Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit
Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit Was Manager vom Industrial Excellence Award lernen können
Christoph Loch INSEAD, Fontainebleau, Frankreich
Stephen Chick INSEAD, Fontainebleau, Frankreich
Arnd Huchzermeier WHU, Vallendar, Deutschland
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Prof. Dr. Christoph H. Loch INSEAD Boulevard de Constance 77305 Fontainebleau CX Frankreich
[email protected]
Prof. Dr. Arnd Huchzermeier WHU - Otto Beisheim School of Management Burgplatz 2 56179 Vallendar Deutschland
[email protected]
Prof. Stephen Chick, Ph.D. INSEAD Boulevard de Constance 77305 Fontainebleau CX Frankreich stephen.chick@ insead.edu
ISBN 978-3-540-85185-1
e-ISBN 978-3-540-85186-8
DOI 10.1007/978-3-540-85186-8
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Vorwort
Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein. Hans Schneider, Leiter des Siemens Elektronikwerks Amberg, das 2007 den Industrial Excellence Award gewann
Viele sind der Meinung, dass inflexible Arbeitsmärkte und hohe Arbeitskosten zu einer massiven Verlagerung von Produktionsarbeitsplätzen und Investitionen aus Westeuropa nach Osteuropa und Asien beitragen. Diese Debatte wird in Westeuropa äußerst emotionsgeladen, manchmal jedoch wenig sachkundig geführt. Wahr ist, dass manche gering qualifizierte Arbeitsplätze in Niedriglohnländer abwandern, anderseits entstehen in den hoch entwickelten Ländern wiederum mehr Stellen für hochqualifizierte Fachkräfte. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft westlicher Länder sind in ihrer Gesamtheit sehr viel komplexer als gemeinhin angenommen, und es gibt Anhaltspunkte für wichtige Vorteile. In diesem Buch stellen wir Beispiele für hervorragendes Industriemanagement vor, Firmen, denen es in erheblichem Maß gelungen ist, in Deutschland und Frankreich Produktionsarbeitsplätze zu schaffen. Als Grundlage für dieses Buch dienten 14 Jahre Beobachtungen im Rahmen des Wettbewerbs Industrial Excellence Award (IEA – in Deutschland „Die beste Fabrik“, in Frankreich „La meilleure usine“). Schlussfolgerungen der ersten zehn Jahre über Managementqualität haben wir bereits in unserem letzten Buch, Industrial Excellence (Springer 2003) zusammengefasst, hinzu kommen weitere fünf Jahre der Beobachtung von 2002 bis 2007. Wir sind zu dem Schluss gelangt, dass die wichtigste Verantwortung des Unternehmensmanagements gegenüber der Gesellschaft im Erreichen von Wettbewerbsfähigkeit liegt. Wettbewerbsfähige Unternehmen schaffen Wachstum und Arbeitsplätze, sogar in Westeuropa. Wettbewerbsfähigkeit erfordert eine klar kommunizierte strategische Positionierung, eine exzellente Umsetzung der Strategie sowie die Mobilisierung sämtlicher Mitarbeiter, ihre Fähigkeiten einzusetzen und an einem Strang zu ziehen. Mit einer klar verstandenen und gemeinsamen Strategie sowie der Mobilisierung von Mitarbeitern und Unternehmensleitung kann ein Betrieb seine Produktivität deutlich erhöhen. Unser Wohlstand basiert auf der Gesamtproduktivität. Dieses Buch versucht aufzuzeigen, was Manager von Industrieunternehmen daraus lernen können. Wir zeigen, wie Managementqualität gekoppelt mit strategischer Positionierung zu mehr Wettbewerbsfähigkeit führt. Wir stellen zahlreiche Beispiele in Deutschland und Frankreich vor, die als Vorbilder dienen können. Die v
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Vorwort
Leistungen der IEA-Siegerunternehmen kann man nur als atemberaubend bezeichnen – sie haben uns gezeigt, dass mit Intelligenz, Disziplin und Tatendrang nach oben keine Grenzen gesetzt sind, Erfolg und Anerkennung sorgen für weitere Motivation. Gutes Management setzt Fähigkeiten und Energien innerhalb der Unternehmensorganisation frei und macht sie dadurch noch erfolgreicher. Diese Firmen zerstören keine Arbeitsplätze, sondern schaffen Stellen und leisten somit ihren Beitrag für das gesellschaftliche Umfeld. Abbildung 1 zeigt die Belegschaft des IEAGesamtsiegers 2007, des Siemens Elektronikwerks in Amberg, nach dem Erreichen des ersten Preises. Diese Mitarbeiter haben gezeigt, was möglich ist. Abschließend legen wir dar, welche Konsequenzen Manager in westeuropäischen Ländern aus diesen Beispielen ziehen sollten. Die aktuelle Debatte ist oft verworren – selbst gestandene Führungskräfte äußern den Verdacht, dass die Erfolge von Betrieben, denen eine Produktivitätserhöhung gelungen ist, auch zu Lasten der Volkswirtschaft gehen: „Ja, Sie sind erfolgreich, aber nur, weil Sie Ihren Konkurrenten Geschäft wegnehmen und damit insgesamt den Bestand an Arbeitsplätzen in unserem Land schrumpfen lassen!“ Die richtige Schlussfolgerung hingegen lautet, dass das Management für die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens verantwortlich ist. Wettbewerbsfähigkeit führt zu Wachstum und neuen Arbeitsplätzen – dies ist kein Nullsummenspiel, sondern lässt sowohl das Unternehmen als auch die Wirtschaft des Landes, in dem das Unternehmen tätig ist, profitieren. Und es setzt neben Managementqualität und einer gesunden Strategie die Fähigkeit des Unternehmens voraus, mit den Interessenvertretern des gesellschaftlichen Umfeldes zusammenzuarbeiten. Wir müssen uns die Arbeitskosten-Debatte und den Verteilungskampf um die Stücke eines begrenzten und schrumpfenden Kuchens hinter uns lassen. Die Zukunft heißt Innovation und strukturelle Veränderung, die differenzierte strategische Positionen und die Schaffung neuer Wertschöpfung zulassen. Dazu ist manchmal ein Verzicht auf niedrig qualifizierte Arbeit zugunsten von höher qualifizierter, maßgeschneiderter Arbeit mit höherer Produktivität erforderlich, die den wirtschaftlichen Wohlstand auch weiterhin fördern kann. Die Politik muss die Menschen, die in diesem Prozess aus ihren Tätigkeiten verdrängt werden, unterstützen, umschulen und ihnen andere Möglichkeiten bieten. Die Betriebe müssen die Politik in diesen Anstrengungen unterstützen, denn sie können in einer strukturschwachen Umgebung nicht florieren. In Kap. 10 skizzieren wir die Verantwortlichkeiten der beteiligten Partner, der Regierung und der Gewerkschaften, obwohl eine umfassende Erörterung ihrer Rollen über den Rahmen dieses Buches hinausgeht. Wir betonen, dass Betriebe in ihrem eigenen langfristigen Interesse auch gute „Bürger“ sein müssen. Wie unser erstes Buch, Industrial Excellence, beschäftigt sich auch dieses Buch mit Managementqualität. Das Management muss auf der Suche nach neuen Wertschöpfungsquellen (und damit nach der Gesamtproduktivität) vorangehen, mit innovativen Produkten und Serviceleistungen sowie innovativen Strukturen in der Lieferkette, in zunehmendem Maße in Zusammenarbeit mit Partnern. Die drei gesellschaftlichen Parteien – Betriebe, Politiker und Gewerkschaften – müssen damit aufhören, durch den Kampf um das eigene Stück vom Kuchen Innovationen
Vorwort
Abb. 1
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Siemens Elektronikwerk Amberg: vorbildliches Management
zu blockieren, und statt dessen die Veränderungen unterstützen. Wir alle sitzen im selben Boot. Wir sind der Meinung, dass insbesondere die Führungskräfte der Unternehmen sich weniger über die anderen Parteien beklagen, sondern lieber die Ärmel hochkrempeln sollten, um im eigenen Betrieb Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten, denn darin liegt die Verantwortung des Managements. Anhand von vorbildlichen Beispielen stellen wir dar, wie die Sicherstellung von Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Frankreich möglich ist. Wir danken den Managern dieser Unternehmen für die Zeit, die sie sich für die Befragungen genommen haben. Außerdem möchten wir allen Teilnehmern am Industrial Excellence Award danken – von allen haben wir gelernt. Ebenfalls bedanken möchten wir uns bei unseren Kollegen bei INSEAD, insbesondere Ludo Van der Heyden und Luk Van Wassenhove, für ihre großzügige Mitarbeit. Andreas Enders, Fabian Sting und Delphine Delafontaine sind wir zu Dank verpflichtet für ihr Engagement und ihre gelungene Organisation des Industrial Excellence Award und für ihren sachkundigen Input zu Inhalt und Ausführung des Buches. Wir danken auch unseren journalistischen Partnern, Dieter Dürand von der Wirtschaftswoche und Thibaut de Jaegher von L’Usine Nouvelle für die Zusammenarbeit. Unser Dank gilt auch der Cambridge Editorial Partnership, die uns bei der englischen Ausgabe dieses Buches geholfen hat, und Christine Loch für die sorgfältige Übersetzung. Für alle Fehler bleiben selbstverständlich wir verantwortlich.
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Vorwort
Abschließend möchten wir uns für die Unterstützung durch den INSEAD Alumni Fund bedanken, der den Wettbewerb in den Jahren, in denen wir viele beeindruckende Unternehmen besucht haben, ermöglicht hat. Fontainebleau und Vallendar Januar 2008
Christoph Loch Stephen Chick Arnd Huchzermeier
Inhalt
Teil I 1
Die Herausforderung
Managementqualität und strategische Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Die Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Managementqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Effekt von Managementqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Strategie und erfolgreiche Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Was das Management tun kann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Der Aufbau des Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil II
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Managementqualität, Innovation und Dienstleistungen
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Rational: Innovation und revolutionäre Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Rational-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Jeder kann kochen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Der Erfolg bis heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Die Kernkompetenzen kennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Den Kunden erreichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Das Produkt aufbauen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Führungsstärke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Partner und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Ausblick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27 27 27 29 31 31 32 33 35 38 38
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Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen . . . . . . . . 3.1 Umwandlung durch kundenorientierte Dienstleistungen . . . . . . . . . 3.1.1 Der Geschäftsbereich Kennzeichnungslösungen . . . . . . . . . 3.1.2 Strategische Neuorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Porträt von Imaje . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Entwicklung des Unternehmens seit 2002. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 2007 und danach. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41 41 41 42 46 48 51
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Inhalt
BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Das Geschäft von BuS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Der Zielmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Die Geschäftsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Produktionsherausforderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Einzigartigkeit als Schlüssel zum Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Teil III
53 53 54 54 56 57 59 61
Networked Strategy
5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Hintergrund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Neues Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Charisma, Kulturwechsel und Teambuilding . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 „Innovationen auf jedem Gebiet und jeden Tag“ . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Innovation durch Off- und Inshoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Und die Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65 65 67 69 69 71 73 76
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Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen . . . . . . . . . . . . . 6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Das Velocity Factory Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Ausblick in die Zukunft: Das Solution Factory Konzept . . . . . . . . 6.4 HP Partner Park: Ein Geschäftsnetzwerk-Konzept . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Warum weitere Änderungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Die Idee des Partner Parks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Ergebnisse und Vorteile des Partner Parks . . . . . . . . . . . . . 6.5 Konsequenzen für das Management. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77 77 79 81 83 83 84 85 87
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Fujitsu Siemens Computers: Die Beherrschung von Outsourcing und Lieferkette. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 7.2 Wie machen sie das? Indem sie niemals stillstehen. . . . . . . . . . . . 91 7.2.1 Die Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 7.2.2 Kundenorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 7.2.3 Outsourcing und Partnerschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 7.2.4 Eiserne Kosten- und Prozessdisziplin. . . . . . . . . . . . . . . . . 95 7.2.5 Mitarbeitermobilisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 7.3 Noch besser werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7.3.1 Neue Segmente und Märkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 7.3.2 Niemals stehen bleiben auf dem Weg zum Erfolg . . . . . . . 100
Inhalt
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RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Die Geschichte einer Kehrtwende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Produkt und Produktionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Frühe Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Entwicklung nach 2002 – Wachstum und mehr Arbeitsplätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Verbesserungen bei den Arbeitsabläufen . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Personalpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Externe und Kundenbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Ausweitung der Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Die Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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103 103 104 104 109 119 110 112 113 115
Teil IV Was lernen wir daraus? Konsequenzen der Beispiele für das Management von Industrieunternehmen 9
Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Zyme Solutions. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Das Kunden-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Das „Vorverarbeitungssystem“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Der „nachgeschaltete Server“: Das ausgelagerte Verarbeitungszentrum in Bangalore . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Das Zyme-Verarbeitungszentrum in Bangalore . . . . . . . . . 9.1.5 Die Auswirkungen auf die Kundenunternehmen . . . . . . . . 9.1.6 Die nächsten Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 James Dyson und der Stein der Weisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“ . . . . . . . . . . 9.3.1 Die Beweislage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Konsequenzen für Unternehmen und Entscheidungsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Die Verantwortung der Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit und der Markt für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Der Firmenbeitrag für die Gesellschaft: Überschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Die Beiträge von Politik und Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Die Verantwortung der Regierung für Produkt- und Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Die Verantwortung der Politik für Firmengründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
119 119 120 121 124 125 126 128 128 130 130 136 141 142 142 144 146 147 149
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Inhalt
10.2.3
Die Verantwortung der Politik für das Bildungssystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Die Verantwortung der Gewerkschaften. . . . . . . . . . . . . 10.3 Der verfehlte Dialog und die öffentliche Debatte . . . . . . . . . . . . 10.4 Eine bessere öffentliche Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
151 153 155 158
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
Teil I
Die Herausforderung
Kapitel 1
Managementqualität und strategische Positionierung
1.1
Die Herausforderung
2002 hielten zwei Führungskräfte von Betrieben, die den INSEAD/WHU Industrial Excellence Award (Beste Fabrik Wettbewerb) gewonnen hatten, Vorträge vor einem jährlichen Diskussionsforum für leitende Führungskräfte am INSEAD. Das Thema lautete „High Performance Organizations“ (Hochleistungsbetriebe); die beiden Siegerunternehmen stellten ihre Aktionsprogramme vor und berichteten von ihren Erfolgen, einschließlich eindrucksvoller Produktivitätssteigerungen. Ein Zuhörer, ein deutscher Manager, meldete sich und meinte: „Es ist beeindruckend, zu welchen Erfolgen Sie damit kommen, und sicherlich profitieren Sie selbst sehr davon, aber ist Ihnen eigentlich klar, dass Sie damit Arbeitsplätze vernichten? Ihre Kunden sparen Kosten und werden rentabler, Sie verdienen Geld, Menschen in Indien bekommen Arbeit, aber Sie setzen Ihre Produktivitätssteigerungen dafür ein, Ihren Konkurrenten Marktanteile abzunehmen, und damit zerstören Sie Arbeitsplätze in Europa, weil diese dadurch zunehmend von Europa in Niedriglohnländer verlagert werden. Die Unternehmen werden immer rentabler, aber auf Kosten der einheimischen Bevölkerung, die ihren Lebensunterhalt verliert. Was empfinden Sie, wenn Sie Ihrem Land und seiner Wirtschaft einen solchen Bärendienst erweisen?“ Seine provokative Frage war der Beginn einer heftigen Diskussion. Diese Bemerkung ist symptomatisch für den Ton der öffentlichen Debatte über Outsourcing (Auslagerung) oder Offshoring (Standortverlagerung oder „délocalisation“, wie man in Frankreich sagt) in Europa. Dieser Manager hatte sich die irrige Meinung zu eigen gemacht, in der Industrie gebe es eine festgesetzte Menge an Arbeit, die sich durch eine Produktivitätserhöhung und durch die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer verringere, was zu Arbeitslosigkeit führen würde. Dieser Denkansatz gilt heute als falsch, aber beunruhigenderweise halten viele noch immer an ihm fest. Im Alltag begreifen die meisten Menschen, dass wir nicht mehr so viel von einer Ware kaufen, wenn sie teurer wird – wenn sich der Bierpreis in einer Kneipe erhöht, kaufen und trinken die Leute weniger, und wenn der Preis sinkt, kaufen sie mehr. Ist das Bier in der Kneipe nebenan viel billiger, dann werden
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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1 Managementqualität und strategische Positionierung
viele es lieber dort trinken (es sei denn, die erste Kneipe hat andere Vorzüge, wie z. B. eine nettere Atmosphäre). Das Gleiche gilt auch für Arbeit (und für Kapital) in der Volkswirtschaft – geht der Preis hoch, dann kaufen Firmen weniger davon und ersetzen Arbeit durch Kapital, indem sie beispielsweise in Automatisierung investieren. Arbeit ist ein gekaufter Produktionsfaktor, und wenn gleichwertige Arbeit in anderen Ländern zu geringeren Kosten angeboten wird, gibt es zwangsläufig eine Tendenz, die Arbeit dort zu beschaffen, es sei denn, es liegen noch andere Standortvorteile vor, wie z. B. die Nähe zu den Kunden oder kürzere Reaktionszeiten. Eine Produktivitätserhöhung verringert nicht die allgemeine Nachfrage nach Arbeit. Ganz kurzfristig kann dies der Fall sein (wenn beispielsweise durch die Anschaffung einer Maschine ein Arbeiter entlassen wird), doch für die Wirtschaft als Ganzes reduzieren Produktivitätsverbesserungen die effektiven Kosten von Arbeit, indem sie den Produktionsausstoß pro Arbeitsstunde erhöhen. Aus diesem Grund steigert eine höhere Produktivität die Nachfrage nach Arbeit. Produktivität zerstört keine Arbeit, ganz im Gegenteil – sie macht sie für die Wirtschaft attraktiver. Tatsächlich stimmen Ökonomen darin überein, dass Produktivitätswachstum vermutlich der wichtigste Indikator für den wirtschaftlichen Zustand eines Landes ist – es steuert Realeinkommen, Inflation, Zinsen, Gewinne und Aktienpreise. Die Produktivität in einer Volkswirtschaft ist eng verzahnt mit Wachstum, Wohlstand und der Schaffung von Arbeitsplätzen. Abbildung 1.1 illustriert diesen Zusammenhang anhand des weltweit gebräuchlichsten Wohlstandsbarometers, des Bruttoinlandsprodukts (BIP)1 und der Arbeitsproduktivität (BIP pro Arbeitsstunde). Die Grafik zeigt das BIP-Wachstum und das Wachstum der Arbeitsproduktivität von 2003–2004. Es ist ein deutlicher Zusammenhang erkennbar: Länder mit höherer Arbeitsproduktivität verzeichnen ein höheres Wachstum.2 Und das trifft zu, obwohl mindestens zwei andere wichtige Wachstumsfaktoren fehlen – Kapitalproduktivität (Produktionswert pro eingesetztes Kapital) und Arbeitskräftemobilisierung (prozentualer Anteil der aktiv Erwerbstätigen an der Bevölkerung). Kurz gesagt: Arbeitsproduktivität ist einer der Schlüsselfaktoren für wirtschaftliches Wachstum. Um diese Diskussion mit Management in Verbindung zu bringen, müssen wir sie erweitern. Ein Land schafft Wohlstand und Wachstum, wenn es wettbewerbsfähig ist. Das bedeutet, dass das Land in der Lage ist, entweder Wert zu schaffen (sei es durch höherwertige Produkte oder Dienstleistungen, durch am Markt differenzierte 1
Das BIP (Bruttoinlandsprodukt) ist eine der meistbenutzten Kennzahlen für den Wohlstand eines Landes. Es ist definiert als der Marktwert sämtlicher Endprodukte und Dienstleistungen, die in einem gegebenen Zeitraum produziert wurden, formell: BIP = Konsumausgaben + Bruttoinvestitionen + Staatsausgaben + (Exporte – Importe). „Brutto“ bedeutet, dass die Abschreibungen auf das Aktienkapital nicht abgezogen werden (ohne Abschreibungen; mit Netto- statt Bruttoinvestitionen ist es das Nettoinlandsprodukt). Konsumausgaben und Investitionen in dieser Gleichung sind die Ausgaben für Endprodukte und Dienstleistungen. Der Teil Exporte minus Importe in dieser Gleichung korrigiert für Handel: der Teil der Ausgaben, der nicht im Inlandsmarkt produziert wird (Importe), wird abgezogen und der Teil der Inlandproduktion, der dort nicht konsumiert wird (Exporte), wird hinzugezählt. 2 Die Regression ist statistisch hochsignifikant und erklärt 50 % der Varianz.
BIP-Wachstum 2003-2004 (%)
1.1 Die Herausforderung
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6 5 4
Regressionsgerade („prognostiziertes“ Wachstum)
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Abb. 1.1 Der Zusammenhang zwischen BIP und Arbeitsproduktivitätswachstum
2 1 0 -2
0 2 4 Arbeitsproduktivitätswachstum 2003-2004 (%)
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Produkte und Dienstleistungen oder durch schnellere Lieferung etc. – alles, was von Kunden als werterzeugend bezahlt wird) oder den gleichen Wert zu geringeren Kosten zu liefern. Wettbewerbsfähigkeit kann durch die Output-Seite (Erträge) oder durch die Input-Seite (Kosten) gesteuert werden. Ein wettbewerbsfähiges Unternehmen kann wachsen, weil es in der Lage ist, seinen Kunden ein gutes PreisLeistungs-Verhältnis zu bieten. Ein industrieller Sektor mit wettbewerbsfähigen Betrieben wächst. Ein Land mit einer hohen Zahl wettbewerbsfähiger Sektoren erreicht Wirtschaftswachstum. Und Wachstum bedeutet neue Arbeitsplätze. Dabei stellt sich eine wichtige Frage: Wer ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verantwortlich? Antwort: das Management. Es ist die Aufgabe des Managements, eine Strategie für das Unternehmen zu entwickeln, die es ihm ermöglicht, erfolgreich im Wettbewerb und rentabel zu sein und zu wachsen. Wenn bestimmte Faktoren teurer werden, muss die Strategie entsprechend angepasst werden, um diese Faktoren gewinnbringender einzusetzen, weniger davon zu verbrauchen oder die Produkte durch weniger kostenintensive Produkte zu ersetzen. Betriebe, denen es nicht gelingt, solch flexible Strategien umzusetzen, sind am Markt auch nicht erfolgreich. Eine erfolgreiche Strategie kann sich jedoch nicht auf die Kostenseite beschränken – sie muss auf der Ertragsseite den Kunden einzigartige oder attraktive Produkte und Dienstleistungen bieten. Dies führt uns zu einer der Hauptprämissen dieses Buches: Das wirtschaftliche Wachstum und der Arbeitsmarkt eines Landes werden erheblich vom Produktivitätswachstum (von Arbeit und Kapital) gesteuert. Das Produktivitätswachstum ist wiederum eng mit der Wettbewerbsfähigkeit eines industriellen Sektors verknüpft, die in erster Linie vom Management der privaten Betriebe abhängt. Das wirtschaftliche Wachstum wird in hohem Maße vom Management der vielen Unternehmen innerhalb eines Landes beeinflusst, und aus diesem Grund sind die Manager für das Wirtschaftswachstum mitverantwortlich. Der Leser mag einwenden, dass dem Management einzelner Firmen hierdurch zu viel Verantwortung auferlegt wird, weil es die Aufgabe der Regierungen ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen Firmen erfolgreich sein können. Das ist natürlich richtig. Viele äußere Einflüsse spielen eine wichtige Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit
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1 Managementqualität und strategische Positionierung
der Unternehmen eines Landes. Die Politik (durch Regulierung, Sozialbeiträge und Besteuerung, durch die Bereitstellung von Infrastruktur und den Schutz von Eigentumsrechten), das Sozialsystem (durch das Bildungssystem) und die Gewerkschaften (durch Tarifvereinbarungen inkl. Lohnkosten und Arbeitsflexibilität) müssen alle eine konstruktive Rolle übernehmen. Wir werden die Wechselwirkung zwischen Firmenmanagement und diesen externen Einflüssen am Ende dieses Buches eingehend erörtern. Die Verantwortung des Managements wird dadurch jedoch nicht geringer. Natürlich ist das Management nicht alleine für wirtschaftliches Wachstum und neue Arbeitsplätze verantwortlich, aber es wäre ebenso falsch, seine Verantwortung zu leugnen. Auch die These, eine einzige Firma sei zu klein, um die Wirtschaft eines Landes zu beeinflussen, ist kein gültiges Gegenargument. Wenn dies wahr wäre, würde niemand wählen gehen. Eine einzige Stimme ist zu wenig, um das Ergebnis einer Wahl zu beeinflussen, doch haben die Wähler eine kollektive Verantwortung für das Funktionieren des demokratischen Systems. Dieses Prinzip gilt in gleichem Maße für die Führungskräfte der vielen Unternehmen. Wie passt all dies mit dem so einflussreichen Shareholder-Value-Konzept zusammen? Es setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass der alleinige Fokus auf den Unternehmenswert eine zu enge Sichtweise ist. Es ist durchaus die Aufgabe des Unternehmensmanagements, einen wirtschaftlichen Wert zu schaffen, aber der wirtschaftliche Wert erwächst nicht nur den Aktionären, sondern auch dem gesellschaftlichen Umfeld und den Mitarbeitern. Alleine im Sinne der Aktionäre zu handeln, ist eine Ideologie und eine unangemessene Reaktion auf die Anforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen, denn ein rentabler Betrieb leidet in einer nicht funktionierenden Volkswirtschaft; außerdem sind Aktionäre häufig kurzsichtig, Risiken abgeneigt, und nicht in der Lage, die langfristigen Auswirkungen von Unternehmensentscheidungen zu berücksichtigen. Ein Unternehmen trägt zweifelsohne auch den anderen betroffenen Parteien gegenüber Verantwortung, auch wenn die Aktionäre sehr wichtig sind. Die Frage, die dieses Buch aufgreifen möchte, lautet, wie Führungskräfte durch die Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu Wachstum und Beschäftigung im Land beitragen können. Ein weiterer Einwand könnte lauten, dass Wirtschaftswachstum mit einem Schaffen von Arbeitsplätzen in einer von Outsourcing und Offshoring geprägten Zeit ein unrealistischer Traum ist. Demnach erfordere Wettbewerbsfähigkeit in unserer heutigen globalisierten Welt die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Entwicklungsländer, wo die Mitarbeiter härter arbeiteten, weniger verdienten und mindestens so qualifiziert seien wie in Europa oder in den USA. In Osteuropa, Indien, China (und immer mehr Ländern, wie z. B. Vietnam) könne man Produktionsfachpersonal und sogar hoch qualifizierte Ingenieure finden, die besser arbeiteten als die verwöhnten Westeuropäer. Die Beispiele der erfolgreichen Unternehmen, die wir untersucht haben, zeigen, dass dieser Einwand für einige Arten von Arbeitsplätzen zutrifft, nicht aber generell. Auf Basis von nachprüfbaren Anhaltspunkten behaupten wir, dass die allgemeine Meinung über Standortverlagerungen („Weil die Lohndrücker aus dem Osten
1.2 Managementqualität
7
meinen Gewinn vernichten, möchte ich mit Hilfe einer Standortverlagerung das Gleiche wie vorher tun, aber viel billiger“) engstirnig und defensiv ist und letztlich die eigene Existenz gefährdet. Betriebe, die nur durch defensive Kostensenkungen zu überleben versuchen, drohen in eine Abwärtsspirale zu geraten. Erfolgreichen Unternehmen gelingt es, zukunftsgerichtete Wettbewerbs- und Wachstumsmöglichkeiten zu finden, in dem sie Veränderungen vornehmen und neue Wege gehen, anstatt nur Kosten zu senken. Offshoring spielt bei vielen erfolgreichen Unternehmen eine Rolle, aber nur in definierten und begrenzten Bereichen.
1.2
Managementqualität
Dieses Buch beschäftigt sich mit der Managementqualität in Industrieunternehmen. 2003 haben wir ein erstes Buch zum Thema Managementqualität verfasst, Industrial Excellence: Management Quality in Manufacturing, das auf dem Industrial Excellence Award (IEA) von INSEAD und WHU basierte, den wir seit 1995 in Frankreich und Deutschland verleihen. Das erste Buch stellte Beispiele für die konkrete Umsetzung von gutem Management vor: Was tun vorbildliche Führungskräfte, um ein Werk produktiv zu machen? Produktivität ist ein grundlegender Teil der Wettbewerbsfähigkeit. Dennoch haben wir im Laufe der Zeit, während der sich „total quality management“ Umsetzungswissen von den besten Automobil- und Elektronikbetrieben auf andere Branchen ausbreitete, erkannt, dass die reine Umsetzung nicht mehr ausreicht, um besser zu werden. Es geht nicht mehr hauptsächlich darum, die Dinge richtig zu tun, sondern auch darum, die richtigen Dinge zu tun. Bei unseren Werksbesuchen war oft nicht mehr nur der Werksleiter anwesend, sondern immer häufiger auch der Leiter der Geschäftseinheit, und in unsere Beurteilungen floss mehr und mehr die strategische Positionierung der Einheit mit ein, da diese den entscheidenden Unterschied ausmachte. Aus diesem Grund handelt dieses Buch vom zweiten Kriterium für gutes Management, das sich erst beim Schreiben des ersten Buches herauszukristallisieren begann: Managementqualität bei der Formulierung und Umsetzung der Strategie. Die strategische Positionierung und ihre Umsetzung bilden das Kernstück dieses Buches. Doch bevor wir uns diesem zweiten Kriterium für gutes Management widmen, müssen wir zunächst einmal das erste erläutern und zusammenfassen – es ist zwar wohl kein Alleinstellungsmerkmal mehr, bildet aber immer noch die Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit. Teil 1 fasst das Konzept von Managementqualität zusammen, basierend auf unserem ersten Buch (Loch et al. 2003). Managementqualität umfasst die organisatorischen Fähigkeiten, die eine Strategieumsetzung erst ermöglichen. Eine Strategie, sei sie auch noch so brillant, führt erst dann zum Erfolg, wenn das Unternehmen die Fähigkeiten und die Disziplin besitzt, sie auch auszuführen. Es gibt die Meinung, Strategien seien im Dutzend billiger und ihre Logik oft einfach zu verstehen. Das wahre Geheimnis liegt in ihrer Umsetzung, die häufig mehrere, sich gegenseitig unterstützende Fähigkeiten
8
1 Managementqualität und strategische Positionierung
erfordert. Dieses Netzwerk an Fähigkeiten bildet die nur schwer nachzuahmende Stärke eines Unternehmens. Zu diesen Fähigkeiten einer Organisation gehören insbesondere die Beherrschung der wichtigsten Geschäftsabläufe und deren effektive und effiziente Ausführung (Abb. 1.2). Die Ausführung erfolgt auf der Ebene von vier Kernprozessen: dem Strategie-Umsetzungsprozess (Formulierung und Einführung der Strategie), dem Lieferkettenprozess (Lieferung von Produkten und Erbringung von Dienstleistungen einschließlich Zulieferer), dem Produktentwicklungsprozess (Schaffung neuer Produkte) und dem Prozessentwicklungsprozess (Schaffung neuer Bearbeitungstechnologien und Abläufe). Leistung und Verbesserungen in diesen vier Geschäftsprozessen werden von Managementqualität bestimmt. Wir definieren Managementqualität durch die in Abb. 1.2 dargestellten sechs Dimensionen. Die erste Dimension, Delegation und Integration, bezieht sich auf die klassischen Organisationskonzepte von dezentralisiertem Handeln einerseits und der Koordinierung dieses dezentralisierten Handelns andererseits. Der moderne Pro-
Prozessbeherrschung
Strategieformulierung und Umsetzung Produktentwicklung (Neue Marktangebote)
Prozessentwicklung (verbesserte Abläufe und Fähigkeiten)
Lieferkette (Lieferant – Verarbeitung - Endkunde)
Erfolg: • Kundenzufriedenheit • Umsatz, Gewinn • Wachstum • Arbeitsplätze
Managementqualität
Verbesserungen
Delegation: Dezentralisertes Entscheiden und Handeln
Kommunikation: Information und Offenheit
Beteiligung: Motivation und Initiativen
Integration: gemeinsame Richtung und Koordination
Mitarb.entwickl. Ausbildung, Karriere
Unterstützende Massnahmen
Abb. 1.2
Prozessbeherrschung durch Managementqualität
Messen Kontrolle, Verbesserungsaktionen
1.2 Managementqualität
9
duktionsbetrieb ist zunehmend von komplizierter und kapitalintensiver Technologie gekennzeichnet sowie von der Notwendigkeit, in einem von Wettbewerb geprägten Umfeld schneller auf Veränderungen zu reagieren. Er kann daher nicht mehr nur durch Befehle von oben und Kontrollen geleitet werden. Das Management muss immer mehr Entscheidungsgewalt an die untergeordneten Ebenen delegieren, die über die detaillierten Kenntnisse des Produktionsprozesses verfügen (Delegation wird manchmal auch als „Empowerment“ bezeichnet, die Übertragung von Verantwortung auf Untergebene, oder Selbstkompetenz). So haben beispielsweise mehrere der Wettbewerbssieger völlig autonome Linien (Werke innerhalb des Werks) eingeführt mit der Entscheidungsgewalt über Qualität, Planung, Personalbesetzung und Materialflüsse. Der Leiter eines Produktionswerks für Hygieneprodukte formulierte es so: „Wir gehen an die Grenzen der Fähigkeiten unserer Mitarbeiter. Ich halte viele persönliche Gespräche mit den projektverantwortlichen Technikern. Sie geben einen Statusbericht, und ich frage sie, ob sie meine Hilfe benötigen – das Nachfassen ist sehr eng. Die Kombination aus Überwachung und Hilfe reduziert nicht nur Fehler, sondern motiviert die Mitarbeiter auch und bringt sie voran.“ Dezentralisiertes Handeln erfordert Integration, um eine Ausrichtung auf gemeinsame Ziele innerhalb des Werks und prozessübergreifend zu sichern. Die horizontale Integration verbindet das Werk mit Lieferanten und Kunden entlang der Lieferkette. Zahlreiche Werke hatten kompletten Zugang zum Produktionsplanungssystem des Kunden. Mehrere fungierten als technische Fachzentren für den Kunden oder als Pilotentwickler für wichtige Komponenten der Kundenprodukte (mit Ingenieuren von Kunden und Wettbewerbern innerhalb des Teams). Eine Firma hatte eine solche Erfolgsbilanz und ein derart großes Vertrauen beim Kunden aufgebaut, dass dieser dem Werk wichtige Projektmanagementfunktionen für Produktüberarbeitungen übertrug. „Wir tun unser Bestes für den Kunden, damit alles zu 100 % läuft. Das ist unser Ziel, denn wir sind ein Teil des Kunden“, kommentierte der Werksleiter. Auf der Lieferantenseite ist die gemeinsame Problemlösung zum gegenseitigen Nutzen mittlerweile weit verbreitet. „Wir sind nicht hier, um unsere Lieferanten ausbluten zu lassen. Wir sind hier, um für uns alle das Beste zu erreichen. Gleichzeitig müssen wir sie immer wieder neu beurteilen, denn wenn sie heute Hervorragendes leisten, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass dies auch morgen der Fall ist. Wir profitieren davon, wenn wir unsere Lieferanten gemeinsam mit uns voranbringen. Außerdem haben wir interne Programme u. a. zur Qualitätssicherung, die wir auch bei unseren Lieferanten einsetzen. Es wäre für uns nicht akzeptabel, wenn unsere Lieferanten nicht genauso schnell Fortschritte machten wie wir“, erläutert der Manager eines Wettbewerbssiegers. Vertikale Integration bezieht sich auf den Strategie-Umsetzungsprozess einschließlich passender Unterziele für die Untereinheiten des Betriebs. In den besten Fabriken kannte jeder Mitarbeiter die wichtigsten Leistungsziele des Werks und konnte uns seine eigenen Beiträge zu diesen übergeordneten Zielen bezüglich Qualität, Kosten, Menge, Lieferzeiten oder ähnlicher betrieblicher Maße nennen. Häufig wurden Leistungsindikatoren und Kundenrückmeldungen zur Qualität
10
1 Managementqualität und strategische Positionierung
direkt ans Band angeschlagen, und die Mitarbeiter organisierten ihre tägliche Arbeit tatsächlich anhand dieser Indikatoren. Außerdem wurden diese gestaffelten Ziele nicht einfach nur von oben verkündet, sondern jährlich auf jeder Ebene vom jeweiligen Leiter mit seinen Mitarbeitern weiterentwickelt. Das Team begann damit, was an die nächsthöhere Ebene zu liefern war, und jeder Gruppenleiter oder Manager legte die Pläne seines Teams zum Erreichen der Ziele dar. Wurde das Gesamtziel nicht erreicht, setzte sich das Team zusammen, bis gemeinsam ein durchführbarer Plan ausgearbeitet war, um die Vorgaben zu erreichen. Stellte sich heraus, dass dazu Investitionen erforderlich waren, wurde auch dies zumindest ernsthaft in Erwägung gezogen. Dieser Prozess führte nicht nur in eine Richtung – eine Vielzahl von Modifizierungen und Ideen wurde auch von unten nach oben weitergegeben. Temporale Integration des Werks bezieht sich auf die Zusammenarbeit mit der Produktentwicklung. Mittlerweile ist es in den besten Produktionsbetrieben Standard, die Produktion von Beginn an in die Produktentwicklung miteinzubeziehen. Produktionslinien führen regelmäßig Prototypenläufe durch, was kurzfristig zwar Kapazität kostet, langfristig jedoch dem Werk hilft, Input zur Entwicklung zu geben und zu lernen. Ein gutes Beispiel ist das Halbleiterwerk von Thomson, das so erfolgreich beim Testen von neuen Anlagen und Prozessen geworden ist, dass es diese hochfährt und an andere Fabriken weitergibt, sobald sie stabil laufen. Jeder einzelne Produktionsmitarbeiter ist in der Lage, systematische Experimente durchzuführen, um Fehler zu finden und die Erträge zu erhöhen. Die Mitarbeiter verbringen mehr als die Hälfte ihrer Zeit mit dem Testen und Verbessern von Prozessen, und dennoch ist die Fabrik hochproduktiv. Delegation und Integration müssen von vier Voraussetzungen unterstützt werden. Kommunikation ist nötig, um eine offene Kultur zu schaffen und um zu koordinieren, d. h. um die an den Entscheidungen beteiligten Mitarbeiter mit dem Verständnis auszustatten, ihre Entscheidungen an den Werkszielen auszurichten. Das geht weit über das Anschlagen von Indikatoren an schwarze Bretter hinaus und beinhaltet eine Politik der offenen Tür, regelmäßige Informationen über die übergeordnete Strategie und Status des Werks, Mitarbeiterzufriedenheitsumfragen und eine offene Diskussion über die Arbeitsatmosphäre. Dies setzt eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und Betriebsräten voraus – „man hat den Betriebsrat, den man verdient“, bemerkte ein Werksleiter. Die Informationen für die Arbeiter auf der untersten Ebene müssen konkret und arbeitsbezogen formuliert sein statt konzeptionell und abstrakt, dennoch sind diese Mitarbeiter an den Werksfragen und -zielen interessiert und in der Lage, diese zu verstehen. Beteiligung bedeutet Motivierung der Mitarbeiter, damit sie mit Initiativen beitragen, die über ihre eng gefassten Arbeitsplatzbeschreibungen hinausgehen. So beklagte ein Fabrikleiter, dass „Mitarbeiter, die in ihrem Sportverein zuhause ein Budget von 60.000 € verantworten, ‚ihr Gehirn ausschalten‘, sobald sie den Umkleideraum am Arbeitsplatz betreten.“ Wir haben beobachtet, wie ein Team von Bedienpersonal, lediglich von einem Ingenieur unterstützt, eigenverantwortlich in einem vier Wochen dauernden Projekt grundlegende Modifizierungen komplexer Bearbeitungsmaschinen vornahm.
1.2 Managementqualität
11
Verbesserungsvorschläge werden nicht zwangsläufig finanziell belohnt – die Arbeiter wissen Selbstbestimmung zu schätzen und verändern die Gestalt ihres Arbeitsplatzes, weil sie es wollen und nicht, weil sie für einen Vorschlag bezahlt werden. In mehreren Werken stellte das Management den Arbeitern eine Gruppe von Technikern als Unterstützung zur Seite, aber die Arbeiter entschieden, welche Veränderungen in ihren Abläufen gemacht werden sollten. Derartige Initiativen erfordern die Unterstützung durch Fachwissen und Weiterqualifizierung. Mitarbeiterentwicklung bedeutet sowohl kontinuierliche Weiterbildung als auch das Vorhandensein eines Karrierepfades, damit sich die Mitarbeiter zu größeren Aufgaben und mehr Verantwortung weiterentwickeln können. Das Procter & Gamble Werk in Crailsheim verfolgte die Strategie einer erneuten Verdopplung der Produktionsmenge (nach einer bereits erreichten Verdoppelung), ohne dabei die Mitarbeiterzahl zu erhöhen. Ermöglicht wurde dies durch Automatisierung, wobei die Arbeiter jedoch nicht entqualifiziert wurden, sondern sich mit dem immer höher werdenden technischen Niveau des Prozesses weiterentwickelten. Bei Personaleinstellungen suchte der Betrieb bewusst nach Mitarbeitern mit dem Potential zur persönlichen Weiterentwicklung in Fachwissen, Verantwortung und Tätigkeitsbreite. In den besten Werken haben wir zahlreiche Beispiele von Schicht- und Werkstattleitern gesehen, die einst als Bedienpersonal begonnen hatten und mit Schulungen und Unterstützung durch den Betrieb ihren Weg zu Positionen mit erheblicher Führungsverantwortung gegangen waren. Schließlich bedeutet Messen das systematische Verfolgen qualitativer und quantitativer Kennzahlen von Prozessleistung und deren Einflussfaktoren, um damit ein Verständnis der besten Ansatzpunkte für evtl. Verbesserungen zu erlangen. So hatten beispielsweise bei Honeywell in Deutschland die Mitarbeiter Online-Zugang zu sämtlichen Prozessindikatoren und planten auf deren Basis selbstständig Arbeit, Wartung und Verbesserungsmaßnahmen. Das Beherrschen der statistischen Prozesskontrolle zur Sicherstellung der Prozessproduktivität ist heute weit verbreitet, doch die Firma Solvay in Laval, Frankreich, trieb die Methode noch weiter: Als einige wenige Fälle von Sehnenscheidenentzündung am Band auftraten, versuchte man mit allen Mitteln die Ursachen für die Beschwerden zu finden und das Problem (das bei einigen Montageschritten aus ergonomischen Gründen verursacht wurde) aus der Welt zu schaffen. Seitdem sind keine Sehnenscheidenentzündungen mehr aufgetreten. Damit wurde in erster Linie die Arbeitsplatzqualität verbessert, und als unerwarteter (aber natürlich willkommener) Nebeneffekt machten sich aufgrund der geringeren Abwesenheitsquote die Bemühungen bereits nach weniger als einem Jahr bezahlt. Dies ist eine Kurzbeschreibung von Managementqualität, die in Loch et al. (2003) ausführlicher dargestellt ist. Zur Illustration möchten wir jedoch noch zwei Beispiele für den Nutzen von Managementqualität und Mitarbeitermobilisierung anführen. Als IEA-Gutachter gingen wir durch ein am IEA teilnehmendes Werk, in dem sich hoch automatisierte Produktionslinien mit nur wenigen Mitarbeitern befanden. In einem Nebenraum saßen vier Leute in blauen Overalls über Pläne gebeugt, dampfende Kaffeetassen daneben. Wir fragten: „Wer sind Sie, und was tun Sie hier?“ Einer der Mitarbeiter antwortete ganz ungezwungen:
12
1 Managementqualität und strategische Positionierung
„Wir sind die Elektriker für diesen Bereich. Da unser Werk mit Schwesterfabriken in Portugal konkurriert, die geringere Kosten haben, lautet das strategische Ziel, die Kosten pro Einheit um X % [die tatsächliche Zahl ist vertraulich] zu senken und dabei die Qualität leicht zu erhöhen. Ein Beitrag dazu ist eine möglichst hohe Linienbetriebszeit, die durch Stromausfälle beeinträchtigt wird. Daher haben wir einige Maßnahmen ergriffen, um die Stillstandszeiten wegen Stromausfall um zwei Drittel zu reduzieren, und jetzt sitzen wir hier auf Abruf, um sofort nach der Störung zu suchen, falls eine der neuen Maßnahmen noch nicht ganz funktioniert.“ Was hatte dieser „einfache Werker im Blaumann“ gerade getan? Er hatte die Betriebsstrategie des Unternehmens skizziert, sie auf die Fertigungslinie und seine eigene Funktion umgesetzt und erklärt, wie die Arbeit seines Teams zu dieser Strategie beiträgt. Stellen Sie sich selbst die Frage, ob Ihre Arbeiter dazu in der Lage sind. Unsere Beobachtungen haben gezeigt, dass das Produktionsmanagement Mitarbeitermobilisierung dieser Art weiter vorangerieben hat als andere Bereiche, wie Verkauf und Verwaltung, die seltener in der Lage, eine solche Mitarbeiterbeteiligung zu erreichen. Aber die Stärke dieser strategischen Klarheit, die sämtliche Betriebsebenen umfasst, ist eindeutig: Mitarbeiter, welche die Zusammenhänge verstehen (weil sie auf ihre Belange und ihren Arbeitsalltag übersetzt wurden), sind viel motivierter und eher dazu in der Lage, ihre Energie darauf zu fokussieren, und damit wird die Strategie effektiver umgesetzt. In dem gleichen Betrieb waren Verbesserungsprojekte üblich, bei denen jeweils drei bis vier Mitarbeiter für jeweils drei Wochen aus ihrer laufenden Produktionstätigkeit abgezogen wurden, um wichtige Verbesserungen mit Hilfe eines Ingenieurs durchzuführen. So wurde beispielsweise eine hochmoderne automatisierte Produktionsmaschine im Wert von 1 Mio. € über fünf Jahre so erfolgreich verändert, dass der Hersteller der Originalmaschine gar nicht mehr an sie herangelassen wurde. In diese Maschine floss werkseigenes geistiges Eigentum – das Ergebnis von Verbesserungsprojekten durch die Mitarbeiter. Die Ergebnisse von Mitarbeitermobilisierung können beeindruckend sein. Die beispielhaften Betriebe, die wir im Rahmen des IEA beobachten, erreichen in der Regel über 10 % Kosteneinsparungen pro Jahr. Davon gehen etwas mehr als die Hälfte auf das Konto von technischen Verbesserungen, wie etwa neue Maschinen, neue Prozesse, eine neue Produktgeneration mit hochwertigerer und einfacher zu bauender Konstruktion. Doch fast die Hälfte der Verbesserungen kommen von den Mitarbeitern, welche die Prozesse ausführen und im Detail beobachten, was funktioniert und was Probleme bereitet. Solche Beiträge zum Unternehmenserfolg lassen sich nicht erzwingen, sondern entstehen freiwillig von einer motivierten Belegschaft. Ein weiteres Beispiel: Ein Hersteller elektrischer Lasttrennschalter konnte seinen Produktionsausstoß zwischen 1996 und 2004 mit 4 % weniger Mitarbeitern mehr als verdoppeln, das entspricht einer Produktivitätssteigerung um 11,5 % über acht Jahre. In den gut geführten Betrieben, die mit dem Industrial Excellence Award (IEA) ausgezeichnet wurden, erfolgen solche Produktivitätssteigerungen auf systematische Art und Weise.
1.3 Der Effekt von Managementqualität
1.3
13
Der Effekt von Managementqualität
Bis hierher haben wir gezeigt, dass Mitarbeiterproduktivität auf der Ebene der gesamten Volkswirtschaft Wachstum erzeugt und dass Betriebe mit hoher Managementqualität eine höhere Produktivität erreichen. Wer genau hinschaut, mag dagegen halten, dass wir die die Auswirkung von Mitarbeiterproduktivität auf das Wachstum nicht auf der Ebene des einzelnen Unternehmens gezeigt haben, also dort, wo der Verlust von Arbeitsplätzen tatsächlich weh tut. Statistische Indizien dafür, dass Managementqualität Wachstum erzeugt, haben wir in Kap. 12 von Loch et al. (2003) vorgelegt, auf der Grundlage der IEA-Teilnehmerdaten aus den 1990er Jahren. Lassen Sie uns zusätzliche Hinweise anführen, die von IEA-Teilnehmern aus den Jahren 2006 und 2007 stammen. Abbildung 1.3 zeigt den statistischen Zusammenhang zwischen Mitarbeiterproduktivität und Ertragswachstum auf der Ebene der teilnehmenden Betriebe.3Die Regressionen weisen eindeutig darauf hin, dass höhere Mitarbeiterproduktivität zu einem schnelleren Gewinnwachstum auf Firmenebene führt. Demnach bietet die Produktivität von Managementqualität direkte Vorteile für die Betriebe selbst, wo sie für die Mitarbeiter sichtbar sind und ihnen das Gefühl eines sichereren Arbeits120%
Jährliches Umsatzwachstum [%]
100%
-20%
2007 y = 1,0745x + 0,0818 R2= 0,2454
80% 60%
2006 y = 0,7062x + 0,0481 R2= 0,4686
40% 20%
2007 2006
0% 0%
20%
40%
60%
80%
100%
-20% -40% -60% Jährliches Mitarbeiterproduktivitätswachstum [%]
Abb. 1.3 Mitarbeiterproduktivitätswachstum bei IEA-Teilnehmern
3
Jeder Datenpunkt steht für einen Wettbewerbsteilnehmer. Die Gleichungen stellen die jeweiligen Regressionsgeraden dar; beide sind statistisch signifikant. Die Teilnehmer meldeten Änderungen von Produktivität und Erträgen, gemittelt über zwei Jahre.
14
1 Managementqualität und strategische Positionierung
Jährliche Änderungdes Kapitaleinsatzes [%]
platzes vermitteln – der Wachstumsvorteil von Produktivität ist also nicht nur ein anonymes makroökonomisches Phänomen. Eine ähnliche Analyse (hier nicht im Detail aufgeführt) zeigt, dass ein Wachstum der Mitarbeiterproduktivität auch mit einer Rentabilitätssteigerung einhergeht, gemessen als Gesamtkapitalrendite (ROA/return on assets). All dies deutet darauf hin, dass die Mitarbeiterproduktivität das Ertrags- und Gewinnwachstum steigert. Die nächste Frage lautet, ob das Wachstum ausreicht, um die Produktivitätssteigerung „auszugleichen“: Werden immer noch Arbeitsplätze eingespart? Oder wird etwas anderes eingespart? Abbildung 1.4 zeigt, dass Produktivitätssteigerungen Einsparungen beim Investitionskapital ermöglichen – Unternehmen mit hohem Wachstum der Arbeitsproduktivität hatten meist ein geringeres Wachstum des eingesetzten Kapitals (Anlage- und Umlaufvermögen), was die Auswirkung von beispielsweise besser ausgelasteten Werken, längeren Maschinenlaufzeiten, schnelleren Lagerumschlägen oder geringeren Außenständen widerspiegelt. Anders ausgedrückt: Die Produktivitätssteigerungen gehen Hand in Hand mit einem effektiveren Einsatz von Kapital und Vermögenswerten und scheinen damit erfolgreichere Mittel zur Verbesserung der pro Arbeitsplatz erarbeiteten Wertschöpfung zu sein als die Kürzung von Arbeitsplätzen. Dieser Eindruck bestätigt sich, wenn wir uns den direkten Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Arbeitsproduktivität anschauen (Abb. 1.5). Bei den Wettbewerbsteilnehmern von 2006 war eine Steigerung der Arbeitsproduktivität mit einem leichten Rückgang bei der Anzahl der Arbeitsplätze verbunden, während bei den Teilnehmern von 2007 ein höheres Arbeitsproduktivitätswachstum bei einer leichten Erhöhung der Arbeitsplatzanzahl zu verzeichnen war. Insgesamt ist über
2007
80%
2006 60%
40% 2006: y = -0,1399x + 0,1527 R2= 0,0121
20%
-20%
0% 0% -20%
20%
40%
60%
80%
2007 y = -0,1174x - 0,0049 R2= 0,0221
-40% Jährliches Mitarbeiterproduktivitätswachstum [%]
Abb. 1.4
100%
Mitarbeiterproduktivität und eingesetztes Kapital bei IEA-Teilnehmern
1.3 Der Effekt von Managementqualität
15
beide Jahre kein statistisch signifikanter Zusammenhang zu erkennen; Veränderungen bei der Beschäftigung waren nicht mit der Arbeitsproduktivität verknüpft. Die Veränderung der Zahl der Arbeitsplätze insgesamt bei allen Teilnehmern (über beide Jahre) betrug –2 %, ein leichter Rückgang, der durch die natürliche Fluktuation und ohne Mitarbeiterkündigungen erreicht werden kann. Schauen wir uns jedoch unsere Siegerunternehmen an, so erreichten diese einen Beschäftigungsanstieg um 1,72 % im Jahre 2006 und um 0,25 % im Jahre 2007.4 Zusammenfassend können wir beobachten, dass die teilnehmenden (d. h. ehrgeizige und überdurchschnittliche) Betriebe ihre Erträge leicht steigern konnten bei einer konstanten oder leicht rückläufigen Mitarbeiterzahl, während die besten Firmen ein starkes Ertragswachstum bei einer steigenden Anzahl von Mitarbeitern verzeichneten. Sie setzten ihr Produktivitätswachstum ein, um überproportional größere Erträge mit einem leicht anwachsenden Mitarbeiterstab zu erzielen. Diese Unternehmen investieren in ihre Mitarbeiter, machen sie produktiver und nutzen deren Fähigkeiten und Qualifikationen, um das eingesetzte Kapital zu reduzieren. Und allgemein schaffen sie damit Arbeitsplätze. Dies sind klare Hinweise darauf, dass – zumindest bei unseren Teilnehmern – Wettbewerb, Managementqualität und höhere Arbeitsproduktivität Beschäftigung schaffen und nicht zerstören. Gut geführte Unternehmen qualifizieren ihr Personal, um 30%
Jahrliche Änderungder Beschäftigung [%]
2007
-20%
20%
2006
10%
2007 y = 0,302x - 0,0785 R2 = 0,2648
0% 0% -10%
20%
40%
60% 2006 y = -0,1419x + 0,0068 R2 = 0,045
-20%
-30% -40% Jährliches Mitarbeiterproduktivitätswachstum [%]
Abb. 1.5 Mitarbeiterproduktivität und Beschäftigung bei IEA-Teilnehmern 4
Einer der Sieger von 2007 hatte eine Umstrukturierung hinter sich und reduzierte sein Personal um 10 %; wenn wir diesen Sonderfall außer Acht lassen, haben die übrigen Sieger von 2007 ihre Mitarbeiterzahl um 4,1 % erhöht.
16
1 Managementqualität und strategische Positionierung
mehr Erträge zu erzielen, und stellen Mitarbeiter ein. Durch bessere Ausbildung und Arbeitsprozesse reduzieren sie den Einsatz von anderen Produktionsfaktoren, von Kapital und Material. Obwohl man noch immer einwenden könnte, dass es sich bei den Teilnehmern des IEA-Wettbewerbs nicht um durchschnittliche Betriebe handelt (es sind ehrgeizige Betriebe, welche die Besten in ihrem Bereich sein wollen), können wir dennoch folgern, dass die gesamtwirtschaftliche Aussage von Abb. 1.1 statistisch gesehen auch auf der individuellen Firmenebene zutrifft. Wenn durchschnittliche Betriebe ihre Managementqualität verbessern würden, könnten auch sie Arbeitsplätze schaffen, ohne zwangsläufig den besten Firmen Arbeitsplätze wegzunehmen. Wie das Beispiel eines unserer Siegerunternehmen, Valeo in Polen, zeigt, führt eine Ansammlung konkurrenzfähiger Betriebe zu einer Anhäufung von Wettbewerbsfähigkeit, die Fachkompetenz und Infrastruktur aufbaut und dem gesamten wirtschaftlichen Umfeld nützt. Kurz gesagt: Wettbewerbsfähigkeit schafft Arbeitsplätze.
1.4
Strategie und erfolgreiche Positionierung
Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben, ist die Fähigkeit der Umsetzung (ganz gleich, wie die Strategie aussieht) sehr wertvoll, aber genauso wichtig ist es, diese Umsetzungskraft in eine geschickte Richtung zu lenken. Erfolg darf nicht einfach nur als Profit, sondern muss sehr viel breiter definiert werden. Obwohl der Erfolg eines Unternehmens auf Basis des Shareholder-Value-Ansatzes häufig mit Profitabilität und kurzfristigen Aktienkursen gleichgesetzt wird, legen strategische Managementstudien nahe, dass der Unternehmenserfolg, so wie er von allen Interessenvertretern wahrgenommen wird (d. h. von Mitarbeitern, Führungskräften, Aktionären u. a.), nicht nur Vermögen, sondern auch Wachstum umfassen muss, was wiederum zur Schaffung von Arbeitsplätzen führt und zur Wahrnehmung einer positiven Rolle, die das Unternehmen im gesellschaftlichen Umfeld spielt.5 Der Erfolg eines Unternehmens beruht also auf einer Kombination mehrerer Fähigkeiten – zum einen muss es in der Lage sein, sich strategisch attraktiv zu positionieren und diese Positionierung im Zuge der Entwicklung des Umfeldes entsprechend zu verändern. Zum anderen muss es diese strategische Positionierung umsetzen können. Abbildung 1.6 zeigt ein Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm, das strategische Ansätze der besten Betriebe, die wir im Rahmen des Industrial Excellence Award kennen gelernt haben,6 grafisch zusammenfasst. Das Innere des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms fasst die in Abschn. 2 dieses Kapitels beschriebene Umsetzungskompetenz zusammen, die erste Komponente von Managementqualität, der Grundlage von Wettbewerbsfähigkeit. Die vier Ecken des Diagramms kennzeichnen strategische Positionen, die zweite Komponente von Managementqualität. 5 6
Charan und Tichy (1998); Collins (2001). Loch et al. (2007).
1.4 Strategie und erfolgreiche Positionierung
17
Die vier Ecken des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms fassen Porters (1990) generische Strategien (Kosten, Differenzierung und Fokus) in zwei Dimensionen zusammen (Fokus wird zu einem speziellen Teil von Differenzierung, die zweite Dimension sind die Kosten) und ergänzen zwei zusätzliche Dimensionen, die im Laufe der letzten zehn Jahre immer wichtiger geworden sind: die geografische Reichweite über mehrere Märkte (was zu Größenvorteilen und Diversifizierung führt und die Wissensbasis verbreitert), sowie die Hebelwirkung durch Partner und andere Teilnehmer in einem Netzwerk. Die vier Eckpunkte des Diagramms in Abb. 1.6 stellen die Eckpfeiler der strategischen Ansätze dar. Die Kostenwettbewerbsfähigkeit oben ist Pflicht, da sämtliche Siegerunternehmen erhebliche Produktivitätssteigerungen und Kostensenkungen erreichten. Je nach Geschäftsmodell variierte der Schwerpunkt – einige profitierten von der Steigerung der Arbeitsproduktivität, andere reduzierten die Materialkosten (z. B. durch intelligentes kostenminimierendes Design), andere verringerten die Lieferkettenkosten durch Zusammenarbeit und Informationsaustausch, und wieder andere senkten die Gemeinkosten. Ungeachtet dieser Unterschiede gilt für alle, dass die Kosten nur die Input-Seite der Produktivität widerspiegeln und daher nur in seltenen Fällen mit extremer Disziplin und Sparsamkeit eine brauchbare alleinige Strategie darstellen. Zusätzlich zur Kostenwettbewerbsfähigkeit erreichten die Siegerunternehmen in den anderen Dimensionen einzigartige Aspekte, die sich auch auf die Output-Seite der Produktivität auswirkten.
Kosten und Produktivität Differenzierung: • Innovation: neue Produkte und Prozesse, einzigartige Aktivitäten • Nähe zum Kunden • Dienstleistungspakete • Fokus (sich auf wenige Tätigkeitsgebiete spezialisieren)
Organisatorische Fähigkeiten: • Beherrschung von Kernprozessen • Managementqualität: Mitarbeitermobilisierung (messen, delegieren, integrieren, kommunizieren, zur Beteiligung anregen, Mitarbeiterqualifikationen entwickeln).
Geografische Reichweite: • Wachstumsmärkte mit wichtigen wirtschaftlichen Aktivitäten erschließen
Zusammenarbeit in Netzwerken: • Verbunden mit geografischer Reichweite (z.B.Vertriebskanäle) • Kapazitätsausweitung • Zugang zu mehr Know-how • Zugang zu neuen Talenten
Abb. 1.6
Das Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm
18
1 Managementqualität und strategische Positionierung
Ein Weg zur Einzigartigkeit ist die Differenzierung oder die Einführung eines Angebotes, das mit keinem Konkurrenzangebot vergleichbar ist. Wir haben vier Hauptmethoden der Differenzierung beobachtet: 1. Innovation. Ausdrückliche Innovationsstrategie des Herstellers kommerzieller Küchenherde Rational ist das Ziel, die eigenen Produkte nach 5–10 Jahren durch revolutionäre Innovationen veraltet zu machen. Das Ergebnis ist die Erfindung von Herden mit automatischer Gartechnik, die über Sensoren die Temperatur und die Feuchte erfassen und die Garzeit der jeweiligen Speisen automatisch einstellen; das Unternehmen ist mittlerweile Marktführer für Großküchenherde. 2. Nähe zum Kunden. Diese Strategie bedeutet maßgeschneiderte Angebote für individuelle Kundenwünsche, z. B. durch Veränderung von Produktkonfigurationen oder Wartungsservice oder durch angepasste Lieferzeiten und -häufigkeit. So platzieren beispielsweise Zulieferbetriebe der Autoindustrie kleine Just-in-time (JIT) Werke in die Nähe ihrer Kundenwerke. Obwohl diese Nähe nicht mehr so entscheidend ist, wenn der Informationsfluss zuverlässig ist, ermöglicht sie dem Lieferanten, genau in der vom Hersteller benötigten Reihenfolge zu liefern („in sequence“, d. h. jedes Teil ist auf die sich aktuell auf dem Band befindliche Fahrzeug-Identnummer zugeschnitten). Eines unserer Siegerunternehmen hat einen verantwortlichen Ingenieur in das Kundenwerk abgestellt, um bei auftretenden Schwierigkeiten (einschließlich der Probleme, die mit den Produkten des Unternehmens nichts zu tun haben) eingreifen zu können; zusätzlich unterstützt es den Kunden im Projektmanagement, wenn auf dem Montageband ein neues Modell eingeführt wird. Unseren Siegerunternehmen ist es gelungen, die Produktion in direkten Kontakt mit den Kunden zu bringen, sogar im Fall eines indirekten Verkaufskanals. Dies erreicht man durch unaufgeforderte Kundenbesuche, um sich über den Einsatz der Produkte zu informieren, durch regelmäßige Einladung der Kunden ins eigene Werk und durch direkte Fehlerbeseitigung für den Kunden, falls Probleme auftauchen. Es gibt eine tägliche Zusammenarbeit mit dem Kunden, die durch die Kundenbedürfnisse und nicht durch Standardisierungserwägungen beim Lieferanten gesteuert wird. 3. Das Produkt durch Serviceleistungen ergänzen. Die Grenze zwischen Dienstleistungen und gefertigten Produkten verschwimmt immer mehr, da viele Unternehmen den Kunden nicht mehr nur Hardware ans Montageband stellen, sondern auch Dienstleistungen, die gewisse Funktionalitäten garantieren. So hat z. B. Imaje, ein französischer Hersteller von Industriedruckern, eine einzigartige Marktposition erreicht, indem er seine Produkte inklusive Service anbietet, was für den Kunden einen besonderen Wert darstellt. 4. Fokus. Bei diesem Ansatz konzentriert sich das Unternehmen voll und ganz auf die Sonderwünsche bestimmter Kunden. So hat sich beispielsweise ein mittelständischer Elektroniklieferant auf die Montage von Platinen spezialisiert, die bezüglich ihres Layouts veraltet sind – manche Komponenten müssen z. B. noch immer per Hand montiert werden, was in normalen Fertigungen unwirtschaftlich ist – oder nur in zu kleinen Mengen nachgefragt werden, um eine Investition in ein Neudesign zu rechtfertigen. Große Lieferanten versuchen, eine solche Produktion zu vermeiden, da sie nicht standardisiert und daher teuer ist. Außer-
1.5 Was das Management tun kann
19
dem ist es schwierig, bei Prozessen, die Handarbeit erfordern, eine hohe Qualität zu gewährleisten. Eine solche Nischenproduktion, die auf den ersten Blick wenig attraktiv erscheint, zu beherrschen, kann zum Erfolg und zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen, auch in Deutschland. Die rechte Seite des Diagramms zeigt die geografische Reichweite oder die Suche nach Wachstum in neuen geografischen Märkten, wenn der heimische Markt zu klein wird oder stagniert.7So wurde z. B. im Januar 2006 ein Wachstum von 13 % für den chinesischen und 8 % für den indischen Automobilmarkt prognostiziert im Vergleich zu lediglich 4 % für den Automobilmarkt weltweit.8Nicht nur Automobilunternehmen, sondern Firmen aus vielen Branchen erhöhen ihre Kapazitäten in Osteuropa und Asien (und in geringerem Maße auch in Lateinamerika), um die dortigen Marktchancen zu nutzen. So baute Valeo das erste Logan-Werk in Rumänien nicht nur aufgrund der geringeren Kosten, sondern weil in Osteuropa auch ein riesiger neuer Markt für billige Autos entsteht. Weitere Werke folgen in anderen osteuropäischen Ländern. Ein weiteres Beispiel ist Air Liquide mit einem Drahtwerk in China, das mit älterer, technisch weniger anspruchsvoller, aber äußerst zuverlässiger Ausrüstung arbeitet, nicht um billige Drahtprodukte in Europa zu verkaufen, sondern um bei den äußerst kostenbewussten chinesischen Kunden neue Marktanteile zu erschließen. Unten im Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm steht schließlich die strategische Zusammenarbeit in Netzwerken. Dank der intensiven Zusammenarbeit mit Partnern ist es einem Computersystemhersteller gelungen, spektakuläre Produktivitätsverbesserungen zu erreichen und zusätzliche Dienstleistungen anzubieten. Die Partnerschaften haben die Firma in die Lage versetzt, sich weiter zu verbessern, nachdem sie intern bereits an ihre Steigerungsgrenzen gestoßen war. Außerdem werden Kundenservice und die Konfiguration großer Computersysteme mit vorinstallierten Spezialanwendungen von einem Firmennetzwerk und nicht nur von einer Firma erbracht. Die Computerfirma dirigiert das Netzwerk, ohne es zu dominieren.9
1.5 Was das Management tun kann Wir haben behauptet, dass Wettbewerbsfähigkeit durch eine Kombination aus gut durchdachter strategischer Positionierung und effektiver Umsetzung mit gutem Management erreicht werden kann. Wie kann nun ein Management-Team dieses Rezept in einen konkreten Handlungsplan umsetzen? Die Antwort ist in Abb. 1.7 zusammengefasst. Prinzipiell hat das Management drei Aufgaben: 1. Die Formulierung einer Geschäftsstrategie, eines „Schlachtplans“, der darlegt, welche Kunden mit welchem Marktangebot angesprochen, welche einzigartigen 7 8 9
Doz et al. (2001). Financial Times (2007). Häcki und Lighton (2001).
20
1 Managementqualität und strategische Positionierung
Werte den Kunden angeboten und welche Kernprozesse (Aktionsprogramme) und Fertigkeiten (Fachkenntnisse) aufgebaut werden sollen. 2. Die Übersetzung dieser Strategie in untergeordnete Strategien (funktionelle oder von Kernprozessen), die in der Lage sind, die Geschäftsstrategie umzusetzen, und miteinander kompatibel sind. So muss beispielsweise eine Produktionsstrategie bei den möglichen Zielen bezüglich Kosten, Geschwindigkeit, Flexibilität und Variantenvielfalt Prioritäten setzen, die der Positionierung im Wettbewerb entsprechen. Die Übersetzung ist nötig, da die Geschäftsstrategie in Form von Geschäftszielen – wie Marktanteil, Produktangebot – ausgedrückt wird, während die Prozessstrategien in Form von (quantitativen) operativen Zielen formuliert werden. Man muss den Mitarbeitern zeigen, wie die operativen Ziele zum Erreichen der Geschäftsziele führen. Dies ist nicht nur zur Kontrolle erforderlich, sondern in erster Linie, um den Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass sie verstehen, welche Rolle sie dabei spielen, und sie damit zu motivieren.10 3. Um die untergeordneten Strategien umzusetzen, müssen die Fähigkeiten und die Energie der Mitarbeiter mobilisiert werden, oder anders ausgedrückt: Es muss Managementqualität zur Anwendung kommen. Die in Abb. 1.7 dargestellte Handlungsabfolge führt von oben nach unten. Sie müssen also oben, bei der Strategie, anfangen, um Ihrem Programm Struktur zu verleihen. Selbstverständlich macht niemand beim ersten Mal alles richtig. Außerdem ist kein Strategie-Umsetzungssystem statisch – es muss im Laufe der Zeit an Veränderungen im Umfeld angepasst werden. Nach einem ersten Versuch müssen Sie Reaktionen und Feedback einholen und mit Wiederholungen und Verbesserungen beginnen. Es ist sehr wichtig, dass Sie ein klares Bild von Ihrer Strategie und deren Umsetzung haben. Als Management-Team sollten Sie jedoch nicht überanalysieren und an einer „Analyse-Paralyse“ ersticken. Strategie und Umsetzung erfolgen grundsätzlich interaktiv. Der Geschäftsführer einer erfolgreichen mittelständischen Firma formuliert es so: „Während die Analyse-Freaks noch immer auf die Zahlen starren, probiere ich etwas Neues aus (zu niedrigen Kosten), und wenn sie mit ihrem ersten Schritt fertig sind, dann habe ich bereits eine Wiederholung hinter mir und etwas Wirkliches gelernt.“ Ein Gegenargument haben wir immer wieder gehört: „Das klingt gut, aber es erfordert viel Struktur, und Struktur erfordert Ressourcen, die nur große Firmen haben. Ihr Konzept lässt sich nur auf große Betriebe anwenden, für Klein- und Mittelbetriebe (KMU) ist es unmöglich.“ Dieses Argument ist falsch. Es stimmt, dass einige große Unternehmen formalisierte Prozesse eingeführt haben, die den Management-Teams ihrer Geschäftseinheiten dabei helfen, an all das zu denken, was für ein vernünftiges Maß an Managementqualität erforderlich ist. Es gibt (neben dem berühmten Toyota-Produktionssystem) beispielsweise das Valeo-System, das Faurecia-System, das Visteon-System und das Siemens-System. Dass diese Systeme effektiv sind, beweist die Tatsache, dass all diese Unternehmen 10
Loch (2008).
1.6 Der Aufbau des Buches
21
Strategieformulieren: Zielkunden, Marktangebot, Wertversprechen (Wettbewerbsvorteil), Kernpozesse und Kernkompetenzen Prozesse gestalten und Geschäftsstrategie herunterbrechen und übersetzen: Die Strategiein Prozesseund Bereichsstrategien übersetzen: Ziele, Strukturen, Abläufe, Ressourcen, Schnittstellen.
Prozessedurchführen: Die Mitarbeiter mobilisieren und mit Managementqualität Verbesserungen erreichen.
Abb. 1.7
Rückkoppelung: Iterieren, anpassenund verbessern
Die Strategie-Umsetzungs-Spirale
unseren IEA-Wettbewerb gewonnen haben, manche sogar mehr als einmal, mit verschiedenen Werken. Die Durchführung eines formalisierten unternehmensweiten Prozesssystems ist jedoch nicht der einzige Weg zur erfolgreichen Strategieumsetzung und zu Managementqualität: Viele KMU erreichen das gleiche Maß an Exzellenz durch solide Prinzipien wie Intelligenz, Disziplin, Pragmatismus und eine gesunde Dosis Opportunismus. Anders ausgedrückt: Schaffen Sie Ihr eigenes System auf möglichst einfache Weise, aber mit gesunder Logik und durch Einbindung und Ermächtigung Ihrer Mitarbeiter. Die zahlreichen KMU, die ebenfalls zu unseren IEA-Siegern gehören, dienen als Beweis, z. B. Steelcase, SEW, Hebel Malsch, BuS und Varta (beide in diesem Buch vorgestellt), Cherry oder Wemhöhner. Managementqualität ist eine Entscheidung und keine Anwendung eines Unternehmensprozesses.
1.6
Der Aufbau des Buches
Die kurze Zusammenfassung in Abschn. 2–4 beschreibt Management-Werkzeuge, mit denen Unternehmen wettbewerbsfähig und erfolgreich werden können – strategische Positionierung und internes Lernen sowie Umsetzungskompetenz. Wir wenden uns nun dem Aufbau dieses Buches zu, das die verschiedenen strategischen
22
1 Managementqualität und strategische Positionierung
Positionen von vorbildlichen Unternehmen darstellt. Abbildung 1.8 fasst die Kapitel aus dem Grundgerüst des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms zusammen. Eine reine Kostenwettbewerbs-Position ist bei europäischen Firmen selten und wurde auch von keinem unserer Siegerunternehmen eingenommen. Dennoch sind sämtliche beschriebenen Unternehmen bei den Kosten wettbewerbsfähig, sie „bleiben zumindest dran.“ Obwohl wir aus diesem Grund der Produktivität kein eigenes Kapitel gewidmet haben, führen alle hier besprochenen Firmen stetig Innovationen und Verbesserungen ein, um im Bereich Kosten nicht zurückzufallen. Die Kapitel konzentrieren sich auf die anderen drei Punkte des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms. Selbstverständlich ist keines der Unternehmen ausschließlich auf nur einen der vier Punkte fokussiert – sie alle sind in zwei oder drei Punkten gut aufgestellt und differenziert (aber keines in allen Punkten). Wir stellen die interessanteste und beachtenswerteste Ebene heraus, erwähnen dabei aber auch andere Ebenen, die zur Wettbewerbsfähigkeit der Firmenposition beitragen. Teil II dieses Buches, Kap. 2–4, beschäftigt sich mit der linken Seite des Diagramms. Kapitel 2 beschreibt eine Strategie bahnbrechender Innovationen am Beispiel der deutschen Firma Rational, die sich selbst das Ziel gesteckt hat, niemals in die Tretmühle der reifen Produkte zu kommen, und die versucht, ihre eigenen Produkte alle sieben Jahre veraltet zu machen, um sich von den Konkurrenten abzuheben. Kapitel 3 stellt den Fall Imaje vor, eine französische Firma, die bei Industriedruckern eine einmalige Position erreicht hat, indem sie ihre Kundennähe erhöht Kosten und Produktivität: Alle Kapitel
Differenzierung: • Innovation: Kapitel 2 (Rational) • Nähe zum Kunden und Dienstleistungen: Kapitel 3 (Imaje)
Die Umsetzung von Managementqualität: Industrial Excellence: Management Quality in Manufacturing, 2003
Geografische Reichweite: Kapitel 5 (Varta)
• Fokus: Kapitel 4 (BuS) Netzwerke: • Zusammenarbeit mit Partnern: Kapitel 6 (HP) • Lieferkettenpartner und Outsourcing: Kapitel 7 (Fujitsu Siemens) Offshoring: • Know-how aus dem „Niedrigkostenland“: Kapitel 8 (RDME) • Offshoring durch wertorientierte Dienstleister: Kapitel 9 (Zyme,Dyson)) Kapitel 10: Lehren für Unternehmen und Konsequenzen für den Dialog mit Politik, Bildungssystem und Gewerkschaften
Abb. 1.8
Der Aufbau des Buches in der Struktur des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms
1.6 Der Aufbau des Buches
23
hat und ihre Produkte mit Dienstleistungen ergänzt, die für die Kunden einen differenzierenden Wert besitzen. Kapitel 4 beschreibt BuS, ein mittelständisches Unternehmen aus Sachsen, das sich auf die Montage von Platinen in einer großen Bandbreite an kleinen Serien spezialisiert hat, die zu groß sind, um von den Kunden selbst hergestellt zu werden, und zu klein, um im Fernen Osten produziert zu werden. Diese Position in Kombination mit Kompetenz, Flexibilität und Zuverlässigkeit hat das Unternehmen im ehemaligen Ostdeutschland sehr erfolgreich gemacht. Teil III dieses Buches bietet Beispiele für die rechte Seite und den unteren Teil des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms und beschreibt Netzwerk-Strategien in verschiedenen Formen. Kapitel 5 diskutiert ein Beispiel für globale Positionierung, die einem mittelständischen Unternehmen die aufstrebenden asiatischen Märkte eröffnet. Es handelt sich dabei um den Mikrobatteriehersteller Varta aus Schwaben, der kontinuierlich in neue Technologien investiert. Die Firma stellt am heimischen Standort modernste Batterien her, einfachere Ausführungen in Ostasien für die dortigen, explodierenden Märkte. Früher verlegte das Unternehmen die Produktion hin und her, je nachdem, wo die Marktanforderungen am besten befriedigt werden konnten (Kosten gegen Reaktionsfähigkeit). Kapitel 6 zeigt, wie es dem Hewlett Packard Werk für Großsysteme in Herrenberg gelungen ist, durch enge Zusammenarbeit mit Partnern eine zusätzliche Größenordnung an Produktivitätsverbesserungen sowie zusätzliche Dienstleistungsangebote zu erbringen. Partnerschaften haben es der Firma ermöglicht, sich weiter zu verbessern, nachdem sie intern bereits an ihre Steigerungsgrenzen gestoßen war. Das Kundenserviceangebot großer Computersysteme mit für den Kunden bereits vorinstallierten speziellen Anwendungen wird meist von einem Firmennetzwerk und nicht nur von einer Firma bereitgestellt. Das Computerunternehmen HP dirigiert das Netzwerk, dominiert es aber nicht. Kapitel 7 stellt eine weitere Art von Netzwerkstrategie vor. So ist es Fujitsu Siemens gelungen, im ruinösen PC-Geschäft am kostenintensiven Standort Augsburg nicht nur zu überleben, sondern erfolgreich zu sein und Marktanteile zu gewinnen. Dazu war eine Kombination aus hohen Produktivitätssteigerungen (ein Beispiel für Mitarbeitermotivation und stetigen Verbesserungen durch interne Managementqualität) und kostenorientiertem Produktdesign sowie Auslagern von Nichtkerngeschäft an Servicelieferanten erforderlich. Teil IV des Buches beschäftigt sich mit der Diskussion über Offshoring, Standortverlagerungen, die wir im ersten Abschnitt dieses Kapitels bereits angeschnitten haben. Die Frage ist, ob Produktivitätssteigerungen in Betrieben Arbeitsplätze zerstören oder schaffen. Zunächst zeigen wir an einem Beispiel, dass der einseitige Abfluss von Arbeitsplätzen und Know-how – wenn er denn überhaupt stattfindet – in sogenannte Entwicklungsländer nur vorübergehend ist. Kapitel 8 beschreibt ein Beispiel für „umgekehrte Standortverlagerung“ aus einem sogenannten Entwicklungsland nach Frankreich: Die brasilianische Firma CVRD, einer der weltweit größten Produzenten natürlicher Ressourcen (Eisenerz, Kupfer, Mangan und andere Metalle) nutzte seine globalen Kompetenzen, um eine unrentable Manganschmelzerei bei Dünkirchen in Frankreich zu kaufen und in einen florierenden Betrieb umzuwandeln.
24
1 Managementqualität und strategische Positionierung
Dieses Beispiel zeigt, wie Know-how innerhalb eines globalen Unternehmens von einem Standort zum anderen fließen kann und dass die Europäer (und Amerikaner) kein Monopol auf Management-Wissen haben. Die sogenannten Entwicklungsländer zeigen Europa allmählich, dass sie zumindest in manchen Bereichen führend sind. Langfristig geht es um Spezialisierung und Wissensaustausch, und davon können alle Beteiligten profitieren. Kapitel 9 untersucht die Auswirkungen von Standortverlagerungen. Als Beispiele stellen wir Zyme Solutions vor, einen wertorientierten Dienstleister, der auf beiden Seiten des Pazifiks Arbeitsplätze schafft, sowohl in den USA als auch in Indien, sowie Dyson, eine britische Firma, die Offshoring als Produktionsstrategie einsetzt. Wir illustrieren, wie die Standortverlagerung, wenn sie strategisch und nicht einfach nur als Mittel zur Kostensenkung eingesetzt wird, einem Unternehmen in allen Aspekten des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms helfen und Wertschöpfung und Arbeitsplätze schaffen kann, sowohl in der Firma selbst als auch im eigenen Land. In Kapitel 10 leiten wir ab, was Führungskräfte aus diesen Beispielen lernen können. In aller Kürze: Führungskräfte müssen ihren Teil der Verantwortung für die Beschäftigung wahrnehmen, da niemand in einer strukturschwachen Umgebung erfolgreich sein kann. Die Unternehmen können diese Aufgabe nicht alleine bewältigen – Politiker, Ausbildungssystem und Gewerkschaften müssen ebenfalls ihren Beitrag leisten. Die Unternehmen müssen sich ihrer Verantwortung jedoch öffentlich stellen und sich stärker bemühen, mit den anderen Parteien zusammenzuarbeiten. Falls sie dies nicht tun, werden sie die öffentliche Debatte verlieren und von der Politik oder der Gesellschaft bestraft werden – denken Sie nur an die radikalen Nationalisierungsmaßnahmen, die im Mai 2006 in Bolivien verkündet wurden. Wenn das geschieht, wird jeder verlieren. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, es nicht so weit kommen zu lassen.
Teil II
Managementqualität, Innovation und Dienstleistungen
Kapitel 2
Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
Rational ist ein Beispiel für ein Unternehmen, für das Innovation und kontinuierliche Verbesserung die Eckpfeiler seiner Strategie bilden. Der Hersteller von professioneller Küchenausstattung strebt kompromisslos Verbesserungen bei sämtlichen Prozessen an und hat sich darüber hinaus das Ziel gesetzt, seine eigenen Produkte etwa alle sieben Jahre durch radikale Innovationen als technisch überholt erscheinen zu lassen. Das Ergebnis ist die weltweite Marktführerschaft für dieses mittelständische Unternehmen.
2.1 2.1.1
Die Rational-Methode Jeder kann kochen
Kochen im großen Maßstab ist mit der Essenszubereitung am heimischen Herd überhaupt nicht vergleichbar. Eine professionelle Großküche ist eine Auftragsfertigung oder ein chargeproduzierender Betrieb, in dem große Mengen an Lebensmitteln manuell bei gleichbleibender Qualität verarbeitet sowie schnell und effizient ausgeliefert werden müssen. Es kommt auf Disziplin und Teamarbeit an; das Personal ist teils großem Stress, teils der Langeweile geistloser Routinearbeiten ausgesetzt – so sieht zumindest die herkömmliche Vorstellung aus. Heutzutage setzen jedoch immer mehr Großküchen moderne Geräte ein, die einen großen Teil der manuellen Arbeiten übernehmen und sogar den Stress und die Besorgnis über Klümpchen in der Sauce oder zusammenfallende Soufflés vertreiben. Rational, ein mittelständisches Unternehmen aus Landsberg am Lech, ist einer der weltweit führenden Hersteller solcher professioneller Küchenausrüstung. Den meisten Menschen wird der Name unbekannt sein, da Rational keine Geräte für Privathaushalte herstellt. In der Catering-Branche kennt jedoch jeder die Produkte der Marke Rational. Bei professionellen Küchenchefs ist die Firma für ihr SelfCooking Center (SCC) und ihre Vario-Herde (auch bekannt als VarioCooking Centers oder VCC) berühmt.
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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2 Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
Rational ist aus mehreren Gründen ein bemerkenswertes Unternehmen, dabei überrascht in erster Linie die Tatsache, dass es nur über zwei Produktlinien verfügt. In vielen Branchen wäre dies eine riskante Strategie, doch handelt es sich bei dieser Branche nicht um einen unbeständigen Markt, der von wechselnden Launen und Moden geprägt ist. Die Menschen müssen essen, und in den Küchen muss gekocht werden, daher wird es stets eine Nachfrage nach Herden geben. Der Geschäftsführer von Rational, Dr. Günter Blaschke erklärt: „Wir haben kein Interesse daran, zig Produkte herzustellen, sondern nur ein oder zwei perfekte. Wir möchten der Michael Schumacher der Catering-Ausrüstung sein und uns in unserem eigen Kompetenzbereich hervortun.“ Die von Rational entwickelten Produkte sind ihren Wettbewerbern in Sachen Technologie, Qualität und Leistung voraus, und das spiegelt sich in der Marktdominanz des Unternehmens wider. Obwohl relativ klein – 2006 belief sich der Umsatz der Gruppe auf €284 Mio. – hält die Firma den Löwenanteil des Weltmarktes für Großküchenherde von etwa 52 %. Blaschke erläutert, dass das Erfolgsgeheimnis von Rational einfach darin liegt, dass man „besessen“ vom Endkunden ist. Kernpunkt der Firmenphilosophie ist die Notwendigkeit, jedem Mitarbeiter das Bewusstsein für das Kundenwohl einzuprägen, und das beginnt bereits in der Forschung & Entwicklung, die von den Rückmeldungen der Kunden gesteuert wird. „Unsere Produkte bieten den Kunden Lösungen, mit denen sie ihre Gewinne steigern, ihren Arbeitsbereich verbessern und die Zubereitungsprozesse vereinfachen können“, sagt Blaschke. Das Unternehmen wurde 1973 gegründet; mit der Einführung des SelfCooking Centers im Jahre 2004 – dem letzten Schrei bei arbeitssparender, supereffizienter und hohe Qualität sichernder Küchenausrüstung – revolutionierte es die Branche. Das SCC ist ein Hightech-Produkt mit einem elektronischen Kontrollsystem und integrierter internationaler Kochintelligenz und kann für eine breite Palette von Garund Backmethoden eingesetzt werden. Laut Aussage von Rational ersetzt diese einzige Einheit auf effektive Weise 50 % der herkömmlichen Küchengeräte und benötigt dabei weniger als die Hälfte des Platzes (Abb. 2.1). Der SCC-Prospekt lädt den Benutzer u. a. dazu ein, die Freude am Kochen wiederzuentdecken sowie Stress und Routineaufgaben zu vergessen – wer könnte dieser Versuchung widerstehen? In der Tat, mit dem SCC wurde der Kochvorgang auf die simple Eingabe des Gerichts und des gewünschten Garergebnisses, z. B. hell oder dunkel gebräunt und leicht oder stark durchgebraten, reduziert. Das Gerät kümmert sich um den Rest: Dank der Einprogrammierung von 40 nationalen Koch- und Essgewohnheiten, identifiziert es die Art des Gerichts, registriert Größe und Menge und berechnet auf dieser Grundlage automatisch den idealen Garvorgang für das gewünschte Ergebnis. Eine Schulung ist dem Prospekt zufolge „völlig unnötig … selbst ein Laie kann das SelfCooking Center problemlos benutzen … [und] perfekte Ergebnisse von stets gleichbleibender Qualität [erzielen].“ Schon bald danach kam das VarioCooking Center auf den Markt, eine noch vielseitigere Variante eines ähnlichen Selbstgarkonzeptes. Dieses Gerät – Kipper, Kochtopf und Friteuse in einem – wird von der französischen Tochterfirma von Rational, Frima, hergestellt (Abb. 2.2). Garzeit, Temperatur und komplexe
2.1 Die Rational-Methode
29
Abb. 2.1 Demonstration des SelfCooking Centers
Garvorgänge werden überwacht, und wenn menschliches Eingreifen erforderlich wird, z. B. das Drehen der Lammkeulen, dann ertönt ein akustisches Signal. Der gesamte Vorgang wird sekundengenau überwacht, um das exakte Garergebnis zu gewährleisten. Damit machen die Produkte von Rational zahlreiche herkömmliche Küchenfunktionen überflüssig und sind ein Segen für jeden Großküchenbetrieb. Kein Wunder, dass Fastfood-Ketten das SCC- und VCC-Konzept enthusiastisch aufgenommen haben. Und das gilt überraschenderweise auch für die Welt der haute cuisine, in der man eigentlich erwarten würde, dass Versuche, den Zubereitungsvorgang zu vereinfachen und zu automatisieren, auf Widerstand treffen. Dennoch sind SCC und VCC von Rational in den verschiedensten Küchen zu finden, wie z. B. in Fort Knox, im Buckingham Palast und im Kreml sowie in zahlreichen Gourmet Restaurants, auch in denen des viel gerühmten Paul Bocuse. Tagtäglich werden in Geräten von Rational weltweit mehr als 85 Mio. Mahlzeiten zubereitet. Etwa 80 % der Produkte gehen in den Export, hauptsächlich nach Europa, in die USA, nach Japan und China, und dieser Trend setzt sich fort.
2.1.2
Der Erfolg bis heute
Das Ziel von Rational, nur ein „perfektes“ Produkt herzustellen – eines bei Rational und eines bei FRIMA – statt einer Palette diversifizierter Produkte, führt dazu,
30
2 Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
Abb. 2.2 Demonstration des VarioCooking Centers
dass sich die gesamte F&E auf einen sehr eng gefassten Bereich konzentriert. Das Ergebnis ist eine hochmoderne Maschine mit einer kontinuierlich überarbeiteten und aktualisierten Technologie. Ohne eine weitere Produktlinie zur Streuung des Risikos muss die Firma Rational sicherstellen, dass ihre Produkte in jeglicher Hinsicht der Konkurrenz mindestens einen Schritt voraus sind. Rational ist überzeugt, durch die ausschließliche Konzentration auf ein Produkt und auf ein Kundensegment einen fünf- bis siebenjährigen Vorsprung auf die Wettbewerber erreicht zu haben. So lange das Unternehmen seine Führungsposition behauptet, kann es damit rechnen, durch treue und zufriedene Kunden belohnt zu werden, die Verkaufszahlen und die Rentabilität zu erhöhen sowie – so hofft man – den Vorsprung vor dem nächsten Konkurrenten zu vergrößern. Rational hat bereits zweimal am IEA-Wettbewerb teilgenommen: 2002 erhielt das Unternehmen den zweiten Preis für seinen schlanken „One-Piece Flow“ (kontinuierlichen Fertigungsfluss) in der Produktion und seine Innovationsfreude. 2006 wurde Rational zum Gesamtsieger gekürt aufgrund seines schlanken Managements und seiner kontinuierlichen Verbesserungsphilosophie, die in sämtlichen Unternehmensbereichen, auch in der internen Verwaltung, zum Einsatz kommt, sowie aufgrund seiner wiederholten bahnbrechenden Innovationsfähigkeit. Innerhalb der letzten sechs Jahre ist das Unternehmen um mehr als 50 % gewachsen; zwischen 2001 und 2006 (neueste verfügbare Kennzahlen) stieg der Umsatz von €167 Mio. auf €284 Mio. Das jährliche Wachstum über die letzten zehn Jahre lag durchgehend bei 10–15 %, und im Geschäftsbericht für 2006 verkündete das Unternehmen ein unverhältnismäßiges Wachstum in neuen Märkten: „Die übliche Rangfolge gilt noch immer für die wirtschaftlich stärksten Länder der Welt: an erster Stelle die USA, an zweiter Stelle Japan und an dritter Stelle Deutschland. Allerdings hat nun China Frankreich und Großbritannien überholt.“ Als Schlüssemärkte für zukünftiges Wachstum hat Rational China, die USA, Japan, Indien und Russland
2.2 Die Strategie
31
ausgemacht. Dennoch gibt es auch auf dem heimischen Markt Deutschland keinerlei Anzeichen für eine Verlangsamung. 2006 verkaufte das Unternehmen mehr als 5.800 Geräte, und mit immer noch zweistelligen Wachstumsraten bleibt Deutschland der Markt mit den absolut stärksten Verkaufszahlen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2007 verkaufte Rational für €236 Mio. – das sind 19 % mehr als im letzen Jahr (€199 Mio.). Im dritten Quartal 2007 stiegen die Verkäufe um 19 auf €82 Mio. an.
2.2
Die Strategie
2.2.1
Die Kernkompetenzen kennen
Alle erfolgreichen Hersteller können ihre Märkte ziemlich klar definieren, viele haben jedoch mehr als ein Eisen im Feuer. Rational allerdings nicht – die Firma ist stolz darauf, sich voll und ganz auf eine zentrale Funktion zu konzentrieren: das menschliche Grundbedürfnis, auswärts essen zu gehen. Diese Definition der eigenen Rolle ist im Geschäftsbericht für 2006 klar formuliert: Unsere Kernkompetenz ist die Übertragung von Wärmeenergie auf Lebensmittel aller Art. Wir verstehen uns daher in erster Linie nicht als Maschinenbauer, sondern als innovativer Problemlöser für unsere Kunden.
und: Wir sind Spezialisten, weil wir wissen, dass wir unserer klar umrissenen Zielgruppe am wirkungsvollsten und deutlichsten dadurch dienen, dass wir uns mit all unseren Kräften auf ein wichtiges und zentrales Bedürfnis dieser Zielgruppe konzentrieren und ihre Probleme in bester Weise – besser als andere – lösen! … Von unserem Know-how als Spezialisten beabsichtigen wir, mehr Wert für den Kunden zu schaffen, was wiederum mehr Kundenakzeptanz und Loyalität schafft – es ist eine positive Spirale.
Diese Zielgruppe umfasst Profiköche, und da die Firma der Ansicht ist, dass ihre Mitarbeiter in der Lage sein sollen, sich in die Kunden hineinzuversetzen, sind sämtliche Vertriebskräfte ebenfalls ausgebildete Köche. Die von Rational eingestellten, geschulten Köche sollen nicht nur die Produkte verkaufen, sondern auch bei deren Design und Entwicklung mitwirken. So übernehmen Physiker die grundlegende Forschung, und Konstruktionsingenieure arbeiten am Produktdesign, doch für das Erforschen der praktischen Anwendungen und das Zuschneiden auf die „operative Welt des Kunden“ ist ein Team aus Köchen, Lebensmittelingenieuren und Ernährungswissenschaftlern zuständig. Rational pflegt engste Beziehungen zu seiner Zielgruppe und möchte auf diese Weise ein Teil ihrer „Welt“ werden, in der Hoffnung, dass dieses Engagement mit Kundenloyalität belohnt wird. Diese intime Kenntnis der Kunden ermöglicht es Rational, den potentiellen Markt sehr genau zu quantifizieren und die Wachstumsstrategie präzise zu planen. Das Unternehmen schätzt den potentiellen Markt auf 2,5 Mio. Kunden, von denen erst
32
2 Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
500.000 Kombi-Gargeräte verwenden. Damit hat Rational eine klare Vorstellung von seinem Wachstumspotential und verfolgt eine deutliche Strategie, um dieses auszuschöpfen.
2.2.2
Den Kunden erreichen
Während des größten Teils seiner Firmengeschichte verfolgte Rational die gängige Marketingstrategie der Kundenakquisition und des Entwickelns von Neugeschäft, seit 2006 konzentriert sich das Marketing zudem auf einen weiteren Aspekt – die Stärkung der Bestandskundenloyalität. Für einen Außenstehenden mag der Wunsch, die Loyalität eines bereits treuen Kundenstamms noch weiter zu erhöhen, als Zeitverschwendung zu erscheinen. Für die Firma Rational, die nur über eine Produktlinie verfügt, ist es jedoch alles entscheidend, der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Und das erreicht man am besten dadurch, dass die hoch zufriedenen Kunden stets das eigene Produkt bevorzugen und in wachsendem Maße ihren Kollegen in anderen Großküchen weiterempfehlen. Aus diesem Grund ist die Firma stets bemüht, die Beziehungen zu ihrer Kundenbasis zu intensivieren. 2006 beauftragte Rational das Marktforschungsunternehmen TNS Infratest mit einer unabhängigen Kundenzufriedenheitsstudie. Das Ergebnis war ein „überwältigendes Vertrauensvotum unter den SelfCooking Center Kunden“ mit Rational unter den Top 10 % der besten deutschen Unternehmen aus allen Branchen. Das SelfCooking Center erhielt den höchsten Kundenzufriedenheitswert überhaupt: 96 Indexpunkte, wohingegen der Wert bei potentiellen Kunden, die ein Konkurrenzprodukt benutzen, lediglich 23 Indexpunkte betrug. Die Schlussfolgerung der Studie lautete, dass Kunden bis zu viermal mehr vom SelfCooking Center als von einem Kombi-Gargerät der Konkurrenz profitieren, und das bei einem ähnlichen Einkaufspreis. Die Infratest-Studie identifizierte 84 % der Besitzer eines SelfCooking Centers als „Apostel“ – loyal, zufrieden und gerne bereit, das Produkt weiterzuempfehlen. Dieser Wert war fast doppelt so hoch wie der Durchschnittswert aus einer branchenweiten Studie von Infratest. Diese zufriedenen Kunden seien die besten Vertriebsmitarbeiter von Rational und müssten gehegt und gepflegt werden, begründet das Unternehmen. So rief Rational 2006 einen Club Rational ins Leben, einen Online-Club für die 150.000 „Apostel“ der Firma weltweit. Der Club Rational ist eine internetbasierte Plattform, auf der die Kunden als Teil einer elitären Gemeinschaft von SelfCooking Center Benutzern Ratschläge finden und Ideen austauschen können. Rezepte, ein technischer Informationsschalter und andere sofort zugängliche Einrichtungen werden ergänzt durch greifbarere Vorteile, wie z. B. ein kostenloses SelfCooking Center Seminar, in dem die Benutzer lernen, ihre Geräte optimal zu nutzen. Mit einem geschätzten Weltmarktanteil von 52 % liegt die größte Herausforderungen für Rational im Erhalt dieser Marktführerschaft. Aufgrund der hohen Marktdurchdringung des Unternehmens haben seine Kunden leicht das Gefühl,
2.2 Die Strategie
33
kaum eine andere Wahl zu haben als Rational-Produkte zu kaufen, und eine solche Wahrnehmung kann negative Empfindungen gegenüber der Marke erzeugen. Es handelt sich hierbei um verbreitetes Phänomen – bestes Beispiel ist die weit verbreitete Kritik gegenüber dem Softwaregiganten Microsoft, der nach Ansicht vieler seine nahezu monopolistische Position im Computerbereich missbraucht. Rational sind noch nie wettbewerbsfeindliche Geschäftspraktiken vorgeworfen (und erst recht noch nie rechtliche Schritte angedroht) worden, dennoch ist das Unternehmen empfindlich gegenüber der öffentlichen Wahrnehmung seiner Marktdominanz. Es ist damit sehr klug umgegangen, indem es eine Multi-Marken-Strategie für seine Produkte entwickelt hat. Rational verwendet Dutzende verschiedener Namen zur Durchdringung der Überseemärkte; so werden beispielsweise in Frankreich Rational-Produkte unter dem Namen Frima vertrieben, in Europa unter Metos und in Japan unter Fujimak. Mit dieser Strategie verleiht sich das Unternehmen nicht nur ein vielfältiges Image, sondern sorgt auch für mehr Bewegung auf dem Markt und eröffnet sich neue Marktsegmente.
2.2.3
Das Produkt aufbauen
Der Standort Landsberg von Rational besteht aus zwei Werken; in einem werden die Komponenten produziert, in dem anderen die Herde montiert und endgefertigt. Während des Montageprozesses ist für jeden einzelnen Herd ein einziger Mitarbeiter verantwortlich, vom eingehenden Auftrag bis zum fertigen Produkt, das drei Tage später mit dem Namensschild des Mitarbeiters das Werk verlässt. Es handelt sich um einen schlanken Produktionsprozess, der physisch in vier Fertigungsstraßen abläuft, eine für jede Hauptproduktvariante, mit einem hohem Maß an Flexibilität, um Anpassungen an Kundenwünsche zu erlauben. „Jeder Montagebereich ist für sein Lager und seine Kapazitätsplanung selbst verantwortlich, je nachdem, welche Aufträge eingehen“, erklärt der technische Direktor, Peter Wiedemann. Die Namensschilder an den einzelnen Produkten erleichtern nicht nur die Rückverfolgbarkeit und Qualitätskontrolle, sondern erhöhen auch die Motivation des Mitarbeiters, sich mit dem Produkt zu identifizieren und auf die Herstellung stolz zu sein. Der Aufbau der Fertigungslinie ist auch ein klassisches Beispiel für eine Aufschubstrategie („postponement“), die dazu dient, auf individuelle Kundenwünsche einzugehen. Im Laufe des Montageprozesses erhöhen sich die Varianten von anfänglich 24 auf fast 1.000. Trotz dieses hohen Maßes an Flexibilität und Variation reduziert das Mitarbeitersystem das Risiko von Produktfehlern erheblich, so dass Rational im Jahre 2005 nur 30 fehlerhafte auf eine Million Teile (ppm) verzeichnete. Schlüsselkomponenten für die Produktpalette werden von 148 europäischen Lieferanten nach einer maximalen Frist von sieben Tagen nach abgegebener Bestellung bezogen. Die Lieferkette ist nicht nur in erster Linie regional, sondern auch langfristig, und Rational arbeitet eng mit seinen Lieferpartnern zusammen, um Produktspezifikation und Lieferaufbau zu optimieren. Die Lieferanten werden nach
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2 Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
einer Reihe von wichtigen Leistungsindikatoren bewertet. Diese Daten werden für die jährliche rückblickende Lieferanteninspektion verwendet und der Lieferkette mitgeteilt. Gemeinsam mit seinen Lieferanten versucht Rational, Probleme, die bei diesem Rückblick entdeckt werden, zu lösen, und veröffentlicht einen vierteljährlichen Nachrichtenbrief, um die Lieferanten über allgemeine Produktionsfragen zu informieren. Als Firma mit einer geringen vertikalen Integration ist der Erfolg von Rational in hohem Maße von der Qualität, Zuverlässigkeit und Produktivität der Lieferanten abhängig. Anstatt auf niedrigere Einkaufspreise zu drängen, was häufig zu teuren und risikoreichen Lieferantenwechseln führt, arbeitet Rational partnerschaftlich mit seinen Schlüssellieferanten zusammen, um gemeinsame Ziele zu erreichen und Produkte bei Bedarf umzukonstruieren. Im Zuge seiner Unternehmensphilosophie der kontinuierlichen Verbesserung wird die Produktentwicklungsstrategie von Rational alle sechs Monate im Hinblick auf das Kundenfeedback (oder „Anwendungsberatung“), das vom Vertriebsund Marketingteam gesammelt wird, überprüft. „Es ist die Verbindung zwischen Anwendungsberatung und Produktmanagement, die Ideen für eine kontinuierliche Verbesserung liefert“, meint Blaschke. Ziel ist es, einen stetigen Fluss an neuen Ideen zu erzeugen, so dass die ursprünglichen Produkte alle sieben Jahre veraltet sind. „Wir führen regelmäßig Kundenzufriedenheitsbefragungen durch und klären dann alles mit Kundenbetreuung und Anwendungsberatern ab. Wir fragen den Kunden stets nach Ideen für Produktveränderungen und modifizieren kontinuierlich sämtliche Prozesse, denn es reicht nicht aus, nur das Werk zu modifizieren – sämtliche Prozesse müssen dabei ebenfalls Schritt halten“, sagt Blaschke. Durch Entwicklung und Modifizierung wird ein neues Produkt in den ersten zwei oder drei Jahren nach seiner Einführung noch in vielen Bereichen verbessert, danach sind weitere Entwicklungsversuche jedoch kaum noch rentabel. Nach sechs von sieben Jahren hat ein Produkt seine optimale Entwicklungsstufe erreicht; danach wäre ein „Quantensprung“ in Sachen Produktinnovation erforderlich, um den Markt wiederzubeleben, die Kundentreue zu stärken und der gewünschten Wachstumskurve zu folgen. „Wir dürfen niemals in eine Marktsättigung geraten“, meint Blaschke. Rational verfügt über eine Abteilung für angewandte Forschung mit 25 Mitarbeitern, eine 25-köpfige Produktentwicklung, eine Anwendungsberatungsgruppe, die das Verkaufsteam bei komplizierten kundenspezifischen Anpassungsproblemen berät, sowie Produktmanager, die für das Marketing zuständig sind. Die Leiter dieser Abteilungen treffen sich zweimal pro Jahr, um über die Strategie zu diskutieren. Quantensprung-Innovationen sind nur dann möglich, wenn das Management anspruchsvolle Ziele definiert. Ausgangspunkt für die anfängliche Idee des SelfCooking Centers war die vom Management-Team vorgegebene und notwendige Richtung zu mehr Vereinfachung. Blaschke: „Unsere alten Produkte hatten immer mehr Einstellskalen und Parameter; sie überforderten die Kunden und waren schwer zu bedienen. Wir mussten einen Weg finden, um neue Trends und Muster zu erkennen und in die Geräte zu integrieren.“ Die Vision war „eine Maschine mit nur einem Schalter“. Die Köche waren zunächst äußerst skeptisch – das sei unmöglich, niemand kenne die Muster der haute cuisine. Doch das Management blieb beharrlich. Daraufhin
2.3 Führungsstärke
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führte die Forschungsabteilung über ein ganzes Jahr Tests durch und registrierte die Garmethoden und Ergebnisse aus Hunderten Probeläufen im Labor. Und sie stieß dabei auf Muster! Zur Auswertung legte man eine Datenbank an mit einem multi-dimensionalen Raum der Parameter Temperatur, Feuchte, Druck, Gradient, Wärmestrahlung usw., so wie bei den Kontrolloberflächen im Motormanagement der Automobilindustrie. Schließlich wurden Software-Spezialisten angestellt, um dieses Know-how in eine Kontrollsoftware für ein intelligentes Cookingcenter zu übersetzen. Da das Gerät jetzt softwaregesteuert war, wurde auch die Benutzung der Hardware einfacher. Am Ende hatte man die Ein-Schalter-Lösung nicht erreicht. Auch das ursprüngliche Ziel, 26 % bei den Hardware-Kosten einzusparen, wurde nicht erreicht. Dennoch war das Gerät für den Kunden viel einfacher zu bedienen, flexibler und funktioneller, und die Kostenersparnis betrug immerhin 23 %. Die ursprüngliche Management-Vorgabe hatte die Forschung & Entwicklung dazu gezwungen, ihre alten Prämissen aufzugeben und eine Maschine zu entwickeln, die eigentlich als unmöglich galt. Um diesen Punkt zu erreichen, muss man unerbittlich sein. Wann immer ein Mitarbeiter sagte, er könne dies nicht, antwortete das Management: „Warum? Was hält Sie davon ab? Welche Alternativen gibt es? Wenn das nicht funktioniert, gibt es etwas anders, was funktionieren könnte?“ Durch diese Vorgehensweise ist im Laufe der Zeit eine Kultur entstanden, in der sich jeder voll einbringt und niemand aufgibt. Fast immer wird irgendein Weg zur Lösung des Problems gefunden, und die Mitarbeiter finden es gut. Zur Zeit denkt das Innovationsteam über den nächsten Durchbruch nach. Wir können nicht sagen, worum es sich handelt, aber es gibt erneut eine ManagementVorgabe, die eine erkennbare Revolution des Kundenalltags anstrebt und zu einer erheblichen Wertsteigerung führen könnte.
2.3
Führungsstärke
Das System funktioniert, weil es nicht nur gemanagt, sondern geführt wird. Wir entwickeln unsere Mitarbeiter so, dass sie Dinge leisten, die keine andere Firma kann. Kopiere nie das, was andere tun. – Günter Blaschke
Der Geschäftsführer Dr. Günter Blaschke, der Technische Direktor Peter Wiedemann und der Finanzdirektor Erich Baumgärtner leiten die Firma Rational gemeinsam. Sie haben benachbarte Büros und schauen mehrfach am Tag bei den anderen herein, um informell zu koordinieren. „Hier gibt es keine Mauern“, sagt Blaschke. Peter Wiedemann ist „Mr. One-Piece Flow“, der Mann hinter der allumfassenden schlanken Management-Philosophie von Rational, die in der Produktion begann und erfolgreich in sämtlichen Prozessen eingeführt wurde, auch in der Verwaltung. Erich Baumgärtner ist seit 1998 Finanzchef bei Rational und brachte von
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2 Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
seiner vorherigen Stellung bei Digital Equipment große internationale Erfahrung in Finanz- und Verwaltungsfragen mit. Günter Blaschke kommt aus dem Marketingund Vertriebsbereich. Er kam 1997 vom Heizkesselproduzenten Vaillant zu Rational und wurde 1999 Geschäftsführer. Bei seinem Einstieg war die Firma erfolgreich und rentabel, hatte jedoch eine Stufe erreicht, auf der das zukünftige Wachstum von Selbstzufriedenheit bedroht war. Die Kunden schienen mit dem Produkt zufrieden zu sein, und die Verkaufsförderung wurde diffus. „Als ich hierher kam und den deutschen Vertrieb sah, saßen sie alle in ihren Büros, hatten eine Sekretärin, erledigten einen Kundenanruf pro Tag und konnten nicht einmal das Produkt erklären. Ich bestand auf fünf Besuchen pro Tag“, erzählt Blaschke. Sein neues Regime war ein Schock für das System: Sie versuchten, durchzuhalten und sogar die Kunden gegen mich zu mobilisieren – ich habe sie darunter leiden lassen. Sie handelten mit mir, dann gaben sie auf – der Druck war einfach zu groß. Schließlich schauten sie sich um und erkannten, dass sich die Dinge verbessert hatten. Sie schöpften Motivation, und schnell wurde alles besser. Jetzt glauben sie daran, dass Veränderungen Verbesserungen mit sich bringen. Wenn wir mit den Veränderungen aufhören, werden sie nervös … Keine Kompromisse. Wir diskutieren, bis wir uns auf eine gute Kundenlösung einigen. Vertrauen.
Die lustlose Vertriebsmannschaft, die Blaschke bei seinem Firmeneinstieg vorfand, gibt es nicht mehr. Die interne Organisation von Rational und das Ethos, dass jeder individuelle Verantwortung für das Produkt trägt, sind mittlerweile tief in der 150-köpfigen Vertriebsabteilung verwurzelt und werden eng von der Firmenleitung überwacht. Jeder Vertriebsleiter erhält eine monatliche Klassifizierung, die von der Anzahl der Kundenbesuche, den abgeschlossenen Verträgen und den potentiellen Neukunden abhängt. „Damit können wir jede Veränderung in einem bestimmten Marktbereich schnell ausmachen und unsere Strategie entsprechend anpassen“, sagt Blaschke. Rational ist davon überzeugt, dass „Unternehmensqualität Mitarbeiterqualität bedeutet“ und fördert daher vielversprechende Mitarbeiter durch einen Nachfolgeplanungsprozess. Ein stark strukturiertes System mit jährlichen Bewertungen, Zielfestsetzungen und Leistungsbewertung ermöglicht es dem Unternehmen, die Mitarbeiter auszumachen, die eine Förderung verdienen und auch wollen. Blaschkes anfängliche kompromisslose Haltung gegenüber seiner Vertriebsmannschaft hätte auch schief gehen können, denn demotivierte und widerwillige Mitarbeiter sind noch gefährlicher als faule und lustlose. Da er jedoch ein klares Bild der Zukunft und der Vorteile für die einzelnen Vertriebsmitarbeiter zeichnete, sich selbst tief in den Veränderungsprozess einbrachte und schließlich auch das Management-Team veränderte, wurde das Risiko handhabbar. Was noch vor einem Jahrzehnt als Konfrontationskurs und negativ gegolten hätte, brachte nun schnelle Ergebnisse und Belohnungen für die Mitarbeiter von Rational. Die persönliche Entwicklung ist ein Kernpunkt der Unternehmensphilosophie, und die Möglichkeit, zu wachsen und neue Fertigkeiten zu erlernen, wird auf sämtliche Mitarbeiter ausgedehnt. „Wir ziehen unsere Mitarbeiter ständig nach oben; wer sich
2.3 Führungsstärke
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weiterentwickeln möchte, bekommt auch die Gelegenheit dazu. Wir bieten den Leuten jede zielgerichtete Aus- und Weiterbildung, die sie benötigen“, sagt Blaschke. Er glaubt, dass die Qualifikationen und das Know-how der Mitarbeiter den wertvollsten Aktivposten der Firma bilden, und das erklärt den Stellenwert der Weiterentwicklung in der Unternehmensphilosophie. „Führen ist mehr als managen“ lautet das Firmencredo. Führen bedeutet auch, Raum für die Mitarbeiter zu schaffen, um Innovation zu fördern, ein Vorbild zu sein, Vertrauen aufzubauen, konsequent zu sein und der Organisation zu dienen (nicht sie zu beherrschen). So wie Rational lieber Verkäufe durch Ermutigung „einfährt“ anstatt den Kunden die Produkte „aufzudrücken“, so hält es die Firma auch mit ihren Mitarbeitern, indem sie den Wunsch nach persönlicher Karriereentwicklung und dem Aufbau neuer Fertigkeiten fördert. Und so wie einzelne Mitarbeiter im Werk persönliche Verantwortung für das Produkt übertragen bekommen, so erwartet man von den Managern der Firma, dass sie ihre Mitarbeiter motivieren und ihnen als Vorbild dienen. Für die Führungskräfte von Rational lautet die Maxime: „Nur wenn man führt und dabei selbst als gutes Beispiel vorangeht, werden einem die Mitarbeiter langfristig folgen.“ Neben dem Führungsmodell fördert das Management-Team eine kontinuierliche Verbesserungskultur in jedem Unternehmensbereich. Jeder hat einen Lieferanten, einen Prozess, für den er oder sie verantwortlich ist, und einen Kunden. So sind beispielsweise die Finanzchefs der Ländervertriebsorganisationen die Lieferanten des Controllers, dessen Prozess die Erfassung, Datenbearbeitung, Standardisierung und Erstellung der erforderlichen Berichte umfasst. Seine Kunden sind der Geschäftsführer, der Vorstand, Analysten und jeder, der die Daten zur Entscheidungsfindung benötigt. Jeder ist dafür verantwortlich, den Wert seines individuellen Prozesses für seine Kunden zu steigern. Folglich sucht jeder nach guten Ideen und Ideenquellen (einschließlich der Endkunden), und es gibt keinerlei Komitee-Entscheidungen. Sämtliche abteilungsübergreifenden Kompromisse werden von den betreffenden Abteilungsleitern verhandelt, die alle wissen, dass sie vorankommen müssen, und die nicht nur ihre eigenen Bereiche kennen. Kann ein Konflikt von den Prozessverantwortlichen nicht gelöst werden, gibt es keine durch ein Komitee verwalteten Standardregeln – Konflikte laufen die Treppe hinauf bis zum Geschäftsführer, zum Technischen oder zum Finanzdirektor, welche die Verantwortlichen zu einer Lösung zwingen und ihnen klar machen, dass sie im Interesse des Kunden lernen müssen, kollektiv zu handeln statt sich in den Haaren zu liegen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine äußerst schlanke Umsetzung der Geschäftsstrategie, die so auf persönliche Art und Weise vom Vorstand über dessen Management-Team weitervermittelt wird. Bei jedem Prozess stellt Rational eine Rangliste der besten Leistungen auf, wie bei einem Sportwettkampf. Eine Controllerin beispielsweise unterstützt zwei Länder bei der Erstellung ihres Jahresgeschäftsberichts (sie beherrscht die Sprachen) und diskutiert den Inhalt von Geschäftsfragen mit den Managern. Dies wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Als Ergebnis der konstanten Veränderung definieren die Mitarbeiter nach einer Weile die Grenzen ihres Arbeitsplatzes neu. „Wir ziehen unsere Mitarbeiter ständig nach oben. Wenn sie sich weiterentwickeln
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2 Rational: Innovation und revolutionäre Produkte
möchten, geben wir ihnen die Gelegenheit dazu. Wir bieten den Mitarbeitern jede Weiterbildung, die sie für den nächsten Schritt benötigen.“
2.4
Partner und Dienstleistungen
Bisher haben wir uns beim Beispiel Rational auf Innovation und die kontinuierliche Verbesserung schlanker Prozesse konzentriert. Diese Hervorhebung der Bedeutung leistungsfähiger Produkte und Prozesse bedeutet jedoch nicht, dass Rational die anderen Ecken des Wettbewerbsfähigkeits-Diagramms, die in Kap. 1 dargestellt sind, außer Acht lässt. Zum einen ergänzt Rational seine Produkte mit Dienstleistungsangeboten. Eine schlanke Serviceorganisation reagiert schnell auf Reparatur- und Wartungsbedarf und kümmert sich ganz allgemein um den Kundendienst. Während der (angestrebten siebenjährigen) Lebenszeit einer Technologiegeneration werden wiederholt und kostenfrei Softwareupgrades zur Verfügung gestellt. Genau wie bei einem PC kann auch das elektronische Gehirn des SelfCooking Centers nachgerüstet werden, und Mitglieder des Clubs Rational sind kostenlos zu regelmäßigen Upgrades berechtigt. Sie fordern einfach nur einen USB-Stick an, laden die Software herunter, und schon ist ihr Gerät mit den neuesten Spezifikationen ausgerüstet. Auch diese regelmäßigen Upgrades fördern die Kundenloyalität und erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Wiederholungskaufs. Zum anderen steigert Rational sein Wachstum mit Hilfe von Partnern. Während die Köche, die Kochveranstaltungen organisieren, Mitarbeiter von Rational sind, erfolgt der Vertrieb über ein Netzwerk von örtlichen Händlern. Nach jeder Kochveranstaltung erfolgt innerhalb der folgenden sechs Monate von durchschnittlich 50 % der Teilnehmer eine Bestellung, die an einen Händler geht. Die Händler fühlen sich durch die Maßnahmen von Rational gut unterstützt und sorgen für weitere Verkäufe (ohne die erheblichen Investitionen in eine ausgewachsene interne Vertriebsabteilung); gleichzeitig entwickelt Rational eigene direkte Kontakte zu Kunden durch die o. g. gezielten und wirkungsvollen Kochveranstaltungen. Darüber hinaus führt das Unternehmen regelmäßig Kundenzufriedenheitsstudien durch, die seine Kenntnisse über die Kunden und seine Kundenbeziehungen weiter stärken.
2.5 Ausblick in die Zukunft Beim Blick auf die zukünftige Entwicklung formulieren viele Unternehmen ihre Prognosen im Hinblick auf äußere Einflüsse. Ihr Ausblick ist abhängig von vorherrschenden Bedingungen und Marktfluktuationen sowie Umbrüchen auf den Weltmärkten. Für manche spiegelt diese Sicht einfach eine vorsichtige Geschäftseinstellung wider, die für Rational charakteristische Unternehmensphilosophie verfolgt jedoch einen ganz anderen Ansatz. Rational geht von der Annahme aus, dass
2.5 Ausblick in die Zukunft
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der einflussreichste Faktor auf das zukünftige Unternehmenswohl seine Fähigkeit ist, den technologischen Abstand zu seinen Konkurrenten zu vergrößern und sich ganz auf die Bedürfnisse seines einzigen definierten Kunden – die des Profikochs – zu konzentrieren. Nachdem das Unternehmen die Größe des Weltmarkts identifiziert hat, braucht es „nur“ die Zufriedenheit seiner Kunden zu pflegen und Jahr für Jahr die einzigartige Vorteilsbotschaft an weitere potentielle Kunden zu verkünden, um seine prognostizierte Wachstumskurve einzuhalten. Mit einem Wachstum von je 15 % bei Verkauf und Ertrag vor Steuern erwartete Rational 2007 einen Bruttogewinn von €93 Mio. „Ich sehe keine Grenzen bei dieser Art von organischem Wachstum“, meint Blaschke. „In einem Bereich, in dem noch immer so viel zu tun ist, bleibt uns nichts anderes übrig als zu wachsen. 80 % des potentiellen Weltmarkts, also etwa 2,5 Millionen Küchen, haben wir noch gar nicht erreicht.“ Die langfristigen Geschäftsaussichten streben einen Umsatz von €1 Mrd.innerhalb der nächsten zehn Jahre durch organisches Wachstum an. Rational zufolge sollte man Verkaufs- und Gewinnwachstum nicht mit dem Wachstum der Unternehmensgröße verwechseln. „Wir möchten keine große Firmenstruktur; wir möchten den Pioniergeist erhalten und teilen daher die Organisation im Zuge des Wachstums auf“, sagt Blaschke. In der Regel gibt es bei Rational Teams mit maximal 250 Mitarbeitern pro Einheit. „Wir möchten eine Flotte von kleinen, schnellen Booten bleiben – jedes mit seiner eigenen Verantwortung und keiner Möglichkeit, seine Schwächen zu verbergen. Von jedem wird erwartet, seine Leistung zu steigern und seine optimierten Verfahren mit den anderen zu teilen“, meint Blaschke. Dennoch bedeutet das Wachstum die Herstellung und den Verkauf von immer mehr SCC und VCC, und da die beiden Werke in Landsberg mittlerweile ihre Kapazitätsgrenze erreicht haben, wird zur Zeit ein drittes Werk an diesem Standort gebaut. Das neue, 45.000 m2 große Werk soll ein Wachstum auf das Doppelte der derzeitigen Produktionskapazität ermöglichen, und im Hinblick auf zukünftiges langfristiges Wachstum besteht eine Option auf weitere 31.000 m2. Mit einer Investitionssumme in Höhe von etwa €20 Mio. bedeutet das neue Werk die größte Kapitalinvestition in der Firmengeschichte. Es soll Mitte 2008 in Betrieb genommen werden und bietet 100 neue Arbeitsplätze. Dank der Anwendung von prozessgesteuertem Denken in F&E, Vertrieb, Marketing, Produktion, Kundendienst, Lieferketten-Management, Produktentwicklung und Verwaltung ist Rational in der Lage, ein hohes Maß an Kundenwert und eine hohe Nachfrage nach seinen Produkten zu schaffen. Dies treibt die langfristigen Gewinnwachstumserwartungen des Unternehmens voran, während der Weg zu diesem Ziel durch kontinuierliche Verbesserungsstrategien frei gemacht wird. Es ist bemerkenswert, in welchem Maße Rational durch technische Innovationen Kundenanforderungen erfüllt, und das zeigt sehr überzeugend, wie erfolgreich die Philosophie, selbst Teil der Welt des Kunden zu werden, sein kann. Das langfristige Ziel, weitere 2,5 Mio. potentielle Kunden zu erreichen und innerhalb der nächsten zehn Jahre einen Umsatz von 1 Mrd. Euro zu erzielen, erfordert die hartnäckige Befolgung von Blaschkes Streben nach kontinuierlicher Verbesserung. „Wenn sie am Ende ist, dann bist du auch am Ende“, meint er. „Wir werden die Spannung aufrechterhalten – kein Zurücklehnen, kein Auf-die-leichte-Schulter-Nehmen.“
Kapitel 3
Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
Kapitel 3 präsentiert eine Innovationsstrategie mit einem neuen Aspekt. Es beschreibt, wie sich die Firma Imaje von einem Technologiehersteller von Druckern für Kennzeichnungsmarkierungen auf Päckchen und Paketen zu einem Anbieter von Komplettlösungen für seine Kunden entwickelt hat. Sich bei seinen Innovationen ganz auf den Kunden zu konzentrieren, erscheint naheliegend, aber diese Art von Entwicklung erfordert viel Zeit und Mühe. Im Falle von Imaje mussten dazu in einem strukturierten Ansatz Produkt- zu Servicelinien erweitert werden, insbesondere durch den Ausbau von Produktmarkierungs- zu DatenzurückverfolgbarkeitsLösungen und durch die Vernetzung von Forschung & Entwicklung mit Produktion und Vertrieb mit Kundendaten.
3.1 3.1.1
Umwandlung durch kundenorientierte Dienstleistungen Der Geschäftsbereich Kennzeichnungslösungen
Wann haben Sie wohl zuletzt das Endprodukt der Technologie von Imaje gesehen? Vermutlich, als Sie das Mindesthaltbarkeitsdatum auf einem Becher Danone-Joghurt überprüft oder den gedruckten Versandklebezettel ihres letzten Internetkaufs aufgerissen haben. Imaje stellt die Drucker her, die von Herstellern zum Kodieren oder Kennzeichnen ihrer Waren oder in anderen Branchen zum Verfolgen ihrer Produkte und Dienstleistungen verwendet werden. Diese Technologie ist hoch entwickelt, raffiniert und für ihre Anwender unverzichtbar. Imaje ist es gelungen, das industrielle Drucken – in der Lieferkette oft nicht wahrgenommen – in ein interessantes und breit aufgestelltes, lohnendes Geschäft zu verwandeln. Dies ist nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass das Kennzeichnen, Kodieren und Etikettieren von Produkten oft gesetzlich vorgeschrieben ist (denken Sie nur an die EU-Vorschriften zur Rückverfolgbarkeit) und eine Komplikation bedeutet, auf die viele Anwender liebend gerne verzichten würden. Nichtsdestotrotz sind Produktidentifikation und Rückverfolgbarkeit für viele Produktionsbranchen mittlerweile zu einer Grundvoraussetzung geworden, C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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42
3 Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
insbesondere im Nahrungsmittel- und im pharmazeutischen Sektor. Nahrungsmittelskandale und Arzneimittelfälschungen führen leider zu wachsender Sorge in der globalen Wirtschaft, und es werden regulatorische Mechanismen gebraucht, um die Risiken zu minimieren. Fast jede Branche hat ihre eigenen Anforderungen an das Kennzeichnen ihrer Produkte, sei es durch freiwillige Verpflichtungen oder gesetzliche Auflagen. Das reicht von der einfachen Angabe von Produktnamen und -einsatzbereich bis hin zu Gebrauchsanweisung, Zutatenliste, Ablaufdatum, Chargennummer oder Sicherheitshinweisen. Diese Anforderungen sind wichtig, weil Informationen über Lieferanten und Kunden beispielsweise in einem Notfall die Möglichkeit bieten, den Artikel in der Lieferkette nach hinten oder vorne zu verfolgen. Mit Hilfe dieser Informationen können dann Produkte schneller zurückgerufen und derartige Rückrufe auf spezifische Produkte begrenzt werden. Denken Sie in diesem Zusammenhang z. B. an den erst 2007 erfolgten Massenrückruf des weltgrößten Spielzeugherstellers Mattel von mehreren in China hergestellten Produktlinien, bei denen (nach ihrem weltweiten Vertrieb) gefährlich hohe Bleikonzentrationen nachgewiesen wurden. Das Kerngeschäft von Imaje bilden Konstruktion, Herstellung, weltweiter Vertrieb und Wartung von Geräten zur Produktidentifikation. Im Jahr 2000 beschränkte sich dieses Geschäft noch hauptsächlich auf kleinere Tintenstrahl-Industriedrucker und ihre speziellen Tinten. Sie gehörten zu den besten Geräten auf dem Markt, und das Unternehmen hatte hart daran gearbeitet und viel investiert, seinen Namen zu einem Synonym für Qualität und technische Überlegenheit werden zu lassen. Imaje ist es in den letzten Jahren erfolgreich gelungen, über den Vertrieb von Geräten hinaus zusätzliche Werte zu liefern. Dadurch hat sich die Firma als Spezialist für Lösungen neu erfunden, anstatt das zu verkörpern, was viele Kunden als Hemmnis ihrer Kernaktivitäten ansehen.
3.1.2
Strategische Neuorientierung
Ein Hersteller wird meist über seine Produkte definiert, sein Erfolg beruht jedoch auf einer viel breiteren Basis an Aktivitäten. Ohne die grundlegende Unterstützung von Vertrieb, Marketing und Kundenservice können seine Produkte nicht erfolgreich sein. Imaje erkannte Mitte der 1990er Jahre, dass die Qualität seines Kundenservices nicht mit der seiner Produkte mithalten konnte; die Übernahme der französischen Firma 1995 durch die US-Firma Dover wurde genutzt, um einen Richtungswechsel einzuleiten. Im Oktober 2000 berief der Geschäftsführer von Imaje, Omar Kerbage, eine Sitzung aller Direktoren und Geschäftsbereichsleiter ein, um den Fortschritt zu überprüfen und die Prioritäten für zukünftiges Wachstum zu bestimmen. Das Ergebnis des Brainstormings war mit Kerbages Worten „eine klar definierte Strategie mit einer klaren Sicht dessen, was wir in den folgenden vier Jahren erreichen wollten.“ Eine einfache Rechnung machte den Bedarf für Änderungen überdeutlich:
3.1 Umwandlung durch kundenorientierte Dienstleistungen
43
Fehlendes nachhaltiges Wachstum bei den Verkaufszahlen, steigende Kosten und Konkurrenzdruck würden die Rentabilität von Imaje schnell schwinden lassen. Kerbage machte seinen Direktorenkollegen klar, dass Passivität in weniger als drei Jahren zu einer Halbierung des Betriebsgewinns führen würde. Die Firma hatte folgende Wahl: „Sollen wir uns ausschließlich auf Wachstum konzentrieren, um die Erosion unserer Gewinne zu beenden und überzukompensieren?“ fragte Kerbage. „Wenn ja, dann sollten wir es nicht ohne eine klare Strategie und einen Plan machen.“ Imaje entschied sich für die Konzentration auf Geschäftswachstum. Das Ziel lautete, bis 2004 die unbestrittene Nummer 1 auf seinem Gebiet zu werden, und die Strategie bestand darin, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, die Marktanforderungen vorherzusehen und – ganz wichtig – einen kompletten, lösungsorientierten Service anzubieten statt nur Geräte. „Mit unserem Know-how haben wir die Mittel, Weltmarktführer für Standardetikettierung und Produktidentifikation zu werden … weil wir tun, was die Kunden wünschen“, erklärte Kerbage. Diese Kundenfokussierung kam in drei unterscheidbaren, aber sich ergänzenden Ebenen zum Ausdruck: Produktinnovation, Produktbandbreite und Serviceinnovation. Bei der Produktinnovation konzentrierte man sich auf die stetige Verbesserung bestehender Produktangebote. Diese Angebote beinhalten die kontinuierliche Ablenk-Tintenstrahltechnologie, für die Imaje bekannt ist, sowie andere Drucktechnologien wie Laserdrucken, Thermotransfer und Großbuchstaben-Tintenstrahldrucker sowie Druck- und Auftragetechnologie für Kartons, außerdem Verbrauchsmaterialien wie geschützte Tinten und Farbbänder. Die Produkte wurden durch ständige Innovation an die speziellen Bedürfnisse mehrerer Kundengruppen angepasst, wie z. B. Hersteller von Getränken, Nahrungsmitteln, Kosmetika, Pharmazeutika und kommerzieller Druckprodukten sowie die allgemeine Industrie. Schlüsselbereiche für Verbesserungen waren dabei die jeweiligen Kundenanforderungen, beispielsweise einfache Handhabbarkeit und Zuverlässigkeit (was die Produktionsprozesse des Kunden am Laufen hält), die Fähigkeit, auch Päckchen und Pakete mit ungewöhnlicher Form lesbar zu kennzeichnen, sowie in einer Vielzahl von Produktionsumgebungen zu funktionieren. Die „Sie stellen es her, wir kennzeichnen es“-Denkweise von Imaje führte auch zu einer Erweiterung der Kundenfokussierung auf eine größere Produktbandbreite. Während erste Angebote die Kennzeichnung der Kundenprodukte betrafen, waren Nachfolgeangebote für die Kennzeichnung der Primär- und dann der Sekundärverpackungen wie Kartons oder sogar Paletten bestimmt. Durch diese Verschiebung in der Bandbreite nutzen die Kunden die Produkte von Imaje nicht mehr nur zur Kennzeichnung aus regulatorischen Gründen, sondern nun auch für Anwendungen, welche die Verfolgbarkeit der Produkte durch die Lieferketten sichern. Zur größeren Produktbandbreite trug nicht nur die Ausweitung der internen Fähigkeiten bei, sondern auch die Übernahme von Markpoint im Jahre 2001. Markpoint, eine schwedische Firma, die für €21 Mio. gekauft wurde, entwickelt Drucker für Sekundär- und Tertiärverpackungsanwendungen (Kisten und Paletten) und bildet somit eine gute Ergänzung zum Kerngeschäft von Imaje,
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3 Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
den Primärverpackungs-Tintenstrahldruckern. Dies war ein großer Schritt in der Firmenstrategie, integrierte Lösungen statt einfach nur Produkte von Spitzenqualität zu liefern. Nun konnte das Unternehmen komplette Lösungen anbieten – Druckgeräte, die im Verpackungsprozess sämtliche Aufgaben übernehmen konnten. Abbildung 3.1 zeigt einige der Produkte. Die dritte Ebene der Kundenfokussierung von Imaje bildeten Innovationen im Servicebereich. Schon früh hatte man den Kunden die Alternative angeboten, pro Ausdruck zu zahlen, anstatt den jeweiligen Industriedrucker zu kaufen. Hinzu kamen Serviceverträge, die es den Kunden ermöglichen, ihre Lager- und Inventarkosten für Verbrauchsmaterialien wie Tinte zu verringern. 2001 erwarb Imaje die französische Firma Adhoc, einen Softwareentwickler mit einer Reihe von Verfolgbarkeitslösungen, die perfekt zum Druckerangebot von Imaje passten. Die Adhoc-Software unterstützt die Kunden beim Management der Lieferkettenflussdaten, sei es auf der individuellen Produkt-, Karton- oder Palettenebene vor dem Versand. Mit der Integration der Verfolgbarkeitssoftware in die verbesserte Produktpalette konnte das Unternehmen seine Kundenbeziehungen ausweiten und sich von einem Lieferanten von Ausrüstung für regulatorisch notwendige Kennzeichnungen zu einem Anbieter von Kennzeichnungs- und Logistiklösungen entwickeln. Diese größere Bandbreite von Dienstleistungen im Bereich Lieferkettenverfolgbarkeit wiederum machte die Integration weiterer neuer Technologien notwendig, wie z. B. den elektronischen Produktcode und RFID, siehe Abb. 3.2. Zusätzlich bot Imaje Schulungen, eine Informationsstelle mit kurzen Antwortzeiten sowie Finanzierungen an. Das gesamte Angebot wird als globale Kennzeichnungs- und Kodierungslösungen vermarktet. Ein Kunde von Imaje meint: „Unser Geschäft erfordert hohe Qualität und zuverlässige Geräte mit einem gut reagierenden Hilfsnetzwerk. Die Geräte von Imaje sind anpassungsfähig, einfach in der Anwendung und vor allem zuverlässig. Wenn wir einmal Probleme haben, wissen wir, dass wir sofort telefonische Unterstützung bekommen können, obwohl dies durch die regelmäßigen vorbeugenden Wartungsbesuche der Serviceingenieure von Imaje selten vorkommt.“ Innerhalb eines Jahres zeigte die strategische Fokussierung Erfolge, und Imaje begann, seine Wettbewerber auf allen Märkten zu schlagen und seine Rentabilität zu verbessern. 2001 – ein schwieriges Jahr für die Branche – verbuchte das Vorzeigewerk in Bourgles-Valence nahe Paris Rekordgewinne in Höhe von €40 Mio. die mit einer Spanne von 17 % des Umsatzes 2,5 Mal höher waren als die der Hauptkonkurrenten. 2002, nach der Hälfte des Vierjahresplans, erhielt die Wachstumsstrategie
Abb. 3.1
Beispiele für Imaje-Produkte
3.1 Umwandlung durch kundenorientierte Dienstleistungen
Abb. 3.2
45
Eine der Produktinnovationen ist die Selbstidentifikation für Verfolgbarkeitslösungen
von Imaje einen kräftigen Schub, als die Firma zum französischen Sieger des IEAWettbewerbs ernannt wurde. Die Strategie hatte sich als Weg in Richtung Erfolg erwiesen. Markpoint und Adhoc werteten die Produktpalette von Imaje erheblich auf und trugen dazu bei, den früheren begrenzten Fokus auf einen einzelnen Produktbereich zu erweitern. Mit der Übernahme von Markpoint boten sich auch strategische Wachstumschancen in geografischer Hinsicht, nämlich der Einstieg in den skandinavischen Markt. Die Übernahmen versetzten Imaje erstmals in die Lage, den Kunden Komplettsysteme anzubieten. In Bourgles-Valence sprach man plötzlich von „Imaje-Intelligenz“ und begann, ein wirklich kundenorientiertes Marketing zu entwickeln. Marketing bedeutete nicht mehr nur die Hervorhebung der technischen Vorzüge der Geräte, sondern umfasste auch die Analyse des Marktes und die Vorhersage künftiger Marktanforderungen. „Jahrelang führte die Firma hier und da Studien durch, die mit den Anforderungen des Marktes nicht direkt etwas zu tun hatten“, erklärt Kerbage, „obwohl es das Wichtigste überhaupt ist, mit dem richtigen Projekt zur richtigen Zeit zu beginnen.“ Diese Erkenntnis legte das Fundament für einen grundsätzlichen Richtungswechsel in der Marketingabteilung und für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten von Imaje. Die Abteilung F&E wurde völlig umstrukturiert, Forschungsprojekte nach Marktpriorität zugeteilt. Bis zu einem Jahr setzte man für Projekte zur schrittweisen Veränderung bestehender Geräte an; für Projekte zur Entwicklung von Geräten, die bestehende Produkte ersetzen sollten, wurden ein bis drei Jahre vorgesehen, drei bis sechs Jahre für die Entwicklung völlig neuer Produktinnovationen. Kerbage stellte sicher, dass fortan alle mittel- und langfristigen Entwicklungsprojekte auf seinem Schreibtisch landeten und dem Unternehmensvorstand zur Bestätigung vorgelegt
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3 Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
wurden. F&E war nicht länger eine spontane Reaktion auf äußere Ereignisse – ein Ansatz, der ausnahmslos dazu führt, dass man den richtigen Moment zur Einführung einer Innovation, nämlich dann, wenn der Markt sie fordert, verpasst – sondern wurde geplant, um zukünftige Anforderungen vorherzusehen und dann direkt anzugehen. Die Umstrukturierung von F&E beschleunigte auch den Innovationsprozess, und zwar so sehr, dass sich nach drei Jahren die Zahl der Mitarbeiter in diesem Bereich um 60 % erhöhte und das Forschungsbudget von €6 Mio. im Jahre 1999 auf €23 Mio. im Jahre 2002 anstieg. Imaje hatte die Siegesformel entdeckt – Marketing und F&E als Tandem. Das Ergebnis: Zwei neue Drucker und drei neue Tintensorten konnten innerhalb eines Jahres auf den Markt gebracht werden. 2002 stand Imaje kurz vor der Markteinführung eines Spitzen-Vektorlaserdruckers. Die Umstrukturierung der wesentlichen Geschäftsfunktionen machte sowohl einen internen als auch einen externen Ausbau des IT- und Kommunikationsbereichs notwendig. Man nahm eine größere Software-Nachrüstung in Angriff, um Lieferkettensysteme zu integrieren und manche Produkte von Drittlieferanten direkt zum Kunden versenden zu lassen. Dadurch konnten letztlich auch einige Funktionen an andere Standorte abgegeben werden, ohne jedoch die zentrale Kontrolle zu verlieren. So wurde die Herstellung der Tinten auf mehrere Standorte verteilt, was zur Verringerung der Abhängigkeit von einem Standort und zu reduzierten Logistikkosten führte.
3.2
Porträt von Imaje
„Die Welt hat sich in den letzten 25 Jahren stark verändert. Die Werte von Imaje bleiben bestehen: Spitzenleistung, Innovation, Qualität und Zuverlässigkeit“, so ist auf der Homepage von Imaje zu lesen. Imaje wurde 1982 vom französischen Unternehmer Jean-Claude Millet in Bourgles-Valence gegründet, wo sich noch immer der Hauptsitz befindet. Die Tintenstrahldrucker-Palette der Firma war von Beginn an sehr erfolgreich, und das Unternehmen kletterte sehr schnell auf den dritten Platz der weltweiten Druck- und Kennzeichnungsbranche. Aber wie vielen jungen und schnell wachsenden Unternehmen fehlte auch Imaje die finanzielle Kraft, stürmische Zeiten zu überstehen. 1991 kam es während der weltweiten Rezession zur Katastrophe, als eine zu früh eingeführte Produktlinie zurückgerufen werden musste. Imaje fehlte es an finanzieller Unabhängigkeit, und eine Bankengruppe, angeführt von der Crédit Lyonnais, wandelte die Schulden in Eigenkapital um, restrukturierte die Eigentumsrechte und übernahm die Kontrolle. Millet nahm in der zweiten Reihe Platz, und Albert Journo, der kurz zuvor seine eigene Firma an Imaje verkauft hatte, wurde beauftragt, die Geschäftsführung zu übernehmen und Imaje wieder rentabel zu machen. Mitte der 1990er Jahre hatte Imaje wieder Fuß gefasst, aber die Frage der Eigentümerschaft war immer noch ungeklärt. Die Crédit Lyonnais stand unter dem Druck, sich industrieller Anteile zu entledigen, weswegen sie und die anderen
3.2 Porträt von Imaje
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Banken die Firma über Clinvest, die Investmentbanking-Tochter der Crédit Lyonnais, meistbietend verkaufen ließen. Ausgestattet mit einer Liste potentieller Käufer suchten die Banken und die größeren privaten Anteilseigner (einschließlich Millet) nach einem neuen Eigentümer. Millet kontrollierte zusammen mit Führungskräften von Imaje noch etwa 30 % der Anteile und hatte starken Einfluss auf die Auswahl des siegreichen Gebots – den Zuschlag für Imaje erhielt schließlich die diversifizierte US-amerikanische Industriegruppe Dover. Dover war der ideale Käufer und bot dem Management die Chance, das Unternehmen weiterzuführen, und die nötigen Mittel, um künftig zu wachsen und zu expandieren. Die Finanzierung war kein Thema. Dovers Übernahmestrategie war klar und geradlinig, und dass der Konzern bereits zahlreiche frühere erfolgreiche Übernahmen vorweisen konnte, wurde von den Verhandlungspartnern sehr geschätzt. Imaje kam 1995 als eigenständiges Unternehmen zur Dover Gruppe hinzu. Die nächsten vier Jahre blieb Journo am Steuer – er führte die Firma auf einem stetigen Wachstumskurs und schaffte dadurch die Grundlage für ihre nächste wichtige Entwicklungsphase. 1999 trat Journo, der eigentlich nie vorgehabt hatte, an der Spitze von Imaje zu stehen, zurück, um anderen Interessen nachzugehen – sein Nachfolger wurde Omar Kerbage, der jetzige Geschäftsführer. Wie schon erwähnt, war es Kerbages Vision von einem neuen, auf den Kunden ausgerichteten, marktgesteuerten Geschäftsmodell, die zu den positiven Ergebnissen und zum substantiellen Wachstum in den letzten sieben Jahren führte. 2002 identifizierte Kerbage drei Schlüsselanomalien beim Kundenservice: Erstens tritt Kundenunzufriedenheit vor allem auf dem Gebiet Service und in den Geschäftsbeziehungen auf, aber seltsamerweise werden das meiste Geld und die meiste Energie zur Qualitätsverbesserung in Richtung Produkt geleitet. Zweitens kostet es viel mehr, neue Kunden zu gewinnen oder verlorene Kunden wiederzugewinnen, als die bestehenden Kunden zu halten; dennoch werden das meiste Geld und die Hauptenergie dazu aufgewendet, neue Kunden zu gewinnen. Und drittens stammen die finanziellen Ressourcen, auf die Unternehmen angewiesen sind, hauptsächlich aus Kaufentscheidungen von Kunden, aber die Hauptenergie der Firma wird für interne Angelegenheiten verschwendet, die für diese realen Kunden irrelevant sind.
Er fasste zusammen: „Wir müssen unsere Produkte verbessern, aber wir müssen auch unseren Service verbessern. Wir müssen neue Kunden gewinnen, aber wir müssen auch sicherstellen, dass die bestehenden Kunden zufrieden sind. Und wir müssen mehr Zeit auf wirkliche Kundenthemen verwenden und weniger für Internes.“ Kerbage stellte die Frage, wie sich Imaje von seinen Wettbewerbern abhebe. Die Firma musste sich entscheiden, welche geschäftlichen Aktivitäten am wichtigsten waren und mit welcher Strategie sie dorthin gelangte. Wollte sie die besten Produkte anbieten? Die besten Preise? Die besten Lösungen für den Markt? Imaje entschied sich für Letzteres und setzte sich Ziele – 100 % Kundenzufriedenheit, Ertragswachstum, langfristige Existenzfähigkeit des Geschäftsmodells und die kontinuierliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Firma. Und es wurde das Ziel beschlossen, den Umsatz der Gruppe bis 2004 zu verdoppeln, ohne dabei Profitabilität zu opfern.
48
3 Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
Zum Umsetzen einer solchen Strategie sind natürlich Leistungssteigerungen notwendig, und Kerbage begann, betriebliche Schwächen zu identifizieren. Zwei Hauptschwächen wurden ausgemacht. Zum einen gab es Schwachpunkte in der Lieferkette. 30 Tochter- und 60 Vertriebsfirmen in über 100 Ländern enthielten zwangsläufig Straffungsmöglichkeiten bei Logistik und Vertrieb. Der Konsolidierung der Lieferkette wurde schnell höchste Priorität eingeräumt. Imaje begann mit einer Reihe von Analysen zu Verfahrensoptimierungen bei seinen Betriebsteilen und Tochterunternehmen und suchte nach Wegen, seine Lagerbestände über die gesamte Gruppe zu reduzieren – jedes der 30 Tochterunternehmen sollte bis 2003 nach ISO 9001 zertifiziert sein. Als Mittel zum Erreichen der angestrebten Ziele betonte Kerbage „pragmatische Verhaltensweisen und eine starke Überzeugung von der Wirksamkeit der Maßnahmen; eine konkrete Umsetzung der Strategie in operative und individuelle Ziele; eine stetige Steuerung der Teams, Prozesse und Projekte sowie Verbesserungen in Richtung Kundenzufriedenheit und Umweltschutz“. IT war einer der Faktoren, die dies ermöglichte. Die IT-Systeme der Gruppe wurden harmonisiert und ein neues ERP-System (engl. enterprise resource planning) eingeführt, um den Ressourceneinsatz besser steuern und vorausplanen zu können. Der zweite Schwachpunkt war die Notwendigkeit einer gestärkten, marktgesteuerten Produktpalette unterstützt von einem kundenorientierten Service, um die bisherige Konzentration auf technisches Know-how in Sachen Tintenstrahldrucker und Tinten zu ergänzen. Der Schlüssel dazu war ein Kulturwechsel bei Imaje. Die Strategie musste von allen Geschäftsführern und Gebietsleitern in der Gruppe klar definiert werden, denn es lag an ihnen sicherzustellen, dass dieser Kulturwechsel auch wirklich erfolgte.
3.3
Die Entwicklung des Unternehmens seit 2002
2002 stand Kerbages Strategie und begann, erste Früchte zu tragen. „Wir hatten den Schritt von einem ‚Mono-Angebot‘, einer Einzeltechnologie, hin zur Entwicklung von ‚Lösungen‘ getan“, sagt Kerbage. „Wir waren dabei, die passenden verfügbaren Technologien zu identifizieren und zusammenzustellen, um unsere Kunden zufrieden zu stellen. So entwickelten wir beispielsweise 1982 im Hause die Tintenstrahltechnologie, die fast bis 2002 unsere Haupttechnologie blieb. Rund 99 % des Verkaufs waren noch Tintenstrahler, aber der Markt hatte sich weiterentwickelt, so dass wir unser Portfolio um weitere Technologien ergänzen mussten.“ Imaje tat dies mit der Übernahme von Markpoint und Adhoc im Jahre 2001, aber dies war nur der Anfang. Seit 2001 hat das Unternehmen ein halbes Dutzend weitere Technologien angestoßen, darunter Laserdruck, Thermodruck und das Dot-ondemand-Verfahren. Die meisten dieser Produktentwicklungen – etwa 70 % – sind aus organischem Wachstum und internen F&E-Prozessen entstanden, nur 30 % kamen aus Übernahmen. Die Philosophie von Imaje, sich zu einem Anbieter von
3.3 Die Entwicklung des Unternehmens seit 2002
49
Komplettlösungen zu entwickeln, wurde beibehalten, wobei jede neue Technologie ein bewusster Schritt ist, den Kundenanforderungen einen Schritt voraus zu sein. Heute stammt ungefähr ein Drittel von Imajes Einnahmen von Produkten und Technologien, die innerhalb der letzten fünf Jahre hinzugekommen sind. Das hohe Tempo beim Produktentwicklungsprogramm von Imaje ist ein direktes Ergebnis von Kerbages Wechsel von einem produktorientierten Modell hin zu marktorientierten Dienstleistungen und Lösungen. „Wir haben uns gefragt, was unsere Kunden wollen. Sie wollen gute Produkte, und das bedeutet für uns auch Technologien, die morgen von den Kunden nachgefragt werden. Sie wollen die Integration der Produkte in ihr eigenes ERP-System und ihren Datenfluss, einschließlich Software-Add-ons. Wir haben den Schritt von alleinstehenden Produkten zu integrierten Angeboten vollzogen, ergänzt durch kundenorientierte Lieferung, Wartung, Dienstleistungen nach dem Verkauf und Schulungspakete. Unser Ziel ist es, für alle unsere Kunden das optimale Angebot zu haben.“ Betriebe aus aller Welt möchten gerne glauben, dass die Kunden ihre Produkte und Dienstleistungen kaufen, weil sie sie schätzen. Doch für Kerbage war die vielleicht wichtigste Erkenntnis, dass seine Kunden nicht so über Imajes Angebot dachten. Das Kennzeichnen der Produkte und das Drucken ist für die meisten Kunden von Imaje eine Belastung – deren Geschäft ist es, ihr eigenes Produkt herzustellen und es an die eigenen Kunden zu verkaufen. Die Produktkennzeichnung oder das Etikettendrucken ist ein Produktionsschritt, der aus Gründen der Verfolgbarkeit oder der Übertragung produktspezifischer Daten erforderlich ist und oft keinen kommerziellen Vorteil bietet, sondern den Firmen durch branchenspezifische Regulierungen aufgezwungen wird. Selbst die Routineverpackung von Produkten für den Versand beinhaltet lästige Identifikations- und Kennzeichnungsaufgaben. Ein einfaches kosmetisches Produkt, nehmen wir eine Gesichtscreme, verlässt das Band in einer Kleinverpackung, z. B. einem Glasgefäß. Diese Verpackung muss neben dem Markenetikett andere wichtige Produktdaten aufweisen – Imaje kümmert sich darum. Die einzelnen Produkte werden dann zu Gebinden zusammengefasst, beispielsweise in Einheiten zu 50 oder 100 Stück. Jede dieser Einheiten muss ebenfalls wichtige Daten tragen wie Chargennummer, Produktionsdatum, oder Lagercode, bevor das Ganze wiederum zum Versand auf Paletten zusammengefasst wird. Diese Paletten müssen weitere Daten aufweisen, wie Bestellnummer, Lieferadresse, Verfolgbarkeitscode, Versanddatum usw. All diese Aufgaben können auf Geräten von Imaje als Teil eines integrierten Produktkennzeichnungspakets erledigt werden. Die Notwendigkeit zur Identifikation, zur Speicherung und zum Drucken von Informationen auf jeder Stufe des Produktions- und Verpackungsprozesses ist eine potentielle Störung eines glatt laufenden Produktionsprozesses. „Wir nerven die Kunden, weil für sie die Identifikation ihres Produktes nichts Normales ist – deshalb versuchen wir, es so zu machen, dass es sie nicht belästigt“, sagt Kerbage. So wurde in den letzten sieben Jahren die Integration aller benötigten Dienstleistungen (vom Etikettieren auf das Produkt über das Etikettieren von Kisten und Paletten bis hin zur Verfolgbarkeit des Versands) in die Kundensysteme zum Leitmotiv der lösungsorientierten Marketing- und Produktentwicklungsphilosophie von Imaje.
50
3 Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
„Wir sind kein Hindernis mehr für die Kunden … wir beeinträchtigen die Kunden in keinster Weise“, verkündet Kerbage. Die Konzentration auf Komplettlösungen ermöglicht den Kunden von Imaje die Verbesserung ihrer Logistik, Prozesslaufzeiten und Informationen innerhalb der Logistik sowie die Reduzierung der Reaktionszeit auf Kundenwünsche. Verbessertes Etikettieren schafft möglicherweise auch bei den Endkunden größeres Vertrauen in eine einfachere Rückverfolgbarkeit der Produkte. Heute gewinnt diese Rückverfolgbarkeit immer mehr an Bedeutung (und zwar nicht erst im Zuge der chinesischen Rückrufaktionen, sondern schon vorher als Folge der Auswirkungen der „Rinderwahnsinn“-Epidemie auf die Nahrungsmittelbranche). Woher weiß Kerbage das alles? Das Unternehmen floriert, aber Kerbage verfolgt das Ziel „stetiger Verbesserungen“, und dazu bedarf es der Fähigkeit, klar feststellen zu können, welche Strategieelemente erfolgreich sind und welche eher nicht. Die Antwort lautet Leistungsmessung. Durch die Anwendung von Schlüsselindikatoren zur Leistungsmessung kann Imaje den Erfolg seiner Maßnahmen auf den jeweiligen Gebieten überprüfen und gegebenenfalls notwendige Anpassungen durchführen. Die Daten dazu kommen von den Kunden selbst. „Informationen über Kundenzufriedenheit werden in unser Qualitätsmanagementsystem integriert. Wir führen bei Kunden formelle Umfragen durch, und zwar sowohl direkt durch unsere Vertriebs- und Marketingabteilung als auch ganz objektiv durch unabhängige Befragungsspezialisten. Dies ist alles in unseren Prozessen geregelt und wird von der Geschäftsleitung analysiert“, erläutert Kerbage. „Diese Prozesse sind ein direktes Mittel für Veränderungen in unserer Firmenorganisation. Wir stimmen unserer Prozesse kontinuierlich ab – wir vereinfachen und delegieren sie, wodurch sie schneller und genauer werden. Der Lebenszyklus der Produkte ist kürzer und die Produktverbesserungen sind häufiger geworden“, sagt er. Erreicht wurde dies durch verbesserte Kommunikation und die gemeinsame Nutzung einer begrenzten Anzahl von einfachen Leistungsindikatoren, die sich auf die Schaffung von Wert für die Kunden und die Firma sowie auf das Wachstum der Firma konzentrieren. Kundenbefragungen und Rückmeldungen, die über Vertrieb und Marketing an F&E weitergeleitet werden, versehen uns mit wichtigen Informationen über den Markt und versetzen Imaje in die Lage zu entscheiden, ob es sich lohnt, ein bestehendes Produkt weiterzuentwickeln oder neue auf den Markt zu bringen. „Wir haben über die Marketingabteilung die volle Integration der Marktanforderungen in unseren Entscheidungsprozess“, fügt Kerbage hinzu. Neue Produkte werden schnell auf den Markt gebracht und alte aus dem Sortiment genommen, um Überschneidungen zu vermeiden. Seit 2002 arbeitet Imaje mit einem flexiblen Geschäftsmodell, das graduell and Marktentwicklungen angepasst wird. Dies führte zu einem schrittweisen Kombination von Ländern zu Regionen und einer verminderten Kontrolle durch die Konzernzentrale. Die Kontrolle durch die Geschäftsführung wurde auf vier Regionalzentren übertragen, um besser auf regionale Marktanforderungen reagieren zu können – Europa und der Mittlere Osten, Asien-Pazifik, Lateinamerika und Nordamerika. Die 2001 eingeführte gängige Praxis bestehend aus regionaler Herstellung, Kundenunterstützung und Produktwartung wurde ausgeweitet – sämtliche Ressourcen werden jetzt autonom in der jeweiligen Region verwaltet und gehen in
3.4 2007 und danach
51
die jeweilige Gewinn- und Verlustrechnung ein. „Aber gleichzeitig werden unsere Philosophie, Strategie und das Firmengerüst in der gesamten Gruppe standardisiert“, sagt Kerbage.
3.4
2007 und danach
In weniger als sieben Jahren ist der Firma Imaje eine Umwandlung ihres Geschäftsmodells gelungen, indem sie ihre Produktentwicklung beschleunigt, ihre weltweite Struktur neu konfiguriert, sich auf Markttrends ausgerichtet hat und Kundenerwartungen vorausschauend angepackt hat. Die Strategie hat sich bezahlt gemacht. Während dieser Zeit hat sich der Umsatz der Gruppe mehr als verdoppelt, von €180 Mio. auf €400 Mio. und Imaje erfreut sich Kerbage zufolge weiterhin zweistelliger Wachstumsraten. Die Kunden erhalten eine Kombination aus Produkten und Dienstleistungen, die ihre Anforderungen an Produktinformation und Kennzeichnung erfüllt, und bleiben gleichzeitig, so Kerbage, „transparent“ für ihr eigenes Kerngeschäft. Aber die Kunden von Imaje werden nicht alle genau gleich behandelt. „Die Erfahrungen, die ein Kunde mit uns macht, hängen von der Art und Größe des Kunden ab“, sagt Kerbage. Große global agierende Kunden, die auf vielen Märkten weltweit vertreten sind, haben komplexere Anforderungen als kleine, die sich auf ihren heimischen Markt beschränken. Einige benötigen maßgeschneiderte Lösungen und die erhöhte Aufmerksamkeit von Imaje in den Bereichen Vertrieb, Marketing und technische Unterstützung. Etwa 35 % vom Gesamtumsatz von Imaje lassen sich 40 bis 50 internationalen Großkunden zuordnen, die außerhalb der Geschäftsregionenstruktur betreut werden – sie werden von Führungskräften in der französischen Firmenzentrale betreut und für viele von ihnen ist Kerbage sogar selbst die Hauptkontaktperson. Kleinere Kunden passen in das Standardgeschäftsmodell von Imaje und werden durch örtliche Büros bedient; sie nutzen oft regional hergestellte Produkte. Doch trotz der Abwicklung über die regionalen Büros werden Daten über die Anforderungen dieser Kunden über das Vertriebs- und Marketingnetzwerk an die Zentrale der Gruppe übermittelt. Die Segmentierung nach Kundentyp und Branchenanwendung erlaubt es der Firma, den Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit effektiv abzustecken. „Jeder Verkäufer verfügt über ein Marketinginstrument, das ihn in die Lage versetzt, Kundenanforderungen zu dokumentieren und herauszufinden, was möglich ist und was nicht. All diese Informationen laufen zurück zur Zentrale hier in Frankreich. Hat ein Kunde einen Sonderbedarf, den wir nicht abdecken können, dann analysieren wir ihn im Verhältnis zu unserem strategischen Plan. Ist diese Anwendung in unserem Produktlebenszyklus-Prozess definiert worden? Vielleicht nicht. Wir beurteilen die Anwendung nach Renditegesichtspunkten, und wenn der Kunde sie möchte, muss er dafür zahlen“, sagt Kerbage. „Wir konzentrieren uns sehr stark auf die Erträge – und können unseren Kunden daher auch mal eine Absage erteilen,“ fügt er hinzu.
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3 Imaje: Durch Innovation von Produkten zu Dienstleistungen
Die Integration von Vertrieb, Marketing und F&E ist entscheidend für die genaue Erfassung der Kundenanforderungen und Markttrends und für das Verfolgen der richtigen Strategie. Die Marketingabteilung von Imaje fungiert als Stimme der Kunden, die direkt zu den Produktentwicklern spricht. Damit hat sich auch die Produktion bei Imaje radikal verändert. „Wir haben seit 2002 kaizen [die japanische Philosophie ständiger Verbesserung] und ‚schlanke‘ Herstellungsmethoden in unsere Systeme integriert“, sagt Kerbage. „Hinsichtlich Beschaffung und Materialeinsatz haben wir etwas Besonderes unternommen mit der Einführung einer globalen Strategie, mit der wir unsere Dienstleistungen weltweit nach dem Kriterium der geografischen Nähe anbieten. Dadurch sind wir in der Lage, im Preiswettbewerb zu bestehen und gleichzeitig internationaler zu werden. Es handelt sich um einen anhaltenden Prozess.“ Imaje führt diesen Ansatz weiter, indem es mehr Produktion nach China und in die USA auslagert und gleichzeitig durch ein zentralisiertes IT-Netzwerk den Überblick behält. Während die Prozesse mit höherer Wertschöpfung im eigenen Hause bleiben, kann die nicht zum Kerngeschäft gehörende Produktfertigung zunehmend regional erfolgen. „Unsere Logistikaktivitäten haben sich dadurch völlig verändert, und das hat uns geholfen, unsere Lagerhaltung zu reduzieren und gleichzeitig unser Serviceniveau zu halten und den Cashflow zu erhöhen“, erklärt Kerbage. „Heute produzieren wir mit derselben Anzahl an Leuten ein vier- oder fünffach höheres Volumen als vor fünf Jahren, und das, obwohl wir mehr Produkte entwickelt haben und die Komplexität des Angebots durch eine Vielzahl an Technologien erhöhen.“ Imaje setzt seinen Weg fort, nachdem die Muttergesellschaft Dover im Jahre 2006 die Firma Markem übernommen hat. Der Zusammenschluss von Markem und Imaje zu einem Unternehmen wird ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Ziel sein, die Nummer Eins in der Kodierungs- und Kennzeichnungsbranche zu werden.
Kapitel 4
BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit einem Unternehmen, das sich auf die Herstellung komplexer, mittelgroßer Serien elektronischer Komponenten konzentriert hat, und das mit hoher Flexibilität, um auf spezifische Kundenwünsche reagieren zu können. Die Einmaligkeit dieses Geschäftsmodells ist die Quelle seines Erfolgs. Wir zeigen auf, welche Anforderungen diese Positionierung an die stetige Verbesserung der eigenen Fähigkeiten stellt, damit das Angebot differenziert bleibt, und welch hohe Investitionen in Prozessflexibilität und Qualität nötig sind, um das Versprechen and den Kunden halten zu können. Diese Strategie hängt auch vom Firmenstandort im Osten Deutschlands ab, wo Infrastruktur und Fachqualifikationen genauso gut sind wie in Westdeutschland, die Arbeitskosten aber immer noch etwas geringer.
4.1
Einführung
Die Stadt Riesa ist nicht gerade die naheliegendste Wahl, wenn es um den Standort eines Elektronik-Fertigungsbetriebs geht. Ein logischer Standort wäre München, das deutsche „Silicon Valley“ und größtes Zentrum für die Elektronik- und SoftwareIndustrie in Deutschland, oder nun auch Dresden. Riesa dagegen ist wohl am ehesten für Nudeln, Stahl und Sport, z. B. Sumo-Ringen, bekannt. Die sächsische Stadt an der Elbe mit 36.000 Einwohnern kann sich keiner Hochtechnologie-Geschichte rühmen – ihre Produktionskompetenz liegt im Stahlbereich. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte Riesa zur DDR, und die alten Traditionsbranchen wurden nach und nach durch neue Staatsunternehmen ersetzt; eine Produktionsdiversifizierung gab es kaum. Riesa war zu jener Zeit wegen seines Leistungszentrums für die Leichtathleten der DDR bekannt, Trainingszentrum war das Erdgasarena Trainingsinstitut, wo – wie man munkelt – die ostdeutschen Olympiatrainer ihre ausgefeiltesten Dopingmethoden entwickelten. Heute spielen die Erdgasarena und der Sport noch immer eine große Rolle in der regionalen Wirtschaft. Merkwürdigerweise ist die Stadt heute dem japanischen Sumo-Ringen eng verbunden und trug im Oktober 2003 die Europameisterschaften und ein Jahr später die Weltmeisterschaften in dieser Disziplin aus.
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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54
4 BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“
Man mag spekulieren, ob Riesas berühmte Nudeln die leistungssteigernde Substanz sind, welche die Sumo-Elite aus aller Welt in die Stadt lockt. Es waren jedoch nicht die Teigwaren, die Dieter Folkmer und Dr. Werner Maiwald davon überzeugten, 1991, ein Jahr nach der Wiedervereinigung Deutschlands, Teile der Treuhandverwalteten Elektronik Riesa GmbH (ehemals VEB Robotron Elektronik) zu übernehmen. Dass die Wahl auf Riesa fiel, lag wohl vor allem daran, dass Folkmer aus der Gegend stammt, aber Elektronik Riesa besaß noch zusätzliche Anziehungskraft. Die Belegschaft des Unternehmens war von 1.500 auf 80 Mitarbeiter geschrumpft, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bleiben durften. Folkmer tat sich mit dem bayrischen Ingenieur Werner Maiwald zusammen, einem ehemaligen Manager des westdeutschen Elektronikriesen Siemens, um die neue Firma zu gründen und Niederlassungen in Riesa und München zu eröffnen. Der Firmenname BuS steht schlicht und einfach für „Bayern und Sachsen“ und spielt damit auf die Herkunft der beiden Gründungspartner an. Am Hauptsitz Riesa begann BuS mit der Herstellung von LED-Anzeigen für sogenannte OEM- (Original Equipment Manufacturer) oder Erstausrüster-Kunden. 1994 erhöhte Werner Maiwald, der ursprünglich nur stiller Teilhaber war, seinen Anteil an der Firma und ersetzte den Firmenmitbegründer Folkmer als Hauptgeschäftsführer. Das Unternehmen expandierte mit einer neuen Produktionsstätte und übernahm nun auch Forschungs- und Entwicklungsaufgaben für seine Kunden. 1997 fiel die Entscheidung, die Niederlassung in München zu schließen und sich ausschließlich auf Riesa zu konzentrieren, wo man neue Produktionslinien einrichtete, um das immer breiter werdende Produktangebot unterzubringen. Schon bald übernahm BuS die gesamte Leiterplattenmontage für einen größeren Rundfunkgerätehersteller. Im Jahr 2000 zog sich Dieter Folkmer zurück, und ein neuer Investor, die französische Firmengruppe Suez Industrie SA, wurde neben Maiwald zum Anteilseigner. Diese Fremdinvestition war jedoch nur von kurzer Dauer – bereits vier Jahre später zahlte Maiwald Suez aus, um wieder die alleinige Kontrolle zu übernehmen und rekrutierte Dr. Werner Witte als Geschäftsführer von BuS. Witte war 20 Jahre lang für Dräger tätig gewesen, einen großen Medizin- und Sicherheitstechnik-Hersteller, bei dem er eine Elektronikabteilung aufgebaut, dann ausgegliedert und als unabhängiger Dienstleister geleitet hatte. Danach war er zwei Jahre lang als Geschäftsführer des Berliner Fachverbands Elektronik-Design tätig gewesen. Er brachte genau die richtigen Erfahrungen mit, um mit BuS den nächsten Schritt zu machen.
4.2 4.2.1
Das Geschäft von BuS Der Zielmarkt
BuS ist ein sogenannter EMS-Lieferant (Electronics Manufacturing Services – ein Produktionsdienstleister für Elektronik). Sie werden wahrscheinlich noch nie von diesem Unternehmen gehört haben, wenn Sie nicht mit dieser Branche vertraut sind, aber das liegt daran, dass es keine elektronischen Markenprodukte wie
4.2 Das Geschäft von BuS
Abb. 4.1
55
Beispiele für eine montierte Leiterplatte und ein Kontrollmodul
beispielsweise Sony, Siemens oder Hewlett Packard herstellt. BuS hat sich statt dessen eine Nische in der Herstellung von Unterbaugruppen geschaffen, wie z. B. Leiterplatten, Displays und Teilsysteme sowie Module für OEM weltweit (siehe Abb. 4.1). So wie in der gesamten verarbeitenden Industrie ist auch im Elektronikbereich das Endprodukt meist ein Zusammenbau von Komponenten von einer Vielzahl spezialisierter Lieferanten. Viele dieser Komponenten werden ab Lager gekauft als Rohstoff, der für zahlreiche OEM-Produkte eingesetzt werden kann und daher in großen Mengen auf leistungsstarken Massen-Fertigungsanlagen (vor allem für die Unterhaltungs- und Haushaltselektronik und die Automobilindustrie) hergestellt wird. Dieser Bereich ist heute nahezu ausschließlich in der Hand asiatischer Hersteller, die aufgrund ihrer niedrigen Betriebs- und Lohnkosten hochwertige Komponenten zu konkurrenzlosen Preisen in Massen produzieren können. Doch das liegt außerhalb der BuS-Welt. Anstatt einfach Standardprodukte in Massen zu produzieren, hat sich das deutsche Unternehmen als Spezialist für die Herstellung kleiner und mittelgroßer Serien von maßgeschneiderten elektronischen Unterbaugruppen für eine klar definierte Kundengruppe etabliert. BuS hat sich zum Lieferanten von Produktionslösungen für seine Kunden entwickelt und stellt Leiterplatten und andere auf die spezifischen Anforderungen von OEM zugeschnittene Unterbaugruppen her. Beinahe unschlagbar ist die Firma im Bereich komplexe Komponenten in kleinen bis mittelgroßen Serien – zu groß, um von den OEM als Prototypen-Ware hergestellt zu werden, und zu klein für die großen asiatischen Outsourcing-Lieferanten, um eine eigene Linie dafür einzurichten. Dies funktioniert bei Modulen, die ein ausreichendes Maß an Automatisierung zulassen, um den Arbeitskostenanteil einer Einheit gering zu halten, und die es BuS ermöglichen, trotz seiner hohen westeuropäischen Arbeitskosten (wenn auch niedriger als in München) mit den niedrigeren Arbeitskosten in Ostasien zu konkurrieren. Wichtig sind wettbewerbsfähige Gesamtkosten pro Einheit, welche die oft übersehenen Kosten für Transport, Logistik, Kommunikationsverzögerungen und Missverständnisse sowie Flexibilitätsverluste aufgrund der Entfernung berücksichtigen. Der Grund für die Spezialisierung ist natürlich der, dass BuS in Deutschland und nicht in China ansässig ist und bei der Massenproduktion nicht
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4 BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“
konkurrenzfähig wäre. Doch obwohl Deutschland nicht die Produktionsvorteile der asiatischen Länder besitzt, verfügt das Land über eine hohe Ingenieurs- und Konstruktionskompetenz, und von dieser in reichem Maße verfügbaren Ressource profitiert BuS, um sein Produktangebot zu konzipieren. Das Unternehmen hat eine erhebliche Kaufkraft (es schätzt sein Einkaufsvolumen auf mehr als 50 Mio. Euro) und bietet seinen Kunden geeignete Komponenten zu einem guten Preis an. So übernimmt es auch die Verantwortung für die gesamte Logistik bei der Produktentwicklung und -herstellung. Die Logistik entwickelt sich in der Elektronikbranche immer mehr zu einem Schlüsselkriterium bei der Lieferantenwahl, und viele OEM nutzen gerne die Möglichkeit, diesen Geschäftsbereich an Dritte – wie BuS – auszulagern, die jedoch über umfassende Kenntnisse über das Kundengeschäft verfügen müssen. BuS konzentriert auf drei „Säulen“: Automobilindustrie, Industrieelektronik und Sonderprojekte.
4.2.2
Erfolge
Obwohl sich BuS in einer von schnell wachsenden, massenproduzierenden asiatischen Firmen dominierten Branche behaupten muss, ist das Unternehmen seit seiner Gründung vor 16 Jahren stetig gewachsen. Damals konzentrierte es sich mit einem Geschäftsführer und nur vier Mitarbeitern auf die Fertigung von LED-Displays und erweiterte sein Produktsortiment erst 1993 mit der Übernahme von Elektronik Riesa GmbH und deren 80 Mitarbeitern. BuS hat seine Belegschaft kontinuierlich vergrößert und ist mit heute 750 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber in Riesa. Zur Zeit unserer Besuche und Interviews im Jahr 2007 war das Unternehmen auf dem Weg, die Umsatzschallmauer von 100 Mio. Euro zu durchbrechen, und heute ist es der größte EMS-Lieferant im ehemaligen Ostdeutschland. Das Wachstum, obwohl nie außer Kontrolle geraten, ist hoch; innerhalb der letzten fünf Jahre hat die Firma ihre Belegschaft fast verdoppelt, und im November 2005 wurde eine neue, 6.000 m2 große Fertigungshalle eingeweiht, um der steigenden Nachfrage nachkommen zu können. Begleitet wurde das Wachstum von kontinuierlichen Verbesserungen bei Produktionseffizienz und Fertigungs-Know-how. „Im Zuge unseres Wachstums werden Logistik und Produktion neu aufgebaut – das gehört einfach dazu“, meint Maiwald. Und je größer das Geschäft, desto ausgefeilter die Methoden, um die zusätzliche Komplexität zu bewältigen und die Produktionseffizienz zu optimieren. 2005 verbesserte BuS seine Kostenanalysenmethodik, um die Produktpreise schneller und präziser kalkulieren, die Produktkosten genauer im Auge behalten und laufende Verbesserungen steuern zu können. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung befindet sich jetzt direkt neben der Produktion, ohne räumliche Abgrenzung – damit können neue Prozesse sehr schnell und häufig getestet und eingeführt werden. Die Verbesserungen kommen normalerweise von Seiten der Ingenieure, und obwohl die Mitarbeiter loyal und gut ausgebildet sind, haben sie nur einen begrenzten Einfluss darauf. 2004 übernahm Maiwald alle Unternehmensanteile, nachdem sich der einzige Aktionär, Folkmer, im Jahr 2000 zurückgezogen hatte. „Wir haben keinen
4.3 Die Geschäftsstrategie
57
Fremdinvestor mehr und damit mehr Freiheit, das zu tun, was wir wollen“, meint Maiwald. „Wir können jetzt so flexibel sein, wie es für einen kleinen bis mittelständischen Betrieb erforderlich ist. Unser Ziel lautet nicht Wachstum an sich, sondern ein Geschäft, dass wir beherrschen können. Wir bleiben jedes Jahr rentabel, wir können investieren und wir können wachsen, wenn wir wollen.“ Maiwald fügt hinzu: „Wir überprüfen, ob unsere Struktur und unsere Prozesse weiterhin effektiv sind. Unser Umsatz wächst; werden wir auch bei über 100 Mio. Euro genauso effektiv sein wie vorher?“ Produktivität ist laut Maiwald aufgrund des ständig veränderten Produkt-Sortiments schwer zu bemessen. BuS fertigt derzeit etwa 2.000 verschiedene Produkte, von denen jedes Jahr bis zu ein Drittel neu sind. Neue Produkte brauchen Zeit, um sie zu entwickeln und produktionstauglich zu machen: „Die Lernkurve kann die Produktivität zerstören“, meint Maiwald und warnt, dass weiteres Wachstum Probleme, aber auch Vorteile bringen kann. Denn mit jedem neuen Auftrag erwägt das Unternehmen sorgfältig, in welchem Maße es sich auf das variantenarme Großseriengeschäft einlässt und seinen Ausstoß vergrößert, indem es weitere Elemente zu seinem Produktsortiment hinzufügt. Die unvermeidliche Verkomplizierung, die damit verbunden ist, erfordert einen gut organisierten und gleichzeitig flexiblen Aufbau, um die optimale Effizienz zu erhalten.
4.3
Die Geschäftsstrategie
Ein inoffizielles Motto von BuS fasst seine Geschäftsphilosophie zusammen: „Dienstleistung – ganz auf Sie zugeschnitten.“ Dienstleistung ist ein Aspekt, den Hersteller von Massenwaren selten berücksichtigen müssen – deren Kunden verlangen genau die Produkte, die sie herstellen, und daher brauchen sie einfach nur die richtige Qualität zum richtigen Preis zu liefern. Service gehört jedoch zum Produktangebot von BuS dazu: „Sie suchen keinen Lieferanten, Sie suchen einen Partner für Ihre Elektronik“, so beschreibt die BuS-Imagebroschüre die Dienstleistungsphilosophie des Unternehmens. „Eine große Stammkundschaft und eine stetig wachsende Zahl neuer Kunden bestätigen die Richtigkeit unseres Konzeptes, individuelle technische und logistische Problemlösungen zu bieten – von der einfachen Bestückung der Leiterplatten über die technologische Beratung bis hin zur Entwicklung und Produktion kompletter Geräte, ‚Kniffliges‘ gleichermaßen einbezogen wie scheinbar ‚Unlösbares‘.“ Von Beginn an hat BuS diesen serviceorientierten Ansatz verfolgt und seine Produkte genau damit aufgewertet, was die großen asiatischen Massenhersteller nicht wollen – BuS fordert seine Kunden auf, ihre Probleme zusammen anzugehen, um somit eine geeignete Lösung zu finden. Der OEM-Kunde kann BuS eine Produktidee vorstellen, eine detaillierte Leistungsspezifikation oder gar eine vorhandene Leiterplatten-Baugruppe, die überarbeitet, verändert oder aktualisiert werden muss. Daraufhin konstruiert BuS eine auf die Kundenanforderungen zugeschnittene Lösung. Infolgedessen lagern zahlreiche Kunden einen erheblichen Anteil ihrer Konstruktion (nicht für das Produktdesign, sondern für die Fertigung) zu BuS aus.
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4 BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“
So kann beispielsweise ein Kunde, der eine Leiterplatte oder eine größere Baugruppe benötigt, die in einen begrenzten physikalischen Raum passen sowie unter speziellen klimatischen, elektromagnetischen und mechanischen Bedingungen funktionieren muss, sehr viel Zeit und Kosten sparen, indem er die Produktentwicklung an BuS vergibt. Die Kosten für dieses Projekt werden den hohen Anteil an Konstruktionskompetenz widerspiegeln; die Fertigungskosten, vor allem der Arbeitsanteil, werden für den Kunden sehr viel geringer ausfallen als es im EMSGroßseriensektor der Fall wäre. Der Erfolg von BuS wird daher in hohem Maße von der Mischung aus Produktionskapazität sowie Forschungs- und Entwicklungskompetenz bestimmt. „Wir sind ein Dienstleister“, sagt Maiwald. „Wir haben keine eigene Produktpalette, aber wir fertigen. Wir bieten unseren Kunden Komplettlösungen an einschließlich der Unterstützung ihrer eigenen Produktion und ihres Wunsches, ein rentables Gesamtsystem zu erreichen. Die Arbeitskosten stehen jedoch nicht im Vordergrund.“ Die Reduzierung der Gesamtfertigungskosten ist der Schlüssel der Wettbewerbsfähigkeit von BuS im EMS-Bereich – die Arbeitskosten stellen einen wichtigen Teil dar, aber Maiwald schätzt, dass die Materialkosten mehr als 60 % der Gesamtkosten ausmachen. BuS unterstützt seine Kunden bei der Beschaffung und beim Materialkosten-Management sowie bei der Reduzierung weiterer Kosten wie Logistik und Ausrüstung. Dennoch benötigt BuS ein gewisses Maß an Automatisierung um zu verhindern, dass die Arbeitskosten doch zum Problem werden. Der zusätzliche Service von BuS ist eine Kombination aus intellektuellem und Fertigungs-Know-how: „Die reine Dienstleistung kann auch im Ausland gekauft werden“, erläutert Witte, „die Kombination aus Material, Logistik und Arbeit ist es, die uns in Deutschland überleben lässt. Unser Sortiment konzentriert sich auf weniger als 1.000 Einheiten pro Fertigungsserie – damit kann man nicht nach China gehen. Selbst unsere Verkaufsschlager weisen so geringe Arbeitskosten auf, dass sich der Weg nach China aufgrund der hier erhältlichen Qualität nicht lohnen würde, und die Nähe zu unseren Kunden wiegt jeglichen Produktionskostenvorteil Asiens auf. Die Unterstützung der Prozesse in China von hier aus ist außer bei wirklich großen Mengen ebenfalls sehr teuer – und wir sind nicht auf dem Großserienmarkt tätig.“ Trotz alledem unterhält BuS in China Aktivitäten, um sein Dienstleistungsspektrum zu erweitern. Eine Zusammenarbeit mit einer chinesischen EMS-Firma ermöglicht es BuS auszuhelfen, wenn ein Kunde für den lokalen Markt einen vorgeschriebenen Mindestanteil seiner Produkte in China fertigen muss und dafür einen örtlichen Produktionspartner sucht. Außerdem sind BuS und sein chinesischer Partner Kunden behilflich, eigene Montagekapazitäten in China aufzubauen. Die Kleinserienfertigung von variantenreichen Produkten ist in Riesa wettbewerbsfähig, und niemand erwägt den Transfer von Kleinstserien nach Asien. Im variantenarmen Großseriengeschäft ist Riesa jedoch nur dann erfolgreich, wenn die Mehrwertkomponente des Fertigungsprozesses (und nicht die von F&E oder der reinen Dienstleistung) zwischen 15 und 25 % liegt. Es gibt einige Kunden, die beide Bereiche bedienen und sowohl variantenarme Großserien- als auch variantenreiche Kleinserienprodukte benötigen, und diese Kunden möchten beides von ein- und
4.4 Produktionsherausforderungen
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demselben Lieferanten. Dieses Problem versucht BuS durch die Zusammenarbeit mit seinem chinesischen EMS-Lieferanten IMI zu lösen, der sich um die variantenarme Großserienproduktion kümmert, während BuS in Riesa für die wesentlichen technischen, Kundendienst- und logistischen Aktivitäten verantwortlich bleibt.
4.4
Produktionsherausforderungen
Einer der großen Vorteile der Großserienfertigung ist ihre Einfachheit. Man baut eine Fertigungsstraße, lässt sie ohne Abweichungen laufen und produziert einen endlosen Fluss standardisierter Waren. Die Firma BuS hat jedoch den entgegengesetzten Weg eingeschlagen, indem sie die variantenarme Großserienfertigung nur sehr vorsichtig einsetzt, und aus diesem Grund sind ihre Produktionsprozesse erheblich komplexer als die ihrer asiatischen Gegenspieler. Die Fertigung ist dank des diversifizierten Bedarfs von über 200 Kunden kaum saisonalen Schwankungen unterworfen, „aber natürlich kämpfen wir mit der Vielfalt“, meint Witte. „Unser Verkaufspersonal schafft es, die allgemeine Nachfrage sehr gut zu prognostizieren, bei den einzelnen Kunden fällt dies jedoch immer schwer.“ Diese Vielzahl von Kleinserien-Produktionsläufen und die stetige Einführung neuer Produkte werden durch eine geringe Zahl von relativ großen Serien, den Verkaufsschlagern, ausgeglichen. Doch im Vergleich zu den asiatischen EMS-Lieferanten handelt es sich dabei noch immer um relativ kleine Serien, die sich aber so sehr von den variantenreichen Kleinserienprodukten von BuS unterscheiden, dass sie ein separates Produktionsmanagement erfordern. „Die Verkaufsschlager machen etwa 50 % unserer Erträge aus“, sagt Witte. Derzeit werden etwa 50 solche Verkaufsschlager gefertigt, die auf speziellen Bändern von ausschließlich für das jeweilige Produkt bestimmten Maschinen produziert werden. Diese fest zugeordneten Produktionsinseln arbeiten getrennt vom hoch flexiblen und stetig wechselnden Produktionsprozess, der bei der Fertigung von fast 2.000 Kleinserienprodukten zur Anwendung kommt. Damit dies alles in einer von kontinuierlichem Wechsel geprägten Atmosphäre auch funktionieren kann, investiert BuS stets in neue Maschinen, von denen man einige bei mehreren Produkten, andere ausschließlich bei einem der o. g. Produkte einsetzt. Die Fertigung der Kleinserienprodukte wird während ihrer gesamten Lebensdauer ständigen Verbesserungen unterzogen, und auch Parameter wie Produktionsfluss und Testverfahren werden ständig angepasst. Die Produktionsinseln werden dagegen so früh wie möglich optimiert, und dann wird nichts mehr geändert. Mit verschiedenen Strukturen versucht man, Konflikte zwischen Verkauf und Produktion („Wir reagieren schnell auf Kundenänderungswünsche in letzter Minute“ gegen „Wir müssen Komplexität und Planungschaos zumindest in Grenzen halten“) zu begrenzen. Erstens entscheiden die Geschäftsführer selbst, welche Kundenprojekte angenommen werden; die Sortimentsstruktur ist eine strategische Variable. Zweitens sind in die Produktion zwei Puffer integriert – die dem Kunden angebotene Durchlaufzeit beträgt zwei Wochen, während Projekte mit hoher
60 Abb. 4.2
4 BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“ Fertigungsstraßen
Priorität in Wirklichkeit innerhalb einer Woche geliefert werden können. Darüber hinaus gibt es in der Fertigungsabteilung explizit einen Überkapazitätspuffer von 20 %. Diese beiden Puffer erlauben im Falle von Änderungswünschen eines wichtigen Kunden eine schnelle Reaktionszeit. Schließlich werden die Verkaufsschlager in fest zugeordneten Produktionsinseln gefertigt und sind von Planungsänderungen durch andere Produkte nicht betroffen (Abb. 4.2). Flexibilität beim Produktionsprozess muss von einer vergleichbaren Flexibilität der Belegschaft begleitet werden. Da die Arbeit für BuS ein entscheidender Faktor ist, kann sich das Unternehmen nicht leisten, seine technischen Vorteile durch mangelnde Kontrolle der Arbeitskosten zu vergeuden. „Jedes neue Produkt bringt bis zu 1.000 neue Komponenten in unser System“, erläutert Witte. „Wir brauchen Mittel zur Handhabung dieser Komplexitätsexplosion, ohne zusätzliche Mitarbeiter einstellen zu müssen.“ Zu diesen Mitteln gehören technisches und Prozessdesign, Mitarbeiterschulungen und eine Schwerpunktverlagerung auf das Prinzip „Design for Manufacture“ (d. h., das Design zielt darauf ab, eine möglichst einfache Herstellung zu gewährleisten). Jedes Produkt ist so konstruiert, dass es den Montageprozess vereinfacht und manuelle Arbeitsschritte minimiert. Aber auch kulturelle Fragen können hilfreich sein. Witte räumt ein, dass BuS von den niedrigeren Löhnen in Ostdeutschland abhängig ist. Er behauptet aber auch, dass BuS als größerer Arbeitgeber auf eine ungewöhnlich loyale Belegschaft zählen kann, und lobt die „Mentalität und das Qualifikationsniveau der Menschen in dieser Region und die Unterstützung durch das Umfeld. Die Menschen hier sind z. B. gerne bereit, in Nachtschicht zu arbeiten.“ BuS bietet auch ein effektives Prämiensystem, bei dem ein gewinnabhängiger Bonustopf je nach individueller Leistungsbewertung, Betriebszugehörigkeit und Position aufgeteilt wird. Wer so abhängig von der Kleinserienfertigung ist wie BuS, kann sich keine längeren Produktionsverzögerungen leisten, so dass der gesamte Prozess vom Produktdesign bis zur Fertigung so reibungslos wie möglich ablaufen muss. Produktionsplanung und -konstruktion arbeiten daher Hand in Hand und jeweils eng mit dem Vertrieb zusammen. Wenn ein Kunde einen unterschriebenen Vertrag
4.5 Einzigartigkeit als Schlüssel zum Erfolg
61
erhält, der bestimmte Mengen, Funktionalitäten, Pläne und Kosten garantiert, dann wurde er bereits von sämtlichen BuS-internen Abteilungen abgezeichnet. Es darf nicht sein, dass Vertriebsmitarbeiter dazu berechtigt sind, Kunden Ergebnisse zu versprechen, die noch nicht überprüft worden sind. Die Produktionsplanungsabteilung überprüft die Machbarkeit und stellt die erste Genehmigung aus; dann fragt sie beim Einkauf nach, ob die erforderlichen Komponenten verfügbar sind, und erstellt eine zweite Genehmigung. Erst dann investiert BuS in den Fertigungsprozess. Da Wachstum für BuS eine Sortimentsverbreiterung und damit erhöhte Fertigungskomplexität bedeutet, ist die Produktionsflexibilität von entscheidender Bedeutung. Die Konstruktionsabteilung spielt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle und unterstützt die Kunden dabei, ihre Layouts zu optimieren, Fertigungsstraßen zu entwickeln sowie Ausrüstung und Produktionsstrategien zu testen. Die extreme Vielfalt erschwert die Produktion, und das Unternehmen braucht seinen Kapazitätspuffer von 20 %, um Produktveränderungen und die Inbetriebnahme neuer Fertigungsstraßen abfangen zu können. Zwischen 2005 und 2007 nahm BuS eine Umstrukturierung der Produktion vor, um die Flexibilität zu erhöhen. Die Kleinserienmontagen und -systeme – i. d. R. wenigerals 1.000 Einheiten – werden nach Eingang auf flexiblen Fließstraßen bearbeitet. Es folgt die Produktionsplanung, die eine optimale Kombination aus geringer Wartezeit und schnellen Umstellungszeiten der Bänder anstrebt. Im größten Fertigungsgebäude sind die Bänder parallel angeordnet, und an jedem Ende sitzen etwa 30 Mitarbeiter, die den manuellen Teil der Komponentenmontage ausführen, also den Teil des Prozesses, bei dem sich eine Automatisierung nicht lohnt (beispielsweise bei Altprodukten). BuS sucht stets nach Möglichkeiten, diesen manuellen Arbeitsanteil zu reduzieren, und hofft dabei auf Vorschläge aus den Produktionsteams. Der Durchfluss durch die gemeinsam genutzten Fertigungsstraßen wird optimiert, um Produktionskonflikte zu vermeiden. Auch wenn BuS bemüht ist, die Umstellungszeiten am Band zu reduzieren, sind gelegentliche Engpässe unvermeidlich. In diesen Fällen nutzt BuS seine freien Kapazitäten zur Beschleunigung beider Fertigungsstraßen, um den Engpass zu beseitigen, anstatt ein Band vorrangig zu behandeln und damit die Produktion des anderen Produkts zu verzögern. Es versteht sich von selbst, dass das breite Sortiment mit seiner Komplexität und Flexibilität nicht auf Kosten hoher Qualitätsstandards bei der Kundenbelieferung geht. Diese werden durch aufwendige Tests innerhalb der einzelnen Produktionsschritte sowie am Ende der Montage erreicht (Abb. 4.3).
4.5
Einzigartigkeit als Schlüssel zum Erfolg
Die strategische Position von BuS ist einzigartig in der EMS-Branche, wie der Blick auf einen Mitbewerber zeigt. 1977 erschien eine US-Firma namens Solectron in der schnell wachsenden Halbleiter-Industrie im kalifornischen Silicon Valley
62
4 BuS: „Wir machen, was sonst niemand macht“
Abb. 4.3 Testen der Elektronik
und bot Produktionsdienstleistungen für Elektronikhersteller an. Die Firma wurde sehr erfolgreich, da die Wettbewerbsfähigkeit in dieser Wachstumsbranche von der Fähigkeit abhing, neue Produkte vor der Konkurrenz auf den Markt zu bringen. Indem sie zusätzliche (ausgelagerte) Produktionskapazität anbot, konnte Solectron den Kunden helfen, ihren Vorsprung zu halten. Das war die Geburt der EMS-Branche. Solectron ist noch immer der weltweit größte EMS-Lieferant, doch selbst dieser musste sich der Stärke der aufstrebenden asiatischen Konkurrenz beugen. Im Juni 2007 wurde Solectron von der in Singapur ansässigen Firma Flextronics für US $3,6 Mrd. übernommen. Die meisten EMS-Lieferanten sind dem Solectron-Modell gefolgt und haben sich für die variantenarme Großserienfertigung entschieden. BuS könnte kaum unterschiedlicher sein und ist doch in der gleichen Branche tätig. Der Geschäftsansatz von BuS ist vielleicht einzigartig. Er erfordert stets die Suche nach dem goldenen Mittelweg zwischen Arbeitskosten und anderen Fixkosten in Deutschland einerseits und spezialisiertem Know-how bei der maßgeschneiderten Produktion und Kundennähe andererseits, die Flexibilität und schnelles Reagieren ermöglicht. Unternehmen wie Solectron/Flextronics stellen keine direkte Gefahr für BuS dar. „Wir sind anders. Wir bedienen den Kunden auf einzigartige BuS-Art“, sagt Maiwald. „Wir zielen auf ein völlig anderes Kundensegment ab.“ Das bedeutet nicht, dass BuS nicht die Klingen mit Solectron/Flextronics gekreuzt hat. Das größere Unternehmen fertigte Produkte in Ungarn an, aber auf völlig andere Weise als BuS. „Wir können uns kurzfristig in hohem Maße anpassen“, erläutert Witte. Diese Fähigkeit, Aufträge zu übernehmen, die kaum ein anderer EMS-Lieferant leisten kann oder will, wird von einer hoch qualifizierten und hoch motivierten Belegschaft unterstützt. Die Ingenieure und Konstrukteure von BuS verfügen über eingehende Kenntnisse der OEM-Anforderungen und über Produktdesignund Entwicklungskönnen, das kaum ein anderer EMS-Lieferant bieten kann. Aus diesem Grund ist BuS seinen Kunden näher und unterhält mit den meisten eine enge Partnerschaft, die mittel- bis langfristige Sicherheit für zukünftigen Wohlstand bedeutet.
TEIL III
Netzwerk-Strategie
Kapitel 5
VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
In diesem Kapitel präsentieren wir ein mittelgroßes Unternehmen mit der intelligenten Strategie, einerseits in Deutschland flexibel und nach dem neuesten Stand der Technik zu produzieren, andererseits in Fernost Standard- und arbeitsintensive Produkte herzustellen, und das auf eine Art und Weise, die das gesamte Unternehmen stärkt. Doch nicht nur diese kluge Vorgehensweise macht die Firma zu etwas Besonderem – durch modernste technologische Innovationen wurde aus einer kleinen Firma einer der Weltmarktführer für Mikrobatterien, der beispielsweise Apple Computer und Hörgerätefirmen beliefert und der von einem charismatischen Firmenleiter so sehr in Schwung gebracht wurde, dass aus den verschiedensten Richtungen zu Innovationen beigetragen wird.
5.1
Einführung
Eine Firma ist wie eine Volleyballmannschaft: Jeder weiß, was jeder zu tun hat; es geht darum zu ‚wittern‘, wo der Ball herkommt. Wenn man verliert, hat der Trainer verloren. Wenn man gewinnt, hat die Mannschaft gewonnen. Dr. Dejan Ilic
Während der 15-jährigen Firmenzugehörigkeit von Dr. Dejan Ilic bei Varta Microbattery GmbH, davon neun als Geschäftsführer, wurde der Umsatz von DM8 Mio. auf $50 Mio. gesteigert. Ilic sieht klare Gründe für den Erfolg: „Wenn man sich eine Zukunft aufbauen möchte, muss man aus der Vergangenheit lernen, und man benötigt Innovationen auf jedem Gebiet, sonst gibt es keine Zukunft. Bei Varta Microbattery befindet sich immer alles im Stadium der Entwicklung, einschließlich des Managements – wir brauchen Innovationen auf allen Ebenen. Wir beginnen jedes Jahr mit der Entwicklung eines neuen Produkts (keine Modifikation, sondern ein völlig neues Produkt), und jedes neue Produkt erfordert eine neue Technologie. Wir bringen auch jedes Jahr drei bis fünf neue Produkte
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
65
66
5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
auf den Markt. Unser technisches Personal bietet den Kunden Lösungen, aber Innovationen sind auch im Verkauf und im Marketing notwendig.“ Sechs Jahre nach der Abtrennung von der Muttergesellschaft VARTA AG ist die Varta Microbattery (VM) eine vielfach ausgezeichnete Firma geworden: sie ist anerkannt als Markt- und Technologieführer auf den Gebieten wiederaufladbare Mikrobatterien und Hörgerätebatterien, und sie hat bewiesen, dass sie in Europa überleben kann, zu einer Zeit, in der in diesem Sektor sowohl unqualifizierte als auch qualifizierte Arbeitsplätze in Niedriglohnländer verlagert werden. Im April 2006 gewann VM den IEA-Wettbewerb für Deutschland, und im Januar 2007 wurde die Firma mit dem Innovationspreis der deutschen Wirtschaft ausgezeichnet. Wie hat VM das geschafft? Durch eine Kombination von bahnbrechenden Innovationen und der richtigen Mischung aus Off- und Inshoring, mit der die Firmenaktivitäten dort stattfinden, wo sie aus geschäftlicher Sicht am meisten Sinn machen, sowohl für den asiatischen als auch für den europäischen Markt. VM entwickelt und produziert Hochtechnologie-Produkte in Deutschland, während andere Produktionsbereiche nach China und Indonesien verlagert werden, was zu insgesamt niedrigen Produktionskosten führt – ein Geschäftsmodell, das sich dem üblichen Trend in diesem Sektor widersetzt. Das grundlegende Geschäftsprinzip von VM ist, in Deutschland zu produzieren und in Asien auszuliefern. Während Produkte wie die aus einer Zelle bestehenden Batterien für Hör- und ähnliche Geräte in Deutschland hergestellt werden und direkt zu den Kunden gehen, erfolgt die Entwicklung der viel beachteten Originalherstellerprodukte („OEM-Produkte“) in Deutschland, die Montage und Verpackung jedoch in Asien. Dr. Ilic drückt es so aus: „Stellen Sie es sich wie bei der Herstellung einer Jacke vor – wir machen den Rumpf in Deutschland und fügen in Asien den linken Ärmel und den Reißverschluss hinzu.“ Das Hauptkriterium ist hierbei der Einfluss der Arbeitskosten auf die Gesamtproduktionskosten. Dr. Ilic besteht darauf, dass die Arbeitskosten bei ca. 10–15 % bleiben müssen: „Wenn sie viel höher gehen, stirbt man.“ In Deutschland erreicht man dieses Ziel durch Automatisierung und Zuverlässigkeit. Obwohl Automatisierung hohe Investitionen bedeutet und das Produkt selbst das Ergebnis hochmoderner Forschung, Entwicklung und Technologie ist, führt dies zu einer Senkung der Arbeitskosten. In Asien, wo die Montage und das Verpacken erfolgen, sind die Arbeitskosten viel niedriger und die technischen Ansprüche weniger entscheidend. Die Struktur der Firma hat sich radikal geändert, seit VM 2001 von der VARTA AG abgespalten wurde. Damals ließen sich die Aktivitäten folgendermaßen aufgliedern: 50 % Vertrieb, 30 % Produktion und 20 % technische Entwicklung. Fünf Jahre später sieht man 80 % technische Entwicklung und Fertigung sowie 20 % Vertrieb. Um aus einer über einhundert Jahre alten Firma ein derart flexibles und rühriges Unternehmen zu machen, bedurfte es der Veränderung der Firmenkultur bei der gesamten Belegschaft sowie der Konzentration auf Innovationen bei sämtlichen Produkten, Systemen und Funktionen.
5.2 Hintergrund
5.2
67
Hintergrund
VARTA Batterien haben bei einigen der wichtigsten Fortschritte der Menschheit in den letzten 120 Jahren eine Rolle gespielt, u. a. in Nansens erster Polarexpedition in den 1890ern und 1969 bei der Mondlandung von Apollo 11. Die Firma wurde 1888 in Deutschland unter dem Namen Busche und Müller gegründet. 1904, nach Investitionen von AEG und Siemens, wurde die Firma in VARTA umbenannt, die Abkürzung für Vertrieb, Aufladung und Reparatur transportabler Akkumulatoren. VARTA war stets bestrebt, an vorderster Front der Stromtechnologie zu stehen. Die ersten amerikanischen Autos, die in Deutschland verkauft wurden, waren mit VARTA Batterien ausgestattet, und die Batterien, die Nansen mit zum Nordpol nahm, konnten Temperaturen von –50ºC standhalten. 1926 übernahm man den Hersteller der ersten lagerfähigen Trockenzellbatterien, und 1955 gab es 23 Patente für die papierverkleidete Batterie und den Trockenzellseparator von VARTA, was den Auftakt zur Massenproduktion bedeutete. Um 1962 wurden sämtliche Autobatterien unter dem Namen Varta vertrieben, der international als Maßstab für Qualität und Leistungsfähigkeit anerkannt war. 1972 eröffnete VARTA sein erstes ausländisches Werk in Singapur, 1975 sein erstes Verkaufsbüro in Hongkong. Um 1977 hatte man erkannt, dass VARTA eigentlich völlig verschiedene Bereiche umfasste, und teilte das Unternehmen in die drei Geschäftsbereiche Automobil, Portable und Konsumentenbatterien auf, um die Mittel gezielter einzusetzen. Die internationale Expansion lief anderthalb Jahrzehnte weiter, und 1991 wurde ein Werk in Batam in Indonesien gebaut. Die Knopfzellenproduktion wurde Anfang der 1990er von Dr. Dejan Ilic als eigenes Geschäftsfeld aufgebaut. 1997 verlagerte man diese Einheit nach Ellwangen, damit die Produktion vollautomatisiert werden konnte. Ilics Einheit, die VARTA Microbattery GmbH, wurde 2001 abgespalten, um sich auf die neuen Miniaturbatterien zu konzentrieren, besonders auf Produkte für OEMKunden aus den Bereichen mobile Kommunikation sowie medizinische und elektronische Ausrüstung. Noch im gleichen Jahr eröffnete man ein Joint venture-Werk in Guangzhou, um den wachsenden Bedarf an Mikrobatterien in China zu decken. Im Jahr 2002 fusionierte der VARTA Geschäftsbereich für tragbare Batterien mit der US-Firma Rayovac. Der Automobilbereich wurde an eine andere amerikanische Firma verkauft, Johnson Controls, und damit wurde die VARTA Microbattery GmbH (VM) eine eigenständige Firma. Fünf Jahre später führte der Erfolg von VM, Lösungen für technische Probleme der Kunden zu finden und die Produktionskostenstruktur zu optimieren, das Unternehmen zur Marktführerschaft auf den Gebieten Notebook Computer, technische Anwendungen und elektronische Steuerungsmodule sowie auf Rang zwei in den Bereichen medizinische Anwendungen und Hörhilfen. Die Verbraucherprodukte von VM werden unter dem Markennamen PowerOne vermarktet, während der Markenname VARTA für OEM-Kunden verwendet wird. PowerOne umfasst eine breite Palette an Mikrobatterie-Technologien, u. a. ZinkLuft, Ni-MH-Akkus, Lithium, Silberoxid, alkalische Manganbatterien und die
68
5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
Abb. 5.1 Varta Mikrobatterien für elektronische Geräte
neue PoLiFlex, eine innovative Polymerbatterie ohne freien flüssigen Elektrolyten, wodurch sie sehr sicher ist und nicht auslaufen kann. PowerOne Batterien werden u. a. in Hörhilfen, Fotoausrüstung, Computern, Smartcards sowie in kleinen elektronischen, tragbaren und medizinischen Geräten eingesetzt. Dünnfilm- und Mikrobrennstoffzellen-Batterien werden derzeit für mehrere Anwendungen entwickelt (Abb. 5.1 und 5.2). Die Firma beschäftigt weltweit ca. 1.300 Mitarbeiter und verkaufte 2005 über 400 Millionen Mikrobatterien mit Verkaufserlösen von ca. $130 Mio.
Abb. 5.2 Dünnfilmbatterie für eine Multi-Sensor-Karte
5.4 Charisma, Kulturwechsel und Teambuilding
5.3
69
Neues Denken
Die Grundlagen für das traditionelle Unternehmenswertmodell von VARTA waren Technologie, die für die Zukunft geplante Firmengröße, kostenbasierte Kontrollen und die Fokussierung auf die Erwartungen der deutschen Aktionäre. Das neue Denken bei VM betont die Profitabilität, indem es technischen Fortschritt direkt mit Unternehmensgewinnen verbindet, unternehmenswertbasierte Kontrollen einführt und sich an den internationalen Kapitalmärkten orientiert. Das Motto der heutigen Marktpositionierung lautet „Mobility for you“ (Mobilität für Sie) und gilt sowohl für Kunden als auch für Geschäftspartner weltweit. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Technologieentwicklung. Des Weiteren verfolgt man bei VM die Strategie, den unternehmerischen und innovativen Geist innerhalb der Firma aufrechtzuerhalten und dadurch sicherzustellen, dass sich Forschung & Entwicklung mit den Kundenanforderungen decken, was auf der einfachen Annahme gründet, dass Innovationen, die nicht auf Kundenanforderungen basieren, keine Gewinne abwerfen. VM beobachtet ständig den Markt und ist bestrebt, Verbindungen zwischen Vorgehen, Wettbewerb und Wachstum zu schaffen. Für die Umsetzung der Strategie ist es von großer Bedeutung, entscheidende Wettbewerbsvorteile auszumachen und sicherzustellen, dass sie von der Belegschaft auch erkannt werden. So stellt beispielsweise die interne Betonung von Qualität und Zuverlässigkeit nachweislich einen Vorteil dar, ebenso die Konzentration der Firma auf Innovationen in allen Bereichen – von spezifischen Produkten über innovative Systeme bis hin zum preisgekrönten Verpackungsdesign. Dennoch liegt das Hauptaugenmerk der Firma auf allen Organisationsebenen auf der Bereitstellung von Kundenlösungen, von der Produktion neuer Zellen von hoher Kapazität bis hin zu einem System, das zu einer schnelleren Belieferung des Marktes führen soll. Die Mitarbeiter von VM orientieren sich an sechs Maximen: Ergebnisse, Kunden, Qualität, Teamarbeit, Innovation und Integrität. Zu den zahlreichen Preisen, die VM gewonnen hat, zählen „Innovator des Jahres 2004“ und „Entrepreneur des Jahres 2005“ (an Ilic persönlich). Die Ehrungen zeigen, wie erfolgreich Varta seine Werte, Strategien und Ziele in greifbare Ergebnisse umgesetzt hat. Viele Firmen behaupten von sich, sie seien unternehmerisch, offen für Neuerungen und fokussiert auf die Kundenanforderungen, aber nur wenige werden ihren eigenen Behauptungen gerecht – VM gehört dazu. Was sind die treibenden Kräfte hinter diesem Kulturwechsel, der die Firma in die Lage versetzt hat, in solch kurzer Zeit derart spektakuläre Erfolge zu erzielen?
5.4
Charisma, Kulturwechsel und Teambuilding
Dr. Dejan Ilic mag das Wort „Motivation“ nicht – er spricht lieber von Mobilisierung: „In jedem von uns steckt ein Einstein, man muss ihn nur aufwecken. Niemand [bei VM] hat eine großartige Stellenbeschreibung. Ich frage nie: ‚Was möchten Sie
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5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
tun?‘ Die richtigen Fragen lauten: ‚Wo möchten Sie arbeiten? Wo können Sie Ihre Fähigkeiten bestmöglich einsetzen?‘ “ Als Ilic 1998 Geschäftsführer von VM wurde, hatte er sich innerhalb der Mutterfirma schon einen Ruf für seinen unternehmerischen Ansatz aufgebaut. Er begann seine Karriere als Forscher im Bereich wiederaufladbare Energiespeicherung und errichtete 1996 als Mitglied der Führungsriege der VARTA AG die Fertigungsanlagen für die Rundzellbatterien in Ellwangen. Als VM von der VARTA AG abgespalten wurde, suchte man nach einer kreativen Führungspersönlichkeit, die der Organisation unternehmerische Prinzipien einhauchen, die Wertschöpfung verbessern und innovative Ideen entwickeln konnte, um die Wettbewerber zu schlagen. Der Geschäftsführer sollte die Bedürfnisse der Angestellten verstehen und Rahmenbedingungen schaffen, in denen sie ihre Ambitionen nach den Firmenvisionen ausrichten konnten. Dejan Ilic war die naheliegende Wahl. Körperlich groß, mit enormer Energie und Sinn für Humor ist Ilic eine unerwartet umgängliche Persönlichkeit. Als begeisterter Sportler und früherer Jugendspieler der serbischen Volleyball-Nationalmannschaft gründete er nach seinem Umzug nach Ellwangen eine Junioren-Volleyballmannschaft und ist seitdem eine prominente Figur im Ort. Bei VM genießt er Respekt und Bewunderung – aber keine Huldigung – und ist ein Orientierungspunkt für alle („Wie Dr. Ilic zu sagen pflegt…“). Der Leiter der F&E-Abteilung, Arno Perner, fasst Ilics Führungsstil folgendermaßen zusammen: „Er glaubt an die Entwicklungsfähigkeit der Leute – an Teambuilding und die Bildung kreativer Gruppen. Er erkennt gute junge Leute, verschafft ihnen früh Gelegenheiten, sich zu beweisen, und bringt sie weiter. Jeder trägt Verantwortung, auf allen Ebenen der Firma. Es herrscht ein Gefühl von Eigentum – die Anerkennung von Leistung und Erreichtem. Es gibt einen Prozess, durch den die Leute ihre eigenen Ideen einbringen können, um Verfahren und Produkte zu verbessern. Ideen werden belohnt – nicht nur finanziell, sondern auch durch Preise und Anerkennung.“ Gleichzeitig verhindern Teamarbeit und funktionsübergreifende Zusammenarbeit (siehe Abschn. 5), dass die Mitarbeiter durch diese individuellen Belohnungen bei der Preisgabe ihrer Ideen Egoismus zeigen. Auf die Frage, wie der Leiter von VM dies schafft, antwortet Dr. Perner ohne Zögern: „Er hat die Philosophie der Firma geändert und war von Anfang an kreativ. Seine Haupteigenschaft liegt darin, dass er Teambaufbau und Motivation beherrscht. Vielleicht ist es seine größte Gabe, dass er Menschen und Fähigkeiten in Einklang bringen kann – er bringt die Leute dazu, Dinge zu tun, die sie sich nicht zugetraut haben.“ Dr. Perner weiß dies besser als die meisten. Er war 13 und ein halbherziger Schüler, als er Ilic erstmals begegnete, der ihn als Spieler des Junioren-Volleyballteams von Ellwangen trainierte und förderte, was sich als reiche Ausbildung für mehr als nur Volleyball herausgestellt hat. Perner wurde Ilics Protegé, arbeitete während seines Universitätsstudiums wöchentlich 20 Stunden als Praktikant bei VM und machte schließlich sein Diplom als bester Chemiestudent Deutschlands. Auf Ilics Vorschlag promovierte Perner an der Universität Ulm, unter der Regie eines von Ilic vorgeschlagenen Doktorvaters. VM finanzierte Perners Doktorarbeit, und zwar
5.5 „Innovationen auf jedem Gebiet und jeden Tag“
71
ohne die Verpflichtung, nach deren Abschluss bei Varta anfangen zu müssen. Perner hat jedoch nie woanders gearbeitet. Dr. Perners Geschichte ist kein Einzelfall. VM bietet jedes Jahr mindestens drei Studenten europäischer Universitäten Praktika an, vor allem von Instituten aus der Region, wie der Universität Ulm, dem nächstgelegenen Fraunhofer Institut und der Universität Graz in Österreich. Die Praktikanten arbeiten normalerweise in den Bereichen Produktion, Technologie oder F&E. Wie Perner haben sie keinen Vertrag, der sie verpflichtet, in der Firma zu bleiben, auch wenn ihre Arbeiten an der Universität gesponsert werden. Bezeichnenderweise bleiben jedoch alle Praktikanten im Unternehmen. Die Fluktuation innerhalb der Firma ist sehr gering, und bei Neueinstellungen von außerhalb des Unternehmens handelt es sich fast ausschließlich um junge Leute; die Einstellung reiferer Mitarbeiter ist ungewöhnlich. Dejan Ilic verdient das Prädikat „charismatisch“ wahrscheinlich mehr als viele Geschäftsführer, die gerne so genannt würden. Er erwartet viel von seinen Angestellten, hat aber auch eine sehr menschliche Ausgangsposition: „Man muss den Leuten vertrauen, und wenn sie Unterstützung brauchen, muss man sie ihnen auch bieten. Ich spreche mit jedem, und sie sprechen alle mit mir. Man muss den Leuten die Flexibilität erlauben, Fehler zu machen. Ich sage ihnen: ‚Sie können Fehler machen, aber nicht zweimal denselben‘. In den ganzen 15 Jahren habe ich nur zwei Mitarbeiter entlassen. Manchmal möchten die Leute keine Verantwortung übernehmen, und wenn das passiert, muss man einen Weg finden, ihnen die Furcht zu nehmen.“
5.5
„Innovationen auf jedem Gebiet und jeden Tag“
Es ist kein Zufall, dass sich VM ausgerechnet in Schwaben so gut entwickelt, einem europäischen Zentrum mittelgroßer Technologiefirmen mit vielen hoch spezialisierten Herstellern technischer Ausrüstung. Bei einer Arbeitslosenrate von deutschlandweit 10 % verzeichnet Schwaben weniger als 5 %. Obwohl die Produktionsanlagen von VM einige der ausgeklügeltsten und modernsten Spezialmaschinen mit sofortigen Lieferservice benötigen, sind viele der Lieferanten in einem Umkreis von 10 km von Ellwangen aus zu finden. Von den 500 Angestellten in Ellwangen arbeiten 150 als Ingenieure, Techniker oder Konstrukteure in F&E, ein hoher Prozentsatz. Neuproduktentwickler arbeiten mit den Konstrukteuren bereits ab dem Konzeptstadium zusammen. Projekte werden in Machbarkeitsstudien bewertet, die zu gleichen Teilen von den Abteilungen Produktion, Marketing und F&E erstellt werden, und nur 20 % der Projekte kommen über dieses Stadium hinaus. Die Ressourcen werden fast gleichmäßig auf kurz- und langfristige Projekte aufgeteilt, wobei letztere geringfügig höher bewertet werden. Die Projektgruppen sind klein und bestehen i. d. R. aus vier bis acht Mitarbeitern, wobei die meisten an zwei oder drei verschiedenen Projekten arbeiten und die Projektmanager im Allgemeinen ein größeres und zwei kleinere Projekte betreuen.
72
5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
Neutechnologieprojekte dauern typischerweise zwei Jahre, kürzere Projekte sechs Monate. Regelmäßige gemeinsame Sitzungen der Abteilungen Vertrieb, Marketing, Logistik, F&E und Qualitätskontrolle überwachen Produktentwicklung und Fortschritt. Sie finden monatlich für die Einzelzell-Batterien und die Endverbraucherprodukte statt und alle zwei Wochen für die OEM-Produkte – die Zeitpläne sind dabei sehr wichtig, da die Produkte zu festgelegten Zeiten die Märkte erreichen müssen. Trotzdem wird die für F&E aufgewendete Zeit als unverzichtbar und keineswegs als Luxus betrachtet. „Die Mitarbeiter brauchen Zeit, um kreativ zu sein, und wir müssen ihnen erlauben, verrückte Ideen zu haben“, sagt Arno Perner. Er nennt ein Beispiel, bei dem die Forschung über ein Laserverfahren zum Zusammenschweißen zunächst zu keinem brauchbaren Ergebnis führte, dann aber auf andere Weise die Produktion revolutionierte. „Unsere Laserspezialisten entdeckten, dass die Laser für einen anderen Prozess eingesetzt werden konnten, nämlich zum Schneiden statt zum Zusammenschweißen. Wir produzierten damals viele verschiedene Elektroden, und für jede waren neue, maßgeschneiderte Schneidwerkzeuge aus rostfreiem Stahl erforderlich. Ein Schneidwerkzeug aus rostfreiem Stahl brauchte drei Monate Entwicklungszeit, wohingegen der Laserschneider in drei Stunden umprogrammiert und jeder Elektrode individuell angepasst werden konnte. Die Kosten- und Zeitvorteile waren enorm.“ Innovation bei VM bedeutet mehr als neue Technologie. Produktionszeit und -kosten haben starken Einfluss auf die Gewinne, weshalb Fertigung und Prozesse bei VM dauernd überarbeitet werden, um einen maximalen Durchsatz zu erreichen. Wenn sich Gelegenheiten für Verbesserungen in der Produktion bieten, wird das Bedienpersonal der Maschinen aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen und Vorschläge zu machen, was in einigen Fällen genauso wichtig ist wie die Entwicklungsarbeit der Ingenieure. Im Allgemeinen ist man bei VM bestrebt, solche Verbesserungen innerhalb eines Monats umzusetzen – diese Zeit kann jedoch je nach Art der Veränderung variieren. Eine größere Änderung ist meist innerhalb von vier bis sechs Wochen umgesetzt, wohingegen eine kleinere Anpassung schneller durchgeführt wird, nämlich innerhalb von zwei bis drei Wochen. Zwei Teams konzentrieren sich auf kontinuierliche Prozessoptimierungen (Qualität, Kostenreduktion und Produktverbesserung): ein Kostenreduzierungsteam mit Mitgliedern aus F&E, Produktion und Qualitätskontrolle sowie ein Qualitäts/Produktionsteam. Beide Teams treffen sich mindestens einmal im Monat, wobei die Beiträge zu ca. 70 % von den Ingenieuren und zu ungefähr 20–30 % vom Bedienpersonal stammen. Zusätzlich sind die Mitarbeiter der Produktionslinie aufgefordert, Informationen, Beiträge und aktuelle Verbesserungsideen an diese Komitees weiterzugeben. Ein Ergebnis dieser Teamkonsultation waren Maßnahmen zur Reduktion von Engpässen und zur Verbesserung von Produktumstellungen an einer Produktionslinie, was den Ausstoß von 15.000 auf 21.000 Einheiten pro Tag erhöhte – das entspricht einer Steigerung von 40 %. Die Liefersysteme sind ein weiteres Gebiet, auf dem der innovative Ansatz von VM den Prozess geglättet und seine Wirtschaftlichkeit verbessert hat. Die Lieferkette muss über Distanzen von Tausenden Kilometern funktionieren, was bei den
5.6 Innovation durch Off- und Inshoring
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OEM-Produkten mit ihrer Just-in-time-Produktion ein für den Erfolg kritischer Parameter darstellt. Da das Unternehmen mit der vom Markt geforderten Geschwindigkeit arbeitet, hat sich VM nach den Worten von Logistikmanager Jürgen Schwenk eine „Luxus-Situation“ geschaffen, in der die ein- und ausgehenden Mengen im Gleichgewicht sind. Dreimal pro Woche werden feststehende Mengen unverpackter Zellen per Luftfracht an die Werke in Asien geliefert – auf dem gleichen Wege gehen fertig verpackte Zellen zurück, was sich als vorteilhaft gegenüber dem billigeren, aber langsameren Schiffstransport herausgestellt hat. VM profitiert von der Tatsache, dass es auf der Transportroute nach Asien viele freie Kapazitäten gibt, und das drückt die Transportpreise. Da enorme Mengen an Fertigprodukten aus China kommen, gibt es für den Rückweg nach China sehr viel ungenutzte Kapazitäten. Ein Kilogramm Güter nach Schanghai zu fliegen kostet genauso viel wie der Transport eines Kilogramms von Ellwangen nach Frankreich. Von den unverpackten Batterien, die von Ellwangen an die asiatischen Werke geschickt werden, kommen normalerweise 50 % in Form von Fertigprodukten zurück nach Europa, während die übrigen 50 % an die asiatischen Märkte gehen. VM hat einen Dreiparteienvertrag mit Fluglinien und Spediteuren, die den Transport durch die Luft sicherstellen, wenn es zu Lieferspitzen durch Kundennachfrage kommt. Dies ist von entscheidender Bedeutung im OEM-Bereich, in dem die Güterversorgung vom Markt bestimmt wird. Durch diese flexiblen Frachtarrangements kann VM die Liefermengen bis zur letzten Minute anpassen, sowohl von Ost nach West als auch in umgekehrte Richtung.
5.6
Innovation durch Off- und Inshoring
Deutsche Unternehmen müssen sich auf zahlreiche Probleme einstellen, wenn sie Auslagerungen ins Ausland erwägen. Deutschland verzeichnet seit der Wiedervereinigung eine hohe Arbeitslosenrate, und die Schaffung neuer Arbeitsplätze geht nur langsam voran. Die den Arbeitsmarkt regulierenden Gesetze erschweren den Unternehmen nicht nur die Entlassung von Arbeitnehmern, sondern auch die Schaffung neuer Arbeitsplatzkategorien und machen Einstellungen langwierig und bürokratisch. Offshoring, also die Auslagerung ins Ausland, kann Unternehmen jedoch dabei helfen, flexibler zu sein und sich besser auf Fluktuationen bei der Nachfrage ihrer Produkte einzustellen, und das ist ein entscheidender Faktor bei der Erzielung von Gewinnen im Produktionsbereich. Offshoring ist bei VARTA schon seit mehr als 30 Jahren Teil der Firmenstrategie, nicht nur zur Kosteneinsparung, sondern zur Sicherstellung, dass die Firma ihre globalen Kunden effektiv bedienen kann. VARTA hat jedoch nicht nur Arbeit ins Ausland ausgelagert, sondern auch Arbeit nach Deutschland zurückgebracht (Inshoring), und zwar dort, wo es geschäftlichen Sinn machte. So brachte beispielsweise die VARTA AG Ende der 1990er Jahre Teile des Produktionsprozesses aus Singapur nach Deutschland zurück, um Liefer- und Qualitätsprobleme zu lösen und von besser ausgebildeten Mitarbeitern zu profitieren. Als Ergebnis konnte man eine
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5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
höhere Leistungsfähigkeit und eine 15 % Reduzierung der Produktionsarbeitskosten verbuchen. VM ist der größte Arbeitgeber in Ellwangen und spielt eine bedeutende wirtschaftliche Rolle für die Region. Die Auslagerung von Arbeitsplätzen am Band, hervorgerufen durch das Wachstum im Hochlohnbereich in der Entwicklung, führte anfangs zu Problemen mit den Gewerkschaften. Insgesamt stieg jedoch die Zahl der Arbeitsplätze in Ellwangen. Die Stammbelegschaft von 500 Mitarbeitern wird gewöhnlich durch 50–55 Mitarbeiter mit Zeitverträgen ergänzt, die aus allen Teilen der Welt stammen; weltweit beschäftigt VM 1.300 Menschen. Die Rationalisierung im Bereich der ins Ausland verlagerten Arbeitsplätze führte auch zu Arbeitsplatzverlusten in diesen Ländern. In den 1990er Jahren gab es weltweit eine riesige Anzahl an Lohnfertigungsunternehmen. VM schuf Knowhow-Zentren in den Bereichen Konstruktion und Technologie, eliminierte kleine Fertigungsbetriebe und konzentrierte die Fertigung von Kernprodukten auf der Insel Batam. Heutzutage kommt das gesamte technische Know-how aus Ellwangen. Mitarbeiter von dort fliegen für zwei bis drei Wochen nach Asien, um Mitarbeiter vor Ort auszubilden, und jedes Jahr kommen fünf bis zehn Arbeiter aus Asien für die gleiche Zeit zu Schulungen nach Ellwangen. Änderungen in der Komplexität der Endprodukte haben jedoch dazu geführt, dass Wissen und Expertise nicht mehr nur den Ingenieuren aus Ellwangen vorbehalten sind. Während es sich bei vielen Produkten um Standard- und Routineprodukte handelt, benötigt man für andere, neue Produkte, wie beispielsweise die neuen Lithium-Polymerbatterien, erhebliches Wissen in Asien. Die neuen Produkte erfordern mehr Know-how und Fertigkeiten bei den Fabrikarbeitern und in Sachen Qualitätskontrolle als noch vor fünf Jahren. Mehr und mehr müssen die asiatischen Mitarbeiter auf demselben Niveau wie ihre gut ausgebildeten deutschen Kollegen sein, und um dies zu gewährleisten, arrangiert Varta regelmäßige weltweite Workshops, und Ingenieure reisen häufig nach Asien, um das Niveau an Expertise und Ausbildung hoch zu halten. In Ellwangen konzentriert sich VM auf die Schaffung und Erhaltung von hochwertigen Arbeitsplätzen mit hohem Ausbildungsniveau sowie auf kosteneffektive automatisierte Produktionslinien. Der Standort ist dafür verantwortlich, die globale Nachfrage an Zell-Batterien zu befriedigen, und versorgt den Markt ohne Zwischenhändler mit verpackten Einzelzell-Batterien. PowerOne Batterien gehen direkt an die Endverbraucher, auch an professionelle. VM baute seinen Marktanteil in diesem Bereich von 16 % im Jahr 2004 auf 25 % im Jahr 2006 aus. Im Mittelpunkt der technischen Verbesserungen bei den PowerOne Batterien stehen dabei nicht nur die Ausdauer und Zuverlässigkeit der Batterien selbst, sondern auch die Verpackung und das benutzerfreundliche Einlegen der Batterien in die Geräte. Zu den jüngsten Neuentwicklungen gehören beispielsweise eine Einzelzell-Batterie mit der höchsten Kapazität, die jemals erzielt wurde (eine Erhöhung um 10 % gegenüber der bisherigen Spitzenreiterin), und die Entwicklung der notwendigen Chemie, um weltweit erstmals wiederaufladbare Batterien für Hörgeräte herzustellen. Ein Kernsortiment an Einzelzell-Batterien (beispielsweise Mobiltelefonbatterien), die auf hochautomatisierten Produktionsstraßen hergestellt werden, bilden die
5.6 Innovation durch Off- und Inshoring
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Basis für maßgeschneiderte Batterielösungen für OEM-Kunden. Viele verschiedene Arten an Chemie kommen bei der Entwicklung einer breiten Systempalette zum Einsatz. Die Forscher in Ellwangen stellen fest, welche Chemie für welche Anwendung die beste ist, und tüfteln dann die Elektrochemie für die jeweiligen Zellen eines bestimmten Einsatzgebiets aus. Sämtliche Aufgaben in Verbindung mit dem Zusammenbau und dem Testen der Zellen erfolgen dann durch die Techniker und Ingenieure in Ellwangen. Anschließend werden die Zellen zu den Werken in Batam, Schanghai und Guangzhou geflogen, wo die Plastik- und Elektronikkomponenten hinzugefügt werden. Es handelt sich hierbei um arbeitsintensive Tätigkeiten, aber auch Routinearbeiten mit u. a. kleinen, komplizierten Teilen. Originalhersteller (OEM-Kunden) sind sehr wichtige Kunden für VM. VARTA Batterien finden sich in zahlreichen mobilen Geräten, einschließlich Laptops, Handys und dem iPod von Apple. VM verfügt über ein weltweites Netz an Verkaufsniederlassungen und bietet seinen Kunden Unterstützungs- und Logistikdienstleistungen an, so dass der Kunde in direktem Kontakt zum Unternehmen steht und nicht auf andere Händler zurückgreifen muss. Bei Kunden, die ebenfalls global operieren, wie beispielsweise Apple mit seinem Hauptsitz in Kalifornien und der Produktion in China, bedeutet dies, dass VM an beiden Standorten präsent ist. Das chinesische und das indonesische Werk von VM sind zu 100 % im Besitz der Firma und werden als eigenständige Profitcenter geführt. Das erste asiatische Werk wurde 1998 in Schanghai eröffnet zur Versorgung des damals wichtigsten Kunden von VM, der Handysparte von Siemens, und mittlerweile sind alle Werke mit der Montage von tragbaren Kleingeräten beschäftigt, v. a. MP3-Player, Handys und der iPod von Apple. Das Werk in Schanghai gehört zu Varta Singapur und wird von dort aus geführt. Singapur dient auch als Verteilungszentrum für die Endkundenprodukte, die in Asien zusammengebaut und endgefertigt werden. Alle Werke im Ausland werden von Führungskräften mit der Staatsbürgerschaft des jeweiligen Landes geleitet. Dies steht in Übereinstimmung mit Ilics Politik, die Mitarbeiter in den Bereichen Management, Vertrieb und Marketing aus den Ländern zu rekrutieren, in denen sie tätig sind. Obwohl es einen regen internationalen Austausch unter den Angestellten gibt, betrachtet man ein Management durch Staatsbürger des jeweiligen Landes als unverzichtbar für die Erlangung von Knowhow und von Informationen über die Besonderheiten der jeweiligen Märkte. Da jedes Jahr bis zu vier neue Produkte auf den Markt kommen und kontinuierlich Verbesserungen bei bestehenden Produkten vorgenommen werden, gehört die Ausbildung im Bereich Montage der komplexen OEM-Produkte zu den ständigen Firmenaktivitäten. Mitarbeiter werden von Ellwangen nach Schanghai geschickt, um dort an Ort und Stelle die Bandarbeiter auszubilden. Dabei handelt es sich normalerweise um eine zwei- bis dreijährige Entsendung, die durch einen Qualitätsmanager unterstützt wird. Es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass Führungskräfte mehr als einen solchen Auslandsaufenthalt absolvieren. Jürgen Schwenk, Leiter der Logistikabteilung und jetzt in Ellwangen, verbrachte drei Jahre in der Logistik in den USA sowie drei Jahre in Asien und machte sich auf diese Weise vertraut mit den jeweiligen Produktionsstätten, Marktbesonderheiten und Zulieferern.
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5 VARTA Microbattery: Am richtigen Ort produzieren
OEM-Produktbesprechungen finden alle zwei Wochen statt unter Mitwirkung von Marketing, Logistik, F&E und Qualitätskontrolle. Die Marktnachfrage und die Flexibilität, sich auf evtl. Fluktuationen einstellen zu können, werden ständig überwacht, so dass VM immer schnell auf sich änderndes Kundenverhalten reagieren kann. Dejan Ilic meint dazu: „Wir haben eine Verantwortung den Kunden unserer Kunden gegenüber.“ Durch die eng mit Vertrieb und Marketing verbundene Logistik zeichnet sich das Auslieferungssystem durch hohe Beweglichkeit aus, die Abstimmung ist von höchster Bedeutung. Die Fabriken in Ellwangen und Indonesien werden durch das Produktmanagement in Deutschland überwacht. Zur Steuerung der Produktkapazität setzt man zwei Systeme ein. Die hoch automatisierten Produktionsstraßen in Ellwangen produzieren 15–20 Arten von unverpackten Knopfzellen, aber keine fertigen Produkte. Da für jeden Wechsel von einer Zellenart auf eine andere eine Umstellung der Produktionsstraße erforderlich ist, die zu Verzögerungen führt, versuchen die Ingenieure, die Maschinen so lange wie möglich laufen zu lassen. Da dies dem Prinzip widerspricht, den Aufbau großer Lagerbestände möglichst zu vermeiden, wird in Ellwangen nur eine begrenzte Zahl an Artikeln gelagert. Die meisten unverpackten Zellen werden nach Asien geflogen und in den dortigen Werken gelagert. Die mit hohem Durchsatz gefahrene Produktion in Ellwangen richtet sich nach den Prognosen seitens der Kunden; die hier produzierten unverpackten Zellen werden in Asien zur Herstellung von 1.500–2.000 verschiedenen Artikeln verwendet. Die Flexibilität steckt also in den asiatischen Werken. Auf Kundenanforderungen kann die Produktion in den asiatischen Werken über Nacht reagieren, nach zwei Wochen kann bereits aus dem Verteilungszentrum in Singapur ausgeliefert werden, hinzu kommt noch eine Woche für den Transport. Die jeweiligen Vertriebsmannschaften und -ingenieure arbeiten eng mit den OEM-Produktentwicklungsteams zusammen, um deren Probleme zu verstehen und so auf die besten Lösungen zu kommen. Es werden systematische und häufige Kundenbefragungen durchgeführt, sowohl direkt als auch über die Websites in den jeweiligen Ländern und in der jeweiligen Landessprache. Die Antworten werden analysiert und ziehen Reaktionen nach sich. Zusätzliche Websites für OEM-Kunden bieten zusätzliche technische Daten. Durch die Berücksichtigung von Details kann VM seine OEM-Produkte maßschneidern, von der Konzeption bis zur Auslieferung – und vom eigentlichen Produkt bis zur dafür verwendeten Verpackung. „Die kleineren Dinge stellen die Leute zufrieden“, meint Ilic.
5.7
Und die Zukunft?
Die VARTA Microbattery GmbH ist ein kleineres Unternehmen, das den Eindruck vermittelt, irgendwo tief in seinem Inneren verberge sich ein reaktiver Kern nie versiegender Energie. Mit konzentrierten, regionalen Zulieferern produziert es weltweit führende Technologie und Chemie sowie hoch spezialisierte Spitzenprodukte. VM ist dazu in der Lage, weil das Unternehmen einerseits dort produziert,
5.7 Und die Zukunft?
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wo es ökonomisch und logistisch am meisten Sinn macht, und weil es andererseits Innovation als Teil der Firmenkultur anerkennt und belohnt und als unverzichtbaren Aspekt des Geschäftsfeldes, in dem das Unternehmen tätig ist, ansieht. Dies alles ist das Ergebnis charismatischer Führungsqualitäten in Kombination mit einem stabilen und langgedienten Management und Mitarbeiterstab, und das fördert ein kreatives und mitreißendes Arbeitsumfeld. Ende 2006 wurde Varta Microbattery von seinen Anteilseignern zum Verkauf angeboten. Ilic scharte eine Gruppe interessierter Investoren um sich und machte ein Management-Buy-Out-Angebot (Kauf durch das eigene Management). Sein Angebot wurde jedoch von einer anderen Investorengruppe überboten. 2007 verzeichnete Varta Rekordgewinne. Das neue Management muss jedoch noch zeigen, dass es nachhaltig wirtschaften kann. Es wird interessant sein zu beobachten, was in den nächsten Jahren aus Varta Microbattery wird. Im Allgemeinen ist es leicht, in einer gesunden Firma, die eine technologische Führungsrolle innehat, kurzfristige Gewinne zu erzielen. Manche Firmen haben dies dadurch geschafft, indem sie ihre F&E-Ausgaben kürzten sowie ihre Immobilien verkauften und zurückmieteten. Dies ist jedoch nicht nachhaltig, im Gegensatz zu Wettbewerbsvorteilen, die auf einer klaren strategischen Position und mitarbeiterbasierter Umsetzung beruhen. Eine solche Wettbewerbsposition kann durch kurzsichtiges oder sich nur auf finanzielle Aspekte konzentrierendes Management leicht verloren gehen.1
1 Quellen: Company visits and interviews; presentation by Dr. Dejan Ilic; Financial Times, 29. Mai 2001, 6. August 2002 und 7. August 2002.
Kapitel 6
Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
Die Autoren dieses Kapitels sind Hendrik Brumme (Universität Reutlingen) und Luk N. Van Wassenhove (INSEAD) Dieses Kapitel beschreibt den Weg des Computersystemherstellers Hewlett Packard (HP) von schlanker Produktion über Distributionseffizienz hin zu Flexibilität. All diese Prinzipien waren nützlich, aber nicht ausreichend, um im wachsenden Wettbewerb in dieser Branche erfolgreich bestehen zu können. Die letzte Stufe war die Umwandlung in eine „Solution Factory“ (Fabrik zur „Produktion“ von Lösungen), in denen Computer mit Dienstleistungen kombiniert wurden, und zwar in einem Partnernetzwerk, in dem HP nur einen kleinen Teil der gesamten Aktivitäten übernahm. Durch dieses Partnerkonzept gelang dem Unternehmen der letzte erfolgreiche Schritt in Richtung dauerhafte Rentabilität.
6.1
Einführung
Die Geschichte ist mittlerweile legendär – Bill Hewlett und Dave Packard gründeten ihre Firma 1939 in einer Garage in Kalifornien und benannten sie nach ihren eigenen Nachnamen. Mittels einer Münze entschieden sie, wessen Name zuerst kam. Ihr erstes kommerzielles Produkt war ein Audiooszillator, den die beiden Elektroingenieure an die Walt Disney Studios verkauften, und die erste Fertigungsstätte außerhalb der USA eröffnete HP 1959 in Deutschland. Heute ist das Unternehmen in mehr als 170 Ländern tätig und bietet eine breite Palette an Computer- und Bildverarbeitungslösungen sowie Dienstleistungen für Geschäfts- und Privatkunden an. Seit der Fusion mit Compaq Anfang 2002 ist HP Marktführer in den meisten seiner Geschäftssegmente. Die Jahreserträge bis Juli 2006 übertrafen $90 Mrd., wobei 60 % aus Verkäufen außerhalb der USA stammten. Die Firma ist nie stehen geblieben. Neue Technologien haben das Wachstum von HP stets geprägt, von der frühen Radiofrequenzausrüstung bis hin zu den neuesten Druckerinnovationen. HP führte den ersten PC (Personal Computer) ein, der 1968 noch „wissenschaftlicher Tischrechner“ genannt wurde. Der erste Rechner mit japanischen Schriftzeichen kam 1973 auf den Markt, 1994 die hellste LED der Welt. Doch C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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6 Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
geht es bei HP nicht nur um neue Technologien, auch im Bereich Arbeitsplatzdesign und -management war das Unternehmen Vorreiter. 1942 baute HP ein Großraumbürogebäude, das Vielseitigkeit und Kreativität durch mehr Kommunikation zwischen den Mitarbeitern fördern sollte. HP führte als erste Firma in den USA die gleitende Arbeitszeit ein, und Bill Hewletts und Dave Packards ausgeprägter Glaube an regelmäßige Gespräche mit der Belegschaft war der Ursprung des Kommunikationswerkzeugs „Management by walking around“ (Management durch Umhergehen). So überrascht es nicht, dass HP stets nach Verbesserungen und neuen Wegen sucht, um seinen Kunden besser dienen zu können. Zwei Hauptprobleme für ITHersteller sind heute einerseits die Produktstandardisierung und -vermassung, die zu Kostendruck führt, und andererseits die schnell wachsende Nachfrage nach maßgeschneiderten Lösungen. Das Drucker- und PC-Geschäft von HP wurde bereits sehr früh nach dem Konzept einer „no asset“ Lieferkette (eine Lieferkette, die ohne Bindung von Vermögenswerten auskommt) geführt. Dadurch richtete sich der strategische Fokus auf die Auslagerung und die Standortverlagerung der meisten betrieblichen Funktionen. Das Firmengeschäft von HP, einschließlich HP in Deutschland, verfolgte einen etwas anderen Ansatz, und dieses Kapitel stellt dar, wie HP in Deutschland ein Geschäftsmodell entwickelt hat, das den anspruchsvollen Markt von heute bewältigen kann. Das deutsche Werk in Herrenberg bei Stuttgart produziert die UNIX-Server, Massenspeichermedien und Workstations von HP und bietet 3.500 verschiedene Produkte an, von preisgünstigen Servern bis hin zu teuren, größenvariablen Systemen. Diese Produkte werden nach Auftrag konfiguriert, wobei es mehr als 10.000 Optionen mit Millionen von möglichen Produktkombinationen gibt. 80 % der Aufträge müssen innerhalb von 24 Stunden produziert werden. Die jährlichen Erlöse belaufen sich auf fast $2,5 Mrd., doch die tägliche Produktnachfrage kann sehr stark variieren, von $0,5 bis zu $16 Mio. pro Tag. Um dieser Nachfrage nachzukommen, entwickelte HP Deutschland eine innovative Lieferstruktur und schuf im Verlauf dieses Prozesses ein neues, branchenführendes Erfüllungsmodell. Dieses Modell entstand in vier Phasen mit Beginn Anfang der 1990er Jahre. In Phase 1 lag der Fokus auf der Entwicklung von Herstellungsprozessen, welche die ständig neuen Produkte bewältigen konnten. Phase 2, das Distributionszentrum, beschäftigte sich mit betrieblicher Qualität und Kostenwettbewerbsfähigkeit. In diesem Kapitel schauen wir uns Phase 3 an, die „Velocity Factory“ (Fabrik zur „Produktion“ von Geschwindigkeit), sowie Phase 4, die „Solution Factory“, die im Partner Park Konzept kulminierte. Die Velocity Factory war die Antwort von HP auf die wachsende Bedrohung durch Billigarbeit in anderen europäischen Ländern. Flexible Prozesse, neue Personalkonzepte und ein effizienteres Vermögenswertemanagement waren nötig, um weiterhin in Deutschland konkurrenzfähig zu bleiben. In Phase 4 verfolgte HP Deutschland einen neuen strategischen Fokus – die Übernahme der Integrationsaktivitäten, die bis dahin häufig von Fremdfirmen, z. B. unabhängigen Softwarefirmen, geliefert worden waren. Damit übernahm das Unternehmen die Herstellung von komplexen Plug-&-Play-Lösungen von Anfang bis Ende. Die Lösungsintegration erfordert viele Fertigkeiten, und der geniale
6.2 Das Velocity Factory Konzept
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Schachzug von HP bestand darin, diese Fertigkeiten ohne teure Investitionen zu erwerben. Verschiedene Lieferkettenpartner mit einander ergänzendem Know-how wurden physisch in das Werk eingebunden und bildeten somit ein integriertes Wertschöpfungs-Kooperationsnetzwerk. Auf diese Weise bündelte und verstärkte man Fertigkeiten und Kompetenzen, so dass sowohl die Partner als auch HP neue Kunden gewannen und ihre Erträge erhöhten. Der HP Partner Park war geboren. Abbildung 6.1 verdeutlicht die Reduzierung der Fertigungstiefe und den Weg im Laufe der Zeit in Richtung Service- und Wertschöpfungskooperation mit Geschäftspartnern.
6.2
Das Velocity Factory Konzept
globale Lieferkette regionale Komponenten Lösungen
Ein Geschäft mit extremen Schwankungen erfordert eine entsprechende Flexibilität. Die Hersteller müssen einerseits die Kosten, die mit überschüssigen Lagerbeständen und Veralterung verbunden sind, vermeiden und dürfen andererseits keine Aufträge oder Kunden verlieren, indem sie deren Anforderungen nicht gerecht werden. 1998 entwickelt HP das Velocity Factory Konzept, dessen Hauptziele Geschwindigkeit, Flexibilität und möglichst geringe Kosten waren. Um diese Ziele zu erreichen, übernahm das Management von HP das Erfolgsrezept einer völlig anderen Branche – der Lebensmittelindustrie. Man war zu der Einsicht gelangt, dass Hightech-Ausrüstung in gewisser Weise frischen Lebensmitteln ähnelt, wie z. B. leicht verderblichem Obst und Gemüse, das schnell verarbeitet und verkauft werden muss. Der erste Schritt zum Aufbau der Velocity Factory bestand in der Aufgliederung der Produktarchitektur in modulare Systeme und der Anwendung des Konzepts der späten Differenzierung. HP-Werke aus Steuer- und Lohnoasen lieferten vormontierte Bausätze, „kleinste gemeinsame Nenner“ genannt. Aufträge für Einzelkomponenten wurden vom Beschaffungssystem auf globaler Ebene zusammengefasst und an Lieferanten weitergeleitet, wobei man die Lieferungen nach Regionen aufteilte, um Einsparungen zu erzielen.
Entwicklung der Solution Factory: von der Minimierung negativer Einflüsse zur wettbewerbsfähigen Differenzierung Wertschöpfungskooperation Lösungsintegration Auftragsfertigung Vorgefertigte Platinen Metallbleche Rohstoffe
Abb. 6.1
Phase 4 Phase 3 Phase 2
Phase 1 1993 1995 1997 1999 2001 2003
Partner Park Wertschöpfungskooperation Solution Factory Dienstleistungen und Lösungen Velocity Factory Geschwindigkeit & Anpassungsfähigkeit Vertriebszentrum Kosteneffizienz Computerfertigung Hightech-Produkte & Prozesse
Die Entwicklung der Kompetenzen von HP in Herrenberg
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6 Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
Der zweite Schritt bestand darin, Produktionsprozesse parallel auszuführen. Dazu wurde ein Kundenauftrag in voneinander unabhängige Arbeitsobjekte wie Computer, Laufwerke, Softwareprodukte und Zubehör unterteilt. Das Objektdokument listete sämtliche Komponenten auf, die zur Fertigstellung des Auftrags erforderlich waren, wann und wo die Teile benötigt wurden, wann die Montage beginnen musste, sowie die Lieferfrist. Der dritte Schritt war eine flexible Personalstruktur. Um die höheren Arbeitskosten in Deutschland zu kompensieren, benötigte man ein Personalmodell, das flexibel genug war, um mit großen Nachfrageschwankungen klar zu kommen und gleichzeitig die Produktivität auf über 85 % zu halten. Die flexible Personalstruktur umfasste vier verschiedene Gruppen von Mitarbeitern. Die erste Gruppe bildete die permanente Belegschaft von HP, auch „Lösungsexperten“ genannt. Dazu gehörten 14 % der Belegschaft, die den Kern bildeten – sie waren diejenigen, die das Know-how von HP sicherstellten. Die zweite Gruppe umfasste das Aushilfspersonal von HP, das die monatliche Flexibilität gewährleistete. Diese 9 % der Belegschaft konnten monatlich eingestellt und gekündigt werden. Die dritte Gruppe bildete externes Aushilfspersonal von HP, das die wöchentliche Flexibilität gewährleistete. Diese durchschnittlich 10 % der Belegschaft konnten wöchentlich eingestellt und gekündigt werden. Die vierte Gruppe waren Mitarbeiter von Vertragsherstellern, die auf dem Produktionsgelände von HP ansässig waren. Die überlagernde Komponente war das Arbeitszeitmodell, das die tägliche und stündliche Flexibilität für die HP-Mitarbeiter sowie für Partner und Dienstleister bedeutete. Jeder Mitarbeiter hatte ein individuelles Flex-Konto, auf dem die Anzahl der Arbeitsstunden verbucht wurde, und war zudem für fünf verschiedene Arbeitsaufgaben geschult. Der Arbeitstag war in vier Blöcke mit einer maximal möglichen Arbeitszeit von 10 Stunden pro Block unterteilt. Die Mitarbeiter mussten zu jeder Zeit innerhalb des vorher zugewiesenen Blocks nach nur kurzer Vorwarnzeit erscheinen und konnten jederzeit nach Hause geschickt werden. HP lagerte seine Prozesse in hohem Maße aus und siedelte strategische Partner auf dem Werksgelände an, um die IT-Infrastruktur und das Ressourcenplanungssystem zu entwickeln. Durch die umfangreiche Auslagerung veränderte sich das Geschäftsumfeld von einer intern integrierten Lieferkette zu einem komplexen Netzwerk aus Vertragsherstellern, Logistik-Fremdlieferanten und Zulieferern mit HP als Dirigent. Diese Umgestaltung brachte erhebliche Vorteile. Der Lagerbestand an Ausgangsmaterialien sank um mehr als 50 %. Die termingerechte Lieferleistung verbesserte sich auf mehr als 98 %, während sich die Auftragsausführungszeit auf durchschnittlich zwei Tage reduzierte. Die Werkskapazität konnte innerhalb von 24 Stunden um 400 % erhöht werden, wenn es zu einer plötzlichen Nachfrageerhöhung kam. Das Arbeitszeitmodell sparte im Vergleich zu herkömmlichen Arbeitszeitmethoden 17 % ein. Schließlich sanken die gesamten Herstellungs- und Verwaltungskosten, inklusive aller Lieferantenaktivitäten, im Jahr 2001 um 50 %.
6.3 Ausblick in die Zukunft: Das Solution Factory Konzept
83
6.3 Ausblick in die Zukunft: Das Solution Factory Konzept Der Mangel an Möglichkeiten, das Produktangebot zu differenzieren, setzt die Gewinnspannen in dieser Branche erheblich unter Druck. Hardware ist nur dann anwendbar, wenn sie mit anderer Hardware oder Softwareanwendungen kombiniert werden kann, die von HP oder von unabhängigen Softwarefirmen stammen können. Die meisten Integrationsaktivitäten erfolgten außerhalb von HP in Partner- oder Kundenbetrieben. In Phase 4 erkannte das Management von HP Deutschland, dass Kunden, die maßgeschneiderte Computer bestellten, nicht nur einen Computer, sondern eine optimierte und betriebsbereite Komplettlösung inklusive Anwendungssoftware wünschten. Großkunden fragten auch speziell maßgeschneiderte Produktportfolios und Zusammenarbeit bei der Lieferkette nach. Nachdem HP Deutschland gerade das Velocity Factory Konzept eingeführt hatte, machte man sich an einen neuen Ansatz, um den Kundenanforderungen noch besser gerecht zu werden. Das neue Geschäftsmodell nannte man Solution Factory, und seine grundlegenden Ideen waren: • Erhöhung des vom Werk angebotenen Mehrwerts durch Produkt-/ServiceMischformen, Spezialanfertigungen nach Kundenwunsch und sogar komplexe Lösungen mit Lieferung direkt zum Endkunden • Verschiebung von Standard-Fertigungsaktivitäten an einen niedrigeren Kostenpunkt in der Lieferkette • Nutzung der vorhandenen Infrastruktur aus dem Haupt-(Massen-) Geschäft durch Kombination von Standardprozessen (als Module) zum Bau von individuellen Lösungen • Verkaufsförderung durch Kooperation mit Kunden, Baukastenlösungen und Best Practice Events (Veranstaltungen zur Ausarbeitung optimaler Verfahren) mit Kunden und Partnern im Werk. Damit die Solution Factory funktionieren konnte, musste HP ein Dienstleistungsportfolio entwickeln, mit dem die Firma Baukastenlösungen („plug&play“) direkt vom Werk an den Endkunden liefern konnte. Dies bedeutete für das Unternehmen, über sein Fertigung-nach-Kundenauftrag-Modell hinauszugehen und unter Verwendung von Serienfertigungsprozessen maßgeschneiderte und betriebsbereite Lösungen anzubieten (Massen-Maßanfertigung). Einige der Lösungen umfassten die Beschaffung von Fremdkomponenten (manchmal auch Konkurrenzprodukte, wenn der Kunde das wünschte), kundenspezifische Kennzeichnung, die Installation spezieller Softwareanwendungen und Vorintegration. Die Solution Factory sollte auch eine neue Rolle innerhalb von HP übernehmen und sehr eng mit der Vertriebsorganisation zusammenarbeiten. Im Zuge dieser Initiative öffnete HP sein Werk für die Kunden, um ihnen einen Einblick in den Bau ihrer Lösungen zu gewähren sowie gleichzeitig seine Best Practice-Arbeitsmethoden zu teilen und die Ingenieure der Kunden zu schulen. Diese Maßnahme stellte sich als wichtigstes Differenzierungsmerkmal auf dem Markt heraus, denn
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6 Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
der Besuch im Werk vermittelte den Kunden größeres Vertrauen in die Fähigkeit von HP, ihre Anforderungen erfüllen zu können. Abbildung 6.2 zeigt die Verschiebung von Velocity (Umlaufgeschwindigkeit) hin zu Solution (Lösung) und die vier Schlüsselbereiche, die dazu entwickelt werden mussten. Die Lieferqualität blieb dabei die Kernverantwortung der Solution Factory. Um die Palette der angebotenen Lösungen zu vergrößern, benötigte man Partner mit dem entsprechenden Know-how und den erforderlichen Kapazitäten und musste die Fähigkeit entwickeln, diese Partner schnell miteinander verbinden und voneinander trennen zu können. Dank dieser neuen Dienstleistungsfähigkeiten konnte HP die verschiedenen Kundensegmente gemäß ihrer individuellen Anforderungen bedienen, und die Solution Factory konnte als Mittel für den Verkauf und als wichtiger Partner für die Kunden von HP fungieren. Die Servicepalette der Solution Factory stützte sich auf vier Pfeiler: • Anlauf-Service: Dazu gehören Konfiguration, Integration, Installation eines Betriebssystems (Spezialsoftware), Test und Komplettversand der gesamten Lösung an den Kunden. Diese Lösungen waren betriebsbereit und erforderten minimale Anlaufzeiten. • Kataloglösungen von OEM/unabhängigen Softwarefirmen: HP bot eine Auswahl an betriebsbereiten Lösungen an, inklusive Auftragsausführung, Beschaffung, kundenspezifischer Anwendungsinstallation, Produktlebenszyklus-Management, kundenspezifischer Kennzeichnung und Verpackung sowie Kundenbeziehungsmanagement.
HP Solution Factory Velocity Factory
Focus on efficiency Speed Reliability Quality
Products
Solution Factory
Factory as service provider value collaboration services capabilities new fulfillment models
Abb. 6.2 Entwicklungsdimensionen der Solution Factory
Delivery of complete solutions integral part of sales / customer network
6.4 HP Partner Park: Ein Geschäftsnetzwerk-Konzept
85
• Komplexe Lösungen: Diese einmaligen Lösungen wurden wie ein Projekt gemanagt. HP ernannte einen Gesamtprojektleiter, im Werk auch bekannt als „einziger Kontaktpunkt“, der sämtliche mit dieser Lösung verbundenen Schritte organisierte. • Lieferkettenservice: HP bot eine Reihe von Lieferkettendienstleistungen an, inklusive Beschaffung, Distribution und Beratung. Dieser wichtigste Service ermöglichte den Lieferkettenmitarbeitern von HP die Verbindung zu externen Kunden und den Aufbau einer gemeinsamen Lieferkette. Die Solution Factory war ein Netzwerk verschiedener Organisationen, deren Know-how sich ergänzte. So wurden nicht nur Zentralspeicher für betriebliche Dienstleistungen integriert, sondern die technischen Partner lieferten Dienstleistungen beim Änderungsmanagement, um die Schwankungen bei Mengen und Kapazitäten zu bewältigen. HP fasste einige technische Arbeitsschritte zu Modulen zusammen und lagerte diese zu Fremdfirmen aus, sobald die Auftragsmenge eine kritische Größe erreichte. Im den eigenen Prozessen vorgelagerten Bereich nutzten die kundenseitigen HP-Organisationen die Solution Factory, um ihr eigenes Serviceangebot zu ergänzen, was für die Solution Factory wiederum potentielles Neugeschäft bedeutete. Drei Kooperationsprinzipien mussten entwickelt werden, damit die Solution Factory funktionierte: erstens, ein formalisiertes Kommunikationssystem; zweitens, ein klar abgesprochenes Dienstleistungssortiment mit klar definierten Preisen und damit verbundenen Aufgaben und Verantwortungen; und drittens, Zugang zu allen Werksressourcen für alle beteiligten Partner. Das Gesamtziel der Zusammenarbeit bestand darin, das sich gegenseitig ergänzende Know-how der einzelnen Partner möglichst wirksam einzusetzen.
6.4
HP Partner Park: Ein Geschäftsnetzwerk-Konzept
6.4.1 Warum weitere Änderungen? Zwei wichtige Tendenzen hatten erhebliche Auswirkungen auf das Werk – zum einen der Trend hin zu Produktstandardisierung und -vermassung, zum anderen die Notwendigkeit, den Kaufprozess für die Kunden zu vereinfachen und ihnen die Anwendungen zu bieten, die sie in einer von immer komplexeren Produkten geprägten Welt wünschten. Die Kunden wollten maßgeschneiderte Lösungen, pünktlich und schnell, während die Aktionäre Kostenstrukturen wie in der Konsumgüterindustrie erwarteten. Immer mehr Wettbewerb und eine wachsende Überkapazität auf dem Markt übten enormen Kostendruck auf die Lieferkette aus. Gleichzeitig eröffneten immer höhere Zentralspeicherkapazitäten und globale Marktchancen HP neue Entwicklungsmöglichkeiten für die gesamte Firmenlieferkette. Eine weitere Bedrohung für HP Deutschland war die Möglichkeit, Lösungen direkt vom HP-Werk in Singapur aus zu verschicken, womit dem deutschen Werk
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6 Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
nur der örtliche Verwaltungssupport geblieben wäre. Und der Wettbewerb betraf mehr als hohe Qualität bei Produkt und Versand – kostenempfindliche und standardisierte Produkte wurden in andere Länder verlagert, und die lokalen Werke mussten sich auf kundenspezifische Lösungen konzentrieren. In der Velocity Factory Phase konzentrierte sich die Zusammenarbeit auf ins Werk liefernde Anbieter und Dienstleister (bei Auslagerungen). Was die ausgehende Lieferkette von HP betraf, so wurde noch immer Geld und Zeit verschwendet. Vertriebswegpartner, OEM, Systemintegratoren und unabhängige Softwarefirmen kauften Computerausrüstung von HP und werteten diese mit Hilfe ihrer eigenen Integrations- und Konfigurationszentren auf. Mit dem Solution Factory Konzept verfolgte HP ein Direktversandmodell mit nur einem Kontakt. Kundenaufträge von HP-Vertriebsmitarbeitern oder externen Vertriebspartnern wurden in das Werk weitergeleitet, gebaut und integriert und anschließend direkt zum Endkunden versandt. Dieser neue Lieferansatz warf Fragen bezüglich des Mehrwertes durch die HP-Distributoren auf, nämlich bezüglich der Beobachtung der lokalen Märkte, des Verkaufs und vor allem der Auftragsausführung. Die Partner spielten noch immer eine wichtige Rolle bei der Generierung von Geschäft, trugen aber nicht mehr mit Logistikdienstleistungen bei. Die Partnerintegrationszentren waren meist in der Nähe der HP-Werke angesiedelt und boten somit keine geografischen Vorteile. Sie produzierten im Vergleich zum HP-Werk geringere Mengen, was Skalenvorteile verhinderte, und verfügten nur über begrenztes Lösungsintegrations-Know-how, da sie sich ausschließlich auf Automatisierung konzentrierten. Darüber hinaus erhöhten Überkapazitäten und doppelte Infrastruktur die Gesamtlieferkettenkosten. Aus diesem Grund untersuchte HP, wie dieser Teil der Lieferkette in ein einziges gemeinsames Wertschöpfungsnetzwerk integriert werden konnte, um weitere Kosten zu sparen. Während der Entwicklung des neuen Konzepts erweiterte man die Perspektive dahingehend, wie man näher an den Kunden herankommen könnte, um einen maximalen Gewinn aus den Gesamtinvestitionskosten des Kunden zu erzielen. Gleichzeitig sollten die Gesamtinvestitionskosten so gering wie möglich gehalten werden, sowohl was das Finanzielle als auch auftretende Schwierigkeiten betraf. Die HP-Manager fragten sich, ob die HP-Lieferkette kosteneffizient sein und Erträge bringen könnte.
6.4.2
Die Idee des Partner Parks
Die Idee von HP bestand darin, ein durchgehendes Liefermodell zu entwickeln, dass es der Firma und seinen Geschäftspartnern ermöglichte, praktisch als eine einzige Liefer- und Wertschöpfungskette zu agieren. Die Fachkompetenzen und Fertigkeiten sämtlicher Partner innerhalb des Partner Parks würden sich verstärken, wenn diese beim Verkauf und der Lieferung einer breiteren Palette von HP-Lösungen und IT-Infrastrukturen zusammenarbeiteten, und das würde wiederum zu gemeinsamem Wachstum führen.
6.4 HP Partner Park: Ein Geschäftsnetzwerk-Konzept
87
Somit war der Partner Park eine Weiterentwicklung des „Alles-untereinem-Dach“-Konzepts, das bei der Schaffung der Velocity Factory angewandt worden war – HP sprach nun von einem „Gravitationszentrum“. Das Werk wurde umstrukturiert, um Teil einer geschlossenen Lieferkettenschleife zu werden. Mit seiner kompletten auf Massen-Maßanfertigung ausgerichteten und mit Servicelieferanten und Logistikspediteuren verknüpften Infrastruktur bildete das Werk den zentralen Knotenpunkt für alle Arten der physischen Integration, von der Endmontage bis hin zu komplexen Industrielösungen. Der Plan bestand darin, Partner mit sich gegenseitig ergänzendem Know-how einzuschalten, um das Potential im gesamten Geschäftsnetzwerk zu erhöhen, Daten und Informationen ohne überflüssige Formalitäten gemeinsam zu nutzen, die vorhandene Infrastruktur zwischen den Partnern wirksamer einzusetzen und Lagerbestände sowohl nach oben als auch nach unten zu teilen (Abb. 6.3). Alle Partner würde ihre juristische Unabhängigkeit und Geschäftsautonomie bewahren, aber der Partner Park sollte wie ein gemeinsamer Betrieb aussehen und wirken. Der Partner, der ein bestimmtes Geschäft abgeschlossen hatte, agierte in diesem Falle als Dirigent, der die anderen Partner und Prozesse des Partner Parks koordinierte. Die Entwicklung von der Solution Factory zum Partner Park erforderte drei wichtige Änderungen: Beim ersten Schritt musste HP seine Partner – Wiederverkäufer, Distribuenten und Mehrwert-Servicelieferanten – dazu bringen, mitzuarbeiten und darüber nachzudenken, ihre Integrationszentren in die Werksgebäude von HP zu verlegen. Im zweiten Schritt konnten die Vertriebswegpartner dann auch die Infrastruktur von HP nutzen oder erhielten Zugang von außerhalb, um ein Produkt zu verändern oder anzupassen, wenn HP selbst nicht über das erforderliche Knowhow verfügte; HP lieferte das Produkt anschließend an den Endkunden. Im dritten Schritt konnten die Partner gemeinsam mit HP-Ingenieuren Problemlösungsteams bilden. Jeder Partner innerhalb des Wertschöpfungs-Kooperationsnetzwerks konzentrierte sich auf seinen eigenen Kompetenzbereich. Ein klar definiertes Dienstleistungssortiment war nötig, um sämtliche möglichen Kooperationsaktivitäten und die entsprechenden Preise aufzulisten. Alle Produkt- und Auftragsausführungen erfolgten in der Solution Factory, um die Lieferkette wirksamer und effizienter zu machen. Die Durchführung der gesamten Integrationsarbeit an einem einzigen Ort würde doppelte Arbeit vermeiden, schneller sein und Qualität garantieren.
6.4.3
Ergebnisse und Vorteile des Partner Parks
Die Material- und Informationsflüsse innerhalb des Partner Parks sind sehr kurz und flexibel. Das Teilen des Standorts mit anderen bietet neue Möglichkeiten, die Kooperation zwischen HP und seinen Vertriebswegpartnern zu intensivieren, denn die physische Nähe der Mitarbeiter dieser verschiedenen Unternehmen erleichtert die Kommunikation und die Kooperation. Das Endergebnis hat zu wachsendem Geschäft geführt.
Abb. 6.3
Inventar und Transportkostenreduktion optimierter Ressourceneinsatz! engste Kooperation
Infrastrukturkosten-Reduktion
Neue Kunden und Geschäfte durch erweiterte Fähigkeiten
Kombiniere Kompetenzen
• weitgefächerte Fähigkeiten
• Logistik
Optimiere Ressourceneinsatz
• sich den Kosten anpassende Infrastruktur
• Integration
Reduziere Lagerbestände
• Nutzungsgebühren
Vertriebswegpartner Integrationszentrum • Lagerhaltung • Maßschneiderung Logistik • Integration ServiceVersand Lieferanten
• Lagerhaltung
Versand am Quartalsende
Schnellversand
• keine Vermögenswerte
- Integration - Versand
Ein-Kontakt-Versand
Schnellversand
Vorteile für die Partner
Ressourceneinsat z optimieren
- Konfig. nach Auftrag - Massschneiderung
- Lagerhaltung - Bau nach Auftrag
mehrfachen Ressourcen
24h Logistik
Factory
HP Solution
HP Werk
Logistik
Werk und Partner mit
Vertriebswegpartner
Vertriebswegpartner
HP Solution Factory LogistikPartner
Neue Erfüllungsmodelle: Partner Park Standortteilung
88 6 Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
Verlegung der Integrationsaktivitäten der Vertriebswegpartner in den Partner Park
Kunden
Vertriebspartner
6.5 Konsequenzen für das Management
89
Die Aufbaukosten waren niedrig und beschränkten sich vor allem auf die Vernetzung der IT-Systeme zur Übertragung von Aufträgen und Finanzdaten. Innerhalb von sechs Monaten konnte nicht nur die betriebliche Effektivität, sondern auch die Effizienz der neuen Organisation unter Beweis gestellt werden. Die Ausführungskosten sind für die Distributionspartner um 15 % gesunken und die Gesamterträge um 25 % gestiegen, da die Vertriebspartner nun neue, vom Netzwerk gelieferte Dienstleistungen anbieten können. Die Anzahl der Neukunden ist gestiegen, die Bestände können wirksamer eingesetzt werden, was die Verfügbarkeit erhöht und gleichzeitig die Lagerbestände reduziert. Die gemeinsame Nutzung von Daten und Informationen beschränkt sich nicht nur auf formelle Kommunikationsprozesse – die Mitarbeiter der verschiedenen Firmen treffen sich zwanglos jeden Tag und tauschen wertvolle Informationen aus. Marketingkampagnen werden früh mitgeteilt und Prognosen gemeinsam entwickelt. Die Endkunden erhalten Komplettlösungen, und das viel schneller und effizienter als vorher. Sämtliche Partner sind nun in der Lage, ohne Anstieg der Infrastrukturkosten ein sehr viel breiteres Dienstleistungssortiment anzubieten, was wiederum zu höheren Erträgen führt. Verschiedene Knotenpunkte in der ausgehenden Lieferkette konnten eliminiert und unter dem Dach der Solution Factory vereint werden. Der Partner Park hat sich zu einem richtigen „Alles-aus-einer-Hand“-Betrieb entwickelt, der Computerhardware, Dienstleistungen und komplexe IT-Infrastrukturlösungen liefert.
6.5
Konsequenzen für das Management
Wertschöpfungsnetzwerke sind ein wichtiges und leistungsfähiges Werkzeug, wenn die Produkte einer Branche in die Reifephase kommen – sie versetzen die Lieferkette in die Lage, eine breitere Produkt- und Servicepalette sowie maßgeschneiderte Lösungen zu niedrigeren Kosten anzubieten. Dabei ist von grundsätzlicher Bedeutung, dass sich das Know-how der Partner ergänzt, um Wettbewerb zu vermeiden und das Serviceangebot des gesamten Netzwerks zu vergrößern. Auch ein Vertrauensverhältnis zwischen den Partnern ist unabdingbar. Da die Grenzen zwischen den Partnern ihre Starrheit verlieren, fließen mehr Informationen, und es besteht die Gefahr des Missbrauchs dieser Daten. Wertschöpfungsnetzwerke sind daher nicht effektiv, wenn es einen dominanten Partner gibt, denn in einem solchen Umfeld kann kaum Vertrauen wachsen. Für die Entstehung eines effektiven Wertschöpfungsnetzwerks ist ein koordinierender Partner wichtig, der die Partner physisch miteinander verbindet und unabhängig ist (kein OEM). Im Falle des Partner Parks von HP hat die Logistikfirma diese Rolle übernommen. Sie hat in IT-Know-how investiert, bietet allen Partnern Logistikdienstleistungen an und verbindet die Partner zu praktisch einer gemeinsamen Firma. Hätte HP selbst versucht, diese koordinierende Rolle zu übernehmen, wären wohl viele Partner nur widerstrebend dem Netzwerk beigetreten. Weitere Voraussetzungen für ein effektives Wertenetzwerk sind die Standardisierung der
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6 Hewlett Packard Herrenberg: Partnerschaftslösungen
IT-Prozesse, eine klare Definition der zwischen den Netzwerkpartnern angebotenen Dienstleistungen bei detaillierter Preisfestsetzung sowie die Schaffung eines Umfeldes durch das Management, das die einfache und zwanglose Kommunikation zwischen den Mitarbeitern fördert, denn der Informationsaustausch ist einer der wichtigsten Pluspunkte dieses Modells.
Kapitel 7
Fujitsu Siemens Computers: Die Beherrschung von Outsourcing und Lieferkette
Dieses Kapitel beschreibt die Kombination von Maßnahmen, die es einem Unternehmen aus der extrem wettbewerbsorientierten PC-Branche ermöglicht, trotz seiner Produktion in Deutschland Marktführer zu bleiben. Fujitsu Siemens Computers stellt Notebooks, PCs und Server her. Um in einer Branche überleben zu können, in der die Preise so schnell fallen, dass für 2 % Ertragswachstum ein Volumenwachstum von 20 % erforderlich ist, muss man bei Prozessverbesserungen und Kostenreduzierungen diszipliniert sein und die internen Aktivitäten durch Outsourcing (Auslagerung) an Partner ergänzen. Außerdem sind Flexibilität und Innovationspotenzial erforderlich, um neu aufstrebende Märkte in Angriff zu nehmen, die dringend benötigte Volumenerhöhungen versprechen.
7.1
Einführung
Die in Augsburg ansässige Firma Fujitsu Siemens Computers (FSC) wurde 1999 als 50:50 Joint Venture zwischen den beiden Hauptanteilseignern Siemens AG (München) und Fujitsu Limited (Tokio) gegründet. Es umfasst die ehemaligen Geschäfte von Fujitsu Computers Europe und das Computersystemgeschäft der Siemens AG in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA). Die Angebotspalette reichte von Notebooks über Desktop-Computer bis hin zu IT-Infrastrukturlösungen und Dienstleistungen für Unternehmen (Abb. 7.1). Fujitsu Siemens kooperiert mit Fujitsu in Japan, einem vielseitigen Lieferanten von IT-Systemen und -Lösungen. Im April 2006 kam der ehemalige Service-Geschäftsbereich von Siemens (mit 4.000 Mitarbeitern in 500 Servicezentren in 23 Ländern) hinzu, und das Angebot umfasst heute eine breite Palette von Dienstleistungen in den Bereichen Software, Hardware und Netzwerke, und Integrations-, Wartungs- und Finanzdienstleistungen. Das Unternehmen beschäftigt 10.700 Mitarbeiter und ist auf allen EMEA-Märkten tätig, wo es in 176 Ländern seine Dienstleistungen über Partner anbietet. Die Produktion von FSC in Deutschland konzentriert sich auf Augsburg – das größte Werk mit 1.200 Mitarbeitern, die professionelle PCs, Notebooks und Server fertigen – und Sömmerda in Thüringen. Forschungs- & Entwicklungsabteilungen
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
91
92
7 Fujitsu Siemens Computers
Abb. 7.1 Fujitsu Siemens Computers stellt Notebooks, PCs und Server her
befinden sich in München, Paderborn, Augsburg sowie im kalifornischen Sunnyvale. Die Computerhardware-Branche, und dabei vor allem das PC-Segment, ist mit gnadenlosen Herausforderungen konfrontiert – extrem schnellem Umsatz und Preisverfall sowie hohem Kostendruck, also nicht gerade ein Umfeld, in dem sich größere deutsche Unternehmen gut geschlagen haben. Die Fusion des PC-Geschäfts von Siemens mit der europäischen Computereinheit von Fujitsu war auch in der Tat ein Schritt, der hohe Verkaufszahlen und Marktbreite schaffen und die Fähigkeit der gemeinsamen Einheit zum Überleben stärken sollte.1 Dennoch waren die beiden ersten Jahre schwer – von 2000–2001 verzeichnete das Unternehmen einen leichten Umsatzrückgang (bei einem Umsatz von €5,9 Mrd.) und einen Betriebsverlust. Doch es arbeitete hart an seinem Erfolg, und 2003 wurde das Werk in Augsburg für seine frühen Leistungen in einem extrem turbulenten und von Wettbewerb geprägten Umfeld mit dem Industrial Excellence Award (IEA) ausgezeichnet. Der Preis im Jahre 2003 war die Anerkennung für die erfolgreiche Massen-Maßanfertigungsstrategie des Werks Augsburg, bei der man sich auf die Lieferkettengeschwindigkeit und die flexible Maßanfertigung eines modularen Produkts für eine Vielzahl von Kunden konzentrierte. Die Fertigungstechnik wurde alle neun Monate verbessert, um die Marktführerschaft des Unternehmens zu verteidigen, und die flexiblen Fertigungsstraßen von Fujitsu Siemens, mit denen die Produktionsteams auf schwankende Kundenwünsche reagieren konnten, waren einzigartig in der Branche. Die Anpassung der einzelnen Produkte umfasste das Vorladen der Software, und 1
Das Joint Venture wurde in der Branche als Reaktion auf niedrigere Margen betrachtet, das dem Computergeschäft von Siemens die Stärke zum Weitermachen verlieh, während es Fujitsu eine stärkere Position auf den EMEA-Märkten bot (siehe z. B. ManagerMagazin 1999, Lambeth 1999).
7.2 Wie machen sie das? Indem sie niemals stillstehen
93
jeden Monat wurden 5.000 verschiedene Konfigurationen installiert. Dank seiner flexiblen Fertigungsstraßen erreichte das Unternehmen Gesamtdurchlaufzeiten (vom Auftrag bis zur Lieferung) von acht Tagen. Die Lagerhaltung wurde in das Werk integriert, wobei ein externer Dienstleister für den Materialtransport zuständig war. Die Produktionsflexibilität wurde durch vorsichtige Prognosen, die man den asiatischen Lieferanten zukommen ließ, ergänzt, und somit konnte der Lagerbestand um 50 % auf einen 2- bis 3-WochenVorrat reduziert werden. Bezeichnenderweise war der Lagerumschlag ähnlich wie beim Direktvertriebsmodell der Firma Dell. Forschung und Entwicklung erfolgten in Zusammenarbeit mit Japan; so wurden beispielsweise in Japan entwickelte Notebooks auf den EMEA-Märkten und in Deutschland entwickelte Server in Japan/ Asien verkauft. Um die vielfältigen Kundenanforderungen in den verschiedenen Vertriebskanälen erfüllen zu können, entwickelte FSC maßgeschneiderte Lieferkettenmodelle. 30 % der Geräte wurden nach vordefinierten Produktkonfigurationen montiert, 50 % mit einem frei konfigurierbaren Build-to-Order-Ansatz (kundenauftragsbezogene Fertigung) und die restlichen 20 % mit zusätzlichen Kundenwünschen, wie z. B. mit aufgespielter Kunden-Software oder speziellen Services. Fujitsu Siemens brachte seine Kunden in das Werk ein, im wahrsten Sinne des Wortes – das Unternehmen veranstaltete ein Oktoberfest und lud Kunden, Lieferanten und Partner ein, sich den Betrieb vier Tage lang anzuschauen und sich persönlich von der Arbeitsweise zu überzeugen. Die Stimmung war gut, und sämtliche Mitarbeiter auf allen Ebenen demonstrierten ihren Stolz auf das Unternehmen. Nur ein Bereich wurde als Schwäche herausgegriffen, und zwar das Personalmanagement, vor allem die Mitarbeiterbeteiligung und das Wissensmanagement. Die Unternehmensführung hatte bereits damit begonnen, die erkannten Schwächen im Personalbereich anzugehen. Indem sie die Belegschaft zur „Basis für den zukünftigen Erfolg“ erklärte, verpflichtete sie sich zur „Entwicklung der richtigen Fertigkeiten, Kompetenzen und der strategischen Ausrichtung unserer Mitarbeiter, ihrer Treue, Motivation und ihres Engagements.“ Als Ergebnis der strategischen Positionierung und operativen Verbesserungen erreichte Fujitsu Siemens Computers 2003 die Marktführerschaft in Deutschland und einen dritten Platz in Europa. Bedauerlicherweise führte dies dennoch zu einem weiteren leichten Umsatzrückgang auf €5,4 Mrd.; allerdings verzeichnete das Unternehmen ein positives Betriebsergebnis und einen deutlich positiven Kapitalfluss.
7.2 Wie machen sie das? Indem sie niemals stillstehen Nach dem Gewinn des IEA gab Fujitsu Siemens Gas – das Unternehmen erreichte ein kontinuierliches Volumenwachstum (€6,9 Mrd. im Jahr 2007) und verzeichnete stets Gewinne (2007 betrug der Nettogewinn €61 Mio.). Eine Nettogewinnspanne von einem Prozent wirkt in vielen Branchen lächerlich, doch in diesem Gewerbe bedeutet eine stetige Rentabilität Erfolg. Augsburg, das Hauptwerk des
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7 Fujitsu Siemens Computers
Unternehmens in Europa, wickelt mehr als fünf Millionen Einheiten pro Jahr ab (von etwa 8,5 Mio. Einheiten bei FSC insgesamt). 2003 betrug der Ausstoß 420.000 mobile Einheiten; heute werden mehr als 1,3 Mio., also dreimal so viele, produziert, während sich die Anzahl an Servern von 120.000 auf 240.000 verdoppelt hat. Und das angesichts einiger sehr unbequemer Fakten: 20 % Mengenwachstum bedeuten lediglich 2–3 % Ertragswachstum, da die Einzelhandelspreise stetig fallen. Ausgehend von einem Umsatz von €6,9 Mrd. in den Jahren 2006/2007 lautete das Ziel für 2008 €7,7 Mrd. und für 2010 €10 Mrd.2 Umsatzwachstum in dieser Größenordnung erfordert einen massiven Anstieg der Produktionsmenge. Die Frage lautet nun: Was unternimmt Fujitsu Siemens Computers, um so erfolgreich zu bleiben? Als wir 2007 das Werk in Augsburg erneut besuchten, fanden wir ein blühendes und energisches Umfeld vor, in dem nachdrücklich kein Stillstand zu entdecken war und das in vielerlei Hinsicht ausgezeichnete Qualität zeigte.
7.2.1
Die Strategie
Bernd Bischoff, Präsident und Geschäftsführer des Unternehmens, ist der Ansicht, dass es keinen alleinigen Faktor für den Erfolg von Fujitsu Siemens gibt, sondern eine Kombination aus „der richtigen Strategie, den richtigen Produkten, den richtigen Innovationen, den richtigen Leuten, den richtigen Partnerschaften und den richtigen Dienstleistungen.“ Die Strategie umfasst den Fokus auf gewinnbringendes Wachstum (nicht Wachstum per se) durch kundengesteuerte Lösungen in jedem Segment, die Zusammenarbeit mit Servicepartnern, das Angebot einer breiten und hochwertigen Servicepalette, die Betonung von grünen, also umweltfreundlichen Produkten und die Unterstützung durch Innovation und engagierte Mitarbeiter im gesamten Unternehmen.3 Übersetzt auf die betriebliche Ebene im Werk Augsburg bedeutet diese allgemeine Strategie, dass man sich auf vier Hauptdimensionen konzentriert: Kundenorientierung des Produktangebots, Partnerschaften, eiserne Prozess- und Kostendisziplin sowie Mitarbeitermobilisierung. Werfen wir einen Blick auf die Umsetzung dieser Dimensionen.
7.2.2
Kundenorientierung
Die wettbewerbsfähige Positionierung des Notebook- und Servergeschäfts in Augsburg ist darauf ausgerichtet, maßgeschneiderte Datenverarbeitungslösungen anzubieten, die vom ersten Tage an funktionieren. Der Werksleiter Heribert Göggerle beschreibt es so: „Wenn Sie normalerweise im Büro einen neuen PC bekommen, dau2 3
Quelle: Geschäftsbericht 2006–2007, Interviews. Geschäftsbericht 2006–2007.
7.2 Wie machen sie das? Indem sie niemals stillstehen
95
ert es erst einmal drei Tage, bevor er für Sie genau so gut funktioniert wie der alte. Unser PC ist vom ersten Tag an betriebsbereit – das, was in der Regel der Systemadministrator Ihrer Firma oder Ihr Wiederverkäufer tut, übernehmen wir für die Firma. Wir übertragen die Daten vom Kundenserver auf einen virtuellen Server bei uns, dann konfigurieren wir den neuen PC genauso oder mit den entsprechenden Aktualisierungen. Damit steigt unsere interne Komplexität, da jeder PC anders ist, aber das macht für den Kunden den Wert aus. Von China aus ist das nicht möglich – wir müssen in der Nähe des Kunden sein, um das übernehmen zu können.“ Um die Auswirkung der vielfältigen Produktkonfigurationen anerkennen zu können, sollten Sie Folgendes bedenken: In Augsburg werden etwa 50 verschiedene Produktlinien montiert, wobei sich ein Produkt auf ein unterschiedliches Computergehäuse bezieht. Die durchschnittliche Lebensdauer eines Produkts (in der Produktion) beträgt ein Jahr – mit anderen Worten: Jede Woche kommt es im Werk zu einem neuen Produktanlauf. Diese Position – „Wir stellen nicht nur einfach ein Gehäuse auf Ihren Schreibtisch, sondern wir liefern Produktivitäts-Rechenleistung“ – fördert die Kundenbeziehungen und das Ertragspotential in mehrfacher Hinsicht. Erstens ist sie unmittelbar mit dem Dienstleistungsgeschäft verknüpft, in dem FSC seine Kapazitäten durch 4.000 neue Servicemitarbeiter, die 2006 eingestellt wurden, erheblich erhöht hat. Die Bereitstellung von sofort verfügbarer Rechnerleistung führt logischerweise zur Inanspruchnahme von Wartung, Kundendienst und Garantieleistungen (eine Servicegarantie für eine bestimmte Anzahl an Jahren). Außerdem basiert die Kalkulation eines Produkts jetzt nicht mehr nur auf der Hardware, sondern berücksichtigt auch Ausfälle, Kundendienst und Garantie, (die – und das war nicht immer so – jetzt auf die Komponentenlieferanten zurückfällt), also Know-how, das neue Möglichkeiten für Kosteneinsparungen und Preisflexibilität eröffnet. Um es mit Göggerles Worten auszudrücken: „Wir tun jetzt sehr viel mehr als nur Hardware und Software zu verkaufen.“ Zweitens ermöglichen engere Kundenbeziehungen präzisere Rückmeldungen über Kundenwünsche und Probleme. Damit kann Fujitsu Siemens Computers bessere Maßnahmen und Qualitätsprüfungen entwickeln, die auf der Gesamtheit der Fehlerdaten aus der realen Welt basieren, obwohl diese Rückmeldung noch in den Kinderschuhen steckt und noch weiter entwickelt werden muss. Drittens kann man dem Kunden in einer laufenden Beziehung, die einen Wartungsvertrag umfasst, einige der Produktvorteile sehr viel besser erläutern. So achtet ein Kunde, der nur auf den einmaligen Kaufpreis fixiert ist, kaum auf einen 20 % niedrigeren Energieverbrauch als beim Konkurrenzprodukt. Bekommt er jedoch eine monatliche Servicerechnung, dann erkennt der Kunde die niedrigeren Energiekosten und lernt diesen Vorteil beim nächsten Mal besser einzuschätzen. Die grüne Positionierung (deren Entwicklung Siemens Nixdorf in der ersten Hälfte der 1990er Jahre eingeleitet hatte) lässt sich also in reale Erträge umsetzen. Die bisher beschriebenen Veränderungen beziehen sich hauptsächlich auf das Geschäftskundensegment. Aber FSC ist auch bei Privatcomputern Marktführer in Deutschland, einem Segment, das zur Nutzung der Vorteile von ausreichenden Mengeneffekten von entscheidender Bedeutung ist. Für diesen wichtigen Bereich
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7 Fujitsu Siemens Computers
läuft derzeit eine größere Maßanfertigungskampagne. Eine neue Kundeninitiative greift einen Hauptkonkurrenten, Dell, direkt an. Die Kunden haben nun die Möglichkeit, einen PC online bei einer großen Elektronikkette zu bestellen und nach 24 Stunden zu erhalten. Es gibt eine direkte Kundenschnittstelle: Händler oder Einzelkunden erhalten Zugriff auf eine Website von Fujitsu Siemens und können dort auf dem Bildschirm ihren PC konfigurieren. Der maßgeschneiderte PC wird nach einem oder nach zwei Tagen geliefert. Zwar ist die Auswahl bei diesem Service eingeschränkt, aber sie reicht von Business-to-Business (B2B, dem Geschäft unter Firmen) bis hin zu Business-to-Client (B2C, dem Geschäft zwischen Firmen und Endkunden) und ist das erste Serviceangebot dieser Art in Deutschland. Dell und FSCsind die einzigen Hersteller weltweit, die eine solche Massen-Maßanfertigung, Systemkonfigurierungen und Bestellcomputer anbieten. FSC ergänzt sein Auftragsproduktionssystem (das dem von Dell entspricht) jedoch mit einem Chargensystem, d. h. vordefinierte und vormontierte Basiseinheiten werden in China hergestellt und nach Europa verschifft, wo sie mit Schlüsselkomponenten und Software an die Kundenwünsche angepasst werden. Damit kann Fujitsu Siemens Computers sowohl einen PC von der Stange liefern als auch nach Auftrag konfigurieren und erreicht damit ein Maß an Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit, das Dell derzeit überlegen ist.
7.2.3
Outsourcing und Partnerschaften
Um in einer Branche mit niedrigen Gewinnspannen seine Fixkosten erschwinglich zu halten, verlässt sich Fujitsu Siemens immer mehr auf andere Firmen, die Teile der produktbezogenen Aktivitäten ausführen. Das ist ähnlich wie bei Hewlett Packard, beschrieben in Kap. 6, doch organisiert Fujitsu Siemens Computers seine Auslagerungen etwas anders. Zunächst einmal greift FSC auf ein ausgedehntes Netzwerk von 35.000 Vertriebspartnern weltweit zurück, von denen einige direkte Computerhändler sind (wie z. B. Saturn in Deutschland und Frankreich), die das Produkt zum Kunden bringen. Darüber hinaus arbeiten viele Partner mit Fujitsu Siemens zusammen, um auch industrielle Kunden zu erreichen. Örtliche Händler und Vertriebsgesellschaften ergänzen die eigene Serviceorganisation von Fujitsu Siemens. Zusätzlich baut Fujitsu Siemens ein Netzwerk von Lösungspartnern auf, das derzeit etwa 2.000 unabhängige Softwarehändler und Systemintegratoren umfasst, welche die Hardware mit maßgeschneiderter Systemintegration und kundenspezifischen Dienstleistungen ergänzen. All diese Partner tragen dazu bei, den Markt zu erweitern und ein größeres Kundensegment zu erreichen, ohne die eigene Firmenstruktur vergrößern zu müssen. Fujitsu Siemens unterstützt diese Partner durch Zertifizierungen, technischen Service sowie Vertriebs- und Marketing-Know-how für Kundenakquisitionsbemühungen. Doch das Agieren durch externe Firmen beschränkt sich nicht auf die Vertriebsseite – FSC hat auch viele interne Logistik- und produktionsbezogene Aktivitäten
7.2 Wie machen sie das? Indem sie niemals stillstehen
97
ausgelagert. So konzentriert sich beispielsweise die Produktion in Augsburg (und verstärkt auch im zweiten Werk in Sömmerda) auf hochmoderne, technologisch hochwertige Hauptplatinen. Preisgünstige Hauptplatinen werden von den Zulieferern in osteuropäischen Ländern, z. B. Rumänien, gefertigt. Neue Montageaktivitäten in Polen, Russland und Dubai, die auf die schnell wachsenden Märkte vor Ort ausgerichtet sind, werden durch zertifizierte Partner ausgeführt. Diese tragen nicht nur selbst einen Teil der Investitionen und des Risikos, sondern teilen sich in ihrem lokalen Netzwerk auch Kapazitäten, was sie in die Lage versetzt, effizient auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Selbst in Augsburg verbleibende Aktivitäten wurden an externe Partner ausgelagert. So hat ein Dienstleister mit 150 Mitarbeitern sämtliche Werkstransport- und Lageraktivitäten auf dem Werksgelände übernommen. Dieser arbeitet zudem mit anderen Firmen zusammen und kann dadurch Personal zwischen den Kunden verschieben (auf Basis eines Multi-Händler-Konzepts) und damit Schwankungen bei der Nachfrage eines einzelnen Kunden ausgleichen. Dieser Zusammenlegungseffekt macht den Anbieter effizienter als es der eigene Transportservice von FSC jemals hätte sein können. Auch das Vertriebszentrum arbeitet nun in Partnerschaft mit einem externen Lieferanten. Damit konnte die Anzahl der Vertriebszentren von drei auf eines verringert werden, das nicht einmal größer ist als jedes der drei ehemaligen für sich. Auch dieses Zentrum ist sehr viel effizienter als vorher, da der Dienstleister mehrere Lager betreibt und sich ihm damit ein Zusammenlegungsvorteil bietet, der Mengenschwankungen in jedem einzelnen Werk ausgleichen kann, ohne die Fläche aufstocken zu müssen. Im Laufe der Zeit hat Fujitsu Siemens Computers erkannt, dass eine Auslagerungsinitiative am wertvollsten ist, wenn sie nicht als vorübergehende Kostensparmaßnahme, sondern als echte Partnerschaft behandelt wird: Die Firma arbeitet mindestens drei Jahre lang mit dem jeweiligen Dienstleister zusammen – was für die PC-Branche ein langer Zeitraum ist – und man sucht nach Lösungen, bei denen jeder nur gewinnen kann, anstatt nach einseitigen Kostensenkungen. Dieser Ansatz umfasst zwei Prinzipien – zum einen offene Bücher, wodurch jeder weiß, was der andere einspart oder gewinnt, was wiederum zu Vertrauen und Fairness führt, und zum anderen ein regelmäßiger Benchmarking-Prozess, der sicherstellt, dass Leistungsdruck auf die Gesamtleistung und nicht nur auf den Preis ausgeübt wird.
7.2.4
Eiserne Kosten- und Prozessdisziplin
7.2.4.1
Eine Fülle von Maßnahmen
Aufgrund des jährlichen Preisverfalls, der für die Computerbranche typisch ist, müssen die Hersteller zusätzliche Auftragsmengen gewinnen, aber auch produktiver werden und Kosten reduzieren. Daher muss sich FSC unaufhörlich mit den Kosten befassen. Um bei fallenden Preisen rentabel zu bleiben, ist eine Produktivitätssteigerung von
98
7 Fujitsu Siemens Computers
mind. 8 % pro Jahr erforderlich. „Stellen Sie sich vor, unsere jährlichen Logistik- und Lieferkettenkosten betragen ungefähr eine halbe Milliarde Euro“, sagt Göggerle, „dann müssen wir zwischen 5 und 8 % davon einsparen nach evtl. Kostensteigerungen beim Materialeinsatz und durch Lohnerhöhungen.“ Um diese Einsparungen zu erreichen, bemüht sich das Unternehmen weiter um eine schlanke Produktion, die sowohl durch Prozessänderungen als auch durch Mitarbeitervorschläge erreicht werden soll (siehe Abschn. 2.5). Zusätzlich wurden die Kosten reduziert und die Systeme in vielerlei Hinsicht rationalisiert. Seit 2005 gibt es ein integriertes Firmenressourcen-Planungssystem (ERP), angefangen vom Kunden bis hin zu Nebenlieferanten, mit kompletter Fluss- und Kostentransparenz. Das Verfolgen der Kosten erfolgt über den gesamten Prozess von der Forschung & Entwicklung bis zur Produktion und ermöglicht eine frühe Festlegung, wo ein Produkt entwickelt werden soll (entweder in China oder in Europa). Eine solche Prognose führt alleine bei den Transportkosten zu Einsparungen von mehreren zehn Mio. Euro – 80 % des aus Asien kommenden Materials kann nämlich per Schiff anstatt per Flugzeug transportiert werden. Der Produktlebenszyklus einer preisgünstigen Konfiguration kann unter Umständen weniger als 12 Wochen betragen. Und damit stellt sich folgendes Problem: Die durchschnittliche Durchlaufzeit von China aus beträgt 12 Wochen, d. h., die Komponenten müssen so bestellt werden, dass sie das gesamte Produktzyklus-Volumen jeder Konfiguration ausfüllen, und das erfordert eine enorme Effizienz bei Lagerhaltung und Prognose. Im Juni 2007 integrierte man die Ersatzteillogistik in die allgemeine Lieferkettenorganisation und ermöglichte damit bessere Einkaufsverhandlungen und höhere Lagerproduktivität – die Lagerhaltung wird mit dem ursprünglichen Komponentenlager geteilt, wenn auch auf einem unterschiedlichen Serviceniveau. Auch das Lagerinventar wird derzeit durch Lagerkonsolidierung um 10–15 % reduziert. Technische Veränderungen werden schnellst möglich durchgeführt, denn Wachstum hängt von neuen Produkten ab. Das Design der Hauptplatinen wird ausgebaut, wobei die Entwicklung in Deutschland erfolgt. So wurde beispielsweise eine neue Komponentenmontagetechnik eingeführt, die auf beiden Seiten der Hauptplatine Komponenten einfügt, und diese Erhöhung der Komponentendichte auf der Platine spart Stückkosten. Der Entwicklungsprozess ist effizient – normalerweise investiert FSC weniger als €10 Mio. pro Jahr in die Entwicklung von Desktop-PCs, was sehr wenig für die Branche ist. Außerdem tragen die Produktentwicklungsleiter die Verantwortung für ein neues Produkt während seines Produktionslebenszyklus, und zwar durchgehend bis zum Vertrieb. Ihr Bonus hängt also teilweise vom Verkaufserfolg der von ihnen entwickelten Produkte ab. Dadurch werden die Designanstrengungen zur Kostenreduktion und kundenrelevante Eigenschaften immer dringlicher und nicht nur die Erfüllung der Spezifikationen. Um Beständigkeit und Synergien zu gewährleisten, hat man eine strategische Gesamtsicht sämtlicher Maßnahmen in die Wege geleitet (Abb. 7.2). Die vielfältigen Partnerschafts- und Prozessverbesserungsmaßnahmen haben trotz der starken Mengenerhöhungen zu einer stetigen Verringerung der Arbeitsplätze in der Produktion selbst geführt. Dennoch haben nur wenige der betroffenen Mitarbeiter die Firma verlassen – wer gegangen ist, hat dies freiwillig getan, denn
7.2 Wie machen sie das? Indem sie niemals stillstehen
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Culture
Business Excellence Learning, knowledge-sharing organization
Truly networking company & best-in-class Management System We make sure
Integration and acceptance of TQM ‘frameworks’
Absorption of our Strategy, Vision, Mission, Values
Integration of Standards
Implementation of ISO 9001, 14001 Process Management
Chaos
Process Excellence
Structure
Abb. 7.2 Strategie operativer Verbesserungen bei FSC
Entlassungen gab es keine. Die meisten sind in andere Abteilungen gewechselt. Göggerle nennt ein Beispiel: „Ich erhalte von der Servicegruppe Mitteilung über sämtliche Systemfehler bei den Kunden und analysiere sie, was mir die Möglichkeit bietet, bessere Reparaturpreise anzubieten. Es wurden zusätzlich 30 Mitarbeiter eingestellt, um genau das zu tun, nämlich Arbeiten zurück in die Firma zu bringen. Die Reparaturwerkstatt befindet sich im Produktionsbereich. Zusätzliche Arbeitskräfte auf dieser Ebene sollten uns bald in die Lage versetzen, Daten über systematische Fehler in das Produktdesign einzubeziehen. Es handelt sich um ein laufendes Projekt, aber viele Lösungen sind bereits verfügbar.“ Am Ende stellte sich heraus, dass sämtliche Partnerschafts- und Prozessverbesserungsmaßnahmen nicht ausreichten, um Änderungen beim Lohn- und Gehaltssystem zu vermeiden. FSC sah sich gezwungen, auch eine Erhöhung der normalen wöchentlichen Arbeitszeit von 35 auf 38,5 Stunden einzuführen (bei einigen Verwaltungsstellen von 40 auf 44 Stunden), um die Arbeitsfixkosten auf mehrere Einheiten zu verteilen. Obwohl in den Jahren 2005–2006 das Tabu der Abschaffung der 35-Stunden-Woche von mehreren deutschen Firmen gebrochen wurde, war dies ein schmerzhafter Prozess. Aber ein Vergleich der Arbeitskosten war zu auffällig – ein vergleichbarer Produktionsarbeitsplatz in China kostet $90 pro Monat, in Deutschland $3.100. Bis 2006 reichten die Geschwindigkeits- und Flexibilitätsvorteile aus, um dem Kostennachteil entgegenzuwirken. 85 % der Augsburger Produktion, die kundenspezifisch montiert wurde, konnte innerhalb eines Tages hergestellt und versandt werden, während es von China aus zehn Tage dauerte. Außerdem konnte man durch flexible Arbeitszeiten von einem Tag auf den anderen auf starke Nachfrageschwankungen reagieren.4 4
Ehrensberger (2006).
100
7 Fujitsu Siemens Computers
Als jedoch der Computermarkt Mitte 2006 schrumpfte, stellte das Management die Überlebensfähigkeit der deutschen Produktionswerke (Fujitsu Siemens ist der einzige große Computerhersteller, der noch in Deutschland produziert) in Frage und begann, auf eine Ausdehnung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 40 Stunden zu drängen. Die Verhandlungen mit den Gewerkschaften und Betriebsräten dauerten neun Monate, bevor man sich im Februar 2007 auf eine Verlängerung der Arbeitszeit auf 38,5 Stunden ohne Lohnausgleich einigte. Die Mitarbeiter konnten auch weiterhin 35 Stunden arbeiten, allerdings mit Lohneinbußen. Im Gegenzug garantierte Fujitsu Siemens Computers den Erhalt von 4.750 Arbeitsplätzen in Deutschland bis 2010 und schloss betriebsbedingte Kündigungen aus. Dies war natürlich eine umstrittene und möglicherweise demotivierende Wendung der Dinge, doch das Hauptaugenmerk lag auf der Rettung von Arbeitsplätzen in Deutschland unter widrigen Bedingungen.5 Gewerkschaften und Betriebsräte stimmten der Vereinbarung widerwillig zu. In einer Situation, in der keine andere Computerfirma mehr in Deutschland produzierte, fanden sich die Mitarbeiter damit ab, dass die Änderungen gerechtfertigt waren. Durch dieses negative Ereignis wurden die Bemühungen um mehr Mitarbeiterbeteiligung und -motivation noch sehr viel wichtiger – und dies schauen wir uns nun an.
7.2.5
Mitarbeitermobilisierung
Trotz der für die Belegschaft negativen Arbeitszeitentwicklung hat sich Fujitsu Siemens Computers stark bemüht, alle Mitarbeiter zu informieren, zu beteiligen und zu mobilisieren. In verschiedenen Teilen des Unternehmens gab man diesen Initiativen unterschiedliche Bezeichnungen, beispielsweise „We make sure“ (Wir sorgen dafür, dass es funktioniert) oder „Innovation starts on the CEO’s desk“ (Innovation beginnt auf dem Schreibtisch des Geschäftsführers). Die Innovationsinitiative „Innovation starts on the CEO’s desk“ begann 2005 in ganz Deutschland mit einem schlicht als „das Beste“ bezeichneten Innovationsinstrument, das in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnologie in Bonn erdacht wurde. Dieses Instrument ermöglicht jeder Person im Unternehmen, Ideen einzubringen, und das Management garantiert eine Reaktion innerhalb von acht oder neun Tagen. Die Verwendung des Instruments wird durch Innovationstage vor Ort bekannt gemacht, bei denen jeweils zwei Innovationsideen in Workshops mit 15 Mitarbeitern vorgeführt werden. Für die beste Idee gibt es einen jährlichen Preis. Diese Innovationsinitiative wurde 2007 mit dem Boston Consulting Group Innovationspreis ausgezeichnet. Parallel zur Innovationsinitiative führte FSC eine Initiative mit dem Namen „We make sure“ durch, die sicherstellen sollte, das jeder in der Firma die Strategie verstand, die sämtliche Mitarbeiter miteinbeziehen und die Ideale Zuverlässigkeit und Verantwortung stärken sollte. Diese Initiative betonte, dass Qualität bei der täglichen 5
DPA Ticker, 8. Februar 2007.
7.3 Noch besser werden?
101
Arbeit nicht nur Prozessverbesserungen, sondern auch Verhaltensänderungen umfasst, und zwar sowohl bei den Führungskräften als auch beim Bedienpersonal. Es fanden Workshops für alle 2.000 Mitarbeiter statt, bei denen die eigene Firma durch ein Restaurant symbolisiert wurde: „In welches Restaurant würden Sie wieder gehen? In das mit den günstigsten Preisen, mit dem besten Essen, mit schneller Bedienung oder mit nettem Service?“ Oder: „Was trägt jeder Mitarbeiter zu den Erfolgskriterien bei – der Koch, der Kellner, die Reinigungskraft, der Sicherheitsbedienstete? Wer steuert was zur Dienstleistungskette bei?“ Und dann, um wieder auf Fujitsu Siemens zurückzukommen: „Was leisten Sie für einen Beitrag?“ Göggerle beschreibt die Workshops folgendermaßen: Die Leute entwickeln dieses Wissen durch praktische Erfahrung. Als Ergebnis kamen beispielsweise Produktionsmitarbeiter mit Einkaufsleuten ins Diskutieren und forderten sie heraus – das war der Beginn einer veränderten Denkweise. Die Leute schrieben auf, was sie verbessern würden, und einige stellten ihre Ideen vor. Alleine in Augsburg gab es siebenhundert Vorschläge zum Herunterbrechen der Strategie in konkrete Aufgaben und Führungsverhalten, darunter Fragen wie: Wie oft hält sich ein Gebietsleiter im Werkstattbereich auf? Wie oft gibt er oder sie Rückmeldungen? Es war ein richtiger Prozess von unten nach oben, und er dauerte drei Monate.
Den Workshops folgte eine jährliche Mitarbeiterbefragung. Ohne regelmäßige aktive Veranstaltungen und im Zusammenhang mit den umstrittenen Arbeitszeitverhandlungen nahm die „Energie“ rund um die Mitarbeiterbeteiligung jedoch wieder ab. Im Sommer 2007 wurden die Workshops wiederbelebt, diesmal unter Einbeziehung einiger Hauptlieferanten und Partner. Das Management hatte erkannt, dass es sich bei der Pflege einer positiven Mitarbeiterhaltung bzw. -beteiligung um einen andauernden Prozess handelt – wenn man die Leute nicht erinnert und ihnen keinen neuen Schwung gibt, schwindet sie. Die Innovations- und die „We make sure“-Initiative werden durch formelle Leistungs- und Karrieremanagementsysteme und -prozesse ergänzt. So erhalten z. B. Führungskräfte eine variable Leistungszulage von bis zu 40 %, und sogar bei den Angestellten in der niedrigsten Hierarchiestufe gibt es eine variable Gehaltskomponente von 15 %. Zusätzlich sind etwa 40 (von 1.200) festangestellte Mitarbeiter (ausgenommen Arbeiter) als lokales oder als globales Talent klassifiziert, je nach Leistungskriterien. „Globale Talente“ erhalten globale Chancen (in einem formellen länderübergreifenden Verfahren) und könnten relativ kurzfristig versetzt werden.
7.3
Noch besser werden?
Falls dieses Kapitel bisher den Eindruck vermittelt hat, dass Fujitsu Siemens Computers hart daran arbeitet, ein stabiles System zu optimieren, dann ist dieser Eindruck falsch – sämtliche Verbesserungen müssen verfolgt werden, während das Umfeld alles andere als stabil ist. So kommt nicht nur durchschnittlich einmal pro Jahr von jedem Computermodell eine neue Generation auf den Markt, sondern auch die Segmente und Märkte an sich verändern sich. Wie wir bereits erläutert haben, ist
102
7 Fujitsu Siemens Computers
Wachstum der entscheidende Faktor für das Überleben in einer Branche mit starkem Preisverfall; der Schlüssel zum Erfolg von Fujitsu Siemens liegt in der Fähigkeit, sich verändernde Märkte zu erschließen.
7.3.1
Neue Segmente und Märkte
Der Markt verschiebt sich derzeit von Desktop-PCs hin zu Notebooks und allgemeiner zu mobilen Produkten. Doch auch neue Marktsegmente sind am Entstehen. So kaufen beispielsweise immer mehr ältere Menschen PCs, Kunden, die weniger computer- und technikerfahren sind als jüngere Leute. Es scheint eine Marktchance zu sein, diesen Kunden ein „Rundum-sorglos“-Produkt anzubieten einschließlich Ferndiagnose-Abonnement für eine monatliche Gebühr. Dank seiner Dienstleistungseinheit ist Fujitsu Siemens gut gerüstet, dieses Marktsegment zu entwickeln. FSC hat sich ebenfalls verpflichtet, seine Marktführerschaft bei umweltfreundlichen Produkten auszuweiten, eine Initiative, die 2002 mit der Herstellung der ersten bleifreien Leiterplatten begonnen hatte. 2005–2006 verlieh Greenpeace anlässlich seiner jährlichen Bewertung umweltfreundlicher Produkte Fujitsu Siemens fünf von sieben möglichen Punkten und machte das Unternehmen damit zum grünen Marktführer im Bereich PC-Produktion. Wie in der Automobilindustrie ist das umweltbewusste Marktsegment wahrscheinlich im Wachstum begriffen und bietet somit neue Chancen. Neben den Marktsegmenten verändern sich auch die Marktregionen. Innerhalb des Hauptmarktes von FSC, der EMEA-Region, verschiebt sich das relative Gewicht schnell in Richtung Osteuropa und die arabische Welt, wobei Polen und Russland das schnellste Wachstum verzeichnen. Fujitsu Siemens strebt an, diese Märkte zu bedienen, und arbeitet dabei, wie in Abschn. 2.3 dargestellt, mit Partnern zusammen. Der nächste Schritt ist der Verkauf von Servern in Asien und den USA. Dieser Geschäftsbereich ist zwar noch klein, wächst aber schnell. Im Joint Venture-Vertrag von Fujitsu Siemens werden die USA als Fujitsu-Markt klassifiziert, aber Fujitsu konzentriert sich auf hochwertige Produkte und ist mit dem dortigen Wachstum unzufrieden, so dass man FSC den US-Markt bei den preisgünstigeren Produkten überlässt – „Made in China, konstruiert von Fujitsu Siemens Computers in Europa“ – weil das Unternehmen erwiesenermaßen in Europa sehr erfolgreich ist. FSC liefert jetzt Notebooks aus China direkt in die Vereinigten Staaten.
7.3.2
Niemals stehen bleiben auf dem Weg zum Erfolg
In der schnellen und extrem wettbewerbsorientierten Computerindustrie muss man mit aller Kraft laufen, um nicht stehen zu bleiben. Die Prognosen sind für alle Beteiligten in der Branche unsicher. 2007 begann selbst der mächtige Hersteller Dell,
7.3 Noch besser werden?
103
seine europäischen Gebrauchsprodukte durch einen indirekten Kanal, Carrefour, zu vertreiben und änderte damit de facto sein Geschäftsmodell. Durch den Aufbau einer doppelten Vertriebswegstruktur war FSC seinem Konkurrenten um mehrere Jahre voraus. In diesem Umfeld müssen Fujitsu Siemens Computers und sein Werk Augsburg ihre Bemühungen und ihren Einfallsreichtum fortsetzen, um erfolgreich zu bleiben. Tatsächlich hat das Unternehmen Erträge und sogar einige Marktanteile bei professionellen PCs und Firmenprodukten eingebüßt (bei Dienstleistungen jedoch gewonnen), und Kritiker verweisen auf die niedrigen Gewinnmargen und spekulieren, ob der Joint Venture-Vertrag zwischen Fujitsu und Siemens 2009 überhaupt erneuert wird.6 Natürlich ist die Notwendigkeit, die Aktionäre zufrieden zu stellen, nichts Neues – wenn das Unternehmen seine Fähigkeit, sich zu verbessern und auf neue Märkte einzustellen, weiterhin nutzt, dann wird es auch zukünftig zur Wertschöpfung in der Lage sein und die Unterstützung seiner Aktionäre behalten.
6
Hofer (2007).
Kapitel 8
RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Dieses Kapitel zeigt ein Beispiel dafür, wie ein großes internationales Unternehmen, CVRD, ein entmutigtes, in finanziellen Schwierigkeiten steckendes Metallwerk rettete, indem es eine neue Geschäftsführung einsetzte, die Managementqualität und kontinuierliche Verbesserungen einführte. Die Ressourcen des internationalen Unternehmens hinsichtlich Investitionen, Know-how und Führungsqualitäten bedeuteten die Kehrtwende für RDME. Das Interessante an der Geschichte ist, dass die scheiternde Firma, RDME, ihren Sitz in Frankreich hatte, die Mutterfirma, CVRD, in Brasilien. Europäer und Amerikaner müssen sich also von der ach so bequemen Vorstellung verabschieden, dass sie alles am besten wissen und ihre überlegenen Kenntnisse in den Rest der Welt exportieren. Am Ende besteht der Nutzen von ausländischen Investitionen und internationalem Handel darin, dass Wissen allmählich zurückfließt und ausgetauscht wird – eine Dynamik mit dem Potential, dass am Ende alle davon profitieren.
8.1
Die Geschichte einer Kehrtwende
Die brasilianische CVRD (Compania Vale do Rio Doce) ist das größte EisenerzUnternehmen der Welt. CVRD kaufte 100 % des in Schieflage geratenen Ferromangan-Werks in Grande-Synthe bei Dünkirchen (Dunkerque), Frankreich, und gründete damit im Jahre 2000 RDME (Rio Doce Manganese Europe). Das Werk mit dem weltweit größten Ferromangan-Hochofen wurde Anfang der 1990er Jahre von der französischen Firma Usinor gebaut in der Absicht, in Europa ein Kartell zu brechen. 1992 erwarb CVRD 35 % der Anlage und trug mit technischer Expertise bei, die eine Verarbeitung unkonventioneller Mineralien erlaubte, wie die aus der Carajàs Mine von CVRD in Brasilien. Während erste Ergebnisse in der ersten Hälfte der 1990er Jahre die Erwartungen übertrafen, führte der durch Usinor eingeleitete Preiswettbewerb gegenüber dem Mitbewerber Eramet schließlich zu herben Rückschlägen. 1999 fuhr das Werk Verluste ein, das Werk schrumpfte, Arbeitsplätze gingen verloren, und die Stimmung war am Boden.
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
105
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8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
CVRD betrieb auch mehrere Minen in Brasilien und ist ein wohlbekannter Name in der Welt der Metallurgie. Der Unternehmensbereich Mangan steckte jedoch in Schwierigkeiten und verbuchte 1998 Verluste in Höhe von US $44 Millionen. Da es keine potentiellen Interessenten für eine Übernahme gab, musste CVRD Zukunftsstrategie überdenken. Die komplette Übernahme des Usinor-Werkes in Dünkirchen war eine ausgezeichnete Gelegenheit, einen Fuß in den europäischen Markt zu bekommen und dort seinen Marktanteil zu vergrößern.
8.1.1
Produkt und Produktionsverfahren
Mangan (Mn) ist unerlässlich für die Stahlproduktion und wird in Autos, größeren Haushaltsgeräten und vielen anderen Gütern des täglichen Bedarfs verwendet. Mangan ist ein graues Metall, das in seinen Eigenschaften dem Eisen ähnelt; es kommt in einer Reihe von Mineralien vor und ist in Form von Grob- und Feinerzen nutzbar. Ungefähr 90 % des globalen Bedarfs an Manganerzen werden in der Stahlindustrie verwendet, davon ca. 84 % in Legierungen. Feinerze müssen vor ihrer Verarbeitung im Hochofen gesintert werden. In einer Sinterei wird das Manganerz mit Koks gemischt und erhitzt und dadurch zu Sinterkuchen verschmolzen, Agglomeraten von jeweils ca. 10–15 cm Durchmesser. Ohne das Sintern würden die Feinerze die Ofeneinlässe verstopfen. Der Sinter kann dann auf dem Spotmarkt an Stahlproduzenten verkauft werden, oder man beschickt den Ofen damit, um Legierungen herzustellen. Der Hochofen in GrandeSynthe produziert jährlich 120–140 Kilotonnen Ferromanganlegierungen, darunter FeSiMn (eine Silicium enthaltende Legierung), FeMnHC (hoher Kohlenstoffgehalt) und FeMnMC/LC (mittlerer oder niedriger Kohlenstoffgehalt). Viermal täglich ergießen sich 100 Tonnen flüssiges Ferromangan aus dem Ofenauslass. Nach dem Erstarren wird das Ferromangan in Stücke zerteilt und per Lastwagen oder Zug zu den Abnehmern transportiert. Zusätzlich zu den Legierungen wird vom fließenden Rohmetall noch reichhaltige Schlacke abgeschöpft. Des Weiteren entweichen Gase aus dem Ofen, die gereinigt und verbrannt werden. Die mittlere Aufenthaltsdauer der Rohstoffe im Hochofen von RDME beträgt 16 Stunden.
8.1.2
Frühe Veränderungen
Nach seiner Ankunft im Werk im Juni 1999 baute sich der neue Geschäftsführer von RDME, Luis Carlos Nepomuceno, ein Team aus Mitarbeitern aus der Region auf. Unterstützung erhielt er durch Charles Rezende, der ein Jahr später aus Brasilien nach Frankreich kam, um als Finanzchef und Geschäftsführer tätig zu sein. Es folgten der Brasilianer Marciano Batista als technischer Direktor sowie weitere Führungskräfte. Das Team stand vor einer riesigen Aufgabe. Obwohl das Werk verkehrstechnisch sehr gut gelegen war, in der Nähe von Hafen, Schienen-, Kanal- und
8.1 Die Geschichte einer Kehrtwende
107
Autobahnnetz, war es heruntergewirtschaftet, mit demotivierten Mitarbeitern und finanziellen Schwierigkeiten. Gleichzeitig bemühten sich die Südamerikaner intensiv, die französische Sprache zu lernen. Das Werk war zwar noch 1996 vor dem Verkauf an CVRD gemäß ISO 9002 zertifiziert worden, aber im Allgemeinen liefen die Prozesse nicht nach standardisierten Mustern ab, und es gab eine Reihe offener Fragen im Umweltbereich. Diese Probleme wurden sofort in Angriff genommen, zusammen mit vorrangigen Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Management und Mitarbeitern: Investitionen in Technologie, Aus- und Weiterbildung des Personals sowie Anreize für ständige Verbesserungen, Aktionen zur Verbesserung der Sauberkeit, der Umwelt und der Sicherheit sowie Standardisierung der Prozesse. Während unseres Werksbesuchs im Rahmen des IEA im Februar 2002 konnten wir die Ergebnisse dieser andauernden Initiativen sehen. Die Prozesse waren unter Kontrolle und liefen stabil. Außerdem spürte man eine neue Arbeitsatmosphäre und -kultur, welche die Arbeitsabläufe im Werk allmählich zu verändern begann. Die Hauptthemen waren: • • • •
Entwicklung des Miteinanders: Kommunikation, Training Verbesserungen in den Bereichen Umwelt und Sicherheit Kundenzufriedenheit Leistungen bei Ausstoß, Finanzen und Wirtschaftlichkeit.
Nepomuceno zufolge benötigte man für den neuen Kommunikationsstil „große Ohren und einen kleinen Mund“. 2001 hatte man die Büroräume komplett umgestaltet und viele Zwischenwände entfernt (Abb. 8.1). In den wenigen Büros mit Wänden herrschte eine „Politik der offenen Tür“, die als unerlässlich angesehen wurde, um Probleme zu lösen, bevor sie sich zu Krisen auswuchsen. Die Mitarbeiterzufriedenheit war hoch und die Kommunikation zwischen Belegschaft, Verwaltung und Management angenehm. Man hatte zudem interne Infoblätter und Zeitschriften eingeführt. Weitere Maßnahmen zur Entwicklung des Miteinanders gab es im Bereich Weiterbildung. Den Mitarbeitern wurden technischen Schulungen und Sprachkurse in Portugiesisch, Englisch und Französisch angeboten. Man führte Austauschprogramme über eine Woche, drei Monate oder ein Jahr zwischen CVRD in Brasilien und RDME in Frankreich ein. Eine vom Geschäftsergebnis abhängige Bonusordnung sollte die Motivation der Mitarbeiter stärken. Für die Weiterbildung der Mitarbeiter wurden 5,4 % der Lohn- und Gehaltskosten aufgewendet, und die jährliche Fluktuation der Belegschaft war auf 1 % gesunken. Die Einführung der Qualitätsfunktion und der 5S-Konzepte (Sauberkeitsprinzipien des total quality management, „cinq actes“ im Sprachgebrauch von RDME) wurde auf die spezifischen Verhältnisse im Werk zugeschnitten. Bezeichnenderweise wendete man die 5S-Konzepte nicht nur auf einzelne Stationen in der Produktion, sondern auf das gesamte Werk an. Die Maßnahmen im Umweltbereich umfassten die Entfernung der stark verschmutzenden Feinerzpartikel sowie die innere und äußere Renovierung der Gebäude. Marciano Batista zufolge war die kurze, asphaltierte Straße zwischen
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8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Abb. 8.1 Die offene Gestaltung (unten) des zuvor geschlossenen Verwaltungstraktes (oben) im Jahre 2001
dem Hauptbürogebäude und dem Ofen und der Sinterei „ein staubiges und schlammiges Feld, von schweren Fahrzeugen verwüstet“, das auch bei Firmenbesuchen nicht besser aussah, jetzt aber „einen sauberen und sicheren Zugang zum Werk“ gewährleistet (siehe Abb. 8.2). Die Programme beruhten auf allen Ebenen stark auf der Beteiligung der Mitarbeiter. Ideen aus Vorschlagsbriefkästen, die man zur Umsetzung ausgewählt hatte, wurden unter maßgeblicher Beteiligung des Vorschlagenden vorangebracht, wobei es sich meist um die für den jeweiligen Prozess verantwortliche Person handelte. Die Mitarbeiter, deren Ideen nicht verwirklicht werden konnten, erhielten von den Führungskräften eine direkte Begründung. Verbesserungen bei den industriellen Verfahren durch den Einsatz neuer Technologien waren in mehreren Bereichen erkennbar. Zur Standardisierung der Beschaffungsprozesse wurde die SAP R3 Software eingeführt, zur besseren Kontrolle des Sinterns eine spezielle Prozesskontrollsoftware. Auch der Hochofen arbeitet
8.1 Die Geschichte einer Kehrtwende
109
Abb. 8.2 Zufahrt zum Werk vor (oben) und nach (unten) der Säuberung
zuverlässig und wird durch modernste Software gesteuert (Abb. 8.3), die es den „Piloten“ ermöglicht, in den Prozess einzugreifen, wenn nötig. Die Produktivität des Sinterungsprozesses konnte durch die Kombination aus stetigen Verbesserungsmaßnahmen und der Erschließung neuer Absatzmärkte zur Nutzung dieser erhöhten Kapazität fast verdoppelt werden. Leistungsvergleiche und Zertifizierungen spielten ebenfalls eine Rolle und wurden durch die Austauschprogramme mit Brasilien sowie interne Maßnahmen zur Dokumentation der Prozesse erleichtert. Eine ISO 9002 Zertifizierung erfolgte bereits 1995. Die 5S-Programme erwiesen sich als hilfreich für die im September 2001 erreichte ISO 14001 Umweltzertifizierung, die erstmals für einen Eisenlegierungsofen verliehen wurde und der im November 2001 der UIC Umweltpreis folgte. Die UIC ist eine Fachorganisation, die in der französischen Chemieindustrie kontinuierliche Verbesserungen im Umweltbereich unterstützt, die über gesetzliche Verpflichtungen hinausgehen.
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8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Abb. 8.3 Kontrollraum für den Ferromangan-Hochofen bei RDME
Die Grundlagen für de Wettbewerbsfähigkeit bildeten 2001 eine motivierte Mannschaft, der Markenname CVRD, die Möglichkeit, auf die natürlichen Ressourcen der CVRD-Minen zurückgreifen zu können, die Integration der qualitativ hochwertigen mineralischen Ausgangsstoffe von CVRD in die Produktion von RDME, ein hoch produktiver Hochofen und die Logistik. Initiativen zur Verbesserung der Kundenzufriedenheit umfassten die Umladung anderer Metalle von CVRD Brasilien zu Kunden in Europa, Maßnahmen zu einer ISO 9002 Rezertifizierung und zuverlässige Lieferungen. Spanien, Italien, Norwegen und Osteuropa wurden auf ihre Eignung als neue Absatzmärkte untersucht. Der Standort des Werks ist günstig für das Heranschaffen von Erzen über das Meer und für den Vertrieb per Zug oder Lastwagen, außerdem liegt es in der Nähe einiger Großkunden, zu denen auch ein nur etwa einen Kilometer entferntes Werk von Usinor gehört. Der offene Managementstil motivierte nicht nur die Belegschaft, sondern führte auch zu guten Beziehungen zu Lieferanten und Behörden. Verbesserungsinitiativen im Umwelt- und Sicherheitsbereich gab es in verschiedenster Form, beispielsweise durch bauliche Veränderungen der Infrastruktur, Recycling- und Arbeitssicherheitsprogramme und die ISO 14001 Zertifizierung. Der Umbau des Werks beinhaltete auch symbolische Elemente, welche die allgemeinen Verbesserungen verdeutlichen sollten. So wurde das alte Verwaltungsgebäude in eine Ausstellung zum Thema Nachhaltige Entwicklung umgestaltet (L’Espace Rio Doce) mit Exponaten über die Unternehmensgeschichte und die Arbeitsabläufe bei CVRD. Daneben illustriert die Ausstellung auch die Geschichte, Bewohner, Kultur und Umwelt Brasiliens mit Bildern und Filmen von Städten und Urwald, maßstäblichen Modellen von Minen und Proben von Regenwaldsamen. Sie dient als Rahmen für besondere Ereignisse wie Verabschiedungen, Tagungen und Besichtigungen durch Schulklassen. „Wir wollten eine Einrichtung, die sich auf gemeinsame Kultur und Offenheit konzentriert, die nicht nur das Werk und seine Lieferkette aus Brasilien erklärt, sondern auch die Menschen und ihre jeweilige Umwelt würdigt“, erklärt Luis Carlos Nepomuceno.
8.2 Die Entwicklung nach 2002– Wachstum und mehr Arbeitsplätze
111
Der Umbau führte zu augenfälligen wirtschaftlichen Ergebnissen. 1999 gab es einen Bruttoverlust von fast €1,1 Millionen bei einem Umsatz von €58,7 Millionen, 2001 hingegen betrug der Bruttogewinn €9,3 Millionen bei einem Umsatz von €102,6 Millionen. Die Belegschaft wuchs von 98 dauerhaft und befristet Angestellten im Jahre 1999 auf 116 Mitarbeiter im Jahre 2001. Die Jahresproduktion an Sinter stieg von 229.000 Tonnen auf 392.000 Tonnen, was zu einem erheblichen Rückgang bei den bis dahin nicht brauchbaren Feinerzen bei CVRD Brasilien führte. Gleichzeitig stieg die Jahresproduktion an Ferromangan-Legierungen von 120.000 auf 132.000 Tonnen. Dieser Fortschritt wurde 2002 mit der Verleihung des IEA an das Werk belohnt, unter besonderer Hervorhebung der Errungenschaften in den Bereichen Personal und Wissensmanagement.
8.2
Die Entwicklung nach 2002 – Wachstum und mehr Arbeitsplätze
Auch nach 2002 führte die Geschäftsleitung unbeirrt Verbesserungen an mehreren Fronten durch: Intern wurden Investitionen in Automatisierungen und technische Verbesserungen fortgesetzt, mit weiteren Veränderungen in der Personalpolitik. Extern konnte RDME Kunden hinzugewinnen (hier sei vor allem das britische Stahlunternehmen Corus erwähnt) und nahm zwei größere Geschäftserweiterungen in Angriff – erstens die Übernahme eines zweiten Hochofens im norwegischen Mo i Rana und zweitens die Einführung eines neuen Produkts, Fülldraht, in Grande-Synthe.
8.2.1 Verbesserungen bei den Arbeitsabläufen RDME investierte weiterhin in technische Verbesserungen, und zwar mit €2–4 Millionen pro Jahr. So wurde beispielsweise das Kontrollsystem (Hard- und Software) wiederholt aufgerüstet, so dass der Hochofen heute den höchsten Automatisierungsgrad weltweit aufweist. Zwei Leitstandfahrer pro Achtstundenschicht genügen, um die Überwachung und Kontrolle rund um die Uhr zu gewährleisten. Nach dreizehnjährigem Einsatz wurde der Ofen vom 7. April bis zum 19. Juni 2004 auf Vordermann gebracht und dann neu angefahren. Dabei hatte man das Kühlsystem verstärkt und eine optimierte Abgaswäsche installiert, was nicht nur zu geringeren Emissionen, sondern auch zu verbesserter Leistung führte. Die Überholung des Hochofens resultierte 2004 im Vergleich zu 2003 zwar in einem Fall der Produktivität, nach dem Wiederanfahren wurde jedoch eine Steigerung um 5–8 % erreicht. Die Verbesserungsmaßnahmen umfassten auch Investitionen in die Sicherheit – mehrere Zertifizierungen wurden erfolgreich abgeschlossen (ISO 9001 Version 2000, OHSAS 18001) und führten zu einer Reihe von Änderungen bei den Arbeitsabläufen. Im Ergebnis arbeitet das Werk bereits über 2.000 Tage ohne einen einzigen
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8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Arbeitsunfall. Auch für das Wiederanfahren des Hochofens arbeiteten 140 Personen von 40 Firmen insgesamt 75.000 Stunden lang ohne einen einzigen ernstlichen Arbeitsunfall. Parallel zu den kontinuierlichen Maßnahmen wurde auch die Konstruktion der Anlage optimiert. Verbesserungsprojekte kommen und gehen, aber im langfristigen Durchschnitt schätzt der Leiter der technischen Konstruktionsabteilung, dass jeder Mitarbeiter ca. 30 Minuten am Tag – also 6 % seiner Arbeitszeit – mit Verbesserungsaktivitäten zubringt, die sich im kurzfristigen Rahmen nicht auszahlen. Obwohl die großen Optimierungen aus technischen Änderungen resultieren, leisten auch die kontinuierlichen Anstrengungen durch alle Mitarbeiter einen erheblichen Anteil – geschätzt etwa 30 % – am Gesamtproduktivitätsfortschritt. Und das ist bemerkenswert: In einem hochautomatisierten Werk erhöhen die kleinen Verbesserungsideen der Mitarbeiter aus der Fabrikhalle die durch umfassende technische Veränderungen herbeigeführten Produktivitätsfortschritte nochmals um die Hälfte. Dies veranschaulicht, was Mitarbeitermobilisierung im Zusammenhang mit gut beherrschten Prozessen ausmacht. Die kontinuierlichen Verbesserungen werden durch ein Vorschlagssystem mit Prämien, durch Schulungsmaßnahmen (neun Tage pro Mitarbeiter und Jahr in Grande-Synthe, entsprechend 8 % der Gesamtlohnkosten, was im Branchenvergleich viel ist) und durch weitere Investitionen in die Sauberkeit (5S) in den Bereichen Hochofen und Sinterei sowie auf dem gesamten Werksgelände (Abb. 8.1 und 8.2) unterstützt. Die Schulungsmaßnahmen umfassen Weiterbildungen am Arbeitsplatz, Jobrotation, Besuche in Brasilien für Manager und übergeordnete Techniker sowie spezielle technische Schulungen. Der Personalleiter François Lavallée kommentiert: „Wir waren vorher 100 % französisch, aber jetzt haben wir eine internationalere Perspektive. So haben z. B. 25 % unserer Belegschaft an Englisch- oder Portugiesischkursen teilgenommen.“ Schließlich hat RDME auch noch den Anstoß zu weiteren Aktivitäten der Mutterfirma CVRD in Europa gegeben: CVRD liefert jetzt zwei Millionen Tonnen Eisenerz an europäische Stahlhersteller. RDME nutzt diese etablierten Frachtverbindungen zum Huckepacktransport seiner eigenen, viel kleineren Mengen an Manganerz (150.000 Tonnen), und das spart Kosten.
8.2.2
Personalpolitik
Im Bereich Personalmanagement haben Luis Carlos Nepomuceno und sein Team niemals nachlassend weitere Verbesserungen durchgesetzt. So wurde die Politik der offenen Tür ausgeweitet und unübersehbar gemacht – im neuen Verwaltungsgebäude gibt es keine Büros mehr, so dass sogar die Wände, die man in der unteren Bildhälfte in Abb. 8.1 noch sieht, entfernt wurden. Sämtliche Mitarbeiter, auch die oberen Führungskräfte, sitzen in einem offenen Bereich, in dem es nicht einmal Stellwände gibt. Jeder kann jederzeit jeden anderen sehen. „Das war
8.2 Die Entwicklung nach 2002– Wachstum und mehr Arbeitsplätze
113
schwierig durchzusetzen, da es der traditionellen französischen Managementkultur widerspricht. Aber die Mitarbeiter haben es mittlerweile akzeptiert, und jetzt wird es als etwas Positives angesehen, denn wir können sehr einfach miteinander kommunizieren“, erzählt Nepomuceno. Die Betonung der Teamarbeit und die Anerkennung der Beiträge aller Mitarbeiter sind allgegenwärtig und konsequent – sie sind Teil der Unternehmenskultur geworden. Es beginnt ganz oben, wenn Nepomuceno feststellt, dass „gute motivierte Mitarbeiter der Schlüssel zum Erfolg sind“ und er dieses Motto in seinem Verhalten auch lebt, und es setzt sich fort, wenn der Konstruktionsleiter Marcelo Rocha zum Hochofen geht, um mit den Leitstandfahrern zu sprechen. Es ist diese Atmosphäre von Stolz, in der jeder bereit ist, aus eigenem Antrieb einen Schritt weiter zu gehen. Motivation und Initiative gehen nicht auf Kosten der Sicherheit oder der Produktivität – so hat beispielsweise Marcelo Rocha von zu Hause aus Zugriff auf das Echtzeit-Hochofenkontrollsystem und kann jederzeit sehen, was vor sich geht. Die Entwicklung der Unternehmenskultur schreitet weiter voran. Neue offizielle Belohnungssysteme werden parallel zu Gewinnbeteiligungen eingeführt („intéressement“), die auf den Unternehmensergebnissen, Gruppenergebnissen und individuellen Boni gründen. Zusätzlich wird jedem Mitarbeiter im Rahmen eines 2002 begonnenen Programms ein „Pate“ zugeordnet, ein Kollege, der schon länger im Unternehmen beschäftigt ist und seinem „Patenkind“ bei der Karriereplanung hilft. Jeder Mitarbeiter führt einmal im Jahr ein Leistungsbeurteilungs- und Zielsetzungsgespräch mit seinem Vorgesetzten. Außerdem haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, in ihrer Karriere weiterzukommen, wenn sie es wünschen – der Leiter der Finanzabteilung begann z. B. einst als normaler Angestellter im Einkauf. Die Personalabteilung führt eine Datenbank mit dem Karrierestatus, den Entwicklungsbedürfnissen und der Nachfolgeplanung für jeden Mitarbeiter. In dieser Atmosphäre gestaltet sich auch die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften (CGT und CFDT) konstruktiver (obgleich die Zusammenarbeit zwischen dem Management und den Gewerkschaften niemals einfach ist). Marcelo Rocha meint: „Bevor ich hierher kam, glaubte ich nicht, dass es möglich sei, offen zu sein und den Arbeitern zuzuhören, Umweltmaßnahmen durchzuführen und hoch produktiv zu sein, und das alles gleichzeitig. Der Schlüssel dazu sind motivierte Mitarbeiter – es ist hier möglich, konstruktiv mit den Leuten zu arbeiten. Zu Hause [in Brasilien] haben die Leute nicht die Einstellung, die Veränderungen möglich macht. Dies ist eine der Hauptlektionen, die ich einmal mit nach Hause nehme.“ Die gute Arbeitsatmosphäre wurde im Dezember 2004 auch extern anerkannt. RDME kam auf den 11. Platz im Wettbewerb der französischen Zeitschrift Management um die „Besten Arbeitsplätze“ in Frankreich und rangierte damit vor Unternehmen wie Deloitte, Novartis, Computer Associates, Auchan oder Bosch. Dies ist ein spektakulärer Erfolg für eine kleine Tochterfirma eines südamerikanischen Unternehmens in einer Branche, die als schmutzig und unattraktiv wahrgenommen wird. Er zeigt, wie weit die Firma gekommen ist in ihren Bestrebungen, ihre Mitarbeiter durch ein attraktives Arbeitsumfeld zu motivieren.
114
8.2.3
8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Externe und Kundenbeziehungen
Mangan- und Ferromanganlegierungen sind Massenwaren und bezüglich ihrer chemischen Zusammensetzung gibt es zwischen den verschiedenen Herstellern prinzipiell keinen Unterschied. RDME hat sich jedoch durch die schnelle und pünktliche Lieferung gleichbleibender Produktqualität einen guten Ruf für seine Zuverlässigkeit erarbeitet. Die schnelle Lieferung hat etwas mit der Lage von RDME im Herzen des industriellen Europas zu tun, direkt neben einem riesigen Arcelor-Stahlwerk und in der Nähe von Deutschland und Großbritannien. RDME hat aber auch hart daran gearbeitet, die mittelbaren, spotmarktartigen Interaktionen mit seinen Kunden zu längerfristigen Beziehungen auszubauen. Dies läuft über das zentrale europäische CVRD-Vertriebsbüro, aber auch direkt durch andauernde Beziehungen innerhalb einzelner Arbeitsabläufe mit den Kunden. Von längerfristigen Beziehungen profitieren beide Partner; einerseits helfen sie RDME zu verstehen, was die Kunden brauchen, und schaffen die nötige Flexibilität bei der Anpassung der Produktmischung und den Lieferbedingungen, andererseits schützen sie die Kunden vor kurzfristigen Preisschwankungen. Teil des Angebots ist ein Logistikservice, der RDME Just-in-time-Lieferungen an die Stahlwerke der Kunden ermöglicht. Kein Wettbewerber hat etwas Gleichwertiges zu bieten. Dünkirchen profitiert von seiner vorzüglichen Lage an der Küste mit Anschluss an jede Art von Transportmittel (Schiff, LKW, Zug). Die Hafenanlagen sind billig und effizient und können auch sehr große Schiffe abfertigen. Die für die Schiffstransporte und deren Nachverfolgung zuständige Abteilung hat drei Mitarbeiter in Dünkirchen und einen in Brüssel, der für die maritime Logistik und die Verkaufsplanung zuständig ist. Dadurch konnte RDME das große britische Stahlunternehmen Corus als Kunden gewinnen und sein Kundenportefeuille auch nach Spanien, Italien und Osteuropa ausweiten. RDME ist es auch gelungen, die Beziehungen zu seinen Lieferanten zu verbessern, wieder auf der Suche nach Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit, von der beide Partner profitieren. Bei den jährlichen Bewertungsgesprächen mit allen strategischen Lieferanten geht es um Qualität, Vorlaufzeiten, Reaktionszeiten für Lieferungen, Preise, Umweltfreundlichkeit und die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften – die angesprochenen Lieferanten sollen Wege zur Zusammenarbeit und zu Leistungsverbesserungen bei ihren Produkten und Dienstleistungen finden. Ein jüngeres Beispiel dafür ist die Zusammenarbeit mit einem Subunternehmer im Abstichbereich. Weitere Beispiele sind die Kooperationen mit Elkem zur Anpassung von Kohlenstoffpasten, um die Zahl der Elektrodenbrüche zu verringern, und mit FAI zur Senkung des Stromverbrauchs. All dies klingt im Vergleich mit den in der Automobilindustrie herrschenden Standards zwar nicht gerade revolutionär, ist aber ungewöhnlich im Bereich Erzverarbeitung. Schließlich pflegt RDME auch die Beziehungen zum regionalen Umfeld auf gleiche Weise. Die Firma trägt zum öffentlichen Leben in der Region bei und unterstützt Projekte in Grande-Synthe. Im Dezember 2003 erhielt RDME den
8.2 Die Entwicklung nach 2002– Wachstum und mehr Arbeitsplätze
115
Grande-Synthe-Preis als eines der dynamischsten und innovativsten Unternehmen im Landkreis für seine Aktivitäten, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Unterstützung öffentlicher Projekte in der Stadt. Gute Beziehungen in der Region sind an sich schon positiv und motivierend, aber sie können sich auch gut aufs Geschäft auswirken. So hatte RDME nach dem Wiederanfahren des Hochofens einige Probleme mit erhöhten Rauchemissionen, doch dank des bisherigen guten und transparenten Umweltmanagements und der ständigen, über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehenden Kontakte zu den örtlichen Behörden erhielt RDME genügend Zeit, um die beabsichtigten Maßnahmen gegen das Emissionsproblem ausführlich darzulegen.
8.2.4 Ausweitung der Aktivitäten In Anbetracht der Anstrengungen von RDME (und der Manganzweig von CVRD allgemein) in den letzten fünf Jahren hat sich das Unternehmen das Ziel gesetzt, bis 2010 vom drittgrößten (hinter Eramet und BHP Billiton) zum größten Hersteller weltweit aufzusteigen. Seit 2002 hält RDME Ausschau nach Expansionsmöglichkeiten – zwei wurden bereits in die Tat umgesetzt. Die erste war die Übernahme eines Hochofens von Elkem im norwegischen Städtchen Mo i Rana am Polarkreis (Abb. 8.4). RDME suchte die Konkurrenz nach Werken ab, die es erwerben konnte, ohne die Gesamtkapazität in der Branche zu erhöhen und damit den allgemeinen Druck auf die Margen zu erhöhen. Man zog auch den Bau eines zweiten Hochofens in Grande-Synthe in Erwägung, aber das Projekt wurde eingestellt, nachdem der französische Stromversorger EDF kein attraktives Versorgungsangebot machte. Dann stieß man auf eine insolvente Chromschmelzerei in Mo i Rana, die geschlossen werden sollte. Nach der Entlassung von 60 Mitarbeitern war dort nur noch eine 20-köpfige Rumpfmannschaft tätig, deren Ende bereits abzusehen war. Das Werk hatte einen speziellen Stromlieferungsvertrag mit einem norwegischen Versorger über $7 per MWh bei einem Marktpreis von $22. Der Strom konnte somit mit Gewinn auf dem Markt weiterverkauft werden, wodurch sich €17 Millionen angehäuft hatten. Der Haken an der Sache war, dass es der Vertrag untersagte, diesen Ertrag aus der Gemeinde herauszuziehen, wodurch das Geld ungenutzt an Ort und Stelle verblieb. Eramet war die Firma zuvor angeboten worden, hatte aber abgelehnt. RDME analysierte die Gelegenheit und ergriff sie. Der Übernahmepreis belief sich auf €17 Millionen. Mit den intern angehäuften Stromgewinnen und zusätzlichen $10 Millionen wurde die Chromschmelze in einen Ferromanganofen umgewandelt und dabei auch auf Vordermann gebracht. Am 30. Juni 2003 wurde der erste Hochofen angefahren, im November des gleichen Jahres der zweite. 2003 erzielte RDMN (Rio Doce Manganese Norwegen) unter der Leitung von Marciano Batista, der von Dünkirchen nach Norwegen gezogen war, einen Gewinn von €8 Millionen durch den Handel mit billigem Strom. 2004 hatte
116
Abb. 8.4
8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Das RDMN-Werk in Mo i Rana, Norwegen
RDMN 72 Vollzeitbeschäftigte und erwirtschaftete einen echten Betriebsgewinn. Trond Saeterstad wurde zu Schulungszwecken nach Brasilien entsandt und im Januar 2005 zum Geschäftsführer ernannte, womit er den letzten verbliebenen Brasilianer bei RDMN ersetzte. Er ist Luis Carlos Nepomuceno in dessen Eigenschaft als Vorstand von CVRD Manganese International unterstellt. Bei RDMN kam die gleiche Personalpolitik wie bei RDME zum Einsatz, und die Auswirkungen in Form von verbesserter Mitarbeitermoral und Eigeninitiative wurden schnell sichtbar. Dieses Beispiel zeigt die Stärke von RDME, eine klare Strategie zu verfolgen, die es der Firma erlaubt, Gelegenheiten zu erkennen und sie auch schnell und mit opportunistischer Flexibilität zu ergreifen. Der billige Stromlieferungsvertrag ermöglichte die Übernahme der Firma zu günstigen Bedingungen, aber das war nicht der Hauptgrund für das Geschäft, sondern diente nur dazu, eine klare Strategie umzusetzen – die Expansion von RDME in Europa und damit verbunden das Fußfassen auf dem US-Markt. Manganimporte aus Brasilien in die USA wurden durch amerikanische Anti-Dumping-Gesetze verhindert. RDMN fiel jedoch nicht unter das betreffende Gesetz und eröffnete CVRD damit einen riesigen potentiellen Markt. RDME hatte wegen der zusätzlichen Kapazitäten durch die norwegischen Hochöfen auf dem Weltmarkt einen Preisverfall von 5 % vorausgesehen, doch hatte man das Glück auf seiner Seite, als die Stahlpreise und damit auch die Preise für andere Stahlanteile 2003 stark stiegen, was sich 2004 sogar noch fortsetzte. Ein weiteres Risiko bestand im Auslaufen des billigen Stromlieferungsvertrages im Jahr 2005; zur Zeit laufen Liefervertragsverhandlungen, die RDMN zusammen mit 100 anderen Firmen im Gewerbegebiet von Mo i Rana führt. Viele dieser Unternehmen stehen schwächer da als RDMN und wären durch Marktenergiepreise ernsthaft in ihrer Existenz gefährdet. Die zweite Ausweitung der Geschäftsaktivitäten erfolgte 2004 mit dem Neubau eines Calcium-Silicium (CaSi) Fülldrahtwerks. Fülldraht ist ein hohler Draht, bei dessen Herstellung ein Stahlband mechanisch um ein kristallines Pulver, wie
8.3 Die Lehren
117
z. B. Mangan-Silicium (MnSi), gerollt bzw. gebogen wird. Mangan-Silicium ist ein Zusatz, der bei der Stahlherstellung eingesetzt wird, um eine Feinabstimmung der Stahleigenschaften vorzunehmen (wie Härte, Korrosionsbeständigkeit oder Sprödigkeit). Der Fülldraht gestattet es dem Stahlproduzenten, diesen Zusatz genau zu dosieren, indem sichergestellt wird, dass alles tief in die Schmelze gelangt und nicht schon teilweise an der Oberfläche verdampft. Auch bei diesem Projekt wurde eine wohldurchdachte Strategie flexibel umgesetzt. Das Fülldrahtwerk rundete das Angebot an Dienstleistungen und flexiblen Angeboten ab, die auf lange Sicht die Attraktivität von RDME seinen Kunden gegenüber stärken werden. Bei der Ausführung des Projekts musste RDME nicht einmal die €2 Millionen an Anschubkosten selbst bezahlen, da 20 % der Mittel als Subventionen von der Region aufgebracht und 80 % durch Darlehen finanziert wurden. Das Geschäft finanzierte sich also selbst. Dafür stellte RDME 25, meist junge Leute als Belegschaft ein. Die Fabrik ist hoch automatisiert wegen der geringen Margen bei dieser Produktart. Aus einer Trichtervorrichtung wird Mangan-Siliciumpulver auf einen im Querschnitt U-förmigen Draht gegeben und dann weiter durch die Biegemaschine geführt. Der Draht wird anschließend vollständig umgebogen und dann automatisch aufgewickelt. Im Werk arbeiten drei Schichten mit jeweils fünf Mitarbeitern; die Verwaltung besteht aus zwei Mitarbeitern und einem Geschäftsführer.
8.3
Die Lehren
Die klare Wachstumsstrategie von RDME in Europa als Teil der Internationalisierungsstrategie von CVRD hat sich bietende Marktchancen genutzt. Durch gleichbleibend hohe Produktqualität, zuverlässige Lieferungen und Produktivität hat das Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielt. Der Standort Dünkirchen spielt eine wesentliche Rolle durch den Zugang zum Hafen, sowohl für die Anlieferung der Rohstoffe als auch für die Auslieferung an die Kunden, von denen einige zudem in relativer Nähe angesiedelt sind (Arcelor, Corus und Krupp Thyssen). Die Strategie ist eine Kombination aus übergeordneter Vision und flexibler Durchführung, die Chancen nutzt, wenn sie sich bieten. Ein Beispiel dafür ist die Innovation im Sinterungsprozess zur Nutzung der bisher ungenutzten Feinerze, die nun auch für Sinter und Legierungen eingesetzt werden können. Die Expansion durch die Übernahme des Werks in Mo i Rana brachte einen vorteilhaften Stromvertrag und an Ort und Stelle zu verwendende Barmittel mit sich. Obwohl die Übernahme zu einer Kapazitätserweiterung im Eisenlegierungsmarkt um jährlich 110.000 Tonnen führte und damit die Gefahr fallender Preise barg, erlaubte sie in Dünkirchen weitere bauliche Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz; außerdem blieben die Preise wegen der wachsenden Nachfrage auf hohem Niveau. Mo i Rana eröffnete auch die Möglichkeit, über Norwegen auf dem US-amerikanischen Markt Fuß zu fassen und damit das Embargo lateinamerikanischer Importe zu umgehen. Schließlich konnte man die Ausweitung ins Fülldrahtgeschäft durch
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8 RDME: Reimport von Arbeitsplätzen aus Brasilien
Subventionen und Bankdarlehen durchführen und damit einen sich selbst finanzierenden Geschäftszweig aufbauen, der die Produktpalette für die Kunden abrundet. Die Umsetzung der Geschäftsstrategie stellt die Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Luis Carlos Nepomuceno erklärt: „Gute Leute führen zu höheren Gewinnen. Offenheit und Weiterbildung führen zu Motivation und diese wiederum zur ständigen Verbesserung. Verbesserungen führen zu höheren Gewinnen, Wachstum und Arbeitszufriedenheit. Hoch qualitative Automatisierung trägt zu Produktverbesserungen bei.“ Nepomuceno und die anderen Manager haben konsequent nach Situationen gesucht, aus denen alle Beteiligten als Gewinner hervorgehen – Kunden, Mitarbeiter, Gewerkschaften, Lieferanten und das regionale Umfeld. Das Ergebnis ist eine besser ausgebildete Belegschaft, mehr Arbeitsplätze, Zugang für Studenten ins Zentrum für Nachhaltige Entwicklung und eine konstruktive Beziehung zu den Behörden bezüglich Auswirkungen auf die Umwelt, ganz zu schweigen von höherer Produktionskapazität und höheren Erträgen. Für ein Unternehmen der Grundstoffindustrie, die es allgemein sehr schwer hat, sind die Ergebnisse beeindruckend. Die Zahl der Arbeitsplätze in Europa einschließlich Norwegen hat sich von 97 auf 195 verdoppelt, und die Erträge haben sich durch Wettbewerbsfähigkeit und das Erschließen neuer Märkte innerhalb von sechs Jahren fast verdreifacht. Produktivitätsverbesserungen sind auch weiterhin erforderlich, wenn RDME wettbewerbsfähig bleiben will. Die Erschließung neuer Märkte ermöglicht das Arbeitsplatzwachstum, das bei Produktivitätsverbesserungen ansonsten nicht stattfinden würde. Eine Kapazitätserweiterung wie die von RMME/RDMN in Norwegen hilft, über die Produktivitätsverbesserung hinausgehendes Marktwachstum zu nutzen. Diese drei Faktoren hängen zusammen, wenn es um die Schaffung von Wachstum in Industrieländern geht.
Teil IV
Was lernen wir daraus? Konsequenzen der Beispiele für das Management von Industrieunternehmen
Kapitel 9
Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
In diesem Kapitel diskutieren wir zwei Beispiele für Unternehmen, die Offshoring betreiben, also Aktivitäten in sogenannte Entwicklungs- bzw. Niedriglohnländer verlagern. Dies wird von weiten Kreisen kritisiert, da es angeblich nur aus Gründen der Kostenreduzierung erfolgt, und die betreffenden Firmen werden zuhause oft als Arbeitsplatzvernichter beschuldigt. Die in diesem Kapitel vorgestellten Beispiele zeigen jedoch, dass vorausschauende strategische Arbeitsplatzverlagerungen nicht einfach nur aus Kostengründen durchgeführt werden, sondern in den Heimatländern sowohl Wachstum als auch Arbeitsplätze schaffen können. Die Lehre für die Unternehmen lautet, Arbeitsplätze nicht auf rein defensive Weise auszulagern, indem man sich nur auf Kostensenkungen bei bestehenden Geschäftsaktivitäten konzentriert, denn damit steht man auf lange Sicht auf der Verliererseite. Arbeitsplatzverlagerungen können proaktiv als Mittel eingesetzt werden, um die Angebotspalette eines Unternehmens zu erweitern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Am Ende dieses Kapitels präsentieren wir Hinweise, dass Offshoring tatsächlich zur Schaffung von Arbeitsplätzen führen kann – obwohl auch klar ist, dass einige wenig qualifizierte Arbeitsplätze zwangsläufig an Osteuropa und den Fernen Osten verloren gehen. Zuerst betrachten wir die Beispiele der Unternehmen Zyme und Dyson aus den USA bzw. Großbritannien, bevor wir zu den zentralen Themen der Offshoring-Debatte zurückkehren und dem scheinbaren Widerspruch zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Firmen und der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Wirtschaft, in die sie eingebettet sind.
9.1
Zyme Solutions
Zyme Solutions wurde 2004 von Chandran Sankaran gegründet, einem erfahrenen Manager, der seine Karriere als Unternehmensberater begann, dann stellvertretender Vorstand bei einer Software-Firma im Bereich Lieferkettenmanagement war und danach erfolgreich eine Firma gründete, die er ein Jahr vor der Gründung von Zyme Solutions verkauft hatte. Das Angebot von Zyme umfasste ausgelagerte analytische Dienstleistungen, nämlich das Reinigen, Validieren, Auswerten und
C.H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
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9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Modellieren von Vertriebswegdaten für Kunden aus dem Hochtechnologie-Bereich mit weit verteilten Vertriebskanälen sowie die Umwandlung in brauchbare Informationen. Die Firmenzentrale befand sich in Redwood City im kalifornischen Silicon Valley.1
9.1.1
Das Kunden-Problem
Das typische Kundenprofil von Zyme war ein mittleres bis großes Hochtechnologie-Unternehmen, das seine Produkte über ein Netzwerk von Hunderten von Partnern, Zwischenhändlern und Wiederverkäufern auf der ganzen Welt vertrieb, wobei das Spektrum von Großhändlern bis zu Tante Emma-Läden in Taiwan und Osteuropa reichte. Der Kunde benötigte Informationen über Warenbestände und Absatzzahlen an den jeweiligen Verkaufsorten („Point-Of-Sale, oder POS Informationen“), um sein Lager zu steuern, Produktionsvolumen und Produktsortiment anzupassen, den betreffenden Vertriebskanal zu entlohnen, und um Marketingaktionen durchzuführen. Die Kunden hielten das Verfolgen der Kanäle für wichtig, gar überlebenswichtig, betrachteten es aber gleichzeitig nicht als ihre Kernkompetenz. Es war in den Augen der Mitarbeiter keine Tätigkeit, die beim „Weiterkommen“ nutzen würde. Das Verfolgen von Vertriebskanal-Informationen war ein Albtraum. Normalerweise wurden die POS- und Lagerbestandsdaten von den Vertriebspartnern einmal pro Woche übermittelt, allerdings in einer großen Vielfalt an Formaten – Excel-Dateien, Faxmitteilungen, Textdateien usw. Außerdem wurde die Datenauswertung durch Ungenauigkeiten erschwert, wie z. B. falsche Datumsangaben, ungültige Artikelpositionen (SKU), Rechtschreibfehler und fehlende Aufzeichnungen. Eine Firma mit 300 Wiederverkäufern brauchte daher fünf bis zehn Mitarbeiter, verteilt über die USA, Europa und Asien, um die Daten in einer zentralen Datenbank zusammenzuführen. Obwohl sie eigentlich als Analysten zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Geschäftspolitik eingestellt waren, mussten diese Mitarbeiter am Ende Daten aus den verschiedenen Regionen eingeben, bereinigen und zusammenführen. Am Quartalsende kam es bisweilen zu Diskrepanzen von bis zu mehreren Millionen Dollar, die Analystengruppen waren häufig demotiviert und von einer hohen Fluktuation betroffen. Einige Kunden hatten ganz einfach kein effektives Datenmanagement. Andere kamen zwar zurecht, hatten aber das Gefühl, dass diese Arbeit viel besser und effektiver erledigt werden könnte. Wieder andere wollten Anreizprogramme für ihre Vertriebspartner einführen, die ein Verfolgen von Absatzvolumina und Preisen voraussetzten, um damit über komplexe Anreizformeln ihre Rabatte errechnen zu können, aber sie sahen sich nicht in der Lage dazu. Aus diesen Gründen suchten die Firmen nach Dienstleistungspartnern. Die Auslagerung derart wichtiger, vertraulicher Funktionen war jedoch eine heikle 1
Die Beschreibung von Zyme Solutions Inc. stammt aus Loch und Wu 2006.
9.1 Zyme Solutions
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Angelegenheit, und die Kunden waren erst nach sorgfältiger Prüfung und umfassender Vertrauensbildung bereit, die Verfolgung der Vertriebskanäle auszulagern. Einige der frühen Kunden ließen sich nur deshalb mit einer jungen und kleinen Firma wie Zyme ein, weil sie schon früher geschäftlich mit Chandran Sankaran zu tun gehabt hatten. Doch sobald die Kunden Zyme kennen gelernt hatten, konnten sie den Unterschied zur Konkurrenz deutlich erkennen. Ein Kunde kommentierte: Es zeigte sich, dass der Wettbewerber von Zyme die gleiche Technologie einsetzte, die wir benutzen würden, deshalb hatte er auch die gleichen Zuverlässigkeitsprobleme mit den Daten wie wir. Bei Zyme standen qualifizierte Leute hinter dem Angebot mit der Fähigkeit, auf Datenprobleme flexibel zu reagieren. Sie verstanden wirklich die Anforderungen in diesem Geschäft und boten uns einen Vertrag mit vermindertem Risiko an, mit monatlichen Zahlungen und der Option, dass wir die Arbeiten nötigenfalls wieder selbst durchführen konnten.
Zyme unterbreitete auch eines der preiswertesten Angebote, was aber letztlich nicht der entscheidende Faktor war. „Die andere Firma war verkäuferisch sehr gut aufgestellt, aber Zyme kam als aufrichtig und flexibel rüber und hatte sehr vertrauenswürdige Referenzen. Und die Firma hat uns nicht ein einziges Mal enttäuscht.“ Zyme erarbeitete sich schnell einen guten Ruf und wurde von frühen an neue Kunden weiterempfohlen.
9.1.2
Das „Vorverarbeitungssystem“
Zyme wandte verschiedene Methoden an, um die Daten für die jeweiligen Kunden zu sammeln. Idealerweise kamen die Daten der Vertriebspartner auf dem Zentralrechner des Kunden an und wurden von dort automatisch weitergeleitet zum kundenspezifischen Team im indischen Bearbeitungszentrum von Zyme. Dieser Prozess konnte innerhalb einer Woche eingerichtet werden, manche Kunden zogen es aber dennoch vor, die Dateien manuell weiterzuleiten. Nach der Einrichtung des Weiterleitungsprozesses kamen die wöchentlichen Vertriebsweg-Informationen von Samstag bis Montag im Produktionssystem von Zyme an. Das Prozessteam in Bangalore verarbeitete, bereinigte und führte die Dateien sofort zusammen. Einmal am Tag schickte Zyme gereinigte Daten hoher Qualität (Genauigkeit und Widerspruchsfreiheit) zurück an die Datenbank des Kunden (siehe Abb. 9.1). Wenn eine Datei einmal nicht bei Zyme ankam oder nicht den nötigen Standard erreichte (z. B. Diskrepanzen aufwies), nahm Zyme Kontakt mit einem Mitarbeiter des Kunden auf, der wiederum eine korrigierte Datei vom Vertriebspartner anforderte. Einige Kunden entschlossen sich, auch diesen ersten korrektiven Schritt Zyme zu überlassen – in diesen Fällen rief Zyme den Vertriebspartner direkt an. Gewöhnlich war Zyme mittwochs mit der Dateien-Übertragung zum Kunden fertig und begann mit der Analyse. Dazu gehörte auch ein zusammenfassender Bericht über alle Dateien und eine Partner-Punktekarte, die zeigte, welcher Partner seine
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9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Receive data from partners
Weekly process
Clean and enrich Identify exceptions
Report clean data
Resolve
Abb. 9.1
Wöchentlicher Datenreinigungsprozess
Daten geschickt hatte, ob dies pünktlich geschehen war, usw. Außerdem bot Zyme einen Ausnahmen-Bericht an, der u. a. Trendwechsel und Widersprüchlichkeiten aufzählte (i. d. R. handelte es sich um 10–15 Ausnahmen pro Kunde und Woche). Abbildung 9.2 zeigt ein Beispiel für einen Datenabgleich von Zyme. Die Tabelle zeigt den gemeldeten Bestand der Vorwoche, den Bestand, den der Kunde in den Vertriebskanal gab, den gemeldeten Bestand der laufenden Woche und schließlich die Diskrepanzen zwischen dem berechneten und dem gemeldeten Bestand. Dieser detaillierte Abgleich ermöglichte die Identifikation von Anomalien und von Trends, die an den Kunden weitergegeben wurden. Die Analysten im indischen Verarbeitungszentrum führten aber nicht nur Routineanalysen durch, sondern ergriffen die Initiative, für den Kunden wertvolle Sonderanalysen zu entwickeln. Zum Beispiel erstellten sie Ertragsleis-
Abb. 9.2
Beispiel für einen Datenabgleich
9.1 Zyme Solutions
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tungsberichte nach Vertriebspartner und Region in einem grafischen Format, Preisausnahmenanalysen und prolongierte Abgleiche (Bestand + Lieferungen – Verkäufe = Bestand des nächsten Berechnungszeitraums), die eine weit bessere Überprüfung der Zahlen auf Plausibilität erlaubten. Nicht alle Kunden nutzten anfangs die verfügbaren Berichte, aber nach etwas Überzeugungsarbeit seitens Zyme wussten alle Kunden diese zu schätzen. Einige Kunden begannen sogar, Zymes Dienste zur Abwicklung spezieller Verkaufsförderungsangebote zu nutzen (die Verfolgung der Verkaufszahlen nach der jeweiligen Aktion, z. B eines speziellen Schlussverkaufs, und die Berechnung der entsprechenden Anreizvergütungen je nach Verkäufen des betreffenden Zwischenhändlers). Zyme war seinen Kunden immer einen Schritt voraus, wenn es darum ging, wertvolle Dienstleistungsangebote zu machen, an die der Kunde zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gedacht hatte, die er aber nach kurzer Zeit unverzichtbar fand. Das „Gesicht“ von Zyme zum Kunden war der Client Service Manager (CSM, Kundendienstmitarbeiter) als Glied zwischen den Kunden in den USA und den Prozessteams in Indien. Der CSM verstand sowohl die betrieblichen Prozesse in Indien als auch die Geschäftsvorgänge des Kunden, einschließlich Verkauf, Produktionsplanung und Provisionskriterien der Vertriebspartner. 2006 waren fünf CSM für durchschnittlich je drei Kunden verantwortlich. Der CSM stand jede Woche, gelegentlich auch jeden Tag, mit seinem Gegenpart in der Firma des Kunden (normalerweise ein Projektleiter im Verkauf oder im Rechnungswesen) in Kontakt, der den Datensammlungsprozess verstand und mit dem Management der Vertriebskanäle befasst war. Außerdem hielt jeder CSM eine wöchentliche Telefonkonferenz mit dem Kunden, bei der die Ausnahmen-Berichte durchgegangen und operative Themen wie fehlende Dateien und Fehler bei den Inventarberichten besprochen wurden. Die CSM führten auch regelmäßig monatliche Datenrevisionen mit dem Betriebsvorstand von Zyme, Ted Dimbero, und mit Sankaran sowie dem Finanzvorstand des Kunden durch. Während solcher Treffen bot Zyme seinen Kunden weitere Berichte und Dienstleistungen an. Gelegentlich bat ein Kunde um eine einmalige spezielle Analyse. So hatten beispielsweise zwei Mitarbeiter von Zyme gemeinsam einen Kunden beraten, wie er bei seinen Zwischenhändlern regelmäßige Berichte einführen könnte. Das Zyme-Team flog daraufhin im Auftrag des Kunden um die ganze Welt, stattete den Zwischenhändlern einen Besuch ab und überzeugte sie von der Notwendigkeit, Berichte zu erstellen. Es handelte sich dabei um ein Dreimonatsprojekt. Während die wöchentlichen Berichte von Zyme nicht einzeln in Rechnung gestellt wurden, waren die Kunden bereit, für derartige Sonderdienste zusätzlich zu bezahlen. Es bleibt abzuwarten, ob solche Sonderdienstleistungen für einzelne Kunden mit der Zeit zu wesentlichen Einnahmen führen werden. Zyme hatte ein Preismodell ausgearbeitet, bei dem die Preise niedrig genug waren, um die Kunden nicht abzuschrecken, aber hoch genug, dass selbst bei Kunden mit kleinem Volumen eine positive Marge blieb. Eine monatliche Fixgebühr deckte die Einrichtungskosten. Theoretisch behielt sich Zyme das Recht vor, diese Fixgebühr an die Komplexität der Kundenanforderungen anzupassen, aber zumindest bis Mitte 2006 sah die Firma keine Notwendigkeit, dieses Recht auszuüben. Die
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9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Gebühr richtete sich nach der Zahl der Datenquellen, aber mit jeweils sinkenden Grenzbeträgen, und es gab eine gesonderte Gebühr für ein einmaliges Projekt.
9.1.3
Der „nachgeschaltete Server“: Das ausgelagerte Verarbeitungszentrum in Bangalore
Das Verarbeitungszentrum von Zyme lag in der indischen Stadt Bangalore. Die gesamte Datensammlung und -zusammenführung – unsichtbar (und in gewisser Weise auch irrelevant) für die Kunden – fand hier statt. Zyme hatte einen Exklusivvertrag mit einem großen indischen Business Process Outsourcing Provider (BPO), d. h. einem Unternehmen, das für Kunden ausgelagerte Geschäftsprozesse bearbeitet. Der BPO stellte das Team nach den Vorgaben von Zyme zur Verfügung und nutzte seine bestehende IT-Infrastruktur, um die Geschäftsvorgänge zu bearbeiten. Der BPO erhielt $8 pro Mitarbeiter und Stunde (wobei die Analysten ein monatliches Gehalt bezogen) und verdiente damit eine Marge von 50 %. Das Servicepaket von Zyme umfasste gut ausgebildete Leute und die nötige Technologie. Im Dezember 2005 beschäftigte das Verarbeitungszentrum ungefähr 30 Mitarbeiter, die kundenspezifischen Teams zugeordnet waren. Für einen größeren Kunden war ein Team von fünf oder sechs Leuten zuständig, für einen kleineren Kunden ein oder zwei Mitarbeiter. Jedem Team stand ein erfahrener Teamleiter vor, der sämtliche Prozessschritte im Detail kannte, Analysen durchführen konnte und sich im Berichtswesen auskannte. 80 % der Mitarbeiter waren Nachwuchsanalysten, von denen 20 % nur Routinearbeiten verrichteten und zwischen zwei oder drei Teams hin und her wechselten. Der Geschäftsführer Renison Correya war Angestellter des BPO, hatte aber bereits seit zwei Jahren, seit dem ersten Kunden, mit Zyme zusammengearbeitet. Mit Ted Dimbero in den USA stand er über wöchentliche Telefonkonferenzen in Kontakt und mit jedem der CSM über Instant Messenger. Der begabte 27-Jährige trug bereits große Führungsverantwortung. Dimbero hatte einen Test zur Einstellung neuer Analysten entwickelt, der an die spezifischen Anforderungen der ausgeklügelten Analysen-Arbeit angepasst war und Mathematik, Excel und das Erkennen von Mustern umfasste. Nach Bestehen von Test und Einstellungsgespräch, die von Zyme durchgeführt wurden, musste sich der neue Mitarbeiter zusätzlich noch der Zertifizierung der Geschäftsabläufe von Zyme und der des Kunden unterziehen. Die Analysten nahmen weiterhin an wöchentlichen Schulungen teil, führten Stellenrotationen durch und besuchten Veranstaltungen zur optimalen Weitergabe von Informationen. Dimbero hielt eine monatliche Telefonkonferenz mit dem gesamten Kontrollzentrum ab und schaute einmal pro Quartal persönlich vorbei, gelegentlich auch vertreten durch einen höherrangigen CSM. Die Analysten empfanden ihre Arbeit als interessant und angenehm – es gab überhaupt keine Mitarbeiterfluktuation, ganz im Gegensatz zur „normalen“ Fluktuation von 20 % bei den BPO. Nach einer gewissen Zeit beherrschte das Prozessteam die Terminologie des Kunden, sprach seine Sprache einschließlich der
9.1 Zyme Solutions
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Artikelpositionen und Teilenummern des Kunden und kannte sich aus bei der Quartals-Verkaufsanalyse und -leistung. Das Team agierte praktisch als Teil der Kundenorganisation. Der CSM war für die Qualität der Daten verantwortlich, daher wurden die Daten anfangs zunächst zur Überprüfung zum CSM geschickt und erst danach an den Kunden weitergegeben. Nach der Anfangsphase, die je nach Kunde zwei bis sechs Wochen dauerte, arbeitete das Analystenteam selbstständig und konnte dann möglicherweise auftretende Probleme bei den hereinkommenden Dateien beheben. Die Qualität wurde streng durch ein System 100 %-iger Redundanz gesichert – alle Berechnungen wurden unabhängig voneinander und gleichzeitig von zwei Mitgliedern des Teams durchgeführt und verglichen; eventuellen Ergebnisabweichungen ging man sofort nach. Die Ergebnisse wurden dann direkt zum Kunden geschickt, mit Kopie an den CSM, der auch weiterhin durch die Ausnahmen-Berichte und Geschäftsanalysen fest eingebunden war.
9.1.4
Das Zyme-Verarbeitungszentrum in Bangalore
Im Dezember 2005 eröffnete Zyme seine eigene Anlage in Bangalore, um Schlüsselkompetenzen in die Firma zurückzuholen, nachdem es den nötigen Cashflow erreicht hatte. Sankaran stellte Sudhakar Joshi als Chef der Einrichtung ein. Joshi war ein erfahrener Manager im Bereich Anlagenbetreuung, der sowohl in großen als auch in kleinen Firmen gearbeitet hatte. „Die Dienstleistungsqualität dieses Unternehmens ist hervorragend“, sagte er, „und es ist meine Aufgabe, dass jeder bei seiner Arbeit produktiv sein kann.“ Während im Januar 2006 die Arbeitsnischen des Verarbeitungszentrums noch leer waren, beschäftigte Zyme Ende 2006 dort 40 Analysten. Geplant war, die kritische Masse an Analysenkapazität mit der dazugehörenden Expertise zurück in die eigene Firma holen, sobald ein hinreichendes Volumen erreicht war, darüber hinaus aber weiter mit dem BPO zusammenzuarbeiten. Die Gruppe umfasste zwei Teams – ein Betriebsanalysten-Team, das zusätzlich zu den Analysen im BPO-Zentrum weitergehende Analysen anfertigte, und ein Technik-Team, das die zugrundeliegende Technologie für die Betriebsvorgänge von Zyme entwickelte. Ein dreiköpfiges Technik-Team befasste sich mit Automatisierung, der Technikkomponente des Servicepakets. Dazu gehörten die automatische Weiterleitungsfunktion vom Kunden an das Kontrollzentrum und eine Standard-Maske zur Weiterleitung von Vertriebsinformationen an alle Zwischenhändler. Alle Dateien, die im Format der Standard-Maske ankamen, wurden direkt in eine Anwendung eingelesen, die einfache Fehler (wie das falsche Format einer Artikelposition) aufspüren und den Bestand und die Preiskonditionen in den Dateien mit dem Geschäftskalender des Kunden in Übereinstimmung bringen konnte. Dennoch benutzten nur 70 % der Zwischenhändler die Standard-Maske, die verbleibenden 30 % mussten manuell bearbeitet werden (durch Ausschneiden und Einfügen in die korrekt formatierte Datei).
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9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Das Ziel des Automatisierungsprojektes war die Verringerung der manuellen Bearbeitung und die Verbesserung von Datenqualität und Skalierbarkeit. Die dabei erzielte Produktivitätserhöhung diente zudem als Absicherung gegen die steigenden indischen Arbeitskosten. Neben der Automatisierung trug das Technik-Team mit seiner speziellen Expertise auch zur Bereitstellung von zusätzlichen plötzlich nachgefragten Dienstleistungen bei (30 % des Zeitaufwandes). „Wir haben einen Automatisierungsplan“, kommentierte Girish Elchuri, der technische Leiter, „aber es wird seine Zeit dauern, all die Unterschiede in Format und Inhalt im Kundenspektrum zu handhaben und die nötige Robustheit einzubauen, denn die Zwischenhändler sind nicht diszipliniert und senden uns Daten von niedriger Qualität zu. Diese Automatisierung wird viel spezielles Fachwissen beinhalten – das ist keine leicht zu erledigende, billige Aufgabe.“ Zyme hoffte, dass die Anwendung der zunächst für einen Kunden im Hause entwickelten Automatisierungslösungen auf mehrere Kunden zu Kostendegression und Skaleneffekten führen und einen erheblichen, nicht kopierbaren Konkurrenzvorteil darstellen würde. Mehrere Kunden äußerten, dass sie genau einen solchen Kostenvorteil erwarteten, von dem sie dann auch profitieren wollten.
9.1.5
Die Auswirkungen auf die Kundenunternehmen
Zyme hatte sein Modell etabliert und machte sich einen Namen als Dienstleister. Unternehmen mit weitläufigen indirekten Vertriebskanälen begannen darüber nachzudenken, sogar eine für das Geschäft so kritische Funktion wie das Sammeln von Verkaufsdaten auszulagern. Sobald Zyme die Zuverlässigkeit seiner Prozesse unter Beweis gestellt hatte, waren die Kunden von der fehlerfreien Qualität und der hohen Flexibilität bei Änderungen der Prozesse beim Kunden überzeugt; außerdem schlug die Firma immer wieder zusätzliche Berichte vor, die ihren Wert weiter steigerte. Und so kam es, dass die Kunden zwangsläufig Zyme das Datensammeln und Berichterstellen überließen, abgesehen von gelegentlichen Genauigkeitskontrollen bei den Vertriebspartnern, und das hatte Auswirkungen auf fünf bis zehn Mitarbeiter bei jedem Kunden. Auch nach der Auslagerung war bis April 2006 bei keinem der zehn Kunden auch nur eine einzige Stelle verloren gegangen. Stattdessen stellte ein Kunde fest, dass die Mitarbeiter nun „mehr wertsteigernde Aktivitäten übernommen hätten – anstatt Daten einzutragen und nachzuprüfen, konzentrieren wir uns jetzt auf die Analyse, also auf die Erstellung von Berichten und Ertragsprognosen, die Bewertung der Effektivität von Marketingmaßnahmen [über die Auswirkungen auf die wöchentlichen Verkaufszahlen] und das Zusammenwirken mit den Vertriebspartnern.“ Ein anderer meinte: „Wir machen jetzt Analysen, die wir vorher einfach nicht machen konnten, weil wir immer soviel zu tun hatten und nie dazu kamen“, und diese positive Einschätzung wurde von mehreren anderen Kunden geteilt. Sobald der Prozess von Zyme eingeführt war, begannen einige Kunden, mehr Daten von den Vertriebspartnern zu sammeln, die ihnen bessere Analysen und Prognosen erlaubten, und
9.1 Zyme Solutions
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zwar nicht nur Verkaufszahlen, sondern auch Informationen über Endverbraucher und detailliertere Produktinformationen. Ein Kunde nutzte den Service von Zyme, um die Wirkung spezieller Werbekampagnen zu messen und die Anreizzahlungen für die Partner zu verwalten. „Wir hätten dieses Programm nicht so weit auswalzen und die Zahlungen durchführen und unsere Prozesse entwickeln können – IT-Ressourcen und Zeit wären dafür einfach zu knapp gewesen.“ Außerdem, so berichteten mehrere Kunden, fanden die Analysten ihre neue Tätigkeit viel interessanter, wodurch sich die Fluktuation bei den Vertriebsanalyseteams verringerte. Können wir daraus schließen, dass Zyme durch Offshoring Arbeitsplätze sowohl auf dem indischen als auch auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt geschaffen hat (40 in Bangalore – 35 beim BPO und fünf interne – sowie 15 in den USA bis Ende 2005, mit schnellem Wachstum in vorhersehbarer Zeit), ohne auch nur einen Arbeitsplatz bei den Kundenfirmen zu vernichten? Ein Offshoring-Skeptiker würde vielleicht entgegnen, dass es zwar zu keinem direkten, dafür aber zu einem subtileren Arbeitsplatzverlust gekommen sei: Durch das Wachstum von Zyme wurde die Schaffung von Arbeitsplätzen innerhalb der Kundenfirmen verhindert, da Zyme die ständig wachsenden Aufgaben im Bereich Vertriebswegüberwachung übernommen hatte. Ein Kunde aus dem Raum San Francisco beschrieb den Effekt folgendermaßen: „Ich hatte vorher acht Leute in meinem Vertriebsüberwachungsteam, von denen sechs jetzt höherwertige Arbeiten ausführen. Aber mit dem Ausbau der Vertriebswegprogramme hätte ich dieses Team auf 20 Leute erweitern müssen, um das Volumen zu schaffen, und das konnten wir durch die Hilfe von Zyme vermeiden. Dadurch haben wir unsere Leute wirkungsvoller eingesetzt. Ohne Zyme hätten wir in teure und unflexible Automatisierungslösungen investieren müssen oder einige Arbeitsplätze in Oregon geschaffen, wo die Löhne niedriger sind als in Kalifornien.“ Deutet dies an, dass Arbeitsplätze in Kalifornien erhalten, aber potentielle neue Stellen aus Oregon (oder anderen Teilen der USA mit niedrigerem Lohnniveau) nach Indien verlagert wurden? Es gibt keine einfache Antwort auf diese Frage. Die einfache Feststellung, dass der Kunde sich ohne Offshoring nach einem kostengünstigen Anbieter innerhalb der USA umgesehen (und dadurch Stellen in den USA geschaffen) hätte, wird der vollen Wirkung der Aktivitäten von Zyme nicht gerecht. Mit den Worten eines anderen Kunden ausgedrückt: „Die höhere Datenqualität, die mit Hilfe von Zyme erzeugt wurde, erlaubt es uns, weiter nach vorne zu schauen als vorher, Unstimmigkeiten bei Preisen zu erkennen sowie Verkaufszahlen von Endkunden und nicht nur von Zwischenhändlern zu betrachten. Das ist ein Riesengewinn. Wir können damit direkt auf die Endkundennachfrage reagieren und sind dadurch in der Lage, unsere Vertriebswegpartner nach Verhalten und nicht nur nach Ergebnissen zu vergüten. Obwohl einige Analystenstellen aufgrund von Zyme tatsächlich kurzfristig nicht geschaffen wurden, wird uns das bessere Vertriebswegmanagement erlauben, stärker zu wachsen, wodurch wir schließlich mehr Mitarbeiter einstellen werden.“ Also nutzten Kunden mit einer entsprechenden Strategie die Dienste von Zyme nicht defensiv zur Kostenreduktion, sondern proaktiv zur Erzielung von Zuwächsen.
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9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Diese Zuwächse sind dem Know-how von Zyme zuzuschreiben, das seine Kunden befähigt, ihre Absatzkanale besser zu steuern als sie es alleine könnten.
9.1.6
Die nächsten Schritte
Die Umsätze des Jahres 2006 lagen über $2 Millionen. Ende 2006 kam der nächste Schritt: Zyme weitete seine Idee des Reinigens, Strukturierens, Modellierens, Analysierens und Interpretierens komplexer Daten auf andere Geschäftsfelder aus, und aus der Vertriebskanal-Datenanalyse wurde eine eigene Geschäftseinheit unter der Leitung von Ted Dimbero. Der Kunde vertraute Zyme das Datenmanagement zur Risiko- und Versicherungsmodellierung an, und das nächste Ziel bestand darin, das Gleiche im Geschäftsfeld Gewinnung von Kundendaten zu erreichen. Das innovative Geschäftsmodell von Zyme hatte sich erfolgreich positioniert und befand sich 2007 auf Expansionskurs. Ist dies einfach zu schön, um wahr zu sein? Klingt Chandran Sankarans Erfolgsgeschichte zu sehr wie die Geschichte vom Alchemisten, der aus Blei Gold machte? Schauen wir uns ein anderes Beispiel eines britischen Unternehmens an. Hier hatte die Ankündigung, die Fertigung zu verlagern, zunächst zu Massenentlassungen, allgemeiner Entrüstung und parlamentarischen Anfragen geführt.
9.2
James Dyson und der Stein der Weisen
Bis 2002 galt James Dyson als ein Vorbild in Großbritannien – er hatte ein riesiges Vermögen angesammelt und das Renommee des britischen Erfindergeists durch seine innovative Haushaltstechnik verbessert, die Design und die Funktion von Staubsaugern und Waschmaschinen verbesserte. In jenem Jahr verkündete er jedoch, die Produktion von Staubsaugern nach Malaysia zu verlagern, was den Verlust von 800 Arbeitsplätzen in Großbritannien zur Folge hatte. Weitere 65 Stellen gingen im folgenden Jahr durch die Verlagerung der Waschmaschinenproduktion verloren. Die Wut der Mitarbeiter im Werk Malmesbury, dem Hauptsitz von Dyson, fand großes Echo in den britischen Medien („er übt Verrat an den britischen Arbeitnehmern und den britischen Verbrauchern, die ihn und sein Unternehmen zu dem gemacht haben, was sie heute sind“). Sogar Premierminister Tony Blair musste sich parlamentarischen Anfragen über den Arbeitsplatzverlust nach Übersee stellen. Beobachter der Szene nahmen die Berichte jedoch zuversichtlicher auf. Malmesbury ist eine Kleinstadt im Süden Englands mit 4.500 Einwohnern. Viele Dyson Mitarbeiter hatten ihre Wohnsitze in den Midlands und im Südwesten und pendelten zu ihrer Arbeitsstelle. Das Städtchen war also nicht unbedingt ein naheliegender Standort zum Bau eines großen Produktionswerks, aber James Dyson fühlte sich der Gegend verpflichtet. Gerade einmal zwei Jahre vor seiner Entscheidung, die Produktion in England einzustellen, hatte er einen Planungsantrag für eine
9.2 James Dyson und der Stein der Weisen
131
Werkserweiterung in Malmesbury gestellt; der Antrag wurde vom Stadtrat jedoch abgelehnt. Der Verlust der 800 Arbeitsplätze bei Dyson traf die Region besonders hart, denn im Jahr zuvor hatte das US-Unternehmen Lucent bereits 600 Mitarbeitern gekündigt. Der Bürgermeister der Stadt, John Bowen, war zwar verärgert über die Entscheidung des Unternehmens, sah aber auch deren Notwendigkeit ein: „Man braucht sich nur die wirtschaftliche Situation anzusehen und erkennt, dass die Entscheidung unvermeidlich war. Das einzig Positive daran ist, dass uns Forschung und Entwicklung erhalten bleiben und durch die neuen Aktivitäten in Amerika weitere Arbeitsplätze entstehen könnten.“ Dyson selbst erklärte seine Kehrtwende in einem BBC-Interview: „Es war eine schmerzliche Entscheidung und eine Kehrtwendung.“ Die Produktion in Malaysia war jedoch viel billiger und, was genau so wichtig war, sie brachte das Unternehmen näher an seine Zulieferer und an neue Wachstumsmärkte heran. In den letzten zwei bis drei Jahren kommen unsere Zulieferer verstärkt aus Fernost und nicht mehr von hier. Und auch unsere Märkte liegen dort. Wir sind die Staubsaugerfirma mit den besten Verkaufszahlen in Australien und Neuseeland, wir sind erfolgreich in Japan und kommen jetzt auch auf den US-amerikanischen Markt. Und wir sehen auch andere Länder in Fernost als große Märkte an.
Trotzdem bedeutete dieser Schachzug des Unternehmens für die Gewerkschaftsführer nur eines: „Dieser jüngste Export von Arbeitsplätzen … ist eine Bestätigung dafür, dass sein Motiv nur darin besteht, noch höhere Gewinne auf Kosten des Standorts Großbritannien und seiner loyalen Mitarbeiter zu machen. Dyson ist keine britische Marke mehr.“ Die Aufregung über Dysons Schritt, Arbeitsplätze zu verlagern, brachte ihn in die Defensive – dennoch handelte es sich nicht um eine übers Knie gebrochene Aktion zur Kostenreduktion, sondern um eine Entscheidung auf Basis einer strategischen Neuausrichtung des Unternehmens: „Dadurch, dass wir F&E höchste Priorität geben, zeichnen wir den Weg zur Renaissance von Erfindertum und technologischer Entwicklung in Großbritannien vor.“ Von 2001–2002 steckte Dyson £38 Millionen in Forschung und Entwicklung. Alleine im Jahr 2005 belief sich die Investition in F&E auf £50 Millionen und die für 2006 vorgesehene Summe auf £60 Millionen. Die Mitarbeiterzahl am Hauptsitz Malmesbury stieg auf 1.200, wobei 420 zusätzliche Arbeitsplätze für Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker geschaffen wurden. Im April 2006 erhielt Dyson den Preis „Queen’s Award for Enterprise for outstanding growth and success overseas“, eine Auszeichnung für hervorragendes Wachstum und Erfolg in Übersee. Dysons Kommentar dazu: Vor zwei Jahren haben wir ein Drittel unserer Staubsauger exportiert. Heute sind es zwei Drittel. Den Erfolg haben die Mitarbeiter hier in Malmesbury durch harte und intelligente Arbeit erreicht, und natürlich auch eine wachsende Mitarbeiterzahl in Übersee. Wir haben einen unersättlichen Appetit auf neue und bessere Technologien. Deshalb stellen wir mehr und mehr Ingenieure ein.
Die Produktion im Ausland führte zu steigenden Gewinnen, die zurück in die britische Wirtschaft flossen, was zu hohen Investitionen in die Forschung und die zugehörigen Arbeitsplätze führte. Genau das hatten Dyson und die Beobachter
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9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
sehen wollen: Innerhalb von zwei Jahren war aus Dyson die Staubsaugermarke mit den besten Verkaufszahlen in den USA, Westeuropa, Australien und sogar Japan geworden. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen hatte nicht nur zur Kostenreduzierung und damit zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit geführt, sondern sogar zu deren Verbesserung und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Ein Kommentator bemerkte: „Die eingesparten Kosten können entweder den Kunden oder der Verbesserung der Produkte zugute kommen – und die Forschung dafür wird gänzlich in Großbritannien durchgeführt. Dies ist viel wertvoller und auch viel interessanter, als nur Teile zusammenzubauen.“ Es geht also nicht nur um Arbeitsplätze, sondern um „bessere“ Arbeitsplätze. Die Kunden von Zyme machten die gleiche Beobachtung – die Verlagerung der Arbeiten, die ihre Mitarbeiter als eintönig und frustrierend empfanden, belebte die Effektivität und das Engagement der Belegschaft. Dies wiederum berührt die komplexe Frage, welche Art von Arbeit eigentlich das Bestehen einer Gemeinschaft oder Volkswirtschaft sichert. Was sind die gesellschaftlichen Folgen, wenn man manuelle Arbeit durch „intelligente Arbeit“ ersetzt? Wie sollten sich Arbeitgeber, Regionen, Pädagogen oder Regierungen – soziale Systeme eben – auf diese Entwicklung auf lokaler und nationaler Ebene vorbereiten? Was geschieht mit den Menschen, die früher die manuellen Arbeiten verrichteten? Ist es immer weise oder wünschenswert, unedles Metall in Gold zu verwandeln? Ist das die andere Seite des Steins der Weisen? Wir kehren im nächsten Abschnitt zu einigen dieser Fragen zurück.2
9.3 9.3.1
Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“ Die Beweislage
Die Beispiele von Zyme und Dyson stehen im Kontext einer in Europa heftig geführte Debatte: Vielleicht schaffen die „Kapitalisten“ ja Arbeitsplätze, aber wo? In einer von Globalisierung und Offshoring geprägten Zeit entstehen die Arbeitsplätze nicht in Europa, sondern in Entwicklungsländern, wo die Mitarbeiter – sowohl am Band als auch hoch qualifizierte Ingenieure – länger für niedrigere Löhne arbeiten und immer öfter genauso kompetent wie ihre europäischen oder amerikanischen Kollegen sind. Für Globalisierungsgegner, die bei den G7- bzw. G8-Gipfeltreffen demonstrieren, ist die Globalisierung der Erzfeind für den Wohlstand des Durchschnittseuropäers. Ist das die Wahrheit? Die vorliegenden Daten stützen die Behauptung von der großflächigen Arbeitsplatzverlagerung nicht. Wenn wir uns die Gesamtarbeitsplatzstatistik anschauen, können wir nirgendwo Arbeitsplatzverluste finden. Sie sind ein Trugbild. Betrachten wir die gegenläufigen Kräfte in Abb. 9.3. Einerseits bedeuten die Verlagerung von Fabriken und Telefonzentren und die Umleitung von 2 Quellen: Daily Telegraph, 28. August 2003; BBC News, 5. Februar 2002, www.dyson.co.uk, www.thisiswiltshire.co.uk, 6. Februar 2002.
9.3 Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“
133
Investitionen nach Osten den Verlust von Arbeitsplätzen (linke Seite von Abb. 9.3). Andererseits führen wirtschaftliche Aktivität und Wohlstand im Osten zur Entstehung neuer Märkte für die europäischen Länder, was sich in positiven Handelsbilanzen ausdrückt. Eine positive Handelsbilanz in Frankreich bedeutet, dass ein Auftrag, der in Polen hätte ausgeführt werden können (weil das Gut dort verbraucht wurde) stattdessen in Frankreich ausgeführt wurde. Die riesigen Exporte aus Westeuropa bedeuten Arbeitsplatzexporte aus den Zielmärkten nach Westeuropa (rechte Seite von Abb. 9.3). Der Gesamteffekt auf nationaler Ebene kann in beide Richtungen gehen. Die Behauptung, es gebe einen generellen Nettoexport von Arbeitsplätzen aus Europa, ist nicht gerechtfertigt.3 Was wir aus den makroökonomischen Statistiken herauslesen können, ist der Nutzen des Handels: Länder, die ihre Grenzen für Handel und Wettbewerb öffnen, haben ein höheres Wachstum. Länder, die ihre Grenzen schließen, erfreuen sich zunächst an einem kurzzeitigen, aus ihrem Protektionismus erwachsenden Vorteil, verfallen bald darauf aber in Stagnation und verschlechtern sich im Vergleich zu anderen, dynamischeren Volkswirtschaften.4 Allerdings kann sich nicht jeder in gleichem Maße an den Vorteilen von Globalisierung, Handel und Offshoring erfreuen. Ähnlich wie der technische Fortschritt ist auch die Arbeitsplatzverlagerung in einer Nettobetrachtung positiv, aber es gibt Gewinner und Verlierer. Die Verlierer sind die gleichen, sowohl was die Technologie als auch die Arbeitsplatzmobilität angeht – diejenigen mit niedriger Qualifikation. Die Zahl der niedrig qualifizierten Arbeitsplätze ist in dem dynamischen Umfeld von
Deutsche + franz. Handelsbilanz 2003 = $ 114,4 Mrd.
Polnische, tschechische, slowakische Handelsbilanz 2003 = $ -10,6 Mrd. Viele Firmen investieren in Osteuropa oder Fernost (z.B. Autos, Maschinen, Druckerzeugnisse)
Abb. 9.3
3
…aber erfolgreiche Exporte schaffen auch Arbeitsplätze.
Positive und negative Arbeitsplatzströme ins Ausland
Diese Analyse trifft auf die meisten neuen Märkte zu, mit Ausnahme von China aufgrund seiner starken Exporte in einigen arbeitsintensiven Branchen, wie etwa der Textilindustrie. Die Wirkung der Exporte wird etwas vermindert, aber nicht gänzlich aufgehoben, weil die Exporte mehr Halbfertigteile umfassen, die in den Entwicklungsländer hergestellt werden. Dieser Effekt lässt sich durch den Anteil des produzierten Mehrwertes bei den Exporten messen (siehe Bergoeing et al. 2004). 4 Paul Krugman hat diesen Punkt ausführlich beschrieben; siehe Krugman (1997) oder die Internetsite http://web.mit.edu/krugman/www/#fortune.
134
9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Angebot und Nachfrage nach Arbeitskraft geringer geworden. So ist beispielsweise die Zahl an Arbeitsplätzen für Niedrigqualifizierte in Europa zurückgegangen; die durchschnittliche Schulzeit in Deutschland stieg von 1970 bis 1998 von 9,5 auf 13,5 Jahre, und ähnliche Trends gibt es in allen OECD-Ländern. Das Verhältnis von niedrig (ohne höhere Schulbildung) zu hoch qualifizierten Arbeitnehmern (mit Hochschulausbildung) ging im Zeitraum frühe 1980er bis Mitte 1990er Jahre in Großbritannien von 3,6 auf 1,3 und in Frankreich von 6,6 auf 2,7 zurück.5 Obwohl der Anteil der gering qualifizierten Arbeitnehmer abgenommen hat, hat sich die Nachfrage nach solchen Arbeitnehmern noch mehr verringert (Abb. 9.4). Der technische Fortschritt erklärt statistisch gesehen 50 % der sinkenden Nachfrage, denn er macht die hoch ausgebildeten Mitarbeiter produktiver, während gering qualifizierte Arbeitsplätze durch die Automatisierung wegfallen. Der TechnologieEffekt ist zweimal so groß wie der Offshoring-Effekt, denn die hoch qualifizierten Arbeitsplätze bleiben wegen der (noch) besseren Ausbildung, Spezialisierung, Kundennähe und der Fähigkeit, andere anzuleiten, in Europa, während gering qualifizierte Arbeitsplätze durch die billigeren Arbeitskräfte in den Entwicklungsländern ersetzt werden. Die verbleibenden 25 % der Nachfrageverringerung nach gering qualifizierter Arbeitskraft lassen sich durch eine Fülle anderer Faktoren erklären.6 Im Ergebnis wächst aufgrund dieser Angebot- und Nachfrageeffekte der Druck auf gering qualifizierte Berufsgruppen. In den USA und Großbritannien führt
Komponenten, Teile, Materialien
Fertigprodukte
Technologie: • Automatisierung von Routinearbeiten • Produktivitätswachstum bei hoch qualifizierten Arbeiten • Neue Geschäftsmöglichkeiten 50 % der verloren gegangenen Arbeitsplätze
Outsourcing, Offshoring: • Fertigung von Teilen in verschiedenen Ländern mit internationalem Transport • Weniger qualifizierte, arbeitsintenive Aktivitäten gehen an weniger entwickelte Länder mit geringeren Lohnkosten 25 % der verloren gegangenen Arbeitsplätze
Abb. 9.4 Technologie und Offshoring verringern die Nachfrage nach nicht qualifizierten Arbeitskräften
5 6
Siehe De la Fuente und Domenech (2000) sowie Strauss-Kahn (2003). Siehe Feenstra und Hanson (1999), Strauss-Kahn (2003) und den Economist (2007d).
9.3 Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“
135
dieser Druck zu einer relativen Lohnverringerung; in den USA hat der Anteil des Einkommens der reichsten Schichten am Nationaleinkommens zugenommen, und zwischen 1980 und 2000 ist das Verhältnis von Niedriglöhnen zum Medianlohn von 0,45 auf 0,36 gefallen. Regulierung der Löhne hat eine solch starke Veränderung der Relativlöhne in Europa verhindert – in Frankreich ist im gleichen Zeitraum das Verhältnis von Niedriglöhnen zum Medianlohn von 0,57 auf 0,61 gestiegen – aber stattdessen hat sich die Nachfrage nach Arbeitskräften qualifizierten Arbeitsplätze verschoben. Also ist statt eines Lohnverfalls die Arbeitslosigkeit bei ungelernten Arbeitskräften gestiegen.7 Zusätzlich mussten gering qualifizierte Arbeitskräfte im letzten Jahrzehnt miterleben, dass trotz der Tariflöhne ihre Realeinkommen gesunken sind.8 Zusammengefasst sind also die gering qualifizierten Menschen in unserer Gesellschaft zu recht beunruhigt über die Auswirkungen von Technologie und Globalisierung auf ihre Existenz. Und dass sie beunruhigt sind, zeigt sich an ihrem Widerstand gegenüber Reformen und bei Wahlen am Erfolg von Splitterparteien.9 Die Gesellschaft hat die Verantwortung, ihnen eine Ausbildung anzubieten, die es möglichst vielen erlaubt, sich im Wettbewerb auf dem komplizierter gewordenen Arbeitsmarkt zu behaupten und einen Wechsel in andere Berufe zu schaffen. Aus der Beobachtung, dass die Geringqualifizierten die Verlierer im heutigen Spiel um Offshoring und Handel sind, sollten wir auf keinen Fall die Konsequenz ziehen, Handel und Arbeitsplatzverlagerung zu stoppen oder den technischen Fortschritt zu bremsen. Beide Handlungsweisen führen in die Katastrophe, was Extrembeispiele aus der Geschichte zeigen. China war im Jahre 1400 Europa in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht um 150 Jahre voraus, stellte seinen Fortschritt dann aber ein, so dass es um 1700 so rückständig geworden war, dass es von den Europäern verachtet und ausgebeutet wurde. Der Rückschritt des Landes wurde vor allem durch den Wunsch der mächtigen, zentralen Elite verursacht, alles stabilisieren und kontrollieren zu wollen, und von ihrem mangelnden Interesse, mit dem Westen Handel zu treiben und von ihm zu lernen.10 Auch die Sowjetunion brach schließlich zusammen, weil sie gegenüber dem westlichen Bündnis ökonomisch zurückgefallen war, was zum Teil der zentralen Kontrolle und einem Mangel an Vielfalt und ökonomischem Austausch zuzuschreiben war. Auf subtilere Weise deuten viele Hinweise darauf hin, dass einige europäische Produkt- und Arbeitsmarktgesetze, die eigentlich dazu gedacht waren, die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft – nämlich diejenigen ohne höhere Ausbildung – zu schützen, das Gegenteil vom Gewünschten bewirken. Sehen Sie sich dazu die Analyse in Abb. 9.5 an, die in einem Vergleich zwischen den USA und Deutschland zeigt, welchen Effekt ein ins Ausland verlagerter Dollar auf die Gesamtwirtschaft hat.
7
Quelle: OECD Beschäftigungsaussichten 2004 und 1997. Ähnlich Statistiken finden sich für Deutschland. 8 Siehe Sauga et al. 2007. 9 Siehe Köcher 2007. 10 Einen guten Gesamtüberblick darüber bietet Mokyr (1990, Kap. 9).
136
9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Für $1,00 Unternehmensausgaben in Indien … macht die US-Wirtschaft einen Nettogewinn von ca. $0,13. + $ 0,46
$ 1,13
Wertschöpfung durch wiedereingesetzte USArbeitskraft
Potentieller Gewinn für die US-Wirtschaft
$ 1,00
$ 0,58 Ersparnis für US-Kunden, Investoren
+ $ 0,05 Import von USWaren und Dienstleistungen durch Dienstleister in Indien
+ $ 0,04 Rücktransfer von Gewinnen amerikanischer Firmen in Indien
$ 0,67 Direkter Nettogewinn innerhalb der USA
Für €1,00 Unternehmensausgaben in Indien … macht die deutsche Wirtschaft einen Nettoverlust von €0,20. €1,00
€ 0,48 Ersparnis für deutsche Kunden, Investoren
+ € 0,03
+ € 0,00
€ 0,51
Import deutscher Waren und Dienstleistungen durch Dienstleister in Indien
Rücktransfer von Gewinnen deutscher Firmen in Indien
Direkter Nettogewinn innerhalb Deutschlands
+ € 0,29
€ 0,80
Wertschöpfung durch wiedereingesetzte deutsche Arbeitskraft
Potentieller Gewinn für die deutsche Wirtschaft
Abb. 9.5 Die Auswirkungen von Arbeitsplatzverlagerungen auf die US und die deutsche Wirtschaft (Quelle: Farrell 2004)
Stellen wir uns vor, eine Fabrik wird von Boston nach Indien verlagert, und wir nennen die Gesamtausgaben 100 % (oder $1,00 in Abb. 9.5). Die Investition verschwindet aus Boston, und viele Leute verlieren ihren Arbeitsplatz. Der Effekt ist negativ, vielleicht sogar verheerend für die betroffene Region. Was aber ist der Effekt auf die Gesamtwirtschaft? Ergeben sich Vorteile, welche die Verluste zumindest teilweise kompensieren? Betrachten wir den oberen Teil der Abbildung. Erstens: Die Verbraucher profitieren. Gesamtwirtschaftlich erhalten die USamerikanischen Verbraucher 58 Cents pro verloren gegangenen Dollar in Form von Ersparnissen zurück. Diese Zahl zeigt einen realen und bedeutenden Vorteil: Schuhe, Kleider, Computer oder Haushaltsgeräte sind heute viel billiger als früher, weil sie in Fernost hergestellt werden, und dadurch haben die Verbraucher mehr Geld in der Tasche. Die Aktienbesitzer der Firma bekommen einen kleinen Anteil von diesen 58 Cents, weil sie einen Teil der Kostenersparnis einstreichen können. Zweitens: Es kommt zu kleineren zusätzlichen Gewinnen, weil die gewonnene wirtschaftliche Aktivität in Indien einen etwas stärkeren Export aus den USA nach Indien nach sich zieht (5 Cents) und weil einige indische Firmen (teilweise) amerikanischen Firmen gehören, die somit ebenfalls vom erhöhten wirtschaftlichen Aktivitätsniveau profitieren (4 Cents). Insgesamt gesehen erhält die US-Wirtschaft also 67 Cents des verloren gegangenen Dollars auf direktem Wege durch die billigere Produktion zurück. Aber diese Zahl berücksichtigt immer noch nicht die Tatsache, dass die arbeitslosen Mitarbeiter (und Manager) sowie die leeren Gebäude nicht einfach nichts tun bzw. leer stehen; sie finden andere Arbeitsplätze bzw. andere Verwendungen. Der Wiedereinsatz der Anlagen und Mitarbeiter für andere produktive
9.3 Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“
137
Tätigkeiten ist eine weitere ergiebige Quelle, um etwas von der verloren gegangenen Investition zurückzubekommen (46 Cents). Insgesamt ergibt sich ein unerwartetes Bild. Obwohl $1 verloren geht, also scheinbar aus dem Wirtschaftskreislauf verschwindet, erhält die US-Wirtschaft am Ende $1,13 zurück und erzielt somit einen Nettogewinn. Daraus schließen wir, dass in diesem Szenario die Verlagerung von Arbeitsplätzen sowohl für die indische als auch für die amerikanische Wirtschaft profitabel ist: Indien profitiert, da es an Arbeitsplätzen und wirtschaftlicher Aktivität zulegt, und die US-Wirtschaft profitiert, da sie die Profite einstreicht, die durch die niedrigeren Kosten entstehen, und Produktionsfaktoren (Kapital und Arbeitskraft) auf anderen, produktiveren und/ oder innovativen Gebieten einsetzen kann. Es handelt sich also um nichts anderes als um ein Beispiel für das Gesetz vom gegenseitigen Nutzen des Handels – beide Volkswirtschaften spezialisieren sich und treiben Handel, und im Ergebnis wird das Gesamtsystem (beide Länder) produktiver. Denken Sie daran: Produktivität schafft Wachstum. Abbildung 9.5 zeigt auch einen Gegensatz zwischen dem US-Nettogewinn durch Offshoring und der Auswirkung der gleichen Offshoring-Entscheidung auf die deutsche Volkswirtschaft (unterer Teil von Abb. 9.5). Auch hier geht €1 an Indien verloren, die Anlagen stehen leer und die Mitarbeiter sind arbeitslos. Nach Aussage der Studie erhält die deutsche Wirtschaft nur 80 Cents des verloren gegangenen Euros zurück, erleidet bei der Arbeitsplatzverlagerung also einen Nettoverlust. Weshalb? Wegen größerer Starrheit auf dem Produkt- und Arbeitsmarkt (beides farbig hervorgehoben). Zunächst einmal profitiert der deutsche Verbraucher nur mit 48 % (und nicht 58 %) von der Arbeitsplatzverlagerung, da die Preise nicht so stark sinken wie in Amerika. Steuern, Flächennutzungspläne, Öffnungszeitbeschränkungen, Preisverordnungen und eine Vielzahl anderer Regularien schränken den Wettbewerb ein und verhindern, dass die Effizienzgewinne an den Verbraucher weitergegeben werden.11 Zweitens werden weniger Arbeitskraft und Kapital wieder eingesetzt, so dass dadurch nur 29 Cents (statt 46 Cents) an die Wirtschaft zurückfließen. Strenge Kündigungsvorschriften und hohe Lohnnebenkosten lösen bei den Firmen Zurückhaltung bei Neuanstellungen aus, sie verlassen sich lieber auf Automatisierung und Zeitarbeit. Andere, umfassendere Studien zeigen jedoch, dass das Bild der unteren Hälfte von Abb. 9.5 auch für Deutschland positiver aussieht. Es gibt viele Motive für Offshoring, und es zeigt sich, dass die Mehrzahl der Firmen, zumindest in Deutschland, Arbeitsplätze hauptsächlich verlagern, um neue Märkte zu erschließen und geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren, und nicht nur, um Kosten zu sparen.12 Studien aus Deutschland und den USA zeigen, dass Unternehmen die Arbeitsplätze ins Ausland verlagern, um neue Märkte zu erschließen und tendenziell die Zahl der Arbeitsplätze zu Hause erhöhen: In vielen Fällen entstehen durch Offshoring sogar auf Firmenebene im Heimatland mehr Arbeitsplätze, wie wir in den Fallbeispielen dieses Buches gesehen haben. 11 12
Lewis (2004) und Jørgensen (2005). Buch und Schnitzer 2007, S. 47 und 52.
138
9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren
Auf volkswirtschaftlicher Ebene führt Offshoring (oder allgemeiner ausgedrückt Direktinvestitionen deutscher Firmen im Ausland) in westliche Staaten ganz klar zu mehr Arbeitsplätzen in Deutschland, und sogar die Arbeitsplatzverlagerung nach Osteuropa und Fernost reduziert, statistisch gesehen, nicht die Zahl der Arbeitsplätze in Deutschland.13 Zudem führen Direktinvestitionen im Ausland in einem Wirtschaftssektor nicht zu verminderten Löhnen in diesem Sektor – die im Zuge des Offshoring im Heimatland geschaffenen Arbeitsplätze sind im Allgemeinen höher qualifiziert und höher bezahlt als vorher (wie bereits diskutiert). Anders ausgedrückt: Markterschließendes Offshoring schafft in Deutschland mehr Arbeitsplätze, als durch kostenreduzierendes Offshoring verloren gehen, d. h. die wirtschaftliche Gesamtbilanz ist für Deutschland eher positiv als negativ. Die Botschaft der wirtschaftlichen Daten ist ganz klar – man muss bei der Bewertung von Offshoring sämtliche Arten von Arbeitsplatzverlagerungen in Betracht ziehen und nicht nur – wie in Abb. 9.5 – Verlagerungen von Hochlohn- in Niedriglohnländer aus Kostengründen.
9.3.2
Konsequenzen für Unternehmen und Entscheidungsträger
Nachdem wir uns die Sachlage über die Auswirkungen der Arbeitsplatzverlagerungen angeschaut haben, kommen wir zu dem Schluss, dass die Hauptverantwortung für Firmen und Wirtschaft insgesamt darin besteht, (global) wettbewerbsfähig zu sein und zu bleiben. Dies setzt voraus, Strukturen und sich selbst im Zuge der ständig wechselnden Anforderungen der Weltwirtschaft zu verändern. Zwei überaus wichtige Hilfsmittel zur erfolgreichen Durchführung dieser Veränderungen – technischer Fortschritt und Offshoring oder Outsourcing – sind notwendig und unvermeidlich auf dem Wege zu mehr Spezialisierung und Produktivitätsverbesserungen, die unseren Wohlstand erzeugen. Dies führt jedoch zu Turbulenzen und zu Betroffenen, die auf lokaler Ebene verlieren. Die Gesellschaft muss Möglichkeiten schaffen, die sie den Verlierern solcher Restrukturierungsmaßnahmen kurzfristig anbieten kann. Arbeitsplatzverlagerungen werden in der Presse oft als Kostenreduktionsmaßnahmen dargestellt, und 50 % der Manager in den Managerseminaren bei INSEAD teilen diese Ansicht. Die eigentlichen Gründe sind jedoch vielschichtiger. • Offshoring kann einem Unternehmen zusätzliche Kapazitäten bereitstellen, um Nachfragespitzen abzupuffern. So kann während eines begrenzten Zeitraums hoher Nachfrage eine flexible Fabrik, beispielsweise in Osteuropa, ein zusätzliches Volumen eines bestimmten Produktes herstellen. • Offshoring ist ein Weg, um neue Märkte zu verstehen und/oder anzuvisieren. Wemhöhner beispielsweise, ein Gewinner des IEA 2007 und eine kleine Firma mit nur 300 Angestellten, die Maschinen zur Produktion von Holzpaneelen herstellt, eröffnete eine Fertigung und ein Verkaufsbüro in China, um auf dem schnell wachsenden chinesischen Markt Fuß zu fassen. 13
Buch und Schnitzer 2007, S. 137 und 147.
9.3 Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“
139
• Offshoring ist ein Weg zur Gewinnung guter Mitarbeiter. So sprachen wir in letzter Zeit mit mehreren europäischen Firmen, die dabei waren, Forschungsund Entwicklungszentren in Osteuropa, Indien und China zu bauen, weil der europäische Arbeitsmarkt für qualifizierte Ingenieure leergefegt war. • Offshoring kann Zugang zu wissenschaftlichen oder marktspezifischen Informationen bieten. So betreibt beispielsweise die japanische NTT Docomo ein F&E-Zentrum in München, um bezüglich des europäischen Telekommunikationsmarktes auf dem neuesten Stand zu bleiben. Ostasiatische Universitäten und Forschungszentren rüsten rapide auf und steigen in den internationalen Ranglisten – denken Sie dabei nur an die Spitzenposition, die Indien seit kurzem im Bereich tropische Krankheiten innehat. • Schließlich kann Offshoring einer Firma Zugang zu neuen Fähigkeiten bieten. Das Beispiel Zyme Solutions zeigt, dass Software-Unternehmen in Indien (u. a. in der Region Bangalore) international führend in den Bereichen Softwareentwicklung für Prozesse sowie Bereitstellung von Lohnarbeit und Systemen zur Projektdurchführung sind. Unternehmen bauen Zentren in Bangalore auf, nicht etwa um Kosten zu sparen (für Standorte und Manager in Bangalore sind die Kosten genauso hoch wie in Kalifornien), sondern um Zugang zu erstklassigen Prozessen zu erlangen. Die Unternehmen können daraus lernen, dass der eng gefasste Einsatz von Offshoring, also einzig und alleine um Kosten zu sparen, eine defensive Strategie ist, ein Aspekt, der zwar nicht vernachlässigbar, aber dem Gesamtbild der Arbeitsplatzverlagerung immer weniger gerecht wird. Die besten Unternehmen nutzen Offshoring proaktiv als strategisches Mittel in vielerlei Hinsicht. Um dies zu verdeutlichen, gehen wir zurück zum Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm aus Kap. 1. Abb. 9.6 zeigt, dass Offshoring ein Unternehmen auf allen strategischen Dimensionen helfen kann: beim Zugang zu fähigen Mitarbeitern und Know-how für Innovation und Differenzierung (links), beim Zugang zu weiteren Märkten (rechts) und beim Zugang zu Partnern und neuen Fähigkeiten (unten). Nehmen wir als Beispiel den Automobilkonzern Renault, der durch seine Investitionen in den rumänischen Hersteller Dacia seine Verkaufszahlen in Osteuropa (und in Frankreich durch das Modell Logan) erhöhen konnte, was wiederum zu einer höheren Anzahl Stellen im französischen Hauptsitz und Konstruktionszentrum führte. VW verstärkt seine F&E-Aktivitäten in China, was den Konzern in die Lage versetzen wird, mehr Automodelle als bisher zu entwickeln und dadurch zumindest einige Stellen in Deutschland zu schaffen. Partnerschaften zwischen europäischen und indischen pharmazeutischen Unternehmen haben den Europäern dabei geholfen, Medikamente aus ihnen vorher unbekannten Wirkstoffen zu entwickeln. Nutzt man Offshoring auf diese breitere Art und Weise, wird daraus ein strategisches Mittel mit einem sehr viel höheren Wertschöpfungspotential. Und damit schafft es eher Arbeitsplätze als sie zu vernichten. Erinnern Sie sich an die Argumente in Kap. 1 (Abb. 1.1) – die Voraussetzung für Wachstum in einer Branche ist das Wachstum ihrer erfolgreichsten Unternehmen. Und wie wir in Kap. 10 sehen
140
9 Offshoring und Arbeitsplätze: Zyme, Dyson und einige allgemeine Lehren Kosten und Produktivität Offshoring zur Kostenreduktion
Offshoringt für Innovation: neue Produkte und Dienstleistungen Differenzierung: • Innovation: neue Produkte und Prozesse, einzigartige Aktivitäten • Nähe zum Kunden • Dienstleistungspakete Offshoring für neue Fähigkeiten
Abb. 9.6
Organisatorische Fähigkeiten: • Beherrschung von Kernprozessen • Managementqualität: Mitarbeitermobilisierung (messen, delegieren, integrieren, kommunizieren, zur Beteiligung anregen, Mitarbeiterqualifikationen entwickeln).
Geografische Reichweite: • Wachstumsmärkte mit wichtigen wirtschaftlichen Aktivitäten erschließen Offshoring für neue Märkte
Zusammenarbeit in Netzwerken: • Verbunden mit geografischer Reichweite (z.B. Vertriebskanäle) • Kapazitätsausweitung • Zugang zu mehr Know-how • Zugang zu neuen Talenten
Offshoring als strategische Maßnahme
werden, gibt es Hinweise darauf, dass es bei einem Erfolg dieser Unternehmen zu einer „positiven Spirale“ kommt. Wir haben allerdings auch gesehen, dass Offshoring zu Gewinnern und Verlierern in einer Gesellschaft führt, wobei die meisten der Verlierer zu den weniger Ausgebildeten gehören. Aus diesem gesamtwirtschaftlichen Effekt sollten Entscheidungsträger und Politiker Konsequenzen ziehen. Die Schlussfolgerung lautet nicht, dass die europäischen Länder einfach die Schutzregularien für diese Gruppe reduzieren sollten, um dem Fortschritt nicht im Wege zu stehen (trotz der Stimmen von Unternehmensseite, nach denen die Arbeitnehmer zu verwöhnt seien und im Interesse der Wirtschaft Privilegien verlieren müssten). Keiner kann ein Interesse daran haben, eine ganze Bevölkerungsschicht vom Wohlstand auszuschließen. Ein solcher Verlust jeglicher Zukunftsaussichten für eine Bevölkerungsgruppe liefe nicht nur allen demokratischen Prinzipien zuwider, sondern würde auch zu einer Erstarkung der politischen Rechten und zu Unruhen führen – so gingen z. B. Ende 2005 in Paris und Marseilles 10.000 Autos in Flammen auf. Die Herausforderung besteht somit darin, die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft dabei zu unterstützen, sich dem wirtschaftlichen System anzupassen, und die Veränderungen, die sie nicht meistern können, abzupuffern, ohne jedoch den wirtschaftlichen Wandel aufhalten zu wollen. Die makroökonomischen Vorteile des Offshoring sind wohlbekannt. Mit den Worten von Buch und Schnitzer (2007, S. 162) lassen sich die Konsequenzen für die Politiker folgendermaßen zusammenfassen: „Eine Empfehlung, die Tätigkeit multinationaler Unternehmen zu beschränken, lässt sich daher nicht rechtfertigen. Gleichzeitig muss aber auch betont werden, dass sich ein erhebliches Maß
9.3 Die Debatte: „Vernichtet Offshoring Arbeitsplätze?“
141
an Heterogenität zwischen Unternehmen, Sektoren und Regionen zeigt. In einigen Bereichen wird Beschäftigung abgebaut, in anderen entstehen neue Arbeitsplätze. Die Märkte und Arbeitnehmer müssen daher flexibel genug sein, um einen Wechsel aus denjenigen Sektoren und Unternehmen, in denen die Beschäftigung sinkt, in die Sektoren und Unternehmen, in denen die Beschäftigung steigt, zu ermöglichen. Dies erfordert neben geeigneten Rahmenbedingungen auf den Arbeitsmärkten auch ein hohes Maß an Flexibilität und eine qualifizierte Ausbildung der Arbeitnehmer. Aufgabe des Sozialstaates ist es, denjenigen Personen zu helfen, welche den neuen Anforderungen nicht aus eigener Kraft gewachsen sind. Unternehmen und Arbeitnehmer vor dem internationalen Wettbewerbsdruck direkt zu schützen, ist dagegen keine sinnvolle Strategie, da wichtige Wohlfahrtsgewinne der Internationalisierung verloren gingen.“ Dieses Buch ergänzt das makroökonomische Bild, indem es zeigt, dass die Vorteile auch auf der Ebene erfolgreicher individueller Firmen bestehen. Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Manager: Ihre erste Verantwortung gegenüber der Gesellschaft besteht darin, die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen; auf längere Sicht zerstören Sie dadurch keine Arbeitsplätze, sondern tragen dazu bei, dass welche geschaffen werden. Die Wettbewerbsfähigkeit beruht auf der Qualität des Managements und der strategischen Positionierung, die beide neben der Arbeitsplatzverlagerung noch viele andere Aspekte haben, wie wir in diesem Buch immer wieder gezeigt haben. Sie müssen jedoch die Auswirkungen Ihres Handelns auf regionaler Ebene bedenken und Hilfestellung leisten, wenn Sie können. Hören Sie auf, sich über Politiker und Gewerkschaften zu beklagen, und kooperieren Sie mit ihnen, um Lösungen zu finden, bei denen beide Seiten gewinnen. Dies soll das Thema des letzten Kapitels sein.
Kapitel 10
Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
In diesem Kapitel diskutieren wir, was Führungskräfte und Politiker möglicherweise aus den Beispielen und Beobachtungen in diesem Buch lernen können. Am Anfang unserer Argumente stand die Beobachtung, dass Führungskräfte von Industrieunternehmen für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Firmen verantwortlich sind – durch Managementqualität oder die Fähigkeit, ihre Mitarbeiter zu mobilisieren, und durch die Umsetzung attraktiver strategischer Positionen (zusammengefasst im Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm in Kap. 1). Die Fallbeispiele in den Kap. 2–9 haben gezeigt, dass alle Positionen im Diagramm in Deutschland und Frankreich durchführbar sind. Schließlich haben wir dargelegt, dass Offshoring, also die Verlagerung bestimmter Aktivitäten in Niedriglohn- oder in Industrieländer, seinen schlechten Ruf als „Job-Killer“ nicht verdient. Im Gegenteil – Offshoring scheint Werte, Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen; das trifft auf die Unternehmen zu, die wir in diesem Buch vorgestellt haben und die sie nicht nur als Mittel zum Kostensparen, sondern strategisch einsetzen. Auch die Schaffung von Arbeitsplätzen lässt sich in systematischen Studien auf volkswirtschaftlicher Ebene belegen. Dennoch gibt es Herausforderungen, zu denen die hohe Fluktuation, Aus- und Weiterbildung und die Mobilität der Mitarbeiter gehören. Wie diese sozialen Fragen auf politischer Ebene anzugehen sind, kann dieses Buch nicht ausführlich besprechen, geschweige denn lösen. Unser Punkt ist, dass Führungskräfte ihren Teil der Verantwortung annehmen und Politiker erkennen müssen, dass ihre Verantwortlichkeit darin besteht, den Firmen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen und sie nicht zu bekämpfen oder nur als Milchkühe zur Unterstützung der bedürftigen Teile der Volkswirtschaft zur Kasse zu bitten. Und schließlich argumentieren wir, dass es in Deutschland und Frankreich einen unzureichend ehrlichen Dialog zwischen dem öffentlichen Sektor und den Unternehmen gibt.
C. H. Loch et al., Managementqualität und Wettbewerbsfähigkeit, DOI 10.1007/978-3-540-85186-8_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
143
144
10.1
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
Die Verantwortung der Führungskräfte
10.1.1 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit und der Markt für Führungskräfte In den Kap. 2 bis 9 haben wir beispielhafte Firmen vorgestellt, die global wettbewerbsfähig sind. Aber dies gilt natürlich nicht für alle Unternehmen. In Deutschland erinnert man sich noch gut an die spektakulären Pleiten von z. B. Holzmann und KirchMedia, und auch Frankreich hat Ähnliches mit Firmen wie Alstom erlebt. Vor allem in Deutschland hat man zu Beginn des Jahrzehnts eine Managementkrise gesehen, und deutsche Firmen allgemein wurden im Vergleich zu anderen Unternehmen mit gleichen Verkaufs- und Gewinnzahlen sowie Wachstumsprognosene an den Aktienmärkten unterbewertet.1 Nach starken personellen Veränderungen im Management zahlreicher großer Firmen verstärkten Private Equity Fonds – private Beteiligungsgesellschaften, die Firmen kaufen, umstrukturieren und wieder verkaufen – ihre Aktivitäten in Deutschland. Übernahmen durch Private Equity Fonds waren sehr umstritten, da sie nach gängiger Auffassung zu gnadenlosen Arbeitsplatzverlusten und Standortverlagerungen in Niedriglohnländer führen. Ein bekannter Politiker prägte den Ausdruck „Heuschreckenplage“, um die Ausplünderung des Landes durch private Investoren zu beschreiben. In der Presse wurde häufig das Beispiel der Firma Grohe angeführt, die zweimal an Investoren verkauft wurde, sich während dieses Prozesses stark verschuldete und anschließend ein Werk nach Osteuropa verlagern wollte, um ihre Produktionskosten zu senken. Die Reaktionen in Frankreich waren ähnlich – die Regierung ernannte beispielsweise eine Anzahl „strategischer Branchen“, die nicht in ausländische Hände fallen durften. Als die Presse davon Wind bekam, dass eines dieser strategischen Unternehmen der Joghurt-Hersteller Danone war, machten sich Zeitungen und Kommentatoren über die „Festung Frankreich“ lustig. So wie im Falle von Offshoring haben Equity Fonds ihren Ruf, Arbeitsplätze zu vernichten, jedoch nicht verdient. Schauen wir uns die Belege dafür an. Die Hebel, die Private Equity Fonds einsetzen, um die Bewertung der von ihnen gekauften Firmen steigen zu lassen, gehen weit über Kosten- und Arbeitsplatzreduzierungen hinaus. Abbildung 10.1 zeigt einen Wertebaum mit den wichtigsten Faktoren für eine Bewertung; die Hebel beeinflussen die Bewertung durch die Finanzmärkte und verbessern die Geschäftsfinanzen durch die Beeinflussung der Renditegleichung: (Ertrag – Gewinnspanne)/Kapitalinvestitionen. Finanz-Arbitrage (das Aushandeln eines vorteilhaften Abschlusses mit dem Verkäufer) und Finanz-Engineering (Aufnahme von Krediten durch die Firma und das Verhandeln vorteilhafter Kreditbedingungen) stellen nur zwei dieser Wertehebel dar, doch die öffentliche Debatte über Private Equity scheint sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, vielleicht aufgrund von pikanten Geschichten, die zynische Verdachtsmomente bestätigen. 1
Siehe Economist (2005).
10.1 Die Verantwortung der Führungskräfte
145 Geschäftssortiment (“Konglomeratabschlag”)
Bewertung im Finanzmarkt
Wert einer Firma
Bewertung
Finanzarbitrage (Verhandlungen) Finanzleistung
Einnahmen
Strategie und Differenzierung: Fokus, Abverkauf, Eiminierung von Quersubventionen Strategieprüfung und Beratung Unternehmergeist Managereffektivität: Verantwortlichkeit, Anreize, Überwachung
Wertschöpfung
Margen
Eingesetztes Kapital
Abb. 10.1
Operative Effektivität: Kostenreduktion und Margenerhöhung Reduktion von Anlage- u. Umlaufkapital: Forderungen, Bestände, Anlagen, Immobilien Kapitalstrukturoptimierung (z.B. Kredite) Kreditbedingungsverhandlungen Steueroptimierung
Die Arbeit der Private Equity Investoren2
Weniger häufig diskutiert wird die Tatsache, dass Private Equity Firmen auch echte Wertschöpfung anstreben und dazu verschiedene Hebel einsetzen. Normalerweise bereinigen die Investoren zunächst das Geschäftsspektrum der Firma und konzentrieren sich auf einen Kern miteinander in Verbindung stehender Aktivitäten. Diese Maßnahme erleichtert die Unternehmensführung und erhöht die Bewertung, da die Aktienmärkte heutzutage einen Geschäftsschwerpunkt bevorzugen (auf dem Aktienmarkt gibt es einen Konglomeratabschlag, der die Modeerscheinung aus den 1980er Jahren wieder umkehrt). Die Umstrukturierungsgruppe legt auch großen Wert auf eine schnelle Verbesserung der Finanzleistung. Kostensenkungen und Effizienzverbesserungen machen die Firma wettbewerbsfähig, und obwohl bisweilen auch Arbeitsplätze gestrichen werden, wird das Fundament für einen gesunden Betrieb gelegt, der nun wieder mitspielen und wachsen kann. Mit Hilfe erfahrener Wirtschaftsexperten verbessert der Investor die strategische Positionierung des Unternehmens, was oftmals das Abstoßen verlustreicher, unbedeutender Geschäftsaktivitäten bedeutet, die sich aufgrund mangelnder Managementdisziplin angesammelt haben. Ein ineffektives Management wird verändert, und in vielen Fällen verbessern22 sich tatsächlich die Kultur und der Geist innerhalb des Unternehmens, da plötzlich Veränderungen zum Guten möglich sind, die vorher vielleicht blockiert wurden. Diese Diskussion deutet an, dass Private Equity in Verbindung mit der Übernahmegefahr durch schnell wachsende Firmen aus asiatischen Ländern ein nützliches Druckmittel auf die Unternehmensführung darstellt: Wenn Sie Ihre Firma 2
Siehe Berg und Gottschalg (2003).
146
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
nicht wettbewerbsfähig machen (d. h., wenn Sie so stark hinter den Erwartungen zurückbleiben, dass die Märkte Sie unterbewerten), dann ist die Firma ein Übernahmekandidat, und Sie werden hinausgedrängt, weil Ihre Leistungsschwäche für andere eine Gelegenheit bietet, es besser zu machen und Werte zu schaffen. Dadurch spüren die Führungskräfte und sogar Vorstände den Druck zu Verbesserungen – ein Investmentbanker meinte: „Niemand fühlt sich sicher, angefangen von Eon und Siemens.“3 In der Tat sind Firmen, die nach einer Umstrukturierung durch Private Equity Investoren zurück an die Börse gebracht wurden, erfolgreicher als andere Börsenneulinge,4 und allgemein geben Private Equity Investitionen dem Firmenwachstum und den Kapitalrenditen neuen Auftrieb, z. B. zum Vorteil von nationalen Rentenkassen.5 Nach der „Sub-Prime-Krise“ in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 (Immobilienkrise, die durch generell falsch bewertete Immobilienschuldverschreibungen ihren Anfang nahm) haben die Übernahmen durch Private Equity Investoren abgenommen, da es immer schwerer wird, Kapital aufzubringen – an Gelegenheiten, die Leistungen von Unternehmensführungen zu verbessern, mangelt es nicht.6 Wettbewerbsfähigkeit erfordert Leistungsverbesserungen, und zwar nicht nur von den Mitarbeitern, sondern auch vom Management. Leitende Führungskräfte verfügen über subtile Mittel, sich selbst zu schützen, doch Übernahmen und Private Equity bieten zusätzliche wirtschaftliche Hebel, um sie dem Wettbewerb auszusetzen; es handelt sich also um einen sekundären Korrekturmechanismus, falls die Aufsichtsräte versagen. Führungskräfte müssen sich diesem Wettbewerb stellen, doch ist die Bitte um Schutz weiterhin weit verbreitet. Beispiele dafür sind in Deutschland der zuvor erwähnte Fall von Philip Holzmann und das durch die EU angeschossene „VW-Gesetz“, das der niedersächsischen Landesregierung eine Sperrminorität im Aufsichtsrat von VW sichert, in Frankreich der Schutz von Alstom und die aktive Regierungsunterstützung der Übernahme von Aventis durch Sanofi sowie in den USA die Erhöhung der Zölle für Stahl im Jahr 2002. Gewöhnlich werfen Unternehmen den Regierungen Einmischung in die Märkte vor; wenn sie jedoch bedroht sind, fordern sie genau diese Einmischung. Die Versuchung ist natürlich groß, aber wir müssen erkennen, dass ein Ersuchen um staatliche Hilfe und Schutz in schlechten Zeiten den Wettbewerb außer Kraft setzt.
10.1.2
Der Firmenbeitrag für die Gesellschaft: Überschüsse
In Abschn. 1.1 haben wir erneut unsere frühere Schlussfolgerung aufgegriffen, dass die Verantwortung der Firmen für Wirtschaft und Gesellschaft darin liegt, sich auf Unternehmens- und Managementebene dem Wettbewerb zu stellen. Die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in einem Industriesektor liefert die Grundlage für die nationale Wettbewerbsfähigkeit, wie in Abb. 10.2 dargestellt. 3 4 5 6
Wie in Milne (2006) zitiert. Siehe Cao und Lerner 2006, Economist (2007b). Siehe Economist (2007c). Politi und Guerrera (2007).
10.1 Die Verantwortung der Führungskräfte Die wichtigste Verantwortung einer Firma ist Wettbewerbsfähigkeit! Firmenstrategie, Struktur und Rivalität Faktor• Physische bedingungen Ressourcen • Know-how • Ausbildung der Bevölkerung • Kapital • Infrastruktur
• Ziele (Eigentum, Motivation der Eigentümer, Führung, Kultur) • Konkurrenzintensität • Bildung neuer Märkte
Nachfragebedingungen verwandte und unterstützende Branchen
• anspruchsvolle Kunden • durchschnittliche oder führende Kunden
Liefer- und verwandte Branchen
Nebenbei haben Firmen die kollektive Verantwortung, das Gesamtsystem, den Wohlstand des Landes, in dem sie arbeiten, zu beeinflussen
Abb. 10.2
147
• Regierung • Glück Ausbildung, Regulierung, Firmengründungen, Besteuerung, Arbeitsbeziehungen, Wissenschaft und F&E, Kultur
Die Verantwortungsbereiche des Unternehmensmanagements7
Betrachten Sie das Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm in Kap. 1 (Abb. 1.3) als detailliertere Verfeinerung des oberen Kästchens (Firmenstrategie, Struktur und Konkurrenz) in Abb. 10.2. Abbildung 10.2 hebt die Wechselwirkung zwischen der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und der Volkswirtschaft hervor – die Unternehmen beeinflussen die Attraktivität von Faktor-, Industrie- und Marktbedingungen. Länder mit üppigen natürlichen Ressourcen haben einen offensichtlichen Vorteil (z. B. Norwegen und die arabische Halbinsel mit Öl-, Brasilien mit Metallvorkommen). Werden diese natürlichen Ressourcen jedoch nicht von wettbewerbsfähigen Unternehmen, anspruchsvollen Kunden, welche die Produzenten zur Leistung drängen, und dem aktiven Aufbau einer qualifizierten Erwerbsbevölkerung begleitet, bleiben die Länder auf lange Sicht arm. Darüber hinaus bilden konkurrenzfähige Unternehmen das Fundament für ein wettbewerbsfähiges Land, denn sie produzieren „Überschüsse“. Das bedeutet, eine wettbewerbsfähige Branche, in der sich energische Konkurrenten miteinander messen, lässt Zulieferer (z. B. Autozulieferbetriebe, Ausrüstungslieferanten für Chip- und Computerhersteller) und ergänzende Industrien für verwandte Produkte (z. B. Kommunikationsgeräte, die im Zuge von kabellosen Netzwerken und Internet entwickelt werden) entstehen. Werden in einem Land Wohlstand und wettbewerbsfähige Ansammlungen von Betrieben ähnlicher Ausrichtung erreicht, dann setzen der hohe Entwicklungsstand der jeweiligen Branche und die Bevölkerung diese Industrieansammlungen unter Druck, höchste Leistungen zu erbringen (Abb. 10.2).77
7
Diese Grafik basiert auf Porters Diagramm über die industrielle Wettbewerbsfähigkeit von Ländern (1990, S. 70–127).
148
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
Neben der Schaffung von wirtschaftlichem Wohlstand und Überschüssen sollten sich die Unternehmen auch für die Unterstützung ihres gesellschaftlichen Umfeldes engagieren – nicht nur aus moralischer Verpflichtung, sondern weil es auch ein gutes Geschäft ist. Gesellschaftliches Engagement treibt die positive Spirale an, in der von Wohlstand und Kultiviertheit umgebene Menschen noch mehr leisten möchten. Denken Sie an die Manganhütte RDME aus Kap. 8. RDME organisiert seine Beziehung zum gesellschaftlichen Umfeld konstruktiv, trägt aktiv zum Gemeinschaftsleben bei und unterstützt Projekte in der Stadt Grande-Synthe. Im Dezember 2003 erhielt RDME den Grande-Synthe-Preis als eines der dynamischsten und innovativsten Unternehmen der Region, für seine Aktivitäten, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Unterstützung öffentlicher Projekte. Gute Beziehungen in der Region sind an sich schon etwas Gutes, aber sie können sich auch positiv aufs Geschäft auswirken. Wie bereits in Kap. 8 erwähnt, hatte RDME nach dem Wiederanfahren des Ofens einige Probleme mit erhöhten Rauchemissionen, aber dank seines bisherigen guten und transparenten Umweltmanagements und der ständigen und über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehenden Kontakte zu den örtlichen Behörden erhielt RDME genügend Zeit und Gelegenheit, die beabsichtigten Maßnahmen gegen das Emissionsproblem ausführlich darzulegen. Ältere Leser haben nach diesem Abschnitt vielleicht ein déjà vu: In den frühen 1970er Jahren gab es einen öffentlichen und wirtschaftlichen Stimmungsumschwung vom Kapitalismus hin zu der Ansicht, dass Unternehmen für die Schaffung von Wohlstand in der Volkswirtschaft verantwortlich seien. Einer unserer älteren Kollegen formuliert es folgendermaßen: „In der sozialistischen Ära der 1970er Jahre sollten die Firmen alles machen. Dies stellte sich als unhaltbar heraus, und als Folge hatten wir 15 Jahre später einen grassierenden Mangel an Wettbewerbsfähigkeit. In den 1980er Jahren kehrte man zurück zum Kapitalismus, und jetzt gibt es wieder einen Umschwung.“ Vielleicht erleben wir Stimmungsschwankungen, dennoch geben uns die wirtschaftlichen Belege klare Leitlinien: Die größte Verantwortung der Unternehmen – im juristischen und moralischen Sinne – ist die Wettbewerbsfähigkeit. Aber Firmen dürfen das Gemeinwohl nicht außer Acht lassen, um Solidarität hervorzurufen und ihre Mitarbeiter zu motivieren. Wir beenden diesen Abschnitt mit der Beobachtung, dass europäische Länder trotz der beschriebenen Einschränkungen global durchaus erfolgreich konkurrieren können und es auch tun. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele aus allen Branchen – Chemie, Elektroartikel, Energieversorger, Werkzeugmaschinen, Automobil, Elektronik, Software, Haushaltsgeräte, Banken, Spezialgüter, Pharmazie, Kosmetik und alternative Energieerzeugung, um nur einige zu nennen. Und in sämtlichen Sektoren gibt es in Europa mehrere Weltmarktführer. Ernsthafte Probleme liegen auch im öffentlichen Sektor.
10.2
Die Beiträge von Politik und Gewerkschaften
Dieser Abschnitt widmet sich den Aufgaben von Regierungen und Gewerkschaften zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohlstand. Dieser komplexen Fragestellung vollständig gerecht zu werden, ginge über den Rahmen dieses Buches hinaus
10.2 Die Beiträge von Politik und Gewerkschaften
149
– wir konzentrieren uns auf Aspekte, die eng mit der Interaktion zwischen Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft verbunden sind, was uns wiederum zur Bedeutung eines funktionierenden Dialogs zwischen diesen Parteien führt, der Thema des nächsten Abschnitts sein wird.
10.2.1
Die Verantwortung der Regierung für Produkt- und Arbeitsmarkt
Die Regierung hat erheblichen Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen (siehe Abb. 10.2) durch die Bereitstellung einer Infrastruktur und den Schutz von Eigentumsrechten, aber auch durch Regulierungen (wie die in Kap. 9 besprochenen Beschränkungen auf den Produkt- und Arbeitsmärkten), Sozialbeiträge und Steuern sowie die Bereitstellung öffentlicher Güter, insbesondere des Bildungssystems. Zwei wichtige Bereiche des politischen Einflusses wurden bereits in Kap. 9 besprochen – die mangelnde Fähigkeit der deutschen und anderer europäischer Volkswirtschaften, Umstrukturierungen auszugleichen und damit von Arbeitsbewegungen zu profitieren. In allen Fällen liegen die Gründe in der mangelnden Produkt- und Arbeitsmarktflexibilität. Es gibt klare Anhaltspunkte, dass Produktmarktbeschränkungen, wie z. B. Flächennutzungspläne, Preisbegrenzungen oder gezielte Subventionen, den Wettbewerb einschränken und zu geringerer Effizienz, Produktivität und zu weniger Wachstum führen. Die Politik sollte daher davon absehen, sich in Detailangelegenheiten einzumischen. Obwohl die Versuchung groß ist, aus Korrekturen in Einzelfällen unmittelbare Vorteile zu ziehen, werden die indirekten Kosten für die Gesamtwirtschaft in der Regel unterschätzt. Wettbewerbsmindernde Regulierungen scheinen in großen europäischen Ländern allgemein zu einem geringeren Wachstum beigetragen zu haben.8 Das zweite große Problem ist die Arbeitsmarktflexibilität. So hat sich der übermäßige Schutz von Arbeitsplätzen, auch wenn er gut gemeint ist, als Eigentor erwiesen und die Schaffung vieler Arbeitsplätze verhindert. Jegliche Lockerung des Kündigungsschutzes scheint Proteststürme zu erzeugen, welche die Politiker schwanken lassen – denken Sie z. B. an die französische Regierung unter De Villepin 2006. Aber es gibt auch Beispiele für vielversprechende politische Maßnahmen, wie das berühmte dänische „Flexicurity“-Modell. Anfang der 1990er Jahre erleichterte Dänemark den Unternehmen das Kündigen von Mitarbeitern, allerdings fristgemäß und mit Abfindung. Dafür erhalten die Arbeiter und Angestellten großzügige Arbeitslosenunterstützung und andere Übergangsleistungen. Seit 2000 werden Arbeitslose, die ein Arbeitsplatzangebot nicht annehmen oder nicht aktiv nach Arbeit oder Fortbildung suchen, durch erhebliche Leistungskürzungen bestraft. Außerdem müssen sie – vor allem junge Arbeitslose unter 25 – an Schulungskursen teilnehmen. Zusammenge8
Siehe Nicoletti und Scarpetta (2003).
150
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
fasst erzielte Dänemark in den letzten Jahren hervorragende Resultate mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5 im ersten Halbjahr 2006 und einer Arbeitslosenquote von nur 4 %.9 Allerdings gehört das dänische Modell zu den teuersten (5 % des BIP 2001), was zum Teil daran liegt, dass neben 4 % Arbeitslosen weitere 5 % der relevanten Bevölkerung an Weiterbildungs- oder Übergangsmaßnahmen teilnehmen.10 Daher behaupten einige Kritiker, das Problem sei einfach nur aus dem Fokus der Öffentlichkeit, nämlich der Arbeitslosenstatistik, entfernt worden. Weitere Kritik kommt aus allen möglichen unerwarteten und kreativen Richtungen – so meinen z. B. einige Arbeitsökonomen, das dänische Modell beruhe auf einer Kultur „öffentlichen Geistes“ (d. h. einer relativ geringen Neigung, das Sozialsystem zu betrügen) und sei daher nicht auf Länder wie Frankreich oder Italien übertragbar.11 Diese Kritik am dänischen Modell erscheint übereilt. Tatsächlich hat auch Dänemark Sozialbetrug erlebt und daher die Großzügigkeit des Systems eingeschränkt sowie die Kontrolle und die Anforderungen an die Arbeitslosen ab 2000 verschärft. Zudem sind kulturelle Gepflogenheiten weniger starr, als man denkt – französische Autofahrer waren angeblich von Natur aus die undiszipliniertesten in Europa, bis der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy 2003 die Bußgelder und Kontrollen radikal erhöhte, worauf sich der Verkehr systematisch verlangsamte und die Unfallrate um die Hälfte sank.12 Obwohl das dänische Modell vielleicht nicht die Gesamtkosten der Arbeitslosigkeit reduziert hat, so hat es doch (in Kombination mit einem weniger starren Produktmarkt und durch Unterstützung eines positiven Geschäftsklimas) nachdrücklich zum wirtschaftlichen Erfolg und zum Wachstum beigetragen und somit indirekt die Belastung von Wirtschaft und Bürgern durch die Arbeitslosigkeit gesenkt. Ein Teil der Wirkung wurde sicherlich durch das Risiko, Leistungen zu verlieren, und den damit verbundenen Anreiz, Arbeit zu finden, erreicht.13 Außerdem vermittelt der Erfolg des dänischen Modells trotz der objektiv geringeren Arbeitsplatzsicherheit den Bürgern allgemein ein stärkeres Sicherheitsempfinden und verhindert das Gefühl des Ausgeschlossenseins. Im Gegensatz dazu beträgt in Frankreich die Arbeitslosigkeit bei den 20–24-Jährigen 24 % (gegenüber 10 % in Dänemark oder Deutschland), und ein kompletter Bevölkerungsteil fühlt sich chancenlos. Ausschreitungen wegen und Proteste gegen die vielen Versuche der französischen Regierung, die Probleme durch Gesetze anzugehen, sind seit Ende 2005 an der Tagesordnung. Schließlich gibt Dänemark von allen Ländern am meisten Geld für Umschulungsmaßnahmen aus (1,5 % des BIP)14 – kurz gesagt, ein Drittel der Gesamtkosten des Systems sind Investitionen in Qualifikationen und keine Verbräuche. 9 10 11 12
13 14
Gemäß der Wirtschaftsstudie des Dänischen Finanzministeriums im Dezember 2006. Siehe Westergaard-Nielsen (2001). Siehe Algan und Cahuc (2006). Die Rate fiel von 184 auf 90 Unfalltote pro eine Million Einwohner; Eurostat News Release 125, 19. September 2006. Handelsblatt (2007). Siehe Economist (2007).
10.2 Die Beiträge von Politik und Gewerkschaften
151
Die weiter reichende Schlussfolgerung ist, dass Arbeitslosigkeit ein komplexes Problem mit vielen Ursachen ist. Das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit ist Wirtschaftswachstum, doch um mit der Arbeitslosigkeit fertig zu werden, bedarf es einer Kombination aus Arbeitsmarktflexibilität, Arbeitslosenunterstützung und Umschulungsmaßnahmen. Große Länder versuchen, das Problem durch zentral ausgehandelte Lösungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen anzupacken, was jedoch zunehmend wirkungslos erscheint – denken Sie nur an die Streiks bei den öffentlichen Verkehrsmitteln in Frankreich und Deutschland im Oktober und November 2007. Die Regierungen müssen stattdessen lernen, dezentrale Experimente zuzulassen und die Erfahrungen aus anderen Ländern mit Experimenten in den eigenen Bundesländern oder Provinzen zu vergleichen. Die Vielfalt der durch solche Experimente gewonnenen Erfahrungen ist die einzige Hoffnung auf dem Weg zu einer effektiveren Politik mit dem Bewusstsein, dass jede Übertragung auf ein anderes Land oder ein anderes Bundesland Modifikationen und Anpassungen an lokale Bedingungen erfordert.15 Das Gleiche gilt für komplexe Innovationen in Unternehmen, die durch dezentrales Experimentieren und Ideentransfers entstehen.16 Die Regierungen der großen europäischen Länder scheitern derzeit an dieser Herausforderung.
10.2.2
Die Verantwortung der Politik für Firmengründungen
Obwohl wir die Verantwortung des Unternehmensmanagements für die Schaffung von Arbeitsplätzen hervorgehoben haben, wäre es sinnlos, von größeren Unternehmen eine große Anzahl neuer Stellen zu erwarten. Per Definition funktionieren Großunternehmen in entwickelten Märkten; sie sind groß, weil sie über lange Zeit gewachsen sind und eine Marktsättigung erreicht haben.17 Firmen in entwickelten Märkten sind einem intensiven Wettbewerb und einer Konsolidierung unterworfen und wachsen ungefähr im gleichen Maße wie das BIP (es sei denn, eine Firma nimmt einer anderen Marktanteile ab), eben weil sie nicht weit von der Marktsättigung entfernt sind. Gute Unternehmen verbessern ihre Produktivität jedoch immer noch um 10 % pro Jahr oder mehr. Daher kommen wir zwangsläufig zu der Schlussfolgerung, dass große Unternehmen normalerweise kaum neue Arbeitsplätze schaffen – im besten Falle erhalten sie diese oder wachsen geringfügig, und zwar nicht, weil es sich um skrupellose Kapitalisten handelt, sondern weil sie unter dem Diktat von Markteffizienz, Wettbewerb und Produktivitätsverbesserung stehen. Große etablierte Branchen wie Pharma, Automobil, Chemie oder Werkzeugmaschinen haben die Zahl ihrer Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren bestens leicht erhöht. Stattdessen schaffen neue Industrien viele neue Arbeitsplätze, wie z. B. die Computerindustrie in den 1980er oder die Mobilfunk- und Telekommunikationsbranche in den 1990er Jahren. Ein aktuelles Beispiel ist die schnell wachsende 15 16 17
OECD (2006). Siehe Loch und Kavadias (2007). Siehe Utterback (1996).
152
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
Solarenergiebranche in Deutschland, die bereits 150.000 Mitarbeiter beschäftigt.18 Neugründungen und kleine Unternehmen sind volatile Arbeitgeber – die meisten Start-up-Firmen überstehen nicht einmal die ersten fünf Jahre, so dass neue Firmen viele Arbeitsplätze schaffen, aber auch zerstören. In den USA gibt es jedoch mehr Neugründungen als in Europa, und wenn auch viele davon nicht überleben, so treten neue an deren Stelle und schaffen wiederum neue Arbeitsplätze.19 Ihrem für Firmengründungen dynamischeren Umfeld verdanken die USA ihre Führungsposition bei den Informationstechnologien, der wichtigsten wachstumserzeugenden Branche der 1990er Jahre. Schätzungen zufolge hat die IT-Branche in den USA mit 0,9 % zum jährlichen BIP-Wachstums beigetragen im Vergleich zu lediglich 0,4–0,5 % in Europa. Dieser Unterschied macht den Löwenanteil der Wachstumsdifferenz zwischen den USA und Europa in der zweite Hälfte der 1990er aus.20 Die Politik muss daraus lernen, mit der Unterstützung scheiternder Unternehmen in rückläufigen Branchen im sinnlosen Versuch, Arbeitsplätze zu retten, aufzuhören. Derartige Versuche sind nicht nur extrem teuer, sondern auch mittel- bis langfristig unwirksam. Die Veränderung der Beschäftigungsstruktur von der Produktion hin zu Dienstleistung sowie von weniger qualifizierten hin zu hoch qualifizierten Arbeitsplätzen ist unvermeidlich; wer versucht, diesen Trend zu stoppen, macht das Problem später nur schlimmer.21 Stattdessen sollte die Politik Wettbewerb fördern, um gesättigte und rückläufige Sektoren zu zwingen, ihre Mitarbeiter möglichst zu halten und überflüssig gewordene Mitarbeiter umzuschulen. Außerdem sollte sie Arbeitsvermittlungsmaßnahmen verbessern und die Bürger unterstützen, die nicht effektiv umgeschult werden können. Bedenken Sie, dass deren Unterstützung häufig billiger ist, als eine ganze Branche am Leben zu erhalten, wie z. B. die Kohleindustrie in Deutschland. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass die Politik Regulierungen, die Neugründungen betreffen, verringern und die Kosten und bürokratischen Belastungen für junge Firmen vermindern sollte, um mehr von ihnen das Überleben zu ermöglichen. Wie schon erwähnt sorgen neue Firmen für Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt, wenn die Menschen aber neue Arbeitsplätze finden können und bei ihrer Suche unterstützt werden, dann sind die psychologischen Auswirkungen der Schwankungen weniger negativ (wie die Erfahrungen in Dänemark und andere Experimente gezeigt haben). Tritt eine neue Branche in Erscheinung, muss die Politik ihr Wachstum fördern, z. B. durch Unterstützung bei der benötigten Infrastruktur. Regierungen haben eine schlechte Bilanz bei der Auswahl und Erkennung erfolgversprechender Firmen und Branchen vorzuweisen (Beispiele von vor zehn Jahren sind die französischen Erfahrungen mit Crédit Lyonnais und die Investitionen der Japaner in MITI) – befindet sich die neue Branche jedoch erst einmal in der Wachstumsphase, kann und sollte die Politik sie fördern. In den USA erfuhr die IT-Branche in 18 19
20 21
Siehe Kröher (2007). Brander et al. (1998) bieten eine ausführliche Analyse für Kanada und betrachten die entsprechenden Zahlen für die USA. Siehe Aiginger (2002) und Brander et al. (1998). Economist (2005b), Boston Consulting Group (2004).
10.2 Die Beiträge von Politik und Gewerkschaften
153
der zweiten Hälfte der 1980er Jahre erhebliche Unterstützung, und das ist aktuell auch der Fall in den Bereichen erneuerbare Energien und Umweltschutz in Europa, vor allem in Deutschland. Die erneuerbaren Energien sind vielleicht der wichtigste Wachstumsmotor für Europa im kommenden Jahrzehnt, so wie es die IT-Branche in den 1990ern für die USA war. Um ihre Führungsposition zu behalten, benötigen europäische Industrien andauernde Aufmerksamkeit und Investitionen angesichts einer reaktionsschnelleren US-Wirtschaft, die durch ihr Risikokapitalsystem schnell milliardenschwere Investitionen aufbringen kann.
10.2.3
Die Verantwortung der Politik für das Bildungssystem
Traditionell sind die Bildungssysteme in Europa gut, die Grundschulausbildung ist allgemein von hoher Qualität, und bis vor nicht allzu langer Zeit waren die europäischen Universitäten weltweit führend. Eine gut ausgebildete Erwerbsbevölkerung bildet einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit (wie alle unsere Fallbeispiele zeigen), und daher muss das Bildungssystem auch kontinuierliche berufliche Fortbildungen und die Schulung gering qualifizierter Menschen umfassen. Die PISA-Studien über die Grundschul- und die höhere Schulausbildung haben jedoch gezeigt, dass große europäische Länder nicht genügend in ihr Bildungssystem investiert und ihre Führungspositionen verloren haben. Das gilt auch für die europäischen Universitäten. Eine neuere, einflussreiche Untersuchung hat ergeben, dass zu den Top 50 Universitäten 39 nordamerikanische, zwei asiatische, fünf britische und vier mitteleuropäische gehören.22 Obwohl der Anteil der Forschungsausgaben am BIP in Europa nicht wesentlich geringer ist (z. B. 2,8 % in den USA, 2,6 % in Deutschland, 2,2 % in Frankreich im Jahre 2003), scheint die Qualität Europa zu verlassen, was sich direkt auf die Wirtschaft auswirkt, u. a. durch eine Abwanderung der besten Wissenschaftler23 und die Verlegung von F&E-Abteilungen an Standorte in der Nähe der Top-Hochschulen. Auch der Anreiz für eine Hochschulausbildung allgemein hat indirekte Auswirkungen. Das Problem bei den europäischen Universitäten ist nicht, dass sie öffentliche Einrichtungen sind – es gibt mehrere öffentliche Hochschulen unter den Top 50 (z. B. die verschiedenen Standorte der University of California) – sondern, dass es keinen Wettbewerb gibt. So ist beispielsweise die deutsche Politik noch immer der Meinung, es sei unsozial, Universitäten um Studenten oder Studenten um Universitäten wetteifern zu lassen (ganz zu schweigen von den Gebühren, die 22
23
Die jährliche Analyse des Institute of Higher Education, Shanghai Jiao Tong University, hat seit ihrer Veröffentlichung im Jahre 2003 einigen Staub aufgewirbelt. Die britischen Institute auf der Liste sind Cambridge (2), Oxford (10), Imperial College London, University College London und Manchester; die asiastischen Universitäten sind Tokio und Kyoto; die mitteleuropäischen sind die ETH Zürich (27), die Universität von Utrecht (40), die Universität Paris 06 (45) und das Karolinska Institutet in Stockholm (50). Siehe Saint-Paul (2004).
154
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
heiß diskutiert werden). Außerdem fehlt es diesen Hochschulen aufgrund ihrer zentralisierten Kontrolle an Experimenten auf lokaler Ebene, dem Aufbau von Know-how und der Akkumulation von Expertise auf Spezialgebieten, weshalb sie völlig von der Weisheit wichtiger Entscheidungen abhängig sind, was wiederum zu Unsicherheit und Unbeweglichkeit führt. Frankreich zum Beispiel reagiert auf die Hochschulranglisten, indem es führende sozialwissenschaftliche Labore zu einer hochrangigen sozialwissenschaftlichen Universität zusammenführt. Die deutsche Bundesregierung hat einige wenige „Eliteuniversitäten“ gekürt, die sie in einem streng zentralisierten Verfahren mit zusätzlichen Mitteln ausstattet (was Beschwerden über angebliche Einmischung ausgelöst hat). Keiner dieser Ansätze wird zu innovativem Experimentieren mit dem Potential signifikanter Leistungsverbesserungen führen. Die Starrheit der höheren Bildungssysteme in Frankreich und Deutschland verursacht einen ernsthaften Standortnachteil. Obwohl in diesen Systemen ein ähnlich hoher Anteil an höheren Ausbildungen zu verzeichnen ist wie in den USA (wenn wir Berufsausbildungen miteinbeziehen),24 so erfordern sie doch Reformen und Modernisierungen, um nicht an Bedeutung zu verlieren.25 Es muss sehr viel mehr in die Bildungssysteme investiert werden, wichtiger sind jedoch die Bemühungen, sie für eine größere Vielfalt, lokale Autonomie und Experimente sowie für Wettbewerb zu öffnen. Das britische System lässt bei den Universitäten mehr Wettbewerb zu und verteilt seine Mittel nach Leistung (wenn diese auch unzureichend gemessen wird), und das relativ gute Abschneiden der britischen Top-Hochschulen ist ein Beleg dafür, dass es dort in die richtige Richtung geht. Allerdings funktioniert das britische System nur für die Top-Universitäten und ist relativ schwach, was die Hochschulbildung des größten Teils der Bevölkerung betrifft – in Großbritannien scheint es in der Mitte und bei der Bevölkerung mit Berufsausbildung eine Qualifikationslücke zu geben.26 Eine bessere Ausbildung für weite Teile der Bevölkerung, zur Vermittlung von modernem Wissen und der Fähigkeit, komplexere Probleme zu lösen, gehört zu den wesentlichen Mitteln auf dem Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Arbeitsplätzen. Der Erfolg der finnischen Wirtschaft wird auf die dortige Konzentration auf Forschung & Entwicklung und die Investitionen in das Bildungssystem zurückgeführt.27 Andere europäische Länder scheinen der Bildung nicht den Stellenwert zu geben, den sie verdient hat.
24
25
26 27
In Deutschland haben 25 % der Bevölkerung ein Hochschulstudium absolviert und 6 % eine „andere über die Sekundarstufe hinausgehende” Ausbildung (z. B. Meister); in Frankreich beträgt dieser Anteil 32 %, in Großbritannien 29 % und in den USA 38 % (OECD Education at a Glance 2006). Für eine Diskussion der Reformen des deutschen Berufsausbildungssystems siehe Müller (2006). Siehe Stevenson (2007). Dutta und Larsen (2006). Gleichzeitig verfügen weite Teile der finnischen Bevölkerung jedoch nur über eine schlechte Ausbildung.
10.2 Die Beiträge von Politik und Gewerkschaften
10.2.4
155
Die Verantwortung der Gewerkschaften
Seit dem Zweiten Weltkrieg spielen die Gewerkschaften in Europa allgemein eine konstruktive Rolle, indem sie die Interessen der Arbeitnehmer vertreten und für alle Teile der Bevölkerung, die am wirtschaftlichen Aufschwung teilnehmen, Beiträge leisten. Nachdem jedoch ein gewisses Maß an Wohlstand erreicht worden ist, tendieren die Gewerkschaften dazu, erworbene Ansprüche auf kurzsichtige Art und Weise zu verteidigen. Unter der Regierung Thatcher in Großbritannien und der gleichzeitigen Reagan-Ära in den USA verloren die Gewerkschaften viel von ihrer Macht, doch in Frankreich und Deutschland haben sie bei den Lohntarifverhandlungen ihren entscheidenden Einfluss behalten (und besetzen 50 % der Aufsichtsratsposten von größeren deutschen Unternehmen). Ganz offen gesagt sind die Gewerkschaften in Frankreich mittlerweile ein Hindernis für Reformen. Die französischen Gewerkschaften vertreten die simple Ansicht, Unternehmen seien ausbeuterische Kapitalisten, denen man sich widersetzen müsse. Eine Anekdote als Beispiel: Während unserer Recherchen für den IEA besuchten wir eine Firma, die sich die allergrößte Mühe gab, ihre Mitarbeiter vor ökonomischen Schwankungen zu schützen und am Firmenerfolg teilhaben zu lassen. Wir befragten einen Vertreter des Betriebsrates (in Frankreich immer ein Gewerkschaftsmitglied), der sagte: „Also, obwohl man den Chefs natürlich nie richtig trauen kann, muss ich zugeben, dass dieses Management bei der Kommunikation ziemlich offen ist und einen Kurs verfolgt, von dem die Belegschaft profitieren kann … Natürlich sage ich das unter dem Vorbehalt, dass wir ständig in Bereitschaft sind, jede Täuschung zu erkennen und schnell zu streiken, wenn der Verdacht auf eine Pflichtverletzung besteht.“ Sind die Gewerkschaften nicht bereit, ihre ideologisch verfestigte Haltung aufzugeben, können sie nicht als Partner fungieren und verhindern somit unternehmerische Effektivität und Wettbewerbsfähigkeit. Ein weiteres Beispiel ist die Beobachtung eines Kollegen, der im Aufsichtsrat einer großen französischen Firma sitzt: „Der Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat sagt immer nur dasselbe, wenn wir über etwas entscheiden – wie ein Papagei: ‚Ich bin dagegen!’“ Auch in Deutschland halten manche Gewerkschaften auf zentraler Geschäftsebene an ideologischen Standpunkten fest, spielen ihre Rolle bei zentralisierten Tarifverhandlungen und als Aufsichtsratsmitglieder, und in beiden Positionen verhindern sie ein Vorwärtskommen. Gleichzeitig haben deutsche Gewerkschaften bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen viel mehr Pragmatismus gezeigt, in manchen Fällen als skeptische Partner, die Strategien in Frage stellen und das Management zwingen, nach kreativen Lösungen zu suchen, die sowohl der Wettbewerbsfähigkeit als auch der Belegschaft dienen.28 Wir haben viele Beispiele von Betriebsräten – die stark von den Gewerkschaften beeinflusst sind – gesehen, die mit der Unternehmensführung für mehr Arbeitszeitflexibilität zusammenarbeiten, mit Arbeitszeitkonten, die wöchentliche Arbeitszeiten zwischen 20 und mehr als 50 Stunden ohne Überstundenzuschläge zulassen, so lange der langfristige Durchschnitt im Rahmen 28
Siehe Milne und Williamson (2006).
156
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
der gesetzlichen Arbeitszeitgrenzen liegt. Diese Art von Flexibilität ist für ein Unternehmen sehr wertvoll, da sie die volle Auslastung von teurer Ausrüstung ermöglicht und damit die Arbeitsproduktivität erhöht. Eine solche Flexibilität und Zusammenarbeit ist bei den französischen Gewerkschaften kaum zu sehen. Die Rolle der Gewerkschaft als „schwieriger Partner“ des Managements ist legitim und konstruktiv (und reflektiert echte Interessenkonflikte zwischen Unternehmer und Belegschaft beim „Aufteilen des Kuchens“), solange alle Parteien weiterhin nach einer Lösung suchen, bei der beide gewinnen. Streiks sind relativ selten in Deutschland mit durchschnittlich fünf verlorenen Arbeitstagen pro 1.000 Angestellten und Jahr. Nur Österreich (2,5 Tage) und sechs osteuropäische Länder weisen ein geringeres Streikniveau auf. Frankreich ist von 16 Streiktagen, Großbritannien von 35 Tagen betroffen, in den skandinavischen Ländern liegt der Wert zwischen 40 und 50 Tagen.29 Die Gewerkschaften spielen aber auch in Zukunft eine wichtige Rolle, um die Beteiligung der Mitarbeiter zu sichern und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen. Sie müssen der Versuchung widerstehen, kurzfristige Schutzregelungen zu Lasten der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit zu verfolgen, und sollten ihren Mitgliedern diesen langfristig besseren Handel offen erklären, denn das haben sie bisher versäumt. Die Probleme bei der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften sind eine der Ursachen für die massiven Investitionen französischer Unternehmen im Ausland in den letzten Jahren. Offensichtliche Beispiele für die Versuchung, kurzfristige Erfolge zu verbuchen, sind die Tarifverhandlungen in Deutschland im Frühjahr 2007 sowie in Frankreich und Deutschland im Herbst 2007. Hier wollten die Gewerkschaften aus der aufkommenden wirtschaftlichen Erholung Kapital schlagen und gingen dabei das Risiko ein, den Aufschwung im Keim zu ersticken. Einen fairen Teil vom Kuchen abhaben zu wollen, ist verständlich, man darf aber nicht die Gesamtgröße des Kuchens außer Acht lassen. Das entsprechende Argument gilt aber auch für die Arbeitgeberseite. Der Schwerpunkt der öffentlichen Debatte in den letzten zehn Jahren lag auf Zugeständnissen der Arbeitnehmer. Während es zutrifft, dass die Lohnzugeständnisse die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im letzten Jahrzehnt erheblich erhöht haben, hat eine Bevölkerungsgruppe als Folge den Kürzeren gezogen: Abhängig beschäftigte Arbeitnehmer mit mittle-rem bis geringem Einkommen haben die Umstrukturierung am stärksten zu spüren bekommen, mit sinkenden Löhnen und höheren Sozialabgaben. Sie haben erheblich an Kaufkraft eingebüßt. Irgendwann muss sich die Diskussion von Lohnkostensenkungen auf die Schaffung von Wettbewerbsfähigkeit aus anderen Quellen verschieben, denn sonst wird die Argumentation der Gewerkschaften wieder an Bedeutung gewinnen und der soziale Zusammenhalt leiden.
29
Nach einer Tabelle des Europäischen Arbeitgeberspitzenverband (Federation of European Employers) über Streiks und Aussperrungen. Bei den sechs osteuropäischen Ländern handelt es sich um die Slowakei, die Tschechei, Russland, Lettland, Rumänien und Ungarn. Auf den höchsten Wert kommt Griechenland mit 580 Streiktagen pro 1.000 Angestellten und Jahr. Beinhaltet sind allerdings auch „zeremonielle”, jährlich wiederkehrende Streiktage, an denen ein großer Teil der Bevölkerung teilnimmt.
10.3 Der verfehlte Dialog und die öffentliche Debatte
10.3
157
Der verfehlte Dialog und die öffentliche Debatte
In Abschn. 1 und 2 dieses Kapitels haben wir dargelegt, welche Beiträge Unternehmen, Politik und Gewerkschaften leisten müssen, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Auf Basis dieser Empfehlungen wird deutlich, dass Fortschritte nur dann erfolgen, wenn zumindest diese drei Interessengruppen zusammenarbeiten. Eine solche Zusammenarbeit gibt es in den verschiedenen EULändern in unterschiedlichem Maße, wobei der Dialog in kleineren Ländern (z. B. in den Benelux- und in den skandinavischen Ländern) aktiver und fruchtbarer zu sein scheint als in den größeren, wo sich der „Dialog“ bisweilen auf gegenseitige Beschuldigungen beschränkt, wie in Abb. 10.3. karikiert. Obwohl es sich bei dieser Abbildung um eine Karikatur handelt, enthält sie doch ein Körnchen Wahrheit – ähnliche Aussagen haben wir oft in privaten, inoffiziellen Gesprächen gehört. Viele Führungskräfte, vor allem aus Frankreich und Deutschland, mit denen wir uns unterhalten haben, sind so frustriert durch die von Gewerkschaften und Politik angelegten Handschellen, die eher durch eigene als durch volkswirtschaftliche Interessen motiviert sind, dass sie erklären: „Wenn die nicht zulassen, dass wir hier wettbewerbsfähig bleiben, dann werden wir in Zukunft nur noch im Aus-
Den kapitalistischen Ausbeutern kann
Die Manager und Eigentümer sind Geizhälse und die
man nicht trauen!
Angestellten wollen keine Veränderungen!
Die Politiker haben keine Ahnung und die Mitarbeiter sind verwöhnt und zu teuer!
Abb. 10.3
Der verfehlte Dialog der Interessenvertreter: Parallelmonologe
158
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
land investieren.“ Die Zahl der Unternehmen, die Deutschland und Frankreich den Rücken kehren, ist in der Tat gestiegen,30 und die Investitionsflüsse weisen in die gleiche Richtung: Ausländische Direktinvestitionen in Frankreich und Deutschland sind in letzter Zeit erheblich gesunken, und die französischen Investitionsabflüsse sind 2004 auf das Doppelte der Investitionszuflüsse gestiegen.31 Zynischerweise könnte man daraus folgern, dass die französische Industrie weniger Vertrauen in das französische Umfeld hat die ausländische. Auch in Deutschland scheinen die ausländischen Investoren das Vertrauen verloren zu haben, denn die ausländischen Direktinvestitionen sind 2004 auf einen negativen Wert gefallen, da die Investoren insgesamt Geld aus Deutschland abgezogen haben. Allerdings ist es langfristig keine gute Idee, die Flucht aus dem eigenen Land zu ergreifen oder sich durchzukämpfen, indem man wirtschaftliche Partnerschaften aufgibt. Unternehmen benötigen den Respekt und die Unterstützung ihres gesellschaftlichen Umfeldes, um funktionieren zu können; ein feindlich gesonnenes Umfeld verursacht bei sämtlichen Geschäften spürbaren Widerstand, was verheerende Folgen für das Unternehmen und letztlich für die Gesellschaft haben kann. Alle Anzeichen deuten auf ein immer feindlicher gesonnenes Umfeld hin, und die Unternehmen stehen in der öffentlichen Debatte als Verlierer dar.32 Studien von McKinsey haben Folgendes ergeben: „Das Vertrauen in regierungsunabhängige Organisationen, Bürgergruppierungen und Online-Informationsquellen steigt unaufhaltsam, während das Vertrauen in Unternehmen – Enron, WorldCom – gefallen ist.“33 Eine neuere Studie aus Deutschland kommt zu folgendem Ergebnis: „Da Führungskräfte einen Großteil ihrer Glaubwürdigkeit eingebüßt haben und die Kluft zwischen ihnen und der restlichen Gesellschaft immer größer wird, müssen sie sich auf eine immer feindseligere Öffentlichkeit einstellen, die dem Kapitalismus kritisch gegenüber steht. Zu erwartende Proteste werden ideologisch diffuser sein als während der 1960er und 1970er Jahre, aber nicht weniger schlagkräftig.“34 Eine Umfrage in Frankreich hat ergeben, dass die Franzosen – in dieser Reihenfolge – George W. Bush, McDonald’s und die Chefs großer Unternehmen am wenigsten mögen. Die Firmen können sich nicht einfach dafür entscheiden, ihre wirtschaftlichen Funktionen in einem immer feindseligeren Klima zu erfüllen, sie müssen statt dessen in die Offensive gehen und die Öffentlichkeit aufklären – vor allem die Bürger, die den Zusammenhang zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung nicht verstehen. Wenn im staatlichen Fernsehen fröhlich auf Unternehmen hingewiesen wird, die ihre Aktienkurse auf Kosten der Arbeiter maximieren, indem sie Arbeitsplätze streichen, dann müssen die Firmen reagieren und ihre Handlungen und die sich daraus ergebenden langfristigen wirtschaftlichen Konsequenzen erklären. Konzertierte Aktionen – vielleicht mit Unterstützung der Arbeitgeberorganisationen – sind
30 31 32 33 34
Siehe Institut für Demoskopie Allensbach 2004. OECD Observer Oktober 2005, OECD-Statistiken, länderstatistische Profile 2006. Müller und Student (2006). Müller und Student (2006). Bonini et al. (2006).
10.3 Der verfehlte Dialog und die öffentliche Debatte
159
erforderlich, um die durch öffentliche Fehlinformationen verursachte Feindseligkeit zu verhindern. Außerdem müssen die Unternehmen auf Politik und Gewerkschaften zugehen. Auf nationaler Ebene ist das schwierig, auch wenn es in den Niederlanden geglückt ist; in Deutschland unter Bundeskanzler Gerhard Schröder war es mehr oder weniger erfolglos. Soziales Engagement sollte statt dessen auf regionaler Ebene stattfinden (hier ragt wieder das Beispiel von RDME heraus). Verschafft sich ein Unternehmen in seinem regionalen Umfeld Respekt als konstruktiver und ehrlicher Partner, dann verliert die Rhetorik auf nationaler Ebene an Einfluss und es entstehen Freiheitsgrade. Wem das nicht gelingt, der könnte die gleichen Erfahrungen machen wie der französische Hauptsitz von Hewlett Packard: 2005 gingen die Gewerkschaften auf die Straße, Seite an Seite mit regionalen Politikern, um gegen die Streichung von 1.240 Arbeitsplätzen bis 2008 zu protestieren (Abb. 10.4). Der Arbeitsminister Gérard Larcher meinte, er habe „der Unternehmensführung von HP Frankreich erklärt, dass er den brutalen und unvorbereiteten Charakter der Ankündigungen bedaure, die Mitarbeiter und Gesellschaft betroffen macht.“35 Das Unternehmen wurde öffentlich angeklagt, zuerst durch einen „Kündigungsschutzvertrag“ Subventionen kassiert und dann die Arbeitsplätze gestrichen zu haben. Diese Beschuldigung erwies sich später als falsch, doch wenn sich regionale Beziehungen eintrüben, steigen die Geschäftskosten. Und es kommt immer wieder zu solchen PR-Katastrophen. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel aus Deutschland: Im Januar 2008 verkündete Nokia die Schließung seines Handy-Montagewerks in Bochum und die gleichzeitige Verlegung von 2.000 Arbeitsplätzen (plus weiteren bei Zulieferfirmen) nach Rumänien. Dieser Schritt war eine große Überraschung für Mitarbeiter, Gewerkschaften und Politiker. Die Belegschaft war, wie zu erwarten, empört, der deutsche Agrarminister wechselte medienwirksam zu einem anderen Handyhersteller, und der Finanzminister nannte
Abb. 10.4 Jour de colère chez Hewlett Packard (Tag des Zorns bei HP. Quelle: TF1, 16. September 2005) 35
Fernsehsender TF1, 16. September 2005.
160
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
es „Karawanenkapitalismus“ (erinnern Sie sich an die Heuschrecken-Metapher aus Kap. 9?) und drohte mit einer Klage, um Nokia zu zwingen, die zwei Jahre zuvor erhaltenen Subventionen zurückzuzahlen, obwohl dieser rechtliche Schritt kaum Aussichten auf Erfolg hat.36 Gleichzeitig gaben deutsche Wirtschaftswissenschaftler zu, dass Nokias Entscheidung gerechtfertigt sei – Mitglieder von zwei anerkannten Wirtschaftsanalyseinstituten wiesen darauf hin, dass dies für die einfachen Montagejobs im Werk nicht überraschen könne (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Arbeitskosten in Rumänien 10 % der Kosten in Deutschland betragen) und Nokia der letzte Hersteller sei, der in Deutschland noch diese Art von Arbeit ausführen lassen würde. Was lernen wir daraus? Nokias Entscheidung mag gerechtfertigt und unvermeidlich sein, aber das Unternehmen dachte nicht daran, sich mit anderen Interessenvertretern zu beraten. Es geht dabei nicht darum, um Erlaubnis zu fragen, sondern um eine Erklärung, um Kommunikation und darum, andere zu Wort kommen zu lassen. Statt dessen stellte Nokia die Interessenvertreter vor vollendete Tatsachen und verstieß damit gegen ein faires Verfahren. Die extremen negativen Reaktionen waren vorhersehbar. Indem die Unternehmen das Bedürfnis der betroffenen Parteien, informiert und gehört zu werden (auch wenn sie kein Mitspracherecht haben), missachten, tragen sie selbst systematisch zu ihrem schlechten Image bei. Sie müssen die Abwärtsspirale schwieriger Betriebsbedingungen, die durch gegenseitige Feindseligkeit noch schwieriger wird, vermeiden. Eine solche Spirale schadet allen Seiten und sicherlich auch den Firmen selbst.
10.4
Eine bessere öffentliche Debatte
Aus der Erörterung in diesem Kapitel ergeben sich einige Handlungsprinzipien, die wir in Abb. 10.5 zusammengefasst haben. Es wäre naiv, sie als „Empfehlungen“ zu bezeichnen, denn die Interessen der beteiligten Parteien liegen zu weit auseinander, um nicht zu unterschiedlichen Ansichten über Ziele und Auswirkungen von Handlungen sowie zu einer unterschiedliche Prioritätenliste zu kommen. Es gibt jedoch genügend Belege dafür, dass sich Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Leistung einiger europäischer Länder verbessern würden, wenn es bei einigen dieser Punkte Bewegung gäbe. Zweifelsohne hat Europa Erfolgschancen – das unternehmerische Talent, die Infrastruktur, Innovation und Know-how gehören zu den besten auf der ganzen Welt. Was Europa jetzt braucht, ist der politische und gesellschaftliche Wille, seine Fähigkeiten einzusetzen, denn wenn wir unsere Talente nicht ausüben, laufen wir Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten. Selbstverständlich hat Europa immer noch einiges zu bieten – die vergleichsweise hohen fachlichen Kompetenzen, Institutionen, Infrastruktur und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gehören noch immer zur Weltspitze. Den 36
Siehe Williamson (2008); Frankfurter Allgemeine, 17. Januar 2008.
10.4 Eine bessere öffentliche Debatte
• Sei wettbewerbsfähig - strategische Positionierung - ermögliche Ausführung durch Mobilisierung der Belegschaft mit den Mitarbeitern • Nutze Offshoring für alle strategischen Dimensionen (Kosten, neue Märkte, Nationale Lernen, weitere Reichweite durch WettbewerbsfähigPartner) • Suche nach Möglichkeiten, damit keit und Wachstum sowohl die Firma als auch die Allgemeinheit profitieren • Kommuniziere proaktiv mit und beziehe die Gesellschaft mit ein • Biete Regierungen und • Die Gewerkschaften haben die wichtige Gewerkschaften (von lokaler bis zu Aufgabe, die Mitarbeiter dazu zu motiEU-Ebene) einen Dialog vieren, sich in der Wirtschaft zu enga• Frage nicht nach Schutz, nur weil es gieren, und sie dabei zu unterstützen, sich gerade anbietet (dies beschädigt ihren Anteil an der Wertschöpfung zu die Glaubwürdigkeit) bekommen • Erkenne die Wichtigkeit von Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität • Sei ein Partner des Managements • Kläre die Mitglieder über mögliche wirtschaftliche Nachteile evtl. Forderungen auf
Abb. 10.5
161
• Verringere Produktmarktbeschränkungen • Reduziere Arbeitsmarktbeschränkungen, um das Schaffung von Arbeitsplätzen in anderen Firmen und Branchen zu erleichtern • Betroffene müssen aufgefangen, umgeschult und effizient wiedereingegliedert werden, um abgesichert zu sein • Experimentiere mit lokalen Lösungen für Umschulung und Wiedereingliederung • Dezentralisiere Ausbildung; erlaube Experimente und führe Wettbewerb ein • Informiere die Öffentlichkeit offener über wirtschaftliche Nachteile von Maßnahmen • Gib wirtschaftlicher Produktivität eine höhere Priorität (weil sie zu Wachstum führt)
Zusammenfassung empfehlenswerter Aktionen
INSEAD World Global Innovation Index 2007 führen die USA an, doch fünf der ersten zehn sind europäische Länder (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Schweiz und die Niederlande).37 Außerdem weisen die aktuellen Arbeitsproduktivitätswachstums-Zahlen darauf hin, dass 2006 Europa die USA überholt hat (1,5 % gegenüber 1,4 %), wobei sich Deutschland um 2 %, die skandinavischen Länder um über 2,5 % verbessert haben.38 Dies sind deutliche Belege dafür, dass Europa, und insbesondere europäische Unternehmen, weltweit konkurrenzfähig sein können. Es besteht also keinerlei Grund, schwarz zu sehen, und es gibt Anzeichen dafür, dass die europäischen Länder (langsam) reagieren. So zeigte Ende des Frühjahrs 2007 die allgemeine Stimmung in Europa eine optimistischere Tendenz.39 Es wäre jedoch falsch, aus neueren positiven Zeichen den Schluss zu ziehen, alles sei gut – es ist noch sehr viel mehr nötig, um auf die wachsende Wettbewerbsfähigkeit in Asien zu reagieren und nicht ins Hintertreffen zu geraten. Europa kann sich bei derart schwachen Erfolgsanzeichen nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, aber Fatalismus und Hoffnungslosigkeit sind auch nicht gerechtfertigt. Wenn jeder dazu entschlossen ist, kann Europa auch weiterhin florieren. Die Botschaft an das Management europäischer Unternehmen lautet: Krempeln Sie die Ärmel hoch und werden Sie wettbewerbsfähiger durch eine Kombi37
38
39
Siehe Dutta und Caulkin 2007. Die Rangfolge der ersten zehn Länder: USA, Deutschland, Großbritannien, Japan, Frankreich, Schweiz, Singapur, Kanada, Niederlande, Hong Kong. Die südeuropäischen Länder (wie Italien, Spanien und Portugal) zeigten schwache Produktivitätsverbesserungen von unter 1 %. Siehe Conference Board 2007. de Weck (2007).
162
10 Verantwortung für Wettbewerbsfähigkeit, Zusammenarbeit für Arbeitsplätze
nation aus nachhaltiger strategischer Positionierung und Managementqualität. Dies ist Ihr wichtigster Beitrag für die Gesellschaft. Versäumen Sie gleichzeitig nicht, der Öffentlichkeit zu vermitteln, was vor sich geht – wir erinnern die Leser an die Debatte über übertriebene Gehälter und die ungeschickte Ausführung von Umstrukturierungsmaßnahmen in Abschn. 3. Wenn die normale Bevölkerung erkennt, dass auch sie von einer Verschiebung beim Spektrum der Wirtschaftsaktivitäten profitieren kann, werden Veränderungen leichter fallen und zu höherer Produktivität führen. Führungskräfte müssen sich der Herausforderung der Wettbewerbsfähigkeit stellen und gleichzeitig bereit sein, sich an hohen ethischen Verhaltensnormen messen zu lassen. Ein Versagen wird die Proteste gegen „Globalisierung“ und „Kapitalismus“ und die Rufe nach mehr Regulierung rechtfertigen. Die Globalisierung ist unvermeidlich – eine Blockade würde überall zu mehr Armut führen. Doch geht es in diesem Buch nicht um Globalisierung und die Verlagerung von Arbeitsplätzen, sondern darum, wie Führungskräfte durch Managementqualität und strategische Positionierung sowie in Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Partnern Wettbewerbsfähigkeit erreichen können. Wenn sich die Unternehmen an diesem Dialog beteiligen und kooperieren, werden sie Veränderungen sehr viel effektiver durchführen können, als wenn sie sich nur über Gewerkschaften und Politiker beklagen.
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Die Autoren Christoph Loch INSEAD, Boulevard de Constance, 77305 Fontainebleau Cedex, Frankreich.
[email protected] Christoph H. Loch ist Inhaber des Glaxo Smith Kline Lehrstuhls für Unternehmensinnovation bei INSEAD und Dekan des PhD-Programms von INSEAD. Seine Forschung beschäftigt sich mit den Bereichen Management von Forschung & Entwicklung, Produkt-Innovationsprozess, Technologiestrategie, Projektauswahl, concurrent engineering, Projektmanagement unter großer Unsicherheit, Erfolgsmessung und Motivation beruflicher Mitarbeiter (z.B. in F&E). Professor Loch hat in zahlreichen Fachzeitschriften über Technologie- und Verfahrensmanagement, in Büchern über Managementqualität in der Fertigung und das Management neuartiger Projekte sowie in einem Handbuch über die Entwicklung neuer Produkte veröffentlicht. Er ist Department Editor der Zeitschrift Management Science. Er berät europäische Unternehmen über Technologiemanagement und sitzt im Aufsichtsrat einer Firmenneugründung für Lernsoftware. Er schrieb seine Doktorarbeit im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften an der Stanford Business School (USA). Seinen MBA machte er an der UT Knoxville (USA) und sein Diplom als Wirtschaftsingenieur an der TU Darmstadt.
Stephen E. Chick INSEAD, Boulevard de Constance, 77305 Fontaine-bleau Cedex, Frankreich.
[email protected] Steve Chick ist Professor für Technologie- und Verfahrensmanagement bei INSEAD. Er machte seinen BS in Stanford (USA), arbeitete fünf Jahre in der Automobil- und in der Softwarebranche und schrieb anschließend seine Doktorarbeit an der University of California am Standort Berkeley (USA). Nach einer Tätigkeit als Fakultätsmitglied an der University of Michigan (USA) kam er 2001 zu INSEAD. Professor Chick lehrt Verfahrensmanagement und Service Operations im Rahmen des MBA-Programms, Prozessund Simulationsmodellierung im Rahmen des PhD-Programms sowie Verfahrensmanagement für Führungskräfte, insbesondere aus dem Gesundheitssektor. 167
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Die Autoren
Professor Chicks Forschung und Lehre umfasst Produktions- und Verfahrensmanagement, Betriebsqualität, Gesundheitsfürsorge und -politik sowie Simulationsanalysen für die Fertigung und für die Gesundheitssysteme. Er ist oder war redaktionell für Operations Research, Management Science und andere führende Fachzeitschriften tätig. Derzeit ist er Präsident der Institute for Operations Research and Management Science (INFORMS) Simulation Society.
Arnd Huchzermeier WHU - Otto Beisheim School of Management, Burgplatz 2, 56179 Vallendar. arnd.
[email protected] Arnd Huchzermeier ist Inhaber des Lehrstuhls für Produktionsmanagement an WHU’s Otto Beisheim School of Management, Vallendar. Er schrieb seine Doktorarbeit an der Wharton School und lehrt häufig an der University of Chicago und an der Wharton School (beide USA). Sein Forschungsinteresse gilt u.a. dem betrieblichen Produktions- und Servicemanagement mit Fokus auf Managementqualität, dem globalen Lieferkettenmanagement und der Bewertung von Realoptionen. Er veröffentlicht in führenden internationalen akademischen Fachzeitschriften und ist Mitherausgeber von Management Science and Production and Operations Management. Er ist Vorstandsmitglied des International Commerce Institute von ECR Europe und leitender Herausgeber der International Commerce Review. Er wurde u.a. mit dem ISMS Praxispreis 2003 vom Marketing Science Institute, dem Management Science Strategic Innovation Prize 2003 der European Associations of Operational Research Societies, dem Franz Edelman Finalist Award 2002 vom Institute of Operations Research and Management Science sowie mit dem Mercurius Award 2000 von Fedis, the European Federation of Distribution Societies, ausgezeichnet.
Sachverzeichnis
A Abwanderung, 153 Adhoc, 44 Aktienmärkten, 144 Angewandte Forschung, 34 Arbeitnehmer, geringqualifiziert, 134 Arbeitsatmosphäre, 113 Arbeitskosten, 5, 16, 66, 99, 128, 160 Arbeitskosten in Indien, 128 Arbeitslosenunterstützung, 149 Arbeitslosigkeit, 135 Arbeitsmarktflexibilität, 149 Arbeitsplätze, 74, 118, 129 Arbeitsplätze, Schaffen von, 129 Arbeitsplätze, Grossbritannien, 130 Arbeitsplätze, Aufwertung von, 132 Arbeitsplatzsicherheit, 150 Arbeitsplatzverlagerung, 132, 138 Arbeitsunfall, 112 Arbeitszeit, 99 38,5 Stunden, 99 Aufklären, 158 Ausbildung, 135, 141 Automatisierung, 58, 118, 127, 134 B Bangalore, 126, 139 Behörden, 115, 20 Beschäftigung, 6, 15 Beschäftigungsstruktur, 152 Betriebsrat, 10, 155 Gewerkschaften in Deutschland, 155 BHP Billiton, 115 Bildungssysteme, 153 Boston Consulting, 100 Bruttoinlandsprodukt, 4 BuS, 21, 53 ff. Business Process Outsourcing Provider (BPO), 126
C Catering-Branche, 27 Chargen, 96 Cherry, 21 Computerhardware-Branche, 92 Crédit Lyonnais, 46 CVRD (Compania Vale do Rio Doce), 105 D Dacia, 139 Dänemark, 149 Datenmanagement, 130 Datenqualität, 128 Datenrevisionen, 125 Dell, 96 Dialog, 157 Dienstleistung, 38 Logistikservice, 114 Dienstleistungssortiment, 89 Direktinvestitionen, 138, 158 Direktversand, 86 koordinierender Partner, 89 Dover, 47 Dräger, 54 Dyson, 130 ff. E Einstellung, 126 Einzigartigkeit, 61 Electronics Manufacturing Eliteuniversitäten, 154 Elkem, 114, 115 Eramet, 105, 115 Erneuerbare Energien, 153 Ethische Verhaltensnormen, 162 Europa, Erfolgschancen, 160 Experimente, Arbeitslosigkeit, 151 Experimente, Universitäten, 154
169
170 F Fatalismus, 161 Faurecia, 20 Fertigungsstraße, 59 Finanz-Arbitrage, 144 Finnische Wirtschaft, 154 Firmengründungen, 151 Firmenressourcen-Planungssystem (ERP), 98 Flexibilität, 60–62, 76, 81, 96, 116 Fluktuation, 129 Forschung und Entwicklung, 93, 131 Entwicklungsprozess, 98 Produktentwicklungsteams, 76 Führung, 37, 70, 126 Fujitsu Siemens, 91 Fujitsu, 91 G Gemeinschaftsleben, 148 Gemeinwohl, 148 Gesamtkosten, 55, 58 Gewerkschaften in Frankreich, 155 Gewerkschaften, 74, 113, 115 Globalisierung, 132, 162 Greenpeace, 102 Großkunden, 51 H Handel, 135, 137 Handelsbilanz, 133 Handlungsprinzipien, 160 Hebel Malsch, 21 Heuschreckenplage, 144 Hewlett Packard, 79, 159 Hochschulen, 153 Wettbewerb, 153 Hochschulranglisten, 154 Honeywell, 11 I IEA, 107 IEA, 30 IEA, 45 IEA, 66 Geschäftsmodell, 66 IEA, 92 IEA, siehe Industrial Excellence Award Imaje, 41 ff. Industrial Excellence Award, 3, 7, 11, 12 Beste Fabrik Wettbewerb, 3 Innovation, 100 Innovationen, 69 Mobilisierung, 69 INSEAD World Global Innovation Index, 161 Interessengruppen, 157
Sachverzeichnis Interessenvertreter, 160 Investitionsflüsse, 158 Investmentbanker, 146 ISO 14001, 110, ISO 9002, 107 IT-Prozesse, 90 J Johnson Controls, 67 K Kapital, 14 Kapitalismus, 148 Karawanenkapitalismus, 160 Karriereplanung, 113 Kaufkraft, 156 Kennzeichnungsmarkierungen, 41 Kernkompetenz, 31 Klein- und Mittelbetriebe, 20 Kleinserien, 58 Knopfzellen, 66 Kochvorgang, 28 Kodierungs- und Kennzeichnungsbranche, 52 Komplexität, 60, 95 Konglomeratabschlag, 145 Konstruktionskompetenz, 56 Kontinuierliche Verbesserung, 34, 37, 47, 56 Verbesserungsprojekte, 112 kaizen, 52 Kooperation, 85 Kosten, 98 Kreativ, 72 Kundenbeziehung, 95 Kundendaten, 123 Kundensegment, 62 Marktsegmente, 102 Kundenzufriedenheit, 32, 34, 50, 110 Kündigungen, 100 L L’Usine Nouvelle, vii Lagerbestand, 82 Lagerbestände, 76 Lagerhaltung, 93, 98 LED-Anzeigen, 54 Leistungsmessung, 50 Leiterplatte, 55 Lernkurve, 57 Lieferanten, 114 Lieferkette, 72, 48, 80, 86 Lieferkettenprozess, 8 Lohnnebenkosten, 137 Lohnzugeständnisse, 156
Sachverzeichnis Lösung, 83, 94, 57 Lösungen, 44, 48, 75 M Managementbuyout, 77 Managementqualität, 7, 15, 20 Beteiligung, 10, 108 Delegation, 8 Integration, 8, 9, 10, 52 Kommunikation, 90, 107, 110, 155 Karrieremanagement, 101 Mitarbeiterentwicklung, 11, 107, 107 messen, 11 Weiterbildung, 107, 112 Markem, 52 Markpoint, 43 Marktsättigung, 151 Massen-Maßanfertigung, 83, 92, 96 Mitarbeiterbefragung, 101 Mitarbeitermobilisierung, 12 Motivation, 70, 118 demotivierte Mitarbeiter, 107 F&E, 71 mobilisieren, 100 Multinationale Unternehmen, 140 N Nachfolgeplanung, 36 Nationaleinkommen, 135 Natürlichen Ressourcen, 147 Netzwerk, 85, 86, 87, 97 Neue Industrien, 151 Nokia, 159 O Öffentliche Debatte, 158 Öffentlichkeit, 158, 162 Offshoring, 3, 73, 129, 132 ff. Arbeiten zurück in die Firma zu bringen, 99 Auslagert, 52 Auslagerung, 128 Fähigkeiten, 139 Gewinnung guter Mitarbeiter, 139 Inshoring, 73 Kapazitäten, 138 markterschließendes Offshoring, 138 Offshoring, proactive, 129 strategische Maßnahme, 140 wissenschaftliche oder marktspezifische Informationen, 139 One-Piece Flow, 30 Operative Ziele, 20 Organisation, 39 Originalhersteller (OEM), 75
171 Outsourcing, 3 Auslagerung, 82 Auslagerungen, 96 Auslagerung von Vertriebskanal-Datenverfolgung, 122 Partner, 38, 85, 87 Lösungspartner, 96 Vertriebspartner, 96, 122 P Personalmanagement, 93 Personalstruktur, 82 PISA-Studien, 153 Point-Of-Sale, 122 Porter, 17 Postponement, 33 PowerOne, 67 Prämien, 113 Belohnungssysteme, 113 Preisverfalls, 97 Private Equity, 144 Übernahmen, 146 PR-Katastrophen, 159 Procter & Gamble, 11 Produktarchitektur, 81 modulare Systeme, 81 Produktbandbreite, 43 Produktentwicklungsprozess, 8 Produktidentifikation, 41 Produktinnovation, 43 Produktionslösungen, 55 Produktionsplanung, 61, 125 Produktionsprozess, 82 Produktivität, 4, 57, 97, 118, 137 Arbeitsproduktivität, 4, 15 Mitarbeiterproduktivität, 13, 14 Produktivitätswachstum, 5 Produktlebenszyklus, 98 Produktmarktbeschränkungen, 149 Projekte, 71 Protektionismus, 133 Proteste, 158 Prozessentwicklungsprozess, 8 Puffer, 61 Q Qualifikation, 133 Qualität, 61 total quality management, 107 Quantensprung-Innovationen, 34 R Rahmenbedingungen, 141 Rational, 27 ff. Rayovac, 67
172 RDME, 105 ff. Redundanz, 127 Regierung, 149 Reinigen von Vertriebsdaten, 121 Relativlöhne, 135 Renault, 139 Renditegleichung, 144 RFID, 44 Riesa, 53 Rückläufige Branchen, 152 Rückverfolgbarkeit, 33, 41 S Schlüsselkompetenzen, 127 Segmentierung, 51 Services – (EMS), 54 SEW, 21 Shareholder-Value, 6 Siemens, v, vii, 20, 91 Amberg, vii Singapur, 75 Solvay, 11 Sortimentsstruktur, 59 Soziales Engagement, 159 Sozialstaat, 141 Standard-Maske, 127 Starrheit auf dem Produkt- und Arbeitsmarkt, 137 Start-up-Firmen, 152 Steelcase, 21 Strategie, 31, 42, 48, 57, 69, 94, 116 Konkurrenzvorteil, 128 Strategie, Neuausrichtung, 131 Strategie-Umsetzung, 21 Strategieumsetzung, 7 Herunterbrechen der Strategie, 101 Strategie-Umsetzungsprozess, 8 Strategie-Umsetzungsprozess, 9 Streiks, 156 Sub-Prime-Krise, 146 Suez Industrie, 54 T Tarifverhandlungen, 156 Technische Fortschritt, 134 Toyota-Produktionssystem, 20 U Überkapazitätspuffer, 60 Übernahmekandidat, 146 Überschüsse, 147 Umschulungsmaßnahmen, 150 Umstrukturierung, 145 Umstrukturierungen, 149 Umweltfreundliche Produkte, 102
Sachverzeichnis Universitäten, 153 Unternehmer, 70 Usinor, 105 V Valeo, 19, 20 VARTA, 21 ff. Varta, 21 VEB Robotron Elektronik, 54 Verantwortung, 39, 70 charismatisch, 71 Verarbeitungszentrum, 126 Verbesserungsprojekte, 12 Verbraucher, 136 Verkaufsförderungsangebote, 125 Verlierer, 133, 138 Vernetzung, 89 Versicherungsmodellierung, 130 Vertrauen, 89, 97, 123 Fairness, 97 Vertriebskanal, 122 Vertriebsweg-Informationen, 123 Visteon, 20 VW, 139 VW-Gesetz, 146 W Wachstum, 6, 13, 39, 56, 133, 137 Wachstumsmärkte, 131 Wartungsvertrag, 95 Weiterbildung, 37 Weltmarktführer, 148 Wemhöhner, 21 Wertebaum, 144 Wertschöpfung, 145 Wertsteigernde Aktivitäten, 128 Wettbewerbsfähigkeit, 5, 139, 141, 146, 161 Differenzierung, 18 geografische Reichweite, 19 Kostenwettbewerb, 17 Volkswirtschaft, 147 Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm, 16, 17, 22 Zusammenarbeit in Netzwerken, 19 Wettbewerbsfähigkeits-Diagramm, 147 Wettbewerbsmindernde Regulierungen, 149 Wiedereinsatz der Anlagen und Mitarbeiter, 136 Wirtschaftswoche, vii Z Zukunftsaussichten, 140 Zusammenlegungseffekt (Pooling), 97 Zyme, 121 ff.