Martin Heidegger Gesamtausgabe i. Abteilung: Veröffentlichte Schritten 1 9 1 0 - 1976 Band 7 Vorträge und Aufsätze
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Martin Heidegger Gesamtausgabe i. Abteilung: Veröffentlichte Schritten 1 9 1 0 - 1976 Band 7 Vorträge und Aufsätze
δ Vittorio Klostermann
MARTIN
HEIDEGGER
GESAMTAUSGABE I. ABTEILUNG: VERÖFFENTLICHTE SCHRIFTEN 1910-1976 BAND 7 VORTRÄGE UND AUFSÄTZE
VITTORIO
KLOSTERMANN
FRANKFURT
AM
MAIN
MARTIN
VORTRÄGE
HEIDEGGER
UND
AUFSÄTZE
Z VITTORIO
KLOSTERMANN
FRANKFURT
AM
MAIN
Text der d u r c h g e s e h e n e n Einzelausgabe mit R a n d b e m e r k u n g e n des Autors aus seinen H a n d e x e m p l a r e n H e r a u s g e g e b e n von F r i e d r i c h - W i l h e l m von H e r r m a n n
Dieser Band ist nur im R a h m e n der Gesamtausgabe lieferbar. © Vittorio K l o s t e r m a n n G m b H · F r a n k f u r t am Main · 2000 Alle R e c h t e vorbehalten, insbesondere die des N a c h d r u c k s u n d der Übersetzung. Ohne G e n e h m i g u n g des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Werk oder Teile in einem p h o t o m e c h a n i s c h e n oder sonstigen R e p r o d u k t i o n s v e r f a h r e n oder u n t e r Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten, zu vervielfältigen und zu verbreiten. Satz: bLoch Verlag, F r a n k f u r t am Main Druck: H u b e r t & Co., Göttingen G e d r u c k t auf a l t e r u n g s b e s t ä n d i g e m Papier @IS09706- P r i n t e d in G e r m a n y ISBN 3-465-05098-2 kt · ISBN 3-465-03099-0 Ln
Dem
einzigen
Bruder
INHALT
Vorwort
1 Die Frage n a c h der Technik (1953) Wissenschaft u n d B e s i n n u n g (1953) Ü b e r w i n d u n g der M e t a p h y s i k (1936-1946) Wer ist Nietzsches Z a r a t h u s t r a ? (1953)
5 37 67 99
11 Was heißt Denken? (1952)
127
Bauen Wohnen D e n k e n (1951)
145
Das Ding (1950)
165
» . . . dichterisch w o h n e t der Mensch . . . « (195 1)
189
111 Logos (Heraklit, F r a g m e n t 50) (1951) Moira (Parmenides, F r a g m e n t VIII, 34 -41) (1952)
211 235
Aletheia (Heraklit, F r a g m e n t 16) (1954)
263
Hin-weise Nachwort
289 293
des
Herausgebers
VORWORT
Das Buch ist, solange es ungelesen vorliegt, eine Z u s a m m e n s t e l lung von Vorträgen und Aufsätzen. Für den Leser könnte es zu einer S a m m l u n g w e r d e n , die sich um die Vereinzelung der Stükke nicht m e h r zu k ü m m e r n braucht. Der Leser sähe sich auf einen Weg gebracht, den ein Autor v o r a u s g e g a n g e n ist, der im Glücksfall als auctor ein augere, ein G e d e i h e n l a s s e n auslöst. Im vorliegenden Falle gilt es, sich wie vordem zu m ü h e n , daß dem von altersher z u - D e n k e n d e n , aber noch U n g e d a c h t e n , durch unablässige Versuche ein Bereich b e r e i t e t w e r d e , aus dessen S p i e l r a u m her das U n g e d a c h t e ein D e n k e n b e a n s p r u c h t . 3 Ein Autor h ä t t e , wäre er dies, nichts a u s z u d r ü c k e n und nichts m i t z u t e i l e n . Er dürfte nicht einmal a n r e g e n wollen, weil Angeregte ihres Wissens schon sicher sind. Ein Autor auf D e n k w e g e n k a n n , w e n n es h o c h k o m m t , weisen, ohne selbst ein Weiser im Sinne d e s a o t p ö a z u sein.
nur
D e n k w e g e , für die Vergangenes zwar v e r g a n g e n , G e w e s e n d e s jedoch im K o m m e n bleibt, w a r t e n , bis i r g e n d w a n n D e n k e n d e sie gehen. W ä h r e n d das geläufige und im weitesten Sinne technische Vorstellen i m m e r noch vorwärts will und alle fortreißt, geben weisende Wege bisweilen eine Aussicht frei auf ein einziges Ge-birg. T o d t n a u b e r g , im August
3
Αλήθεία
1954
I
DIE FRAGE NACH DER TECHNIK
7 Im folgenden fragen wir nach der Technik. Das F r a g e n b a u t an einem Weg. D a r u m ist es ratsam, vor allem auf den Weg zu achten und nicht an einzelnen Sätzen und Titeln h ä n g e n z u b l e i b e n . D e r Weg ist ein Weg des Denkens. Alle D e n k w e g e f ü h r e n , m e h r oder w e n i g e r v e r n e h m b a r , auf eine u n g e w ö h n l i c h e Weise durch die Sprache. Wir fragen nach der Technik und m ö c h t e n d a d u r c h eine freie B e z i e h u n g zu ihr vorbereiten. Frei ist die Beziehung, w e n n sie unser Dasein dem Wesen der Technik öffnet. E n t s p r e chen wir diesem, d a n n v e r m ö g e n wir es, das Technische in seiner B e g r e n z u n g zu erfahren. Die Technik ist nicht das gleiche wie das Wesen W e n n wir das Wesen des B a u m e s suchen, müssen w e r d e n , daß jenes, was jeden Baum als B a u m durch selber ein B a u m ist, der sich zwischen den übrigen treffen läßt.
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der Technik. wir gewahr waltet, nicht B ä u m e n an-
So ist d e n n auch das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches. Wir erfahren d a r u m n i e m a l s unsere B e z i e h u n g zum Wesen der Technik, solange wir n u r das Technische vorstellen und betreiben, uns d a m i t abfinden oder ihm ausweichen. Überall bleiben wir unfrei an die Technik gekettet, ob wir sie leidenschaftlich b e j a h e n oder verneinen. A m ärgsten sind wir j e doch der Technik ausgeliefert, w e n n wir sie als etwas Neutrales b e t r a c h t e n ; d e n n diese Vorstellung, der m a n h e u t e besonders gern huldigt, m a c h t uns vollends b l i n d gegen das Wesen der Technik. Als das Wesen von etwas gilt nach alter L e h r e jenes, was etwas ist. Wir fragen nach der Technik, w e n n wir fragen, was sie sei. J e d e r m a n n k e n n t die beiden Aussagen, die u n s e r e Frage beantworten. Die eine sagt: Technik ist ein M i t t e l für Zwekke. Die andere sagt: Technik ist ein Tun des M e n s c h e n . Beide B e s t i m m u n g e n der Technik gehören z u s a m m e n . D e n n Zwekke setzen, die Mittel dafür beschaffen und b e n ü t z e n , ist ein m e n s c h l i c h e s Tun. Zu dem, was die Technik ist, gehört das Verfertigen u n d B e n ü t z e n von Zeug, Gerät u n d M a s c h i n e n , gehört dieses Verfertigte und Benützte selbst, gehören die Bedürf-
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8
Die
Frage
nach
der
Technik
nisse 3 und Zwecke, denen sie dienen. Das Ganze dieser E i n r i c h t u n g e n ist die Technik. Sie selber ist eine E i n r i c h t u n g , lateinisch gesagt: ein instrumentum. Die gängige Vorstellung von der Technik, wonach sie ein Mittel ist und ein m e n s c h l i c h e s Tun, k a n n deshalb die i n s t r u m e n t a l e und anthropologische B e s t i m m u n g der Technik heißen. Wer wollte leugnen, daß sie richtig sei? Sie richtet sich offenk u n d i g nach dem, was m a n vor Augen hat, w e n n m a n von Technik spricht. Die i n s t r u m e n t a l e B e s t i m m u n g der Technik ist sogar so u n h e i m l i c h richtig, daß sie auch noch für die m o d e r n e Technik zutrifft, von der m a n sonst mit einem gewissen R e c h t b e h a u p t e t , sie sei gegenüber der älteren h a n d w e r k l i c h e n Technik etwas d u r c h a u s Anderes und d a r u m Neues. Auch das Kraftwerk ist mit seinen T u r b i n e n u n d G e n e r a t o r e n ein von M e n s c h e n gefertigtes Mittel zu einem von M e n s c h e n gesetzten Zweck. Auch das Raketenflugzeug, auch die H o c h f r e q u e n z m a s c h i n e sind M i t t e l zu Zwecken. Natürlich ist eine R a d a r s t a t i o n weniger einfach als eine W e t t e r f a h n e . Natürlich bedarf die Verfertigung einer H o c h f r e q u e n z m a s c h i n e des I n e i n a n d e r g r e i f e n s v e r s c h i e d e n e r Arbeitsgänge der t e c h n i s c h - i n d u s t r i e l l e n Produktion. Natürlich ist eine S ä g e m ü h l e in e i n e m v e r l o r e n e n Schwarzwaldtal ein primitives M i t t e l im Vergleich zum Wasserkraftwerk im R h e i n s t r o m .
ll
Es bleibt richtig: auch die m o d e r n e Technik ist ein Mittel zu Zwecken. D a r u m b e s t i m m t die i n s t r u m e n t a l e Vorstellung von der Technik j e d e B e m ü h u n g , den M e n s c h e n in den r e c h t e n Bezug zur Technik zu bringen. Alles liegt daran, die Technik als M i t t e l in der g e m ä ß e n Weise zu h a n d h a b e n . M a n will, wie es heißt, die Technik »geistig in die H a n d b e k o m m e n « . M a n will sie m e i s t e r n . Das M e i s t e r n - w o l l e n wird um so dringlicher, j e m e h r die Technik der H e r r s c h a f t des M e n s c h e n zu e n t g l e i t e n droht. Gesetzt nun aber, die Technik sei kein bloßes Mittel, wie steht es dann mit dem Willen, sie zu meistern? Allein, wir sagten doch, die i n s t r u m e n t a l e B e s t i m m u n g der Technik sei richtig. Gewiß. " 1954: (Wirtschaft - Bedarfsdeckung - Konsum) Industrie. Das erhöhte sumpotential
Kon-
9 Die Frage nach der Technik
Das Richtige stellt an dem, was vorliegt, jedesmal irgend etwas Zutreffendes fest. Die Feststellung braucht jedoch, um richtig zu sein, das Vorliegende keineswegs in seinem Wesen zu enthüllen. Nur dort, wo solches Enthüllen geschieht, ereignet sich das Wahre. D a r u m ist das bloß Richtige noch nicht das Wahre. Erst dieses bringt uns in ein freies Verhältnis zu dem, was uns aus seinem Wesen her angeht. Die richtige instrumentale Bestimmung der Technik zeigt uns demnach noch nicht ihr Wesen. Damit wir zu diesem oder wenigstens in seine Nähe gelangen, müssen wir durch das Richtige hindurch das Wahre suchen. Wir müssen fragen: was ist das Instrumentale selbst? Wohin gehört dergleichen wie ein Mittel und ein Zweck? Ein Mittel ist solches, wodurch etwas bewirkt und so erreicht wird. Was eine Wirkung zur Folge hat, nennt m a n Ursache. Doch nicht nur jenes, mittels dessen ein anderes bewirkt wird, ist Ursache. Auch der Zweck, d e m g e m ä ß die Art der Mittel sich bestimmt, gilt als Ursache. Wo Zwecke verfolgt, Mittel verwendet werden, wo das I n s t r u m e n t a l e herrscht, da waltet Ursächlichkeit, Kausalität. Seit Jahrhunderten lehrt die Philosophie, es gäbe vier Ursachen: 1. die causa materialis, das Material, der Stoff, woraus z.B. eine silberne Schale verfertigt wird; 2. die causa formalis, die Form, die Gestalt, in die das Material eingeht; 5. die causa finalis, der Zweck, z.B. der Opferdienst, durch den die benötigte Schale nach Form und Stoff bestimmt wird; 4. die causa efficiens, die den Effekt, die fertige wirkliche Schale erwirkt, der Silberschmied. Was die Technik, als Mittel vorgestellt, ist, enthüllt sich, wenn wir das Instrumentale auf die vierfache Kausalität zurückführen. Wie aber, wenn sich die Kausalität ihrerseits in dem, was sie ist, ins Dunkel hüllt? Zwar tut man seit Jahrhunderten so, als sei die Lehre von den vier Ursachen wie eine sonnenklare Wahrheit vom H i m m e l gefallen. Indessen dürfte es an der Zeit sein zu fragen: weshalb gibt es gerade vier Ursachen? Was heißt in Bezug auf die genannten vier eigentlich »Ursache«? Woher bestimmt sich der Ursachecharakter der vier Ursachen so einheitlich, daß sie zusammengehören?
10
Die Frage
nach der
Technik
Solange wir uns auf diese F r a g e n nicht einlassen, bleibt die Kausalität und mit ihr das I n s t r u m e n t a l e und mit diesem die gängige B e s t i m m u n g der Technik dunkel und grundlos. Man pflegt seit l a n g e m die U r s a c h e als das B e w i r k e n d e vorzustellen. W i r k e n heißt dabei: Erzielen von Erfolgen, Effekten. Die causa efficiens, die eine der vier U r s a c h e n , b e s t i m m t in m a ß g e bender Weise alle Kausalität. Das geht so weit, daß man die causa finalis, die F i n a l i t ä t , ü b e r h a u p t nicht m e h r zur Kausalität rechnet. Causa, casus, gehört zum Zeitwort cadere, fallen, und bedeutet dasjenige, was bewirkt, daß etwas im Erfolg so oder so ausfällt. Die L e h r e von den vier U r s a c h e n geht auf Aristoteles zurück. Im Bereich des griechischen D e n k e n s und für dieses hat j e d o c h alles, was die n a c h k o m m e n d e n Zeitalter bei den G r i e c h e n unter der Vorstellung und dem Titel »Kausalität« suchen, s c h l e c h t h i n nichts mit dem W i r k e n und Bewirken zu tun. Was wir U r s a c h e , die R ö m e r causa n e n n e n , heißt bei den Griechen α ί τ ι ο ν , das, was ein a n d e r e s v e r s c h u l d e t . D i e vier U r s a c h e n sind die u n t e r sich z u s a m m e n g e h ö r i g e n Weisen des Verschuldens. Ein Beispiel k a n n dies e r l ä u t e r n . Das Silber ist das, woraus die Silberschale verfertigt ist. Es ist als dieser Stoff (ύλη) m i t s c h u l d an der Schale. D i e s e s c h u l d e t , d . h . v e r d a n k t d e m Silber das, w o r a u s sie b e s t e h t . Aber das Opfergerät bleibt nicht nur an das Silber verschuldet. Als Schale erscheint das an das Silber Verschuldete im A u s s e h e n von Schale und nicht in d e m j e n i g e n von Spange oder Ring. Das O p f e r g e r ä t ist so zugleich an das A u s s e h e n (είδος) von S c h a l e n h a f t e m vers c h u l d e t . D a s Silber, w o r e i n das A u s s e h e n als S c h a l e eingelassen ist, das A u s s e h e n , w o r i n das S i l b e r n e e r s c h e i n t , sind b e i d e auf i h r e Weise m i t s c h u l d a m Opfergerät. Schuld an ihm bleibt jedoch vor allem ein Drittes. Es ist jenes, was zum voraus die Schale in den Bereich der W e i h e und des Spendens eingrenzt. D a d u r c h wird sie als Opfergerät u m g r e n z t . Das U m g r e n z e n d e b e e n d e t das Ding. Mit diesem E n d e hört das D i n g nicht auf, sondern aus ihm her b e g i n n t es als das, was es nach der H e r s t e l l u n g sein wird. Das B e e n d e n d e , Vollendende in
11 Die Frage
nach der
Technik
diesem Sinne heißt griechisch τέλος, was m a n a l l z u h ä u f i g durch »Ziel« und »Zweck« übersetzt und so m i ß d e u t e t . Das τέλος, vers c h u l d e t , was als Stoff u n d was als A u s s e h e n das Opfergerät mitverschuldet. Schließlich ist ein Viertes mitschuld am Vor- und B e r e i t l i e g e n des fertigen Opfergerätes: der Silberschmied; aber keineswegs dadurch, daß er wirkend die fertige Opferschale als den Effekt eines M a c h e n s b e w i r k t , nicht als causa efficiens. Die L e h r e des Aristoteles kennt weder die mit diesem Titel g e n a n n t e U r s a c h e , noch g e b r a u c h t sie einen e n t s p r e c h e n d e n griechischen Namen. Der Silberschmied überlegt sich und v e r s a m m e l t die drei gen a n n t e n Weisen des Verschuldens. Ü b e r l e g e n heißt griechisch λέγει/ν, λόγος. Es b e r u h t im άποφαίνεσθοα, z u m Vorschein b r i n g e n . D e r S i l b e r s c h m i e d ist m i t s c h u l d als das, von wo h e r das Vorbringen u n d das A u f s i c h b e r u h e n der Opferschale i h r e n e r s t e n Ausgang n e h m e n u n d b e h a l t e n . Die drei zuvor g e n a n n t e n Weisen des V e r s c h u l d e n s v e r d a n k e n der Ü b e r l e g u n g des Silberschmieds, daß sie und wie sie für das H e r v o r b r i n g e n der Opferschale zum Vorschein und ins Spiel k o m m e n . In dem vor- und b e r e i t l i e g e n d e n Opfergerät w a l t e n somit vier Weisen des Verschuldens. Sie sind unter sich verschieden und gehören doch z u s a m m e n . Was einigt sie im voraus? Worin spielt das Z u s a m m e n s p i e l der vier Weisen des Verschuldens? Woher s t a m m t die E i n h e i t der vier Ursachen? Was m e i n t denn, griechisch gedacht, dieses Verschulden? Wir H e u t i g e n sind zu leicht geneigt, das Verschulden entweder moralisch als Verfehlung zu v e r s t e h e n oder aber als eine Art des Wirkens zu deuten. In beiden Fällen versperren wir uns den Weg zum a n f ä n g l i c h e n Sinn dessen, was m a n später Kausalität nennt. Solange sich dieser Weg nicht öffnet, erblicken wir auch nicht, was das I n s t r u m e n t a l e , das im Kausalen b e r u h t , eigentlich ist. Um uns vor den g e n a n n t e n M i ß d e u t u n g e n des Verschuldens zu schützen, v e r d e u t l i c h e n wir seine vier Weisen aus dem her,
12
Die Frage
nach der
Technik
was sie verschulden. N a c h dem Beispiel verschulden sie das Vorund B e r e i t l i e g e n der Silberschale als Opfergerät. Vorliegen und Bereitliegen ( ύ π ο κ σ ε ί θ α ί ) k e n n z e i c h n e n das Anwesen eines Anw e s e n d e n . D i e vier Weisen des V e r s c h u l d e n s b r i n g e n etwas ins E r s c h e i n e n . Sie lassen es in das A n - w e s e n v o r k o m m e n . Sie lassen es d a h i n los u n d lassen es so an, n ä m l i c h in seine vollendete Ankunft. Das Verschulden hat den G r u n d z u g dieses An-lassens in die A n k u n f t . Im Sinne solchen Anlassens ist das Verschulden das Ver-an-lassen. Aus dem Blick auf das, was die G r i e c h e n im Verschulden, in der α ί τ ί α , e r f u h r e n , geben wir d e m Wort »ver-an-lassen« j e t z t e i n e n w e i t e r e n S i n n , so daß dieses Wort das Wesen der griechisch g e d a c h t e n Kausalität b e n e n n t . Die geläufige und engere B e d e u t u n g des Wortes »Veranlassung« besagt d a g e g e n nur soviel wie Anstoß und Auslösung und m e i n t eine Art von N e b e n u r s a c h e im Ganzen der Kausalität. Worin spielt nun aber das Z u s a m m e n s p i e l der vier Weisen des Ver-an-lassens? Sie lassen das noch nicht A n w e s e n d e ins Anwesen a n k o m m e n . D e m n a c h sind sie e i n h e i t l i c h d u r c h w a l t e t von einem B r i n g e n , das A n w e s e n d e s in den Vorschein bringt. Was dieses B r i n g e n ist, sagt uns P i a t o n in e i n e m Satz des »Symposion« (205 b): ή γάρ τοι έκ τοΰ μη δντος είς το δν ίόντι ότωοΰν αίτία π α σ ά έστι ποίησις. »Jede V e r a n l a s s u n g für das, was i m m e r aus dem N i c h t - A n w e senden über- und vorgeht in das Anwesen, ist ποιησις, ist H e r -vor-bringen.« Alles liegt d a r a n , daß wir das H e r - v o r - b r i n g e n in seiner ganzen Weite und zugleich im Sinne der G r i e c h e n denken. Ein H e r - v o r - b r i n g e n , ποιησις, ist n i c h t n u r das h a n d w e r k l i c h e Verfert i g e n , n i c h t n u r das k ü n s t l e r i s c h - d i c h t e n d e z u m - S c h e i n e n - und ins-Bild-Bringen. Auch die φύσις, das v o n - s i c h - h e r A u f g e h e n , ist ein H e r - v o r - b r i n g e n , ist ποίησις. Die φύσις ist sogar ποίησις im höchsten Sinne. D e n n das φύσει A n w e s e n d e h a t d e n A u f b r u c h des H e r - v o r - b r i n g e n s , z.B. das A u f b r e c h e n der Blüte ins E r b l ü h e n , in ihr selbst (εν έαυτώ).. D a g e g e n h a t das h a n d w e r k l i c h u n d künstlerisch H e r - v o r - g e b r a c h t e , z.B. die Silberschale, den A u f b r u c h des
13 Die Frage nach der
Technik
H e r - v o r - b r i n g e n s nicht in ihm selbst, sondern in einem a n d e r e n (έ"ν άλλω), im H a n d w e r k e r und Künstler. D i e Weisen der Veranlassung, die vier U r s a c h e n , spielen s o m i t i n n e r h a l b des H e r - v o r - b r i n g e n s . D u r c h dieses k o m m t sowohl das G e w a c h s e n e der N a t u r als auch das Verfertigte des H a n d w e r k s u n d die G e b i l d e der Künste jeweils zu seinem Vorschein. Wie aber geschieht das H e r - v o r - b r i n g e n , sei es in der Natur, sei es im H a n d w e r k und in der Kunst? Was ist das H e r - v o r - b r i n g e n , darin die vierfache Weise des Veranlassens spielt? Das Veranlassen geht das Anwesen dessen an, was jeweils im H e r - v o r - b r i n g e n zum Vorschein k o m m t . Das H e r - v o r - b r i n g e n bringt aus der Verb o r g e n h e i t her in die U n v e r b o r g e n h e i t vor. H e r - v o r - b r i n g e n ereignet sich nur, insofern Verborgenes ins U n v e r b o r g e n e k o m m t . Dieses K o m m e n b e r u h t und schwingt in dem, was wir das Entbergen n e n n e n . Die G r i e c h e n h a b e n dafür das Wort αλήθεια. Die R ö m e r übersetzen es durch » Veritas«. Wir sagen » W a h r h e i t « und v e r s t e h e n sie gewöhnlich als R i c h t i g k e i t des Vorstellens. W o h i n haben wir uns verirrt? Wir fragen nach der Technik und sind jetzt bei der α λ ή θ ε ι α , b e i m E n t b e r g e n a n g e l a n g t . Was hat das Wesen der T e c h n i k m i t d e m E n t b e r g e n zu t u n ? A n t w o r t : Alles. D e n n i m E n t b e r g e n g r ü n d e t jedes H e r - v o r - b r i n g e n . Dieses aber v e r s a m m e l t in sich die vier Weisen der Veranlassung — die Kausalität — und d u r c h w a l t e t sie. In ihren Bereich g e h ö r e n Zweck und Mittel, gehört das I n s t r u m e n t a l e . Dieses gilt als der G r u n d zug der Technik. F r a g e n wir Schritt für Schritt, was die als Mittel vorgestellte Technik eigentlich sei, dann gelangen wir zum Entbergen. In ihm b e r u h t die Möglichkeit aller h e r s t e l l e n d e n Verfertigung. Die Technik ist also nicht bloß ein Mittel. Die Technik ist eine b Weise des E n t b e r g e n s . A c h t e n wir darauf, dann öffnet sich uns ein ganz anderer Bereich für das Wesen der Technik. Es ist der Bereich der E n t b e r g u n g , d.h. der W a h r - h e i t . b
oder jetzt die maßgebende Weise der Entbergung
14
Die Frage
nach der
Technik
Dieser Ausblick b e f r e m d e t uns. Er soll es auch, soll es möglichst lange und so b e d r ä n g e n d , daß wir endlich auch einmal die schlichte Frage ernst n e h m e n , was d e n n der N a m e »Technik« sage. Das Wort s t a m m t aus der g r i e c h i s c h e n Sprache. Τεχνικον m e i n t solches, was zur τέχνη gehört. H i n s i c h t l i c h der B e d e u t u n g dieses Wortes müssen wir zweierlei beachten. E i n m a l ist τ έ χ ν η n i c h t n u r der N a m e für das h a n d w e r k l i c h e Tun und Können, sondern auch für die hohe Kunst und die schönen Künste. Die τ έ χ ν η gehört zum H e r - v o r - b r i n g e n , zur π ο ί η σ ι σ ; sie ist etwas P o i e t i s c h e s . Das a n d e r e , was es h i n s i c h t l i c h des Wortes τέχνη zu b e d e n k e n gilt, ist n o c h gewichtiger. D a s Wort τ έ χ ν η g e h t von früh an bis in die Zeit Piatons mit dem Wort έπιστή μη z u s a m m e n . B e i d e W o r t e sind N a m e n für das E r k e n n e n im w e i t e s t e n Sinne. Sie m e i n e n das S i c h a u s k e n n e n in etwas, das S i c h v e r s t e h e n auf etwas. Das E r k e n n e n gibt Aufschluß. Als aufschließendes ist es ein Entbergen. Aristoteles u n t e r s c h e i d e t in einer b e s o n d e r e n B e t r a c h t u n g (Eth. Nie. VI, c. 3 und 4) die έπιστήμη u n d die τέχνη, u n d zwar im H i n b l i c k darauf, was sie u n d wie sie e n t b e r g e n . D i e τ έ χ ν η ist eine Weise des ά λ η θ ε ύ ε ι ν . Sie e n t b i r g t solches, was sich n i c h t selber h e r - v o r - b r i n g t u n d n o c h n i c h t vorliegt, was deshalb bald so, bald anders a u s s e h e n u n d ausfallen k a n n . Wer ein H a u s oder ein Schiff b a u t oder eine Opferschale s c h m i e d e t , e n t b i r g t das H e r - v o r - z u - b r i n g e n d e n a c h d e n H i n s i c h t e n der vier Weisen der Vera n l a s s u n g . D i e s e s E n t b e r g e n v e r s a m m e l t im voraus das A u s s e h e n u n d d e n Stoff von Schiff u n d H a u s auf das v o l l e n d e t e r s c h a u t e fertige D i n g u n d b e s t i m m t von da h e r die Art der Verfertigung. D a s E n t s c h e i d e n d e der τ έ χ ν η liegt somit keineswegs im M a c h e n u n d H a n t i e r e n , n i c h t im Verwenden von M i t t e l n , s o n d e r n in dem g e n a n n t e n E n t b e r g e n . Als dieses, n i c h t aber als Verfertigen, ist die τέχνη ein H e r - v o r - b r i n g e n . So f ü h r t uns denn der H i n w e i s darauf, was das Wort τ έ χ ν η sagt u n d wie die G r i e c h e n das G e n a n n t e b e s t i m m e n , in den selben Z u s a m m e n h a n g , der sich uns auftat, als wir der F r a g e n a c h gingen, was das I n s t r u m e n t a l e als solches in W a h r h e i t sei. T e c h n i k ist eine Weise des E n t b e r g e n s . D i e T e c h n i k west in
15 Die Frage nach der
Technik
d e m Bereich, wo E n t b e r g e n u n d U n v e r b o r g e n h e i t , wo α λ ή θ ε ι α , wo W a h r h e i t g e s c h i e h t . G e g e n diese B e s t i m m u n g des W e s e n s b e r e i c h e s der T e c h n i k k a n n m a n e i n w e n d e n , sie gelte zwar für das griechische D e n k e n und passe im g ü n s t i g e n Fall auf die h a n d w e r k l i c h e Technik, treffe jedoch nicht für die m o d e r n e K r a f t m a s c h i n e n t e c h n i k zu. Und gerade sie, sie allein ist das B e u n r u h i g e n d e , das uns bewegt, nach »der« Technik zu fragen. M a n sagt, die m o d e r n e Technik sei eine u n v e r g l e i c h b a r andere g e g e n ü b e r aller f r ü h e r e n , weil sie auf der n e u z e i t l i c h e n exakten N a t u r w i s s e n s c h a f t b e r u h e . I n z w i s c h e n hat man deutlicher e r k a n n t , daß auch das U m g e k e h r t e gilt: die neuzeitliche Physik ist als e x p e r i m e n t e l l e auf technische A p p a r a t u ren und auf den Fortschritt des A p p a r a t e b a u e s a n g e w i e s e n . Die F e s t s t e l l u n g dieses W e c h s e l v e r h ä l t n i s s e s zwischen Technik und Physik ist richtig. Aber sie bleibt eine bloß historische Feststellung von Tatsachen und sagt nichts von dem, worin dieses Wechselverhältnis g r ü n d e t . Die e n t s c h e i d e n d e Frage bleibt doch: welchen Wesens ist die m o d e r n e Technik, daß sie darauf verfallen k a n n , die exakte N a t u r w i s s e n s c h a f t zu verwenden? Was ist die m o d e r n e Technik? Auch sie ist ein E n t b e r g e n . Erst w e n n wir den Blick auf diesem G r u n d z u g r u h e n lassen, zeigt sich uns das N e u a r t i g e der m o d e r n e n Technik. D a s j e n i g e E n t b e r g e n , das die m o d e r n e Technik d u r c h h e r r s c h t , entfaltet sich nun aber nicht in ein H e r - v o r - b r i n g e n im Sinne der π ο ί η σ ι σ . Das in der m o d e r n e n T e c h n i k w a l t e n d e E n t b e r g e n ist ein H e r a u s f o r d e r n , das an die N a t u r das A n s i n n e n stellt, Energie zu liefern, die als solche h e r a u s g e f ö r d e r t und gespeichert w e r d e n kann. Gilt dies aber nicht auch von der alten W i n d m ü h l e ? Nein. Ihre Flügel d r e h e n sich zwar im W i n d e , seinem W e h e n bleiben sie u n m i t t e l b a r a n h e i m g e g e b e n . Die W i n d m ü h l e erschließt aber nicht E n e r g i e n der T u f t s t r ö m u n g , um sie zu speichern. Ein T a n d s t r i c h wird dagegen in die F ö r d e r u n g von Kohle und Erzen h e r a u s g e f o r d e r t . Das E r d r e i c h entbirgt sich jetzt als Kohlenrevier, der Boden als Erzlagerstätte. Anders erscheint das Feld, das der Bauer vormals bestellte, wobei bestellen noch hieß: hegen
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19
Die Frage nach der Technik
und pflegen. Das b ä u e r l i c h e Tun fordert den Ackerboden n i c h t heraus. Im Säen des Korns gibt es die Saat den W a c h s t u m s k r ä f t e n a n h e i m und h ü t e t ihr Gedeihen. Inzwischen ist auch die Feldb e s t e l l u n g in den Sog eines a n d e r s g e a r t e t e n Bestellens geraten, das die Natur stellt. Es stellt sie im Sinne der H e r a u s f o r d e r u n g . Ackerbau ist jetzt motorisierte E r n ä h r u n g s i n d u s t r i e . Die L u f t wird auf die Abgabe von Stickstoff hin gestellt, der Boden auf Erze, das Erz z. B. auf Uran, dieses auf Atomenergie, die zur Zerstörung oder friedlichen N u t z u n g e n t b u n d e n w e r d e n kann. Das Stellen, das die N a t u r e n e r g i e n herausfordert, ist ein Fördern in einem doppelten Sinne. Es fördert, i n d e m es erschließt und herausstellt. Dieses F ö r d e r n bleibt jedoch im voraus darauf abgestellt, anderes zu fördern, d.h. vorwärts zu treiben in die g r ö ß t m ö g l i c h e N u t z u n g bei g e r i n g s t e m Aufwand. Die im Kohlenrevier geförderte Kohle wird nicht gestellt, damit sie nur überh a u p t u n d irgendwo v o r h a n d e n sei. Sie lagert, d.h. sie ist zur Stelle für die Bestellung der in ihr gespeicherten S o n n e n w ä r m e . Diese wird herausgefordert auf Hitze, die bestellt ist, D a m p f zu liefern, dessen D r u c k das Getriebe treibt, wodurch eine Fabrik in Betrieb bleibt. Das Wasserkraftwerk ist in den R h e i n s t r o m gestellt. Es stellt ihn auf seinen Wasserdruck, der die Turbinen d a r a u f h i n stellt, sich zu drehen, welche D r e h u n g diejenige M a s c h i n e u m t r e i b t , deren Getriebe den elektrischen Strom herstellt, für den die U b e r l a n d z e n t r a l e u n d ihr Stromnetz zur S t r o m b e f ö r d e r u n g bestellt sind. Im Bereich dieser i n e i n a n d e r g r e i f e n d e n Folgen der B e s t e l l u n g elektrischer E n e r g i e erscheint auch der R h e i n s t r o m als etwas Bestelltes. Das Wasserkraftwerk ist nicht in den R h e i n strom gebaut wie die alte H o l z b r ü c k e , die seit J a h r h u n d e r t e n Ufer m i t Ufer verbindet. Vielmehr ist der Strom in das Kraftwerk verbaut. Er ist, was er jetzt als Strom ist, n ä m l i c h Wasserdrucklieferant, aus dem Wesen des Kraftwerks. Achten wir doch, um das U n g e h e u e r e , das hier waltet, auch n u r entfernt zu ermessen, für einen Augenblick auf den Gegensatz, der sich in den beiden Titeln ausspricht: »Der R h e i n « , verbaut in das Kraftweih, und
17 Die Frage nach der Technik »Der R h e i n « , gesagt aus dem Kunstwerk der g l e i c h n a m i g e n H y m n e Hölderlins. Aber der R h e i n bleibt doch, wird m a n entgegnen, Strom der Landschaft. M a g sein, aber wie? Nicht anders d e n n als bestellbares Objekt der Besichtigung durch eine Reisegesellschaft, die eine U r l a u b s i n d u s t r i e dorthin bestellt hat. Das E n t b e r g e n , das die m o d e r n e Technik d u r c h h e r r s c h t , hat den Charakter des Stellens im Sinne der Herausforderung. Diese geschieht dadurch, daß die in der Natur verborgene Energie aufgeschlossen, das Erschlossene u m g e f o r m t , das U m g e f o r m t e gespeichert, das Gespeicherte w i e d e r verteilt und das Verteilte erneut u m g e s c h a l t e t wird. Erschließen, u m f o r m e n , speichern, verteilen, u m s c h a l t e n sind Weisen des Entbergens. Dieses läuft jedoch nicht einfach ab. Es verläuft sich auch nicht ins U n b e stimmte. Das E n t b e r g e n entbirgt i h m selber seine eigenen, vielfach v e r z a h n t e n B a h n e n dadurch, daß es sie steuert. Die Steuer u n g selbst wird ihrerseits überall gesichert. Steuerung und Sicherung w e r d e n sogar die H a u p t z ü g e des h e r a u s f o r d e r n d e n Entbergens. Welche Art von U n v e r b o r g e n h e i t eignet n u n dem, was durch das h e r a u s f o r d e r n d e Stellen zustande kommt? Überall ist es bestellt, auf der Stelle zur Stelle zu stehen, und zwar zu stehen, um selbst bestellbar zu sein für ein weiteres Bestellen. Das so Bestellte hat seinen eigenen Stand. Wir n e n n e n ihn den Bestand. Das Wort sagt hier m e h r und Wesentlicheres als nur »Vorrat«. Das Wort »Bestand« r ü c k t jetzt in den R a n g eines Titels. Er kennzeichnet nichts Geringeres als die Weise, wie alles anwest, was vom h e r a u s f o r d e r n d e n E n t b e r g e n betroffen wird. Was im Sinne des Bestandes steht, steht uns nicht m e h r als Gegenstand gegenüber. Aber ein Verkehrsflugzeug, das auf der Startbahn steht, ist doch ein Gegenstand. Gewiß. Wir k ö n n e n die M a s c h i n e so vorstellen. Aber dann verbirgt sie sich in dem, was und wie sie ist. E n t b o r g e n steht sie auf der R o l l b a h n nur als Bestand, insofern sie bestellt ist, die Möglichkeit des Transports sicherzustellen. Hierfür m u ß sie selbst in i h r e m ganzen Bau, in j e d e m ihrer Bestand-
18
Die Frage nach der Technik
teile bestellfähig, d.h. startbereit sein. (Hier wäre der Ort, Hegels Bestimmung der Maschine als eines selbständigen Werkzeugs zu erörtern. Vom Werkzeug des Handwerks her gesehen, ist seine Kennzeichnung richtig. Allein, so ist die Maschine gerade nicht aus dem Wesen der Technik gedacht, in die sie gehört. Vom Bestand her gesehen, ist die Maschine schlechthin unselbständig; denn sie hat ihren Stand einzig aus dem Bestellen von Bestellbarem.) Daß sich uns jetzt, wo wir versuchen, die moderne Technik als das herausfordernde Entbergen zu zeigen, die Worte »stellen«, »bestellen«, »Bestand« aufdrängen und sich in einer trockenen, einförmigen und darum lästigen Weise häufen, hat seinen Grund in dem, was zur Sprache kommt. Wer vollzieht das herausfordernde Stellen, wodurch das, was m a n das Wirkliche nennt, als Bestand entborgen wird? Offenbar der Mensch. Inwiefern vermag er solches Entbergen? Der Mensch kann zwar dieses oder jenes 0 so oder so vorstellen, gestalten und betreiben. Allein, über die Unverborgenheit, worin sich jeweils das Wirkliche zeigt oder entzieht, verfügt der Mensch nicht. Daß sich seit Piaton das Wirkliche im Lichte von Ideen zeigt, hat Piaton nicht gemacht. Der Denker hat nur dem entsprochen, was sich ihm zusprach. Nur insofern der Mensch seinerseits schon herausgefordert ist, die Naturenergien herauszufordern, kann dieses bestellende Entbergen geschehen. Wenn der Mensch dazu herausgefordert, bestellt ist, gehört dann nicht auch der Mensch, ursprünglicher noch als die Natur, in den Bestand? Die umlaufende Bede vom Menschenmaterial, vom Krankenmaterial einer Klinik spricht dafür. Der Forstwart, der im Wald das geschlagene Holz vermißt und dem Anschein nach wie sein Großvater in der gleichen Weise dieselben Waldwege begeht, ist heute von der Holzverwertungsindustrie bestellt, ob er es weiß oder nicht. Er ist in die Bec 1954: dieses oder jenes Unverborgene! aber die U n v e r b o r g e n h e i t als solche? die Entborgenheit?
19 Die
Frage
nach
der
Technik
stellbarkeit von Zellulose bestellt, die ihrerseits durch den Bedarf an Papier herausgefordert ist, das den Zeitungen und illustrierten Magazinen zugestellt wird. Diese aber stellen die öffentliche Meinung daraufhin, das Gedruckte zu verschlingen, um für eine bestellte Meinungsherrichtung bestellbar zu werden. Doch gerade weil der Mensch ursprünglicher 1 1 als die Naturenergien herausgefordert ist, nämlich in das Bestellen 6 , wird er niemals zu einem bloßen Bestand. Indem der Mensch die Technik betreibt, n i m m t er am Bestellen als einer Weise des Entbergens teil. Allein, die Unverborgenheit selbst, innerhalb deren sich das Bestellen entfaltet, ist niemals ein menschliches Gemachte, so wenig wie der Bereich, den der Mensch jederzeit schon durchgeht, wenn er als Subjekt sich auf ein Objekt bezieht. Wo und wie geschieht das Entbergen, wenn es kein bloßes Gemachte des Menschen ist? Wir brauchen nicht weit zu suchen. Nötig ist nur, u n v o r e i n g e n o m m e n Jenes zu vernehmen, was den Menschen immer schon in Anspruch genommen hat, und dies so entschieden, daß er nur als der so Angesprochene jeweils Mensch sein kann. Wo immer der Mensch sein Auge und Ohr öffnet, sein Herz aufschließt, sich in das Sinnen und Trachten, Bilden und Werken, Bitten und Danken freigibt, findet er sich überall schon ins Unverborgene gebracht. Dessen Unverborgenheit hat sich schon ereignet, so oft sie den Menschen in die ihm zugemessenen Weisen des Entbergens hervorruft. Wenn der Mensch auf seine Weise innerhalb der Unverborgenheit das Anwesende entbirgt, dann entspricht er nur dem Zuspruch der Unverborgenheit, selbst dort, wo er ihm widerspricht. Wenn also der Mensch forschend, betrachtend der Natur als einem Bezirk seines Vorstellens nachstellt, dann ist er bereits von einer Weise der E n t b e r g u n g beansprucht, die ihn herausfordert, die Natur als einen Gegenstand der Forschung anzugehen, bis auch der Gegenstand in das Gegenstandlose des Bestandes verschwindet. 11
1954: heißt? eigentlicher in das Ereignis vereignet! 1954: heißt? metaphysisch gesprochen: in einem ausgezeichneten Geheiß des Seins und den entsprechenden Bezug, vgl. Zur Seinsfrage [in: GA Bd. 9] c
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Die
Frage
nach
der
Technik
So ist denn die m o d e r n e Technik als das b e s t e l l e n d e E n t b e r g e n kein bloß m e n s c h l i c h e s Tun. D a r u m müssen wir auch j e n e s Herausfordern, das den M e n s c h e n stellt, das W i r k l i c h e als Bestand zu bestellen, so n e h m e n , wie es sich zeigt. Jenes H e r a u s f o r d e r n vers a m m e l t den M e n s c h e n in das Bestellen. Dieses V e r s a m m e l n d e k o n z e n t r i e r t den M e n s c h e n darauf, das W i r k l i c h e als Bestand zu bestellen. Was die Berge u r s p r ü n g l i c h zu B e r g z ü g e n entfaltet und sie in i h r e m gefalteten B e i s a m m e n d u r c h z i e h t , ist das V e r s a m m e l n d e , das wir Gebirg n e n n e n . Wir n e n n e n jenes u r s p r ü n g l i c h V e r s a m m e l n d e , daraus sich die Weisen e n t f a l t e n , nach denen uns so und so z u m u t e ist, das Gemüt. Wir n e n n e n j e t z t j e n e n h e r a u s f o r d e r n d e n A n s p r u c h , der den M e n s c h e n d a h i n v e r s a m m e l t , das S i c h e n t b e r g e n d e als Bestand zu bestellen — das Ge-stell. Wir w a g e n es, dieses Wort in einem bisher völlig u n g e w o h n t e n Sinne zu g e b r a u c h e n . 8 N a c h der g e w ö h n l i c h e n B e d e u t u n g m e i n t das Wort »Gestell« ein Gerät, z. B. ein Büchergestell. Gestell h e i ß t auch ein K n o c h e n gerippe. Und so schaurig wie dieses scheint die uns jetzt z u g e m u tete V e r w e n d u n g des Wortes »Gestell« zu sein, ganz zu s c h w e i g e n von der Willkür, mit der auf solche Weise Worte der gewachsenen Sprache m i ß h a n d e l t w e r d e n . Kann m a n das A b s o n d e r l i c h e noch weiter treiben? Gewiß nicht. Allein, dieses A b s o n d e r l i c h e ist alter B r a u c h des D e n k e n s . Und zwar fügen sich ihm die D e n k e r gerade dort, wo es das Höchste zu denken gilt. Wir S p ä t g e b o r e n e n 1
das Ge-Stell
1. als Wesen des Willens zum Willen — »Wesen« im Sinne des durchgängig Währenden — der Grund-Zug — Durchzug des Grundes — durchgängiges Gründen 2. als verhaltener Anklang Vergessenheit — Ge-»setz« des Jtetffiii 5. als Schleier des Ereignisses erstes Erblitzen äußerster verhülltester Brauch im Be-stellen 0
1954: vgl. Identität und Differenz
[vorgesehen für GA Bd. 11]
21 Die Frage nach der
Technik
sind nicht m e h r i m s t a n d e zu ermessen, was es h e i ß t , daß P i a t o n es wagt, für das, was in allem und j e d e m west, das Wort ε ί δ ο ς zu g e b r a u c h e n . D e n n είδος b e d e u t e t in der alltäglichen Sprache die Ansicht, die ein sichtbares D i n g u n s e r e m s i n n l i c h e n Auge darbietet. P i a t o n m u t e t j e d o c h diesem Wort das ganz U n g e w ö h n l i c h e zu, Jenes zu b e n e n n e n , was gerade nicht und n i e m a l s mit sinnlichen Augen v e r n e h m b a r wird. Aber auch so ist des U n g e w ö h n l i chen noch keineswegs genug. D e n n ί δ ε α n e n n t n i c h t n u r das n i c h t s i n n l i c h e Aussehen des sinnlich S i c h t b a r e n . Aussehen, ίδέα heißt und ist auch, was im H ö r b a r e n , T a s t b a r e n , F ü h l b a r e n , in j e g l i c h e m , was i r g e n d w i e z u g ä n g l i c h ist, das Wesen 11 a u s m a c h t . G e g e n ü b e r dem, was Piaton der Sprache und dem D e n k e n in diesem und a n d e r e n F ä l l e n z u m u t e t , ist der jetzt gewagte G e b r a u c h des Wortes »Gestell« als N a m e für das Wesen der m o d e r n e n Technik b e i n a h e h a r m l o s . I n d e s s e n bleibt der jetzt v e r l a n g t e S p r a c h g e b r a u c h eine Z u m u t u n g und m i ß v e r s t ä n d l i c h . Ge-stell heißt das V e r s a m m e l n d e jenes Stellens, das den Menschen 1 stellt, d. h. h e r a u s f o r d e r t , das W i r k l i c h e in der Weise des Bestellens als Bestand zu e n t b e r g e n . Ge-stell heißt die Weise des E n t b e r g e n s , die im Wesen der m o d e r n e n Technik waltet und selber nichts Technisches ist. Z u m T e c h n i s c h e n gehört dagegen alles, was wir als G e s t ä n g e und Geschiebe und G e r ü s t e k e n n e n und was B e s t a n d s t ü c k dessen ist, was m a n M o n t a g e n e n n t . Diese fällt jedoch samt den g e n a n n t e n B e s t a n d s t ü c k e n in den Bezirk der t e c h n i s c h e n A r b e i t , die stets nur der H e r a u s f o r d e r u n g des Ge-stells e n t s p r i c h t , aber n i e m a l s dieses selbst a u s m a c h t oder gar bewirkt. Das Wort »stellen« m e i n t im Titel Ge-stell nicht nur das Herausfordern, es soll zugleich den A n k l a n g an ein anderes »Stellen« b e w a h r e n , aus dem es a b s t a m m t , n ä m l i c h an j e n e s Her- und D a r - s t e l l e n , das im Sinne der π ο ί η σ ι ς das A n w e s e n d e in die U n -
h 1954: deutlicher! ein ontisch gebrauchtes und geläufiges Wort in einen ausgezeichneten ontologischen Rang erhoben. ' 1954: nicht nur den Menschen! Ereignis und das Ge-Viert
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Die
Frage
nach
der
Technik
Verborgenheit h e r v o r k o m m e n läßt. J Dieses h e r v o r b r i n g e n d e Her-stellen, z. B. das Aufstellen eines Standbildes im Tempelbezirk und das jetzt b e d a c h t e h e r a u s f o r d e r n d e Bestellen sind zwar g r u n d v e r s c h i e d e n u n d bleiben doch im Wesen verwandt. Beide sind Weisen des Entbergens, der α λ ή θ ε ι α . Im Ge-stell ereignet sich die U n v e r b o r g e n h e i t , d e r g e m ä ß die Arbeit der m o d e r n e n Technik das Wirkliche als Bestand entbirgt. k Sie ist d a r u m weder nur ein menschliches Tun, noch gar ein bloßes M i t t e l i n n e r h a l b solchen Tuns. Die n u r i n s t r u m e n t a l e , die nur anthropologische B e s t i m m u n g der Technik wird im Prinzip hinfällig; sie läßt sich auch nicht mehr, falls sie doch als u n z u r e i c h e n d e r k a n n t w e r d e n sollte, durch eine nur d a h i n t e r geschaltete m e t a p h y s i s c h e oder religiöse E r k l ä r u n g ergänzen. W a h r bleibt allerdings, daß der Mensch des technischen Zeitalters auf eine besonders h e r v o r s t e c h e n d e Weise in das E n t bergen herausgefordert ist. Dieses betrifft zunächst die N a t u r als den H a u p t s p e i c h e r des Energiebestandes. D e m e n t s p r e c h e n d zeigt sich das bestellende Verhalten des M e n s c h e n zuerst im Aufkomm e n der n e u z e i t l i c h e n exakten Naturwissenschaft. Ihre Art des Vorstellens stellt der N a t u r als einem b e r e c h e n b a r e n Kräftezus a m m e n h a n g nach. Die neuzeitliche Physik ist nicht deshalb Exp e r i m e n t a l p h y s i k , weil sie A p p a r a t u r e n zur B e f r a g u n g der Natur ansetzt, sondern u m g e k e h r t : weil die Physik, und zwar schon als r e i n e Theorie, die Natur d a r a u f h i n stellt, sich als einen vorausb e r e c h e n b a r e n Z u s a m m e n h a n g von K r ä f t e n darzustellen, desh a l b wird das E x p e r i m e n t bestellt, n ä m l i c h zur Befragung, ob sich die so gestellte Natur und wie sie sich meldet. Aber die m a t h e m a t i s c h e N a t u r w i s s e n s c h a f t ist doch um fast zwei J a h r h u n d e r t e vor der m o d e r n e n Technik e n t s t a n d e n . Wie soll sie da schon von der m o d e r n e n Technik in deren D i e n s t gestellt sein? Die Tatsachen sprechen für das Gegenteil. Die moderne Technik k a m doch erst in Gang, als sie sich auf die exakte ' 1954: vgl. jetzt Der Ursprung des Kunstwerkes Nachwort über θέσις in: GA
Bd. 5] 1 1954: zu einseitig nur auf das δηλουν abgehoben
23 Die Frage
nach
der
Technik
Naturwissenschaft stützen konnte. Historisch gerechnet, bleibt dies richtig. Geschichtlich gedacht, trifft es nicht das Wahre. Die neuzeitliche physikalische Theorie der Natur ist die Wegbereiterin nicht erst der Technik, sondern des Wesens der modernen Technik. D e n n das herausfordernde Versammeln in das bestellende Entbergen waltet bereits in der Physik. Aber es k o m m t in ihr noch nicht eigens zum Vorschein. Die neuzeitliche Physik ist der in seiner Herkunft noch unbekannte Vorbote des Ge-stells. Das Wesen der modernen Technik verbirgt sich auf lange Zeit auch dort noch, wo bereits Kraftmaschinen erfunden, die Elektrotechnik auf die Bahn und die Atomtechnik in Gang gesetzt sind. Alles Wesende, nicht nur das der modernen Technik, hält sich überall am längsten verborgen. Gleichwohl bleibt es im Hinblick auf sein Walten solches, was allem voraufgeht: das Früheste. Davon wußten schon die griechischen Denker, wenn sie sagten: Jenes, was hinsichtlich des waltenden Aufgehens früher ist, wird uns Menschen erst später offenkundig. Dem Menschen zeigt sich die anfängliche Frühe erst zuletzt. D a r u m ist im Bereich des Denkens eine Bemühung, das anfänglich Gedachte noch anfänglicher zu durchdenken, nicht der widersinnige Wille, Vergangenes zu erneuern, sondern die nüchterne Bereitschaft, vor dem Kommenden der Frühe zu erstaunen. Für die historische Zeitrechnung liegt der Beginn der neuzeitlichen Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert. Dagegen entwikkelt sich die Kraftmaschinentechnik erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Allein, das für die historische Feststellung Spätere, die moderne Technik, ist hinsichtlich des in ihm waltenden Wesens das geschichtlich Frühere. Wenn die moderne Physik in z u n e h m e n d e m Maße sich damit abfinden muß, daß ihr Vorstellungsbereich unanschaulich bleibt, dann ist dieser Verzicht nicht von irgendeiner Kommission von Forschern diktiert. Er ist vom Walten des Ge-stells herausgefordert, das die Bestellbarkeit der Natur als Bestand verlangt. D a r u m kann die Physik bei allem Rückzug aus dem bis vor kurzem allein maßgebenden, nur den Gegenständen zugewandten Vorstellen
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Die
Frage
nach der
Technik
auf eines n i e m a l s verzichten: daß sich die N a t u r in i r g e n d e i n e r r e c h n e r i s c h feststellbaren Weise m e l d e t und als ein System von I n f o r m a t i o n e n bestellbar bleibt. Dieses System b e s t i m m t sich dann aus einer noch einmal g e w a n d e l t e n Kausalität. Sie zeigt jetzt weder den C h a r a k t e r des h e r v o r b r i n g e n d e n Veranlassens, noch die Art der causa efficiens oder gar der causa formalis. Verm u t l i c h s c h r u m p f t die Kausalität in ein h e r a u s g e f o r d e r t e s Melden gleichzeitig oder n a c h e i n a n d e r sicherzustellender Bestände z u s a m m e n . D e m e n t s p r ä c h e der Prozeß des z u n e h m e n d e n Sichabfindens, den H e i s e n b e r g s Vortrag in eindrucksvoller Weise schilderte. (W. H e i s e n b e r g , Das N a t u r b i l d in der h e u t i g e n Physik, in: Die Künste im t e c h n i s c h e n Zeitalter, M ü n c h e n 1954, S. 43 ff.). Weil das Wesen der m o d e r n e n Technik im Ge-stell b e r u h t , deshalb muß diese die exakte N a t u r w i s s e n s c h a f t v e r w e n d e n . Dadurch e n t s t e h t der t r ü g e r i s c h e Schein, als sei die m o d e r n e Technik a n g e w a n d t e N a t u r w i s s e n s c h a f t . Dieser Schein k a n n sich solange b e h a u p t e n , als weder die W e s e n s h e r k u n f t der neuzeitlichen Wissenschaft, noch gar das Wesen der m o d e r n e n Technik h i n r e i c h e n d erfragt werden. Wir f r a g e n nach der Technik, um unsere B e z i e h u n g zu i h r e m Wesen ans L i c h t zu heben. Das Wesen der m o d e r n e n Technik zeigt sich in dem, was wir das Ge-stell n e n n e n . Allein, der Hinweis darauf ist noch keineswegs die A n t w o r t auf die Frage nach der Technik, w e n n a n t w o r t e n heißt: e n t s p r e c h e n , n ä m l i c h dem Wesen dessen, wonach gefragt wird. W o h i n sehen wir uns gebracht, w e n n wir jetzt noch um einen Schritt weiter dem n a c h d e n k e n , was das Ge-stell als solches selber ist? Es ist nichts Technisches, nichts M a s c h i n e n a r t i g e s . Es ist die Weise, nach der sich das W i r k l i c h e als Bestand entbirgt. Wied e r u m fragen wir: geschieht dieses E n t b e r g e n irgendwo jenseits alles m e n s c h l i c h e n Tuns? Nein. Aber es geschieht auch nicht nur im M e n s c h e n und nicht m a ß g e b e n d durch ihn. Das Ge-stell ist das V e r s a m m e l n d e jenes Stellens, das den M e n s c h e n stellt, das W i r k l i c h e in der Weise des Bestellens als
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nach der
Technik
Bestand zu e n t b e r g e n . Als der so H e r a u s g e f o r d e r t e steht der Mensch im W e s e n s b e r e i c h des Ge-stells. Er k a n n gar nicht erst n a c h t r ä g l i c h eine B e z i e h u n g zu ihm a u f n e h m e n . D a r u m k o m m t die F r a g e , wie wir in eine B e z i e h u n g zum Wesen der Technik gelangen sollen, in dieser Form jederzeit zu spät. Aber nie zu spät k o m m t die F r a g e , ob wir uns eigens als diejenigen e r f a h r e n , deren Tun und Lassen überall, bald offenkundig, bald versteckt, vom 1 Ge-stell h e r a u s g e f o r d e r t ist. Nie zu spät k o m m t vor allem die Frage, ob und wie wir uns eigens auf das einlassen, worin das Ge-stell selber west. Das Wesen der m o d e r n e n Technik b r i n g t den M e n s c h e n auf den Weg jenes E n t b e r g e n s , wodurch das W i r k l i c h e überall, mehr oder w e n i g e r v e r n e h m l i c h , zum Bestand wird. Auf einen Weg b r i n g e n — dies heißt in unserer Sprache: schicken. Wir n e n n e n jenes v e r s a m m e l n d e Schicken, das den M e n s c h e n erst auf einen Weg des E n t b e r g e n s bringt, das Geschickm. Von hier aus b e s t i m m t sich das Wesen aller Geschichte. Sie ist weder nur der Gegenstand der H i s t o r i e , noch nur der Vollzug m e n s c h l i c h e n Tuns. Dieses wird geschichtlich erst als ein geschickliches (vgl. Vom Wesen der W a h r h e i t , 1930; in erster Auflage gedruckt 1943, S. 16 f.)1. Und erst das Geschick in das v e r g e g e n s t ä n d l i c h e n d e Vorstellen m a c h t das Geschichtliche für die Historie, d.h. eine Wissenschaft, als G e g e n s t a n d zugänglich und von hier aus erst die gängige G l e i c h s e t z u n g des G e s c h i c h t l i c h e n mit dem H i s t o r i s c h e n möglich. Als die H e r a u s f o r d e r u n g ins Bestellen schickt das Ge-stell in eine Weise des E n t b e r g e n s . Das Ge-stell ist eine Schickung des Geschickes wie jede Weise des E n t b e r g e n s . Geschick in dem gen a n n t e n Sinne ist auch das H e r - v o r - b r i n g e n , die π ο ί η σ ι ς . I m m e r geht die U n v e r b o r g e n h e i t dessen, was ist, auf e i n e m Weg des Entbergens. I m m e r d u r c h w a l t e t den M e n s c h e n das G e schick der E n t b e r g u n g . Aber es ist n i e das Verhängnis eines 1 im ™ 1962: vgl. Zeit und Sein [vorgesehen für GA Bd. 14 1 In: W e g m a r k e n . GA Bd. 9, S. 190 f.
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Die
Frage
nach
der
Technik
Zwanges. D e n n der Mensch wird gerade erst frei, insofern er in den Bereich des Geschickes gehört und so ein H ö r e n d e r wird, nicht aber ein Höriger.
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Das Wesen der Freiheit ist ursprünglich nicht dem Willen oder gar n u r der Kausalität des m e n s c h l i c h e n Wollens zugeordnet. Die Freiheit verwaltet das Freie im Sinne des Gelichteten, d.h. des E n t b o r g e n e n . Das Geschehnis des E n t b e r g e n s , d. h. der Wahrheit, ist es, zu dem die Freiheit in der nächsten und innigsten Verw a n d t s c h a f t steht. Alles E n t b e r g e n gehört in ein Bergen und Verbergen. Verborgen aber ist und i m m e r sich verbergend das Befreiende, das Geheimnis. Alles E n t b e r g e n k o m m t aus dem Freien, geht ins Freie und bringt ins Freie. Die F r e i h e i t des Freien besteht weder in der U n g e b u n d e n h e i t der Willkür, noch in der Bind u n g durch bloße Gesetze. Die F r e i h e i t ist das lichtend Verbergende, in dessen L i c h t u n g j e n e r Schleier weht, der das Wesende aller W a h r h e i t verhüllt und den Schleier als den v e r h ü l l e n d e n erscheinen läßt. Die Freiheit ist der Bereich des Geschickes, das jeweils eine E n t b e r g u n g auf ihren Weg bringt. Das Wesen der m o d e r n e n Technik b e r u h t im Ge-stell. Dieses gehört in das Geschick der E n t b e r g u n g . Die Sätze sagen anderes als die öfter v e r l a u t e n d e Bede, die Technik sei das Schicksal unseres Zeitalters, wobei Schicksal meint: das U n a u s w e i c h l i c h e eines u n a b ä n d e r l i c h e n Verlaufs. W e n n wir jedoch das Wesen der Technik b e d e n k e n , dann erf a h r e n wir das Ge-stell als ein Geschick der E n t b e r g u n g . So halten wir uns schon im Freien des Geschickes auf, das uns keineswegs in einen d u m p f e n Z w a n g einsperrt, die Technik blindlings zu b e t r e i b e n oder, was das Selbe bleibt, uns hilflos gegen sie aufz u l e h n e n und sie als Teufelswerk zu v e r d a m m e n . Im Gegenteil: w e n n wir uns dem Wesen der Technik eigens öffnen, finden wir uns unverhofft in einen b e f r e i e n d e n Anspruch g e n o m m e n . Das Wesen der Technik b e r u h t im Ge-stell. Sein Walten gehört in das Geschick. Weil dieses den M e n s c h e n jeweils auf einen Weg des E n t b e r g e n s bringt, geht der Mensch, also u n t e r w e g s , imm e r f o r t am B a n d e der Möglichkeit, nur das im Bestellen Entbor-
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Frage
nach
der
Technik
gene zu verfolgen und zu b e t r e i b e n und von da her alle Maße zu n e h m e n . H i e r d u r c h verschließt sich die andere Möglichkeit, daß der Mensch eher und m e h r u n d stets anfänglicher auf das Wesen des U n v e r b o r g e n e n und seine U n v e r b o r g e n h e i t sich einläßt, um die gebrauchte Zugehörigkeit zum E n t b e r g e n als sein Wesen zu erfahren. Zwischen diese M ö g l i c h k e i t e n gebracht, ist der Mensch aus dem Geschick her gefährdet. Das Geschick der E n t b e r g u n g ist als solches in j e d e r seiner Weisen und d a r u m n o t w e n d i g Gefahr. In welcher Weise auch i m m e r das Geschick der E n t b e r g u n g w a l t e n mag, die U n v e r b o r g e n h e i t , in der alles, was ist, sich jeweils zeigt, birgt die Gefahr, daß der Mensch sich am Unverborgenen versieht und es m i ß d e u t e t . So kann, wo alles A n w e s e n d e sich im L i c h t e des U r s a c h e - W i r k u n g - Z u s a m m e n h a n g s darstellt, sogar Gott für das Vorstellen alles Heilige u n d H o h e , das Geheimnisvolle seiner Ferne verlieren. Gott k a n n im L i c h t e der Kausalität zu einer Ursache, zur causa efficiens, herabsinken. Er wird dann sogar i n n e r h a l b der Theologie zum Gott der Philosophen, j e n e r n ä m l i c h , die das U n v e r b o r g e n e und Verborgene nach der Kausalität des M a c h e n s b e s t i m m e n , ohne dabei j e m a l s die W e s e n s h e r k u n f t dieser Kausalität zu bedenken. Insgleichen k a n n die U n v e r b o r g e n h e i t , dergemäß sich tur als ein b e r e c h e n b a r e r W i r k u n g s z u s a m m e n h a n g von darstellt, zwar richtige Feststellungen verstatten, aber durch diese Erfolge die Gefahr bleiben, daß sich in allem gen das W a h r e entzieht.
die NaKräften gerade Bichti-
Das Geschick der E n t b e r g u n g ist in sich nicht irgendeine, sondern die Gefahr". Waltet jedoch das Geschick in der Weise des Ge-stells, dann ist es die höchste Gefahr. Sie bezeugt sich uns nach zwei H i n s i c h t e n . Sobald das U n v e r b o r g e n e nicht e i n m a l m e h r als Gegenstand, sondern ausschließlich als Bestand den M e n s c h e n angeht und der Mensch i n n e r h a l b des Gegenstandlosen nur noch der Besteller 11
1962: vgl. Einblick [in das was ist] 1949 fahr nachstellen [in: GA Bd. 79]
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Die
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nach
der
Technik
des Bestandes ist, — geht der Mensch am äußersten R a n d des Absturzes, dorthin n ä m l i c h , wo er selber n u r noch als Bestand gen o m m e n werden soll. Indessen spreizt sich gerade der so bedrohte Mensch in die Gestalt des H e r r n der Erde auf. D a d u r c h m a c h t sich der Anschein breit, alles was begegne, bestehe nur, insofern es ein G e m a c h t e des Menschen sei. Dieser Anschein zeitigt einen letzten t r ü g e r i s c h e n Schein. Nach ihm sieht es so aus, als begegne der Mensch überall n u r noch sich selbst. H e i s e n b e r g hat mit vollem R e c h t darauf h i n g e w i e s e n , daß sich dem h e u t i g e n M e n s c h e n das Wirkliche so darstellen m u ß (a.a.O. S. 60 f f ) . Indessen begegnet der Mensch heute in Wahrheit gerade nirgends mehr sich selber, d. h. seinem Wesen. D e r Mensch steht so entschieden im Gefolge der H e r a u s f o r d e r u n g des Ge-stells, daß er dieses nicht als einen A n s p r u c h v e r n i m m t , daß er sich selber als den im Ge-Stell von diesem A n g e s p r o c h e n e n ü b e r s i e h t und d a m i t auch j e d e Weise ü b e r h ö r t , inwiefern er aus seinem Wesen her im. Bereich eines Z u s p r u c h s ek-sistiert u n d d a r u m niemals n u r sich selber begegnen kann. Allein, das Ge-stell gefährdet nicht nur den M e n s c h e n in sein e m Verhältnis zu sich selbst und zu allem, was ist. Als Geschick verweist es in das E n t b e r g e n von der Art des Bestellens. Wo dieses herrscht, vertreibt es j e d e andere Möglichkeit der E n t b e r g u n g . Vor allem verbirgt das Ge-stell jenes E n t b e r g e n , das im Sinne der π ο ί η σ ι ς das Anwesende ins E r s c h e i n e n h e r - v o r - k o m m e n läßt. Im Vergleich hierzu drängt das h e r a u s f o r d e r n d e Stellen in den entgegengesetzt-gerichteten Bezug zu dem, was ist. Wo das Ge-stell waltet, p r ä g e n Steuerung und Sicherung des Bestandes alles Entbergen. Sie lassen sogar ihren eigenen Grundzug, n ä m l i c h dieses E n t b e r g e n als ein solches nicht m e h r zum Vorschein k o m m e n . So verbirgt d e n n das h e r a u s f o r d e r n d e Ge-stell nicht n u r eine v o r m a l i g e Weise des E n t b e r g e n s , das H e r - v o r - b r i n g e n , sondern es verbirgt das E n t b e r g e n als solches u n d mit ihm Jenes, worin sich U n v e r b o r g e n h e i t , d.h. W a h r h e i t ereignet. 0 Vergessenheit des Unter-Schieds
29 Die Frage nach der
Technik
Das Ge-stell verstellt das Scheinen u n d Walten der Wahrheit. Das Geschick, das in das Bestellen schickt, ist somit die äußerste Gefahr. Das Gefährliche ist nicht die Technik. Es gibt keine Däm o n i e der Technik, wohl dagegen das G e h e i m n i s ihres Wesens. Das Wesen der Technik ist als ein Geschick des E n t b e r g e n s die Gefahr. Die g e w a n d e l t e B e d e u t u n g des Wortes »Ge-stell« wird uns jetzt vielleicht schon um einiges vertrauter, w e n n wir Ge-stell im Sinne von Geschick und Gefahr denken. Die B e d r o h u n g des M e n s c h e n k o m m t nicht erst von den m ö g licherweise tödlich w i r k e n d e n M a s c h i n e n und A p p a r a t u r e n der Technik. Die eigentliche B e d r o h u n g hat den M e n s c h e n bereits in seinem Wesen angegangen. Die H e r r s c h a f t des Ge-stells droht mit der Möglichkeit, daß dem M e n s c h e n versagt sein könnte, in ein u r s p r ü n g l i c h e r e s E n t b e r g e n e i n z u k e h r e n und so den Zu spruch einer a n f ä n g l i c h e r e n W a h r h e i t zu erfahren. So ist denn, wo das Ge-stell herrscht, im höchsten Sinne Gefahr. »Wo aber Gefahr ist, wächst Das R e t t e n d e auch.« Bedenken wir das Wort H ö l d e r l i n s sorgsam. Was h e i ß t »retten«? Gewöhnlich m e i n e n wir, es b e d e u t e nur: das vom U n t e r g a n g Bedrohte gerade noch erhaschen, um es in seinem bisherigen Fortbestehen zu sichern. Aber »retten« sagt mehr. »Retten« ist: einholen ins Wesen, um so das Wesen erst zu seinem e i g e n t l i c h e n Scheinen zu bringen. Wenn das Wesen der Technik, das Ge-stell, die äußerste Gefahr ist und w e n n zugleich H ö l d e r l i n s Wort Wahres sagt, dann k a n n sich die H e r r s c h a f t des Ge-stells nicht darin erschöpfen, alles L e u c h t e n jedes E n t b e r g e n s , alles Scheinen der W a h r h e i t nur zu verstellen. D a n n muß v i e l m e h r gerade das Wesen der Technik das W a c h s t u m des R e t t e n d e n in sich bergen. Könnte d a n n aber nicht ein z u r e i c h e n d e r Blick in das, was das Ge-stell als ein Geschick des E n t b e r g e n s ist, das R e t t e n d e in sein e m Aufgehen zum Scheinen bringen?
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Die
Frage
nach
der
Technik
I n w i e f e r n wächst dort, wo Gefahr ist, das R e t t e n d e auch? Wo etwas wächst, dort wurzelt es, von dorther gedeiht es. Beides geschieht verborgen und still und zu seiner Zeit. Nach dem Wort des D i c h t e r s dürfen wir aber gerade nicht e r w a r t e n , dort, wo Gefahr ist, das R e t t e n d e u n m i t t e l b a r und u n v o r b e r e i t e t aufgreifen zu können. D a r u m müssen wir jetzt zuvor b e d e n k e n , inwiefern in dem, was die ä u ß e r s t e Gefahr ist, inwiefern im W a l t e n des Ge-stells das R e t t e n d e sogar am tiefsten wurzelt und von dorther gedeiht. Um solches zu b e d e n k e n , ist es nötig, durch einen letzten Schritt unseres Weges noch h e l l e r e n Auges in die Gefahr zu blikken. D e m e n t s p r e c h e n d müssen wir noch einmal nach der Technik fragen. D e n n in i h r e m Wesen wurzelt und gedeiht nach dem Gesagten das R e t t e n d e . Wie sollen wir j e d o c h das R e t t e n d e im Wesen der Technik erblicken, solange wir nicht b e d e n k e n , in w e l c h e m Sinne von »Wesen« das Ge-stell eigentlich das Wesen der Technik ist? Bisher verstanden wir das Wort »Wesen« in der g e l ä u f i g e n Bedeutung. In der Schulsprache der P h i l o s o p h i e heißt »Wesen« jenes, was etwas ist, lateinisch: quid. Die quidditas, die Washeit gibt A n t w o r t auf die Frage nach dem Wesen. Was z. B. allen Arten von B ä u m e n , der Eiche, Buche, Birke, Tanne, z u k o m m t , ist das selbe B a u m h a f t e . U n t e r dieses als die a l l g e m e i n e G a t t u n g , das »universale«, fallen die w i r k l i c h e n und m ö g l i c h e n Bäume. Ist nun das Wesen der Technik, das Ge-stell, die g e m e i n s a m e G a t t u n g für alles Technische? Träfe dies zu, dann wäre z. B. die D a m p f t u r b i n e , wäre der R u n d f u n k s e n d e r , wäre das Zyklotron ein Ge-stell. Aber das Wort »Ge-stell« m e i n t jetzt kein Gerät oder i r g e n d e i n e Art von A p p a r a t u r e n . Es m e i n t noch weniger den a l l g e m e i n e n Begriff solcher Bestände. Die M a s c h i n e n und A p p a r a t e sind ebensowenig Fälle und Arten des Ge-stells wie der M a n n an der Schalttafel und der I n g e n i e u r im K o n s t r u k t i o n s b u r e a u . All das gehört zwar als Bestandstück, als Bestand, als Besteller je auf seine Art in das Ge-stell, aber dieses ist n i e m a l s das Wesen der Technik im Sinne einer Gattung. Das Ge-stell ist eine g e s c h i c k h a f t e Weise des E n t b e r g e n s , n ä m l i c h das h e r a u s f o r d e r n d e . Eine solche ge-
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Frage
nach
der
Technik
schickhafte Weise ist auch das h e r v o r b r i n g e n d e E n t b e r g e n , die π ο ί η σ ι ς . . A b e r diese Weisen sind n i c h t Arten, die n e b e n e i n a n d e r g e o r d n e t u n t e r d e n Begriff des E n t b e r g e n s fallen. D i e E n t b e r g u n g ist j e n e s G e s c h i c k , das sich je u n d j ä h und allem D e n k e n u n e r k l ä r b a r in das h e r v o r b r i n g e n d e und h e r a u s f o r d e r n d e Entbergen austeilt 13 und sich dem M e n s c h e n zuteilt. Das herausford e r n d e E n t b e r g e n hat im h e r v o r b r i n g e n d e n seine geschickliche H e r k u n f t . Aber zugleich verstellt das Ge-stell g e s c h i c k h a f t die ποίησις. So ist d e n n das Ge-stell als ein Geschick der E n t b e r g u n g zwar das Wesen der T e c h n i k , aber n i e m a l s Wesen im Sinne der G a t t u n g u n d der essentia. B e a c h t e n wir dies, d a n n trifft u n s etwas E r s t a u n l i c h e s : die T e c h n i k ist es, die von uns verlangt, das, was m a n g e w ö h n l i c h u n t e r »Wesen« versteht, in e i n e m a n d e r e n Sinne zu denken. Aber in welchem? Schon w e n n wir » H a u s w e s e n « , »Staatswesen« sagen, m e i n e n wir nicht das A l l g e m e i n e einer G a t t u n g , sondern die Weise, wie H a u s und Staat w a l t e n , sich v e r w a l t e n , entfalten und verfallen. Es ist die Weise, wie sie wesen. J. P. Hebel g e b r a u c h t in einem Gedicht »Gespenst an der Kanderer Straße«, das G o e t h e besonders liebte, das alte Wort »die Weserei«. Es b e d e u t e t das R a t h a u s , insofern sich dort das G e m e i n d e l e b e n v e r s a m m e l t und das dörfliche D a s e i n im Spiel bleibt, d.h. west. Vom Z e i t w o r t »wesen« s t a m m t erst das H a u p t w o r t ab. »Wesen«, verbal v e r s t a n d e n , ist das Selbe wie » w ä h r e n « ; nicht nur b e d e u t u n g s m ä ß i g , sondern auch in der l a u t l i c h e n W o r t b i l d u n g . Schon Sokrates und Piaton denken das Wesen von etwas als das Wesende im Sinne des W ä h renden. Doch sie denken das W ä h r e n d e als das F o r t w ä h r e n d e (äei öv). Das F o r t w ä h r e n d e finden sie aber in dem, was sich als das B l e i b e n d e d u r c h h ä l t bei j e g l i c h e m , was vorkommt. Dieses Bleibende w i e d e r u m entdecken sie im A u s s e h e n (είδος, ί δ ε α ) , z. B. in der Idee »Haus«.
p
1962: sich austeilt, und dorn Menschen sieh entsprechend zuteilt.
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55
Die Frage
nach der
Technik
In ihr zeigt sich jenes, was jedes so Geartete ist. Die einzelnen wirklichen und möglichen Häuser sind dagegen wechselnde und vergängliche Abwandlungen der »Idee« und gehören deshalb zu dem Nichtwährenden. Nun ist aber auf keine Weise jemals zu begründen, daß das W ä h r e n d e einzig und allein in dem beruhen soll, was Piaton als die ίδέα, Aristoteles als το τί ην εΐνοα (jenes, was jegliches je s c h o n war), was die Metaphysik in den verschiedensten Auslegungen als essentia denkt. Alles Wesende währt. Aber ist das Währende nur das Fortwährende? W ä h r t das Wesen der Technik im Sinne des Fortwährens einer Idee, die über allem Technischen schwebt, so daß von hier aus der Anschein entsteht, der Name »die Technik« meine ein mythisches Abstraktum? Wie die Technik west, läßt sich nur aus j e n e m Fortwähren ersehen, worin sich das Ge-stell als ein Geschick des Entbergens ereignet. Goethe gebraucht einmal (Die Wahlverwandtschaften IL Teil, 10. Kap., in der Novelle »Die wunderlichen Nachbarskinder«) statt »fortwähren« das geheimnisvolle Wort »fortgewähren«. Sein Ohr hört hier »währen« und »gewähren« in einem unausgesprochenen Einklang. Bedenken wir nun aber nachdenklicher als bisher, was eigentlich währt und vielleicht einzig währt, dann dürfen wir sagen: Nur das Gewährte währt. Das anfänglich aus der Frühe Währende ist das Gewährende.
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Als das Wesende der Technik ist das Ge-stell das Währende. Waltet dieses gar im Sinne des Gewährenden? Schon die Frage scheint ein offenkundiger Mißgriff zu sein. D e n n das Ge-stell ist doch nach allem Gesagten ein Geschick, das in die herausfordernde Entbergung versammelt. Herausfordern ist alles andere, nur kein Gewähren. So sieht es aus, solange wir nicht darauf achten, daß auch das Herausfordern in das Bestellen des Wirklichen als Bestand immer noch ein Schicken bleibt, das den Menschen auf einen Weg des Entbergens bringt. Als dieses Geschick läßt das Wesende der Technik den Menschen in Solches ein, was er selbst von sich aus weder erfinden, noch gar machen kann; denn
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nach der
Technik
so etwas wie einen M e n s c h e n , der einzig von sich aus nur M e n s c h ist, gibt es nicht. Allein, w e n n dieses Geschick, das Ge-stell, die äußerste Gefahr ist, nicht nur für das M e n s c h e n w e s e n , sondern für alles E n t b e r gen als solches, darf dann dieses Schicken noch ein G e w ä h r e n heißen? A l l e r d i n g s , und vollends d a n n , w e n n in diesem Geschick das R e t t e n d e w a c h s e n sollte, ledes Geschick eines E n t b e r g e n s ereignet sich aus dem G e w ä h r e n und als ein solches. D e n n dieses trägt dem M e n s c h e n erst j e n e n Anteil am E n t b e r g e n zu, den das E r e i g n i s der E n t b e r g u n g b r a u c h t . Als der so G e b r a u c h t e ist der M e n s c h dem E r e i g n i s der W a h r h e i t vereignet. Das G e w ä h r e n d e , das so oder so in die E n t b e r g u n g schickt, ist als solches das R e t t e n d e . D e n n dieses läßt den M e n s c h e n in die höchste Würde seines Wesens schauen und e i n k e h r e n . Sie b e r u h t darin, die U n v e r b o r g e n h e i t und mit ihr j e zuvor die V e r b o r g e n h e i t alles Wesens auf dieser Erde zu h ü t e n . Gerade im Ge-stell, das den M e n s c h e n in das Bestellen als die v e r m e i n t l i c h einzige Weise der E n t b e r g u n g fortzureißen droht und so den M e n s c h e n in die Gefahr der Preisgabe seines freien Wesens stößt, gerade in dieser ä u ß e r s t e n G e f a h r k o m m t die i n n i g s t e , u n z e r s t ö r b a r e Z u g e h ö r i g keit des M e n s c h e n in das G e w ä h r e n d e zum Vorschein, gesetzt, daß wir an u n s e r e m Teil b e g i n n e n , auf das Wesen der Technik zu achten. So birgt denn, was wir am w e n i g s t e n v e r m u t e n , das W e s e n d e der Technik den m ö g l i c h e n A u f g a n g des R e t t e n d e n in sich. D a r u m liegt alles daran, daß wir den A u f g a n g b e d e n k e n und a n d e n k e n d h ü t e n . Wie geschieht dies? Vor allem a n d e r e n so, daß wir das W e s e n d e in der Technik erblicken, statt nur auf das Technische zu starren. Solange wir die Technik als I n s t r u m e n t vorstellen, bleiben wir im Willen h ä n g e n , sie zu m e i s t e r n . Wir t r e i b e n am Wesen der Technik vorbei. F r a g e n wir indessen, wie das I n s t r u m e n t a l e als eine Art des Kausalen west, dann e r f a h r e n wir dieses W e s e n d e als das Geschick eines E n t b e r g e n s . B e d e n k e n wir zuletzt, daß das W e s e n d e des Wesens sich im
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Die Frage
nach der
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G e w ä h r e n d e n ereignet 5 , das den M e n s c h e n in den Anteil am Entbergen b r a u c h t , dann zeigt sich: Das Wesen der Technik ist in einem h o h e n Sinne zweideutig. Solche Z w e i d e u t i g k e i t deutet in das G e h e i m n i s aller E n t b e r g u n g , d. h. der W a h r h e i t . E i n m a l fordert das Ge-stell in das R a s e n d e des Bestellens heraus, das jeden Blick in das Ereignis der E n t b e r g u n g verstellt und so den Bezug zum Wesen der W a h r h e i t von G r u n d auf g e f ä h r d e t . Z u m a n d e r e n ereignet sich das Ge-stell seinerseits im G e w ä h r e n d e n , das den M e n s c h e n darin w ä h r e n läßt, u n e r f a h r e n bislang, aber e r f a h r e n e r vielleicht künftig, der G e b r a u c h t e zu sein zur W a h r n i s des Wesens der W a h r h e i t . So erscheint der A u f g a n g des R e t t e n d e n . Das U n a u f h a l t s a m e des Bestellens und das Verhaltene des Rett e n d e n ziehen a n e i n a n d e r vorbei wie im Gang der G e s t i r n e die B a h n zweier Sterne. Allein, dieser ihr Vorbeigang ist das Verborgene ihrer N ä h e . Blicken wir in das z w e i d e u t i g e Wesen der Technik, dann erblicken wir die Konstellation, den S t e r n e n g a n g des Geheimnisses. Die Frage nach der Technik ist die Frage nach der Konstellation, in der sich E n t b e r g u n g und Verbergung, in der sich das W e s e n d e der W a h r h e i t ereignet. D o c h was hilft uns der Blick in die Konstellation der Wahrheit? Wir blicken in die Gefahr und erblicken das W a c h s t u m des Rettenden. D a d u r c h sind wir noch nicht gerettet. Aber wir sind d a r a u f h i n a n g e s p r o c h e n , im w a c h s e n d e n Licht des R e t t e n d e n zu verhoffen. Wie kann dies geschehen? Hier und jetzt und im G e r i n g e n so, daß wir das R e t t e n d e in seinem W a c h s t u m hegen. Dies schließt ein, daß wir jederzeit die äußerste Gefahr im Blick b e h a l t e n . Das W e s e n d e der Technik bedroht das E n t b e r g e n , droht mit der Möglichkeit, daß alles E n t b e r g e n im Bestellen a u f g e h t und alles sich nur in der U n v e r b o r g e n h e i t des B e s t a n d e s darstellt. q
1962: das Eignis selbst
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M e n s c h l i c h e s Tun k a n n nie u n m i t t e l b a r dieser Gefahr begegnen. M e n s c h l i c h e T e i s t u n g kann nie allein die Gefahr b a n n e n . Doch m e n s c h l i c h e B e s i n n u n g k a n n b e d e n k e n , daß alles R e t t e n d e höheren, aber zugleich v e r w a n d t e n Wesens sein muß wie das Gefährdete. V e r m ö c h t e es dann vielleicht ein anfänglicher g e w ä h r t e s Entbergen, das R e t t e n d e zum ersten Scheinen zu b r i n g e n i n m i t t e n der Gefahr, die sich im t e c h n i s c h e n Zeitalter eher noch verbirgt als zeigt? E i n s t m a l s t r u g nicht nur die Technik den N a m e n τ έ χ ν η . E i n s t mals hieß τ έ χ ν η a u c h jenes E n t b e r g e n , das die W a h r h e i t in den Glanz des S c h e i n e n d e n h e r v o r b r i n g t . E i n s t m a l s hieß τ έ χ ν η a u c h das H e r v o r b r i n g e n des W a h r e n in das Schöne. Τ έ χ ν η hieß auch die π ο ί η σ ι ς der schönen Künste. Am Beginn des a b e n d l ä n d i s c h e n Geschickes stiegen in Griec h e n l a n d die Künste in die höchste H ö h e des i h n e n g e w ä h r t e n E n t b e r g e n s . Sie b r a c h t e n die G e g e n w a r t der Götter, b r a c h t e n die Z w i e s p r a c h e des g ö t t l i c h e n und m e n s c h l i c h e n Geschickes zum T e u c h t e n . Und die Kunst hieß nur τ έ χ ν η . Sie war ein einziges, vielfältiges E n t b e r g e n . Sie war f r o m m , π ρ ο μ ο ς , d . h . f ü g s a m dem W a l t e n und V e r w a h r e n der W a h r h e i t . Die Künste e n t s t a m m t e n nicht dem Artistischen. Die Kunstwerke w u r d e n nicht ästhetisch genossen. Die Kunst war nicht Sektor eines Kulturschaffens. Was war die Kunst? Vielleicht nur für kurze, aber hohe Zeiten? W a r u m trug sie den schlichten N a m e n τ έ χ ν η ? Weil sie ein h e r u n d vor-bringendes E n t b e r g e n war u n d d a r u m in die π ο ί η σ ι ς gehörte. Diesen N a m e n erhielt zuletzt jenes E n t b e r g e n als E i g e n n a m e n , das alle Kunst des Schönen d u r c h w a l t e t , die Poesie, das Dichterische. Der selbe Dichter, von dem wir das Wort holten: »Wo aber Gefahr ist, wächst Das R e t t e n d e auch.« sagt uns:
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»... dichterisch w o h n e t der M e n s c h auf dieser Erde.« Das D i c h t e r i s c h e bringt das W a h r e in den Glanz dessen, was Piaton im »Phaidros« το έκφανέστατον n e n n t , das am r e i n s t e n Herv o r s c h e i n e n d e . Das D i c h e r i s c h e d u r c h w e s t j e d e Kunst, j e d e Entb e r g u n g des W e s e n d e n ins Schöne. Sollten die schönen Künste in das dichterische E n t b e r g e n ger u f e n sein? Sollte das E n t b e r g e n sie a n f ä n g l i c h e r in den Anspruch n e h m e n , d a m i t sie so an i h r e m Teil das W a c h s t u m des R e t t e n d e n eigens hegen, Blick und Z u t r a u e n in das G e w ä h r e n d e neu wecken und stiften? Ob der Kunst diese höchste M ö g l i c h k e i t ihres Wesens i n m i t t e n der ä u ß e r s t e n G e f a h r g e w ä h r t ist, v e r m a g n i e m a n d zu wissen. D o c h wir k ö n n e n e r s t a u n e n . Wovor? Vor der a n d e r e n Möglichkeit, daß überall das R a s e n d e der Technik sich e i n r i c h t e t , bis eines Tages durch alles Technische h i n d u r c h das Wesen der Technik west im E r e i g n i s der W a h r h e i t . Weil das Wesen der Technik nichts Technisches ist, d a r u m m u ß die w e s e n t l i c h e B e s i n n u n g auf die Technik und die entscheidende A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit ihr in einem Bereich gescheh e n , der einerseits mit dem Wesen der Technik v e r w a n d t und a n d e r e r s e i t s von ihm doch g r u n d v e r s c h i e d e n ist. Ein solcher Bereich ist die Kunst. Freilich nur dann, w e n n die k ü n s t l e r i s c h e B e s i n n u n g i h r e r s e i t s sich der Konstellation der W a h r h e i t nicht verschließt, nach der wir fragen. Also f r a g e n d b e z e u g e n wir den N o t s t a n d , daß wir das Wesende der Technik vor lauter Technik noch nicht e r f a h r e n , daß wir das W e s e n d e der Kunst vor lauter Ä s t h e t i k nicht m e h r b e w a h r e n . Je f r a g e n d e r wir j e d o c h das Wesen der Technik b e d e n k e n , um so g e h e i m n i s v o l l e r wird das Wesen der Kunst. Je m e h r wir uns der Gefahr n ä h e r n , um so heller b e g i n n e n die W e g e ins R e t t e n d e zu l e u c h t e n , um so f r a g e n d e r w e r d e n wir. D e n n das F r a g e n ist die F r ö m m i g k e i t des D e n k e n s .
WISSENSCHAFT UND BESINNUNG 1
a b
wie i3e-steigung Aufbau die m o d e r n e Wissenschaft 40. I. E r l ä u t e r u n g (Wirklichkeit - Theorie) 42 ff - 55 I. Schritt II. Welcher unscheinbare Sachverhalt, verbirgt sich im Wesen der Wissenschaft 55 - 62 oben II. Schritt das unzugängliche Unumgängliche III. Was ist der unscheinbare Sachverhalt in sich selber dazu ein neues Fragen nötig andersartig- jedoch in eine »Wegrichtung« (Sinn) gerissen — auf welchem Weg und Gang'. — welcher Sache
39 Nach einer geläufigen Vorstellung bezeichnen wir den Bereich, worin sich die geistige u n d schöpferische Tätigkeit des Menschen abspielt, mit dem N a m e n »Kultur«. Z u ihr rechnet auch die Wissenschaft, deren Pflege u n d Organisation. Die Wissenschaft ist so unter die Werte eingereiht, die der Mensch schätzt, denen er aus verschiedenen Beweggründen sein Interesse z u w e n d e t .
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Solange wir die Wissenschaft jedoch nur in diesem kulturellen Sinne nehmen, ermessen wir weder die Herkunft noch die aus dieser verfügte Tragweite ihres Wesens. Das Gleiche gilt von der Kunst. Noch heute nennt m a n beide gern z u s a m m e n : Kunst u n d Wissenschaft. Auch die Kunst läßt sich als ein Sektor des Kulturbetriebes vorstellen. Aber m a n erfährt d a n n nichts v o n ihrem Wesen. Auf dieses gesehen, ist die Kunst eine Weihe u n d ein Hort, worin das Wirkliche seinen bislang verborgenen Glanz jedesmal neu dem Menschen verschenkt, damit er in solcher Helle reiner schaue u n d klarer höre, w a s sich seinem Wesen zuspricht. Sowenig wie die Kunst ist die Wissenschaft nur eine kulturelle Betätigung des Menschen. Die Wissenschaft ist eine u n d zwar entscheidende Weise, in der sich uns alles, w a s ist, dar-stellt.c D a r u m müssen wir sagen: die Wirklichkeit, innerhalb der sich der heutige Mensch bewegt u n d zu halten versucht, wird nach ihren G r u n d z ü g e n in z u n e h m e n d e m Maße durch das mitbestimmt, was m a n die abendländisch-europäische Wissenschaft nennt. Wenn wir diesem Vorgang nachsinnen, d a n n zeigt sich, daß die Wissenschaft im Weltkreis des Abendlandes u n d in den Zeitaltern seiner Geschichte eine sonst nirgends auf der Erde antreffbare Macht entfaltet hat u n d dabei ist, diese Macht schließlich über den ganzen Erdball zu legen. Ist n u n die Wissenschaft nur ein menschliches Gernächte, das sich in eine solche Herrschaft hochgetrieben hat, so daß m a n meinen könnte, es ließe sich eines Tages durch menschliches Wollen, durch Beschlüsse von Kommissionen auch wieder abbauen? Oder waltet hier ein größeres Geschick?d Herrscht in der Wisc wesentlicher (vom Ge-Stell her) d Ge-Stell
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senschaft a n d e r e s noch als ein bloßes Wissenwollen von Seiten des Menschen? So ist es in der Tat. Ein A n d e r e s waltet. Aber dieses Andere verbirgt sich uns, solange wir den gewohnten Vorstellungen über die Wissenschaft n a c h h ä n g e n . Dieses Andere ist ein Sachverhalt, der durch alle Wissenschaft e n h i n d u r c h waltet, ihnen selber jedoch verborgen bleibt. D a m i t dieser S a c h v e r h a l t in u n s e r e n Blick kommt, m u ß jedoch eine hinreichende K l a r h e i t d a r ü b e r bestehen, w a s die W i s s e n s c h a f t ist. Wie sollen wir dies e r f a h r e n ? Am sichersten, so scheint es, dadurch, d a ß wir den heutigen Wissenschaftsbetrieb schildern. Eine solche D a r s t e l l u n g könnte zeigen, wie die W i s s e n s c h a f t e n seit g e r a u m e r Zeit sich immer entschiedener u n d zugleich u n a u f fälliger in alle O r g a n i s a t i o n s f o r m e n des m o d e r n e n Lebens verzahnen: in die Industrie, in die Wirtschaft, in den Unterricht, in die Politik, in die K r i e g f ü h r u n g , in die Publizistik jeglicher Art. Diese V e r z a h n u n g zu kennen, ist wichtig. U m sie jedoch darstellen zu können, m ü s s e n wir zuvor e r f a h r e n haben," worin das Wesen der W i s s e n s c h a f t b e r u h t . Dies läßt sich in einem k n a p p e n Satz aussagen. E r lautet: Die Wissenschaft ist die Theorie des Wirklichen.
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Der Satz will weder eine fertige Definition, noch eine handliche Formel liefern. Der Satz e n t h ä l t lauter Fragen. Sie erwachen erst, w e n n der Satz e r l ä u t e r t wird. Vordem m ü s s e n wir beachten, d a ß der N a m e »Wissenschaft« in d e m S a t z »Die W i s s e n s c h a f t ist die Theorie des Wirklichen« s t e t s u n d n u r die neuzeitlich-moderne W i s s e n s c h a f t meint. Der Satz »Die W i s s e n s c h a f t ist die Theorie des Wirklichen« gilt weder f ü r die W i s s e n s c h a f t des M i t t e l alters, noch f ü r diejenige des A l t e r t u m s . Von einer Theorie des Wirklichen bleibt die mittelalterliche doctrina ebenso wesentlich verschieden wie diese w i e d e r u m gegenüber der a n t i k e n έπιστήμη. Gleichwohl g r ü n d e t das Wesen der m o d e r n e n Wissenschaft, die
e vorgreifend auf das Ganze des Vortrags: T. und II. Schritt (III.) 62 müssen wir zunächst das Wesen der Wissenschaft gekennzeichnet haben. Dann bleibt zu fragen, worin das Wesen beruht.
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als europäische inzwischen planetarisch geworden ist, im Denken der Griechen, das seit Piaton Philosophie heißt. Durch diesen Hinweis soll der umwälzende C h a r a k t e r der neuzeitlichen Art des Wissens in keiner Weise abgeschwächt werden; ganz im Gegenteil: das Auszeichnende des neuzeitlichen Wissens besteht in der entschiedenen Herausarbeitung eines Zuges, der im Wesen des griechisch erfahrenen Wissens noch verborgen bleibt und der das griechische gerade braucht, u m dagegen ein anderes Wissen zu werden. Wer es heute wagt, fragend, überlegend und so bereits mithandelnd dem Tiefgang der Welterschütterung zu entsprechen, die wir stündlich erfahren, der muß nicht n u r beachten, daß unsere heutige Welt vom Wissenwollen der modernen Wissenschaft durchherrscht wird, sondern er muß auch und vor allem anderen bedenken, daß jede Besinnung auf das, was j e t z t ist, nur aufgehen und gedeihen kann, wenn sie durch ein Gespräch mit den griechischen Denkern und deren Sprache ihre Wurzeln in den Grund unseres geschichtlichen Daseins schlägt. Dieses Gespräch w a r t e t noch auf seinen Beginn. Es ist k a u m erst vorbereitet und bleibt selbst wieder f ü r u n s die Vorbedingung f ü r das unausweichliche Gespräch mit der ostasiatischen Welt. Das Gespräch mit den griechischen Denkern und d.h. zugleich Dichtern, meint jedoch keine moderne Renaissance der Antike. Es meint ebensowenig eine historische Neugier f ü r solches, was inzwischen zwar vergangen ist, aber noch dazu dienen könnte, u n s einige Züge der modernen Welt historisch in ihrer Entstehung zu erklären. Das in der F r ü h e des griechischen Altertums Gedachte und Gedichtete ist heute noch gegenwärtig, so gegenwärtig, daß sein ihm selber noch verschlossenes Wesen u n s überall entgegenwartet und auf u n s zukommt, dort a m meisten, wo wir solches a m wenigsten vermuten, nämlich in der Herrschaft der modernen Technik, die der Antike durchaus fremd ist, aber gleichwohl in dieser ihre W e s e n s h e r k u n f t hat. U m diese Gegenwart der Geschichte zu erfahren, müssen wir
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u n s a u s der i m m e r noch h e r r s c h e n d e n historischen Vorstellung der Geschichte lösen. Das historische Vorstellen n i m m t die Geschichte als einen Gegenstand, worin ein Geschehen abläuft, das in seiner W a n d e l b a r k e i t zugleich vergeht. In d e m S a t z »Die W i s s e n s c h a f t ist die Theorie des Wirklichen« bleibt f r ü h Gedachtes, f r ü h Geschicktes gegenwärtig.
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Wir e r l ä u t e r n j e t z t den Satz nach zwei Hinsichten. Wir f r a g e n einmal: W a s heißt »das Wirkliche«? Wir f r a g e n z u m a n d e r n : W a s heißt »die Theorie«? Die E r l ä u t e r u n g zeigt zugleich, wie beide, das Wirkliche u n d die Theorie, a u s ihrem Wesen a u f e i n a n d e r zugehen. U m zu verdeutlichen, w a s im Satz »Die W i s s e n s c h a f t ist die Theorie des Wirklichen« der N a m e »das Wirkliche« meint, halt e n wir u n s a n das Wort. Das Wirkliche erfüllt den Bereich des Wirkenden, dessen, w a s wirkt. Was heißt »wirken«? Die Beantw o r t u n g der Frage m u ß sich a n die Etymologie halten. Doch entscheidend bleibt, wie dies geschieht. D a s bloße F e s t s t e l l e n der alt e n u n d oft nicht m e h r sprechenden B e d e u t u n g der Wörter, das Aufgreifen dieser B e d e u t u n g in der Absicht, sie in einem n e u e n Sprachgebrauch zu verwenden, f ü h r t zu nichts, es sei d e n n zur Willkür. Es gilt vielmehr, im A n h a l t a n die f r ü h e W o r t b e d e u t u n g u n d ihren Wandel den Sachbereich zu erblicken, in den das Wort hineinspricht. Es gilt, diesen Wesensbereich als denjenigen zu bedenken, i n n e r h a l b dessen sich die durch das Wort g e n a n n t e Sache bewegt. N u r so spricht das Wort u n d zwar im Z u s a m m e n h a n g der Bedeutungen, in die sich die von i h m g e n a n n t e Sache durch die Geschichte des Denkens u n d Dichtens hindurch entfaltet. »Wirken« heißt »tun«. W a s heißt »tun«? Das Wort gehört z u m i n d o g e r m a n i s c h e n S t a m m dhë; d a h e r s t a m m t a u c h d a s griechische θέσΐς: Setzung, Stellung, Lage. Aber dieses T u n ist nicht n u r als menschliche Tätigkeit gemeint, vor allem nicht als Tätigkeit im Sinne der Aktion u n d des Agierens. Auch W a c h s t u m , W a l t e n der N a t u r (φύσις) ist ein T u n u n d zwar in dem g e n a u e n Sinne der θέσΐς. E r s t in s p ä t e r e r Zeit gelangen die Titel φύσις u n d θεσις in
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einen Gegensatz, was wiederum nur deshalb möglich wird, weil ein Selbiges sie bestimmt. Φύσις ist θέσις: von sich aus etwas vor legen, es her stellen, her- und vor bringen, nämlich ins Anwesen. Das in solchem Sinne Tuende ist das Wirkende, ist das An wesende in seinem Anwesen. Das so verstandene Wort »wirken«, nämlich her- und vor-bringen f , nennt somit eine Weise, wie Anwesendes anwest. Wirken ist her- und vor bringen, sei es, daß etwas sich von sich aus her ins Anwesen vor bringt, sei es, daß der Mensch das Her- und Vor bringen von etwas leistet. In der Sprache des Mittelalters besagt unser deutsches Wort »wirken« noch das Hervorbringen von Häusern, Geräten, Bildern; später verengt sich die Bedeutung von »Wirken« auf das Hervorbringen im Sinne von nähen, sticken, weben? Das Wirkliche ist das Wirkende, Gewirkte: das ins Anwesen Her vor bringende und Her vor gebrachte. »Wirklichkeit« meint dann, weit genug gedacht: das ins Anwesen hervor gebrachte Vorliegen, das in sich vollendete Anwesen von Sichhervorbringendem. »Wirken« gehört zum indogermanischen Stamm uerg, daher unser Wort »Werk« und das griechische εργον. Aber nicht oft genug kann eingeschärft werden: Der Grundzug von Wirken und Werk beruht nicht im efficere und effectus im Sinne von Effekt qua Erfolg und Kausalität, sondern darin, daß etwas ins Unverborgene zu stehen und zu liegen kommt. Auch dort, wo die Griechen - nämlich Aristoteles - von dem sprechen, was die Lateiner causa efficiens nennen, meinen sie niemals das Leisten eines Effekts. 11 Das im εργον sich Vollendende ist das ins volle Anwesen Sich-hervor-bringende'; εργον ist das, was im eigentlichen und höchsten Sinne an-west. Darum und nur darum nennt Aristoteles die Anwesenheit des eigentlich Anwesenden die ένέργεια -legen und -stellen I besser die Rede von legen und stellen im Hinblick auf Vor-liegendes (ύποκείμενον. s u b - i e c t u m ) u n d h e r - s t e l l e n , v o r - s t e l l e n im H i n b l i c k auf Gegen-stand. Dagegen das Wort »bringen« aufbewahren für Anderes - aus dem Ereignis Gedachtes. h vgl. Der Satz vom Grund [GA Bd. 10] legende - stellende
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oder auch die έντελέχεια: das Sich-in-der-Vollendung (nämlich des Anwesens)-halten. Diese von Aristoteles f ü r d a s eigentliche Anwesen des A n w e s e n d e n g e p r ä g t e n N a m e n sind in dem, w a s sie sagen, durch einen Abgrund g e t r e n n t von der s p ä t e r e n neuzeitlichen Bedeutung von ένέργεια im Sinne von »Energie« u n d έντελέχεια im Sinne von »Entelechie« als W i r k a n l a g e u n d Wirkfähigkeit.
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Das aristotelische G r u n d w o r t f ü r d a s Anwesen, ένέργεια, ist n u r d a n n sachgerecht durch u n s e r Wort »Wirklichkeit« übersetzt, w e n n wir u n s e r e r s e i t s »wirken« griechisch denken im Sinne von: her - ins Unverborgene, v o r ins Anwesen bringen. »Wesen« ist dasselbe Wort wie »währen«, bleiben. Anwesen d e n k e n wir als w ä h r e n dessen, was, in der Unverborgenheit angekommen, da verbleibt. Seit der Zeit n a c h Aristoteles wird jedoch diese Bedeutung von ένέργεια im-Werk-Währen, v e r s c h ü t t e t zugun s t e n anderer. Die Römer übersetzen, d.h. denken εργον von der operatio als actio her u n d s a g e n s t a t t ένέργεια: actus, ein ganz a n d e r e s Wort mit einem ganz a n d e r e n Bedeutungsbereich. Das Her- u n d Vor g e b r a c h t e erscheint j e t z t als das, w a s sich a u s einer operatio er gibt. Das Ergebnis ist das, w a s a u s einer u n d auf eine actio folgt: der E r folg. Das Wirkliche ist j e t z t d a s Erfolgte. Der Erfolg wird durch eine Sache erbracht, die ihm voraufgeht, durch die Ursache (causa). D a s Wirkliche erscheint j e t z t im Lichte der K a u s a l i t ä t der causa efficiens. Selbst Gott wird in der Theologie, nicht im Glauben, als causa prima, als die erste Ursache, vorgestellt. Schließlich d r ä n g t sich im Verfolg der Ursache- Wirkungsbeziehung das N a c h e i n a n d e r in den Vordergrund u n d d a m i t der zeitliche Ablauf. K a n t e r k e n n t die K a u s a l i t ä t als eine Regel der Zeitfolge. In den j ü n g s t e n Arbeiten von W. Heisenberg ist d a s K a u s a l p r o b l e m ein rein m a t h e m a t i s c h e s Z e i t m e s s u n g s p r o b l e m . Allein, mit diesem W a n d e l der Wirklichkeit des Wirklichen ist noch ein anderes, nicht minder Wesentliches verbunden. Das Erw i r k t e im Sinne des Erfolgten zeigt sich als Sache, die sich in ein e m Tun, d.h. j e t z t Leisten u n d Arbeiten h e r a u s g e s t e l l t hat. D a s in der T a t solchen T u n s Erfolgte ist d a s Tatsächliche. Das Wort
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»tatsächlich« spricht heute im Sinne des Versicherns und besagt so viel wie »gewiß« und »sicher«. S t a t t »es ist gewiß so«, sagen wir »es ist tatsächlich so«, »es ist wirklich so«. Daß n u n aber das Wort »wirklich« mit dem Beginn der Neuzeit, seit dem 17. J a h r hundert, so viel bedeutet wie »gewiß«, ist weder ein Zufall, noch eine harmlose Laune des Bedeutungswandels bloßer Wörter. Das »Wirkliche« im Sinne des Tatsächlichen bildet j e t z t den Gegensatz zu dem, w a s einer Sicherstellung nicht s t a n d h ä l t und sich als bloßer Schein oder als n u r Gemeintes vorstellt. Allein, auch in dieser mannigfach gewandelten Bedeutung behält das Wirkliche immer noch den früheren, aber jetzt weniger oder anders hervorkommenden Grundzug des Anwesenden, das sich von sich her herausstellt. Aber j e t z t stellt es sich dar im Erfolgen.' Der Erfolg ergibt, daß das Anwesende durch ihn zu einem gesicherten Stand 1 gekommen ist und als solcher S t a n d dem Vorstellen begegnet. Das Wirkliche zeigt sich j e t z t als Gegen-Stand. Das Wort »Gegenstand« e n t s t e h t erst im 18. J a h r h u n d e r t und zwar als die deutsche Ubersetzung des lateinischen »obiectum«. Es h a t seine tieferen Gründe, w a r u m die Worte »Gegenstand« und »Gegenständlichkeit« f ü r Goethe ein besonderes Gewicht empfangen. Aber weder das mittelalterliche noch das griechische Denken stellen das Anwesende als Gegenstand vor. Wir nennen j e t z t die Art der Anwesenheit des Anwesenden, das in der Neuzeit als Gegenstand erscheint, die Gegenständigkeit. Sie ist in erster Linie ein C h a r a k t e r des Anwesenden selber. Wie jedoch die Gegenständigkeit des Anwesenden zum Vorschein gebracht und das Anwesende zum Gegenstand f ü r ein Vor stellen wird, k a n n sich u n s erst zeigen, wenn wir fragen: Was ist das Wirkliche in bezug auf die Theorie und somit in gewisser Weise mit durch diese?' Anders gewendet fragen wir jetzt: Was heißt im Satz »Die Wissenschaft ist die Theorie des Wirklichen« sich dar-stellen - vgl. oben 39 Ii (der Bestand) 1 die Theorie »des« Wirklichen
(der Genitiv!)
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d a s Wort »Theorie«? Der N a m e »Theorie« s t a m m t von d e m griechischen Zeitwort θεωρεΐν. Das zugehörige H a u p t w o r t lautet θεωρία. Diesen Worten eignet eine hohe u n d geheimnisvolle Bedeutung. Das Zeitwort θεωρεΐν ist a u s zwei S t a m m w o r t e n z u s a m mengewachsen: θέα u n d όράω. Θέ(Χ (vgl. Theater) ist der Anblick, d a s Aussehen, worin sich e t w a s zeigt, die Ansicht, in der es sich darbietet. P i a t o n n e n n t dieses Aussehen, worin A n w e s e n d e s das zeigt, w a s es ist"1, ειδος. Dieses Aussehen gesehen haben, είδέναι, ist Wissen. Das zweite S t a m m w o r t in θεωρεΐν, d a s όράω, b e d e u t e t : etwas ansehen, in den Augenschein nehmen, es be sehen. So ergibt sich: θεωρεΐν ist θέαν ÔpÔCV: den Anblick, worin das Anwesende erscheint, a n s e h e n u n d durch solche Sicht bei ihm sehend verweilen.
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Diejenige L e b e n s a r t (βίος), die a u s d e m θεωρεΐν ihre Bestimm u n g empfängt u n d ihm sich weiht, n e n n e n die Griechen den βίος θεωρητικός, die L e b e n s a r t des S c h a u e n d e n , der in das reine Scheinen des Anwesenden schaut. Im Unterschied dazu ist der βίθς πρακτικός die L e b e n s a r t , die sich d e m H a n d e l n u n d Herstellen widmet. Bei dieser U n t e r s c h e i d u n g m ü s s e n wir jedoch s t e t s eines festhalten: f ü r die Griechen ist der βίος θεωρηχικός, d a s s c h a u e n d e Leben, z u m a l in seiner r e i n s t e n Gestalt als Denken, d a s höchste Tun. Die θεωρία ist in sich, nicht erst durch eine daz u k o m m e n d e N u t z b a r k e i t , die vollendete Gestalt menschlichen Daseins. D e n n die θεωρία ist der reine Bezug zu den" Anblicken des Anwesende n, die durch ihr Scheinen den Menschen angehen, ind em sie die Gegenwart der Götter be-scheinen. Die weitere Kennzeichnung des θεωρεΐν, d a ß es die άρχαί und αίτίαΐ des Anwesenden vor das V e r n e h m e n u n d Darlegen bringt, k a n n hier nicht gegeben werden"; d e n n dies verlangte eine Besinnung darauf, w a s das griechische E r f a h r e n u n t e r dem verstand, w a s wir seit langem als principium u n d causa, G r u n d u n d Ursache, vorstellen (vgl. Aristoteles, Eth. Nie. VI c. 2, 1139 a sq). 1,1 11 0
als was es anwest Berg Meer Himmel vgl. Der Satz vom Grund [GA Bd.
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Mit dem höchsten Rang der θεωρία innerhalb des griechischen βίος hängt zusammen, daß die Griechen, die auf eine einzigartige Weise aus ihrer Sprache dachten, d.h. ihr Dasein empfingen, im Wort θεωρία noch Anderes mithören mochten. Die beiden Stammworte θεα und οραω können in anderer Betonung lauten: θεά und ώρα. 0 ε ά ist die Göttin. Als solche erscheint dem frühen Denker Parmenides die Άλήθεια, die Unverborgenheit, aus der und in der Anwesendes anwest. Wir übersetzen άλήθεια durch das lateinische Wort »veritas« und unser deutsches Wort »Wahrheit«. Das griechische Wort ώρα bedeutet die Rücksicht, die wir nehmen, die Ehre und Achtung, die wir schenken. Denken wir das Wort θεωρία jetzt aus den zuletzt genannten Wortbedeutungen, dann ist die θεωρία das verehrende Be achten der Unverborgenheit des Anwesenden. Die Theorie im alten und d.h. frühen, keineswegs veralteten Sinne ist das hütende Schauen der Wahrheit. Unser althochdeutsches Wort wara (wovon wahr, wahren und Wahrheit) geht in denselben Stamm zurück wie das griechische όράω, ώρα: Fopa. Das mehrdeutige und nach jeder Hinsicht hohe Wesen der griechisch gedachten Theorie bleibt verschüttet, wenn wir heute in der Physik von der Relativitätstheorie, in der Biologie von der Deszendenztheorie, in der Historie von der Zyklentheorie, in der Jurisprudenz von der Naturrechtstheorie sprechen. Gleichwohl zieht durch die modern verstandene »Theorie« immer noch der Schatten der frühen θεωρία. Jene lebt aus dieser und zwar nicht nur in dem äußerlich feststellbaren Sinne einer geschichtlichen Abhängigkeit. Was sich hier ereignet, wird deutlicher, wenn wir jetzt fragen: Was ist im Unterschied zur frühen θεωρία »die Theorie«, die in dem Satz genannt wird: »Die moderne Wissenschaft ist die Theorie des Wirklichen«? Wir antworten mit der nötigen Kürze, indem wir einen anscheinend ä u ß e r l i c h e n Weg wählen. Wir achten darauf, wie die griechischen Worte θεωρεΐν und θεωρία in die lateinische und in die deutsche Sprache übersetzt werden. Wir sagen mit Bedacht »die Worte« und nicht die Wörter, um anzudeuten, daß sich
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im Wesen und Walten der Sprache jedesmal ein Schicksal entscheidet. Die R ö m e r übersetzai θεωρεΐν d u r c h c o n t e m p l a r i , θεωρία durch contemplatio. Diese Übersetzung, die aus dem Geist der römischen Sprache und d.h. des römischen Daseins kommt, bringt das Wesenhafte dessen, was die griechischen Worte sagen, mit einem Schlag zum Verschwinden. Denn contemplari heißt: etwas in einen Abschnitt einteilen und darin umzäunen. Templum ist das griechische τέμενος, das einer ganz anderen Erfahrung entspringt als das θεωρεΐν. Τέμνεΐν heißt: schneiden, abteilen. Das Unzerschneidbare ist das ατμητον, à- χομον, Atom. Das lateinische templum bedeutet ursprünglich den am Himmel und auf der Erde herausgeschnittenen Abschnitt, die Himmelsrichtung, Himmelsgegend nach dem Sonnengang. Innerhalb dieser stellen die Vogeldeuter ihre Beobachtungen an, um aus Flug, Geschrei und Fressen der Vögel die Zukunft festzustellen (vgl. Ernout-Meillet, Dictionnaire étymologique de la langue latine 3 195 1, Ρ· 1202: contemplari dictum est a templo, i.e. loco qui ab omni parte aspici, vel ex quo omnis pars videri potest, quem antiqui templum nominabant). In der zur contemplatio gewordenen θεωρία meldet sich das bereits im griechischen Denken mitvorbereitete Moment des einschneidenden, aufteilenden Zusehens. Der Charakter des eingeteilten, eingreifenden Vorgehens 1 gegen das, was ins Auge gefaßt werden soll, macht sich im Erkennen geltend. Allein, auch jetzt noch bleibt die vita contemplativa von der vita activa unterschieden. In der Sprache der christlich-mittelalterlichen Frömmigkeit und Theologie gewinnt die genannte Unterscheidung wiederum einen anderen Sinn. Er hebt das beschaulich-klösterliche Leben gegen das weltlich-tätige ab. Die d e u t s c h e Übersetzung für contemplatio lautet: Betrachtung. Das griechsche θεωρεΐν, das Besehen des Aussehens des AnP Be-Griff Ί nicht feindlich
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wesenden, erscheint jetzt als Betrachten. Die Theorie ist die Betrachtung des Wirklichen. Doch was heißt Betrachtung? Man spricht von einer Betrachtung im Sinne der religiösen Meditation und Versenkung. Diese Art Betrachtung gehört in den Bereich der soeben genannten vita contemplativa. Wir sprechen auch vom Betrachten eines Bildes, in dessen Anblick wir uns freigeben. Bei solchem Sprachgebrauch bleibt das Wort »Betrachtung« in der Nähe von Beschauung und es scheint noch das Gleiche zu meinen wie die frühe θεωρία der Griechen. Allein, »die Theorie«, als welche sich die moderne Wissenschaft zeigt, ist etwas wesentlich anderes als die griechische »θεωρία«. Wenn wir daher »Theorie« durch »Betrachtung« übersetzen, dann geben wir dem Wort »Betrachtung« eine andere Bedeutung, keine willkürlich erfundene, sondern die ursprünglich ihm angestammte. Machen wir ernst mit dem, was das deutsche Wort »Betrachtung« nennt, dann erkennen wir das Neue im Wesen der modernen Wissenschaft als der Theorie des Wirklichen. Was heißt Betrachtung? Trachten ist das lateinische tractare, behandeln, bearbeiten. Nach etwas trachten heißt: sich auf etwas zu arbeiten, es verfolgen, ihm nachstellen, um es sicher zu stellen. Demnach wäre die Theorie als Betrachtung das nachstellende und sicherstellende Bearbeiten des Wirklichen. Diese Kennzeichnung der Wissenschaft dürfte aber offenkundig ihrem Wesen zuwiderlaufen. Denn die Wissenschaft ist als Theorie doch gerade »theoretisch«. Von einer Bearbeitung des Wirklichen sieht sie doch ab. Sie setzt alles daran, das Wirkliche rein zu erfassen. Sie greift nicht in das Wirkliche ein, um es zu verändern. Die reine Wissenschaft, verkündet man, ist »zweckfrei«. Und dennoch: die moderne Wissenschaft ist als Theorie im Sinne des Be-trachtens eine unheimlich eingreifende Bearbeitung des Wirklichen. Gerade durch diese Bearbeitung entspricht sie einem Grundzug des Wirklichen selbst. Das Wirkliche ist das sich herausstellende Anwesende. Dies zeigt sich unterdessen neuzeitlich in der Weise, daß es sein Anwesen in der Gegenständigkeit zum Stehen bringt. Diesem gegenständigen Walten des An-
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wesens entspricht die Wissenschaft, insofern sie ihrerseits als Theorie das Wirkliche eigens auf seine Gegenständigkeit hin herausfordert. Die Wissenschaft stellt das Wirkliche. Sie stellt es darauf hin, daß sich das Wirkliche jeweils als Gewirk, d.h. in den übersehbaren Folgen von angesetzten Ursachen darstellt. So wird das Wirkliche in seinen Folgen Verfolgbar und übersehbar. Das Wirkliche wird in seiner Gegenständigkeit sichergestellt. Hieraus ergeben sich Gebiete von Gegenständen, denen das wissenschaftliche Betrachten auf seine Weise nachstellen kann. Das nachstellende Vorstellen, das alles Wirkliche in seiner verfolgbaren Gegenständigkeit sicherstellt, ist der Grundzug des Vorstellens, wodurch die neuzeitliche Wissenschaft dem Wirklichen entspricht.' Die alles entscheidende Arbeit, die solches Vorstellen in jeder Wissenschaft leistet, ist nun aber diejenige Bearbeitung des Wirklichen, die überhaupt das Wirkliche erst und eigens in eine Gegenständigkeit herausarbeitet, wodurch alles Wirkliche im vorhinein zu einer Mannigfaltigkeit von Gegenständen für das nachstellende Sicherstellen umgearbeitet wird. Daß sich das Anwesende, z.B. die Natur, der Mensch, die Geschichte, die Sprache als das Wirkliche in seiner Gegenständigkeit herausstellt, daß in einem damit die Wissenschaft zur Theorie wird, die dem Wirklichen nach- und es im Gegenständigen sicherstellt, wäre für den mittelalterlichen Menschen ebenso befremdlich, wie es für das griechische Denken bestürzend sein müßte. Die moderne Wissenschaft ist darum als die Theorie des Wirklichen nichts Selbstverständliches. Sie ist weder ein bloßes Gernächte des Menschen, noch wird sie vom Wirklichen erzwungen. Wohl dagegen wird das Wesen der Wissenschaft durch das Anwesen des Anwesenden in dem Augenblick benötigt, da sich das Anwesen in die Gegenständigkeit des Wirklichen herausstellt." Dieser Augenblick bleibt wie jeder seiner Art geheimnisvoll. Nicht 1 Gegenstände auch für Goethe. Goethe sagt: daß die Ansichten der Gegenstand seien. 1 Ge-Steiie
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nur die größten Gedanken kommen wie auf Taubenfüßen, sondern erst recht und vordem jeweils der Wandel des Anwesens alles Anwesenden Die Theorie stellt jeweils einen Bezirk des Wirklichen als ihr Gegenstandsgebiet sicher. Der Gebietscharakter" der Gegenständigkeit zeigt sich daran, daß er zum voraus die Möglichkeiten der Fragestellung vorzeichnet. Jede innerhalb eines Wissenschaftsgebietes auftauchende neue Erscheinung wird solange bearbeitet, bis sie sich in den maßgebenden gegenständlichen Zusammenhang" der Theorie einpaßt. Dieser selbst wird dabei zuweilen abgewandelt. Die Gegenständigkeit als solche bleibt jedoch in ihren Grundzügen unverändert. Der im vorhinein vorgestellte Bestimmungsgrund für ein Verhalten und Vorgehen ist nach dem streng gedachten Begriff das Wesen dessen, was »Zweck« heißt. Wenn etwas in sich durch einen Zweck bestimmt bleibt, dann ist es die reine Theorie. Sie wird bestimmt durch die Gegenständigkeit des Anwesenden. Würde diese preisgegeben, dann wäre das Wesen der Wissenschaft verleugnet. Dies ist z.B. der Sinn des Satzes, daß die moderne Atomphysik keineswegs die klassische Physik von Galilei und Newton beseitige, sondern nur in ihrem Geltungsbereich einschränke. Allein, diese Einschränkung ist zugleich die Bestätigung der für die Theorie der Natur maßgebenden Gegenständigkeit, der gemäß die Natur sich als ein raum-zeitlicher, auf irgendeine Weise vorausberechenbarer Bewegungszusammenhang dem Vorstellen darstellt. Weil die moderne Wissenschaft in dem gekennzeichneten Sinne Theorie ist, deshalb hat in all ihrem Be trachten die Art ihres Trachtens, d. h. die Art des nachstellend-sicherstellenden Vorgehens, d.h. die Methode", den entscheidenden Vorrang. Ein oft an1
Geschick Gebiet - Verzeichnen und Umgrenzen, vgl. Kant, Kritik der Urteilskraft Einleitung. n. 11. v das einheitliche Ganze der Bestimmungen, wodurch das Gegenstandsgebiet eingegrenzt wird. w vgl. Nietzsche u
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geführter Satz von Max Planck lautet: »Wirklich ist, was sich messen läßt.« Dies besagt: der Entscheid darüber, was f ü r die Wissenschaft, in diesem Fall f ü r die Physik, als gesicherte Erkenntnis gelten darf, s t e h t bei der in der Gegenständigkeit der N a t u r angesetzten Meßbarkeit und ihr gemäß bei den Möglichkeiten des messenden Vorgehens. Der Satz von Max Planck ist aber n u r deshalb wahr, weil er etwas ausspricht, was zum Wesen der modernen Wissenschaft, nicht n u r der Naturwissenschaft, gehört. Das nachstellend-sicherstellende Verfahren aller Theorie des Wirklichen ist ein Berechnen. Wir dürfen diesen Titel allerdings nicht in dem verengten Sinne von Operieren mit Zahlen verstehen. Rechnen im weiten, wesentlichen Sinne meint: mit etwas rechnen, d.h. etwas in Betracht ziehen, auf etwas r e c h n e n " , d.h. in die Erwartung- stellen. In dieser Weise ist alle Vergegenständlichung des Wirklichen ein Rechnen, mag sie kausal-erklärend den Erfolgen von Ursachen nachsetzen, mag sie morphologisch sich über die Gegenstände ins Bild setzen, mag sie einen Folge- und Ordnungszusammenhang in seinen Gründen sicherstellen. Auch die M a t h e m a t i k ist kein Rechnen im Sinne des Operierens mit Zahlen zur Feststellung quantitativer Ergebnisse, wohl dagegen ist sie das Rechnen, das überall den Ausgleich von Ordnungsbeziehungen durch Gleichungen in ihre Erwartung gestellt h a t und deshalb im voraus mit einer Grundgleichung f ü r alle nur mögliche Ordnung »rechnet«." Weil die moderne Wissenschaft als Theorie des Wirklichen auf dem Vorrang der Methode beruht, muß sie als Sicherstellen der Gegenstandsgebiete diese gegeneinander abgrenzen und das Abgegrenzte in Fächer eingrenzen, d.h. einfächern. Die Theorie des Wirklichen ist notwendig Fachwissenschaft." Die Erforschung eines Gegenstandsgebietes muß bei ihrer Arbeit auf die jeweils besondere Artung der zugehörigen Gegen' vertrauen
zutrauen,
be-rechnen
* auch die »liebende« ' (Symmetrie) λόγθς a die zweite Natur
rechnen mit.. . , auf.. . :
freundschaftliche
zutrauen
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stände eingehen. Solches Eingehen auf das Besondere macht das Vorgehen der Fachwissenschaft zur Spezialforschung. Die Spezialisierung ist darum keineswegs eine verblendete Ausartung oder gar eine Verfallserscheinung der modernen Wissenschaft. Die Spezialisierung ist auch nicht ein nur unvermeidliches Übel. Sie ist eine notwendige und die positive Folge des Wesens der modernen Wissenschaft. Die Abgrenzung der Gegenstandsgebiete, die Eingrenzung dieser in Spezialzonen reißt die Wissenschaften nicht auseinander, sondern ergibt erst einen Grenzverkehr zwischen ihnen, wodurch sich Grenzgebiete abzeichnen. Diesen entstammt eine eigene Stoßkraft, die neue, oft entscheidende Fragestellungen auslöst. Man kennt diese Tatsache. Ihr Grund bleibt rätselhaft, so rätselhaft wie das ganze Wesen der modernen Wissenschaft. Zwar haben wir dieses Wesen jetzt dadurch gekennzeichnet, daß wir den Satz »Die Wissenschaft ist die Theorie des Wirklichen« nach den beiden Haupttiteln erläuterten. Es geschah als Vorbereitung für den zweiten Schritt, bei dem wir fragen: welcher unscheinbare Sachverhalt verbirgt sich im Wesen der Wissenschaft? Wir bemerken den Sachverhalt, sobald wir am Beispiel einiger Wissenschaften eigens darauf achten, wie es jeweils mit der Gegenständigkeit der Gegenstandsgebiete der Wissenschaften bestellt ist. Die Physik, worin jetzt, roh gesprochen, Makrophysik und Atomphysik, Astrophysik und Chemie eingeschlossen sind, betrachtet die Natur (φύσις), insofern sich diese als die leblose herausstellt. In solcher Gegenständigkeit zeigt sich die Natur als der Bewegungszusammenhang materieller Körper. Der Grundzug des Körperhaften ist die Undurchdringlichkeit, die ihrerseits sich wieder als eine Art von Bewegungszusammenhang der elementaren Gegenstände darstellt. Diese selbst und ihr Zusammenhang werden in der klassischen Physik als geometrische Punktmechanik, in der heutigen Physik durch die Titel »Kern« und »Feld« vorgestellt. Demgemäß ist für die klassische Physik jeder Bewegungszustand der raumerfüllenden Körper jederzeit
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Wissenschaft und Besinnung
zugleich sowohl nach Ort als auch nach Bewegungsgröße bestimmbar, d.h. eindeutig vorauszuberechnen. Dagegen läßt sich in der Atomphysik ein Bewegungszustand grundsätzlich n u r entweder nach Ort oder nach Bewegungsgröße bestimmen. Dementsprechend hält die klassische Physik dafür, daß sich die N a t u r eindeutig und vollständig vorausberechnen läßt, wogegen die Atomphysik n u r eine Sicherstellung des gegenständlichen Zusammenhangs zuläßt, die statistischen C h a r a k t e r hat. Die Gegenständigkeit der materiellen N a t u r zeigt in der modernen Atomphysik völlig andere Grundzüge als in der klassischen Physik. Diese, die klassische Physik, k a n n wohl in jene, die Atomphysik, eingebaut werden, aber nicht umgekehrt. Die Kernphysik läßt sich nicht m e h r in die klassische Physik auf- und zurückheben. Und dennoch - auch die moderne Kern- und Feldphysik bleibt noch Physik, d.h. Wissenschaft, d.h. Theorie, die den Gegenständen des Wirklichen in ihrer Gegenständigkeit nachstellt, u m sie in der Einheit der Gegenständigkeit sicherzustellen. Auch f ü r die moderne Physik gilt es, diejenigen element a r e n Gegenstände sicherzustellen, aus denen alle anderen Geg e n s t ä n d e des ganzen Gebietes bestehen. Auch das Vorstellen der modernen Physik bleibt darauf abgestellt, »eine einzige Grundgleichung anschreiben zu können, aus der die Eigenschaften aller Elementarteilchen und damit das Verhalten der Materie überh a u p t folgt«. (Heisenberg, Die gegenwärtigen Grundprobleme der Atomphysik. Vgl. Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft, 8. Auflage, 1948, S. 98). Der grobe Hinweis auf den Unterschied der Epochen innerhalb der neuzeitlichen Physik macht deutlich, wo der Wandel von der einen zur anderen sich abspielt: in der E r f a h r u n g und Bestimmung der Gegenständigkeit, in die sich die N a t u r herausstellt. Was sich jedoch bei diesem Wandel von der geometrisierend-klassischen zur Kern- und Feldphysik nicht wandelt, ist dies, daß die N a t u r zum voraus sich dem nachstellenden Sicherstellen zu stellen hat, das die Wissenschaft als Theorie vollzieht. Inwiefern jedoch in der j ü n g s t e n Phase der Atomphysik auch noch der
55 Wissenschaft und Besinnung Gegenstand verschwindet und so allererst die Subjekt-ObjektBeziehung als bloße Beziehung in den Vorrang v o r dem Objekt und dem Subjekt gelangt u n d als Bestand gesichert werden will, k a n n an dieser Stelle nicht genauer erörtert werden. [Die Gegenständigkeit wandelt sich in die aus dem Ge-Stell b e s t i m m t e Beständigkeit des Bestandes b (vgl. Die Frage nach der Technik). Die Subjekt-Objekt-Beziehung gelangt so erst in ihren reinen »Beziehungs«-, d. h. Bestellungscharakter, in dem sowohl das Subjekt als auch das Objekt als Bestände aufgesogen werden. Das sagt nicht: die Subjekt-Objekt-Beziehung verschwindet, sondern das Gegenteil: sie gelangt j e t z t in ihre äußerste, aus dem Ge-Stell vorbestimmte Herrschaft. Sie wird ein zu bestellender Bestand.] c Wir achten j e t z t auf den unscheinbaren Sachverhalt, der im Walten der Gegenständigkeit liegt. Die Theorie stellt das Wirkliche, im Falle der Physik die leblose N a t u r , in ein Gegenstandsgebiet fest. Indessen west die N a t u r immer schon von sich her an. Die Vergegenständlichung ihrerseits bleibt auf die anwesende N a t u r angewiesen. Auch dort, wo die Theorie aus Wesensgründen wie in der modernen Atomphysik notwendig unanschaulich wird, ist sie darauf angewiesen, daß sich die Atome f ü r eine sinnliche W a h r n e h m u n g herausstellen, mag dieses Sich-zeigen der Elementarteilchen auch auf einem sehr indirekten und technisch vielfältig vermittelten Wege geschehen (vgl. Wilsonkammer, Geigerzähler, Freiballonflüge zur Feststellung der Mesonen). Die Theorie kommt an der schon anwesenden N a t u r nie vorbei und sie kommt in solchem Sinne nie u m die N a t u r herum. Die Physik mag die allgemeinste und durchgängige Gesetzlichkeit der N a t u r aus der Identität von Materie und Energie vorstellen, dieses physikalisch Vorgestellte ist zwar die N a t u r selbst, jedoch unweigerlich n u r die N a t u r als das Gegenstandsgebiet, dessen Gegenständigkeit sich erst durch die b
die Beständigung der Bestellbarkeit der Bestände. '' Regelkreis der Kybernetik Seins-Erfahrung. Athener Vortrag hen für GA Bd. 8 0 ]
1967
[vorgese-
Wissenschaft
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physikalische B e a r b e i t u n g b e s t i m m t u n d in ihr eigens erstellt wird." Die N a t u r ist in ihrer Gegenständigkeit f ü r die moderne N a t u r w i s s e n s c h a f t n u r eine Art, wie das Anwesende, d a s von alt e r s h e r φύσις g e n a n n t wird, sich offenbart u n d der wissenschaftlichen B e a r b e i t u n g stellt. Auch w e n n das Gegenstandsgebiet der Physik in sich einheitlich u n d geschlossen ist, k a n n diese G e g e n s t ä n d i g k e i t n i e m a l s die Wesensfülle der N a t u r einkreisen. D a s wissenschaftliche Vorstellen v e r m a g d a s Wesen der N a t u r nie zu umstellen, weil die Gegenständigkeit der N a t u r z u m v o r a u s n u r eine Weise ist, in der sich die N a t u r h e r a u s s t e l l t . Die N a t u r bleibt so f ü r die Wissenschaft der Physik d a s Unumgängliche. Das Wort meint hier zweierlei. E i n m a l ist die N a t u r nicht zu u m g e h e n , insofern die Theorie nie a m Anwesenden vorbeikommt, s o n d e r n auf es angewiesen bleibt. S o d a n n ist die N a t u r nicht zu u m g e h e n , insofern die Gegenständigkeit als solche es verwehrt, d a ß d a s ihr e n t s p r e c h e n d e Vorstellen u n d Sicherstellen j e die Wesensfülle der N a t u r u m s t e l l e n könnte. Dies ist es, w a s Goethe bei s e i n e m veru n g l ü c k t e n Streit mit der Newtonschen Physik im G r u n d e vorschwebte." Goethe konnte noch nicht sehen, daß auch sein ans c h a u e n d e s Vorstellen der N a t u r sich im M e d i u m der G e g e n s t ä n -
' e
zweite
Natur
Gegenständlichkeit
und
Ansicht
[s. Nachwort]
»Das Wahre ist eine Fackel, aber eine ungeheure; deswegen suchen wir alle nur blinzend so daran vorbei zu kommen, in Furcht sogar, uns zu verbrennen.« Goethe. Sprüche in Prosa »Mit den Ansichten, wenn sie aus der Welt verschwinden, gehen oft die Gegenstände selbst verloren. Kann man doch im höheren Sinne sagen, daß die Ansicht der Gegenstand sei.« ebd. »Es ist viel mehr schon entdeckt, als man glaubt. Da die Ansichten
der
Menschen
erst
aus
dem
Nichts
Gegenstände
hervorgehoben
werden,
durch die so
kehren
sie, wenn sich die Ansichten verlieren, auch wieder in's Nichts zurück.« ebd. *
Gegenständigkeit
und
»Seiendes«
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digkeit, in der Subjekt-Objekt-Beziehung bewegt u n d d a r u m grundsätzlich von der Physik nicht verschieden ist u n d m e t a p h y sisch d a s Selbe bleibt wie j e n e . D a s w i s s e n s c h a f t l i c h e Vorstellen k a n n seinerseits n i e m a l s entscheiden, ob die N a t u r durch ihre Gegenständigkeit sich nicht eher entzieht, als d a ß sie ihre verborgene Wesensfülle z u m Erscheinen bringt. Die Wissenschaft vermag diese Frage nicht einmal zu fragen; d e n n als Theorie h a t sie sich bereits auf das von der Gegenständigkeit eingegrenzte Gebiet festgelegt. In der Gegenständigkeit der N a t u r , der die Physik als Vergeg e n s t ä n d l i c h u n g entspricht, w a l t e t d a s in einem zweifachen Sinne Unumgängliche. Sobald wir dieses U n u m g ä n g l i c h e einmal in einer Wissenschaft erblickt u n d auch n u r u n g e f ä h r bedacht haben, sehen wir es leicht in j e d e r anderen. Die Psychiatrie be t r a c h t e t das menschliche Seelenleben in seinen k r a n k e n u n d d.h. immer zugleich gesunden Erscheinungen. Sie stellt diese a u s der G e g e n s t ä n d i g k e i t der leiblich-seelisch-geistigen Einheit des ganzen Menschen vor. In die Geg e n s t ä n d i g k e i t der Psychiatrie stellt sich jeweils d a s schon anwesende menschliche Dasein h e r a u s . Das Da sein, worin der
»Der Mensch an sich selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der größte und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann, und das ist eben das größte Unheü der neuern Physik, daß man die Experimente gleichsam vom Menschen abgesondert hat und bloß in dem, was künstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch beschränken und beweisen will.« Goethe. Sprüche in Prosa 351 »Wir würden gar vieles besser kennen, wenn wir es nicht zu genau erkennen wollten.« ib.
Durch Heisenbergs Unbestimmtheits Relation ist der Mensch schließlich ausdrücklich in die Künstlichkeit der Instrumente einbezogen und ein Bestandstück dieser geworden. So gesehen, kann er in allen Gegenständen nur noch sich selbst begegnen - aber was ist er da »selbst« (die Instrumentation!)
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Mensch als M e n s c h ek-sistiert, bleibt d a s U n u m g ä n g l i c h e
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der
Psychiatrie. Die Historie, die sich i m m e r d r ä n g e n d e r zur Universalhistorie entfaltet, vollzieht ihr nachstellendes Sicherstellen in dem Gebiet, d a s sich ihrer Theorie als Geschichte zustellt. Das Wort »Historie« (ίστορεΐν) bedeutet: e r k u n d e n u n d sichtbar machen u n d n e n n t d a r u m eine Art des Vorstellens. Dagegen b e d e u t e t d a s Wort »Geschichte« das, w a s sich begibt, insofern es so u n d so bereitet u n d bestellt, d.h. beschickt u n d geschickt ist. Historie ist die E r k u n d u n g der Geschichte. Aber das historische B e t r a c h t e n s c h a f f t nicht erst die Geschichte selbst. Alles Historische, alles in der Weise der Historie Vor- u n d Festgestellte ist geschichtlich, d.h. auf das Geschick im Geschehen gegründet. Aber die Geschichte ist n i e m a l s notwendig historisch. Ob die Geschichte sich in ihrem Wesen n u r durch u n d f ü r die Historie offenbart oder ob die Geschichte durch die historische Vergegenständlichung nicht eher verdeckt wird, bleibt f ü r die Geschichtswissenschaft U n e n t s c h e i d b a r . E n t s c h i e d e n aber ist: in der Theorie der Historie w a l t e t die Geschichte als das U n u m gängliche. Die Philologie m a c h t die L i t e r a t u r der N a t i o n e n u n d Völker z u m Gegenstand des E r k l ä r e n s u n d Auslegens. Das Schriftliche der L i t e r a t u r ist jeweils d a s Gesprochene einer Sprache. W e n n die Philologie von der Sprache handelt, bearbeitet sie diese n a c h den gegenständlichen Hinsichten, die durch G r a m m a t i k , Etymologie u n d vergleichende Sprachhistorie, durch Stilistik u n d Poetik festgelegt sind. Die Sprache spricht jedoch, ohne d a ß sie zur L i t e r a t u r wird u n d vollends u n a b h ä n g i g davon, ob die L i t e r a t u r ihrerseits in die Gegenständigkeit gelangt, der die Feststellungen einer L i t e r a t u r w i s s e n s c h a f t entsprechen. In der Theorie der Philologie waltet die Sprache als d a s Unumgängliche. N a t u r , Mensch, Geschichte, Sprache bleiben f ü r die g e n a n n t e n W i s s e n s c h a f t e n d a s i n n e r h a l b ihrer Gegenständigkeit schon walt e n d e Unumgängliche, worauf sie jeweils angewiesen sind, w a s
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sie jedoch in seiner Wesensfülle d u r c h ihr Vorstellen nie umsteigen können. Dieses Unvermögen der Wissenschaften g r ü n d e t nicht darin, d a ß ihr nachstellendes Sicherstellen nie zu E n d e kommt, s o n d e r n darin, daß im Prinzip die Gegenständigkeit, in die sich jeweils N a t u r , Mensch, Geschichte, Sprache herausstellen, selbst n u r i m m e r Art des A n w e s e n s bleibt, in der d a s g e n a n n t e Anwesende zwar erscheinen k a n n , aber niemals unbedingt erscheinen muß. Das gekennzeichnete U n u m g ä n g l i c h e w a l t e t im Wesen j e d e r Wissenschaft. Ist n u n dieses Unumgängliche der u n s c h e i n b a r e Sachverhalt, den wir in den Blick bringen möchten? J a u n d nein. J a , insofern d a s Unumgängliche z u m g e m e i n t e n S a c h v e r h a l t gehört; nein, insofern das g e n a n n t e Unumgängliche f ü r sich allein den Sachverhalt noch nicht a u s m a c h t . Dies zeigt sich schon daran, daß dieses Unumgängliche selber noch eine wesentliche Frage v e r a n l a ß t . Das U n u m g ä n g l i c h e w a l t e t im Wesen der Wissenschaft. Demn a c h m ü ß t e zu e r w a r t e n sein, daß die W i s s e n s c h a f t selbst d a s U n u m g ä n g l i c h e in ihr selbst vorfinden u n d es als ein solches bes t i m m e n könne. Allein, g e r a d e dies t r i f f t nicht zu u n d zwar deshalb, weil dergleichen w e s e n s m ä ß i g unmöglich ist. Woran läßt sich dies e r k e n n e n ? W e n n die W i s s e n s c h a f t e n jeweils selber in ihnen selbst d a s g e n a n n t e Unumgängliche sollten vorfinden können, m ü ß t e n sie vor allem a n d e r e n i m s t a n d e sein, ihr eigenes Wesen vorzustellen. Doch hiezu bleiben sie jederzeit außerstande. Die Physik k a n n als Physik ü b e r die Physik keine Aussagen machen. Alle Aussagen der Physik sprechen physikalisch. Die Physik selbst ist kein möglicher G e g e n s t a n d eines physikalischen Experimentes. Dasselbe gilt von der Philologie. Als Theorie der Sprache u n d L i t e r a t u r ist sie n i e m a l s ein möglicher G e g e n s t a n d philologischer B e t r a c h t u n g . Das Gesagte gilt f ü r jede Wissenschaft. Indessen könnte sich ein E i n w a n d melden. Die Historie h a t als W i s s e n s c h a f t gleich allen übrigen W i s s e n s c h a f t e n eine Geschieh-
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Wissenschaft
und
Besinnung
te. Also k a n n die Geschichtswissenschaft sich selber im Sinne ihrer T h e m a t i k u n d Methode betrachten. Gewiß. Durch solche Bet r a c h t u n g e r f a ß t die Historie die Geschichte der Wissenschaft, die sie ist. Allein, die Historie e r f a ß t d a d u r c h n i e m a l s ihr Wesen als Historie, d.h. als W i s s e n s c h a f t . Will m a n ü b e r die M a t h e m a tik als Theorie e t w a s a u s s a g e n , d a n n m u ß m a n d a s G e g e n s t a n d s gebiet der M a t h e m a t i k u n d ihre Vorstellungsweise v e r l a s s e n . M a n k a n n nie durch eine m a t h e m a t i s c h e Berechnung a u s m a chen, w a s die M a t h e m a t i k selbst ist. 62
Es bleibt dabei: die W i s s e n s c h a f t e n sind a u ß e r s t a n d e , mit den Mitteln ihrer Theorie u n d durch die V e r f a h r e n s w e i s e n der Theorie j e m a l s sich selber als W i s s e n s c h a f t e n vor zustellen. W e n n der W i s s e n s c h a f t v e r s a g t bleibt, ü b e r h a u p t auf das eigene Wesen wissenschaftlich einzugehen, d a n n vermögen es die W i s s e n s c h a f t e n vollends nicht, auf das in i h r e m Wesen w a l t e n d e Unumgängliche zuzugehen. So zeigt sich e t w a s Erregendes. D a s in den W i s s e n s c h a f t e n jeweils Unumgängliche: die N a t u r , der Mensch, die Geschichte, die Sprache, ist als dieses U n u m g ä n g l i c h e f ü r die W i s s e n s c h a f t e n u n d durch sie u n z u g ä n g l i c h / E r s t w e n n wir diese Unzugänglichkeit des U n u m g ä n g l i c h e n mitbeachten, k o m m t der S a c h v e r h a l t in den Blick, der das Wesen der W i s s e n s c h a f t d u r c h w a l t e t . W e s h a l b n e n n e n wir aber das unzugängliche Unumgängliche den »unscheinbaren Sachverhalt«? Das Unscheinbare fällt nicht auf. Es mag gesehen sein, ohne doch eigens beachtet zu werden. Bleibt der gezeigte S a c h v e r h a l t im Wesen der W i s s e n s c h a f t n u r d e s h a l b u n b e a c h t e t , weil m a n d a s Wesen der W i s s e n s c h a f t zu selten u n d zu wenig bedenkt? Dies Letztere d ü r f t e k a u m j e m a n d mit G r u n d b e h a u p t e n . Im Gegenteil, viele Zeugnisse sprechen dafür, daß heute nicht n u r durch die Physik, sondern durch alle W i s s e n s c h a f t e n eine s e l t s a m e B e u n r u h i g u n g geht. Vordem jedoch regten sich in den vergangenen J a h r h u n d e r t e n der a b e n d ' »Die Wissenschaft denkt
nicht«
61 Wissenschaft
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Besinnung
ländischen Geistes- u n d Wissenschaftsgeschichte i m m e r wieder Versuche, d a s Wesen der W i s s e n s c h a f t zu u m g r e n z e n . Das leidenschaftliche u n d u n a b l ä s s i g e B e m ü h e n d a r u m ist vor allem ein G r u n d z u g der Neuzeit. Wie k ö n n t e da j e n e r S a c h v e r h a l t u n b e a c h t e t bleiben? H e u t e spricht m a n von der »Grundlagenkrise« der Wissenschaften. Sie betrifft allerdings n u r die Grundbegriffe der einzelnen Wissenschaften. Sie ist keineswegs eine Krisis der Wissenschaft als solcher. Diese geht h e u t e i h r e n Gang sicherer d e n n je. Das unzugängliche Unumgängliche, das die W i s s e n s c h a f t e n d u r c h w a l t e t u n d so ihr Wesen ins R ä t s e l h a f t e rückt, ist indessen weit mehr, nämlich w e s e n h a f t Anderes als eine bloße Unsicherheit in der Ansetzung der Grundbegriffe, durch die jeweils den W i s s e n s c h a f t e n d a s Gebiet beigestellt w i r d / So reicht d e n n auch die B e u n r u h i g u n g in den W i s s e n s c h a f t e n weit über die bloße Unsicherheit ihrer Grundbegriffe hinaus. M a n ist in den Wissenschaften b e u n r u h i g t u n d k a n n doch nicht sagen, woher u n d worüber trotz der mannigfachen E r ö r t e r u n g e n über die Wissenschaften. M a n philosophiert h e u t e von den verschiedensten S t a n d p u n k t e n a u s ü b e r die W i s s e n s c h a f t e n . M a n t r i f f t sich bei solchen B e m ü h u n g e n von Seiten der Philosophie mit den Selbstd a r s t e l l u n g e n , die ü b e r a l l durch die W i s s e n s c h a f t e n selbst in der F o r m z u s a m m e n f a s s e n d e r Abrisse u n d durch d a s E r z ä h l e n der Wissenschaftsgeschichte v e r s u c h t werden. Und dennoch bleibt j e n e s unzugängliche Unumgängliche im U n s c h e i n b a r e n . Deshalb k a n n die U n s c h e i n b a r k e i t des Sachv e r h a l t s nicht n u r darin beruhen, daß er uns nicht auffällt u n d d a ß wir ihn nicht beachten. Das U n s c h e i n b a r e des S a c h v e r h a l t s g r ü n d e t vielmehr darin, daß er selbst von sich her nicht z u m Vorschein kommt. Am unzugänglichen U n u m g ä n g l i c h e n als solchem liegt es, daß es s t e t s ü b e r g a n g e n wird. Insofern das Unscheinbare ein G r u n d z u g des g e n a n n t e n S a c h v e r h a l t s selbst ist, wird er erst d a n n zureichend bestimmt, w e n n wir sagen: ?
keine Frage der regionalen Ontologie
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62
Wissenschaft
und
Besinnung
Der Sachverhalt, der das Wesen der Wissenschaft, d.h. der Theorie des Wirklichen durchwaltet, ist das stets übergangene unzugängliche U n u m g ä n g l i c h e . 1 ' Der unscheinbare Sachverhalt verbirgt sich in den Wissenschaften. Aber er liegt nicht in ihnen wie der Apfel im Korb. Wir müssen eher sagen: die Wissenschaften r u h e n ihrerseits im unscheinbaren Sachverhalt wie der Fluß im Quell. Unser Vorhaben war, auf den Sachverhalt hinzuweisen, damit er selbst in die Gegend winke, aus der das Wesen der Wissenschaft stammt. 64
Was haben wir erreicht? Wir sind a u f m e r k s a m geworden für das stets übergangene, der Wissenschaft als solcher unzugängliche, gleichwohl für sie Unumgängliche. Es zeigt sich uns an der Gegenständigkeit, in die sich das Wirkliche herausstellt, durch die hindurch die Theorie den Gegenständen nachstellt, u m diese u n d ihren Z u s a m m e n h a n g im Gegenstandsgebiet der jeweiligen Wissenschaft für das Vorstellen sicherzustellen. Der unscheinbare Sachverhalt durchwaltet die Gegenständigkeit, worin sowohl die Wirklichkeit des Wirklichen als auch die Theorie des Wirklichen, worin somit auch das ganze Wesen der neuzeitlich-modernen Wissenschaft schwingt. Wir begnügen uns damit, auf den unscheinbaren
Sachverhalt'
11 Das Übergehen des unzugänglichen Unumgänglichen geschieht in den und durch die Wissenschaften selbst. Sie gehen in einen Fortriß - einen geschicklichen wohin? Antwort: in die vollständige Ausformung ihres eigenen vorgezeichneten Wesens. Auf welche Weise diese Ausformung (Einrichtung des jetzigen Aufenthalts des Menschen auf der Erde) von statten gehen wird, kann niemand voraussagen. Das, was die moderne Wissenschaft in ihrem innersten Wesen bewegt, das, wodurch sich der gezeigte unscheinbare Sachverhalt ereignet, können wir heute nur erst ganz unzureichend und überdies leicht mißdeutbar kennzeichnen, wenn wir dafür den Namen »Technik« nennen. Das Wesen der modernen Technik ist indessen noch dunkler als dasjenige der Wissenschaft - so dunkel, daß wir vermutlich noch nicht einmal dahin gelangt sind, nach der modernen Technik sachgerecht zu fragen. 1 über Ver-Hältnis vgl. Unterwegs zur Sprache S. 203 [GA Bd. 12] vgl. Vier Hefte! [vorgesehen als GA Bd. 99] »der Sach-Verhalt« »Der Sinn ist der Weg, die Wegrichtung, die eine Sache nimmt. Der Sinn ist die
63 Wissenschaft
und
Besinnung
hinzuweisen. Was er in sich selber ist, dies auszumachen bedürfte eines neuen Fragens. Wir sind jedoch durch den Hinweis auf den unscheinbaren Sachverhalt in eine Wegrichtung gewiesen, die vor das Fragwürdige bringt. Im Unterschied z u m bloß Fraglichen u n d zu allem Fraglosen verleiht das Fragwürdige von sich her erst den klaren Anlaß u n d den freien Anhalt, w o d u r c h wir es vermögen, d e m entgegen- u n d das herbeizurufen, w a s sich u n s e r e m Wesen zuspricht. Die Wanderschaft in der Wegrichtung z u m Fragwürdigen ist nicht Abenteuer sondern Heimkehr. Eine Wegrichtung einschlagen, die eine Sache von sich aus schon g e n o m m e n hat, heißt in unserer Sprache sinnan, sinnen. Sich auf den Sinn einlassen, ist das Wesen der Besinnung. Dies meint mehr als das bloße Bewußtmachen von etwas. Wir sind noch nicht bei der Besinnung, w e n n wir nur bei Bewußtsein sind. Besinnung ist mehr. Sie ist die Gelassenheit z u m Fragwürdigen. Durch die so verstandene Besinnung gelangen wir eigens dorthin, w o wir, ohne es schon zu erfahren u n d zu durchschauen, u n s seit langem aufhalten. In der Besinnung gehen wir auf einen Ort zu, von d e m aus sich erst der R a u m öffnet, den unser jeweiliges Tun u n d Lassen durchmißt. Besinnung ist anderen Wesens als das Bewußtmachen u n d Wissen der Wissenschaft, anderen Wesens auch als die Bildung! offene Wegrichtung, die der Gang einer Sache schon eingeschlagen hat. Der Sinn ist der gelichtete Bereich, worin eine Sache ihr Wesen entfaltet und zugleich verwahrt. Der Sinn ist es, worin eine Sache ihr Wesen wahrt und hält und d.h. hütet. Der Sinn ist es, aus dem her eine Sache mit dem in ihr verborgenen Wesen an sich hält: das Verhaltene der Verhalt einer Sache: der Sach-Verhalt das Wort jetzt tiefer gedacht.« (nicht gedruckter aber vorgetragener Text) die Sache - der Streit-, der Zwischen-Fall, der Unter-Schied. Bildung [s. Nachwort] »Die Civilisation ist die Vermenschlichung der Völker in ihren äußeren Einrichtungen und Gebräuchen und der darauf Bezug habenden inneren Gesinnung. Die Cultur fügt dieser Veredlung des gesellschaftlichen Zustandes Wissenschaft und Kunst hinzu. Wenn wir aber in unsrer Sprache Bildung sagen, so meinen wir damit etwas zugleich Höheres und mehr Innerliches, nämlich die Sinnesart, die sich aus der Erkenntnis und dem Gefühle des gesamten geistigen und sittlichen Strebens harmonisch auf die Empfindung und den Charakter ergießt.« W. v. Humboldt, Uber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues § 4
64
Wissenschaft
und
Besinnung
Das Wort »bilden« meint einmal: ein Vor-bild aufstellen u n d eine Vor-Schrift herstellen. Es bedeutet sodann: vorgegebene Anlagen ausformen. Die Bildung bringt ein Vorbild vor den Menschen, demgemäß er sein Tun u n d Lassen ausbildet. Bildung bedarf eines z u m voraus gesicherten Leitbildes u n d eines allseitig befestigten Standortes. Das Erstellen eines gemeinsamen Bildungsideals u n d seine Herrschaft setzen eine fraglose, nach jeder Richt u n g gesicherte Lage des Menschen voraus. Diese Voraussetzung ihrerseits m u ß in einem Glauben an die unwiderstehliche Macht einer unveränderlichen Vernunft u n d ihrer Prinzipien gründen. Die Besinnung bringt u n s dagegen erst auf den Weg zu d e m Ort unseres Aufenthalts. Dieser bleibt stets ein geschichtlicher d.h. ein uns zugewiesener, gleichviel ob wir ihn historisch vorstellen, zergliedern u n d einordnen oder ob wir meinen, durch eine nur gewollte Abkehr von der Historie uns künstlich aus der Geschichte lösen zu können. Wie u n d w o d u r c h unser geschichtlicher Aufenthalt sein Wohnen an- u n d ausbaut, darüber vermag die Besinnung unmittelbar nichts zu entscheiden. Das Zeitalter der Bildung geht zu Ende, nicht weil die Ungebildeten an die Herrschaft gelangen, sondern weil Zeichen eines Weltalters sichtbar werden, in d e m erst das Fragwürdige wieder die Tore z u m Wesenhaften aller Dinge u n d Geschicke öffnet.
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D e m Anspruch der Weite, d e m Anspruch des 1 Verhaltens" dieses Weltalters entsprechen wir, w e n n wir beginnen, uns zu besinnen, indem wir uns auf den Weg einlassen, den jener Sachverhalt schon eingeschlagen hat, der sich uns im Wesen der Wissenschaft, jedoch nicht nur hier, zeigt. Gleichwohl bleibt die Besinnung vorläufiger, langmütiger u n d ärmer als die vormals gepflegte Bildung im Verhältnis zu ihrem Zeitalter. Die Armut der Besinnung ist jedoch das Versprechen
'
Geschick
i h m gemäßen 111 Ver- Hältnis
Verhaltens
65 Wissenschaft
und
Besinnung
auf einen Reichtum, dessen Schätze im Glanz jenes Nutzlosen leuchten, das sich nie verrechnen läßt. Die Wege der Besinnung w a n d e l n sich stets, je nach der Wegstelle, an der ein G a n g beginnt, je nach der Wegstrecke, die er d u r c h mißt, je n a c h d e m Weitblick, der sich u n t e r w e g s in das Fragwürdige öffnet. Wenngleich die Wissenschaften gerade auf ihren Wegen u n d mit ihren Mitteln niemals z u m Wesen der Wissenschaft vordringen können, vermag doch jeder Forscher u n d Lehrer der Wissenschaften, jeder durch eine Wissenschaft hindurchgehende Mensch als denkendes Wesen auf verschiedenen Ebenen der Besinnung sich zu bewegen u n d sie wachzuhalten. Doch selbst dort, w o einmal durch eine besondere Gunst die höchste Stufe der Besinnung erreicht w ü r d e , müßte sie sich dabei begnügen, eine Bereitschaft nur vorzubereiten für den Zuspruch, dessen unser heutiges Menschengeschlecht bedarf. Besinnung braucht es, aber nicht, u m eine zufällige Ratlosigkeit zu beheben oder den Widerwillen gegen das Denken zu brechen. Besinnung braucht es als ein Entsprechen, das sich in der Klarheit unablässigen Fragens an das Unerschöpfliche des Fragw ü r d i g e n vergißt, von d e m her das Entsprechen im geeigneten Augenblick den Charakter des Fragens verliert u n d z u m einfachen Sagen wird.
ÜBERWINDUNG DER METAPHYSIK
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I Was heißt »Uberwindung der Metaphysik«?" Im seinsgeschichtlichen Denken ist dieser Titel nur behelfsmäßig gebraucht, damit es sich überhaupt verständlich machen kann. In Wahrheit gibt dieser Titel z u vielen Mißverständnissen Anlaß; denn er läßt die Erfahrung nicht auf den G r u n d kommen, von d e m aus erst die Geschichte des Seins ihr Wesen offenbart. Es ist das Er-eignis, in d e m das Sein selbst v e r w u n d e n wird. Ü b e r w i n d u n g meint vor allem nicht das Wegdrängen einer Disziplin aus d e m Gesichtskreis der philosophischen »Bildung«. »Metaphysik« ist schon als Geschick der Wahrheit des Seienden gedacht, d.h. der Seiendheit, als einer noch verborgenen, aber ausgezeichneten Ereignung, nämlich der Vergessenheit des Seins.
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Sofern Ü b e r w i n d u n g als Gernächte der Philosophie gemeint ist, könnte der gemäßere Titel heißen: Die Vergangenheit der Metaphysik. Freilich ruft er neue Irrmeinungen hervor. Vergangenheit sagt hier: Ver-gehen u n d A u f g e h e n in die Gewesenheit. I n d e m die Metaphysik vergeht, ist sie vergangen. Die Vergangenheit schließt nicht aus sondern ein, daß jetzt erst die Metaphysik ihre unbedingte Herrschaft im Seienden selbst u n d als dieses in der wahrheitslosen Gestalt des Wirklichen u n d der Gegenstände antritt. A u s der Frühe des Anfangs erfahren, ist aber die Metap h y s i k z u g l e i c h v e r g a n g e n i n d e m S i n n e , d a ß sie i n i h r e Ver-endung eingegangen ist. Die Verendung dauert länger als die bisherige Geschichte der Metaphysik.
II Die Metaphysik läßt sich nicht wie eine Ansicht abtun. Man kann sie keineswegs als eine nicht mehr geglaubte u n d vertretene Lehre hinter sich bringen. (l vgl. den verwandten Text in Festschrift für Emil Preetorius 1953 S. 117 f. [s. Hinweise]
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Überwindung
der Metaphysik
Daß der Mensch als animal rationale, d.h. jetzt als das arbeitende Lebewesen die Wüste der Verwüstung der Erde durchirren muß, könnte ein Zeichen dafür sein, daß die Metaphysik aus dem Sein selbst und die Uberwindung der Metaphysik als Verwindung des Seins sich ereignet. Denn die Arbeit (vgl. Ernst Jünger, »Der Arbeiter« 1932) gelangt jetzt in den metaphysischen Rang der unbedingten Vergegenständlichung alles Anwesenden, das im Willen z u m Willen west. Steht es so, dann dürfen wir nicht wähnen, auf Grund einer Ahnung des Verendens der Metaphysik außerhalb ihrer zu stehen. Denn die überwundene Metaphysik verschwindet nicht. Sie kehrt gewandelt zurück u n d bleibt als der fortwaltende Unterschied des Seins z u m Seienden in der Herrschaft. Untergang der Wahrheit des Seienden besagt: die Offenbarkeit des Seienden u n d nur des Seienden verliert die bisherige Einzigkeit ihres maßgebenden Anspruchs.
III Der Untergang der Wahrheit des Seienden ereignet sich notwendig und zwar als die Vollendung der Metaphysik. Der Untergang vollzieht sich zumal durch den Einsturz der von der Metaphysik geprägten Welt und durch die aus der Metaphysik stammende Verwüstung der Erde. Einsturz und Verwüstung finden den gemäßen Vollzug darin, daß der Mensch der Metaphysik, das animal rationale, z u m arbeitenden Tier fest-gestellt wird. Diese Fest-Stellung bestätigt die äußerste Verblendung über die Seinsvergessenheit. Der Mensch aber will sich als den Freiwilligen des Willens z u m Willen, für den alle Wahrheit zu demjenigen Irrtum wird, den er benötigt, damit er vor sich die Täuschung darüber sicherstellen kann, daß der Wille z u m Willen nichts anderes wollen kann als das nichtige Nichts, demgegenüber er sich behauptet, ohne die vollendete Nichtigkeit seiner selbst wissen zu können.
71 Überwindung
der
Metaphysik
Ehe das Sein sich in seiner anfänglichen Wahrheit ereignen kann, m u ß das Sein als der Wille gebrochen, muß die Welt z u m Einsturz und die Erde in die Verwüstung und der Mensch zur bloßen Arbeit gezwungen werden. Erst nach diesem Untergang ereignet sich in langer Zeit die jähe Weile des Anfangs. Im Untergang geht alles, d.h. das Seiende im Ganzen der Wahrheit der Metaphysik, zu seinem Ende. Der Untergang hat sich schon ereignet. Die Folgen dieses Ereignisses sind die Begebenheiten der Weltgeschichte dieses Jahrhunderts. Sie geben nur noch den Ablauf des schon Verendeten. Sein Verlauf wird im Sinne des letzten Stadiums der Metaphysik historisch-technisch geordnet. Diese Ordnung ist die letzte Einrichtung des Verendeten in den Anschein einer Wirklichkeit, deren Gewirk unwiderstehlich wirkt, weil es vorgibt, ohne ein Entbergen des Wesens des Seins auskommen zu können und dies so entschieden, daß es von solcher Entbergung nichts zu ahnen braucht. Dem Menschentum der Metaphysik ist die noch verborgene Wahrheit des Seins verweigert. Das arbeitende Tier ist dem Taumel seiner Gernächte überlassen, damit es sich selbst zerreiße und in das nichtige Nichts vernichte.
IV Inwiefern gehört die Metaphysik zur Natur des Menschen? Der Mensch ist zunächst, metaphysisch vorgestellt, als ein Seiendes unter anderem mit Vermögen ausgestattet. Das so u n d so beschaffene Wesen, seine Natur, das Was und Wie seines Seins ist selbst in sich metaphysisch: animal (Sinnlichkeit) und rationale (Nichtsinnliches). Dergestalt in das Metaphysische eingegrenzt, bleibt der Mensch dem unerfahrenen Unterschied von Seiendem u n d Sein verhaftet. Die metaphysisch geprägte Weise des menschlichen Vorstellens findet überall nur die metaphysisch gebaute Welt. Die Metaphysik gehört zur Natur des Menschen.
Überwindung
72
der Metaphysik
Doch w a s ist die N a t u r selbst? Was ist die Metaphysik selbst? Wer ist innerhalb dieser natürlichen Metaphysik der Mensch selbst? Ist er nur ein Ich, das durch die Berufung auf ein Du erst recht sich in seiner Ichheit, weil in der Ich-Du-Beziehung, verfestigt? Das ego cogito ist f ü r Descartes in allen cogitationes das schon Vor- und Her-gestellte, das Anwesende, Fraglose, das Unbezweifelbare und je schon im Wissen Stehende, das eigentlich Gewisse, das allem vorauf Feststehende, nämlich als jenes, das alles auf sich zu und sich so in das »gegen« zu a n d e r e m stellt. Zum Gegenstand gehört zumal der Was-bestand des Gegens t e h e n d e n (essentia-possibilitas) und das Stehen des Entgegenstehenden (existentia). Der Gegenstand ist die Einheit der Ständigkeit des Bestandes. Der Bestand in seinem S t a n d ist w e s e n h a f t bezogen auf das Stellen des Vor-Stellens als des sichernden Vor-sich-habens. Der ursprüngliche Gegenstand ist die Gegenständigkeit selbst. Die ursprüngliche Gegenständigkeit ist das »Ich denke« im Sinne des »ich percipiere«, das allem Percipierbaren im voraus schon sich vorlegt und vorgelegt hat, subiectum ist. Das Subjekt ist in der Ordnung der t r a n s z e n d e n t a l e n Genesis des Gegenstandes das erste Objekt des ontologischen Vorstellens. b Ego cogito ist cogito : me cogitare.
V
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Die neuzeitliche Gestalt der Ontologie ist die Transzendentalphilosophie, die zur Erkenntnistheorie wird. Inwiefern entspringt dergleichen in der neuzeitlichen Metaphysik? Insofern die Seiendheit des Seienden als die Anwesenheit für das sicherstellende Vorstellen gedacht wird. Seiendheit ist 11
das
ego cogito subiectum
<
^ Anwesend es Obiectum
73Überwindungder Metaphysik j e t z t Gegenständigkeit. Die Frage nach der Gegenständigkeit, nach der Möglichkeit des Entgegenstehens (nämlich dem sichernden, rechnenden Vorstellen) ist die Frage nach der Erkennbarkeit. Aber diese Frage ist eigentlich nicht gemeint als Frage nach dem physisch-psychischen Mechanismus des Erkenntnisablaufes, sondern nach der Möglichkeit des Anwesens des Gegenstandes im und für das Erkennen. Die »Erkenntnistheorie« ist Betrachtung, θεωρία, insofern das Öv, als Gegenstand gedacht, hinsichtlich der Gegenständigkeit und deren Ermöglichung (fj Ov) befragt wird. Inwiefern stellt Kant durch die transzendentale Fragestellung das Metaphysische der neuzeitlichen Metaphysik sicher? Insofern die Wahrheit zur Gewißheit wird und so die Seiendheit (ούσία) des Seienden sich zur Gegenständigkeit der perceptio und der cogitatio des Bewußtseins, des Wissens, wandelt, rückt das Wissen und Erkennen in den Vordergrund. Die »Erkenntnistheorie« und was m a n d a f ü r hält, ist im Grunde die auf der W a h r h e i t als der Gewißheit des sichernden Vorstellens gegründete Metaphysik und Ontologie. Dagegen geht die Deutung der »Erkenntnistheorie« als der Erklärung des »Erkennens« und als »Theorie« der Wissenschaften irre, obzwar dieses Sicherungsgeschäft nur eine Folge der U m d e u t u n g des Seins in die Gegenständigkeit und Vorgestelltheit ist. »Erkenntnistheorie« ist der Titel f ü r das zunehmende wesenhafte Unvermögen der neuzeitlichen Metaphysik, ihr eigenes Wesen und dessen Grund zu wissen. Die Rede von der »Metaphysik der Erkenntnis« bleibt im selben Mißverstand. In Wahrheit handelt es sich u m die Metaphysik des Gegenstandes, d.h. des Seienden als des Gegenstandes, des Objekts f ü r ein Subjekt. Die bloße Kehrseite der empiristisch-positivistischen Mißdeutung der Erkenntnistheorie meldet sich im Vordrängen der Logistik.
Überwindung
74
der
Metaphysik
VI Die Vollendung der Metaphysik beginnt mit Hegels Metaphysik des absoluten Wissens als des Willens des Geistes. W a r u m ist diese Metaphysik erst der Beginn der Vollendung und nicht sie selbst? Ist die unbedingte Gewißheit nicht zu ihr selbst gekommen als die absolute Wirklichkeit? Gibt es hier noch eine Möglichkeit des Hinausgehens über sich? Dieses wohl nicht. Aber noch ist die Möglichkeit des unbedingten Eingehens auf sich als den Willen des Lebens nicht vollzogen. Noch ist der Wille nicht als der Wille zum Willen in seiner von ihm bereiteten Wirklichkeit erschienen. Deshalb ist die Metaphysik mit der absoluten Metaphysik des Geistes noch nicht vollendet. Trotz des flachen Geredes vom Zusammenbruch der Hegelschen Philosophie bleibt dies Eine bestehen, daß im 19. J a h r h u n dert n u r diese Philosophie die Wirklichkeit bestimmte, obzwar nicht in der äußerlichen Form einer befolgten Lehre, sondern als Metaphysik, als Herrschaft der Seiendheit im Sinne der Gewißheit. Die Gegenbewegungen gegen diese Metaphysik gehören z u ihr. Seit Hegels Tod (183 1) ist alles nur Gegenbewegung, nicht nur in Deutschland sondern in Europa.
VII Kennzeichnend ist f ü r die Metaphysik, daß in ihr durchgängig die existentia", w e n n überhaupt, d a n n immer n u r kurz und wie
c
Wesen und
Sein
Das Wesen denkt die Metaphysik als essentia
θύσία
und
diese
als quidditas, d.h.
die
als Seiendheit.
Die erste und zweite
ούσίθί.
Weshalb kommt das Was-Sein (χ[) in den Vorrang vor dem OTt? In Wahrheit ist das Was-Sein nur eine Stillstellung des OTt, des noch unbegreifbaren und schon als φ υ σ ΐ ς
aufgegebenen »Daß« des Ereignisses.
75 Überwindung
der
Metaphysik
etwas Selbstverständliches abgehandelt ist. (Vgl. die dürftige Erklärung des Postulats der Wirklichkeit in Kants Kritik der reinen Vernunft.) Die einzige A u s n a h m e bildet Aristoteles, der die ένέργεια durchdenkt, ohne daß j e m a l s dieses Denken künftig in seiner Ursprünglichkeit wesentlich werden konnte. Die Umbildung der ένέργεΐα zur actualitas u n d Wirklichkeit h a t alles in der ένέργεια zum Vorschein Gekommene verschüttet. Der Zusammenhang zwischen OÎKTÎOC und ένέργεΐα verdunkelt sich. Erst Hegel durchdenkt wieder die existentia, aber in seiner »Logik«, d.h. a u s der absoluten Subjektivität. S c h e l l i n g denkt sie in der Unterscheidung von Grund und Existenz, welche Unterscheidung jedoch in der Subjektität wurzelt. In der Verengung des Seins auf »Natur« zeigt sich ein später und verworrener Nachklang des Seins als φύσΐς. Der N a t u r werden die Vernunft und die Freiheit gegenübergestellt. Weil die N a t u r das Seiende ist, wird die Freiheit und das Sollen nicht als Sein gedacht. Es bleibt bei dem Gegensatz von Sein und Sollen, Sein und Wert. Schließlich wird auch das Sein selbst, sobald der Wille in sein ä u ß e r s t e s Unwesen kommt, zu einem bloßen »Wert«. Der Wert ist als Willensbedingung gedacht.
VIII Die Metaphysik ist in allen ihren Gestalten und geschichtlichen Stufen ein einziges, aber vielleicht auch das notwendige Verhängnis des Abendlandes und die Voraussetzung seiner planetarischen Herrschaft. Deren Wille w i r k t j e t z t auf die Mitte des Abendlan-
Weil das »Daß« gleichsam verborgen bleibt in seiner Wahrheit, erscheint es als das factum brutum und das weiter nicht Befragbare, dessen sich dann die Erklärung aus der Verursachung bemächtigt, worin schon die Vorhabe des Daß als Gewirktheit sich ankündigt. Hier west überall der Vorrang der ίδεοί; die existentia wird der Name für ein Unumgängliches, aber nicht Wißbares.
76
Überwindimg
der Metaphysik
des zurück, aus welcher Mitte auch wieder n u r ein Wille dem Willen entgegnet. Die E n t f a l t u n g der unbedingten Herrschaft der Metaphysik s t e h t erst an ihrem Beginn. Dieser t r i t t ein, w e n n die Metaphysik das ihr gemäße Unwesen b e j a h t und ihr Wesen in dieses ausliefert und darin verfestigt. Die Metaphysik ist Verhängnis in dem strengen, hier allein gemeinten Sinne, daß sie als Grundzug der abendländisch-europäischen Geschichte die M e n s c h e n t ü m e r inmitten des Seienden h ä n g e n läßt, ohne daß das Sein des Seienden j e m a l s als die Zwiefalt beider von der Metaphysik her und durch diese in ihrer Wahrheit erfahren und erfragt und gefügt werden könnte. Dieses seinsgeschichtlich zu denkende Verhängnis ist aber deshalb notwendig, weil das Sein selbst den in ihm v e r w a h r t e n Unterschied von Sein und Seiendem erst d a n n in seiner Wahrheit lichten kann, w e n n der Unterschied selbst sich eigens ereignet. Wie aber k a n n er dies, w e n n nicht das Seiende zuvor in die äußerste Seinsvergessenheit eingegangen ist und das Sein zugleich seine metaphysisch u n k e n n b a r e unbedingte Herrschaft als der Wille zum Willen ü b e r n o m m e n hat, der sich zunächst und einzig durch den alleinigen Vorrang des Seienden (des gegenständig Wirklichen) vor dem Sein zur Geltung bringt? So stellt sich das Unterscheidbare des Unterschieds in gewisser Weise vor und hält sich doch in einer seltsamen U n e r k e n n b a r k e i t verborgen. Deshalb bleibt der Unterschied selbst verhüllt. Ein Kennzeichen d a f ü r ist die metaphysisch-technische Reaktion auf den Schmerz, die zugleich die Auslegung seines Wesens vorbestimmt. Mit dem Beginn der Vollendung der Metaphysik beginnt die u n e r k a n n t e und der Metaphysik wesentlich unzugängliche Vorbereitung eines ersten Erscheinens der Zwiefalt des Seins und des Seienden. Noch verbirgt sich in diesem Erscheinen der erste Anklang der W a h r h e i t des Seins, die den Vorrang des Seins hinsichtlich seines Waltens in sich z u r ü c k n i m m t .
77 Überwindung
der
Metaphysik
IX Die Überwindung der Metaphysik wird seinsgeschichtlich gedacht. Sie ist das Vorzeichen der anfänglichen Verwindung der Vergessenheit des Seins. Früher, obzwar auch verborgener als das Vorzeichen, ist das in ihm Sichzeigende. Dies ist das Ereignis selbst. Das, was f ü r die metaphysische D e n k u n g s a r t wie ein Vorzeichen eines anderen aussieht, kommt n u r noch als letzter bloßer Anschein einer anfänglicheren Lichtung in den Anschlag. Die Uberwindung bleibt n u r insofern denkwürdig, als an die Verwindung gedacht wird. Dieses inständige Denken denkt zugleich noch an die Überwindung. Solches Andenken e r f a h r t das einzige Ereignis der Enteignung des Seienden, worin die Not der Wahrheit des Seins und so die Anfängnis der W a h r h e i t sich lichtet und das Menschenwesen abschiedlich überleuchtet. Die Überwindung ist die Über lieferung der Metaphysik in ihre Wahrheit. Zunächst k a n n die Überwindung der Metaphysik nur aus der Metaphysik selbst gleichsam in der Art einer Überhöhung ihrer selbst durch sie selbst vorgestellt werden. In diesem Falle besteht die Rede von der Metaphysik der Metaphysik zu Recht, die in der Schrift »Kant und das Problem der Metaphysik« gestreift ist, indem sie den Kantischen Gedanken, der noch aus der bloßen Kritik der rationalen Metaphysik s t a m m t , nach dieser Hinsicht zu deuten versucht. Dem Denken Kants wird dadurch allerdings mehr zugesprochen, als er selbst in den Grenzen seiner Philosophie zu denken vermochte. Die Rede von der Überwindung der Metaphysik k a n n d a n n auch noch die Bedeutung haben, daß »Metaphysik« der Name f ü r den Piatonismus bleibt, der sich der modernen Welt in der Interpretation durch Schopenhauer und Nietzsche darstellt. Die Umkehrung des Piatonismus, dergemäß d a n n f ü r Nietzsche das Sinnliche zur w a h r e n Welt und das Übersinnliche zur u n w a h r e n wird, v e r h a r r t durchaus innerhalb der Metaphysik. Diese Art der Überwindung der Metaphysik, die Nietzsche im Auge h a t und dies im Sinne des Positivismus des 19. J a h r h u n d e r t s , ist, wenngleich in
75
78
Überwindung
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einer höheren Verwandlung, n u r die endgültige Verstrickung in die Metaphysik. Zwar h a t es den Anschein, als sei das »Meta«, die Transzendenz ins Übersinnliche, zugunsten des B e h a r r e n s im Elementaren der Sinnlichkeit beseitigt, w ä h r e n d doch n u r die Seinsvergessenheit vollendet und das Übersinnliche als der Wille zur Macht losgelassen und betrieben wird.
X Der Wille zum Willen verwehrt, ohne es wissen zu können und ein Wissen darüber zuzulassen, jedes Geschick, worunter hier die Zuweisung einer Offenbarkeit des Seins des Seienden verstanden wird. Der Wille zum Willen v e r h ä r t e t alles in das Geschicklose. Dessen Folge ist das Ungeschichtliche. Dessen Kennzeichen ist die H e r r s c h a f t der Historie. Deren Ratlosigkeit ist der Historismus. Wollte m a n sich die Geschichte des Seins gemäß dem heute geläufigen historischen Vorstellen zurechtlegen, dann wäre durch diesen Fehlgriff die Herrschaft der Vergessenheit des Seinsgeschickes auf die handgreiflichste Art b e s t ä t i g t . Das Zeitalter der vollendeten Metaphysik s t e h t vor seinem Beginn. Der Wille zum Willen erzwingt sich als seine Grundformen des Erscheinens die Berechnung und die Einrichtung von Allem, dies jedoch n u r zur unbedingt fortsetzbaren Sicherung seiner selbst. Die Grundform des Erscheinens, in der dann der Wille zum Willen im Ungeschichtlichen der Welt der vollendeten Metaphysik sich selbst einrichtet und berechnet, k a n n bündig »die Technik« heißen. Dabei u m f a ß t dieser N a m e alle Bezirke des Seienden, die jeweils das Ganze des Seienden zurüsten: die vergegenständlichte N a t u r , die betriebene Kultur, die gemachte Politik und die übergebauten Ideale. »Die Technik« meint hier also nicht die gesonderten Bezirke der maschinenhaften Erzeugung und Zurüstung. Diese h a t freilich eine näher zu bestimmende
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Vormachtstellung, die in dem Vorrang des Stofflichen als des vermeintlich Elementaren und in erster Linie Gegenständigen beg r ü n d e t ist. Der N a m e »die Technik« ist hier so wesentlich verstanden, daß er sich in seiner Bedeutung deckt mit dem Titel: die vollendete M e t a p h y s i k . Er enthält die Erinnerung an die τέχνη, die eine Grundbedingung der Wesensentfaltung der Metaphysik überh a u p t ist. Der N a m e ermöglicht zugleich, daß das Planetarische der Metaphysikvollendung und ihrer Herrschaft ohne Bezugnahme auf historisch nachweisbare Abwandlungen bei Völkern und Kontinenten gedacht werden kann.
XI Nietzsches Metaphysik bringt im Willen zur Macht die vorletzte Stufe der Willensentfaltung der Seiendheit des Seienden als Wille zum Willen zum Vorschein."5 Das Ausbleiben der letzten Stufe gründet in der Vorherrschaft der »Psychologie«, im Macht- und Kraft-Begriff, im Lebens-Enthusiasmus. D a r u m fehlt diesem Denken die Strenge und Sorgfalt des Begriffes und die Ruhe der geschichtlichen Besinnung. Die Historie herrscht und d a r u m die Apologetik und Polemik. Woher kommt es, daß Nietzsches Metaphysik zur Verachtung des Denkens geführt h a t unter Berufung auf »das Leben«? Daher, daß m a n nicht erkannte, wie die vorstellend-planende (machtende) Bestandsicherung nach Nietzsches Lehre gleichwesentlich f ü r das »Leben« ist wie die »Steigerung« und Erhöhung. Diese selbst h a t m a n n u r nach der Seite des R a u s c h h a f t e n (psychologisch) genommen und wiederum nicht nach der entscheidenden Hinsicht, daß sie zugleich der Bestandsicherung den eigentlichen und je neuen Anstoß und die Rechtfertigung f ü r die
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vgl. Was 1st Metaphysik? Nachwort 1943. S. 39 f. [In: GA Bd. 9, S. 303 f.
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Steigerung gibt. Deshalb gehört zum Willen zur Macht die unbedingte Herrschaft der rechnenden Vernunft und nicht der Dunst und die Verwirrung eines t r ü b e n Lebensgewühls. Der mißleitete Wagnerkult h a t u m Nietzsches Denken und seine Darstellung ein »Künstlertum« gelegt, das nach dem Vorgang der Verhöhnung der Philosophie (d.h. Hegels und Schellings) durch Schopenhauer und nach dessen oberflächlicher Piaton- und Kantauslegung die letzten J a h r z e h n t e des 19. J a h r h u n d e r t s reif machte f ü r eine Begeisterung, der das Oberflächliche und das Dunstige der Geschichtslosigkeit schon f ü r sich genommen als Kennzeichen des Wahren dienen. Hinter all dem liegt aber dieses einzige Unvermögen, aus dem Wesen der Metaphysik zu denken und die Tragweite des Wesenswandels der Wahrheit und den geschichtlichen Sinn der erwachenden Vorherrschaft der Wahrheit als Gewißheit zu erkennen und aus dieser E r k e n n t n i s die Metaphysik Nietzsches in die einfachen Bahnen der neuzeitlichen Metaphysik zurückzudenken, s t a t t d a r a u s ein literarisches P h ä n o m e n zu machen, das die Köpfe mehr erhitzt, als reinigt und stutzig macht und vielleicht gar erschreckt. Schließlich v e r r ä t Nietzsches Leidenschaft f ü r die Schaffenden, daß er nur neuzeitlich vom Genius und vom Genialen und zugleich technisch vom Leistungshaften her denkt. Im Begriff des Willens zur Macht sind die beiden konstitutiven »Werte« (die Wahrheit und die Kunst) nur Umschreibungen f ü r die »Technik« im wesentlichen Sinne der planend-rechnenden Beständigung als Leistung und f ü r das Schaffen der »Schöpferischen«, die über das jeweilige Leben hinaus ein neues Stimulans dem Leben zubringen und den Betrieb der Kultur sicherstellen. All dies bleibt dem Willen zur Macht dienstbar, aber es verhindert auch, daß dessen Wesen in das klare Licht des weiten wesentlichen Wissens tritt, das im seinsgeschichtlichen Denken allein seinen Ursprung haben kann. Das Wesen des Willens zur Macht läßt sich erst a u s dem Willen zum Willen begreifen. Dieser jedoch ist erst erfahrbar, w e n n die Metaphysik bereits in den Übergang eingegangen ist.
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XII Nietzsches Metaphysik des Willens zur Macht ist in dem Satz vorgebildet: »Der Grieche kannte und empfand die Schrecken und Entsetzlichkeiten des Daseins: u m ü b e r h a u p t leben zu können, m u ß t e er vor sie hin die glänzende T r a u m g e b u r t der Olympischen stellen.« (Sokrates und die griechische Tragödie, 3. Kapitel, 1871. Ursprüngliche Fassung der »Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.« München 1933.) Hier ist der Gegensatz des »Titanischen« und »Barbarischen«, des »Wilden« und »Triebhaften« auf der einen und des schönen, erhabenen Scheines auf der anderen Seite gesetzt. Hier ist vorgezeichnet, wenngleich noch nicht klar gedacht und unterschieden und aus einheitlichem Grunde gesehen, daß der »Wille« der Bestandsicherung und Erhöhung zugleich bedarf. Aber dies, daß der Wille Wille zur Macht ist, bleibt noch verborgen. Schopenhauers Willenslehre beherrscht zunächst Nietzsches Denken. Die Vorrede zu der Schrift ist »am Geburtstage Schopenhauers« geschrieben. Mit Nietzsches Metaphysik ist die Philosophie vollendet. Das will sagen: sie hat den Umkreis der vorgezeichneten Möglichkeiten abgeschritten. Die vollendete Metaphysik, die der Grund der planetarischen Denkweise ist, gibt das Gerüst f ü r eine vermutlich lange dauernde Ordnung der Erde. Die Ordnung bedarf der Philosophie nicht mehr, weil diese j e n e r schon zugrunde liegt. Aber mit dem Ende der Philosophie ist nicht auch schon das Denken a m Ende, sondern im Ubergang zu einem anderen Anfang.'
Zur Sache des Denkens S. 63 ff. [vorgesehen als GA Bd. 14]
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In den Aufzeichnungen zum IV Teil von »Also sprach Zarathustra« schreibt Nietzsche (1886): »Wir machen einen Versuch mit der Wahrheit! Vielleicht geht die Menschheit d a r a n zu Grunde! Wohlan!« (WW XII, S. 410) Eine Aufzeichnung aus der Zeit der »Morgenröte« ( 1 8 8 0 / 8 1) lautet: »Das Neue an u n s e r e r jetzigen Stellung zur Philosophie ist eine Überzeugung, die noch kein Zeitalter hatte: Dass wir die Wahrheit nicht haben. Alle f r ü h e r e n Menschen .hatten die Wahrheit', selbst die Sceptiker.« (WW XI, S. 159) Was meint Nietzsche, wenn er hier und dort von »der W a h r heit« spricht? Meint er »das Wahre« und denkt er dies als das wirklich Seiende oder als das Gültige alles Urteilens, Verhaltens und Lebens? Was heißt dies: mit der W a h r h e i t einen Versuch machen? Heißt es: den Willen zur Macht in der ewigen Wiederkehr des Gleichen als das w a h r h a f t Seiende in den Vorschlag bringen? Kommt dieses Denken j e m a l s zu der Frage, worin das Wesen der Wahrheit beruhe und woher sich die W a h r h e i t des Wesens ereigne?
XIV Wie gelangt die Gegenständigkeit in den Charakter, das Wesen des Seienden als solchen auszumachen? Man denkt »Sein« als Gegenständigkeit und m ü h t sich d a n n von da aus u m das »Seiende an sich«, wobei m a n n u r vergißt zu fragen und zu sagen, was m a n hier mit »seiend« und mit »an sich« meint. Was »ist« Sein? Dürfen wir dem »Sein« nachfragen, was es sei? Sein bleibt ungefragt und selbstverständlich und daher unbedacht. Es hält sich in einer längst vergessenen und grundlosen Wahrheit.
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XV Gegenstand im Sinne von Ob j e k t gibt es erst dort, wo der M e n s c h zum Subjekt, wo das Subjekt zum Ich und das Ich zum ego cogito wird, erst dort, wo dieses cogitare in seinem Wesen als »ursprünglich synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption« begriffen wird, erst dort, wo der höchste P u n k t f ü r die »Logik« erreicht wird (in der Wahrheit als der Gewißheit des »Ich denke«). Erst hier enthüllt sich das Wesen des Gegenstandes in seiner Gegenständigkeit. Erst hier wird es d a n n in der Folge möglich und unumgänglich, die Gegenständigkeit selbst als »den neuen w a h r e n Gegenstand« zu begreifen und ins Unbedingte zu denken.
XVI Subjektität, Gegenstand und Reflexion f gehören zusammen. Erst w e n n die Reflexion als solche e r f a h r e n ist, nämlich als der tragende Bezug zum Seienden, erst d a n n wird das Sein als Gegenständigkeit b e s t i m m b a r . Die E r f a h r u n g der Reflexion als dieses Bezugs setzt aber voraus, daß ü b e r h a u p t der Bezug zum Seienden als repraesentatio erfahren ist: als Vor stellen. Dieses k a n n jedoch n u r geschicklich werden, wenn die idea zur perceptio geworden ist. Diesem Werden liegt der Wandel der W a h r h e i t als Übereinstimmung zur W a h r h e i t als Gewißheit zugrunde, worin die adaequatio erhalten bleibt. Die Gewißheit ist als die Selbstsicherung (Sich-selbst-wollen) die iustitia als Rechtfertigung des Bezugs zum Seienden und seiner ersten Ursache und damit der Zugehörigkeit in das Seiende. Die iustificatio im Sinne der Reformation und Nietzsches Begriff der Gerechtigkeit als W a h r h e i t sind das Selbe. ' Nietzsche 11, 465 [GA Bd. 6.2, S. 424]
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Dem Wesen nach gründet die repraesentatio in der reflexio. Deshalb wird das Wesen der Gegenständigkeit als solcher erst dort offenkundig, wo das Wesen des Denkens als »Ich denke etwas«, d.h. als Reflexion e r k a n n t und eigens vollzogen wird.
XVII Kant ist auf dem Weg, das Wesen der Reflexion im transzendentalen, d.h. ontologischen Sinne zu bedenken. Es geschieht in der Form einer unscheinbaren Nebenbemerkung in der Kritik der reinen V e r n u n f t u n t e r dem Titel »Von der Amphibolie der Reflexionsbegriffe«. Der Abschnitt ist nachgetragen, aber erfüllt von wesentlicher Einsicht und Auseinandersetzung mit Leibniz und demgemäß mit aller voraufgegangenen Metaphysik, wie sie f ü r Kant selbst im Blick s t e h t und in ihrer ontologischen Verfassung auf die Ichheit gegründet ist.
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Von a u ß e n n i m m t es sich so aus, als sei die Ichheit n u r die nachträgliche Verallgemeinerung und Abstraktion des Ichhaften aus den geeinzelten »Ichen« des Menschen. Vor allem denkt Descartes offenkundig an das »Ich« seiner selbst als der geeinzelten Person (res cogitans als s u b s t a n t i a finita), wogegen allerdings Kant das »Bewußtsein überhaupt« denkt. Allein, Descartes denkt auch sein eigenes einzelnes Ich bereits im Lichte der freilich noch nicht eigens vorgestellten Ichheit. Diese Ichheit erscheint bereits in der Gestalt des certum, der Gewißheit, die nichts anderes ist als die Sicherung des Vorgestellten f ü r das Vorstellen. Der verhüllte Bezug zur Ichheit als der Gewißheit seiner selbst und des Vorgestellten waltet schon. N u r aus diesem Bezug ist das einzelne Ich als dieses erfahrbar. Das menschliche Ich als das sich vollendende geeinzelte Selbst k a n n sich n u r wollen im Lichte des
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zugs des noch u n g e k a n n t e n Willens zum Willen auf dieses Ich. Kein Ich ist an sich vorhanden, sondern es ist »an sich« 8 s t e t s n u r als »in sich«' 1 erscheinendes und d.h. als Ichheit. Deshalb west diese auch dort, wo keineswegs das einzelne Ich sich vordrängt, wo dieses vielmehr zurücktritt und die Gesellschaft und andere Verbandsformen die Herrschaft haben. Auch da ist u n d gerade hier die reine H e r r s c h a f t des metaphysisch zu denkenden »Egoismus«, der mit dem naiv gedachten »Solipsismus« nichts zu t u n hat. Die Philosophie im Zeitalter der vollendeten Metaphysik ist die Anthropologie (vgl. jetzt Holzwege, S. 91 f.)'. Ob m a n eigens noch »philosophische« Anthropologie sagt oder nicht, gilt gleichviel. Inzwischen ist die Philosophie zur Anthropologie geworden und auf diesem Wege zu einer Beute der Abkömmlinge der Metaphysik, d.h. der Physik im weitesten Sinne, der die Physik des Lebens und des Menschen, die Biologie und Psychologie einschließt. Zur Anthropologie geworden, geht die Philosophie selbst an der Metaphysik zugrunde.
XIX Der Wille z u m Willen setzt als die Bedingungen seiner Möglichkeit die Bestandsicherung (Wahrheit) und die Ü b e r t r e i b b a r k e i t der Triebe (Kunst). Der Wille zum Willen richtet als das Sein demnach selbst das Seiende ein. Im Willen zum Willen kommt erst die Technik (Bestandsicherung) und die unbedingte Besinnungslosigkeit (»Erlebnis«) zur Herrschaft. Die Technik als die höchste Form der rationalen Bewußtheit, technisch gedeutet, und die Besinnungslosigkeit als das ihr selbst verschlossene eingerichtete Unvermögen, in einen Bezug zum ^ (d.h. selbständig) 11 aus sich -für sich das aus sich für sich Erscheinen ist das Sein des Ich. 1 In: Holzwege. GA Bd. 5, S. 99 f.
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Fragwürdigen zu gelangen, gehören zusammen: sie sind das Selbe. W a r u m das so ist und wie es geworden ist, sei hier als e r f a h r e n und begriffen vorausgesetzt. Es gilt n u r noch, die eine Überlegung zu vollziehen, daß die Anthropologie sich nicht in der Erforschung des Menschen und in dem Willen erschöpft, alles aus dem Menschen her als dessen Ausdruck zu erklären. Auch dort, wo nicht geforscht wird, wo vielmehr Entscheidungen gesucht werden, geschieht das so, daß zuvor ein Menschentum gegen ein anderes ausgespielt, das Mens c h e n t u m als die ursprüngliche Kraft a n e r k a n n t wird, gleich als ob dieses das Erste und Letzte sei in allem Seienden und dieses und seine eweilige Auslegung nur die Folge. So kommt es zur Vorherrschaft der einzig maßgebenden Frage: welcher Gestalt gehört der Mensch an? Hierbei ist »Gestalt« unb e s t i m m t metaphysisch, d.h. platonisch als das gedacht, w a s ist und erst alle Überlieferung und Entwicklung bestimmt, selbst jedoch davon unabhängig bleibt. Diese vorgreifende Anerkennung »des Menschen« f ü h r t dazu, allererst und n u r in seinem Umkreis nach dem Sein zu suchen und den Menschen selbst als den menschlichen Bestand, als das jeweilige μή ôv zur Ιδέα anzusehen.
XX Indem der Wille zur Macht seine äußerste, unbedingte Sicherheit erlangt, ist er als das alles Sichernde das einzig Richtende und also Richtige. Die Richtigkeit des Willens zum Willen ist die unbedingte u n d vollständige Sicherung seiner selbst. Was ihm zu willen ist, ist richtig und in Ordnung, weil der Wille zum Willen selbst die einzige O r d n u n g bleibt. In dieser Selbstsicherheit des Willens z u m Willen ist das anfängliche Wesen der Wahrheit verloren. Die Richtigkeit des Willens zum Willen ist das Un-Wahre schlechthin. Die Richtigkeit des Un-Wahren h a t im U m k r e i s des
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Willens z u m Willen eine eigene Unwiderstehlichkeit. Aber die Richtigkeit des Un-Wahren, d a s s e l b s t a l s dieses verborgen bleibt, ist zugleich d a s Unheimlichste, w a s sich in der V e r k e h r u n g des Wesens der W a h r h e i t ereignen k a n n . Das Richtige m e i s t e r t das W a h r e u n d beseitigt die W a h r h e i t . Der Wille zur u n b e d i n g t e n Sicherung bringt erst die allseitige U n s i c h e r h e i t z u m Vorschein.
XXI Der Wille ist in sich schon Vollzug des S t r e b e n s als Verwirklichung des E r s t r e b t e n , wobei dieses wesentlich im Begriff, d.h. als ein im Allgemeinen Vorgestelltes eigens g e w u ß t u n d b e w u ß t gesetzt ist. Z u m Willen gehört Bewußtsein. Der Wille z u m Willen ist die höchste u n d unbedingte Bewußtheit der r e c h n e n d e n Selbstsicherung des Rechnens (vgl. Wille zur Macht, Nr. 458). D a h e r gehört zu i h m d a s allseitige, ständige, u n b e d i n g t e Ausforschen der Mittel, Gründe, Hemmnisse, das verrechnende Wechseln u n d Ausspielen der Ziele, die T ä u s c h u n g u n d d a s Manöver, das Inquisitorische, demzufolge der Wille z u m Willen gegen sich selbst noch m i ß t r a u i s c h u n d h i n t e r h ä l t i g ist u n d auf nichts a n d e r e s bedacht bleibt als auf die S i c h e r u n g seiner als der Macht selbst. Die Ziel-1 osigkeit u n d zwar die wesentliche des u n b e d i n g t e n Willens z u m Willen ist die Vollendung des Willenswesens, d a s sich in K a n t s Begriff der p r a k t i s c h e n V e r n u n f t als des reinen Willens a n g e k ü n d i g t h a t . Dieser will sich selbst u n d ist als der Wille das Sein. Deshalb ist, vom G e h a l t her gesehen, der reine Wille u n d sein Gesetz formal. E r ist sich selbst der einzige I n h a l t als die F o r m .
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Dadurch, daß zeitweilig der Wille in einzelnen »Willensmenschen<< personifiziert ist, sieht es so aus, als sei der Wille z u m Willen die Ausstrahlung dieser Personen. Die Meinung entsteht, der menschliche Wille sei der U r s p r u n g des Willens zum Willen, w ä h r e n d doch der Mensch vom Willen zum Willen gewollt ist, ohne das Wesen dieses Wollens zu erfahren. Sofern der Mensch der so Gewollte ist und der in den Willen zum Willen Gesetzte, wird in seinem Wesen auch notwendig »der Wille« angesprochen und als die Instanz der Wahrheit freigegeben. Die Frage ist überall, ob der Einzelne und Verbände aus diesem Willen sind oder ob sie noch mit diesem Willen u n d gar gegen ihn verhandeln und markten, ohne zu wissen, daß sie schon von ihm überspielt sind. Die Einzigkeit des Seins zeigt sich auch im Willen zum Willen, der n u r eine Richtung zuläßt, in der gewollt werden kann. Daher s t a m m t die Einförmigkeit der Welt des Willens zum Willen, die von der Einfachheit des Anfänglichen so weit e n t f e r n t ist wie das Unwesen vom Wesen, obzwar es zu diesem gehört.
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Weil der Wille z u m Willen jedes Ziel an sich leugnet und Ziele n u r zuläßt als Mittel, u m sich willentlich selbst zu überspielen und dafür, f ü r dieses Spiel, den Spielraum einzurichten, weil aber gleichwohl der Wille zum Willen nicht, w e n n er sich im Seienden einrichten soll, als die Anarchie der Katastrophen, die er ist, erscheinen darf, muß er sich noch legitimieren. Hier erfindet der Wille zum Willen die Rede vom »Auftrag«. Dieser ist nicht gedacht im Hinblick auf Anfängliches und dessen Wahrung, sondern als das vom S t a n d p u n k t des »Schicksals« zugewiesene und den Willen zum Willen dadurch rechtfertigende Ziel.
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XXIV Der Kampf zwischen denen, die an der Macht sind, und denen, die an die Macht wollen: auf j e d e r Seite ist der Kampf u m die Macht. Überall ist die Macht selbst das Bestimmende. Durch diesen Kampf u m die Macht wird das Wesen der Macht von beiden Seiten in das -Wesen ihrer unbedingten Herrschaft gesetzt. Zugleich aber verdeckt sich hier noch das Eine, daß dieser Kampf im Dienste der Macht s t e h t und von ihr gewollt ist. Sie h a t sich zuvor dieser Kämpfe bemächtigt. Der Wille zum Willen allein ermächtigt diese Kämpfe. Die Macht bemächtigt sich aber so der M e n s c h e n t ü m e r auf eine Art, daß sie den Menschen der Möglichkeit enteignet, auf solchen Wegen aus der Vergessenheit des Seins j e herauszukommen. Dieser Kampf ist notwendig planetarisch und als solcher in seinem Wesen Unentscheidbar, weil er nichts zu entscheiden hat, da er von aller Unterscheidung, vom Unterschied (des Seins zum Seienden) und damit von der Wahr heit ausgeschlossen bleibt und durch die eigene Kraft ins Ungeschickliche hinausgedrängt wird: in die Seinsverlassenheit.
XXV Der Schmerz, der erst erfahren und ausgerungen werden muß, ist die Einsicht und das Wissen, daß die Notlosigkeit die höchste und verborgenste Not ist, die aus der fernsten Ferne erst nötigt. Die Not losigkeit besteht darin zu meinen, daß m a n das Wirkliehe und die Wirklichkeit im Griff habe und wisse, w a s das Wahre sei, ohne daß m a n zu wissen brauche, worin die Wahrheit west. Das seinsgeschichtliche Wesen des Nihilismus ist die Seinsverlassenheit, sofern in ihr sich ereignet, daß das Sein sich in die Machenschaft losläßt. Die Loslassung n i m m t den Menschen in eine unbedingte Dienstschaft. Sie ist keineswegs ein Verfall u n d ein »Negativum« in irgend einem Sinne.
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Deshalb ist auch nicht jedes beliebige M e n s c h e n t u m geeignet, den unbedingten Nihilismus geschichtlich zu verwirklichen. Deshalb ist sogar ein Kampf nötig über die Entscheidung, welches M e n s c h e n t u m zur unbedingten Vollendung des Nihilismus fähig ist.
xxvr Die Zeichen der letzten Seinsverlassenheit sind die Ausrufungen der »Ideen« und »Werte«, das wahllose Hin und Her der Proklamation der »Tat« und der Unentbehrlichkeit des »Geistes«. All dieses ist schon eingespannt in den Mechanismus der Rüstung des Ordnungsvorganges. Dieser selbst ist bestimmt durch die Leere der Seinsverlassenheit, innerhalb deren der Verbrauch des Seienden f ü r das Machen der Technik, zu der auch die Kultur gehört, der einzige Ausweg ist, auf dem der auf sich selbst erpichte Mensch noch die Subjektivität in das Ü b e r m e n s c h e n t u m retten kann. U n t e r m e n s c h e n t u m und Ü b e r m e n s c h e n t u m sind das Selbe; sie gehören zusammen, wie im metaphysischen a n i m a l rationale das »Unten« der Tierheit und das »Über« der ratio unlöslich gekoppelt sind zur Entsprechung. Unter- und Übermenschentum sind hier metaphysisch zu denken, nicht als moralische Wertungen.
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Der Verbrauch des Seienden ist als solcher und in seinem Verlauf bestimmt durch die R ü s t u n g im metaphysischen Sinne, wodurch der Mensch sich zum »Herrn« des »Elementaren« macht. Der Verbrauch schließt ein den geregelten Gebrauch des Seienden, das Gelegenheit und Stoff f ü r Leistungen und deren Steigerung wird. Dieser Gebrauch wird genutzt zum Nutzen der Rüstung. Sofern diese aber in die Unbedingtheit der Steigerung und der Selbstsicherung ausgeht und in Wahrheit die Ziellosigkeit zum Ziel hat, ist die N u t z u n g eine Vernutzung. 1939/40
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Die »Weltkriege« und ihre »Totalität« sind bereits Folgen der Seinsverlassenheit. Sie drängen auf die Bestandsicherung einer ständigen Form der Vernutzung. In diesen Prozeß ist auch der Mensch einbezogen, der seinen Charakter, der wichtigste Rohstoff zu sein, nicht mehr länger verbirgt. Der Mensch ist der »wichtigste Rohstoff«, weil er das Subjekt aller Vernutzung bleibt, so zwar, daß er seinen Willen unbedingt in diesem Vorgang aufgehen läßt und dadurch zugleich das »Objekt« der Seinsverlassenheit wird. Die Welt-Kriege sind die Vorform der Beseitigung des Unterschieds von Krieg und Frieden, welche Beseitigung nötig ist, da die »Welt« zur Unweit geworden ist zufolge der Verlassenheit des Seienden von einer Wahrheit des Seins. Denn »Welt« im seynsgeschichtlichen Sinne (vgl. bereits »Sein und Zeit«) bedeutet die ungegenständliche Wesung der Wahrheit des Seyns f ü r den Menschen, sofern dieser dem Seyn w e s e n h a f t übereignet ist. Im Zeitalter der ausschließlichen Macht der Macht, d.h. des unbedingten Andranges des Seienden zum Verbrauch in die Vernutzung, ist die Welt zur Unweit geworden, sofern das Sein zwar west, aber ohne eigenes Walten. Das Seiende ist wirklich als das Wirkliche. Überall ist Wirkung und nirgends ein Welten der Welt und gleichwohl noch, obzwar vergessen, das Sein. Jenseits von Krieg und Frieden ist die bloße Irrnis der Vernutzung des Seienden in die Selbstsicherung des Ordnens aus der Leere der Seinsverlassenheit. »Krieg« und »Frieden« sind, zu ihrem Unwesen abgeändert, in die Irrnis aufgenommen und, weil unkenntlich geworden hinsichtlich eines Unterschiedes, in den bloßen Ablauf des sich steigernden Machens von Machbarkeiten verschwunden. Die Frage, w a n n Frieden sein wird, läßt sich nicht deshalb nicht beantworten, weil die Dauer des Krieges u n a b s e h b a r ist, sondern weil schon die Frage nach etwas fragt, das es nicht mehr gibt, da auch schon der Krieg nichts mehr ist, was auf einen Frieden auslaufen könnte. Der Krieg ist zu einer Abart der Vernutzung des Seienden geworden, die im Frieden fortgesetzt wird. Das Rechnen mit einem langen Krieg ist n u r die bereits veraltete Form, in der das Neue des Zeitalters der Vernutzung a n e r k a n n t ist. Dieser lange Krieg
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geht in seiner Länge langsam über nicht in einen Frieden früherer Art, sondern in einen Zustand, in dem das Kriegsmäßige gar nicht mehr als ein solches erfahren wird und das Friedensmäßige sinn- und gehaltlos geworden ist. Die Irrnis kennt keine Wahrheit des Seins; d a f ü r aber entwickelt sie die vollständig durchgerüstete Ordnung und Sicherheit jeglicher Planung in jedem Bezirk. In dem Zirkel (Kreis) der Bezirke werden notwendig die besonderen Bereiche menschlicher Rüstung zu »Sektoren«; der »Sektor« der Dichtung, der »Sektor« der Kultur sind auch n u r planmäßig gesicherte Gebiete der jeweiligen »Führung« neben anderen. Die moralischen E n t r ü s t u n g e n derer, die noch nicht wissen, was ist, zielen oft auf die Willkür und den Herrschaftsanspruch der »Führer« die fatalste Form der ständigen Würdigung. Der F ü h r e r ist der Ärger, der nicht loskommt vom Verfolgen des Ärgernisses, das jene n u r dem Schein nach geben, da sie nicht die Handelnden sind. Man meint, die F ü h r e r h ä t t e n von sich aus, in der blinden Raserei einer selbstischen Eigensucht, alles sich a n g e m a ß t und nach ihrem Eigensinn sich eingerichtet. In Wahrheit sind sie die notwendigen Folgen dessen, daß das Seiende in die Weise der Irrnis übergegangen ist, in der sich die Leere ausbreitet, die eine einzige Ordnung und Sicherung des Seienden verlangt. Darin ist die Notwendigkeit der »Führung«, d.h. der planenden Berechnung der Sicherung des Ganzen des Seienden gefordert. Dazu müssen solche Menschen eingerichtet und gerüstet sein, die der F ü h r u n g dienen. Die »Führer« sind die maßgebenden Rüstungsarbeiter, die alle Sektoren der Sicherung der Vernutzung des Seienden übersehen, weil sie das Ganze der Umzirkung durchschauen und so die Irrnis in ihrer Berechenbarkeit beherrschen. Die Art des Durchschauens ist die Berechnungsfähigkeit, die sich im vorhinein ganz losgelassen h a t in die Erfordernisse des ständig sich steigernden Sicherns der Ordnungen im Dienste der nächsten Möglichkeiten des Ordnens. Die Zuordnung aller möglichen Strebungen auf das Ganze der Planung und Sicherung heißt »Instinkt«. Das Wort bezeichnet hier den über den beschränkten Verstand, der n u r aus dem Nächsten rechnet, hinausgehenden »Intellekt«,
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dessen »Intellektualismus« nichts entgeht, w a s als »Faktor« in die Rechnung der Verrechnungen der einzelnen »Sektoren« eingehen muß. Der Instinkt ist die dem Ü b e r m e n s c h e n t u m entsprechende Übersteigerung des Intellekts in die unbedingte Verrechnung von allem. Da diese schlechthin den Willen beherrscht, scheint neben dem Willen nichts mehr zu sein als die Sicherheit des bloßen Triebes zur Rechnung, f ü r den die Berechnung von allem erste Regel des Rechnens ist. »Der Instinkt« galt bisher als eine Auszeichnung des Tieres, das in seinem Lebensbezirk das ihm Nützliche und Schädliche a u s m a c h t und verfolgt und darüber hinaus nichts anstrebt. Die Sicherheit des tierischen Instinkts entspricht der blinden E i n s p a n n u n g in seinen Nutzungsbezirk. Der bedingungslosen Ermächtigung des Übermenschentums entspricht die völlige Befreiung des Untermenschentums. Der Trieb der Tierheit und die ratio der Menschheit werden identisch. Daß f ü r das Ü b e r m e n s c h e n t u m der Instinkt als C h a r a k t e r gefordert wird, sagt, daß ihm das U n t e r m e n s c h e n t u m - metaphysisch verstanden - zugehört, aber so, daß gerade das Tierische in jeder seiner Formen durch und durch der Rechnung und Planung unterworfen wird (Gesundheitsführung, Züchtung). Da der Mensch der wichtigste Rohstoff ist, darf damit gerechnet werden, daß auf Grund der heutigen chemischen Forschung eines Tages Fabriken zur künstlichen Zeugung von Menschenmaterial errichtet werden. Die Forschungen des in diesem J a h r e mit dem Goethepreis der Stadt F r a n k f u r t ausgezeichneten Chemikers Kuhn eröffnen bereits die Möglichkeit, die Erzeugung von männlichen und weiblichen Lebewesen planmäßig je nach Bedarf zu steuern. Der Schrifttumsführung im Sektor »Kultur« entspricht in nackter Konsequenz die künstliche Schwängerungsführung. (Man flüchte sich hier nicht aus veralteter Prüderie in Unterschiede, die nicht mehr bestehen. Der Bedarf an Menschenmaterial unterliegt derselben Regelung des rüstungsmäßigen Ordnens wie der Bedarf an Unterhaltungsbüchern und Gedichten, f ü r deren Herstellung der Dichter u m nichts wichtiger ist als der Buchbinderlehrling, der die Gedichte f ü r eine Werkbücherei einbin-
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den hilft, indem er z.B. den Rohstoff der Pappe f ü r die Einbände aus den Lagerräumen herbeischafft). Die Vernutzung aller Stoffe, eingerechnet den Rohstoff »Mensch«, zur technischen Herstellung der unbedingten Möglichkeit eines Herstellens von allem, wird im Verborgenen bes t i m m t durch die völlige Leere, in der das Seiende, die Stoffe des Wirklichen, hängt. Diese Leere muß ausgefüllt werden. Da aber die Leere des Seins, zumal w e n n sie als solche nicht erfahren werden kann, niemals durch die Fülle des Seienden aufzufüllen ist, bleibt nur, u m ihr zu entgehen, die unausgesetzte Einrichtung des Seienden auf die ständige Möglichkeit des Ordnens als der Form der Sicherung des ziellosen Tuns. Die Technik ist von da gesehen, weil auf die Leere des Seins wider ihr Wissen bezogen, die Organisation des Mangels. Überall, wo an Seiendem zu wenig ist - und es ist wachsend überall immer f ü r den sich steigernden Willen zum Willen alles zu wenig - , muß die Technik einspringen und Ersatz schaffen und die Rohstoffe verbrauchen. Aber in W a h r h e i t ist der »Ersatz« und die Massenherstellung der Ersatzdinge nicht ein vorübergehender Notbehelf, sondern die einzig mögliche Form, in der sich der Wille zum Willen, die »restlose« Sicherung der Ordnung des Ordnens, in Gang hält und so er »selbst« als das »Subjekt« von allem sein kann. Das Anwachsen der Zahl der Menschenmassen wird eigens nach Planungen betrieben, damit die Gelegenheit niemals ausgehe, f ü r die großen Massen größere »Lebensräume« zu beanspruchen, die in ihrer Größe d a n n wiederum die entsprechend höhere Menschenmasse zu ihrer Einrichtung fordern. Diese Kreisbewegung der Vernutzung u m des Verbrauchs willen ist der einzige Vorgang, der die Geschichte einer Welt auszeichnet, die zur Unweit geworden ist. »Führernaturen« sind diejenigen, die sich auf Grund ihrer Instinktsicherheit von diesem Vorgang anstellen lassen als seine Steuerungsorgane. Sie sind die ersten Angestellten innerhalb des Geschäftsganges der bedingungslosen Vernutzung des Seienden im Dienste der Sicherung der Leere der Seinsverlassenheit. Dieser Geschäftsgang der Vernutzung des Seienden aus der wissen-
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losen Abwehr des u n e r f a h r e n e n Seyns schließt im vorhinein die Unterschiede des Nationalen und der Völker als noch wesentliche Bestimmungsmomente aus. Gleichwie der Unterschied zwischen Krieg und Frieden hinfällig geworden ist, so fällt auch die Unterscheidung zwischen »national« und »international« dahin. Wer heute »europäisch« denkt, läßt sich nicht mehr dem Vorwurf aussetzen, ein »Internationalist« zu sein. Er ist aber auch kein Nationalist mehr, da er j a auch das Wohl der übrigen »Nationen« nicht weniger bedenkt als das eigene. Die Gleichförmigkeit des Geschichtsganges des jetzigen Zeitalters b e r u h t gleichfalls nicht auf einer nachträglichen Angleichung älterer politischer Systeme an die neuesten. Die Gleichförmigkeit ist nicht die Folge, sondern der Grund f ü r die kriegerisehen Auseinandersetzungen der einzelnen A n w a r t s c h a f t e n auf die maßgebende F ü h r u n g innerhalb der Vernutzung des Seienden zur Sicherung der Ordnung. Die aus der Leere der Seinsverlassenheit entspringende Gleichförmigkeit des Seienden, in der es nur auf die berechenbare Sicherheit seiner Ordnung ankommt, die es dem Willen zum Willen unterwirft, bedingt auch überall vor allen nationalen Unterschieden die Gleichförmigkeit der Führerschaft, f ü r die alle Staatsformen nur noch ein Führ u n g s i n s t r u m e n t u n t e r anderen sind. Weil die Wirklichkeit in der Gleichförmigkeit der planbaren Rechnung besteht, muß auch der Mensch in die Einförmigkeit eingehen, u m dem Wirklichen gewachsen zu bleiben. Ein Mensch ohne Uni-form macht heute bereits den Eindruck des Unwirklichen, das nicht mehr dazugehört. Das Seiende, das allein im Willen z u m Willen zugelassen ist, breitet sich in eine Unterschiedslosigkeit aus, die n u r noch gemeistert wird durch ein Vorgehen und Einrichten, das unter dem »Leistungsprinzip« steht. Dieses scheint eine Rangordnung zur Folge zu haben; in Wahrheit h a t es die Ranglosigkeit zum Bestimmungsgrund, da das Ziel der Leistung überall n u r die gleichmäßige Leere der Vernutzung jeder Arbeit in die Sicherung des Ordnens ist. Die aus diesem Prinzip grell hervorbrechende Unterschiedslosigkeit deckt sich keineswegs mit der bloßen Nivellie-
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rung, die n u r Abbau bisheriger Rangordnungen bleibt. Die Unterschiedslosigkeit der totalen Vernutzung entspringt einem »positiven« Nichtzulassen einer Rangstufung gemäß der Vormacht der Leere aller Zielsetzungen. Diese Unterschiedslosigkeit bezeugt den bereits gesicherten Bestand der Unweit der Seinsverlassenheit. Die Erde erscheint als die Unweit der Irrnis. Sie ist seynsgeschichtlich der Irrstern.
XXVII Die Hirten wohnen unsichtbar und außerhalb des Ödlands der verwüsteten Erde, die nur noch der Sicherung der Herrschaft des Menschen nützen soll, dessen Wirken sich darauf beschränkt abzuschätzen, ob etwas wichtig oder unwichtig sei f ü r das Leben, welches Leben als der Wille zum Willen im voraus fordert, daß alles Wissen in dieser Art des sichernden Rechnens und Wertens sich bewege. Das unscheinbare Gesetz der Erde w a h r t diese in der Genügsamkeit des Aufgehens und Vergehens aller Dinge im zugemessenen Kreis des Möglichen, dem jedes folgt und den doch keines kennt. Die Birke überschreitet nie ihr Mögliches. Das Bienenvolk wohnt in seinem Möglichen. Erst der Wille, der sich allwendig in der Technik einrichtet, zerrt die Erde in die Abmüdung und Vernutzung und Veränderung des Künstlichen. Sie zwingt die Erde über den gewachsenen Kreis ihres Möglichen hinaus in solches, was nicht m e h r das Mögliche und daher das Unmögliche ist. Daß den technischen Vorhaben und M a ß n a h m e n vieles gelingt an Erfindungen und sich jagenden Neuerungen, ergibt keineswegs den Beweis, daß Errungenschaften der Technik sogar das Unmögliche möglich machen. Der Aktualismus u n d der Moralismus der Historie sind die letzten Schritte der vollendeten Identifizierung der N a t u r und des Geistes mit dem Wesen der Technik. N a t u r und Geist sind Gegenstände des Selbstbewußtseins; dessen unbedingte H e r r s c h a f t
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zwingt beide zum voraus in eine Gleichförmigkeit, aus der es metaphysisch kein E n t r i n n e n gibt. Eines ist es, die Erde nur zu nutzen, ein anderes, den Segen der Erde zu empfangen und im Gesetz dieser Empfängnis heimisch z u werden, u m das Geheimnis des Seins zu h ü t e n und über die Unverletzlichkeit des Möglichen zu wachen.
XXVIII Keine bloße Aktion wird den Weltzustand ändern, weil das Sein als Wirksamkeit und Wirken alles Seiende gegenüber dem Ereignis verschließt. Sogar das ungeheure Leid, das über die Erde geht, vermag unmittelbar keinen Wandel zu erwecken, weil es n u r als ein Leiden, dieses passiv u n d somit als Gegenzustand zur Aktion u n d daher mit dieser z u s a m m e n in dem selben Wesensbereich des Willens z u m Willen erfahren wird. Aber die Erde bleibt im unscheinbaren Gesetz des Möglichen geborgen, das sie ist. Der Wille h a t dem Möglichen das Unmögliche als Ziel aufgezwungen. Die Machenschaft, die diesen Zwang einrichtet und in der Herrschaft hält, entspringt dem Wesen der Technik, das Wort hier identisch gesetzt mit dem Begriff der sich vollendenden Metaphysik. Die unbedingte Gleichförmigkeit aller M e n s c h e n t ü m e r der Erde u n t e r der Herrschaft des Willens zum Willen m a c h t die Sinnlosigkeit des absolut gesetzten menschlichen Handelns deutlich. Die Verwüstung der Erde beginnt als gewollter, aber in seinem Wesen nicht gewußter und auch nicht wißbarer Prozeß zu der Zeit, da das Wesen der Wahrheit sich als Gewißheit umgrenzt, in der zuerst das menschliche Vorstellen und Herstellen seiner selbst sicher wird. Hegel begreift diesen Augenblick der Geschichte der Metaphysik als denjenigen, in dem das absolute Selbstbewußtsein zum Prinzip des Denkens wird. Fast scheint es, als sei dem Menschen u n t e r der H e r r s c h a f t des Willens das Wesen des Schmerzes verschlossen, insgleichen das
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Wesen der Freude. Ob das Ü b e r m a ß an Leid hier noch einen Wandel bringen kann? Kein Wandel kommt ohne vorausweisendes Geleit. Wie aber n a h t ein Geleit, wenn nicht das Ereignis sich lichtet, das rufend, brauchend das Menschenwesen er-äugnet, d.h. er blickt und im Erblicken Sterbliche auf den Weg des denkenden, dichtenden B a u e n s bringt?
W E R IST N I E T Z S C H E S ZARATHUSTRA?
101 Die Frage läßt sich, so will es scheinen, leicht beantworten. Denn wir finden die Antwort bei Nietzsche selbst in klar gesetzten und sogar gesperrt gedruckten Sätzen. Sie stehen in j e n e m Werk Nietzsches, das eigens die Gestalt des Zarathustra darstellt. Das Buch besteht aus vier Teilen, ist in den Jahren 1883 bis 1885 entstanden und trägt den Titel: »Also sprach Zarathustra«. Nietzsche gab diesem Buch einen Untertitel auf den Weg. Er lautet: »Ein Buch für Alle und Keinen«. »Für Alle«, d. h. freilich nicht: für j e d e r m a n n als jeden Beliebigen. »Für Alle«, dies meint: für jeden Menschen als Menschen, für jeden jeweils und sofern er sich in seinem Wesen denkwürdig wird. »... und Keinen«, dies sagt: für n i e m a n d e n aus den überallher angeschwemmten Neugierigen, die sich nur an vereinzelten Stücken und besonderen Sprüchen dieses Buches berauschen und blindlings in seiner halb singenden, halb schreienden, bald bedächtigen, bald stürmischen, oft hohen, bisweilen platten Sprache u m h e r t a u m e l n , statt sich auf den Weg des Denkens zu machen, das hier nach seinem Wort sucht. »Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen.« Wie unheimlich hat sich dieser Untertitel des Werkes in den siebzig Jahren seit seinem Erscheinen bewahrheitet — aber in genau umgekehrtem Sinne. Es wurde ein Buch für j e d e r m a n n , und kein Denkender zeigt sich bis zur Stunde, der dem Grundgedanken dieses Buches gewachsen wäre und seine Herkunft in ihrer Tragweite ermessen könnte. Wer ist Zarathustra? Wenn wir den Haupttitel des Werkes aufmerksam lesen, gewahren wir einen Wink: »Also sprach Zarathustra«. Zarathustra spricht. Er ist ein Sprecher. Von welcher Art? Ein Volksredner oder gar ein Prediger? Nein. Der Sprecher Zarathustra ist ein »Fürsprecher«. In diesem Namen begegnet uns ein sehr altes Wort der deutschen Sprache und zwar in mehrfältiger Bedeutung. »Für« bedeutet eigentlich »vor«. »Fürtuch« ist der heute noch im Alemannischen gebräuchliche Name für die Schürze. Der »Fürsprech« spricht vor und führt das Wort. Aber »für« bedeutet zugleich: zugunsten und zur Rechtfertigung. Der Fürsprecher ist schließ-
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lieh derjenige, der das, wovon u n d wofür er spricht, auslegt und erklärt. Z a r a t h u s t r a ist ein F ü r s p r e c h e r in diesem dreifachen Sinne. D o c h was spricht er vor? Zu wessen G u n s t e n spricht er? Was versucht er auszulegen? Ist Z a r a t h u s t r a n u r irgendein F ü r s p r e c h e r für irgend etwas, oder ist er der F ü r s p r e c h e r für das E i n e , was den M e n s c h e n vor allem und stets anspricht? Gegen Ende des dritten Teiles von »Also sprach Z a r a t h u s t r a « steht ein Abschnitt mit der Überschrift »Der Genesende«. Das ist Zarathustra. Doch was heißt »der Genesende«? »Genesen« ist das selbe Wort wie das griechische ν έ ο μ α ι , ν ό σ τ ο ς . D i e s b e d e u t e t : h e i m k e h r e n ; Nostalgie ist der H e i m s c h m e r z , das H e i m w e h . »Der G e n e s e n d e « ist derjenige, der sich zur H e i m k e h r s a m m e l t , nämlich zur E i n k e h r in seine B e s t i m m u n g . Der G e n e s e n d e ist unterwegs zu ihm selber, so daß er von sich sagen kann, wer er ist. In dem g e n a n n t e n Stück sagt der Genesende: »Ich, Z a r a t h u s t r a , der F ü r s p r e c h e r des Lebens, der F ü r s p r e c h e r des Leidens, der F ü r s p r e c h e r des Kreises - ...« Z a r a t h u s t r a spricht zugunsten des Lebens, des Leides, des Kreises, und dies spricht er vor. Diese Drei: »Leben - L e i d e n - Kreis« gehören z u s a m m e n , sind das Selbe. Wenn wir dieses D r e i f a c h e als Eines und das Selbe recht zu denken v e r m ö c h t e n , wären wir imstande zu ahnen, wessen F ü r s p r e c h e r Z a r a t h u s t r a ist und wer er wohl selbst als dieser F ü r s p r e c h e r sein m ö c h t e . Zwar k ö n n t e n wir jetzt durch eine grobschlächtige E r k l ä r u n g eingreifen und mit u n b e s t r e i t b a r e r Richtigkeit sagen: »Leben« b e d e u t e t in Nietzsches Sprache: der Wille zur M a c h t als der G r u n d z u g alles Seienden, nicht nur des Menschen. Was »Leiden« bedeutet, sagt Nietzsche in folgenden Worten: »Alles, was leidet, will leben ...« ( W W VI, 469), d.h. alles, was in der Weise des Willens zur M a c h t ist. Dies besagt: »Die gestaltenden Kräfte stoßen sich« (XVI, 151). »Kreis« ist das Zeichen des Ringes, dessen R i n g e n in sich selbst z u r ü c k l ä u f t und so i m m e r das w i e d e r k e h r e n d e Gleiche erringt. D e m n a c h stellt sich Z a r a t h u s t r a als der F ü r s p r e c h e r dessen vor, daß alles Seiende Wille zur M a c h t ist, der als schaffender,
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sich stoßender Wille leidet und so sich selber in der ewigen Wiederkehr des Gleichen will. Mit dieser Aussage h a b e n wir das Wesen Z a r a t h u s t r a s auf eine D e f i n i t i o n gebracht, wie m a n schulmäßig sagt. Wir k ö n n e n uns diese D e f i n i t i o n aufschreiben, dem Gedächtnis einprägen und sie bei Gelegenheit nach Bedarf vorbringen. Wir können das Vorgeb r a c h t e sogar noch eigens durch j e n e Sätze belegen, die in Nietzsches Werk, durch Sperrdruck h e r v o r g e h o b e n , sagen, wer Zarathustra sei. In dem schon e r w ä h n t e n Stück »Der Genesende« (314) lesen wir: »Du (nämlich Z a r a t h u s t r a ) bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft . ..!«. U n d in der Vorrede zum ganzen Werk (n. 3) steht: »Ich (nämlich Z a r a t h u s t r a ) lehre euch den Ubermenschen.« Nach diesen Sätzen ist Z a r a t h u s t r a , der Fürsprecher, ein »Lehrer«. Er lehrt augenscheinlich zweierlei: die ewige W i e d e r k u n f t des Gleichen u n d den Ü b e r m e n s c h e n . Allein, m a n sieht zunächst nicht, ob und wie das, was er lehrt, z u s a m m e n g e h ö r t . Doch selbst w e n n sich der Z u s a m m e n h a n g aufklärte, bliebe fraglich, ob wir den F ü r s p r e c h e r hören, ob wir von diesem L e h r e r lernen. Ohne dieses H ö r e n und L e r n e n wissen wir nie recht, wer Z a r a t h u s t r a ist. So genügt es denn nicht, n u r Sätze z u s a m m e n z u s t e l l e n , aus denen sich ergibt, was der F ü r s p r e c h e r u n d L e h r e r von sich sagt. Wir müssen darauf achten, wie er es sagt und bei welcher Gelegenheit u n d in welcher Absicht. Das e n t s c h e i d e n d e Wort: »Du bist der L e h r e r der ewigen Wiederkunft!« sagt nicht Z a r a t h u s t r a aus sich zu sich selber. Dies sagen ihm seine Tiere. Sie w e r d e n sogleich am Beginn der Vorrede des Werkes und deutlicher in ihrem Schluß (n. 10) genannt. Hier h e i ß t es: »... als die Sonne im M i t t a g stand: da blickte er (Zarathustra) fragend in die H ö h e — denn er hörte über sich den scharfen Ruf eines Vogels. U n d siehe! Ein Adler zog in weiten Kreisen durch die Luft, u n d an ihm h i e n g eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer F r e u n d i n : denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt.« Wir ah-
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nen schon in diesem geheimnisvollen Umhalsen, w i e unausgesprochen im Kreisen des Adlers u n d im Ringeln der Schlange K r e i s und R i n g sich u m r i n g e n . S o erglänzt der R i n g , d e r anulus aeternitatis heißt: Siegelring u n dJahr d e r Ewigkeit. I m A n b l i c k der b e i d e n Tiere zeigt sich, w o h i n sie selbst, kreisend u n d sich r i n g e l n d , g e h ö r e n . D e n n s i em a c h e n nie erst K r e i s u n d R i n g , sondern f ü g e n sich darein, u m s o i h r W e s e n z u haben. I m A n b l i c k der beiden Tiere erscheint Jenes, w a s d e n fragend in d i e H ö h e b l i c k e n d e n Z a r a t h u s t r a a n g e h t . D a r u m f ä h r t d e r T e x t fort: »,Es sind m e i n e Tiere!' sagte Z a r a t h u s t r a u n d freute sich v o n Herzen. D a s stolzeste Tier unter d e r Sonne u n d d a s klügste Tier der S o n n e - sie sind a u s g e z o g e n a u f Kundschaft. ich
E r k u n d e n w o l l e n sie, o b Z a r a t h u s t r a n o c h lebe. W a h r l i c h , noch?«
unter lebe
Zarathustras F r a g e behält nur dann i h rGewicht, w e n n wir d a s unbestimmte Wort »Leben« im Sinne v o n »Wille zur Macht« verstehen. Z a r a t h u s t r a fragt: entspricht m e i n Wille d e m Willen, der als Wille z u rM a c h t d a s G a n z e d e s S e i e n d e n durchherrscht? Seine Tiere e r k u n d e n Z a r a t h u s t r a s W e s e n . E r fragt sich selber, ob er n o c h , d.h. o b er s c h o n d e r j e n i g e ist, der er e i g e n t l i c h ist. I n einer Notiz z u »Also sprach Zarathustra« a u s d e m N a c h l a ß (XIV, 2 7 9 ) steht: » , H a b e i c h Z e i t , a u f m e i n e T i e r e z u warten? W e n n e s meine T i e re s i n d , s o w e r d e n s i e m i c h z u f i n d e n w i s s e n ' . Z a r a t h u s t r a s ' s Schweigen.« So sagen i h mdann seine Tiere a n der angeführten Stelle, i m Stück » D e r G e n e s e n d e « , d a s Folgende, d a s wir über d e m gesperrt g e d r u c k t e n Satz nicht ü b e r s e h e n dürfen. S i e sagen: » D e n n deine Tiere wissen e s wohl, o Zarathustra, wer d u bist und w e r d e n m u ß t : s i e h e , du bist der Lehrer der ewigen Wiederkunft -, d a s i s t n u n dein S c h i c k s a l ! « So k o m m t es a n s Licht: Zarathustra muß allererst derjenige werden, d e r e r i s t . V o r s o l c h e m W e r d e n s c h r e c k t Z a r a t h u s t r a z u rück. D e r Schrecken zieht durch d a s ganze Werk, d a s i h n dar-
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stellt. D i e s e r S c h r e c k e n b e s t i m m t d e n Stil, d e n z ö g e r n d e n u n d immer wieder verzögerten Gang des ganzen Werkes. Dieser S c h r e c k e n erstickt alle Selbstsicherheit und A n m a ß u n g Z a r a t h u stras schon a m B e g i n n seines Weges. Wer diesen S c h r e c k e n nicht aus allen oft a n m a ß e n d k l i n g e n d e n u n d oft n u r r a u s c h h a f t sich g e b ä r d e n d e n R e d e n zuvor v e r n o m m e n h a t u n d stets v e r n i m m t , wird n i e w i s s e n können, w e r Z a r a t h u s t r a ist. W e n n Z a r a t h u s t r a d e r L e h r e r d e r e w i g e n W i e d e r k u n f t erst w e r d e n soll, d a n n k a n n er m i t dieser L e h r e a u c h nicht sogleich beginnen. D e s h a l b steht a m B e g i n n seines Weges d a s andere W o r t : »Ich lehre euch den Ubermenschen.« B e i d e m W o r t » Ü b e r m e n s c h « m ü s s e n w i r a l l e r d i n g s z u m voraus alle falschen u n dv e r w i r r e n d e n T ö n e fernhalten, d i e f ü r d a s gewöhnliche Meinen anklingen. Mit dem N a m e n »Übermensch« benennt Nietzsche gerade nicht einen bloß ü b e r d i m e n s i o n a l e n bisherigen M e n s c h e n . E r meint auch nicht eine Menschenart, die das H u m a n e wegwirft u n d d i e nackte Willkür z u mGesetz u n d eine titanische Raserei zur Regel macht. D e r Ü b e r m e n s c h ist vielmehr, d a sWort ganz wörtlich g e n o m m e n , derjenige Mensch, der über d e n b i s h e r i g e n M e n s c h e n h i n a u s g e h t , einzig u m d e n b i s h e r i g e n M e n s c h e n allererst in sein noch a u s s t e h e n d e s W e s e n z u b r i n g e n u n d i h n d a r i n fest z u stellen. E i n e N a c h l a ß n o t i z z u m »Zarathustra« sagt (XIV, 271): » Z a r a t h u s t r a w i l l k e i n e V e r g a n g e n h e i t d e r M e n s c h h e i t verlieren, Alles in d e n Guß werfen.« Doch woher stammt der Notruf nach d e m Übermenschen? Weshalb genügt der bisherige M e n s c h nicht mehr? Weil Nietzsche den g e s c h i c h t l i c h e n A u g e n b l i c k erkennt, d a der M e n s c h sich anschickt, die Herrschaft über die Erde i m Ganzen anzutreten. N i e t z s c h e ist d e r erste D e n k e r , d e r i m H i n b l i c k a u f d i e z u m ersten M a l e h e r a u f k o m m e n d e Weltgeschichte d i e entscheidende F r a g e stellt u n d sie in ihrer m e t a p h y s i s c h e n T r a g w e i t e durchdenkt. D i e F r a g e lautet: ist der M e n s c h a l s M e n s c h in s e i n e m bisherigen Wesen für die Ü b e r n a h m e d e rErdherrschaft vorbereitet? W e n n nicht, w a s muß m i t d e m bisherigen M e n s c h e n geschehen,
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daß er sich d i e E r d e » U n t e r t a n « m a c h e n u n d s o d a s Wort eines alten Testamentes erfüllen kann? M u ß dann d e r bisherige M e n s c h n i c h t über s i c h s e l b s t h i n a u s g e b r a c h t w e r d e n , u m d i e sem Auftrag entsprechen z u können? Steht es so, dann kann der recht gedachte » Ü b e r - m e n s c h « kein Produkt einer zügellosen und a u s g e a r t e t e n u n d i n s L e e r e w e g s t ü r m e n d e n P h a n t a s i e sein. Seine A r t läßt sich j e d o c h e b e n s o w e n i g historisch durch eine Analyse des modernen Zeitalters auffinden. W i r dürfen darum die W e s e n s g e s t a l t d e s Ü b e r m e n s c h e n n i e m a l s in j e n e n F i g u r e n suchen, die als H a u p t f u n k t i o n ä r e eines vordergründigen u n d m i ß d e u t e t e n Willens z u rM a c h t in d i e Spitzen seiner verschieden e n O r g a n i s a t i o n s f o r m e n g e s c h o b e n w e r d e n . E i n e s freilich sollten w i r bald merken: dieses D e n k e n , d a s a u f d i e Gestalt eines L e h r e r s zudenkt, d e r d e nÜ b e r - m e n s c h e n lehrt, geht uns, geht Europa, geht die ganze Erde a n , nicht n u r heute noch, sondern erst m o r g e n . D a sist so, ganz u n a b h ä n g i g davon, o b wir dieses D e n k e n b e j a h e n oder b e k ä m p f e n , o b m a n e s ü b e r g e h t oder i n falschen Tönen nachmacht. Jedes wesentliche Denken geht unantastbar durch alle A n h ä n g e r s c h a f t und G e g n e r s c h a f t hindurch. So gilt e s denn, daß wir erst lernen, von d e m L e h r e r z u lernen, und sei e s auch n u rdies, über i h nh i n a u s z u f r a g e n . N u r s o erfahren w i r e i n e s T a g e s , w e r N i e t z s c h e s Z a r a t h u s t r a ist, o d e r w i r erf a h r e n e s nie. Zu bedenken bleibt allerdings, o b das Hinausfragen über N i e t z s c h e s D e n k e n eine F o r t s e t z u n g d e s s e l b e n sein k a n n oder e i n Schritt zurück werden muß. Zu bedenken bleibt vordem, o b dieses »Zurück« nur eine historisch feststellbare Vergangenheit meint, die m a n erneuern m ö c h t e (z.B. d i eWelt G o e t h e s ) , oder o b d a s » Z u r ü c k « in e i n Gew e s e n weist, dessen A n f a n g i m m e r noch a u f e i nA n d e n k e n wartet, u m e i n B e g i n n z u w e r d e n , d e nd i e F r ü h e a u f g e h e n läßt. D o c h jetzt beschränken w i ru n s darauf, Weniges u n d Vorläufiges über Z a r a t h u s t r a k e n n e n z u lernen. S a c h g e m ä ß geschieht dies am besten so, daß wir versuchen, die ersten Schritte d e s Lehrers, der er ist,m i t z u g e h e n . E r lehrt, i n d e m er zeigt. E r blickt in d a s
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Zarathustra?
W e s e n d e s Ü b e r - m e n s c h e n voraus u n dbringt e s in eine sichtbare G e s t a l t . Z a r a t h u s t r a i s t n u r d e r L e h r e r , n i c h t s c h o n d e r Ü b e r - m e n s c h selbst. U n d w i e d e r u m ist N i e t z s c h e n i c h t Z a r a t h u s t r a , sondern der F r a g e n d e , d e rZ a r a t h u s t r a s W e s e n z u e r d e n k e n versucht. Der Ü b e r m e n s c h geht über die A r t des bisherigen u n d heutigen M e n s c h e n hinaus und ist s o e i nÜ b e r g a n g , eine Brücke. D a mit wir lernend d e m Lehrer, d e rden Ü b e r m e n s c h e n lehrt, folgen k ö n n e n , m ü s s e n wir, u m b e i d e m B i l d z u b l e i b e n , a u f d i e B r ü c k e gelangen. D e nÜbergang denken w i r einigermaßen vollständig, wenn w i r dreierlei beachten: 1.Das, von w o derHinübergehende weggeht. 2. D e n Ü b e r g a n g selbst. 3. D a s , w o h i n d e r Ü b e r g e h e n d e h i n ü b e r g e h t . D i e s zuletzt G e n a n n t e m ü s s e n wir, m u ß v o r a l l e m d e r H i n ü b e r g e h e n d e , m u ß v o r d e m d e r L e h r e r , d e r i h n z e i g e n soll, i m Blick haben. Fehlt der Vorblick in d a s Wohin, dann bleibt d a s Hinübergehen ohne Steuer u n d d a s ,v o n w o w e gder Hinüberg e h e n d e sich lösen m u ß , i m U n b e s t i m m t e n . D o c h a n d e r e r s e i t s z e i g t sich d a s , w o h i n der H i n ü b e r g e h e n d e g e r u f e n ist, erst i m voll e n L i c h t , w e n n e r d o r t h i n ü b e r g e g a n g e n ist. F ü r d e n H i n ü b e r g e henden und vollends fürden, d e rden Ü b e r g a n g als L e h r e r zeigen soll, f ü r Z a r a t h u s t r a selbst, bleibt d a s W o h i n stets i n einer F e r n e . D a s Ferne bleibt. Insofern e s bleibt, bleibt e s in einer N ä h e , in jener nämlich, diedasFerne als dasFerne bewahrt, indem es an das Ferne und z u i h m hin denkt. D i e a n d e n k e n d e N ä h e z u m Fernen ist das, w a s unsere S p r a c h e d i e S e h n s u c h t nennt. Irrigerweise b r i n g e n w i r d i e S u c h t m i t » s u c h e n « u n d » g e t r i e b e n s e i n « z u s a m m e n . A b e r d a s alte Wort » S u c h t « ( G e l b s u c h t , S c h w i n d s u c h t ) bedeutet: Krankheit, Leiden, Schmerz. D i e S e h n s u c h t ist d e r S c h m e r z der N ä h e d e s Fernen. W o h i n der F l i n ü b e r g e h e n d e geht, d e m gehört seine S e h n s u c h t . D e r H i n ü b e r g e h e n d e u n d schon der, d e rihn zeigt, der L e h r e r , ist, wie w i r schon hörten, u n t e r w e g s z u rH e i m k e h r in sein eigenstes W e s e n . E r ist d e r G e n e s e n d e . I m dritten Teil v o n »Also sprach Z a r a t h u s t r a « folgt u n m i t t e l b a r a u f d a s Stück, d a s überschrie-
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Wer ist Nietzsches
Zarathustra?
ben ist »Der Genesende«, jenes Stück, das den Titel trägt: »Von der großen Sehnsucht«. Mit diesem Stück, dem drittletzten des III. Teils, erreicht das ganze Werk »Also sprach Z a r a t h u s t r a « seine Gipfelhöhe. In einer N a c h l a ß a u f z e i c h n u n g (XIV, 285) verm e r k t Nietzsche: »Ein göttliches Leiden ist der I n h a l t des III. Zarathustra.« In dem Stück »Von der großen Sehnsucht« spricht Z a r a t h u s t r a mit seiner Seele. Nach der L e h r e Piatons, die für die abendländische Metaphysik m a ß g e b e n d w u r d e , b e r u h t im Selbstgespräch der Seele m i t sich selbst das Wesen des Denkens. Es ist der λόγος, όν αύτη προς αΰτήν ή ψυχή διεξέρχεται περί ών άν σκοπή . ^as gende Sichsammeln, das die Seele selbst auf dem Weg zu sich selbst d u r c h g e h t , im U m k r e i s dessen, was j e sie erblickt (Theaetet 189 e; vgl. Sophistes 263 e). Z a r a t h u s t r a denkt im Gespräch mit seiner Seele seinen »abg r ü n d l i c h s t e n Gedanken« (Der G e n e s e n d e , n. 1; vgl. III. Vom Gesicht und Rätsel, n. 2). Das Stück »Von der großen Sehnsucht« b e g i n n t Z a r a t h u s t r a mit den Worten: »Oh m e i n e Seele, ich lehrte dich ,Heute' sagen wie ,Einst' und ,Ehemals' u n d über alles Hier und Da und Dort deinen R e i g e n h i n w e g tanzen.« Die drei Worte » H e u t e « , » E h e m a l s « , »Einst« sind groß geschrieben und stehen in A n f ü h r u n g s z e i c h e n . Sie n e n n e n die G r u n d z ü g e der Zeit. Die Art, wie Z a r a t h u s t r a sie ausspricht, deutet auf jenes, was Z a r a t h u s t r a selber sich im G r u n d e seines Wesens fortan sagen m u ß . U n d was ist dies? D a ß »Einst« und »Ehemals«, Z u k u n f t und Vergangenheit, wie das »Heute« sind. Das H e u t e aber ist wie das Vergangene und das K o m m e n d e . Alle drei P h a s e n der Zeit rücken zum Gleichen als das Gleiche in eine einzige Gegenwart z u s a m m e n , in ein ständiges letzt. Die M e t a p h y sik n e n n t das stete Jetzt: die Ewigkeit. Auch Nietzsche denkt die drei P h a s e n der Zeit aus der Ewigkeit als stetem Jetzt. Aber die Stete b e r u h t für ihn nicht in e i n e m Stehen, sondern in einem W i e d e r k e h r e n des Gleichen. Z a r a t h u s t r a ist, w e n n er seine Seele jenes Sagen lehrt, der L e h r e r der ewigen W i e d e r k u n f t des Glei-
109 Wer ist Nietzsches
Zarathustra?
chen. Sie ist die unerschöpfliche Fülle des f r e u d i g - s c h m e r z l i c h e n Lebens. D a r a u f geht »die große Sehnsucht« des L e h r e r s der ewigen W i e d e r k u n f t des Gleichen. D a r u m h e i ß t »die große Sehnsucht« im selben Stück auch »die Sehnsucht der Über-Fülle«. »Die große Sehnsucht« lebt am m e i s t e n aus dem, woraus sie den einzigen Trost, d. h. die Zuversicht schöpft. An die Stelle des älteren Wortes »Trost« (dazu: t r a u e n , zutrauen) ist in u n s e r e r Sprache das Wort » H o f f n u n g « getreten. »Die große Sehnsucht« s t i m m t u n d b e s t i m m t den von ihr beseelten Z a r a t h u s t r a in seine »größte H o f f n u n g « . Was aber berechtigt und f ü h r t ihn zu dieser? Welches ist die Brücke, die ihn h i n ü b e r g e h e n läßt zum Überm e n s c h e n u n d ihn im H i n ü b e r g e h e n w e g g e h e n läßt vom bisherigen Menschen, so daß er sich von ihm lösen kann? Es liegt im e i g e n t ü m l i c h e n Bau des Werkes »Also sprach Zarat h u s t r a « , das den Ü b e r g a n g des H i n ü b e r g e h e n d e n zeigen soll, daß die Antwort auf die soeben gestellte Frage im v o r b e r e i t e n d e n IL Teil des Werkes gegeben wird. H i e r läßt Nietzsche in dem Stück »Von den Taranteln« Z a r a t h u s t r a sagen: » D e n n daß der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist m i r die Brücke zur h ö c h s t e n H o f f n u n g und ein R e g e n b o g e n nach l a n g e n Unwettern.« Wie seltsam und wie b e f r e m d l i c h für die gängige M e i n u n g , die m a n sich über die P h i l o s o p h i e Nietzsches zurecht gemacht hat. Gilt Nietzsche nicht als der A n t r e i b e r zum Willen zur Macht, zu Gewaltpolitik und Krieg, zur Raserei der »blonden Bestie«? Die Worte »daß der Mensch erlöst werde von der Rache« sind im Text sogar gesperrt gedruckt. Nietzsches D e n k e n denkt auf die E r l ö s u n g vom Geist der Rache. Sein D e n k e n m ö c h t e einem Geist dienen, der als Freiheit von der Rachsucht j e d e r bloßen Verb r ü d e r u n g voraufgeht, aber auch allem Nur-bestrafen-wollen, ein e m Geist, der vor aller F r i e d e n s b e m ü h u n g und vor j e d e m Betreiben des Krieges liegt, a u ß e r h a l b eines Geistes, der die Pax, den F r i e d e n , durch P a k t e b e g r ü n d e n u n d sichern will. D e r R a u m
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Wer ist Nietzsches
Zarathustra?
dieser F r e i h e i t von der Rache liegt in gleicher Weise a u ß e r h a l b von Pazifismus und Gewaltpolitik und b e r e c h n e n d e r N e u t r a l i t ä t . Er liegt ebenso a u ß e r h a l b eines schwächlichen Gleitenlassens der D i n g e und des Sichdrückens um das Opfer, wie a u ß e r h a l b der b l i n d e n Zugriffe und des H a n d e l n s um j e d e n Preis. D e m Geist der F r e i h e i t von der R a c h e gehört Nietzsches angebliche Freigeisterei. »Daß der Mensch erlöst werde von der Rache« — Wenn wir auch nur im u n g e f ä h r e n diesen Geist der F r e i h e i t als den G r u n d z u g im D e n k e n Nietzsches beachten, m u ß das bisher und i m m e r noch u m l a u f e n d e Bild von Nietzsche in sich zerfallen. » D e n n daß der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke zur höchsten H o f f n u n g « sagt Nietzsche. Er sagt damit zugleich, in der Sprache des v o r b e r e i t e n d e n Verbergens, wohin seine »große Sehnsucht« geht. D o c h was versteht Nietzsche hier u n t e r Rache? Worin besteht nach ihm die Erlösung von der Rache? Wir b e g n ü g e n uns damit, einiges Licht in diese zwei F r a g e n zu bringen. Dieses Licht läßt uns dann vielleicht d e u t l i c h e r die Brücke sehen, die für ein solches D e n k e n vom bisherigen M e n schen zum Ü b e r m e n s c h e n h i n ü b e r f ü h r e n soll. Mit dem Übergang k o m m t Jenes zum Vorschein, wohin der Ü b e r g e h e n d e geht. So k a n n uns dann eher einleuchten, inwiefern Z a r a t h u s t r a als der F ü r s p r e c h e r des Lebens, des Leidens, des Kreises der L e h r e r ist, der zugleich die ewige W i e d e r k u n f t des Gleichen und den Überm e n s c h e n lehrt. W a r u m h ä n g t dann aber so E n t s c h e i d e n d e s an der E r l ö s u n g von der Rache? Wo haust ihr Geist? Nietzsche antwortet uns im drittletzten Stück des zweiten Teiles von »Also sprach Z a r a t h u stra«. Es ist überschrieben: »Von der Erlösung«. Hier h e i ß t es: »Der Geist der Rache: m e i n e F r e u n d e , das war bisher der M e n schen bestes N a c h d e n k e n ; und wo Leid war, da sollte i m m e r Strafe sein.« D u r c h diesen Satz wird die R a c h e im vorhinein auf das ganze bisherige N a c h d e n k e n der M e n s c h e n bezogen. Das hier g e n a n n t e
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Zarathustra?
N a c h d e n k e n m e i n t nicht irgend ein Überlegen, sondern jenes D e n k e n , worin das Verhältnis des M e n s c h e n zu dem b e r u h t und schwingt, was ist, zum Seienden. Insofern der Mensch sich zum Seienden verhält, stellt er das Seiende hinsichtlich dessen vor, daß es ist, was es und wie es ist, wie es sein m ö c h t e und sein soll, kurz gesagt: das Seiende hinsichtlich seines Seins. Dieses Vor-stellen ist das D e n k e n .
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Nach dem Satz Nietzsches wird dieses Vorstellen bisher durch den Geist der R a c h e b e s t i m m t . Die M e n s c h e n h a l t e n ihr so bestimmtes Verhältnis zu dem, was ist, für das Beste. Wie i m m e r auch der Mensch das Seiende als solches vorstellen mag, er stellt es im Hinblick auf dessen Sein vor. D u r c h diesen Hinblick geht er über das Seiende i m m e r schon h i n a u s u n d hinüber zum Sein. H i n ü b e r h e i ß t griechisch μ ε τ ά . D a r u m ist j e d e s Verhältnis des M e n s c h e n zum Seienden als solchen in sich m e t a physisch. Wenn Nietzsche die R a c h e als den Geist versteht, der den Bezug des M e n s c h e n zum Seienden d u r c h s t i m m t u n d bestimmt, d a n n denkt er die Rache im vorhinein metaphysisch. Die R a c h e ist hier kein bloßes T h e m a der Moral, und die Erlösung von der R a c h e keine Aufgabe der m o r a l i s c h e n Erziehung. E b e n s o w e n i g bleibt die R a c h e und die Rachsucht ein Gegenstand der Psychologie. Wesen und Tragweite der Rache sieht Nietzsche metaphysisch. Doch was h e i ß t ü b e r h a u p t Rache? W e n n wir uns m i t dem nötigen Weitblick zunächst an die W o r t b e d e u t u n g halten, können wir daraus einen Wink m i t n e h m e n . Rache, rächen, wreken, u r g e r e heißt: stoßen, treiben, vor sich h e r t r e i b e n , verfolgen, nachstellen. In welchem Sinne ist die R a c h e ein Nachstellen? Sie sucht doch nicht bloß etwas zu erjagen, es einzufangen, in Besitz zu n e h m e n . Sie sucht das, dem sie nachstellt, auch nicht bloß zu erlegen. Das r ä c h e n d e Nachstellen widersetzt sich im voraus dem, woran es sich rächt. Es widersetzt sich ihm in der Weise, daß es herabsetzt, um dem Herabgesetzten gegenüber sich selbst in die Ü b e r l e g e n h e i t zu stellen und so die eigene, für einzig m a ß g e b e n d g e h a l t e n e G e l t u n g w i e d e r h e r z u stellen. D e n n die R a c h s u c h t wird vom Gefühl des Besiegt- und
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Wer ist Nietzsches
Zarathustra?
Geschädigtseins umgetrieben. I n d e n Jahren, d a Nietzsche sein W e r k » A l s o sprach Z a r a t h u s t r a « schuf, schrieb er die B e m e r k u n g : »Ich empfehle allen Märtyrern z u überlegen, o b nicht die Rachsucht sie z u m Äußersten trieb.« (XII3, 298). W a s istR a c h e ? Wir können jetzt vorläufig sagen: R a c h e ist d a s widersetzliche, herabsetzende Nachstellen. U n ddieses Nachstellen soll alles b i s h e r i g e N a c h d e n k e n , d a s b i s h e r i g e V o r s t e l l e n d e s Seienden hinsichtlich seines Seins tragen u n d durchziehen? Wenn d e mGeist der Rache die genannte metaphysische Tragweite z u k o m m t , m u ß sie sich a u s d e r Verfassung d e r M e t a p h y s i k ersehen lassen. D a m i t uns diese Sicht e i n i g e r m a ß e n gelingt, achten w i r darauf, in welcher W e s e n s p r ä g u n g d a s Sein d e s Seienden innerhalb d e rneuzeitlichen M e t a p h y s i k erscheint. Diese Wesensp r ä g u n g des Seins k o m m t in einer klassischen F o r m durch wenige Sätze zur Sprache, d i e Schelling in seinen »Philosophischen Untersuchungen über d a s Wesen der menschlichen Freiheit u n d die d a m i t z u s a m m e n h ä n g e n d e n G e g e n s t ä n d e « 1809 n i e d e r g e l e g t hat. D i e drei Sätze lauten: » — E s giebt in d e r letzten u n dhöchsten Instanz g a r kein andres Seyn als Wollen. Wollen ist Urseyn u n da u f dieses (das Wollen) allein passen alle Prädikate desselben (des Urseyns): G r u n d l o s i g keit, E w i g k e i t , U n a b h ä n g i g k e i t von d e rZeit, S e l b s t b e j a h u n g . D i e ganze P h i l o s o p h i e strebt nur dahin, diesen höchsten A u s d r u c k z u f i n d e n . « ( F . W . J . S c h e l l i n g s p h i l o s o p h i s c h e S c h r i f t e n , 1. B d . , L a n d s h u t 1809, S. 419). Schelling findet diePrädikate, died a s D e n k e n der Metaphysik von altersher d e m Sein zuspricht, nach ihrer letzten und höchsten und somit vollendeten Gestalt i m Wollen. D e rWille dieses Wollens ist hier jedoch nicht als V e r m ö g e n d e r m e n s c h l i c h e n Seele gemeint. D a s Wort » W o l l e n « nennt hier d a s Sein d e sS e i e n d e n i m G a n z e n . Dieses ist Wille. D a s klingt u n s befremdlich u n d ist e s auch, solange u n s die tragenden Gedanken der abendländischen Metaphysik fremd bleiben. Dies bleiben sie, solange w i r diese G e d a n k e n nicht denken, sondern n u r i m m e r über sie berichten. M a n k a n n z. B . die A u s s a g e n von L e i b n i z über das Sein des Seien-
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Zarathustra?
den historisch genau feststellen, ohne d a s Geringste v o nd e m z u denken, w a ser dachte, als er d a s Sein d e s Seienden von der Monade a u s als d i e Einheit von perceptio u n dappetitus, als Einheit von Vorstellen u n d Anstreben, d.h. als Wille bestimmte. W a s Leibniz denkt, k o m m t durch Kant u n dFichte als der Vernunftwille z u rSprache, d e m Hegel und Schelling, jeder a u fseine Weise, n a c h d e n k e n . D a s S e l b e m e i n t S c h o p e n h a u e r , w e n n er s e i n e m H a u p t w e r k den Titel gibt: » D i e Welt (nicht der M e n s c h ) a l s Wille u n d V o r s t e l l u n g . « D a s S e l b e d e n k t N i e t z s c h e , w e n n e r d a s U r sein d e s S e i e n d e n als Wille z u rM a c h t erkennt. D a ß hier überall d a s Sein d e s Seienden d u r c h g ä n g i g als Wille erscheint, beruht nicht a u f A n s i c h t e n , d i e sich einige Philosophen über d a s Seiende zurechtlegen. W a s dieses Erscheinen d e s Seins als Wille heißt, wird keine G e l e h r s a m k e i t j e ausfindig m a chen; e s läßt sich n u r i m D e n k e n erfragen, a l s z u - D e n k e n d e s i n seiner F r a g w ü r d i g k e i t w ü r d i g e n u n d s o als Gedachtes i mG e dächtnis bewahren. Das Sein des Seienden erscheint fürdieneuzeitliche Metaphysik u n d d u r c h s i e e i g e n s a u s g e s p r o c h e n a l s W i l l e . D e r M e n s c h aber ist M e n s c h , insofern er sich d e n k e n d z u m S e i e n d e n verhält und s o i m Sein gehalten wird. D a s D e n k e n muß m i t in seinem e i g e n e n W e s e n d e m e n t s p r e c h e n , w o z u e s sich verhält, z u m Sein des Seienden a l s Wille. N u n ist nach Nietzsches Wort d a sbisherige Denken durch d e n Geist d e rR a c h e b e s t i m m t . W i e denkt also Nietzsche d a s W e s e n der R a c h e , gesetzt, daß er e s m e t a p h y s i s c h denkt? Im zweiten Teil v o n»Also sprach Z a r a t h u s t r a « , in d e m schon g e n a n n t e n Stück » V o n der E r l ö s u n g « , läßt N i e t z s c h e seinen Zarathustra sagen: » D i e s , j a d i e s a l l e i n i s t Rache s e l b e r : d e s W i l l e n s W i d e r w i l l e g e gen die Zeit und ihr ,Es war'.« D a ß eine W e s e n s b e s t i m m u n g der R a c h e a u f d a s W i d e r w ä r t i g e und Widersetzliche in ihr u n d somit a u f einen Widerwillen abhebt, entspricht d e m e i g e n t ü m l i c h e n Nachstellen, alswelches wir die R a c h e kennzeichneten. A b e r N i e t z s c h e sagt nicht bloß: R a c h e
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Wer
ist Nietzsches
Zarathustra?
ist W i d e r w i l l e . D a s g i l t a u c h v o m H a ß . N i e t z s c h e sagt: R a c h e des W i l l e n s W i d e r w i l l e . den
im
Ganzen,
nicht
Kennzeichnung
»Wille« nur
der R a c h e
aber n e n n t das Sein des
das m e n s c h l i c h e
Wollen.
als » d e s
Widerwille«
Willens
ist
Seien-
Durch
die
bleibt
ihr w i d e r s e t z l i c h e s N a c h s t e l l e n z u m voraus i n n e r h a l b des B e z u g s zum wir
Sein des S e i e n d e n . D a ß darauf
Rache
achten,
ist » d e s
wogegen
Willens
es sich so v e r h ä l t , w i r d klar, der W i d e r w i l l e
Widerwille
gegen
der R a c h e
die
Zeit
wenn
angeht.
und
ihr
,Es
war'.« Beim ersten, auch beim zweiten und noch beim dritten dieser W e s e n s b e s t i m m u n g ziehung
der R a c h e
auf
der B a c h e wird
»die
Zeit«
man
Lesen
die b e t o n t e
für ü b e r r a s c h e n d ,
für
Be-
unver-
s t ä n d l i c h u n d z u l e t z t für w i l l k ü r l i c h h a l t e n . M a n m u ß dies sogar, w e n n m a n nicht weiter b e d e n k t , was hier der N a m e »Zeit« Nietzsche Zeit...« nicht:
Es gegen
schlechthin:
sagt:
Rache
ist » d e s W i l l e n s
heißt
nicht:
gegen
einen
etwas
besonderen
Widerwille
Zeitliches.
Charakter
» W i d e r w i l l e g e g e n die
der
meint.
gegen
Es heißt Zeit.
die auch
Es
heißt
Zeit...«
A l l e r d i n g s folgen sogleich die W o r t e nach: » g e g e n die Zeit u n d i h r ,Es w a r ' « . D i e s sagt a b e r d o c h : R a c h e ist d e r W i d e r w i l l e das »Es w a r « an der Zeit. M a n w i r d m i t R e c h t d a r a u f
gegen
hinweisen,
d a ß zur Z e i t n i c h t n u r das »es w a r « , s o n d e r n g l e i c h w e s e n t l i c h 112
das
»es w i r d s e i n « u n d e b e n s o d a s »es ist j e t z t « g e h ö r e n ; d e n n Z e i t ist nicht und
bloß
durch
Gegenwart
Vergangenheit, bestimmt.
W e i s e auf das »Es war«
Wenn
sondern daher
auch
durch
Nietzsche
an der Zeit a b h e b t ,
in
Zukunft betonter
d a n n m e i n t er
o f f e n k u n d i g bei seiner K e n n z e i c h n u n g des W e s e n s der R a c h e n e s w e g s » d i e « Z e i t als s o l c h e , s o n d e r n die Z e i t in e i n e r ren Hinsicht.
kei-
besonde-
D o c h w i e s t e h t es m i t » d e r « Z e i t ? E s s t e h t so
i h r , d a ß sie g e h t . U n d sie g e h t , i n d e m s i e v e r g e h t . D a s
doch
mit
Kommen-
de der Zeit k o m m t nie, um zu b l e i b e n , s o n d e r n um zu g e h e n .
Wo-
h i n ? I n s V e r g e h e n . W e n n e i n M e n s c h g e s t o r b e n ist, s a g e n wir, er h a b e das Zeitliche
gesegnet. Das
Z e i t l i c h e gilt als d a s
Vergäng-
liche. N i e t z s c h e b e s t i m m t die R a c h e als »des W i l l e n s W i d e r w i l l e
ge-
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Zarathustra?
gen dieZeit und ihr , E swar'«. Diese n a c h g e t r a g e n e B e s t i m m u n g hebt nicht einen vereinzelten Charakter d e r Zeit unter Vernachlässigung derbeiden anderen einseitig heraus, sondern sie kennzeichnet d e n G r u n d z u g der Zeit in ihrem ganzen u n d eigentlichen Zeitwesen. M i t d e m » u n d « in der W e n d u n g »die Zeit und ihr , E s w a r ' « leitet N i e t z s c h e nicht z u einer b l o ß e n A n f ü g u n g eines b e s o n d e r e n Z e i t c h a r a k t e r s über. D a s » u n d « b e d e u t e t hier s o viel wie: u n d d a s heißt. R a c h e ist d e s W i l l e n s W i d e r w i l l e g e g e n die Zeit und d a s heißt: g e g e n d a s V e r g e h e n u n d sein Vergängliches. D i e s e s ist f ü r d e n Willen solches, w o g e g e n er nichts m e h r a u s r i c h t e n k a n n , w o r a n sein W o l l e n sich s t ä n d i g stößt. D i e Z e i t und ihr » E s war« ist d e r Stein d e s Anstoßes, d e n d e rWille nicht wälzen kann. D i e Zeit als Vergehen ist d a sWidrige, a n d e m der Wille leidet. A l ss o leidender Wille wird er selbst z u m L e i d e n a m V e r g e h e n , welches L e i d e n d a n n sein eigenes V e r g e h e n will u n d d a m i t will, d a ß ü b e r h a u p t alles w e r t sei, z u v e r g e h e n . D e r W i d e r wille g e g e n d i e Zeit setzt d a s V e r g ä n g l i c h e herab. D a s I r d i s c h e , die E r d e und alles, was z u ihrgehört, ist das, was eigentlich nicht sein sollte und i m G r u n d e a u c h kein w a h r e s Sein hat. S c h o n Piaton nannte e s das μ ήόν, das N i c h t - S e i e n d e . N a c h d e nSätzen Schellings, d i e n u rd i e L e i t v o r s t e l l u n g aller M e t a p h y s i k a u s s p r e c h e n , sind » U n a b h ä n g i g k e i t v o n d e r Zeit, E w i g k e i t « U r p r ä d i k a t e d e s Seins. Der tiefste Widerwille gegen d i eZeit besteht aber nicht in der b l o ß e n H e r a b s e t z u n g d e s I r d i s c h e n . D i etiefste R a c h e b e s t e h t für Nietzsche in jenem Nachdenken, d a süberzeitliche Ideale als die absoluten ansetzt, a n d e n e n g e m e s s e n d a s Zeitliche sich selber zum eigentlich Nicht-Seienden herabsetzen muß. W i e a b e r soll d e r M e n s c h d i e E r d h e r r s c h a f t a n t r e t e n k ö n n e n , wie kann er d i eErde als Erde in seine Obhut n e h m e n , wenn er und solange er d a sIrdische herabsetzt, insofern d e rGeist der Rache sein N a c h d e n k e n b e s t i m m t ? G i l t e s , d i e E r d e a l s E r d e z u retten, dann muß zuvor d e r Geist d e rR a c h e verschwinden. D a r u m ist f ü r Z a r a t h u s t r a d i e E r l ö s u n g v o n d e r R a c h e d i e B r ü c k e z u r höchsten Hoffnung.
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D o c h worin besteht diese Erlösung v o m Widerwillen gegen das Vergehen? Besteht sie in einer Befreiung v o m Willen überhaupt? I m Sinne Schopenhauers u n d des Buddhismus? Insofern nach der L e h r e d e rneuzeitlichen M e t a p h y s i k d a s Sein d e s Seiend e n W i l l e ist, k ä m e die E r l ö s u n g v o m W i l l e n e i n e r E r l ö s u n g v o m Sein u n d somit e i n e m Fall in d a s leere Nichts gleich. D i e Erlös u n g von der R a c h e ist für N i e t z s c h e zwar die E r l ö s u n g v o m Widrigen, v o m Widersetzlichen und H e r a b s e t z e n d e n i m Willen, aber k e i n e s w e g s d i eH e r a u s l ö s u n g aus a l l e m Wollen. D i e E r l ö s u n g löst d e n W i d e r w i l l e n v o n s e i n e m N e i n u n dm a c h t i h n frei f ü r e i n J a . W a s bejaht dieses J a ? G e n a u das, w a sd e rW i d e r w i l l e d e s R a c h e geistes verneint: d i e Zeit, d a s Vergehen. Dieses J a z u r Zeit ist d e rWille, d a ß d a s Vergehen bleibe u n d n i c h t i n das N i c h t i g e h e r a b g e s e t z t w e r d e . A b e r w i e k a n n d a s Verg e h e n bleiben? N u rso, d a ß e s a l s V e r g e h e n nicht stets n u r geht, s o n d e r n i m m e r k o m m t . N u r s o , d a ß d a s V e r g e h e n u n d sein Vergangenes in seinem K o m m e n als d a s Gleiche wiederkehrt. Diese W i e d e r k e h r selbst istjedoch n u rdann eine bleibende, w e n n sie eine ewige ist. D a s Prädikat » E w i g k e i t « gehört nach d e r L e h r e der M e t a p h y s i k z u m Sein d e s S e i e n d e n . Die Erlösung v o nderRache ist derÜ b e r g a n g vom Widerwillen gegen d i e Zeit z u mWillen, d e r d a s Seiende in d e r ewigen W i e d e r k e h r des G l e i c h e n vorstellt, i n d e m der Wille z u m Fürsprecher d e s Kreises wird. A n d e r s g e w e n d e t : erst w e n n d a s Sein d e s S e i e n d e n a l s e w i g e W i e d e r k e h r d e s G l e i c h e n sich d e m M e n s c h e n vorstellt, k a n n d e r M e n s c h über d i eB r ü c k e h i n ü b e r g e h e n und, erlöst v o m Geist d e r R a c h e , d e rH i n ü b e r g e h e n d e , d e rÜ b e r m e n s c h sein. Z a r a t h u s t r a ist d e rLehrer, d e r d e n Ü b e r m e n s c h e n lehrt. A b e r er l e h r t d i e s e L e h r e e i n z i g d e s h a l b , w e i l e r der L e h r e r d e r e w i g e n W i e d e r k e h r d e s Gleichen ist. Dieser G e d a n k e v o n d e r e w i g e n W i e d e r k e h r d e s Gleichen ist derd e m R a n g e nach erste, der »abgründlichste« Gedanke. D e s h a l b wird er vom Lehrer zuletzt und auch dann immer nurzögernd ausgesprochen. W e r istNietzsches Zarathustra? E r ist der Lehrer, dessen
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das b i s h e r i g e N a c h d e n k e n v o m Geist der R a c h e in d a sJ a zur ewige Wiederkehr des Gleichen befreien möchte. Zarathustra lehrt als L e h r e r d e r ewigen W i e d e r k e h r d e n Ü b e r m e n s c h e n . D e r Kehrreim dieser Lehre lautet nach einer N a c h l a ß n o t i z ( X I V , 2 7 6 ) : » R e f r a i n : ,Nur die Liebe soll richten' — ( d i e s c h a f f e n d e L i e b e , d i e s i c h s e l b e r ü b e r i h r e n W e r k e n vergißt).« Zarathustra lehrt als Lehrer d e r ewigen Wiederkehr u n d d e s Ü b e r m e n s c h e n nicht zweierlei. W a s er lehrt, gehört in sich z u s a m m e n , weil eines d a s andere in d i eE n t s p r e c h u n g fordert. Diese E n t s p r e c h u n g , das, w o r i n s i ewest u n d w i e s i e sich entzieht, ist es, w a s d i e G e s t a l t Z a r a t h u s t r a s i n sich verbirgt u n d d o c h z u gleich zeigt u n d s o allererst d e n k w ü r d i g w e r d e n läßt. Allein, d e rL e h r e r weiß, daß, w a s er lehrt, e i n Gesicht bleibt und e i n Rätsel. I n d i e s e m n a c h d e n k l i c h e n W i s s e n harrt er aus. Wir H e u t i g e n sind durch d i e e i g e n t ü m l i c h e Vorherrschaft d e r neuzeitlichen Wissenschaften in den seltsamen Irrtum verstrickt, der m e i n t , d a s W i s s e n lasse sich a u s d e r W i s s e n s c h a f t g e w i n n e n und d a sD e n k e n unterstehe d e rGerichtsbarkeit d e r Wissenschaft. A b e r d a s E i n z i g e , was jeweils e i nD e n k e r z u sagen v e r m a g , läßt sich logisch oder e m p i r i s c h w e d e r b e w e i s e n noch w i d e r l e g e n . E s ist a u c h n i c h t d i e S a c h e e i n e s G l a u b e n s . E s l ä ß t sich n u r f r a g e n d d e n k e n d z u G e s i c h t b r i n g e n . D a sG e s i c h t e t e erscheint dabei stets a l s d a s Fragwürdige. Damit w i r das Gesicht desRätsels erblicken und i m Blick behalten, d a s sich in d e r Gestalt Z a r a t h u s t r a s zeigt, achten w i r erneut a u f d e n Anblick seiner Tiere, d e r i h m z u B e g i n n seiner Wanderschaft erscheint: »... d a blickte er fragend in d i eH ö h e — d e n n er hörte über sich den scharfen R u feines Vogels. U n dsiehe! Ein Adler z o g in weiten Kreisen durch d i e Luft, u n d a n i h m hieng eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer Freundin: denn sie hielt sich u m seinen H a l s geringelt. ,Es sind m e i n e Tiere!' Herzen.«
sagte Z a r a t h u s t r a u n d freute sich v o n
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So lautet denn die früher mit Absicht nur teilsweise angeführte Stelle aus dem Stück »Der Genesende« n. 1: »Ich, Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises — dich rufe ich, meinen ab gründlichsten Gedanken!« Mit dem selben Wort benennt Zarathustra den Gedanken der ewigen Wiederkehr des Gleichen in dem Stück des III. Teiles »Vom Gesicht und Rätsel« n. 2. Dort versucht Zarathustra zum ersten Male in der Auseinandersetzung mit dem Zwerg das Rätselvolle dessen zu denken, was er sieht als das, dem seine Sehnsucht gilt. Die ewige Wiederkehr des Gleichen bleibt für Zarathustra Gesicht zwar, aber Rätsel. Sie läßt sich logisch oder empirisch weder beweisen noch widerlegen. Im Grunde gilt dies von jedem wesentlichen Gedanken jedes Denkers: Gesichtetes, aber Rätsel — frag-würdig. Wer ist Nietzsches Zarathustra? Wir können jetzt formelhaft antworten: Zarathustra ist der Lehrer der ewigen Wiederkunft des Gleichen und der Lehrer des Übermenschen. Aber jetzt sehen wir, sehen vielleicht auch wir über die bloße Formel hinaus deutlicher: Zarathustra ist nicht ein Lehrer, der zweierlei und verschiedenes lehrt. Zarathustra lehrt den Übermenschen, weil er der Lehrer der ewigen Wiederkunft des Gleichen ist. Aber auch umgekehrt: Zarathustra lehrt die ewige Wiederkunft des Gleichen, weil er der Lehrer des Übermenschen ist. Beide Lehren gehören in einem Kreis zusammen. Durch ihr Kreisen entspricht die Lehre dem, was ist, dem Kreis, der als ewige Wiederkehr des Gleichen das Sein des Seienden, d. h. das Bleibende im Werden ausmacht. In dieses Kreisen gelangt die Lehre und ihr Denken, wenn sie über die Brücke geht, die heißt: Erlösung vom Geist der Rache. Dadurch soll das bisherige Denken ü b e r w u n d e n werden. Aus der Zeit unmittelbar nach der Vollendung des Werkes »Also sprach Zarathustra«, aus dem Jahr 1885, stammt eine Aufzeichnung, die als n. 617 in das Buch aufgenommen ist, das man aus dem Nachlaß Nietzsches zusammengestoppelt und unter dem
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Titel »Der Wille zur Macht« veröffentlicht hat. Die Aufzeichn u n g trägt die u n t e r s t r i c h e n e Überschrift: »Recapitulation«. Nietzsche v e r s a m m e l t hier die H a u p t s a c h e seines D e n k e n s aus einer u n g e w ö h n l i c h e n Hellsicht in wenige Sätze z u s a m m e n . In einer e i n g e k l a m m e r t e n N e b e n b e m e r k u n g des Textes wird eigens Z a r a t h u s t r a genannt. Die »Recapitulation« b e g i n n t mit dem Satz: » D e m Werden den Charakter des Seins aufzuprägen — das ist der höchste Wille zur Macht.« D e r höchste Wille zur Macht, d. h. das L e b e n d i g s t e alles L e b e n s ist es, das Vergehen als ständiges Werden in der ewigen W i e d e r k e h r des Gleichen vorzustellen und es so ständig und beständig zu m a c h e n . Dieses Vorstellen ist ein D e n k e n , das, wie Nietzsche in b e t o n t e r Weise v e r m e r k t , dem Seienden den Char a k t e r seines Seins »aufprägt«. Dieses D e n k e n n i m m t das Werden, zu dem ein ständiges Sichstoßen, das Leiden, gehört, in seine Obhut, u n t e r seine Protektion. Ist durch dieses D e n k e n das bisherige N a c h d e n k e n , ist der Geist der R a c h e ü b e r w u n d e n ? Oder verbirgt sich in diesem Aufprägen, das alles Werden in die Obhut der ewigen W i e d e r k e h r des Gleichen n i m m t , nicht doch u n d auch noch ein Widerwille gegen das bloße Vergehen und somit ein höchst vergeistigter Geist der Rache? Sobald wir diese Frage stellen, m a c h t sich der Anschein breit, als versuchten wir, Nietzsche dasjenige als sein Eigenstes vorzur e c h n e n , was er gerade ü b e r w i n d e n will, als h e g t e n wir die Meinung, durch eine solche R e c h n u n g sei das D e n k e n dieses D e n k e r s widerlegt. Die Geschäftigkeit des Widerlegenwollens gelangt aber nie auf den Weg eines Denkers. Sie gehört in j e n e Kleingeisterei, deren Auslassungen die Öffentlichkeit zu ihrer U n t e r h a l t u n g bedarf. Überdies hat Nietzsche selbst die Antwort auf unsere Frage längst v o r w e g g e n o m m e n . Die Schrift, die dem Buch »Also sprach Zarathustra« u n m i t t e l b a r voraufgeht, erschien 1882 unter dem Titel »Die fröhliche Wissenschaft«. In i h r e m vorletzten Stück n. 541 wird Nietzsches »abgründlichster Gedanke« u n t e r der Überschrift
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»Das größte Schwergewicht« zum ersten Male dargelegt. Das ihm folgende Schlußstück n. 342 ist als Beginn der Vorrede wörtlich in das Werk »Also sprach Z a r a t h u s t r a « a u f g e n o m m e n . Im N a c h l a ß ( W W XIV, 404 ff.) finden sich E n t w ü r f e zur Vorrede für die Schrift »Die fröhliche Wissenschaft«. Wir lesen da folgendes: »Ein durch Kriege und Siege gekräftigter Geist, dem die Erober u n g , das Abenteuer, die Gefahr, der Schmerz sogar, zum Bedürfnis geworden ist; eine G e w ö h n u n g an scharfe hohe Luft, an winterliche W a n d e r u n g e n , an Eis und Gebirge in j e d e m Sinne; eine Art sublimer Bosheit und letzten M u t h w i l l e n s der Bache, - d e n n es ist Rache darin, B a c h e am Leben selbst, w e n n ein S c h w e r - l e i dender das Leben unter seine Protection nimmt.« Was bleibt uns anderes, als zu sagen: Zarathustras L e h r e bringt nicht die E r l ö s u n g von der Bache? Wir sagen es. Allein, wir sagen es keineswegs als v e r m e i n t l i c h e W i d e r l e g u n g der P h i l o s o p h i e Nietzsches. Wir sagen es nicht e i n m a l als E i n w a n d gegen Nietzsches D e n k e n . Aber wir sagen es, um u n s e r e n Blick darauf zu w e n d e n , daß u n d inwiefern auch Nietzsches D e n k e n sich im Geist des bisherigen N a c h d e n k e n s bewegt. Ob dieser Geist des b i s h e r i g e n D e n k e n s ü b e r h a u p t in seinem m a ß g e b e n d e n Wesen getroffen ist, w e n n er als Geist der Bache gedeutet wird, lassen wir offen. In j e d e m Falle ist das bisherige D e n k e n Metaphysik, und Nietzsches D e n k e n vollzieht v e r m u t l i c h ihre Vollendung. D a d u r c h k o m m t in Nietzsches D e n k e n etwas zum Vorschein, was dieses D e n k e n selber nicht m e h r zu denken vermag. Solches Z u r ü c k b l e i b e n h i n t e r dem G e d a c h t e n kennzeichnet das Schöpferische eines Denkens. Wo gar ein D e n k e n die M e t a p h y s i k zur Vollendung bringt, zeigt es in einem a u s n e h m e n d e n Sinne auf U n g e d a c h t e s , deutlich und verworren zugleich. Aber wo sind die Augen, dies zu sehen? Das m e t a p h y s i s c h e D e n k e n b e r u h t auf dem Unterschied zwischen dem, was w a h r h a f t ist, und dem, was, daran gemessen, das nicht w a h r h a f t Seiende ausmacht. Für das Wesen der Metaphysik liegt das E n t s c h e i d e n d e jedoch keineswegs darin, daß der ge-
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n a n n t e U n t e r s c h i e d sich als der Gegensatz des Ü b e r s i n n l i c h e n zum Sinnlichen darstellt, sondern darin, daß j e n e r U n t e r s c h i e d im Sinne einer Z e r k l ü f t u n g das Erste und Tragende bleibt. Sie besteht auch dann fort, w e n n die platonische B a n g o r d n u n g zwischen dem Ü b e r s i n n l i c h e n und Sinnlichen u m g e k e h r t u n d das Sinnliche wesentlicher und weiter in einem Sinne erfahren wird, den Nietzsche mit dem N a m e n Dionysos b e n e n n t . D e n n die Ü b e r f ü l l e , wonach »die große Sehnsucht« Z a r a t h u s t r a s geht, ist die unerschöpfliche Beständigkeit des Werdens, als welche der Wille zur M a c h t in der ewigen W i e d e r k e h r des Gleichen sich selber will. Nietzsche hat das w e s e n h a f t Metaphysische seines D e n k e n s auf die äußerste Form des W i d e r w i l l e n s gebracht und zwar mit den letzten Zeilen seiner letzten Schrift »Ecce homo« »Wie m a n wird, was m a n ist«. Nietzsche verfaßte diese Schrift im Oktober 1888. Sie w u r d e erst zwanzig Jahre später in einer b e s c h r ä n k t e n Auflage zum ersten Male veröffentlicht u n d 1911 in den Bd. X V der Großoktavausgabe a u f g e n o m m e n . Die letzten Zeilen von »Ecce homo« lauten: »— Hat m a n mich verstanden? — Dionysos gegen den Gekreuzigten ...« Wer ist Nietzsches Zarathustra? Er ist der F ü r s p r e c h e r des Dionysos. Das will sagen: Z a r a t h u s t r a ist der Lehrer, der in seiner L e h r e vom Ü b e r m e n s c h e n und für diese die ewige W i e d e r k u n f t des Gleichen lehrt. Gibt der Satz die Antwort auf unsere Frage? Nein. Er gibt sie auch dann nicht, w e n n wir den H i n w e i s e n folgen, die ihn erläuterten, um den Weg Zarathustras, w e n n auch n u r bei seinem ersten Schritt über die Brücke, n a c h z u g e h e n . Der Satz, der wie eine Antwort aussieht, m ö c h t e uns indessen a u f m e r k e n lassen und uns a u f m e r k s a m e r in die Titelfrage z u r ü c k b r i n g e n . Wer ist Nietzsches Zarathustra? Dies frägt jetzt: Wer ist dieser Lehrer? Wer ist diese Gestalt, die im Stadium der Vollendung der Metaphysik i n n e r h a l b dieser erscheint? Nirgends sonst in der Geschichte der abendländischen M e t a p h y s i k wird die Wesensgestalt
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ihres j e w e i l i g e n D e n k e r s in dieser Weise eigens gedichtet oder, sagen wir gemäßer und wörtlich: er-dacht; n i r g e n d s sonst außer am Beginn des abendländischen D e n k e n s bei P a r m e n i d e s , und hier n u r in v e r h ü l l t e n Umrissen. Wesentlich an der Gestalt Zarathustras bleibt, daß der L e h r e r etwas Zwiefaches lehrt, was in sich z u s a m m e n g e h ö r t : ewige Wied e r k u n f t und Ü b e r m e n s c h . Z a r a t h u s t r a ist selbst in gewisser Weise dieses Z u s a m m e n g e h ö r e n . Nach dieser H i n s i c h t bleibt auch er ein Rätsel, das wir noch k a u m zu Gesicht b e k o m m e n haben. »Ewige W i e d e r k u n f t des Gleichen« ist der N a m e für das Sein des Seienden. » Ü b e r m e n s c h « ist der N a m e f ü r das M e n s c h e n w e sen, das diesem Sein entspricht. Von woher gehören Sein und M e n s c h e n w e s e n z u s a m m e n ? Wie gehören sie z u s a m m e n , w e n n das Sein weder ein G e m a c h t e des M e n s c h e n , noch der M e n s c h n u r ein Sonderfall i n n e r h a l b des Seienden ist? L ä ß t sich die Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t von Sein und M e n s c h e n wesen ü b e r h a u p t erörtern, solange das D e n k e n am b i s h e r i g e n Begriff des M e n s c h e n h ä n g e n b l e i b t ? D a r n a c h ist er das a n i m a l rationale, das v e r n ü n f t i g e Tier. Ist es Zufall oder n u r eine poetische A u s s c h m ü c k u n g , daß die beiden Tiere, Adler und Schlange, bei Z a r a t h u s t r a sind, daß sie ihm sagen, wer er w e r d e n m u ß , um der zu sein, der er ist? In der Gestalt der beiden Tiere soll für den D e n k e n d e n das B e i s a m m e n von Stolz und K l u g h e i t zum Vorschein k o m m e n . Doch m a n muß wissen, wie Nietzsche über beides denkt. In A u f z e i c h n u n g e n aus der Zeit der Niederschrift von »Also sprach Z a r a t h u s t r a « heißt es: »Es scheint mir, daß Bescheidenheit und Stolz eng zu e i n a n d e r g e h ö r e n . . . Das G e m e i n s a m e ist: der kalte, sichere Blick der Schätzung in b e i d e n Fällen « ( W W XIV, 99). An einer anderen Stelle heißt es: »Man redet so d u m m vom Stolze - u n d das C h r i s t e n t u m hat ihn gar als sündlich e m p f i n d e n m a c h e n ! Die Sache ist: wer Großes von sich verlangt und erlangt, der muß sich von D e n e n sehr fern
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fühlen, welche dies nicht thun, — diese Distanz wird von diesen Andern gedeutet als , M e i n u n g über sich'; aber Jener k e n n t sie (die Distanz) n u r als f o r t w ä h r e n d e Arbeit, Krieg, Sieg, bei Tag und Nacht: von dem Allen wissen die Anderen Nichts!« (a.a.O. 101).
Der Adler: das stolzeste Tier; die Schlange: das klügste Tier. U n d beide eingefügt in den Kreis, darin sie schwingen, in den Ring, der ihr Wesen u m r i n g t ; u n d Kreis u n d R i n g noch e i n m a l ineinandergefügt. Das Rätsel, wer Z a r a t h u s t r a als der L e h r e r der ewigen Wiederkunft und des Ü b e r m e n s c h e n sei, wird uns zum Gesicht im Anblick der beiden Tiere. In diesem Anblick k ö n n e n wir u n m i t t e l bar und leichter festhalten, was die D a r l e g u n g als das F r a g w ü r dige zu zeigen versuchte: den Bezug des Seins zum L e b e w e s e n Mensch. »Und siehe! Ein Adler zog in w e i t e n Kreisen durch die L u f t , und an ihm h i e n g eine Schlange, nicht einer Beute gleich, sondern einer F r e u n d i n : denn sie hielt sich um seinen Hals geringelt. ,Es sind m e i n e Tiere!' sagte Z a r a t h u s t r a und freute sich von Herzen.«
ANMERKUNG ÜBER DIE EWIGE WIEDERKEHR DES GLEICHEN Nietzsche selber w u ß t e , daß sein »abgründlichster Gedanke« ein Rätsel bleibt. U m so weniger dürfen wir m e i n e n , das Rätsel lösen zu können. Das D u n k l e dieses letzten Gedankens der abendländischen Metaphysik darf uns nicht dazu verleiten, ihm durch Ausflüchte auszuweichen. D e r Ausflüchte gibt es im G r u n d e n u r zwei. E n t w e d e r sagt m a n , dieser Gedanke Nietzsches sei eine Art »Mystik« und gehöre nicht vor das D e n k e n . Oder m a n sagt: dieser Gedanke ist schon uralt. Er läuft auf die längst b e k a n n t e zyklische Vorstellung vom W e l t g e s c h e h e n hin-
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ist Nietzsches
Zarathustra?
aus. S i e läßt sich i n n e r h a l b d e ra b e n d l ä n d i s c h e n P h i l o s o p h i e z u erst b e i H e r a k l i t n a c h w e i s e n . D i e zweite A u s k u n f t sagt, wie jede ihrer Art, ü b e r h a u p t nichts. D e n n w a s soll u n s dies h e l f e n , w e n n m a n ü b e r e i n e n G e d a n k e n feststellt, daß er sich z . B . » s c h o n « bei L e i b n i z oder sogar » s c h o n « bei P i a t o n f i n d e ? W a s soll d i e s e A n g a b e , w e n n s i e d a s v o n L e i b n i z und v o n Piaton G e d a c h t e in d e r selben D u n k e l h e i t liegen läßt wie d e n Gedanken, den m a n durch solche historische Verweisungen für geklärt hält? W a s jedoch d i e erste Ausflucht angeht, nach der Nietzsches G e d a n k e v o n d e r ewigen Wiederkehr d e s Gleichen eine phantastische M y s t i k sei, s o dürfte w o h l das j e t z i g e Z e i t a l t e r u n s eines anderen belehren; gesetzt freilich, d a ß e s d e m D e n k e n b e s t i m m t i s t , d a s Wesen d e r m o d e r n e n T e c h n i k a n s L i c h t z u b r i n g e n . W a s ist d a s W e s e n d e r m o d e r n e n K r a f t m a s c h i n e anderes als eine A u s f o r m u n g d e r e w i g e n W i e d e r k e h r d e s G l e i c h e n ? A b e r d a s W e s e n dieser M a s c h i n e ist weder etwas Maschinelles noch g a r etwas M e c h a n i s c h e s . E b e n s o w e n i g läßt sich N i e t z s c h e s G e d a n k e von derewigen Wiederkehr des Gleichen in einem mechanischen Sinne auslegen. Daß Nietzsche seinen abgründlichsten Gedanken vom Dionysischen h e r deutete u n d erfährt, spricht n u r dafür, d a ß er i h n noch m e t a p h y s i s c h u n d n u r so denken mußte. E s spricht aber nicht dagegen, d a ß dieser abgründlichste Gedanke etwas Ungedachtes verbirgt, w a s sich d e m m e t a p h y s i s c h e n D e n k e n zugleich verschließt.a (Vgl. d i eVorlesung »Was heißt D e n k e n ? « W S . 5 1 / 52, 1954 alsB u c h e r s c h i e n e n i m Verlag M . N i e m e y e r , T ü b i n g e n . )
" dazu Löwith! Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen? S. 222!! [s. Nachwort]
II
WAS HEISST DENKEN?
129 Wir gelangen in das, w a s Denken heißt, w e n n wir selber denken. Damit ein solcher Versuch glückt, müssen wir bereit sein, das Denken zu lernen. Sobald wir uns auf das Lernen einlassen, haben wir auch schon zugestanden, daß wir das Denken noch nicht vermögen. Aber der Mensch gilt doch als jenes Wesen, das denken kann. Er gilt dafür mit Recht. Denn der Mensch ist das vernünftige Lebewesen. Die Vernunft aber, die ratio, entfaltet sich im Denken. Als das vernünftige Lebewesen m u ß der Mensch denken können, w e n n er nur will. Doch vielleicht will der Mensch denken u n d k a n n es doch nicht. A m Ende will er bei diesem Denkenwollen zu viel u n d kann deshalb zu wenig. Der Mensch k a n n denken, insofern er die Möglichkeit dazu hat. Allein, dieses Mögliche verbürgt uns noch nicht, daß wir es vermögen. Denn etwas vermögen heißt: etwas nach seinem Wesen bei uns einlassen", inständig diesen Einlaß hüten. Doch wir vermögen immer nur solches, w a s wir mögen, solches, d e m wir zugetan sind, i n d e m wir es zulassen. Wahrhaft mögen wir nur jenes, w a s je zuvor von sich aus u n s m a g u n d zwar u n s in unserem Wesen, i n d e m es sich diesem zuneigt. Durch diese Zuneigung ist unser Wesen in den Anspruch g e n o m m e n . b Die Zuneigung ist Zuspruch. Der Zuspruch spricht u n s auf unser Wesen an, ruft uns ins Wesen hervor u n d hält u n s so in diesem. Halten heißt eigentlich Hüten. Was uns im Wesen hält, hält uns jedoch nur solange, als wir, von uns her, das uns Haltende selber behalten. Wir behalten es, w e n n wir es nicht aus d e m Gedächtnis lassen. Das Gedächtnis ist die Versammlung des Denkens. Worauf? Auf das, w a s uns im Wesen hält, insofern es zugleich bei uns bedacht ist. Inwiefern m u ß das u n s Haltende bedacht sein? Insofern es von Hause aus das zu-Bedenkende ist. Wird es bedacht, d a n n wird es mit Andenken beschenkt. Wir bringen i h m das An-denken entgegen, weil wir es als den Zuspruch unseres Wesens mögen.
a 11
3. Auflage 1967: uns auf etwas einlassen Brauch im Ereignis
"
123
124
130
Was
heißt
Denken?
N u r w e n n wir das mögen, w a s in sich d a s z u - B e d e n k e n d e ist, vermögen wir das Denken. D a m i t wir in dieses Denken gelangen, m ü s s e n wir a n u n s e r e m Teil das D e n k e n lernen. Was ist Lernen? Der Mensch lernt, indem er sein T u n u n d Lassen zu dem in die E n t s p r e c h u n g bringt, w a s ihm jeweils a n W e s e n h a f t e m zugesprochen wird. Das Dienken lernen wir, i n d e m wir auf das achten, w a s es z u b e d e n k e n gibt. U n s e r e Sprache n e n n t das, w a s z u m Wesen des F r e u n d e s gehört u n d ihm e n t s t a m m t , d a s Freundliche. D e m g e m ä ß n e n n e n wir j e t z t das, w a s in sich d a s z u - B e d e n k e n d e ist, das Bedenkliche. Alles Bedenkliche gibt zu d e n k e n . Aber es gibt diese Gabe i m m e r n u r insoweit, als das Bedenkliche schon von sich her das zu-Bedenkende ist. Wir n e n n e n d a r u m j e t z t u n d in der Folge dasjenige, w a s stets, weil einsther, w a s allem v o r a u s u n d so e i n s t h i n zu denken gibt: d a s Bedenklichste. W a s ist d a s Bedenklichste? W o r a n zeigt es sich in u n s e r e r bedenklichen" Zeit? D a s Bedenklichste zeigt sich d a r a n , d a ß wir noch nicht denken. Immer noch nicht, obgleich der W e l t z u s t a n d fortgesetzt bedenklicher wird. Dieser Vorgang scheint freilich eher zu fordern, d a ß der Mensch handelt, s t a t t in Konferenzen u n d auf Kongressen zu reden u n d dabei sich im bloßen Vorstellen dessen zu bewegen, w a s sein sollte u n d wie es gemacht w e r d e n müßte. Demnach fehlt es a m H a n d e l n u n d keineswegs a m Denken. Und dennoch - vielleicht h a t der bisherige Mensch seit J a h r h u n d e r t e n bereits zu viel g e h a n d e l t u n d zu wenig gedacht. Aber wie k a n n heute j e m a n d b e h a u p t e n , daß wir noch nicht denken, wo doch überall das Interesse f ü r die Philosophie rege ist u n d i m m e r geschäftiger wird, so d a ß j e d e r m a n n wissen will, w a s es d e n n mit der Philosophie auf sich habe. Die Philosophen sind die Denker. So heißen sie, weil das Denken sich vornehmlich in der Philosophie abspielt. N i e m a n d wird leugnen, d a ß h e u t e ein I n t e r e s s e f ü r die Philosophie b e s t e h t . c
3. Auflage 1967: unbedenklichen?
131 Was
heißt
Denken?
Doch gibt es heute noch etwas, wofür der Mensch sich nicht interessiert, in der Weise nämlich, wie der heutige Mensch das »Interessieren« v e r s t e h t ? Inter-esse heißt: u n t e r u n d zwischen den Sachen sein, m i t t e n in einer Sache s t e h e n u n d bei ihr a u s h a r r e n . Allein, f ü r das heutige Interesse gilt n u r das I n t e r e s s a n t e . Das ist solches, w a s erlaubt, im nächsten Augenblick schon gleichgültig zu sein u n d durch anderes abgelöst zu werden, w a s einen d a n n ebensowenig a n g e h t wie das vorige. M a n m e i n t h e u t e oft, etwas sei d a d u r c h besonders gewürdigt, daß m a n es i n t e r e s s a n t findet. In W a h r h e i t h a t m a n durch dieses Urteil d a s I n t e r e s s a n t e z u m Gleichgültigen hinabgewürdigt u n d in das alsbald Langweilige weggeschoben. Daß m a n ein Interesse f ü r die Philosophie zeigt, bezeugt keineswegs schon eine B e r e i t s c h a f t z u m Denken. Selbst die T a t s a che, daß wir u n s J a h r e hindurch mit den Abhandlungen u n d Schriften der großen Denker eindringlich abgeben, leistet noch nicht die Gewähr, daß wir denken oder auch n u r bereit sind, das Denken zu lernen. Die Beschäftigung mit der Philosophie k a n n u n s sogar a m h a r t n ä c k i g s t e n den Anschein vorgaukeln, daß wir denken, weil wir doch »philosophieren«. Gleichwohl erscheint es als a n m a ß e n d , zu b e h a u p t e n , daß wir noch nicht denken. Allein, die B e h a u p t u n g l a u t e t anders. Sie sagt: das Bedenklichste zeigt sich in u n s e r e r bedenklichen Zeit daran, daß wir noch nicht denken. In der B e h a u p t u n g wird darauf hingewiesen, d a ß d a s Bedenklichste sich zeigt. Die Behaupt u n g versteigt sich keineswegs zu d e m abschätzigen Urteil, überall herrsche n u r die Gedankenlosigkeit. Die B e h a u p t u n g , daß wir noch nicht denken, will auch keine U n t e r l a s s u n g b r a n d m a r k e n . Das Bedenkliche ist das, w a s zu d e n k e n gibt. Von sich her spricht es u n s d a r a u f h i n an, daß wir u n s ihm zuwenden, u n d zwar denkend. Das Bedenkliche wird keineswegs durch u n s erst aufgestellt. Es b e r u h t n i e m a l s n u r darauf, daß wir es vorstellen. Das Bedenkliche gibt, es gibt u n s zu denken. Es gibt, w a s es bei sich hat. d Es d
3. Auflage 1967: Es gibt
132
Was heißt Denken?
hat, was es selber ist. Was a m meisten von sich a u s zu denken gibt, das Bedenklichste, soll sich d a r a n zeigen, daß wir noch nicht denken. Was sagt dies jetzt? Es sagt: Wir sind noch nicht eigens in den Bereich dessen gelangt, was von sich her vor allem anderen und f ü r alles andere bedacht sein möchte. Weshalb sind wir dahin noch nicht gelangt? Vielleicht weil wir Menschen uns noch nicht hinreichend dem zuwenden, was das zu-Bedenkende bleibt? Dann wäre dies, daß wir noch nicht denken, doch n u r ein Vers ä u m n i s von selten des Menschen. Diesem Mangel m ü ß t e d a n n durch geeignete M a ß n a h m e n a m Menschen auf eine menschliche Weise abgeholfen werden können. Daß wir noch nicht denken, liegt jedoch keineswegs n u r daran, daß der Mensch sich noch nicht genügend dem zuwendet, was von sich her bedacht sein möchte. Daß wir noch nicht denken, kommt vielmehr daher, daß dieses zu-Denkende selbst sich vom Menschen abwendet, sogar langher sich schon abgewendet hält. Sogleich werden wir wissen wollen, w a n n und auf welche Weise die hier gemeinte Abwendung geschah. Wir werden vordem und noch begieriger fragen, wie wir denn ü b e r h a u p t von einem solchen Vorkommnis wissen können. Die Fragen dieser Art überstürzen sich, wenn wir vom Bedenklichsten sogar behaupten: Das, was uns eigentlich zu denken gibt, hat sich nicht irgendw a n n zu einer historisch datierbaren Zeit vom Menschen abgewendet, sondern das zu-Denkende hält sich von einsther in solcher Abwendung. Allein, Abwendung ereignet sich nur dort, wo bereits eine Zuwendung geschehen ist. Wenn das Bedenklichste sich in einer Abwendung hält, d a n n geschieht das bereits und nur innerhalb seiner Zuwendung, d.h. so, daß es schon zu denken gegeben hat. Das zu-Denkende h a t bei aller Abwendung sich dem Wesen des Menschen schon zugesprochen. D a r u m hat der Mensch unserer Geschichte auch stets schon in einer wesentlichen Weise gedacht. Er h a t sogar Tiefstes gedacht. Diesem Denken bleibt das zu-Denkende anvertraut, freilich in einer seltsamen Weise. Das bisherige Denken nämlich bedenkt gar nicht, daß und inwiefern das zu-Denkende sich dabei gleichwohl entzieht.
133 Was heißt Denken? Doch wovon reden wir? Ist das Gesagte nicht eine einzige Kette leerer Behauptungen? Wo bleiben die Beweise? H a t das Vorgebrachte noch das Geringste mit Wissenschaft zu tun? Es wird gut sein, wenn wir möglichst lange in solcher Abwehrhaltung zu dem Gesagten a u s h a r r e n . Denn so allein halten wir u n s in dem nötigen Abstand f ü r einen Anlauf, aus dem her vielleicht dem einen oder anderen der Sprung 6 in das Denken des Bedenklichsten gelingt. Es ist nämlich wahr: Das bisher Gesagte und die ganze folgende Erörterung h a t nichts mit Wissenschaft zu t u n und zwar gerade dann, wenn die Erörterung ein Denken sein dürfte. Der Grund dieses Sachverhaltes liegt darin, daß die Wissenschaft nicht denkt. Sie denkt nicht, weil sie nach der Art ihres Vorgehens und ihrer Hilfsmittel niemals denken k a n n - denken nämlich nach der Weise der Denker. Daß die Wissenschaft nicht denken kann, ist kein Mangel, sondern ein Vorzug. Er allein sichert ihr die Möglichkeit, sich nach der Art der Forschung auf ein jeweiliges Gegenstandsgebiet einzulassen und sich darin anzusiedeln. Die Wissenschaft denkt nicht. Das ist f ü r das gewöhnliche Vorstellen ein anstößiger Satz. Lassen wir dem Satz seinen anstößigen Charakter, auch dann, w e n n ihm der Nachsatz folgt, die Wissenschaft sei, wie jedes Tun und Lassen des Menschen, auf das Denken angewiesen. Allein, die Beziehung der Wissenschaft zum Denken ist nur dann eine echte und fruchtbare, wenn die Kluft, die zwischen den Wissenschaften und dem Denken besteht, sichtbar geworden ist und zwar als eine unüberbrückbare. Es gibt von den Wissenschaften her zum Denken keine Brücke, sondern nur den Sprung. Wohin er u n s bringt, dort ist nicht n u r die andere Seite, sondern eine völlig andere Ortschaft. Was mit ihr offen wird, läßt sich niemals beweisen, w e n n beweisen heißt: Sätze über einen Sachverhalt aus geeigneten Voraussetzungen durch Schlußketten herleiten. Wer das, was n u r offenkundig wird, insofern es von sich her erscheint, indem es sich zugleich verbirgt, wer solches noch beweisen und bewiesen haben will, urteilt keineswegs nach ei'' 3. Auflage 1967: Vgl. Der Satz der Identität [vorgesehen für GA Bd. 1 1]
134
Was heißt Denken?
nem höheren und strengeren Maßstab des Wissens. Er rechnet lediglich mit einem Maßstab und zwar mit einem ungemäßen. Denn was sich n u r so kundgibt, daß es im Sichverbergen erscheint, dem entsprechen wir auch n u r dadurch, daß wir darauf hinweisen und hierbei u n s selber anweisen, das, was sich zeigt, in die ihm eigene Unverborgenheit erscheinen zu lassen. Dieses einfache Weisen ist ein Grundzug des Denkens, der Weg zu dem, was dem Menschen einsther und einsthin zu denken gibt. Beweisen, d.h. aus geeigneten Voraussetzungen ableiten, läßt sich alles. Aber Weisen, durch ein Hinweisen zur Ankunft freigeben, läßt sich n u r Weniges und dieses Wenige überdies noch selten. Das Bedenklichste zeigt sich in u n s e r e r bedenklichen Zeit daran, daß wir noch nicht denken. Wir denken noch nicht, weil das zu-Denkende sich vom Menschen abwendet und keinesfalls nur deshalb, weil der Mensch sich dem zu-Denkenden nicht hin reichend zuwendet. Das zu-Denkende wendet sich vom Menschen ab. Es entzieht sich ihm, indem es sich ihm vorenthält. Das Vorenthaltene aber ist u n s stets schon vorgehalten. Was sich nach der Art des Vorenthaltens entzieht, verschwindet nicht. Doch wie können wir von dem, was sich auf solche Weise entzieht, überh a u p t das geringste wissen? Wie kommen wir darauf, es auch n u r zu nennen? Was sich entzieht, versagt die Ankunft. Allein - das Sichentziehen f ist nicht nichts. Entzug ist hier Vorenthalt und ist als solcher Ereignis. Was sich entzieht, k a n n den Menschen wesentlicher angehen und inniger in den Anspruch nehmen als jegliches Anwesende, das ihn trifft und betrifft. Man hält die Betroffenheit durch das Wirkliche gern f ü r das, was die Wirklichkeit des Wirklichen ausmacht. Aber die Betroffenheit durch das Wirkliche k a n n den Menschen gerade gegen das absperren, was ihn angeht, - angeht in der gewiß r ä t s e l h a f t e n Weise, daß das Angehen ihm entgeht, indem es sich entzieht. Der Entzug, das Sichentziehen des zu-Denkenden, könnte d a r u m jetzt als Ereignis gegenwärtiger sein denn alles Aktuelle. r
vgl. Identität und Differenz 47. [vorgesehen für GA Bd. 1 1]
135 Was heißt Denken? Was sich u n s in der g e n a n n t e n Weise entzieht, zieht zwar von u n s weg. Aber es zieht u n s dabei gerade mit und zieht u n s auf seine Weise an. Was sich entzieht, scheint völlig abwesend zu sein. Aber dieser Schein trügt. Was sich entzieht, west an, nämlich in der Weise, daß es u n s anzieht, ob wir es sogleich oder überh a u p t merken oder gar nicht. Was u n s anzieht, hat schon Ankunft gewährt. Wenn wir in das Ziehen des Entzugs gelangen, sind wir auf dem Zug zu dem, was uns anzieht, indem es sich entzieht. Sind wir aber als die so Angezogenen auf dem Zuge zu . . . dem u n s Ziehenden, d a n n ist unser Wesen auch schon geprägt, nämlich durch dieses »auf dem Zuge zu . . . «. Als die so Geprägten weisen wir selber auf das Sichentziehende. Wir sind ü b e r h a u p t n u r wir und sind nur die, die wir sind, indem wir in das Sichentziehende weisen. Dieses Weisen ist u n s e r Wesen. Wir sind, indem wir in das Sichentziehende zeigen. Als der dahin Zeigende ist der Mensch der Zeigende. Und zwar ist der Mensch nicht zunächst Mensch und d a n n noch a u ß e r d e m und vielleicht gelegentlich ein Zeigender, sondern: gezogen in das Sichentziehende, auf dem Zug in dieses und somit zeigend in den Entzug ist der Mensch allererst Mensch. Sein Wesen beruht darin, ein solcher Zeigender zu sein. Was in sich, seiner eigensten Verfassung nach, etwas Zeigendes ist, nennen wir ein Zeichen. Auf dem Zug in das Sichentziehende gezogen, ist der Mensch ein Zeichen. Weil jedoch dieses Zeichen in solches zeigt, das sich entzieht, k a n n das Zeigen das, w a s sich da entzieht, nicht u n m i t t e l b a r deuten. Das Zeichen bleibt so ohne Deutung: Hölderlin sagt in einem Entwurf zu einer Hymne: »Ein Zeichen sind wir, deutungslos Schmerzlos sind wir und haben fast Die Sprache in der Fremde verloren.« Die Entwürfe zur Hymne sind neben Titeln wie »Die Schlange«, »Die Nymphe«, »Das Zeichen« auch überschrieben »Mnemosyne«. Wir können das griechische Wort in unser deutsches über-
136
Was heißt Denken?
setzen, das lautet: Gedächtnis. Unsere Sprache sagt: das Gedächtnis. Sie sagt aber auch: die Erkenntnis, die Befugnis; und wieder: das Begräbnis, das Geschehnis. Kant z.B. sagt in seinem Sprachgebrauch u n d oft nahe beieinander bald »die Erkenntnis«, bald »das Erkenntnis«. W i r d ü r f t e n d a h e r o h n e G e w a l t s a m k e i t Μνημοσύνη, dem griechischen Femininum entsprechend, übersetzen: »die Gedächtnis«. Hölderlin nennt nämlich das griechische Wort Μνημοσύνη als den Namen einer Titanide. Sie ist die Tochter von Himmel u n d Erde. Mnemosyne wird als Braut des Zeus in neun Nächten die Mutter der Musen. Spiel u n d Tanz, Gesang und Gedicht gehören dem Schoß der Mnemosyne, der Gedächtnis. Offenbar nennt dieses Wort hier anderes als nur die von der Psychologie gemeinte Fähigkeit, Vergangenes in der Vorstellung zu behalten. Gedächtnis denkt an das Gedachte. Aber der Name der Mutter der Musen meint »Gedächtnis« nicht als ein beliebiges Denken an irgendwelches Denkbare. Gedächtnis ist hier die Versammlung des Denkens, das gesammelt bleibt auf das, woran im voraus schon gedacht ist, weil es allem zuvor stets bedacht sein möchte. Gedächtnis ist die Versammlung des Andenkens an das vor allem anderen zu-Bedenkende. Diese Versammlung birgt bei sich und verbirgt in sich jenes, woran im vorhinein zu denken bleibt, bei allem, was west u n d sich als Wesendes und Gewesenes zuspricht. Gedächtnis, das gesammelte Andenken an das zu-Denkende, ist der Quellgrund des Dichtens. Demnach beruht das Wesen der Dichtung im Denken. Dies sagt uns der Mythos, d.h. die Sage. Sein Sagen heißt das älteste, nicht nur, insofern es der Zeitrechnung nach das früheste ist, sondern weil es seinem Wesen nach, voreinst u n d dereinst das Denkwürdigste bleibt. Solange wir freilich das Denken nach den Auskünften vorstellen, die uns die Logik darüber gibt, solange wir nicht damit ernst machen, daß alle Logik sich bereits auf eine besondere Art des Denkens festgelegt hat - , solange werden wir es nicht beachten können, daß u n d inwiefern das Dichten im Andenken beruht.
137 Was heißt
Denken?
Alles Gedichtete ist der Andacht des Andenkens Unter dem Titel Mnemosyne
sagt
entsprungen.
Hölderlin:
»Ein Zeichen sind wir, deutungslos . . . « Wer wir? Wir, die heutigen Menschen, die Menschen eines Heute, das schon lange u n d noch lange währt, in einer Länge, f ü r die keine Zeitrechnung der Historie je ein Maß aufbringt. In derselb e n H y m n e »Mnemosyne«
heißt es: »Lang ist / die Zeit« - n ä m -
lich die, in der wir ein deutungsloses Zeichen sind. Gibt dies nicht genug zu denken, daß wir ein Zeichen sind u n d zwar ein deutungsloses? Vielleicht gehört das, was Hölderlin in diesen u n d in den folgenden Worten sagt, zu dem, w o r a n sich uns das Bedenklichste zeigt, zu dem, daß wir noch nicht denken. Doch beruht dies, daß wir noch nicht denken, darin, daß wir ein deutungsloses
Zeichen
und
schmerzlos
sind,
oder
sind
wir
ein
deutungsloses Zeichen u n d schmerzlos, insofern wir noch nicht denken? Träfe dieses zuletzt Genannte zu, d a n n wäre es das Denken, w o d u r c h
den Sterblichen
allererst
der Schmerz
geschenkt
u n d dem Zeichen, als welches die Sterblichen sind, eine Deutung gebracht würde. Solches Denken versetzte uns d a n n auch erst in eine Zwiesprache mit d e m Dichten des Dichters, dessen
Sagen
wie kein anderes sein Echo im Denken sucht. Wenn wir es wagen, das dichtende Wort Hölderlins in den Bereich des Denkens einzuholen, d a n n müssen wir uns freilich hüten, das, was Hölderlin dichterisch sagt, unbedacht mit dem gleichzusetzen, was wir zu denken uns anschicken. Das dichtend
Gesagte u n d das den-
kend Gesagte sind niemals das gleiche. Aber das eine u n d das andere kann in verschiedenen Weisen dasselbe sagen. Dies glückt allerdings n u r dann, w e n n die Kluft zwischen Dichten u n d Denken rein u n d entschieden klafft. Es geschieht, so oft das Dichten ein hohes u n d das Denken ein tiefes ist. Auch dies wußte Hölderlin. Wir entnehmen sein Wissen den beiden Strophen, die überschrieben
sind:
138
Was heißt Denken? Alcibiades »Warum huldigest du, heiliger Sokrates, Diesem Jünglinge stets.5 Kennest Du Größers nicht? W a r u m siehet mit Liebe, Wie auf Götter, dein Aug' auf ihn?«
Die Antwort gibt die zweite Strophe. »Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste, Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblikt, Und es neigen die Weisen Oft am Ende zu Schönem sich.« Uns geht der Vers an: »Wer das Tiefste gedacht, liebt das
Lebendigste«.
Wir überhören jedoch bei diesem Vers allzuleicht die eigentlich sagenden u n d deshalb tragenden Worte. Die sagenden Worte sind die Verba. Wir hören das Verbale des Verses, w e n n wir ihn, dem gewöhnlichen Ohr ungewohnt, anders betonen: »Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste«. Die nächste Nähe der beiden Verba »gedacht« und »liebt« bildet die Mitte des Verses. Demnach gründet die Liebe darin, daß wir Tiefstes gedacht haben. Solches Gedachthaben entstammt vermutlich jenem Gedächtnis, in dessen Denken sogar das Dichten und mit ihm alle Kunst beruht. Was heißt dann aber »denken«? Was z.B. schwimmen heißt, lernen wir nie durch eine Abhandlung über das Schwimmen. Was schwimmen heißt, sagt uns der Sprung in den Strom. Wir lernen so das Element erst kennen, worin sich das Schwimmen bewegen muß. Welches ist jedoch das Element, worin sich das Denken bewegt?
139 Was heißt
Denken?
Gesetzt, die Behauptung, daß wir noch nicht denken, se i wahr, d a n n sagt sie zugleich, daß u n s e r Denken sich noch nicht eigens in seinem eigentlichen Element" bewege u n d zwar deshalb, weil das zu-Denkende sich uns entzieht. Was sich auf solche Weise uns vorenthält 1 1 u n d d a r u m ungedacht bleibt, können wir von u n s aus nicht in die Ankunft zwingen, selbst den günstigen Fall angenommen, daß wir schon deutlich in das vordächten, w a s sich uns vorenthält So bleibt u n s nur eines, nämlich zu warten, bis das zu-Denkende sich uns zuspricht. Doch warten besagt hier keineswegs, daß wir das Denken vorerst noch verschieben. Warten heißt hier: Ausschau halten u n d zwar innerhalb des schon Gedachten nach d e m Ungedachten, das sich im schon Gedachten noch verbirgt. Durch solches Warten sind wir bereits denkend auf einen Gang in das zu-Denkende unterwegs. Der Gang könnte ein Irrgang sein. Er bliebe jedoch einzig darauf gestimmt, d e m zu entsprechen, w a s es zu b e d e n k e n gibt. Woran sollen wir jedoch das, w a s d e m Menschen vor allem anderen einsther zu denken gibt, ü b e r h a u p t bemerken? Wie k a n n sich das Bedenklichste uns zeigen.' 1 Es hieß: das Bedenklichste zeigt sich in unserer bedenklichen Zeit daran, daß wir noch nicht denken, noch nicht in der Weise, daß wir d e m Bedenklichsten eigens entsprechen. Wir sind bislang in das eigene Wesen' des Denkens nicht eingegangen, u m darin zu wohnen. Wir denken in diesem Sinne noch nicht eigentlich 1 . Aber dies gerade sagt: wir denken bereits, wir sind jedoch trotz aller Logik noch nicht eigens mit d e m Element vertraut, worin das Denken eigentlich denkt. D a r u m wissen wir noch nicht einmal hinreichend, in welchem Element schon das bisherige Denken sich b e w e g t k , insofern es ein e 3. Auflage 1967: oder ist der Entzug die Entzogenheit, die Verweigerung das Element des Denkens Verweigerung des Ge-Vierts h ahnen 3. Auflage 1967: in sein Element Ereignis k 3. Auflage 1967: ontologische Differenz
140
Was
heißt
Denken?
Denken ist. Der Grundzug des bisherigen Denkens ist das Vernehmen.' Das Vermögen dazu heißt die Vernunft™. Was v e r n i m m t die Vernunft? In welchem Element hält sich das Vernehmen auf, daß hierdurch ein Denken geschieht? Vern e h m e n ist die Übersetzung des griechischen Wortes VOEÎV, das bedeutet: etwas Anwesendes bemerken, merkend es vornehmen und als Anwesendes es a n n e h m e n . Dieses vornehmende Vernehmen ist ein Vor stellen in dem einfachen, weiten und zugleich wesentlichen Sinne, daß wir Anwesendes vor u n s stehen- und liegenlassen, wie es liegt und steht." Derjenige unter den frühgriechischen Denkern, der das Wesen des bisherigen abendländischen Denkens maßgebend bestimmt, achtet jedoch, wenn er vom Denken handelt, keineswegs lediglich und niemals zuerst auf das, was wir das bloße Denken nennen möchten. Vielmehr b e r u h t die Wesensbestimmung des Denkens gerade darin, daß sein Wesen von dem her b e s t i m m t bleibt, was das Denken als V e r n e h m e n v e r n i m m t — nämlich das Seiende in seinem Sein. Parmenides sagt (Frag-m. VIII, 3 4 / 3 6 ) :
ταύτόν δ'έστν νοεΐν τε κοά οΰνεκεν εστι νόημα. ού γάρ άνευ τοΰ έόντος, έν ώι πεφατισμένον έστιν, εύρήσεις το ν ο ε ΐ ν »Das Selbe aber ist V e r n e h m e n sowohl als auch (das), wessentwegen Vernehmen' ist. Nicht nämlich ohne das Sein des Seienden, in welchem es (nämlich das Vernehmen) als Gesagtes ist, wirst du das Vernehmen finden.« Aus diesen Worten des P a r m e n i d e s t r i t t klar ans Licht: das Denken e m p f ä n g t als V e r n e h m e n sein Wesen aus dem Sein des Sei;
3. Auflage 1967: das »als« ratio ( λ έ γ ε ι ν ) 11 noch nicht »Gegenstand« ° 3. Auflage 1967: (Vernehmung) 111
141 Was heißt
Denken?
enden. Doch w a s heißt hier u n d f ü r die Griechen u n d in der Folge f ü r das g e s a m t e a b e n d l ä n d i s c h e D e n k e n bis zur Stunde: Sein des Seienden? Die Antwort auf diese bisher nie gestellte, weil allzu einfache Frage lautet: Sein des Seienden heißt: Anwesen des Anwesenden, P r ä s e n z des P r ä s e n t e n . Die Antwort ist ein S p r u n g ins Dunkle. W a s d a s D e n k e n als V e r n e h m e n v e r n i m m t , ist d a s P r ä s e n t e in seiner Präsenz. An ihr n i m m t d a s D e n k e n d a s M a ß f ü r sein Wesen als V e r n e h m e n . D e m g e m ä ß ist d a s D e n k e n j e n e P r ä s e n t a t i o n des P r ä s e n t e n , die u n s d a s Anwesende in seiner Anwesenheit zu stellt u n d es d a m i t vor u n s stellt, d a m i t wir vor dem Anwesenden s t e h e n u n d i n n e r h a l b seiner dieses S t e h e n a u s s t e h e n können. Das D e n k e n stellt als diese P r ä s e n t a t i o n d a s A n w e s e n d e in die Beziehung auf u n s zu, stellt es zurück zu u n s her. Die P r ä s e n t a tion ist d a r u m R e - P r ä s e n t a t i o n . P D a s Wort repraesentatio ist der s p ä t e r geläufige N a m e f ü r d a s Vorstellen? Der G r u n d z u g des bisherigen D e n k e n s ist d a s Vorstellen. N a c h der a l t e n Lehre vom D e n k e n vollzieht sich dieses Vorstellen im λόγος, welches Wort hier Aussage, Urteil bedeutet. Die Lehre vom Denken, vom λόγος, heißt d a r u m Logik. K a n t n i m m t auf eine einfache Weise die überlieferte Kennzeichnung des D e n k e n s als Vorstellen auf, w e n n er den G r u n d a k t des Denkens, das Urteil, als die Vorstellung einer Vorstellung des G e g e n s t a n d e s b e s t i m m t (Kr. d. r. V. A 68, B 93). Urteilen wir z. B. »dieser Weg ist steinig«, d a n n wird im Urteil die Vorstellung des Gegenstandes, d.h. des Weges, ihrerseits vorgestellt, nämlich als steinig.' Der G r u n d z u g des D e n k e n s ist das Vorstellen. Im Vorstellen e n t f a l t e t sich d a s V e r n e h m e n . D a s Vorstellen selbst ist R e - P r ä s e n tation. Doch w e s h a l b b e r u h t das D e n k e n im V e r n e h m e n ? Weshalb e n t f a l t e t sich d a s V e r n e h m e n im Vorstellen? W e s h a l b ist d a s Vorstellen R e - P r ä s e n t a t i o n ? p 3. Auflage 1967: Reflexion ' das Moment des Praesentierens und Praesenz ein »Geschenk«, kleine Aufmerksamkeit. 1
verschwindet!
3. Auflage 1967: vgl. Kants These über das »Sein« [in: GA Bd.
ein 9]
»Präsent«
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Was
heißt
Denken?
Die Philosophie v e r f ä h r t so, als gäbe es hier ü b e r a l l nichts zu fragen. D a ß jedoch d a s bisherige D e n k e n im Vorstellen u n d d a s Vorstellen in der R e - P r ä s e n t a t i o n b e r u h t , dies h a t seine lange Herk u n f t . Sie verbirgt sich in einem u n s c h e i n b a r e n Ereignis: das Sein des Seienden erscheint a m Anfang der Geschichte des Abendlandes, erscheint f ü r i h r e n g a n z e n Verlauf als Präsenz, als Anwesen. Dieses E r s c h e i n e n des Seins als d a s Anwesen des A n w e s e n d e n ist s e l b s t der Anfang der abendländischen Geschichte, gesetzt, daß wir die Geschichte nicht n u r nach den Geschehnissen vorstellen, sondern zuvor nach dem denken, w a s durch die Geschichte im vorhinein u n d alles Geschehende durch waltend geschickt ist. Sein heißt Anwesen. Dieser leicht hingesagte G r u n d z u g des Seins, das Anwesen, wird n u n aber in d e m Augenblick geheimnisvoll, da wir erwachen u n d beachten, wohin dasjenige, w a s wir Anwesenheit nennen, u n s e r Denken verweist. Anwesendes ist W ä h r e n d e s , das in die Unverborgenheit herein u n d innerhalb ihrer west. Anwesen ereignet sich nur, wo bereits U n v e r b o r g e n h e i t waltet. Anwesendes ist aber, insofern es in die Unverborgenheit hereinwährt, gegenwärtig. D a r u m gehört z u m Anwesen nicht n u r Unverborgenheit, sondern Gegenwart. Diese im Anwesen w a l t e n d e G e g e n w a r t ist ein C h a r a k t e r der Zeit. Deren Wesen läßt sich aber durch den überlieferten Zeitbegriff n i e m a l s fassen. Im Sein, das als Anwesen erschienen ist, bleibt jedoch die darin waltende Unverborgenheit auf die gleiche Weise u n g e d a c h t wie das d a r i n w a l t e n d e Wesen von G e g e n w a r t u n d Zeit. Vermutlich gehören Unverborgenheit u n d Gegenwart als Zeitwesen zus a m m e n . Insoweit wir das Seiende in s e i n e m Sein v e r n e h m e n , insofern wir, neuzeitlich gesprochen, die Gegenstände in ihrer Gegenständlichkeit vorstellen, d e n k e n wir bereits? Auf solche Weise denken wir schon lange. Aber wir denken gleichwohl noch
3. Auflage 1967: Repräsentation und Reflexion
143 Was
heißt
Denken?
nicht eigentlich, solange u n b e d a c h t bleibt, worin d a s Sein des Seienden b e r u h t , w e n n es als Anwesenheit erscheint. Die W e s e n s h e r k u n f t des Seins des Seienden" ist u n g e d a c h t . Das eigentlich zu-Denkende bleibt v o r e n t h a l t e n . Es ist noch nicht f ü r u n s denk würdig geworden. Deshalb ist u n s e r Denken noch nicht eigens in sein Element 1 1 gelangt. Wir denken noch nicht eigentlich. D a r u m f r a g e n wir: Was heißt Denken?
I II
ontologische Differenz 3. Auflage 1967: das » E l e m e n t « - das Ereignis
BAUEN WOHNEN DENKEN
147 Im folgenden versuchen wir, über Wohnen und Bauen zu denken. Dieses Denken über das Bauen m a ß t sich nicht an, Baugedanken zu finden oder gar dem Bauen Regeln zu geben. Dieser Denkversuch stellt das Bauen ü b e r h a u p t nicht von der B a u k u n s t und der Technik her dar, sondern er verfolgt das Bauen in denjenigen Bereich zurück, wohin jegliches gehört, was ist. Wir fragen: 1. Was ist das Wohnen? 2. Inwiefern gehört das Bauen in das Wohnen?
139
1 Zum Wohnen, so scheint es, gelangen wir erst durch das Bauen. Dieses, das Bauen h a t jenes, das Wohnen zum Ziel. Indessen sind nicht alle Bauten auch Wohnungen. Brücke und Flughalle, Stadion und Kraftwerk sind Bauten, aber keine Wohnungen; Bahnhof und Autobahn, S t a u d a m m und M a r k t h a l l e sind Bauten, aber keine Wohnungen. Dennoch stehen die g e n a n n t e n Bauten im Bereich unseres Wohnens. E r reicht über diese Bauten hinweg und beschränkt sich doch wieder nicht auf die Wohnung. Der Lastzugführer ist auf der Autobahn zu Hause, aber er hat dort nicht seine U n t e r k u n f t ; die Arbeiterin ist in der Spinnerei zu Hause, hat jedoch dort nicht ihre Wohnung; der leitende Ingenieur ist im Kraftwerk zu Hause, aber er wohnt nicht dort. Die genannten Bauten behausen den Menschen. Er bewohnt sie und wohnt gleichwohl nicht in ihnen, wenn Wohnen nur heißt, daß wir eine U n t e r k u n f t innehaben. Bei der heutigen Wohnungsnot bleibt freilich dies schon beruhigend und erfreulich; Wohnbauten gewähren wohl Unterkunft, die Wohnungen können heute sogar gut gegliedert, leicht zu bewirtschaften, wünschenswert billig, offen gegen Luft, Licht und Sonne sein, aber: bergen die Wohnungen schon die Gewähr in sich, daß ein Wohnen geschieht? J e n e Bauten jedoch, die keine Wohnungen sind, bleiben ihrerseits vom Wohnen her bestimmt, insofern sie dem Wohnen der Menschen dienen. So wäre denn das Wohnen in j e d e m Falle
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Bauen Wohnen Denken
der Zweck, der allem Bauen vorsteht. Wohnen und Bauen stehen zueinander in der Beziehung von Zweck und Mittel. Allein, solange wir n u r dies meinen, nehmen wir Wohnen und Bauen für zwei getrennte Tätigkeiten und stellen dabei etwas Richtiges vor. Doch zugleich verstellen wir u n s durch das Zweck-Mittel-Schema die wesentlichen Bezüge. Bauen nämlich ist nicht n u r Mittel und Weg zum Wohnen, das Bauen ist in sich selber bereits Wohnen. Wer sagt u n s dies? Wer gibt u n s ü b e r h a u p t ein Maß, mit dem wir das Wesen von Wohnen und Bauen durchmessen? Der Zuspruch über das Wesen einer Sache kommt zu u n s aus der Sprache, vorausgesetzt, daß wir deren eigenes Wesen achten. Inzwischen freilich rast ein zügelloses und zugleich gewandtes Reden, Schreiben und Senden von Gesprochenem u m den Erdball. Der Mensch gebärdet sich, als sei er Bildner und Meister der Sprache, w ä h r e n d doch die Herrin des Menschen bleibt. Vielleicht ist es vor allem a n d e r e n die vom Menschen betriebene Verkehrung dieses Herrschaftsverhältnisses, was sein Wesen in das Unheimische treibt. Daß wir auf die Sorgfalt des Sprechens halten, ist gut, aber es hilft nicht, solange u n s auch dabei noch die Sprache n u r als ein Mittel des Ausdrucks dient. Unter allen Zusprächen, die wir Menschen von uns her mit zum Sprechen bringen können, ist die Sprache der höchste und der überall erste. Was heißt n u n Bauen? Das althochdeutsche Wort f ü r bauen, »buan«, bedeutet wohnen. Dies besagt: bleiben, sich aufhalten. Die eigentliche Bedeutung des Zeitwortes bauen, nämlich wohnen, ist uns verlorengegangen. Eine verdeckte Spur hat sich noch im Wort »Nachbar« erhalten. Der Nachbar ist der »Nachgebur«, der »Nachgebauer«, derjenige, der in der Nähe wohnt. Die Zeitwörter buri, büren, beuren, beuron bedeuten alle das Wohnen, die Wohnstätte. N u n sagt u n s freilich das alte Wort b u a n nicht nur, bauen sei eigentlich wohnen, sondern es gibt uns zugleich einen Wink, wie wir das von ihm genannte Wohnen denken müssen. Wir stellen uns gewöhnlich, wenn vom Wohnen die R e d e ist, ein Verhalten vor, das der Mensch neben vielen anderen Verhal-
149 Bauen Wohnen Denken tungsweisen auch vollzieht. Wir arbeiten hier und wohnen dort. Wir wohnen nicht bloß, das wäre beinahe Untätigkeit, wir stehen in einem Beruf, wir machen Geschäfte, wir reisen und wohnen unterwegs, bald hier, bald dort. Bauen heißt ursprünglich wohnen. Wo das Wort bauen noch ursprünglich spricht, sagt es zugleich, wie weit das Wesen des Wohnens reicht. Bauen, buan, bhu, beo ist nämlich unser Wort »bin« in den Wendungen: ich bin, du bist, die Imperativform bis, sei. Was heißt dann: ich bin? Das alte Wort bauen, zu dem das »bin« gehört, antwortet: »ich bin«, »du bist« besagt: ich wohne, du wohnst. Die Art, wie du bist und ich bin, die Weise, nach der wir Menschen auf der Erde sind, ist das Buan, das Wohnen. Mensch sein heißt: als Sterblicher auf der Erde sein, heißt: wohnen. Das alte Wort bauen, das sagt, der Mensch sei, insofern er wohne, dieses Wort b a u e n bedeutet n u n aber zugleich: hegen und pflegen, nämlich den Acker bauen, Reben bauen. Solches Bauen h ü t e t nur, nämlich das Wachstum, das von sich aus seine Früchte zeitigt. Bauen im Sinne von hegen und pflegen ist kein Herstellen. Schiffsbau und Tempelbau dagegen stellen in gewisser Weise ihr Werk selbst her. Das Bauen ist hier im Unterschied zum Pflegen ein Errichten. Beide Weisen des Bauens - bauen als pflegen, lateinisch colere, cultura, und bauen als errichten von Bauten, aedificare - sind in das eigentliche Bauen, das Wohnen, einbehalten. Das Bauen als Wohnen, d.h. auf der Erde sein, bleibt n u n aber f ü r die alltägliche E r f a h r u n g des Menschen das im vorhinein, wie die Sprache so schön sagt, »Gewohnte«. D a r u m tritt es hinter den mannigfachen Weisen, in denen sich das Wohnen vollzieht, hinter den Tätigkeiten des Pflegens und Errichtens, zurück. Diese Tätigkeiten nehmen in der Folge den N a m e n b a u e n und damit die Sache des Bauens f ü r sich allein in Anspruch. Der eigentliche Sinn des Bauens, nämlich das Wohnen, gerät in die Vergessenheit. Dieses Ereignis sieht zunächst so aus, als sei es lediglich ein Vorgang innerhalb des Bedeutungswandels bloßer Wörter. In Wahrheit verbirgt sich darin jedoch etwas Entscheidendes, nämlich: das Wohnen wird nicht als das Sein des Menschen erfahren; das Woh-
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Wohnen
Denken
n e n wird vollends nie als der G r u n d z u g des Menschseins gedacht. Daß die Sprache die eigentliche B e d e u t u n g des Wortes bauen, das Wohnen, gleichsam z u r ü c k n i m m t , bezeugt jedoch das Ursprüngliche dieser Bedeutungen; d e n n bei den wesentlichen Wort e n der Sprache fällt ihr eigentlich Gesagtes z u g u n s t e n des vordergründig G e m e i n t e n leicht in die Vergessenheit. Das Geheimnis dieses Vorganges h a t der Mensch noch k a u m bedacht. Die Sprache entzieht dem Menschen ihr einfaches u n d hohes Sprechen. Aber d a d u r c h v e r s t u m m t ihr anfänglicher Zuspruch nicht, er schweigt nur. Der Mensch freilich u n t e r l ä ß t es, auf dieses Schweigen zu achten. Hören wir jedoch auf das, w a s die Sprache im Wort b a u e n sagt, d a n n v e r n e h m e n wir dreierlei: 1. B a u e n ist eigentlich Wohnen. 2. Das Wohnen ist die Weise, wie die Sterblichen auf der E r d e sind. 3. Das B a u e n als W o h n e n e n t f a l t e t sich z u m Bauen, d a s pflegt, nämlich d a s W a c h s t u m ,
u n d z u m Bauen, das B a u t e n er-
richtet. Bedenken wir dieses Dreifache, d a n n v e r n e h m e n wir einen Wink u n d m e r k e n u n s folgendes: W a s das B a u e n von B a u t e n in s e i n e m Wesen sei, können wir nicht einmal zureichendfragen, geschweige denn s a c h g e m ä ß entscheiden, solange wir nicht d a r a n denken, daß j e d e s B a u e n in sich ein Wohnen ist. Wir w o h n e n nicht, weil wir g e b a u t haben, sondern wir b a u e n u n d h a b e n gebaut, insofern wir wohnen, d.h. als die Wohnenden sind. Doch worin b e s t e h t das Wesen des Wohnens? Hören wir noch einmal auf den Zuspruch der Sprache: D a s altsächsische »wunon«, das gotische »wunian« b e d e u t e n ebenso wie d a s alte Wort b a u e n d a s Bleiben, d a s Sicha u f h a l t e n . Aber das gotische »wunian« s a g t deutlicher, wie dieses Bleiben e r f a h r e n wird. W u n i a n heißt: zufrieden sein, z u m Frieden gebracht, in i h m bleiben. Das Wort Friede m e i n t das Freie, das Frye, u n d fry bedeutet: b e w a h r t vor Schaden u n d Be-
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drohung, bewahrt vor . . . d. h. geschont. Freien bedeutet eigentlich schonen. Das Schonen selbst besteht nicht n u r darin, daß wir dem Geschonten nichts a n t u n . Das eigentliche Schonen ist etwas Positives und geschieht dann, wenn wir etwas zum voraus in seinem Wesen belassen, w e n n wir etwas eigens in sein Wesen 1 zurückbergen, es entsprechend dem Wort freien: einfrieden. Wohnen, zum Frieden gebracht sein, heißt: eingefriedet bleiben in das Frye, d.h. in das Freie, das jegliches in sein Wesen schont. Der Grundzug des Wohnens ist dieses Schonen. Er durchzieht das Wohnen in seiner ganzen Weite. Sie zeigt sich uns, sobald wir d a r a n denken, daß im Wohnen das Menschsein b e r u h t und zwar im Sinne des Aufenthalts der Sterblichen auf der Erde. Doch »auf der Erde« heißt schon »unter dem Himmel«. des meint mit »Bleiben vor den Göttlichen« und schließt »gehörend in das Miteinander der Menschen«. Aus einer sprünglichen Einheit gehören die Vier: Erde und Himmel, Göttlichen und die Sterblichen in eins.
Beiein urdie
Die Erde ist die dienend Tragende, die blühend Fruchtende, hingebreitet in Gestein und Gewässer, aufgehend zu Gewächs und Getier. Sagen wir Erde, dann denken wir schon die anderen Drei mit, doch wir bedenken nicht die Einfalt der Vier. Der Himmel ist der wölbende Sonnengang, der g e s t a l t w e c h selnde Mondlauf, der w a n d e r n d e Glanz der Gestirne, die Zeiten des J a h r e s und ihre Wende, Licht und Dämmer des Tages, Dunkel und Helle der Nacht, das Wirtliche und Unwirtliche der Wetter, Wolkenzug und blauende Tiefe des Äthers. Sagen wir Himmel, dann denken wir schon die anderen Drei mit, doch wir bedenken nicht die Einfalt der Vier. Die Göttlichen sind die winkenden Boten der Gottheit. Aus dem heiligen Walten dieser erscheint der Gott in seine Gegenw a r t oder er entzieht sich in seine Verhüllung. N e n n e n wir die Göttlichen, dann denken wir schon die anderen Drei mit, doch wir bedenken nicht die Einfalt der Vier. 3
3. Auflage 1967: Eigenes
(Ereignis)
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Bauen
Wohnen
Denken
Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie s t e r b e n können. S t e r b e n heißt, den Tod als Tod vermögen. N u r der Mensch stirbt u n d zwar fortwährend, solange er auf der E r d e , u n t e r dem H i m m e l , vor den Göttlichen bleibt. N e n n e n wir die Sterblichen, d a n n d e n k e n wir schon die a n d e r e n Drei mit, doch wir b e d e n k e n nicht die Einfalt der Vier. Diese ihre Einfalt n e n n e n wir das Geviert. Die Sterblichen sind im Geviert, i n d e m sie wohnen. Der Grundzug des Wohnens aber ist d a s Schonen. Die Sterblichen w o h n e n in der Weise, daß sie d a s Geviert in sein Wesen schonen. D e m g e m ä ß ist das w o h n e n d e Schonen vierfältig. Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Erde r e t t e n — das Wort in d e m a l t e n S i n n e g e n o m m e n , den Lessing noch k a n n t e . Die R e t t u n g e n t r e i ß t n i c h t nur einer G e f a h r , r e t t e n b e d e u t e t eigentlich: etwas in sein eigenes Wesen freilassen. Die E r d e r e t t e n ist mehr, als sie a u s n ü t z e n oder g a r a b m ü h e n . Das R e t t e n der Erde meistert die Erde nicht u n d m a c h t sich die Erde nicht Unt e r t a n , von wo n u r ein Schritt ist zur schrankenlosen Ausbeutung. Die Sterblichen wohnen, insofern sie den H i m m e l als H i m m e l empfangen. Sie lassen der Sonne u n d dem Mond ihre F a h r t , den Gestirnen ihre Bahn, den Zeiten des J a h r e s ihren Segen u n d ihre Unbill, sie m a c h e n die N a c h t nicht z u m Tag u n d den Tag nicht zur g e h e t z t e n U n r a s t . Die Sterblichen wohnen, insofern sie die Göttlichen als die Göttlichen e r w a r t e n . Hoffend h a l t e n sie i h n e n das U n v e r h o f f t e b entgegen. Sie w a r t e n der Winke ihrer A n k u n f t u n d v e r k e n n e n nicht die Zeichen ihres Fehls. Sie m a c h e n sich nicht ihre Götter u n d betreiben nicht den Dienst an Götzen. Im Unheil noch wart e n sie des entzogenen Heils. Die Sterblichen wohnen, insofern sie ihr eigenes Wesen, daß sie nämlich den Tod als Tod vermögen, in den B r a u c h dieses Vermögens geleiten, d a m i t ein g u t e r Tod sei. Die Sterblichen in d a s b
das jäh einst » Y e r h o f f e n « l a s s e n k o m m t - aber noch verborgener Weise an sich hält.
damit
(mit
solchem
Lassen)
153 Bauen
Wohnen
Denken
Wesen des Todes geleiten, b e d e u t e t keineswegs, den Tod als d a s leere Nichts z u m Ziel setzen; es m e i n t auch nicht, d a s Wohnen durch ein blindes S t a r r e n auf das Ende v e r d ü s t e r n . Im R e t t e n der Erde, im E m p f a n g e n des Himmels, im E r w a r t e n der Göttlichen, im Geleiten der Sterblichen ereignet sich das Wohnen als das vierfältige Schonen des Gevierts. Schonen heißt: d a s Geviert in s e i n e m Wesen h ü t e n . 0 W a s in die H u t g e n o m m e n wird, m u ß geborgen werden. Wo aber v e r w a h r t das Wohnen, w e n n es das Geviert schont, dessen Wesen? Wie vollbringen die Sterblichen d a s Wohnen als dieses Schonen? Die Sterblichen vermöchten dies niemals, w ä r e d a s W o h n e n nur d ein A u f e n t h a l t auf der Erde, u n t e r dem Himmel, vor den Göttlichen, mit den Sterblichen. Das W o h n e n ist vielmehr i m m e r schon ein A u f e n t h a l t bei den Dingen. Das Wohnen als Schonen v e r w a h r t das Geviert in dem, wobei die Sterblichen sich a u f h a l t e n : in den Dingen. Der A u f e n t h a l t bei den Dingen ist jedoch der g e n a n n t e n Vierfalt des Schonens nicht als e t w a s F ü n f t e s n u r a n g e h ä n g t , im Gegenteil: der A u f e n t h a l t bei den Dingen ist die einzige Weise, wie sich der vierfältige A u f e n t h a l t im Geviert jeweils einheitlich vollbringt. Das Wohnen schont das Geviert, indem es dessen Wesen e in die Dinge bringt. Allein, die Dinge selbst bergen das Geviert nur dann, w e n n sie selber als Dinge in ihrem Wesen 1 gelassen werden. Wie geschieht das? Dadurch, daß die Sterblichen die w a c h s t ü m l i c h e n Dinge hegen u n d pflegen, daß sie Dinge, die nicht wachsen, eigens errichten. Das Pflegen u n d das Errichten ist d a s B a u e n im engeren Sinne. Das Wohnen ist, insofern es d a s Geviert in die Dinge v e r w a h r t , als dieses V e r w a h r e n ein Bauen. D a m i t sind wir auf den Weg der zweiten Frage gebracht:
' 3. Auflage 1967: Wie aber wenn Verweigerung? sich fügen ihr eigenstes Er-eignen in der Sage zeigen ™ wenn? dann d
3. Auflage 1967: unklar! keine o l l t o l o g i s c h e Differenz mehr. '' 3. Auflage 1967: Eigentümliches • ' 3. Auflage 1967: Eigenen
-
mehr noch
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Wohnen
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II Inwiefern gehört das Bauen in das Wohnen? Die Antwort auf diese Frage erläutert uns, was das Bauen, aus dem Wesen des Wohnens gedacht, eigentlich ist. Wir beschränken uns auf das Bauen im Sinne des Errichtens von Dingen und fragen: was ist ein gebautes Ding? Als Beispiel diene u n s e r e m Nachdenken eine Brücke. Die Brücke schwingt sich »leicht und kräftig« über den Strom." Sie verbindet nicht n u r schon vorhandene Ufer. Im Übergang der Brücke treten die Ufer erst als Ufer hervor. Die Brücke läßt sie eigens gegeneinander über liegen. Die andere Seite ist durch die Brücke gegen die eine abgesetzt. Die Ufer ziehen auch nicht als gleichgültige Grenzstreifen des festen Landes den Strom entlang. Die Brücke bringt mit den Ufern jeweils die eine und die andere Weite der rückwärtigen Uferlandschaft an den Strom. Sie bringt Strom und Ufer und Land in die wechselseitige Nachbarschaft. Die Brücke versammelt die Erde als Landschaft u m den Strom. So geleitet sie ihn durch die Auen. Die Brückenpfeiler tragen, a u f r u h e n d im Strombett, den Schwung der Bogen, die den Wassern des Stromes ihre B a h n lassen. Mögen die Wasser ruhig und m u n t e r fortwandern, mögen die Fluten des Himmels beim Gewittersturm oder der Schneeschmelze in reißenden Wogen u m die Pfeilerbogen schießen, die Brücke ist bereit f ü r die Wetter des Himmels und deren wendisches Wesen. Auch dort, wo die Brükke den Strom überdeckt, hält sie sein Strömen dadurch dem Himmel zu, daß sie es f ü r Augenblicke in das Bogentor a u f n i m m t und d a r a u s wieder freigibt. Die Brücke läßt dem Strom seine B a h n und gewährt zugleich den Sterblichen ihren Weg, daß sie von Land zu Land gehen und fahren. Brücken geleiten auf mannigfache Weise. Die Stadtbrükke f ü h r t vom Schloßbezirk zum Domplatz, die Flußbrücke vor der L a n d s t a d t bringt Wagen und Gespann zu den umliegenden * 3. Auflage 1967: überbrücken: den Strom zwischen seinen (Jfern.
155 Bauen Wohnen Denken Dörfern. Der unscheinbare Bachübergang der alten Steinbrücke gibt dem Erntewagen seinen Weg von der Flur in das Dorf, trägt die Holzfuhre vom Feldweg zur Landstraße. Die A u t o b a h n b r ü k ke ist eingespannt in das Liniennetz des rechnenden und möglichst schnellen Fernverkehrs. Immer und je anders geleitet die Brücke hin und her die zögernden und die hastigen Wege der Menschen, daß sie zu a n d e r e n Ufern u n d zuletzt als die Sterblichen auf die andere Seite kommen. Die Brücke überschwingt bald in hohen, bald in flachen Bogen Fluß und Schlucht; ob die Sterblichen das Überschwingende der Brückenbahn in der Acht behalten oder vergessen, daß sie, immer schon unterwegs zur letzten Brücke, im Grunde danach trachten, ihr Gewöhnliches und Unheiles zu übersteigen, u m sich vor das Heile des Göttlichen zu bringen. Die Brücke sammelt als der überschwingende Übergang vor die Göttlichen. Mag deren Anwesen eigens bedacht und sichtbarlich bedankt sein wie in der Figur des Brückenheiligen, mag es verstellt oder gar weggeschoben bleiben. Die Brücke versammelt auf ihre Weise Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen bei sich. Versammlung heißt nach einem alten Wort u n s e r e r Sprache »thing«. Die Brücke ist und zwar als die gekennzeichnete Vers a m m l u n g des Gevierts ein Ding. Man meint freilich, die Brükke sei zunächst und eigentlich bloß eine Brücke. Nachträglich und gelegentlich könne sie dann auch noch mancherlei a u s d r ü k ken. Als ein solcher Ausdruck werde sie d a n n zum Symbol, zum Beispiel f ü r all das, was vorhin g e n a n n t wurde. Allein, die Brücke ist, w e n n sie eine echte Brücke ist, niemals zuerst bloße Brücke und hinterher ein Symbol. Die Brücke ist ebensowenig im voraus n u r ein Symbol in dem Sinn, daß sie etwas ausdrückt, was, streng genommen, nicht zu ihr gehört. Wenn wir die Brücke streng nehmen, zeigt sie sich nie als Ausdruck. Die Brücke ist ein Ding und nur dies. Nur? Als dieses Ding v e r s a m m e l t sie das Geviert. Unser Denken ist freilich von altersher gewohnt, das Wesen des Dinges zu dürftig anzusetzen. Dies h a t t e im Verlauf des abendländischen Denkens zur Folge, daß m a n das Ding als ein
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u n b e k a n n t e s X vorstellt, das mit w a h r n e h m b a r e n Eigenschaften b e h a f t e t ist. Von da aus gesehen, erscheint u n s freilich alles, was schon zum versammelnden Wesen dieses Dinges gehört, als nachträglich hineingedeutete Zutat. Indessen wäre die Brücke niemals eine bloße Brücke, wäre sie nicht ein Ding. Die Brücke ist freilich ein Ding eigener Art; denn sie versammelt das Geviert in der Weise, daß sie ihm eine Stätte v e r s t a t t e t . Aber n u r solches, w a s selber ein Ort ist, k a n n eine S t ä t t e einräumen. Der Ort ist nicht schon vor der Brücke vorhanden. Zwar gibt es, bevor die Brücke steht, den Strom entlang viele Stellen, die durch etwas besetzt werden können. Eine unter ihnen ergibt sich als ein Ort und zwar durch die Brücke. So kommt denn die Brücke nicht erst an einen Ort hin zu stehen, sondern von der Brücke selbst her e n t s t e h t erst ein Ort. Sie ist ein Ding, versammelt das Geviert, v e r s a m m e l t jedoch in der Weise, daß sie dem Geviert eine S t ä t t e v e r s t a t t e t . Aus dieser S t ä t t e b e s t i m m e n sich Plätze und Wege, durch die ein R a u m eingeräumt wird. Dinge, die in solcher Art Orte sind, v e r s t a t t e n jeweils erst Räume. Was dieses Wort »Raum« nennt, sagt seine alte Bedeutung. Raum, R u m heißt freigemachter Platz f ü r Siedlung und Lager. Ein R a u m ist etwas Eingeräumtes, Freigegebenes, nämlich in eine Grenze, griechisch πέρας11. Die Grenze ist nicht das, wobei etwas aufhört, sondern, wie die Griechen es erkannten, die G r e n ze ist jenes, von woher etwas sein Wesen beginnt. D a r u m ist der Begriff: όρΐσμός, d. h. Grenze. R a u m ist w e s e n h a f t das Eingeräumte, in seine Grenze Eingelassene. Das Eingeräumte wird jeweils gestattet und so gefügt, d.h. versammelt durch einen Ort, d.h. durch ein Ding von der Art der Brücke. Demnach empfangen die Räume ihr Wesen aus Orten und nicht aus »dem« Raum. Dinge, die als Orte eine Stätte verstatten, n e n n e n wir j e t z t vorgreifend Bauten. Sie heißen so, weil sie durch das errichtende Bauen hervorgebracht sind. Welcher Art jedoch dieses Hervork
Aristoteles τόπος πέρας τοϋ περιέχοντος σώμαιος άκίνητον - ό τόπος άγγεϊον άμετακίνητον [Physik, 212 a 5 sqq]
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bringen, nämlich das Bauen, sein muß, e r f a h r e n wir erst, w e n n wir zuvor d a s Wesen j e n e r Dinge bedacht haben, die von sich her ZU ihrer Herstellung das B a u e n als Hervorbringen verlangen. Diese Dinge sind Orte, die d e m Geviert eine S t ä t t e v e r s t a t t e n , welche S t ä t t e jeweils einen R a u m e i n r ä u m t . Im Wesen dieser Dinge als Orte liegt der Bezug von Ort u n d Raum, liegt aber auch die Beziehung des Ortes z u m Menschen, der sich a n i h m a u f h ä l t . D a r u m v e r s u c h e n wir jetzt, das Wesen dieser Dinge, die wir Baut e n nennen, dadurch zu verdeutlichen, daß wir folgendes kurz bedenken. Einmal: in welcher Beziehung s t e h e n Ort u n d Raum? u n d z u m a n d e r e n : welches ist d a s V e r h ä l t n i s von Mensch u n d R a u m ? Die Brücke ist ein Ort. Als solches Ding v e r s t a t t e t sie einen Raum, in den Erde u n d Himmel, die Göttlichen u n d die Sterblichen eingelassen sind. Der von der Brücke v e r s t a t t e t e R a u m e n t h ä l t mancherlei Plätze in verschiedener N ä h e u n d F e r n e zur Brücke. Diese Plätze lassen sich n u n aber als bloße Stellen ansetzen, zwischen denen ein d u r c h m e ß b a r e r Abstand besteht; ein Abstand, griechisch ein στάδιον, ist i m m e r e i n g e r ä u m t , u n d z w a r durch bloße Stellen. Das so von den Stellen E i n g e r ä u m t e ist ein R a u m eigener Art. E r ist als Abstand, als Stadion, das, w a s u n s dasselbe Wort Stadion lateinisch sagt, ein » s p a t i u m « , ein Zwis c h e n r a u m . So können N ä h e u n d Ferne zwischen Menschen u n d Dingen zu bloßen E n t f e r n u n g e n , zu Abständen des Zwischenr a u m s werden. In einem Raum, der lediglich als s p a t i u m vorgestellt ist, erscheint j e t z t die Brücke als ein bloßes E t w a s a n einer Stelle, welche Stelle j e d e r z e i t von i r g e n d e t w a s a n d e r e m besetzt oder durch eine bloße M a r k i e r u n g ersetzt w e r d e n kann. Nicht genug, a u s d e m R a u m als Z w i s c h e n r a u m lassen sich die bloßen A u s s p a n n u n g e n nach Höhe, Breite u n d Tiefe herausheben. Dieses so Abgezogene, lateinisch a b s t r a c t u m . Stellen wir als die reine Mannigfaltigkeit der drei Dimensionen vor. W a s jedoch diese Mannigfaltigkeit e i n r ä u m t , wird a u c h nicht m e h r durch Abstände bestimmt, ist kein s p a t i u m mehr, s o n d e r n n u r noch extensio A u s d e h n u n g . Der R a u m als extensio läßt sich aber noch einmal
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abziehen, nämlich auf analytisch-algebraische Relationen. W a s diese e i n r ä u m e n , ist die Möglichkeit der rein m a t h e m a t i s c h e n K o n s t r u k t i o n von M a n n i g f a l t i g k e i t e n mit beliebig vielen Dimensionen. M a n k a n n dieses m a t h e m a t i s c h E i n g e r ä u m t e »den« R a u m n e n n e n . Aber »der« R a u m in diesem Sinne e n t h ä l t keine R ä u m e u n d Plätze. Wir finden in i h m niemals Orte, d.h. Dinge von der Art der Brücke. Wohl dagegen liegt u m g e k e h r t in den R ä u m e n , die durch Orte e i n g e r ä u m t sind, jederzeit der R a u m als Z w i s c h e n r a u m u n d in diesem wieder der R a u m als reine Ausdehnung. S p a t i u m u n d extensio geben jederzeit die Möglichkeit, die Dinge u n d das, w a s sie e i n r ä u m e n , nach Abständen, nach Strekken, nach Richtungen zu d u r c h m e s s e n u n d diese Maße zu berechnen. In keinem Falle sind jedoch die Maß-Zahlen u n d ihre Dimensionen n u r deshalb, weil sie auf alles A u s g e d e h n t e allgemein a n w e n d b a r sind, auch schon der Grund f ü r d a s Wesen der R ä u m e u n d Orte, die mit Hilfe des M a t h e m a t i s c h e n d u r c h m e ß b a r sind. Inwiefern u n t e r d e s s e n auch die moderne Physik durch die Sache selbst gezwungen wurde, das räumliche M e d i u m des kosmischen R a u m e s als Feldeinheit vorzustellen, die durch den Körper als dynamisches Z e n t r u m b e s t i m m t wird, k a n n hier nicht erörtert werden. Die Räume, die wir alltäglich durchgehen', sind von Orten eingeräumt; deren Wesen g r ü n d e t in Dingen von der Art der Bauten. Achten wir auf diese Beziehungen zwischen Ort u n d Räumen, zwischen R ä u m e n u n d Raum, d a n n gewinnen wir einen Anhalt, u m das V e r h ä l t n i s von Mensch u n d R a u m zu bedenken. Ist die Rede von Mensch u n d R a u m , d a n n hört sich dies an, als s t ü n d e der Mensch auf der einen u n d der R a u m auf der a n d e r e n Seite. Doch der R a u m ist kein Gegenüber f ü r den Menschen. E r ist weder ein ä u ß e r e r Gegenstand noch ein inneres Erlebnis. Es gibt nicht die Menschen u n d a u ß e r d e m Raum; d e n n sage ich »ein M e n s c h « u n d d e n k e ich m i t d i e s e m W o r t d e n j e n i g e n , der menschlicher Weise ist, d a s heißt wohnt, d a n n n e n n e ich mit d e m 1
3. Auflage 1967: die gewohnten »Räume«
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N a m e n »ein Mensch« bereits den A u f e n t h a l t im Geviert bei den Dingen. Auch dann, w e n n wir u n s zu Dingen verhalten, die nicht in der g r e i f b a r e n N ä h e sind, h a l t e n wir u n s bei den Dingen selbst auf. Wir stellen die f e r n e n Dinge nicht bloß - wie m a n lehrt innerlich vor, so daß als E r s a t z f ü r die f e r n e n Dinge in u n s e r e m I n n e r n u n d im Kopf n u r Vorstellungen von ihnen ablaufen. W e n n wir j e t z t - wir alle - von hier a u s a n die alte Brücke in Heidelberg denken, d a n n ist d a s H i n d e n k e n zu j e n e m Ort kein bloßes Erlebnis in den hier a n w e s e n d e n Personen, vielmehr gehört es z u m Wesen u n s e r e s D e n k e n s an die g e n a n n t e Brücke, daß dieses D e n k e n in sich die F e r n e zu diesem Ort durchsteht. Wir sind von hier a u s bei der Brücke dort u n d nicht etwa bei einem Vorstellungsinhalt in u n s e r e m Bewußtsein. Wir k ö n n e n sogar von hier a u s j e n e r Brücke u n d dem, w a s sie e i n r ä u m t , weit n ä h e r sein als j e m a n d , der sie alltäglich als gleichgültigen F l u ß ü b e r gang benützt. R ä u m e u n d mit i h n e n »der« R a u m sind in den A u f e n t h a l t der Sterblichen s t e t s schon e i n g e r ä u m t . R ä u m e öffn e n sich dadurch, daß sie in d a s Wohnen des Menschen eingelassen sind. Die Sterblichen sind, d a s sagt: wohnend d u r c h s t e h e n sie R ä u m e auf G r u n d ihres A u f e n t h a l t e s bei Dingen u n d Orten. Und n u r weil die Sterblichen i h r e m Wesen g e m ä ß R ä u m e durchstehen, können sie R ä u m e durchgehen. Doch beim Gehen geben wir j e n e s S t e h e n nicht auf. Vielmehr gehen wir s t e t s so durch R ä u m e , daß wir sie dabei schon a u s s t e h e n , i n d e m wir u n s s t ä n d i g bei n a h e n u n d fernen Orten u n d Dingen aufhalten. W e n n ich z u m Ausgang des Saales gehe, bin ich schon dort u n d k ö n n t e niem a l s hingehen, w e n n ich nicht so wäre, daß ich dort bin. Ich bin n i e m a l s n u r hier als dieser a b g e k a p s e l t e Leib, s o n d e r n ich bin dort, d.h. den R a u m schon durchstehend, u n d n u r so k a n n ich ihn durchgehen. Selbst dann, w e n n die Sterblichen »in sich gehen«, v e r l a s s e n sie die Zugehörigkeit z u m Geviert nicht. W e n n wir u n s wie m a n s a g t - auf u n s selbst besinnen, k o m m e n wir im Rückgang auf u n s von den Dingen her, ohne den A u f e n t h a l t bei den Dingen j e preiszugeben. Sogar der Bezugsverlust zu den Dingen, der in
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depressiven Z u s t ä n d e n eintritt, w ä r e gar nicht möglich, w e n n nicht auch dieser Z u s t a n d d a s bliebe, w a s er als ein menschlicher ist, nämlich ein A u f e n t h a l t bei den Dingen. N u r w e n n dieser Aufe n t h a l t d a s Menschsein schon bestimmt, k ö n n e n u n s die Dinge, bei denen wir sind, auch nicht ansprechen, u n s auch nichts m e h r angehen. Der Bezug des Menschen zu Orten u n d durch Orte zu R ä u m e n b e r u h t im Wohnen. D a s V e r h ä l t n i s von Mensch u n d R a u m ist nichts a n d e r e s als das wesentlich gedachte Wohnen. Wenn wir auf die versuchte Weise der Beziehung zwischen Ort u n d Raum, aber auch dem Verhältnis von Mensch u n d R a u m nachdenken, fällt ein Licht auf d a s Wesen der Dinge, die Orte sind u n d die wir B a u t e n nennen. Die Brücke ist ein Ding solcher Art. Der Ort läßt die Einfalt von Erde u n d Himmel, von Göttlichen u n d von Sterblichen in eine S t ä t t e ein, i n d e m er die S t ä t t e in R ä u m e einrichtet. Der Ort r ä u m t das Geviert in einem Zwiefachen Sinne ein.' Der Ort läßt das Geviert zu u n d der Ort richtet das Geviert ein. Beide, nämlich E i n r ä u m e n als Zulassen u n d E i n r ä u m e n als Einrichten, gehören z u s a m m e n . Als d a s Zwiefache E i n r ä u m e n ist der Ort eine H u t des Gevierts oder wie dasselbe Wort sagt: ein Huis, ein Haus. Dinge von der Art solcher Orte b e h a u s e n den A u f e n t h a l t der Menschen. Dinge dieser Art sind B e h a u s u n g e n , aber nicht notwendig Wohnungen im engeren Sinne. Das Hervorbringen solcher Dinge ist das Bauen. Sein Wesen b e r u h t darin, daß es der Art dieser Dinge entspricht. Sie sind Orte, die R ä u m e v e r s t a t t e n . Deshalb ist d a s Bauen, weil es Orte errichtet, ein Stiften u n d F ü g e n von R ä u m e n . Weil das B a u e n Orte hervorbringt, kommt mit der F ü g u n g ihrer R ä u m e notwendig auch der R a u m als s p a t i u m u n d als extensio in d a s d i n g h a f t e Gefüge der B a u t e n . Allein, d a s B a u e n g e s t a l t e t n i e m a l s »den« R a u m . Weder u n m i t t e l b a r noch mittelbar. Gleichwohl ist das Bauen, weil es 3. Auflage 1967: Ein-räumen ™ : Zulassen Einrichten
Aus-statten! (die Stätte)
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Dinge als Orte hervorbringt, dem Wesen der Räume und der Wes e n s h e r k u n f t »des« R a u m e s n ä h e r als alle Geometrie u n d Mathematik. Das Bauen errichtet Orte, die dem Geviert eine S t ä t t e einräumen. Aus der Einfalt, in der Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen zueinander gehören, empfängt das B a u e n die Weisung f ü r sein Errichten von Orten. Aus dem Geviert übernimmt das B a u e n die Maße f ü r alles Durchmessen und jedes Ausmessen der Räume, die jeweils durch die gestifteten Orte einger ä u m t sind. Die Bauten verwahren das Geviert. Sie sind Dinge, die auf ihre Weise das Geviert schonen. Das Geviert zu schonen, die Erde zu retten, den Himmel zu empfangen, die Göttlichen zu erwarten, die Sterblichen zu geleiten, dieses vierfältige Schonen ist das einfache Wesen des Wohnens. So prägen denn die echten Bauten das Wohnen in sein Wesen und b e h a u s e n dieses Wesen. Das gekennzeichnete Bauen ist ein ausgezeichnetes W o h n e n lassen. Ist es dieses in der Tat, d a n n hat das Bauen schon dem Zuspruch des Gevierts entsprochen. Auf dieses Entsprechen bleibt alles Planen gegründet, das seinerseits den E n t w ü r f e n f ü r die Risse die g e m ä ß e n Bezirke öffnet. Sobald wir versuchen, das Wesen des errichtenden Bauens aus dem Wohnenlassen zu denken, erfahren wir deutlicher, worin jenes Hervorbringen beruht, als welches das Bauen sich vollzieht. Gewöhnlich nehmen wir das Hervorbringen als eine Tätigkeit, deren Leistungen ein Ergebnis, den fertigen Bau, zur Folge haben. Man k a n n das Hervorbringen so vorstellen: Man faßt etwas Richtiges und trifft doch nie sein Wesen, das ein Herbringen ist, das vorbringt. Das Bauen bringt nämlich das Geviert her in ein Ding, die Brücke, und bringt das Ding als einen Ort v o r in das schon Anwesende, das j e t z t erst durch diesen Ort eingeräumt ist. k Hervorbringen heißt griechisch χίκτω. Zur Wurzel tec dieses Zeitwortes gehört das Wort τέχνη, Technik. Dies bedeutet f ü r die Griechen weder Kunst noch Handwerk, sondern: etwas als dieses oder j e n e s so oder anders in das Anwesende erscheinen lassen. ^ 3.
Auflage
1967:
her-vor-bringen
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Die Griechen denken die τέχνη, das Hervorbringen, vom Erschein e n l a s s e n her. Die so zu denkende τέχνη verbirgt sich von altersher im Tektonischen der Architektur. Sie verbirgt sich neuerdings noch u n d entschiedener im Technischen der K r a f t m a s c h i n e n technik. Aber d a s Wesen des b a u e n d e n H e r v o r b r i n g e n s läßt sich weder a u s der B a u k u n s t noch a u s dem Ingenieurbau, noch a u s einer bloßen Verkoppelung beider zureichend denken. Das bauende Hervorbringen wäre auch dann nicht a n g e m e s s e n b e s t i m m t , wollten wir es im Sinne der ursprünglich griechischen τέχνη nur als E r s c h e i n e n l a s s e n denken, das ein Hervorgebrachtes als ein Anwesendes in dem schon Anwesenden anbringt. Das Wesen des B a u e n s ist d a s W o h n e n l a s s e n . Der Wesensvollzug des B a u e n s ist das E r r i c h t e n von Orten durch das Fügen ihrer B ä u m e . Nur wenn wir das Wohnen vermögen, können wir bauen. Denken wir f ü r eine Weile an einen Schwarzwaldhof, den vor zwei J a h r h u n d e r t e n noch bäuerliches Wohnen baute. Hier h a t die I n s t ä n d i g k e i t des Vermögens, E r d e u n d Himmel, die Göttlichen u n d die Sterblichen einfältig in die Dinge einzulassen, d a s H a u s gerichtet. Es h a t den Hof a n die windgeschützte Berglehne gegen M i t t a g zwischen die M a t t e n in die N ä h e der Quelle gestellt. Es h a t i h m das weit a u s l a d e n d e Schindeldach gegeben, d a s in geeigneter Schräge die Schneelasten t r ä g t u n d tief h e r a b r e i chend die S t u b e n gegen die S t ü r m e der langen W i n t e r n ä c h t e schützt. Es h a t den Herrgottswinkel h i n t e r dem g e m e i n s a m e n Tisch nicht vergessen, es h a t die geheiligten Plätze f ü r Kindbett u n d Totenbaum, so heißt dort der Sarg, in die S t u b e n e i n g e r ä u m t u n d so den verschiedenen L e b e n s a l t e r n u n t e r einem Dach das Gepräge ihres Ganges durch die Zeit vorgezeichnet. Ein Handwerk, das selber dem Wohnen e n t s p r u n g e n , seine G e r ä t e u n d G e r ü s t e noch als Dinge braucht, h a t den Hof gebaut. N u r w e n n wir das Wohnen vermögen, können wir bauen. Der Hinweis auf den Schwarzwaldhof m e i n t keineswegs, wir sollten u n d könnten z u m B a u e n dieser Höfe zurückkehren, sondern er veranschaulicht an einem gewesenen Wohnen, wie es zu b a u e n vermochte.
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D a s W o h n e n aber ist der Grundzug des Seins, d e m g e m ä ß die Sterblichen sind. Vielleicht k o m m t durch diesen Versuch, d e m Wohnen u n d Bauen nachzudenken, u m einiges deutlicher a n s Licht, d a ß d a s B a u e n in das Wohnen gehört u n d wie es von i h m sein Wesen empfängt. Genug wäre gewonnen, w e n n Wohnen u n d B a u e n in d a s Fragwürdige gelangten u n d so e t w a s Denkwürdiges blieben. D a ß jedoch d a s D e n k e n selbst in demselben Sinn wie d a s Bauen, n u r auf eine a n d e r e Weise, in das Wohnen gehört, mag der hier versuchte Denkweg bezeugen. B a u e n u n d D e n k e n sind jeweils nach ihrer Art f ü r das Wohnen unumgänglich. Beide sind aber auch unzulänglich f ü r das Wohnen, solange sie abgesondert das Ihre betreiben, s t a t t a u f e i n a n d e r zu hören. Dies vermögen sie, w e n n beide, B a u e n u n d Denken, dem Wohnen gehören, in ihren Grenzen bleiben u n d wissen, daß eines wie d a s a n d e r e a u s der W e r k s t a t t einer langen E r f a h r u n g u n d u n a b l ä s s i g e n Ü b u n g kommt. Wir versuchen, dem Wesen des Wohnens nachzudenken. Der n ä c h s t e Schritt auf diesem Wege w ä r e die Frage: wie s t e h t es mit dem Wohnen in u n s e r e r bedenklichen Zeit? M a n spricht allenthalben u n d mit G r u n d von der Wohnungsnot. M a n redet nicht nur, m a n legt H a n d an. M a n versucht, die Not durch Beschaffung von Wohnungen, durch die F ö r d e r u n g des Wohnungsbaues, durch P l a n u n g des ganzen B a u w e s e n s zu beheben. So h a r t u n d bitter, so h e m m e n d u n d bedrohlich der Mangel an W o h n u n g e n bleibt, die eigentliche Not des Wohnens b e s t e h t nicht erst im Fehlen von Wohnungen. Die eigentliche Wohnungsnot ist auch älter als die Weltkriege u n d die Zerstörungen, ä l t e r auch d e n n das Ansteigen der Bevölkerungszahl auf der Erde u n d die Lage des Industrie-Arbeiters. Die eigentliche Not des W o h n e n s b e r u h t darin, daß die Sterblichen d a s Wesen des W o h n e n s i m m e r erst wieder suchen, d a ß sie das Wohnen erst lernen müssen. Wie, w e n n die Heimatlosigkeit des M e n s c h e n d a r i n bestünde, d a ß der Mensch die eigentliche Wohnungsnot noch gar nicht als die Not b e d e n k t ? Sobald der Mensch jedoch die Heimatlosigkeit bedenkt, ist sie be-
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reits kein Elend mehr. Sie ist, recht bedacht u n d gut behalten, der einzige Zuspruch, der die Sterblichen in das Wohnen ruft. Wie anders aber können die Sterblichen diesem Zuspruch entsprechen als dadurch, daß sie an ihrem Teil versuchen, von sich her das Wohnen in das Volle seines Wesens zu bringen? Sie vollbringen dies, w e n n sie aus dem Wohnen bauen und für das Wohnen denken.
DAS DING
167 Alle E n t f e r n u n g e n in der Zeit u n d im R a u m s c h r u m p f e n ein. Wohin der Mensch vormals wochen- u n d monatelang u n t e r w e g s war, d a h i n gelangt er j e t z t durch die F l u g m a s c h i n e über Nacht. Wovon der Mensch f r ü h e r erst nach J a h r e n oder ü b e r h a u p t nie eine K e n n t n i s bekam, das e r f ä h r t er h e u t e durch d e n R u n d f u n k stündlich im Nu. D a s Keimen u n d Gedeihen der Gewächse, d a s die J a h r e s z e i t e n h i n d u r c h verborgen blieb, f ü h r t der Film j e t z t öffentlich in einer M i n u t e vor. E n t f e r n t e S t ä t t e n ältester Kulturen zeigt der Film, als s t ü n d e n sie eben j e t z t im h e u t i g e n S t r a ß e n verkehr. Der Film bezeugt überdies sein Gezeigtes noch dadurch, d a ß er zugleich den a u f n e h m e n d e n A p p a r a t u n d den ihn bedien e n d e n Menschen bei solcher Arbeit vorführt. D e n Gipfel der Beseitigung j e d e r Möglichkeit der F e r n e erreicht die F e r n s e h a p p a r a t u r , die bald d a s ganze G e s t ä n g e u n d Geschiebe des V e r k e h r s durchjagen u n d beherrschen wird.
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Der Mensch legt die längsten Strecken in der k ü r z e s t e n Zeit zurück. E r bringt die größten E n t f e r n u n g e n hinter sich u n d bringt so alles auf die kleinste E n t f e r n u n g vor sich. Allein, d a s hastige Beseitigen aller E n t f e r n u n g e n bringt keine N ä h e ; denn N ä h e besteht nicht im geringen M a ß der E n t f e r n u n g . Was s t r e c k e n m ä ß i g in der geringsten E n t f e r n u n g zu u n s steht, durch das Bild im Film, durch den Ton im F u n k , k a n n u n s fern bleiben. W a s s t r e c k e n m ä ß i g u n ü b e r s e h b a r weit e n t f e r n t ist, k a n n u n s n a h e sein. Kleine E n t f e r n u n g ist nicht schon Nähe. Große E n t f e r n u n g ist noch nicht Ferne. Was ist die Nähe, w e n n sie, trotz der V e r r i n g e r u n g der längsten S t r e c k e n auf die k ü r z e s t e n Abstände, ausbleibt? W a s ist die N ä h e , w e n n sie durch d a s rastlose Beseitigen der E n t f e r n u n g e n sogar a b g e w e h r t wird? W a s ist die N ä h e , w e n n mit i h r e m Ausbleiben auch die F e r n e wegbleibt? Was geht da vor sich, w e n n durch das Beseitigen der großen E n t f e r n u n g e n alles gleich f e r n u n d gleich n a h e s t e h t ? W a s ist dieses Gleichförmige, worin alles weder fern noch nahe, gleichsam ohne A b s t a n d ist? Alles wird in das gleichförmig Abstandlose z u s a m m e n g e -
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Das Ding
schwemmt. Wie? Ist das Z u s a m m e n r ü c k e n in das Abstandlose nicht noch unheimlicher als ein Auseinanderplatzen von allem? Der Mensch s t a r r t auf das, w a s mit der Explosion der Atombombe kommen könnte. Der Mensch sieht nicht, was lang schon angekommen ist und zwar geschehen ist als das, was n u r noch als seinen letzten Auswurf die Atombombe und deren Explosion aus sich hinauswirft, u m von der einen Wasserstoffbombe zu schweigen, deren Initialzündung, in der weitesten Möglichkeit gedacht, genügen könnte, u m alles Leben auf der Erde auszulöschen. Worauf w a r t e t diese ratlose Angst noch, w e n n das Entsetzliche schon geschehen ist? Das Entsetzende ist jenes, das alles, was ist, a u s seinem vormaligen Wesen heraussetzt. Was ist dieses Entsetzende? Es zeigt und verbirgt sich in der Weise, wie alles anwest, daß nämlich trotz allem Uberwinden der E n t f e r n u n g e n die Nähe dessen, was ist, ausbleibt. Wie s t e h t es mit der Nähe? Wie können wir ihr Wesen erfahren? Nähe läßt sich, so scheint es, nicht unmittelbar vorfinden. Dies gelingt eher so, daß wir dem nachgehen, was in der Nähe ist. In der Nähe ist uns solches, was wir Dinge zu nennen pflegen. Doch was ist ein Ding? Der Mensch hat bisher das Ding als Ding so wenig bedacht wie die Nähe. Ein Ding ist der Krug. Was ist der Krug? Wir sagen: ein Gefäß; solches, was anderes in sich faßt. Das Fassende a m Krug sind Boden und Wand. Dieses Fassende ist selbst wieder f a ß b a r a m Henkel. Als Gefäß ist der Krug etwas, das in sich steht. Das Insichstehen kennzeichnet den Krug als etwas Selbständiges. Als der Selbststand eines Selbständigen unterscheidet sich der Krug von einem Gegenstand. Ein Selbständiges k a n n Gegenstand werden, w e n n wir es vor uns stellen, sei es im u n m i t t e l b a r e n W a h r n e h m e n , sei es in der erinnernden Vergegenwärtigung. Das Dinghafte des Dinges beruht jedoch weder darin, daß es vorgestellter Gegenstand ist, noch läßt es sich überh a u p t von der Gegenständlichkeit des Gegenstandes aus bestimmen. Der Krug bleibt Gefäß, ob wir ihn vorstellen oder nicht. Als
Das Ding
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Gefäß s t e h t der Krug in sich. Doch was heißt es, das Fassende stehe in sich? Bestimmt das Insichstehen des Gefäßes den Krug schon als ein Ding? Der Krug steht als Gefäß doch nur, insofern er zu einem Stehen gebracht wurde. Dies geschah indessen, und es geschieht durch ein Stellen, nämlich durch das Herstellen. Der Töpfer verfertigt den irdenen Krug aus der eigens dafür ausgewählten und zubereiteten Erde. Aus ihr besteht der Krug. Durch das, woraus er besteht, k a n n er auch auf der Erde stehen, sei es unmittelbar, sei es mittelbar durch Tisch und Bank. Was durch solches Herstellen besteht, ist das Insichstehende. N e h m e n wir den Krug als hergestelltes Gefäß, d a n n fassen wir ihn doch, so scheint es, als ein Ding und keinesfalls als bloßen Gegenstand. Oder nehmen wir auch jetzt den Krug immer noch als einen Gegenstand? Allerdings. Zwar gilt er nicht mehr nur als Gegens t a n d des bloßen Vorstellens, d a f ü r ist er aber Gegenstand, den ein Herstellen zu uns her, uns gegenüber und entgegen stellt. Das Insichstehen scheint den Krug als Ding zu kennzeichnen. In Wahrheit denken wir jedoch das Insichstehen vom Herstellen aus. Das Insichstehen ist das, worauf das Herstellen es absieht. Aber das Insichstehen wird auch so immer noch von der Gegenständlichkeit her gedacht, wenngleich das Gegenstehen des Hergestellten nicht mehr im bloßen Vorstellen gründet. Doch von der Gegenständlichkeit des Gegenstandes und des Selbststandes f ü h r t kein Weg zum Dinghaften des Dinges. Was ist das Dingliche a m Ding? Was ist das Ding an sich? Wir gelangen erst dann zum Ding an sich, wenn unser Denken zuvor erst einmal das Ding als Ding erlangt hat. Der Krug ist ein Ding als Gefäß. Zwar bedarf dieses Fassende einer Herstellung. Aber die Hergestelltheit durch den Töpfer macht keineswegs dasjenige aus, was dem Krug eignet, insofern er als Krug ist. Der Krug ist nicht Gefäß, weil er hergestellt wurde, sondern der Krug mußte hergestellt werden, weil er dieses Gefäß ist. Die Herstellung läßt freilich den Krug in sein Eigenes einge-
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hen. Allein, dieses Eigene des Krugwesens wird niemals durch die H e r s t e l l u n g verfertigt. Losgelöst a u s der Verfertigung, h a t der f ü r sich s t e h e n d e Krug sich d a r e i n v e r s a m m e l t zu fassen. Beim Vorgang des Herstellens m u ß der Krug allerdings zuvor sein Auss e h e n f ü r den Hersteller zeigen. Aber dieses Sichzeigende, d a s A u s s e h e n (das ειδος, die ίδέα), kennzeichnet den Krug lediglich n a c h der Hinsicht, in der d a s Gefäß als H e r z u s t e l l e n d e s d e m Hersteller e n t g e g e n s t e h t . W a s jedoch d a s so a u s s e h e n d e Gefäß als dieser Krug, w a s u n d wie der Krug als dieses Krug-Ding ist, läßt sich durch die Hinsicht auf das Aussehen, die Ιδέα, niemals erfahren, geschweige d e n n s a c h g e m ä ß denken. D a r u m h a t Piaton, der die Anwesenheit des A n w e s e n d e n vom A u s s e h e n her vorstellt, d a s Wesen des Dinges so wenig gedacht wie Aristoteles u n d alle nach ko m m enden Denker Piaton h a t vielmehr, u n d zwar maßgebend f ü r die Folgezeit, alles Anwesende als G e g e n s t a n d des H e r s t e l l e n s e r f a h r e n . Wir sagen s t a t t Gegenstand genauer: H e r s t a n d . Im vollen Wesen des H e r - S t a n d e s w a l t e t ein zwiefaches Her-Stehen; einmal d a s H e r - S t e h e n im Sinne des H e r s t a m m e n s a u s . . . , sei dies ein Sichhervorbringen oder ein Hergestelltwerden; z u m a n d e r e n das H e r - S t e h e n im Sinne des H e r e i n s t e h e n s des Hervorgebrachten in die Unverborgenheit des schon Anwesenden. Alles Vorstellen des A n w e s e n d e n im Sinne des H e r s t ä n d i g e n u n d des Gegenständigen gelangt jedoch nie z u m Ding als Ding. Das D i n g h a f t e des K r u g e s b e r u h t darin, d a ß er als Gefäß ist. Wir g e w a h r e n das F a s s e n d e des Gefäßes, w e n n wir den Krug füllen. Boden u n d W a n d u n g des Kruges ü b e r n e h m e n offenbar das Fassen. Doch gemach! Gießen wir, w e n n wir den Krug mit Wein füllen, den Wein in die W a n d u n g u n d in den Boden? Wir gießen den Wein höchstens zwischen die W a n d u n g auf den Boden. W a n d u n g u n d Boden sind wohl das Undurchlässige a m Gefäß. Allein, d a s Undurchlässige ist noch nicht d a s Fassende. W e n n wir den Krug vollgießen, fließt der Guß beim Füllen in den leeren Krug. Die Leere ist d a s F a s s e n d e des Gefäßes. Die Leere, dieses Nichts a m Krug, ist das, w a s der K r u g als d a s f a s s e n d e Gefäß ist.
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Allein, der Krug besteht doch a u s W a n d u n d Boden. Durch das, w o r a u s der Krug besteht, s t e h t er. Was wäre ein Krug, der nicht s t ü n d e ? Zum m i n d e s t e n ein m i ß r a t e n e r Krug; also i m m e r noch Krug, nämlich ein solcher, der zwar faßte, jedoch als ständig umfallender das Gefaßte a u s l a u f e n ließe. Doch a u s l a u f e n k a n n n u r ein Gefäß. W a n d u n d Boden, w o r a u s der Krug besteht u n d wodurch er steht, sind nicht d a s eigentlich F a s s e n d e . W e n n dies aber in der Leere des Kruges beruht, d a n n verfertigt der Töpfer, der auf der Drehscheibe W a n d u n d Boden bildet, nicht eigentlich den Krug. E r gestaltet n u r den Ton. Nein - er g e s t a l t e t die Leere. F ü r sie, in sie u n d a u s ihr bildet er den Ton ins Gebild. Der Töpfer f a ß t zue r s t u n d s t e t s d a s U n f a ß l i c h e der Leere u n d stellt sie als d a s F a s sende in die Gestalt des Gefäßes her. Die Leere des Kruges bes t i m m t j e d e n Griff des Herstellens. D a s D i n g h a f t e des Gefäßes b e r u h t keineswegs im Stoff, d a r a u s es besteht, s o n d e r n in der Leere, die faßt. Allein, ist der Krug wirklich leer? Die physikalische Wissenschaft versichert uns, der Krug sei mit L u f t a n g e f ü l l t u n d mit alldem, w a s d a s Gemisch der L u f t a u s m a c h t . Wir ließen u n s durch eine halbpoetische Betrachtungsweise täuschen, als wir u n s auf die Leere des Kruges beriefen, u m d a s F a s s e n d e a n i h m zu b e s t i m m e n . Sobald wir u n s jedoch herbeilassen, den wirklichen Krug wissenschaftlich auf seine Wirklichkeit hin zu u n t e r s u c h e n , zeigt sich ein a n d e r e r Sachverhalt. Wenn wir den Wein in den Krug gießen, wird lediglich die Luft, die den Krug schon füllt, verd r ä n g t u n d durch eine Flüssigkeit ersetzt. Den Krug füllen, heißt, wissenschaftlich gesehen, eine Füllung gegen eine a n d e r e auswechseln. Diese A n g a b e n der Physik sind richtig. Die W i s s e n s c h a f t stellt durch sie etwas Wirkliches vor, wonach sie sich objektiv richtet. Aber ist dieses Wirkliche der Krug? Nein. Die W i s s e n s c h a f t t r i f f t i m m e r n u r auf das, w a s ihre Art des Vorstellens im Vorhinein als den f ü r sie möglichen G e g e n s t a n d zugelassen h a t .
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M a n sagt, das Wissen der Wissenschaft sei zwingend. Gewiß. Doch worin besteht ihr Zwingendes? F ü r unseren Fall in dem Zwang, den mit Wein gefüllten Krug preiszugeben und an seine Stelle einen H o h l r a u m zu setzen, in dem sich Flüssigkeit ausbreitet. Die Wissenschaft macht das Krug-Ding zu etwas Nichtigem, insofern sie Dinge als das maßgebende Wirkliche nicht zuläßt. Das in seinem Bezirk, dem der Gegenstände, zwingende Wissen der Wissenschaft h a t die Dinge als Dinge schon vernichtet, längst bevor die Atombombe explodierte. Deren Explosion ist n u r die gröbste aller groben Bestätigungen der langher schon geschehenen Vernichtung des Dinges: dessen, daß das Ding als Ding nichtig bleibt. Die Dingheit des Dinges bleibt verborgen, vergessen. Das Wesen des Dinges kommt nie zum Vorschein, d.h. zur Sprache. Dies meint die Rede von der Vernichtung des Dinges als Ding. Die Vernichtung ist deshalb so unheimlich, weil sie eine Zwiefache Verblendung vor sich her trägt: einmal die Meinung, daß die Wissenschaft allem übrigen E r f a h r e n voraus das Wirkliche in seiner Wirklichkeit treffe, zum andern den Anschein, als ob, unbeschadet der wissenschaftlichen Erforschung des Wirklichen, die Dinge gleichwohl Dinge sein könnten, was voraussetzte, daß sie ü b e r h a u p t je schon wesende Dinge waren. H ä t t e n aber die Dinge sich je schon als Dinge in ihrer Dingheit gezeigt, dann wäre die Dingheit des Dinges offenbar geworden. h ä t t e das Denken in Anspruch genommen. In Wahrheit bleibt jedoch das Ding als Ding verwehrt, nichtig und in solchem Sinne vernichtet. Dies geschah und geschieht so wesentlich, daß die Dinge nicht n u r nicht mehr als Dinge zugelassen sind, sondern daß die Dinge ü b e r h a u p t noch nie als Dinge dem Denken zu erscheinen vermochten. Worauf b e r u h t das Nichterscheinen des Dinges als Ding? H a t lediglich der Mensch es versäumt, das Ding als Ding vorzustellen? Der Mensch k a n n nur das versäumen, was ihm bereits zugewiesen ist. Vorstellen k a n n der Mensch, gleichviel in welcher Weise, nur solches, was erst zuvor von sich her sich gelichtet und in seinem dabei mitgebrachten Licht sich ihm gezeigt hat.
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Was ist n u n aber das Ding als Ding, daß sein Wesen noch nie zu erscheinen vermochte? Kam das Ding noch nie genug in die Nähe, so daß der Mensch noch nicht hinreichend auf das Ding als Ding achten lernte? Was ist Nähe? Dies frugen wir schon. Wir befrugen, u m es zu erfahren, den Krug in der Nähe. Worin b e r u h t das Krughafte des Kruges? Wir haben es plötzlich aus dem Blick verloren und zwar in dem Augen blick, da sich der Anschein vordrängte, die Wissenschaft könne u n s über die Wirklichkeit des wirklichen Kruges einen Aufschluß geben. Wir stellten das Wirkende des Gefäßes, sein Fassendes, die Leere, als einen mit Luft gefüllten Hohlraum vor. Das ist die Leere wirklich, physikalisch gedacht: aber es ist nicht die Leere des Kruges. Wir ließen die Leere des Kruges nicht seine Leere sein. Wir acht e t e n dessen nicht, w a s a m Gefäß das Fassende ist. Wir bedachten nicht, wie das Fassen selber west. D a r u m mußte u n s auch das entgehen, was der Krug faßt. Der Wein wurde f ü r das wissenschaftliche Vorstellen zur bloßen Flüssigkeit, diese zu einem allgemeinen, überall möglichen Aggregatzustand der Stoffe. Wir unterließen es, dem nachzudenken, was der Krug faßt und wie er faßt. Wie f a ß t die Leere des Kruges? Sie faßt, indem sie, was eingegossen wird, nimmt. Sie faßt, indem sie das Aufgenommene behält. Die Leere f a ß t in zwiefacher Weise: nehmend und behaltend. Das Wort »fassen« ist d a r u m zweideutig. Das N e h m e n von Einguß und das Einbehalten des Gusses gehören jedoch zusammen. Ihre Einheit aber wird vom Ausgießen her bestimmt, worauf der Krug als Krug abgestimmt ist. Das Zwiefache Fassen der Leere b e r u h t im Ausgießen. Als dieses ist das F a s s e n eigentlich, wie es ist. Ausgießen aus dem Krug ist sehen ken. Im Schenken des Gusses west das Fassen des Gefäßes. Das Fassen bedarf der Leere als des Fassenden. Das Wesen der fassenden Leere ist in das Schenken v e r s a m m e l t Schenken aber ist reicher als das bloße Ausschenken. Das Sehe nken, worin der Krug Krug ist, ve rsammelt sich in das Zwiefache Fassen und zwar in das Ausgießen. Wir nennen die Versammlung der Berge das Gebirge. Wir nennen die
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Versammlung des Zwiefachen Fassens in das Ausgießen, die als Z u s a m m e n erst das volle Wesen des Schenkens ausmacht: das Geschenk. Das K r u g h a f t e des Kruges west im Geschenk des Gusses. Auch der leere Krug behält sein Wesen aus d e m Geschenk, wenngleich der leere Krug ein Ausschenken nicht zuläßt. Aber dieses Nichtzulassen eignet d e m Krug u n d nur d e m Krug. Eine Sense dagegen oder ein H a m m e r sind u n v e r m ö g e n d zu einem Nichtzulassen dieses Schenkens.
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Das Geschenk des Gusses k a n n ein Trunk sein. Er gibt Wasser, er gibt Wein zu trinken. Im Wasser des Geschenkes weilt die Quelle. In der Quelle weilt das Gestein, in i h m der dunkle Schlummer der Erde, die Regen u n d Tau des Himmels empfängt. Im Wasser der Quelle weilt die Hochzeit von Himmel u n d Erde. Sie weilt im Wein, den die Frucht des Rebstocks gibt, in der das Nährende der Erde u n d die Sonne des Himmels einander zugetraut sind. Im Geschenk von Wasser, im Geschenk von Wein weilen jeweils Himmel u n d Erde. Das Geschenk des Gusses aber ist das Krughafte des Kruges. Im Wesen des Kruges weilen Erde u n d Himmel. Das Geschenk des Gusses ist der Trunk für die Sterblichen. Er labt ihren Durst. Er erquickt ihre Muße. Er erheitert ihre Geselligkeit. Aber das Geschenk des Kruges wird bisweilen auch zur Weihe geschenkt. Ist der Guß zur Weihe, d a n n stillt er nicht einen Durst. Er stillt die Feier des Festes ins Hohe. Jetzt wird das Geschenk des Gusses weder in einer Schenke geschenkt, noch ist das Geschenk ein Trunk für die Sterblichen. Der Guß ist der den unsterblichen Göttern gespendete Trank. Das Geschenk des Gusses als Trank ist das eigentliche Geschenk. Im Schenken des geweihten Trankes west der gießende Krug als das schenkende Geschenk. Der geweihte Trank ist das, w a s das Wort »Guß« eigentlich nennt: Spende u n d Opfer. »Guß«, »gießen« lautet griechisch: χεειν, indogermanisch: ghu. Das bedeutet: opfern. Gießen ist, w o es wesentlich vollbracht, zureichend gedacht u n d echt gesagt wird: spenden, opfern u n d deshalb schenken. D a r u m allein k a n n das Gießen, sobald sein Wesen verkümmert, z u m bloßen E i n -
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und Ausschenken werden, bis es schließlich im gewöhnlichen Ausschank verwest. Gießen ist nicht das bloße Ein- und Ausschütten. Im Geschenk des Gusses, der ein Trunk ist, weilen nach ihrer Weise die Sterblichen. Im Geschenk des Gusses, der ein Trank ist, weilen nach ihrer Weise die Göttlichen, die das Geschenk des Schenkens als das Geschenk der Spende zurückempfangen. Im Geschenk des Gusses weilen je verschieden die Sterblichen und die Göttlichen. Im Geschenk des Gusses weilen Erde und Himmel. Im Geschenk des Gusses weilen zumal Erde und Himmel, die Göttlichen u n d die Sterblichen. Diese Vier gehören, von sich her einig, zusammen. Sie sind, allem Anwesenden zuvorkommend, in ein einziges Geviert eingefaltet. Im Geschenk des Gusses weilt die Einfalt der Vier. Das Geschenk des Gusses ist Geschenk, insofern es Erde und Himmel, die Göttlichen und die Sterblichen verweilt". Doch Verweilen ist jetzt nicht mehr das bloße Beharren eines Vorhandenen. Verweilen ereignet. Es bringt die Vier in das Lichte ihres Eigenen. Aus dessen Einfalt sind sie einander zugetraut. In diesem Zueinander einig, sind sie unverborgen. Das Geschenk des Gusses verweilt die Einfalt des Gevierts der Vier. Im Geschenk aber west der Krug als Krug. Das Geschenk versammelt, was z u m Schenken gehört: das Zwiefache Fassen, das Fassende, die Leere und das Ausgießen als Spenden. Das im Geschenk Versammelte sammelt sich selbst darin, das Geviert ereignend zu verweilen. Dieses vielfältig einfache Versammeln ist das Wesende des Kruges. Unsere Sprache nennt, was Versammlung ist, in einem alten Wort. Dies lautet: thing. Das Wesen des Kruges ist die reine schenkende Versammlung des einfältigen Gevierts in eine Weile. Der Krug west als Ding. Der Krug ist der Krug als ein Ding. Wie aber west das Ding? Das Ding dingt. Das Dingen versammelt. Es sammelt, das Geviert ereignend, dessen Weile in ein je Weiliges: in dieses, in jenes Ding. " in das Verweilen bringen
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Wir geben dem so e r f a h r e n e n u n d gedachten Wesen des Kruges den N a m e n Ding. Wir d e n k e n j e t z t diesen N a m e n a u s d e m g e d a c h t e n Wesen des Dinges, a u s dem Dingen als dem v e r s a m melnd-ereignenden Verweilen des Gevierts. Wir e r i n n e r n jedoch dabei zugleich an das althochdeutsche Wort thing. Dieser sprachgeschichtliche Hinweis v e r f ü h r t leicht dazu, die Art, wie wir j e t z t das Wesen des Dinges denken, mißzuverstehen. Es könnte so aussehen, als w e r d e d a s j e t z t gedachte Wesen des Dinges a u s der zufällig aufgegriffenen W o r t b e d e u t u n g des althochdeutschen K a m e n s t h i n g gleichsam h e r a u s g e d r ö s e l t . Der Verdacht regt sich, die j e t z t v e r s u c h t e E r f a h r u n g des Wesens des Dinges sei auf die Willkür einer etymologischen Spielerei gegründet. Die Mein u n g verfestigt sich u n d wird schon landläufig, hier werde, s t a t t die W e s e n s v e r h a l t e zu bedenken, lediglich das Wörterbuch benützt. Doch das Gegenteil solcher B e f ü r c h t u n g e n ist der Fall. Wohl b e d e u t e t d a s althochdeutsche Wort t h i n g die V e r s a m m l u n g u n d zwar die V e r s a m m l u n g zur V e r h a n d l u n g einer in Rede s t e h e n d e n Angelegenheit, eines Streitfalles. Demzufolge w e r d e n die alten deutschen Wörter thing u n d d i n c zu den N a m e n f ü r Angelegenheit; sie n e n n e n jegliches, w a s den Menschen in irgendeiner Weise anliegt, sie angeht, w a s d e m g e m ä ß in Rede s t e h t . Das in Rede Stehende n e n n e n die Römer res; εϊ(Χΰ (ρητός, ρήτρα, ρήμα) heißt griechisch: über etwas reden, d a r ü b e r verhandeln; res publica heißt nicht: der S t a a t , s o n d e r n das, w a s j e d e n im Volke offenkundig angeht, ihn »hat« u n d d a r u m öffentlich v e r h a n d e l t wird. N u r deshalb, weil res das Angehende bedeutet, k a n n es zu den W o r t v e r b i n d u n g e n res adversae, res secundae kommen; j e n e s ist das, w a s den Menschen in widriger Weise angeht; dieses, w a s den Menschen günstig geleitet. Die Wörterbücher ü b e r s e t z e n res adversae zwar richtig mit Unglück, res secundae mit Glück; von dem jedoch, w a s die Wörter, als gedachte gesprochen, sagen, berichten die Wörterbücher wenig. In W a h r h e i t s t e h t es d a r u m hier u n d in den übrigen Fällen nicht so, daß u n s e r Denken von der Etymologie lebt, sondern daß die Etymologie darauf verwiesen
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bleibt, zuvor die W e s e n s v e r h a l t e dessen zu bedenken, w a s die Wörter als Worte u n e n t f a l t e t n e n n e n . Das römische Wort res n e n n t das, w a s den Menschen angeht, die Angelegenheit, den Streitfall, den Fall. D a f ü r g e b r a u c h e n die Römer a u c h das Wort causa. Das heißt eigentlich u n d z u e r s t keineswegs »Ursache«; c a u s a m e i n t den Fall u n d d e s h a l b a u c h solches, w a s der Fall ist, d a ß sich e t w a s begibt u n d fällig wird. N u r weil causa, f a s t gleichbedeutend mit res, den Fall bedeutet, k a n n in der Folge d a s Wort causa zur B e d e u t u n g von Ursache gelangen, im Sinne der K a u s a l i t ä t einer Wirkung. Das a l t d e u t s c h e Wort thing u n d d m c ist mit seiner B e d e u t u n g von V e r s a m m l u n g , nämlich zur V e r h a n d l u n g einer Angelegenheit, wie kein a n d e r e s dazu geeignet, d a s römische Wort res, d a s Angehende, s a c h g e m ä ß zu übersetzen. Aus demjenigen Wort der römischen Sprache aber, d a s i n n e r h a l b ihrer d e m Wort res entspricht, a u s dem Wort causa in der B e d e u t u n g von Fall u n d Angelegenheit, wird das romanische la cosa u n d d a s französische la chose; wir sagen: das Ding. Im Englischen h a t thing noch die erfüllte N e n n k r a f t des römischen Wortes res b e w a h r t : he knows his things, er v e r s t e h t sich auf seine »Sachen«, auf das, w a s ihn angeht; he knows how to handle things, er weiß, wie m a n mit Sachen u m g e h e n muß, d.h. mit dem, w o r u m es sich von Fall zu Fall handelt; t h a t ' s a g r e a t thing: das ist eine große (feine, gewaltige, herrliche) Sache, d.h. ein a u s sich Kommendes, den Menschen Angehendes. Allein, das Entscheidende ist n u n keineswegs die hier k u r z erw ä h n t e Bedeutungsgeschichte der Wörter res, Ding, causa, cosa u n d chose, thing, sondern e t w a s ganz a n d e r e s u n d bisher ü b e r h a u p t noch nicht Bedachtes. Das r ö m i s c h e Wort res n e n n t das, w a s den Menschen in irgend einer Weise angeht. Das Angehende ist das Reale der res. Die r e a l i t a s der res wird römisch e r f a h r e n als der Angang. Aber: die Römer h a b e n ihr so E r f a h r e n e s niemals eigens in s e i n e m Wesen gedacht. Vielmehr wird die römische r e a l i t a s der res a u s der Ü b e r n a h m e der spätgriechischen Philosophie im Sinne des griechischen öv vorgestellt; öv, lateinisch ens, b e d e u t e t das Anwesende im Sinne des H e r s t a n d e s . Die res wird
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z u m ens, z u m A n w e s e n d e n im Sinne des Her- u n d Vorgestellten. Die eigentümliche r e a l i t a s der ursprünglich römisch e r f a h r e n e n res, der Angang, bleibt als W e s e n des Anwesenden v e r s c h ü t t e t . U m g e k e h r t dient der N a m e res in der Folgezeit, insbesondere im Mittelalter, zur Bezeichnung j e d e s ens q u a ens, d.h. j e d e s irgendwie Anwesenden, auch w e n n es n u r im Vorstellen h e r s t e h t u n d anwest wie d a s ens rationis. D a s Gleiche wie mit d e m Wort res geschieht mit dem e n t s p r e c h e n d e n N a m e n dinc; denn dinc heißt jegliches, w a s irgendwie ist. D e m g e m ä ß g e b r a u c h t der Meister E c k h a r t d a s Wort dinc sowohl f ü r Gott als a u c h f ü r die Seele. Gott ist i h m d a s »hoechste u n d oberste dinc«. Die Seele ist ein »groz dinc«. D a m i t will dieser Meister des D e n k e n s keineswegs sagen, Gott u n d die Seele seien dergleichen wie ein Felsblock: ein stofflicher Gegenstand; dinc ist hier der vorsichtige u n d e n t h a l t s a m e N a m e f ü r etwas, das ü b e r h a u p t ist. So s a g t der Meister E c k h a r t n a c h einem Wort des Dionysius Areopagita: diu m i n n e ist der natur-, daz si den m e n s c h e n w a n d e l t in die dinc, die er m i n n e t . Weil das Wort Ding im S p r a c h g e b r a u c h der a b e n d l ä n d i s c h e n M e t a p h y s i k d a s n e n n t , w a s ü b e r h a u p t u n d irgendwie etwas ist, deshalb ä n d e r t sich die B e d e u t u n g des N a m e n s »Ding« entsprechend der Auslegung dessen, w a s ist, d.h. des Seienden. K a n t spricht in der gleichen Weise wie der Meister E c k h a r t von den Dingen u n d m e i n t mit diesem N a m e n etwas, das ist. Aber f ü r K a n t wird das, w a s ist, z u m G e g e n s t a n d des Vorstellens, d a s im Selbstbewußtsein des menschlichen Ich abläuft. Das Ding a n sich bedeutet f ü r Kant: der Gegenstand an sich. Der C h a r a k t e r des »An-sich« besagt f ü r Kant, daß der Gegenstand a n sich Gegens t a n d ist ohne die Beziehung auf d a s menschliche Vorstellen, d. h. ohne das »Gegen«, w o d u r c h er f ü r dieses Vorstellen allererst steht. »Ding a n sich« bedeutet, s t r e n g k a n t i s c h gedacht, einen Gegenstand, der f ü r u n s keiner ist, weil er s t e h e n soll ohne ein mögliches Gegen: f ü r das menschliche Vorstellen, das i h m entgegnet. Weder die längst v e r n u t z t e allgemeine B e d e u t u n g des in der Philosophie g e b r a u c h t e n N a m e n s »Ding«, noch die althochdeut-
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sehe B e d e u t u n g des Wortes »thing« helfen u n s aber d a s geringste in der Notlage, die W e s e n s h e r k u n f t dessen zu e r f a h r e n u n d hinreichend zu denken, w a s wir j e t z t vom Wesen des Kruges sagen. Wohl dagegen t r i f f t zu, daß ein B e d e u t u n g s m o m e n t a u s dem alt e n S p r a c h g e b r a u c h des Wortes thing, nämlich »versammeln«, auf d a s zuvor gedachte Wesen des Kruges anspricht.
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Der Krug ist ein Ding weder im Sinne der römisch gemeinten res, noch im Sinne des mittelalterlich vorgestellten ens, noch gar im Sinne des neuzeitlich vorgestellten Gegenstandes. Der Krug ist Ding, insofern er dingt. Aus dem Dingen des Dinges ereignet sich u n d b e s t i m m t sich a u c h erst d a s Anwesen des A n w e s e n d e n von der Art des Kruges. H e u t e ist alles Anwesende gleich n a h u n d gleich fern. Das Abstandlose herrscht. Alles V e r k ü r z e n u n d Beseitigen der Entfern u n g e n bringt jedoch keine N ä h e . W a s ist die N ä h e ? U m d a s Wesen der N ä h e zu finden, bedachten wir den Krug in der N ä h e . Wir s u c h t e n das Wesen der N ä h e u n d f a n d e n d a s Wesen des Kruges als Ding. Aber in diesem F u n d g e w a h r e n wir zugleich das Wesen der Nähe. Das Ding dingt. Dingend verweilt es Erde u n d Himmel, die Göttlichen u n d die Sterblichen; verweilend bringt d a s Ding die Vier in i h r e n F e r n e n e i n a n d e r nahe. Dieses N a h e b r i n g e n ist d a s N ä h e r n . N ä h e r n ist das Wesen der N ä h e . N ä h e n ä h e r t das F e r n e u n d zwar als das Ferne. N ä h e w a h r t die Ferne. F e r n e w a h r e n d , west die N ä h e in ihrem N ä h e r n . Solchermaßen n ä h e r n d , verbirgt die N ä h e sich selber u n d bleibt n a c h i h r e r Weise a m n ä c h s t e n . D a s Ding ist nicht »in« der Nähe, als sei diese ein Behälter. N ä h e w a l t e t im N ä h e r n als das Dingen des Dinges. Dingend verweilt das Ding die einigen Vier, Erde u n d Himmel, die Göttlichen u n d die Sterblichen, in der Einfalt ihres a u s sich her einigen Gevierts. Die Erde ist die b a u e n d Tragende, die n ä h r e n d Fruchtende, hegend Gewässer u n d Gestein, Gewächs u n d Getier. Sagen wir Erde, d a n n denken wir schon die a n d e r e n Drei mit a u s der E i n f a l t der Vier. Der H i m m e l ist der Sonnengang, der Mondlauf, der Glanz der
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Gestirne, die Zeiten des J a h r e s . Licht u n d D ä m m e r des Tages. Dunkel u n d Helle der Nacht, die G u n s t u n d das Unwirtliche der Wetter. Wolkenzug u n d b l a u e n d e Tiefe des Äthers. Sagen wir Himmel, d a n n d e n k e n wir schon die a n d e r e n Drei mit a u s der E i n f a l t der Vier. Die Göttlichen sind die w i n k e n d e n Boten der Gottheit. Aus dem verborgenen W a l t e n dieser erscheint der Gott in sein Wesen, das i h n j e d e m Vergleich mit dem A n w e s e n d e n entzieht. N e n n e n wir die Göttlichen, d a n n d e n k e n wir die a n d e r e n Drei mit a u s der E i n f a l t der Vier. Die Sterblichen sind die Menschen. Sie heißen die Sterblichen, weil sie s t e r b e n können. S t e r b e n heißt: den Tod als Tod vermögen. N u r der Mensch stirbt. Das Tier verendet. Es h a t den Tod als Tod weder vor sich noch hinter sich. Der Tod ist der Schrein des Nichts, dessen nämlich, w a s in aller H i n s i c h t n i e m a l s e t w a s bloß Seiendes ist. w a s aber gleichwohl west, sogar als d a s G e h e i m n i s des Seins selbst. Der Tod birgt als der Schrein des N i c h t s das Wes e n d e des Seins in sich. Der Tod ist als der Schrein des Nichts d a s Gebirg des Seins. Die Sterblichen n e n n e n wir j e t z t die Sterblichen - nicht, weil ihr irdisches Leben endet, s o n d e r n weil sie den Tod als Tod vermögen. Die Sterblichen sind, die sie sind, als die Sterblichen, w e s e n d im Gebirg des Seins. Sie sind das w e s e n d e V e r h ä l t n i s z u m Sein als Sein. Die M e t a p h y s i k dagegen stellt den M e n s c h e n als a n i m a l , als Lebewesen vor. Auch w e n n die ratio die a n i m a l i t a s durchwaltet, bleibt das M e n s c h s e i n vom Leben u n d Erleben her b e s t i m m t . Die v e r n ü n f t i g e n Lebewesen m ü s s e n erst zu Sterblichen werden. Sagen wir: die Sterblichen, d a n n denken wir die a n d e r e n Drei mit a u s der E i n f a l t der Vier. Erde u n d Himmel, die Göttlichen u n d die Sterblichen gehören. von sich her z u e i n a n d e r einig, a u s der Einfalt des einigen Gevierts z u s a m m e n . J e d e s der Vier spiegelt in seiner Weise d a s Wesen der übrigen wider. J e d e s spiegelt sich dabei n a c h seiner Weise in sein Eigenes i n n e r h a l b der Einfalt der Vier zurück. Dieses Spiegeln ist kein D a r s t e l l e n eines Abbildes. D a s Spiegeln
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ereignet, j e d e s der Vier lichtend, deren eigenes Wesen in die einfältige Vereignung zueinander. N a c h dieser ereignend-lichtenden Weise spiegelnd, spielt sich j e d e s der Vier j e d e m der ü b r i g e n zu. D a s ereignende Spiegeln gibt j e d e s der Vier in sein Eigenes frei, bindet aber die Freien in die Einfalt ihres w e s e n h a f t e n Zueinander. D a s ins Freie b i n d e n d e Spiegeln ist d a s Spiel, d a s j e d e s der Vier j e d e m z u t r a u t a u s dem f a l t e n d e n H a l t der Vereignung. Keines der Vier v e r s t e i f t sich auf sein gesondertes Besonderes. J e d e s der Vier ist i n n e r h a l b ihrer Vereignung vielmehr zu einem Eigenen enteignet. Dieses e n t e i g n e n d e Vereignen ist d a s Spiegel-Spiel des Gevierts. Aus i h m ist die E i n f a l t der Vier g e t r a u t . Wir n e n n e n d a s ereignende Spiegel-Spiel der Einfalt von Erde u n d H i m m e l . Göttlichen u n d S t e r b l i c h e n die Welt. Welt west, indem sie weitet. Dies sagt: d a s Welten von Welt ist w e d e r d u r c h a n d e r e s e r k l ä r b a r noch a u s a n d e r e m e r g r ü n d b a r . Dies Unmögliche liegt nicht d a r a n , d a ß u n s e r menschliches Denken zu solchem E r k l ä r e n u n d B e g r ü n d e n u n f ä h i g ist. Vielmehr b e r u h t das Unerk l ä r b a r e u n d U n b e g r ü n d b a r e des Weltens von Welt darin, d a ß so etwas wie U r s a c h e n u n d G r ü n d e dem Welten von Welt u n g e m ä ß bleiben. Sobald menschliches E r k e n n e n hier ein E r k l ä r e n verlangt. ü b e r s t e i g t es nicht das Wesen von Welt, s o n d e r n es fällt u n t e r d a s Wesen von Welt herab. D a s menschliche E r k l ä r e n w o l len langt ü b e r h a u p t nicht in das Einfache der Einfalt des Weltens hin. Die einigen Vier sind in i h r e m Wesen schon erstickt, w e n n m a n sie n u r als vereinzeltes Wirkliches vorstellt, d a s d u r c h einander b e g r ü n d e t u n d a u s e i n a n d e r e r k l ä r t w e r d e n soll. Die Einheit des Gevierts ist die Vierung. Doch die Vierung m a c h t sich keineswegs so. d a ß sie die Vier u m f a ß t u n d als dieses U m f a s s e n d e erst nachträglich zu ihnen d a z u k o m m t . Die Vierung erschöpft sich ebensowenig darin, daß die Vier, n u n einmal vorh a n d e n . lediglich beieinander stehen. Die Vierung w e s t als d a s ereignende Spiegel-Spiel der einfältig einander Zugetrauten. Die Vierung w e s t als d a s Welten von Welt. Das Spiegel-Spiel von Welt ist der Reigen des Ereignens.
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Das
Ding
Deshalb u m g r e i f t der Reigen auch die Vier nicht erst wie ein Reif. Der Reigen ist der Ring, der ringt, fügend waltet, indem er als d a s Spiegeln spielt. Ereignend lichtet er die Vier in den Glanz ihrer Einfalt. Erglänzend vereignet der Ring die Vier überallhin offen in d a s Rätsel i h r e s Wesens. D a s g e s a m m e l t e W e s e n des also r i n g e n d e n Spiegel-Spiels der Welt ist d a s G e r i n g \ Im Gering" des spiegelnd-spielenden Rings schmiegen sich die Vier in ihr einiges u n d dennoch j e eigenes Wesen. Also s c h m i e g s a m f ü g e n sie fügs a m w e i t e n d die Welt. Schmiegsam, schmiedbar, geschmeidig, f ü g s a m , leicht heißt in u n s e r e r alten deutschen Sprache »ring« u n d »gering«. Das Spiegel-spiel der w e l t e n d e n Welt e n t r i n g t d als das Gering des Ringes die einigen Vier in das eigene F ü g s a m e , d a s Ringe ihres Wesens. Aus d e m Spiegel-Spiel des Gerings des Ringen ereignet sich d a s Dingen des Dinges. Das Ding verweilt d a s Geviert. Das Ding dingt Welt. J e d e s Ding verweilt das Geviert in ein j e Weiliges a u s E i n f a l t der Welt. W e n n wir d a s Ding in seinem Dingen a u s der w e l t e n d e n Welt w e s e n lassen, d e n k e n wir a n das Ding als d a s Ding. Dergestalt a n d e n k e n d lassen wir u n s vom w e l t e n d e n Wesen des Dinges angehen. So denkend sind wir vom Ding als dem Ding gerufen. Wir sind — im s t r e n g e n Sinne des Wortes die Be-Dingten. Wir haben die A n m a ß u n g alles U n b e d i n g t e n h i n t e r u n s gelassen. Denken wir das Ding als Ding, d a n n schonen wir das Wesen des Dinges in den Bereich, a u s dem es west. Dingen ist N ä h e r n " von Welt. N ä h e r n ist das Wesen der N ä h e . Insofern wir d a s Ding als d a s Ding schonen, bewohnen wir die Nähe. Das N ä h e r n der N ä h e ist die eigentliche u n d die einzige Dimension des SpiegelSpiels der Welt.
^ die Versammlung des einfaltenden Fügens des Z u s a m m e n g e h ö r e n s der Vier c was versammelt in das Ringende das schließende Binden das doch freigibt das Wahren des Offenen • Freien ^ befreit e
worin die Einfalt der Welt weilt
Das
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Ding
Das Ausbleiben der N ä h e in allem Beseitigen der E n t f e r n u n gen h a t das Abstandlose zur H e r r s c h a f t gebracht. Im Ausbleiben der N ä h e bleibt d a s Ding in d e m gesagten Sinne als Ding vernichtet. W a n n aber u n d wie sind Dinge als Dinge? So f r a g e n wir i n m i t t e n der H e r r s c h a f t des Abstandlosen. W a n n u n d wie kommen Dinge als Dinge? Sie kommen nicht durch die M a c h e n s c h a f t des Menschen. Sie k o m m e n aber auch nicht ohne die W a c h s a m k e i t der Sterblichen. Der erste S c h r i t t zu solcher W a c h s a m k e i t ist der Schritt zurück a u s dem n u r vorstellenden, d.h. erklärenden Denken in das a n d e n k e n d e Denken. Der Schritt zurück von einem Denken in das a n d e r e ist freilich kein bloßer Wechsel der Einstellung. Dergleichen k a n n er schon deshalb nie sein, weil alle E i n s t e l l u n g e n s a m t den Weisen ihres Wechseins in den Bezirk des vorstellenden D e n k e n s v e r h a f t e t bleiben. Der Schritt zurück v e r l ä ß t allerdings den Bezirk des bloß e n Sicheinstellens. Der Schritt zurück n i m m t seinen A u f e n t h a l t in einem Entsprechen, das, im Weltwesen von diesem angesprochen, i n n e r h a l b seiner ihm antwortet. F ü r die A n k u n f t des Dinges als Ding v e r m a g ein bloßer Wechsel der Einstellung nichts, wie d e n n a u c h all das, w a s j e t z t als G e g e n s t a n d im A b s t a n d l o s e n steht, sich n i e m a l s zu Dingen lediglich u m s t e l l e n läßt. Nie a u c h k o m m e n Dinge als Dinge dadurch, daß wir vor den Gegenständen n u r ausweichen u n d vormalige alte Gegenstände er innern, die vielleicht einmal u n t e r w e g s waren, Dinge zu w e r d e n u n d gar als Dinge anzuwesen. W a s Ding wird, ereignet sich a u s dem Gering des SpiegelSpiels der Welt. E r s t w e n n , j ä h vermutlich, Welt als Welt weitet, e r g l ä n z t der Ring, dem sich d a s Gering von Erde u n d Himmel, Göttlichen u n d Sterblichen in das Ringe seiner Einfalt e n t r i n g t f . Diesem Geringen g e m ä ß ist das Dingen selbst gering" u n d das j e weilige Ding ring, u n s c h e i n b a r f ü g s a m seinem Wesen. Ring ist das Ding: der Krug u n d die Bank, der Steg u n d der Pflug. Ding ist f sich löst ins Freie " das Gering:
das Versammeln in das Sichbefreien -*• Sichiu-
gen " in das Zusammengehören der Vier ^ sich im Unscheinbaren
zurückhalten "
das
Schlichte
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Das
Ding
aber auch nach seiner Weise der Baum u n d der Teich, der u n d der Berg. Dinge sind, je weilig in ihrer Weise dingend, her u n d Reh, Pferd u n d Stier. Dinge sind, je weilig nach Weise dingend, Spiegel u n d Spange, Buch u n d Bild, Krone Kreuz.
Bach Reiihrer und
Ring u n d gering aber sind die Dinge auch in der Zahl, gemessen an der Unzahl der überall gleich gültigen Gegenstände, gemessen a m U n m a ß des Massenhaften des Menschen als eines Lebewesens. Erst die Menschen als die Sterblichen erlangen w o h n e n d die Welt als Welt. N u r w a s aus Welt gering, wird einmal Ding.
NACHWORT Ein Brief an einen jungen
Studenten
Freiburg i. Br. den 18. Juni 1950 Lieber Herr B u c h n e r ! 176
Ich danke Ihnen für Ihren Brief. Die Fragen sind wesentlich u n d die Argumentation richtig. Dennoch bleibt zu bedenken, ob sie schon an das Entscheidende gelangen. Sie fragen: woher empfängt (verkürzt gesprochen) das Denken des Seins die Weisung? Sie w e r d e n dabei »Sein« nicht als ein Objekt u n d das Denken nicht als bloße Tätigkeit eines Subjekts nehmen. Denken, wie es d e m Vortrag (Das Ding) z u g r u n d e liegt, ist kein bloßes Vorstellen eines Vorhandenen. »Sein« ist keineswegs identisch mit der Wirklichkeit oder mit d e m gerade festgestellten Wirklichen. Sein ist auch keineswegs d e m Nicht-mehr-sein u n d d e m Noch-nicht-sein entgegengesetzt; diese beiden gehören selber z u m Wesen des Seins. Solches ahnte sogar ein Stück weit schon die Metaphy-
Das
Ding
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sik in ihrer allerdings k a u m verstandenen Lehre von den M o d a litäten, nach der z u m Sein die Möglichkeit ebenso gehört wie die Wirklichkeit u n d die Notwendigkeit. Im D e n k e n des Seins wird niemals nur ein Wirkliches vor-gestellt u n d dieses Vorgestellte als das Wahre ausgegeben. »Sein« denken heißt: d e m Anspruch seines Wesens entsprechen. Das Entsprechen entstammt d e m Anspruch u n d entläßt sich zu ihm. Das Entsprechen ist ein Zurücktreten vor d e m Anspruch u n d dergestalt ein Eintreten in seine Sprache. Z u m Anspruch des Seins gehört aber das f r ü h enthüllte Gewesene (Αλήθεια, Λόγος, Φύσΐς) ebenso wie die verhüllte Ankunft dessen, w a s sich in der möglichen Kehre der Vergessenheit des Seins (in die Wahrnis seines Wesens) ankündigt. Auf all dieses zumal m u ß das Entsprechen aus langer Sammlung u n d in steter P r ü f u n g des Gehörs achten, u m einen Anspruch des Seins zu hören. Aber gerade dabei kann es sich verhören. Die Möglichkeit des Irrgangs ist bei diesem Denken die größte. Dieses Denken kann sich nie ausweisen wie das mathematische Wissen. Aber es ist ebensowenig Willkür, sondern gebunden in das Wesensgeschick des Seins, selber jedoch nie verbindlich als Aussage, vielmehr nur möglicher Anlaß, den Weg des E n t s p r e c h e n s zu gehen u n d zwar zu gehen in der vollen Sammlung der Bedachtsamkeit auf das schon zur Sprache g e k o m m e n e Sein. Der Fehl Gottes u n d des Göttlichen ist Abwesenheit. Allein, Abwesenheit ist nicht nichts, sondern sie ist die gerade erst anzueignende Anwesenheit" der verborgenen Fülle des Gewesenen u n d so versammelt Wesenden, des Göttlichen im Griechentum, im Prophetisch-Jüdischen, in der Predigt Jesu. Dieses Nicht-mehr ist in sich ein Noch-nicht der verhüllten Ankunft seines u n a u s schöpfbaren Wesens. Wächterschaft des Seins kann, da Sein niemals das nur gerade Wirkliche ist, keineswegs gleichgesetzt werden mit der Funktion eines Wachtpostens, der die in einem Geb ä u d e untergebrachten Schätze vor Einbrechern schützt. W ä c h a
verschiedene
Welcher
Weisen des Anwesens; auch das Anwesen im yièwesen
Anwesenheit
-?
Ab- aus
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Das Ding
terschaft des Seins s t a r r t nicht auf das Vorhandene. In diesem, f ü r sich genommen, ist nie ein Anspruch des Seins zu finden. Wächterschaft ist Wachsamkeit f ü r das gewesend-kommende Geschick des Seins aus langer und sich stets e r n e u e r n d e r Bedachtsamkeit, die auf die Weisung achtet, wie Sein anspricht. Im Geschick des Seins gibt es nie ein bloßes Nacheinander: j e t z t Gestell, d a n n Welt und Ding, sondern jeweils Vorbeigang und Gleichzeitigkeit des F r ü h e n und Späten. In Hegels Phänomenologie des Geistes west die Άλήθεια an, wenngleich verwandelt. Das Denken des Seins ist als Entsprechen eine sehr irrige und dazu eine sehr dürftige Sache. Das Denken ist vielleicht doch ein unumgänglicher Weg, der kein Heilsweg sein will und keine neue Weisheit bringt. Der Weg ist höchstens ein Feldweg, ein Weg über Feld, der nicht nur vom Verzicht redet, sondern schon verzichtet hat, nämlich auf den Anspruch einer verbindlichen Lehre und einer gültigen Kulturleistung oder einer Tat des Geistes. Alles liegt an dem sehr irrevollen Schritt zurück in das Bedenken, das auf die im Geschick des Seins sich vorzeichnende Kehre der Vergessenheit des Seins achtet. Der Schritt zurück aus dem vorstellenden Denken der Metaphysik verwirft dieses Denken nicht, aber es öffnet die Ferne zum Anspruch der Wahr heit des Seins, in der das Entsprechen s t e h t und geht. Öfter schon begegnete es mir und zwar gerade bei nahestehenden Menschen, daß m a n sehr gern und a u f m e r k s a m auf die Darstellung des Krugwesens hört, daß m a n aber sofort die Ohren verschließt, wenn von Gegenständlichkeit, Herstand und H e r k u n f t der Hergestelltheit, w e n n vom Gestell die Rede ist. Aber all dieses gehört notwendig mit zum Denken des Dinges, welches Denken an die mögliche Ankunft von Welt denkt und, also andenkend, vielleicht im Allergeringsten und Unscheinbaren dazu hilft, daß solche Ankunft bis in den geöffneten Bereich des Menschenwesens gelangt. Zu den seltsamen E r f a h r u n g e n , die ich mit meinem Vortrag mache, gehört auch die, daß m a n mein Denken danach befragt, woher es seine Weisung empfange, gleich als ob diese Frage n u r
Das
Ding
gegenüber diesem Denken nötig sei. Dagegen läßt sich einfallen zu fragen: woher h a t Piaton die Weisung, d a s ίδέα zu denken, woher h a t K a n t die Weisung, d a s Sein T r a n s z e n d e n t a l e der Gegenständlichkeit, als Position heit) zu denken?
187 niemand Sein als als das (Gesetzt-
Aber vielleicht läßt sich eines Tages die Antwort auf diese F r a gen gerade denjenigen Denkversuchen e n t n e h m e n , die wie die m e i n e n sich als gesetzlose Willkür a u s n e h m e n . Ich k a n n Ihnen, w a s Sie auch nicht verlangen, keine Ausweisk a r t e liefern, mit deren Hilfe das von mir Gesagte als mit »der Wirklichkeit« ü b e r e i n s t i m m e n d j e d e r z e i t b e q u e m ausgewiesen werden könnte. Alles ist hier Weg des p r ü f e n d hörenden E n t s p r e c h e n s . Weg ist immer in der Gefahr, Irrweg zu werden. Solche Wege zu gehen, verlangt Ü b u n g im Gang. Ü b u n g b r a u c h t H a n d w e r k . Bleiben Sie in der echten Not auf dem Weg u n d lernen Sie u n ent wegt, jedoch beirrt, d a s H a n d w e r k des Denkens. Mit einem f r e u n d s c h a f t l i c h e n Gruß.
»... DICHTERISCH WOHNET DER MENSCH ...«
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Das Wort ist einem späten und eigentümlich überlieferten Gedicht Hölderlins entnommen. Es beginnt: »In lieblicher Bläue blühet mit dem metallenen Dache der K i r c h t u r m . . . « (Stuttg. Ausg. II, 1 S. 372 ff, Hellingrath VI S. 24 ff.) Damit wir das Wort »... dichterisch wohnet der Mensch ...« recht hören, müssen wir es bedachtsam dem Gedicht zurückgeben. D a r u m bedenken wir das Wort. Wir klären die Bedenken, die es sogleich erweckt. Denn sonst fehlt uns die freie Bereitschaft, dem Wort dadurch zu antworten, daß wir ihm folgen. »... dichterisch wohnet der Mensch ...« Daß Dichter bisweilen dichterisch wohnen, ließe sich zur Not vorstellen. Wie soll jedoch »der Mensch«, dies meint: jeder Mensch als Mensch und ständig dichterisch wohnen? Bleibt nicht alles Wohnen unverträglich mit dem Dichterischen? Unser Wohnen ist von der Wohnungsnot bedrängt. Selbst wenn es anders wäre, unser heutiges Wohnen ist gehetzt durch die Arbeit, unstet durch die Jagd nach Vorteil und Erfolg, behext durch den Vergnügungs- und Erholungsbetrieb. Wo aber im heutigen Wohnen noch R a u m bleibt für das Dichterische und abgesparte Zeit, vollzieht sich, wenn es hoch kommt, eine Beschäftigung mit dem Schöngeistigen, sei dieses geschrieben oder gesendet. Die Poesie wird entweder als ein verspieltes Schmachten und Verflattern ins Unwirkliche verleugnet und als Flucht in die Idylle verneint, oder man rechnet die Dichtung zur Literatur. Deren Geltung wird mit dem Maßstab der jeweiligen Aktualität abgeschätzt.' 1 Das Aktuelle seinerseits ist durch die Organe der öffentlichen zivilisatorischen Meinungsbildung gemacht und gelenkt. Einer ihrer Funktionäre, das heißt Antreiber und Getriebener zugleich, ist der literarische Betrieb. D i c h t u n g kann so nicht anders erscheinen denn als Literatur. Wo sie gar bildungsmäßig und wissenschaftlich betrachtet wird, ist sie Gegenstand der Literarhistorie. b Abendländische Dichtung läuft unter dem Gesamttitel »Europäische Literatur«.
" Dichter als Schriftsteller, diese »Literaturprodu[zen]ten« b Poetologie: Literatur und Reflexion —
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»... dichterisch
wohnet
der
Mensch...«
W e n n n u n aber die D i c h t u n g z u m voraus ihre einzige E x i stenzform im L i t e r a r i s c h e n hat, w i e soll da m e n s c h l i c h e s Wohn e n auf das D i c h t e r i s c h e g e g r ü n d e t w e r d e n ? D a s Wort, der M e n s c h w o h n e d i c h t e r i s c h , s t a m m t d e n n auch n u r von e i n e m D i c h t e r u n d zwar von j e n e m , der, w i e m a n hört, m i t d e m L e b e n n i c h t fertig w u r d e . D i e Art der D i c h t e r ist es, das W i r k l i c h e zu ü b e r s e h e n . Statt zu w i r k e n , t r ä u m e n sie. Was sie m a c h e n , ist n u r e i n g e b i l d e t . E i n b i l d u n g e n sind lediglich g e m a c h t . M a c h e h e i ß t griechisch Π ο ί η σ ι ς . D a s W o h n e n des M e n s c h e n soll Poesie u n d p o e t i s c h sein? D i e s k a n n doch n u r a n n e h m e n , wer abseits v o m W i r k l i c h e n s t e h t u n d n i c h t s e h e n will, in w e l c h e m Z u s t a n d das h e u t i g e g e s c h i c h t l i c h - g e s e l l s c h a f t l i c h e L e b e n der M e n s c h e n die Soziologen n e n n e n es das Kollektiv 0 — sich b e f i n d e t . D o c h e h e wir in so grober Weise W o h n e n u n d D i c h t e n für unv e r e i n b a r e r k l ä r e n , m a g es gut sein, n ü c h t e r n auf das Wort des D i c h t e r s zu achten. Es spricht v o m W o h n e n des M e n s c h e n . Es b e s c h r e i b t n i c h t Z u s t ä n d e des h e u t i g e n W o h n e n s . E s b e h a u p t e t vor allem nicht, W o h n e n b e d e u t e das I n n e h a b e n e i n e r W o h n u n g . Es sagt auch n i c h t , das D i c h t e r i s c h e erschöpfe sich im u n w i r k l i c h e n Spiel der p o e t i s c h e n E i n b i l d u n g s k r a f t . Wer also u n t e r den N a c h d e n k l i c h e n m ö c h t e sich d a n n a n m a ß e n , b e d e n k e n l o s u n d von einer etwas f r a g w ü r d i g e n H ö h e h e r a b zu e r k l ä r e n , das Wohn e n u n d das D i c h t e r i s c h e seien u n v e r t r ä g l i c h ? Vielleicht vertragen sich beide. M e h r noch. Vielleicht trägt sogar das eine das andere, so n ä m l i c h , daß dieses, das W o h n e n , in j e n e m , d e m D i c h t e r i s c h e n , b e r u h t . W e n n wir freilich solches v e r m u t e n , d a n n ist u n s z u g e m u t e t , das W o h n e n u n d das D i c h t e n aus i h r e m Wesen zu denken. Sperren wir u n s gegen diese Z u m u t u n g n i c h t , d a n n denk e n wir das, was m a n sonst die Existenz des M e n s c h e n n e n n t , aus d e m W o h n e n . D a m i t lassen wir allerdings die g e w ö h n l i c h e Vors t e l l u n g vom W o h n e n f a h r e n . N a c h ihr bleibt das W o h n e n n u r eine V e r h a l t u n g s w e i s e des M e n s c h e n n e b e n vielen a n d e r e n . Wir a r b e i t e n in der Stadt, w o h n e n j e d o c h a u ß e r h a l b . Wir sind auf ei-
die Industriegesellschaft
193»...dichterisch wohnet der
Mensch...«
ner Reise u n d w o h n e n dabei bald hier, bald dort. Das so g e m e i n t e W o h n e n ist stets nur das I n n e h a b e n einer U n t e r k u n f t . W e n n H ö l d e r l i n vom Wohnen spricht, schaut er den G r u n d z u g des m e n s c h l i c h e n Daseins. Das »Dichterische« aber erblickt er aus dem Verhältnis zu diesem wesentlich v e r s t a n d e n e n Wohnen. Dies bedeutet freilich nicht, das Dichterische sei n u r eine Verzierung u n d eine Zugabe zum Wohnen. Das D i c h t e r i s c h e des W o h n e n s m e i n t auch nicht nur, das Dichterische k o m m e auf irgendeine Weise bei allem W o h n e n vor. Vielmehr sagt das Wort: » . . . d i c h t e r i s c h w o h n e t der M e n s c h . . . « : das D i c h t e n läßt das W o h n e n allererst ein W o h n e n sein. D i c h t e n ist das eigentliche Wohnenlassen. Allein, wodurch gelangen wir zu einer Wohnung? D u r c h das Bauen. D i c h t e n ist, als Wohnenlassen, ein Bauen. So stehen wir vor einer doppelten Z u m u t u n g : e i n m a l das, was m a n die Existenz des M e n s c h e n n e n n t , aus dem Wesen des Wohn e n s zu denken; zum anderen das Wesen des D i c h t e n s als Wohnenlassen' 1 , als ein, vielleicht sogar als das ausgezeichnete B a u e n zu denken. Suchen wir das Wesen der D i c h t u n g nach der jetzt g e n a n n t e n Hinsicht, dann gelangen wir in das Wesen des Wohnens. Allein, woher haben wir M e n s c h e n die Auskunft über das Wesen des W o h n e n s u n d des Dichtens? Woher n i m m t der Mensch ü b e r h a u p t den Anspruch, in das Wesen einer Sache zu gelangen? D e r Mensch k a n n diesen A n s p r u c h n u r dorther n e h m e n , von woher er ihn e m p f ä n g t . Er e m p f ä n g t ihn aus dem Z u s p r u c h der Sprache. Freilich n u r dann, w e n n er u n d solange er das eigene Wesen der Sprache schon achtet. Indessen rast ein zügelloses, aber zugleich g e w a n d t e s R e d e n u n d Schreiben u n d Senden von Gesprochenem rings um den Erdball. D e r Mensch gebärdet sich, als sei er Bildner und Meister der Sprache, w ä h r e n d doch sie die Herrin des M e n s c h e n bleibt. Wenn dieses H e r r s c h a f t s v e r h ä l t n i s sich u m k e h r t , d a n n verfällt der Mensch auf seltsame M a c h e n s c h a f t e n . Die Sprache wird zum M i t t e l des Ausdrucks. Als Ausdruck k a n n d
vgl. dazu Johann Peter Hebel, Der H a u s f r e u n d - [in: G A Bd. 13]
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»... dichterisch
wohnet
der
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die S p r a c h e z u m bloßen D r u c k m i t t e l herabsinken. D a ß m a n auch bei solcher B e n u t z u n g d e rS p r a c h e noch a u f die Sorgfalt des Sprechens hält, ist gut. D i e s allein hilft uns j e d o c h nie a u s der Verkehrung deswahren Herrschaftsverhältnisses zwischen der Sprache und d e m M e n s c h e n . D e n n eigentlich spricht die Sprache. D e r M e n s c h spricht erst u n d nur, i n s o f e r n er d e r S p r a c h e e n t s p r i c h t , i n d e m er a u f ihren Z u s p r u c h hört. U n t e r allen Z u s p r ä c h e n , d i e wir M e n s c h e n von uns her mit z u m Sprechen bringen dürfen, ist die S p r a c h e d e rh ö c h s t e und der überall erste. D i e S p r a c h e w i n k t uns z u e r s t u n d d a n n w i e d e r zuletzt das W e s e n einer S a c h e zu. D i e s heißt jedoch nie, daß d i e Sprache in jeder beliebig aufgegriffenen W o r t b e d e u t u n g uns schon m i td e m durchsichtigen Wesen d e r S a che geradehin u n d endgültig w i e m i t einem gebrauchsfertigen G e g e n s t a n d beliefert. D a s E n t s p r e c h e n aber, w o r i n d e r M e n s c h e i g e n t l i c h a u f d e n Z u s p r u c h d e rS p r a c h e hört, ist j e n e s S a g e n , d a s im E l e m e n t d e s D i c h t e n s spricht. J e dichtender e i n Dichter ist, u m s o freier, d a s heißt u m s o offener u n d bereiter f ü r d a s U n v e r m u t e t e ist sein S a g e n , u m s o reiner stellt e r sein G e s a g t e s d e m stets b e m ü h t e r e n H ö r e n a n h e i m , u m s o ferner ist sein G e s a g t e s der bloßen A u s s a g e , über d i e m a n n u rhinsichtlich ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit verhandelt. »...dichterisch,
wohnet der Mensch...«
sagt der Dichter. Wir hören d a s Wort Hölderlins deutlicher, w e n n wir es in d a s Gedicht z u r ü c k n e h m e n , d e m es entstammt. Z u nächst hören wir nur diezwei Verszeilen, a u sdenen wir d a s Wort herausgelöst und dadurch beschnitten haben. Sie lauten: »Voll Verdienst, doch dichterisch, Der M e n s c h a u f dieser Erde.«
wohnet
Der G r u n d t o n d e r Verse schwingt i m Wort »dichterisch«. Dieses ist n a c h z w e i S e i t e n h e r a u s g e h o b e n : d u r c h d a s , w a s i h m v o r a u f geht, u n d d u r c h das, w a s i h m folgt.
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wohnet der
Mensch...«
Vorauf gehen die Worte: »Voll Verdienst, doch . . . « D a s klingt beinahe so, als brächte d a s folgende Wort »dichterisch« eine Einschränkung in d a sverdienstvolle Wohnen desMenschen. Allein, es ist u m g e k e h r t . D i e E i n s c h r ä n k u n g wird durch d i e W e n d u n g »Voll Verdienst« genannt, d e m wir e i n»zwar« h i n z u d e n k e n müssen. D e r M e n s c h m a c h t sich z w a r b e i s e i n e m W o h n e n vielfältig verdient. D e n n d e rM e n s c h pflegt d i ew a c h s t ü m l i c h e n D i n g e d e r E r d e u n dhegt d a si h m Z u g e w a c h s e n e . Pflegen und H e g e n (colere, cultura) ist eine A r t d e s B a u e n s . D e r M e n s c h b e b a u t j e d o c h nicht n u r das, w a sv o n sich a u s e i n W a c h s t u m entfaltet, s o n d e r n er b a u t a u c h i m S i n n e d e s a e d i f i c a r e , i n d e m e r s o l c h e s e r r i c h t e t , was nicht durch W a c h s t u m entstehen und bestehen kann. Gebautes und B a u t e n in d i e s e m S i n n e sind nicht n u rd i e G e b ä u d e , sondern alle W e r k e v o n H a n d u n d durch V e r r i c h t u n g e n d e s M e n schen. D o c h d i e Verdienste dieses vielfältigen B a u e n s füllen d a s Wesen d e s W o h n e n s nie aus.I m Gegenteil: sie verwehren d e m W o h n e n sogar sein W e s e n , sobald s i e lediglich u m ihretwillen erjagt u n derworben werden. D a n n zwängen nämlich die Verdienste g e r a d e d u r c h ihre F ü l l e ü b e r a l l d a s W o h n e n i n d i e S c h r a n k e n des g e n a n n t e n B a u e n s ein. Dieses befolgt d i e E r f ü l l u n g d e r B e dürfnisse d e s Wohnens. D a s Bauen i m Sinne der bäuerlichen Pflege d e s W a c h s t u m s u n d d e s Errichtens von B a u t e n u n d Werken und d e s Herrichtens von Werkzeugen istbereits eine Wesensfolge d e s W o h n e n s , aber nicht sein G r u n d oder g a r seine G r ü n dung. Diese muß in einem anderen B a u e n geschehen. D a s gewöhnlich u n doft ausschließlich betriebene und d a r u m allein bekannte B a u e n bringt zwar die Fülle der Verdienste in d a s Wohnen. D o c h d e rM e n s c h v e r m a g das W o h n e n nur, w e n n er schon i n anderer Weise gebaut hat u n d baut u n d zu bauen gesonnen bleibt. »Voll Verdienst (zwar), doch dichterisch, w o h n e t der M e n s c h ...«. D e m folgen i m Text d i e Worte: »auf dieser Erde«. M a n möchte diesen Zusatz für überflüssig halten; denn w o h n e n heißt doch schon: Aufenthalt d e s M e n s c h e n a u f d e r Erde, a u f »dieser«, der sich j e d e r S t e r b l i c h e a n v e r t r a u t und a u s g e s e t z t weiß.
196
»... dichterisch
wohnet
der
Mensch...«
Allein, wenn Hölderlin z u sagen wagt, d a s Wohnen der Sterblichen sei dichterisch, dann erweckt dies, k a u m gesagt, den Anschein, als reiße d a s »dichterische« W o h n e n d i e M e n s c h e n gerade von der E r d e weg. D e n n d a s» D i c h t e r i s c h e « gehört doch, w e n n es a l s das P o e t i s c h e gilt, in das R e i c h der P h a n t a s i e . D i c h t e r i s c h e s W o h n e n überfliegt phantastisch d a s Wirkliche. Dieser Befürchtung b e g e g n e t der Dichter, i n d e m er eigens sagt, d a s dichterische W o h n e n sei d a s W o h n e n »auf dieser Erde«. Hölderlin bewahrt s o das »Dichterische« nicht n u r v o r einer n a h e l i e g e n d e n Mißdeutung, sondern er weist durch d i e B e i f ü g u n g d e rWorte » a u f dieser E r d e « e i g e n s i n d a s W e s e n des D i c h t e n s . D i e s e s ü b e r f l i e g t u n d übersteigt d i e Erde nicht, u m sie z u verlassen u n d über ihrz u s c h w e b e n . D a s D i c h t e n bringt d e n M e n s c h e n erst a u f d i e E r d e , z u ihr, b r i n g t i h n s o i n d a s W o h n e n . »Voll Verdienst, doch dichterisch, Der M e n s c h a u f dieser Erde.«
wohnet
Wissen wir jetzt, inwiefern d e r M e n s c h dichterisch wohnt? W i r wissen e s noch nicht. Wir geraten sogar in die Gefahr, von uns a u s Fremdes in das dichtende Wort Hölderlins hineinzudenken. D e n n H ö l d e r l i n nennt zwar d a s W o h n e n d e s M e n s c h e n u n d sein Verdienst, aber er bringt d a s W o h n e n doch nicht, w i e e s vorhin geschah, in den Z u s a m m e n h a n g mit d e m Bauen. E r spricht nicht vom Bauen, weder i m Sinne d e sHegens, Pflegens und Errichtens, noch so, d a ß er g a r d a s Dichten als eine eigene A r t d e s B a u e n s vorstellt. Hölderlin sagt d e m n a c h v o m dichterischen W o h n e n nicht d a s gleiche w i e unser Denken. Trotzdem denken w i r d a s Selbe, w a s Hölderlin dichtet. H i e r gilt e s freilich, W e s e n t l i c h e s z u b e a c h t e n . E i n e kurze Z w i s c h e n b e m e r k u n g ist nötig. D a sD i c h t e n u n d d a s D e n k e n begegnen sich nur dann und nur s o lange i m selben, als sie entschieden in d e r V e r s c h i e d e n h e i t i h r e s W e s e n s b l e i b e n . D a s s e l b e d e c k t sich nie m i t d e m gleichen, auch nicht m i t d e m leeren Einerlei d e s bloß I d e n t i s c h e n . D a s gleiche verlegt sich stets a u f d a s Unter-
197»...dichterisch
wohnet der
Mensch...«
schiedlose, damit alles darin ü b e r e i n k o m m e . D a s selbe ist dagegen d a s Z u s a m m e n g e h ö r e n d e s V e r s c h i e d e n e n a u s der V e r s a m m lung durch den U n t e r s c h i e d . D a s Selbe läßt sich n u rsagen, w e n n der U n t e r s c h i e d gedacht wird. I m A u s t r a g d e s U n t e r s c h i e d e n e n k o m m t d a s versammelnde Wesen des selben zum Leuchten. D a s selbe verbannt j e d e n Eifer, d a s Verschiedene i m m e r n u r ind a s gleiche auszugleichen. D a sselbe v e r s a m m e l t d a s Unterschiedene in eine u r s p r ü n g l i c h e E i n i g k e i t . D a s gleiche h i n g e g e n z e r s t r e u t in d i e f a d e E i n h e i t d e s nur e i n f ö r m i g E i n e n . H ö l d e r l i n w u ß t e a u f seine Art von diesen Verhältnissen. E r sagt in einem E p i g r a m m , das d i eÜberschrift trägt: »Wurzel alles Ü b e l s « d a s folgende: » E i n i g z u seyn, ist göttlich und gut; woher ist d i e Sucht denn Unter den M e n s c h e n , d a ß nur Einer und Eines n u r sei?« ( S t u t t g . A u s g . 1,1 S . 3 0 5 ) W e n n w i rdem nachdenken, w a sHölderlin über d a s dichterische W o h n e n d e s M e n s c h e n dichtet, vermuten w i r einen Weg, a u f d e m w i rdurch d a sverschieden Gedachte hindurch u n s d e m Selben nähern, w a sd e rDichter dichtet. D o c h was sagt Hölderlin v o m dichterischen W o h n e n d e s M e n schen? Wir suchen die Antwort a u f dieFrage, indem wir a u f die Verse 2 4 bis 3 8 d e sgenannten Gedichtes hören. D e n n a u s ihrem Bereich sind d i e beiden zunächst erläuterten Verse gesprochen. H ö l d e r l i n sagt: »Darf, wenn lauter M ü h e d a s Leben, ein Mensch Aufschauen und sagen: so Will ichauch seyn? Ja. S o lange d i e Freundlichkeit, A m H e r z e n , d i eR e i n e , dauert, misset N i c h t u n g l ü k l i c h d e r M e n s c h sich Mit derGottheit. Ist unbekannt Gott? Ist er offenbar w i e d e r H i m m e l ? D i e s e s G l a u b ' i c h eher. D e s M e n s c h e n M a a ß ist's. Voll V e r d i e n s t , doch d i c h t e r i s c h , w o h n e t
noch
198
»... dichterisch
Der Mensch Ist n i c h t der W e n n ich so Der Mensch, Giebt es auf Keines.«
wohnet
der
Mensch...«
auf dieser Erde. D o c h r e i n e r Schatten der N a c h t m i t den Sternen, sagen k ö n n t e , als der h e i ß e t ein Bild der Gottheit. E r d e n 6 ein M a a ß ? Es giebt
W i r b e d e n k e n n u r w e n i g e s aus diesen Versen u n d zwar m i t der einzigen Absicht, d e u t l i c h e r zu h ö r e n , was H ö l d e r l i n m e i n t , w e n n er das W o h n e n des M e n s c h e n ein »dichterisches« n e n n t . D i e ersten der g e l e s e n e n Verse (24 bis 26) geben u n s einen Wink. Sie s t e h e n in der F o r m einer zuversichtlich b e j a h t e n F r a g e . D i e s e u m s c h r e i b t , was die bereits e r l ä u t e r t e n Verse u n m i t t e l b a r auss p r e c h e n : »Voll Verdienst, doch dichterisch, w o h n e t der M e n s c h auf dieser Erde.« H ö l d e r l i n fragt: »Darf, w e n n l a u t e r M ü h e das L e b e n , ein M e n s c h A u f s c h a u e n u n d sagen: so Will ich auch seyn? Ja.« N u r im Bezirk der b l o ß e n M ü h e ist der M e n s c h u m »Verdienst« b e m ü h t . Er verschafft es sich da in Fülle. Aber d e m M e n s c h e n ist zugleich verstattet f , in diesem Bezirk, aus i h m her, d u r c h ihn h i n d u r c h zu den H i m m l i s c h e n a u f z u s c h a u e n . D a s A u f s c h a u e n d u r c h g e h t das H i n a u f zum H i m m e l u n d verbleibt doch im U n t e n auf der Erde. D a s A u f s c h a u e n d u r c h m i ß t das Z w i s c h e n 6 von H i m m e l u n d Erde. Dieses Z w i s c h e n ist dem W o h n e n des M e n schen z u g e m e s s e n . Wir n e n n e n jetzt die z u g e m e s s e n e , d.h. zugereichte D u r c h m e s s u n g , d u r c h die das Z w i s c h e n von H i m m e l u n d E r d e offen ist, die D i m e n s i o n . Sie e n t s t e h t n i c h t d a d u r c h , daß H i m m e l u n d E r d e e i n a n d e r z u g e k e h r t sind. D i e Z u k e h r b e r u h t v i e l m e h r i h r e r s e i t s in der D i m e n s i o n . D i e s e ist auch k e i n e Ere f 8
bloß der Erde zu enthörendes nur? eher: der Mensch verwiesen, gerufen, gebraucht die Unzugangbarkeit
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dichterisch
wohnet
der
Mensch...«
Streckung des g e w ö h n l i c h v o r g e s t e l l t e n R a u m e s ; d e n n alles R a u m h a f t e b e d a r f als E i n g e r ä u m t e s seinerseits schon der D i m e n s i o n , d.h. dessen, w o r e i n es eingelassen 1 1 wird. D a s Wesen der D i m e n s i o n ist die gelichtete u n d so d u r c h m e ß b a r e Z u m e s s u n g des Z w i s c h e n : des H i n a u f zum H i m m e l als des H e r a b zur Erde. Wir lassen das Wesen der D i m e n s i o n o h n e Nam e n . N a c h den W o r t e n H ö l d e r l i n s d u r c h m i ß t der M e n s c h die D i m e n s i o n , i n d e m er sich an den H i m m l i s c h e n m i ß t . Dieses D u r c h m e s s e n u n t e r n i m m t der M e n s c h n i c h t g e l e g e n t l i c h , s o n d e r n in solchem D u r c h m e s s e n ist der M e n s c h ü b e r h a u p t erst M e n s c h . D a r u m k a n n 1 er diese D u r c h m e s s u n g zwar sperren, v e r k ü r z e n u n d v e r u n s t a l t e t , aber er k a n n sich ihr n i c h t e n t z i e h e n . D e r M e n s c h h a t sich als M e n s c h i m m e r schon an etwas u n d m i t etwas H i m m lischem gemessen. Auch Luzifer s t a m m t vom H i m m e l . D a r u m h e i ß t es in den f o l g e n d e n Versen (28 bis 29): »Der M e n s c h misset sich ... m i t der Gottheit.« Sie ist »das M a a ß « , m i t d e m der M e n s c h sein W o h n e n , d e n A u f e n t h a l t auf der E r d e u n t e r d e m H i m m e l , ausmißt. N u r insofern der M e n s c h sein W o h n e n auf solche Weise v e r - m i ß t , v e r m a g er s e i n e m Wesen g e m ä ß zu sein1. Das W o h n e n des M e n s c h e n b e r u h t im a u f s c h a u e n d e n Vermessen der D i m e n s i o n , in die der H i m m e l so gut gehört wie die E r d e . D i e V e r m e s s u n g v e r m i ß t n i c h t n u r die E r d e , γ η , u n d ist d a r u m k e i n e bloße G e o - m e t r i e . Sie v e r m i ß t e b e n s o w e n i g j e den H i m mel, ο υ ρ α ν ο ς , für sich. D i e V e r m e s s u n g ist k e i n e Wissenschaft. D a s Vermessen e r m i ß t das Z w i s c h e n , das beide, H i m m e l u n d E r d e , e i n a n d e r z u b r i n g t . D i e s e s Vermessen hat sein eigenes μ έ τ ρ ο ν u n d deshalb seine eigene M e t r i k . D i e V e r m e s s u n g des m e n s c h l i c h e n Wesens auf die i h m zugem e s s e n e D i m e n s i o n b r i n g t das W o h n e n in s e i n e n G r u n d r i ß . Das Vermessen der D i m e n s i o n ist das E l e m e n t , worin das m e n s c h liche W o h n e n seine G e w ä h r hat, aus der es w ä h r t . D a s Vermesh 1 1 k
Ort wohin und woher versammelt »die Gefahr« vgl. oben Technik und Die Technik und die Kehre »«»dichterisch« d.h. gebraucht und Brauch
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sen ist das Dichterische des Wohnens. D i c h t e n ist ein Messen. D o c h was h e i ß t Messen? Wir dürfen das D i c h t e n , w e n n es als Messen gedacht w e r d e n soll, offenbar nicht in einer beliebigen Vorstellung von Messen und Maß u n t e r b r i n g e n . Das D i c h t e n ist v e r m u t l i c h ein ausgezeichnetes Messen. M e h r noch. Vielleicht müssen wir den Satz: D i c h t e n ist Messen in der anderen B e t o n u n g sprechen: Dichten ist Messen. Im D i c h t e n ereignet sich, was alles Messen im G r u n d e seines Wesens ist. Darum gilt es, auf den G r u n d a k t des Messens zu achten. Er besteht darin, daß ü b e r h a u p t erst das M a ß g e n o m m e n wird, womit jeweils zu messen ist. Im D i c h t e n ereignet sich das N e h m e n 1 des Maßes. Das D i c h t e n ist die im strengen Sinne des Wortes verstandene M a ß - N a h m e , durch die der Mensch erst das M a ß für die Weite seines Wesens e m p f ä n g t . Der Mensch west als der Sterbliche. So h e i ß t er, weil er sterben kann. S t e r b e n k ö n n e n heißt: den Tod als Tod vermögen. N u r der Mensch stirbt - und zwar fortw ä h r e n d , solange er auf dieser Erde weilt, solange er wohnt. Sein W o h n e n aber b e r u h t im Dichterischen. Das Wesen des »Dichterischen« erblickt H ö l d e r l i n in der M a ß - N a h m e , durch die sich die Vermessung des M e n s c h e n w e s e n s vollzieht. D o c h wie wollen wir beweisen, daß H ö l d e r l i n das Wesen des D i c h t e n s als M a ß - N a h m e denkt? Wir b r a u c h e n hier nichts zu beweisen. Alles Beweisen ist i m m e r nur ein n a c h t r ä g l i c h e s Untern e h m e n auf dem G r u n d e von Voraussetzungen. Je n a c h d e m diese angesetzt werden, läßt sich alles beweisen. Doch b e a c h t e n k ö n n e n wir n u r weniges. So genügt es denn, w e n n wir auf das eigene Wort des D i c h t e r s achten. In den folgenden Versen fragt n ä m l i c h Hölderlin allem zuvor und eigentlich n u r nach dem M a ß . Dies ist die"1 Gottheit, womit der Mensch sich misset. Das F r a g e n beginnt mit Vers 29 in den Worten: »Ist u n b e k a n n t Gott?« Offenbar nicht. D e n n wäre er dies, wie könnte er als U n b e k a n n t e r je das M a ß sein? Doch - und dies gilt es jetzt zu hören und festzuhalten - Gott
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in die Acht nehmen, an und h i n n e h m e n im Sagen als Entsagen durch den offenbaren H i m m e l verhüllte, fremde
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ist als der, der Er ist, u n b e k a n n t für Hölderlin, und als dieser Unbekannte ist er gerade das Maß für den Dichter. D a r u m bestürzt ihn auch das erregende Fragen: wie kann, was seinem Wesen nach u n b e k a n n t bleibt, j e zum M a ß werden? D e n n solches, womit der Mensch sich misset, m u ß sich doch m i t - t e i l e n , muß erscheinen. E r s c h e i n t es aber, dann ist es b e k a n n t . Der Gott ist jedoch u n b e k a n n t und ist dennoch das Maß. Nicht nur dies, sondern der u n b e k a n n t bleibende Gott m u ß , i n d e m er sich zeigt als der, der Er ist, als der u n b e k a n n t Bleibende erscheinen. Die Offenbarkeit Gottes, nicht erst Er selbst, ist geheimnisvoll. D a r u m fragt der D i c h t e r sogleich die nächste Frage: »Ist er offenbar wie der H i m m e l ? « H ö l d e r l i n antwortet: » D i e s e s / g l a u b ' ich eher.«" Weshalb, so fragen wir, neigt die V e r m u t u n g des D i c h t e r s dahin? Die u n m i t t e l b a r anschließenden Worte antworten. Sie lauten knapp: »Des M e n s c h e n M a a ß ist's.« Was ist das Maß für das m e n s c h l i c h e Messen? Gott? Nein! Der H i m m e l ? Nein! Die Offenbarkeit des H i m m e l s ? Nein! Das M a ß besteht in der Weise, wie der u n b e k a n n t bleibende Gott als dieser durch den H i m m e l offenbar ist. Das E r s c h e i n e n des Gottes durch den H i m m e l besteht in einem E n t h ü l l e n , das jenes sehen läßt, was sich verbirgt, aber sehen läßt nicht dadurch, daß es das Verborgene aus seiner Verb o r g e n h e i t h e r a u s z u r e i ß e n sucht, sondern allein dadurch, daß es das Verborgene in seinem Sichverbergen hütet. So erscheint der u n b e k a n n t e Gott als der U n b e k a n n t e durch die Offenbarkeit des H i m m e l s . Dieses E r s c h e i n e n ist das Maß, woran der Mensch sich misset. Ein seltsames M a ß , verwirrend, so scheint es, für das gewöhnliche Vorstellen der Sterblichen, u n b e q u e m für das billige Allesverstehen des täglichen Meinens, das sich gern als das R i c h t m a ß für alles D e n k e n und Besinnen b e h a u p t e t . Ein seltsames Maß für das übliche und im besonderen auch für alles n u r wissenschaftliche Vorstellen, in k e i n e m Fall ein h a n d greiflicher Stecken und Stab; aber in W a h r h e i t einfacher zu h a n d 11
die Wolken des Himmels
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Mensch,..«
haben als diese, wenn n u r unsere H ä n d e nicht greifen, sondern durch G e b ä r d e n geleitet sind, d i e d e m M a ß e n t s p r e c h e n , d a s hier z u n e h m e n ist. D i e s g e s c h i e h t i n e i n e m N e h m e n , d a s n i e d a s M a ß an sich reißt, s o n d e r n e s n i m m t i m g e s a m m e l t e n V e r n e h m e n 0 , das e i n H ö r e n bleibt. A b e r w a r u m soll d i e s e s , f ü r u n s H e u t i g e s o b e f r e m d l i c h e M a ß dem Menschen zugesprochen u n d durch die M a ß - N a h m e des D i c h t e n s mitgeteilt sein? Weil n u r dieses M a ß d a s W e s e n d e s M e n s c h e n er-mißt. D e n n d e r M e n s c h wohnt, indem er d a s »auf der E r d e « und d a s » u n t e r d e m H i m m e l « d u r c h m i ß t . D i e s e s » a u f « und dieses »unter« gehören z u s a m m e n . I h r Ineinander istdie D u r c h m e s s u n g , die d e r M e n s c h jederzeit durchgeht, insofern er a l s I r d i s c h e r ist. I n e i n e m B r u c h s t ü c k ( S t u t t g . A u s g a b e 11,1 S . 3 3 4 ) sagt Hölderlin: »Immer, Liebes! gehet Die E r dundderHimmel
hält.«
W e i l d e r M e n s c h ist, i n s o f e r n e r d i e D i m e n s i o n a u s s t e h t , m u ß sein W e s e n jeweils v e r m e s s e n w e r d e n . D a z u b e d a r f e s eines M a ßes, d a s in e i n e m z u m a l d i e g a n z e D i m e n s i o n betrifft. D i e s e s M a ß erblicken, e s als d a s M a ß er-messen und es als das M a ß nehmen, heißt fürden Dichter: dichten. D a sDichten ist diese M a ß N a h m e u n d zwar für d a s Wohnen des Menschen. Unmittelbar n a c h d e m Wort » D e s M e n s c h e n M a a ß ist's« folgen n ä m l i c h p i m G e d i c h t die Verse: »Voll Verdienst, doch dichterisch, w o h n e t d e r M e n s c h a u f dieser Erde.« W i s s e n w i r jetzt, w a s f ü r H ö l d e r l i n d a s » D i c h t e r i s c h e « ist? J a und nein. Ja, insofern w i r eine Weisung empfangen, in welcher Hinsicht d a s Dichten z u denken ist, nämlich als ein ausgezeichnetes Messen. Nein, insofern dasDichten als d a s Er-messen jenes seltsamen Maßes i m m e r geheimnisvoller wird. S o muß es wohl
° An-nehmen Sichwerdanken d.h. eigens genannt: gesagt —
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wohnet der Mensch...«
auch bleiben, w e n n anders wir bereit sind, uns i m W e s e n s b e r e i c h der D i c h t u n g auf-zu-halten.q Indessen befremdet es doch, wenn Hölderlin d a s Dichten als ein M e s s e n denkt. U n dd a s m i tRecht, solange w i r n ä m l i c h d a s M e s s e n n u r i n d e m uns g e l ä u f i g e n S i n n e v o r s t e l l e n . D a w i r d m i t Hilfe vonBekanntem, nämlich d e nMaßstäben u n d Maßzahlen, ein U n b e k a n n t e s abgeschritten, d a d u r c h b e k a n n t g e m a c h t und s o in eine j e d e r z e i t ü b e r s e h b a r e A n z a h l u n d O r d n u n g e i n g e g r e n z t . D i e s e s M e s s e n k a n n sich j e n a c h d e rArt d e r bestellten1 A p p a r a turen abwandeln. D o c h w e rverbürgt denn, daß diese gewohnte Art d e s Messens, nur weil sie d i e gewöhnliche ist,schon d a s Wesen d e s M e s s e n s trifft? W e n n w i r v o m M a ß hören, d e n k e n w i r sogleich a n die Zahl und stellen beides, M a ß u n dZahl, als etwas Q u a n t i t a t i v e s vor. A l l e i n , d a s W e s e n d e s M a ß e s ist s o w e n i g w i e das Wesen d e r Zahl ein Q u a n t u m . M i tZahlen können w i r wohl rechnen, aber nicht m i t d e mW e s e n der Zahl. W e n n Hölderlin das D i c h t e n a l s ein M e s s e n erblickt und e s vor a l l e m selber a l s d i e M a ß - N a h m e vollbringt, dann müssen wir, u m das Dichten z u denken, i m m e r wieder zuerst d a sM a ß bedenken, d a si m Dichten g e n o m m e n wird; wir m ü s s e n a u fdie Art dieses N e h m e n s achten, das nicht in e i n e m Zugriff, ü b e r h a u p t nicht in e i n e m Greifen beruht, sondern in einem K o m m e n - l a s s e n d e s Z u - G e m e s s e n e n . W a s ist das M a ß f ü r d a s D i c h t e n ? D i e Gottheit; also Gott? Wer ist der Gott? Vielleicht ist diese F r a g e z u schwer f ü r d e n M e n s c h e n und z u voreilig. F r a g e n w i r d a r u m zuvor, w a s von Gott z u sagen sei. F r a g e n w i r erst nur: W a s i s t G o t t ? Z u m G l ü c k und z u rHilfe sind u n s Verse Hölderlins erhalten, die sachlich und zeitlich in den U m k r e i s d e s G e d i c h t e s » I n lieblicher B l ä u e b l ü h e t . . . « gehören. S i e beginnen (Stuttg. A u s g a b e 11,1 S . 2 1 0 ) : » W a s ist Gott? unbekannt, dennoch Voll E i g e n s c h a f t e n ist d a s A n g e s i c h t ' bleiben — aushalten — anhalten — zurückhalten r bestellbaren
204
»... dichterisch
wohnet
der
Mensch...«
D e s H i m m e l s von ihm. D i e Blize n e m l i c h D e r Z o r n sind eines Gottes. J e m e h r ist eins U n s i c h t b a r , schiket es sich in F r e m d e s ...« Was d e m Gott f r e m d bleibt, die A n b l i c k e des H i m m e l s , dies ist d e m M e n s c h e n das Vertraute. U n d was ist dies? Alles, was am H i m m e l u n d somit u n t e r d e m H i m m e l u n d somit auf der E r d e glänzt u n d b l ü h t , t ö n t u n d duftet, steigt u n d k o m m t , aber auch geht u n d fällt, aber auch klagt u n d schweigt, aber auch erbleicht u n d dunkelt. In dieses d e m M e n s c h e n Vertraute, d e m Gott aber F r e m d e , schicket sich der U n b e k a n n t e , u m darin als der U n b e k a n n t e b e h ü t e t zu bleiben. D e r D i c h t e r j e d o c h ruft alle H e l l e der A n b l i c k e des H i m m e l s u n d j e d e n H a l l seiner B a h n e n u n d L ü f t e in das s i n g e n d e Wort u n d b r i n g t d a r i n das G e r u f e n e z u m L e u c h ten u n d Klingen. Allein, der D i c h t e r b e s c h r e i b t nicht, w e n n er D i c h t e r ist, das bloße E r s c h e i n e n des H i m m e l s u n d der Erde. D e r D i c h t e r ruft in den A n b l i c k e n des H i m m e l s Jenes, was im Siche n t h ü l l e n g e r a d e das S i c h v e r b e r g e n d e e r s c h e i n e n läßt u n d zwar: als das Sichverbergende. D e r D i c h t e r ruft in den v e r t r a u t e n Ers c h e i n u n g e n das F r e m d e als j e n e s , w o r e i n das U n s i c h t b a r e sich schicket, um das zu b l e i b e n , was es ist: u n b e k a n n t . D e r D i c h t e r dichtet n u r d a n n , w e n n er das M a ß n i m m t , i n d e m er die Anblicke des H i m m e l s so sagt, daß er sich seinen E r s c h e i n u n g e n als d e m F r e m d e n fügt, w o r e i n der u n b e k a n n t e Gott sich »schiket«. D e r u n s geläufige N a m e f ü r A n b l i c k u n d A u s s e h e n von etwas lautet »Bild«. Das Wesen des Bildes ist: etwas sehen zu lassen. 8 D a g e g e n sind die A b b i l d e r u n d N a c h b i l d e r bereits Abarten des e i g e n t l i c h e n Bildes, das als Anblick das U n s i c h t b a r e sehen läßt u n d es so in ein i h m F r e m d e s einbildet.' Weil das D i c h t e n j e n e s g e h e i m n i s v o l l e M a ß n i m m t , n ä m l i c h am A n g e s i c h t des H i m m e l s , d e s h a l b spricht es in »Bildern«. D a r u m sind die d i c h t e r i schen Bilder E i n - B i l d u n g e n in e i n e m a u s g e z e i c h n e t e n Sinne:
s 1
Akzente (1954): vgl. Sprache und Heimat »bilden« [in: GA Bd. 13] είκω
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wohnet
der
Mensch...«
n i c h t bloße P h a n t a s i e n u n d I l l u s i o n e n , sondern E i n - B i l d u n g e n als e r b l i c k b a r e E i n s c h l ü s s e des F r e m d e n in den Anblick des Vert r a u t e n . D a s d i c h t e n d e Sagen der Bilder v e r s a m m e l t H e l l e u n d H a l l der H i m m e l s e r s c h e i n u n g e n in E i n e s m i t d e m D u n k e l u n d d e m Schweigen des F r e m d e n . D u r c h solche A n b l i c k e b e f r e m d e t der Gott. In der B e f r e m d u n g b e k u n d e t er seine u n a b l ä s s i g e N ä h e . D a r u m k a n n H ö l d e r l i n im G e d i c h t n a c h den Versen »Voll Verdienst, doch d i c h t e r i s c h , w o h n e t der M e n s c h auf dieser Erde« fortfahren: »... D o c h r e i n e r Ist n i c h t der Schatten der N a c h t m i t den Sternen. W e n n ich so sagen k ö n n t e , als D e r M e n s c h , der h e i ß e t ein Bild der Gottheit.« »... der Schatten der Nacht« — die N a c h t selber ist der Schatten, j e n e s D u n k l e , das nie bloße F i n s t e r n i s w e r d e n k a n n , weil es als Schatten dem L i c h t z u g e t r a u t , von i h m geworfen bleibt. Das M a ß , w e l c h e s das D i c h t e n n i m m t , schickt sich als das F r e m d e , w o r e i n der U n s i c h t b a r e sein Wesen schont, in das Vertraute der Anblicke des H i m m e l s . D a r u m ist das M a ß von der Wesensart des H i m m e l s . Aber der H i m m e l ist n i c h t eitel Licht. D e r Glanz seiner H ö h e ist in sich das D u n k l e seiner alles b e r g e n d e n Weite. Das Blau der lieblichen B l ä u e des H i m m e l s ist die Farbe der Tiefe. D e r Glanz des H i m m e l s ist A u f g a n g u n d U n t e r g a n g der D ä m m e r u n g , die alles V e r k ü n d b a r e birgt. Dieser F l i m m e l ist das M a ß . D a r u m m u ß der D i c h t e r fragen: »Giebt es auf E r d e n ein Maaß?« U n d er m u ß a n t w o r t e n : »Es giebt keines«. W a r u m ? Weil das, was wir n e n n e n , w e n n wir sagen »auf der Erde«, n u r besteht, insofern der M e n s c h die E r d e b e - w o h n t u n d im W o h n e n die E r d e als E r d e sein läßt. D a s W o h n e n aber geschieht nur, w e n n das D i c h t e n sich ereignet u n d west u n d zwar in der Weise, d e r e n Wesen wir jetzt a h n e n ,
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»... dichterisch
wohnet
der
Mensch...«
n ä m l i c h als d i e M a ß - N a h m e f ü r alles M e s s e n . S i e ist selber d a s eigentliche Vermessen, kein bloßes A b m e s s e n m i tfertigen Maßstäben z u rVerfertigung von Plänen. D a sDichten ist d a r u m auch kein B a u e n i m Sinne desErrichtens und Einrichtens von Bauten. A b e r d a sD i c h t e n ist a l s d a s eigentliche E r m e s s e n der D i m e n s i o n des W o h n e n s d a s anfängliche B a u e n . D a s D i c h t e n läßt d a s Wohnen d e s M e n s c h e n allererst in sein W e s e n ein. D a s D i c h t e n ist d a s ursprüngliche Wohnenlassen. D e r Satz: D e r M e n s c h w o h n t , insofern e r baut, hat jetzt seinen eigentlichen Sinn erhalten. Der M e n s c h wohnt nicht, insofern er seinen Aufenthalt a u f d e rErde unter d e mH i m m e l n u r einrichtet, i n d e m er a l s B a u e r d a s W a c h s t u m pflegt und z u g l e i c h B a u t e n errichtet. D i e s e s B a u e n v e r m a g d e r M e n s c h nur, w e n n er schon baut i m Sinne d e rdichtenden M a ß - N a h m e . D a s eigentliche Bauen geschieht, insofern D i c h t e r sind, solche, d i e d a s M a ß n e h m e n für d i e A r c h i t e k t o n i k , f ü r d a s B a u g e f ü g e d e s W o h n e n s . Hölderlin schreibt a m 12. M ä r z 1804 a u s N ü r t i n g e n a n seinen F r e u n d L e o v. Seckendorf: » D i e Fabel, poetische Ansicht d e r G e schichte und Architektonik des H i m m e l s beschäfftiget mich gegenwärtig vorzüglich, besonders d a s Nationelle, sofern es v o n d e m G r i e c h i s c h e n v e r s c h i e d e n ist.« ( H e l l i n g r a t h V 2 , S . 335) »... dichterisch, wohnet derMensch ...« Das Dichten erbaut d a sWesen des Wohnens. Dichten und Wohnen schließen sich nicht n u rnicht aus. D i c h t e n und W o h n e n g e hören vielmehr, wechselweise einander fordernd, zusammen. » D i c h t e r i s c h w o h n e t d e r M e n s c h . « W o h n e n wir d i c h t e r i s c h ? V e r mutlich wohnen wir durchaus undichterisch. Wird, wenn es so steht, d a sWort des D i c h t e r s d a d u r c h L ü g e n gestraft und u n w a h r ? Nein. D i e Wahrheit seines Wortes wird a u f die unheimlichste W e i s e bestätigt. D e n n undichterisch k a n n e i n W o h n e n n u r sein, weil d a s W o h n e n i m W e s e n dichterisch ist. D a m i t e i n M e n s c h blind sein kann, m u ß er seinem W e s e n nach e i n S e h e n d e r bleiben. E i n Stück H o l z k a n n n i e m a l s erblinden. W e n n aber d e r
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wohnet
der
Mensch...«
M e n s c h blind wird, dann isti m m e r noch d i eF r a g e , o b d i e Blindheit a u s e i n e m M a n g e l u n dVerlust k o m m t oder o b sie in e i n e m Überfluß u n d Ü b e r m a ß beruht. Hölderlin sagt i m selben G e dicht, d a s d e m M a ß f ü r alles M e s s e n n a c h s i n n t (Vers 7 5 / 7 6 ) : » D e r K ö n i g O e d i p u s h a tein A u g e zuviel vieleicht.« S o könnte e s sein, d a ß unser undichterisches W o h n e n , sein U n v e r m ö g e n , d a s M a ß z u n e h m e n , a u s einem seltsamen Ü b e r m a ß eines rasenden Messens und Bechnens käme. Daß w i rund inwiefern w i rundichterisch wohnen, können w i r in j e d e m F a l l e n u r e r f a h r e n , w e n n w i r d a s D i c h t e r i s c h e w i s s e n . Ob u n sund w a n n uns eine Wende d e s undichterischen W o h n e n s trifft, dürfen wir nur e r w a r t e n , w e n n w i r d a s D i c h t e r i s c h e in d e r Acht behalten. Wie unser Tun und Lassen und inwieweit es einen Anteil a n dieser W e n d e haben kann, b e w ä h r e n n u r w i r selbst, w e n n w i r d a sDichterische ernst n e h m e n . Das Dichten ist d a s G r u n d v e r m ö g e n d e s menschlichen Wohnens. A b e r d e rM e n s c h v e r m a g das D i c h t e n jeweils nur nach d e m M a ß e , w i e sein W e s e n d e mvereignet ist, w a s selber d e n M e n schen m a g und d a r u m sein W e s e n braucht. J e nach d e m M a ß dieser V e r e i g n u n g i s t d a s D i c h t e n e i g e n t l i c h oder u n e i g e n t l i c h . D a r u m ereignet sich d a s eigentliche D i c h t e n auch nicht z u jeder Zeit. W a n n u n d w i e l a n g e ist d a s eigentliche D i c h t e n ? Hölderlin sagt es in d e nbereits gelesenen Versen (26/29). Ihre Erläuterung wurde b i sjetzt absichtlich zurückgestellt. D i e Verse lauten: »... S o lange d i eF r e u n d l i c h k e i t noch Arn Herzen, dieBeine, dauert, misset N i c h t u n g l ü k l i c h d e r M e n s c h sich Mit derGottheit... « » D i e F r e u n d l i c h k e i t « — was ist dies? E i n h a r m l o s e s Wort, aber von Hölderlin m i t d e mgroßgeschriebenen Beiwort »die Reine« genannt. »Die Freundlichkeit« — dieses Wort ist, wenn w i res wörtlich n e h m e n , Hölderlins herrliche Ü b e r s e t z u n g f ü rd a s grie-
208
»... dichterisch
wohnet
chische Wort χάρις. Von der (v. 522):
der
Mensch...«
χάρις sagt
Sophokles
im
»Aias«
χάρις χάριν γάρ έστΐΎ ή τίκτουσ ' άεί » H u l d d e n n ist's, die H u l d h e r v o r - r u f t immer.« »Solange ert...« dung:
die F r e u n d l i c h k e i t
Hölderlin
»am Herzen«,
angekommen
noch
nicht:
Herzen,
ihm
im Herzen;
beim wohnenden
m e n als A n s p r u c h d e s M a ß e s das M a ß
am
sagt in e i n e r von
Wesen
die R e i n e ,
gern gebrauchten »am Herzen«,
das
des M e n s c h e n ,
an das H e r z
so, d a ß
dauWenheißt
angekom-
dieses sich
an
kehrt.
So l a n g e d i e s e A n k u n f t d e r H u l d d a u e r t , so l a n g e g l ü c k t es, d a ß der
Mensch
Messen, schen.
misset
dichtet
Ereignet
menschlich letzten
sich
dann
auf
Gedicht
mit
der
Gottheit.
der M e n s c h
sich das D i c h t e r i s c h e , dieser Erde, sagt,
dann
»das L e b e n
Ereignet
sich
aus d e m W e s e n des dann wohnet
ist, w i e
der
Hölderlin
der M e n s c h e n «
ein
dieses
Dichteriin
Mensch seinem
»wohnend
L e b e n « . ( S t u t t g . A u s g . 11,1 S. 3 1 2 )
Die
Aussicht
W e n n in die F e r n e g e h t der M e n s c h e n
wohnend
W o in die F e r n e sich e r g l ä n z t die Z e i t der Ist a u c h d a b e i des S o m m e r s leer Der Wald
Gefilde,
erscheint mit seinem dunklen
D a ß die N a t u r e r g ä n z t das Bild der Daß
d i e v e r w e i l t , sie s c h n e l l
Ist aus V o l l k o m m e n h e i t , Den Menschen
Leben,
Reben, Bilde.
Zeiten,
vorübergleiten,
des H i m m e l s H ö h e
dann, wie B ä u m e Blüth'
glänzet
umkränzet.
III
LOGOS (HERAKLIT, FRAGMENT 50)
213 Weit ist der nötigste Weg unseres Denkens. Er f ü h r t j e n e m Einfachen zu, das u n t e r dem N a m e n λόγος zu denken bleibt. Noch sind erst wenige Zeichen, die den Weg weisen. Das Folgende versucht, in freiem Überlegen am Leitband eines Spruches von Heraklit (B 50), einige Schritte auf dem Weg zu gehen. Vielleicht n ä h e r n sie u n s der Stelle, wo wenigstens dieser eine Spruch frag-würdiger zu u n s spricht:
199
ούκ έμού ά λ λ ά τοΰ Λόγου άκούσαντας όμολογεΐν σοφόν έστιν Έ ν Πάντα. Eine der u n t e r sich im ganzen einstimmigen Übersetzungen lautet: »Habt ihr nicht mich, sondern den Sinn vernommen, so ist es weise, im gleichen Sinn zu sagen: Eins ist Alles.« (Snell) Der Spruch spricht von άκούειν, hören und gehört haben, von όμολογειν, das Gleiche sagen, vom Λόγος, dem Spruch und der Sage, vom έγώ, dem Denker selbst, nämlich als λέγων, dem redenden. Heraklit bedenkt hier ein Hören und Sagen. Er spricht aus, was der Λόγος sagt: "Ev Πάντα, Eins ist alles. Der Spruch des Heraklit scheint nach jeder Hinsicht verständlich zu sein. Dennoch bleibt hier alles fragwürdig. Am fragwürdigsten ist das Selbstverständlichste, nämlich unsere Voraussetzung, das, was Heraklit sagt, müsse u n s e r e m s p ä t e r gekommenen Alltagsverstand unmittelbar einleuchten. Das ist eine Forderung, die sich vermutlich nicht einmal den Zeit- und Weggenossen des Heraklit erfüllt hat. Indessen dürften wir seinem Denken eher entsprechen, wenn wir zugeben, daß nicht erst für uns, auch nicht n u r für die Alten schon, daß vielmehr in der gedachten Sache selbst einige Rätsel bleiben. Wir kommen ihnen eher nahe, wenn wir davor zurücktreten. Dabei zeigt sich: u m das Rätsel als Rätsel zu merken, bedarf es vor allem anderen einer Aufhellung dessen, was λόγος, w a s λέγειν bedeutet.
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214
Logos (Heraklit, Fragment 50)
Seit dem A l t e r t u m w u r d e der Λόγος des Heraklit auf verschiedene Weise ausgelegt: als Ratio, als Verbum, als Weltgesetz, als das Logische und die Denknotwendigkeit, als der Sinn, als die Vernunft. Immer wieder verlautet ein Ruf nach der Vernunft als dem Richtmaß im Tun und Lassen. Doch was vermag die Vernunft, wenn sie zugleich mit der Un- und Widervernunft in der selben Ebene der gleichen Versäumnis verharrt, die vergißt, der Wesensherkunft der Vernunft nachzudenken und auf diese Ank u n f t sich einzulassen? Was soll die Logik, λογική (έπιστήμη) jedweder Art, wenn wir nie beginnen, auf den Λόγος zu achten und seinem anfänglichen Wesen zu folgen? Was λόγος ist, e n t n e h m e n wir dem λέγειν . Was heißt λέγειν? J e d e r m a n n , der die Sprache kennt, weiß: λέγειν heißt: sagen und reden; λόγος bedeutet: λέγειν als a u s s a g e n und λεγόμενον als d a s Ausgesagte. Wer möchte leugnen, daß in der Sprache der Griechen von früh an λέγειν reden, sagen, erzählen bedeutet? a Allein, es bedeutet gleich f r ü h und noch ursprünglicher und deshalb immer schon und d a r u m auch in der vorgenannten Bedeutung das, was unser gleichlautendes »legen« meint: nieder- und vorlegen. Darin waltet das Zusammenbringen, das lateinische legere als lesen im Sinne von einholen und zusammenbringen. Eigentlich bedeutet λεγειν das sich u n d anderes sammelnde Nieder- und Vorlegen. Medial gebraucht, meint λέγεσθοα: sich niederlegen in die Sammlung der Ruhe; λέχος ist das Ruhelager; λόχος ist der Hinterhalt, wo etwas hinterlegt und angelegt ist. (Zu bedenken bleibt hier auch das alte, nach Aischylos und P i n d a r aussterbende Wort άλέγω (α copulativum): mir liegt e t w a s an, es be k ü m m e r t mich.) Gleichwohl bleibt unbestritten: λέγειν heißt andererseits auch und sogar vorwiegend, wenn nicht ausschließlich: sagen und reden. Müssen wir deshalb zugunsten dieser vorherrschenden und gängigen Bedeutung des λέγειν, die sich noch vielfältig abwandelt, den eigentlichen Sinn des Wortes, λεγειν als legen, einfach in 1
vgl. Was heißt Denken? 120 ff. [vorgesehen als GA Bd. 8]
215 Logos (Heraklit, Fragment 50) den Wind schlagen? Dürfen wir denn ü b e r h a u p t solches wagen? Oder ist es nicht endlich an der Zeit, daß wir u n s auf eine Frage einlassen, die vermutlich vieles entscheidet? Die Frage lautet: Inwiefern gelangt der eigentliche Sinn von λέγειν, legen, zur Bedeutung von sagen und reden? Damit wir den Anhalt f ü r eine Antwort finden, ist ein Nachdenken darüber nötig, was im λεγειν als legen eigentlich liegt. Legen heißt: zum Liegen bringen. Legen ist dabei zugleich: eines zum anderen-, ist zusammenlegen. Legen ist lesen. Das u n s bek a n n t e r e Lesen, nämlich das einer Schrift, bleibt eine, obzwar die vorgedrängte Art des Lesens im Sinne von: z u s a m m e n - i n s - V o r l i e gen-bringen. Die Ährenlese hebt die Frucht vom Boden auf. Die Traubenlese n i m m t die Beeren vom Rebstock ab. Auflesen und Abnehmen ergehen sich in einem Zusammentragen. Solange wir im gewohnten Augenschein beharren, sind wir geneigt, dieses Zusammenbringen schon f ü r das Sammeln oder gar f ü r dessen Beendigung zu halten. Sammeln ist jedoch mehr als bloßes Anhäufen. Zum Sammeln gehört das einholende Einbringen. Darin waltet das Unterbringen; in diesem jedoch das Verwahren. J e n e s »mehr«, das im S a m m e l n über das n u r aufgreifende Zusammenraffen hinausgeht, kommt zu diesem nicht erst hinzu. Noch weniger ist es sein zuletzt eintretender Abschluß. Das einbringende Verwahren h a t schon den Beginn der Schritte des Sammeins und sie alle in der Verflechtung ihrer Folge an sich genommen. Starren wir lediglich auf die Abfolge der Schritte, d a n n reiht sich dem Auflesen und Abheben das Zusammenbringen, diesem das Einbringen, diesem das Unterbringen im Behälter und Speicher an. So b e h a u p t e t sich der Anschein, als gehöre das Aufbewahren und Verwahren nicht mehr zum Sammeln. Doch was bleibt eine Lese, die nicht vom Grundzug des Bergens gezogen und zugleich getragen wird? Das Bergen ist das erste im Wesensbau der Lese. Das Bergen selbst jedoch birgt nicht das Beliebige, das irgendwo und irgendwann vorkommt. Das vom Bergen her eigentlich anfangende Sammeln, die Lese, ist in sich zum voraus ein Auslesen dessen, was Bergung verlangt. Die Auslese ihrerseits wird
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Logos
(Heraklit, Fragment 50)
aber von dem bestimmt, was innerhalb des Auslesbaren sich als das Erlesene zeigt. Das allererste gegenüber d e m Bergen im Wesensbau der Lese ist das Erlesen (alemannisch: die Vor-lese), dem die Auslese sich fügt, die alles Zusammen-, Ein- und Unter-bringen sich unterstellt. Die Ordnung, nach der die Schritte des sammelnden Tuns einander folgen, deckt sich nicht mit derjenigen der langenden u n d tragenden Züge, in denen das Wesen der Lese beruht. Zu jedem Sammeln gehört zugleich, daß die Lesenden sich sammeln, ihr Tun auf das Bergen versammeln und, von da her gesammelt, erst sammeln. Die Lese verlangt aus sich u n d für sich diese Sammlung. Im gesammelten Sammeln waltet ursprüngliche Versammlung. Das so zu denkende Lesen steht jedoch keineswegs neben dem Legen. Jenes begleitet auch nicht nur dieses. Vielmehr ist das Lesen schon dem Legen eingelegt. Jedes Lesen ist schon Legen. Alles Legen ist von sich her lesend. Denn was heißt legen? Das Legen bringt z u m Liegen, indem es beisammen-vor-liegen läßt. Allzugern nehmen wir das »lassen« im Sinne von weg- u n d fahren-lassen. Legen, z u m Liegen bringen, liegen lassen bedeutete dann: u m das Niedergelegte u n d Vorliegende sich nicht mehr kümmern, es übergehen. Allein, das λέγενν, legen, meint in seinem »beisammen-vor-liegen-Lassen« gerade dies, daß uns das Vorliegende anliegt u n d deshalb angeht. Dem »legen« ist als dem beisammen-vorliegen-Lassen daran gelegen, das Niedergelegte als das Vorliegende zu behalten. (»Legi« heißt im Alemannischen das Wehr, das im Fluß schon vor-liegt: dem Anströmen des Wassers). Das jetzt zu denkende Legen, das λέγειν, hat im voraus den Anspruch preisgegeben, ihn sogar nicht einmal gekannt, selber das Vorliegende erst in seine Lage zu bringen. Dem Legen als λεγενν liegt e i n z i g daran, das von-sich-her-beisammen-vor-Liegende als Vorliegendes in der Hut zu lassen, in die es nieder-gelegt bleibt. Welches ist diese Hut? Das beisammen-vor-Liegende ist in die Unverborgenheit ein-, in sie weg-, in sie h i n -
217 Logos
(Heraklit,
Fragment
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gelegt, in sie hinter-legt, d.h. in sie geborgen. Dem λέγειν liegt bei seinem gesammelt-vor-liegen-Lassen an dieser Geborgenheit des Vorliegenden im Unverborgenen. Das κεΐσθαΐ, fiir-sich-vorliegen des so Hinterlegten, des Όποκείμενον, ist nichts Geringeres und nichts Höheres als das Anwesen des Vorliegenden in die Unverborgenheit. In dieses λέγειν des ΰποκείμενον bleibt das λέγειν als lesen, sammeln eingelegt. Weil dem λέγεΐν als dem beisarnmen-vor-liegen-Lassen einzig an der Geborgenheit des Vorliegenden in der Unverborgenheit liegt, deshalb wird das zu solchem Legen gehörende Lesen im vorhinein v o m Verwahren her bestimmt. Λεγενν ist legen. Legen ist: in sich gesammeltes vorliegen-Lassen des beisammen-Anwesenden. Zur Frage steht: Inwiefern gelangt der eigentliche Sinn von λέγειν, das Legen, zur Bedeutung von sagen u n d reden? Die voraufgegangene Besinnung enthält schon die Anwort. Denn sie gibt uns zu bedenken, daß wir überhaupt nicht mehr in der versuchten Weise fragen dürfen. Weshalb nicht? Weil es sich in dem, was wir bedachten, keineswegs d a r u m handelt, daß dieses Wort λέγεΐν von der einen Bedeutung: »legen« zu der anderen: »sagen« gelangt. Wir haben uns im vorigen nicht mit dem Bedeutungswandel von Wörtern beschäftigt. Wir sind vielmehr auf ein Ereignis gestoßen, dessen Ungeheures sich in seiner bislang unbeachteten Einfachheit noch verbirgt. Das Sagen u n d Reden der Sterblichen ereignet sich von früh a n als λεγενν, a l s L e g e n . S a g e n u n d R e d e n wesen als d a s beisammen-vor-liegen-Lassen alles dessen, was, in der Unverborgenheit gelegen, anwest. Das ursprüngliche λέγειν, das Legen, entfaltet sich früh u n d in einer alles Unverborgene d u r c h w a l t e n den Weise als das Sagen und Reden. Das λεγειν läßt sich als das Legen von dieser seiner vorwaltenden Art überwältigen. Dies aber nur, u m so das Wesen von sagen u n d reden z u m voraus im Walten des eigentlichen Legens zu hinterlegen. Daß es das λέγειν ist als legen, worein sagen und reden ihr
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Logos (Heraklit, Fragment 50)
Wesen fügen, enthält den Hinweis auf die früheste und reichste Entscheidung über das Wesen der Sprache. Woher fiel sie? Die Frage ist so gewichtig und vermutlich die selbe wie die andere: Wie weit hinaus langt diese Prägung des Sprachwesens aus dem Legen? Sie reicht in das Äußerste der möglichen Wesensherkunft der Sprache. Denn als sammelndes vor-liegen-Lassen empfängt das Sagen seine Wesensart aus der Unverborgenheit des beisammen-vor-Liegenden. Die Entbergung aber des Verborgenen in das Unverborgene ist das Anwesen selbst des Anwesenden. Wir nennen es das Sein des Seienden. So bestimmt sich das im λέγεΐν als legen wesende Sprechen der Sprache weder von der Verlautb a r u n g (φ®νή), noch vom Bedeuten (σημαίνεΐν) her. Ausdruck und Bedeutung gelten seit langem als die Erscheinungen, die fraglos Züge der Sprache darbieten. Aber sie reichen weder eigens in den Bereich der anfänglichen Wesensprägung der Sprache, noch vermögen sie überhaupt diesen Bereich in seinen Hauptzügen zu bestimmen. Daß unversehens u n d früh u n d so, als sei da nichts geschehen, sagen als legen waltet u n d demgemäß sprechen als λέγειν erscheint, hat eine seltsame Folge gezeitigt. Das menschliche Denken erstaunte weder jemals über dieses Ereignis, noch gewahrte es darin ein Geheimnis, das eine wesenhafte Schickung des Seins an den Menschen verbirgt und diese vielleicht für jenen geschicklichen Augenblick aufspart, da die Erschütterung des Menschen nicht nur bis zu seiner Lage u n d zu seinem Stand reicht, sondern das Wesen des Menschen ins Wanken bringt. Sagen ist λέγειν. Dieser Satz hat, w e n n er wohl bedacht wird, jetzt alles Geläufige, Vernutzte u n d Leere abgestreift. Er nennt das unausdenkliche Geheimnis, daß sich das Sprechen der Sprache aus der Unverborgenheit des Anwesenden ereignet u n d sich gemäß dem Vorliegen des Anwesenden als das beisammen-vor-liegen-Lassen bestimmt. Ob das Denken endlich lernt, einiges von dem zu ahnen, was es heißt, daß noch Aristoteles das λέγεΐν als άποφαίνεσθαι umgrenzen kann? Der λόγος bringt das Erscheinende, das ins Vorliegen hervor-Kommende, von ihm selbst her
219 Logos (Heraklit, Fragment 50) z u m Scheinen, z u m
gelichteten Sichzeigen
(vgl. Sein und
Zeit
§ 7 B). Sagen ist gesammelt-sammelndes beisammen-vor-liegen-Lassen. Was ist dann, w e n n es so mit dem Wesen des Sprechens steht, das Hören? Als λεγειν bestimmt sich das Sprechen nicht vom sinnausdrückenden Schall her. Wenn somit das Sagen nicht von der Verlautbarung aus bestimmt wird, dann kann auch das ihm entsprechende Hören erstlich nicht darin bestehen, daß ein Schall, der das Ohr trifft, aufgefangen wird, daß Laute, die den Gehörssinn bedrängen, weitergeleitet werden. Wäre unser Hören erstlich und immer nur dieses Auffangen und Weiterleiten von Lauten, zu dem sich dann noch andere Vorgänge gesellen, dann bliebe es dabei, daß Lautliches z u m einen Ohr hinein- und z u m anderen hinausginge. Das geschieht in der Tat, wenn wir nicht auf das Zugesprochene gesammelt sind. Das Zugesprochene ist selbst aber das gesammelt vorgelegte Vorliegende. Das Hören ist eigentlich dieses Sichsammeln, das sich auf Anspruch und Zuspruch zusammennimmt. Das Hören ist erstlich das gesammelte Horchen. Im Horchsamen west das Gehör. Wir hören, w e n n wir ganz Ohr sind. Aber »Ohr« meint nicht den akustischen Sinnesapparat. Die anatomisch und physiologisch Vorfindlichen Ohren bewirken als Sinneswerkzeuge nie ein Hören, nicht einmal dann, w e n n wir dieses lediglich als ein Vernehmen von Geräuschen, Lauten u n d Tönen fassen. Solches Vernehmen läßt sich weder anatomisch feststellen, noch physiologisch nachweisen, noch überhaupt biologisch als ein Vorgang fassen, der innerhalb des Organismus abläuft, obwohl das Vernehmen nur lebt, indem es leibt. So wird denn, solange wir beim Bedenken des Hörens nach der Art der Wissenschaften vom Akustischen ausgehen, alles auf den Kopf gestellt. Wir meinen fälschlicherweise, die Betätigung der leiblichen Gehörwerkzeuge sei das eigentliche Hören. Dagegen dürfe das Hören im Sinne des Horchsamen u n d des Gehorsams nur als eine Übertragung jenes eigentlichen Hörens auf das Geistige gelten. Man kann im Bezirk der wissenschaftlichen Forschung viel Nützliches feststellen. Man kann zeigen, daß periodi-
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Logos
(Heraklit,
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sehe L u f t d r u c k s c h w a n k u n g e n von einer b e s t i m m t e n Frequenz als Töne e m p f u n d e n werden. Aus der Art solcher Feststellungen über das Gehör k a n n eine Forschung eingerichtet werden, die schließlich n u r noch die Spezialisten der Sinnesphysiologie beherrschen. Dagegen läßt sich ü b e r das eigentliche Hören vielleicht n u r Weniges sagen, d a s freilich j e d e n M e n s c h e n u n m i t t e l b a r a n g e h t . Hier gilt es nicht zu forschen, sondern n a c h d e n k e n d auf Einfaches zu achten. So gehört z u m eigentlichen Hören gerade dieses, daß der Mensch sich verhören k a n n , indem er d a s W e s e n h a f t e überhört. W e n n z u m eigentlichen Hören im Sinne der Horchs a m k e i t u n m i t t e l b a r nicht die O h r e n gehören, d a n n h a t es überh a u p t eine eigene B e w a n d t n i s mit dem Hören u n d den Ohren. Wir hören nicht, weil wir Ohren haben. Wir haben O h r e n u n d können leiblich mit O h r e n a u s g e r ü s t e t sein, weil wir hören. Die Sterblichen hören den Donner des Himmels, das R a u s c h e n des Waldes, d a s Fließen des B r u n n e n s , d a s Klingen des Saitenspiels, das R a t t e r n der Motoren, den L ä r m der S t a d t n u r u n d n u r so weit, als sie dem allen schon in irgendeiner Weise zugehören u n d nicht zugehören. Ganz Ohr sind wir, w e n n u n s e r e S a m m l u n g sich rein ins Horchsame verlegt u n d die O h r e n u n d den bloßen Andrang der L a u t e völlig vergessen h a t . Solange wir n u r den W o r t l a u t als den Ausdruck eines Sprechenden anhören, hören wir noch gar nicht zu. Wir gelangen so auch nie dahin, j e e t w a s eigentlich gehört zu haben. W a n n aber ist dieses? Wir h a b e n gehört, w e n n wir d e m Zugesprochenen gehören. Das Sprechen des Zugesprochenen ist λέγειν, beisammen-vor-liegen-lassen. Dem Sprechen gehören — dies ist nichts a n d e r e s als: jeweils das, w a s ein vor-liegen-Lassen b e i s a m m e n vorlegt, b e i s a m m e n liegen l a s s e n in s e i n e m G e s a m t . Solches Liegenlassen legt d a s Vorliegende als ein Vorliegendes. E s legt dieses als es selbst. Es legt Eines u n d das Selbe in Eins. E s legt E i n e s als d a s Selbe. Solchesλέγειν legt ein u n d d a s selbe, dasôμόv. Solches λέγειν ist d a s όμολογεΐν: Eines als Selbes, ein Vorliegendes im Selben seines Vorliegens g e s a m m e l t vorliegen-lassen.
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(Heraklit,
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Im λέγειν als dem όμθλογεΐν west das eigentliche Hören. Dieses ist somit ein λέγειν, das vorliegen läßt, was schon beisammen-vor-liegt und zwar liegt aus einem Legen, das alles von sich her beisammen-vor-Liegende in seinem Liegen angeht. Dieses ausgezeichnete Legen ist das λεγειν, als welches der Λόγος sich ereignet. Damit wird der Λόγος schlichthin genannt: 8 Λόγος, das Legen: das reine beisammen-vor-liegen-Lassen des von sich her Vorliegenden in dessen Liegen. So west der Λόγος als das reine versammelnde lesende Legen. Der Λόγος ist die ursprüngliche Vers a m m l u n g der anfänglichen Lese aus der anfänglichen Lege. λ 0 Λόγος ist: die lesende Lege und nur dieses. Allein, ist dies alles nicht ein willkürliches Deuten und ein allzu befremdendes Übersetzen angesichts der gewohnten Verständlichkeit, die den Λόγος als den Sinn und die V e r n u n f t zu kennen meint? Befremdlich klingt es zunächst und bleibt es vielleicht noch lange Zeit, wenn der Λόγος die lesende Lege heißt. Wie soll aber j e m a n d entscheiden, ob das, w a s diese Übersetzung als Wesen des Λόγος vermutet, auch n u r im entferntesten dem gemäß bleibt, w a s Heraklit im N a m e n 8 Λόγος gedacht und g e n a n n t hat? Der einzige Weg zur Entscheidung ist, das zu bedenken, was Heraklit selbst in dem a n g e f ü h r t e n Spruch sagt. Der Spruch beginnt: ούκ έμου . . . Er beginnt mit einem h a r t abweisenden »Nicht.. .«. Es bezieht sich auf den redenden, sagenden Heraklit selbst. Es betrifft das Hören der Sterblichen. »Nicht auf mich«, nämlich diesen Redenden, nicht auf die V e r l a u t b a r u n g seiner Rede dürft ihr hören. Ihr hört ü b e r h a u p t nicht eigentlich, solange ihr nur die Ohren an Klang und Fluß einer menschlichen Stimme hängt, u m an ihr eine Redensart f ü r euch aufzuschnappen. Heraklit beginnt den Spruch mit einer Zurückweisung des Hörens aus bloßer Ohrenlust. Aber diese Abwehr b e r u h t in einem Hinweis auf das eigentliche Hören. Ούκ έμοΰ ά λ λ ά . . . nicht mich sollt ihr an hören (wie anstarren), sondern . . . das sterbliche Hören muß auf Anderes zugehen. Worauf? àXXà Χθΰ Λόγου. Die Art des eigentlichen Hörens bes t i m m t sich vom Λόγος her. Insofern aber der Λόγος schlichthin
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genannt ist, kann er nicht irgend etwas Beliebiges unter dem Übrigen sein. Das ihm gemäße Hören kann daher auch nicht gelegentlich auf ihn zugehen, u m ihn dann wieder zu übergehen. Die Sterblichen müssen, w e n n ein eigentliches Hören sein soll, den Λογος schon gehört haben mit einem Gehör, das nichts Geringeres bedeutet als: dem Λογος gehören. Ούκ έμοΰ ά λ λ ά τοΰ Λόγου άκούσαντας : »Wenn ihr nicht mich (den Redenden) bloß angehört habt, sondern w e n n ihr euch im horchsamen Gehören aufhaltet, dann ist eigentliches Hören.« Was ist dann, w e n n solches ist? Dann ist όμολογεΐν, das nur sein kann, was es ist, als ein λέγεΐν. Das eigentliche Hören gehört dem Λόγος. Deshalb ist dieses Hören selbst ein λέγειν. Als solches ist das eigentliche Hören der Sterblichen in gewisser Weise das Selbe wie der Λόγος. Gleichwohl ist es gerade als όμολογεΐν ganz u n d gar nicht das Selbe. Es ist nicht selber der Λόγος selbst. Das όμολογεΐν bleibt vielmehr ein λέγεΐν, das immer nur legt, liegen läßt, was schon als όμόν, als Gesamt beisammen vorliegt u n d zwar vor-liegt in einem Liegen, das niemals dem όμολογεΐν entspringt, sondern in der lesenden Lege, im Λόγος, beruht. Was ist aber dann, w e n n eigentliches Hören als das όμολογεΐν ist? Heraklit sagt: σοφόν έ σ ΐ ΐ ν . Wenn όμολογεΐν geschieht, dann ereignet sich, dann ist σοφόν. Wir lesen: σοφον εστΐν. Man übersetzt σοφον richtig mit »weise«. Aber was heißt »weise«? Meint es nur das Wissen der alten Weisen? Was wissen wir von solchem Wissen? Wenn dieses ein Gesehenhaben bleibt, dessen Sehen nicht das der sinnlichen Augen ist, so wenig wie das Gehörthaben ein Hören mit den Gehörwerkzeugen, dann fallen das G e h ö r t u n d Gesehenhaben vermutlich zusammen. Sie meinen kein bloßes Erfassen, sondern ein Verhalten. Aber welches? Jenes, das sich im Aufenthalt der Sterblichen hält. Dieser hält sich an das, was die lesende Lege schon jeweils an Vorliegendem vorliegen läßt. So bedeutet denn σοφόν dasjenige, was sich an das Zugewiesene halten, in es sich schicken, für es sich schicken (auf den Weg machen) kann. Als ein schickliches wird das Verhalten geschickt. Mundartlich gebrauchen wir noch, w e n n wir sagen wollen, je-
223 Logos (Heraklit, Fragment 50) mand sei in einer Sache besonders geschickt, die Wendungen: er hat ein Geschick dafür und macht einen Schick daran. So treffen wir eher die eigentliche Bedeutung von σοφόν, das wir durch »geschicklich« b übersetzen. Aber »geschicklich« sagt im vorhinein m e h r als »geschickt«. W e n n das eigentliche H ö r e n als όμολογεΐν dann ereignet sich Geschickliches, dann schickt sich das sterbliche λέγειν in den Λόγος. Dann liegt ihm an der lesenden Lege. Dann schickt sich das λεγειν in das Schickliche, das in der Versammlung des anfänglich sammelnden Vorlegens beruht, d.h. in dem, was die lesende Lege geschickt hat. So ist denn zwar Geschickliches, wenn die Sterblichen das eigentliche Hören vollbringen. Aber σοφόν, »geschicklich« ist nicht TO Σθφόν, das Geschickliche, das so heißt, weil es alle Schickung, und gerade auch diejenige in das Schickliche des sterblichen Verhaltens, in sich versammelt. Noch ist nicht ausgemacht, was nach dem Denken Heraklits ô Λόγος ist; unentschieden bleibt noch, ob die Ubersetz u n g von ό Λόγος als »die lesende Lege« ein Geringes von dem trifft, was der Λόγος ist. Und schon stehen wir vor einem neuen Rätselwort: το Σοφόν. Wir mühten uns vergeblich, es im Sinne Heraklits zu denken, solange wir nicht seinem Spruch, darin es spricht, bis in die Worte gefolgt sind, die ihn abschließen. Insofern das Hören der Sterblichen eigentliches Hören geworden ist, geschieht όμολογεΐν. Insofern solches geschieht, ereignet sich Geschickliches. Worin und als was west Geschickliches? Heraklit sagt: όμθλογεΐν σοφον eOTIV "Ev Πάντα , »Geschiekliches ereignet sich, insofern Eins Alles.« Der jetzt geläufige Text lautet: EV πάντα ε ΐ ν α ΐ . Das ε ΐ ν α ΐ ist die Abänderung der einzig überlieferten Lesung: B/ πάντα ειδέναι, die man versteht im Sinne von: weise ist es, zu wissen, Alles sei eins. Die Konjektur εννοα ist sachgemäßer. Doch wir lassen das Verbum beiseite. Mit welchem Recht? Weil das Έ ν Πάντα genügt. Aber es genügt nicht nur. Es bleibt für sich weit mehr der hier gedachten 11
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als
geschickt
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Sache und somit dem Stil des heraklitischen Sagens gemäß. "Ev Πάντα, Eins: Alles, Alles: Eins. Wie leicht spricht man diese Worte hin. Wie einleuchtend gibt sich das ins Ungefähre Gesprochene. Eine verschwimmende Mannigfaltigkeit von Bedeutungen nistet sich in die beiden gefährlich harmlosen Worte Ev und πάντα ein. Ihre unbestimmte Verknüpfung verstattet vieldeutige Aussagen. In den Worten Ev πάντα kann die flüchtige Oberflächlichkeit des ungefähren Vorstellens mit der zögernden Vorsicht des fragenden Denkens zusammentreffen. Ein eilfertiges Erklären der Welt kann sich des Satzes »Eins ist alles« bedienen, u m sich damit auf eine überall und jederzeit irgendwie richtige Formel zu stützen. Aber auch die ersten, allem Geschick des Denkens weit voraus folgenden Schritte eines Denkers können sich im "Ev ΠάνΤ(Χ verschweigen. In diesem anderen Fall sind die Worte Heraklits. Wir kennen ihren Gehalt nicht in dem Sinne, daß wir vermöchten, die Vorstellungsweise Heraklits wieder aufleben zu lassen. Wir sind auch weit davon entfernt, das in den Worten Gedachte nachdenkend auszumessen. Aber aus dieser weiten Ferne könnte es doch einmal glücken, einige Züge des Maßraumes der Worte "Ev und Πάντα u n d des Wortes "Ev Πάντα deutlicher zu zeichnen. Dieses Zeichnen bliebe eher ein freiwagendes Vorzeichnen als ein selbstsicheres Nachzeichnen. Wir dürfen eine solche Zeichnung freilich nur versuchen, w e n n wir das von Heraklit Gesagte aus der Einheit seines Spruches bedenken. Der Spruch nennt, indem er sagt, was und wie Geschickliches ist, den Λογος. Der Spruch schließt mit "Ev Πάντα. Ist dieser Schluß nur ein Ende oder schließt er das zu Sagende erst zurücksprechend auf? Die gewöhnliche Auslegung versteht den Spruch des Heraklit so: es ist weise, auf den Ausspruch des Λόγος zu hören und den Sinn des Aus gesprochenen zu beachten, indem man das Gehörte nachspricht in der Aussage: Eins ist Alles. Es gibt den Λόγος. Dieser hat etwas zu verkünden. Es gibt dann auch das, was er verkündet, daß nämlich Alles Eins sei. Allein, das "Ev Πάντα ist nicht das, was der Λόγος als Spruch
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(Heraklit,
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verkündet und als Sinn zu verstehen gibt. "Ev IIOCVXOC ist nicht das, was der Λόγος aussagt, sondern "Ev Πάντα besagt, in welcher Weise der Λόγος west. "Ev ist das Einzig-Eine als das Einende. Es eint, indem es versammelt. Es versammelt, indem es lesend vorliegen läßt das Vorliegende als solches und im Ganzen. Das Einzig-Eine eint als die lesende Lege. Dieses lesend-legende Einen versammelt in sich das Einende dahin, daß es dieses Eine und als dieses das Einzige ist. Das im Spruch des Heraklit genannte " E v FI(XVT(X gibt den einfachen Wink in das, was der Λογος ist. Kommen wir vom Weg ab, w e n n wir vor allen tiefsinnigen metaphysischen Deutungen den Λόγος als das Λέγεΐν denken und d e n k e n d d a m i t e r n s t m a c h e n , d a ß d a s Λέγειν als lesendes beisammen-vor-liegen-Lassen nichts anderes sein kann als das Wesen des Einens, das alles ins All des einfachen Anwesens versammelt? Auf die Frage, was der Λογος sei, gibt es nur eine gemäße Antwort. Sie lautet in unserer Fassung: ό Λόγος λέγει. Er läßt beisammen-vor-liegen. Was? Πάντα. Was dieses Wort nennt, sagt uns Heraklit unmittelbar u n d eindeutig a m Beginn des Spruches B7:Ei πάνχα τα δνχα . . . »Wenn Alles (nämlich) das Anwesende . .. « Die lesende Lege hat als der Λόγος Alles, das Anwesende, in die Unverborgenheit niedergelegt. Das Legen ist ein Bergen. Es birgt alles Anwesende in sein Anwesen, aus dem es eigens als das jeweilige Anwesende durch das sterbliche λέγειν ein- und her-vor-geholt w e r d e n kann. Der Λθγθζ legt ins Anwesen vor und legt das Anwesende ins Anwesen nieder, d.h. zurück. All-Wesen besagt jedoch: hervorgekommen im Unverborgenen währen. Insofern der Λόγος das Vorliegende als ein solches vorliegen läßt, entbirgt er das Anwesende in sein Anwesen. Das Entbergen aber ist die Άλήθεΐα. Diese und der Λόγος sind das Selbe. Das λέγεΐν läßt άληθέα, Unverborgenes als solches vorliegen (B 112). Alles Entbergen enthebt Anwesendes der Verborgenheit. Das Entbergen braucht die Verborgenheit. D i e Ά-Λήθεια r u h t i n d e r Ληθη, schöpft aus dieser, legt vor, was durch diese hinterlegt bleibt. Der Λόγος ist in sich zumal ein Entbergen u n d Verbergen. Er ist die
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Άλήθεια. Die Unverborgenheit braucht die Verborgenheit, die Λήθη, als ihre Rücklage, aus der das Entbergen gleichsam schöpft. Der Λόγος, die lesende Lege, h a t in sich den e n t b e r g e n d - b e r g e n den Charakter. Insofern am Λόγος zu ersehen ist, wie das "Ev als das Einende west, zeigt sich zugleich, daß dieses im Λόγος wesende Einen unendlich verschieden bleibt von dem, was m a n als Verknüpfen und Verbinden" vorzustellen pflegt. Dieses im λέγειν beruhende Einen ist weder nur ein umfassendes Zusammengreifen, noch ein bloß ausgleichendes Verkoppeln der Gegensätze. Das "Ev Πάντα läßt beisammen in einem Anwesen vorliegen, w a s voneinander weg- und so gegeneinander abwest, wie Tag und Nacht, Winter und Sommer, Frieden und Krieg, Wachen und Schlafen, Dionysos und Hades. Solches durch die äußerste Weite zwischen An- und Abwesendem hindurch Ausgetragene, δΐαφερόμενον, läßt die lesende Lege in seinem Austrag vorliegen. Ihr Legen selber ist das Tragende im Austrag. Das "Ev selber ist a u s t r a g e n d .
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"Ev Πάντα sagt, was der Λόγος ist. Λόγος sagt, wie "Ev Πάντα west. Beide sind das Selbe. Wenn das sterbliche λεγειν sich in den Λόγος schickt, geschieht όμολογεΐν. Dieses v e r s a m m e l t sich im "Ev auf dessen einendes Walten. Wenn das όμολογεΐν geschieht, ereignet sich Geschickliches. Dennoch ist das όμολογεΐν nie das Geschickliche selber und eigentlich. Wo finden wir nicht n u r Geschickliches, sondern das Geschickliche schlichthin? Was ist dieses selbst? Heraklit sagt es eindeutig im Beginn des Spruches B 32: "Ev το σοφον μοΰνον, »das Einzig-Eine Alles Einende ist das Geschickliche allein«. Wenn jedoch das "Ev das Selbe ist mit dem Λόγος, d a n n ist 8 Λόγος το σοφον μοΰνον. Das allein und d.h. zugleich eigentlich Geschickliche ist der Λόγος. Insofern jedoch sterbliches λέγειν als όμολογεΐν sich in das Geschickliche schickt, ist es auf seine Weise Geschickliches. Inwiefern ist aber der Λόγος das Geschickliche, das eigentliche Geschick, d.h. die Versammlung des Schickens, das Alles j e in das c
Synthesis als
Vermitteln
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Seine schickt? Die lesende Lege v e r s a m m e l t alles Schicken bei sich, insofern es zubringend vorliegen läßt, jegliches An- und Abwesende auf seinen Ort und seine B a h n zuhält und alles ins All v e r s a m m e l n d birgt. So k a n n sich alles u n d jedes jeweils in das Eigene schicken und fügen. Heraklit sagt (B 64): Τά δέ Πάντα οίακίζει Κεραυνός. »Das Alles jedoch (des Anwesenden) s t e u e r t (ins Anwesen) der Blitz.« Das Blitzen legt jäh, in einem zumal, alles Anwesende ins Lichte seines Anwesens hervor. Der j e t z t g e n a n n t e Blitz steuert. Er bringt jegliches im voraus auf seinen ihm gewiesenen Wesensort zu. Solches Hinbringen in einem zumal ist die lesende Lege, der Λόγος. »Der Blitz« s t e h t hier als nennendes Wort f ü r Zeus. Dieser ist als der Höchste der Götter das Geschick des Alls. Demgemäß wäre der Λόγος, das "Ev Πάντα, nichts anderes als der oberste Gott. Das Wesen des Λόγος gäbe so einen Wink in die Gottheit des Gottes. Dürfen wir jetzt Λόγος, "Ev Πάντα, Ζεύς in eins setzen u n d gar noch behaupten, Heraklit lehre den Pantheismus? Heraklit lehrt weder diesen, noch lehrt er eine Lehre. Als Denker gibt er n u r zu denken. Im Hinblick auf unsere Frage, ob Λόγος ("Ev Πάντα) und Ζεύς das Selbe seien, gibt er sogar Schweres zu denken. D a r a n h a t das vorstellende Denken der nachkommenden J a h r h u n d e r t e und J a h r t a u s e n d e lang und ohne es zu bedenken getragen, u m schließlich die u n b e k a n n t e Bürde mit Hilfe des schon bereitgestellten Vergessens abzuwerfen. Heraklit sagt (B 32): "Ev xo Σοφον μοΰνον λέγεσθαι ούκ έθέλεν καΐ έθέλει Ζηνος ονομα. »Eins, das allein Weise, will nicht und will doch mit dem N a m e n Zeus b e n a n n t werden.« (Diels-Kranz)
Das tragende Wort des Spruches, έθέλω, bedeutet nicht »wollen«, sondern: von sich her bereit sein für.. .; έθέλω meint nicht ein bloßes Fordern, sondern: in der Rückbeziehung auf sich selber et-
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was zulassen. Damit wir jedoch das Gewicht des im Spruch Gesagten recht abwägen, müssen wir erwägen, was der Spruch in erster Linie sagt: "Ev . . . λέγεσθαΐ ΟΌΚ έθέλεΐ · »Das E i n z i g - E i n e Einende, die lesende Lege, ist nicht bereit . . . «, Wofür? λέγεσθαι, versammelt zu werden unter dem Namen »Zeus«. Denn durch solche Versammlung käme das "Ev als Zeus z u m Vorschein, der vielleicht immer nur ein Anschein bleiben müßte. Daß in dem angeführten Spruch von λέγεσθαι in unmittelbarer Beziehung zu ονομα (nennendes Wort) die Rede ist, bezeugt doch unbestreitbar die Bedeutung von λέγεΐν als sagen, reden, nennen. Indessen ist gerade dieser Heraklitspruch, der eindeutig allem zu widersprechen scheint, was im Voraufgegangenen über λέγειν und λόγος erörtert wurde, geeignet, uns erneut daran denken zu lassen, daß und inwiefern das λέγειν in seiner Bedeutung von »sagen« und »reden« nur verstehbar ist, w e n n es in seiner eig e n s t e n B e d e u t u n g als »legen« u n d »lesen« b e d a c h t w i r d . Nennen heißt: hervor-rufen. Das im N a m e n gesammelt Niedergelegte kommt durch solches Legen z u m Vorliegen u n d Vorschein. Das vom λέγεΐν her gedachte Nennen (δνομα) ist kein Ausdrücken einer Wortbedeutung, sondern ein vor-liegen-Lassen in dem Licht, worin etwas dadurch steht, daß es einen Namen hat.
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In erster Linie ist das "Ev, der Λόγος, das Geschick alles Geschicklichen, von seinem eigensten Wesen her nicht bereit, unter dem Namen »Zeus«, d. h. als dieser zu erscheinen: ούκ εθελεΐ. Erst darauf folgt K(xl εθελεΐ »aber auch bereit« ist das "Ev. Ist es nur eine Art zu reden, w e n n Heraklit zuerst sagt, das "Ev lasse die fragliche Nennung nicht zu, oder hat der Vorrang der Verneinung seinen Grund in der Sache? Denn das "Ev Πάντα ist als der Λόγος das Anwesenlassen alles Anwesenden. Das "Ev ist selbst jedoch kein Awesendes unter anderem. Es ist in seiner Weise einzig. Zeus dagegen ist nicht nur ein Anwesendes unter anderen. Er ist das höchste Anwesende. So bleibt Zeus auf eine ausnehmende Weise in das Anwesen gewiesen, diesem zugeteilt u n d gemäß solcher Zuteilung (Moîpa) versammelt in das alles ver-
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Fragment
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sammelnde "Ev, in das Geschick. Zeus ist nicht selbst das "Ev, wenngleich er als der Blitz steuernd die S c h i c k u n g e n des Geschickes vollbringt. Daß in Bezug auf das έθέλεΐ das θύκ zuerst genannt wird, besagt: eigentlich läßt das "Ev es zu, Zeus genannt u n d damit auf das Wesen eines Anwesenden unter a n d e r e m herabgesetzt zu werden, m a g hier auch das »unter« den Charakter des »über allem übrigen Anwesenden« haben. Andererseits läßt jedoch das "Ev nach d e m Spruch die Benenn u n g als Zeus auch wieder zu. Inwiefern? Die Antwort ist im soeben Gesagten schon enthalten. Wird das "Ev nicht von i h m selbst her als der Λόγος v e r n o m m e n , erscheint es vielmehr als das Πάντα, dann u n d nur d a n n zeigt sich das All des Anwesenden unter d e m Steuer des höchsten Anwesenden als das eine Ganze unter diesem Einen. Das Ganze des Anwesenden ist unter seinem Höchsten das "Ev als Zeus. Das "Ev selbst jedoch als "Ev II(XVT(X ist der Λόγος, die lesende Lege. Als der Λόγος ist das "Ev allein TO Σοφόν, das G e s c h i c k l i c h e als das Geschick selber: die Versammlung des S c h i c k e n s ins Anwesen. W e n n d e m άκούεΐν der Sterblichen einzig a m Λόγος, an der lesenden Lege, gelegen ist, d a n n hat sich das sterbliche λέγεΐν in das Gesamt des Λόγος schicklich verlegt. Das sterbliche λέγεΐν liegt im Λογος geborgen. Vom Geschick her ist es in das όμολογεΐν er-eignet. So bleibt es d e m Λογος vereignet. Auf solche Weise ist das sterbliche λέγενν geschicklich. Aber es ist nie das Geschick selbst: "Ev Πάντα als Ô Λόγος. Jetzt, da der Spruch des Heraklit deutlicher spricht, droht sein Gesagtes erneut ins Dunkel zu entfliehen. Das "Ev Παντα enthält zwar den Wink in die Weise, wie der Λόγος in seinem λέγεΐν west. Doch bleibt das λέγεΐν, m a g es als legen, mag es als sagen gedacht sein, nicht stets nur eine Art des sterblichen Verhaltens? Wird nicht, w e n n "Ev ΠάνΤ(Χ der Λόγος sein soll, ein gesonderter Zug des sterblichen Wesens z u m Grundzug dessen hinaufgesteigert, w a s über allem, weil vor allem sterblichen u n d unsterblichen Wesen das Geschick des Anwesens sei-
230
Logos
(Heraklit,
Fragment
50)
ber ist? Liegt im Λόγος die Erhöhung u n d Übertragung einer sterblichen W e s e n s a r t auf d a s Einzig-Eine? Bleibt d a s sterbliche λέγειν n u r die nachgebildete E n t s p r e c h u n g zu dem Λόγος, der in sich d a s Geschick ist, worin das Anwesen als solches u n d f ü r alles Anwesende b e r u h t ? Oder reicht solches Fragen, das sich a m Leitfaden eines E n t weder-oder a u f s p a n n t , ü b e r h a u p t nicht zu, weil im v o r a u s nie hin in das zu E r f r a g e n d e ? S t e h t es so, d a n n k a n n der Λόγος weder die Ü b e r s t e i g e r u n g des sterblichen λέγειν, noch dieses n u r die Nachbildung des m a ß g e b e n d e n Λόγος sein. D a n n h a t sowohl das W e s e n d e im λέγειν des όμολογενν, als a u c h - d a s W e s e n d e im λέγειν des Λόγος zugleich eine anfänglichere H e r k u n f t in der einfachen Mitte zwischen beiden. Gibt es d a h i n f ü r sterbliches D e n k e n einen Weg? In j e d e m Falle bleibt der P f a d z u n ä c h s t g e r a d e durch die Wege, die das frühgriechische Denken den N a c h k o m m e n d e n öffnet, verlegt u n d verrätselt. Wir b e s c h r ä n k e n u n s darein, erst einm a l vor d e m Rätsel z u r ü c k z u t r e t e n , u m einiges R ä t s e l h a f t e a n ihm zu erblicken. Der a n g e f ü h r t e Spruch des Heraklit (B 50) l a u t e t in der erläut e r n d e n Übertragung:
218
»Nicht mich, den sterblichen Sprecher, hört an; aber seid h o r c h s a m der lesenden Lege; gehört ihr erst dieser, d a n n hört ihr d a m i t eigentlich; solches Hören ist, insofern ein beisammen-vor-liegen-Lassen geschieht, dem d a s Gesamt, d a s vers a m m e l n d e liegen-Lassen, die lesende Lege vorliegt; w e n n ein liegen-Lassen geschieht des vor-liegen-Lassens, ereignet sich Geschickliches; d e n n d a s eigentlich Geschickliche, d a s Geschick allein, ist: das Einzig-Eine einend Alles.« Stellen wir die E r l ä u t e r u n g e n , ohne sie zu vergessen, auf die Seite, versuchen wir das Gesprochene H e r a k l i t s in u n s e r e Sprache herüberzusetzen, d a n n d ü r f t e sein Spruch lauten:
231 Logos
(Heraklit,
Fragment
50)
»Nicht mir, aber der lesenden Lege gehörig: Selbes liegen lassen: Geschickliches west (die lesende Lege): Eines einend Alles. « Geschicklich sind die Sterblichen, deren Wesen dem όμολθγεΐν vereignet bleibt, w e n n sie den Λόγος als "Ev Πάντα ermessen und seiner Zumessung gemäß werden. D a r u m sagt Heraklit (B 43): Ύβριν χρή σβεννύνοα μάλλον ή πυρκαϊήν. »Vermessenheit braucht es zu löschen eher denn Feuersbrunst.« Dergleichen braucht es, weil der Λόγος das όμολθγεΐν braucht, w e n n Anwesendes im Anwesen scheinen und erscheinen soll. Das όμολογεΐν schickt sich unvermessen in das Ermessen des Λόγος. Weither v e r n e h m e n wir aus dem erstgenannten Spruch (B 50) eine Weisung, die sich im letztgenannten Spruch (B 43) als die Not des Nötigsten u n s zuspricht: Bevor ihr euch auf die F e u e r s b r ü n s t e einlaßt, sei es, u m sie zu entfachen, sei es, u m sie zu löschen, löscht zuvor erst den Brand der Vermessenheit, die sich deshalb vermißt, in der M a ß n a h m e versieht, weil sie das Wesen des Λέγειν vergißt. Die Ubersetzung von λέγειν als gesammelt-vorliegen-lassen, von Λόγος als lesende Lege mag befremden. Doch es ist heilsamer f ü r das Denken, w e n n es im Befremdlichen wandert, s t a t t sich im Verständlichen einzurichten. Vermutlich hat Heraklit seine Z e i t g e nossen noch ganz anders, und zwar dadurch befremdet, daß er die ihnen geläufigen Worte λεγειν und λόγος in ein solches Sagen verwob und daß ihm 8 λόγος zum Leitwort seines Denkens wurde. Wohin geleitet dieses Wort 8 λόγος, das wir j e t z t als die lesende Lege nachzudenken versuchen, das Denken Heraklits? Das Wort ό Λόγος n e n n t Jenes, das alles Anwesende ins Anwesen v e r s a m m e l t und darin vorliegen läßt. d Ό Λόγος n e n n t Jenes, worin sich das And
άλήθεια
219
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Logos
(Heraklit,
Fragment
50)
wesen des Anwesenden ereignet. Das Anwesen des Anwesenden heißt bei den Griechen το έόν, d. h.TOειναι τών ÖVXCOV, römisch: esse entium; wir sagen: das Sein des Seienden. Seit dem Beginn des abendländischen Denkens entfaltet sich das Sein des Seienden als das einzig Denkwürdige. Wenn wir diese historische Feststellung geschichtlich denken, dann zeigt sich erst, worin der Beginn des abendländischen Denkens beruht: daß im Zeitalter des Griechentums das Sein des Seienden z u m Denkwürdigen wird, ist der Beginn des Abendlandes, ist der verborgene Quell seines Geschickes. Verwahrte dieser Beginn nicht das Gewesene, d.h. die Versammlung des noch Währenden, dann waltete jetzt nicht das Sein des Seienden aus dem Wesen der neuzeitlichen Technik. Durch dieses wird heute der ganze Erdball auf das abendländisch erfahrene, in der Wahrheitsform der europäischen Metaphysik u n d Wissenschaft vorgestellte Sein um- und festgestellt.
220
Im Denken Heraklits erscheint das Sein (Anwesen) des Seienden als ô Λόγος, als die lesende Lege. Aber dieser Aufblitz des Seins bleibt vergessen. Die Vergessenheit wird ihrerseits noch dadurch verborgen, daß sich die Auffassung des Λόγος alsbald wandelt. Darum liegt es zunächst und für eine lange Zeit a u ß e r halb des Vermutbaren, im Wort 8Λόγος könnte sich gar das Sein des Seienden zur Sprache gebracht haben. Was geschieht, w e n n das Sein des Seienden, das Seiende in seinem Sein, w e n n der Unterschied beider als Unterschied zur Sprache gebracht wird? »Zur Sprache bringen« heißt für uns gewöhnlich: etwas mündlich oder schriftlich ausdrücken. Aber die Wendung möchte jetzt anderes denken: zur Sprache bringen: Sein in das Wesen der Sprache bergen. Dürfen wir vermuten, daß solches sich vorbereitete, als für Heraklit 0 Λογος z u m Leitwort seines Denkens, weil z u m Namen des Seins des Seienden wurde? Ό Λόγος, τ6 Λέγειν ist die lesende Lege. Doch λέγειν heißt für die Griechen immer zugleich: vorlegen, darlegen, erzählen, sagen. Ό Λόγος wäre dann der griechische Name für das Sprechen als Sagen, für die Sprache. Nicht nur dies. Ό Λθγθξ wäre, als die lesende Lege gedacht, das griechisch gedachte Wesen der Sage.
233 Logos
(Heraklit,
Fragment
50)
Sprache wäre Sage. Sprache wäre: versammelndes vorliegen-Lassen des Anwesenden in seinem Anwesen. In der Tat: die Griechen wohnten in diesem Wesen der Sprache. Allein, sie haben dieses Wesen der Sprache niemals gedacht, auch Heraklit nicht. So erfahren die Griechen zwar das Sagen. Aber sie denken niemals, auch Heraklit nicht, das Wesen der Sprache eigens als den Λογος, als die lesende Lege. Was hätte sich ereignet, w e n n Heraklit - u n d seit ihm die Griechen - eigens das Wesen der Sprache als Λόγος, als die lesende Lege gedacht hätten! Nichts Geringeres hätte sich ereignet als dieses: die Griechen hätten das Wesen der Sprache aus d e m Wesen des Seins, ja sogar als dieses selbst gedacht. Denn 8 Λόγος ist der N a m e für das Sein des Seienden. Doch all dieses ereignete sich nicht. Nirgends finden wir eine Spur davon, daß die Griechen das Wesen der Sprache unmittelbar aus d e m Wesen des Seins dachten. Statt dessen w u r d e die Sprache u n d zwar durch die Griechen zuerst — von der V e r l a u t b a r u n g her vorgestellt als φωνή, als Laut u n d Stimme, phonetisch. Das griechische Wort, das unserem Wort »Sprache« entspricht, heißt γλώσσα d i e Zunge. Die Sprache ist φωνή σημαντΐκή, Verlautbar ung, die etwas bezeichnet. Dies besagt: die Sprache gelangt z u m voraus in den Grundcharakter, den wir d a n n mit d e m N a m e n »Ausdruck« kennzeichnen. Diese zwar richtige, aber von a u ß e n her genommene Vorstellung von der Sprache, Sprache als Ausdruck, bleibt fortan maßgebend. Sie ist es heute noch. Sprache gilt als Ausdruck u n d umgekehrt. Jede Art des Ausdrückens stellt m a n gern als eine Art von Sprache vor. Die Kunsthistorie redet von der Formensprache. Einmal jedoch, im Beginn des abendländischen Denkens, blitzte das Wesen der Sprache im Lichte des Seins auf. Einmal, da Heraklit den Λόγος als Leitwort dachte, u m in diesem Wort das Sein des Seienden zu denken. Aber der Blitz verlosch jäh. Niemand faßte seinen Strahl u n d die Nähe dessen, w a s er erleuchtete. Wir sehen diesen Blitz erst, w e n n wir u n s in das Gewitter des Seins stellen. Doch heute spricht alles dafür, daß m a n lediglich
234
Logos
(Heraklit,
Fragment
50)
b e m ü h t ist, d a s G e w i t t e r zu v e r t r e i b e n . M a n v e r a n s t a l t e t mit allen n u r möglichen Mitteln ein Wetterschießen, u m vor dem Gew i t t e r R u h e zu haben. Doch diese R u h e ist keine Ruhe. Sie ist n u r eine Betäubung, zuerst die B e t ä u b u n g der Angst vor dem Denken. U m d a s D e n k e n freilich ist es eine eigene Sache. D a s Wort der Denker h a t keine Autorität. Das Wort der D e n k e r k e n n t keine Autoren im Sinne der Schriftsteller. Das Wort des D e n k e n s ist bildarm u n d ohne Reiz. Das Wort des D e n k e n s r u h t in der Ern ü c h t e r u n g zu dem, w a s es sagt. Gleichwohl v e r ä n d e r t das Denken die Welt. Es v e r ä n d e r t sie in die j e d e s m a l d u n k l e r e B r u n n e n tiefe eines Rätsels, die als d u n k l e r e d a s V e r s p r e c h e n auf eine höhere Helle ist. Das Rätsel ist u n s seit l a n g e m z u g e s a g t im Wort »Sein«. Daru m bleibt »Sein« n u r d a s vorläufige Wort. Sehen wir zu, d a ß unser Denken ihm nicht blindlings n u r nachläuft. Bedenken wir erst, daß »Sein« anfänglich »Anwesen« heißt u n d »Anwesen«: her-vor-währen in die Unverborgenheit.
MOIRA" (PARMENIDES VIII, 34 - 4 1)
a
vgl. das Gespräch mit J. Beaufret zu Fr. IV
Mal 1971 und Oktober 1971
257 Das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein bewegt alle abendländische Besinnung. Es bleibt der unversehrliche Prüfstein, an d e m erseh e n w e r d e n kann, inwieweit u n d auf welche Art die Gunst u n d das Vermögen gewährt sind, in die N ä h e zu d e m zu gelangen, was sich d e m geschichtlichen M e n s c h e n als das z u - D e n k e n d e zuspricht. P a r m e n i d e s n e n n t das Verhältnis in seinem Spruch ( F r a g m e n t III):
225
το γάρ α ύ τ ο ν ο ε ΐ ν έστίν τε κ α ι ε ΐ ν α ι .
» D e n n dasselbe ist D e n k e n u n d Sein.« P a r m e n i d e s erläutert den Spruch an anderer Stelle i m F r a g m e n t VIII, 34-41. Sie lautet: ταύτον δ' έστΐ ν ο ε ΐ ν τε κ α ι οϋνεκεν εστι νόημα. ο ύ γ ά ρ οίνευ τ ο ΰ έ ό ν τ ο ς , έ ν φ π ε φ α τ ι σ μ έ ν ο ν έ σ τ ι ν , εύρήσεις το ν ο ε ΐ ν ούδέν γάρ ή ε σ τ ι ν ή εστοα ά λ λ ο π ά ρ ε ξ τ ο ΰ έόντος, έ π ε ι τ ό γ ε M o î p ' έ π έ δ η σ ε ν ο ΰ λ ο ν ά κ ί ν η τ ό ν τ ' ε μ μ ε ν α ν τ φ π ά ν τ ' δ ν ο μ ' εστοα, ο σ σ α βροτοι κ α τ έ θ ε ν τ ο πεποιθότες ε ΐ ν α ι ά λ η θ ή , γ ί γ ν ε σ θ α ί τ ε κ α ί ο λ λ υ σ θ ο α , ε ΐ ν α ί τ ε κοά ο ύ χ ί , κ α ι τόπον ά λ λ ά σ σ ε ι ν διά τε χρόα φανον άμείβειν.
»Dasselbe ist D e n k e n u n d der Gedanke, daß I S T ist; d e n n nicht ohne das Seiende, in d e m es als Ausgesprochenes ist, kannst du das D e n k e n finden. Es ist ja nichts oder wird nichts anderes sein a u ß e r h a l b des Seienden, da es ja die Moira daran g e b u n d e n hat, ein Ganzes u n d unbeweglich zu sein. D a r u m wird alles bloßer N a m e sein, was die Sterblichen so festgesetzt haben, überzeugt, es sei wahr: ,Werden' sowohl als ,Vergehen', ,Sein' sowohl als ,Nichtsein' u n d ,Verändern des Ortes' u n d ,Wechseln der l e u c h t e n d e n Farbe'.« (W. Kranz) Inwiefern b r i n g e n diese acht Verszeilen das Verhältnis von D e n ken u n d Sein deutlicher ans Licht? Sie scheinen das Verhältnis
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Mo ira (Parmenides VIII,
34-41)
eher zu verdunkeln, weil sie selber ins D u n k e l f ü h r e n u n d uns i m Ratlosen lassen. D a r u m suchen wir zuvor eine B e l e h r u n g ü b e r das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein, i n d e m wir die bisherigen Auslegungen in i h r e n G r u n d z ü g e n verfolgen. Sie bewegen sich jeweils in einer der drei Hinsichten, die kurz e r w ä h n t seien, ohne daß wir i m einzelnen weitläufig darstellen, inwiefern sie durch den Text des P a r m e n i d e s belegbar sind. E i n m a l f i n d e t m a n das D e n k e n vor i m Hinblick darauf, daß es als etwas Vorhandenes n e b e n vielem anderen auch v o r k o m m t u n d in solchem Sinne »ist«. Dies also Seiende m u ß d e m g e m ä ß wie jedes seinesgleichen d e m ü b r i g e n Seienden zugerechnet u n d m i t diesem in eine Art des z u s a m m e n f a s s e n d e n Ganzen verrechnet werden. Diese Einheit des Seienden heißt das Sein. Weil das D e n k e n als etwas Seiendes m i t jedem a n d e r e n Seienden gleichartig ist, erweist sich das D e n k e n als das Gleiche wie das Sein.
225
U m dergleichen festzustellen, bedarf es k a u m der Philosophie. Die E i n o r d n u n g des Vorhandenen in das Ganze des Seienden ergibt sich wie von selbst u n d b e t r i f f t nicht n u r das Denken. Auch das B e f a h r e n des Meeres, das Bauen von Tempeln, das R e d e n in der Volksversammlung, jede Art m e n s c h l i c h e n Tuns gehört zum Seienden und ist so das Gleiche wie das Sein. M a n w u n d e r t sich, weshalb P a r m e n i d e s darauf bestand, gerade hinsichtlich des menschlichen Tuns, das D e n k e n heißt, noch ausdrücklich festzustellen, daß es in den Bereich des Seienden falle. M a n könnte sich vollends w u n d e r n , weshalb P a r m e n i d e s f ü r diesen Fall noch eine besondere B e g r ü n d u n g a n f ü g t u n d zwar durch den Gemeinplatz, a u ß e r h a l b des Seienden u n d neben d e m Seienden i m Ganzen sei kein Seiendes sonst. Doch recht besehen, w u n d e r t m a n sich dort längst nicht mehr, wo die L e h r e des P a r m e n i d e s noch in der geschilderten Weise vorgestellt wird. M a n ist ü b e r sein Denken h i n a u s g e k o m m e n , das jetzt u n t e r die groben u n d u n b e h o l f e n e n B e m ü h u n g e n fällt, f ü r die es freilich noch eine A n s t r e n g u n g war, jegliches v o r k o m m e n de Seiende, u n t e r a n d e r e m auch das D e n k e n , erst e i n m a l in das Ganze des Seienden einzuordnen.
Moira (Parmenid.es Fill,
34-41)
239
D a r u m l o h n t es sich a u c h f ü r u n s e r e B e s i n n u n g k a u m noch, auf diese massive A u s l e g u n g des Verhältnisses von D e n k e n u n d Sein, die alles n u r von der Masse des v o r h a n d e n e n S e i e n d e n h e r vorstellt, e i n e n Blick zu w e r f e n . I n d e s s e n gibt sie u n s d e n u n s c h ä t z b a r e n A n l a ß , eigens u n d i m voraus e i n z u s c h ä r f e n , d a ß Parm e n i d e s n i r g e n d s die B e d e d a r a u f b r i n g t , das D e n k e n sei auch eines der vielen έόντα, des m a n n i g f a l t i g e n Seienden, davon jegliches bald ist, bald n i c h t ist u n d d a r u m stets beides z u m a l , zu sein u n d n i c h t zu sein, in d e n A n s c h e i n b r i n g t : V o r k o m m e n d e s u n d Weggehendes. G e g e n ü b e r der g e n a n n t e n , j e d e r m a n n sogleich e i n g ä n g i g e n A u s l e g u n g des P a r m e n i d e s s p r u c h e s f i n d e t e i n e a n d e r e u n d n a c h d e n k l i c h e r e B e h a n d l u n g des Textes in d e n Versen V I I I , 34 ff. wenigstens »schwerverständliche Äußerungen«. Zur Erleichter u n g des Verständnisses m u ß m a n sich n a c h e i n e r g e e i g n e t e n H i l f e u m s e h e n . Wo f i n d e t m a n sie? O f f e n b a r in e i n e m Verstehen, das g r ü n d l i c h e r in das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein einged r u n g e n ist, das P a r m e n i d e s zu d e n k e n versucht. Solches E i n d r i n g e n b e k u n d e t sich in e i n e m F r a g e n . Es b e t r i f f t das D e n k e n , d.h. das E r k e n n e n h i n s i c h t l i c h seiner B e z i e h u n g z u m Sein, d . h . zur W i r k l i c h k e i t . D i e B e t r a c h t u n g des so v e r s t a n d e n e n Verhältnisses zwischen D e n k e n u n d Sein ist ein H a u p t a n l i e g e n der n e u zeitlichen P h i l o s o p h i e . Sie h a t d a f ü r schließlich e i n e b e s o n d e r e Disziplin, die E r k e n n t n i s t h e o r i e , ausgebildet, die h e u t e n o c h vielfach als das g r u n d l e g e n d e G e s c h ä f t der P h i l o s o p h i e gilt. Es h a t n u r den T i t e l gewechselt u n d h e i ß t jetzt » M e t a p h y s i k « oder »Ontologie der E r k e n n t n i s « . Seine h e u t e m a ß g e b e n d e u n d w e i t t r a gendste Gestalt e n t w i c k e l t sich u n t e r d e m N a m e n »Logistik«. I n dieser g e l a n g t der S p r u c h des P a r m e n i d e s d u r c h e i n e seltsame, v o r m a l s u n v e r m u t b a r e V e r w a n d l u n g zu e i n e r e n t s c h e i d e n d e n H e r r s c h a f t s f o r m . So weiß sich d e n n die n e u z e i t l i c h e Philosop h i e ü b e r a l l in d e n S t a n d gesetzt, von i h r e m sich ü b e r l e g e n d ü n k e n d e n S t a n d o r t aus d e m S p r u c h des P a r m e n i d e s ü b e r das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein d e n w a h r e n S i n n zu geben. A n gesichts der u n g e b r o c h e n e n M a c h t des n e u z e i t l i c h e n D e n k e n s
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Mo ira (Parmenides VIII,
34-41)
(Existenzphilosophie u n d Existenzialismus sind neben der Logistik seine w i r k s a m s t e n Ableger) ist es nötig, die m a ß g e b e n d e Hinsicht deutlicher hervorzuheben, i n n e r h a l b deren sich die neuzeitliche D e u t u n g des P a r m e n i d e s s p r u c h e s bewegt. Die neuzeitliche Philosophie e r f ä h r t das Seiende als den Gegenstand. Es k o m m t zu seinem E n t g e g e n s t e h e n durch die Perception und f ü r sie. Das percipere greift, was Leibniz deutlicher sah, als appetitus nach d e m Seienden aus, greift es an, u m es d u r c h g r e i f e n d im Begriff an sich zu b r i n g e n u n d seine Präsenz auf das percipere zurückzubeziehen (repraesentare). Die repraesentatio, die Vorstellung, b e s t i m m t sich als das percipierende auf sich (das Ich) Zu-stellen dessen, was erscheint.
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U n t e r den L e h r s t ü c k e n der neuzeitlichen Philosophie ragt ein Satz hervor, der auf jeden wie eine Erlösung wirken muß, der versucht, m i t ihrer H i l f e den Spruch des P a r m e n i d e s aufzuklären. Wir m e i n e n den Satz Berkeleys, der auf der metaphysischen G r u n d s t e l l u n g von Descartes f u ß t u n d lautet: esse = percipi: Sein ist gleich Vorgestelltwerden. Das Sein gelangt in die Botm ä ß i g k e i t z u m Vorstellen im Sinne der Perception. D e r Satz schafft erst den R a u m , i n n e r h a l b dessen der Spruch des P a r m e n i des einer wissenschaftlich-philosophischen Auslegung zugänglich u n d so d e m Dunstkreis eines halbpoetischen Ahnens, worin m a n das vorsokratische D e n k e n v e r m u t e t , entzogen wird. Esse = percipi, Sein ist Vorgestelltwerden. Sein ist k r a f t des Vorstellens. Das Sein ist gleich d e m D e n k e n , insofern sich die Gegenständigkeit der Gegenstände i m vorstellenden Bewußtsein, i m »ich denke etwas« zusammenstellt, konstituiert. I m Lichte dieser Aussage über die Beziehung von D e n k e n u n d Sein n i m m t sich der Spruch des P a r m e n i d e s wie eine ungeschlachte Vorform der neuzeitlichen L e h r e von der Wirklichkeit und ihrer E r k e n n t n i s aus. Es ist wohl kein Zufall, daß Hegel in seinen »Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie« ( W W XIII, 2. Aufl., S. 274) den Spruch des P a r m e n i d e s über das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein in der Form des F r a g m e n t e s VIII a n f ü h r t u n d übersetzt:
241 Mo ira (Parmenides VIII,
34-41)
»,Das D e n k e n u n d das, u m weswillen der Gedanke ist, ist dasselbe. D e n n nicht o h n e das Seiende, in welchem es sich ausspricht (έν φ πεφοτασμένον έστιν), wirst du das D e n k e n finden, denn es ist nichts u n d wird nichts sein, außer d e m Seienden.' Das ist der H a u p t g e d a n k e . Das D e n k e n produziert sich; u n d was produziert wird, ist ein Gedanke. D e n k e n ist also m i t sein e m Sein identisch; denn es ist nichts außer d e m Sein, dieser großen Affirmation.« Sein ist f ü r Hegel die B e j a h u n g des sich selbst pro-duzierenden Denkens. Sein ist Produktion des Denkens, der Perception, als welche schon Descartes die idea deutet. D u r c h das D e n k e n wird Sein als Bejahtheit u n d Gesetztheit des Vorsteilens in den Bereich des »Ideellen« versetzt. Auch f ü r Hegel ist, n u r in einer unvergleichlich d u r c h d a c h t e r e n u n d durch Kant v e r m i t t e l t e n Weise, Sein das gleiche wie Denken. Sein ist dasselbe wie Denken, n ä m lich dessen Ausgesagtes u n d Bejahtes. So k a n n Hegel aus d e m Gesichtskreis der neuzeitlichen Philosophie über den Spruch des P a r m e n i d e s also urteilen: » I n d e m hierin die E r h e b u n g in das Reich des Ideellen zu sehen ist, so hat m i t P a r m e n i d e s das eigentliche Philosophieren angefangen; ... Dieser A n f a n g ist freilich noch t r ü b e u n d unbestimmt, u n d es ist nicht weiter zu erklären, was darin liegt; aber gerade dieß E r k l ä r e n ist die Ausbildung der Philosophie selbst, die hier noch nicht vorhanden ist« (a.a.O. S. 274 ff.). Vorhanden ist die Philosophie f ü r Hegel erst dort, wo das Sichselbstdenken des absoluten Wissens die Wirklichkeit selbst und schlechthin ist. In der spekulativen Logik u n d als diese geschieht die sich vollendende E r h e b u n g des Seins in das D e n k e n des Geistes als der absoluten Wirklichkeit. Im Horizont dieser Vollendung der neuzeitlichen Philosophie erscheint der Spruch des P a r m e n i d e s als der Beginn des eigentlichen Philosophierens, d.h. der Logik i m Sinne Hegels; doch n u r als Beginn. D e m D e n k e n des P a r m e n i d e s fehlt noch die Spekula-
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tive, d.h. dialektische Form, die Hegel indes bei Heraklit findet. Von diesem sagt er: »Hier sehen wir Land; es ist kein Satz des H e r a k l i t , den ich nicht in m e i n e Logik a u f g e n o m m e n « (a.a.O. S. 301). Hegels »Logik« ist nicht n u r die einzig g e m ä ß e neuzeitliche Auslegung des Berkeleyschen Satzes, sie ist dessen u n b e d i n g te Verwirklichung. D a ß Berkeleys Satz esse = percipi auf d e m b e r u h t , was der Spruch des P a r m e n i d e s erstmals zur Sprache g e b r a c h t hat, duldet keinen Zweifel. Aber diese geschichtliche Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t des neuzeitlichen Satzes m i t d e m altert ü m l i c h e n Spruch g r ü n d e t zugleich u n d eigentlich in einer Verschiedenheit des hier u n d dort Gesagten u n d Gedachten, wie sie entschiedener k a u m ermessen werden k a n n .
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Die Verschiedenheit geht so weit, daß durch sie die Möglichkeit eines Wissens von U n t e r s c h i e d e n e m abgestorben, verschieden ist. M i t d e m Hinweis auf diese Verschiedenheit d e u t e n wir zugleich an, inwiefern unsere Auslegung des P a r m e n i d e s s p r u ches aus einer ganz a n d e r e n Denkweise k o m m t wie diejenige Hegels. E n t h ä l t der Satz esse = percipi die g e m ä ß e Auslegung des Spruches: τό γάρ αύτο νοεΐν έστίν τε κοά εΐναι ? Sagen beide Aussagen, falls wir sie d a f ü r h a l t e n dürfen, Denken u n d Sein sei dasselbe? Und selbst wenn sie dies sagen, sagen sie es im gleichen Sinne? D e m a u f m e r k s a m e n Blick zeigt sich sogleich ein Unterschied beider Aussagen, den m a n als anscheinend äußerlichen leicht abt u n möchte. P a r m e n i d e s n e n n t an beiden Stellen (Fragm. I I I und VIII, 34) den Spruch so, daß jeweils das νοεΐν (Denken) d e m εΐναι (Sein) voraufgeht. Berkeley dagegen n e n n t das esse (Sein) vor dem percipi (Denken). Dies scheint darauf zu deuten, daß Parmenides dem Denken den Vorrang gibt, Berkeley jedoch dem Sein. Indes trifft das Gegenteil zu. Parmenides überantwortet das Denken d e m Sein. Berkeley verweist das Sein in das Denken. In einer Entsprechung, die sich m i t d e m griechischen Spruch e i n i g e r m a ß e n dekken könnte, m ü ß t e der neuzeitliche Satz lauten: percipi = esse. Der neuzeitliche Satz sagt etwas ü b e r das Sein im Sinne der Gegenständigkeit f ü r das d u r c h g r e i f e n d e Vorstellen aus. Der griechische Spruch spricht das D e n k e n als das v e r s a m m e l n d e
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V e r n e h m e n d e m Sein im Sinne des Anwesens zu. D a r u m g e h t jede D e u t u n g des griechischen Spruches, die sich i m Gesichtskreis des neuzeitlichen Denkens bewegt, i m vorhinein fehl. D e n noch g e n ü g e n diese in m a n n i g f a c h e n Formen spielenden D e u t u n g e n einer u n u m g ä n g l i c h e n Aufgabe: sie m a c h e n das griechische Denken d e m neuzeitlichen Vorstellen zugänglich u n d bestätigen dieses in seinem von i h m selbst gewollten Fortschreiten zu einer »höheren« Stufe der Philosophie. Die erste der drei Hinsichten, die alle Auslegungen des Parmenidesspruches b e s t i m m e n , stellt das D e n k e n als etwas Vorhandenes vor u n d reiht es in das übrige Seiende ein. Die zweite Hinsicht begreift neuzeitlich das Sein i m Sinne der Vorgestelltheit von G e g e n s t ä n d e n als Gegenständigkeit f ü r das Ich der Subjektivität. Die d r i t t e H i n s i c h t folgt e i n e m G r u n d z u g der durch Piaton b e s t i m m t e n antiken Philosophie. Nach der sokratisch-platonischen L e h r e m a c h e n die Ideen an jedem Seienden das »seiend« aus. Die Ideen gehören aber nicht in den Bereich der αίσθητά, des sinnlich V e r n e h m b a r e n . Die Ideen sind rein nur i m νοεΐν, im nichtsinnlichen V e r n e h m e n schaubar. Das Sein gehört in den Bereich der νοητά, des Nicht- u n d Ubersinnlichen. Plotin deutet den Spruch des P a r m e n i d e s im platonischen Sinne. D e m n a c h will P a r m e n i d e s sagen: Sein ist etwas Nichtsinnliches. Das Gewicht des Spruches fällt, n u r in e i n e m anderen Sinne als f ü r die neuzeitliche Philosophie, auf das D e n k e n . D u r c h dessen nichtsinnliche Art wird das Sein gekennzeichnet. Nach der neuplatonischen Auslegung des P a r m e n i d e s s p r u c h e s ist er weder eine Aussage über das Denken, noch eine solche über das Sein, noch gar eine solche über das Wesen der Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t beider als verschiedener. Der Spruch ist die Aussage über die gleichmäßige Zugehörigkeit beider in den Bereich des Nichtsinnlichen. Jede der drei H i n s i c h t e n rückt das f r ü h e Denken der G r i e c h e n in den Herrschaftsbereich von Fragestellungen der n a c h k o m m e n d e n Metaphysik. Vermutlich m u ß jedoch alles spätere D e n ken, das ein Gespräch m i t d e m f r ü h e n versucht, jeweils aus sei-
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n e m e i g e n e n A u f e n t h a l t s b e r e i c h h e r h ö r e n u n d so das S c h w e i g e n des f r ü h e n D e n k e n s in ein Sagen b r i n g e n . H i e r d u r c h wird zwar das f r ü h e r e D e n k e n u n v e r m e i d l i c h in das spätere G e s p r ä c h einbezogen, in dessen H ö r f e l d u n d Gesichtskreis versetzt u n d so g l e i c h s a m der F r e i h e i t seines e i g e n e n Sagens b e r a u b t . D e n n o c h z w i n g t solcher E i n b e z u g keineswegs zu e i n e r Auslegung, die sich d a r i n e r s c h ö p f t , das i m B e g i n n des a b e n d l ä n d i s c h e n D e n k e n s G e d a c h t e n u r in die s p ä t e r e n Vorstellungsweisen u m z u d e u t e n . Alles liegt d a r a n , ob sich das e r ö f f n e t e G e s p r ä c h z u m voraus u n d je u n d je e r n e u t d a f ü r f r e i g i b t , d e m zu e r f r a g e n d e n A n s p r u c h des f r ü h e n D e n k e n s zu e n t s p r e c h e n , oder ob das G e s p r ä c h sich i h m v e r s c h l i e ß t u n d das f r ü h e D e n k e n m i t s p ä t e r e n L e h r m e i n u n g e n ü b e r d e c k t . Solches ist schon g e s c h e h e n , sobald das später e D e n k e n v e r s ä u m t , d e m H ö r f e l d u n d Gesichtskreis des f r ü h e n D e n k e n s eigens nachzufragen. E i n e B e m ü h u n g d a r u m darf sich indes n i c h t in e i n e r historischen N a c h f o r s c h u n g erschöpfen, die n u r feststellt, was d e m f r ü h e r e n D e n k e n an u n a u s g e s p r o c h e n e n V o r a u s s e t z u n g e n z u g r u n deliegt, wobei die V o r a u s s e t z u n g e n d a r n a c h e r r e c h n e t w e r d e n , was f ü r die s p ä t e r e A u s l e g u n g als schon gesetzte W a h r h e i t u n d was n i c h t m e h r als e i n e solche gilt, i n s o f e r n es d u r c h die E n t w i c k l u n g ü b e r h o l t ist. Jenes N a c h f r a g e n m u ß statt dessen e i n e Z w i e s p r a c h e sein, in der die f r ü h e n H ö r f e l d e r u n d Gesichtskreise n a c h i h r e r W e s e n s h e r k u n f t b e d a c h t w e r d e n , d a m i t jenes G e h e i ß sich zuzusagen a n f ä n g t , u n t e r d e m das f r ü h e u n d das n a c h f o l g e n de u n d das k o m m e n d e D e n k e n , jedes auf seine Art, s t e h e n . E i n Versuch solchen N a c h f r a g e n s wird sein erstes A u g e n m e r k auf die d u n k l e n Stellen eines f r ü h e n Textes r i c h t e n u n d sich n i c h t bei j e n e n a n s i e d e l n , die den Anschein des Verständlichen vor sich h e r t r a g e n ; d e n n so ist das G e s p r ä c h zu E n d e , bevor es b e g o n n e n hat. D i e n a c h s t e h e n d e E r ö r t e r u n g b e s c h r ä n k t sich d a r a u f , d e n ang e f ü h r t e n Text m e h r n u r in der Folge vereinzelter E r l ä u t e r u n g e n zu d u r c h g e h e n . Sie m ö c h t e n e i n e d e n k e n d e Ü b e r s e t z u n g des f r ü h e n g r i e c h i s c h e n Sagens in das K o m m e n d e eines z u m A n f a n g erwachten Denkens vorbereiten helfen.
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I D a s Verhältnis von D e n k e n u n d Sein s t e h t zur E r ö r t e r u n g . A l l e m zuvor m ü s s e n w i r b e a c h t e n , daß der Text (VIII, 34 ff.), der das Verhältnis e i n g e h e n d e r b e d e n k t , vom έόν spricht u n d n i c h t w i e das F r a g m e n t I I I vom etvoct. Sogleich k o m m t m a n d e s h a l b u n d sogar m i t e i n e m gewissen R e c h t auf die M e i n u n g , i m F r a g m e n t V I I I sei n i c h t vom Sein, s o n d e r n vom S e i e n d e n die Rede. D o c h P a r m e n i d e s d e n k t i m N a m e n έόν keineswegs das S e i e n d e an sich, w o r e i n als das G a n z e auch das D e n k e n gehört, i n s o f e r n es e t w a s Seiendes ist. E b e n s o w e n i g m e i n t έόν das εΐνοα i m S i n n e des Seins f ü r sich, gleich als ob d e m D e n k e r d a r a n gelegen sei, die n i c h t s i n n l i c h e Wesensart des Seins g e g e n das Seiende als das S i n n l i c h e abzusetzen. Das έόν, das Seiend, ist v i e l m e h r in der Z w i e f a l t von Sein u n d S e i e n d e m g e d a c h t u n d p a r t i c i p i a l gesprochen, o h n e daß der g r a m m a t i s c h e Begriff schon eigens in das s p r a c h l i c h e Wissen e i n g r e i f t . D i e Z w i e f a l t läßt sich d u r c h die W e n d u n g e n »Sein des S e i e n d e n « u n d »Seiendes im Sein« w e n i g s t e n s a n d e u t e n . Allein, das E n t f a l t e n d e der Z w i e f a l t verbirgt sich m e h r d u r c h das »im« u n d »des«, als daß es in sein Wesen weist. D i e W e n d u n g e n sind w e i t davon e n t f e r n t , die Z w i e f a l t als solche zu d e n k e n oder gar i h r e E n t f a l t u n g ins F r a g w ü r d i g e zu h e b e n . Das v i e l b e r u f e n e »Sein selbst« b l e i b t in W a h r h e i t , solange es als Sein e r f a h r e n wird, stets Sein i m S i n n e von Sein des S e i e n d e n . I n d e s ist d e m Beginn des a b e n d l ä n d i s c h e n D e n k e n s a u f g e g e b e n , das i m Wort ε ι ν α ι , sein, G e s p r o c h e n e aus e i n e m z u g e m e s s e n e n Blick als Φύσις, Λόγος, Έ ν zu erblicken. Weil die i m Sein w a l t e n de V e r s a m m l u n g alles Seiende einigt, e n t s t e h t aus d e m D e n k e n an die V e r s a m m l u n g der u n v e r m e i d l i c h e u n d i m m e r h a r t n ä c k i g e r e Anschein, Sein (des S e i e n d e n ) sei n i c h t n u r das G l e i c h e wie das Seiende i m G a n z e n , s o n d e r n es sei als das Gleiche, zugleich aber E i n e n d e , sogar das Seiendste. Alles wird dem Vorstellen zu Seiendem. D i e Z w i e f a l t von Sein u n d S e i e n d e m scheint als solche ins Wesenlose zu z e r r i n n e n , obzwar das D e n k e n seit s e i n e m griechi-
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s e h e n B e g i n n sich f o r t a n i n n e r h a l b i h r e s E n t f a l t e t e n bewegt, o h n e doch seinen A u f e n t h a l t zu b e d e n k e n u n d gar der E n t f a l t u n g der Z w i e f a l t zu g e d e n k e n . I m B e g i n n des a b e n d l ä n d i s c h e n D e n k e n s g e s c h i e h t der u n b e a c h t e t e W e g f a l l der Z w i e f a l t . Allein, er ist n i c h t nichts. D e r W e g f a l l g e w ä h r t sogar d e m g r i e c h i s c h e n D e n k e n die Art des Beginns: d a ß sich die L i c h t u n g des Seins des S e i e n d e n als L i c h t u n g verbirgt. D i e V e r b e r g u n g des Wegfalls der Z w i e f a l t w a l t e t so w e s e n h a f t wie jenes, w o h i n die Z w i e f a l t e n t fällt. W o h i n f ä l l t sie? I n die Vergessenheit. D e r e n w ä h r e n d e s W a l t e n verbirgt sich als Λήθη, der die Αλήθεια so u n m i t t e l b a r angehört, daß j e n e z u g u n s t e n dieser sich e n t z i e h e n u n d i h r das rein e E n t b e r g e n in der Weise der Φύσις, des Λόγος, des "Ev überlassen k a n n u n d zwar so, als b r a u c h t e es keiner Verbergung. D o c h das a n s c h e i n e n d eitel L i c h t e n d e ist vom D u n k l e n d u r c h waltet. D a r i n b l e i b t die E n t f a l t u n g der Z w i e f a l t ebenso verb o r g e n w i e d e r e n W e g f a l l f ü r das b e g i n n e n d e D e n k e n . D e n n o c h m ü s s e n w i r i m έόν auf die Z w i e f a l t von Sein u n d S e i e n d e m acht e n , u m der E r ö r t e r u n g zu folgen, die P a r m e n i d e s d e m Verhältnis von D e n k e n u n d Sein w i d m e t .
II I n aller Kürze sagt das F r a g m e n t III, das D e n k e n g e h ö r e d e m Sein zu. Wie sollen wir diese Z u g e h ö r i g k e i t k e n n z e i c h n e n ? D i e F r a g e k o m m t zu spät. D i e A n t w o r t h a t der k n a p p e S p r u c h schon m i t s e i n e m e r s t e n Wort gegeben: xo γάρ αύχό, das n ä m l i c h Selbe. M i t d e m g l e i c h e n Wort b e g i n n t die F a s s u n g des S p r u c h e s i m F r a g m e n t VIII, 34: χαύχόν. G i b t u n s das Wort e i n e A n t w o r t auf die F r a g e , in w e l c h e r Weise das D e n k e n d e m Sein z u g e h ö r e , ins o f e r n es sagt, b e i d e seien das Selbe? D a s Wort gibt k e i n e A n t w o r t . E i n m a l d e s h a l b , weil d u r c h die B e s t i m m u n g »das Selbe« jede Frage nach einer Zusammengehörigkeit u n t e r b u n d e n wird, die n u r z w i s c h e n V e r s c h i e d e n e m b e s t e h e n k a n n . Z u m a n d e r e n d e s h a l b , weil das Wort »das Selbe« n i c h t das G e r i n g s t e d a r ü b e r
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sagt, nach welcher H i n s i c h t u n d aus welchem G r u n d e das Verschiedene i m Selben ü b e r e i n k o m m t . D a r u m bleibt το αύτό, das Selbe, in beiden F r a g m e n t e n , wenn nicht gar f ü r das ganze D e n ken des P a r m e n i d e s , das Rätselwort. W e n n wir freilich m e i n e n , das Wort το αύτό, das Selbe, m e i n e das Identische, w e n n wir vollends die I d e n t i t ä t f ü r die sonnenklarste Voraussetzung der D e n k b a r k e i t alles D e n k b a r e n halten, d a n n verlieren wir durch solches M e i n e n in z u n e h m e n d e m M a ß e das Gehör f ü r das Rätselwort, gesetzt, daß wir je schon den Ruf des Rätselwortes hörten. Indessen geschieht schon genug, w e n n wir das Wort als denkwürdiges im Gehör behalten. So bleiben wir H ö r e n d e u n d bereit, das Wort als Rätselwort in sich b e r u h e n zu lassen, d a m i t wir uns erst e i n m a l nach e i n e m Sagen u m h ö r e n , das helfen könnte, das Rätselvolle in seiner Fülle zu bedenken. P a r m e n i d e s bietet eine H i l f e an. Er sagt im F r a g m e n t VIII deutlicher, wie das »Sein« zu denken sei, dem das νοεΐν zugehört. P a r m e n i d e s sagt statt εινοα jetzt έόν, das »Seiend«, das in seiner Zweideutigkeit die Zwiefalt n e n n t . Das νοεΐν aber heißt νόημα: das in die Acht G e n o m m e n e eines a c h t e n d e n Vernehmens. Das έόν wird eigens als jenes genannt, οΰνεκεν εστι νόημα, wessentwegen anwest Gedanc. (Uber D e n k e n u n d G e d a n c vgl. die Vorlesung »Was h e i ß t Denken?«, Niemeyer, T ü b i n g e n 1954, S. 91 ff.) Das D e n k e n west der ungesagt b l e i b e n d e n Zwiefalt wegen an. Das An-wesen des Denkens ist unterwegs zur Zwiefalt von Sein u n d Seiendem. I n - d i e - A c h t - N e h m e n west die Zwiefalt an, ist schon (nach F r a g m e n t VI) durch das voraufgehende λέγειν, vorliegen-lassen, auf die Zwiefalt v e r s a m m e l t . Wodurch u n d wie? Nicht anders wie so, daß die Zwiefalt, d e r e n t w e g e n die Sterblichen sich in das Denken finden, selbst solches D e n k e n f ü r sich verlangt. Noch sind wir weit davon e n t f e r n t , die Zwiefalt selbst u n d d.h. zugleich sie, sofern sie das D e n k e n verlangt, wesensgerecht zu erf a h r e n . N u r das eine wird aus d e m Sagen des P a r m e n i d e s deutlich: weder der έόντα, des »Seienden an sich«, wegen, noch d e m
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εΐναι i m Sinne des »Seins f ü r sich« zuwillen west das D e n k e n an. D a m i t ist gesagt: weder das »Seiende an sich« m a c h t ein D e n k e n erforderlich, noch benötigt das »Sein f ü r sich« das D e n k e n . Beide, je f ü r sich g e n o m m e n , lassen niemals erkennen, i n w i e f e r n »Sein« das D e n k e n verlangt. Aber der Zwiefalt beider wegen, des έόν wegen, west das Denken. Auf die Zwiefalt zu west das in-dieA c h t - N e h m e n das Sein an. 1 In solchem An-wesen gehört das D e n k e n d e m Sein zu. Was sagt P a r m e n i d e s von diesem Zugehören?
III P a r m e n i d e s sagt, das νοεΐν sei πεφατισμένον έν τω έόντι. M a n übersetzt: das Denken, das als Ausgesprochenes im Seienden ist. Doch wie sollen wir dieses Ausgesprochensein e r f a h r e n und verstehen können, solange wir uns nicht u m die Frage k ü m m e r n , was hier »Gesprochenes«, »sprechen«, »Sprache« bedeutet, solange wir übereilt das έόν als das Seiende n e h m e n u n d den Sinn von Sein i m U n b e s t i m m t e n lassen? Wie sollen wir den Bezug des νοεΐν zum πεφατισμένον kennen, solange wir das νοεΐν nicht m i t Rücksicht auf das F r a g m e n t VI zureichend bestimmen? (vgl. die a n g e f ü h r t e Vorlesung S. 124 ff.). Das νοεΐν, dessen Zugehörigkeit zum έόν wir bedenken m ö c h t e n , g r ü n d e t in u n d west aus d e m λέγειν. D a r i n geschieht das Vorliegenlassen von Anwesendem in seinem Anwesen. N u r als so Vorliegendes k a n n Anwesendes als solches das νοεΐν, das in-die-Acht-Nehmen, angehen. D e m g e m ä ß ist das νόημα als νοούμενον des νοεΐν i m m e r schon ein λεγόμενον des λέγειν. Das griechisch e r f a h r e n e Wesen des Sagens b e r u h t aber i m λέγειν. Das νοεΐν ist d a r u m s e i n e m Wesen nach u n d nie erst nachträglich oder zufällig ein Gesagtes. Allerdings ist nicht jedes Gesagte notwendig auch schon ein Gesprochenes. Es k a n n auch u n d m u ß sogar bisweilen ein Geschwiegenes bleiben. Alles k
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Gesprochene u n d Geschwiegene ist je schon ein Gesagtes. Nicht aber gilt das U m g e k e h r t e . Worin besteht der Unterschied zwischen d e m Gesagten und Gesprochenen? Weshalb kennzeichnet P a r m e n i d e s das νοούμενον u n d νοεΐν (VIII, 34 f.) als πεφατισμένον? Das Wort wird lexikalisch richtig durch »Gesprochenes« übersetzt. Doch in welchem Sinne ist ein Sprechen erfahren, das durch φάσκειν u n d φάναι b e n a n n t wird? Gilt h i e r das Sprechen n u r als die Verlautbarung (φωνή) dessen, was ein Wort oder Satz bedeuten (σημαίνειν)? Wird hier das Sprechen als Ausdruck eines I n n e r e n (Seelischen) gefaßt und so auf die beiden Bestandstücke des P h o n e t i s c h e n u n d Semantischen verteilt? Keine Spur davon finde t sich in der E r f a h r u n g des Sprechens als φάνοα, der Sprache als φάσις. In φάσκειν liegt: a n r u fen, r ü h m e n d n e n n e n , heißen; all dies jedoch deshalb, weil es west als erscheinenlassen. Φάσμα ist das Erscheinen der Sterne, des Mondes, ihr zum-Vorschein-Kommen, ihr Sichverbergen. Φάσεις n e n n t die Phasen. Die wechselnden Weisen seines Scheinens sind die Mondphasen. Φάσις ist die Sage; sagen heißt: zum Vorschein bringen. Φημί, ich sage, ist des selben, obzwar nicht des gleichen Wesens wie λέγω: Anwesendes in sein Anwesen vor in das Erscheinen u n d Liegen bringen. P a r m e n i d e s liegt daran zu erörtern, wohin das νοεΐν gehört. D e n n n u r dort, wohin es von H a u s e aus gehört, können wir es f i n d e n u n d über den F u n d b e f i n d e n , inwiefern das D e n k e n m i t d e m Sein z u s a m m e n g e h ö r t . W e n n Parmenides das νοεΐν als πεφατισμένον erfährt, d a n n h e i ß t das nicht, es sei ein Ausgesprochenes und müsse demzufolge in der verlauteten Rede oder in der gezeichneten Schrift als e i n e m so u n d so sinnlich w a h r n e h m b a r e n Seienden gesucht werden. Dies zu m e i n e n wäre auch d a n n abwegig u n d vom griechischen D e n k e n so e n t f e r n t als möglich, wollte m a n das Sprechen u n d sein Gesprochenes wie Bewußtseinserlebnisse vorstellen u n d i n n e r h a l b ihres Bezirkes das D e n ken als Bewußtseinsakt feststellen. Das νοεΐν, das in-die-AchtN e h m e n u n d das, was es v e r n o m m e n , sind ein Gesagtes, zum Vorschein Gebrachtes. Aber wo? P a r m e n i d e s sagt: έν τφ έόντι, i m
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έόν, in der Zwiefalt von Anwesen u n d Anwesendem. Dies gibt zu d e n k e n u n d b e f r e i t uns e i n d e u t i g von der übereilten Vormeinung, das D e n k e n sei i m Ausgesprochenen ausgedrückt. Davon ist nirgends die Rede. I n w i e f e r n k a n n das νοεΐν, m u ß das D e n k e n in der Zwiefalt zum Vorschein k o m m e n ? Insofern die E n t f a l t u n g in die Zwiefalt von Anwesen u n d Anwesendem das Vorliegenlassen, λέγειν, herv o r r u f t u n d m i t d e m so entlassenen Vorliegen des Vorliegenden d e m νοεΐν solches gibt, was es in die Acht n e h m e n kann, u m es in ihr zu verwahren. Allein, P a r m e n i d e s denkt noch nicht die Zwiefalt als solche; er denkt vollends nicht die E n t f a l t u n g der Zwiefalt. Aber P a r m e n i d e s sagt (VIII, 35 f.): ού γάρ ανευ τοΰ έόντος ... εύρήσεις το νοειν: nicht n ä m l i c h abgetrennt von der Zwiefalt k a n n s t du das D e n k e n finden. Weshalb nicht? Weil es in die Vers a m m l u n g m i t dem έόν, von diesem h e r geheißen, gehört, weil das D e n k e n selber, i m λέγειν b e r u h e n d , die geheißene Versamml u n g vollbringt u n d so seiner Zugehörigkeit zum έόν als einer von diesem h e r g e b r a u c h t e n entspricht. D e n n das νοεΐν v e r n i m m t nichts Beliebiges, sondern n u r das Eine, das i m F r a g m e n t VI gen a n n t wird: έόν εμμενοα: das Anwesend in seinem Anwesen. So viel des u n g e d a c h t e n D e n k w ü r d i g e n sich in der D a r l e g u n g des P a r m e n i d e s ankündigt, so deutlich tritt ans Licht, was allem zuvor verlangt wird, u m der von P a r m e n i d e s gesagten Zugehörigkeit des D e n k e n s zum Sein g e b ü h r e n d nachzusinnen. Wir müssen lernen, das Wesen der Sprache aus d e m Sagen h e r u n d dieses als vorliegen-Lassen (λόγος) u n d als zum-Vorschein-Bringen (φάσις) zu denken. Diesem G e h e i ß zu genügen, bleibt zunächst deshalb schwer, weil jenes erste Aufleuchten des Sprachwesens als Sage alsbald in eine Verhüllung entschwindet und eine K e n n z e i c h n u n g der Sprache zur H e r r s c h a f t k o m m e n läßt, nach der sie fortan von der φωνή, der Verlautbarung aus als ein System des Bezeichnens u n d Bedeutens u n d schließlich des Meldens u n d der I n f o r m a t i o n vorgestellt wird.
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IV A u c h jetzt, n a c h d e m sich die Z u g e h ö r i g k e i t des D e n k e n s z u m Sein u m einiges d e u t l i c h e r ans L i c h t hob 0 , v e r m ö g e n w i r es k a u m , das R ä t s e l w o r t des Spruches: τό αύτό, das Selbe, i n s t ä n d i ger in seiner R ä t s e l f ü l l e zu h ö r e n . D o c h w e n n wir sehen, daß die Z w i e f a l t des έόν, das A n w e s e n des A n w e s e n d e n , das D e n k e n zu sich v e r s a m m e l t , d a n n gibt vielleicht die also w a l t e n d e Z w i e f a l t e i n e n H i n w e i s in die R ä t s e l f ü l l e dessen, was die g e w ö h n l i c h e Bed e u t u n g s l e e r e des Wortes »das Selbe« verbirgt.
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Ist es die Entfaltung der Z w i e f a l t , aus der h e r die Z w i e f a l t ihrerseits das D e n k e n auf d e n Weg des » I h r e t w e g e n « r u f t u n d dad u r c h das Z u s a m m e n g e h ö r e n des A n w e s e n s (des A n w e s e n d e n ) m i t d e m D e n k e n verlangt? D o c h was ist die E n t f a l t u n g der Zwiefalt? W i e g e s c h i e h t sie? F i n d e n wir i m Sagen des P a r m e n i d e s ein e n A n h a l t , u m der E n t f a l t u n g der Zwiefalt auf e i n e m geeigneten Weg nachzufragen, u m ihr Wesendes in d e m zu hören, was das Rätselwort des Spruches verschweigt? Wir f i n d e n u n m i t t e l b a r keinen. I n d e s m u ß a u f f a l l e n , daß in b e i d e n F a s s u n g e n des S p r u c h e s ü b e r das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein das R ä t s e l w o r t a m Beg i n n steht. D a s F r a g m e n t I I I sagt: »Das n ä m l i c h Selbe I n - d i e A c h t - n e h m e n ist so a u c h A n w e s e n (von A n w e s e n d e m ) . « Das F r a g m e n t V I I I , 34 sagt: »Das Selbe ist I n - d i e - A c h t - n e h m e n u n d (jenes), u n t e r w e g s zu d e m das a c h t e n d e V e r n e h m e n . « Was bed e u t e t die an den B e g i n n des S p r u c h e s g e r ü c k t e W o r t s t e l l u n g i m Sagen des Spruches? Was m ö c h t e P a r m e n i d e s d a d u r c h b e t o n e n , daß w i r diesen Ton h ö r e n ? Es ist v e r m u t l i c h der G r u n d t o n . I n i h m k l i n g t die V o r w e g n a h m e dessen, was der S p r u c h e i g e n t l i c h zu sagen hat. D a s so G e s a g t e n e n n t m a n g r a m m a t i s c h das Prädikat i m Satz. Dessen S u b j e k t aber ist das νοεΐν ( D e n k e n ) in s e i n e m Bezug z u m ε ΐ ν α ι (Sein). D e m g r i e c h i s c h e n Text g e m ä ß w i r d m a n d e n Satzbau des S p r u c h e s in d i e s e m S i n n e d e u t e n m ü s s e n . D a ß der Spruch das R ä t s e l w o r t als P r ä d i k a t voranstellt, h e i ß t uns, bei 0
inwiefern?
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diesem Wort a u f m e r k s a m zu verweilen u n d i m m e r n e u zu i h m zurückzukehren. Aber auch so sagt das Wort nichts von dem, was wir e r f a h r e n möchten. So müssen wir d e n n i m unablässigen Blick auf die Vorrangstellung von το αύτό, das Selbe, in e i n e m f r e i e n Wagnis versuchen, aus der Zwiefalt des έόν (Anwesen des Anwesenden) in ihre E n t f a l t u n g vorzudenken. Dabei k o m m t uns die Einsicht zu Hilfe, daß in der Zwiefalt des έόν das D e n k e n z u m Vorschein gebracht, ein in ihr Gesagtes ist: πεφαΉ,σμένον. D e m g e m ä ß waltet in der Zwiefalt die φάσις, das Sagen als das r u f e n d e , verlangende in-den-Vorschein-Bringen. Was bringt das Sagen ins Scheinen? Das Anwesen des Anwesenden. Das in der Zwiefalt waltende, sie ereignende Sagen ist die V e r s a m m l u n g des Anwesens, in dessen Scheinen Anwesendes erscheinen kann. Heraklit n e n n t die Φάσις, die P a r m e n i d e s denkt, den Λόγος, das vers a m m e l n d e Vorliegenlassen. Was geschieht in der Φάσίς u n d im Λόγος? Sollte das in i h n e n waltende, v e r s a m m e l n d - r u f e n d e Sagen jenes Bringen sein, das allererst ein Scheinen erbringt, das L i c h t u n g gewährt, in welc h e m W ä h r e n erst Anwesen sich lichtet, d a m i t in seinem L i c h t Anwesendes erscheine u n d so die Zwiefalt beider walte? Sollte die E n t f a l t u n g der Zwiefalt darin b e r u h e n , daß sich lichtendes Schein e n ereignet? Seinen G r u n d z u g e r f a h r e n die Griechen als das E n t b e r g e n . D e m e n t s p r e c h e n d waltet in der E n t f a l t u n g der Zwiefalt die Entbergung. Die Griechen n e n n e n sie Άλήθεια.
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So dächte d e n n P a r m e n i d e s doch u n d auf seine Weise in die E n t f a l t u n g der Zwiefalt, gesetzt, daß er von der Άλήθεια sagt. N e n n t er sie? Allerdings u n d zwar i m E i n g a n g seines »Lehrgedichtes«. M e h r noch: die Άλήθεια ist Göttin. I h r Sagen hörend, sagt P a r m e n i d e s sein Gedachtes. Gleichwohl läßt er i m Ungesagten, worin das Wesen der Άλήθεtα b e r u h e . U n g e d a c h t bleibt auch, in welchem Sinne von Gottheit die Αλήθεια Göttin ist. All dies bleibt f ü r das b e g i n n e n d e D e n k e n der Griechen so u n m i t t e l bar a u ß e r h a l b des D e n k w ü r d i g e n wie eine E r l ä u t e r u n g des Rätselwortes τό αύτό, das Selbe.
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Vermutlich waltet jedoch zwischen all diesem U n g e d a c h t e n ein verborgener Z u s a m m e n h a n g . Die e i n l e i t e n d e n Verse des L e h r g e d i c h t e s I, 22 ff. sind anderes als eine poetische Umkleid u n g abstrakter Begriffsarbeit. M a n m a c h t sich die Zwiesprache m i t d e m D e n k w e g des P a r m e n i d e s zu leicht, w e n n m a n in den Worten des Denkers die mythische E r f a h r u n g v e r m i ß t u n d einwendet, die Göttin Άλήθεια sei i m Vergleich zu den eindeutig gep r ä g t e n »Götterpersonen« Hera, Athene, Demeter, Aphrodite, Artemis ü b e r a u s u n b e s t i m m t u n d ein leeres Gedankengebilde. M a n spricht in diesen Vorbehalten so, als sei m a n i m Besitz eines längst gesicherten. Wissens darüber, was die Gottheit der griechischen Götter sei, daß es einen Sinn habe, hier von »Personen« zu sprechen, daß ü b e r das Wesen der W a h r h e i t entschieden sei, daß, falls sie als Göttin erscheint, dies n u r eine abstrakte Personifikation eines Begriffes sein könne. I m G r u n d e ist das Mythische noch k a u m bedacht, vor allem nicht in der Hinsicht, daß der μΰθος Sage ist, das Sagen aber das r u f e n d e zum-Scheinen-Bringen. Deshalb bleiben wir besser i m vorsichtigen F r a g e n u n d hören auf das Gesagte ( F r a g m e n t I, 22 f.): καί με θεά πρόφρων ύπεδέξατο, χεΐρα δέ χειρί δεξιτερήν ελεν, ώδε δ ' επος φάτο καί με προσηύδα • U n d m i c h e m p f i n g die Göttin zugeneigt voraussinnend, H a n d aber m i t H a n d die rechte n a h m sie, also d e n n das Wort sagte sie u n d sang m i r zu: Was sich h i e r d e m Denker zu denken gibt, bleibt zugleich hinsichtlich seiner W e s e n s h e r k u n f t verhüllt. Dies schließt nicht aus, sondern ein, daß in dem, was der D e n k e r sagt, die E n t b e r g u n g waltet als das, was er stets i m Gehör hat, insofern es in das zuD e n k e n d e die Weisung gibt. Dies aber ist i m Rätselwort το αύτό, das Selbe, genannt, welches G e n a n n t e vom Verhältnis des D e n kens zum Sein ausgesagt wird.
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D a r u m d ü r f e n w i r w e n i g s t e n s f r a g e n , ob n i c h t i m αύτό, i m Selben, die E n t f a l t u n g der Z w i e f a l t u n d zwar i m S i n n e der E n t b e r g u n g des Anwesens von A n w e s e n d e m g e s c h w i e g e n ist. W e n n w i r solches v e r m u t e n , g e h e n wir ü b e r das von P a r m e n i d e s Ged a c h t e n i c h t h i n a u s , s o n d e r n n u r zurück in das a n f ä n g l i c h e r zuDenkende. D i e E r ö r t e r u n g des S p r u c h e s ü b e r das Verhältnis von D e n k e n u n d Sein g e r ä t d a n n in d e n u n v e r m e i d l i c h e n A n s c h e i n w i l l k ü r l i cher Gewaltsamkeit. Jetzt zeigt sich der Satzbau des Spruches: το γάρ αύτό νοειν έστίν χε καί ε ι ν α ι , g r a m m a t i s c h vorgestellt, in e i n e m a n d e r e n L i c h t . D a s R ä t s e l w o r t το αύτό, das Selbe, m i t d e m der S p r u c h beg i n n t , ist n i c h t m e h r das v o r a n g e s t e l l t e P r ä d i k a t , s o n d e r n das S u b j e k t , das i m G r u n d e L i e g e n d e , das T r a g e n d e u n d H a l t e n d e . D a s u n s c h e i n b a r e έστιν, ist, b e d e u t e t jetzt: west, w ä h r t , u n d zwar g e w ä h r e n d aus d e m G e w ä h r e n d e n , als welches το αύτό, das Selbe, w a l t e t , n ä m l i c h als die E n t f a l t u n g der Z w i e f a l t i m S i n n e der E n t b e r g u n g : das n ä m l i c h e n t b e r g e n d die Z w i e f a l t E n t f a l t e n d e g e w ä h r t das i n - d i e - A c h t - N e h m e n auf s e i n e m Weg z u m v e r s a m m e l n d e n V e r n e h m e n des A n w e s e n s von A n w e s e n d e m . D i e W a h r h e i t als die g e k e n n z e i c h n e t e E n t b e r g u n g der Z w i e f a l t l ä ß t aus dieser h e r das D e n k e n d e m Sein z u g e h ö r e n . I m R ä t s e l w o r t το αύτό, das Selbe, schweigt das e n t b e r g e n d e G e w ä h r e n der Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t der Z w i e f a l t m i t d e m in dieser z u m Vorschein kommenden Denken.
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So g e h ö r t d e n n das D e n k e n n i c h t d e s h a l b z u m Sein, weil es auch e t w a s A n w e s e n d e s ist u n d d a r u m in das G a n z e des Anwesens, m a n m e i n t : des A n w e s e n d e n , e i n g e o r d n e t w e r d e n m u ß . Allein, es s c h e i n t so, daß a u c h P a r m e n i d e s die B e z i e h u n g des D e n k e n s z u m Sein in dieser Weise vorstellt. F ü g t er doch (VIII, 36 f.), d u r c h ein γάρ ( d e n n ) a n k n ü p f e n d , e i n e B e g r ü n d u n g bei, die sagt: πάρεξ τοΰ
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έόντος: a u ß e r h a l b des Seienden war u n d sei u n d werde sein nichts anderes Seiendes (nach einer Konjektur von Bergk: ούδ' fjv). Indes heißt τό έόν nicht »das Seiende«, sondern es n e n n t die Zwiefalt. Außerhalb ihrer freilich gibt es niemals ein Anwesen von Anwesendem, d e n n dieses b e r u h t als solches in der Zwiefalt, scheint u n d erscheint in i h r e m entfalteten Licht. Doch weshalb f ü g t P a r m e n i d e s i m Hinblick auf das Verhältnis des D e n k e n s z u m Sein noch eigens die g e n a n n t e B e g r ü n d u n g bei? Weil der N a m e νοεΐν, anders lautend als εινοα, weil der N a m e »Denken« den Anschein erwecken muß, als sei es doch ein άλλο, ein Anderes, gegenüber d e m Sein u n d deshalb a u ß e r h a l b seiner. Aber nicht n u r der N a m e als Wortlaut, sondern sein G e n a n n t e s zeigt sich, als h a l t e es sich »neben« u n d »außerhalb« d e m έόν auf. Dieser Anschein ist auch kein bloßer Schein. D e n n λέγειν u n d νοεΐν lassen Anwesendes im Licht von Anwesen vor-liegen. D e m g e m ä ß liegen sie selber d e m Anwesen gegenüber, freilich niemals gegenüber wie zwei f ü r sich vorhandene Gegenstände. Das G e f ü ge von λέγειν u n d νοεΐν gibt (nach F r a g m e n t VI) das έον εμμεναι, das Anwesen in sein Erscheinen f ü r das V e r n e h m e n frei u n d hält sich dabei in gewisser Weise aus d e m έόν heraus. Das D e n k e n ist in einer Hinsicht a u ß e r h a l b der Zwiefalt, zu der es, ihr entsprechend u n d von ihr verlangt, unterwegs bleibt. I n anderer H i n sicht bleibt gerade dieses Unterwegs zu ... i n n e r h a l b der Zwiefalt, die niemals n u r eine irgendwo v o r h a n d e n e u n d vorgestellte U n t e r s c h e i d u n g von Sein u n d Seiendem ist, sondern aus der entb e r g e n d e n E n t f a l t u n g west. Diese g e w ä h r t als Αλήθεια jeglichem Anwesen das Licht, darin Anwesendes erscheinen kann. Doch die E n t b e r g u n g gewährt die L i c h t u n g des Anwesens, ind e m sie zugleich, wenn Anwesendes erscheinen soll, ein vorliegen-Lassen u n d V e r n e h m e n b r a u c h t u n d also b r a u c h e n d das D e n k e n in die Zugehörigkeit zur Zwiefalt einbehält. D a r u m gibt es auf keine Weise ein irgendwo u n d irgendwie Anwesendes auß e r h a l b der Zwiefalt. Das jetzt Erörterte bliebe etwas willkürlich Ausgedachtes u n d nachträglich Untergeschobenes, w e n n nicht P a r m e n i d e s selbst
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die B e g r ü n d u n g sagte, inwiefern ein A u ß e r h a l b von Anwesen neben d e m έόν unmöglich bleibt.
VI Was der D e n k e r hierzu über das έόν sagt, steht, g r a m m a t i s c h vorgestellt, in e i n e m Nebensatz. Wer auch n u r eine geringe E r f a h r u n g hat im H ö r e n dessen, was große Denker sagen, wird zuweilen vor dem Seltsamen verhoffen, daß sie das eigentlich zu-Denkende in e i n e m unversehens a n g e f ü g t e n Nebensatz sagen und es dabei bewenden lassen. Das Spiel des r u f e n d e n , e n t f a l t e n d e n u n d w a c h s t ü m l i c h e n Lichtes wird nicht eigens sichtbar. Es scheint so unscheinbar wie das Morgenlicht in der stillen P r a c h t der Lilien auf d e m Felde u n d der Rosen im Garten. D e r Nebensatz des Parmenides, der in W a h r h e i t der Satz aller seiner Sätze ist, lautet (VIII, 37 f.): έπεΐ τό γε Moîp' έπέδησεν οΰλον άκίνητόν τ ' εμμενοα» da es (das Seiende) ja die Moira daran gebunden hat, ein Ganzes u n d unbeweglich ZU Sem«. (W. Kranz)
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P a r m e n i d e s spricht vom έόν, vom Anwesen (des Anwesenden), von der Zwiefalt u n d keineswegs vom »Seienden«. Er n e n n t die Moîpoc, die Zuteilung, die g e w ä h r e n d verteilt u n d so die Zwiefalt entfaltet. Die Z u t e i l u n g beschickt (versieht u n d beschenkt) m i t der Zwiefalt. Sie ist die in sich g e s a m m e l t e u n d also e n t f a l t e n d e Schickung des Anwesens als Anwesen von Anwesendem. Motpa ist das Geschick des »Seins« im Sinne desèôv. Sie hat dieses, τό γε, in die Zwiefalt e n t b u n d e n u n d so gerade in die Gänze u n d R u h e gebunden, aus welchen u n d in welchen beiden sich Anwesen von A n w e s e n d e m ereignet. I m Geschick der Zwiefalt gelangen jedoch n u r das Anwesen
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ins Scheinen u n d das Anwesende z u m Erscheinen. Das Geschick behält die Zwiefalt als solche u n d vollends ihre E n t f a l t u n g im Verborgenen. Das Wesen der Άλήθεια bleibt verhüllt. Die von ihr g e w ä h r t e Sichtbarkeit läßt das Anwesen des Anwesenden als »Aussehen« (εΐδος) u n d als »Gesicht« (ίδέα) a u f g e h e n . D e m g e m ä ß b e s t i m m t sich die v e r n e h m e n d e Beziehung z u m Anwesen des Anwesenden als ein Sehen (εΐδέναι). Das von der visio her geprägte Wissen u n d dessen Evidenz k ö n n e n auch dort ihre Wes e n s h e r k u n f t aus der lichtenden E n t b e r g u n g nicht verleugnen, wo die W a h r h e i t sich in die Gestalt der G e w i ß h e i t des Selbstbewußtseins gewandelt hat. Das l u m e n naturale, das n a t ü r l i c h e Licht, d . h . hier die E r l e u c h t u n g der Vernunft, setzt schon die E n t b e r g u n g der Zwiefalt voraus. Das Gleiche gilt von der augustinischen u n d von der mittelalterlichen Lichttheorie, die, von ihrer platonischen H e r k u n f t ganz zu schweigen, n u r i m Bereich der schon i m Geschick der Zwiefalt waltenden Αλήθεια i h r e n möglichen Spielraum f i n d e n können. W e n n von der Geschichte des Seins die Rede sein darf, d a n n müssen wir zuvor bedacht haben, daß Sein besagt: Anwesen des Anwesenden: Zwiefalt. N u r von d e m so bedachten Sein aus können wir d a n n m i t der nötigen Bedachtsamkeit erst einmal fragen, was hier »Geschichte« heißt. Sie ist das Geschick der Zwiefalt. Sie ist das entbergend e n t f a l t e n d e G e w ä h r e n des gelichteten Anwesens, worin Anwesendes erscheint. Die Geschichte des Seins ist niemals eine Abfolge von Geschehnissen, die das Sein f ü r sich d u r c h l ä u f t . Sie ist vollends nicht ein Gegenstand, der n e u e Möglichkeiten des historischen Vorstellens darbietet, das gewillt wäre, sich an die Stelle der bisher üblichen Betrachtung der Geschichte der Metaphysik zu setzen gleich der A n m a ß u n g eines Besserwissens. Was P a r m e n i d e s im u n s c h e i n b a r e n Nebensatz von der Motpa sagt, in deren Gebind das έόν als die Zwiefalt freigelassen wird, ö f f n e t d e m Denker die Weite des Ausblicks, der seinem Weg geschicklich beschieden ist. D e n n in dieser Weite k o m m t jenes zum Scheinen, worin sich das Anwesen (des Anwesenden) selbst
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zeigt: τά σήματα τοΰ έόντος. Deren sind gar vielfältige (πολλά). Die σήματα sind keine Merkzeichen f ü r anderes. Sie sind das vielfältige Scheinen des Anwesens selber aus der entfalteten Zwiefalt.
VII Aber noch ist, was die Μοΐρα schickend verteilt, nicht erschöpfend dargelegt. D a r u m bleibt auch ein wesentlicher Z u g der Art ihres Waltens ungedacht. Was geschieht dadurch, daß das Geschick das Anwesen des Anwesenden in die Zwiefalt e n t b i n d e t und es so in ihre Gänze u n d R u h e bindet? U m zu ermessen, was P a r m e n i d e s darüber i m u n m i t t e l b a r e n Anschluß an den Nebensatz sagt (VIII, 39 ff.), ist nötig, an f r ü h e r Dargelegtes (n. III) zu e r i n n e r n . Die E n t f a l t u n g der Zwiefalt waltet als die φάσις, das Sagen als zum-Vorschein-Bringen. Die Zwiefalt birgt in sich das νοεΐν und sein Gedachtes (νόημα) als Gesagtes. V e r n o m m e n aber wird im D e n k e n das Anwesen des Anwesenden. Das denkende Sagen, das der Zwiefalt entspricht, ist das λέγειν als das Vorliegenlassen des Anwesens. Es geschieht rein n u r auf d e m D e n k w e g des von der Άλήθεια g e r u f e n e n D e n kers.
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Was aber wird aus der i m e n t b e r g e n d e n Geschick w a l t e n d e n φάσις (Sage), w e n n das Geschick das in der Zwiefalt E n t f a l t e t e d e m alltäglichen Vernehmen von seiten der Sterblichen überläßt? Diese n e h m e n auf (δέχεσθοα, δόξα), was sich i h n e n unmittelbar, sogleich und zunächst, darbietet. Sie bereiten sich nicht erst auf einen D e n k w e g vor. Sie hören nie eigens den Ruf der Entberg u n g der Zwiefalt. Sie halten sich an das in ihr E n t f a l t e t e und zwar an jenes, was die Sterblichen u n m i t t e l b a r beansprucht: an das Anwesende ohne Rücksicht auf das Anwesen. Sie vergeben ihr Tun u n d Lassen an das g e w o h n t e r m a ß e n Vernommene, τά δοκοΰντα (Fragm. I, 31). Sie halten dieses f ü r das Unverborgene, άληθή (VIII, 39); d e n n es erscheint i h n e n doch und ist so ein Ent-
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borgenes. Allein, was wird aus i h r e m Sagen, wenn es nicht vermag, das λέγειν, das Vorliegenlassen, zu sein? Das gewöhnliche Sagen der Sterblichen wird, insofern sie auf das Anwesen nicht achten, d.h. nicht denken, zum Sagen von N a m e n , an denen sich die Verlautbarung u n d die u n m i t t e l b a r faßliche Gestalt des Wortes im Sinne der v e r l a u t e n d e n u n d geschriebenen W ö r t e r vordrängt. Die Vereinzelung des Sagens (des Vorliegenlassens) in die bezeichnenden W ö r t e r zerschlägt das v e r s a m m e l n d e in-die-AchtN e h m e n . Es wird zum κατατίθεσθαι (VIII, 39), zum Festsetzen, das je gerade dieses oder jenes f ü r das eilige M e i n e n festlegt. Alles so Festgesetzte bleibt δνομα. P a r m e n i d e s sagt keineswegs, das gewöhnlich V e r n o m m e n e werde zum »bloßen« N a m e n . Aber es bleibt einem Sagen überlassen, das die einzige Weisung aus den gängigen W ö r t e r n n i m m t , die, rasch gesprochen, alles von allem sagen und sich i m »Sowohl-als auch« u m h e r t r e i b e n . Auch das V e r n e h m e n des Anwesenden (der έόντα) n e n n t das εινοα, kennt das Anwesen, aber so flüchtig wie dieses auch das Nichtanwesen; freilich nicht wie das Denken, das auf seine Weise den Vorenthalt der Zwiefalt beachtet (das μή έόν). Das gewöhnliche M e i n e n kennt n u r ειναί τε rai ούχί (VIII, 40), Anwesen sowohl als auch Nichtanwesen. Das Gewicht des so Bekannten liegt im τε-καί (VIII, 40 f.), sowohl-als auch. Und wo das gewohnte, aus den W ö r t e r n sprechende Vernehmen das A u f g e h e n u n d U n t e r g e h e n a n t r i f f t , begnügt es sich m i t d e m Sowohl-als auch des Entstehens, γίγνεσθαι, u n d Vergehens, δλλυσθαι (VIII, 40). Den Ort, τόπος, v e r n i m m t es nie als die Ortschaft, als welche die Zwiefalt d e m Anwesen des Anwesenden die H e i m a t bietet. Das Meinen der Sterblichen verfolgt im Sowohl-als auch nur das je und je Andere (άλλάσσειν VIII, 41) der Plätze. Das gewohnte V e r n e h m e n bewegt sich zwar im G e l i c h t e t e n des Anwesenden, sieht Scheinendes, φανόν (VIII, 41) in der Farbe, aber t u m m e l t sich in i h r e m Wechsel, άμείβειν, achtet nicht des stillen Lichtes der Lichtung, die aus der E n t f a l t u n g der Zwiefalt k o m m t u n d die Φάσις ist, das zum-Vorschein-Bringen, die Weise, in der das
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Moira (Pannenides VIII, 34-41 )
Wort sagt, nicht aber die Wörter, das verlautende N e n n e n , sprechen. Τφ πάντ' δνομ' εστοα (VIII, 38), dadurch alles (das Anwesende) wird anwesen i m v e r m e i n t l i c h e n Entbergen, das die H e r r s c h a f t der W ö r t e r erbringt. Wodurch geschieht dies? D u r c h die Μοΐρα, durch das Geschick der E n t b e r g u n g der Zwiefalt. Wie sollen wir dies verstehen? In der E n t f a l t u n g der Zwiefalt k o m m t m i t d e m Scheinen des Anwesens das Anwesende zum Erscheinen. Auch das Anwesende ist Gesagtes, aber gesagt in den n e n n e n d e n Wört e r n , in deren Sprechen sich das gewöhnliche Sagen der Sterblichen bewegt. Das Geschick der E n t b e r g u n g der Zwiefalt (des έόν) überläßt das Anwesende (τά έόντα) d e m alltäglichen V e r n e h m e n der Sterblichen. W i e geschieht dieses geschickliche Uberlassen? Allein schon dadurch, daß die Zwiefalt als solche u n d d a m i t ihre E n t f a l t u n g verborgen bleiben. D a n n waltet in der E n t b e r g u n g ihr Sichverb e r g e n ? Ein k ü h n e r Gedanke. H e r a k l i t hat i h n gedacht. Parm e n i d e s hat dies Gedachte u n g e d a c h t erfahren, insofern er, den Ruf der Άλήθεια hörend, die Moîpa des έόν, das Geschick der Zwiefalt im Hinblick auf das Anwesen sowohl als auch auf das Anwesende denkt.
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P a r m e n i d e s wäre nicht ein D e n k e r in der F r ü h e des Beginns jenes Denkens, das sich in das Geschick der Zwiefalt schickt, dächte er nicht in die Weite des Rätselvollen, das sich i m Rätselwort xö αύτό, das Selbe, verschweigt. H i e r i n ist das D e n k w ü r d i g e geborgen, das sich uns als das Verhältnis des Denkens zum Sein, als die W a h r h e i t des Seins i m Sinne der E n t b e r g u n g der Zwiefalt, als Vorenthalt der Zwiefalt (μή έόν), in der Vorherrschaft des Anwesenden (τά έόντα, τά δοκοΰντα ) zu denken gibt. Das Gespräch m i t P a r m e n i d e s gelangt an kein Ende; nicht nur, weil vieles in den überlieferten Bruchstücken seines L e h r g e d i c h tes dunkel, sondern weil auch das Gesagte i m m e r f o r t d e n k w ü r d i g d
Vergessenheit
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bleibt. Aber das Endlose des Gesprächs ist kein Mangel. Es ist das Zeichen des Grenzenlosen, das in sich u n d f ü r das Andenken die Möglichkeit einer Verwandlung des Geschickes verwahrt. Wer jedoch vom D e n k e n n u r eine Versicherung erwartet und den Tag errechnet, an d e m es u n g e b r a u c h t ü b e r g a n g e n w e r d e n kann, der fordert d e m Denken die Selbstvernichtung ab. Die Ford e r u n g erscheint in e i n e m seltsamen Licht, wenn wir uns darauf besinnen, daß das Wesen der Sterblichen in die Achtsamkeit auf das Geheiß gerufen ist, das sie in den Tod k o m m e n heißt. Er ist als äußerste Möglichkeit des sterblichen Daseins nicht Ende des Möglichen, sondern das höchste Ge-birg (das v e r s a m m e l n d e Bergen) des Geheimnisses der r u f e n d e n Entbergung.
ALETHEIA (HERAKLIT, FRAGMENT 16)
265 Er heißt der Dunkle, ό Σκοτεννός. I n diesem Ruf stand H e r a k l i t schon zu der Zeit, da seine Schrift noch vollständig e r h a l t e n war. Jetzt k e n n e n wir n u r noch Bruchstücke daraus. Spätere Denker, Piaton u n d Aristoteles, n a c h k o m m e n d e Schriftsteller u n d Gelehrte der Philosophie, Theophrast, Sextus Empiricus, Diogenes Laërtius u n d Plutarch, aber auch christliche Kirchenväter, Hippolytus, Clemens Alexandrinus u n d Origenes f ü h r e n in i h r e n Werken hier u n d dort Stellen aus der Schrift des Heraklit an. Diese Zitate sind als F r a g m e n t e gesammelt, welche S a m m l u n g wir der philologischen u n d philosophiehistorischen Forschung verdanken. Die F r a g m e n t e bestehen bald aus m e h r e r e n Sätzen, bald n u r aus e i n e m einzigen, zuweilen sind es bloße Satzfetzen u n d vereinzelte Wörter. Der G e d a n k e n g a n g der späteren Denker u n d Schriftsteller bes t i m m t die Auswahl u n d die Art der A n f ü h r u n g von Worten Heraklits. D a d u r c h ist der Spielraum ihrer jeweiligen Auslegung festgelegt. Deshalb können wir durch eine g e n a u e r e B e t r a c h t u n g ihres Fundortes in den Schriften der späteren Autoren stets n u r d e n j e n i g e n Z u s a m m e n h a n g ausmachen, in den das Zitat von ihn e n eingerückt, nicht aber jenen, aus d e m es bei H e r a k l i t entn o m m e n wurde. Die Zitate samt den F u n d s t e l l e n ü b e r l i e f e r n uns das Wesentliche gerade nicht: die alles gliedernde und m a ß g e bende E i n h e i t des i n n e r e n Baues der Schrift Heraklits. N u r aus e i n e m ständig wachsenden Einblick in dieses B a u g e f ü g e ließe sich dartun, von woher die einzelnen Bruchstücke sprechen, in w e l c h e m Sinne jedes als ein Spruch gehört werden darf. Weil jedoch die quellende Mitte, aus der Heraklits Schrift ihre E i n h e i t empfing, k a u m zu v e r m u t e n u n d i m m e r schwer zu denken ist, k a n n dieser Denker erst recht f ü r uns »der D u n k l e « heißen. Der eigentliche Sinn, in dem der Beiname zu uns spricht, bleibt selbst dunkel. H e r a k l i t heißt »der Dunkle«. Aber er ist der Lichte. D e n n er sagt das Lichtende, i n d e m er versucht, dessen Scheinen in die Sprache des Denkens hervorzurufen. Das L i c h t e n d e währt, insof e r n es lichtet. Wir n e n n e n sein L i c h t e n die Lichtung. Was zu ihr
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Aletheia (Heraklit, Fragment 16)
gehört, wie sie geschieht u n d wo, bleibt zu bedenken. Das Wort »licht« bedeutet: leuchtend, strahlend, hellend. Das L i c h t e n gew ä h r t das Scheinen, gibt Scheinendes in ein Erscheinen frei 8 . Das Freie ist der Bereich der Unverborgenheit. I h n verwaltet das Entbergen. Was zu diesem n o t w e n d i g gehört, ob u n d inwiefern die E n t b e r g u n g u n d die L i c h t u n g das Selbe sind, bleibt zu erfragen. Mit der B e r u f u n g auf die B e d e u t u n g des Wortes άληθεσία ist nichts getan u n d wird Ersprießliches nie gewonnen. Auch m u ß offen bleiben, ob das, was m a n u n t e r den T i t e l n »Wahrheit«, »Gewißheit«, »Objektivität«, »Wirklichkeit« verhandelt, das Geringste m i t d e m zu t u n hat, wohin die E n t b e r g u n g u n d die Licht u n g das D e n k e n weisen. Vermutlich steht f ü r das Denken, das solcher Weisung folgt, H ö h e r e s in Frage als die Sicherstellung der objektiven W a h r h e i t im Sinne gültiger Aussagen. Woran liegt es, daß m a n sich i m m e r wieder beeilt, die Subjektivität zu vergessen, die zu jeder Objektivität gehört? Wie k o m m t es, daß m a n auch dann, w e n n m a n das Z u s a m m e n g e h ö r e n beider v e r m e r k t , dieses von einer der beiden Seiten her zu erklären versucht oder aber ein drittes beizieht, was Objekt u n d Subjekt z u s a m m e n g r e i fen soll? Woran liegt es, daß m a n sich h a r t n ä c k i g sträubt, e i n m a l zu bedenken, ob das Z u s a m m e n g e h ö r e n von Subjekt und Objekt nicht in Solchem west, was d e m Objekt u n d seiner Objektivität, was d e m Subjekt u n d seiner Subjektivität erst ihr Wesen u n d d.h. zuvor den Bereich ihres Wechselbezuges gewährt? D a ß unser D e n k e n so m ü h s a m in dieses G e w ä h r e n d e f i n d e t , u m auch n u r erst nach i h m auszuschauen, k a n n weder an einer Beschränktheit des h e r r s c h e n d e n Verstandes liegen, noch an e i n e m Widerwillen gegen Ausblicke, die das G e w o h n t e b e u n r u h i g e n u n d das Gewöhnliche stören. E h e r dürfen wir anderes v e r m u t e n : wir wissen zu viel u n d glauben zu eilig, u m in e i n e m recht e r f a h r e n e n Fragen heimisch w e r d e n zu können. Dazu b r a u c h t es das Vermögen, vor d e m E i n f a c h e n zu erstaunen und dieses E r s t a u n e n als Wohnsitz a n z u n e h m e n . " L i c h t e n f r e i g e b e n vgl. Die B e s t i m m u n g der Sache des Denkens, [vorgesehen f ü r GA Bd. 80]
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(Heraklit, Fragment
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D a s E i n f a c h e ist u n s f r e i l i c h noch n i c h t d a d u r c h gegeben, daß w i r in e i n e r s i m p l e n Art die w ö r t l i c h e B e d e u t u n g von άληθεσία als » U n v e r b o r g e n h e i t « aus- u n d n a c h s p r e c h e n . U n v e r b o r g e n h e i t ist der G r u n d z u g dessen, was schon z u m Vorschein g e k o m m e n ist u n d die V e r b o r g e n h e i t h i n t e r sich gelassen hat. D a s ist h i e r der Sinn des a - , das n u r e i n e i m s p ä t g r i e c h i s c h e n D e n k e n g e g r ü n d e te G r a m m a t i k als α - p r i v a t i v u m k e n n z e i c h n e t . D e r Bezug zur λήθη, V e r b e r g u n g u n d diese selbst v e r l i e r e n f ü r u n s e r D e n k e n keineswegs d a d u r c h an G e w i c h t , daß das U n v e r b o r g e n e u n m i t t e l b a r n u r als das z u m - V o r s c h e i n - G e k o m m e n e , A n w e s e n d e e r f a h r e n wird. M i t d e r Frage, was dies alles h e i ß e u n d wie es g e s c h e h e n könne, beginnt erst das E r s t a u n e n . Wie v e r m ö g e n w i r es, d a h i n zu g e l a n g e n ? Vielleicht so, daß wir u n s auf ein E r s t a u n e n einlassen, das n a c h d e m ausschaut, was w i r L i c h t u n g u n d E n t b e r g u n g n e n nen? Das d e n k e n d e E r s t a u n e n spricht i m F r a g e n . H e r a k l i t sagt: το μή δΰνόν ποτε πώς α ν τις λάθοι ; »Wie k a n n e i n e r sich b e r g e n vor d e m , was n i m m e r u n t e r g e h t ? «
(Ubersetzt von Diels-Kranz)
D e r S p r u c h w i r d als F r a g m e n t 16 gezählt. Vielleicht sollte es f ü r uns, was d e n i n n e r e n R a n g u n d die w e i s e n d e T r a g w e i t e a n g e h t , das erste w e r d e n . H e r a k l i t s S p r u c h w i r d von C l e m e n s A l e x a n d r i n u s in s e i n e m Paidagogos (Buch I I I , Kap. 10) a n g e f ü h r t u n d zwar als Beleg f ü r e i n e n t h e o l o g i s c h - e r z i e h e r i s c h e n G e d a n k e n . E r schreibt: λήσεται (!) μέν γάρ ϊσως τό αίσθητόν φώς τις, τό δέ νοητον άδύνατόν έστιν, ή ώς φησιν Ήράκλειτος . . . »Vielleicht k a n n sich ein e r vor d e m s i n n l i c h w a h r n e h m b a r e n L i c h t v e r b o r g e n h a l t e n , vor d e m geistigen aber ist es u n m ö g l i c h oder, w i e H e r a k l e i t o s s a g t . . . « C l e m e n s A l e x a n d r i n u s d e n k t an die A l l g e g e n w a r t Gottes, der alles, auch die i m F i n s t e r e n b e g a n g e n e U n t a t sieht. D a r u m sagt seine S c h r i f t » D e r E r z i e h e r « an a n d e r e r Stelle (Buch III,
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Aletheia (Heraklit, Fragment 16)
Kap. 5): οΰτως γάρ μόνως άπτώς τις διαμένει, εί πάντοτε συμπαρεΐναι νομίζοι τόν θεόν. »So d e n n allein k o m m t einer nie zu Fall, w e n n er d a f ü r h ä l t , daß überall bei i h m anwese der Gott.« Wer wollte es verwehren, daß Clemens Alexandrinus seinen theologisch-erzieherischen Absichten g e m ä ß sieben J a h r h u n d e r t e später das Wort Heraklits in den christlichen Vorstellungsbereich einbezieht u n d es dadurch auf seine Weise deutet? D e r Kirchenvater denkt dabei an das Sich verborgenhalten des sündigen M e n schen vor e i n e m Licht. H e r a k l i t dagegen spricht n u r von e i n e m Verborgenbleiben. Clemens m e i n t das übersinnliche Licht, τόν θεόν, den Gott des christlichen Glaubens. H e r a k l i t dagegen n e n n t n u r das n i e - U n t e r g e h e n . Ob dieses von uns betonte »nur« eine E i n s c h r ä n k u n g bedeutet oder anderes, bleibe hier u n d i m folgenden offen. Was wäre gewonnen, wollte m a n die theologische D e u t u n g des F r a g m e n t s n u r als eine unrichtige zurückweisen? So könnte sich höchstens der Anschein verfestigen, die n a c h s t e h e n d e n Bemerk u n g e n h u l d i g t e n der Meinung, H e r a k l i t s L e h r e in der einzig richtigen Weise u n d absolut zu treffen. Das B e m ü h e n beschränkt sich darauf, n ä h e r a m Wort des heraklitischen Spruches zu bleiben. Dies könnte dazu beitragen, ein k ü n f t i g e s D e n k e n in den Bereich noch u n g e h ö r t e r Zusprüche einzuweisen.
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Insofern diese aus dem Geheiß k o m m e n , u n t e r d e m das D e n ken steht, liegt wenig daran, abzuschätzen u n d zu vergleichen, welche D e n k e r in welche N ä h e jener Zusprüche gelangten. Vielm e h r sei alle B e m ü h u n g darauf verwendet, uns durch die Zwiesprache m i t e i n e m f r ü h e n Denker d e m Bereich des zu-Denkenden n ä h e r zu bringen. Einsichtige verstehen, daß H e r a k l i t anders zu Piaton, anders zu Aristoteles, anders zu e i n e m christlichen Kirchenschriftsteller, anders zu Hegel, anders zu Nietzsche spricht. Bleibt m a n in der historischen Feststellung dieser vielfältigen D e u t u n g e n h ä n g e n , d a n n m u ß m a n sie f ü r n u r beziehungsweise richtig erklären. M a n sieht sich durch eine solche Vielfalt von d e m Schreckgespenst des Relativismus bedroht u n d zwar notwendig. Weshalb?
269 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) Weil das historische Verrechnen der Auslegungen das f r a g e n d e Gespräch m i t d e m D e n k e r schon verlassen, vermutlich sich nie darauf eingelassen hat. Das jeweils Andere jeder gesprächsweisen D e u t u n g des Gedachten ist das Zeichen einer ungesagten Fülle dessen b , was auch H e r a k l i t seihst n u r auf d e m Weg der ihm g e w ä h r t e n Hinblicke zu sagen vermochte. D e r objektiv richtigen L e h r e des H e r a k l i t n a c h j a g e n zu wollen, ist ein Vorhaben, das sich der h e i l s a m e n G e f a h r entzieht, von der W a h r h e i t eines Denkens betroffen zu werden. Die folgenden B e m e r k u n g e n f ü h r e n zu k e i n e m Ergebnis. Sie zeigen in das Ereignis. Heraklits Spruch ist eine Frage. Das Wort, worin sie sich i m Sinne des τ έ λ ο ς be-endet, n e n n t jenes, von woher das F r a g e n beginnt. Es ist der Bereich, worin sich das D e n k e n bewegt. Das Wort, in das die Frage aufsteigt, heißt λ ά θ ο ι . Was k a n n j e m a n d leichter feststellen als dies: λ α ν θ ά ν ω , aor. ε λ α θ ο ν , bedeute: ich bleibe verborgen? Gleichwohl vermögen wir es k a u m noch, u n m i t t e l bar in die Weise zurückzufinden, nach der dieses Wort griechisch spricht. H o m e r erzählt (Od. VIII, 83 ff.), wie Odysseus b e i m ernsten sowohl wie b e i m h e i t e r e n Lied des Sängers Demodokos i m Palast des Phäakenkönigs jedesmal sein H a u p t verhüllt u n d , so von den Anwesenden u n b e m e r k t , weint. Vers 93 lautet: ε ν θ ' α λ λ ο υ ς μ έ ν π ά ν τ α ς έ λ ά ν θ α ν ε δ ά κ ρ υ α λ ε ί β ω ν . Wir übersetzen nach d e m Geist unserer Sprache richtig: »alsdann vergoß er Tränen, ohne daß alle anderen 0 es m e r k t e n . « D i e U b e r s e t z u n g von Voß k o m m t d e m griechischen Sagen näher, weil sie das t r a g e n d e Zeitwort έ λ ά ν θ α ν ε in die deutsche Fassung ü b e r n i m m t : »Allen ü b r i g e n Gästen verbarg er die stürzende Träne« d . Doch έ λ ά ν θ α ν ε h e i ß t nicht transitiv »er verbarg«, sondern »er blieb verborgen« — als k
was ist dies? das Ereignis? »die a n d e r e n alle« d Jetzt Schadewaldt: »Da blieb es {er ?) allen a n d e r e n verborgen, wie er T r ä n e n weinte.« [s. Nachwort] r
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der T r ä n e n Vergießende. Das »verborgen bleiben« ist in der griechischen Sprache das regierende Wort. Die deutsche Sprache sagt dagegen: er weinte, o h n e daß die anderen es m e r k t e n . E n t s p r e chend übersetzen wir das b e k a n n t e epikureische M a h n w o r t λάθε βιώσας durch: »lebe i m Verborgenen«. Griechisch gedacht sagt das Wort: »bleibe als der sein Leben F ü h r e n d e (dabei) verborgen.« Die Verborgenheit b e s t i m m t hier die Weise, wie der Mensch u n t e r Menschen anwesen soll. Die griechische Sprache gibt durch die Art ihres Sagens kund, daß das Verborgen- u n d d.h. zugleich das Unverborgenbleiben einen b e h e r r s c h e n d e n Vorr a n g vor allen ü b r i g e n Weisen hat, nach denen Anwesendes anwest. Der G r u n d z u g des Anwesens selbst ist durch das Verborgenu n d U n v e r b o r g e n b l e i b e n b e s t i m m t . Es bedarf nicht erst einer anscheinend f r e i s c h w e b e n d e n Etymologie des Wortes άληθεσία, u m zu erfahren, wie überall das Anwesen des Anwesenden n u r i m Scheinen, Sichbekunden, Vor-liegen, A u f g e h e n , Sich-hervor-bringen, im Aussehen zur Sprache k o m m t . Dies alles wäre in seinem ungestörten Z u s a m m e n k l a n g innerhalb des griechischen Daseins u n d seiner Sprache undenkbar, waltete nicht Verborgenbleiben — Unverborgenbleiben" als jenes f , was sich gar nicht erst eigens zur Sprache bringen muß, weil aus i h m g her diese Sprache selbst k o m m t .
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D e m g e m ä ß denkt das griechische E r f a h r e n i m Falle des Odysseus nicht nach der Hinsicht, daß die anwesenden Gäste als Subjekte vorgestellt werden, die in i h r e m subjektiven Verhalten den w e i n e n d e n Odysseus als ihr W a h r n e h m u n g s o b j e k t nicht erfassen. Vielmehr waltet f ü r das griechische E r f a h r e n u m den W e i n e n d e n eine Verborgenheit, die i h n den anderen entzieht. H o m e r sagt nicht: Odysseus verbarg seine Tränen. D e r Dichter sagt auch nicht: Odysseus verbarg sich als ein Weinender, sondern er sagt: Odysseus blieb verborgen' 1 . Wir müssen diesen Sachverhalt oft ' ( L i c h t u n g des Sichverbergens Bergens) ' Ereignis E Ereignis h er sagt auch nicht: »es blieb «erborgen, daß Odysseus w e i n t e «
271 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) u n d i m m e r eindringlicher b e d e n k e n auf die G e f a h r hin, weitschweifig u n d u m s t ä n d l i c h zu werden. O h n e die zureichende Einsicht in diesen Sachverhalt bleibt die Auslegung des Anwesens durch Piaton als ΐδέα u n d d a m i t die ganze n a c h f o l g e n d e Auslegung des Seins des Seienden f ü r uns entweder eine Willkür oder ein Zufall. I m a n g e f ü h r t e n Z u s a m m e n h a n g h e i ß t es bei H o m e r allerdings einige Verse vorher (V 86): αϊδετο γάρ Φαίηκας ύπ ' όφρύσι δάκρυα λείβων. Voß übersetzt g e m ä ß der Sageweise der deutschen Sprache: (Odysseus verhüllte sein H a u p t ) »daß die P h ä a k e n nicht die t r ä n e n d e n W i m p e r n erblickten.« Das t r a g e n d e Wort läßt Voß sogar unübersetzt: αϊδετο. Odysseus scheute sich - als ein Trän e n Vergießender vor den Phäaken. H e i ß t dies n u n aber nicht deutlich g e n u g soviel wie: er verbarg sich aus Scheu vor den Phäaken? Oder müssen wir auch die Scheu, αίδώς, aus d e m Verborgenbleiben h e r denken, w e n n wir uns b e m ü h e n , i h r e m griechisch e r f a h r e n e n Wesen n ä h e r zu kommen? D a n n h i e ß e »sich scheuen«: geborgen und verborgen bleiben i m Verhoffen, i m an-sich-Halten. In der griechisch gedichteten Szene des in der Verhüllung wein e n d e n Odysseus wird offenkundig, wie der Dichter das Walten des Anwesens e r f ä h r t , welcher Sinn von Sein, noch u n g e d a c h t , schon Geschick geworden. Anwesen ist das gelichtete Sich verbergen. I h m entspricht die Scheu. Sie ist das verhaltene Verborgenbleiben vor d e m N a h e n des Anwesenden. Sie ist das Bergen des Anwesenden in die u n a n t a s t b a r e N ä h e des je und je im K o m m e n Verbleibenden, welches K o m m e n ein wachsendes Sichverhüllen bleibt. So ist d e n n die Scheu u n d alles ihr verwandte H o h e i m Licht des Verborgenbleibens zu denken. So müssen wir uns denn auch bereit m a c h e n , ein anderes griechisches Wort, das zum S t a m m λαθ- gehört, n a c h d e n k l i c h e r zu gebrauchen. Es lautet έπιλανθάνεσθοα. Wir übersetzen es richtig durch »vergessen«. Auf G r u n d dieser lexikalischen Richtigkeit scheint alles i m reinen zu sein. M a n tut so, als sei das Vergessen die sonnenklarste Sache von der Welt. M a n b e m e r k t n u r flüchtig,
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Aletheia (Heraklit, Fragment 16)
daß i m e n t s p r e c h e n d e n griechischen Wort das Verborgenbleiben g e n a n n t ist. Doch was h e i ß t »vergessen«? D e r m o d e r n e Mensch, der alles darauf anlegt, möglichst rasch zu vergessen, m ü ß t e doch wissen, was das Vergessen ist. Aber er weiß es nicht. Er hat das Wesen des Vergessens vergessen, gesetzt, daß er es je h i n r e i c h e n d bedacht, d.h. in den Wesensbereich der Vergessenheit h i n a u s g e d a c h t hat. Die bestehende Gleichgültigkeit gegenüber d e m Wesen des Vergessens liegt keineswegs n u r an der Flüchtigkeit der h e u t i g e n Art zu leben. Was in solcher Gleichgültigkeit geschieht, k o m m t selbst aus d e m Wesen der Vergessenheit. Dieser ist es eigen, sich selbst zu entziehen u n d in den eigenen Sog ihres Verbergens zu geraten. Die Griechen haben die Vergessenheit, λήθη, als ein Geschick der Verbergung e r f a h r e n .
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Λανθάνομαι sagt: ich bleibe m i r — hinsichtlich des Bezugs eines sonst Unverborgenen zu m i r — verborgen. Das Unverborgene ist d a m i t seinerseits ebenso, wie ich m i r in m e i n e m Bezug zu i h m , verborgen. Das Anwesende sinkt dergestalt in die Verborgenheit weg, daß ich m i r bei solcher Verbergung selbst verborgen bleibe als derjenige, d e m sich das Anwesende entzieht. In e i n e m d a m i t wird diese Verbergung ihrerseits verborgen. Solches geschieht in d e m Vorkommnis, das wir m e i n e n , w e n n wir sagen: ich habe (etwas) vergessen. Beim Vergessen entfällt uns nicht n u r etwas. Das Vergessen selbst fällt in eine Verbergung u n d zwar von einer Art, daß wir dabei selbst samt u n s e r e m Bezug zum Vergessenen in die Verborgenheit geraten. Deshalb sagen die Griechen in der medialen Form verschärfend έπιλανθάνομοα. So ist die Verborgenheit, in die der Mensch gerät, zugleich hinsichtlich ihres Bezugs zu d e m g e n a n n t , was durch sie d e m Menschen entzogen wird. Sowohl in der Weise, wie die griechische Sprache das λανθάνειν, Verborgenbleiben, als tragendes u n d leitendes Zeitwort gebraucht, wie auch in der E r f a h r u n g des Vergessens vom Verborgenbleiben her zeigt sich deutlich genug, daß λανθάνω, ich bleibe verborgen, nicht irgendeine Verhaltungsweise des M e n schen u n t e r vielen anderen m e i n t , sondern den G r u n d z u g alles
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(Heraklit, Fragment
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V e r h a l t e n s zu A n - u n d A b w e s e n d e m , w e n n n i c h t gar d e n G r u n d zug des A n - u n d Abwesens selbst n e n n t . S p r i c h t n u n aber das Wort λήθω, ich b l e i b e v e r b o r g e n , i m S p r u c h eines D e n k e r s zu uns, b e e n d e t dieses Wort gar n o c h e i n e d e n k e n d e F r a g e , d a n n m ü s s e n w i r u n s auf dieses Wort u n d sein Gesagtes so w e i t r ä u m i g u n d a u s d a u e r n d b e s i n n e n , als w i r es h e u t e schon v e r m ö g e n . Jedes V e r b o r g e n b l e i b e n schließt d e n Bezug auf solches in sich, d e m das Verborgene entzogen, aber d a d u r c h in m a n c h e n F ä l l e n g e r a d e z u g e n e i g t b l e i b t . D i e griechische S p r a c h e n e n n t jenes, w o r a u f das i m Verbergen E n t z o g e n e bezogen bleibt, i m Accusativus: ένθ' αλλους μέν πάνχας έλάνθανε . . . H e r a k l i t fragt: πως άν τις λάθοΐ; »wie d e n n k ö n n t e i r g e n d w e r v e r b o r g e n bleiben?« I n Bezug w o r a u f ? Auf das, was in d e n v o r a n g e h e n d e n W o r t e n g e n a n n t wird, m i t d e n e n der S p r u c h a n h e b t : xo μή δΰνόν ποτε, das n i e m a l s U n t e r g e h e n d e . D e r h i e r g e n a n n t e »irg e n d w e r « ist s o m i t n i c h t das S u b j e k t , in R ü c k b e z i e h u n g auf welches i r g e n d etwas a n d e r e s v e r b o r g e n bleibt, s o n d e r n der » i r g e n d w e r « s t e h t h i n s i c h t l i c h der M ö g l i c h k e i t seines V e r b o r g e n b l e i b e n s in Frage. H e r a k l i t s F r a g e b e d e n k t i m v o r h i n e i n n i c h t die Verborg e n h e i t u n d die U n v e r b o r g e n h e i t in B e z i e h u n g auf d e n j e n i g e n M e n s c h e n , den w i r n a c h der n e u z e i t l i c h e n V o r s t e l l u n g s g e w o h n h e i t g e r n z u m Träger, w e n n n i c h t gar M a c h e r der U n v e r b o r g e n h e i t e r k l ä r e n m ö c h t e n . H e r a k l i t s F r a g e d e n k t , neuzeitlich gesprochen, u m g e k e h r t . Sie b e d e n k t das Verhältnis des M e n s c h e n z u m » n i e m a l s U n t e r g e h e n d e n « u n d d e n k t d e n M e n s c h e n aus d i e s e m Verhältnis. M i t diesen W o r t e n »das n i e m a l s U n t e r g e h e n d e « ü b e r s e t z e n wir, als v e r s t ü n d e sich dies von selbst, das griechische W o r t g e f ü ge xo μή δΰνόν ποτε. Was m e i n e n diese Worte? W o h e r n e h m e n w i r die A u s k u n f t d a r ü b e r ? Es liegt n a h e , d e m zuerst n a c h z u f o r s c h e n , a u c h w e n n u n s dieses Vorhaben weit vom S p r u c h H e r a k l i t s wegf ü h r e n sollte. I n d e s k o m m e n w i r h i e r u n d in ä h n l i c h e n F ä l l e n leicht in die Gefahr, daß wir zu weit suchen. D e n n w i r h a l t e n das W o r t g e f ü g e i m voraus f ü r d e u t l i c h genug, u m sogleich u n d aus-
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schließlich nach solchem Ausschau zu halten, dem nach Heraklits D e n k e n »das n i e m a l s U n t e r g e h e n « zugesprochen w e r d e n m u ß . Doch wir f r a g e n so weit nicht. Wir lassen auch unentschieden, ob die e r w ä h n t e Frage so gefragt werden kann. D e n n der Versuch, darüber zu entscheiden, fällt dahin, wenn sich zeigen sollte, daß die Frage, was denn jenes sei, d e m H e r a k l i t »das niemals Unterg e h e n « zuspreche, sich erübrigt. Wie k a n n sich dies zeigen? Wie sollen wir der G e f a h r entgehen, zu weit zu fragen? N u r so, daß wir erfahren, inwiefern das Wortgefüge xö μή δΰνόν ποτε schon g e n u g zu denken gibt, sobald wir erläutern, was es sagt. Das leitende Wort ist xo δΰνον. Es h ä n g t m i t δύω z u s a m m e n , das einhüllen, versenken bedeutet. Δύειν besagt: in etwas eingehen: die Sonne geht ins Meer ein, t a u c h t darin unter; προς δύνοντος ήλίου heißt: gegen die u n t e r g e h e n d e Sonne zu, gegen Abend; νέφεα δΰναι meint: u n t e r die Wolken gehen, h i n t e r Wolken verschwinden. Das griechisch gedachte U n t e r g e h e n geschieht als E i n g e h e n in die Verbergung. 259
Wir sehen leicht, wenn auch n u r erst u n g e f ä h r : die beiden tragenden, weil inhaltlichen Worte des Spruches, m i t denen er anhebt u n d endet, xö δΰνον und λάθοι, sagen vom Selben. Doch die Frage bleibt, in w e l c h e m Sinne dies zutrifft. Indessen ist schon einiges gewonnen, wenn wir gewahren, daß der Spruch sich fragend i m Bereich des Verbergens bewegt. Oder fallen wir, sobald wir d e m nachdenken, nicht eher einer groben T ä u s c h u n g anheim? Es scheint in der Tat so; d e n n der Spruch n e n n t xo μή δΰνόν ποχε, das doch ja nicht U n t e r g e h e n d e je. Dies ist o f f e n k u n d i g jenes, das niemals in eine Verbergung eingeht. Diese bleibt ausgeschlossen. Der Spruch frägt zwar nach e i n e m Verborgenbleiben. Aber er stellt die Möglichkeit einer Verbergung so entschieden in Frage, daß solches F r a g e n einer Antwort gleichkommt. Diese weist den möglichen Fall des Verborgenbleibens ab. I n der n u r rhetorischen F r a g e f o r m spricht die b e h a u p t e n d e Aussage: vor d e m niemals U n t e r g e h e n d e n k a n n keiner verborgen bleiben. Dies hört sich beinahe wie ein Lehrsatz an.
275 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) Sobald wir die t r a g e n d e n Worte το δΰνον und λάθοι nicht m e h r als vereinzelte W ö r t e r herausgreifen, sondern sie i m unversehrten Ganzen des Spruches hören, wird deutlich: der Spruch bewegt sich durchaus nicht i m Felde des Verbergens, sondern in d e m schlechthin entgegengesetzten Bereich. E i n e geringe U m stellung des Wortgefüges in die Form το μήποτε δΰνον m a c h t augenblicklich klar, wovon der Spruch sagt: vom n i e m a l s Untergeh e n d e n . W e n d e n wir vollends die verneinende Redeweise noch in die entsprechende B e j a h u n g u m , d a n n hören wir erst, was der Spruch m i t »dem niemals U n t e r g e h e n d e n « n e n n t : das ständig A u f g e h e n d e . I m griechischen Wortlaut müßte dies heißen: το άει φύον. Diese W e n d u n g f i n d e t sich bei Heraklit nicht. Allein, der D e n k e r spricht von der φύσις. Wir hören darin ein G r u n d w o r t des griechischen Denkens. So ist uns unversehens eine Antwort auf die Frage zugefallen, was d e n n jenes sei, d e m Heraklit das Untergehen abspreche. Doch k a n n uns der Hinweis auf die φύσις als Antwort gelten, solange dunkel bleibt, in welchem Sinne die φύσις zu denken sei? Und was helfen uns großtönende Titel wie »Grundwort«, w e n n uns die G r ü n d e u n d A b g r ü n d e griechischen D e n k e n s so w e n i g a n g e h e n , daß wir sie m i t beliebig a u f g e g r i f f e n e n N a m e n zudecken, die wir, i m m e r noch u n b e d a c h t genug, aus den uns geläufigen Vorstellungsbezirken e n t l e h n e n ? W e n n schon το μήποτε δΰνον die φύσις m e i n e n soll, d a n n erläutert uns die B e z u g n a h m e auf die φύσις nicht, was τό μή δΰνόν ποτε ist, sondern u m g e k e h r t : »das niemals U n t e r g e h e n d e « weist uns an, zu bedenken, daß u n d inwiefern die φύσις als das ständig Aufgehende e r f a h r e n wird. Was ist dieses jedoch anderes als das i m m e r w ä h r e n d Sichentbergende? D e m n a c h bewegt sich das Sagen des Spruches i m Bereich des E n t b e r g e n s u n d nicht in d e m des Verbergens. Wie und im Hinblick auf welchen Sachverhalt sollen wir uns den Bereich des Entbergens und dieses selbst so denken, daß wir nicht Gefahr laufen, bloßen W ö r t e r n nachzujagen? Je entschieden e r wir davon abkommen, das i m m e r w ä h r e n d A u f g e h e n d e , das
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niemals U n t e r g e h e n d e uns wie ein anwesendes D i n g anschaulich vorzustellen, umso notwendiger wird eine Auskunft darüber, was d e n n n u n dieses selbst sei, d e m »das niemals U n t e r g e h e n « als Eigenschaft zugesprochen ist. Wissenwollen verdient oft ein Lob, n u r d a n n nicht, wenn es sich übereilt. Doch bedächtiger, u m nicht zu sagen u m s t ä n d l i cher, können wir k a u m vorgehen, wo wir überall am Wort des Spruches bleiben. Blieben wir es denn? Oder hat uns eine k a u m m e r k l i c h e U m s t e l l u n g von W ö r t e r n zur Eile verleitet und uns dadurch u m die G e l e g e n h e i t gebracht, Wichtiges zu beachten? Allerdings. Wir stellten το μή δΰνόν ποτε um in die W e n d u n g το μήποτε δΰνον u n d übersetzten μήποτε richtig durch »niemals«, τό δΰνον richtig durch »das U n t e r g e h e n d e « . Wir bedachten weder das vor d e m δΰνον f ü r sich gesagte μή, noch das nachgestellte ποτέ. 261
W i r konnten deshalb auch nicht auf einen Wink achten, den die Negation μή und das Adverbium ποτέ uns f ü r eine bedachtsamere E r l ä u t e r u n g des δΰνον vorbehalten. Das μή ist ein Wort der Verneinung. Es m e i n t wie das ούκ ein »nicht«, jedoch in e i n e m anderen Sinne. Das ούκ spricht dem, was von der Verneinung betroffen wird, g e r a d e h i n etwas ab. Das μή dagegen spricht d e m in den Bereich seiner Verneinung Gelangten etwas zu: eine Abwehr, ein Fernhalten, ein Verhüten. Μή . . . ποτε sagt: daß ja nicht . . . jemals . . . Was denn? Etwas anders wese, als wie es west. I m Spruch Heraklits umschließen μή und ποτέ das δΰνον. Das Wort ist g r a m m a t i s c h gesehen ein Participium. Bisher übersetzten wir es in die anscheinend n ä h e r liegende n o m i n a l e Bedeut u n g und bestärkten so die gleichfalls naheliegende Meinung, H e r a k l i t spräche von solchem, was n i e m a l s d e m U n t e r g e h e n anh e i m f ä l l t . Aber das verneinende μή . . . ποτε b e t r i f f t ein so u n d so W ä h r e n u n d Wesen. Die Verneinung g e h t somit den verbalen Sinn des Participiums δΰνον an. Das Selbe gilt vom μή i m έόν des P a r m e n i d e s . Das Wortgefüge το μή δΰνόν ποτε sagt: das doch ja nicht U n t e r g e h e n je. W a g e n wir es noch e i n m a l f ü r einen Augenblick, das vernei-
277 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) n e n d e Wortgefüge in ein bejahendes zu wenden, d a n n zeigt sich: H e r a k l i t d e n k t das i m m e r w ä h r e n d e A u f g e h e n , nicht irgend etwas, d e m das A u f g e h e n als Eigenschaft zufällt, auch nicht das All, das vom A u f g e h e n betroffen wird. Heraklit denkt v i e l m e h r das A u f g e h e n u n d n u r dieses. Das eh u n d je w ä h r e n d e A u f g e h e n wird i m denkend gesagten Wort φύσις g e n a n n t . Wir m ü ß t e n es auf eine u n g e w o h n t e , aber g e m ä ß e Weise durch » A u f g e h u n g « übersetzen, entsprechend dem geläufigen Wort »Entstehung«. H e r a k l i t denkt das niemals Untergehen. 1 Griechisch gedacht ist es das n i e m a l s E i n g e h e n in die Verbergung. In welchem Bereich bewegt sich d e m n a c h das Sagen des Spruches? Es n e n n t d e m Sinne nach die Verbergung, n ä m l i c h das n i e m a l s E i n g e h e n in sie. Der Spruch m e i n t zugleich u n d gerade das i m m e r w ä h r e n de Aufgehen, die eh u n d je w ä h r e n d e Entbergung. Das Wortgef ü g e το μή δΰνόν ποτε, das doch ja nicht U n t e r g e h e n je, m e i n t beides: Entbergung und Verbergung, nicht als zwei verschiedene, n u r aneinandergeschobene Geschehnisse, sondern als Eines u n d das Selbe. Achten wir hierauf, d a n n ist uns verwehrt, an die Stelle von xo μή δΰνόν ποτε u n b e d a c h t τήν φύσνν zu setzen. Oder ist dies i m m e r noch möglich, wenn nicht gar u n u m g ä n g l i c h ? I m letzteren Fall d ü r f e n wir jedoch die φύσις nicht m e h r n u r als Aufgehen denken. Dies ist sie i m G r u n d e auch niemals. Kein Geringerer als Heraklit sagt es deutlich u n d geheimnisvoll zugleich. Das F r a g m e n t 123 lautet: Φύσις κρύπτεσθαι φιλεΐ . Ob die Ubersetzung: »das Wesen der Dinge versteckt sich gern« auch n u r e n t f e r n t in den Bereich des heraklitischen Denkens zeigt, sei hier nicht genauer erörtert. Vielleicht d ü r f e n wir H e r a k l i t einen solchen G e m e i n p l a t z nicht zum u t e n , davon abgesehen, daß ein »Wesen der D i n g e « erst seit Piaton gedacht wird. Auf anderes müssen wir achten: φύσις und κρύπτεσθοα, A u f g e h e n (Sichentbergen) u n d Verbergen, sind in ihrer nächsten N a c h b a r s c h a f t g e n a n n t . Dies m a g auf den ersten Blick b e f r e m d e n . D e n n wenn die φύσις als Aufgehen sich von et' R o m m e l : das sein A u f g e h e n n i e m a l s E n d e n d e — Praesenz. [s. N a c h w o r t ]
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was abkehrt oder gar gegen etwas sich kehrt, d a n n ist es das κρύπτεσθοα, Sich verbergen. Doch H e r a k l i t denkt beide in der nächsten N a c h b a r s c h a f t zueinander. I h r e N ä h e wird sogar eigens g e n a n n t . Sie ist durch das φιλεΐ b e s t i m m t . Das Sichentbergen liebt' das Sichverbergen. Was soll dies heißen? Sucht das A u f g e h e n die Verborgenheit auf? Wo soll diese sein und wie, in welchem Sinne von »sein«? Oder hat die φύσις n u r eine gewisse, bisweilen sich einstellende Vorliebe dafür, statt ein A u f g e h e n zur Abwechslung ein Sichverbergen zu sein? Sagt der Spruch, das A u f g e h e n schlage gern e i n m a l in ein Sichverbergen u m , sodaß bald das eine, bald das andere waltet? Keineswegs. Diese D e u t u n g verfehlt den Sinn des φΛεΐ, wodurch das Verhältnis zwischen φύσις u n d κρύπτεσθοα g e n a n n t ist. Die D e u t u n g vergißt vor allem das Entscheidende, was der Spruch zu denken gibt: die Weise, wie das A u f g e h e n als Sichentbergen west. W e n n hier schon i m Hinblick auf die φύσις von »wesen« die Rede sein darf, d a n n m e i n t φύσις nicht das Wesen, das ö τι, das Was der Dinge. Davon spricht H e r a k l i t weder hier noch in den F r a g m e n t e n 1 u n d 112, wo er die W e n d u n g κατά φύσιν gebraucht. Nicht die φύσις als Wesenheit der Dinge, sond e r n das Wesen (verbal) der φύσις denkt der Spruch. Das A u f g e h e n ist als solches je schon d e m Sich verschließen zugeneigt. I n dieses bleibt jenes geborgen. Das κρύπτεσθοα ist als Sichver-bergen nicht ein bloßes Sichverschließen, sondern ein Bergen, worin die Wesensmöglichkeit des A u f g e h e n s v e r w a h r t bleibt, wohin das A u f g e h e n als solches gehört. Das Sichverbergen verbürgt d e m Sichentbergen sein Wesen. I m Sichverbergen waltet u m g e k e h r t die Verhaltenheit der Z u n e i g u n g zum Sichentbergen. Was wäre ein Sichverbergen, wenn es nicht an sich hielte in seiner Z u w e n d u n g zum Aufgehen? So sind d e n n φύσις u n d κρύπτεσθαι nicht voneinander getrennt, sondern gegenwendig einander zugeneigt. Sie sind das Selbe. I n solcher Z u n e i g u n g gönnt erst eines d e m anderen das eigene We1 dazu H o m m e l , brieflich 21. 8. 55: H i n w e i s auf I n d o g e r m a n i s c h e F o r s c h u n g e n II. φιλεΐ : »es h a t zu eigen« σφίλος - σφί - m e i n , dein, sein Eigener; (der φύσις ist eig-en-tümlich) [s. N a c h w o r t ]
279 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) sen. Diese in sich gegenwendige Gunst ist das Wesen des φ Λ ε ΐ ν u n d der φιλία. I n dieser das A u f g e h e n u n d Sichverbergen ineinander verneigenden Z u n e i g u n g b e r u h t die Wesensfülle der φύσις. Die Ü b e r s e t z u n g des F r a g m e n t s 123 φύσις κρύπτεσθοα φιλεΐ könnte d a r u m lauten: »Das A u f g e h e n (aus d e m Sichverbergen) d e m Sichverbergen schenkt's die Gunst.« W i r denken die φύσις auch d a n n noch vordergründig, w e n n wir sie n u r als A u f g e h e n u n d Aufgehenlassen denken u n d ihr d a n n noch irgendwelche E i g e n s c h a f t e n zusprechen, dabei aber das E n t s c h e i d e n d e außerachtlassen, daß das Sichentbergen das Verbergen nicht n u r nie beseitigt, sondern es braucht, u m so zu wesen, wie es west, als Ent-bergen. Erst wenn wir die φύσις in diesem Sinne denken, d ü r f e n wir statt το μή δΰνόν ποτε auch τήν φύσιν sagen. Beide N a m e n n e n n e n den Bereich, den die schwebende I n n i g keit von E n t b e r g e n u n d Verbergen stiftet u n d durchwaltet. In dieser Innigkeit birgt sich die Einigkeit u n d Ein-heit des "Ev, welches Eine die f r ü h e n Denker vermutlich in e i n e m R e i c h t u m seines E i n f a c h e n geschaut haben, der den N a c h k o m m e n d e n verschlossen bleibt. To μή δΰνόν ποτε, »das niemals E i n g e h e n in die Verbergung«, fällt der Verbergung nie a n h e i m , u m in ihr zu verlöschen, aber es bleibt dem Sichverbergen zugetan, weil es als das niemals E i n g e h e n in ... stets ein Aufgehen aus der Verbergung ist. F ü r das griechische D e n k e n wird in TO μή δΰνόν ποτε u n g e sprochen das κρύπτεσθοα gesagt u n d so die φύσις in i h r e m vollen, von der φιλία zwischen E n t b e r g e n u n d Sichverbergen durchwalteten Wesen g e n a n n t . Vielleicht sind die φιλία des φιλεΐν in F r a g m e n t 123 u n d die άρμονίη άφανής in F r a g m e n t 54 das Selbe, gesetzt, daß die Fuge, dank deren sich E n t b e r g e n u n d Verbergen gegenwendig ineinanderfügen, das Unscheinbare alles U n s c h e i n b a r e n bleiben muß, da es jedem E r s c h e i n e n d e n das Scheinen schenkt. Der Hinweis auf φύσις, φιλία, άρμονίη hat das U n b e s t i m m t e h e r a b g e m i n d e r t , worin uns zunächst tö μή δύνόν ποτε, das doch ja nicht U n t e r g e h e n je, v e r n e h m l i c h wurde. D e n n o c h läßt sich der
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Wunsch k a u m noch länger zurückhalten, an die Stelle der bildu n d ortlosen E r l ä u t e r u n g über E n t b e r g e n u n d Sichverbergen m ö c h t e eine anschauliche A u s k u n f t d a r ü b e r treten, wohin das G e n a n n t e eigentlich gehöre. Mit dieser Frage k o m m e n wir freilich zu spät. Weshalb? Weil τ ο μ ή δ ΰ ν ό ν π ο τ ε f ü r das f r ü h e D e n ken den Bereich aller Bereiche n e n n t . Er ist indes nicht die oberste Gattung, der sich verschiedene Arten von Bereichen unterordnen. Er ist jenes, worin i m Sinne der Ortschaft jedes mögliche W o h i n eines H i n g e h ö r e n s b e r u h t . D e m g e m ä ß ist der Bereich i m Sinne des μ ή δ ΰ ν ό ν π ο τ ε aus seiner v e r s a m m e l n d e n R e i c h w e i t e her einzig. I n i h m wächst alles auf u n d z u s a m m e n (concrescit), was in das Ereignis des recht e r f a h r e n e n Entbergens gehört. Er ist das Konkrete schlechthin. Wie soll aber dieser Bereich durch die v o r a u f g e g a n g e n e n abstrakten D a r l e g u n g e n konkret vorgestellt werden? Die Frage scheint berechtigt zu sein, solange n ä m lich, als wir außerachtlassen, daß wir das D e n k e n Heraklits nicht vorschnell m i t U n t e r s c h e i d u n g e n wie »konkret« u n d »abstrakt«, »sinnlich« u n d »nichtsinnlich«, »anschaulich« u n d »unanschaulich« überfallen dürfen. D a ß sie uns u n d seit l a n g e m geläufig sind, verbürgt noch nicht ihre v e r m e i n t l i c h u n b e g r e n z t e Tragweite. So könnte es d e n n geschehen, daß H e r a k l i t gerade dort, wo er durch ein Wort spricht, das Anschauliches n e n n t , das schlechth i n U n a n s c h a u l i c h e denkt. D a d u r c h wird klar, wie wenig wir m i t solchen U n t e r s c h e i d u n g e n a u s k o m m e n . Nach der E r l ä u t e r u n g d ü r f e n wir statt τ ο μ ή δ ΰ ν ό ν π ο τ ε u n t e r zwei Bedingungen τ ο ά ε ί φ ύ ο ν setzen. Wir müssen φ ύ σ ι ς vom Sichverbergen her u n d φ ύ ο ν verbal denken. Wir suchen bei Heraklit das Wort ά ε ί φ υ ο ν vergeblich, f i n d e n jedoch statt seiner in F r a g m e n t 30 άείζωον, i m m e r w ä h r e n d lebend. Das Zeitwort »leben« spricht ins Weiteste, Äußerste, Innigste aus einer Bedeutung, die auch Nietzsche noch in seiner A u f z e i c h n u n g aus d e m J a h r e 1885/86 denkt, w e n n er sagt: »,das Sein' — wir haben keine andere Vorstellung davon als ,leben'. — Wie k a n n also etwas Todtes ,sein'?« (Wille zur Macht, n. 582). W i e müssen wir unser Wort »leben« verstehen, w e n n wir es als
281 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) getreue Übersetzung des griechischen ζήν in Anspruch n e h m e n ? In ζήν, ζάω spricht die Wurzel ζα-. Wir können freilich niemals aus diesem Lautgebilde hervorzaubern, was »leben« i m griechischen Sinne bedeutet. Doch wir beachten, daß die griechische Sprache vor allem i m Sagen H o m e r s u n d Pindars W ö r t e r wie ζάθεος, ζαμενής, ζάπυρος gebraucht. D i e Sprachwissenschaft erklärt, ζα- bedeute eine Verstärkung; ζάθεος heißt d e m n a c h »sehr göttlich«, »sehr heilig«; ζαμενής »sehr wuchtig«; ζάπυρος »sehr feurig«. Aber diese »Verstärkung« m e i n t weder eine mechanische noch eine dynamische M e h r u n g . P i n d a r n e n n t Orte u n d Berge, Auen u n d Ufer eines Flusses ζάθεος u n d zwar dann, w e n n er sagen möchte, die Götter, die scheinend Hereinblickenden, ließen sich hier oft u n d eigentlich blicken, westen i m E r s c h e i n e n an. Die Orte sind besonders heilig, weil sie rein i m Erscheinenlassen des Scheinenden a u f g e h e n . So m e i n t auch ζαμενής jenes, was das Hervor- u n d A n k o m m e n des Sturmes in sein volles Anwesen aufgehen läßt. Za- bedeutet das reine Aufgehenlassen i n n e r h a l b der u n d f ü r die Weisen des Erscheinens, Hereinblickens, H e r e i n b r e c h e n s , Ankommens. Das Zeitwort ζήν n e n n t das A u f g e h e n in das Lichte. H o m e r sagt: ζήν καί όράν φάος ήελίοιο »leben u n d dies sagt: schauen das L i c h t der Sonne«. Das griechische ζήν, ζωή, ζφον d ü r f e n wir weder vom Zoologischen noch vom Biologischen i m w e i t e r e n Sinne her denken. Was das griechische ζφον nennt, liegt so weit ab von allem biologisch vorgestellten Tierwesen, daß die Griechen sogar ihre Götter ζωα n e n n e n können. Weshalb? Die Hereinblickenden sind die ins Schauen A u f g e h e n d e n . Die Götter w e r d e n nicht als Tiere erfahren. Das Tierwesen gehört jedoch in einem besonderen Sinne dem ζήν an. Das Aufgeben des Tieres zum Freien bleibt auf eine zugleich b e f r e m d e n d e u n d bestrickende Weise in sich verschlossen u n d gebunden. Sichentbergen u n d Sich verbergen sind i m Tier auf eine Art einig, daß unser menschliches Auslegen k a u m Wege f i n d e t , sobald es die m e c h a n i s c h e E r k l ä r u n g des Tierwesens, die jederzeit d u r c h f ü h r b a r ist, ebenso entschieden m e i d e t wie die a n t h r o p o m o r p h e Deutung. Weil das
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T i e r n i c h t spricht, h a b e n S i c h e n t b e r g e n u n d Sichverbergen s a m t i h r e r E i n h e i t bei d e n T i e r e n ein ganz anderes L e b e - W e s e n . D o c h ζωή u n d φύσις sagen das Selbe: άείζωον b e d e u t e t : άείφυον, b e d e u t e t : τό μή δΰνόν ποτε. D a s Wort άείζωον folgt in F r a g m e n t 50 auf πΰρ, Feuer, w e n i g e r als E i g e n s c h a f t s w o r t , eher als n e u i m Sagen a n h e b e n d e r N a m e , der sagt, wie das Feuer zu d e n k e n sei, n ä m l i c h als i m m e r w ä h r e n des A u f g e h e n . D u r c h das Wort »Feuer« n e n n t H e r a k l i t jenes, was οΰτε τις θεων ούτε άνθρώπων έποίησεν »was weder i r g e n d w e r der G ö t t e r noch der M e n s c h e n her-vor-brachte«, was v i e l m e h r schon i m m e r , vor den G ö t t e r n u n d M e n s c h e n u n d f ü r sie als φύσις in sich b e r u h t , in sich verbleibt u n d so alles K o m m e n v e r w a h r t . Dies aber ist der κόσμος. Wir sagen »die Welt« u n d d e n k e n sie u n g e m ä ß , solange wir sie ausschließlich oder auch n u r in erster L i n i e kosmologisch u n d n a t u r p h i l o s o p h i s c h vorstellen. W e l t ist w ä h r e n d e s Feuer, w ä h r e n d e s A u f g e h e n n a c h d e m vollen Sinne der φύσις. Sofern m a n h i e r von e i n e m e w i g e n Weltb r a n d redet, darf m a n sich n i c h t zuerst eine Welt f ü r sich vorstellen, die a u ß e r d e m noch von einer f o r t d a u e r n d e n F e u e r s b r u n s t b e f a l l e n u n d d u r c h w ü t e t wird. V i e l m e h r sind das W e l t e n der Welt, τό πΰρ, το άείζωον, τό μή δΰνόν ποτε das Selbe. D e m e n t s p r e c h e n d liegt das Wesen des Feuers, das H e r a k l i t denkt, n i c h t so u n m i t t e l b a r a m Tag, wie es u n s der Anblick einer l o d e r n d e n F l a m m e e i n r e d e n m ö c h t e . Wir b r a u c h e n n u r auf d e n S p r a c h g e b r a u c h zu a c h t e n , der das Wort πΰρ aus v i e l f ä l t i g e n H i n s i c h t e n spricht u n d so in die W e s e n s f ü l l e dessen weist, was sich i m d e n k e n d e n Sagen des Wortes a n d e u t e t . Πΰρ n e n n t das Opferfeuer, das H e r d f e u e r , das Wachtfeuer, aber a u c h d e n Schein der Fackeln, das L e u c h t e n der Gestirne. I m » F e u e r « w a l t e t das L i c h t e n , das G l ü h e n , das L o d e r n , das m i l d e Scheinen, solches, was eine Weite in H e l l e e n t b r e i t e t . I m »Feuer« w a l t e t aber a u c h das Versehren, Z u s a m m e n s c h l a g e n , Verschließen, Verlöschen. W e n n H e r a k l i t vom Feuer spricht, d e n k t er vorn e h m l i c h das l i c h t e n d e Walten, das Weisen, das M a ß e gibt u n d entzieht. N a c h e i n e m von Karl R e i n h a r d t ( H e r m e s Bd. 77, 1942
283 Aletheia (Heraklit, Fragment 16) S. 1 ff.) bei Hippolytus entdeckten u n d überzeugend gesicherten F r a g m e n t ist f ü r Heraklit το πΰρ zugleich το φρόνιμον, das Sinnende. Jeglichem weist es die W e g r i c h t u n g u n d legt jeglichem vor, wohin es gehört. Das vor-legend sinnende Feuer v e r s a m m e l t alles und birgt es in sein Wesen. Das sinnende Feuer ist die vor-(ins Anwesen)legende u n d darlegende Versammlung. To Πΰρ ist ό Λόγος. Dessen Sinnen ist das Herz, d.h. die lichtend-bergende Weite der Welt. H e r a k l i t denkt in der Vielfalt verschiedener N a m e n : φύσις, πΰρ, λόγος, άρμονίη, πόλεμος, ερις, (φιλία), εν die Wesensfülle des Selben.
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Von daher u n d dorthin zurück ist das Wortgefüge gesagt, m i t d e m das F r a g m e n t 16 anhebt: τό μή δΰνόν ποτε, das doch ja nicht U n t e r g e h e n je. Was hier g e n a n n t wird, müssen wir in allen angef ü h r t e n G r u n d w o r t e n des heraklitischen Denkens m i t h ö r e n . Inzwischen zeigte sich: das niemals E i n g e h e n in die Verbergung ist das w ä h r e n d e Aufgehen aus d e m Sichverbergen. Auf solche Weise glüht u n d scheint u n d sinnt das Weltfeuer. D e n k e n wir es als das reine Lichten, d a n n bringt dieses nicht n u r die Helle, sondern zugleich das Freie, worin alles, zumal das Gegenwendige, ins Scheinen kommt. L i c h t e n ist somit m e h r als n u r Erhellen, m e h r auch als Freilegen. L i c h t e n ist das s i n n e n d - v e r s a m m e l n d e Vorbringen ins Freie, ist G e w ä h r e n von Anwesen. Das Ereignis der L i c h t u n g ist die Welt. Das sinnend-versamm e l n d e , ins Freie b r i n g e n d e L i c h t e n ist E n t b e r g e n u n d b e r u h t i m Sichverbergen, das zu i h m gehört als jenes, das selber i m Entbergen sein Wesen f i n d e t u n d d a r u m nie ein bloßes E i n g e h e n in die Verbergung, nie ein U n t e r g e h e n sein kann. Πως ccv τις λάθοι ; »wie d e n n könnte irgendwer verborgen bleiben?« f r ä g t der Spruch i m Hinblick auf das vorgenannte το μή δΰνόν ποτε, das im Accusativus steht. Übersetzend n e n n e n wir es i m Dativus: »Wie könnte dem, der L i c h t u n g n ä m l i c h , irgendwer verborgen bleiben?« Die Art des Fragens weist eine solche Möglichkeit ohne eine B e g r ü n d u n g ab. Diese m ü ß t e d e n n schon im G e f r a g t e n selbst liegen. Wir sind auch rasch bei der H a n d , sie vorzubringen. Weil das niemals U n t e r g e h e n , das Lichten, alles
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s i e h t u n d b e m e r k t , k a n n sich n i c h t s vor i h m verstecken. Allein, von e i n e m S e h e n u n d B e m e r k e n ist i m S p r u c h k e i n e R e d e . Vor a l l e m aber sagt er n i c h t πώς άν τι »wie k ö n n t e i r g e n d etwas ...«, s o n d e r n πώς αν τις »wie k ö n n t e d e n n i r g e n d w e r . . . ?« D i e L i c h t u n g ist n a c h d e m S p r u c h keineswegs auf jedes beliebige Anwes e n d e bezogen. Wer ist in d e m τίς g e m e i n t ? N a h e liegt, an d e n M e n s c h e n zu d e n k e n , z u m a l die F r a g e von e i n e m S t e r b l i c h e n gestellt u n d zu M e n s c h e n gesprochen ist. D o c h weil h i e r ein D e n ker spricht u n d zwar jener, der in der N ä h e zu Apollon u n d Artem i s w o h n t , k ö n n t e sein S p r u c h e i n e Z w i e s p r a c h e m i t d e m Here i n b l i c k e n d e n sein u n d i m τίς, irgendwer, die G ö t t e r m i t m e i n e n . In dieser V e r m u t u n g w e r d e n wir d u r c h das F r a g m e n t 30 bestärkt, das sagt: οΰτε τις θεών οΰτε άνθρώπων. I n s g l e i c h e n n e n n t das oft u n d m e i s t u n v o l l s t ä n d i g a n g e f ü h r t e F r a g m e n t 53 die U n s t e r b l i c h e n u n d die S t e r b l i c h e n z u s a m m e n , i n d e m es sagt: πόλεμος, die A u s - e i n a n d e r - s e t z u n g (die L i c h t u n g ) , zeige die e i n e n der Anwes e n d e n als Götter, die a n d e r e n als M e n s c h e n , sie b r i n g e die e i n e n als K n e c h t e , die a n d e r e n als F r e i e h e r v o r — z u m Vorschein. Dies sagt: die w ä h r e n d e L i c h t u n g l ä ß t G ö t t e r u n d M e n s c h e n in die U n v e r b o r g e n h e i t anwesen, sodaß nie i r g e n d w e r von i h n e n je verb o r g e n b l e i b e n könnte; dies aber nicht, weil er erst noch von irg e n d w e m b e m e r k t w i r d , s o n d e r n allein schon i n s o f e r n , als jedweder anwest. I n d e s s e n bleibt das Anwesen der G ö t t e r ein a n d e r e s als das der M e n s c h e n . Jene sind als δαίμονες, θεάοντες die H e r e i n b l i c k e n d e n , h e r e i n in die L i c h t u n g des A n w e s e n d e n , das die S t e r b l i c h e n auf i h r e Weise a n - g e h e n , i n d e m sie es in seiner Anw e s e n h e i t vorliegenlassen u n d in der Acht b e h a l t e n .
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D e m g e m ä ß ist das L i c h t e n kein bloßes E r h e l l e n u n d Belicht e n . Weil A n w e s e n h e i ß t : aus der V e r b e r g u n g h e r in die E n t b e r g u n g vor w ä h r e n , d e s h a l b b e t r i f f t das e n t b e r g e n d - v e r b e r g e n d e L i c h t e n das A n w e s e n des A n w e s e n d e n . Aber das F r a g m e n t 16 spricht n i c h t von a l l e m u n d j e d e m b e l i e b i g e n etwas, τί, das anwesen k ö n n t e , s o n d e r n e i n d e u t i g n u r von τίς, i r g e n d w e r der Sterblic h e n u n d der Götter. D e m n a c h scheint der S p r u c h n u r e i n e n bes c h r ä n k t e n Bezirk des A n w e s e n d e n zu n e n n e n . Oder e n t h ä l t der
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S p r u c h statt e i n e r B e s c h r ä n k u n g auf e i n e n b e s o n d e r e n Bereich des A n w e s e n d e n e i n e A u s z e i c h n u n g u n d E n t s c h r ä n k u n g , die den Bereich aller Bereiche a n g e h t ? Ist diese A u s z e i c h n u n g gar von ein e r Art, daß der S p r u c h solches e r f r ä g t , was u n g e s p r o c h e n auch jenes A n w e s e n d e zu sich e i n h o l t u n d bei sich e i n b e h ä l t , das zwar g e b i e t s m ä ß i g n i c h t m e h r u n t e r die M e n s c h e n u n d die G ö t t e r zu r e c h n e n , aber g l e i c h w o h l in e i n e m a n d e r e n S i n n e göttlich u n d m e n s c h l i c h ist, G e w ä c h s u n d Getier, G e b i r g u n d M e e r u n d Gestirn? W o r i n a n d e r s k ö n n t e jedoch die A u s z e i c h n u n g der G ö t t e r u n d M e n s c h e n b e r u h e n , w e n n n i c h t d a r i n , daß g e r a d e sie es n i e m a l s v e r m ö g e n , in i h r e m Verhältnis zur L i c h t u n g v e r b o r g e n zu bleiben? W e s h a l b v e r m ö g e n sie dies nicht? Weil i h r V e r h ä l t n i s zur L i c h t u n g nichts anderes ist als die L i c h t u n g selber, i n s o f e r n diese die G ö t t e r u n d M e n s c h e n in die L i c h t u n g e i n s a m m e l t u n d einbehält. D i e L i c h t u n g b e l e u c h t e t A n w e s e n d e s n i c h t nur, s o n d e r n sie v e r s a m m e l t u n d birgt es zuvor ins Anwesen. W e l c h e r Art ist jedoch das A n w e s e n der G ö t t e r u n d M e n s c h e n ? Sie sind in der L i c h t u n g n i c h t n u r b e l e u c h t e t , s o n d e r n aus i h r zu i h r er-leuchtet. So v e r m ö g e n sie es d e n n auf ihre Weise, das L i c h t e n zu vollbringen (ins Volle seines Wesens b r i n g e n ) u n d d a d u r c h die L i c h t u n g zu h ü t e n . G ö t t e r u n d M e n s c h e n sind n i c h t n u r von e i n e m L i c h t , u n d sei dies auch ein ü b e r s i n n l i c h e s , belichtet, sodaß sie sich vor i h m nie in das F i n s t e r e v e r s t e c k e n k ö n n e n . Sie sind in i h r e m W e s e n gelichtet. Sie sind er-lichtet: in das E r e i g n i s der L i c h t u n g vereignet, d a r u m nie verborgen, s o n d e r n e n t - b o r g e n , dies noch in e i n e m a n d e r e n S i n n e gedacht. Wie die E n t f e r n t e n der F e r n e geh ö r e n , so sind die in d e m jetzt zu d e n k e n d e n S i n n e E n t b o r g e n e n der b e r g e n d e n , sie h a l t e n d e n u n d v e r h a l t e n d e n L i c h t u n g zug e t r a u t . Sie sind i h r e m Wesen n a c h in das V e r b e r g e n d e des G e h e i m n i s s e s ver-legt, versammelt, d e m Λόγος zu e i g e n i m όμολογεΐν ( F r a g m e n t 50). M e i n t H e r a k l i t seine F r a g e so, wie w i r es jetzt erörterten? S t a n d das d u r c h diese E r ö r t e r u n g Gesagte i m Feld seines Vorstel-
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lens? Wer wollte dies wissen und behaupten? Doch vielleicht sagt der Spruch, u n a b h ä n g i g vom d a m a l i g e n Vorstellungsfeld H e r a klits, solches, was die versuchte E r ö r t e r u n g vorbrachte. D e r Spruch sagt es, gesetzt, daß ein denkendes Gespräch ihn zum Sprechen b r i n g e n darf. Er sagt es u n d läßt es i m Ungesprochenen. Die Wege, die durch die Gegend des also U n g e s p r o c h e n e n f ü h r e n , bleiben Fragen, die i m m e r n u r solches hervorrufen, was ihnen von altersher in vielfältiger Verhüllung gezeigt worden. D a ß H e r a k l i t das entbergend-verbergende L i c h t e n , das Weltfeuer, in e i n e m k a u m erschaubaren Bezug zu jenen bedenkt, die i h r e m Wesen nach Erlichtete u n d so in e i n e m ausgezeichneten Sinne der L i c h t u n g Z u - h ö r e n d e u n d Zugehörige sind, darauf deutet der f r a g e n d e G r u n d z u g des Spruches. Oder spricht der Spruch aus einer E r f a h r u n g des Denkens, die schon jeden seiner Schritte trägt? Möchte Heraklits Frage n u r sagen, keine Möglichkeit lasse sich ersehen, nach der das Verhältnis des Weltfeuers zu den G ö t t e r n u n d Menschen je anders sein könnte als so, daß diese nicht n u r als Belichtete u n d Angeschaute in die L i c h t u n g gehören, sondern als jene Unscheinbaren, die auf ihre Weise das L i c h t e n m i t e r b r i n g e n u n d es in seinem W ä h r e n v e r w a h r e n und überliefern?
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I n diesem Falle könnte der f r a g e n d e Spruch das d e n k e n d e Erstaunen zur Sprache bringen, das vor d e m Verhältnis verhofft, in das die L i c h t u n g das Wesen der Götter u n d M e n s c h e n zu ihr selbst einbehält. Das f r a g e n d e Sagen entspräche dem, was eh und je des denkenden E r s t a u n e n s würdig u n d durch dieses in seiner W ü r d e g e w a h r t bleibt. Wie weit u n d wie deutlich Heraklits D e n k e n den Bereich aller Bereiche vordeutend erst a h n e n d u r f t e , läßt sich nicht abschätzen. Daß der Spruch sich jedoch i m Bereich der L i c h t u n g bewegt, duldet keinen Zweifel, sobald wir fortan i m m e r deutlicher dies eine bedenken: Beginn und Ende der Frage n e n n e n das Entbergen u n d Verbergen u n d zwar hinsichtlich ihres Bezugs. Es bedarf d a n n nicht e i n m a l des gesonderten Hinweises auf das F r a g m e n t 50, wo das e n t b e r g e n d - b e r g e n d e S a m m e l n g e n a n n t ist, das sich
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(Heraklit, Fragment
16)
d e n S t e r b l i c h e n so zuspricht, daß ihr Wesen sich darin e n t f a l t e t , d e m Λόγος zu e n t s p r e c h e n oder n i c h t . Z u l e i c h t m e i n e n wir, das G e h e i m n i s des z u - D e n k e n d e n liege jedes M a l weit ab u n d tief versteckt in schwer d u r c h d r i n g b a r e n S c h i c h t e n e i n e r V e r h e i m l i c h u n g . I n d e s h a t es s e i n e n Wesensort in der N ä h e , die alles a n k o m m e n d A n w e s e n d e n ä h e r t u n d das G e n a h t e v e r w a h r t . D a s W e s e n d e der N ä h e ist u n s e r e m g e w o h n t e n Vorstellen, das ins A n w e s e n d e u n d dessen B e s t e l l u n g sich ausgibt, zu n a h e , als d a ß w i r das W a l t e n der N ä h e u n v o r b e r e i t e t erf a h r e n u n d z u r e i c h e n d d e n k e n k ö n n t e n . V e r m u t l i c h ist das G e h e i m n i s , das i m z u - D e n k e n d e n r u f t , nichts a n d e r e s als das Wes e n d e dessen, was w i r m i t d e m N a m e n »die L i c h t u n g « a n z u d e u t e n v e r s u c h e n . D a r u m g e h t a u c h das alltägliche M e i n e n sicher u n d h a r t n ä c k i g a m G e h e i m n i s vorbei. H e r a k l i t w u ß t e dies. Das F r a g m e n t 72 lautet: ώι μάλιστα δνηνεκώς όμιλοΰσι Λόγαη, τούτωι δισ.φέρονται, κοά οις καθ' ήμέραν έγκυροΰσι, ταΰτα αύτοΐς ξένα φοάνεται . » D e m sie a m m e i s t e n , von i h m d u r c h g ä n g i g g e t r a g e n , z u g e k e h r t sind, d e m Λόγος, m i t d e m b r i n g e n sie sich a u s e i n a n d e r ; u n d so zeigt sich d e n n : das, w o r a u f sie täglich t r e f f e n , dies bleibt i h n e n (in s e i n e m A n w e s e n ) f r e m d . « D i e S t e r b l i c h e n sind unablässig d e m e n t b e r g e n d - b e r g e n d e n V e r s a m m e l n z u g e k e h r t , das alles A n w e s e n d e in sein Anwesen lichtet. D o c h sie k e h r e n sich dabei ab von der L i c h t u n g u n d k e h r e n sich n u r a n das A n w e s e n d e , das sie i m a l l t ä g l i c h e n Verkehr m i t a l l e m u n d j e d e m u n m i t t e l b a r a n t r e f f e n . Sie m e i n e n , dieser Verkehr m i t d e m A n w e s e n d e n v e r s c h a f f e i h n e n wie von selbst die gernäße V e r t r a u t h e i t . U n d d e n n o c h bleibt es i h n e n f r e m d . D e n n sie a h n e n n i c h t s von j e n e m , d e m sie z u g e t r a u t sind: vom Anwesen, das l i c h t e n d jeweils erst A n w e s e n d e s z u m Vorschein k o m m e n läßt. D e r Λόγος, in dessen L i c h t u n g sie g e h e n u n d s t e h e n , bleibt i h n e n verborgen, ist f ü r sie vergessen. " Frg. 1
273
288
Aletheia (Heraklit, Fragment 16)
Je b e k a n n t e r i h n e n alles Kennbare wird, u m so b e f r e m d l i c h e r bleibt es ihnen, ohne daß sie dies wissen können. Sie w ü r d e n auf all solches erst a u f m e r k s a m , wenn sie f r a g e n möchten: wie könnte d e n n irgendwer, dessen Wesen der L i c h t u n g zugehört, jemals sich d e m E m p f a n g e n u n d H ü t e n der L i c h t u n g entziehen? Wie könnte er dies, ohne alsbald zu erfahren, daß i h m das Alltägliche n u r deshalb das Geläufigste sein kann, weil diese Geläufigkeit an das Vergessen dessen verschuldet bleibt, was auch das anschein e n d von selbst B e k a n n t e erst ins Licht eines Anwesenden bringt? Das alltägliche M e i n e n sucht das W a h r e i m Vielerlei des imm e r Neuen, das vor i h m ausgestreut wird. Es sieht nicht den stillen Glanz (das Gold) des Geheimnisses, das im E i n f a c h e n der L i c h t u n g i m m e r w ä h r e n d scheint. H e r a k l i t sagt ( F r a g m e n t 9): δνους σύρματ' öv έλέσθαι μάλλον ή χρυσόν . »Esel holen sich Spreu eher als Gold.«
274
Aber das Goldene des unscheinbaren Scheinens der L i c h t u n g läßt sich nicht greifen, weil es selbst kein Greifendes, sondern das reine E r e i g n e n ist. Das u n s c h e i n b a r e Scheinen der L i c h t u n g entströmt d e m heilen Sichbergen in der a n s i c h h a l t e n d e n Verwahrnis des Geschickes. D a r u m ist das Scheinen der L i c h t u n g in sich zugleich das Sichverhüllen und in diesem Sinne das Dunkelste. H e r a k l i t heißt ό Σκοτεινός. Er wird diesen N a m e n auch k ü n f t i g b e h a l t e n . Er ist der D u n k l e , weil er f r a g e n d in die L i c h t u n g denkt.
289 HINWEISE
Die Frage nach der Technik. Vortrag, g e h a l t e n a m 18. N o v e m ber 1953 i m A u d i t o r i u m M a x i m u m der T e c h n i s c h e n H o c h s c h u l e M ü n c h e n , in der R e i h e »Die Künste i m t e c h n i s c h e n Zeitalter«, v e r a n s t a l t e t von der Bayerischen A k a d e m i e der S c h ö n e n Künste u n t e r der L e i t u n g des P r ä s i d e n t e n E m i l P r e e t o r i u s , i m D r u c k ers c h i e n e n in B a n d I I I des J a h r b u c h e s d e r A k a d e m i e ( R e d a k t i o n : C l e m e n s G r a f Podewils), R. O l d e n b o u r g M ü n c h e n 1954, S. 70 ff.; Vortrag w i e d e r h o l t in F r e i b u r g i.Br., Paulussaal, a m 10. F e b r u a r 1954. W i e d e r a b d r u c k des Vortrags in: D i e T e c h n i k u n d die Kehre. Opuscula 1. G ü n t h e r Neske P f u l l i n g e n 1962, S. 5-36. Wissenschaft und Besinnung. Vortrag, in der v o r l i e g e n d e n Fass u n g f ü r e i n e n k l e i n e n Kreis g e h a l t e n zur Vorbereitung der oben g e n a n n t e n T a g u n g a m 4. A u g u s t 1953 in M ü n c h e n . Uberwindung der Metaphysik. D e r Text g i b t A u f z e i c h n u n g e n zur V e r w i n d u n g der M e t a p h y s i k aus d e n J a h r e n 1936-1946. D e r H a u p t t e i l ist als Beitrag zur Festschrift f ü r E m i l P r e e t o r i u s z u m siebzigsten G e b u r t s t a g a m 21. J u n i 1953 a u s g e w ä h l t : » I m U m k r e i s der Kunst«. Hrsg. v. Fritz H o l l w i c h . Insel-Verlag F r a n k f u r t a . M . 1953. E i n Stück (n. XXVI) ist i m B a r l a c h h e f t des L a n d e s t h e a t e r s D a r m s t a d t 1951 e r s c h i e n e n ( R e d a k t i o n : E g o n Vietta). Wer ist Nietzsches Zarathustra? Vortrag, g e h a l t e n a m 8. M a i 1953 i m C l u b zu B r e m e n (vgl. die Vorlesung »Was h e i ß t D e n ken?«, W i n t e r s e m e s t e r 1951-52, an der U n i v e r s i t ä t F r e i b u r g i.Br., M a x N i e m e y e r T ü b i n g e n 1954, S. 19 ff.). Was heißt Denken? Vortrag (aus der Vorlesung »Was h e i ß t D e n k e n ? « W i n t e r s e m e s t e r 1951-52), g e s p r o c h e n (Mai 1952) i m Bayerischen R u n d f u n k ; g e d r u c k t in der Z e i t s c h r i f t » M e r k u r «
290
Hinweise
( H e r a u s g e b e r J. M o r a s u n d H . P a e s c h k e ) , VI. J a h r g a n g 1952, S. 601 ff. Bauen Wohnen Denken. Vortrag, g e h a l t e n a m 5. A u g u s t 1951 i m R a h m e n des » D a r m s t ä d t e r G e s p r ä c h s I I « ü b e r » M e n s c h u n d R a u m « ; 2. F a s s u n g g e h a l t e n a m 20. A u g u s t 1951 in Schloß Walchen; g e d r u c k t in der V e r ö f f e n t l i c h u n g dieses Gesprächs, N e u e D a r m s t ä d t e r Verlagsanstalt 1952, S. 72 ff. Das Ding. Vortrag, g e h a l t e n in der Bayerischen A k a d e m i e der S c h ö n e n Künste a m 6. Juni 1950; g e d r u c k t i m J a h r b u c h der Akad e m i e Band I, G e s t a l t u n d G e d a n k e 1951, S. 128 ff. ( R e d a k t i o n : C l e m e n s Graf Podewils). D e r Text ist die g e r i n g f ü g i g e r w e i t e r t e F a s s u n g des e r s t e n der vier Vorträge, die u n t e r d e m T i t e l »Einblick in das was ist« a m 1. D e z e m b e r 1949 i m C l u b zu B r e m e n u n d a m 25. u n d 26. M ä r z 1950 auf » B ü h l e r h ö h e « g e h a l t e n wurden; g e d r u c k t in: B r e m e r u n d F r e i b u r g e r Vorträge. G e s a m t a u s g a be B a n d 79. Hrsg. v. P e t r a Jaeger. Vittorio K l o s t e r m a n n F r a n k f u r t a m M a i n 1994, S. 1-77. »...dichterisch wohnet der Mensch...« Vortrag, g e h a l t e n a m 6. O k t o b e r 1951 auf » B ü h l e r h ö h e « ; w i e d e r h o l t a m 5. N o v e m b e r 1951 in Z ü r i c h , i m April 1952 in M ü n c h e n , a m 4. M a i 1953 in O l d e n b u r g , a m 11. D e z e m b e r 1953 in Kassel u n d a m 12. April 1954 in H a m e l n . G e d r u c k t i m ersten H e f t der »Akzente«, Zeits c h r i f t f ü r D i c h t u n g ( h e r a u s g e g e b e n von W. Flöllerer u n d H a n s B e n d e r ) H e f t 1, Carl H a n s e r Verlag M ü n c h e n 1954, S. 57 ff. Logos. (Heraklit, Fragment 50). B e i t r a g zur » F e s t s c h r i f t f ü r H a n s J a n t z e n « ( h e r a u s g e g e b e n von K u r t B a u c h ) . Verlag Gebr. M a n n Berlin 1951, S. 7 ff. Als Vortrag g e h a l t e n i m C l u b zu Brem e n a m 4. M a i 1951. A u s f ü h r l i c h erörtert in der Vorlesung v o m S o m m e r s e m e s t e r 1944 »Logik. H e r a k l i t s L e h r e v o m Logos«, in: Heraklit. Gesamtausgabe Band 55. Hrsg. v. M a n f r e d S. Frings. Vittorio Klostermann F r a n k f u r t a m Main, 3. Auflage 1994, S. 185-402.
Hinweise
291
Moira (Parmenides VIII, 34-41). E i n n i c h t v o r g e t r a g e n e s Stück der Vorlesung »Was h e i ß t D e n k e n ? « M a x N i e m e y e r T ü b i n g e n 1954, zu S. 146 ff. Aletheia (Heraklit, Fragment 16). B e i t r a g zu »Άντίδωρον. Fests c h r i f t zur Feier des 3 5 0 j ä h r i g e n Bestehens des F l u m a n i s t i s c h e n H e i n r i c h - S u s o - G y m n a s i u m s in Konstanz« 1954. Z u s a m m e n g e stellt u n d h e r a u s g e g e b e n von der D i r e k t i o n des H e i n r i c h - S u s o G y m n a s i u m s in K o n s t a n z / B o d e n s e e . G e s a m t h e r s t e l l u n g Verlagsanstalt M e r k & Co., K.G., Konstanz, S. 60-76. Z u e r s t v o r g e t r a g e n in der H e r a k l i t v o r l e s u n g des S o m m e r s e m e s t e r s 1943 » D e r Anf a n g des a b e n d l ä n d i s c h e n D e n k e n s . H e r a k l i t « , in: H e r a k l i t . Ges a m t a u s g a b e B a n d 55. Hrsg. v. M a n f r e d S. Frings. Vittorio Klos t e r m a n n F r a n k f u r t a m M a i n , 3. A u f l a g e 1994, S. 1-181.
293 NACHWORT DES HERAUSGEBERS
D e r i m Verlag G ü n t h e r Neske, P f u l l i n g e n , 1954 e r s c h i e n e n e , inzwischen in n e u n t e r Auflage (2000) vorliegende B a n d »Vorträge u n d Aufsätze« w i r d h i e r als B a n d 7 der G e s a m t a u s g a b e h e r a u s g e geben. D i e elf T e x t e dieses Bandes h a t t e M a r t i n H e i d e g g e r f ü r die erste A u f l a g e i n drei sachliche A b s c h n i t t e gegliedert, die die röm i s c h e n Z i f f e r n I, I I u n d I I I t r u g e n . U n t e r I s t a n d e n »Die F r a ge n a c h der T e c h n i k « , » W i s s e n s c h a f t u n d B e s i n n u n g « , »Uberw i n d u n g d e r M e t a p h y s i k « , »Wer ist Nietzsches Z a r a t h u s t r a ? « , u n t e r I I »Was h e i ß t Denken?«, » B a u e n W o h n e n D e n k e n « , » D a s D i n g « , » . . . dichterisch w o h n e t der M e n s c h . . . « , u n t e r I I I »Logos ( H e r a k l i t , F r a g m e n t 50)«, » M o i r a ( P a r m e n i d e s , F r a g m e n t V I I I , 34-41)«, » A l e t h e i a ( H e r a k l i t , F r a g m e n t 16)«. D u r c h e i n e eigenwillige E n t s c h e i d u n g des Verlegers e r s c h i e n die d r i t t e A u f lage 1967 in drei s e l b s t ä n d i g e n T e i l - B ä n d c h e n . Als d a n n m i t der v i e r t e n Auflage (1978) die A u f l ö s u n g des B a n d e s w i e d e r r ü c k g ä n g i g g e m a c h t w u r d e u n d der Band e r n e u t als ein G a n zes erschien, w u r d e jedoch die i n n e r e G l i e d e r u n g in drei Abschnitte mit den römischen Ziffern nicht wieder hergestellt. An die Stelle der s a c h b e z o g e n e n D r e i g l i e d e r u n g t r a t e i n e bloße R e i h u n g der elf Texte, aus der n i c h t m e h r die einstige Komposition dieses B a n d e s ersichtlich w u r d e . D i e s e r von H e i d e g g e r n i c h t b e a b s i c h t i g t e E i n g r i f f in die G l i e d e r u n g des Bandes ist jetzt f ü r d e n N e u d r u c k in der G e s a m t a u s g a b e r ü c k g ä n g i g g e m a c h t wor den. In B e f o l g u n g der von H e i d e g g e r f ü r die H e r a u s g a b e der B ä n d e in der I. A b t e i l u n g seiner G e s a m t a u s g a b e erteilten A n w e i s u n g e n w u r d e n aus s e i n e m H a n d e x e m p l a r der ersten Auflage sowie aus den H a n d e x e m p l a r e n einzelner T e x t e dieses B a n d e s s i e b e n u n d zwanzig m i t K o r r e k t u r z e i c h e n e i n g e t r a g e n e k l e i n e Textverbesserungen in d e n h i e r vorgelegten B a n d 7 ü b e r n o m m e n . D i e s e Texte i n g r i f f e , die d u r c h w e g v e r d e u t l i c h e n d e n C h a r a k t e r h a b e n , f i n -
294
Nachwort des
Herausgebers
d e n sich auf den Seiten: 13, 15, 18, 20, 22, 28, 31, 39, 41, 43, 45, 62, 72, 75, 81, 85, 157, 159, 182, 191, 198, 245, 270, 271. Z u d e n R i c h t l i n i e n H e i d e g g e r s f ü r die I. A b t e i l u n g g e h ö r t a u c h die Weisung, die in s e i n e n H a n d e x e m p l a r e n n o t i e r t e n Randbemerkungen, die von den T e x t v e r b e s s e r u n g e n u n t e r s c h i e d e n sind, in d e n Band der G e s a m t a u s g a b e a u f z u n e h m e n . H i e r i m B a n d 7 sind 146 k ü r z e r e oder a u c h l ä n g e r e B a n d n o t i z e n als F u ß noten mit hochgestellten Kleinbuchstaben zum Abdruck gelangt. D i e Z ä h l u n g der R a n d b e m e r k u n g e n setzt in j e d e m der Texte n e u ein. W e g e n der F ü l l e der R a n d n o t i z e n in » W i s s e n s c h a f t u n d Bes i n n u n g « m u ß t e i n n e r h a l b dieses Textes die Z ä h l u n g ein zweites M a l von vorn b e g i n n e n . Z u d e n R a n d b e m e r k u n g e n g e h ö r e n a u c h f ü n f G o e t h e - Z i t a t e aus d e n » S p r ü c h e n in Prosa« ( M a x i m e n u n d R e f l e x i o n e n ) u n d ein Zitat aus W i l h e l m v. H u m b o l d t s S c h r i f t » U b e r die V e r s c h i e d e n h e i t des m e n s c h l i c h e n S p r a c h b a u es«. Sowohl die Zitate wie die l ä n g e r e n g e d a n k l i c h e n R a n d b e m e r k u n g e n f i n d e n sich auf Z e t t e l n i m D I N A6 F o r m a t , die in das H a n d e x e m p l a r e i n g e l e g t sind. D i e Z u o r d n u n g der R a n d n o t i e r u n g e n u n d Zitate zu W o r t e n u n d Sätzen der Texte ergibt sich aus den v e r w e n d e t e n V e r w e i s u n g s z e i c h e n oder, w e n n ein solches Z e i c h e n f e h l t , aus d e m S i n n z u s a m m e n h a n g . Alle R a n d bemerkungen ohne Herkunftskennzeichnung entstammen dem H a n d e x e m p l a r der e r s t e n A u f l a g e der »Vorträge u n d Aufsätze« von 1954. D i e A n g a b e » d r i t t e A u f l a g e 1967« b e z i e h t sich auf das zweite T e i l - B ä n d c h e n der »Vorträge u n d Aufsätze«. D i e vor e i n i g e n R a n d b e m e r k u n g e n z u m T e c h n i k - V o r t r a g s t e h e n d e J a h r e s z a h l 1954 ist das D a t u m der E r s t v e r ö f f e n t l i c h u n g des Vort r a g s » D i e F r a g e n a c h der T e c h n i k « in » D i e K ü n s t e i m t e c h n i s c h e n Z e i t a l t e r « . Vor e i n i g e n a n d e r e n R a n d b e m e r k u n g e n z u m T e c h n i k - V o r t r a g f i n d e t sich die J a h r e s z a h l 1962, die auf das B ä n d c h e n »Die T e c h n i k u n d die K e h r e « verweist. E i n e der B a n d b e m e r k u n g e n zu » . . . dichterisch w o h n e t der M e n s c h . . . « ist der E r s t v e r ö f f e n t l i c h u n g dieses Textes in der Z e i t s c h r i f t »Akzente« e n t n o m m e n u n d d a h e r m i t d i e s e m T i t e l - W o r t k e n n t l i c h gemacht.
295 Nachwort
des
Herausgebers
Ausgeschlossen aus der Ü b e r n a h m e der R a n d b e m e r k u n g e n blieben g e l e g e n t l i c h e Schlagworte, die e n t w e d e r m i t d e m Text in k e i n e m u n m i t t e l b a r e n Z u s a m m e n h a n g s t e h e n oder n u r die Bed e u t u n g e i n e r o r i e n t i e r e n d e n Anzeige, n i c h t aber die e i n e r R a n d b e m e r k u n g h a b e n , sowie a m R a n d e n o t i e r t e i n t e r n e Seitenverweise. D i e i m B a n d »Vorträge u n d Aufsätze« z u s a m m e n g e s t e l l t e n T e x t e w u r d e n f ü r d e n N e u d r u c k i m ganzen durchgesehen. Heid e g g e r selbst h a t t e einige D r u c k f e h l e r auf e i n e m a m Schluß des Bandes e i n g e l e g t e n Z e t t e l notiert, w e n i g e k a m e n zu diesen noch h i n z u . Z u r V e r d e u t l i c h u n g des Textes w u r d e g e l e g e n t l i c h die Z e i c h e n s e t z u n g , in der R e g e l K o m m a t a , s t i l l s c h w e i g e n d ergänzt. Alle Zitate sind, soweit es möglich war, a n den von H e i d e g g e r g e b r a u c h t e n Ausgaben ü b e r p r ü f t w o r d e n . I n den m e i s t e n F ä l l e n k o n n t e n h i e r f ü r seine e i g e n e n H a n d e x e m p l a r e h e r a n g e z o g e n werden. D i e von H e i d e g g e r f ü r die E r s t a u f l a g e der »Vorträge u n d Aufsätze« v e r f a ß t e n Hinweise a m S c h l u ß des B a n d e s w u r d e n u n t e r R ü c k g r i f f auf seine e i g e n h ä n d i g e n A n g a b e n in den H a n d s c h r i f t e n der in d i e s e m B a n d v e r e i n i g t e n Texte ergänzt. D e s g l e i c h e n sind die b i b l i o g r a p h i s c h e n A n g a b e n , vor a l l e m die zu d e n Erstv e r ö f f e n t l i c h u n g e n e i n z e l n e r T e x t e i n n e r h a l b von S a m m e l b ä n den, e r w e i t e r t w o r d e n . Verweise H e i d e g g e r s auf d a m a l s n o c h u n v e r ö f f e n t l i c h t e , i n z w i s c h e n aber i n n e r h a l b der G e s a m t a u s g a b e v e r ö f f e n t l i c h t e Vorlesungen w u r d e n d u r c h die e n t s p r e c h e n d e n b i b l i o g r a p h i s c h e n A n g a b e n ersetzt. D i e a m Seitenrand angebrachten Ziffern g e b e n die S e i t e n z a h l e n der l e t z t e n A u f l a g e n der E i n z e l a u s g a b e wieder, die sich geg e n ü b e r der S e i t e n z ä h l u n g der ersten A u f l a g e n d u r c h den Wegfall der G l i e d e r u n g des Bandes u n d d a m i t der drei Z w i s c h e n b l ä t ter mit den römischen Ziffern verringert haben. Zu vier Randbemerkungen, die sich auf T e x t a u s g a b e n bezieh e n , geben wir h i e r die n ö t i g e n b i b l i o g r a p h i s c h e n A n g a b e n . Zwei weitere Randbemerkungen, in d e n e n Fleidegger auf e i n e n an i h n g e r i c h t e t e n Brief Bezug n i m m t , b e d ü r f e n der M i t t e i l u n g e n ü b e r
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Nachwort des
Herausgebers
die P e r s o n des B r i e f s c h r e i b e r s u n d e i n i g e r Auszüge aus d e m Brief. Z u r B a n d b e m e r k u n g e in » W i s s e n s c h a f t u n d B e s i n n u n g « (S. 56): D i e von H e i d e g g e r b e n u t z t e Ausgabe der » S p r ü c h e in Prosa« k o n n t e n i c h t e r m i t t e l t w e r d e n . Vgl. aber G o e t h e , S p r ü c h e in Prosa. S ä m t l i c h e M a x i m e n u n d R e f l e x i o n e n . Hrsg. von H . Fricke. In: J.W. G o e t h e , S ä m t l i c h e Werke. I. A b t e i l u n g Bd. 13. D e u t s c h e r Klassiker Verlag F r a n k f u r t a.M. 1993. D i e f ü n f von H e i d e g g e r z i t i e r t e n S p r ü c h e in Prosa f i n d e n sich h i e r u n t e r den N u m m e r n 1.148., 1.696., 2.130. u n d 2.130.1., 2.42.1., 1.261. I m D r u c k von B a n d 7 sind die S p r ü c h e in der Schreibweise H e i d e g gers w i e d e r g e g e b e n . Z u r R a n d b e m e r k u n g j in » W i s s e n s c h a f t u n d B e s i n n u n g « (S. 63): U b e r die V e r s c h i e d e n h e i t des m e n s c h l i c h e n S p r a c h b a u e s u n d i h r e n E i n f l u ß auf die geistige E n t w i c k l u n g des M e n s c h e n g e schlechts. In: D i e s p r a c h p h i l o s o p h i s c h e n W e r k e W i l h e l m ' s von H u m b o l d t . H e r a u s g e g e b e n u n d e r k l ä r t d u r c h Dr. H . S t e i n t h a l . B e r l i n 1883, S. 145 ff. Z u r R a n d b e m e r k u n g a in »Wer ist Nietzsches Z a r a t h u s t r a ? « (S. 124): K. L ö w i t h , Nietzsches P h i l o s o p h i e der e w i g e n W i e d e r k e h r des G l e i c h e n . W. K o h l h a m m e r S t u t t g a r t 1956. Z u r R a n d b e m e r k u n g d in » A l e t h e i a « (S. 269): H o m e r , D i e Odyssee. D e u t s c h von W o l f g a n g S c h a d e w a l d t . R o w o h l t T a s c h e n b u c h Verlag, R e i n b e k bei H a m b u r g 1958, N e u a u s g a b e 1999, S. 128. *
D i e R a n d b e m e r k u n g e n i u n d j i m Text » A l e t h e i a « (S. 277 u. 278) b e z i e h e n sich auf e i n e n zweiseitigen m a s c h i n e n s c h r i f t l i c h e n Brief von Prof. Dr. Hildebrecht Hommel aus H e i d e l b e r g v o m 21. 8. 1955, den dieser n a c h s e i n e m S t u d i u m von H e i d e g g e r s Aufsatz » H e r a k l i t « in der Festschrift z u m 350. J u b i l ä u m des Konstanzer h u m a n i s t i s c h e n G y m n a s i u m s a n H e i d e g g e r g e r i c h t e t hat. Bei d i e s e m Aufsatz h a n d e l t es sich u m d e n s e l b e n Text, der in »Vort r ä g e u n d Aufsätze« u n t e r d e m T i t e l » A l e t h e i a « v e r ö f f e n t l i c h t ist.
297 Nachwort des Herausgebers H i l d e b r e c h t H o m m e l w u r d e am 19. 5. 1899 in M ü n c h e n geboren. 1924 P r o m o t i o n in M ü n c h e n i m Fach der Klassischen Philologie; von 1923-1935 tätig im bayrischen Bibliotheksdienst, 1927 E r n e n n u n g zum Staatsbibliothekar an der Universitätsbibliothek Würzburg; 1932 Habilitation in W ü r z b u r g i m Fach der Klassischen Philologie; 1935 L e h r s t u h l v e r t r e t u n g in Heidelberg, 1936 in Gießen; 1937 ao. Professor, 1941 o. Professor in Heidelberg; 1955 o. Professor in T ü b i n g e n ; 1964 E m e r i t i e r u n g . H i l d e b r e c h t H o m m e l starb am 16. 1. 1996 in T ü b i n g e n . Mit Wolfgang Schadewaldt verband i h n seit der g e m e i n s a m e n Studienzeit eine Freundschaft. D e r erste Absatz des Briefes vom 21. 8. 1955, den Heidegger m i t drei weiteren Briefen von H i l d e b r e c h t H o m m e l aus d e m Jahr 1960 in sein H a n d e x e m p l a r der H e r a k l i t - F r a g m e n t e (Bruno Snell, 1940) eingelegt hat, lautet: »Als einer, der sich zwar nicht vermessen kann, zur Philosophie im h e r k ö m m l i c h e n Sinne einen besonderen Z u g a n g zu haben, d e m aber, von j u n g e n J a h r e n an, H e r a k l i t Entscheidendes zu sagen hat, m ö c h t e ich m i r erlauben zu bemerken, wie außerordentlich stark mich ihr Heraklit-Aufsatz in der Festschrift des G y m n a s i u m s Konstanz S. 60-76 angesprochen hat. Er hat m i r in allem Wesentlichen m e i n HeraklitVerständnis bestätigt, im Einzelnen eine Fülle neuer Einsichten geboten. Gestatten Sie m i r ex abundantia cordis noch ein paar B e m e r k u n g e n zu I h r e r Interpretation, die in ihrer U n b e f a n g e n heit wie in ihrer Gewissenhaftigkeit einen n e u e n A n f a n g bedeut e n könnte.« Heideggers R a n d b e m e r k u n g i (S. 277) bezieht sich auf den vierten Absatz dieses Briefes: »S. 67 f. τό μή δΰνόν ποτε (ausgezeichnet die scharfe Wiedergabe des μή durch ,doch ja nicht'!) fassen Sie als ein ,ständig Aufgehendes'. Ich w ü r d e — w i e d e r u m u n ter schärferer B e a c h t u n g der Aktionsart — lieber sagen ,ein sein A u f g e h e n niemals Beendendes'.« Die R a n d b e m e r k u n g j (S. 278) greift auf den f ü n f t e n Absatz des Briefes zurück: »S. 69 In fr. 123 heißt φίλεΐ wohl nicht ,es liebt', sondern ,es hat zu eigen'; denn nach einer schon in den 90er
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Nachwort des Herausgebers
J a h r e n gemachten, auch in der Z u n f t sich n u r langsam durchsetzenden E n t d e c k u n g (Johansson, I n d o g e r m a n . Forschungen II) h e i ß t (σ)φίλος ursprünglich — m i t σφί z u s a m m e n h ä n g e n d — ,mein, dein, sein (usw.) Eigener 1 , also eine Art Äquivalent des Poss.-Pronomens.« Der Aufsatz von Johansson t r ä g t den Titel: K.F. Johansson, Sanskritische Etymologien. In: I n d o g e r m a n i s c h e Forschungen. Zeitschrift f ü r I n d o g e r m a n i s c h e Sprach- u n d A l t e r t u m s k u n de. II. Band, Erstes u n d Zweites H e f t . Verlag Karl J. Trübner, Strassburg 1892, S. 1-64, hier S. 7. I m vorletzten Briefabsatz schreibt H i l d e b r e c h t H o m m e l : »Mit am b e d e u t s a m s t e n scheint m i r in I h r e m Aufsatz die E n t d e c k u n g des φύον u n d der φύσις als E r k l ä r u n g des μή δΰνόν ποτε.« *
F r a u Bibliotheks-Amtsrätin Birgit H o m m e l ( T ü b i n g e n ) sage ich m e i n e n a u f r i c h t i g e n u n d herzlichen D a n k f ü r die G e n e h m i g u n g zum Abdruck einiger Auszüge aus d e m Brief H i l d e b r e c h t H o m m e l s an M a r t i n Heidegger. D e m Nachlaßverwalter, H e r r n Dr. H e r m a n n Heidegger, spreche ich f ü r das nachträgliche Kollationieren der von m i r übertragenen Textverbesserungen u n d R a n d b e m e r k u n g e n aus den H a n d e x e m p l a r e n M a r t i n Heideggers m e i n e n herzlichen D a n k aus. M e i n e Assistentin, F r a u Dr. Paola-Ludovika Coriando, hat die verschiedenen Abschnitte der editorischen Arbeit an d e m vorlieg e n d e n Band hilfreich begleitet, w o f ü r ihr in besonderer Weise g e d a n k t sei. Sie u n d H e r r Dr. Ivo De Gennaro haben großen Anteil an den Korrekturarbeiten, f ü r deren sachkundige u n d gewiss e n h a f t e A u s f ü h r u n g ich i h n e n herzlich danke. F r e i b u r g i. Br., i m Mai 2000
F.-W. v. H e r r m a n n