Petra Hornig Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum
Petra Hornig
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Petra Hornig Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum
Petra Hornig
Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum Elitär versus demokratisch?
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Zugl.: Dissertation an der Universität Kassel, 2009
. 1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Dorothee Koch / Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: STRAUSS GMBH, Mörlenbach Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17570-6
Widmung
Für meine Mutter. Für Gregor.
Inhalt
1
Einleitung .............................................................................................. 11
2
Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen ..... 15 2.1
Das Demokratieverständnis in der neuen Kulturpolitik............. 15
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.2
Wandel des Kunstbegriffs, des Künstlerinnen- und Künstlerbilds sowie der Publikumsrolle ....................................... 33
2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.3
Bildungsreform: Trendwende in der Bildungs- und Kulturpolitik ............................................................................... 16 Demokratiebegriff und Kultur für alle ................................... 18 Auswirkungen zunehmender Ökonomisierung auf kulturpolitisches Handeln ........................................................ 22 Sozialer Wandel und Lebensstile ............................................. 25 Zusammenfassung..................................................................... 32
Wandel des Kunstbegriffs ........................................................ 33 Wandel des Künstlerinnen- und Künstlerbilds ..................... 38 Wandel der Publikumsrolle ..................................................... 41 Zusammenfassung..................................................................... 43
Demokratisierungstendenzen in den Kunstmuseen ................... 44
2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4
Verschiebungen im Selbstverständnis .................................... 45 Öffnung und Ökonomisierung ................................................ 47 Besucherorientierung: Vermittlung und Vermarktung ........ 49 Kunstmuseen im Rahmen der Stadtpolitik ............................ 55
8
Inhalt
2.3.5 2.4
Demokratisierungstendenzen in der Kunst im öffentlichen Raum .................................................................................................. 60
2.4.1 2.4.2
2.4.3 2.4.4 2.5 3
Zusammenfassung..................................................................... 59
Annäherungen an den Begriff des öffentlichen Raums........ 60 Von der Kunst am Bau zur Kunst im öffentlichen Raum: Problematisierung und Neuorientierung in den 1970er Jahren ........................................................................................... 67 Ortsspezifität oder ein neues Verhältnis von Kunst und Publikum ..................................................................................... 70 Zusammenfassung..................................................................... 76
Fazit .................................................................................................... 77 Kunstmuseum und Publikum ........................................................... 79
3.1
Der institutionelle Charakter von Kunstmuseen ......................... 79
3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.2
Das Kunstmuseum als Behavior Setting ....................................... 84
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.3
Institution und Organisation .................................................... 80 Ausschließungscharakter durch Repräsentation von Symbolen..................................................................................... 82 Zusammenfassung..................................................................... 83
Verhaltensprogramme .............................................................. 84 Nutzungswissen und Selektionskräfte ................................... 86 Einfluss von Einstellungen auf Annäherung oder Meidung von Settings ............................................................... 93 Zusammenfassung..................................................................... 96
Museumspublikum .......................................................................... 98
3.3.1 3.3.2
Theoretische Ansätze zur Erklärung von Museumsbesuchen .................................................................... 98 Empirische Befunde: soziodemographische Daten, Motive und Barrieren .............................................................. 100
9
Inhalt
3.3.3 3.3.4 3.4
Exkurs: Das MoMA in Berlin ........................................................ 119
3.4.1 3.4.2 3.4.3 3.4.4 3.5 4
Neue Publikumsgruppen durch Events: Beispiel Lange Museumsnacht ......................................................................... 112 Zusammenfassung................................................................... 118
Erlebnismarketing.................................................................... 119 Publikumsgruppen: Soziodemographische Struktur und Kulturverhalten ........................................................................ 125 Eventisierung: Warteschlange und VIP-Ticket .................... 127 Demokratisierungsansätze durch Popularisierung: Zusammenfassung und weitere Überlegungen .................. 134
Fazit .................................................................................................. 137 Öffentlicher Stadtraum und Publikum von Kunst im öffentlichen Raum ............................................................................. 139
4.1
Auswirkungen der Stadtpolitik auf die Zugänglichkeit im öffentlichen Raum .......................................................................... 139
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.2
Das neue Selbstverständnis der Städte ................................. 140 Selektion und Sozialstatus im öffentlichen Raum ............... 147 Beispiel einer künstlerischen Kritik: Martha Rosler ............ 154 Zusammenfassung................................................................... 157
Perspektive Behavior Setting: Annäherung und Meidung von Orten im öffentlichen Raum .................................................. 158
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5
Settingprogramme und Normen im städtischen Außenraum ............................................................................... 159 Verdrängung von nonkonformen Personengruppen und Aufrechterhaltung eines gewünschten Stadtimages........... 162 Nutzungswissen und unklar definierte Räume .................. 164 Einfluss von Image und persönlicher Einstellung auf die Nutzung öffentlicher Orte ...................................................... 168 Zusammenfassung................................................................... 170
10
Inhalt
4.3
Kunst im öffentlichen Stadtraum und Publikum ....................... 171
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.4 5
6
Besonderheiten von Kunstpublikum im öffentlichen Raum.......................................................................................... 172 Vandalismus als negative Reaktion auf Kunst im öffentlichen Raum .................................................................... 173 Clegg & Guttmann: Offene Bibliothek, Hamburg 1993 ...... 177 Zusammenfassung................................................................... 189
Fazit .................................................................................................. 190 Empirische Rezipientenstudie: Befragung in der Pinakothek der Moderne und auf dem Frauenplatz, München ..................... 193
5.1
Rahmenbedingungen ..................................................................... 194
5.2
Deskriptive Auswertung der Studie ............................................ 202
5.3
Fazit .................................................................................................. 227 Schlussbetrachtungen ....................................................................... 231
Literaturverzeichnis ..................................................................................... 241 Anhang ........................................................................................................... 255 Anhang 1: Fragebogen deutsch .............................................................. 255 Anhang 2: Fragebogen englisch .............................................................. 257 Anhang 3: Auswertungen der Fragebögen mit SPSS .......................... 259
1 Einleitung
Die Freiheit der Kunst ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert, die Kulturhoheit liegt bei den Bundesländern. Daraus lässt sich ein Kulturauftrag ableiten, dessen Umsetzung in einem entscheidenden Maße auf kommunaler Ebene stattfindet. Für die Kommunen gibt es diesbezüglich allerdings selten gesetzliche Pflichtvorgaben, was zu einem großen Gestaltungsfreiraum sowie einer offenen Interpretierbarkeit der Aufgabe führt. Grundsätzlich existiert die Idee von der Bereitstellung einer kulturellen Infrastruktur sowie der Gewähr einer großflächig und sozial breiten Teilnahme am Kulturleben der Bevölkerung. Dies schließt auch die Möglichkeit der Rezeption von zeitgenössischer Bildender Kunst ein. Kunst kann allerdings in unterschiedlichen Rahmen präsentiert werden. Diese lassen sich jeweils durch Merkmale kennzeichnen, die dem Ziel einer unkomplizierten Zugänglichkeit zu Kunst offenbar zuträglicher sind, und anderen, die eher Barrieren erzeugen. Kunst kann zum einen im klassisch institutionellen Rahmen des Kunstmuseums, zum anderen aber auch im öffentlichen, allgemein zugänglichen Stadtraum gezeigt werden. Traditionell haben Museen den Ruf von Schwellenängsten produzierenden Musentempeln, die vor allem von einem bestimmten, kunstgebildeten Publikum besucht und von anderen Bevölkerungsteilen wiederum gemieden werden. Dagegen erscheint die im städtischen Außenraum präsentierte Kunst für viele unterschiedliche Sozialgruppen offen und vermittelt den Eindruck, spontane Kontakte zu ermöglichen sowie Interesse zu wecken. Es gilt zu klären, was hinter einer solch ersten, oberflächlich vergleichenden Betrachtung steckt, die eine klare Polarisierung dieser beiden Kunstpräsentationsorte suggeriert. Es bleibt zu hinterfragen, ob der öffentliche Raum tatsächlich den uneingeschränkt besseren Rahmen in Hinsicht auf eine P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
12
1 Einleitung
demokratische Zugänglichkeit bietet oder ob bestimmte aktuelle Entwicklungen – sowohl im Kunstmuseum wie auch im Stadtraum – zu anderen Einsichten führen können. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist demnach die verbreitete Vorstellung einer Polarisierung vom elitären Museum gegenüber einer demokratischen Kunst im öffentlichen Stadtraum. In diesem Sinne besteht auf der einen Seite die Idee von einer symbolgeladenen, selektiven Kunstinstitution, in der eine gezwungene Atmosphäre herrscht und wo überwiegend Personen mit Kunstwissen versammelt sind. Auf der anderen Seite existiert die Vorstellung von einem außer-institutionellen, für die Bevölkerung frei zugänglichen öffentlichen Raum, in dem jede und jeder unkompliziert, unbefangen sowie ohne spezielle Vorbildung auf Kunst treffen kann. Grundsätzlich können Kunstmuseen und Kunstprojekte im öffentlichen Raum jeweils sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. So gibt es Kunstmuseen als kleine Regionalmuseen oder auch als international bekannte Touristenattraktionen, und Kunst im öffentlichen Raum zeigt sich als unauffällige Kunst am Bau oder auch im Rahmen von medienwirksamen Stadt-Festivals. Entsprechend variieren die Möglichkeiten der Initiatorinnen und Initiatoren in Bezug auf Budget, Marketing oder Vermittlung und infolgedessen auch die Publika. Da hier Tendenzen im Hinblick auf die Zugänglichkeit aufgezeigt werden sollen, wird vom größtmöglichen Extrem ausgegangen, das heißt von populären Kunstmuseen mit breitem Einzugsgebiet einerseits sowie singulären Projekten oder kleineren Programmen im öffentlichen Raum andrerseits. Für beide Kunstpräsentationsorte stellt die städtische Situation jedoch die Basis dar. Aus der Problematisierung einer Polarisierung Kunstmuseum versus Kunst im öffentlichen Raum ergibt sich die Forschungsfrage, ob sich der Zugang zu Kunst im außer-institutionellen Rahmen im Gegensatz zum Kunstmuseum eher als demokratisch erweist. Diese Sichtweise wird für beide Kunstpräsentationsorte vor dem theoretischen Hintergrund der Behavior Setting-Theorie beleuchtet, wobei die Grundannahme besteht, dass sich unterschiedliche Rahmen beziehungsweise Settings für Kunst jeweils auf das menschliche Verhalten auswirken und schließlich zu ei-
1 Einleitung
13
ner Annäherung oder Meidung von Orten führen können. Die Untersuchung wird durch eine von der Autorin durchgeführten, empirischen Befragung in einem Museum für Gegenwartskunst – der Pinakothek der Moderne in München - sowie bei einer temporären Kunstinstallation im öffentlichen Raum – dem Objekt Pampel auf dem Frauenplatz in München - vervollständigt. Während Befragungen in deutschen Kunstmuseen erst seit den 1980er Jahren häufiger und inzwischen übliche Praxis geworden sind, gibt es kaum empirische Studien im Zusammenhang mit dem Publikum von Kunst im öffentlichen Raum. Dieser Interessentinnen- beziehungsweise Interessentenkreis ist soziodemographisch sowie bezüglich des Kunstwissens und der kulturbezogenen Einstellungen schwer zu erfassen. Infolgedessen beruhen die empirisch gewonnenen Ergebnisse im Hinblick auf die Zugänglichkeit von Kunst im städtischen Außenraum überwiegend auf einer von der Autorin durchgeführten Befragung bei der Kunstinstallation Pampel auf dem Frauenplatz in München. Der Begriff demokratisch wird hier im Sinne des Zugangsdemokratischen verwendet, was sich aus dem Verständnis in der Kulturpolitik der 1970er Jahre mit den Postulaten Kunst für alle sowie Schwellenangst abbauen ableitet. Beide Leitgedanken signalisieren das kulturpolitische Bestreben, möglichst vielen sozialen Gruppen den Zugang zu kulturellen Angeboten und Einrichtungen zu gewähren. Insbesondere die als benachteiligt angenommenen Bevölkerungsgruppen sollten den Kreis der Kunstinteressierten über das traditionell hochgebildete Kunstpublikum hinaus erweitern. Insofern bedeutet hier elitär, dass der Zugang zu Kunst primär von einer Bildungselite, also Menschen mit tendenziell überdurchschnittlichem Bildungshintergrund erfolgt. Dabei wird der Blick auf die Neuorientierungen in der Stadt- und Bildungspolitik gerichtet sowie insbesondere auf das von der Bildungsreform geprägte Museumswesen und die Entwicklungen von Kunst im öffentlichen Raum. Im Anschluss an die Einleitung wird im zweiten Teil dieses Buchs versucht, Demokratisierungstendenzen in unterschiedlichen Bereichen bis in die Gegenwart aufzuzeigen, die im Kontext von Umbrüchen in den 1970er Jahren besonders zum Tragen kamen. Dabei handelt es sich um Entwicklungen in der Kulturpolitik allgemein, der Kunstmuseen, ei-
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1 Einleitung
ner Kunst im öffentlichen Raum sowie in der Gesellschaftsstruktur. Im dritten Teil dieses Buchs wird zuerst das Kunstmuseum als Institution und Organisation sowie aus sozialpsychologischer Perspektive als Behavior Setting betrachtet, worauf dann eine Beschreibung des Museumspublikums anhand von Ergebnissen empirischer Studien erfolgt. Mit einem Exkurs über die Schau Das MoMA in Berlin werden neue, eventorientierte Ansätze in der Zielgruppenansprache im Sonderausstellungsbereich dargelegt. Anschließend wird im vierten Teil dieses Buchs der öffentliche Raum als Rezeptionsort für Kunst beleuchtet, einerseits unter dem Aspekt der Auswirkungen einer neuen Stadtpolitik und andrerseits analog zum Kunstmuseum als Behavior Setting. Eine Fokussierung auf den Rezipientenkreis von Kunst im öffentlichen Raum erfolgt durch die Betrachtung einer empirischen Untersuchung im Rahmen eines Kunstprojekts, anhand von Erläuterungen zu allgemeinen Bedingungen im Stadtraum sowie Vandalismus als Form negativen Annäherungsverhaltens. Im fünften Teil des Buchs werden Ergebnisse der von der Autorin durchgeführten, empirischen Studie präsentiert. Aufgrund der Verwendung eines identischen Fragebogens ist ein Vergleich beider Präsentationsorte möglich. In den Schlussbetrachtungen erfolgt eine Bilanz darüber, inwiefern eine Aufweichung der Polarisierung Kunstmuseum gleich elitär und Kunst im öffentlichen Raum gleich zugangsdemokratisch vorliegt und die gegenübergestellten Einzelbehauptungen zu relativieren sind.
2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
In den 1970er Jahren fanden in Deutschland wichtige Umbrüche sowohl im Bereich der Museen als auch bezüglich Kunst im öffentlichen Raum statt, deren Auswirkungen auf das Verhältnis von Kunst und Publikum im folgenden Kapitel analysiert werden. Hierbei kommt dem kulturpolitischen Verständnis der Zeit mit dem Leitsatz Kultur für alle eine besondere Bedeutung zu und dient als Ausgangspunkt für Beobachtungen eines sich wandelnden Demokratiebegriffs. Die Vermischung von Kunst und Alltag eignet sich aufgrund ihres tendenziell hierarchiefreien Charakters als Untersuchungskriterium, um Demokratisierungsprozesse in den beiden verschiedenen Bereichen - dem Kunstmuseum sowie der Kunst im öffentlichen Raum - sichtbar zu machen. Diese Verschiebungen werden begleitet durch ein sich veränderndes Verständnis des Kunstbegriffs, des Künstlerinnen- und Künstlerbilds in der Gesellschaft sowie der Rezipientinnen- und Rezipientenrolle.
2.1 Das Demokratieverständnis in der neuen Kulturpolitik Zuerst wird das Demokratieverständnis hinsichtlich einer kulturpolitischen Neuorientierung in den 1970er Jahren beleuchtet und die Auswirkungen auf die Haltung gegenüber dem Publikum. Besondere Bedeutung kommt hierbei der Bildungsreform zu, die starken Einfluss auf die Kultur- und Museumspolitik nahm. Das Verständnis von Demokratisierung wird hier im Zusammenhang mit dem Demokratieverständnis in der Kulturpolitik der 1970er Jahre und deren Leitgedanken Kultur für alle erläutert. Aus gegenwärtiger Perspektive wird hinterfragt, inwiefern P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
von einer Ökonomisierung im Kulturbereich gesprochen werden kann, die sich möglicherweise auf die Kulturpolitik und deren Selbstverständnis gegenüber dem Publikum auswirkt. Schließlich wird ein gesellschaftlicher Wandel und insbesondere ein Wertewandel in den Kontext von Kulturangebot und Lebensstil-Gestaltung gestellt.
2.1.1 Bildungsreform: Trendwende in der Bildungs- und Kulturpolitik In den 1970er Jahren fand eine kulturpolitische Neuorientierung statt, die zu einer veränderten Betrachtungsweise gegenüber dem Publikum führte. Die siebziger Jahre markierten allgemein eine politische Trendwende, indem mit Willy Brandt und der ersten sozial-liberalen Koalition die kunstpolitisch konservative Adenauer-Regierung abgelöst wurde. Problemorientierte Analysen der zeitgenössischen Gesellschaftsverhältnisse ergaben unter anderem neue Ziele in der Kultur- und Städtebaupolitik, die im Zusammenhang mit einer umfassenden Modernisierungsund Demokratisierungsbewegung standen und auf sozialstaatlich geprägten Wertvorstellungen basierten (zum Beispiel Hoffmann 2000, 15ff.; Sauberzweig 2005, 20ff.; Göschel 2006, 235). Grundsätzlich setzte eine Verschränkung von Kultur- und Stadt- beziehungsweise Städtebaupolitik ein, was sich insbesondere auf die Förderung der Museumslandschaft auswirkte.1 Die Frage danach, was Kunst leisten kann, wurde allgemein stark thematisiert, wobei deren Wirksamkeit in Bezug auf die Humanisierung der Gesellschaft, die individuelle Emanzipation sowie die politische Kraft im Vordergrund der Diskussionen standen. Aus der Publikation des Deutschen Städtetages Wege zur menschlichen Stadt von 1973 (98f.) geht hervor, dass Kultur die Aufgabe zugewiesen bekam, die Stadt menschlicher zu machen. Basierend auf dem Leitgedanken Kultur für alle, unter Berücksichtigung der Neigungen aller Bürgerinnen und
1
Brauerhoch (1994, 208ff.) skizzierte dies anhand der Stadt Frankfurt am Main für die 1970er Jahre und analysierte eine Wandlung von zunächst innengerichteten Motiven zu einer starken Außenorientiertheit.
2.1 Das Demokratieverständnis in der neuen Kulturpolitik
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Bürger, sollte Kultur einen Beitrag zur sozialen, kommunikativen und ästhetischen Entwicklung leisten. Der politische Trend in Richtung einer gezielten kulturellen Versorgung für möglichst alle Bevölkerungsteile und unter besonderer Berücksichtigung der als benachteiligt betrachteten Gruppen stand in enger Beziehung zu der die Epoche prägenden Bildungsreform. Die boomende Wirtschaft in den 1950er Jahren machte aufgrund eines Mangels an spezialisierten Fachkräften eine Erschließung neuer Bildungsreserven ökonomisch notwendig. Daneben kam mit der bundesweiten Debatte um Chancengleichheit im Bildungswesen in den 1960er Jahren eine weitere Qualität hinzu. In mehreren zeitgenössischen Abhandlungen (zum Beispiel Picht 1964; Dahrendorf 1965) wird deutlich, dass das deutsche Bildungssystem als ungerecht und untragbar sowie unzeitgemäß erachtet wurde. Außerdem geriet der problematische Kapazitäten-Engpass in Schulen und Universitäten in den Blickpunkt der breiten Öffentlichkeit und drängte die Regierung zum Handeln. In diesem Kontext kam die von Bund und Ländern gegründete Bildungsplanungskommission Deutscher Bildungsrat2 zum Einsatz, welche unter anderem die Vereinheitlichung des Schulsystems der Länder anstrebte. Darüber hinaus wurde der Hochschulbau zur gemeinsamen Angelegenheit von Bund und Ländern erklärt, was die Neugründung von Universitäten unterstützte. Im Sinne einer gerechten Zugänglichkeit für alle Bevölkerungsteile wurde das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) verabschiedet und die Studiengebühren abgeschafft. Die Umgestaltungen im Bildungs- und Wissenschaftssystem hatten mit zur Folge, dass immer größere Teile der Bevölkerung mittlere und höhere Bildungsabschlüsse erreichten, das heißt, die Anteile der Schulabschlüsse innerhalb des dreigliedrigen Systems zugunsten der höheren stiegen. Zudem erhöhte sich in Westdeutschland kontinuierlich die Zahl der Studienanfängerinnen und -anfänger sowohl an den Universitäten als auch an den Fachhochschulen.3 Bereits nach dem Zweiten Weltkrieg, 2 3
Die Kommission existierte von 1965 bis 1975 und wurde für die längerfristige Bildungsplanung gegründet. Dieser Trend setzte sich gemäß Geißler (2006, 275f.) fort. Während der Haupt- beziehungsweise Volksschulabschluss 1952 deutlich dominierte (79 Prozent), besuch-
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
erklärte Hradil (2005, 149ff.), begann sich die weiterführende Schulbildung für die Massen zu erschließen, wobei die Hochschulabschlusszahlen eines Jahrgangs stiegen und sich die Hauptschule gleichzeitig zu einer Minderheiten-Schule entwickelte. Nach der Definition Hradils (2005, 151) ist die Ausweitung und Ausdifferenzierung der Bildungseinrichtungen, Vermehrung der vermittelten Bildungsinhalte, Bildungsdauer und Anzahl der solcherart Gebildeten unter dem Begriff Bildungsexpansion bekannt. Obgleich sich die Bildungschancen grundsätzlich für alle erhöhten, fand auf dem mittleren Bildungsniveau eine erhebliche Umverteilung statt, während Abitur sowie Hochschulabschluss sozial ungleich verteilt blieben.4
2.1.2 Demokratiebegriff und Kultur für alle Demokratie als Staatsform bedeutet, vom griechischen Volksherrschaft abgeleitet, Herrschaft von Vielen und findet seine Vorläufer in den antiken Demokratien in Athen und Rom. Wesentliche Aspekte der modernen Demokratie sind die Garantie der Grundrechte, die Gewaltenteilung, die
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ten 2004 nur noch 23 Prozent der Schülerinnen und Schüler diese Schulart. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern an Gymnasien vergrößerte sich im gleichen Zeitraum von 13 auf 33 Prozent sowie an Realschulen von 6 auf 26 Prozent. Gegenüber 1960 gingen Schulentlassungen ohne Abschluss von 17 auf 10 Prozent zurück, wobei dieser Wert seit den 1980er Jahren relativ stabil blieb. Die Zahl der Studierenden an den Hochschulen der Bundesrepublik lag 1960 bei 6 Prozent eines Jahrgangs und erreichte 2003 knapp über 25 Prozent. Jedoch darf nach Geißler von den hohen Abiturientinnen- beziehungsweise Abiturientenzahlen nicht gleichzeitig auf eine hohe Akademikerinnen- beziehungsweise Akademikerquote in der Bevölkerung geschlossen werden. Seit den 1990er Jahren stagnierten die Entwicklungstrends in Westdeutschland, so dass sich beispielsweise die Anzahl der Absolventinnen und Absolventen mit Abitur zwischen 1989 und 2003 kaum noch erhöhte. Auf dem mittleren Bildungsniveau fand in den Jahren der Bildungsexpansion eine Umverteilung zugunsten der Kinder von benachteiligten Schichten statt, so Geißler (2006, 283f). Höhere Schulen, das heißt Gymnasien, besuchten dagegen weiterhin Kinder des nichtlandwirtschaftlichen Mittelstands sowie der höheren Dienstleistungsschichten. Indem sich die Bildungschancen, insbesondere von Kindern aus Arbeiterinnen- beziehungsweise Arbeiterhaushalten bis in die 1980er Jahre nicht verbesserten, vergrößerte sich deren Chancenabstand gegenüber den privilegierten Gruppen weiter. Unverändert wuchsen die Universitäten zugunsten der Kinder von Selbstständigen, Beamtinnen und Beamten sowie Angestellten, wobei 1990 der Anteil (7 Prozent) der Kinder von Arbeiterinnen beziehungsweise Arbeitern erstmals die 5 Prozent-Hürde nahm.
2.1 Das Demokratieverständnis in der neuen Kulturpolitik
19
Meinungs- und Pressefreiheit sowie das allgemeine, gleiche Wahlrecht. Diese wurden in der Aufklärungszeit im 17. und 18. Jahrhundert formuliert (Schultze 2007, 64ff.). Spätestens seit der Französischen Revolution verlor der Begriff seine ursprüngliche Fixierung auf das Verfassungspolitische und weitete sich auf den historischen und idealistischen Bereich aus. Der vormals der Gelehrtensprache zugehörige Demokratiebegriff entwickelte sich immer mehr zu einem Symbol für alles Gute, Schöne und Wahre in der Gesellschaft und somit auch zum Indikator für die menschliche Emanzipationsbewegung im Allgemeinen (Maier 1972, 54). Demokratiebegriffe sind nicht absolut und nicht statisch, sondern nähren sich aus den gegebenen Bedingungen. Der Begriff Demokratisierung bezieht sich hier nur entfernt auf den klassisch politischen Begriff Demokratie. Vielmehr geht es, wie bei Maier, um einen weiter gefassten Demokratiebegriff im allgemeinen Sinne des Zugangsdemokratischen, verbunden mit den großen Idealen Humanismus und Emanzipation, wie dieser auch in der Kulturpolitik der 1970er Jahre im Kontext der Bildungsreform wichtig wurde. In der Bildungspolitik wie auch in der Kulturpolitik standen die Bemühungen im Mittelpunkt, gleiche Zugangsvoraussetzungen für alle Teile der Bevölkerung zu den öffentlichen Einrichtungen schaffen (zum Beispiel Glaser und Stahl 1983).5 Die Idee der Gleichheit, der Partizipationsmöglichkeit und sozialen Gerechtigkeit stand dabei im Zusammenhang mit dem Grad der sozialen Öffnung und Zugänglichkeit zu Kunst und den Institutionen des Bildungs- sowie Kulturwesens. Eine gute physische sowie soziale Zugangsmöglichkeit zu den Kulturangeboten kann als Chance erachtet werden, eine breitere, über das klassisch bürgerliche Museumspublikum hinausgehende Klientel zu erreichen. In diesem Sinne kann Öffnung als eine Demokratisierung der Kunstrezeption verstanden werden. Dabei ist zu beachten, dass die beiden strukturell unterschiedlichen Kunstpräsentationsorte Kunstmuseum sowie öffentlicher Stadtraum in Bezug auf deren Zugänglichkeit 5
In der Programmschrift Die Wiedergewinnung des Ästhetischen, die 1974 publiziert wurde, führten Glaser und Stahl erstmals das Präfix Sozio in die westdeutsche Kulturpolitik ein. Im Folgenden wird aus der 1983 publizierten, erweiterten Neuauflage mit Titel Bürgerrecht Kultur zitiert, insbesondere aus dem Teil Aspekte der SozioKultur (34-50).
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
jeweils von unterschiedlichen Faktoren geprägt sind, die sowohl als Motivatoren wie auch als Barrieren für potenzielle Kunstrezipientinnen und -rezipienten wirken können. Dieser Problembereich stellt den Kern dieser Untersuchung dar und wird aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Insbesondere im Museumsbereich wurde eine erschwerte Zugänglichkeit für breite Bevölkerungsschichten diagnostiziert. Die Stimmen für eine Trendwende in Richtung einer stärkeren Öffnung der Einrichtungen gegenüber dem potenziellen Publikum mehrten sich. In der von Gerhard Bott 1970 herausgegebenen Aufsatzsammlung Das Museum der Zukunft wird deutlich, wo zeitgenössische Akteure aus dem Kulturbereich die Mängel des Museums sowie Zukunftsvisionen sahen. Insgesamt schien Einigkeit über einen notwendigen Richtungswechsel im Museumswesen zu herrschen mit einer aktiven und breiten Publikumsansprache. Progressive Anliegen in den Beiträgen des Bands von Bott betrafen unter anderem die Forderung nach einem stärkeren Gegenwartsbezug (Riedl; Schmalenbach), nach einem Kommunikationsraum und einer professionellen Vermittlungsarbeit (Martens), nach einer zu verbessernden Serviceleistung durch beispielsweise längere Öffnungszeiten (Banach), nach einer stärkeren Durchmischung von Kunst- und Alltagswelt (Beyer; Moltke; Vogt) sowie nach Initiativen für Kunst im Außenraum (Cunningham; Eckhardt). Der ehemalige Frankfurter Kulturreferent Hilmar Hoffmann propagierte den Leitgedanken Kultur für alle, welcher zum Ausdruck bringen sollte, dass jeder Mensch, unabhängig von seinem sozialen Umfeld, ein Recht auf Teilhabe am Kulturleben hat. Dieser Breitenkultur-Anspruch forderte von kommunaler Seite wiederum, dass die öffentlich zur Verfügung stehende kulturelle Infrastruktur für möglichst alle Bevölkerungsteile gleichermaßen zugänglich werden musste. In dieser Hinsicht wurde den Museen, mit ihrer Bestimmung, Kultur und Bildung zu vermitteln, innerhalb der Kulturpolitik der 1970er Jahre eine wichtige Rolle zuteil. Die reformorientierten Kulturpolitiker Glaser und Stahl (1983, 37ff.) führten das Präfix Sozio in die Debatten ein, um damit die Öffnungsbestrebungen der Kunst gegenüber der Gesellschaft von der reaktionären,
2.1 Das Demokratieverständnis in der neuen Kulturpolitik
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kulturbürgerlichen Abschottungspolitik der beiden vorangegangenen Jahrzehnte abzugrenzen, die einen entsprechend affirmativen Charakter der Kultur einschloss. Das Konzept der Sozio-Kultur strebte eine Demokratisierung an, indem ein kultureller sowie politischer Partizipationsanspruch galt, der zu einer Auflösung der fest gefahrenen Trennung von Kunst- und Alltagsbereich sowie Kunstproduktion und -rezeption führen sollte. Mit dem kulturpolitischen Ziel der Breitenwirkung veränderte sich auch das Verhältnis von Hochkultur und Populärkultur, infolgedessen sich die vor allem in der Postmoderne-Debatte der 1980er Jahre viel diskutierte herrschende Kluft zwischen High und Low sowie Bildung und Unterhaltung verringerte (zum Beispiel Fiedler 1968). Neben Kultur für alle etablierte sich im Rahmen der Demokratisierungswelle der Ausdruck Schwellenangst abbauen. Hoffmann (1996, 15f.) meinte rückblickend, die beiden kulturpolitischen Leitideen implizierten einerseits einen grundsätzlichen Bildungswillen in der Bevölkerung und andrerseits Ängste beziehungsweise Befremdung im Umgang mit den wenig vertrauten Kunstmuseen. Kunst sollte nicht länger eine durch Bildungshierarchien gekennzeichnete Domäne für Fachleute abgeben, sondern auf spezielle soziale Verhältnisse ausgerichtet sein, als politische Kraft wirken und mittels pädagogischer Maßnahmen kritisches Lernen ermöglichen. Aufgrund veränderter Vorbedingungen gibt es gegenüber den 1970er Jahren heute Unterschiede im kulturpolitischen Demokratieverständnis. Obgleich die Kriterien der freien Zugänglichkeit, der sozialen Relevanz oder der Verbindung von Kunst und Leben damals wie heute Geltung haben mögen, ist eine Verschiebung der inhaltlichen Akzentuierung möglich und erkennbar. Die Idee einer Polarisierung vom elitären Musentempel und einer demokratischen Kunst im öffentlichen Raum fand in den 1970er Jahren besondere Voraussetzungen zur Entfaltung. Während Kultur in der Politik dieser Zeit als Allgemeingut verstanden wurde, welche es nach dem Gleichheitsprinzip zu verteilen galt, scheint der Bereich heute immer stärker dazu zu neigen, als Inhalt für bestimmte Lebensstile zu dienen, Gruppenzugehörigkeit zu demonstrieren sowie darüber hinaus gewisse soziale Positionen zu erreichen.
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
2.1.3 Auswirkungen zunehmender Ökonomisierung auf kulturpolitisches Handeln Eine veränderte kulturpolitische Situation einerseits und gesellschaftliche Umbrüche andrerseits schaffen gegenwärtig andere Voraussetzungen für das Handeln der Kulturpolitik als vor 40 Jahren. Das Umfeld von Gesellschaft und Kultur schätzte Sauberzweig (2005, 161f.) im rückblickenden Vergleich mit den 1970er Jahren heute wesentlich komplexer und unübersichtlicher ein. Die Anzahl der Museen stieg bei gleichzeitig sich verschlechternder ökonomischer Situation, wodurch das Konkurrieren mit anderen Einrichtungen der Freizeitindustrie anstieg. Aufgrund dessen müssen sich die Häuser nun verstärkt mit Fragen auseinandersetzen, die die Publikumssteigerung betreffen sowie in diesem Zusammenhang mit Sponsoring und neuen Trends wie einer gesteigerten Erlebnisorientierung. Dies bedeutet umfangreichere Verhandlungen mit einer größeren Anzahl von Akteuren. Die Finanzprobleme der öffentlichen Hand wirken sich insbesondere auf die Kunst- und Museumspolitik sowie die Zielgruppenansprache aus.6 Während die Ausrichtung der Kulturpolitik in den 1970er Jahren im Kontext der Bildungsreform stand und gleichberechtigten Zugang zum Kulturangebot, besonders für benachteiligte Bevölkerungsteile forderte, muss sich die Kulturpolitik heute vor allem mit neuen Konzepten befassen, um der Finanznot von Ländern und Kommunen entgegenzusteuern. Infolge der veränderten ökonomischen sowie gesellschaftlichen Ausgangssituation stehen Öffnungsbestrebungen im Kulturbereich zunehmend mit quantitativen Besuchszahlen und Zielgruppenmarketing in Verbindung. Obgleich dieser vorherrschenden Tendenz sollte nicht unerwähnt bleiben, dass in neuerer Zeit auch eine Gegenbewegung erkennbar ist, indem sich eine Reihe von Kulturprojekten in Kunstmuseen wie auch im Außenraum nicht durch rein quantitative Ziele, sondern durch Partizipation und speziell die Arbeit mit benachteiligten Bevölkerungsschichten auszeichnen. Sowohl der Aspekt der zunehmenden Ökonomisierung im Sinne von Private Public 6
Wiesand (2001) beschrieb einen generellen Rückzug der staatlichen Kulturförderung seit Mitte der 1990er Jahre.
2.1 Das Demokratieverständnis in der neuen Kulturpolitik
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Partnership als auch die qualitative Ansprache spezieller Besucherinnenund Besuchergruppen zeigt sich beispielsweise am Projekt Pink. Das von der Münchner Pinakothek der Moderne initiierte und im fünften Jahr von der Philipp Morris GmbH geförderte Projekt richtet sich an Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen, speziell an Blinde.7 Qualifizierte Kunstvermittlerinnen und -vermittler entwickeln in enger Zusammenarbeit mit den Zielgruppen sowie mit sozialen Einrichtungen das Konzept kontinuierlich weiter. Die Leiterin des Museumsdiensts der Pinakotheken Susanne Kudorfer (Expertengespräch am 29.03.2006), äußerte sich dahingehend, dass sie die Zukunft der Museumspädagogik, neben den Kooperationen mit Schulen, vor allem in der sozialen Arbeit mit Randgruppen sieht; überdies in einer auf Gleichberechtigung basierenden Partizipation anstelle einem klassisch ungleichgewichtigen Verhältnis zwischen Kunstinformierten und Personen ohne kunstspezifisches Vorwissen. Darüber hinaus wies Babias (1995) mit der Einführung des Begriffs Vermittlungskunst schon früher auf die Annäherung der beiden Bereiche Kunst und Vermittlung hin, deren Verschränkung vielfach in kooperativen Konzepten von Kunstschaffenden und Bildungseinrichtungen zum Ausdruck kam. Auch Rollig und Sturm (2002) thematisierten die Vermischung der Berufsfelder in den Bereichen der Kunstproduktion, Vermittlung und Ausstellungsorganisation. Es ist erkennbar, dass Kulturfragen in Deutschland bereits seit den 1980er Jahren zunehmend ökonomisch diskutiert werden und sich die Funktionalisierung von Kultur für eigentlich kulturfremde Zwecke mehrt (zum Beispiel Wolf-Csanády 1994,195ff.). Schulze (1997, 499 ff.) beschrieb, wie sich die kulturpolitischen Motive von der hochkulturellen Bestandssicherung bis hin zur Ökonomisierung wandelten. Demgemäß stand in den Nachkriegsjahren bis in die 1960er die Bestandsicherung der Hochkultur im Vordergrund der Kulturpolitik, wobei ein kulturell kompetentes Publikum vorausgesetzt wurde. Im Gegensatz dazu zielte das kulturpolitische Demokratisierungsmotiv der 1970er Jahre anfänglich darauf ab, traditionell kulturferne Schichten wie Arbeiterinnen und Arbei7
Philipp Morris wurde für die Förderung des Projeks Pink mit dem Deutschen Kulturförderpreis 2007 ausgezeichnet.
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ter sowie formal weniger Gebildete anzusprechen. Das Propagieren von Gleichheit im Sinne einer Kultur für alle einerseits sowie von Spezialangeboten für verschiedene Publikumsfragmente andrerseits, lief nach Meinung Schulzes schließlich auf eine Popularisierung der Hochkultur hinaus. Speziell mit dem Sozio-Kultur-Motiv seit Ende der 1960er Jahre rückte eine Milieupolitik mit den Aspekten Kommunikation, Prozesshaftigkeit und der Idee des autonomen sich selbst verwirklichenden Menschen in den Mittelpunkt. Seit den 1980er Jahren begann eine zunehmende Durchdringung von Kultur- und Wirtschaftsbereich. Schulze wies kritisch darauf hin, dass die kulturpolitische Unterstützung des Ökonomiemotivs grundsätzlich die Gefahr einer Kommerzialisierung des Kulturbereichs birgt. Die Hochkultureinrichtungen entwickelten bereits seit den 1980er Jahren ein der gewandelten Situation angepasstes, unternehmerisches Handeln, indem sich die Häuser verstärkt als Erlebnis- und Freizeiteinrichtungen begriffen und das Publikum entsprechend als Kundschaft. Sowohl aus Rechtfertigungsgründen als auch um Gewinne zu erwirtschaften wurde den Besuchszahlen eine größer werdende Bedeutung beigemessen. Finanzielle Krisenzeiten der öffentlichen Hand und die einhergehende Wichtigkeit von quantitativen Besuchszahlen wirken sich auf die öffentliche Kulturförderung aus, indem beispielsweise Kunstmuseen und Kunst im öffentlichen Raum ungleiche Förderungsvoraussetzungen genießen. Oft nimmt die bestehende kulturelle Infrastruktur die öffentlichen Budgets vorrangig in Anspruch, so dass den kommunalen Kulturinitiatorinnen und -initiatoren zumeist der finanzielle Spielraum für neue Projekte fehlt, vor allem für außer-institutionell präsentierte Kunst wie temporäre Interventionen oder Community-Projekte. Abgesehen von festivalartigen Großveranstaltungen im städtischen Außenraum wie Skulptur Projekte Münster sind museale Events in der städtischen und medialen Öffentlichkeit außerdem wesentlich präsenter. Häußermann und Siebel (1987, 124) führten aus, dass medienwirksame Ereignisse in überregional bekannten Häusern als Mittel zur Standortverbesserung taugen und Investitionen für die Städte trotz oder gerade in Krisenzeiten für lohnenswert gehalten werden. Dagegen vermögen
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singuläre Kunstprojekte im öffentlichen Stadtraum ohne Objektcharakter oder zeitlich begrenzte Installationen den Städten zumeist weder finanziellen noch imagebringenden Ausgleich zu bieten. Zum einen entziehen sich progressive künstlerische Praktiken weitestgehend den kommerziellen Möglichkeiten und zum anderen hat Kunst im öffentlichen Raum im Gegensatz zu einer im Museum geweihten Kunst stärker mit Anerkennungsproblemen zu kämpfen. Für die Allgemeinheit wird oft nicht deutlich, ob es sich bei einem Projekt im Außenraum überhaupt um eine künstlerische Arbeit handelt oder bestimmte künstlerische Positionen von Fachleuten akzeptiert sind. Besonders aber in finanziell schwierigen Zeiten sind Rechtfertigungsgründe für kulturelle Initiativen schwierig, die eventuell nur von einer Minderheit der Bevölkerung als Kunst gebilligt werden.
2.1.4 Sozialer Wandel und Lebensstile Fragen des Kulturkonsums sind im Wesentlichen von gesellschaftlichen Bedingungen und Entwicklungen geprägt. Im Zuge der fortschreitenden Ökonomisierung im Kulturbereich zeigen sich Nutzungserweiterungen von Kunstmuseen. Mittels einer Bandbreite von Angeboten können verschiedene, auch kunstferne Publikumsgruppen angesprochen werden, wodurch die Integration verschiedener Lebensstile ermöglicht wird. Neben der Funktion als Kunstrezeptionsort können Museen als SocializingBühnen und Kulisse dienen, indem diverse Angebote von der Lounge bis zum Firmenessen, den Kunst- mit dem Alltagsbereich vermischen. Infolgedessen kann Kunst zum Lebensstil einer Person gehören, ohne dass diese eine besondere Affinität und Vorprägung gegenüber dem Gegenstand selbst aufweist. Die steigende Bedeutung dieser Aspekte weist auf eine zunehmende Ökonomisierung im Kulturbereich hin und steuert schließlich das kulturpolitische Handeln.
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Gesellschaften befinden sich in einem steten Wandel, so dass ein Strang von Entwicklungstrends wie beispielsweise Individualisierung8 und Erlebnisorientierung sowie deren Auswirkungen auf die Funktionen von Basisinstitutionen wie dem Wohlfahrtsstaat oder der Marktwirtschaft in der Gesamtheit einen sozialen Wandel ausmachen.9 Jedoch gibt es Phasen größerer und kleinerer Dynamik und welche, in denen diese Veränderungen stärker oder schwächer thematisiert werden. Faulstich (2004) erachtete den sozialen Wandel mit dem zunehmenden Trend zur Bindungslosigkeit, ausgedrückt durch die steigende Zahl an Single-Haushalten, einem Rückgang der Geburtenrate und einer größeren Mobilität spätestens seit den 1970er Jahren wieder als ein bedeutendes soziologisches Thema. Grundsätzlich, so schilderte Schäfers (2004, 9), fragt der soziale Wandel nach den Gründen, der Entwicklung und den prognostizierbaren Veränderungen der Sozialstruktur von Gesellschaften oder einzelnen sozialen Bereichen. Zudem wies er darauf hin, dass sich seit den 1970er Jahren neben den bis dahin dominanten Gesellschaftsbeschreibungen durch die Begriffe industriell-bürokratisch oder bürgerlich-kapitalistisch im Zusammenhang mit der digitalen Revolution die
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Die auf das Subjekt zentrierte Individualisierungsthese von Beck (1983) besagt, dass Menschen infolge der gewachsenen Anforderungen bezüglich Bildung, Mobilität und Flexibilität sowie der allgemein gestiegenen Einkommen seit der Nachkriegszeit einerseits immer stärker aus familiären, nachbarschaftlichen oder beruflichen Bindungen herausgelöst werden und sich andrerseits ständig auf der Suche nach ihrer Biographie befinden. Während Beck Klassen- und Schichtenmodelle nicht mehr für zeitgemäß hält, formierten sich demgegenüber jedoch neue soziale Lebensstilgruppen. Kritikerinnen und Kritiker der Beckschen Individualisierungsthese, die zumeist neben der Einbeziehung von Lebensstil-Theorien an der Bedeutung der traditionellen Klassen- und Schichtenkonzeptionen festhalten, bemängeln eine Ausschließung der Lebenslagen, beispielsweise die persönliche ökonomische Voraussetzung. Der Individualisierungsaspekt stellt damit ein Kernthema der Debatte Kulturalismus versus Strukturalismus dar (zum Beispiel Eickelpasch 1998). Die Thematik wird an anderer Stelle wieder aufgegriffen. Sozialer Wandel ist ein zusammenfassender Begriff für die Gesamtheit der Veränderungen im Normen- und Wertesystem, der Institutionen und Organisationen, der Ökonomie und Kultur, der Politik und Verwaltung, der Religion und der Kommunikation (Schäfers 2004, 10).
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Bezeichnungen Informationsgesellschaft und Netzwerkgesellschaft etablieren konnten.10 Einen zentralen Aspekt des sozialen Wandels bilden die Ideen des ursprünglich von Ronald Inglehart11 in den 1970er Jahren herausgearbeiteten Wertewandels. Hradil (2005, 424) stellte heraus, dass der Wandel von Werten langsam vonstattengeht und zeigte, dass für die Menschen im Laufe der Geschichte bestimmte Einflüsse, wie beispielsweise die Religion, im privaten und öffentlichen Leben an Wichtigkeit gewinnen oder auch verlieren. Lebensstile spiegeln den sozialen Wandel wider, da sie Menschen in Gruppen mit ähnlichen Wertehaltungen, Mentalitäten sowie ähnlicher Lebensgestaltung kategorisieren. Lebensstilgruppen werden in Bezug auf das Kulturverhalten wichtiger, indem sich im Großen und Ganzen die These von einem Postmaterialismus bestätigt. Diese besagt, dass sich in der persönlichen Zielsetzung der Menschen in modernen Gesellschaften ein Wandel von materialistischen Werten wie Besitztum und Pflichterfüllung hin zu postmaterialistischen Werten wie Kommunikation und Selbstverwirklichung vollzog. Eine solche Wertehaltung ist insofern schichtenspezifisch, als postmaterialistische Lebensstile oft durch jüngere Menschen, in Städten Lebende, höher Gebildete und obere Schichten besetzt werden. Es kann jedoch nicht von einer Ablösung des materialistischen durch den postmaterialistischen Stil gesprochen werden, da vielfältige Mischtypen deutlich überwiegen. Neben die traditionellen Klassen- und Schichtenkonzeptionen trat mit der Lebensstilforschung in den 1980er Jahren eine differenziertere Möglichkeit, gesellschaftliche Gruppen zu systematisieren und kulturelles Handeln zu erklären. Im Gegensatz zu den Schichten- und Klassenmodellen, hinter denen die Vorstellung steht, dass die äußeren Lebensbedingungen die inneren Haltungen bestimmen, gehen die Lebensstiltheorien davon aus, dass die objektiven Lebensbedingungen die Lebensgestaltung mit den persönlichen Wertehaltungen zwar beeinflussen und Grenzen setzen können, aber letztlich nicht ausschließlich prägen. Le10 11
Die wichtigsten gesellschaftlichen Umbrüche der vergangenen 35 Jahre sah Richter (2005) in der Wandlung zu einer Dienstleistungs-, Freizeit- und Konsum- sowie Wissensgesellschaft. Seine Thesen entwickelte Inglehart (1977) in The Silent Revolution.
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bensstilmodelle basieren auf der Annahme sozialer Veränderungen in Form von Tendenzen der Individualisierung und Differenzierung sowie gleichzeitig zunehmender Entkopplung aus festen Sozialstrukturen wie Familie, Dorfgemeinschaft oder Sportverein. Objektive Lebensbedingungen werden immer stärker durch eine subjektive Lebensweise beziehungsweise Prioritätensetzung verändert, wobei die Komponente Arbeit stark an Einfluss verliert, dagegen die Komponenten Zeit und Kultur gewinnen. Hörning und Michailow (1990, 505) schlossen daraus, dass sich die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Lebensstil überwiegend als aktiv gewollt darstellt und somit auf der individuellen Entscheidungsfreiheit beruht, diesen relativ frei von Elternhaus, finanziellen Ressourcen oder kultureller Bildung zu wählen. Die genannten Einflussgrößen existieren danach zwar noch, haben aber stark an Gewicht eingebüßt. Lebensstil, zusammenfassend nach Hörning und Michailow (1990, 502), kann man einerseits kollektivistisch als ein „Gruppenphänomen“ auffassen oder andererseits individualistisch als die Summe individueller Gewohnheiten, als ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil, das einen charakteristischen Satz dispositiver Einstellungen und Werthaltungen enthält. Auch die alltagsästhetischen Schemata der Milieus nach Schulze (1997) zeigen, dass Wertvorstellungen an verschiedene, grundsätzlich als gleichwertig einzustufende Lebensstile gebunden sind, die sich durch spezifische kulturelle Verhaltensmuster unterscheiden. Nach Schulze traten die traditionellen Wertschätzungen Arbeit, Pflichten, Disziplin und Leistung bereits seit den 1960er Jahren zunehmend hinter die Werte persönliche Freiheit und Selbstentfaltung zurück. Somit rückte eine Erlebnisorientierung und damit das Ereignis in den Mittelpunkt, so dass der Gebrauchswert eines Produkts gegenüber dem Erlebniswert an Bedeutung verlor. Gemäß Schulze (1997, 59ff.) weitete sich die Erlebnisorientierung, einst wenigen Privilegierten aus dem Adel und Großbürgertum vorbehalten, auf eine zunehmende Anzahl von Sozialgruppen aus. Darüber hinaus wurde für erlebnisorientiertes Handeln, das in immer mehr Alltagsbereiche vordrang, in stetig größerem Umfang Zeit aufgewendet, so dass aus einer Bandbreite von Angeboten nach rationalen Kriterien ausgewählt werden muss. Entsprechend formieren sich soziale Milieus als
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Erlebnisgemeinschaften, für die verstärkend das Image eines Produkts als Entscheidungsgrundlage dient und infolgedessen der Medieneinfluss wächst.12 Wie bei Konsumgütern wird das Verhalten auch gegenüber Kunsteinrichtungen vom Image beeinflusst und kann bei potenziellen Rezipientinnen und Rezipienten bis hin zu einem Besuch oder NichtBesuch führen. Ronneberger et al. (1999, 71) stellten fest, dass zur Wahrung der sozialen Stellung bestimmte Konsummuster unerlässlich geworden sind, indem sich bestimmte Milieus vor allem über den Konsum definieren. Da sich einzelne Lebensstilgruppen im Allgemeinen über Symbole und Codes von anderen differenzieren, so Ronneberger et al. (1999, 51), impliziert die Nutzung und Aneignung von städtischem Raum generell, inklusive der Kulturangebote, Ein- und Ausschließungsprozesse. Auch Friedrichs (1995, 20) machte deutlich, dass die Zugehörigkeit zu einer Gruppe eine bestimmte soziale Position signalisiert und bewusst für die Inklusion und Exklusion eingesetzt werden kann. Mit der Demonstration einer hohen Wertigkeit von Kultur beziehungsweise von Museumsbesuchen wird somit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe bestätigt und erfolgt gleichzeitig die Abgrenzung zu einer anderen. Gleichgesinnte, so Friedrichs, erkennen sich an bestimmten, distinktiven Symbolen und streben nach räumlicher Nähe. Milieu und Lebensstilgruppe werden bei Schulze (1997, 174) synonym verwendet. Er definierte soziale Milieus als große Personengruppen mit ähnlichen subjektiven und situativen Merkmalen, die sich voneinander durch erhöhte Binnenkommunikation abheben (ebenda, 23). Ähnlichkeitsgruppen erhalten erst durch ein gewisses Zugehörigkeitsverlangen ihrer Mitglieder und dem Bemühen der Eingeschlossenheit Stabilität (ebenda, 174). Grundsätzlich ging Schulze (ebenda, 88) von der freien Wählbarkeit der Beziehungen aus. Insofern bestehen gemäß Schulze (ebenda, 463) verschiedene Publika, die sich jeweils bestimmten Milieus zuordnen lassen, aus drei Arten von Ähnlichkei12
Schulzes Theorie einer Erlebnisgesellschaft basiert auf einer empirischen Studie, die bereits in den 1980er Jahren durchgeführt wurde; dennoch kann eine Tendenz angezeigt werden, die für den deutschen Kulturraum weiterhin gilt. Dies kommt besonders in Teil 3 des Buchs im Zusammenhang mit dem Marketinginstrument Event der großen Kunstmuseen zum Ausdruck.
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ten, das heißt der partiellen Identität von Personen, von Orten und von Inhalten. Auf diese Weise bilden sich in den Städten verschiedene Szenen heraus, das da wären Hochkulturszene, Neue Kulturszene, Kulturladenszene, Kneipenszene sowie Sport- und Volksfestszene. Treffpunkte der interregional stabilen Hochkulturszene sind Einrichtungen wie Museen, aber auch Theater oder Opernhäuser (ebenda, 471). Band und Müller (2001, 428) definierten Lebensstile in Anlehnung an Bourdieu als ästhetisch-expressive, relativ ganzheitliche Muster der alltäglichen Lebensführung von Personen und Gruppen, die in einem bestimmten Habitus und einem strukturierten Set von Konsumpräferenzen, Verhaltensweisen und Geschmacksurteilen zum Ausdruck kommen. Andere Theoretikerinnen und Theoretiker sehen wiederum eine Abhängigkeit der Lebensstilgruppen von Bildung und Alter, jedoch eine immer geringere von den ökonomischen Verhältnissen einer Person (zum Beispiel Müller-Schneider 2000). Schulze ging in seiner Theorie von einem Milieu-Zentrismus aus, was bedeutet, dass einem Milieu zugehörige Personen möglichst vermeiden, die Meinungsund Verhaltensmuster von Personen eines anderen, gegensätzlichen Milieus zu leben. Diese Annahme steht wiederum im Gegensatz zu den Ansätzen von Peterson und Simkus (2001, 169), dass die soziale Oberschicht aus Omnivoren besteht, die ungeachtet der Einordnungen in Hoch- und Populärkultur durchaus auch statusniederere Aktivitäten ausüben. Indem die beiden Autoren nicht an eine Distinktion durch Geschmack glauben, stellen sie sich gegen beispielsweise die Theorie von Bourdieu. Tarnai und Wuggenig (1995, 66ff.) führten in den Kunstwelten von Hamburg und Wien eine Studie zur Prüfung einer These der Kunstkritikerinnen Gablik und Crane durch. Gablik und Crane behaupteten, dass zeitgenössische Avantgardekunst mittlerweile in die Gesellschaft integriert ist. Die beiden Kunstkritikerinnen gingen davon aus, dass sich das im Zentrum und in der Peripherie lebende Publikum von Avantgardekunst nicht mehr durch spezifische Werte und Lebensstile unterscheidet. Tarnai und Wuggenig stellten in ihrer Untersuchung für Wien eine Abweichung von Zentrum und Peripherie fest. Die Studie ergab Unterschiede in Bezug auf lebensstilrelevante Wertorientierungen, außerdem individualistische und antibürgerliche Tendenzen. In der Hamburger
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Kunstwelt dagegen waren kaum Differenzen erkennbar, was die These von Gablik und Crane stützt. Das Ergebnis der Studie von Tarnai und Wuggenig kann demnach als eine Änderung des Stellenwerts beziehungsweise des Images von Kunst, selbst progressiver Gegenwartskunst, gedeutet werden. Einen nicht zu verachtenden Aspekt in Bezug auf eine Demokratisierung von Kunst und Kultur sah Opaschowski in einem allgemein veränderten Freizeitverhalten. Dieses führte den Bedürfnissen entsprechend auch zu einem Wandel der Kunstmuseen in vielfältig nutzbare Orte der Freizeitkultur, so Opaschowski (1993, 195f.). Im Gegensatz zur elitären Hochkultur spielt in der Freizeitkultur das sinnliche, gemeinsame Erlebnis und die Unterhaltung eine wichtige Rolle. Auch Ehling (2005, 92ff.) bestätigte, dass bei der Betrachtung eines Zehnjahres-Zeitrahmens in Deutschland 2001 und 2002 mehr Zeit für Freizeitaktivitäten aufgewendet wurde als noch Anfang der 1990er Jahre, wobei er jedoch auf die Auswirkungen von zunehmender Arbeitslosigkeit und einer älter werdenden Bevölkerung hinwies. Opaschowski (1993, 195f.) prognostizierte bereits zu Beginn der 1990er Jahre eine starke Zunahme des Interesses an kultureller Freizeitbeschäftigung und damit einen schnell wachsenden Kultursektor.13 Auch Schulze (1997) sah aufgrund der starken Angebotserweiterungen in den Museen eine Expansion des Kulturellen voraus. Diesen verschiedenen Betrachtungsweisen folgend kann festgehalten werden, dass sich die Sozialstruktur sowie Wertorientierungen seit den 1970er Jahren wandelten und dies zu einer allgemeinen Veränderung im Verhältnis zu Kunst und deren Institutionen führte. Demzufolge vermögen Ökonomisierungs- und Kommerzialisierungstendenzen im Kulturbereich Hemmschwellen herabzusetzen, indem sich Kunsteinrichtungen inzwischen zu Erlebnisstätten für breite Bevölkerungsschichten wandelten. Die Funktion von Kunst als Distinktionsmittel, wie sie Bourdieu (1994) beschrieb, hat sich somit verändert.
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Opaschowski (1993,196ff.) meinte, dass der Trend weiterhin überschaubar bleiben wird, auch wenn Kunsteinrichtungen immer mehr Interessentinnen und Interessenten erreichen werden.
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2.1.5 Zusammenfassung Die Kulturpolitik der 1970er Jahre und das Postulat Kultur für alle standen in engem Kontext zu einer die Epoche prägenden Bildungsreform. Die Politik wurde von einem Humanisierungs- und Emanzipationsanspruch dominiert, der sich unter anderem in dem Streben nach Chancengleichheit im Bildungswesen äußerte und in den Folgejahren zu einer Bildungsexpansion führte. Zeitgleich mehrten sich die Stimmen im Museumswesen, die sich für eine Neuorientierung der Museen im Sinne von Bildungseinrichtungen mit Breitenwirkung stark machten. Dieses Anliegen von sozial gleichberechtigten Zugangsvoraussetzungen zu den Angeboten und Einrichtungen im Bildungs- und Kulturbereich stellte hier den Bezug für das Verständnis von Demokratie und Demokratisierung. Das Demokratieverständnis in der Kulturpolitik hat sich mit zunehmender Ökonomisierung und aufgrund von gesellschaftlichen Umbrüchen verändert. Damals wie heute wird dem Museumswesen von der Kultur- und Städtepolitik, allerdings mit unterschiedlicher Auslegung, eine besondere Stellung zugeschrieben. Während die Konzentration in den 1970er Jahren speziell auf der Partizipation von als benachteiligt betrachteten Bevölkerungsteilen lag, traten im Laufe der Zeit Fragen der Ökonomie stärker in den Vordergrund. Zum einen verschlechterte sich die öffentliche Finanzlage und im Kulturbereich wurden quantitative Besuchszahlen wichtiger, zum anderen erhöhte sich durch einen sozialen Wandel bedingt auch das Interesse an Kulturerlebnissen und kultureller Lebensstil-Ausgestaltung. Die neuen Bedingungen für das Agieren der Kulturpolitik veränderten entsprechend die Ziele und das Verhältnis zum Publikum, was zu einer stärkeren Vermischung von Hoch- und Populärkultur sowie Kunst und Alltag führte. Kunstmuseen sahen sich zunehmend dem Freizeit- und Unterhaltungssektor zugehörig und bauten das Angebot entsprechend aus. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die um 1970 beginnende Modernisierungs- und Demokratisierungsbewegung in der Kulturpolitik eine Annäherung von Kunst und Publikum forcierte, die sich bis heute - jedoch mit unterschiedlicher Akzentuierung – fortsetzt.
2.2 Wandel
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2.2 Wandel des Kunstbegriffs, des Künstlerinnen- und Künstlerbilds sowie der Publikumsrolle Im nachfolgenden Kapitel wird ein sich wandelndes Verständnis von Kunst, von Selbst- und Fremdbild der Kunstschaffenden und von der Rolle des Kunstpublikums thematisiert sowie die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Zugänglichkeit von Museen und Kunst im öffentlichen Raum. Es wird anhand von Aspekten des theoretischen Verständnisses Bourdieus sowie des Diskursverständnisses Foucaults erklärt, welche Vorstellungen den Wandeln zugrunde liegen können. Zudem werden Ziele und Kritikpunkte der historischen Avantgarden aufgegriffen, um diese in den Zusammenhang eines erweiterten Kunstverständnisses zu stellen. Darauf aufbauend wird die wechselseitige Beeinflussung von Kunstbegriff, dem Künstlerinnen- beziehungsweise Künstlerbild in der Öffentlichkeit und der Rolle der Rezipientinnen beziehungsweise Rezipienten dargestellt.
2.2.1 Wandel des Kunstbegriffs Der Kunstbegriff sowie die Kriterien für die Qualität von Kunst sind einem ständigen Wandel unterworfen, dessen Voraussetzungen in einem Diskurs liegen, der flexible Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst zulässt. Verschiedene theoretische Positionen betrachten das System Kunst als ein Machtfeld, in welchem der Kunstbegriff entwickelt wird, wobei die Beteiligten ungleiche Definitionsmacht genießen. Bourdieu (2006, 133ff.) entsprechend existieren innerhalb des sozialen Makrokosmos mikrokosmische, annähernd autonome Felder wie Politik, Wirtschaft oder Kunst. Die unterschiedliche Verteilung von verschiedenen Kapitalarten bestimmt in diesem System, welche Akteurinnen und Akteure jeweils innerhalb dieser Gesellschaftsbereiche aufeinander treffen.14 Im Kunstfeld stehen alle an der Definitionsproduktion mitwirken14
Soziales Kapital besteht größtenteils aus sozialen Kontakten, ökonomisches Kapital kennzeichnet die wirtschaftliche Lage des Akteurs und kulturelles Kapital kann durch Bildung sowie Erziehung generiert werden. Alle Kapitalarten sind bereits
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den Künstlerinnen und Künstler, Kuratorinnen und Kuratoren, Galeristinnen und Galeristen oder Kritikerinnen und Kritiker in einem relationalen Verhältnis zueinander, wobei diese sich in einem ständigen Positionierungsprozess und darin begründeten Konkurrenzkampf befinden. Abhängig von den im Feld anerkannten Akteuren gehen unterschiedliche Vorstellungen von Kunst in die Definition ein, weshalb die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst fließend und jederzeit neu definierbar sind. Dickie (1997) beschreibt mit seiner Theorie einen institutionellen Ansatz, der gleichfalls von einem gesellschaftlich konstituierten Kunstbegriff ausgeht. Nach seiner Ansicht beeinflussen überwiegend die mächtigen Institutionen, beispielsweise die Medien, welche Inhalte anerkannt werden. Der Machtanspruch eines Akteurs bei der Definitionserzeugung hängt damit entscheidend von der Position ab, die eine Person innehat. Die Abhängigkeit des Kunstbegriffs von den jeweils bestimmenden Personen im Kunstfeld setzt zudem ein Verständnis von Diskurs voraus, wie es beispielsweise Foucault darstellte, indem er Diskurs nicht auf sprachliche Äußerungen reduzierte. Danach sind Diskurse stark reglementierte Gebilde, die vor allem von den Machtansprüchen der Teilnehmenden geprägt sind. Foucault (1991, 11) hob hervor, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert, kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren der Ausschließung. (…). Tabu des Gegenstandes, Ritual der Umstände, bevorzugtes oder ausschließliches Recht des sprechenden Subjekts – dies sind die drei Typen durch die Geburt vorgeprägt, das heißt die Eltern beeinflussen die Möglichkeit der Kapitalanhäufung. Hieraus ergibt sich eine wechselseitige Bedingung der Struktur des Feldes sowie der Struktur des Kapitals, wobei beide jeweils durch das Vorhandensein des anderen funktionieren. Kapital steht zudem in enger Verbindung mit dem Habitus, das heißt, dem Verhalten und der Gesinnung eines sozialen Akteurs mitsamt seiner Art zu sprechen, sich zu bewegen und sich zu kleiden. Der Habitus wird von der Klassenzugehörigkeit bestimmt, die wiederum von formalen Kriterien wie Bildung, Beruf und Einkommen abhängt (Bourdieu 1983). In der heutigen Lebensstilgesellschaft werden die von Bourdieu genannten Formalkriterien vielfach nur noch als sekundäre Differenzierungsmerkmale betrachtet. Insofern soziale Ungleichheiten von den Benachteiligten jedoch selten selbst gewählt sind, darf die Abhängigkeit der Lebensstile von der sozialen Lage dennoch nicht vernachlässigt werden, so dass beispielsweise die ökonomische Stellung weiterhin eine grundlegende selektive Rolle spielt.
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von Verboten, die sich überschneiden, verstärken oder ausgleichen und so einen komplexen Raster bilden. Diskurse vermögen somit Definitionen hervorzubringen und darüber hinaus bestimmten Menschen die Macht zu erteilen, diese zu bestimmen. Demnach handelt es sich bei Diskursen um geregelte, institutionalisierte Spezial-Wissensbereiche. Wissen ist dabei an bestimmte Vorgänge gekoppelt und kann nur von legitimierten Personen des Kunstfelds geäußert und letztlich in diesem akzeptiert werden. Somit agieren auch nach Foucaults Vorstellungen innerhalb des Kunstbereichs intellektuelle Meinungsträgerinnen und -träger, die an der Entwicklung des Kunstbegriffs - in welchen bestimmte künstlerische Ideen, Positionen oder Strömungen Eingang finden und andere wiederum nicht - maßgeblich beteiligt sind. Ullrich (2003, 113f.) sah im Zusammenhang mit der Begriffsentwicklung im Laufe der Geschichte eine Diskursakkumulation, wobei historische Schichtenbohrungen beim Kunstbegriff ein repräsentatives Bild der wechselnden intellektuellen Strömungen mit den wichtigen Beutestücken der jeweils angesehensten Diskurse zutage bringen. Insofern stellt sich der Kunstbegriff als Patchwork zahlloser Metaphern - aus diversen Bereichen transferierter Vokabeln, Wendungen und Denkfiguren dar. Die Beschäftigung mit der Frage nach Kunst und Nicht-Kunst beziehungsweise die Thematisierung der Kunst selbst sowie die Kritik am Kunstsystem wurde erst thematisiert als die Abhängigkeit der Kunstschaffenden von den Auftraggebenden wegfiel sowie die zentrale künstlerische Aufgabe, Abbildungen zu schaffen. Die Erweiterung des Kunstbegriffs schritt vor allem mit dem Wirken der historischen Avantgarden zügig voran. Mit Beginn der Moderne wurden Kunstauffassungen in zahlreichen künstlerischen Manifesten theoretisch und mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen reflektiert, so dass in kurzen Zeitabständen eine Stilrichtung die nächste ablöste. Obgleich der unterschiedlichen Ansprüche und Ziele strebten die Avantgarden an, die Grenzen von Kunst auszuloten und ästhetische Erfahrung in Lebensbereiche einzuführen, die bislang nicht der Kunstsphäre zugehörig galten. Ausgehend von der Ästhetik, so Bürger (1999, 29), drangen die Avantgarden in andere Gesellschaftsbereiche ein und hofften auf diese Weise, der empfundenen
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Folgenlosigkeit der autonomen Kunst entgegenzutreten. Über eine neue Durchlässigkeit der Gattungsgrenzen konnten neue Materialen und Arbeitsweisen in den Kunstbegriff eingeführt werden. Anstelle der bisher dominierenden Objekthaftigkeit trat eine allgemein zunehmende Dematerialisierung der künstlerischen Arbeiten, beispielsweise durch die Betonung des künstlerischen Prozesses.15 Avantgarde ist grundsätzlich ein zeitbezogenes Phänomen, welches im Moment des Entstehens dem bis dahin akzeptierten Kunstbegriff widerspricht, aber bereits während des üblicherweise nachfolgenden Anerkennungsprozesses wesentlich an Innovationscharakter verliert, so Bürger (1999, 6ff.). Die genannten Merkmale historisch-avantgardistischen Kunstschaffens, an die spätere Kunstformen wie beispielsweise das Happening anknüpften, zeigten eine deutliche Infragestellung des bisher vorherrschenden Autonomie-Ideals des Kunstwerks. Entsprechend der politischen Situation in den späten 1960er und 1970er Jahren, unter anderem mit den Studentenprotesten, entwickelte sich zum Beispiel eine Kunst im öffentlichen Raum, die sich einem politischen Agieren verschrieb. Diese teils aktivistischen Ansätze wurden später wiederum von der Konzeptkunst aufgenommen, wobei mittels Kunstprojekten versucht wurde, Probleme zu lösen und direkt in die sozialen Strukturen verschiedenster schwieriger Bereiche wie Obdachlosigkeit, Aids oder Rassismus einzugreifen (Schütz 2001, 15ff.). Eine logische Konsequenz aus dem weiterentwickelten Kunstbegriff war, dass nicht mehr die äußere Erscheinungsform über den möglichen Kunststatus einer Arbeit bestimmte, sondern vielmehr die Frage, ob diese Arbeit in einem künstlerischen Zusammenhang stand. Während die historischen Avantgarden seit Duchamp und dessen Einführung der Ready-Mades in die Kunst eine absolute Gültigkeit ihrer Kunstbegriffe erhoben, besteht dieser Anspruch in der Gegenwartskunst 15
Bürger (1999, 72f.), dessen Werk Theorie der Avantgarde erstmals 1974 erschien, betrachtete die Verbindung von Kunst und Leben sowohl in Bezug auf die historischen Avantgarden wie auch auf neue Konzepte als gescheitert. Seiner Ansicht nach ist die Durchdringung von Kunst und Leben lediglich in Form von Unterhaltung und Kulturindustrie möglich. Eine derart endliche Argumentation ist in Hinsicht auf die fließenden Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst, den Bereichen Kunst und Leben sowie insgesamt auf die sich ständig verändernde Institution Kunst allerdings als problematisch zu erachten.
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nicht mehr; stattdessen stehen verschiedene Kunstbegriffe zur Diskussion. Anhand verschiedener Stufen von Interaktion zeigte Hemken (2000), dass künstlerische Arbeiten unterschiedliche Interaktionstiefen enthalten. Die sekundäre und tertiäre Kategorie von Interaktion, unter anderem die Neue Medien-Kunst, geht dabei über ein reines AktionReaktion-Schema der primären Kategorie hinaus. Den Neuen Medien kommt in Bezug auf Partizipation und Gesellschaftsrelevanz dabei eine besondere Bedeutung zu. Diese geht soweit, dass die Verwirklichung des avantgardistischen Ideals einer Durchdringung von Kunst und Leben via Technik erstmals in der Praxis erreicht werden kann. Indem Kunstschaffende mit einem Medium arbeiten, das in der Alltagspraxis gleichermaßen Verwendung findet und gesamtkulturell für die Gesellschaft prägend wirkt, scheint diese ästhetische Praxis dem Ideal der historischen Avantgarden entscheidend näher gekommen zu sein. Hemken merkte jedoch an, dass die Potenziale einer Neuen Medien-Kunst im Kontext der Teilhabe und sozialen Praxis sowie dem Ziel der Kunstschaffenden, einen gesellschaftskulturellen Fortschritt voranzutreiben, nicht überschätzt werden sollten. Den schwierigen Zusammenhang zwischen Avantgardekunst und Museum demonstrierte Wall anhand der Unvereinbarkeit des traditionellen Archiv-Museums mit weiten Teilen der zeitgenössischen Kunst. Wall (2006, 35ff.) stellte fest, dass Kunstmuseen noch im Wesentlichen von einem Kunstbegriff ausgehen, der die beiden Aspekte des Objektcharakters von Kunst sowie der Distanz von Kunst und Leben vereinen. Zudem konnte sich bis heute, unabhängig des sich verändernden Kunstverständnisses von romantisch-idealisiert bis wissenschaftlich überhöht Ende des 19. Jahrhunderts, das Wesensmerkmal des ästhetischen Erlebens als einzig möglicher Zugang zur Kunst erhalten. Indem der Kunstbegriff die Prozesshaftigkeit zuließ und Kunst zu weiten Teilen zum Ereignis wurde, eröffnete dies aber über ein ganzheitlich existentielles Erlebnis einen anderen Zugang zu Kunst. Für die Museen stellt dies nach Ansicht von Wall (2006, 133 ff.) ein fast unüberwindliches Problem dar. Auf der einen Seite können traditionelle Archivmuseen, die ihre Aufgabe immer noch
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auf einen engen Kunstbegriff basieren, also den Merkmalen Objekthaftigkeit sowie Distanz von Kunst und Leben, Teile der Kunst ab dem 20. Jahrhundert nicht adäquat repräsentieren. Auf der anderen Seite werden progressive Akteure aus dem Museumsbereich, die sich eher als KunstIntendanten sehen und das Museum als Labor mit aktivem Publikum begreifen, mit der Problematik eines erweiterten Kunstbegriffs konfrontiert. Indem beispielsweise Projekte wie museum in progress, welches als Seite einer österreichischen Tageszeitung erschien, nicht mehr an einen bestimmten physischen Ort und auch nicht auf Anhieb sichtbar an eine Kunstinstitution gebunden sind, bleibt für das Kunstmuseum das Dilemma eines möglichen Identitätsverlusts (ebenda, 248ff.).
2.2.2 Wandel des Künstlerinnen- und Künstlerbilds Im Laufe der Zeit gab es unterschiedliche, vom jeweiligen Kunstbegriff abhängige, in der Öffentlichkeit dominierende Künstlerinnen- und Künstlerbilder. Die Selbst- und Fremdbilder von Künstlerinnen und Künstlern veränderten sich mit der Infragestellung des jeweils vorherrschenden Werkbegriffs sowie den Neuerungen in der künstlerischen Produktionsweise. Das Bild des männlichen Künstlers der Moderne war beispielsweise von der hohen Wertschätzung eines autonomen, objekthaften Kunstwerks geprägt. Gottgegebene Genialität und künstlerische Subjektivität äußerten sich im Werk, welches darüber hinaus mit einer herausragenden Wahrheits- und Bildungsfunktion verbunden war. Ruppert (2000, 267ff.) erklärte die Situation so, dass sich der moderne Künstler, indem er von den ehemaligen Hauptauftraggebern Kirche und Staat nun unabhängig war, ausschließlich auf sich selbst berufen und damit seine Geltung als alleiniger Urheber des Werks kräftigen konnte. Ein weiteres Phänomen beschrieb Engelbach (1997) mit den Aktionskünstlerinnen und -künstlern der 1960er Jahre, die sich häufig mittels Selbstverletzungen als märtyrische Leidenspersonen präsentierten. Später wurde das Image des zumeist einsamen Schmerzensmanns von dem
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des Künstler-Stars abgelöst. Auf die weitreichende Thematik der Künstlertypen wird hier nicht weiter eingegangen. Barthes (1968) stieß schon in den 1960er Jahren eine Debatte vom Verschwinden des Autors zugunsten der Geburt des Rezipienten an, die besonders im Zusammenhang mit der Postmoderne-Diskussion in den 1970er und 1980er Jahren präsent war und bis heute geführt wird. Diese hilft zu erklären, weshalb sich der Künstlerinnen- beziehungsweise Künstlerbegriff wandeln konnte. Derridas Prinzip der Dekonstruktion mit der These, dass es keinen Ursprung und keine Originalität gibt, wurde in diesem Zusammenhang ebenfalls stark rezipiert (zum Beispiel Best und Kellner 1991). Kemp (1992, 8) beschrieb den Beginn der Beschäftigung mit dem Betrachter als Paradigmenwechsel, der als stille Revolution von den Literaturwissenschaften beginnend, in die Kunstwissenschaften überging. Indem die Kunstschaffenden selbst ihre Praxis änderten, um einerseits das asymmetrische Verhältnis zwischen Produzentin oder Produzent und Publikum sowie andrerseits eine Vermischung von Kunst- und Alltagssphäre zu erreichen, löste sich das mystische Bild vom souveränen, genialen Autor als alleinige Quelle des Werks zunehmend auf. Der von Foster (1996) in die späten 1980er Jahre datierte so genannte ethnographic turn verdeutlichte das gesteigerte künstlerische Interesse an Dokumentationen und Interventionen, was eine Durchdringung von Kunst und Alltag verstärkte. Während die Kategorien Aura und Autorinnen- beziehungsweise Autorenschaft zunehmend an Relevanz verloren, gewann das Soziale in der Kunst, wie Lacy (1996) verdeutlichte, neuerlich an Bedeutung. Dies kam vor allem an Projekten im öffentlichen Stadtraum und in den USA unter den Begriffen Art in the Public Interest oder New Genre Public Art zum Ausdruck.16 Weibel (1994) demonstrierte die immer stärkere Auflösung metaphysischer Begrifflichkeiten anhand von Merkmalen der so genannten Kontextkunst, die ver16
Im Zentrum des Interesses der New Genre Public Art der 1990er Jahre standen Kooperationen, temporäre Arbeiten, künstlerische Prozesse in anderen Kontexten wie dem Alltagsbereich, Offenheit der Interpretation für gleichermaßen Kunstinformierte und Nichtinformierte sowie überdies das Soziale. Indem es um öffentliche, die Gesellschaft betreffende Fragen ging, war New Genre Public Art auf eine Präsenz im öffentlichen Raum sowie die Interaktion mit den dortigen Zielgruppen angewiesen (Jacob 1995, 52).
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mehrt in der ersten Hälfte der 1990er Jahre auftrat. Indem gemeinschaftsorientierte, prozessuale Arbeiten zunehmend im Vordergrund standen, begannen Kunstschaffende ihre eigene Souveränität infrage zu stellen. Bewusste Anknüpfungen an die partizipatorische Aktionskunst der siebziger Jahre dekonstruierten den statischen Werkbegriff. Darüber hinaus traten die Kunstproduzentinnen und -produzenten bevorzugt anonym auf, so dass deren Selbstbild mitunter komplett hinter einem Marken- oder Teamnamen verschwand. Schließlich tauchten die Arbeiten überwiegend in ursprünglich kunstfremden Kontexten wie den Dienstleistungen oder den Wissenschaften auf, womit auch die Vorstellung von Kunst als Business gängiger wurde. Generell stehen das aktuelle Kunst- und Kulturverständnis, die herrschende Kulturpolitik sowie die damit verbundene Vorstellung von Demokratie in enger wechselseitiger Verbindung miteinander. Göschel (1997, 153ff.) zeichnete etwa nach, wie sich das dominierende Kunstverständnis in einem Zeitabschnitt auf die jeweilige Kultur- und Museumspolitik inklusive der Vorstellungen vom personellen Kulturmanagement auswirkte. Demnach waren die Leitungsposten der Kultureinrichtungen der 1950er Jahre, in denen das Bild vom Künstlergenie sowie ein wertorientierter Kunstbegriff vorherrschte, zumeist von herausragenden Künstlerpersönlichkeiten besetzt, die organisatorische oder gar finanztechnische Aufgaben entsprechend als Zumutung empfanden. Demgegenüber hatten die leitenden Positionen in den 1970er Jahren, in denen ein kommunikationsorientierter Kulturbegriff galt, der insbesondere in der Sozio-Kultur zum Ausdruck kam, überwiegend Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler mit pädagogischer Ausrichtung inne. Huber (2001) stellte allerdings fest, dass sich gegen Ende der 1990er Jahre unter den Kuratorinnen und Kuratoren der Kunstinstitutionen mit der Entwicklung individueller, kuratorischer Handschriften erneut eine Art Star-System herausbildete. Das Verhältnis zur Gruppe der Künstlerinnen und Künstler veränderte sich nachhaltig, seit die Kuratierenden begannen, scharf an der Grenze zwischen Ausstellungsorganisation und Kunstproduktion zu arbeiten. Obgleich in den Vorstellungen der Bevölkerung das verklärt-romantische Künstlerbild der Moderne teilweise
2.2 Wandel
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fortbesteht, entwickelten sich Selbst- und Fremdbild der Kunstschaffenden seit den 1970er Jahren im Allgemeinen zunehmend nüchterner.
2.2.3 Wandel der Publikumsrolle Neue Kunstpraktiken, eine erweiterte Kunstdefinition und ein gewandeltes Selbst- sowie Fremdbild der Kunstschaffenden beeinflussen allesamt das Rezeptionsmuster des Publikums, so dass, wie Kemp (1996, 29) analysierte, bis heute eine Geschichte der Annäherung von Kunst und Rezipientin beziehungsweise Rezipient nachvollziehbar ist, die um 1970 eine entscheidende Wende nahm. Insofern eröffnen verschiedene Kunstbegriffe unterschiedliche Möglichkeiten der Rezeption. Die in der Moderne übliche, passive Betrachtung von Kunst weicht heute mitunter einer aktiven Beteiligung bis hin zur Identifikation der Teilnehmenden mit der Künstlerin oder dem Künstler. Indem die Einbeziehung des Publikums durch den Kunstschaffenden in die künstlerische Arbeit durch Erfahrung im Handeln möglich wird, so Kemp (1996, 188), findet ein Bruch mit der modernen Idee des autonomen Werks statt. Bürger (1999, 65ff.) datierte darüber hinaus die Verselbstständigung der Institution Kunst in die Moderne. Einerseits wurde die Produktion individualisiert, indem die Kunstschaffenden ein Bewusstsein von der Einzigartigkeit ihres Schaffens entwickelten. Andrerseits wurde die Rezeption individualisiert im Sinne einer einsamen Versenkung in ein Objekt, das der Kunstsphäre zugeordnet und von der Lebenspraxis getrennt galt. Indem sich die Kunstschaffenden zunehmend auf das Werk selbst konzentrierten, rückte die Produktionstechnik - insbesondere die Reproduktionstechniken - vor dem Inhalt in den Vordergrund. Diese Entwicklung ging nach Ansicht Benjamins (1936) mit einem Verlust der Aura in der Beziehung zwischen Kunst und Publikum einher.17 Die Wirkung des Werks hing nicht länger von den Kriterien Einmaligkeit und Echtheit abhing, so dass
17
Die erste Ausgabe von Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit wurde gekürzt und in französischer Sprache 1936 veröffentlicht. Hier wird aus einer Neuauflage von 2003 zitiert.
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die bürgerlich kontemplative, mit Ritual verbundene Rezeptionsweise entsprechend einer massentauglichen wich. Das traditionelle Rezeptionsverhalten im 19. Jahrhundert wird allgemein als kontemplativ, still und distanziert beschrieben. Werk und Publikum waren demnach nicht auf dem gleichen Niveau angesiedelt, sondern das Publikum bekam einen Ort zugewiesen. Schopenhauers viel zitierte Äußerung verdeutlicht das Verhältnis anschaulich: Vor ein Bild hat jeder sich hinzustellen wie vor einen Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und wie jenen auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen.18 Mit ähnlichem Tenor verglich Willi Baumeister noch 1947 das Kunstwerk mit einer hochgestellten Persönlichkeit und forderte von den Rezipierenden abzuwarten, bis das Werk sich einem mitzuteilen beginnt. Die Kräfte, so Baumeister weiter, die der Künstler dem Werk gab, offenbaren sich dem Betrachter, der sich aller Spannungen entledigt hat und den Willen beiseite läßt.19 Beide Autoren gingen von einem deutlich hierarchisch aufgebauten, universellen Verhältnis von Kunst und Öffentlichkeit aus. Während das Kunstpublikum im Gründungsjahrhundert der Museen bis in die fünfziger Jahre hinein aus einer relativ homogenen Bildungsschicht, sozusagen einer Kunst-Öffentlichkeit bestand, änderte sich dies vor allem mit der Kulturpolitik und den Öffnungsbestrebungen in den 1970er Jahren und führte zu einer Auflockerung des hierarchischen Verhältnisses. Durch Elemente neuerer Kunstpraktiken, wie beispielsweise Partizipation sowie die starke Vermischung von Kunst- und Alltagspraxis aufgrund von Arbeiten in kunstfremden Kontexten, stiegen die Möglichkeiten der Rezipientinnen und Rezipienten, aktiv und ohne kunstspezifisches Vorwissen am künstlerischen Prozess teilzuhaben. Bereits in den späten 1970er Jahren entwickelten Kunstschaffende eine Reihe sozialer Strategien, indem sie den traditionellen Rahmen der Kunstinstitution verließen, um so auf bestimmte verbesserungswürdige Zustände 18 19
Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, Sämtliche Werke Band 2, Drittes Buch Kapitel 34, Frankfurt am Main 1986, 523. Baumeister, Willi: Das Unbekannte in der Kunst (1947). Zitiert nach Ullrich (2003, 21). Wie Ullrich bemerkte, befindet sich das Publikum in der beschriebenen unterlegenen Stellung eher in einer An- Spannung anstatt in einer Ent-Spannung.
2.2 Wandel
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innerhalb verschiedener Gesellschaftsbereiche in einer konstruktiven Weise positiv einwirken zu können.20 Jochimsen (1978, 99). beschrieb diese neue soziale Kunst und deren Auswirkungen auf die Rezipierenden folgendermaßen: Hier ist die progressivste Sprache der Kunst zugleich eine Sprache, die jedermann begreifen kann. Eine Sprache, die verstanden werden kann, auch ohne den künstlerischen Kontext zu kennen, in dem sie benutzt wird. (…). An die Stelle der Skulptur aus Stein und Holz rückt die „gesellschaftliche Skulptur“ als künstlerisches Problem. Der Künstler übernimmt hier ganz bewusst soziale Verantwortung. In den 1990er Jahren erneut richteten Künstlerinnen und Künstler der New Genre Public Art verstärkt problemorientierte Sozialprojekte auf spezifische Bevölkerungsgruppen aus.21 Lingner betrachtete die Suche nach erweiterten Spielräumen für die Kunstrezipientinnen und -rezipienten infolge der bisherigen Autonomiebestrebungen als zeitgemäße Entwicklung. Während die Autonomie der Kunstschaffenden und die Autonomie des Kunstwerks nach heutigem Stand erreicht und somit Anstrengungen in diese Richtungen obsolet wurden, muss Lingner (1999, 38f.) gemäß die nächste Stufe in Form der Auslotung von Partizipationsmöglichkeiten des Publikums folgen.
2.2.4 Zusammenfassung Ausgehend von einem soziologischen Verständnis wird die Bedeutung des Kunstbegriffs in einem von Machtstrukturen gekennzeichneten Kunstfeld gesellschaftlich konstituiert. Insofern sind die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst flexibel und das Kunstverständnis wandelbar. Den historischen Avantgarden kam hinsichtlich der Erweiterung des Kunstbegriffs eine signifikante Rolle zu. Einerseits beschleunigten 20
21
Jochimsen (1978, 97) wies allerdings auch darauf hin, dass eine institutionelle Rückkopplung für Künstlerinnen und Künstler aufgrund der progresssiven Präsentationsweise schwierig, jedoch wichtig ist, um die Präsenz als Kunstschaffende und auf dem Kunstmarkt zu demonstrieren. Nach Ansicht Jacobs (1995, 54) wurde erst mit der New Genre Public Art erkannt, dass Kunst in erster Linie für das Publikum und nicht für die Kunstinstitution gedacht ist.
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diese das Tempo des Wandels und andrerseits spielten in der Kunstproduktion Errungenschaften und Anliegen der historischen Avantgarden eine Rolle, beispielsweise die Durchdringung von Kunst und Alltag sowie die Kritik an der Autonomiestellung von Kunst und Kunstschaffenden, die bis heute wesentlich blieben. Darunter fällt auch, dass Aspekte wie Dematerialisierung und Prozesshaftigkeit von den Avantgarden in den Kunstbegriff eingeführt wurden. Von dem jeweils vorherrschenden Werkbegriff sowie der künstlerischen Produktionsweise hängen auch die in der Öffentlichkeit kursierenden Künstlerinnen- und Künstlerbilder ab. Die Dominanz eines mystischen Selbst- und Fremdbilds wurde seit den 1970er Jahren mit einer abnehmenden Bedeutung der künstlerischen Autonomiestellung schwächer. Kunstschaffende begannen verstärkt anonym zu arbeiten, in kunstfremden Kontexten zu praktizieren, Partizipation zuzulassen oder das Soziale ins Zentrum zu rücken. Das kontemplative, passive Betrachten, das noch in den 1950er Jahren als einzig angemessene Rezeptionsweise für Kunst erachtet wurde, stellte noch eine klare Hierarchie von Werk und Publikum heraus. Die neuen Entwicklungen ermöglichten eine Verschiebung im Verhältnis von Kunst und Publikum beziehungsweise in der asymmetrischen Beziehung von Kennerschaft und Laien. Unabhängig eines von Machtstrukturen und Selektion geprägten Gesellschaftsbereichs Kunst können die darin produzierten, sich wandelnden Begriffsbedeutungen daher zu einer größeren physischen sowie sozialen Zugänglichkeit zu Kunst führen. Im Gesamten betrachtet führte der seit den historischen Avantgarden erweiterte Kunstbegriff zu einer veränderten Rolle der Rezipientinnen und Rezipienten, indem alternative Zugänge zu Kunst ermöglicht wurden und der Mensch selbst stärker in den Mittelpunkt rückte.
2.3 Demokratisierungstendenzen in den Kunstmuseen Der nachfolgende Textabschnitt konzentriert sich speziell auf das gewandelte Selbstverständnis der Kunstmuseen als Institutionen im Kunstbereich und einer daraus resultierenden Publikumsorientierung.
2.3 Demokratisierungstendenzen in den Kunstmuseen
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Es wird gezeigt, mit welchen Mitteln die Kunstmuseen eine allgemeine Imageverbesserung anstrebten und eine Professionalisierung im Museumswesen stattfand. Das Kapitel geht auf die Problematik einer schwächer werdenden Finanzlage der öffentlichen Haushalte sowie einer zunehmenden Eventorientierung ein und beleuchtet die Auswirkungen auf die Publikumsansprache der Kunstmuseen.
2.3.1 Verschiebungen im Selbstverständnis Innerhalb der vergangenen vier Jahrzehnte veränderte sich das Selbstverständnis der Museen, wodurch diese eine Reihe von Aufgaben und Funktionen hinzugewannen. Der Internationale Museumsrat ICOM (International Council of Museums) definierte 2002 ein Museum als gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt. Wandel der Museen beruhen auf wechselnden Selbstverständnissen sowie Zielvorstellungen der Einrichtungen und sind jeweils mit einem bestimmten Demokratieverständnis verbunden, welches die öffentliche Rolle der Einrichtung und auch die jeweilige Einstellung gegenüber dem Publikum betrifft. Vor dem museumspolitischen Umbruch Anfang der 1970er Jahre verstanden sich die Kunsteinrichtungen als Foren für ein traditionelles Kulturbürgertum, welches sich in der Adenauer-Ära noch ein Mal konstituieren konnte. Nach der Beschreibung von Korff (1996) waren Ausstellungen geprägt vom Pathos einer heroisch-abendländischen Weltanschauung und eines ungetrübten Bildungshumanismus, so dass Kunstwerke nicht primär als historische Zeugnisse, sondern als Emanationen des Wahren, Guten und Schönen betrachtet wurden. Das herrschende elitäre Kunst- und Museumsverständnis stand im Kontrast zur demokratisierenden Bildungsreform. Die Notwendigkeit einer bewussten Abkehr wurde in dem von der deutschen Forschungsgemeinschaft publizierten Bericht mit dem Titel Die Notlage der Museen in der Bundesrepublik Deutschland. Appell zur Soforthilfe (1971) dargelegt. An dem Acht-Punkte-Programm
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wurde der wachsende Reformwille deutlich mit dem Ziel, das weit verbreitete Vorurteil zu korrigieren, Museen seien konservative, elitäre und selbstreferenzielle Musentempel. Durch den neuen Schwerpunkt auf den Bildungsaspekt bemühten sich die Kultureinrichtungen möglichst viele Besucherschichten zu erreichen und den als mangelhaft empfundenen Bezug zur Gesellschaft herzustellen. Über Besucherforschung sollte der Stellenwert der Museen in der Gesellschaft, auch in Relation zu anderen Bildungs- und Freizeiteinrichtungen erkundet und die Ergebnisse für die Praxis nutzbar gemacht werden. Die demokratisch-emanzipatorischen Ziele der 1970er Jahre wurden in Konsequenz mit wachsenden öffentlichen Mitteln gefördert, was zu einem starken Anstieg von kulturellen Aktivitäten sowie dem Ausbau von Kunsteinrichtungen führte.22 Das veränderte Selbstverständnis und das steigende Publikumsinteresse bewirkten intern eine Professionalisierung des Museumswesens. So erschien zum Beispiel die vom Deutschen Museumsbund erstmals 1905 herausgegebene Fachzeitschrift Museumskunde nach dem vierten Wiedererscheinen ab 1977 wieder regelmäßig. Der Herausgeber Klausewitz (1977, 2f.) begründete dies mit einer im Vergleich zu 1970 stark gestiegenen Breitenwirkung der Kulturinstitutionen sowie mit den neuen Entwicklungen im Ausstellungsbereich, in der Museumsdidaktik und in der Forschung. Verstärkt durch die neuen stadtpolitischen Ziele, welche in den 1980er Jahren die Kultur ins Zentrum rückten, nahm der Bau neuer Kunsteinrichtungen, insbesondere Museen zeitgenössischer Kunst sowie auch die allgemeine Ausstellungstätigkeit in der Folgezeit stark zu. Zusammen mit dem Anstieg der jährlichen Besuchszahlen wurde diese Entwicklung allgemein als Museumsboom gedeutet.23 Bis heute wurden Besuchszahlen immer bedeutender und gelten als Indikator für einen demokratischen Zugang in Hinsicht
22
23
Grundsätzlich differierte die Vorstellung von Kulturpolitik in den einzelnen Bundesländern jedoch erheblich, so dass sich Zugangsvoraussetzungen je nach Wohnort verschieden darstellten und infolgedessen eine Annäherung der Museumspolitik in den Ländern mehrfach gefordert wurde (Gall 1978, 139f.). Vergleiche die jährliche statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland, Materialien aus dem Institut für Museumsforschung. Heft 63 für das Jahr 2009 stellt derzeit die aktuellsten Ergebnisse vor.
2.3 Demokratisierungstendenzen in den Kunstmuseen
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des öffentlichen Auftrags. Darüber hinaus dienen die Ergebnisse den Einrichtungen insbesondere in finanzschwachen Zeiten als Rechtfertigungsgrund für öffentliche Förderungen und um Gewinne für den Ausstellungsbetrieb aus Eintrittserlösen zu erwirtschaften. Der Ende der 1970er Jahre durch Hilmar Hoffmanns Bestseller geprägte Leitsatz Kultur für alle bezog sich speziell im Museumswesen auf Demokratisierungsabsichten, die mit einer Öffnung der Einrichtungen für verschiedene, in der Regel auch kunstferne Publikumsgruppen verbunden waren. Zu den Mitteln der Demokratisierung gehörte auch der von Hoffmann (1981, 138f.) geforderte Einsatz architektonischer Mittel wie die einladende Gestaltung des Eingangsbereichs, um beispielsweise einschüchternd wirkende Tempelbauten optisch zu relativieren. Darüber hinaus setzte sich Hoffmann für Abendöffnungszeiten ein, was die Orte als Freizeitstätten für Berufstätige attraktiv machen sollte. Generell plädierte er für eine stärkere Vermischung von Kunst und Alltag, zum Beispiel durch kommunikationsfördernde Zusatzeinrichtungen wie Cafés sowie unkonventionelle eventartige Ereignisse wie Kunst-Partys. Mit seinen Bemühungen, das Museum zu einem erlebnisorientierten Freizeitort und Kommunikationsraum auszubauen sowie eine stärkere Vermischung von Kunst- und Alltagsbereich zu forcieren, was im ganzen betrachtet eher den heutigen Ist-Zustand darstellt, fungierte Hofmann in den siebziger Jahren als Trendsetter.
2.3.2 Öffnung und Ökonomisierung Die Öffnungsbestrebungen der Kunstmuseen stehen heute in einem anderen Kontext wie in den 1970er Jahren, als Gleichberechtigungs- und Emanzipationsbestrebungen sowie die Vermittlung von Bildungsinhalten kulturpolitisch an vorderster Stelle standen. Spätestens seit den 1980er Jahren hing die Attraktivität von Museen nicht mehr allein von qualitativ hochwertigen Sammlungen ab, sondern auch von deren wirkungsvoller Präsentation und Vermarktung. Insofern wurden, wie zuvor schon erwähnt, neben den wissenschaftlichen auch zunehmend betriebswirtschaftlich-organisatorische Kenntnisse auf den Leitungsposten
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wichtig.24 Kirchberg (2005, 152) betonte, dass sich für die Kunsteinrichtungen die Chance einer marketing- sowie publikumsorientierten Ausrichtung auftat, indem immer mehr Museen vom klassischen Kameralistiksystem zum Eigenregiebetrieb umfunktioniert wurden. Mit dem seit den 1990er Jahren verstärkten Einsatz von Marketinginstrumenten der Kommunen wurden Museen zunehmend in der Rolle der städtischen Imageträger gesehen. Die Häuser entwickelten unter den neuen Bedingungen gewissermaßen einen Erfolgszwang, der sich an Besuchszahlen orientierte, womit auch das private Kunstsponsoring an Bedeutung gewann. Klein und Bachmayer (1981) wiesen auf den direkten Zusammenhang von hohen Besuchszahlen mit dem temporären Museumsangebot hin und begründeten damit die Zunahme von Sonderveranstaltungen. Die zahlreichen Ausstellungen und Museumsneueröffnungen in der Dekade von 1990 bis 2000 in Verbindung mit relativ stabil bleibenden hohen Besuchszahlen führten zu einer verstärkten Wettbewerbssituation unter den Museen. Graf (2003, 74) betonte, dass sich vor allem ein hohes Aktionspotential, zum Beispiel durch die regelmäßige Ausrichtung von populären Sonderveranstaltungen, eine erweiterte Öffentlichkeitsarbeit sowie ein vielfältiges museumspädagogisches Angebot günstig auf die Häuser auswirkt. Eine entsprechende Tendenz zum Event zeigt sich vor allem an jüngeren Veranstaltungsformaten wie den Museumsnächten, die zur Steigerung des Bekanntheitsgrads, zur ersten Heranführung an das Museum und letztlich zu einer Besuchssteigerung führen sollen.25 Wie Kirchberg (2005) auf verschiedenen Ebenen herausarbeitete, nehmen Kunstmuseen, neben der rein didaktischen auf das 24
25
Zum Thema Kulturmanagement häuften sich die Veröffentlichungen insbesondere seit Anfang der 1990er Jahre. Beispielsweise Heinze, Thomas (Hrsg.): Kulturmanagement. Professionalisierung kommunaler Kulturarbeit, Opladen 1994 oder Heinrichs, Werner: Einführung in das Kulturmanagement, Darmstadt 1993. Der Trend zum Event wird insbesondere von skeptischen Kulturpolitikerinnen und -politikern häufig mit dem unternehmerischen Kunstsponsoring in Verbindung gebracht. Nach ihnen birgt der Wettbewerb der Museen um private Fördergelder die Gefahr, dass Museen um der Akquirierung der Gelder Willen, verstärkt eine verflachende Ereigniskultur verfolgen (zum Beispiel Vitali 2001). Andere Kulturschaffende wiederum halten Private Public Partnerships, das heißt Kooperationen zwischen privaten Firmen und öffentlichen Organisationen für notwendig und wenn richtig praktiziert, für unbedenklich (zum Beispiel Beck 2001; Ammann 2001).
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Publikum orientierten Arbeit, zunehmend externe Aufgaben wahr. Museen integrieren zum Beispiel Shops oder Restaurants und bieten Konzerte oder Filmvorführungen an. Kirchberg diagnostizierte darüber hinaus für Teile der deutschen Museumslandschaft eine Neigung zur McDonaldisierung, wobei er sich auf die von Ritzer26 herausgearbeiteten fünf Kriterien Kalkulierbarkeit, Standardisierung, Effizienz, Kontrolle und postmoderne Simulation bezog. Wenn auch bereits in der deutschen Museumslandschaft zwischen mcdonaldisierten Museen wie den Guggenheim und nicht-mcdonaldisierten, tendenziell traditionellen Museen unterschieden werden kann, befindet sich diese Entwicklung nach Kirchbergs Einschätzung in Deutschland noch in den Anfängen. In jedem Falle, so Kirchberg, manifestiert sich in dem Diskurs eine Polarisierung zwischen denjenigen, die dem Museumswandel ablehnend, respektive denjenigen, die ihm zustimmend gegenüber stehen.
2.3.3 Besucherorientierung: Vermittlung und Vermarktung Das Verhältnis von Museum und Publikum wurde schon zu Gründungszeiten der öffentlich zugänglichen Sammlungen im 18. Jahrhundert thematisiert und war im Laufe der Geschichte verschiedentlich präsent. Lichtwark (1917, 184ff.) machte sich bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Gedanken über die gesellschaftliche Funktion von Museen, die schließlich zu pädagogischen Bildungsbemühungen für breitere Schichten führten. Insofern kann er als Pionier für die Museumspädagogik erachtet werden, die sich in den 1970er Jahren stark ausdehnte und professionalisierte. Das Interesse an der empirischen Erforschung des Ausstellungspublikums begann in Deutschland, mit Ausnahme der frühen Studie zum Mannheimer Kulturpublikum von Biram (1917), ebenfalls erst Mitte der siebziger Jahre. Zunächst waren programmatische Ideen wichtiger als das Wissen um die tatsächlichen Bedürfnisse der potenziellen Rezipientinnen und Rezipienten, so dass Besucherorientierung erst in den 1990er Jahren in größerem Ausmaß zu einem wesentlichen Leitmotiv der 26
Vergleiche George Ritzer: Die McDonaldisierung der Gesellschaft (1997).
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Museumspolitik wurde. Der gewandelte Stellenwert des Museumspublikums lässt sich an den geänderten Museumsfunktionen ablesen. Während sich das klassische Trio der Museen Sammeln, Forschen, Bewahren auf die Ausstellungsobjekte bezog, so Börsch-Supan (1993, 20), konzentrierte sich das in den 1970er Jahren hinzugekommene Bilden erstmals auf das Subjekt beziehungsweise das Publikum. Seit Ende der siebziger Jahre wird für die Beschreibung der musealen Aufgaben nach Ansicht von Hahn (1977, 54) anstelle von Bilden zumeist das wertneutralere und weiter gefasste Vermitteln bevorzugt. In einem Bericht der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt 1989, 24ff.) von 1989 werden die Museumsfunktionen als Kulturgut-Sicherung, Museumsgut-Erforschung, aber auch Bildung und sinnvolle Freizeitgestaltung sowie Attraktivitätssteigerung des Orts angegeben. Bedingt durch die spezielle kulturpolitische Situation in den 1970er Jahren erreichte die Bedeutung des Publikums für die Museen eine neue Qualität. Obgleich zu Beginn der siebziger Jahre das Thema Besucherorientierung begrifflich noch nicht definiert war, stellte die Erschließung neuer Publikumsgruppen, so Graf (2003, 74ff.), ein grundsätzliches Ziel dar, welches je nach Möglichkeiten und Interessegrad der Einrichtungen angestrebt wurde. Die Besucherorientierung umfasst auch heute keine inhaltlich verbindlichen Programme, sondern richtet sich nach den Zielen und Gegebenheiten des jeweiligen Museums. Darunter kann sowohl das Vermitteln musealer Inhalte seitens der Museumspädagogik27 wie auch zielgruppengerechtes Marketing verstanden und praktiziert werden. Die Museumspädagogik kam in den 1970er Jahren im Kontext der Bildungsreform mit der stärkeren Konzentration auf das Vermitteln zur Blüte.28 Museen sollten Bildungseinrichtungen wie Schulen und Univer27
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Eine professionelle Museumspädagogik befasst sich mit den Zielvorstellungen dessen, was die ständigen Sammlungen oder Sonderausstellungen von Museen vermitteln sollen; ferner mit Zielgruppen, mit einer allgemein effektiven und speziell gegenüber bestimmten Zielgruppen erforderlichen Didaktik sowie mit Kriterien und Methoden einer Wirkungs- und Erfolgskontrolle (Klein und Bachmayer 1981, 14). Trotz reger Aktivitäten waren Aufgaben sowie Zielgruppen der Museumspädagogik noch Ende der 1970er Jahre umstritten. Die Pädagoginnen und Pädagogen selbst fanden sich innerhalb der Institutionen wenig in den Gesamtablauf integriert. Weiterhin schien für einen großen Teil der konservativen Museumsverantwortlichen
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sitäten gleichgestellt werden und in Hinsicht auf einen gesellschaftlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag in die Pflicht genommen werden (Grote 1971, 94; Spiekernagel und Walbe 1976). Dementsprechend stellte Graf (2003, 75) fest, dass sich die Museumspädagogik an einem schulischen Lernbegriff orientierte. Korff (1996, 63f.) wies auf die Fülle von Hinweisen für die allgemein zunehmende Bedeutung der Disziplin in der Anfangsphase hin, zum Beispiel auf die Vermehrung von pädagogischen Abteilungen sowie die Gründung von Fachzeitschriften, Zentren und Studiengängen. Das neue Selbstverständnis der Museen und bereits erfolgreiche Praktiken in der Didaktik wurden zudem in zahlreichen Aufsätzen thematisiert. Bemühungen der Museen richteten sich hauptsächlich an Besucherinnen und Besucher, die als sozial benachteiligt betrachtet wurden. Gemäß des kulturpolitischen Leitsatzes Kultur für alle musste jeder Mensch, unabhängig von seinem sozialen Umfeld, die Möglichkeit bekommen, das öffentliche Hochkulturangebot zu nutzen. Generell sollten spezielle Programme für Personen mit besonderen Anforderungen, beispielsweise Schülerinnen und Schüler der Grund- und Sonderschulen, in Deutschland lebende Ausländerinnen und Ausländer, aber auch Touristinnen und Touristen den Aufenthalt im Museum begünstigen (zum Beispiel Rohmeder 1978, 36). Während die Publikumsansprache anfangs weitgehend qualitativen Merkmalen entsprach, prägte sich seit den 1980er Jahren, dem allgemeinen Trend im Kulturbereich entsprechend, eine tendenziell ökonomisch orientierte Sichtweise aus, womit ein gewandeltes Publikumsbild einherging. Brauerhoch (1996, 250) sah den Wandel von einer anfangs überwiegend vermittlungsorientierten hin zu einer selbstdarstellerischen Museumspolitik unverkennbar im Kontext des städtischen Marketings. Das neue Selbstverständnis der Museen sowie damit verbunden ihre Wahrnehmung in der Bevölkerung als Freizeiteinrichtungen entwickelte sich erst allmählich. Noch 1978 fanden Museen in der vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit publizierten Broschüre In Freizeit ist mehr drin…(…), in der Freizeitaktivitäten für Familien empfohlen noch immer das Ideal vom gebildeten Einzelbesucher vorzuherrschen, der keine Didaktik benötigte (Rohmeder 1978, 34).
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wurden, keinerlei Erwähnung (Rohmeder 1978, 141). Inzwischen entwickelte sich das Verhältnis von Museum und Publikum als das eines Freizeitanbieters zu seinen Kundinnen und Kunden, wobei sogar ein entsprechendes Konkurrenzdenken unter den Einrichtungen existiert, so Schuck-Wersig und Wersig (1996, 155). Indem Museen begannen, für verschiedene Zielgruppen unterschiedliche Produktlinien anzubieten und zu vermarkten, handelten diese zunehmend kunden- und produktorientiert (ebenda, 158). Die Tendenz einer publikumsbezogenen Außenorientierung von Museen ist weiterhin steigend und kann anhand einer Reihe von Beispielen dokumentiert werden. Die beiden großen Stuttgarter Häuser, die Staatsgalerie Stuttgart und das 2005 eröffnete Kunstmuseum bieten neben den Schul- und Gruppenangeboten mehrere Exempel für eine fragmentierte Zielgruppenansprache mit überwiegend hohem Erlebniswert. Im Rahmen der ein Mal im Quartal stattfindenden KunstNacht ist die Staatsgalerie bis Mitternacht geöffnet und veranstaltet Führungen mit einem stark ereignisorientierten Rahmenprogramm. Des Weiteren offeriert die Staatsgalerie für Schülerinnen und Schüler ein spezielles Ferienprogramm mit Führungen und Workshops. Eine andere, exklusive Veranstaltung in Kooperation mit dem anliegenden Restaurant war die Aktion Art & Breakfast, unter anderem im Zusammenhang mit der Edward Burne-Jones-Ausstellung 2009/10. Es wurde eine Führung angeboten mit anschließendem exquisitem Frühstück, das sich thematisch an der Ausstellung orientierte. Zudem gibt es in der Staatsgalerie Kunstgespräche, die sich speziell an Frauen richten. Für jüngere Interessierte unter 40 Jahren bietet der Kunstklub der Staatsgalerie Begegnungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Personen aus dem künstlerischen Umfeld sowie auch Spezialführungen und Kunsttouren zu Fremdausstellungen. Gewöhnlich enden die Treffen in der Kunstklub Lounge. Der Kunstklub macht es möglich, Diskussion und Feiern mit Kunst zu verbinden. Des Weiteren gibt es eine Führung für Mitglieder der Freunde der Staatsgalerie, die sich exklusiv an die Mitglieder des Fördervereins der Staatsgalerie richtet. Das Kunstmuseum Stuttgart spricht mit Drop & Shop Eltern an, die ihre Kinder zur samstäglichen Haupteinkaufszeit drei Stunden für ein
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theoretisch wie praktisch kunstbezogenes Programm im Museum in Obhut geben möchten. Im Kunstgespräch für Senioren versucht das Haus auf die Bedürfnisse älterer Menschen einzugehen, indem beispielsweise ausreichend Sitzgelegenheiten eingeplant sind und darüber hinaus ein ermäßigter Preis für Kaffee und Kuchen im Museumscafé im Eintrittsticket inkludiert ist. Eine weitere Idee der damaligen Museumsleiterin Marion Ackermann war, Sportbegeisterte für Bildende Kunst und das Museum zu interessieren. Besitzerinnen und Besitzer eines Tickets des Fußball-Bundeligaspiels am 5. Mai 2007 im Gottlieb-Daimler-Stadion29 erhielten für den darauf folgenden Sonntag freien Eintritt für das Kunstmuseum Stuttgart, was über die Presse und per Einblendung auf der Stadionleinwand publik gemacht wurde. Infolge des guten Anklangs, ein Fünftel der Stadionbesucherinnen beziehungsweise -besucher suchte das Museum auf, gedachten laut der Stuttgarter Tageszeitung die Museumsleiterin und der Präsident des VfB Stuttgart Erwin Staudt, die Kooperation auszubauen (Janssen 2007, 21). Kunstmuseen haben, wie erwähnt, zunehmend externe Aufgaben übernommen, so dass sich die Nutzungsmöglichkeiten durch Angebote wie Einkaufen im Shop, Essen gehen im Restaurant, Loungen im Klubraum oder Dinieren mit Arbeitskolleginnen und -kollegen in den vergangenen Jahrzehnten stark erweiterten. Teilweise tritt dabei die eigentliche Vermittlungsfunktion in den Hintergrund, wogegen der ökonomische Aspekt mehr betont wird. Die Räume der Kultureinrichtungen dienen mitunter lediglich als Kulisse, indem beispielsweise die Museum & Location GmbH, Einrichtungen der Staatlichen Museen zu Berlin als außergewöhnliche Veranstaltungsorte für Events wie Stehempfänge, gepflegte Essen oder Vortragsveranstaltungen vermietet.30 Die zunehmenden Gesellschaftsfunktionen der Museen erzeugen eine immer stärkere Durchmischung von Alltagsbereich und Kunstsphäre. Dabei wird die zentrale Bedeutung der Funktionen Vermitteln und 29 30
Seit dem 30. Juli 2008 trägt das Stadion den Namen Mercedes-Benz-Arena. Informationen wurden dem Internetauftritt www.museum-location.de entnommen. Demgemäß sollen mit den Einnahmen aus den Raumvermietungen einerseits Ausstellungsprojekte finanziert werden, andrerseits erhofft sich die Initiative, neue Zielgruppen für Kultur zu erschließen.
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Präsentieren, und damit einhergehend die stark erweiterten publikumsorientierten Serviceleistungen, nicht allein an Quantität und Vielfältigkeit der Veranstaltungen deutlich, sondern auch anhand der räumlichen Einteilung in den Häusern. Fumagalli (zitiert nach Bartels 1993, 116)31 fand in einer Langzeitstudie heraus, dass die Räumlichkeiten für die Ausstellungspräsentationen im 19. Jahrhundert neun Mal mehr Platz einnahmen als die Räume für sekundäre Funktionen wie Verwaltung, Depot, Werkstatt oder Vortrags- und Lesesäle. Dagegen beanspruchen die Sekundärdienste heute doppelt so viel Platz wie die Präsentationsräume. Dies hängt zum großen Teil damit zusammen, dass es in der Regel wenige Nachfragerinnen und Nachfrager für einzelne Objekte gibt. Das Offerieren von Gesamterlebnissen im Museum, und deshalb auch von besonderen Ereignissen, spielt für die Kunsteinrichtungen daher eine wesentliche Rolle. Sonderveranstaltungen dienen gemäß Treinen (1994, 34) wie Massenmedien vor allem der Unterhaltung und Erlebnisbefriedigung der Rezipientinnen und Rezipienten. Treinen stellte hierzu fest, dass die Angebote der Museen eine starke Anziehungskraft besitzen müssen, um Personen zu einem Besuch zu animieren. Entsprechend strebten die Häuser eine Erhöhung des Erlebnispotenzials an, was wiederum eine gute Öffentlichkeitsarbeit voraussetzt. Treinen (1994, 30f.; 1996, 118f.) erklärte dies mit dem massenmedialen Verhalten im Museum, wobei in einer Art aktivem kulturellen Window-Shopping das Ausgestellte nur kurz gestreift und dabei, unabhängig von dessen wissenschaftlicher Bedeutsamkeit, dem Überraschenden besondere Aufmerksamkeit geboten wird. Durch die neueren, die Publikumszahlen fördernden Maßnahmen eignen sich Kunstmuseen zunehmend als Bühne für die Verwirklichung des persönlichen Lebensstils, indem diese nicht nur als Bildungseinrichtungen, sondern als besondere Orte des Socializing fungieren. Über Kunstmuseumsbesuche als Mittel der Lebensstilgestaltung können dabei Exklusions- beziehungsweise Inklusionsprozesse sichtbar werden. Bestimmte Publikumsgruppen demonstrieren mit dem Besuch von Kunst-
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Fumagalli, Paolo: Museo d´arte e achitettura, Lugano 1992. Zitiert nach Bartels (1993).
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museen die Zugehörigkeit zu bestimmten Gesellschaftsgruppen sowie gleichzeitig eine Abgrenzung gegenüber anderen, um schließlich deren soziale Position zu bestätigen. Andrerseits ist anzunehmen, dass Hemmschwellen in Verbindung mit Kunstmuseen infolge des vielfältig erweiterten Angebots und der zunehmenden Vermischung des Kunst- mit dem Alltagsbereich für bestimmte Publika herabgesetzt werden konnten.
2.3.4 Kunstmuseen im Rahmen der Stadtpolitik In den 1970er Jahren waren Museen vor allem bestrebt, in der Öffentlichkeit ein positives, offenes Image zu erreichen. Neben den gesteigerten Vermittlungsaktivitäten wurden architektonische Mittel für die Neubauten eingesetzt. Entsprechend des Kunstbegriffs des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts, welcher ein asymmetrisches Verhältnis von Kunst und Publikum implizierte und Kunstbetrachtung hauptsächlich als elitäre Beschäftigung eines gebildeten Bürgertums galt, entwickelten sich die Ausstellungshäuser.32 Das Fridericianum in Kassel wurde im Stile eines Palasts errichtet und setzte damit den Standard für nachfolgende Sammlungsgebäude. Leo Klenze, Erbauer der Glyptothek in München, kombinierte im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts den Typus der Palastanlage mit der Tempelform, was Friedrich Schinkel beim Bau des heutigen Alten Museums in Berlin aufnahm. Während der Tempeltypus Kunstwahrnehmung mit religiöser Erfahrung in Verbindung brachte, dienten Paläste der Repräsentation des Fürsten. Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte neben den Fürstensammlungen zum ersten Mal der Museumstyp des kulturhistorischen Museums auf. Kulturhistorische Museen entstanden zumeist aus einer bürgerlichen Initiative heraus, wobei die Sammlungen oft in älteren Gebäuden wie ehemaligen Klöstern und Kirchen beher32
Die Vorläufer heutiger Kunstmuseen liegen in den Kuriositätenkabinetten des 16. Jahrhunderts und den fürstlichen Sammlungen des 17. und 18. Jahrhunderts. Der älteste autonome Museumsbau in Europa wurde 1779 mit dem Fridericianum in Kassel eröffnet. Während davor adelige Sammlungen üblich waren, kam es im 19. Jahrhundert zu einer Vielzahl von bürgerlichen Neugründungen (Sheehan 2002).
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bergt wurden. Mehrere Neubauten aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nahmen, zum Beispiel durch bunte Glasfenster mit mittelalterlichen Motiven, romanische und gotische Formen auf, womit die Außenpräsentation dem Sammlungsschwerpunkt angepasst wurde. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die herkömmliche Präsentationsform der Kunstmuseen kritisiert und stattdessen weißwandige Innenräume mit entsprechenden Grundriss- und Belichtungslösungen gefordert. Obgleich der Außenbereich den Erbauerinnen und Erbauern zumeist zur freien Gestaltung blieb, hielten viele weiterhin am traditionellen Palastund Tempeltypus fest, wie zum Beispiel bei der Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Kunsthalle Hamburg (vergleiche Sheehan 2002; Joachimides 2001; Gaehtgens 1992). Der Anspruch von Multifunktionalität und flexiblen Räumen wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anhand der Bevorzugung von kubischen Bauten mit Glasverkleidungen auch an den Außenfassaden der Museen deutlich (Projekt Museumsarchitektur 2003, 7ff.). O’Doherty (1976, 24) beschrieb, wie die Institution Kunst mit dem modernen White Cube bis in die 1950er Jahre für die Kunstproduktion und -rezeption ganz bewusst eine hochartifizielle Umwelt schuf. Der weiße Galerieraum, so O’Doherty, hat von der sanctity of the church, the formality of the courtroom und the mystique of the experimental laboratory und stellt zusammen mit einem schicken Design a unique chamber of esthetics her. Spätestens seit den 1970er Jahren war für Crouwel (1989) eine Bedeutungsverlagerung von Architektur und Inhalt erkennbar. Während gemäß des Anspruchs der Moderne sowohl Innen- wie auch Außenarchitektur der Museen in erster Linie den Inhalten beziehungsweise den ausgestellten Objekten untergeordnet waren, kam es später zu einer Außenorientierung mit starker Konzentration auf imagefördernde Qualitäten. Käpplinger (1997, 7) verknüpfte mit dem kulturpolitischen Leitmotiv Kunst für alle den Wunsch nach einer kommunikativen Museumsarchitektur sowie den Beginn einer marketinggeleiteten Besucherorientierung. Über den Faktor Architektur sollte nach Ansicht Käpplingers mittels Aufweichung der Grenze zwischen Innen und Außen beziehungsweise sakralem Kunstraum und profanem Alltagsbereich zusätzlich ein
2.3 Demokratisierungstendenzen in den Kunstmuseen
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ungezwungener Umgang mit Kunst und der Einrichtung erreicht werden. Wie Noller (1999, 158) anhand des Museum für Moderne Kunst in Frankfurt exemplifizierte, kann dies über einen offen gestalteten Eingangsbereich funktionieren, das heißt konkret durch eine gestalterische Fortsetzung der innenstädtischen Konsumzone in das Kunstgebäude hinein. Einen Imagewandel der Kunstmuseen in der Öffentlichkeit sprach Käpplinger (1997) sogar im Wesentlichen den kommunikativen und darüber hinaus spektakulären Museumsneubauten zu. Dies liegt vor allem daran, dass das Interesse stark auf den Bau selbst ausgerichtet wurde und durch das medienwirksame Potenzial eines vielseitigen, den Shopping-Malls ähnlichen Angebots mit Läden und Gastronomie sowie die Bekanntheit von Stararchitektinnen und –architekten bekräftigt wurde. So betrachtet besitzen Museen heute einen Marktwert für die Stadt, ähnlich wie Einkaufszentren oder Flughäfen, wobei Architektur die Position des städtischen Symbol- und Imageträgers einnehmen kann. Hier kann als Beispiel die spanische Stadt Bilbao dienen, mit der viele Menschen spontan das dortige Guggenheim Museum verbinden. Wie Käpplinger außerdem bemerkte, spielt die Architektur bei den zeitgenössischen Museen in Bezug auf die Gunst des Publikums mitunter eine größere Rolle als die Sammlung des Hauses, wodurch das Gebäude eine mit der Blockbuster-Ausstellung vergleichbare Funktion einnimmt. Auch hier kann das Beispiel Guggenheim in Bilbao angebracht werden, da sich viele Menschen ein Bild vom Museumsgebäude machen können, jedoch nicht unbedingt von der Sammlung, die das Museum beherbergt. Nach Ansicht von Käpplinger (1997, 9) hat die neue Museumsarchitektur einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung der Kultureinrichtungen zu Kommerzprodukten, indem diese heute selbstverständlich maximale Unterhaltung und kulturelle Präsentation sowie Massenkultur und elitäre Hochkultur kombinieren. Zwar prägen teilweise die herrschaftlichen Museumsbauten aus dem Gründungsjahrhundert, welche auch heute Kunstsammlungen beherbergen, noch immer das assoziative Bild von Museen als Tempel oder Paläste.33 Viel eher wird aber davon 33
Dies verdeutlichen die Ergebnisse einer qualitativen Studie, auf welche an anderer Stelle dieses Buchs noch eingegangen wird (vergleiche Wind 2000).
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ausgegangen, dass das gewandelte Selbstverständnis der Kunstmuseen mit entsprechend einhergehendem äußerem Erscheinungsbild allgemein zu einer veränderten Wahrnehmung der Einrichtungen in der Bevölkerung und zu einer positiveren Einstellung gegenüber Kunstmuseen im Allgemeinen führte. Spektakulären Museumsbauten, so formulierten Noller und Ronneberger (1995, 87), kommt aus kommunalpolitisch strategischer Sicht die Aufgabe zu, zur Förderung des Images die Einzigartigkeit einer Stadt herauszustellen. Auch nach Ansicht von Häußermann und Siebel (1993, 23) fällt den Museen, neben der identitäts- und gemeinsinnstiftenden Rolle, wie sie analog Großveranstaltungen immanent ist, die kommunalpolitische Funktion zu, dass sich Städte die Symbolkraft von Museen als Orte kulturellen Kapitals zunutze machen. Brauerhoch (1994, 212) übertrug die These von Häußermann und Siebel,34 dass sich Städte durch Großereignisse Standortvorteile erhoffen und infolgedessen deren Politikstil immer stärker von einer Festivalisierung geprägt wird, auf die Museen. Dabei vertrat er die Meinung, dass Museen im Rahmen der städtischen Imagepolitik, zum Beispiel um die Aufmerksamkeit von Investoren oder Touristinnen und Touristen zu erreichen, zu Orten eines permanenten Festivals umfunktioniert werden. Die Kunsteinrichtungen dienen verstärkt seit den 1990er Jahren als weiche Standortfaktoren, über die sich Städte im nationalen und internationalen Wettbewerb voneinander abheben können. Die Stadt Frankfurt, so Noller und Ronneberger (1995, 52f.), konnte sich mit dem Ausbau des Museumsufers in den 1980er Jahren, neben dem Aufstieg zu einer Finanzmetropole, den Ruf einer Kulturstadt erarbeiten. Indem die Kommunen Museen zunehmend in ihre Gestaltungs- und Imagepolitik integrierten, führte dies nach Ansicht Brauerhochs (1994, 206) zu einer starken Außenorientierung der Kunstinstitutionen und dazu, dass diese fast ausschließlich über deren Sonderausstellungen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerieten. Häußermann und Siebel (1987, 204) wiesen explizit auf den selektiven Charakter einer imagestrategischen Museumspolitik hin, die ent34
Vergleiche Häußermann und Siebel (1993, 15). Die These von Häußermann und Siebel wird an anderer Stelle im Buch noch näher erläutert.
2.3 Demokratisierungstendenzen in den Kunstmuseen
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sprechend in einem wirtschaftspolitischen Kontext zu verorten ist. So richtete sich das städtische Angebot zunehmend an eine erlebnisorientierte Mittelschicht. Infolgedessen wird im Rahmen einer Stadtästhetisierung in immer stärkerem Maße der Versuch unternommen, optische, soziale und politische Störfaktoren aus dem Blickfeld der konsumierenden Bevölkerungsteile zu nehmen. Im Ganzen betrachtet greifen mit der veränderten Publikumsansprache der Kunstmuseen, deren Ursachen auch im Kontext der Funktion für die Stadtpolitik stehen, Selektionsmechanismen in einer anderen Weise. Sowohl durch eine kommunikative, spektakuläre Architektur als auch das Angebot musealer Sonderveranstaltungen, also letztlich über einen veränderten Auftritt der Häuser in der Öffentlichkeit, bestehen jedoch die Chancen auf eine größere Heterogenität im Kunstpublikum.
2.3.5 Zusammenfassung In den 1970er Jahren fand ein Bruch im Selbstverständnis der Museen statt, der zu einer zunehmenden Außenorientierung der Häuser führte. Die Kunstmuseen versuchten sich gemäß der Leitlinien Kultur für alle und Schwellenangst abbauen von ihrem Image als elitäre Musentempel zu lösen und sich einem breiteren Publikum zu öffnen. Mit Bilden sowie Vermitteln kamen zum klassischen, auf die Museumsinhalte bezogenen Aufgabentrio Sammeln, Forschen, Bewahren erstmals subjektorientierte Funktionen hinzu. Vor allem seit den 1990er Jahren bauten Kunstmuseen ihre neue Rolle innerhalb der Freizeitbranche aus. Die schwierige Finanzlage der öffentlichen Haushalte führte zu einer verstärkten Ökonomisierung, die sich unter anderem auf die Art der Publikumsansprache und die Vermarktung der Häuser sowie Ausstellungen auswirkte. Im Wettbewerb mit anderen Freizeitangeboten und in der Funktion als Imageträger für die Städte standen Museen unter dem wachsenden Druck quantitativer Besuchszahlen. Mit dem Zielgruppenmarketing veränderte sich das Verhältnis zum Publikum. Die Einrichtungen reagierten mit Angeboten, beispielsweise Museumsnächte oder medienwirksame Sonderschauen, die Gesamterlebnisse ermöglich en, auf die Be-
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dürfnisse einer Erlebnis- und Lebensstil-Gesellschaft. Vor allem die großen, überregional bekannten Häuser dehnten die zusätzlichen Dienstleistungen und zielgruppenspezifischen Angebote aus. Darüber hinaus nahmen Kunstmuseen im Rahmen der Stadtpolitik zwischenzeitlich einen festen Platz als weiche Standortfaktoren ein. Die Außenwirkung der Museumsbauten spielte einerseits in der städtischen Imagepolitik eine immer größere Rolle und andrerseits wurde das kommunikative Element als ein Aspekt des demokratischen Zugangs weiter betont. Allgemein lässt sich festhalten, dass in den 1970er Jahren in den Kunstmuseen eine Publikumsorientierung einsetzte, deren Akzente sich im Lauf der Zeit mit zunehmender Ökonomisierung verschoben.
2.4 Demokratisierungstendenzen in der Kunst im öffentlichen Raum Nach einer Klärung der hier relevanten Aspekte des Begriffs Öffentlichkeit wird historisch der Bogen gespannt von der Kunst am Bau seit der Weimarer Republik über die Neuorientierung einer Kunst im öffentlichen Raum in den 1970er Jahren bis hin zu aktuellen Tendenzen. Das Augenmerk liegt dabei auf den Voraussetzungen und den Relevanzbegründungen einer Kunst im Außenraum während der Umbruchszeit in den siebziger Jahren. Weiterhin wird gezeigt, welche Potenziale durch neue künstlerische Praktiken und über eine nichtinstitutionelle Ortsbezogenheit in einer Kunst im städtischen Außenraum liegen.
2.4.1 Annäherungen an den Begriff des öffentlichen Raums Im einfachen Sinne wird unter Kunst im öffentlichen Raum zumeist öffentlich geförderte35 Kunst verstanden, die objekthaft außerhalb des physi35
Nach Aussage von Wuggenig (1997, 78) werden in Deutschland öffentlich geförderte Programme im Außenraum typischerweise mit Bürokratie, sozialer Fürsorge, Paternalismus, Staatskunst, aber auch mit kultureller Teilhabe, „Kultur für alle“ oder kultureller Demokratie assoziiert.
2.4 Demokratisierungstendenzen in der Kunst im öffentlichen Raum
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schen Raums beziehungsweise von Kunsteinrichtungen im städtischen Außenraum in Erscheinung tritt. Da Kunst im öffentlichen Raum jedoch kein feststehender Begriff ist, soll eine inhaltliche Annäherung über die Eigenschaften des Stadtraums sowie die Kategorien öffentlich und Öffentlichkeit versucht werden. Öffentlichkeit kann sich auf einen konkreten Ort wie den Stadtraum oder ein Kunstmuseum beziehen, oder aber eine abstrakte Idee beschreiben. Der Stadtraum ist, wie Grasskamp (1997, 11f.) resümierte, geprägt von seiner Nutzungsvielfalt und -dichte, einer Personenheterogenität sowie der freien Zugänglichkeit. Grasskamp bezeichnete den öffentlichen Raum als die Benutzeroberfläche der Stadt, da diese von einem fortwährenden politischen, kommerziellen, sozialen sowie künstlerischen Input der Gesellschaft lebt. Hier interessiert im Wesentlichen ein soziologischer, auf den Menschen bezogener Stadtbegriff, der sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft und Stadtentwicklung befasst und wonach sich die Stadt aus verschiedenen Sozialräumen zusammensetzt (zum Beispiel Hamm 1982, 21). Selle (2002, 59) stellte Kriterien heraus, nach welchen öffentlich gedeutet werden kann. So kann es um die Frage nach der Produktion des Raumes gehen, das heißt, wer stellt ihn her, finanziert den Bau, die Einrichtung, zum anderen um die eigentumsrechtliche Zuordnung. Eine weitere Dimension des Öffentlichen stellt die Klärung der Regulierung der Nutzung dar, zum Beispiel darüber, wer Nutzerinnen und Nutzer selektiert sowie kontrolliert und in einem Raum Sicherheit gewährt. Schließlich kann der Sozialcharakter eines Raumes betrachtet werden, also wie die Nutzbarkeit von Räumen von Nutzenden wahrgenommen und in eigenes Verhalten umgesetzt wird. Nach Fraser (1999, 128) besitzt öffentlich mehrere Bedeutungsebenen: staatsbezogen oder kommunal, allgemein zugänglich, etwas alle Betreffendes sowie Gemeingut oder gemeinsames Interesse. Fraser gemäß gibt es zu jeder Bedeutungsebene jeweils kontrastierende Konnotationen von privat. Die Unterscheidung der beiden Pole Öffentlichkeit und Privatheit galt vor allem in den modernen Stadttheorien als wichtigstes Kriterium, Ur-
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banität36 zu beschreiben. Für Bahrdt (2006, 83) beispielsweise stellte die Dualität der beiden Kategorien Öffentlichkeit und Privatheit ein Hauptmerkmal des städtischen Lebens dar. Die beiden Begriffe stehen miteinander in einem engen, wechselseitigen Verhältnis und sind jeweils mit einem unterschiedlichen Normen- sowie Wertekanon verbunden, der menschliche Verhaltensweisen entsprechend steuert. Selle (2004, 129) beobachtete, dass die beiden Pole öffentlich und privat heute zunehmend verschwimmen, wobei mit der daraus resultierenden nachlassenden Polarisierung beider Sphären ein traditionelles Merkmal von Urbanität infrage steht. So werden einerseits klassische kommunale Aufgaben wie die Sicherheit in Gated Communities von privaten Firmen übernommen oder ehemals öffentliche Stadträume durch den Bau von Shopping-Malls zu privatem Boden. Andrerseits greift die Privatsphäre durch die Ausdehnung von Internet und Reality TV stark in den öffentlichen Bereich über. Eine Dipolarität der beiden Bereiche Öffentlichkeit und Privatheit, wie von den modernen Stadttheoretikern propagiert, ist demnach keineswegs ein universelles Charakteristikum der Großstadt, sondern an eine bestimmte Konstellation von Epoche, Kultur und Gesellschaftsentwicklung gebunden. Die Begriffe öffentlich sowie auch privat sind folglich 36
Die Auseinandersetzung mit dem sich wandelnden Stadtraum und dem wechselseitigen Verhältnis zu seinen Nutzerinnen und Nutzern führt unumgänglich zum Begriff Urbanität, wobei sich der Term inhaltlich ungenau, vor allem aber ideologiebestimmt präsentiert. Urbanität steht historisch-ideologisch immer auch in Verbindung mit einer so genannten urbanen Mentalität, herausgebildet durch den Wandel der modernen Metropole und deren Einfluss auf Denken, Verhalten und Wahrnehmung. Bahrdt (1969) sah in der Utopie und Unplanbarkeit besondere Charakteristika der Urbanität. Aktuelle städteplanerische Leitbilder, ebenso wie Debatten über einen so genannten Urbanitätsverlust durch vergangene Fehlplanungen füllen den Begriff unter anderem mit Inhalten, wobei sich städtische Leitbilder mit der Gesellschaft wandeln (Häußermann und Siebel 1987, 228). In den 1960er Jahren und abgrenzend zum Nachkriegsdeutschland wurden Städte nach dem heute verpönten Leitbild Urbanität durch Dichte, gekennzeichnet durch Großsiedlungen und der Ausdehnung von Autoverkehrsstraßen, ausgebaut (Köhler 1996, 236f.). Linde (1970, 3480) kritisierte eine mangelnde Trennschärfe des Begriffs Urbanität, darüber hinaus hielt er ihn für einen recht willkürlichen Modebegriff. Weit davon entfernt, hier das Unterscheidbare sauber zu scheiden – (a) den Trend, (b) die Planungskonzeption und (c) die Ideologisierungen von (a) und (b) – und auf seine unterschiedlichen Bedingungen zu prüfen, hat die Modeklage um den Verlust der Urbanität bereits den kritisch-heuristischen Ansatz des Begriffes aufgegeben und das Wort zur ideologischen Hülse für beliebige Wunschvorstellungen und Forderungen des Tages werden lassen.
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mit verschiedensten Bedeutungsinhalten besetzt, die sich im Wandel der Zeit und zudem in verschiedenen Ländern auf andere Weise herausbildeten. Nach Auffassung von Schmidt-Wulffen (1997, 178ff.) verdeutlichte die Entwicklung der künstlerischen Beiträge für den öffentlichen Raum im Laufe ihrer Geschichte, dass im politisch-praktischen Sinne einer Kunst für alle-Bewegung öffentlich nicht im Gegensatz zu privat, sondern eher im Gegensatz zu elitär aufgefasst werden müsste. Diese Feststellung kann im Zusammenhang mit dem unterschiedlichen Stellenwert von Kunst im Außenraum gegenüber Kunst im Museum betrachtet werden. Ein Merkmal von im öffentlichen Raum präsentierter Kunst stellt die fehlende oder nicht unmittelbar erfassbare Weihung durch die Institution dar. Obgleich in Bezug der Präsentationsformen von Kunst, insbesondere durch den Cyberspace, einschneidende Veränderungen passierten, wie Katti und Frohne (1997, 196) äußerten, besitzt weiterhin einzig der physische sowie ideologische Raum des Kunstmuseums die Autorität, künstlerische Arbeiten auch als Kunst auszuzeichnen. Dies führt zu einem grundsätzlichen Anerkennungsproblem von Kunst im öffentlichen Raum, so dass diese gemeinhin als weniger elitär erachtet wird als Kunst im Museum.37 Erst im 18. Jahrhundert wurde das bis dahin in der deutschen Sprache nicht existente substantivische Wort Öffentlichkeit analog zum französischen publicité und dem englischen publicity gebildet. Gemäß Habermas (1999, 56) kann insofern davon ausgegangen werden, dass sich diese Sphäre (…) erst damals gebildet und ihre Funktion übernommen hat; sie gehört spezifisch zur „bürgerlichen Gesellschaft“, die sich zur gleichen Zeit (…) etabliert. Das Adjektiv öffentlich besteht im Sinne von bekannt im Gegensatz zu geheim beziehungsweise privat schon länger, so Hölscher (1997, 37
Eine empirische Studie von Wuggenig (1997) zeigte, dass die im Kunstfeld bestinformierte und wohlhabende Gruppe der Kuratorinnen und Kuratoren, Kunst im öffentlichen Raum skeptischer gegenüber stand als diejenigen, die sich Kunst lediglich symbolisch und nicht ökonomisch aneignen konnten, das heißt, kunstspezifisch schwach Informierte, Personen mit geringem oder mittlerem Einkommen und ohne abgeschlossenes Hochschulstudium. Demnach wendet sich Kunst im öffentlichen Raum an die Peripherie des Kunstfelds und wird vom Zentrum selbst als peripher betrachtet. Wuggenig schloss daraus einen Mangel an kultureller Legitimität von Kunst im Stadtraum, womit diese in Anlehnung an Bourdieu als semi-legitim bezeichnet werden kann.
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413). Mit Ausbildung des modernen Staatsrechts im 17. Jahrhundert erschien öffentlich begriffsgeschichtlich gleichbedeutend mit staatlich, seit Ende des 18. Jahrhunderts war der Begriff eng mit dem Vernunftsgedanken der Aufklärung verbunden und erhielt einen politisch-sozialen sowie auch visuell-intellektuellen Charakter. Hölscher (1997, 431f.) machte klar, dass sich zu dieser Zeit im deutschen Sprachgebrauch neue Begriffe wie öffentliches Konzert, öffentliche Bibliothek oder öffentliche Zeitung als Institutionen eines gebildeten Bürgertums prägten. In diesem Kontext bezog sich Publikum erstmals auf eine Zuschauer- beziehungsweise Zuhörerschaft von Theateraufführungen oder Musikveranstaltungen. Grundsätzlich galten diese Kulturinstitutionen, aufgrund ihrer Unabhängigkeit von staatlicher Kontrolle, als öffentlich zugänglich. Offiziell gab es zwar keine ständischen Schranken mehr, jedoch bestimmten unter anderem Bildungsqualifikationen wie Lesefähigkeit oder ökonomische Faktoren die Nutzungsmöglichkeit. Entsprechend des gesellschaftlichen Wandels mit der Vergrößerung eines gebildeten Lesepublikums öffneten sich die Einrichtungen einem immer breiteren Publikumskreis. Die Idealvorstellung von Öffentlichkeit definierte sich bei Habermas als ein Netzwerk für die Kommunikation von Meinungen, das sich diskursiv und frei von ökonomischen Interessen bildet. In der Diskursarbeit setzt sich demnach die Meinung als öffentlich legitimiert durch, welche die Mehrheit durch gute Argumente überzeugt. Somit übernimmt Öffentlichkeit eine strategische Vermittlungsfunktion zwischen den Bürgerinnen und Bürgern sowie den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern. Habermas nannte drei Bedingungen für eine ideale Öffentlichkeit: Zugang für alle Gesellschaftsteile, das Diskursivitätsprinzip sowie die Legitimation durch die Politik. Während die von Interessensgruppen beherrschten Massenmedien Öffentlichkeit vorstrukturieren, folglich eine vom politischen System hergestellte Öffentlichkeit präsentieren, bietet das Diskursivitätsprinzip, insbesondere durch die Möglichkeit der Beteiligung aller, mehr Demokratie für den einzelnen Bürger. Diesem idealtypischen Modell wird jedoch häufig ein singulärer Öffentlichkeitsbegriff, das Voraussetzen einer Klassengesellschaft sowie eine Konsensthe-
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orie von Demokratie vorgeworfen (zum Beispiel Negt und Kluge 1972; Fraser 1999; Deutsche 2002). Darüber hinaus implizieren Ideen zur gesellschaftlichen Bedeutsamkeit des öffentlichen Raums als Ort der Kunstpräsentation - vor allem hinsichtlich der Kategorien institutioneller Raum beziehungsweise nichtinstitutioneller Raum - bestimmte Vorstellungen von Öffentlichkeit. Das 1970er Jahre-Postulat Kultur für alle, welches auf eine allgemeine Humanisierung sowie persönliche Emanzipation deutete, gab der Kunst im öffentlichen Raum Schubkraft. Eben diese Vorstellungen von öffentlich beziehungsweise Öffentlichkeit haben sich infolge allgemeiner Demokratisierungsentwicklungen im hochkulturellen Bereich verändert. Neben dem Verständnis von Öffentlichkeit im physischen Sinne, das heißt ortsgebunden an beispielsweise den städtischen Freiraum sowie im institutionellen Sinne wie etwa dem Kunstmuseumspublikum, kann Öffentlichkeit darüber hinaus als politische und wie es Mouffe (2002, 104f.) ausdrückte, antagonistische Handlung begriffen werden. Derart argumentierte auch Deutsche (2002) gegen ein Verständnis von Demokratie als Konsens und stattdessen für die streitbare Auseinandersetzung verschiedener Interessensgruppen beziehungsweise den Widerstand als Zeichen von gesunder Demokratie. Demgemäß entsteht Öffentlichkeit in diskursiver Auseinandersetzung mit konfliktbergenden Situationen und Problemen, welche weder planbar noch im Vorhinein absehbar sind. Entsprechend solcher Definition von Öffentlichkeit wird Kunst im öffentlichen Raum nicht durch deren bloße Präsenz im Stadtraum bestimmt, sondern durch die Fähigkeit, Diskurse auszulösen. Ob dies gelingt oder künstlerische Praktiken Missstände eher verschleiern anstatt aufzudecken, ist jedoch erst im Nachhinein feststellbar. Die Künstler Clegg & Guttmann beispielsweise erreichten mit ihrem Projekt Offene Bibliothek in Hamburg, welches an anderer Stelle dieses Buchs noch ausgiebiger behandelt wird, eine starke Mobilisierung in der Bevölkerung, unter anderem die Bildung von Bürgerinitiativen. Auch wenn hier Öffentlichkeit eher physisch sowie Demokratie im Sinne des Zugangsdemokratischen gemeint ist, stehen Überlegungen in engem Zusammenhang damit, Öffentlichkeit im Sinne von politischem Handeln zu sehen. Wie Deutsche
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(2002, 52) feststellte, wird die Konstruktion einer politischen, auf einem Antagonismus basierenden Öffentlichkeit hauptsächlich durch die Stärke des ausschließenden Charakters eines Orts bestimmt. Damit stellen Orte im öffentlichen Raum umkämpfte Terrains dar, deren Aufteilung und soziale Nutzung nach hierarchischen Strukturen erfolgt.38 Themen, die den öffentlichen Raum tangieren, stellen nach Deutsches (2002, 267) Auffassung daher immer auch einen Kampf um die Bedeutung von Demokratie dar. Die Frage nach dem Demokratischen von Kunst im Museum oder im öffentlichen Raum kann somit auch vor dem Hintergrund gestellt werden, inwiefern die Voraussetzungen für eine konfrontative Begegnung von möglichst zahlreichen, unterschiedlichen Teilgruppen gegeben sind. Auch im Kontext der Beschäftigung mit Öffentlichkeit darf die aus unterschiedlichen Perspektiven wachsende Bedeutung der Medien, speziell der neuen Medien, nicht unerwähnt bleiben. Die Medien und medialen Inszenierungen spielen heute eine grundsätzliche Rolle, sowohl für die künstlerische Praxis selbst, aber auch in der Zielgruppenansprache für Kulturinitiatorinnen und -initiatoren, wofür die Initiierung der Ausstellung Das MoMA in Berlin 2004, die an anderer Stelle noch eingehender betrachtet wird, ein eindrückliches Beispiel liefert. Zudem werden Medien inzwischen nicht nur genutzt, um real Existierendes, sondern gleichsam um lediglich virtuell Bestehendes zu vermarkten oder vorzustellen, was anhand von Internetportalen wie Second Life deutlich wird. Darüber hinaus zeigt der zunehmende Einfluss von Internetpräsenzen wie myspace oder YouTube, die zu selbstdarstellerischen Zwecken genutzt werden, dass der virtuelle Raum inzwischen fester Bestandteil von Öffentlichkeit geworden ist. Die verschiedenen Teil-Öffentlichkeiten ha38
Um diesen Mechanismus anhand eines Kunstprojektes zu exemplifizieren, eignen sich die Ausführungen Büttners (2004, 123) zu dem Vorschlag einer Künstlerin, ein Windrad auf dem Rodelhügel für die Messestadt Riem, einem Stadtviertel Münchens, zu installieren. Das Vorhaben scheiterte am Einspruch des Landschaftsarchitekten des Hügels, indem dieser seine Urheberrechte mit der Begründung in Anspruch nahm, den Rodelhügel nicht als Sockel für ein künstlerisches Objekt zu akzeptieren. Mindestens zwei Interessensgruppen versuchten hier, die Dominanz im öffentlichen Raum zu erlangen, wovon rechtliche Regelungen dem Urheber des Hügels Vorrang gaben.
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ben unterschiedliche Ansprüche an den öffentlichen Raum, wobei die physische Präsenz im Stadtraum heute keine Voraussetzung mehr für die Teilnahme am öffentlichen Leben darstellt. Telefon, verkehrstechnisch verbesserte Infrastruktur und die inzwischen gängige Verbreitung des PCs und Internetzugangs machen von der Nutzung des physischen öffentlichen Raums immer unabhängiger. Über Internet können Menschen in der Öffentlichkeit agieren ohne den Privatbereich verlassen zu müssen. Schließlich kann jede Art von Information weltweit abgerufen werden und User können mit einem riesigen Publikum kommunizieren. Trotzdem bleibt die Aneignung des physischen Stadtraums für bestimmte Personengruppen weiterhin eine bedeutende oder gar die einzige Form der Präsentation in der Öffentlichkeit, wobei sich deren Nutzungsarten und -möglichkeiten stark voneinander unterscheiden. So dient der öffentliche Raum im Kontext der ökonomisierten Stadtpolitik einerseits einem konsumstarken, eventbezogenen Bevölkerungsteil als Ort der Gelegenheiten, um den persönlichen Lebensstil zu repräsentieren. Andrerseits werden randständige Gruppen wie Wohnungslose, so Mitchell (1995, 123), fast ausschließlich im öffentlichen Stadtraum sichtbar, denn (...) there is literally no room in Internet’s “public space” for a homeless person to live. Nor can their needs, desires, and political representations ever be seen in the manner that they can be seen in the spaces of the city. Insofern bleibt die physische Anwesenheit im öffentlichen Raum für unterschiedlichste Teilgruppen aus jeweils anderen Interessensgründen weiterhin bedeutsam.
2.4.2 Von der Kunst am Bau zur Kunst im öffentlichen Raum: Problematisierung und Neuorientierung in den 1970er Jahren Die Wurzeln der städtischen Kunst im öffentlichen Raum-Programme liegen nach Herleitung von Herlyn et al. (1976, 147) in den Kunst am BauRegelungen, die ursprünglich von Künstlerinnen und Künstlern der Weimarer Republik gefordert und als soziale Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingeführt wurden. Die Lage der Kunstschaffenden wurde seinerzeit durch ökonomische Missstände sowie das Wegfallen der zwei
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wesentlichen Abnehmergruppen Kirche und Aristokratie verschlechtert sowie die Notwendigkeit, sich in einem breiteren, heterogenen Kunstmarkt zu positionieren. Zudem gingen Kunst und Architektur mit der gewandelten Käuferinnen- und Käuferschicht keine notwendige Verbindung mehr miteinander ein. Aus dieser Situation heraus forderte der Reichsverband Bildender Künstler 1927 die Beteiligung von Kunstschaffenden an allen öffentlichen Neubauten. Der Reichsarbeitsminister reagierte auf die Forderung mit einem Rundschreiben, gewissermaßen ein Vorläufer der Kunst am Bau-Regelungen, welches jedoch folgenlos blieb.39 Schließlich wurde 1934 unter nationalsozialistischer Regierung mit dem ersten amtlichen Erlass zur Kunst am Bau, der offiziell mit dem sozialen Pflichtgefühl gegenüber einer Förderung der Künste begründet wurde, auf die Forderungen des Künstlerverbands nach künstlerischer Beteiligung an öffentlichen Bauten eingegangen. Durch diesen strategischen Zug konnte die Regierung die Konformität der Kunstproduktion mit den staatlichen Ideen kontrollieren und darüber hinaus inhaltlich Einfluss nehmen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Freiheit von Kunst und Wissenschaft im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert, um dem Missbrauch durch ein totalitäres Staatssystem zukünftig vorzubeugen. Zudem beschloss der Bundestag 1950, dass bei allen Bauaufträgen des Bunds ein bestimmter Betrag für Kunstwerke aufgebracht werden sollte. Weisser (1976, 33) wies darauf hin, dass es aufgrund der Kulturhoheit der Bundesländer, trotz gewachsenem Engagement des Staats keine einheitlichen Richtlinien gab, das heißt, das Interesse der Einzelländer grundsätzlich unterschiedlich groß war und Länderregelungen teilweise wörtlich an den Erlass im Dritten Reich angelehnt waren. Grundsätzlich wurde neben dem Fehlen verbindlicher Richtlinien für eine künstlerische Beteiligung bemängelt, dass Kunst am Bau überwiegend dekorativen Charakter besaß,40 oft als bloße soziale Geste ge39 40
Herlyn et al. zitieren aus: Betr. Arbeitsbeschaffung für Bildende Künstler vom 28.6.1928 (aus Staatsarchiv Bremen 4, 49-492/96). Im Zuge der Diskussionen zur Kunst am Bau in den 1970er Jahren bemerkten Herlyn et al. (1976, 148), dass Künstlerinnen und Künstler in den 1930er Jahren ihre Arbeiten teilweise selbst als Dekoration werteten. Herlyn et al. zitieren aus: Entschließun-
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genüber den Kunstschaffenden betrachtet wurde und die Dominanz der Architektinnen und Architekten den Freiraum für künstlerische Ideen zu sehr eingrenzte. Erst mit der starken Kritik an den Kunst am BauRegelungen sowie mit der neuen demokratie-bewussten Kulturpolitik in den 1970er Jahren erhielt Kunst im öffentlichen Raum neue Schubkraft. Römer-Westarp (1992, 27) betonte, dass Kunst im öffentlichen Raum aufgrund der Präsenz im nicht-institutionellen Außenraum für ein breites, heterogenes Publikum als physisch unkompliziert erreichbar galt. Insofern sollte dieser eine besondere Rolle in der Erfüllung demokratisierender Funktionen wie Identifikation, Partizipation und Selbstverwirklichung zukommen. Kunst im öffentlichen Raum wurde unter anderem in Bezug auf die Ziele der Stadtbildgestaltung diskutiert. Das besondere Interesse stand dabei im Zusammenhang mit dem Unmut an dem von der Nachkriegsarchitektur geprägten Stadtbild, wie es beispielsweise Mitscherlich 1965 herausstellte. Nach seiner Ansicht wurden die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger in der Stadtplanung nicht berücksichtigt und damit keine Identifikationsmöglichkeit geschaffen. Visuell vermittelte sich für ihn der Eindruck einer herrschenden Rationalisiertheit durch eine Architektur, die von genormten Glas- und Betonwürfeln geprägt war. Nach Auffassung Weissers (1976, 37f.) bildeten sich mit Beginn der siebziger Jahre vor allem drei Relevanzbegründungen für eine Kunst im öffentlichen Raum heraus. So wurde erstens davon ausgegangen, dass sich das Stadtbild durch eine künstlerische Ästhetisierung des öffentlichen Raumes positiv verändern lässt. Der Kunst wurde einerseits optische Attraktivität sowie ein Ausgleich zu baulichen Defiziten zugesprochen und sie sollte andrerseits als Identifikations- und Orientierungsträger für die Bewohnerinnen und Bewohner fungieren. Als zweites implizierte die Behauptung, Kunst im öffentlichen Raum dient der Demokratisierung, dass der elitäre Charakter von Kunst hauptsächlich durch die selektive Präsentation in den traditionellen Museumsräumen zustande kommt. Drittens war die Meinung verbreitet, öffentliche Kunstaktionen stimulieren die öffentliche Komgen des Reichsverbandes Bildender Künstler Deutschlands, gefasst auf der Mitgliederversammlung 1927 (aus Staatsarchiv Bremen 4, 49-492/96).
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
munikation und wirken damit bewusstseinsbildend, wobei insbesondere die Leistung der prozessualen, partizipativen Arbeiten betont wurde. Bezogen auf die Kunstproduktion wurde nach Einschätzung von Plagemann (1989, 15f.) immer deutlicher, dass sich die projektorientierte, interventionistische Praxis und die realen Möglichkeiten für eine Kunst am Bau immer mehr voneinander entfernten. Schließlich begann in Bremen eine Neuorientierung, die sich auf den gesamten deutschsprachigen Raum ausweitete, wie Plagemann vermerkte. Als erste deutsche Stadt änderte diese 1973 ihr Kunst am Bau-Gesetz und verwendete im Zusammenhang mit dem staatlichen beziehungsweise kommunalen Kunstprogramm auch erstmals den Begriff Kunst im öffentlichen Raum. In Folge zogen mit Berlin 1979 und Hamburg 1981 zwei weitere Stadtstaaten mit Regeländerungen nach und setzten neue Maßstäbe für eine öffentlich geförderte Kunst im Außenraum. Gemäß Schmidt-Wulffen (1997, 179f.) ermöglichten die veränderten Bedingungen eine Einbeziehung neuer künstlerischer Praktiken, die als Ausdruck eines erweiterten Kunstbegriffs den Weg für ein neues Verhältnis zwischen Kunst und Öffentlichkeit bereiteten. Heute sehen die Richtlinien zur Durchführung von Bauaufgaben des Bundes41 vor, dass mindestens 1 Prozent der Summe für Neubauten für die Kunst aufzuwenden sind, wobei manche Bundesländer, darunter Bayern42 und einige Städte, beispielsweise München, Bremen oder Karlsruhe, eigene Bestimmungen haben.
2.4.3 Ortsspezifität oder ein neues Verhältnis von Kunst und Publikum Erst mit den neuen Regelungen in den 1970er Jahren, so bemerkte Büttner (1996, 222f.), wurde eine progressive Kunstpraxis wie die Projektkunst und damit eine spezielle ortsspezifische Arbeitsweise im öffentli-
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Vergleiche Richtlinien für die Bauaufgaben des Bundes (RBBau), Anhang K 7, Ausgabe 2003. In Bayern zum Beispiel sind für die Durchführung von Hochbaumaßnahmen der Staatsbauverwaltung (RLBau) bis zu 2 Prozent der reinen Bauwerkskosten für Kunst vorgesehen, was dem in der Verfassung verankerten Anliegen entspricht, Kunst und Kultur zu unterstützen und zu fördern.
2.4 Demokratisierungstendenzen in der Kunst im öffentlichen Raum
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chen Raum möglich. Plagemann (1989, 18) beschrieb diese Wende mit einem Bewusstseinswandel der kommunalen Auftraggeberinnen von einer karikativ-politischen Förderung mit Blick auf die emanzipatorischhumanistischen Ziele der 1970er Jahre in Richtung zu einer neueren kultur-politischen Förderung. Infolgedessen, so Plagemann, wich die übliche Praxis, dass Ort und Aufgabe der künstlerischen Arbeiten - im Sinne eines noch nicht erreichten Publikums - durch die Kommunen ausgewählt wurden, immer mehr der Auswahl durch die Kunstschaffenden selbst. Zudem wurden auf der ersten Veranstaltung Skulptur Projekte Münster 1977, entgegen der damals üblichen Praxis, künstlerische Arbeiten überwiegend temporär präsentiert und für Objekte bestand keine Ankaufspflicht, erklärte Grasskamp (1997, 24f.). Im Vorwort des Katalogs der Skulptur Projekte Münster 1987 unterschied Klaus Bußmann (1987) zwischen Künstlerinnen und Künstlern, die autonome Skulpturen produzierten und solchen, die ihre Arbeit auf die Topographie, die Stadt oder die Gesellschaft bezogen. Dagegen werden Skulpturen, die ohne Bezug zum Umfeld im öffentlichen Raum existieren, bereits seit den 1970er Jahren als reaktionäres Konträr zu den ortsbezogenen Arbeiten oft Drop Sculptures43 genannt. Eine breitere Diskussion zur Ortsbezogenheit kam in der deutschsprachigen Kunstkritik jedoch erst in den 1980er Jahren mit der disqualifizierenden Beurteilung der so genannten Drop Sculptures durch Ammann (1984) und seiner Forderung nach einer neuen, ortsspezifischen Kunst im öffentlichen Raum auf. Seiner Ansicht nach wirkten Drop Sculptures, wie diese überwiegend in den 1980er Jahren im öffentlichen Außenraum auftraten, wie zufällig im Stadtraum abgelegt und ließen jegliche ästhetischen oder inhaltlichen Bezüge zum Umraum missen. Neben anderen Autorinnen und Autoren äußerte sich auch Warnke (1989, 256) im Zusammenhang mit derlei autonomen Skulpturen ablehnend, indem er diese als Stadtmöblierung bezeichnete. Während die physischen Räumlichkeiten eines Museums und die damit verbundene Institution den Rahmen für Kunst vorgeben, wirken die Begrenzungen im Stadtraum zunächst weniger konkret. Dies bietet 43
Andere Autoren (zum Beispiel Kwon 2005) verwenden den Ausdruck Plop ArtSculptures.
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
ortsspezifischem Arbeiten generell einen breiteren Rahmen sowie speziell Projekten, die für einen Alltags- beziehungsweise ursprünglich kunstfremden Kontext gedacht sind. Insofern erlangte das Thema Ortsbezogenheit insbesondere für Kunst im öffentlichen Raum an Bedeutung. Der Begriff Ortsspezifität tauchte bereits in den 1960er Jahren auf und signalisierte aufgrund des fehlenden Gebrauchs- beziehungsweise Marktwerts zunächst eine Abwehr gegenüber dem Warencharakter sowie der räumlichen Losgelöstheit von Kunst. Künstlerinnen und Künstler intendierten temporär und in speziellen Situationen an spezifischen Orten zu intervenieren, Prozesse in Gang zu setzen und damit vor allem Menschen zu erreichen, die keine Einrichtungen wie Kunstmuseen mit gemeinhin elitärem Ruf aufsuchten. Nach Auffassung von Kwon (2004, 65) wurde der modernistische Kunstbegriff über eine Ortsspezifität, wie diese in den Theorien der Land Art, der Konzeptkunst, aber auch der Minimal Art eine Rolle spielte, überwunden. Es gibt unterschiedliche Arten, künstlerisch ortsspezifisch zu arbeiten, wobei die Frage nach der Legitimität der Vorgehensweise ein zentrales Thema des Diskurses darstellt.44 Kwon (2004, 60ff.) beschrieb drei Paradigmen von Site Specificity, an welchen sich die Entwicklung des Kunstbegriffs ihrer Auffassung nach ablesen lässt. Zum einen eine phänomenologische experimentelle Ortsbezogenheit, wobei es um physische Bezüge geht, wie sie im Minimalismus zum Tragen kamen. Des Weiteren eine soziale und institutionelle Ortsbezogenheit, welche beispielsweise von Künstlern wie Hans Haacke oder Daniel Buren vertreten wird. Diese Ortsbezogenheit geht über die rein physische Örtlichkeit hinaus und bezieht zudem soziale, ökonomische und politische Prozesse ein, so dass über eine Infragestellung der Hermetik des Kunstsystems Institutionskritik betrieben wird. Schließlich gibt es die diskursive Ortsspezifität der neuen orts- und projektbasierten Kunst, die sich auf noch
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Grasskamp (2000, 50) kritisierte eine oftmals inkonsequente Art von Ortsbezogenheit in Form einer nur funktionsspezifischen Ortsspezifität. Dazu zählte er urbanes Mobiliar wie Scott Burtons Sitzgelegenheiten, die im Prinzip ortsneutral in jede städtische Umgebung eingefügt werden können. Darüber hinaus wurden Arbeiten versetzt, beispielsweise war Serras Arbeit für Schlauns Erbdrostenhof im Rahmen der Skulptur Projekte Münster 1987 von vorneherein für den Verkauf nach St. Gallen bestimmt.
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mehr öffentliche Bereiche wie Soziales, Politikdebatten und Magazine ausweitet und hinsichtlich Thema beziehungsweise Medium teilweise in kunstfernen Kontexten auftritt. Diese drei Paradigmen dürfen nach Kwons Deutung nicht rein chronologisch betrachtet werden, sondern überschneiden sich zeitlich-historisch und sind ansatzweise alle drei in aktuellen künstlerischen Positionen zu finden. Des Weiteren unterschied Kwon (1997, 94ff.) für die USA verschiedene Kunstpraxen mit für sie unterschiedlichem Progressivitätsgehalt, um den im Laufe der vergangenen Jahrzehnte sich veränderten Kunstbegriff für den öffentlichen Raum nachzuzeichnen. Es wird, wie bereits zuvor genannt, eine deutliche Verschiebung des Schwerpunkts der künstlerischen Praxis festgestellt hin zu Projekten, sozialen Anliegen, prozessualem Arbeiten, temporären Interventionen, Partizipation sowie in Konsequenz zur Rezeption als Ort der Interpretation. Unter Kunst im öffentlichen Raum subsumierte Kwon modernistische, abstrakte Skulpturen im Außenraum, die den Stadtraum verschönern oder bereichern sollen und sich deshalb bevorzugt auf Vorplätzen von Amtsgebäuden oder Bürohochhäusern befinden. Bei Kunst als öffentlicher Raum handelt es sich dagegen stärker um ortsbezogene Kunst, die eine Integration von Kunst, Architektur und Umgebung anstrebt. Diesbezüglich kooperieren Kunstschaffende meist mit den Verantwortlichen der Stadtgestaltung, wenn es um dauerhafte Stadtentwicklungsprojekte wie Parks, öffentliche Plätze, Gebäude, Promenaden oder Siedlungen geht. Die Kunst der 1990er Jahre, das heißt Kunst im öffentlichen Interesse oder New Genre Public Art präsentierte sich oft mittels temporärer Projekte, die sich vor allem mit sozialen Themen anstatt der gebauten Landschaft befassten. Zumeist bestand eine intensive Kooperation einerseits mit Designfachleuten und andrerseits mit marginalisierten sozialen Gruppen wie beispielsweise Obdachlose oder misshandelte Frauen, um so an der Entwicklung eines politischen Bewusstseins dieser Communities zu arbeiten.45 Hier wird 45
Immer wieder wurde kritisiert, dass Kunst soziale Situationen und Strukturen zementieren kann und damit das Gegenteil von dem erreicht, was diese wollte (zum Beispiel Kwon 2004, 100 ff.). Ortsspezifische Kunst kann verdeckte Problemfelder und unscheinbare Orte sichtbar machen, aber gleichsam soziale und historische Dimensionen verdecken (Kwon 1996). Dieser Kritikpunkt wird relevant in Bezug auf
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
Kunst im öffentlichen Raum generell als übergeordnet betrachteter Begriff für eine öffentlich geförderte Kunst im Außenraum benutzt, so dass weniger Kwons Betitelungen für die Kunstpraxen in den einzelnen Zeitphasen als vielmehr das Nachzeichnen eines stetig erweiterten Kunstbegriffs für den öffentlichen Raum von Interesse ist. Einige Autorinnen und Autoren beobachteten auch für den deutschsprachigen Raum seit Anfang der 1990er Jahre einen Paradigmenwechsel (zum Beispiel Babias 1995; Rollig und Sturm 2002). Nach einer kurzen Phase der Neuen Wilden und des Neo-Expressionismus in den 1980er Jahren, galten die 1990er Jahre grundsätzlich als re-politisiert, wobei die Rolle der Kunst sowie der Kunstschaffenden stärker thematisiert wurde. Trotz der Existenz höchst unterschiedlicher Ausprägungen war seitens der Kunstschaffenden eine gewachsene Bedeutung an sozialpolitischem Austausch zu beobachten, gekoppelt mit zielgruppenorientierten und partizipativen Praktiken. Eine Reihe von Künstlerinnen und Künstlern deuteten die soziale Thematik als direkte Annäherungen an marginale Gruppen. Insbesondere in Europa, so Weibel (1994), waren zudem soziologische Forschungen ein dominierendes Thema. Darüber hinaus stand eine Institutionskritik und -analyse sowie eine Reflexion von Produktions-, Distributions- und Rezeptionsbedingungen vor allem im Mittelpunkt der so genannten Kontextkunst, die ihren Höhepunkt Anfang bis Mitte der 1990er Jahre hatte. Insgesamt wurde deutlich, dass Kunst nicht mehr länger von sozialen Prozessen getrennt gesehen werden konnte. Die neuen künstlerischen Entwicklungen im Außenraum sahen einige Autorinnen und Autoren vom schwächer werdenden Sozialstaat geprägt. Künstlerinnen und Künstler zeigen Verantwortungsgefühl, indem sie mittels Projekte zur Selbsthilfe anstiften (zum Beispiel Rollig 1998, 29). Kunst im öffentlichen Raum ist heute durch eine große Vielfalt gekennzeichnet bezüglich der allgemeinen Ziele, Zielgruppen, Medien und grundsätzlichen Konzepte. Insofern sind die aufgezeigten Neuerungen ein Projekt von Martha Rosler, das in Teil 4 dieses Buchs als Exempel für eine künstlerische Position dient, indem sie sich mit den Auswirkungen einer neoliberalen Stadtpolitik beschäftigte.
2.4 Demokratisierungstendenzen in der Kunst im öffentlichen Raum
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nicht entlang einer Fortschrittslinie gedacht, sondern existieren nebeneinander. Rollig (1998, 7) formulierte die Meinung, dass über Kunst im Außenraum heute der Konsens besteht, Qualität an der Einbeziehung des Zielpublikums zu bemessen. Nicht nur bei der Qualität von Kunst, sondern wie Herlemann und Kade (1996, 271) meinten, auch bei der Zielgruppenansprache haben sich die Bewertungskriterien geändert, so dass weniger die Bildungshierarchie und stattdessen die generelle, zum Beispiel sozial-politische Wirksamkeit eine Rolle spielt. Schließlich ergab sich mit der partizipativen sowie diskursiven Praxis, die den öffentlichen Raum als Ort der Auseinandersetzung und Kontextsuche nutzt, eine neue Möglichkeit des Zugangs zu Kunst, die kein Kunstwissen voraussetzte (vergleiche Babias 1995). Den Wandel der amerikanischen Public Art in den vergangenen 40 Jahren mit einem sich veränderndem Verhältnis von Kunst und Publikum beschrieb Kwon (2005, 107ff.) durch Verknüpfung mit dem Kommunikationsmodell von Raymond Williams. Danach wurden autonome Plop Art-Plastiken, beispielsweise die Calder-Freiplastiken aus den 1960er und 1970er Jahren, wie bereits erwähnt, mit Vorliebe auf größeren, von Büro- oder Regierungsgebäuden umrandeten Plätzen präsentiert. Dort dienten sie im Sinne des paternalistischen Kommunikationsmodells einerseits dazu, die genialen Leistungen des Künstlers herauszustellen, also große Kunst zu zeigen. Andrerseits sollten sie als Geschenk der Regierung an die allgemeine Bevölkerung in erzieherischer sowie erhebender Absicht wirken. In den 1970er und 1980er Jahren wurde Kunst vielfach als Designelement in größere Architekturprojekte einbezogen, um die Lebensqualität sowie den Immobilienwert zu steigern, wobei das paternalistische Kommunikationsmodell mit kommerziellen Zügen vereint wurde. Obgleich Serras Skulpturen begehbar sind und damit die Autonomie des umgebenden Orts aufbrechen, sah Kwon weiterhin eine unverändert paternalistische Haltung in Bezug auf die Rezipientinnen und Rezipienten. Wie bei den Plop Sculptures ging es noch immer um die Präsentation von hoher, nur für eine Minderheit verständlichen Kunst, welche von Staatsseite für die breite Masse in großzügigen Bildungsabsichten gezeigt wurde. Sowohl bei Calder wie auch bei Serra herrschte
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
eine deutliche Asymmetrie zwischen Kunstschaffenden beziehungsweise Kunstwerk und dem Publikum oder der allgemeinen Bevölkerung. Wie Kwon sprach zuvor auch Jacob erst den Public Art-Praktiken der 1990er Jahre ernste künstlerische Anstrengungen für einen demokratischeren Zugang zu Kunst zu, welcher im Zusammenhang mit der Art der praktizierten Ortsbezogenheit steht.46 Speziell in der New Genre Public Art wurde versucht aus den hierarchischen Strukturen auszubrechen. Projekte waren partizipatorisch angelegt, Inhalte und Publikumsgruppen konnten ineinander aufgehen. Jacob (1996, 58) beobachtete eine veränderte künstlerische Schwerpunktlegung, indem sich in den 1970er Jahren der Künstlerinnen- und Künstlerbegriff, in den 1980er Jahren die Präsentationsorte und in den 1990er Jahren die Publikumsrolle in Bezug auf zeitgenössische Kunst ausweitete.
2.4.4 Zusammenfassung Die heutigen Programme von Kunst im öffentlichen Raum wurzeln in den Kunst am Bau-Regelungen der 1920er Jahre. Nachdem Kunst am Bau in den 1930er und 1940er Jahren politisch instrumentalisiert wurde, fand eine wesentliche Neuorientierung erst in den 1970er Jahren statt. Vor allem Künstlerinnen und Künstler kritisierten, dass keine verbindlichen Richtlinien vorhanden waren, aufgrund der Dominanz der Architektinnen und Architekten der künstlerische Freiraum fehlte, sowie dass Kunst im öffentlichen Raum von den Verantwortlichen eher als soziale Geste für die Kunstschaffenden betrachtet wurde. Zudem fehlten die Voraussetzungen für eine progressive künstlerische Praxis. Erst aufgrund der Umorientierung konnten neuere Kunstpraxen, die unter anderem den Schwerpunkt auf das Soziale legten, eingeräumt werden. Die stärkere Verknüpfung von künstlerischer und gesellschaftlicher Praxis ermöglichte schließlich ein neues Verhältnis zwischen Kunst und Publikum. Gleichzeitig wurde in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit der demokratisierenden Kulturpolitik für die Kunst im Außenraum eine 46
Siehe Jacob (1995 und 1996).
2.5 Fazit
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besondere Relevanz erkannt. Im Laufe der Zeit wurde es üblicher, den Künstlerinnen und Künstlern die Auswahl von Ort und künstlerischer Praxis selbst zu überlassen, wodurch das Thema Ortsbezogenheit Gewicht erhielt. Die künstlerischen Praktiken verschoben sich im öffentlichen Raum in Richtung temporärer Interventionen, Prozesshaftigkeit, Kunst in Alltagskontexten, Soziales und dem Reagieren auf bereits vorhandene Gesellschaftsstrukturen. Diese Verschiebung ließ alternative Zugangsmöglichkeiten ohne kunstspezifisches Vorwissen zu und rückte die Rezipientinnen beziehungsweise Rezipienten stärker ins Zentrum.
2.5 Fazit Spätestens mit Beginn der 1970er Jahre – gefördert durch eine Kulturpolitik, die sich dem Leitspruch Kunst für alle verpflichtete – zeigen sich in verschiedenen Bereichen Demokratisierungstendenzen, die in einem geringer werdenden Abstand zwischen Kunst und Alltag sowie gleichzeitig zwischen Kunst und Publikum sichtbar werden. Die Bereiche betreffen den Wandel des Kunstbegriffs, das Selbst- und Fremdbild der Kunstschaffenden, einen sozialen Wandel und letztlich die Rolle von Rezipientin beziehungsweise Rezipient. Die Übergänge von Hoch- und Populärkunst werden fließender. Dies zeigt sich an der künstlerischen Praxis sowie aus Publikumssicht an der Verschwimmung von Elite- und Unterhaltungskultur. Außerdem wirken die Veränderungen in die Kultureinrichtungen hinein, so dass es, begleitet durch eine ansteigende Ökonomisierung auch dort zu einer stärkeren Vermischung von Kunstund Alltagshandlungen kommt. Hinzukommend erhöht sich die Präsenz der Kunstmuseen in der Öffentlichkeit seit den siebziger Jahren kontinuierlich. Da Kunstmuseen stärker externe Aufgaben übernehmen sowie sich am Event orientieren, vermischen sich Alltagspraktiken wie Kinoabend, Frühstücken oder sogar die Kinderbetreuung immer mehr mit dem Kunstbereich, so dass sich die ehemals scharf bestehenden Grenzen zwischen Alltagssituation und Kunstrezeption damit zunehmend auflösen. Neben den allgemein wirkenden Veränderungen durch den Wandel des Kunstbegriffs sind demokratisierende Tendenzen in der
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2 Ausgangspunkt 1970er Jahre: Demokratisierungstendenzen
Kunst im öffentlichen Raum erkennbar, deren Ausgangspunkt in den erneuerten Kunst am Bau-Regelungen der siebziger Jahre liegt. Das Arbeiten in kunstfremden Kontexten sowie die künstlerische Reaktion auf bestimmte soziale Strukturen im Stadtraum rückte stärker in den Mittelpunkt, was letztlich bis hin zu einer völligen Auflösung der Kunst in die Alltagspraxis führen kann. Insofern besitzt insbesondere Kunst im Stadtraum das Potenzial, neben der bewussten Rezeption als Kunst, einen alternativen Zugang zu ermöglichen. Insgesamt betrachtet lassen sich anhand der Entwicklungen in verschiedenen Bereichen Demokratisierungstendenzen ablesen, die letztlich zu einer Annäherung von Kunst und Publikum führen.
3 Kunstmuseum und Publikum
Im dritten Teil des Buchs wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern es in der Publikumsansprache der Kunstmuseen zu Verschiebungen kam, die einen Zugang zu Kunst möglicherweise erleichtern. Hierfür wird das Kunstmuseum zunächst als Institution beziehungsweise Organisation betrachtet und geprüft, inwiefern Selektionsmechanismen wirksam werden. Anschließend erfolgt eine Betrachtung des Kunstmuseums als Behavior Setting, also eines sozialpsychologischen Verhaltensraums, um mögliche Motive und Barrieren für einen Kunstmuseumsbesuch zu erklären. Mittels einer Reihe von empirischen Studien der vergangenen vierzig Jahre befasst sich dieser Teil des Buchs weiterhin mit dem Museumspublikum und insbesondere damit, inwiefern sich eine stärkere Eventorientierung der Einrichtungen abzeichnet und sich auf die Publikumsstruktur auswirkt. Zuletzt soll mit einem Exkurs zur Sonderausstellung Das MoMA in Berlin exemplarisch dargestellt werden, wie Erlebnismarketing und Eventisierung als eine Form der Publikumsansprache funktionieren kann.
3.1 Der institutionelle Charakter von Kunstmuseen Im Folgenden werden die Begriffe Institution und Organisation dem Kunstmuseum zugeordnet. Außerdem wird die Symbolhaftigkeit von Kunstmuseen unter dem Aspekt von Ausschließungsmechanismen erläutert.
P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8_3, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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3 Kunstmuseum und Publikum
3.1.1 Institution und Organisation Das Kunstmuseum als Kunstpräsentationsort unterscheidet sich vom öffentlichen Außenraum in mehreren Punkten. Das Museum ist eine feste Einrichtung mit prinzipiell klar umrissenen Aufgabenbereichen, sichtbar räumlich fixiert auf einen Einzelbau oder Gebäudekomplex. Vor allem große, überregional bekannte Häuser bieten durch integrierte Shops oder Restaurants mehrere Nutzungsmöglichkeiten und präsentieren sich als multifunktionale Freizeiteinrichtungen. Insbesondere bei Events wie Lange Museumsnacht oder populäre Sonderausstellungen, die sich an ein Massenpublikum wenden, stehen Erlebnis, Unterhaltung, Aktivität und interpersonelle Kommunikation im Vordergrund. Des Weiteren ist bei Individualbesucherinnen und -besuchern mit dem Aufsuchen im Vorfeld und dem Betreten der Einrichtung sowie gegebenenfalls Bezahlen der Eintrittsgebühren in der Regel von einem freiwilligen Kontakt mit Kunst auszugehen. Selten wird der institutionelle Rahmen, welcher an einen konkreten Innenraum geknüpft ist, verlassen. Prinzipiell ist jeder Besucherin und jedem Besucher bewusst, auch im Zusammenhang mit einer Langen Nacht, in deren Rahmen womöglich Filmvorführungen oder Kulinarisches im Mittelpunkt stehen, dass Museen im Allgemeinen für die Kunstrezeption aufgesucht werden und die Ausstellungsobjekte Kunststatus besitzen. Nutzungsunsicherheiten, die im öffentlichen Freiraum häufiger vorkommen können, entstehen deshalb weniger bezüglich des Orts Kunstmuseum an sich sowie dessen Funktionen und Gebrauch als im Zusammenhang mit dem traditionell elitären Image der Einrichtungen sowie im konkreten Umgang mit den Kunstobjekten. Oft wird im Zusammenhang mit dem Museum, im weiten Sinne einer öffentlichen Einrichtung mit bestimmten gesellschaftlich relevanten Aufgaben vage von Institution gesprochen. Nach einer komplexeren, aber nach Ansicht von Wiswede (1998, 248f.) gängigen Begriffsbestimmung werden Institutionen nicht als physische Einrichtungen betrachtet, sondern als Betätigungsmodelle, die sich um zentrale Werte oder Funktionen der Gesellschaft gruppieren, also Normkomplexe mit formeller Ausgestaltung. Dabei lassen sich bestimmte Organisationen einer jewei-
3.1 Der institutionelle Charakter von Kunstmuseen
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ligen Institution zuordnen, beispielsweise die Schulen dem Bildungssystem. Die beiden Begriffe Institution und Organisation müssen daher zunächst voneinander abgegrenzt werden, wie dies auch Esser (2000, 237) tat. Organisationen enthalten demzufolge zumeist einen institutionellen Kern in Form eines handlungsleitenden Gesetzes- und Regelwerks, worin diese sich jedoch nicht voll entfalten, sondern als ganze soziale Systeme darüber hinausgehen. Eine Organisation erstellt im Gegensatz zu einer Institution spezielle Ressourcen wie auch typische Leistungen und wird nach außen aufgrund ihrer weitgehend zentralen Steuerung als eine „Einheit“ wahrgenommen (ebenda, 239ff.). Kunstmuseen sind demnach Kultur-Organisationen, die öffentliche Dienstleistungen offerieren sowie einen institutionellen Kern besitzen, welcher letztlich für deren wesentliche Symbolpräsenz verantwortlich ist. So betrachtet ist es legitim, den Begriff Institution in einem weiteren Sinne und insbesondere zur Verdeutlichung der Symbolhaftigkeit von Kultureinrichtungen in der Öffentlichkeit auf das Kunstmuseum anzuwenden. Organisationen sind maßgeblich durch die Präsentation von deren Ordnungsprinzipien beziehungsweise Zielsetzungen gekennzeichnet. Hierin liegt begründet, weshalb alle Arten von Ordnungen in der Regel einen institutionellen Charakter besitzen, was Rehberg (1995, 181f.) zu folgender Beurteilung veranlasste: Was wir gewöhnlich als „Institutionen“ bezeichnen, sind Organisationen, die diese institutionelle Form in besonderer Weise gesteigert haben, in denen die Sichtbarkeit der Ordnung in den Mittelpunkt gerückt wurde, also Kirche und Staat, Familien und Verwandtschaftssysteme, Bildungseinrichtungen, zuweilen auch Großbetriebe. Institutionen sind dem Wesen nach also symbolisch besetzt, indem diese in einer Art Leitidee, um deren Gehalt ständig verschiedene Akteure kämpfen, der Öffentlichkeit präsentieren, was beispielsweise für das Kunstmuseum „die Kunst“ sein soll. Demnach sind Kunstmuseen nach Rehbergs Institutionen-Definition, als kulturelle Vermittlungsinstanzen zwischen Sozialstruktur und Sinnproduktion sowie kollektiven Ordnungen und den bedingenden Menschen ein Ort wirklicher „Wechselwirkungen“, wobei diese handlungsleitend und motivbildend wirken. Auch nach dem Verständnis von Bourdieu (2001, 379ff.) handeln Kunstinstitutionen im Ge-
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3 Kunstmuseum und Publikum
sellschaftsbereich Kunst, in dem alle an der Bedeutungsproduktion beteiligten Akteure, unter anderem Museumsleiterinnen und -leiter, Kuratorinnen und Kuratoren sowie Kritikerinnen und Kritiker in einem relationalen Verhältnis stehen und sich in einem ständigen Positionierungsprozess beziehungsweise Konkurrenzkampf befinden.
3.1.2 Ausschließungscharakter durch Repräsentation von Symbolen Institutionen sind von den jeweiligen Geltungsansprüchen des Publikums abhängig. Zumeist behaupten und symbolisieren Institutionen deren jeweiliges Ordnungsprinzip in spezifischen Teil-Öffentlichkeiten, so Rehberg (1995, 184). Ausschlaggebend dabei ist, dass Institutionen sich ihre eigenen Öffentlichkeiten schaffen können: Kirchen, der Literaturbetrieb, Theater, Museen, die Gerichte und politischen Instanzen, auch alle Sportarten wären ohne ein spezifisch herausgebildetes, sozusagen mit-institutionalisiertes Publikum nicht denkbar (…). In diesem Zusammenhang wirken Selektionsmechanismen. Kunstmuseen wohnen Ausschließungsmechanismen inne, die den Zugang regeln, wobei institutionentypische Selektionsprozesse nicht nur sichtbar, sondern zum entscheidenden Mechanismus der Repräsentation werden (Rehberg 1995, 187). Entsprechend erzeugen Museen als Kulträume des Kunstsystems, wie Bätschmann (1997, 227) erklärte, eine institutionelle Trennung für symbolische Güter, das heißt sie fungieren als Umwandlungsorte, indem Objekte in Kunstwerke transformiert werden und damit den Status des Kunstschaffenden erhöhen. Symbole wirken motivbildend und spielen für den Zugang zu Orten und die Integration eine maßgebliche Rolle. Göhler (1997, 23) beschrieb den Umgang von Menschen mit Symbolen über die Symbolbeziehung, womit er speziell die Orientierung an Leitsymbolen meinte, die jeweils bestimmte Einstellungen und Handlungsoptionen inkludieren. Bourdieu (2001, 253) wies darauf hin, dass in der Gesellschaft vor allem die Symbole tonangebend und wichtig sind, die sich von gewissen Akteuren in symbolischen Kämpfen durchsetzen konnten. Kennzeichnend für Symbole ist die Offenheit für mehrere Deutungen und infolgedessen, dass
3.1 Der institutionelle Charakter von Kunstmuseen
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Einstellungen, Erfahrungen und Emotionen des Interpretierenden in die individuellen Symboldeutungen komplett einfließen. Die grundsätzliche Möglichkeit sowie der Grad zur Ausdeutung von Symbolen hängt gemäß Bourdieu (1971, 35ff.) somit entscheidend vom Individuum ab, beispielsweise dem Bildungsweg, der elterlichen Erziehung oder Gruppenzugehörigkeit. Bildung und Erziehung prägen, wie bereits erwähnt, den Habitus des Menschen, der wiederum die kulturellen Gewohnheiten in der späteren Lebenspraxis entscheidend mitbestimmt. Kunst wirkt insofern selektiv und distinktiv, indem neben dem ökonomischen und sozialen, auch das kulturelle Kapital die Position eines Menschen in der Gesellschaft maßgeblich beeinflusst. Auch für Korosec-Serfaty (1996, 531f.), die eine umweltpsychologische Perspektive einnimmt, hängt die Wahrscheinlichkeit eines Kunstmuseumsbesuchs mit dem persönlichen Kulturkapital zusammen. Dies begründete sie mit der unterschiedlichen Aneignungsmöglichkeit von kulturellem Kapital. Dieses kommt als Vorwissen beziehungsweise Insiderwissen in Bezug auf das spezifische Normen- und Regelsystem bei der Nutzung des Kunstmuseums zum Tragen und bestimmt folglich den individuellen Wohlfühlfaktor des Aufenthalts. Entsprechend hängt der Grad der sozialen Öffnung einer Kunsteinrichtung von der jeweiligen Faktorenkonstellation ab, die den Ort definiert.
3.1.3 Zusammenfassung Die Etikettierung von Kunstmuseen durch den Begriff Institution lässt sich rechtfertigen, obgleich diese im eigentlichen Sinne den KulturOrganisationen zuzurechnen sind, die kulturelle Dienstleistungen offerieren. Organisationen besitzen jedoch einen institutionellen Kern, das heißt ein bestimmtes Regel- und Normensystem, welches im Wesentlichen für ihre Symbolkraft verantwortlich ist. Das Präsentieren dieses Systems mit Leitideen und damit verbundener Symbolhaftigkeit spielt bei Institutionen eine wesentliche Rolle. Entsprechend vermitteln Museen das Vermögen, Gegenständen eine andere Wertigkeit zu verleihen, das heißt, Objekte zu Kunst zu erheben. Die Leitideen von Institutionen
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3 Kunstmuseum und Publikum
sind allerdings veränderbar und müssen immer wieder neu durchgesetzt werden, was wiederum das gesamte institutionelle Normen- und Regelwerk beeinflussen kann. Grundsätzlich sind Symbole deutungswürdig und darüber hinaus motivbildend, das heißt individuelle Einstellungen, Erfahrungen, Emotionen sowie Vorwissen fließen direkt in die Interpretation mit ein. Demgemäß wirken unterschiedliche persönliche Voraussetzungen und Vorlieben zugangsregelnd, so dass Räume wie Kunstmuseen, zu deren Wesen die institutionstypischen Symbolkräfte gehören, immer Ausschließungscharakter besitzen. Kunstmuseen können als Kultureinrichtungen den Institutionen zugeordnet werden, indem sie als Teil des Systems die Symbolkraft des gesellschaftlichen Machtfelds Kunst nach außen tragen und entsprechend Selektionskräfte wirksam werden.
3.2 Das Kunstmuseum als Behavior Setting Im Folgenden werden Kunstmuseen als Behavior Settings, das heißt sozialpsychologische Verhaltenseinheiten betrachtet, womit das wechselseitige Verhältnis von Ort und Person im Zentrum steht. Aus dieser Perspektive werden Prozesse dargestellt, die letztlich zu einer Annäherung oder Meidung eines Orts führen können. Es wird gezeigt, inwiefern dabei institutionentypische Selektionsmechanismen wie die Präsentation von Ordnungsprinzipien sowie auch handlungsleitende Normen wirken. Darüber hinaus wird versucht, Annäherungs- oder Meidungsverhalten von Kennerinnen und Kennern des Settings sowie demgegenüber von Setting-Laien zu erklären. Schließlich interessiert der Zusammenhang von Image und Einstellungsänderung unter dem Aspekt des Wandels von Orten.
3.2.1 Verhaltensprogramme Personen halten sich täglich in verschiedenen physisch-sozialen Umwelten, zum Beispiel Wohnung, Büro, Café oder auch dem Kunstmuseum
3.2 Das Kunstmuseum als Behavior Setting
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auf. So wie Menschen von ihrer Umgebung im Handeln beeinflusst werden, wirken sie umgekehrt auf ihre Umwelt zurück. Die Behavior Setting-Theorie beruht in Kruses (1986, 135) Verständnis auf dem wesentlichen Gedanken, dass das Verhalten einer Person weniger von den individuellen Eigenschaften abhängt als von dem spezifischen Handlungsort. Zudem wird im Behavior Setting eine so genannte transaktionale Beziehung angenommen, so Fuhrer (1996,143), wonach Person und Umwelt zwei Komponenten einer wechselseitig-dynamischen Verbindung darstellen, die von ständigen Veränderungen geprägt ist. Barker beobachtete in aufwändiger Feldforschung erstmals in den 1950er Jahren, dass Kinder in spezifischen Umwelten beziehungsweise Milieus, unabhängig von individuellem Charakter, bestimmte Verhaltensregeln ausüben.47 Barker (1968, 18) zufolge existieren in Milieus typische Verhaltensweisen oder Programme, denen sich Menschen anpassen und diesen Effekt als Ganzes wiederum verstärken. Behavior Settings können als MenschUmwelt-Verhaltenseinheiten betrachtet werden, welche die eigenen Regeln unterstützen, um das Milieu aufrechtzuerhalten und etwaige Störungen abzuwehren. Durch diesen Selbsterhaltungsmechanismus mittels Anpassung soll ein bestmöglicher Zustand innerhalb des Milieus und damit für die Nutzerinnen und Nutzer erreicht werden. Indem die Optimierung dieser Personen-Umwelt-Beziehung weitgehend unabhängig von den individuellen Eigenschaften der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Setting geschieht, können mit der Behavior Setting-Theorie allgemeine Aussagen zur Verhaltensstruktur in bestimmten Einrichtungen wie Kunstmuseen getroffen werden. Barker (1968, 18f.) zufolge sind Behavior Settings raum-zeitlich eingrenzbare Handlungsgeschehen, die aus mindestens einem wiederkehrenden, für bestimmte Situationen geeigneten Verhaltensmuster (standing patterns of behavior) bestehen, die synomorph zum Milieu sind, 47
Roger Barker gründete 1947 zusammen mit Herbert Wright die Midwest Psychological Field Station in der kleinen amerikanischen Gemeinde Oskaloosa im Bundesstaat Kansas. Ein Jahr lang, 1951/52, beobachtete ein wissenschaftliches Team das öffentlich zugängliche Alltagsgeschehen der Bewohnerinnen und Bewohner, um daraus psychologische Konzepte abzuleiten. Die Feldarbeit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begann damit, das Alltagsverhalten einzelner Kinder durchgehend für einige Tage zu protokollieren (Barker 1968).
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das heißt, der Umgebung in typischer Weise angepasst, und wodurch Handlungsabläufe zwischen Mensch und physisch-materieller Umwelt optimiert werden. Fuhrer (1990, 32) betonte darüber hinaus den Aspekt des Handelns in der Öffentlichkeit und fasste Behavior Setting als ein öffentliches Geschehen auf, das während bestimmten Zeiträumen stattfindet und im Zusammenwirken von sozialen oder sozio-kulturellen Regeln folgenden Handlungen in einem physischen Milieu besteht. Weiter resümiert er: Behavior Settings sind demzufolge als sozial und raumzeitlich definierte Systeme, kurz: als soziale Veranstaltungen in einem physischen Milieu begreifbar. Entsprechend ist jegliches Verhalten im Kunstmuseum als soziales Handeln in der Öffentlichkeit zu betrachten – an einem speziellen Ort und zu einer bestimmten Zeit – das über ortsspezifische Regeln und soziale Normen funktioniert. Zur realen Einheit eines Behavior Settings gibt es unterschiedliche Ansätze. Fuhrer (1990, 33f.) erachtete Behavior Settings, mit Hinweis auf Barkers Vorstellungen vom ganzheitlichen Charakter als mittelgroße Einheiten. Dementsprechend hielt Fuhrer eine Situation wie Fische fangen für einen zu kleinen, jedoch komplette Organisationen, wie beispielsweise eine Schule, wiederum für einen zu großen Rahmen. Korosec-Serfaty (1996, 531) dagegen betrachtete Einrichtungen wie Kunstmuseen durchaus als Behavior Settings, da diese sich intern reorganisieren, um ihr „Programm“ erfüllen zu können. In diesem Sinne werden Kunstmuseen hier als Handlungsräume betrachtet, in denen ortstypische Verhaltensweisen vorzufinden sind, die der Aufrechterhaltung des Milieus dienen.
3.2.2 Nutzungswissen und Selektionskräfte Die Zugangsrechte im Behavior Setting sind unterschiedlich verteilt und hängen von den Ansprüchen der Teilnehmenden an den Ort, den durch Selbstselektion erzeugten Barrieren oder auch von den Zugangsbeschränkungen ab, die vom Behavior Setting direkt ausgehen. Gleichfalls beeinflussen persönliche Interessen und Ressourcen die Zugangsmöglichkeiten, so dass Vorwissen im Umgang mit einem bestimmten Ort ei-
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ne maßgebliche Rolle spielt. In einem Behavior Setting, so Fuhrer (1990, 50f.), können sich lediglich Personen zielerfüllend verhalten, die über bestimmte Arten von Wissen verfügen, beispielsweise dem Programmwissen oder auch dem Sozialwissen. Folglich ist die Teilnahme an einem bestimmten Behavior Setting im Allgemeinen nicht zufällig, wie Barker (1968, 19ff.) deutlich machte, sondern wird von Selektionsfaktoren gesteuert. Letztlich zeigt sich am Wohlbefinden der Teilnehmenden, ob die angestrebte Optimierung der Person-Umwelt-Beziehung funktioniert. Die Einhaltung eines, auf kollektiven Handlungsverläufen basierenden Settingprogramms wird unterstützt vom Gedanken, dass soziales Handeln grundsätzlich von gesellschaftlichen Normen begleitet wird. Damit sind die individuellen Verhaltensspielräume im Behavior Setting eingeschränkt. Während ein Settingprogramm für eine bestimmte Einrichtung gilt, bestehen Gesellschaftsnormen übergreifend. Auf die Synomorphie von Mensch und Umwelt wirkt gemäß Barker (1968,30f.) eine Reihe von sozialen Kräften, die den Nutzerinnen und Nutzern eines spezifischen Behavior Settings über den Rollen- und Konformitätsdruck ein gewünschtes Verhalten nahe legen.48 Nach Bierhoff und Herner (2002, 155) fungieren soziale Normen als anerkannte Richtlinie für adäquates Verhalten innerhalb bestimmter Gesellschaften und werden durch Hinweisreize aktiviert. Soziale Normen sind Fuhrer (1990, 35) entsprechend im positiven Sinne als gesellschaftliche Zwänge zu werten, indem diese ebenso eine psychologische Entlastung der Teilnehmenden bewirken. Normen befreien das Individuum davon, sich immer von neuem mit Grundsatzfragen auseinandersetzen zu müssen und regulieren zielgerichtet die Handlungen im Behavior Setting. Angemessene Handlungsweisen für eine Umwelt müssen vielfach erst gelernt werden (Barker 1968, 31; Kruse 1986, 140; Fuhrer 1990, 63ff.). Auf das weitreichende Thema Kognition wird hier jedoch nicht weiter eingegangen. 48
Auf die Synomorphie in einem Behavior Setting wirken neben den sozialen Kräften (social forces), die Selbstselektion (selection by persons) sowie vom Setting ausgehende Selektionen (selection by Behavior Setting), ebenso physische Kräfte (physical forces), physiologische Prozesse (physiological processes) und Lernen (learning). Einfluss nimmt zudem die Wahrnehmung der Milieu-Physiognomie (physiognomic perception) und die Selektion über settingspezifische Verhaltensmuster (influence of behavior on the milieu) (Barker 1968, 29ff.).
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3 Kunstmuseum und Publikum
Zwischen dem geeigneten Verhalten in einem Behavior Setting und dem Verhaltensrepertoire der Nutzerin oder des Nutzers besteht eine Abhängigkeit, das heißt, wer in einem Behavior Setting partizipieren möchte, muss sich ein bestimmtes Programmwissen aneignen. Es gilt also, die Nutzungsregeln des Settings zu kennen oder erkennen sowie zu beherrschen, um in einer Situation seiner Rolle gerecht werden zu können.49 Entsprechend existieren in Kunstmuseen Settingprogramme, deren Sicherung für einen Großteil des Publikums von Interesse ist und unter anderem von gesellschaftlichen Normen gesteuert werden. Publikumsverhalten richtet sich nach Regeln, die entweder in der Hausordnung festgelegt sind oder als ungeschriebene soziale Normen bestehen. Soziale Normen verbieten im Allgemeinen, dass Besucherinnen und Besucher in Kunstausstellungen telefonieren oder essen. Sollte eine Person die herrschenden Regeln missachten wollen, meinte Korosec-Serfaty (1996, 531), dann im Normalfall, wenn diese sich von der Aufsichtsperson dabei nicht beobachtet fühlt. Normen funktionieren, wie Wiswede (1998, 246f.) deutlich machte, vielfach über gesellschaftliche Erwartungen, das heißt persönliche Überlegungen darüber, was andere in bestimmten Situationen von einem erwarten. Darüber hinaus steht im Raum, inwiefern und vor allem von wem, positive oder negative Sanktionen auf die Einhaltung der Regeln erfolgen. Menschen richten sich infolgedessen nach Normen, so schlussfolgerte Wiswede, wenn sie diese verinnerlicht haben und Sanktionen erwarten. Dieser Aspekt ist beachtlich in Bezug auf denkbare Unsicherheitsgefühle in Museen und wird an anderen Stellen des Buchs aus unterschiedlichen Perspektiven wieder aufgenommen. Neben sozialen Normen beeinflussen gemäß Barker (1968, 31) weitere Selektionskräfte den Ablauf im Behavior Setting. Selection by persons bedeutet, dass Personen selbst aufgrund ihres Verhaltensrepertoires entscheiden, in welche Settings sie sich hinein begeben wollen. Menschen suchen in der Regel bewusst Orte auf, die den individuellen Zielen dienlich sind, indem sie sich mit den dort möglichen Aktivitäten identifizieren und bestimmte Orte infolgedessen bewusst alternativen Orten vor49
Eine Reihe von Autoren, zum Beispiel Kruse (1986, 142), nennen das spezifische Programm-Wissen Script.
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ziehen (place dependency). Entsprechend werden Orte gemieden, die den persönlichen Ansprüchen nicht genügen, so Stokols und Shumaker (1981). Gründe für die Meidung eines Behavior Settings gab Kruse (1986, 140) beispielsweise in einer fehlenden Beherrschung oder auch einem mangelnden Willen zu milieuadäquatem Verhalten an. Hamm (1986, 197) stellte klar, dass sich Personen üblicherweise an Orten wohl fühlen, die angenehme, positiv bewertete Verhaltensweisen zulassen und mit deren Richtlinien eine Identifikation erfolgt. Nach dem Verständnis von Hamm (1986, 197) kann sich eine Selbstselektion auch in Form von Schwellenangst ausdrücken.50 Entsprechend werden Kunstmuseen überwiegend von Personen aufgesucht, die dort übliche Verhaltensweisen im Allgemeinen akzeptieren und damit zurechtkommen. Neben den Selbstselektionen können auch Selektionen seitens des Milieus ausgelöst werden. Selection by Behavior Settings bedeutet nach Barker (1968, 31), dass Orte über Zugangsbeschränkungen verfügen und wer diese nicht erfüllt, wird von vorneherein ausgeschlossen. Dabei kann es sich auch um normativ festgeschriebene Regeln wie die Höhe der Eintrittsgebühren für Kulturevents handeln. Mehrabian (1987, 13) wies außerdem darauf hin, dass gewisse Nutzerinnen und Nutzer eines Behavior Settings in der Lage sind, die von anderen Personen geplante Teilnahme zu erschweren oder auch umgekehrt zu begünstigen oder bereits Partizipierende gar zum Verlassen des Behavior Settings zu bewegen. Wie bei allen öffentlichen Orten wird die soziale Zugänglichkeit von Kunstmuseen durch das individuelle Vorwissen über die Nutzung eingeschränkt. Im Kunstmuseum herrschen Regeln vor, die für einen Teil der Bevölkerung einen ausschließenden Charakter besitzen. Für jedes Behavior Setting gibt es, wie oben ausgeführt, ein Programm, ein passendes Handlungsschema, das vom Teilnehmenden im Setting bestmöglich abgerufen wird. Dabei unterscheiden sich die Möglichkeiten der Expertin oder des Experten als einer mit der spezifischen Umwelt vertrauten Person von denen eines Setting-Laien. Expertinnen und Experten verfü50
Hamm (1986, 197) rechnete die Selbstselektion (zum Beispiel Schwellenangst) neben den formellen Verboten sowie der Diskriminierung (beispielsweise hohe Preise) zur Gruppe der faktischen Zugangsbeschränkungen.
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gen über ein qualitativ besser organisiertes, weil prozeduralisiertes Wissen und vermögen im Vergleich zu Laien, geeignete Vorkenntnisse schneller und leichter abzurufen, wie Fuhrer (1990, 55f.) in seiner Untersuchung zu der Bibliotheksnutzung von Neulingen herausfand. Laien treffen in unvertrauten Behavior Settings häufiger auf unvorhersehbare Situationen, die ein höheres Risiko des Scheiterns bergen. Übertragen auf das Kunstmuseum kann behauptet werden, dass das Phänomen Schwellenangst zumeist auf psycho-sozialen Barrieren beruht, in der Hauptsache auf der Angst des Laien vor der Auseinandersetzung mit unbekannten Sachlagen und daraus resultierendem möglichem Fehlverhalten. Nach Fuhrers (1990, 62f.) Erklärung mittels des Defizitmodell individuellen Vorwissens hängt die Qualität des eigenen Handelns in einer Umwelt von der möglichst geringen Diskrepanz zwischen persönlichem und kollektivem, das heißt im Setting anerkannten Handlungsschema ab. Insbesondere mit dem Behavior Setting unvertraute Einzelnutzerinnen und -nutzer, so beobachtete Fuhrer (1990, 161f.), vermieden gegenüber Expertinnen und Experten negativ aufzufallen, wobei allein das Bewusstsein um deren Präsenz zu einem erheblichen Unsicherheitsgefühl führen konnte. Auch Treinen (1988, 28f.) beschrieb die Grundsituation im Museum51 als ein asymmetrisches Verhältnis von einerseits intern beschäftigtem Fachpersonal sowie externem Fachpublikum gegenüber andererseits Normalbesucherinnen und –besuchern. Die ungleiche Ausgangsposition führt, so Treinen, zu bestimmten Verhaltensmustern wie der Privathaltung eigenen Wissens, seltenen Nachfragen oder kaum fachlichinhaltlicher Kritik. Wie Treinen erläuterte, resultieren diese Publikumsreaktionen zum einen aus der Angst, sich vor den hochgeschätzten Fachleuten zu blamieren und zum anderen strukturieren symbolisch besetzte Räume wie Museen als Häuser von Kulturexperten die Verhaltensmöglichkeiten. Das Phänomen Schwellenangst erklärte Treinen unter anderem vor dem Hintergrund, dass sich Individuen relational zu anderen betrachten und ständig besorgt sind, durch unpassendes Verhalten dem eigenen Ansehen zu schaden. 51
Treinen (1988) untersuchte Technikmuseen; jedoch gelten seine Beobachtungen tendenziell auch für Kunstmuseen.
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Jede Person die ein Kunstmuseum besucht, steht den Inhalten mit einer gewissen Nähe beziehungsweise Distanz gegenüber, was zu einem großen Teil im individuellen Vorwissen begründet ist. Dies liegt auch am Zusammenhang von adäquatem Nutzungsverhalten und dem Erwerb von kulturellem Kapital, bei welchem die individuelle Biographie eine Rolle spielt. Des Weiteren spielen Mechanismen im System eine Rolle, die beim Setting-Laien möglicherweise Distanz vermitteln. Indem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Settings die Mechanismen unterstützen und die darin geltenden Regeln befolgen, kann das System sich scheinbar fortwährend aufrechterhalten. Aufgrund dieses, auch im Kunstfeld funktionierenden Ablaufs, vermag der heilige Status von Kunst immer wieder neu erhalten zu werden (Bourdieu 2001, 27ff.). Die Heilige Hallen-Atmosphäre in den Museen mit der Unberührbarkeit der Gegenstände und feierlichen Stille vermittelt das Gegensätzliche zum Profanen und grenzt Personen aus, die mit dieser Art von Welt nicht vertraut sind, wie Bourdieu (2003, 198ff.) meinte. Besucherinnen und Besucher hingegen, die über spezielles Programmwissen beziehungsweise bezogen auf den Kunstbereich über kulturelles Kapital verfügen, können Symbole richtig deuten. Infolgedessen werden die Regeln im Setting mit größerer Selbstverständlichkeit befolgt und die Besucherinnen und Besucher können sich im Kunstmuseum unbeschwerter aufhalten. Folglich suchen in der Regel die Personen Kunstmuseen auf, die mit dem Ort vertraut sind, sich mit dem dort verkehrenden Publikum identifizieren und sich darüber hinaus von den anderen Setting-Teilnehmenden in ihrem Verhalten bestätigt fühlen. Nicht zuletzt stehen Besuch und Nichtbesuch von kulturellen Einrichtungen im Zusammenhang mit der Vereinbarkeit des individuellen Lebensstils als unverwechselbare Struktur und Form eines subjektiv sinnvollen erprobten (d.h. zwangsläufig angeeigneten, habitualisierten oder bewährten) Kontextes der Lebensorganisation (mit den Komponenten: Ziele bzw. Motivationen, Symbole, Partner, Verhaltensmuster) eines privaten Haushaltes (Alleinstehende/r, Wohngruppe, Familie), den dieser mit einem Kollektiv teilt und dessen Mitglieder deswegen einander als sozial ähnlich wahrnehmen und bewerten (Lüdtke 1989, 40). Indem Individuen ein Behavior Setting nach persönli-
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chen Bedürfnissen und Zielen auswählen, formieren sich mit hoher Wahrscheinlichkeit sozial ähnliche Gruppen, das heißt Personen mit ähnlichen Ansprüchen, wie dies in einer Lebensstilgruppe der Fall ist. Mit der weiteren Differenzierung der Lebensstile wächst laut Friedrichs (1995, 19) die Zahl der Gelegenheiten, unter anderem der öffentlichen und privaten Gebäude. Auf diese Weise haben soziale Gruppen die Chance, ihren persönlichen Stil einzubringen und dabei die Einrichtungen der Stadt optimal für sich zu nutzen. Lebensstilgruppen wählen aus dem breiter werdenden Spektrum der Gelegenheiten unter Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse, Einstellungen sowie Verhalten aus und nutzen so die Möglichkeiten unterschiedlich (ebenda, 21). Noller und Ronneberger (1995, 44) vertraten die Meinung, dass sich insbesondere die höheren Dienstleistungsklassen52 in den Großstädten bewusst über den Konsum von Kultur differenzieren. Behavior Settings sind aufgrund ihrer dynamischen Person-UmweltKonstellation jedoch keine starren Verhaltensräume, sondern prozessual wandelbar. Entsprechend sind Kunstmuseen nicht zwingend dauerhaft auf bestimmte Verhaltensmuster und Publikumsgruppen festgelegt. Nutzerinnen und Nutzer von Behavior Settings passen sich im Laufe der Zeit an die Gewohnheiten im Milieu an, jedoch formen sie es durch deren Nutzung desgleichen auch um und verändern so die Voraussetzungen für nachfolgende Teilnehmer und Teilnehmerinnen (Argyle et al. 1981, 292; Hamm 1986, 197; Korosec-Serfaty 1996, 534). In jedem Behavior Setting kommen gemäß Barker (1968, 49ff.) bestimmten Personen besondere Positionen zu, weswegen ein spezielles Fachwissen von diesen erwartet wird. Dafür sind diese Positionen mit Macht ausgestattet, die es den Inhaberinnen und Inhabern einfacher als anderen ermöglicht, das Behavior Setting aufrechtzuerhalten oder aber Veränderungen zu forcieren.53 Veränderungen im Behavior Setting bedeuten auch immer neue 52 53
Noller und Ronneberger bezeichneten diese Personenkreise als neue Dienstleistungsklassen, andere Autorinnen und Autoren sprechen zum Beispiel auch von der neuen Mittelklasse. Für Kunstmuseen könnte damit zum Beispiel Museumsleiterinnen und -leiter, Kuratorinnen und Kuratoren oder auch Führungs- beziehungsweise Vermittlungspersonal gemeint sein; die Stellung ist jedoch nicht unbedingt beruflich begründet.
3.2 Das Kunstmuseum als Behavior Setting
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Zugangsvoraussetzungen und infolgedessen neue, möglicherweise andere Publika.
3.2.3 Einfluss von Einstellungen auf Annäherung oder Meidung von Settings Alle menschlichen Reaktionen auf eine Umwelt, so breit gefächert die Palette unterschiedlicher Verhaltensmöglichkeiten auch sein kann, münden nach Ansicht von Mehrabian (1987, 11f.) letztlich in Annäherung oder Meidung. Die beiden Kategorien gehen, wie Mehrabian spezifizierte, dabei über eine rein physische Bedeutung hinaus. Eine meidungsgeprägte Umwelt ist unter anderem durch Rückzug, abweisendes Verhalten, beeinträchtigte Leistung der Teilnehmenden sowie Missfallensäußerungen gekennzeichnet und entsprechend negativ besetzt. Annäherungsverhalten äußert sich dagegen im Erforschen der Umgebung durch die Nutzerinnen und Nutzer, im freundlichen Umgang miteinander, in besserer Leistung und positiven Gefallensäußerungen. Menschen halten sich manchmal in Umwelten auf, die ihnen missfallen - eventuell als Begleitung in einem Kunstmuseum oder aufgrund eines schulischen Pflichtbesuchs - und üben dort infolgedessen typisches Meidungsverhalten aus. Grundsätzlich kann eine bestimmte Umwelt auf verschiedene Personen sehr unterschiedlich wirken. Wer im Kunstmuseum mit einem typischen Meidungsverhalten wie Schüchternheit agiert, präsentiert sich in einer als angenehm empfundenen, entspannten Umgebung möglicherweise stark extrovertiert. Nach Mehrabian (1987, 10) liegt das ungleiche Verhalten von ein und derselben Person in verschiedenen Umwelten begründet in ihren Einstellungen zu verschiedenen Orten und früheren Erfahrungen damit, in der Vertrautheit und dem Anspruchsniveau beim Aufenthalt an verschiedenen Orten, und in der Art und Weise, wie verschiedene Menschen die Informationen verarbeiten, die sie aus ihrer Umwelt aufnehmen. Darüber hinaus, so Bohner (2002, 269), prägen Einstellungen die Wertvorstellungen und führen damit zu einer Identifikation mit einer oder mehreren Gruppen. Image und Einstellungen sind eng miteinander verbunden. Allgemein bezieht sich Image auf das innere Bild, das sich eine Person von ei-
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nem Bezugsobjekt macht und kann durch eigene sowie übermittelte Informationen und Wahrnehmungen zustande kommen. Herkner (1986, 245ff.) wies darauf hin, dass das Image als Stimmungs- und Meinungsbild dynamisch ist. Das heißt, Einstellungen gegenüber dem Bezugsobjekt können sich schnell ändern, was wiederum nachfolgende Handlungen beeinflusst. Folglich kann es vom Image eines Ausstellungsorts entscheidend abhängen, ob und wer Kunst rezipiert. Insbesondere das Kunstmuseum als symbolbesetzte öffentliche Einrichtung, das zudem den Innenraum nicht sofort offenbart, wird von der allgemeinen Öffentlichkeit zunächst über dessen Image beurteilt. Wie eine Reihe von Studien zeigt, lässt sich von der Einstellung einer Person gegenüber einem Objekt nicht unbedingt auf ein bestimmtes Verhalten schließen (zum Beispiel Bohner 2002, 308ff.). Wenn eine Person beispielsweise Kunstmuseen bejahend gegenübersteht, folgt daraus nicht zwangsläufig ein Besuch. Einstellungen können jedoch zusammen mit anderen Faktoren, vor allem der Einbeziehung privater und sozialer Normen, Verhalten beeinflussen und damit vorhersagbarer machen (Herkner 1986, 245ff.; Bohner 2002, 308ff.). Insbesondere die Einbeziehung privater und sozialer Normen verbessern die Vorhersagbarkeit des Verhaltens, so Herkner (1986, 250). Einstellungen sind, wie Herkner (1986, 209) erläuterte, zunächst subjektive Bewertungen eines Objekts wie zum Beispiel Reize, Verhaltensweisen oder Begriffssysteme. Wie Gesellschaftsnormen strukturieren Einstellungen gegenüber Objekten die soziale Umwelt, indem diese im Gedächtnis präsent sind und bei Bedarf als Bewertungsreaktion direkt abgerufen werden (Bierhoff 2002, 40; Bohner 2002, 268). Allerdings können Bewertungen je nach Kontext kurzzeitig schwanken (Herkner 1986, 219). Personen können Einstellungsgegenständen zudem ambivalent (Bohner 2002, 272) beziehungsweise inhomogen (Herkner 1986, 220) gegenüberstehen, indem manche Aspekte eine positive, andere wiederum eine negative Bewertung erhalten. Einstellungen gegenüber einem Objekt können sich aber auch längerfristig ändern (Bohner 2002, 274). Unter anderem erfolgen Einstellungsänderungen, wenn die Person lernt, das Einstellungsobjekt mit positiven beziehungsweise negativen Assoziatio-
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nen in Verbindung zu bringen (ebenda, 278). So kann zum Beispiel ein neutraler Reiz laut Herkner (1986, 221) durch das Zusammenwirken mit einem positiven Reiz im Sinne der klassischen Konditionierung auf Dauer positiv besetzt werden. Eine bedeutende Rolle bei Einstellungsänderungen spielt gemäß Herkner (ebenda, 222ff.) auch das operante Konditionieren als eine Art verbales Konditionieren. Indem verstärkt positive oder negative Meinungen über den Einstellungsgegenstand kommuniziert werden, führt dies vermehrt zu positiven beziehungsweise negativen Äußerungen gegenüber diesem. Zudem greift jedes gelernte Verhalten auf Generalisierungen zurück, das heißt, erlernte Einstellungen gegenüber einem Objekt werden auf ähnliche Objekte übertragen. So lässt sich unter anderem erklären, dass Kunstmuseen, die heute noch eine Reihe von Sammlungen in herrschaftlich und sakral anmutenden Gebäuden aus dem Gründungsjahrhundert beherbergen, immer noch des Öfteren mit Palästen oder Kirchen assoziiert werden. Bedingt durch den sozialen Wandel einerseits sowie gezielte Neuerungen der Kunstmuseen andrerseits kann in der allgemeinen Bevölkerung von einer Einstellungsänderung gegenüber den Einrichtungen ausgegangen werden. Kunstmuseen haben ihr Selbstverständnis seit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert mehrmals überdacht, insbesondere in Bezug auf das Publikum. Das Erscheinungsbild hat sich gewandelt und deren gesellschaftliche Funktionen zunehmend erweitert. Anfang der 1970er Jahre versuchten die Kunsteinrichtungen durch neue Zielsetzungen bewusst das traditionell verkrustete und elitäre Image zu korrigieren. Das Image einer Einrichtung wird in besonderem Maße von den angenehmen Erfahrungen der Besucherinnen und Besucher beeinflusst, die ihre Erlebnisse weitertragen, sowohl in den Präsentationsräumen der Ausstellung wie auch in den sekundärfunktional genutzten Örtlichkeiten wie im Museumscafé. Aus diesem Grund ist ein marketingorientiertes Haus bestrebt, unter anderem mittels Service und Gestaltung der Räumlichkeiten, solche positiven Erlebnisse zu fördern. Heute nimmt das Kunstmuseum als eine multipel nutzbare Bildungs- und Unterhaltungsinstitution mit hohem Freizeitwert verstärkt kunstexterne Gesellschaftsaufgaben wahr, was unter anderem an einer zunehmenden Ver-
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mischung von Kunst- und Alltagsbereich im Museum ablesbar ist. Über die Vermittlungsfunktion hinaus bietet das Museum, wie bereits angeführt, erweiterte Nutzungsmöglichkeiten wie Shoppen oder Essen gehen. Die Räume der Einrichtungen dienen mitunter nur noch als reine Kulisse, wenn zum Beispiel Stehempfänge oder Vortragsveranstaltungen für geschlossene Gesellschaften stattfinden. Diese Verschiebungen können im positiven Sinne zu Einstellungsänderungen führen, da sich Einzelpersonen als Teil einer Gruppe zumeist auch an ungewohnten Orten vertrauter fühlen. Ein Aufenthalt im Kunstmuseum mit zunächst vertrauten Personen und im Alltagskontext kann damit möglicherweise zu Annäherungsverhalten in der Folgezeit führen. Einstellungsänderungen können sich auch aus dem Anliegen der Kunstmuseen ergeben, dass diese der Präsentation von Gesamterlebnissen beziehungsweise dem Trend zum Event mehr Bedeutung zukommen lassen. Große Sonderausstellungen wie Das MoMA in Berlin sowie Lange Museumsnächte nehmen in der Bevölkerung einen steigenden Stellenwert ein, führen zu anschwellenden Besuchszahlen und richten sich an ein erweitertes Kunstpublikum. Die Verschiebungen in Hinsicht auf Events und große Sonderveranstaltungen werden anhand eines Exkurses zur Sonderausstellung Das MoMA in Berlin noch eingehender illustriert sowie durch empirische Untersuchungen speziell zu den Langen Museumsnächten weiter begründet. Die mit der Kulturpolitik eng verquickte Kommunalpolitik unterstützt in der Regel das Bestreben der Museen, medienwirksame Sonderveranstaltungen zu inszenieren, da sie nicht nur der Imageverbesserung des Hauses, sondern gleichzeitig der Stadt dienen.
3.2.4 Zusammenfassung Entsprechend der Behavior Setting-Theorie bilden eine spezifische Umwelt wie das Kunstmuseum zusammen mit deren Nutzerinnen und Nutzern eine Verhaltenseinheit. Dabei wird angenommen, dass menschliches Verhalten wesentlich vom jeweiligen Handlungsort abhängt und
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Individuen auf ein und dasselbe Setting unterschiedlich reagieren. Haben sich Personen für eine Teilnahme an einem bestimmten Setting entschieden, werden diese grundsätzlich versuchen, sich milieu-adäquat zu verhalten. Erst eine Anpassung an die geltenden Normen führt zum Hauptziel einer Optimierung der Personen-Umwelt-Beziehung. Die Teilnahme an einem Behavior Setting wird über verschiedene Selektionsfaktoren gesteuert, darüber hinaus wirken ortsübergreifende soziale Normen. Die Einhaltung sozialer Normen funktioniert vor allem über gesellschaftliche Erwartungen, das heißt, darüber von wem Sanktionen in Folge eines bestimmten Verhaltens verhängt werden. Generell nähern sich Personen bewusst den Orten, die sich mit ihren Zielen und Bedürfnissen vereinbaren lassen. Je weniger dies auf ein Setting zutrifft, desto schwieriger finden sich Personen zurecht. Darin liegen die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen von Laien und Kennerinnen beziehungsweise Kennern eines bestimmten Settings begründet. Das Phänomen der Schwellenangst in Kunstmuseen wird daher überwiegend mit Personen in Verbindung gebracht, die mit der Umgebung nicht vertraut sind und die den Ort infolge von Angst vor dem Unbekannten sowie einer Besorgnis, sich vor den anderen zu blamieren, meiden. Allgemein sind Behavior Settings durch Dynamik und Wandel gekennzeichnet, so dass sich die Zugangsbedingungen für nachfolgende Teilnehmerinnen und Teilnehmer ändern können. Tendenziell ist das Verhältnis von Person und Ort durch die beiden Extremverhalten Annäherung und Meidung geprägt. Annäherungs- oder Meidungsverhalten wird durch selektive settingspezifische Verhaltensprogramme, soziale Normen sowie die vom Image geprägte persönliche Einstellung gegenüber dem Ort beeinflusst. Schließlich kann festgehalten werden, dass Personen in der Regel keine Einrichtungen aufsuchen, die ihnen Unwohlbefinden vermitteln, wobei ein Imagewandel der Einrichtung zu einer Einstellungsänderung und infolgedessen zu einem Wechsel von Meidungsverhalten zu Annäherungsverhalten führen kann.
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3.3 Museumspublikum Nachdem das Kapitel mit zwei grundlegenden Theorien zur Erklärung von Museumsbesuchen eingeleitet wird, liegt die weitere Konzentration auf einer Reihe von empirischen Publikumsstudien aus den 1970er Jahren bis heute. Zunächst interessieren die Auswirkungen von Image und Atmosphäre auf das Annäherungs- oder Meidungsverhalten bestimmter Personengruppen gegenüber Kunstmuseen im Allgemeinen. Des Weiteren werden soziodemographische Aspekte der Untersuchungsergebnisse und Einstellungskategorien berücksichtigt, die ein Bild von Personenkreisen repräsentieren, die sich Kunstmuseen mehr oder weniger annähern. Alter, Bildung, Erwerbsstellung und Berufsgruppenzugehörigkeit stellen Indikatoren des sozioökonomischen Status einer Person dar. Neben der Bildung dienen die Besuchshäufigkeit und die Selbsteinschätzung als Hinweise für den Grad des Kunstinteresses beziehungsweise des kunstspezifischen Vorwissens. Das Geselligkeitsmotiv für einen Besuch im Kunstmuseum lässt sich unter anderem an der Anzahl der Begleitungen ablesen, aber auch an der Bedeutung des Unterhaltungsaspekts sowie der Beliebtheit von medienwirksamen Events wie Museumsnächte oder große Sonderausstellungen. Abschließend wird das Format Lange Nacht der Museen sowie der Blockbuster Das MoMA in Berlin ausführlich vor dem Hintergrund des wachsenden gesellschaftlichen Stellenwerts von Kulturevents betrachtet sowie der Möglichkeit, dadurch neue Besuchsgruppen für Kunstmuseen zu erschließen.
3.3.1 Theoretische Ansätze zur Erklärung von Museumsbesuchen Museumsbesuche können tendenziell kulturalistisch oder strukturalistisch erklärt werden, je nachdem ob diese als aktiv gewählt beziehungsweise passiv veranlasst verstanden werden. Während im Nordamerikanischen die kulturalistische Theorie dominiert, ist in Europa mehrheitlich die strukturalistische Sichtweise vertreten. Vom kulturalistischen Standpunkt betrachtet, entscheidet sich die Besucherin oder der Besu-
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cher aktiv und frei für den Museumsbesuch, wobei das Interesse möglicherweise auf bestimmte Lebensphasen begrenzt ist. Der voluntaristische Charakter kann beispielsweise im Sinne Petersons (1983) soweit gehen, dass allein durch die Wahl spezifischer Vorlieben, eine bestimmte Position im Leben erreicht werden kann. Strukturalistisch wird stattdessen von einer passiven Konsequenz aus der gesellschaftlichen Position ausgegangen. Beide Ansätze versuchen Erklärungen für persönliche kulturelle Präferenzen zu finden und Formen der Lebensführung zu kategorisieren. Gemäß Bourdieu (1994) stellt sich Chancengleichheit im Kulturbereich relativ aussichtslos dar, indem persönlicher Verhaltensstil nach seinem Verständnis nicht individuell geprägt wird, sondern gesellschaftlich aufgrund der ungleichen Verteilung der Kapitalarten zwischen den sozialen Klassen. Er ging zunächst von einem Fortbestehen von Klassen aus, vertrat jedoch einen weiter gefassten Begriff, der neben den finanziellen Ressourcen, insbesondere den kulturellen Konsum einschloss. Das heißt, Klassen definieren sich nach Auffassung von Bourdieu (1971, 29ff.) über den Zugang zu Kultur, beispielsweise dem Interesse an Kunstmuseen. Der Besuch bestimmter kultureller Einrichtungen wie Kunstmuseen hängt demnach entscheidend vom Kulturkapital ab, unter anderem von Bildung und Wissen. Darüber hinaus spiegelt sich Klassenzugehörigkeit im Habitus wider, einem der Person innewohnenden Verhaltenskodex im Sinne von unbewussten Denk-, Wahrnehmungsund Handlungsmustern, der in besonderem Maße von der Primärerziehung im Elternhaus beziehungsweise der Vererbung von kulturellem Kapital innerhalb der Familie geprägt wird. Kritiker wie Beck (1983) beispielsweise, vermissen in Bourdieus Theorie insbesondere die adäquate Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels mit seinen Individualisierungs- und Entstrukturalisierungstendenzen. Wie Treinen (1996, 112) meinte, steht Kulturverhalten in direktem Zusammenhang mit Bildung und Alter, wobei er das im Elternhaus und in der Schule erworbene Verständnis für Kunstangebote und darauf basierend die Einteilung in Sozialmilieus beziehungsweise Geschmackssegmente für sinniger hielt als in Schichten und Klassen. Insgesamt betrachtet gibt der strukturalistische Ansatz Hinweise auf grund-
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legende Einflussfaktoren des Kulturkonsums. Durch den kulturalistischen Ansatz wird die Sichtweise jedoch wesentlich erweitert und dem Bedeutungszuwachs von Events und Medienereignissen kommt eine größere Rolle zu. Dieser Aspekt wird für die Einstellungen gegenüber Kunsteinrichtungen wie Museen und daraus folgend für die Motivation zur Kulturrezeption hier besonders herausgestellt.
3.3.2 Empirische Befunde: soziodemographische Daten, Motive und Barrieren In den 1970er Jahren fehlten für den deutschsprachigen Raum noch profunde Forschungen über die Besucherinnen und Besucher von Kunstmuseen.54 Nach den Einschätzungen von Klein (1984, 6) war die Kenntnis über das Museumspublikum auch in den 1980er Jahren noch gering. In der Zwischenzeit ist das Interesse stark gestiegen, so dass viele größere Kunstmuseen eigene Befragungsergebnisse als Grundlage für die Arbeit der Pädagogik- und Marketingabteilungen nutzen. Um größere Entwicklungstendenzen aufzuzeigen, stehen im Zentrum der folgenden Betrachtungen überregional bedeutende Kunstmuseen in Großstädten, wobei dieser Typus nach Sammlungsart und Stil des Hauses durchaus stark variieren kann. Im Mittelpunkt stehen außerdem Individualbesucherinnen beziehungsweise -besucher, wozu nach Hoffrichter (1990, 41) Einzelpersonen, Personen in Begleitung oder in nicht-organisierten Kleingruppen zählen.
Barrieren: Image und Atmosphäre Verschieden geartete Faktoren können sich als Zugangsbarrieren erweisen und zur Meidung eines Orts führen. Image und Atmosphäre wirken sich auf das Annäherungs- oder Meidungsverhalten bestimmter Personengruppen gegenüber Kunstmuseen im Allgemeinen aus. Kirchberg 54
Eine Telefonumfrage ergab, dass Ende der 1970er Jahre selbst Leiterinnen und Leiter von Kunstmuseen kaum eine Vorstellung von der Zusammensetzung des Publikums ihrer Institution hatten (Wick 1979, 262f.).
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unterschied grundsätzlich museumsinterne Barrieren wie hoher Eintrittspreis oder fehlende Informationen zu den Objekten von museumsexternen Faktoren, das heißt Unsicherheit oder Angst vor Fehlverhalten.55 Anfang der 1980er Jahre äußerten Klein und Bachmayer (1981, 89), dass sich stereotype Ideen über Museen vor allem dann in der Öffentlichkeit halten, wenn die Einrichtungen in der allgemeinen Öffentlichkeit wenig publik sind.56 Eisenbeis (198057, 26) verglich Museen mit anderen öffentlichen Einrichtungen, woraus sich ergab, dass Museen - unabhängig von dem Bildungshintergrund der Befragten – in Hinsicht auf Bautyp und Erfahrungsraum wie Schlösser (40 Prozent), Denkmale (rund ein Viertel) und Kirchen (etwa 10 Prozent) wahrgenommen wurden. Im Ergebnisbericht der Panelstudie des Rhein-Neckar-Dreiecks im Jahre 1999 wurden Hindernisgründe festgehalten, die sich auf Image und Atmosphäre von Kunsteinrichtungen bezogen.58 Nach den Ergebnissen der Panelstudie zu urtei-
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Kirchbergs Veröffentlichung Gesellschaftliche Funktionen von Museen (2005) enthält eine empirische Studie, die Erklärungen für die Art und den Umfang des Museumsbesuchs darlegt. Im Jahr 1995 wurden in zwei Erhebungsphasen insgesamt rund 18.000 Befragte für In-Home-Interviews aus einem Access-Panel ausgewählt. Die Daten dienten der Erklärung von Lebensstil- und Rational-Choice-Modellen sowie des Besuchs verschiedener Museumstypen. Näheres zur Auswahl der Stichproben und Vorstudie in Kirchberg 2005 (240ff.). Die Daten aus den Jahren 1976 und 1977 in Klein und Bachmayer (1981) beruhen auf mehrphasigen schriftlichen Befragungen in Sonderausstellungen und der Dauerausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. Es wurden 2.700 Fragebögen ausgefüllt. Die Befragung beruht auch auf Gesprächen mit der so genannten Kompetenzgruppe beziehungsweise wissenschaftlichem Personal. Des Weiteren wurde eine Querschnittsumfrage in der Bevölkerung einbezogen. Es handelt sich bei Eisenbeis (1980) um einen auszugsweisen Bericht einer Studie von 1977, die als Fortsetzung einer früheren Erhebung von 1971 vorgenommen wurde. Die Studie wurde im April und Mai 1977 in der Bundesrepublik inklusive Westberlin durchgeführt. Teilnehmen konnten Personen ab 14 Jahren. Ziel war, Aspekte zur Stellung der Institution Museum im sozialen und kulturellen Zusammenhang darzustellen sowie das Verhältnis von Museum und Publikum. Kunstmuseen wurden jedoch nicht gesondert betrachtet. Die Museumspublikumsbefragung wurde einer Befragung außerhalb von Museen gegenübergestellt. Die vom Rhein-Neckar-Dreieck e.V. beim Institut für Zielgruppenkommunikation Ladenburg in Auftrag gegebene Studie Wo bleiben die Besucher fand 1999 in großen Museen und Kunstvereinen der Städte Mannheim, Heidelberg und Speyer statt. Es handelt sich um eine psychologisch-qualitative Studie, wobei sich 12 Fokusgruppen mit einem differenzierten Themenkatalog auseinandersetzten. Mit der Untersuchung sollten bewusst die Distanzierten und Verweigerer erreicht werden, weshalb insbesondere die möglichen Zugangsbarrieren interessierten. Die Studie wurde, aufgrund von
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len, schien sich in den Vorstellungen breiter Bevölkerungsteile weiterhin ein stereotypes Image vom elitären Musentempel zu halten. Das spontane, assoziative Umfeld bewegte sich um die Begriffe Stille, alte und verstaubte Objekte, körperliche und geistige Anstrengung, Museumswärter. Museen wurden eher mit Anstrengung als mit Entspannung oder Genuss verbunden und galten im Vergleich mit anderen Kultureinrichtungen besonders hoch im Bildungsanspruch. Darüber hinaus wurde die Atmosphäre andächtig still und das Personal als unnahbar erachtet. Offenbar hatten Museumsbesuche, im Gegensatz zu anderen hochkulturellen Einrichtungen wie Theater oder Opernhäuser sowie populären Veranstaltungsorten wie Kino als gesellschaftliches Ereignis keinen festen Platz im Kulturprogramm der Befragten. Insofern prägten ein elitäres Image, eine sakrale Atmosphäre sowie ein kommunikations- und lustfeindliches Image die Einstellung gegenüber den Kultureinrichtungen (Wind 2000). Die Ergebnisse überraschen insofern, dass viele große und überregional bekannte Kunstmuseen inzwischen durch eine professionelle Außendarstellung auffallen sowie durch eine starke Präsenz in den Massenmedien mittels Sonderveranstaltungen. Eine solche Wirkung der Museen auf die Allgemeinheit kann auf das Verhalten in Form einer Meidung des Orts Einfluss nehmen. Bourdieus Theorie schichtenspezifischer Selektion suggeriert, dass eine Zugangsbarriere auf verschiedene Bevölkerungsgruppen unterschiedlich wirkt. Dies zeigte auch Terlutter (2000, 140) in seiner empirischen Studie, worin er sich schwerpunktmäßig mit umweltpsychologischen Themen der praktischen Gestaltung wie Beschilderungen von Ausstellungen und deren Auswirkungen auf das persönliche Befinden befasste. Terlutter konnte bestätigen, dass eine gezwungene Atmosphäre im Kunstmuseum ein konkreter Grund für Nichtbesuche sein kann. Daher sind die allgemeinen Annäherungsabsichten an Kunst im Museum umso stärker, je dominanter sich eine Person in der Ausstellung fühlt. Dominanz drückt sich zum Beispiel darin aus, wenn ein Ort weder einschüchternd noch bedrückend auf einen Menschen wirkt. Terlutter deutlich hinter den Erwartungen gebliebenen Publikumsresonanzen einiger Ausstellungen im Kreis, in Auftrag gegeben (vergleiche Wind 2000).
3.3 Museumspublikum
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(ebenda, 113) konnte darüber hinaus seine Vermutung empirisch belegen, dass Besucherinnen und Besucher, die mindestens ein Mal pro Jahr eine Ausstellung besuchten oder die bereits in ihrer Kindheit an Kulturveranstaltungen teilnahmen, ein hochsignifikant ausgeprägteres und positiveres Selbstbild ihrer eigenen Museumsbesuche aufwiesen als die befragten Nichtbesucherinnen beziehungsweise Nichtbesucher. Die Untersuchung von Eisenbeis (1980, 25) aus den 1970er Jahren verdeutlichte, dass Einschüchterung und gar Meidung einer Einrichtung auch durch eine unangenehm empfundene Distanz zwischen Laienpublikum und Kunstinformierten hervorgerufen werden kann. Die Studie zeigte, dass über ein Fünftel der Personen mit Volksschulabschluss ohne Ausbildung der Meinung waren, Museen sind hauptsächlich für Fachleute bestimmt. Dieses Bild wurde mit höher werdendem Bildungsabschluss schwächer und pendelte sich unter den Befragten mit Abitur und Hochschulabschluss bei knapp 8 Prozent ein.
Geschlecht und Alter In manchen Studien wurde eine Männer- in anderen eine Frauendominanz in Kunstmuseen ermittelt, wobei die Geschlechteranteile im Großen und Ganzen als ausgewogen bezeichnet werden können (Scharioth 197459, 76; Wick 197960, 265; Klein 198461, 65; Klein 199062, 145). Dem frü59
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Scharioth (1974) führte in den Jahren 1970 und 1971 an unterschiedlichen Kulturinstitutionen wie Theaterhäusern oder Museen eine schriftliche Befragung inklusive Kontrolluntersuchung durch. Befragt wurden Individualbesucherinnen und -besucher ab 15 Jahren. Hier wurden die Ergebnisse bezüglich des Essener Kunstmuseums Folkwang berücksichtigt. Im Kölner Wallraff-Richartz-Museum mit der Sammlung Ludwig und im Rheinischen Landesmuseum in Bonn wurde im Mai 1973 eine einwöchige Publikumsbefragung durchgeführt, die 304 auswertbare Fragebögen einbrachte. Befragt wurden Personen ab 15 Jahren, jedoch keine Gruppen sowie Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland. Hier interessieren die Ergebnisse der Kölner Kunstsammlungen (Wick 1979). Die Veröffentlichung Analyse von Besucherstrukturen (Klein 1984) beruht auf einer Befragung in 28 Museen in acht Großstädten im Jahre 1983. In mehreren Phasen wurden 1983 insgesamt 8.612 Einzelbesucherinnen und -besucher sowie 1.357 Auskunftspersonen aus Gruppen befragt. Die Studie lieferte erstmals Bundesländergrenzen überschreitende Erkenntnisse zu Einstellungen von Museumsbesucherin-
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heren Stereotyp des ernsten, älteren und vorwiegend männlichen Museumsbesuchers folgte dem des jungen Nutzers beziehungsweise der jungen Nutzerin, was auch in Studien klar bestätigt werden konnte (Klein 1984, 59; Klein 1990, 151). Insbesondere Kunstmuseen wiesen ein junges Publikum mit einer dominierenden Altersklasse der unter 30-Jährigen auf (Wick 1979, 265; Klein 1984, 59f.; Klein 1990, 151, Hoffrichter 199063, 51). Klein (1984, 63) fand heraus, dass vor allem Großstadtmuseen mit überregionaler Bekanntheit eine junge Klientel anzogen. Mit zunehmendem Alter nahmen die Kunstmuseumsbesuche dagegen ab (Scharioth 1974; Wick 1979, 265).
Erwerbsstellung und Berufsgruppen Der Einteilung von Personen nach ihrer Stellung im Erwerbsleben in Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte oder Selbstständige haftet eine wertende Etikette an. Für die Außendarstellung von Museen gilt die Erhöhung
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nen und -besuchern in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin, was Strukturenvergleiche verschiedenster Museumstypen ermöglichte. Unterschieden wurden die Sammlungsarten nach Kunst- und Kulturgeschichte sowie Technik, Naturkunde, Sozial- und Spezialgeschichte und schließlich Heimat-, Stadt-, Regionalund Personalmuseen. Hier waren die Untersuchungsergebnisse der Kunstsammlungen der Nationalgalerie Berlin sowie der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe von Interesse. Näheres zu den Typisierungen findet sich in Klein (1984, 49 ff.). In der Publikation Der gläserne Besucher (1990) wurde die erste Struktur vergleichende empirische Studie einer ganzen Museumslandschaft dokumentiert. Die Studie entstand in Kooperation mit dem Institut für Soziologie der Universität Karlsruhe, dem damaligen Institut für Museumskunde in Berlin sowie dem Westfälischen Museumsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Untersucht wurden die Publikumstrukturen von insgesamt 40 Museen unterschiedlichster Typen in den Jahren 1984 bis 1986, schwerpunktmäßig in Westfalen. Zur Gruppe der untersuchten Kunstmuseen gehört die Städtische Kunsthalle Recklinghausen, die Kunsthalle Bielefeld, das Städtische Karl-Ernst-Osthaus-Museum in Hagen, das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster und das Museum am Ostwall in Dortmund. Auch folgende Museumstypen wurden untersucht: Regionale Kulturgeschichte, überregionale Kulturgeschichte, Naturkunde, Freilicht, Technik, Spezialmuseen und Archäologie. Zu den unterschiedlichen Typisierungen siehe Klein 1990 (374 ff.). Im Artikel Die Kölner Museen und ihr Publikum (2) berichtete Horst Hoffrichter (1990) über Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in den Städtischen Museen Köln in den Jahren 1987 bis 1989. Schwerpunkt dieser zweiten Untersuchungsphase lag bei Individualbesucherinnen und -besuchern ab 14 Jahren. Unter anderem fanden Befragungen in den Kunstsammlungen Wallfraf-Richartz und Ludwig statt.
3.3 Museumspublikum
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des Arbeiterinnen- beziehungsweise Arbeiteranteils noch heute als ein Zeichen der Öffnung und Demokratisierung der Einrichtung, indem die Ansprache unterrepräsentierter Publikumsgruppen demonstriert wird. Bei üblicher Einteilung nach Erwerbsstellung sollte mit Verweis auf Klein (1984, 71) berücksichtigt werden, dass die Kategorie Arbeiterin beziehungsweise Arbeiter in Hinsicht auf den sozio-kulturellen Wandel sowie der subjektiven Selbsteinordnung schon in den 1980er Jahren einen unscharfen Indikator darstellte. Obgleich die Kategorie zum Beispiel in der Rentenversicherung seit Neuerem nicht mehr existent ist, wird diese im allgemeinen Sprachgebrauch und im Selbstverständnis bestimmter Arbeitnehmerinnen- beziehungsweise Arbeitsnehmergruppen weiter genutzt. Es wird daher trotz Vagheit als sinnvoll erachtet, die Kategorisierung im Rahmen der empirischen Publikumsstudien zu beleuchten. Eine Untersuchung von Wick (1979, 266f.) aus den 1970er Jahren ergab weniger als 10 Prozent Arbeiterinnen und Arbeiter im Museumspublikum, während die qualifizierten Angestellten den Schwerpunkt bildeten. Scharioth (1974, 79) ermittelte im Essener Museum Folkwang 1970 und 1971 weniger als 3 Prozent Arbeiterinnen und Arbeiter. Ein Drittel der Befragten befand sich in der Ausbildung, ein weiteres Drittel im Angestelltenstatus, 17 Prozent waren Beamte und knapp 12 Prozent selbstständig tätig. Auch in den von Klein (1984, 72) in den 1980er Jahren untersuchten Kunstmuseen blieb der Arbeiterinnen- beziehungsweise Arbeiteranteil unter 10 Prozent, wogegen etwa ein Viertel im Publikum Selbstständige und Freiberufliche waren. In der Studie von Klein (1984, 70) dominierten die Beschäftigten im quartären Bereich, das heißt Unterricht, Erziehung, Kultur und Presse deutlich gegenüber dem produktiven Bereich mit Industrie, Handwerk und Landwirtschaft. In den Kölner Museen lag der Arbeiterinnen- beziehungsweise Arbeiteranteil mit 6 Prozent im erwartet niedrigen Durchschnitt, wogegen überdurchschnittliche 67 Prozent der Befragten in leitenden und akademischen Berufen tätig waren. Die restlichen Befragten fanden sich bei anderen Angestellten und Beamten wieder (Hoffrichter 1990, 55). Im Vergleich mit verschiedenen Museumstypen konnte Klein (1990, 183) in Kunstmuseen eine der höchsten Raten von akademischen Lehrenden im Ange-
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stellten- oder Beamtenverhältnis feststellen sowie demgegenüber den geringsten Anteil von Industriebeschäftigten mit Hauptschul- oder Realschulabschluss. Der bisher gewonnene Eindruck bezüglich der Besuchshäufigkeit wurde auch in der Studie von Kirchberg (2005, 263) aus den 1990er Jahren bestätigt. Während Arbeiterinnen und Arbeiter nur ein Mal pro Jahr den Weg ins Museum fanden, kamen beispielsweise Auszubildende oder Selbstständige drei Mal jährlich.
Vorwissen Kunstspezifisches Vorwissen ist mit schriftlichen, standardisierten Befragungen schwierig messbar. Nach Selbsteinschätzung hielt sich gerade das gebildete Kunstmuseumspublikum häufig nur für gering informiert, wie Klein (1990, 288) herausfand. Ein Viertel der Gelegenheitsbesucherinnen beziehungsweise -besucher und die Hälfte der Stammklientel meinten, ein gutes Vorwissen zu haben. Generell attestierten sich die Besucherinnen und Besucher mit steigendem Alter ein zunehmendes Vorwissen, dementsprechend waren Twens bezüglich des eigenen Wissensstands besonders selbstkritisch. Klein (ebenda, 319) wertete diese Selbsteinschätzung als Indiz für das hohe Anspruchsniveau des Kunstmuseumspublikums. Neben formaler Bildung und Erwerbsbranche kann die Besuchshäufigkeit von Kunstmuseen sowie das Interesse am Lesen über Kunst mehr Klarheit verschaffen. Informiertheit und Vorlieben können auch darüber gemessen werden, welchen Stellenwert die Themen Kunst und Museen in privaten Gesprächen einnehmen. Treinen (1996, 120) misst in Bezug auf die Wissenserweiterung in Museen, dem für den Bereich der Massenkommunikation bekannten two-step-flow of communication - das heißt, dem steigenden Bedeutungswert eines Sinneseindrucks, wenn dieser mit Gleichgesinnten mehrfach erörtert wird - eine wesentliche Bedeutung bei. Die Ergebnisse der Frage danach, ob mit Freunden oder in der Familie über Kunst und Museen gesprochen wird, differierten unter den Befragten im Rahmen der Studie von Eisenbeis (1980, 24) erheblich und fielen mit höher werdendem Bildungsabschluss positiver
3.3 Museumspublikum
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aus. Offenbar verfügen Kunstmuseumsbesucherinnen beziehungsweise -besucher, die häufig ins Museum gehen, generell über ein größeres Kunstinteresse sowie Kunstverständnis. Über 85 Prozent der Befragten im Rahmen der Untersuchung von Klein et. al. (2002) in der Kunsthalle Würth64 waren in der Lage, ihre persönlichen Präferenzen bezüglich Künstlerinnen und Künstlern sowie Kunstepochen anzugeben, wogegen sich nur 40 Prozent der seltenen Besucherinnen und Besucher dazu äußern konnten. Kunstmuseen weisen im Allgemeinen eine große Stammklientel auf. In Der gläserne Besucher wurde erfasst, dass mehr als die Hälfte im Publikum zu einer habituellen Besucherschaft mit mindestens sechs Museumbesuchen jährlich gehörte. Ein knappes weiteres Viertel ließ sich mit bis zu drei Besuchen im Jahr der Rubrik Gelegenheitsbesucher zuordnen (Klein 1990, 303). Ein genauerer Blick auf die gewohnheitsmäßigen Besucherinnen und Besucher zeigt, dass deren Zahl im Alter anstieg (ebenda, 306). Bei näherer Betrachtung der habituellen Museumsnutzerinnen und -nutzer geht hervor, dass der Anteil der Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen beziehungsweise -wissenschaftler eindeutig überwog. Entgegen den Erwartungen waren unter dieser Publikumsgruppe Personen mit Hauptschulabschluss fast genauso stark präsent wie Personen mit Abitur und sogar stärker vertreten als die Akademikerinnen und Akademiker der Ingenieur- und Naturwissenschaften (Klein 1990, 308). Dennoch wird insgesamt betrachtet die allgemeine Besuchshäufigkeit mit dem sinkenden Bildungsgrad geringer.
Erlebnis und Geselligkeitsmotiv Von den vielfältigen Motiven für Kunstmuseumsbesuche interessiert im Folgenden der Geselligkeitsaspekt, für den es wiederum verschiedene Indikatoren gibt. Ein Aspekt ist der Stellenwert von Unterhaltung in Relation zur Bildung. Noch in den 1970er Jahren analysierte Scharioth 64
Die Kunsthalle Würth gilt insofern als Museum, da eine Sammlung vorhanden ist. Bei der Befragung handelt es sich um eine summative Evaluation, wobei im Oktober 2001, wenige Monate nach der Eröffnung, erstmals mittels 762 auswertbaren Fragebögen Informationen gesammelt wurden (Klein et al. 2002).
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3 Kunstmuseum und Publikum
(1974, 158f.) seine Befragungsergebnisse in Richtung von zwei Extrempolen kultureller Beschäftigung. Dabei stand auf der einen Seite der Besuch des Kunstmuseums als Form intellektueller Beschäftigung im Sinne der Entwicklung der eigenen Person und auf der anderen Seite die Oper als gesellschaftliches Ereignis kommunikativer Unterhaltung, wobei Sehen und Gesehenwerden einen besonderen Stellenwert einnahmen. Die Studie von Eisenbeis (1980, 23) ergab, dass über die Hälfte der Befragten, Museen für informierend und bildend hielt, rund 38 Prozent teils teils, aber nur knappe 5 Prozent ausschließlich für unterhaltend und entspannend. Insofern überwog die Einschätzung von Museen als Bildungs- und Lernorte. Museen schnitten bezüglich des Unterhaltungswerts auch im Vergleich zum hochkulturellen Theater unterdurchschnittlich ab. Eisenbeis (ebenda, 25) reklamierte noch 1980 die viel zu positive Einschätzung einer Vielzahl von Fachleuten, die seiner Ansicht nach ungerechtfertigt von einem bereits veränderten Image der Museen in der Bevölkerung ausgingen. In Kleins (1990, 282) Der gläserne Besucher wurde von den Besucherinnen und Besuchern der Kunstmuseen die Motive Unterhaltung und Bildung ähnlich gewichtet. Die von Terlutter (2000, 80f.) im Jahr 2000 publizierte Studie eröffnete, dass der Museumsbesuch hinter Lesen und vor Theater und Konzert noch immer als sehr bildend wahrgenommen wurde sowie lediglich Lesen und Fernsehen als einzige Tätigkeiten noch weniger gesellig und kommunikativ als Museen besuchen empfunden wurden. Terlutter (2000, 68f.) versuchte verschiedene Kunstpublika in Bezug auf die Aspekte Erlebnis und Geselligkeit in kulturspezifische Lebensstile zu kategorisieren, welche jeweils durch die Größen Prestige oder Erlebnisorientierung dominiert werden. Beide Größen stehen für je unterschiedliche Erwartungen an den Kunstmuseumsbesuch. Auf seine Untersuchungen basierend bildete Terlutter drei Cluster von Personengruppen, die aufgrund ihrer Eigenschaften unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse an Kunstmuseen besitzen. Erlebnisorientierte sind danach hedonistisch geprägt und zeichnen sich durch ein geselliges, aktives Freizeitverhalten aus, wobei Bildungsaspekte sowie Aktualität weniger relevant sind. Die durchschnittlich älteste Gruppe der Bildungs- und Prestigeorientierten hat
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ein vergleichsweise geringes Kommunikationsbedürfnis, dafür ein hohes Interesse an Bildung und aktuellen Veranstaltungen. Die dritte Gruppe der Kulturmuffel ist eher passiv in ihrem Freizeit- und Kulturverhalten, was die Mobilisierung zu einem Kunstmuseumsbesuch erschwert bis unmöglich macht. Nach der Theorie von Terlutter (2000, 218f.) ist die Erlangung sozialer Anerkennung durch den Museumsbesuch im Sinne eines Statussymboldenkens für die Prestigeorientierten besonders wichtig. Die Erlebnisorientierten sind dagegen überwiegend an der Möglichkeit zur Kommunikation mit anderen und an Aktivität interessiert. Inhaltlich grenzte Terlutter die Dimensionen kulturelle Bildung von der kulturellen Unterhaltung ab. Während Bildung sowohl mit dem außenorientierten Prestigedenken als auch dem innenorientierten Erlebnishunger konform gehen kann, ordnete er Unterhaltung vor allem den Erlebnisorientierten zu. Kulturelles Erlebnis ist ein häufig genanntes Besuchsmotiv, welches für Geselligkeit steht. Insbesondere das junge, gebildete Kunstpublikum äußerte den Wunsch nach einem kulturellen Erlebnis (Hellstern 1993, 319; Hoffrichter 1993). Vor allem Erstbesucherinnen und -besucher gewannen speziell aufgrund einer spektakulären Gebäudearchitektur Interesse, insbesondere von neueren, im Bauboom der 1980er Jahre entstandenen oder historischen Häusern (Klein und Bachmayer 1981, 132). Eine Umfrage im Frankfurter Museum für Moderne Kunst zeigte, dass ein knappes Viertel ausschließlich wegen des bekannten Baus kam. Tatsächlich hielt sich die überwiegende Zahl dieses Teilpublikums weniger als 30 Minuten im Inneren des Kunstmuseums auf und plante auch für die Zukunft keine weiteren Besuche ein (Brauerhoch 1996, 258f).65 Schließlich lässt sich anhand der Anzahl der Begleitungen die Bedeutung von Geselligkeit beim Museumsbesuch ablesen. Generell fanden sich in Kunstmuseen in Relation zu anderen Museumstypen immer mehr Einzelbesucherinnen und -besucher (Klein 1990, 233, 235). Dennoch waren in den meisten betrachteten Studien mindestens drei Viertel 65
In zehn Frankfurter Museen wurden zwischen März 1993 und Februar 1994 insgesamt 8.299 Personen schriftlich befragt, unter anderem im Städel, im Museum für Moderne Kunst und in der Kunsthalle Schirn (vergleiche Brauerhoch 1996).
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3 Kunstmuseum und Publikum
der Besucherinnen und Besucher, entweder im Rahmen eines Familienausflugs oder mit dem Freundeskreis, in Begleitung anwesend (Eisenbeis 1980, 21; Klein und Bachmayer 1981, 140).
Bedeutung von Sonderschauen und Events Ein besonderes Augenmerk liegt hier auf dem steigenden Interesse an Events wie Lange Museumsnächte und populäre Sonderausstellungen.66 Kulturevents gewinnen laut Opaschowski (2006, 309f.) stadt- und museumspolitisch weiter an Bedeutung. Nach Bruhn (2007, 443f.) handelt es sich bei Events um besondere Veranstaltungen, die vor Ort von den Rezipientinnen und Rezipienten mit mehreren Sinnen erfahrbar sind und somit von den Veranstalterinnen und Veranstaltern auf emotionale sowie kognitive Weise zur Vermittlung von Inhalten genutzt werden können. Gemäß dem Institut für Museumsforschung (2007, 12) waren 2006 hauptsächlich große Sonderausstellungen, erweiterte Öffentlichkeitsarbeit und Museumspädagogik, die Eröffnung neuer Räume oder Neubauten sowie Sonderveranstaltungen für hohe Besuchszahlen in Museen verantwortlich. Vor allem Kunstmuseen nutzen das Mittel der Sonderausstellung intensiv (Institut für Museumsforschung 2007, 20).67 Sonderschauen stellen ein wichtiges Mittel dar, um im Wettbewerb der Öffentlichkeitsaktivierung zu bestehen, so Klein und Bachmayer (1981, 131) bereits Anfang der 1980er Jahre. Kleine und wenig beworbene Sonderausstellungen unterscheiden sich von den Publikumszahlen her allerdings kaum von den ständigen Sammlungen. Es sind die großen, stark öffentlichkeitswirksamen Schauen, die einen ausgedehnten und überregionalen Interessiertenkreis anziehen. Laut einer Befragung im Rahmen der 66
67
Terlutter (2000, 277) erachtete eine Unterscheidung zwischen Kulturevents und Sonderausstellungen für sinnvoll, da ein Event seiner Ansicht nach nicht an die temporäre Präsentation von Objekten gebunden ist, zudem einen kurzfristigen Charakter besitzt und die emotionale Bindung einen größeren Stellenwert erhält. Insbesondere Kunstmuseen versuchten Interesse durch Sonderveranstaltungen zu wecken, so dass nur 10 Prozent, im Gegensatz zu den anderen Museumsarten mit 15 bis 20 Prozent, keine besonderen Events durchführten (Institut für Museumsforschung 2006, 51).
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Untersuchung von Scharioth (1974, 81f.) Anfang der 1970er Jahre kamen knapp 39 Prozent der Besucherinnen und Besucher ausschließlich wegen der Sonderausstellung ins Museum Folkwang und knapp 44 Prozent aufgrund der ständigen Sammlung. Während mehr als ein Viertel durch Verwandte und Bekannte von der Sonderschau erfuhren, war ein knappes Fünftel vor dem Besuch nicht über die aktuelle Ausstellung informiert. Das Befragungsergebnis passt zu der Beurteilung von Eisenbeis (1980, 26), dass die Öffnungsversuche der Museen nicht zu der breiten Bevölkerung durchdrangen. Nach Eisenbeis war die Außendarstellung der Museen noch wenig ambitioniert und professionell, es mangelte an ausreichender Presseberichterstattung und Öffentlichkeitsarbeit. Hinzu kommt, wie Eisenbeis (ebenda, 24) herausfand, dass mehr als 65 Prozent der Befragten behaupteten, in der letzten Zeit nichts über Museen im Allgemeinen gehört oder gelesen zu haben. Heute setzen gemäß dem Institut für Museumsforschung (2006, 41) vor allem Kunstmuseen Sonderveranstaltungen wie Blockbuster oder Museumsnächte ein, um ihre Attraktivität zu steigern. Museen sehen sich im Allgemeinen als Orte der Integration von Freizeit- und Bildungserlebnissen. Nach Terlutter (2000, 279) eignen sich Sonderveranstaltungen aufgrund ihrer Aktualität und des Erlebnischarakters möglicherweise am besten für die Ansprache der schwer zu motivierenden Gruppe der Kulturmuffel. Das Gros der Bevölkerung, so bestätigte auch Treinen (1996, 114), geht nur unter besonderen Bedingungen in die Museen und dies zumeist aus einer inhaltsunabhängigen Motivation heraus, was Museen in deren Publikumsansprache auch zunehmend berücksichtigen.68 68
Schulz (2001, 117ff.) beobachtete, dass die Beschäftigung mit den Kunstobjekten an sich umso mehr in den Hintergrund tritt, je stärker die Museen aufgrund ihrer Blockbuster-Politik auf ein immer gleiches, zwischenzeitlich bekanntes Repertoire an Ausstellungsstücken zurückgreifen. Zudem verengte sich gemäß Schulz die Medienrolle infolge der offensiven Marketinganstrengungen, indem Medien immer stärker nur noch zu einem Marketinginstrument werden. Insofern steht nicht mehr der wissenschaftliche Ertrag im Vordergrund, sondern das Event und die damit generierten Umsatzzahlen. Wenn beispielsweise ein Museumsshop für eine große Sonderausstellung temporär vergrößert und an einen zentralen, für Besucherinnen sowie Besucher unumgänglichen Ort verlegt wird, unterscheidet sich diese Strategie wirtschaftlich betrachtet nicht stark von Guggenheim, da es lediglich darum geht, Einnahmen zu erzielen.
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3.3.3 Neue Publikumsgruppen durch Events: Beispiel Lange Museumsnacht Die vorausgegangenen Ausführungen bestätigten das traditionelle Bild, dass tendenziell die höher gebildeten Bevölkerungsteile Kunstmuseen besuchen. Kunstmuseen haben jedoch auf veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse wie die Erlebnisnachfrage reagiert und sind ein Bestandteil des Freizeitmarkts geworden. Ein wesentlicher Aspekt, der bisher nur rudimentär zum Ausdruck kam, ist eine zunehmende Popularisierung durch kulturelle Großereignisse wie Lange Museumsnächte oder Blockbuster wie Das MoMA in Berlin, womit breites Interesse in der Bevölkerung an den Kunstmuseen geweckt werden soll. Die Lange Nacht fand sich in der statistischen Gesamterhebung an den Museen im Jahr 2004 unter den Top Ten der Museumsveranstaltungen (Institut für Museumsforschung 2006, 54). Indem sich Museen als Erlebnisanbieter über neue Wege mit großen, populären Sonderschauen oder Lange Nächte präsentieren, erhalten sie für bestimmte Personengruppen eine besondere Attraktivität. Die Popularität von öffentlich organisierten Events zeigt sich anhand einer Studie69 in der Metropolregion Hamburg (Hansmann 2005, 3). Ein Drittel der Befragten wünschte sich danach mehr Events in der Stadt, knapp die Hälfte war mit dem gegenwärtigen Angebot zufrieden und nur 2,2 Prozent wünschten dagegen weniger Großveranstaltungen (Hansmann 2005, 19). Speziell das Interesse an Kulturevents ist in der Bevölkerung im Allgemeinen extrem hoch und rangierte mit 58,3 Prozent der Nennungen direkt hinter Allgemeine Feste und weit vor den wichtigen Hamburger Sportevents sowie Messen (ebenda, 4). Die Kulturveranstaltung Nacht der Museen erhielt bei der Frage nach einer Bewertung den besten Mittelwert70 und verwies die drei Sportgroßveranstaltungen Olympus Marathon, HEW Cyclassics und Tennis Master Series 69
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Nissen / Carstensen Communication Consulting führte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Industriebetriebslehre und Organisation der Universität Hamburg eine Studie durch, in der 19 öffentlich organisierte Großveranstaltungen untersucht wurden. Es wurden 360 Personen ab 14 Jahren interviewed. Siehe Hansmann 2005. Auf einer Skala von 1 extrem schlecht bis 5 hervorragend erhielt die Nacht der Museen einen herausragenden Mittelwert von 4,19 (Hansmann 2005, 6).
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auf die anschließenden sowie traditionelle Feste wie Hafengeburtstag oder Alstervergnügen auf die hinteren Ränge (ebenda, 6). Darüber hinaus wurden die Erwartungen der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer am besten von der Museumsnacht erfüllt (ebenda, 9). Uneingeschränkt wurde die Museumsnacht von allen Bevölkerungsgruppen am besten von allen 19 Events beurteilt. Tendenziell bewerteten Personen mittleren und höheren Alters, mit höherem Einkommen sowie Frauen die Nacht der Museen positiver (ebenda, 15). Zusätzlich bekräftigten qualitative Aussagen die hohe Bedeutung des kulturellen Aspekts in der Bevölkerung, indem ausdrücklich neue Events mit kultureller Ausrichtung gewünscht wurden (ebenda, 24). Erstmals wurde in Berlin 1997 mit der Langen Nacht eine neue Form der Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit von Museen eingeführt (Hagedorn-Saupe et al. 2003, 7). Die Initiatorinnen und Initiatoren beabsichtigten mit dem Format ein breites Publikum zu Museumsbesuchen zu animieren, potenzielle Schwellenängste abzubauen, gezielt neue Publikumsgruppen aus der Umgebung zu akquirieren und der Stadt einen Imagegewinn in Form von Popularitätssteigerung zu verschaffen.71 Die Beliebtheit von Großveranstaltungen, speziell der Museumsnächte, in durchweg allen Teilen der Bevölkerung wurde auch durch die Ergebnisse einer Besucherbefragung72 während der 6. Langen Nacht der Museen in Berlin im August 1999 bestätigt. In der Auswertung von HagedornSaupe et al. werden die Ergebnisse teilweise mit denen aus der Studie Der gläserne Besucher (Klein 1990) sowie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in Zusammenarbeit mit dem Institut für Museumskunde (1996)73 konfrontiert, um Vergleichsdaten über die Besucherschaft bei regulären Öffnungszeiten zu erhalten; diese vergleichenden Daten fließen ohne 71 72
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Zitiert aus Funke 2002, 41. Funke zitiert aus: Keller-Düsberg, K. (2000): Konzept zur ersten Dortmunder Museumsnacht, Dortmund 2000, unveröffentlichte Schrift. Die Befragung entstand auf Wunsch des Landesverbandes der Berliner Museen und des Arbeitsausschusses Museen sowie der AG Lange Nacht. Es wurden mittels Interview in 15 ausgewählten Häusern insgesamt 842 Personen befragt (Hagedorn-Saupe et al. 2003, 13). Ein Gemeinschaftsgutachten des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und des Instituts für Museumskunde (Hrsg.): Eintrittspreise von Museen und Ausgabeverhalten der Museumsbesucher, in: Materialien aus dem Institut für Museumskunde, Heft 46, Berlin 1996.
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weitere Hinweise auch im folgenden Text ein. Zunächst ist festzustellen, dass die Museumsnacht mit rund 82 Prozent Berliner Publikum als lokal öffentlichkeitswirksames Event eingestuft werden kann (HagedornSaupe et al. 2003, 15). Die Besuchs- und Teilnehmendenzahlen, die in den sechs Berliner Museumsnächten von 1997 bis 1999 tendenziell anstiegen, sprechen für den Erfolg der Veranstaltungsart als massenmediales Vermittlungsinstrument.74 Von der ersten Langen Nacht mit 23.000 Besuchen bis zur vierten Nacht haben sich die Besuchszahlen mehr als verdreifacht und die Anzahl der Teilnehmenden knapp versiebenfacht. Trotz eines leichten Rückgangs der Ticketverkäufe im Sommer 1999, stiegen die Besuchszahlen weiter, wofür vermutlich die erhebliche Ausweitung des Angebots verantwortlich war (ebenda, 8f.). Deutlich über die Hälfte (59,1 Prozent) der Besucherschaft während der Langen Nacht bestand aus Frauen. An normalen Öffnungstagen war das Geschlechterverhältnis ausgewogener beziehungsweise entsprach in etwa dem Bevölkerungsdurchschnitt (ebenda, 13ff.). Die Altersstruktur des Publikums der Langen Nacht unterschied sich beachtlich von der des regulären Museumspublikums, wo die Gruppe der Twens den Hauptteil des Kunstmuseumspublikums bildet. Vor allem die Kunstmuseen wurden während des Events von einem älteren Publikum aufgesucht. Insgesamt waren die einzelnen, in Zehnerschritten eingeteilten Altersgruppen mit 18,7 Prozent bis 23,9 Prozent recht ausgeglichen besetzt, abgesehen von den deutlich geringer präsentierten Gruppen bis 19 Jahre sowie ab 60 Jahre. Speziell die kunst- und kulturgeschichtlichen Museen wurden während der Museumsnacht am häufigsten von den 50 bis 59-Jährigen (22,7 Prozent) aufgesucht, gefolgt von den 30 bis 39-Jährigen (20,5 Prozent), den 40 bis 49-Jährigen und erst dann den 20 bis 29-Jährigen. Wie für das Museumspublikum im Allgemeinen galt gemäß der Studie von Hagedorn-Saupe et al. (ebenda, 16f.) auch für die Lange Nacht: je höher der Bildungsabschluss und je besser das Einkommen desto größer das Interesse an der Veranstaltung. Je etwa zwei Drittel der Be74
Die Teilnehmenden wurden nach der Anzahl verkaufter Tickets gezählt. Bei den Besuchen handelte es sich hingegen um die Besuche in einem bestimmten Haus, das heißt eine Person kann öfters in die Bewertung eingehen.
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fragten hatten einen Studienabschluss beziehungsweise Fach- oder Hochschulreife, knapp 20 Prozent einen Realschulabschluss und nur 4 Prozent einen Hauptschulabschluss. Vor allem die kunst- und kulturgeschichtlichen Häuser wurden während der Museumsnacht bevorzugt von Akademikerinnen beziehungsweise Akademikern (43,2 Prozent) besucht. Insgesamt betrachtet und speziell in den Kunstmuseen lagen die akademische Berufe sowie die Angestellten und Beamten mit jeweils knapp 30 Prozent der Befragten klar vorn. Auch die leitenden Berufe (12 Prozent) sowie die Gruppe der Schülerinnen, Schüler und Studierenden (16 Prozent) waren zahlenmäßig gut repräsentiert. Vergleichsweise gering waren die Hausfrauen beziehungsweise Hausmänner (1,9 Prozent) vertreten sowie die (Fach-) Arbeiterinnen und (Fach-) Arbeiter (insgesamt 3,3 Prozent). Die Ergebnisse decken sich danach mit der Besucherschaft zu regulären Öffnungszeiten. Eine Ausnahme bildete die Gruppe Andere Angestellte und Beamte, die sich mit dem relativ hohen Prozentsatz von 27,9 Prozent gegenüber 18,6 Prozent an normalen Tagen deutlich mehr von dem Angebot der Langen Nacht angesprochen fühlten. Entgegen aller Hoffnungen der Initiatoren bestand die Veranstaltung überwiegend aus einem Publikum, das auch sonst dem Museumsbesuch nicht abgeneigt war, erreichte jedoch zusätzlich eine kleine Gruppe, die sonst nicht an Museen interessiert war. Zwei Drittel besuchten Museen häufig, das heißt mehr als vier Mal pro Jahr. Davon ging fast ein Viertel mehr als zehn Mal pro Jahr ins Museum. Die Lange Nacht motivierte darüber hinaus einen Anteil von insgesamt 8,2 Prozent der Befragten zum Kontakt mit der Museumswelt, welche die Kultureinrichtungen im Normalfall nie oder höchstens ein Mal pro Jahr besuchten (ebenda, 18). Die Bedeutung von Museumsnächten als gesellige Abendbeschäftigung mit Bekannten, soziales Ereignis und gemeinsames Kultureventerlebnis wurde unter anderem daran deutlich, dass fast ein Viertel aller Besuche der Erstteilnehmerinnen und -teilnehmer von Bekannten angeregt wurde (ebenda, 24). Während der weit überwiegende Teil (83,3 Prozent) begleitet wurde, kam nur wenig mehr als ein Zehntel alleine. Wie zu den normalen Öffnungszeiten waren die Einzelgängerinnen und
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-gänger hauptsächlich in den kunst- und kulturgeschichtlichen Museen unterwegs. Organisierte Gruppen wie Schulklassen oder Vereine spielten kaum eine Rolle (ebenda, 28). Das Museumsnacht-Publikum favorisierte die großen temporären Schauen, das heißt fast 35 Prozent interessierten sich ausschließlich für Sonderausstellungen, bei 5,7 Prozent lag die Besuchsmotivation rein bei den Dauerausstellungen und 56,3 Prozent der Befragten wollten beides sehen. Im Vergleich zu der regulären Besucherschaft war die Bevorzugung von Sonderausstellungen auffällig hoch. Offenbar benötigte das Publikum einen besonderen Anreiz wie die Angebotsart Museumsnacht. Mehr als ein Fünftel gab an, darunter überwiegend häufige Museumsgängerinnen und -gänger, in Folge einer bereits besuchten Langen Nacht ein Museum zu den regulären Öffnungszeiten wieder aufgesucht zu haben. Dies bestätigte wiederum, dass die Museumsnacht bereits Museumsinteressierte zum erneuten Besuch anregte. Darüber hinaus motivierte das Event Personen zum Besuch von Orten, die sie normalerweise nicht aufsuchen würden. Für andere fehlte bisher noch die Besuchsgelegenheit, so dass die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein ihnen zuvor unbekanntes Haus betrat (ebenda, 20f.). Sonja Funke (2002, 99) beobachtete während der Museumsnacht in Dortmund einen regen Ansturm auf die Galerien, obgleich diese in der Regel kein spezielles Programm anboten. Insofern zogen die Kunstgalerien, die oft eher geringere Besuchszahlen aufweisen, eine Schicht von Besucherinnen und Besuchern an, die im Üblichen nicht erreicht werden. Obgleich private Galerien ein anderes Ansinnen haben und damit andere Ziele verfolgen als öffentlich getragene Kunstmuseen, zeigt diese Beobachtung jedoch den Effekt, dass bei einer Großveranstaltung grundsätzlich Schwellenängste herabgesetzt werden. Davon profitieren folglich insbesondere Einrichtungen wie Kunstmuseen, die teilweise noch immer mit einem elitären Image behaftet sind. In dieser Hinsicht ist bereits der Befund von Scharioth (1974, 131f.) aufschlussreich, dass eine enge Korrelation zwischen Museums- und Galeriebesuch besteht. Oben genannte Erläuterungen lassen erkennen, dass erst eine Vertrautheit mit dem Kunstmuseum den Weg in die Galerien ebnete. Sobald Museumsnächte einen Anstoß für weitere Museumsbesuche geben, kann von einer neu
3.3 Museumspublikum
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gewonnenen Vertrautheit und infolgedessen einem Erfolg gesprochen werden. Die häufigsten fünf Besuchsgründe für die Museumsnacht waren gemäß Hagedorn-Saupe et al. (2003, 31f.) Neugier, die besonderen Öffnungszeiten, die Gelegenheit, ein neues Museum kennen zu lernen, das gemeinsame Kulturerlebnis sowie das spezielle Programm. Nur 10 Prozent der Befragten motivierte Wissensbestätigung beziehungsweise -erweiterung zur Teilnahme, lediglich 2 Prozent kamen zufällig. Speziell in den kunst- und kulturgeschichtlichen Museen waren die langen Öffnungszeiten und das Kulturerlebnis ausschlaggebend. Die Museumsnacht wird demnach offenbar als Gesellschaftsereignis betrachtet und als solches vom Teilnehmenden in die Freizeitgestaltung eingeplant. Das gemeinsame, kommunikative und unterhaltsame Erlebnis im Kunstmuseum steht deutlich im Vordergrund. Im Gegensatz zu einem traditionellen Image, wozu unter anderem eine kontemplative Stimmung gehört, vermitteln Events wie Museumsnächte ein neues, offenes Erscheinungsbild der Einrichtungen. Im Unterschied zu den Besuchsmotiven an regulären Öffnungstagen fanden sich während der Museumsnacht in jeder Besuchshäufigkeitsgruppe sowohl spezifische Interessen wie spezielles Programm, Museum kennen lernen, Wissensbestätigung als auch unspezifische Interessen wie Neugier und gemeinsames Kulturerlebnis. Für die regelmäßigen Besucherinnen und Besucher von Museen standen während der Museumsnacht nach wie vor die spezifischen Interessen im Mittelpunkt und weniger der Eventcharakter mit den Indikatoren besondere Öffnungszeiten und die Lange Nacht Erleben. Grundsätzlich erhielt jedoch der Eventcharakter der Museumsnacht, unabhängig von der Museumsbesuchshäufigkeit zu regulären Öffnungszeiten, ein besonderes Gewicht. Lediglich die Vielbesucherinnen und Vielbesucher setzten noch einen weiteren Schwerpunkt. Grundlegend motivierte ein Mix von spezifischen und unspezifischen Interessen zur Teilnahme an der Langen Nacht. Personen, die in der Regel selten bis nie ins Museum gingen, begründeten ihre Teilnahme an der Museumsnacht hauptsächlich mit Neugier, neues Museum kennen lernen und den langen Öffnungszeiten. Bei den gelegentlichen Museumsbesucherinnen und -besuchern, die zwei bis drei Mal pro Jahr Ausstellun-
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3 Kunstmuseum und Publikum
gen aufsuchten, standen gleichfalls Neugier und Museum kennen lernen im Vordergrund. Die Museumsinteressierten, die vier bis fünf Mal im Jahr ein Museum besuchten, kamen aufgrund der Neugier, den langen Öffnungszeiten und um ein neues Museum kennen zu lernen. Für die Vielbesucherinnen und -besucher stand dagegen das spezielle Programm an erster Stelle, gefolgt vom gemeinsamen Kulturerlebnis und dem Wunsch, ein neues Museum kennen zu lernen (Hagedorn-Saupe et al., 33f.).
3.3.4 Zusammenfassung Generell können Museumsbesuche in der Tendenz kulturalistisch, das heißt aktiv und frei gewählt oder strukturalistisch, das bedeutet passiv aufgrund von sozialen Bedingungen, erklärt werden. Für den Kunstmuseumsbesuch gibt es verschiedene Barrieren und Motive, wobei auch das Image der Einrichtung eine Rolle spielt. Das Image der Kunstmuseen ist teils noch immer von den Vorstellungen elitärer Musentempel mit hohem Bildungsanspruch sowie sakraler und kommunikationsfeindlicher Atmosphäre geprägt. Aus der Perspektive der Behavior Setting-Theorie verursachen Orte, die mit einer gewissen Ehrfurcht verbunden sind, oft Einschüchterungsgefühle bis hin zu Meidung. Annäherungsverhalten wird hingegen mit dem Gefühl von Dominanz an einem Ort wahrscheinlicher, was im Kunstmuseum mit zunehmendem Kulturkapital verstärkt wird. Wie aus den Ergebnissen der hier betrachteten empirischen Studien hervorging, ist das Kunstmuseumspublikum überwiegend mit Vorwissen und einem entsprechenden Anspruchsniveau ausgestattet. Zum einen häuft sich Kunst als Gesprächsthema mit Höhe des Bildungsabschlusses, wobei die Akademikerquote speziell in Kunstmuseen besonders hoch ist und zum anderen weisen die Einrichtungen eine große Stammklientel auf. Dennoch werden die Komponenten Erlebnis und Geselligkeit, die mit den traditionellen Vorstellungen von Museen als Orte der Kontemplation oder der Bildung nicht einhergehen, hinsichtlich der Ansprache neuer Publikumsgruppen zunehmend wichtiger. Inzwischen fahren vor allem die großen, überregional bekannten Häuser eine zu-
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin
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sätzliche, an Ereignis und Erlebnis orientierte Schiene mit Sonderveranstaltungen wie Langen Nächten und medienwirksamen Sonderschauen. Wie die untersuchten Studien zu den Langen Museumsnächten hervorbrachten, unterschied sich der Großteil des Event-Publikums nicht stark vom üblichen Museumspublikum, welches ein allgemein hohes Bildungsniveau und Einkommen aufweist sowie eine Vorliebe für Museumsbesuche. Darüber hinaus wirken Großereignisse jedoch auf einen kleinen zusätzlichen Personenkreis, der sich normalerweise kaum oder überhaupt nicht für Museen interessiert. Des Weiteren animieren Lange Nächte einerseits zu einem erneuten Besuch sowie andrerseits zum Besuch von persönlich bisher unbekannten Orten. Die Motive für die Teilnahme an einer Langen Nacht bestehen unabhängig von der Bildung aus einem Mix von spezifischen und unspezifischen Interessen, wobei die unterhaltsam-geselligen Aspekte deutlich im Mittelpunkt stehen.
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin Die Sonderschau Das MoMA in Berlin, die 2004 in der Neuen Nationalgalerie gezeigt wurde, setzte in mehrerlei Hinsicht neue Maßstäbe, unter anderem in der Außendarstellung und der Vermittlungsarbeit von Kunstausstellungen und Museen. Der Exkurs eignet sich einerseits für die Darstellung eines extremen Beispiels zukünftiger Tendenzen im Sonderausstellungsbereich und andrerseits um der Frage nachzugehen, inwiefern mittels Eventisierung eine Demokratisierung von Kunstmuseen beziehungsweise die Erschließung neuer Publikumsgruppen möglich wird.
3.4.1 Erlebnismarketing Die Kunstausstellung Das MoMA in Berlin erlangte über Stadt- und Bundesgrenzen hinaus einen extrem hohen Bekanntheitsgrad und bewog im Zeitraum von Februar bis September 2004 mehr als 1,2 Millionen Besu-
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3 Kunstmuseum und Publikum
cherinnen und Besucher dazu, in die Neue Nationalgalerie zu kommen.75 Dieser Erfolg hing zum großen Teil mit einem auf Event und Erlebnis basierenden Marketingkonzept zusammen. Für die Erarbeitung des Vermarktungskonzepts der Ausstellung wurde Meta Design beauftragt, eine Agentur für Corporate Identity und Corporate Design, die mit Johannsen und Kretschmer, einer Firma für strategische Kommunikation kooperierten. Von Auftraggeberseite waren die Staatlichen Museen mit dem Generaldirektor Peter-Klaus Schuster und der Verein der Freunde der National Galerie mit dem Vorstand Peter Raue beteiligt. Die folgenden Ausführungen basieren vorwiegend auf den Ergebnissen einer Publikumsbefragung in der Ausstellung Das MoMA in Berlin, einem von der Autorin durchgeführten persönlichen sowie einem telefonischen Expertengespräch mit dem Projektleiter der Ausstellung André Odier vom Verein der Freunde der Nationalgalerie, einem von der Autorin durchgeführten Experteninterview mit dem Projektleiter Matthias Illgen von der Firma Meta Design sowie einer von Meta Design schriftlich fixierten Konzeptpräsentation. Die Anfänge von Das MoMA in Berlin gingen auf die Umbautätigkeiten des Museum of Modern Art (MoMA) in New York zurück, infolgedessen die Verantwortlichen planten, einen Teil der Museumssammlung auf Wanderschaft zu schicken. Die Stadt Berlin stand als Ausstellungsausrichterin aus finanziellen Gründen zunächst nicht zur Debatte. Das amerikanische Team fragte zuerst bei Städten wie Frankfurt, London, Paris und Madrid an, von denen erwartet wurde, eine Sonderschau dieser Größenordnung refinanzieren und Gewinne erzielen zu können.76 Nach Aussagen von Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) machte sich der Verein der Freunde der Nationalgalerie erst nach dem Entscheid 75 76
Das MoMA in Berlin brachte der Neuen Nationalgalerie bisher ungekannt hohe Besuchszahlen. Zum Vergleich: im Jahr 2003 kamen insgesamt 410.000 Gäste in das Kunstmuseum. Erst der Vereinsvorsitzende der Freunde der Nationalgalerie Peter Raue brachte Berlin als Veranstaltungsort in New York ins Spiel, wo er versuchte, mit historischem Argument zu überzeugen. Denn angeblich, so Odier (Expertengespräch am 11.03.2005), wünschte sich der erste MoMA-Direktor Alfred Barr für seine Sammlung ein Haus des Architekten Mies van der Rohe, was ihm mit der Neuen Nationalgalerie zumindest vorübergehend erfüllt worden wäre, so Odier.
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin
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für Berlin beziehungsweise nach Abschluss des Vertrags und dem Erhalt der Leihliste Gedanken über ein Finanzierungs- und Marketingkonzept für die Ausstellung. Während des Projekts fand ein ständiger, freiwilliger Informationsaustausch zwischen den Verantwortlichen in New York und Berlin statt. Beispielsweise wurde die Hängung vom Berliner Team vorgenommen. Der Vorschlag von Berlin, so Odier, wurde bis auf drei Umhängungen durch die New Yorker Kolleginnen sowie Kollegen akzeptiert. Die Vermittlung lag dagegen komplett im Berliner Kompetenzbereich. Auch das Vermarktungskonzept wurde gemäß Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) von New York nicht beeinflusst, so dass das Berliner Team direkt und ohne Rücksprache ein professionelles Marketingunternehmen beauftragten konnte. Das Kommunikationsdesign entstand ausschließlich für die temporäre Ausstellung in Berlin und stellte sich insgesamt konträr zum eher distinguierten, zurückhaltenden Erscheinungsbild des Museum of Modern Art in New York dar.77 In der Struktur der Interaktionsebene zwischen dem Museum und den am Ausstellungsmarketing beteiligten Firmen manifestieren sich neue Formen der Außendarstellung von Kunstmuseen. Die Ausstellung wurde wie ein Produkt eingekauft und als solches vermarktet, wobei das derart umfangreiche Konzept vom Organisationsteam, nach Aussagen beider Projektleiter in den Expertengesprächen, nicht von Beginn an vorgesehen war. Illgen (Expertengespräch am 11.03.05) von Meta Design erklärte, dass der Verein der Freunde zunächst mit dem Auftrag, Plakate zu erstellen, an sie herantrat. Die Ausstellung wie eine ganz normale Marke zu betrachten, eine Produktmarke oder Unternehmensmarke und diese genau so in den Köpfen der Leute zu verankern, stammte ursprünglich von der Agentur. Aufgrund der langen Ausstellungsdauer von sieben Monaten, den hohen Refinanzierungskosten und erwartet hohen Besuchszahlen benötigte die Schau nach Erachten der Marketingagentur ein allgemein 77
Das Konzept der Kampagne wurde den Verantwortlichen in New York vorgelegt. Grundsätzlich wurde es positiv aufgenommen, bei Unstimmigkeiten jedoch stets darauf verwiesen, dass die Vermarktung des Hauses alleine im Berliner Kompetenzbereich lag. Das zur Marketingkampagne gehörende Begriffskonstrukt MoMAnizer in Ableitung von Womanizer beispielsweise wurde von amerikanischer Seite als sexistisch betrachtet sowie die dominierende Farbe pink als zu laut (Odier, Expertengespräch am 11.03.2005).
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3 Kunstmuseum und Publikum
verbindliches Grundkonzept für die gesamte Ausstellung (...). Es kam darauf an, einen Markenwert zu definieren, auf den dann alle weiteren Aktionen während der langen Ausstellungsdauer abgestimmt werden konnten. Das laute Marketingkonzept, für welches sich der Verein der Freunde schließlich entschied, hatte nach Angaben von Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) hauptsächlich zwei Hintergründe. Zum einen sollte eine gute Kunstausstellung publik gemacht werden und zum anderen eine teilweise Refinanzierung über den Ticketverkauf erfolgen, wobei zunächst eine gewinnlose Ausgleichssituation angestrebt wurde.78 Die beauftragte Agentur konzentrierte sich in erster Linie auf das, was hinter der Marke Das MoMA in Berlin stand, also das Kommunizieren von Erlebnis und Emotionen: was wir wollten, so Illgen (Expertengespräch am 11.03.05) war eine Atmosphäre erzeugen, die die ganze Stadt von einer Freude und Heiterkeit erfasst, so wie damals bei Christos Reichstagsverhüllung. Das Konzept wurde zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer kooperativ und unter Anwendung klassischer Marketingmethoden entwickelt. Inhaltlich, erklärte Illgen (Expertengespräch am 11.03.05), macht es einen Unterschied, ob Kunst oder ein anderes Produkt vermarktet wird, denn jedes Projekt muss individuell behandelt werden. Methodisch ist das Vorgehen jedoch bei jedem Produkt ähnlich. Zusammen mit den zuständigen Vertreterinnen und Vertretern seitens der Ausstellungsorganisation wurden in einem Workshop im Brainstormingverfahren Begriffe und Farben für die Marke Das MoMA in Berlin gesucht, woraufhin eine Marken- beziehungsweise Wertepyramide entstand. Im Gesamtkonzept der Firma Meta Design (2004) ist festgehalten, dass die Ausstellung unter dem Motto Das MoMA ist der Star zu einer glamourös anmutenden Marke ausgebaut werden sollte, die sich durch die Attribute einmalig, sensationell und faszinierend von anderen Produkten unterscheiden sollte. Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) merkte an, dass die Außendarstellung der Schau ganz 78
Die Ausstellung barg ein gewisses Risiko für die nachfolgenden Arbeiten des Vereins, erklärte Odier (Expertengespräch am 11.03.2005). Wäre es nicht möglich geworden, die Ausstellung durch die Erlöse zu finanzieren, hätte der Verein der Freunde der Neuen Nationalgalerie Schulden machen und diese aus den Mitgliedsbeiträgen nach und nach abbezahlen müssen. In diesem Falle hätte der Verein für einen bestimmten Zeitraum keine neuen Ausstellungen mehr finanzieren können.
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin
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bewusst von einem Markendenken durchdrungen war, was sich unter anderem an den vom Verein erdachten Begriffen wie MoMAmobil für den flexiblen Museumsshop-Wagen, MoMA in the rain für den Merchandisingartikel Regenmantel oder MoMAnizer für eine spezielle Gruppe von kunstvermittelndem Personal zeigte. Nicht nur in Bezug auf die Vermarktung der Ausstellung als Produkt, auch bezüglich der Vermittlungsarbeit wurden teils ungewöhnliche Wege beschritten. Partiell wird deutlich, dass sich die Bereiche Marketing und Vermittlung auf einer bestimmten Ebene vermischten. So wurde das klassische Angebot mit themenbezogenen Überblicksführungen, speziellen Schulklassenprogrammen, Audio Guides und die Kinderlesungsreihe Storytime at MoMA durch eine relativ unkonventionelle Form der Informationsvermittlung erweitert. In der Ausstellung standen darüber hinaus so genannte MoMAnizer, das waren Studentinnen und Studenten sowie Ehrenamtliche des Stoberkreises, mit regelmäßigen Kurzvorträgen und persönlicher Fach- und Sachinformation zur Verfügung.79 Des Weiteren wurde an etwa 200 aufeinander folgenden Tagen in der BILD-Zeitung über ein Kunstwerk in der Ausstellung berichtet. Für Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) war dies vor allem eine neue, unübliche Vermittlungsart zur Ansprache neuer Zielgruppen sowie darüber hinaus ein sehr gutes Marketinginstrument. Wie aus dem Gesamtkonzept der Firma Meta Design (2004) hervorgeht, wurde bei der Strategieentwicklung mit klassischen Marketingmethoden verfahren. Das Konzept musste leisten, den zu Beginn geringen Bekanntheitsgrad des MoMA zu steigern und die Aufmerksamkeit über sieben Monate lang zu erhalten, um der allgemeinen Tendenz rückläufiger Besuchszahlen bei fortschreitender Ausstellungsdauer entgegenzuwirken. Mittels einiger, für Kunstausstellungen unüblicher Werbeträger, sollten über das übliche Kunstpublikum hinaus, neue Besuchsgruppen erschlossen werden, um das hoch gesteckte Ziel von 700.000 Besucherinnen und Besuchern zu erreichen. Durch die ungewöhnliche visuelle 79
Das MoMAnizer-Projekt wurde vom Stoberkreis organisiert und von den EinsteinCoffeeshops unterstützt. Der Stoberkreis bestand zum Zeitpunkt der Ausstellung aus rund 60 Personen unter 35 Jahren des Vereins der Freunde der Nationalgalerie.
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3 Kunstmuseum und Publikum
Gestaltung, auffällige Kommunikationsinstrumente und die intensive Presseberichterstattung sollten über die Kunstelite oder Multiplikatoren und den Kunstbegeisterten hinaus, die Erstbesucherinnen beziehungsweise -besucher erreicht werden (ebenda). In diesem Zusammenhang sind die Werbespots im Kino für Das MoMA in Berlin als eine der unkonventionellen Reklamemaßnahmen zu nennen, ebenso der MoMABus.80 Illgen (Expertengespräch am 11.03.05) betonte dabei auch die Chance, eine Relevanz von Kunstausstellungen für neue Zielgruppen zu schaffen. Es wurden bewusst keine spezifischen Zielgruppen definiert. Beide Projektleiter stellten heraus, dass schon aus ökonomischen Gründen schlichtweg alle angesprochen werden mussten. Wie im Meta Magazin beschrieben (Meta Design 2004, 32f.) wurde das Kommunikationskonzept bereits ab Juli 2003, das heißt mehr als ein Jahr vor der Eröffnung der Ausstellung, in vier aufeinander aufbauenden Phasen angelegt, in denen jeweils mit bestimmten Begleitmaßnahmen der Werbung, Öffentlichkeitsarbeit und des Event-Marketing verschiedene Zielgruppen angesprochen wurden.81 Grundsätzlich war beabsichtigt, Kunstinteressierte zu jeder Zeit aufmerksam zu machen. In der Ankündigungs- und Begrüßungsperiode im Januar beziehungsweise Februar ging es zusätzlich um die Meinungsführerinnen und Meinungsführer sowie die Berliner Bevölkerung im Allgemeinen.82 Einen Monat vor der Eröffnung sollte die bloße (Werbe-)Botschaft „Das MoMA ist der Star!“ auf U-Bahnen, Taxis, an Bushaltestellen und in Kinospots erschei80
81
82
Der MoMA-Bus sowie die Kinowerbung regten allerdings nur 2 Prozent beziehungsweise 0,8 Prozent der Befragten zum Ausstellungsbesuch an, während mehr als die Hälfte aufgrund von Pressemitteilungen und knapp 40 Prozent aufgrund von Mund-zu-Mund-Propaganda kamen (Freunde der Neuen Nationalgalerie 2004). Zur Ausstellungseröffnung am 20. Februar 2004 standen eine feierliche Begrüßung und Eröffnungsevents, unter anderem ein Eröffnungskonzert der Berliner Philharmoniker auf dem Programm. In der zweiten Werbephase wurde enorme Medienarbeit betrieben (Illgen, Expertengespräch am 11.03.05). In der Vorbereitungsphase ab Juli 2003 wurden Anzeigen für die Leitmedien und Kunstzeitschriften geschaltet und verstärkt Medienarbeit betrieben. Messeauftritte und Podiumsdiskussionen sollten Meinungsführerinnen und -führer ansprechen. Aufgrund des relativ geringen Budgets konzentrierten sich die im Januar 2004 begonnenen Werbemaßnahmen auf den Stadtbereich Berlin. Von Beginn an wurde die Website als Hauptinformationsmedium stark beworben. Zudem gab es klassische Flyer, Plakate und Kinospots (Illgen, Expertengespräch am 11.03.05).
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin
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nen und nach Plänen der Agentur bereits höchste Aufmerksamkeit erregen.83 Diese geheimnisvolle und gewissermaßen noch unaufgeklärte Mitteilung sollte durch ihre außergewöhnlich starke Präsenz im öffentlichen Stadtraum Spannung aufbauen und schon einmal klar vermitteln, dass es sich bei dieser Reklame um ein sensationelles Produkt handelte, so Illgen (Expertengespräch am 11.03.05). Erst kurz vor der Ausstellungseröffnung zeigte sich auf den Plakaten inhaltlich, was konkret mittels des Slogans beworben wurde.84 Die Ausstellungsbegleitphase sah in sechs Module eingeteilte Aktionswellen mit abschließendem Countdown vor, um den Besuchsstrom über den ungewöhnlich langen Ausstellungszeitraum konstant auf einem hohen Niveau zu halten.85 Insbesondere während der eigentlichen Ausstellungsphase wurde die Konzentration auf die Ansprache der Berliner Bevölkerung, Bewohnerinnen und Bewohner des Berliner Einzugsgebietes, Touristinnen und Touristen im Allgemeinen sowie Kulturreisenden im Speziellen, darüber hinaus spezifischen Gruppen wie beispielsweise Seniorinnen und Senioren oder Familien gelegt.
3.4.2 Publikumsgruppen: Soziodemographische Struktur und Kulturverhalten Die Ergebnisse einer Publikumsbefragung geben Auskunft über die soziodemographische Zusammensetzung und kulturellen Gewohnheiten der befragten Besucherinnen und Besucher.86 Insgesamt betrachtet wur83 84
85 86
Kostenfreie Werbeflächen stellten unter anderem die Deutsche Bahn zur Verfügung und des Weiteren die Taxiinnung. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) spendierten einen Bus für Werbezwecke (Illgen, Expertengespräch am 11.03.05). Erst mit Ausstellungsbeginn klärten die Marketingfachleute auf, um was es sich bei der Werbung konkret handelte. Dies war aus kommunikationstheoretischer Sicht ein risikobehaftetes Vorgehen und wurde nur aufgrund der gut funktionierenden Pressearbeit möglich, so Illgen (Expertengespräch am 11.03.05). Das System war bausteinartig aufgebaut und jederzeit flexibel anwendbar. Aufgrund des hohen Besuchsandrangs wurden nicht alle zur Verfügung stehenden Module zum Einsatz gebracht (Illgen, Expertengespräch am 11.03.05). Bei Das MoMA in Berlin. Ergebnis der Besucherbefragung handelt es sich um ein internes Dokument. Die Studie wurde im Auftrag der Freunde der Nationalgalerie 2004 durchgeführt. Nachfolgende Ergebnisse beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf diese Studie.
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3 Kunstmuseum und Publikum
den Frauen von dem Blockbuster Das MoMA in Berlin besonders angesprochen und der Anteil überwog mit 60,8 Prozent deutlich. Die Altersstruktur war im Großen und Ganzen ausgeglichen, wobei die Gruppe der 20 bis 29-Jährigen (20,6 Prozent) am stärksten vertreten war, dicht gefolgt von den 40 bis 49-Jährigen (18,7 Prozent) und den über 60Jährigen (16,5 Prozent). Die höheren Altersklassen waren im Vergleich zu den Befragten unter 20 Jahren (8,8 Prozent) relativ stark repräsentiert. Berufsgruppen wurden in der Studie nicht spezifiziert, jedoch war über die Hälfte des Publikums berufstätig und jeweils etwa 13 Prozent im Ruhestand oder im Studium. Die Mehrheit der Befragten stand Museen im Allgemeinen – ebenso wie das Publikum der Langen Nacht – aufgeschlossen gegenüber. Weit über die Hälfte gab an, zwei bis fünf Mal pro Jahr ins Museum zu gehen, rund 16 Prozent gaben an sechs bis zehn Mal und 14 Prozent sogar mehr als zehn Mal zu gehen. Ähnlich dem Befragungsergebnis der Langen Nacht fand sich eine relativ kleine Gruppe von 8,5 Prozent schwach Interessierter, die angab, höchstens ein Mal pro Jahr ein Museum aufzusuchen. Die Reaktion des Publikums auf die verschiedenen Vermittlungsangebote kann als Indikator für die Wichtigkeit des Unterhaltungsaspekts dienen. Es wird außerdem deutlich, dass die traditionelle Polarisierung von Bildung und Unterhaltung in Bezug auf die Motive für Kunstmuseumsbesuche teilweise noch immer funktioniert. Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) erklärte, dass infolge der sehr hohen Nachfrage an MoMAnizern im Vergleich zu den klassischen Führungen, die Anzahl der konventionellen Führungen abgebaut wurde und die Anzahl der MoMAnizer aufgestockt.87 Die MoMAnizer sollten bewusst unkompliziert als Informationsquellen dienen, so Odier weiter. Ihre Aufgabe war, einem weniger kunstinformierten Teil des Publikums und vor allem auch Personen zu behagen, die gewöhnlich Hemmungen haben, in größerem Rahmen und insbesondere im Kunstmuseum, Fragen zu stellen. Odier vermutete die Beliebtheit der MoMAnizer aufgrund ihrer Ungezwun87
Die MoMAnizer fungierten gleichzeitig als Aufsichtspersonal, was für den ausrichtenden Verein auch in wirtschaftlicher Hinsicht attraktiv war (Odier, Expertengespräch am 11.03.2005).
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genheit: die Menschen wollten keine trockene Führung, stattdessen lieber lustige MoMAnizer (...). Die MoMAnizer haben Unterhaltungsniveau und die klassischen Führungen vorwiegend einen Bildungszweck. Die MoMAnizer passen zu der Stimmung, die wir verbreitet haben. Die große Nachfrage nach den MoMAnizern verdeutlicht - ohne den Fakt vernachlässigen zu dürfen, dass die MoMAnizer kostenlos zur Verfügung standen - den Stellenwert der Ausstellung als Event mit überwiegendem Unterhaltungswert. Für einen großen Teil der Besucherinnen und Besucher mag der Eventcharakter im Vordergrund gestanden haben, mutmaßte Odier (Expertengespräch am 11.03.2005), Kunst war aber auf jeden Fall die zweite Motivation. Odier sah gerade im Eventcharakter als zunächst erste Besuchsmotivation die Chance, Menschen schließlich dauerhaft für das Kunstmuseum zu gewinnen. Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) verdeutlichte: Wir haben uns entschlossen das Museum ein wenig zu vulgarisieren. Wir gingen den Weg, ein lautes und lustiges Drumherum zu veranstalten und haben den Zugang zum Kunstmuseum dadurch gewissermaßen demokratisiert, denke ich. Wir fanden es wichtig, dass sich Leute in einem Museum ungezwungen bewegen. Es sollten gerade auch diejenigen angesprochen werden, die zuvor noch nie in einem Museum waren, weder in einem Kunstmuseum noch in einem Automuseum. Für uns war wichtig, dass dieser Personenkreis Eingang findet in die Kunstausstellung. Es ist anzunehmen, dass gerade die innovativen Eigenheiten der Ausstellung in Bezug auf Kommunikation und Vermittlung eine beachtliche Anzahl Personen anzog, die normalerweise keine Kunstausstellungen besuchten. Obgleich der Anteil im Vergleich zu den Vielgängerinnen und -gängern gering erscheinen mag, stellte dieser numerisch mit rund 102.000 Besucherinnen und Besuchern eine nicht zu vernachlässigende Zahl dar.
3.4.3 Eventisierung: Warteschlange und VIP-Ticket Das MoMA in Berlin erhielt einen großen Teil seiner Attraktion über Aspekte, die bereits vor dem Besuch der Ausstellung durch ihren Charakter als Massenveranstaltung, Kunstevent und geselliges Erlebnis zum Tragen kamen. Rekordbesuchszahlen und andere Sensationen standen
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3 Kunstmuseum und Publikum
in der Medienberichterstattung deutlich im Mittelpunkt, seltener wurde dagegen inhaltliche, kunstgeschichtliche Kritik geäußert. Die Berliner Zeitung schrieb, MoMA verdrängt Love Parade, womit sie die Prognosen des Geschäftsführers der Berliner Tourismus Marketing GmbH von über einer Million auswärtigen Gästen nur durch die Kunstausstellung, bekannt gab (Treichel 2004, 16). In der Financial Times Deutschland äußerte sich Schulze (2004, 30) über die ausgefeilte Marketing-Kampagne mit den Worten, in Berlin kumuliert die Blockbusterisierung des Kunstbetriebs. Die Marke Das MoMA in Berlin war von einer Eventisierung geprägt, indem einzelne, in indirektem Zusammenhang mit der Kunstausstellung stehende Ereignisse, teils unbewusst teils gesteuert, sensationswürdig publik gemacht wurden. Am Beispiel der stundenlangen Warteschlange vor dem Kassenhaus der Neuen Nationalgalerie zeigt sich, dass mittels Marketing ein allgemein negativ besetztes Phänomen wie in einer Warteschlange stehen in ein positives umgekehrt werden kann. Das Schlangestehen an sich stellte ein Erlebnis dar, das wiederum symbolisch für ein besonderes Ereignis stand, indem suggeriert wurde, dass jeder dabei sein möchte. Im Gesamtkonzept von Meta Design (2004) ist nachzulesen, dass es von Beginn an vorgesehen war, bewusst eine Schlange vor dem Museum in die Kommunikationsstrategie einzubauen und offensiv als Anziehungspunkt zu thematisieren. Die Strategie an sich ist nicht neu und wird unter anderem vor Einlässen von Clubs genutzt, um Aufmerksamkeit zu erregen und ein Dabeiseinmüssen zu vermitteln. Diese Maßnahme bei Kunstmuseen zu verwenden war in Deutschland bis dato eher ungewöhnlich. In der Presse wurde die Warteschlange extensiv thematisiert. Indem ständig und überwiegend von der im Allgemeinen positiven, geselligen, ausgelassenen und offenen Stimmung der Essenden, Tanzenden oder Sitzenden berichtet wurde, so Odier (telefonisches Gespräch am 25.11.2004), entwickelte sie sich zu einer Kulteinrichtung.88 88
Auch Illgen (Expertengespräch am 11.03.05) der Firma Meta Design beschrieb die Stimmung in Berlin während der Ausstellung als ausgelassen und kunstbegeistert. Generell war überall in der Stadt eine heitere Volksfestatmosphäre zu spüren. Die Atmosphäre war nach Ansicht Illgens mit einem Open-Air-Musikfestival vergleichbar. Einige der Wartenden äußerten sich gegenüber MoMAnizern, dass es Spaß machte, mehrere Stunden in der Schlange zu warten. Manche übernachteten sogar mit Schlafsäcken vor dem
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin
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Die Warteschlange avancierte zu einer der Hauptattraktionen und wurde als solche auch kultiviert, indem nach und nach ein spezielles Programm dafür erarbeitet wurde. Die MoMAnizer wurden zusätzlich draußen eingesetzt, um Sach- und Fachinformationen weiterzugeben, ebenso das MoMAmobil, der Wagen mit Verkaufsutensilien aus dem Museumsshop. Zudem organisierte der Verein der Freunde der Nationalgalerie ein Gewinnspiel. Die Auswahl der unterhaltenden Darbietungen wurde Odiers (Expertengespräch am 11.03.2005) Äußerungen zufolge sorgfältig getroffen.89 Viele Aktionen waren zudem von Spontaneität geprägt. So führten die Initiatorinnen und Initiatoren kurzweg ein, dass neue Informationen zukünftig von den Vorderen an die Hinteren der Warteschlange weiter getragen werden sollten. Dadurch sollten kommunikative Kontakte hergestellt und die Spannung aufrechterhalten werden. An der Stimmung wurde von den Veranstalterinnen und Veranstaltern kontinuierlich gearbeitet, so Odier (Expertengespräch am 11.03.2005). Die Warteschlange wird im Zusammenhang mit den Eintrittstickets noch einmal thematisiert. Der Einlass in die Neue Nationalgalerie gestaltete sich aufgrund des Massenandrangs schwierig. Dies verstärkte wiederum das Gefühl des Dabeiseinmüssens, symbolisierte doch der Zutrittsbereich die Schwelle zum Kern, der das Spektakel auslöste. Nach Aussagen von Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) mussten drei Personen allein für den Eingangsbereich eingesetzt werden und die Besucherinnen und Besucher über die Einlassbedingungen informieren. Lediglich spezielle Problemfälle wurden nach den Anfangstagen noch persönlich mit dem Management geklärt. Die Einlasspolitik wurde konsequent eingehalten, so
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Haus. (…). Zu dem bezogen sich viele Kulturorganisationen thematisch auf Das MoMA in Berlin. Das amerikanische Kulturfestival Four Seasons wurde parallel von der Kulturstaatsministerin Christina Weiss initiiert. Die Philharmoniker gaben zwei Konzerte und es fanden Lesungen statt. Mehrere Ausstellungen in Berliner Museen und Galerien beleuchteten bestimmte Aspekte der MoMA-Ausstellung, beispielsweise eine Architekturmodellausstellung. Es fand ein richtiges MoMA-Fest statt in Berlin, so Illgen. Zahlreiche Einzelpersonen und Gruppen boten an, die Warteschlange zu unterhalten. Eine geringe Auswahl wie die Blue Man Group oder Studentinnen und Studenten der Berliner Universität der Künste erhielten tatsächlich Termine. Des Weiteren wurde beispielsweise ein jonglierender Brezelverkäufer eingesetzt (Odier, telefonisches Gespräch am 25.11.2004).
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3 Kunstmuseum und Publikum
Odier (Expertengespräch am 11.03.2005). Zu Beginn wurden tausend Personen eingelassen und nach dem Prinzip zwei Personen raus dafür zwei rein weiter verfahren. Eine Alternative zu der Warteschlange vor der regulären Kasse boten VIP-Tickets, wovon allerdings nur ein bestimmtes Kontingent zum Verkauf stand. Freien und unverzüglichen Einlass erhielt nur eine Presseperson ohne Begleitung. Besitzerinnen und Besitzer der Berliner Museumskarte Museum Plus hatten freien Eintritt für den normalen Kasseneingang, wobei eine begrenzte Menge an erwerbbaren Zusatzkarten für den VIP-Eingang angeboten wurde. Fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sponsors Deutsche Bank durften mit einer Begleitperson durch den VIP-Eingang umsonst in die Ausstellung. Es gab darüber hinaus noch eine Anzahl von Tickets für Hausinterne. Bei Spontanbesuchen von öffentlichen Personen, wie beispielsweise Minister oder Botschafter, sah das Management im Sinne der Fairness nicht von der Regel VIP-Ticket oder Schlange ab, so Odier. Obgleich Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) nur 5 Prozent von 1,2 Millionen Besucherinnen und Besuchern zu den Ausnahmefällen zählte, erschienen die markanten Vorkommnisse aufgrund der starken Presseberichterstattung zu überwiegen. Einige versuchten sich den sofortigen Einlass zu erschleichen, indem Sachverhalte vorgetäuscht wurden, die zu einem schnellen Zugang führten. Beispielsweise stopften sich falsche schwangere Frauen Kopfkissen unter den Pulli oder vermietete eine Dame vor der Eingangstür sogar ihr kleines Kind. Darüber hinaus fand ein Handel mit gefälschten VIP-Tickets statt, so dass über die Presse vor dem Kauf von Tickets beim Internetauktionshaus Ebay gewarnt werden musste. Zudem existierten Falschdrucke von Eintrittskarten, wofür Käuferinnen und Käufer bis 100 EUR bezahlten. Folgerichtig bemerkte Odier, dass die Atmosphäre eher der auf einem Popkonzert glich als in einer klassischen Kunstausstellung. Allgemein negativ besetzte Effekte wie beispielsweise langes Warten wurden zu positiven Erlebnissen umgewandelt. Ein derart massiver Publikumsandrang war nach Aussage der Initiatorinnen und Initiatoren der Ausstellung überraschend, weshalb kurzfristige und spontane Maßnahmen ergriffen werden mussten, um der unerwarteten Situation gerecht werden zu können. Infolgedessen wurde das Ausstel-
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lungsbudget von ursprünglich acht auf 12,5 Millionen EUR für Neuauflagen des Katalogs, für ein Klimaprovisorium sowie für einen stark erhöhten Personalbedarf aufgestockt. Es wurden vom Organisationsteam alle Möglichkeiten genutzt, um den Hype um das Event aufzunehmen. Beispielsweise wurde mit dem so genannten MoMA-Marathon auf den Besuchsandrang mit Rund-um-die-Uhr-Öffnungszeiten reagiert, speziell in den letzten Ausstellungstagen.90 Die Warteschlange konnte durch ein besonderes Ticketangebot umgangen werden, welches auch die zunehmende Wichtigkeit des ökonomischen Kapitals im Kulturbereich betont. Es bestand die eingeschränkte Möglichkeit, für mehr als das Doppelte des regulären Eintrittspreises so genannte VIP-Tickets zu erwerben.91 Mit dem Titel Berlins ungerechteste Schlange. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in Berlins wichtigster Ausstellung? suggerierte der Berliner Kurier, dass sich Besserverdienende Wartezeiten erkaufen konnten. Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) verteidigte das Konzept mit dem Argument, dass es dabei um ein Angebot für Touristinnen und Touristen ging, die wenig Zeit mitbrachten. Wie durch eine Studie des ifo Instituts für Wirtschaftforschung in Kooperation mit dem Institut für Museumskunde (1996, 121) herausgefunden wurde, werden höhere Preise für Sonderausstellungen weitestgehend akzeptiert. Dementsprechend hielten laut Besucherbefragung in der MoMA-Ausstellung etwa zwei Drittel der Befragten den erhöhten Preis für die VIP-Tickets für angemessen, dagegen ein relativ geringer Anteil von 16,5 Prozent für teuer beziehungsweise zu teuer. Demgegenüber fand etwas mehr als die Hälfte den normalen Eintrittspreis angemessen und nur 7,8 Prozent teuer oder gar zu teuer. Das befragte Das MoMA in Berlin-Publikum bestand zwar aus einem größeren Interessiertenkreis als üblicherweise in der Neuen Nationalgalerie, es konnten also Publikumsgruppen hinzugewonnen werden, jedoch 90 91
Allein in der Zeit des MoMA-Marathons nutzen rund 60.000 Personen, davon rund 60 Prozent Berlinerinnen und Berliner, die Gelegenheit zu einem Besuch in der Neuen Nationalgalerie (Freunde der Nationalgalerie 2004). Der reguläre Eintrittspreis betrug 10 EUR unter der Woche und 12 EUR am Wochenende. Das VIP-Ticket kostete 27 EUR. 177.000 VIP-Tickets, das entspricht 15 Prozent aller Eintrittskarten, wurden verkauft.
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blieben bestimmte Bevölkerungsgruppen weiterhin ausgeschlossen. Das Vorhandensein eines gewissen ökonomischen sowie sozialen Kapitals spielt für den Besuch eines geselligen Großevents mitunter sogar eine größere Rolle als das kulturelle Kapital oder das spezifische Kunstinteresse. So geht es, wie Demirovic (1993, 33) verdeutlichte, nicht mehr um einen partizipatorische, sondern um einen distributiven Konsens: Kultur wird an alle die verteilt, die sich das urbane Angebot leisten können; Arme und Ältere, wenig mobile Bewohner der Peripherie und des Umlands werden sozial ausgegrenzt. Allgemein randständige und finanzschwache Bevölkerungsteile sind tendenziell von Großveranstaltungen ausgeschlossen, dagegen dominiert eine Klientel, die sich grundsätzlich die Eintrittskarten leisten kann und möchte. In diesem Zusammenhang ist gemäß Kraemer (1998) außerdem zu bemerken, dass durch ein allgemein gestiegenes Bildungsniveau die Distinktionsmöglichkeiten über den Faktor Bildung geringer und die Stellung im Erwerbswesen inklusive daran gebundene finanzielle Ressourcen wichtiger werden. Insofern verliert das kulturelle Kapital als traditionelle Distinktionsressource relativ betrachtet an Bedeutung, wogegen das ökonomische Kapital gewinnt, so Kraemer. Wenn auf der einen Seite VIP-Tickets zu höheren Preisen verkauft werden und auf der anderen Seite keine Spezialangebote für benachteiligte Gruppen angeboten werden, fällt es schwer, von einer Demokratisierung der Kunstmuseen zu sprechen. Andrerseits ist dies ein ökonomisches Kalkül, welches positiv zur Finanzierung von Kultur beiträgt. Mehr als eine Demokratisierung findet wohl eine Popularisierung statt, bei der es um die Erschließung neuer Besuchsgruppen, zum Beispiel mittels Eventisierung geht, jedoch der wirtschaftliche Aspekt sowie Prestigegedanke und in diesem Zusammenhang, die wenig differenziert betrachtete Vermehrung der Besuchszahlen im Vordergrund stehen. Dennoch muss bedacht werden, dass trotzdem bestimmte Personengruppen erst durch den gesteigerten Erlebniswert und der dadurch herabgesetzten Hemmschwelle in die Kunstausstellung finden, was - wenn auch nur eingeschränkt unter der Bezeichnung Demokratisierung - einer erleichterten Zugänglichkeit durchaus gleichkommt.
3.4 Exkurs: Das MoMA in Berlin
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Im Zentrum eines professionellen Marketingkonzepts steht die Erreichung eines Marketingziels, dessen Erfolg an hohen Besuchszahlen und am Imagegewinn gemessen wird. Das Zitat aus der Laudatio im Zusammenhang mit dem Wirtschaftspreis, den Meta Design für das Vermarktungskonzept der Ausstellung erhielt, zeigt einen rein unternehmerischen Aspekt der Ausstellung: Der Mut zur außergewöhnlichen Inszenierung der Ausstellung wird belohnt - positives Image und überwältigende Besucherzahlen beweisen dies. Das MoMA in Berlin setzt neue Maßstäbe im Bereich der Kommunikation in der Kulturlandschaft.92 In erster Linie werden also keine speziellen kulturpolitischen Ziele verfolgt, beispielsweise die Einbeziehung bestimmter Randgruppen in die Kunstrezeption. Auch dies spricht für eine Popularisierung als eine besondere Art von Demokratisierung. Die aggressive Vermarktung von Kunstausstellungen fordert eine kritische Auseinandersetzung. Zurecht steht die Frage im Raum, ob der Stellenwert von Kunst im Sinne der Werke und deren historischer Rolle oder vielmehr die Vermarktung eines Images im Vordergrund der Bemühungen stand. In einem der wenigen, inhaltlich kritischen Zeitungsartikel wird der Vorwurf geäußert, dass es bei der Sonderausstellung nicht so sehr um die Kunst ging als um die Marke Das MoMA in Berlin. Der Autor unterstellte den Ausstellungsmacherinnen und -machern außerdem nicht genügend Motivation aufgebracht zu haben, um Eigenes mit kunsthistorischem Wert beizutragen und stattdessen die von New York vorgeschriebenen Restriktionen bedingungslos befolgt zu haben.93 Zudem stand, so Rauterberg (2004, 38), über allem der selbst auferlegte Druck, die Rekordkosten der Ausstellung wieder hereinspielen zu müssen. Dagegen verteidigte Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) das Marketingkonzept, indem er betonte, das oberste Ziel war die schönste Sammlung der Moderne in Berlin zu präsentieren. Es ging uns um die Kunst. Erst in zweiter Linie ging es um das Stadtimage und das Image der Nationalgalerie. Wir wollten in erster Linie eine Ausstellung machen 92 93
Aus der Laudatio des Deutschen Preises für Wirtschaftskommunikation, 7. Juni 2004, Berlin. Zitiert aus dem Gesamtkonzept der Firma Meta Design (2004). Rauterberg kritisierte, dass das Berliner Museum komplett ausgeräumt wurde, um den Werken des New Yorker Museum of Modern Art Platz zu machen, anstelle eine Gegenüberstellung mit Werken aus der Berliner Sammlung zu versuchen.
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und daraus ist dann ein Event geworden. Im Inneren des Hauses lag die Konzentration ausschließlich auf den Kunstwerken. Wir haben immer versucht, das Event an das Haus zu binden und nicht an die Ausstellung. In der Ausstellung selbst gab es keine großen Transparente und kein grelles Pink. Es gab lediglich einen Museumsshop. Darüber hinaus verfolgt der Verein, eine inzwischen bei vielen Kunstmuseen übliche Strategie, populäre Blockbuster mit großen Künstlernamen wie Warhol und Picasso auszurichten, um schließlich aus den Einnahmen wiederum unbekannte Projekte fördern zu können. Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) erklärte, dass die Zinsen aus dem Gewinn der 6,5 Millionen EUR der MoMA-Ausstellung in eine Stiftung für das Ausstellungshaus Hamburger Bahnhof fließen, womit zeitgenössische, tendenziell schwer vermarktbare Kunst angekauft wird. Zudem profitierten gerade durch den inszenierten Hype und die besondere Kunststimmung, welche der Blockbuster in der Stadt verbreitete, andere Berliner Kunsteinrichtungen.94
3.4.4 Demokratisierungsansätze durch Popularisierung: Zusammenfassung und weitere Überlegungen Obgleich laut den Ergebnissen der Publikumsuntersuchung nur knapp 1 Prozent der Befragten aufgrund des Kinospots in die Ausstellung Das MoMA in Berlin kam, bergen Werbemaßnahmen an für die Sache eher untypischen und sozial heterogenen Orten grundsätzlich das Potenzial, neue Interessentinnen und Interessenten zu erschließen. Dies gilt ebenso für einen im öffentlichen Raum quantitativ stark präsenten und visuell auffälligen Werbeauftritt. Des Weiteren eignete sich der Einsatz von fachlichem Informationspersonal wie MoMAnizern - die in Das MoMA in Berlin einen Kernbereich des Kunstvermittlungsprogramms ausmachten - im Gegensatz zu klassischen Führungen insbesondere zur Ansprache von Publikumsgruppen, die üblicherweise nicht zu den Museums94
Odier (Expertengespräch am 11.03.2005) erfuhr beispielsweise vom Max Liebermann Haus, dass nach deren Einschätzung über die Hälfte der Besucherinnen und Besucher nach der Ausstellung Das MoMA in Berlin das Haus am Pariser Platz aufsuchten, die andernfalls wahrscheinlich nicht gekommen wären.
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gängerinnen und -gängern gehören. Mit einem entsprechenden Kunstvermittlungsstil kann durchaus eine Kluft zwischen Kunstinformierten und Laien durchaus verkleinert sowie dadurch die Distanz von Kunstlaien zu den ausgestellten Objekten und der Kunsteinrichtung verringert werden. Vermutlich wurde auch durch die externe Vermittlungsreihe in der BILD-Zeitung Publikumsgruppen erreicht, die gewöhnlich wenig an Kunstberichten interessiert sind. Diese kunstpädagogischen und kommunikationsstrategischen Maßnahmen sagen nichts über die tatsächlich erweiterte Zugänglichkeit aus, jedoch über das gesteigerte Potenzial einer solchen. Das Marketingkonzept von Das MoMA in Berlin richtete sich bewusst nicht an bestimmte Zielgruppen, sondern sollte, unter anderem durch ungewöhnliche Werbemittel, alle Bevölkerungsteile erreichen. Kunstausstellungen können, wenn sie entsprechend als Unterhaltungsevent vermarktet werden, ein Bedürfnis wecken, das nicht unbedingt in Verbindung mit dem Besuch von Kunstmuseen im Allgemeinen steht. So erzeugen Blockbuster eine Nachfrage bei Personen, die Events mögen und auf Geselligkeit sowie interpersonelle Kommunikation Wert legen. Dieser Besucherinnen- beziehungsweise Besucher-Typ scheint konträr zur klassischen Vorstellung des kontemplativen Betrachtenden und dem Image des ruhigen, wenig frequentierten Kunstmuseums. Ein Hype macht auf Events neugierig und löst mitunter, motiviert durch ein Nichtsverpassenwollen, ein gewisses Besuchspflicht-Gefühl aus. Durch eine starke Präsenz in den Medien und im öffentlichen Stadtraum sowie eine offensive Kommunikationsstrategie spricht eine Eventisierung vermutlich einen gewissen Mainstream an. Das zeigt sich durch ein Dabeiseinwollen und darüber hinaus die Vorstellung, was alle gut finden, muss gut sein oder wenn alle ins Museum gehen, kann ich dort auch hin. Im Bewusstsein, eine Massenveranstaltung zu besuchen, und durch die starke Konzentration auf ein gemeinsames Erlebnis wird die Hemmschwelle, in eine Kunsteinrichtung zu gehen, in der Regel stark herabgesetzt. Es wird auch die mögliche Gegebenheit vernachlässigt, dass sich eine Person normalerweise mit dieser Institution eventuell gar nicht identifiziert. Ausstellungen wie Das MoMA in Berlin vermögen somit zu-
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3 Kunstmuseum und Publikum
sätzliche Personengruppen anzuziehen, die eine hedonistisch geprägte Erlebnisgesellschaft ausmachen. Dafür spricht ebenfalls die enorme Akzeptanz der unterhaltungsorientierten Vermittlungsart der MoMAnizer im Gegensatz zu den bildungsorientierten klassischen Führungen. Die Inszenierung einer Ausstellung als Event, insbesondere die medienwirksame Vermarktungskampagne und die besonderen Formen der Vermittlung in der Ausstellung kann durchaus als Chance betrachtet werden, Unsicherheitsbarrieren gegenüber Kunsteinrichtungen abzubauen. Durch den Eventcharakter kann der Zugang zu einer traditionell elitären Einrichtung wie dem Kunstmuseum erleichtert werden. Bei Personen, für die das Spektakel selbst im Vordergrund des Besuchs steht, kann über die Kunst, als gegebenenfalls zweite Motivation, das Interesse an Kunstmuseen gesteigert werden. Populäre Ausstellungsinhalte, beispielsweise bekannte Werke von berühmten Malern der Moderne, führen bei einem Teil des Publikums vermutlich zu einer gewissen Vertrautheit, welche letztlich dazu beiträgt, ein Gefühl der Dominanz zu erreichen beziehungsweise zu verstärken. Präsentiert sich darüber hinaus eine Sonderausstellung als Medienereignis mit vielen einzelnen Rahmenevents, wirkt das Projekt im Ganzen vertrauter, indem vermittelt wird, dass sich dort Gleichgesinnte aufhalten und nicht nur Kunstexpertinnen und -experten. Über die Bekanntheit der Werke einer Ausstellung und eine Eventisierung kann es also gelingen, Unsicherheitsbarrieren abzubauen, auf diese Weise einem Unterwerfungsgefühl entgegenzusteuern und das Haus für eine neue Klientel zu öffnen. Möglichenfalls stellt ein Event den ersten Schritt für eine zukünftige Verbundenheit mit Kunstmuseen und Kunst dar. Auch eine relativ gesehen kleine Gruppe von knapp 9 Prozent der insgesamt über 1,2 Millionen Ausstellungsbesucherinnen und -besucher, die höchstens ein Mal pro Jahr ein Museum betreten, sollte zahlenmäßig nicht unterschätzt werden. Für einen Teil der Besucherinnen und Besucher könnte Das MoMA in Berlin gar den Anstoß zum Erstbesuch gegeben oder auf unkomplizierte Weise mit dem Kunstmuseum vertraut gemacht haben. Ausgehend von Terlutters (2000, 277) Cluster lässt sich ableiten, dass Kulturevents aufgrund ihrer Exklusivität und Einmaligkeit dafür geeignet sind, neben den Erlebnisori-
3.5 Fazit
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entierten auch die Bildungs- und Prestigeorientierten anzusprechen und – wenn überhaupt erreichbar – die Kulturmuffel, welche Unterhaltung und Aktualitätsbezogenheit vorziehen. Über den Besuch von Kunstmuseen im Rahmen von Großveranstaltungen wird womöglich eine Vertrautheit mit dem Ort hergestellt, die nicht notwendigerweise über Kulturkapital funktioniert. Inwieweit sich für die Wenig- oder Nichtgängerinnen und -gänger tatsächlich Folgebesuche ergeben, kann hier leider nicht nachvollzogen werden. Obgleich neues Publikum über Events hinzugewonnen werden kann, bleiben mindestens Personengruppen, die aus wirtschaftlichen Gründen keine hohen Eintrittspreise für Sonderausstellungen bezahlen können, Marginalisierte, die nicht über das nötige soziale Kapital verfügen, sowie Uninteressierte weiterhin ausgeschlossen. Neben dem Interesse ist damit ökonomisches und soziales Kapital für einen Museumsbesuch ausschlaggebend. Wird unter Demokratisierung verstanden, einen möglichst großen Teil der Bevölkerung mit unterschiedlichem sozialen Hintergrund zu erreichen, ist es notwendig, diesen Personenkreisen einen Platz in den Zielgruppenprogrammen einzuräumen und entsprechende Vermittlungsarbeit zu leisten. Dies würde einer Demokratisierung entsprechen, die sich über einen qualitativen Zugang definiert. Dem gegenüber stehen Demokratisierungsbestrebungen, die eher im Rahmen einer Popularisierung verlaufen, indem zum Beispiel überwiegend der Erlebniswert von Veranstaltungen herausgestellt wird und eine rein quantitative Besuchszahlensteigerung verfolgt wird.
3.5 Fazit Die kulturalistische Sichtweise, dass Besuche von Kunstmuseen in freier Wahl und unabhängig von sozialen Strukturen erfolgen, ist in der Lage einen weiteren Erklärungsbogen aufzuspannen als dies die strukturalistische Sichtweise vermag. Empirische Studien zeigen jedoch, dass vor allem ein strukturelles Moment, nämlich ein hoher Grad an Bildung, ein auffälliges Merkmal von Besucherinnen und Besuchern der Kunstmuseen darstellt. Die bestehenden Strukturen können jedoch durch themati-
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sche Sachverhalte aufgebrochen werden, die dem kulturalistischen Bereich zuzurechnen sind. Dabei kommt einer zunehmenden Vermischung von Kultur und Alltag besondere Bedeutung zu. Die Durchdringung beider Bereiche zeigt sich insbesondere durch zwei sich gegenseitig verstärkende Effekte. Einerseits verlagern sich die Publikumsmotive in Richtung Unterhaltung sowie Geselligkeit und andrerseits berücksichtigen Kunsteinrichtungen die sich daraus ergebenden Publikumswünsche und bieten Social Events an. Das MoMA in Berlin wurde als ein solches Social Event inszeniert, in dem der klassischen Ausstellung ein aufwändiger Unterhaltungsapparat vorgeschaltet wurde. Die Öffnungsbestrebungen der Kunstmuseen stehen heute in einem anderen Kontext als in den 1970er Jahren. Es ist eine Veränderung in der Publikumsansprache der Kunstmuseen festzustellen, die eher als Popularisierung bezeichnet werden kann, indem sich die Konzentration auf quantitative Besuchszahlen sowie eine stärkere Einbindung der Kunstrezeption in den Alltagskontext verlagerte. Lange Nächte und Blockbuster-Ausstellungen weisen zwar überwiegend höher gebildete Publika auf, vermögen aber darüber hinaus einen Personenkreis anzusprechen, der sich für Kunstmuseen normalerweise nicht interessiert und dessen Besuchsmotiv in erster Linie nicht in der Kunst zu finden ist. Insofern stecken in einer Popularisierung Chancen, positives Annäherungsverhalten zu initiieren und insbesondere Personen an Kunstmuseen zu gewöhnen, die sich Setting-Vertrautheit nicht über erzieherisch erworbenes Kulturkapital aneignen konnten. Events scheinen Hemmschwellen herabsetzen und Einstellungen gegenüber dem Veranstaltungsort positiv verändern zu können. Folglich kann Annäherungsverhalten erzeugt werden. In Bezug auf die Publikumsansprache sind diese Aspekte einem qualitativen Wert zuzuordnen. Insofern kann behauptet werden, dass über den Weg einer Popularisierung demokratisierende Wirkung entfaltet werden kann. Generell führt die Ansprache verschiedener Zielgruppen zu einer größeren Heterogenität im Kunstmuseum und dadurch – obgleich das klassische Kunstpublikum bislang überwiegt – auch zu einer stärkeren Durchmischung von Fachleuten mit Kunstlaien beziehungsweise von Personen, die viel ins Kunstmuseum gehen und solchen, die wenig gehen.
4 Öffentlicher Stadtraum und Publikum von Kunst im öffentlichen Raum
Im vierten Teil dieses Buchs wird die weit verbreitete Idee von einer außer-institutionell präsentierten Kunst überprüft, die für alle sozialen Bevölkerungsteile gleichermaßen zugänglich ist. Es wird untersucht, wie sich die imagefördernden Ziele einer neuen Stadtpolitik auf Annäherungs- und Meidungsverhalten gegenüber bestimmten Umwelten auswirken. Besondere Berücksichtigung in der Frage des Zugangs finden die beiden Themen unklar definierte Orte sowie Vandalismus. Daneben wird die grundsätzliche Existenz sozialer Normen sowie settingspezifischer Regeln im Außenraum beleuchtet und eine Übertragung der im vorigen Teil ausgeführten relevanten Aspekte der Behavior Setting-Theorie auf den öffentlichen Raum vorgenommen.
4.1 Auswirkungen der Stadtpolitik auf die Zugänglichkeit im öffentlichen Raum Im folgenden Kapitel geht es um die Bedingungen eines neuen Selbstverständnisses der Städte, das sich in den 1990er Jahren im Kontext zunehmender Ökonomisierung entwickelte und in dessen Folge Selektionsmechanismen sichtbar werden. Nachfolgend wird der Zusammenhang zwischen global ablaufenden Prozessen und kommunalpolitischen Entscheidungen erläutert sowie konkret mit der Bewertung von öffentlichem Raum in Verbindung gebracht. Veranschaulicht wird dies anhand des Ausbaus weicher Standortfaktoren, zum Beispiel einer Aufwertung der Kernstädte durch Wohnungssanierungen oder erlebnisorientierte Veranstaltungen. Shopping-Malls dienen darüber hinaus als Beispiel für P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8_4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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4 Öffentlicher Stadtraum und Publikum von Kunst im öffentlichen Raum
eine zunehmende Vermischung von öffentlich und privat im Allgemeinen sowie speziell für die stärker werdende Präsenz von scheinbar öffentlichen, besitzrechtlich jedoch privaten Räumen. Zudem wird die Problematik eines Sicherheitsdiskurses und dessen möglicher Einfluss auf die Zugangsrechte im öffentlichen Raum betrachtet. Abschließend erfolgt mit Martha Rosler eine künstlerische Position, die sich aufgrund der Auswirkungen kritisch gegen eine neoliberale Stadtpolitik stellt.
4.1.1 Das neue Selbstverständnis der Städte Insbesondere seit Beginn der 1990er Jahre wird Stadtraum in der Kommunalpolitik zunehmend als Erlebnis- und Konsumraum betrachtet. Kritikerinnen und Kritiker dieser Entwicklung vertreten die Ansicht, dass sich die politische Linie der Städte hauptsächlich an wirtschaftlichen Belangen orientiert und daher einseitig auf konsumstarke Bewohnerinnen und Bewohner, spezielle Gruppen wie Touristinnen und Touristen sowie Investoren ausgerichtet ist. Dadurch werden zwangsläufig andere elementare Politikbereiche sowie die Interessen und Bedürfnisse benachteiligter Bevölkerungsteile vernachlässigt (zum Beispiel Häußermann und Siebel 1987). Bereits mit der einsetzenden ökonomischen Rezession nach der ersten Ölkrise in den siebziger Jahren zeichnete sich in Deutschland ein Strukturwandel ab, der als Sozialstaatskrise diskutiert wird. Angesichts der schwierigen öffentlichen Haushaltslage, aber auch demographischen Veränderungen wie Geburtenrückgang und Überalterung mussten neue sozialstaatliche Modelle erprobt werden, was sich unmittelbar auf die Politik der Kommunen auswirkte. Der Bund kürzte seine Transferleistungen an die Städte und Regionen und forderte von den Kommunen selbst eine aktive Beschäftigungs- sowie Sozialpolitik. Während die Städte bis dahin überwiegend für die lokale Umsetzung der Staatspolitik verantwortlich waren, erlangten diese somit nach und nach größere Eigenständigkeit. Der hinzugewonnene Handlungsspielraum, so Ronneberger et al. (1999, 23f.), ermöglichte eine Neudefinition der Städte, die sich immer mehr wie private Unternehmen begriffen und
4.1 Auswirkungen der Stadtpolitik auf die Zugänglichkeit im öffentlichen Raum
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eine tendenziell neoliberale Politik verfolgten. Außerdem wird das zunehmend wichtiger werdende Image einer Stadt gemäß Göschel (2006, 239) weniger durch eine bestimmte Leistung als durch Atmosphäre und Wohlfühlempfindungen geprägt. Dabei spielt Kultur als Teilkomponente des Markenprodukts Stadt eine immer größere Rolle. Auch Mörth (1991) betonte, dass die Lebensqualität einer Stadt neben den Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten, der öffentlichen Infrastruktur sowie den Einrichtungen des Gesundheits- und Bildungswesens von dem Erleben einer Alltagskultur mitgeprägt wird, die ein Gefühl von Lebendigkeit und Urbanität verbreitet. Zudem weisen die Ergebnisse der von der Autorin durchgeführten empirischen Studie darauf hin, dass Kunst im öffentlichen Raum mit einer gesteigerten Lebensqualität verbunden wird (siehe Teil 5 des Buchs). Generell produzieren Großstädte durch die starke Dienstleistungsbranche, vor allem den Finanzdienstleistungen, dem Medienund EDV-Bereich, aber auch visuellen Attraktionen wie Kunstmuseen zunehmend Abstraktes, was Zukin (1998, 28f.) als eine Ökonomie der Symbole bezeichnete. Entsprechend sind unternehmerisch handelnde Städte besonders an den Wachstumsbranchen interessiert, unter anderem der Informations- und Unterhaltungsindustrie sowie im Speziellen dem Kulturbereich. Vor diesem Hintergrund, wie Ronneberger et al. (1999, 88ff.) äußerten, wird die verstärkte Abhängigkeit der Kommunen von einerseits staatlichen Subventionen und andrerseits privaten Investoren deutlich, was maßgeblich die Stadtplanung steuert.
Globalisierungstendenzen und Neubewertung von städtischem Raum Die Bewertung des öffentlichen Raums, die letztlich über dessen Nutzungsmöglichkeiten bestimmt, hängt mit dem Selbstverständnis der Städte und infolgedessen deren neuen Aufgabendefinition zusammen. Dieses Selbstverständnis wird hauptsächlich durch die in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewinnenden Globalisierungsprozesse beeinflusst. Das globale Geschehen mit zunehmenden internationalen Verflechtungen in allen Bereichen wirkt sich auf die kommunale Politik und schließlich die Nutzung des Stadtraums aus. Fortschritte in der Kom-
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munikationstechnologie und im Transportwesen sowie die Freihandelsgesetze führten in besonderem Maße zu einer Reorganisation der Weltwirtschaft. Globalisierungsprozesse werden innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses verschieden aufgefasst und gedeutet. Nach Dangschat (1996, 35) bedeutet Globalisierung eine weitgehende Aufhebung regionaler Begrenzungen der Wirtschaftssysteme, ein Angleichen ehemals nationalstaatlich unterscheidbarer politischer Regulationen der Wirtschaft und der gesellschaftlichen Bedingungen sowie veränderte gesellschaftliche Strukturierungen selbst. Globalisierung stellt damit eine Forcierung des Sozialen Wandels aufgrund der Notwendigkeit der Reorganisation der Weltwirtschaft dar, bei der vor allem die Städte zu den entscheidenden Orten der Auf-, Um- und Entwertung von Räumen werden. Großstädte sehen sich durch das Hereindringen globaler Wertmaßstäbe und Standards, Praktiken, Präferenzen in lokale, bislang weitgehend von lokalen und nationalen Maßstäben geprägte Strukturen und Mentalitäten nicht mehr nur mit nationalen Wettbewerbern konfrontiert, sondern international einem Druck ausgesetzt, der zwingt, die politischen Ziele entsprechend anzupassen. Unternehmen mit internationalen Kapitalverflechtungen investierten insbesondere seit den 1990er Jahren verstärkt in weltweit gestreute Immobilien, wodurch städtischer Raum als Kapitalanlage immer wichtiger wurde (Dangschat 1996, 41; Noller und Ronneberger 1995, 38). Während niedrige Steuern, hohe Anschubsubventionen oder eine gut ausgebaute Infrastruktur heute als Grundvoraussetzungen im Standortwettbewerb gelten, gewinnen weiche Standortfaktoren wie das Kultur- und Freizeitangebot, ein attraktiver Kernstadtbereich mit Shopping-Malls und exklusiven Wohngebieten oder Faktoren wie Sicherheit und eine geringe Kriminalitätsrate an Bedeutung. Infolgedessen entsteht für die - auf globaler und lokaler Ebene - miteinander konkurrierenden Kommunen gewissermaßen der Zwang, über ein gutes Basisangebot hinaus, das Besondere zu bieten. Mit einem tendenziell unternehmerischen Selbstverständnis streben Großstädte nach einer positiven Präsenz in der Öffentlichkeit und sind dementsprechend immer mehr auf private Investoren angewiesen, um diese Ziele zu verwirklichen. Wie Studien und Besuchszahlen zeigen, gewannen Großausstellungen wie Das MoMA in Berlin sowie Lange Mu-
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seumsnächte in breiten Teilen der Bevölkerung an Beliebtheit und Kunstmuseen einen hohen Stellenwert im Bereich der bildenden Unterhaltung. Demzufolge sind Kunstmuseen durch medienwirksame Sonderausstellungen, ihre architektonische Präsenz sowie ihre Funktion als Veranstaltungszentren überwiegend gesellschaftlich akzeptierte Einrichtungen. Im Gegensatz zu Einzelprojekten und oftmals unerkannter und unentdeckter Kunst im öffentlichen Stadtraum eignen sich Museen aufgrund ihrer Sichtbarkeit für die Einbindung in die städtische Imagepolitik. Kultur erlangte somit eine außerordentlich investitionswürdige Rolle im Zusammenhang mit dem Ausbau weicher Standortfaktoren. Sobald Kulturpolitik jedoch eine ökonomische Funktion als Standortfaktor übernimmt, wirkt diese nach Ansicht von Häußermann und Siebel (1987, 204) selektiv. Entsprechend richten sich kulturelle Events aus ökonomischer Berechenbarkeit überwiegend an Gäste sowie auch an hochqualifizierte Berufstätige und Betriebe. Häußermann und Siebel beobachteten eine Konzentration der Aktivitäten auf das Zentrum, Abstimmen der Angebote auf eine gesellschaftliche Mittelschicht sowie Verdrängung von optischen, sozialen und politischen Störfaktoren infolge einer Stadtästhetisierung. Kommunen bestimmen mit den meisten politischen Entscheidungen - die von den Globalisierungsprozessen beeinflusst zunehmend nach ökonomischen Prinzipien getroffen werden über die Geschicke des öffentlichen Raums mit, das heißt darüber, wie eine Nutzung der Stadtflächen auszusehen hat. Letztlich werden durch diese Entscheidungen die sozialen und physischen Möglichkeiten sowie auch Grenzen der Nutzung des öffentlichen Raums mitbestimmt.
Aufwertung der Kernstädte durch Wohnungssanierungen Neben dem nationalen und globalen Wettbewerb sehen sich die Kernstädte zusätzlich mit einem stark prosperierenden Umland konfrontiert. In Westdeutschland setzte bereits in den 1960er Jahren eine Suburbanisierung im Sinne einer Stadterweiterung in das Umland ein, so Heineberg (2001, 40). Diese äußerte sich gemäß Friedrichs (1995, 131) darin, dass in den Subzentren die Einkaufsflächen und Umsätze stark zunah-
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men, wogegen die Kernstädte zwischen 1976 und 1980 fast ein Viertel der Kundinnen und Kunden sowie Passantinnen und Passanten verloren. Darüber hinaus entstand eine zunehmende City-Verödung nach Geschäftsschluss. Die Hauptprobleme einer Suburbanisierung, so Friedrichs weiter, finden sich in einer ungleichen finanziellen Belastung von Innenstadt und Umland,95 in der Abwanderung konsumstarker Bevölkerungsteile sowie aufgrund von hohen Mietpreisen und Wohnungsknappheit, auch in der Abwanderung von Familien mit Kindern (ebenda, 103). Noch Mitte der 1990er Jahre prognostizierte Friedrichs eine weiter ansteigende Suburbanisierung für die westdeutschen Gebiete (ebenda, 112f.). Aktuellere Analysen zeigen jedoch, dass die Abwanderung in das Umland nachließ und stattdessen immer mehr Menschen wieder in die Innenstadt zurückzogen. Aus finanziellen Gründen kann dieser Trend in erster Linie von einem konsumstarken Teil der Bevölkerung getragen werden. Die Bedürfnisse beziehungsweise das Konsumverhalten dieser finanzkräftigen Personenkreise beeinflussen die politischen Entscheidungen der Kommunen und diese die Nutzung des öffentlichen Raums durch weiterer Gruppen (zum Beispiel Brühl 2005, 8ff.). Die Kommunen sehen neben der Erweiterung des Kulturangebots unter anderem in der exklusiven Sanierung innenstadtnaher Wohnungen eine Möglichkeit, weiche Standortfaktoren auszubauen sowie die Kerngebiete interessanter zu gestalten. Begünstigt durch spezielle Förderungsgesetze flossen bereits in den 1970er Jahren zunehmend öffentliche und private Gelder in die Sanierung historischer Gebäudesubstanzen, was den Beginn der Gentrificationprozesse96 markierte. Wie Friedrichs (1995, 119ff.) deutlich machte, nehmen die Verantwortlichen mit der Entscheidung für eine groß angelegte Noblierung von Wohnungen be95
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Die Innenstädte stellen die Infrastruktur, beispielsweise Arbeitsstätten, Kultur- und Bildungseinrichtungen oder Verkehrswege, für Bewohnerinnen und Bewohner von Zentrum sowie Umland bereit, ohne dafür Ausgleichszahlungen zu erhalten. Dies erweist sich als Hauptproblem (Friedrichs 1995, 99). Nach der Definition von Friedrich (1995, 119) bezeichnet Gentrification einen Aufwertungsprozess innerstädtischer Wohngebiete durch den allmählichen Wegzug statusniederer und dem gleichzeitigen Zuzug statushöherer Bevölkerungsschichten, was eine Umverteilung der Wohnbevölkerung nach sich zieht.
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wusst in Kauf, dass ein Großteil der Familien und geringer Verdienenden finanziell bedingt nicht wieder in die sanierten Wohnungen zurückziehen können. Nach Einschätzung von Ronneberger et al. (1999, 87) muss Gentrification sogar als Form der räumlichen Aufwertung zum festen Bestandteil einer neoliberalen Stadtpolitik gewertet werden. Offenbar werden verschiedene Teile des Stadtraums von der Kommune unterschiedlich behandelt, was gesellschaftliche Differenzen verstärkt. Dangschat (1996, 45) kennzeichnete einen Ort wie Museum oder Shopping-Mall als „Raum der Sieger“, wogegen eine ehemalige Sozialbausiedlung, die für die noble Umwandlung nicht taugt und deshalb sowohl kommunal als auch vom privaten Sektor vernachlässigt wird, einen „Raum der Verlierer“.
Eventorientierung Vor allem Großstädte begannen in den 1980er Jahren mit dem Schwerpunkt auf Museen, Kulturzentren und Bürgerhäusern, den kommerziellen Freizeitsektor auszubauen. Die Kommunen handelten in Folge eines gesellschaftlichen Wertewandels mit der Tendenz zu einer verstärkten Erlebnisorientierung sowie ökonomischer Umstrukturierungsprozesse. Um in der neuen Wettbewerbssituation bestehen zu können, tendierten die politischen Akteure zu einem Ausbau weicher Standortfaktoren und der Schaffung von Erlebnislandschaften. Die Kernstädte spielten als Aushängeschilder der Städte beim Wandel des öffentlichen Raums in einen Erlebnis- und Konsumort insofern eine besondere Rolle, als dort aufgrund der hohen Erlebnisqualität und Multifunktionalität am intensivsten ein Gefühl des Städtischen vermittelt wird. In zunehmendem Maße, so Häußermann und Siebel (1993, 10), dienten öffentlichkeitswirksame Großevents der städtischen Imagepflege, um den Bekanntheitsgrad überregional zu erhöhen und infolgedessen das Interesse von Investoren sowie Touristinnen und Touristen zu wecken. Häußermann und Siebel (ebenda, 15) prägten in den 1990er Jahren den Begriff Festivalisierung der Stadtpolitik für eine kommunalpolitische Ausrichtung auf Events mit dem Ziel, Aufmerksamkeit auf sich zu zie-
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hen und im Wettbewerb der Städte einer drohenden Unsichtbarkeit zu entgehen. Zudem hatten Großveranstaltungen die Aufgabe, Identität zu stiften, um wiederum den Gemeinsinn der Bürgerinnen und Bürger zu stärken (ebenda, 23). Bei der Politik der großen Ereignisse, so erklärten Häußermann und Siebel (1993, 19), sind Städte allerdings weniger an einem kurzfristigen betriebswirtschaftlichen Nutzen interessiert als viel mehr taktisch daran, sich in finanzschwachen Zeiten weiter als zukunftsträchtige, handlungsfähige Standorte zu präsentieren. Dies funktioniert über einen mit Großereignissen verbundenen Zeit- und Erwartungsdruck, durch den Finanzmittel und interne Motivation leichter mobilisiert und heterogene Interessen zu Mehrheiten gebündelt werden können. Häusermann und Siebel (ebenda, 24ff.) sehen in der Festivalisierungspolitik mindestens die zwei negativen Aspekte einer Vernachlässigung des Sozialen einerseits sowie der lokalen Demokratie andrerseits. Dies bedeutet zum einen, dass Minderheiteninteressen bewusst an den Rand gedrängt werden, indem die Kommunalpolitik knappe Mittel an große Projekte bindet und infolgedessen weniger spektakuläre, eher dezentral und prozesshaft organisierte Bereiche wie Soziales vernachlässigt. Zum anderen fördert dies einen wenig demokratischen Ansatz, wenn die Umsetzung von Großprojekten fast immer in den oberen Verantwortungsebenen beschlossen und in der Öffentlichkeit lediglich noch um Akzeptanz gerungen wird. Die Festivalisierungspolitik richtet sich demnach an einen bestimmten Teil der Bevölkerung, während andere, zumeist marginalisierte Gruppen von den städtischen Erlebnisräumen bewusst ausgeschlossen werden. Grasskamp (1997, 15) wies darauf hin, dass die unsichtbaren Barrieren im öffentlichen Raum oft erst sichtbar werden, wenn es zum Konflikt kommt. Globalökonomische Umstrukturierungsprozesse und die Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft trugen dazu bei, dass sich in Großstädten sehr unterschiedliche Berufsmilieus ansiedelten. Der tertiäre Sektor bedarf einerseits hoch spezialisierter, in der Regel gut entlohnter Beschäftigter und andrerseits unqualifizierter Niedriglöhner wie Reinigungskräfte oder Wachdienste (Dangschat 1996, 44; Noller und Ronneberger 1995, 35). Am auffälligsten zeichnete sich die Polarisierung
4.1 Auswirkungen der Stadtpolitik auf die Zugänglichkeit im öffentlichen Raum
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für Noller (1999, 118) in Städten mit aufstrebenden Sparten moderner Dienstleistungen ab, beispielsweise dem Finanzsektor in Frankfurt am Main. Die neue Mittelklasse bestimmt zunehmend die vorherrschenden Kulturangebote der Metropolen, wodurch sie gleichzeitig zur Trägerin von Distinktionsprozessen wird. Zukin (1998, 32) beschrieb die Lebensweise jener Stadtbewohnerinnen und -bewohner als spezifisch städtisch, als eine die von ästhetisch-kulturellen Praktiken geprägt ist und wiederum von ökonomischem und kulturellem Kapital abhängt. Freizeit- und Kulturangebote richten sich also zunehmend nach den Anliegen der konsumstarken Bevölkerungsteile, während demgegenüber die Bedürfnisse von Personengruppen, die aus dem Raster fallen, weitgehend unberücksichtigt bleiben. Lewitzky (2005) zog daraus den Schluss, dass die erlebnis- und konsumorientierten Stadträume, im Gegensatz zu einem traditionellen Verständnis des Städtischen mit den Wesensmerkmalen der Funktionenvielfalt und Personenheterogenität, personell immer homogener werden. Öffentlicher Raum wird so gesehen für die Befriedigung von Repräsentationsbedürfnissen einer bestimmten Klientel funktionalisiert. Wem entsprechend ökonomisches oder soziales Kapital fehlt, kann an einem großen Teil des städtischen Angebots, das von der Stadtpolitik auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet ist, nicht partizipieren. Insofern wird durch die Eventorientierung der Städte für bestimmte Personengruppen der Zugang zu Teilen des öffentlichen Raums erschwert.
4.1.2 Selektion und Sozialstatus im öffentlichen Raum Begünstigt wird eine Homogenisierung des öffentlichen Raums unter anderem durch den neuerlichen Aufschwung innerstädtischer Einkaufspassagen. Shopping-Malls dienen als Beispiel für eine Entwicklung, nach der immer mehr zentrale Außenräume in der Stadt privat kontrolliert werden, wodurch der Zugang zu Teilen des öffentlichen Raums für bestimmte, nicht konsumfähige Nutzungsgruppen nahezu unmöglich wird. So bald ehemals öffentliche Teilräume der Stadt privatisiert werden, tritt eine Änderung der Nutzungsmöglichkeiten ein. Bereits Anfang
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der 1970er Jahre, so Heineberg (2001, 183f.), wurden Einkaufspassagen im Stadtzentrum als erfolgreiches Mittel eingesetzt, um dem sinkenden Wettbewerbsvorteil durch das prosperierende Umland entgegenzuwirken. So entstanden zwischen 1964 und 1990 in Westdeutschland 94 neue Shopping-Center mit mehr als 10.000 Quadratmetern Fläche, Ende 1994 waren es inklusive Ostdeutschland bereits 167. In jüngster Zeit liegt der Schwerpunkt der kommunalen Bautätigkeit nach Heinebergs Beobachtung auf Urban Entertainment Centern, das heißt erlebnisorientierten Einkaufszentren mit zumeist Themengastronomie und Multiplexkino. In Deutschland existierten 2001 schon 372 Standorte mit Mietflächen von über 10.000 Quadratmetern. Laut einer Pressemitteilung des EHI Retail Institute (2006) setzte sich dieser Trend fort. Gemäß der Prognosen sollte der Shopping-Center-Boom weiter anhalten, so dass insbesondere in großstädtischen Zentren der kaufkräftigen Regionen wie Bayern und Baden-Württemberg zahlreiche Neubauten geplant waren. Es kann beobachtet werden, dass im städtischen Raum eine subtile, der einzelnen Person oft unbewusste Verschränkung von öffentlich und privat zunimmt, welche im Zusammenhang mit der Zugänglichkeit des Stadtraums problematisiert werden muss. So vermitteln Einkaufspassagen zunächst den Eindruck öffentlicher Zugänglichkeit, was sich bei näherer Betrachtung jedoch als scheinbar öffentliche Zugänglichkeit herausstellt. Damit stellen Shoppingzentren Orte symbolischer Ökonomie dar, deren Nutzerinnen und Nutzer auf die Rolle der Konsumentinnen und Konsumenten beschränkt ist und eine soziale Heterogenität damit unmöglich machen. Dies liegt daran, dass die Einkaufscenter überwiegend im Besitz von privaten Unternehmen sind und mit einer eigenen Hausordnung den Aufenthalt regeln. Nutzungsrechte werden von der Center-Leitung festgelegt und zudem von eigenen Wachdiensten kontrolliert. Für Krauss (2006, 83) sind derartige Teilräume, beispielsweise Shopping-Malls oder die großen Bahnhofsumbauten beziehungsweise -neubauten, dadurch gekennzeichnet, dass dort kein staatliches oder polizeiliches Sicherheitsverständnis mehr gilt. Außerdem herrscht noch eine Unklarheit über gegenwärtige Formen und Regeln. Zukin (1993, 54) diagnostizierte für solche liminale Räume (liminal space) nicht nur das
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Verwässern der Grenzen von Privateigentum und öffentlichem Raum, sondern bei einer Verschiebung der Betrachtung auf das Kulturelle, auch ein Ineinanderfließen von Hoch- und Populärkultur, indem zum Beispiel in Museen oder auch internationalen Hotels eine Annäherung der Kunstproduktion an den Massenwarenmarkt sichtbar wird. Im Zusammenhang mit der Vermischung von Kunst- und Massenmarkt ist das Projekt The Shop der beiden Künstlerinnen Tracy Emin und Sarah Lucas in der Londoner Bethnal Green Road erwähnenswert. Das Projekt richtete sich nicht an ein Kunstpublikum, sondern Abnehmerinnen und Abnehmer des Warenangebots in einem Ladengeschäft. Folglich war an die Rolle der Käuferin oder des Käufers, im Gegensatz zu der Museumsbesucherin beziehungsweise des Museumsbesuchers, kein kunstspezifisches Vorwissen geknüpft. Emin und Lucas wollten mit dem Shop austesten, inwiefern die konsumierende Bevölkerung Objekte, die im Museum Kunstwert besitzen, als gewöhnliche Kommerzartikel akzeptierten (Schmidt-Wulffen 1996, 189). Wie die Großstadt im Ganzen bieten deren halbprivate Teilorte, zum Beispiel Einkaufs- und Unterhaltungskomplexe, Vielfalt sowie die Möglichkeit zum Socializing. Dies geschieht allerdings in einem störungsfreien, berechenbaren Rahmen und aus sicherer Distanz zur Realität, so Hannigan (2000). Auch Noller (1999, 161) sprach von Malls als künstlichen, risikoarmen Welten mit hohem Freizeitwert, also miniaturisierte Modelle eines urbanen Raumes, eines Markt-Platzes, in dem Sicherheit, Sauberkeit und Kontrolle eine größere Bedeutung zukommt als Kommunikation. Indem der Hauptzweck der Einrichtungen das Konsumieren darstellt, führten Ronneberger et al. (1999, 94) aus, kommt es, wenn Anwesende der vorgegebenen Rolle der oder des Konsumierenden nicht gerecht werden können, zum Ausschluss. Wenn also eine Person weder den Hauptzweck der Einrichtung erfüllt, noch der heilen Atmosphäre zuträglich erscheint, kann darüber ein Ausschluss erfolgen, der vor allem bestimmte Bevölkerungsteile betrifft. Dies liegt gemäß Ronneberger et al. (1999, 72) daran, dass traditionelle Merkmale des Städtischen, beispielsweise soziale Heterogenität, in einer erlebnisorientierten Stadt tendenziell als unbehaglich empfunden werden. Nach Häußermann und
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Siebel (1987, 215) stehen Shopping-Malls für eine Reihe von städtischen Inszenierungen, welche durch Öffnungszeiten und die Konzentration auf eine konsumstarke Mittelschicht, in mehrerlei Hinsicht ausgrenzend wirken. Neben Häußermann und Siebel verdeutlichte auch Wehrmann (2003, 19f.), dass Urbanität zu einem ausschließenden Phänomen werden kann, das die soziale Position und somit die Möglichkeiten öffentlicher Raumnutzung in der Stadt mitbestimmt. An dieser Stelle muss auch vermerkt werden, dass es Gegenpositionen gibt, die gesteigerte Sorgen bezüglich einer neuerlichen Selektion im öffentlichen Stadtraum für unbegründet halten. Selle (2004) beispielsweise sprach sich für eine Entdramatisierung der Diskussion aus und argumentierte in Bezug auf die Zugänglichkeit von öffentlichen Orten gar mit einem flächenmäßigen Zuwachs in den vergangenen Jahren. Hier sollen jedoch Tendenzen aufgezeigt werden, die voraussichtliche Entwicklungen in ihrer Schärfe widerspiegeln.
Exklusion und Inklusion oder Unsicherheitsdiskurs und Sozialstatus Parallel zum Ausbau der weichen Standortfaktoren, mit besonderem Augenmerk auf die Innenstadtbereiche als Aushängeschilder der Stadt, entwickelte sich seit den 1990er Jahren eine Diskussion um Sicherheit und Sauberkeit, die sich konkret auf die Nutzungschancen des öffentlichen Raums auswirkte (zum Beispiel Häußermann und Siebel 1987). Wehrheim (2003, 15) betonte, dass eine verstärkte Thematisierung von Unsicherheit und Kriminalität in der Großstadt sowie räumliche Segregation keine neuen Phänomene darstellen, so dass ähnliche Debatten bereits seit der Moderne und vornehmlich in Zeiten einschneidender sozialökonomischer Transformierungsprozesse beobachtet werden konnten. Das Neue in der heutigen Situation liegt in der Strategie der deutschen Städtepolitik bei der Behandlung sozialer Probleme. Während die Kommunen bis in die 1970er Jahre versuchten, soziale Angelegenheiten wie den Umgang mit marginalisierten Gruppen mittels Integrationsprogrammen zu lösen, wandelte sich diese Vorgehensweise in den vergan-
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genen Jahren. Stattdessen wurden verstärkt ordnungspolitische Maßnahmen eingesetzt, was Ronneberger et al. (1999, 184) folgendermaßen formulierten: An die Stelle von Einschluß und soziale Gerechtigkeit treten deshalb in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zunehmend Exklusion und Bestrafung. Entsprechend kann festgehalten werden, dass eine räumliche Lösung sozialer Probleme mittels eines verschärften Sicherheitsdiskurses als für die Epoche spezifisch hervorgeht. In diesem Kontext gewann das Konzept gemeindenaher Polizeiarbeit (community-policing) von Wilson und Kelling an Attraktivität, das von der Broken Windows-Theorie abgeleitet wurde, die wiederum auf dem Konzept des Zero Tolerance basiert. Die theoretischen Ansätze erschienen erstmals 1982 in den Vereinigten Staaten und seit 1996 mit ungebrochener Aktualität in Deutschland.97 Wilson und Kelling (1996, 129) gingen von dem Hintergrund eines Experiments von Philip Zimbardo aus,98 dass unabhängig von der sozialen Zusammensetzung einer Gegend, überall dort ernsthaft Kriminalität und Vandalismus herrscht, wo Unordnung (disorderly behavior) akzeptiert wird. Die beiden oben genannten Autoren waren der Meinung, dass Unordnung, unabhängig von realen Kriminalitätsraten, in der Bevölkerung ein Unsicherheitsgefühl verursacht. Sie plädierten daher für eine Rückbesinnung auf die ursprüngliche Funktion der Polizei als Hüter der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, um sozialschädigendes Verhalten zu bekämpfen. Wilson und Kelling (ebenda, 123) propagierten dabei eine Konzentration auf Kleinkriminalität und normabweichende, in der Bevölkerung nicht gern 97
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Der Aufsatz von James W. Wilson und George L. Kelling mit Originaltitel The police and neighborhood safety: Broken Windows erschien zuerst in den USA in The Atlantic Monthly, März 1982, 29-39. In Deutschland erschien der Titel Polizei und Nachbarschaftssicherheit: Zerbrochene Fenster erstmals 1996 im Kriminologischen Journal. Aus der letzt genannten Fassung wird im Folgenden zitiert. Der Psychologe Philip Zimbardo ließ versuchsweise in zwei unterschiedlichen Gegenden – in der sozial benachteiligten New Yorker Bronx sowie im gehobenen kalifornischen Viertel Palo Alto – je ein offensichtlich nicht mehr funktionstüchtiges Auto ohne Nummernschild und mit offener Motorhaube abstellen. Während in der Bronx bereits nach 10 Minuten erste Diebstähle und später Vandalismusschäden vorgenommen wurden, blieb der Wagen in Palo Alto eine Woche lang unberührt. Erst nachdem der Versuchsleiter mit einem Vorschlaghammer auf das Auto einwirkte und das erste Fenster zerbrochen war, folgten kurze Zeit später andere Beschädigungen bis schließlich zur völligen Zerstörung.
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gesehene Verhaltensweisen wie öffentlichen Alkoholkonsum, Betteln oder Herumlungern. Das Konzept des Zero Tolerance beruht auf der Idee, ein erstes zerbrochenes Fenster von vorneherein zu unterbinden und eine problemorientierte (problem-oriented) Polizeiarbeit zu praktizieren. Dies bedeutete, dass nicht erst gemeldete Straftaten verfolgt, sondern mittels verstärkter Präsenz von polizeilichen Fußstreifen, kommunalen und privaten Kontrolldiensten sowie darüber hinaus intensiver Bürgerinformation, Delikte bereits im Vorfeld abgewendet werden sollten (Wilson und Kelling 1996, 131). Indem Wilson und Kelling (ebenda, 123) Betrunkene und Obdachlose nicht als ordentliche Ortsansässige, sondern als Menschen betrachteten, denen ein Platz im öffentlichen Raum zugewiesen werden muss, erscheint deren Menschenbild gegenüber randständigen Gruppen herabwürdigend. Dreher und Kunz (1998, 389) sahen im Konzept der Community-Policing definitiv eine Diskriminierung alternativer Lebensweisen: Da schon jedes von der Norm abweichende Verhalten als sozialschädlich eingestuft werden kann, weil es sozusagen ein zerbrochenes Fenster darstellt, gibt es kaum Handlungen, die nicht darunter subsumiert werden können. Polizeipräsenz, private Sicherheitsdienste, Überwachungssysteme sowie kommunale Ordnungskräfte wurden in den vergangenen Jahren auch in Deutschland massiv erhöht. Kritiker wie Krauss (2006, 92) sehen diese Entwicklung gar in eine Kontrollgesellschaft münden, in der Freiheit aufgegeben wird, um mehr Sicherheit zu gewähren. Auf Druck des Einzelhandels wurden in zahlreichen Städten Ordnungen erlassen, die eindeutig auf konsumuntaugliche und -störende Bevölkerungsteile abzielen. Mit diesen Gesetzen erhielt die Polizei eine Handhabe, bestimmte unerwünschte Personengruppen aus den Kernstädten zu drängen. Zudem durften kommunal organisierte Präventionshelfer eingeschränkte Verbote wie Betteln und Rauchen aussprechen, so Krauss (ebenda, 90), wodurch abermals überwiegend sozial Randständige unter Druck gesetzt wurden. Die Ausführungen sollen verdeutlichen, dass ein verstärktes Vorgehen gegenüber benachteiligten Gruppen nicht nur in den scheinbar öffentlichen Teilräumen der Stadt, zum Beispiel privat getrage-
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nen Shopping-Malls, sondern auch im wirklich öffentlichen Stadtraum beobachtet werden kann. Die Strategien zur Bewahrung der Sicherheit im öffentlichen Raum und Begründungen für Sanktionen können aus mehrerlei Hinsicht kritisch betrachtet werden. Beispielsweise schürt die hohe Präsenz an Sicherheitskräften möglicherweise ein subjektives Gefühl von Unsicherheit. Nach Ansicht von Kraus (2006, 86) orientieren sich die kommunalpolitischen Akteure nicht an den Fakten von Kriminalitätsstatistiken, sondern an einem politisch postulierten Bild von Kriminalität. Dieses Vorgehen wird durch das Angstempfinden in der Bevölkerung als richtig empfunden. Schulz zur Wiesch (2000, 119ff.) meinte gar, dass die drei Kräfte Medien, Polizei und Politik im Zuge neoliberaler stadtpolitischer Taktiken gemeinsam an der Konstruktion eines inneren Unsicherheitsempfindens arbeiten, um sich den Standortfaktor Sicherheit zunutze machen zu können. Den massiven Einsatz von Sicherheitsdiensten verstand Noller (1999, 165) als Konzept, welches auf einem interventionistischautoritären Staatsverständnis basiert, das darauf abzielt, bisher öffentliche Zonen zu reglementieren. Die ungleichen Zugangschancen im öffentlichen Raum veranlassten Korell und Liebel (1998, 146) zu der Aussage, dass der Stadtraum den Geschäftsleuten und kaufkräftigen KundInnen vorbehalten sei. Ronneberger et al. (1999, 10) gehen so weit, zu fragen, ob wieder eine ständische Bürgerstadt im Entstehen begriffen ist, welche die Einschränkung von Rechten für bestimmte Bevölkerungsteile bewusst in Kauf nimmt. Häußermann und Siebel (1987, 148) sahen ein Problem in der räumlichen Ausgrenzung von Marginalisierten aus Zonen des öffentlichen Raums wie Shopping-Malls oder generell im Citybereich. Mit ihrer Strategie wollen Städte diese Gruppen faktisch unsichtbar, infolgedessen aber Handlungsbedarf in der Bevölkerung verkannt wird. Der soziale Status stellt bei der Frage nach der Teilhabe am gesellschaftlichen städtischen Leben und der Zugänglichkeit zum öffentlichen Raum somit ein grundsätzliches Kriterium dar. Exklusion und Inklusion werden durch die Stellung in der Gesellschaft vorgegeben und erkennbar. Personen mit bestimmten Lebensstilen verlangen beispielsweise nach sanierten Stadtkernwohnungen, exklusiven Einkaufspassagen oder
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auch Kunstevents. Dabei sind die Gruppen nicht durch einen singulären Geschmack und Stil gekennzeichnet, bilden aber eine Gemeinsamkeit in ihrer Dominanz in der Stadt. Über das städtische Angebot wird der Zugang beziehungsweise die Nutzungsmöglichkeit des öffentlichen Raums maßgeblich mitbestimmt, so Noller und Ronneberger (1995, 44f.). Entsprechend sind größtenteils die vorherrschenden Lebensstilgruppen für das Angebot des städtischen Konsumraums verantwortlich, inklusive des für die Selbstdarstellung wesentlichen Kulturangebots. Nach Bourdieu (1991) produziert jede horizontal strukturierte Gesellschaft ausschließlich sichtbar hierarchisierte Räume. Die soziale Position hängt dabei von der Möglichkeit der Aneignung des physischen Raums durch Besitz oder von persönlichen Eigenschaften. Indem Raum ausschließlich privilegierten Gruppen zur Verfügung steht, so Bourdieu, stellt dieser einen Indikator für Macht dar. Finanzinvestoren vermögen durch ihre angesehene Position bei den politischen Akteuren die Stadtplanung massiv zu beeinflussen, so dass marginalisierte Gruppen wie Obdachlose räumlich auf einen kleinen Bereich zurückgedrängt werden. Entsprechend hat die Verteidigung eines Teilraums nach Meinung von Bourdieu immer zur Folge, dass dieser anderen wiederum entzogen wird. Speziell die Frage nach dem Kunstpublikum und dem Zugangsdemokratischen im öffentlichen Stadtraum wird vor dem Hintergrund bedeutend, dass die aus den stadtpolitischen Strategien resultierende Stadtgesellschaft, wie unter anderem Lewitzky (2005) herausarbeitete, tendenziell aus einerseits einer homogenisierten und konsumfähigen, meinungsführenden Mittelschicht sowie andrerseits den ausgeschlossenen Bevölkerungsteilen besteht.
4.1.3 Beispiel einer künstlerischen Kritik: Martha Rosler Es kann festgehalten werden, dass deutsche Städte auf den gesteigerten Wettbewerb insbesondere seit den 1990er Jahren mit einer neoliberalen Politik reagieren, was sich konkret auf die physische und soziale Zugänglichkeit zu Teilen des öffentlichen Raums auswirkt. In den USA
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setzte die Entwicklung bereits früher und in einem extremeren Ausmaß ein. Exemplarisch wird anhand des Projekts „If You Lived Here…“ der US-Amerikanerin Martha Rosler gezeigt, inwiefern Künstlerinnen und Künstler die Problematik der Stadtentwicklung in ihren Arbeiten aufgreifen. Martha Rosler arbeitet generell in einem gesellschaftspolitischen Kontext. Sie hinterfragt die Machtstrukturen bei der Konstruktion des öffentlichen Raums, ihre künstlerischen Repräsentationsmöglichkeiten sowie die eigene Autorität als Künstlerin und innerhalb des Kunstbetriebs. Basierend auf Lefèbvre versteht Rosler die Mensch-RaumBeziehung als eine transaktionale, in engem Wechselverhältnis stehende Verbindung (Möntmann 2002, 78). Im Rahmen ihres multimedialen Projekts „If You Lived Here…“ beschäftigte sich Rosler konkret mit den sozialen Auswirkungen urbaner Strategien. Sowohl in Erscheinungsbild wie auch Bekanntheitsgrad der beteiligten Kunstschaffenden initiierte sie im Jahr 1989 für das Dia Center for the Arts im New Yorker Distrikt Soho ein sehr heterogenes Projekt. Rosler bezog mit ihrer Arbeit und den organisierten Beiträgen Stellung gegen die neoliberale Stadtpolitik in New York City und plädierte für eine Integration randständiger Bevölkerungsteile. Die dreiteilige Arbeit, an der insgesamt mehr als 50 Künstlerinnen und Künstler mit verschiedenen Medien, Architektinnen und Architekten sowie Stadtplanerinnen und Stadtplaner, aber auch Initiativen und Obdachlose beteiligt waren, bestand jeweils aus einer Ausstellung mit Videopräsentation sowie Leseraum und Diskussionsforum. Inhaltlich konzentrierte sich das Projekt auf die Lebenssituation, besonders die eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten einer konkreten marginalisierten Gruppe im öffentlichen Raum und den Versuch der konservativen Kommunalpolitik, diese aus dem Stadtbild zu verbannen. Unter Obdachlosen verstand Rosler dabei ausnahmslos alle, denen kein privater Wohnraum zur Verfügung stand, so auch Menschen, die in Heimen oder bei Freunden unterkamen. Rosler (1999) machte die gewandelte Stadt und eine vernachlässigte Sozialpolitik für Obdachlosigkeit verantwortlich, indem dadurch Gentrificationsowie infolgedessen Segregationsprozesse angekurbelt werden. Die Arbeit war in dem Sinne ortsspezifisch angelegt, als sich die Künstlerin mit
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den Begebenheiten ihres direkten städtischen Umfelds und darüber hinaus ihres Berufsfelds auseinandersetzte. Laut Schütz (2001, 14) ist der Mythos der Kunstmetropole New York ungebrochen, obgleich dessen Wirkkraft von der gegenwärtig realen, auf bloße Finanzinteressen orientierten Politik überschattet wird. So schadeten die Gentrificationprozesse zuerst in Soho und später in Brooklyn nicht zuletzt den ansässigen Kunstschaffenden und Galerien. Das gesamte Projekt wurde ausschließlich innerhalb der Kunstinstitution in dokumentarischer Weise präsentiert. Rosler eröffnete Stadtplanerinnen und Stadtplanern, aktivistischen Initiativen sowie Obdachlosen allerdings die Möglichkeit, sich zu vernetzen und deren Anliegen vor einem erweiterten Publikum anzuführen. Folglich nutzte sie ihre Autorität als Künstlerin, so Möntmann (2002, 78), außerhalb des Kunstbereichs stehende Personen zu einem Bestandteil des institutionellen Systems zu machen. Durch die erforderliche Anbindung an den Kunstbetrieb grenzte sich ihre Arbeit beispielsweise aber von der einer Sozialarbeiterin ab, so Möntmann (ebenda 104) weiter. Rosler beabsichtigte einen Kommunikationsraum herzustellen, in dem unterschiedliche Perspektiven vor einem heterogenen Interessentenkreis, über ein spezifisches Kunstpublikum hinaus, dargestellt wurden. Alle drei Ausstellungen waren bestückt mit Werken von Künstlerinnen und Künstlern, an den oberen Wänden mit Graphiken und Statistiken bezüglich der aktuellen Wohnungspolitik in den USA und New York City sowie einer Reihe von Printmedien. Grothe (2005, 94) bezeichnete Roslers Arbeit mit Bezug auf Jochen Beckers Definition als Informationskunst, was die Recherchearbeit der Künstlerin, die Vermittlung durch gebräuchliche Kommunikationsmedien und die Dokumentation bereits vorhandenen Materials betont. Indem sie einen sozialen Kommunikations- und Informationsraum schaffte, so Möntmann (2002, 106), stellte Rosler sich außerdem gegen den Ausstellungsraum als auratischen, elitären White Cube. Möntmann (ebenda, 77) merkte an, dass sich das Kunstpublikum in den drei Diskussionsforen, entgegen der Intention der Künstlerin, allerdings stark zurückhielt.
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Während die Arbeit „If You Lived Here…“ von der amerikanischen Kunstkritik kaum besprochen wurde, werteten die europäischen Medien das Projekt in der Realisierung integrativer Strategien als durchgehend konsequent, so Möntmann (ebenda, 105). Nach Auffassung von Deutsche (1996, 66ff.) sollte Kunst im öffentlichen Raum grundsätzlich die aktuellen realen Verhältnisse präsentieren, das heißt konkret, die Dominanz des Wirkens unternehmerischer und stadtplanerischer Interessensgruppen in der Stadtpolitik. Bei Public Art-Projekten existiert laut Deutsche (ebenda, 278) die Gefahr, bestehende Spannungsfelder im öffentlichen Raum zu zementieren oder gar zu verschärfen. In diese Richtung äußerte sich Möntmann (2002, 96) und kritisierte den Tenor von Roslers Gesamtprojekt als eine schwarz-weiß Betrachtung. Das Konzept sah auf der einen Seite nur den Obdachlosen in der Opferrolle sowie auf der anderen Seite die Täter Regierung und Kapital. Obgleich die Analysen und Schlussfolgerungen in der Tendenz außer Zweifel stehen, hielte Möntmann eine differenziertere Betrachtung der Machtstrukturen und Akteure schon aus dem Grunde für angebracht, um den kritisierten Positionen weniger Angriffsfläche zu bieten.
4.1.4 Zusammenfassung Grundsätzlich hängt die Bewertung des öffentlichen Raums eng mit dem Selbstverständnis der Städte zusammen. Seit den 1990er Jahren wird Stadtraum in der Kommunalpolitik infolge eines gesellschaftlichen Strukturwandels einerseits sowie der ungünstigen öffentlichen Finanzlage andrerseits verstärkt als Erlebnis- und Konsumort betrachtet. Die neue Stadtpolitik weist in mehrerlei Hinsicht neoliberale Züge auf. Im zunehmenden nationalen und globalen Konkurrenzdruck der Städte wird Raum immer mehr als reine Kapitalanlage betrachtet, beispielsweise indem Kommunen ihre weiche Standortfaktoren ausbauten, um in erster Linie die Gunst von Investoren zu erlangen. Ein großer Bestandteil im Rahmen der Attraktivitätssteigerung stellt die Aufwertung der Innenstädte dar, unter anderem durch die Sanierung exklusiver Altbauwohnungen, den Bau von Shopping-Centern sowie durch öffentlich-
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keitswirksame Großevents. Das städtische Angebot richtet sich zunehmend an finanzkräftige Bevölkerungsteile, so dass öffentlicher Raum homogener wurde und sich von den klassischen Kriterien von Urbanität, das heißt der Nutzungsvielfalt sowie der Personen-Heterogenität entfernte. Zusätzlich entwickelte sich in den 1990er Jahre eine Diskussion um Kriminalität, Sicherheit und Sauberkeit in den Großstädten, die als Nebenerscheinung des Ausbaus weicher Standortfaktoren bewertet werden kann, indem aus einem ökonomischen Interesse heraus versucht wird, Marginalisierte aus dem Stadtbild zu drängen. Auch hierin zeigen sich eingeschränkte Nutzungsrechte im öffentlichen Raum, insbesondere für bestimmte Personengruppen. Die Künstlerin Martha Rosler beschäftigte sich in ihrem Projekt „If You Lived Here…“ mit den Auswirkungen einer neoliberalen Stadtpolitik in New York. Dabei zeigte sie teils verdeckte Machtstrukturen auf und demonstrierte Selektionsprozesse am Beispiel von Obdachlosen. Demnach kann behauptet werden, dass die Zugangsrechte zu öffentlichen Teilräumen der Stadt ungleich verteilt sind und der Grad der Zugänglichkeit vom Stil der Stadtpolitik entscheidend mitbestimmt wird.
4.2 Perspektive Behavior Setting: Annäherung und Meidung von Orten im öffentlichen Raum Nachfolgend soll die Behavior Setting-Theorie auf den öffentlichen Raum angewendet werden. Erläuterungen bestimmter Faktoren sowie Mechanismen sollen Erklärungen liefern für Annäherung oder Meidung von Orten. Dabei soll auch ein Vergleich auf das Setting Kunstmuseum gelenkt werden. Zuvor erarbeitete Grundlagen für das Museum bilden die Ausgangsbasis für eine Übertragung der Überlegungen auf das AußenSetting. Es wird aufgezeigt, inwiefern Nutzungsregeln und Programme, die von den Kommunen teilweise bewusst forciert werden, in Außenraum-Settings existieren und wie diese sich auf die Zugänglichkeit zu öffentlichen Teilorten des Stadtraums auswirken. Im Besonderen wird auf die Thematik unklar definierter Orte eingegangen und zudem wie sich
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Image und Einstellung auf das Verhalten gegenüber Behavior Settings auswirken.
4.2.1 Settingprogramme und Normen im städtischen Außenraum Eine Großstadt besteht aus zahlreichen, sehr unterschiedlichen Behavior Settings, die unter anderem durch verhaltenssteuernde Normen geprägt werden. Künstlerische Arbeiten, die sich im öffentlichen Raum befinden, unterliegen dabei denselben, von Verhalten gesteuerten Mechanismen.99 Öffentliche Plätze im weiteren Sinne, also Freiräume wie Parks und Straßen, besitzen unterschiedliche Eigenheiten, zeichnen sich jedoch insgesamt durch Kollektivität aus, so Korosec-Serfaty (1996, 530ff.). Außerdem sind diese Orte durch prinzipielle Zugänglichkeit für jedes Gesellschaftsmitglied und Heterogenität der Nutzungspersonen sowie der darin stattfindenden Handlungen gekennzeichnet. Innenräume unterscheiden sich von öffentlichen Außenräumen wesentlich durch physische Grenzen wie Mauern und Türen, die so einen abgeschlossenen Bereich herstellen, dessen Rhythmen und Handlungsweisen nun von einer als Macht definierten Quelle diktiert werden. Korosec-Serfaty hob damit hervor, dass der Einfluss von Nutzungsregeln und -möglichkeiten in Innenräumen deutlicher zutage tritt, jedoch auch im öffentlichen Außenraum eine ausschlaggebende Rolle spielt. Städtische Parks oder Plätze wirken zunächst physisch und sozial unbegrenzt offen. Dies liegt überwiegend an den fehlenden Raumgrenzen, unentgeltlichen Sitzgelegenheiten, dem heterogenen Publikum und eben auch der zunächst scheinbaren Unbedeutsamkeit von ökonomischem sowie kulturellem Kapital. Der Eindruck einer freien und ungezwungenen Zugänglichkeit des öffentlichen Stadtraums wird verstärkt, da der Außenraum im Gegensatz zum
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Die Art der künstlerischen Arbeiten, beispielsweise dauerhaft installierte Parkskulpturen oder prozessuale Projekte, spielt beim Erklären von Zusammenhängen immer eine Rolle. Ebenso macht es einen Unterschied, ob Kunstprojekte im Kontext einer festivalartigen Veranstaltung wie Skulptur Projekte Münster oder einzeln im Stadtraum auftreten. Hier werden lediglich Tendenzen aufgezeigt, wobei Verallgemeinerungen unumgänglich sind.
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Innenraum Kunstmuseum einen nicht-institutionellen Bereich darstellt.100 Einrichtungen wie Kunstmuseen werden überwiegend zum Verweilen genutzt, wogegen es Sinn macht, im öffentlichen Raum zwischen Bleibesetting und Durchgangssetting zu unterscheiden. Halten sich Akteure nur kurzeitig an Orten auf, so Molt (1986, 99), füllen sie ihre Rolle gegenüber einem längeren Aufenthalt anders, das heißt unverbindlicher aus. Wie bereits erläutert, passen Museumsbesucherinnen und -besucher ihr Verhalten unter einem gewissen Rollen- und Konformitätsdruck und unabhängig von individuellen Charaktereigenschaften den örtlichen Gegebenheiten an. Durch einen selbstverstärkenden Mechanismus existiert im Kunstmuseum ein typisches Programm. Angepasstes Verhalten hält das Milieu aufrecht, indem Handlungsverläufe zwischen Nutzerinnen und Nutzern optimiert werden und das Setting im Sinne der beteiligten Akteure gegen Störungen von außen geschützt werden kann. Benutzungsregeln sind einerseits gesetzlich in der Hausordnung des Museums festgelegt und herrschen andrerseits als informelle Gesellschaftsnormen. Normen regeln, welche Tätigkeiten im Kunstmuseum nicht gestattet sind, beispielsweise Kunstobjekte anfassen, Essen, Singen oder aber sozial akzeptiert sind, um so das Miteinander für alle Beteiligten integrativ zu regeln. Indem Verhalten in der Öffentlichkeit von den Mitmenschen positiv oder negativ sanktioniert wird, richten sich Besucherinnen und Besucher an die Verhaltenserwartungen der anderen. Für jedes Kunstmuseum gilt ein anderes Settingprogramm, demgegenüber wirken soziale Normen settingübergreifend. Infolge unterschiedlicher Nutzungsordnungen herrscht auch in jedem öffentlichen Teilraum und so beispielsweise in jedem öffentlichen Park ein anderes Settingprogramm. Während im Höhenpark Killesberg in Stuttgart gemäß einer speziellen Parkordnung Erwachsene weder Fahrrad noch mit Inline Skates fahren dürfen, ist dies im Stuttgarter Schloss-
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Tessin (2004, 32) wiederum betrachtete öffentliche Außenplätze als Institution, da generell an jeden Ort ein spezifisches Rollenbündel geknüpft ist und die jeweiligen sozialen Rollen von den entsprechenden Trägern ausgeführt werden müssen, um kein abweichendes Verhalten zu produzieren.
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garten, wo die allgemeine Straßenordnung gilt, erlaubt.101 Wissen über solcherlei Regeln und Gepflogenheiten hilft, um sich am jeweiligen Ort korrekt und unauffällig benehmen zu können. Nicht konkret festgeschriebene, aber sozial anerkannte Normen wie öffentliche Telefonzellen zerstört man nicht gelten demgegenüber settingübergreifend in allen Parks und für jeden öffentlichen Ort. Im öffentlichen Raum reproduzieren sich wie im Kunstmuseum Werte und Regeln, um ein bestimmtes Setting aufrechtzuerhalten. Molt (1986) konnte anhand der Kriterien Konflikthäufigkeit und Bewertung der Anlieger empirisch zeigen, dass Straßen über zugehörige Settingprogramme verfügen, die mittels Normen längerfristig das Nutzungsverhalten steuern. Im Stadtraum, der aus vielen verschiedenen Behavior Settings besteht, gelten folglich unterschiedliche, sich teilweise überlagernde Settingprogramme. Bekannte Verhaltenserwartungen gewähren auch im städtischen Außenraum daher eine gewisse Verhaltenssicherheit, wobei Settingprogramme an gewisse ortstypische Vorgaben geknüpft sind. Tessin (1986, 407) verdeutlichte am Beispiel des Parks, wie ein Ort durch die räumlich-funktionale Organisation in Form der Ausstattung mit Sitzbänken, Grünbepflanzung und Spazierwegen dessen Funktion als Erholungsraum vorgeben kann, was bestimmte Verhaltensregeln nahe legt. Die Legitimität von verschiedenen Tätigkeiten ist einerseits in der Parkordnung festgelegt und wird andrerseits durch ungeschriebene Gesetze bestimmt. So ist es laut Tessin (ebenda, 402) gesellschaftlich derzeit akzeptiert, wenn jemand auf der Parkbank kurz einnickt oder sich im Bikini auf dem Rasen sonnt, wogegen es verpönt ist, sich explizit Schlafen zu legen oder in Badekleidung seinen Hund auszuführen.
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Nachzulesen ist dieser Sachverhalt in der Nutzungsordnung für den Höhenpark Killesberg der Landeshauptstadt Stuttgart vom 27. März 2003, bekannt gemacht im Amtsblatt der Stadt Stuttgart Nr. 14 vom 03. April 2003, § 7 (1). Die Nutzungsregeln für den Schlossgarten sind in der Polizeiverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf und an öffentlichen Straßen und in öffentlichen Anlagen in Stuttgart vom 15. Juli 1999 nieder geschrieben, bekannt gemacht im Amtsblatt der Stadt Stuttgart Nr. 30 vom 29. Juli 1999.
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4.2.2 Verdrängung von nonkonformen Personengruppen und Aufrechterhaltung eines gewünschten Stadtimages In jedem Setting gibt es bestimmende Akteure, die entweder eine Aufrechterhaltung oder auch eine Änderung der geltenden Normen eher forcieren können. Im Kunstmuseum handelt es sich beispielsweise intern um die Museumsleitung oder ein Kuratorenteam, die den Stil der Institution maßgeblich mitbestimmen und eine in der Fachwelt erreichte Position bewahren wollen. Es handelt sich aber auch um ein bestimmtes Publikum, welches sich mit dem Haus, der Kunst und anderen Insiderinnen und Insidern wie beispielsweise Förderinnen und Förderern, identifiziert. Daraus folgend sowie nicht zuletzt aus Selbstdarstellungsgründen der Beteiligten, besteht Interesse an einer Aufrechterhaltung des Settings. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass bestimmte Akteure eines Behavior Settings anderen Personen, die eine Teilnahme erst planen, die Zulassung erschweren beziehungsweise begünstigen oder bereits Partizipierende zum Verlassen des Settings bewegen können. Bei einer Betrachtung des städtischen Außenraums lässt sich feststellen, dass die Zugänglichkeit in der Hauptsache durch die Ziele der stadtpolitischen Akteure bestimmt wird. Der Wandel der Großstädte hin zu einer auf Kommerz und Erleben ausgerichteten und zunehmend privatisierten Stadt, die sowohl von der Politik als auch von bestimmten Personengruppen geprägt wird, erfordert die Aufrechterhaltung eines Settings, das den Zielen dienlich ist. Bevölkerungsteile, die weder konsumfähig sind noch in die Ästhetik des Stadtbilds passen, können auf das Setting störend wirken und eine optimale Mensch-UmweltBeziehung aus Perspektive der anderen beeinträchtigen. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Stadträte oder der ortsansässige Handel haben aus ökonomischen Motiven und Imagegründen ein Interesse daran, konformes Verhalten zu forcieren. Durch die Einstufung von Personen mit normabweichendem Verhalten als kriminell sowie die Begriffsbestimmung und das Publikmachen von gefährlichen Orten konnte eine gesetzliche Handhabe zur Verbannung bestimmter Bevölkerungsteile aus
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dem Stadtkern erreicht werden. Wie bereits thematisiert, wurden in den 1990er Jahren in Deutschland die Kontrollmechanismen verstärkt und zunehmend versucht, unerwünschte soziale Gruppen in städtische Randgebiete zu verdrängen. Dies geschieht einerseits durch einen erhöhten personellen Einsatz auf den öffentlichen Straßen und Parks mittels Polizeistreifen und kommunalen Ordnungskräften sowie in den privatisierten Teilräumen der Stadt, beispielsweise den Shopping-Malls, mittels privater Wachdienste. Andrerseits sind vermehrte Kamerainstallationen auf öffentlichen Plätzen im Außenraum zu beobachten. Indem die Betroffenen keine Wahl haben, ist deren Zugänglichkeit zu Teilen des öffentlichen Raums erheblich eingeschränkt. Die Verdrängung bestimmter sozialer Gruppen aus Teilen des öffentlichen Raums ist nicht neu, allerdings stellte Tessin (2004, 47) fest, dass die Vertreibungsgründe und Methoden subtiler geworden sind. Entsprechend kann eine Selektion durch gestalterische Mittel erfolgen, indem durch die Montage von Einzelsitzen in Parks anstelle von Bänken bewusst ein Nächtigen von unerwünschten Personen unterbunden werden soll. Auch ohne Gesetze zu verletzen, so Tessin (1986, 408), zerstören offensichtlich benachteiligte Sozialgruppen bereits durch ihre bloße Präsenz möglicherweise das Heile Welt-Image eines Parks. Im Vergleich zu öffentlichen Parks vermögen liminale Räume wie privatisierte Shopping-Malls, aufgrund einer Selektion durch das Behavior Setting selbst, in der Regel das ordentliche Bild zu wahren. Wer die Zugangsvoraussetzungen dort nicht erfüllt, dem bleiben scheinbar öffentliche Räume physisch und sozial verschlossen. Faktisch gehören Einkaufszentren privaten Firmen, wird die Nutzung dort durch Hausordnungen geregelt, kontrollieren private Ordnungsdienste den Zugang und finden Veranstaltungen sowie Versammlungen, wenn überhaupt, nur im Einvernehmen mit der Center-Leitung statt. Indem die Eigentümerinnen beziehungsweise Eigentümer Privatpersonen sind und wirtschaftlicher Erfolg letztlich den einzigen Zweck der Einkaufspassagen darstellt, werden die erkennbar nichtkonsumfähigen Personengruppen des Orts verwiesen. Die zunehmende Privatisierung von öffentlichem Raum grenzt Marginalisierte nicht bloß aus, sondern drängt diese auch auf wenige städtische Teilorte zurück.
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4.2.3 Nutzungswissen und unklar definierte Räume Es wurde bereits geschrieben, dass im Kunstmuseum Regeln vorherrschen, die für einen Teil der Bevölkerung einen ausschließenden Charakter besitzen. Fehlendes Vorwissen über das Settingverhalten sowie mangelnde Fachinformation kann eventuell zu einer Selbstselektion führen. In Kunsteinrichtungen können sich maßgeblich die Personen programmgerecht verhalten, die über Programmwissen oder Sozialwissen verfügen, darüber hinaus über persönliche Ressourcen sowie Interesse an der Aneignung des Orts. Während sich die einen mit den museumseigenen Verhaltensnormen identifizieren, haben andere entweder keine Chance, sich ein ortspassendes Repertoire anzueignen oder kein Interesse daran. Museumsbesucherinnen und -besucher, die sich mit dem Setting dagegen identifizieren, eignen sich in der Regel settingadäquates Wissen an, um deren Rolle möglichst gut auszufüllen. Sowohl allgemeines Programm- als auch spezifisches Fachwissen beziehungsweise kulturelles Kapital, sind für das asymmetrische Verhältnis von Experten und Laien im Kunstmuseum verantwortlich. Museumsbesuche sind selektiv und Verhaltensspielräume eingeschränkt, das heißt Zugangsrechte sind in Abhängigkeit vom Vorwissen über die Nutzung des Orts unterschiedlich verteilt. Je nach individuellen und besten Möglichkeiten, abhängig von persönlichem Hintergrund und Wissensstand sowie Interesse, rufen Setting-Teilnehmende ein milieuadäquates Programm ab. Zwischen Kennerinnen und Kennern des Settings sowie den Laien liegt also ein asymmetrisches Verhältnis vor, wobei das Bewusstsein über diesen Sachverhalt das Handeln der Besucherinnen und Besucher im Kunstmuseum strukturiert. Professionelle, Informierte sowie Vielbesucherinnen und -besucher vermögen qualitatives Nutzungswissen schneller und leichter abzurufen. Wer Kunstmuseen selten oder nie aufsucht, wird dort voraussichtlich auf eine Reihe unvertrauter Situationen treffen, die infolge des fehlenden Verhaltensrepertoires, möglicherweise zu unpassendem Handeln führen. Das Phänomen Schwellenangst tritt genau dann auf, wenn Kunst- oder Museumslaien die Gefahr möglichen Fehlverhaltens erkennen und von vorneherein eine Scheu entwickeln, sich dieser
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auszusetzen. Insbesondere Einzelbesucherinnen und -besucher scheuen ein Zusammentreffen mit Kundigen und befürchten aufgrund möglichen Abweichens von den Normen in der Einrichtung, negative Reaktionen zu erhalten. Allein das Bewusstsein um die Präsenz der Kennerschaft kann zu erheblichen Unsicherheitsgefühlen bei Laien führen, was sich unter anderem in einer stark zurückgenommenen Kommunikation bemerkbar macht. Im Zusammenhang mit einer gehemmten Kommunikation an spezifischen Orten sind die von Senie (2003, 188ff.) initiierten Befragungen und Beobachtungen bei Kunstobjekten im Außenraum interessant. Während viele Personen Probleme hatten, sich über Kunst verbal zu äußern, zeigten sie keine Scheu, die Objekte im öffentlichen Raum ihren Bedürfnissen entsprechend als Fotokulissen, Spielplätze oder Treffpunkte zu nutzen. Während die Interviewerinnen und Interviewer die angesprochenen Passanten in Fragen zum Kunstobjekt verwickelten, sprachen diese häufig Entschuldigungen dafür aus, sich selbst nicht professionell zu Kunst äußern zu können. Indem erst während des Befragungszeitraums vielen bewusst wurde, dass sie sich bei einem Kunstobjekt aufhielten, änderte sich deren Verhalten während des Gesprächs, wobei eine gewisse Unterlegenheit und Unsicherheit aufkam (Senie 2003, 196). Auch im öffentlichen Außenraum betrachten sich Personen offenbar relational zu anderen und versuchen Unwissenheit gepaart mit abweichendem Verhalten im eigenen Interesse zu vermeiden. Die Benutzung des öffentlichen Raums verlangt wie im Kunstmuseum in bestimmten Situationen ein spezifisches Vorwissen. Illustrierend für den öffentlichen Raum am Beispiel des schon zuvor erwähnten Höhenpark Killesberg in Stuttgart, sollte ein Parkbesucher wissen, dass er dort nicht mit seinen Inline Skates fahren darf und diese Regel befolgen, um keine Missstimmung bei anderen Parkbesucherinnen und -besuchern zu erzeugen. Grundsätzlich ist die Bereitschaft, sich an bestimmte Setting-Regeln anzupassen höher, je weniger Funktionen ein Ort aufweist. Bleibe-Settings mit deutlicher Rollenkomplementarität, beispielsweise ein auf Training beschränkter Sportplatz, bringen eine ausgewählte Nutzungsgruppe mit sich. Wer monofunktionale Orte aufsucht, tut dies in der Regel freiwillig
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und gerne, so dass das Settingprogramm im eigenen Interesse eingehalten wird. Hinzu kommt laut Tessin (2004, 41f.), dass aufgrund der Gestaltung solcher Verhaltensräume praktisch wenige Abweichungsmöglichkeiten von normgerechtem Verhalten bestehen. Im Kontext des Nutzungswissens steht der Umgang mit unklar definierten Orten, die oftmals Verhaltensunsicherheiten verursachen und in Meidungsreaktion resultieren. Tessin (2004, 37ff.) erläuterte dies am Beispiel der Allmende in Hannover, einer angelegten Wiese, die von der Stadtplanung als öffentlicher Spiel- und Aufenthaltsort vorgesehen war. Die Wiese wurde entgegen den Vorstellungen der Stadt von der Bevölkerung jedoch nicht genutzt. Eine darauf folgende Umfrage ergab, dass zwei von drei Personen mit dem Begriff Allmende102 nichts anzufangen wussten, ein Drittel von denen, die den Ort nicht nutzten, unsicher über die Betretungserlaubnis war und ein Viertel die Fläche nicht einladend fand. Die Nutzung im Setting kann sich, wie bereits ausgeführt, im Laufe der Zeit durch die Teilnehmenden selbst oder den Druck bestimmter Akteure allerdings wandeln. Tessin ging daher von der prozessualen Herausbildung eines anderen, von den Initiatorinnen beziehungsweise Initiatoren gewünschten Verhaltensmusters aus. Die Nutzung unklar definierter Räume erfordert eine gewisse Definitionsmacht. Somit werden Plätze im öffentlichen Raum des Öfteren gemieden, wenn sich deren Nutzung nicht unmittelbar erschließt, so Tessin. Eine Meidung erfolgt insbesondere von Personen, denen das entsprechende Verhaltensrepertoire fehlt oder, wenn der Ort durch andere Nutzungsansprüche besetzt zu sein scheint. Tessins Ausführungen lassen sich auf die Konfrontation von Kunst im öffentlichen Raum übertragen. Hier wirken Komponenten zusammen, die zu einem Phänomen führen, das am ehesten mit der Schwellenangst im Kunstmuseum vergleichbar ist. Schwellenangst tritt vor allem bei Personen auf, die im Setting kein geeignetes Verhaltensrepertoire abrufen können, da umgebende Objekte beziehungsweise Symbole nicht oder nur unvollständig gedeutet werden können. Das Wissen zur Ent102
Allmende bezeichnete im Mittelalter zumeist ein gemeindeeigenes Grundstück, das zur Nutzung aller zur Verfügung stand (Tessin 2004, 37).
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schlüsselung wird durch Erziehung über das Elternhaus und die Schulbildung erlernt. Eine Rolle spielt hierbei die Kunstkompetenz als Gradmesser dafür, inwiefern eine Person, die zu einem gegebenen Augenblick verfügbaren und zur Aneignung des Kunstwerks erforderlichen Instrumente, d.h. die Interpretationsschemata beherrscht, die die Bedingung der Appropriation des künstlerischen Kapitals, m.a.W. die Bedingung der Entschlüsselung von Kunstwerken bilden, wie sie einer gegebenen Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt offeriert werden, so Bourdieu (2003, 169). Künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum sind vom persönlichen Kunstverständnis sowie der individuellen Aneignung von kunstbezogenem Allgemeinwissen und werkspezifischer Kenntnis abhängig und daher nicht unbedingt für jede Person als solche erkennbar. Während im Weihetempel Kunstmuseum sowohl fachlich Informierte als auch Laien davon ausgehen können, mit Kunst konfrontiert zu sein, gibt es im nicht-institutionellen öffentlichen Raum oft keine Hinweise darauf. Darüber hinaus sind Vermittlungsprogramme für einzelne Projekte rar. Kunstmuseen stehen, trotz ihrer zunehmenden Multifunktionalität mit ihren Funktionen Sammeln, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln in all ihrem Tun mehr oder weniger in einem Kunstzusammenhang. Auch wenn das Vermitteln bei populären Kunstmuseen heute ein teilweise sehr weit gefasstes Aufgabenfeld darstellt, bleibt der Kunstkontext schon aufgrund der institutionellen Anbindung meistens erhalten. Dagegen definieren temporäre Kunstprojekte öffentliche Plätze im Stadtraum auf eine gewisse Zeit um, indem mit der Kunstrezeption eine zusätzliche Nutzungsmöglichkeit hinzukommt. Der öffentliche Platz behält, neben der dauerhaften oder temporären Funktion als Kunstpräsentationsort, dessen andere Funktionen zumeist bei. Umso unbekannter wirkt das Terrain auf eine Person, wenn diese auch sonst mit dem Ort und dessen Funktionen nicht vertraut ist. Dadurch erhöht sich das Risiko, den Verhaltenserwartungen der Anderen nicht zu entsprechen. Folglich kostet die Annäherung an einen nicht klar definierten Ort inklusive dessen Objekte, Überwindung. Die Aneignung von fehlendem spezifischem Nutzungswissen wird durch den nicht vorhandenen Hinweis erschwert, dass es sich um ein Kunstwerk handelt und dieses für die Allgemeinheit
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zugänglich ist. Informierte Personen werden den öffentlichen Platz dagegen souveräner nutzen können und mit entsprechendem Vorwissen keine Probleme haben, sich einer künstlerischen Arbeit im Außenraum anzunähern. Insofern kann auch im multifunktionalen, nichtinstitutionellen Außenraum kulturelles Kapital zum Tragen kommen, was anhand der Nutzung des Kunstprojekts Offene Bibliothek an anderer Stelle dieses Buchs noch deutlicher wird.
4.2.4 Einfluss von Image und persönlicher Einstellung auf die Nutzung öffentlicher Orte Personen entscheiden aufgrund ihres Vorwissens und Verhaltensrepertoires sowie des Interesses, welche Settings im öffentlichen Stadtraum zu ihnen passen und von welchen sie sich eher fernhalten möchten. Wie im vorigen Teil dieses Buchs bereits dargestellt, werden Kunstmuseen in der Regel von Personen gemieden, die diese Einrichtungen überwiegend mit negativen Assoziationen verbinden, oder es handelt sich um Pflichtund Begleitungsbesuche. Dagegen haben freiwillige Besucherinnen und Besucher gegenüber den Häusern oder den Ausstellungsgegenständen tendenziell eine positive Einstellung. Die unterschiedliche Wirkung von Kunstmuseen auf verschiedene Personen hat unter anderem mit der persönlichen Einstellung zu tun sowie mit den in der Vergangenheit positiven, negativen oder etwa fehlenden Erfahrungen mit den Einrichtungen. Auch für Settings im öffentlichen Stadtraum gilt, dass Personen über ihre subjektive Beurteilung ihre Wertvorstellungen sowie Gruppenzugehörigkeit signalisieren und somit die soziale Umwelt strukturieren. So wie sich das Image der Kunstmuseen auf Besuch oder Nichtbesuch auswirkt, gilt dies für Annäherung beziehungsweise Meidung von AußenSettings. Die persönliche Einstellung beeinflusst das innere Bild, insbesondere unter Einbeziehung von weiteren Faktoren wie privaten und sozialen Normen. Orte stellen temporäre Konstruktionen dar, die durch ihre aktuelle Nutzung geprägt sind. Darüber hinaus trifft für jedes Setting zu, dass sowohl Einstellung wie auch Image kurz- und langfristig
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veränderbar sind. Senie (2003, 187) fand durch ihre Untersuchung des Publikums (audience) im öffentlichen Raum heraus, dass Veränderungen eines Orts auch die Rezeption von Kunst im Stadtraum beeinflussen kann. Beispielsweise wurde ein heruntergekommener Park überwiegend von Obdachlosen und Drogendealern genutzt, wobei eine im Park befindliche Skulptur mit Brunnen zwar bemerkt, aber als Toilette missbraucht wurde. Nach der Renovierung der Grünanlage, wobei unter anderem das Brunnenbecken mit Wasser gefüllt wurde, erreichte der Park ein neues, gemischtes Publikum und wurde von der Normalbevölkerung benutzt. Infolgedessen erfuhr die Skulptur einen veränderten Stellenwert. Die Wandelbarkeit von Behavior Settings im Außenraum lässt sich im Allgemeinen an der Nutzungsänderung von Parks in den vergangenen drei Jahrzehnten ablesen. Nach Milchert (1993, 555) wurde der Gebrauch vielfältiger, unterschiedlicher, lauter, geruchsintensiver, fremdsprachiger und bunter, aber auch stiller und kontemplativer. Die Parknutzung ist pluralistischer geworden, das Spazierengehen ist nur noch eine mögliche Parknutzung. Ein anderes Exempel für einen Rückgang der Funktionenvielfalt über einen Jahrhunderte langen Zeitraum stellt für Korosec-Serfaty (1996, 534) der Friedhof im europäischen Raum dar. Im Mittelalter dienten die Einrichtungen unter anderem zum Festefeiern und im 19. Jahrhundert teilweise als öffentliche Spazierparks. Heute werden die Begräbnisstätten in der Regel nur noch mit Trauer assoziiert, wodurch sich jegliche zusätzliche Aktivität verbietet. Generell wirkt sich das Image von öffentlichen Teilräumen der Stadt insbesondere auf die Selbstselektion aus. Korosec-Serfaty (ebenda, 532) deutet ihre Beobachtungen, dass sich Randgruppen freiwillig von Nobelmeilen fernhalten, als eine Nutzungshemmung. Ein weiteres Beispiel von Nutzungshemmung ist, wenn gemeinhin als gefährlich eingestufte Orte von einem überwiegenden Teil der Bürgerinnen und Bürger freiwillig gemieden werden. In großen Parks herrscht im Allgemeinen eine tolerante Einstellung gegenüber Programm-Abweichlerinnen und -abweichlern, vor allem, da die soziale Kontrolle in den Anlagen aus mehreren Gründen vermindert ist, wie Tessin (1986, 408) vermerkte. Ein Parkaufenthalt ist nicht existentiell, der Aufenthalt ist überwiegend
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freiwillig, Personen nutzen die Einrichtung zumeist in ihrer Freizeit und personelle Beziehungen sind in der Regel nicht von Dauer. Durch das allgemein liberale Klima in öffentlichen Gärten ist Fehlverhalten durch Nichtkenntnis einer Regel eher akzeptiert als in Kunstmuseen. Abweichendes Verhalten in öffentlichen Gärten ist zumeist von Randgruppen zu beobachten, bei denen es sich gemäß Tessin (1986, 409) um Gruppen handelt, die an frequentierten und für den Konsum bestimmten Orten nicht geduldet werden und denen ein alternativer Aufenthaltsort im öffentlichen Raum fehlt. Die soziale Offenheit beschert vielen Stadtparks allerdings ein negatives, mit Unsicherheit und Kriminalität verbundenes Image, was zur Meidung des Orts führt, äußerte Tessin (1986, 408f.). Oft herrscht in großen Parks eine Tendenz zur normativen Sortierung, das heißt in Teilräumen des Parks oder zu unterschiedlichen Zeiten existieren verschiedene Sub-Nutzungsmilieus wie typischerweise die Arbeitslosen am Kiosk, die Mütter auf dem Spielplatz und die türkischen Familien auf dem Grillplatz. Kleinere Parks weisen des Öfteren dagegen eine normative Monopolisierung auf, indem zumeist eine normabweichende Gruppe den Park nutzt und für den Normalbürger gewissermaßen belegt hält. Dieser meidet den Ort von sich aus, zum einen aus Irritation über seine ungünstige Lage in einer vorübergehenden Minderheitenposition und zum anderen um seine soziale Distanz zu den Abweichlerinnen und Abweichlern auszudrücken.
4.2.5 Zusammenfassung Wie im Kunstmuseum existieren auch im städtischen Außenraum verhaltensregulierende Nutzungsregeln. Im Stadtraum bestehen unterschiedliche Settingprogramme sowie settingübergreifende soziale Normen, die Selektionsprozesse steuern. Im Unterschied zum Kunstmuseum stellt der Außenraum jedoch einen physisch scheinbar unbegrenzten, nicht-institutionellen Bereich dar. Grundsätzlich beeinflusst die persönliche Einstellung auch im Außenraum die Annäherung oder Meidung von Orten. Unter anderem sind öffentliche Teilräume durch deren
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Image geprägt, so dass beispielsweise als gefährlich eingestufte Orte von einem Großteil der Bürgerinnen und Bürger gemieden werden. Dies spielt im Rahmen der kommunalen Imagepolitik eine Rolle, indem offensichtlich eine Verdrängung von sozial randständigen Personen aus den Innenstadtbereichen versucht wird. Um eine Selbstselektion durch bestimmte Gruppen zu erzeugen, finden teils subtile Mittel wie beispielsweise die Einzelsitzmontage in Fußgängerzonen oder Parks Anwendung, mit denen das Nächtigen verhindert werden soll. Im Kontext der Selbstselektion steht auch die Problematik der unklar definierten Orte, welche besonders im öffentlichen Stadtraum existiert. Entsprechend werden vor allem städtische Teilorte gemieden, deren Gebrauch sich für die potenzielle Nutzerin oder den Nutzer nicht unmittelbar erschließt, was dem Phänomen der Schwellenangst im Kunstmuseum ähnelt. Hinsichtlich der Rezeption von Kunst im öffentlichen Raum kann dies bedeuten, dass die Rezipientin beziehungsweise der Rezipient zur Erfassung der Situation neben dem Nutzungswissen über den Ort an sich, auch Wissen in Form von Kulturkapital benötigt, was sodann die Frage nach einer Kunstvermittlung im Außenraum hervorruft.
4.3 Kunst im öffentlichen Stadtraum und Publikum Im Gegensatz zum Kunstmuseum gibt es kaum empirische Studien, die soziodemographische Daten sowie Einstellungen eines Kunstpublikums im städtischen Außenraum untersuchen. Um sich den Interessentinnen und Interessenten von Kunst im öffentlichen Raum anzunähern, wird im Folgenden versucht, diese aus mehreren Perspektiven zu beleuchten. Hierbei finden neben allgemeinen Überlegungen zum Stadtraum als Ort der Kunstrezeption auch relevante Ergebnisse einer empirischen Studie, die im Rahmen eines Kunstprojekts initiiert wurde, Eingang in die Betrachtung. Zudem werden Einzelergebnisse weiterer Feldforschung sowie dokumentierte Publikumsreaktionen zu speziellen künstlerischen Arbeiten und zu Großveranstaltungen herangezogen. Schließlich wird in Bezug auf die soziale und physische Zugänglichkeit zu Kunst im öffent-
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lichen Stadtraum die Thematik des gemeinhin als Negativreaktion betrachteten Vandalismus beleuchtet.
4.3.1 Besonderheiten von Kunstpublikum im öffentlichen Raum Die Begriffe Kunst-Publikum oder Kunst-Öffentlichkeiten können verschiedene Bedeutungen mit sich führen. Senie (2003, 186f.) bevorzugte den Ausdruck Publikum (audience) aufgrund einer größeren Neutralität, da dieser zunächst ohne Bezug zu politischen oder philosophischen Diskursen steht. Sie unterschied ein direktes Publikum von einem indirekten, welches Kunst im öffentlichen Raum ausschließlich über Berichte aus den Medien wahrnimmt. Über Kunst im öffentlichen Raum wird jedoch hauptsächlich nur berichtet, wenn künstlerische Arbeiten entweder Kontroversen hervorrufen, gestohlen wurden oder eine größere Geldsumme dafür aufgewendet wurde, bemerkte Senie (ebenda, 196). Gemäß Senie ist das in den Medien vermittelte Bild von Kunst im öffentlichen Raum problematisch, da es nicht vornehmlich um künstlerische Aspekte geht und zudem negative Gesichtspunkte überwiegen. Im Folgenden wird, wie auch bezüglich der Kunstmuseen, von einem Kunstpublikum gesprochen, wobei unter dem Begriff Öffentlichkeit wie auch bei Herlemann und Kade (1996, 11), jede Form der gesellschaftlichen, historischen und sozialen Zugänglichkeit bzw. Erreichbarkeit von Kunst verstanden wird. Das tatsächliche Ausmaß und die Sozialstruktur der Besucherinnen und Besucher im öffentlichen Raum sind schwer fassbar. Diese Gruppen erfassen potenziell alle Bevölkerungsteile, so dass sich Kunst im öffentlichen Raum an ein stark heterogenes Publikum mit unterschiedlichen Wissensständen sowie kulturellem Aneignungsverhalten richtet. Anders als im Kunstmuseum gehören, wie Schittenhelm (1996, 130) spezifizierte, neben den prinzipiell Kunstinteressierten und den Neugierigen, auch die Gleichgültigen, die Unwilligen oder die Gegner. Daher vermag Kunst im öffentlichen Raum einerseits Interesse zu wecken, andrerseits nimmt eine große Zahl von Passantinnen und Passanten jene überhaupt nicht wahr.
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Dagegen besitzt vor allem das informierte Publikum das notwendige Kulturkapital, um Kunst in anderen Kontexten und außerhalb der Institutionen überhaupt als solche zu erkennen. Büttner (1996, 225) gab an, dass sich besonders Projekte im Rahmen von Großevents vielfach erst eine eigene Öffentlichkeit schaffen, indem ohnehin interessiertes und informiertes, oft überregionales Kunstpublikum extra dafür anreist. Mit bestimmten künstlerischen Arbeiten, vor allem skulpturaler Art, meinte Büttner (ebenda, 221) außerdem, ist ein Großteil der Bevölkerung heute vertraut, so dass solche Werke bereits eine eigene Routine und ein entsprechend rezeptionserfahrenes Publikum vorweisen können. Weiterhin stellt sich im öffentlichen Raum laut Senie (2003, 188) die besondere Situation dar, dass Kunstrezeption entscheidend von den Aktivitäten am Ort, dem Wochentag oder dem Wetter abhängt (Senie 2003, 188).
4.3.2 Vandalismus als negative Reaktion auf Kunst im öffentlichen Raum Vandalismus und Kunst im öffentlichen Raum gehen häufig eine ungünstige Verbindung ein, wofür mehrere Gründe verantwortlich gemacht werden können. Im Gegensatz zu einer Kunst im Museum begegnet Kunst im öffentlichen Raum überwiegend einem unfreiwilligen, nicht unbedingt kunstinformierten Publikum im Alltag. So sieht Grasskamp (2000, 166) Attacken gegen Kunstobjekte im Stadtraum in der Gewohnheit des Konsummenschen begründet, selbst aus einem Angebot wählen zu können. Das ungefragte Vorsetzen von Kunst im Außenraum entspricht danach einer Anmaßung. Gambonis (1998, 187) Recherchen über die Schweizer Plastikausstellung in Biel 1980 zeigten bereits, dass die präsentierten Skulpturen durch deren ausgedehnten Wirkungskreis auf den Alltagsbereich und deren symbolische Raumbesetzung als Eindringlinge wahrgenommen wurden. Demzufolge geschieht die illegale und illegitime Handlung des Vandalismus, in Bezug auf die mangelnden alternativen Handlungsmöglichkeiten sowie den ungleichen Machtverhältnissen, aus einem gewissen Ohnmachtsgefühl heraus. Nach Ansicht Gambonis (ebenda, 197) werden bestehende Herrschaftsstellungen dadurch jedoch gestärkt.
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Wie bereits erörtert, wird Kunst im öffentlichen Raum aufgrund fehlenden Vorwissens oft nicht bemerkt oder bewusst als Kunst wahrgenommen. Kunst im Stadtraum impliziert nach Meinung Gambonis (1998, 187) ein Herrschaftsproblem, das vor allem bei Personen mit geringem Spezialwissen gefühlsmäßig einen doppelten Ausschluss erzeugt. Dies ist einerseits der Ausschluss von kulturellen Praktiken, die dem Kunstbereich zu Eigen sind und andrerseits der Ausschluss vom physischen und gewissermaßen auch sozialen Raum, welcher vorübergehend oder auf Dauer durch Kunst in Beschlag genommen wird. Ähnlich äußerte sich Grasskamp (2000, 143), der die Hauptursachen für Attacken gegen Kunst im öffentlichen Raum neben der Kommentarbedürftigkeit von Kunstwerken in einer kulturellen Kolonisation eines Orts sieht. Durch das Vorhandensein von Kunst im öffentlichen Raum, insbesondere von modernen Skulpturen, erfolgt eine symbolische Okkupation. Während die Stadt als Ort dichter Funktionenmischung im Allgemeinen durch ein sozial und kulturell heterogenes Publikum gekennzeichnet ist, richten sich künstlerische Arbeiten im öffentlichen Raum nach Ansicht Schittenhelms (1996, 192) allerdings überwiegend an eine homogen gedachte Öffentlichkeit. Obgleich eine grundsätzliche beziehungsweise adäquate Zuwendung zu den künstlerischen Arbeiten nicht von allen Bevölkerungsteilen gleichermaßen erwartet werden kann, sind Objekte im Freien der Allgemeinheit ungeschützt ausgesetzt. Hinzu kommt, so Grasskamp (2000, 158f.), dass Gegenstände in öffentlichem Besitz weniger deutlich durch den Eigentümer identifiziert sind. Indem öffentliche Objekte abgelehnt werden, verlieren diese gefühlsmäßig den Schutz des Eigentumsrechts. Zum Beispiel überforderte der Skulpturenboulevard auf der bekannten Berliner Shoppingmeile Tauentzien im Jahr 1987 offenbar das Verhältnis von Kunst und Publikum im öffentlichen Raum und wirkte höchst provokant, wie Straka (1991) verdeutlichte. Der Skulpturenboulevard fand im Rahmen der 750-Jahr-Feier Berlins statt und wurde vom Neuen Berliner Kunstverein initiiert. Bei allen sieben Großskulpturen beziehungsweise Installationen stellte Ortsbezogenheit im historischen, stadträumlichen oder soziologischen Sinne eine Grundbedingung dar. Eine bisher
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ungekannte Mobilmachung gegen Objektpräsentationen im Außenraum, insbesondere gegen die Arbeiten der Künstler Olaf Metzel und Wolff Vostell, reichte von zahlreichen Bürgerinitiativen über neofaschistische öffentliche Flugblätter des Aktionskreises Kurfürstendamm bis hin zu anonymen Briefen und telefonischen Drohungen an die Initiatorinnen und Initiatoren. Besonders hartnäckig ging die Bürgerinitiative Rathenauplatz um den Maler Herbert Liebenau vor, die mehrere hundert Anhänger umfasste und mit Menschenketten, Flugblättern, versteckten und offenen Vandalismusaktionen sowie der Unterstützung von Zeitungen und Fernsehen für die Beseitigung der Installationen eintraten. Ein Flugblatt des Aktionskreises Kunst enthält folgenden Ausschnitt: Wie lange wollt ihr euch noch foppen lassen? (…) Den Erzeugern jener unförmigen Gebilde, die sie Plastiken nennen, und die von Kulturbonzen gekauft und öffentlich ausgestellt werden, wäre nur gedient, wenn man diese Plastiken zerschlagen würde! (zitiert nach Straka 1991, 30). Durch das Fehlen von physischen Mauern beziehungsweise einer örtlichen Trennung von Kunst- und Alltagsbereich kann eine Distinktion zwischen Kenner und Laie verstärkt werden. Kunstobjekte im öffentlichen Außenraum verschärfen also mitunter die Diskrepanz zwischen Kennerschaft und Laienpublikum. Senie (2003, 194f.) beobachtete, dass interaktive Objekte grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit erhielten. Da sich Personen den Objekten zunächst gleichgültig gegenüber des künstlerischen Aspekts annähern und stattdessen aktiv sowie bedürfnisorientiert auf die Objekte zugehen, ist nach Ansicht von Senie (ebenda, 197) eine Vermittlung im Außenraum sinnvoll. Sie sah darüber die Möglichkeit, die Lücke zwischen dem von Kunstschaffenden und Kulturverantwortlichen gewünschten Soll-Publikum und dem Ist-Publikum zu verringern. Auch nach Ansicht von Schittenhelm (1996, 19) können Kulturproduzentinnen und -produzenten mit verschiedenen demokratisierend gedachten Ansätzen wie Beteiligungsmöglichkeiten oder Vermittlungsprogrammen entgegenwirken. Den Erfolgen dieser Aktivitäten sind, so die Autorin, allerdings Grenzen gesetzt, da auch im öffentlichen Raum eine soziale Annäherung an Kunst durch die kulturelle Sozialisation in Familie und Alltag mitbestimmt wird. Das Beispiel Adorno-Denkmal in
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Frankfurt am Main zeigte, wie mit massiven Vandalismusproblemen zunächst mittels Information und Kontrolle erfolgreich umgegangen werden konnte. Das Adorno-Denkmal von Künstler Vadim Zakharov ist eine raumeinnehmende Installation, die einen Arbeitsplatz mit Schreibtisch und Stuhl unter einem Glaskubus zeigt und die von Beginn an immer wieder Beschädigungen erfuhr.103 Gamboni und Grasskamp kritisierten in diesem Zusammenhang die Wahl des zerbrechlichen Materials Glas sowie die Machart der Installation, ein durchsichtiger, jedoch unzugänglicher Würfel über einer Anordnung von Gegenständen. Sowohl Gamboni als auch Grasskamp vertraten die Ansicht, dass eine derartige Konstellation Vandalen geradezu herausforderte (zitiert nach Rehmann 2004; Göpfert 2004). Das zuständige Amt reagierte auf die Beschädigungen des Adorno-Denkmals mit der Einrichtung einer Kontakt-E-MailAdresse, um die Meinungen der Bevölkerung zu hören sowie einem Diskussionsforum mit Fachleuten zum Thema Kunstvandalismus im öffentlichen Raum. Die Vandalismusaktionen brachen nicht ab, bis im Sommer 2005 eine dreitägige Nachtwachen-Aktion mit einem Rahmenprogramm mit Kulturschaffenden und freiwilligen Helferinnen sowie Helfern aus der Bevölkerung organisiert wurde (Ursula Heck, Amt für Wissenschaft und Kunst der Stadt Frankfurt am Main, telefonisches Gespräch am 14.11.2006). Wie das Beispiel Adorno-Denkmal zeigt, ist es grundsätzlich möglich, durch Partizipation, Kunstvermittlung und Information positiv auf Vandalismusprobleme einzuwirken.104
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Zum Adorno-Denkmal allgemein siehe die anlässlich des Wettbewerbs von der Stadt Frankfurt am Main und dem Amt für Wissenschaft und Kunst herausgegebenen Publikation von 2004. Ein zweites telefonisches Gespräch mit Ursula Heck vom Amt für Wissenschaft und Kunst der Stadt Frankfurt am Main am 13. Dezember 2007 ergab allerdings, dass das Adorno-Denkmal im September 2007 nach etwa zwei Jahren erstmals wieder beschädigt wurde. Es wurde besprayt.
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4.3.3 Clegg & Guttmann: Offene Bibliothek, Hamburg 1993 Nachfolgend wird das Kunstprojekt Offene Bibliothek der beiden Künstler Clegg & Guttmann aus dem Jahr 1993 in Hamburg betrachtet.105 Es handelte sich dabei um ein interdisziplinäres Kunstprojekt, in dessen Rahmen mit soziologischen Mitteln der Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse gearbeitet wurde.106 Die Forschungsergebnisse der begleitenden Studien geben Auskunft über die physische und soziale Zugänglichkeit zu Kunst im öffentlichen Raum. Indem durch Ablehnung oder Zustimmung einer künstlerischen Arbeit Gruppenabgrenzungen deutlich werden, soll gezeigt werden, dass auch Kunst im öffentlichen Raum nicht frei von Distinktionen auftritt.
Soziale Skulpturen Gemäß Wuggenig (2001, 44) kann die Arbeitsweise von Clegg & Guttmann als institutionelle Analyse bezeichnet und der Kategorie Kontextkunst, eine der künstlerischen Hauptströmungen der 1990er Jahre, zugeordnet werden. Wuggenig (2001, 40) erklärte zudem, dass Clegg & Guttmann weder einen singulären Begriff von Öffentlichkeit noch auf die Konnotation von „größerer Zugänglichkeit“ verkürzte Vorstellung des Öffentlichen vertreten. Im Rahmen des Projekts Offene Bibliothek richtete das Künstlerduo in drei sozial unterschiedlich geprägten Hamburger Stadtteilen Bücherschränke in Schaltkästen der Elektrizitätswerke ein. Diese Büchereien fanden Standorte in Kirchberg-Süd, einem typischen Arbeiterge105 106
Die Künstler führten das Projekt Offene Bibliothek zu unterschiedlichen Zeitperioden in Graz, Hamburg und Mainz durch. Der Soziologe Ulf Wuggenig und ein studentisches Team der Universität in Lüneburg begleiteten das Projekt wissenschaftlich. Zunächst wurden sozialräumliche Daten der betreffenden Hamburger Stadtteile gesammelt und Sozialraumkarten erstellt. Es fanden qualitative Interviews mit insgesamt 100 Anwohnerinnen und Anwohnern beziehungsweise Passantinnen und Passanten an den Standorten im Außenraum statt. Außerdem rund 650 schriftliche Befragungen unter dem Museumspublikum, das heißt im Kunstverein in Hamburg sowie in den nahe gelegenen Deichtorhallen Hamburg im Rahmen der Ausstellungen Backstage respektive Der zerbrochene Spiegel. Eine weitere wichtige Datenquelle lieferte die Beobachtung der Prozesse bei den Standorten der Bibliotheken im öffentlichen Raum.
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biet mit hohem Immigrantenanteil, in Volksdorf, wo eine gut situierte Mittelschicht lebt sowie im Stadtteil Barmbek-Nord, das als wenig privilegiertes Mittelklasse- und Angestelltenmilieu eine Zwischenposition einnimmt.107 Ähnlich einer regulären Bibliothek sollte ein Leihverkehr stattfinden, jedoch auf Tausch basierend sowie frei von Formalitäten und Kontrollinstanzen wie Personal oder Aufsicht. Zudem waren die Bücherschränke jederzeit, ohne geregelte Öffnungszeiten sowie ohne physische Abgrenzungen, frei zugänglich. Die beiden Grundsätze der Offenen Bibliotheken, Hierarchiefreiheit und weitgehender Verzicht auf Reglements, standen im Gegensatz zu üblichen Bibliotheken als Lerntempel, die eher das Gefühl der Bedrücktheit als das des Sichwillkommenfühlens und Entspanntseinkönnens hervorrufen, so Clegg & Guttmann (1994, 27). Indem die Einrichtungen unbeaufsichtigt blieben, stellte das Projekt eine experimentelle Versuchsanordnung dar, welche das Funktionieren einer radikalen Demokratie erproben konnte, äußerten Clegg & Guttmann im Interview (Friede 1994, 18f.). Durch den Besuch der Bibliotheken wurde negatives wie auch positives Handeln provoziert und auf diese Weise soziale Skulpturen geschaffen. Mittels Beobachtung der Verhaltensweisen der verschiedenen Publika der Einrichtungen im Außenraum und einer Analyse der sozialen Prozesse war es möglich, jeweils Portraitierungen der entsprechenden Gemeinschaften abzubilden, so Clegg & Guttmann. Im Rahmen dieser Gesellschaftsstudien war zunächst festzustellen, dass im sozial unterprivilegierten Gebiet Kirchdorf die Bücher gestohlen, der Schrank beschädigt und infolgedessen das Projekt frühzeitig beendet wurde. In den privilegierten Wohngebieten bildeten sich dagegen mehr oder weniger starke Initiativen zur Fortführung des Projekts über den geplanten Zeitraum hinaus. Kravagna (1998, 41) sah in der Absicht eines sozialen Portraits einen durchaus problematischen Aspekt, wenn dieses
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Sozialräumlich betrachtet erreicht ein Stadtteil eine hohe Position im Sinne einer sozialen Schichtung, wenn beispielsweise der Arbeiteranteil niedrig ist, höhere Bildungsabschlüsse stark vertreten sind und große beziehungsweise teure Wohnflächen pro Kopf zur Verfügung stehen. Clegg & Guttmann wählten die drei Standorte nach Sozialraumanalysen sowie Erkundungsfahrten aus (Wuggenig und Kockot 1994, 58f.).
4.3 Kunst im öffentlichen Stadtraum und Publikum
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nichts anderes abzubilden droht als die etwas stereotype Vorstellung von einer dem sozialen Niveau korrespondierenden Demokratiefähigkeit.
Institutionelle Anbindung Clegg & Gutmanns Bibliotheken waren ausschließlich im Außenraum installiert und auch nur dort benutzbar. Das Projekt knüpfte jedoch auf mehreren Ebenen an den kunstinstitutionellen Bereich an. So wurde die Arbeit von Beginn an in Kooperation mit der Universität in Lüneburg in wissenschaftlicher Begleitung durchgeführt. Zudem fand eine Folgeausstellung mit Videomaterial und Interviews im Kunstraum der Universität Lüneburg statt. Parallel zu den Ausstellungsobjekten, Bücherschränke im Außenraum, wurde das Projekt im Rahmen der Gruppenausstellung Backstage des Kunstvereins in Hamburg dokumentiert. Dort zeigten Clegg & Guttmann großformatige Fotografien der Standorte, die vor der Installation der Bücherschränke aufgenommen wurden. Außerdem war ein Schaltkastennachbau ohne Vitrinenglas aufgebaut und auf Tischen lag Forschungsmaterial, unter anderem auch eine vergrößerte Sozialraumkarte der Ortsteile sowie Ergebnisdokumentationen der sozialwissenschaftlichen Begleitforschung zur Ansicht bereit. Weitere Bestandteile des Projektes waren eine Befragung von annähernd 560 Personen in der Backstage-Ausstellung im Hamburger Kunstverein sowie in der Schau Der Zerbrochene Spiegel in den Deichtorhallen. Zudem wurden Ergebnisse von Sozialraumkarten berücksichtigt, die in sozialdemographischer Hinsicht den jeweils hundert interviewten Anwohnerinnen und Anwohnern der drei Hamburger Stadtteile entsprachen.108 Auf die Frage nach der persönlichen Bewertung einer Verbindung von Kunst und Wissenschaft, reagierte die Mehrheit positiv (Wuggenig und Kockot 1994, 71f.).109 Dagegen sah rund ein Drittel wahr108 109
Die Ergebnisse der 100 Stichproben stimmten mit denen der Sozialanalysen der Stadtbezirke überein, weshalb diese zum Vergleich herangezogen wurden (Wuggenig und Kockot 1994, 66). Eine Verbindung von Kunst und Wissenschaft wurde besonders in der Kontextkunst der 1990er Jahre praktiziert.
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scheinlich und 10 Prozent definitiv eine Gefährdung für die Kunst. Die persönliche Einstellung zu einer Kooperation von Kunst und Forschung verhielt sich insgesamt homolog zu der Beurteilung des Projekts der Offenen Bibliothek. Die Zusammenarbeit wurde vor allem von Personen abgelehnt, die sich einem modernistischen Kunstbegriff mit der Forderung einer Kunstautonomie verschrieben, so Wuggenig und Kockot. Durch die institutionelle Rückkopplung beabsichtigten Clegg & Guttmann unter anderem zwei unterschiedliche Publika zu erreichen: ein kunstinformiertes Museumspublikum beziehungsweise das Zentrum des Kunstfelds sowie eine eher kunstferne Peripherie. Das Interesse von Clegg & Guttmann lag darin, das Museumspublikum für die inszenierten Büchereien in den Stadtteilen zu gewinnen und umgekehrt, die Interessentinnen und Interessenten von Kunstprojekten im öffentlichen Raum zu einen Ausstellungsbesuch zu bewegen. Der tatsächliche Verbindungsstrom zwischen den beiden Präsentationsorten Öffentlicher Stadtraum und Museum war schwach, so dass der Austausch zwischen den beiden Teil-Öffentlichkeiten hinter den Erwartungen des Künstlerteams blieb. Clegg & Guttmann schlussfolgerten im Interview (Friede 1994, 19), dass zwischen den Nutzerinnen und Nutzern der Offenen Bibliotheken in den Stadtbezirken sowie dem Kernpublikum des Kunstvereins soziale und räumliche Barrieren existierten. Hinzu kam eine unzureichende Kommunikation über die Ausstellung im Kunstverein in den Außenraum-Standorten. Selbst stark engagierte Personen in den Stadtteilen konnten offenbar nicht zu einem Besuch im Museum angeregt werden. Dies kann, so Wuggenig und Kockot (1994, 81), durchaus als Ausdruck für eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber dem künstlerischen Aspekt des Projekts gewertet werden. Laut deren Ausführungen (ebenda, 90f.) ergab eine Umfrage, dass die Absicht, die Ausstellung im Kunstverein zu besuchen, in Volksdorf mit Abstand am Größten war. Umgekehrt gaben 17 Prozent der befragten Besucherinnen und Besucher der Ausstellung Backstage an, den in der Nähe des Kunstvereins gelegenen Bibliotheksstandort in Barmbek bereits besucht zu haben oder diesen noch besuchen zu wollen. Für die beiden am Rande lokalisierten
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Stadtteile Volksdorf und Kirchdorf lauteten die Angaben lediglich 7 beziehungsweise 2 Prozent.
Verhältnis von Kenner- und Laienpublikum Die Offene Bibliothek wurde im Außenraum bewusst nicht explizit als Kunstprojekt kenntlich gemacht und die Vermittlung fand auf einer allgemeinen Basis statt. Schilder machten in deutscher, englischer und türkischer Sprache auf die wesentlichen Grundprinzipien der Tausch- und Leihbücherei, die städtische Kulturbehörde als Initiatorin sowie eine Info-Telefonnummer aufmerksam. Im Vorfeld wurden die Anwohnerinnen und Anwohner in Form von Flyern sowie während der Büchersammlung mittels Hausbesuchen über das geplante Projekt informiert und erhielten außerdem die Einladung zu einer Informationsveranstaltung im Hamburger Kunstverein (Wuggenig und Kockot 1994, 11). Darüber hinaus waren Lesungen an den Standorten geplant (ebenda, 58). Formale Bildung und kunstspezifisches Wissen stellen einen Gradmesser für Kulturkapital dar. Ungefähr 50 bis 60 Prozent der Museumsbesucherinnen und -besucher, sowohl in Backstage als auch in der populären Deichtorhallen-Ausstellung, hatten einen Universitäts- oder Kunsthochschulabschluss, nur ein Zehntel hatte kein Abitur (Wuggenig und Kockot 1994, 67). In Kirchdorf hatten nur 2 Prozent, in BarmbekNord 4 bis 6 Prozent und in Volksdorf 16 Prozent der Bevölkerung eine Hochschulausbildung respektive vier Prozent, 10 bis 14 Prozent und 26 Prozent Abitur (ebenda, 65). Grundsätzlich bestanden zwischen der Bevölkerung an den Standorten der Bibliotheken und den Besucherinnen sowie Besuchern der Ausstellungen in Kunstverein und Kunsthalle große Differenzen, die möglicherweise auf ein an kulturelles Kapital gebundenes Interesse an Kunst hinweisen. Aber auch unter den Kunstpublika der beiden Ausstellungshäuser gab es Unterschiede. Die Museumspublika wurden nach Beschäftigungshäufigkeit mit zeitgenössischer Kunst, in die drei Gruppen fast täglich, oft und gelegentlich eingeteilt. Von den rund 670 Befragten beider Ausstellungen gab etwa ein Viertel an, sich fast täglich, jeweils mehr als 30 Prozent oft beziehungs-
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weise gelegentlich mit Gegenwartskunst zu befassen. Grundsätzlich setzten sich die Backstage-Besuchenden am häufigsten mit Kunst auseinander und waren am spezifischsten informiert, wogegen die gelegentlich involvierten Befragten in der Schau Der Zerbrochene Spiegel am geringsten mit Kunstwissen ausgestattet waren. Der Bekanntheitsgrad bestimmter etablierter Künstlerinnen und Künstler wich unter den beiden Gruppen stark voneinander ab, so kannten beispielsweise 97 Prozent des Publikums in Backstage den Künstler Marcel Duchamp, aber nur 58 Prozent im Zerbrochenen Spiegel (ebenda, 68). Die Befragung an den Standorten ergab außerdem, dass Kunstmuseumsbesuche für die Volksdorfer am wichtigsten und für die Kirchdorfer am wenigsten relevant waren (ebenda, 79). Mehrere Aspekte der Offenen Bibliothek trugen zu einer Relativierung der für Kunstinstitutionen typischen Trennung zwischen Kennerschaft und Laien bei. Zunächst erlaubte die Mehrfachcodierung des Projekts im Sinne von Eccos Offenem Kunstwerk (2002)110 einen Zugang auf verschiedenen Ebenen und somit für unterschiedliche Personengruppen. So konnte ein Zugang im schlichten Gebrauch über die Nutzung der Bücherschränke oder über den Ort als allgemeiner Treffpunkt erfolgen, wobei Alltagshandlungen nicht als Kunst-Handlungen hochstilisiert wahrgenommen wurden. Dass Clegg & Guttmann künstlerische Prozesse unbemerkt in den Alltag transportieren konnten, wurde vor allem an der großen Zahl der direkt Beteiligten sowie der im Umfeld lebenden Befragten deutlich, denen der Kunstaspekt der Offenen Bibliothek überhaupt nicht bewusst war. Dies gilt auch für die beiden Stadtteile, in denen die Einrichtungen aktiv genutzt wurden. So wusste rund ein Drittel der Volksdorfer nicht, dass es sich bei der Offenen Bibliothek um ein Kunstprojekt handelte und die Hälfte konnte auch keinen ästhetischen Charakter erkennen. In Barmbek-Nord waren es die Hälfte respektive drei Viertel der Befragten. Der künstlerische Aspekt der Offenen Bibliothek stand für den überwiegenden Teil der Befragten nicht im Vordergrund, viel mehr der Gebrauchswert, die sozialen Aspekte sowie der
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Erstveröffentlichung 1962 in italienischer Sprache.
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symbolische Wert einer Einrichtung, die auf Vertrauen basierte. Während in Volksdorf der überwiegende Teil der Befragten allerdings einen Unterschied darin sah, ob es sich bei den Initiatoren um Künstler oder Sozialarbeiter handelte, war diese Unterscheidung für den überwiegenden Teil der Befragten in Barmbek-Nord irrelevant (Wuggenig und Kockot 1994, 88). Der Zugang über theoretische Diskurse erfolgte auf einer anderen Betrachtungsebene, die im Rahmen der institutionellen Anbindung stattfand. Clegg & Guttmann arbeiten mit einem Kunstbegriff, der eine Rezeption ihrer Arbeit auf verschiedenen Ebenen zulässt, indem sie Personen mit und ohne kunstspezifisches Vorwissen integrieren. Beide betrachteten Kunst als kollektive Handlung, so Wuggenig (2001, 41), die neben den Künstlerinnen und Künstlern selbst, auch verschiedene TeilÖffentlichkeiten einschloss. An dem Projekt die Offene Bibliothek waren Anwohnerinnen und Anwohner der Bibliotheksstandorte, Passantinnen und Passanten, aber auch die Arbeitsgruppe der kooperierenden Universität in Lüneburg sowie Kunstkritikerinnen und Kunstkritiker beteiligt. Clegg & Guttmann gaben auf diese Weise einen Teil ihrer Autorität ab und es fand eine Übertragung auf die Nutzerinnen und Nutzer der Bibliotheken statt. Entsprechend wurden die Beteiligten durch das Handeln innerhalb des Kommunikationssystems Offene Bibliothek zu Trägerinnen und Trägern des ästhetischen Projekts, was die im Kunstbereich typische Trennung zwischen kunstinformiertem und nicht kunstinformiertem Publikum nach Ansicht Lingners (1994, 51) deutlich relativierte. Damit knüpft die künstlerische Praxis gemäß Könneke (1994, 8) an die gesellschaftsintegrierende Prozesskunst der 1960er Jahre an, ohne jedoch deren moralische Ansprüche zu übernehmen. Durch die unauffällige Integration von Kunst in den Alltagsbereich, die Mehrfachcodierung des Projekts und die fehlende Notwendigkeit kunstspezifischen Wissens sowie das Verständnis der Künstler von Kunst als kollektive Handlung, vermochte die Offene Bibliothek neben dem Kunstpublikum auch kunstferne Personen zu erreichen, wie auch die Trennung von Kennerschaft und Laien zu relativieren.
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Stellenwert von Kunst im öffentlichen Raum Obgleich das Projekt mehrheitlich positiv aufgenommen wurde, glaubte weniger als ein Zehntel der Befragten unter dem Museumspublikum, so Wuggenig (2001, 54), dagegen aber über 90 Prozent in den Stadtbezirken an dessen erfolgreiche Durchführung. Die Skeptikerinnen und Skeptiker unter dem Museumspublikum hielten Vandalismus und ähnliche Probleme für unvermeidbar, während sich die Befragten in den Stadtbezirken eine Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls erhofften. Die größte Nutzungs- beziehungsweise Beteiligungsabsicht wurde in Volksdorf bekundet. Wider Erwarten zeigte die Befragung, dass nicht das sozial am benachteiligtsten Kirchdorf am wenigsten Interesse ausdrückte, sondern Barmbek, so Wuggenig und Kockot (1994, 78ff.). Beobachtungen und Analysen der Prozesse vor Ort zeigten, wie unterschiedlich sich die Offene Bibliothek in den verschiedenen Stadtteilen tatsächlich entwickelte. Das Tauschprinzip, auf welchem das Projekt basierte, funktionierte in der Realität nur in Kirchdorf nicht. Dort trat Vandalismus auf, indem bereits am dritten Tag die Glasfenster beschmiert und wenig später die Glastüre ausgehängt wurde. Zudem fehlte bereits einen Tag nach der Eröffnung 90 Prozent des Bücherbestands und in der Folgezeit kam keine neue Lektüre hinzu.111 Aufgrund kleinerer Vandalismusschäden und dem Nichteinhalten der Tauschregeln sahen sich die Kulturverantwortlichen gezwungen, das Projekt nach sechs Wochen und damit vor dem geplanten Ende, abzubrechen. Den Kirchdorfern war nach eigenen Aussagen bewusst, dass die Offene Bibliothek ohne Kontrollen nicht funktionieren kann. Dennoch standen die Anwohnerinnen und Anwohner dem Projekt nicht ablehnend gegenüber. Stattdessen unterbreiteten sie selbst Vorschläge, die zum Erfolg führen könnten, indem mehrmals auf die bekannte sozialarbeiterische Methode einer sanften Kontrolle hingewiesen wurde.112 Das Engagement war in Volksdorf generell am größten. 111 112
Einige der Interviewten vermuteten, dass Kinder die Bücher stahlen, andere wiederum tippten, Erwachsene verkauften die Bücher auf dem Flohmarkt (Wuggenig und Kockot 1994, 85). Eine Frau schlug vor, Kontrollpersonen einzusetzen, die kleinste Beschädigungen sofort reparieren sollten. Im Sinne der Broken Windows-Theorie äußerte sie offenbar
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Der Zustand einer idealen Bibliothek zeichnete sich dort durch einen vielfältigen Buchbestand aus, der sich im Laufe der Projektzeit fast vollkommen erneuerte. Darüber hinaus gründeten die Volksdorfer Bürgerinnen und Bürger eine Initiative, bei der Medien und Multiplikatoren eingeschaltet wurden, mit der sie eine Verlängerung der Laufzeit des Projekts herbeiführen wollten. Aus demselben Grund fand in BarmbekNord eine Unterschriftensammlung statt. Die Idee der Offenen Bibliothek wurde vom Museumspublikum sowie den Rezipientinnen und Rezipienten an den Standorten im Außenraum gleichermaßen positiv bewertet. Tendenziell bekundeten die Besucherinnen und Besucher der Backstage-Ausstellung die geringste, dagegen die Befragten aus dem Bibliotheksstandort Barmbek-Nord die größte Begeisterung gegenüber dem Projekt. Unter dem Publikum der beiden Museen standen der Offenen Bibliothek insgesamt rund 86 Prozent wenigstens eher gut gegenüber, dagegen nur 3 Prozent eindeutig ablehnend. Kunstinformierte sahen das Projekt generell etwas kritischer, was allerdings statistisch kein signifikantes Ergebnis darstellte. Insofern gab es hinsichtlich der Bewertung des Projekts zwischen dem Publikum im Museum und dem Publikum im öffentlichen Außenraum kaum Unterschiede.113 Entsprechend folgerten Wuggenig und Kockot (1994, 68), dass mit der Offenen Bibliothek sowohl elitäre als auch populäre Geschmackskulturen angesprochen wurden, was für eine Multipluralität der Arbeit spricht. Außerdem konnte ein Zusammenhang zwischen dem Stellenwert von Kunst im öffentlichen Raum im Allgemeinen und der favorisierten Kunstrichtung festgestellt werden. Je positiver die persönliche Einstellung gegenüber Kunst im öffentlichen Raum ausfiel, desto mehr Zustimmung erhielt auch speziell das Projekt Offene Bibliothek. Beispiels-
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aus Erfahrung, dass kleine Schäden zu immer größeren führen (Wuggenig und Kockot 1994, 85). Die Datenauswertung ergab, dass weder allgemeine noch kunstspezifische Bildung auf die Bewertung des Projekts Einfluss nahm. Auch die Herkunft nach Stadt oder Land, das Geschlecht, das Einkommen oder ein Besuch beziehungsweise Nichtbesuch im Kunstverein wirkten sich nicht merklich aus. Lediglich das Alter spielte bei der Bewertung eine Rolle, so dass jüngere Personen die Arbeit generell positiver beurteilten (Wuggenig und Kockot 1994, 73).
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weise stimmten nur 13 Prozent der Befragten mit hohem Kunstwissen der Aussage zu, dass Kunst im öffentlichen Raum eine überholte Idee darstellt. Wie schon erwähnt, standen Personen dem Projekt kritischer gegenüber, die eine Autonomiestellung der Kunst postulierten, so Wuggenig und Kockot (1994, 74). Wer sich besonders für Dadaismus und Kontextkunst interessierte, war der Offenen Bibliothek eher zugeneigt als die Liebhaberinnen und Liebhaber der Pop Art, Concept Art und Minimal Art. Wie Clegg & Guttmann verband auch der Künstler Christian Philipp Müller in seinen Arbeiten die beiden Bereiche Kunst und Soziologie. Mit einer kurzen Betrachtung von Müllers Projekt, welches in der Ausstellung Was nahe liegt, ist doch so fern - die Konstruktion Hamburger Kunstmeile 1997 im Hamburger Kunstverein präsentiert wurde, soll der Stellenwert von Kunst im öffentlichen Raum in der Gesellschaft weiter erläutert werden.114 Die Ausstellung wurde von der städtischen Kulturbehörde im Rahmen des Programms Kunst im öffentlichen Raum und des Projekts weitergehen in Kooperation mit dem Kunstverein in Hamburg initiiert. Aufgrund der Ambitionen der Stadt, anlässlich der neu eröffneten Galerie der Gegenwart als Anbau der Kunsthalle, den Begriff Kunstmeile für den Straßenzug von den Deichtorhallen bis zur Kunsthalle zu etab114
Müller fungierte als Künstler und Initiator des Projekts. Seine Arbeit bestand aus unterschiedlichsten Beiträgen. Im Vorfeld organisierte er einen Fotowettbewerb, der in der Schau die subjektiven Eindrücke der Kunstmeile aus Perspektive der Anwohnerinnen und Anwohner sowie Besucherinnen und Besucher festhielt. Zudem wurden stadthistorische und stadtplanerische Recherchen dokumentiert. Außerdem befragte Müller 25 Hamburger Kulturakteure sowie Passantinnen und Passanten auf der Straße nach deren Statements zur Kunstmeile und stellte diese in Videoarbeiten gegenüber. Des Weiteren erfand Müller die Figur Monsieur Muller, die den Künstler selbst in einer Videoarbeit zeigte, wie er endlos, ähnlich wie in einem Labyrinth die etwa 50 Unterführungen auf der Kunstmeile abging. Einen anderen Aspekt stellten Überlegungen zu Wirkung und Funktion der bereits über zwanzig bestehenden Kunstwerke auf der Kunstmeile dar. Müller stellte ein für die Kunstmeile nicht realisiertes Projekt Jennifer Holzers vor. Er ermöglichte der Künstlerin Tita Giese außerdem im Außenraum ein Bepflanzungsprojekt durchzuführen sowie einen Teil seiner Ausstellung zu bespielen und er lud den Soziologen Ulf Wuggenig ein aufgrund seiner Forschungen über das Kunstpublikum in Wien, Hamburg und Paris. Schließlich verwies Müller in der Ausstellung auf soziale Probleme, beispielsweise das massive Drogenproblem um die Bahnhofsgegend herum. In der Schau fand zudem ein Fachsymposion zu neuen Tendenzen von Kunst im öffentlichen Raum statt. Im Anschluss entstand ein Katalog (Müller 1997).
4.3 Kunst im öffentlichen Stadtraum und Publikum
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lieren, entstand die Idee für Müllers Projekt. Müller beabsichtigte den realen Ort hinter der Konstruktion Kunstmeile zu untersuchen. Daneben wurden in der Ausstellung, zur Thematisierung des Stellenwerts von Kunst im öffentlichen Raum, visuell und textlich neu aufbereitete Ergebnisse der Befragung des Museumspublikums von Wien, Hamburg und Paris präsentiert. Diese enthielten eine Graphik, welche Einstellungen gegenüber Kunst im öffentlichen Raum im Zusammenhang mit der sozialen Position sowie dem kunstspezifischen Vorwissen der Befragten abbildete.115 Die Ergebnisse zeigten, dass der Ansicht Kunst im öffentlichen Raum ist demokratischer, da auch die Bevölkerung außerhalb der Kunstwelt angesprochen wird drei Viertel der Befragten zustimmten. Der Anteil der Zustimmungen sank im Zentrum des Kunstfelds bis zu 50 Prozent ab. Die Leserinnen und Leser der Texte zur Kunst stimmten mehrheitlich zu, während solche, der als Insidermagazin bezeichneten Flash Art mehrheitlich dagegen stimmten. Den außerordentlich hohen Zuspruch im Ausstellungspublikum erklärte Wuggenig (1997, 85) durch das Bewusstsein einer sozialen Selektivität in den Kunstinstitutionen, die sich mit einem demokratischen Selbstverständnis nur schwer vereinbaren lässt. Drei Viertel waren der Meinung Die Kunst sollte sich stärker als bisher am öffentlichen Raum orientieren. Auch wenn die Zustimmung zu der Aussage im Zentrum schwächer wurde, sprach sich eine Mehrheit dafür aus, allerdings mit Ausnahme im Umkreis der Flash Art-Leserinnen und Leser (40 Prozent) (ebenda, 84). Nur ein Viertel dachte von Seiten der Bevölkerung gibt es keinen Bedarf an Kunst im öffentlichen Raum und rund 12 Prozent meinten Kunst im öffentlichen Raum ist eine überholte Idee. Personen mit hohem Kunstwissen sowie hohem Einkommen waren am negativsten 115
Als Indikator für kunstspezifisches Wissen diente dabei die Lesehäufigkeit von speziellen Fachmagazinen oder populären Kunstzeitschriften, die Vertrautheit mit den Namen bestimmter Künstlerinnen und Künstler sowie Theoretikerinnen und Theoretikern, die im Kunstdiskurs eine Rolle spielten (Wuggenig und Drechsel 1997, 69f.). Ein Ergebnis der Forschungen zeigte, dass beispielsweise die Leserinnen und Leser der beiden populären Zeitschriften Art und Kunstforum International einer Kunst im öffentlichen Raum allgemein positiv gegenüberstanden, wohingegen sich die Leserschaft der Insidermagazine Flash Art und October skeptischer äußerte (Wuggenig 1997, 82).
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gegenüber Kunst im öffentlichen Raum eingestellt, so Wuggenig (ebenda, 81f.). Gegenpol bildeten Personen, die keine Kunstobjekte kauften, kaum spezielles Kunstwissen vorweisen konnten, ein niedriges bis mittleres Einkommen aufwiesen sowie über niedrige Bildungsabschlüsse verfügten. Die formale oder allgemeine Bildung spielte bei der Einstellung gegenüber Kunst im öffentlichen Raum offenbar eine geringe Rolle. Aus den Ergebnissen folgerten Wuggenig und Kockot jedoch, dass Kunst im öffentlichen Raum unter den dominanten, mit kulturellem und ökonomischem Kapital ausgestatteten Akteuren im Kunstfeld, welche an der Bedeutungsproduktion am stärksten beteiligt sind, weniger akzeptiert war als in der Peripherie. Kunst im öffentlichen Raum wendet sich demnach an die Peripherie, das heißt ein kunstspezifisch schwach informiertes Publikum mit geringem oder mittlerem Einkommen sowie ohne Hochschulabschluss. Auch wird Kunst im öffentlichen Raum vom Zentrum selbst als peripher erachtet. Aus diesem Grunde kann Kunst im öffentlichen Raum, nach Ansicht Wuggenigs und in Anlehnung an Bourdieu, als illegitime Kunst bezeichnet werden.116 An dieser Stelle werden Grasskamps Überlegungen zu einer generellen Polarisierung von Kunstmuseum und städtischem Außenraum interessant, welche grundlegende Zusammenhänge verdeutlichen. Er begründete die Polarisierung in einer seit der Moderne bestehenden Herausforderung der Anerkennung von Kunst im öffentlichen Raum. Das Kunstmuseum war seit dessen Gründung eine bürgerliche Einrichtung, die von einer kunstspezifisch vorgebildeten Elite besucht wurde, wodurch eine Hierarchie der Bilder entstand. Kunstwerke im Innern des Museums galten als kulturell hochwertig, dagegen die zumeist mit Industrie verbundenen Plakate oder Illustrationen im Außenraum als trivial. So wurde mit der Kunst im öffentlichen Stadtraum nach Ansicht von Grasskamp (1997, 10f.) eine
116
Nach Bourdieu (1983, 187) existieren in der westlichen Gesellschaft drei große Klassen, die sich jeweils über verschiedene Geschmacksformen konstituieren: den legitimen Geschmack der oberen Klasse, welche nur diesen für akzeptabel hält. Den mittleren prätentiösen Geschmack des Kleinbürgertums, welcher sich an der oberen Klasse orientiert und sich deutlich von der unteren Klasse distanziert. Schließlich der populäre, illegitime Geschmack, der dem legitimen Hochgeschmack skeptisch bis abwertend gegenübersteht.
4.3 Kunst im öffentlichen Stadtraum und Publikum
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Ausdifferenzierung der kulturellen Milieus spürbar, wie sie keine andere Gesellschaft vor der Moderne gekannt haben dürfte. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Polarisierung sich bis heute erhalten hat. Gemäß Wuggenig (1997, 82) waren in der oben betrachteten empirischen Studie jedoch Brüche zu verzeichnen. Zum einen waren die Künstlerinnen und Künstler zwischen den beiden oben genannten Extremgruppen positioniert, zum anderen war Kunst im öffentlichen Raum von den Leserinnen und Lesern der anerkannten Fachzeitschrift Texte zur Kunst hoch akzeptiert. Insgesamt lässt sich festhalten, dass es deutliche Mehrheiten im Museumspublikum gab, die eine positive Meinung gegenüber Kunst im öffentlichen Raum vertraten.
4.3.4 Zusammenfassung Soziodemographische Daten sowie persönliche Einstellungen der Interessentenkreise von Kunst im öffentlichen Stadtraum sind aufgrund der physischen Situation sowie des überwiegend zufälligen Kontakts mit Kunst schwer greifbar. Grundsätzlich ist im Stadtraum von einem heterogenen Kreis mit unterschiedlichen Wissensständen, Kulturaneignungsmöglichkeiten und Interessensgraden auszugehen. In einer nicht vorhandenen Trennung von Alltags- und Kunstsphäre können einerseits Potenziale für einen unkomplizierten Zugang zu Kunst liegen und andrerseits Distinktionen zwischen Expertinnen oder Experten und Laien verstärkt herausgestellt werden. Dies kann in Ungunstbescheinigungen, im Extremfall zu Vandalismus führen. Vandalismus kann überwiegend mit einer aufgezwungenen Kunstrezeption, fehlendem Wissen oder Desinteresse begründet werden. Begünstigt wird die praktizierte Zerstörungswut durch eine Ungeschütztheit der Objekte im Außenraum, zusammen mit einer weniger starken Eigentumsmarkierung von Gütern in öffentlichem Besitz. Wie sich am Beispiel des Adorno-Denkmals in Frankfurt am Main zeigte, besteht die Chance, Vandalismusprobleme mit Informationspolitik, Partizipation sowie Kunstvermittlung erfolgreich anzugehen. Alternative Zugänge zu Kunst im öffentlichen Raum sind vor allem auch dann möglich, wenn kunstspezifisches Vorwissen
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4 Öffentlicher Stadtraum und Publikum von Kunst im öffentlichen Raum
für eine Annäherung nicht vorausgesetzt wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich künstlerische Praxis zumindest auf einer einzigen Rezeptionsebene in Alltagshandlung auflöst. Wie das Projekt Offene Bibliothek der Künstler Clegg & Guttmann demonstrierte, konnten auf diese Weise Personen erreicht werden, die sich üblicherweise nicht mit Kunst beschäftigten. Insgesamt betrachtet kann Kunst im öffentlichen Raum alternative Zugangsmöglichkeiten innerhalb des Alltagsbereichs eröffnen, birgt aber auch die Gefahr, insbesondere bei fehlender Informationstätigkeit durch die Initiatorinnen und Initiatoren, sowohl Meidungsverhalten als auch negatives Annäherungsverhalten in Form von Vandalismus zu provozieren.
4.4 Fazit Der öffentliche Raum wird von der Terminologie her als offen und damit leicht zugänglich betrachtet. Dem entgegen lässt sich mit der zunehmenden Privatisierung städtischer Teilräume sowie der grundsätzlichen Existenz settingspezifischer Regeln und sozialer Normen argumentieren. Seit den 1990er Jahren kann mit steigendem Konkurrenzdruck eine zunehmend neoliberale Politik der Städte beobachtet werden, die tendenziell zu einer Verengung und Homogenisierung des öffentlichen Raums führt. So werden Imageänderungen von Teilräumen im Rahmen einer ästhetisierenden Stadtpolitik forciert, um auf der einen Seite die Meidung eines spezifischen Orts durch bestimmte Bevölkerungsteile und auf der anderen Seite eine Annäherung an diesen Ort durch andere Personengruppen zu erreichen. Imageträger wie Shopping-Malls, exklusive Stadtwohnungen oder Events richten sich überwiegend an eine kaufkräftige Mittelschicht und die als Aushängeschilder fungierenden Innenstadtbereiche werden zunehmend als reine Konsum- und Erlebnisräume eingerichtet sowie vermarktet. An diesem Punkt schließt sich der Kreis von der Ebene des einzelnen Settings zur Imagepolitik auf einer größeren Aggregationsebene der Städte. Dies wird tangiert von einem Diskurs um Sicherheit in den Städten, wobei eine Dramatisierung der Si-
4.4 Fazit
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tuation eine Verdrängung randständiger Gruppen aus den Konsumbereichen bewirkt. In den verschiedenen Teilen des öffentlichen Raums existieren wie im Setting Kunstmuseum Nutzungsregeln, wobei die Problematik unklar definierter Orte im Stadtraum stärker ausgeprägt ist. Indem bei der Nutzung eines Kunstmuseums eindeutig ist, dass es sich um einen Ort handelt, in dem Kunst zu erwarten ist, liegt, abgesehen von den Schwierigkeiten bei der Entschlüsselung von Kunstobjekten, ein recht klar definiertes Milieu vor. Im Gegensatz dazu bietet der öffentliche Raum mit seinem multifunktionalen, überwiegend den Alltagshandlungen zuzuordnenden Charakter mehrere Unsicherheitsfaktoren. Es kann zu individuellen Verhaltensunsicherheiten oder der Meidung von Orten kommen, wenn die Regeln im Setting nicht ausreichend bekannt sind, beispielsweise sich die Nutzungsfunktionen oder der Sinn der im Raum befindlichen Objekte nicht erschließen. Zum einen kann die Kunstrezeption im öffentlichen Raum dadurch erschwert werden, dass sich Unsicherheiten bei der Annäherung des Präsentationsorts ergeben. Zum anderen verdeutlicht bereits ein Nichterkennen von Kunst im Alltagskontext die Notwendigkeit kulturellen Kapitals. Kunst im öffentlichen Raum kann von breiten Teilen der Bevölkerung nur dann akzeptiert werden, wenn Initiatorinnen und Initiatoren ausreichend Informations- und Vermittlungsarbeit leisten. Dem Gefühl des doppelten Ausschlusses, gekennzeichnet einerseits durch fehlendes Kulturkapital und andrerseits durch die Belegung des Raums mit Kunst, kann damit entgegen gewirkt werden. Insgesamt betrachtet scheinen die Bedingungen für alternative, alltagsnahe Zugänge zu Kunst in einem nichtinstitutionellen Raum förderlich, wobei sich verschiedene Selektionskräfte erheblich auf die Kunstrezeption auswirken, so dass die Idee von einer uneingeschränkt demokratischen, außerinstitutionellen Kunst im öffentlichen Raum im Ganzen relativiert werden muss.
5 Empirische Rezipientenstudie: Befragung in der Pinakothek der Moderne und auf dem Frauenplatz, München
Der fünfte Teil des Buchs widmet sich einer von der Autorin durchgeführten Befragung in der Pinakothek der Moderne in München sowie bei der Kunstinstallation Pampel auf dem Frauenplatz in München. Von dem kulturpolitischen Ziel ausgegangen, dass Kunst nicht nur einzelnen höher gebildeten Bevölkerungsgruppen vorbehalten sein sollte, wird überprüft, ob Kunst im öffentlichen Raum dies erreichen kann. Das wäre dann der Fall, wenn vermehrt niedrigere Bildungsschichten angesprochen werden und das Publikum im Außenraum eher als das Publikum im Museum einem Querschnitt der Bevölkerung in Deutschland entsprechen würde. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen wird darüber hinaus ein Vergleich der Daten von Besucherinnen und Besuchern der Pinakothek und dem öffentlichen Raum in Hinsicht auf Unterschiede in der Soziodemographie, dem Kunstinteresse und dem Kunstwissen vorgenommen. Aufgrund des in der Wissenschaft schwachen empirischen Datenmaterials für den Außenraum interessiert, welche Vorstellungen von Kunst im öffentlichen Raum dominieren und welchen gesellschaftlichen Stellenwert diese Kunst einnimmt. Schließlich soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Image und Atmosphäre im Kunstmuseum Motive oder Barrieren für einen Besuch darstellen.
P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8_5, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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5 Empirische Rezipientenstudie
5.1 Rahmenbedingungen Im Folgenden wird die methodische Vorgehensweise sowie die Ausgangssituation an den beiden Befragungsorten Kunstmuseum und öffentlicher Raum erläutert. Die Bedingungen an den Befragungsorten werden deskriptiv dargelegt, so dass bewusst keine Evaluation von Kunstprojekten oder institutioneller Kulturarbeit erfolgt.
Befragungsorte und Stichprobenumfang Die Befragungsorte wurden nach mehreren Kriterien ausgewählt. Ausschlaggebend war vor allem die städtische Situation sowie die Möglichkeit, während eines bestimmten Befragungszeitraums in ein und derselben Stadt beide Kunstpräsentationsorte parallel zu untersuchen. Des Weiteren sollten die Initiativen bei der öffentlichen Hand liegen. Die Befragung wurde an zwei verschiedenen Orten in der Münchner Innenstadt durchgeführt: in der Pinakothek der Moderne sowie auf dem Frauenplatz in direkter räumlicher Nähe zur Kunstinstallation Pampel. Im März 2006 wurden insgesamt 2.000 Fragebögen gesammelt, 1.000 Stück pro Befragungsort. Im Kunstmuseum lehnten 274 Personen und im Außenraum 359 Personen im Vorhinein ab, an der Befragung teilzunehmen. In der Pinakothek konnten schließlich 981 und auf dem Frauenplatz 980 Fragebögen, das sind insgesamt 1.961 Stück, in die Wertung eingehen. Die Pinakothek der Moderne wurde 2002 eröffnet und ist auch bezüglich des Sammlungsschwerpunkts das aktuellste Haus der insgesamt drei Münchner Pinakotheken. Das Museum befindet sich im so genannten Kunstareal, welches durch eine Tramlinie mit der Haltestelle Pinakotheken gut erreichbar ist. Unter einem Dach sind vier bedeutende Museen der Bereiche Kunst, Graphik, Architektur und Design vereint, was die Pinakothek der Moderne weltweit zu einem der größten Häuser für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts macht. Das Haus beherbergt ein Café sowie einen Shop. Während des Befragungszeitraums galten folgende Öff-
5.1 Rahmenbedingungen
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nungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr sowie verlängerte Abendöffnungen an Donnerstagen und Freitagen von 10 Uhr bis 20 Uhr. Die im Befragungszeitraum geltenden Eintrittspreise entsprachen regulär 9 EUR und ermäßigt 5 EUR sowie an Sonntagen 1 EUR pro Person. Öffentliche Vermittlungsangebote erschienen bis dato in einer dreimonatlichen Programmzeitung, welche in München an zahlreichen öffentlichen Stellen auslag sowie unter der Internetadresse www.pinakothek-dermoderne.de einzusehen war. Außerdem wurde durch eine deutschenglisch-sprachige Broschüre, die in 80 Prozent der Stadthotels auslag, Präsenz in der Öffentlichkeit erreicht sowie in gesonderten Fällen durch zusätzliche Anzeigen in Printmedien. Die redaktionelle Arbeit übernahm bis zum Zeitpunkt der Befragung die Presseabteilung, einen speziellen Marketingbereich gab es nicht. Der für die Vermittlung aller drei Pinakotheken verantwortliche Besucherdienst bestand im Befragungsjahr aus etwa 35 freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie vier Festangestellten. In der Pinakothek der Moderne wurde ein umfangreiches Vermittlungsprogramm angeboten, darunter Führungen mit verschiedenen Schwerpunkten und für unterschiedliche Zielgruppen, daneben Kunstgespräche sowie Workshops. Es konnten auch Privatveranstaltungen, beispielsweise für Firmen unter Berücksichtigung von Sonderwünschen, gebucht werden.117 Im Jahr 2006 bot der Führungsdienst in der Pinakothek der Moderne 996 Führungen mit insgesamt 20.475 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an, wobei der größte Teil, das heißt 708 Führungen mit insgesamt 13.417 Teilnehmern privat gebucht wurde. Die Pinakothek der Moderne wurde von 1.362 Schulklassen mit insgesamt 31.128 Schülerinnen und Schülern besucht.
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Die nachfolgenden Informationen beziehungsweise Daten des Besucherdiensts der Pinakotheken stammen, wenn nicht anders angegeben, aus Datenmaterialen der Pinakothek der Moderne (insbesondere dem Bericht Bilanz 2006).
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5 Empirische Rezipientenstudie
Installation Pampel, Frauenplatz, München Die Installation Pampel auf dem Frauenplatz war von der 1971 in Georgien geborenen und in Deutschland lebenden Künstlerin Thea Djordjaze, die unter anderem 2003 auf der Biennale in Venedig und 2008 auf der Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst vertreten war. Pampel wurde nach einer Diamantenschliffform benannt. Es ist ein großes, im hinteren Teil begehbares Objekt aus farbigem Plexiglas, das die Umgebung von innen kaleidoskopartig bricht. Das Objekt wurde temporär vom 11. Januar bis 06. April 2006 auf dem Frauenplatz präsentiert. Ursprünglich sollte der Innenhof der Residenz als Aufstellungsort dienen, was aber von der Stadt nicht bewilligt wurde. Die Pampel entstand im Rahmen der seit 2004 bestehenden Projektreihe Ortstermine, eine Initiative des Kulturreferats der Stadt München. Für ein erkennbares Erscheinungsbild der Marke Ortstermine in der Öffentlichkeit wurde eine Kommunikationsagentur beauftragt. Aufgrund von Akzeptanzproblemen der Projektreihe wurde das Konzept für 2006 erneuert, welches unter anderem die Einsetzung eines Kuratorenteams und die Bearbeitung bestimmter The-
5.1 Rahmenbedingungen
197
menbereiche einschloss. Die Pampel sollte ursprünglich noch für 2005 realisiert werden und war konzeptionell und organisatorisch daher den Ortstermine-Projekten des Vorjahres zuzuordnen, als Beiträge noch über eine Ausschreibung und eine Jury ausgewählt wurden. Die Installation Pampel wurde in den Tageszeitungen angekündigt und offiziell eröffnet. Für die Journalistinnen und Journalisten standen Pressemappen zur Verfügung und der interessierten Bevölkerung Flyer mit dem OrtstermineGesamtprogramm, welches Kurzinformationen zu Projekten, Präsentationsorten sowie Präsentationszeiten und -dauer enthielt. Ein Internetauftritt für die Projektreihe war unter www.ortstermine-muenchen.de eingerichtet. Ein spezifisches Vermittlungsprogramm fand bezüglich der Pampel nicht statt; lediglich die Volkshochschule bot unabhängig von den Initiatoren eine Führung an, in welcher das Objekt besprochen wurde. Projektkoordinatorin des Kulturreferats Annette Scholl (persönliches Gespräch am 27.03.2006) war sich der Problematik aber bewusst, Bürgerinnen und Bürger mit Kunst im öffentlichen Raum alleine zu lassen und wies auf zukünftige Vermittlungspläne.
Fragebogen Der Fragebogen (siehe Anhang) wurde in Absprache mit dem Soziologen und Leiter des Zentrums für Evaluation und Besucherforschung Karlsruhe (ZEB) Hans Joachim Klein in Anlehnung an die Besucher-FrageKarten (BEFKA) erstellt, welche vom ZEB in langjähriger Forschungstätigkeit entwickelt wurden.118 Im Rahmen eines eintägigen Pretests im Februar 2006 wurde die Vorab-Version des Fragebogens an insgesamt 27 Teilnehmenden getestet und entsprechend der Erfahrungen modifiziert. Fragebögen in englischer Sprache wurden nur dann angeboten, wenn der Eindruck entstand, die Teilnehmerin oder der Teilnehmer verstand die englische Sprache besser als die deutsche. Obgleich der Fragebogen professionell von einer Muttersprachlerin übersetzt wurde, gehen 118
Die verwendeten Fragebögen bestanden aus dünnem Karton, besaßen ein handliches DIN-A5-Format, waren beidseitig bedruckt und enthielten 20 Fragen, die überwiegend durch Ankreuzen und in wenigen Fällen offen zu beantworten waren.
198
5 Empirische Rezipientenstudie
bei jeder Übersetzung Bedeutungsinhalte zwangsläufig verloren. Einige Probleme diesbezüglich werden im Folgetext anhand von konkreten Beispielen erläutert. Von insgesamt 2.000 Fragebögen wurden in englischer Sprache 76 in der Pinakothek der Moderne und 86 auf dem Frauenplatz ausgegeben.
Konkrete Standorte an den Befragungsorten Der Bezug zur zeitgenössischen Kunst war ein Grundanliegen für die Wahl der Befragungsorte. Der genaue Standort in der Pinakothek der Moderne befand sich deshalb im ersten Obergeschoss am Treppenaufgang Ost zur Abteilung Kunst der Gegenwart (ab 1960). Über die Rotunde beziehungsweise das Foyer und den Treppenaufgang Ost konnten alle drei Wechselausstellungsräume vom Eingangsbereich im Erdgeschoss gezielt angesteuert werden, ohne den Aufzug in Anspruch nehmen zu müssen. Dieser wurde von Individualbesucherinnen und -besuchern selten genutzt und fast ausschließlich von Personen in Rollstühlen und mit Kinderwägen. Zum Befragungszeitraum fanden in diesem Trakt vom 25. Januar bis 11. Juni 2006 gleichzeitig drei Sonderausstellungen zeitgenössischer Kunst statt. Im Saal 30 wurde die eigens für die Pinakothek entwickelte, 23-teilige München Installation des 1968 geborenen und in London lebenden, deutschen Fotokünstlers Wolfgang Tillmans präsentiert. Im Saal 36 waren mit Tokyo 1969-1972, 1973 frühe Arbeiten des 1940 geborenen japanischen Fotografen Nobuyoshi Araki gezeigt. Direkt hinter dem Treppensockel im Saal 21 gab es von Monika Baer Gemälde und Zeichnungen 1992-2005 zu sehen. Der genaue Standort der Befragung bei der Kunstinstallation Pampel war festgelegt durch deren Platzierung auf dem Frauenplatz, vor der touristisch attraktiven Frauenkirche und unweit der am stärksten frequentierten Einkaufsstraße Kaufinger Straße. Die Pampel war zwischen Frauenkirche und nahe eines größeren, im Winter jedoch abgedeckten Brunnen aufgestellt und dieser war von terrassenartigen Stufen beziehungsweise attraktiven Sitz- und Spielmöglichkeiten umgeben. Auch in der
5.1 Rahmenbedingungen
199
kalten Saison war dieser häufig ein Anziehungspunkt für ein gemischtes Publikum, das heißt, berufstätige Mittagspäuslerinnen und -päusler, auswärtige Schul- und Kindergartengruppen, Bike-Trialer sowie auch soziale Randgruppen. Nahe der Kunstinstallation wurde eine, von den Passanten oft erst spät bemerkte Stele angebracht, die über Objekt, Künstlerin und Initiatorin der Projektreihe Ortstermine informierte. Spätestens wer den Text auf der Stele las, wusste, dass es sich bei der Pampel um ein Kunstobjekt handelte.
Befragungszeitraum Die Befragung fand im Zeitraum vom 05. bis 28.März 2006 täglich und ganztägig statt. An beiden Befragungsorten wurde ein ausgewogener Zeitplan verfolgt, das heißt Vormittags- und Nachmittagsbefragungen sowie Wochentage wurden weitgehend ausbalanciert. Montags konnten nur auf dem Frauenplatz Befragungen stattfinden, da die Pinakothek der Moderne Ruhetag hatte. Gleich zu Beginn der Befragung stellte sich heraus, dass die unbeleuchtete Kunstinstallation auf dem Frauenplatz in Dunkelheit von Passantinnen und Passanten vollkommen unbeachtet blieb und somit Abendbefragungen dort keinen Sinn machten.
Ansprache der Teilnehmerinnen und Teilnehmer Die Befragung fand durch die Autorin mit Unterstützung von abwechselnd insgesamt vier weiteren Personen statt. Grundsätzlich wurden in der Pinakothek Einzelbesucherinnen und -besucher sowie kleinere, nicht organisierte Gruppen bis fünf Personen, angesprochen. In Betracht kamen demnach keine betreuten beziehungsweise unbetreuten Gruppen wie Schulklassen oder Firmen sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Führungen oder anderen Veranstaltungen. Analog wurde auf dem Frauenplatz verfahren und Schulklassen sowie Stadtführungsgruppen ausgeschlossen.
200
5 Empirische Rezipientenstudie
Mit der nachfolgend erläuterten Methode wurde eine fast 100-prozentige Rücklaufquote erreicht. Grundsätzlich erfolgte nach Abschluss einer Ansprache und Ausgabe des Fragebogens, sobald die Interviewer bereit waren, eine weitere Ansprache der nächst zugänglichen Person. In Kleinstgruppen wie Familien oder Paaren wurde eine Person ausgewählt und dabei eine ausgewogene Ansprache männlicher und weiblicher beziehungsweise jüngerer und älterer Personen angestrebt. In der Pinakothek wurden Besucherinnen und Besucher angesprochen, die den Treppenaufgang Ost zur Abteilung Gegenwartskunst benutzten. Auf dem Frauenplatz wurden Personen dann gebeten ein Befragungsformular auszufüllen, wenn Interesse am Objekt ersichtlich war. Dies zeigte sich entweder in Form von Verweilen bei der Installation, durch Betreten des Objekts oder Lesen der Informationstafel. Das Mindestalter für die Teilnahme an der Befragung lag generell bei 16 Jahren, wobei Unsicherheiten nicht durch Auslassen, stattdessen durch Nachfragen beseitigt wurden, um ein Fehlen der jüngsten Gruppe zu vermeiden. Nachdem eine Person einwilligte, eine Befragungskarte auszufüllen, wurde diese kurz eingewiesen. Folgende Hinweise vorab sollten Fehler beim Ausfüllen vermeiden: der Fragebogen war personenbezogen und musste selbstständig ausgefüllt werden; die Frage nach dem wie aufmerksam geworden? bezog sich als einzige direkt auf die Pinakothek der Moderne beziehungsweise die Pampel auf dem Frauenplatz, die anderen Fragen waren dagegen allgemein zu beantworten; die Frage nach der Kunstepoche durfte nur mit einem Kreuz beantwortet werden und: die Befragungskarte besaß eine Rückseite, die ebenfalls auszufüllen war. Die Teilnehmenden wurden nach Überreichen der Befragungskarte gebeten, zum Ausfüllen in der Nähe zu bleiben und das Formular anschließend direkt wieder zurückzugeben. Aufgrund der Kälte konnte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Außenraumbefragung angeboten werden, zum Ausfüllen den Vorraum der gegenüberliegenden Bank oder ein nahe gelegenes Café zu nutzen, wovon allerdings nur wenige Gebrauch machten.
5.1 Rahmenbedingungen
201
Besondere Ereignisse während der Befragung Im Allgemeinen gab es kaum besondere Ereignisse, die den organisatorischen Ablauf der Befragung betrafen. Das Wetter war überwiegend durch winterliche Kälte, teilweise Schnee, Eis und Regen geprägt sowie wenigen winterlichen Sonnentagen. Die ersten Befragungstage fielen gerade in den Zeitraum, in dem München durch außergewöhnlich starken Schneefall in einen chaotischen Zustand geriet. Menschen bahnten sich ihre Wege durch meterhohe Schneeberge und der Verkehr war nahezu komplett lahm gelegt. Entsprechend konnte die Tram an zwei Befragungstagen keine Besucherinnen und Besucher in das Museum bringen. Auf dem Frauenplatz waren an Kirche und umgebenden Hochhäusern Schilder angebracht, die auf Lawinengefahr hinwiesen. An einigen Tagen war die Pampel mit einer Schneedecke überzogen und die Stelle des begehbaren Teils gefährlich glatt. Im Kunstmuseum verlief die Befragung nach Plan, abgesehen von einem Vormittag. An diesem Tag stellten sich Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines Projekts als Informationsquelle für ein bestimmtes Kunstwerk zur Verfügung und sprachen infolgedessen unter anderem auf dem Treppenaufgang Ost Personen an. Um eine Belästigung dieser Besucherinnen und Besucher durch eine zweite Ansprache zu vermeiden, brachen die Interviewerinnen ab und setzten die Befragung auf dem Frauenplatz fort. An zwei Befragungstagen war der Aufenthalt auf dem Frauenplatz durch starken Baulärm von der Kirche unangenehm. Ein weiteres Problem stellte dar, dass sich die Pampel ungefähr die Hälfte des Monats in einem technisch nicht einwandfreien Zustand befand. Die Lichtschranke, welche beim Betreten des hinteren Objektteils sphärische Klänge auslösen sollte, war regelmäßig defekt. Reparaturversuche blieben erfolglos, was dazu führte, dass vom Objekt entweder ein dauerhafter, unangenehm schriller Piepston oder überhaupt kein Ton ausging. Außerhalb der Befragungszeit wurden des Öfteren Kabel herausgerissen. Es konnte mehrmals beobachtet werden, dass Interessentinnen und Interessenten versuchten, Kabel wieder ordentlich anzubringen.
202
5 Empirische Rezipientenstudie
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie Zum besseren Verständnis der Auswertungen werden einige Angaben vorausgeschickt. Im Folgenden sind die Prozentangaben auf ganze Zahlen gerundet, was dazu führen kann, dass die Summen mehr als 100 Prozent betragen. Exakte Prozentwerte finden sich in den Tabellen im Anhang. Die Daten, mit Ausnahme der Fragestellungen in denen Mehrfachantworten möglich waren, wurden dem Chi-Quadrat-Test unterworfen. Mit der Anwendung des Chi-Quadrat-Tests wurde bei den einzelnen Fragen geprüft, ob die Unterschiede in den beiden Teil-Publika119 signifikant sind, das heißt auf tatsächlichen Unterschieden in den beiden Publika beruhen oder aber durch Zufall erklärt werden können.120 Zu berücksichtigen ist, dass der Chi-Quadrat-Test keine Aussage zur Stärke eines Unterschieds trifft. Unter Anwendung eines Fehlerrisikos von 5 Prozent und damit 95-prozentiger Sicherheit (Signifikanzgrad von p = 0,05) konnten in allen hier aufgeführten Fragen, bis auf Frage 19 zum Familienstand, die kein signifikantes Ergebnis brachte, echte Unterschiede in den beiden Teil-Publika festgestellt werden. Bezüglich des Vergleichs mit gesamtdeutschen Verhältnissen ist anzumerken, dass die Erhebungen des Statistischen Bundesamts vielfach zu den Kategorisierungen dieser Studie abwichen und ein Vergleich nur eingeschränkt möglich war.121
119 120
121
Teil-Publika bedeutet im folgenden Text zum einen das untersuchte Publikum im Kunstmuseum Pinakothek der Moderne und zum anderen das untersuchte Publikum im öffentlichen Raum bei der Pampel. Bei Frage 16: Letzter Bildungsabschluss konnte eine Überprüfung mit dem ChiQuadrat-Test erst erfolgen, nachdem aufgrund zu geringer Antworthäufigkeit bei kein Abschluss diese Antwortkategorie mit andere Abschlüsse zusammengefasst wurde. Beispielsweise waren die Einkommenskategorien anders aufgeteilt oder die Schulbildung und die berufliche Bildung wurden im Gegensatz zur Studie der Autorin, in der beide Kategorien zusammengefasst wurden und nach dem höchsten beziehungsweise letzten Abschluss gefragt wurde, separat abgefragt.
203
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Geschlechterverhältnis In der Pinakothek der Moderne setzte sich das Publikum zu 57 Prozent aus Frauen und 43 Prozent Männern zusammen. Umgekehrt war auf dem Frauenplatz mit einem Anteil von 55 Prozent männlichen gegenüber 45 Prozent weiblichen Personen ein Männerüberschuss zu verzeichnen.
60 Museum
Prozent
50
Frauenplatz
40 30 20 10 0 weiblich
männlich
Abbildung 1
Alter An beiden Befragungsorten waren die Altersgruppen der 20 bis 29Jährigen mit einem prozentualen Anteil von jeweils 29 Prozent am stärksten vertreten. Mit Abstand am schwächsten war die älteste befragte Altersgruppe der 70 und über 70-Jährigen (3 Prozent je Befragungsort) sowie die jüngsten Befragten der 16 bis 19-Jährigen (4 Prozent in der Pinakothek und 5 Prozent auf dem Frauenplatz) präsent. An beiden Befragungsorten folgte hinter der starken Twen-Fraktion die Altersklasse der 30 bis 39-Jährigen. Während die Alterskurve der Befragten auf dem
204
5 Empirische Rezipientenstudie
Frauenplatz insgesamt betrachtet gleichmäßig langsam abfiel und entsprechend noch 24 Prozent Dreißigerinnen und Dreißiger ausgewertet werden konnten, gab es in der Pinakothek einen stärkeren Rückgang zur nächst höheren Altersgruppierung, das heißt nur noch 19 Prozent Dreißigjährige. Die beiden Gruppen 40-49 Jahre (17 Prozent im Museum und 18 Prozent bei der Pampel) sowie 50-59 Jahre (13 Prozent beziehungsweise 11 Prozent) waren an beiden Befragungsorten in der Relation ähnlich stark vertreten. Und an beiden Orten wurde die Anwesenheit mit zunehmendem Alter tendenziell geringer. Im Gegensatz zum Kunstmuseum, in dem die Altersklassen ab 50 Jahren im Vergleich durchgehend etwas stärker vertreten waren, existierte auf dem Frauenplatz ein geringer Überschuss in den jüngeren und mittleren Alterskategorien bis 50 Jahren.
35 Museum
30
Frauenplatz
Prozent
25 20 15 10 5 0 16 - 19
20 - 29
30 - 39
40 - 49
50 - 59
60 - 69
70 und älter
Abbildung 2: Alter Bei einem Vergleich der Altersgruppen mit den Werten Deutschlands fiel in beiden Befragungsorten die deutlich überproportional repräsentierte Gruppe der 20 bis 29-Jährigen auf, die sowohl im Außenraum als auch in der Pinakothek der Moderne mit 29 Prozent vertreten war gegen-
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
205
über 14 Prozent in der Bevölkerungsstatistik.122 Bei Betrachtung der Gesamtverteilungen konnte nicht festgestellt werden, dass die Altersverteilung auf dem Frauenplatz eher der Altersverteilung in der Gesamtbevölkerung entsprach als die in der Pinakothek.123
Wohnort Die einzelnen Kategorien, welche die Entfernungen des Wohnorts zum Befragungsort angaben, waren auf dem Frauenplatz und in der Pinakothek der Moderne ähnlich stark besetzt. Etwa die Hälfte der Befragten im öffentlichen Raum und 44 Prozent in der Pinakothek wohnten in der Stadt München beziehungsweise im bis 30 Kilometer entfernten Nahbereich. Ein knappes Drittel reiste jeweils aus mehr als 100 Kilometern Entfernung in die bayrische Landeshauptstadt, wogegen nur 10 Prozent beziehungsweise 7 Prozent aus dem näheren Umkreis bis 100 Kilometer kamen. Ein beachtlicher Teil von 16 Prozent der befragten Besucherinnen und Besucher in der Pinakothek und 13 Prozent der Pampel kam aus dem Ausland.
122 123
Es muss bedacht werden, dass die Altersgruppe der 20 bis 29-Jährigen generell außerhäusig am aktivsten ist. Berechnet aus: Statistisches Jahrbuch 2007, 44. Die Werte gelten für das Jahr 2005. Die Ergebnisse für den Frauenplatz und die Pinakothek verlaufen nicht analog zu den statistischen Bundeswerten. Diese liegen bei 16 bis 19-Jährigen bei 5,5 Prozent, 20 bis 29-Jährigen bei 13,9 Prozent, 30 bis 39-Jährigen bei 16,7 Prozent, 40 bis 50-Jährigen bei 19,4 Prozent, 50 bis 59-Jährigen bei 15,0 Prozent, 60 bis 69 bei 14,4 Prozent sowie 70 und älter 15,0 Prozent.
206
5 Empirische Rezipientenstudie
60
Prozent
50 40
Museum Frauenplatz
30 20 10 0
Abbildung 3: Wohnort
Einkommen Die Haushaltsnettoeinkommen wichen insgesamt betrachtet in der Pinakothek der Moderne nicht erheblich von denen auf dem Frauenplatz ab. An beiden Befragungsorten war die Kategorie unter 1500 EUR von rund einem Drittel aller Befragten mit Abstand die meist genannte.124 An beiden Befragungsorten nahm mit den höheren Einkommenskategorien die Anzahl der Befragten tendenziell ab. Bei einem Vergleich der Haushaltseinkommen mit der Bundesstatistikfällt auf, dass die unteren Einkommensklassen in den beiden Befragungsorten weit stärker präsent waren.125 So ist in Deutschland die Ein124
125
Hierbei muss beachtet werden, dass jüngere Leute in der Altersklasse von 20 bis 29 sowie Auszubildende, Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten besonders stark vertreten waren, diese Personengruppen aber in der Regel noch nicht ihren finanziellen Höhepunkt erreicht haben. Berechnet aus Geißler (2006, 80). Geißler bezog seine modifizierten Daten für Westdeutschland aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe EVS von 2003.
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
207
kommensklasse bis 1500 Euro mit 25 Prozent im Gegensatz zu 36 Prozent im Museum und 33 Prozent auf dem Frauenplatz vertreten. Dies geht jedoch analog zur Altersverteilung, die ebenso ein jüngeres und damit in der Regel weniger einkommensstarkes Publikum repräsentiert. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass die Einkommensverteilung am Frauenplatz eher der Einkommensverteilung in Westdeutschland entsprach.126
40 Museum
35
Frauenplatz
Prozent
30 25 20 15 10 5 0 unter 1.500 €
1.500 € - 2.500 € 2.500 € - 3.500 € 3.500 € - 4.500 €
4.500 € und mehr
Abbildung 4: Haushaltsnettoeinkommen pro Monat
Familienstand Die Verteilung der beiden Gruppen Alleinstehende sowie Verheiratete oder in fester Partnerschaft Lebende als Hinweis für den Familienstand ähnelte an beiden Befragungsorten. Unter den befragten Museumsgängerinnen 126
Die Einkommen auf dem Frauenplatz und in der Pinakothek verhielten sich uneinheitlich zu den Einkommen in Westdeutschland. Die aus der EVS ableitbaren Gruppenverteilungen betrugen für die Klasse bis 1500 € 25,4 Prozent, von 1500 bis 2500 € 27,2 Prozent und von 2500 € bis 3500 € 18,8 Prozent.
208
5 Empirische Rezipientenstudie
und -gängern lebten rund 54 Prozent mit einer Partnerin oder einem Partner zusammen und unter den Rezipientinnen und Rezipienten der Pampel 59 Prozent. Dagegen waren 41 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek und 38 Prozent der Pampel Singles, 5 beziehungsweise 4 Prozent gaben Sonstiges an.
Prozent
70 60
Museum
50
Frauenplatz
40 30 20 10 0 Single / allein stehend
verheiratet / in fester Partnerschaft lebend
Sonstiges
Abbildung 5: Familienstand
Haushaltsgröße Etwa ein Drittel in beiden Befragungsorten lebte zum Zeitpunkt der Umfrage in Einpersonenhaushalten, die anderen zwei Drittel lebten in Mehrpersonenhaushalten mit beziehungsweise ohne Kinder. Während ähnlich viele Besucherinnen und Besucher der Pinakothek wie der Pampel alleine lebten, wichen die Ergebnisse bezüglich der Mehrpersonenhaushalte erheblich voneinander ab. Auf dem Frauenplatz war der Prozentanteil der Mehrpersonenhaushalte mit Kindern mit rund 35 Prozent genauso groß wie der von Haushalten ohne Kinder. Demgegenüber gaben nur 25 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek an, in Mehrpersonenhaushalten mit Kindern zu leben gegenüber rund
209
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
42 Prozent ohne Kinder. Familien mit Kindern besuchten das Kunstmuseum demgemäß wesentlich seltener als Kinderlose. 45 40 35
Museum Frauenplatz
Prozent
30 25 20 15 10 5 0
Einpersonenhaushalt
Mehrpersonenhaushalt mit Kind(ern)
Mehrpersonenhaushalt ohne Kind(er)
Abbildung 6: Wie viele Personen leben derzeit in Ihrem Haushalt?
Letzter Bildungsabschluss Das Abitur war mit 24 Prozent in der Pinakothek und 26 Prozent auf dem Frauenplatz meist genannter als letzter Bildungsabschluss, gefolgt von Realschule mit 9 Prozent beziehungsweise 12 Prozent. Während sich die Anteile an Personen mit Abitur und Realschulabschluss an beiden Befragungsorten ähnelten, waren nur 2 Prozent Hauptschülerinnen und -schüler in der Pinakothek vertreten, demgegenüber 2,5 mal mehr auf dem Frauenplatz.127 Die Hälfte der Besucherinnen und Besucher der Pi127
Hier wurde nach dem letzten Bildungsabschluss gefragt, welcher aber nicht zwingend der höchste ist. Da 10 Prozent der Befragten aus dem Ausland kamen, muss zudem berücksichtigt werden, dass Länder unterschiedliche Bildungssysteme haben und Einordnungen in Kategorien von den Befragten teilweise abgeschätzt werden
210
5 Empirische Rezipientenstudie
nakothek und 38 Prozent der Befragten im öffentlichen Raum hatten über den Schulabschluss hinaus einen Universitätsabschluss. Speziell im Kunstbereich studierten mindestens 9 Prozent der Museumsbesucherinnen und -besucher, dagegen 3 Prozent der Rezipientinnen und Rezipienten der Pampel. Der weit überwiegende Teil der Akademikerinnen und Akademiker, mindestens 34 Prozent im Kunstmuseum und 30 Prozent im öffentlichen Raum, hatten einen Universitätsabschluss in einem anderen Bereich.128 Hinzu kamen 12 Prozent Absolventinnen und Absolventen von Fachhochschulen und Berufsakademien in der Pinakothek und 16 Prozent auf dem Frauenplatz. Vertreterinnen und Vertreter der Kategorien Andere Abschlüsse waren an beiden Orten mit durchschnittlich 2 Prozent wenig präsent und kein Abschluss tendierte gegen null.129
128 129
mussten. Zudem lässt sich nicht nachvollziehen, wie viele Schülerinnen und Schüler der Oberstufenklassen in positiver Voraussicht bereits Abitur angegeben haben oder aber Realschule oder keinen Abschluss. Das gleiche Problem ergab sich bei Studentinnen und Studenten mit den Kategorien Abitur oder Universitätsabschluss. Personen, die in der Befragungskarte den Universitätsabschluss nicht in der Kategorie speziell im Kunstbereich spezifiziert hatten, wurden der Kategorie Universitätsstudium andere zugerechnet. Durch den relativ hohen Teil an ausländischen Besucherinnen und Besuchern sowohl auf dem Frauenplatz wie auch in der Pinakothek der Moderne wird das generelle sozialwissenschaftliche Problem des Verständnisses deutlich; so auch bei der Frage nach der Erwerbsstellung. Damit ist weniger ein Sprachproblem gemeint als kulturell geprägte Bedeutungszusammenhänge. Es haben beispielsweise auffällig viele Teilnehmende aus dem Ausland Arbeiterin oder Arbeiter bei der Erwerbsstellung angegeben und gleichzeitig eine für deutsche Verhältnisse hohe Bezahlung. Es ist zu vermuten, dass die Einordnung unter den Begriff Arbeiterin beziehungsweise Arbeiter in der deutschen Bevölkerung eher vermieden, im Ausland dagegen breiter verwendet wird und eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz besitzt.
211
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
60
Museum
Prozent
50
Frauenplatz
40 30 20 10 0
Abbildung 7: Letzter Bildungsabschluss Der Vergleich mit den Daten des Statistischen Bundesamtes Deutschland (2007) ergab, dass sich das Publikum im öffentlichen Raum dieser Verteilung wesentlich stärker annäherte als die Verteilung in der Pinakothek. In der Bundesstatistik fanden sich 42 Prozent Hauptschülerinnen und -schüler (Frauenplatz 5 Prozent und Pinakothek 2 Prozent) sowie 20 Prozent Realschülerinnen und -schüler (Frauenplatz 12 Prozent und Pinakothek 9 Prozent). Es waren 7 Prozent Universitätsabsolventinnen und –absolventen angegeben, während in der Pinakothek 9 Prozent der
212
5 Empirische Rezipientenstudie
Befragten allein einen Universitätsabschluss im kunstwissenschaftlichen Bereich hatten.130
Erwerbsstellung Im Museum stellten Auszubildende, Schülerinnen und Schüler sowie Studentinnen und Studenten mit 24 Prozent die größte Gruppe dar, dicht gefolgt von 23 Prozent Angestellten. Bei der Pampel gab es 30 Prozent Angestellte und 21 Prozent befanden sich in Ausbildung. Speziell im öffentlichen Dienst waren 13 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek und 9 Prozent der Pampel beschäftigt. Die Gruppe der Selbstständigen und Freiberuflichen betrug in der Pinakothek etwas stärkere 16 Prozent gegenüber 13 Prozent. Ebenso war die Gruppe der Rentnerinnen und Rentner beziehungsweise Pensionärinnen und Pensionäre mit 12 Prozent in der Pinakothek etwas stärker vertreten wie auf dem Frauenplatz mit 10 Prozent. Es gaben nur 2 Prozent je Befragungsort an, derzeit ohne Arbeit zu sein.
130
Einen Ausreißer stellte das Fachhochschulstudium dar, das in der Bundesstatistik mit 4 Prozent, auf dem Frauenplatz mit 16 Prozent und in der Pinakothek mit 12 Prozent angegeben wurde. Dies sprach im öffentlichen Raum für eine Verschiebung von Universitätsabschlüssen zu Fachhochschulabschlüssen.
213
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Prozent
35 30
Museum
25
Frauenplatz
20 15 10 5 0
Abbildung 8: Derzeitige Erwerbsstellung
Anregung zum Besuch Die Anregung, ein Museum zu besuchen oder sich mit Kunst im öffentlichen Raum zu beschäftigen, erfolgt zumeist über bestimmte Informationsmedien und klärt, auf welchem Weg Besucherinnen und Besucher aufmerksam auf eine Ausstellung beziehungsweise Installation werden.131 Die Motivationsquellen für einen Besuch in der Pinakothek der Moderne und bei der Pampel waren an den Befragungsorten zum größten 131
Die Autorin wurde während der Befragungszeit mehrfach gefragt, um was es sich bei dem Objekt auf dem Frauenplatz handelte und ob es etwas Technisches sei. Daran wird deutlich, dass ein besonderes Interesse an einem Objekt im öffentlichen Raum nicht notwendigerweise einem spezifischen Kunstinteresse entspringt. Ob das Objekt als Kunstobjekt rezipiert wurde, soll hier allerdings nicht thematisiert werden. Entscheidend war der zunächst unfreiwillige Kontakt aufgrund einer unkomplizierten Erreichbarkeit, welcher infolge schließlich zu einer Beschäftigung mit dem Objekt führen kann.
214
5 Empirische Rezipientenstudie
Teil verschieden. Im Kunstmuseum gaben 31 Prozent an, dass Freunde, Bekannte und Verwandte zum Besuch animierten. Unter den Befragten auf dem Frauenplatz spielte das Gespräch mit Freunden und Verwandten mit nur 2 Prozent offenbar eine geringe Rolle. Weitere 27 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek, dagegen nur 3 Prozent der Pampel wurden durch die Zeitung aufmerksam. Die anderen Kommunikationsmedien Plakat, Radio und Internet inspirierten insgesamt 12 Prozent zum Besuch in der Pinakothek und lediglich 1 Prozent auf dem Frauenplatz. Sonstige Gründe gaben 20 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek an und 1 Prozent auf dem Frauenplatz. Dominierend für die Rezeption des Kunstobjekts im öffentlichen Raum war die Antwort bin rein zufällig vorbei gelaufen. Während 93 Prozent der Befragten im öffentlichen Raum zufällig vorbei kamen, gaben lediglich 9 Prozent in der Pinakothek diesen Grund an.132 In Hinsicht auf die Vermittlungsarbeit war festzustellen, dass Schule und andere Bildungsinstitutionen immerhin 8 Prozent der Kunstmuseumsbesucherinnen und -besucher zum Besuch motivierten, auf dem Frauenplatz gegen null.133
132
133
Es macht Sinn, den Begriff zufällig im Zusammenhang mit dem Kunstmuseumsbesuch eher als spontan zu deuten, da sich Personen spätesten vor den Eingangspforten bewusst für einen Besuch entscheiden müssen. Ein spontaner Museumsbesuch ist bei einem gesteigerten Kunstinteresse wahrscheinlicher, wobei auch aus kunstexternen Gründen beispielsweise durch einen Café- oder Shopaufenthalt zum Besuch animiert werden kann. Das Ergebnis ist wenig überraschend und bestätigt die Annahme, dass Personen mit Kunst im öffentlichen Raum überwiegend unfreiwillig konfrontiert werden und sich Interesse erst vor Ort entwickelt. Obgleich im Jahr 2006 mit über 1.300 eine große Anzahl von Schulklassen durch die Pinakothek der Moderne geführt wurde, konnten Schülerinnen und Schüler zu einem privaten Besuch offenbar selten motiviert werden (Alte Pinakothek / Neue Pinakothek / Pinakothek der Moderne 2006). Bei dem Ortstermine-Projekt fehlte noch bis zum Zeitpunkt der Befragung eine Vermittlung durch die Initiatorinnen und Initiatoren und damit auch die Anbindung an schulische Einrichtungen. Während der einmonatigen Befragungszeit konnte von der Autorin nie beobachtet werden, dass eine Schulklasse die Pampel als Kunstobjekt geplant ansteuerte. In zwei voneinander unabhängigen Kindergartengruppen sorgten Erzieherinnen jeweils dafür, dass das Interesse einiger Kinder an der Pampel mit geht dort weg oder das darf man nicht anfassen sofort unterbunden wurde. Lediglich die Erzieherin einer dritten Kindergruppe machte auf dem Weg in die Frauenkirche auf Wunsch einzelner Kinder einen bewussten Abstecher zur Pampel; sie informierte über das Objekt als Kunstwerk und gab den Kindern die Chance, dieses anzuschauen beziehungsweise zu betreten.
Prozent
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
215
Museum Frauenplatz
Abbildung 9: Wie sind Sie auf diese Ausstellung / Installation aufmerksam geworden?
Kunstinteresse und Vorwissen Die Frage nach der Beschäftigung mit Kunst durch Lesen signalisiert zusammen mit anderen Aspekten die Stärke des Kunstinteresses. Die Regelmäßig-Leserinnen und -Leser und Nie-Leserinnen und -Leser standen für die Pinakothek und auf dem Frauenplatz in einem annähernd umgekehrten Verhältnis zueinander.134 Im Museum lasen 34 Prozent der Be134
An dieser Stelle sollte vermerkt werden, dass persönliche Einschätzungen von Antwortkategorien in Fragebögen grundsätzlich subjektiv sind, insbesondere die Attribute regelmäßig, gelegentlich, nie geben den Befragten Raum für Interpretationsmöglichkeiten. Zudem stellt die Mittelposition gelegentlich eine Möglichkeit des Ausweichens oder Relativierens der Antwort dar, vor allem bei Unschlüssigkeit. Aus dieser Sicht sind die Ergebnisse der beiden Pole regelmäßig beziehungsweise nie am informativsten für die Auswertung. Zudem geht aus den Antworten bezüglich des Lesens über Kunst nicht hervor, um welches Anspruchsniveau der Lektüre es sich
216
5 Empirische Rezipientenstudie
fragten regelmäßig und 30 Prozent im öffentlichen Raum nie über Kunst. Dagegen wurde mit 15 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek ungefähr so oft nie angegeben wie im öffentlichen Raum regelmäßig. Unter den Besucherinnen und Besuchern im Kunstmuseum befanden sich also mehr als doppelt so viele wie im öffentlichen Raum, die regelmäßig über Kunst lasen und rund halb so viele, die nie lasen. Die Befragten in der Pinakothek, eigneten sich Kunstwissen demnach etwa doppelt so häufig darüber an, Kunstzeitschriften oder Zeitungsartikel über Kunst zu lesen als die Befragten auf dem Frauenplatz. Museum nie 15%
gelegentlich 51%
Frauenplatz regelmäßig 34%
nie 30%
regelmäßig 13%
gelegentlich 56%
Abbildung 10: Lesen Sie Kunstzeitschriften oder Beiträge über Kunst in der Zeitung? Grundsätzlich befassten sich die Befragten beider Orte deutlich mehr über das Unterhalten mit Kunst als über das Lesen. Jedoch unterhielten sich mehr als doppelt so viele der Befragten in der Pinakothek regelmäßig über Kunst und es gab wiederum bedeutend weniger, für die Kunst nie ein Gesprächsthema darstellte. Diejenigen, die sich nach eigenen Angaben nie über Kunst unterhielten, fielen weit weniger ins Gewicht als die diejenigen, die nie über Kunst lasen. Grundsätzlich lässt sich behaupten, dass sich deutlich mehr der befragten Besucherinnen und Besucher der handelt. Ebenso wenig kann die Qualität eines Gesprächs über Kunst abgefragt werden. Unter Berücksichtigung dieser Problematik zeigen die Umfrageergebnisse dennoch eine Tendenz bezüglich des Kunstinteresses und des persönlichen Stellenwerts von Kunst.
217
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Pinakothek durch Lesen über Kunst informierten und der Kunst außerdem als Gesprächsstoff einen höheren Stellenwert beimaßen. Dies lässt auf ein größeres kunstspezifisches Wissen unter den Museumsbesucherinnen und -besuchern schließen. Museum nie 5%
gelegentlich 52%
Frauenplatz nie 8% regelmäßig 43%
regelmäßig 18%
gelegentlich 74%
Abbildung 11: Unterhalten Sie sich im Freundeskreis oder in der Familie über Kunst? Darüber hinaus befand sich in beiden Befragungsgruppen ein relativ geringer Teil an Kunstvereinsmitgliedern, der in der Pinakothek 12 Prozent und auf dem Frauenplatz nur 4 Prozent betrug.
218
5 Empirische Rezipientenstudie
Museum
Frauenplatz ja 4%
ja 12%
nein 88%
nein 96%
Abbildung 12: Sind Sie Mitglied in einem Kunstverein? Bei der Frage, welche Kunstepoche am meisten interessiert, zählten die Gegenwartskunst mit 40 Prozent der Nennungen und die Klassische Moderne mit 29 Prozent der Nennungen zu den Favoriten des befragten Publikums in der Pinakothek. Die anderen Kunstepochen folgten erst mit großem Abstand.135 Im öffentlichen Raum dagegen pendelte sich das Interesse für Gegenwartskunst, Klassische Moderne, Alte Kunst bis 18. Jahrhundert und keine Angaben mit Anteilen zwischen 21 und 25 Prozent auf ähnlich hohem Niveau ein. Lediglich die Kunst des 19. Jahrhunderts verlor etwas an Abstand.136 In der Pinakothek der Moderne kreuzten 13 Prozent und im öffentlichen Raum sogar 22 Prozent der Befragten keine Angabe an.137 135
136
137
Besucherinnen und Besucher der Pinakothek der Moderne entschieden sich, im Gegensatz zu denen auf dem Frauenplatz, in der Regel bewusst für ein Museum mit Sammlungsschwerpunkt 20. und 21. Jahrhundert, weshalb ein größeres Interesse an Moderne und Gegenwartskunst abzusehen war. Die Beantwortung der Frage nach der favorisierten Kunstepoche schien für einen großen Teil der Befragten mit Schwierigkeiten verbunden, vor allem aufgrund des Hinweises, nur eine Epoche angeben zu dürfen. Es wurde immer wieder deutlich, dass die Einordnung in Kunstepochen von weniger Kunstinformierten kaum möglich war, insbesondere die Unterteilung in Gegenwartskunst und Klassischer Moderne rief Verwirrung hervor. Die Kategorie keine Angaben kann einerseits bedeuten, eine Person möchte sich aufgrund vielseitiger Kunstinteressen nicht auf eine einzige Antwort festlegen oder sie kann sich andrerseits wegen mangelnden Fachwissens oder Interesses nicht festlegen.
219
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Prozent
50 40 30
Museum Frauenplatz
20 10 0
Abbildung 13: Welche Kunstepoche interessiert Sie am meisten?
Kunstbegriff In beiden Publika wurde ein überwiegend traditioneller Kunstbegriff, anhand der Vorstellung über die Präsentationsformen von Kunst im öffentlichen Raum, deutlich. Im Museum nannten 90 Prozent und im öffentlichen Raum 83 Prozent Skulpturen / Plastiken / Installationen als Präsentationsformen, die ihrer Vorstellung von Kunst im öffentlichen Raum entsprachen. Es folgte die Kategorie Brunnen vor Wandbemalungen / Mosaiken und Denkmale / Mahnmale, die je Befragungsort von rund 50 Prozent der Befragten benannt wurden.138 Unter den Befragten an beiden Orten herrschte offenbar ein ähnlicher Kunstbegriff, der stark an den klassischen Ausdrucksformen orientiert war. Ein verschwindend geringer Anteil vervollständigte die Liste der Antwortvorschläge durch progressivere Kunstformen wie beispielsweise soziale Interventionen, Kunst in anderen Kontexten oder Diskurs als künstlerische Praxis.
138
Mehrfachantworten waren möglich.
220
5 Empirische Rezipientenstudie
Prozent
100 80
Museum
60
Frauenplatz
40 20 0
Abbildung 14: Welche Präsentationsformen stellen Sie sich unter Kunst im öffentlichen Stadtraum vor?
Stellenwert von Kunst im öffentlichen Raum Bei der Frage nach der persönlichen Wichtigkeit von Kunst im öffentlichen Raum sollte berücksichtigt werden, dass unter den Befragten an beiden Orten ein überwiegend traditioneller Kunstbegriff vorherrschte. Sowohl im Museum als auch im Stadtraum war zum größten Teil ein positiver Bezug zu Kunst im Außenraum erkennbar. Während 87 Prozent der Besucherinnen und Besucher der Pinakothek sowie rund 78 Prozent der Befragten auf dem Frauenplatz Kunst im öffentlichen Raum als wichtig und sehr wichtig befanden, tendierten nur 13 Prozent im Kunstmuseum, aber rund 22 Prozent auf dem Frauenplatz zu weniger wichtig und überhaupt nicht wichtig. Kunst im öffentlichen Raum nahm somit sowohl unter dem Museumspublikum als auch unter den Befragten bei der Pampel einen hohen Wichtigkeitsgrad ein.
221
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Museum eher weniger 12%
wichtig 48%
Frauenplatz überhauptnicht 1%
sehr wichtig 39%
eher weniger 20%
wichtig 52%
überhaupt nicht 1% sehr wichtig 27%
Abbildung 15: Wie wichtig ist für Sie persönlich Kunst im öffentlichen Stadtraum, also Kunst außerhalb von Museen? Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden bei der Befragung direkt darauf angesprochen, was sie allgemein mit Kunst im öffentlichen Raum verbinden, wobei mehrere positive sowie negative Attribute für Mehrfachantworten zur Verfügung standen. Grundsätzlich war die Stimmverteilung an beiden Standorten ähnlich. Ungefähr zwei Drittel der Nennungen je Befragungsort fielen unter Verschönerung des Stadtbildes, etwas weniger als zwei Drittel unter Kunst für alle. Etwa die Hälfte der Befragten verband mit Kunst im öffentlichen Raum Genuss / Erlebnis. Ein weiteres Resultat war, dass Gespräch anregend rund 40 Prozent der Nennungen pro Befragungsort erhielt. Es überwogen eindeutig die positiven Attribute in Verbindung mit Kunst im öffentlichen Raum. Negative Assoziationen wie Verschandelung des Stadtbildes, unnötige Belastung für die städtischen Kassen und Kunst für ein elitäres Publikum sowie Sonstiges fielen kaum ins Gewicht. Für beide Befragungsorte ergab die Auswertung ein äußerst positives Bild und einen hohen persönlichen Stellenwert von Kunst im Außenraum.
222
5 Empirische Rezipientenstudie
Prozent
80 60
Museum Frauenplatz
40 20 0
Abbildung 16: Was verbinden Sie allgemein mit Kunst im öffentlichen Stadtraum? Während zwei Drittel der Befragten an beiden Befragungsorten mit Kunst im öffentlichen Raum eine Stadtverschönerung verbanden, also einen ästhetischen Aspekt, nannten jeweils 70 Prozent auf die Frage, warum sie sich Kunst im Museum oder im öffentlichen Stadtraum anschauen, die Kategorie Schönes ansehen / Genuss. Auch die Punkte Bildung / Lernen mit 64 Prozent in der Pinakothek und 59 Prozent auf dem Frauenplatz sowie Unterhaltung / Erlebnis mit 54 Prozent in der Pinakothek und 52 Prozent auf dem Frauenplatz waren ähnlich hoch favorisiert. Besonders fiel die Kategorie Interesse am Thema auf, die im Museum 58 Prozent erreichte und im Außenraum 39 Prozent. Viele der Besucher auf dem Frauenplatz schienen also das Objekt nicht aus einem spezifischen Kunstinteresse heraus besucht zu haben, sondern deshalb, weil sich zufällig die Gelegenheit bot. Die Antwortkategorien Mitreden können sowie soziale Kontakte pflegen, welche auf die soziale Beziehungsebene abzielen, spielten an beiden Befragungsorten eine verhältnismäßig geringe Rolle, was
223
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Prozent
insbesondere bei den Museumsbesucherinnen und -besuchern überrascht.139
80 70 60 50 40 30 20 10 0
Museum Frauenplatz
Abbildung 17: Warum schauen Sie sich Kunst im Museum oder im öffentlichen Stadtraum an?
Besuchshäufigkeit von Museen In der Besuchshäufigkeit von Kunstmuseen unterschied sich das Publikum beider Befragungsorte bedeutend, indem 23 Prozent der Befragten der Pinakothek öfter als zehn Mal im Jahr im Museum waren, aber nur 7 Prozent auf dem Frauenplatz. Unter den Befragten auf dem Frauenplatz 139
Vermutlich verschreckte die Direktheit dieser Antwortmöglichkeit, verbunden mit einer gewissen sozialen Erwünschtheit bei der Antwortwahl, was ein beobachtetes Gespräch zwischen einem Ehepaar verdeutlichen soll. Eine Frau sah ihrem, die Befragungskarte ausfüllenden Mann über die Schulter und gab Kommentare ab. Sie wunderte sich, dass ihr Mann die Antwortmöglichkeit Mitredenkönnen nicht ankreuzte und meinte: wir besuchen doch oft Ausstellungen, um Mitreden zu können. Daraufhin sah sich der Mann offensichtlich peinlich berührt um, ob es Mithörerinnen oder Mithörer gab und wehrte mit der Begründung ab, dass dies doch nie der Hauptgrund gewesen sei. Trotz des ausdrücklichen Hinweises, dass der Fragebogen personenbezogen ist und nur von einer Person ohne Beratung ausgefüllt werden sollte, fanden, was dieses Beispiel auch demonstriert, immer wieder Diskussionen von teilnehmenden Personen mit deren Begleitungen statt.
224
5 Empirische Rezipientenstudie
Prozent
gingen mit 36 Prozent die meisten Nennungen an zwei bis drei Besuche im Jahr, dicht gefolgt von 31 Prozent mit höchstens einem Besuch. Etwa ein Drittel der Befragten auf dem Frauenplatz waren Nicht- oder Weniggängerinnen und -gänger, das heißt nur höchstens ein Besuch pro Jahr. Damit war diese Gruppe annähernd drei Mal so stark vertreten als in der Pinakothek. Mit 11 Prozent gab es dort wesentlich weniger Personen, die Kunstmuseen höchstens ein Mal im Jahr aufsuchten. Im Kunstmuseum gab die Mehrheit, das heißt 27 Prozent an, zwei bis drei Mal jährlich zu kommen. 40 35 30 25 20 15 10 5 0
Museum Frauenplatz
Abbildung 18: Wie oft haben Sie im letzten Jahr Kunstmuseen oder Kunstausstellungen besucht? Die unterschiedliche Verteilung an beiden Befragungsorten war relativ betrachtet nicht mehr ganz so gravierend, wenn es nicht um die Besuchshäufigkeit speziell von Kunstmuseen, stattdessen von anderen Museen und Ausstellungen ging. Mit 12 Prozent gab es in der Pinakothek nur noch circa eineinhalb Mal so viele Besucherinnen und Besucher, die mehr als zehn Mal jährlich ins Museum gehen, anstatt drei Mal so viele wie dies für Kunstmuseen der Fall war. Die Angleichung erfolgte allerdings weniger durch stärkere Besuchszahlen unter den Befragten
225
5.2 Deskriptive Auswertung der Studie
Prozent
auf dem Frauenplatz als durch den deutlichen Besuchsrückgang auf nur noch 12 Prozent der Befragten in der Pinakothek. Kunstmuseumsbesucherinnen und -besucher sind demnach nicht zwangsläufig VielBesucherinnen und -besucher von Museen im Allgemeinen, sondern favorisieren speziell Kunsteinrichtungen. An beiden Befragungsorten überwog mit jeweils mehr als ein Drittel Zustimmungen wieder die Antwort von zwei bis drei Besuchen pro Jahr. Im Vergleich zur Besuchshäufigkeit im Kunstmuseum gab es bei der Besuchshäufigkeit in sonstigen Museen und Ausstellungen sowohl in der Pinakothek mit 19 Prozent als auch auf dem Frauenplatz mit 24 Prozent einen größeren Anteil an Personen, der höchstens ein Mal jährlich ins Museum ging.
40 35 30 25 20 15 10 5 0
Museum Frauenplatz
Abbildung 19: Wie oft haben Sie im letzten Jahr Sonstige Museen / Ausstellungen besucht?
Barrieren Ein fehlendes benötigtes Vorwissen war sowohl im Kunstmuseum (60 Prozent) sowie auf dem Frauenplatz (58 Prozent) die meist genannte Begründung auf die Frage, weshalb sich manche Menschen im Kunst-
226
5 Empirische Rezipientenstudie
Prozent
museum möglicherweise nicht wohl fühlen. Außerdem gaben 37 Prozent in der Pinakothek und 29 Prozent im Außenraum an, dass sie einen Besuch im Kunstmuseum eher mit Anstrengung und Pflicht verbinden. Ein Viertel der Stimmen unter den Museumsbesucherinnen und -besuchern sowie 32 Prozent im öffentlichen Raum fiel auf die Begründung einer gezwungenen Atmosphäre in den Kunsteinrichtungen. Rund 23 Prozent der Nennungen auf dem Frauenplatz und ein Viertel in der Pinakothek machten eine bedächtige Stimmung verantwortlich für die fehlende Wohlfühlatmosphäre im Kunstmuseum. Die Aussage man fühlt sich vom Personal / von anderen Besuchern beobachtet fand bei 19 Prozent im Museum und bei 17 Prozent im Außenraum Zustimmung. Schließlich nahmen unter den Befragten in der Pinakothek 9 Prozent und auf dem Frauenplatz 13 Prozent an, dass für den Besuch im Kunstmuseum keine gute Gesprächsatmosphäre eine Barriere darstellt. 70 60 50 40 30 20 10 0
Museum Frauenplatz
Abbildung 20: Manche Leute behaupten, dass sie sich im Kunstmuseum nicht richtig wohl fühlen. Woran könnte das liegen?
5.3 Fazit
227
5.3 Fazit Die Besucherinnen beziehungsweise Besucher in der Pinakothek und der Kunstinstallation Pampel unterschieden sich in einigen Aspekten stark, in anderen kaum voneinander. Beide Publika waren tendenziell jung und weniger einkommensstark. In einem Vergleich mit bundesdeutschen Statistiken kann dennoch festgehalten werden, dass das Profil der Besucherinnen und Besucher auf dem Frauenplatz teilweise deutlich näher dem soziodemographischen Profil der Bevölkerung in Deutschland entsprach. In Bezug auf die Alters- und Einkommensverteilung wurden an den beiden Befragungsorten kaum Unterschiede ausgewertet, wobei dieser bezüglich der Frage nach dem Zugangsdemokratischen qualitativ weniger Bedeutung zukommt. Im öffentlichen Raum kommen Personen mit Kunst in Berührung, die gewöhnlich keine Kunstmuseen aufsuchen. Die beiden Teil-Publika unterschieden sich wesentlich in der Besuchshäufigkeit von Kunstmuseen. Die Zahl der Geringbesucherinnen beziehungsweise -besucher, das heißt höchstens ein Mal pro Jahr, betrug bei der Pampel circa ein Drittel und war damit in etwa drei Mal so groß als der Wert für die Pinakothek. Eine deutliche Annäherung des Publikums auf dem Frauenplatz an die Bundesstatistik bestand in einem Kernpunkt des in diesem Buch unter dem Begriff demokratisch diskutierten Aspekts, und zwar der Bildung. Kunst im öffentlichen Raum bietet offenbar einen freieren Zugang für verschiedene Bildungsschichten. Es fanden als Besucherinnen und Besucher zur Pampel zweieinhalb Mal so viele Hauptschülerinnen und -schüler Zugang zu Kunst als in der Pinakothek. Auch die größere Zahl der Realschülerinnen und -schüler sowie wesentlich weniger Universitätsabsolventinnen und -absolventen zeigten einen demokratisierenden Effekt von Kunst im Außenraum. Ein weiterer Aspekt der Demokratisierung ergibt sich aus der Anregung zum Besuch. Der Anlass für einen Besuch unterschied sich in der Pinakothek erheblich vom Außenraum. Hier liegt das Ergebnis vor, dass die Interessierenden der Pampel überwiegend deshalb zu einem Kunst-Publikum wurden, indem sie zufällig am Ort der Präsentation vorbei kamen. Dazu passt auch, dass ein großer Anteil der Besucherinnen und Besucher der
228
5 Empirische Rezipientenstudie
Pampel auf dem Frauenplatz allgemein kein Interesse an Kunst bekundete. Bezüglich des Kunstinteresses wird im öffentlichen Raum demnach ein bedeutsamer Teil angesprochen, der sich sonst nie mit Kunst beschäftigt, weder in Form von Lesen noch als Unterhaltungsthema. Im Gegensatz dazu spielte für die Befragten in der Pinakothek Kunst als Gesprächsthema sowie auch das Lesen von Artikeln in Zeitschriften oder Zeitungen über Kunst eine wesentliche Rolle. Als Indikatoren für eine kunstspezifische Vorbildung können darüber hinaus auch eine Nennung der Präferenzen der Kunstepoche sowie eine Mitgliedschaft im Kunstverein betrachtet werden. Für beide Indikatoren wurde im Pinakothekspublikum ein deutlich höherer Anteil ausgewertet. Ein weiterer Punkt, der als demokratisierend aufgefasst werden kann, ist die überproportionale Repräsentation von Personen mit Kindern auf dem Frauenplatz. Kunst im öffentlichen Raum ist in der Gesellschaft allgemein positiv besetzt und wird als demokratisch erachtet. Für beide Befragungsstandorte galt ein überwiegend traditionell orientierter Kunstbegriff und bestand eine eindeutig positive Einstellung zu Kunst im öffentlichen Raum. Die konkrete Aussage, dass Kunst im öffentlichen Raum eine Kunst für alle darstellt, wurde von deutlich mehr als der Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am jeweiligen Befragungsplatz bejaht. Eine große Mehrheit in beiden Publika war der Meinung, dass fehlendes Vorwissen sowie eine gezwungene Atmosphäre Barrieren für einen Kunstmuseumsbesuch sind. Dies bestätigt, dass Vorbildung und Wohlgefühl die Einstellung und damit Annäherung beziehungsweise Ablehnung gegenüber Kunstmuseen beeinflussen können. Unterhaltung und Erlebnis versprechende kulturelle Sonderveranstaltungen nehmen in der Bevölkerung einen wachsenden Stellenwert ein. Im Hinblick auf die bereits herausgestellte Eventisierung konnte auch in der empirischen Studie im Zusammenhang mit der Kunstrezeption eine große Bedeutung der Besuchsmotive Unterhaltung und Erlebnis bestätigt werden, indem diese annähernd gleich groß war wie die traditionellen Motive Bildung und Lernen.
5.3 Fazit
229
Im Zusammenhang mit Kunst im öffentlichen Raum, speziell vor dem Hintergrund der stärkeren Repräsentation von niedrigeren Bildungsabschlüssen sowie dem vermehrten Besuch von Menschen, die sonst eher nicht in Kunstmuseen gehen, kann in der Gesamtbetrachtung durchaus von einer demokratisierenden Wirkung gesprochen werden.
6 Schlussbetrachtungen
Ausgangspunkt dieser Untersuchung war die weit verbreitete Vorstellung einer Polarität zwischen dem Kunstmuseum als einem elitär empfundenen Musentempel und einer Kunst im öffentlichen, für alle Personen frei zugänglichen, demokratischen Raum. Im Sinne des Zugangsdemokratischen leitete sich das Verständnis von demokratisch und der Publikumsrolle aus den kulturpolitischen Vorstellungen der 1970er Jahre einer Kunst für alle ab. Einerseits führte das gewandelte Selbstverständnis der Kunstmuseen zu einer zunehmenden Außen- und Publikumsorientierung und andrerseits gewann Kunst im öffentlichen Raum aufgrund dieser Polarisierungsidee an Schubkraft. Aus diesen Überlegungen ergab sich die Forschungsfrage, ob sich der öffentliche Raum als Rahmen für die Kunstpräsentation im Allgemeinen günstiger als das Kunstmuseum für einen demokratischen Zugang erweist. Die Problemstellung wurde anhand der theoretischen Vorstellung beleuchtet, dass unterschiedliche Behavior Settings, also Verhaltensräume, Annäherung oder Meidung auslösen. Entgegen der gängigen Idee einer Polarisierung sollten hier diametral laufende Tendenzen beleuchtet werden, das heißt zum einen eine Öffnung der Kunstmuseen seit den 1970er Jahren und zum anderen eine soziale sowie physische Verengung des öffentlichen Raums. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob die Behauptung von einer demokratischen Kunst im öffentlichen Raum auf der einen Seite und vom elitären Kunstmuseum auf der anderen Seite relativiert werden muss. Es hat sich gezeigt, dass die Behavior Setting-Theorie Erklärungen für Annäherungs- und Meidungsverhalten liefern kann und darüber allgemeine Aussagen der Zugänglichkeit zu unterschiedlichen Orten der Kunstrezeption getroffen werden können. Die Betrachtung von Orten als P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8_6, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
232
6 Schlussbetrachtungen
Behavior Settings verdeutlicht die grundsätzliche Existenz von verhaltenssteuernden Regeln und Normen sowohl in Innen- als auch in Außenräumen. Darüber hinaus wird die Dynamik und Wandelbarkeit der Strukturen von sozialen Umwelten betont, die normalerweise eine Neuerung der Nutzungsbedingungen und damit der Zugangsvoraussetzungen mit sich bringen. Dies letztlich gilt als Voraussetzung für eine Veränderung der Beteiligten eines Settings und bildet wiederum die Basis für die Frage nach der Zugänglichkeit zu Kunst in zwei unterschiedlichen Rahmen. Hier fand eine theoretische Auseinandersetzung mit verschiedenen Aspekten der Behavior Setting-Theorie statt. Ergänzend wurden Ergebnisse einer von der Autorin durchgeführten, empirischen Publikumsbefragung im Kunstmuseum sowie im städtischen Außenraum über soziodemographische Daten, Motive, persönliche Einstellungen sowie Verhaltensweisen einbezogen. Indem sich die Publikumsansprache der Kunstmuseen seit den 1970er Jahren veränderte, kam es zu Verschiebungen des kulturpolitischen Verständnisses von demokratisch. Die beiden einschneidenden Veränderungen betreffen einen sozialen Wandel und eine größere Betonung der Wirtschaftlichkeit. Verschiebungen im Verhältnis gegenüber dem Kunstpublikum sind demnach im gesellschaftlichen Strukturwandel begründet und in einer zunehmenden Ökonomisierung des Kulturbereichs, was zu einer veränderten Ausgangslage für kulturpolitisches Handeln führt. Mit dem Gesellschaftswandel, der einen Wertewandel hin zum Postmaterialismus enthält, lässt sich ein steigendes Bedürfnis nach Erlebnis und Events im Kulturbereich erklären. In diesen Kontext fällt, dass mit Beginn der Lebensstilforschung in den 1980er Jahren, neben den traditionellen Klassen- und Schichtenmodellen, die Lebensstilgruppen an Bedeutung gewannen. Insbesondere auch Kunstmuseen dienen mit zunehmendem Interesse als Mittel zur Ausgestaltung von Lebensstilen. Dies geht einher mit der allgemein wachsenden Bedeutsamkeit des Dienstleistungssektors und der verstärkten Bereitschaft, ein Mehr an Freizeit in den Kulturbereich und speziell auch in die Kunstmuseen zu investieren.
6 Schlussbetrachtungen
233
Der Kulturbereich wird neben dem Gesellschaftswandel von einer wachsenden Ökonomisierung beeinflusst, die sich in verschiedenen Ausprägungen äußert und unter anderem durch die schwierige öffentliche Haushaltslage begründet wird. Mit der wachsenden Bedeutung quantitativer Besuchszahlen geht die Professionalisierung des Kunstsponsorings, die zunehmende Initiierung von Private Public Partnerships, die Umfunktionierung von Kunstmuseen als Eigenbetriebe sowie der Ausbau des Marketings einher. Zur besseren Erfüllung der wirtschaftlichen Anforderungen werden Kunstmuseen immer häufiger von einer Doppelspitze geführt, das heißt, einer Person mit kunsthistorischem und einer mit wirtschaftswissenschaftlichem Hintergrund. Die Konzentration auf Besuchsquoten und Publikumsorientierung ist mitverantwortlich für ein stark erweitertes Angebot der Kunstmuseen, in dem medienwirksame Events wie Lange Museumsnächte oder große Sonderschauen eine beachtliche Rolle spielen. Gesellige, unterhaltungsorientierte Großereignisse werden als Marketinginstrument eingesetzt. Mit der Sonderschau Das MoMA in Berlin im Jahr 2004 wurde vor eine im Grunde klassisch präsentierte Ausstellung ein außerordentlicher Unterhaltungsapparat geschaltet sowie die Inszenierung und Vermarktung als Jahrhundertereignis im Extrem praktiziert. Die Schau setzte in Hinsicht eines Erlebnismarketings für Kunstausstellungen, aber auch im Vermittlungsbereich neue Maßstäbe. Einerseits kam eine professionelle Kommunikationsstrategie zum Einsatz, womit die Ausstellung zum Medienereignis avancieren konnte, und andrerseits wurden neben den klassischen Führungen vorherrschend so genannte MoMAnizer zur unterhaltsamen Informationsvermittlung eingesetzt. Verschiedene kleinere Ereignisse in mittelbarer Verbindung mit der Sonderausstellung, dabei kann es sich beispielsweise um den Verkauf von VIP-Tickets oder eine zum Kult gewordene Warteschlange vor dem Kassenhaus handeln, wurden professionell in Szene gesetzt. Wie am Modell Das MoMA in Berlin ersichtlich, kann also durchaus auch im Kunstbereich über eine Eventisierung, das heißt, ein Hochstilisieren von nicht die Ausstellungsinhalte direkt betreffenden Ereignissen, in der Bevölkerung ein Gefühl des Nichtsverpassenwollens ausgelöst werden. Insgesamt verlagerte sich im Vergleich zu den 1970er
234
6 Schlussbetrachtungen
Jahren der kulturpolitische Schwerpunkt von Fragen allgemein menschlicher Humanisierung und individueller Emanzipation in Richtung innovativer Strategien in der qualitativen, aber vor allem - zur Verbesserung der Finanzlage - in der quantitativen Publikumsansprache. Bis heute lässt sich mit steigender Tendenz eine Verschränkung von Kunstbereich und Alltag nachvollziehen, indem Kunstmuseen zunehmend externe gesellschaftliche Funktionen übernehmen. Durch das ausgedehnte, an unterschiedliche Zielgruppen orientierte Dienstleistungsangebot, das von der Kinderbetreuung des Besucherdiensts über große Sonderveranstaltungen bis hin zur Raumvermietungen für beispielsweise Firmenessen reicht, werden in den Häusern verschiedenste Alltagshandlungen wie Einkaufen, Filme sehen oder Frühstücken selbstverständlicher. Der ursprüngliche Zweck der Museen, Kunst zu rezipieren, wird mit anderen, kunstfernen Nutzungsmöglichkeiten kombiniert, teilweise dient das Museum nur als Kulisse. Großveranstaltungen lassen eine überwiegend auf Unterhaltung und Socializing ausgerichtete Kunstrezeption zu, wobei der Geselligkeitsaspekt durchaus auch als alleinige Motivation für einen Besuch im Kunstmuseum dienen kann. Eine Auflösung der strikten Trennung von Kunst- und Alltagswelt spiegelt sich auch in der postmodernen, kommunikativen Museumsarchitektur insbesondere seit den 1980er Jahren wider, die eine fließende Gestaltung von äußerer Umgebung und Museumsinnerem anstrebte. Grundsätzlich rücken Kunstmuseen, allein aufgrund einer weit größeren Anzahl an Neubauten als noch zu Beginn der siebziger Jahre und dazu einer spektakuläreren Bauweise, stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Es kann somit festgehalten werden, dass die Transformation des Kunstmuseums von einem Ort der reinen Bildbetrachtung über eine vorwiegend erzieherische Lernstätte bis hin zu einer bildendunterhaltsamen Freizeiteinrichtung eine tendenziell zunehmende Durchdringung von Kunst- und Alltagsbereich mit sich bringt. Die Entwicklung der Kunstmuseen hin zu multifunktionalen, zielgruppenorientierten Einrichtungen bewirkt die Öffnung für einen breiteren Personenkreis über das klassische Kunstpublikum hinaus und fördert den Abbau von Hemmschwellen. Im Zuge der Eventisierung wird eine Annäherung
6 Schlussbetrachtungen
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an die Kunsteinrichtungen zudem begünstigt, da sich ein wachsender Personenanteil unter das klassische, höher gebildete Kunstpublikum mischt, der normalerweise nicht mit kunstspezifischem Vorwissen oder einer besonderen Kunstaffinität ausgestattet ist. Empirische Studien über die Teilnahme an kulturellen Großveranstaltungen zeigen, obgleich die Grundstruktur des Eventpublikums nicht so stark wie vermutet vom gängigen Kunstpublikum abweicht, dass jeweils eine, wenn auch relativ kleine, zusätzliche Personengruppe erreicht werden kann, die gewöhnlich kein Interesse an Museen zeigt. Indem Kulturkapital für einen Besuch im Kunstmuseum keine notwendige Bedingung darstellt, vermischt sich das Expertinnen- beziehungsweise Expertenpublikum stärker mit einem Laien-Publikum. Insbesondere kulturelle, überwiegend der Unterhaltung dienende Großveranstaltungen vermitteln der Nichtfachfrau beziehungsweise dem Nichtfachmann aufgrund des hohen Geselligkeitswerts das Gefühl, nicht vornehmlich von einem kunstinformierten Bevölkerungsteil umgeben zu sein. Im Museum, was symbolisch besetzt ist als Haus von Kulturexperten, versucht der Laie üblicherweise ein den Normen für die Einrichtung entsprechendes Verhalten, was allerdings durch fehlendes Vorwissen erschwert wird. Bei näherer Betrachtung kann in Kunstmuseen über eine Eventisierung durchaus ein qualitativer Wert in der Publikumsansprache erreicht werden. Veranstaltungen aus einem Mix von Bildung und vorwiegend Unterhaltung geben die Möglichkeit üblicherweise kunstferne Personen zuerst an die Einrichtung und dann an die künstlerische Arbeit heranzuführen, um damit eine gewisse Dominanz und Selbstvertrauen im Umgang mit Museen und Kunst aufzubauen. Möglicherweise wird über das Event hinaus das Interesse für Kunst geweckt. Als Vorbedingung für einen Besuch im Kunstmuseum steht in diesem Fall in erster Linie nicht ein Vorwissen über allgemeine Gepflogenheiten in diesem Setting oder durch Erziehung und Bildung generiertes Kulturkapital. Aufgrund von Veränderungen in der Präsentation und Vermittlungsarbeit besteht in den Kunstmuseen somit eine Verschiebung im Publikum, so dass Selektionsmechanismen anders greifen.
236
6 Schlussbetrachtungen
Neben dem Museumswandel setzte bezüglich der Kunst im öffentlichen Raum in den 1970er Jahren eine Umorientierung ein, durch welche die Polarisierung demokratisch versus elitär erklärt werden kann. Der Entdeckung einer Relevanz außer-institutionell präsentierter Kunst, insbesondere im Kontext einer neuen Wichtigkeit des Sozialen, kam eine wesentliche Bedeutung zu. Indem die ersten deutschen Städte ihre Kunst am Bau-Regelungen änderten, wurde die Voraussetzung für das Praktizieren einer erweiterten Kunstdefinition geschaffen. Erstmalig wurde schließlich der weiter gefasste Begriff Kunst im öffentlichen Raum in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit öffentlich geförderten Programmen verwendet. Mit Blick auf die 1990er Jahre hat sich die künstlerische Praxis des Eingreifens in konkrete soziale Prozesse weiter verstärkt. Eine progressive, auf die Rezipientin oder den Rezipienten orientierte Kunst, das Eingehen von Kunstschaffenden auf bereits vorhandene Sozialstrukturen, Ortsbezogenheit im Allgemeinen sowie Kunst in anderen, alltäglichen Kontexten stellen Aspekte dar, die nur in einer außerinstitutionellen Präsentation von Kunst voll zur Entfaltung kommen können. Zudem wurde einer Kunst im öffentlichen Raum in den siebziger Jahren im Rahmen der kultur- und stadtpolitischen Ziele von Humanität und Emanzipation eine Lebensqualität fördernde Befähigung zuerkannt. Die Kraft der Kunst im Stadtraum wurde demzufolge in der Identifikation, Orientierung, Ästhetik und im Ausgleich von Bausünden der Nachkriegsarchitektur gesehen. Nicht zuletzt gewann Kunst im öffentlichen Raum aus dem kulturpolitischen Postulat einer Kunst für alle heraus Bedeutung in Bezug auf die Polarisierung mit dem als elitär betrachteten Kunstmuseum. So forderten führende Akteure des Kultursektors von den Einrichtungen, Kunst zusätzlich außerhalb der Museumsmauern zu präsentieren, um damit die Zugänglichkeit für alle sozialen Schichten gewährleisten zu können. Dem idealistischen Gedanken einer Kunst im öffentlichen Raum steht allerdings eine Reihe von Barrieren entgegen. Neben der oft fehlenden Vermittlung, die einen Zugang erschwert, sind kleinere Projekte in der Regel wenig publik. Hinzu kommt, dass deutlich mehr NegativNachrichten wie Verschandelungskritiken oder Meldungen zu
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Vandalismusschäden in der Presse erscheinen. Generell sind Kunstprojekte im Außenraum, abgesehen von wenigen bekannten Großveranstaltungen, nicht in dem Maße kommerzialisierbar wie die Sonderausstellungen der Kunstmuseen sowie die Häuser selbst. Nach Ansicht vieler Kommunen dienen dauerhaft installierte Werke in zentraler Lage als Prestigeobjekte. Dies – und nicht zuletzt fehlendes Verständnis – hindert vor allem kleinere Gemeinden mit niedrigerem Kulturbudget daran, eine progressive, temporäre Kunst im Außenraum zu fördern. Kommunen begründen eine Vernachlässigung von Kunst im Stadtraum jedoch überwiegend mit einem Finanzproblem und weniger mit Gleichgültigkeit. Die Budgets werden für bestehende kulturelle Infrastruktur wie unter anderem Kunstmuseen benötigt und zudem stellen Teile der oben genannten Aspekte Barrieren für ein weiteres Interesse dar. In Hinsicht auf die Ausgestaltung von Lebensstilen ist Kunst im öffentlichen Raum, was den Freizeitwert und die Funktion als Social Event betrifft, aufgrund der fehlenden Konzentration auf einen physisch begrenzten Ort des Geschehens sowie der kunstbezogenen Extras wie Läden oder Gastronomie, dem Kunstmuseum unterlegen. Grundsätzlich existieren überall und somit auch im öffentlichen Raum verhaltensbeeinflussende Regeln und Normen. Aufgrund der Multifunktionalität des öffentlichen Raums, die in abgeschwächter Form inzwischen allerdings auch für Kunstmuseen gilt, sind Chancen der Fehlnutzung allgemein geringer als in monofunktionalen Orten wie beispielsweise Sportplätzen. Jedoch besteht wiederum eher die Gefahr auf undefinierbare Räume zu treffen, die oftmals Unsicherheiten und Meidungsverhalten zur Folge haben. Eventuell führt Unkenntnis über die Nutzungsregeln eines konkreten Behavior Settings häufig zu einer Meidung von Kunst im Außenraum. Das Kunstmuseum dagegen ist klar definiert als ein Ort, in dem Kunst präsentiert wird, womit die Kunstrezeption eine Hauptfunktion darstellt, letztlich unabhängig davon, wie viel Kulturkapital einer Person für die Symbol-Entschlüsselung der ausgestellten Kunstobjekte zur Verfügung steht. Außerdem wirkt speziell im öffentlichen Raum ein doppelter Ausschluss, der bis hin zu einer negativen Annäherung wie Vandalismus führen kann. Personen mit fehlendem
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6 Schlussbetrachtungen
Kulturkapital werden ausgeschlossen und daneben zu einem regelmäßig unfreiwilligen Kontakt geführt, mit dem diese sich ungefragt auseinandersetzen müssen. Neben Zugangsbarrieren, die auf fehlendem Wissen gründen, wirkt sich generell und besonders seit den 1990er Jahren eine tendenziell neoliberale Stadtpolitik auf die allgemeine Zugänglichkeit im öffentlichen Raum aus. Über eine starke Imagepolitik versuchen sich Städte im zunehmenden regionalen, nationalen und globalen Wettbewerb zu behaupten. Dies geschieht mittels des Ausbaus weicher Standortfaktoren, insbesondere einer Aufwertung der Innenstadtbereiche wie beispielsweise durch exklusive Wohnungssanierungen, Shopping-Malls und Events. Die städtischen Angebote richten sich demzufolge an konsumstarke Bevölkerungsteile, Touristinnen und Touristen sowie auch Investoren. Infolge der zunehmenden Privatisierung von immer mehr Teilorten des Stadtraums wird die Zugänglichkeit – und damit auch zur Kunst – weiter eingeschränkt. Verschärfend kommt seit den 1990er Jahren ein Diskurs um die Sicherheit in den Städten hinzu, durch den letztlich versucht wird, den Ausschluss randständiger, konsumschädigender beziehungsweise konsumunfähiger Personengruppen zu rechtfertigen. Im Gegensatz zum Kunstmuseum birgt die Präsentation von Kunst im Stadtraum jedoch das Potenzial, beiläufig und im Alltag mit Kunst in Kontakt zu kommen. Wie die Ergebnisse der von der Autorin durchgeführten Studie zeigen, kamen fast alle an der Kunstinstallation Pampel interessierten Befragten auf dem Frauenplatz in München rein zufällig vorbei. Von diesen besuchte fast ein Drittel höchstens ein Mal im Jahr ein Kunstmuseum und gehört damit nicht zum habituellen Kunstmuseumspublikum. Vor allem in Hinsicht auf einen erweiterten, stärker an der Rezipientin oder dem Rezipienten orientierten Kunstbegriff, ermöglicht der nicht-institutionelle Rahmen alternative Zugangsmöglichkeiten außerhalb eines unmittelbaren Kunstkontexts. Außerdem gilt ein höherer Anteil niederer Bildungsabschlüsse, wie auf den Frauenplatz zutreffend, als ein wesentliches Element des Zugangsdemokratischen. Demgegenüber wird durch die von der Autorin durchgeführten, empirische Untersuchung erneut bestätigt, dass Kunstmuseen traditionell noch im-
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mer von einem höher gebildeten, vorinformierten Publikum besucht werden. Wie eine andere, qualitative Studie außerdem präsentiert, sind die Häuser noch immer mit herkömmlichen Vorstellungen behaftet, die an Image und Atmosphäre des Hauses geknüpft sind und Kunstmuseen mit elitären Einrichtungen verbinden. Dementsprechend zählen ein fehlendes Vorwissen sowie Assoziationen mit Anstrengung und Pflicht, eine gezwungene Atmosphäre wie auch eine bedächtige Stimmung laut der von der Autorin durchgeführten Untersuchung zu den maßgeblich vorstellbaren Gründen für den Nichtbesuch von Kunstmuseen. Zu diesen Barrieren gehört ebenso das Gefühl, von dem Aufsichtspersonal und anderen Besucherinnen und Besuchern beobachtet zu werden. Ein weiterer Aspekt ist, dass speziell die physisch zum Außenraum abgegrenzte Kunsteinrichtung einen Machtraum bildet, indem eine unvermeidbare Verknüpfung mit der hinter der Sache stehenden Institution Kunst stattfindet und ein davon ausgehender Symbol- und Selektionscharakter spür- und sichtbar wird. Die Darlegungen in dieser Untersuchung zeigen schließlich, dass die weit verbreitete Polarisierung Kunstmuseum versus Kunst im öffentlichen Raum zu überdenken ist und gegenläufige Tendenzen wirken, die sich aller Voraussicht nach noch verschärfen werden. Die Gruppen von Nutzerinnen und Nutzer großer Teile des öffentlichen Raums, haben sich aus stadtpolitischen Gründen verstärkt homogenisiert. Immer mehr Teilorte, vor allem im Citybereich, werden von einem sich verengenden Teil der Öffentlichkeit genutzt, infolgedessen sich das Publikumspotential von Kunst im öffentlichen Raum in Größe und sozialer Verschiedenartigkeit einschränkt. In den Kunstmuseen scheint, obgleich das Publikum ebenfalls aus qualifizierten fragmentierten Öffentlichkeiten besteht, eine gegenläufige Bewegung stattzufinden, indem sich die Häuser – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – immer weiteren Publikumsgruppen öffnen. Insgesamt betrachtet kam es also zu Verschiebungen bezüglich des Zugangs zu Kunst, sowohl im Kunstmuseum als auch im öffentlichen Raum. Im Ganzen gesehen kann aufgrund settingspezifischer Regeln, fehlendem Kulturkapital sowie einer städtischen Imagepolitik mit einer zunehmenden Privatisierung und einem
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6 Schlussbetrachtungen
Unsicherheitsdiskurs in der Tendenz nicht von einem uneingeschränkten, unkomplizierten Zugang für alle soziale Gruppen zu allen öffentlichen Teilorten und damit zu Kunst im öffentlichen Raum ausgegangen werden. Demgegenüber ist im Museumsbereich infolge des veränderten Selbstverständnisses und damit verbundenen Imagewandels – was sich in einer Eventorientierung, in professionellen Vermarktungskonzepten und einem Bewusstsein als Freizeiteinrichtung zeigt – eine weiter zunehmende Öffnungstendenz zu erwarten. Somit ist es heute nicht mehr angebracht, von einer rein elitären Veranstaltung im Kunstmuseum zu sprechen. Insofern könnte in letzter Konsequenz auch durchaus die Frage gestellt werden, ob eine progressive Kunstpraxis im öffentlichen Raum sowie eine oftmals fehlende Vermittlung im Grunde nur einen relativ kleinen Kreis von Interessentinnen und Interessenten anspricht, während die im Sinne einer Popularisierung stehenden Idee des Social Events im Kunstmuseum gegebenenfalls nicht eine größere demokratisierende Wirkung aufweist.
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Anh hang
Anhang 1: Frageb bogen deutscch
P. Hornig, Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum, DOI 10.1007/978-3-531-92627-8, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
256
Anhang
Anhang g
Anhang 2: Frageb bogen englisch
257
258
Anhang
259
Anhang
Anhang 3: Auswertungen der Fragebögen mit SPSS 1. Wie sind Sie auf diese Ausstellung / Installation aufmerksam geworden? (Häufigkeit der Nennungen) * * *
C R O S S T A B U L A T I O N Count
¬Museum
Col pct ¬ $F1SET
* * *
Frauenpl
Row
atz
Total
«««««««««««««««««««««««« 1
Zeitung
¬
248
¬
28
¬
276
¬
26,6
¬
2,9
¬
14,5
«««««««««««««««« 2 Plakat
¬
20
¬
1
¬
21
¬
2,1
¬
,1
¬
1,1
«««««««««««««««« 3 Radio / TV
¬
41
¬
2
¬
43
¬
4,4
¬
,2
¬
2,3
«««««««««««««««« 4 Internet
¬
43
¬
5
¬
48
¬
4,6
¬
,5
¬
2,5
«««««««««««««««« ¬
290
¬
19
¬
309
Freunde / Bekannte / ¬
31,1
¬
1,9
¬
16,2
5
«««««««««««««««« ¬
75
¬
4
¬
79
Schule / Universität ¬
8,0
¬
,4
¬
4,1
6
«««««««««««««««« ¬
87
¬
911
¬
998
bin rein zufällig vo ¬
9,3
¬
93,1
¬
52,3
7
«««««««««««««««« 8 Sonstiges Column Total
¬
187
¬
14
¬
201
¬
20,1
¬
1,4
¬
10,5
«««««««««««««««« 932 978 1910 48,8 51,2 100,0
Percents and totals based on respondents 1.910 valid cases; 51 missing cases
260
Anhang
2. Lesen Sie Kunstzeitschriften oder Beiträge über Kunst in der Zeitung?
Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Kunstzeitschriften oder Beiträge * Befragungsort
Percent
1956
99,7%
5
,3%
Total N 1961
Percent 100,0%
Kunstzeitschriften oder Beiträge * Befragungsort Crosstabulation
Kunstzeitschriften oder Beiträge
regelmäßig gelegentlich nie
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 329 132 33,6% 13,5% 499 555 51,0% 56,8% 151 290 15,4% 29,7% 979 977 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 130,970a 134,497 125,111
2 2
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,000
df
1956
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 220,27.
Total 461 23,6% 1054 53,9% 441 22,5% 1956 100,0%
261
Anhang
3. Sind Sie Mitglied in einem Kunstverein?
Case Processing Summary
Valid N Percent Mitglied in Kunstvere * Befragungsort
1952
Cases Missing N Percent
99,5%
9
,5%
N
Total Percent
1961
100,0%
Befragungsort Museum Frauenplatz 113 38 11,6% 3,9% 864 937 88,4% 96,1% 977 975 100,0% 100,0%
Total 151 7,7% 1801 92,3% 1952 100,0%
Mitglied in Kunstverein * Befragungsort Crosstabulation
Mitglied in Kunstverein
ja
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
nein Total
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Continuity Correctiona Likelihood Ratio Fisher's Exact Test Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 40,209b 39,141 41,916
40,188
1 1 1
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000 ,000
1
,000
df
Exact Sig. (2-sided)
Exact Sig. (1-sided)
,000
,000
1952
a. Computed only for a 2x2 table b. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 75,42.
262
Anhang
4. Unterhalten Sie sich im Freundeskreis oder in der Familie über Kunst? Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Unterhalten über Kunst * Befragungsort
Percent
1956
99,7%
5
Total N
,3%
1961
Percent 100,0%
Unterhalten über Kunst * Befragungsort Crosstabulation
Unterhalten über Kunst
regelmäßig gelegentlich nie
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 423 179 43,3% 18,3% 505 719 51,6% 73,5% 50 80 5,1% 8,2% 978 978 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 143,235a 146,394 121,400
2 2
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,000
df
1956
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 65,00.
Total 602 30,8% 1224 62,6% 130 6,6% 1956 100,0%
263
Anhang
5. Welche Kunstepoche interessiert Sie am meisten? Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Welche Kunstepoche interessiert am meisten * Befragungsort
1742
Percent 88,8%
219
11,2%
Total N 1961
Percent 100,0%
Welche Kunstepoche interessiert am meisten * Befragungsort Crosstabulation
Welche Kunstepoche interessiert am meisten
Gegenwartskunst Klassische Moderne 19. Jahrhundert Alte Kunst bis 18. Jahrhundert keine Angabe
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 334 198 39,6% 22,0% 241 227 28,6% 25,3% 73 87 8,6% 9,7% 88 190 10,4% 21,2% 108 196 12,8% 21,8% 844 898 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 97,729a 99,282 88,618
4 4
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,000
df
1742
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 77,52.
Total 532 30,5% 468 26,9% 160 9,2% 278 16,0% 304 17,5% 1742 100,0%
264
Anhang
6. Welche Präsentationsformen stellen Sie sich unter Kunst im öffentlichen Stadtraum vor? (mehrere Kreuze möglich) (Mehrfachnennungen) * * *
C R O S S T A B U L A T I O N Count
¬Museum
Col pct ¬ $F6SET
* * *
Frauenpl
Row
atz
Total
«««««««««««««««««««««««« ¬
871
¬
809
¬
1680
Skulpturen / Plastik ¬
89,5
¬
83,1
¬
86,3
F6.1SKU
«««««««««««««««« ¬
507
¬
456
¬
963
Wandbemalungen / Mos ¬
52,1
¬
46,9
¬
49,5
F6.2WAN
«««««««««««««««« F6.3DEN Denkmale / Mahnmale
¬
435
¬
425
¬
860
¬
44,7
¬
43,7
¬
44,2
«««««««««««««««« F6.4BRU Brunnen
¬
470
¬
515
¬
985
¬
48,3
¬
52,9
¬
50,6
«««««««««««««««« F6.5GRA Graffiti
¬
320
¬
241
¬
561
¬
32,9
¬
24,8
¬
28,8
«««««««««««««««« F6.6SO Sonstiges Column Total
¬
106
¬
60
¬
166
¬
10,9
¬
6,2
¬
8,5
«««««««««««««««« 973 973 1946 50,0 50,0 100,0
Percents and totals based on respondents 1.946 valid cases; 15 missing cases
265
Anhang
7. Wie wichtig ist für Sie persönlich, Kunst im öffentlichen Stadtraum, also Kunst außerhalb von Museen? Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Wichtigkeit KiöR * Befragungsort
Percent
1950
99,4%
11
,6%
Total N 1961
Percent 100,0%
Wichtigkeit KiöR * Befragungsort Crosstabulation
Wichtigkeit KiöR
sehr wichtig wichtig eher weniger wichtig überhaupt nicht wichtig
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 381 259 39,1% 26,6% 463 503 47,5% 51,6% 119 199 12,2% 20,4% 12 14 1,2% 1,4% 975 975 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 45,192a 45,554 41,395
3 3
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,000
df
1950
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 13,00.
Total 640 32,8% 966 49,5% 318 16,3% 26 1,3% 1950 100,0%
266
Anhang
9. Was verbinden Sie allgemein mit Kunst im öffentlichen Stadtraum? (mehrere Kreuze möglich) (Mehrfachantworten) * * *
C R O S S T A B U L A T I O N Count
¬Museum
Col pct ¬ $F9SET
* * *
Frauenpl
Row
atz
Total
«««««««««««««««««««««««« ¬
626
¬
673
¬
1299
Verschönerung des St ¬
64,2
¬
69,0
¬
66,6
F9.1SCH
«««««««««««««««« F9.2GEN Genuss / Erlebnis
¬
512
¬
456
¬
968
¬
52,5
¬
46,8
¬
49,6
«««««««««««««««« F9.3ALL "Kunst für alle"
¬
616
¬
585
¬
1201
¬
63,2
¬
60,0
¬
61,6
«««««««««««««««« F9.4GES Gespräch anregend
¬
408
¬
366
¬
774
¬
41,8
¬
37,5
¬
39,7
«««««««««««««««« ¬
47
¬
33
¬
80
Verschandelung des S ¬
4,8
¬
3,4
¬
4,1
F9.5VER
«««««««««««««««« ¬
25
¬
27
¬
52
Unnötige Belastung f ¬
2,6
¬
2,8
¬
2,7
F9.6BEL
«««««««««««««««« ¬
13
¬
20
¬
33
Kunst für ein elitär ¬
1,3
¬
2,1
¬
1,7
F9.7ELI
«««««««««««««««« F9.8SO Sonstiges Column Total
¬
55
¬
25
¬
80
¬
5,6
¬
2,6
¬
4,1
«««««««««««««««« 975 975 1950 50,0 50,0 100,0
Percents and totals based on respondents 1.950 valid cases; 11 missing cases
267
Anhang
10. Warum schauen Sie sich Kunst im Museum oder im öffentlichen Stadtraum an? (mehrere Kreuze möglich) (Mehrfachantworten) * * *
C R O S S T A B U L A T I O N Count
¬Museum
Col pct ¬ $F10SET
* * *
Frauenpl
Row
atz
Total
«««««««««««««««««««««««« ¬
690
¬
683
¬
1373
Schönes Ansehen / Ge ¬
70,5
¬
70,3
¬
70,4
F10.1SC
«««««««««««««««« ¬
524
¬
503
¬
1027
Unterhaltung / Erleb ¬
53,5
¬
51,7
¬
52,6
F10.2UN
«««««««««««««««« F10.3BI Bildung / Lernen
¬
622
¬
573
¬
1195
¬
63,5
¬
59,0
¬
61,3
«««««««««««««««« F10.4MI Mitreden können
¬
159
¬
130
¬
289
¬
16,2
¬
13,4
¬
14,8
«««««««««««««««« F10.5IN
¬
564
¬
380
¬
944
Interesse am Thema
¬
57,6
¬
39,1
¬
48,4
«««««««««««««««« ¬
73
¬
73
¬
146
Soziale Kontakte pfl ¬
7,5
¬
7,5
¬
7,5
F10.6SK
«««««««««««««««« F10.7SO Sonstiges Column Total
¬
75
¬
32
¬
107
¬
7,7
¬
3,3
¬
5,5
«««««««««««««««« 979 972 1951 50,2 49,8 100,0
Percents and totals based on respondents 1.951 valid cases; 10 missing cases
268
Anhang
11. Wie oft haben Sie im letzten Jahr folgende Angebote besucht? Case Processing Summary
Valid N Kunstmuseen / -ausstellungen * Befragungsort Sonstige Museen / Ausstellungen * Befragungsort Kunst im öffentlichen Stadtraum * Befragungsort Theater / Oper / Ballett / Klassische Konzerte * Befragungsort Pop- / Rock- / Jazzkonzerte * Befragungsort Alternative Kulturprojekte / Kulturfeste * Befragungsort
Percent
Cases Missing N Percent
Total N
Percent
1961
100,0%
0
,0%
1961
100,0%
1961
100,0%
0
,0%
1961
100,0%
1961
100,0%
0
,0%
1961
100,0%
1961
100,0%
0
,0%
1961
100,0%
1961
100,0%
0
,0%
1961
100,0%
1961
100,0%
0
,0%
1961
100,0%
Befragungsort Museum Frauenplatz 107 301 10,9% 30,7% 261 348 26,6% 35,5% 206 150 21,0% 15,3% 164 80 16,7% 8,2% 224 64 22,8% 6,5% 1 ,1% 18 37 1,8% 3,8% 981 980 100,0% 100,0%
Total 408 20,8% 609 31,1% 356 18,2% 244 12,4% 288 14,7% 1 ,1% 55 2,8% 1961 100,0%
Kunstmuseen / -ausstellungen * Befragungsort Crosstab
Kunstmuseen / -ausstellungen
0-1 mal 2-3 mal 4-5 mal 6-10 mal mehr als 10 mal mehrere Angaben fehlende Angaben
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
269
Anhang
Chi-Square Tests
Value 238,853a 249,144
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
6 6
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,232
df
1,430 1961
a. 2 cells (14,3%) have expected count less than 5. The minimum expected count is ,50.
Sonstige Museen / Ausstellungen * Befragungsort Crosstab
Sonstige Museen / Ausstellungen
0-1 mal 2-3 mal 4-5 mal 6-10 mal mehr als 10 mal fehlende Angaben
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 186 234 19,0% 23,9% 344 356 35,1% 36,3% 138 156 14,1% 15,9% 99 60 10,1% 6,1% 117 51 11,9% 5,2% 97 123 9,9% 12,6% 981 980 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 45,360a 46,190 2,716
5 5
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,099
df
1961
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 79,46.
Total 420 21,4% 700 35,7% 294 15,0% 159 8,1% 168 8,6% 220 11,2% 1961 100,0%
270
Anhang
Kunst im öffentlichen Stadtraum * Befragungsort Crosstab
Kunst im öffentlichen Stadtraum
0-1 mal 2-3 mal 4-5 mal 6-10 mal mehr als 10 mal mehrere Angaben fehlende Angaben
Total
Befragungsort Museum Frauenplatz 180 265 18,3% 27,0% 221 223 22,5% 22,8% 182 165 18,6% 16,8% 85 59 8,7% 6,0% 152 92 15,5% 9,4% 1 ,1% 161 175 16,4% 17,9% 981 980 100,0% 100,0%
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 38,109a 38,774 ,497
6 6
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,481
df
1961
a. 2 cells (14,3%) have expected count less than 5. The minimum expected count is ,50.
Total 445 22,7% 444 22,6% 347 17,7% 144 7,3% 244 12,4% 1 ,1% 336 17,1% 1961 100,0%
271
Anhang
Theater / Oper / Ballett / Klassische Konzerte * Befragungsort Crosstab
Theater / Oper / Ballett / Klassische Konzerte
0-1 mal 2-3 mal 4-5 mal 6-10 mal mehr als 10 mal mehrere Angaben fehlende Angaben
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 214 314 21,8% 32,0% 226 259 23,0% 26,4% 180 162 18,3% 16,5% 133 93 13,6% 9,5% 165 70 16,8% 7,1% 1 4 ,1% ,4% 62 78 6,3% 8,0% 981 980 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 71,244a 72,651 1,487
6 6
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,223
df
1961
a. 2 cells (14,3%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 2,50.
Total 528 26,9% 485 24,7% 342 17,4% 226 11,5% 235 12,0% 5 ,3% 140 7,1% 1961 100,0%
272
Anhang
Pop- / Rock- / Jazzkonzerte * Befragungsort Crosstab
Pop- / Rock- / Jazzkonzerte
0-1 mal 2-3 mal 4-5 mal 6-10 mal mehr als 10 mal mehrere Angaben fehlende Angaben
Total
Befragungsort Museum Frauenplatz 374 378 38,1% 38,6% 202 228 20,6% 23,3% 135 134 13,8% 13,7% 62 57 6,3% 5,8% 58 47 5,9% 4,8% 1 ,1% 150 135 15,3% 13,8% 981 980 100,0% 100,0%
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 4,749a 5,138 ,843
6 6
Asymp. Sig. (2-sided) ,576 ,526
1
,358
df
1961
a. 2 cells (14,3%) have expected count less than 5. The minimum expected count is ,50.
Total 752 38,3% 430 21,9% 269 13,7% 119 6,1% 105 5,4% 1 ,1% 285 14,5% 1961 100,0%
273
Anhang
Alternative Kulturprojekte / Kulturfeste * Befragungsort Crosstab
Alternative Kulturprojekte / Kulturfeste
0-1 mal 2-3 mal 4-5 mal 6-10 mal mehr als 10 mal mehrere Angaben fehlende Angaben
Total
Befragungsort Museum Frauenplatz 367 427 37,4% 43,6% 288 249 29,4% 25,4% 98 87 10,0% 8,9% 43 32 4,4% 3,3% 32 26 3,3% 2,7% 1 ,1% 153 158 15,6% 16,1% 981 980 100,0% 100,0%
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 11,334a 11,735 ,095
6 6
Asymp. Sig. (2-sided) ,079 ,068
1
,758
df
1961
a. 2 cells (14,3%) have expected count less than 5. The minimum expected count is ,50.
Total 794 40,5% 537 27,4% 185 9,4% 75 3,8% 58 3,0% 1 ,1% 311 15,9% 1961 100,0%
274
Anhang
12. Manche Leute behaupten, dass sie sich im Kunstmuseum nicht richtig wohl fühlen. Woran könnte das liegen? (mehrere Kreuze möglich) (Mehrfachantworten) * * *
C R O S S T A B U L A T I O N Count
¬Museum
Col pct ¬ $F12SET
* * *
Frauenpl
Row
atz
Total
«««««««««««««««««««««««« ¬
227
¬
296
¬
523
Gezwungene Atmosphär ¬
24,6
¬
31,8
¬
28,2
F12.1AT
«««««««««««««««« ¬
553
¬
537
¬
1090
Benötigtes Vorwissen ¬
59,8
¬
57,6
¬
58,7
F12.2VO
«««««««««««««««« ¬
87
¬
123
¬
210
Keine gute Gesprächs ¬
9,4
¬
13,2
¬
11,3
F12.3GE
«««««««««««««««« ¬
175
¬
157
¬
332
Man fühlt sich vom P ¬
18,9
¬
16,8
¬
17,9
F12.4BE
«««««««««««««««« F12.5ST Bedächtige Stimmung
¬
209
¬
237
¬
446
¬
22,6
¬
25,4
¬
24,0
«««««««««««««««« ¬
341
¬
272
¬
613
Man verbindet Besuch ¬
36,9
¬
29,2
¬
33,0
F12.6AN
«««««««««««««««« F12.7SO Sonstiges Column Total
¬
180
¬
90
¬
270
¬
19,5
¬
9,7
¬
14,5
«««««««««««««««« 924 932 1856 49,8 50,2 100,0
Percents and totals based on respondents 1.856 valid cases; 105 missing cases
275
Anhang
13. Geschlecht Case Processing Summary
N Geschlecht * Befragungsort
Cases Missing N Percent
Valid Percent
1946
99,2%
15
N
,8%
Total Percent
1961
100,0%
Befragungsort Museum Frauenplatz 550 443 56,7% 45,4% 420 533 43,3% 54,6% 970 976 100,0% 100,0%
Total 993 51,0% 953 49,0% 1946 100,0%
Geschlecht * Befragungsort Crosstabulation
Geschlecht
weiblich männlich
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Continuity Correctiona Likelihood Ratio Fisher's Exact Test Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 24,910b 24,460 24,964
24,897
df 1 1 1
1
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000 ,000
Exact Sig. (2-sided)
Exact Sig. (1-sided)
,000
,000
,000
1946
a. Computed only for a 2x2 table b. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 475,03.
276
Anhang
14. Alter Case Processing Summary Cases Missing N Percent 11 ,6%
Valid N 1950
Alter * Befragungsort
Percent 99,4%
Total N Percent 1961 100,0%
Alter * Befragungsort Crosstabulation
Alter
16 - 19 20 - 29 30 - 39 40 - 49 50 - 59 60 - 69 70 und älter
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 43 48 4,4% 4,9% 286 287 29,4% 29,3% 185 235 19,0% 24,0% 162 178 16,7% 18,2% 127 108 13,1% 11,0% 139 98 14,3% 10,0% 30 24 3,1% 2,5% 972 978 100,0% 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 16,259a 16,312 7,094
6 6
Asymp. Sig. (2-sided) ,012 ,012
1
,008
df
1950
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 26,92.
Total 91 4,7% 573 29,4% 420 21,5% 340 17,4% 235 12,1% 237 12,2% 54 2,8% 1950 100,0%
277
Anhang
15. Wohnort Case Processing Summary
Wohnort * Befragungsort
Valid N Percent 1940 98,9%
Cases Missing N Percent 21 1,1%
Total N Percent 1961 100,0%
Wohnort * Befragungsort Crosstabulation
Wohnort
Stadt / Nahbereich München bis 30 km im Umkreis von München bis 100 km mehr als 100 km entfernt von München Ausland
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 427 493 44,1% 50,7% 92 69 9,5%
7,1%
8,3%
299 30,9% 150 15,5% 968 100,0%
284 29,2% 126 13,0% 972 100,0%
583 30,1% 276 14,2% 1940 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 10,485a 10,503 6,483
3 3
Asymp. Sig. (2-sided) ,015 ,015
1
,011
df
1940
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 80,33.
Total 920 47,4% 161
278
Anhang
16. Letzter Bildungsabschluss Case Processing Summary
N Letzter Bildungsabschluss * Befragungsort
Cases Missing N Percent
Valid Percent
1888
96,3%
73
3,7%
N
Total Percent
1961
100,0%
Letzter Bildungsabschluss * Befragungsort Crosstabulation
Letzter Bildungsabschluss
Hauptschule Realschule Abitur / Fachabitur Fachhochschule /Berufsakademie Universitätsstudium Universitätsstudium Kunstbereich Universitätstudium andere andere Abschlüsse kein Abschluss
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 61,192a 63,850 24,687
8 8
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,000
df
1888
a. 2 cells (11,1%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 3,94.
Befragungsort Museum Frauenplatz 17 49 1,8% 5,3% 89 114 9,3% 12,2% 227 237 23,7% 25,5% 116 145 12,1% 15,6% 65 62 6,8% 6,7% 89 26 9,3% 2,8% 327 276 34,2% 29,6% 23 18 2,4% 1,9% 4 4 ,4% ,4% 957 931 100,0% 100,0%
Total 66 3,5% 203 10,8% 464 24,6% 261 13,8% 127 6,7% 115 6,1% 603 31,9% 41 2,2% 8 ,4% 1888 100,0%
279
Anhang
17. Derzeitige Erwerbsstellung Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Derzeitige Erwerbsstellung * Befragungsort
Percent
1895
96,6%
66
3,4%
Total N
Percent
1961
100,0%
Derzeitige Erwerbsstellung * Befragungsort Crosstabulation
Derzeitige Erwerbsstellung
Auszubildende(r) / Schüler(in) / Student (in) Zivil - / Wehrdienstleistender Facharbeiter(in) / Meister(in) Arbeiter(in) Angestellte(r) Beamtin / Beamter / Angestellte(r) im öffentlichen Dienst/ Selbstständige(r) Freiberufliche(r) Rentner(in) / Pensionär(in) Hausfrau / Hausmann arbeitslos Sonstiges
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 43,722a 46,970
10 10
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,346
df
,887 1895
a. 2 cells (9,1%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 2,99.
Befragungsort Museum Frauenplatz 226 201 23,8% 21,3% 6
Total 427 22,5% 6
,6%
,3%
38 4,0% 27 2,9% 281 29,8% 87 9,2% 122 12,9% 93 9,9% 41 4,3% 16 1,7% 32 3,4% 944 100,0%
49 2,6% 53 2,8% 495 26,1% 208 11,0% 276 14,6% 209 11,0% 76 4,0% 33 1,7% 63 3,3% 1895 100,0%
11 1,2% 26 2,7% 214 22,5% 121 12,7% 154 16,2% 116 12,2% 35 3,7% 17 1,8% 31 3,3% 951 100,0%
280
Anhang
18. Haushaltsnettoeinkommen pro Monat Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Haushaltsnettoeink ommen pro Monat * Befragungsort
Percent
1741
88,8%
220
11,2%
Total N 1961
Percent 100,0%
Haushaltsnettoeinkommen pro Monat * Befragungsort Crosstabulation
Haushaltsnettoeink ommen pro Monat
unter 1.500 € 1.500 € bis 2.500 € 2.500 € bis 3.500 € 3.500 € bis 4.500 € 4.500 € und mehr
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 9,920a 9,940 ,009
4 4
Asymp. Sig. (2-sided) ,042 ,041
1
,923
df
1741
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 118,74.
Befragungsort Museum Frauenplatz 315 287 36,0% 33,2% 152 198 17,4% 22,9% 162 139 18,5% 16,1% 131 118 15,0% 13,6% 116 123 13,2% 14,2% 876 865 100,0% 100,0%
Total 602 34,6% 350 20,1% 301 17,3% 249 14,3% 239 13,7% 1741 100,0%
281
Anhang
19. Familienstand Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Familienstand * Befragungsort
Percent
1934
98,6%
27
1,4%
Total N
Percent
1961
100,0%
Familienstand * Befragungsort Crosstabulation
Familienstand
Single / allein stehend verheiratet / in fester Partnerschaft lebend Sonstiges
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Total
Befragungsort Museum Frauenplatz 391 365 40,7% 37,5% 521 572 54,2%
58,8%
56,5%
49 5,1% 961 100,0%
36 3,7% 973 100,0%
85 4,4% 1934 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 5,188a 5,197 ,484
2 2
Asymp. Sig. (2-sided) ,075 ,074
1
,487
df
1934
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 42,24.
Total 756 39,1% 1093
282
Anhang
20. Wie viele Personen leben derzeit in Ihrem Haushalt? Case Processing Summary Cases Missing N Percent
Valid N Personen im Haushalt * Befragungsort
Percent
1929
98,4%
32
1,6%
Total N 1961
Percent 100,0%
Personen im Haushalt * Befragungsort Crosstabulation
Personen im Haushalt
Einpersonenhaushalt Mehrpersonenhaushalt mit Kind(ern) Mehrpersonenhaushalt ohne Kind(er)
Total
Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort Count % within Befragungsort
Befragungsort Museum Frauenplatz 322 299 33,5% 30,9% 238 338 24,7%
35,0%
29,9%
402 41,8% 962 100,0%
330 34,1% 967 100,0%
732 37,9% 1929 100,0%
Chi-Square Tests
Pearson Chi-Square Likelihood Ratio Linear-by-Linear Association N of Valid Cases
Value 25,282a 25,382 1,803
2 2
Asymp. Sig. (2-sided) ,000 ,000
1
,179
df
1929
a. 0 cells (,0%) have expected count less than 5. The minimum expected count is 287,25.
Total 621 32,2% 576