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Gütersloher Taschenbücher / Siebenstern 332
Lutz Mohaupt
Pastor ohne Gott? Dokumente und Erläute...
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Gütersloher Taschenbücher / Siebenstern 332
Lutz Mohaupt
Pastor ohne Gott? Dokumente und Erläuterungen zum »Fall Schulz«
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn
Originalausgabe
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Mohaupt, Lutz: Pastor ohne Gott?: Dokumente u. Erl. zum Fall Schulz / Lutz Mohaupt. - Orig.-Ausg. - Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Mohn, 1979. (Gütersloher Taschenbücher Siebenstern; 332) ISBN 3-579-03750-1
ISBN 3-579-03750-1 © Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, Gütersloh 1979 Umschlagentwurf: Dieter Rehder, Aachen unter Verwendung eines Fotos von Jose Luis Camejo, Hamburg Gesamtherstellung: Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany
Inhalt
Zur Vorgeschichte
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Die Verkündigung Jesu und das Prinzip Liebe (1. Verhandlungstag)
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Gottes Offenbarung und wissenschaftliche Erkenntnis (2. Verhandlungstag) Zur Frage des Lehrkonsensus in der Kirche (Anträge vom 3. und 5. Verhandlungstag) Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft (3. Verhandlungstag: Das Gutachten) Kirche und christliche Hoffnung (4. Verhandlungstag)
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51
66
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Schrift - Bekenntnis - offene Theologie (5. Verhandlungstag)
117
Zur Frage nach Inhalten des Glaubens 142 (Rückfragen und Klärungen vom 6. Verhandlungstag) Die Schlußworte 165 (7. Verhandlungstag) Der Spruch und seine Begründung
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Nachwort: War das Verfahren theologisch möglich?
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Statt eines Vorwortes
Man muß zugeben, daß dem Christentum, mehr als anderen Religionen, ein Hang zur Verschämtheit anhaftet. Es schielt nach dem Urteil der Vernunft wie eine Genante nach dem Stadtklatsch. Es wird um so zimperlicher, je älter es wird, und es bringt seinem Rufe die unglaublichsten Opfer. Zuerst genierten sich die Christen ihrer mythologischen und polytheistischen Herkunft. Wer zu jener Zeit über Land ging, fand auf dem Dung die Madonnen liegen, welche die Christen aus ihren Kirchen geworfen hatten. Das konnte den Künstlern noch recht sein. Seit neuestem indes finden die Künstler, wenn sie an den Misthaufen vorüberwandern, auch den Heiligen Geist, den Sohn, ja nicht selten den Vater. Die Christen selbst haben sie fortgeworfen. Sie haben das Christentum verkleinert auf einen Rest von Sätzen über Gerechtigkeit, Tugend und die Herstellung einer würdigeren Welt, lauter Sachen, auf die sich - Gott ist des Verfassers Zeuge - die Marxisten besser verstehen. (Peter Hacks, marxistischer Schriftsteller, im Nachwort zu seiner Komödie »Adam und Eva«)
Es kommt vor, daß die in den alten Symbolen der Kirche angedeuteten Inhalte nicht zur Erfahrung gebracht, sondern auf den Schutth~ufen geworfen werden. (Carl Friedrich von Weizsäcker im Gutachten zum Schulz-Verfahren)
Zur Vorgeschichte
Es ist offenbar nicht ganz einfach, den »Fall« des Hamburger Pastors Dr. Paul Schulz in den ihm angemessenen Proportionen zu sehen. Die Urteile gehen auseinander. Manche Stimmen sprechen davon, hier sei nur das Showgeschäft eines eitlen Pastors betrieben worden. Andere sehen darin eine neue Auflage des Streits zwischen Vernunft und Orthodoxie, nur mit vertauschten Rollen: der aufgeklärte Pastor an St. Jacobi in Hamburg gegen all die rechtgläubigen »Goetzes« in der Kirche. Ist er ein Mann, »der auf einem etwas zu billigen Niveau an einem Problem scheitert, auf das kein heute Lebender eine adäquate Antwort weiß« (C. F. von Weizsäcker)? Oder sind die Dimensionen noch gewaltiger? Eine Boulevardzeitung fragte: »Ein moderner Martin Luther?« Nun wird es für die weitere Diskussion nützlich sein, zwischen der Sache und der Person, zwischen den Problemen und der Art, wie sie aufgeworfen wurden, zu unterscheiden. Fragen wie die nach der Personalität Gottes oder nach dem Lehrkonsensus in der Kirche sind nicht erst durch dieses Lehrverfahren entstanden und lassen sich nicht mit ihm erledigen. Andererseits: Der Vergleich mit Martin Luther wirft die Frage auf, ob auch der Name von Paul Schulz die Jahrhunderte überdauern und ob der von ihm gegründete eingetragene Verein »Communio humana« so Bestand haben wird wie die von ihm attackierte Kirche, die sich nach Luther nennt. Trotz dieser notwendigen Unterscheidung zwischen Sache und Person geht es jedoch im Augenblick zunächst darum, den »Fall Schulz« so zur Kenntnis zu nehmen, wie er sich abgespielt hat, nämlich als Streit um diesen einen, konkreten Pastor und die von ihm vertretene Lehre. Es ging nicht um irgendeine Gruppe in der Kirche und nicht um eine theologische Richtung, sondern um die Lehre und Predigt von Paul Schulz. Nach Jahren geduldigen Rin9
gens sah sich die Kirche genötigt, diese Lehre zu beanstanden und als Ergebnis eines langen Verfahrens festzustellen, daß der Betroffene in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten ist und daran beharrlich festhält. Diese Entscheidung gemäß § 18 Absatz 1a) des sogenannten Lehrbeanstandungs gesetzes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands wurde von einem Spruchkollegium getroffen, das der Senat für Lehrfragen der VELKD gebildet hatte. Es war das erste Mal seit der Verabschiedung dieses Gesetzes vor mehr als zwanzig Jahren, daß ein solches Verfahren durchgeführt wurde, und der letzte wirklich vergleichbare »Fall« spielte sich im Jahre 1911 ab. Wie konnte es dazu kommen? Wenn Paul Schulz (geb. 1937) von den Anfängen des Problems spricht, pflegt er darauf hinzuweisen, daß er in einem von traditioneller Frömmigkeit geprägten Elternhaus aufgewachsen sei und sich intensiv am kirchlichen Leben seiner Gemeinde beteiligt habe (so zum Beispiel im Schlußwort zum Lehrverfahren ). Es ist nichts Außergewöhnliches, daß auf einem solchen Hintergrund das Studium der Theologie streckenweise als Krise erfahren wird. Ein pauschaler Vorwurf gegen die theologischen Lehrer läßt sich nicht daraus ableiten. Schulz ist nicht etwa bei extrem modernistischen Theologen in die Schule gegangen, sondern unter anderem bei Leonhard Goppelt, einem Neutestamentler, dessen Beschäftigung mit der Botschaft vom auferstandenen Christus immer ein Ja zu persönlicher Frömmigkeit und zu reformatorischer Kirche einschloß. Gleichwohl blieb Schulz der krisenhafte Prozeß nicht erspart, den viele auf dem Weg zum Pfarramt durchlebt haben. Auch haben viele ihr Pastorsein als Aufbruch zu einer modernen, dem kirchenfremden Menschen gegenüber aufgeschlossenen Gemeindearbeit verstanden und ins Werk gesetzt, und wenn Schulz schon vor seiner Ordination einer starren, unkritischen Bekenntnistreue abschwor, wie er berichtet, so befand er sich damit nicht nur in Gemeinschaft mit vielen, gerade auch jungen Pastoren, sondern sogar mit den reformatorischen Bekenntnissen selber, für die die Heilige Schrift »alleinige Regel und Richtschnur« ist (Konkordienformel, Vom summarischen Begriff). Direkte Folgen des Studiums für den »Fall Schulz« lassen sich vielleicht am unmittelbarsten dort greifen, wo es um die Nachwir10
kungen von Ethelbert Stauffer geht, dem Erlanger Neutestamentler und Doktorvater von Paul Schulz. »Paulus ist ein großer Mann, aber wir fragen nach Jesus von Nazareth«, so zitiert ihn Schulz am Ende des Lehrverfahrens. Hier setzt Schulz an, wenn er vom historischen Urgrund des Christentums und von der Mitte der Schrift spricht. Soviel ist klar: Grund für ein Lehrverfahren ist das nicht, auch nicht angesichts der Tatsache, daß die paulinische Theologie für die lutherische Kirche von Anfang an zentrale Bedeutung gehabt hat. Auch die anderen beiden Punkte, die Schulz als programmatisch für seine Position ansieht, sind nicht an und für sich Gründe für das Verfahren geworden: der Versuch, die Theologie für das Gespräch mit der Naturwissenschaft offenzuhalten und mit der Botschaft von der Liebe menschliche Gemeinschaft neu zu gestalten. Es bedarf hier keiner Beweise dafür, daß diese Anliegen weder neu noch einzigartig sind. Sie gehören im Grunde zum Auftrag jedes Theologen und Pfarrers heute und werden auch von vielen nach besten Kräften wahrgenommen. Problematischer ist da schon die Attitüde des kämpferischen Aufklärers, mit der Schulz sein Programm verfolgte: »Der Theologe hat heute praktisch die Aufgabe, veraltete Vorstellungen auszuräumen und die Menschen auf sachgerechtere Vorstellungen hin zu befreien.« (Aus der ersten Predigt an St. Jacobi in Hamburg 1970). Wer bestimmt, was veraltet und was sachgerechter ist? Jedenfalls: Da wurde gehobelt, und da fielen Späne. Als Schulz von 1967 bis 1969 in Breklum / Schleswig-Holstein Dozent an einem Gemeindehelferinnenseminar war, wurde» Tag für Tag, oft Nacht für Nacht um christliche Positionen innerhalb einer modernen, jungen Welt gerungen. Was ist da alles an Spreu verbrannt!« (Schulz im Schlußwort). Auf keinen Fall war Schulz ein Unbekannter, als er zum 1. Juli 1970 zum Pastor an St. Jacobi berufen wurde. Er sagt mit Recht: »Als man mich von Breklum nach Hamburg an die Hauptkirche St. Jacobi holte, wußte man, wer ich war. Die eigentlich theologische Auseinandersetzung hatte damals längst begonnen« (ebd.). Schulz entwickelte seine Position in fünfzehn sogenannten» Kritischen Gottesdiensten« (Diskussionsveranstaltungen mit Jazzmusik; keine Gebete, keine Bibeltexte, keine übliche Liturgie), in Predigten, Interviews und Zeitungsartikeln, vor allem in einer 11
Reihe von Beiträgen in der Wochenzeitung »Die Zeit«, die ihm überhaupt ein einzigartiges Forum zur Selbstdarstellung bot: Bis heute sind dort etwa ein Dutzend zum Teil ganzseitige Artikel von ihm erschienen. Hingewiesen sei auch auf eine Reihe von sozialpolitischen Initiativen, die Schulz in Hamburg unternahm (vgl. Formel S. 191ff.). Unbezweifelbar ist auf diese Weise eine bemerkenswerte Anzahl von kirchenkritischen Menschen angesprochen und beteiligt worden. Zugleich aber wuchs die Zahl der Gemeindeglieder und Pastoren, die den theologischen Hintergrund dieser Bemühungen erkannten und daran Anstoß nahmen. Der damalige Hauptpastor von St. Jacobi, Dr. Dr. Paul Seifert, setzte sich in einer Reihe von Dialogpredigten mit der Schulzschen Position auseinander. Es fand eine Sondertagung des Kirchenvorstandes am 15./16. Januar 1972 statt. In der Vollversammlung der Hamburger Pastorenschaft kam es zu einer Anfrage an den Bischof, was er zu tun gedenke, wenn über die Pastoren gesagt werde: »Die Pastoren machen der Gemeinde blauen Dunst vor« und: »Der heutige Kirchenbesucher muß seinen Verstand an der Kirchentür abgeben« (Formel S. 146; 204). Damals ging in Hamburg die Frage um: Warum wird Schulz nicht auf dem Wege der Amtszucht (d. h. durch ein Disziplinarverfahren) gestoppt? Es hieß, es gebe genug Gründe. Es seien durchaus Tatbestände namhaft zu machen, die eine Versetzung mangels »gedeihlichen Wirkens« (§ 74 Pfarrergesetz) ermöglicht hätten. Ob irgendwann ein solches Verfahren in Gang gekommen wäre, mag hier im Bereich der Spekulation belassen bleiben. Inzwischen war der theologisch-inhaltliche Streit bis in die Vorfelder eines Lehrbeanstandungsverfahrens hineingewachsen. In seinem Schlußwort hat sich der Betroffene dafür bedankt, daß sein Fall auf diesem Wege, nicht disziplinarisch, angegangen worden ist. Aus einem Interview war der Schulzsche Halbsatz bekanntgeworden: »Nachdem ich im Frühjahr vor der Gemeinde praktisch Farbe bekannt habe und ihr die Behauptung zugemutet habe, Gott gebe es nicht ... « In einer Predigt vom 7. November 1971 entfaltete und erläuterte Schulz diese Behauptung. Der Hamburger Bischof D. Wölber hat nicht die Bekenntnisbewegung gegen Schulz »wettern« lassen, wie dieser im Schlußwort (vgl. Formel S. 194) behauptet hat. Es fand zwar eine monatelang vorher verabre12
dete Vortragsreihe statt, aber die theologische Auseinandersetzung mit der Lehre von Schulz besorgte Wölber selber: Er predigte gegen ihn. Er antwortete am 17. November (Bußtag) mit einer Predigt in der Hauptkirche St. Nikolai unter der programmatischen Überschrift: »Es >gibt< Gott!« (teilweise abgedruckt in: Gegen den Strom der Zeit. Hans-Dtto Wölber im Dialog, 1978, S.26-32). Um der Gerechtigkeit willen muß an dieser Stelle einmal unterstrichen werden, daß auf Wölbers Predigt nicht das Lehrbeanstandungsverfahren folgte, als habe irgendwer nur auf einen Anlaß dazu gewartet. Erst zwei Jahre später tat die Hamburger Kirchenleitung, der sogenannte Kirchenrat, einen ersten Schritt, nachdem das Trommelfeuer gegen die »überholten Denkmodelle« der Theologen, die »Infamie der Kirche«, die »faulen Kompromisse« und die »Doppelzüngigkeit« der Pastoren weiterging (vgl. Formel S. 26; 147; 205 usw.). Noch immer pflegte Seifert, damals zugleich Senior, d. h. Stellvertreter des Bischofs, mahnend darauf hinzuweisen, für Schulz sei Publizität wie eine Droge und man sei miteinander im Gespräch. Noch immer warteten Bischof und Kirchenrat angesichts dieses Votums und trotz wachsenden Drucks von der Basis her ab. Aber der Konflikt wurde mit großem publizistischem Echo ausgeweitet. Im Juli 1972 kam es zum Beispiel zu einem öffentlichen Streitgespräch zwischen Schulz und dem damaligen Bischof für Schleswig, Petersen. Während all dieser Auseinandersetzungen beharrte Schulz auf seinen Positionen. Im September 1973 ließ sich der Kirchenrat durch ein Gutachten von Hauptpastor Hans-Jürgen Quest über die Theologie von Schulz informieren. In dem Gutachten heißt es: »Schulz denkt nicht theologisch, sondern entwicklungsgeschichtlich. Er beschreibt ständig menschliche und geschichtliche Phänomene, ohne ihrem Gehalt, Sinn und Ziel wirklich auf die Spur zu kommen. Das ist die Folge eines Denkens, das Gott als mich bestimmendes, mich anrufendes und mich zur Vollendung führendes Gegenüber eliminiert. Mit Gott aber steht und fällt all das, wofür die Kirche ins Leben gerufen ist - der Glaube. Ich bin der Meinung, daß durch die für das Leben und die Lehre in der Kirche Verantwortlichen mit Dr. Schulz geredet werden muß.« Gespräche hatten zwar schon viele stattgefunden. Am 3. Dezember 1973 aber beschloß der Kirchenrat, daß nunmehr gemäß § 1 des Lehrbeanstandungs- , 13
gesetzes zu verstehende »seelsorgerliehe Bemühungen« unternommen werden sollten, um die entstandenen Anstöße zu beheben. In fünf seelsorgerlichen Gesprächen mit Schulz in der Zeit vom 5. Januar bis 9. März 1974 gelang dies Pastor Hans Georg Schmidt und Hauptpastor earl Malsch nicht, da Schulz bei seinen Meinungen blieb. Am 1. April 1974 beschloß der Kirchenrat, daß ein Lehrgespräch mit Schulz geführt werden sollte. Auf dieser Ebene des Lehrverfahrens wurden Hauptpastor Hans-Jürgen Quest, Professor Dr. Ulrich Wilckens und Pastor Johannes Nordhoff tätig. In dem Bericht über die beiden Lehrgespräche am 10. und 25. Februar 1975 wird festgestellt, daß Schulz »in beeindruckender Aufrichtigkeit Rede und Antwort gestanden« habe, »wenn auch gewisse aggressive Motive gegenüber seinen Amtsbrüdern diesen das Gespräch bisweilen schwer machten«. Die Beauftragten haben die legitime Pluralität theologischer Tradition und anerkannter Lehrmeinungen betont, auf die Notwendigkeit historisch-kritischer Interpretation der Bekenntnisse hingewiesen und den Rahmen der innerhalb der Kirche tolerablen Lehrmeinungen so weit zu spannen versucht, wie es ihnen irgend verantwortbar schien. Gleichwohl lautet ihr Fazit: »Unter diesem entscheidenden Gesichtspunkt aber sehen sich die Beauftragten nach dem Maße ihrer theologischen Einsicht und in ihrem Gewissen genötigt, dem Kirchenrat gegenüber nach § 1 der Lehrordnung zu erklären, daß Herr Dr. Schulz als ordinierter Inhaber des Pastorenamtes der evangelisch-lutherischen Kirche >öffentlich durch Wort und Schrift in der Darbietung der christlichen Lehre und seinem gottesdienstlichen Handeln in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten ist und daran beharrlich festhält<.« Die Beauftragten empfahlen, Dr. Schulz noch einmal Gelegenheit zu geben, seine Position zu überdenken und ihn »zur Aufnahme besonderer Studien« zu beurlauben. Dies beschloß der Kirchenrat am 23. Juni 1975. Schulz hat im Schlußwort zu dieser Beurlaubung für ein Jahr mit vollen Bezügen nach München erklärt, es habe sich nicht um ein Entgegenkommen, sondern um einen Rechtsanspruch des Betroffenen gehandelt. Er sei unter schweren Belastungen für die Familie »deportiert« worden. In § 5, 2 des Lehrbeanstandungsgesetzes ist aber eindeutig eine »Kann-Regel« formuliert, und in einem 14
Brief an die Gemeinde in St. Jacobi vom Dezember 1975 hat Schulz von seinem »recht umfangreichen, aber gezielten Programm« in der »aufregenden Stadt München« berichtet. Noch in einer Pressemappe von 1976 sagt er: »Das Arbeitsjahr 1975/76 in München ist für mich persönlich sehr wichtig gewesen, weil es die Möglichkeit bot, noch einmal in Ruhe und Konzentration Grundpositionen der Theologie zu durchdenken.« (Abgedruckt in Frankfurter Rundschau vom 5. 11. 1976; vgl. Formel S. 199.) Die von Schulz geforderte abschließende Stellungnahme zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen (»Gott im Denkprozeß«, Formel S. 36--81) wurde von den Beauftragten für das Lehrgespräch nicht als Bereinigung der Lehrbeanstandungen anerkannt. Sie stellten vielmehr fest: »Es fällt auf, daß in dieser Stellungnahme jeder direkte Bezug auf die an ihn gerichteten theologischen Fragen fehlt.« Am 18. Oktober 1976 beantragte der Kirchenrat die Durchführung des Feststellungsverfahrens beim Senat für Lehrfragen der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Zur inhaltlichen Beurteilung der Lehrmeinungen von Schulz sagte der Kirchenrat in der Antragsschrift: »1. Jeder Pastor übernimmt mit seiner Ordination den Auftrag, die biblische Botschaft gemäß dem Bekenntnis seiner Kirche auszulegen und damit für die Menschen seiner Zeit verständlich zu machen. Er hat zwar Spielraum, um seine eigene theologische Erkenntnis zu formulieren, ist aber zugleich an die Grundlinien der biblischen Botschaft und des Bekenntnisses der Kirche gebunden. Christlicher Glaube weiß, daß menschliches Reden und Nachdenken über Gott die Wirklichkeit Gottes nicht fassen und beschreiben kann. Darum hält er sich daran, daß Gott sich selbst den Menschen bekanntgemacht, sich »offenbart« hat. Die Bibel ist das Dokument dieser Offenbarung Gottes. Ausgehend von der Offenbarung Gottes redet christlicher Glaube von Gott, dem Schöpfer, weil die Liebe Gottes von Anfang an der Welt und unserem Leben ihren Sinn gibt. Christlicher Glaube redet von Gott, dem Erlöser, weil im Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen Jesu Christi die Liebe Gottes für alle Menschen in einmaliger Weise sichtbar und gültig geworden ist.
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Christlicher Glaube redet schließlich von Gott als dem Heiligen Geist, weil er weiß, daß Gott selbst unseren Glauben immer erneut wecken und stärken muß und daß er uns gerade so zu verantwortlichem Handeln ermutigt. 2. Dieses Gesamtbild wird von Pastor Dr. Schulz nicht akzeptiert. Er befindet sich in allen Punkten in Widerspruch zur Lehre der Kirche, denn er interpretiert die Aussagen der Bibel lediglich als Aussagen von Menschen über sich selbst, die im Laufe der Jahrhunderte zu neuem Selbstverständnis gelangten. So ist das Wort »Gott« lediglich eine Leerformel. Pastor Dr. Schulz glaubt nicht an den Gott, den die Bibel bezeugt. Im Weltbild von Pastor Dr. Schulz ist kein Platz für Gott, den Schöpfer, dem sich menschliches Leben immer erneut verdankt. Der Mensch wird nicht mehr als ein Geschöpf Gottes gesehen, sondern umgekehrt als ein Wesen, das in jeder Zeit neu ein Bild von Gott entwirft. Der Mensch schafft sich also Gott nach seinem Bild. Im Weltbild von Pastor Dr. Schulz ist aber auch kein Platz für Jesus Christus als den von Gott bevollmächtigten, durch Leben, Kreuz und Auferstehung als Grund unseres Glaubens erwiesenen Herrn. Pastor Dr. Schulz läßt Jesus lediglich als Vorbild und Herausforderung zu verantwortlichem menschlichen Handeln gelten. Damit unterscheidet er sich im Kern nicht von atheistischer Jesus-Deutung. Er setzt das biblische Christus zeugnis außer Kraft. Im Weltbild von Pastor Dr. Schulz tritt an die Stelle des Glaubens, der sich dem Anruf Gottes verdankt, die menschliche Vernunft, die ihre Einsicht aus der Analyse naturwissenschaftlicher und gesellschaftlicher Gesetzmäßigkeiten gewinnt. Damit bleibt der Mensch auf sich allein gestellt. Das Gebet wird zum bloßen Selbstgespräch. Die Predigt wird zum bloßen Appell, durch den der Mensch auf die in ihm ruhenden Möglichkeiten verwiesen wird. Immer geht es darum, daß der Mensch sich selbst verwirklicht. Dabei werden bewußt diejenigen im Stich gelassen, deren Schicksal nach menschlichem Ermessen aussichtslos ist. Der Trost des Glaubens für Leidende, Kranke und Sterbende wird als Illusion abgelehnt. Es gelten nur die kalten Gesetzmäßigkeiten des Werdens und Vergehens. So werden
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gerade diejenigen der Trostlosigkeit ausgeliefert, die am Rande des Lebens stehen. Diese theologische Position weicht nicht nur von einem einzelnen und konkreten Lehrstück der Kirche ab, sondern trifft die zentrale Aussage der Heiligen Schrift und der reformatorischen Bekenntnisse. Sie berührt den Inhalt des christlichen Glaubens. In der Theologie von Pastor Dr. Schulz ist kein Raum für das Glaubensbekenntnis, das die Gemeinde sonntäglich spricht: Ich glaube an Gott den Vater - ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn - ich glaube an den Heiligen Geist. Damit sind die Voraussetzungen für ein Lehrverfahren auch unter Berücksichtigung des Art. 1 des Gesetzes zur Durchführung des Kirchengesetzes der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom 16. Juni 1956 erfüllt, wonach bei Einleitung und Durchführung eines Lehrverfahrens der Tatsache zu entsprechen ist, daß Schrift und Bekenntnis von ihrer eigenen Geschichte her verstanden werden müssen und bei der Bezeugung heute der Auslegung bedürfen. 3. Pastor Dr. Schulz hält an seiner theologischen Haltung beharrlich fest und ist auch entschlossen, diese weiterhin öffentlich in Predigt und Unterricht aktiv zu vertreten und für sie zu werben. Dies würde in der Gemeinde zu schweren glaubensmäßigen Konflikten führen, so daß es der Kirchenrat im Einvernehmen mit dem Bischof für notwendig hielt, die Beurlaubung von Pastor Dr. Schulz bis zur Beendigung des Feststellungsverfahrens anzuordnen (§ 5 Abs. 5 des Kirchengesetzes über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen) .« Der Senat für Lehrfragen der VELKD ist nach dem Lehrbeanstandungsgesetz die nächste Instanz eines solchen Verfahrens. Er hat ein Spruchkollegium aus sieben Mitgliedern zu bestellen, das die eigentliche Entscheidung zu fällen hat. Es kann entweder - wie im Fall Schulz - zu dem Ergebnis kommen, daß der Betroffene in entscheidenden Punkten im Widerspruch zum Bekenntnis steht, es kann feststellen, daß dieser Tatbestand nicht gegeben ist, oder es kann bekanntgeben, daß eine Entscheidung nicht getroffen werden konnte, nämlich dann, wenn in dem Siebener-Kreis nicht eine Mehrheit von mindestens fünf Stimmen für die eine oder
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andere Entscheidung zu erreichen war. Der Senat für Lehrfragen hat die Entscheidung des Spruchkollegiums entgegenzunehmen und den Beteiligten zuzustellen. Wesentliche andere Funktionen hat er nicht. Die Folgen regeln sich zwangsläufig: Im Falle eines negativen Spruchs muß die zuständige Landeskirche den Betroffenen entlassen, im Fall eines positiven Spruchs oder bei Nichtzustandekommen einer Entscheidung kehrt er an seinen Platz zurück. Dem Spruchkollegium gehörten im Fall Schulz folgende Mitglieder an:· Landesbischof D. Lohse, damals Leitender Bischof der VELKD, als Vorsitzender; Dr. Gehrmann, Richter in Lübeck, als von der Generalsynode in das Spruchkollegium gewähltes Mitglied; Vier vom Senat für Lehrfragen berufene Mitglieder, nämlich: Dr. Ostermeyer, Richter in Hamburg; Dr. Wendebourg, Prodekan in München; Dr. Friedrich, Professor für Neues Testament in Kiel; Pastor Kretschmar, Gemeindepfarrer in Kiel. Schließlich hat der Betroffene Gelegenheit, für einen weiteren Platz im Spruchkollegium eine Persönlichkeit seines Vertrauens vorzuschlagen. Dr. Schulz nannte Dr. Stegemann, Professor für N eu es Testament in Marburg, der vom Senat für Lehrfragen in das Spruchkollegium berufen wurde. Bei den Verhandlungen des Spruchkollegiums kann sich der Betroffene von einem Beistand begleiten lassen. Dr. Schulz wurde von einem Rechtsanwalt begleitet, nämlich Dr. Barrelet aus Hamburg. Die mündlichen Verhandlungen fanden an folgenden Terminen statt: am 14./15. November 1977 (1. und 2. Verhandlungstag), am 16./17. November 1978 (3. und 4. Verhandlungstag), am 4./5. Dezember 1978 (5. und 6. Verhandlungstag), am 23. Januar 1979 (7. Verhandlungstag). Zwischen dem 2. und dem 3. Verhandlungstag mußte eine einjährige Verhandlungspause eingelegt werden, weil Prof. Stegemann 18
infolge eines schweren Unfalles lange Zeit nicht an den Verhandlungen hätte teilnehmen können. Nach § 17 Abs. 1 des Lehrbeanstandungsgesetzes kann aber die mündliche Verhandlung nur bei Anwesenheit aller Mitglieder des Spruchkollegiums und des Betroffenen stattfinden. Der Verlauf der mündlichen Verhandlungen ist im folgenden nachgezeichnet. Grundlage und wichtigster Bestandteil der Darstellung sind Auszüge aus den inzwischen veröffentlichten amtlichen Protokollen. Die Auswahl dieser Textauszüge war nicht von der Absicht bestimmt, die Position von Dr. Schulz auch nur annähernd vollständig oder zusammenhängend darzustellen. Ein solcher Versuch muß dem Betroffenen überlassen bleiben. Deshalb sei hier auf seine beiden Bücher verwiesen: »Ist Gott eine mathematische Formel?«, Hamburg 1977, und »Weltliche Predigten«, Hamburg 1978. Es ging auch nicht darum, möglichst alle Fragenkreise und Probleme in diese Auswahl aufzunehmen, die im Verlaufe der mündlichen Verhandlungen eine Rolle gespielt haben. Als Auswahlkriterium wurde vielmehr möglichst konsequent das Ergebnis des Verfahrens berücksichtigt: Welche Aussagen des Betroffenen und welche Gesprächsbeiträge aller Beteiligten haben direkt oder indirekt, offenkundig oder auch verborgen den Ausgang des Verfahrens mitbestimmt? Um der Übersichtlichkeit willen sind viele Wiederholungen gestrichen und bisweilen auch längere Gesprächsphasen in kurzen Zwischentexten zusammengefaßt worden. Solche nicht aus dem Protokoll entnommenen, sondern nachträglich abgefaßten Textteile sind in einer anderen Schrift gesetzt worden. Es finden sich dort auch Querverweise und kommentierende Einschübe, die helfen sollen, den Verhandlungsablauf verständlich und durchschaubar zu machen. Diesem Ziel dienen auch kleine Abweichungen vom chronologischen Ablauf an wenigen Stellen, auf die jeweils gesondert hingewiesen wird. Sachbezogene Überschriften sollen die Materie etwas aufschlüsseln. Um nicht eine mit Auslassungspunkten übersäte Textfassung vorlegen zu müssen, wurde meist auf die Kennzeichnung von Lücken verzichtet. Der Leser sei ausdrücklich darauf hingewiesen, daß schon die Reduktion des gesamten Textes auf etwa ein Viertel seines Umfangs nicht ohne Entscheidungen abging. Deshalb wird die folgen19
de Darstellung sowohl hinsichtlich der Auswahl als auch hinsichtlich der Erläuterungen ausschließlich vom Bearbeiter bzw. Verfasser verantwortet. Wer prüfen will, ob dieser sachgemäß gearbeitet hat, sei gebeten, sich durch das ungekürzte amtliche Protokoll hindurchzuarbeiten. .
Die Verkündigung Jesu und das Prinzip Liebe (1. Verhandlungstag)
Die mündlichen Verhandlungen des Lehrverfahrens finden in einem Gemeindesaal in Hannover-Ricklingen statt. Das Spruchkollegium, der Betroffene und sein Beistand sitzen in zwangloser Reihenfolge um ein Tischviereck herum. Die Verhandlungen werden vom Vorsitzenden mit Schriftlesung und Gebet eröffnet. Er berichtet zu Beginn des ersten Verhandlungstages über den bisherigen Verlauf des Verfahrens und erläutert die rechtlichen Grundlagen.
Vorsitzender: Ich möchte hier ausdrücklich versichern, daß es die entschiedene Absicht des Spruchkollegiums ist, in aller gebotenen Sorgfalt hier vorzugehen und auch die Rechte des Betroffenen sorgfältig im Auge zu behalten. Wir gehen ohne ein vorgefaßtes Urteil in das Verfahren. Wir müssen freilich davon ausgehen, daß die beantragende Kirche der Auffassung ist, daß in entscheidenden Punkten gegen Lehre und Bekenntnis der Kirche verstoßen sei. Dabei ist es nicht unsere Absicht, über vielerlei Einzelfragen den theologischen Disput zu führen. Hier ist für jedermann, der an der theologischen Auseinandersetzung teilnimmt, ein großer Toleranzraum unterschiedlicher Meinungen offen. Es muß unser Ziel sein, festzustellen, ob der Konsens im Fundamentalen erreichbar oder nicht erreichbar ist, und Konsens im Fundamentalen bedeutet eindeutig nach dem reformatorischen Bekenntnis Übereinstimmung im rechten Verständnis des Evangeliums und in der rechten Lehre und im rechten Gebrauch der Sakramente. Ein positives Ziel auch - wie es das Lehrbeanstandungsgesetz vorsieht - bei einem solchen Verfahren ist uns aufgegeben. Wir werden uns darum bemühen.
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Dr. Barrelet stellt den ausführlich begründeten Antrag, daß zu den Verhandlungen uneingeschränkt die Öffentlichkeit zugelassen wird, hilfsweise, daß ohne jede Einschränkung Vertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen und theologische Studenten zugelassen werden. Das Spruch kollegium sieht sich an § 17 Abs. 3 des Lehrbeanstandungsgesetzes gebunden: »Zutritt zur Verhandlung haben neben Mitgliedern Deutscher Evangelischer Fakultäten Personen, die beruflich oder ehrenamtlich im Dienst einer evangelischen Kirche stehen.« Es sei Sache des Gesetzgebers, d. h. der Generalsynode der VELKD, diese Bestimmung aufgrund der Erfahrungen dieses Verfahrens und nach seinem Abschlu ß ggf. zu ändern. Das Kollegium ist aber zur weitest möglichen Auslegung bereit und läßt Studierende der Evangelischen Theologie zu, da diese als »Mitglieder« im Sinne von § 17 Abs. 3 betrachtet werden könnten. Es haben an den mündlichen Verhandlungen bis zu 100 Zuhörer, darunter viele Studenten, und 15-20 Vertreter der Medien teilgenommen, die alle in irgendeiner Form im Dienst der Kirche standen und dies nachwiesen. In einer einleitenden Erklärung betont Dr. Schulz, er habe sich stets als Pastor gefühlt und den Versuch gemacht, eine Gemeindearbeit eigener Art zu treiben mit der Absicht, Menschen, die Schwierigkeiten mit der Kirche haben, neu an die Kirche heranzuführen. Weil es zu den Voraussetzungen eines Lehrverfahrens gehört, daß der Betroffene »beharrlich« an den ihm zum Vorwurf gemachten Lehren festhält (50 § 1 Lehrbeanstandungsgesetz), geht Dr. Schulz auf diese Frage ein:
Dr. Schulz: Niemand vermag zu sagen, was absolut wahr ist. Wer kann deshalb von sich behaupten, er sage Unabdingbares, Unwiderrufliches? Gerade die Kirche hat mit ihren Dogmen und Bekenntnissen bewiesen, daß der Anspruch des Unfehlbaren letztlich etwas Menschenunmögliches ist. Unser aller Grenze bleibt vor allem die Grenze unseres Erkennens. Jeder von uns sagt nur Vorläufiges, ich eingeschlossen, aber auch alle anderen, die je behauptet haben, sie wüßten das Endgültige. Ich gehe davon aus, daß ich überhaupt nicht einen einzigen Satz formuliert habe, auf dem ich beharre. Meine gesamte Theologie richtet sich darauf, das Denken auch über Gott in Fluß zu halten. Laut Verfahrensordnung hätte ich in der vorigen Instanz seitens der mich Beklagenden
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das Recht gehabt, zu hören, was ich eigentlich zu glauben habe. Die Erklärung, die gegeben worden ist, ist nachträglich gegeben worden. Wenn Sie die Protokolle durchsehen, weiß ich bis heute nicht, was eigentlich die Position ist, auf die hin ich mich denn verändern soll. Ich hoffe sehr, ich kriege es hier zu erfahren. Deshalb ist es bisher nicht so gewesen, daß ich mich nicht verändert habe, weil ich mich nicht verändern wollte, sondern daß überhaupt nicht in den Blick gekommen ist, woraufhin ich mich denn verändern sollte. Die Nicht-Aussage der anderen Seite, worauf ich mich hin verändern sollte, hat mir die Möglichkeit gar nicht gegeben, mich verändern zu können. Und so befürchte ich, daß man in Hamburg mich als einen Beharrenden bezeichnet hat, weil man selber nicht gewußt hat, worauf man mich denn hätte verändern wollen. Diese Position von Dr. Schulz verdichtet sich später zu dem Antrag, das Lehrverfahren so lange auszusetzen, bis die Kirche eine Reihe theologischer Fragen von Dr. Schulz beantwortet habe (vgl. S. 54ff.). Die von ihm erwähnte »Erklärung« (gemeint ist offenbar die oben S. 15ff. zitierte Antragsschrift) ist tatsächlich nach Abschluß der Lehrgespräche formuliert und ihm bekanntgemacht worden. Aber nicht erst sie enthält Aussagen darüber, an welchen konkreten Punkten er als im Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis stehend betrachtet und welche Maßstäbe an seine über Jahre kontinuierlich festgehaltenen Lehren angelegt wurden. Ein Beispiel sei herausgegriffen: Bei den Hamburger Lehrgesprächen von 1975, die damals in Niederschriften festgehalten und auch von Dr. Schulz im Sinne der Kenntnisnahme unterzeichnet worden sind, wurde ihm von Prof. Wilckens entgegengehalten, daß das Heil nicht (wie im Gottesbegriff von Dr. Schulz) Möglichkeit menschlicher Anstrengung sei, sondern Zusage Gottes. Die Wirklichkeit des Heils sei etwas, was dem Tun, dem Handeln des Menschen entzogen sei. In der Osterbotschaft etwa sei Gottes Heil für den Menschen unüberbietbar klargelegt. Darauf hat Dr. Schulz entgegnet, dies sei eine Illusion, für die in seiner Welt kein Platz sei. Im weiteren Verlauf seiner grundsätzlichen Einleitung geht Dr. Schulz nun auf den von ihm empfundenen Bruch zwischen wissenschaftlicher Theologie einerseits und Gemeindefrömmigkeit oder Kinderglauben andererseits ein:
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Dr. Schulz: Von Auferstehung über Weihnachten bis Bibel, bis Himmelfahrt, bis Wunder Jesu oder Geltungsanspruch Jesu stimmt von der wissenschaftlichen Theologie her nichts, kaum etwas, mit dem überein, was ich als Kind erfahren habe. Ich werde es im Laufe dieses Verfahrens beweisen oder versuchen zu erweisen, und ich sage, daß ich als Pastor nicht in der Lage bin, mit einem doppelten Boden, mit einem doppelten Bewußtsein hier der Gemeinde etwas vorzumachen. Das einzige, was ich anders sehe als andere Theologen, ist dieses, daß ich in diesem Konflikt nicht bereit bin - auch jetzt nicht bereit bin - eine existentielle Lüge zu vollziehen, sondern immer versucht habe, seit 1970, die pastorale Existenz so in meine Gemeinde hineinzubringen, daß sie die theologischen Konflikte hat mit vollziehen können. Aber ich kann, wenn ich als Theologe weiß, daß Jesus nicht so auferstanden ist, wie sich das die Gemeinde vorstellt, ihr nicht zu Ostern so predigen, als sei das Grab leer gewesen. Ich glaube, daß wir in den Gemeinden derzeit vorne immer noch ein Blendtheater spielen, wo hinten längst die Kulissen theologisch abgebaut sind. Das Spruchkollegium hat vor der Verhandlung durch vier seiner Mitglieder schriftliche Anfragen zu folgenden Themenkreisen an Dr. Schulz gerichtet: 1. Zum Verständnis der Verkündigung Jesu und zum Prinzip liebe (Prof. Friedrich), 2. Zur Gottesfrage und zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft(Dr. Wendebourg), 3. Zum Verständnis der Kirche und der christlichen Hoffnung (Pastor Kretschmar), 4. Zum Verhältnis von Schrift und Bekenntnis und zum Problem der »offenen Theologie« (Prof. Stegemann). Prof. Friedrich nimmt als erster das Gespräch auf. Er bezieht sich auf seine schriftlichen Anfragen, die zahlreiche wissenschaftlichexegetische Einsprüche gegen die von Dr. Schulz vertretene Sicht des Neuen Testaments und insbesondere der Gestalt Jesu enthalten. Gleichwohl geht es Prof. Friedrich nicht in erster Linie um diese exegetische Diskussion, sondern darum, ob eine Übereinstimmung im Fundamentalen besteht. Dr. Schulz habe sich bei seinem Ordinationsgelübde verpflichtet, »das Evangelium von Jesus Christus zu verkündigen, wie es in der Heiligen Schrift Alten
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und Neuen Testaments gegeben ist«. Er habe in seinem Buch (Formel) stark das Gesetz verkündigt, Ansprüche erhoben, Engagiertsein gefordert. Was aber verstehe er unter Evangelium nach dem Neuen Testament? Die Kirche lebe vom Evangelium, und zwar dem Evangelium von Jesus Christus. Dr. Schulz habe viel darüber gesagt, was für ihn Jesus bedeutet. Hier gehe es aber um »Jesus Christus«, womit eine Interpretation von »Jesus« gegeben sei, die fragen lasse, ob Dr. Schulz sie akzeptiere. Dr. Schulz betrachtet die Frage, was Evangelium im Neuen Testament sei, als nicht geklärtes Problem der neutestamentlichen Forschung. Es gehe hier um eine rein fachbedingte Position des Neuen Testaments. Zu dem Verhältnis vom historischen Jesus und kerygmatischen Christus verweist er darauf, daß der Titel »Christus« ein von der bekennenden Gemeinde gefundener Titel sei, der ein Transportmittel der Verkündigung sein könne. Dieser Begriff stelle wie viele andere Bilder eine Aussage innerhalb des Denkprozesses der Kirche dar, die nicht unverzichtbar sei.
Dr. Schulz: Das, was ich in meinem Bekenntnis zu Jesus sage, könnte gegebenenfalls sogar zu diesem Titel konträr laufen. Ich weise daraufhin, daß Jesus diesen Titel vielleicht-das sagen viele Neutestamentler- bewußt nicht gebraucht hat. Wenn Jesus diesen Titel bewußt nicht gebraucht hat, dann könnte es sogar sein - ich spitze es einmal zu, es ist ja ein Denkzwang ,der darin steckt -, daß die Kirche Jesus so interpretiert hat, wie er es bewußt vermieden haben könnte, weil sein Anspruch ein ganz anderer war. Daß damit ein Zwiespalt besteht zwischen historischem J esus und kerygmatischem Christus, ist uns allen klar. Ich selber, das bekenne ich ganz offen, habe mein Schwergewicht nicht in der paulinischen Christologie, sondern in der jesuanischen Botschaft. Die Gemeinde beschreibt mit Ostern, mit der Auferstehung nicht nur, was sie vorgefunden hat, sondern sie beschreibt ihr Selbstverständnis auf etwas hin. Sie beschreibt ein Existential. Sie beschreibt vielleicht überhaupt nichts Historisches, sondern nur ihr Glaubenwollen. Aufgrund ihrer existentiellen Betroffenheit durch den Tod Jesu formuliert die Gemeinde ihr Selbstverständnis. Es ist eine Grundaussage Bultmannscher Theologie, daß die ganze Auferstehung und alles, was anschließend in der Beurteilung J esu kommt, bedingt ist durch das Selbstverständnis und das 25
Glaubenwollen, gar Glaubenmüssen der Urgemeinde. Ich sage ganz pointiert: Es ist nicht getragen durch Jesus selber und nicht getragen durch irgendein Offenbarungsgeschehen vom Jenseits her. Überspitzt gesagt: Es ist getragen durch die psychologische, soziale Situation der Urgemeinde nach dem Tod Jesu. Sie müßten mir das Gegenteil beweisen. Auferstehung und alles, was folgt, ist eher in den anthropologischen Bedingungen der Urgemeinde zu sehen als in Offenbarungsstrukturen einer Jenseitigkeit. Es sei denn, Sie machen auch nur einen einzigen Punkt sichtbar, nur ein Ereignis innerhalb dieser Linie, das Offenbarungscharakter trägt, also auf Einwirken aus dem Jenseits beruht, wie es vorhin in den Bekenntnisformeln oder in den von meiner Kirchenleitung in Hamburg mir vorgestellten Aussagen gesagt ist, daß hier nämlich Offenbarung wirksam sei. Ich sehe es nicht. Ich sehe es aufgrund jahrelanger Forschung nicht. Ich sehe nicht, daß in diesen Ablauf etwas hineinhaut aus dem Jenseitigen, das mich veranlassen müßte, den Zusammenhang zwischen dem historischen Jesus und dem kerygmatischen Christus als transzendental anzusehen. Alles ereignet sich hier als immanenter Ablauf der Interpretation von Menschen, die betroffen sind durch ein Ereignis, auf einen Menschen hin, den sie für das Wichtigste gehalten haben, und die jetzt in der Tat eine unglaubliche Fülle von existentiellen Bildern bringen, um zu sagen: Das bedeutet er für uns. Aber gerade dieses, was ich da beschreibe, ist interner Wert anthropologischen Selbstverständnisses. Die Position R. Bultmanns ist ungleich differenzierter als hier dargestellt: »Jesu Entscheidungsruf impliziert eine Christologie ... als Explikation der Antwort auf die Entscheidungsfrage, des Gehorsams, der in ihm Gottes Offenbarung (!) anerkennt.« (Theol. d. NT, 5. Aufl. 1965, S. 46). Was heißt hier »Offenbarung«? Dies: »Der christliche Glaube redet von einer Offenbarung und meint damit Gottes Handeln als ein Geschehen, das dem objektivierenden Denken der Vernunft nicht sichtbar ist, ein Geschehen, das als Offenbarung nicht Lehren mitteilt, sondern die Existenz des Menschen trifft und ihn lehrt, oder besser: ermächtigt, sich zu verstehen als getragen von der transzendenten Macht Gottes.« (In: Der Christ in der neuen Wirklichkeit, 1964, S. 16.) Im Gespräch erläutern Prof. Friedrich, Prof. Stegemann und Dr.
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Wendebourg, daß es ihnen um die Heilsbedeutung Jesu gehe, die in den Hoheitstiteln, z. B. dem Christustitel, zum Ausdruck komme. Diese gehe nicht darin auf, daß man Jesus als Menschen darstellt und in andere Zeitverhältnisse hineininterpretiert. Es gehe vielmehr um die Frage, ob das, was Jesus dargestellt hat, Evangelium im Sinne von Heilszusage war. Die Bilder und Begriffe, mit denen dies ausgedrückt worden ist, seien nicht einfach nach Belieben neuschöpferisch zu ersetzen. Vielmehr beziehe die Kirche ihre Verkündigung nach dem Grundsatz »sola scriptura« immer wieder auf den Kanon der heiligen Schrift zurück.
Dr. Schulz: Heute stellen wir fest, Schrift ist Tradition, scriptura est traditio. Das ist das Problem. Mit dem Verweis auf den neutestamentlichen Kanon, was immer das sei, kommen wir nicht zurecht, sondern sehen Paulus, Johannes, die Evangelisten usw. mitten in der Tradition des Neuen Testamentes stehen und müssen uns praktisch die Mühe machen, neu nach dem Punkt zu suchen, der innerhalb der Schrift als Tradition das Bindende wäre. Im Rückgang von Bultmann und Barth über Luther und Augustin kann ich keine Grenzen finden durch die Kanonbildung. Paulus, Johannes, Matthäus - das alles ist eine endlose Kette von Tradition. Nichts hindert uns zu sagen, Paulus ist genauso Tradition, wie es Origenes war. Diese Tradition fragt neu nach einer Grundlage, und da habe ich gesagt, mein »sola scriptura« ist »solus Jesus«. Die Voraussetzung aller Tradition ist solus Jesus, die Botschaft Jesu und seine Existenz. Alles andere ist Interpretation von Menschen. Damit bin ich am Boden, an dem innersten Punkt der scriptura, wenn ich von Jesus spreche. Da liegt alles begründet, was ich als Christ mache. Im Widerspruch zu diesem Verständnis des Kanons der heiligen Schrift kann Dr. Schulz sie an anderer Stelle als »norma normans« bezeichnen, um so die Bekenntnisse als »norma normata« relativieren zu können (vgl. S. 118). Die Bekenntnisse selbst unterscheiden jedenfalls grundsätzlich zwischen dem biblischen Kanon und anderen Schriften: »Andere Schriften aber der alten und neuen Lehrer, wie sie Namen haben, sollen der heiligen Schrift nicht gleich gehalten, sondern alle zumal derselben unterworfen werden.« (Konkordienformel, Vom summ. Begr.). Dr. 27
Wendebourg, Prof. Friedrich und Prof. Stegemann betonen ihrerseits diesen Unterschied, den auch Luther festgehalten habe, obwohl keineswegs zu bestreiten sei, daß im biblischen Kanon selbst Tradition enthalten sei. Weil Dr. Schulz meint, von seinem Schriftverständnis her auf Jesus selbst zurückgehen zu müssen, kommt erneut die Frage auf, ob es nur um den Menschen Jesus gehe oder ob in und mit ihm Heilsaspekte zum Tragen kommen, die die spätere Gemeinde dann auf ihre Weise zum Ausdruck gebracht habe.
Dr. Schulz: Vielleicht ist das wesentlichste Merkmal der Botschaft und des Handeins Jesu als Darlegung seines Evangeliums das, was er als Mahlgemeinschaft getan hat (Mk 2,13-17). Jesus hat Kommunikation zeichenhandlungsmäßig sichtbar gemacht, indem er Menschen in die Gemeinschaft aufgenommen hat. Hier sehe ich das zunächst einmal Zentrale, was Sie, so glaube ich, mit Evangelium meinen. Jesus hat einen ganz praktischen Vollzug von Gemeinschaft angeboten, die in seiner Nähe die Möglichkeit gegeben hat, Leben neu aufzunehmen und anders zu gestalten. Das würde ich bis hin zum letzten Mahl, also zum Abendmahl sagen. In dieser Gemeinschaft Jesu vollzieht sich, übrigens anders als bei unserem Sakramentsbegriff, die Ermöglichung neuen Lebens. Es ist nicht so, daß ich den Evangeliumsbegriff nicht habe, ich beziehe ihn nur unmittelbar auf die historische Gestalt Jesu. In der Bindung an ihn macht Jesus sichtbar, daß es ein Dennoch zu all den negativen Dingen dieser Welt gibt. Diese Wiederherstellung von menschlicher Gemeinschaft ist das Zentrale, was ich an J esus Evangelium nennen würde. Es ist aber nicht nur der Infinitiv, es ist zugleich der Imperativ. Es ist zugleich der Appell, wenn Gemeinschaft dieses Lebenherstellende ist, daß diese konstituierende Gemeinschaft, die das Evangelium darstellt, nur umsetzbar ist, wenn jeder Bereitschaft hat, diese Gemeinschaft zu praktizieren. Darin liegt der Appell. Im Verlauf des Verfahrens ist hier ein erster Punkt erreicht, der für die spätere Entscheidung des Spruchkollegiums bedeutsam ist. Deshalb versuchen die Mitglieder des Kollegiums, die Position von Dr. Schulz weiter zu klären. Auf Rückfrage von Prof. Stegemann erklärt der Betroffene, daß mit der Gestalt Jesu nicht nur ein
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Appell, sondern auch Ermöglichung im Sinne einer Vorgabe verbunden sei und verweist auf Jesu Verkündigung der basileia tou theou (Reich Gottes). Er bejaht auch die Ansicht von Prof. Friedrich, daß das Reich Gottes bei Jesus nicht nur innerweltlich zu verstehen sei, sondern daß in ihm etwas in die Welt einbreche, was nicht von der Welt sei (Verweis auf Lk 11,20). Dr. Schulz betrachtet dies jedoch zunächst nur als eine exegetische, historische Feststellung:
Dr. Schulz: Ich werde keinen Augenblick lang bestreiten, daß Jesus die Dimension des Transzendenten in seiner Botschaft impliziert. Ich muß mir überlegen, was das für mich bedeutet. Das sind zwei Situationen. Aber zunächst einmal meint Jesus mit Reich Gottes in der Tat eine an seinen Wertvorstellungen ausgerichtete Dimension auf das Göttliche hin. Was das für mich heute heißt, entscheidet sich an der Gottesfrage. Daß zur Botschaft Jesu sein Verständnis auf Gott hin gehört, ist in historisch-exegetischer Redlichkeit festzuhalten, egal wie man dazu steht. Ich habe aber deutlich gemacht, was ich als Evangelium Jesu beschreibe, selbst wenn ich hin und wieder noch wieder anders akzentuiere und Ihnen auch zugestanden habe, daß Jesus hier eine transzendente, auf Gott bezogene Aussage macht. Dr. Schulz erklärt auf Anfrage des Vorsitzenden, daß sich der Ansatz Jesu leicht in die Rechtfertigungslehre hinein fortentwikkein lasse. Paulus baue aber einen ungeheuren Sündenbegriff auf, um dann die Vergebung der Sünden unverhältnismäßig groß, sakramental, zusprechen zu können, was bei Jesus unmittelbar von Mensch zu Mensch sich vollziehen könne. Über den Ansatz Jesu sei heute leichter mit den Menschen zu sprechen als über den gesamten Apparat einer Welt- und Seinsinterpretation im Sinne des Paulus. Der Vorsitzende bestätigt, daß bei Dr. Schulz immerhin ein Indikativ Voraussetzung des Imperativs sei. Es genüge nicht, die Menschen auf die in ihnen liegenden Möglichkeiten zu verweisen. Dr. Ostermeyer und Prof. Friedrich bekunden jedoch, daß ihnen zweifelhaft geblieben sei, ob für Dr. Schulz das Reich Gottes ein entscheidender Inhalt der Verkündigung Jesu gewesen ist, der nicht nur etwas Innerweltliches, sondern den Einbruch Gottes in diese Welt bedeutet, und ob die Mahlgemein-
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schatten Jesu darin ihre Besonderheit gehabt hätten, daß hier im Namen Gottes Sünden vergeben worden seien.
Dr. Schulz: Mich fasziniert, daß ich bei Jesus keinen Menschen ausschließen muß, egal aus welcher Motivation ein Konflikt besteht. Was Jesus in seiner Vergebung, wie die Gemeinde später sagt, mit seiner Mahlgemeinschaft anbietet, kann offensichtlich so groß wie möglich gedacht werden und mir gibt sie persönlich die Freiheit zu denken, denn es schließt sogar religiös Andersdenkende ein, Samariter, Pharisäer und andere, so daß ich persönlich an gar keiner Stelle in der Nachfolge Jesu an die Grenze komme, an der ein Problem auftaucht, das den Menschen ausschließt. Dr. Gehrmann: Wenn ein Gemeindeglied sich an Sie wendet und bittet, ihm zu sagen, wer dieser Jesus sei, was antworten Sie dann? Dr. Schulz: Wir sind hier beide in der gleichen Situation. Darf ich einmal fragen, was Sie antworten würden? Dr. Gehrmann: Dies ist kein Lehrverfahren gegen mich. Dr. Schulz: Sind Sie nicht Christ? Dr. Gehrmann: Ja, aber kein Pastor. Ich habe die Frage an Sie als Pastor gerichtet und möchte wissen, was Sie als Pastor antworten. Dr. Schulz: Ich würde zum Beispiel sagen: Paulus sagt Ihnen, Jesus sei Gottes Sohn. Johannes sagt Ihnen, er ist der Weg des Lebens. Andere sagen Ihnen dies und das. Das ist eine ungeheure Fülle von Möglichkeiten. Versuchen Sie es einmal! Es handelt sich nicht um eine rein theologische Frage, sondern um eine Überzeugungsfrage , und da habe ich zwar als Pastor eine Meinung, aber Sie sind auch Christ. Vielleicht einigen wir uns einmal, wie wir beiden Christen unsere Frage verstehen. Mein eigenes Bekenntnis zu einer Sache schließt ja nicht aus, daß ich jemandem mit anderen Sprach- und Denkmöglichkeiten ein Verständnis von J esus nahebringe, das gegebenenfalls in meinem eigenen Sprachmodell der30
zeit so gar nicht vorgegeben ist. So handeln wir als Pastoren eigentlich alle, daß wir von J esus mehr Dinge sagen müssen, als wir derzeit in Formeln reden. Soll ich verschiedenartig sein, weil jemand einfach die Sprache nicht versteht, die Denkvoraussetzung nicht hat, oder weil jemand ganz anders in seinem Interesse gelagert ist? Der Pastor heute hat die Chance, in verschiedenen Sprachbildern das Phänomen Jesus immer erneut zu erklären. Ich sage ausdrücklich, daß ich mein Sprachbild nicht absolut setze. Damit ist nicht die einzige, sondern nur eine einzige Sprachmöglichkeit beschrieben. Prof. Friedrich fragt, ob das, was sich an Positivem mit der Gestalt Jesu bei Dr. Schulz verbinde, nicht auch ohne Jesus, etwa bei gruppendynamischen Übungen oder im Umgang mit einem anderen, erfahrenen, vertrauenerweckenden Mann gewonnen werden könne. Ähnlich äußert sich wiederholt Dr. Ostermeyer.
Dr. Schulz: Ich glaube, das können Sie nur so sagen, weil Sie die Diskussion in der Theologie der letzten fünfzig Jahre oder der letzten zwanzig Jahre vielleicht nicht genügend verfolgt haben. Seit Käsemann 1954 wissen wir spätestens, daß die Anbindung der Kerygma-Theologie an ein historisches Ereignis unbedingt nötig ist. Dr. Ostermeyer: Sie wollen auf die Frage, was Sie heute und jetzt als das Besondere an Jesus ansehen, antworten, es genüge aus Ihrer Sicht zu sagen, wenn ich von Jesus Christus spreche, dann ist das historisch vorgegeben? Dr. Schulz: Das ist die eine Seite. Ich kann ja gar nicht anders denken, als daß ich das historisch Vorgegebene einmal akzeptiere. Ich will ausdrücklich dazu sagen - weil mir das manchmal unterstellt worden ist -, daß ich keinen historischen J esus bauen werde, der mir paßt. Der transzendente Aspekt in der Person und Botschaft Jesu wird von mir akzeptiert. Ich wäre sogar bereit, meinetwegen apokalyptische Vorstellungen - obwohl das exegetisch sehr schwierig ist - zuzugestehen, wenn sie in der Botschaft Jesu vorkommen. Ich würde also auf gar keinen Fall etwas reduzieren, um eine Größe herauszubekommen, die mir dann praktisch genügt. 31
Wenn Sie mich fragen, wo die Bedeutung darinliegt, dann ist das meine ganz persönliche rationale Entscheidung für diesen Jesus. Seine Botschaft, so wie er sie verkündigt hat in seiner Person, deckt sich mit meinen Vorstellungen von Welt. Da liegt für mich das Zentrum der Botschaft J esu und das Zentrum meiner Anbindung an Jesus. Das ist das, was ich mit Prinzip Liebe beschrieben habe. Prinzip Liebe wird in unserem Gespräch das Synonym sein für Mahlgemeinschaft in Beziehung auf basileia tou theou. Ich habe manchmal den Eindruck, würden die Menschen rationaler wissen, was sie auf Jesus hin wollen, dann wären sie gegebenenfalls viel effektiver Christen. Ich darf befürchten, daß viele Menschen mit allen möglichen Glaubensvorstellungen sich in der konkreten Nachfolge Jesu gegebenenfalls voll im Wege stehen. Sie glauben viel zu viel, sie handeln im Sinne der Botschaft Jesu viel zu wenig. Das werden Konsequenzen sein, die ich aus dem Prinzip Liebe entwickle, von dem ich meine, Jesus hat nirgends gefordert, du bist dann am besten Christ, wenn du möglichst viele komische , Dinge glaubst, sondern dann, wenn du möglichst konkret das tust, was ich in meiner Nachfolge von dir verlange. Dr. Ostermeyer: Es geht also um Leistung! Sie fassen den Glauben als Leistung auf und Sie fassen auch das Prinzip Liebe als Leistung auf! Dr. Schulz: verweist darauf, daß das Gleichnis vom barmherzigen Samariter mit der Aufforderung schließe, etwas zu tun. Dr. Ostermeyer: fragt, wie es mit Menschen sei, die das nicht leisten könnten. Dr. Schulz: Innerhalb der Botschaft Jesu ist der Appell an den einzelnen unmißverständlich: Das tust du gefälligst oder du läßt es, und darin entscheidet sich dein Christsein! Jesus hat (Mt 25,3lf.) gesagt: Da waren Leute, die haben den Geringsten etwas Positives getan, und die sind drin im Reich Gottes. Und du, mein lieber Freund, hast nichts getan und bist draußen. Du hast zwar tolle Dinge geglaubt, aber dies entscheidet sich hier nicht. Dies habe ich versucht, meiner Gemeinde deutlich zu machen, daß Christsein sich in der Tat in der Ethik entscheidet oder daß wenig32
stens dieser Satz, das Ethische sei ein wichtiger Punkt für das Christsein, nicht zu umgehen ist.
Dr. Ostermeyer: Es ist zweierlei, etwas als entscheidend oder als wichtigen Punkt anzusehen. Dr. Schulz: Für mich ist dies aber ein ungeheuer wichtiger Punkt. Daran hänge ich. Die Mitglieder des Spruchkollegiums kommen in dieser Gesprächsphase immer wieder auf drei kritische Einwände gegen die Position von Dr. Schulz zurück: Dr. Schulz muß sich erstens fragen lassen, ob Jesus Christus bei ihm eine auswechselbare Gestalt ist, die das Prinzip Liebe initiiert hat und von der es nunmehr ablösbar ist. Die Frage nach der Unaustauschbarkeit Jesu bezieht sich aber nicht einfach nur auf einen historischen Tatbestand, so wie jede menschliche Person unaustauschbar ist, sondern bezieht sich auf seine Heilsbedeutung. In ihm hat sich Gott in einzigartiger Weise offenbart. Auszugehen ist deshalb von einer Vorgabe, die von Gott gegeben, von einem Indikativ, der von ihm gesetzt ist und allem Handeln des Christen in der Welt vorausgeht. Diese drei Einwände werden von verschiedenen Seiten in unterschiedlichen Formulierungen vorgebracht und von Dr. Schulz folgendermaßen beantwortet:
Dr. Schulz: Ich ganz persönlich brauche keine transzendenten Ebenen, um die existentielle und existentiale Bedeutung der Botschaft J esu unmittelbar für mein Leben sichtbar zu machen. Wenn meine Entscheidung auf Jesus hin eine Lebensentscheidung ist und wenn ich sage, Jesus war ein Mensch, dann sehe ich derzeit nicht ein, was sich eigentlich qualitativ verändert, wenn ich sage, er war Gottes Sohn. Ich habe begriffen, daß meine Entscheidung .auf Jesus hin in den Kategorien der Immanenz zu beschreiben ist, indem er in einer Solidaritätsgemeinschaft mit mir ist und ich mit ihm. Ich bin in seiner Nachfolge als Mensch von Mensch zu Mensch. Was kommt eigentlich als Erklärungswert hinzu, wenn ich zugleich sage, er ist Gottes Sohn? Dies würde ich gerne von Ihnen hören. Meine größte Entscheidungsfähigkeit und Entscheidungsbindung auf jemand hin sind weltbedingte Beziehungen. Ich 33
kann diese Qualität, diese Entscheidung mit dem Begriff Gott beschreiben und kann diese meine letzte Entscheidung als eine Entscheidung auf Gott hin beschreiben. Das verändert meine Entscheidung wenig. Das Wesentliche an Jesus ist für mich seine Botschaft. Die Botschaft qualifiziert den Mann und nicht umgekehrt. Die Botschaft des Prinzips Liebe gilt nicht, weil J esus J esus ist, sondern J esus gilt, weil das Prinzip Liebe von ihm initiiert und praktiziert worden ist. Insofern ist Kontinuum dessen, was Gültigkeit hat, das Prinzip Liebe als Botschaft. Jesus ist nur der Initiator, nicht nur, sondern wesentlich Initiator. Insofern läßt sich das Prinzip Liebe an jeder anderen Stelle unserer Welt einsetzen. Ich könnte die Absolutheit Jesu von seiner Person her nicht in dem Sinne beschreiben, wie es ein Gottesverständnis voraussetzt, in dem Gott nur in Jesus in dieser Welt gehandelt hat. Ich werde zeigen, daß man von Gott nicht in Person sprechen kann, eine grundsätzliche Aussage von mir, sondern in personalen Bezügen, nicht personhaft, sondern personal. Obwohl mir immer wieder nachgesagt wird, ich hätte die Personalität Gottes geleugnet, habe ich dies noch nie getan, sondern die Personhaftigkeit. Ich habe das in allen Protokollen berichtigen lassen. Nicht von Gott in Person reden zu können heißt noch lange nicht, nicht von Gott personal reden zu können. Jesus ist insofern nur die Personifizierung, die Personwerdung eines Prinzips. Meine Bindung an Jesus liegt also in seiner Botschaft. Die Solidaritätsfähigkeit liegt in der Verbindung von Person zu Person. Aber auch ich sehe eine Vorgabe, also einen Indikativ als Notwendigkeit auch in der Botschaft Jesu. Ich kann nur handeln, wenn etwas vorgegeben ist. Die Frage wird sein, ob diese Vorgabe ein himmlisches Geschenk ist, wie Sie alle offenbar meinen, oder ob es eine menschliche Bereitschaft ist. Ich will sagen, die Vorgabe, auf die jeder Mensch hin nur in Liebe handeln kann, könnte nicht ein himmlischer Vater sein, der liebend gehandelt hat, sondern daß ich auf das Du hin in Liebe handele. Auch Jesus spricht von Vorgabe. Die Vorgabe wäre dann nur nicht etwas Transzendentes, sondern eine Kommunikationsbereitschaft von Mensch zu Mensch. Das hängt mit meinem Gottesbild zusammen. Gott ereignet sich da, wo Menschen so Vorgabe sind füreinander. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt. Gott ist das, was zwischen Menschen sich
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als Liebe ereignet. Diese Notwendigkeit, du kannst lieben und bist damit Vorgabe für den anderen, ist das, was ich von der Botschaft J esu hier sagen könnte. Das heißt also, auch ich werde von Vorgabe sprechen. Nur werde ich die Vorgabe nicht irgendwo jenseits von meinem Menschsein suchen, sondern in meinem Menschsein verankern. Ich wüßte keine einzige Stelle - das sage ich an die Neutestamentler-, die auf Jesus zurückführbarwäre, wo Jesus da, wo er sagt, du bist dafür verantwortlich, daß Liebe praktiziert wird, auf Gott verweist. Ich weiß keine. Vielleicht sagen Sie mir mal eine. Ich möchte das so hart sagen. Jesus sagt, wo du Liebe machen kannst, wo du als Vorgabe Liebe geben kannst, red' dich nicht mit Gott heraus. Vielleicht sind wir einmal ganz konkret miteinander und Sie nennen mir ein paar Stellen, wo Jesus sagt, du brauchst gar nicht die Vorgabe für den anderen zu sein, sondern Gott ist es. Mir fällt schlicht keine ein. Mir fällt bei Paulus viel ein. Aber etwas, was auf den historischen Jesus zurückgeht, wo er sagt, Gott ist die Vorgabe für dein Lieben, gibt es nicht, weder ein Gleichnis, noch ein Logion. Ich sage es ganz anders. Überall da, wo der Mensch Liebe braucht, ist der Nächste die Vorgabe. Deshalb, mein Freund, sei du der Nächste. Ich wüßte gar nicht einmal, ob Jesus sehr viel Nachsicht hatte mit denen, die das nicht können. Sie tun immer so - ich wurde vorhin auch so angesprochen -, als hätte Jesus immer gesagt: Und der allerletzte, der das nicht kann? Na, was wird mit dem? Dann würde ich sagen, Jesus hat gesagt: Der allerletzte, der es nicht kann, den schmeißen wir raus, hat Jesus gesagt. Matthäus hat gesagt - nicht ich sage das jetzt -, da wird Heulen und Zähneklappen sein. Das vergessen Sie bloß immer. Er sagte: Mein Freund, wenn du es nicht kannst, dann bist du buten, zwei, drei. Nicht ich habe gesagt, den lassen wir hängen, sondern Jesus hat gesagt: Und du hast, mein lieber Freund, einen Zentner bekommen und sollst etwas dafür tun und hast es nicht getan, ja schmeißt den Heini raus, was will der hier überhaupt. Jesus hat ständig gedroht damit, daß, wenn wir es nicht können, uns nicht die Gnade Gottes widerfährt, sondern Hölle und Finsternis. Das halte ich für einen ethischen Appell, an dem sich offenbar Leben entscheidet. Jesus hat Leute genug rausgesetzt in seiner Botschaft. Ich weiß gar nicht, ob ich das nachvollziehen möchte, aber ich sage es einfach als histori35
sehe Ehrlichkeit. Ich habe das so gelernt und wüßte nicht, wo die Kirche auch nur ansatzweise einen einzigen Punkt dieses Bildes zurückgenommen hat. Das muß ich verkündigen. Die angesprochenen Neutestamentler im Spruchkollegium, also der Vorsitzende, Prof. Friedrich und Prof. Stegemann, nennen daraufhin zahlreiche neutestamentliche Texte, in denen sie die Vorgabe der Barmherzigkeit Gottes zum Ausdruck gebracht sehen (zum Beispiel das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe; die wiederkehrende Zusage: dir sind deine Sünden vergeben; die Gleichnisse Jesu; die Seligpreisungen als Indikativ und Auftakt der Bergpredigt usw.). Dr. Schulz interpretiert diese Texte anders oder sieht sie als nicht vom historischen Jesus stammend an. Nirgendwo habe Jesus Gott bzw. Gottes Barmherzigkeit als Vorausgabe für die menschliche Barmherzigkeit definiert. Dies sei nicht exegetisch nachgewiesen worden. Dr. Schulz bezieht sich ausdrücklich auf Jesus. Anders sei es bei den nächsten Traditionsstufen, der synoptischen Tradition etwa oder der paulinischen Theologie. Ihm widersprechen der Vorsitzende und Prof. Friedrich erneut unter Hinweis auf Lk 11,20 und andere TextsteIlen. P. Kretschmar betont, Jesus rede in den Gleichnissen über Gott und nicht über gute. Menschen, nach deren Vorbild man handeln solle. Dr. Ostermeyer fragt, ob das Wort »Gnade« für Dr. Schulz eine Leerformel sei.
Dr. Wendebourg: Zunächst habe ich eine hermeneutische Frage in bezug auf Sie. Sie haben heute vormittag gesagt, Jesus hätte etwas von der Transzendenz, von Gott gewußt und haben davon abgesetzt, wie Sie heute Gott verstehen. Jetzt verstehe ich nicht, warum Sie den lieben Gott aus dem Neuen Testament oder aus Jesus herauskatapultieren. Diesen großen Schlag habe ich noch nicht kapiert. Zweitens wundere ich mich, daß überhaupt nicht Bezug auf das Alte Testament genommen wurde. Jesus war Jude. Jesus war ein Mensch, der dem Gott Israels verbunden war. Das Grundproblem Israels war der Bund dieses Gottes mit seinem Volk. In der prophetischen Verkündigung zeichnet sich ab, daß dieser Bund zerbricht. Ich kann das Neue Testament nicht anders verstehen, als daß Jesus hier aufs neue diesem Volk in einer endgültigen Weise den Bund Gottes anbietet. Ich verstehe auch überhaupt
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nicht, wie es gerade auf diesem Hintergrund eine Unmöglichkeit ist, von dem großen Angebot, dem Gnadenangebot zu sprechen. Daher kommt das gesamte Judentum, kommt Jesus. Ich verstehe auch das Kreuz sonst überhaupt nicht, es sei denn, das war ein Unglücksfall der Geschichte. Also mir fehlen einfach die Horizonte, die Sie im Augenblick eingebracht haben, und dazu müssen wir etwas klären. Es könnte sein, daß sich hier ein Generaldissensus anbahnt. Dr. Schulz: Ich kann wenig dafür, Herr Wendebourg, wenn Ihnen gewisse Dinge nicht möglich sind zu denken. Wenn Sie mehrmals gesagt haben, das können Sie sich nicht vorstellen, dann ist das mehr Ihre Sache. Die Problematik liegt doch so, daß Jesus gegebenenfalls in entscheidenden Punkten so zum Judentum im Dissens stand, daß sie ihn ans Kreuz gebracht haben. Trotz Herrn Wendebourgs Einwendungen, die mich eigentlich noch bestärken und eher ein systematisches Wunschkonzert als eine exegetische, genaue Belehrung darstellen, möchte ich sagen, daß wir bei der Formulierung des Forderungscharakters der Botschaft J esu bisher nicht ohne weiteres aus dem Zwang herausgekommen sind, daß die Botschaft J esu eine Aufforderung derjenigen, die ihm nachfolgen, bedeutet, Liebe, Nächstenliebe, Feindesliebe zu praktizieren. Das ist ein zentraler Sa,tz. Ich fühle mich hier bisher nicht in Frage gestellt, warte allerdings darauf, ob man dies halten kann oder nicht. Das halte ich für ein Ergebnis, an dem ich morgen wieder ansetzen müßte.
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Gottes Offenbarung und wissenschaftliche Erkenntnis (2. Verhandlungstag)
Zu Beginn des 2. Verhandlungstages stellt Dr. Barrelet den Antrag, zwei Gutachter zu hören. Dieser Vorgang wird später dargestellt (vgl. S. 66ft.). Zur Gottesfrage und zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft hat Dr. Wendebourg schriftliche Anfragen an Dr. Schulz gerichtet, die er zusammenfassend erläutert. Die erste Frage bezieht sich auf die These: »Gott ereignet sich in den unabdingbaren physikalischen und chemischen Prozessen kosmischen Geschehens. Gott - das Absolute, das Unabdingbare, ereignet sich als Prinzip des Werdens, als Prinzip des Geschehens, als Prinzip des Wirkens. Gott - Urkraft, die unbedingt und ständig neu zur Gestalt drängt« (Formel S. 31). An anderer Stelle wird Gott als summum ens und summum bonum bezeichnet (S. 24f.). Dr. Wendebourg fragt, wie Dr. Schulz es vermeiden wolle, daß auf diese Weise der modernen Naturwissenschaft etwas abgefordert werde, was sie von sich aus gar nicht leisten könne. Sie müsse dadurch zur Metaphysik werden. Ein so verstandener Gott sei für die Bibel ein Götze, da er durch die Vergötterung der Kreatur gewonnen sei. Gott als tätige, gestaltende Kraft, die in allem lebt und wirkt, aufzufassen, entspreche allenfalls dem Gottesverständnis der vorchristlichen griechischen Philosophie, während das Christentum von Anfang an Gott als den Schöpfer verstanden habe, der als Person dem Kosmos gegenübersteht. Dr. Wendebourg erwähnt auch eine Reihe von Naturwissenschaftlern, die anders von ihrer Wissenschaft denken und reden als Dr. Schulz. Dr. Schulz geht davon aus, daß ein beobachtendes Subjekt A ein beobachtetes Objekt B niemals unmittelbar, sondern immer nur als C, nämlich als ein Bild erkenne (vgl. Predigten, S. 99ft.). Darin sei die Relativität aller vom Menschen entworfenen Sprach modelle und Bilder begründet einschließlich theologischer Sätze. Diese
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seien Behauptungssätze, die im Verlauf des Denkens und Beobachtens überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden müßten, wie alle Bilder C immer differenzierter würden, weil B als immer differenzierter erkannt werde.Dr. Schulz beruft sich auf K. Popper und dessen Falsifikationsprinzip. . Es kann hier nur pauschal angemerkt werden, daß Dr. Schulz stark simplifiziert (vgl. etwa W. Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, 1973, S. 37--60). Vor allem ist völlig ungeklärt, ob sich die Methode der kritischen Prüfung durch Falsifikation überhaupt vom Modell der Naturwissenschaft, an dem sie entwikkelt wurde, auf andere Wissenschaften, also z. B. die Theologie, übertragen läßt (ebd. S. 51). Daß Dr. Schulz es meint tun zu können, beweist noch nicht, daß es möglich und sinnvoll ist. Bezieht sich doch das biblische Zeugnis zunächst einmal nicht auf gedankliche Konstrukte und Projektionen, sondern auf ein ge. schichtliches Geschehen, nämlich auf Lehre und Geschick Jesu von Nazareth (wie Dr. Schulz mit Recht selber betont). Für historische Ereignisse einschließlich ihrer Deutung aber gilt: »Die Unwiederholbarkeit historischer Ereignisse gründet letztlich in der Einmaligkeit des zeitlich bestimmten Individuellen, und in dieser ihrer Einmaligkeit sind sie auch nach Popper (!) keiner Erklärung durch Gesetze, diefalsifizierbarwären, zugänglich« (Pannenberg a. a. 0., S. 66). Dr. Schulz erläutert seine Meinung an einer Tafel:
Dr. Schulz: Wir begründen Wirklichkeit immer mit nach hinten festgestellten Sätzen. Die Theologie ist deshalb nach hinten so geschlossen. Sie hat deshalb so große Mühe, nach vorne hin zu sagen, wir haben uns geirrt. Wo gehört das Wort Gott hin? Das könnte man jetzt gegenseitig fragen. Ich möchte wissen, wo Sie Gott hintun, das Wort, den Begriff christlicher Art, wo Sie den Begriff hinschreiben würden. Manche möchten ihn vielleicht hierher schreiben (Dr. Schulz zeigt auf B). Aber Gott ist ein Sprachbild , mit dem wir unsere Wirklichkeit beschreiben. Deshalb ist Gott C. Gott ist ja nie die Wirklichkeit selber. Wenn wir von Gott sprechen, haben wir nie Gott. Sondern mit Gott machen wir uns ein Bild von der Wirklichkeit, die immer größer ist als wir selbst. Wenn Sie sagen, Gott sei B, dann würde ich schlicht behaupten, Sie hätten die Wirklichkeit ausgewechselt. Sie müssen einmal 39
sagen, alle Gottesbilder , alle Definitionen, alle Begriffe sind der Versuch, die Wirklichkeit zu schaffen, zu beschreiben. Wenn wir diesen Satz als Denksportaufgabe sozusagen durchrechnen, dann können wir immer wieder erklären, daß es zwangsläufig zu verschiedenen Zeiten verschieden sein mußte und daß wir auch heute aufgrund unserer Erkenntnisse in diesem Verhältnis nicht mit alten Bildern ohne weiteres arbeiten können, obwohl wir uns erklären können, wie man damals gedacht hat.
Dr. Wendebourg: Nun würde ich aber sagen, daß wir da auf den eigentlichen Unterschied kommen. Schauen Sie einmal an (geht zur Tafel): Ich bin genau der anderen Meinung, wenn ich dieses Bild nehmen darf und wenn dieses B die Wirklichkeit sein soll, daß sich hier dieses C hineingegeben hat in die Wirklichkeit, nämlich in Christus, und daß Sie in diesem B in der Tat jetzt Gott selbst begegnen, nun zwar nicht im Sinne eines Weltprinzips. Wir können darauf kein Weltbild konstruieren. Sondern was dieser Gott uns zu erkennen gibt und worauf wir bestehen und was für uns nicht variabel ist, das ist, daß er mich anredet, daß er mir vergibt, und all das, was Sie von der Liebe sagen. Ein zweites würde ich sagen. Die Gewißheit, mit der der Christ über Gott redet, ist eine total andere Gewißheit als die des Wissenschaftlers. Der Christ redet in der Gewißheit im Sinne des Angenommenseins , und das kann er auch nicht zur Disposition stellen. Paulus sagt: Ich bin überzeugt (pepisteuka). Es würde mir schwerfallen, irgendwo im Neuen Testament, wenn da pisteuein steht, etwas anderes zu sehen als dieses, daß da ein Überzeugtsein gemeint ist. Und was heißt das denn: Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben noch zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen ... ? Da wird ganz klar und deutlich auch noch aufgewiesen, daß hier eine Ansprache von außen kommt. In einer längeren Debatte über die erkenntnistheoretischen Aussagen von Dr. Schulz stellt dieser unter anderem den mittelalterlichen Universalienstreit dar, zieht Linien von Plato über Augustin und Luther bis hin zur Frankfurter Schule und verweist auf Barth, Bonhoeffer, Teilhard und Bultmann. Solche gewaltigen geistesund theologiegeschichtlichen Durchblicke gibt Dr. Schulz immer
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wieder, von seinen Büchern angefangen bis zu seinem Schlußwort (vgl. z. B. Predigten S. 91; 109f.; 113f.). Es sind Hypothesen, die - folgt man einmal Popper - ihre Überprüfung nach dem Falsifikationsprinzip durch Einsichtnahme in die einschlägigen Texte noch vor sich haben. Innerhalb des Verfahrens spielen sie keine Rolle - mit Ausnahme der fundamentalen Frage, ob die entwicklungsgeschichtlichen und auch die erkenntnistheoretischen Annahmen von Dr. Schulz Platz für so etwas wie Offenbarung lassen. Sowohl Prof. Friedrich und Dr. Wendebourg als auch Prof. Stegemann bekunden ihre Meinung, von anderen Voraussetzungen ausgehen zu müssen als Dr. Schulz. Prof. Stegemann erklärt etwa: Wenn die Größe B für die Wirklichkeit, für unsere Erfahrungsweit stehe und Gott als Bild zu C gehöre, dann stehe diese Auffassung in einem grundsätzlichen Gegensatz zu der Art, wie das Neue Testament von Gott rede. Gott sei eben insofern ganz anders, er sei gerade darin Gott, daß er nicht zu den Gegenständen dieser Welt gehöre. Den neutestamentlichen Erkenntnisbegriff formuliert Prof. Stegemann so: Ich erkenne, weil ich erkannt worden bin. Nach einigen Gesprächsbeiträgen zum Verhältnis des biblischen zum griechischen Denken erklärt Dr. Schulz, sein Erkenntnisbegriff sei noch komplizierter als bisher beschrieben. Auch A könne zum Gegenstand der Erkenntnis gemacht werden. Das Emotionale sei keineswegs ausgeschlossen, sondern inbegriffen. Deshalb könne in C auch alles herauskommen:
Dr. Schulz: Da kommt für meine Vorstellung auch Herr Wendebourg heraus in seiner Aussage, ich brauche Gewißheit. Das ist sein Verhältnis von A zu Bin C gesetzt. Er sagt: Für mich bedeutet Gott die Notwendigkeit, meine Angst und Not und Sorgen in Gewißheit umsetzen zu müssen, Vertrauen haben zu können. Also beschreibt er das Verhältnis von A zu B als Vertrauensgröße und sagt: Das bietet Gott. Herr Wendebourg müßte zu beschreiben versuchen, wo wirklich die Wurzel seines Gottesverständnisses liegt, ob Gott wirklich gesprochen hat, oder ob er durch seine Lebenserfahrung immerzu auf Gott hin spricht, Gott also das Produkt - so sage ich einmal scharf - ist, indem er sagt, Gott bietet mir Gewißheit meines Lebens und Sicherheit. Das ist seine Inter41
pretation von B. Da hat Gott noch gar kein einziges Wort gesprochen, sondern da sagt Herr Wendebourg nur, für mich bedeutet B gerade immer die Notwendigkeit, etwas zu haben wie Sicherheit. Na, und Gott sei Dank kann ich dazu Gott sagen - das sagt er. Damit will ich nur sagen: Dies ist aus der Offenbarung nirgendwo abzuleiten. Nun komme ich zu einem wichtigen Satz. Ich habe nie verhohlen, daß ich von Feuerbach sehr viel halte. Er sagt nämlich: Was tut denn ein Mensch, dem religiös jetzt Gott seine Ängste beantwortet, seine Sorgen, seine Nöte, seine Hoffnung, seine Wünsche? Der beschreibt in Gott die Dimension seines Ichs. Gott ist die Projektion menschlicher Taten. Der Mensch beschreibt mit seiner Religion seine A-B-Beziehung. Da ist noch gar nichts von Gott gesagt. Das beschreibt er immer schon. Das tut er nicht nur im Christentum, sondern auch in den Religionen sonst. C, die Religion, ist der Versuch des Menschen, über sich zu reden. Ich habe das verschiedenartig beschrieben, und ich sage einen solchen Satz ganz bewußt jetzt hier, weil wir darüber ins Gespräch kommen müssen: Redet der Mensch von Gott, redet er von sich selbst. Diesen Satz brauchen Sie bloß gegenzubeweisen. Sie brauchen bloß an einer Stelle zu sagen, hier hat Gott aus einer anderen Wirklichkeit gesprochen. Alles, was der Mensch je in Gott beschrieben hat, hat er aus anthropologischer Vorlage definiert. Aus der A-B-Erfahrung ergibt sich das Reden von Gott als Ichfindung, als Wirfindung, als absolutes Reden vom Universum und so weiter. Wir haben es relativ leicht: Wir suchen dies Ereignis, wo wir sagen können, in unserer Wirklichkeit des Erkennens auf Gott hin ergibt sich die Notwendigkeit, ein Ereignis als von Gott her zu beschreiben. Wenn dies gelänge, dann kommen wir mit diesem Verfahren hier ein entscheidendes Stück weiter. Vorsitzender: Ich möchte gerne fragen, wo der Theologe 'Paul Schulz erkennbar wird. Sie haben den Begriff der Erkenntnis ganz von dem allgemein verbindlichen Erkenntnisprinzip her zu fassen versucht. Herr Stegemann hat schon die Anfrage gestellt, daß der biblische Erkenntnisbegriff ganz anders gefaßt ist: Ich erkenne im Betroffensein von dem, was mich unbedingt angeht. Dieser Erkenntnisbegriff ist sachlich identisch mit glauben. Deshalb meine ganz elementare Frage: Was heißt glauben? Es heißt nicht, ich 42
erkenne Gott, ich habe ihn mit meinem Verstand begriffen. Da sind wir ganz einig, daß Gott viel zu groß ist, als daß ich ihn mit dem Verstand erkennen kann. Ich glaube an Gott - was heißt das? Dr. Schulz: Herr Bischof, ich habe dieses Wort nirgendwo geschrieben: Ich glaube an Gott. Vorsitzender: Wir müssen aber an den Pastor Paul Schulz diese Frage stellen. Dr. Schulz: Zunächst einmal könnte ich Ihnen natürlich eine Portion von Dingen ausführen, die ich von pisteuein im Neuen Testament meine. Ich denke Gott. Das ist ein anderer Ansatz. Ich müßte ein ganz anderes Erkenntnisschema, nämlich das von Ihnen vorgetragene, zu meiner Sache machen, um von Gott sprechen zu können, so wie Sie es erwarten. Ich würde jetzt einfach so herum fragen, Herr Bischof: Ein Mensch, der sich in dieser Weise versucht, in seiner Welt zurechtzufinden, wie ich es expliziert habe, der die Aussage »Ich glaube an Gott« als C beschreiben würdeund das war doch auch die Aufgabe der Herren, die in der vorigen Stufe haben mit mir reden sollen -, hätte mir doch klarzumachen, was denn darüber hinaus »Ich glaube an Gott« heißt. Ich komme mit allen meinen Gefühlen und allen meinen Existenzproblemen mit diesem »Ich denke Gott« zurecht. Auch als Christ. Ich muß an einer Stelle doch jetzt erst einmal begreifbar gemacht bekommen, was ich denn verloren habe, wenn ich den Satz »Ich glaube an Gott« so nicht sage, sondern ihn in meinem Bewußtsein umdefiniere »Ich denke Gott« oder »Ich denke auf Gott hin«. Mit dem Vertrauen ist es eine schwierige Sache. Dadurch, daß ich immer wieder sage, Gott ist Vertrauen, stimmt es ja nicht einfach. Das Problem ist doch dieses: Wenn ich sage, ich brauche Vertrauen, dann ist die Frage, gibt es Vertrauen, weil es Gott gibt, oder gibt es Gott, weil ich Vertrauen brauche? Ist also das Reden von Gott und auch die Aussage, ich glaube auf Gott hin, bedingt, weil Gott Sie angesprochen hat - wo denn? Das war meine Frage. Bitte sagen Sie mir den Punkt, den wir Offenbarung nennen, und wenn es nur ein einziger Satz ist im Alten Testament oder im Neuen Testament, den wir als Offenbarungssatz, nämlich als das Erschei43
nen einer anderen Wirklichkeit in dieser Wirklichkeit beschreiben können -, oder haben nicht Menschen alles, was sie in dieser Welt in Gott erfahren haben, auf Gott hin gesagt? Da habe ich gestern schon angedeutet und will es hier sagen, das Problem wird vielleicht die Auferstehung sein. Das ist ja wohl das zentrale Offenbarungsereignis. Da werden wir uns nun lange unterhalten müssen über die Existentialien, wie sie Bultmann beschreibt im Neuen Testament auf Auferstehung hin, ob das das Glauben der Gemeinde ist, das Reden der Gemeinde auf Gott hin über einen toten Jesus, der gar nicht aufgestanden ist, wie das ja wohl so ist, und ob die Gemeinde, weil sie hoffte, auf einen Toten hin doch Leben zu haben, dann praktisch Glauben entwickelte und sagte: Angesichts des Todes reden wir vom Leben, also Leben projektierte, oder ob hier wirklich etwas offenbarungsmäßig dergestalt geschehen ist, was jenseits des Bekennens der Gemeinde lag. Ich habe ablernen müssen, daß die historische Voraussetzung, daß Geschehen von oben in diese Welt hinein, daß dieser J esus, der da tot war, wieder gelaufen ist und erschienen ist, daß dieses historisch-theologisch durch Bultmann nicht mehr haltbar ist und daß damit die letzte, wesentliche Funktion der Offenbarung sich umlegen läßt in Kerygma. Kerygma ist für mein Verständnis menschliches Glaubenwollen. Das ist ehrbar, notwendig, so sind wir. Es weist aber nicht die jenseitige Wirklichkeit aus, sondern die Qualität des Diesseitigen. Mit der Weise, mit der die Bultmann-Theologie mir meinen Auferstehungsglauben als Kind genommen hat, nämlich, daß ich an das leere Grab nicht mehr glauben kann, wie ich es einmal geglaubt habe, fällt für mich die zentrale Offenbarungsstruktur des Christentums und muß ich anfangen, mir Jesus Christus oder Jesus von Nazareth klarzumachen, ohne den wesentlichen Topos von nachweislicher Offenbarung. Der Vorsitzende weist darauf hin, daß das biblische Verständnis von Offenbarung anders sei als die Vorstellung von Dr. Schulz, der offenbar meine, Offenbarung müsse historisch ausweisbar und deshalb denkmöglich sein, so daß eine rationale Antwort und nicht der Glaube gefordert wäre. Entsprechend stellt Prof. Friedrich die Erkenntnislehre von Popper in Frage. Die Theologie setze gleichsam über die Beziehung von A, Bund C noch einmal ein B,
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nämlich den, der den Menschen geschaffen hat. Dieses komme bei Popper nicht vor.
Prof Friedrich: Damit rechnen wir aber in der Theologie, und wenn Sie bei Popper verweilen, wird einfach keine Basis der Verständigung da sein. Dr. Schulz: Da habe ich es relativ leicht, Herr Prof. Friedrich, bei J esus kommt das auch nicht vor. Bei J esus kommt nicht ~inmal der Schöpfungsglaube vor, wie Sie ihn dargestellt haben. Prof Friedrich: Ich darf ganz kurz unterbrechen. Jesus ist nun wirklich Jude gewesen, wenn für ihn etwas feststand, dann der Schöpfungsglaube. Darüber brauchte er gar nicht zu sprechen. I Das war für ihn selbstverständlich, wenn er von Gott sprach, daß Gott der Schöpfer war. Die zwei Grundlagen des Credo waren ja: Ich glaube an den Schöpfer, und ich glaube, daß er Israel aus Ägypten geführt hat. Das waren Selbstverständlichkeiten. Darüber brauchen wir hier nicht zu sprechen. Dr. Schulz: Dann wird Jesus und die gesamte Theologie zu lernen haben, daß der Mensch so von Gott nicht geschaffen worden ist, wie Sie eben gesagt haben, wie die Bibel es darstellt. Über den Punkt sind wir nun langsam hinweg. Dr. Ostermeyer: Jesus muß es auch noch dazulernen? Dr. Schulz: Aber wie denn sonst? Wir wissen inzwischen durch die Naturwissenschaft, daß das, was die Bibel uns über die Entstehung des Menschen erzählt, so einfach nicht gelaufen ist. Noch gilt die Bibel als absolute Voraussetzung dessen, was ist, und wir werden über diesen Punkt noch entscheidend reden müssen, wann hier etwas plötzlich Bild wird, was bisher als Realität ausgegeben wird. Nach einer Beratungspause teilt der Vorsitzende die Entscheidung des Spruchkollegiums zu dem Antrag auf Anhörung von Gutachtern mit (vgl.' S. 67). Dr. Ostermeyer wiederholt seine schon früher gestellte, aber noch nicht beantwortete Frage, ob die
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von Dr. Wendebourg genannte These (Formel S. 31 ; vgl. oben S. 38) nach Meinung von Dr. Schulz wissenschaftlich beweisbar sei oder ob nicht viele Naturwissenschaftler das ganz anders sähen, so z. B. Pascal. Das Verhältnis von Schöpfungsglauben und Naturwissenschaft wird in einer eigenen Gesprächsrunde erörtert (vgl. S. 71 ff.). An dieser Stelle sei nur die Frage unterstrichen, welche Naturwissenschaftler es sind, auf die sich Dr. Schulz berufen möchte. J. "'ies kann es nicht sein. Er hat dem Betroffenen entgegengehalten: »Ein Schöpfergott kommt zwar nicht vor im System der Wissenschaften, aber das ist kein Beweis gegen ihn, sondern eine Folge ihrer selbstgewählten Beschränkung auf eine spezifische Methode des Umgangs mit Fakten und Kausalität.« (In: Dem Wort gehorsam, Festschrift f. Dietzfelbinger, 1973, S. 174). A. M. K. Müller hat ähnlich über die Voraussetzungen des wissenschaftlichen Experiments gesprochen. Es ist nur möglich durch »Abblendung« der Fülle der Wirklichkeit. Damit aber wird »ein vereinfachtes, ein endliches, ein geändertes Wissen hergestellt« (Die präparierte Zeit, 1972, S. 232). Andere Naturwissenschaftler, die sich dieser Problematik nicht weniger bewußt sind, meinen gleichwohl, auf theologische oder religiöse Voraussetzungen verzichten und die Entwicklung der Welt und des Menschen aus »Zufall und Notwendigkeit« ableiten zu können (J. Monod, M. Eigen) auch eine »Urkraft« mit dem Namen »Gott« benötigen sie nicht.
Dr. Schulz: Ihre Fragen geben mir die Möglichkeit, Dinge noch einmal klarzustellen, die in der letzten halben Stunde unseres Gesprächs in der Kontroverse auch von meiner Seite sehr pointiert gegeneinander gestellt worden sind. Das wollte ich in der Form nicht. Bischof Lohse hat nach dem Glauben an Gott gefragt, und ich habe daraufhin formuliert: Ich denke auf Gott hin. Nachdem wir die Positionen so gegeneinander abgesteckt hatten, müßte man in einem nächsten Schritt noch folgendes sagen. Ich habe hier an der Tafel deutlich zu machen versucht, daß keine Aussage, keine Wissensaussage absolut ist. Ich bin ständig auf Glaubensaussagen angewiesen. Das Denken ist zum Glauben hin insofern offen, als es sich immer in einem nicht absolut Gewußten befindet. Andererseits gibt es überhaupt keinen Glauben, der ohne Denken auskommt. Es geht darum, sich Wirklichkeit verständlich zu ma46
chen in einem Stand des Nichtvollbeschreibenkönnens, was dann auch Vertrauen erforderlich macht. Ich versuche, in einer gewissen Weise rationale Erkenntnisse in ein Bild zu bringen, das ich zugleich hypothetisch hoffe oder glaube. P. Kretschmar: Eine Zusatzfrage: Dann ist also bei Ihnen Glauben das Offenhalten des Denkens für die Zukunft? Dr. Schutz: Dies möchte ich sagen. Ich könnte genauso sagen, der Glaube impliziert, das Wissen nicht absolut zu setzen. Der Glaube überbietet jeweils das Wissen, das Gewußte heuristisch. Die Funktion des Theologen ist, immer ein Stück weiter zu fragen, auch mit Gott ein Stück weiter zu fragen, als gerade gesagt wird. Hier wird sich die Aufgabe des Theologen auf Zukunft hin im Gespräch mit der Naturwissenschaft auch nicht verlieren, sondern hier müßte das Gespräch viel ernster und dringender genommen werden. Hier brauchen die Naturwissenschaftler wahrscheinlich sehr viel stärker eine aggressive Theologie, insofern wir als Theologen das Erbe dessen, was die Menschen zentral angeht, zu vermitteln haben. Dieser Satz, Herr Ostermeyer, den ich formuliert habe, »Gott ereignet sich im Werden«, ist mein Versuch zu sagen, wir müssen die Naturwissenschaft äußerst ernst nehmen, und in meinem zweiten Satz, »Gott ereignet sich im Lieben«, bringe ich dann die Wertung ein, die ich als Theologe einbringen muß in der Tradition meines christlichen Erbes. Dr. Ostermeyer: Aber der Ansatzpunkt ist die rationale Erkenntnis. Die, so sagen Sie, führt mich zu einem Bild, und dieses Bild kann bei mir zu einem bestimmten Glauben - in diesem Fall an das summum ens, summum bonum - führen. Wie soll die rationale Erkenntnis speziell der Naturwissenschaften nun zu irgendeinem Bilde führen? Aus den rationalen Erkenntnissen, das ist meine Überzeugung, ist überhaupt nicht zwangsläufig ein Bild zu gewinnen, etwa irgendeine Gottesvorstellung oder ein Gottesbild. Mir haben das auch die meisten Naturwissenschaftler gesagt: Solange wir in unserem Metier bleiben, gibt es aus unserer rationalen Erkenntnis heraus gar keine Veranlassung, sich irgend so ein Bild zumachen.
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Dr. Schulz räumt ein, daß viele Naturwissenschaftler die Gottesfrage nicht aufgreifen, während andere dies tun. Von Weizsäcker setze an diese Stelle den Begriff der Einheit der Natur. Der Schöpfungsglaube könne als ein Versuch aufgefaßt werden, diese Einheit der Natur in ein Bild zu fassen. Es ergibt sich eine Diskussion zwischen Dr. Schulz und Dr. Ostermeyer darüber, ob der Begriff »summum ens« ebenfalls als Versuch dieser Art gelten könnte. Während Dr. Ostermeyer hier einen qualitativen Unterschied sieht, bestreitet Dr. Schulz dies. Das Kernproblem dieser Gesprächsphase besteht in der Verhältnisbestimmung von Glauben und Denken. Deshalb knüpft der Vorsitzende hier an und bittet Dr. Schulz, über das Verständnis des Wortes »Glaube« noch etwas mehr zu sagen, nachdem Dr. Wendebourg seine zweite vorformulierte Frage gestellt hat, die in folgende Richtung zielt: Ist das Prinzip Liebe als Urgrund allen Seins auf einen Prozeß strengster Objektivation zurückzuführen, der sich aufgrund naturwissenschaftlicher Erkenntnis ergebe, oder ist dies ein reines Postulat? In seiner Antwort stellt Dr. Schulz noch einmal heraus, wie er das Verhältnis von Glauben und Denken bestimmt und wieso er das Prinzip Liebe einerseits als Grundbedingung des Seins schlechthin, andererseits als in der personalen Ich-Du-Korrelation erfahrbar betrachtet.
Dr. Schulz: Dies erfahre ich in einer Ich-Du-Korrelation. Ja, wie sonst denn anders? Daß es überhaupt so etwas als Vorausgabe gibt wie »Gott ist Liebe«, erfahre ich, wo sich Liebe zwischen mir und jemand anderem ereignet. Jetzt könnte ich so sagen: Weil ich es erfahre, hoffe und glaube ich, daß es die Grundlage des Seins schlechthin wäre. Das ist hier das theologische Hoffen über die Vorfindlichkeit hinaus, die nicht nur mit Gott die Wirklichkeit beschreibt, wie sie ist, sondern die auf Gott hin hofft, wie es sein möchte. Wenn ich sage, Liebe möge das Grundprinzip des Seins schlechthin sein, hoffe ich theologisch über den größten Teil meiner Welterfahrung hinaus auf eine Grundlage, die ich gar nicht überall verifizieren kann. Hier liegt meine theologisch zwangsläufige Offenheit, die den Hauptwert des Seins, das Prinzip Liebe, zum Prinzip meines Denkens überhaupt macht. Hier weiß ich gar nichts, sondern hier versuche ich, eine Erfahrung zur Grundlage 48
des Seins schlechthin zu machen oder auf dieses Sein hin schlechthin zu glauben, zu wagen, zu vertrauen. Es erhebt sich die Frage - und sie wird auch mehrfach von Dr. Wendebourg gestellt - wie diese These mit der von Dr. Schulz gebrauchten erkenntnistheoretischen Methode zu vereinbaren ist, zunächst Behauptungssätze aufzustellen und diese so lange festzuhalten, bis sie falsifiziert sind. Wäre das Prinzip Liebe nicht widerlegt, wenn es nur einmal durchbrochen würde? Ist es nicht längst durch die Realitäten widerlegt? In diesem Sinne sieht Dr. Wendebourg das Problem des Bösen in dieser Welt als zentrale Frage an. Dr. Schulz kehrt die Fragestellung jedoch um, indem er von einem ungeheuerlichen Dilemma der Theodizeefrage spricht. Dr. Wendebourg müsse ihm erklären, wo in seinem Ansatz das Böse herkomme, während er selbst es relativ leicht in seinem Ansatz erklären könne. Er betont im folgenden mehrfach, daß es ihm um das gemeinsame Bemühen von Theologie und Naturwissenschaft gehe, die VVirklichkeitzu begreifen. Man müsse heute in neuen Bildern sprechen, um das Reden von Gott in existentieller Betroffenheit aufrechtzuerhalten.
Vorsitzender: Sie sprechen eben sehr schön vom Reden von Gott in der existentiellen Betroffenheit. Für mein Verstehen ist das doch ein Stück mehr als Sie vorhin gesagt haben mit dem Satz: »Denken auf Gott hin«. Ich wäre froh, wenn wir uns da verständigen könnten. Dr. Schulz: Das ist gut. In der Masse dessen, was ich sage, kann es passieren, daß man nicht alle Dinge unterbringt. Ich hatte aber schon angesetzt, indem ich sagte, A ist nicht nur der rationale Mensch. A ist alles, was ich empfinden kann. So würde ich schon meinen, die Betroffenheit im Existentiellen könnte über das Rationale hinausgehen, zum Beispiel in das Emotionale hinein. So meine ich, Vertrauen kann durchaus ein Wert sein, der rational beschreibbar , aber existentiell erfahrbar ist. Das transzendiert den Begriff nicht unbedingt, aber es wäre nötig zu sagen, daß ich nicht gesagt habe, A ist nur dann existent, wenn er rational ist.
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Es ergibt sich noch ein Gespräch zwischen Dr. Schulz und P. Kretschmar über die Frage, wie der Dialog zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen zu führen ist. P. Kretschmar sieht bei Dr. Schulz und sich zwei verschiedene Bewegungsrichtungen des Denkens herauskommen. Dr. Schulz berichtet abschließend von seinem persönlichen Engagement:
Dr. Schulz: Sicherlich kommen Sie aus dieser, ich aus jener Richtung, aber da sehe ich eigentlich kein sich Ausschließendes, sondern wir nähern uns beide dem Existential der Existenz oder dem Sein des Seienden. Da haben ja andere Theologen, Bultmann oder wer immer, doch schon eine ganze Portion über mich Hinausgehendes, viel Weitergehendes - denken Sie an Herbert Braun beschrieben. Sie haben das, was mit Gott gesagt worden ist, als so ein Existential beschrieben. Da hängt doch kaum noch ein Theologe Bultmannscher Prägung an mythologischen Vorstellungen. Wir sprechen alle längst von entmythologisierten Existentialien. An dieser Stelle, so glaube ich, bildet sich ein erster Schritt auf Konsens hin, daß wir die Identität der Bilder zwar nicht haben, aber die Solidarität dieser Existentialien, selbst wenn wir aus vielen Richtungen kommen, wobei ich sagen würde, aus meiner Existenz heraus bleibt das alles auf Jesus hin ein Postulat, aber was ist denn der Glaube anderes als ein solches Wagnis. Wagnis heißt postulieren, sich auf etwas hin riskieren. Vorsitzender: Vielen Dank, Herr Dr. Schulz, daß Sie dies auch in einem so starken persönlichen Engagement gesagt haben. Ich glaube, Sie haben uns ein Stück von dem gezeigt, was Sie als Theologe sagen möchten. Sie haben jetzt, nehme ich an, auch in vollem Bewußtsein, Ihrerseits den Begriff Glauben gebraucht und von existentieller Betroffenheit geredet. Das sind Aussagen, die nicht ohne weiteres von einem allgemeinen erkenntnistheoretischen Prinzip her verifiziert werden können, sondern die werden in der existentiellen Betroffenheit durchgehalten, setzen sich dann allerdings der Kritik des Denkens aus.
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Zur Frage des Lehrkonsensus in der Kirche (Anträge vom 3. und 5. Verhandlungstag)
Der Vorsitzende eröffnet den 3. Verhandlungstag mit Schriftlesung und Gebet und gibt einen Rückblick auf den bisherigen Verlauf des Verfahrens. Dr. Schulz erhält Gelegenheit zu einer grundsätzlichen Äußerung.
Dr. Schulz: Wir sollen Positionen erklären, von denen aus ich jetzt die neue Runde des Lehrbeanstandungsverfahrens gegen mich eröffne. Sowohl das Protokoll über die Verhandlung am 14. und 15. November 1977 wie auch die diversen Berichte der Presse über diese Verhandlungen bestätigen, daß wir in intensiver Weise über die genannten theologischen Probleme diskutiert haben. Weder ist hier bestritten worden, daß ich nach Kräften meinen Standpunkt entwickelt hätte, noch ist Ihnen auch von mir her zu bestreiten, daß Sie versucht hätten, das Verfahren mit größter Offenheit zu führen. So konnte der Eindruck entstehen, daß dieses Lehrbeanstandungsverfahren dann schließlich doch sinnvoll sei, ein interessanter theologischer Disput auf dem Niveau eines Oberseminars. Im Sinne des vom Gesetz beabsichtigten und von dem Kirchenleitungsgremium angezielten Prozesses aber ist dieses unhaltbar geworden. Das ist jetzt meine Position des Verfahrens aus meiner Sicht. Dr. Schulz und sein Beistand stellen daraufhin eine ganze Reihe von Anträgen unterschiedlichen Charakters, die vom Spruchkollegium entgegengenommen und nach Beratung beantwortet werden. Zuerst geht es um eine Ergänzung des Lehrbeanstandungsgesetzes, die am 25. Oktober 1978 von der Generalsynode der VELKD beschlossen worden ist. Das Gesetz enthielt zwei Lükken, die für das laufende Verfahren eine Rechtsunsicherheit mit sich brachten. Abgesehen von der KlarsteIlung, daß bei mehr als
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einjähriger Verhinderung eines Mitglieds des Spruchkollegiums ein endgültiger Ausfall im Sinne des Gesetzes vorliegt, ging es um die Amtszeit der Kollegiumsmitglieder insgesamt. Hat zum Beispiel der Vorsitzende ein anhängiges Verfahren zu Ende zu führen, auch wenn er inzwischen -wie Landesbischof Lohse im Oktober 1978 -aus dem Amt des Leitenden Bischofs der VELKD ausscheidet? Die Generalsynode stellte durch einen Zusatz zu § 9 klar, daß das Spruchkollegium unverändert bis zur Beendigung eines laufenden Verfahrens im Amt bleibt. Angesichts dieser Ergänzungen erinnert Dr. Schulz daran, daß das Spruchkollegium seinen Antrag auf unbeschränkte Zulassung der Öffentlichkeit unter anderem mit dem Hinweis abgelehnt habe, es müsse das geltende Gesetz beachtet werden, das nur der Gesetzgeber ändern könne, und zwar erst nach Abschlu ß des laufenden Verfahrens (vgl. S. 22). Jetzt aber sei im Interesse der »beklagenden Seite« das Gesetz zwischendurch geändert worden. Dies sei eine Benachteiligung des Betroffenen. Dieses Problem gewinnt keine größere Bedeutung. Dr. Barrelet erklärt, er halte die Gesetzesänderung für »vernünftig«, so wie er auch eine Zulassung der Öffentlichkeit zu den Verhandlungen für vernünftig gehalten hätte. Auf eine entsprechende Rückfrage des Vorsitzenden erklärt Dr. Schulz, er stelle die rechtliche Kompetenz des Spruchkollegiums nicht in Frage. Anders ist es mit der Kompetenz in theologischen Lehrfragen. Dr. Schulz stellt einen weiteren Antrag, der sich aber nicht an das Spruchkollegium, sondern an den Senat für Lehrfragen richtet, weil nach Meinung des Betroffenen nur dieser kompetent sei, darauf zu antworten. Zu neun Fragenkomplexen verlangt Dr. Schulz eine Darstellung der in der Kirche geltenden Lehre.
Dr. Schulz: Ich werde auf eine theologische Position hin befragt, ob sie lehramtsgemäß sei, ohne daß mir selbst klargemacht worden ist oder wird, was eine lehramtsgemäße Aussage wäre. Die Position des Lehramtes ist bisher im gesamten Verfahren seit vier Jahren an keiner einzigen Stelle und auch hier nicht sichtbar geworden. Was ist sichtbar geworden? Theologische Meinungen, die - so schätze ich einmal großzügig - nicht einmal von 5 % der evangelischen Theologen abgedeckt sind. Herr Prof. Dr. Friedrich vertritt hier eine Theologie, die nur ein verschwindender Bruchteil 52
der Theologen an den deutschen Fakultäten vertritt. Herr Dr. Gehrmann verweigert hier auf meine eigene freundliche Rückfrage die Antwort mit der Feststellung, schließlich sei ich ja der Beklagte. Das mag die Haltung von 90% von Mitchristen sein. Herr Prof. Dr. Lohse gibt mir vor allem bei Tod und Auferstehung bei jeder Nachfrage recht und so weiter. Selbst wenn die Herren jeweils in ihren Positionen besser argumentiert und wenn sie alle sieben das gleiche gesagt hätten, wäre_ dieses nicht die Lehrmeinung der Kirche, von der aus hier ja vorgeblich meine theologische Position als nicht-Iehramtsgemäß beurteilt wird. Wir stehen ganz nah an der Grenze, daß dieses Lehrbeanstandungsverfahren letzten Endes nicht allein den Selbstbetrug der Kirche als Kirche darstellt, sondern zum Betrug der Kirche an den Menschen wird, nämlich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen, als hätten wir eine Lehrmeinung, die wir nirgendwo haben. Ich selber habe mich fachwissenschaftlieh ausreichend ausgewiesen und vermag eigentlich im leichten Galopp theologische Fragen hier zu diskutieren. Nicht darum geht es, ob ich vielleicht noch eine oder andere Frage weiterhin beantworten kann. Es geht vielmehr darum, ob es in den massenhaften Meinungen innerhalb der Kirche eine Meinung gibt, die als absolut gültiger Maßstab für alle anderen Meinungen Antwort gibt, eine offizielle Meinung also, von der her man alle anderen Meinungen beurteilen kann. Die theologische Begründung, die die Hamburger Landeskirche unter Federführung von Herrn Malsch im Anschluß an das Hamburger Verfahren gegeben hat, ist - ganz abgesehen davon, daß sie mir nicht während des Gespräches als Lehrmeinung vorgelegt worden ist - auf gar keinen Fall Lehrmeinung der Kirche aus meiner Sicht. So wie dort theologisch die Dinge benannt werden, habe ich ansonsten in meiner ganzen theologischen Ausbildung keinen einzigen Menschen reden hören, nicht einmal Peter Brunner. Dr. Schulz bezieht sich auf die Antragsschrift (vgl. S. 15ff.). Dort findet sich eine knappe Zusammenfassung zentraler Aussagen christlichen Glaubens nach evangelisch-lutherischem Verständnis. Hier und an anderen Stellen sind dem Betroffenen inhaltlich konkrete Auskünfte gegeben worden. Dr. Schulz antwortet darauf meist mit der Behauptung, dieses seien individuelle Meinungen,
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oder er bestreitet ihre Nachvollziehbarkeit für heutiges Denken. Gleichwohl bleibt er bei der These, man habe ihm die geltende Lehre der Kirche nicht mitgeteilt. Wegen der Behauptung, die Dr. Schulz in der Antragsschrift und in Gesprächsbeiträgen der Kollegiumsmitglieder vorgehaltenen Lehraussagen seien nur individuelle Meinungen, gehen der Vorsitzende und andere Mitglieder des Kollegiums später dazu über, ihre Positionen jeweils im Zusammenhang mit zentralen Aussagen der Bekenntnisschriften, vor allem des Großen und Kleinen Katechismus Luthers, zu formulieren (vgl. S. 72f.). Die neun Fragen von Dr. Schulz lauten:
1. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Gebet? Hört mich eine Gott-Person, wenn ich bete, und wenn ja, in welchen Formen vermag diese Gott-Person auf meine persönliche Ansprache zu reagieren? 2. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Jungfrauengeburt? Ist Jesus in biologischem Sinne von Maria als einer Jungfrau in Bethlehem geboren, und ist deshalb nicht nur seine Sündlosigkeit, sondern auch seine Gottessohnschaft und schließlich auch seine Messianität zu behaupten? 3. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Auferstehung? Ist der Körper des irdischen Jesus nach dem Tod wiederbelebt worden, das Grab von J esus also mit eigener Bewegung verlassen worden, und ist dieser irdische Jesus dann körperlich / leiblich auferstanden, körperlich / leiblich zur Hölle gefahren, körperlich/leiblich in den Himmel aufgefahren? 4. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Bibel? Was ist innerhalb des Alten Testamentes und innerhalb des Neuen Testamentes »Wort Gottes« (im Sinne absoluter Offenbarung) und was nicht? (Möglichst mit genauen Stellenangaben). 5. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Zehn Gebote? Sind die alttestamentlichen Zehn Gebote von einer Gott-Person dem Menschen Mose in einem besonderen Akt am Sinai übergeben worden, und sind diese damit von göttlicher Her-
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kunft und deshalb immer und überall von absoluter Gültigkeit? (Wenn ja - warum hat Luther dann diese Zehn Gebote in seinem Kleinen Katechismus so wesentlich verändert?). 6. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Endgericht? Wird es ein von einer Gott-Person bestimmtes WeItende geben, in dem alle Menschen vor dem Thron dieser Gott-Person stehen und gerichtet werden, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur ewigen Verdammnis? 7. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zum Thema: Weltentstehung? Ist das All im gesamten und im einzelnen in einem Schöpfungsakt von einer Gott-Person gemacht worden, der Mensch darüber hinaus - gleichsam als Krone der Schöpfung - von dieser GottPerson gesondert geschaffen? 8. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Leben nach dem Tod? Läßt sich ein Leben nach dem Tod behaupten, und worin liegen dafür die Beweiskriterien? 9. Was ist die offizielle Lehrmeinung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland zu dem Thema: Erbsünde? Ist jeder Mensch durch den »Sündenfall des ersten Menschen (Adam)« unter die biologische Erbsünde geraten und damit der natürliche Mensch eine »verdammte Kreatur«, und wenn ja, wie und wodurch wird der Mensch konkret davon frei? Es ist von entscheidender Bedeutung für die Beurteilung des ganzen Verfahrens, die Funktion dieser neun Fragen zu erken~en. Dr. Schulz erwartet nicht neun inhaltlich-theologische Antworten. Er weiß selbst, daß nicht einfach ein Neun-Punkte-Katalog als Norm für die von einem ordinierten Pfarrer geforderte Verkündigungsleistung aufgestellt werden kann, um daran die Lehre von Dr. Schulz im Sinne des Vergleichs einzelner Aussagen zu messen. Dies würde eine Absage an die Freiheit reformatorischer Verkündigung bedeuten, die sich nicht in der Wiederholung von Satzwahrheiten erschöpft, sondern sich in lebendiger, am Bekenntnis orientierter Auslegung der heiligen Schrift vollzieht. Das Ziel der neun Fragen wird erst später offen ausgesprochen (vgl. S. 152). Dr. Schulz möchte dem Senat für Lehrfragen 55
bzw. dem Spruchkollegium das Eingeständnis abnötigen, es gebe gar keinen benennbaren Lehrkonsensus in der Kirche und ein Lehrbeanstandungsverfahren sei deshalb theologisch unmöglich. Diesem Ziel folgt Dr. Schulz auch dort, wo vom Spruchkollegium konkrete Aussagen zum Inhalt des Glaubens gemacht werden: Dr. Schulz pflegt diese dann als individuelle Meinungen der Kollegiumsmitglieder oder - wo es etwa Zitate aus den Bekenntnisschriften sind - als überholte, traditionelle Formeln abzutun. Ist dies geschehen, so folgert er von der ersten bis zur letzten Stunde der Verhandlungen immer aufs neue: Die Lehrmeinung der Kirche, an der er gemessen werde, sei ihm nicht mitgeteilt worden. Das Spruchkollegium kann sich auf diesen Kreisgang der Argumentation nicht einlassen. Seine Position: Der Lehrkonsensus in der Kirche besteht und ist Dr. Schulz wie jedem Pfarrer bekannt. Er ist in den Bekenntnissen im Sinne einer grundlegenden Übereinstimmung in den Fundamentalaussagen (magnus consensus) formuliert. Diese sind dem Maßstab der heiligen Schrift unterworfen und als Dokumente ihrer Zeit zu lesen. Das bedeutet unaufhebbare Freiheit der Verkündigung und die Verpflichtung jedes Pfarrers zu eigenverantwortlichem theologischen Denken. Es bedeutet aber nicht Beliebigkeit aller Lehraussagen, sondern Bindung an den Grund reformatorischer Freiheit: an das Zeugnis vom Wirken des dreieinigen Gottes und seiner Heilstat in Jesus Christus. Daraus folgt, daß sich zwar nicht in Sätzen festschreiben läßt, wie ein Pfarrer das Evangelium zu verkündigen hat, daß sich aber sehr wohl angeben läßt, wo das, was er verkündigt, nicht mehr Evangelium ist. Im Anschluß an die neun Fragen von Dr. Schulz unterstützt Dr. Barrelet dessen Meinung und stellt den Antrag, die mündliche Verhandlung auszusetzen und die Akten dem Senat für Lehrfragen vorzulegen. Dem Senat gegenüber stellt er den Antrag, festzustellen, welchen Inhalt die »rechte Lehre« im Sinne von Zift. I und 111 der dem Lehrbeanstandungsgesetz vorangestellten Erklärung zur Lehrverpflichtung und zur Handhabung der Lehrgewalt hat. Der Senat für Lehrfragen wird gebeten, in diesem Zusammenhang die gleichzeitig vorgelegten Fragen von Dr. Schulz zu berücksichtigen. Weiter stellt Dr. Barrelet den Antrag, das Spruchkollegium wolle die gegen Dr. Schulz von der Landeskirche verhängte Beurlaubung mit sofortiger Wirkung aufheben; hilfsweise,
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das Spruchkollegium wolle den Antrag auf Aufhebung der Beurlaubung dem Senat für Lehrfragen zur Entscheidung vorlegen; weiter hilfsweise, das Spruchkollegium wolle den Antrag auf Aufhebung der Beurlaubung der Nordelbischen Kirche vorlegen. In seiner Begründung vertritt Dr. Barrelet erneut die Meinung, Dr. Schulz sei nicht gesagt worden, was Lehrmeinung der Kirche sei. Die Aufhebung der Beurlaubung sei schon um der Verhältnismäßigkeit willen geboten, da sie mehr als drei Jahre andauere. In der Antwort des Spruchkollegiums weist der Vorsitzende darauf hin, daß die Anträge zum Teil an den Senat für Lehrfragen gerichtet seien, dem sie zugestellt werden müßten. Es sei aber nach § 18 Abs. 1 des Lehrbeanstandungsgesetzes Sache des Spruchkollegiums festzustellen, ob der Betroffene im Widerspruch zum Bekenntnis lehrt oder nicht. Das Spruchkollegium könne nicht die Behauptung anerkennen, dem Betroffenen sei völlig unbekannt, was in der evangelischen Kirche zu predigen und zu lehren sei. Der Vorsitzende verliest die ersten Sätze von Ziff. I der Erklärung zur Lehrverpflichtung. Dort wird als Inhalt und Maßstab aller Lehre das Evangelium von Jesus Christus genannt, »wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben und in den Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche, vornehmlich in der ungeänderten Augsburgischen Confession von 1530 und im Kleinen Katechismus Martin Luthers bezeugt ist«.
Vorsitzender: Diese Aufgabe, das Evangelium zu predigen, zu lehren, die Sakramente zu verwalten, sind der Auftrag, der einem Pastor gegeben ist. Diesen Auftrag auszufüllen, ist insgesamt der Auftrag der predigenden Kirche, die im magnus consensus das Evangelium auszulegen und auch zu konkretisieren hat. Zu prüfen ist im einzelnen, ob dieser Vollzug von Predigt und Lehre der Kirche an der Schrift, am reformatorischen Bekenntnis zu legitimieren ist. Es ist aber nicht unsere Aufgabe, hier sozusagen alle offenen und strittigen Fragen der Theologiegeschichte von nahezu zwei Jahrtausenden zu beantworten, ehe wir uns im einzelnen mit Ihnen auseinanderzusetzen haben. Die Fragen, die Sie gestellt haben, sind, wie Sie selbst genau wissen, von sehr unterschiedlicher Qualität. Innerhalb des magnus consensus der predigenden Kirche gibt es eine erhebliche Toleranzbreite für Aussagen des einzelnen Predigers. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, daß 57
auch in der ersten Gesprächsrunde unsererseits gewisse Meinungsunterschiede hier und da erkennbar waren. Das ist gar nicht zu bestreiten. Es ist auch legitimer Ausdruck theologischer Reflexion. Die Frage ist aber hier, festzustellen, ob unterschiedliche Meinungen innerhalb oder außerhalb des magnus consensus der predigenden Kirche liegen. Wenn ich etwa die Frage der Jungfrauengeburt betrachte, so gibt es hier, wie Sie genau wissen, aus der Theologiegeschichte eine Interpretationsbreite , wobei die unterschiedliche Interpretation nach evangelischem Verständnis keine kirchen trennende Relevanz hat. Wenn Sie die Frage nach der Auferstehung stellen, so ist es nicht die Lehre der Kirche, daß die Auferstehung überhaupt beweisbar sei, schon gar nicht positiv oder negativ aus dem Hinweis auf ein leeres Grab, sondern die Auferstehung ist ausschließlich in der verkündigenden Predigt der Kirche, die den auferstandenen Christus bezeugt, Gegenstand christlicher Predigt und Lehre. Wenn Sie auf die Zehn Gebote hinweisen, so ist die Interpretation der Zehn Gebote -Sie haben auf Martin Luther aufmerksam gemacht - nicht der Beliebigkeit anheimgegeben, sondern die Zehn Gebote werden vom Ersten Gebot her interpretiert: »Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir.« Dieses ist in Luthers Interpretationen und auch Neufassung der Zehn Gebote ganz eindeutig. Es ist also in der Beantwortung einzelner Fragen innerhalb des magnus consensus der predigenden Kirche nach der Relevanz des Evangeliums im einzelnen zu fragen. Ich meine, davon ausgehen zu können, Herr Dr. Schulz, daß Sie selbst als evangelischer Theologe dieses wissen. Zu den Anträgen von Dr. Barrelet wird darauf hingewiesen, daß es nicht im Ermessen des Spruchkollegiums liege, das Verfahren durchzuführen oder nicht. Dem Antrag auf Aussetzung werde deshalb nicht stattgegeben. Die Beurlaubung von Dr. Schulz aufheben könne nur die Nordelbische Kirche als Rechtsnachfolgerin der Hamburgischen Kirche.
Vorsitzender: Wir werden uns natürlich mit Herrn Dr. Schulz über die einzelnen theologischen Punkte weiter auseinandersetzen, und wir werden uns auch bemühen, daß wir die Fragen konkretisieren und elementarisieren. Vielleicht haben Sie darin Recht, daß ein 58
Gespräch auf wissenschaftlichem Niveau allein nicht die nötige Klärung bringen kann; wir werden uns also durchaus auch darum bemühen, die Fragen schärfer zu fassen, konkreter zu fassen, aber der Widerspruch zu entscheidenden Punkten christlicher Verkündigung kann dann auch nur konkret fixiert werden. Herr Dr. Schulz, Sie haben gefragt und Sie möchten wissen: welche Sätze muß ich glauben? Das ist eine ganz elementar, unevangelische Frage, das wissen Sie doch genau. Wir lassen uns nicht auf eine Position festlegen, die unevangelisch ist. Dr. Schulz: Und ich mich auch nicht! Vorsitzender: Deswegen sind wir uns auch der Schwierigkeiten des Verfahrens voll bewußt. Dr. Schulz: Das nützt mir nichts! Ich komme dazu gleich noch. Vorsitzender: Vielleicht darf ich das jetzt noch einmal sagen, Herr Dr. Schulz. Sie haben bei der Ordination einen Auftrag übernommen. Und auf diesen Auftrag werden Sie jetzt angesprochen. Dr. Schulz: Ich spreche Sie daraufhin auch gleich an! Vorsitzender: Herr Dr. Schulz, lassen Sie mich doch einmal ausreden. Wir werden uns bemühen, genauso fair und sachlich, wie wir das in der ersten Runde versucht haben, mit Ihnen weiter zu reden. Unsere Aufgabe ist es, klarzustellen, ob die Grenzen des magnus consensus überschritten sind oder nicht. Dr. Schulz (nach einer Verhandlungspause): Ihre Formel, Herr Bischof, vom magnus consensus verschleiert - entschuldigen Sie, wenn ich das so sage - das Problem eher als daß sie es klärt. Wir hatten vom Lehrkonsensus gesprochen. Was magnus consensus in der Kirche ist, weiß ich nicht, und zwar zu keiner Frage, die wir hier je stellen würden. Das heißt also, es ist nicht einmal auf die sehr weit gefaßte Begriffsformel magnus consensus etwas zu fassen aus meiner Sicht, was meiner Meinung, meiner theologischen, persönlichen Meinung gegenübersteht. Dieses wird zur Folge haben, daß ich das Gespräch an dieser Stelle, wenn die 59
Kirche nicht bereit ist, zu formulieren, was sie einem Pastor als magnus consensus erklären kann, wenn die Kirche nicht bereit ist. darauf eine Antwort zu geben, daß ich selber nicht mehr antworten werde. Ich appelliere zunächst als erstes an jeden einzelnen in diesem Spruchkollegium. Inwieweit kann dies Gremium eigentlich, das selber sich bewußt ist, die verschiedenartigsten Formeln mir als Antwort zu geben, von einem magnus consensus sprechen, wo keiner von sich sagen kann, seine Meinung sei dann Ausdruck des magnus consensus? Ich appelliere zweitens an den Deutschen Fakultätentag der Theologen. Ich weise daraufhin, daß das, was ich hier sage, mir in einem langen Studium von Professoren anders gesagt worden ist als von meinen Pastoren. Welche Verantwortung tragen eigentlich die Lehrer unserer Kirche, Professoren von Marburg bis Mainz, von München, von Kiel, von Heidelberg bis Tübingen? Sie vertreten grundsätzliche Positionen gegenüber ihren Studenten, die dann in , der direkten Auseinandersetzung vor der Gemeinde zu so einer Kontroverse führen können, wie ich sie hier momentan erlebe. Mein Versuch ist ja nicht das bösartige Gegen-die-Kirche-Gehen, sondern der Versuch, innerhalb der Vielfalt dieser Kirche Positionen durchzuhalten, die ich vermittelt bekommen habe. Wo trägt eigentlich die gesamte Masse der Professoren an deut,schen Fakultäten die Verantwortung für das, was sie als theologische Wissenschaft ausgeben, weitergeben im Verhältnis zu dem, was der Pastor jetzt als magnus consensus sagen muß? Ich appelliere drittens an den Pfarrertag, wenn es so etwas gibt, oder den Zusammenschluß von Pastoren und Konventen oder wie immer. Wie stehen Sie eigentlich zu einem Verfahren, bei dem die Masse der Pastoren genau weiß, daß sie in der Praxis sich anders verhalten, ausdrücken, lehren und predigen als das etwa in den Bekenntnisschriften zum Ausdruck kommt? Natürlich sagen Sie mit Recht, wir haben keinen Lehrkonsens wie die katholische Kirche. Dafür würde ich aufs Äußerste kämpfen. Aber haben wir keinen, dann können wir auch nicht so urteilen, als hätten wir einen. Dann können Sie auch kein Verfahren durchführen, als hätten wir einen. Als jemand, der als Lutheraner genau weiß, daß Luther gesagt hat, wir haben eben kein Dogma, denn auch Konzilien können 60
irren, selbst wenn dieses Konzil aus einem Spruchkollegium mit sieben gemeinsamen Meinungen besteht, plädiere ich zum Schluß in diesem Pastorsein dafür, daß ein Pastor in dem, was Sie bekenntnisgemäßes Verhalten nennen, auf sein eigenes theologisches Verantworten verpflichtet ist. Ich sehe, daß Sie mich hier in meinen Fragen an die Kirche im Stich lassen, aus welchen Gründen auch immer.
Vorsitzender: Herr Dr. Schulz, mir ist jetzt nicht ganz klar, was Ihre Erklärung zunächst zum Fortgang des Verfahrens bedeutet. Bedeutet das, daß Sie unser Gesprächsangebot, wie wir es vor einem Jahr in den vier Fragenkomplexen formuliert haben, nicht mehr annehmen wollen, daß Sie also ein theologisches Lehrgespräch mit uns nicht mehr führen wollen? Dr. Schulz: Ich setze dieses von meiner Seite so lange aus, bis die Kirche auf meine Fragen durch kompetente Gremien in irgendeiner Weise reagiert. Vorsitzender: Dann muß ich noch etwas schärfer fragen; das Lehrbeanstandungsgesetz sagt in § 17: »Die mündliche Verhandlung kann nur bei Anwesenheit sämtlicher Mitglieder des Spruchkollegiums und des Betroffenen stattfinden. Ist der Betroffene verhindert, wird ein neuer Verhandlungstermin anberaumt. Verweigert er die Teilnahme, so kann in seiner Abwesenheit verhandelt werden.« Bedeutet Ihre Erklärung, daß Sie die Teilnahme in dem Sinne verweigern, daß Sie ein Lehrbeanstandungsgespräch, jetzt, hier, heute und morgen nicht fortführen wollen? Dr. Schulz: Ich hatte von der aktiven Teilnahme und von der passiven gesprochen. Ich werde hier sitzen und mir anhören, was Sie sagen. Ich werde an dem Gespräch nicht mehr teilnehmen. Sie können meinetwegen das Lehrbeanstandungsverfahren und diese Anhörung abbrechen und dann eine Entscheidung fällen. Meine Positionen sind soweit klar. Ich bin nur der Meinung, daß jedes weiterführende theologische Gespräch zwischen uns an keiner Stelle zur Klärung dessen führt, was magnus consensus ist, wie Sie es Ihrerseits gesagt haben.
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Dr. Barrelet: Um die juristische Frage klarzustellen: Die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung wird keinesfalls verweigert. Herr Dr. Schulz nimmt an der Verhandlung teil, und Herr Dr. Schulz behält sich unter allen Umständen vor, bevor das Kollegium zu seiner Schlußberatung zusammentritt, einen Schlußvortrag zu halten, und ich auch. Es wird weiter an der Verhandlung teilgenommen. Es folgt eine längere Diskussion vornehmlich zwischen Dr. Ostermeyer und Dr. Barrelet über die Frage, wie die von Dr. Schulz erklärte Beendigung seines aktiven Beitrags juristisch zu verstehen sei. Dervon Dr. Ostermeyer empfundene Widerspruch in den diesbezüglichen Äu ßerungen des Betroffenen einerseits und seines Beistandes andererseits klärt sich erst durch den faktischen Verlauf der Verhandlung. Dr. Schulz beteiligt sich nach längerer Pause erst wieder am Nachmittag dieses Verhandlungstages am Gespräch, als er eine Stellungnahme zu dem vorgelesenen Gutachten abgibt (vgl. S. 73). Dr. Wendebourg und Prof. Stegemann äußern sich noch zu dem Problem, ob Dr. Schulz die Lehrmeinung der Kirche bekannt und was unter dem magnus consensus zu verstehen sei:
Dr. Wendebourg: Sie möchten genau wissen, was wir nun im Blick auf Sie meinen. Sie verlangen eine totale Klärung aller anstehenden Fragen, so möchte man fast sagen bei diesem Fragenkatalog. Die kann man natürlich nicht aus dem Ärmel schütteln. Aber wir sind durchaus in der Lage, im Blick auf einige Äußerungen von Ihnen zu sagen: ja oder nein. Sie haben folgendes gesagt in Ihrem letzten Buch »Weltliche Predigten« auf S. 177, und dazu stehen Sie: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß der Tod etwas Endgültiges ist ... Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es keinen absoluten Sinn des Lebens gibt, der transzendent kontrolliert wird .,. Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft, mich sieht, mich begleitet als Realität so nicht gibt ... « Da würde ich schlicht sagen: nein! Das ist nicht Glaube und Lehre der evangelischen Kirche, was Sie hier sagen, und das steht im fundamentalen Gegensatz zu dem, was ich gedenke, solange ich Pastor bin, auch zu vertreten und was ich an den Gräbern auszusprechen mir getraue,
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und zwar mit Gewißheit. Hier sind zwei ganz eklatante gegenseitige Meinungen. Ich fühle mich durchaus hi~r im Zusammenhang mit und gedeckt von der Heiligen Schrift, die die letzte Norm kirchlicher Lehre ist. Danke. Prof Stegemann: Sie haben als siebte Frage die Weltentstehung, sprich Schöpfungsglaube. Ich kann mir vorstellen, es gibt einen, ' der verkündigt als Pastor schwerpunktmäßig in Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften. Die Naturwissenschaftler wissen selber letztlich nicht, wie die Welt entstanden ist. Es gibt verschiedene Theorien, und es gibt hier und da Lücken, da ist Platz für unseren christlichen Gott, der die ganze Welt geschaffen hat. Wenn ein Pastor so predigt, dann würde man ihm kein Verfahren machen. Man könnte zu der Überzeugung kommen, daß aus anderen Gründen eine solche Sicht etwas problematisch ist, aber sie widerspricht nicht dem, was in der Schrift steht. Ein anderer lehrt an diesem Punkt, daß vom Neuen Testament hier eine spezifische Mitwirkung Christi bei der Weltschöpfung gegeben sei. Ihn interessieren weniger die Naturwissenschaften. Auch er steht auf dem Boden der Bibel. Der dritte sagt, diese Spekulationen um die Entstehung der Welt und heutige Naturwissenschaft sind doch alle nicht relevant für uns als heutige Christen. Ich gehe davon aus, daß ich selbst ein Geschöpf Gottes bin, daß ich mich nicht selber geschaffen habe, und lasse mich auf die anderen Fragen gar nicht ein. Auch das könnte eine Position sein, die sich als schriftgemäß darstellen und durchaus mit dem Bekenntnis, dem Kleinen Katechismus und so weiter übereinstimmen könnte. Sie haben nun auch in diesem Zusammenhang der Weltentstehung und des Schöpfungsglaubens eine Menge geäußert, in dem, was Sie geschrieben haben, und auch hier. Worum es geht in dieser Verhandlung, ist ja nun aber nicht einfach, sich zu beziehen auf das, was Sie oft unter ganz andersartigen Gegebenheiten als in einem solchen Verfahren einmal formuliert haben, sondern nun auf dem Niveau eines solchen Verfahrens Ihnen Gelegenheit zu geben, zu zeigen, daß auch Ihre Auffassungen möglich sind als heutige Interpretation von Schrift. Und darüber haben wir zu befinden. Da können wir uns aber nicht einfach, meine ich jedenfalls, auf die Dinge beziehen, die Sie irgendwo geäußert haben, sondern wir sind unter dem Gesichtspunkt der Beharrlichkeit, daß 63
Sie also beharrlich an ganz bestimmten Auffassungen festhalten, darauf angewiesen, daß Sie uns hier jetzt im Gang des Verfahrens sagen, so und so sehe ich das. Auch Sie selbst haben immer wieder erklärt: Ich bin in diesen Punkten nicht endgültig festgelegt. Wir haben nur solche Möglichkeiten, uns zu unterhalten, und ich würde es sehr bedauern, wenn wir urts lediglich auf in anderen Zusammenhängen entstandene Texte beziehen müßten. Wie mißverständlich das werden kann, ich glaube, das zeigen auch Beispiele aus meinem bisherigen Gespräch. Sie meinen manches doch gar nicht so. Sie wollen dies und das auch gar nicht »beharrlich« immer so gesagt haben. Sie haben es dann eben in einem ganz bestimmten Zusammenhang einmal so gesagt. Das muß doch jeder Pastor, einmal zugespitzte Aussagen machen. Nach diesen Gesprächsbeiträgen erfolgt die Verlesung des Gutachtens (vgl. S. 67ff.). Der Betroffene ruft nach dem dritten Verhandlungstag den Senat für Lehrfragen an und legt ihm seine Fragen und Anträge vor. Der Senat verwirft sie mit Beschluß vom 30. November 1978, weil er nach dem Lehrbeanstandungsgesetz weder sachlich zuständig noch Rechtsmittelinstanz ist. Daraufhin bringt Dr. Barrelet zu Beginn des fünften Verhandlungstages das Bündel der Fragen und Anträge erneut vor, und zwar diesmal direkt an das Spruchkollegium gerichtet. In der erweiterten Begründung betont Dr. Barrelet noch einmal, der Betroffene müsse erfahren, welches die Lehrmeinung der Kirche sei, von der er abgewichen sein soll.
Dr. Barre/et: Herr Pastor Dr. Schulz steht auf dem Boden der Heiligen Schrift und der Bekenntnisschriften. Gemäß Art. 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Durchführung dieses Kirchengesetzes ist es sein Auftrag, Schrift und Bekenntnis von ihrer eigenen Geschichte her zu verstehen und der Tatsache zu entsprechen, daß diese bei der Bezeugung heute der Auslegung bedürfen. Pastor Dr. Schulz bemüht sich um eine solche Auslegung. Aus seiner Sicht ist seine Auslegung schrift- und bekenntnisgemäß. Sofern das Kollegium demgegenüber gegen einzelne entscheidende Punkte der Verkündigung von Herrn Dr. Schulz Bedenken erheben sollte, muß ihm Gelegenheit gegeben werden, sich dazu zu
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äußern, weil nur dann festgestellt werden kann, ob er »beharrlich« an abweichenden Äußerungen festhält . Vorsitzender: Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß Herr Dr. Schulz, wie Sie auch sagten, um Schrift und Bekenntnis weiß. Sie haben gesagt, er stehe auf dem Boden von Schrift und Bekenntnis. Das bedeutet, daß es keineswegs so ist, daß er im Stande der vollkommenen Unschuld ist und noch nie gehört hätte, was die rechte Lehre der Evangelischen Kirche ist, sondern er hat Theologie studiert. Er hat sich aufgrund seiner theologischen Information auch in der Lage gesehen, die Ordinationsverpflichtung einzugehen. Auf diese Ordinationsverpflichtung sprechen wir ihn an. Wir halten ihm keineswegs etwas vor, was ihm unbekannt wäre oder ihm noch nie gesagt worden wäre, sondern wir fragen ihn und müssen uns bemühen zu klären, ob diese Ordinationsverpflichtung eingehalten worden ist oder nicht.
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Schöpfungsglaube und Naturwissenschaft (3. Verhandlungstag: Das Gutachten)
Schon am zweitenVerhandlungstag stellt Dr. Barrelet den Antrag, zwei Sachverständige gutachterlich zu hören: Prof. Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker, Starnberg, zum Themenbereich Theologie und Naturwissenschaft und Prof. Dr. Paul Lorenzen, Erlangen, zum Themenbereich Rationale Ethik und Botschaft Jesu. Das Lehrbeanstandungsgesetz sieht eine Beiziehung von Gutachtern nicht vor. Gleichwohl kommt das Spruchkollegium dem Betroffenen entgegen und erklärt sich bereit, schriftliche Gutachten der genannten Wissenschaftler anzufordern. Der Vorsitzende betont, daß das Spruchkollegium nicht der Beratung in den theologischen Grundsatzfragen bedürfe. Er formuliert vier Fragen an die Gutachter:
1. Kann moderne Naturwissenschaft überhaupt positive oder negative Aussagen zur Gottesfrage machen? Zwar ist unbestritten, daß naturwissenschaftliche Einsichten zur Korrektur überkommener Gottesvorstellungen führen müssen. Aber ist Ihres Erachtens Dr. Schulz im Recht, wenn er behauptet, naturwissenschaftliche Methodik müsse auch auf die Rede von Gott angewandt werden, so daß gesagt werden müsse, Gott ereigne sich in den unabdingbaren physikalischen und chemischen Prozessen kosmischen Geschehens? (S. 31 seines Buches). 2. Würden Sie Dr. Schulz zustimmen, wenn er meint, das von ihm vertretene Prinzip Liebe entspreche der aus der Naturwissenschaft abgeleiteten Forderung schärfster Rationalisierung und erfülle daher die Bedingungen, die nach dem Falsifikationsprinzip zu stellen sind? Oder muß der Naturwissenschaftler darauf verzichten, Maßstäbe und Normen eines Prinzips Liebe aufzustellen? 3. Ist es richtig, wenn Dr. Schulz unter Berufung auf die moderne Naturwissenschaft eine streng rational begründete Anthropolo66
gie vertritt, die den Menschen auf die in ihm liegenden Möglichkeiten zurückweist? Oder muß nicht - gerade im Blick auf die Erkenntnisse der medizinischen Forschungen in ihren verschiedenen Disziplinen sowie die Psychologie und die ihr benachbarten Fächer - wesentlich differenzierter geredet werden? 4. Kann man überhaupt in einer so pauschalen Weise von der Naturwissenschaft schlechthin sprechen, wie es Dr. Schulz tut, um mit Hilfe dieser Abstraktion der Theologie Möglichkeiten und Methode ihres Denkens vorzuschreiben? Kann man wirklich - wie Dr. Schulz es in Aufnahme der Popperschen Erkenntnislehre will- moderne Naturwissenschaft als Fortsetzung der Religion und der Theologie mit quantitativ besseren methodischen Mitteln bestimmen? (S. 49 seines Buches). Diese Fragen werden Prof. Lorenzen und Prof. von Weizsäcker gestellt. Prof. Lorenzen äußert sich in einer vorläufigen Stellungnahme brieflich an den Vorsitzenden, gibt aber dieses Votum nicht zum Gebrauch innerhalb des Verfahrens frei, sondern erklärt, er wolle sich nur mündlich äu ßern. Dr. Barrelet erneuert seinen Antrag auf mündliche Anhörung von Prof. Lorenzen. Auf Anfrage des Vorsitzenden erläutert Dr. Schulz, daß Prof. Lorenzen vor allem kompetent sei, zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie zu sprechen. Das Spruch kollegium lehnt den Antrag erneut ab. Auch seien die erkenntnistheoretischen Ausführungen von Dr. Schulz letztlich nicht Gegenstand der Beurteilung im Blick auf das Lehrbeanstandungsgesetz. Zur Frage von Theologie und Naturwissenschaft wisse man sich durch das Gutachten von Prof. von Weizsäcker hinreichend unterrichtet. Dieses Gutachten wird im Wortlaut verlesen. Der erste (Vorbemerkung) und letzte (Zur Theologie von Paul Schulz) Teil werden hier wiedergegeben:
Gutachten zum Lehrbeanstandungsverfahren gegen Herrn Pastor Dr. Paul Schulz
(Auszüge) Das Spruchkollegium, welches das Verfahren gegen Herrn Dr. Schulz durchführt, hat mich auf Anregung von Dr. Schulz um ein 67
Gutachten gebeten. Es sei mir erlaubt, zunächst eine Schwierigkeit zu nennen, auf die ich beim Versuch seiner Abfassung gestoßen bin. Sie hängt, wenn ich mich nicht täusche, damit zusammen, daß überhaupt ein Lehrbeanstandungsverfahren gegen einen ordinierten Pastor eröffnet worden ist. Ein Blick auf die Reaktion der Öffentlichkeit kann dies verdeutlichen. Das Verfahren hat große Publizität gefunden. Diese Publizität war vorhersehbar. Sie ist im Grundton vorwiegend negativ gegenüber der verfaßten Kirche. Es ist freilich unbestritten, daß die Kirche zu einem solchen Verfahren berechtigt ist. Positiv-rechtlich geht dies aus der Lehrordnung der VELKD vom 16. Juni 1956 hervor. Auch die öffentliche Meinung kann einer Religionsgemeinschaft, die ein Lehramt unterhält, das Recht nicht absprechen, zu überprüfen, ob ein Träger dieses Amtes es in einem Sinne ausübt, der mit dem erklärten Bekenntnis der betreffenden Religionsgemeinschaft vereinbar ist. Aber schon diese Form der Anerkennung des Verfahrens bedeutet eine Distanzierung des so Urteilenden von der Kirche. Dr. Schulz hat klargemacht, daß er Glied der Kirche ist und bleiben will, und daß er für die Lehre, die er vertritt, im kirchlichen Lehramt einen legitimen Raum beansprucht. Viele Beobachter des Verfahrens, denen meist an den speziellen Ansichten von Dr. Schulz wenig gelegen ist, fragen sich gleichwohl, ob ihr eigener Ort noch in der Kirche sein kann, wenn diese einem Manne wie Schulz die Kanzel verschließt. Die bloße Tatsache des Verfahrens ist für diese Beobachter ein Beleg für die alte Überzeugung von der autoritären Enge der Kirche. Nachdem sich die Kirchenleitung trotz dieser auf der Hand liegenden Bedenken entschlossen hat, das Verfahren zu eröffnen, ist es selbstverständlich, daß dieses mit einer Sorgfalt durchgeführt wird, die Herrn Dr. Schulz jede Gelegenheit gibt, seinen Standpunkt zu verteidigen. Dies ist - wie die Dinge liegen - nicht nur im Interesse von Dr. Schulz, sondern ebenso sehr im Interesse der Kirche. Ich habe mich - wenn ich hier mein persönliches Motiv aussprechen darf - um dieses Interesses der Kirche willen bereit erklärt, für das Verfahren ein Gutachten zu erstatten. Ich stoße nun aber auf die Schwierigkeit, daß mir das eigentliche Problem nicht darin zu liegen scheint, ob die Ansichten von Dr. Schulz noch diesseits oder schon jenseits der für die Kirche akzeptablen Grenzen im Felde möglicher Lehre liegen. Seine Ansichten erscheinen
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mir persönlich weder theologisch noch naturwissenschaftlich tief genug begründet. Dies ist freilich nur eine private Reaktion des Gutachters. Aber seine Ansichten erscheinen mir als eine, wenn auch unzureichende, so doch unüberhörbare Formulierung eines echten, ja fundamentalen Problems der Kirche. Ich sehe mich daher außerstande, über die Ansichten von Dr. Schulz zu urteilen, wenn ich nicht zuvor versucht habe, das Problem der Kirche, das Sie spiegeln, direkt und ohne Bezugnahme auf ihn zu formulieren. Dieser Versuch ist mir zum hauptsächlichen Inhalt des hiermit vorgelegten Gutachtens geworden. Es ist selbstverständlich, daß ich den Versuch lediglich als meine persönliche Auffassung vortrage. Ich muß mit der Möglichkeit rechnen, daß meine hier geschilderten Ansichten mir, wäre ich Pfarrer, ebenfalls eine Lehrbeanstandung zuziehen würden. Jedenfalls aber bin ich, indem ich mir diese Ansichten gebildet habe, aus Überzeugung Glied der Kirche geblieben, ja in dieser Überzeugung befestigt worden. Ich muß also wünschen, daß auch für Träger des Lehramts, die etwa in der hier geschilderten Richtung denken, Raum in der Kirche ist. Das Gutachten erörtert dann unter Bezugnahme auf Publikationen des Gutachters grundlegende Fragen zum Verhältnis von »Kirchenlehre und Weltverständnis« , im Blick auf die Christologie, die Lehre von Gott, Welt und Mensch sowie das christliche Leben. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Darlegungen geeignet sind, die Urteile von Dr. Schulz über Theologie und Kirche zu unterstützen oder zu kritisieren. Es genügt ein Verweis auf die Zustimmungen und Widersprüche, die der Betroffene selbst im Schlußwort formuliert hat (vgl. S. 170f.). Der angemessene Ort für eine Sachdiskussion mit C. F. von Weizsäcker ist nicht dieses Verfahren, sondern z. B. die gegenwärtige theologische Literatur, wo sie auch ingroßerBreitegeführtwird.lnnerhalbdesVerfahrens war der Gutachter weder nach seiner Gesamtsicht von Theologie und Kirche noch danach gefragt, ob Dr. Schulz Pastor bleiben dürfe (so formuliert der Gutachter selbst unten seine Aufgabe, während sich die an ihn gerichteten Fragen auf S. 66f. finden). Auf die Position von Dr. Schulzgehtdas Gutachten in einem Schlu ßteil ein, als zunächst einige zentrale Thesen aus dem Buch des Betroffenen kurz dargestellt und dann beurteilt werden.
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Die naturwissenschaftliche Substanz der Argumentation ist, wie es nicht anders sein kann, dünn. Man darf dem Verfasser nicht vorwerfen, daß die mit Fleiß gesammelten und im ganzen zutreffend vorgetragenen naturwissenschaftlichen Kenntnisse doch stets den Eindruck des Angelesenen machen. Irritierend wirkt eher die Selbstsicherheit des Vortrags. Auf die reißerische Titelfrage »Ist Gott eine mathematische Formel« gibt Seite 29 mit drei Worten die richtige Antwort: »Mit Sicherheit nicht«. Vier Sätze später folgt die Erläuterung: »Gott als Realität kann also nie eine mathematische Formel sein. Aber man kann und wird versuchen, das mit Gott als Realität Gemeinte mittels mathematischer Formel zu erfassen« (S. 30). Aber diese Ankündigung bleibt folgenlos. Die großen theologisch-mathematischen Spekulationen, von Platon über Proklos und Kepler bis Heisenberg sind dem Verfasser sichtlich unbekannt. Seine Theologie des Werdens faßt er in die Sätze: »Gott - das Absolute, das Unabdingbare, ereignet sich als Prinzip des Werdens, als Prinzip des Geschehens, als Prinzip des Wirkens. Gott - Urkraft, die unbedingt und ständig neu zur Gestalt drängt« (S.31). Soll ich als Naturwissenschaftler zu einer solchen Theologie Stellung nehmen, so kann ich jedenfalls nicht bestreiten, daß sie mit unseren wissenschaftlichen Kenntnissen vereinbar ist, muß aber betonen, daß sie - was Schulz freilich auch nicht behauptet - gewiß nicht aus ihnen folgt. Nicht zustimmen kann ich jedoch seiner Meinung, sie sei erst durch die heutige Naturwissenschaft möglich gemacht: »Erst die alle bisherigen Grenzen überschreitenden Erkenntnisse der Atomphysik, der Astrophysik, der Evolutionstheorie, der Biochemie, der kybernetischen Anthropologie, der futurologen Gesellschaftstechnologie machen es möglich, von Gott in ganz neuen Dimensionen zu sprechen, nämlich von Gott als dem Absoluten, dem Unabdingbaren allen Werdens, allen Geschehens, allen Wirkens, das ständig neu zur Gestalt drängt und sich als das alles Umgreifende durchsetzt und vollendet« (S. 45). Schulz' Formel ist zum Beispiel inhaltlich nicht allzu weit entfernt von jenem spätantiken Hymnus, der in Toblers Übersetzung unter dem Titel »Die Natur« Aufnahme in Goethes Werke gefunden hat. Eine wesentliche Grenze der Schulzschen Argumentation liegt in seiner offensichtlichen Unvertrautheit mit der Geschichte der philosophischen Theologie, von den Griechen bis zum Deut70
sehen Idealismus. Nur diese Unkenntnis macht seine Berufung auf »mikro- und makrokosmische Dimensionen« für die Verwerfung des persönlichen Gottes begreiflich. Offensichtlich ist ihm der überpersönliche Gott der griechischen Philosophie und die gesamte Denkanstrengung der patristischen und scholastischen Gotteslehre fremd geblieben; »Person« bleibt ihm ein mythisches Bild. Soll ich als Naturwissenschaftler und Philosoph über diese Teile des Buches von Schulz unter dem Anspruch urteilen, daß es einen Beitrag zur systematischen Theologie im naturwissenschaftlichen Zeitalter geben wollte, so kann mein Urteil nur ganz distanziert sein. Man kann aus diesem Buch zu diesen Fragen nichts Haltbares lernen. Aber die Frage, die dem Spruchkollegium und damit dem Gutachter gestellt ist, ist nicht, ob man aus dem Buch theologisch etwas lernen kann, sondern, ob der Verfasser dieses Buches kein Pastor mehr sein darf. Es ist mir klar, wie schwer eine solche Frage für eine Kirchenleitung ist. Ohne Zweifel hätte man die Meinungen von Paul Schulz vor hundert Jahren, ja vor fünfzig Jahren von einer lutherischen Kanzel herab vertreten können. Soll man es heute dürfen? Um dieser Frage willen habe ich die lange Einleitung des Gutachtens geschrieben. Schulz hat ein Verdienst, das ich seinen kirchlichen Kritikern, wie ich fürchte, nicht zubilligen kann. Er hat erkannt, daß man als christlicher Theologe die moderne Wissenschaft und die gesamte moderne Bewußtseinshaltung voll ernst nehmen muß. Er hat, mit zugegebenermaßen unzureichenden Mitteln, mit dieser Erkenntnis praktisch Ernst gemacht. Er hat gesehen, daß die in der neueren Theologie traditionelle Lösung des Problems durch eine regionale Abgrenzung »hier Theologie, dort Naturwissenschaft« völlig unzureichend ist. Es mag sein, daß seine philosophische Naivität ihm diesen Durchbruch erleichtert hat. Ich kann über einen Mann nicht den Stab brechen, der auf einem etwas zu billigen Niveau an einem Problem scheitert, auf das, soweit ich sehen kann, kein heute Lebender eine adäquate Antwort weiß. Ich würde es bedauern, wenn ein Verweis des Dr. Schulz von der Kanzel den Eindruck in der Öffentlichkeit erwecken würde, daß man in diesen für uns lebenswichtigen Fragen als Pastor der Lutherischen Kirche das Wagnis bis zum Scheitern nicht auf sich nehmen darf. Dies ist, wie erkennbar, das Urteil eines Liberalen. Dabei geht es mir nicht um die Ver71
teidigung von Positionen der sogenannten liberalen Theologie, sondern um die Wichtigkeit der Toleranz für die gemeinsame Wahrheits suche . Ich fühle mich jedoch genötigt, diesem Urteil über die systematische Theologie von Schulz einige Worte über seine neutestamentliche Exegese und seine Ethik, letztlich über seine Form der Seelsorge hinzuzufügen. Aus den einleitenden Teilen dieses Gutachtens geht hervor, daß ich seinem Urteil über die Wichtigkeit der Frage nach dem historischen Jesus nur zustimmen kann. Auch an Schulz sehen wir freilich, wie sich im Jesusbild eines Interpreten stets zugleich dessen eigenes Bild spiegelt. Er ist tief berührt und getröstet durch die wunderbare Freiheit, die aus allen Worten und Handlungen J esu spricht. Er hört den die Moral umwertenden Ton der Liebe in dem Wort: »Dieser Frau sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebt« (S. 218). Aber man spürt auch, wie er in seinem Kampf gegen kirchliche Autorität Jesus auf seiner Seite weiß. Dabei geht viel verloren. Am deutlichsten ist dies vielleicht im Eudämonismus seiner Ethik. Die »Hamburger Zehn Gebote« (S. 245ff.), gewiß Ergebnis eines interessanten seelsorgerlichen Experiments, bringen es doch zuwege, die nobleren unter den Vorurteilen der Wohlstandsgesellschaft zum Inhalt einer Lehre zu machen, die den Anspruch erhebt, christlich zu sein. Der radikale Bruch Jesu mit »dieser Welt«, der eigentliche Stein des Anstoßes in der gesamten Kirchengeschichte, kommt zum verschwinden. Er wird reduziert auf den Bruch mit der pharisäischen Moral, die, von dieser Seite her attackiert, überhaupt nicht mehr in ihrer ärmsten Größe erscheint. Es scheint hier, als habe Jesus ihre Strenge und nicht ihre Selbstgerechtigkeit kritisiert. Wiederum: Es liegt mir ferne, zu meinen, diese Stimme dürfe in der Polyphonie christlicher Seelsorge nicht auch erklingen. Ich hätte gewünscht, die Hamburger Kirche hätte es vermocht, diesen Bruder zu ertragen. Ich möchte nur nicht verhehlen, daß ich auch hier für den hohen Wert der Toleranz und nicht für die Meinungen von Paul Schulz plädiere. Im Anschluß an dieses Gutachten betont der Vorsitzende, es sei nicht strittig, daß die Theologie Kenntnis zu nehmen habe von Einsichten der modernen Naturwissenschaft. Es gehe jetzt aber darum, wie zum Beispiel Luthers Aussage im Kleinen Katechis-
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mus heute zu interpretieren sei: »Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen ... «
Vorsitzender: Sie werden als Pastor der Kirche, der den Predigtauftrag und die Lehre in der Kirche wahrzunehmen hat, gefragt, wie Sie diese Aussage interpretieren. Wir können uns nicht damit zufriedengeben, daß man sagt, ich kann eine vergangene Aussage aufgrund heutiger naturwissenschaftlicher Einsichten überhaupt nicht mehr rezipieren, sondern wir werden Sie fragen, genauso wie wir uns selber fragen müssen, wie interpretieren wir die uns überkommene Aussage: »Ich glaube an Gott, den Schöpfer«. Dr. Schulz: Sobald Sie mehr sagen, als Sie selber meinen, sobald Siti klarmachen können, daß hier ein »magnus consensus« vorliegt, und über das, was Sie persönlich meinen, hier in diesem Gespräch hinausgehen und über das hinausgehen, was hier die einzelnen Herren meinen, habe ich meine Gesprächsbereitschaft ab sofort dokumentiert. Das ist eine Geschäftsaussage. Ich würde Sie auch bitten zu respektieren, daß ich nur dann eine Aussage machen will, und nicht über Second-hand-Wege wieder zu versuchen, mich ins Gespräch zu ziehen. Ich habe eine deutliche Aussage gemacht. Ich erwarte Ihre nicht persönliche, sondern der Kirche magnus-consensus-Aussage. Vorsitzender: Herr Schulz, ich will Ihnen gerne antworten. Sie sind evangelischer Pastor. Sie sind ordiniert auf das Bekenntnis der Reformation. In Luthers Großem Katechismus (und ich glaube, das kann ich hier als Ausdruck des magnus consensus zitieren) heißt es zum Ersten Artikel: (verliest in Auszügen die Erklärung zum ersten Glaubensartikel aus Luthers Großem Katechismus). Dieses ist magnus consensus der predigenden evangelischen Kirche. Die Frage ist, ob Sie den Satz »Ich glaube an Gott den Schöpfer« interpretieren können, oder ob Sie sagen - diesen Eindruck habe ich bisher - dieser Satz sei für Sie nicht mehr gültig. Ich meine, daß zumindest mit diesem Zitat aus dem Gro ßen Katechismus - man könnte es auch noch fortsetzen (ich mache mir dieses Zitat, um es noch einmal zu verdeutlichen, auch als meine persönliche Meinung zu eigen) -, die Frage nach dem magnus consensus zumindest in ihrer grundsätzlichen Richtung beantwortet ist. 73
Dr. Schulz: Wenn Sie dies als magnus consensus hier demonstrieren, dann bin ich sehr sicher, daß alles, was ich im Denken versucht habe, dem entspricht, was Sie im Glauben sagen. Ich bin sehr sicher, daß das, was ich von Gott sage in meinen Denkversuchen, von gleicher Qualität ist als Auslegung meiner persönlichen Meinung wie das, was Sie als Glaubensversuche tun. Es muß zwangsläufig zu einer anderen Sprache führen, aber ich bin in diesem Augenblick voll überzeugt, absolut, daß meine Denkversuche in dieser modernen Welt mindestens die Qualität haben wie Ihre Glaubensversuche. Und damit fühle ich mich absolut in der Tradition dieser lutherischen Auslegung des ersten Glaubensartikels. Dr. Wendebourg: Herr Dr. Schulz, dann frage ich zurück: Wie kann das zusammenstimmen? Sie haben - ich habe das vorhin schon zitiert - gesagt: »Ich habe mich dazu bekannt, daß es einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft, der mich sieht, der mich begleitet, als Realität nicht gibt« (Predigten S. 177). Luthers Erklärung hat genau dieses gemeint. Es geht ja nicht nur um den Schöpfer, sondern auch um den Erhalter und den Begleiter; und Luther meint nichts anderes als eine Umschreibung dessen, was Sie hier für sich nicht so gelten lassen können; denn für Luther ist Gott in der Tat eine Realität. In dem Gespräch über Gott, als wir es damals führten, war Ihr Ansatz, das haben Sie ausdrücklich gesagt, Feuerbach; und dieses Bekenntnis und Feuerbach, das sind doch wohl zwei Stiefel. Dr. Schulz: Also zum Gehen, Herr Wendebourg, braucht man immer zwei Stiefel. Ich bin der Meinung, daß das, was Luther in bildhaften Formeln beschreibt, in meinen Formeln sich wiederfinden läßt. Die Betroffenheit durch Seinsvorgegebenheiten hat mit Sicherheit die gleiche existentielle Funktion wie Luthers Bildhaftigkeit. Da sind die Sprachbilder etwas verschieden. Aber ich würde Luther sofort verstehen; er würde nur andere Bilder benutzen. Ich bin nicht gezwungen, die Bilder von Luther zu übernehmen, meine aber im Kern genau das gleiche. Dr. Wendebourg: Das kann man nicht nur mit dem Sprachproblem erledigen, denn im griechischen Denken ist Gott in der Tat die Urkraft des Seins, und gerade das ist Gott für Martin Luther und
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für das Neue Testament nicht. Er ist nicht die Urkraft des Seins, sondern er ist der, der das Sein überhaupt erst zum Sein gebracht hat. Dr. Schulz: Ich finde diese Formulierung, die ich geschrieben habe, faszinierend, als Christ. Daß Sie das nicht verstehen oder es anders hören möchten, das ist ja Ihr Problem. Aber es gelingt mir voll, mit diesen Bildern klarzumachen, was christlicher Schöpfungsglaube ist. Ich gestehe Ihnen zu, daß, wenn Sie es gerne anders haben wollen, ich mit Ihnen auch in anderen Bildern sprechen will. Sagen Sie mir, welche Sprache? Griechisch oder vielleicht auch französisch. Aber das griechische Sprachbild, die griechische Weltvorstellung , daß die Existenz des Menschen von einer Urkraft her entwickelt ist, die zur Gestalt kommt, wie ich das formuliert habe, hat auf vielen Veranstaltungen (selbst von Pastoren) ein solches Rückwirkungsfaszinosum, daß ich mich wundere, daß Sie es nicht verstehen. Ich würde nur sagen, ich bin davon ausgegangen - das war ja meine conditio - daß mit Ihrem GroßenKatechismus-Zitat hier zunächst einmal so etwas wie der magnus consensus formuliert sei. Das haben Sie mir geboten. Damit habe ich die Meinung gehabt, daß Sie meinem Bedürfnis entgegengekommen sind, und gesagt, das nehmen wir mal als Ausgangspunkt. Ich habe mich eigentlich eindeutig in die'Tradition dieser Aussage gestellt. Dr. Ostermeyer: Auch mit Ihren »Weltlichen Predigten«, aus denen ja schon zitiert wurde, haben Sie sich 'eindeutig in die Tradition des Katechismus gestellt? Es wurde doch bereits zitiert: (zitiert wiederum aus S. 177). Ist das nun verschiedene Sprache wie Luther, ein anderes Bild, oder ist es ein qualitativer Unterschied? Dr. Schulz: Das ist ein Unterschied im Problem. Lassen Sie mich zunächst noch etwas sagen. Ich komme gleich darauf zurück. Dr. Ostermeyer: Ich möchte jetzt bitten, daß die Herren, die sich schon lange gemeldet haben, auch einmal zu Wort kommen.
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Dr. Schulz: Noch habe ich das Wort. Sie sind doch Jurist und wissen, wie Verfahrensweisen ablaufen. Solange der Vorsitzende mir das Wort gibt, sind Sie bestenfalls hier im Raum geduldet. Dr. Schulz erinnert an seine Verhältnisbestimmung von Glauben und Denken, die er am zweiten Verhandlungstag dargestellt hatte (vgl. S. 46ff.). Er betont, der Vorsitzende habe hier damals »offene Fenster« gesehen. Zum Einwurf von Dr. Ostermeyer erklärt er:
Dr. Schulz: Da würde ich schon meinen, daß ein Gespräch mit Luther über seine Aussagen, wie er sie denn mit dem Kleinen oder Großen Katechismus gemeint hat, warum er das so sagt, mehr von der Funktionalität seines Redens sichtbar machen würde als von seinem Inhalt. Ich glaube, das wäre zu komisch, wenn ein moderner Theologe heute an den einzelnen Inhalten seiner Aussage buchstäblich hängen würde und nicht die Funktionalität jenes Redens begreifen würde. Es folgt ein Gespräch zwischen Prof. Stegemann und Dr. Schulz über die Frage, ob man Luther so unmittelbar ins zwanzigste Jahrhundert transponieren könne. Prof. Stegemann spricht dann Dr. Schulz auf seine pfarramtliche Praxis an, die von einem Menschenverständnis ausgegangen sei, das sich mit dem des Großen Katechismus stärker berühre als mit dem des Griechentums.
Prof Stegemann: Wenn ich mir Ihre pfarramtliche Praxis überlege, dann war die doch zum Teil- zumindest was die Anfänge Ihrer Praxis anbetraf - durchaus auf Verhältnisse abgestellt (Stichwort Seelsorge für Drogenabhängige und solche Dinge), die nun gerade nicht geprägt waren von dem stolzen autonom denkenden Menschen, der die anderen verachtet, sondern ganz andere Implikationen Ihres Engagements einbringt. Sehen Sie darin - jetzt bezogen auf Ihre pfarramtliehe Praxis - eine Aufnahme solcher Aspekte aus dem Kleinen oder Großen Katechismus? Dr. Schulz: Wissen Sie, ich möchte Ihnen gerne - gerade bei dieser Frage - das Bewußtsein schärfen an der Stelle, daß jemand, der vom autonomen Menschen spricht, nicht von etwas Schlechtem 76
spricht. Meine Erfahrung ist vielmehr die, daß da, wo der Mensch wirklich konsequent um sich herum zu denken beginnt, er nicht zwangsläufig in die Hoffärtigkeit des Herrenmenschen gerät - und nun sage ich mal sehr zugespitzt meine Erfahrung: seltsamerweise in die Entscheidungsnähe zu Jesus; es muß nicht sein, ich bin ja nicht hoffärtig, aber es kann. Meine Erfahrung ist derzeit, daß das Risiko auf J esus hin - auf diese Zentralgestalt unserer Kirche vom Denken her eine Betroffenheit ausmachen kann, die ich als Glaubender (und ich habe das nun mal über fünfzehn Jahre lang fest geglaubt) nie hatte. Ich brauche nicht zurückzufallen in welche mysteriöse Glaubensvorstellungen auch immer. Ich kann den Menschen sagen: Leute, riskiert euer Leben einmal, und die Chance ist sehr groß, daß ihr dem Jesus sehr existentiell nachfolgt. Ich weiß gar nicht, wieviel Leute es hier riskiert haben. Und bevor sie es nicht riskiert haben - das sage ich ganz scharf, weil es ja um meine persönliche existentielle Betroffenheit geht -, verbitte ich mir, daß jemand mir meine Nähe zu Jesus über einen anderen Weg abspricht. Das bin ich meinem eigenen Verhältnis zu Jesus schuldig - und meinem pastoralen Bewußtsein, daß ich vielen Menschen diesen Weg auf Jesus hin über diesen Weg geöffnet habe. Diese Menschen haben wesentlich in der Nachfolge dieser Kirche ihr Leben riskiert in St. J acobi durch einen denkenden Versuch auf diesen historischen J esus hin und werden sich selber als Christen bezeichnen. Und nun weiß ich gar nicht, woher eine Institution das Recht nimmt, diesen Menschen das abzusprechen. Ich stehe nicht für die Absolutheit dieses einen Weges. Ich stehe hier für den Versuch, daß Menschen, die den einen Weg nicht mehr so unmittelbar nachsagen können, wie es § 1 aus dem Großen Katechismus sagt, den sie transponieren müssen, daß sie auch eine christliche Chance haben mit allen Möglichkeiten des Risikos. Vorsitzender: Ihre Toleranz, die Sie jetzt andeuten, ist nicht so groß, wie Sie uns in Aussicht stellen. Sie sagen auf S. 94 Ihrer »Weltlichen Predigten«: »Die alten Vorstellungen von Gott werden von der Amtskirche ... zur Aufrechterhaltung ihrer eigenen institutionellen Macht vertreten. Nicht die Gottesfrage an sich interessiert die Kirche« - ich möchte wissen, woher Sie das Recht haben, das so zu sagen -, »sondern vielmehr das ihr eigene Gottesbild. Die Kirche« - Sie sind doch wohl auch noch in der Kirche?-
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»zielt viel weniger darauf, daß der Mensch mit Gott seine Existenz verstehen lernt, als darauf, daß der Mensch die Kirche anerkennt, indem er das ihr eigene Gottesbild akzeptiert.« Und nun möchte ich Sie fragen: Sie behaupten, Sie stehen in der Kontinuität Luthers. Sie haben damals in dem Spiegel-Interview vom 1. 11. 1976 folgendes gesagt zur Schöpfung: »Spiegel: Ihnen ist der Glaube an Gott abhanden gekommen, heißt es. Sind Sie Atheist? Antwort: Wenn Gott eine Person sein soll und wenn Gott die Welt erschaffen haben soll, dann allerdings bin ich Atheist. Gott als Person und Schöpfer, das sind völlig überholte Denkmodelle. Spiegel: Die christliche Theologie und Philosophie ging bislang davon aus, daß Gott Person ist. Antwort: Es liegt aber doch viel näher, daß dieses jahrtausendealte Bild von dem persönlichen Gott eine tröstliche Erfindung von Menschen ist. Der Mensch, der von Gott spricht, spricht im Grunde nur von sich selbst.« Ich übergehe, was Sie dann zum Beten sagen. »Spiegel: Sie glauben nicht an einen persönlichen Gott. Wieso nicht einmal an einen Schöpfergott? Antwort: Weil ich die Welt ohne einen Weltenschöpfer genauso gut, wenn nicht besser, verstehen kann. Spiegel: Wie ist denn die Welt Ihrer Meinung nach entstanden? Antwort: Ich weiß es nicht. Ich brauche es auch nicht zu wissen. Für mich ist entscheidend, daß die Naturwissenschaften ohne übernatürliche Kategorien auskommen. Nirgendwo haben sie einen Beweis dafür entdeckt, daß das Leben von Gott kommt.« Hier kann ich schlechterdings bei allem Willen, Sie zu verstehen, nicht begreifen, wie Sie in Anspruch nehmen können, in der Kontinuität von Luthers Worten im Großen Katechismus zu stehen. Das ist mir wirklich nicht begreiflich. Sie sagen genau das Gegenteil. Dr. Schulz:. Dann werden wir noch einmal versuchen, gemeinsam darüber nachzudenken, Herr Lohse. Das kriegen wir nämlich hin. Das wird man nämlich über mehrere Windungen begreifen müssen. Ich habe vorhin mal gesagt, der Sinn theologischer Identitäten - auch das wissen wir seit vielen Jahren - kann ja kaum in den jeweiligen einzelnen Konkretionen der Aussage stehen, im Inhalt, also Vieh, Weib und so. Das Problem ist doch vielmehr, von der Funktionalität des Jesus zu sprechen, also nicht von dem Inhalt jeweils: wie drückt sich das nun in einzelnen Sprachbildern aus, sondern welche Funktion hat das Leben? Und da bin ich allerdings 78
der Meinung, ich sage es mal so als Werkstattgespräch, daß auch Luthers Aussagen die Funktion des Sich-Vorstellens haben. Na, was denn sonst, hat er denn in einem Dachstübchen die Erfahrung gehabt oder wie? Wo hat er es her gehabt? Er hat sich das so zur Interpretation seiner christlichen Existenz definiert - sage ich ganz kurz, gedacht. Wie denn wohl sonst? Entweder müßte der Nürnberger Trichter her und er hat es irgendwo reingekriegt oder hat es gesagt. Wie denn sonst? Erklären Sie mir doch bitte mal, wie denn sonst? Da ist ein Mann, der über Jahrzehnte Theologie macht, der seine lutherische, der seine reformatorische Erkenntnis zur Interpretation der Exegese von Psalm 37 macht. Und eines Tages fällt ihm der Unterschied von genitivus objectivus und subjectivus ein. Eine ganz klare Erkenntnissache: die reformatorische Erkenntnis des sola gratia ist ein Erkenntnisakt des nachdenkenden Mönches Luther. Vorsitzender: Über den Inhalt des Glaubens. Dr. Schulz: Na sicher. Vorsitzender: Das ist aber etwas anderes, als was Sie über das Denken sagen. Dr. Schulz: Ich versuche ja, über meinen Glauben auch lange genug nachzudenken; und Sie sollen vorsichtig sein mit solchen Wertungen meiner Gedanken. Ich habe auch nicht gesagt, ob Sie wohl richtig bisher über Ihren Glauben nachgedacht haben. Wenn Sie das Recht auf mich hin haben, nehme ich es mal auf Sie hin in Anspruch. Vorsitzender: Sie versuchen immer wieder, die Theologie Luthers in die Beliebigkeit seiner individuellen Erfahrung hineinzustellen. Dr. Schulz: Wie denn sonst? Vorsitzender: Ja, sehen Sie, da liegt der fundamentale Differenzpunkt zwischen uns. Wir reden vom magnus consensus, versuchen, Ihnen darüber etwas zu sagen, und Sie weichen jedes Mal aus. 79
Dr. Schulz: Kein Stück. Vorsitzender: Jedes Mal aus. P. Kretschmar: Luther liegt an der fundamentalen, vorgegebenen, konstitutiven Differenz zwischen Gott und Mensch im christlichen Glauben, während Ihnen daran liegt, gerade diese fundamentale Differenz nicht zu sehen, sondern zu sagen, Gott ist der höchste Gedanke, den der Mensch aussprechen kann und auch aussprechen soll. Dann können Sie von der existentiellen Betroffenheit des Denkens ebenso sprechen wie von der existentiellen Betroffenheit des Glaubens. Das kann ich Ihnen auch abnehmen. Nur, Glaube ist ja nicht einfach ein Wort für sich, sondern Glaube an Gott. Dr. Schulz: Im Namen Gottes hat Luther die Türken zu schlagen behauptet und die Juden. Gott sei Dank, daß das nicht Gottes Wille ist. Verstehen Sie? P. Kretschmar: Ich glaube auch nicht an Luther. Dr. Schulz: Gott sei Dank. Ich will Ihnen mal sagen, nur wenn es Ihnen paßt, halten Sie Gott für absolut. Vorsitzender: Wir reden vom magnus consensus und beziehen uns auf die Bekenntnisschriften und nicht auf irgendwelche anderen Äußerungen Luthers. Dr. Schulz: Und deswegen bin ich der Meinung, ich muß Luthers gesamte Aussagen als magnus consensus prüfen. Ich kann nicht sagen: an der Stelle ist er magnus consensus und da paßt es uns gerade. Dann ist er auch in der Judenfrage magnus consensus. Nein? Weil es Ihnen nicht paßt, Herr Ostermeyer, ist er nicht magnus consensus. Dr. Ostermeyer: Das ist Unsinn, Herr Schulz, denn Luther war ein irrender Mensch und hat sicher auch irrige Ansichten gehabt.
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Dr. Schulz: Und nun sagen Sie mal ganz konkret, woher wissen Sie, daß er in seinen Aussagen über Weltschöpfung nicht' irrender Mensch war? Dr. Ostermeyer: Das steht im Katechismus. Der Katechismus gehört zu den Bekenntnisschriften, die Ihrer Ordination zugrunde liegen. Dr. Gehrmann: Gibt es für Sie nicht Probleme als Gemeindepfarrer , wenn Sie das Glaubensbekenntnis vorsprechen oder mit der Gemeinde zusammen sprechen? Bei dem Beginn können Sie doch eigentlich gar nicht dabei sein, wenn es heißt: Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erde? Wie kommen Sie damit klar? Dr. Schulz: Ein ähnlicher Begriff ist mir der Vater-Begriff. Wenn Sie freundlicherweise zur Kenntnis nehmen - denn Sie haben sich ja speziell mit meiner Gottesvorstellung auseinandergesetzt -, daß ich auf gar keinen Fall, Herr Wendebourg, den Begriff Gott auf diese Aussage »universale Urkraft« beschränkt habe. Vielleicht fällt Ihnen ein, daß ich seitenweise in einem ungeheuren Engagement, christlichem Engagement, Gott als Liebe definiert habe und damit den wesentlichen Umbruch von der naturwissenschaftlichen Interpretation auf einen sozialen Bezug mit großem Engagement versucht habe. Seltsamerweise lassen das die Herren ganz unter den Tisch fallen. Ich lasse mich also, und da sind wir in einer sehr schwierigen Situation, auf gar keinen Fall auf Ihren einen Stie~el reduzieren. Und im leichten Galopp, Herr Wendebourg, bringe ich in meinen Gottdefinitionen das unter, was Sie in Ihrem VaterBegriff sagen können. Ich sehe überhaupt keine Schwierigkeiten darin. Nur daß ich wahrscheinlich nicht die Schwierigkeiten habe, die Vaterkomplexe in meiner Begrifflichkeit abbauen zu müssen, die Sie erst abbauen müssen, wenn Sie das genauso sagen wollen. Vorsitzender: Herr Schulz, wir wollten uns darauf einlassen, sach- , lieh zu argumentieren. Dr. Schulz: Das ist sachlich, wenn ich sage, daß viele meiner Konfirmanden den Begriff »Gott ist Vater« einfach nicht ertragen. 81
Ich habe mit so vielen Drogenabhängigen zu tun gehabt, deren Grunddrogenabhängigkeit durchaus ihr Vater war. Denen muß ich ja über drei Umwege erst einmal klarmachen, daß ich das, was als Vater-Sohn-Erfahrung ihren persönlichen Zusammenbruch bedeutet, eben gerade nicht meine mit Gott als Vater. Das ist eine wesentliche existentielle Betroffenheit, mit der Sie im Grabenkampf vorne mit den Menschen, die um ihre Existenz ringen, sich einfach nicht verständlich machen können, und da müssen Sie runter vom dogmatischen Thron, indem Sie sagen: da muß ich Gott eben nicht als Vater definieren und muß mir neue Bilder einfallen lassen, wenn Menschen aus ihrer Lebenserfahrung an diesen Begriffen einfach zerbrochen sind. Vorsitzender: Wollen Sie uns dann bitte die Frage von Herrn Dr. Gehrmann beantworten, wie Sie als Pfarrer das Glaubensbekenntnis im Gottesdienst sprechen? Dr., Schulz: Laut und deutlich, Herr Bischof, nicht wie viele meiner Kollegen, die mir immer wieder sagen, sie sprechen dies nur halblaut mit. Ich habe meiner Gemeinde klar gesagt, daß das historische Bilder sind, in denen Christen in zweitausend Jahren ihre christliche Existenz versucht haben auszudrücken. Ich habe meiner Gemeinde immer wieder gesagt, daß das durchaus eine Möglichkeit auch für heutige Menschen ist, sich so auszudrücken, und wer das möchte, kann das tun. Das kann man auch in der historischen Distanz, wenn man weiß, jemand steht voll dahinter, in der Solidarität tun, wenn man das als Bilder versteht oder als Interpretamente in der großen Tradition christlicher Vergangenheit. Das heißt auf gar keinen Fall, daß ich persönlich glaube, daß Jesus in die Hölle gefahren ist.
Vorsitzender: Davon reden wir gar nicht. Wir reden von dem ersten Glaubensartikel: Ich glaube an Gott, den Vater. Dr. Schulz: Entweder ist das Glaubensbekenntnis ein Formular, das, egal, was drinsteht, ein christliches Symbolon ist, und dann ist es zu vollziehen, egal, was ich für mich dazu meine. Dann gilt sowohl Vater wie auch Höllenfahrt, Jungfrauengeburt wie auch Leben nach dem Tod, auch Auferstehung des Fleisches. Also
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entweder ist das so und dann können Sie die Vateraussage austauschen mit der Höllenfahrt. Oder ich sage, es ist ein Angebot, und ich suche mir ein paar Dinge aus. An den Vater glaube ich, an die Höllenfahrt glaube ich nicht. Deswegen meine Aussage: Ich lehne grundsätzlich ein solches Formular für mich persönlich ab, das in der Gesamtaussage dieses Glaubensbekenntnis eine absolute Aussage ist, wie es vom ersten bis zum letzten Wort für mich als christlich notwendig vollzogen werden müßte. Das ist ein wesentlicher Satz. Ich möchte sehen, wer überhaupt als Pastor es heute anders sieht.
Dr. Ostermeyer: Warum sprechen Sie das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser, das Ihrer Ansicht nach doch völlig überholt ist in der Ausdrucksform, vielleicht aber auch in den Inhalten, warum sprechen Sie es denn überhaupt? Weil es so angeordnet ist? Dr. Schulz: Ich persönlich werde nie sagen können, daß das Glaubensbekenntnis Unsinn ist, weil ich genau weiß, welche historische Funktion diese und jene Aussage innerhalb der Geistesgeschichte gehabt hat. Daß ich sie heute nicht mehr für nachvollziehbar halte, sagt ja nicht, daß ich das für Unsinn erkläre. Das ist doch nicht so, daß ich mir anmaße, alles, was für mich nicht vollziehbar ist, praktisch als Unsinn zu bezeichnen. Dr. Ostermeyer: Sie vollziehen es doch als Pastor, jeden Sonntag. Dr. Schulz: Ja, ich mache eine Dienstleistung, wie man es so tut. Als Pastor mache ich folgendes: Ich leiste für die Gemeinde einen Dienst. Ich habe lange darüber nachgedacht und stelle fest, daß wir als Pastoren ganz bestimmte Funktionen haben, die ich unabhängig von meinen persönlichen Bedürfnissen einfach meiner Gemeinde schuldig bin. Das nenne ich Dienstleistung. Das ist für Sie vielleicht von seiner Herkunft her wieder ein diffamierender Begriff, aber ich halte Dienstleistung für die heutige Gesellschaft für das wesentliche Phänomen, daß nämlich einer dem anderen in gewissen Dingen dient. Das steckt nämlich dahinter; es ist ein sehr christlicher Begriff.
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Dr. Ostermeyer: Wie können Sie mit völlig überholten Formeln Dienste leisten, seelsorgerische Dienste noch? Dr. Schulz: Das müßten Sie mal probieren, Sie werden sich wundern, wie Menschen gerade in Dingen, aus denen sie herausgewachsen sind, gegebenenfalls jemand brauchen, der in therapeutischer Begleitung immer wieder drei Schritte zurück, zwei vor, wieder die Formel gebraucht, wieder ein Stück vorausgeht. Diese Art, Solidarität zu üben, um mit jemand mitzugehen, der noch nicht, aber schon, aber lieber wieder nicht, aber vielleicht denn doch: So ist die christliche Existenz nämlich heute. Es sind ja nicht alle Menschen so sicher in ihrem Glauben wie Sie. Es gibt ja von hundert Leuten neunundneunzig ganz anders Denkende als Sie. Sie sind doch ein glücklicher Mensch, daß Sie wissen, wie es ist. Dr. Ostermeyer: Ich bin weder ein glücklicher Mensch noch sicher im Glauben. Wie kommen Sie zu der Behauptung? Dr. Schulz: Ich hatte immer den Eindruck. Dr. Ostermeyer: Dann haben Sie aber den falschen Eindruck. Am Beispiel des Glaubensbekenntnisses und der Anrede Gottes als Vater tritt hier ein zentraler Punkt des Verfahrens hervor: Dr. Schulz sieht das Bekenntnis zu Gott als Schöpfer und Vater auf derselben Ebene liegen wie zum Beispiel das Bekenntnis zur Jungfrauengeburt und alle anderen Einzelaussagen des Glaubensbekenntnisses. Das entspricht weder der Struktur des Apostolikums selbst noch den lutherischen Bekenntnisschriften noch dem Stand gegenwärtiger theologischer Einsicht in dieser Frage. Deshalb hakt auch der Vorsitzende am folgenden Verhandlungstag hier nochmals ein (vgl. S. 89). Es zeigt sich hier nämlich, daß die theologische Denkbewegung und das ihr entsprechende Lehrverhalten von Dr. Schulz nicht in die Mitte des christlichen Glaubens hineinführen können, weil bestritten wird, daß es diese Mitte gibt. Jedenfalls läßt Dr. Schulz, wenn er an anderer Stelle »solus Jesus« als einen Menschen innerhalb der Geschichte exklusiv als Zentrum setzt, nicht das die Mitte des Glaubens und den Ausgangspunkt christlicher Lehre sein, was 84
alle christlichen Bekenntnisse (nicht nur die lutherischen) als Fundament ausformulieren: Das Wirken des dreieinigen Gottes und seine Heilstat in Jesus Christus. Nicht jeder Bekenntnissatz und nicht jedes Wort des Apostolikums ist diesem Zentrum gleich nahe - das ist gemeinsame Überzeugung in den Kirchen. Genau dies bestreitet Dr. Schulz aber, indem er alle Aussagen auf eine Ebene rückt mit dem Ziel, das Glaubensbekenntnis als ganzes aus den Angeln zu heben: »Ich lehne grundsätzlich ein solches Formular für mich persönlich ab ... « Daß er es als Dienstleistung nachspricht und abweichende Frömmigkeitshaltungen verständnisvoll toleriert, ändert nichts an dieser Bewegungsrichtung seines Lehrverhaltens. Mehrere -Mitglieder des Spruchkollegiums kommen deshalb auf die Frage zurück, ob die Bezeichnung Gottes als Vater ein auswechselbares Bild sei. So betont P. Kretschmar, daß gerade vom christlichen Gottesbegriff her der irdische Vater zu fragen sei, ob er in rechter Weise Vater sei. Bevor Dr. Schulz antwortet, erklärt er auf Anfrage des Vorsitzenden, daß er zu den zitierten Formulierungen des Spiegel-Interviews stehe, sie aber im Kontext seiner sonstigen Aussagen zu verstehen bitte.
Dr. Schulz: Es gibt doch zwischen uns gar kein Problem, wenn Sie ausdrücken wollen, daß jene Seinsexistenz, die mir vorausgeht, unbedingt vorausgeht. Wenn ich die einem Menschen einfach dartun wollte, benutzte ich das Bild Vater-Sohn. Denn Sie können alles umdrehen, nur nicht das Bild Vater-Sohn. Nirgends ist so klar und sichtbar, daß etwas dem anderen vorausgeht wie beim Verhältnis Vater-Sohn. Das heißt also, gerade in der geschichtlichen Vorgegebenheit der existentiellen Selbsterfahrung durch das Bild Vater-Sohn, egal wie der Vater ist und egal wie der Sohn ist, gehen wir von dieser Vorgegebenheit aus. Nun sage ich also, die Vorgegebenheit definiere ich mit dem Verhältnis Vater-Sohn. Muß ich dann zwischen uns beiden so weit gehen und sagen, diese Vorgegebenheit ist wirklich ein Vater und wirklich ein Sohn, oder benutze ich nicht nur personhafte Bilder, um Vorgegebenheiten zu definieren? Nuntun Sie mir doch nun wirklich einmal den Gefallen. Ich habe in meinen Fragen das ja nun immer schon etwas provozierend gesagt und von Gott-Person gesprochen. Sie haben ja bis morgen früh um viertel nach neun 85
Zeit. Definieren Sie mir doch mal den Begriff Person, Gott ist Person! Sie haben es ja wahnsinnig leicht. Ich höre mir das ja gerne an. Sie brauchen ja bloß noch zu sagen, was Sie damit meinen. Warum sagen Sie es nicht? Warum sagen Sie mir nicht, wenn gesagt wird, Gott ist Vater, was Sie damit für einen Personenbegriff benutzen? Das interessiert mich nun mal. Dann sage ich Ihnen zugleich, daß ich es anders sehe, und zwar meine ich, das an J esus gelernt zu haben. Ich bin nämlich der Meinung, daß in wesentlichen Gleichnissen - ich spreche die neutestamentlichen speziell an, gerade in den Gleichnissen - Jesus Gott eben nicht als Vater beschrieb. Ich habe das auch versucht, in meinem Buch darzustellen. Sondern wenn Jesus Lk 15 sagt: Der verlorene Sohn geht weg und dann kommt er wieder und dann rennt der Vater ihm entgegen, fällt ihm um den Hals und alles ist in Ordnung. Dann sagt Jesus, und das ist consensus magnus - wenigstens vieler Gleichnisausleger dann will Jesus nicht sagen, Gott ist Vater, sondern was Jesus als Vater beschreibt, ist, wie dieser eine Vater handelt. Das heißt also, Jesus beschreibt nicht Gott als eine Person, die sich so zu bilden hatte wie diese Person Vater, sondern Jesus sagt: Wie dieser eine Vater handelt, egal wie sonst alle Väter handeln, wie dieser eine Vater handelt, das ist im Sinne Gottes. Das habe ich doch vorhin gesagt. Damit sind wir aber vom Personenbegriff weg. Damit sind wir bei der Funktion: Wie sich zwischen diesem Mann und seinem Sohn das Verhältnis darstellt! Deswegen komme ich zu der Aussage: Gott ereignet sich zwischen Personen. Gott ist nicht der Vater, sondern wie sich das Verhältnis zwischen diesem Mann und diesem Mann darstellt, das beschreibt Jesus als gottgemäß. P. Kretschmar: Aber er hat doch Gott gemeint! Jetzt machen Sie doch einen großen Sprung, wenn Sie jetzt bei dem Gleichnis sagen, es sei so zu verstehen, daß hier auf einmal nur die zwischenmenschliche Beziehung beschrieben würde. Vorsitzender: Herr Dr. Schulz, der gesamte Kontext von Lk 15 ist mit den drei Gleichnissen verbunden. Sie können die Erwähnung des Vaters aus dem Gleichnis vom verlorenen Sohn nicht isolieren, sondern müssen dann etwa die Gebetsanrede »Vater unser ... «
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oder die Gebetsanrede »Euer himmlischer Vater weiß alles ... « mit einbeziehen. Dr. Schulz: Das müssen wir sehen, ob wir jetzt exegetisch vorgehen zur Komposition von Lukas. Vorsitzender: Sie bringen die Aussagen in einen sozialen Bezug. In vielen Gleichnissen ist von einem sozialen Bezug die Rede. Aber es ist keineswegs so, daß die Verkündigung Jesu sich auf zwischenmenschliche Beziehungen beschränkt. Dr. Schulz: Das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur an den Gleichnissen versucht klarzumachen, daß die Gleichnisse nicht dazu dienen können, die Gestalt Gottes sozusagen in einer Vatergestalt zu beschreiben, sondern daß im wesentlichen das, was mit Gottes Liebe beschrieben ist, als eine Funktion beschrieben ist. Ich muß exegetisch bestreiten, daß diese großen Gleichnisse etwas über Gott aussagen. Das ist jetzt ein exegetischer Versuch. Da lasse ich mich natürlich jederzeit belehren. Das wäre mehr ein Streit auf der Basis eines wissenschaftlich-theologischen Seminars. Aber wenn Sie mir eine Exegese vorlegen, die mir etwas anderes einsichtiger macht als was ich bisher dazu gelesen habe, will ich gern meine Vorstellung vom lukanischen Kontext aufgeben. Ich würde also den Begriff Vater auch da benutzen können - Herr Stegemann, das ist völlig eindeutig -, wo ein Mensch mit diesem Begriff die Identität seines Verhältnisses zu einem anderen Menschen beschreibt. Warum sollte ich das nicht? Aber ich tue es wissend darum, daß Gott nicht Vater ist. Insofern kann ich jemand, der kundig ist und Spaß hat am theologischen Denken, natürlich klarmachen, daß, wenn Jesus Herr über das ganze Universum sein soll, er in einem Weltbild mit Himmel, Erde und Hölle natürlich in die Hölle gefahren sein muß nach dem damaligen Weltbild, um den im Hades befindlichenund die meisten sind nach den damaligen Vorstellungen dort zu finden - zu verkündigen, daß er Herr ist. Er wäre nicht Herr, wenn er da unten nicht auch gewesen wäre. Ich kann jedem denkenden Menschen klarmachen, daß das eine phantastische Vorstellung ist und daß diese Höllenaussage eine christologische Komponente hat, nämlich das Herrsein Jesu über alles, was es gibt, auszulegen. 87
Und wer dann noch einen Keller hat und sagt, er hat da noch einen Extraraum hinten, der wird sagen, da war Jesus auch drin. Denn er ist ja Herr über alles. Also muß ein Weltbild, das eine Hölle hat, praktisch sagen: Da war er auch. Und dann sagt er: Hallo, ich bin euer Herr. Na ja, nicht? Das ist doch wohl klar. Wenn in dem Weltbild die Hölle wegfällt als Etage, werde ich nicht an dem Höllenbild festhalten. Ich werde doch nicht jemand extra die Hölle einbläuen, damit er meint, Jesus sei Herr der Welt. Aber wenn jemand eine solche Erfahrung und ein solches Weltbild hat, dann werde ich ihm sagen: Wenn du meinst, Jesus sei Herr der Welt, dann muß er natürlich auch seinen Machtbereich über diesen Hades ausdehnen. Von dem Denkexperiment her ist dies ein hervorragendes Beispiel, wie man christologisch letzten Endes bis in den letzten Winkel der Welt argumentieren muß. Wunderbar. Insofern werde auch ich von der Höllenfahrt reden, und wenn meine Gemeinde im Glaubensbekenntnis »niedergefahren zur Hölle« hörte, war sie immer eigentlich ganz begeistert. Sie verstand nämlich darin letzten Endes den Anspruch eines Christen, Christus oder Jesus als Herr bis in den letzten Winkel des Seins zu definieren. Dies halte ich wieder für eine genuine Fortführung zentraler lutherischer und neutestamentlicher Christologie. Aber ich kann natürlich nicht die Hölle behaupten. Na, das wäre komisch.
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Kirche und christliche Hoffnung (4. Verh~\1dlungstag)
Zu Beginn des vierten Verhandlungstages zitiert der Vorsitzende die Erklärung zum dritten Glaubensartikel aus Luthers Kleinem Katechismus vollständig, wobei er an die Forderung von Dr. Schulz erinnert, die Lehrmeinung der Kirche müsse ihm mitgeteilt werden.
Vorsitzender: Es ist ein fundamentales Mißverständnis, wenn der Glaube in eine Reihe von Sätzen aufgelöst werden sollte, die zuvor akzeptiert werden müßten, ehe man von Glauben reden kann. Die Struktur der Fragen, wie sie hier gestern vorgelegt worden sind, zerlegt den Glauben in eine Reihe von Werken und verfälscht, wenn man sich auf diese Argumentationsbasis einlassen wollte, den Glauben zu einem Werk oder ~u einer ganzen Reihe von Werken. Ich habe hier gestern schon gesagt, daß ein solches Verständnis und eine solche Argumentation fundamental unevangelisch wäre. Es heißt nicht: Ich glaube an die Jungfrauengeburt oder an die Höllenfahrt oder dergleichen, sondern der neutestamentliche wie der reformatorische Glaubensbegriff ist ganz eindeutig dahin gefaßt: Ich glaube an Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Glaube ist Glaube an den auferstandenen Christus als den Kyrios, und das Glaubensbekenntnis formuliert dann jeweils in den Partizipial- oder Relativwendungen, wer dieser Christus ist. Der Pastor ist nicht danach gefragt, ob er eine Vielzahl von Glaubenswerken vorzuweisen hat, sondern er ist danach gefragt, ob er dem Auftrag, dieses Evangelium von J esus Christus und vom dreieinigen Gott zu verkündigen, entspricht. Dies ist die Leitfrage, die uns hier beschäftigt. Dr. Schulz: Ich bin der Meinung, Sie haben im Sinne Luthers antinomistische, im Sinne anderer Versuche extrem dialektische 89
Aussagen gemacht, indem Sie ganz einfach sagen, der Pastor ist nicht an einzelne Glaubensaussagen gebunden, das wären ja Werke, und im gleichen Absatz sagen, er ist verpflichtet, den dreieinigen Gott sozusagen zu verkündigen. Das ist in sich für mich - also, ich weiß nicht - ich bin gewohnt, eins, zwei, drei, vier zu zählen, und wenn ich einerseits sage, einzelne Werke sind nicht als Glauben zu leisten, zugleich aber mir vorhalte, ich müßte den dreieinigen Gott, nämlich ein solches Glaubenswerk hier leisten -, ich kann einfach nicht folgen. Ich bin der Meinung, daß ich studiert hätte, aber ich kann diesen Punkt nicht - es tut mir leid, ich akzeptiere ihn vom Prinzip her nicht. Ich hätte auch einen Punkt zehn setzen können und sagen: Was halten Sie vom dreieinigen Gott? in meinen gestrigen Anfragen und sagen können: Bitte beantworten Sie mir, wie Sie zu dieser Aussage kommen. Aber ich kann doch nicht sagen: Die anderen Fragen, die Sie gestellt haben, da haben Sie die zehnte ausgelassen, Sie sind verpflichtet, den dreieinigen Gott zu verkündigen. Das ist doch wieder in Ihrem Sprachgebrauch ein Glaubenswerk. Was denn sonst? Ich kann schon allein die Redeweise, wie Sie das hier vorgeführt haben, prinzipiell von meiner menschlichen Logik her nicht vollziehen. Ich akzeptiere das nicht. Und wenn Sie mir nicht erklären, wieso das, nämlich der zehnte Punkt, plötzlich kein Glaubenswerk mehr sei, auf das Sie mich hin verpflichten - also schizophren ist für mich wirklich, daß zwei Aussagen einfach so nebeneinander stehen. Das ärgert mich, solange ich studiere. Es tut mir furchtbar leid, und ich studiere schon ziemlich lange. Es ist für mich eine Zumutung, daß in einem Satz zwei Dinge verknüpft sind, die sich praktisch-logisch in sich ausschließen. Vorsitzender: Wenn Sie das als eine Zumutung empfinden, Herr Dr. Schulz, so ist das denkbar, so ist das möglich. Wenn Sie aber in einem solchen fundamentalen Dissens zu dem Ihnen gestellten Auftrag als Prediger eingetreten sind, dann müssen Sie die Konsequenzen ziehen und können nicht uns dafür verantwortlich machen. Dr. Schulz: Das ist richtig, Herr Bischof. Ich habe nun auch schon lange mit vielen Menschen zu tun gehabt, die in Fakultäten und Gemeinden verantwortlich sind für die Verkündigung und für die
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Nachfolge Jesu Christi. Solange ich studiert habe, hat mir noch keiner auf meine Frage hin, wie man auf den Heiligen Geist oder auf die Kirche reagieren muß, den Kleinen und den Großen Katechismus herausgezogen und gesagt: Das ist es nun. Ich wüßte nicht wo. Nicht vom Proseminar angefangen - es ist mir noch nie begegnet, daß jemand also den Kleinen Katechismus herauszog wie gestern bei der Frage nach der Weltentstehung und sagte: Das ist es, und der liebe Gott hat nun dies und das geschaffen und auch noch die Wanzen und die Kakerlaken, denn die gehören ja auch zur Welt, und gesagt, wenn du das nicht glaubst, ist das Problem gelöst, und am nächsten Tag den Großen rauszieht und sagt, und das ist zur Kirche nun zu glauben. Wo' alle Welt weiß, wie es ist, dann selbstsicher den Großen Katechismus rauszuziehen und zu sagen: Glauben Si~ das und das ist es nun -, ich akzeptiere die Methode nicht. Vorsitzender: Die Bezeichnung »selbstsicher« ist hier unangemessen, und ich weise sie zurück, und zweitens habe ich von Ihnen auch nicht verlangt, daß Sie hier ein Glaubenswerk verrichten. Ich habe Sie gerade erneut versucht anzusprechen auf Ihren bei der Ordination übernommenen Auftrag. Sie sagen, Sie akzeptieren das nicht. Wenn Sie diesen Auftrag nicht mehr erfüllen wollen, dann erklären Sie es. Sie haben uns aber gestern gesagt, Sie fühlen sich mit Ihren Aussagen in der Kontinuität dessen, was Luther über die Schöpfung gesagt hat. Eines oder das andere kann doch nur gelten. Wir müssen hier doch ein bißchen präziser werden. Dr. Schulz steht hier im Widerspruch zum Bekenntnis der lutherischen Kirche, und zwar nicht zu einzelnen Aussagen, sondern zu dem, was den Bekenntnissen nach deren eigenem Zeugnis vorausliegt als unbestrittenes Fundament christlicher Lehre. Die Unterscheidung von Gott und Welt geht allem Bekenntnis, aller Predigt und aller Theologie voraus. Nicht damit setzen die lutherischen Bekenntnisse ein, daß sie erörtern, ob Gott ist, sondern damit, daß sie den dreieinigen Gott bezeugen als gemeinchristliche Grundlage aller Lehre, in der man sich auch über die Konfessionsgrenzen hinweg verbunden weiß. Deshalb beginnt die Confessio Augustana mit dem Artikel, der vom dreieinigen Gott handelt. Deshalb stellt Luther seinen Schmalkaldischen Artikeln ei-
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nen ersten Teil voran, der zuerst die Trinitätslehre zitiert und über den Graben der Kirchenspaltung hinweg mit der Feststellung schließt: »Diese Artikel sind in keinem Zank noch Streit, weil wir zu beiden Teilen dieselbigen bekennen. Darum nicht vonnöten, jetzt davon weiter zu handeln.« Dr. Schulz selbst hat darauf hingewiesen, daß das Bekenntnis zu Gott als Vater, Sohn und Heiligem Geist (und zu Jesus Christus als dem Herrn, Gott und Heiland) gemeinsame Grundlage aller im Ökumenischen Rat verbundenen Kirchen ist. Er nennt dies ein »Minimal-Bekenntnis« (Formel S. 161). Er selbst aber stellt sich nicht einmal auf die Basis dieses »Minimal-Bekenntnisses«, sondern verlangt von seiner Kirche: »Bitte beantworten Sie mir, wie Sie zu dieser Aussage kommen.«
Dr. Gehrmann: Was könnten Sie denn eigentlich aus Ihrem Ordinationsgelöbnis heute noch konkretisieren und dazu auch stehen? Dr. Schulz: Alles. Herr Gehrmann, wer sagt denn heute noch so ungebrochen, J esus Christus sei auferstanden? Es muß nicht in der Konkretion, sondern in der Funktion des Redens gesehen werden. Wenn ich heute sagen würde, Jesus ist auferstanden, dann hat das ganz bestimmte Funktionen in einer existentialen Betroffenheit, aber doch keine konkrete Aussage von: So ist es! Wenn ich in dieser Tradition stehe, die Auferstehung in der Funktion des Redens von Auferstehung zu beschreiben, dann stehe ich zwingend in der Tradition christlicher Verkündigung. Und ich würde mal den Satz behaupten: Wenn Sie heute behaupten, man müßte die Konkretion fortsetzen, dann stehen Sie nicht mehr in der Funktion des Redens vom Christentum. P. Kretschmar: Vor einigen Jahren habe ich ein Rundfunkgespräch gehört, in dem der katholische Theologe Meinberg gefragt worden ist nach seinem Glauben. Er ist, weil er ein moderner Theologe ist, sehr konkret gefragt worden, und er hat versucht zu antworten, und die Frager waren nicht zufrieden. Sie wollten klar wissen: Glauben Sie, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist oder nicht? Ja oder Nein? Daraufhin hat Meinberg geantwortet: Wenn Sie ein Ja oder Nein hören wollen, dann sage ich ja. Aber ich füge hinzu,
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diese Frage ist inquisitorisch. Sie müssen mir gestatten, daß ich sie erläutere. Und dann hat er wieder erläutert, was er vorher schon gesagt hatte. Sie machen es genau umgekehrt. Sie sagen zum Beispiel zu dem Thema Eschatologie, also zu der Frage: »Was, so glauben Sie, kommt nach dem Tod?« »Nichts weiter. Der Tod ist das natürliche Ende. Der Mensch löst sich auf. Der Glaube an ein Weiterleben ist nur der Wunsch danach.« Verständlicherweise sagen Sie dann: Dieser Satz möchte bitte nur im Kontext meiner übrigen Äußerungen verstanden werden. Aber genau das ist die Frage, ob ein Mitarbeiter der Amtskirche, einer, der ein Amt übernommen hat, so in dieser Umkehrung argumentieren kann. Wir sagen - und das ist meine konkrete Frage -, es gibt eine größere Wahrheit, für die wir als Amtsträger in der Kirche verantwortlich sind, auch wenn wir die einzelnen Aussagen im Augenblick selbst bezweifeln. Das heißt noch lange nicht, daß ich die Dinge, die ich bezweifele, dann einfach vertrete. Aber ich kann nicht die Dinge umkehren und dann erklären, so ist es, nach dem Tode ist nichts, die Menschen müssen sich endlich daran gewöhnen, daß sie bisher einem Wunschdenken und einer Bevormundung durch die Kirche erlegen sind. Dies ist meines Erachtens eine ganz wichtige Frage zum Amt, die Sie hier beantworten müssen, die Fragen, die ich hier mit der größeren Wahrheit angesprochen habe, die letztlich ja auch den magnus consensus meint. Denn es ist doch überhaupt nicht zu bezweifeln, daß in magno consensu von christlicher Religion nur die Rede ist im Zusammenhang mit Glaube, mit Gott im Sinne eines Du, das uns anredet, und daß im Mittelpunkt Jesus Christus steht. Das kann doch nicht reduziert werden auf Jesus und das Konzentrat »Liebe« als Auftrag der Kirche. Dr. Schulz: Ich will noch einmal die methodische Frage stellen. Einerseits führen Sie mir am Anfang Ihrer Ausführungen eben vor, daß da ein katholischer Theologe gefragt worden ist, ob Jesus Christus Gottes Sohn ist. Und da hat er wenigstens ja gesagt. Das ist richtig, nicht wahr, das finden Sie als ein gutes Beispiel. Ich verhalte mich nicht so. Und da stelle ich die Frage an die Kirche und sage: Ist Jesus Christus nun Gottes Sohn? P. Kretschmar: Und da wird sie Ihnen ja sagen. 93
Dr. Schulz: Sie haben momentan ja gesagt. Wissen Sie, das ist sehr freundlich und nett. Ich habe gesagt, ich brauche den Konsensus der Kirche, die offizielle Aussage: Ja. Und da haben Sie mir gestern gesagt: Wie kann man solche Fragen stellen? Deshalb also meine Frage, welchen Erklärungswert hat Ihr Beispiel, das Sie zu Anfang gegeben haben, wenn es, wie ich meine, grundsätzlich dem widerspricht, was Sie anschließend dann für sich in Anspruch nehmen? Daß Sie mir sagen, hier sagt die Kirche ja, ist für mich nicht ausreichend. Denn natürlich kann ich Sie durch eine weite Fülle von Literatur führen, in der es heißt, Jesus Christus ist Gottes Sohn - nein! Es gibt genügend Professoren an Fakultäten, die das sagen. Ich kenne mich in der Literatur sehr genau an dieser Stelle aus. Jesus Christus ist Gottes Sohn -, das ist ein Bekenntnissatz der späteren Gemeinde auf J esus hin. J esus Christus war nicht Gottes Sohn. Das hat er selber nie gemeint. Vorsitzender: Das bedeutet doch aber nicht, daß der Hoheitstitel »Gottes Sohn« deshalb nicht verwendbar wäre! Dr. Schulz: Er ist in der Gemeinde als Bekenntnissatz angewandt worden. Vorsitzender: Eben. Über dieses Bekenntnis unterhalten wir uns jetzt ja. Dr. Schulz: Gut, überall in meinen Büchern ist ausführlich beschrieben, und ich habe es letztes Mal bei der Christologie sehr leidenschaftlich entwickelt, daß natürlich eine Fülle von Hoheitstiteln angewendet werden auf Jesus hin, von Messias bis hin zu ,Gottes Sohn, die ihre Funktion und Bedeutung haben. Das sage ich doch genauso wie Sie. Ich sage nur: Erwar zum Beispiel nicht in der Weise, wie es das altkirchliche Bekenntnis formuliert, wesensmäßig Gottes Sohn. Ich glaube, das sagt kein Mensch mehr heute. Prof. Stegemann: HerrDr. Schulz, wenn Sie sagen, Jesuswarnicht Gottes Sohn, dann meine ich, daß darüber insoweit ein Konsensus bei den historischen Theologen besteht, als man sagt, der historische Jesus hat, soweit man über ihn Feststellungen treffen kann, sich nicht im biologischen Sinne wesensmäßig als Gottes Sohn im 94
Sinne der späteren Wesenstheologie verstanden. Das heißt, wenn die Gemeinde sich so bekennt, dann bezieht sie sich damit nicht einfach auf das, was der historische J esus gesagt und in seinem historischen Auftreten dargestellt hat, sondern auf seine weitergehende Bedeutsamkeit. Das nur zur Klarstellung. Ich glaube, da sind wir uns im Prinzip einig. Vorsitzender: Aber Sie müßten uns nun noch einmal sagen, ob Sie diese Bekenntnisaussagen - und das ist hier die theologische Frage - als eine adäquate Interpretation dessen, was Jesus war und ist, verstehen oder nicht. Sie haben bisher für mein Gefühl den Eindruck erweckt, als ob diese von der Gemeinde verwendeten Begriffe und Vorstellungen beliebige Bilder sind, die für uns keine Dignität haben. Wenn sie aber mehr sind, dann müßten Sie uns das bitte verdeutlichen. Dr. Schulz: Sie haben, Herr Bischof, komischerweise offenbar nur ganz bestimmte Seiten in meinen Büchern gelesen. Ich habe nicht nur in der Kritik, sondern auch in wesentlichen positiven Aussagen gesagt, wie ein Mensch sich existentiell riskiert, indem er zu dem Bekenntnis kommen muß: das sei meine Aussage. Es gibt ja keine Nachfolge Jesu, ohne sich eben in einem Bekenntnis zu riskieren. Die Urgemeinde hat sich z.B. riskiert mit dem Bekenntnis Gottes Sohn. Die Urgemeinde hat sich riskiert mit dem Bekenntnis Jesu ist König. Ich habe dann gesagt, es kommt nicht auf die einzelne Aussage an, sondern auf die Funktion des Redens. Der Betroffene muß sich bekennen. Auf Seite 121 habe ich dann - und das ist nun wichtigmein Bekenntnis zu Jesus dargelegt. Es wird Sie kaum überraschen, daß dieses Bekenntnis von verschiedenen Gesichtspunkten her scharf kalkuliert ist, denn ich bin ein denkender Mensch. Damit wollte ich alles zusammenfassen, meine eigene geistige und soziale Verfassung. So hat sich nämlich die U rgemeinde riskiert, in der eigenen sozialen und geistigen Verfassung. Mein Verständnis von und für das moderne Zeitbewußtsein gehört zu meinem Bekenntnis zu J esus für mich dazu, daß ich mich als so befindlicher Mensch in allen Problemen meiner Tageskritik und Tagesproblematik mit einbringe in mein Bekenntnis zu Jesus. Bekenntnis ist für mich - das sage ich ausdrücklich, wie gestern bei dem Begriff 95
des Glaubens - das eigene, persönliche Risiko auf etwas hin und mein Umgang mit lesus und seiner Botschaft. Ich habe Tage, Nächte, vielleicht Monate darum gerungen, dieses so schreiben zu können. Vielleicht fühlen Sie, daß das mein persönlichstes, eigenes lesus-Bekenntnis ist. Haben Sie einmal den Mut, Ihr Gegenbekenntnis aufzuschreiben! Denn dann sind wir auf der gleichen Stufe, so daß Sie das Recht haben, mich zu fragen. Denn ich habe dann das Recht, auch Sie zu fragen von Christ zu Christ oder von Pastor zu Pastor. Nun kann ich Ihnen das vorlesen ... Dr. Ostermeyer: Gelesen haben wir es alle. Dr. Schulz: Es ist doch die alte Frage, Herr Ostermeyer, aus der Apostelgeschichte: Verstehst du auch, was du liesest? Das ist schon eine Frage, die man schon im Neuen Testament gestellt hat. Vorsitzender: Herr Schulz, Sie können unterstellen, daß wir alle Ihre Schriften gelesen haben. Prof Stegemann: Herr Pastor Kretschmar hatte seine Verwunderung darüber zum Ausdruck gebracht, daß Sie auf eine Frage wie die nach dem Sohn Gottes nicht sagen: ja, aber ich muß das noch weiter erläutern ... , sondern im vergleichbaren Fall, etwa dem Leben nach dem Tode: nein, aber ich muß das noch weiter erläutern ... Ich möchte fragen, ob nicht dieses Nein, das Sie so oft bringen, seinen Ansatz in Ihrer konkreten pastoralen Erfahrung hat und von daher auch durchaus positiv begründet werden kann. Ich könnte mir vorstellen, daß Sie aus Ihrer pastoralen Praxis heraus häufig zu einem solchen Nein kommen, gerade dann, wenn es darum geht, traditionelle und oftmals belastende Dinge abzubauen ... Das hängt immer sehr davon ab, wie die religiöse Disposition des Betroffenen ist. Dr. Schulz: Das ist ein gewagter Satz, wenn Sie sagen, es hängt immer von der religiösen Disposition ab. Sehen Sie, so gewagt ist das, daß jemand, der ja auch in der theologischen Verantwortung steht, sagt, es hängt immer von der religiösen Disposition dessen ab, der mit mir spricht.
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Prof Stegemann: Auch! Auch! Dr. Schulz: Aber auch. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Wenn ich diesen Satz sage, Herr Kretschmar, dann könnte das also schwierige Folgen haben. Was ich sage, hängt immer von der religiösen Disposition dessen ab, mit dem ich rede. Das ist für mich ein so ungeheuer schwieriger Satz! Das heißt, ich vertrete den ja! Ich vertrete ihn. Ich sage, ich kann nicht jedesmal meine persönliche Meinung sofort als ultima ratio vorführen, ich muß ihm ja in seine Glaubenswelt nachfolgen. Das habe ich Herrn Ostermeyer versucht klarzumachen. Das ist ein irrsinnig langer Weg, sich in der Seelsorge von der religiösen Disponiertheit des anderen leiten zu lassen und nicht von dem Standpunkt, den man gerade selber hat. Das habe ich gestern versucht, klarzumachen und nehme es jetzt bewußt noch einmal auf, weil dieser Satz so furchtbar viel im seelsorgerlichen Selbstverständnis ändert. Warum soll eigentlich ein Mensch nicht mit .dem Gedanken fertig werden: und nun ist Schluß? Warum müssen Sie erst die Erwartungen auf etwas anderes richten? Ich sehe es einfach menschlich, von der geistlichen Disposition her nicht. Ich ~in der Meinung, viele Menschen würden viel konsequenter mit sich sterben können, wenn man diese Einübung in das Ende als Seelsorger praktizieren würde. Wir bürden ihnen mit Hölle und Enderwartung so viel auf, was ihnen die Chance nimmt, wirklich auch zu sagen: hier ist es nun zu Ende. Es wäre viel leichter , dann an einem solchen Sterbebett den Psalm 23 zu lesen. Das gebe ich zu. Dr. Ustermeyer: Müssen Sie das nicht vielleicht manchmal als Seelsorger? Dr. Schulz: Das tue ich auch, Herr Ostermeyer, wenn jemand zu seinem Trost in seiner religiösen Disposition den Psalm 23 hören will oder wenn es nur andeutungsweise sinnvoll ist. Dann werde ich, wie Herr Stegemann gesagt hat, mit Engagement Psalm 23 lesen und alles, was er aus seiner religiösen Selbsterfahrung heraus hören will. Dr. Ostermeyer: Ist der Psalm 23 vereinbar mit dem, was Sie hier geschrieben haben, auch in dieser Predigt auf S. 177 Ihres Buches? 97
Dr. Schulz: Sie haben mich nicht verstanden. Es ist doch die pfarramtliche Erfahrung jedes Pastors, daß er sich auf die religiöse Disposition des Menschen einlassen muß. Ich weiß gar nicht, wie das bestritten werden soll. Er kann doch nicht stur und steif seine eigene Meinung durchhalten. Wo tun wir das denn? Das ist für mich deshalb eine seltsame Situation, weil ja immer, und das betrifft mich peinlich, immer, sowohl von der Hamburger Kirchenleitung, als auch von den Herren, die mich da examiniert haben, als auch in den Gutachten an keiner Stelle bestritten worden ist, daß ich leidenschaftlich Seelsorge getrieben habe und daß viele Menschen ein Vertrauen zu meiner Art, christlich zu sein, gehabt haben. Es geht eben nicht um meine seelsorgerliche Tätigkeit, das kann hier am Tisch so aussehen. Es geht darum, daß in Hamburg an der St. lacobi-Kirche viele Menschen sind, die dringend darauf warten, daß ich wieder als ihr Pastor zurückkomme. Das lasse ich mir auch nicht absprechen. Ich sehe mich vor eine Frage gestellt, die nie gestellt worden ist, ob nämlich mein Pastorsein vor den Menschen glaubwürdig gewesen ist. Ich wehre mich dagegen, und deshalb rede ich auch so engagiert an dieser Stelle wieder einmal. Vorsitzender: Sie sind auf Ihre Lehre hin befragt. Sie können Ihre Lehre, auch das, was Sie in Ihren Büchern schreiben, von Ihrer Seelsorge nicht trennen, und das werden Sie auch nicht wollen. Sie haben Ihrerseits Ihre Position sehr klargemacht , und die ist von Psalm 23 doch deutlich unterschieden für unser V~rständnis. Wenn Sie meinen, in der Funktionalität des Redens nach der jeweilig gegebenen sozialen Situation die Inhalte auswechseln zu können, kann ich das nicht für verantwortliches theologisches Handeln halten. Wir bestreiten gar nicht, daß man mit der Meinung sterben kann, daß mit dem Töd alles zu Ende ist. Das habe ich im Krieg oft genug erlebt, und so sind Leute sehr anständig gestorben. Das wissen wir. Aber ob das christlich ist, das ist die Frage. Dr. Schulz: Methodisch muß ich folgendes sagen: Wenn ich länger etwas ausgeführt habe, und Sie dann, Herr Bischof, mit einem so etwas leichten aper~u - Sie können das einmal über das Mikrofon abhören, gestern und heute - mit einem Nebensatz sagen, das ist 98
aber nicht christlich, dann ärgert mich das. Nach einer solchen von mir riskierten, gewagten längeren Aussage sagen Sie ständig, das ist nicht fair, das ist nicht christlich oder so. Es fehlt eine für mich wichtige Beweisführung, denn es geht um mich. Sie drehen den ganzen Kram mit einem solchen Satz um und sagen: Ist nicht christlich! Das können Sie ja zum Schluß sagen. Ich habe gar keine Angst, daß Sie das sagen werden. Zunächst einmal wehre ich mich dagegen methodisch, daß etwas, was ich hier mit meiner persönlichen Existenz vertrete, methodisch jedesmal mit einem Schlenker auf den Kopf gestellt wird. Ich bitte darum, daß Sie mich nicht jedesmal reizen mit der Aussage, das ist nicht christlich, weil Sie bisher nicht gesagt haben, was christlich ist - offiziell. Vorsitzender: Sie haben Ihre eigene Position ganz klipp und klar dargelegt. Das sagen Sie doch Ihrer Gemeinde auch und das werden die Leute, wenn sie zum Sterben kommen, ja auch wissen, was sie da gehört haben: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß der Tod etwas Endgültiges ist. Daß also jedes Reden von Auferstehung, von Leben nach dem Tod, von einer Identität des Ich, die sich durch den Tod hindurch durchhält, immer deutlicher zu einer Hoffnung, zu einem Glauben, zu einem Bekennen wirdwider besseres Wissen.« Wenn Sie das gesagt haben, klipp und klar gesagt haben, dann haben Sie damit den Inhalt der christlichen Hoffnung für erledigt erklärt. Dr. Schulz: Sie wissen, daß das J ohannes-Evangelium die Vorstellung von einem Leben nach dem Tod überhaupt nicht impliziert. Es gibt mitten im Neuen Testament Theologen, die das ganz anders sehen. Auferstehung hat im JQhannes-Evangelium nicht die Implikation wie bei Paulus. Herr Kretschmar, bestätigen Sie das doch bitte, das wissen Sie doch. P. Kretschmar: Ja, aber hätte Johannes diesen Satz sagen können, den Sie formuliert haben? Dr. Schulz: Er hat aber nicht das gesagt, was Sie von mir als christlich einzige Möglichkeit erwarten.
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P. Kretschmar: Entschuldigen Sie, die Bibel besteht nicht nur aus dem Johannes-Evangelium. Es geht um die Frage, ob Ihre Formulierung nach Ihrer Meinung die christliche Wahrheit wiedergibt. pr. Schulz: Johannes gibt für mich christliche Meinung wieder. Das Peinliche ist - das weiß ich wohl-, daß das, was J ohannes sagt, sich mit dem stößt, was Paulus sagt. Wenn ich über den Tod nachdenke und über Auferstehung nachdenke und mich auf Johannes berufe, dann ist meine Position biblisch belegt, beziehe ich mich auf Paulus, ist sie nicht biblisch belegt. Beziehe ich mich auf das Alte Testament, die Zeit vor 500, dann ist sie biblisch belegt, denn kein Mensch hat daran geglaubt, es gibt ein Leben nach dem Tode. Das ist eine Erfindung der Pharisäer, etwas zugespitzt gesagt, oder der spät jüdischen Geistestradition. Es hat also im Alten Testament Leute gegeben, die bewußt Gottglauben hatten und sich von Gott getragen fühlten, ohne daraus abzuleiten, daß sie ein Leben nach dem Tode hätten. Es hat im Neuen Testament Leute gegeben, die sich bewußt als Christen bezeichnet haben und nicht auf die Idee gekommen wären, daß Auferstehung ein Leben nach dem Tode bedeuten würde. Eine solche Kapazität wie Johannes ist dafür das Zeugnis, nicht Paul Schulz. Vorsitzender: Aber da müßten wir doch den Johannes-Text jetzt einmal etwas präziser beleuchten. Prof. Friedrich: Sie rekurrieren nun auf J esus als den Initiator des Prinzips Liebe, weil Sie aus der christlichen Traditon kommen und Pfarrer einer christlichen Kirche sind. Aber Sie sagen auch, daß das Prinzip Liebe durchaus anderswo zu finden ist. So wird Jesus zu einer auswechselbaren Person, das Prinzip Liebe ist auch in anderen Religionen durchführbar, J esus ist letztlich gar nicht nötig. Ist für Sie nach dem, was Sie auch jetzt wieder gesagt haben, Jesus auswechselbar? Dr. Schulz: Ich bin Historiker genug, um zu sagen, daß natürlich eine Person als historisches Faktum, das vorausgegeben ist, nicht austauschbar ist. Zunächst also stellt sich Jesus aus der Geschichte als unauswechselbare historische Person dar, wie Napoleon sich auch darstellte. Die Unauswechselbarkeit des Jesus tür mich liegt
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in meinem Bekenntnis. In meinem Bekenntnis zu Jesus wird diese historische Unauswechselbarkeit zur existentiellen Unauswechselbarkeit. Im Buddhismus läßt sich zum Beispiel in der Praxis, nicht in der Theorie, das Prinzip Liebe häufig besser verwirklicht sehen als bei uns. Das ist eine peinliche Rückfrage an uns. Damit will ich sagen, d~ß das Prinzip Liebe, so wie es sich in der christlichen Botschaft ausdrückt, keineswegs Erbgut der Christen ist. Von diesem hohen Roß muß ich selbstverständlich herunter. Dr. Ostermeyer: Also, das Prinzip Liebe ist nichts spezifisch Christliches und nicht einmal spezifisch jesuanisch? Dr. Schulz: Aber es ist in der Jesus-Gestalt unverwechselbar konkretisiert worden. Dr. Ostermeyer: Es könnte aber auch in irgend einer anderen Gestalt sein und ist auch in anderen Gestalten? Dr. Schulz: Aber das wollen wir hoffen! Es folgt eine Gesprächsphase, in der P. Kretschmar nach der Bedeutung der Sakramente in der Lehre von Dr. Schulz fragt und dieser mit ausführlichen, zum Teil erläuterten Zitaten aus seinem Buch »Weltliche Predigten« (bes. S. 38--64) antwortet.
P. Kretschmar: Ich frage Sie, ob Sie - jetzt bitte nicht als Philosoph, sondern als Pastor im Amt - wirklich zugespitzt so urteilen, daß denjenigen, die noch meinen, den - selbstverständlich bildlich gebrauchten - Begriff vom Jüngsten Gericht gebrauchen zu müssen, um die Verantwortlichkeit des Menschen vor Gott zum Ausdruck zu bringen, daß denen zu sagen ist, es handelt sich um eine listige Erfindung von Klerikern, die drohen, um ihnen dann bei entsprechendem Wohlverhalten mit dem Paradies zu winken. Es geht mir um die Solidarität derer, die zur Amtskirche gehören, und dazu gehören Sie eben doch auch. Dann geht es doch nicht, daß Sie uns vorwerfen, wenn wir von einer ganzen Wahrheit sprechen, der wir uns verpflichtet wissen, wir würden dogmatisch unbeweglich sein, und auf der anderen Seite stehen Sie, der Sie
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dogmatisch beweglich sind. Ich bin da persönlich sehr engagiert. Wenn es zutrifft, was Sie sagen, dann kann ich nicht mehr Pastor sein. Dr. Schulz: Jetzt kommen wir zum Kirchenbegriff und zur Solidarität der Amtsbrüder. Ich habe folgenden, in meinem Sinne urlutherischen Kirchenbegriff: Luther teilt ja ecclesia visibilis und ecclesia invisibilis, sichtbare und unsichtbare Kirche. Ich berufe mich auf Luther, wenn ich sage, daß die Amtskirche in ihrer hierarchischen, dogmatischen, verwaltungsmäßigen und sonstigen Struktur ist ecclesia visibilis. Die ecclesia visibilis ist für Luther ein weltlich Ding. Das heißt, sie ist an jedem Punkt zu kritisieren, auch der Papst. Das können Sie in der »Babylonischen Gefangenschaft« nachlesen, da können Sie sehen, wie Luther mit der ecclesia visibilis umgeht. Wenn ich im Sinne Luthers zur ecclesia invisibilis komme, dann baue ich ihn nach meinem Verständnis von Gemeindebegriff her auf, nicht so sehr von dem hierarchischen Amtsbegriff. Ich sage: Es ist die Gemeinschaft derer, die in ihrem existentiellen Risiko Jesus nachfolgen. Da haben wir schon bei Luther gelernt, daß die ecclesia invisibilis sich auf gar keinen Fall deckt mit der ecclesia visibilis. Es gibt ecclesia invisibilis gegebenenfalls als unsichtbare Kirche in Bereichen, wo es ecclesia visibilis vielleicht gar nicht gibt. Das heißt, die Selbstdarstellung von Kirche ist nicht automatisch Reich Gottes. Was die Amtskirche angeht, so möchte ich mir die Kritikfähigkeit erhalten wollen, und jetzt sage ich einmal, aus meinem Bewußtsein heraus eigentlich für den um so stärkeren Kampf für die Gemeinden, die eigentlich die Träger des Christentums und der Nachfolge sind. Mir geht es nicht um eine andere Kirche, sondern um eine andere Kirchlichkeit. Ich wünschte, in unserer hierarchischen Kirche käme - und das ist mein Ansatz - die gemeindliche Verantwortung stärker zum Tragen. Für die stehe ich ein, da sehe ich mich verpflichtet. Von daher könnten für die christliche Nachfolge andere Kriterien gesetzt sein als von der hierarchischen Kirche. Das ist meine Problematik. Im Blick auf die ecclesia invisibilis könnten die Fronten zwischen den Solidaritäten der Pastoren einerseits und der Gemeinde andererseits zeitweise anders verlaufen, als Sie sie bisher kurz angedeutet haben. Ich meine z. B. aus meiner Sicht, daß manche Pastoren, die in den Gemeinden versucht haben, auf
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neuen Wegen Christliches zu machen, gerade von der Atntskirche auf diesem Weg kläglich im Stich gelassen worden sind. Ich weiß um die Problematik derjenigen, die draußen im Graben stehen, und die Frage nach der Solidarität ist ja gerade auch meine Anfrage an unser Verfahren.
P. Kretschmar: Es geht um die Kirch~, die ein Amt hat, und selbstverständlich ist sie gerade vom lutherischen Verständnis her von der Gemeinde aufgebaut. Gemeinde ist - das ist immer so verstanden worden - die Versammlung um Wort und Sakrament. Da geht es um Fundamente des christlichen Glaubens. Wenn Sie da Schwierigkeiten haben, müssen Sie doch wissen, wann Sie die Grenze überschreiten bis hin zu dem, daß Sie selbst aus der Solidarität heraustreten. Ich kann z. B. nicht verstehen, wie Sie das Heilige Abendmahl noch feiern können. Ich weiß selbst, daß ich es immer verkürzt tue. Glauben Sie doch nicht, daß ich der Meinung bin, daß ich aus der Fülle schöpfe! Zum Beispiel habe ich große Schwierigkeiten mit dem Beten, daran ist überhaupt kein Zweifel. Ich entsinne mich an einen Mitstudenten, der mir eines Tages sagte, wieso soll ich denn immer sagen, das sei ein Defizit? Ich stehe dazu. Das Beten ist nach meiner Erkenntnis im Grunde nichts anderes als ein Selbstgespräch. Ich stehe dazu. Ich persönlich aber bin der Meinung, daß, wenn ich nicht mehr sagen kann, mein Versagen im Gebet ist ein Defizit, sondern sage, es ist ein Normalzustand, dann habe ich aufgehört, ein Pastor der Kirche zu sein. Das ist meine persönliche Meinung. Ich möchte das hier betonen, weil Sie in der Gefahr sind, uns in die Nähe von Besserwissern zu rücken, derer, die die Wahrheit gepachtet haben, derer, die aus dem Vollen schöpfen und auf die Leute einschlagen»Bevormundungsautorität«. Das trifft mich persönlich hart, und deswegen auch diese persönliche Bemerkung. Dr. Schulz: Was Sie mit dem Beten als Ihre persönliche Meinung sagen, finde ich gut, aber ich wollte ja hören, was die Meinung der Kirche ist, siehe meine erste Frage. Wenn nämlich die Meinung der Kirche sagt, das persönliche Gebet sei konstituierend für einen Pastor, und wenn sie das wirklich als ihre Grundaussage formuliert und nicht nur Sie alleine, dann wäre das schon ein Kriterium, über das man nachdenken müßte. Dann würde ich in diesem Fall, wenn 103
das wirklich für alle Pastoren so verbindlich gemacht ist, Konsequenzen ziehen müssen. Ich bin nur der Meinung, diesen Konsensus finden Sie nicht. Sie können das zwar dogmatisch oder dogmengeschichtlich so sagen, nur sehe ich das in der Praxis von allen meinen Freunden, die Pastoren sind, ganz anders. P. Kretschmar: Es ist nicht ganz schön, wenn Sie dauernd auf Amtsbrüder rekurrieren, die auf der einen Seite Thesen vertreten wie Sie, auf der anderen Seite aber nicht so mutig sind wie Sie. Ich kenne die nicht. Dr. Schulz: Das habe ich bisher noch nicht gesagt, nur einmal. Dr. Ostermeyer,: Sie nennen auch die Namen nicht. Es wird von unbestimmten Personen gesprochen. Dr. Schulz: Ich habe nur Angst ... Dr. Barrelet: Herr Ostermeyer, Angst vor Inquisition gegen andere! Kennen Sie keine Pastoren, die Schwierigkeiten mit dem Gebet haben? Dr. Ostermeyer: Die Schwierigkeiten mit dem Gebet haben, ja, aber die die Position einnehmen, sie brauchten grundsätzlich nicht zu beten, weil das gar nicht zu ihrem Amt gehört, solche Pastoren kenne ich nicht. Nach reformatorischem Verständnis ist die Kirche nicht lediglich »die Gemeinschaft derer, die in ihrem existentiellen Risiko Jesus nachfolgen«, sondern vor allem »die Versammlung aller Gläubigen, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht werden« (CA 7). Das soll Jesus-Nachfolge nicht aus-, sondern einschließen. Im Zentrum steht aber nicht das Engagement für den Menschen Jesus von Nazareth und sein Programm, sondern die Botschaft von Jesus Christus als dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn und Erlöser. Kirche ist zunächst die um dieses Wort im Glauben versammelte Gemeinde: »Denn es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläu-
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bigen und die >Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören<; denn also beten die Kinder: >Ich glaube eine heilige christliche Kirche.< Diese Heiligkeit besteht ... im Wort Gottes und rechtem Glauben« (Schmalk. Art. 111, Von der Kirchen). Auf Luther kann sich Dr. Schulz in bezug auf sein Kirchenverständnis also nicht berufen. Die Unterscheidung zwischen sichtbarer und unsichtbarer Kirche ist gerade nicht charakteristisch für Luthers Kirchenbegriff. Sie findet sich bei ihm selten· und tritt zurück hinter der Rede von der «Verborgenheit« der Kirche. Als Schöpfung des Evangeliums »steht sie unter dem Kreuz, und weil man sie dort nicht sieht, muß man sie glauben. Die wahre Kirche ist verborgen.« (WA 18,652). Das hat mit der Schulzschen Einteilung zwischen Amtskirche und engagierter »Communio humana« nichts zu tun. Beide Sozialgestalten pflegen ja sichtbar zu sein, und die verborgene »wahre Kirche« ist andererseits für Luther keineswegs ein alternatives Strukturprogramm, sondern sie will an und in der sichtbaren Kirche geglaubt sein: »Die eigentliche Wirklichkeit der Kirche liegt nicht fernab von ihrer sichtbaren Gestalt, sondern sie existiert in ihr, nur eben für den Nichtglaubenden darunter verhüllt« (E. Kinder, Der ev. Glaube und die Kirche, 2. Auf!. 1960, S. 96). Wie sich dieser Ansatz zu Luthers Kritik an der Papstkirche seiner Zeit verhält, wäre zu prüfen. Um die Berechtigung, ja Notwendigkeit von Kirchenkritik zu begründen, braucht man aber weder Luther noch die lateinische Sprache zu bemühen (visibilis - invisibilis). Es genügt der simple Hinweis: Seit eh und je gehört Kritik an der bestehenden Kirche zum Leben der Kirche hinzu, ist gar Teil dieses Lebens, denn ganz überwiegend wird sie von denen geübt, die ihr angehören. Es wird sich nur schwer eine Kirchenkritik formulieren lassen, die noch nicht als Selbstkritik der Kirche vorweggenommen worden ist. Nun sind theologiegeschichtliche oder dogmatische Defizite in der Ekklesiologie niemals Grund genug für ein Lehrbeanstandungsverfahren. Entscheidend ist, daß es bei Dr. Schulz die aus dem Evangelium von Jesus Christus lebende »Gemeinschaft der Heiligen«, die »eine heilige christliche Kirche« des dritten Glaubensartikels, als Teil seiner Predigt und Lehre überhaupt nicht gibt. Das wird im weiteren Verlauf des Gesprächs erneut deutlich, nachdem Dr. Schulz Aspekte der Diskussion um das kirchliche Amt darstellt, wie sie während der Bildung der Nordelbischen
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Kirche erörtert worden waren. Er weist auf die Verschiedenheit der Amtsverständnisse, auch unter den Hamburger Pastoren (Geistliches Ministerium), hin. Es gebe auch hier keinen magnus consensus.
P. Kretschmar: Magnus consensus ist gerade nicht die zufällige Mehrheit etwa der Pastoren im Geistlichen Ministerium. Ein magnus consensus ist das, was all dem vorausgeht. Daß überhaupt Menschen gesagt haben, wir sind Kirche, daß sie Erfahrung mit Jesus als Christus gemacht haben, die Erfahrung von Heil, Vergebung der Sünden, daß der Tod - wenn ich an einen Gott glaube, der wirklich die Offenheit selbst ist - eben gerade nichts abschließt, sondern alles offen läßt -, das ist magnus consensus, und auf Grund dieses magnus consensus sind dann die Bekenntnisse formuliert worden. Die sind fehlbar, da können wir uns stundenlang unterhalten. Nur fängt gerade da das Dilemma mit Ihnen an, daß Sie diese Grundaussagen auf die gleiche Ebene stellen wie zum Beispiel die Aussage, ob man das Amt mehr vom Dienst her versteht, also in Verlängerung des allgemeinen Priestertums der Gläubigen, oder ob man es stärker von der Ordination her versteht. Dr. Schulz: Da stehe ich in wesentlichen Punkten mit Ihnen im Widerspruch, und zwar als Christ und als Pastor. Ich beanspruche in meiner Kritik an Ihrer Position genauso mein Pastorsein, wie Sie es auf der anderen Seite tun. P. Kretschmar: Sie stellen aber die Kirche eben als eine Communio humana dar, die sich auf eine jesuanische Tradition beruft. Genau das ist ja nicht Kirche, wie sie sich durch die Jahrtausende hindurch versteht. Dr. Schulz: Das ist bedauerlich, Herr Kretschmar. Hätte sie sich gleich auf Jesus besser verstanden, so wäre sie glaubwürdiger geworden. P. Kretschmar: Da bin ich mir nicht so sicher. Herr von Weizsäcker hat gestern noch einmal betont ,ßaß es die eigentliche Kraft der Kirche ist, daß sie eben nicht logisch formuliert, sondern in
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Paradoxien diese Aussagen macht von jenem Jesus. Ich weiß nicht, wie man sagen kann, dies wäre kein Konsens der Kirche. Hier sind Sie uns den Beweis schuldig. Dr. Schulz: Das will ich auch gerne tun. Dr. Barrelet: Darf ich jetzt nur einmal fragen, welches ist hier Konsens der Kirche?
P. Kretschmar: Die christliche Wahrheit über Jesus Christus läßt sich nur in Paradoxien ausdrücken, ob das nun mit den nicaenisehen Formeln geschieht oder sonstwie. Das, was Sie immer wieder versuchen, nämlich zu rekurrieren allein auf den historischen Jesus, ist eben eine Verkürzung. Ich sage das als einer, der auch vom historischen Jesus fasziniert ist und der sehr ringen muß, um diese paradoxen Formeln überhaupt in sein Leben hineinzunehmen. Aber ich halte fest, daß das, was Sie machen, eine Verkürzung ist. Dr. Schulz: Und ich halte einmal dagegen, daß es eine Konzentration ist, indem ich praktisch über die Tradition hinauskomme und endlich einmal Dinge abstreiche, die mir den Blick für das Zentrum verstellen. Mein Durchbruch zum historischen J esus ist für mich aus meiner lutherischen Tradition genau das, was Luther sola scriptura genannt hat. Ich habe deutlich versucht darzustellen, wie ich dazu stehe und daß für mich die sola scriptura ihren Grund im historischen Jesus hat. Ich habe das nicht als eine Flucht oder eine Aufgabe von Dingen gesehen, sondern als eine Disponierung, und habe gesagt, dies halte ich für eine wesentliche Konzentration des Christentums.
P. Kretschmar: Ich möchte aber noch etwas zur Frage der Eschatologie sagen. Ein wesentliches Merkmal der Kirche ist für Sie eine offene Theologie. Es geht Ihnen dabei um die geistige Solidarität mit dem Zeitgeschehen und dem Zeitbewußtsein. Es ist aber zu fragen, ob die Reduktion des theologischen Horizontes auf die Bereitschaft, sich auf eine faktisch vorhandene Solidarität mit dem Zeitgeschehen offen und bewußt einzulassen, nicht in Wahrheit die Welt verschließt und dem Menschen eine Dimension vorent-
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hält, die allein es sinnvoll machen könnte, von Offenheit zu reden. Das ist für mich die Basis, auf der ich von mir aus denkend Eschatolog~e betreibe, daß ich also von dieser anderen Dimension reden zu müssen meine. Dr. Schulz: Wir können uns da sehr schnell verständigen, wenn Sie als Konkretion nicht von mir verlangen, daß ich sage, dieses wird als Eschatologie sichtbar in einer Apokalyptik. Wenn Sie also sagen, daß dies einmal Ausdrucksmittel gewesen seien, um diese Offenheit zu demonstrieren, daß es aber heute nicht mehr die Bedingungen sind, zu glauben, also nicht für wahr zu nehmen und nicht als Deutungsmittel geeignet, um von Offenheit etwas zu sagen. P. Kretschmar: Die müssen interpretiert werden, da sind wir uns doch einig. Dr. Schulz: Da sage ich also meiner Gemeinde, wie Herr Dr. Stegemann es so schön gesagt hat, eine Hölle gibt es nicht, ein Endgericht gibt es nicht, ein Gericht in dem Sinne, daß die einen hier und die anderen dort stehen, das alles gibt es nicht. P. Kretschmar: Aber darf ich noch einmal unterbrechen: Wie wollen Sie dann theologisch Verantwortlichkeit vor Gott sprachlich ausdrücken? Dr. Schulz: Das ist ein wesentlicher Punkt. Ich kritisiere damit, daß mit dem Hinweis auf ein Endgericht von der Kirche Verantwortungsbewußtsein bei den Menschen gefordert oder hergestellt wird, indem gesagt wird, weil es einmal ein WeItende gibt, in dem Gott der Richter ist und Du Dich verantworten mußt, deshalb mußt Du heute so und so handeln. In der Geschichte der Kirche sind die Gerichtsvorstellungen bis zu extremer Peinlichkeit immer wieder dazu benutzt worden, Menschen in ihrem Handeln so oder so zu manipulieren. Ich würde mich also aus meinem theologischen Bewußtsein im tiefsten weigern, die Verantwortlichkeit von Christlichkeit aus einem Endgericht abzuleiten. Nun bin ich wieder ganz nahe bei Jesus. Jesus hat die Verantwortlichkeit des einzelnen nicht aus einem Endgericht abgeleitet, sondern aus dem
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unmittelbaren Verantworten vom Ich zum Du. Ich verantworte mein Verhalten auf dich hin, weil du mich brauchst, und nicht, weil ich vor irgendeinem Gott zu irgendeiner Zeit im Endgericht Angst habe. Prof. Stegemann: Wenn Eschatologie so verstanden wird, daß eine neue Gesetzlichkeit herauskommt, dann ist die Sache sicher falsch. In diesem Sinne ist die Endgerichtsvorstellung sicher abzulehnen. Das Christentum versteht sich ja fundamental von der in J esus gesetzten Möglichkeit zum Heil und von der Erlösungskraft Jesu her. Nur hat die natürlich auch eine eschatologische Dimension. Damit, daß ich sage, eine mißverständliche Vorstellung vom Endgericht, die eine neue Art von Werkgerechtigkeit produzieren kann, die die Sache verfälscht, muß raus, ist diese andere Komponente, daß das Erlöstsein eine eschatologische Dimension hat, noch nicht ganz erledigt. Dr. Schulz: Das offene Reden über Eschatologie hat heute immer die Belastung, daß sie so sehr mit der Apokalyptik verbunden ist. Man kann bei Jesus'von Eschatologie reden ohne apokalyptische Positionen. Die Apokalyptik ist traditionsgeschichtlich ein Zusatz zur Jesusverkündigung. Da sind wir an dem Punkt, wowir gemeinsam über Offenheit christlicher Positionen sprechen können. Dann sind wir da, daß Positionen der modernen Theologie sagen, diese Offenheit ist eine in dieser Welt vorhandene Möglichkeit menschlichen Weltverstehens. P. Kretschmar: Aber es kommt doch darauf an, daß christliche Theologie, daß Eschatologie davon ausgeht, daß sie von Gott spricht und damit den meint, der am Ende unseren Glauben verifizieren wird. Das, was ich glaube, braucht doch die Bewahrheitung. Die Wahrheit mag heute in der Diskussion im Fluß sein. Aber am Ende muß es doch, wie man es auch immer benennen mag, bewahrheitet werden! Dr. Schulz: Ich bestreite Ihnen nicht, daß man das in der Eschatologie so machen kann. Man könnte also sagen: Um die Erfahrung zu machen, daß das, worauf ich jetzt etwas riskiere, auch wahr ist, muß ich einen Punkt haben jenseits von meinem Riskieren, an
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dem mir später - und das halte ich für Eschatologie - von einer letzten Instanz gesagt wird, so ist es auch. Davon setzt sich eine theologische Bewegung ab, die sagt, daß dieses Eschaton eigentlich jenes Wagnis ist, das sich bereits im Glauben aktuell vollzieht. Ich bin der Meinung, daß ich da ungeheuer nahe bei Paulus stehe. Paulus leitet seine Gewißheit nicht aus irgendeiner Zukunft ab, sondern er lebt aus der Gegenwart, nämlich aus Erfahrungen, die für ihn bereits voll dagewesen sind. Ich bin erlöst, so sagt Paulus, und das heißt: verwirklichte Eschatologie, indem nämlich die volle Gewißheit der Offenheit in der neuen Existenz gegenwärtig ist. Ich brauche also im paulinischen Sinne nicht mehr ein WeItende zur Bestätigung.- Ich bin jetzt überzeugt, egal, was am WeItende passieren wird. Es ist für mich ein wesentlicher Punkt, daß im Selbstverständnis des Paulus und in seinem christlichen Risiko dieser christliche Mut zum neuen Sein in seiner Wahrhaftigkeit nicht mehr in einem zukünftigen Ereignis gesucht wird, sondern als Gewißheit bereits gegenwärtig voll da ist. Es könnte also ein solches Ende wegfallen, und für Paulus wäre immer noch die Heilsgewißheit voll und ganz da, daß es diese Offenheit gibt. Es überrascht, daß gerade Paulus hier herangezogen wird, bei dem es heißt: »Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.« (1. Kor 15,19). An anderer Stelle empfiehlt Dr. Schulz nicht nur, die Bedeutung der paulinischen Theologie zu relativieren (vgl. S. 123), sondern er widerspricht Paulus ausdrücklich in bezug auf die christliche Hoffnung, weil auch Jesus nicht auferstanden sei und die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse heute gegen ein Leben nach dem Tode sprächen (Predigten, S. 65ff.; vgl. Formel S. 232f.). Diese herausgegriffene Ungereimtheit wird hier als Symptom dafür angeführt, daß die Schulzsche Meinung über die christliche Hoffnung in einem Zirkelschluß aufgrund verschiedener Hypothesen besteht. Ausgangspunkt: Jedes Reden von Auferstehung, vom Leben nach dem Tode steht wider besseres Wissen. Zweiter Satz: Überall, wo im Neuen Testament oder in der Lehre der Kirche von einer zukunftsorientierten christlichen Hoffnung (futurische Eschatologie) die Rede ist, handelt es sich um veraltete apokalyptische Vorstellungen. Also: Der Pastor kann und braucht eine christliche Hoffnung im herkömmlichen Sinne nicht mehr zu
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verkündigen; sein modernes Bewußtsein läßt es nicht zu, sein Amt fordert es nicht von ihm - was zu beweisen war. Es genügt, wenn er etwa an einem Sterbebett die - illusionäre - Trostfunktion respektiert, die für einen Menschen darin liegen kann, auf den Gott, der die Toten auferweckt, zu hoffen und auf den wiederkommenden Christus zu warten. Der Leser sei eingeladen, an den Schriften von Dr. Schulz zu prüfen, ob dieser im ganzen richtig wiedergegeben ist. Eine theologische Auseinandersetzung mit allen genannten Thesen wäre möglich und nötig. Ein fundamentaler Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis, zur Lehre der Kirche, zum Auftrag eines Pfarrers liegt jedenfalls nicht d~mn vor, wenn ein Pastor mit dem eigenen Zweifel ringt oder sich den Fragen des modernen Bewußtseins an die Theologie stellt. Dr. Schulz aber macht seine Thesen zusammengefaßt zum Anliegen seiner Verkündigung. Wie soll dann diese Predigt noch gewi ßmachendes Zeugnis von der unzerstörbaren Liebe Gottes in Christus sein können?
Vorsitzender: Ich habe mich bemüht, Sie zu verstehen. Sie haben gesagt: In Jesu eschatologischer Verkündigung wird eine vorhandene Möglichkeit menschlichen Selbstverstehens aufgedeckt und freigelegt. Dieses kann ich nur als eine fundamentale Verzeichnung der Verkündigung Jesu verstehen. Jesus beginnt mit dem Indikativ der Heilszusage: Die Gottesherrschaft ist angebrochen. Die Gottesherrschaft ist etwas diametral Entgegengesetztes zu einer bereits vorhandenen Möglichkeit menschlichen Selbstverstehens . Ihr J esusbild - ich sage ausdrücklich: ich elementarisiere wirft den Menschen auf die in ihm liegenden Möglichkeiten, die vielleicht bis dahin verdeckt waren, zur4ck. Der Mensch bleibt bei sich selbst. Er wird ausschließlich mit einem moralischen Appell dazu angehalten, alle Möglichkeiten, die es in ihm gibt, entweder zu erkennen oder zu nutzen, jedenfalls soweit zu bringen wie irgend möglich. Daß das Evangelium eine Zusage, eine Gabe, ein Heil ist, dieses vermag ich in Ihrer Christologie nicht zu erkennen. Darin sehe ich mit den systematischen Grund - nicht den historischen -, daß Sie das Bekenntnis der Christenheit lediglich historisch werten, abblenden. Für Sie hat es keine Relevanz, keine für mich erkennbare Relevanz, sondern für Sie hat nur das historisch Verifizierbare, das in Ihr Denken Eingehende Relevanz und infol-
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ge dessen auch nur der moralische Appell, den Sie aus dem historischen Jesus - sicher in achtbarer Gestalt - hören. Ergebnis: Der Mensch, von dem Sie reden und auf den hin Sie Theologie treiben, ist auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine zwischenmenschlichen Beziehungen. Es gibt überhaupt nichts anderes, Gott kann gar nichts offenbaren, ihm etwas sagen, ihm etwas geben, ihm etwas schenken. Wenn ich auf die Ausgangsposition von heute morgen zurückkomme, daß ich nämlich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben kann, dann müssen Sie dieses genau umkehren. Sie müssen sagen, daß Sie dadurch, daß die in Ihnen liegenden Möglichkeiten geweckt werden, aus Ihrer eigenen Vernunft und aus Ihrer Kraft - vielleicht werden Sie jetzt nicht »glauben« sagen, sondern: auf Gott hin denken. Dies halte ich für eine diametrale Entgegensetzung zum reformatorischen Bekenntnis. Ich möchte es absichtlich einmal so zuspitzen, damit nicht der falsche Eindruck entsteht, als ob wir durch unser aufmerksames Zuhören Ihnen zugestimmt hätten. Ich widerspreche Ihnen fundamental. Dr. Schulz: Na ja, das überrascht mich im Grunde nicht, Herr Professor, mögen Sie auch! Das besagt noch nicht, daß ich die Jesusbotschaft verzeichne, denn das stellt die Frage an Sie, wie Sie denn in der basileia tou theou des historischen J esus die Heilszusage definieren. Bitte tun Sie mir den Gefallen und kommen Sie mir nicht paulinisch, denn dies hat mit der ursprünglichen basileia..toutheou-Theorie von Jesus nur wenig zu tun. Da sage ich Ihnen einmal aus meiner Kenntnis, daß die basileia-tou-theou-Theorie von Jesus kein einziges Stück von dem beinhaltet, was Paulus später als Rechtfertigung des Sünders sakramental verstand. Ich sehe es nicht. Jesus spricht das Reich Gottes als unmittelbar anbrechend da zu, wo gewisse Dinge getan werden. Ich sage Ihnen gerne, daß in der paulinischen Rechtfertigungslehre wesentliche Elemente der basileia-tou-theou-Theorie so umgesetzt werden, daß sie noch ein größeres Spektrum abdecken können. Aber von der Sache her, Herr Bischof, jetzt muß ich Sie als Theologe und Professor ansprechen, gehe ich derzeit jeden Forschungsstreit mit Ihnen ein, daß Ihre Aussage über den historischen Jesus falsch ist.
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Vorsitzender: Diesen Streit will ich gerne mit Ihnen führen. Wir können das hier nur begrenzt. Ich möchte nur sagen: Sie haben jetzt eben mehrfach gesagt, Jesus spricht die basileia zu. Das ist etwas anderes, als den Menschen anzusprechen auf die in ihm liegenden Möglichkeiten. Was Sie aus der Verkündigung J esu herausnehmen, ist für mein Verständnis - ich habe extra gesagt und betone es noch einmal, daß ich elementarisiere - ein moralischer Appell, sicher von einer hohen Qualität, aber der Mensch bleibt bei sich selbst, und Sie können von einer Erlösung nicht sprechen. Das ist ganz folgerichtig. Prof. Friedrich: Ich verstehe Sie nicht. Sie legen großen Wert auf das Denken und auf das wissenschaftlich Nachweisbare. Dann aber machen Sie Aussagen absoluter Art, die ich nicht verstehe. Sie sagen, Gott gibt es nicht, mit dem Tod ist alles aus, es gibt kein Jenseits, es gibt keine Auferstehung, es gibt kein Gericht. Wie ist es wissenschaftlich nachweisbar, daß es das nicht gibt? Müßten Sie nicht viel bescheidener sagen,darüber weiß ich nichts? Das würde ich akzeptieren, aber sagen, das gibt es nicht, das ist doch eine handfeste Dogmatik, die Sie da vertreten, die nur nicht die Dogmatik der Kirche ist. Dr. Gehrmann: Ich komme auf Ihr Beispiel vom Sterbebett eines Gemeindemitgliedes zurück. Da sah es doch so aus - und ich glaube nicht, Sie mißverstanden zu haben -, als ob Sie kurz vorher die Frage stellen: Wie möchten Sie es haben? Wie gewohnt oder moderne Auffassung, Psalm 23 oder Seite 177 meines Buches? Kann nicht bei dieser Auffassung, mit der Sie doch nach außen hin in gleicher Intensität, Wahrhaftigkeit und Überzeugungskraft sowohl das eine als auch das andere dem Betreffenden geben, die Frage auftauchen, ob damit nicht ein Gespaltensein - das Sie uns heute vorwerfen- in Ihrer Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft auftreten kann? Das ist meine Frage an Sie nur als Gemeindepastor , nicht als Fachschriftsteller , die mich sehr bewegt. Dr. Schulz: Weil Sie, Herr Gehrmann, immer wieder auf meine persönliche Einstellung als Pastor eingehen, möchte ich sagen, daß ich als Pastor als ungeheuere Befreiung empfand, zu fragen, was möchtest Du denn. Damit nehme ich den anderen schon 113
einmal ernst. In meiner Erfahrung mit Pastoren oder in meiner Vergangenheit lief es meistens darauf hinaus, daß ich nie gefragt worden bin, sondern mir ist praktisch - das finde ich viel unmenschlicher - einfach gesagt worden, so ist es. Wenn Sie es als pastoral fragwürdiges Element einspielen, daß ich auf den anderen einmal höre, was er denn als Christ meint und glaubt und hören will, dann halte ich es für einen wesentlichen Fortschritt im Zwischenmenschlichen zwischen Pastor und Gemeinde. Für eigentlich inadäquat zum Pastorsein halte ich es vielmehr, wenn ich den anderen gar nicht zu Gehör kommen lasse und ihm das aufdränge, was ich als Amtskirche zu praktizieren habe. Wenn ich an einem Sterbebett steh und habe den Eindruck, das dauert noch Stunden und wenn ich dem Menschen die Hand halte und mich in der Solidarität mit diesem Sterbenden bewege, dann kann es passieren, daß ich mein Ordinationsgelübde vergesse, weil ich mich diesem Menschen verantwortlich fühle, und daß ich einmal offen lasse, ob ich diesen Menschen im letzten Augenblick noch auf mein Ordinationsgelübde hinbringe. Das kann sich von Mal zu Mal ändern. Wenn dem Menschen geholfen ist, indem ich im Talar ihm deutlich mache, daß ich als Pastor fungiere und ihm als Sterbenden eine Identität bringe, dann vertraue ich als Pastor auf eins, was mir dann in solchen Situationen immer geholfen hat, daß wir als Lutheraner ja nicht gerade bei der Funktionalität der Sakramente an die Person denken und daß dann eben auch diese Dinge ihre Wirkung haben, nämlich in Kraft ihres Vollzuges. P. Kretschmar: Das sind ja ganz neue Aussagen! Dr. Schulz: Das habe ich in Heidelberg gelernt. Das sage ich Ihnen einmal so. Ich habe das Abendmahl empfangen und mir wurde gesagt, jeder empfange das Abendmahl gemäß seinem Glauben. Das ist die offizielle Formel dort. Der Pastor, der amtshandelnde, entledigt sich seiner eigenen Person, auch seiner Funktion, und sagt, ich vollziehe es. So agieren wir auch in jedem ökumenischen Vollzug normalerweise. Und nun möge jeder in bezug auf seine religiöse Disposition hin die Dienstleistung, die ich als Pastor tue, so entgegennehmen.
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P. Kretschmar: Ja, das reduziert ja das wieder, was Sie vorher gerade gesagt haben. Dann sind wir wieder beim alten. Dr. Barrelet: Nein, das sehe ich nicht so. Dr. Schulz: Ich wollte Ihnen nur deutlich machen, daß ich weder so herum noch so herum ein Mensch bin, der in Krisensituationen jemandem seine Muster aufzwingt. Ich versuche Menschen dann sogar abzuraten, in meinen Gottesdienst zu gehen. Da bin ich von einem Tick herunter, den ich am Anfang so gehabt habe, daß ich in der Lage wäre, allen Menschen in ihrer religiösen Disposition praktisch letzte Antworten zu geben. Das müssen dann vielleicht auch andere Menschen tun, und darum rede ich gerade für die Pluralität in unserer Kirche. Wenn einer meine Position nicht nachvollziehen kann, möge er mit allem Respekt vor meinen Kollegen dort hingehen und seine Identität finden. Nun komme ich zum letzten Punkt: Herr Friedrich, Ihre sehr globale Frage verwundert mich in diesem Augenblick, weil ich versucht habe, vom Kontext her zu sprechen. Ich weiß gar nicht, wo ich gesagt habe, Gott gibt es nicht. Ich habe gesagt, Gott gibt es als Person wohl so nicht. Das ist etwas anderes. Ich habe auch gesagt: Die Vorstellung »Person« als Gott, die - so glaube ich - würde man in Frage stellen müssen. Aber warum denn? Um dieses »Gott gibt es« in anderer Weise neu sichtbar zu machen. Prof. Friedrich: Ich meinte natürlich eben Gott als Person. Ich habe sehr abgekürzt geredet. Dr. Ostermeyer: Ich darf Sie noch einmal zitieren: »Jedes Reden von Auferstehung, vom Leben nach dem Tod, von einer Identität des Ich, die sich durch den Tod hindurch hält, ... ist eine Hoffnung wider besseres Wissen«. Das trifft mich auch, daß Sie das mit einer solchen Sicherheit sagen, daß man das sogar wider besseres Wissen, also unredlicherweise glaubt. Dr. Schulz: Das sind jetzt wieder von einem Text von 21f2 Seiten nur 21f2 Zeilen herausgegriffen. Sie können ja nachlesen, warum zwingend herauskommt, daß dieser Satz dann da so steht. Ich sage dort, es gibt drei Gründe, warum das Reden von Paulus in Schwie115
rigkeiten gerät, und dann ist dies ein Grund, mit dem ich in einer Auseinandersetzung mit Moody und seinem Buch »Leben nach dem Tod« dies ganz konkret klarzumachen versuche. Das ist doch komplizierter. Herr Ostermeyer, ein Tatbestand ist doch komplizierter als ein einzelnes Faktum, das wissen Sie doch als Jurist. Dr. Ostermeyer: Eben habe ich gar nicht als Jurist, sondern als auch Betroffener gesprochen. Dr. Schulz: Jesus spricht die basileia tou theou zu, indem er sich selber zuspricht, und - nun zum Indikativ, Herr Bischof - der Satz heißt richtig: Die basileia tou theou verwirklicht sich da, wo auch du dich zusprichst, wo auch du dich in der Beziehung zum Nächsten voll einsetzt. Dann haben Sie eine sehr eindrucksvolle Kette. Jesus spricht die basileia zu als jemand, der sich zuspricht und damit den Indikativ bietet, dafür, daß auch ich mich zuspreche. Damit ist der transzendente Bezug in den beiden Möglichkeiten weg, das ist richtig. Aber der Identitätsgrad zwischen basileia tou theou bei Jesus als Indikativ und mir, der diesen Zuspruch erfährt, ist ein ganz anderer. Nun heißt es durch den Imperativ (Röm 6): Da Jesus sich zugesprochen hat als Anfang der basileia, sprich , auch du dich zu und schaffe du dann jene Gemeinschaft, von der ich der Meinung bin, daß sie heute der wesentliche Teil des Menschseins ist, nämlich die Gemeinschaft derer, die sich einander im Sinne J esu zusprechen. Vorsitzender: Herr Schulz, Sie haben gestern eine Wendung gebraucht, die wahrscheinlich auch zur Interpretation Ihrer Ausführung passend ist, daß sich dabei nämlich das Prinzip Liebe im sozialen Bezug vollzieht. Sie haben die basileia tou theou in den sozialen Bezug eingeordnet, jeden transzendenten Bezug abgeblendet. Wir sind nicht weitergekommen. Das muß ich Ihnen leider sagen. Weder haben Sie mich als Exeget noch als Systematiker irgendwie eines anderen belehren können. Ich Sie auch nicht, darüber bin ich mir im klaren.
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Schrift - Bekenntnis - offene Theologie (5. Verhandlungstag)
Nach der Eröftnung der Verhandlung wird zunächst die inzwischen, vorliegende Entscheidung des Senats für Lehrfragen besprochen (vgl. S. 64). Dr ~ Barrelet wiederholt den Antrag, es möge festgestellt werden, was »rechte Lehre« im Sinne des Lehrbeanstandungsgesetzes ist. Er verweist auf die seinerzeit an den Senat gestellten neun Fragen von Dr. Schulz, die nunmehr vom Spruchkollegium zu beantworten seien. Die Mitglieder des Spruchkollegiums hatten bereits am 3. und 4. Verhandlungstag in bezug auf diesen Antrag mit inhaltlich-theologischen Auskünften und Stellungnahmen reagiert, die häufig Aussagen der Bekenntnisschriften einbezogen (vgl. S. 72ft., 89ft.). Zusätzlich faßt der Vorsitzende später (vgl. S. 156) die Position des Spruchkollegiums zusammen. Zu Beginn des Sachgesprächs am 5. Verhandlungstag fragt Prof. Stegemann, was für Dr. Schulz die Bindung an die Bekenntnisse inhaltlich bedeute, wie diese in seiner Amtsführung als Pastor zum Tragen komme und wie er den Normcharakter der Bekenntnisse berücksichtige, der aufgrund des Ordinationsgelübdes gegeben, wenn auch als »norma normata« im Blick auf die Schrift in spezifischer Weise relativiert sei. Dr. Schulz berichtet, daß die Vikarsgruppe, der er angehört hat, vor der Ordination ausgiebig über die Bedeutung der Bekenntnisse diskutiert und ein Schriftstück abgefaßt und unterzeichnet habe, in dem der Kirchenleitung ein kritischer Bezug zu den Bekenntnissen bekanntgegeben worden sei. Diesen Hinweis hatte Dr. Schulz schon einmal am 1. Verhandlungstag gegeben. Daraufhin war seine Personalakte beigezogen, vom Spruchkollegium durchgesehen und auch Dr. Schulz zur Einsichtnahme vorgelegt worden. Ein Schriftstück der genannten Art fand sich nicht.
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Dr. Schulz: Wir hatten eine damals relativ einfache Lösung, klare Lösung. Wir haben gesagt, die Bekenntnisschriften sind Ausdruck einer Interpretation des Neuen Testamentes oder der Schrift überhaupt, sie sind also norma normata. Grund aller Aussagen im Bekenntnis ist als norma normans die scriptura, die Schrift. Wir empfanden uns damals als ausgeprägt lutherisch in dem Punkt. Wir hatten also theoretisch als Lutheraner überhaupt gar keine Mühe, die Bekenntnisschriften insofern zu relativieren, nämlich in ihrer absoluten Gültigkeit. Prof. Stegemann: Was Sie jetzt ausgeführt haben, ist aus meiner Perspektive völlig unstrittig, das ist gut lutherisch, darüber sollte man gar keinen Zweifel haben: Die Bekenntnisse sind in ihrer Interpretation sicher an die Schrift gebunden. Nur ist das, was der Gegenstand meiner Frage war, mit dem, was Sie ausgeführt haben, noch nicht beantwortet. Ich wollte ja jetzt wissen, welche positive Funktion in dem, was Sie als Pfarrer tun, diese Bekenntnisbindung haben kann, inwieweit also das, was in den Bekenntnissen steht - wie auch immer jetzt relativiert durch den Schriftbezug -, auf der anderen Seite doch positiv zum bekenntnisorientierten Maßstab Ihrer pfarramtlichen Praxis und Lehre geworden ist. Dr. Schulz: Positiv ist das in meinen gemeindlichen Arbeiten sehr konkret abgelaufen. Ich habe z. B. im Konfirmandenunterricht sehr intensiv den Kleinen Katechismus durchgearbeitet. Das kann man vielleicht an den Zehn Geboten deutlich machen. Ich habe meine sogenannten Hamburger Zehn Gebote, die dann so genannt worden sind, keineswegs in die Luft gearbeitet, sondern in ständiger Auseinandersetzung und Korrektur mit den Zehn Geboten des Alten Testamentes bzw. in der lutherischen Form. Ich habe auf gar keinen Fall andererseits in Zweifel gelassen - ich will das gar nicht relativieren -, daß dieses eben nur gleichsam ein Hafen ist, auf den man hin denken kann oder aus dem man wieder auslaufen muß. Ich versuche immer die Beziehung herzustellen, gerade dann, wenn ich sie meine überholen zu müssen. Meine Gemeinde - das ist gar keine Frage - ist oft aus diesem Hafen »Bekenntnisschriften« ausgelaufen, wobei ich einmal mit Ernst sage: Wie letztes Mal hier über Schöpfung geredet worden ist, läßt 118
sich ein denkender Mensch nicht auf den ersten Artikel beschränken. Das fordert geradezu auf auszulaufen, und so sind wir dann losgelaufen, und da bin ich die Wege mitgegangen, die heute die Interpretation und die Ausdeutung des 1. Artikels überhaupt erst möglich sein lassen sollten. Ein Bekenntnis hat eine Funktion und eine Konkretion. Konkretion sind die jeweiligen Auslegungen, die jeweiligen Bilder, mit denen das Bekenntnis etwas ausdrückt. Der Kleine Katechismus gebraucht z. B. im 1. Artikel eine Fülle von Konkretionen, also den Vater-Begriff oder den Königs-Begriff oder den SchöpferBegriff in dem Sinne: » ... hat gemacht ... «. Das sind alles bildhafte Konkretionen. Und nun kommt für mich etwas ungeheuer Wichtiges: Mit der Aufhebung von Konkretion verliert ein Bekenntnis nicht seine Funktion. Ich sage geradezu: Um die Funktion eines Bekenntnisses aufrechtzuerhalten, müssen seine Konkretionen durchstoßen werden. Das richtige Weitersagen des Bekenntnisses ist keineswegs da gegeben, wo ich buchstabengemäß sozusagen jemanden wieder verpflichte, sondern wo ich den U msetzungsprozeß wage, in funktionaler Fortführung Konkretionen zu durchstoßen. Prof Stegemann: Darüber brauchen wir uns überhaupt nicht zu streiten. Was von meinem Anliegen her immer noch nicht hinreichend beantwortet worden ist, das ist einfach, daß Sie einmal klar sagen, wo in diesem Versuch, die Bekenntnistradition fortzusetzen, das Bekenntnis für Sie eine Maßstabfunktion irgendeiner Art hat, natürlich normiert von der Schrift her, aber andererseits doch in spezifischer Weise Maßstab. Dr. Schulz: Nun habe ich soviel von der Funktion der Bekenntnisse in meiner Gemeinde gesagt -, wo denn noch? Soll ich mich auf den Kirchturm stellen, soll ich da die Bekenntnisse laut verkünden? Ständig habe ich in meinem Gemeindeprozeß über die Bekenntnisse gesprochen, sie versucht zu formulieren im Sinne der Funktion -, wo ist denn jetzt der entscheidende Punkt, wo Sie sagen: Das müßte noch ganz anders aussehen? Prof Stegemann: Es schwebt mir vor, von der Bekenntnissituation her zu verdeutlichen, daß die lutherische Bekenntnisbindung ein 119
andersartiges Engagement in Ihrer pastoralen Praxis eröffnet und auch fordert, als wenn Sie z. B. reformierter Pfarrer wären oder ein katholischer Amtsbruder. Die beziehen sich ja auch alle auf die Schrift!
Dr. Schulz: Eigentlich galt ich in Hamburg immer als einer, der sich sehr bewußt auf lutherische Positionen, gerade in Details, bezogen hat. Ich meine, Sie stellen die Frage, die Sie an mich jetzt stellen, eigentlich an die gesamte Pastorenschaft: wo wir denn Funktionen haben innerhalb des Gemeindeamtes und auch der Kirche, wo die Bekenntnisse eine noch stärkere Rolle spielen. Ich selber habe erfahren, daß man von den Bekenntnissen her und auf die Bekenntnisse hin einen breiten Rahmen von Theologie abstecken kann. Denn ich kann - das sage ich jetzt mal konkret - fast alle Aussagen in der Konkretion umsetzen in Bilder heute und damit ihre Funktion voll erhalten. Das ist doch mein Ansatz! Vorsitzender: Ich muß zur bisherigen Gesprächsrunde sagen: Einmal bin ich froh, daß sie in einer sachlichen und fairen Weise verläuft. Zum anderen bin ich sehr enttäuscht. Sie sind nur formal bisher verfahren. Sie sind mit Ihrem Schiff aus einem Hafen ausgelaufen, haben uns aber nie klargemacht , in welchen Sie dann eingelaufen sind. Sie haben die Bekenntnisse hinter sich gelassen. Ihre Hamburger Zehn Gebote erwähnen Gott nur ganz bescheiden am Ende als »Gott denken«, als Gottesvorstellung. Sie stellen die Zehn Gebote der Bibel völlig auf den Kopf und haben mit den Zehn Geboten aus der Bibel für mein Verständnis - ich will es Ihnen zugespitzt sagen -lediglich die Zahl zehn gemeinsam. Wer die Zehn Gebote in der Formulierung der sogenannten Hamburger Zehn Gebote vor sich hat, kann das kontrollieren. Dieses hier genannte Beispiel greife ich auf, um zu sagen: Ich kann nicht erkennen, wo bei Ihnen das reformatorische Bekenntnis inhaltlich, nicht formal, inhaltlich irgendeine Rolle spielt. Dr. Schulz: Ich bedaure momentan sehr, Herr Vorsitzender, daß Sie ein Gespräch, das ich eigentlich zur Entwicklung meiner Position mit Herrn Prof. Stegemann geführt habe, derartig reduzieren, indem Sie so stark eingreifen. Wir haben ein Gespräch gehabt, und Sie bewerten sofort und sagen: Sie haben nicht ... oder ich hätte
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nicht ... Wenn ich sage, ich heiße Paul Schulz, dann sagen Sie erst mal: Nein. Ich habe den Eindruck, daß Sie zunächst einmal jede Basis zerstören wollen, die wir hier geschaffen haben. Ich halte das formal für nicht fair. Vorsitzender: Herr Schulz, ich verbitte mir diese Art ... Dr. Schulz: Ich mir auch. Vorsitzender: ... der Argumentation. Wir haben Ihnen mehr als eine halbe Stunde eine ganz ruhige Gesprächsvorgabe gegeben. Dr. Schulz: Die war auch gut! Endlich einmal! Vorsitzender: Darüber haben wir uns doch auch abgestimmt! Ich habe mich auch vorher mit Herrn Dr. Stegemann,ehe ich das Wort nahm, verständigt, daß wir hier jetzt die Runde für das Kollegium öffnen wollen. Sie verlangen von uns klare Antworten. Wenn Sie eine bekommen, beschweren Sie sich. Dr. Schulz: Das ist keine klare Antwort, wenn Sie mich abwerten. Was sagen Sie denn positiv zu Jesus? Vorsitzender: Herr Schulz, wir reden jetzt über Ihre Zehn Gebote. In diesen Zehn Geboten - so habe ich gesagt - kann ich von den Zehn Geboten des Katechismus aber nicht mehr als die Zahl zehn entdecken. Dr. Schulz: Wenn gesagt wird, es sei nur die Zahl zehn identisch, dann halte ich dies überhaupt für keine konstruktive Aussage. Es tut mir furchtbar leid. Denn in diesen steht viel drin, von dem ich in der Lage bin, es als eine funktionale Fortführung dessen zu verstehen, was ich in den Zehn Geboten Luthers oder des Alten Testamentes sehe. Nun habe ich die Zehn Gebote hier ja nicht als Inhalt angeführt. Soweit waren wir ja im Grunde noch gar nicht. Ich habe nur gesagt: ein Umsetzungsprozeß, ein rein formaler Versuch, von alten Positionen auf neue zu gelangen - das sind diese Zehn Gebote. Ich habe gesagt, dieser Versuch ist auch von vornherein in Frage zu stellen. Die Zehn Gebote ersetzen nicht die alten Zehn
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Gebote, sie sind ein Versuch weiterzukommen. Wenn man sagt, so geht es nicht, geht man die Schritte wieder zurück. Ich habe hier einen gemeindlichen Arbeitsversuch dargestellt und habe gesagt, dieser ist abgelaufen im konkreten Verhältnis zu den Zehn Geboten des Alten Testamentes. Kann man das nicht verstehen? So habe ich sie dargestellt. Ich habe noch nicht den Anspruch erhoben, damit seien die Inhalte alle tradiert worden, die wir tradieren müssen. Das ist genau so abgelaufen. Deshalb verbitte ich mir die Wertung, gemeinsam sei von vornherein nur die Zahl zehn. Diese Zahl ist schon ein Anspruch, der diese Tradition beinhaltet. Die »Hamburger Zehn Gebote« lauten: 1. Kinder haben, 2. Finanziell gesichert sein, 3. Freizeit gestalten, 4. Leben schützen, 5. Gesundheit pflegen, 6. Sich Schönes leisten, 7. Erfolg haben, 8. Liebe schenken, 9. Mitleid haben, 10. an Gott denken. Sie sind als Arbeitsversuch im Konfirmandenunterricht entstanden und haben ihre Überschrift für die Publikation in der Presse erhalten (Formel S. 245ft.). Im Verfahren werden sie von Dr. Schulz jedoch im Rahmen seiner Antwort auf die Frage genannt, wo den Bekenntnissen der Kirche innerhalb seiner pfarramtlichen Praxis und Lehre ein positiver Maßstabcharakter zugekommen sei. Nach einer Verhandlungspause erhält Dr. Schulz Gelegenheit, Aussagen seines Buches (Formel S. 73f.; 121 f.) zu verlesen und ausführlich zu erläutern. Zur Gottesfrage und zur Jesusfrage sieht er dort die derzeit von ihm verantworteten Konkretionen in Umsetzung traditioneller Konkretionen zum Ausdruck gebracht. Prof. Stegemann: Ein massives Implikat unserer lutherischen Bekenntnisbindung ist das »sola gratia«, d. h. daß alles das, was wir tun als Christen und gerade als Verkündiger , nicht unserer eigenen menschlichen Kraft zu verdanken ist, sondern daß wir das tun können vom vorgängigen Wirken Gottes her, das in unserer Art, Dinge zu tun, zum Tragen kommen soll. Diese göttliche Vorgabe ist von der Schrift her ein ganz massives Implikat unserer Bekenntnistradition. Vielleicht gelingt es Ihnen, unter dieser Rubrik inhaltlich etwas von dem zu bringen, was Sie jetzt in der Bekenntnisbindung als gegeben und für Sie wichtig sehen.
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Dr. Schulz: Wenn Sie mich jetzt als Theologen zunächst ansprechen, dann würde ich konkret sagen, es wird allerhöchste Zeit, daß die lutherische Kirche sich überlegt, ob sie ihren primär paulinischen Ansatz durchhalten kann. Ich selber wäre theologisch der Meinung, daß heutzutage der paulinische Ansatz mit der gesamten Justifikation zumindest zur Diskussion steht, übrigens immer wieder gestanden hat, das war gar keine Frage. Ich meine das so, daß wir auch in unserem Luthertum begreifen müssen, daß die paulinische Aussage über Jesus Christus auch nur eine Aussage ist, innerhalb der scriptura eine Traditionsaussage. Ich bestreite nicht, daß von daher viel Existenz verstanden und dargestellt werden kann. Insofern gehört die Rechtfertigungslehre für mich in die Tradition, in das Bekenntnis. Es stellt sich im lutherischen Sinne durchaus die Frage, was denn dann der Urgrund christlicher Position sei, und da habe ich immer wieder formuliert, und das ist meine theologische Position: solus Jesus. Das sage ich deshalb, weil, wenn man solus Jesus als Urposition aufbaut oder sich daraufhin konzentriert, es dann eine Rechtfertigungslehre in dem Sinne nicht gibt. Hier ist dann eine Rechtfertigungslehre nicht verkündigt, sondern Paulus hat später versucht, das Phänomen J esus Christus oder J esus von Nazareth in die Rechtfertigungslehre zu fassen. Für mich ist also sehr wichtig, im Vollzuge festzustellen, daß die paulinische Position bereits eine Interpretation des Kerygmas ist, das heißt schon Bekenntnis ist. Dieses Bekenntnis wäre, selbst wenn es von Paulus stammt, kritisierbar von dem Grund allen Bekennens her, das wäre für mich solus J esus. Da meine ich nun, daß die Bekenntnisse eine große christliche Tradition sind, insofern Menschen sich auch so verstanden haben. Aber zu meinen, Gott hätte sich nun gerade 1530ff. ein für allemal klar geäußert, und - wie ich gerne sage - das auch noch in Sachsen -, dies halte ich für einen Mißbrauch eines Redens von Gott, das ich nicht nachvollziehen kann. Ich kann zwar sagen, Menschen haben ihr Selbstverständnis aufs äußerste riskiert und sich von Gott her verstanden. Und dann kann ich das sola gratia im großen auch predigen. Das kann ich so machen, daß jemand existentiell sich getroffen fühlt und das verstehen kann, wenn Menschen sich mit dem sola gratia auf Gott hin voll öffnen. Aber darauf auch nur dogmatisch zu verankern, damit seien Lutheraner eine besondere Spezies der Gnade Gottes, anders als andere Kirchenstrukturen, dies verweigert mein ge123
samtes Verständnis von Gott, auch mein gesamtes Verständnis von Jesus. Vorsitzender: Ich lasse Ihre historischen Nebenbemerkungen beiseite, weil sie uns nicht weiterhelfen. Ob in Sachsen oder sonstwo formuliert, spielt hier gar keine Rolle. Das reformatorische Verständnis ist ja nicht etwa, daß hier eine konfessionelle Spezialtradition formuliert wird, sondern das reformatorische Bekenntnis versteht sich als die Explikation des gemeinchristlichen Bekenntnisses. Nicht zufällig ist es so, daß die katholische Theologie dieses Gesprächsangebot heute ja auch sehr bewußt aufnimmt. Hier handelt es sich um eine gemeinsame Aussage der Christenheit überhaupt. Das reformatorische Bekenntnis sagt nicht solus J esus, sondern solus Christus. Diesen Unterschied haben wir ja schon mehrfach beleuchtet. Es handelt sich um den gekreuzigten und auferstandenen Christus, der bei Ihnen ausgeblendet ist. Das solus interpretiert sich jeweils gegenseitig: Die Schrift allein, Christus allein, die Gnade allein, der Glaube allein. Wir sind also hier jetzt bei der Betrachtung des Artikels, mit dem für die Reformatoren die Kirche steht und fällt, und Sie haben bisher gesagt, Sie können mit dem Artikel nichts anfangen. Hier machen wir jetzt den Versuch, eine zentrale - ich möchte sagen: überhaupt die zentrale Frage - der evangelischen Verkündigung anzusprechen, und da bricht der Dissens auf. Dr. Schulz: Also für mich bricht da kein Dissens auf, denn beides kann man ja von verschiedenen Situationen her verstehen. Dieses sola gratia hat man ehemals angebunden an historische Fakten, so sehe ich das in der Confessio Augustana und danach, auch vorher, nämlich z. B. an eine konkrete Auferstehung Jesu. Nun besteht doch das Problem, Herr Bischof, daß derzeit in der existentialen Theologie sichtbar ist, daß dieses historische Vorausfaktum offenbar so nicht ist. Also für uns faßbar ist ein paulinisches Bekennen, uns faßbar ist nicht das historische Faktum des leeren Grabes. Alles Reden, auch sola gratia, ist im Wesen kerygmatisch, existentiale Interpretation, Selbstverständnis des Menschen über sich hinaus. Das ist eine für mich wichtige Formel: Selbstverständnis des Menschen über sich hinaus. Die Auferstehung zeigt gerade insofern mit dem sola gratia, daß der Mensch in seiner ganzen Vorbildlichkeit sich nicht selber verdankt, sondern daß der
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Mensch in dem sola gratia von einer Unmenge Vorgegebenheiten bestimmt ist. Prof Stegemann: Ich muß fragen, ob das richtig ist, das sola gratia in der Weise, wie Sie es getan haben, zu verbinden mit Auferstehung. Ich sehe das so nicht einmal bei Paulus, sondern da ist das so la gratia, soweit ich sehe, schwerpunktmäßig verbunden mit den Aspekten Gesetz, Sünde, Sündenvergebung. Dr. Schulz: Ich bin der Meinung, wir haben ein Recht als Lutheraner, wir haben ein Recht als Christen, den Menschen mehr auf seinen Indikativ hin anzusprechen, egal ob ich ihn nun aus Golgatha oder der Taufe ableite. Dadurch relativiert sich für mich - und da bin ich wieder voll Lutheraner für meine Vorstellungen - das Sprechen vom Sünders ein des Menschen. Ich habe einen Horror davor, ich sage es einmal so, ich bin immer wieder so angesprochen worden, daß Menschen ständig auf ihr Sündersein hin in einer Weise angesprochen werden, als sei primär nicht dieses Positive zu sagen. Ich leugne das Sündersein gar nicht. Das erfahren wir ja ständig. Ich bin nur der Meinung, meine Aufgabe als Pastor ist, stärker den Indikativ anzusprechen. Prof Stegemann: Ich meine, daß gerade Ihre letzten Ausführungen sehr wichtig waren in diesem Verfahren unter dem Gesichtspunkt, daß in den früheren Verhandlungsrunden Ihnen sehr stark vorgehalten wurde, Sie sprächen ja nur vom Imperativ. Prof Friedrich: Zu den letzten Ausführungen wäre manches zu sagen. Da stimme ich nicht ganz mit Herrn Stegemann überein, denn was Sie unter Indikativ verstehen und was Sie eben ausgeführt haben, habe ich nicht verstanden. Das war für mich wieder nur eine formale Aussage, keine inhaltliche. Dr. Ostermeyer: Darf ich nur als Nicht-Theologe auch auf den Indikativ noch einmal eingehen? Das sind Worte, die sehr schön sind, aber für viele, vor allem für Nicht-Theologen, rein formal klingen. Was verstehen Sie darunter inhaltlich? Sie werfen den Menschen doch wieder auf sich selbst zurück, denn der Indikativ ist er selbst ja wieder, sein So-Sein! . 125
Dr. Schulz: Die Frage, was denn nun Indikativ sei, ist ja nicht nur eine Frage an mich, sondern nun müssen Sie auch einmal Farbe bekennen und sagen, was denn nun Indikativ sei, wie Sie sich das vorstellen. An der Stelle würde ich gern jetzt eine Aussage machen, wenn Sie gesagt haben, was denn Indikativ sei in der Theologie. Nach meiner Sicht ist nämlich nichts so strittig in der Theologie wie der Indikativ des sola gratia. Bitte seien Sie so freundlich, Herr Bischof, und beschreiben Sie hier nicht Ihre Meinung als Theologe, sondern den magnus consensus, wie der Indikativ sich nach christlicher Lehre vollzieht, was das ist. Ich sage ausdrücklich, ich möchte nicht Ihre Meinung wissen, das kann ich nachlesen. Ich möchte wissen, was nach Meinung der Kirche magnus consensus oder gar Lehrmeinung ist, was denn nun Indikativ in der sola-gratia-Lehre sei. Vorsitzender: Auch Sie als Exeget, Herr Dr. Schulz, wissen, daß Paulus seine Rechtfertigungstheologie niemals vom leeren Grab her begründet. Es geht um die Explikation des Kerygmas. Was der Indikativ ist, das ist nun absolut nicht strittig in der evangelischen Theologie, sondern dieses ist einer der Punkte, wo in einem weiten Konsens die evangelische Theologie einschließlich der römischkatholischen heute einig ist: Es ist der Heilszuspruch propter Christum per fidem, wie es im vierten Artikel der Augsburgischen Konfession heißt. Da ist überhaupt kein Streit. Sie haben in dem, was Sie eben hier gesagt haben, ständig das sola gratia hinübergespielt in eine säkularisierte Schöpfungslehre, indem Sie etwa von der Summe der Vorgegebenheiten geredet haben. Das hat überhaupt mit sola gratia gar nichts zu tun. An der Stelle müssen wir sicher noch einmal wieder einsetzen. Ohne den christologischen Bezug kommen Sie an das sola gratia natürlich nicht heran. Ich verstehe schon, weshalb Sie uns vorhin gesagt haben, Sie könnten damit nichts anfangen. Dr. Schulz: Ich möchte jetzt nicht in die Pause gehen mit dem Bewußtsein, ich könnte damit nichts anfangen. Ich habe eine dreiviertel Stunde geredet und versucht zu explizieren, was ich damit anfangen kann. Sie können sagen, das verstehen Sie nichtGott, na ja. Sie können mich auch verurteilen, das ist nicht das Problem, aber Sie können mich jetzt nicht entlassen, indem Sie
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sagen: Also, das beweist nur, ich hätte da nichts zu sagen. Ich habe dazu eine ganze Portion gesagt. Vorsitzender: Nur, Herr Schulz, Sie haben uns gesagt, die paulinische Interpretation steht für Sie in der Vielfalt der Tradition als eine der Möglichkeiten, die Sie aber ganz deutlich relativiert haben. Dr. Schulz: Ich relativiere schlechthin im Leben alles. Vorsitzender: Ja, alles relativieren Sie, den Eindruck habe ich auch. Dr. Schulz: Ja, und ich weiß nur nicht, woher Sie das Recht nehmen, etwas nicht zu relativieren. Das möchte ich gerne wissen. Vielleicht kommt das durch Ihr Bischofsamt. Woher nimmt man das Recht, etwas nicht zu relativieren? Vorsitzender: Wir sprechen Sie auf das reformatorische Bekenntnis hin an. Dr. Schulz: Das habe ich die ganze Zeit versucht darzustellen. Vorsitzender: Ja eben, und da sind wir uns nicht einig geworden, das müssen wir ja doch wohl feststellen. Herr Schulz, wir sind an dem articulus stantis et cadentis ecc1esiae gewesen, und dazu haben Sie uns damals gesagt - wir können das Tonband ja nachher noch 'einmal zurücklaufen lassen -, haben Sie uns gesagt, die paulinische Interpretation steht für Sie im Bereich der Tradition und der Relativität. Dieses ist nicht die Meinung des reformatorischen Bekenntnisses. Das habe ich noch einmal herausgestellt. Sie haben uns immer angesprochen, wir sollen Ihnen sagen, wo der Dissens ist und was die Kirche lehrt und sagt. Sagen wir es Ihnen, machen Sie uns jedesmal einen Vorwurf daraus. Dr. Schulz: Sie haben Zeit genug, gegen mich zu entscheiden, aber hier mit dieser Gesprächsführung machen Sie mich mutlos. Sie machen mich persönlich mutlos. Ich versuche, mich zu explizieren, meistens von meiner existentiellen Seite her sehr betroffen
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und dann knallen Sie mir so eine Schlußaussage vor den Kopf. Ich spreche bald nicht mehr, weil ich nicht mehr kann, weil ein Bischof hier ständig meint, er könne mit einem Schlußsatz eine Klammer machen und mir ein Minuszeichen davor setzen.
Vorsitzender: Herr Schulz, Sie fordern uns ständig heraus. Wir sollen auf Klarheit sehen, wir sollen Ihnen Antwort geben, und dann fühlen Sie sich jedesmal persönlich angegriffen. Es geht in der Diskussion um den Indikativ, das »sola gratia«, die Rechtfertigungslehre usw. nicht um eine theologische Denkfigur, sondern um das Grundgeschehen im Dienst eines Pastors nach lutherischem Verständnis. Nach dem Augsburger Bekenntnis gibt es überhaupt nur deshalb das kirchliche Amt, den Dienst der Verkündigung, das »ministerium ecclesiasticum«, weil die Botschaft von dem Gott lautwerden mu ß, der die Sünder um Christi willen aus Gnade annimmt. Nachdem in Artikel 4 der Confessio Augustana die Rechtfertigungslehre dargestellt ist, knüpft Artikel 5 daran an: »Damit wir zu diesem Glauben kommen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt.« Luther redet noch schärfer von der Rechtfertigungslehre als dem »ersten und Hauptartikel«: »Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde oder was nicht bleiben will ... Darum müssen wir des gar gewiß sein und nicht zweifeln. Sonst ist's alles verloren« (Schmalk. Art. 11,1). Nach einer Verhandlungspause verliest der Vorsitzende diejenigen Abschnitte der Antragsschrift (vgl. S. 15ft.), in denen der Ordinationsauftrag eines Pastors inhaltlich zusammenfassend beschrieben wird. Daran zeige sich, daß Dr. Schulz auch bisher schon konkrete Antworten erhalten habe. Dr. Schulz bestreitet dies nach wie vor. Die Darstellung des Kirchenrats sei nicht mit ihm besprochen worden. Der Vorsitzende wendet ein, inzwischen sei Dr. Schulz aber der Text bekannt, und er sei gebeten, sich dazu zu erklären.
Dr. Schulz: Ich erkenne nichts an, was dort als letztgültig gesagt zu sein scheint. Deswegen sitze ich hier. Ich glaube, daß die Kirche in Hamburg derzeit dort eine Konkretion von Bekenntnissen formuliert, der in der Form mit Vitalität widersprochen werden muß, um
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christliches Leben auf Zukunft möglich zu machen. Deswegen sitze ich hier. Ich erkenne diese Position der Hamburger Kirche nicht an. Dr. Ostermeyer: Aber sie hat sie Ihnen deutlich gemacht. Vorsitzender: Es ist Ihr gutes Recht, sich dagegen zu wenden und zu argumentieren. Nur ist es nicht so, daß nicht immer wieder der Versuch unternommen worden wäre, Ihnen zu sagen, was die Kirche lehrt. Vielleicht in einem nicht zureichenden Maße, darüber läßt sich streiten. Aber es liegt mir doch daran zu sagen, es ist nicht so, als ob dieses Bemühen nicht immer vorhanden gewesen wäre. Sie können sich dafür oder dagegen aussprechen, dazu haben Sie hier Freiheit und Gelegenheit, und vielleicht wäre es nur ganz gut, weil das ja auch für die zusammenfassende Stellungnahme von Ihnen nicht unwichtig ist, wenn Sie uns in dem Schlußwort, das Sie zu sprechen dann noch Gelegenheit haben werden, Ihrerseits noch einmal sagen können, wo Sie sich hier mißverstanden fühlen und welche Interpretationshilfen Sie geben wollen. Prof Stegemann: Welche Bedeutung hat im Rahmen Ihrer theologischen Grundorientierung am »historischen Jesus« dessen eigene Auffassung, daß sich in seinem Verkündigen und Handeln »die Herrschaft Gottes« ereigne? Welches ist die Ihrer theologischen Orientierung adäquate Art der Berücksichtigung dieser zentralen theologischen Komponente der Botschaft Jesu? Wie begegnen Sie dem Vorwurf einer anthropologischen Verkürzung des Zeugnisses der Schrift in diesem Punkt? Dr. Schulz wiederholt zunächst seine schon früher dargelegten Ansichten zum Verständnis der basileia tou theou bei Jesus (vgl. S. 31 f.), bis Prof. Stegemann in einer Zusatzfrage an den Vorwurf der anthropologischen Verkürzung erinnert.
Dr. Schulz: Ja, als anthropologische Verkürzung, das verstehe ich insofern nicht ganz. Das hat zwei Möglichkeiten. Einerseits ist bei dieser basileia tou theou natürlich die Möglichkeit einer Kritik der Kirche sichtbar. Von daher würde ich die basileia tou theou als
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etwas gerade über das Anthropologische Hinausgehendes beschreiben können, also über das durch die Kirche gesetzte Anthropologische. Aber das meinen Sie wahrscheinlich nicht. Sie meinen wahrscheinlich noch einen Punkt weiter und die Frage, die hier implizit vorhanden ist: Hebt diese basileia tou theou ab auf eine andere Wirklichkeit jenseits dieser Wirklichkeit? Das könnte ja gemeint sein, daß eben basileia tou theou Einbruch einer anderen Wirklichkeit aus einem anderen Wirklichkeitsbereich her ist. Ob das so bei J esus gemeint ist, wage ich einmal zu bezweifeln aus dem spät jüdischen Kontext heraus. Sichtbar bei Jesus ist die Verwirklichung dieser neuen Wirklichkeit inmitten unserer Wirklichkeit. Was Jesus als neue Wirklichkeit im Anbruch des Diesseits hier bereits formuliert, das ist das, was ich hier als Verwirklichung von Gemeinde beschrieben habe. Das kann ich zeitweise eben dann nur in anthropologische Formeln fassen, obwohl ich es gerade versuchen würde, transanthropologisch zu formulieren, das heißt also, über die einzelnen Personen hinausgehend zu beschreiben. Prof Stegemann: Das reicht mir nicht ganz, weil im biblischen Begriff der »Herrschaft Gottes« die Initiative zur Aufrichtung der Herrschaft von Gott herkommt. So ist das in der Verkündigung Jesu: Da richtet Gott hier und jetzt im Zusammenhang mit meinem Auftreten und Verkündigen ansatzweise seine Herrschaft auf. Wie ist bei dieser traditionellen Aussage von der Herrschaft Gottes der Umstand, daß Gott deren auctor ist, aus Ihrer Perspektive heute theologisch zu qualifizieren? Dr. Schulz: Es wäre ja unwahrscheinlich leicht, wenn wir sagen könnten, na, das macht Gott alles, und mein auctor Gott ist in der Weise als aus einer Größe aus dem Jenseits Wirkenden. Also ich wage das nicht zu sagen, weil ich nicht wage zu sagen, daß Sie das hier meinen an diesem Tisch, daß Sie meinen, also was eine Herrschaft Gottes sei, sei eine Größe, die sozusagen aus irgendeiner anderen Dimension in unsere eingreift. Ich bestreite auch, daß J esus dies gemeint hat. Ich habe diese Aussage so nur von Kanzeln gehört, von Theologie bisher nicht so, sondern eigentlich immer nur gesagt, das Reich Gottes verwirklicht sich als eine neue Seinsweise, wobei dann die Struktur Gottes nicht ad personam formuliert wurde. Aber da würde ich gerne von Ihnen hören, grunds ätz130
lieh, ob wir Pastoren heutzutage dabei die Person Gottes als eine, na, als eine auctor~Gestalt wie immer, definieren sollen. Prof. Stegemann: Wenn ich vom Aufrichten der Herrschaft Gottes rede, dann meine ich damit grundsätzlich etwas, was ich seinem Zustandekommen nach nicht ableiten kann aus dem Kausalzusammenhang, aus dem innerweltlichen Geschehen. Dr. Schulz: Ja gut, da kann ich mich darauf einlassen. Ich kann sehr stark sagen, vielleicht nicht gleich in Ihren Worten, aber so ähnlich sagen, die Möglichkeiten für den Menschen an so etwas teilzuhaben, liegen außerhalb des Menschen. Also die Möglichkeit für das Seiende liegen im Sein selbst. Vorsitzender: Darf man eben als Neutestamentler sagen, Sie haben sich also etwa auch auf die gegenwärtige Theologie bezogen. Mir ist die Formulierung Bultmanns aus seiner neutestamentlichen Theologie etwa gegenwärtig, wo er die basileia tou theou als ein von allem menschlichen Tun unabhängiges Wunder beschreibt. Das ist etwas völlig anderes als die Möglichkeit des Seins, die im Sein schon vorgegeben ist. Ich kann also hier nicht verstehen, wie Sie als Exeget versuchen, die basileia tou theou in der Verkündigung Jesu zu beschreiben. Ich wollte Sie gerne fragen in diesem Zusammenhang, ob Sie den Begriff trans anthropologisch noch einmal erläutern können. Es ist mir nicht ganz klar, was Sie damit meinen. Ob das nur bedeutet, daß der einzelne aus der Isolierung herausgenommen ist in den größeren Zusammenhang zwischenmenschlicher Relationen oder ob es noch mehr ist. Dr. Schulz: Ich meine mit transanthropologisch transsubjektiv . Das würde ich austauschen wollen. Ich würde lieber von transsubjektiv sprechen. Leicht kann mir immer vorgehalten werden, alles was ich sagen würde, wäre ja sehr subjektiv entwickelt. Das meine ich gar nicht, auch mein Gottesbegriff ist ja nicht subjektiv. Nun kann also durchaus z.B. der Bezug von mir zu dir ein Transzendieren sein. In meiner Theologie ist das ein wesentlicher Punkt zu sagen, was Jesus als Transzendenz beschreibt, ist das Transzendieren vom Subjekt zum Objekt, vom Ich zum Du. Aber es kann auch ein Transzendieren sein über diese Subjekt-Objekt- oder Ich-Du131
Ebene hinaus, indem man einfach ontologisch gemeinsam etwas beschreibt, was etwas darzustellen scheint, unabhängig von den jeweiligen Subjekten, die es vertreten, das will ich damit meinen. Das ist jetzt wichtig, Herr Professor! Das ist die tran~subjektive Dimension von basileia tou theou in meiner Vorstellung. Basileia tou theou kann man in dieser Weise transsubjektiv auf das Sein hin beschreiben. Dr. Schulz bietet also für das, was den zwischenmenschlichen Zusammenhang überschreitet, den Begriff »Sein« an, wobei er sich gern auf M. Heidegger beruft (Schlußwort, S. 172f.; vgl. Predigten, S. 104). Der Gedankengang lautet etwa: Das Sein geht allem Seienden voraus; traditionell heißt es, Gott geht allem Seienden voraus; für das Lehrverfahren ist also nur die Frage relevant, ob man das Vorausgehende in personalen Kategorien benennen mu ß. Nun liegen die Dinge so einfach nicht: Die Trinitätslehre besagt unter anderem, daß der christliche Gottesbegriff die Kategorie des Personalen einschließt (man also zu dem dreieinigen Gott als »Du« beten kann), daß er aber nicht in anthropomorph-personalistisc~en Kategorien aufgeht (Gott also Vater, Sohn und Heiliger Geist zugleich ist). Zu der Berufung auf Heidegger ist zu sagen, daß dieser über seine Originalität bescheidener denkt als Dr. Schulz, der bei ihm die Unterscheidung von Sein und Seiendem entdeckt und sie von ihm übernimmt. Heidegger setzt seine Ontologie als »Wiederholung (!) der Frage nach dem Sinn von Sein« an und geht zuerst auf die griechische Philosophie ein (Sein und Zeit, 10. Aufl. 1963, S. 3). Mit Heidegger nichts zu tun hat der Satz von Dr. Schulz: »Heidegger benennt die gesamte Wirklichkeit in all ihren Erscheinungen als das Sein.« (Predigten, S. 104). »Erscheinungen« müßten bei Dr. Schulz eigentlich die Bilder C sein, die sich die Subjekte A von der Wirklichkeit B machen (vgl. S. 38f.). »Die gesamte Wirklichkeit« müßte dann die Summe alles Seienden sein -, oder addieren sich Seiendes und Erscheinungen zum Sein? Aber nicht einmal diese simplen Fragen des Sprachgebrauchs sind geklärt. Es ist eben ein Irrtum zu meinen, der Begriff »Sein« sei »der klarste und aller weiteren Erörterung unbedürftig. Der Begriff >Sein< ist vielmehr der dunkelste.« (Heidegger. a. a. 0., S. 3). Im weiteren Verlauf der Verhandlung verliest Dr. Schulz auch
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Predigten, S. 147-149, wo unter anderem gesagt ist, der Mensch könne an dem partizipieren, was über das Bestehende hinausgeht, indem er sich ständig neu selbst übersteigt, transzendiert.
Prof Stegemann: Man muß präziser fragen: Wer bewegt hier? Haben hier Menschen von sich aus noch Möglichkeiten, die sie nur ergreifen sollen? Werden sie von Jesus dazu aufgefordert, oder geschieht das, was wir verändern, von Gott her? Haben die Menschen sich lediglich daran zu orientieren, sich darauf einzulassen, dementsprechend auszurichten? Wer bewegt? Dr. Schulz: Darf ich zurückfragen? Wer muß bewegen? Prof Stegemann: Ich meine von der Verkündigung J esu her, Gott müßte derjenige sein, der hier die Dinge bewegt, und Menschen schulden ihm Antwort. Dr. Schulz: Und Gott ist was dann, Herr Stegemann? Prof. Stegemann: Gott ist ein Eingriff in unsere Weltverhältnisse, den wir überhaupt nicht in der Hand haben. Dr. Schulz: Können Sie das noch griffiger nach vorne bringen, was heißt »Eingriff in diese Weltverhältnisse«? Das andere würde ich auch noch alles sagen. Prof Stegemann: Eine Veränderung der Welt, die nicht aus unseren menschlichen Wünschen resultiert, die wir selber weder in die Wege leiten noch sonst ausführen können, sondern der wir als Menschen ausgesetzt sind und die wir hinzunehmen haben, an der wir uns nur zu orientieren haben. Dr. Schulz: Das ist ein feiner Naturbegriff, den Sie hier definieren, dem wir ausgesetzt sind. Können Sie etwas über den Naturbegriff hinaus sagen? Prof. Stegemann: Ich habe das nicht als Naturbegriff gemeint.
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Dr. Schulz: Aber bisher definieren Sie es als Naturbegriff. Wir sind die Menschen, der Mensch ist ausgesetzt den Bedingungen, die auf ihn zukommen. Können Sie das deutlicher fassen? Bitte, es interessiert mich einfach, ob Sie zu der Aussage kommen, Gott sieht mich und handelt. Prof. Stegemann: Ich spreche jetzt nicht in den Kategorien: Gott sieht mich, Gott handelt. Sondern ich habe einfach versucht, die Andersartigkeit dessen, um das es hier geht, aufzustellen, eben nicht das, was menschlichen Wünschen, Erwartungen und Hoffnungen entspricht, die bessere Welt, die wir alle irgendwie anstreben und zu deren Realisierung wir hier sozusagen Hilfsangebote bekommen. Das würde den menschlichen Zielvorstellungen vielleicht entsprechen. Ich meine, die Verkündigung Jesu so verstehen zu müssen, daß sie in die Welt hineinwirkt in einer Weise, die durchaus auch nicht mit den Hoffnungen und Wünschen der Menschen koinzidieren kann. Dr. Schulz: Ich bin weitgehend mit Ihren Formeln an allen Stellen einig, wo Sie jenseits von anthropologischen und anthromorphen Formeln sagen, der Mensch ist bestimmt durch ein vorausgehendes agens. Agens ist jetzt bewußt ganz neutral gehalten, ist ihm unterlegen, wobei ich vielleicht ein Stück weiter bin als Sie es sagen würden, zu sagen, dies agens würde ich angesichts - und das würde ich \ für typisch christlich halten - angesichts aller negativen Dinge für positiv definieren. Christen haben nie aufgrund der bestehenden negativen Verhältnisse Gott in den negativen Verhältnissen beschreiben können, sondern gerade durch das, was über das Negative hinausgeht. Und gerade dieses Darüberhinausgehende wird wieder als Transsubjektives beschrieben. Sobald Sie also diese Dimension von Wirklichkeit so beschreiben, sind wir völlig eins. Prof. Stegemann: Also zum Aspekt der »Ganzheit der Schrift«. Wie erweisen Sie die Schriftgemäßheit Ihres biblisch-theologischen Ansatzes unter dem Gesichtspunkt, daß darin das Ganze der Schrift zum Tragen kommen muß? Wie entgehen Sie dem Vorwurf, durch Ihren Ansatz bei dem «Prinzip Liebe« einen» Kanon im Kanon« zu machen und die Grundorientierung an der »tota scriptura« preiszugeben? 134
Das kann man auch implizit verstehen. Sie können die Frage aber auch aufgreifen als Frage an das Alte Testament, warum Sie bei dem Prinzip Liebe so sehr bei Jesus beharren. Dr. Schulz: Also ich bin, Herr Stegemann, das wissen Sie, ich bin eher Neutestamentler und nicht Dogmatiker. Für einen Dogmatiker ist tota scriptura immer eine konstante Größe. So sieht das wenigstens immer aus. Ich bin weitgehend Neutestamentler und habe da begriffen, daß es eigentlich eine tota scriptura an keiner Stelle gibt. Dr. Schulz beruft sich für diese Meinung auch auf Publikationen von Prof. Stegemann selbst. Dieser habe weder die Christologie noch die Rechtfertigungslehre als einheitlichen Grundgedanken des Neuen Testaments bezeichnet, sondern sehe Jesus als den einzigen gemeinsamen Bezug aller Schriften des Neuen Testaments im Zusammenhang mit dem Alten Testament an, wie er, Dr. Schulz, es mit »solus Jesus« formuliert habe. Es ergibt sich eine längere Diskussion, während der Prof. Stegemann erläutert, in welchem Sinne es ihm um die Ganzheit der Schrift gehe. Dr. Schulz sei zu fragen, wie diese Ganzheit unter dem Aspekt »Prinzip Liebe« gewahrt werden könne und ob das Alte Testament bei ihm ausgeklammert werde. Dies bestreitet Dr. Schulz. Er sieht hier einen geschichtlichen Zusammenhang:
Dr. Schulz: Ich würde gerne, das habe ich auch in meinen Schriften getan, diese dikaiosyne tou theou, als Gerechtigkeit Gottes, als Bundesvorstellung des Alten Testamentes - Gott formuliert als der Gott der Gerechtigkeit - als die eigentliche, wesensmäßige Vorausgabe dessen definieren, was Jesus dann als Gott der Liebe definiert. Gott ist eben nicht nur einer, der sagt, so ist es und wehe, du tust es nicht, sondern Jesus definiert das Prinzip des HandeIns miteinander ein entscheidendes Stück weiter und sagt, wenn du auch recht hast, oder wenn Gott auch recht hat, so schenkt er, obwohl er recht hat. Er vergibt und versöhnt, obwohl er recht hat. Damit definiert Jesus aufgrund der Position des Alten Testamentes Gott neu. Ich habe einmal gesagt, Gott wird im Alten Testament als Gerechtigkeit definiert. Jesus verkündigt letzten Endes in dieser Dimension einen anderen Gott.
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Prof Stegemann: Eine im Ansatz missionstheologisch orientierte Gemeindearbeit wird sich stets in einem gewissen Maße an denjenigen Denkweisen und Verständnismöglichkeiten zu orientieren haben, die im jeweils gegebenen Wirkungsbereich vorhanden sind (vgl. 1. Kor 9, 19-23). Wie aber charakterisieren Sie von Schrift und Bekenntnis her jenes Fundament, auf das sich in solcher »offenen Gemeinde« eine »offene Theologie« gründet? Der pauschale Verweis auf »die Botschaft Jesu« oder auf »das Prinzip Liebe« erscheint mir in diesem Zusammenhang als theologisch unzureichend. Ich will damit nicht sagen »fragwürdig«, sondern ich möchte Sie bitten, einiges mehr zu diesem Ansatz zu sagen. Dr. Schulz: Ich habe eine Basis theologisch, von der ich meine, man kann von daher wenigstens ständig mit im Gespräch bleiben. Solch eine Theologie, die sich bewußt auch auf Jesus bezieht, ist zumindest quantitativ offenbar in der Lage hinzureichen. Das will ich einfach einmal so sagen. Ich habe Angst um Kollegen, die vielleicht auf einer schmaleren Basis stehen, wie die hier tagelang, stundenlang solche Fragen einfach aushalten. Sie setzen hier immer voraus, als sei ein Pastor grundsätzlich auf alles hin zu befragen. Ich finde das witzig im Grunde, denn ich möchte bloß mal sehen, wo einer meiner Kollegen das so ohne weiteres kann. Das meine ich jetzt nicht vom Intellekt her, sondern von der theologischen Basis her. Sie können ununterbrochen fragen, was Sie wollen. Ich muß hier ständig herhalten. Wenn dann zum Schluß nach Wochen gesagt wird, der ganze Ansatz sei also unzureichend offenbar, dann weiß ich gar nicht mehr, wie man es anders sehen soll. Prof Stegemann: Die Einbeziehung der Gemeinde in den persönlichen Denkprozeß eines Pastors ist sicher eine gute Möglichkeit, »unsere Kirche auf die Menschen und die Menschen auf unsere Kirche hin zu öffnen«, als Pastor also in einer wahrhaft dialogischen Existenz mit der Gemeinde zu stehen. Wo sehen Sie die Grenzen eines solchen offenen Dialogs? Grenzen, die freilich nicht im Bereich intellektueller Redlichkeit liegen können, sondern beispielsweise durch das Hirtenamt des Seelsorgers gesetzt sind und sich etwa in Erfordernissen wie Zuspruch, Tröstung, Mahnung oder Glaubenszeugnis konkretisieren.
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Dr. Schulz: Ich weiß nicht, Herr Dr. Stegemann, was wir beide jetzt für Begriffe von Zuspruch, Tröstung und Mahnung und so etwas haben, denn ich habe die Grenzen des Dialoges nie da gefunden, wo ich aus meinem Dialog heraus zum Zuspruch gekommen bin, sondern wo ich aus meinem Dialog mit jemand zum Trösten gekommen bin. Einen Dialog verstehe ich immer, vielleicht nur einen christlichen Dialog, im Zusprechen, und wo es sein kann, im Trösten. Im Dialog den Mut zu haben, jemanden Beistand zu leisten, ihm zuzusprechen, zu trösten, gar zu mahnen oder zu widersprechen, oder auch im Dialog ein Zeugnis abzulegen von seiner eigenen Position, halte ich für wesensinterne Qualitäten von Dialog. Insofern ist das gerade zu implizit meine besondere Existenz des Dialogpartners, als Pastor zu trösten, zu mahnen, zuzusprechen und Glauben zu bezeugen. Dr. Ostermeyer: Sie sagten eben »Glauben zu bezeugen«. Wenn nun Sie mit dem Gemeindemitglied, das ja aus Ihrer Sicht sich traditionell verhält, in extremer Situation zusammen sind und das Abendmahl halten und auch gebeten werden zu beten, zwar nicht als Selbstgespräch, sondern Sie merken, der Betreffende empfindet das existentiell völlig anders, dann tun Sie es, sagen Sie, als Seelsorger, obwohl Ihre eigene Überzeugung eine andere ist? Wieso legen Sie dann noch ein Glaubenszeugnis ab? Dr. Schulz: Also, was der Herr Bischof heute morgen als Gebet von Franz von Assisi vorgelesen hat, auf das kann ich mich doch genauso intensiv verstehen. Ob ich nun sage: Herr, und meine irgendeine Gestalt jenseits unserer Wirklichkeit, oder ich meine diese Sache, die er selber vorgelesen hat, die gerade als AssisiGebet mich ungeheuer selber bewegt, verstehe ich doch als Meditation auf mich und von mir auf jemand anders hin genauso intensiv, ob ich das Sprachmodell Herr habe oder nicht habe. Dr. Ostermeyer: Sie bringen das unter den Begriff SprachmodelI? Dr. Schulz: Ich wollte sagen, ich fühlte mich heute morgen eigentlich nicht disqualifiziert, daß jemand ein Gebet spricht, sondern ich habe mich auch sehr intensiv darauf verstanden, auf das, was
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der Bischof Lohse jedenfalls im Gebet mit anderen Perspektiven gesehen hat, was ich aber so sehe. Er mußte sich, glaube ich, in dem Augenblick, als er das Gebet sprach, nicht mit mir erst identisch finden. Dr. Ostermeyer: Sie meinen also, Sie fassen es als Selbstgespräch auf, und der Bischof faßt es offensichtlich anders auf, und Sie sehen trotzdem eine Gemeinsamkeit. Dr. Schulz: Jetzt würde ich Sie bitten, nachdem wir nun so viele Tage darüber gesprochen haben, mit diesem Selbstgespräch, so einfach habe ich das nirgendwo gesagt. So einfach bin ich zwar verkürzt worden. Es ist ein Gespräch über sich selbst hinaus. Ich würde Sie also doch bitten, einen Begriff, den ich gebrauche, nicht immer auf seinen primitivsten Aussagezustand zu reduzieren. Der Begriff »Selbstgespräch« stammt - eindeutig auf das Gebet bezogen -von Dr. Schulz: »Natürlich und selbstverständlich ist eine Meditation immer ein Gespräch des Menschen mitsich selbst. Darin unterscheidet es sich von einem naiven Gebet Überhaupt nicht, denn auch das ist - trotz seiner literarischen Ich-Du-Form ein Selbstgespräch.« (Formel S. 172). Daß ein Selbstgespräch über den mit sich Sprechenden hinausführen kann, ist unbestritten. Wohin? Nach Dr. Schulzjedenfalls nicht zu einem Gott als »Du«, der das Gebet durch den heiligen Geist zu sich dringen lassen kann, weil »Gott« ja ·selbst »Ausdruck einer Hoffnung des Menschen ist, angesichts von Not und Versagen, von Ängsten und Schwierigkeiten über sich selber hinauszukommen« (Predigten, S. 177). Dieser Zusammenhang mit der Gotteslehre ist es, der die Schulzsche Lehre vom Gebet - keineswegs seine persönliche Frömmigkeit - zum Thema der Verhandlungen werden läßt. (Vgl. vor allem die Äußerung von P. Kretschmar, S. 103).
Prof. Stegemann: Wie kommt in Ihrer Gemeindetätigkeit nicht nur der deus absconditus, der verborgene Gott, zu seinem Recht, sondern vor allem die rationale Absurdität des deus revelatus, des offenbarten Gottes, »dessen Friede höher ist denn alle Vernunft« (Phil 4,7)? Welchen theologischen Stellenwert geben Sie im Zusammenhang mit Ihrer Orientierung an J esus dem Kreuz? 138
Dr. Schulz: Das ist für mich in der Tat, ich habe es auch nochmals dargestellt, ein wesentlicher Orientierungspunkt meines Selbstrisikos. Das habe ich immer versucht, deutlich zu machen. Und bitte schön, es ist für mich ein größeres Risiko als das Halleluja Ostersonntag. Denn das Wissen um diese Tiefe vom Menschsein und um die Bereitscbaft, in diese Tiefe mit Jesus mitzugehen, das, glaube ich, kann man immer wieder wissen, muß man riskieren. Denn Jesus hat gerade die Wissenden zu diesem Risiko aufgefordert. Also, ich will damit sagen: Denken ist auf Glauben hin offen, und G lauben ist überhaupt erst möglich durch das, was im Denken sich vollzieht. So, was heißt dann deus revelatus, Herr Stege mann? Das kann dann doch nur heißen - rationale Absurdität - etwas auch gegen Widerstand des Tatsächlichen durchzuhalten, oder was heißt das? Dr. Stegemann: Nein, ich meine noch etwas anderes. Wenn man Ihre Publikationen liest, dann hat man den Eindruck, daß Sie sich sehr breit orientieren an den menschlichen Denkmöglichkeiten und auch dann, wenn Sie sich im Glauben riskieren, zunächst ansetzen bei dem, was der Mensch sozusagen aus eigener Fähigkeit kann; dann kommen da Grenzen, und dann muß man sich riskieren. Der Ansatz beim Kreuz ist grundsätzlich ganz andersartig. Das macht ja gerade bei Paulus das Wesen des Kreuzes aus, daß hier der zentrale Ausgangspunkt jeder christlichen Verkündigung so gesehen wird, daß er allem, was vernunftbezogen ist, von vornherein widerspricht. Dr. Schulz: Paulus spricht nirgendwo gegen den Verstand als die Fähigkeit des Menschen, sich in der Welt zurechtzufinden. Paulus ist von Anfang an bis zum Schluß ein rationaler Denker. Das, was ihn für mich auch so begeisternd macht, daß er sich in seinem Denken an einer Stelle unglaublich riskiert. Und das ist für mich auch sehr vorbildlich. Das ist er, wo er angesichts des Todes am Kreuz vom Leben spricht. Wo er also ein Risiko eingeht, von Vorfindlichkeiten nicht bei diesen Vorfindlichkeiten stehenbleibt, sondern aufgrund des Wissens dieser Vorfindlichkeiten (1. Kor 15) ein existentielles Risiko eingeht, nämlich aufgrund des Todes vom Leben spricht, und zwar bei Paulus, wenn Sie 1. Kor 15 lesen, auch nicht ohne Verstand, sondern mit allen Mitteln seiner denke-
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rischen Fähigkeit. Er expliziert dieses Risiko so gut er kann mit Verstandesgründen. Prof Stegemann: Herr Pastor Schulz, ich möchte es nochmals zuspitzen auf die Frage nach dem Ansatz. Gehen Sie in Ihrer Auffassung nach Paulus vom autonomen Menschen aus, der sich dann angesichts des Kreuzes riskiert, oder ist der primäre Orientierungspunkt das Kreuz, von woher dann auch das Denken seinen ganz spezifischen Stellenwert sekundär bekommt? Dr. Schulz: Also, ich weiß nicht, ob wir jetzt ein Paulus-Kolleg halten. Dann wird das so aussehen, Herr Stegemann, daßPaulusaus meiner Sicht, ich glaube, Sie haben etwas Ähnliches mit mir einmal im Gespräch entwickelt - das Kreuz hat nur interpretieren können aufgrund der Denkvoraussetzung als Pharisäer. Prof Stegemann: Interpretation sei jetzt dahingestellt. Es geht darum: Wo ist der Ansatz? Das ist im Grunde eine Frage an das Menschenbild. Wenn ich ansetze beim Kreuz, dann habe ichsoweit es sich auf den Menschen bezieht - primär den Menschen in seiner Schwachheit und seinem Scheitern im Blick. Dr. Schulz: Wenn ich zunächst einmal betonen möchte, einfach zur gegenseitigen Abklärung, daß alles, was Paulus später benutzt hat, um die theologia crucis zu entwickeln, gegebenenfalls in seiner rabbinischen Vorvergangenheit angelegt war. Nur so hat er praktisch christologisch argumentieren können. So, was für Paulus nachher wesentlich ist, daß er in dieser Kombination - nun wird es spannend an der Stelle - wenn er dann von Theologie gesprochen hat, von der theologia crucis, von Rechtfertigungslehre, das ist ähnlich bei der reformatorischen Erkenntnis Luthers mit dem Tintenfaß. Ist das ein Offenbarungsakt gewesen? Und Lukas hat da sehr im Bildstil - will ich einmal sagen - Apostelgeschichte 9 entworfen, nicht? So mit vom Pferd fallen usw. Um auch jedem Letzten klarzumachen, wie Paulus von dieser Meinung überrumpelt worden ist - überwunden worden ist - seien wir vorsichtiger. Aber wir werden als Theologen kaum annehmen müssen, daß Apostelgeschichte 9 mehr ist als eine pädagogisch gut aufgemachte Aussage dessen, was Paulus als Erkenntnisprozeß erfahren hat. 140
Der Ansatz ist von Paulus - das sage ich so riskant - nicht in Apostelgeschichte 9 zu suchen für meine Vorstellung, sondern zu suchen in einem Mann, der im höchsten Sinne theologisch gedacht hat. Wie sonst - bitte schön - wie sonst?
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Zur Frage nach Inhalten des Glaubens (Rückfragen und Klärungen vom 6. Verhandlungstag)
Überblickt man die verschiedenen Gesprächsrunden an den bisherigen Verhandlungstagen, so fällt auf, daß es im Grunde wenige Themen sind, die in Variationen immer wiederkehren. Die hier vorgelegte Kurzfassung läßt das wohl noch deutlicher erkennen als das amtliche Protokoll, auf das an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich hingewiesen werden soll. Am 6. Tage der Verhandlungen hat es so gut wie keinen wirklich neuen Gesichtspunkt in den Gesprächen gegeben. Gleichwohl hat dieser Tag eine große Bedeutung: Er macht deutlich, wie sich die Fragen des Spruchkollegiums auf zwei zentrale Probleme konzentrieren, nämlich auf die Gotteslehre und auf die Christologie von Dr. Schulz. Die anderen Problemkreise ordnen sich diesen fundamentalen Themen zu: Die Schulzsche Auffassung vom Gebet ist zum Beispiel eine Folge der Gotteslehre; wenn sich alles auf »solus Jesus« konzentriert und Christus als der Auferstandene zum überholten Bild wird, kann dieser auch in der Frage nach Tod und ewigem Leben keine Rolle spielen usw. Zu Beginn dieses Tages kommt es im Gespräch zwischen Dr. Gehrmann und Dr. Schulz noch einmal zur Darstellung der Schulzschen Gotteslehre (vgl. S. 38ff.). Dr. Gehrmann fragt erneut, ob es einen Satz des Glaubensbekenntnisses gebe, der für den Betroffenen noch verbindlich sei.
Dr. Schulz: Was soll ich zum Glaubensbekenntnis da sagen? Ich denke da an viele Dinge, die zunächst einmal der Erklärung bedürfen. Wir haben das schon einmal angesetzt: Höllenfahrt, Auferstehung und Jungfrauengeburt ... Dr. Gehrmann: Nein, ich stelle meine Frage positiv. Ich frage nicht, was Sie etwa ausscheiden müssen, sondern ob Sie sagen
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können, ich persönlich kann nach dem Glaubensbekenntnis die folgenden Worte nachvollziehen: Ich glaube an ... , ob es da also irgendwelche Worte gibt, die Sie von Ihrem konsequenten Standpunkt aus persönlich nachvollziehen können, ohne sich untreu zu werden.
Dr. Schulz: Ich schwanke jetzt ein bißchen zwischen zwei Antworten. Entweder sage ich Ihnen jetzt: Ich glaube an der Stelle an gar nichts in dem Sinne, wie Sie glauben, oder ich sage in der gleichen Bereitschaft: Ich glaube an alles dort! Das hängt jetzt an dem Begriff »glauben«. Das ist die Schwierigkeit auch unserer Sprache miteinander, daß wir gegebenenfalls mit dem gleichen Begriff zwei völlig verschiedene Sachen meinen, und deswegen differenziere ich und sage, wenn Sie unter glauben verstehen für wahr halten, dann habe ich christlichen Glauben noch nie so verstanden, daß er praktisch ein Abhaken von den Dingen ist, die man für wahr halten kann. Da würde ich in manchem sehr kritisch sein. Aber wenn glauben heißen würde: Sind das Aussagen, von denen her Sie christliche Existenz riskieren können, ~nd das wäre im Bultmannschen Sinne glauben, pisteuein, Entscheidung-, dann würde ich wieder sagen können, und zwar mit gutem Gewissen, das sind Formeln, von denen her ich groß geworden bin, das sind Formeln, die ich so zwar nicht mehr benutzen würde für mich, aber in denen ich mich auch jederzeit wieder ausdrücken könnte oder in denen ich mich auch jederzeit anderen wieder verständlich machen könnte. Dr. Gehrmann: Darum geht es nicht, daß Sie sich anderen verständlich machen, sondern ob Sie selbst dazu stehen, nicht im Sinne des exakten Für-wahr-Haltens, sondern in dem Sinne: Ich glaube an Gott, den Vater. Können Sie diese Worte so nachvollziehen, die ja irgend wie ein Ausgangspunkt des ganzen Verfahrens sind? Dr. Schulz: Das ist richtig. Sie wissen ja, daß Herr Bischof Lohse den ersten Artikel herausgezogen hat und das alles vorgelesen hat, was das impliziert. Da habe ich eigentlich ziemlich bewußt ja gesagt. Ich sage einmal genau so naiv ja, wie hier naiv gefragt wird.
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Dr. Barrelet: Ich darf eine Zusatzfrage stellen. Sehe ich es falsch, wenn ich meine, daß wir uns an diesem Tisch darüber einig sind, daß glauben in dem Sinne zu verstehen ist, wie es eben Herr Gehrmann und Herr Schulz gemeinsam formuliert haben, also nicht im Sinne des Für-wahr-Haltens irgendwelcher biologischer Verständnisse von Dingen, die man heute anders sehen muß oder irgendwelcher absurder Dinge, sondern glauben im Sinne des Annehmens dieser Botschaft in existentieller Betroffenheit? Würde man das so sagen können, sind wir uns darüber einig? Dr. Stegemann: Auf jeden Fall dann, wenn dem gegenübersteht ein Für-wahr-Halten im Sinne einer bloßen formalen Anerkennung, dann ist dieser Glaubensbegriff, wie Sie ihn jetzt definiert haben, nicht nur die brauchbare Alternative, sondern das einzig Mögliche. Man kann sich im einzelnen darüber unterhalten, wieweit der alles abdeckt oder modifiziert werden muß. Aber bei dieser Alternative, meine ich, ist der Sachverhalt klar. Vorsitzender: So sehr wir uns hier um friedliche Verständigung bemühen, dienen wir natürlich weder uns noch anderen, wenn wir hier Dissense verschleiern. Daß Glaube nur in existentieller Betroffenheit vollzogen werden kann, das wird übereinstimmend hier festgestellt. Aber dieser Glaube hat Inhalte. An der Stelle kommen wir nicht zusammen. Denn für Herrn Schulz, wenn ich das nochmal nach meinem Verständnis sage, expliziert sich im Glauben oder in dieser existentiellen Betroffenheit das menschliche Selbstverständnis. Der christliche Glaube sagt aber: Ich glaube an Gott, den Schöpfer, an Christus, an den Heiligen Geist. Dieses »ich glaube an« - diese Inhalte des Glaubens, die ich nicht selbst setze, sondern die mich betroffen haben, die mir gesagt sind - sind die entscheidende Begründung des Glaubens. Und da haben wir unsere Schwierigkeiten in der ganzen Debatte. Dr. Schulz: Was ist denn nun Inhalt, oder wie soll ich denn den Glauben auf Jungfrauengeburt hin fassen, wie soll ich den Glauben auf Auferstehung hin fassen, und zwar nun nicht nur formal, wie ich es erklärt habe, sondern inhaltlich? Formulieren Sie es mir und sagen Sie mir, Sie müssen Jungfrauengeburt biologisch verstehen! Dann ist ja alles klar.
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Vorsitzender: Herr Schulz, von der Jungfrauengeburt reden Sie ständig. Dr. Schulz: Das steht im Glaubensbekenntnis doch drin! Ich glaube an die Jungfrau Maria, steht im Glaubensbekenntnis. Dr. Ostermeyer: Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer, das haben wir im Augenblick im Auge. Vorsitzender: Sie wissen doch um die Struktur einer homologischen Formel. Sie wissen, daß das Relativ- und Partizipialwendungen sind, die jeweils den Kyrios hier qualifizieren, aber daß der Inhalt der pistis sich auf den Christus als den Kyrios richtet. Dr. Schulz: Also, entschuldigen Sie, ich muß an jedem Sonntag wie jeder Pastor das Glaubensbekenntnis beten. Ich habe jetzt keine Formel drin, die nicht letzten Endes auf das Glaubensbekenntnis bezogen werden und von daher verstanden werden muß. Ich möchte gerne wissen, Herr Bischof, ganz einfach: Weihnachten - was soll ich der Gemeinde sagen? Sie betet mit mir glaubensbekenntnismäßig »geboren von der Jungfrau Maria«. Ich will ja gar nichts anderes wissen, soll ich sagen: Die Frau war eine Jungfrau oder soll ich sagen, sie war keine? Vorsitzender: Sie sollen theologisch nachdenken und etwas besser Ihre Aussagen qualifizieren. Sie haben schließlich Theologie studiert und sind promoviert. Sie müssen darüber selber mehr sagen können, als Sie uns hier immer vorführen. Entweder wollen Sie uns ernst nehmen oder Sie wollen hier Scherze machen. Dr. Schulz: Also ich beginne langsam, Sie nicht mehr ernst zunehmen, das ist richtig. Vorsitzender: Ja, den Eindruck habe ich auch. Dr. Schulz: Weil Sie mir einfach schlicht eine Frage verweigern, die mir ständig von der Gemeinde gestellt wird. Ich möchte doch einmal sagen können, was Sie schließlich zu diesem Problem meinen. Ich weiß selbst, daß ich von der Jungfrauengeburt nur noch 145
von den Funktionen sprechen kann, nicht mehr von den Konkretionen. Aber bitte, nun sagen Sie mir einmal konkret: Was soll ich zur Auferstehung sagen? Ich muß es doch einmal wissen! Entlassen Sie mich aus dem Zwang, das zu konkretisieren. Dann sind wir wieter miteinander. P. Kretschmar: Sie haben doch vorhin definiert, wie Sie Gott verstehen. Sie können doch nicht leugnen, daß die Art, wie Sie Gott definieren, fundamental zu unterscheiden ist von dem, was die Kirche über Gott sagt. Sie sollen das Glaubensbekenntnis interpretieren auf diesen Gott hin, der ein Gegenüber ist und nicht aus dem Denken des Menschen, aus den Zielvorstellungen erwächst. Sie haben doch hier nicht als Gesprächspartner Fundamentalisten und die Bekenntnisbewegung »Kein anderes Evangelium«, sondern Leute, die mit Ihnen kritisch Theologie treiben wollen, die aber doch merken, daß Sie an einer entscheidenden, fundamentalen SteHe, nämlich am Ausgangspunkt, die Weichen anders stellen. Ich glaube, es ist doch in Ihrem Interesse, daß das herauskommt, daß die Weichen anders gestellt sind, daß Sie im Grunde genommen eine Alternative setzen zu dem, was christliche Tradition ist. Sicherlich wird an theologischen Fakultäten und von vielen Pastoren diese fundamentale Frage teilweise so bedacht, wie Sie es tun. Aber Sie können doch nicht einfach uns so darstellen, als wären wir Vertreter von Glaubenswahrheit im Sinne von wissen und glauben müssen. Ich verstehe Sie nicht. Das ist wirklich ein Nichternstnehmen unserer Bemühung, nicht nur Konsens zu dokumentieren, sondern zunächst auch Dissens herauszustellen - auch in Ihrem Interesse. Dr. Ostermeyer: Wir müssen uns natürlich gegenseitig ernstnehmen. Niemand ist hier am Tisch, der sich die Person Gottes als Mensch mit Bart oder ohne Bart vorstellt. Darüber brauchen wir uns, glaube ich, gar nicht zu unterhalten. Ich wollte nur eben fragen: Sie hatten vorhin eingangs gesagt, Gott ist ein Begriff, ich glaube, ich zitiere das Wort richtig, er ist ein Versuch, das Sein zu beschreiben. Beschreibt das für Sie der Sache nach genau dasselbe wie Gott als Vater, Schöpfer aller Dinge? Ist das für Sie der Sache nach dasselbe, was Sie vorhin gesagt haben und was das Glaubensbekenntnis sagt?
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Dr. Schulz: Herr Bischof, ich möchte Sie gerne fragen, wenn Sie von den Glaubensinhalten sprechen, wer bestimmt eigentlich, wann welche Glaubensinhalte dann zur Disposition stehen? Wenn ich nach der Jungfrauengeburt frage, dann sagen Sie plötzlich, es geht nur um den 1. Artikel. Wenn ich nach der Auferstehung frage, werden wir hören was Sie dazu sagen. Wenn ich nach der Weltentstehung frage, nach dem Endgericht zum Beispiel frage ... Ich möchte wissen - und so hat Herr Gehrmann mich gefragt zum Anfang -, was aus dem Glaubensbekenntnis für mich unter dem Titel Glauben stehen muß. Ich habe versucht, den Glaubensbegriff zu erläutern. Ich entlasse Sie nicht daraus, auch wenn Sie ein Urteil gesprochen haben sollten, ich. werde immer wieder darauf insistieren zu fragen, was Sie letzten Endes von der Kirche her sagen. Was Sie persönlich als Professor dazu meinen, darüber können wir sprechen, das ist für mich überhaupt nicht wichtig. Daß Sie persönlich ein integrer Mann sind, ist für mich auch nicht bedeutend. Ich möchte wissen, wo die Kirche heutzutage sichtbar freigibt, daß eben nicht mehr der Gemeinde im Gottesdienst solche Aussagen so vorgeführt werden, als müßten sie sie doch für wahr halten. Sagen Sie einmal in einer offiziellen Aussage: Jungfrauengeburt muß heute nicht mehr biologisch geglaubt werden. P. Kretschmar: Das, glaube ich, würden Sie sogar gesagt bekommen, wenn ein aktueller Anlaß besteht. Dr. Schulz: Dann wären wir ein Stück weiter. Vorsitzender: Der Dissens zu Ihnen ist zu keinem Zeitpunkt an diesem Punkt aufgebrochen. Der bezieht sich fundamental auf Ihr Gottesverständnis und Ihre Christologie. Dr. Schulz: Damit sagen Sie auch, ein biologisches Verständnis von Gottes Sohn ist dann praktisch nicht möglich. Vorsitzender: Das ist dummes Zeug, und mit solchen Sachen brauchen wir uns gar nicht aufzuhalten. Dr. Schulz: Die Kirche hat deshalb einmal eine Schlägerei gemacht, beim Nizänum. Es gelten heute noch Formeln, die das
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genauso darstellen, daß Gottes Sohn biologisch zu verstehen ist. Ich habe das immer so verstehen müssen, und es ist nirgendwo das Nizänum aufgehoben, an keiner Stelle. Daß letzten Endes Jesus wesensmäßig göttlich sei und von der Jungfrau geboren, wo ist das bisher aufgehoben? Das ist nicht aufgehoben.
Vorsitzender: Wir können jetzt nicht das Studium der Dogmengeschichte nachholen, das in Ihrem Studium offenbar eine zu geringe Rolle gespielt hat. Dr. Schulz: Es war Ihr Bruder, bei dem ich das gelernt habe. Vorsitzender: Das tut mir leid, da hätten Sie mehr lernen können. Dr. Wendebourg: Ich würde ganz einfach sagen, der Dissensus ist da, wie bei unserer ersten Verhandlung. Erstens würde ich bestreiten, daß Gott und das Sein dasselbe ist, denn nach dem Neuen Testament ist Gott derjenige, der Sein aus dem Nicht-Sein ruft, daß es sei. Der zweite Dissensus ist, daß Sie eben geschrieben haben: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft, der mich sieht, mich als Realität begleitet, nicht gibt.« Da würde ich auch schlicht sagen: Das ist auch ein Dissensus zwischen uns. Ich könnte keinen Augenblick Christ und Pfarrer sein, wenn ich dieses nicht so sagen könnte, wie Sie es verneinen. Sie haben damals mir in der Diskussion vorgehalten: Ich entwerfe mein Sein, meine Existenz in diesem Sinne. Das ist seinerzeit lang und breit abgehandelt. Sie haben sich da auf Feuerbach berufen. Das ist eben der Punkt, wo unser Bekenntnis nicht bloß interpretiert wird, sondern verwandelt wird. Dr. Schulz: Also, da gibt es zwei Dinge zu sagen. Einmal warte ich ja schon lange Zeit darauf, daß Sie mir die Sache mit dem persönlichen Gott einmal erklären. Einerseits sagen Sie, Gott sei keine Person, aber andererseits müßten Sie irgendwie sichtbar machen, wie man denn das beschreiben will, daß es einen persönlichen Gott gibt. Mein Bischof in Hamburg hat gesagt, Gott ist eine Person. Das habe ich schriftlich. Das kann man offenbar trotzdem sagen. 148
Ich möchte gerne wissen, wie das aussieht, wenn Sie sagen, es sei ein persönlicher Gott, der mich hört und mich sieht und was weiß ich und der offenbar die Entscheidungen gegen mich hier fällt, wenn das Gremium so abstimmt. Diese Vorstellung kann ich nicht vollziehen. Dann sollten Sie an zweiter Stelle ein bißchen stärker über Ihre eigene Motivation nachdenken, das wäre mein persönlicher Ratschlag. Wenn Sie sagen, ich könnte nicht Pfarrer sein, wenn ich nicht vom persönlichen Gott sprechen könnte, wenn Sie das einmal ein bißchen aufschlüsseln, dann haben Sie auch die Motivation, warum Sie vom persönlichen Gott sprechen. Vorsitzender: Herr Schulz, das lassen Sie bitte hier heraus! Dr. Schulz: Das ist kein persönlicher Vorwurf. Ich versuche, Ihnen Ihre Motivation klarzumachen. Warum fühlen Sie sich angegriffen? Dr. Wendebourg: Daß man Gott nicht schrankenlos personalisieren kann, ist mir natürlich auch klar. Aber er hat in seiner Spitze diese personhaften Züge, im Gegenteil, was Person ist, wird mir im letzten Grunde klar an Gott bzw. an der Weise, wie er mir entgegentritt in der Person Jesu Christi als dem Bilde Gottes. Wie soll ich denn auch Evangelium verstehen, wenn ich es nicht doktrinär verstehen soll oder im Sinne einer fides historica, wie soll ich es anders verstehen, als daß Gott mich anredet? Evangelium ist in der Wurzel Anrede an die Gemeinde, an den Menschen, an mich. Das ist der Glaube der reformatorischen Väter, und das würde ich auch kühn weitersagen. Hier sind wir an der Wurzel dessen, was christliches Bekenntnis ist, nämlich ein Jawort zu der Anrede meines Gottes an mich, und da ist der Dissensus. Prof Friedrich: Meine Frage an Sie ist, hat Jesus für Sie irgendeine soteriologische Bedeutung, oder ist er nur ein Vorbild, das als Vorbild die Gegenwart prägen kann? Diese soteriologische Bedeutung, die Luther im Kleinen Katechismus ausspricht, ist ja nicht nur Ansicht des Paulus, so wie es gestern vormittag und nachmittag in der Diskussion zu sein schien, sondern allgemein urchristliche Anschauung. Denn wenn Paulus davon spricht, bezieht er sich ja oft auf urchristliche Bekenntnisse, die vor ihm 149
formuliert sind. Ich erinnere nur an 1. Kor 15, wo einige in der Gegenwart sogar sagen, dieses Bekenntnis sei kurz nach dem Jahre 33 formuliert. Ich lasse dahingestellt, ob das stimmt. Ich bin nicht ganz dieser Überzeugung. Jedenfalls steht fest, nach allgemein urchristlicher Anschauung hat Jesus diese Bedeutung: »Gestorben für unsere Sünden, auferstanden und erschienen den Aposteln«. Das steht nicht nur im Bekenntnis 1. Kor 15, sondern auch in dem »Katechismus« Röm 4: »Dahingegeben für unsere Sünden, auferweckt um unserer Gerechtigkeit willen«. Das ist die missionarische Verkündigung der U rchristenheit gewesen. Basiert die Urchristenheit auf falschen Anschauungen, so daß die Kirche, die daran festhält, einem Irrtum unterlegen ist, der jetzt endlich korrigiert werden muß? Das ist meine Frage an Sie, und zwar geht es mir hier nicht um Titel, um Messias, Christus oder Sohn Gottes. Aber mit allen diesen Ausdrücken kommt in verschiedener Weise doch dasselbe zum Ausdruck. Nach der Lehre von Gott folgt jetzt also die Christologie als zweiter Problemkreis, bei dem das Spruchkollegium fundamentale Differenzen zu Dr. Schulz sieht. Prof. Friedrich sieht die Heilsbedeutung Jesu im ganzen Neuen Testament, gerade auch im Johannesevangelium zum Ausdruck gebracht (zum Beispiel in den »Ich-bin-Worten«). Dr. Schulz hält dem entgegen, es gebe eine Vielzahl theologischer Entwürfe im Neuen Testament, die unterschieden werden müßten, ja sogar zum Teil konträre Modelle seien. Er verweist auf Joh 1; 1. Petr 1,181.; Apg 2-10; 1. Kor 15. Auch die Rechtfertigungslehre des Paulus sei eines dieser Denkmodelle.
Dr. Schulz: Dieses bestreite ich an gar keiner Stelle, wenn Sie mir zugleich eine Frage beantworten, der alles zugrundeliegt, auch die gesamte Frage der kerygmatischen Theologie: Setzt die paulinische Auferstehungslehre in der Interpretation im Kerygma die urgemeindlichen Vorstellungen des auferstandenen Jesus, des konkret auferstandenen Jesus voraus oder nicht? Daran hängt ja heutzutage sehr viel. Wenigstens ich habe mich lange damit herumgeschlagen als Mensch und als Christ. Muß ich, wenn ich im Sinne von Paulus sage: neues Leben, erlöst sein, neues Sein und alles dieses, muß ich dann für wahr halten, daß der tote Jesus 150
wiederbelebt worden ist? Das ist hier ein doch entscheidender Punkt innerhalb der Diskussion der letzten 50 Jahre, und Sie wissen, daß das vielleicht in der kerygmatischen Theologie keine Rolle mehr spielt, aber in der Gemeindesituation eine wesentliche Rolle spielt, und ich möchte einmal sehen, was passiert, wenn man ganz klipp und klar sagt, wir heutigen Theologen meinen, Jesus sei eben nicht auferstanden. Dann kommen Sie indas gesamte Dilemma hinein, das 1. Kor 15 darstellt. Dann müßte man an dieser Stelle noch einmal neu darüber reden, wie man denn von Auferstehung sprechen kann, wenn eigentlich der historische Jesus sich überhaupt nicht im Grab bewegt hat. Prof. Friedrich: In der letzten Zeit hat ja bei der ganzen Diskussion um die Auferstehung das leere Grab kaum eine Rolle gespielt. Ich weiß nicht, ob Sie in Erlangen noch Professor Künneth gehört haben, der ja doch ein sehr engagierter Verteidiger des Auferstehungsglaubens ist. Er hat sogar gesagt, selbst wenn der Sarg mit den Knochen von J esus von Nazareth gefunden würde, so wäre das kein Beweis gegen die Auferstehung. Also die Frage der Auferstehung hängt nicht an dem leeren Grab. Prof. Stegemann: Die Frage war gar nicht so gemeint, ob nun die Auferstehung einen zentralen Stellenwert habe und wie man das heute sagen könne, sondern sie betraf eben die soteriologische Bedeutsamkeit Jesu. Im Sinne des Johannes-Evangeliums müßte man sagen, daß hier als einzige Heilsmöglichkeit in der Welt nun einmal Jesus hingestellt und dargestellt wird - in einer anderen Weise beschrieben, als das der Verfasser der Apostelgeschichte tut, als das Markus tut, als das Paulus tut -, das ist alles ganz selbstverständlich. Aber alle neutestamentlichen Zeugen sind sich völlig darin einig, daß Jesus von Anfang an eine soteriologische Bedeutung gehabt habe und daß das für die Christen zugleich diese zentrale soteriologische Möglichkeit in der Welt ist: Es gibt kein anderes Heil. Ich wäre dankbar, wenn diese beiden Aspekte jetzt in Ihrem Votum noch einmal zentral aufgegriffen werden könnten. Das andere ist alles unbestritten. Dr. Gehrmann: Ich bin der Meinung, was Sie jetzt von uns verlangen mit den neun Fragen, die Sie gestellt haben, wird darauf
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hinauslaufen, Ihnen mitzuteilen, was die herrschende Ansicht der Theologie zu diesen Fragen ist. Ich gehe davon aus, daß Sie als qualifizierter Theologe das wissen. Das wollte ich nur sagen zu dem Problem des ganzen Fragenkataloges. Einen Grundriß der herrschenden Auffassungen in der Theologie brauchen wir hier nicht zu liefern. Dr. Schulz: Ich hätte ja auch diese Frage nie gestellt, Herr Dr. Gehrmann, wenn Sie nicht hinter diesen Fragen einen besonderen Anspruch hätten. Ich möchte nur einmal wissen von Ihnen, wo in Ihrem Amtsbereich ein Urteil gefällt wird, ohne sichtbar zu machen, aufgrund welcher Prämisse. Sie müssen doch deutlich machen, daß Sie gerade im juristischen Bereich eindeutig darauf verwiesen sind, zwangsläufig, ein Urteil, das Sie fällen, letzten Endes mit einem Gesetz zu belegen. Darauf habe ich mich berufen, daß ich schließlich nichts anderes will, als so, wie jeder Mörder oder was weiß ich den Anspruch.hat, einmal die Grundlage zu erfahren, von der her Sie nachher ein Urteil fällen. Das möchte ich einfach für meinen Lebensabend wissen, damit ich weiß, wann ich einmal aufgrund welcher Dinge verurteilt worden bin. Nun will ich ja gar nicht darauf hinaus zu sagen, Sie könnten das beantworten. Ich weiß, daß Sie das gar nicht können, auch als lutherische Gemeinde gar nicht können. Das ist mir völlig klar. Mein Problem ist nur, wann Sie einsehen, daß Sie dann auch nicht urteilen können. Das ist doch die Pointe. Ich will doch nicht darauf hinaus zu sagen, nun stellen Sie endlich mal einen Katalog auf! Aber wenn Sie hier ständig sagen, das können wir gar nicht beantworten, das haben wir gar nicht in der lutherischen Kirche, das klingt ungefähr so, wie wenn Sie als Richter sagen, ich verurteile dich, aber wir haben kein Gesetz dafür. Ich möchte doch in Ihren Lernprozeß hier ein bißchen Bewegung bringen. Deswegen insistiere ich darauf, nicht für mich. Vorsitzender: Herr Dr. Schulz, ob Sie noch etwas zu der Frage, die mehrfach formuliert worden ist, sagen könnten: Wie steht es mit der soteriologischen Bedeutung J esu? Dr. Schulz: Ich weiß nicht, ob Sie Psychotherapie mit mir machen wollen oder so, wenn Sie fragen, was ich persönlich dazu meine.
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Das ist ja wohl nicht der Weg, sondern als Theologe bin ich gebunden, das zu messen und darzustellen am Bekenntnis einerseits und an den Grundaussagen des N euen Testaments. Da berufe ich mich auf Paulus und sage, unsere derzeitige Existenz, unsere christliche Existenz ist gemäß 1. Kor 15, das ist auch meine Existenz, gebunden an die Frage: Ist der historische Jesus auferstanden oder nicht? Paulus tut mehrere Schritte. Er sagt, zunächst einmal ist die Grundaussage nötig, der historische Jesus ist auferstanden. Und da bin ich nicht der Meinung, daß er nicht vom leeren Grab spricht. Paulus kann sich das gar nicht anders vorstellen. Also auf jeden Fall ist die Identität des historischen mit dem kerygmatischen Christus für Paulus hergestellt. Das bezeugt die Zeugenliste in 1 Kor 15, 3-8, wo Paulus unbedingt sicher gehabt haben will, daß das bezeugt werden kann: Dieses Faktum ist da. Und dann zieht Paulus daraus einen christlich tollkühnen Schluß, glaubensmäßig. Er sagt, dies hieße dann, wenn der auferstanden ist, als erster, daß auch wir auferstehen werden. Dann kommen die Korinther und sagen, alles Quatsch, nicht wahr, angenommen Jesus ist auferstanden, wie kommst du auf die Idee, wie soll das ablaufen? Dann vollzieht Paulus in 1. Kor 15 ein paar andere Aussagen, indem er sagt, Gott wird's schon schaffen. Das ist dann der Versuch, die Körperlichkeit in die Leiblichkeit umzusetzen. Diese Schritte müssen wir uns doch auch heute bewußt machen, wenn wir jetzt sagen, wir riskieren als Christen heute eine Aussage soteriologischer Art. Es ist ganz unbestritten: Das alles hängt und fällt mit der Aussage des Paulus zu der Frage der Auferstehung Jesu, der körperlichen Auferstehung Jesu. Und darüber müssen wir eine Entscheidung treffen. Das ist das Problem. Gibt es gegenüber der Predigt ein Faktum extra nos, und wie sieht das aus? Gibt es ein Ereignis, das sozusagen historisch verifizierbar ist oder wie immer, auf das hin die Kerygmatik ausgelöst worden ist? Oder wie sieht das aus? Oder haben wir eigentlich heutzutage nur noch und das ist die paulinische oder die kerygmatische Position letzten Endes die existentielle Betroffenheit der Urgemeinde? Die ist als historisches Faktum zu nehmen. Und jetzt sind wir ganz nahe dran, wo wir, glaube ich, uns auch unterscheiden, wenn wir uns unterscheiden. Ich möchte konkret von Ihnen wissen: Setzt die Auferstehung und damit Ihre ganze soteriologische Fragestellung, setzt sie ein Ereignis extra nos voraus oder nicht? Oder reden wir 153
alle nur intra nos? Das möchte ich konkret wissen. Das ist unsere genau zugespitzte Frage. Prof Friedrich: Was sagen Sie zu den nicht paulinischen Worten »Es ist in keinem anderen Heil, es ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darinnen sie selig werden sollen«, das ist in der Apostelgeschichte, auf die Sie sich berufen, oder aber aus dem Johannesevangelium: Es gibt keinen Weg zu Gott, als nur durch Jesus Christus. »Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, denn durch mich« - was sagen Sie dazu? In diesem Sinne meine ich die U nauswechselbarkeit Jesu Christi. Prof. Stegemann: Wenn Sie so nach dem extra nos fragen, dann ist das doch schon gegeben gerade in Verbindung mit dem historischen Jesus. Wenn er von der Gottesherrschaft spricht, dann wird diese insbesondere verstanden als jetzt hereinbrechendes Heil, das von extra nos kommt. Damit, daß man als Historiker festzustellen hat, daß Jesus in vollrnächtiger Weise von dieser Gottesherrschaft gesprochen hat, nicht nur so, daß er sie als mögliche Spekulation dargestellt, sondern konkret in Verbindung mit seiner Person hereinbrechend geschildert hat, bekommt dann seine Person im Zusammenhang mit diesem hereinbrechenden Heil eine soteriologische Funktion. Das war eigentlich die Frage von Herrn Kollegen Friedrich: Wie stehen Sie, und ich möchte, da Sie eine Jesus-Position vertreten, es an der Jesus-Position festmachen, grundsätzlich zu der soteriologischen Funktion Jesu, die da schon gegeben ist? Dr. Schulz: Herr Stegemann, ich kann diese kollegiale Schützenhilfe gut verstehen, aber so ging es eben nicht. Denn hier ist gefragt worden sogar nach 1. Petrus 1, 18f., nach der ganzen Erlösungstheorie , hier ist gefragt worden nach einer Versöhnung im Sinne paulinischer Rechtfertigungslehre. Nun finde ich es ganz toll, daß Sie letzten Endes meinen eigenen theologischen Lösungsversuch hier mit anbieten und sagen, in der basileia tou theou ist die Unverwechselbarkeit Jesu hergestellt. Aber das wird Herrn Friedrich auf gar keinen Fall befriedigen, denn er fragt bei dem paulinischen Ansatz, was denn dort letzten Endes die Unverwechselbar154
keit Jesu ausmacht. Und nun würde ich einfach einmal meinen, die Unverwechselbarkeit Jesu in der Basileia-tou-theou-Theorie ist doch eine ganz andere Unverwechselbarkeit, als sie etwa in der paulinischen Theorie dargestellt wird, von der Rechtfertigung her. So ist das doch nun mal. Sie können doch jetzt nicht sagen, also retten wir mit dem Paulus einmal den historischen Jesus! Es kann hier nicht auf die breite exegetische Diskussion zur Frage des leeren Grabes eingegangen werden. Wenn Dr. Schulz den bei Luther zu findenden Begriff des »extra nos« an dieser Stelle aufnimmt, so ist jedenfalls darauf hinzuweisen, daß Luther ihn in total anderem Sinne gebraucht. Es geht um eine »Gewißheit, die nicht in uns selbst gegründet ist, sondern allein dadurch gewi ß zu machen vermag, daß sie uns au ßerhalb unser selbst versetzt« (G. Ebeling, Wort und Glaube 11, 1969, S. 172). Die Glaubensgewißheit stützt sich nicht auf das Gewissen, die Person oder die Leistungen und Werke des Menschen, sondern allein auf Gottes Verheißung und Wahrheit, die nichttrügen können (vgl. WA40, 1; 589, 8-10). Die Pointe in unserem Zusammenhang ist also gerade: Die Glaubensgewißheit hängt nicht davon ab, ob der historisch-exegetische Nachweis gelingt, daß das Grab Jesu leer war. Nicht der historische Nachweis, sondern das Wort des Evangeliums selbst ist Grund der Glaubensgewi ßheit im Sinne des »extra nos«. Andererseits trifft der Nachweis, daß das Grab nicht leer war und keine Auferstehung stattgefunden hat, auf dieselben Schwierigkeiten wie der Nachweis des Gegenteils. Überhaupt wird man die Grundfrage aufwerfen müssen, was es bedeutet, wenn die »historische Verifizierbarkeit« eines Ereignisses behauptet oder bestritten wird. Vor Abschluß des 6. Verhandlungstages faßt der Vorsitzende für das Spruchkollegium die entscheidenden Punkte zusammen, deren Klärung von Dr. Schulz erbeten ist. Damit wird zugleich erneut dem Antrag entsprochen, dem Betroffenen mitzuteilen, in weichen fundamentalen Positionen er im Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht. Der Vorsitzende weist darauf hin, daß auch schon im Hamburger Vorverfahren inhaltlich klare Auskünfte gegeben worden seien, zuletzt in der Antragsschrift (S. 15ff.), deren wichtigste Abschnitte wiederum von ihm verlesen werden. Das Spruchkollegium habe sich nicht
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an ein vorgegebenes Vorverständnis gebunden, sondern das offene und faire Gespräch gesucht. Mit der Ordinationsverpflichtung sei auch unstreitig eine weite Spanne zur Entfaltung unterschiedlicher Positionen bei der Auslegung des Evangeliums gegeben. Die Frage sei, ob Dr. Schulz in seiner Lehrdarbietung diesen Raum so weit überschritten habe, daß der magnus consensu der predigenden Kirche verlassen sei. Das Verfahren sei noch immer offen. Zu einem endgültigen Urteil sei das Spruchkollegium noch nicht gelangt. Dr. Schulz habe die Möglichkeit, in seinem Schlußwort die nachfolgenden Ausführungen zu korrigieren. Der Vorsitzende stellt dann die fundamentalen Dissenspunkte dar:
Vorsitzender: Da ist als erstes die Gotteslehre zu nennen. Herr Dr. Schulz geht dabei davon aus, daß das jeweilige Weltbild auch ein' neues Gottesbild bedingt. Hierzu möchte ich gleich sagen: Es ist gar nicht strittig, daß naturwissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt auch in der Rede von Gott seinen Niederschlag finden muß. Eine christliche Rede von Gott kann nicht unter Absehung naturwissenschaftlicher Einsichten formuliert werden. Herr Dr. Schulz zieht dann aber weitere Folgerungen, etwa dahingehend: Reden von Gott sei ganz bewußt Reden von unten, vom Menschen her (Formel S. 24). Wenn der Mensch von Gott redet, so redet er also letztlich von sich selbst. Reden von Gott als Person ist für Herrn Dr. Schulz aufgrund naturwissenschaftlicher Einsicht ein überholtes Denkmodell. Gerade hierzu hat Prof. earl Friedrich v. Weizsäcker in seinem Gutachten festgestellt, daß zwar die Thesen, die Herr Dr. Schulz vertritt, mit gegenwärtigen Einsichten der modernen Naturwissenschaft vereinbar seien, aber keineswegs zwingend aus ihnen folgen. Diese Feststellung ist dem Spruchkollegium wichtig. Herr Dr. Schulz kann sicherlich seine Thesen im Rahmen gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Einsicht unterbringen. Aber er hat uns nicht einsichtig machen können, daß seine theologischen Aussagen zwingend naturwissenschaftlich begründet seien. Herr v. Weizsäcker hat vielmehr bemerkt, die naturwissenschaftliche Substanz der Argumentation sei dünn und deshalb wirke die Selbstsicherheit des Vortrags eher irritierend. Das ist auch unser Eindruck. In der Rede von Gott, wie Paul Schulz sie beschreibt, ist nach 156
unserem bisher gewonnenen Verständnis letzten Endes, wie es auch schon in Hamburg formuliert worden ist, der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen. Er kann in den jeweiligen Gottesbildern, die er entwirft, nichts anderes tun, als sein eigenes Selbst- und Weltverständnis zu entfalten. Er kann zwar, wie gestern auch noch einmal von Herrn Dr. Schulz gesagt worden ist, den Versuch machen, über sich selbst hinauszugehen, sich selbst zu transzendieren. Aber auch dann handelt es sich darum, daß der Mensch neue Möglichkeiten in Berücksichtigung des ihm jeweils Vorgegebenen erschließt, aber kraft eigenen HandeIns. Wir haben nicht erkennen können, daß die zentrale biblische Aussage, daß Gott sich offenbart, daß Gott durch sein Wort sagt, wer er ist, in der Gotteslehre von Herrn Dr. Schulz irgendwo noch enthalten wäre. Für ihn ist, wie er im Spiegel-Interview, aber auch an vielen anderen Stellen erklärt hat, die Rede von einem Weltenschöpfer Gott nicht mehr sinnvoll, weil er sich die Entstehung der Welt auch ohne übernatürliche Kategorien erklären kann und deshalb die Rede von einem Weltenschöpfer nicht mehr benötigt. Daraus folgt, daß zu einem solchen Gottesbild , wie es der Mensch als eine Projektion seiner selbst entwirft, auch nicht gebetet werden kann. Es gilt vielmehr: »Redet der Mensch von Gott, dann redet der Mensch von sich selbst.« (Predigten S. 84) - ein in den Schriften von Herrn Dr. Schulz und auch in seinen mündlichen Äußerungen immer wiederkehrender Satz. Das Gebet verliert damit seinen theologisch begründeteten Sinn. Es kann Sinn als Meditation behalten, aber einen theologisch begründeten Sinn - dieses ist jedenfalls unser Eindruck - hat es nicht mehr. Wir werten diese Rede von Gott als im Widerspruch stehend zu der gemeinchristlichen Rede von Gott dem Schöpfer. Sie sagt nicht etwa nur, daß der Mensch sich bestimmten Vorgegebenheiten verdankt. Sondern er verdankt sich Gott, der ihn erschaffen, erlöst und erhalten hat, wie es in der Erklärung Luthers zum 1. Artikel heißt, auf die wir uns auch mit den Worten des Großen Katechismus bezogen haben. Theologie als Denken des Glaubens hat diese Aussage des Glaubens denkend zu entfalten und hierbei sicherlich auch die Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft zu vollziehen. Für uns ist nach wie vor unklar geblieben, inwiefern Rede von Gott als Ausdruck heute zu vollziehenden christlichen Bekenntnisses, des Be157
troffenseins durch die mich angehende Anrede des Wortes Gottes bei Herrn Dr. Schulz noch enthalten wäre. Der zweite Hauptproblemkreis , über den wir auch im Schlußwort noch einmal eine Erklärung erbitten, betrifft die Christologie. Im Zentrum der Argumentation von Herrn Dr. Schulz steht der Rückgriff auf den historischen Jesus. Dabei ist nicht strittig, daß die historisch-kritische Methode bei der Interpretation der biblischen Schriften und besonders der Evangelien anzuwenden ist. Wir hätten als Neutestamentler gern an dieser und jener Stelle noch mehr Präzision gesehen. Aber hier ist gewiß eine Spannweite von Meinungsunterschieden gegeben, die wir keineswegs als kirchentrennend empfinden. Schwierig wird es aber, daß Herr Dr. Schulz aus der Verkündigung des historischen Jesus nur die Zusammenhänge auswählt, die von seinen Voraussetzungen her akzeptabel erscheinen. Andere, wie etwa die Eschatologie, werden ohne zwingende Begründung ausgeklammert. Die Verkündigung J esu wird von Herrn Dr. Schulz in dem Satz zusammengefaßt: »Gott ist Liebe.« (Formel S. 32) Aber das bedeutet nicht - das folgt aus seiner Gotteslehre -, daß Gott als eine liebende Person beschrieben wird. Sondern es bedeutet vielmehr, daß die liebende Beziehung zwischen Menschen als das Prinzip beschrieben wird, das Leben entfaltet: »Überall dort, wo sich Menschen in Liebe begegnen, ereignet sich Gott im Lieben, da geschieht Vervollkommnung menschlichen Wesens« (ebda. S. 32). Jesus hat also ein Prinzip Liebe verkündigt und gelehrt, das sich im sozialen Bezug zwischen Menschen ereignet und verwirklicht. Noch einmal ein anderes Zitat aus den Predigten: »Der Mensch darf nicht in einen Monolog mit sich selbst verfallen, so daß sich egoistisch alles nur um ihn dreht. Der Mensch muß sich immer wieder öffnen auf einen Dialog hin mit denen um ihn herum, vor allem mit solchen, die Hilfe brauchen und Solidarität« (Predigten S. 22). Dieser Dialog betrifft also die zwischenmenschliche Relation. Liebe als Ereignis im sozialen Bezug aber ist nicht etwa auf einen Dialog bezogen, den der Mensch betend gegenüber dem Schöpfer und Erlöser vollzieht. Ebenso wie in der Lehre von Gott dem Schöpfer und den Aussagen über das Gebet wird also auch hier letzten Endes - wenn wir es zugespitzt zusammenfassen - der Mensch auf seine eigenen Möglichkeiten zurückgeworfen, die er erkennen und dann auch ergreifen soll. Das christologische Bekenntnis der
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Gemeinde wird hier so gut wie vollständig ausgeblendet. Es wird von Herrn Dr. Schulz geltend gemacht: Für ihn gilt »solus Jesus«, nicht »solus Christus«. Kreuz und Auferstehung Jesu Christi sind natürlich im Zusammenhang mit der Gesamtwirksamkeit des historischen Jesus historisch verständlich zu machen. Sie spielen aber für die Christologie von Herrn Dr. Schulz keine erkennbare Rolle - es sei denn, daß das Kreuz als ein Vorbild des SichRiskierens begreiflich gemacht werden könnte. Die Rede von der Auferstehung kann auch einmal so gewendet werden, daß in ihr zum Ausdruck kommt, sich mit den gegebenen Verhältnissen nicht abfinden zu können und zu wollen (Predigten S. 71). Das christologische Bekenntnis der Gemeinde wird aber ausgeklammert. Es wird zwar als in der historischen Tradition vorgegeben anerkannt, aber es ist nicht relevant für die christliche Verkündigungheute. Wir sehen hier wiederum einen Fundamentaldissens, um den wir uns gestern in langen Gesprächsgängen bemüht haben. Für das reformatorische Bekenntnis ist die Lehre von Rechtfertigung, ist das Bekenntnis zur soteriologischen Bedeutung Jesu Christi der Artikel, mit dem die Kirche steht und fällt. An dieser Stelle ist unser wiederholtes Fragen darum bemüht gewesen, uns etwas zum Verständnis der Rechtfertigung, der Soteriologie zu sagen. Diese Frage ist für uns nach wie vor offen. Und wir haben die Befürchtung, daß hier in der Tat ein Fundamentaldissens zu dem »articulus stantis et cadentis ecclesiae« geblieben ist. Herr Dr. Schulz hat uns gestern zwei Zitate aus dem Buch »Ist Gott eine mathematische Formel?« angeführt, auf die ich mich auch meinerseits gern noch einmal beziehen möchte. Das eine betrifft die Gotteslehre (S. 73 u. 74). Ich lasse dabei die historischen Ausführungen beiseite und möchte nur noch einmal die Quintessenz hervorheben, wie Herr Dr. Schulz sie formuliert und wie sie auf uns wirkt: Das Prinzip Liebe wird zur Interpretation der Gotteslehre eingesetzt. Dabei heißt es: »Das Prinzip Liebe soll in dieser (jetzt von Herrn Dr. Schulz formulierten) Tradition einem naturwissenschaftlichen Selbstverständnis die Gewißheit sichern, daß die Welt als Ganzes von der Liebe her als Urgrund, Beweggrund und Zielpunkt allen Seins positiv verstanden werden kann.« »Das Prinzip Liebe soll in dieser Tradition einem naturwissenschaftlichen Selbstverständnis die Gewißhei"t sichern, daß Gesell159
schaft so gestaltet werden kann, daß auch der Schwächste sein Leben bestmöglich zu entfalten vermag.« Und: »Das Prinzip Liebe soll in dieser Tradition einem naturwissenschaftlichen Selbstverständnis die Gewißheit sichern, daß die Wirklichkeit einen Freiraum darstellt, in dem sich Sinn, Bedeutung, Ziel gerade auch des einzelnen Selbst gestalten lassen.« Hier wird also das Prinzip Liebe in eine moralisch qualifizierte Ethik gefaßt. Aber es ist kein Gegenüber, aus dem heraus der Mensch sich gegründet weiß, sondern es ist eine zwischenmenschliche Relation, die dahin wirkt, im Leben selbst sinngründend tätig zu werden. Die Christologie läuft im letzten Verständnis auf dieselben Aussagen hinaus (S. 121 u. 122): »Dadurch, daß ich mich für Jesus entscheide, gewinne ich ganz persönlich ein neues Verständnis von mir selbst: - An Jesus formen sich mir neue Perspektiven und Grenzen meines Ichs. - An Jesus werden mir bessere Möglichkeiten und Ziele meines Handeins bewußt. - An Jesus erkenne ich in meinen Sorgen und Plänen eine deutlichere Zukunft ... An Jesus können wir unsere gemeinsamen Aufgaben und Verpflichtungen orientieren. - An Jesus können wir uns in unserer Veränderungsfähigkeit auf neue Wege und Lösungen für einander prüfen. - An Jesus können wir immer erneut Maß nehmen für unsere gegenseitige Verantwortungsbereitschaft und Leidensfähigkeit ... - An Jesus kann verstanden werden, daß die Liebe als Möglichkeit menschlichen Handeins im Wesen des Gesamtseins vorgegeben ist. - An J esus kann verstanden werden, daß Liebe als Prinzip in allem Weltwerden und Weltbestehen wirkt. - An Jesus kann verstanden werden, daß durch das Prinzip Liebe das sich entwickelnde Sein auf immer höhere Vervollkommnung zuläuft.« Auch hier also eine moralisch qualifizierte Ethik, der wir durchaus unseren Respekt entgegenbringen wollen. Die Frage ist nur, ob hier das Evangelium als Zuspruch dessen ausgelegt wird, was Gott uns gibt - nicht etwa als ein Hinweis auf Möglichkeiten, die wir selbst realisieren müssen. Es bleibt für uns die Frage, daß wir hier einen Dissens zum gemeinchristlichen, aber besonders zum reformatorischen Bekenntnis sehen. Der Vorsitzende nennt dann drei Fragenkreise, in denen jeweils ein Dissensus besteht, der sich aus dem Dissensus in der Gottesfrage und in der Lehre von Christus ableiten läßt. Zum einen
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behaupte Dr. Schulz, der Tod sei etwas ganz Natürliches, mit ihm sei alles zu Ende. Es gebe also bei Dr. Schulz keine christliche Hoffnung. Diese folge aus der Christologie: Christus ist die Auferstehung und das Leben. Wer an ihn glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt (vgl. Joh 11,25). Bei Dr. Schulz sei der Versuch zu vermissen, die christliche Hoffnung von der Christologie her zu durchdenken. Zum anderen sei bei Dr. Schulz die Kirche eine menschliche Gemeinschaft zur Verwirklichung des Prinzips Liebe, eine »communio humana«, eine soziale, nur soziologisch zu beschreibende Größe. Der reformatorische Kirchenbegriff, nach dem die Kirche eine Versammlung der Glaubenden sei, bei denen das Evangelium verkündigt und die Sakramente dargereicht werden, sei aufgegeben. Drittens bedeute die Bekenntnisverpflichtung bei der Ordination für Dr. Schulz lediglich den Eintritt in eine historische Tradition, die er aber durchaus hinter sich lassen könne. Damit versage er sich der Verpflichtung, das Evangelium, wie es in Schrift und Bekenntnis vorgegeben sei, weiterzugeben und zu predigen. Vielmehr setze das Denken die Grenzen des für den Glauben Möglichen und Unmöglichen.
Vorsitzender: Wir haben mit besonderer Besorgnis gehört, was Herr Dr. Schulz' uns wiederholt darüber gesagt hat, wie er den einzelnen Gemeindegliedern je nach der gegebenen religiösen Disposition die erbetene Dienstleistung erbringen würde: dem einen konventionell und dem anderen nicht konventionell. Dieses halten wir für eine beliebige Auswechselbarkeit von Inhalten und können wir nicht als eine Erfüllung eines Auftrags verstehen, der vorgegeben ist. Der Prediger kommt zu vielen Menschen, die gar nicht wissen, ob sie eine religiöse Disposition haben und wie diese aussieht. Er hat einen Auftrag als ein Bote auszurichten. Wenn er diesen Auftrag lediglich aus den vorgegebenen sozialen Bedingungen bestimmt, dann wird Religion beliebig auswechselbar und stellt sich die Frage, wie dieses noch mit dem Auftrag eines christlichen Predigers zusammen gesehen werden kann. Ich fasse abschließend zusammen: Die Theologie von Herrn Dr. Schulz konzentriert sich auf eine moralisch qualifizierte Ethik, der - noch einmal sei es gesagt - der Respekt nicht versagt werden soll. Für diese Ethik nimmt er den historischen Jesus als Initiator in Anspruch. Aber grundsätzlich ist sie von diesem Initiator durch-
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aus ablösbar. Die sogenannten Hamburger zehn Gebote, um die wir uns gestern ein bißchen gestritten haben, können durchaus unter Absehung des für die reformatorische Predigt entscheidenden Leitsatzes »ich bin der Herr Dein Gott« formuliert werden. Hier ist ausschließlich von zwischenmenschlichen Beziehungen die Rede in einer Weise, die ausschließlich »die nobleren unter den Vorurteilen der Wohlstandsgesellschaft zum Inhalt einer Lehre macht, die den Anspruch erhebt, christlich zu sein« (Gutachten v. Weizsäcker S. 72). Für unseren Eindruck stellen diese Hamburger Gebote weder eine Interpretation der zehn Gebote noch eine erkennbar christliche Ethik dar. Sondern sie sind, wie an anderen Stellen von Herrn Dr. Schulz durchaus zum Ausdruck gebracht wird, Folge eines Anspruchsdenkens, das der Mensch in seiner Selbstverwirklichung in zwischenmenschlichen Relationen zu gestalten sucht. Herr Dr. Schulz läßt keinen Zweifel darüber, »daß ich selbst von einem starken Ich-Anspruch geprägt bin.« (Predigten S. 30) Ich zitiere weiter: »Ich habe Anspruch auf Leben. Ich habe Anspruch auf Glück. Ich habe Anspruch auf Freude. Ich habe Anspruch auf Freiheit. Ich habe Anspruch auf Anerkennung. Ich habe Anspruch auf Liebe. Ich habe Anspruch auf Zärtlichkeit. Ich habe Anspruch auf Verständnis. Ich habe Anspruch auf Hilfe. Ich habe Anspruch auf Trost.« Wo von dieser Voraussetzung her gedacht und argumentiert wird, können u. E. auch aus dem Zusammenhang der neutestamentlichen Verkündigung herausgerissene Sätze Jesu nicht die Beweislast dafür tragen, daß ein Denken, das von diesen Ausgangspositionen hergeleitet ist, in der Konsequenz der Nachfolge Jesu bzw. der Nachfolge Christi geschieht. Herr Dr. Schulz faßt vielmehr seinerseits die Quintessenz seiner Lehre in folgenden Sätzen zusammen. Und bei allen Vorbehalten, die wir gemeinsam gegenüber abkürzenden Formeln haben, muß ich sie hier nun doch noch einmal zitieren: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß der Tod etwas Endgültiges ist. Daß also jedes Reden von Auferstehung, von Leben nach dem Tod, von einer Identität des Ichs, die sich durch den Tod hindurch durchhält, immer deutlicher zu einer Hoffnung, zu einem Glauben, zu einem Bekennen wird - wider besseres Wissen. Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es keinen absoluten Sinn des Lebens gibt, der transzendent kontrolliert wird. Daß durchaus die Gefahr
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besteht, daß Leben in Wertlosigkeit, in Sinnlosigkeit umschlagen kann. Daß also Hoffnungslosigkeit keineswegs umfangen sein muß durch eine höhere Seinsqualität. Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß es einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft, mich sieht, mich begleitet, als Realität so nicht gibt, sondern daß Gott vielmehr Ausdruck einer Hoffnung des Menschen ist, angesichts von Not und Versagen, von Ängsten und Schwierigkeiten über sich selber hinauszukommen.« (Predigten, S.177) Herr Dr. Schulz hat uns hierzu dargelegt, daß diese Einsichten nicht Endpunkte seiner Theologie seien, sondern der Ausgangspunkt. Und er hat gleichfalls mit Recht darum gebeten, diese Sätze im Gesamtkontext seiner Ausführungen zu sehen. Aber eben darum habe ich mich hier mit dieser zusammenfassenden Darlegung auch meinerseits bemüht. Ich halte diese Sätze in der Tat keineswegs für zufällige Formulierungen, sondern für eine sehr gewichtige Zusammenfassung, die Herr Dr. Schulz uns selbst vorgelegt hat. Spricht er dann von einer offenen Theologie, so bedeutet dieses, daß er seinerseits offen dafür ist, auf Grund einleuchtender Argumente seine denkend gefundenen Thesen zu korrigieren. Dies ist im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit. Aber eine solche offene Theologie bleibt stets Anthropologie, die dem Menschen ins Bewußtsein bringt, daß sein Wissen niemals vollständiges oder endgültiges Wissen sein kann, sondern offen bleibt für bessere Belehrung. Nach dem bei uns entstandenen Eindruck ist diese Offenheit aber etwas fundamental anderes als die Offenheit des Evangeliums, die das Heil und die Zukunft des Menschen aus der Barmherzigkeit Gottes erwartet. Ich möchte zum Schluß sagen: Die strittige Frage ist nicht das Problem der Toleranz. Diese Frage ist ja gelegentlich gestellt worden. Wir haben hier nicht darüber zu befinden, was man in der evangelischen Kirche denken oder sagen darf. Darin gibt es große Freiheit. Wir bestreiten Herrn Dr. Schulz auch nicht, daß er Glied unserer Kirche ist und sich an seinem Teil dafür engagiert, Christ zu sein. Die Frage, um die es geht, ist ausschließlich die, ob mit einer solchen Lehre, wie Herr Dr. Schulz sie entfaltet, sein Auftrag als Pastor so erfüllt ist, daß wir als Kirche sagen können: Dieses steht innerhalb des magnus consensus der predigenden und lehrenden Kirche. Das müßte ja bedeuten, daß wir - wenn auch 163
mit Abstrichen - bereit sein müßten, uns etwa als Mitglieder von Kirchenleitungen mit dem, was ein solcher Pastor sagt, so weit identifizieren zu können, daß wir auch öffentlich eine solche Predigt als Durchführung des der Kirche gestellten Auftrages verteidigen könnten. Diese Frage macht uns große Beschwernis. Wir bitten Herrn Dr. Schulz zu diesen Fragen, wie sie den Fundamentalkonsens bzw. -dissens angehen, in seiner abschließenden Stellungnahme noch einmal das Wort zu nehmen. Wir bleiben offen für das, was Herr Dr. Schulz uns sagen wird. Wir haben leider das uns bedrückende Gefühl, daß in reichlich fünf Jahren der Gespräche auf verschiedenen Ebenen Herr Dr. Schulz sich in keinem Punkt korrigiert hat und auch an keinem Punkt - soweit wir sehen können - irgendwo eine Annäherung zwischen den Gesprächspartnern in Hamburg oder auch hier erreicht worden ist. An keinem Punkt - das müßte ich vielleicht insoweit erläutern: an keinem fundamentalen Punkt. Der Fundamentaldissens steht als offene Frage vor uns. Das bedeutet nicht, daß wir nicht auch unsererseits bis zum Schluß für eine andere Einsicht offenbleiben wollen. Deshalb bitten wir herzlich, daß Herr Dr. Schulz uns dazu eine Erklärung aus seiner Sicht gibt, wie er seine Theologie als Auftrag der Verpflichtung meint verständlich machen zu können, die er bei seiner Ordination als evangelischer Pfarrer übernommen hat: das Evangelium von Jesus Christus zu predigen, wie es in der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments und in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist.
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Die Schlußworte (7. Verhandlungstag)
Der letzte Verhandlungstag ist so gut wie ausschließlich den Schlu ßworten des Betroffenen und seines Beistands vorbehalten. Es handelt sich um Vorträge von dreieinhalb bzw. eineinhalb Stunden Dauer. Dr. Schulz stellt in einem ersten Abschnitt »Stationen aus der Geschichte des Konflikts« dar, wie er es bereits mehrfach - meist etwas weniger ausführlich - getan hat (vgl. Formel S. 191-199). Vgl. dazu die oben S. 9ff. gegebene Einführung in die Vorgeschichte. Dort ist auch auf abweichende Sichtweisen und Bewertungen v~n pr. Schulz Bezug genommen. In einem zweiten Abschnitt» Marginalien zum Verfahrensablauf in Hannover« weist Dr. Schulz auf die später von Dr. Barrelet dargelegten rechtlichen Fragen hin. Er berichtet von erfolglosen Bemühungen von Landesbischof Lohse, das Feststellungsverfahren in letzter Minute in Gesprächen mit ihm, Dr. Schulz, abzuwenden, und vertritt die Meinung, es liege ausschließlich an der Hartnäkkigkeit der Hamburgischen Kirche, daß es zum Verfahren gekommen sei. Danach geht er auf die Zusammensetzung des Spruchkollegiums ein und wiederholt die immer wieder vorgetragene Ansicht, die geltende Lehrmeinung der Kirche sei ihm nicht mitgeteilt worden, weil es diese nicht gebe, und daher könne er auch nicht an ihr gemessen werden.
Dr. Schulz: Nun ist an dieser Stelle von Herrn Bischof Lohse ein Begriff ins Spiel gebracht worden, den ich in meiner ganzen theologischen Arbeit noch nie gehört habe, der sogenannte »magnus consensus«. Also den gibt es offenbar. Nun müßte ich zwangsläufig meine Fragen neu stellen. Wenn behauptet wird, es gäbe einen magnus consensus, dann möge man mir zu meinen neun Fragen nicht die Lehrmeinung der Kirche benennen, sondern den sogenannten magnus consensus. Was ist also der magnus consensus der
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evangelisch-lutherischen Kirche in Deutschland zu meinen Fragen 1-9? Ich stelle hier fest: Dazu ist ein magnus consensus bisher nicht benannt worden. Solange mir dieser Begriff nicht genau definiert und gesagt wird, was magnus consensus ist, behalte ich mir demgegenüber folgende Meinung vor: Der magnus consensus ist so etwas wie die» Volksmeinung« - etwa zur Todesstrafe, das »gesunde Volksempfinden«. Magnus consensus als theologische Kategorie gibt es deshalb nicht, zumindest ist eine einfache Konstatierung eines magnus consensus schon von der Begriffsdefinition für unsere Gespräche unzureichend, ja falsch. So verschwommen kann man sich aus dem Dissens der Meinung nicht herausdrücken. Ich stelle deshalb noch einmal meine neun Fragen an dieses Gremium: Was ist und wie lautet der magnus consensus in all diesen neun Fragen? Beantworten Sie sie nicht, haben Sie wieder einmal in Vorspiegelung falscher Tatsachen nichts als leere Behauptungen aufgestellt. Wo der magnus consensus direkt hergestellt werden könnte, unter Theologen der wissenschaftlichen Theologie nämlich, etwa in der neutestamentlichen Forschung, da weicht er wesentlich von dem ab, was der magnus consensus in der Gemeinde zu sein scheint. Nach welchem magnus consensus werde ich hier eigentlich beurteilt? Nach dem magnus consensus der Theologen an den Universitäten, auf den ich mich berufe, oder nach dem magnus consensus irgendwelcher Gemeindefrömmigkeit? Ich stelle hier die Behauptung auf: Der magnus consensus der modernen Theologie steht ganz unmißverständlich in Richtung meiner theologischen Position. Die Feststellung von Herrn Lohse, ich stünde gegen diesen magnus consensus, widerspricht an allen Stellen den Positionen der modernen theologischen Wissenschaft. Meine Haltung gegenüber diesem Spruchkollegium ist damit deutlich: Ich will keine Gnade. Ich habe deshalb nicht die Absicht gehabt - und werde es weiterhin nicht tun -, mich besonders freundlich zu verhalten, um gleichsam Ihr Wohlwollen zu erreichen. Ich habe mich hier nicht herzitiert. Sie haben als Kirchenleitung diesen juristischen Konflikt heraufbeschworen. Sie sollen auch damit fertigwerden. Ich habe überhaupt keine Veranlassung, Sie hier an irgendeiner Stelle zu schonen. Ich habe rechtzeitig angekündigt, daß ich mitten im Verfahren die Fronten umdrehen werde. Sie sind für mich die eigentlich Angeklagten als Kirche. Sie
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haben hier etwas angezettelt, aus dem Sie sich mit windigen Formulierungen nicht heraus schleichen können. Sie werden letztlich wieder viele Menschen, die nach den zukünftigen Perspektiven der christlichen Botschaft fragen, leerlaufen lassen, indem Sie einerseits behaupten, Sie wüßten es eigentlich grundsätzlich, andererseits aber jede konkrete Antwort umgehen. Ich will deshalb keine Gnade, ich will mein Recht als lutherischer Pastor. Lutherische Pastoren haben sich seit über 400 Jahren eben nicht auf Papisten oder Konzilien berufen, sondern letzten Endes auf ihr eigenes theologisches Gewissen in der Nachfolge J esu. Was Luther einer anmaßenden Papstkirche abgesprochen hat, das spreche ich sinngemäß einer anmaßenden Kirche Luthers ab. Eine Kirche, die eine solche Entscheidung trifft, wie sie im Negativen bevorsteht, wird nicht mehr unsere lutherische Kirche sein, die Kirche des freien Gewissens des einzelnen Geistlichen. Deshalb geht es überhaupt nicht um meine Person hier, selbst wenn in letzter Zeit kolportiert wurde, das ganze Verfahren sei letztlich nichts anderes als das Showgeschäft eines eitlen Pastors. Letztlich sei das also mehr ein Fall für Psychologen als für Theologen. Die Mitteilung, Dr. Schulz habe den Begriff »magnus consensus« bisher »noch nie gehört«, muß überraschen angesichts seines Berichts an anderer Stelle: »Ich habe semesterlang morgens von halb sieben bis halb acht die >Confessio Augustana<, die zentrale lutherische Bekenntnisschrift, auf lateinisch (!) zu lesen und zu interpretieren gelernt« (Predigten, S. 171). Der erste Satz des lateinischen Textes dieser CA beginnt nämlich: »Ecclesiae magno consensu apud nosdocent ... « (d. h.: »Die Gemeinden lehren bei uns in voller Übereinstimmung ... «; so H. Bornkamm, Das Augsburger Bekenntnis 1972, S. 15). Der Begriff »magnus consensus« weist also ganz simpel darauf hin, daß es in der lutherischen Kirche eine grundlegende Übereinstimmung in bezug auf Lehre und Predigt gibt, die sich in den Bekenntnissen ausgesprochen hat. Dieser Konsensus versteht sich selbst als Frucht der Predigt des Evangeliums, ist dem Maßstab der heiligen Schrift unterworfen und ist in einer bestimmten geschichtlichen Stunde, in bestimmten historischen Dokumenten ausformuliert worden. Wer seine Predigt im Horizont dieses Konsensus legitimieren
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will - und dazu hat sich jeder lutherische Pfarrer bei seiner Ordination freiwillig bereiterklärt - mu ß das im Hören auf das Evangelium, in Auslegung der heiligen Schrift und in eigenverantwortlicher theologischer Denkbemühung tun. In diesem Sinne kann, ja mu ß er sich auf die Freiheit seines theologischen Gewissens berufen. Es kann aber nicht mehr sinnvoll als Realisierung dieser Freiheit ausgegeben werden, wenn die Verbindlichkeit, ja das Vorhandensein dieses Konsensus überhaupt bestritten und diese Bestreitung als ein Inhalt der Lehre und Predigt eines lutherischen Pastors verkündigt wird - wie in den Predigten von Dr. Schulz der Sache nach geschehen. Dr. Schulz zitiert nun aus einem Brief des nordelbischen Pastors Wolfgang Grell, durch den dieser sich mit Dr. Schulz solidarisiert und an der Gesprächsführung des Vorsitzenden scharfe Kritik geübt hatte. Dr. Schulz macht sich diese Kritik zu eigen und wendet sich dann direkt an den Vorsitzenden.
Dr. Schulz: Ich habe mich in den letzten Runden immer dann vehement gegen Sie gewehrt, wenn Sie nach meinen Erklärungen - mögen sie richtig oder falsch gewesen sein - spontan immer wieder gesagt haben: Dieses steht im Widerspruch zur Lehre; Sie haben - das läßt sich aus dem Protokoll herauslesen - um viele meiner Ausführungen gleichsam eine Klammer gemacht und ein Minuszeichen davorgesetzt, bis mir dies nicht mehr erträglich schien und ich mich schließlich in zunehmender Schärfe dagegen gewehrt habe. Ich konnte doch zeitweise reden, was ich wollte, konnte meine Position erklären - Sie waren schließlich immer schnell dabei, das Gesagte negativ zu verdrehen. Das Gespräch mit Herrn Stegemann, das habe ich noch einmal speziell nachgelesen, beinhaltete ja die Gefahr, daß an verschiedenen Stellen ein Konsensus hergestellt wurde zwischen einer der Personen des Spruchkollegiums und mir. Sie haben dieses Gespräch in einer Weise abgebrochen, daß dieser Konsensus nicht durchhaltbar war. Ich habe mir damals die Frage gestellt: Wollten Sie eigentlich die Möglichkeit einer Verständigung nicht aufkommen lassen? Sie haben bei meinen neun Fragen hier autoritär behauptet, das seien überhaupt keine fundamentalen Fragen. An die Stelle gesetzt haben Sie Ihre Behauptung: Wenn der Pastor man nur an die Trinitätslehre glaubt und sie verkündigt. Woher,
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bitte schön, nehmen Sie eigentlich als Vorsitzender während eines Verfahrens ein solches Recht? Lesen Sie das Protokoll nach! Was berechtigt Sie, so zu agieren? Ich frage Sie jetzt nicht als Herrn Lohse, sondern als den Vorsitzenden. An der entscheidenden Stelle der Diskussion um Auferstehung, als wir die Frage haarscharf herausgearbeitet hatten, was denn das der Verkündigung von Auferstehung Vorausgehende sei, da haben Sie keine Auskunft gegeben. Immer wieder haben Sie auf Fragen, die ich gestellt habe, eine konkrete Auskunft verweigert. Sie haben aus meiner Sicht bei der Frage nach der Schöpfung und Weltentstehung durch die Art der Zitierung des Kleinen Katechismus hier ein Niveau hereingebracht, das nicht einmal in ein theologisches Seminar paßt, geschweige denn in die Grundauseinandersetzung unserer Theologie mit der modernen Welt. Sie haben nicht einmal den Gedanken auftauchen lassen, daß sich vielleicht auch die Hamburger Landeskirche geirrt haben könnte, als sie in ihrem Urteil schrieb, ich würde ständig auf meinen Positionen beharren. Dr. Schulz schildert dann, wie er sich den Verlauf des Verfahrens positiv hätte vorstellen können, und wirft dem Vorsitzenden vor, er habe sein Schlußwort (vgl. S.156ff.) als allgemeine Meinung des Spruchkollegiums dargestellt, später aber bestätigt, daß dies nicht zutreffend gewesen sei. (Der Vorsitzende hatte mit dem Kollegium einen Entwurf besprochen und die Endfassung dann aufgrund dieses Gesprächs selbst abgefaßt. Das Kollegium hat sich nirgendwo von dem Text distanziert).
Dr. Schulz: Daran wird sichtbar, wie Sie hier als Vorsitzender manipuliert haben. Ich muß das so deutlich sagen, weil das ein wesentlicher Punkt der Auseinandersetzung ist, nämlich die Art, wie wir hier miteinander umgegangen sind. Sie haben auch - und das ist vielleicht das Verwunderlichste -lw ie selbstverständlich eine historische Querachse herstellen können zwischen der anklagenden Hamburger Kirche und Ihrem Schlußplädoyer. Mit keinem einzigen Wort über 21 Seiten haben Sie aber auch nur einen einzigen Fakt benannt, der - bei allem Dissenszwischen uns vielleicht doch von verbindender Wichtigkeit sein könnte. So reden eigentlich nur Feinde voneinander, wenn sie
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dem anderen auch nicht einen einzigen Punkt der Solidarität zugestehen wollen. Dieses empfinde ich als persönliche Bedrohung durch Ihren Vorsitz. Die Gesprächsführung sei so belastend gewesen, daß er, Dr. Schulz, oft Grund genug gehabt hätte, den Vorsitzenden wegen persönlicher Befangenheit darum zu bitten, aus dem Verfahren auszuscheiden. Im Unterschied zu dieser Beurteilung haben viele Pressevertreter gerade die Geduld, Sachlichkeit und Fairneß des Vorsitzenden betont: »Es kam kein Zweifel daran auf, daß der geschickt argumentierende Theologe der Hamburger St. JacobiKirche mit einem fairen Prozeß rechnen darf.« (G. Seehase, Die Zeit vom 18. 11. 1977). Das Spruchkollegium verstehe das Verfahren »eher als Diskussionsrunde denn als Inquisitionstribunal«, und Dr. Schulz »nutzt die Chance des Verhandlungsklimas« (Der Spiegel vom 21. 11. 1977). Es sei - bei allem Lob für »den Stil nüchterner Sachlichkeit« - unverständlich, daß der Vorsitzende selbst an Nahtstellen des Gesprächs »seine Zurückhaltung nicht aufgab« (L. Harms, Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 17. 11. 1977), ja es wird sogar von einer »bis zur Blässe getriebenen Fairneß« gesprochen (I. Kastelan, Idea vom 21. 11. 1977). Später heißt es zwar: »DerTon ist rauhergeworden« (W. Teichert, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 26. 11. 1978). Das aber kommentiert ein unverdächtiger Beobachter so: »Derselbe Raum, dieselben Tische, dasselbe siebenköpfige Spruchkollegium; aber offensichtlich eine andere, offensivere Taktik auf der Seite des eloquenten Hamburger Theologen ... Und man mußte schon die Geduld bewundern, mit der das Spruchkollegium die rhetorischen Attacken des >Kirchenrebellen< hinnahm. Allerdings, als Paul Schulz in neun vorbereiteten Fragen den Spieß umdrehen und das Spruchkollegium selbst sozusagen auf die Anklagebank setzen wollte, machte Bischof Lohse nicht mehr mit.« (G. Seehase, Die Zeit vom 24. 11. 1978). Dr. Schulz beklagt sich in seinem Schlußwort dann darüber, daß das Gutachten nicht ausreichend gewürdigt worden sei, und formuliert selbst »Anmerkungen zu dem Gutachten von Professor von Weizsäcker«. Er zitiert aus dem ersten und letzten Teil des Gutachtens (vgl. S. 67ff.) eine Reihe von Aussagen und bewertet es als ein Plädoyer für den andersdenkenden Menschen in der
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Kirche. Er nehme die dort an ihm geübte Kritik an. Er sei weder Naturwissenschaftler noch Philosoph. Deshalb treffe ihn der Vor-:wurf nicht, er habe sich naturwissenschaftliche Kenntnisse nur angelesen und sei mit der Geschichte der philosophischen Theologie nicht vertraut. An der Naturwissenschaft fasziniere ihn die Fähigkeit, erkenntnismäßig nach vorne hin offen zu sein, während die Theologie bei festgeschriebenen dogmatischen Sätzen beharre. An der Philosophie interessiere ihn die dort verhandelte Gottesfrage nur wenig. Es gehe ihm um die erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Reflexionen (vgl. dazu Formel S. 38ff.). Danach formuliert Dr. Schulz drei Zustimmungen und drei Widersprüche zu den Positionen des Gutachtens: Das Gutachten schildert Etappen des permanenten Umbruchs, der die Geschichte der Kirche kennzeichnet. Dr. Schulz sieht fast die gleichen Perspektiven in seiner eigenen Darstellung geistesgeschichtlicher Entwicklungen zum Ausdruck gebracht (z. B. Formel S. 38-55; Predigten, S. 111-115). Er stimmt weiter der These zu, die Öffnung zur Moderne sei für die Kirche notwendig, auch wenn man nicht den Vorurteilen der eigenen Zeit nachlaufen dürfe. Eine traditionalistische Gegenbewegung bedeute jedenfalls die größere Gefahr. Drittens unterstreicht Dr. Schulz die Forderung, die der Botschaft Jesu verpflichteten Christen sollten dort zur Stelle sein, wo sie in der Welt in Solidarität mit den Zeitgenossen gebraucht würden. Im Gegensatz zum Gutachten sieht sich Dr. Schulz, wo es um den Stellenwert der Gottesfrage geht. Es interessiere ihn wenig, daß seit zwei Jahrtausenden neue Wege in der Gotteslehre gegangen seien. Durch die Aufklärung und die Naturwissenschaft der Neuzeit sei heute ein anderes Bemühen erforderlich. Der zweite Widerspruch bezieht sich auf die Jesus-Frage. Dr. Schulz bestreitet nicht, ein - so verstehe er das Gutachten - Jesus-Bild der bourgeoisen Gesellschaft zu vertreten. Er lebe weder innerhalb des Buddhismus noch in Südamerika. Er müsse so von Jesus sprechen, wie es seine nächste Umwelt betreffe. Der dritte Widerspruch bezieht sich auf das im Gutachten erwähnte Urteil vieler Menschen über die Kirche, diese habe als Relikt der Vergangenheit ihre weltgeschichtliche Rolle ausgespielt. Er, Dr. Schulz, sei anderer Meinung und versuche, die Kirche von innen her zu verändern.
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In einem vierten Teil spricht Dr. Schulz dann über »Brückenschläge zwischen den widerstreitenden theologischen Positionen«. Dort heißt es (bei Auslassung von Wiederholungen):
Dr. Schulz: Ad 1: Gott-Kritik Ich habe unmißverständlich gesagt und halte hiermit als meine Grundposition fest: Redet der Mensch von Gott, redet er von sich selbst. Alles RedendesMenschen von Got'tist Redenvon unten auf Gott zu . Die Vorstellung einer Gott-Person aus dem Jenseits ist heutzutage nicht mehr zu vertreten. Alle Bilder von Gott als Person sind überholte Bilder, gegenüber den modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen einfach nicht durchzuhalten. Angesichts der modernen Naturwissenschaften, der Astrophysik, der Biochemie, gilt es aber nun nicht, Gott zu leugnen, sondern Gott neu zur Sprache zu bringen. Von Gott muß in Zukunft in viel gewaltigeren Bildern gesprochen werden als bisher. In summa: «Es gibt einen Himalaya, es gibt einen Bodensee, Gott gibt es nicht« - dieser Satz, vor etwa 15 Jahren von Professor Metzger aus Mainz formuliert, dieser Satz steht - gegen jedwedes Personendenken. Das heißt: Das »christliche Reden von Gott« ist eine Grundposition der modernen Theologie und damit allen zukünftigen Redens von Gott überhaupt. Der Brückenschlag in der Gottesfrage : Sein und Seiendes Den Brückenschlag sehe ich darin: »Redet der Mensch von Gott, dann redet er von sich selbst« - damit ist das »Sein an sich« in seiner Qualität nicht begrenzt. Die Wirklichkeit an sich geht wesentlich dem voraus, was der Mensch je erkannt hat und wahrscheinlich je erkennen wird. Ich nehme hier philosophisch einen Begriff von Heidegger auf, nämlich die Unterscheidung zwischen Sein und Seiendem. Fast »platonisch« sage ich: Allem Seienden voraus geht das Sein. Damit bin ich ganz nahe dem Satz: Allem Seienden voraus geht Gott - nur daß ich Gott eben nicht als Person benenne. Der Unterschied zwischen uns ist nicht der, daß ich dem Seienden voraus kein Sein definiere, ganz im Gegenteil! Nur daß ich das Sein als solches nicht mit einem Personenbild , sondern als Prinzip, als Funktion beschreibe.
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Die kritische Frage zwischen uns ist jetzt ganz genau die: Ist die Beschreibung dieses Seins an sich in nicht-personhaften Formeln von einem solchen gravierenden Unterschied gegenüber der lutherischen Dogmatik, daß das zu einem nicht überbrückbaren Dissens führen muß? An dieser Stelle ist unsere Konfrontation nicht ausdiskutiert. Von hier aus wäre nämlich die Frage nach Gott zwischen Herrn Wendebourg und mir überhaupt noch einmal neu zu stellen: Wo liegt eigentlich der unüberbrückbare Dissens in der Gottesfrage zwischen uns? Wenigstens liegt der Dissens nicht darin, daß meine Definition des Seins nicht die klassische Theologie mit dem Augustinischen, Lutherischen, Barthschen »Gott ist das ganz andere« abdecken könnte. Ad 2: Jesus-Kritik Es ist ganz unmißverständlich, daß ein sachgerechtes Reden über J esus Christus heute nicht vollzogen werden kann ohne die Masse von elementaren wissenschaftlichen Ergebnissen zum historischen Jesus einerseits und kerygmatischen Christus andererseits. Dabei ziehe ich wesentliche Konsequenzen daraus, daß alles, was an Hoheitstiteln - wir haben das hier mit Prof. Friedrich zumindest angedeutet -, daß alles, was an Hoheitstiteln Jesus transzendiert, nicht Positionen des historischen Lebens der irdischen Gestalt Jesu sind, sondern Positionen des Kerygmas, des Bekennens der Urgemeinde, also nicht in den historischen Jesus hineingehören, sondern in den kerygmatischen Christus. Das ist für einen Theologen sofort eingängig, selbst wenn es für einen Laien im ersten Augenblick kompliziert erscheint. Dies heißt aber in der Konsequenz, daß wesentliche Aussagen gerade reformatorischer Theologie infolge der historisch-kritischen Forschung nicht in den historischen J esus hineingehören zum Beispiel die gesamte Rechtfertigungslehre -, sondern in die folgende paulinische Interpretation des historischen Jesus. Es gibt für mich überhaupt gar keinen Grund, in der Jesus-Frage nicht das' zur Anwendung zu bringen, was die historische kritische Forschung zur Verfügung stellt. So komme ich schließlich zwangsläufig zu dem Satz: Jesus war ein Mensch wie jeder Mensch sonst auch.
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Der Brückenschlag in der Jesus-Frage: Der Glaube Der Brückenschlag in der Jesus-Frage liegt im Begriff »Glaube«. Glaube bedeutet im Sinne Bultmannscher Interpretation nicht ein Fürwahrhalten irgendwelcher komischen Dinge, sondern beschreibt die existentielle Betroffenheit des einzelnen, das persönliche Risiko, sich auf etwas hin zu wagen. Das, was den historischen J esus qualifiziert in der christlichen Tradition und in meiner eigenen Nachfolge , ist ebendieses persönliche Risiko, das wir Glauben nennen, nämlich eine Lebensentscheidung' auf Jesus hin. Jesus wird so zu einer Betroffenheit, zu einer letztgültigen Qualität, die zum Beispiel in der frühchristlichen Tradition mit Begriffen wie »König«, »Christus«, »Hohepriester«, »Herr« beschrieben worden ist. Was den Menschen J esus transzendiert, ist der persönliche Glaube des einzelnen, der nicht nur mein spezielles Bekenntnis zu Jesus möglich macht, sondern darüber hinaus auch das Bekennen jedweder Christen in der Tradition verständlich macht. Glaube in den verschiedenartigen historischen Konkretionen ist somit als existentielle Entscheidung eine große Vielfalt von persönlichen Wagnissen. Daß aber zu verschiedenen Zeiten Menschen mit verschiedenen Sprachformeln ihren Glauben konkretisiert haben, bedingt erstens nicht, daß ich genau in deren Sprachbildern reden müßte noch, daß ich mit meinen Sprachbildern deren Glaubensstand disqualifizieren würde. Die persönliche existentielle Betroffenheit, der Glaube jedes einzelnen Menschen hat, kann und wird durch die Jahrhunderte hindurch das Phänomen »Jesus« immer wieder anders, immer wieder neu beschrieben. In diesem Glaubensbegriff von dem historischen Jesus auf den kerygmatischen Christus hin liegt die Offenheit unseres Gespräches. Ad 3: Kirchen- und Bekenntniskritik Ganz ohne Frage habe ich Ihnen hier sichtbar gemacht, und ich habe das auch in meinen Büchern geschrieben, daß die sichtbare Kirche, die ecclesia visibilis, mit ihrer Amtshierarchie und mit ihren dogmatischen Strukturen ein weltlich Ding ist. Auch alle Bekenntnisse sind historische weltliche Erkenntnis-Positionen, also relativ. Nichts ist aus meiner Sicht letztlich an der bestependen Kirche als besonders heilig zu qualifizieren, auch Ihre Bekenntnis-
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se nicht. Diese stammen nicht aus einer göttlichen Offenbarung, sondern sind historische Positionen innerhalb eines historischen Ablaufs. Bis ins Detail gerade der Confessio Augustana 1530 läßt sich diese These beweisen. Der Brückenschlag in der Kirchen- und Bekenntnisfrage: Konkretion und Funktion Der Brückenschlag liegt in meinem Versuch, Ihnen mit den Begriffen »Konkretion eines Bekenntnisses« und »Funktion eines Bekenntnisses« meine Position einsichtig zu machen. Ich halte diese Unterscheidung aus meiner Sicht für besonders glücklich. Ich meine, daß in diesem Erklärungsversuch von der Konkretion eines Bekenntnisses auf die Funktion eines Bekenntnisses hin zwischen uns ein weites Feld der Möglichkeiten der Verständigung besteht. Ich zumindest habe keine grundsätzliche Mühe, in der Funktion meines Bekennens alte Konkretionen wiederaufzunehmen, um darin neue Konkretisierungen sichtbar zu machen. So habe ich, für manche überraschend, die alte Konkretion des l. Artikels des Kleinen Katechismus Luthers als eine Konkretion von Bekennen anerkennen können. 'Wer aber wollte das Risiko leugnen, daß gerade auch diese alten Konkretionen durchstoßen werden müssen, um die Funktion des christlichen Bekennens heute aufrechtzuerhalten? Auch hier befinden wir uns, meine Herren, am Anfang des Gespräches und nicht am Ende. Ad 4: Grundwerte-Kritik Es gibt - dies habe ich in meinem kritischen Satz: »Ich habe mich bekannt zu ... « definiert - keinen absoluten Sinn, der transzendent kontrolliert wird. Es gibt nur relativen Sinn, Sinn, der vom Menschen aus gesetzt ist. Ich will die ganze Debatte, die ich ja in meinen Büchern versucht habe zu belegen, hier jetzt Ihnen nicht noch mal vorführen. Ich bekenne mich zu diesem Satz, ~aß aus der derzeitigen Wirklichkeitserkenntnis nirgendwo ein inhärenter ethischer Wert benannt werden könnte, der als Absolutum universaler Entwicklungen gelten könnte.
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Der Brückenschlag in der Grundwertefrage: Jesu Botschaft von der Liebe Aber nun genau an der Stelle ist ein Brückenschlag von großer Bedeutung zwischen uns möglich. Gibt es keinen absoluten Wert, so sind wir als Christen geradezu wesentlich verpflichtet, Wert zu setzen. Und unser Auftrag, unser Spezifikum des Christseins, ist gerade jene Möglichkeit, im Namen Jesu mit der »Liebe« einen Wert zu setzen, der als Grundwert auf allgemeine Anerkennung zielt. Die Erkenntnis der grundsätzlichen Wertlosigkeit der Dinge führt den Christen eben nicht zum Nihilismus, sondern in das direkte Risiko auf Jesus hin, nämlich in die Mitte seiner Botschaft der Nächstenliebe. Alle christlich bewußten Menschen hatten und haben recht, wenn sie gegen alle Infragestellungen den Zentralwert der Botschaft Jesu, das Prinzip Liebe, aufrechterhalten und durchsetzen. Ich sehe nicht, wo eigentlich hier der Abbruch des Gespräches zwi~ sehen uns nötig, ja, möglich ist? Ad 5: Eschatologie-Kritik Es geht schließlich um Tod und ewiges Leben. Auch hier werde ich grundsätzlich zu meinen Aussagen stehen. Ich habe ausführlich dargetan, warum ich sage, daß der Tod etwas Letztgültiges ist. Er ist es über weite Strecken im Alten Testament - als ein Beispiel dafür, daß Menschen an Gott glauben können, ohne je von einem Leben nach dem Tod zu sprechen. Ich verstehe den Vorwurf in dem Schlußplädoyer von Herrn Professor Lohse nicht: Schulz hat keine Eschatologie. Wo steht das eigentlich? Schulz hat keine Apokalyptik - allein das stimmt. Der Brückenschlag in der Eschatologie: Die basileia tou theou Wesentlich ist, daß die eschatologische Dimension des Redens Jesu und von J esus in dem Begriff der »basileia tou theou« gegeben ist. Dies habe ich Ihnen hier ausführlich versucht deutlich zu machen: 1. daß die basileia tou theou in der Botschaft Jesu grundsätzlich nicht mit apokalyptischen Dingen behaftet sein müßte das war meine neutestamentlich-wissenschaftliche Prämisse; 2. daß in dieser basileia tou theou ein Entwurf einer alternativen
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Welt mit anderen Selbstverständlichkeiten beschrieben ist, selbst dann, wenn es nicht über unsere Welt hinaus transzendiert wirddas war meine systematische Explikation. Diese basileia tou theou ist im modernen Denkvollzug der Theologie »realized eschatology«, bereits vergegenwärtigte Eschatologie. Dies ist nicht eine theologische Position, die Schulz erfunden hat, sondern auf die sich Schulz beruft. Sie sichert zu, daß ein Theologe wesenshaft von christlicher Eschatologie spricht, wenn er von der anderen Qualität der diesseitigen Welt spricht. Das also sind meine fünfBrückenschläge. Es sind nicht und fordert nicht Preisgaben von Positionen. Es sind vielmehr klare »loci«, von denen her unser Gespräch eigentlich erst in Gang kommt. Es kann gar keine Frage sein, daß es zugleich Positionen sind, die innerhalb unserer evangelisch-lutherischen Kirche möglich sind und möglich bleiben werden - selbst wenn Sie Schulz dafür aus dieser Kirche eliminieren. In einem letzten Teil» Dimensionen allgemeiner gesellschaftlicher Umbrüche« geht Dr. Schulz noch einmal auf die gegenwärtige Lage in Welt, Gesellschaft und Kirche ein, die alle Anzeichen einer tiefgreifenden Krise trage. In einer solchen Situation könne das Spruchkollegium zu einer Position wie der von ihm, Dr. Schulz, vertretenen weder ja noch nein sagen. Es sei allein angemessen, den dem Spruchkollegium gegebenen Auftrag an die Kirche zurückzugeben und den Streit um die Wahrheit wieder in die Auseinandersetzung der Theologen und aller denkenden Menschen zurückzuverlegen. Dr. Schulz legt dann abschließend noch einmal dar, daß es ihm um eine Neuorientierung des Redens von Gott gehe, während sich die Kirche um der Aufrechterhaltung ihrer institutionellen Macht willen gegen solche Versuche wehre. Diese Ausführungen von Dr. Schulz lassen sich der Sache nach, überwiegend sogar im Wortlaut, bereits an anderer Stelle nachlesen (vgl. Predigten, S. 92-94). Nach einer Verhandlungspause erhält Dr. Barrelet Gelegenheit, sein Schlu ßwort zu sprechen. Er geht zunächst auf die kirchengeschichtliche Bedeutung des Verfahrens ein. Dr. Schulz stehe für eine ganze Gruppe moderner Theologen. Nachdem Dr. Barrelet an das Presseecho erinnert hat, wendet er sich juristischen Fra-
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gen zu. (Auch bei diesem Schlußwort sind erhebliche Kürzungen vorgenommen worden).
Dr. Barrelet: Die rechtliche Grundlage, auf der wir uns hier bewegen, ist Art. 140 des Grundgesetzes, und nach Art. 140 des Grundgesetzes gelten für den kirchlichen Bereich noch die Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, speziell für diesen Fall Art. 137 Abs. 3: »Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes, sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.« Diese Vorschrift bedeutet für die Kirche eine sehr weitgehende Autonomie mit der einen Einschränkung eben, daß die für alle geltenden Gesetze die Schranke für die kirchliche Autonomie darstellen. Das ist die sogenannte Schrankenklausel, wie die juristischen Kommentare das nennen, und die Frage ist, was diese sogenannte Schrankenklausel bedeutet. Maunz-Dürig-Herzog: Die Schrankenklausel wahrt unter Beachtung des Wertsystems des Grundgesetzes die Einheit der Staatsgewalt. Soweit allgemeine Gesetze weltliche Rechtsfragen regeln, stehen Religionsgemeinschaften nicht außerhalb dieser Gesetze. Ein solches Gesetz, dessen Geltung für jedermann unbestritten ist, ist Art. 101 des Grundgesetzes. Dieser Artikel lautet: »Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetze errichtet werden.« Das bedeutet wenn ich noch einmal den Standardkommentar von Maunz-Dürig-Herzog zitieren darf -: »Ausnahme gerichte sind solche Gerichte, die nicht durch generelle Vorschriften für alle Streitfälle mit gleichem Streitgegenstand, sondern durch individuelle Anordnung für einen einzelnen Streitfall eingesetzt sind.« Gegen diese Vorschrift, meine Herren, verstößt das Kirchengesetz vom 16. Juni 1956 in eklatanter Weise. Die Befolgung des Grundgesetzes würde die Regelung der kirchlichen Fragen durch die Kirche überhaupt nicht beeinträchtigen, so daß die Kirche sich an dieses allgemeine Gesetz aus meiner Sicht nach Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung zu halten verpflichtet ist. Nach rechtsstaatlichen Grundsätzen muß also die personelle Zusammensetzung eines Gerichts vor Beginn eines konkreten Verfah-
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rens feststehen, z. B. für ein oder mehrere Jahre. Es darf nicht für ein bestimmtes Verfahren besonders zusammengestellt werden. Im vorliegenden Fall dieses Kirchengesetzes kommt erschwerend hinzu, daß dem Betroffenen als einzelnem Institutionen der Kirche sowohl als »Anklagebehörde«, als Gremium, das den Spruchkörper ernennt für den Einzelfall- Senat für Lehrfragen -, und als Spruchkollegium gegenüberstehen. Eine für einen Juristen ganz überwältigende Demonstration ungleicher Behandlung. Wenn man dann noch bedenkt, daß zwischen dem Vorsitzenden des Senats für Lehrfragen und demjenigen des Spruchkollegiums in der Regel Personalunion besteht und daß die Gliedkirche, die den Geistlichen anschuldigt, gemäß § 24 Abs. 2 des Gesetzes dem Senat für Lehrfragen vier Mitglieder - also die Mehrheit - vorschlagen kann, was in Hamburg wiederum Aufgabe desselben Kirchenrates war, der die Einleitung des förmlichen Verfahrens beschlossen hat, daß dagegen schließlich der Betroffene selbst nur einen Dreiervorschlag machen darf, aus dem der Senat für Lehrfragen ein Mitglied auswählen kann - er kann sogar alle drei Mitglieder verwerfen, das ist hier nicht geschehen, es ist eine rein grundsätzliche Frage -, dann muß der Geistliche sich von vornherein gegenüber diesem Gesetz auf verlorenem Posten fühlen. Hier kann von rechtsstaatlicher oder auch nur rechtsstaatähnlicher Besetzung eines Spruchkörpers keine Rede mehr sein. Hier sind Kläger und Richter so eng in einer Institution beieinander, daß eine objektive Rechtsfindung vom Prinzip her nicht gewährleistet ist, mag sie nun im Einzelfall trotzdem gelingen oder nicht. Eine rechtsstaatlich zulässige, denkbare Möglichkeit wäre, daß die Generalsynode jeweils für einen bestimmten Zeitraum die Richter für derartige Verfahren bestimmt, wobei Vorsorge für den Fall von Krankheit und Verhinderung und insbesondere den der Befangenheit zu treffen wäre, und ich meine, ein solches Gesetz müßte - genau im Gegensatz zu dem heutigen Gesetz- die Bestimmung enthalten, daß Richter, die der antragstellenden Gliedkirche angehören, in jedem Fall kraft Gesetzes als befangen auszuscheiden haben. Verfassungsrechtlich korrekt sind in diesem Verfahren nur der Vorsitzende und Herr Gehrmann berufen - der Vorsitzende als Vorsitzender kraft Amtes durch Gesetz und Herr Gehrmann durch die grundsätzliche Wahl für alle auftretenden Fälle während der Wahlperiode. Dabei klammere ich einmal das 179
besondere Problem, das durch die Beendigung der Amtszeit des Herrn Vorsitzenden inzwischen aufgetreten ist, aus. Die anderen Herren sind von der Kirche speziell für dieses Verfahren benannt worden. Das konkrete Ergebnis zeigt - Pastor Schulz wies schon darauf hin -, daß die Mehrheit des Kollegiums, nämlich vier Herren, der antragstellenden nordelbisch.en Kirche angehören. Dieses ist keine rechtsstaatlich zulässige Besetzung eines Spruchkörpers, der nicht nur über theologische Streitfragen berät - das wäre ja schön, nur es ist eben mehr -, der iri der Konsequenz über den Entzug der Rechte aus der Ordination und damit über die theologische und berufliche Existenz des betroffenen Geistlichen befindet. Ergebnis: Das Kirchengesetz ist verfassungswidrig, soweit es die Berufung des Spruchkollegiums betrifft. Das heißt weiter, die Durchführung des im Kirchengesetz vorgesehenen Lehrbeanstandungsverfahrens mit dem Ziel, Feststellungen zu treffen, die automatisch den Verlust der mit der Ordination verbundenen Rechte bedeuten, ist ebenfalls verfassungswidrig. Eine etwa gegen Pastor Schulz ergehende Entscheidung würde - da sie dem Grundgesetz widerspricht - keinen Bestand haben können. Ich meine, das Kirchengesetz ist insoweit auch verfassungswidrig, als keine hinreichend bestimmten materiellen Rechtsgrundlagen . vorhanden sind. Dieser Rechtsgedanke findet z. B. für Strafverfahren - dieses ist keins, ich sage es auch nur als Beispiel- seinen Ausdruck in Art. 103 Abs. 3 des Grundgesetzes, wo es heißt, eine Tat könne nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Gesetz im Sinne dieser Vorschrift ist jeder geschriebene Rechtssatz, Gesetze im formellen Sinne, Rechtsverordnungen und autonome Satzungen. Die Tatbestände müssen so formuliert sein, daß sie eine feste und zuverlässige Grundlage für die Rechtsprechung bilden. Ich meine, die hier vorliegenden Gesetze erfüllen diese Voraussetzung nicht. Grundlage dieses Verfahrens sind die Lehrordnung vom 16. Juni 1956 und das Kirchengesetz für das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom gleichen Tage. Das letztere ist im wesentlichen Verfahrensrecht, wenngleich § 1 einige materielle Hinweise enthält. Die Lehrordnung verweist auf die Heilige Schrift, die Bekenntnisschriften und in Ziff. 4,3. Absatz daraut', daß in der öffentlichen Lehrdarbietung bestimmte unüberschreitbare Grenzen gewahrt werden müssen. Ich wiederhole das noch einmal: bestimmte un180
überschreitbare Grenzen gewahrt werden müssen. Dieses ist nun in der Tat das genaue Gegenteil eines fest umrissenen Tatbestandes. Meine Herren, wir sind uns in diesem Raum ja einig, daß die materielle Grundlage dieses Verfahrens die Heilige Schrift und die Bekenntnisschriften sind. Aber wir sind uns auch darüber einig, daß diese bei der heutigen Bezeugung der Auslegung bedürfen, und daß dieses für Herrn Pastor Schulz aus Art. 1 des Hamburgischen Durchführungsgesetzes folgt. Und nun muß ich auch noch einmal - und nehmen Sie es mir nicht übel, es ist alles gar nicht böse gemeint - ich muß noch einmal auf den magnus consensus zurückkommen. Wenn ich unterstelle, es gäbe den magnus consensus, dann müßte es doch möglich sein, ihn zu beschreiben, ihn abzugrenzen. Wenn es möglich ist, dann frage ich, warum ist es nicht geschehen? Und da muß ich nun sagen, dies kann nicht geschehen mit Vorlage des Großen oder Kleinen Katechismus. Diese haben wir ja, sie sind bekannt. Es geht doch um die Frage, wie legen wir den Katechismus heute aus und was dürfen wir da sagen. Und wir haben wirklich oft genug gefragt, und ich würde sagen, ich kann für mich in Anspruch nehmen, auch immer versucht zu haben, freundlich zu fragen - aber ich habe keine Antwort bekommen. Ich habe keine Antwort bekommen, und ich meine, das Votum, auf das wir nachher noch zu sprechen kommen, sagt zwar wieder negativ Bedenken, die gegen Herrn Schulz bestehen, aber ich habe positive Abgrenzungen dort nicht finden können. Nun kommt ein weiteres, und das ist jetzt wieder ein Kernproblem, ein Kernproblem der Verfassungsmäßigkeit richterlicher Tätigkeit. Sie sind ein Spruchkollegium, d. h. Sie stehen in der Position eines Gerichts - Sie sind nicht ein Gesetzgeber. Es kann nicht so sein, daß Sie den magnus consensus, wenn es denn so ist, daß dieser jetzt die Grundlage dieses Verfahrens ist - daß Sie den festlegen. Dieser muß vorher festgelegt und abgegrenzt sein, wenn man hier Recht sprechen will. Darauf kommt es an. Sie haben ja einen Gesetzgeber, das ist die Generalsynode. Nun frage ich Sie: Welche Generalsynode hat wann welchen magnus consensus beschlossen? Wenn Sie mir diese Frage beantworten, dann können wir vielleicht wieder über ein rechtsstaatkonformes Verfahren sprechen. Das Kirchengesetz in seiner jetzigen Form ist ein Prozeßgesetz. Es entspricht etwa der ZPO oder der StPO mit einem 181
kleinen, in § 1 eingebauten, materiellen Teil- das ist aber nicht viel. Es sagt nichts darüber aus, in welcher Weise Lehre heute ausgelegt werden muß, und solange diese Grenzen von dem allein dafür zuständigen Gesetzgeber nicht festgelegt sind, gibt es für dieses Verfahren keine materielle Rechtsgrundlage. Ich halte das ebenfalls für eine nicht verfassungslegitime Form der rechtsprechenden Tätigkeit. Dr. Barrelet hebt dann hervor, daß es sich nicht um ein Disziplinarverfahren wegen Unbotmäßigkeit, Eitelkeit, provozjerenden Benehmens oder unausgereifter Gedanken handle. Er charakterisiert das Verfahren vielmehr als Inquisitionsprozeß. Dr. Schulzsei auf Verkündigungs- und Glaubensleistungen hin abgefragt worden. Als Dr. Schulz seinerseits Fragen gestellt habe, sei ihm gesagt worden, das sei unevangelisch. Dr. Barrelet seinerseits hält das ganze Verfahren für unevangelisch. Das Paradoxon, über evangelische Verkündigung zu judizieren, sei nicht lösbar. Dr. Barrelet kritisiert dann das Hamburger Vorverfahren wegen phasenweiser übergroßer Eile. Er betrachtet die Gespräche mit dem Spruchkollegium als nicht abgeschlossen und verlangt deren Neuaufnahme, womöglich im kleineren Kreise. Dr. Schulz sei kein Revolutionär, kein Heide und nicht der Anti-Christ. Er habe vorbildliche Gemeindearbeit geleistet und Menschen, die Schwierigkeiten mit der Kirche hatten, neu an die Kirche heranführen. wollen. Danach nimmt Dr. Barrelet auch seinerseits zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft Stellung und wertet das Gutachten von Prof. von Weizsäcker ähnlich wie Dr. Schulz es getan hatte. Dr. Schulz habe verkündigt, was er auf der Universität gelernt habe. Ein Fundamentaldissens im Sinne des Lehrbeanstandungsgesetzes liege nicht vor. Schon gar nicht sei ein solcher dem Betroffenen erkennbar. Beides seien Voraussetzungen für einen negativen Spruch des Kollegiums. Falls das Kollegium anders urteile, müsse darauf hingewiesen werden, daß die vom Gesetz vorausgesetzte Beharrlichkeit im Festhalten der kritisierten Positionen von Dr. Schulz stets bestritten worden sei, auch schon in seinen Büchern. Er wolle gerade das Denken in Flu ß halten.
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Dr. Rarrelet: Meine Herren! Ich habe zitiert und ich zitiere es noch einmal: Alle Lehrordnung hat ein positives Ziel. Ich meine, daß dieses bisher nicht in ausreichendem Maße versucht worden ist. Und wenn Sie alles, was ich bisher gesagt habe, für falsch halten und nicht akzeptieren, dann muß eben das Verfahren seinen Fortgang nehmen. Herr Schulz hat Gesprächsbrücken heute morgen angeboten. Er müßte eine Antwort erhalten, ob diese Brücken begehbar sind, und man müßte versuchen, wie man hier zu einem Konsensus kommt, soweit er noch nicht vorhanden ist. Herr Schulz sucht den Konsens; er hat das heute morgen deutlich gemacht. Falls Sie nicht der Meinung sind, das bisherige Ergebnis der Gespräche reiche in seinem Sinne aus, muß dann eben eine Fortsetzung des Gesprächs erfolgen. Ich habe vorhin auch schon einmal auf § 15 des Kirchengesetzes hingewiesen. Wenn Sie der Meinung sind - und dafür spräche einiges -, es wäre schwierig, in diesem großen Gremium Glaubensgespräche im einzelnen fortzusetzen, hätten Sie die Möglichkeit, Herr Vorsitzender, zwei der Herren, z. B. die Professoren Friedrich und Stegemann, zur Vorbereitung der weiteren Verhandlung zu beauftragen mit dem gezielten Auftrag, im kleinen Kreis ausführlich die noch strittigen Probleme zu erörtern. Das wäre durchaus eine Möglichkeit, wenn Sie denn unbedingt meinen würden, das Verfahren noch fortsetzen zu müssen. Nun muß ich eine letzte Sache noch ansprechen. Im Votum heißt es auf Seite 19: »Die strittige Frage ist nicht das Problem der Toleranz.« Dieser Satz gleicht, ich würde sagen, einer Beschwörungsformel. Indem man sagt, etwas sei nicht so wie es tatsächlich ist, meint man erreichen zu können, daß es wirklich nicht so ist. Und dazu sage ich Ihnen: Wenn Sie diesen Satz noch so oft wiederholen, das Ergebnis dieses Verfahrens wird aller Welt zeigen, wieviel Toleranz - noch schärfer: wieviel evangelische Freiheit - in dieser evangelisch-lutherischen Kirche noch möglich ist. Dieses Kollegium hat vom Kirchengesetzgeber einen unbegrenzten Freiraum der Entscheidung übertragen bekommen, aus meiner Sicht einen zu weiten. Dieses Kollegium kann sich bei seiner Entscheidung hinter niemandem mehr verstecken. Sie allein stehen jetzt vor der Verantwortung, und an Ihrem Spruch wird das gemessen, was ich als evangelischen Freiheitsraum bezeichnen möchte.
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Dr. Barrelet erinnert dann nochmals daran, daß die berufliche und theologische Existenz eines Menschen auf dem Spiel stehe. Ihm gegenüber sei ein kleines Stück jener Großzügigkeit angebracht, die nach Meinung von Dr. Barrelet die Organe der evangelischen Kirche in übergroßem Maße den Gruppen entgegenbringen, die die orthodoxe Richtung vertreten, Veranstaltungen wie den Kirchentag zu sprengen drohen und zu einem großen Teil Verantwortung an der Kirchenflucht der Gegenwart tragen - wie Dr. Barrelet sie charakterisiert. Abschließend empfiehlt Dr. Barrelet dem Spruchkollegium, den Rat des Gamaliel (Apg. 5,34ff.) zu bedenken, und faßt seine Ausführungen folgendermaßen zusammen:
Dr. Barrelet: 1. Das Verfahren ist verfassungswidrig. 2. In der Sache muß festgestellt werden, daß die Voraussetzungen gemäß § 18 Abs. 1a nicht vorliegen. 3. Falls Sie in Ihrer Abstimmung eine qualifizierte Mehrheit nicht erreichen, muß das Verfahren eingestellt werden - das folgt aus dem Gesetz. 4. Falls Sie noch Bedenken gegen die Verkündigung von Pastor Schulz haben, dann ist aus meiner Sicht das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Dann müßte das Lehrverfahren mit dem Ziel, Positives zu erreichen, fortgesetzt werden. Die Probleme müssen ausdiskutiert werden. Es muß geklärt werden, wo die Grenzen des magnus consensus liegen. Daraus ergeben sich die folgenden Anträge: 1. In formeller Hinsicht muß ich, obwohl nach diesseitiger Auffassung eine solche Entscheidung ohnehin von Amts wegen zu treffen ist, beantragen: Das Verfahren einzustellen, weil das Kirchengesetz vom 16. Juni 1956 dem insoweit anzuwendenden Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland widerspricht, und zwar: a) hinsichtlich der Besetzung des Spruchkollegiums; b) weil hinreichend bestimmbare materiell-rechtliche Vorschriften, aus denen ein Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche festgestellt werden könnte, in jeder Hinsicht fehlen. 184
11. In sachlicher Hinsicht beantrage ich: 1. festzustellen, daß ein Fall des § 18 Abs. la des Kirchengesetzes nicht vorliegt und Pastor Dr. Paul Schulz mithin fähig bleibt, eine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst auszuüben (§ 18 Abs. Ib des Kirchengesetzes); 2. hilfsweise: Das Verfahren einzustellen (§ 18 Abs. 3). 3. Ganz hilfsweise: Die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und a) das Gespräch über Gottesfragen und Christologie fortzusetzen; b) das Gutachten eines Hochschullehrers der systematischen Theologie einzuholen darüber, welches Inhalt und Grenzen des sogenannten »magnus consensus« sind. Als Gutachter werden vorgeschlagen die Professoren Dr. Moltmann und Dr. Pannenberg.
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Der Spruch und seine Begründung
Wie die Abstimmung im Schulz-Verfahren im einzelnen ausging, ' wissen nurdie Mitgliederdes Spruchkollegiumsselbst. DerSpruch und seine Begründung sind jedenfalls mit Datum vom 21. Februar 1979 unterzeichnet, und zwar von allen Mitgliedern. Rückschlüsse auf das Abstimmungsergebnis können von dort aus nur begrenzt gezogen werden. Es ist im Lehrbeanstandungsgesetz zwingend vorgeschrieben, daß alle Mitglieder unterzeichnen ohne Rücksicht auf ihr persönliches Abstimmungsverhalten. Da ein Spruch aber nur mit mindestens fünf der sieben Stimmen zustandekommen kann, haben entweder kein oder ein oder höchstens zwei Mitglieder eine Gegenstimme abgegeben oder sich der Stimme enthalten. Der Spruch mit seiner Begründung wurde dann dem Senat für Lehrfragen der VELKD zugestellt. Dessen gesetzlich geregelte Aufgabe bestand lediglich in der Entgegennahme der Entscheidung und in der Zustellung des Spruchs mit der Begründung an den Betroffenen und an die Nordelbische Kirche. Dies erfolgte am 19. März 1979. Im Gesetz ist vorgeschrieben, daß der Betroffene daraufhin zu entlassen ist. Die von Dr. Schulz gegen den Spruch eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 6. April 1979). Spruch und Begründung lauten:
SPRUCH In dem Feststellungsverfahren gegen Pastor Dr. theol. Paul Schulz, geboren am 29. August 1937, wohnhaft J acobikirchhof 9, 2000 Hamburg 1, hat das Spruchkollegium, bestehend aus
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Dr. theol. E. Lohse, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers (Vorsitzender), Dr. theol. G. Friedrich, Professor der Theologie in Kiel, Dr. jur. H. Gehrmann, Vorsitzender Richter am Landgericht in Lübeck, eh. Kretschmar, Pastor in Kiel, Dr. jur. G. Ostermeyer, Vorsitzender Richter am Landgericht in Hamburg, Dr. theol. Dr. phil. H. Stegemann, Professor der Theologie in Marburg, Dr. theol. E. W. Wendebourg, Pfarrer und Prodekan in München, in seiner Sitzung am 21. Februar 1979 gemäß § 18 Absatz 1 Buchstabe a) des Kirchengesetzes über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom 16. Juni 1956 folgende Entscheidung getroffen: Aufgrund der mündlichen Verhandlungen am 14./15. November 1977,16./17. November 1978, 4./5. Dezember 1978 und 23. Januar 1979 stellt das Spruchkollegium fest: Pastor Dr. theol. Paul Schulz ist öffentlich durch Wort und Schrift in der Darbietung der christlichen Lehre in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelischlutherischen Kirche getreten und hält daran beharrlich fest. Er ist mithin nicht mehr fähig, eine amtliche Tätigkeit im kirchlichen Dienst auszuüben.
Begründung
I. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Durchführung des Verfahrens bestehen nicht. Es handelt sich um ein in der verfassungsrechtlich anerkannten Autonomie der Kirche (Art. 140 GGI 187
137 Abs. 3 WRV) gesetzlich geordnetes Feststellungsverfahren, nicht aber um ein Gerichtsverfahren. Dazu übt die Kirche in diesem Zusammenhang nicht öffentliche Gewalt aus. So greifen hier weder der »Schrankenvorbehalt« noch andere Bestimmungen des Grundgesetzes. Im übrigen läge nach herrschender Lehre selbst dann kein Ausnahmegericht im Sinne von Artikel 101 GG vor, wenn man das Spruchkollegium als Gericht ansehen wollte; denn die Bestimmungen über das Spruchkollegium sind nämlich seit 1956 kirchengesetzlich für eine unbestimmte Zahl von Fällen geregelt. (VgI. Maunz-Dürig-Herzog-Scholz, Kommentar zum Grundgesetz Rd.Nr. 3 zu Artikel 101 GG). Entgegen der Auffassung des Betroffenen liegt auch kein Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 2 GG vor, denn die materiell-rechtliche Grundlage ist im Abschnitt H der »Erklärung zur Lehrverpflichtung und Handhabung der Lehrgewalt» (ABI. Bd. I S. 54f.) hinreichend bestimmt. Somit verfielen die im Schriftsatz des Beistandes des Betroffenen vom 23. Januar 1979 unter I gestellten Anträge der Ablehnung.
H.
Seit Herbst 1971 steht P. Schulz wegen seiner Predigten und Veröffentlichungen in der Presse in Auseinandersetzung mit dem Kirchenvorstand seiner Gemeinde St. Jacobi in Hamburg. Am 3. Dezember 1973 wurde die Angelegenheit von der Kirchenleitung in Hamburg beraten. Zwei von ihr beauftragte Pastoren versuchten, in seelsorgerlichen Gesprächen die Konflikte zu bereinigen (§ 1 Abs. 1 des Kirchengesetzes über das Verfahren bei Lehrbeanstandungen vom 16. Juni 1956 - ABI. Bd. I S. 55ff. - Lehrbeanstandungsgesetz). Als das nicht gelang, wurden drei Theologen beauftragt, mit P. Schulz ein Lehrgespräch zu führen (§ 4 Lehrbeanstandungsgesetz). Sie kamen zu dem Ergebnis, daß P. Schulz in entscheidenden Punkten in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht. Auf Vorschlag dieser Kommission wurde P. Schulz am 23. Juni 1975 bei voller Weiterzahlung der Bezüge ein einjähriger Studienurlaub in München gewährt, um ihm die Möglichkeit der Überprüfung seines Standpunktes zu geben (§ 5 Abs. 2 Lehrbeanstandungsgesetz). Aufgrund der gut-
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achterlichen Äußerung zu der Stellungnahme von P. Schulz »Gott im Denkprozeß« beschloß der Kirchenrat in Hamburg am 18. Oktober 1976, ein Feststellungsverfahren durchzuführen und P. Schulz zu beurlauben (§ 5 Lehrbeanstandungsgesetz).
III. Das Spruchkollegium hat sich an den eingangs genannten Verhandlungsterminen eingehend mit den theologischen Ansichten von P. Schulz befaßt. Zugrunde gelegt wurden im wesentlichen seine beiden Publikationen »Ist Gott eine mathematische Formel?« (Formel) und »Weltliche Predigten« (Predigten). Das Spruchkollegium hat P. Schulz Gelegenheit gegeben, sich ausführlich zu seiner Theologie und Lehre zu äußern. Bei diesen Gesprächen hat er ausdrücklich bekräftigt, daß er seine seit Jahren vertretenen Auffassungen in der Grundsubstanz beibehält. Es geht nicht darum, den persönlichen Glauben, das Engagement und die Frömmigkeit von P. Schulz zu beurteilen oder in Zweifel zu ziehen, daß er ein Glied der Kirche J esu Christi ist. Ebenso war es nicht Aufgabe des Spruchkollegiums , die Lehre von P. Schulz . daraufhin zu befragen, ob sie einer vorher aufgestellten Reihe von Bedingungen Punkt für Punkt entspricht oder widerspricht. Wollte man so argumentieren, würde man Glauben und Lehre in eine Reihe von Werken auflösen und an die Stelle des Evangeliums eine Werkgerechtigkeit setzen. Ein solches Verständnis würde evangelischer Theologie und Kirche fundamental widersprechen. Deshalb brauchte das Spruchkollegium auch nicht der Forderung von P. Schulz nachzukommen, die offizielle Lehrmeinung der evangelisch-lutherischen Kirche zu Gebet, Jungfrauengeburt, Auferstehung, Bibel, Gebote, Endgericht, Weltentstehung, Leben nach dem Tode und Erbsünde zu formulieren.
IV. Die Aufgabe des Spruchkollegiums bestand vielmehr allein darin, festzustellen, ob P. Schulz als ordinierter Amtsträger der evangelisch-lutherischen Kirche in seiner Verkündigung in der ihm anver189
trauten Gemeinde mit der unaufgebbaren Grundsubstanz der Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche übereinstimmt und ob er die bei seiner Ordination übernommene Verpflichtung erfüllt, das Evangelium von Jesus Christus zu bezeugen, wie es in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gegeben und in den Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, vornehmlich in der ungeänderten Augsburgischen Konfession von 1530 und dem Kleinen Katechismus Martin Luthers, bezeugt ist (vgl. Erklärung zur Lehrverpflichtung und Handhabung der Lehrgewalt Abschnitt I a. a. 0.). . Die im Lehrbeanstandungsgesetz bezeichnete Grundlage aller christlichen Predigt und Lehre enthält zwar eine weite Spanne zur Entfaltung individueller Positionen. Aber diese Grundlage selbst darf nicht aufgegeben werden.
V. Das Spruchkollegium ist zu dem Ergebnis gekommen, daß P. Schulz in entscheidenden Punkten im Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht und daran beharrlich festhält. Dieses Ergebnis gründet sich auffolgende Feststellungen: 1. In der Gotteslehre vertritt P. Schulz die Auffassung, daß die jeweilige Naturerkenntnis Rückwirkungen auf das Gottesbild hat (Formel S. 18). Diese Ansicht wird im Grundsatz nicht bestritten. P. Schulz leitet daraus jedoch die Lehre ab, daß Gott nicht ein Handelnder ist, dem der Mensch sein Leben verdankt, nicht ein »Du«, an das man sich wenden kann. Vielmehr ereignet sich Gott für ihn »in den unabdingbaren physikalischen und chemischen Prozessen kosmischen Geschehens« (Formel S. 31; Predigten S. 115). Ein Reden von Gott ist für P. Schulz ganz bewußt nur ein Reden von unten, vom Menschen her (Formel S. 24). Wenn der Mensch von Gott redet, redet er letztlich von sich selbst (Formel S. 22,24; Predigten S. 84,91). Gott ist der Höchstwert des Ich (Formel S. 24; Predigten S. 96). Er ist die Grundmöglichkeit menschlicher Selbstentfaltung, der Denk-, Sprach- und Bewußtwerdungsprozeß von Menschen. Darum sagt P. Schulz nicht: »Ich glaube an Gott«, sondern: »Ich denke Gott«. 190
Das Reden von Gott als Person kommt für P. Schulz aus einem völlig überholten Denkmodell (Formel S. 26). Daher möchte er mit Hilfe einer seiner Ansicht nach zwingenden rationalen Argumentation nachweisen, »einen persönlichen Gott, der mich ständig hört, der mir hilft,mich sieht, mich begleitet als Realität«, könne es nicht geben. Gott sei vielmehr Ausdruck einer Hoffnung des Menschen, »angesichts von Not und Versagen, von Ängsten und Schwierigkeiten über sich selbst hinauszukommen« (Predigten S. 177). In der Rede von Gott werde die transzendente Offenheit des Menschen zum Ausdruck gebracht. Auch das Wort »Gott ist Liebe« beschreibe Gott nicht als liebende Person, sondern »kennzeichnet die liebende Beziehung zwischen Menschen als das Prinzip, das Leben entfaltet. Überall dort, wo sich Menschen in Liebe begegnen, ereignet sich Gott im Lieben.« (Formel S. 32). Weil es für P. Schulz Gott als ein »Du« nicht gibt, verliert für ihn das Gebet seine Bedeutung als Anrede. Zu einem Gottesbild als Einheit der Natur oder als Projektion des Menschen seiner selbst könne nicht gebetet werden. Bete der Mensch, so reflektiere er in Wirklichkeit nur sich selbst und seine Beziehung zum anderen. Beten habe das Ziel, den einzelnen oder auch die Gruppe zur Gewinnung ihrer Selbstidentität zu führen (Formel S. 171 ff.). Damit hat das Gebet nach Ansicht des Spruchkollegiums seinen theologisch begründeten Sinn eingebüßt. Der Mensch ist auf seine eigenen Möglichkeiten zurückgeworfen und bleibt bei sich selbst. Nach Auffassung von P. Schulz beharrt die Institution Kirche mit ihrem hierarchischen Aufbau in ihrem Machtanspruch bei der Idee von Gott als einem jenseitigen Wesen in Macht und Herrlichkeit, als König, Richter und Allmächtigem, um ihren eigenen Anspruch auf irdische Macht und Autorität aufrechtzuerhalten. Die Kirche beanspruche eine Monopolstellung in der Gottesfrage und halte in ihrer unfairen Ablehnung der anderen Religionen an der Behauptung fest, daß allein das christliche Reden von Gott Gültigkeit habe. Sie wehre sich gegen jede Veränderung der Gottesidee , weil das eine Veränderung ihrer machtorientierten Institution herbeiführen und ihre Bevormundung der Menschen eindämmen würde. Eine Rückkehr zu dem von der Kirche verwalteten Gott würde Anerkennung des insti191
tutionellen Autoritätsanspruchs der Amtskirche bedeuten (Predigten S. 93-95). Im Gegensatz zu dieser Auslegung des 1. Glaubensartikels bekennt die Kirche auch heute mit den Worten Martin Luthers im Großen Katechismus: »Ein Gott heißet das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten. Also daß ein Gott haben nichts anders ist, denn ihm von Herzen trauen und gläuben.« (Auslegung zum 1. Gebot). Mit seinen Thesen zur Gotteslehre stellt sich P. Schulz in entscheidenden Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis. Es kann schlechterdings kein möglicher Inhalt christlicher Lehre sein, die Meinung zu verkündigen, der dreieinige Gott habe sich nicht offenbart, weil es ihn nicht gebe. Christliche Lehre hat vielmehr in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Verkündigung des dreieinigen Gottes zu dienen und zu fragen, wo und wie dieser sich offenbart, in der Welt handelt und den Menschen anredet. Die Problematik des Person-Begriffs ist dabei kein Gegenbeweis gegen das Wirken des dreieinigen Gottes, da die Trinitätslehre gerade davor schützt, Gott in einem anthropomorph-personalistischen Sinne mißzuverstehen. 2. Im Zentrum der Lehre von P. Schulz steht der Rückgriff auf den historischen Jesus. Mit Hilfe der historisch-kritischen Methode versucht P. Schulz einen streng rationalen Beweis zu führen, der denkendem Urteil einsichtig sein müsse. Es komme nicht darauf an, an Jesus zu glauben - »viele Menschen glauben viel zuviel an Jesus« -, sondern man müsse »Jesu Anspruch mit dem Verstand wahrnehmen und rational beurteilen« (Formel S. 98f.). Es ist nicht strittig, daß die historisch-kritische Methode bei
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utopie, -die Vision eines besseren Lebens. Dementsprechend erschöpft sich für ihn das Evangelium in der Wiederherstellung von menschlicher Gemeinschaft, und das Prinzip Liebe ereignet und verwirklicht sich ausschließlich in sozialen Bezügen zwischen Menschen. So wird der Mensch - wie schon in der Lehre von Gott - allein auf die Entdeckung und Verwirklichung der in ihm selbst liegenden Möglichkeiten verwiesen. Die engagierte Bindung an die Person Jesu ergibt sich für P. Schulz aus seiner christlichen Erziehung und Tradition. Grundsätzlich aber sei das Prinzip Liebe von Jesus als seinem Initiator ablösbar , weil es sich auch in anderen Religionen finde, ja dort sogar oft besser verwirklicht wird als im Christentum. Ob man Christ sei, entscheide sich ausschließlich an der Ethik, die jemand realisiere. Für P. Schulz gilt nur »solus Jesus«, nicht aber »solus Christus«. Bei diesem »solus Jesus« geht es aber auch nicht um die Person Jesu, sondern um das Prinzip Liebe. Die Lehre von einer durch Jesus erfolgten Heilsvermittlung, die gesamte Rechtfertigungslehre mit der Betonung von »sola gratia« wird als Ausdruck der christlichen Gemeinde und des von ihr entwickelten Bekenntnisses bezeichnet, das für die Gegenwart keine Relevanz hat. Kreuz und Auferstehung J esu Christi haben darum für die Lehre von P. Schulz keine fundamentale Bedeutung. Mit dieser Lehre von J esus tritt P. Schulz in entscheidenden Widerspruch zu Schrift und Bekenntnis. Denn Jesus Christus hat für ihn nicht die Bedeutung als Erlöser, wie sie alle Schriften des Neuen Testaments und die reformatorischen Bekenntnisschriften als den zentralen Inhalt des Evangeliums herausstellen. Die Schmalkaldischen Artikel bezeichnen als ersten und Hauptartikel , »daß J esus Christus, unser Gott und Herr, sei um unser Sünde willen gestorben und um unser Gerechtigkeit willen auferstanden, (Röm. 4,25) ... Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde oder was nicht bleiben will .... Darum müssen wir des gar gewiß sein und nicht zweifeln. Sonst ist's alles verloren« (Schmal. Art. 11, 1). 3. Zur Frage einer Hoffnung über den Tod hinaus vertritt P. Schulz die Auffassung: »Ich habe mich zu der Einsicht bekannt, daß der Tod etwas Endgültiges ist. Daß also jedes Reden von 193
Auferstehung, vom Leben nach dem Tod, von einer Identität des Ich, die sich durch den Tod hindurch durchhält, immer deutlicher zu einer Hoffnung, zu einem Glauben, zu einem Bekennen wird - wider besseres Wissen« (Predigten S. 177). Weil die Auferstehung Jesu nicht durch historische Forschung nachgewiesen werden kann, folgert P. Schulz, daß man den auferstandenen Christus heute nicht verkündigen könne. Er hat kein Verständnis dafür, daß die christliche Hoffnung von der Christologie her begründet ist, weil er sie ausschließlich von apokalyptischen Vorstellungen abhängig sieht und diese als veraltet betrachtet. Darum ist für ihn mit dem Fortfall apokalyptischer Vorstellungen auch der Inhalt urchristlicher Hoffnung nicht mehr übernehmbar. Aus diesem exegetischen Fehlurteil ergeben sich schwerwiegende Konsequenzen für die Lehre von P. Schulz; denn er gibt die christliche Hoffnung auf den Gott, der die Toten auferweckt, preis. Im Neuen Testament aber heißt es: Christus ist die Auferstehung und das Leben. Wer an ihn glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt (v gl. J oh. 11, 25). 4. Die Kirche wird von P. Schulz nicht als »Corpus Christi«, sondern als »Communio Humana« gesehen, in der Menschen einander begegnen, um das Prinzip Liebe zu verwirklichen. Kirche wird in dem Maße überflüssig, wie sie das Prinzip Liebe in der Gesellschaft verwirklicht (Formel S. 211). Die Kirche ist daher für P. Schulz nicht mehr Gegenstand des Credo, sondern ausschließlich eine soziale Größe, die soziologisch beschrieben werden kann. Damit stellt sich P. Schulz in entscheidenden Widerspruch zu dem biblischen und reformatorischen Kirchenbegriff. 5. Das Bekenntnis der Kirche hat für P. Schulz lediglich historische Bedeutung. Die Bekenntnisse sind »nichts, was uns in unserem eigenen Christsein, in unserer eigenen Jesus-Nachfolge autoritativ bindet oder verpflichtet. Alles ist auch hier relativ, wie alles theologische Denken immer relativ ist, das aber heißt: nach vorne hin offen« (Formel S. 159). Die Bekenntnisverpflichtung, auf die der evangelische Pastor in der Ordination festgelegt wird, bedeutet nach dem Verständnis von P. Schulz lediglich, daß er in eine bestimmte historische Tradition eingetreten ist, die er aber seinerseits durchaus hinter 194
sich lassen kann. Daher fühlt er sich in seiner Amtstätigkeit nicht an sie gebunden und gibt die reformatorische Predigt von der Rechtfertigung des Sünders preis. Dieses Verständnis von seiner seelsorgerlichen Aufgabe ist mit der Erfüllung seines durch das Ordinationsgelübde übernommenen Auftrages nicht vereinbar. VI. Dem Spruchkollegium ist bekannt, daß die Ansichten von P. Schulz nicht original sind. Andere haben diesen und jenen Gedanken, den er äußert, bereits vor ihm ausgesprochen. Entscheidend für die Beurteilung von P. Schulz ist, daß er die verschiedenen geäußerten Thesen zusammengefaßt zum Hauptanliegen seiner Verkündigung in Wort und Schrift als Prediger der evangelischlutherischen Kirche gemacht hat. Es geht nicht um die Einschränkung der Rechte und Freiheiten eines einzelnen, sondern um die Frage, ob P. Schulz die der Kirche gegenüber übernommene Verpflichtung auftragsgemäß durchführt. Am 16. Oktober 1966 hat er bei seiner Ordination vor Gott und der Gemeinde das Gelübde abgelegt, »das Amt der Kirche nach Gottes Willen in Treue zu führen, das Evangelium von Jesus Christus, wie esin der Heiligen Schrift gegeben und im Bekenntnis unserer evangelisch-lutherischen Kirche bezeugt ist, lauter und rein zu predigen ... «. Im Gegensatz dazu propagiert er eine Lehre, in der es den Willen Gottes nicht gibt, Christus keine Bedeutung hat und Schrift und Bekenntnis historische, aber nicht aktuelle Größen sind. Seine »offene Theologie« ist nicht die Offenheit des Evangeliums, die das Heil und die Zukunft für den sündigen Menschen von der Barmherzigkeit Gottes erwartet, sondern eine Lehre, die den Menschen auf das Diesseits und seine eigenen Möglichkeiten verweist. Alle diese Auffassungen hat P. Schulz nachdrücklich bis hin zu seinem Schlußwort vertreten. Damit ist er in entscheidenden Punkten öffentlich und beharrlich in Widerspruch zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche getreten, die nach der »Erklärung zur Lehrverpflichtung und Handhabung der Lehrgewalt« um des Heiles der Menschen willen vor Gott dafür verantwortlich ist, 195
daß »das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden« (CA VII). Bei dieser Sachlage mußten auch die im Schriftsatz des Beistandes des Betroffenen vom 23. Januar 1979 unter 11 gestellten Anträge abgelehnt werden. Hannover, den 21. Februar 1979 Lohse Friedrich Ch. Kretschmar Dr. Dr. HartmutStegemann
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Dr. Gehrmann Gerhard Ostermeyer E.VV.VVendebourg
Nachwort: War das Verfahren theologisch möglich?
Die Meinungen über das Schulz-Verfahren sind von Anfang an auseinandergegangen, und das wird so bleiben. Es ist auch gut so. Es entspricht auf glückliche Weise dem Bewußtseinsstand derer, die sich genötigt sahen, das Verfahren durchzuführen. Sie alle hätten es lieber unterlassen. Sie alle haben es sich nicht leicht gemacht, sondern mit sich und mit anderen darum gerungen, ob es richtig und gut sei, so zu handeln, so zu entscheiden. Niemand, keine Person und kein Gremium, hatte in dieser Sache etwa von vornherein ein fertiges Urteil. Zu diesem internen Ringen gehört wie ein Spiegelbild die offene, ja kontroverse Diskussion über das Verfahren in aller Öffentlichkeit. Über dieses Verfahren wird und muß gesprochen werden, über seine Grundlagen, seinen Verlauf, seinen Ausgang. Dieses Ringen - das bisherige wie das noch folgende - ist der erste Beweis dafür, daß das Verfahren nicht die Freiheit des theologischen Denkens in der Kirche beeinträchtigt hat. Es wollte ihr vielmehr dienen. Die Vielfalt der im Streit liegenden Positionen wurde durch das Nein zur Lehre dieses Pastors nicht eingeschränkt, sondern erhalten. Sie läßt sich auch gar nicht durch ein Lehrbeanstandungsverfahren abschaffen, wie jedermann - also auch die Kirche - weiß. Die »Amtskirche« hat hier nicht in Ausübung ihrer »Bevormundungsautorität« das freie Denken und Reden verboten, sondern sich in einem langwierigen Kampf dazu durchgerungen, die Lehre eines Pastors als Vollzug seines Selbstausschlusses aus dem Kreis der ordinierten Prediger des Evangeliums zu bewerten und zu ratifizieren. Wenn das Handeln der Kirche hier offenkundig nicht von Selbstsicherheit - schon die langjährige Dauer des Verfahrens zeigte das an -, sondern von vielen offenen Fragen begleitet war, so ist dies kein Defizit, das kritisiert werden müßte. Es entspringt nicht einer
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Schwäche, sondern dem reformatorischen Kirchenverständnis selbst. Danach lebt die Kirche aus dem Evangelium, dem lebendigen Zuspruch der Gnade Gottes um Christi willen. Sie lebt nicht aus der korrekten Wiederholung dogmatischer Sätze. Sie ist nicht Geschöpf menschlicher Entschlüsse oder pastoraler Aktivitäten, sondern Geschöpf des Wortes Gottes selbst, das in der Predigt zur Sprache kommt und den Glauben schafft, wo und wann Gott es will. Darum beruft die Kirche Pfarrer, die das Evangelium predigen sollen. Es wäre ein Widersinn in sich, wollte man diesen Pfarrern einen Katalog von zu erbringenden» Verkündigungsleistungen« vorschreiben und sie daran messen, denn so wäre es ja die Kirche als Institution selbst, die autoritär über das verfügt, wovon sie in Wahrheit lebt. Deshalb muß sich eine lutherische Kirche notwendigerweise schwertun, wenn es darum geht, die Lehre eines Pfarrers so fundamental zu beanstanden, daß er am Ende sein Amt verliert. Deshalb muß angesichts eines solchen Verfahrens notwendigerweise die Frage aufkommen, ob es nicht besser gewesen wäre, die Auseinandersetzung der offenen theologischen Diskussion zu überlassen und dabei auf die Macht des Evangeliums zu vertrauen. Die im reformatorischen Kirchenverständnis verankerte Freiheit eines Christenmenschen ist eben nicht mit der Ordinationsverpflichtung zu Ende, sondern soll im Reden und Handeln des Ordinierten zur Geltung kommen. Es ist das reformatorische Kirchenverständnis selbst, das die Frage stellen läßt: War das Verfahren theologisch möglich? Wer dieser Frage nachgehen möchte, wird gut daran tun, sich weiterhin streng an den Begriff der Freiheit zu halten, statt sich von ihm abzuwenden.Man kann dieser Freiheit offenbar nicht dadurch dienen, daß man sich den Denkzwängen des herrschenden Bewußtseins ausliefert und wissenschaftliche Reflexion als Abschaffung von Glaube und Frömmigkeit inszeniert. Man kann dieser Freiheit nicht dienen, indem man sie für sich fordert und als Verwirklichung eines selbstgewählten Programms ohne Rücksicht auf andere durchsetzt, sondern nur dadurch, daß man allen den Zugang zu der Quelle offenhält , aus der man selbst schöpfen möchte. Freiheit kann nur wirklich werden, wo sie die Freiheit der anderen einschließt, also in der Selbstbindung der Freiheit an ihren Grund und Ursprung, der jedermann zugänglich ist. Dieser
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Ursprung der Freiheit findet sich im Glauben an die Botschaft, daß der Mensch seine Identität, sein Menschsein, das Gelingen seines Lebens, den Sinn seiner Existenz nicht seinen Leistungen und Werken, nicht seinem Handeln und auch nicht seinem Denken verdankt, sondern dem rechtfertigenden Zuspruch Gottes um Christi willen. »Zur Freiheit hat uns Christus befreit!« (Gal. 5,1). Hier ergibt sich das erste und - recht verstanden - einzige Kriterium dafür, ob ein Lehrbeanstandungsverfahren in einer lutherischen Kirche theologisch möglich ist: Wenn die Lehre eines Pfarrers dazu führt, daß den Menschen der Zugangzur Quelle ihres Glaubens und damit ihrer Freiheit verlegt wird, ist ein Einspruch um des Evangeliums und um der Menschen willen notwendig. Man kann nicht der Verkündigung des Evangeliums dienen, indem man den Zugang zum Evangelium verlegt. Wo das geschieht oder zu geschehen scheint, mußein Selbstklärungsprozeß der Kirche stattfinden, denn die Grundlage ihrer Existenz steht auf dem Spiel. Nun gilt es hier, keine übereilten Schlußfolgerungen zu ziehen. Solche Selbstklärungsprozesse sind ja ständig im Gange. Nur äußerst selten nehmen sie die extreme Form eines gesetzlich geordneten Lehrbeanstandungsverfahrens an (gegen latho 1911; gegen Baumann 1953, in diesem Fall aus vollkommen anderen theologischen Gründen). In aller Regel vollziehen sich die notwendigen Selbstklärungen auf andere Weise. Sie begleiten schon die eigenverantwortliche theologische Arbeit des Pfarrers selbst. Er predigt ja nicht seine Ideen, sondern legt die heilige Schrift aus. Er orientiert. sich dabei nicht an dem, was ihm gerade opportun erscheint, sondern an dem, was die Bekenntnisse seiner Kirche als Summe und Zentrum der heiligen Schrift ansehen. Er setzt seine Predigt dem kritischen Urteil seiner Hörer aus, die in seinem Wort das lebenschaffende Wort Gottes vernehmen wollen. Er kontrolliert sein theologisches Denken und sein seelsorgerliches Handeln im Gespräch mit anderen Pfarrern, also innerhalb der Gemeinschaft derer, die zur Predigt des Evangeliums berufen sind und dies nicht gegeneinander, sondern miteinander tun sollen. Er prüft sein Verständnis von Welt und Mensch nicht weniger als sein Reden von Gott daraufhin, ob sie Bestand haben können vor dem Urteil der theologischen Lehrer der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart. Er kann den Rat derer einholen, die kirchenleitende Verantwortung tragen, und hat Anspruch auf deren Hilfe. 199
Was aber, wenn alle diese lebendigen Prozesse der Selbstklärung kirchlicher Lehre versagen? Was aber, wenn sich ein Pfarrer dieser kritischen Kommunikation verweigert? Wenn er nicht etwa nur mit der einen oder anderen Aussage aus diesem Zusammenhang auswandert, sondern ihm insgesamt die Basis zu entziehen versucht, indem er nach dem Grundsatz lehrt und handelt: Es gibt gar keinen Kontext verbindlicher Lehre in der Kirche? Wenn er deshalb nach dem Maßstab der ihm persönlich gerade möglichen Einsicht für sich in Anspruch nimmt, darüber zu entscheiden,was heute überhaupt noch Inhalt der Verkündigung sein kann und sein muß, und wenn er alle, die anders lehren, des Denkverzichts und der Doppelzüngigkeit beschuldigt? Es ist von diesen Gesichtspunkten her offenkundig, daß das Lehrverhalten eines Pfarrers, ja sogar der Stil seines theologischen Denkens und Argurnentierens im Widerspruch zu seinem Ordinationsauftrag stehen können, dann nämlich, wenn er die inhaltlich von ihm vertretenen Positionen nicht mehr als eine Gestalt der Teilnahme an dem gemeinsamen Auftrag zur Verkündigung des Evangeliums plausibel machen will oder kann. Anders gesagt: Konsensusbereitschaft und Konsensusfähigkeit gehören zu den Voraussetzungen für die Bekenntnisgemäßheit einer Lehrmeinung, gerade weil kirchliche Lehre nach lutherischem Verständnis ihre Verbindlichkeit nur in jenem lebendigen Selbstklärungsprozeß bewähren kann, an dem jeder Pfarrer in eigenverantwortlicher theologischer Denkbemühung teilnehmen muß. Verweigert er diese Teilnahme, dann hat er sich aus der Gemeinschaft der gemäß dem Ordinationsauftrag Lehrenden ausgeschlossen, und ob dieser Fall gegeben ist, kann und muß in geordneten Verfahren festgestellt werden. Nun geht es in diesem Nachwort nicht darum, die Entscheidung des Spruchkollegiums im »Fall Schulz« zu interpretieren oder sie sogar zu verteidigen bzw. zu kritisieren. Ob dieser Fall unter Berücksichtigung solcher Kriterien, wie sie hier benannt werden, richtig oder falsch entschieden wurde, mag der Leser anhand der oben abgedruckten Gespräche selbst prüfen und zu beurteilen suchen. Unsere Frage an dieser Stelle lautet: War das Verfahren, war eine Entscheidung theologisch möglich? Die Antwort ist ganz abgesehen von der Betrachtung bestimmter, einzelner Lehrinhalte - ein spezifisch begründetes Ja.
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Wendet man sich nun in einem nächsten Schritt den Lehrinhalten zu, so ist ein überleitender Gesichtspunkt nötig: Konsensusfähigkeit und Konsensusbereitschaft lassen sich nicht durch subjektive Beteuerung, sondern nur im tatsächlichen Vollzug von Lehre und Predigt erweisen. Das folgt schon aus der grundlegenden Orientierung eines Lehrverfahrens. Es geht nicht um den persönlichen Glauben, die Frömmigkeit oder das Engagement, auch nicht um das wissenschaftliche Denken, das praktische Handeln oder die moralische Integrität eines Pfarrers, sondern um das, was er faktisch »in Wort und Schrift« lehrt. Zwar vollzieht sich seine Lehre in einem Lebenskontext der ganzen Person. Aber Grundlage einer Entscheidung kann nur werden, was er als Inhalt seiner Predigt zusammengefaßt tatsächlich vertritt, sagt, schreibt. Es geht innerhalb eines Verfahrens nicht darum, ob er betet, sondern was er vom Gebet, von seinem Beten und vom Beten anderer, als Prediger lehrt. Es geht innerhalb eines Verfahrens nicht darum, ob er das Glaubensbekenntnis -laut oder leise - nachspricht, sondern was er von den im Glaubensbekenntnis zusammengefaßten Aussagen als Prediger lehrt. Es geht innerhalb eines Verfahrens nicht darum, ob er an den dreieinigen Gott, der die Sünder aus Gnade um Christi willen durch den Glauben rechtfertigt, persönlich glaubt, sondern ob er als Prediger diesen Gott verkündigt. Damit soll nicht in Frage gestellt werden, daß der Glaube eines Pfarrers von fundamentaler Bedeutung für seine Existenz als Pastor ist. Dem Zusammenhang von Glaube und Lehre wäre vielmehr sorgfältig nachzugehen. Auf keinen Fall aber bilden Glaube und Frömmigkeit eines Pfarrers den Maßstab für die Glaubwürdigkeit, die Voraussetzung für die Wahrheit seiner Lehre. Vielmehr ist es umgekehrt: Die Lehre geht dem Glauben und dem Leben voraus (vgl. CA 8). Der Pfarrer soll für eine Wahrheit einstehen, die größer ist als er, auch größer als das, was er in seinem Glauben und seiner Frömmigkeit einzulösen vermag. Deshalb jener Kontext kirchlicher Lehre, in dem er seine Predigt plausibel zu machen hat! Deshalb der Hinweis auf das Evangelium, die heilige Schrift und die Bekenntnisse als Normen (in dieser Reihenfolge)! Deshalb weder ein »Inquisitionsprozeß«, noch ein »Ketzergericht«, noch ein »Glaubensprozeß«, sondern ein Lehrbeanstandungsverfahren ! Und noch eine Unterscheidung ist erforderlich, wenn man die
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Frage beantworten will, ob ein solches Verfahren theologisch möglich ist: Es geht nicht um Lehrabweichung an diesem oder jenem Punkt, nicht um Beanstandung dieser oder jener Aussage, sondern um unaufhebbaren, »beharrlich« festgehaltenen Dissensus im Fundamentalen. Das meint das Lehrbeanstandungsgesetz mit seiner Formel vom »Widerspruch zum Bekenntnis in entscheidenden Punkten«. Das Gesetz geht nicht von einem quantifizierenden Wahrheitsverständnis aus, als habe der Pfarrer eine bestimmte - und zwar eine möglichst gro ße - Menge von Aussagen so zu formulieren, wie es die kirchliche Tradition tut. Vielmehr geht es um einen qualitativen Unterschied, der sich schon innerhalb der lutherischen Bekenntnisschriften selbst immer wieder geltend macht: Es gibt in vielen Fragen eine legitime Vielfalt von Lehrmeinungen innerhalb der Kirche; es gibt aber auch eine inhaltlich bestimmbare Grundlage, bei deren Verlassen Entscheidungen getroffen, Abgrenzungen vollzogen werden müssen. Diese Grundlage muß zwar in Lehre und Predigt immer wieder neu herausgearbeitet werden, weil jene Unterscheidung nicht abschließend in unwandelbaren Sätzen fixiert werden kann. Gleichwohl ist für die lutherische Kirche überhaupt nicht strittig, wo sich der Ursprung ihres Kircheseins und ihrer Lehre befindet: dort, wo das Evangelium den Glauben wirkt; wo Gott die Sünder um Christi willen rechtfertigt; wo der heilige Geist die Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt. Lehre, die nicht im Folgezusammenhang dieses Geschehens steht, sondern ihm zentral widerstreitet, läßt sich nicht mehr als Ausdruck christlichen Glaubens, Lehrens und Lebens verstehen. Es ist gemeinsame Überzeugung aller christlichen Kirchen seit dem Neuen Testament, daß sich solcher Widerspruch feststellen und notfalls auch bis in greifbare Konsequenzen hinein zur Geltung bringen läßt. Wo dies geschieht, müssen die abgewiesenen Lehren benannt werden. Das kann nur in bestimmten Sätzen, in konkreten Aussagen begrifflicher Art geschehen. So ist es auch im »Fall Schulz« geschehen, wie sich am Spruch und seiner Begründung zeigt. Es sind aber nicht diese isolierten Sätze, die abgewiesen werden, als könnte die Bekenntnisgemäßheit der betroffenen Lehre dadurch hergestellt werden, daß fortan diese Sätze vermieden werden. Vielmehr werden diese Sätze als exemplarisch für den Lehrzusammenhang, für die Grundorientierung, für die funda202
mentale Bewegungsrichtung der betroffenen Position angesehen und zitiert. Umgekehrt gilt: Seit dem 19. März 1979 (dem Tag der Zustellung des Spruchs an Paul Schulz) ist es nicht etwa verboten, auf lutherischen Kanzeln die Meinung zu vertreten, die Bekenntnisse seien »nach vorne hin offen« und im Leben eines Christen solle sich das »Prinzip Liebe« verwirklichen. Zahlreiche Aussagen von Paul Schulz bleiben vielmehr möglich und legitim, sofern sie im Zusammenhang des dargelegten Verständnisses und auf der genannten Grundlage reformatorischer Lehre stehen, von dort aus verstanden werden können und - wo erforderlich - von dort aus korrigiert sind. Ein Lehrbeanstandungsverfahren ist also theologisch möglich und kann um des Evangeliums willen nötig sein. Im »Fall Schulz« waren sieben Christen berufen, sich der schweren Aufgabe zu stellen, eine abschließende Entscheidung zu treffen. Sie haben es getan nach sorgfältigem Bedenken der beanstandeten Lehre. Sie haben dabei auf die heilige Schrift zu hören versucht, die Bekenntnisse der Kirche herangezogen und ihr eigenes Gewissen erforscht. Sie haben stellvertretend für die Kirche entschieden, entscheiden müssen. Die Kirche als ganze ist gefragt, ob sie diese Entscheidung als die ihre annehmen und bejahen will. Sie wird dabei des Wortes ihres Herrn Jesus Christus eingedenk bleiben müssen: Der Geist der Wahrheit wird euch in alle Wahrheit leiten (vgl. Joh. 16,13).
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Pastor ohne Gott?
Lutz Mohaupt
Dokumente und Erläuterungen zum »Fall Schulz« Pastor Dr. Paul Schulz verliert sein Amt, weil seine Lehre im Widerspruch zur Bibel und zum Bekenntnis der evangelisch-lutherischen Kirche steht. Dies entschied das Spruchkollegium des Senats für Lehrfragen der VELKD. Seit dem Jahre 1911 hat kein vergleichbares Verfahren stattgefunden. Wie konnte es dazu kommen? Antwort geben in diesem Band der "Spruch« nebst Begründung und entscheidende Ausschnitte der Verhandlungsprotokolle, sachkundig kommentiert. Der Bearbeiter und Verfasser hat den Konflikt von Anfang an aus unmittelbarer Nähe verfolgt.
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Aus den umfangreichen amtlichen Protokollen der öffentlichen Verhandlungen wurden die wichtigsten Passagen ausgewählt: • War Jesus nur ein Mensch wie jeder andere? • Hat er nichts weiter als das Prinzip Liebe verkündigt? • Ist der Glaube an einen Schöpfer der Welt durch die Naturwissenschaft erledigt? • Hört mich kein himmlischer Vater, wenn ich bete? • Gibt es in der Bibel kein einziges Wort Gottes, nur Worte von Menschen über Gott? • Hält die Kirche an veralteten Vorstellungen fest, um die Menschen zu bevormunden? Diese Lind viele weitere Fragen wurden im Streitgespräch zwischen Paul Schulz und dem Spruchkollegium erörtert. Über den Einzelfall hinaus weist die Frage, was hier geschehen ist:
Originalausgabe
Dr. Lutz Mohaupt, 1942 geboren, Studium der Theologie in Hamburg, Heidelberg und Zürich. 1970 Promotion bei Professor D. Dr. Helmut Thielicke D. D. 1970-1975 persönlicher Referent von Bischof D. Hans-OUo Wölber, Hamburg. Seit 1975 Oberkirchenrat. Referent im Lutherischen Kirchenamt der VELKD. Arbeitsbereiche: Theologische Grundsatzfragen; theologische Forschung und Literatur; interdisziplinärer Dialog; theologische Aus- und Fortbildung.
Eine Absage an die »Freiheit des Denkens« - oder ein Zeugnis für die Grundlage aller Freiheit? Die ),Freiheit eines Christenmenschen« (Luther) lebt au's Gottes Barmherzigkeit! Eine Fixierung lutherischer Predigt auf »überholte Denkmodellecc - oder eine neue Öffnung" menschlicher Vernunft für Gottes Wahrheit und Wirklichkeit? Vertrauen zu Gottes Liebe ist Basis gelingenden Lebens in der modernen Welt! Der Leser wird sich nach der Lektüre dieses Bandes fragen müssen, ob Paul Schulz das Ist oder war: ein "Pastor ohne Gott cc , und er wird sich auch fragen müssen, ob es das geben kann und darf: einen "Pastor ohne Gott(e?
ISBN 3-579-03750-1 I
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