2006 digitalisiert by Manni Hesse
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2006 digitalisiert by Manni Hesse
Die Glut des Tages, die Mensch und Tier in den Schatten trieb, hat sich gegen den Abend in santte, angenehme Wärme gemildert. Wie ein laues Bad wallt die Nachtluit. Aus dem Boden strahlt die aulgespeicherte Hitze zurück, und wie Atemzüge hauchen ab und zu warme, strengwürzige Kienschwaden aus der Kieiernheide. , Friedvolle Stille — doch nicht die lautlose Totenstille der Winternächte! Wenn man genauer hineinhorcht in die Dunkelheit, hört man, wie ein immerwährendes Summen sie durchströmt, ein sanites Brausen, das aus vielerlei Stimmen zusammengesetzt ist. Heuschrecken iiedeln und schrillen, Grillen zirpen, Kater brummen, und von einem entlernten Wassertümpel her schallt das Geplärr eines Froschchores. Bald näher, bald Serner schnurrt ein Ziegenmelker, aus dem tinsteren Block des Kielerngehölzes dringt gierendes Fiepen einer Eulenbrut, und irgendwo tüdelt eine Heidelerche süß und weich. Die viellältigen leisen Stimmen, die laue Luft, der warme Ruch von Erde und Harz — all dieses verhaltene Weben in der Dunkelheit umfächelt den. Menschen dort im Grase am Waldrand, strömt in ihn ein und läßt ihn in eine tiele, iriedvolle Ruhe versinken. Er schaut hmaul in die nachtdunkle Weite des Himmels oder — Oben und Unten sind autgehoben! — hinab in den Heien Brunnen der Ewigkeit, wo lern und still die Sterne stehen. Immer wieder ist der Mensch von diesem großartigsten aller Wunder gebannt, und immer wieder erheben sich in ihm die 2
alten Rätseltragen, die schon dem ersten Menschen, der bewußt den Sternhimmel betrachtete, aufgestiegen sind. Wie er so liegt und schaut und sinnt, lallt plötzlich ein Stern herunter. In steilem Fall schießt er funkelnd hinab und verlischt, noch ehe er den schwarzschartigen Waldrand erreicht hat. Eine Sternschnuppe! Eigentlich hätte der Mensch da am Waldrand sich etwas wünschen sollen, während sie fiel —, doch er hatte nur geschaut und mit angehaltenem Atem den fallenden Stern verfolgt. Der sternglitzernde Himmel ist ein Wunder in seiner herrlichen, unverrückbaren Pracht —, aber daß diese feste Ordnung durchbrochen wird, daß dann und wann ein Splitter herunterfällt aus dem himmlischen Gewölbe, das ist gleichermaßen geheimnisvoll. So haben die Sternschnuppen von jeher die Gedanken der Menschen beschäftigt. In den Märchen aller Völker kommen sie vor-, wir kennen die Geschichte von den Sterntalern, und uns als Kindern hat man erzählt, daß jeder Mensch seinen Stern am Himmel hat, der herunterfällt, wenn die Seele die Erde verläßt. Dem forschenden Menschengeist aber, der versucht, in die Fernen des Himmels und der Welt einzudringen, sind sie ein kleines Hilfsmittel geworden bei diesem Unterlangen.
Was sind Sternschnuppen? Die Flüchtigkeit ihrer Erscheinung, ihr jähes Autblitzen inmitten des Lichtmeeres der Sterne, ihr schnelles Verlöschen im Ozean des Nachthimmels hat die Antwort auf diese Frage lange hinausgezögert und erschwert auch heute noch die systematische Beobachtung dieses Funkenspiels am Himmel. Aber mögen sie auch rasch vergänglich sein, so daß der gewöhnliche Beobachter sich ihrer erst richtig bewußt wird, wenn sie vorübergehuscht sind und vieileicht nur noch ein schwaches Nachleuchten am Sterngewölbe steht, so kann der Himmelskundige bei einiger Aufmerksamkeit doch schon etwas über die Leuchtgebilde aussagen, was einen ersten Anhalt gibt. Er braucht nur die Orte des Aufblitzens und Verschwindens ins Auge zu fassen und festzustellen, bei welchem Sternbild und bei welchem Stern die Sternschnuppe zu leuchten begann oder verlöschte. Wenn nun zwei Beobachter an zwei genügend weit 3
voneinander entfernten Orten mit der Uhr in der Hand die J Zeitpunkte festhalten und zugleich die Himmelsorte der Stern- 1 schnuppenspur feststellen und später ihre Aufzeichnungen mit- ! einander vergleichen, so wird sich herausstellen, daß die Himmelsorte des einen Beobachters gegen die des anderen um etwas verschoben sind. Nehmen wir als Beispiel an, der eine Beobachter hätte morgens um 3 Uhr 48 Min. 16 Sek. eine ; Sternschnuppe dicht am hinteren unteren Stern des Großen Bären auftauchen sehen, so wird der andere, mehrere Kilometer entfernte Beobachter zur gleichen Zeit eine Sternschnuppe zwischen den beiden unteren Sternen des Großen Bären beobachten; es handelt sich aber um dieselbe Leuchtspur! Diese Verschiebung des scheinbaren Sternschnuppenortes wird bewirkt durch die sogenannte Parallaxe (griechisch parallassein = verschieben), eine Erscheinung, die wir uns leicht auf folgende Weise veranschaulichen können: Wir kneifen das •echte Auge zu, strecken den Arm aus und verdecken mit dem Daumen die Sicht auf einen Gegenstand im Hintergrund, etwa einen Baum in der Landschaft. Schließen wir nun statt des rechten Auges das linke, so sehen wir unseren Daumen ein Stück links von dem vorher verdeckten Gegenstand, obwohl wir den Daumen nicht bewegt haben. Unser linkes Auge sieht also den Daumen in einer anderen Richtung als das rechte.. Genau so ist es bei den beiden Himmelsbeobachtern; sie sehen dieselbe Sternschnuppe jeweils an einer anderen Stelle des Himmelsgewölbes. Der Winkel, unter dem jeder von ihnen den betreffenden Himmelsort anvisiert, kann leicht gemessen werden, ebenso ist die Entfernung der beiden Beobachter voneinander meßbar, und so kann man aus diesen beiden Werten mit Hilfe der Dreiecksberechnung die Entfernung der Sternschnuppe ermitteln. Auf ähnliche Weise läßt sich die Länge ihrer Leuchtspur berechnen, und aus dieser wieder zusammen mit der Zeitspanne zwischen Aufblitzen und Verlöschen die Fluggeschwindigkeit. Aus den Messungen, die man heute nicht mehr allein mit dem Auge sondern auch mit Hilfe von Radargeräten und besonders lichtstarken photographischen Kameras durchführt, ergibt sich, daß die Mehrzahl der Sternschnuppen in etwa 120 km Höhe aufleuchtet und in etwa 80 km wieder verlöscht. Zu ähnlichen Werten gelangten schon sehr \ früh die beiden Göttinger Astronomen Brandes und Benzenberg, die zum ersten Male in der Geschichte der „Meteorforschung" 4
das Dreiecksverfahren zur Festlegung der Höhe und Geschwindigkeit von Sternschnuppen benutzten. Neueste Meßverfahren ermittelten für den Anfang des Leuchtvorgangs aber auch schon Höhen von etwas über 200 km, und durch Zufall gelang es, ein Sternschnuppenlicht festzuhalten, das in senkrechtem Absturz fast bis zur Erde reichte. Zwischen diesen Höhen liegt also das, Reich der fallenden Himmelslichter, die wir Sternschnuppen oder Meteore nennen. Manchmal ist die Leuchtspur über gewaltige Strecken hin zu beobachten, von der Nordsee etwa bis zu den Alpen, von Holland bis zur tschechischen Grenze oder das ganze Rheintal entlang. Fragt man nach den Geschwindigkeiten, mit denen die Sternschnuppen ihre Bahn durcheilen, so nennt die Forschung wahrhaft astronomische Größen: Die Fluggeschwindigkeiten bewegen sich zwischen 100 000 und 1 800 000 km in der Stunde. Das schnellste Raketenflugzeug stürzt dagegen nur im „Schneckentempo" von 1600 Stundenkilometern durch den Raum. Die Geschwindigkeitsziffern der Sternschnuppen sind keine Maße mehr, wie wir sie in der Erdatmosphäre kennen; diese Zahlen deuten darauf hin, daß es sich bei den feurigen Lichtern der Sternschnuppen um Gebilde aus außerirdischen Bereichen handeln muß, und daß ihr Dahinrasen nur dem stürmenden Laufe des Erdballs um die Sonne selber vergleichbar ist, der auf seiner Bahn 116 560 km in einer Stunde zurücklegt.
Sternschnuppen sind aufleuchtende Körper, die von „draußen", aus dem Riesenraum des Himmels,, zu uns kommen. Wenn sie aber tatsächlich, wie man gemessen hat, zuweilen ihr Licht bis nahe an die Erdoberfläche hinuntertragen, dann müssen diese Lichtträger auch einmal die feste Erde erreichen und hier zu finden sein. — Solche Sendboten aus dem All, die man Meteoriten nennt, hat man in allen Landstrichen der Erde entdeckt, in den Museen liegen sie als bewunderte Schaustücke, und die Menschen stehen nachdenklich davor und können es kaum fassen, daß das leicht schwebende Gewölbe des Himmels solche handfesten und ganz irdisch erscheinenden Blöcke herabgeschickt haben könnte. Was fiel da alles schon aus den Himmeln! Fünf eiserne Steine schleuderten die altchinesischen Götter im Jahre 5
644 v. Chr. zur Erde nieder, damit die Fürsten des Reiches aus dem silberglänzenden Metall ihre Schwerter schmiedeten. In einem Tempel, den sie an der Auftreffstelle hoch im Quellgebiet des Gelben Flusses errichteten, hüteten die Priester den heiligen Schatz. Da pilgerten fromme Griechen zu einem Himmelsblock, der im Jahre 469 v. Chr., im Geburtsjahr des großen Weisen Sokrates, unter donnerndem Getöse in das heilige Wasser des Ägospotamos niedergefallen und daraus geborgen worden war. „Groß wie ein Streitwagen", berichtet der römische Schriftsteller, von dem diese Mitteilung stammt. Auch Aristoteles weiß von solchen „Felsstücken, die der Wind aus großen Höhen herangetragen hat", und himmlische Steinfälle verzeichnet selbst das Alte Testament. Im Buche Josua steht der Satz; „Gott sandte große Steine vom Himmel." Als arabischer Pilger verkleidet, sah der Engländer Burton an der Kaaba, dem innersten Tempelbau der heiligen Stadt Mekka, den hochverehrten schwarzen Stein, der aus Allahs Paradies zur Erde gekommen war, Sehnsucht und Ziel jedes rechtgläubigen Moslems, und er erkannte in ihm einen uralten Meteorstein. Himmelssteine lagen als Wunderzeichen Gottes in der Turmhalle mancher mittelalterlichen Kirche. Zu Ensisheim im Elsaß ist noch heute ein solcher außerirdischer Erdengast in der Kirche zu sehen, und auf der steinernen Tafel, die man in alter Zeit daneben aufgerichtet, ist die „Chronika" dieses eisernen Stückes zu lesen: „Anno Domini 1492 uff Mittwochen nächst vor Martin den siebent Tag Novembers geschah ein seltsam Wunderzeichen. Denn zwischen der eilften und zwölften Stund zu Mittagszeit kam ein großer Donnerklopff und ein lang Getöß. welches man weit und breit hörte, und fiel ein Steip von den Lifften herab bei Ensisheim in ihren Bann, der wog zweihundertundsechzig Pfund. Da sah ihn ein Knab in einen Acker schlagen, der war mit Waitzen gesäet und tat ihm kein Schaden, als daß ein Loch innen wurd. Da führten sie ihn hinweg und wart etwa mannig Stück davon geschlagen: das verbot der Landvogt. Also ließ man ihn in die Kirche legen und kamen viel Leut allhier, den Stein zu sehen." Das war also in jenem Jahr', als Columbus mit seinen Karavellen die Grenzen des westlichen Ozeans durchstieß und der Wissenschaft von der Erde ein neues, weites Forschungsfeld eröffnete! in dem gleichen Jahre, als im fernen Krakau ein junger Student aus Thorn namens Kopernikus das astrono-1 fi
mische Studium begann, in dessen Weiterentwicklung er dann das ganze wissenschaftliche Weltgebäude in seinen Grundfesten erschüttern sollte, um auf neuen Fundamenten den Bau der modernen Astronomie aufzurichten. Aber der frische Wind, der seit des Kopernikus Zeiten die Stuben der Sterngucker durchfuhr, konnte noch für lange Zeit nicht den Staub der abergläubischen Vorstellungen davonwirbeln, der sich über die „Himmelssteine" gelegt hatte. Diese gewichtigen Brocken paßten so gar nicht in das Gefüge jener neu entdeckten Gesetze, nach denen sich die Weltkörper bewegten. Also glaubte man nicht mehr an jene historisch so oft bezeugten Steinfälle, von denen die vorchristlichen und die mittelalterlichen Chroniken berichtet hatten, verwies sie in das Gebiet der literarischen Lügengespinste und kennzeichnete sie als „pia fraus", als „frommen Betrug" der Mönche. Mochten in der Folge die Flugblätter, Relationen.und „Newen Zeitungen" jener Zeit auch weitere „gewisse und warhafftige Historia" von „herabgesprungenen Steinen" melden, die mit „feurig auffliehenden strahlen zu sehen gewessen" — die Wissenschaft verschloß sich mit erstaunlicher Hartnäckigkeit den Tatsachen, die man bei soviel beglaubigten Aussagen unvoreingenommener Zeugen eigentlich gar nicht mehr leugnen konnte. Gegen die Glaubwürdigkeit und die sicheren Beobachtungen der Augenzeug_en aus allen Ländern wurde ein Aufgebot ausgeklügelter wissenschaftlicher Beweismittel in Bewegung gesetzt: die Zeiten seien zu „aufgeklärt" für solche Ammenmärchen von anno dazumal. „Daß Eisen vom Himmel gefallen sein soll", so schrieb 1790 der Direktor des k. u. k. Naturalienkabinetts zu Wien, „das mögen wohl selbst Deutschlands aufgeklärte Köpfe bei der früher herrschenden Ungewißheit in der Naturgeschichte und Physik geglaubt haben; aber in unseren Zeiten wäre es unverzeihlich, solche Märchen auch nur wahrscheinlich zu finden." Und der französische Gelehrte Deluc ließ sich in folgender Weise aus: „Wenn mir ein solcher Stein vor die Füße fiele, so müßte ich gewiß zugeben, daß ich das gesehen habe, aber ich könnte es trotzdem nicht glauben." Da stürzte am 24. Juli 1790 — gleichsam als Antwort auf jenen ungläubigen Magister Deluc — über dem Städtchen Juillac in Frankreich aus heiterem Himmel ein Steinhagel in die Straßen und Höfe. Die Menschen verbrannten sich an den noch heißglühenden Brocken, und mancher Schaden an Haus und Stall ließ erkennen, mit welcher Wucht die Glutsteine 7
herabgekommen sein mußten. Da ließ der Bürgermeister die schreckensbleichen Bürger aufs Rathaus kommen, setzte auf . Grund der übereinstimmenden Aussagen ein Protokoll auf, und ein Eilbote brachte den von 300 Augenzeugen unterzeichneten Rapport nach Paris und übergab ihn den Gelehrten der Französischen Akademie der Wissenschaften. Schon bald er- ! folgte die Antwort: „Wie traurig ist es, eine ganze Stadtbehörde durch ein Protokoll in aller Form Volksmärchen bescheinigen zu sehen, die nur zu bemitleiden sind. Alles Weitere ergibt sich dem philosophisch Denkenden von selber, wenn er dieses „amtliche" Protokoll über eine physikalisch unmögliche Erscheinung, ein offenbar nie geschehenes Ereignis, liest." Da standen also die guten Bürger von Juillac, faßten sich an I die Köpfe, rieben sich die Augen und zweifelten an ihren ge- j sunden Sinnen; denn ein Spruch der hohen Akademieväter er- 1 schien ihnen gewichtiger noch als ein Spruch des Papstes. In Kemberg bei Wittenberg lebte um die gleiche Zeit ein . Privatgelehrter, Ernst Chladni, der sich insbesondere mit der j Untersuchung von Klängen und Tönen abgab aber auch sonst alles Merkwürdige überdachte, was in der Natur ringsum zu beobachten war. Und obwohl er ohne die erhabene Würde des Akademikers war, wogen ihm doch die Zeichen des Himmels mehr als die Stubengelehrsamkeit der Pariser Doktoren. Vier Jahre nach dem Sternenschauer von Juillac veröffentlichte er dann, was er von allen bisher bekannten Steinfällen hielt. Seine Beobachtungen und Überlegungen faßte er in einer Schrift „über Feuermeteore und über die mit ihnen herabgefallenen Massen" zusammen. Er vertrat darin die Meinung, daß es im Weltraum außer den großen Weltkörpern eine Unzahl von kleinen und kleinsten Brocken und Splittern gebe, die man als Trümmer einstmals größerer Körper oder als erste Bildungen solcher Körper oder auch als ihre Überbleibsel ansehen könne, die bei der Entstehung größerer Weltkörper abgefallen sind, so wie etwa beim Bau eines Hauses Ziegelsteine, Mörtel und Hobelspäne abfallen und übrig bleiben. Er bezeichnete daher auch diese kleinen Teilchen als „Weltspäne". Sie wandern nun durch den Weltraum, und wenn sie dabei in den 1 Anziehungsbereich der Erde gelangen, stürzen sie herunter. I Dabei durchsausen sie mit ihrer gewaltigen Geschwindigkeit I die Lufthülle der Erde und werden durch den Reibunoswider-B stand der "Luft so stark erhitzt, daß sie schließlich aufglühen, I wobei die kleinsten, sandkorngroßen Teilchen vollständig ver- • 8
Drennen und nur die größeren bis aul den Erdboden heruntet gelangen. Chladni fand mit seiner kühnen aber durchdachten Theorie lange kein Gehör; man machte jedoch ein erstes Zugeständnis: die herabgewehten Steine sollten aus den Mondvulkanen ausgeworfen sein, von denen als erster Galilei berichtet hatte. Doch konnte niemand erklären, wie diese Vulkanbomben in den Bereich des Schwerefeldes der Erde gerieten, da zu Auswürfen von solcher Schleuderkraft Anfangsgeschwindigkeiten nötig waren, die der Mond niemals entwickeln konnte. Der Mond konnte also die leuchtenden Körper der Sternschnuppen nicht auswerfen — wo aber kamen sie her?
Ein Himmelsschauspiel, das sich jenseits des Ozeans in einer jener sternhellen Tropennächte abspielte, die den Europäer so sehr beglücken, sollte in der Folge zu einem wichtigen Anhaltspunkt für den weiteren Fortschritt der Sternschnuppen forschung werden. In der Küstenstadt Cumanä, im Norden des südamerikanischen Festlandes, rüsteten sich die beiden Freunde Alexander von Humboldt, einer der Größten im Reiche der Naturwissenschaften, und Ahne Bonpland, ein Botaniker aus Frankreich, im November des Jahres 1799 zur Forschungsreise ins Innere Venezuelas, dessen fast unerschlossene Gebirgswelt die beiden Männer zu gefährlicher Entdeckungsfahrt lockte. In der Nacht vom 11. zum 12. November, kurz vor ihrem Aufbruch zum Orinocofluß, bescherte ihnen der Himmel wie zum Willkommen ein Lichterfest von unerhörter Pracht, das Humboldt später in seiner „Reise in die Äquinoktial-Gegenden" geschildert hat. „Jene Nacht", so berichtet er, „war kühl und ausnehmend schön. Gegen Morgen, von ili3 Uhr an, sah man gegen Ost höchst merkwürdige Feuermeteore. Bonpland, der aufgestanden war, um auf der Galerie des Hauses die Kühle zu genießen, bemerkte sie zuerst. Tausende von Feuerkugeln und Sternschnuppen fielen hintereinander, vier Stunden lang. Man sah sie über den Horizont aufsteigen, größere oder kleinere Bogen beschreiben und gegen Süden niederfallen. Nach Bonplands Aussage war gleich zu Anfang der Erscheinung kein Fleck am
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Himmel so groß wie drei Monddurchmesser, der nicht jeden Augenblick von Feuerkugeln und Sternschnuppen gewimmelt hätte. Alle Meteore ließen lange Lichtstreifen hinter sich zurück, die 7 bis 8 Sekunden nachleuchteten. Manche Sternschnuppen hatten einen sehr deutlichen Kern von der Größe der Jupiterscheibe, von der sehr stark leuchtende Lichtfunken ausgingen. Die Feuerkugeln schienen wie durch Explosion zu platzen. Das Licht der Meteore war weiß, nicht rötlich. Von 4 Uhr an hörte die Erscheinung allmählich auf; Feuerkugeln und Sternschnuppen wurden seltener." Humboldt fand für den Lichterregen jener Novembernacht keine Erklärung. Chladnis Ansichten waren ihm noch nicht bekannt, und so brachte er das Schauspiel zuerst mit einem Erdbeben in Verbindung, das wenige Tage vorher die Gemüter der Eingeborenen erregt hatte. Das Lichterspiel beschäftigte ihn aber noch lange auf seiner Reise, er erfuhr von Missionaren und Kolonisten, von Negern und Indianern, die in jenen Landstrichen die Nächte im Freien verbringen, daß man die Lichtausbrüche bis weit ins Landesinnere hinein gesehen hatte; Humboldt mußte daraus den Schluß ziehen, daß sich der Sternschnuppenfall nicht in erdnahen Regionen abgespielt haben konnte, und daß seine Erdbebentheorie demnach auf schwachen Füßen stand. Doch nahmen ihn die Beschwernisse der Weiterreise so sehr in Anspruch, daß er nicht mehr zum weiteren Nachdenken über das nächtliche Erlebnis kam. Trotzdem wurde Humboldts Bericht über die Nacht von Cumanä für die weitere Forschung von größter Bedeutung. Wir wollen den Weg der Forschung noch eine Strecke weiter verfolgen, denn er führt nun bald schon zu einem Zwischenziel — zu einer der möglichen Erklärungen für die Herkunft der Sternschnuppen. über der Stadt Boston wölbte sich in der Nacht vom 12. zum 13. November 1833, 35 Jahre nach dem Sternschnuppenfall, den Humboldt gesehen hatte, ein sternklarer Himmel. Da ergossen sich urplötzlich aus den schwarzen Tiefen des Alls unzählige funkensprühende Lichterbahnen von Sternschnuppen und Feuerkugeln, dicht wie das Gestöber blitzenden Kristallschnees. Der Sprühregen währte lange genug, um die Zahl der Sternschnuppen überschlägig abschätzen zu können. Rund 250 000 Meteore waren in jener Nacht über Boston niedergegangen und gesichtet worden. ... I 10
Diese Nacht, die an überirdischem Geleucht die Sternschnuppennacht von 1799 noch weit übertroffen hatte, fand in den Kreisen der Astronomen ein ungewöhnliches Echo. Chladnis frühe Theorie war inzwischen von einigen Sternenforschern weiter gefördert worden. Es möge hier auch bemerkt werden, daß selbst die Männer der Hohen Pariser Akademie, von der einstmals die guten Bürgersleute von Juillac und ihr Bürgermeister so ungerechtfertigt gerügt worden waren, sich eines Besseren besonnen hatten. Denn der Zufall hatte es gewollt, daß einem der Akademiemitglieder am 26. April 1803 zu l'Aigle in Frankreich ein Himmelsstein direkt vor die Füße fiel, und da er nicht so ungläubig war wie jener Monsieur Deluc, hatte er sich dieser geradezu treffsicheren Beweisführung nicht verschlossen, und auch die Akademie hatte endlich ein Einsehen. Der Sternschnuppenschauer von Boston weckte die Erinnerung an Humboldts Bericht von 1799. Die Leuchterscheinungen hatten große Ähnlichkeiten; beide Male wiesen die Leuchtspuren der Sternschnuppen, wenn man sie am Himmelsgewölbe zurückverlängerte, auf einen gemeinsamen Ausströmungspunkt hin. Es war das bekannte Sternbild des Löwen, aus dem sie zu kommen schienen. Zwischen dem Meteorregen von 1799 und dem von 1833 mußte eine Verbindung bestehen. Die Erforscher der Sternschnuppen hatten jetzt einen greifbaren Anhaltspunkt, mit dem sie arbeiten konnten.
Um den Fortgang der Meteorforschung in den folgenden Jahrzehnten besser zu verstehen, ist ein kleiner Abstecher in die Welt der Kometen notwendig. Kometen sind ganz eigenartig beschaffene Himmelsboten. Ihr eigentlicher Körper besteht aus dem sogenannten Kern, einer sternartigen Verdichtung von größerem oder geringerem Glanz. Der Kern ist von einer wolkigen, nebligen Masse umgeben, der Koma oder Nebelhülle. Daran schließt sich in der Regel der Schweif an, der eine Länge bis zu mehreren hundert Millionen Kilometer haben und sich dann über einen großen Teil des Himmelsgewölbes erstrecken kann. Dieser leuchtende Schweif ist jedoch so zart, daß selbst das Licht kleiner 11
Sterne durch ihn ungeschwäclit hindurchschimmert; der Stott in ihm muß also ganz ungeheuer dünn verteilt sein. Eigentlich verdienen die Kometen den Namen „Planeten", d. h. Umherschweifende, den die Wandelsterne tragen; denn Kometen sind wahrhaft Weltenwanderer, die eines Nachts plötzlich auftauchen, einige Wochen oder Monate über den Himmel ziehen und dann wieder in die Weite des Raumes verschwinden. Dieses unvermittelte, anscheinend an keine Regel und Ordnung gebundene Auftauchen sowie die Ungeheuerlichkeit ihrer Erscheinung haben die Gemüter der Menschen stets heftig erregt. Es erscheint uns daher verständlich, daß die naturwissenschaftlich unwissenden und zudem religiös weit stärker verhafteten Menschen früherer Jahrhunderte in der Erscheinung eines Kometen ein Mahnzeichen Gottes erblickten, eine himmlische Zuchtrute, die über die sündige Welt geschwungen wird. Da in der Welt ja immer etwas im Gange ist, war es nicht schwer, Seuchen, Kriege, Teuerungen, Überschwemmungen und überhaupt alles Ungemach mit den Kometen in Verbindung zu bringen und sie dafür verantwortlich zu machen. Doch gab es auch in jenen alten Zeiten stets einzelne Menschen, die diese seltsame Himmelserscheinung mit nüchternen Augen betrachteten, und so finden wir neben den Schriften über die „frischgrünende und zur Straffe bereitete Ruthe" oder über den „bleich gestriernelten Wunderstern, das malfaltig lang geschwänzte Schreck-Licht" auch solche, die sich in wissenschaftlicher Weise mit den merkwürdigen Lichterscheinungen befassen. Newton vor allem war es, der nachweisen konnte, daß durch die Anziehungskräfte der Sonne die Bewegungen umlaufender Kometen ähnlich geregelt werden wie die Planetenbewegungen, nur mit dem Unterschied, daß die Kometenbahnen nicht wie die der großen Planeten nahezu kreisförmig sind, sondern eine langgezogene Form haben. Um die Gültigkeit der Newton'schen Anschauung an einer Reihe von Beispielen nachzu- j weisen, berechnete der Engländer Halley neben vielen anderen i Kometenbahnen auch die des Kometen, den man im Jahre 1682^ etwa einen Monat lang beobachtet hatte. Dabei fiel ihm auf,] daß die Rechenergebnisse fast genau mit denen übereinstimmten, die er für die Bahnen von Kometen der Jahre 1531 und] 1607 erhalten hatte. Da eine dreifache zufällige Ubereinstim-1 mung nicht wahrscheinlich erschien, vermutete Halley, daß es 12
sich immer um denselben Kometen gehandelt hatte; dann mußte er also die Sonne alle 75 Jahre einmal umlaufen und zwar, wie die Bahnberechnung ergab, in der Form einer langgestreckten Ellipse. Der „periodische" Komet war demnach für das Jahr 1759 wieder zu erwarten. Halley erlebte diesen Zeitpunkt nicht mehr, seine Voraussage war jedoch richtig, 1759 erschien der Halley'sche Komet wieder. Später hat man seine Bahn jahrhundertelang zurückberechnet und konnte nachweisen, daß viele alte Berichte über Kometen sich auf den Halley' sehen bezogen; der älteste Bericht stammt aus dem Jahre 432 v. Chr. Sein jüngster Auftritt erfolgte 1910, sein nächster ist also 1985 zu erwarten. Außer dem Halley'schen gibt es noch andere uns bekannte periodische Kometen, deren Umlaufszeiten sich von 3 Jahren 110 Tagen ^Encke scher Komet) bis zu solchen von Jahrtausenden erstrecken. Die meisten Kometen aber werden nur ein oder einige Male beobachtet. Das sind natürlich zunächst die mit den langen Umlaufzeiten, ferner aber Kometen, die auf ihrem Weg in den Bereich der Anziehungskraft eines mächtigen Himmelskörpers geraten und von diesem in ihrem Lauf
Periodische Kometen weisen im Gegensatz zu den fast kreisförmigen Bahnen der Planeten elliptische Bahnen auf. Andere Schweifsterne umlaufen die Sonne in noch flacheren und gestreckteren Ellipsen und kreuzen auch die Erdbahn. Dabei können die Auflösungsteilchen ihrer Schweife auch auf die Erdatmosphäre aufprallen und werden dann als Meteore sichtbar. 13
verändert werden. Ein so mächtiger Körper ist z. B. der Jupiter, dessen Einfluß man sehr schön beim Lexellschen Kometen studieren konnte. Der Schweifstern wurde 1770 entdeckt und seine Periode mit 6 Jahren errechnet. Doch er erschien nicht wieder, und als man seinen Weg zurückberechnete, erwies sich, daß er 1767 auf seiner Bahn in die Nähe des Jupiter gekommen war. Die Massenkräfte des großen Planeten hatten ihn von seiner ursprünglichen Bahn abgelenkt und in die Nähe der Sonne geworfen. Danach begegnete der Komet nochmals < dem Jupiter und war dadurch abermals in eine neue Richtung gezwungen worden, die ihn nicht mehr in den Sichtbereich der Erde gelangen ließ. Schließlich sehen wir die meisten periodischen Kometen deshalb nicht mehr wieder, weil sie inzwischen „verstorben" sind. Das beste Beispiel für diese Tatsache ist der Biela'sche Komet. Er wurde erstmalig im Jahre 1772 beobachtet, jedoch in seiner Eigenschaft als periodischer Komet erst 1826 von dem3 Österreicher Biela erkannt; seine Umlaufzeit ergab sich zu 6 A Jahren. Im Jahre 1845 beobachtete man etwas Merkwürdiges: Als der Komet wieder auftauchte, sah man, daß er sich in zwei Teile getrennt hatte, von denen der kleinere immer ein Stück voranlief. Bei der nächsten Wiederkehr 1852 standen die beiden Teilkometen schon weit auseinander — und dann sah man sie nie wieder. Man könnte meinen, die beiden Teile seien späterhin •— ebenso wie der Lexell'sche Komet — aus ihrer Bahn geworfen worden. Das traf aber nicht zu. Der Komet hatte sich nach seiner Zweiteilung allmählich aufgelöst, er war keine geschlossene Masse mehr, doch der Schwärm der Teilchen sauste noch immer über die alte Kometenbahn. So mußte also zu den Zeiten der Wiederkehr nicht der Komet selber, sondern der Schwärm der Teilkörperchen erscheinen. Und wirklich: als seine Bahn Ende November 1872 wieder einmal die Erdbahn kreuzte, zeigten sich diese Teilchen in einem ' ungewöhnlich reichen Sternschnuppenregen. Dieses Ereignis und die früheren Sternschnuppenfälle, die wie die Schwärme von 1799 und 1833 eine große Ähnlichkeit miteinander aufwiesen, brachten den Direktor der Brera-Sternwarte in Mailand, Schiaparelli, zu der Erkenntnis, daß die beobachteten Meteorschwärme, die wegen ihres gemeinsamen Ausstrahlungspunktes „Ströme" genannt werden, zu ganz be- J stimmten Kometen gehören mußten, gleichsam ihre nachrollenden, wiederkehrenden (periodischen) Bestandteile waren. Man j 14
Zwischen dem 8. und 14. August sind regelmäßig größere Sternschnuppenfälle zu beobachten, die „Laurentiustränen" (Perseiden), ein Meteorstrom, der auf den Kometen 1862 III zurückgeht. Verlängert man die Leuchtspuren nach rückwärts, so schneiden sie sich in einem gemeinsamen Ausstrahlungsfeld (Radiant), dem Sternbild des Perseus.
suchte nun weitere Ströme, die man mit bekannten Kometen in Verbindung bringen konnte, und es schien, als ob auf diesem Wege die seit 1799 offene Frage nach der Herkunft der Sternschnuppen endgültig geklärt werden könnte. Die Meteorströme, die 1799 und 1833 mit dem Ausstrahlungspunkt im Löwen beobachtet worden waren und Leoniden (leo = Löwe) genannt wurden — sie waren 1866 wiedergekehrt — konnte man einem Kometen zuweisen, der im gleichen Jahre von Tempel entdeckt worden war (Komet 1866 I). Der Meteorstrom von 1872 (Andromediden, weil ihr Ausströmungsfeld Andromeda ist) gehörte zum Kometen Biela, und auch für einige andere Kometen fand man die entsprechenden Meteorströme und umgekehrt. Aber es erwies sich in der Folge, daß man mit dieser Theorie über die Sternschnuppenfälle den ganzen Komplex nicht hinreichend erklären konnte. Denn aus der Unzahl der Meteorerscheinungen im Laufe des Jahres erwiesen sich zuletzt nur 20 bis 30 als „Ströme", die aus den hmterlassenen Rückständen von Kometen hervorgingen. Für sie allein galt, was Schiaparelli gelehrt hatte. Viele Tausende Untersuchungen hatten das Ergebnis, daß neben den bereits bekannten kometarischen Strömen neue Ströme dieser Art offenbar nicht mehr aufgefunden werden können, und daß deshalb für Meteorströme, die keinem Kometen zuzuordnen sind, andere Erklärungen gefunden werden müssen. 15
Das fragende Erstaunen vor einem Meteoriten, der „vom Himmel" zur Erde heruntergestürzt ist, und den wir vielleicht einmal in einem Museum in die Hand nehmen dürfen, wird zur scheuen Ehrfurcht, wenn wir hören, daß dieser Meteorit sogar einen noch viel weiteren Weg durchlaufen haben kann, als nur den Weg aus einem Kometen zur Erde; denn sein Herkunftsort kann auch die in „unendlicher" Ferne liegende Milchstraße sein. Es ist durchaus möglich, daß das Museumsstück schon eine Strecke von vielen Tausend Billionen Kilometer zurückgelegt hat, bis es die Erde erreichte; denn so weit mindestens ist jener Herkunftsraum in dem strahlenden, weißen, ) sterngleißenden Band des Nachthimmels von uns entfernt. Es sind dann also schon wahrhaftige „Sterntaler", die wir da in den Händen wiegen. Aber all das weiß man erst seit etwa 30 Jahren. « Wenn wir in einer klaren, mondlosen Nacht zum Himmel aufsehen und das Lichtgefunkel der Milchstraße mit einem Feldstecher betrachten, erkennen wir, wie sich das flimmernde Band in Lichtpünktchen auflöst und Myriaden von Sternen auftauchen, aus denen es zusammengesetzt ist. Aber der Einblick allein in diese Räume offenbart uns noch nichts von dem eigentlichen Wesen, dem Rätsel des Gesamtgebildes der Milchstraße. Wir sehen wohl die Bäume, aber nicht den Wald. Nur wenn es uns gelänge, den ganzen Raum zu überblicken, den das Milchstraßensystem im All einnimmt, es sozusagen von einem entfernten Standpunkt aus in seiner Ganzheit zu betrachten, so wie man einen ausgedehnten Waldbezirk von einem weit entfernten Punkt in seinen Grenzen erkennt, erst dann wären wir in der Lage, Wesentliches und Zutreffendes über das geheimnisvolle Band am nächtlichen Himmel auszusagen. Aber das liegt nicht in dem Bereich menschlicher Möglichkeiten. Da kam der Forschung eine andere Ent- . deckung zu Hilfe: Die modernen Kameras und Teleskope zeig- } ten in unermeßlichen Entfernungen, die noch weit jenseits der Milchstraße liegen, durch riesige Ozeane leerer Räume von ihr getrennt, eigenartig geformte, schimmernde Nebel, die 'J wie Inseln im Universum schwimmen. Es waren bestürzende Augenblicke, als diese Fernnebel dann ihr innerstes Gefüge offenbarten. Der Name „Nebel" für die leuchtenden Schleier
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erwies sich als falsch. Sie waren vielmehr genau wie die Milchstraße Ansammlungen von Sternen, in der Gestalt einer Linse oder einer leicht gewölbten Diskusscheibe zusammengedrängt. Manche Nebel zeigten sich von der Seite und waren dann nur als schmale Streifen zu sehen; andere wieder boten ihre ganze Fläche dar, und man konnte erkennen, wie in der Fläche der meisten Nebel die Sterne spiralförmig verteilt waren. Wie die Flügel eines Windrades, mit dem die Kinder spielen, gingen die Spiralarme von einer hell leuchtenden, verdichteten Mitte aus. Spiralnebel, die man genauer untersuchen konnte, hatten etwa die Größe unserer Milchstraße; man entdeckte in ihnen fast alle charakteristischen Merkmale, die auch in dieser vorkommen, z. B. kugelförmige Sternhaufen, neu aufleuchtende Sterne (Novae), Veränderliche Sterne, Rote Riesen und auch ausgedehnte Anhäufungen dunkler Materie, sog. Dunkelwolken. Die Dunkelwolken fanden sich vornehmlich in den Räumen zwischen den einzelnen Spiralarmen, wo eine gewisse Armut an Sternen herrschte. Die Übereinstimmungen in dem Bild jener Spiralnebel mit den Eigenschaften „unserer" Milchstraße drängten fast zwingend den Gedanken auf, daß auch die Milchstraße ein solcher Spiralnebel sein könne. Nur habe man, da die Erde sich mitten in diesem Nebel befinde, eben seine wahre Gestalt nicht erkennen können. Inzwischen ist diese Vermutung zur Gewißheit geworden. Könnte man, wie gesagt, einen Aussichtspunkt weit draußen im Weltenraum beziehen, z. B. auf einer jener Spiralinseln, so würde man „unsere" Milchstraße ebenso sehen, wie wir die Spiralnebel, und sie je nach dem Standpunkt als schmalen Streifen oder als mehr oder weniger geneigte bzw. volle Nebelscheibe wahrnehmen. Mit entsprechenden Fernrohren und Kameras würde auch in der Scheibe der Milchstraße die gleiche Struktur erkennbar sein, wie in den Nebeln; Sternerfüllte Spiralarme, ein strahlendes Zentralfeld, aus dem sich die Arme in vier Richtungen erstrecken, zwischen den Sternarmen aber fast sternleere, dunkle Räume. In einem dieser dunklen Räume, fast an seinem äußeren Rande, wären vielleicht einige hellere Sterne zu sehen, und einer davon wäre niemand anderes als unsere Sonne (vgl. die Abb. S. 2 und Text S. 31). Die beiden Spiralarme, zwischen denen sich das Sonnensystem befindet, sind von der Erde sogar deutlich zu sehen. Es sind die im Sternbild des Schwans gegabelten, dicht mit 1?
In diesem Bildausschnitt der Milchstraße findet man viele große und kleine Dunkelwolken' beieinander. Die Dunkelwolken sind Zusammenballungen kosmischer Materie. In ihnen bilden sich durch Verdichtung der Teilchen ,,interstellare" Meteore, die in die Erdbahn und in die Eidatmosphäre geraten können.
Sternen angefüllten Bänder, die sich als die altbekannte, sichtbare Milchstraße über das Himmelsgewölbe hinziehen. In dem Sternenarmen Raum, der zwischen den Milchstraßenbändern liegt, haben nicht nur unsere Sonne und das Gefolge ihrer Planeten und einige andere Sterne ihren Platz. Die Weite des Raumes ist durchsetzt mit fein verteilter Materie, die sich an manchen Stellen zu wolkigen Ballungen verdichtet. Diese dichteren Sphären sind jene ,,Dunkelwolken", die das Milchstraßenband an vielen Stellen zu zerreißen scheinen, die aber in Wirklichkeit der Masse der Milchstraßensterne vorgelagert sindi denn die Sterne schimmern durch die Wolken hindurch. In den Dunkelwolken geht es lebhaft zu. Mit „kosmischen" Geschwindigkeiten schießen aus den Wolken Materieteilchen in alle Richtungen, sie können sich auch zu kleineren oder größeren Körpern zusammentun. Die gegenseitige Anziehungs18
kraft spielt dabei keine Rolle, da sie viel zu gering ist, als daß sie die Leeren zwischen der zerstreuten Materie zu überbrücken vermöchte. Die Kraft, welche die Teile zueinander treibt, ist vielmehr der Strahlungsdruck der Sterne in den Spiralarmen der Milchstraße, der in den materiearmen Raum hineinwirkt; es ist der Druck der Lichtstrahlen, die aus den Sternen hervorbrechen. Geraten die ewig unrastigen Teilchen oder Körper einmal in die Nähe der Sonne, die sich mit den Dunkelwolken ja im gleichen Raum zwischen den Spiralarmen befindet, so ändern sie ihren Kurs und können im Durchqueren des Sonnensystems sogar mit der Atmosphäre der Erde zusammenprallen. Wir sehen dann diese aus dem Raum zwischen den Sternen stammenden Teilchen oder Körper als ,, interstellare Meteore" (inter = zwischen, Stella = Stern) über unseren Häuptern ihre Leuchtspuren ziehen. „Selten geschieht es, daß solche Meteore die ganze Gashülle der Erde durchstoßen. Nur den größeren Körpern kann das gelingen. Interstellare Meteore sind an ihren Geschwindigkeiten zu erkennen; sie liegen immer höher als 41,5 km in der Sekunde. Sind solche Meteore aber erst einmal auf die Erde herabgestürzt, dann unterscheiden sie sich nicht mehr von den Meteoriten anderer Herkunft.
Jüngste Forschungen aus den Jahren seit 1939 haben ergeben, daß nicht nur die Kometen und Dunkelwolken die „Lieferanten" für Sternschnuppen und Meteoriten sind, sondern daß es für sie im Weltraum sozusagen noch eine dritte „Auslieferungsstelle" gibt. Noch einmal müssen wir ein wenig weiter ausholen, um zu verstehen, wie die Sternforschung zu dieser Feststellung gekommen ist. Wir kehren aus der Dunkelwolkensphäre in den Umkreis unseres Sonnensystems zurück, in dem die Dinge uns viel vertrauter sind als in jenen weltweit entlegenen Revieren. Die Heimat der dritten Gruppe von Sternschnuppen liegt nämlich in den Bereichen, in denen die Planeten ihre Bahnen um die Sonne ziehen. Die Menschen früherer Jahrtausende kannten fünf dieser wandernden Sterne. Sie nannten sie wegen ihrer oft eigen19
willigen Bahnen Planeten, „Umherschweifende", und sahen in ihnen göttliche Erscheinungen. Wir Heutigen bezeichnen die „alten" Planeten noch mit ihren altrömischen Götternamen — Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn —, nur haben wir inzwischen erkannt, was sie in Wahrheit sind: Geschwister unserer Erde, die mit ihr die Sonne umkreisen. Die fünf „alten" Planeten sind mit dem bloßen Auge zu sehen. Zum Sonnensystem gehören aber noch einige weitere Planetenkörper. Sie sind nur mit dem Fernrohr festzustellen und konnten also erst entdeckt werden, als es möglich war, entsprechend starke Fernrohre zu bauen. So dauerte es bis zum Jahre 1781, bis ein weiteres Mitglied der Sonnenfamilie gefunden wurde. Es war der bedeutende Astronom Wilhelm Herschel, der bei einer Durchmusterung des Himmels einen ihm unbekannten Stern sah, der ihm durch sein ruhiges Licht und seine Scheibenform auffiel. Ein Fixstern konnte es nicht sein. Fixsterne nämlich bilden sich auch im stärksten Fernrohr nur als Punkte ab. Herschel beobachtete den Stern mehrere Nächte lang und fand, daß er am Himmel weiter wanderte. Die Berechnung der Bahn ergab, daß der neue Stern sich in ringförmiger Bahn um die Sonne herum bewegte und deshalb ein weiterer Planet war. Dieser neue Bruder unserer Erde, der den Namen Uranus erhielt, wurde nun eingehend erforscht. Dabei stellte sich heraus, daß seine tatsächliche Bahn nicht mit den mathematischen Berechnungen übereinstimmte. Man stand vor einem Rätsel, bis das Problem schließlich 1846 von zwei Mathematikern, dem Engländer Adams und dem Franzosen Leverrier, gelöst wurde. Die beiden Gelehrten gingen bei ihren Berechnungen von der Überlegung aus, daß, nachdem alle Einwirkungen der Anziehungskräfte der bekannten Mitglieder des Sonnensystems in Rechnung gesetzt waren und dennoch eine Bahnstörung verblieb, diese Störung offenbar von einem noch unbekannten Himmelskörper hervorgerufen werden konnte. In meisterhafter Rechenarbeit stellten nun die beiden fest, wo am Himmel dieser unbekannte Körper seine Bahn ziehen müßte. Leverrier war der glücklichere; denn während Adams die Richtigkeit seiner Rechnung zunächst nicht zu beweisen vermochte, wandte sich Leverrier mit seinem Ergebnis an die Königliche Sternwarte in Berlin. Hier hatte man zum Vergleich die neueste, eben fertiggestellte Sternkarte zur Hand, und so konnte der Astronom Galle gleich beim ersten Versuch den neuen 20
Planeten auflinden, nur um ein weniges von dein von Levernei angegebenen Ort entfernt. 1930 wurde schließlich noch ein weiterer Planet, Pluto, in unserem Sonnensystem festgestellt, und die Berechnungen lassen vermuten, daß auch er noch nicht der letzte ist. Mit dem Auffinden der großen Planeten war die Entdeckungsgeschichte der Sonnentrabanten noch nicht beendet. Bis heute haben die Astronomen Zehntausende von kleinen, planetenartigen Körpern ermittelt, die Planetoiden, die besonders in dem Raum zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter um die Sonne kreisen. Ausgangspunkt der Forschung war zunächst die These Keplers, daß zwischen Mars und Jupiter eine Lücke klaffe und ein Planet dort sein müsse, und die Berechnungen der Astronomen Titius und Bode, nach denen die einzelnen Planeten in einer bestimmten Regelmäßigkeit aufeinander folgten, die in dem Raum zwischen Mars und Jupiter unterbrochen war. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts taten sich deshalb einige Forscher zusammen in der Absicht, die Lücke zu füllen und den von Kepler vermuteten „Planeten" planmäßig zu suchen. In der Neujahrsnacht des Jahres 1801, während draußen Böller krachten, Raketen verzischten und die Menschen weinselig das neue Jahr begrüßten, saß der Astronom Piazzi in Palermo an seinem Fernrohr und betrachtete den ewig alten, ewig neuen Sternhimmel. Da sah er im Sternbild des Stieres einen ihm unbekannten, kleinen Stern. In den folgenden Nächten richtete er sein Fernrohr immer wieder auf den Neuling und stellte dabei fest, daß er sich langsam fortbewegte. Mehrere Wochen lang beobachtete Piazzi den Bahnverlauf des Sternes, dann erst meldete er seinen Fund an Bode in Berlin. Infolge wieder einmal herrschender Kriegswirren kam sein Brief erst nach einem Vierteljahr in Berlin an, und der Stern war inzwischen in die Nähe der Sonne gelangt, deren Leuchten sein klares Lichtpünktchen überstrahlte. So schien er, kaum aufgefunden, wieder verloren. Doch man kannte aus den Beobachtungen Piazzis ein Stück seines Weges, und es gelang dem Genie des Mathematikers Karl Friedrich Gauss — den man später den Fürsten der Mathematiker nannte —, die ganze Bahn des Sternes zu berechnen. In der Neujahrsnacht des nächsten Jahres fand man ihn wieder. Es war der so lang schon vermutete Kleine Planet; er erhielt den Namen Ceres. Noch war kein Vierteljahr vergangen, da fand der Wieder21
entdecker der Ceres, Oibers, einen zweiten Planetoiden in dieser Gegend, die Pallas. Die Bahnen der beiden Kleinen Planeten verlaufen verschieden, doch an ihrem Kreuzungspunkt nähern sie sich sehr, und so kam man auf den Gedanken, daß diese Planetoiden vielleicht einmal zusammengehört und einen einzigen Himmelskörper gebildet hätten, der erst später zerbrochen war. In diesem Fall schien es nicht unwahrscheinlich, daß noch mehr solcher Bruchstücke vorhanden wären, und so machte man sich daran, den Himmel nach den vermuteten Trümmern abzusuchen. 1804 fand man den dritten aus der großen Familie der Planetoiden, die Juno, und 1807 den vierten, die Vesta. Dann kam eine Pause — erst 1845 wurde der fünfte Planetoid, die Asträa, gefunden. Dann aber stiea die Zahl der Planetoidenfunde gewaltig an, besonders nach Einführung der Himmelsphotographie. So war also Keplers kühne Vermutung richtig, nur daß es nicht ein einziger Planet ist, der zwischen Mars und Jupiter seine Bahn zieht, sondern eine Schar von kleinen Körpern. Daß sie erst so spät gefunden wurden, liegt an ihrer geringen Größe. Der größte von ihnen ist die zuerst entdeckte Ceres, für die man einen Durchmesser von 770 km berechnet hat. Pallas hat 490 km Durchmesser, Vesta 385 km, Juno 190 km, und so geht es immer weiter herunter — der Planetoid Amor hat etwa zwei km Durchmesser — bis zu den kleinsten Steinchen und Stäubchen. Ungeklärt ist noch immer, ob es sich bei diesen Kleinstplaneten wirklich um Trümmer eines zerborstenen, größeren Planeten handelt, oder ob die Brocken, Körnchen und Stäubchen als solche schon bei der Entstehung des Sonnensystems in ihren Bannkreis geraten sind. Doch ist man selbst den Kleineren unter den Planetoiden in der jüngsten Zeit sehr auf die Spur gekommen: je kleiner sie werden, um so weniger kreisförmig ist ihr Umlauf um die Sonne, um so langgestreckter, elliptischer sind ihre Bahnen. Manchmal ist kaum noch zu unterscheiden, ob man mit den Instrumenten einen Planetoidenkörper oder einen schnellen periodischen Kometen erfaßt hat, denn die Kometenbahnen haben ebenfalls eine sehr weit ausholende Ellipsenform. Bei den kleinen Planetoidenkörperchen kann die Bahnellipse so lang gezogen sein, daß sie über die Marsbahn weit hinausgeht und die Erdbahn schneidet; eines erreicht in seinem Umlauf sogar die Bahn des sonnennächsten Planeten Merkur. Wenn nun solch ein „ausschweifender" Planetoid einmal in 22
greifbare Erdnäh« gerät, faßt ihn das Schwerefeld der Erde, und dann gibt es ein leuchtendes Sternschnuppenbild am Nachthimmel. Sternschnuppen aus dem Planetenraum — planetarische Meteore — sind die dritte und zuletzt entdeckte Gruppe in der Lichterwelt der Sternschnuppen.
© a £ <2>d)»if5pol|ßer fcer ^rfrafmofpIjÄre In der lebendigen Schilderung, die Alexander von Humboldt von dem Sternenschnuppenfall von Cumana gegeben hat, wird der aufmerksame Leser vermißt haben, daß nirgendwo von dem Niederstürzen der Meteore auf die Erde berichtet ist. Es ist eben ein Glück für uns alle und für den Erdball, daß nur die wenigsten Sternschnuppen den festen Boden selber erreichen. Die Erde hat sich mit dem Polster ihrer Atmosphäre, der Gashülle, aufs beste gegen die Geschosse aus dem Weltraum gesichert, und so kann der Mensch die SternschnuppenSchauspiele in den Nächten als ziemlich unbesorgter Zuschauer genießen. Dem Mond, den keine schützende Hülle umgibt, war dieser Schutz einer Atmosphäre seit Anbeginn wohl versagt, und so war er dem Bombardement durch die kleinen Weltraumkörper wehrlos ausgesetzt. Sein Antlitz trägt noch weithin die Narben der Einschläge, die ihn bei einer kosmischen Katastrophe der Urzeit getroffen; denn die Krater, die seine Oberfläche durchsetzen, sind vermutlich nichts anderes als die Folgen des Aufschlags von Weltraummeteoren in ältester Zeit. Die Geschwindigkeiten, mit denen die Meteore das atmosphärische Polster der Erde erreichen, sind die gleichen kosmischen Geschwindigkeiten, mit der sich diese Körper in den Dunkelwolken des Fixsternhimmels, im Gefolge der Kometen oder in der Sphäre der Kiemen Planeten bewegen. Der Weltraum selber vermag diese Bewegungen nicht zu verlangsamen; die dünnen Staubmassen, die sich zumeist darin befinden, sind nahezu ohne Einfluß. Die Bremswirkung beginnt erst in den äußersten Schichten der Erdatmosphäre, die in allmählichem Dichterwerden zur elastischen Hülle wird. Manche Sternschnuppen durchqueren dabei nur 23 die Außenschichten der Atmosphäre, glühen kurz auf und setzen ihre Reise mit etwas verändertem Kurs und mehr oder weniger geminderter Geschwindigkeit in die Unendlichkeit fort. Andere dringen tiefer ein,
schiedenen Hönenschichten zu ziehen. Dieses Leuchten ist nicht eine Folge der Luftreibung, wie Chladni vermutete, und wie der Laie heute meist noch glaubt. Die heranjagende Stern« schnuppe zertrümmert das Atomgefüge der hohen Atmosphärenteilchen, auf die sie aufprallt. Die Atmosphärengase beginnen zu leuchten und verändern zugleich ihren elektrischen Zustand (Ionisation). Der Meteorkörper, desssen Strahlung oft die Helligkeit des hellsten Planeten, der Venus, erreicht, wird auf seiner weiteren Bahn von der leuchtenden Gashülle begleitet und reißt sie oft auch als einen Schweif glühender und elektrisch geladener (ionisierter) Gasmoleküle hinter sich her. Erst diese feurige Gasumhüllung erklärt, warum selbst Sternschnuppen von weniger als einem Gramm Masse zu himmelumgreifenden Lichterscheinungen werden können. In der Glut aber halten die Körnchen nicht lange stand, sie verdampfen. Diesem Schicksal verfallen zum Glück die meisten Sternschnuppen, selbst größere Meteore, wenn sie mit riesigen Geschwindigkeiten ankommen; bei ihnen beginnt nämlich der Leuchtvorgang und das Aufglühen bereits in viel größeren Höhen. Im Durchsausen der Lufthülle brodelt es aber oft auch im Innern des großen Meteorkörpers; Gase bilden sich und brechen plötzlich explodierend nach außen. Dann sieht der Beobachter auf der Erde, wie urplötzlich der Lichtball der Sternschnuppe sternartig zersprengt wird und in Teile zerfällt, die nun in eigenen Bahnen weiter nach unten jagen. Auch diese Lichtgebilde können sich wieder durch weitere Explosionen zerteilen, und zuletzt ist aus der Feuerkugel des großen Meteors eine Vielzahl von Trümmern geworden, die meist als ungefährliche Kleinkörper in weitem Streufeld zu Erde herabsinken. Man hat zu berechnen versucht, wieviel an solchem Meteorstaub jährlich die Erde erreicht. Die Menge von 2000 Tonnen, die von den Astronomen genannt wird, erscheint groß. Aber gemessen an der Masse des Globus ist dieser kosmische Staubfall kaum nennenswert. Der Sternschnuppenstaub würde im Zeitraum von 1 Million Jahre die Oberfläche der Erde mit einer 1 mm dicken Hülle bedecken. Sternschnuppennächte sind nicht nur grandios durch die Vielzahl der huschenden Lichter, sondern auch durch den Wechsel der Formen und Farben, in denen die Leuchtstreifen das Dunkel beleben. Vom grellen Weiß bis zum milden Gelbrot, vom Blau und Blaugrün bis zum tiefen Rot ändern sich die Farben. Rasch blitzende Bahnen wechseln mit langsameren, punktför24
mige Lichtkörper mit geschweiften, schnell verlöschende mit lange nachleuchtenden, Feuerkugeln mit Lichtfäden, Schwärme mit Einzelgängern, Streiflichter in größten Höhen mit Funken, die in den Dunstkreis der Städte herabzusteigen scheinen. Zuweilen folgt der Explosion von Großmeteoren ein lang hinziehender Donner und salvenähnliches Knattern, das wie das Echo eines festlichen Feuerwerks ist.
In Madrid, am 10. Februar 1896. Auf dem Platz an der Puerta des Sol, an dessen Breitseite das Gouvernementsgebäude mächtig gelagert ist, promenieren unter strahlendem Himmel die Menschen, plaudern und schauen, und kein Windhauch bewegt das Gezweig, das über die bizarr geschmiedeten Gartengitter herüberhängt. So fällt in, der.Windstille der schmale, lange Rauchstreifen sofort ins Auge, der im sonnendurchglühten Blau des Firmaments erschienen ist und in schnellem Fortschreiten zum Scheitelpunkt des Himmelsgewölbes hinaufstrebt. Einer sieht ihn, dann sehen ihn andere, und zuletzt sieht alles gebannt und starrt erregt zu der seltsamen Erscheinung hinauf. Als der Zenit erreicht ist, springt plötzlich aus der Spitze der Wolke ein bläulicher Strahl, die Fahne zerteilt sich, und in alle Richtungen fliegen die Wolkenfetzen. Die Lautlosigkeit des Schauspiels zerreißt fast die Nerven. Nach eineinhalb Minuten kommt aus dem Himmel ein gewaltiger Donnerschlag und ein Knattern wie aus vielen Gewehren, und nun prasselt ein Regen von Steinen auf das Pflaster, in die Gärten und auf die Dächer. Panik treibt die Menschen in die schützenden Hauseingänge oder unter die Bäume. Aber da ist der Hagel auch schon vorüber. Als sie nach den Steinen suchen und sie aufheben wollen, fassen sie an glühendheiße Splitter. Die Kgl. Sternwarte bringt noch am gleichen Tag eine Mitteilung heraus, daß der Steinregen des Vormittags einem zerplatzten Riesenmeteor entstamme, dessen Schweif eben jener Rauchstreifen gewesen sei. Das Licht des Meteors selber ist von der Tageshelle verschluckt worden. In Sibirien, am 30. Juni 1908. Auf einer kleinen Station, die rings von Urwald umgeben an der Transsibirischen Bahnstrecke liegt, wartet der Beamte 25
auf den Frühzug, der längst überfällig ist. Während er verärgert über die Verspätung die Waldschneise entlang Ausschau hält, erzittert mit einemmale der Bahnkörper unter ihm, und die Luft trägt ein furchtbares Donnerrollen herüber, dem bald schon eine heiße Druckwelle folgt. „Die Maschine ist explodiert", geht es dem Mann durch den Kopf. Er eilt über die Geleise dem Zug entgegen. Da taucht schon in der Kurve der Dampf der Lokomotive auf. Als der Zug hält, erfährt er von den Reisenden, daß auch sie das Krachen gehört und den Luftdruck verspürt haben. Aber niemand weiß das beängstigende Ereignis zu erklären. Eine Stunde etwa vor diesem Vorfall auf der Station war 700 Kilometer nördlich der Bahnlinie, im Ufergebiet des. Turiguska, ein mächtiger Meteorkörper mit einem Gefolge von Trümmern im menschenleeren Urwald niedergegangen. Weit entfernt wohnende Waldarbeiter hatten kurze Zeit vorher am Himmel einen blendenden Lichtbogen gesehen. Auf den Seismographen der Erdbebenwarten von Irkutsk, Taschkent, Tiflis und selbst im fernen Jena schlugen die Nadeln aus. Der Abend dieses Tages verdämmerte in vielen Ländern in einer ungewöhnlichen Farbenpracht. Aber erst viele Jahre später, als immer mehr Einzelheiten aus der Einsamkeit der unendlichen Waldgebiete des Tunguska bekannt wurden, machte sich eine Expedition russischer Wissenschaftler auf, um durch Sümpfe und unendliche Wälder bis zur Stelle des Meteoreinschlags vorzudringen. Den Forschern bot sich das Bild einer Katastrophe, wie sie niemand erwartet hatte. Wie ein aufgewühlter Acker lag das Land. Im Umkreis von fast 40 Kilometer lagen die Waldbäume zerschlagen und zerrissen am Boden. In einem Gebiet von 30 Kilometer im Durchmesser war im Anhauch der Gluthitze alles Leben erstorben. Von den Luftwirbeln aufgestaute Gewässer hatten an den unmöglichsten Stellen Tümpel und Seen gebildet. Wieviel Menschen dem Meteorfall und seiner Auswirkung zum Onfer gefallen waren, ließ sich nicht mehr erfassen. Aber überlebende erzählten, daß sie eine gewaltige Flamme gesehen hätten, der unmittelbar ein ungeheures Krachen und der Glutsturm gefolgt seien, und nur ihre Erdhöhlen hätten ihnen das Leben gerettet. D'e Forscher fanden zahllose Krater mit hoch aufgeworfenen Gesteinswmien, die Kraterschüsseln waren zum Teil mit Wasser gefüllt. Man fand in dem Trichterfeld unzählige Eisenmeteoriten verstreut; aber
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die großen Meteorkörper entdeckte man nicht. Auch drei spätere Expeditionen haben vergebens nach diesen Eisenkolossen gesucht. Sie liegen, tief in die Erde gewuchtet, im Untergrund unter den Kraterspiegeln. Man schätzt ihr Gewicht auf 40 000 Tonnen. In allen Erdteilen gibt es Schauplätze kosmischer Steinfälle. Der Glaube der alten Zeit an die „Himmelssteine", den selbst die ernsthafte Wissenschaft so lange belächelte, ist durch die zahlreichen neueren Meteoritenfunde und Kraterentdeckungen in aller Welt glänzend gerechtfertigt worden. In Arizona, im Südwesten der USA., sind es die Krater am Teufelskanoni der Meteorfall, der diese Kessel von 250 und 1300 m Durchmesser schlug, liegt vermutlich 40 bis 75 000 Jahre zurück. Der Hauptblock war fast schon ein Kleiner Planet. Dreizehn Trichter fand Bei Henbury in der australischen Wüste fand man die Aufschlagstelle eines großen Meteoriten, der 13 Trichter in den Erdboden grub. Das Bild zeigt ein Bruchstück des Meteoriten (Eisen), dessen Alter aus dem Heliumgehalt zu 2 Milliarden Jahren bestimmt wurde.
man bei Henbury in der australischen Wüste und ringsum massige Bruchstücke von gediegenem Eisen. Das jüngste bekannte Meteoritenfeld sind die 120 Krater von Sikhote-Alinsk nördlich von Wladiwostok, die am 12. Februar 1947 von einem Tausend-Tonnen-Hagel von Meteoren ausgeschlagen worden sind. Den Wabar-Krater in der „Großen Arabischen Wüste" nennen die Eingeborenen noch heute AI Hadida, den „Ort des Eisens". Hier war die obere Sandschicht der Ringwälle zu Glasschlacke und Glasschaum geschmolzen. In Texas, Grönland, in Persien, im US-Staat Carolina, in Argentinien und auch in Deutschland sind Einschlagstellen verzeichnet. Der mächtigste Einzelblock, der bisher gefunden wurde und im Katalog der Meteoriten als „Hoba-Meteorit" den ersten Rang behauptet, liegt am Ende der Swakopmunder Bahnlinie in Süd97
west-Afrika. Er ist ein Eisenfels, über 3 m lang und 1,5 m dick, sein Gewicht wird auf 51 Tonnen veranschlagt. Nur einige der namhaften Meteoriten und Kraterfelder sind hier genannt. Wenn man die Ozeane der Erde in die Suche mit einbeziehen könnte, würde sich der Katalog um vieles vergrößern. Nur vereinzelt sind bisher kleine Meteoritenkügelchen aus der Tiefe der Meere herausgefischt worden. Kein Mineral auf Erden ist so gründlich durchforscht worden wie diese Weltkörper, die einzige handfest vorliegende Materie aus außerirdischen Sphären. Noch fehlt die letzte Verfeinerung der Instrumente, um ihre Zusammensetzung restlos zu erkennen; man erwartet, in ihnen alle auf Erden bekannten Elemente zu finden. Eine grobe Einteilung unterscheidet die Meteoriten nach ihrem wichtigsten stofflichen Gehalt. Da sind die schwarzgebrannten Eisenmeteoriten mit ihrer dünnblättrigen Schmelzrinde und oftmals deutlichen Eindrücken des Luftstroms. Grau wie Granit sind die Steinmeteoriten, dunkelgrün bis schwarz die Meteoriten aus Glas. In vielen Meteoriten sind Eisen und Stein auch in den mannigfachsten Verhältnissen gemischt. Der kostbare Schatz, den der Weltraum in den Meteoriten dem Menschen geschenkt hat, weist Kleinodien in allen Gewichtsstufen auf; von den Staubkörnchen, die der Polarforscher Nordenskiöld sorgsam auf grönländischen Schneefeldern geborgen und in seine schwedische Heimat gebracht hat, bis zu jenem 51-Tonnen-Block in Afrikanisch-Südwest. Noch erheblichere Unterschiede in den Größenklassen ergaben sich aber für fliegende Sternschnuppen und Meteore. Ausgeklügelte Meßmethoden ermittelten Stäubchen von einigen Milligramm Gewicht und Kolosse von 180 bis 200 Meter Durchmesser. Wer von diesen Winzigkeiten oder Riesen die Chance hat, zur Erde vorzustoßen, und welche Umstände außer der Geschwindigkeit und Masse dabei wirksam sind, ist im Letzten noch nicht geklärt. Gewiß verändern auch die wechselnden Zustände in der Atmosphäre die Durchschlagskraft der in sie eingedrungenen Körper. Von den Elementen, die in den Meteoriten vertreten sind, ist vor allem das Helium aufschlußreich; denn es erlaubt eine annähernde Altersbestimmung der Himmelsboten. Helium ist einer der Endstoffe in einer radioaktiven Zerfallskette, deren Ausqangsstoff die Elemente Uran und Thorium sind. Die Menge des in einem Jahr aus Uran und Thorium sich bildende
den Heliums ist bekannt, und so hat man aus der Menge des in dem Meteoriten enthaltenen Heliums auf sein Alter geschlossen. Man kam auf Zahlen, die eine Zeit von über 100 Millionen Jahre ergaben. Seitdem aber festgestellt ist, daß der Meteoritenkörper auf der langen Reise durch den Weltraum auch ein gewisses Quantum Helium aus kosmischer Strahlung in sich bildet, andererseits beim Abschmelzen in der Erdatmosphäre Verluste entstehen, scheint die Heliumuhr nicht mehr so genau zu gehen, wie man zunächst vermutet hat. Heute rechnet man mit Zeiten, die sehr erheblich schwanken und bis zu 7 Milliarden Jahre erreichen.
Die dahinschnellenden Sternschnuppen, die uns bei der Trägheit unseres Auges meist nur wie huschende Leuchtschemen erscheinen, konnten durch Radar sicher und zuverlässig verfolgt werden. Der Tag, an dem zum ersten Male der Strahlenkegel eines Radarsenders die ionisierte Spur längs einer Sternschnuppenbahn erfaßte und ihr elektrisches Echo auf der Braunschen Röhre des Radarempfängers sichtbar wurde, war für die Meteorforschung wie ein ganz neuer Beginn. Nun erschlossen sich endlich auch die Tagesmeteore der forschenden Beobachtung; die meisten Sternschnuppen erreichen gerade in der hel-
Berechnung eines Teiles (E) der Meteorbahn: Durch Radarvermessung werden die Entfernungen Rt (bis zum Ort des Aufleuchtens) und R (nächster Annäherungspunkt der Meteorbahn) leicht ermittelt. Der Winkel zwischen R und E ist immer ein Rechter. Nach dem Pythagoreischen Lehrsatz ist R,2 = E2 -f R2, E2 ist also = R^ — R2. Durch Stoppen der Zeitpunkte des Aufleuchtens und des Ortes der kürzesten Entfernung kann die Geschwindigkeit des Meteors errechnet werden.
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Radarbild von einer ionisierten Meteorspur. Die drei Pfeile zeigen auf Höchstwerte der zurückkommenden Energie, aus deren zeitlichem Abstand sich die Geschwindigkeit der Sternschnuppe ergibt. Die kammartigen Auszahnungen entstehen durch sog. Interferenz.
len Morgenfrühe die Erdatmosphäre. Sie entzogen sich bisher aber in dieser Zeit im Licht der Sonne jeder Sicht. Auch Dunst und Wolken sind jetzt kein Hindernis mehr. Ebenso tat die Meteorphotographie einen entscheidenden Schritt voran. Es gab zwar manche Aufnahme von Sternschnuppen und ihren Bahnen, aber das waren immer photographische Zufallstreffer. Der „Blickwinkel" der Photolinsen war nicht weit genug, um jene große Himmelsfläche „ins Auge" zu fassen, in deren Bereich in den Sternschnuppennächten Meteore erwartet werden konnten. Die Platten waren auch zu wenig empfindlich, um schwächere Meteorerscheinungen festzuhalten, die nicht minder wichtig sind wie die strahlenden. Heute steht den Meteorastronomen als Aufnahmegerät eine Spezial-Meteor-Uberkamera amerikanischer Herkunft zur Verfügung, die so durchkonstruiert ist, daß sie nicht nur die
Radarbilder von Meteoren. Links oben das sichtbar gewordene „Echo" eines Meteors in 105 km Entfernung, [n der Mitte undeutbare Meteorerscheinung. Aus Bahnlänge und Seit ergibt sich die Meteorgeschwindigkeit.
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Richtung eines bestimmten Meteors anzeigt und seinen Ort am Himmel, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der die Sternschnuppe durch die Erdatmosphäre fliegt.
Uralt ist das Verlangen den Menschen, einzudringen in die Weite des Alls und die Geheimnisse des Weltraums zu enträtseln. Wenn Mond und Sterne in den lauen Sommernächten und in den kristallenen Nachtstunden der Winterszeit lautlos ihre Bahn ziehen, wenn die Sternschnuppenschwärme, aus den Fernen der Unendlichkeit kommend, ihr geisterhattes Leuchten an den Himmel malen, dann erheben sich immer wieder die ewigen Fragen nach dem Woher und Warum. Es ist ein weiter Weg von dem furchtsamen Staunen des Menschen der Vorzeit, über das erste tastende Suchen des Mittelalters bis zu dem magischen Auge der Braunschen Röhre. Immer klarer wird uns Lebenden das Walten dort draußen in den Räumen des Weltalls, die uns Riesenteleskope und Überkameras entschleiern. Gerade in den letzten Jahren haben die Astronomen Entdeckungen gemacht und Theorien gefunden, die geeignet erscheinen, ganz neue und umwälzende Erkenntnisse innerhalb der Sternenkunde vorzubereiten. Aber je mehr wir wissen, je tiefer wir eindringen in die Unermeßlichkeit, desto ergriffener und überwältigter stehen wir vor der Ordnung, die das Chaos beherrscht, vor dem Wunder der Schöpfung.
Diesen
Lesebogen schrieb
Otto
Krösche
Das Bild auf der Vorderseite des Umschlags zeigt den Meteorfall von Madrid (vgl. Text S. 25); Bild auf der Rückseite des Umschlags: Eisenmeteor und Eisen = Steinmeteor. Lux L e s e b o g e n Nr. 60
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H e f t p r e i s 20 P f e n n i g
Natur- und kulturkundliche Hefte. Verlag Sebastian Lux, Mumau-München. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Buchdrudcerei Hans Holzmann, Bad Wörishofen. 31