehen so aus, als seien sie jeder Sache gewachsen, die mit Mut und Tatkraft zu bewältigen ist.
Er nickt Paco Hermandes zu. »Sie nehme ich, Señor«, sagt er, und daß er einen Mann wie Paco Hermandes so höflich mit Señor anredet, spricht für seine Menschenkenntnis und Klugheit. »Es gibt zehn Dollar Handgeld und während des Treibens zwei Dollar pro Tag und am Ziel eine gute Prämie, die sich nach der Leistung des einzelnen unterwegs richtet. – Sergeant, tragen Sie ihn in das Buch ein.« Damit ist Paco Hermandes entlassen. Er tritt zur Seite, wartet aber noch. Der Captain sieht nun auf die vier anderen Männer. »Angloamerikaner«, sagt er. »Und warum dienen Sie nicht in der Konföderiertenarmee, wie es die Pflicht eines jeden Südstaatlers ist? Warum reiten Sie hier in Mexiko herum? – Wir hätten den Krieg gegen die Union längst schon gewonnen, wenn jeder Südstaatler seine Pflicht täte. – Oder?« Er fragt es barsch. Cass Longdale gibt sich grob und primitiv. Er hebt beide Hände, zeigt ihm die Handflächen – eine Geste der Entschuldigung. »Wissen Sie, Sir«, sagt er dann, »wir reiten schon all die Jahre auf beiden Seiten der Grenze und wissen gar nicht mehr richtig, ob wir zu Mexiko oder zu den Staaten gehören. – Vielleicht wenn jemand uns eine Ranch oder eine Baumwollplantage schenken würde in Texas oder sonstwo innerhalb der Konföderation, würden wir auch glühende Patrioten sein. – Wollen Sie unsere Hilfe als Treiber oder nicht? – Wir betteln nicht. – Doch eines sollten Sie wissen: Wir verstehen was von diesem Geschäft. – Wir würden zu den Reitern gehören, denen Sie Sonderprämien zahlen müßten. – Na?« Der Captain überlegt noch. Seine Augen blicken von einem Mann zum anderen. Der Mann neben ihm, der wie ein bullbeißiger Sergeant
wirkt, sagt plötzlich: »Sir, das sind Banditen und Pferdediebe. – Die wollen wahrscheinlich nur deshalb für uns reiten, weil sie dann mal wieder über die Grenze dürfen, ohne gleich von den Sheriffs gejagt zu werden. – Aber wer sie auch sein mögen, daß sie was von Pferden verstehen, glaube ich aufs Wort.« Da nickt der Captain. »Ich bin Captain Forster Travis. Das ist Sergeant Clayton. – Ihr seid auf der Lohnliste.« * Als sie am nächsten Morgen losreiten, sind sie alle verkatert. Manche der Reiter schwanken noch in den Sätteln, und als die Sonne hochkommt und sie alle zu schwitzen beginnen, da riecht der Schweiß nach Schnaps und Wein. Mancher Reiter übergibt sich im Sattel. Der Captain aber an der Spitze neben Manuelo bemerkt dies alles nicht, will es nicht bemerken. Santa Rosa bleibt hinter ihnen. Sie folgen dem Reit- und Fahrweg zu Don Estobals Hazienda. Bald schon werden sie von einem leichten Wagen eingeholt. Und als der Wagen dann langsam die trabende Kolonne überholt, da erkennen sie auch den einzigen Fahrgast hinter dem Fahrer. Es ist diese grünäugige Lane, die mit einer Eisenkiste voller Geschirr und ähnlicher Dinge zu ihrer Hochzeit unterwegs ist und es Jubal Perrit zu verdanken hat, daß die Apachen nicht eine Hochzeit ohne Trauung mit ihr machten. Ja, sie ist es. Und alle staunen. Sie nickt ihnen aus dem Wagen zu, winkt sogar leicht. Jubal Perrit zieht seinen Hut und schwingt ihn weit.
»Viel Glück, Ma’am!« ruft er. Denn er ist offenbar der Meinung, daß Ginger Lane unterwegs zur Hochzeit ist. Eigentlich kann ihr Ziel nur die Hazienda von Don Estobal sein. Sonst wäre es mehr als leichtsinnig von ihr, nur mit einem Fahrer durch dieses Land zu reisen. Cass Longdale beginnt mehr und mehr über diese Ginger Lane nachzudenken. Sie hat auch ihm zugewinkt, und ihr Blick war nachdenklich und forschend zugleich. Offenbar war sie überrascht, ihn in dieser Mannschaft reiten zu sehen. Als sie den vorn an der Spitze reitenden Captain überholt, zieht dieser den Hut. Sie wirft ihm einen Handkuß zu. Und darüber denkt Cass Longdale immer noch nach. Es ist sicher, daß Ginger Lane und Captain Forster Travis sich kennen. Hat sie am Ende gar etwas mit dem Kauf dieser Riesenpferdeherde zu tun? Wenn ja, was dann wohl? Sie müssen noch zwei bis drei Meilen reiten und erreichen dann in den Hügeln eine weite Senke. Sie ist schon fast ein kleines Tal. In ihrer Mitte ist ein kleiner See. Es gibt Bäume, Büsche, viel Grün. Diese Senke mit dem kleinen See ist eine wunderschöne Oase, ein Paradies. Doch es gibt da unter ihnen noch schönere Dinge zu sehen: Pferde! Ja, das sind die tausend Pferde! Wahrscheinlich sind es noch mehr. Dort unten ist das große Pferdeparadies. Die Kolonne der Reiter hält an. Sie sind etwa zwei Dutzend Männer, und alle verharren sie in den Sätteln und staunen über dieses Bild. Tausend Pferde – und es sind ausgesucht schöne Tiere, voller Rasse und Klasse. Einige Reiter kommen ihnen entgegen.
Johnny Warlok, der neben Cass Longdale reitet, sagt trocken: »Der mit dem Riesenschnauzbart ist der große Don Estobal, der Herrscher. – Dort kommt der Mann, der jetzt das große Geschäft macht. – Ich möchte nur wissen, wo der Captain das Geld hat. Denn Don Estobal gibt diese Pferde nicht ohne sofortige Barzahlung heraus, der nicht. – Aaaah, er wird dreißig- bis vierzigtausend Golddollar verlangen. Das sind mehr als fünfzig Kilo Gold. Verstehst du, Mister? Wo haben dieser Captain und seine paar verkleideten Soldaten das Geld? In ihrem Gepäck? In den Satteltaschen? Das glaub ich nicht. – Hey, dreißigtausend Dollar in Gold, das ist ein Schatz, auf den sich viele Banditen gestürzt hätten. Dreißigtausend Dollar in Gold sind leichter zu stehlen als tausend Pferde. Und man kann damit auch viel leichter entkommen. – He, Cass Longdale!« Dieser weiß genau, was die letzten Worte zu bedeuten haben. Sie sind eine Aufforderung. Aber er beachtet sie nicht. Er sieht auf Don Estobal, der mit seinen Begleitern nun beim Captain verhält. Sie wechseln einige Worte. Dann macht Don Estobal eine Bewegung, so, als würde er sagen: ›Da sind die Pferde. Nehmen Sie sich alle, die Sie bezahlen können.‹ Plötzlich taucht auch der Wagen mit der schönen Ginger Lane wieder auf. Er kommt um einige Felsen herum, die vom Grün der Bäume und Büsche gesäumt werden. Es ist ein wunderschöner Tag in Sonora. Der Wagen kommt langsam heran, hält dann beim Captain und Don Estobal. Dieser Don Estobal ist ein beleibter Mann mit einem Riesenschnurrbart. Er wirkt auf den ersten Blick wie ein gemütlicher Dicker, nicht wie ein Bandit, der sich sein eigenes Reich schuf und nun wie ein Grande lebt. Aber wahrscheinlich täuscht Don Estobals Aussehen. Es
kann gar nicht anders sein. Er zieht vor Ginger Lane seinen Hut. Cass Longdale drängt sein Pferd etwas vor. Zwei von Captain Forster Travis’ Männern sitzen indes ab. Sie heben Ginger Lanes Eisenkiste aus dem Wagen. Sie wirft einem den Schlüssel des Vorhängeschlosses zu. Und dann wird bald schon ihr scheinbar so wertvolles Zeug achtlos aus der Eisenkiste geworfen. Zum Vorschein kommen einige Säcke, in denen es klingelt. Für alle Zuschauer ist es klar. Don Estobal kassiert in diesem Moment Golddollars für tausend Pferde. Und Ginger Lane brachte das Geld in dieser Eisenkiste ins Land, gut getarnt als die Ausstattung einer Braut, die mit einer normalen Überlandpostkutsche reiste. Fast hätten die Apachen alles bekommen – Braut und Kiste. Wahrscheinlich wären eine Menge Banditen hinter diesem Golddollar-Transport hergewesen, wäre er nicht so geschickt durchgeführt worden. Dieser Captain Forster Travis und seine paar Männer wären mit dem Gold gar nicht bis zu Don Estobal gekommen. Mehr als eine Bande würde versucht haben, ihnen den Schatz abzunehmen. Doch sie ritten ohne das Vermögen. Sie vertrauten es einer Frau an. Natürlich hatte auch sie eine Menge Glück. Don Estobal steigt vom Pferd. Er hat kurze, stämmige Beine. Er prüft Beutel für Beutel, und er ist mißtrauisch, wie es nur ein Mann sein kann, welcher selbst sein ganzes Leben lang immer wieder nur betrogen und übervorteilt hat. Er holt sogar mehrmals ein Goldstück heraus und beißt darauf. Seine Begleiter hocken bewegungslos in den Sätteln. Doch ihre zumeist dunklen Augen beobachten wachsam. Es sind mexikanische Pistoleros – seine Leibwächter. Gewiß bezahlt er sie gut. Sie leben bei ihm wie treue Gefolgsleute bei
einem Raubritter. Es mangelt ihnen an nichts – Kleidung, Essen, Frauen, schöne Pferde. Sie wissen, daß es ihnen so lange gutgehen wird, wie Don Estobal mit ihrer Hilfe der große Mann bleiben kann in diesem Land und noch möglichst viele Geschäfte machen kann wie dieses hier. Er ist fertig mit der Prüfung. Und er wendet sich an Captain Forster Travis. Unter seinem starken Schnurrbart blinken seine weißen Zahnreihen. »Ein Geschäft zwischen einem amerikanischen Gentleman und einem mexikanischen Hidalgo«, sagt er. »Solche Geschäfte mach ich gerne wieder.« Er macht eine einladende Armbewegung. »Suchen Sie sich tausend Pferde aus. – Meine Vaqueros helfen Ihnen, denn ich bin sicher, Sie haben es eilig, Captain. – Am besten wäre, Sie schlagen Ihr Camp dort drüben auf. – Ich lasse von der Hazienda alles herbeischaffen zu Ihrer Bequemlichkeit. Die Señorita ist natürlich auf der Hazienda mein Gast. Ich werde ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen – und meine Leute werden ihre Sklaven sein. Oha, wenn sie will, wird sie sogar in Eselsmilch baden können …« »Vielen Dank, Don Estobal«, unterbricht Ginger Lane ihn. »Doch ich bleibe in diesem Camp.« Sie sagt es in einem höflichen, doch sehr entschiedenen Ton. Dabei sieht sie ihn fest an – und was er auch in ihren Augen erkennen mag, es ist nichts, was ihm Hoffnung machen könnte. Er versucht es mit keinem Wort mehr, Ginger Lane umzustimmen. Aber seine Augen werden schmal. Sein Nicken ist kaum zu erkennen. Cass Longdale, der diesen Mann scharf beobachtet, wird sich darüber klar, daß Don Estobal jetzt etwas herunterschlucken muß, was ihm gewiß nicht besser als eine Kröte schmeckt.
Ginger Lanes Abweisung war eine Beleidigung für ihn. Denn er ist ein Mann, der gewöhnt ist, sich alles zu nehmen und alles zu bekommen, dessen Wille Gesetz ist in seinem Land. Und was kann ihn davon abhalten, die paar Gringos zum Teufel zu jagen, nachdem er ihre Golddollars hat? Was kann ihn daran hindern, ihnen die tausend Pferde nicht auszuliefern? Nichts! Gar nichts! Denn er ist hier der absolute Herrscher. Er nimmt sich jedoch zusammen. Sein blitzendes Lächeln erscheint noch einmal unter seinem schwarzen Schnurrbart. Er schwenkt vor Ginger Lane seinen kostbaren Hut. Dann reitet er davon. Seine Pistoleros folgen ihm. Captain Forster Travis blickt ihm eine volle Minute lang nach – und es ist unschwer zu erkennen, daß er sich Sorgen macht. Auch sein Blick in die Runde ist ein besorgtes Forschen. So etwa blickt ein Mann in die Runde, der sich überlegt, ob er schon eingekeilt ist. Als er dann seine Befehle gibt, klirrt in seiner Stimme die grimmige Ungeduld. »Also los, Leute«, sagt er. »Wir treiben tausend Pferde zusammen und machen uns damit auf den Weg. – Vorwärts! Wir haben keine Minute zu verlieren!« * Sie arbeiten hart bis zum Anbruch der Nacht. Und das Camp ist primitiv. Obwohl Don Estobal versprach, ihnen alles von der Hazienda herbeischaffen zu lassen, was ihnen zu einiger Bequemlichkeit verhelfen würde, geschieht dies nicht. Ginger Lanes Weigerung, ihm auf der Hazienda Gesellschaft zu leisten, muß ihn zu arg gekränkt haben. Vielleicht hat er erwartet, zu den Goldstücken noch eine Zugabe zu erhalten als
Preis für die Pferde. Cass Longdale hat Sattelarbeit verrichtet wie alle anderen Reiter. Er steht den Besten in nichts nach. Als er einmal ein Rudel Pferde zum Corral bringt, in dem die Tiere den Treib-Brand bekommen – es ist eine einfache Sieben – sind dort Captain Forster Travis und Ginger Lane. Der Captain winkt ihn dann heran. »Miß Lane erzählte mir, wie sie von euch gerettet wurde«, sagt er. »Sie berichtete mir auch, wie gut ihr fünf Burschen mit euren Colts wart. – Ihr seid fünf Revolvermänner, daran gibt es keinen Zweifel. Ich frage mich, wieso ihr damit zufrieden seid, für ein paar Dollars als Treiber zu reiten? – Ist das nicht etwas unter eurem Niveau?« Er verstummt lässig. Doch in seinen Augen ist ein Funkeln. Sergeant Ben Clayton, der fast wie ein zu groß geratener Comanche aussieht, steht in der Nähe – wachsam, lauernd. Und wahrscheinlich ist dieser jetzt Zivil tragende Sergeant ebenfalls ein Revolvermann. Denn er trägt die Waffe wie ein solcher und hat jetzt seine Hand dicht am Kolben. Cass Longdale grinst zurück »Vielleicht sind wir Patrioten« sagte er. »Wenn wir schon nicht in der Konförderiertenarmee dienen, dann sollten wir doch wohl mal etwas für sie tun und ihr zu ein paar Pferden verhelfen – oder?« Die Augen des Captains werden schmal. Seine Nasenflügel vibrieren, so, als bekämen sie eine feine Witterung. »Sie wollen mich doch wohl nicht auf den Arm nehmen?« Da zuckt Cass Longdale mit den Achseln. »Wenn Sie das glauben, Sir …« »Was ich glauben soll, weiß ich noch nicht. Doch irgendwann werde ich es wissen. – Nur eines will ich euch sagen. Es interessiert mich nicht, ob ihr Revolvermänner und Banditen seid, wenn ihr mir redlich helft und damit der Konföderation einen Dienst erweist. Dann würde ich euch
sogar vor dem Gesetz schützen, vor jedem Sheriff und Marshal. – Doch seid ihr hier, um mich reinzulegen, dann …« Er verstummt und stößt die geballte Rechte klatschend in die Linke. »Dann werdet ihr das bedauern«, läßt sich die kühle Stimme von Sergeant Ben Clayton hören. Cass Longdale sieht sich nach ihm um, und zum ersten Male trifft ihn eine starke Strömung von diesem Mann. Es ist, als hätte sich Ben Clayton bisher nicht voll auf ihn konzentriert. Doch jetzt ist dies der Fall. Dieser Sergeant wurde dem Captain gewiß nicht deshalb mitgegeben, weil er ein guter Soldat ist, was die üblichen Umgangsformen und das Reglement betrifft. Nein, dieser Sergeant ist gewiß nicht mal Berufssoldat, sondern nur auf Kriegszeit verpflichtet. Und vorher gehörte er gewiß zu der Gilde der Revolvermänner. Jawohl. Longdale sieht wieder den Captain an. »Wenn wir Ihnen nicht zuverlässig genug erscheinen«, sagt er, »sollten Sie uns wieder entlassen, Sir. – Das ist doch ganz einfach. – Und für das, was wir für Miß Lane taten, erwarten wir keine Dankbarkeit. Das war selbstverständlich.« Er grinst blitzend, sieht Ginger Lane an. Dann aber sagt er: »Wenn wir jedoch gewußt hätten, welchen Schatz Sie in Ihrer Eisenkiste schleppten, dann …« Er bricht ab, grinst noch blitzender und macht eine Handbewegung, so, als wollte er damit ausdrücken … hätten wir ihr das viele Geld weggenommen. Aber er sagt es nicht. Ginger Lane erwidert nichts. Sie sieht ihn nur an. Einen Moment sehen sie sich in die Augen – und es ist ihnen, als sähen sie sich jetzt zum erstenmal richtig. Ginger Lane leckt mit der Zungenspitze über ihre Lippen,
ihre Wimpern senken sich weit genug, um in ihren Augen nichts mehr erkennen zu lassen. Sie sagt immer noch nichts. Alle schweigen jetzt. Da zieht Cass sein Pferd herum und reitet den anderen Männern nach, mit denen er bald wieder ein Rudel Pferde zu den Corrals bringen wird. Es wird bald Nacht sein. * Sie brauchen den ganzen folgenden Tag, und sie arbeiten fast ohne Pause. Sie schwitzen, schlucken Staub, fluchen und werden immer wieder angetrieben von diesem Sergeanten Ben Clayton und den anderen Soldaten. Captain Travis’ Männer sind allesamt gewiß nur auf Kriegszeit verpflichtet. Es sind zumeist Texaner, ehemalige Cowboys, Zureiter, Wildpferdjäger, die auch mit den Colts gut umgehen können. Sie alle sind hart und erfahren, wahrscheinlich Freiwillige. Der Captain hat ihre Treue, weil sie echte Rebellen sind, die bereit sind, für ihre Sache zu sterben. Sie hassen die Yankees. Mit ihrer Hilfe glaubt der Captain, alles unter Kontrolle halten zu können. An diesem Tag begegnet Cass Longdale Ginger Lane dreimal. Zweimal betrachten sie sich nur wortlos. Aber beim dritten Male treffen sie sich am kleinen See. Cass Longdale wäscht sich den Schweiß und den Staub des langen Tages ab und versorgt auch sein Pferd, welches gute Arbeit geleistet hat. Auch Ginger Lane kommt mit einem Pferd. Als sie es zur Tränke läßt, nickt Longdale ihr zu. »Das ist ein prächtiges Tier«, sagt er. »Haben Sie sich das
selbst ausgesucht?« »Und wenn?« »Dann spricht es für Ihren Pferdeverstand«, lächelt er in der Dämmerung. »Den habe ich«, erwidert sie selbstbewußt. »Wir hatten die größte Pferde-Ranch in Kentucky. Auf unserem Blaugras gediehen die Pferde besser als anderswo. Die berühmten Kentucky-Pferde kamen aus unserer Zucht. Aber wir züchteten selbstverständlich auch Gebrauchstiere. – Als uns eine YankeeBande überfiel, hatten wir dreitausend Tiere, die für die TexasBrigade von Stonewall Jackson bestimmt waren. – Die Yankeemörder töteten nicht nur meine Eltern, meine Brüder und viele unserer Leute. Sie brannten alles nieder und raubten die Pferde. – Seitdem tue ich alles, um es den Yankees zurückzuzahlen – alles!« Sie verstummt, und Cass Longdale begreift, warum sie ihm das so ausführlich erzählt. Er soll wissen, warum sie hier dabei ist, und er weiß, daß beide Seiten – also die Union und die Konföderierten – sich schöner Frauen bedienen, wenn es zum Beispiel um Spionage geht, um Kurierdienste und ähnliche Aufgaben. Ginger Lane ist also eine von diesen der Sache verschworenen Abenteurerinnen, die sich selbst sicherlich treue Patriotinnen nennen. »Haß führt in die Hölle«, murmelt er. »Eine solch schöne Frau wie Sie, die sollte nicht hassen und auf Rache sinnen. Sie schadet sich zu sehr damit, denn sie verhärtet innerlich, und sie kann eines Tages nichts mehr von all diesen Dingen geben, die so wichtig sind.« »Was für Dinge?« Sie fragt es abweisend. »Wärme«, murmelt er. »Güte, Liebe, Zärtlichkeit, Verständnis. – Wie kann das eine hassende Frau ihren Kindern und ihrem Mann geben? Es wird schlimm für die Menschen, wenn es das alles nicht mehr gibt. Ginger Lane, es gibt Böse
auf beiden Seiten – immer. Das ist so. Aber Sie sollten nicht aus Haß …« »Genug«, sagt sie herb, nimmt ihr Pferd und führt es vom Wasser weg. Auch Cass Longdale will mit dem Pferd zum Camp hinüber, von dessen Kochfeuern der Duft von Speck, Tortillas, Kaffee und Bohnen bis zu ihm dringt. Er spürt seinen Hunger nach dem langen Tage. Seine vier Männer sind gewiß schon drüben und essen. Aber dann verhält er. Denn es kam jemand. Er ist nicht mehr allein. »He, Freundchen«, sagt die kehlige Stimme von Sergeant Clayton. »Du hättest Prediger werden sollen. – Schöne Worte! Salbungsvolle Worte! – Paß auf, mein Guter! Wenn ich dich noch mal mit Miß Lane reden höre, geb ich dir was aufs Maul. Wir wollen nicht, daß Miß Lane von euch dämlich angequatscht wird. – Verstanden?« Sergeant Clayton tritt während seiner Worte auf Cass Longdale zu. Und beim letzten Wort stößt er ihm hart den steifen Zeigefinger gegen die Brust. »Verstanden?« fragt er nochmals, wobei er abermals mit dem Zeigefinger zustößt. »Finger weg«, murmelt Cass Longdale, und er weiß, daß dieser Mann jetzt an ihm schon ›Maß‹ genommen hat. Ben Claytons Instinkt muß irgendwie etwas gewittert haben, eine feindliche Strömung, Gefahr. Es ist schlecht erklärbar. Aber auch ein Wolf kann eine Gefahr wittern, ohne diese zu sehen. So ähnlich muß es mit Ben Clayton sein. Wahrscheinlich sucht er absichtlich Streit, um klarer zu sehen und die Dinge vorwärtszutreiben. Cass Longdale begreift in diesem Moment, daß ein Ausweichen keinen Sinn hätte. Dieser Mann wird ihn
weichklopfen wollen, um dann vielleicht etwas herauszufinden, etwas, was er sicherlich noch gar nicht beschreiben oder beim Namen nennen könnte. Als Longdale »Finger weg« murmelt, stößt Clayton einen zufriedenen Knurrlaut aus, nimmt den Finger von seiner Brust, stößt dann aber schnell und kräftig mit der flachen Hand zu. Longdale muß drei Schritte rückwärts, bis er sein Gleichgewicht wiederfinden kann. Doch Clayton folgt ihm. Und er stößt nochmals auf die gleiche Art zu. »Du gehörst zu der Sorte, die ich immer erst kleinmachen muß«, grollt er dabei. Wieder schwankt Longdale zurück, diesmal nur zwei Schritte. Doch er steht nun mit den Füßen im Wasser. Und Clayton nähert sich ihm. »Vielleicht sollte ich dich ersäufen«, grollt Clayton. »Dir hab ich von Anfang an angesehen, daß du zu diesen Aufmuckern gehörst, die sich für schlauer halten, als Jesus es war. – Aber bei mir bekommt deine Sorte Feuer, immer nur Feuer. Verstanden?« Und wieder stößt er Longdale den Zeigefinger gegen die Brust. Das ist nun zuviel. Longdale hat zwar keine gute Position, denn er steht etwas tiefer als Clayton im Wasser, hat sandigen Grund unter sich. Aber sein linker Haken kommt unheimlich kurz. Er zieht ihn scheinbar ohne Anstrengung herum. Die Faust knallt hart auf Claytons Leberpartie. Clayton stöhnt, hält die Luft an. Er wirft sich gegen Longdale, will diesen umklammern und sich an ihm festhalten. Er will die Not so überwinden, und er braucht wahrscheinlich nur drei oder vier Sekunden dazu. Doch Longdale weicht ihm aus, gibt ihm sogar noch einen Stoß. Und so fliegt Clayton ins Wasser, taucht sogar unter, obwohl es kaum knietief ist, schluckt Wasser und kommt
schnaufend wieder hoch. Als er gegen Longdale anstürmt, geschieht dies noch in wilder, böser Vernichtungswut. Das ist sein Fehler. Denn er hätte kühl und besonnen angreifen sollen. Wieder trifft ihn Longdale. Und wieder fliegt Clayton ins Wasser. »Du hattest vorhin ein verdammt großes Maul«, sagt Longdale noch gelassen. »Und du hast von Anfang an diesen Kampf gewollt. – Nun, jetzt hast du ihn. – Komm schon, du verdammter Indianer! – Komm raus, damit ich es dir noch besser besorgen kann!« Ja, auch in Longdale ist plötzlich ein grimmiger Zorn. Er hat inzwischen begriffen, daß dieser Kampf dumm und unnötig ist, seiner Aufgabe gewiß schadet. Der Captain wird ihn gewiß nachher zum Teufel jagen. Aber das alles ist nicht mehr zu ändern. Dieser Sergeant Ben Clayton hat ihn von Anfang an mit seinem Indianer- oder Wolfsinstinkt als Feind gespürt und diese Sache so haben wollen. Nun muß es ausgetragen werden. Er erhebt sich wieder, dieser Clayton. Und nun ist er nicht mehr hitzköpfig. Ganz plötzlich hat er sich unter Kontrolle bekommen. Er kommt langsam, geduckt und leichtfüßig aus dem Wasser, schlägt einen Halbkreis um den wartenden Longdale. Sie umkreisen sich mehrmals, fintieren – und dann prallen sie aufeinander, stehen Fuß bei Fuß und treffen sich mit aller Kraft und Härte. Sie können ihre Schläge beide nicht lange aushalten, weichen wie auf Kommando zurück, umkreisen sich wieder, schnaufen nach Luft, fintieren – und dann wiederholt es sich. Sie befinden sich beide in einem Kampf, der erst enden wird, bis einer von ihnen nicht mehr kämpfen kann. Es wird ein schrecklicher Kampf.
Bald schon sind sie nicht mehr allein. Männer kommen vom Camp herüber. Dann endlich klingt die Stimme des Captains: »Bringt sie auseinander, Männer! Trennt sie und werft sie zur Abkühlung ins Wasser! – Los! Vorwärts, Männer!« Mehr als ein halbes Dutzend Männer wirft sich nun zwischen die Kämpfer. Des Captains Männer führen die Befehle wortwörtlich aus, aber Longdale ist fast dankbar dafür. Es kommt ihm wie eine Wohltat vor, nicht mehr kämpfen zu müssen und im Wasser liegen zu können. Dieses Wasser ist erfrischend. Er spürt die Schmerzen, die Claytons Fäuste ihm zufügten. Aber was Clayton auch bezweckte mit diesem Kampf, er erreichte sein Ziel nicht. Er konnte Cass Longdale nicht schlagen. Das gewaltige Selbstbewußtsein dieses indianerhaften Sergeanten muß jetzt zumindest angeknackst sein. Er hat diesen Kampf gewollt und herausgefordert. Also mußte er auch völlig davon überzeugt gewesen sein, Longdale besiegen zu können. Wollte er dann etwas aus Longdale herausprügeln? Er hört den Captain scharf und hart sagen: »He, du Pferdedieb! Bist du klar genug im Kopf, mich zu verstehen? He, Longdale, oder wie du auch heißen magst!« Cass Longdale erhebt sich langsam. Clayton liegt noch im seichten Wasser, ruht noch aus. Longdale spürt eine grimmige Befriedigung, daß er schon wieder stehen kann. Denn er ist sicher, daß Clayton keine Sekunde länger liegenbleiben würde als er, könnte er nur die Kraft zum Aufstehen finden. »Ich höre Sie, Captain«, sagt Longdale. »Nimm dein Pferd und verschwinde«, sagt dieser. »Hau ab! Ich will dich nicht mehr in dieser Mannschaft haben. – Und wenn du dich noch einmal in unserer Nähe blicken läßt, dann wird dir das leid tun. – Verstanden?« »Genau«, erwidert Longdale. »Sie haben etwas gegen
Männer, die sich von diesem großmäuligen Sergeanten nicht wie Affen behandeln lassen. – Ich habe Sie genau verstanden, Sir.« »Und deine vier Freunde kannst du auch mitnehmen«, spricht der Captain weiter. Aber da schüttelt Longdale den Kopf. »Ich glaube nicht, daß die mit mir reiten werden«, sagt er. »Solch gute Freunde sind wir auch wieder nicht, daß sie wegen mir diesen guten Job aufgeben.« Er spricht scheinbar lässig und verächtlich, aber er ist sicher, daß seine vier Männer ihn genau verstehen und bei dieser Pferdeherde und bei deren Treibmannschaft bleiben. Besonders Johnny Warlok, der ja einigermaßen Bescheid weiß, um was es geht, wird wissen, wie sie sich verhalten müssen. Cass Longdale wendet sich seinem Pferd zu, sitzt auf und reitet in die Nacht hinein. Er spürt die Schmerzen überall. Jeder Schritt des Pferdes fügt ihm Qualen zu. Und seinen Hunger hat er längst vergessen. Ein Mann, der mehrmals eine harte Faust wie einen Eselstritt in die Magengegend gerammt bekam und dem vielleicht einige Rippen angeknickt wurden, der spürt keinen Hunger mehr. Im Schritt reitet er davon. Und über eines ist er sich klar: Clayton wollte sich ihn vornehmen und etwas aus ihm herausprügeln. Das gelang ihm nicht. Im Gegenteil, es wird diesem Clayton eine Weile schlecht gehen. – Vielleicht werden sie versuchen, aus einem seiner vier Partner etwas herauszuprügeln. Denn Verdacht haben sie irgendwie geschöpft. Aber vielleicht nehmen sie sich dann den Mann vor, der ihnen als schwächstes Glied erscheint. Das könnte dann Jubal Perrit sein, der ja noch so jungenhaft und wie ein froschgesichtiger Bengel wirkt. *
Als die Sonne zu wärmen beginnt, erwacht Cass Longdale. Weil er sich zu bewegen versucht, stöhnt er sofort vor Schmerz. Und da läßt er es bleiben und öffnet zum zweiten Male die Augen. Denn nach dem ersten Male schloß er sie schnell wieder, weil der helle Himmel ihn zu sehr blendete. Nun sieht er, daß er nicht allein ist. Ein paar Männer hocken um ihn herum wie ein Kreis von Geiern um einen kranken Hammel. Er erkennt diese Männer wieder. Es sind Don Estobals Leibwächter, also seine Pistoleros. Und wo sie sind, kann ihr Herr nicht weit sein. Nun versucht er doch, sich aufzusetzen. Stöhnend schafft er es. Einer der Pistoleros sagt: »Si, das war ein Kampf. Wir hörten davon. Du hast es diesem großmäuligen Bullen besorgt. Sie haben dich davongejagt. – Nun, was macht das schon aus?« Der Mann verstummt. Longdale sieht ein Stück weiter Don Estobal auf einem roten Stein im Schatten eines Busches sitzen. Don Estobal starrt über das Land und raucht an einer großen Zigarre, die selbst für seine dicken Lippen zu schwer und wuchtig wirkt. Man hat den Eindruck, als könnte er das Ding auch als Keule benutzen. Doch er pafft mit Behagen. Nach einer Weile wendet er den Kopf, denn er hat natürlich gehört, daß einer seiner Hombres zu dem endlich aufgewachten Gringo spricht. »Dir geht es wohl gar nicht gut, Amigo?« fragt er mit scheinheiliger Freundlichkeit, doch im Hintergrund seiner Augen ist die Schadenfreude zu erkennen. In seiner Stimme ist sogar ein kaum unterdrücktes glucksendes Lachen. »Si, mir geht es gar nicht gut«, pflichtet ihm Cass Longdale in seiner Sprache bei, die er wie ein Mann spricht, der im Süden geboren wurde und zu beiden Seiten der Grenze lebt,
von Kindheit an. »Aber diesem Soldaten geht es noch schlechter«, fügt er nach einer Weile hinzu. Don Estobal nickt, schweigt eine Weile und blickt wieder in die Ferne. »Ja, das hörte ich schon«, spricht er nach einer Weile. »Meine Späher melden mir alles, was bei der Herde geschieht. Und einige der Treiber sind immer noch meine guten Muchachos. – Ich weiß Bescheid.« Cass Longdale staunt nicht. Nein, er wundert sich nicht. Don Estobal gab sich nur den Namen eines Hidalgos. Aber er ist keiner. Er ist immer noch der Bandit, der er früher war. Mit diesem Don Estobal kann man keine seriösen Geschäfte machen. Ein paar der Treiber, die Captain Travis anwarb, sind Don Estobals Leute. Will er dem Konföderiertencaptain die tausend Pferde wieder abnehmen? Don Estobal wendet wieder den Kopf. »Johnny Warlok, Jim Fletsher und Paco Hermandes sind ganz besonders verwegene und schlaue Pferdediebe«, sagt er. »Auch dieser froschgesichtige Junge ist wie sein großer Bruder. Ich kenne sie alle. Sie sind meine Amigos. – In diesem Land sind wir alle wie eine große Familie. – Man kennt sich, respektiert sich – oder man ist sich feindlich gesinnt. – Aber ich mochte deine Freunde immer. Wir machten oft gute Geschäfte. Doch schlagt es euch aus dem Kopf, diesem Gringo-Captain die Pferde wieder abnehmen zu wollen. Das geht nicht. Denn ich hole sie mir selbst. – Hast du verstanden? Es wäre also gut, wenn du zu deinen vier Partnern, die bei der Herde als Treiber blieben, Verbindung aufnehmen würdest. Sie würden nur in die Falle reiten und darin umkommen. Verstehst du? Ich mag sie zu sehr. – Also hol sie von den Gringos weg. – Ich bin sehr nobel zu euch. Hast du mich verstanden?«
Bei den letzten Worten wird seine Stimme glashart, und es schwingt eine grollende Ungeduld mit. Cass Longdale beeilt sich zu sagen: »Si, ich habe alles ganz genau verstanden. – Meine Amigos erzählten mir viel über dich. Ich bin kein Narr und weiß, daß dein Wort hier Gesetz ist. Si, ich habe verstanden und werde danach handeln.« Da nickt Don Estobal zufrieden. »Du kannst mit uns frühstücken«, meint er gönnerhaft. »Und Pedro wird nach dir sehen. Pedro versteht sich auf alle Kranken wie ein guter Arzt. – Pedro hat heilende Hände.« * Zwei Stunden später ist Cass allein. Doch es geht ihm sehr viel besser. Essen konnte er nicht viel. Sein Magen verträgt noch nichts. Aber dieser Pedro hatte wahrhaftig heilende Hände. Er massierte ihn durch, knetete da und dort, brachte eine Menge in Ordnung, verhinderte Blutstauungen bei den Verstauchungen und Schwellungen. Er legte ihm auch einen korsettähnlichen Verband an, der seine abgeknickten Rippen stützt. Und schließlich rieb er ihm die Beulen und Brauschen mit einer Kräutersalbe ein. Ja, es geht Cass Longdale nun sehr viel besser. Aber er hat dennoch Angst davor, jetzt gleich in den Sattel zu müssen. Eine Weile zögert er diesen Moment noch hinaus – aber dann muß er doch. Er kommt leichter in den Sattel, als er hoffen konnte. Grinsend denkt er jetzt daran, daß es dieser Sergeant Ben Clayton jetzt gewiß nicht so gut hat wie er. Clayton wird es schlechter gehen. Aber als er dann anreitet und sein nun ausgeruhtes Pferd traben läßt, da stöhnt er bald schon und flucht dann und wann.
Doch es nützt ihm nichts, schafft ihm keine Linderung. Er muß durchhalten und zusehen, daß er die Herde bald einholt. Ihre Fährte ist nicht zu übersehen. Der Tag wird heißer und heißer. Er muß sich gegen Mittag in den Schatten von Felsen legen und ist froh, sich eine Weile nicht rühren zu müssen. Sein Pferd schnuppert einmal wie ein Hund an ihm, so, als wollte es sich über seinen Zustand informieren. »Du hast es gut«, brummt er. Dann schläft er ein. Als er erwacht, müssen mehr als zwei Stunden vergangen sein. Und nun endlich spürt er außer Durst auch Hunger. Darüber freut er sich, sagt es ihm doch, daß seine körperlichen Funktionen wieder in Ordnung kommen. Er ißt ein paar Bissen, trinkt dazu und klettert bald danach stöhnend in den Sattel. Am späten Nachmittag sichtet er die Herde. Sie zieht über eine Ebene. Drüben sind neue Bergzüge. Die breiten Mäuler von Canyons öffnen sich. Auf eines dieser Canyonmäuler hält die Herde zu. Es ist ein schöner Anblick. Tausend Pferde werden dort getrieben. Sie bieten ein buntes Bild. Ihr Anblick ist ein Erlebnis. Cass Longdale sah schon viele Pferderemudas, manchmal stärker als hundert Tiere. Er sah Wildpferdherden. Immer war das ein erfreulicher Anblick. Doch tausend Pferde, die in einer Herde getrieben werden, dieses Bild sah er noch nie. Fortwährend verändert sich die Formation dieser Herde. Die Treiber haben eine Menge Arbeit. In dieser großen Herde gibt es kleinere Rudel, die ihren Leittieren folgen. Immer wieder wollen diese Hengste ausbrechen, mit ihrem Harem eigene Wege gehen. Und immer wieder müssen sie unter Kontrolle gebracht werden. Sicherlich wird es noch Tage dauern, bis diese Riesenherde
sich an das Treiben gewöhnt hat. Doch es sind keine Wildpferde. Der überwiegende Teil dieser Herde besteht aus Tieren, die an Reiter gewöhnt sind. Es sind sogar eine Menge Rinderpferde dabei, also Tiere, die besonders zuverlässig für jeden Reiter sind, weil sie an Lassoarbeit gewöhnt wurden und bei zu Boden hängenden Zügeln niemals fortlaufen. Denn dies ist die erste und wichtigste Lektion eines jeden Rinderpferdes. Auf der Weide kann ein Cowboy sein Pferd oftmals nicht anbinden. Er muß sich aber auf das Tier verlassen können, daß es ihn in der Not niemals allein läßt. Die Kavallerie – ganz gleich, ob es eines Tages die der Union oder der Konföderation sein wird – hat gewiß noch eine Menge Arbeit mit diesen Tieren. Denn für die Kavallerie jeder Armee gelten besondere Regeln. All diese Gedanken und Gefühle sind in Cass Longdale, indes er für den Rest des Tages ein aufmerksamer Beobachter dieser Herde bleibt und sich wie ein erfahrener Indianer in Deckung hält. Er entdeckt aber auch noch andere Beobachter, die sich ihm fernhalten und wie er die Herde beobachten. Es sind Don Estobals Scouts. Und wahrscheinlich beobachten sie auch ihn. Sie werden Don Estobal melden, ob und wann er etwas in Gang bringt. Denn es ist Don Estobals Befehl, daß er seine vier Partner dazu veranlaßt, die Treibmannschaft zu verlassen und somit Captain Forster Travis’ Kampfkraft zu schwächen. Ja, er wird etwas in Gang bringen müssen, noch diese Nacht. Aber was? Darüber zerbricht er sich den Kopf. * Bei Sonnenuntergang verschwindet die Herde nach und nach in einem der nach Norden führenden Canyons. Auch der leichte Wagen von Ginger Lane ist noch dabei, aber sie selbst reitet
wie ein Cowgirl; sie fiel ihm mehrmals auf, als sie den Treibern half. Das letzte Rudel der Herde bricht nun doch aus, bevor es in den Canyon getrieben werden kann. Zwei Reiter machen sich auf die Verfolgung. Und einer der Reiter ist Jubal Perrit. Dies ist reiner Zufall. Denn er reitet in diesem Moment mit einem anderen Reiter am Schluß der Herde. Es ist selbstverständlich, daß sie nun die Aufgabe haben, die Nachzügler nachzubringen. Der Hengst dieses ausgebrochenen Rudels ist ein schlauer Bursche. Er treibt sein Gefolge nach links hinüber auf eine Felsengruppe zu, die ihnen Deckung geben wird. Aber dort bei diesen Felsen hält auch Cass Longdale. Es ist reiner Zufall, daß Jubal Perrit sich ihm auf diese Weise nähert. Doch der andere Reiter ist einer von Captain Travis’ Reitern, ein hartgesichtiger und scharfäugiger Bursche, sicherlich auch erfahren wie so leicht kein zweiter Mann. Nicht ohne Grund reitet er am Schluß. Cass Longdale sieht sie also kommen. Er zieht sich etwas zurück. Die ausgebrochenen Pferde kommen nun zwischen die Felsengruppe gelaufen. Es gibt hier eine kleine Quelle. Wahrscheinlich hat der Hengst das Wasser gewittert. Die Flucht des Rudels endet bald schon bei der Tinaja, die so groß und tief ist, daß ein kleiner Hund darin schwimmen könnte. Hier sammeln sich die Tiere. Es sind ja keine Wildpferde, sondern alles Tiere, die schon geritten wurden und nur ein wenig auf der Weide verwilderten. Die beiden Reiter nähern sich langsam, da sie nun sehen, daß die Flucht beendet ist Sie wollen den Tieren offenbar Gelegenheit geben, sich zu erfrischen. Cass Longdale hält im Sattel hinter einem der Felsen. Es gibt auch einige Büsche und Kakteenbäume. Zwischen den Felsen hier ist alles gut zu hören, fast so wie in einer großen Halle
oder gar einer Kirche. Wenn er sich im Sattel etwas reckt und zur Seite neigt, kann er die beiden Reiter sehen. Sie haben angehalten. Aber dann schwingen sie sich aus den Sätteln, lassen auch ihre Tiere zum Wasser hinüber. Sie beginnen sich wie auf Kommando Zigaretten zu drehen, und Cass Longdale verspürt plötzlich etwas von der Spannung, die zwischen diesen beiden Männern ist. Als sie ihre Zigaretten angeraucht haben und den Rauch ausstoßen, betrachtet der andere Mann den froschgesichtigen Jubal Perrit auf eine nachsichtig wirkende Art. Dann sagt er laut, so daß es auch Cass Longdale hören kann: »Es trifft sich gut, daß wir zwei jetzt allein sind. – Jube heißt du? Jube Perrit?« »So ist es«, sagt dieser spröde. »Doch deinen Namen kenne ich noch nicht. Bist du auch ein Sergeant bei den tüchtigen Rebs?« »Hast du etwas gegen uns, Junge?« »Nicht eigentlich – nur gegen alles, was nach Soldat stinkt. Ich habe was gegen alle Armeen der Welt. – Und nenne mich nicht Junge. Ich bin alt genug, für mich zu sorgen. Bist du also auch ein verkleideter Sergeant oder nur ein Korporal oder gar Reiter?« »Ich bin Sergeant auf Kriegszeit«, erwidert der Mann. »Ich bin Sergeant Otis. Und ich werde dir jetzt ein paar Fragen stellen. – Da keiner von deinen Freunden in der Nähe ist, wirst du mir diese Fragen wahrheitsgemäß beantworten. – Denn sonst …« »Sonst?« Jubal Perrit stößt es scharf hervor, und es ist ganz klar, daß er nun herausgefordert wurde. »Junge«, mahnt Sergeant Otis, »werd nur nicht wild. Sonst zieh ich dir das Fell über die Ohren wie einem Karnickel. – Also, was ist mit euch los? Warum reitet ihr für uns als Treiber? Das ist doch unter eurem Niveau? Gehört ihr
vielleicht zu einer Banditenbande, die euch bei uns einschleichen ließ, damit …« »Nein«, unterbricht ihn Jubal Perrit. »Und ich sagte dir schon mal, daß du mich nicht Junge nennen sollst. – Und was euch betrifft, so seid ihr ein ziemlich mieser Haufen. Ihr seid nicht genug, um tausend Pferde zu treiben. Ihr braucht Hilfe. – Und dennoch seid ihr so mißtrauisch wie Coyoten, die schon mal Gift gefressen haben. – Was denkt ihr euch denn so?« »Oh, mein Junge, wir denken uns eine Menge. – Dieser Don Estobal ist ein Hundesohn. Der würde uns die Pferde gern wieder abnehmen. Doch offen wagt er es nicht. Das würde zuviel Tote auf seiner Seite geben. – Der versucht es vielleicht mit einem Trick. – Ihr könntet zu ihm gehören. Ja, es scheint uns, als wäret ihr gute Bekannte von ihm, Freunde und Partner. – Es könnte aber auch sein, daß ihr zu einer anderen Bande gehört, vielleicht sogar als Guerillas für die Union reitet, die von diesem Pferdekauf ja sicherlich schon Wind bekam. – Nun, Junge, du wirst mir nun die Wahrheit sagen. Du wirst alles ausspucken. – Verstehst du? Oder ich schlag dich mausetot, ganz langsam. – Und wenn du nach deinem Colt greifen solltest, nun, Junge, da muß ich dich warnen. – Denn bevor ich zum Sergeant wurde, war ich Marshal und Sheriff, Kopfgeldjäger. Ich hab es in Texas mit vielen Revolverschwingern aufgenommen. – Also, jetzt rede!« »Ich habe nichts zu sagen. Ich bin nur ein Reiter, der sich ein paar Dollars verdienen will. – Und meine Partner gehören ebenfalls zu dieser Sorte.« Jubal Perrit sagt es ganz ruhig, ja, er spricht die Worte eine Idee zu ruhig. Cass Longdale, der alles hört, spürt sofort die Gefahr. Denn dieser Junge ist nun so gefährlich wie eine Klapperschlange – nur, er rasselt nicht warnend wie eine solche. Cass Longdale sieht im letzten Licht der Dämmerung, daß dieser Otis nun einen weiteren Fehler macht. Denn er schnellt
vor und trifft Jubal Perrit mit einer Geraden unter das Kinn. Jubal fällt auf den Rücken, wirft sogar noch die Beine hoch, so sehr ›saß‹ dieser Schlag und so wenig erwartete er ihn. Er bleibt eine Weile liegen. Otis starrt auf ihn nieder. »Ich prügele dich windelweich«, spricht er grollend auf ihn nieder. »Ich brech dir alle Knochen und salz dich ein! – Also, steh auf! Und dann raus mit der Sprache! Und nur mit der sauberen Wahrheit! Los, Junge!« Jubal Perrit erhebt sich langsam. Seine Hand tastet nach dem Colt, der ihm fast aus dem Halfter rutscht. Otis sieht es. Er grinst. »Dann versuch es doch, Kleiner! Probier es doch mal aus, wenn es dich juckt! Aber ich sag dir gleich, daß wir hier erst dann fertig sind, wenn ich alles von dir und deinen Freunden weiß – alles!« »Du wirst bald gar nichts mehr wissen, du Narr«, sagt Jubal Perrit. »Denn du wirst tot sein, mausetot. – Ja, mich juckt es! Mich juckt es sehr. Doch ich werde dir eine Chance lassen. Du kannst zuerst ziehen. – Du bist ein Narr!« Sergeant Otis steht jetzt einige Atemzüge lang schweigend da. Vielleicht denkt er jetzt an den Bericht von Ginger Lane und erinnert sich daran, daß dieser Junge auch gegen die Apachen kämpfte. Sein Instinkt sagt ihm nun wahrscheinlich, daß er einen struppigen Wildkater für eine Katze hielt. »He!« stößt er hervor. »Na schön«, spricht er dann weiter. »Dann werd ich dir mal was zeigen!« Er schnappt nach dem Colt. Im letzten Licht des sterbenden Tages kann Cass Longdale erkennen, daß er wirklich sehr schnell ist. Doch das nützt ihm nichts. Jubal Perrit ist schneller. Er schießt den Sergeanten Otis von den Beinen. Es geht so schnell, daß Cass Longdale gar nicht mehr eingreifen kann.
Er hört Jubal Perrit einen heiseren Ruf ausstoßen. Sergeant Otis gibt zwar auch einen Schuß ab, doch er trifft nicht, weil er im Moment des Abdrückens schon die Kugel des wilden Jungen auffängt. »Dieser Narr«, sagt Jubal Perrit nun, aber er spricht es nicht bitter, eher stolz. Cass Longdale erkennt daran, wie wenig der Junge innerlich Anteil nimmt daran, daß er getötet hat. Cass Longdale begreift in diesem Moment, daß diesem Jubal Perrit etwas fehlt, und es fehlt ihm so sehr, daß er sich dieses Mangels gar nicht bewußt werden kann. Aber es herrscht Krieg. Und ein Sergeant wurde getötet. Es kommt darauf an, daß die Konföderierten diese Pferdeherde nicht bekommen. Was im Frieden ein Verbrechen wäre, gilt nun als mutige Tat. Und Cass Longdale, der Captain der Unionstruppen, kann jetzt darüber nicht nachdenken. Er hat einen Auftrag auszuführen. Er ruft leise: »He, Jube! Ich bin’s, Longdale! Schieß nur nicht auf mich, wenn ich jetzt zum Vorschein komme.« Jubal Perrit stößt ein schrilles Lachen aus, aber es ist keine Lust und keine Freude darin – nein, eher eine Unsicherheit, ein Unbehagen, das er überspielen möchte. »Dieser Narr«, sagt er, indes Cass Longdale heranreitet, »oh, dieser Narr wollte mich kleinmachen. Der hielt mich für einen dummen Jungen. – Jetzt ist er tot, und ich ließ ihm seine Chance. Er konnte ziehen, oder nicht? Als er zog, hatte er gewählt. – Nicht wahr?« »So ist es, Jube«, sagt Longdale. »Und du solltest jetzt die Pferde hinter der Herde zurücktreiben, bevor jemand nachsehen kommt, wo ihr bleibt. – Ich lasse diesen Otis verschwinden. Vielleicht glaubt Captain Travis dann, die Apachen hätten ihn geholt – oder Banditen! – Los, Jube! Verschwinde mit den Pferden. Und sag unseren Partnern Bescheid. Sag ihnen, daß ich euch folge und jederzeit
eingreifen werde, sollte das notwendig werden. – Noch wird diese Pferdeherde in die Richtung getrieben, in der auch wir sie treiben müßten. Noch arbeiten Forster Travis und dessen Leute für uns. – Übrigens, einige von den Treibern sind Don Estobals Männer. Auch Estobal will die Herde. Er wird euch eine Falle stellen, aber ich werde euch warnen. Bleibt also bei der Stange und vertraut auf mich.« Jubal Perrit knurrt nur zustimmend. »Es lohnt sich, für tausend Pferde etwas zu riskieren«, sagt er plötzlich scharf, so, als wollte er sich selbst anspornen. Dann treibt er die Pferde von dem Wasserloch weg. Sie sind jetzt willig, nachdem sie ihren Durst löschen konnten. Er wird mit ihnen keine besonderen Schwierigkeiten haben. Es ist fast schon Nacht geworden. Die Sicht reicht nur noch einen knappen Steinwurf weit. Jubal Perrit sieht sich nicht mehr nach dem Toten um. Cass Longdale verharrt noch und lauscht. Einmal vermeint er, ein bestimmtes Geräusch zu hören, welches gewiß nicht von einem Tier erzeugt worden ist. Er wird sich wieder bewußt, daß auch Don Estobals Leute hier herumstreifen und wahrscheinlich ihn und auch die Herde beobachten. Nun werden sie Don Estobal melden, daß es einen Toten gab. Und das kann nur in Don Estobals Sinn sein. Man wird ihn also noch nicht behelligen, sondern warten, ob er seine vier Männer morgen abzieht von der Herde. Erst wenn das nicht geschieht, wird es für ihn gefährlich werden. Denn dieser mexikanische Bandit Don Estobal wird eine starke Mannschaft bei sich haben, nicht nur sein halbes Dutzend Pistoleros. Aber wie es auch morgen kommen wird, Cass spürt instinktiv, daß es eine entscheidende Sache sein wird. Sie befinden sich schon nicht mehr auf der mexikanischen
Seite. Irgendwann im Verlauf des Tages haben sie die unsichtbare Grenze passiert. Don Estobal kann nicht mehr lange warten. Er muß zuschlagen. * Als er am nächsten Morgen der Herde folgt, hat er den Toten gut versteckt, ihn beerdigt und das Pferd davongejagt. Don Estobals Leute werden es sicherlich bald finden und sich aneignen. Er reitet auf der Fährte der Herde in den Canyon hinein. Es ist ein langer Canyon, der sich durch die Berge windet. Manchmal ist er nicht breiter als zwei Steinwürfe, dann wieder mehr als eine halbe Meile. Es gibt Felsgruppen, einen fast trockenen Creek, an dem Cottonwoods stehen. Auf den Hängen wachsen Sycamoren, Kakteen – und manche haben eine Blütenpracht, um die Colibris wie funkelnde Edelsteine schwirren. Nach zwei Meilen trifft Cass Longdale auf einen von Forster Travis’ Männern. Auch dieser Mann ist erfahren, ganz gewiß ein Revolvermann wie dieser Otis. Er wartet mitten auf der breiten Fährte und bewegt sich nicht, bis Longdale vor ihm das Pferd verhält. Über die Köpfe ihrer Tiere hinweg sehen sie sich an. »Du bist ja verrückt«, sagt der Mann plötzlich. »Bin ich das?« Der Mann schweigt eine Weile, sieht ihn dabei mißtrauisch an, hat geblähte, vibrierende Nasenflügel, so, als könnte er alles wittern. Dann sagt er ruhig: »Du hast Sergeant Otis erwischt, nicht wahr? Otis ist überfällig. Er war unser letzter Reiter am Ende der Herde. Er folgte einem ausgebrochenen Rudel. Und dabei
hast du ihn erwischt. – Ist es so?« »Vielleicht«, nickt Cass Longdale. »Ja, es könnte so gewesen sein. – Du brauchst nach Sergeant Otis also nicht zu suchen. – Und was nun?« Der Mann zuckt leicht zusammen bei der Frage. Denn er begreift deren Bedeutung sofort. Er muß kämpfen. Sie sehen sich wieder eine Weile an, und sie wissen, daß einer von ihnen sterben muß. Wer wird es sein? Jeder glaubt an das eigene Davonkommen. Denn die Chancen des Mannes gegen Longdale sind nicht schlecht. Longdale hat sich seine Fäuste an Sergeant Ben Clayton ziemlich übel zerschlagen. Die Knöchel sind angeschwollen. Die Geschmeidigkeit seiner Revolverhand ist sehr beeinträchtigt. Der Mann wird sich darüber klar. Das macht ihm Hoffnung. Er leckt sich leicht über die trockenen Lippen. Aber in seinen Augen ist der unheilvolle Entschluß zu erkennen. Er wird es wagen. Ja, er hat sich schon durchgerungen. Und so zieht er plötzlich im Sattel, sich dabei in den Steigbügeln hochstemmend. Er zieht schnell und entschlossen. Ja, Captain Forster Travis hat sich seine Männer gut ausgesucht. Keiner ist feige. Jeder glaubt an sich und zögert nicht, das Leben einzusetzen. Cass Longdale ist nicht so schnell wie sonst. Als er abdrückt, sieht er in das Mündungsfeuer seines Gegners. Die Kugel brennt an seinem Arm entlang. Doch es ist nicht mal ein Streifschuß, nur ein Brennen. Und sein Hemdsärmel wird etwas zerfetzt. Er aber trifft den Gegner voll. Der Mann fällt vom Pferd. Das Tier scheut kaum, denn es ist ein Kriegspferd, gewöhnt an Revolver- und Gewehrfeuer.
Langsam sitzt Longdale ab, kniet bei dem Sterbenden nieder. »Wer bist du eigentlich?« fragt der Mann. »Captain Longdale von der Unionsarmee«, sagt dieser ernst. »Ich habe den Befehl, euch die Pferde abzunehmen oder zu vernichten. Ich hätte sie auch Don Estobal abgenommen, seitdem bekannt war, daß er sie euch verkaufen wollte. – Doch wir kamen zu spät. Nun muß ich sie euch abnehmen.« Der Sterbende sagt nichts mehr. Er schließt nur langsam die Augen. Longdale erhebt sich. Hinter sich hört er Reiter kommen. Er wendet sich schnell um. Doch es ist Don Estobal, der da mit seinen Reitern angeritten kommt. Er hat etwa drei Dutzend Hombres bei sich. Longdale erwartet sie, und er hält seinen Colt, mit dem er nur einmal schoß, immer noch in der Hand. Don Estobal nickt ihm zu. Er wirft nur einen kurzen Blick auf den Toten, dann sieht er wieder auf Longdale. »Feines Spiel«, sagt er. »Travis hat nun schon zwei Mann verloren, erfahrene und gefährliche Pistoleros. – Vielleicht – wenn du noch länger auf dieser Fährte reiten könntest – würdest du noch einige erwischen. Dann wäre er bald zu schwach gegen euch und müßte sich die vielen Pferde abnehmen lassen. – Aber dieses Spiel läuft nicht mehr weiter. – Verstanden? – Denn ich habe keine Zeit mehr. Ich will nicht noch weiter in dieses Gringo-Land reiten, sondern so schnell wie möglich wieder über die Grenze zurück. – Sitz auf, Amigo! Ich will dir zeigen, wie ich ohne Verlust meine Pferde wiederhole. – Ohne Verlust! Darauf kam es mir allein an. Sonst hätte ich Travis nur das Geld abgenommen und ihm die Pferde gar nicht gegeben. – Komm!« Er reitet weiter. Sein Rudel folgt ihm. Und es bleibt Cass Longdale nichts anderes übrig, als wieder
aufzusitzen und sich anzuschließen. Resignation will von ihm Besitz ergreifen. Einen Moment lang will er sich damit trösten, daß es ja vielleicht schon genügt, daß Don Estobal sich die Pferde zurückholt. Denn dann können sie logischerweise nicht die Kavallerie der Konföderation verstärken. Und das wäre doch schon ein recht schöner Erfolg. Aber er kann sich nicht lange damit trösten. Denn er will – und das wollte er von Anfang an – diese Riesenherde der Union zuführen. So war es von Anfang an geplant. Die Kavallerie der Union braucht ebenfalls Ersatz. Mit tausend Pferden könnte man mehr als ein Regiment ausrüsten. Nein, Captain Longdale kann sich nicht damit zufriedengeben, daß ein mexikanischer Bandit die Pferde wieder an sich bringt und zurück über die Grenze flüchtet. Aber wie soll er das verhindern? * Vier Stunden später, es ist schon gegen Mittag, sieht er die Falle. Es ist eine kurze Schlucht. Diese Schlucht durchbricht wie eine Straße die mächtige Felsbarriere. Don Estobal war mit seinen Männern schnell geritten. Sie hatten einen Bogen geschlagen und kamen sehr viel früher als die Herde hier an. Die Vorbereitungen waren kurz und einfach. Don Estobal, zwei seiner Pistoleros und Cass Longdale ritten dann auf einem schmalen Pfad hinauf. Sie befinden sich jetzt oberhalb der Schlucht und können sie wie von einem guten Logenplatz aus einsehen. Für Don Estobal ist dies alles ein Erfolgserlebnis. Er wird es genießen – und tut dies schon jetzt – zu beobachten, wie sein Wild in die Falle geht, sich diese Falle dann schließt und er
triumphieren kann. Ja, solch ein Spiel zu spielen und zu gewinnen, dies macht das Leben erst so richtig lebenswert. Sie sitzen in guter Deckung. Don Estobal raucht wieder eine seiner keulenartigen Zigarren. Seine beiden Leibwächter hocken in der Nähe. Sie lassen Don Estobal und dessen »Gast« Cass Longdale nicht aus den Augen. Und noch etwas haben sie bei sich dicht in der Nähe. Es sind zwei kleine Fäßchen Schießpulver. In diese Fäßchen führen Lunten hinein. Es sind richtige Teufelsdinger. Unten in der Schlucht haben Don Estobals Männer inzwischen hart gearbeitet. Sie füllen den Ausgang mit Steinbrocken, Kakteenleichen und Dornbüschen, machen aus der Schlucht also eine Sackgasse. Wie es weitergehen wird, ist leicht zu erraten. Doch Don Estobal erklärt es seinem »Gast« wohlwollend. Er sonnt sich schon jetzt in seinem Erfolg. »Es ist ganz einfach, Amigo«, beginnt er. »Dieser Captain wird mir in die Falle gehen, weil er es eilig hat und dieses der kürzeste Weg ist. Ein Umweg würde ihn einen ganzen Tag kosten. – Er muß durch diese Schlucht. Ich bin mit meinen Muchachos hinter ihm hergeritten, bis klar war, welchen Weg er durch die Ostwest-Wand nehmen würde. Jetzt hab ich ihn. – Und wenn er kämpfen will, werfe ich ihm persönlich diese beiden Pulverfäßchen auf den dummen Kopf!« Er verstummt sehr zufrieden. Dann lehnt er sich zurück, so daß er sich im Schatten befindet, faltet die Hände über seinem Bauch und dreht Daumen. Auch Cass Longdale lehnt sich zurück, zieht sich den Hut weit herunter und tut so, als schliefe er. Doch er ist hellwach. Seine Gedanken jagen sich, eilen tausend Meilen in der Sekunde. Er verwirft Pläne, kaum daß sie ihm in den Sinn kamen. Endlich zwingt er sich zur Ruhe. Nein, er darf nicht nervös werden.
Wenn er die Pferdeherde nicht wieder in die Hände des Banditen fallen lassen will, muß er Don Estobal und die beiden Leibwächter ausschalten. Er beobachtet die beiden Leibwächter immer wieder unauffällig. Aber sie wirken nicht schläfrig oder unaufmerksam. Im Gegenteil, weil ihr Patron zu schlafen scheint, sind sie jetzt besonders wachsam. Immer wieder werfen sie auf Cass Longdale kritische Blicke. Eine halbe Stunde vergeht. Dann kommt die Herde. Und Captain Forster Travis macht selbst den Vorreiter, hat jedoch seinen Scout dicht hinter sich. Er wirkt sehr stolz und zielbewußt, dieser Konföderiertencaptain, wie er so vor den tausend Pferden reitet, ganz und gar wie ein Gentleman der Südstaaten, der schon als Herr über viele Sklaven geboren wurde. Cass Longdale mag sie nicht, diese Sorte. Er hat sie erlebt, wie sie kleine Siedler aus dem Osten mit Frau und Kindern quälten. Diese Sklavenhalter kamen mit ihren billigen Arbeitskräften und machten große Schritte. Die schuftenden Siedler blieben kleine Leute. Oh, er erinnert sich wieder an tausend andere Dinge, die ihn das System der Sklavenhaltung hassen lassen. Doch er kann jetzt nicht darüber nachdenken. Er beobachtet den Captain, der nun seine Pferdeherde in die Falle führt. Als er endlich den Scout vorausschickt und dieser dann mit der Meldung zurückkommt, daß der Schluchtausgang versperrt ist, ist es zu spät. Denn die Pferdeherde befindet sich bis auf das letzte Tier in der Falle. Auch Ginger Lanes Wagen, Ginger Lane selbst auf einem Pferd, alle Reiter und Packtiere – alles, was der Captain unter seinem Kommando hat oder zu haben glaubt, befindet sich in der Falle.
Es war lächerlich leicht. Alles dort unten in der Schlucht kommt zum Stillstand. Captain Travis’ Männer sammeln sich bei ihm. Es sind noch sieben Mann. Zwei verlor er ja schon. Auch Ginger Lane reitet zu dieser Gruppe. Die zweite Gruppe, welche sich etwas abseits hält und sich ebenfalls nicht mehr um die Pferdeherde kümmert, besteht aus Johnny Warlok, Paco Hermandes, Jim Fletsher und Jubal Perrit. Sie fühlen sich gar nicht wohl und spähen fortwährend herauf zu den Rändern der Schlucht. Nur all die anderen Treiber von zumeist mexikanischer Abstammung sind noch um die Herde verteilt. Dies jedoch läßt erkennen, daß es sich zumeist um Don Estobals Leute handelt. Denn sie halten sich bereit, die Pferdeherde wieder aus der Schlucht zu treiben. Sie warten nur auf das Zeichen. Don Estobal hat inzwischen sein Nickerchen beendet. Er legt seine Hände trichterförmig um seinen schnurrbärtigen Mund und brüllt hinunter in die enge Schlucht: »Hayyyyaaaah, hörst du mich, Captain?« Die Antwort kommt sofort: »Ich höre dich! Was bedeutet das?« »Meine Pferde sind zu gut für euren verdammten Krieg. – Jagt sie aus der Schlucht. Treibt sie den Weg zurück. – Wenn sie aus der Schlucht sind, werde ich diesen Weg durch eine Sprengung sperren lassen, so daß ihr uns nicht mehr folgen könnt. Ihr müßt euch dann den Ausgang nach Norden freimachen. – Eh, Captain, ich weiß, daß du sehr stolz bist und gern kämpfen würdest. Doch du könntest nicht gewinnen. Du sitzt so sehr in der Falle. – Ich geb dir zwei Zigarettenlängen Bedenkzeit.« Nach diesen Worten setzt Don Estobal sich wieder gemütlich hin. Er strahlt über sein ganzes Gesicht. Unter seinem pechschwarzen Schnauzbart blitzen seine weißen Zahnreihen. »Man muß nur einen guten Kopf haben«, sagt er zu Cass
Longdale. »Dann bringt man es im Leben zu etwas. – Sag selbst, Amigo, sind diese schönen Pferdchen nicht wirklich zu schade für euren verdammten Gringo-Krieg?« Longdale nickt. Er wirft einen kurzen Blick auf die beiden Pistoleros. Diese behalten ihn jetzt nicht mehr so im Auge wie bisher. Denn auch sie blicken über den Rand in die Schlucht hinunter. Die tausend Pferde füllen die Schlucht. Sie nehmen es als Rast. Manche Tiere legen sich nieder. Der Captain berät sich mit seinen Männern. Aber es wird nichts dabei herauskommen. Er sitzt so sehr in der Falle, in die er wie ein Dummkopf tappte, weil er es so eilig hatte und nicht erst seinen Scout vorausschickte. Auch Ginger Lane nimmt an der Beratung dort unten teil. Sie hat offenbar ein sehr temperamentvolles und erregtes Gespräch mit dem Captain. Cass Longdale wagt es nun; er muß es wagen. Er zieht unbemerkt den Colt, indes er sich etwas dreht. Aber er zielt damit nicht auf Don Estobal oder dessen beiden Leibwächter. Nein, er hat es sehr viel einfacher. Er zielt auf die beiden Pulverfäßchen, die nun nur drei Schritt von ihm entfernt am Boden stehen. Er brachte es fertig, sich ihnen zu nähern, indes sie alle in die Schlucht starrten. Don Estobals Pistoleros zischen böse Flüche und schnappen die Colts heraus. Es ist ein sehr kritischer, böser Sekundenbruchteil, in dem sie allesamt hier über der Schlucht gefährdet sind. Doch Don Estobal erweist sich des Vertrauens würdig, welches Cass Longdale in ihn setzte, bevor er sich entschloß zu diesem Wagnis. Denn Don Estobal erkennt die Gefahr, begreift alles blitzschnell und ruft seinen beiden Männern zu:
»Parar!« Er meint »Anhalten«, und das tun die beiden Pistoleros. Sie begreifen jetzt, warum Cass Longdale auf die Pulverfäßchen zielt. »Du verdammter Gringohund«, knirscht Don Estobal. Dann murmelt er zu seinen Leibwächtern: »Wartet einen Moment. Wartet, meine guten Muchachos. Ich muß erst darüber nachdenken, ob er das wirklich tun wird. – Denn wenn er das macht, fliegt er mit uns in die Hölle. Dann wird auch er zerfetzt. – Ich muß nachdenken, ob er zum Sterben bereit ist oder nur …« Er unterbricht sich und starrt auf Cass Longdale, so, als wolle er diesen mit seinen Blicken in Stücke schneiden. »He, Gringo, würdest du das wirklich tun? Oder bist du nur einer dieser Bluffer, denen dann der letzte Mut fehlt?« Cass Longdale schluckt mühsam. Denn er weiß, daß es jetzt sehr darauf ankommt, diesen Estobal zu überzeugen. Denn sonst fahren sie hier wirklich zur Hölle. Er sagt langsam und sehr ernst: »Don Estobal, es ist nicht gegen dich persönlich, obwohl du ein verdammter Schurke bist, ein Bandit, mit dem niemand ein Geschäft machen darf wie unter Caballeros. – Ich bin Captain wie Forster Travis. Doch ich gehöre zur Unionsarmee. Von unseren Spionen hörten wir, daß die Konföderierten hier bei dir tausend Pferde kaufen wollen. – Und so erhielt ich den Auftrag, dies zu verhindern und die Pferde möglichst für die Union …« »Schon gut«, unterbricht ihn Don Estobal. »Du bist also ein Captain der Unionsarmee. – Ist das vielleicht ein Grund, mit uns Selbstmord zu begehen? Denn wenn du in dieses Schießpulverfäßchen feuerst, begehst du doch Selbstmord – oder?« Auch in Don Estobals Stimme ist nun ein feierlicher Ernst. Auch er muß mehrmals hart schlucken. Und immer wieder wirft er einen Blick auf seine Pistoleros, voller Sorge und zugleich auch beschwörend.
Cass Longdale nickt. »Ja, das wäre auch mein Tod«, sagt er. »Doch ich bin Soldat, Offizier. Es ist für mich jetzt wie eine Schlacht, wenn ich gegen einen Kugelregen anstürmen muß. Wenn die tausend Pferde zur Kavallerie der Südstaaten gelangen, wird der Krieg noch einmal verlängert – und wenn vielleicht auch insgesamt nur eine Stunde. Doch wieviel Soldaten sterben im Krieg in einer Stunde? – Verstehst du, Don Estobal? Man hat mich ausgewählt als den besten für diese Aufgabe geeigneten Mann. – Und ich bluffe nicht. – Und es liegt nun bei dir, wie es weitergehen wird.« Damit hat er alles gesagt. Man hört es seiner heiser gewordenen Stimme an. Don Estobal starrt ihm in die Augen. Nach einer Weile nickt er langsam. »Ich glaube es dir«, murmelt er. »Ja, du würdest dich mit uns in die Luft sprengen. – Was willst du?« »Sie sollen ihre Waffen in die Schlucht werfen«, verlangt Cass Longdale und meint damit die beiden Leibwächter. »Du auch.« »Und dann?« »Dann schickst du sie fort, damit sie mit all deinen Reitern heimreiten.« »Wie willst du das erzwingen, Gringo-Captain?« Don Estobal stößt es heiß und böse hervor. Cass Longdale grinst. »Das werde ich dir jetzt erklären«, sagt er. »Wir werden diese beiden Pulverfäßchen öffnen. Du wirst dir mit dem Schießpulver alle Taschen füllen. Sogar unter dem Hut wirst du Pulver tragen. – Überall wirst du mit Schießpulver gepolstert sein, mein Bester. – An deinem Sattelhorn hängt eine Schrotflinte mit abgesägten Läufen. Ich nehme sie mir. Und damit bewache ich dich dann …«
* � Es ist ein merkwürdiger Anblick, der sich eine gute Stunde später den in der Schlucht Eingeschlossenen bietet. Da kommen zwei Reiter in die Schlucht geritten, so, als wäre diese gar nicht mehr abgeriegelt von Don Estobals Reitern. Doch einer der beiden Reiter ist Don Estobal selbst. Er sitzt merkwürdig steif im Sattel, etwa so, als säße er auf einer Sprengladung und müßte befürchten, diese durch eine schnelle Bewegung zum Explodieren zu bringen. Er hat auch seinen Hut auf eine merkwürdige Weise auf dem Kopf, nämlich sehr gerade und tief über den Kopf gezogen. Sein Gesicht ist pulvergeschwärzt. Aber seine Augen rollen wütend. Sein Schnurrbart zuckt. Hinter ihm reitet Cass Longdale, die Schrotflinte mit den verkürzten Doppelläufen ständig auf ihn gerichtet. So reiten sie bis zu Captain Forster Travis. Hier halten sie an. Cass Longdale sagt trocken: »Der Weg ist frei, Captain, wenn Sie die Sperre wegräumen lassen. Don Estobals Reiter sind heimgeritten, und er hofft, daß er ihnen bald folgen kann. – Sie werden zugeben müssen, Captain Travis, daß ich diese Herde gerettet habe – oder?« Sie staunen alle. Forster Travis schluckt mehrmals mühsam und bekommt ein dunkles Gesicht. Schließlich sagt er: »Das gibt es doch nicht. – Das kann doch nicht sein. Wollen Sie mir weismachen, daß es genügt, diesen Oberbanditen vor eine Schrotflinte zu bekommen, um seine Bande abziehen zu lassen? Was steckt dahinter? Was ist das wieder für ein Trick?« »Der Schießpulvertrick«, erwidert Longdale trocken. »Er hatte zwei Fäßchen Schießpulver dort oben, um sie euch hier gegebenenfalls auf die Köpfe werfen zu können. – Nun trägt er das Zeug in allen Taschen und sogar unter dem Hut. – Dieser
Senor ist eine lebende Sprengladung. Der wäre in der Luft geplatzt, würden mich seine Leute angegriffen oder aus dem Hinterhalt auf mich geschossen haben. Denn meinen Zeigefinger hätte ich immer noch krumm gemacht. – Das war mein Schießpulvertrick, Captain. – Sonst noch Fragen?« Forster Travis sagt nichts. Er starrt ihn nur an. Alle starren sie ihn an. Es ist, als würden sie sich erst jetzt richtig über ihn klar. Seine vier Männer halten jetzt hinter ihm und Don Estobal. Ihnen gegenüber verharren noch Forster Travis und dessen sieben Reiter. Die mexikanischen Treiber halten sich weit abseits. Sie sind nicht wichtig. Ginger Lane sagt schrill: »Nun, Forster, dann lassen Sie doch die Barriere wegräumen, damit wir hier rauskommen.« Forster Travis nickt. »Los, Leute«, sagt er. »Erst müssen wir mal hier raus, bevor wir alles andere klären. Erst mal hier raus!« »Und ich will endlich das Schießpulver loswerden!« Don Estobal grollt es böse. »Seid ihr denn keine Christenmenschen?« fragt er. »Ich könnte doch einen Herzschlag bekommen vor Furcht. – Wollt ihr mich noch länger als lebende Sprengladung mitten zwischen euch haben?« Sie alle grinsen oder lachen mehr oder weniger bitter und grimmig. »Wir sollten ihn mit dem nackten Hintern auf einem Kugelkaktus reiten lassen«, sagt jemand. Aber Cass Longdale, dessen Gefangener Don Estobal ja ist, nickt diesem zu. »Gewiß, Amigo, du kannst dich dieses schwarzen Pulvers entledigen. Aber du mußt noch eine Weile bei uns bleiben, bis wir sicher sind, daß deine Muchachos wirklich auf dich hören und heimkehren. – Du verstehst doch, mein Bester, daß wir dich noch bei uns behalten müssen?«
Don Estobal platzt fast vor Zorn. Doch er ist jetzt erst einmal sehr froh, daß er seine Taschen leeren und auch den Hut vom Kopf nehmen kann, dessen Krone mit Schießpulver gefüllt ist. Der Schweiß, der unter dem Hut hervorrinnt, ist eine schwarze Brühe. Sie verwandelt ihn mehr und mehr zu einem Clown. Aber es achtet kaum noch jemand auf ihn. Fast alle Reiter reiten zum Schluchtausgang, um dort die Barrikade wegzuräumen und den Weg freizumachen für die Herde. Cass Longdale bleibt bei Don Estobal. Und Sergeant Ben Clayton, der wie Cass Longdale auch deutlich die Zeichen des Kampfes im Gesicht trägt, bewacht das Ende der wartenden Herde. Er sichert den Eingang der Schlucht, durch den sie in die Falle gezogen waren – aber wahrscheinlich will er auch verhindern, daß die mexikanischen Treiber abhauen. Manchmal späht er zu Cass Longdale herüber – und die Feindschaft weht dann wie ein Wind zwischen ihnen. * Eine Stunde später können sie weiter, und sie beeilen sich. Captain Travis’ Männer treiben nicht nur die Pferde, sondern auch noch die mexikanischen Treiber an. Sie legen an diesem Tage Meile um Meile zurück und bringen bis zum Anbruch der Nacht noch eine weite Ebene hinter sich, die ihnen weite Sicht gestattet. Doch das ist Cass Longdales große Sorge. Auch Johnny Warlok macht sich Sorgen. Als er einmal neben Cass Longdale und Don Estobal reitet, ruft er Longdale zu: »Unsere Staubwolke ist bis zum anderen Ende der Ebene zu sehen. – Und wenn auch nur ein einziger Apache in der Nähe ist, haben wir bald eine ganze Bande am Hals. – Und die ist
dann gefährlicher als Don Estobal mit seinen Hombres. – Wir hätten einen Umweg durch die Hügel machen müssen!« Cass Longdale nickt nur. Doch er erwidert nichts. Was sollte er auch erwidern? Er kann Captain Travis gut verstehen. Der möchte weg, nichts wie weg. Johnny Warlok stößt einen Fluch aus. Er will noch etwas rufen. Doch er läßt es und reitet wieder ein Stück vor. Don Estobal drängt sein Tier dichter an Cass Longdales Pferd heran. »Wann kann ich denn heimreiten?« fragt er heiser, und es hat ihn sicherlich eine große Überwindung gekostet, diese Frage zu stellen. Denn zuvor mußte er sich erst einmal eingestehen, daß er hier nicht mehr der große und mächtige Don Estobal ist. Im Gegenteil, als er gewissermaßen mit Schießpulver gepolstert war, wirkte er fast wie ein Clown. Seine Bewegungen waren so unnatürlich, daß man über ihn lachen mußte. »Bald, Amigo, bald!« erwidert Cass Longdale. Dann blickt er zur Seite, denn dort taucht Ginger Lane mit ihrer wunderschönen roten Stute auf, zu der er sie schon einmal beglückwünscht hat. Ginger Lane reitet eine Weile schweigend neben ihm. Manchmal betrachtet sie ihn von der Seite. Er erwidert ihre Blicke, sagt jedoch nichts, wartet nur. Schließlich fragt sie: »Mister, wer sind Sie wirklich? – Sie haben uns aus der Klemme geholfen, obwohl Captain Travis Sie fortjagte. – Warum helfen Sie uns?« »Weil ich ein Patriot bin«, erwidert er ganz ernsthaft. Er meint es doppelsinnig; denn auf seine Art ist er ja wirklich ein Patriot. Denn schließlich ging er damals freiwillig zur UnionsArmee und brachte es dort schnell zum Offizier auf Kriegszeit. Sie schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht, daß Sie ein Patriot sind«, ruft sie ihm dann ziemlich zornig zu. »Eher halte ich Sie für einen Pferdedieb. –
Nein, nicht für einen, der ein oder zwei Tiere stiehlt, nein, nicht für solch einen. – Aber für einen, der einen großen Coup zu landen versucht und sich alles genau ausgerechnet hat. – Captain Travis ist Ihnen wahrscheinlich nicht gewachsen. Und dennoch braucht er Sie jetzt. – Wann werden Sie Ihre Karten aufdecken, Mister Longdale?« Dieser lächelt nur. »Habe ich denn verdeckte Karten?« Da wird sie noch zorniger. Aber sie begeht nicht den Fehler, sich mit ihm zu streiten. Sie treibt ihr Tier an, reitet weiter nach vorn. Er sieht ihr nachdenklich nach. Don Estobal lenkt sein Pferd dichter neben ihn. »Si«, sagt er, »ich glaube auch, daß du einen großen Coup landen wirst, Captain. Ich hätte dich jetzt verraten können. Ich hätte ihr sagen können, daß du ein Captain der Blaubäuche aus dem Norden bist. – Aber ich tat es nicht. Ich war soeben sehr nobel zu dir, weil ich großen Respekt vor dir habe und darauf vertraue, daß du mich bald meines Weges reiten lassen wirst – oder? Ich bin schon sehr weit weg von meiner Heimatweide.« Cass Longdale nickt. »Wir beide bleiben jetzt zurück«, sagt er, »bis wir am Ende reiten. – Und dann werde ich dich entlassen. Wahrscheinlich verdienst du es nicht, Estobal. Denn du bist ein Schuft. – Doch bin ich ein Richter?« »Nein, das bist du gewiß nicht«, pflichtet Don Estobal ihm bei. »Aber du bist ein Hidalgo, ein Caballero, ein … Oh, für mich wirst du in der Erinnerung zuletzt als Freund haften bleiben, als wirklich großer Amigo, den ich zum Paten meiner Kinder, zu meinem Compadre machen würde.« Cass Longdale grinst. Aber er erwidert nichts. Sie bleiben langsam am Rand der Herde zurück, lassen Tiere und Treiber an sich vorbei. Manche der mexikanischen Treiber werfen Don Estobal verstohlene Blicke zu. Wahrscheinlich
gehören sie zu seinen Leuten, und sie sind nun unsicher, wissen nicht, was sie tun sollen. Er gibt ihnen keinerlei Zeichen. Cass Longdale beobachtet ihn ständig. Aber er läßt nichts erkennen. Es dauert eine Weile, dann sind sie am Ende der Herde. Der letzte Reiter ist Sergeant Ben Clayton. Als Cass Longdale und Don Estobal anhalten, bleibt auch er zurück. »Du kannst heimreiten, Estobal«, nickt Longdale diesem zu. »Ohne Waffe?« fragt Estobal freundlich. »Du wirst es doch nicht über dein Herz bringen, mich in diesem gefährlichen Land ohne Waffe heimreiten zu lassen? Es wird ein weiter Ritt für mich. Ich muß zurück über die Ebene. Drüben könnten schon die Apachen auf mich warten. Die mögen mich nicht. – Sei ein Caballero, ein Hidalgo! Gib mir meine Waffe wieder. Ich sehe, daß meine Schrotflinte an deinem Sattelhorn hängt. Und meinen Colt trägst du im Hosenbund. – Gib mir beide Waffen. Oder willst du mich wie ein hilfloses Kind aussetzen?« Cass Longdale grinst. Aber er versteht Estobal gut. Dennoch zögert er. Einmal blickt er über die Schulter zurück. Nur einen halben Steinwurf entfernt wartet Sergeant Ben Clayton. Nun ruft er sogar: »Hey, Longdale! Du wirst diesen Hundesohn doch wohl nicht laufen lassen? – Komm her mit ihm! Komm schon!« Longdale sieht Estobal wieder an. Dann nimmt er die Schrotflinte vom Sattelhorn, entfernt die beiden Zündhütchen und wirft ihm die Flinte zu. Er weiß, daß Estobal weitere Zündhütchen und alle anderen notwendigen Dinge in seiner Satteltasche hat. Estobal fängt das kurze Schrotgewehr und hängt es sich an das Sattelhorn. Dann streckt er griffbereit die Hand aus. »Nun den Colt, wenn du ein Caballero bist, ein gnädiger
Sieger«, verlangt er. Cass Longdale zögert. Soll er auch die sechs Zündhütchen an diesem Perkussionsrevolver entfernen? Er starrt Don Estobal an. Aber in dessen dunklen Augen ist keine Feindschaft mehr zu erkennen. Estobal hat sich offenbar wie ein Spieler mit seiner Niederlage abgefunden und trägt nichts mehr nach. Da überwindet Cass Longdale das Zögern. Er zieht Estobals Waffe aus dem Hosenbund und wirft sie ihm zu – aber er wirft sie so, daß Estobal sie nicht am Kolben fangen kann. Er wirft sie ihm auch mit der rechten Hand zu. Die Linke hat er selbst am Colt. Es ist dies die instinktive Vorsicht eines Revolvermannes. Als er sieht, daß Estobals Blick sich verändert, daß in Estobals Augen jäh der Triumph aufleuchtet und sein Gesichtsausdruck sich gleichfalls verzerrt zu einer bösen und wilden Haß ausdrückenden Fratze, da ist es schon fast zu spät. Aber er zieht den Colt. Denn Estobal fängt den Colt zwar nicht am Kolben auf. Doch er schleudert ihn noch einmal in die Luft. Es ist dies gewiß ein tausendmal geübter Trick. Der Colt landet nun nach einem Salto mit dem Kolben in Estobals Hand. Es geht blitzschnell. Und sein Daumen legt blitzschnell den Hammer der Waffe zurück. Das alles spielt sich in einem Sekundenbruchteil ab. Ein normaler Mensch könnte dies alles gar nicht erfassen mit seinen Blicken. Alles geht zu schnell. Doch ein Revolvermann erfaßt solche Dinge rein instinktiv, und er denkt auch gar nicht darüber nach, was zu tun ist. Er reagiert reflexhaft. So ist es auch bei Cass Longdale. Über sein Tun kann er nicht nachdenken. Sein Instinkt verursacht die Reflexe.
Er schießt jenen winzigen Sekundenbruchteil früher als Don Estobal, auf den es so sehr ankommt; es ist wirklich nur ein winziger Sekundenbruchteil. Doch weil Estobal in diesem Moment abdrückt, da er selbst getroffen wird, wird nichts aus seiner Rache. Seine Kugel trifft nicht. Er will den Colt noch einmal auf Longdale richten. Schwankend hockt er auf seinem Pferd, hat sein Gesicht jetzt vor Anstrengung verzerrt und müht sich, den schwer gewordenen Colt noch einmal auf den Gegner zu richten. Die Pferde stehen still. Sie sind an Schüsse gewöhnt. Cass Longdale wartet. Doch dann gibt Estobal auf. Er wendet mühsam das Pferd und reitet langsam in die Dämmerung hinein. Cass Longdale läßt ihn ziehen. * In Gedanken versunken schlägt Cass die Richtung zum Camp ein. Plötzlich ist Sergeant Ben Clayton neben ihm. »Na gut«, nickt Clayton. »Manche Dinge erledigen sich von selbst. – Ich hätte ihn nicht reiten lassen.« Er macht eine kleine Pause, starrt auf Longdales Revolverhand und den Colt in der Halfter. »Du bist schnell«, sagt er. »Vor ein paar Tagen haben wir uns nur geprügelt, es sieht so aus, als seien wir noch nicht fertig miteinander. Es war sehr interessant für mich, dich ziehen und schießen zu sehen. – Aber ich glaube, ich kann mit dir zurechtkommen.« »Wie schön für dich«, murmelt Cass Longdale. Es wird jetzt schnell dunkel. Die Herde rastet in einer Senke. Es gibt eine Wasserstelle
dort unten. Die Stimme von Captain Travis klingt über das Camp: »Sergeant Clayton! Teilen Sie die Wachen ein!« Longdale reitet zu seinen vier Männern hinüber, die sich etwas abseits halten. Es gibt drei Gruppen im Camp, nämlich Captain Travis und dessen sieben Männer, das gute Dutzend Treiber mexikanischer Abstammung – und Cass Longdale und die vier anderen Pferdediebe. Als er sich zu seinen vier Männern ans Feuer setzt, wo schon die Tortillas und der Speck braten und auch der Kaffee gleich fertig sein wird, sehen sie ihn seltsam gespannt an. Es hat sich herumgesprochen, daß er Don Estobal verjagt hat. Er erklärt ihnen mit wenigen Worten, wie es dazu kam. Sie schweigen dazu. Doch er spürt keine feindliche Strömung von ihnen. Offenbar haben sie jedoch andere Probleme. Denn Johnny Warlok sagt nach einer Weile leise: »Cass, du hast dir damals meine Treue gekauft, als du mich vor dem Hängen gerettet hast. – Du hast dir einen erfahrenen Pferdedieb vom Galgen geholt, der bei dir eine Schuld zu bezahlen hat. Das will ich auch tun. – Doch die anderen möchten sich in die Büsche schlagen. Sie geben einem glücklichen Gelingen der Sache keine Chance mehr. Oder hast du uns noch etwas zu sagen, was uns Mut machen könnte? Und überhaupt, was spränge für Paco, Jim und Jube heraus, sollten sie weiter mitmachen und könnten wir mit Hilfe vieler Wunder und Zauberei diese große Pferdeherde erbeuten? – Freund Cass, es wird nun Zeit, daß du ihnen was sagst.« Er murmelt diese Worte leise. Nun hebt er seinen Kaffeebecher, prostet Cass Longdale zu und schlürft das heiße Gebräu vom heißen Rand, an dem jeder Unkundige sich die Lippen verbrennen würde. Denn man muß das heiße Zeug auf eine ganz bestimmte Art
schlürfen. Die anderen Männer betrachten Cass Longdale. »Ideen hast du ja«, nickt Jim Fletsher. »Wie du uns aus der Falle geholt hast, das war schon was. – Dir wird gewiß immer wieder eine Menge einfallen. Du hast sicher eine Menge Tricks im Kasten. – Aber …« Er macht eine resignierende Handbewegung. »Ihr habt uns ein wenig reingelegt – du und Johnny«, spricht er weiter. »Wir wissen nun ein wenig mehr über alles, und wir denken, daß du zur Unionsarmee gehörst und Captain Travis den Pferdehandel vermasseln sollst. – Doch es war ziemlich gemein von dir, dich unserer Hilfe zu versichern. Wir sollen also gewissermaßen wie echte Patrioten für die Union Pferde stehlen und wie Soldaten unsere Haut riskieren. – Ja, glaubst du denn, wir sind völlig närrisch?« Er tippt sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe, klopft damit wie ein Specht. Aber dann bekommt er sich wieder unter Kontrolle. Er begreift, daß sie sich nicht laut streiten dürfen. Denn dann hätten sie bald Zuhörer. Die anderen Männer nicken zu seinen Worten, sehen dabei Longdale an. Dieser beugt sich vor, stochert im Feuer und murmelt: »Wir bekommen bald Hilfe. Eine ganze Mannschaft ist unterwegs, Guerillas der Union, jawohl. – Wir sind schon bald nicht mehr allein. – Und was euren Gewinn betrifft, so werde ich nicht kleinlich sein. Ich werde euch nicht wie Patrioten, sondern wie erfolgreiche Pferdediebe bezahlen. – Zufrieden?« Das sind sie gewiß nicht. Und dennoch haben ihnen seine Worte Mut gemacht. »Na, wir können ja noch einen Tag oder zwei warten«, brummt Jim Fletsher. »Doch über eines sollten wir uns im klaren sein, Jungens. – Diese mexikanischen Treiber außer Paco sind morgen nicht mehr da. Sie verschwinden mit
Sicherheit diese Nacht, es sei denn, wir bewachen sie. – Doch sollen wir sie bewachen?« »Nein«, entscheidet Longdale sofort. »Wenn Travis sie nicht von sich aus durch seine Männer bewachen läßt – wir tun es nicht. Sollen sie doch verschwinden. Dann bekommen Travis’ Männer alle Hände voll zu tun. Dann müssen sie harte Arbeit leisten und können sich gegebenenfalls nicht so viel um uns kümmern.« Sie sehen ihn an und nicken. Und sie werden noch eine Weile mitmachen. Aber wie lange? * Am anderen Morgen sind die mexikanischen Treiber, obwohl Captain Travis’ Männer aufpaßten, weg. Sie verschwanden mit ihren Pferden wie Geister – und sie verschwanden dort, wo Cass Longdale und dessen Männer wachten. Denn diese ließen sie abhauen. Als die beiden verbliebenen Mannschaften aufsitzen, klettert Ginger Lane in ihren Wagen. Auch ihr Fahrer ist verschwunden. Sie wird nun nicht mehr reiten können, sondern muß den Wagen selbst fahren. Captain Travis kommt zu Longdale und seinen Männern herübergeritten. Man sieht Travis an, daß er wütend und scharf ist wie eine gereizte Klapperschlange. »Ihr habt nicht gut genug aufgepaßt«, sagt er giftig. »Aber es paßt euch wohl gut, uns zu Pferdetreibern zu machen. – Diese verdammten Greaser sind nur deshalb so gut fortgekommen, weil ich euch nicht zutraute, daß ihr so dumm sein würdet, sie laufen zu lassen. – Dumm! Dumm, sage ich!« Er starrt Cass Longdale herausfordernd an. »Sie haben das Kommando, Sir«, sagt Longdale. »Und auf diese Pferdediebe, die wahrscheinlich allesamt Don Estobals
Leute waren, hätten wir uns nie verlassen können. Im Gegenteil! So dumm ist es gar nicht, daß sie weg sind. – Wollen wir hier noch länger miteinander reden?« »Nein«, schnaubt Travis, zieht sein Pferd herum und reitet an die Spitze der Herde. Diese hat sich schon etwas ausgerichtet, denn es macht sich doch jetzt schon bemerkbar, daß die Tiere sich an das ständige Treiben gewöhnten. Es wird jetzt gewiß jeden Tag leichter mit ihnen. Mit Captain Travis setzt sich auch Ginger Lane mit ihrem Wagen an die Spitze. Im Wagen ist einiges Gepäck. Die Herde kommt nun in Bewegung. Cass Longdale wird zu einem der Treiber. Sie sind genau zwölf Treiber. Das ist in diesem schwierigen Gelände sehr wenig für eine tausendköpfige Herde. Immer wieder hält Longdale durch den Staub scharf Ausschau in die Runde, beobachtet alle Dinge in der nahen Umgebung. Auch die anderen Männer tun das. Denn jeder rechnet mit Apachen, jeder. Sie sind keine Narren, und sie wissen alle, daß sich die Apachen eine solche große Pferdeherde nicht werden entgehen lassen, sollten sie diese erst einmal entdecken. Ob ja oder nein, dies ist in diesem Land eine reine Glückssache. Es wird ein heißer, staubiger, erbarmungsloser Tag für alle. Die Treiber fehlen ihnen sehr. Als sie gegen Mittag einen kleinen Creek erreichen, welcher eigentlich Wasser führen sollte, stehen sie vor einem neuen Problem. Denn der Creek ist ausgetrocknet bis auf wenige kleine Tümpel. Die Pferde drängen sich um diese Stellen, ja, sie kämpfen sogar darum. Da sie dabei die wenigen flachen Tümpel zertrampeln, bringen sie sich selber um das wenige
Wasser. Das Problem aber ist klar. Man kann nicht tausend Pferde – es ist ja eine Riesenherde – durch das Apachenland treiben, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Für eine solche Menge Tiere gibt es einfach nicht genügend Wasser. In einem Land, in dem selbst die Apachen nur in kleinen Banden streifen, kann man nicht tausend Pferde ohne große Schwierigkeiten durchbringen. Und der Durst dieser Tiere wird immer schlimmer. Captain Forster Travis sieht fragend auf seinen Scout. Dieser ist ein indianerhafter Bursche, der früher einmal in diesem Land lebte. Sonst könnte er sich nicht auskennen. Aber es muß schon einige Jahre her sein. Seitdem hat sich wahrscheinlich einiges verändert. Er zuckt nur mit den Achseln. »Ich habe früher hier Wildpferde gejagt«, sagt er. »Dieser Creek hatte immer genügend Wasser. Es kommt dort aus dem Mesaland im Westen und entspringt bei einer starken Quelle.« »Das tut er schon drei Jahre nicht mehr«, mischt sich da Paco Hermandes ein. »Und das weiß jeder Reiter in diesem Land. – Captain, Ihr Scout sollte uns mal sagen, wo er das nächste Wasser zu finden hofft. – Dann werde ich ihm sagen, ob das noch einigermaßen stimmt. – Na?« Captain Forster Travis knirscht mit den Zähnen. Es ist, als wolle er grobkörnigen Sand zu feinem Pulver zermahlen. Dann nickt er. »Also gut, Corporal Henry, sagen Sie es. – Wo werden wir Ihrer Meinung nach das nächste Wasser finden?« Der Scout späht nach Norden. Dann sagt er: »Morgen um die gleiche Zeit etwa könnten wir die Spanish Springs im Spanish Bit Canyon erreichen. Dort müßten auch tausend Pferde ihren Durst löschen können.« Als er das gesagt hat, blickt Captain Travis auf Paco Hermandes. Dieser nickt. »Ja, dort ist genug Wasser. – Aber …«
Er verstummt wie ein Mann, der sich scheut, seine Meinung zu sagen, weil er genau weiß, daß er damit auf Unwillen stoßen wird. »Aber?« Captain Travis fragt es scharf und hart. Paco Hermandes zögert immer noch. Aber Johnny Warlok sagt: »Der Spanish Bit Canyon ist ein Sack-Canyon. Wir konnten dort stets sehr leicht ganze Wildpferdherden fangen. Wir brauchten nur den einzigen Ein- und Ausgang zu sperren, wenn solch eine Herde zu den Quellen gelaufen war. Es ist eine große Falle. – Es könnte sein, daß auch wir in dieser Falle festsäßen, wenn die Apachen …« Er spricht nicht weiter, denn das ist nicht mehr nötig. Jeder seiner Zuhörer kann sich mühelos vorstellen, wie leicht es für Apachen wäre, solch eine Falle zuschnappen zu lassen. Der Captain blickt seinen Scout an. »Ist das so?« »Yes, Sir!« »Gibt es noch andere Wasserstellen in erreichbarer Nähe und in der von uns einzuhaltenden Richtung?« »Nicht für tausend Pferde, Sir. – Es gibt überall kleine Tinajas. – Aber die reichen stets nur für wenige Tiere. – Wenn unsere Pferdeherde nicht verdursten soll und wenn wir sie nicht aufteilen wollen, dann müssen wir zu den Spanish Springs.« Der Captain hört es, schluckt einmal hart und starrt dann drei Atemzüge lang nach Norden. »Also los«, sagt er. »Und gnade der Himmel den Apachen, die uns eine Falle stellen wollen.« Niemand sagt etwas. Sie beginnen die Herde wieder auszurichten und anzutreiben. Der Staub wirbelt wieder über ihnen, begleitet sie als Riesenwolke. Sie haben vorerst keine andere Wahl. Sie müssen mit der Herde zu den Spanischen Quellen. Die zweite Hälfte des Tages geht dem Ende zu.
Einmal treiben sie die Herde über eine kleine Ebene. Es gibt hier viele Arten von Kakteen, Dornenbüschen, Felsen. Da und dort an den Rändern von pulvertrockenen Arroyos stehen manchmal verdorrte Cottonwoods. Manchmal unterbrechen ein paar Hügel das Einerlei der Landschaft. Dann sehen sie Mesquite auf diesen Hängen, rote Felsen. Der Staub beißt in allen Poren. Die Pferdeherde wird immer unwilliger. Und dann – völlig unerwartet – kommt der Apachenangriff. Dieser Angriff ist typisch für die Apachen. Man sah sie nicht. Es gab keinerlei Anzeichen – nichts, gar nichts. Und dennoch sind sie plötzlich da. Wahrscheinlich lauerten sie schon Stunden in einem der Arroyos, nachdem sie sich ausgerechnet hatten, welchen Weg die Herde nehmen würde. Sie tauchen aus dem Arroyo auf wie die Teufel aus dem Kasten. Ganz plötzlich sind sie rechts neben der Herde. Dies ist reiner Zufall, denn wäre die Herde auch nur eine Viertelmeile weiter östlich nach Norden gezogen, wären die Apachen an ihrer linken Flanke aufgetaucht. Zufälle spielen im Ablauf von Geschehen oft eine große Rolle. In diesem Fall ist es so, daß Captain Travis und dessen Reiter die ganze Wucht des Angriffs zu spüren bekommen, denn die meisten Männer des Captains befinden sich auf der rechten Seite. Der Captain selbst und Ginger Lane mit dem Wagen sind an der Spitze mit dem Scout Henry, Auf der linken Seite – der Westflanke der Herde also – treiben Captain Cass Longdale und seine vier Pferdediebe. Sie hören vorerst nur den Angriff. Denn ganz plötzlich krachen die Colts, gellen die Schreie der Apachen, tönen die Flüche der Weißen, klingen Befehle. Durch den Staub ist nicht viel zu sehen. Aber es ist klar, daß dies ein wuchtiger und mit aller Härte geführter Angriff ist,
nicht etwa nur ein Manöver, welches allein die Herde in Panik versetzen soll. Letzteres geschieht ohnehin. Denn die durstigen und nach dem langen Tagestreck nervös gewordenen Tiere gehen durch. Die Schreie der Apachen sind wild, zu animalisch. Es ist, als wären Teufel aus der Hölle ausgebrochen. Die Stampede nach Norden bricht ganz zwangsläufig los. Auch Cass Longdale reitet, so schnell sein Pferd laufen kann. Er hält seinen Colt in der Faust und wartet darauf, einen Apachen zu sehen. Doch er sieht keinen. Er hört sie nur auf der anderen Seite. Es ist unmöglich, durch die Herde auf die andere Seite zu reiten. Er müßte die Herde erst an sich vorbeilassen. Aber dann sieht er etwas am Boden, was ihn alles andere vergessen und unwichtig erscheinen läßt. Es sind Radfurchen im Staube. Sie weichen nach links, nach Westen aus. Ginger Lane, die mit dem Wagen an der Spitze fuhr, ergriff offensichtlich nach Westen die Flucht. Die Radfurchen sind deutlich im Staub zu sehen. Cass Longdale biegt nun ebenfalls nach Westen ab, entfernt sich von der Herde, und je weiter er sich von ihr entfernt, um so klarer wird die Sicht. Er kommt aus der Staubwolke heraus, und er braucht sich bald nicht mehr nach den Radfurchen zu richten, denn er sieht den Wagen vor sich. Die Apachen verfolgen diesen Wagen. Sie haben ihn sogar schon eingeholt. Einer der Apachen schwingt sich von seinem galoppierenden Pferd schon hinüber. Es ist sehr verständlich, daß die Apachen so scharf auf den Wagen sind. Es ist nicht nur wegen der Frau. Diese wollen sie natürlich auch haben. Aber sie wissen natürlich auch, daß in einem Wagen wahrscheinlich Dinge transportiert werden, die sehr wichtig für sie sind – zum Beispiel Waffen, Munition, Proviant, Werkzeuge. Das alles wollen sie nicht weniger gern.
Und so hatten sie sich zu dritt hinter dem Wagen hergemacht, obwohl schon einer von ihnen genügt hätte. Der Apache bekommt Ginger Lane ziemlich schnell zahm, obwohl sie wie wild zu kämpfen beginnt und dabei sogar ihren Colt abfeuert. Er schlägt ihr jedoch die Hand zur Seite. Dann trifft er sie mit einem Faustschlag an die Schläfe. Sie fällt sofort, und fast wäre sie aus dem Wagen gestürzt, hätte er sie nicht festgehalten. Indes haben die beiden anderen Krieger das Gespann zwischen sich genommen und bringen es nun zum Halten. Denn auch die beiden Wagenpferde hatten sich in Panik befunden und waren wie um ihr Leben gerannt. Nun halten sie. Die Apachen stoßen triumphierende Schreie aus. Sie haben gute Beute gemacht, so meinen sie. Aber dann sehen sie den Reiter kommen. Cass Longdale läßt sein Tier nicht mehr galoppieren. Er weiß, daß er jetzt Zeit hat. Er nähert sich nicht zögernd – nein, eher wie ein unaufhaltsames Unheil. Irgendwie strömt er Todesgefahr aus. Die Apachen spüren diese Strömung mit feinem Instinkt. Sie begreifen die Gefahr schon allein deshalb, weil er ganz ruhig herangeritten kommt, obwohl er allein ist und sie in dreifacher Überzahl sind. In diesem Land gibt es nur sehr wenige Weiße, die allein drei Apachen angreifen würden auf diese Weise, also ganz offen herangeritten kämen. Sie verständigen sich mit kurzen, kehligen Lauten. Dann reiten sie ihm entgegen. Die Sache bekommt nun fast einen rituellen Charakter. Ja, so wirkt es. Da kommt ein Reiter, der sich für groß genug hält, es ganz allein mit drei Gegnern aufzunehmen. Und weil das so ist, stellen sich ihm die drei Gegner ganz offen. Sie versuchen nicht, sich zu trennen, ihn zu umkreisen, wie
Wölfe ein gestelltes Wild. Das tun Apachen sonst. Diesmal nicht. Ihr Stolz ist herausgefordert. Die Apachen haben Gewehre und Revolver. Es sind erfahrene Krieger, die ihre Waffen entweder erbeuten konnten von Weißen – oder aber etwas zu tauschen hatten, bei irgendwelchen Händlern, zum Beispiel Pferde, Gold, erbeuteten Schmuck. Einer von ihnen beginnt zuerst zu feuern. Aber die Entfernung ist für ihn noch etwas zu weit. Er trifft nicht. Doch er steckt den anderen an, so daß auch dieser sein Gewehr aus dem Hüftanschlag abdrückt, indes die Pferde langsam traben. Der dritte Apache wartet noch, reitet nur neben den beiden anderen weiter. Cass Longdale aber hält nun sein Pferd an. Er schwingt sich aus dem Sattel, mit einer einzigen, gleitenden Bewegung. Er tritt schnell von seinem Pferd weg, und die Apachen verstehen auch das sofort. Er will nicht, daß sein gutes Tier getroffen wird. Das ist ganz im Sinn dieser Krieger. Denn sein Pferd – das sehen sie – wird eine besonders wertvolle Beute sein. Aber sie selbst bleiben im Sattel. Sie meinen ja, eine große Herde erbeutet zu haben, unter denen sich viele Tiere von der Güte ihrer jetzigen befinden. Sie greifen plötzlich an. Und sie reiten in den Tod. Diesen Weißen haben sie trotz allem noch unterschätzt. Denn er steht ganz ruhig da, wartet, bis sie nahe genug sind, zuckt nicht mal zusammen, obwohl eine Kugel ihn streift und eine andere vor seinen Füßen den Staub hochwirft. Er schießt erst, als er sich jeder Kugel sicher ist. Und wie er schießt! Nur ein Revolvermann kann so schießen. Es ist wie ein böser Zauber. Er trifft sie, holt sie mit heißem Blei von den Pferden, und nur einer begreift zuletzt noch, in was er da hineingeritten ist,
nämlich in die Hölle. Er reißt sein Pferd herum, will die Flucht ergreifen. Dabei schwankt er im Sattel, denn er wurde auch schon getroffen, wenn auch nicht so schwer wie die beiden anderen Krieger. Aber er entkommt nicht. Mit der fünften Kugel holt Cass Longdale auch ihn vom Pferd. Dann wartet er. Er hat nur noch eine einzige Kugel in seinem Revolver. Das kann zu wenig sein, wenn einer der Apachen sich nur totstellt. Soll er erst nachladen? Er tut es nicht, sondern schiebt die Waffe in die Halfter. Dann tritt er zu seinem Pferd und holt das Gewehr aus der Sattelhalfter. Es ist ein siebenschüssiger Spencer. Er lädt ihn durch. Nun macht er sich auf den Weg. Er sieht, daß Ginger Lane sich im Wagen aufzurichten beginnt. Doch sie ist noch sehr benommen von dem Faustschlag. Er verschwendet keinen Blick mehr auf sie – denn er muß jetzt die drei Apachen im Auge behalten. Sie liegen da wie tot. Aber er ist ein erfahrener Mann. Er weiß zwar nicht viel über Apachen, doch er kämpfte in seinen früheren Jahren daheim in Texas oft gegen Comanchen, später dann weiter im Norden gegen Kiowas, Cheyenne und Sioux. Die Apachen sollen die gefährlichsten Nahkämpfer sein und viele Tricks beherrschen. An einem der Krieger geht er sehr nahe vorbei. Doch seine Gewehrmündung zeigt auf ihn. Er beobachtet scheinbar nur diesen wie leblos daliegenden Krieger. Der ihm am weitesten entfernt liegende schnellt plötzlich auf und hebt den Colt, den er unter dem Körper verborgen hielt.
Cass Longdale schießt fast zu gleicher Zeit zweimal – nämlich einmal mit dem Gewehr, welches er nur mit einer Hand hält. Er feuert auf den Krieger, der sich bisher noch nicht rührte, und dem er so nahe ist. Zugleich fast zieht er mit der Linken und schießt die letzte Kugel aus dem Colt. Und nun erst hat er gewonnen. Er trifft den Apachen, der erfolglos seinen Colt auf ihn abfeuert. Und er tötet mit dem Gewehr den scheinbar toten Krieger dicht bei sich, bevor dieser sich von der Seite her gegen ihn rollen kann, was ihm nur halb gelingt. Ja, nun endlich hat er gewonnen. Es war ein eiskalter und erbarmungsloser Kampf. Ein Revolvermann gegen drei erfahrene Apachen. Vielleicht hat er Glück gehabt, daß ihre Kugeln ihn nicht trafen. Oder sie waren schlechte Schützen. Aber das sind Apachen selten. Sie müssen zu sehr mit ihrer Munition sparen. Und in der Wüste muß man bei der Jagd mit dem ersten Schuß treffen, weil das Wild sonst in zu rascher Bewegung ist. Apachen sind erstklassige Jäger. Wahrscheinlich machte sie seine Ausstrahlung nervös. Sie spürten das unabänderliche Unheil, welches von ihm ausging. Sie schossen zu früh. Langsam tritt er an den Wagen. Ginger Lane hockt dort, hält sich die Hand gegen die Schwellung an der Schläfe. »Sind Sie in Ordnung, Schwester?« fragt er ernst. Sie sieht ihn an, als wäre er ein Geist. Ihre Lippen zittern, bewegen sich zwar, doch sie bekommt noch keinen Ton hervor. Erst nach dem dritten Versuch kann sie sagen: »Ja-ja-ja, ich bin schon in Ordnung.« Sie richtet sich weiter im Wagen auf.
Nun kann sie die drei Apachen sehen. Bei ihrem Anblick schaudert sie, so, als wäre es nicht heiß, sondern so kalt wie in einem Blizzard oben im Norden. Sie begreift, wovor Cass Longdale sie bewahrt hat. Denn wäre er nicht gekommen, würden sich jetzt die drei Apachen nacheinander über sie hermachen. Daran gibt es keinen Zweifel, denn die Apachen zahlen den Weißen zurück, was diese ihren Frauen antun, wenn sie wieder einmal ein Apachendorf überfallen, um Skalpe zu machen und Sklaven zu erbeuten. Der Haß in diesem Land zwischen Apachen und Weißen ist groß. Die Grausamkeiten werden auf beiden Seiten begangen. Er wendet sich ab, läßt sie allein und geht zu seinem Pferd. Er führt es heran und bindet es hinten an den Wagen. Mit dem Gewehr in der Hand klettert er auf den Fahrersitz. Und jetzt erst beginnt er, seinen Colt zu laden. Sie sieht ihm zu. Sie möchte immer wieder etwas sagen, doch es fehlen ihr die Worte. Erst nach einer Weile – als er seine Waffe schon geladen hat und in die Halfter schiebt – sagt sie leise: »Danke, Mister Longdale. – Danke.« Er erwidert nichts, nimmt die Zügel auf und fährt an. Im Westen ist die Sonne schon versunken. Der Himmel ist rot, blutrot, so, als hätte sich dort die Hölle geöffnet. Von Osten her nähern sich die Schatten der Nacht. Von der Herde ist nichts mehr zu sehen und zu hören. Auch Schüsse krachen nicht mehr. Es ist alles still. Ginger Lane und Cass Longdale sind allein in der Nacht. Irgendwann in der Nacht hält er an. »Wir können nicht weiter«, sagt er. »Ich weiß nicht, wo sich der Spanish Bit Canyon befindet. Es könnte sein, daß wir den Apachen in die Falle gehen. Wir wissen ja nicht einmal, wie der Kampf ausging. Wir müssen warten, bis es Tag ist. – Auch sind die Tiere erschöpft. – Ist noch etwas Wasser im Wagen?«
»Ja«, sagt sie, und sie ist jetzt innerlich ganz ruhig. Seine Nähe gibt ihr Zuversicht, macht ihr Mut. Sie fühlt sich von ihm beschützt, bei ihm geborgen. Sie denkt: Er ist ein Mann, bei dem eine Frau sich sicher fühlen kann. Oh, ich würde gern mehr über ihn wissen. – Was für ein Mann ist er? Nur ein Pferdedieb? Oder ein Offizier der Yankeearmee, der den Auftrag hat, Guerillakrieg zu führen? Sie hört ihn sagen: »Ich muß mich um die Pferde kümmern.« Dann verläßt er sie, klettert aus dem Wagen und läßt sie eine Weile allein. Sie hört, wie er die Pferde ausspannt, abreibt und sie aus seinem Hut etwas Wasser nehmen läßt. Sie fühlt sich müde und ausgebrannt. Doch dann reißt sie sich zusammen. Sie packt etwas hartes Brot aus, schneidet ein paar Scheiben Rauchfleisch ab. Als er neben den Wagen tritt, sagt sie: »Hier ist etwas Brot und Rauchfleisch. Wollen Sie was, Cass?« Er steht nun neben dem Wagen. Sie essen schweigend, und sie sind sich ziemlich nahe. In der Nacht betrachten sie sich. »Sie haben den Konföderierten wohl schon manchen Dienst erwiesen, Ginger?« fragt er kauend. »Sicher«, erwidert sie. »Ich war oft ein wichtiger Kurier. – Und ich spionierte eine Menge wichtiger Dinge aus. – Ja, ich war manchmal wertvoller für unsere Sache als eine ganze Kompanie oder eine Schwadron Kavallerie. – Darauf bin ich stolz. General Lee küßte mir mehr als einmal die Hand.« Er nickt in die Dunkelheit. »Gehören Sie zu Captain Forster Travis?« fragt er schlicht – aber irgendwie spürt sie, daß ihn ihre Antwort mächtig interessiert. »Er war der Freund meines Bruders«, sagt sie. »Aber ich gehöre ihm nicht. Ich gehöre niemandem, Cass Longdale. – Aber was geht Sie das an?« »Verzeihen Sie mir, Ginger«, murmelt er und will sich abwenden. Doch sie sagt schnell, wobei sie sich vorbeugt und ihm ihre
Hand auf die Schulter legt: »Nein, Cass, verzeihen Sie mir. Ich benehme mich unmöglich. Sie retteten mir mehr als das Leben. Sie bewahrten mich vor dem Schlimmsten, was einer Frau zustoßen kann. – Ich bin sehr undankbar. – Verzeihen Sie mir, Cass.« »Schon gut«, murmelt er. Einige Atemzüge lang verharren sie so beieinander in der Nacht, und es ist ihnen in diesem Moment, als wären sie ganz allein auf dieser Erde. Denn nichts rührt sich in der Runde. Ein paar Sterne leuchten am Himmel. Der Mond ist noch verborgen. Eine Stimmung, die sie sich nicht erklären können, will von ihnen Besitz ergreifen. Aber dann kämpft Ginger Lane auch schon dagegen an. Denn sie erinnert sich bewußt an die Tatsachen. Und dies läßt sie ganz zwangsläufig fragen: »Cass, sind Sie ein Offizier der Union – oder einer dieser Guerillas?« Bei den letzten Worten spürt er den Haß in ihr. Dieser Haß sitzt fest in ihrem Kern, und sie kann es nicht verhindern, daß er ihre Stimme färbt. Aber Cass Longdale erinnert sich auch daran, was sie ihm erzählte. Guerillas hatten die große Pferde-Ranch ihrer Familie in Kentucky überfallen, alles kleingemacht und sämtliche Pferde gestohlen. Ginger Lane hatte ihre ganze Familie verloren. Sie muß zwangsläufig alle Guerillas hassen und diese für Mordbrenner und Banditen halten. Und nicht wenige dieser Guerilla-Abteilungen auf beiden Seiten sind das auch mehr oder weniger. Er weiß es. Er sagt: »Ich bin Captain auf Kriegszeit. Ja, ich ging freiwillig zur Unionsarmee, obwohl ich Texaner bin. Ich habe den Auftrag, Estobal Francisco die Pferde zu stehlen oder zumindest den Pferdehandel mit euch zu verhindern. – Aber das alles hat sich jetzt wahrscheinlich erledigt. Jetzt haben die
Apachen die Pferde.« Er schweigt nun. In seiner Stimme war zuletzt ein wenig Bitterkeit. Sie denkt über seine Worte nach, versuchte dabei möglichst fair und unvoreingenommen zu sein. Doch das gelingt ihr nicht ganz. In ihrer Stimme ist ein bitterer, fast verächtlicher Klang. »Und Sie sind Idealist und glauben, daß es Christenpflicht ist, alle Sklaven zu freien Menschen zu machen, ja? Sie glauben, daß es den Sklaven dann besser geht, ja? Daß es dann mehr Menschlichkeit geben wird und …« Sie sieht, daß er abwinkt. Und so verstummt sie, denn sie ist wirklich auf seine Erwiderung gespannt. »Ich war an der Ostküste«, sagt er. »Ich habe mir dort alles angesehen – die großen Städte, die Industrie, die Häfen – alles. – Ginger, was sich dort auftürmt, ist gewaltig. – Da kommen Menschen aus der ganzen Welt zu uns. Sie strömen von den Schiffen, und viele sind auf der Flucht aus der Unfreiheit. Sie hoffen und glauben daran, daß unser großes Land ein Asyl der Freiheit ist. Sie hungern und darben, und sie verlieren die Hoffnung nicht. – Ein Teil von ihnen verschwindet als Arbeitskraft in der Industrie. – Oder sie bauen Straßen, Eisenbahnen, errichten Städte, Brücken und tausend andere Dinge. – Ein anderer großer Teil zieht nach Westen. Und was ist dann im Westen? – Ich habe es gesehen.« Er macht eine Pause, verläßt Ginger und bewegt sich ein wenig umher. Eine Weile verharrt er etwas abseits des Wagens und lauscht in die Nacht. Aber er kehrt zu Ginger zurück. »Ich habe es erlebt«, korrigiert er seinen letzten Satz. »Da ziehen ganze Wagenzüge von Siedlern aus dem Osten nach Südwesten. Sie wollen Land, Freiheit, einen festen Platz, ein Heim, Frieden, Sicherheit. – Und sie sind arbeitsam, fleißig,
sogar die kleinen Kinder arbeiten hart. – So eine Familie mit ein paar Kindern schafft eine ganze Menge. In zwei bis drei Jahren – wenn die ersten Ernten gut sind – können sie es einigermaßen geschafft haben. Oh, ich meine nicht, daß sie dann über den Berg sind, nein. Aber sie haben ein Dach über dem Kopf und brauchen nicht mehr zu hungern. Doch geht es zumeist schief. – Denn es gibt auch andere Leute. Diese Leute halten Sklaven – manchmal nur ein Dutzend, aber auch hundert und mehr. Die schaffen mit ihren billigen Arbeitskräften sehr viel mehr. Ihre Ernten sind hundertfach, tausendfach. – Und sie gehen auch nicht an den hohen Frachtraten kaputt, die von den Schiffsgesellschaften erhoben werden. Die armen Siedler jedoch müssen nach drei oder vier Jahren aufhören. – Was sie an Ernte einbringen, reicht niemals, um damit die Frachtraten, den Lebensunterhalt und die Anschaffungen zu bestreiten. Sklaven, billige Arbeitskräfte, darf es allein schon aus diesen Gründen nicht geben. Durch sie werden die Reichen reicher und die Armen ärmer. – Aber es gibt noch viele andere Gründe, die gegen die Sklaverei sprechen. Ja, ich bin gegen die Sklaverei! Und deshalb bekämpfe ich die Konföderation der Sklavenstaaten. Es tut mir mächtig leid, Ginger, daß wir dadurch Gegner sind. – Ja, sehr leid tut es mir. – Denn …« Er verstummt. Sie aber sagt: »Sprich weiter, Cass. – Oder bist du in dieser Beziehung zu feige? Denn …? – He, was kommt nach diesem ›Denn‹ …, was wolltest du sagen?« »Du bist schön«, murmelt er. »Ich traf bisher noch niemals auf eine Frau, die mir so gefiel. – Ja, es tut mir mächtig leid, daß wir auf verschiedenen Seiten stehen.« Sie erwidert eine Weile nichts. Erst dann murmelt sie wie im Selbstgespräch: »Ja, wir müßten allein und fern von diesem Land auf einer Insel leben –
oder auf einem der Sterne dort oben. – Dann …« Nun verstummt sie wie er zuvor. »Jetzt sei du nicht feige«, murmelt er. »Jetzt sag mir, was sein würde, wenn wir auf einer Insel oder einem fernen Stern lebten – ganz allein. Was wäre dann?« »Ja, dann könnte ich mich sicherlich in dich verlieben«, murmelt sie. »Denn ich spüre, daß du ein Mann bist, der zum Salz der Erde gehört. Ohne Männer wie dich wäre diese Erde nur ein fader Klumpen.« Er steht still vor ihr. Doch er macht nicht den Fehler, jetzt nach ihr zu greifen, sie aus dem Wagen zu heben und in die Arme zu nehmen. Er tritt jetzt einen halben Schritt zurück, so, als könne ihm das helfen, nicht seinem Verlangen nachzugeben. Sie deutet die Geste richtig. »Oh, Cass«, murmelt sie. »Warum nur zerfleischt sich unsere Nation in diesem unseligen Krieg? Und wir sind doch noch eine Nation – oder?« »Wir werden es wieder sein«, murmelt er. »Und ihr könnt diesen Krieg nicht gewinnen. Das sollte euch klar sein. Der einst so feudale Süden ist zum Untergang verurteilt. Dieses großzügige, hochmütige und leichtlebige Land kann in der neuen Zeit nicht mehr bestehen. Dreiundzwanzig Staaten des Nordens mit zweiundzwanzig Millionen Einwohnern kämpfen gegen elf Staaten des Südens mit vier Millionen Weißen. Dazu kommt noch, daß die Industrie des Nordens immer größer und leistungsfähiger wird. Die Produktion von Gewehren, Kanonen, Schiffen, Munition, Geräten und Hilfsmitteln jeder Art wächst immer weiter. Das alles wird den Süden erdrücken. Und jeden Tag dieses aussichtslosen Kampfes sterben Menschen. – Ich halte es für meine Pflicht, diesen Krieg möglichst zu verkürzen. – Wenn ich verhindern kann, daß der Süden diese tausend Pferde erhält, werde ich das Gefühl haben, eine gute Tat zu vollbringen. Du solltest mich deshalb nicht
ablehnen.« »Aber ich will, daß diese Banditen, die uns der Norden schickte, für ihre Strafen bezahlen müssen. Ich will verhindern, daß man sie eines Tages als Kriegshelden verehrt und …« Sie weiß nun nicht mehr weiter. Denn plötzlich erscheint ihr hier im Apachenland alles so sehr viel anders als auf den Schauplätzen des Krieges oder zwischen den Fronten. Er wendet sich etwas zur Seite. »Versuch zu schlafen. Bleib im Wagen. Und halte deine Waffe bereit. – Aber fürchte dich nicht.« »Nein«, murmelt sie. »Ich fürchte mich nicht. – Wir sind zwar Gegner, Feinde – doch ich fühle mich bei dir sicher und geborgen.« * Die Nacht kämpft im Osten noch gegen den aufsteigenden Tag an, aber es herrscht schon jenes Grau, in dem es keine anderen Farben gibt. Es ist still. Leichte Nebel beginnen zu steigen. Cass Longdale tritt an den Wagen. Er ist fertig. Hinten ist sein Tier angebunden. Aber er klettert nicht zu Ginger Lane in den Wagen. Er nickt ihr zu. »Gut geschlafen?« Er lächelt ernst. »Du mußt selbst fahren«, sagt er. »Ich reite lieber. Das macht mich beweglicher. – Ich kann uns besser schützen, wenn ich neben oder vor dem Wagen reite.« Er nickt ihr nochmal zu. Dann bindet er hinten das Pferd los, sitzt auf und reitet vor dem Wagen her. Sie folgt ihm in kurzem Abstand. Es wird langsam heller. Es kommt die Stunde, die man in Texas »Comanchenmond« nennt. Denn in dieser Stunde
zwischen Tag und Nacht greifen die Comanchen gerne an. Wie machen es die Apachen? Wo sind die Apachen? Das fragen sich Ginger Lane und Cass Longdale immer wieder. Doch es gibt keine Antwort auf ihre stummen Fragen – noch nicht. Als jedoch die Sonne ihre ersten Strahlen am Himmel zeigt, da stoßen sie auf die breite Fährte der durchgegangenen Herde. Sie folgen dieser Fährte, und sie brauchen sich nicht erst darüber zu verständigen, ob sie das tun sollen oder nicht. Was werden sie am Ende dieser Fährte finden? Die Apachen oder den Rest der gewiß stark geschwächten Treibmannschaften? Zwei Meilen weiter stoßen sie auf einen Toten. Es ist ein Apache. Daß seine Stammesbrüder ihn noch nicht fortschaffen konnten, kann nur bedeuten, daß ihnen dies noch nicht möglich war. Eine halbe Meile weiter stoßen sie auf einen zweiten Apachen. Auch dieser ist schon seit Stunden tot, getötet von Gewehr- oder Revolverkugeln. Es will sich so etwas wie Hoffnung in ihnen ausbreiten. Sollte es den Revolvermännern um Captain Travis gelungen sein, sich die Apachen vom Halse zu halten? Aber dann finden sie bald schon einen dritten Toten. Er gehörte zu Captain Travis’ Männern, und er ist nicht einfach nur erschossen. »Oh, diese Barbaren, diese Heiden!« Ginger Lane stößt es tonlos hervor. »Fahr ein Stück weiter«, sagt er zu ihr und sitzt ab. Als er dann nach einer Weile wieder bei ihr ist, hat sie sich gefaßt. Sie fährt weiter – und bald schon erreichen sie die nächsten Toten. Diesmal sind es ein Apache und ein Weißer, letzterer ist wieder einer von Captain Travis’ Männern.
An der Flanke der in Stampede ausgebrochenen Herde muß sich über Meilen hinweg ein Kampf abgespielt haben, der zäh, verbissen und gnadenlos war. Es gab keine Gnade von beiden Seiten. Und alles spielte sich mehr oder weniger in Einzelkämpfen längs der Herdenflanke ab, mitten im wirbelnden Staub. Jeder war auf sich allein gestellt. Captain Travis verlor gewiß viele seiner Männer. Es war jedoch Zufall, daß der erste Angriff an der rechten Flanke stattfand. Es hätte auch Longdales vier Männer zuerst erwischen können. Zwei Meilen weiter finden sie dann einen weiteren Toten. Diesmal ist es einer von Cass Longdales Pferdedieben. Es ist Johnny Warlok, den Longdale in Spanish Dance vor dem Hängen gerettet hatte. Nun hat es ihn hier erwischt. Er hat einen Pfeil in der Seite und eine Kugel im Hals. Aber auch er liegt sonst unversehrt im Staube. Er wurde nicht ausgeplündert und seiner Habe beraubt. Dies unterlassen die Apachen sonst nie, wenn sie auch nur wenige Sekunden Zeit haben. Aber diese Zeit hatten sie nicht. »Das ist einer deiner Männer«, sagt Ginger Lane spröde. »Trifft dich das stärker als bei Travis’ Leuten?« Er schüttelt den Kopf. »Nicht stärker«, murmelt er, »als ohnehin schon. – Dies war Johnny Warlok. Er war ein Pferdedieb, den man in Spanish Dance hängen wollte. – Hätte er gewußt, daß er hier sterben würde, so hätte er dennoch dieses Sterben gewählt und dem Hängen vorgezogen. – Er konnte etwas länger atmen, spüren, leben. – Und da ist jeder Atemzug wohl ein Geschenk oder ein Sonnenaufgang und jeder Stern am Nachthimmel.« Sie sagt nichts mehr.
Doch ist sie jetzt endlich hart genug, um aus dem Wagen zu klettern. Sie hilft ihm jetzt, den Toten wenigstens notdürftig mit Steinen zu bedecken. Dann fahren sie weiter durch das trostlose Land. Ein flacher Canyon bringt sie durch eine Hügelkette. Die Hügel sind flach wie Tortillas und bestehen aus Lavagestein, über dem schon die Hitze zu flimmern beginnt. Das Land fällt plötzlich ab. Zu ihren Füßen liegt eine von Kakteen und rotgelben Felsen bedeckte Ebene. Sie ist nur zwei oder drei Meilen breit. Drüben sind wieder neue Felsformationen. Sie sind wie eine Riesenmauer, die von Ost nach West reicht. Aber diese gewaltige, rotgelbe Mauer ist durchbrochen von Canyons. Auf eine dieser Canyonmündungen führt die breite Fährte der Herde geradewegs zu. »Dies muß der Spanish Bit Canyon sein, in dem sich die Spanish Springs befinden«, spricht Cass Longdale zu Ginger Lane. »Die Leittiere haben das Wasser gewittert. Vielleicht waren einige dieser Tiere sogar früher schon mal mit ihren Reitern oder als Wildpferde hier. – Wie es auch sei, die Herde ist bei den Spanischen Quellen. – Und dort müssen auch alle überlebenden Männer sein, mag es sich dabei um Weiße oder Apachen handeln. – Sie müssen dort sein.« Nach diesen Worten sitzt er ab. »Wir werden das noch herausfinden«, murmelt er. * Eine halbe Stunde später wissen sie es ziemlich sicher, denn sie konnten inzwischen schon einige Beobachtungen machen. Sie entdecken das Camp der Apachen, und sie zählen im ganzen noch neun Krieger. »Die haben bestimmt zwei oder drei Krieger weggeschickt,
um Verstärkung zu holen«, sagt Cass Longdale. »Sie wollen die Pferde und den Rest der Treiber möglichst lange im Spanish Canyon festhalten. Wenn sie rechtzeitig Hilfe erhalten, haben sie gewonnen.« »Und was können wir tun?« Ginger Lane fragt es hastig. »Das kommt auf dich an«, sagt er. »Ich könnte mich im Wagen verbergen. Dann sähe es so aus, als kämst du ahnungslos angefahren. Du mußt das letzte Stück wie in wilder Verzweiflung fahren, so, als glaubtest du, durchbrechen zu können. – Sie werden nur zwei oder drei Krieger schicken, um dich abzufangen. – Aber mit zwei oder drei Kriegern werde ich fertig, wie du ja schon weißt. – Zugleich aber werden dir Captain Travis und dessen Männer gewiß entgegenkommen. – Mit ihnen zusammen könnte ich den Rest der Apachen niederkämpfen. – Wir könnten dann wieder raus aus dem Canyon. – Denn wir müssen unbedingt weiter nach Norden. Wir müssen ins San Pedro Valley hinunter und dort nach Norden. Verstehst du?« Sie denkt nach, nagt dabei an der Unterlippe und nickt schließlich. Ja, sie begreift schnell, daß sie eine Art Lockvogel sein soll. Ein paar Apachen sollen in Longdales Revolverfeuer rennen wie gierige Wölfe in die Kugeln ihres Jägers. Aber sie erinnert sich an diese schreckliche Situation von gestern. Da war sie auch vor drei Apachen im Wagen geflüchtet. Und sie hatte gekreischt vor Furcht und hatte zum ersten Male in ihrem Leben richtig Panik verspürt. Nun soll sie das alles noch einmal provozieren. Aber dann blickt sie in Cass Longdales Augen. »Ich werde im Wagen liegen und zum rechten Moment auftauchen wie der Teufel aus dem Kasten«, murmelt er. »Du brauchst dich nicht zu fürchten.« Sie sieht ihn an. Nach einer Weile nickt sie. »Ja, ich vertraue dir«, sagt sie. »Und man muß wohl etwas
wagen. Sonst kann man nicht gewinnen.« * Es sieht dann wirklich sehr echt aus. Der Wagen mit der Frau darin und einem ledigen Sattelpferd dahinter kommt aus den flachen Hügeln heraus und rollt den Hang zur Ebene nieder, dabei ständig auf der breiten Fährte der Herde sich haltend. Als Ginger Lane unten ist, gibt sie ihrem Gespann die Peitsche. Es ist für jeden Beobachter ersichtlich, daß sie die kleine Ebene im Galopp überqueren will. Der Wagen tanzt und springt hinter dem galoppierenden Gespann. Sie stößt immer wieder scharfe Rufe aus, knallt mit der Peitsche. So legt sie eine Meile zurück, ohne daß etwas passiert oder sie überhaupt etwas von den Apachen zu sehen bekommt. Aber im Canyoneingang zeigen sich einige Reiter. Doch sie wagen es noch nicht, herauszukommen. Vielleicht hoffen sie, daß die Apachen den Wagen mit der Frau durchlassen. Doch das tun die Apachen nicht. Cass Longdale hat es sich richtig ausgerechnet. Drei Krieger tauchen auf ihren Pferden auf, um dem Wagen den Weg zu verlegen und die Frau in ihre Gewalt zu bekommen. Die anderen Apachen warten sicherlich darauf, daß die Weißen aus dem Canyon kommen. Dann würden sie sich ihnen zum Kampf stellen. Beide Seiten haben nicht mehr viele Kämpfer. Wenn auf einer Seite zwei oder drei fallen, kann dies sehr entscheidend werden. Und genau diese Situation will Cass Longdale mit seinem Trick herbeiführen. Er liegt im Wagen unter dem Gepäck und den Decken, krallt sich fest und wartet. Die gellend schreiende Ginger ruft ihm immer wieder zu, was
passiert; sie feuert also nicht nur ihr galoppierendes Gespann an. Und so hört er zwischen ihrem gellenden Rufen und dem Kreischen: »Holiiyaaah! Heeehyaaah! Hooooo! Braaaaah! Hoiii! – Sie kommen! Von rechts! Hoiiyaaaaah! Drei Apachen! Sie kommen! Noch hundert Yards entfernt! Braa haaaa! Lauft, ihr Meerschweinchen, lauft doch, meine guten Mädchen! Jetzt noch fünfzig Yards! Sie verlegen mir den Weg! – Hoiiiiyaaaah! – Sie wollen mich nicht durchlassen! Heeeeeyaaaah!« Er hört dies alles. Und dann hört er auch die Schreie der Apachen. Gewiß wollen sie das galoppierende Gespann erschrecken, so daß es abbiegt und die Richtung ändert. Er hört Ginger Lane nun in höchster Not kreischen: »Jetzt, Cass, jetzt!« Er richtet sich auf, den Colt in der Hand. Nun kauert er hinter Ginger Lane im Wagen, hält sich mit einer Hand an der Lehne des Fahrersitzes fest. Die drei Apachen sind vor ihnen. Doch sie kommen ihnen nicht mehr entgegen, sondern haben ihre Pferde schon herumgerissen, um das Gespann zwischen sich zu nehmen. Rechts vom Gespann reiten zwei – links davon einer. Als sie den Revolvermann so plötzlich entdecken, ist es schon zu spät für sie. Sie können ihm nicht mehr entkommen. Er schießt zu schnell. Es gibt keine Chance für sie, denn sie sind ihm zu nahe. Selbst von einem rüttelnden und springenden Wagen trifft er sie sicher. Sie fallen von ihren Pferden, bleiben rechts und links der Radfurchen zurück. Und ihre Stammesbrüder mußten das alles ansehen. Ihr anfängliches Triumphgeschrei, welches sie ausstießen, als es so aussah, als könnten ihre drei Krieger den Wagen und die Frau leicht bekommen, wandelt sich in böses Haßgebrüll.
Ihr Zorn ist nun nicht mehr von ihnen beherrschbar. Sie müssen ganz einfach kommen; sie können nicht anders. Es ist ihnen, als müßten sie sonst ersticken. Und so kommen sie heran. Es sind noch sechs. Cass Longdale und Ginger hatten richtig gezählt, als sie das Camp der Apachen ausmachten. Doch Cass Longdale muß nicht mehr allein kämpfen. Er könnte es auch gar nicht mehr mit seinem Colt. Dieser ist ja fast leergeschossen. Er feuert mit dem Gewehr, ruft Ginger Lane zu, daß sie langsam fahren soll. Doch sie kann das Gespann nicht so schnell unter Kontrolle bringen. Die Schreie der Apachen hatten die Pferde zu sehr erschreckt. Da springt Cass Longdale mit dem Gewehr einfach vom Wagen. Er hat noch sechs Kugeln im Spencer-Karabiner. Drüben greift Captain Forster Travis mit seinen paar überlebenden Männern die sechs Apachen an. Auch Paco Hermandes, Jim Fletsher und Jubal Perrit sind mit dabei. Sie sind insgesamt sieben Reiter, also um einen Kopf stärker als die Apachen. Und sie haben es näher zum Wagen als die Apachen. Ein Reiter kommt dann aus dem Staub heraus genau auf ihn zugeritten. Es ist ein Apache. Und er greift ihn an. Cass wartet ganz ruhig. Als er schießt, reißt der Apache einen Sekundenbruchteil vorher den Kopf des Pferdes hoch. Die Kugel trifft das galoppierende Tier, und der Apache wirft sich aus dem Sattel. Es ist ein erstklassiger Armeesattel. Gewiß war der Krieger stolz darauf. Er greift geduckt an, hofft, durch Schnelligkeit den Kugeln zu entgehen. Aber Cass Longdale trifft ihn schon mit der nächsten Kugel. Dann ist es vorbei.
Ginger Lanes und Cass Longdales Eintreffen führte die Entscheidung herbei. Er geht am Apachen vorbei. Und er sieht mit einem einzigen Blick, daß dieser wirklich tot ist. Der Staub wurde inzwischen vom Winde weggeweht. Cass Longdale kann erkennen, wer es überlebt hat. Ginger Lane hält etwas abseits mit dem Wagen. Er geht darauf zu, denn er will zu seinem Pferd, welches ja immer noch hinter dem Wagen angebunden ist. Captain Forster Travis kommt ihm entgegengeritten. Travis blutet aus einigen kleinen Wunden. Aber er grinst und nickt vom Pferd auf Longdale nieder. »Gut gemacht, Yankeefreund, gut gemacht! – Und jetzt?« Er hält noch seinen Colt in der Hand. Vielleicht ist seine Waffe gar nicht leergeschossen. Aber auch Cass Longdale hält das Gewehr noch so im Hüftanschlag, daß er damit sofort schießen könnte. Die beiden Männer betrachten sich einige Sekunden lang schweigend. »So geht’s nicht, Travis«, grinst Cass Longdale. »Ich bin mehr als nur ein Yankeefreund. Ich bin Captain in der Unionskavallerie. – Ja, ich will die Pferde. Und auch Sie wollen die Pferde. Aber das zwingt uns zusammen. Wir brauchen uns vorerst gegenseitig. Denn wir sind ohnehin nicht genug Reiter, um solch eine Riesenherde zu treiben. – Versuchen wir doch erst einmal, diese Herde ein Stück nach Norden zu bringen. Es bleibt nur der Weg nach Norden – oder? Wir müssen ins San Pedro Valley und darin nach Norden. – Und wer zuerst Hilfe bekommt, der hat gewonnen. Ist das nicht so?« Captain Travis denkt nach. Dann nickt er. »Ja, wir müssen hier weg, bevor die Apachen Verstärkung bekommen. Sie wollten uns bis zum Eintreffen dieser Verstärkung hier festnageln. – Ja, wir sind aufeinander
angewiesen, Longdale. – Es hätte keinen Sinn, wenn wir uns jetzt gegenseitig noch mehr schwächten. – Ja, so wird es wohl sein. Wer von uns zuerst Verstärkung erhält, hat gewonnen. – Wir werden sehen. Irgendwo im San Pedro Valley wird es sich entscheiden.« Er steckt plötzlich seinen Colt wieder weg, wendet sein Pferd und reitet zu Ginger Lane hinüber. Auch Longdale geht zum Wagen. Doch er bindet dort nur sein Pferd los. Ginger Lane und Forster Travis sehen ihm schweigend zu. Als er davonreitet, sagt Ginger Lane: »Er hat mir das Leben gerettet. Und er ist ein Gentleman.« »Ich weiß«, murmelt Forster Travis. »Er ist Offizier wie ich. Er hat es mir gesagt. Du brauchst mir das nicht erst zu verraten, Ginger. – Ich habe fast alle meine Reiter verloren. – Deshalb brauche ich ihn und seine Pferdediebe. – Ja, er mag zu dir ein Gentleman gewesen sein. – Aber sonst ist er als Pferdedieb zu uns gestoßen, als Pferdedieb mit vier anderen Pferdedieben.« Sie nickt. Und sie versteht seinen Zorn. Aber sie murmelt besänftigend: »Es ist Krieg, Forster. – Und im Krieg sind manchmal alle Tricks erlaubt. – Er ist unser Feind, und dennoch muß man ihn achten.« * Mit sieben Mann griffen sie die sechs Apachen an. Nun sind sie noch fünf, mit Cass Longdale also sechs. Longdale kniet neben Jim Fletsher. Denn diesen hat es schlimm erwischt. Jim Fletsher stirbt, das kann jeder erkennen. Aber er stirbt wie ein Mann. Er klagt nicht, grinst sogar. Seine Hände hat er gegen den Leib gepreßt. »Wenn jemand von euch übrigbleibt, dann soll er Ruth benachrichtigen«, sagt Jim Fletsher heiser. »Die wartet sonst
länger als nötig auf meine Heimkehr. Ich hab sie wie keine andere Frau geliebt. – Doch ich konnte nicht immerzu bei ihr hocken. Ich mußte immer mal ein Stück reiten. – Das verstand sie so gut. Sie ist eine wundervolle Frau. Ich lasse ihr das sagen.« »Sie wird es erfahren«, sagt Cass Longdale. Dann muß er Jim Fletsher die Augen zudrücken. Paco Hermandes und Jubal Perrit stehen neben ihm. Sie betrachten ihn ernst. »Als Johnny Warlok mit dir kam«, murmelt Paco Hermandes, »da haben wir uns nacheinander auf eine schöne Mierda eingelassen. – Mierda.« Er sagt es noch einmal heftig und schnauft böse. »Für zwanzig Dollar Vorschuß bin ich mit dir geritten«, spricht er weiter. »Und jetzt sag mir, was geht mich euer Krieg an?« Cass Longdale sieht ihn ein wenig hilflos an, zuckt mit den Achseln. »Ich brauchte ein paar gute Pferdediebe«, murmelt er. »Ich hatte einen Auftrag, einen Befehl. – Ich mußte versuchen … vergebt mir.« Paco Hermandes schüttelt böse den Kopf. »Ich habe daheim eine Frau und viele Kinder. Oha, warum war ich solch ein Dummkopf? Warum bin ich nicht daheim geblieben?« Er wendet sich ab. Cass Longdale sieht Jubal Perrit an. »Machst du mir auch Vorwürfe?« »Nein«, grinst Jubal Perrit. »Ich habe mich euch aufgedrängt. Ich wollte mit den größten Pferdedieben und Revolverkämpfern mitreiten. – Ich wollte es, um etwas zu erleben – und ich will es immer noch. – Hey, ich bin dabei, ein harter Bursche zu werden. Das gefällt mir.« Da schüttelt Cass Longdale den Kopf.
»Du bist verrückt, Jube«, sagt er heiser. »Du mußt verrückt sein.« Er wendet sich um. Auch Captain Travis verlor einen seiner Männer. Jetzt hat er nur noch zwei, und einer von diesen beiden Überlebenden ist sein Sergeant Ben Clayton, der wohl gefährlichste Mann von allen. Sie sehen zu Longdale her. »Also los«, ruft Forster Travis. »Worauf warten wir noch? Begraben wir sie, und machen wir uns auf den Weg.« Cass Longdale nickt nur. Es gibt nichts mehr zu sagen. Es wird schwer sein, mit nur sechs Reitern diese große Pferdeherde zu treiben. Denn die meisten der Reiter wurden ja auch noch mehr oder weniger verwundet. Ja, es wird mehr als hart für sie alle. Dennoch wollen sie nicht aufgeben. Noch müssen sie sich gegenseitig helfen. Doch irgendwann werden sie sich gegenseitig zu töten versuchen. * Zuerst glauben sie nicht, daß sie es schaffen können. Denn sie bekommen die große Herde nur mit Mühe von den Quellen weg und wieder aus dem Canyon heraus. Sie müssen reiten wie die Teufel, mit vielen ausbrechenden Rudeln kämpfen, und der Tag geht zur Neige, bis die Herde einigermaßen geordnet marschiert. Aber dann haben sie Glück. Sie finden einen Canyon, der nach Osten zu abwärts führt. Es ist ein Canyon wie eine breite Gasse. Captain Travis’ Scout und auch Paco Hermandes, die das Land gut genug kennen, rufen es den anderen Reitern zu: »Hoii, jetzt geht es in diesem Canyon quer durch die Santa
Catalinas abwärts bis zum San Pedro! Wir schaffen es jetzt gut bis zum San Pedro River. Dann brauchen wir die Gäule nur am Fluß entlang nach Norden zu treiben. Wir gewinnen! Hoii, wir gewinnen.« Das gibt ihnen allen neuen Mut. Sie halten nicht an, obwohl es Nacht wird. Es ist, als wittere die Herde jetzt schon den Fluß, obwohl dieser noch viele Meilen entfernt sein muß. Selbst in der am Anfang ziemlich dunklen Nacht brechen keine Rudel mehr aus und versuchen sich abzusondern, sich irgendwo in den Falten des Canyons zu verbergen. Die ganze Herde will jetzt mit Macht nach Osten. Denn dort im Osten ist der Fluß. Dort zieht sich das grüne San Pedro Valley zum Gila River hin. Sie alle – Herde und Treiber – bleiben in Bewegung. Die Nacht wird heller. Der Himmel gleicht der Innenwölbung eines mit Edelsteinen besetzten Domes. Sie denken kaum noch an die Apachen, deren Verstärkungen sie vielleicht bald einholen und gegen die sie wahrscheinlich dann nicht mehr den Kampf um die Herde gewinnen könnten. Ginger Lane fährt mit dem Wagen an der Spitze. Und die beiden Captains reiten am Ende. Einmal – als sie verhalten und nach rückwärts sichern – sagt Travis: »He, Longdale, Sie haben mit Ihren zwei restlichen Pferdedieben gar keine Chance mehr. Dort unten im Pedro Valley stoßen wir bald auf eine Freiwilligen-Abteilung, die mein Lieutenant in Tucson angeworben und aufgestellt hat. – Morgen oder übermorgen hat die Not ein Ende. Ich werde dann dafür sorgen, Longdale, daß Sie eine ehrenvolle Gefangenschaft erhalten. Denn immerhin haben Sie doch mit Ihren Pferdedieben nach allen Kräften dabei geholfen, daß wir diese Herde durchbringen konnten. Sie waren für uns Rebellen ein prächtiger Verbündeter.« Er lacht leise, und in seiner Stimmung war zuletzt ein deutlicher Beiklang von Spott.
Aber Cass Longdale läßt sich nicht herausfordern. Er wird auch nicht ärgerlich. Er lacht leise. »Travis, mein Bester«, sagt er, »weil ich hörte, daß Ihr Lieutenant in Tucson eine Freiwilligen-Abteilung aufstellen ließ, trennte ich mich von meinen Männern und warb vier Pferdediebe an. – Ich bin nicht allein in den Südwesten gekommen. Auch ich habe einen Lieutenant mitgebracht, dazu noch ein paar tüchtige Jungens. – Vielleicht ließen sie sich von Ihrem Lieutenant anwerben als Freiwillige. – Na, lassen wir uns mal überraschen, wer von uns diese Herde bekommen wird. – Doch vorerst müssen wir sie wohl noch ein Stück gemeinsam treiben – oder?« Da knirscht Captain Forster Travis mit den Zähnen. »Ich glaube«, murmelt er schließlich, »ich habe Sie von Anfang an unterschätzt, Longdale. Zuerst hielt ich Sie für einen Pferdedieb, dann für einen Guerilla-Kämpfer, der hier im Süden jedoch nicht viele Anhänger haben und Unterstützung finden konnte. – Doch jetzt … Ja, verdammt noch mal, wir müssen die Herde immer noch gemeinsam treiben, so, als wären wir eine Mannschaft. – Wenn ich wüßte, daß uns die Apachen nicht verfolgen, so würde ich es hier mit Ihnen und Ihren beiden restlichen Männern auskämpfen und dann warten. – Ich brauchte nur zu warten. Denn Ihre Leute werden kein Glück haben in Tucson. – Die können meinen Lieutenant nicht täuschen. – Niemals!« »Wir werden sehen – warten wir noch ab, Travis«, erwidert Longdale. Und nach einer kleinen Pause setzt er hinzu: »Auch wir von der Union haben hier im Süden Freunde und Helfer. Auch hier gibt es Anhänger von Abe Lincoln. – Natürlich verspreche auch ich Ihnen eine ehrenvolle Gefangenschaft, Travis. – Denn schließlich haben auch Sie mit Ihren Männern aufopfernd dabei geholfen, daß der Süden diese Pferde nicht bekommen kann. – Sie sehen, Travis, es läßt sich alles von zwei Seiten betrachten. – Haben Sie schon mal darüber
nachgedacht, wie widersinnig dieser Krieg ist, von der Seite des Südens her gesehen?« Aber Forster Travis gibt ihm gar keine Antwort mehr, sondern reitet nur weit genug zur Seite, so daß sie sich nur noch brüllend verständigen könnten. * Als es Tag wird, erreichen sie die Stelle, wo sich der Canyon breit und fast schon wie ein Tal ins San Pedro Valley hinein öffnet. Der San Pedro River ist hier ein lächerliches Rinnsal. Und dennoch ist das Flußtal manchmal eine Meile breit. Es muß dann und wann alle paar Monate oder gar Jahre gewaltiges Hochwasser geben, immer dann, wenn Unwetter alle Arroyos füllen und zu reißenden Flüssen werden lassen. Dann wird auch der San Pedro zu einem reißenden Strom. Doch jetzt … Nun, er führt etwas Wasser, und es gibt Grün zu beiden Seiten. Die Pferde werden also auch endlich wieder gutes Futter rupfen können. Sie erreichen den Fluß am frühen Vormittag. Reiter und Tiere sind erschöpft. Aber sie haben jetzt wenig Mühe mit der Herde. Der Fluß hilft ihnen gewissermaßen, die Herde unter Kontrolle zu behalten, denn er begrenzt ja die rechte Flanke der Herde. Sie machen nur eine kurze Rast. Dann geht es weiter. Und immer öfter blicken sie auf ihrer Fährte zurück. Doch es zeigen sich immer noch keine Apachen. Jene Verstärkungen, die von einigen Kriegern der niedergekämpften Apachenbande geholt werden, müssen wahrscheinlich sehr weit entfernt sein. Sie treiben weiter und weiter. Hier in der Nähe des Flusses
wirbelt der Staub nicht so schlimm. Immer wieder bekämpfen sie ihren Wunsch, endlich einmal anzuhalten und auszuruhen. Und immer wieder zwingen sie sich, noch eine Meile und abermals eine Meile zu treiben. Hinter einer Flußbiegung erblicken sie dann den kleinen Ort Valdez. Eine alte Missionskirche und ein Dutzend Adobehäuser leuchten herüber. Es gibt ein paar Felder und Äcker auf den sanften Hängen. Dort, wo das River Valley endet und die Berge aufsteigen, sind ein paar Minen zu erkennen. Wege führen vom Ort zu ihnen hin. Und die alte Poststraße, die schon von den Spaniern angelegt wurde, kommt vom etwa hundert Meilen entfernten Tucson und vom Santa Cruz River herüber. Sie alle jubeln beim Anblick der kleinen Stadt. Denn nun glauben sie, daß sie gewonnen haben und den Apachen entkommen sind. Ihr Jubel legt sich aber schnell wieder. Denn nun wird jedem von ihnen klar, daß sie jetzt bald gegeneinander um die Herde werden kämpfen müssen. Cass Longdale fragt sich, ob er sich auf Paco Hermandes wird verlassen können. Von Jubal Perrit glaubt er das schon eher. Denn dieser wilde und verwegene Junge will sich ja gern mit Gegnern messen und sich dabei selbst beweisen, größer und besser zu sein als jeder andere Mann. Sie treiben die Herde bis eine halbe Meile an die Stadt heran und lassen sie dann in der Senke eines kleinen Baches, der in den Pedro River fließt, jetzt aber kaum noch Wasser führt. Es gibt jedoch noch Grün hier. Die Pferde beginnen sofort das Futter zu rupfen. Sie brauchen vorerst kaum bewacht zu werden. Ginger Lane hält ihren Wagen unter einigen Bäumen an. Captain Travis und seine beiden Reiter sammeln sich beim Wagen der Frau.
Sergeant Ben Clayton wendet sich sofort an den Captain. »Sir, worauf warten wir noch? Wir brauchen diese drei Treiber nicht mehr. – Und wenn ich diesen Cass Longdale erst erschossen habe, werden die beiden Strolche von selbst verschwinden. Also gestatten Sie mir, Captain, daß ich diese Sache jetzt zu einem Ende bringe – ja?« Captain Travis überlegt noch. Er blickt zu Cass Longdale und den beiden anderen Männern hin, die nur einen Steinwurf weit entfernt eine Gruppe bilden und ganz so wirken, als warteten sie auf die Initiative der Gegner. Ginger Lane aber sagt plötzlich: »Nein, ich möchte nicht, daß ihr euch gegenseitig totschießt. – Nein, Clayton, ich bin gegen einen Kampf.« Der Sergeant sieht sie schrägäugig an, und er wirkt nun wie ein störrisches Maultier, welches dicht vor dem Auskeilen ist und auch auf eine Chance zum Zubeißen lauert. »Ma’am«, sagt er. »Wir haben Krieg. – Zumindest Longdale gehört zur Unions-Kavallerie. Auf den Kriegsschauplätzen bringen wir uns gegenseitig um. – Warum nicht hier? – Nur weil wir zusammen gegen Don Estobal und dessen Banditen und dann auch noch zusammen gegen die Apachen kämpften, sollen wir jetzt den Krieg vergessen? – Ma’am, was ist los mit Ihnen?« Er stellt die Frage etwas spöttisch, vielleicht auch schon etwas anzüglich. Auch Captain Travis sieht staunend auf Ginger Lane. »Ginger«, sagt er, »hast du dich vielleicht unterwegs in ihn verliebt? Bist du ihm für deine Rettung so dankbar, daß du ihn jetzt liebst?« Sie sieht ihn erschrocken an. Ihre Augen weiten sich für einen Moment. Sie wirkt so wie ein Mann, der etwas sieht und darüber erschrickt. Ihr Blick kommt irgendwie wie aus weiter Ferne zurück.
»Ihn lieben?« fragt sie. »Er ist doch ein Feind. – Wie kann ich ihn lieben? Selbst, daß er mir das Leben rettete, kann ja nicht zählen – nein, niemals! Er ist ein Feind, ein Yankee.« »Na also, jetzt stimmt es wieder«, sagt Sergeant Ben Clayton hart. Er sieht seinen Captain fordernd an. Doch Forster Travis zögert. Sein Blick geht zu Cass Longdale und seinen letzten Männern hinüber. »So einfach ist das nicht, Sergeant«, murmelt er. »Es wäre leicht möglich, daß wir uns gegenseitig aufreiben. – Und dann …« Er verstummt. Sein Blick richtet sich auf die vielen Pferde. Sie bieten wieder einmal einen wunderschönen Anblick, obwohl sie staubig und auch mit Schweiß bedeckt sind von dem langen Trail. Aber ihr Anblick ist dennoch immer wieder ein Erlebnis. Da sind braune, rote, graue, gelbe, gescheckte, schwarze und weiße Tiere. Und in allen ist Leben, Bewegung, Kraft, Schönheit. Captain Forster Travis begreift plötzlich, was sich verändert hat. Sie waren Partner geworden, Kameraden, Freunde. Sie standen zusammen gegen Don Estobal und dann gegen die Apachen. Sie halfen sich wie Freunde. Doch durch den Krieg wurden sie dazu bestimmt, Feinde zu sein. Jetzt müssen sie sich töten oder dies zumindest versuchen. Forster Travis verspürt einen starken Widerwillen. Er starrt seinen Sergeanten an. In Ben Claytons Augen erkennt er ein begieriges Funkeln. Und in Ben Claytons Gesicht entdeckt er noch ein paar Zeichen von Cass Longdales Fäusten. Plötzlich versteht der Captain das Verlangen seines Sergeanten.
Er schüttelt den Kopf. Denn er billigt es nicht. »Nein, Sergeant! Keinen Revolverkampf!« Er blickt zum Ort hinüber. Es ist still dort drüben. Nichts bewegt sich. Hält man dort Siesta, Mittagsruhe? Warum gibt es nicht mal ein paar neugierige größere Kinder? Warum arbeitet niemand auf den Äckern und Feldern? Man hat die große Pferdeherde doch ganz gewiß am Fluß entlangkommen sehen. Haben die Leute in diesem Ort vielleicht sogar Angst? Oder sind sie ihnen nicht gut gesonnen, weil sie befürchten müssen, daß die vielen Pferde ihnen hier die gute Weide abfressen? Captain Forster Travis entschließt sich plötzlich. Er ruft hinüber: »He, Longdale! Ich reite mal in den Ort! Wollen Sie mitkommen?« »Sicher«, erwidert Longdale sofort. »Ich wollte Sie auch gerade dazu einladen. Also reiten wir!« »Ich fahre mit«, entschließt sich Ginger Lane. »Wir brauchen ein paar Vorräte. Oder habt ihr etwas gegen frische Eier, Milch, Brot, Käse und dergleichen? Ich fahre mit!« Forster Travis zögert. Doch dann nickt er. »Na gut, Ginger. – Sehen wir mal da drüben nach.« Er wendet sich an seinen Sergeanten. »Und keinen Streit, Sergeant Clayton. Schon aus reinen Vernunftsgründen nicht. – Wir brauchen die Burschen immer noch. Vergessen Sie das nicht!« »Nein, Sir«, erwidert Sergeant Ben Clayton grimmig. »Das habe ich die ganze Zeit nicht vergessen. Denn sonst …« Er vollendet den angefangenen Satz nicht. Doch der Blick, den er Cass Longdale zuwirft, sagt mehr als viele Worte. Forster Travis reitet nun los. Von drüben gesellt sich Cass Longdale zu ihm. Sie reiten nun Steigbügel an Steigbügel nebeneinander, als wären sie gute Sattelgefährten, Partner,
Freunde. Ginger Lane folgt ihnen mit dem Wagen. Und sie denkt: Was könnten diese beiden Männer nicht alles gemeinsam vollbringen, wenn sie nicht Feinde wären. Und so wie es mit diesen beiden Männern ist, muß man es wohl auch sehen, wenn man an die kriegsführenden Staaten denkt. Sie blickt auf die Häuser des Ortes. Was mögen wohl dort für Menschen leben? Warum verstecken sie sich, zeigen sich nicht? Ob vielleicht gar dort eine Krankheit herrscht? Eine Seuche? Immer näher kommen sie, erreichen die Wagenstraße, biegen auf ihr ein und gelangen zwischen den ersten Häusern hinein nach Valdez. Ginger Lane fährt in der Mitte der Fahrbahn. Sie hält Ausschau nach einem Store. Es muß hier ganz sicher einen Store geben. Aber vorerst sieht sie nur eine Sattlerei, eine Schmiede mit einem Wagenhof und Mietstall, dann das Office eines Erzprüfers, einen Saloon … Die beiden Reiter halten sich nun nicht mehr dicht nebeneinander. Sie reiten an den Rändern der Fahrbahn, und sie beobachten scharf alles – jede Tür, jedes Fenster, jede Gassenmündung. Aber alles ist still, ohne Leben. Dennoch ist diese Stadt bewohnt. Warum verkrochen sich die Bürger? Warum sind alle Fenster und Türen geschlossen? Cass Longdale, Forster Travis und Ginger Lane suchen immer ungeduldiger nach einem Zeichen von Leben. Aber vorerst sehen sie nur einige Hühner und einen schlafenden Hund. Irgendwo meckern Ziegen. Dann aber – ganz plötzlich – kracht ein Schuß. Es ist ein Gewehrschuß. Unmittelbar danach beginnt ein Colt zu ballern – gleich sechsmal, bis er leergeschossen ist.
Sie haben angehalten, lauschen. Neben Cass Longdale öffnet sich die Tür eines Hauses, zwar nur kaum mehr als eine Handbreit, doch aber wenigstens etwas, so daß man das runde und bärtige Gesicht eines älteren Mannes erkennen kann. Dieser Mann sagt durch den Türspalt: »He, wenn ihr zu den Narren gehört, die sich nun schon tagelang hier in unserer Stadt gegenseitig umbringen, dann bringt sie endlich zur Vernunft! Die schießen auf alles, was sich bewegt. Die können schon nicht mehr unterscheiden, wer ihnen feindlich oder neutral gesinnt ist. – Die sind ja verrückt!« Der Mann knallt die Tür wieder zu. Und Cass Longdale beginnt nun zu begreifen, was sich hier abgespielt hat und immer noch abspielt. Forster Travis kommt herübergeritten. »Was sagte er?« Longdale betrachtet ihn prüfend. »Es sieht so aus«, sagt er langsam, »als hätten unsere Leute es hier miteinander ausgekämpft – ich meine, daß Ihr Lieutenant mit den Freiwilligen aus Tucson und meine Männer hier aneinandergerieten. – Sie kämpfen noch. Das muß dort vorn sein, wo die Straße auf den Platz mündet. – Wollen wir mitkämpfen oder dafür sorgen, daß sie erst mal aufhören?« Forster Travis schluckt mühsam. Denn eines ist ihm schon jetzt klar: Es hat hier offenbar keine Sieger gegeben. Auf jeder Seite blieben kümmerliche Reste übrig, und die kämpfen immer noch und hoffen auf Hilfe. Aber es gibt keine Hilfe. Sie sind selbst viel zu schwach, um auch nur einen einzigen Reiter entbehren zu können – es sei denn, sie geben die Herde auf. Er nickt Cass Longdale zu. »Wir sorgen erst mal dafür, daß sie aufhören«, sagt er gepreßt. Nach dieser kurzen Verständigung reiten sie weiter.
Sie kommen bald an den kleinen Platz. Hier kreuzen sich die beiden Straßen. Eine geht zur Riverfurt hinunter. Die andere verläuft parallel zum Fluß. An der einen Ecke ist ein Saloon. Ihm gegenüber liegt der Store, den ja auch Ginger Lane schon suchte. Die Scheiben des Store und des Saloons sind zerschossen. Es sind große, aus vielen kleinen Scheiben zusammengesetzte Fensterflächen. In diesen Holzgitterrahmen ist keine Scheibe mehr heil, weder im Saloon noch im Store. Cass Longdale läßt seine Stimme zuerst tönen. Er ruft: »Hoiii, Maffit! O’Brien! Lassetter! – Wer von euch ist dort im Saloon oder im Store?« Es bleibt eine Weile still. Dann erwidert eine betrunken klingende Stimme: »Hier im Saloon, Captain! Hier im Saloon sind wir. Ich bin Lassetter! Den anderen geht es gar nicht gut. Es ist verdammt Zeit, daß Sie kommen, Sir – verdammt höchste Zeit!« Longdale sieht zu Forster Travis hin. »Meine Leute sind im Saloon«, sagt er. »Ich sehe jetzt dort nach.« »Moment, Longdale«, sagt Travis schnell. Und nun ruft auch er laut und verständlich: »He, Lieutenant Hannaran! Sergeant Mahoun! Seid ihr dort im Store? Hier ist Captain Travis. – Ich komme! Es wird nicht mehr geschossen! Wir halten für eine Stunde Waffenruhe! Verstanden? – Ich komme!« Sie reiten zu gleicher Zeit los. Ginger folgt mit dem Wagen Captain Travis zum Store. Cass Longdale tritt langsam in den Saloon. Und da sieht er sie. Ja, das sind seine Leute – oder genauer gesagt, der Rest davon. Sein Lieutenant Maffit liegt auf dem Billardtisch, und er liegt
dort wie ein Toter. Ein zweiter Mann, es ist Sergeant O’Brien, kauert neben der Tür und dicht beim Fenster an der Wand. Aber er scheint zu schlafen. Sein Revolver liegt am Boden. Auf der anderen Seite hockt Corporal Lassetter am Fenster. Er hat eine fast leere Flasche in der Linken und den Colt in der Rechten. Aber in seiner Umgebung liegen einige leere Flaschen. Lassetter ist ein riesiger Bursche. Offenbar wurde sein Knie zerschossen, denn er hat das Hosenbein aufgeschnitten und einen blutigen Lappen ums Knie gewickelt. »Ich bin sonst kein Säufer«, sagt er schwerfällig. »Bitte, lasten Sie mir das nicht an, Captain! Aber ich halte diese Schmerzen sonst nicht aus. Und ich muß auch immer wieder Schnaps über den Verband gießen, damit das zerschossene Knie nicht zu eitern beginnt und ich den Wundbrand bekomme.« »Schon gut, Lassetter«, murmelt Cass Longdale und bewegt sich durch den Raum. Lieutenant Maffit auf dem Billardtisch ist wahrhaftig tot. Als er Sergeant O’Brien berührt, fällt dieser lautlos zur Seite. Er sieht, daß O’Brien tot ist. Wahrscheinlich hat er vor wenigen Minuten noch gelebt, denn er ist noch warm. Lassetter ist der einzige Überlebende, dies glaubt er jetzt schon. Aber er fragt dennoch: »Wie viele wart ihr?« »Wir haben siebzehn Mann auf die Union vereidigt«, sagt Corporal Lassetter. »Zusammen waren wir zwanzig mit Lieutenant Maffit. – Die anderen waren doppelt so stark. Aber wir bauten ihnen hier die Falle und machten sie hier mitten im Ort klein, weil sie hier am wenigsten damit rechneten. – Den Rest jagten wir aus dem Ort. – Aber sie kamen in der Nacht wieder. – In fast jedem Schuppen und in jeder Gasse oder verborgenen Winkeln liegen welche von uns. – Es fanden viele Einzelkämpfe statt. Die paar Überlebenden verschanzten sich dann hier und drüben im Store. – Haben Sie wenigstens die
Pferde, Captain?« Nachdem er dies gefragt hat, legt er den Kopf zurück und trinkt den Rest aus der Flasche. Und das erledigt ihn endgültig. Er murmelt nur noch: »Gut, daß Sie da sind, Captain. – Jetzt kann ich …« Und dann fängt er an zu schnarchen. Hinter dem Schanktisch erhebt sich nun ein kleiner, glatzköpfiger Mann. »Ich bin der Wirt«, sagt er. »Und dem Himmel sei es gedankt, daß es nun endlich vorbei ist. – Die waren ja verrückt. Die waren alle verrückt. – Die kamen her und brachten sich immer wieder gegenseitig um. – Ist das überall so auf den Kriegsschauplätzen? Bringen sie sich dort auch so gnadenlos um, so, als hätte keiner von ihnen eine Mutter gehabt, von der er alle Liebe und Wärme bekam, wie nur Mütter sie geben können? Ist denn diese Menschheit verrückt geworden? Oben sind meine Frau und meine Kinder. – Was hatten sie doch für Angst die ganze Zeit! Ist es denn nun endlich vorbei?« Cass Longdale nickt. »Ja, es ist vorbei«, sagt er. »Habt ihr einen Doc im Ort?« »Nur den alten Ramon, der im Mietstall arbeitet. Aber der kann mehr als ein richtiger studierter Doc. Der kann eine Menge mehr!« »Dann holen Sie ihn bitte zu diesem Mann hier und sorgen Sie dafür, daß er in ein Bett kommt. – Hier!« Er wirft ein goldenes Zanzig-Dollar-Stück auf den Schanktisch. Dann geht er hinaus, überquert die Straße und betritt den Store. Auch hier ist es so ähnlich wie drüben im Saloon. Es wurde einige Zerstörung angerichtet. Männer liegen da und dort zumeist tot. Ginger kniet neben einem Mann, der noch bei Bewußtsein ist. Sie ist dabei, ihm den blutigen Schulterverband zu lösen. Aus
dem Wagen hat sie den Verbandskasten hereingeholt. Der Storehalter und dessen Familie kamen von oben halb die Treppe herunter. Doch nach ganz unten wagten sie sich immer noch nicht. Es sind verängstigte Menschen. Der Storehalter sagt bitter: »Die kamen wie zwei tollwütige Wolfsrudel in unsere friedliche Stadt und brachten sich um. – Zwischendurch mußten wir ihre Toten wegräumen. – Aber dann ging es immer wieder von vorn los. – Dieser verdammte Krieg da irgendwo im Osten soll zur Hölle gehen. – Die sind ja verrückt, sich umzubringen, nur weil sie sich nicht anders einigen können. – Ist jetzt hier bei uns endlich Schluß damit?« Captain Travis wirft einen Blick auf Longdale. Was er in dessen Augen erkennt, ist ganz gewiß die gleiche Bitterkeit, die auch er jetzt spürt. »Ja, jetzt ist hier Schluß mit dem Töten«, murmelt Captain Forster Travis. * Es ist schon fast Abend, als sie endlich in ihr Camp kommen. Und die Männer dort haben es immer noch leicht mit der großen Pferdeherde. Diese verläßt die Creeksenke nicht, läßt es sich gut sein. Wieder bilden sich zwei Gruppen im Camp. Da ist Captain Forster Travis mit Sergeant Ben Clayton und dem Scout, der aber auch ein Soldat ist und den Dienstgrad eines Corporals hat. Und da ist auf der anderen Seite Captain Cass Longdale mit den beiden Revolvermännern und Pferdedieben Paco Hermandes und Jubal Perrit. Beide Captains berichten ihren Männern – und beide wählen sie fast die gleichen Worte. Cass Longdale sagt es so: »Wir bekommen keine Hilfe, keine Verstärkungen. Meine Leute konnten zwar verhindern, daß
Captain Travis Hilfe erhält, doch sie wurden selbst dabei aufgerieben. – Versteht ihr, es sind nur wir übrig. Und wenn wir die Pferdeherde haben wollen, müssen wir sie Travis und seinen beiden Männern abnehmen.« Paco Hermandes blinzelt wie ein Uhu. Dann blickt er vorsichtig zu der anderen Gruppe hinüber. Dort sagt Captain Travis etwa die gleichen Worte. Von drüben blickt der Scout herüber – ebenfalls zögernd und unschlüssig, so wie Paco Hermandes. Aber Jubal Perrit sagt spontan: »Na schön, dann kämpfen wir es aus! Warum nicht? Man muß für alles kämpfen auf dieser Erde – oder?« Seine Stimme klirrt. Cass Longdale betrachtet ihn fast mitleidig. Dann blickt er hinüber. Er und seine beiden Männer hören den Sergeanten Ben Clayton laut sagen: »Nun gut, Captain, dann kämpfen wir mit ihnen um die Herde. Wenn wir gewonnen haben, werben wir dort drüben im Ort Treiber an. Das kann nicht so schwer sein. – Kämpfen wir!« Sie hören es alle, denn die Stimme des Sergeanten wurde immer lauter. Travis sieht herüber zu Longdale. Dieser erwidert seinen Blick. Niemand sagt etwas. Doch der Atem von drohender Gewalttat weht plötzlich. Jeder spürt es. Im nächsten Moment schon kann es losbrechen. Es wird wie ein Funke im Pulverfaß wirken. Und die Explosion wird sie dann alle vernichten. Es kann gar nicht anders sein. Da tönt Ginger Lanes Stimme. Sie klingt spröde, etwas schrill vor innerer Anspannung – aber zugleich auch beschwörend. »Männer, ich habe eine Menge eingekauft für unser Abendbrot! – Ich will euch etwas kochen, was ihr noch niemals
gegessen habt! Los, helft mir! Ich brauche ein Feuer mit viel Glut für den Holländischen Ofen. – Ich …« Sie erteilt eine Menge Befehle. Und sie nennt die Männer beim Namen, zwingt sie also, ihr zu gehorchen. Zuerst reagieren sie nicht, dann folgen sie mürrisch und unwillig. Dann aber empfinden sie es als Chance, ja als Chance, als Aufschub. Denn selbst der Sergeant Ben Clayton – und selbst der wilde Junge Jubal Perrit, die vorhin noch so wild auf den letzten Kampf waren, wurden nachdenklich. Selbst sie sind dankbar für die Chance, etwas Aufschub zu haben, ohne das Gesicht zu verlieren und in den Verdacht der Feigheit zu kommen. Ginger Lane hat das Kommando übernommen. Und die Männer lassen sich kommandieren. Sergeant Ben Clayton und Jubal Perrit müssen dann bei Anbruch der Dunkelheit die erste Wache bei der Herde übernehmen. Paco und der Scout helfen Ginger Lane. Die beiden Captains aber hocken am Ufer des Flusses. Sie setzen sich ziemlich weit auseinander. Und dennoch könnten sie sich halblaut unterhalten. Jeder denkt nach, und wahrscheinlich denkt jeder die gleichen Gedanken. Als die Dunkelheit stärker wird, so daß sie sich nur noch als Silhouetten erkennen können, fragt Forster Travis herüber: »Siehst du einen Ausweg, Cass Longdale?« »Nein«, sagt dieser. »Das ist der Krieg! Wir haben beide unsere Befehle. Unsere Männer haben sich fast alle gegenseitig umgebracht. – Und nun müssen auch wir das tun.« Nach diesen Worten schweigen sie eine Weile. Dann sagt Cass Longdale: »Wir tun es morgen – bei Sonnenaufgang, ja? Wir kämpfen es morgen Mann gegen Mann aus, ja?«
»Wie Gentlemen«, pflichtet Forster Travis bei. »Ja, wir kämpfen es Mann gegen Mann aus. – Und vielleicht bleibt einer übrig und bringt die Herde zum Ziel. – Niemand wird ihn dann daran hindern, die Herde zu seinem Ziel zu bringen, mag das der Süden oder der Norden sein.« »So ist es«, erwidert Longdale. Dann schweigen sie. Im Camp brennt das Feuer, leuchtet vom Wagen her von der hochgestellten Deichsel eine Laterne. Paco Hermandes und Travis’ Scout helfen Ginger Lane immer noch. Doch jetzt ist sie fertig. »Kommt zum Essen!« ruft sie und klatscht in die Hände. Sie gibt sich sorglos, freudig und ganz so, als hätten sie alle keine Sorgen. Und die Männer verstehen, daß sie einen einsamen Kampf ausficht gegen das sinnlose Töten. Sie hocken sich ums Feuer. Es gibt Spanferkel und eine Menge anderer Dinge. Aber sie merken das gar nicht richtig. Sie essen mehr oder weniger mechanisch. Manchmal sehen sie sich an. Und dann denken sie daran, daß sie morgen aufeinander schießen wollen. Dabei sind sie unterwegs Sattelgefährten geworden. Sie haben gegen Banditen und Apachen gekämpft und die Herde getrieben. Sie waren gute Kameraden. Doch nun … Immer wieder steht es ihnen vor Augen. Und sie können damit nicht fertig werden. Paco und der Scout reiten dann in die Nacht, um Ben Clayton und Jubal Perrit abzulösen. Und auch die beiden abgelösten Reiter hocken dann ziemlich lustlos und brütend am Feuer, kauen nur mechanisch und
denken nach. Sergeant Ben Clayton hebt dann den Kopf und sieht seinen Captain an. »Je länger wir warten und es aufschieben«, sagt er, »um so länger müssen wir darüber nachdenken. – Und um so schwerer wird es für uns alle.« Er starrt nun hart zu Jubal hinüber. »Oder denkst du anders, Jube?« Doch Jubal Perrit geht jetzt nicht hoch – nein, er bleibt ganz ruhig und schüttelt den Kopf. Dann spricht er langsam: »Der Teufel soll die Herde holen – ja, der Teufel sollte das tun. – Aber freiwillig verzichte ich nicht darauf. – Nein!« Sie alle wenden ihm ihre Gesichter zu. Denn er hat soeben etwas gesagt, was ihnen einleuchtet. Es wäre die einzige mögliche Lösung. Wenn der Teufel die Herde holte, brauchten sie nicht mehr gegeneinander zu kämpfen. Keiner von ihnen brauchte zu sterben. Sie starren Jubal Perrit an. Aber dann sagt der Sergeant Ben Clayton trocken: »Jube, was sollte der Teufel mit tausend Pferden anfangen? In der Hölle wird nicht geritten.« * Zwei Stunden nach Mitternacht lösen Cass Longdale und Forster Travis ihre Reiter ab und übernehmen die letzte Wache bei der Herde. Aber es ist eine leichte Wache. Die Pferdeherde ruht. Sie ist zufrieden hier an diesem Platz. Erst morgen werden die Tiere unternehmungslustiger sein, nachdem sie sich ausgeruht und das gute grüne Futter in Säfte und Kräfte verwandelt haben.
Morgen werden sie alle Hände voll zu tun haben, diese große Herde unter Kontrolle zu halten. Als Cass Longdale das denkt, erschrickt er. Denn wieder wird er sich bewußt, daß sie bald ganz andere Sorgen haben werden. Sie werden kämpfen, sich gegenseitig töten oder zumindest verwunden. Und diese Herde wird dann herrenlos sein. Selbst wenn ein oder zwei Männer am Leben bleiben sollten, werden sie nicht in der Lage sein, diese Herde unter Kontrolle zu halten. Er zerbeißt bitter einen Fluch auf den Lippen. Und er sieht immer noch keinen Ausweg. Dann hört er einen Reiter kommen. Es ist Ginger Lane, die vom Camp herübergeritten kommt, sie hat ihn gesucht. Im Schritt reitet sie heran und hält schließlich neben ihm. »Cass«, sagt sie ernst, und es ist ein Klang von Hilflosigkeit in ihrer Stimme. »Cass, es darf nicht sein.« Er fragt nicht, was nicht sein darf. Denn dies ist ihnen allen zu klar. Aber er fragt: »Haßt du mich nicht mehr, obwohl ich ein Soldat der Unions-Armee bin und gegen die Konföderierten kämpfe?« Sie seufzt. »Es wurde eine Menge anders«, sagt sie. »Wir alle standen einander bei, gingen durch …« Die Stimme versagt ihr. Wahrscheinlich wollte sie sagen: »… durch dick und dünn.« Er nickt. »Ja, wir alle wurden wohl sehr nachdenklich in diesen Tagen und Nächten. Wir alle erkannten, was man alles vollbringen kann, wenn man zusammenhält. Das gilt auch für unsere Nation. – Aber wir können das nicht ändern.« »Doch!« Sie schreit es fast. »Doch, wir könnten die Herde teilen und dann getrennt unserer Wege ziehen. Wir könnten sogar die Herde aufgeben und …« »Aber ihr habt viel Geld für die Herde bezahlt. – Du selbst
hast das Geld nach Mexiko zu Don Estobal gebracht. – Könntest du …« »Es waren Spenden von Patrioten«, unterbricht sie ihn. »Ich habe überall bei den reichen Pflanzern des Südens gesammelt – in Texas, in Louisiana, in Mississippi und Georgia. – Es waren Spendengelder. – Doch wenn die Spender wüßten, was uns unterwegs geschah, was sich in uns allen veränderte, dann …« »Nein«, sagt er. »Das würden sie nicht verstehen. – Ginger, ich sehe keinen Ausweg. Wir müssen es morgen bei Sonnenaufgang auskämpfen. – Nur eines möchte ich dir sagen – eines noch.« »Ja?« »Wäre kein Krieg, so würde ich alles tun, dich zu gewinnen. – Verstehst du, Ginger Lane? Ich würde dich zur Frau haben wollen fürs ganze Leben. Und ich würde alles tun, um dich zu bekommen.« Sie hält den Atem an. Dann zuckt sie zusammen, als käme ihr plötzlich ein Einfall, der ihr neue Hoffnung macht. »Dann reite ich auf der Stelle mit dir fort«, sagt sie. »Ich will mit dir überall hingehen – nur nicht dorthin, wo der Krieg ist. Wir könnten nach California – nach Oregon – und …« »Nein«, sagt er. »Ich kann nicht davonlaufen, auch nicht wegen einer schönen Frau, die ich liebe. – Nein, auch das wäre kein Ausweg, Ginger.« Sie sagt nichts mehr. Einige Atemzüge lang verharrt sie im Sattel neben ihm. Dann wendet sie das Pferd und reitet wieder zum Camp hinüber. Sie macht gar nicht erst den Versuch, jetzt zu Forster Travis zu reiten auf die andere Seite der Herde. Sie gibt auf. Cass Longdale bleibt allein. Im Osten wird der Himmel grau. Die strahlende Kraft der
Arizonanacht verblaßt. Wir werden es auskämpfen, denkt Cass Longdale bitter. * Als die Sonne im Osten ihre ersten Strahlen gen Himmel wirft, verlassen sie das Camp und die Herde. Sie reiten in zwei Gruppen und halten von Anfang an Abstand zueinander. Ginger Lane bleibt im Camp zurück. Was kann sie tun? Die Männer reiten ein Stück von der noch ruhenden Herde weg. Cass Longdale wendet sich an Paco Hermandes und Jubal Perrit. »Ihr seid nur Pferdediebe«, sagt er. »Warum verhaltet ihr euch so, als wäret ihr Soldaten, die einen Fahneneid geschworen haben?« Sie grinsen ihn an. »Ich bin immer noch ein Pferdedieb«, sagt Paco Hermandes. »Und ich kneife nie«, grinst Jubal Perrit. »Ach, haut ab!« spricht Longdale zu ihnen. »Haut ab, Amigos!« Sie schütteln eigensinnig die Köpfe. »Johnny und Jim würden aus dem Jenseits auf uns niederspucken«, sagt Paco, »wenn wir uns jetzt davonschlichen.« »Richtig«, nickt Jubal Perrit. »Das würden sie tun. Es gibt nichts mehr zu sagen.« Er wendet sein Pferd und sieht zu den drei anderen Reitern hinüber. Diese haben sich zum Angriff formiert. Captain Forster Travis hält in der Mitte. Rechts und links von ihm halten seine beiden Reiter. »Clayton übernehme ich«, sagt Cass Longdale. »Der ist
gefährlicher als Travis.« Er reitet im Schritt vorwärts. Sie folgen ihm, halten sich neben ihm auf gleicher Höhe. Drüben reiten die drei Männer ebenfalls an, kommen ihnen entgegen. Sie alle halten ihre Revolver schußbereit. Bald schon werden die ersten Schüsse krachen. Da hören sie das schrille Kreischen von Ginger Lane. Sie ruft ihnen vom Camp etwas zu. Ihre Stimme überschlägt sich, klingt gellend wie in höchster Not. Und sie deutet nach Süden. Und da sehen sie den Pulk! Es ist Don Estobal mit mehr als fünfzig Reitern! Er ist gekommen, um sich die Pferde zurückzuholen. Er ist der größte Pferdedieb von ihnen. Er gab nicht auf. Jetzt kommt er mit mehr als fünfzig Mann, und er brauchte nicht mal die Apachen zu fürchten. Seine Reiter greifen mit Wucht an. Ihre Übermacht gibt ihnen Mut. Die sechs Reiter formieren sich zu einer Mannschaft. Sie schlagen einen Angriff zurück. Sie wissen, daß sie keine Chance haben und die Flucht ergreifen müssen. Das tun sie auch, und sie werden nur ein kurzes Stück verfolgt von mehr als zwei Dutzend Reitern. Nach zwei Meilen halten sie an. Forster Travis sagt grimmig: »Jube wünschte sich gestern, daß der Teufel die Herde holen möge. – Nun, dies geschieht jetzt. – Der Teufel holt sich die Herde, und wir können nichts dagegen tun, gar nichts! Ich muß erst nach Tucson reiten und nochmals eine Freiwilligen-Miliz aufstellen. – Vielleicht hole ich diese Pferdediebe noch vor der Grenze ein. – Ich habe keine Zeit mehr. Ich muß nach Tucson. Los, reiten wir. – Viel Glück, Longdale!« Clayton und der andere Soldat folgen ihm. Cass Longdale sieht Paco Hermandes und Jubal Perrit an. »Das war’s also«, sagt er.
Dann sieht er hinüber. Über den Hügeln ist eine Staubwolke. Dort wird die Pferdeherde wieder nach Süden getrieben. Don Estobal und seine Reiter ziehen sich mit ihrer Beute schnell zurück. Daß die Herde satt und ausgeruht ist, hilft ihnen sehr. Vom Camp fährt der Wagen mit Ginger Lane eben zum Ort. Wahrscheinlich wird sie dort eine Weile bleiben, sich um die Verwundeten kümmern und auf Forster Travis’ Rückkehr aus Tucson warten. Paco Hermandes reitet plötzlich an. Er reitet nach Nordwesten. Dort irgendwo liegt das Dorf, in dem seine Frau und all die vielen Kinder leben. Er blickt sich nicht mehr um. Jubal Perrit reitet nach Osten. Irgendwo dort muß er auf den Weg nach Santa Fe stoßen. Und Cass Longdale? Verdammt noch mal, denkt er. Jetzt geht es wieder von vorn los. Wenn Captain Travis es schaffen sollte, sich von Don Estobal die Pferde zurückzuholen, dann muß ich verhindern, daß der Süden sie für seine Armee bekommt. ENDE
Selbstverständlich ist auch in der folgenden Woche für Ihre � Westernlektüre bestens gesorgt! � Band 706 dieser großartigen Westernreihe hat den Titel: �
Fünf staubige � Wagen � Die Goldwölfe hatten es auf Lindas Frachtwagen abgesehen. Doch für Linda ritt eine eisenharte Mannschaft …