Stefan Schallenberger Lektüreschlüssel Alfred Andersch Sansibar oder der letzte Grund
Reclam
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Stefan Schallenberger Lektüreschlüssel Alfred Andersch Sansibar oder der letzte Grund
Reclam
LE KT ÜRESCHLÜSSEL F ÜR SCHÜLER
Alfred Andersch
Sansibar oder der letzte Grund Von Stefan Schallenberger
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
© 2002, 2009 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart Gesamtherstellung: Redam, Ditzingen
Made in Germany 2009 RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart ISBN 978-3-15-950141-3 ISBN der Buchausgabe: 978-3-15-015311-6 www.redam.de
Inhalt
1. Erstinformation zum Werk
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2. Inhalt 8
3. Personen 12 4. Werkaufbau
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5. Wort- und Sacherläuterungen
6. Interpretation 43 7 Autor und Zeit
80
8. Lektüretipps/Filmhinweise
Anmerkungen
94
90
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1. Erstinformation zum Werk
Mit dem 1957 erschienenen Roman Sansibar oder der letzte Grund begegnet dem Leser ei ne nachgeholte A us ei nandersetzung um die Themen von Ver f olgu ng, Flucht und E mi grati on während Faschismus und Krieg als F asc hismu s und Krieg. Gu t 10 Jahre nach Hintergrund Kr iegsende 1945 setz t A ndersch d ami t seine in den Kirschen der Freiheit (1952) begonne ne A useinandersetzung u m die Freihei t des Ei nz elnen, aber auc h u m die Fluchtmöglic hkeiten und die Selb stverwi rk lic hung von Indi viduen jenseits ver mei ntli ch determinie render poli tischer oder lebensweltli cher Sc hranken fort. W ährend die Kirschen der Freiheit als au tobi ographischer Roman die Lebensgeschi chte ei nes E inzel nen ver fol gten, b ietet si ch dem Leser in Sansibar oder der letzte Grund ein Par adigma von fü nf Fi guren, die sic h aus unterschiedli chen Motivenher au s i n dem kleinen Ostseehafen Rer ik begegnen und auf ganz unter schiedli che A rt und Weise handel n. Da bei ver ändert sic h im Laufe der Erz ählu ng der Charakter der Überlegungen u nd der H andlungen der ei nzel nen Per so nen, wie der Leser in szeni sc her A bfol ge b is i ns Detail hin ein ver fol gen k ann. A ndersc h stellt sei ne Charaktere als ty pisch für die Zeit nach der Machtergreifu ng des Nationalso zi ali smus und noch vor Begi nn des Zwei ten Wel tkriegs d ar, mit der Verf olgu ng und Ver ni chtung ei nzel ner u nd ganzer Gru ppen von Menschen. E r sc hildert sie in ihrer Denk - und E mpf indu ngswel t, ohneihre äu ßere Ersc heinungsweise und die Struk tur ihres Mitei nander z u vernachl ässigen. Dabei kommt es nicht von u ngefähr, dass si ch der Hintergrund schon in sei ner Düsterheit u nd seiner die Fluchtbewegun-
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1. ERSTINFORMATION Z U M WERK
gen zunäc hst b remsenden Lage am W asser al s deter mi nie rend präsentiert. Ihr b isheri ges Leben f ordert Änderungen, die in ei nem Kli ma grund sätz lic hen Mi sstrauens nur schwer z u bewerk stelligen sc heinen. Gegenüber diesen Her au sfor derungen für die E inzelnen mag es ger adezu utopisch er sc heinen, d ass, nac hdem der Faschi smu s die Insti tutionen gemeinsamen H andel ns nicht nur i n poli tischen Fragen für sic h okkupiert z u haben sc heint u nd der Kommuni smu s sic h vor der totalitären Durchdri ngung des All tags durch den N ationalsoz ialismus au ch in sei nen etab lierten F or men des W iderstandes zurück ni mmt, es nochei nmal möglich i st, dass Menschen si ch zu gemeinsamer Ak tion aufr affen und in der Lage sind, sich selbst i m Blick au f ei nü ber geordnetes H andlu ngsziel z u besti mmen, das letz lic h allen Beteiligten tr otz der sc heinb ar au swegl osen Au sgangssituati onzu z war unter schie dlicher , jedoch neu gewonnener Identität, selb st angesichts ei nes qu asi gewählten F rei todes, verhilft. Berücksi chtigt man, dass A ndersch schon zuvor besc hei nigt wurde, exi stenz iellen Beweggründen i m H andeln von Fi guren nachz ugehen, an der Existenz des Menschen inte ressiert zu sein - ob aus ei genem A ntr ieb oder in später an der Existenzphil osophie Sartres entwi ckel ten Gedanken, geli ngt ihm mi t Sansibar eine M ischu ng au s Politische Zeitpolitischer Zeitkritik - Kr itik der sc hei nb akritik und Multiren Deter minierthei t von zeitbedingt festgeperspektivität legten Lebensu mständen und Lebensvollzügen -und einer über die Perspek ti ve Ei nzel ner hinausgehenden Multiperspektivität, die dennoc h die Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen im ge· meinsamen Handeln zu integrieren in der Lage ist, ohne wiederum das T ypi sche der geschilder ten E inzel schi ck sa le für die Zei t der Ver fol gung und Fluchtb is hin zum Exil
1.
ERSTINFORMATION Z U M WERK
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auszub lenden. Dabei b leib t die Erz ählwei se von A ndersch insofern typi sch, al s d ass sie immer wieder i n gek onnten Ei nz elreflexionen, in die der Leser ei nbez ogen wird , oder in den Dialogen zwisc hen den H auptfi guren Ged ankengängen nac hgeht, die sel bst angesichts der konkret bedrohli chen Si tuati onen ü ber si ch hinau s auf komplexe Fragestellungen ver weisen, u mgekehrt aber sel bst die vorder gründige Rolle des Zu f alls zu integrieren in der Lage ist. »Rezensenten und Kriti ker mochten einzel ne Einwände haben, aber am Ganzen zwei felten sie nicht: Hel mut Heißenb üttel nannte i n den FrankDie Handlung: »Freiheitsfurter Heften die Konstruktion der H andsehnsucht und lung das )Eindruc ksvollste< des Bu ches und rühmte das )einfach Menschli che<, das si ch in Abenteuerlust« vielen seiner Fi guren zeigte; H orst Bingel bezei chnete es i n der Deutschen Rundschau als die besondere Ku nst A nder schs, Ku nst u nd Politik fu genlos z u verei nen; und Karl A ugu st H or st sprac h i m )Merkur < von ei ner )un übertreffli ch gezeic hneten F reihei tssehnsucht u nd A ben teuer lust<. Sel bst die gelehrte Kritik an den Univer sitäten stimmte mit den Rezensenten ü berei n, wie selten sonst, und Käte H ambur ger wies diesem Roman )vor allem sei nes ei gentümli chen u nd neu arti gen Auf baus wegen ... ei nen aus gezeichneten Pl atz i n der jüngsten deutschen Erz ähllite ratur
2. Inhalt
Die E rzählung Sansibar oder der letzte Grund ist äußer lic h i n viele kürzere (37) Episoden von jeweil s weni gen Sei ten U mf ang geglieder t, die mi t Handlung den Namen der Fi guren, die i n der E pi sode in Episoden i m Vor der grund stehen, ü bersc hrieben sind. Das äu ßere Prinzip gib t er ste A nhal tspu nk te für die i n hal tli che Gestal tu ng des Romans. Die Handlung spiel t 1937 in einem klei nen Ostseehafen städtc hen namens Rerik. Dor t begegnen dem Leser i n ei ner insgesamt sehr dü ster gesc hilderten A tmoFünf sphäre N azideu tsc hlands nacheinander fünf Hauptfiguren Haup figuren , die sic h mit unter sc hiedlichen A bsichten i n Rer ik aufhal ten. Der Schiffs· junge des F ischers Knudsen verbri ngt den Großteil sei ner freien Zei t i n ei nem Versteck au f ei nem Spei cher, in das er sic h zu riic kzieht, um A bstand von der Tri stesse des All tags zu gewi nnen und seinen T räumen und Vi si onen eines an deren und besseren Lebens nachz ugehen. Der Kommunist Gregor, der si ch sc hon von der Partei abzuwenden begi nnt, k ommt i n deren M issi on nach Rer ik, u m dor t ei nes der we nigen verbliebenen Mitglieder zu treffen. Sein Auf treten in der Stadt ist u nau f f ällig. E r begegnet im Ver lau f der H and l ung au ch dem P farrer des Städtchens, Helander , der im Ersten W eltk r ieg ein Bein verl oren hat, ei ner i n sich zerri s senen F igur, die si ch zwischen der H offnu ng au f ei ne F orm von si chtb arer Offenb arung, dem Ei nger ic htetsein in einem hoff nungslosen A lltag angesichts seiner schweren Behi nde rung sowie ei ner ab grundtiefen i nneren Leere bewegt. Der Fischer Knudsen , den Gregor treffen will, ist als A rbeiter
2. INHALT
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noc h der P artei verb unden. Sei ne Zerri ssenheit zei gt si ch angesi chts sei nes nunmehr vorherr sc henden Wunsches, zu sammen mit seiner Frau Ber tha ein sc hlic htes Leben i n ei nem nor malen A lltag z u führen, das si ch gegenüber allen äußeren A nfei ndu ngen und Herausf orderu ngen der Zei t umstände im Rü ckzug au f weni ge elementare Lebens vollz üge behaupten kann. Die Begegnung mit dem Par tei b oten Gregor i st so schon von vornherein auf Konflikt hi n angelegt. Judith, eine flüc htende Jü din au s gutbür gerli chem H au se, i st in ihrem Streben u nd Bemühen mei st auf kurz fristige H andlu ngen beschränkt, wenngleic h d as H auptrno tiv, das sie nac h Rerik geführt hat, die Idee der Flucht über die Ostsee ist. Ihre innere Befi ndlichkei t steht unter der Spannung z wischen dem Ziel der F luc ht, dem ged ank li chen Verhaftetsein i m b ürger lic hen Leben und den für sie nur schwer ü ber sc hau baren si tu ativen H andlu ngsnotwendig keiten, sodass sie si ch i nner hal b der kurzen Zei tspanne von etwa einem T ag, ü ber die der Roman beri chtet, i n sehr unter sc hiedlichen Si tu ationen wieder fi ndet u nd behau pten muss. Der Lesende Klosterschüler , ei ne Pl astik E rnst Barl achs, die in der örtlic hen Kir che aufgestellt i st, wird zentr aler Bez ugspunk t für alle vor ge- Die Plastik nannten Per sonen. Die Holz pl astik, die zei twei se mensc hlic here Zü ge annimmt als die echten Menschen, wird zum Ort der Begegnu ng und A useinan dersetzung. Misstrauen, A ngst u nd U nwahrhaftigkei t kennzei chnen die Si tuati on in Rerik, die politisc hen Zei t umstände haben si ch nac hhalti g auf das zwisc henmensc h lic he Klima au sgewirkt. Die Menschen wirken i n ihrem Tun und H andeln u nwahrhafti g und unfrei . E rst die Pl astik mit ihrer kü nstleri schen A ura vermag es, echte
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2. INHALT
Handlungsmotive als freie Handlungsmotive anzuregen, die nach und nach alle Gestal ten er fas fchte Handlungs- sen. P farrer Hel anders H andlungsz iel r ichtet motive freie si ch tr otz sei ner i ndiv iduellen verz weifel Handlungsmotive ten Verfassung, die ihn zum Mord an den ihn ver f olgenden Nati onal sozi alisten und sc hließlich zum indirek ten Sel bstmord f ührt, auf die Ret tu ng der F igur v or der Beschl agnahmung. U m diesem über geor d neten H andlu ngsmotiv Gel tung zu verschaffen, durc hb ri chter in sei ner ei nz igartigen direkten A rt und Wei se d as vierjähr ige Schwei gen, das zwisc hen Knudsen und ihm herrschte, um den Fi sc her aufz ufordern, die Pl astik zu retten. Gregor, der mi t dem F ischer ei gentlich ü ber eine neue Organi sationsf or m der Par tei reden sollte, will nu n mehr au s ei genem A ntr ie b mi thelfen, die Fi gur, die ihnbeim er sten A nb lic k gefesselt hat, in Si cherhei t zu bri ngen. Sie verbürgt für ihn, der si ch lange Zei t al s b loßes Werkzeu g der Par tei begriffen hatte, verloren gegangene Identität u nd ei gene Wertsetzungen. Knudsen, der Fischer , ü ber windet an gesi chts des Wunsches v on Hel ander u nd dem Dr ängen Gregor s sei ne ei gene Zerri ssenheit und überni mmt schließ lich die Verantwor tu ng für den T ransfer der Figur nach Skil linge, ei nem Ort i n Schweden. In der nächtlichen F luc htak ti on kommt der Junge mit seinem Verl angen nac h Befreiu ng v on der A utor ität der Er wac hsenen, dem Ri ngen u m A ner kennung und seinen Träu men zur Geltu ng, i ndem er sie au f dem Bei boot si cher zum Ku tter b ringt. W ährend Gregor in der U mgeb ung von Rer ik blei bt, k ann Judith, nachdem sie ihr F remdenzi mmer und ihre H abe auf gegeben und sich die Hilfe des Steuermanns ei nes sc hwedi schen Schi ffes als Illu sion erwiesen hat, durch den Bei stand Gregors mit au f den Ku tter Knudsens gelangen. Sowohl die Fi gur B arlac hs al s =
2. INHALT
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auc h Ju dith gelangen in Sk andi navien i n Sic herheit. Der Junge ver wirklich dort ansatzweise sei ne auch li terari sch dur ch die Lek türe von Huckleberr y Finn angeregten T räu me, i ndemer si ch für kurze Zei t von sei nem b isheri gen Le ben l ossagt. Ähnlich wie Knu d sen, der den Ku tter wieder heimbri ngen wird, entsc heidet sic h auc h der Ju nge f ür die Rückkehr. E rst wenn Knu d sen wieder abf ahre, denk t er, sei er wirkli ch f rei, doc h im seiben M oment, in dem er diesen Gedanken au sspricht, ni mmt er den Weg zum Kutter au f u nd »sc hlenderte au f d as Boot zu, als sei nichts geschehen« (159).
3. Personen
Der Junge. Der fünfzehn-, f ast sechzehnjähri ge Bootsjun. ge von Knudsen mag den Trott des Fischereialltags ni cht. Sein Liebli ngsaufenthaltsor t i st der Speicher der al ten Ger berei . Dort gewi nnt er mi t der Lektüre von Zwischen Abenteuerbüchern wie Huckleberry Finn Indikativ und oder Kar! M ays zwischen Indikativ und Konjunktiv Konjunktiv, den Gegebenhei ten des Ortes Rerik u nd seinen Vi sionen, z wi schen Ver stecken und Fluchteine er ste Ahnu ng von den M öglichkei ten, die ei n junger Mensc h wie er i m Gegensatz z u den au f das Ende der A usbil dung und die Ab solvierung der Marinezei t drängenden Vorstellungen seiner Mu tter Die Vergangenhat, mi t der er zu sammen leb t. A uc h die vor heit: sein Vater allem durch Erz ählu ngen genähr te Eri nnerung an seinen Vater , der betäubt durch Al kohol au f See u mkam u nd i n den A ugen der E inwohner wenn, dann nur al s Säufer eri nner t wird, belebt seine plane rische Phantasie, denner erkennt im Ver hal ten sei nes Vater s, der gegenüber den anderen F ischern sich auc h auf die hohe Seehi nau swagte, die Weltoffenheit, dieihn selber i n seinem au f Rer ik beschr änk ten All tag beunruhigt und anregt. »Er war gestorben, weil er nie etwaszu sehen gekr iegthatte. Sei ne si nnlosen, betrunkenen Fahrten auf die of fene See waren A usbruche au s sei ner Wel t gewesen, in der er nie, niemal s et was zu sehen gekriegt hatte« (38). Der Ju nge formuliert die titel gebenden Sti chworte, indem er von drei Das Ziel: Flucht Gru nden spric ht, »weshalb man aus Rer ik r au s mußte« (9). Dementsprec hend kreisen seine Gedanken um das Ziel der Flucht: »Ich will aber gar
3. PERSONEN
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k ein B oot für die langw eilige F ischerei hab en, dachte d er Junge, ich w ill ei n B oot für d i e of fene See hab en, ein Boot, u m hier herausz ukommen« (21). Er hat den Wu nsch, anders zu w erden als di e Erw ach senen, von den E rwachsenen »im all gemeinen« (33) w egz u k ommen. »Ich w erde anders sein als si e, dac hte er, wenn i ch einmal erwachsen bi n. E s muß doch mögli ch sein, anders zu w erden als Knu dsen und alle die, die er kannte. E s konnte doch ni cht i mmer so w ei tergehen, daß man nur noch ei n paar Redensar ten hatte, w enn man älter w urde, daß man auf k eine Ideen mehr kam, w enn man ält erw urde, daß man im mer das gleic he Leben in kl ei nen Zi egelhäu sern f ührte u nd ein w enig l angw eilige Küstenfischerei b etr ieb, wenn man älter w urde« (33) . Dabei scheinen sic h sei ne A nnahmen über die Welt der Erwachsenen ,z u der er jensei ts seines Be r uf es w enig Kontak t hat, aus deren Sic ht zu b estäti gen: »Ist er [der J unge] zuver lässig? Kei ne Ahnu ng, sagte Knu dsen. Ich wei ß nic ht, w as diese J ungens heutzu tage denk en. A ber i ch bi n der Sc hiffer u nd er i st der Junge. Er hat keine F ragen zu stell en. Er hat Fr agen zu stell en, dachte Gr egor hefti g. Und er w ird sie ei nes Tages stellen« (86f.). Im Nachdenk en über sei ne phantasievoll genähr ten F luchtvorhaben, di e auc h au f die A nkunft eines fremden Frachters setz en, w ird der Junge si ch zunehmend der Konf likte bew usst, di e ihm angesichts einer verw alteten W el t bevor stünden. »Über all br au cht man P apiere, und di e P apiere bek am man nic ht ohne die E inwi lligu ng der Erw achsenen« (52). Dennoch schw eifen sei ne G edanken immer zu den Zi el en sei ner F luc ht: »In Rerik w ar über haupt ni chts los. Man mußte ir gendw ohi n, w o etwas los w ar. N ach A merika zum B eispiel« (52). Der erste äu ßer e A nl ass, der d en Jungen spüren lässt, dass
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3. PERSONEN
in Rer ik etwas l os ist, besteht in der Vorbereitung der hei m lichen nächtlichen F ahrt, mi t der Ju dith u nd der Lesende Klosterschüler au s Rerik herausgebracht wer den. Sie stößt in ihm auf die l ange gehegte H of fnung, es möge etw as passieren, und lässt Knu d senwegen sei nesu ner Engagement w ar teten Engagements, mit dem er liter ari sch genährte Sehnsüchte des Ju ngen umzu setzen schei nt, in seinen Au gen respektvoller erscheinen. Die nächtli che A kti on zieht den Jungen voll u nd ganz in ihren B ann. Er fühlt, dass seine Person an Bedeut ung ge w innt (93) und sieht seine Beteiligu ng an der F lucht al s Chance: »Jetz t, da er die Chance spürte, dachte er übri gens nicht mehr an die Gründe, w ar um erweg w ollte. E r dachte nicht mehr an sei nen Vater , er hatte ver gessen, daß i n Rer ik nichts los w ar, und am allerwenigsten f iel ihm sein Tr aum von Sansibar ei n. A lle sei ne Gedanken krei sten um die Chance, u nd ob es ihm geli ngen w ürde, sie au szu nützen« (120). W ährend der F luc ht stellt der Junge i m Ru der boot seine F ähigkeiten unter Bewei s. »Gregor s erste Flucht, Traum, Ruderschl äge w aren ungeschi ck t, sie behi nWirklichkeit und derten die Stakric htung, aber der J unge hi ng Rückkehr sehr r asch sei ne Ruder in die Dollen und br achte d as B oot in tieferes Wasser« (123); Gregor spürte, »wie r asch u nd sic her der J unge sei ne Fehler au sgli ch« (124). Zuvor hatte der Jungebereits bestäti gt, d ass er sogar d as B oot Knu d sens alleine hätte hinüberbri ngen können (140). Die Flucht über die Ostsee führ t ihn, Knu d sen, J udith und den Lesenden Kl oster schüler , für den der Ju nge ebenf alls A chtung gewi nnt, sc hließlich nach Ski llinge, w o der Junge fortf ähr t, sei ne Träu me zu ver wirkli chen, i n dem er sic hz unächst unab hängi g macht und in den W äl dern
3. PERSONEN
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seinen Traum von Sansibar zu l eb en b egi nnt. »Ich b in ' raus, es hat wu nd er bar geklappt, i ch bi n i n Sc hw ed en, ein paar T age bl eibe i ch hieru nd dann geh ic h ir gendw ohi n und melde mi ch und sag, d aß i ch ei n P olitisc her b in. Und dann geht es i mmer w eiter, dann kommt vi ell ei cht A mer ika und der Mi ssissippi od er Sansi bar und der I ndische Ozean« (158). Doch obwohl er ei ne Hütte fi nd et, dor t F euer macht und si ch Fi sch b rät, verwirft er diese E xistenz u nd üb erlegt weiter: »Erst w enn Knu d sen ab gefahren i st, d ac hte er, b in ic h wirkli ch frei « (158). Di eser G ed ank e f ühr t ihn zurüc k ans W asser u nd z u Knudsens B oot, das noc h w artet. I n Freiheit k ehrt er schli eßli ch au f das B oot z urü ck: »Der J unge sah, daß der Kutter noch immer dal ag. Etw as w ei ter w eg w ar das M eer bl au, dunkelblau u nd k al t lag es un ter einem grauen, einförmigen Hi mmel ohne Sterne. Der Ku tter bew egte si ch k aum, er w ar sc hwarz u nd still und w ar tete. Der Junge konnte sehen, daß Knudsen au f Dec k saß, er saß au f der Wassertonne und rauc hte. Der Ju nge blic kte ni cht mehr i n den Wald z urüc k, al s er den Stegb e tr at. Er schlender te au f das B ootzu, als sei ni chts gesche hen« (158 f .) . Gregor. G regor k ommt als i nk ognito au f dem F ahrrad r ei sender Verbindungsmann der kommurusti· Der Verbindungssehen Partei , d er seine eigene Erscheinungsmann weise mi t F ahr radklammmern u nd G epäck am B ahnhof (83) sor gsam b edenkt, nach Rerik, um d ort den Fi scher Knudsen zu tr effen und u m etwas »ü ber d i e H af en- und T ranspor tver hältni sse« au sz uforsc hen (23). Sei ne äußere Erscheinung wird dem Leser durch die Augen Judi ths im Dunkel d er Kirc he beschr ieben: »Etw as sehr Erf ahrenes und Al tes l agi n di esem ju ngen G esicht, und
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3. PERSONEN
zwisc hen Augen und Mund hatte sich ei n nüchtern hi n genommener, offenb ar nic ht sehr schmerz haft empfunde ner Lei denszug eingetragen, aber die Schl äfen u nd das Kinn zeigten Schläue, verrieten Tempo, verl ässige Schnel ligkeit und Intelligenz . Den Au sdruc k u nd die F ar be sei ner A ugen konnte sie nic ht erkennen, aber seine H aare erkannte sie al s glatt u nd schwarz , sie f ielen manchmal locker i ns Gesi cht, u nd d ann mußte er sie wegstrei chen« (1 10). I m Laufe der Erz ählung w ird Gregor, so der N ame i n sei nem f alschen P ass, sich mehr u nd mehr vom A uftr ag der P artei lossagen, um si chin seiner Partei und Identität Identität z unehmend selbst zu bestimmen. Gregor sagt über si ch: »Ich habe kei nen Na men. A ber Sie können mi ch Gregor nennen« (54) . A ls Gri gorij - so sein ebenf alls nic ht r ichti ger und damitw ieder um auf die fr agli che ei gene I dentität verwei sender, für den Ei n tri tt i n die Lenin-Ak ademie gew ähl ter Name - hat er bereits J ahre zuvor an einem M anöver der Roten A rmee auf der Kri mhal bi nsel te ilgenommen. Schon dor t w ar er inner lic h hin- und her gerissen. Gegenüber den P arteiinteressen ent w ickelt er zusehends andere, ureigenste I nteressen, die sic h ihm innerli ch als Verrat am Kampf für die Partei enthüllen. Daz u gehört, dass er vor seinem letz ten A uftr ag nicht nur A ngst hat (40), sondern aus der Par tei austreten w ill: »Sc hluß, dachte er, es muß Schluß sei n. I ch spiele ni cht mehr mi t. Es w ar sei n gl ückli chster und sei n endgül ti ger Gedanke: i ch steige au s. Er empfand kei ne Gew issensbi sse dabei . Ich habe genug f ür die Par tei getan, dachte er« (41). Spielt der F luc htgedanke al s bloßes Fliehen zunächst eine große Rolle, so fi ndet der si ch in F reiheit bew usst er greifen de und sel bst bestimmende Gregor i m Laufe der Ereigni sse
3. PERSONEN
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z unehmend sic h selb er. B ei ihm stimmt all es Äu ßer e f ür die Flucht: »Er hatte tad ellos gefäl sc hte P apiere in d er T asc he und genü gend G eld, u m es noc h eine Weile ausz uhalten« (64), d och »in den A bl auf der F luc htw ar eine Pause ei nge tr eten« (65). I n d er Dur chf ühru ng sei ner eigenen Vorhaben er weist sic h G regor als konsequ ent b is hin zur Ver Gregor schließt tei di gung seiner neu en Ziele i m Zw eik ampf Freundschaft mit gegen Knud sen, den er gewi nnt. Nachdem dem Lesenden er ei nmal Freundscha ft mit dem Lesenden Klosterschüler gesc hlossen hat, emanzipi er t Klosterschüler er sich mi t dem P arteib ef ehl , aber ü ber di e Par tei hinaus zum Voll str eck er einer neuen T aktik , die durc h sei ne su bjek tive Zielsetz ung inhaltli ch gefüll t w ird. M it der Fi gur d es Lesend en Klosterschül er s geli ngt es Gre gor, jensei ts b loßer A uftr agserfüllung sinn voll zu handeln und die neuen Zi el e voll er G ewi sshei t üb er die Partei und üb er sic h selb er hinaus anzu str eben: »Du wirst es ni cht glaub en, sagte Gr egor zu Knudsen, aber du wirst d as Di ng nach Sc hw eden b ri ngen« (56), und noch b evor er seinen insgehei m schon gemac hten P lan darl egt, sagt er: »Keine Sor ge [. . . ], Knudsen w ird sie [die Fi gur] nac h Schw eden b ri ngen« (58). Mi t d em H andlungsziel u nd -motiv, den Lesend en Kl oster sc hüler zu r etten, b egr ei f t er sic h al s freier, selbstbestimmender Mensch . Er hat sic h inner lic h b ereits von d er Par tei gel öst u nd i st i n dem M oment, i ndem es ihn üb er W orte und G ed ank en hinw eg zur Hand lung dr ängt, sogar G ott zugetan: »Es mußte jetz t kl appen, ohne d aß einweiter es W ort gesproc hen w urde. Lieb er G ott, b etete er, mach, daß Knud sen bl ei bt! « (68). Dab ei formuliert er sei ne Sc hwi eri gkeiten b ei d er Sel bstfindung unab hängi g von äußeren Institu tionen. »H ätte i ch sagen soll en, d achte
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er, sie täuschen sic h, ich bin kei n Chri st, ich bi n Kommu ni st? E s hätte nic ht gesti mmt, denn ic h b in Christ, kei n Kommunist mehr, i ch bi nei n Deser teur. Kommunist, Ich bi n auc h kei n Deser teur, sondern ein Deserteur, M ann, der begrenz te klei ne Ak tionen durch Aktivist? f ühr t, im ei genen A uf trag. Und dann begann es ihm zu dämmern, daß er sic h zu diesem jungen M ädc hen in ei ner Beziehung befand, vor der W orte w ie Chr ist, Kommunist, Deserteur, A kti vist, verblaßten: Ihr gegenü ber w ar er ü berhaupt nichts anderes al s der ju nge M ann, der sic h vor ein ju nges M ädchen stellte -eine kl assi sc he Rolle, wie er ir onisch konstatier te« (108). G regor w ir d i m P rozess der Sel bstfindung von der Fi gur des Lesenden Kloster sc hülers begleitet. Selbstfindung In ihm entdec kt er sei ne ureigensten Qua· litäten w ieder. Sie er mögli cht es ihm,w ieder frei z u handel n. »Bis dahin mußte die Ak tion den Scheitel punkt ihrer Kur ve erreic ht haben. Die Akti on > Lesender Klosterschüler <. Oder w ar es jetz t die Akti on >Jü disches M ädc hen Jedenfalls wird es meine Akti on sei n, d achte Gregor arr ogant. Zum erstenmal lei te ic h keine Par teiakti on. E s i stei ne Sache, die nur mir gehört. Er f ühlte sic h glän zend au f gelegt. Das w underb are Gef ühl, d as ihn bef allen hatte, sei tdem er den jungen M önch, sei nen Genossen, den freien Leser, gesehenhatte, ver ließ ihn ni cht« (84). Der Vor b ildc har akter der Fi gurw ird jedenfalls klar f or muliert: »Ich w ill allein ' raus und draußen will i ch allein sein, allei n w ie dieser Bur sche au s H olz , so allei n w ill i ch lesen w ie er, und so allein w ie er w ill ic h auf stehen und f ortgehen, w ohi n ic h w ill ,wenni ch genug gelesen habenwerde« (137). Dabeient deck t der sich selberw ie der fi ndende ehemali ge P ar teigenos se, der kühl räsonierte, au ch in der z öger nd zu gelassenen
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z ar ten Lie be zu Judith (112 f .) bzw. i n der verpassten Chance dazu sei ne ursprüngli che M enschli chk ei t. »[... ] b löd von mir, d aß i ch mic h bei nahe au f einen Kuß ei ngelas sen hätte, ic h habe mic h d ami t ei nes Vorteil s beraubt, dac h te er , i ch bi n ni cht mehr so üb erlegen w ie vorher, i ch habe nic ht mehr die Üb erl egenhei t des A bstands« (121). Di e angesic hts d es Lesenden Klosterschülers und i n der anged eu teten Li ebe z u Ju dith wied er entd ec kten Qu alitäten der ei genen Identi tät deu ten si ch ber ei ts z u B eginn der Erzählung in d er sensiblen Wahrnehmungsweise Gregors an. Er vermag seine eigene Sic ht der Di nge und sei ne W eitsic ht z u r el ativi er en od er sie Symbolischzu w ec hseln, indem er d i e Di nge sow ohl metaphorische symboli sch oder metaphori sch al s üb er sic h und materielle WeItsicht selbst hi nau sw eisende ansieht, al s au ch in entz aub erter F orm auf ihren mater iellen Realitätsgehalt reduz iert betrac htet. »E s i st mögli ch, dachte Gregor, vorausgesetz t, man i st ni cht bedroht, die li cht ste henden Kiefern al s Vor hang anz usehen. E tw a so: offen si ch darbi etende Konstruk tionen aus hellen Stangen, von denen mattgrüne Fahnen unter m gr auen Hi mmel regungslos w eh ten, bi s sie sich i n der Perspek ti ve zu einer W and au s f la schengl asigem G rün zusammenschl ossen. Di e fast schw arz makadamisi erte Str aße deutete man dann als Nahtzw ischen den beiden Vorhanghälften; man tr ennte sie auf, i ndem man si e mi t dem Fahr rad entlang f uhr ; nach ei n paar Mi nuten würde der Vorhang sich öffnen, um den Blick auf das Sz ena ri um f reiz ugeben: Stadt und M eeresküste. Da man jedoch bedroht w ar, dachte Gr egor, w ar ni chts w ie etw as anderes. Die G egenstände schlossen si ch i n di e Namen, di e si e tru gen, vollkommen ein. Sie wi esen nicht ü ber sic h selbst hin aus. Es gab al so nur Feststellungen: Kiefernw ald, F ahrr ad,
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Straße. [... ] E in H aus wür d e ei n H aus sei n, eine W oge eine W oge, ni chtsw eiter u nd nic htw eni ger« (7 f .). Diese d oppel te Betrac htu ngsw ei se verdeutli cht sic h später noch einmal: »Di e Kir che w ar ein wund er bar er w eißer, l eb endiger Man tel . E s w ar seltsam, daß der M antel ihn w är mte, - ja, seltsam w ar das, und G regor nahm sic h vor, darü ber nac hzud enk en, w enn er ei nmal Zeit habenwür d e, nach d er Flucht viellei cht, nach d er Flucht von d en F ahnen,- ab er d aß di e Kirche mehr w äre als ein M antel , d arü ber machte G regor sich k ei ne Illu sionen. Si e k onnte vi ell ei cht vor der Käl te schütz en, ab er nicht vor d em T od« (40). A ngesic hts dieser beiden F ormen d er W el tb etr achtung nimmt es si ch k au m verwund erli ch aus, dass Gr egor den ihm durch die Partei ar bei t sehr vertrauten sozi alen Zu sam menhängen i n seiner Refl exion gerne andere Schw erpu nk te gegenü ber setzen w ürde: »Esw äre einfacher, dac hte Gr egor, vom M eer ab hängi g zu sein, statt von d en M enschen« (8). Die P erspek tive H el and er s f asstw ic htige Punk te d er Per· s önlichkeit, die Gr egor nu nmehr (entgegen Gregors der Bemerkung H el and er s) vor stell t, noc h Persönlichkeit einmal in sei ner f reili ch sehr negativen W eltsi cht zusammen. »Der hier i st nic ht neu, er ist irgendw er, ein mager er, unauff älliger M ensch i n einem grauen A llerwel tsanzug mit Fahrradklammern an den Ho sen, ein A ushil f sbote von der P ost oder der Sohn eines In stall ateurmeisters, der sc hon mor gens r aus mußte, um eine W asserleitu ng zu f lic ken, so al so sehen i n unserer Zeit die Boten und di e Söhne au s, di e Boten der Rettu ng und die Söhne der Ideen: man kann sie nicht unterscheiden. Man konnte sie nic ht er kennen, außer in ihren H andlungen. Sie sind kei ne P ersönli chk ei ten, dac hte H elander, si e haben den Ehrgeiz , das Ric hti ge zu tu n und ni cht au fzuf allen. Sie
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gl au ben an nic hts mehr, dieser ju nge Mensc h glaub t nicht mehr an seine P artei u nd er wird niemal s an die Kirc he glau ben, aber i mmer wird er bemüht sei n, d as Ric hti ge zu tu n, und weil er an nic hts gl aub t, w ird er es unauffällig tun und si ch aus dem Stau b machen, wenn er es getan hat. W as aber treib tihn an, d as Ri chtige zu tu n? f ragte si ch der Pf arrer, und er gab sic h selb st die Das Nichts als Motor A ntw ort: Das Ni chts trei bt ihn an, das Bewußtsei n, in einem Ni chts zu leben, und der wilde A ufstand gegen d as leere, kalte Nic hts, der wütende Versuch, die T atsac he des N ichts, dessen Bestäti gung die A nderen si nd , wenigstens für A ugenbli cke aufz uheben« (150f.). P farrer Helander. Der P farrer Helander l ässt si ch al s in· nerüch zerrissene Gestalt beschrei ben. I hn lernen w ir i n seiner direk ten und u nvermi t- Innerliche tel ten Art, die auf den ersten Blic k vor den Zerrissenheit Kopf zu stoßen scheint, im Gespr äch mi t dem Fischer Knudsen kennen. Knu d sen, der dessen »ei ne Nei gung zum Jähz orn ver ratende[s] Gesic ht« (27) be schrei bt, solle, so Helander, für ihn die in der Kir che ste hende Figur des Lesenden Kl oster sc hülers nach Skillinge transpor tieren. »Ich muß den M önch zum P robst von Skil linge schicken. Oder ihn zerstören. Ausgeliefer t d ar f er nic htwerden« (30). Doch von sei ner er sten erf olgl osen A n frage bei Knudsen, der ihm, w ie er zunächst annahm, gegen den gemeinsamen Feind hel fen würde (9), kehrt der P farrer grußlos zurück . H elander mac ht seine Invalidität z u schaf fen. Gegenüber seinem al s P farrereher pr ofessi onellen Gl auben i ster ange si chts seiner Stu mpfwunde, dem »Verdu n-Bei n« (27), eher
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hoffnungslos. Seine G ed ank en sind nüc hter n, ori entieren sic h an den G ew isshei ten sei nes f ehlenden B eines, an der Perspektive, die Kirchenfigur zu retten , Sehnsucht nach ab er auc h an ir rati onal en M oti ven, w ie der Offenbarung Sehnsuc ht nac h Of fenbaru ngen: »Die W and. Di e gr oße r ote W and ohne I nschri f t« (53). Er w artet am F enster, vor M au er f läc hen, au f äußere Zeichen gegen die sonst verspü rte innere Leere. S ei ne eigenen Zweifel am Glauben w erden angesic hts der von Knudsen als G ötz en b ez ei chneten F igur Zweifel am des Lesenden Klosterschül ers, der ei genen Glauben Ohnmacht, aber au ch d er poli tischen Si tuati on deutli ch: »Ist G ott d enn ei n Götz e, dach te er, nur w eil er si ch ni cht mehr um uns z u kü mmern sc heint? W eil er keine G ebete mehr hör t? Keine G ebete ge gen d i e au f br echend e W unde eines B ei nstu mpfes, k ei ne G e b ete um Hilfe gegen die A nd er en?« (55). Der abstr ak te Zw eifel am Gl auben w ird im Gemeinsames gemeinsamen Handeln mit Gregor zur Handeln Rettung des Lesenden Kl oster sc hülers durc h neu gew onnenen M ut, Si cherhei t und H off nung auf Wu nder z unäc hst k ompensiert: »H elander sc hüt tel te u ngläub ig den Kopf. A ber ich sollte es ver suc hen, sag te er sic h gleic hz ei tig. Dieser M ensch hat eine seltsame Si cher hei t an si ch. Es w äre mer kwürdi g, w enn di eser fremde M ensc h mei ne F igur r etten w ürde. Es w äre geradezu ein W under« (58) . G egenü ber d em deu tli ch w erdenden E ngagement für die Fi gur d es Lesenden Kl osterschül er s, das Rückzug G regor ihm zu sehend s abni mmt, w irk t es w ie ei n Rückz ug, dass H el ander sich nu n mehr i ntensi v sei ner Verletzung wi d metund auch d af ür die
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Ver antwortu ng abz ugeben scheint. »E r fühl te sic h er leich ter t, nachdem Doktor Fr erk ing gegangenw ar. P lötz li ch hat te er sich entschl ossen, den Arzt doc h noc h heute kommen z u lassen; er hatte sich einger ed et,heu te noc h G ewißheit ha b en z uw ollen, und Fr erking hatte sie ihm gegeb en: di e G e wißheit der G efahr . Üb er den Beinstumpf geb eugt, hatte der Arzt gesagt: Sie müssen heute abend noch z u Pr of essor G ebhar d f ahren, nac h Rostock. Ic h w erde mit ihm telefo nier en, d aß er ihr B ei n sofort vor ni mmt« (93). Und sogleic h anal ysiert er sel ber sei ne Verhaltensw eise: »Di e klare Ver kündung der T od esgefahr hab e i ch gew ol lt, die G ewi ßhei t, aber nic ht nur sie, sondern au ch d en E ingr iff d er höheren G ew alt. Darum hab e i ch die Konsultati on Fr er kings ni cht au f M orgen verschoben, sondern ihn bi tten lassen, sogleic h z u mir zu kommen. Übri gens: mor gen hätte i ch kei ne G ele genheit mehr gehab t, ihn zu k onsu lti er en. Die N acht üb er hierb leib en hei ßt: den > Klosterschüler< r etten. Den >Kl os ter schül er < r etten hei ßt: morgen f rüh ab geführt w erden. In ei n Konz entr ationsl ager mi t d em T od im B ei n. Der Doktor hat d as P robl em für mi ch gel öst: sofort nac h Rostock , sofort Pr ofessor G ebhar d , sofort das Sichklam mern an ei nen Strohhal m. Die höhere G ew alt hatte ent schieden: das Kli nik bett statt d es M ar tyriums, H elander hatte G ru nd , si ch er leichtert zu fühl en« (95). Pessimistische M it der Schil d erung der möglic hen M arty WeItsicht rien (96f.)wird d eutli ch, dass H elander seine Zukunft durchw eg pessimistisch sieht. Seine ei gene Ungewi sshei t im Gl auben verd eu tlic ht sich an den T heodiz eefragen des Pf arr er s, d en Fr agen nach d er Rechtfer ti gung G ottes angesi chts Die Frage des Lei d s i n d er Welt. Er ori enti ert seine A n nach Gott w or ten an d en A ntw orten au f die F rage nach
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der E xi stenz G ottes und dessen Nähe i n der Welt. Im Ge gensatz zu den Erw ar tungen, die man an die Gl aubensge w isshei t des Pfarrers stellen k önnte, sieht Hel ander sich in ei ner gottverl assenen Auswegl osigkei t. »Keinesfalls dur fte man sic h einbilden, von G ott gehör tz u werden. Man betete nur, weil manw ußte, daß es G ott gab; er weil te zwar in un er reic hbarer Ferne, aber es gab ihn, er w ar nicht etw a tot. [ ... ] E s gab keinen Tr ost« (97f.). »Was kümmer te es den ab wesenden G ott, der viellei cht nur ei n fauler G ott w ar ? Der trieb si ch vielleicht ger ade auf dem Ori on her um, statt auf der Erde, oder wenn er auf der Erde w ar, dann kreuz te er vielleic ht mit ei ner J acht vor Honolulu, statt si ch auf Knud sens Boot niederz ul assen und den k lei nen M önc h aus Rer ik z u retten« (99). Ohne Kontak t z u G ott ver lier t sic h Helan der i n die tr ostlose Umgebung: »Seitdem der Pfarrer hier w ohnte, hatte er nie die Vorhänge sei nes A rbeitszi mmer s z urückz uziehen brauchen; er hatte kei n anderes Gegenüber al s die fensterl ose, jahrhunderteal te W and, auf der nie ein anderes Zeichen er schien al s die Spur des Regens oder der Sonne, des T ages oder der N acht, die Spr ache von Vogelr u fen oder einer unter M auern verschütteten Toccata« (98). Und die Selbsterkenntnis formuliert er w ie fol gt: »Er lach te beinahe, al s er erk annte,w ie genau si ch i n ihm A ngst und M ut die W aage hiel ten. Die Schalen standen si ch z itternd ge genüber« (99) . Nur k onsequent sind seine Gedanken hin z um Tod (99) . Hel ander s nahez u per manenter Pessimi smus verdeutlic ht si ch w iederholt, so wenn er angesi chts der Be gegnung zw ischen Gregor, Judi th und ihm fr agt: »Und er [Knudsen]wird die junge Dame mitnehmen? E rhat bis jetz t noch keine A hnung von ihrer E xi stenz , sagte Gregor. Nun, dann mac hen Sie sich noc h nic htzu viele Hoff nungen, Kind, sagte Helander, z u J udith gewendet« (115f .) . A nderer seits
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zeigt er au ch ein deu tlic hes Festhalten am Ritual , w obei of fen bleibt, wie au thenti sch sein Verhalten ist und welche w irkli che F unktion es hat: »Helander starr te au f den leeren S oc kel . Dann spr ach er l autl os das Vaterunser« (1 19). Gre gor jedenfalls favorisiert i n dieser Si tuati on ganz kl ar die T at vor dem W or t (hier des Vater unsers). Helander selber blei bt seine Morbidität ni cht u nverb or gen und w iederhol t setz t er an, sei ne Si tuatiMorbidität und on und deren Per spektiven i n seinen T räumen der T rostl osi gkeitzu analysieren, w obei Selbstanalyse er sic h selber (auc h als G ottverl assenen) zu entdec ken sc heint: »Helanders T räume w aren Symbole u n terdrück ter T riebe, B ilder von Liebe und T od. A ber Freud lieferte ihm keine E rkl ärung f ür die S ti mmu ng sei ner T räu me; denn ihre H andlung w ar ni cht so w ichti gw ie ihre Stim mu ng, die ihn i n ei ne Welt au s Ödni s, S chmu tz , Dämme ru ng, Käl te u nd H of f nungslosigkei t ei nschl oß und zuletz t i n ei ne f urchtb are Leere, so d aß er sogar noch i m Trau m sel bst den Gedanken vollz og: wenn es eine H ölle gib t, so mu ß dies die H ölle sei n. Die Hölle , das w ar ni chtein Rau m au s H itze u nd Feuer, ei n Raum, i n dem man br annte, - die H ölle w ar der Rau m, i n dem man f ror , siew ar die absolute Leere. Die H ölle w ar der Raum, i n dem G ott ni cht w ar« (149). Und i n Ab grenz ung von Gregor raf ft Gewissheiten er noc h ei nmal die B ruc hstücke sei ner Gew isshei ten zu sammen: »Ich aber, dac hte Hel ander, ichwerde mic h nic ht au s dem Staub machen können. Ir gendein ver rüc kter E igensinn läßt mi ch noch an jenen Herrn gl au ben, der si ch i n H onolulu oder auf dem Ori on bef indet, i ch glaube an die Ferne G ottes, aber nic ht an d as Nic hts, und deshalb bi n i ch ei ne Persönli chkei t, dac hte er höhni sc h, i ch f alle au f, und weil i ch au f falle, weil i ch mi ch
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u nterscheid e, w er d en mich die A nd er en erwischen. W ir un terscheiden uns voneinander, di eser M ensc h, der sich G re gor nennt, und i ch: er istzum N ichts verurteil tu nd ich zum T ode« (151). Sein Ende - er wird von d er Gestapo er sc hossen - off en b art di e ihn besti mmend en Grundz üge, die Das Ende sich auch durc h ei ne Verk ehrung von Leben und T od ausz uz eichnen sc heinen, noch ei n mal . »Her rgott, eri nner te er si ch plötzli ch, d i e Schri f t! J etz t muß si e doch erschei nen, d i e Schri f t auf d er Wand mei ner Kirc he. Di e Schri f t, auf die i ch mein Leb en l ang gewartet habe. Er w andte sic h u m u nd b lic kte auf die W and, u nd w ährend er die Schr ift l as, spürte er kaum, wi e das F euer i n ihn eindrang, er dachte nur, i ch b in l ebendig, als die kl ei nen heißen F eu er i n ihmb rannten. Sie trafen ihnü ber all « (156). Knudsen. Der älter e Fischer Knud sen l ebt im Spannu ngs fel d zwischen sei ner ehemaligen engeren ParteigebundenParteigebundenheit, dem Engagement für heit, Fischerei· die Par tei, das er fast ganz ab gel egt hat, d em alltag und Ehe H al t geb enden u nd notwendigen Fischerei· alltag und d er Verb undenheit mi t Bertha , sei ner vi erz igjähri gen b londen F rau. »Sie hat nur einen kl ei nen Ti ck, dachte er« (14). Wegen di eses T i ck s hat er A ngst, si e als G ei stesgestörte in der Vernic htu ngsmaschi neri e d er F asc histen zu verli er en, w ähr end er auf See ist. Knudsens Erscheinung wird von Gr egor beschrieben: »Wi eder bli ck te Gregor au f Knu dsens G esic ht, aber zum er stenmal nu n w irklich aufmerksam. Im Dämmerlicht der Kirc he, in der die Schatten zu nahmen, w ar es ni cht mehr sehr genau z u er kennen, aber Gr egor konnte sehen, daß es har t und f lächigw ar, di e Nase stach nicht besonder s hervor,
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es w ar ei n br au nes, b artstoppeli ges, wettergegerb tes F i schergesic ht unter schon gr au gew or denen H aaren, ni chts leuchtete i n diesem einfachen Gesic ht, nic ht einmal die A u gen; sie w aren kleinu nd sc harf und b lau, aber sie leu chteten nic ht, sie phosphoreszier ten nur, kleine bl aue phosphores zierende Ku geln, in die harte Fl äche des Gesi chts ei ngelas sen« (48). Knudsen sorgt si ch um die Meinung der A nderen. W as könnten sie denken, wenn er nic ht w ie selb stverständlich mit sei nem Kutter auf See ginge, sondern sich Die »Wahrheit noc hmals der Par teiarbeit wi d men würde? des Alltags« Dabei zeigt si ch seine A ngst vor der >Wahr heit des All tags<: Gregor f ragt: »W aru m tust du dann über haupt mi t?« »Knudsen dachte: weil i ch kein toter Fi sch sein will . Weil i ch die Lust an der Liebe behal ten will . Weil es sonst stinklangweilig w ird. A ber er sagte ni chts derglei chen. Er sagte vielmehr: Wie stehe ic h denn vor dem Pfarrer da, wenn ic h nicht mitmache ? I m glei chen Augen b lic kw ußte er, daß er ei ne Ar t W ahr heit ausgesproc hen hat te. Der und sein G ötze, fügte er erbi tter thi nz u« (88). In der Begegnung mit einem anderen F ischer, Kröger,w ird das ge· wachsene Misstrauen, das Knudsen im Umgang mit an· deren Menschen bestimmt, deutl ic h (68) . Knudsen w ar Kommuni st, er wur de von Hel ander nach der M achter grei f ung H itler s gar »r oter Hund« (26) ge nannnt, w as seine anfänglic he geringe Bereitschaf t zum Gespräch mi t He1ander erkl är t. Gegen Ressentiment über der gelegentlic h noch au f rechter hal tenen Partei verb undenheit wird im Ver gegen die Partei l au f der H andlung jed och sein Ressenti· ment deutli ch, das inzw isc hen Oberhand gew onnen hat: »Seit Jahren tue ich nic hts mehr f ür die Par te i, brach Knud-
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sen aus. Das i st es doch! E s gi bt sie gar ni cht mehr, die Par tei « (31). H elander d eutet Knud sens H al tung: »Das w ar es al so. H eland er begr iff plötz lic h Knudsens W eigerung. S ei nen H aß gegen die Partei , w eil si e versagt hatte. S ein sc hlechtes G ewi ssen, w eil er nun die P artei haßte. E s ist so ähnl ic h wi e mi t mi r u nd d er Kirche, d achte er« (31). I n ei nem G espräch mit Gr egor offenbart sic h der Par teigenosse al s in sei nen G esinnungen l ängst schw ank end gew or dener Fischer , d essen G ewi ssheiten jensei ts d er Par teii n sei ner Ar b ei t li egen: »Auf einmal f ühlte er, daß der T eer- und Öl ge ruc h seines B ootes das einzi g W irkli che in ei ner W el t voll von gespenstischen Ängsten w ar, das ei nz ige, w oran er sic h hal ten k onnte« (51). Immer wi ederi st er hin· Gewöhnliches und hergerissen zw ischen sei ner Bindung Leben an die Partei und dem schli chten Festhalten am ein fachen, gewöhnlichen Leben: »Nur noch di ese F ahr t, dann w ird es di e Partei nic ht mehr geben. Ni cht mehr für mic h. Dann w ird es nur noch die Fi sche ge ben, das B oot und di e S ee« (85) . Für den Knudsen, der si ch ins P rivate u nd au f d i e A rbei t z urück gez ogen hat, führt die H andlung w iederholt zu Stö rungen, so w enn er i n J udith eine B edrohung si eht: »Wenn ic h dieses Fr auenz immer mi tnehme, dac hte Knudsen, dann ist meine Id ee bei m T eu f el. Die F igur kann i ch üb er B ord w erf en, ab er das M ädc hen nicht« (138). Dass hinter Knudsens innerli chem wi e äu ßer en H in und H er, seiner ei genen B edrüc kung durch sei Menschliche ne uneindeuti ge Verhaltensw ei se mehr und Beweggründe zutiefst menschliche Beweggründe stecken k önnten, fü hrt H el and er mit B ezug auf Gre gor und Knudsen an: »A ch so, d achte d er Pf arr er , d arum handelte es sic h al so. Das w ar es, w as zwischen d en b eiden
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spielte: ei n kl eines Drama au s A ngst, aus Depressi on, aus Zersetzung. E s w ar also nicht so, daß diese Partei nur aus Ei sernen bestand . Si e bestand aus M enschen, die A ngst oder M ut hatten. Di ese bei d en hatten A ngst, und si e hatten es sic h ei ngestanden - d aher der H aß zwischen ihnen, ein heuchler isc her H aß. Si e w ar en noc h ni cht auf dem G rund ihrer A ngst angelangt, d or t, w o man sie ei nfac h hi nni mmt, sti ll und ohne Vorwur f « (57). Gregor spricht späterhi n über die gestörte Beziehung zwischen ihnen: »Und dann sprac h er das F instere an, das zw ischen ihnen stand, Knu d sens A b neigu ng gegen ihn, Knud sens H aß gegen ihn als Verr äter, die A nti pathi e zw isc hen zw ei Ab triinnigen, die sich ge gensei tig auf d er F ahnenfluchtertappt hatten; d as gemei nsa me schl echte Gew issen, das sie tr ennte« (88 f.). Dennoc h b leib t bemerk enswert, d ass es gerade dieser Knud sen i st, der im Verl auf der H andlung mit seinen eigenen Möglichkeiten , mi t dem Seine eigenen Möglichkeiten Ku tter, dazu beitr ägt, dass J udithu nd der Le sende Kl osterschül er über die See gebr acht w erden. Judith. Judi th i st auf der Flucht. Di e Jüdin , die den Selb stmord ihrer gelähmten M utter ange sic hts d es nahenden Krieges und d er Ju Bürgerliche denverfolgu nger le ben mu sste, die ihr gut Jüdin auf der b ürgerli ches E lternhaus mit Geld aus dem Flucht E rbe ihres Vaters verl assen hat, u m über den unscheinb aren Ort Rerik ü ber See vor d er Ver fol gung durch die Nationalsozialisten z u fliehen, fi ndet sic h zu nächst i m F remd enz immer des )W appen von Wis mar< w ied er, w o si e sofort mit den für si e i nsgesamt nur sc hw er zu überschauenden H andlungsnotwendigk ei ten
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konfr ontier t ist, die aus ihrer jü dischen Herkunftentstehen. Bei ihr zeigen sic h die dr asti schen Fluchts ymptome sc hon in den Schw ierigkei ten, die si ch bei der A nkunft aus ihrem N amen er geben. »Judi th hör te au f , in ihrer H andtasche zu kramen, u nd dac hte an ihren Namen. Judith Levin. Es w ar ei n stolzer Name, ei n Name, der ab gehol t wer den w ürde, ei n Name, der sic h verbergen mußte. E s w ar furc htbar, Ju dith Levin z u sein, in ei ner toten Stadt, die untereinem kal ten H immel von r oten Ungeheuern bew ohnt wurde« (20). Und tatsächlich nennt Ju dith sic h au ch J udith Lef fing (20), um ihre jü disc he Herku nf t zu verschleiern. I m Denken u nd Sprechen ver fäll t sie i n eine doppelte Weitsicht, w ie im Verhalten gegenü ber dem Wir t deu tlic h w ir d: »Ju dith spürte seinen Blic k. E in scheu ßli cher Kerl, dachte sie, so fett und weiß. E in fetter Dorsch. Herrli ch, sagte sie. Ich esse Seefi sch ger n« (34), und al s sie der W irt nach ihrem Pass fr agt, zei gt si ch, wie notwendig diese Ver doppelung der Perspek tive gerade auf der Flucht ist,bei der sie um Lü gen ni cht heru mk ommt: »Auf ei nmal fühl te Ju dith, daß sie in der Gaststu beeingesper rtw ar. Rerik w arei ne F alle. E ine F alle für Seltenes« (35). Die Reali tät der Gast stu be zer rt sie dann au ch von den »romantisc hen I deen« (35) ihrer M utter hi nweg: »B ringen Sie mir nur Ihren P aß, sagte er mit ei ner Sti mme, die so weiß w ar wie sei n Gesi cht, sonst muß i chheu te N ac htkl opfenu nd Sie au s dem Bettho le n! J udithw ar sehr jung, aber sie begri f f plötz lic h, f ür wel chen P rei s siees vergessen du rfte, dem Wirt ihren P aßzu ge ben. Ab scheulic h, dac hte sie« (36). Als Strategie f ür ihr Ver halten gegenüber dem W irt resü miert sie: »Die kindliche T our, dac hte J udith, ic h muß Ihre Möglichkei ten der Rettung die kindliche T our schieben« (36). Wieder hol t spielt sie i n Ged anken ihre M öglichkei.
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ten durch, d i e sic h z unächst auf N ahz iele erstrec ken: »Vor dem hab e i ch ei ne Weile Ruhe, d achteJudi th. So lange, b is er an die Tür kl opft. Od er bi s i ch mic h au s d em H aus gesc hli c hen hab e. E s mu ß ei nen H inter au sgang geben. Aber w ohin soll i ch von hier aus gehen? Den Koffer k ann ic h dann ni cht mit mir nehmen« (73 f .). Doch die Verstrickung i n unvoll end ete H andlungen an gesi chts d er unsi cheren Lage bl eibt. Si e w ieFlucht und derhol t unref lekti er t Gewohnheiten ihrer Gewohnheit Jugend , ohne Erfüllung i n ihnen fi nden zu können: »H eute konnte si e nicht l esen. Si e b lic kte nur auf die Seiten« (34). A uch in ihren Erwar tungs haltu ngen w ird sie von d er Vergangenhei t und ihr en Sehge w ohnhei ten ei ngeholt: »Sie sah die ganz e Schäb igk ei t dieses kleinen, ausgedi enten Dampfer s, sei ne nachl ässige Bema lung mi t d en großen r oten M enni gfl eck en, die i m Li cht grell leuchteten - die Reederei stec kte k ei n G eld mehr in einen richtigen A nstrich -, die pei nli che Saub erkeit der grau ge w ordenen H olz planken d es Deck s, d as erbli nd ete M essi ng irgend ei nes B esc hlags« (61 f.). Doch die A nkunft d es schwe dischen Dampf ers beflügelt ihre Phantasi e i n neue Richtun gen, d i e es ihr erl auben, von d en P robl emen d es F remden zi mmer s w egzu d enk en, freilich nicht ohne dass sie auch hierb ei i n di e Denk gew ohnhei ten d er Zei t vor ihrer Flucht zu riick f ällt: »E s gi bt auf di esem Dampf er k eine Of f iz i er e, dac hte Judi th, k ei ne geb ildeten M änner, an die ic h mich w enden k ann; in ihrer Vor stellung tau chte das Bil d eleganter b laugekl eid eter Seeof fiz iere auf, mit goldenen Str ei f en an den Ärmel n, ei n schmi ssiges Plakat von H er ren, Kavalieren mit intak ten Ehr begriffen, schw ei gend b ereit, d en Sc hutz ei ner Dame zu üb ernehmen. Sie w isc hte d as Bil d w eg. E s gab Lederjac ken, d enen man G el d anbi eten mu ßte« (62).
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Ju dith w ird sic h in Rerik zunäc hst al s innerhalb ihrer M öglichkeiten Ge fangene bewusst: »E s ist gänz lic h N acht gew orden, dachte Judi th, Innerhalb ihrer Möglichkeiten in das Du nk el am Rand d es Lichtkr ei ses gefangen zu riick gez ogen, i n ei n Schattensegmentzwi schen d em ei nen Lampenrund u nd dem nächsten, und kal t ist es au ch und ic h k ann ni cht i ns H otel z ur iick , w eil ic h meinen Paß ni chtherzeigen k ann. A ber ic h kann au ch ni cht den Koffer ei nfach oben i m Zimmer ste henl assen und verschwind en, er ist d as letz te, w as i ch b esit z e, und au ßer d em w ürd e mic h das ver d ächtiger machen, noch verdäc hti ger, al s w enn ic h ihn jetz t ab hole und for tge he. Und d ann gi bt es noch d i e M öglic hkeit, d en Wir t nac hts klopfen zu lassen. Er ver sc haff t mir dann viell ei cht au ch ei ne M öglic hkeit, von hier for tz ukommen; er ist ei ner, der all e W ege kennt« (65). Schli eßlich lässt si e sic h von d em jungen, angetrunkenen Steu er mann des sc hw edi schen Bootes zu ei nem W hisk y au f das Sc hiff einladen. Dabei l öst si ch di e Si tuati on selb er sc hließlich skurril auf. Offensi chtlic h sind w ed er Judith noch der Steu er mann an ei nem echten Ren· Rendezvous dezvous interessi ert: »N ach ei ner W eil e sah Judith auf ihr e A r mbanduhr ; es mu ßte sc hon ei ne Viertelstunde vergangen sein, sei t si e hier saß. Es ist ganz kl ar, dac hte si e, er will mi ch l os sei n. I ch soll ge hen. E r hat auf einmal A ngst vor seinem Mut bekommen, A ngst vor sei nem Kneipenmut, vor seinem Kneipenver lan gen, er hat gar ni cht damit ger echnet, daß es so l ei cht sein würde, aber es w ar leicht, i chw ar ein l ei chtes Mädchen, und nun ist ihm die Sache peinli ch, er i st in Wi rklichkeit ein ordentli cher junger M ann aus ei ner or dentli chen F amilie« (79).
3. PERSONEN
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Echte Hilfe wird si e von Gr egor er halten, der sie sof or t al s ei ne Jü din auf der Flucht Echte Hilfe identifiziert: »Gr egor erk annte d as G esi cht durch Gregor sof ort; esw ar eines d er ju ngen jüdisc hen G esi chter,w ie er sie im Ju gendver band i n B er lin, i n M oskau oft gesehen hatte. Di eses hierw ar ein besonders schönes Exem plar eines sol chen G esichts. Und au ßer d em w ar es auf un defi nierb are W eise von den G esichter n, an d i e es Gregor er innerte, ver sc hieden« (59). Nachdem sie si ch z unehmend au f si ch sel ber b esonnen hat, au ch ihren Koffer u nd ihre Utensili en, »die hüb schen T oilettensachen« (103) u nd sel bst das B il d der Mu tter w ird si e schließlic h zurück gelassen hab en, gipfel t ihre ei gene Ausweglosigkeit zunächst dari n, Ausweglosigkeit dass di ese von G regor, dem nächtli chen Pas- ihrer Situation santen, dem sie auf der unbew ussten Suche nac h Hil f e begegnet, auc h noc h f or mulier t wird. Sie ent äußert so qu asi garihr en l etz ten eigenen G edank en: »Ju di th fuhr herum. Das also w ar das Ende. M an spr ach ei sk al t und höhni sch den G edank en aus, den si e in di esem A ugenbli ck gedacht hatte, den ei nz igen G edank en, den zu denk en si e noc h i n der Lage w ar, - man hatte si e er wischt. [ .. ] Was ha b en Si e denn jetz t vor ?« (101 f.). A ls si e sich sc hließlic h mit Gregor in der Kircheund vor dem Lesenden Kloster sc hüler wi eder fi ndet, hört der Leser si e sagen: »Das ist eine sehr w er tvolle Pl astik . So wertvoll , b emerkte er spöttisch, daß Sie die Chanc e haben, von die sem B urschen aus H olz mitgenommen z u w erden. A ls Drauf gabe soz usagen. E r i st uns nämlich wi chtiger als Si e« ( 1 1 1). I n di eser unver blüm- Fluchthilfe ten, leic ht spöttischen A rt, mi t d er Gr egor si e anspri cht, ver bir gt si ch noch jeneu nvermittel te Hilfe, die si e .
34
3. PERSONEN
durc h sei ne Unter stützungerhaltenwird. Kl ar bri ngt er den Pl an auf den Pu nk t: »Aber Sie mü ssen jetz t weg! fügte er hinzu . Sie mü ssen wei t dr außen sei n, ehe es dämmert; wir haben schon zuviel Zei t verloren. Ju dith schüttelte den Kopf . Nei n, sagte sie, ic h kann dem M ann nic ht sein Boot wegnehmen. So gehtes nic ht, wie Siees sich ged achthaben« (140). Und doc h wird ihre Flucht nach Sk illinge mIt H ilfe u nd Unterstütz ung der anderen gelingen . Weitere Figuren. Neben den fünf H auptgestalten treten weitere Fi guren, teils al s Stati sten, teils mi t ei gener Hand lungsberechtigu ng auf, die auc h Auf schluss über die zeitbe dingte Verfasstheit geben. E rwähnt wer den Huckleberry Finn (7) al s liter arisc hes Vorb ild des Jungen; der Küster (39); Brägevoldt (12), Elias (15), Kr öger (68) sowie drei weitere namentli ch genannte Fischer (15), diezu den friihe ren Partei genossen z ählen; Bertha , Knu d sens »hüb sche Frau von vierzi g Jahren« (13), die »ei n weni g gei steskrank « (58) i st; der Wirt des >Wappen von Wi smar <, »ei n Bl ock mi t ei nem wei ßen, fetten Gesic ht« (20), dessen Hausknecht (17); der »Herr Konservator .: aus Rostoc k, »ein Gesc hick ter, Wendi ger, ein Karrieri st, der sich durc hsc hlängelte, ei ner, für den es nur T ak tik gab und der i m üb ri gen >das Bes te w ollte.« (28); der Probst von S killinge (30), ein F reund Hel anders, zu dem Helander den Lesenden Kl oster sc hüler b ringen lassen w ill; die Mutter des Jungen (52); zwei Poü zisten an der A nlegestelle (62); sieben oder ac ht Schweden (70), die si ch i m )W appen von Wi smar < ei nfi nden, unter ih nen der Steuermann (78); »ei n paar Einhei mische « (71) al s weitere Knei pengäste sowie ei ne Kellnerin (71); der Arzt Frerking (93), der Helander nach Rostoc k zu Pro fessor Gebhard (93) schi ck t; Franziska , G regors ehemalige Ge-
3. PERSONEN
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lieb te (1 13); die Männer , die H elanderholen kommen (155) und dessen Haushälterin (155). Diese Aufz ählu ng nennt aber keineswegs alle bei spiel swei se i n Ged anken oder T räu men vork ommenden Gestalten oder i m Roman erwähnte Per sonen der Wel tgeschi chte.
4. Werkaufbau
A ngesichts der 37 au feinander f olgenden, unter sc hiedlic h ausführlic h gehaltenen Episoden i st es be 37 einzelne merkenswert, dass nach spätestens zwei von Episoden ihnenwieder ei ne Episode des Jungen ei ngesc hoben wir d . Im Gegensatz zu den anderen Fi guren, die auc h zu zweit oder zu dri tt in den Über schrif ten genannt werden, tri tt er i n sei nen 19 Kapitelü ber schrif ten jewei ls nur allei ne au f ,w obei der entsprec hende Text sel ten mehr als ei ne B uc hseite umfasst. Die Vielz ahl der ihm gewi d meten E pi soden bestäti gt au f formaler Ebene seine i n hal tli chen A bgrenzu ngsver suc he gegenü ber den E rwachse nen und signali siert gegenü ber den verbleibenden 18 ande ren die W ic hti gkeit sei ner Person, wie sie sic h au chw ährend der Flucht i m Ru der bootzei gt. Neben der quasi-szenischen Ab folge der einzel nen E pi so den l ässt si ch f ür die gesamte E rz ählung mi t Zeit und Handdem Ort Rer ik, der erzählten Zeit von etwa lungsstruktur, einem 24-Stunden-Tag (1937) und der ge Erzählperspektive schilderten Ver-und Ent flechtung der fünf Hauptfiguren die Einheit von Zeit, Ort und Handlung al s dr amati sches Strukturelement beschrei ben.2 Rhys Willi ams bezei chnet die »Begrenz ung der Er z ählperspek tive auf den W ahr nehmu ngs-und Ref lexi onsbe reich ei ner kleinen G ruppe von Char ak teren« als »Pri nzip der >parallelen Fi gurenführung«(,3 auc h »simultane F iguren führung« genannt, »ei ne Tec hnik«, die ungew öhnlic h, aber plasti sch auch al s »epi sche Kristallisati on«4 besc hrieben w ir d . Die folgende f ormali sier te Kurzü ber sic ht gi bt die A bfol·
4.
WERKAUFBAU
37
ge der Kapitel w ieder, i nd em die A nf angsKap/telabfolge b uc hstab en fü r d en Jungen 0), Gregor (G), Hel and er (H), Knudsen (K) u nd Ju dith Gd ) genanntw erden: J, G, J, H, J, K, J, Jd, J, G, J, H+K, J, Jd, J, G, J, K+G,J, H+K+G,J, Jd+G+K, J,Jd , J, G+K,J, H,J,Jd +G+H, J, Jd+G, J, K+G+Jd, J, H, J. Peter Demetz stell t das Verfahren, d as A nd ersch anwen det, u m menschliche Fr eihei t zu beschreiben und Hi stor isc hem und Politi schem sein Erzählverfahren Recht zukommen zu lassen, wi e fol gt d ar: »Er verknappt,w ie einer, d er F ilmstrei f enz urec htschneidet, und konz entri er t si ch in seinen 37 Erz ählab sc hnitten (die in M ehrhei t kürzer sind als üb lic he Romankapitel ) d ar au f , di e Denkvor gänge sei ner F igur en z u regi stri er en; und selb st dort, w o in einem tr aditi onellen Roman die Beschr ei bu ng einer Per son od er d er Natur die A ufmer ksamkeit d es Leser s an si ch z öge, schr ei bt er anders und z eigt uns, w ie si ch das G esic ht eines M enschen oder einer W olk e ü ber m Haf f im antw ortenden B ew ußtsein einer Fi gur spi egel t -w as immer wir von dieser W el t, ihren Verhäl tnissen und Di ngen erfah ren, ist schon i n ei n B ew ußtsein hineingenommen, und der E rzähler neigt d azu, ni cht von der W el t sel bst, sondern vom E rschei nen di eser W elt im Bewußtsei n seiner fü nf Haupt personenzu sprechen. Di e Artund W ei se, w ie A ndersch er z ähl t, sagt selb st schon E ntschei d endes darüb er au s, wi e es in ei ner d eu tschen Kl ei nstadt an d er Ostsee, i m Ok tob er 1937, w irklic h zu geht: die Öd e regi er t, die M ensc hen spre c hen selten mi teinander,w eil si e ei nand er nicht mehr tr au en, und die Denk enden denken für si ch all ein.«5
5. Wort- und 5acherläuterungen6
[Motto] 5,2 in Wassergewinden: im W asserklei d , -geflecht, im W asserstrudel. [Motto] 5,4 die ans Rad man flicht: i m Mittelalter z ur Hi n richtung dienendes Rad, auf das man den Verur teilten mit zer schmetterten Gliedern b and. [Motto] 5,7 Einhorn: mythi sches, pferdeähnliches Wesen mitei nem Horn auf der Stirn. [Motto] 5,8 zerspellt : zerspal ten, zer splitter t. 7,4 Huckleberr y Finn : Abenteuerr oman von Mark Twain (1835-1910). 7,10 Gerberei: Handwerk sbetrieb, in dem Tierhäute z u Le der verarbei tet wer den. 8,2 makadamisierte Straße: Makad am: Str aßenbel ag au s Schotter, Splitt und grobem Sand , nac h dem Schotten J ohn C. MacA dam. 8,21 f . Ultramarin : leu chtend tiefbl au, (l at.) ultra marinus >von jensei ts des Meeres<. 8,31 Rerik : Ort an der Ostseeküste. 9,20 lanzett förmigen : F or m wie die einer Lanzenspi tze. 10,31 reisigen: zur Heer fahr t gerü stet, schwer bewaf fnet. 12,8 unter dem Land: i n U fernähe. Senknetz: Netz , d as zum Fi schf ang gesenkt u nd wieder gehoben wird. 12,27 Patience: Geduldsspiel mi t Karten. 12,31 Instrukteure: jemand , der I nstruk tionen erteilt. 13,1 Püttscherkram: Kleinkram,zu (nddt.) Püttseher: U m stands-, Kleinigkei tskrämer . 13,5 au f den Dorsch : zum Dorschf ang. 18,19 Holzsteamer : Holz dampfer .
5. WORT- U N D 5ACHERLÄUTERUNGEN
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18,21 Faible : Vorliebe. 20,21 hanseatisch : hansestädtisc h,hambur gi sch (zu H anse: ehemali ger H andel sverbund von S tädten). 21,26 Moräne : von ei nem Gletscher mitgeführtes Sc hutt materi al , Hü gel. 22,20 Wedding : Ber liner Bezirk . 22,22 Siemensstadt : Berliner Siedlung in Charl ottenburg und Spandau zwischen der Spree und dem H ohenz ollern kanal . 22,35 desertieren : sic h unerlaubt (von der T ruppe) entfernen. 27,3 Verdun : blutiger Kampfp latz des E rsten W eltkriegs. 27,33 Skillinge : Or t an der schwedischen Südkü ste. 28,21 G ötzen : gottglei ch verehrte Bil der oder Gegenstände. 28,23 magaziniert :er fasst, eingeor d net, gespeic hert. 28,29 konservieren : bewahren, vor Verfall schü tzen. 28,31 einzuwecken: ei nz ukochen. 29,24 Vierung : der au s Langhau su nd Querschi f f ei ner Kir che gebildete Rau m der Kirc he, meist quadrati sch. 30,6 Probst : T itel für kirc hlichen A mtstr äger. 31,5 mennigroter [ ] Fleck : roter Fleck. Mennige: rote Rostschutz far be mi t Bleioxi d . 33,28 Baedeker: Kultur reiseführer. 34,34 K 1üterkram : (nddt.) Klümpchenkr am. 39,3 Tenne: Pl atz mi t festem Unter gru nd zum Dresc hen des Getrei des, oft in der Sc heune. 43,6 Papirossi : Papir ossa: (russi sche) Zi garette mi t l angem, hohlem Mundstück au s P appe. 48,9f. phosphoreszierten: leu chteten nach Lichtei nwir kung noc h nach. 49,19 Steamer: (eng!.) Dampfer. .•.
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s. WORT- UND SACHERLÄUTERUNGEN
49,20 Oranienburg : Konzentrationslager der N ati onal so zi ali sten. 57,9 Fisimatenten : A usflüc hte, U mstände. 59,2 Schoten : Lei nen, mi t denen die Segel die zweck mä ßigste S tellung zum Wi nd erhal ten. 60,17f. Besanschots : Besan: G affelsegel am Besanmast; dessen Segel häl t d as Sc hiff in gleic hmäßiger F ahrt. 60,20 Nocks: ü ber d as Segel hinausragende f reie E nden der S pieren. 62,13 Kavalieren : Kav alier: höfli cher, z uv orkommender, tak tv oller Herr . 63,18 Trenchcoat: Herrenmantel mi t Kragen, Schulter klappen und Gürtel . 65,7 Email fl ächen: mei st au f Metallf lächenzu deren Sc hutz aufgesc hmolzene Glasmasse. 65,12 Dogma : feststehender Lehr- oder Gl au benssatz . 68,10 Ankerspill : A nkerwi nde. 72,24 einen distinguierten Gast: einen sich au szeic hnen den, her vorhebenden G ast. 74,12 Zarah Leander : schwedisc he Sc hauspielerin und S änger in. 76,7 Scotch : aus Gerstenmalz geb rauter schottischer Whi s ky mit Rauc hgeschmack . 78,27 Mahagoniholz: wertv olles, rosa-r otbr au nes hartes H olz des M ahagoni baumes. 81,33 Tom Sa wyer: Fi gur i n M ark Twai ns Roman Huckle berry Finn.
81,34 Die Schatzinsel : Roman von Robert Louis S tevenson (1850-94) . Mohy Dick : Roman v on Hermann Melville (1819-91). 81,34f. Kapitän Scotts letzte Fah rt : Gemeint i st das T age b uc h des bei sei ner Südpolexpediti on ums Leben gek om-
5. WORT- U N D 5ACHERLÄUTERUNGEN
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menen br itischen P olarforschers Robert F. S cott (18681912).
Oliver Tw ist: Roman v on Charles Dic kens (18121870).
Karl-May-Bände: Kar ! May (1842-1912), Schriftsteller, Autor von Abenteuerr omanen. 86,22 Doberan : Ostseehafenstadt östl ich von Rerik . 93,4 Ha f f: vom offenen Meer durc h eine Landz unge o. ä. abgeteil ter, fl acher Meeresbereich. 95,18 Mart yr iu ms: Martyr ium: Leiden, gr oße Qual. 98,30 Toccata : (ital .) Vor spiel, frei gestaltetes, in der F orm nic ht gebu ndenes Musikstüc k. 99,24 deus abscon d it us: der ver borgene G ott. 1 04,2 Leinpfadvill a: T reidelpfad , Pfad neben einem Ge w ässer, auf dem meist Pferde Kähne über das Wasser z ogen. 1 04,3 Degas : frz . Maler, G r af iker und Pl astiker . 1 04,4 Chr ysoprasgrün : apfel grüne A bart des Chalzedons, eines Sc hmuc ksteines. 1 06,2 Aura: A usstr ahlu ng. 1 07,2 Lettner : T rennw and zw ischen Choru nd M ittel schiff mittelalter lic her Kirchen. 1 10,16 Nonchalance: N achl ässigkeit, U ngezwu ngenheit. 1 1 1,13 kon f isz iert: beschlagnahmt. 1 13,19 dialektischen Mater ialismus : mar xistisch-leninisti sc he Wel tanschauung, Lehre v om gesetz mäßigen Verl auf der Gesc hic hte. 1 14,9 bourgeo ises : w ohlhabendes, selb stgefälliges, dem w ohlhabenden Bür gertum angehöriges. 120,4 schwoite: schw ojen: sic hv or A nker drehen. 123,27 Dollen : seitl iche H al teru ng für Ru der an der Bor d w and .
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s. WORT- UND SACHERLÄUTERUNGEN
133,30 Tjalk : ei nmastiges Küstenfahr zeug. 141,35 Buhne: d ammarti ger Küsten- oder Uferv orb au, an dem sic h die Wellen b rec hen. 143,30 Furt : f lac he, seichte Stelle i m W asser , durch die man das andere Ufer erreichen kann. 144,5 scharlachroter Strei fen: hellroter Streifen. 148,1 9f . Rotsponabenden: vom F ass gez apf ter Rotwei n. 1 55,27 Ulster : z weireihiger Herrenmantel . 157,2 unter der Küste [ ] 'r um : an der Küsteentlang. 157,8 klarieren : ver z ollen, z um Zol l angeben, dadurch klar mac hen. 158,6 Döbel : Dü bel . •.•
6. Interpretation
Der 1937 spielende Roman Sansibar oder der letzte Grund l ässt si ch nic ht ohne Wissen um die Grunclthe· men der Zeit verstehen. Schon die Atmosphäre des Ro mans, die si ch als düster besc hreiben l ässt, ver weist au f Faschismus und Krieg, die )dunklen Kapitel < der deut schen Geschi chte al s Ermöglichungszusammenhang7 für die gesc hilderten H andlu ngen. A nder s als ei ne schli chte Er z ählu ng bei spielswei se ü ber den All tag in ei nem Ostseeferienor t (w ie ihn Judiths Muttereri nner t ha ben könnte, 18) bezieht si ch der Roman aufei n Vorw issen um Zei tthemen, die si ch u nvollständig mit Krieg, Ver fol gung, Tod und Vernichtung, Unsicherheit, Ungewiss· heit, Schicksalsschlägen , aber auc h den Er fahrungen und Ei nsi chten nac h dem Kriegsende 1945 und anderen kol· lektiven Er fahrungen besc hrei ben l assen: »ein glüc klic her T ag in Rerik w ar sic her ganz anders al s ein T ag auf der Flucht in Rerik,unter einem leeren Spätherb sthimmel« (18). Erst au f diesem Hi ntergrund l assen sic h die individuellen Handlungsweisen der fünf Individuelle Handlungsweisen H auptf iguren als typisierte Verhaltenswei· als typisiene sen voll ständig verstehen. Die mi t den her Verhaltensweisen ausragenden Fi guren z uglei ch vorgeführ te I ndi viduierung und Verei nz elung, so eine These, lässt si ch al s Komplementärzug zur totalitären Entwicklung in Deu tschl and verstehen und i m Roman als deren S chil derung und Überschreitung im gemeinsamen Handeln begrei fen. Der umfangreichen u nd ausf ührli chen E r z ählung, die i n vielen E inz elepisoden zunächst die Fi gu ren vor stell t, u m von deren anf ängli ch stati schen Ersc hei-
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6. INTERPRETATION
nungsbildern eine sic h um den Lesenden Kl oster schüler rankende E ntwi cklung u nd H andlung einzulei ten, ent spri cht eine nu r sehr k napp gehalteneerz ähl te Zei t im U m fang von etwa 24 Stu nden (u ngefähr Mi ttag des ei nen T ages bis M ittag des nächsten T ages). Motivkreise Der Titel
A ndersch selber hat dem Roman Sansibar oder der letzte Grund zu nächst den Ar beitsti tel Graues Licht gegeben.8 Dieser A rbei tstitel passt her vorr agend zur Grundsituation Grundsituation , i n der die H andlung spielt. und GrundÄhnli ch wie i n ei nem gemal ten Bild der Hi n stimmung ter gru nd die Grund sti mmu ng erzeugt, gibt das Rer ik des Romans ei nen H inter gru nd ab, der die Romanhandlung in tri sten, eben gr auem, ni cht hel le m oder klarem Lic ht er schei nen l ässt (vgl. au ch die Si cht Gregor s, 144). Die einzel nen Fi guren treten dabei in ihrer E igenhei t aus dem Bild her vor, wie der Junge, der Pfarrer oder Knu d sen, oder, wie Gregor oder Judi th, quasi von außen i n die Szenerie ein. A ndersch hat mit dem Titel Sansibar oder der letzte Grund die Akzentuierung des veröf fentli chten Romans verändert, weg von der künstleri schen Gestaltu ng hin zu i nhal tli chen M omenten, die si ch an der Figur des Jun. gen festmac hen, aber auc h über sich selber Drei Gründe hinausweisen . F ür den Ju ngen gi bt es drei G ründe, warum er au s dem klei nen Ort Re rik herau s will: »Der erste Grund lautete: weil i n Rer ik nichts los war. E s war tatsäc hlich überhaupt ni chts l os« (9).
6. INTERPRETATION
45
Die ewige Wiederkehr des Glei chen hemmt den Ju ngen, der voller T atendr ang und Hu nger nac h E ntwi cklung i st. Ge genü ber dem rhythmischen E iner lei des A rbeitsalltages und der ihm z ur Genü ge bekannten sonstigen Lebensab läu fe heben si ch seine Träume und Visionen , aber Träume, eben au ch seine M öglic hkeiten al s M öglic h Visionen und keiten der E ntwi cklung gegenü ber der als Möglichkeiten dumpf erlebten Stagnation wohltuend ab. In sofern hier die M ögl ichkei tv on E ntwi cklung als Öffnung u nd Fortschreiten ver standen wird, grei f t die ser er ste Gru nd über die bl oß individuelle Si tuati on des J ungen hinaus, offenb art ei ne al tersspez ifi sche Verfasstheit, b leib t aber au ch bei dieser ni cht stehen, sondern verwei st mit dem Aufzei gen von pri nz ipieller Veränder barkei t au f die Lebendigkeit des Lebens überhaupt. Der z weite Grund fü r eine Flucht au s Rer ik sc heint zu näc hst ein sehr i ndiv idueller Gru nd zu sei n. I n den A ugen der Dor fbewohner i st sein Vater ein Säufer gewesen, sie ha ben ihm, der auf of fener See umkam, kein A ndenken be wahrt. Der Ju nge hingegen i st stolz auf sei nen Vater, der mehr gewagthabe als die anderen F ischer, indem er die stu piden Arbei tsabl äufe durchb rochen u nd si ch mi t sei nem Ku tter au ch ei nmal über die Küstenregion hinweg auf See hinauswagte. Er grenz t sich v on den Dor f bewohnern ab: »Ni cht einmal ei ne T afel haben sie f ür ihn in die Kir che gehängt [... ]. I chhasse sie alle, u nd d as i st der z wei te Grund , warum ic h von Rer ik weg muß« (12). Gegenü ber der sehr i ndiv iduellen Deutu ng als Biographische biograp hische Klärung des Jungen kann Klärung diese H altu ng aber au ch als prinzi pieller Umgang mit der Vergangenheit gesehen wer den. Vergangenhei t wird er st f assbar, wenn sie f ormulier t wird. Der Ju nge führ t
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6. INTERPRETATION
v or, d ass die Deutungen von Vergangenheit nic ht statisc h sein mü ssen, sondern hi nterfragt werden k önnen. Gegen über den ab wertenden Deu tu ngen der Mi tmenschen er for schter die tieferen Motive f ür d as H andeln sei nes Vater s. Dabei zeigt er, dass Vergangenheit im Bli ck auf die Zukunft hin sinnvoll u mgedeu tet werden und Relev anz für d as ei ge ne H andeln gewi nnen k ann. Die v or genannten beiden Grü nde, die den J ungen bewe gen, sind Gründe, die si ch eher al s ei ne Form der A bgren. zung, als Reakti on, al s Rü ckzug beschrei ben l assen. S ie set zen dem al s unertr äglich empf undenen stagnierenden Sein dessen Ni chtung entgegen, ohne sc hon positive Gründe für ei n H andeln au sfindig mac hen zu können. E rst der drit· te Grund, jenes i m Ti tel letzte Grund genannte Motiv, setzt Ziele , die über eine bl oße F luc htbewegung hi nau sgehen: »Aufei nmal fiel ihm der dr itte Grund Sansibar ei n. Während er au f Rerik b lic kte, d achte er Sansib ar, Her rgott, noc hmal, dachte er, San si bar und Bengalen u nd M issi ssippi u nd Südpol . Man mußte Rerik verlassen, er stens, weil i n Rerik nic hts l os war, z weitens, weil Rerik sei nen Vater getötet hatte, und dri ttens, weil es S ansi bar gab, S ansi bar in der Ferne, San si bar hi nter der of fenen See, S ansi bar oder den letz ten Grund« (82). Schon zuv or hatte der Junge den Mut seines Vaters, über die Küstenregi on hinaus auf die offene See zu fahren, beschrieben. Mi t der Setzu ng, d ass Bewegung und Entwicklung ni cht nur F luc ht bedeute, sondern dass dem Weg auf die of fene See auc hein Ziel jenseits der See korres pondieren müsse, geht der Junge selber noc h ei nen S chri tt ü ber die Ver haltensweise des Vaters hinaus. E r entdeckt i n e xistenzieller Betro f fenheit, d ass es, ü ber die b loße N ichtu ng des stagnierenden Sei ns, d as seinen Vater in den
6. INTERPRETATION
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A lkohol und den T od getrieben hatte, eine positive Set· zung hinter dem Horizont geben müsse. Diese M ögli chkei ti st die M ögli chkei t, sein Entwurf ei genes Sei n z u ergreifen und sic h in Frei. in Freiheit heit auf ein Etwas hin zu entwerfen. Der Ju nge erkennt sei ne Si tuati on als Si tuati on, die i n ihrer schei nbaren F ak tiz i tät (ähnli chw ie die Vergangenhei t) in Freihei tü ber schr itten sei n will , u m si ch verantw or tungs v oll au f etw as Neues hin zu entwerfen. Mi t der F ormulieru ng des dri tten Grundes besc hreib t der J unge gleichzei tig au ch erkenntnistheoretisc he Pr ämissen, die eine Vielz ahl von Sinneseindrücken (gegenüber dem beschr änkten Reri ker H oriz ont) als k onsti tutiv für das E rkenntnisver mögen bestimmen. Den Überlegu ngen u nd Visionen des Jungen k orrespon diert gegen E nde des Romans sei n Verhalten . Ver antwor tungsbew usst ü ber ni mmt er bei der Flucht die Initiative und f ührt dasklei ne B oot tr otz der Gefahr,entdecktzu wer den, sicher zum Kutter . Au ch das, w as sich für ihn in kon kreter F or m nach der Landung an der sc hwedi schen Kü ste anschließt, entspri cht zu nächst seinen Über legu ngen, f rei lic h ohne den v isi onären Über sc huss der li terarisch und geographisch besti mmten Orte in Über see. Fr aglic h blei bt an dieser Stelle, w o der >vi si onäre Überschu ss< geblieben i st. Alle Überlegungen des J ungen deuten au f jene großen Ziele in Über see hi n, fern der Küstenregi on. KonSchweden kret ergreift er seine Freihei t in den Wäldern Schwedens , qu ar tiert sic h w ohl nur für weni ge Stunden i n ei ne H ütte ei n, »Mensc h, dachte er, das ist ei n Land, hier lassen sie die Türen ganz ei nfach of fen« (157). Dann jedoc h deu tet er seine im H andeln er gri f fene F rei-
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hei t um. Er mac ht si ch ged anklichw ieder abhängig und for muliert, d ass er erstw irklic h frei sei, wenn Knudsen abge fahren sei , u nd macht si ch au f den Weg, um z u entdecken, dass der Ku tter noc h daliegt. Deu tungsmögli chkeit ei ns für dieses widersprüchliche Verhalten: Er Widersprüchhat nic ht die volle Freihei t ergriffen, son liches Verhalten dern ist in seinen Trott z urü ck gef allen. des Jungen Deutungsmöglichkeit zwei: E r hat d as Gespr äch mi t J udith er nst genommen und ist sic h seiner Verantw ortung für Knudsen u nd sei ne Mutter, die er zunächst weit v on si ch gewiesen hat (146 f .), bew usst geworden. A llerdings hat er schon f rüher v on den ei genen M ögli chkei ten in A bgrenzung von Knudsen gesprochen (25) und Knu d sen nac h der Schlägerei mi t G regor sogar ge radez u ver raten (140). Deutu ngsmöglic hkei t drei (die zwei nicht ausschließt): E r hat sic h al s denjenigen besti mmt, der in Freiheit jenes Leben bejaht, für d as Knu d sen, auch in seinen durch die F luc ht erwei terten M ögli chkei ten steht. Damit hätte er die F ormulierung des letz ten Gru ndes, fort z ugehen, um die Möglichkeit, in gew onnener F reiheit z u b lei ben, ergänz t. E r bejahte damit ger ade jene grundstän. dige Form des Lebens und des Miteinanders, w ie es sic h in der gemeinsam arrangier ten Flucht bew ährt zu haben sc heint. Grei f t man etwas weiter über den Text hinaus, könnte man das Verhalten des Jungen auc h so besc hreiben, dass er sic h selb st i n den Möglic hkeiten sei ner F reiheit er kannt hat u nd dass die F or mulierung des letz ten Gru ndes doch nur ei n weiteres Argu ment f ür ei ne Flucht gewesen w äre. Demnac h hätte er die U nau sweic hlichkei t erk annt, sic h selber in F reiheit u nd i m Bew usstsei n der Verantw or tu ng als denjeni gen zu setzen, der nic ht flieht, sonder n sic h für diese Si tu ation entschei det und diese bejaht: »Der Ju nge
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blickte nic ht mehr in den Wald zurück , alser den Steg be tr at. E r schlender te auf d as B ootzu, al s sei nic hts gesche hen« (159). Den I deen für eine äußere Entwicklung des Ju ngen, welche die Si tuation in Rerik, die sehr beengt erscheint, i n der F ormulierung des letz ten Grundes um die Perspektive der ganzen Welt erwei te rt hatten, ent spräche damit die innere Entwicklung zum Bewusstsein der Freiheit u nd zur elementaren Verantw or tung für diese F reiheit. Wie Sartre for Freiheit muliert: »E s gi bt Freihei t nur in Situation, in Situation, und es gibt Situati on nur durc h die F reiheit.«9 Situation Zu diskutieren bleibt, ob der Junge mit die durch Freiheit sem Schritt nicht doch hinter dem k onkreten Gehalt der einstigen Visi onen, nämlic h dem A ufbruch i n die Welt, z urü ckbleibt und si ch ni cht selber den z uvor abge lehnten Ged anken u nd Lebenswel ten der Erwac hsenen an passt. Ob Überlegu ngen, die Ver antw ortung für andere, wie seine Mu tter oder den Fischer Knu d sen, zu übernehmen oder die E ingebu ndenhei t i n d as beruf lic he Milieu ei ne Rolle für sei ne E ntscheidung zur Rüc kkehr gespiel t haben, muss au ch dahingestellt blei ben. Die Partei
Bemerkenswert ist zu nächst, dass im Roman »die P artei« zwar ver ständlich al s kommunistische Partei durc hsc heint, aber, wenn von ihr gesprochen wir d , wenig mehr gesagtw ird als »die Partei «. Umgekehr t »Die Partei« und wird über die F aschisten oder die NSDAP »die Anderen« auc h nur in der Kurzf orm »die A nderen« beri chtet.lo Sc hon dieser ei nzel ne Bef und l ässt den Sc hluss zu, dass anderes im Vorder gru nd steht als eine genu in poli ti sche
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A usei nander setzung oder ei ne umfassendere gesellschafts kriti sche A nal yse des »Dri tten Reic hes« au f der Ebene der off iziellen E r schei nu ngsf ormen von totali tärem Unrechtsstaat und Wi der stand sbewegu ng. Zentral Individualität si nd demgegenüber viel mehr die einzelnen gegen Anonymität Persönlichkeiten, ihre zwischenmensch· lichen Beziehungen, die si ch zunehmend jenseits bestimmter Organisationsformen k onsti tuieren, und die Gestal tung des lebensweltlichen Alltags in einer Zeit totalitärer Bedrohung. »Denn der N ationalsozi alis mus wird in diesem Roman nic ht al s konkreter politi sc her F ak tor behandelt, sondern f ungier t al s anonyme M ac ht der totalen Bedrohu ng des Menschen als Si nnb ild der T yran nei .«!! Ger ade dadurch, d ass der Nationalsozi ali smus und F aschi smus mi t sei nen Ersc heinungsfor men ausgeblendet w ir d (ab gesehen von der Si tuati on, i n der Hel ander seine le tz te T at voll br ingt) und die ei gentli che Gegnerschaft im Hi ntergrund des Geschehensverb leib t,w ird Sol idar itätver hindertu nd Mi sstrauen genährt. Wenn wiederhol t von »der P ar tei« die Rede i st: Was macht »die Partei« i m Roman aus? Wel che Rolle spielt sie für die H andlung? W elche Rolle für die einzel nen F iguren? Zu Begi nn der H andlung erfährt der Leser am Rande ü ber den poli tischen Ver lau f i n Rerik nac h Vor 1937 der M ac hter grei f ung der Nationalsozi alisten 1933 bis zur Situation 1937, i n der man nicht mehr über »die P artei« spreche (15): »E s w ar merk w ürdig z ugegangen: zwei Jahre Vorberei tung auf die Illega lität, d ann zwei Jahre des Zu sammenhal te ns, darnach Stag nati on. U nd nun, i m J ahre 1937, da niemand mehr viel be für chtete, z ogen die A nderen plötzli ch die Schr au be an. M an hörte v on Verhaftungen i n Rostock , in W ismar, in
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Brunshaupten, an der ganzen Küste« (15). I n der Konse quenz haben sic h die meisten P arteigenossen i n Rerik v on der Par tei z urü ck gez ogen: »Die A nderen mußten si ch dar auf verl assen k önnen, d aß ni cht mehr ü ber die P artei ge spr ochen wurde. Wenn nic ht mehr über sie gesprochen wur de, gab es die Par tei nic ht mehr« (15). A m einf achsten ist wohl die Fr age z u beantwor ten, f ür wen die Partei noc h Bedeutung hat. Ganz of fensichtlich wird Gregor als Verbindungsmann, der den Kontakt hält, v or gestellt. E r su cht Verbindungsmann Knudsen, den sich zurückziehenden Kom� munisten, auf. F ür Gregorhat die Par teiv or
Gregor, Kontaktmann Knudsen
seiner Zei t in Rerik k onkrete Bedeutung gehab t. Er besuchte die Lenin-A kademie, nahm als Beglei ter an M anövern der Roten Ar mee au f der Kri mhal bi nsel teil und i st dur ch Lek türe ei nschl ägiger Liter atur k ommu nis tisc h soz iali siert. A uc h dass er jenseits seiner Deck namen keine weitere I denti tät als die Bez iehung zur Partei offen kundi g werden l ässt, wei st au f ihre i mmense Bedeutu ng in seinem Leben hin. Demgegenü ber i st der Kontak tmann Knu d sen z war noch parteigebu nden, z ieht sich jed och an gesi chts der drohenden Verfolgu ng bi s hi n zu I nternierung, Siechtum und Er mordung im KZ auf sei ne familiäre I den tität z urü ck . W ährend Gregor seine A nwei sungenu nmi ttel bar v on der Partei erhäl t, tr itt sie anderen gegenüber, wie Knudsen, nur mittel bar auf. Doch so konkret, wie die Par tei Gregor H andlungsanweisu ngen gib t, so Abstrakter Koflektivsingular ab strakt wird sie im Rahmen der Erz ählu ng nur als KoUektivsingular angeführ t, dem »die Partei« keine menschlichen Individuen mehr z u entsprec hen schei nen. Ledigli ch Gregor er wähnt z u Beginn
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der Erzählu ng »die Leu te« im Zentr alk omitee, die jedoc h weit weggerückt von konkreten Wirklichkeitsvollzügen ihr Dasein ver bri ngenu nd die demgemäß sel bst dem unmit tel baren Verbindu ngsmann G regor bei seinem Eintreffen in Rer ik als entf remdet erschei nen. »Die P artei « hatwenig für die einzel nen Menschen oder die Besonderheitenv on Orten übrig: »Er w ar au f diesen Anbli ck [der T ürme v on Rerik ] nicht gefaßt. Siehätten es mir sagen können, d achteer. A ber er wußte, d aß die Leute im Zentr alk omi tee f ür so etw as kei nen Si nn hatten. F ür sie w ar Rerik ein P latz w ie jeder andere« (22). Die Vorstellungen von der P artei blei ben im Laufe der Erz ählung durc hgehend unv oll ständi g und u nkl ar. Sie blei bt ei n fernes Etwas, dessen ebenso ab str ak te Kennzeichen Macht, Zusammenhang, Befehls· gewalt u nd Abhängigkeitsverhältnisse si nd . E ntsprechend k ann die Partei i n den Gespr ächen zw ischen Gregor und Knu d sen noch Geltungsansprüc he behaupten, ange sic hts der eigenen Si tuation u nd Bef indli chkeit sowie der morbiden Kommunikati onssi tuati on er sc heint sie jedoc h z unehmend al s Konstrukt. Das abstrakte Konstrukt »die Partei.: wird i mmer si nnentleerter, immer irrealer, i mmer entfremdeter von der Wirklichkeit, w ie sie sic h den Men sc hen i n ihren jeweiligen Bestrebu ngen d ar stellt. E ntspre chend u rteil t der auktoriale E rz ähler au chü ber die F ortexi s tenz der Par tei i n Rerik: »Wenn die neuen A nwei sungen des Zentr alk omitees die P artei i n Rer ik ni cht mehr errei chten, dann gab es keine Partei i n Rerik mehr . Dann gab es für Knu d sen w ie für alle anderen nur noc h die Dor scheund die Heri nge. U nd Bertha« (15). Spätestens im Gespr äch zwischen G regor und Knu d sen (46 f.) enthüllt sic h die Zwiegespaltenheit bei der Di alog partner gegenü ber der P artei . Inhalt des Gespr ächs ist eine
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neue Parteigliederung, die von G regor an Knu d sen weiter gegeben werden soll . Die inhaltliche A usei nandersetzung stößt jedoc h au ch hierbei auf die lebensweltlichen Gren· zen, w as sow ohl in den Gedanken Knu d sens deutli ch w ird als au ch d ari n, dass G regor i n Gedanken noc h l ange bei der Fi gur des Lesenden Klostersc hülers verweilt, die ihn wei t mehr besc häftigt als die Neugliederung der Par te i. Gegen über der Einsamkeit der E inzel nen im Leben und E mpfin den, die in den zurü ckhal tenden Dialogen deu tli ch w ird, b leib t jenseits der Inhal te die bl oße Gemeinsamkeit der Parteizugehöri gkeit. Wenigstens diew ird au thentisc h ange mahnt: »Können wir nicht einfach Genossen blei ben, ohne etw as tu nzu mü ssen?« (47). Neben dem ab strakten Konstruk t »die Par te i« mit ihrem M ac htanspruc h, d as angesic hts der i ndiv iduellen Identi täts b ildung zunehmend er odiert, wird im Roman au f der Ebe ne der Or gani sationsf orm eine strukturelle Partei und Kirche Ähnlichkeit der Partei mit der Kirche nahe gelegt, die sic h v order gründig z unäc hst in der Kirche al s Zuflu chtsor t zeigt. Dass diese Ähnli chkei t sich konkret au swirk t, bemerkt Gregor ir onisch: »Und dann dac hte er: so wei t i stes al so schon gekommen mi t uns, daß w ir unter den Fenstern eines P f arrhau ses aufatmen. Er gi ng hinüberzur Kirc he und die paar S tufenzum Portal hin auf: der ei ne der beiden F lügel öffnete sich, als er d agegen drü ckte. Er bef and si ch i m südlichen Querschi f f,u nd er gi ng rasch zur Vierung vor, u m nac hzu sehen, ob der Verb in dungsmann au s Rerik schon d a w ar « (39). A ufl ösungser scheinungen der Partei und ihrer Organi sationsf or m wer den beschrieben al s Öff nu ng hi n z u anderen I nstituti onen, die sich au ch durc h ihren Charakter al s Gl au bensgemein schaft au szei chnen: »Hör mal zu, Knu d sen, sagte Gregor ,
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du k ennst die neu e Taktik der P artei nic ht! Wir ar beiten jetz t mit allen zu sammen: mit der Kirc he, mit Fragwürdige d en Bür ger n, sogar mit den Leuten von der ParteiA rmee. Mit all en, die gegen die A nderen zugehörigkeit sind . - E r deu tete auf die F igur: Wenn wir ihn wegbr ingen, l ief ern wir ein Beispiel f ür diese T aktik « (56 f .). Würde man mit der Interpr etation weit gehen wol len, könnte man f ast f or mul ier en, d ass d er Kir chensc hlüssel in der T asche Gregor s (68) symbolisch d en ge wechsel ten Bez ug von der Verpflic htu ng auf die Par tei hin zur Kirc he u nd der ind ividuellen Ziel setz ung, d ie F igur zu retten, bedeute. Wie ber eits erwähnt, korr espondiert d en Zweifel n Knudsens und G regor s an d er P artei der grund sätzl iche G laubensz weifel des Pfarr er s H el and er. Den sic h an d ie jeweiligen Or ganisationsf ormen der P ar tei oder der Kirche gebunden fühl enden Pr otagonisten gel ingt sc hließlic h jeweil s ei Identitätsfindung jenseits der ne Identitätsfindung durch Abgrenzung Organisation, Emanzipation
vom Geltungs- und Machtanspruch der übergeordneten Organisation u nd durch das Setzen individueller Handlungsmoti.
die al s inner e Ziel setzung im P roz ess der I d entitätsf in dung weitau s stärk er ver pfl ichtend sind als die von au ßen an die P ersonen herantr etenden H andlungsmaximen und A r beitsaufträge. I n einer z entralen P assage formuliert Gr egor diesen Emanzipationsgedanken, indem er das Verhäl tnis des I nd ividuums und seiner Fr eiheit z um autoritär en und bevor mundenden Char ak ter der Partei, die Auf träge erteilt, entl ar vt, und entscheid end e Fr agen zur I d entitätsbil dung formul iert: »Ich will nicht A ngst haben, weil ich Auf träge ausf ühren mu ß, an d ie ich ... er fü gte nic ht hinzu: nicht mehr glaube. Er dachte: wenn es ü ber hau pt noch Auf träge ve,
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gi bt, dann si nd die Auf träge der Par tei die ei nz igen, an die zu glauben sic h noc h lohnt. Wie aber, wenn es ei ne Wel t ganz ohne Auf träge geben sollte ? Ei ne ungeheuere Ahnu ng stieg i n ihm auf: k onnte man ohne ei nen Auf trag leben?« (41). Zunächst ver suc ht Gregor, sei nen E manzipati onsge danken noc h mit der P artei durchzusetzen, indem er seine neue Handlungsmaxime, den Lesenden Klosterschüler zu retten, al s Erfüllung ei ner neuen T aktik der Partei dekla
riert. Die P artei zeigt si ch als starresu nd sinnloses Etw as ge rade im M oment aufbrechender F reiheit, w ie sie zu nächst von Gregor vollz ogen w ird. »A ber plötzlich saher [H elan der] Gregor s H and . Sie lag au f der Schul ter des >Lesenden Kl oster schüler s<; i n ei ner leic hten u nd brüder lichen Bewe gu ng hatte sie si ch auf d as H olz gelegt« (58). Jenseits einer andeutu ngswei sen u nd vorder grü ndigen A f finität der G laubensbekenntnisse zwi schen Partei und Kir che geht der Weg der E manz ipati on hin zur Selbstfindung in direkter zwischen· Selbstfindung in zwischenmenschlicher Kommunikation, die sichv on autor itären Gr oßi nstanzen, v orgef asster Be menschlicher Kommunikation gri f f lic hkeit und einschl ägi gen Deu tungsmu stern zu gunsten ei genen Denkens abz ulösen bereit ist. Gregor zu Judith: »Ich meine d och nur, Sie soll ten den T od Ihrer Mu tter ni cht nur als ei nen Unfall ansehen ... Was i st er denn? hörte er sie fr agen. Er schwieg ei ni ge Zei t und dac hte nach. E s i st gar nic ht so leicht, darauf zu ant w orten, ü ber legteer. F rüher hätte i chetw as von F aschi smus gesagt, von Gesc hic hte und Terr or. Er ist ei ne kleine Ziffer im Pl an des Bösen, sagte er schließlic h. Genauso, dac hte er im glei chen A ugenbli ck , wü rde der P farrer sei ne A ntw or t for muliert haben« (109). In ei ner der heikelsten Si tuati onen der E rz ählung, die
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gleic hzei tig - obwohl von Knudsen vorweggenommen (88) -einen H öhepunkt der Erz ähl dr amatik darstellt, offenb art sic h nach dem Durchgang durc h den E manz ipati onsprozess von den gr oßen Wel tdeu tungsi nstanzen eine neue Hilflosigkeit der Weltdeutungskom. Hilflosigkeit der Weltdeutungspetenzen, die zum Zufallhi n aufgelöst wird: kompetenz »Aus ir gendeinem Grund hatte irgend je und Zufall mand auf dem Zoll boot den Schei nwerfer für eine Mi nu te ab geschal tet, es gi bt al so etwas, was man Zufall nennen k ann, dachte G regor, obwohl es nach dem Dogma der P artei kei nen Zu f all gi bt - auc h Wil le nsfreihei t gib t es in ihm ni cht, dachte er -, hinter dem tr ansparenten Sc hein eines Zuf alls steht dieu ndurc hdringli che Wand von Naturgesetzen, man hat für jeden Zufall die Gründe z u suchen, die ihn zu ei ner N otwendigkei t machen, al so hi nter dem A bschal ten ei nes Sc heinwer fers die G ründe, die ei nen Zollpoliz isten bewegen, ihn genau i n jenem Mo ment zu unterb rec hen, der genü gt, ei ne F luchtzu retten, so daß auch die Rettung dem Kausali tätsprinzip gehorcht, der Kausali tät der N atur, wie die Partei sie lehrt, oder der Kau salität G ottes, wie die Kirc he sie lehrt, aber die Kau sal ität der Kirche er sc hien Gregor in diesem A ugenbli ck , während sie dem si ch entfernenden P olizei boot nac hb lic kten, an nehmb arer als die der P artei, weil sie, wenn sie sc hon alles au f den Willen G ottes z urüc kführte, wenigstens diesem die Freihei t ließ, seine Zufälle dort z u wirken, wo sie ihm ger a de angebrachterschienen« (130 f .). Für die E rz ählung gilt, wie schon bemerkt, d ass die vor geführte Erscheinungswei se der Par tei al s Kollektivsi n gul ar und die von den F iguren i n der E manz ipation von höheren M ac htanspriic hen gez ogenen Konsequenzen au f dem geschilder ten H inter grund der P rämi sse totalitärer
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Bedr ohu ng durch Faschismus und Krieg z u Prämisse ver stehen sind. H elmut H eißenbüttel formu totalitärer liert: »Die Ak tion Gr egors, die A ktion eines Bedrohung durch einz el nen, nicht einer P artei oder Gruppe, Faschismus kann nur z ustande kommen, weil Gr egor er und Krieg kennt, um w as es in W ahrheit geht. Er er kennt, d aß auch die Partei, d er er in der Opposition gegen das unmenschlic he Regime d ient, ihr er T endenz nach einer ähnlic hen U nmenschlic hkeit zu neigt. Die Üb erz eugung, auf d er Seite z u stehen, d ie das Besser e b ew irk en kann, ver liert sich in dem A ugenbl ick, in dem er sieht, d aß auch d or t der Mensch und die menschlic he Gesellsc haft z um Objek t w ird, z ur Schachf igur und zum Sc hac hspiel um die ab strak te Macht, in d em er sieht, daß es nicht damit getan ist, das akuteu nd darum hassenswerte Böse mit dem mögl icherweise ebenso böse Werd end en zu vertau schen.«12 A ndersch vermag mit seiner Ak z entu ier ung weg von der Partei hin zu den existenziellen Einzelschicksalen klare Orien tierungspunkte z u setzen. A m kleinen Städtchen Rerik verdeutl icht er ab er auc h die Sc hw ier igkeiten, d ie sich individuell organisiertem Widerstand gegen den tota litären Faschismus stellen.
Der Ort
Rerik gib t al s kl eines Hafen· u nd Fischereistädtchen d en Hinter gru nd ab, in den die einz el nen F iguren, die zunächst für sich bl eiben, eintreten, au f dem sich ihre Spuren, die sich Spuren nur z ögernd u nd l angsam kreuzen, dann ein durc hsic htiges Miteinander vor in Rerik kreuzen stellen, b ei d em es nac h u nd nach auc h z u echten Kontakten zw ischen ihnen k ommt, um sic h sc hließ-
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lich Spur für Spur wieder vom gemei nsamen Or t Rerik z u entfernen u nd al s Einzel ne aus der gemeinsamen Hand· lung zu lösen, freilic h ohne d ass ei n klares, au sfor muliertes E nde der Romanhandlung bz w. der einzel nen H andlungs stränge offenkundi g wird. Der rel ativ klei ne Or t Rerik , von Fisc herei und H andel geprägt, ist wirtschaftlich eher unbedeu· Überschaubare tend. Rer ik ist ü ber sic htli ch, sei ne über· Geographie schaubare Geographie verbi ndet die ei nzel nen E pi soden mi teinander. H elander und Knu d sen sehen, während sie si ch unterhal ten, den W irt des Gasthau ses, durc h den sie sic h beobac htet f ühlen. U mge kehrt sieht J udi th nahezu glei chzeiti g durch die Fenster der Gaststu be den beiden, die sie nicht kennt, bei m Gespräc h z u. U nd Hel ander ber ic htet über Gregor: »Der ju nge Mensc h benimmt sic h wu nder bar u nau f f ällig, dachte He lander , wenn i ch nic ht wüßte, wel che Bedeutung er hat, wür de er mir ni cht auff allen, ni chteinmal in dieser Stadt, die so klein ist, d aß jeder au f jeden aufpaßt und jeder, der neu ist, von tausend Augen registriert wird « (150). I nsofern alle Fäden nach Rerik l aufen und alle Fäden von dor t aus weiter gehen, kann Rerik als Zu· flucht und als Durchgangsstation ver stan Rerik als Zuflucht und Durchgangs- den wer den, die mul tiperspek tivi sch durch station antagonistische Bewertungen erschl ossen wird. Für den Jungen bedeu tet Rer ik zu nächst eine A rt von engem Gefangensein, für Ju dith ist der Or t al s u nbedeu tender Ort das T or zur Welt: »[ .. ] du mußt es in Rerik versu chen, das i st ei n toter kleiner P latz , an den denk t niemand« (18), »Sie hatte si ch Rerik ganz ander s vor gestellt. Klein u nd bewegt und freu ndlich. Aber es war klei n u nd leer, leer u nd tot u nter seinen r iesigen roten .
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Tür men« (19). I n den A ugen Gregor s bietet der Ort Rerik Schu tz für Knudsen, glei chzei ti g enthüllt sic h ihm in f ol gendem Zi tat die doppelte Perspek tive, die der Ort mi t Schutz oder Rückzug u nd Weltoffenheit bietet: »Du hast einfach die Sc hnauze v oll, mein Lieber, dac hte Gregor. Du willst dich i n dei nen Wi nkel ver kriec hen und an die Partei gl au ben. U nd i ch, w as will i ch? Ichw ill aus mei nem Wi nkel rau sund irgendw ohin, w o man noc h nac hdenken kann, dar über nac hdenken, ob es noch einen Sinn hat, an die P ar teizu gl au ben« (49). Der Or t al s H inter grund der H andlung w ird tr otz der doppelten Per spektive nahez u dur chgängi g i n einer düsteren Grundstimmung Gefühlslagen gehal ten. Er dient qu asi al s Projektions· in düsterer Grundstimmung fläche f ür die individuell ähnli ch dü steren GefÜhl,lagen. Judith: »Die N acht w ar jedenfall s schrecklich, du nkel und k al t, das Meer hinter dem H afen w ar schw arz u nd ni cht mehr vom H immelzu unter scheiden im grellen Lic ht der Kail ampen, die H äuserw aren unten bluti grot und oben, w o sie ni cht mehrv om Li cht er faßt wurden, dunkelrot,v iele Menschen gi ngen al s au f rec h te Schatten ihrer liegenden Schatten umher, Schl agsc hatten schw ärze unter ihren Nasen, in ihren Au gen, und die eis kalten Wind stöße fl atter tenw ie F ahnenzwisc hen ihnen,wie die k al ten F ahnen der blutigr oten T ürme, die jetz t ange strahlt w aren, grelle, wü tend aufgeric htete geblendete und blu tende Ungeheuer « (66). Gregor: »A ber die Stadt w ar zum Staunen. Sie w ar ni chts al sei n dunkler, sc hiefer farbener Stri ch, aus dem die T ürme aufwuchsen« (21). Nur gelegent lic h setzen si ch E lemente der H offnu ng hell oder f arbigv om H inter gru nd Rer iks ab: »Mu tl os blic kte sie au f die F ahne, die blaue F ahne mit dem gel ben Kreuz , die manchmal i n ei-
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ner Bö knatterte; sie war das einzi ge hier, was nicht bluti grot war, kalkweiß oder schattenschwarz « (66). Und nac hdem sic h Knu d sen und der Ju nge mit dem Kutter pl angemäß nicht nur i m E ntsc hluss zur Flucht, sonder n au ch i n der ge meinsamen H andlung als H off nungstr äger auf den Weg ma chen, f äll t der H afen von Rerik al s H inter grund in voll· kommene Dunkelheit: »In diesem A ugenbli ck er loschen die B ogenlampen au f dem Kai. Der H afen von Rer ik war ei nen Au genblick völlig schwarz . Über dem Sc hwarz standen in der gleic hen Sekunde die T ür me wie Monstren, völlig nack t, in blendender r oter Grelle, von Blut überströmte Riesen, die sich im T odesk ampf noch einmal au f ger ic htet hatten,u m si ch auf die Stadtzu stürzen, auf die Schwärze zu ihren Füßen« (92). Die Türme si nd es, die den Charakter des Ortes mit bestimmen, Orientierung bieten (sogar al s Die Türme »Seezeic hen«, 22) und glei chzei ti g Überwa· chung suggerieren, die im Or t gefangen häl t, bis hi n zur tödlichen Bedrohung, die durc h »rot« oder »blu trot« nahe gelegt wir d . Nic ht von u ngefähr sc heint d a mit auch der Char ak ter der nationalsozi ali sti schen Konzen· trationslager weni gstens angedeutet zu sein. E r st in der riic kblic kenden Per spektive Gregors, von dem die Tür me au ch das erste M al er wähnt wer den (21 f.), verbl asst ihr Ein druc k i n der Ferne: »Als er auf sah, er blic kte er die Tür me von Rer ik i n der Ferne. Von hier aus gesehen waren sie kei ne schweren r oten Ungeheuer mehr, sondern kleine bl asse Klötze i m Gr au des M or gens, fei ne qu adr atische S täbe, blau grau am Rande des H af fs« (143 f .). I n der ni chtliter ar isc hen Realität entsprechen die geschil derten Tür me wohl den Tür men der Kirchen i n Lü beck, Wi smar, Dober an und Rostock.13
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Der Lesende Klosterschüler
»Die Idee z um Kerngeschehen des Romans gew ann A ndersch durc h einen Beric ht über die tatsächl i c he Rettung einzelner Barlach·Plastiken Rettung von Barlach-Plastiken vor den N ationalsoz ialisten dur ch den H amburger I ndu str iellen H ermann F ürchtegott Reemtsma.«14 Der Lesende Klosterschüler ist d ie für d ie H andlung z entrale F igur. G elegentlich w ir d sie w egen ihrer Bedeu tsamk eit für die G esamthandlung gar als sec hste H auptf igur genannt.15 A n ihr entdec kt Gr egor seine wahre Identität, H elander setz t mit seinem En gagement für d ie F igur ein positives Zeichen, sow ohl Knu d sen als au ch der Junge können sich mit ihr er U nter stü tz ung der Flucht an ihr bew ähren und auch Ju d ith verdank t ihr die Fluchtmöglichkeit. Bei der F igur selber handel t es sic h u m eine Plastik. Gre gor beschr eibt sie au sf ührlich: »Die F igur stellt einen jungen M ann d ar, d er in einem Beschreibung Bu ch las, d as au f seinen Knien lag. Der ju nge der Plastik M ann tru g ein langes G ew and , ein Mönchsgew and, nein, ein G ew and, das noc h einf acher w ar als das eines M önchs: einen l angen Kittel. U nter dem Kittel k amen seine nackten Füßehervor. Seine beiden Arme hingen her ab. Au ch seine H aare hingen herab, gl att, zu beiden Seiten der Stirn, die Ohren und d ie Schl äfen verdec kend. Seine Au gen brauen mündetenw ie Blätter in d en Stamm der gerad en Na se, die einen tiefen Sc hatten auf seine r echte G esichtshälfte w ar f . Sein Mund w ar nicht z u klein u nd nic ht zu gr oß; er w ar genau r ichtig, u nd ohne A nstr engung geschlossen. Au ch d ie A ugen schienen auf d en er sten Bl ic k geschlossen, aber sie w ar en es nicht, der junge Mann schl ief nicht, er
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hatte nur die A ngewohnheit, die A ugendec kel fast z u schlie ßen, während er l as. Die Spalten, die seine sehr großen A u gendeckel gerade noch f rei ließen, waren geschwungen, z wei großz ügi ge und ernste Kurven, in den Au genwi nkeln so u nmer klic h gekrü mmt, d aß au ch Wi tz in ihnen ni stete. Sei n Gesi cht war ein f ast reines Ov al , in ei n Kinn au smün dend, d as fein, aber nic ht schwach, sondern gel assen den Mund trug. Sei n Körper unter dem Kittel mußte mager sei n, mager u nd z art; er dur f te of fenb ar den jungen M ann beim Lesen nic ht stören« (42). H elander i st es, der die Fi gur in die Romanhandlung einführt. Er spr ic ht Knudsen nachv ier Jahren Der Lesende des Schwei gens an und bittet ihn u m H ilfe, Kfosterschüfer obwohl er ihn nach der Machtergreifung als in der Roman roten Hund diffamiert hatte (26). I ndem Hel ander Knudsen um H ilfe bi ttet, die Fi gur handlung aus der Kirc he und dem Ort her au s nach Skilli nge z u b ringen, wird deu tlich, wie wic hti g Helander diese F igur ist. Knu d sen reagier t anfangs ungehalten: »Der Pfaf fe, dac hte Knudsen. Der verrück te Pf affe. Ic h soll ihm seinen G ötzen retten« (28). Zu nächst i st ü ber die F igur nur zu er fahren, d ass sie als k au m hal bmetergroße H olzpl astik in der Kirche stehe und dass Hel ander A ngst habe, sie kön ne ihm weggenommen wer den. Auch er sc heint im Auf trag, nämlich i m Auf trag seines Gl aubens zu handeln: »Ich soll sie den A nderen ab liefern. Sie wollen sie mir aus der Kir che nehmen. Sie muß nach Schweden i n Sic her heit gebr acht wer den« (28). »Weil die A nderen den >Kl oster sc hüler< an grei fen, dachte Hel ander, ist er d as große Heili gtum. Den mächti gen Christus au f dem A ltar lassen sie in Ruhe, sein kleiner Schüler istes, der sie stört« (29). Gegenü ber der sc hwer fälli gen Kommunikati on, die die
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Beziehu ngen z wischen allen lebenden F iguren prägt, wirk t eine er ste intensivere Begegnung zwischen Gregor und Gregor und der Plastik des Lesenden Kl osder Lesende ter sc hülers geradezu kommu nik ativ. Gregor Klosterschüler setz t si ch mi tihr auseinanderu nd entdec kt in der F igur A ntworten auf Fragen, die ihn be sc häftigen. Gegenüber den bl oß äußerli chen Ähnli chkei ten des so S itzens, angesi chts dessen er sich an Sitzen und Lesen Zei ten i n der Lenin-Ak ademie eri nnert, gewinnt die Figur Au ssagekraft bez ügli ch der A rtu nd Wei se des Lesens: »Was tat ereigentlich? Er las ganz ei nfach. Er las au f merk sam. Er l as genau . Er l as sogar in höchster Konzentr ati on. Aber er las kri tisch. Er sah so aus, al s wisse er in jedem M oment, was er da lese« (43). G regor wertet die Fi gur gegenü ber den anderen Fi gu ren des Romans auf. S ie (jenes »hölzerne Wesen«, 133) gewinnt gegenü ber den anderen Figuren an Lebendigkeit und Selbstständigkeit, indem Gregor ihr weiter Menschlichkeit hi n menschliche Züge wie Willen, Empfin. dung, Konzentration oder Zielsetzungen z ugesteht: »Ei gentli ch sind wir zu v iert, d achte G regor. Der Bursche, der dort si tz t u nd liest, dreht si cherli ch au ch das Worti m M undherum. Er drehtes heru mu nd befühl tes v on der anderen Seite« (54). U nd , angesic hts von Judith: »Num mer drei , dachte Gregor, während er d as M äd chenbeobach tet. Nu mmer drei, die fliehen will. E rst war es nur ich, dann ist der Kloster sc hüler d azugekommen, jetz t diese d a« (61). Die Menschli chkei t, die Gregor gegenü ber der F igur auf b ringt, i st unvergleichb ar. Ledigli ch einmal gelingt es ihm, sic h gegenü ber Ju dith ähnlich mensc hlich zuverhal ten. Dies wir d deu tli ch, als Gregor dem Lesenden Kl oster schüler die Decke ab nimmt, u m sie J udith zu geben (131).
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Die gr ößtmöglic he Paradoxie, d ie ihn verwirrt und au f wec kt, entdec kt G regor gerade in dem Pu nk t, in dem d ie F igur sich von seiner Art des Lebens u nd A rbeitens zu unter scheiden sc heint. Die F igur, d ie, so lebendig sie aus sehen mag, d och fest aus Holz geschnitzt ist, of fenbar t als lesende ihre Freiheit, die Freiheit und Erkenntnis ü ber d ie F reiheit Gregors hinausz ugehen scheint: »Er ist ander s, dac hte Gregor, er ist ganz anders. Er ist leichter, als wir es waren, v ogel gleicher . Er sieht aus, wie einer, der jederzeit das Buc h zukl appen kann und aufstehen, u m etwas ganz anderes z u tun« (43) . Gregors E rkenntnis wäc hst angesic hts der F igur weiter: »E r war ver wirrt. Er beobachtete den ju ngen M ann, der weiter las, al s sei nic hts gesc hehen. E s war aber etwas geschehen, dac hte G regor . Ic h habe einen gesehen, der ohne Auf trag lebt. E inen, der lesen kann u nd dennoch aufstehen und fort gehen. Er bl ick te mit einer A rt v on Neid auf die Figur « (43 f.). Die Erkenntnis der zwanglosen Freiheit, die der Kl oster sc hüler z u ver bür gen scheint, wird G regor wieder um in paradoxer Weise im Vergleich mit Knu dsen zuteil . »Gregor wu ßte jetz t, daß Knu dsen z urückkehren mußte, denn er woll te gar nic ht f rei sein, -er woll te resignieren, still wer den, sitzen und schweigen, aber nicht wie der Genosse Kl oster sc hüler. Der saß u nd las sc hweigend, aber nur, um eines T ages aufz ustehen und f or tzugehen. Dafü r war Knud sen zu alt. Nein, nic ht zu alt. M an war niemals zu alt, um etwas E ntscheidendes zu tu n. Außer, wenn irgendwas in einem k apu tt gegangen war . Knu dsen war ein harter M ann. Knu dsen war ein gebroc hener M ann« (90). Dem kommu nistischen Ak teur gel ingt es nachger ade, in der F igur (inzwischen dem »Genossen Kl oster sc hüler«, 67) und in dem in ihr zum A usdruck kommenden Ideal
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Das Ideal
humanistische Ziele al s gül tig anz uerkennen u nd i n ihnen Widerstandspotenzial gegen
d as »Dri tte Rei ch« au sfi ndig zu machen. »Gregor konnte gu tver stehen, w arum die A nderen den ju n gen Mann nic ht mehr si tzen und lesen l assen w oll ten. E iner, der so l as, wie der da, w ar eine Gefahr « (56). A ls Kr istal lisati onspunkt f ür derartige Pr ojekti onen w ird die F igur sel ber z um A nl ass ei ner echten Aktion, Echte Aktion die die Fi guren zu sammenführt, ec hte Ge spräche stattfinden l ässt und z u gemei nsa mem H andel n auffor dert, auc h wenn Gregor behauptet: »Die A ktion w ar ei ne Sac he gew or den, in der jeder Beteilig te nur noc h für si ch sel bst handelte« (87). Gegenü ber den hoff nu ngsfrohen Perspektiven, die i nsbe sondere G regor angesichts des Kl oster schüler s hegt, nimmt si ch Knu dsens Si cht der Dinge geradezu er Knudsen und bär mlich aus. »Es w äre lei chter, den G ötzen der Lesende nur nach F alster hinüberzusc haffen, dachte Klosterschüfer Knudsen, aber au s irgendei nem Gr unde w ollte der Pf affe ihn nach Sc hweden bri ngen lassen. Knudsen hatte kei ne Ahnu ng, w ie sie ihn in Däne mar k aufnehmen w ürden, wenn er mit so ei ner Fi gur dort ank am, w ahr schei nli ch, d achteer, werden sie mi ch für einen Kir chenr äu ber hal ten; es blei bt mir ni chts anderes ü brig, al s sie dem P robst v on Skillinge z u bringen, der wird of fenb ar im B ilde sei n, wenn ic h mi t dem Di ng ank omme. Schi t, dachte Knu d sen, d as G anze i st schi t, und au f einmal kam ihm die I dee: ic hwer de d as Ding draußen über B ordwer fen, über legte er, d as i st d as E infachste, und dann wer de i ch au f den Dorsch gehen u nd morgen mit ei nem H aufen F ische nach H au se k ommen, zu Bertha, niemand w ird mi ch etwas fr agen und i ch werde i n Ruhe leben« (134). Aller dings lässt
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si ch diese Passage wiederum au ch als A usdru ck der Zerris senheit Knu d sens deuten, der ja schließlic h d och i n gemein samer H andlung sei nen Part zur Rettu ng ni cht nur des Kl oster sc hüler s beitr ägt. Kommunikation und misslungene Kommunikation
Kommunikati on ist ei n wei teres Grundthema der Erzäh lung, i nsofern am Figurenparadigma zunäc hst eine Si tuation gestörter Kommuni· Gestörte Kommunikation kation vorgeführ t wird. Kaum einem der H auptak teure gelingt es zu nächst, si ch wirklic h aufeine Kommu nik ation mi t anderen ei nz ulassen. Der Junge verweilt in der Zurückgezogenheit sei ner Vi si onen, derer ste Versu ch des sehr au f sich bez ogenen Helander, mi t dem z urü ckhal tenden Knudsen zu reden, scheitert am Res· sentiment Knudsens, Gregor geht bei sei nenersten Unter nehmungen ganz in der f ür andere ni cht zu durchdri ngen den Rolle des Parteifunktionärs auf und Judith w appnet si ch gegen die U nbil den der Flucht, indem sie ei ne Fassade um si ch herum aufbaut. W ahrhafti ger U mgang innerhalb der durch den F asc hismu s geprägten Szenerie Reriks er scheint kaum möglich. A us der Perspek tive Ju di ths w ird deutl ic h, d ass sic h mitei nander reden u nd w irkli ch mi tein ander reden unterschei den lässt: »Es gab ni chts mehr zu sa gen; sie k onnte Konver sati on mac hen« (80). Die fast dörfli c he Szenerie sel ber bietet A nl ass fü r die gestörte Kommuni kati on. Gregor beschrei bt die Mensc hen in ihrem Ver hal te n und Tun al s gef ährli ch. »Gefährlic h sind au ch die Leute hier, die alle so tu n, al s sähen sie die Fremde überhaupt nic ht, aber sie sehen sie d ochu nd beobachten sie, au chwenn sie sie
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ni cht anstarren, wie es die Leu te i n ei nem H afen i m Sü den tun würden. Gef ährlic h werden ihre Reden nachher sein, unter si ch, in ihren H äusern, die abgerissenen Wor te, die hal ben Sätze: >hast du die gesehen?<, d as U ngefähre ei ner mi ßgünstigen Verwu nderung, das dunkle Gerü cht, au s dem Nic hts au f steigend und u m die T ürme v on Rer ik wehend, bi s an die Ohren der A nderen. Gregor sah si ch unter den Menschen, die am Kai standen, sor gf älti g um, ob ein Spi tzel der Gehei men Staatspolizei d aru nter war« (62 f.). Knu d sen of fenb art im Rück blick , wie sehr die A tmosphäre z wi schen den einzel nen Menschen Lüge und Misstrauen v on Lügen durchdr ungen ist: »Du ver stehst nichts von der Seefahr t, Genosse, sagte er zu Gregor. U nsere Kutter si nd nur für die Kü stenfischerei. Wir k önnen dami t nicht auf die offene See hinaus. Warum sage ic h das? fr agte er sich. Ic h könnte doch jetz t etwas f ür die P artei tu n. Ic h habe den Pfarrer angelogen. Ich hätte ihm antworten mü ssen: f ür die Partei tue ic h au ch ni chts mehr « (50). Und selbst das Gespräc h unter den ge mei nsam au f die P artei verpflic hteten Genossen i st dur ch ti ef es Misstrauen gepr ägt: »Was will er dami t, dac hte Knud sen, sofort mißtr aui sch«, »Er beschl oß, si ch du mm zu stel len« (49). Er st nac h und nach, je mehr die Spuren der Fi guren si ch kreuzen u nd je mehr sie sich mi teinander verb inden, umso of fensic htli cher wird die Schwierigkeit, wirklich miteinan· der zu reden, und u mso nötiger er schei nt es Neue den au f si ch z urüc kgeworfenen A kteuren, Artikulationsjensei ts ei ner A tmosphäre des M isstr auens möglichkeiten au s sic hherau s neue Artikulationsmöglich. keiten zu finden. Gregor er kennt die Wi ch tigkei t der Kommu nikati on v or allem anderen: »Gott oder
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nicht, sagt G regor, es kommt nur dar auf an, ob es M enschen sind, die sich treffen. E s wird bald keine Pl ätz e mehr geben, an denen sic h M ensc hen treffen können« (54) . Die E insamk eit, wie sie sich in d en er sten Begegnungen d er einz el nen F igur en z eigt, wir d im Lauf e der Entwic klung d es G esc hehens langsam durchbr ochen. »E r f ühl te, wie sich ein N etz von Bez iehungen anspann, zwischen dem Bur schen in d er Kir che und d em M ädchen und ihm, Gr egor sel ber « (67). Auch durch die nicht einfache wechselseitige Erhellung der Motive im M iteinand er klärt sich die Kom munikationsstruktur insgesamt zugunsten Offenes eines offeneren Miteinanders, so, wenn H eMiteinander l ander erk ennt: »Diese beiden [G regor und Knudsen] hatten A ngst, und sie hatten es sich eingestanden - daher der H aß zwischen ihnen, ein heuch l er ischer Haß. Sie war en noch nicht auf dem G rund ihrer A ngst angel angt, dort, wo man sie einf ach hinnimmt, still und ohne Vor wur f « (57) . A uch Gr egor und Knudsen spr e chen ihre l etz ten M otive offen an. G erade die Beziehung zwischen Knudsen und Gregor kl är t sich zusehends, in dem beide entdeck en, was sie (an eigenen Zü gen) am ande r en gehasst haben: »M ein G ott, dachte Gr egor, dieser M ann hat mich gehaßt. Alles, was er seit heute nachmittag getan hat, seitdem er mic h in der Kirche getroffen hat, ist eine F ol ge seines H asses gegen mich gewesen. Er ist dageblieben, er hat sich entschl ossen, den kl einen M önch mitz unehmen, weil er mich haßte. E r hat sic h auf das gefährliche A benteu er eingelassen, um mir nic ht die M öglic hkeit z u geben, ihn zu ver achten. Er wollte mir z eigen, daß er jeden nur er denk bar en M ut aufbringt, um mir zur gl eichen Zeit z eigen zu k önnen, daß er entschlossen ist, keinen F inger für mich zu r ühr en. W arumhat er mic h so gehaßt? dac hte er. Was ha-
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be ich ihm getan? E r hat mi ch gehaßt, er haßt mic h jetz t nicht mehr, weil ic h die A ngelegenhei t auf die Spitze getr ie ben habe. Wenn ich ei nen Meterv or dem Zielversagt hätte, wenn i ch z u dem Jungen gesagt hätte, i ch f ahre mi t, dann hätte er mic h gehaßt bi s ans E nde sei ner T age. Der hochnä sige Kerl , dac hte Knu dsen, der ver dammt hochnäsi ge Kerl. Der Kerl mi t seinem ZK-Hochmut. Dabei ister ni chtswei ter als ei n beschi ssener klei ner Deserteur, ei n Bursche, der knei ft. A ber ic h k nei fe ja au ch« (140f.). Eine wei tere Klä rungsmögli chkei t f ür die gestörten Kommunik ationszu sammenhänge f ührt Gregor v or, indem er die hi nter seiner Äußeru ng liegenden Vorurteile offen anspri cht. »Woher w ußten S ie es? fr agte Ju dith. Was habe i ch gew ußt? sagte Gregor erstaunt. Was mei nen S ie? Daß ic h Jüdin bi n, sagte Judith. Das sieht man, erwider te Gregor . S o, w ie man es sieht, d aß i ch Gel d habe? Ja, Sie sehen au s wie ei nverw öhn tes ju nges Mädchen au s rei chem jüdischem H aus« (108). E in f ür die E rz ählu ng entsc hei dender Weg, in der durc h kommunikative Sc hwieri gkeiten gepr ägten, gespannten A t mosphäre mitei nander umzugehen, liegt im Das verbindende Motiv der Flucht, d as alle Hauptfiguren Ffuchtmotiv miteinander verbindet u nd al s jeweils eige· nes Motiv zur gemeinsamen, gelingenden Tat verpflichtet. Ebenfall s jensei ts der Möglic hkeiten rein
sprachlic her Kommu nik ation deutet sic h in Liebe der Liebe zw isc hen Gregor und Judith ein weiterer Ausweg au s dem gestör ten Mitei n ander an, der freilic h nur i m gebrochenen Motiv sichtbar wird, wie Gregor auch formuliert: »I llegali tät und Liebe sc hließen si ch aus« (113). Die erw ac hende Liebe zw ischen bei den nimmt si ch i m Rück blick Gregor s w ie fol gt aus: »Dann dac hte er an den Kuß, an den nicht gegebenen und
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nic ht erwi derten Kuß, u nd auf ei nmal überfiel ihn der Ge danke, d aß es ei n sehr schöner, ei n viellei cht hinreißender und allesver ändernder Kuß hätte sein k önnen, ei n Ku ß,wie er sei t J ahren nicht mehr i n seinem Leben v or gekommen w ar. Ich habe etw as versäumt, dachte er , i ch habe fal sch ge dac ht, u nd in Wirklichkei t habe i ch mic h vor diesem Kuß gef ürchtet« (126). I n der Liebe entdecken si ch die Schw ie ri gkeiten von Identität und I dentitätsbildu ng, w ie die Liebe selber u mgekehrt zur Identi tätsfi ndung bei tragen k ann. »Ichverstehe mi ch sel ber nicht, sagte Gregor. I chhabeei nen fal sc hen Paß u nd keinen P aß u nd keinen Namen, i ch bin ein Rev olu tionär, aber i ch glaube an ni chts, i ch habe S ie be schi mpf t, aber ic h bedaure, Sie nic ht geküßt zu haben« (127). A uch Judi ths T reffen mi t dem S teuermann des schwedi schen Kutter s of fenbar t, w ie schw ierig authentische Bezie hungen zur Zei t der Erz ählu ng si nd , indem an ihr deu tli ch wird, d ass auch die Formen der uneigentlichen Li ebe ihre bestimmte Bedeutungver loren habenu nd in Missverständ· nissen mü nden (v gl. 76). A m E nde des Romans, als sic h die Spuren der Fi guren wieder entflechten, deu tet si ch i n der nonver b alen Kommunikati on von G regor und He- Nonverbale lander ihre v orher ige Verbu ndenhei t an: »Er Kommunikation sah, w ie G regor sei n Rad nahm und es v om Bür gersteig v or dem P farrhaus her onter schob. Dann sah er den ju ngen M ann zu den Fenstern hinaufbli cken, und er schob si ch ganz nah an das Fenster her an, dami t Gregor ihn bemerken konnte, wie er hi nter dem Fenster stand und au f eine Botschaft w artete. Die B otschaft kam: Gregor sah si ch si chernd um, ob noch jemand auf dem klei nen Pl atz ging, aber der w ar leer , und der Pfarrer sah, wie Gregor f röhli ch
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gri nste u nd ei ne hor iz ontale Bewegu ng mi t der rechten H and machte, ei ne ab sc hließende u nd tr iumphierende Be wegu ng, ei nen S tr ich, den man z og, ehe man ei ne Summe sc hrieb « (151).
Erzählstil und Erzähltechniken Wer erzählt und wie wird erzählt?
Fr agt man si ch, wer es denn ei gentli ch ist, der erz ählt, läge ei ne f lü chtige A ntw ort nahe, nach der die ei nz elnen Fi guren, die in den Kapitelü ber sc hriften genannt si nd , für sic h sprechen. Über weite Passagen hi nweg könnte der Roman eben au ch mit der F or m direkte Rede Direkte Rede besc hrieben werden. Ledigli ch die A nfüh rungsstric he fehlten, u nd wenn man die Ein sc hübe w ie »sagte er zu Gregor« oder »f ragte Knu d sen« nur mit der Nennung des Namen versehen an den A nfang stell te, hätte man ei ne regelrec hte Vor lage für ei n T heaterstü ck. A llerdi ngs ü bersähe man d ann E inschübe wie »dachte er « oder auch ganze Passagen, die Einblick in Situationen oder gedachte Zusammenhänge bieten, die nic ht direkt einer Fi gur zuz uor d nen sind, w ie »Es w ar ihm anzu merken, w as er d achte« (73). Diese S tellen er lauben den F or tgang der Erz ählung in zwei Richtungen: Zu meinen gib tes P assagen, in denen der Leser der angekündigten Erz ählper spekti ve in den W ahr nehmungs- und Bew usstsei ns Innerer Monolog, Stream of strom der vor gestellten Figur folgt. In der consciousness Sekund är liter atur wird diese E rzählhaltung oft als innerer Monolog und die Herei nnah me in den stream oE consciousness besc hriebenY' N ahez u
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unmittel bar, eben auch nicht mehr gestört dur ch den in der F orm der dr itten Per son gegebenen erz ähler isc hen Hinweis »dachte er« o. Ä., kann der Leser an den Wahrnehmungen, dem Denken und den Gefühlen der entsprechenden Figur teil nehmen, was sich auch am Gebrauch der ersten Person z eigt. »Wie wird es weitergehen mit Bertha und mir, dac hte Knudsen, während er z u seinem Boot zur iick tr ottete, wenn ic h von dieser F ahrt z ur iickk omme? Nur noch diese F ahr t, dann wird es die P artei nic ht mehr geben. Nicht mehr für mich. Dann wird es nur noch die F ische geben, das Boot und die See. Ob mir die Liebe dann noc h Spaß machen wird? I st das überhaupt der Grund, warum ich gewar tethabe, warum ic h nicht ausgefahren bin, fragte sic h Knudsen, währ end er den M ann, der sich Gregor nannte, auf das Boot zukommen sah. W ollte ich den A bschied von der Partei ein wenig hin ausz ögern, um die Lust am Leben noch eine kurz e Spanne Zeit z u b ehal ten?« (85). Zum anderen öffnet sich die Erzählweise an den Stell en, die mit »dac hte er « o. Ä. eingel eitet sind, gelegentlich hin zu d er eines auktorialen Erzählers, d er, neb en d er an der sub jektiven Sicht einz elner Auktorialer F igur en und d er en Denk - und Gefühl shaus Erzähler halt interessier ten per sonalen P erspek tive, aus seiner übergeordneten Sicht dem Leser E inb lic k in alle, nicht nur die von den F iguren geäußer ten oder an Or t und Stelle sichtb aren Zusammenhänge ver d eutlicht. Seine Per spektive l ässt d en Leser vorwiegend an einer Außen· sicht der Dinge teil nehmen. Der auk torialen Erz ählhaltung b leib t d ie einfühl same Innensicht ver bor gen, sie beschr änk t sich auf d as konstatierend e Ber ichten: »Nichts gefiel Knud sen heute« (60). Sel ten wir d eine H andl ung ausü bergeordneter P erspek ti-
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ve so ausf ührli chbesc hrieben wie das Heru nternehmen der Fi gur v on ihrem Sockel (117f.: »Das ni cht sehr große Bil d werk . . . « bi s »Die drei Schrauben schob er vorher d arun ter «) oder die Ru derb ootf ahrt (123 f.: »Gre gor s er ste Ruder sc hläge ... « bi s » ... als sic h Nüchtern bis fragendauf sie ei nstellen«). Der Erzählstil verz ic htet konstatierender wei tgehend au f komplexe A usf ormulierun Erzählstif genu nd ist nüchtern bis fragend�konstatie· rend eher an der relativ direkten Wieder gabe von Gespräc hen, E insi chten, H andlu ngen u nd der Szenerie interessiert. Mei st er fährt der Leser i n erleb· Erlebte Rede ter Rede v om weiteren Verl au f , den Gedan ken u nd Über legu ngen einzelner Fi guren oder auc h Gespr ächen, die ihrerseits i n direkte Rede ü ber gehen k önnen u nd sic h in der Dialogform auc h al s szenisches Erzählen besc hreiben Szenisches Erzählen l assen. Der szeni sche Char ak ter des Romans verb ürgt sic h durc h das beschr iebene Nach ei nander der mit den F igurennamen übertitel te n Episoden, die ei nen Spannu ngs bogen erkennbar werden l assen. Die mei st kurzen Sätze verz ichten au f k ompliz iertere Verschac htelu ngen und bieten dem Leser Kurze Sätze auc h in der zeitli chen Ab folge ein schlich· tes Nacheinander des jeweil s Geschilder ten. Auch wi rdeine von Spannung geprägte A tmosphäre au fgebaut, die an Krimis oder Abenteuerromane eri nner t. Daz u gehört sowohl die Wahl des Spannung wie im Krimi oder Vokabulars, so wenn die Ak tion der Ret Abenteuerroman tung al s »Abenteuer « (68) besc hrieben wird, als auc h die stellenwei se derbe Haltung ei n zelner P rotagoni sten: »Der Kerl i st also ni cht abgehauen, dachte er, er trei bt sic h noch hier herum, was will er ei gent-
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lic h? E r soll si ch doch nic ht ei nbil den, der Schwede nähme ihn mi t, so einfachi st das ni cht, die wollen keine Scherereien haben, sie haben schar fe A nweisu ngen v on ihren Reederei en« (60f.), »Ri ndvieh, sagte Knudsen« (68); die den harten Helden dur chschei nen l assende F ormulierung von Gregor: »Die fei ne Vill au nd der Schi ck sal ssc hlag, sagte Gregor bru tal , i n einem Ausb ruc h v on Hohn« (109); oder die sic h i n missl ingender Kommunikati on gelegentli ch ver deu tlichen de Ver doppelung der Per spektive, bei der in den dem Le ser mi tgeteilten Hi nterged anken grundlegendes M isstrauen deutl ic h wird. Auch die gelegentlic he Schilderung von Ne· bensächlichkeiten, die nur sehr i ndirek t etwas mi t der eigentlic hen Handlung z u tu n haben, deutet dar aufhi n, dass füllende Elemente schli chter A benteuerliteratur verwendet wer den, wie die f olgende Passage, die J udiths Ged anken über den W irt anstoßen: »Der W irt gi ng i n die Küche hin aus, und nach ei ni ger Zei tb rachte er ihr selb st die Omelette und ein Glas mit hellem, dünnem Tee« (72). Eher füllenden Charakter hat auc h f ol gende P assage: »Die Schweden hat ten si ch wieder an ihren T i sch gesetz t u nd sof fen schwei gend und b ösartig wei ter. Der Kneipier hat jetz t nur noch die Chance, daß sie sic h v oll au fen lassen, dac hte Gregor. Sie müssen so sternhagelvoll sein, d aß sie nu r noch kriechen können, - wenn sie früher aufhören, sc hlagen sie ihm die Bu de zu sammen« (83). Zum Spannungs aufbau einer Kri· mihandlung trägt auch die A ndeutung potenz ieller Gef ah ren bei , wie der Hinwei s au f d as Patrouillenboot der Zoll poli z ei oder Gregor s kalkulierende Bemerku ng, al s Judith das Bil d ihrer Mutterverl oren hat: »Dann wird man mor gen früh anhand des Bildes feststellen, wo Sie si ch heu te nacht aufgehalten haben, sagte Gregor. Das heißt, man wird Sie sehr schnell identi fi z iert haben« (104).
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Licht und Farbe im Erzählraum
»Die besc hreibenden Elemente seines [Anderschs] Er z ählens sc haffen ei ne i ntensi ve u nd nahez u sinnlic he Bez ie hung des Leser szur d ar gestellten Land schaf tundz u den Fi guren. F arben und F ormen erhal ten bei A ndersch leitmoti vische F unktion und schaf fen eine dic hte, erz ähler ische A tmosphäre.«!7 Das erz ählerische Können, das für die ge sc hilderte Stimmu ng des Ortes ver antwortlic h i st, k ann auf gespür t werden, i ndem man ei nmal den >Re· Leitmotiv: Farbe und Helligkeit
gieanweisungen< des Textes für Farbigkeit
u nd Helligkeit im Detail nac hgeht. Sc hon auf der ersten Seite des Romans legt Gregor es nahe, den Ort quasi auch als Bühnenhintergrund für das Geschehen zu betrac hten. Dabei bestimmen Bedeutungen, die si ch um Offenheit und Helle ranken, die Szenerie: »die licht stehenden Kiefer n«, eine »offen si ch darb ietende Kon strukti on au s hellen Stangen« (7). Der entzauberte Blick Gregors, der die Gegenstände i hres über sie hinauswei senden Charakter s beraub t, bahnt der trüben Realität des wei teren u nd haupt Trübe Realität sächli chen Geschehens ihren Weg. Dominie· rende Bedeutungen r anken si ch um Leere, Schweigen, Dunkel, Einsamkeit u . Ä.: »Von draußen kein Echo. E s gab nic hts Leereres al s den Geor gen-Kirc hplatz im Spätherbst. Helander betete ei nen Au genb lic k l ang hefti g gegen die Leere an. Gegen die drei sc hon entlaubten Linden i n der Ecke z wischen Quer sc hiff und Chor, gegen das schweigende dunkle Rot der Ziegelwand, deren H öhe er vom Fenster sei ner Stu dier stu be aus nic ht abmessen k onnte: d as sü dli che Querschi f f der Geor gen-Kirc he« (9f.). Liest man allein an dieser Stelle weiter, so stösst man auf wei tere,
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durc h A d jek tive, A dverbien, entsprechende Substantive oder metaphorische Kombinati onen geschaf fene Bede u tungsfelder , die der Szenerie T ri stesse verleihen: »die voll kommene Einsamkeit«, »Ei n P latz so tot wie die Kirche«, »Drei ßi gtau send Ziegel al s nackte Tafel ohne Perspektive« (10). W ie bedeutsam diese Bedeu tu ngsfel der auc h f ür die H andlung des Romans werden, zeigt sic h bei spiel sweise in der Beschreibung Helanders, der die Szenerie au sd riic klic h zum M otiv sei ner H andlung erklärt: »Die dunklen Gedan ken u nd die maßlosen Ziegelkirc hen w aren daran sc huld, d aß er nun gehen und Knudsen um Hilfe bi tten mu ßte, d achte der Pf arrer « (11), oder an den Reakti onen Judiths: sie »schauerte zusammen«, nac hdem sie aus dem Fenster »ein H ohlz iegeldac h unter ei nem nördlichen, hellen, vollständig leeren Herbsthi mmel « (17) gesehen hatte. Gerade in den wenigen A bgrenzu ngen dur ch posi tive Si tua ti onsmomenteverdeutli cht si ch nochmal s der Düsterer Grundzug düstere Grundzug der Erzählung ,zum Bei spiel wenn Hel ander seine Vorfahren als »fröhliche Träu mer « bezeichnet, »al s sie si ch verleiten ließen, in ein Land zu z iehen, i n dem die Ged anken so dun kel u nd so maßlos w aren wie die S tei nw ände der Kirchen, d ar innen sie begannen, die rechte B otschaf t zu predigen. S ie w urde ni cht gehört, die rechte B otschaf t: die Finsternis w ar stärker geblieben als d as kleine Licht, das sie au s dem freundlichen Land mitbr achten« (10 f.). E benfall s posi tiv hebt sich das i n »heller Ölfarbe« (20) gestrichene, ersten Sc hutz bietende G asthaus »W appen v on Wi smar « (20) v on der U mgebung ab. Dass diese Beobachtungen am Text nic ht nur fi gurenspezifi sch si nd ,verdeutlic ht die Kolo � Koforierung rierung der Erz ählu ng. S o wer den »mattgrü-
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ne F ahnen unter m grauen H immel« (7) und Knudsens Gar ten als winzi ger »Rau m au s schon matt verdunkeltem Grün« (13) beschrieben, d as Meer zei gt sic h in k alten F ar ben wie » Ultramarin« (8) oder »ultramarinblau« (20): »Die See war blau, ultramarinblau u nd ei si g« (20).
Für Hel ander wird die Szener ie zu Begi nn in unter schied lichsten, aber provozierenden Rottönen f assbar: »Er hob den Blick: die Quer sc hiff wand . Drei ßi gtau send Ziegel al s nack te T afel ohne Perspektive, zweidimensi onal , braunes Rot, schieferfarbenes Rot, gelbes Rot, blaues Rot, zuletz t nur ei n ei nz iges, dunkel phosphorisierendes Rot, ohne T iefe v or seinem, Helander s Zimmer hängend « (10). Gerade d as Rot wir d in der Erz ählung in Bedeu tungszu sammenhänge v on tot, bedrohlich, verletzend gestellt: »Sie hatte sich Rer ik ganz anders vor gestellt. Klein u nd bewegt und f reundli ch. A ber es war klein und leer, leeru nd tot unter seinen riesigen roten Türmen« (19). Zusammenfassend hei ßt es zu Judi th: »Es war furchtbar, Judith Lev in zu sein in ei ner toten Stadt, die unter einem kalten Himmel von roten Ungeheuern be wohnt wur de« (20). U nd au ch Gregor stellen si ch die Tür me »als rote Blöcke i n das Blau der Ostsee eingel assen« (22) dar . Stellenwei se zei gt si ch das Rot als d as Rot der k ommu nisti schen Par te i, so al s Rot der »Roten Armee« (23) oder das Rot im Vorwurf des »roten Hundes« (26). Weitere Zu sammenhänge, die dur ch die F arb gebu ng be sti mmt si nd, ließen si ch durch die ganze Erz ählung au sma chen. Zusammenfassend sei hier nur bemerk t, d ass sowohl die Helli gkeit als au ch die Kol orierung der Moribunde Romanszenerie die Erzählung in düsterer Atmosphäre F arbi gkeit f ast sc hon als mori bu nd er sc hei nen l ässt. Verdic htet zei gt sich dies im fol genden abschl ießenden Bei spiel , das z uglei ch vor führ t, wie
6. INTERPRETATION
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zerr issen sel bst die Helli gkeit und F ar bgebung ei nzelner Szenen sei n k ann: »E s w ar inzw isc hen so dunkel gew orden in der Kirche, daß das Weiß ihrer Wände si ch i n ei n voll kommen mattes Grau verw andel t hatte. Vielleic ht hätte dieses Grau begonnen zu leuchten. wenn es draußen schon Nacht gew orden w äre, aber durc h die hohen Fenster der Quer sc hiffe konnte man sehen, d aß draußen noch Früh abendlicht hi ng, Dämmerungshelle« (54 f.). Neben der ständigen direk ten Belichtung der Szenerie und dem gezielten Ei nsatz von F ar be si nd zwei in diesen Zusammenhang gehörende Leuchttürme und Scheinwerfer M otive erw ähnenswert: die Leuchttürme und Scheinwer fer, die al s wegweisend bzw . ge fährlich erscheinen. P assend zur Orientierungsl osigkei t Judiths, deren über geor dnetes Ziel , die F luc ht, aber i mmer wieder ri chtungs wei send ist, spiegel n si ch w ährend der Flucht i n dunkler Nacht die Lichter des Leu chtturmes in ihren A ugen. Gegenü ber dem Orientierung bietenden fi xen Leuc htfeu er nehmen sic h die f lachü ber d as Wasser z iehenden Li chter des Su chschei nwerfer s bedrohlich aus: »Das Li cht bestand , wie das des Leuc httur ms, auseinem u nertr äglic hweiß bren nenden Kern und einem Str ahlenbü ndel , d as sic h kaum au f fächer te, sonder n am E nde nur sc hw ächer w urde, grau und durchsi chtig. Gregor schätz te die Rei chweite des Strahls au f etwa fünfhu ndert Meter , u nd wenn die F ahrri nne von der inneren Bucht zum Leuc httur m ger ade verlief, dann bef and si ch ihr B oot höc hstens dreihu ndert Meter von der F ahrrin ne entfer nt« (127f.). »Der Ju nge schrie: )Wei terru der n!<, sie duc kten si ch tiefer i n die Bewegu ng der Ruder, aber sie hiel ten ihre Gesi chter au f den Zei ger des Lichtes geri chtet, der nun zu w ander n begann« (129).
7. Autor und Zeit
Alfred Anderseh: Leben, Werk und Wirkung
»Die Spannung zwischen Ästheti k und P olitik c harakteri siert A ndersehs Leben und Werk.«1 8 I n sei nem bereits 1952 er sc hienenen Roman Die Kirschen der Freiheit ver deutli cht der in der N ach Autobiographisch: kriegszei t bedeutsam werdende Autor A ndersch, dessen schri f tsteller isc hes M otto i mDie Kirschen der Freiheit mer au ch die S uc he nac h Wahr heit w ar, die Stationen seiner Kindheit u nd Jugend so w ie den elementaren Durchbruch der Freiheit, die z um w iederkehrenden M otiv sei ner Erz ählungenw ird. I n dieser Erz ählung, ei nem Bericht, wird deutli ch, w ie der 1914 geborene A ndersch w ährend der Schulzeit u nd in der von klei nbürgerli Kindheit und Jugend ehern P rotestanti smu s gepr ägten elterlichen in München Wohnung das Mü nchen der Zw anz iger jahre erlebt. W ährend der rec htskonserva tive Vater al s Kriegsveteran schließlich an seinen Verletzun gen stir bt, erlebt der sensible Junge A ndersch die Er· schießung der Räterepublikaner A ndersch sc hildert die Kindhei tstage i n den Kirschen der Freiheit unter der Über sc hrift »Der Park z u S chleißheim« u nd deu tet d ami t neben dem poli ti schen Erf ahrungsr au m auc h den alltagsweltli. chen Lebensraum seiner Ki ndhei t an, bev or die Überschri f t »Verschüttetes B ier« den sich als Genossen begrei fenden A ndersch ankündigt, der i n den Kommunistischen Jugend verband ei ntri tt, um sic h dor t sei ner Gesinnung entspre chend z u engagieren. Der si ch li terari sch bildende Organi. .
der Kommunistischen Jugend, der er inz wi schen geworden i st,erlebt die M achter grei f ung H itler s 1933 als Mitglied der Masse auf der Straße in Mü nchen. Dor t wird der Untergang der Republikebenso deu tlic h, wie si ch Vereinzelu ng u nd Verf olgu ng ankündigen. A nder sch wird als Organi sati onsleiter verf olgt u nd verb ri ngt im F rühjahr und Herb st 1933 H af tzeiten i n Dachau, die d as A usmaß der nati onal sozi ali sti schen Ver fol gung erahnen lassen. A nder sc h, dessen M utter es geli ngt, ihn wieder z u be freien, zieht si ch nu n zu sehends zurock und wi d met si ch in den f ol genden Jahren der Kunst und Wissenschaft Kunst und wissenschaftlicher Tätigkeit sein sc hon f roher gewähl tes zwei tes S tandbein neben dem pol iti schen Engagement. Im Brotberuf ister zu nächst i n München als B üroangestellter u nd ab 1937 als Werbegr afiker i n Hamburg täti g, wohin er auch mi t seiner ersten Fr au zieht. In den Kirschen der Freiheit wir d diese Zei t al s unpolitisc he, sehnsuc htsvolle Zei t mit »Das F ähr b oot zu den H alligen« übertitel t, bevor der z wei te gro ße A bschnitt der Kirschen si ch als »Die F ahnenf luc ht« an kündigt. Dur ch die Realität des Krieges wir d der S oldat A nder sch seit 1940 mit Unter brechu ng Realität des Krieges, Motiv über Dänemark , Bel gien, T hüri ngen und das der Freiheit El saß nach Italien geführt, wo die wei tere H andlung der Kirschen einsetz t. G rundthema wir d spätestens von hier an das Motiv der Freiheit sein, das zu Selbstfindung u nd Ich·Identität führt und in seinem E rz ählwerk lei tmotivi sch vi rulent ist. Die G rund thematik der F reihei t, die den Sc hrif tsteller A ndersch auc h weiter hin beschäf tigen wir d , kann al s für diese »i deol ogisch, spr achli ch, liter ari sch zwischen allen S tühsationsleiter
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7. AUTOR UND ZEIT
len«19 si tzende Generati on typische A useinandersetzung mi t dem Existenzialismus angesehen wer den. I n der Erzählu ng Die Kirschen der Freiheit zei gen sic h dem Soldaten A ndersch die Kameraden sowohl al s Gemei n sc haft wie al s lästige Ver pflichtung. »Die A ngst«, so der Ti tel ei nes wei teren U nterkapitel s der Kirschen, lassen die Ge d anken des Soldaten im nervenaufrei benden G arnisonsall tag, i n dem F urc ht u nd T od ständig präsent sind, zu sehend s u m F ahnenflucht und Frei Angst, Mut, Vernunft und heit krei sen. »Zwischen A ngst u nd Mu t tre Leidenschaft ten die bei den anderen natürlic hen Ei gensc haften des Mensc hen, Ver nu nft und Lei densc haft. S ie f ühren die Entschei du ng, die er z wischen Mutund A ngst z u tref fen hat, herbei«20u nd l assen den Ich erz ähler, hi nter dem A ndersch sic h autob iogr aphi sc h ver b irgt, k napp ein J ahr v or Kriegsende i n ei ner gü nsti gen S ituati on i n die W ildnis entk ommen, wo sic h das Ic h al s S elb st begreifen und er grei fen k ann. Bev or A ndersch in amerik ani sche Gefangenschaft ger ät, endet Die Kirschen der autobiographische Bericht Die Kir der Freiheit schen der Freiheit, i ndem dem Ich die nu nmehr reifen Kir schen der F reiheit zuteil werden. Seine Kriegsgef angenschaf ti n den U S A ver mag A ndersch zu weiterer schriftstellerischer Tätigkeit zu nutzen, bevor er in Mü nchen Red ak ti ons Kriegsgefangen schaft, assistent der Neuen Zeitung bei Eric h Käst Nachkriegszeit ner wir d . Sei t 1946 hat A ndersch zu sammen mit H ans Werner Richter die Zei tschri f t Der Ruf herausgegeben, die 1947 v on den A merik anern wegen ihrer kriti sc hen H altu ng verb oten wird. A ndersch wir d mi t anderen Au toren Mi tglied der »Gru ppe 47«. Seine zwei te
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Ehe geht er 1950 mit der M aler in Gisel a Groneuer ein. Von 1948 bis 1958 hat A ndersch P ositionen als Leiter des Rund funk-»Abendstudios« in Frank f ur t und als Redak tionsl eiter von »radio-essay« beim Sender S tuttgart inne. 1958 z ieht das Ehepaar nach B erz ona bei Locar no, wo Alfred A n dersch 1980 stir bt. Zu m er zähler ischen Werk gehören neb en d en wegen des Desertionsthemas bekannt und wegen des Freiheitsmotivs b erühmt gewordenen Kirschen der Freiheit (1952) der Ro man Sansibar oder der letzte Grund (1957), d er »sofort als einer d er H öhepunkte der P rosa der f ünf z iger Jahre erk annt wurde«21; d er 1960 und Prosa in veränd erter F assung 1972 er schienene Roman Die Rotehand el t vor d em H inter grund d eu tscher Ver gangenheit von d er Frau F ranz isk a al s H auptf igur auf der existenz iell e E ntsc heidungen for dernden F luc ht in Ital ien vor Ehe u nd Gel iebtem hin z u neuer S elb stb estimmung, ab er au ch von F ab io, d em sie b egegnet; d er 1967 erschiene ne Roman Efraim, in d em sich der z unäc hst in Berl in üb er die Kub a-Krise ber ichtende br itische J ournalist »Geor g E f raim [ ... ], d ie moderne Verk örp erung des heimatl osenJu den«, »auf eine E ntdeck ungsr eise seiner sel bst«22 begib t, einer d er wenigen Romane A nderschs, d ie nicht d en A n spru ch auf d ie Ver wirklichu ng einer konkreten Utop ie er heb en;2J der gr oße Fr ontr oman Winterspelt (1974), d er Er eignisse u nd Erleb nisse an der W estf ront aufnimmt und noc h einmal »als Gegenentwurf z ur d eu tschen Geschichte der l etz ten 50 Jahre«24 durc hspielt; sowie die noc h im T o desjahr A nd er schs er schienene, ebenfalls au tobiographisch gepr ägte Er z ählu ng Der Vater eines Mörders (1980), d ie ei ne Griec hisc h-S tund e des Vaters von H einr ich H imml er im J ahr 1929 durch die auc h in and er en E rz ählungen d ie I den-
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7. AUTOR UND ZEIT
ti tät A nderschs verbergende Ku nstfi gur Franz Kien wie der gi bt. Für A ndersch als A utor gilt, dass er i n der Zeit nac h '45 zu jenen A utoren z ähl te, die in übera· Der Schriftstefler ler ünkskritischer Sicht, die sozialistischen Andersch Ziele ni cht aus den A ugen verlierend, auf der Grundlage ei nes ausgepr ägten Humanismus u nd der Begegnu ng mit dem i ndi vidualisierenden, aber eben die elementare Freiheit des Einzelnen betonenden Existenzialismus sic h sowohl kri tisc h zu den T hemen der Zeit äußerten wie auc h in ihren liter ar isc hen Werken der kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit I mpul se zu geben in der Lage waren und sind. A nlässlich der Au sei nander setz ung mit Sansibar f or muliert Demetz: »Als Schri ftsteller steht A ndersch im Wi der stand gegen jedwede Idee des Dete rmi ni smus, d . h. gegen jede A nschauu ng vom Menschen, die au f sei nen Be grenz ungen und Unter wer fungen besteht und nicht auf sei ner F ähigkei t, sic h von U rsac hen z u lösen und frei für sic h z u entscheiden.«25 P osi ti v formuliert sagt Bühl mann: »Die Grundthematik von A nder schs Werk ist die Ver wirkli chu ng indivi dueller F reiheit u nd ihre exi stentielle Pr oblematik. Das F ortgehen, die Desertion, das Wegtreten au s den Bin dungen ist die i mmer wieder holte Grund geste.«26 Wie sehr der seit 1958 im Tessi n lebende A ndersch sic h als Autor mi t sei ner Erinnerung an die Kultur der deutsche Ver gangenhei t i m wei teren Verl auf Erinnerung der Entwic klung der B undesrepu blik auc h in das politi sche A lltagsgeschäf t ei nmi schte, zeigten die mit spi tzer Feder geschr iebenen Bei tr äge wie Notwendige Aussage zum Nürnberger Prozeß (1946), Auf ruf an die Hochschullehrer (1947), Das junge Europa formt
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sein Gesicht (1946), Skandal der deutschen Reklame (1951) oder d as b ekanntere Gedi cht Artikel 3 (3) (1976)," von d em
A nd ersch sagte, dies sei einer der T exte, »von d enen ic h mir einb ilde, sie verhi nd erten, daß ic h eines T ages wied er ei ne Straßenw al z e i n ei nem KZ z iehen muß«28. Dabei deutet si ch mit d en Reiseberichten des vi el und w ei t gerei sten A nd er sch eine »Spannung in Reisen A nd erschs Werk zwischen Refl ek ti on und Erf ahru ng, zwi schen rei ner Beschr ei bu ng und kriti sc hem Kommentar «29 an. Üb erhaupt w är e es zu kurz gegri f f en, A nderschs Kur z gesc hichten, k ürz er e Er z äh lungen, H örspi ele und Gedi chtb ände, mi t denen er si ch in seiner ganz en Vielseitigkeit und Experimentierfreu· de30 darstellt, unberück sichti gt z u lassen. »In seiner Pr osa Sammlu ng Mein Verschwinden in Providence, 1971, [ .. ] i st A nd ersch sei ner Ku nstü bu ng energisc h si c her u nd scheut w eder das deutlich A uto- Literarische b iogr aphisc he noc h das unruhi g E xperi men Vielseitigkeit tier ende.«3! Und i n sei ner M itherausgeber und Experimen schaft d er N ac hkriegsz eitsc hrift Der Ruf of tierfreude fenbart si ch das fortgesetzte E ngagement d es Au tor s, »d er sic h nach d em E nde d es Hi tl er-Regimes au f die M ögli chk ei t eines demokrati sch-soz ial isti sc hen Europas konz entri er t z ei gte«32. W olfram Sc hütte fasst zu sammen: »Das E inzi garti ge, f ür manche sei ner Kr itik er mitunter auc h Zw iespältige von A n derschs Werk b estand in d er pr ovoz ier enden Behauptung und liter arischen Pr axis, w onach die strengste Vor stellung von kü nstl eri scher Qualität u nd d i e radikalste I maginati on von Politik sic h ni cht Ästhetik gegenseiti g ausschli eßen. Ästhetik ist Wider und Politik stand. A m M arxismus, den er (z uletz t neb en .
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der P sychoanalyse) i mmer noch als tau glic hstes Mittel der gesellschaftli chenu nd historischen A nal yse betr achtete, kri ti sierte er glei chwohl seine dogmatische Verengu ng und I deologi sierung zu einem Wel tbil d , das der i ndi viduellen menschlic hen Akti on keine F reiheit mehr gestatte. A m E xi stenz iali smus, den er i m Si nne Sartres al s H umani smus verstand, hat ihn nie das nihili stische Moment, die Belieb ig kei t der Wahl interessiert, sondern nur dessen Beharren au f der i ndi viduellen Verantwor tli chkeit, der E ntsc heidungs fähi gkei t des Menschen. Ästhetik und P olitik fallen zu sam men i m Begri f f ei ner Mor al, die vomei nzel nen f order t, sic h gegen die Barb arei oder für sie z u entscheiden.«33
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Tabelle zu Leben und Werk"
1914 4.2. Geburt A lfred A nder sc hs in München als Sohn eines aus Ostpreußen stammenden Of fi z iers, sei ne Mu tter stammte au s B öhmen. 1920-28 Sc hulzei t, u. a. im W ittelsbacher G ymnasium, über das die au tobi ographische E rz ählu ng Der Vater eines Mörders beric htet. 1928-30 Lehre al s B uc hhändler i n München. 193 1-33 A rbei tsl osi gkeit. 1932 Or ganisationslei ter des Kommuni sti schen Jugend ver bandes i n Sü dbayer n. 1933 N ach dem Rei chstagsbrand am 27.2. 1933 und im Her bst i m KZ Dachau. 1933-37 B üroangestell ter in Münc hen. 1937-40 Wer begrafi ker i n H amburg. 1939 I n H ambur g begonnene Schrei bversu che. 1940-44 Mit Unter brec hung Sol d at, zu nächst zur Au sbil dung i n Siegen. 1944 6.6. Deser tion in I talien. 1944 Erste Ausfahrt, Ver öffentlichung i n der Kölnischen Zeitung. 1944/45 U S-amerik ani sche Kriegsgef angenschaf t, Beiträge für die Gefangenenzei tschri f t Der Ruf 1945/46 Red aktionsassi stent bei Erich Kästner, Neue Zei tung, Münc hen. 1946/47 Herausgeber v on Der Ruf mit H ans Werner Richter . 1947 T agung der »Gru ppe 47«. 1948 E rste Buchpu blikati on: Deutsche Literatur in der Entscheidung. Ein Beitrag zur Analyse der literari schen Situation.
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1948-50 Grü nder und Lei ter des »A bendstudios« des Sen der s Frank f ur t am M ain. 1951-53 Lei tung der »Feature-Redakti on« der beiden Sen der H amb urg u nd F rank f urt am M ai n. 1952 Die Kirschen der Freiheiterscheinen und rufen hef ti ge Reaktionen her vor . 1955-58 Grü nder u nd Leiter des »radi o-essay«, Süddeutscher Ru ndf unk , Sender S tuttgart. 1955-57 Herausgeber der Zei tschri f t Texte und Zeichen. 1957 Sansibar oder der letzte Grund erschei nt. 1958 A nderschs z iehen nach Berz ona i ns Tessi n. 1960 Die Rote. E rz ählu ng. 1962 Wanderungen im Norden, ei n Reiseberic ht mit F otos sei ner Fr au Gisel a. 1963 Ein Liebhaber des Halbschattens, Erz ählu ngen. 1965 E rste Sammlung von H ör spielen: Fahrerflucht. 1965 E rste S ammlung von E ssays: Die Blindheit des Kunstwerks. 1966 Aus einem römischen Winter, Rei seessays. 1967 Der Roman Efraim er sc heint 1969 Hohe Breitengrade oder Nachrichten von der Grenze,
Rei seberi cht 1971 1972 1974 1974 1976
Mein Verschwinden in Providence, E rz ählu ngen.
A ndersch wird Sc hwei zer Staatsbür ger. Literatur nach dem Tod der Literatur. Der letz te große Roman Winterspelt er sc heint. A ndersch l öst mi t dem Gedi cht Artikel 3 (3) eine
Debatte z u Radikale ner lass, Berufsver bot u nd Mei nu ngsf reiheit au s. 1977 Öffentlicher Briefan einen sowjetischen Schriftsteller, das Überholte betreffend, Ver öffentlichung weiterer A ufsätze u nd Repor tagen.
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1977 empört euch der himmel ist blau er sc heint al s S amm lung von Gedi chten und Nac hdic htu ngen. 1980 Der Vater eines Mörders erschei nt. 1980 2 1 . 2. Al f red A nder sch stirbt nac h längerer Krankheit.
8. Lektüretipps I Filmhinweise Textausgabe
Al f red A nder seh: Sansib ar oder der letz te G rund, Züri ch: Diogenes Ver lag, 1970. Nach dieser Ausgabe wird zitiert. -
HörspiellVerfilmung
»Neben dem Roman Sansi bar exi stiert ei ne Hörspielfas· sung, A ktion ohne F ahnen (1953)35, ein wie der Roman selber )prei sgekr öntes H ör spiel [, . .] (Abendprogramm, 10.6. 1958)<, d as sic h au s für den Fu nk u mgearbeiteten Aus sc hnitten z usammensetzt.«J6 Dem am Roman or ientierten H ör spiel istei ne erz ähler isc he E inleitu ng vor geschaltet, der E rz ähler beglei tet d as weitere Geschehen. A lfred A nder seh: Ak ti on ohne F ahnen. Nac h M otiven des Romans Sansibar oder der letzte Grund. (Cotta's H ör b ühne.) [produk tion H R F rankfurt 1958.] Stu ttgart 1987. Des Weiteren gi bt es eine Fernsehfassung (1961), die v on Leopold Ahl sen einger ic htet wurde,37 Die im Dezember 1961 gezeigte Fernsehfassung unter der Regie v on Ber nhar d W icki mit Fr ank Hessental in der Rolle des Jungen wurdev on der Kri tik gespal ten au f genom men,38 Einzeldarstellungen zu Autor und Werk
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+
kritik: Alfred A n
Haffmans, Gerd (Hrsg.): Über Alfred Andersch. Hrsg. un ter M itarb . von Remy Charbon und Fr anz Cavi gelli. 3., ver m. Neuausg. Züri ch 1987.
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Williams, Rhys: Al f red A nder sch. I n: Heinz Lu d wig Ar nol d (Hrsg.): Kritisc hes Lexikon zur deutschsprac higen Gegenwartsliter atur (KLG). Ei ntrag A lfred A ndersch 1984.
Anmerkungen
1 Peter Demetz, »Alfred Anderseh, Sansibar oder der letzte Grund«, in: Volker Wehdeking, Zu Alfred Anderseh, Stuttgart 1983, S. 22. 2 Herbert A. und Elisabeth Frenzel, Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 2: Vom Realismus bis zur Gegenwart, München 261991 (11962], S. 689. 3 Rhys Williams, ,.Alfred Anderseh«, in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.), Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsli teratur (KLG), Eintrag Alfred Andersch 1984, S. 8. 4 Hanjo Kesting, ,.Die Flucht vor dem Schicksal«, in: Heinz Lud wig Arnold (Hrsg.), text + kritik Heft 61/62 (1979): Alfred An dersch. S. 14. 5 Demetz (Anm. 1), S. 23. 6 Erläuterungen unter Mithilfe von: Brockhaus. Die Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden, 20., überarb. und aktual. Aufl., Leipzig/Mannheim 1999. Gerhard Wahrig (Hrsg.), Brockhaus-Wahrig. Deutsches Wörter buch in sechs Bänden, Wiesbaden 1980-84. 7 Begriff von Georg Bollenbeck. 8 Stephan Reinhard, Alfred Andersch. Eine Biographie, Zürich 1990, S. 252. 9 Jean-Paul Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phäno menologischen Ontologie [frz. Originalausgabe: 1943J, deutsch von Hans Schönberg und Traugott König Oean-Paul Sartre: Ge sammelte Werke 3, Philosophische Schriften I, in Zusammenarb. mit dem Autor und Arlette Elkam-Sartre begr. von Traugott Kö nig, hrsg. von Vincent von Wroblewsky), Reinbek bei Hamburg 1994, S. 845 f. 10 Alfred Andersch reagierte auf diesbezügliche Kritik Münchener Studenten, vgl. Alfred Andersch, ,.Ueber den Gebrauch zweier Wörter in einem Roman.., in: Irene Heidelberger-Leonard I Volker Wehdeking (Hrsg.), A/fred Andersch. Perspektiven zu Leben und Werk (Kolloquium zum achtzigsten Geburtstag des Autors in der Werner-Reimers-Stiftung, Bad Homburg v. d. H.), Opladen 1994, S. 226-228.
ANMERKUNGEN
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11 Marcel Reich-Ranicki, ,.Alfred Andersch, ein geschlagener Re volutionär«, in: M. R.-R., Deutsche Literatur in West und Ost, München 1966, S. 107. 12 Helmut Heißenbüttel, ,.Vom letzten Grund der Politik«, in: Gerd Haffmans (Hrsg.), Über A/fredAndersch, hrsg. unter Mit arb. von Remy Charbon und Franz Cavigelli, 3., verm. Neu ausg., Zürich 1987, S. 84. 13 Alfred Andersch, Aktion ohne Fahnen. Nach Motiven des Ro mans »Sansibar oder der letzte Grund , Stuttgart 1987. 14 Reiner Poppe, Literaturwissen für Schule und Studium: A/fred Andersch, Stuttgart 1999, S. 39. 15 Z. B. Volker Wehdeking, Alfred Andersch, Stuttgart 1983, S. 79. 16 Z. B. Käte Hamburger, ,.Erzählformen des modernen Romans.., in: Der Deutschuntemcht 1 1 (1959) Heft 4, S. 8. 17 Ursula Reinhold, Alfred Andersch. Politisches Engagement und literarisches Wirken, Berlin 1988, S. 135. 18 Williams (Anm. 3), S. 16. 19 Bernd Lutz (Hrsg.), Metzler Autorenlexikon. Deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2., überarb. und erw. Auf!. Stuttgart I Weimar 1997. 20 Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Ein Bericht, Zürich 1972, S. 84. 21 Marcel Reich-Ranicki, ,.Der enttäuschte Revolutionär«, in: Halfmans (Hcsg.) (Anm. 3), S. 275. 22 Williams (Anm. 3), S. 10. 23 Irene Heidelberger-Leonard, »Alfred Andersch. Die ästhetische ..
Position als politisches Gewissen.. (Literarhistorische Untersu chungen 4, hrsg. von Theo Buck), Frankfurt a. M., Bern I New
York 1986, S. 23. 24 Kesting (Anm. 4), S. 18. 25 Peter Demetz, ,.Alfred Andersch, Sansibar oder der letzte Grund.., in: Wehdeking (Anm. 15), S. 26. 26 Alfons Bühlmann, In der Faszination der Freiheit. Eine Unter suchung zur Struktur der Grundthematik im Werk von A/fred Andersch, Berlin 1973, S. 7. 27 Alle abgedruckt in: Vaterland, Muttersprache. Deutsche Schrift steller und ihr Staat seit 1945. Ein Nachlesebuch für die Ober stufe, zusammengest. von Klaus Wagenbach, Winfried Stephan
und Michael Krüger, mit einem Vorw. von Peter Rühmkorf, Ber lin 1980.
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ANMERKUNGEN
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Zitiert nach: Williams (Anm. 3), S. 15. Williams (Anm. 3), S. 10. Vgl. auch Williams (Anm. 3), S. 12. Demetz (Anm. 1), S. 16. Ein sehr guter Überblick über Werk und Wirkung ist Ursula Reinhold, A/fred Andersch. Politisches Engagement und literarische Wirksamkeit, Berlin 1988. 32 Hans Geulen, »Alfred Anderseh. Probleme der dargestellten Erfahrung des >deutschen Irrtums<<<, in: Hans Wagener (Hrsg.), Gegenwartsliteratur und Drittes Reich. Deutsche Autoren in der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Stuttgart 1977,
S. 205. 33 Wolfram Schütte: »Stolz und einsam«, in: Haffmans (Hrsg.) (Anm. 12), S. 2831. 34 Zusammengestellt nach: Haffmans (Hrsg.) (Anm. 12), S. 313-315. Manfred Brauneck (Hrsg.), Autorenlexikon deutschsprachiger Literatur des 20. Jahrhunderts, unter Mitarb. von Wolfgang Beck, überarb. und erw. Neuausg., Reinbek bei Hamburg 1991. Lutz (Hrsg.) (Anm. 19). Williams (Anm. 3). Erhard Schütz, Alfred Andersch, München 1980, S. 150-152. Volker Wehdeking, »Leben und Werk aus der Sicht der neun ziger Jahre«, in: Heidelberger-Leonard l Wehdeking (Anm. 10). Bernhard Jendricke, Alfred Andersch. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1988 (rowohhs mono graphien). Gero von Wilpert, Deutsches Dichterlexikon. Biographisch bibliographisches Handwärterbuch zur deutschen Literaturge schichte, Stuttgart 1988.
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Eine minutiöse Rekonstruktion von Andersehs Leben und Werk stellt St�phan Reinhard auf knapp 800 Seiten vor: Stephan Rein hard, Al/red Andersch. Eine Biographie, Zürich 1990. Schütz (Anm. 34), S. 94 Matthias Liebe, »Andersch als Griinder und Leiter des >Radio Essays<<<, in: Heidelberger-Leonard I Wehdeking (Hrsg.) (Anm. 10), S. 197. Ursula Reinhold, Alfred Andersch. Politisches Engagement und literarische Wirksamkeit, Berlin 1988, S. 136. Bernhard Jendricke, Alfred Andersch. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 85.