Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER
Kriegswinter � Es begann damals in T...
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Western-Bestseller Neuauflage der großen Romane des berühmten Autors
G. F. UNGER
Kriegswinter � Es begann damals in Texas, wenige Wochen nach Ende des Krieges, den der Süden verloren hatte. Texas war von den Truppen der Sieger wie ein besiegtes Land besetzt, und die Steuereintreiber der Yankees trieben unter dem Schutz der »Blaubäuche« – so nannte man die Unionssoldaten – überall ihr erbarmungsloses Unwesen. Wer die Steuern nicht zahlen konnte, dem wurde der Besitz versteigert. Niemand in Texas hatte Geld. Aber es waren Yankees nach Texas gekommen mit viel Geld. Und die kauften nun bei den Versteigerungen zu Spottpreisen die schönsten Ranches, Farmen, Hotels und ganze Post- und Frachtlinien. Denn sie wussten, irgendwann würde es in Texas wieder aufwärts gehen, spätestens dann, wenn die Rinder Absatzmärkte fanden. Denn dann würden sich die Millionen Rinder in viele Millionen Dollar verwandeln. Nun, so war es also damals in Texas, als ich aus dem Krieg ins San-Antonio-Land heimkehrte… Ich war aus der Gefangenschaft ausgebrochen und hatte einem Major der Unionstruppen das Pferd, den Revolver, den Sattel, den Säbel und das Geld abgenommen. Zuvor hatte ich ihn mit den Fäusten klein machen müssen. Dreimal war er aufgestanden, beim vierten Versuch schaffte er es nicht mehr und blieb keuchend am Boden liegen. Doch als ich aufsaß, nachdem ich mir noch seine erstklassigen Stiefel angezogen hatte, die mir sehr gut passten, war er so weit erholt, dass er mir nachrufen konnte: »Wir werden dich hängen, du verdammter texanischer Pferdedieb! Wir werden dich erwischen und hängen!« Er meinte es sicherlich ernst, und er konnte mich auch gut beschreiben. Denn ich trug noch die Uniform eines Captains der Konföderiertenarmee und sah wie ein zu groß geratener Comanche aus, also dunkel und indianerhaft. Das lag an meiner Großmutter, deren Comanchenblut in mir noch einmal mächtig wurde. Ja, dieser Major würde mich gut beschreiben können. Und so war mir klar, dass ich verdammt schnell aus Texas verschwinden musste, am besten weit, weit nach Norden oder Nordwesten, zum Beispiel ins ferne Oregon. Aber bevor ich aus Texas verschwand, wollte ich den Yankees noch ein Andenken an mich hinterlassen. Ich traf mich in den nächsten Tagen und Nächten mit alten Freunden und besuchte auch das Grab meiner Eltern bei unserer Ranch in den Antelopehügeln. Ich hörte mich da und dort um und erfuhr unter anderem, dass in San Antonio schon überall mein Steckbrief hing.
Da ich immer noch das Pferd des Majors ritt, wollte ich mich rasch auf die Socken machen und aus Texas verschwinden. Doch vorher… *** Shorty Wheler hatte mir den Tipp gegeben. Sie hatten ihm im Krieg das halbe Bein weggeschossen, und so lungerte er immer in San Antonio herum und ließ sich nichts entgehen. Ich drang des Nachts von hinten in das schöne Haus auf einem sanften Hügel ein, das sich der Steuereintreiber Joshua Parker ausgesucht hatte und von der Besatzungstruppe zuteilen ließ, nachdem man die Besitzer daraus verjagt hatte. Joshua Parker residierte dort wie ein Despot. Ja, er besaß die Macht. Und die Besatzungstruppe hatte den Befehl, ihm jede Unterstützung zu geben. Ich drang also von hinten in das schöne Haus ein, nachdem ich dem Soldaten, der hier im Garten Wache hielt, was auf den Hut gegeben hatte und ich sicher sein konnte, dass er eine Zeit lang schlafen würde. Und besonders lange wollte ich mich ja im Haus nicht aufhalten. Ich fand den Weg zum Schlafzimmer im oberen Stockwerk sehr leicht, denn ich musste nur jenen unverkennbaren Geräuschen folgen, die ein jedes Liebespaar erzeugt, wenn es so richtig bei der Sache ist und jede Hemmung abgelegt hat. Als ich in das Schlafzimmer trat, bemerkten sie mich beide erst, als ich neben dem Bett stand. Ich gab es ihm mit dem langen Revolverlauf. Die Schöne aber rollte sich unter ihm hervor, setzte sich auf der Bettkante auf und fragte mit einer Sachlichkeit, die mich erstaunte: »Damit habe ich ja wohl nichts zu tun, oder?« »Nein, mein brauner Engel«, sagte ich, grinste auf sie nieder und fragte: »Wo hat er die Steuereinnahmen und das Geld von den Versteigerungen? Gibt es einen Tresor im Haus?« Sie nickte und deutete auf den Steuereintreiber. »Da, der Schlüssel an der Halskette. Er trägt ihn wie einen Orden und hat ihn selbst jetzt nicht abgelegt.« Sie war wirklich sehr kooperativ. Und so nahm ich ihm die Halskette mit dem Schlüssel ab. Sie führte mich dann nackt, wie sie war, hinunter in den Raum, den er sich als Office ausgewählt hatte. Ja, hier stand ein Geldschrank. Als ich den Schrank öffnete, sagte sie neben mir: »Er hat mir zwanzig Yankee-Dollar versprochen, aber er wird sie mir wohl nicht mehr geben, nicht wahr?« »Nein«, sagte ich. »Aber du kannst dir hundert nehmen. Du musst sie nur gut verstecken. Und wenn ich aus dem Haus bin, dann solltest du nicht um Hilfe rufen, sondern ihm ein nasses Tuch auf die Birne legen. Und wenn er dich fragt, warum du nicht um Hilfe gerufen hast, dann sagst du ihm, du hättest ihn nicht kompromittieren wollen, weil du doch eine Puta seist und er ein ehrenwerter Steuereintreiber.« »Si«, sagte sie, »du bist ein schlauer Mann. So werde ich es tun. Viel Glück, mein starker Bulle. Du könntest mir gefallen.« Wir bedienten uns nun aus dem offenen Geldschrank.
Ich füllte zwei Satteltaschen, die ich im Zimmer fand. Sie nahm sich fünf Zwanzigdollarstücke. Und dann ging ich durch die Hintertür hinaus, durch die ich gekommen war. Nein, sie rief hinter mir nicht um Hilfe. Als ich wenig später mit den beiden Satteltaschen voller Geld aufsaß und anritt, da wusste ich, dass Texas für mich so heiß geworden war wie die Hölle. Denn bevor ich dem Kerl etwas auf die Nuss gegeben hatte, hatte er schräg zu mir aufgesehen und mich betrachten können. Einen Burschen wie mich, den konnte man sich leicht merken. Den konnte man nach einem einzigen Blick ziemlich gut beschreiben. Und diese Beschreibung würde der auf dem Steckbrief gleichen. *** Noch in derselben Nacht erreichte ich die Ranch von John Latimer. Er war von Anfang an unser Nachbar, und er hatte auch meine Eltern begraben, indes ich im Krieg war und in der Texas-Brigade unter General Jackson ritt, den man auch Stonewall Jackson nannte, weil seine Männer einst in einer Schlacht standhielten wie ein Steinwall, eine unüberwindliche Mauer. Meine Eltern waren von Banditen ermordet worden, von mexikanischen Bandoleros, die über den Rio Grande gekommen waren, wohl wissend, dass es nicht mehr viele kampffähige Männer in Texas gab, weil wir ja alle zur Rebellenarmee gegangen waren, um für den Süden zu kämpfen. Ich blieb im Sattel, als ich John Latimers Haus erreichte. Auf mein Rufen kam er mit der Schrotflinte heraus. Auch drüben beim Schlafhaus der Reiter zeigten sich zwei Gestalten im Unterzeug, die aber Gewehre in den Händen hielten. Im schwachen Sternenschein konnte ich es erkennen. »Ich bin es«, sagte ich zu John Latimer. »Erkennst du mich, Onkel John?« Ja, ich hatte ihn immer Onkel John genannt, obwohl wir nicht verwandt waren. Aber er war immer wie ein Onkel zu mir gewesen als Freund meines Vaters. »Ja, ich erkenne dich, Lance Kelly«, erwiderte er. »Man sucht dich nun steckbrieflich. Jemand hat dich nach der Steckbriefbeschreibung erkannt und deinen Namen gemeldet. So sind nun mal die Menschen, auch hier bei uns in Texas. Steig ab und komm herein.« »Nein, Onkel John«, erwiderte ich. »Dazu bleibt mir keine Zeit mehr. Hier ist das ganze Geld aus dem Tresor des Steuereintreibers. Ihr könnt damit eure Steuern bezahlen, sodass es nicht zu Versteigerungen kommt. Verstecke und verteile es gut. Ich bin sicher, dass du es nicht allein für dich behalten, sondern es mit unseren Nachbarn redlich teilen wirst.« »Darauf hast du mein Wort, mein Junge«, erwiderte er ernst. Ich sagte nichts mehr, sondern trieb mein Pferd an. Denn was sollten wir uns auch noch sagen? Jedes Wort zwischen uns hätte alles noch schwerer gemacht. Ich wusste, er liebte mich wie einen Sohn. Auch seine Frau, zu der ich Tante sagte, hatte mir früher so manches Mal die Windeln gewechselt. Ich ritt also los, um den Abschied nicht zu schwer werden zu lassen. Irgendwie würde ich schon heil aus Texas herauskommen. Und was würde im Norden auf mich warten?
Was hatte das Schicksal für mich bestimmt? Nun, ich war während der fünf Jahre im Krieg ein harter Bursche geworden. Immer wieder hatten sie mich wegen besonderer Leistungen befördert. Jetzt aber war ich ein Pferdedieb und Bandit geworden – jedenfalls aus der Sicht der Yankees. *** Irgendwann – es waren Monate vergangen – kam ich nach Fort Laramie. Und es war inzwischen Winter geworden. Ich trug längst nicht mehr meine alte Konföderiertenuniform, so wie viele andere Exsoldaten, die vom armen Süden nach Norden und Westen zogen, um dort nach Chancen zu suchen. Mir ging es nicht schlecht, denn ich hatte schon immer gut für mich sorgen können. Obwohl ich mir von der großen Beute aus dem Tresor des Steuereintreibers nur hundert Dollar genommen hatte – so wie auch die braune Puta –, hatte ich diese hundert Dollar unterwegs da und dort in Pokerrunden vermehrt. Ich war gut ausgerüstet und besaß sogar für den Winter eine gute Felljacke. Und immer noch ritt ich das Dreihundert-Dollar-Pferd des Majors der Unionsarmee. Es war ein wundervolles Tier, das mich liebte und mir dies immer wieder dadurch zeigte, dass es an meinen Ohren zu knabbern versuchte, sobald sich dazu die Gelegenheit bot. Wahrscheinlich war es ein wenig leichtsinnig, dieses Tier immer noch zu reiten. Aber ich vermochte mich nicht von ihm zu trennen. Das Tier war kein Armeepferd, sondern trug den Shamrock-Brand, war also Privatbesitz dieses Majors gewesen. Nun, ich kam also im frühen Winter nach Fort Laramie, von dem aus ein Trail durch das Indianerland nach Bozeman führte. Bozeman war eine Goldgräber- und Minenstadt westlich der Crazy Mountains. Dort und im Gallatin Valley, aber auch in der mächtigen Last Chance Gulch war überall der große Goldrausch ausgebrochen, und so zogen nun die Glückssucher jeder Sorte zu Zehntausenden dorthin auf zweierlei Wegen. Der eine Weg war weniger gefährlich, nämlich mit Dampfbooten den Missouri hinauf bis Fort Benton und von dort mit Postkutschen zu den Goldfundgebieten, die zwischen zweihundert und dreihundert Meilen von Fort Benton entfernt lagen. Der zweite Weg war der Bozeman-Trail, und der führte mitten durch das Indianerland, dessen Herren inzwischen die Gefahr erkannt hatten, die ihnen durch die goldgierigen Weißen drohte. Und so war es nur eine Frage der Zeit, dass der große Krieg losbrechen würde. Überall in allen Lokalen von Fort Laramie, in den Geschäften und in den rings um das Fort und um die Stadt lagernden Wagenzügen sprach man davon. Ich ließ mich im Fort, das sich auf der anderen Seite des Laramie Fork befand, nicht blicken. Denn es konnte ja immerhin sein, dass jener Major, dem ich das wunderschöne Pferd gestohlen hatte, inzwischen von Texas nach Fort Laramie in Wyoming versetzt wurde. Ich hielt mich in der Stadt auf, die noch sehr primitiv war, aber nun ständig wuchs, weil der Zustrom auch im Winter anhielt.
Man sprach davon, dass von Fort Laramie aus weitere Forts längs des Bozeman Trail errichtet werden sollten. Und das würde dann mit Sicherheit zum Krieg führen. Ich hatte es recht bequem, weil ich in der überfüllten Stadt ein Zimmer fand, dessen bisheriger Mieter ein Spieler war, den man beim Falschspiel erwischte. Er bekam Sekunden später von einem Betrogenen eine Kugel zwischen die Augen. Ich hatte bisher bei meinem Pferd im Mietstall geschlafen und wusste, wo der getötete Falschspieler wohnte. Und so lief ich sofort dorthin, kaum dass er länger als zehn Sekunden tot war. Ich bekam das kleine Zimmer bei einer Witwe, deren Mann ein Wagenzugführer war. Und wenige Sekunden nach mir kamen noch mehr als ein Dutzend Männer angelaufen, die auf das Zimmer scharf waren. Ich hatte sie geschlagen. Auch im Stall hinter dem Haus war noch Platz für mein Pferd. Und so konnte ich mich eigentlich in Laramie auf einen langen Winter einrichten. Es war nur notwendig, dass ich als Spieler erfolgreich blieb und nicht an einen Burschen geriet, der mir gewissermaßen die Hosen oder das Hemd auszog. Es war nur notwendig, dass ich jede Nacht etwa zehn Dollar gewann. Dann war mein Lebensunterhalt gesichert, auch der meines Pferdes. Denn sie nahmen es hier in Laramie sozusagen von den Lebendigen. Zwei Dollar pro Nacht kostete das Zimmer, einen Dollar der Stall für mein Pferd. Und für ein Mittagessen musste man noch einen Dollar zahlen, desgleichen für ein Abendbrot. Wenn man dann noch ein paar Drinks nahm und etwas rauchte, kam man mit zehn Dollar gerade so rund. Das war irre! Nun, ich war also ein Spieler geworden. Und ich konnte noch nicht ahnen, dass dadurch mein ganzer Lebensweg eine völlig neue Richtung bekommen würde. Als ich an einem Abend wieder einmal in einer Pokerrunde saß, wusste ich wirklich nicht, was gegen Ende der Nacht auf mich zukommen würde. Es war eine Pokerpartie von fünf hartgesottenen Burschen. Ich war der fünfte Hartgesottene, ja, ich gehörte gewiss ebenfalls zu dieser Sorte. Zwei der Mitspieler waren Wagenzugbosse, deren Wagenzüge außerhalb der Stadt rasteten. Sie hatten ihre Fracht nach Bozeman gebracht und dort mit großem Gewinn verkauft. Nun waren sie auf dem Weg nach Süden und machten hier Rast. Denn noch lag der Schnee nur wenige Zoll hoch auf dem gefrorenen Boden. Noch konnten die Wagenzüge rollen. Solch ein Frachtwagenzug bestand oft aus mehr als einem halben Hundert Wagen, jeder zumindest mit acht Maultieren bespannt. Die beiden anderen waren Bergläufer oder Scouts. Sie waren wahrscheinlich in diesem Lande geboren worden und betrachteten sich sozusagen als Eingeborene wie die Indianer. Sie hatten auch sehr viel von den Indianern angenommen. Das mussten sie wahrscheinlich auch, um in diesem Land leben und sich behaupten zu können. Einer dieser Männer der so genannten »Hirschlederbrigade« – deren berühmtester Vertreter der schon legendäre Jim Bridger war – hatte seine Squaw in den Saloon mitgebracht. Sie stand hinter ihm und bewegte sich kaum. Auch das war typisch indianisch. Ich saß diesem Mann gegenüber. Er hieß Leroy Spade und hatte gewiss zu einem Viertel Indianerblut in sich – so wie ich. Immer wieder sah ich über ihn hinweg auf die Squaw.
Dieses Mädchen war mehr als nur hübsch. Es war eine Schönheit. Ich hatte mir sagen lassen, dass die Mädchen der Arapahoes die schönsten aller Indianerinnen seien. Also glaubte ich, dass sie ein Arapahoemädchen war, welches sich dieser Trapper wahrscheinlich gekauft hatte. Einige Male hob die Schöne ihren Blick. Dann konnte ich im Schein der Karbidlampe in ihre grünen Augen sehen. Verdammt, dachte ich dann immer wieder, wie kommt solch ein stinkender Lederstrumpf zu solch einer Frau? Ja, die Burschen der Hirschlederbrigade, also diese Trapper und Bergläufer, stanken mehr oder weniger penetrant. Ihre Lederkleidung war oft speckig. Sie roch nach Schweiß, Feuerrauch und all den Gerüchen des Landes – auch nach dem Blut erlegter Tiere, wenn sie sich nach dem Abhäuten einfach die Hände an den Hosen abwischten. Es waren wirklich Stinker. Und dieser da besaß solch eine rassige Katze. Ich war neidisch auf ihn. Aber dann musste ich mich wieder auf das Spiel konzentrieren, denn ich spielte mit Burschen, deren Instinkt jeden Bluff witterte und die sich auskannten mit allen geheimen Zeichen, die ein Spieler ungewollt erkennen ließ, wenn er ein wirklich gutes Blatt hatte – und das konnte nur der unmerklich schnellere Puls in den Halsadern sein. Oho, es gab da viele Zeichen, auch ein Runzeln der Stirn oder ein Blähen der Nasenflügel. Gegen Mitternacht begann meine große Glückssträhne. Ich gewann fast jeden großen Pott und stieg immer dann, wenn ich kein gutes Gefühl hatte, rechtzeitig aus, sodass ich stets nur geringe Einsätze verlor. Als es draußen schon fast Tag wurde, stiegen drei der Spieler aus. Jener Leroy Spade aber, dessen Squaw immer noch hinter ihm stand – nur manchmal schickte er sie weg, damit sie ihm einen Drink oder eine neue Zigarre holte –, dieser gewiss erfahrene und hartgesottene Trapper sah mich herausfordernd an. »Wir zwei«, sagte er, »müssen das noch austragen. Das meiste Geld haben Sie von mir gewonnen, Texas. Nun will ich die Chance haben, alles mit einem Schlag zurückzubekommen. Was können Sie insgesamt einsetzen, wenn wir um alles oder nichts spielen?« Ich begann mein Geld zu zählen. Die drei anderen Männer, die ausgestiegen waren aus unserer Runde und sich schon von den Sitzen erheben wollten, blieben sitzen und entspannten sich wieder. »Das möchte ich sehen«, knurrte einer der Wagenbosse. Und die beiden anderen Männer nickten. Sie alle sahen mir dann zu, wie ich das Geld zählte. Ich kam auf zweitausendfünfhundertfünfundsiebzig Dollar, und es war mein ganzes Geld. Wenn ich es einsetzte und es verlor, konnte ich hier in Laramie keinen einzigen Tag mehr meinen Lebensunterhalt bestreiten. Auch dieser Leroy Spade zählte sein Geld. Es waren nur wenig mehr als dreihundert Dollar. Wenn er sie verlor, war er mit seiner schönen Squaw blank. Dennoch besaß er gegen mich einen Vorteil. Ich wusste es inzwischen, denn wir alle hatten uns manchmal, wenn gemischt wurde oder eine Drinkpause war, unterhalten. Dieser Leroy Spade war ein Armeescout. Er hatte einen Job und mit seiner Schönen ein
Quartier im Fort. Der brauchte nur noch auf seinen nächsten Monatssold zu warten. Ich aber… Nun, mich ritt irgendwie der Teufel, als ich mich sagen hörte: »Das lohnt sich ja wohl kaum noch, Spade. Behalten Sie lieber Ihr Geld. Hören wir auf.« Aber er nahm es als Herausforderung. Er war auch leicht angetrunken. Und er war gewiss ein Bursche, der sich – wenn er sich in die Enge getrieben fühlte – durch Kühnheit zu behaupten wusste. »Hoho, ich habe etwas, was mehr wert ist als dein ganzes Geld, Texas«, grinste er und deutete mit seinem Daumen über seine Schulter hinweg auf die schöne Squaw hinter sich. »He, was ist sie wohl wert?« Ich konnte es zuerst gar nicht fassen, vermochte es einfach nicht zu glauben. Aber in seinen glitzernden Augen konnte ich erkennen, dass er es tatsächlich so meinte und dass alles kein makabrer Scherz war. Er wollte tatsächlich diese grünäugige Arapahoekatze als Einsatz ins Spiel bringen. Ich sah über seinen Kopf hinweg in ihre grünen Augen und erkannte, dass sie jedes Wort verstanden hatte. Sie wusste also Bescheid. Dass er sie als Einsatz ins Spiel bringen wollte, musste sie kränken. Denn sie erkannte daran, dass er sie als Ding betrachtete, als Tauschobjekt, als Ware. Er war verrückt, dieser angetrunkene Scout und ehemalige Pelztierjäger. Aber was sollte ich tun? »Also los«, drängte Leroy Spade. »Sie ist mehr als zweitausend Dollar wert, besonders im Bett. Ich nahm sie drei betrunkenen Crows ab, die sie aus einem Arapahoedorf entführt hatten, bevor sie sich darüber einig wurden, wer von ihnen sie zuerst besteigen durfte. Sie ist also drei tote Crows wert, hahaha!« Crows, dies waren die Feinde der Sioux. Ich wusste es längst. Ich sah, indes jener Leroy Spade auf meine Antwort wartete, in die grünen Augen jener schönen Squaw und erkannte darin einen Ausdruck, der mir wie ein flehendes Bitten vorkam. Ich wusste nun, sie war von einigen Crows aus ihrem Dorf entführt worden. Und das Rauben von Mädchen und auch Pferden war bei den Stämmen der Hochprärie gar nicht so selten. Dann hatte Leroy Spade die drei Krähenindianer getötet und das schöne Mädchen sozusagen erbeutet. Sie hatte ihm gehört. Doch offenbar wollte sie weg von ihm. Das konnte ich mir gut vorstellen, denn er war ja wohl nicht besonders fair zu ihr. Sie war für ihn eine Beute wie ein Pferd, also ein nützliches Ding. »Also los, Mann«, grollte Leroy Spade. Er war ein großer, sehniger, rothaariger Bursche, dessen Gesicht inmitten seines Bartgestrüpps kaum zu erkennen war. Nur seine scharfen Falkenaugen waren gut zu erkennen. Und sie funkelten böse. Wieder sah ich über seinen Kopf hinweg auf die grünäugige Arapahoe. Und da nickte ich plötzlich und schob mein ganzes Geld in die Mitte des Tisches. Spade lachte zufrieden. Dann wandte er sich, über seine Schulter blickend, zu ihr zurück und sagte: »Keine Sorge, mein Kätzchen, ich verliere dich nicht an diesen Texaner. Der bekommt dich nicht unter seine Decke, hahaha!« Er starrte mich wieder an und deutete auf das schon gemischte Kartenhäufchen, das neben meinem Geld lag. »Die höchste Karte gewinnt«, sagte er. »Nimm dir eine heraus, los!« Er war irgendwie verrückt und in jener Stimmung, in der angetrunkene Burschen leicht dem Teufel ins Maul spucken möchten, weil sie sich plötzlich unbesiegbar fühlen.
Ich nickte, denn auch ich wollte es hinter mich bringen. Es war eine lange Nacht gewesen. Und tief in meinem Kern war die unumstößliche Gewissheit, dass ich nicht verlieren würde. Mein Instinkt sagte mir das, und es war gewiss nicht zu erklären. Ich streckte meine Hand aus und machte mit meinem Zeigefinger aus dem Kartenhäufchen einen Fächer. Schön ausgebreitet lagen nun die Karten auf dem Tisch. Ich zog mit diesem Zeigefinger nur eine Karte aus dem Fächer, und alle, die mir gespannt zusahen, beugten sich nun vor. Denn nun drehte ich meine Karte um. Es war die Kreuzdrei, also eine ziemlich niedrige Karte. Nur noch die Zweier sind niedriger als die Dreier. Alle stöhnten sie am Tisch, nur Leroy Spade nicht. Er grinste zwischen seinem roten Bartgestrüpp und lachte dann zufrieden. »Ich habe es ja vorausgesagt«, sprach er dann kehlig und zog ebenfalls mit der Spitze seines Zeigefingers eine Karte aus dem Fächer, drehte sie um und verzerrte unter seinem Bart sein Gesicht zu einer Fratze. Denn da lag eine Kreuzzwei. Ich blieb ganz ruhig, denn als ich diese Karte sah, da wusste ich zugleich auch, dass dies alles vom Schicksal so gewollt war. Ich sah auf Leroy Spade und war bereit zu handeln, sollte er ein schlechter Verlierer sein. Er erhob sich mit einem Ruck, und ich tat es genauso. Die drei anderen Männer am Tisch erhoben sich so schnell, dass ihre Stühle nach hinten umfielen. Aber Leroy Spade hob seine Hände und lachte. »Schon gut, schon gut, Texas! Ich habe verloren.« Er wandte sich dem Mädchen zu. »Also gut, Grünauge, jetzt gehörst du ihm. Viel Glück.« Er schob sie mit seinem Unterarm zur Seite und ging. Das Arapahoemädchen aber sah mich mit ihren grünen Katzenaugen an. *** Wahrscheinlich stand ich einige Sekunden lang ziemlich dumm da. Verdammt, ich hatte im Spiel eine Frau gewonnen, ein wunderhübsches, grünäugiges Arapahoemädchen! O Himmel, was war dies hier für eine Welt? Ich war Texaner, und bei uns daheim in Texas waren Frauen jeden Alters etwas, was man achten, respektieren, beschützen und verehren musste. Das wurde uns Männern schon im Jungenalter beigebracht. Indes verließen auch die anderen drei Mitspieler uns. Jener zweite Scout und Bergläufer sagte noch: »Nun, Texas, sie wird dir viel Freude machen, denke ich. Aber nimm dich vor Leroy Spade in acht. Der könnte auf die Idee kommen, sich dieses Arapahoemädchen zurückzuholen.« Nach diesen Worten ging auch er. Grünauge und ich waren allein in der Ecke des Saloons, in der unser Pokertisch stand.
All die anderen Tische waren verlassen. Draußen graute der Tag. Der Saloon würde jetzt gleich schließen. Ich fand endlich meine Sprache wieder und fragte: »Kannst du mich verstehen?« Sie sah mich fest an und nickte. Dann sprach sie in einem einwandfreiem Englisch ganz ruhig: »Ich ging fünf Jahre bei Pater de Smet zur Schule. Ich spreche auch französisch.« Nun staunte ich noch mehr. Sie war in helles, sehr weiches und bunt besticktes Leder gekleidet und hatte ihr Haar hinten mit einem bunten Band zusammengebunden, wirkte sehr geschmeidig und katzenhaft. »Wie ist dein Name?« Ich fragte es etwas unbeholfen und um Zeit zu gewinnen. Denn was sollte ich mit ihr anfangen? Am liebsten hätte ich sie diesem Leroy Spade zurückgegeben. »Bei meinem Volk heiße ich Sternenhimmel«, erwiderte sie. »Doch als Pater de Smet mich taufte, erhielt ich den Namen Eva-Maria. Aber das ist schon sehr viele Jahre her. Ich kehrte schon vor zehn Jahren zu meinem Volk zurück. Und jetzt gehöre ich dir. Wie ist dein Name?« Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nein, du gehörst mir nicht«, widersprach ich. »Du bist frei. Weißt du, ich komme aus Texas. Dort behandelt man Frauen offenbar sehr viel anders als hier. Du bist frei. Und mein Name ist Kelly, Lance Kelly.« Ich begriff während meiner Worte, dass wir nicht ewig hier in der Ecke des Saloons verharren konnten. Am anderen Ende der Spielhalle begann man schon die Stühle auf die Tische zu packen, um den Raum besser ausfegen zu können. Die Dielen waren mit Sägespänen bestreut. Ich sagte: »Gehen wir, Eva-Maria.« Sie nickte sofort und erwiderte: »Ja, gehen wir, Lance Kelly.« Sie sprach meinen Namen weich aus. Ich nahm sie bei der Hand und strebte mit ihr dem Ausgang zu. Die beiden Saloonausfeger und Spucknapfreiniger beachteten uns nicht. Wir kamen fast bis zum großen Kanonenofen, der in der Mitte des Raumes stand und gewiss schon vor einiger Zeit ausgegangen war, weil niemand mehr nachlegte. Dann ging die Tür des Hauptausgangs auf. Ein Mann kam herein, den ich zuerst nicht erkannte. Aber er trug einen Uniformumhang wie die höheren Offiziere der Union. Und er hatte seinen Hut auch ziemlich tief ins Gesicht gezogen. Als er seinen Umhang aufschlug, sah ich, dass er darunter einen Colt in der Faust hielt, dessen Mündung auf mich gerichtet war. »Du verdammter texanischer Pferdedieb«, sagte er. »Jetzt habe ich dich hier in Wyoming erwischt, wo du dich gewiss schon sicher fühltest. Wo hast du mein Pferd? Ich wette, du bist darauf hergeritten. Solch ein Pferd verkauft man nicht. Also, wo hast du meinen Duke?« Ja, er war es, jener Major der Unionsarmee, den ich verprügelt hatte, bis er nicht mehr aufstehen konnte. Und dann hatte ich ihm nicht nur sein Pferd und anderes Zeug gestohlen, sondern ihm auch noch die guten Stiefel ausgezogen. Ich trug sie immer noch.
Aber mir hatten die Yankees, als ich in Gefangenschaft geriet, ja auch alles weggenommen, sogar die silberne Uhr meines Vaters, die er mir mitgab, als ich mich zur Texasbrigade meldete. Was ich diesem Major wegnahm, war für mich kein Diebstahl, sondern nur eine Art ausgleichende Gerechtigkeit. Aber er sah das natürlich sehr viel anders. Und jetzt hatte er mich. Er war auch nicht allein gekommen. Durch den Seiteneingang schoben sich zwei bullige Sergeants der US-Kavallerie aus dem Fort. Der Major hatte sie mitgebracht. Nun sagte er zu ihnen: »Also, macht ihn erst mal richtig klein.« Das war es also. Ein mir diesmal nicht geneigtes Schicksal hatte dies alles so bestimmt. Der Major war nach Wyoming versetzt worden und hatte mich hier in dieser Spielhalle entdeckt und sofort wiedererkannt. Es waren ja die ganze Nacht eine ganze Menge Soldaten hier unter all den Zivilisten. Er hatte mich sicher am Spieltisch sitzen sehen. Da ich immerzu auf das Spiel konzentriert gewesen war, war er mir gar nicht aufgefallen unter dem Gewimmel an den Spieltischen, wo ja auch Roulette, Black Jack und Faro gespielt wurde. Er hatte mich aus der Menge heraus beobachten können. Ja, so war es gewiss gewesen. Ich sagte schnell: »Halt, Major! Wie kann ich Sie zu dem prächtigen Pferd führen, wenn Ihre beiden Bullen mich klein machen?« Ich sagte nicht zu »Ihrem« prächtigen Pferd, nein, sondern zu »dem« prächtigen Pferd, denn ich war immer noch der Meinung, dass es mir gehörte, weil die Yanks mich damals ja auch ausgeplündert hatten. Und er war ein Stabsoffizier der Unionsarmee. Er akzeptierte sofort meinen Einwand, denn es leuchtete ihm ein, dass er mit meiner Hilfe sein Pferd schneller zurückbekommen würde als durch eigenes, mühsames Suchen in ganz Laramie. Und so sagte er zu den beiden Sergeants, die sich mir schon fast bis auf Reichweite genähert hatten: »Also gut, Männer, nehmt ihn zwischen euch. Doch zuerst entwaffnet ihn. Und diese Squaw kann gehen. Los, du rote Hure, verschwinde!« Ja, er nannte sie eine rote Hure, ohne auch nur zu ahnen, durch welche Umstände das Mädchen hierher und in den Saloon gekommen war. Aber er gehörte wahrscheinlich zu jener arroganten Kaste von Offizieren, für die jeder Mensch anderer Hautfarbe ein Untermensch ist. Ein Gefühl der Zufriedenheit erfüllte mich bei dem Gedanken, dass ich ihn damals in Texas immer wieder von den Beinen geschlagen hatte, bis er nicht mehr aufstehen konnte. Arschlöcher wie diese da verdienten nichts anderes. Eva-Maria, die ziemlich dicht bei mir stand, blickte noch einmal über ihre Schulter zurück auf mich, bevor sie den ersten Schritt machte. Sie musste am Kanonenofen vorbei. Und am Major, der sich in Bewegung gesetzt hatte, um mir die Waffe abzunehmen. Die beiden Sergeants aber schoben sich von rechts und links an mich heran, um mich einzukeilen. Nein, ich hatte nicht die geringste Chance. Die beiden Saloonausfeger und der Mann hinter der Bar, der dort noch aufräumte, hatten innegehalten bei ihrem Tun und beobachteten uns bewegungslos.
Eva-Maria schob sich zwischen dem Kanonenofen und dem Major hindurch. Aber sie ergriff dabei mit der Rechten den eisernen Schürhaken, welcher im Holzkorb zwischen den Holzscheiten steckte. Und dann wirbelte sie mit dieser Eisenstange – denn mehr war dieser Schürhaken ja nicht – herum und schlug sie dem Major von hinten quer über das Genick, und als er vorwärts taumelte und vor sich in die Dielen schoss, noch einmal auf den Hut. Ich aber war ebenfalls schon in Tätigkeit, denn ich reagierte schneller als die beiden Sergeants, die sich in ihrer Übermacht sehr sicher fühlten. Ich glitt einen Schritt zurück und war so schnell wie ein Wildkater, den zwei Bulldoggen eingekeilt haben. Als sie um jenen wichtigen Sekundenbruchteil zu spät herumwirbelten, um nach mir greifen zu können, stieß ich sie mit aller Kraft gegen den Kanonenofen. Es war ein großes und dickes Ding, doppelt so dick wie ein Mann und fast so hoch. Sie rissen ihn um – und aus dem sich ablösenden Ofenrohr kam eine Menge Ruß und aus dem Aschenkasten stob Asche empor. Zwar war kein Feuer mehr im Ofen, aber er war noch sehr heiß. Die beiden Sergeants brüllten wie die Stiere. Man konnte sie im Aschenstaub und dem Ruß gar nicht mehr richtig sehen. Als sie dann hochkamen, war ich bei ihnen und gab es ihnen mit dem Revolverlauf. Ja, ich machte sie erbittert klein, so wie sie es ja auch mit mir hatten machen wollen, um ihrem Major einen Gefallen zu erweisen. Vielleicht hätten sie Sonderurlaub dafür erhalten. Eva-Maria ließ die Schürstange fallen. Und dann liefen wir zur Tür. Der Mann hinter der Bar rief uns nach: »Verdammt, was für einen Dreck habt ihr gemacht! Wer stellt mir den Ofen wieder auf?« »Ich nicht!«, rief ich über die Schulter zurück. Und dann erinnerte ich mich daran, dass ich so nicht fortrennen konnte. Denn auf dem Spieltisch lag ja noch mein ganzer Spielgewinn. Nein, auf das Geld konnte ich nicht verzichten, weil meine Flucht hier in Wyoming noch nicht zu Ende war. Also machte ich kehrt, lief zum Spieltisch zurück und raffte das Geld zusammen, wischte es in meinen Hut. Die Krone war dann innen so voll, dass ich den Hut nicht mehr aufsetzen konnte. Also nahm ich ihn wie ein Baby in den Arm und lief zum zweiten Mal zum Ausgang. Der Barmann sagte böse: »Mann, du hast vielleicht Nerven…« Ich hörte kaum hin und war froh, dass er nicht für die Armee Partei ergriff. Von den beiden Saloonausfegern hatte ich nichts zu befürchten. Das waren arme Hunde, Saufbolde, die einfach nur noch dahinvegetierten und wahrscheinlich überall die Abortgruben leerten. Nein, die mischten sich in nichts ein. Draußen standen drei Armeepferde an der Haltestange. Der Major hatte sich die beiden bulligen Sergeants aus dem Fort zu Hilfe geholt, und alle waren sie hergeritten. Denn die Entfernung zum Fort betrug mehr als eine Viertelmeile. Es lag auf der anderen Seite des Laramie Fork. Eva-Maria saß schon auf einem der Pferde. Und sie sagte vom Pferd auf mich nieder: »Nimm mich mit.« Das musste ich wohl, denn sie hatte einen Major der US-Kavallerie klein gemacht, um mir zu helfen.
Ich wusste in dieser Sekunde, da ich vor ihr und dem Pferd verharrte, dass wir nun ein Paar waren. Eine Laune des Schicksals hatte uns zusammengebracht und vereint. Und da ich ja ohnehin schon für die Armee und den Major ein texanischer Pferdedieb war, machte es wohl nicht mehr viel aus, wenn ich noch ein Pferd stahl. Ich schwang mich also auf eines der beiden Pferde, die noch frei waren. Dann ritten wir wortlos aus der Stadt zu jenem kleinen Haus, wo mein Quartier war und sich Duke im Stall befand. Nun wusste ich, dass der graue Wallach Duke hieß, was ja so viel wie Herzog bedeutete. Das war ein guter Name für ihn. Es war nicht weit bis zu meinem Quartier. Meine Wirtin schlief. Ich hörte sie schnarchen, als ich meine Siebensachen zusammenpackte und auch in der Küche einigen Proviant in einen Beutel steckte. Auf den Küchentisch legte ich einen fairen Betrag. Und als ich das Haus durch die Hintertür verließ, wartete Eva-Maria schon beim Stall. Wenig später waren wir unterwegs. Das dritte Pferd – auf dem ich zum Quartier geritten war und welches einem der Soldaten gehört hatte – nahmen wir mit. Denn wir würden ein Packpferd brauchen. Eva-Maria trug nun den Winterumhang eines der beiden Sergeants. Denn dieser Umhang hatte am Sattelhorn gehangen. Die beiden Sergeants waren ohne die Umhänge in den Saloon gekommen. An dem Pferd, auf dem ich vom Saloon fortritt, hatte kein Umhang gehangen. Der Major hatte ja seinen Umhang noch getragen. Also hatte ich dem Major nun zum zweiten Mal ein Pferd gestohlen. Aber darauf kam es ja sowieso nicht mehr an. *** Wir ritten in den kalten Wintermorgen hinaus, ließen die Stadt, das Fort und auch die Wagenburgen der lagernden Wagenzüge zurück und hielten uns auf dem Bozeman-Weg inmitten der vielen Fährten, zwischen denen unsere verschwanden. Als die kalte Wintersonne hoch kam, waren wir etwa fünf Meilen geritten und erreichten das Camp des Händlers Blue Pete Hogan. Er lebte hier draußen mit seiner Cheyennefrau und sieben Kindern. Die Armee hatte ihn im Verdacht, dass er den Roten Schnaps verkaufte, aber man hatte ihm das noch nie beweisen können. Wir hielten an, um unsere Ausrüstung zu vervollständigen. Er sah grinsend auf unsere Armeepferde, die ja das Brandzeichen der US-Kavallerie trugen. Dann hob er den Zeigefinger und sagte: »Wenn die euch erwischen, dann…« Er verstummte nach diesem angefangenen Satz und strich sich mit der Handkante quer über den Hals. Ich aber sagte: »Das mag sein, aber wenn du glaubst, du könntest uns nun Wucherpreise abnehmen, dann wirst du dein blaues Wunder erleben.« Er starrte mich abschätzend an. Er war ein großer und zäher Halbblutmann, der so aussah, als würde er keinem Kampf aus dem Weg gehen. Aber als er drei Sekunden lang in meine Augen gesehen hatte, da hob er beide Hände und zeigte mir seine Handflächen.
»Ich bin nicht gerade ein Freund der Armee«, sagte er. »Und ich finde es ganz gut, wenn man ihr Pferde stiehlt. Ja, ich mache euch einen fairen Preis. Doch ihr solltet den Armeesattel des einen Pferdes gegen einen guten Packsattel tauschen. Ist Sternenhimmel richtig deine Squaw?« »Du kennst sie?« Ich fragte es überrascht. »Sicher«, erwiderte er. »Ihr Vater ist Sprechender Büffel, ein Häuptling der Arapahoes. Was hast du für sie gezahlt? Ich kann mir kaum vorstellen, dass er sie dir gern gegeben hat. Sie war schon als kleines Ding ein Augenstern.« Ich sagte nichts mehr. Aber nun wusste ich, wohin Eva-Maria gehörte. Ja, sie hieß also wirklich Starry Sky oder Sternenhimmel. Der Händler wusste es, kannte sie. Sie hatte unsere Unterhaltung nicht mit angehört, sondern unsere Einkäufe, die hauptsächlich für sie waren – vom Fellmantel bis zum Schlafsack – in eine geteerte Zeltplane gewickelt und hinter ihrem Sattel festgezurrt. Wenig später ritten wir weiter. Immer noch blieben wir auf dem Bozeman-Weg, aber als wir dann einen kleinen Creek erreichten, der noch nicht zugefroren war, weil das Wasser zu sehr strömte, da hielt sie an und deutete in den Creek. »Wir sollten in diesem Creek zuerst nach Westen reiten«, sagte sie ruhig. »Hier kann man nicht sehen, dass wir den Bozeman-Trail verließen. Wir müssen dort in die Berge jenseits des South Platte und der Laramie-Prärie. Die Berge heißen bei den Weißen die Medicine-Bow-Berge. Wenn wir sie hinter uns gelassen haben, reiten wir in nordwestlicher Richtung weiter in die Sweet Water Mountains. Dort wird mein Vater sein Winterdorf in einem geschützten Tal haben. Und du wirst ihm willkommen sein, wenn du ihm die geraubte Tochter zurückbringst. Du wirst bis zum Frühjahr in Sicherheit sein. Gut so?« Als sie verstummte, hatte sie alle Ungewissheit beseitigt. Denn wo sollte ich schon hin im Winter, der von einem Tag zum anderen sehr viel härter und böser werden konnte? Wo sollte ich hin, wenn die Blizzards tobten? Allein bis zu den Goldfundgebieten in Montana zu reiten, dies traute ich mir nicht zu. Ich kannte dieses Land nicht. Ich war ein Mann aus dem Süden. Nein, es wäre dumm gewesen, allein nach Norden zu reiten. Und so nickte ich Eva-Maria zu. »Gut«, sagte ich. »Wenn du es so siehst, reiten wir zu deinem Vater in dessen Winterdorf. Und ich möchte dir eins sagen: Ich bin ein Texaner. Und das bedeutet, dass ich dir niemals etwas tun werde, was du nicht selbst möchtest.« »Das wusste ich von Anfang an«, erwiderte sie ruhig und ritt weiter. Nun übernahm sie die Führung. Und ich ahnte, dass sich mein Leben total verändern würde. Denn sie war wunderschön. Sie gefiel mir mehr als bisher jede andere Frau. Und ich spürte, dass auch ich ihr gefiel und sie mir aus irgendeinem Grund vertraute. Vielleicht lag das nur daran, dass sie lange genug in meine Augen gesehen hatte und ihr Instinkt ihr sagte, zu welcher Sorte Mann ich gehörte. Und so ritten wir also wie ein Paar durch den Wintertag, den die Sonne nicht mehr zu erwärmen vermochte. Es war ein gutes Reiten in klarer Luft. Der Boden war gefroren und mit wenigen Zoll Schnee bedeckt.
Manchmal, wenn wir nebeneinander Steigbügel an Steigbügel ritten, da sahen EvaMaria und ich uns an. Fast immer lächelte sie mir zu. Und dann erinnerte ich mich stets daran, dass Leroy Spade, dieser rotbärtige Scout, sie besessen hatte. Und vorher war sie in den Händen dreier Crows gewesen, die sie entführt hatten, weil das eine Art Heldentat war, wie zum Beispiel auch Pferderaub. Beides waren für die Indianer besonders geachtete Bewährungsproben, die einem Krieger Respekt und Ruhm einbrachten innerhalb des Stammes. Denn solche Taten waren der Beweis von Verwegenheit und Schlauheit bei der Jagd. Sie war also schon durch mehrere Hände gegangen. Dennoch saß sie so stolz im Sattel, als hätte man ihr diesen Stolz nicht nehmen können Ein weißes Mädchen an ihrer Stelle wäre verzweifelt gewesen, hätte sich total entehrt gefühlt, geklagt und geweint. Aber sie ritt wie eine Prinzessin durch den Wintertag. Wir ritten über die Laramie-Prärie auf die Medicine-Bow-Kette zu, die in der klaren Winterluft so nah schien, aber nicht näher kam, obwohl wir Meile um Meile zurücklegten und nur gegen Mittag einmal eine Weile rasteten, um etwas zu essen. »Wie lange müssen wir reiten?« So fragte ich einmal kauend. »Fünf Sonnen«, erwiderte sie, »fünf Tage. Weißt du, wir Indianer sagen für Tage Sonnen. Bist du auch zu einem Viertel oder gar zur Hälfte ein Indianer?« »Meine Großmutter war eine Comanchin«, erwiderte ich. »Aber mein Großvater war ein rotköpfiger Ire. Weißt du, woher die Iren kommen?« »Von einer grünen Insel.« Sie lächelte. »Das habe ich in der Missionsschule gelernt – und vieles mehr.« Wieder schwiegen wir eine Weile und aßen Rauchfleisch und harte Biskuits. »Crows haben dich geraubt?« So fragte ich schließlich. »Taten sie dir Böses an, oder möchtest du nicht darüber reden?« Sie schüttelte den Kopf. »Die Crows waren schon immer die Feinde der Sioux, Cheyennes und Arapahoes«, sprach sie dann. »Diese drei Crows raubten mich, als ich in der Nähe unseres Dorfes unter einem Wasserfall badete. Sie wollten mich gegen Pferde eintauschen, denn unser Dorf ist unter allen Stämmen als das Dorf mit der besten Pferdezucht bekannt. Aber dann trafen diese drei Crows mit mir auf den rothaarigen Scout Leroy Spade. Er schoss sie binnen zwei Sekunden mit seinem Revolver von den Pferden. Und von diesem Moment an gehörte ich ihm.« Als sie den letzten Satz sprach, klirrte ihre Stimme. Und in ihren grünen Augen funkelte eine Wildheit, als wäre sie eine gereizte Pumakatze. Ich brachte es nicht mehr fertig, sie zu fragen, ob Leroy Spade sie gezwungen hatte, sich ihm als Frau zu unterwerfen. Wahrscheinlich war es so. Aber ich konnte es nicht fragen. Ich wollte das Thema wechseln. Deshalb sagte ich: »Erzähle mir etwas über euch Arapahoes, ja?« Sie sah mich seltsam an, und der wilde Ausdruck in ihren Augen wurde wieder sanfter. »Wir Arapahoes…«, begann sie. »Oh, unsere Überlieferungen, die unsere Alten den Enkeln erzählen, sagen, dass unser Name vom Pawnee-Wort ›Tirapihu‹ oder ›Larapihu‹
abgeleitet wurde. Und ganz früher lebten wir als Ackerbauern am Minnesota und Cheyenne River. Von dort wurden wir vertrieben und zogen im Verlauf eines ganzen Jahrhunderts bis in die Black Hills südlich des Saskatchewan. Wir schlossen immer wieder Friedensverträge mit den Weißen, die aber von diesen niemals eingehalten wurden. Und dann gab es am 29. November 1864 – also vor einem Jahr etwa – das große Blutbad am Sand Creek. Vielleicht hast du davon gehört. Dort schlachteten Milizfreiwillige unter einem gewissen Colonel Chivington, einem ehemaligen Prediger, den größten Teil unseres Stammes ab. Das war das Sand-Creek-Massaker. Alle, die nach Norden entkamen, kämpften nun an der Seite der Sioux und Cheyennes gegen die Weißen. Es gibt nur noch wenige Arapahoe-Dörfer. Das kleinste Dorf ist das meines Vaters. Er will sein Dorf aus dem großen Krieg heraushalten und hat es deshalb in einem verborgenen Bergtal errichtet. Aber bald wird der Tag kommen, dann wird auch er mit seinen Kriegern am großen Kampf teilnehmen müssen, weil er sein Volk nicht im Stich lassen kann. Er hat mir gesagt, dass wir Indianer früher oder später zum Untergang bestimmt sind. Er ist ein weiser Mann.« Sie verstummte traurig. Ich aber hatte wieder eine Weile eine Menge nachzudenken. Wenig später ritten wir weiter. Immer wieder blickte ich mich aufmerksam um. Irgendwie gefiel mir die scheinbar so friedliche Stille dieses Landes an diesem zur Neige gehenden Wintertag nicht. Doch ich konnte nichts erkennen, was mir hätte Sorgen machen müssen. Nur das ungute Gefühl in mir wurde stärker, je weiter wir ritten. Noch bevor es Nacht wurde, durchfurteten wir den South Platte und hielten endlich an für die Nacht. Es war ein guter Platz zwischen einigen Sandsteinfelsen und Dornenbüschen, an denen noch die braunen Blätter hingen, weil kein Wind sie bisher abgepustet hatte. Wir machten ein Feuer an, brieten Pfannkuchen mit Speck und kochten Kaffee. Denn wir hatten uns ja bei dem Halbblut-Händler gut ausgerüstet. Als wir auf der geteerten Zeltplane unsere Schlaflager bereiteten, da sah Eva-Maria mich immer wieder forschend an. Aber ich verlangte nicht von ihr, dass sie zu mir unter die Decke kam. Es wäre verdammt unfair und gemein gewesen. Eine Weile lagen wir so nebeneinander und schwiegen. Das Feuer verglühte langsam und warf bald keinen roten Schein mehr gegen die Felsen in der Runde. Dafür wurden oben am Himmel die Sterne klarer und begannen zu funkeln. Ich sagte in die Stille, die nur dann und wann durch die Geräusche unserer Pferde unterbrochen wurde: »Ja, du bist so schön wie der Sternenhimmel über uns. Dein indianischer Name ist genau richtig für dich.« Sie erwiderte nichts. Ich schlief ein, verließ mich auf mein Unterbewusstsein, das mich gewiss wecken würde. Das war während des Krieges so gewesen und auch vorher schon daheim in Texas. Es war gegen Ende der Nacht, als ich erwachte und sofort ein ungutes Gefühl spürte. Ich wusste, dass es mein Instinkt war, der in meinem Unterbewusstsein Unruhe erzeugte, sodass ich schließlich erwachte. Am Himmel waren keine Sterne mehr. Auch der Mond, dessen bleiches und kaltes Licht die Nacht erhellt hatte, war verschwunden. Die Pferde
waren unruhiger geworden. Zwei der Tiere schnaubten leise. Dieses Schnauben klang irgendwie freundlich und erwartungsvoll. Ich wusste, dass Kavalleriepferde in den Morgenstunden für den langen Tag des Reitens gefüttert wurden, wo es keine Weide gab. Und so warteten wohl auch diese Tiere auf den Mais oder irgendwelches andere Futter. Also konnte doch eigentlich kein Feind von ihnen gewittert worden sein, eher ein Freund, ein Soldat – oder ein Scout, jedenfalls jemand, der zur Armee gehörte. Ich dachte wieder einmal an diesen Leroy Spade, der ja ein erfahrener Scout war und sich gut in diesem Land auskannte. Ich hatte ihm Sternenhimmel abgewonnen, und er hatte sich wie ein fairer Verlierer verhalten. Was anderes war ihm ja auch nicht übrig geblieben im Spielsaloon von Laramie. Doch jetzt… War es möglich, dass er uns gefolgt war, um sich die schöne Eva-Maria zurückzuholen? Oho, ich musste nicht mehr lange nachdenken. Das Gefühl von Gefahr war plötzlich zu stark in mir. Und so rollte ich mich aus den Decken, mit dem Colt in der Faust. Ich rollte mich bis zu einem der Felsen und schob mich zwischen die etwa kniehohen Dornenbüsche. Da ich von unten schräg hinaufblickte, konnte ich gegen den trotz der Wolken etwas helleren Himmel die geduckte Gestalt erkennen, die plötzlich aufgetaucht war. Diese Gestalt verhielt dann am erloschenen Feuer und versuchte anscheinend herauszufinden, unter welchen Decken ich und wo Eva-Maria lag. Ich erhob mich und fragte: »Suchst du mich, mein Freund?« Da wirbelte die Gestalt herum, erkannte mich als Schatten in der Dunkelheit vor dem helleren Sandsteinfelsen und schoss sofort. Ich spürte die Kugel. Sie zupfte an meiner Kleidung über der Schulterspitze. Mein Colt donnerte los, und die Kugel stieß den Kerl von den Beinen. Doch er war wohl nicht tot, denn Tote stöhnen nicht. Er aber stöhnte und keuchte. Er hatte seine Waffe fallen lassen und begann sie mit tastenden Händen am Boden zu suchen. Doch ich war nun bei ihm, fand sie früher als er und stieß sie weg. Als ich dann bei ihm kniete, da erkannte ich ihn in der sterbenden Nacht. Ja, es war Leroy Spade. Er sah zu mir hoch und stöhnte: »Du verdammter Hurensohn, du hast wohl immerzu nur Glück. Verdammt, warum mache ich gegen dich keinen Stich?« »Das ist manchmal so«, erwiderte ich. Sternenhimmel trat neben mich. Er starrte nun zu ihr empor und krächzte: »Hokahe, Starry Sky, er hatte dich noch nicht unter seiner Decke – aber ich…« Weiter kam er nicht. Denn Eva-Maria hatte mein Gewehr mitgebracht, als sie zu uns trat. Bisher hatte sie es neben ihrem rechten Bein mit der Mündung nach unten gehalten. Nun hob sie die Mündung etwas und drückte ab. Ich sah die Kugel gut eine Handbreit unter seinem Nabel einschlagen. Sie musste meinen Spencer-Karabiner durchgeladen haben, als ich mit Spade beschäftigt gewesen war. Ich hatte das metallische Geräusch nicht gehört. Nun atmete Spade für immer aus. Ich erhob mich aus der knienden Haltung und sah das Mädchen an.
Wir standen sehr nahe beieinander. Ich konnte trotz der Nacht das Funkeln ihrer Augen erkennen. Sie sagte nichts, kein einziges Wort. Auch ich sprach nicht. Was hätte ich denn sagen sollen? Ihr Vorwürfe machen? Zum Teufel, nein, wir waren hier weit außerhalb jeden Gesetzes, und wenn es in diesem Land etwas gab, was Geltung hatte, dann war es das Gesetz der Arapahoes – und das von Starry Sky. Denn sie war es, der Genugtuung zustand. Und die gab es in dieser Winternacht hier in Wyoming wahrscheinlich nur auf diese Art und Weise. Es war wohl am besten, erst einmal schweigend das Feuer wieder anzumachen. *** Als wir fertig zum Weiterreiten waren, wurde es Tag. Die Luft roch nach Schnee, und wir hatten noch einen weiten Weg vor uns. Leroy Spade hatte ich mit Dornenbüschen zugedeckt, so gut ich konnte. Der Boden war gefroren. Ich besaß keine Grabwerkzeuge. Auch Steine in größeren Mengen gab es nicht auf der Prärie. Spades Pferd fand ich eine Viertelmeile weiter entfernt. Er hatte es angebunden. Ich gab es frei und jagte es mit einem Schrei und einem Schlag auf die Hinterbacken zurück nach Osten. Nun, wir waren also an diesem grauen Morgen fertig zum Abritt. Eva-Maria sah mich schweigend an, und ich spürte, sie fühlte sich verdammt einsam und allein. Und so trat ich zu ihr, hob meine Hand und strich ihr über Schläfe, Wange und Hals bis zur Schulter. »Vergiss alles wie einen bösen Traum«, murmelte ich. »Und denke immer daran, du bist nicht allein. Ich bin bei dir, und wenn du sprechen willst, dann reden wir. Aber wenn du schweigen möchtest, um schneller vergessen zu können, dann schweigen wir. Wenn ich gewusst hätte, wie viel dir an seinem Tod liegt, dann hätte ich ihn für dich getötet.« »Nein«, widersprach sie mir da, »das musste ich selber tun. Ich danke dir, dass du es mir überlassen hast.« Nach diesen Worten wandte sie sich zu ihrem Pferd, saß auf und ritt an. Ich folgte ihr. *** Wir waren diesen zweiten Tag wieder stetig unterwegs und legten abermals nur gegen Mittag eine Rast ein. Das Wetter hielt sich, obwohl der Himmel bewölkt blieb und die Luft nach Schnee roch. Ja, ich war sicher, dass es bald wieder Schnee geben würde. Als es Abend wurde, erreichten wir die Berge und drangen in einen Canyon ein, der nach Nordwesten führte. Sternenhimmel hielt noch nicht an, obwohl unsere Pferde nun müde waren und immer öfter stolperten. Es wurde ziemlich dunkel, doch Sternenhimmel kannte sich offenbar aus. Wir
schwenkten aus dem breiten Canyon in eine Querschlucht ein – und da hörte ich auch schon das heisere Fauchen. Es kam mir wie das Fauchen eines Ungeheuers vor, das da vor uns in der Schlucht hockte und uns gewiss verschlingen würde. »Verdammt, was ist das?« So fragte ich beunruhigt. Aber Sternenhimmel stieß einen Laut aus, der fast wie ein grimmiges Lachen klang. Und dann sagte sie über die Schulter vom Pferd aus zu mir zurück: »Eine heiße Quelle, ein Geysir. Der heiße Wasserstrahl kommt so fauchend direkt aus dem Bauch der Erde.« Nun wusste ich einigermaßen Bescheid, denn ich hatte einmal gehört und später gelesen, dass es in Wyoming diese heißen Quellen gab. Man nannte sie Geysir. Dieses Wort soll isländischen Ursprungs sein und sich von dem Verb »Geysa« ableiten, welches so viel wie »sprudeln« bedeutet. Auf jeden Fall bezeichnete es eine heiße Quelle, die von Zeit zu Zeit zischend einen Strahl kochendes Wasser in die Luft schießt. Und solch ein Zischen hatten wir nun vor uns gehört. Wir ritten genau auf dieses fauchende Zischen zu. Es verstummte dann allmählich. Trotz der recht dunklen Nacht konnte ich wenig später erkennen, dass die Schlucht in einen kleinen Talkessel mündete. Nun roch und spürte ich den Wasserdampf. Wir hielten am Rand eines fast kreisrunden Felsenbeckens an, dessen Ausmaße ich nur ahnen konnte. Eva-Maria sprach mit kehlig-heiserer Stimme: »Lance, dies ist der Geysir der Reinheit. Hier werden die Kranken wieder gesund. Und alle, die sich dem Großen Geheimnis ergeben wollen, die schwitzen hier alles Böse aus ihrem Körper. Und wenn sie dann aus diesem Wasser steigen, dann sind sie mit ihrem Geist beim Großen Geheimnis gewesen und haben erfahren, wie es mit ihnen weitergehen wird. Ich werde hier versuchen, wieder rein zu werden, und will dem Großen Geheimnis Fragen stellen. Vielleicht werde ich Antworten bekommen.« Nach diesen Worten glitt sie vom Pferd und begann sich in der kalten Winternacht auszukleiden. Aus dem Felsenbecken aber stiegen immerzu Dampfwolken. Das Wasser im Becken musste mehr als nur warm sein. Es war, als wäre dieses Felsenbecken der Mund eines gewaltigen Riesen, dessen Atem den Talkessel erfüllte wie Wasserdampf. Ich saß still im Sattel. Und eines wusste ich: Das Große Geheimnis, dies war Wakan Tanka, und es war die oberste Gottheit der Dakotas, Cheyennes und Arapahoes. Jetzt war Eva-Maria nicht mehr die einst getaufte Arapahoe, nein, jetzt war sie wieder Sternenhimmel, wie ihr Vater sie genannt hatte. Als sie in das heiße Wasser stieg, hörte ich sie singend sagen: »O Wakan Tanka, höre mein Flehen. Sprich zu mir. Sag mir, was sein wird, und gib mir meine Reinheit wieder.« Sie sprach dann in der Sprache der Arapahoes weiter. Ich konnte die Bedeutung ihrer Worte nicht mehr verstehen, aber ich wusste, es war ein Flehen, ein Gebet. Nun erst begann ich zu begreifen, in welch seelischer Not sie sich befand, weil dieser Leroy Spade ihr Schlimmes antat. Nun konnte ich auch besser verstehen, warum sie ihn ohne Gnade tötete. Ich brachte unsere Pferde ein Stück weg von dem dampfenden Felsenkessel und fand in der Felswand eine tiefe Ausbuchtung. Ich bereitete unser Camp, versorgte die Pferde mit Maisfutter, das ich in Beutel tat, die ich ihnen umhängte, und suchte dann in der
Dunkelheit nach Holz. In der Schlucht fand ich eine Menge. Es musste die steilen Hänge heruntergeweht worden sein, wenn oben die Stürme pusteten. Es war noch vor Mitternacht, als mein Feuer den Talkessel ein wenig erhellte. Doch dort, wo das dampfende Felsenbecken war, da verbarg der Wasserdampf alles. Doch ich hörte manchmal den betenden Singsang von Starry Sky. Für mich war sie nun nicht mehr Eva-Maria, eine getaufte Christin, sondern das Arapahoemädchen, dessen Name Sternenhimmel war. Alles war anders geworden. Was sollte ich tun? Das fragte ich mich. Doch da gab es nur eine einzige Antwort auf meine unsichere Frage: nicht stören, sie gewähren lassen. Ich wusste, sie war mit mir hierher geritten, weil sie von dieser Zauberquelle wusste, weil sie sich die ganze Zeit danach gesehnt hatte, sich hier an Leib und Seele reinigen zu können. Ich wäre auch gerne in dieses warme oder gar heiße Wasser gestiegen und hätte mich darin entspannt. Aber ich wollte Sternenhimmel nicht stören. Ich hatte begriffen, dass sie da mehr als nur betete und flehte, sondern dass sie irgendwie eine geradezu heilige Handlung beging. Ich briet mir wieder einmal Pfannkuchen mit Speck, was ja fast immer für alle Reiter unterwegs die Hauptnahrung war, weil man dieses Essen sehr schnell zubereiten konnte. Bohnen zum Beispiel musste man zu lange kochen. Es vergingen dann Stunden. Manchmal dachte ich: O Himmel, sie kann doch nicht so lange in diesem heißen Wasser liegen. Nicht nur, dass sie da drinnen verschrumpeln muss – nein, dies kann doch gewiss kein Kreislauf aushalten. Aber immer dann, wenn ich mich erheben wollte, um nach ihr zu sehen – sie hätte ja bewusstlos werden können –, hörte ich wieder ihre Stimme. Ja, Starry Sky hielt immer noch Zwiesprache mit dem Großen Geheimnis. Ich fand diese Nacht keinen Schlaf, hielt mich nur immerzu bereit für etwas, was ich nicht beschreiben konnte. Ich wusste nur, dass ich nicht schlafen durfte, mochte ich auch noch so müde sein. Und so hockte ich am Feuer, versank nur manchmal ein wenig in eine Art Halbschlaf und wartete. Wann endlich würde Starry Sky fertig sein mit ihrem Zauber? Ja, es war wohl eine Art Zauber, vielleicht eine Selbsthypnose. So verging also die Nacht. Und dann endlich – noch vor Morgengrauen –, da tauchte sie bei mir und dem Feuer auf. Sie war angekleidet, denn ich hatte ihre Kleidung beim Becken liegen lassen, wo sie diese abgelegt hatte. Sie tauchte plötzlich im Feuerschein auf und wirkte sehr erschöpft, so als könnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten und hätte es nur noch mit allerletzter Kraft bis zum Feuer geschafft. Ich hatte ihr die Schlafstätte schon bereitet, und so legte sie sich nieder und rollte sich wortlos in die Decken. Im nächsten Moment schlief sie auch schon. Ich hörte es an ihren Atemzügen. Und dort, wo das Becken war, da stieß der Geysir wieder einmal fauchend den heißen Strahl gegen den Himmel, der jetzt allmählich heller wurde.
* * * � Wir blieben den ganzen Tag und auch die nächste Nacht in jenem kleinen Talkessel beim Geysir. Sternenhimmel schlief viele Stunden. Das lange Bad in dem warmen Wasser hatte sie fast zu Tode geschwächt. Die heiße Quelle enthielt irgendwelche Mineralien, wahrscheinlich auch etwas Schwefel. Man konnte es riechen, wenn man nahe genug heranging, mitten in die Dampfschwaden hinein. Auch ich nahm im Verlauf des Tages ein Bad. Doch ich hielt es nur eine knappe halbe Stunde in diesem heißen Solewasser aus. Aber ich war danach sicher, dass ich alles aus meinen Poren herausgeschwitzt hatte. Und ich fühlte mich wie neu, sehr viel besser als nach einem Dampfbad, wie man es in den größeren Städten bekommen konnte. Es war dann am frühen Morgen des nächsten Tages, als Sternenhimmel erwachte. Ich hockte am Feuer und hatte Biskuits gemacht. Dazu gab es Ahornsirup und starken Kaffee. Sternenhimmel setzte sich plötzlich auf und sah zu mir her. Ich erwiderte ihren Blick, nickte kauend und fragte dann: »Besser?« Sie sah mich noch eine Weile schweigend an, und ich konnte ihr ansehen, wie ihre Gedanken unterwegs waren, wie sie tief in sich hinein auf ihre Gefühle lauschte. Ja, es war wie ein Lauschen nach innen. »Ich war mit meiner Seele beim Großen Geheimnis«, sprach sie dann. »Und die Stimme von Wakan Tanka sprach durch Watshitshum, den Geist, der in mich drang, zu mir. Nun weiß ich, dass ich wieder sauber und rein geworden bin. Aller Schmutz ist von mir gewichen, ist abgewaschen im Wasser der reinen Quelle. Es war alles nur ein böser Traum – alles, nur du nicht, Lance Kelly.« Ich wusste nicht, was ich ihr erwidern sollte. Denn ich war ja dumm, was die Sitten und Gebräuche der Arapahoes – oder der Indianer der Hochprärie überhaupt – betraf. Ich konnte mich nur darüber freuen, dass Sternenhimmel offenbar nun alles bewältigt hatte und dass diese heiße Solequelle und ihr Glaube ihr dabei geholfen hatten. »Ich freue mich für dich«, sagte ich. »Dies ist wohl ein guter Tag heute?« Sie erhob sich aus den Decken und kam zu mir ans Feuer. Dann begann sie mir die Biskuits wegzuessen und auch den starken Kaffee wegzutrinken. Und immer wieder sah sie mich an. Plötzlich sprach sie: »Wenn du möchtest, dann kannst du um mich werben. Jeder stolze Krieger kann jetzt wieder um mich werben. Denn ich bin wieder rein.« Nun verschluckte ich mich ein wenig. Sie lächelte mit einer Spur von Mitleid in ihrem Blick und sagte dann mit diesem Lächeln auf den Lippen: »Wenn viele stolze Krieger um ein Arapahoemädchen werben, dann hat sie eine große Auswahl und findet vielleicht den einzig Richtigen für sich.« »He«, sagte ich staunend, »führ mich lieber nicht in Versuchung, denn ich will ja nicht lange in eurem Dorf bleiben. Ich will im Frühjahr weiter nach Norden. Das wäre wohl nicht gut für eine Liebe, oder?« Dann sagte sie: »Eine Squaw folgt ihrem Krieger überall hin. Und wenn er vor ihr diese Erde verlässt und seine Seele nach Wanagi Yata fliegt, dem Sammelplatz aller Seelen, dann ist auch ihr Leben nichts mehr wert. Aber du musst ja nicht um mich werben, Lance Kelly. In meinem Dorf sind viele Krieger.«
Oha, verdammt, was war das? Was hatte sie mit mir vor? Sie war so wunderschön und begehrenswert. Sie war eine Vollblutfrau. Ich erinnerte mich wieder daran, wie entschlossen sie Leroy Spade getötet hatte, um sich Genugtuung zu verschaffen, und ich begriff auch, dass Spades Tod die Voraussetzung dafür gewesen war, dass wir zu diesem Geysir der Reinheit reiten konnten. Bot sie sich mir an, um herauszufinden, ob sie jetzt auch für mich rein war? Verdammt, wer konnte sich mit den Gefühlen und Gedanken einer wunderschönen Arapahoe auskennen? Sie sah mich immer noch mit ihren grünen Katzenaugen an und sprach dann: »Du hast mir gesagt, dass ich so schön wie der Sternenhimmel sei und dass der Name zu mir passe.« »So ist es«, erwiderte ich. Und plötzlich wusste ich, dass wir ein Paar werden würden, bevor wir das Winterdorf von Sprechender Büffel, ihrem Vater, erreicht hatten. Ja, so würde es kommen. Wir blieben noch den ganzen Tag im kleinen Talkessel beim warmen Geysir. Und als es Abend wurde, da badeten wir zusammen in dem warmen Solewasser. Sternenhimmel zeigte sich mir ohne Scheu und Scham. Aber ich versuchte nichts, gar nichts. Ich bewunderte sie nur, so, als wäre ich ein Heiliger. Denn eines hatte ich begriffen: Wenn ich sie haben wollte, dann musste alles mit rechten Dingen zugehen auf Arapahoe-Art. Sie hatte mir alles gezeigt, was zu haben war. Nun lag die Entscheidung bei mir. O verdammt, in was für eine Welt war ich hier hineingeraten? Sollte ich tatsächlich versuchen, sie im Arapahoedorf zu bekommen? Und was würde dann im Frühjahr sein, wenn ich weiter nach Oregon wollte und keine Gefahr mehr bestand, dass mich die Blizzards unterwegs mit ihrem Leichentuch zudeckten? Ich hatte noch keinen Blizzard erlebt. Ich war ja ein Bursche aus dem Süden. *** Fünf Tage später kamen wir in das Tal der Sweetwater Mountains, nachdem wir die Medicine-Bow-Kette hinter uns gelassen und uns nach Norden gewandt hatten. Es war ein wunderschönes Tal, geschützt von bewaldeten Hängen, durchzogen von einem sich wie eine Schlange windenden Creek, der einen See füllte und auf der anderen Seite als Creek wieder abfloss. Da standen also die Zelte der Arapahoes. Ich wusste noch nicht, dass man die Zelte der Stämme an der Zahl der Stangen erkennen konnte. Die Tipis der Cheyennes zum Beispiel hatten sechzehn Stangen, die der Arapahoes nur zwölf. Die Hunde des Dorfes hatten uns nun gewittert und machten einen Höllenspektakel, kamen uns entgegengesaust. Es hatte schon seit drei Tagen geschneit und schneite immer noch leicht. Die Hunde versanken manchmal im tiefen Schnee, kamen aber immer wieder hochgesprungen. Und plötzlich waren dann Krieger auf scheckigen Pferden vor uns, bekleidet mit Wolfsfellen und gut bewaffnet. Fast alle hatten sie Gewehre.
Doch dann erkannten sie Sternenhimmel und stießen freudige Schreie aus, die bis zum Dorf hinter ihnen drangen und von dort aufgenommen und zurückgegeben wurden. Dann umringten uns die wilden Reiter. Ich war ja wie ein Weißer gekleidet, wie ein Wasicun, und so betrachteten sie mich misstrauisch, bis Sternenhimmel ihnen einige Worte zurief. Dann wurden sie alle sozusagen zu einer Ehreneskorte. Die bellenden Hunde umtanzten unsere Reitertraube, und so näherten wir uns dem Dorf, das aus etwa fünfzig Zelten bestand. Es gab da eine Faustregel, nach der man fünf Seelen auf ein Zelt rechnen konnte, zumeist eine alte Frau, dann der Krieger mit seiner Squaw und zwei Kinder. Wenn diese Faustregel stimmte, dann lebten im Dorf von Sprechender Büffel etwa zweihundertfünfzig Menschen, wovon etwa fünfzig Krieger waren. Und alle standen sie nun vor den Tipis, in Decken oder Felle gehüllt. Ich sah viele perlenäugige Kinder – aber auch in viele schräge Falkenaugen der Krieger. Die Squaws waren bis an die Nasenspitzen in Decken gehüllt. Aber alle riefen sie Begrüßungsworte, die Sternenhimmel galten. Mich betrachtete man forschend, doch nicht feindlich. Es hatte sich wohl schnell herumgesprochen, dass Sternenhimmel mich vor dem Empfangskomitee als ihren Retter bezeichnete. Wir kamen zum großen Platz, der von den Zelten eingesäumt wurde. Hier stand das Zelt von Sprechender Büffel. Und er selbst trat heraus und verharrte. Er war ein großer, sehniger und beachtlich wirkender Arapahoe. Ja, er wirkte tatsächlich wie ein würdiger Häuptling, stolz und edel in seiner ganzen Haltung. Auch er trug Wolfspelze. In seinem bereits grau gewordenen Haar steckte eine einzige Adlerfeder. Sternenhimmel glitt vom Pferd und trat zu ihm. Dann sprach sie schnelle Worte, und sie sprach sie stolz. Ich konnte es nicht verstehen, obwohl ich unterwegs schon ein wenig ihre Sprache gelernt hatte. Aber es war ja wohl klar, was sie zu ihrem Vater sagte. Sie erzählte ihm wahrscheinlich, dass sie vom Geysir der Reinheit kam, dass sie den Mann getötet hatte, dem sie für eine Weile gehörte, als er sie den Crows abnahm – und dann deutete sie auf mich und sagte wahrscheinlich, dass ich der große und stolze Krieger war, der mitgekommen war, um sie von Sprechender Büffel als Frau zu erbitten. Als sie verstummte, entstand Gemurmel in der Runde. Und alle Blicke richteten sich auf mich. Ruhig saß ich im Sattel und sah mich um. Oha, ich wusste jetzt zu schätzen, dass ich ein Viertelcomanche war und man mir das ansehen konnte. Denn ich war dunkel wie diese Arapahoes. Auch besaß ich eine Adlernase wie die meisten von ihnen. Ich sah gewiss nicht wie ein typischer Wasicun – ein Weißer – aus. Sprechender Büffel sagte etwas zu mir und machte dabei eine unmissverständliche Handbewegung, die ich sofort verstand. Ich sollte absitzen und zu ihm in das Zelt kommen. Also tat ich es und folgte ihm und Sternenhimmel. Ja, sie trat erst hinter uns ein, denn sie war eine Squaw, wir aber waren Krieger. Und wir waren jetzt in einem Arapahoedorf. Ich war nicht überrascht, dass sich Sprechender Büffel der englischen Sprache
bediente, als er sich im Zelt an mich wandte. Er sagte: »Nimm Platz, Häuptling. Meine Tochter sagte mir, dass du im Süden ein berühmter Häuptling warst und sie dir ihr Leben verdankt. Und du bist nicht nur mitgekommen, um sie heimzubringen in ihr Dorf zu ihrem Vater, sondern auch deshalb, um sie zur Squaw zu nehmen.« Ich war etwas verlegen. Sternenhimmel hatte mich als berühmten Häuptling aus dem Süden vorgestellt. Aber eigentlich war ich das ja auch. Denn ich war Captain in der Texasbrigade gewesen und war immer wieder wegen außergewöhnlicher Tapferkeit ausgezeichnet worden. Wahrhaftig, ich war ein berühmter Kriegshäuptling, wenn man es mit den Augen der Indianer sah. Und so hatte sie nicht mal gelogen. Aber wie war es mit der anderen Sache? War ich wirklich hergekommen, um sie von ihrem Vater als Squaw zu erbitten? Ja, wir waren unterwegs ein Paar geworden. Und ich wollte in diesem Dorf bleiben, zumindest bis zum Frühjahr. Sternenhimmel aber war schön, sehr reizvoll und begehrenswert. Ich hatte sie aus dem warmen Geysirbecken steigen sehen wie die Venus aus dem Schaum. Ja, sie war so schön wie eine Göttin. Und ich konnte sie haben, all die vielen Wochen und Monate, die dieser noch so junge Winter dauern würde – jede Nacht in einem warmen Zelt. Und sie wollte mich. Das war klar. Ich war für sie der letzte Beweis, dass sie wieder rein und begehrenswert war. Ich hörte mich erwidern: »Ja, Häuptling, ich möchte deine Tochter zu meiner Squaw nehmen. Bitte, gib sie mir, und werde so auch mein Vater.« Er starrte mich lange an, und ich spürte, wie etwas von ihm in mich eindrang, mich bis in den tiefsten Kern zu erforschen versuchte. Dann sprach er: »Sie war und ist der Stern aller Arapahoes, und sie ist eines ganz besonderen Kriegers würdig. Sie sprach beim Geysir der Reinheit mit dem Großen Geist und wurde rein. Wirst du ein großer Krieger der Arapahoes sein?« Ich nickte. »Das verspreche ich, Häuptling.« »Dann wirst du es beweisen müssen«, erwiderte er. »Und bis dahin wirst du in unserem Gastzelt wohnen. Honigbiene wird dich versorgen, so wie es einem berühmten Häuptling und Krieger zusteht.« Ich begriff, dass ich entlassen war – und dass ich noch längst nicht mit Sternenhimmel in einem warmen Zelt unter einer Decke liegen durfte. Ich wandte mich Sternenhimmel zu. Sie lächelte mich an und sagte dann ein einziges Wort, nämlich: »Bald.« Da ging ich hinaus. Draußen standen sie noch alle und sahen mich an. Hinter mir trat Sprechender Büffel ins Freie und rief in ihrer Sprache einige Worte. Darauf erhob sich ein Gemurmel. Einige Stimmen riefen: »Ho-ho-ho!« Eine alte, verschrumpelte Squaw trat zu mir, deutete mit dem Daumen gegen sich und sagte mit Fistelstimme: »Honeybee.« Ich begriff, dass sie die Honigbiene war, die mich betreuen und versorgen sollte wie einen Krieger. Sie ging voraus und führte mich zu einem Zelt, in dem noch kein Feuer brannte. Einige Buben des Dorfes brachten meinen Sattel und mein Gepäck. Sie würden gewiss
auch mein Pferd versorgen. Ich war ein willkommener Gast. Honigbiene hatte verdammt schnell ein Feuer in Gang, verschwand einen Moment und kam mit einem kleinen Kessel zurück, den sie mit Schnee gefüllt hatte. Sie hängte ihn über das Feuer an ein Dreibein und warf bald darauf Büffelfleisch in das Wasser, zu dem sich der Schnee verwandelt hatte. Ich hockte am Boden und dachte noch einmal über alles nach. Ja, ich war jetzt in einem Arapahoedorf und einen langen Winter gewiss in Sicherheit. Ich würde auch Sternenhimmel bekommen, nicht zuletzt deshalb, weil sie dies ja selbst so wollte. Aber zuvor würde ich eine besondere Tat vollbringen müssen. *** Schon am nächsten Morgen kam Schwarzes Pferd zu mir und machte mir klar, dass ich zu einem Jagd- und Erkundungsritt eingeladen wäre. Er war ein schon älterer Krieger. Dies bedeutete auch, dass er erfahren war und recht gut die englische Sprache beherrschte, die er von weißen Händlern und Missionaren lernte in jener Zeit damals, als hier überall Weiße und Rote noch in Freundschaft und Frieden miteinander lebten und regen Handel trieben. Er fragte mich, ob ich mitreiten wolle. Es war mir recht. Und so ritt ich mit einem Dutzend Arapahoes aus dem Winterdorf nach Osten, denn es war ja so, dass Gefahr nur von Osten oder Süden her kommen konnte, nicht aus dem Norden und Westen. Black Horse führte. Ich ritt hinter ihm, und die anderen folgten in langer Reihe. Der Schneefall hatte aufgehört. Das Land war mehr als einen Fuß hoch mit Schnee bedeckt. In der Ferne heulten Wölfe. Rehe, Hirsche und anderes Getier hatten sich in die Wälder zurückgezogen. Die Wölfe suchten überall nach Beute. Immer wieder ritten wir zu den Kämmen von Hügeln hinauf, um weit über die Täler und Ebenen blicken zu können. Ich wusste inzwischen, nach was wir suchten. Zwei Jäger aus dem Dorf waren nicht zurückgekehrt. Wir suchten nach ihnen oder zumindest nach ihren Spuren. Am Nachmittag fanden wir ihre Fährte am Rand eines Waldstückes. Sie war hier im Schutze der hohen Tannen nicht vom Schneefall zugedeckt worden. Wir drangen in den Wald ein. Und da fanden wir die beiden Toten. Sie waren skalpiert und fast nackt, übel zugerichtet von Lanzenstichen und Kriegsbeilhieben. Überall in der Runde auf dieser kleinen Lichtung waren Fährten. Was hier geschehen war, wurde auch mir sehr schnell klar. Die beiden Arapahoe-Jäger hatten hier einen Hirsch erlegt. Und als sie noch dabei waren, das Tier auszunehmen und zu zerlegen, da waren sie von allen Seiten angegriffen worden. Sie hatten sich wahrscheinlich in diesem Moment zu sehr auf ihre Beute konzentriert und deshalb nicht so sehr auf ihre Umgebung geachtet.
Black Horse sagte mir dann, wer die Mörder waren. »Crows!« Er sprach dieses Wort wie einen bösen Fluch. Nun wusste ich Bescheid. Denn längst war mir bekannt, dass die Crows – also die Krähenindianer – Feinde der Sioux, Cheyennes und Arapahoes waren und sich auf die Seite der Weißen geschlagen hatten. Deshalb dienten sie der Armee als Scouts und Indianersoldaten. Black Horse und die anderen Krieger verharrten eine Weile stumm. Dann erteilte Black Horse, der unsere Schar führte, die Befehle. Zwei der Krieger würden die Toten ins Dorf zurückbringen. Es war ja ein Glück, dass die Toten noch nicht von den Wölfen gefunden worden waren. Wir anderen aber nahmen die Fährte der Crows auf. Es war dann fast schon Abend, als wir den Eingang einer Schlucht erreichten, in der die Fährte verschwand. Black Horse wandte sich an mich und sah mich im schwindenden Tageslicht fest an. »Nun kannst du zeigen, ob du ein besonderer Krieger bist, würdig genug für Sternenhimmel, die eine Prinzessin der Arapahoes ist.« So sprach er ernst. Ich begriff, dass er mir die Gelegenheit zu einer Bewährung geben wollte. Und gewiss hatte ihm das auch Sprechender Büffel aufgetragen, sollte dies aus irgendwelchen Gründen möglich werden. »Sag es mir«, verlangte ich, »was ist dein Plan?« Er deutete zu einem Bergsattel rechts von der Schlucht. »Wir treiben dir die Crows zu. Sie rechnen nicht damit, dass wir so früh nach unseren Jägern sahen und ihre Fährte so schnell verfolgen konnten. Sie wollen in der Schlucht die Nacht verbringen und das Hirschfleisch braten. Sie wollen sich die Bäuche voll Fleisch schlagen. Aber wir jagen sie aus der Schlucht. Und dort wirst du auf sie warten können.« Mehr sagte er nicht. Das war auch nicht nötig. Aber es war mir klar, dass ich wahrhaftig eine Heldentat vollbringen musste. Denn die Crows würden in großer Überzahl aus der Schlucht kommen. Gewiss, einige würden beim Angriff unserer Schar getötet werden, doch längst nicht alle. Ich würde gegen eine Übermacht ankämpfen. Aber ich nickte und sagte: »Ich werde sie erwarten. Und ich werde den Arapahoes keine Schande machen. Keiner der Crows wird entkommen.« Das war es also. In der Dämmerung, welche schnell zur Nacht werden würde, sahen sie mich an. Ich zog mein Pferd zur Seite und ritt auf den Bergsattel zu. Es würde schwer genug sein, durch den Schnee hinauf und drüben wieder hinunter zu kommen. Allein dieses würde schon eine besondere Leistung von Pferd und Reiter sein. Aber ich saß ja auf dem wunderbaren Duke des Majors. Dieser herrliche Wallach würde es schaffen. *** Es wurde eine helle Nacht, denn die Schneewolken waren weiter nach Süden gezogen. Am Himmel standen Mond und Sterne. Mein braver Wallach keuchte und schnaufte unter mir, als ich nach mehr als einer Stunde das andere Ende der Schlucht erreichte, in der wir die Crows beim Hirschbraten vermuteten. Ich suchte mir eine gute Position und holte aus einer der Satteltaschen auch meinen
zweiten Colt. Mein Pferd kam nun wieder zu Atem. Das Keuchen und Schnaufen beruhigte sich. Ich überlegte noch, ob Zeit genug war, es abzureiben, doch da hörte ich sie schon kommen. In der Schlucht klangen Schüsse. Schreie gellten. Der Schnee dämpfte den Hufschlag der Pferde. Ich fragte mich, wie viele kommen würden. Würden es für mich zu viele sein? Oder konnte ich sie mit meinen beiden Colts aufhalten? Bald würde ich es wissen. Die Schreie in der Schlucht wurden immer lauter. Und dann sah ich sie in der hellen Nacht herauskommen. Ich machte mir Sorgen um Duke, den prächtigen Wallach. Und so zerrte ich ihn am Kopfgeschirr nieder. Er begriff das sofort und legte sich seitlich in den Schnee. Die Crows kamen auf mich zugejagt. Sie begriffen schnell, dass ich ihnen im Weg stand, und begannen über die Köpfe der Pferde hinweg auf mich zu schießen. Doch ein Treffer von ihnen wäre reine Glückssache gewesen, denn sie ließen ja ihre Pferde durch den Schnee galoppieren, was für die Tiere eine schwere Arbeit war. Sie mussten höher springen als normalerweise. Ich wartete mit den Colts in den Fäusten und begann die Reiter zu zählen. Vorn kamen drei, dann ein Stück dahinter noch zwei, insgesamt also fünf. Konnte ich sie aufhalten? Denn sie kamen schnell. Auf den galoppierenden Pferden boten sie sehr bewegliche Ziele. Ich hatte die so übel massakrierten Arapahoe-Jäger gesehen. Auch dachte ich an Sternenhimmel und daran, dass ich mich bewähren musste als besonderer Krieger, der einer Arapahoe-Prinzessin würdig war. Kugeln umpfiffen mich, aber keine kam mir gefährlich nahe. Und dennoch konnte mich schon die nächste Kugel als Zufallstreffer erwischen. Es war jetzt alles ganz allein Schicksal. Ich begann zu schießen. Und jeder Schuss saß. Jede Kugel traf. Das Schicksal war auf meiner Seite. Der letzte Crow kollerte bis dicht vor meine Füße. Er wollte noch einmal hoch, um mich anzugreifen. Doch er schaffte es nicht mehr. Mit letzter Kraft stieß er noch hervor: »Der Eichenblatthäuptling wird dennoch deinen Skalp und dein Pferd bekommen.« Nach diesen gezischten Worten starb er. Ich stand ziemlich verwirrt da. Was hatte der sterbende Crow gesagt? Dies fragte ich mich und wiederholte es in meinen Gedanken. »Der Eichenblatthäuptling wird dennoch deinen Skalp und dein Pferd bekommen.« Nun endlich begriff ich es. Ein Major der US-Kavallerie trug auf den Schulterstücken ein Eichenblatt als Rangabzeichen, so wie ein Colonel einen Adler. Der sterbende Crow meinte also den Major, dem ich zuletzt mit Sternenhimmels Hilfe entkommen war. Dieser Major, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, war immer noch hinter mir her. Der Scout Leroy Spade hatte ihm nicht helfen können. Offenbar war Leroy Spade
mit der Crow-Horde meiner und Sternenhimmels Fährte gefolgt, war den Crows nur weit voraus gewesen. Die Crows hatten nicht aufgegeben und hatten die Arapahoe-Jäger wahrscheinlich nach mir ausgefragt, sie deshalb so böse zugerichtet. Sie konnten sich auch ausrechnen, wohin Sternenhimmel mit mir reiten würde. Alles war klar. Der Major wollte immer noch meinen Skalp und mein Pferd. Da er nicht selbst meiner Fährte folgen konnte, da er innerhalb der Armee irgendwelche Aufgaben hatte und unter Befehl stand, setzte er Killer auf meine Fährte. Diesmal waren es Leroy Spade und die Crows gewesen. Wenn er nichts von ihnen hörte, würde er andere aussenden. Ein Stabsoffizier in seinem Rang hatte Macht. Der konnte immer wieder weiße und rote Killer nach mir suchen lassen. Und selbst der Winter und das verborgene Dorf boten da keinen so großen Schutz für mich. Ich stand noch da und ließ mir das alles durch den Kopf gehen, als Black Horse und die anderen Krieger aus der Schlucht kamen und mich umringten. »Du bist ein großer Krieger«, sagte Black Horse anerkennend. »Willst du dir nicht ihre Skalps nehmen? Fünf Tote, fünf Skalps?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, bei uns im Süden, wo meine Heimat ist«, erwiderte ich, »da verschmäht ein Krieger wie ich die Skalps von stinkenden Kröten.« Sie starrten mich an. Mein Pferd kam wieder auf die Hufe. Ich saß auf. Und dann ritten wir zum Winterdorf zurück. *** Drei Tage später begann die Feier. Die Trommeln dröhnten, und die Arapahoes tanzten. Die Feuer brannten. Fleisch wurde gebraten überall, denn das Dorf war gut versorgt mit Fleisch für einen langen Winter. Ja, man konnte ein Fest feiern. Sternenhimmel, eine Prinzessin der Arapahoes, wahrscheinlich die Schönste unter allen anderen schönen Mädchen des Stammes, wurde die Squaw von Fünftöter. Ja, das war nun mein Name hier bei den Arapahoes: Fünftöter oder Five Killer. Sie stand zwischen zwei Feuern auf einer Plattform, wunderschön gekleidet mit einem Federschmuck auf dem Kopf, behangen mit Ketten und Silberschmuck. Als ich an die Plattform trat, breitete sie ihre Arme aus. Und ihr Federmantel öffnete sich, so als breite ein Vogel seine bunten Schwingen aus, um gen Himmel zu fliegen. Unter dem Federmantel war sie nackt. Und dann warf sie sich von der Plattform mit ausgebreiteten Armen in die Luft, so, als wollte sie sich von einer Felsenklippe in einen Fluss stürzen. Ich fing sie auf. Und ihr wunderschöner Federmantel hüllte uns beide ein. Die Menschen des Dorfes jauchzten auf, stimmten einen freudigen Singsang an. Ich trug Sternenhimmel in unser Zelt. Denn nun war sie meine Frau.
Vertrauensvoll hatte sie sich in meine Arme geworfen. Ich hatte sie aufgefangen, und dann hüllte der Hochzeitsmantel der Arapahoes uns ein. Der Singsang begleitete uns. Im Zelt brannte das Feuer. Es war warm. Sternenhimmel ließ den Mantel zu Boden gleiten. Ja, sie gehörte mir ganz und gar. Draußen hämmerten die Trommeln. Um die Feuer wurde getanzt. Die Arapahoes feierten unsere Hochzeit. Im warmen Zelt lag Sternenhimmel in meinen Armen. Und sie flüsterte in mein Ohr: »Fünftöter, wir werden uns immer lieben bis ans Ende unserer Tage.« *** Es wurde die schönste Zeit meines Lebens, obwohl es einen sehr kalten Winter gab damals 1865/66 und die Blizzards sich in kurzen Abständen ablösten. Aber dieses Arapahoedorf von Sprechender Büffel hatte sich mit Fleisch gut versorgt. Sie hatten große Vorräte an Pemmikan angelegt. Pemmikan, das war eine sonnengetrocknete, gemahlene, mit Talg und Wildbeeren vermischte Fleischpastete, die man in Rohhautbeuteln aufbewahrte. Man hatte essbare Wurzeln gesammelt und Pilze getrocknet, auch reichlich Heu für die Pferde gemacht. Wir litten keinen Hunger, wenn die Blizzards tobten und draußen die Kälte bis ins Mark der Knochen drang. Denn auch Holz war reichlich vorhanden. Dies hier war ein wunderbares Winterdorf. Ich lernte in diesen Wochen die Sprache der Arapahoes von Sternenhimmel, las sie ab von ihren süßen Lippen. Sie erzählte mir die vielen Legenden und Geschichten ihres Volkes, zum Beispiel auch die von der »Waka-aise-tope-win«, was so viel wie die »Vierdeckenfrau« bedeutete. Ich erfuhr, dass sich die Arapahoes die Erde in Form einer riesigen Decke vorstellten, deren Zipfel von der Vierdeckenfrau gehalten wurden. Ich wurde mehr und mehr ein richtiger Indianer, so als hätte ich nicht nur zu drei Vierteln das Blut weißer Vorfahren in mir. Manchmal, wenn die Blizzards Pause machten, für einige Tage Tauwetter kam, wodurch der Schnee zusammensackte, um dann bei dem nächsten Kälteeinbruch zu einer festen Unterlage zu gefrieren, ritt ich mit Black Horse und anderen Kriegern auf die Jagd. Wir mussten dann tief in die Wälder eindringen, wo sich das Großwild verkrochen hatte, um Futter zu finden – und sei es auch nur die Rinde der Bäume. Einige Male ritt ich aber auch auf Kundschaft. Denn immerzu sicherten Krieger – und ich war ja nun einer von ihnen geworden – das Dorf. Denn wir wussten, vor den Crows mussten wir uns hüten. Es war dann an einem Spätwintertag, als wir im Dorf die ersten bösen Nachrichten bekamen. Die Abgesandten kamen von Red Cloud selbst, dem damals obersten Häuptling der Oglala-Teton-Sioux, der auch von allen anderen Siouxstämmen, den Cheyennes und Arapahoes als oberster Führer anerkannt wurde. Es hatte eine Menge Ärger gegeben. Die Armee war dabei, längs des Bozeman-Wegs eine Kette von Forts und befestigten Armeecamps zu errichten.
Rote Wolke rief alle Stämme zum Krieg auf. Und so kamen seine Boten auch zu uns in das abgelegene Dorf, um Sprechender Büffel mit all seinen Kriegern zur Teilnahme aufzufordern. Die Botschaft lautete wörtlich: »Rote Krieger! Jetzt ist es so weit, dass sich alle Stämme zusammenschließen müssen, um gemeinsam die Flut der Weißen aufzuhalten. Denn nur noch durch einen gemeinsamen Kampf gegen diese Flut können wir uns unsere Heimat und unser Recht zu leben erhalten. Jeder rote Krieger hat die Pflicht, an diesem Überlebenskampf des roten Mannes teilzunehmen.« Die Boten trugen dies mit großem Ernst in unserem »Tiotipi«, dem Ratszelt, vor. Ich gehörte zu den auserwählten Kriegern, die zu der Versammlung im Ratszelt geholt wurden. Und als die Boten von Rote Wolke gesprochen hatten, da sah uns Sprechender Büffel der Reihe nach an und fragte jeden nach seiner Meinung. Black Horse sagte: »Ja, wir müssen kämpfen – alle gemeinsam. Es geht um unsere Jagdgründe, um unsere Heimat und es geht um die Zukunft unserer Papuses.« Papuse, dies war der Name für Kinder. Nach Schwarzes Pferd sprachen Gelbvogel, Rothorn, Springender Fuchs und Regendonner. Sie alle waren für den Kampf, denn sie wussten längst, dass die Flut der Weißen immer mächtiger wurde. Dann richtete Sprechender Büffel seinen fragenden Blick auf mich. Nun musste ich meine Meinung dazu sagen. Und in diesem Moment wurde ich mir bewusst, dass ich ja eigentlich zu drei Vierteln ein Weißer war. Gewiss, ich hatte als Rebell der Südstaaten gegen die Union gekämpft. Sie hatten mich auch als Gefangenen übel behandelt, sodass ich mit großem Vergnügen einen Major verprügelte und ihn ausraubte, ihm nicht mal die Stiefel ließ. Doch jetzt… Was sollte ich sagen? Die Wahrheit? O verdammt, diese Wahrheit war schlimm. Ich leckte mir über die trocken gewordenen Lippen. Und sie alle im Ratszelt sahen auf mich. Ich mochte sie inzwischen alle. Sie waren meine Freunde und Brüder geworden. Sprechender Büffel aber war mein Vater. Keinen hatte ich bisher enttäuscht. Obwohl ich ja eigentlich ein fremder Eindringling in ihre Dorfgemeinschaft war und ihre Prinzessin erobert hatte, auf welche sich wahrscheinlich der eine oder andere Krieger Hoffnungen gemacht hatte, war keiner mein Feind. Sicher, ich hatte mir auch viel Mühe gegeben, einer von ihnen zu werden. Ja, ich war ein Arapahoe-Krieger geworden, ein guter Jäger, dessen Name ein großer Kriegsname war, nämlich Fünftöter oder Fünf Tote. In meiner Adlerfeder, die ich in meinem lang gewordenen Haar trug, waren fünf Einschnitte, und jeder Einschnitt war wie eine Tapferkeitsmedaille, bedeutete einen toten Feind. So war das nun mal. Ich war ein Arapahoe geworden aus Liebe zu Sternenhimmel – und weil die Armee mich hängen würde. Immer noch sahen sie mich fordernd an. Und so musste ich endlich sprechen. Langsam sagte ich in ihrer Sprache, die ich inzwischen gut beherrschte und die man durch Handbewegungen noch ergänzte: »Ihr wisst, ich war ein Häuptling im Süden – kein großer, aber einer, der mehr als hundert Krieger anführte. Ich kämpfte innerhalb
einer großen Kriegsmacht des Südens gegen die Mila hanska des Nordens, gegen die Blaubäuche, mit denen wir es hier zu tun bekommen werden. Wir Krieger aus dem Süden wurden besiegt, obwohl wir viele Blaubäuche töteten – sehr viele, mehr noch, als die vereinten Stämme insgesamt an Kriegern aufbieten können. Denn die Macht der Blaubäuche im Osten – für uns im Süden kamen sie aus dem Norden – ist gewaltig. Um das zu erkennen, muss man in ihren großen Städten an der Ostküste gewesen sein. Ihr könnt euch das sonst gar nicht vorstellen. Es tut mir tief in meinem Herzen weh, euch sagen zu müssen, dass ihr einen Krieg nicht gewinnen könnt.« Nun starrten sie mich böse an, und ein Atem von Feindschaft wehte gegen mich. Ich hob die Hände. »Ihr habt ein Recht darauf, dass ich euch die Wahrheit sage. Und ich bin hier der Einzige von uns Kriegern, der die Macht der Weißen und deren Soldaten kennt. Ich habe mit meinen Kriegern fünf Jahre gegen sie gekämpft und viele getötet. Und die vereinigte Kriegsmacht des Südens war hundert Mal stärker als die Kriegsmacht, welche Rote Wolke wird aufbieten können. Dennoch verloren wir gegen die Mila hanska der Wasicuns.« Nun hatte ich alles gesagt. Eine Weile schwiegen sie. Dann fragte Sprechender Büffel ruhig: »Und was sollen wir deiner Meinung nach tun, Fünftöter? Uns ergeben? Alles hinnehmen und ertragen? Sie würden uns zusammentreiben und in ein Land bringen, das kein Weißer haben will. Dort wären dann unsere Jagdgründe – nur, dass es dort kaum etwas zu jagen gäbe. Sollen wir deiner Meinung nach kampflos aufgeben?« Als er verstummte, da murmelten sie drohend. Ich war plötzlich ein Fremder unter ihnen. Und so schüttelte ich den Kopf. »Es wird darum gehen, einen guten Friedensvertrag abschließen zu können, einen, den sie nicht bald schon wieder brechen können, weil das für sie zu teuer würde. Es wird darauf ankommen, dass sie den roten Mann und dessen Stämme respektieren. Lieben werden sie die Indianer nie, aber Respekt sollten sie haben. Sie müssen begreifen, was es sie kostet, wenn sie einen letzten Friedensvertrag brechen.« Als ich verstummte, da staunte ich über meine Worte. Ja, ich hatte wie ein Roter gesprochen, denn aus allem, was ich sagte, konnte man nur eine einzige Folgerung ziehen. Sprechender Büffel sah mich an und nickte mir zu. »Also müssen wir alle kämpfen und einen wirklich großen Sieg erringen«, sprach er langsam Wort für Wort. »Es muss so ein großer Sieg sein, dass danach der Frieden sicherer wird.« Ich nickte langsam, und mir war nicht wohl in meinem innersten Kern. »Aber solch ein Frieden hängt auch von dem Mann in Washington ab, den ihr als den Großen Weißen Vater kennt. Von ihm und seinen Beratern hängt ab, ob man den roten Mann so respektieren wird, dass man diesmal den Friedensvertrag nicht bricht aus irgendwelchen Gründen, die sich ja immer finden lassen, wenn man Krieg machen möchte. Ich habe alles gesagt.« Als ich verstummte, war kein Anprall von Feindschaft mehr zu spüren. Vorhin noch hatte es mich wie ein kalter Atem getroffen, doch jetzt war alles wieder gut. Denn
eigentlich hatte ich mich ja wie sie für den Krieg entschieden. Ja, ich wurde mir dessen erst jetzt so richtig bewusst. Aber war ich nicht einer von ihnen geworden, ein Krieger, den sie Fünftöter nannten und der mit ihrer Prinzessin verheiratet war nach Arapahoe-Brauch? Sprechender Büffel nickte mir zu und sagte: »Das waren weise Worte eines erfahrenen Kriegers.« Er wandte sich an die drei Abgesandten von Rote Wolke. »Ich werde kommen mit all meinen Kriegern, wenn es Herbst geworden ist und wir genügend Vorräte für den Winter gesammelt haben. Denn wenn ich mit meinen Kriegern dieses Dorf verlasse, dürfen die Frauen, Kinder und Alten keine Not leiden. Wohin soll ich mit meinen Kriegern kommen?« Einer der Abgesandten sagte knapp: »Kommt zu den schattigen Abhängen der BigHorn-Berge beim Piney Fork Creek. Dort bauen die Mila hanska seit dem vergangenen Sommer schon ein großes Fort. Fast tausend Mann sind schon dort, aber seit dem Sommer verlieren wir jeden Tag einige. Der Name dieses Forts ist ›Phil Kearney‹. Wenn wir es bis zum nächsten Winter vernichten können, werden die Weißen nie wieder ein Fort in unserem Land zu bauen versuchen.« Als er verstummte, sagte einer der beiden anderen Abgesandten, dessen Name Gelber Rüde war: »Rote Wolke braucht euch und rechnet mit euch.« Dann gingen sie, um durch Eis und Schnee des Spätwinters zu einem anderen Dorf zu ziehen. Ich ging zurück zu Sternenhimmel. Sie sah mir sofort an, dass ich Kummer hatte. Und so sagte sie: »Ich weiß, es wird Krieg geben. Alle Krieger werden unser Dorf verlassen. Deshalb lass uns jeden Tag, jede Stunde und jeden Augenblick auskosten und uns unseres Glücks freuen.« Ich nahm Sternenhimmel in meine Arme. Nur der Augenblick galt jetzt. Und es waren noch mehr als fünf Monate bis zum Herbst. *** Es kam der Frühling. Alles erneuerte sich wieder. Das Grün war die erste Farbe, aber dann prangte bald die Natur in allen Farben. Auf den Wiesen die Wildblumen waren wunderschön. Die Vögel brüteten und bekamen Junge – dann auch all die anderen Tiere. Und die Kinder des Dorfes lärmten freudig beim Spiel. Ich kannte die Arapahoes nun noch besser und wusste endlich, wie eng sie mit der Natur verbunden waren. Pflanzen und Tiere sahen sie als gleichberechtigt an, als Kinder des großen Wakan Tanka oder verallgemeinert Manitou. Ich begann die Arapahoes zu lieben. Es gefiel mir, dass sie ihre Kinder niemals schlugen, sondern nach begangenen Fehlern mit ihnen vernünftig redeten, ihnen diese Fehler verständnisvoll vor Augen hielten und sie immer wieder bei ihrer Ehre packten. Lüge und Wortbruch waren verachtenswerte Vergehen. Die Mädchen wurden von ihren Müttern zu sittsamen und in allen Arbeiten sehr geschickten Töchtern erzogen, die Knaben aber kamen bei älteren und erfahrenen Kriegern in die Lehre, sobald sie dem Spielalter entwachsen waren. Es gab immer wieder
Wettkämpfe der verschiedensten Art. Jeder Junge musste einmal ein guter Krieger und Jäger werden, denn dies allein garantierte das Überleben seiner Familie in diesem so harten Land. Eines Tages sagte mir Sternenhimmel, dass auch wir im Herbst ein Kind haben würden. Und sie sei sicher, dass es ein Sohn würde. Ich verspürte in meinem Kern Freude und Erschrecken zugleich. Denn ich war ja zu drei Vierteln ein Weißer und wusste, dass die Indianer keine Zukunft hatten. Sie waren zum Untergang verurteilt, und fast war es ein Verbrechen, unter diesen Umständen noch Kinder zu zeugen. Aber ich zeigte Sternenhimmel nur meine Freude. Tief in meinem Kern jedoch wohnte nun die Sorge. *** Als ich wieder einmal mit einigen Kriegern auf Kundschaft ritt, was zugleich auch eine Jagd auf Wild war, da stießen wir – etwa einen halben Tagesritt von unserem Dorf entfernt – auf die Fährte von einem halben Dutzend Reitern. Fünf Reiter ritten unbeschlagene Mustangs, der sechste Reiter aber ritt ein beschlagenes Pferd. Die ganze Sache war ziemlich klar: Es waren Crows mit einem weißen Scout. Und sie suchten nach unserem Dorf, denn sie schwenkten stets einige Meilen nach links und dann wieder nach rechts, hielten aber die Richtung nach Westen ein. Als wir auf die Fährte stießen, führte diese wieder einmal nach links, also nach Norden. Denn wir kamen ja aus dem Westen. Schwarzes Pferd war wieder mit dabei, so wie damals. Er sah mich an und sagte: »Absaroka!« Das war das Sioux- und Arapahoe-Wort für Crows. Er stieß es verächtlich und feindlich zugleich aus. Für uns war es klar, dass wir der Fährte folgen und diesem Trupp eine Falle stellen mussten. Das war gar nicht mal schwer, wenn man die Formation des Landes kannte und sich ausrechnen konnte, wann der Streiftrupp wieder nach Westen und dann nach Süden schwenken würde, um auf Fährten zu stoßen, die von Westen her durch die Berge kamen. Wir fanden dann etwa eine Stunde später einen Creek, durch welchen sie mussten, und legten uns auf die Lauer, nachdem wir die Pferde ein Stück weggebracht hatten, damit man hier am Creek ihr Schnauben und Wiehern nicht hören konnte. Sie kamen von Norden her im Creekbett herangeritten, wollten so ihre eigenen Fährten verwischen, weil sie ja wussten, dass solch ein Arapahoedorf im weiten Umkreis gesichert wurde und von diesem Dorf aus auch immer wieder Jäger unterwegs waren. Ja, es waren sechs Reiter – und einer von ihnen war der Scout, der mit zur Pokerrunde gehört hatte, als ich jenem Leroy Spade die schöne Sternenhimmel abgewann, die nun meine Frau war. Ich erinnerte mich sogar wieder an den Namen des Scouts. Spade hatte ihn French Pete genannt. Es gab keine Gnade. Die Kerle da sollten unser Dorf auskundschaften. Und wenn sie das schaffen sollten, würde die Armee kommen. Es wäre zwecklos gewesen, würde ich von Schwarzes Pferd und den anderen Kriegern Gnade verlangt haben. Es konnte keine Schonung geben. Die da waren Crows, also
Todfeinde. Und so begannen wir zu schießen. Ich schoss French Pete das Pferd unter dem Hintern zusammen, sodass er in den Creek fiel und das Tier ihn unter sich begrub. Das Wasser war so flach, dass er nicht ertrinken konnte. Und so lebte er noch, als ich bei ihm war. Die fünf Crows aber lebten nicht mehr, waren bereits skalpiert. Ich hockte mich neben French Pete auf einen Stein. Er konnte sich unter dem Pferd nicht bewegen und starrte zu mir empor. Es ging ihm nicht gut, wahrscheinlich war sein Rückgrat gebrochen. Aber er war ein harter Bursche. Wenn er Schmerzen hatte, dann ließ er dies nicht erkennen. Er sagte heiser: »Na los, du verdammte Rothaut, gib mir den Rest. Ich spüre meinen Unterkörper nicht mehr. Der Gaul brach mir das Rückgrat, denke ich. Also töte mich. Ich schenke dir meinen Skalp!« Er hatte mich tatsächlich noch nicht erkannt, obwohl wir uns damals in Fort Laramie an die acht Stunden an einem Spieltisch gegenübersaßen. Er hatte in der Arapahoe-Sprache zu mir gesprochen. Doch ich erwiderte wie ein weißer Mann: »Tut mir Leid, French Pete. Du hättest nicht mit einer Bande Crows herkommen sollen. Das war falsch.« Er staunte mich an – und seine Gedanken sausten jetzt in seinem Kopfe tausend Meilen in der Sekunde. Dann ächzte er: »Ach ja, jetzt erkenne ich dich. Du bist doch der Bursche, der von Leroy Spade die grünäugige Katze gewann. Und in Laramie gibt es einen Major, der tausend Dollar an jeden zahlt, der ihm sein Pferd zurückbringt und deinen Skalp. Oho, hat sie dich zu einem Indianer werden lassen?« Seine Stimme höhnte zuletzt. Er war am Ende seines Weges angelangt und wusste das so sicher, wie bisher noch nichts anderes in seinem ganzen Leben. Und so wollte er den raschen Tod. Schwarzes Pferd trat neben mich und blickte ebenfalls auf French Pete nieder. Er hielt dabei sein Gewehr am Kolbenhals gepackt und mit der Mündung nach unten. Nun starrte French Pete zu ihm empor und sagte böse mit heiserer Stimme: »Dann gib du mir endlich den Tod, Hundefresser. Ich schenke dir auch meinen Skalp. Denn dieser verdammte Texaner da, der jetzt eine Rothaut wurde, der will ihn nicht. Los, drück ab!« Und Schwarzes Pferd drückte ab. Er kannte keine Gnade gegen einen weißen Scout, der mit fünf Crows gekommen war, um unser Dorf zu finden. French Pete hatte plötzlich ein Loch mitten in der Stirn. Schwarzes Pferd wandte sich zu mir, sah mich eine Weile schweigend an und sagte dann langsam: »Ich kann verstehen, dass du ihn nicht töten wolltest, einfach nicht konntest, weil er ein weißer Mann war. Aber wenn du wirklich zu uns gehören willst als ein Arapahoe-Krieger, dann wirst du Wasicuns töten müssen. Denn sie werden immer wieder kommen, um unser Dorf zu finden. Und wenn sie es finden, werden sie es vernichten. Am Sand Creek wurde vor wenig mehr als einem Jahr der größte Teil des Arapahoe-Volkes vernichtet. Sie töteten viele Frauen und Kinder unter der Führung des Schlächters Chivington. Seitdem verstecken wir unsere Dörfer und schützen sie. Denk darüber nach, Fünftöter. Deine Squaw wird bald ein Kind von dir bekommen. Würde es dir gefallen, wenn Colonel Chivington mit seiner Miliz nochmals über ein Arapahoe-Dorf
herfallen und alles töten würde, vom Säugling angefangen bis zum Greis?« Die Stimme von Schwarzes Pferd wurde immer härter und unversöhnlicher. Er wartete nicht auf meine Antwort, sondern verließ mich wieder. Ich stand bei French Petes Leiche. Dann fiel mein Blick auf sein Pferd, das über ihm lag. Im Sattelschuh steckte ein Gewehr. Es war eine Sharps, eine so genannte »Sharps Buffalo« vom Kaliber 45-120-550. Es war ein schweres Ding, mit dem man noch auf vierhundert Yards genau treffen und mit einer einzigen Kugel den stärksten Büffel töten konnte. Ich weiß nicht, was mich dazu antrieb, aber in mir war plötzlich der Wunsch oder Wille, dieses schwere Gewehr zu besitzen. Und so nahm ich es an mich mitsamt dem Sattel, an welchem ja der Sattelschuh befestigt war. In einer der Satteltaschen fand ich reichlich Munition. Als ich damals an jenem Creek French Petes Buffalo Shooter an mich nahm, da konnte ich noch nicht ahnen, was mir das Schicksal damit in die Hand spielte. Wir ritten heim ins Dorf, denn wir wussten, nun würden wir gewiss mehr als zwei Wochen Ruhe haben vor den Spähern der Crows oder Scouts aus Fort Laramie. French Pete und dessen Spähtrupp mussten erst überfällig werden, bis man neue Späher aussandte. Und gewiss suchte man nicht nur nach dem verborgenen Dorf von Sprechender Büffel, sondern auch nach anderen Dörfern der vielen Stämme. Es gehörte gewiss zur Strategie der Armee, all diese verborgenen Dörfer anzugreifen, um der vereinigten Kriegsmacht der Stämme die Basis zu entziehen. Ja, damit war zu rechnen. Ich kannte mich da aus, denn ich hatte fünf Jahre gegen die Yankees gekämpft und wusste Bescheid über deren Taktik. Wenn die Dörfer der vereinigten Stämme in die Hand der Armee fielen, würden die Krieger kapitulieren müssen. So einfach schien das zu sein. *** Es wurde irgendwann Herbst. Die bunt gewordenen Bäume verloren ihre Blätter. Der Indianersommer war längst vorbei. Unser Dorf hatte jetzt Vorräte bis zur nächsten Jagd im nächsten Jahr. Aber würden wir dann noch auf Jagd gehen können? Es herrschte eine gedrückte Stimmung im Dorf. Sie alle wussten, dass die Krieger nun in den Krieg reiten mussten. So hatte es Rote Wolke gefordert – und Sprechender Büffel ihm versprochen. Es war in einer Nacht, als Sternenhimmel mir einen Sohn schenkte. Die Hebamme des Dorfes brachte ihn mir aus dem Tipi ans Feuer. Er krähte gegen den Sternenhimmel und strampelte ein wenig in meinem Arm, so wie er es ja im Leib seiner Mutter schon getan hatte. Ich trat dann ins Zelt und kniete mit meinem Sohn im Arm bei Sternenhimmel nieder. Im Feuerschein funkelten ihre Augen. »Ich danke dir und unserem Gott im Himmel«, sagte ich heiser vor innerer Bewegung. »Er wird so werden wie du«, flüsterte sie. Ich legte mich mit unserem Sohn zu ihr und vergaß einen Moment meine Sorgen. Verdammt, es war ja noch alles gut. Ich hatte eine schöne Frau, die mich liebte und mir einen Sohn geschenkt hatte. Nun waren wir eine Familie, und man sollte eigentlich jeden Augenblick genießen, den das Schicksal uns schenkte. Vielleicht bekamen die Indianer doch endlich einen Friedensvertrag, der ihnen ihre
Heimat garantierte und der nicht so schnell wieder von den Weißen gebrochen wurde. � *** Es war drei Tage später, als man die maßgebenden Krieger ins Ratszelt rief. Sprechender Büffel erwartete uns. Er wirkte ernst, ganz wie ein Mann, der sich der großen Tragweite einer nun fälligen Entscheidung bewusst ist. Er kam auch sofort zur Sache, denn er sagte: »Wir können Rote Wolke nicht länger warten lassen. Er hat unser Versprechen, und wir sollten nicht die letzten von allen Kriegern sein, die zu ihm stoßen. Unser Dorf ist versorgt bis zum späten Frühling. Nun sind wir frei für den Krieg. Der Winter wird bald kommen. Es wird ein Kriegswinter sein, dessen Ende viele von uns nicht mehr erleben werden. In Wanagi Yata sehen wir uns alle wieder irgendwann.« Als er geendet hatte, da murmelten wir alle: »H’g’un, Ni’inaei!« Und das hieß so viel wie Mut und gute Jagd, diesmal auf den Krieg bezogen. Und Schwarzes Pferd stieß hervor: »Hopo, gehen wir!« Sprechender Büffel hob die Hand, und so verstummte das sich erhebende Gemurmel wieder. Wir sahen ihn an. »Wir reiten nicht alle«, sagte er ernst und deutete auf mich. »Du bleibst hier und bist der Beschützer unseres Dorfes. Du wirst mit den Alten und Knaben unser Dorf beschützen. Wir vertrauen dir an, was wir alle lieben und verehren und wofür wir in den Kampf ziehen: unsere Kinder, unsere Squaws, unsere Alten, unsere Zukunft. Fünftöter, du bist einer unserer größten Krieger. Ich weiß, du wirst uns nicht enttäuschen.« Oha, er war schlau, dieser Sprechende Büffel. Er wollte mich schonen, nicht von mir verlangen, dass ich möglichst viele Menschen meiner Rasse umbrachte. Aber er wusste, ich würde es tun, wenn dieses wehrlose Dorf angegriffen werden sollte. Ja, dann würde ich wie ein Teufel gegen jeden Weißen kämpfen. Ich begriff ihn sofort. Und so blieb mir jeder Protest im Halse stecken. Stattdessen sagte ich: »Es wird mir eine Ehre sein, unser Dorf zu beschützen. Ich danke euch, dass ihr mich dieser Aufgabe für würdig haltet. Ich schwöre, dass ihr es nicht bedauern müsst.« Sie sahen mich schweigend an. Ich erwiderte ihre Blicke, ließ sie erkennen, dass ich zu meinem Wort stehen würde bis in die Hölle und zurück. Aber das war ich ihnen ja auch schuldig. Sie verlangten nicht von mir, mit ihnen in den Kampf zu reiten und Männer meiner eigenen Rasse zu töten. Dafür durften sie erwarten, dass ich ihre Familien beschützte. »Dann werden wir nach Nachtanbruch aufbrechen«, sagte Sprechender Büffel. »Und denkt daran, die Wolfsfellkleidung mitzunehmen. Denn der Winter wird hart werden rings um Fort Phil Kearney.« *** Als sie bei Nachtanbruch unter der Führung von Sprechender Büffel aufbrachen, da stand ich mit Sternenhimmel inmitten der Frauen, Kinder und Alten.
Die Krieger hatten schon Abschied genommen. Genau siebenundfünfzig Mann ritten hinter Sprechender Büffel und verschwanden nach Osten zu in der Nacht. Sie würden stets nur in den Nächten reiten und bei Tage rasten. Ihr Ziel waren die Big-Horn-Berge am Piney Fork Creek. Ich blieb als einziger vollwertiger Krieger zurück. Irgendwie ahnte ich, dass meine Aufgabe keine leichte sein würde. Ich war nun für etwa zweihundert Seelen verantwortlich. Sternenhimmel flüsterte, unseren Sohn im Arm, neben mir: »Mein Vater hat den besten Krieger bei uns gelassen. Unser Dorf könnte keinen besseren Beschützer bekommen haben.« Ich hoffte, sie behielt Recht. *** Am nächsten Morgen – die Luft war recht frisch, und man konnte den eigenen Atem sehen –, da sammelte ich meine »Streitmacht«. Es waren elf Krieger, von denen höchstens fünf noch reiten konnten. Und es waren dreizehn Knaben zwischen zehn und vierzehn Jahren. Aber sieben dieser Knaben waren fast schon in jenem Alter, da sie hinausgingen in die Einsamkeit, um zu fasten und Verbindung zu suchen mit Wakan Tanka und dessen Stimme zu hören. Ich wusste, sie hatten von ihren Vätern oder älteren Brüdern schon viel gelernt. Auf sie würde ich mich verlassen können. Denn sie brannten darauf, sich zu bewähren. Und so sagte ich zu jenen sieben Knaben: »Ihr werdet schon bald Krieger sein. Deshalb vertraue ich euch besonders. Ihr seid ab nun die Augen und Ohren dieses Dorfes. Reitet einen halben Tag nach Osten. Fünf von euch bilden dann einen Bogen in weiten Abständen, der sich von Süd nach Nord über Ost biegt. Und zwei von euch werden abwechselnd jeden Tag hier melden kommen, was sich von Fort Laramie her unserem Dorf nähert. Nach einer Woche lösen euch die fünf alten und erfahrenen Krieger ab. Dann werden zwei jüngere Knaben die Meldereiter sein.« Sie nickten zu meinen Worten. Und damit war vorerst alles geregelt. Das Dorf wurde bewacht wie immer. Ich hatte Augen und Ohren weit entfernt auf der Lauer. Sie würden die Canyons und Schluchten beobachten, aus denen das Unheil kommen konnte, und von hohen Punkten aus die Ebene zwischen den Bergzügen überblicken. Und in den Nächten würden sie lauschen. Nichts würde ihnen entgehen, so wie uns erwachsenen Kriegern nichts entgangen war. Und so vergingen die Tage und reihten sich zu Wochen. Wir erfuhren vorerst nichts von den Ereignissen bei Fort Phil Kearney. Und auch von Fort Laramie kamen keine Patrouillen oder Spähtrupps von Crows, die von weißen Scouts geführt wurden. Doch ich zweifelte nie daran, dass der Major, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, mich haben wollte. Irgendwie wusste ich instinktiv, dass er eines Tages kommen würde, spätestens dann, wenn ein Späher ihm die genaue Lage des Dorfes melden konnte. Dann würde er wissen, wo er mich oder zumindest meine Frau finden konnte. Die Tage und Wochen vergingen also. Es wurde früher Winter.
Unser Sohn entwickelte sich prächtig. Und Sternenhimmel war mir eine gute Frau, die mich mit dem Herzen liebte und immer wieder glücklich machte. Im Dorf herrschte aber eine gedrückte Stimmung, so als lebte man unter einer drohenden Wolke des Unheils. Denn alle wussten, viele Krieger würden nicht wiederkommen. Denn es konnte keinen Krieg ohne Tote geben. *** Es war kurz nach Weihnachten, als ich Meldung bekam, dass sich wieder einmal einige Crows unserem Gebiet näherten und überall im Schnee nach Fährten suchten. Der Schnee, dies war nämlich die große Gefahr. Wenn sie nur eine einzige Fährte fanden, die von unserem Dorf kam, brauchten sie dieser nur zu folgen. Ich schwang mich auf meinen Duke und ritt los, das schwere Büffelgewehr im Sattelschuh. Ich wusste, bald würde ich es benutzen müssen, um auf weite Entfernung zu töten. Ich musste etwa zehn Meilen weit auf der Fährte des Melders reiten, bis ich auf einen weiteren Knaben traf. Er lag im Schnee auf dem Kamm eines Hügels und hatte das Gewehr auf einem Stein liegen, um möglichst gut zielen zu können. Ich legte mich neben ihn. Er sah mich mit funkelnden Augen an und sagte mit vibrierender Stimme: »Gleich töte ich meinen ersten Feind.« Er tat mir Leid, denn er war ja noch ein Knabe von etwa dreizehn Jahren, noch kein Krieger. Dennoch musste er töten. Ich sah vom Kamm des Hügels über die kleine Ebene hinweg nach Osten. Ja, da kamen sie, und sie jagten zwei von meinen Knaben-Kriegern. Die beiden Jungen ritten wie die Teufel auf ihren Pintos und hatten etwa zweihundert Yards Vorsprung. Hinter ihnen ritten vier Verfolger, drei Crows und ein Weißer. Der Knabe neben mir sagte: »Das sind die Söhne von Weißer Bär und Zwei Lanzen. Sie lassen sich absichtlich jagen, damit ich ihre Verfolger von hier oben abschießen kann, wenn diese nahe genug sind.« Ich begriff das Spiel, welches sich die Jungen ausgedacht hatten, um sich Kriegsruhm zu erwerben, ohne schon Krieger zu sein. Es war ein gefährliches Spiel. Denn die Verfolger schossen immer wieder auf die beiden Flüchtlinge. Und wenn die Entfernung auch sehr weit war für Schützen auf galoppierenden Pferden, so konnte es doch einen Zufallstreffer geben. Und so geschah es auch schon im nächsten Moment, kaum dass ich dies befürchtet hatte. Das Pferd des einen Knaben brach plötzlich mit der Hinterhand zusammen, wollte wieder hoch, konnte aber nicht. Es hatte eine Kugel ins Hinterteil bekommen. Nun stürzte das Tier endgültig. Der Junge kam gut aus seinem Indianersattel, rollte durch den Schnee und sprang auf, hielt den Kriegsbogen in den Händen und holte sich einen Pfeil aus dem Köcher, der ihm hinter dem Rücken hing. So wartete er auf die Verfolger, wollte sich zum Kampf stellen. Der andere Junge aber riss indes sein Pferd herum und ritt zurück. Neben mir der Knabe stöhnte und stieß hervor: »Das ist noch zu weit. So weit schießt
mein Gewehr nicht. Das ist zu weit.« Ich sah, dass es ein alter Vorderlader war, den er hätte immer wieder blitzschnell nachladen müssen, um mehrmals schießen zu können. Aber ich konnte ihn beruhigen. Ich sagte: »Mach dir keine Sorgen, Sohn von Schwarzes Pferd. Ich habe eine gute Medizin.« Dabei klopfte ich gegen den Kolben meiner Sharps, die ich mit mir nahm, als ich mich vom Pferd geschwungen hatte. Auch eine Hand voll Patronen hatte ich in der Tasche. Ich legte den Lauf auf einen Stein und stellte dann das Visier auf dreihundertundfünfzig Yards. Im Lauf war die Patrone. Ich spannte nur noch den Hahn und musste dann warten, bis die vier Reiter die eingestellte Visierentfernung erreicht hatten. An der Spitze ritt ein Crow, ganz in Wolfsfell gekleidet. Meine Kugel stieß ihn wie eine unsichtbare Faust aus dem Sattel. Er überschlug sich vom Pferd nach hinten in den Schnee. Bis auf fünfzig Yards war er an die beiden Indianerbuben herangekommen. Ich schob die zweite Patrone in den Lauf, spannte den Hahn und zielte abermals kurz. Auch diesmal traf ich voll. Die schweren Geschosse, die auf diese Entfernung einen starken Büffel fällen konnten, ließen Menschen keine Chance. Der zweite Crow war bis auf etwa dreißig Yards an die beiden Knaben herangekommen. Jener, der sein Pferd verloren hatte, saß nun hinter dem anderen, welcher zu ihm zurückgeritten war. Doch sie ergriffen immer noch nicht die Flucht. Sie verharrten, so als wären sie Zuschauer auf sehr sicheren Plätzen und als könnte ihnen nichts geschehen. Ich schob die dritte Kugel in den Lauf und spannte abermals den Hahn. Die beiden anderen Verfolger – es waren nur noch ein Crow und der weiße Scout – drehten ab. Sie wussten jetzt Bescheid, hörten gewiss auch am Krachen meines Gewehres, was da für ein Ding auf sie schoss. Sie waren für meine Visiereinstellung nun etwas zu nahe. Und so wartete ich, bis sie wieder dreihundertundfünfzig Yards entfernt waren, und begann dann erneut zu schießen. Wieder fegte die Kugel einen Crow vom Pferd. Dann stellte ich das Visier auf vierhundert Yards. Es war eine verdammt weite Entfernung. Reiter und Pferd waren ziemlich klein, doch auf dem weißen Schnee gut zu erkennen. Nein, ich durfte den weißen Scout nicht entkommen lassen. Die vier Späher waren nun schon so weit an unser Dorf herangekommen, dass beim nächsten Mal eine Kavallerieabteilung kommen würde oder vielleicht eine starke Miliztruppe unter der Führung dieses »Colonel« Chivington. Er war schon etwas mehr als vierhundert Yards entfernt, als ihn meine Kugel vom Pferd holte. Der Junge neben mir stieß einen wilden Schrei aus und sprang hoch. Ich erhob mich langsam, und es war eine Bitterkeit in mir, vielleicht sogar eine tiefe Resignation. Denn ich hatte wieder töten müssen. Das hatte ich fast fünf Jahre lang während des Krieges als Soldat getan, und auch jetzt war dies wohl immer noch mein Schicksal. Verdammt, warum war das so auf dieser Welt? Ich saß auf und ritt hinunter.
Der Sohn von Schwarzes Pferd folgte mir. Die beiden anderen Knaben schlossen sich uns an, sobald wir sie passierten. Sie starrten mich ehrfürchtig an, so als wäre ich ein Medizinmann mit einem großen Zauber, und keiner sagte etwas, weil ihre Ehrfurcht ihnen sozusagen die Sprache verschlug. Die drei Crow-Späher waren tot. Aber der weiße Scout lebte noch, obwohl er schon viel Blut verloren hatte. Meine Kugel hatte ihm das Rückgrat zerschmettert. Als ich mich neben ihm im Schnee auf die Fersen niederhockte, da öffnete er die Augen und starrte zu mir hoch. »He«, stöhnte er, »bist du dieser Texaner, der jenem Leroy Spade die Squaw beim Kartenspiel abgewinnen konnte und mit ihr zu ihrem Stamm ging, um dort wie eine Rothaut zu leben?« Ich nickte wortlos. Er schloss einen Moment seine Augen und sammelte Kraft. Als er mich wieder ansah, verzerrte er sein Gesicht. Und dann wollte er auch als Verlierer noch einmal triumphieren, denn er sagte stöhnend: »Ihr habt keine Chance hier. Der Major lässt nicht locker. Der will immer noch sein Pferd zurück und deinen Skalp.« Ich nickte und fragte: »Wie heißt er überhaupt – ich meine, wie ist der Name dieses Majors?« »Barkley, Elliot Barkley. Und wenn er erst weiß, wo das Dorf liegt, zu dem du gehörst, dann wird er sich vom Colonel die Erlaubnis geben lassen, dich mit mehr als hundert Mann höchstpersönlich zu besuchen. Darauf kannst du wetten.« Er hatte nun alles gesagt. Seine Stimme klang immer schwächer, die Sprache immer undeutlicher. Manche Wörter musste ich erraten. Aber eigentlich hatte er nichts Neues gesagt bis auf den Namen jenes Majors. Nun kannte ich ihn. Elliot Barkley, das war der Name. Ich wusste, das Schicksal hatte uns beide füreinander bestimmt. Wir würden noch aufeinander treffen. *** Oh, was hätte ich mich meines Lebens und meines Glückes freuen können, wenn kein Krieg gewesen wäre und nicht diese große Verantwortung auf mir gelastet hätte. Unser Sohn wuchs und gedieh. Sternenhimmel war eine wunderbare Frau und mein kostbarster Besitz auf dieser Erde zusammen mit unserem Kind. Es kamen in diesen Wochen des neuen Jahres einige Blizzards, die alle Fährten mit Schnee und Eis zudeckten und unser Dorf schützten, so als wäre es eine einsame Insel in einem der Weltmeere, die auf keiner Seekarte verzeichnet ist und die man erst noch entdecken muss. Wir waren von der Außenwelt abgeschnitten und wussten dennoch, dass Krieg war. Jeder im Dorf war mit seinen Gedanken bei Sprechender Büffel und den siebenundfünfzig Kriegern. Diese Krieger waren Söhne und Väter. Wie viele lebten noch von ihnen? Hatte man Fort Phil Kearney schon vernichtet? Was mochte überhaupt alles geschehen sein dort bei den Big-Horn-Bergen am Piney Fork Creek? Als sich die Blizzards dann ausgetobt hatten und der Schnee zuerst getaut,
zusammengesackt und dann gefroren war, sodass man zu Pferd und ohne Schneetreter darauf vorwärts kommen konnte, sandte ich wieder meine Späher aus, damit diese uns weit, weit vom Dorf entfernt schon die Annäherung von Feinden melden konnten durch unsere beiden Meldereiter. Und dann kamen Gelbvogel und Rothorn, zwei Krieger, die mit Sprechender Büffel zum Piney Fork geritten waren, um am Kampf um Fort Phil Kearney teilzunehmen. Es war inzwischen Februar geworden. Gelbvogel und Rothorn kamen mit letzter Kraft. Sie waren Krüppel geworden. Sprechender Büffel hatte sie deshalb heimgesandt. Ein Säbelhieb hatte Gelbvogel den halben Unterarm mit der Hand abgeschlagen. Rothorn aber hatte eine von einer Kugel zerschmetterte Schulter. Sie konnten beide nicht mehr wie vollwertige Krieger kämpfen. Und der harte Weg bis zu unserem Dorf hatte ihnen fast den Rest gegeben. Durch sie aber kamen endlich die ersten Nachrichten vom Kampf um Fort Phil Kearney zu uns ins Dorf. Ich saß am nächsten Tag mit Gelbvogel und Rothorn im Ratszelt und ließ mir alles von ihnen berichten. Nach und nach konnte ich mir ein Bild machen. Demnach wurde Fort Phil Kearney Ende Oktober fertig und wurde sozusagen feierlich eingeweiht mit Flaggenparade, Musik und Kanonendonner. Reden wurden geschwungen. General Hazen war aus Laramie gekommen. Doch welchen Preis hatte die Armee bezahlen müssen! Die Indianer hatten fast zweihundert Skalpe erbeutet und mehr als ein halbes Dutzend Angriffe und Überfälle durchgeführt während der gesamten Bauzeit. Doch dies alles war noch gar nichts, sondern erst der Anfang. Gelbvogel und Rothorn erzählten mir dann abwechselnd von dem großen Kampf, bei dem sie fast hundert Mann einer ausgerückten Abteilung vernichteten. Und ich saß mit gesenktem Kopf schweigend da, als sie verstummten. Eines wusste ich: Gelbvogel und Rothorn hatten von Fort Phil Kearney her eine deutliche Fährte gezogen. Und eine Truppe von Fort Laramie war nach Fort Phil Kearney gekommen, um es vor der Vernichtung zu retten. Wenn auch der Major dort bei Fort Phil Kearney war, dann konnte er sich gewiss nicht herauswagen. Dann waren wir hier sicher. Doch wenn er in Fort Laramie zurückgeblieben sein sollte – und wenn… Ich wollte gar nicht weiterdenken. Doch eines wusste ich: Auf der Stelle musste ich selbst hinaus, um Auge und Ohr unseres Dorfes zu sein. Auf meine sieben Knaben und die fünf Alten konnte ich mich nun nicht mehr verlassen. *** Mein Abschied von Sternenhimmel und unserem Sohn war schwer. Ich hatte ein ungutes Gefühl, irgendwie eine böse Ahnung. Es war ein kalter Nachmittag, als ich in Wolfsfelle gehüllt das Dorf verließ. Der Schnee lag nur wenige Zoll hoch auf einer gefrorenen Schicht. Ich kam gut vorwärts auf Duke. Als die frühe Nacht kam, blieb ich in Bewegung. Mond und Sterne begannen zu
strahlen. Es wurde eine helle Winternacht. Etwa eine Stunde vor Mitternacht erreichte ich jenen Hügelkamm, von dem aus man das Maul eines Canyons beobachten konnte jenseits einer Ebene. Dieser Canyon war einer der möglichen Wege zu uns. Hier mussten zwei meiner Späher sein. Ich hatte sie anders eingeteilt und stets einen der alten Krieger und einen der Knaben zusammengetan. Ich fand sie wenig später. Beide waren tot, lagen im Schnee und waren schon kalt. Ihr Tod musste vor Stunden eingetreten sein. Und der Mörder war von hinten gekommen. Denn die Pfeile steckten noch in ihren Rücken. Ein außergewöhnlicher Bogenschütze musste sich von hinten angeschlichen haben und zweimal zum Schuss gekommen sein. Vielleicht war der alte Krieger sogar eingenickt und hatte gar nicht mitbekommen, dass sein noch so junger Gefährte bereits getroffen war. Beide Tote waren skalpiert. Crows! Dieses Wort war wie ein Schrei in mir. Ich wirbelte herum – und da traf mich der Pfeil in die Seite. Der schwere Colt war wie durch einen Zauber in meiner Hand und stieß krachend das Mündungsfeuer aus. Jene Gestalt, die im Schnee verborgen lag und sich erst aufgerichtet hatte, als ich bei den Toten war, hatte in aller Ruhe auf mich zielen und den Pfeil fliegen lassen können. Ich erwischte ihn mit dem ersten Schuss. Dann verharrte ich stöhnend. Meine böse Ahnung hatte sich bewahrheitet. Nun war ich angeschossen. Ein Kriegspfeil steckte in meiner Seite. Das Wolfsfell hatte ihm gewiss nur wenig Widerstand entgegensetzen können. Ich stöhnte vor Schmerz. Die Luft blieb mir weg. Und die Furcht stieg in mir hoch. Denn was würde sein, wenn ich ausfiel? Sprechender Büffel und dessen siebenundfünfzig Krieger hatten mir den Schutz des Dorfes anvertraut. Und nun steckte ein Pfeil in meiner Seite. Wie tief war er eingedrungen? Das war meine bange Frage. Konnte ich ihn mit einem Ruck herausreißen? Ich fasste mit meiner rechten Hand den Schaft dicht am Körper. Und dann wagte ich es. Was blieb mir anderes übrig? Ich musste es versuchen. Mit all meiner Kraft riss ich das verdammte Ding heraus. Dabei schrie ich gellend vor Schmerz. Ich bekam das Mistding tatsächlich heraus. Natürlich riss ich mir dabei eine große Wunde. Es wurde mir schwarz vor Augen von diesem wahnsinnigen Schmerz. Wahrscheinlich wurde ich einen Moment lang ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, hockte ich im Schnee. Verdammt, was wurde mir jetzt von meinem Schicksal auferlegt? Durch welche Hölle musste ich jetzt gehen? Der Schmerz ließ langsam nach, wurde erträglicher. Und so begann ich endlich wieder zu denken. Zuerst nahm ich mein Halstuch ab,
welches ich wie einen Schal unter der Wolfsfelljacke trug, und stopfte damit so gut es ging die blutende Wunde zu. Dass die Wunde heftig blutete, war sicherlich gut für mich. Denn solch eine Pfeilspitze konnte einem verdammt schnell das Blut vergiften. Indes ich dies instinktiv tat, rasten in meinem Hirn die Gedanken. Die Frage war, ob dieser Bursche, der mir den Pfeil in die Seite geschossen und zuvor den alten Krieger und den Knaben getötet hatte, allein war. Ich konnte mich endlich wieder bewegen und ging zu dem leblos im Schnee liegenden Körper hin. Der Bursche lag auf dem Gesicht. Ich drehte ihn auf den Rücken. Ja, er war wahrscheinlich ein Crow. Unter der Felljacke trug er das blaue Hemd der Unionskavallerie. Er war also ein Indianersoldat. Nun glaubte ich nicht mehr, dass er allein war. Als ich noch darüber nachdachte, hörte ich Pferde wiehern. Ich nahm mein Tier mit, als ich nach den anderen Pferden zu suchen begann. Es war nicht weit, nur etwa einen Steinwurf entfernt zwischen den Felsen. Da standen die beiden Pferde, auf denen der alte Krieger und der Junge hergekommen waren. Sie hatten ihre Pferde in Deckung gebracht und sich dann einen guten Platz gesucht, von dem aus sie alles sehen konnten. Aber der Killer war von hinten gekommen. Ich seufzte bitter. Dann brachte ich die Pferde zu den Toten und lud den alten Krieger und den Jungen auf die Tiere, band die leblosen Körper fest. Als ich die beiden Tiere in Richtung Dorf davonjagte, konnte ich ziemlich sicher sein, dass sie auch dorthin laufen und die beiden Toten heimbringen würden. Ich musste mich nun keuchend niederhocken. Mir wurde wieder schwarz vor Augen. Doch die Wunde in meiner Seite hatte unter dem Druck des Halstuches offenbar aufgehört zu bluten. Nur der Schmerz war noch da. Was sollte ich tun? Es war immer noch eine helle Nacht. Deshalb war es ratsam, in Deckung zu bleiben, sich nicht auf freien Flächen zu zeigen. Ich war sicher, wenn noch mehr Feinde in der näheren Umgebung waren, würden sie irgendwo lauern. Mein krachender Revolver war in der stillen Nacht gewiss meilenweit in der Runde zu hören gewesen. Und wer ihn auch gehört haben mochte, er würde erst einmal still verharren in der hellen Nacht, sich nur dort aufhalten, wo es tiefe Schatten und die Deckung von Felsen gab. Ich ging mit meinem Pferd dorthin, wo mein Blut den Schnee rot gefärbt hatte und wo der alte Krieger und der Knabe umgebracht worden waren. Der tote Crow lag noch da, wo meine Kugel ihn getroffen hatte. Ich holte mir seinen Kriegsbogen und den Köcher mit den Pfeilen, hängte alles an das Sattelhorn meines Pferdes und setzte mich in den Schnee. Die lange Wolfsfelljacke schützte mich vor der Kälte. Es war besser zu warten, ob etwas geschehen würde. Ich spürte mit meinem Instinkt, dass überall Gefahr lauerte. *** Als es Tag wurde, schmerzte meine Wunde einigermaßen erträglich. Das Blut unter � meinem Halstuch, das ja wie eine Kompresse auf der Wunde lag, war getrocknet und �
verklebt. Ich nahm mein Pferd an kurzen Zügeln und hielt mich dicht neben dem Tier. So deckte es mich wenigstens nach einer Seite und schützte mich vor Kugeln aus dem Hinterhalt. Ja, ich nahm nun die Fährte des toten Crows auf, folgte ihr zu Fuß und war ständig bereit, mich hinzuwerfen. Der Morgen war still. Nur oben am Himmel segelten Falken und stießen dann und wann ihre Schreie aus. Nach einer Viertelmeile, die ich im Halbkreis zurücklegte, endete die Fährte des Crow zwischen dicht stehenden und verschneiten Tannen bei einem schwarzweiß gefleckten Pferd. Und hier waren noch weitere Fährten. Ich brauchte nicht lange, um mir ein Bild zu machen. Es waren fünf Reiter, die gekommen waren und hier zwischen den dichten Tannen angehalten hatten. Wahrscheinlich hatten sie hier die Nacht abgewartet. Dann war einer von ihnen – nämlich jener, den ich getötet hatte – im Halbkreis weitergegangen, war hinter die Stellung des alten Kriegers und dessen jungen Gefährten gelangt und hatte diese dann töten können. Wahrscheinlich hatte er dann den vier anderen ein Zeichen gegeben, und diese waren daraufhin schnurgerade aus der Deckung weiter nach Westen, also auf unser Dorf zu geritten. Sie waren nun zwischen mir und dem Dorf. Der Bursche, den ich getötet hatte, hatte ihnen den Weg frei gemacht und wollte auf weitere Opfer warten. Mir wurde heiß bis hinauf unter die Kopfhaut, als mir klar wurde, dass diese vier Reiter fast eine ganze Nacht Vorsprung hatten und längst in der Nähe des Dorfes angelangt sein mussten. Was würden sie dort in Gang bringen? Das war die heiße Frage. Würden sie mit vier Mann das Dorf angreifen, in dem nur Frauen, Kinder und ein paar alte Krieger waren, die nicht mehr reiten konnten? Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Denn sie mussten damit rechnen, dass die Frauen zu den Waffen griffen. Also würden sie etwas anderes versuchen. Ich wusste längst, dass Crows in ihrem Hass auf die Sioux, Cheyennes und Arapahoes zu allem fähig waren. Und vielleicht war sogar ein weißer Scout ihr Anführer, der sich die tausend Dollar, die der Major auf meinen Skalp und die Wiederbeschaffung seines Pferdes ausgesetzt hatte, verdienen wollte. Verdammt, ich musste mich höllisch schnell auf den Weg machen und dieser schnurgeraden Fährte folgen. *** Gerne hätte ich noch nach unseren anderen Spähern gesehen, die sich irgendwo rechts und links von mir befanden, aber ich durfte keine Zeit mehr verschwenden. Die Fährte der vier Reiter stieß nach einer Meile auf meine eigene Fährte, die ich durch den Schnee gezogen hatte, als ich herkam. Und dann vereinte sich auch noch die
Fährte der beiden Pferde, die ich mit den Toten heimjagte, mit den anderen Fährten. Ich ließ Duke galoppieren und konnte nur hoffen, dass ich nicht zu spät kam. Diese vier Reiter vor mir glaubten sicherlich, dass ihnen ihr fünfter Mann den Rücken freihielt. Aber das war nicht so. Meine Wunde begann bei jedem Galoppsprung meines Pferdes zu schmerzen. Es wurde ein höllischer Ritt. Bald spürte ich wieder das rinnende Blut. Es war dann schon später Vormittag, als ich in die Nähe unseres Dorfes kam und wieder vorsichtiger reiten und jede Deckung nutzen musste. Zum Glück kannte ich mich in der Umgebung unseres Dorfes gut aus, auf jeden Fall besser als die vier Feinde. Die Fährte führte in den dichten Wald hinein, der auf den Hängen der Berge stand, die das Tal unseres Winterdorfes umgaben und es vor den Eisstürmen der Blizzards schützten. Auf einer Lichtung hörte ich plötzlich Geräusche. Es waren erstickte Schreie. Keuchen, Fauchen und ein böses Knurren und Fluchen von Männern. Dazwischen ertönten klatschende Geräusche. Ich ließ mein Pferd zurück und glitt vorwärts. Der Schnee hier zwischen den Tannen war nicht tief, nur auf der Lichtung lag er höher. Bald konnte ich alles sehen. Einige Squaws waren aus dem Dorf gekommen, um hier Holz zu sammeln. Nun befanden sie sich in den Händen dreier Crows. Letztere hatten zwei der Squaws niedergeschlagen, denn ich sah zwei bewegungslose Körper im Schnee liegen. Mit drei anderen Squaws kämpften sie noch, schlugen sie, rissen ihnen die Kleidung vom Leib und waren dabei, ihnen Gewalt anzutun, sie also ohne Gnade zu schänden. Verdammt, wo war der Vierte dieser Mistkerle? Ich sah nur drei – auch nur drei Pferde. Der vierte Bursche musste weiter in Richtung des Dorfes geritten sein, wahrscheinlich, um seine Partner zu sichern. Ich wusste, wenn ich jetzt zu schießen begann mit meinem Colt, dann würde er gewarnt sein. Doch ich konnte nicht länger warten. Und so glitt ich noch ein Dutzend Sprünge vorwärts auf die Lichtung hinaus, bis ich sicher sein konnte, dass ich keinen Fehlschuss tun würde. Ja, dann gab ich es ihnen, ließ meinen Revolver krachen. Ich traf sie alle drei wahrscheinlich nicht tödlich, aber so, dass sie sich kaum noch wehren konnten, als die Squaws sie mit den Knüppeln erschlugen, die sie zuvor als Brennholz gesammelt hatten. Ja, sie erschlugen sie erbarmungslos. Wir verharrten dann keuchend. Ich hielt mir die schmerzende Seite. Diese Wunde bereitete mir nun die Hölle, und ich hätte mich gern ausgeruht und auf Linderung gewartet. Doch das ging nicht. Denn da war noch der vierte Mann. Ich sah seine Fährte drüben auf dem abwärts führenden Hang von der Lichtung wieder in den Wald verschwinden. Eine der Squaws – sie hieß Wippfeder – deutete mit der Hand dorthin. »Schnell, Fünftöter«, rief sie, »das ist ein Wasicun! Pass auf, er hat ein kleines Gewehr wie du!« Sie meinte einen Revolver.
Der vierte Mann war also ein Wasicun, ein Weißer, ein Armeescout. Und ich musste ihn erwischen. Denn wenn er mir entkam, würde er den Major zum Dorf führen. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Ich lief zu meinem Pferd zurück und kam nur mühsam in den Sattel. Meine Kraft ging zu Ende, und die Schmerzen nahmen mir immer wieder die Luft. Die Wunde blutete nun stark. Ich verlor also eine Menge Blut. Bald würde ich erledigt sein. Wenn ich nur zuvor noch diesen Scout schnappen konnte. Die Fährte führte den Hang hinunter, dann aus dem Wald heraus. Das Dorf lag nur noch eine Viertelmeile vor mir. Ich sah nun den Reiter. Er ritt links von mir, hatte einen Bogen geschlagen und sich schon vom Dorf abgewandt. Er ritt jedoch nicht auf seiner eigenen Fährte zur Lichtung zurück. Von dort hatte er ja meinen Revolver krachen gehört und sich denken können, dass seinen Begleitern etwas passiert sein musste. Deshalb schlug er den großen Bogen und war nun auf der Flucht. Einen Moment dachte ich an meine Sharps. Damit konnte ich ihn leicht abschießen, denn die Entfernung von mir zu ihm betrug kaum mehr als hundertfünfzig Yards. Doch es war zu spät. Bevor ich das schwere Gewehr auf ihn richten und ihn anvisieren konnte, würde er im Wald untertauchen. Mit einer schweren Sharps konnte man keine raschen Schnappschüsse wagen wie mit einer Winchester oder einem Spencer-Karabiner. Ich musste hinter ihm her durch den Wald. Und ich konnte mich kaum noch im Sattel halten. Als ich mein Pferd herumriss, um die Verfolgung aufzunehmen, da wusste ich bereits, dass ich verlieren würde. So kam es auch. Weil mir schwarz vor Augen wurde, wich ich einem Ast zu spät aus. Er fegte mich wie eine Stange aus dem Sattel. Ich schlug hart am gefrorenen Boden auf, der hier im Wald nur wenig mit Schnee bedeckt war. Und dann verlor ich die Besinnung. *** Ich erwachte irgendwann aus Fieberträumen und begann zu begreifen, dass ich in unserem Tipi lag und Sternenhimmel sich um mich kümmerte. Das Wundfieber wütete schlimm in mir. Diese Pfeilspitze musste eine böse Blutvergiftung verursacht haben, und das war kein Wunder, war sie doch gewiss schon oft bei der Jagd verwendet worden. Manchmal hörte ich unseren Sohn schreien, so wie es alle Säuglinge tun. Es war ein gesundes Schreien. Das beruhigte mich, obwohl ich nur mühsam zu denken vermochte. Sternenhimmel erkannte wohl in meinen Augen, dass ich wieder bei Bewusstsein war und sich in meinem Hirn wieder Gedanken bewegten. Sie lächelte auf mich nieder und sagte: »Du wirst wieder, Lance, du wirst wieder. Der Blutreinigungstee der alten Medizinfrau beginnt zu wirken. Dein böses Fieber ist fast ganz weg. Nur schwach wirst du noch sein, denn du hast viel Blut verloren, sehr viel. Wir mussten deine Wunde
ausbrennen, doch du warst so tief bewusstlos, dass du es vielleicht gar nicht spürtest. Zuerst dachte ich, du wärest tot, als wir dich im Wald fanden. Das Herz blieb mir stehen.« Sie sprach noch eine ganze Menge in ihrem Glück, dass ich es ihrer Meinung nach überstanden hatte. Ich hörte zwar noch ihre Stimme, aber ich versank immer wieder in jene bodenlosen Tiefen der Bewusstlosigkeit. Mehrmals erwachte ich in den nächsten Tagen. Immer wieder spürte ich, dass Sternenhimmel mir einen bitteren Teesud einflößte oder mich mit einer Fleischsuppe fütterte, in der sich auch viele Wurzeln und Kräuter befanden, sozusagen Indianergemüse. Und allmählich war ich wieder so weit in meinem Kopf, dass ich mir Sorgen zu machen begann. Denn ich erinnerte mich jetzt wieder an den entkommenen Scout. Deshalb fragte ich eines Tages: »Eva-Maria, wie lange liege ich hier schon so krank in unserem Tipi?« Ich nannte sie gerne Eva-Maria, so wie sie einst getauft worden war, als die Indianer noch an das Gute der Christen glaubten. Der Name gefiel mir besser als Starry Sky. Sie dachte nach und rechnete. Dann sagte sie schlicht: »Acht Tage sind vergangen, da wir dich aus dem Wald holten und ich schon glaubte, du wärest tot.« Als sie es gesagt hatte, da erschrak ich sehr. Acht Tage… Der Scout musste längst wieder in Fort Laramie angekommen sein. Und wenn der Major noch dort war, also nicht zu der Truppe gehört hatte, die ausgerückt war, um Fort Phil Kearney nach dem Blizzard zu Hilfe zu kommen, dann… Ich musste gar nicht weiter in dieser Richtung denken, um zu wissen, dass dieser Major jetzt vielleicht schon unterwegs war. Da er keine starke Kavallerieabteilung einzusetzen hatte, weil ja der größte Teil der Truppe nach Fort Phil Kearney geeilt war, würde er mit Indianersoldaten und einer Freischärlermiliz kommen, mit Crows und zum Schein vereidigten Zivilisten also, die nur durch Armbinden als Miliz gekennzeichnet waren. Ich dachte wieder an die Miliz von Chivington, die am Sand Creek das große Massaker angerichtet und fast den halben Stamm der Arapahoes niedergemetzelt hatte, nicht nur die Krieger, sondern auch Frauen und Kinder. Wenn sie hierher kamen… Ich stöhnte vor Hilflosigkeit und Furcht. Was konnte ich tun? Noch war ich nicht mal wieder auf den Beinen. Dieses Dorf würde zum Untergang verurteilt sein, wenn nicht irgendein Wunder geschah. Ich versuchte auszurechnen, wann die gemischte Truppe aus Fort Laramie hier eintreffen konnte. Und da blieben nur noch vier Tage. Vier Tage nur! Ich würde dann immer noch ein geschwächter und fast noch kranker Mann sein. Aber selbst wenn ich gesund und im Vollbesitz meiner Fähigkeiten gewesen wäre, was hätte ich schon gegen sie ausrichten können? Und so lag ich in unserem Tipi, hörte manchmal unseren Sohn krähen und sah immer wieder in Sternenhimmels liebes, schönes Gesicht. Vier Tage…
* * * � Die ganzen vier Tage und Nächte zermarterte ich mir das Hirn und suchte nach einer Lösung, einem Ausweg. Aber es gab keinen. Selbst wenn wir das ganze Dorf abbrachen und die Flucht ergriffen irgendwohin in die Berge, es hätte nichts genützt. Denn im Schnee würden wir eine zu deutliche Fährte hinterlassen haben, die vielen Pferde mit Schleppschlitten, auf denen die Zelte und die ganze Habe transportiert werden musste, die vielen Fußspuren von rund zweihundert Menschen. Wir hätten niemals entkommen können, nicht jetzt im Winter in den verschneiten Bergen. Und kämpfen konnten wir auch nicht. Das hätte den Soldaten und der Miliz nur einen Grund geliefert, uns niederzumetzeln. Wir waren ohne Chance, weil ich den Scout entkommen ließ. Manchmal wollte ich hoffen, dass der Major, auf den es ankam, gar nicht mehr in Fort Laramie war, sondern mit der Einsatztruppe nach Fort Phil Kearney beordert worden war. Dann würde der Scout ihn nicht in Laramie antreffen. Auch stand der Major dann in Fort Phil Kearney unter dem Befehl des Colonels. Doch wenn er in Fort Laramie als ranghöchster Offizier zurückgeblieben war… Daran musste ich immer wieder denken. Schon am zweiten Tag der von mir angenommenen Vier-Tage-Frist begann ich umherzulaufen. Immer wieder musste ich mich ausruhen, denn ich war sehr geschwächt. Sternenhimmel beobachtete mich immerzu mit schweigender Besorgnis und kochte mir mehrmals am Tag ein kräftiges Essen. Da ich ständig Hunger spürte, weil mein Körper die verlorene Substanz ausgleichen wollte, konnte ich auch immerzu essen. Und ich hatte auch am vierten Tag keine Lösung gefunden. Wir alle hier konnten nur hoffen, dass ein Blizzard kam, der alle Fährten zudeckte und die ausgerückte Truppe am Weiterkommen hinderte. Es brach dann der fünfte Tag an, aber es gab leider keinen Schneesturm. Das Wetter war schön. Am Vormittag dieses fünften Tages kam einer der ausgesandten Späher ins Dorf. Es war der Sohn von Schwarzes Pferd. »Die Mila hanska kommen«, meldete er. Mila hanska, das bedeutete so viel wie lange Messer. So wurden die Kavalleristen von den Indianern genannt wegen ihrer Säbel. »Nur Mila hanska?« So fragte ich. Aber er machte eine bedauernde Bewegung und sprach: »Auch viele Crows und Reiter mit weißen Armbinden.« Nun wusste ich es genau. Der Major kam mit einer Kavallerieabteilung, die er durch Indianersoldaten und Freiwilligenmiliz verstärkt hatte. Diese Milizreiter trugen weiße Armbinden. Was würde geschehen, wenn sie über unser Dorf herfielen? Würden sie die Bewohner des Dorfes nur gefangen nehmen, um das ganze Dorf in ein Reservat zu bringen? Oder würde ihnen der geringste Widerstand ein willkommener Anlass sein, ein neues Massaker zu veranstalten?
Ich wusste, die Freiwilligenmiliz bestand aus Büffeljägern, Goldsuchern und jenen Landhungrigen, die jetzt nach dem Krieg eine Chance suchten und denen die Indianer dabei im Weg standen. Diese Milizreiter wollten ein Gemetzel. Sie hassten die Roten, weil sie sich von diesen bedroht fühlten, mochten sie Büffel jagen, Gold suchen oder Land in Besitz nehmen. Ich spürte, ahnte, wusste, dass unser Dorf verloren war. Und ich konnte nichts tun. Aber ich hatte Sprechender Büffel und dem ganzen Kriegsrat versprochen, unser Dorf zu beschützen. Doch weil ich einen Scout entkommen ließ, war mein Versprechen nicht mehr zu halten. Wir waren verloren. Sternenhimmel, die mich ständig beobachtet hatte und meine Qualen sah, kam zu mir. Sie kannte ja meine Geschichte mit dem Major, ja, sie hatte ihn ja sogar, um mir beizustehen, mit einem Schüreisen niedergeschlagen. Nun sagte sie: »Wenn du ihm lebend in die Hände fallen solltest, dann wird er dich hängen. Und auch an mich wird er sich gut erinnern. Aber dennoch denkst du nicht daran, dass wir allein in die Berge flüchten, du, ich und unser Sohn?« Ich sah sie bitter an und schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte ich. »Dein Vater und der Kriegsrat haben meinen feierlichen Schwur, dass ich alles tun werde, was nur möglich ist, um unser Dorf zu schützen.« »Aber was kannst du denn tun? Wenn wir kämpfen würden, wäre das unser Tod.« »Es gibt noch eine schwache Hoffnung«, erwiderte ich langsam. »Welche?« Sternenhimmel fragte es mich mit großen Augen. Ich zögerte mit meiner Antwort, denn was mir nun vorschwebte, dies war fast unmöglich und konnte von mir nur dann vollbracht werden, wenn das Schicksal oder der Himmel auf meiner und des Dorfes Seite standen und wir noch nicht zum Untergang bestimmt sein sollten. Ich sagte zu Sternenhimmel: »Ich will versuchen, den Major oder wer auch immer der Anführer dieser Truppe sein mag, mitten aus dem Camp herauszuholen. Ohne ihn und seine Befehle werden sie vielleicht nicht kommen.« Sie starrte mich mit noch größeren Augen an. In ihren Halsadern pochte der Puls. Ja, sie hatte Angst. Aber dann gewann ihre indianische Erziehung die Oberhand. Und so neigte sie den Kopf und murmelte: »Ja, du bist der Krieger hier, der die Verantwortung trägt für uns alle. Ja, du musst alles versuchen, einfach alles. Ich bin sehr stolz auf dich, weil du uns alle zu retten versuchst, nicht nur mich und unseren Sohn. Du handelst wie ein großer Häuptling.« Damit hatte sie alles gesagt. Drinnen im Zelt krähte unser Sohn. Er war aufgewacht und wollte gefüttert werden. *** Ich ritt am späten Mittag los – allein auf Duke. Sternenhimmel mit meinem Sohn im Arm und das ganze Dorf mit allen Frauen und Kindern, dazu die alten Krieger – sie alle waren versammelt und sahen mir nach. Ich hatte ihnen gesagt, dass sie nicht kämpfen sollten, weil dies dann ihr Untergang
sein würde. Ich machte ihnen klar, dass sie den Soldaten und der Miliz keinen Grund liefern sollten, ein Massaker zu veranstalten. Ich ritt sehr vorsichtig und bog weit nach Norden aus, schlug also einen Halbkreis von West über Nord nach Ost. Denn ich musste damit rechnen, dass die Truppe Späher vorausgesandt hatte, und wollte nicht mit ihnen zusammenstoßen. Es war dann schon Nacht, als ich glaubte, die Truppe umritten zu haben. Und so war es auch. Als ich den großen Halbkreis vollendet hatte, stieß ich auf die breite Fährte. Ich befand mich nun hinter der Truppe. An der Fährte erkannte ich, dass es mehr als hundert Reiter sein mussten mit fast zwei Dutzend Packmulis. Ich musste keine zwei Meilen mehr reiten, dann sah ich die Feuer in einem Canyon. Sie hatten also angehalten, waren sich sicher, dass ihnen das Dorf nicht entkommen konnte. Wahrscheinlich hatten sie aber genügend Späher vorausgesandt, die das Dorf schon beobachteten. Ich starrte auf die Feuer im Canyon. Ob der Major tatsächlich dort war? Als ich meinen Instinkt befragte, da spürte ich, dass es nicht anders sein konnte. Die Truppe hatte angehalten. Denn der Tagesritt durch den Schnee war beschwerlich gewesen. Sie waren nicht mehr weitergekommen mit ihren erschöpften Tieren. Nun würden sie bis morgen ausruhen und gegen Mittag unser Dorf erreichen. Ja, so würde es sein. Drei große Feuer brannten. Eines hatten die Kavalleristen angezündet, die beiden anderen gehörten zu den Indianersoldaten, also den Crows und der Freiwilligehmiliz. Ich sah zum Himmel empor. Zwischen den Wolken waren große Löcher. Dort funkelten Sterne. Der Mond war noch hinter fernen Bergen verborgen und musste erst höher steigen, bevor auch er durch Wolkenlöcher sein bleiches Licht werfen konnte. Ich ritt langsam vorwärts. Aus meiner Satteltasche zog ich einen weißen Tuchstreifen, den ich mir um den rechten Oberarm band, sodass ich in der Nacht für einen Reiter der Freiwilligenmiliz gehalten werden musste, sollte ich auf jemanden stoßen. Die Kriegsfeder hatte ich aus dem Haar gezogen. Ich trug meinen alten Hut und glich in der Nacht ganz gewiss den Scouts, von denen einige Halbbluts waren. Auch in der Freiwilligenmiliz ritten solche Männer. Als ich nahe genug war, hielt ich zwischen einigen Tannen an und saß ab. Es war noch zu früh. Ich musste warten. Erst zwei oder drei Stunden nach Mitternacht, wenn die erschöpften Reiter fest genug schliefen und auch die Wachen gewiss schläfriger waren als am Anfang der Nacht, würde ich es versuchen. Zwischen den Tannen ließ ich mich nieder, um noch einmal auszuruhen und Kraft zu sammeln. Denn ich war ja noch längst nicht wieder im Vollbesitz meiner Kräfte. Der Ritt hatte mich sehr erschöpft. Mir fehlten noch mehr als sechs Kilo zu meinem normalen Körpergewicht. Ich dachte abwechselnd an Sternenhimmel, unseren Sohn, an das Dorf – und an den Major. Ja, wir waren wohl damals von Anfang an, als er mir so großspurig in den Weg
ritt und zu mir sagte: »Aus dem Weg, Rebell!«, füreinander bestimmt gewesen. Und wäre ich bis nach Alaska geflüchtet, wäre er wahrscheinlich ebenfalls vom Schicksal dorthin gebracht worden, aus welchen Gründen auch immer. Es hatte mir eine grimmige Genugtuung verschafft, ihn klein zu machen und auszurauben. Und nun? Wie würde es nun ausgehen? Immer wieder nickte ich ein und fiel in einen Halbschlaf. Aber dann – etwa zwei Stunden nach Mitternacht –, da machte ich mich auf den Weg und strebte der Bergwand links vom Canyonmaul zu. *** Oho, es war lächerlich leicht. Als ich mein Pferd am Berghang zwischen den Tannen zurückließ und mich dem Canyonmaul näherte, hörte ich den Ruf des Postens. Auch dieser Schwachsinn gehörte zu den typischen Gebräuchen oder Vorschriften der Armee. Denn da war es üblich – sei es im Fort oder unterwegs in einem Camp oder einer Wagenburg –, dass sich die Posten alle halbe Stunde laut zu melden hatten. Sie mussten laut ihre Postennummer rufen und dann melden, dass alles in Ordnung war und sie nicht im Stehen schliefen. Denn Letzteres war wohl der Sinn der ganzen Vorschrift. Und so hörte ich die Stimme des Postens rufen: »Posten Canyoneingang meldet keine besonderen Vorkommnisse. Posten Canyoneingang ist wach.« Ich kam dann von hinten an den Soldaten heran und gab es ihm mit dem Revolverlauf, einmal, zweimal, dreimal. Denn ich wollte sicher sein, dass er mir in der nächsten halben Stunde nicht alles verdarb. Ich ging nun ruhig und aufrecht weiter in den Canyon hinein, verließ mich auf meine weiße Armbinde und darauf, dass man mich in der Nacht nicht erkennen konnte. O Himmel, was war es leicht, in dieses Camp hineinzukommen. Es bewegte sich niemand im Camp. Die Feuer glühten noch. Ja, es waren drei Gruppen an drei Feuern. Und auch die Pferde bildeten drei Remudas, waren angebunden an gespannten Seilen. Es gab drei Zelte. Zwei waren recht klein, sodass man darin nicht aufrecht stehen konnte. Das waren Offizierszelte für niedrige Ränge. Das dritte Zelt war größer. Es war leicht, diesen Major Elliot Barkley zu finden. Ich erreichte die Hinterseite des Zeltes und schnitt sie mit meinem scharfen GreenRiver-Messer auf. Der Major lag auf einem Offiziersfeldbett, das man zusammenklappen konnte. Auf einem Klapptisch brannte eine Öllampe. Allerdings war das Flämmchen so heruntergedreht, dass sie nur Halbdunkel erzeugte. Aber es reichte aus, um erkennen zu können, dass es tatsächlich Major Elliot Barkley war, der da leise auf dem Feldbett schnarchte. Ich hätte ihn abstechen können wie ein Schwein. Und mit einem einzigen Schnitt hätte ich ihm den Hals aufschneiden können, so wie es die Sioux bei ihren Feinden taten. Doch ich nahm mir erst noch seinen Colt, den er in Reichweite neben sich auf einem Klapphocker liegen hatte. Als ich ihm die Revolvermündung an das linke Nasenloch
hielt, erwachte er, und weil er zuvor geschnarcht hatte, verschluckte er sich irgendwie. Bevor er etwas sagen konnte, zischte ich an sein Ohr: »Ruhig bleiben, Eichenlaubsoldat, ganz ruhig bleiben! Oder ich mache dich diesmal wirklich alle!« Er lag still und dachte nach. Dann knirschte er, wobei er auf den Revolverlauf schielte, dessen Mündung ich ihm immer noch an das Nasenloch hielt. »Du verdammtes Rebellenschwein – jetzt bist du wohl ein richtig stinkender Hundefresser geworden?« Er war kein feiner Mann mehr, sondern sprach wie ein Primitiver. Ich lachte leise. Dann sagte ich: »Aufstehen, Eichenblatthäuptling! Aus dem Überfall auf ein friedliches Dorf wird nichts. Wir gehen gleich. Du musst deine stolze Truppe allein lassen. Doch auf dem Tisch hinterlässt du einen Befehl zur Umkehr.« »Den Teufel werde ich tun«, knirschte er. Ich hielt in der anderen Hand das Messer und zeigte es ihm. »Ja, ich wurde ein Indianer«, flüsterte ich. »Und ich lernte von den Sioux, wie man einem Soldaten die Kehle aufschneidet. Mann, was glaubst du denn von mir? Hast du wahrhaftig die Illusion, dass ich dich schonen würde? In dem Dorf, das ihr überfallen wollt, habe ich Frau und Kind. Barkley, ich bluffe nicht. Es geht um dein Leben. Und dein Tod wird kein glorreicher Heldentod sein. Also?« Er begriff nun, dass er gehorchen musste oder sterben würde. »Schon gut«, knirschte er. »Ich gebe nach. Du hast wieder einmal gewonnen, Rebellenhund aus Texas.« Er erhob sich langsam und vorsichtig. Ich sah, dass er völlig angekleidet war, nicht zuletzt wegen der kalten Nacht, sondern auch, um beim geringsten Anlass bereit zu sein auf alles. Wahrscheinlich stand vor dem Zelt sein gesatteltes Pferd bereit. Er trat an den Klapptisch. Dort lag der Block für Meldungen und Befehle, die in besonderen Fällen schriftlich festgehalten werden mussten für das Kriegstage- oder Patrouillenbuch. Er starrte mich im Schein des kleinen Ölflämmchens noch einmal an, und sein ganzer Hass strömte gegen mich, traf mich fast körperlich. Er begann zu schreiben. Ich las jedes Wort mit, so wie er es schrieb. Ja, er gab den schriftlichen Befehl zur Umkehr der ganzen Truppe. Dann richtete er sich auf und sah mich an. »Gehen wir hinten hinaus«, sagte ich und winkte mit dem Revolverlauf. »Und schön leise. Wenn ich schießen muss, bekommst du die erste Kugel in den Rücken.« Er sagte kein Wort und gehorchte. Als wir draußen waren, wollte ich es noch gar nicht glauben. Aber es war tatsächlich so. Ich träumte es nicht. Ich hatte ihn und war nun mit ihm auf dem Weg zu meinem Pferd, das ja mal seins gewesen war. Wir kamen nicht sehr weit, dann tauchte von links ein Soldat auf. »He, wer seid ihr?« So fragte der Soldat scharf. Dann war er nahe genug, sodass er den Major erkennen konnte. Er nahm sofort Haltung an und meldete: »Sergeant Fitsgerald bei der Postenkontrolle, Sir.« Ich stand halb hinter dem Major und halb seitlich von ihm. Er spürte den verstärkten Druck meiner Revolvermündung und wusste, dass er im
nächsten Moment tot sein würde, wenn er jetzt auch nur den geringsten Fehler machte. »Und Sie haben alle Posten kontrolliert, Sergeant?« »Bis auf den Posten am Schluchteingang, Sir. Ich war auf dem Weg dorthin, Sir.« »Das brauchen Sie nicht, Sergeant. Das mache ich selbst. Legen Sie sich noch etwas hin.« Der Major sprach ganz ruhig. Aber das war auch seine einzige Chance, noch am Leben zu bleiben. Er wusste, dass mir gar keine andere Wahl bleiben würde. Und er kannte meine Gefährlichkeit zu gut. Der Sergeant salutierte und ging in das Camp zurück. Offenbar war es nicht ungewöhnlich, dass der Major selbst Kontrollgänge machte. Und ich trug ja die weiße Binde der Milizmänner und hatte meinen Hut tief ins Gesicht gezogen. Der Sergeant musste mich für einen Scout halten. »Weiter«, sagte ich zum Major. »Das war dein Glück. Du warst schon fast tot.« Ganz ruhig verließen wir die Schlucht und kamen an dem bewusstlosen Soldaten vorbei. Hier verhielt der Major und fragte: »Tot?« »Ich gab ihm nur einige Kopfnüsse«, erwiderte ich. Wenig später erreichten wir das Pferd. »Aaah, das ist ja mein guter, braver Duke«, sagte er. »Nein, das ist mein guter, braver Duke«, verbesserte ich. »Es war dein persönliches Pech, dass du damals für alles bezahlen musstest, was ihr Yankees mir abgenommen hattet. Duke wird uns beide tragen, denke ich. Also hoch mit dir. Und lass mir einen Steigbügel frei, damit ich hinter dir Platz nehmen kann. Los!« Wieder ließ ich ihn den Druck der Revolvermündung spüren. Er gehorchte, und als er oben saß, da sagte er böse: »Du kannst nicht gewinnen, Rebell.« »Doch«, widersprach ich und wollte meinen Fuß heben, um die Fußspitze in den freien Steigbügel zu schieben und mich dann hinter den Major auf das Pferd schwingen. Aber da traf mich etwas am Kopf. Ich wusste plötzlich nichts mehr, sondern fiel in den Schnee. Meine Bewusstlosigkeit dauerte jedoch nicht lange, wahrscheinlich nur wenige Minuten. Und wahrscheinlich kam ich auch deshalb so schnell wieder zur Besinnung, weil man mich an den Füßen durch den Schnee zog. Es war mein eigenes Lasso, das meine Fußgelenke umschlang, und es war Duke, mein Pferd, welches mich zog. Im Sattel aber saß Major Barkley. Ich sah es, weil ich auf dem Rücken liegend gezogen wurde und über meine Füße hinweg schräg nach oben auf den Reiter blickte. Ja, es war der Major. Er hatte mir also das Pferd abnehmen können. Jemand war ihm zu Hilfe gekommen. Ich blickte zur Seite empor. Da ritt ein Reiter. Es war ein Crow-Späher. Trotz meiner Not und meines schmerzenden Schädels war mir sofort alles klar. Der Crow-Späher war auf mein Pferd gestoßen in der Nacht. Ich hatte es nicht gut genug versteckt. Vielleicht hatte der Crow auch im Sternenschein meine Fährte gesehen. Aber wie es auch gewesen sein mag, der Crow hatte bei meinem Pferd gelauert. Dann hatte er mir wahrscheinlich seine Kriegskeule an den Kopf geworfen. Dies begriff ich binnen weniger Sekunden. Der Major hatte mich. Ich war nun der Verlierer.
Er ließ sein Pferd traben und zog mich an meinem Lasso hinter sich her. Seine ganze Verachtung und Erbarmungslosigkeit mir gegenüber brachte er damit zum Ausdruck. Für ihn war ich jetzt gewissermaßen ein Stück totes Vieh, das man über den Boden schleifte. Zum Glück schützte mich die lange Wolfsfelljacke. Und auch der Schnee war glatt, sodass ich rücklings leicht zu ziehen war und nicht an Steinen oder Dornenbüschen hängen blieb, die mich übel zugerichtet hätten. Es ging so im Trab mitten in das Camp hinein bis zum Feuer der Soldaten. Die Stimme des Majors klang scharf: »Sergeant der Wache! Kommen Sie und legen Sie den Gefangenen in Eisen! Lassen Sie ihn streng bewachen!« Ich hatte mir inzwischen die Fußfesseln gelöst und mich erhoben. Doch in meinem Kopf war noch längst nicht alles in Ordnung. Als ich auf den Füßen stand, wurde mir einen Moment lang schwindlig. Ich wankte wie ein Betrunkener. Und da rammte der Major mit Duke gegen mich. Die Schulter des Pferdes traf mich so hart, dass ich mich am Boden fast überschlug. Einige Soldaten waren plötzlich über mir und hielten mich fest, indes der Sergeant mir Handschellen und Fußeisen anlegte. Denn die Armee war immer mit solchen Dingen ausgerüstet, wenn es gegen Indianer ging. Ich lag dann keuchend im Schnee und hatte endgültig verloren. In meinem schmerzenden Schädel aber jagten sich die Gedanken. Ich hatte alles versucht, um das Dorf zu retten, doch gegen das Schicksal kann man nicht kämpfen. Der verdammte Crow-Späher, der herumgeschlichen und auf das versteckte Pferd gestoßen war, hatte uns alle zum Untergang verurteilt, als er mir die Keule gegen den Kopf geworfen hatte. Der Major saß immer noch im Sattel und starrte auf mich nieder. Der Mond war aus einem Wolkenloch herausgekommen. Der Schnee schimmerte weiß wie ein Leichentuch. Ich starrte zum Major empor. Dieser tätschelte Duke den Hals und sprach zu ihm. Ich hörte ihn sagen: »Nun, Duke, mein Guter, jetzt bist du wieder bei deinem Herrn. Freust du dich? Du bist doch kein Pferd für einen stinkenden Hurensohn, der bei den Rothäuten lebt und wie diese Hunde frisst. Du bist ein Herzog unter allen Pferden und eines Gentleman würdig.« Duke schnaubte. Dieses Schnauben klang ein wenig verwirrt. Irgendwie erinnerte er sich wahrscheinlich daran, dass der Major mal sein Herr gewesen war. Aber da war auch ich vor seinen Hufen am Boden. Er versuchte mich zu beschnuppern. Aber der Major riss ihn an den Zügeln zur Seite und ritt zu seinem Zelt hinüber. Der Sergeant der Wache trat zu mir und stieß mich mit der Stiefelspitze an. »He, bist du der Bursche, der dem Major mal im Süden dieses wunderschöne Pferd gestohlen hat und dessen Steckbrief überall in Fort Laramie hängt, auch im Fort? Tausend Dollar soll es für dich geben, aber die hat der Major nun ja wohl selbst verdient. Schade.« Er trat mir noch mal mit der Stiefelspitze in die Seite und sagte zu dem Soldaten neben sich: »Lass ihn nicht eine Sekunde aus den Augen, Reiter Fowley.« »Nein, Sergeant, bestimmt nicht«, erwiderte der Kavallerist. Er verharrte dann neben mir am Rand des noch glühenden Feuers, starrte auf mich nieder und stieß mir die Gewehrmündung gegen den Bauch. »Ich mag keine Renegaten, die sich auf die Seite der Roten schlagen und bei ihnen
leben«, sagte er. »Wenn es Tag wird, werden wir aufbrechen und das ganze Hundefresserdorf klein machen. Hoffentlich habt ihr auch genügend hübsche und junge Mädchen in euren Zelten. Das wird ein Fest.« Er war ein Mistkerl, für den die Armee die letzte Rettung wurde. Viele solche Kerle gingen damals zur Armee, um sicher zu sein vor den Sheriffs oder anderen Verfolgern. Ich erwiderte nichts. Wozu auch? Es war alles verloren und vorbei. Ich wollte brüllen vor Not und Hilflosigkeit, doch was hätte dies genützt? Und so lag ich still und schwieg. Ich dachte an Sternenhimmel und meinen Sohn. Was würden die Kerle mit ihnen machen? Schon die Kavalleristen waren schlimm genug in ihrem Hass auf Indianer. Doch die Milizreiter und die Crows, mochten sie als Scouts oder als Indianersoldaten mitgeritten sein, waren noch schlimmer. Es gab nur eine schwache Hoffnung für das Dorf: Sie durften nicht kämpfen und dem Major keinen Anlass geben, Gewalt anzuwenden, also angreifen zu lassen. Denn bei einem Angriff würden ihm die Crows und Milizreiter außer Kontrolle geraten, vielleicht sogar die regulären Soldaten. Ich hatte Angst um Sternenhimmel und meinen Sohn, Angst um alle, die mir von Sprechender Büffel und dem Kriegsrat anvertraut worden waren. Und ich war hilflos. Hatte ich versagt? Aber hätte nicht jeder Mann an meiner Stelle auf gleiche Art versagen müssen, wenn das Schicksal gegen ihn gewesen wäre? *** Als es Tag wurde, schleiften mich zwei Soldaten in das Zelt des Majors. Da ich auch Fußeisen trug, konnte ich nicht laufen. Sie warfen mich im Zelt auf den Boden und gingen. Der Boden im Zelt war mit Tannenzweigen ausgelegt. Der Major hatte es recht gemütlich. Er saß auf einem Klappstuhl am Klapptisch und genoss sein Frühstück. Ich setzte mich mühsam auf. Im grauen Morgenlicht betrachteten wir uns, denn der Zelteingang war offen. Die kalte Morgenluft drang ein. »Es hat lange gedauert, Rebell«, sagte er kauend, »bis ich dich erwischen konnte, sehr lange. Überdies bekam ich auch noch meinen prächtigen Duke zurück. Ich werde dich hängen lassen. Das kann ich, denn es herrscht Kriegsrecht in diesem Land. Aber zuvor sollst du noch zusehen, wie wir das Dorf klein machen. Ich habe auch die Squaw nicht vergessen, die mich mit einer Schürstange zusammengeschlagen hat, um dir die Flucht zu ermöglichen. Ich zahle dir jetzt alles mit Zinsen zurück.« Nein, er war kein Gentleman, kein fairer Sieger. Aber das konnte ich ja auch nicht von ihm erwarten. Ich hatte ihn in Texas klein gemacht und ihm das Pferd, die Waffen, das Geld und sogar die Stiefel abgenommen. Ich war ein Bandit gewesen, und auch einen Steuereintreiber der Besatzungsmacht hatte ich ausgeraubt.
Vielleicht war es gerecht, dass er mich hängen ließ. Aber warum sollte das Dorf darunter leiden? Und so sagte ich heiser: »Nun gut, Barkley, ich bin in deiner Hand. Das Blatt hat sich gewendet. Und du kannst mich hängen lassen. Doch dort im Dorf sind nur Frauen, Kinder und alte Krieger. Begnüge dich mit mir und…« »Nein«, unterbrach er mich. »Es existiert ein Armeebefehl, nach dem es meine Pflicht ist, der Kriegsmacht der Stämme die Basis zu nehmen, also die Dörfer. Das Armeeoberkommando ist der Ansicht, dass die Kriegshorden sich ergeben werden, wenn man ihre Dörfer in Reservate gebracht hat, sozusagen als Faustpfänder. Du kannst nur beten, dass keiner der alten Krieger auch nur einen einzigen Schuss auf meine Männer abgibt, denn dann…« Er sprach nicht weiter, aber er stieß die rechte Faust klatschend gegen den linken Handteller. Ich sagte nichts mehr. Er starrte noch einige Atemzüge lang auf mich nieder, leerte dann den Kaffeebecher, erhob sich und trat aus dem Zelt. Draußen klangen Kommandos. Die Truppe machte sich fertig zum Abritt. Ich wusste, sie würden unser Dorf klein machen. *** Es war ein schöner Wintertag geworden. Die Sonne schien, es herrschte eine sehr trockene Kälte. Sie hatten mich auf ein Pferd gesetzt. Ich trug Handschellen. Unter dem Pferdebauch hindurch waren meine Fußgelenke miteinander verbunden. Zwar trug ich da keine Fußeisen wie ein Strafgefangener, doch war ich mit starken Lederriemen gefesselt. Ich durfte mein Pferd selbst lenken, da es ja möglich war, trotz der Handschellen die Zügel zu halten. Und ich hatte den Befehl, mich an der Seite des Majors zu halten. Als wir aus dem Wald kamen, sahen wir das Dorf im Tal liegen, etwa eine halbe Meile voraus zu unseren Füßen. Natürlich hatten die jugendlichen Späher des Dorfes uns längst gemeldet. Man war bereit. In der winterklaren Luft konnte man alles genau erkennen. Und als ich es sah, da stöhnte ich vor Kummer und Hilflosigkeit. Denn sie wollten kämpfen. Ich sah es sofort. Sie hatten sich vor dem Dorf formiert, die Frauen und Mädchen, die Kinder – und davor die alten Krieger und die paar Knaben, die noch keine Krieger waren und dennoch schon wie solche in der Pflicht gewesen waren als Späher, Wächter und Meldereiter. Da standen an die zweihundert Seelen und waren bereit zum Kampf. Dabei hatte ich sie davor gewarnt, ihnen befohlen, sich kampflos zu ergeben, denn das würde den Major dazu zwingen, keine Gewalt anzuwenden, sondern sie friedlich in ein Reservat zu eskortieren. Doch sie wollten kämpfen. Vielleicht wollten sie sich auch nur Respekt verschaffen, zeigen, dass man mit ihnen verhandeln sollte. Ich konnte auch Sternenhimmel erkennen, meine Frau.
Sie stand mitten in der Front der Frauen, dicht hinter den alten Kriegern und den wehrfähigen Knaben. Sie trug unseren Sohn in einem Tragegestell auf dem Rücken und hielt ein Gewehr in den Händen. Das taten auch einige andere Frauen. Andere hielten Bogen oder Lanzen. Aber alle waren sie bewaffnet. Die alten Krieger und die wehrfähigen Knaben waren alle mit Gewehren bewaffnet. Es waren zumeist alte Vorderlader, denn die Krieger, die mit Sprechender Büffel ritten, hatten alle guten Waffen mitgenommen. Ich wandte mich an den Major. »Das da sind Frauen, Kinder und Alte«, sagte ich heiser. »Major, Sie werden doch Ihre Truppe nicht angreifen lassen? Die Menschen da drüben vor dem Dorf bluffen doch nur. Lassen Sie mich mit ihnen reden. Ich verspreche Ihnen, dass sie sich alle ergeben und sich in ein Reservat bringen lassen unter die Obhut eines Indianeragenten. Lassen Sie mich ein Massaker verhindern.« Er sah mich mit böse glitzernden Augen an. Dann rief er seine beiden Lieutenants zu sich und gab ihnen seine Befehle. Einer der Lieutenants setzte sich darauf an die Spitze der etwa dreißig Reiter starken Abteilung, die aus Crow-Scouts und Indianersoldaten bestand, und der andere ritt zu der Freischarmiliz. Sie ließen beide Gruppen antraben und ritten auf das Dorf zu. Der Major aber blieb mit seinen regulären Kavalleristen und mir und zwei Zivilscouts zurück. Es war klar, er wollte von hier oben beobachten und sich mit seinen Reitern heraushalten. Das Morden überließ er den beiden anderen Abteilungen. Ich stöhnte vor Hilflosigkeit. Und hätte man mir nicht die Fußknöchel unter dem Pferdebauch zusammengebunden, dann hätte ich mich von meinem Pferd hinüber zum Major geworfen, um ihn aus dem Sattel zu reißen und dann am Boden unter mich zu bekommen. Aber es ging nicht. Ich musste hilflos zusehen. Und es wurde schlimm. Es waren etwa siebzig Reiter, die da in zwei Abteilungen auf das Dorf zuritten und etwa hundert Yards davor auszuschwärmen begannen. Sie wollten um das Dorf einen Ring bilden und dann von allen Seiten hinein. Diese Absicht war schnell ersichtlich. Und da geschah es. Einer der alten Krieger – ich erkannte ihn, es war Gefleckter Hirsch – gab den ersten Schuss ab. Seine Kugel stieß den Lieutenant, der die Crows führte, vom Pferd. Schlimmeres hätte nicht geschehen können. Auch die anderen alten Krieger und die Kriegerknaben begannen nun zu schießen. Die Frauen aber stießen gellende Schreie aus. Denn allen war klar, dass es nun ans Sterben ging und vorher noch Schlimmeres geschehen würde. Ich schloss die Augen und senkte meinen Kopf, bis mein Kinn die Brust berührte dicht unter dem Halsansatz. Ich konnte nicht länger hinsehen, und ich wollte zu brüllen beginnen wie ein Tier. Der Lärm drang bis zu uns herauf. Da war das Kreischen der Frauen, das Kriegsgeschrei der alten Krieger und kämpfenden Knaben – und das Wehklagen der Kinder. Ja, es wurde ein Massaker. Und ich konnte nichts dagegen tun. Ich trieb das Pferd an, auf dem ich saß, und ich hoffte, mich würde eine Kugel einholen. Vor mir war das Dorf und davor das wilde Getümmel. Die ersten Zelte
brannten schon. Dann holte mich endlich die Kugel ein. Aber ich konnte nicht vom Pferd fallen. Ich war ja darauf festgebunden. Erst als eine zweite Kugel das Tier traf, fielen wir. Und dann wusste ich von nichts mehr. Eine gnädige Bewusstlosigkeit erlöste mich. *** Irgendwann begriff ich, dass ich noch lebte und auf einem Schleppschlitten transportiert wurde. Um mich herum sah ich einige Frauen des Dorfes, auch ein paar Kinder. Unsere kleine Schar wurde eskortiert von Kavalleristen. Neben meinem Schlitten tauchte manchmal Nebelkrähe auf. Sie war eine der Helferinnen unserer Medizinfrau und sollte eines Tages deren Nachfolgerin werden. Sie sah manchmal, wenn wir rasteten, nach meiner Wunde. Es war ein glatter Schulterdurchschuss. Als ich wieder einen klaren Kopf hatte, konnte ich sie nach Sternenhimmel und meinem Sohn fragen. »Sternenhimmel kämpfte wie ein Krieger«, erwiderte Nebelkrähe. »Und sie starb, bevor sich die Angreifer um sie streiten konnten. Sie fiel erst tot in die Hände der Crows, von denen sie gewiss welche töten konnte. Denn sie schoss mit deinem kleinen Gewehr.« Nebelkrähe meinte meinen Reservecolt, den ich bei Sternenhimmel ließ, als ich mich auf den Weg zum Major machte. »Und mein Sohn?« Ich fragte es fast tonlos. »Den hat Wica Kanaska«, erwiderte Nebelkrähe. Mir blieb fast das Herz stehen. Sternenhimmel war tot, und ihr blieb dadurch gewiss Schlimmes erspart. Doch mein Sohn lebte. Wica Kanaska, dies waren rote Beerensträucher. Der Name der Squaw bedeutete also etwa Rote Beere. Und sie hatte meinen Sohn an sich genommen, als Sternenhimmel starb. Ja, so etwa mochte es gewesen sein. Vielleicht würde ich es noch genauer erfahren. Nebelkrähe sagte: »Sie bringen uns in eine Reservation. Aber wir sind nicht mehr viele. Die meisten starben. Uns wurde Schlimmes angetan. Unsere Toten sind gewiss glücklicher als wir Lebenden.« Ich schloss die Augen und schlief wieder ein. *** Irgendwann erreichten wir Fort Laramie. Ich hatte das Schlimmste überstanden, und so kam ich in eine Arrestzelle im Fort. Die Überlebenden des Dorfes aber – es waren insgesamt siebenundfünfzig Frauen und Kinder – wurden weiter in ein Reservat transportiert. Am dritten Tag kam ein Feldarzt zu mir in die Arrestzelle und untersuchte mich. »Na ja«, sagte er schließlich. »Sie sind jetzt rüstig genug für das Kriegsgericht. Ich muss es dem Major melden.« Er ging wieder.
Ich aber wusste nun, der Major wollte seinen Sieg über mich voll und ganz auskosten. Nein, er wollte es nicht Mann gegen Mann austragen, sondern mir zeigen, dass er seine Rache von einem Henker erledigen ließ. Damals, als ich ihn verprügelte und ausraubte, da hatte er keine Chance gegen mich gehabt, nun aber wäre das anders gewesen, denn ich war ja durch meine Verwundung sehr geschwächt. Er hätte mich selbst klein machen können. Aber dann hätte er mir nicht so sehr seine Macht und seine Verachtung zeigen können. Ich würde also vor ein Kriegsgericht kommen. Der Überfall auf den Steuereintreiber, dann der Pferdediebstahl – und schließlich das Überlaufen zu den Krieg führenden Indianern, dies würde für eine Anklage reichen. Ich galt als Bandit, Pferdedieb und Renegat, der auf Seiten der Roten gegen die Armee gekämpft hatte. Er würde als ehrenwerter Offizier und Gentleman seine Aussagen machen und über mich triumphieren. So wollte er meine Vernichtung. Ich begann in der Zelle umherzulaufen. Der Posten draußen zeigte sein Gesicht an den Gitterstäben und grinste zu mir herein. Aber es war kein böses oder hohnvolles Grinsen. Der Mann sagte: »Kennen Sie mich noch, Captain Kelly?« Ich staunte und trat ebenfalls an die Gitterstäbe. Ja, ich kannte ihn. In dieser Sekunde begriff ich, dass sich mein Schicksal wieder einen Scherz mit mir erlaubte, diesmal keinen bösen, sondern vielleicht einen guten. Denn der Soldat da, den kannte ich. Den hatte ich mal mit meinem Lasso aus einem Sumpf gezogen, in den ihn sein Pferd abgeworfen hatte, als er verwundet vor uns auf der Flucht gewesen war. Ich zog ihn heraus und musste ihn fast eine ganze Woche lang bei meiner Abteilung behalten, weil ich ihn nirgendwo loswerden konnte. Wir pflegten damals seine Wunde und erreichten endlich eine Stadt, wo es ein Lazarett gab. Und jetzt stand er hier Posten vor dem Arrestbau von Fort Laramie. Es war irgendwie verrückt, so verrückt, wie es nur das Leben sein kann. Dieser Soldat war ein Kriegsveteran, der in die reorganisierte Armee übernommen und ins Indianerland geschickt worden war wie so viele andere kampferprobte Soldaten. Gewiss war er nicht glücklich darüber und fühlte sich unfair behandelt. Er sagte durch die Gitterstäbe zu mir herein: »Captain, ich bin Ihnen noch etwas schuldig und werde diese Schuld bezahlen.« Dann trat er zurück und nahm seine Wache wieder auf. Er kam immer wieder am Gitterfenster vorbei, denn er musste auf und ab jeweils zwölf Schritte gehen. Ich erinnerte mich sogar wieder an den Namen des Soldaten. Dan Hawkins hieß er, und damals war er Korporal gewesen. Abermals dachte ich über die seltsamen Launen und Wege des Schicksals nach. Ich glaubte plötzlich daran, dass ich doch noch nicht hängen würde. Aber war mir mein Leben überhaupt noch etwas wert? Meine Frau war tot. Mein Sohn war irgendwo unterwegs zu einem Reservat, wurde versorgt von einer anderen Squaw. Ich aber hatte versagt und das Dorf nicht schützen können. Was also war mir mein Leben noch wert? Aber neben dem Gefühl bitterster Resignation und der Erkenntnis, ein Verlierer zu sein, entstand nun in meinem Kern ein zweites Gefühl und stieg in mir hoch, bis es meine
Gedanken zu beherrschen begann. Verdammt, ich verspürte Hass. Ja, es war böser Hass auf die Schlächter unseres Dorfes, auf diese wilde Horde, die der Major auf die Frauen, Kinder und Alten losgelassen hatte so wie ein Teufel seine Höllenhunde. Und er selbst hatte sich mit seinen regulären Soldaten »vornehm« zurückgehalten und dem blutigen Schauspiel aus einiger Entfernung zugesehen. Mein ganzer Hass richtete sich gegen ihn und die Armee, die solchen Männern Befehlsgewalt verlieh. Plötzlich wusste ich, was ich tun würde, wenn ich noch einmal freikommen sollte. *** Am nächsten Tag führten sie mich zur Kriegsgerichtsverhandlung. Es ging sehr schnell, dauerte keine halbe Stunde und endete mit dem Urteil, dass ich am Strang mein Leben aushauchen sollte. Der Major wurde als Zeuge der Anklage vernommen. Man legte auch den Steckbrief aus Texas vor. Ein Lieutenant war mein Pflichtverteidiger. Aber weil ich mich schuldig bekannte, weil ich alles, was sie mir vorwarfen, ja wirklich getan hatte, konnte er nur um ein mildes Urteil bitten. Als mich der Kriegsrichter fragte, ob ich noch etwas sagen wolle, da schüttelte ich nur den Kopf. Denn es hätte ja keinen Sinn gehabt, ihnen vorzuwerfen, dass die Besatzungstruppe in Texas einen korrupten Steuereintreiber schützte, der mit reichen Yankees bei den Versteigerungen gemeinsame Sache machte. Es hätte auch nichts geholfen, wenn ich geschildert haben würde, wie die Yanks mit mir umsprangen, als ich ihr Gefangener war, wie sie mich ausraubten, hungern ließen, demütigten und mehrmals als verhassten Rebellenoffizier verprügelten. Nein, das hätte alles keinen Sinn gehabt. Denn diese Kriegsgerichte waren stur. Da gab es niemals Gnade aus menschlichen Erwägungen oder weil man sich bemühte, sich in meine damalige Lage oder Verfassung hineinzuversetzen. Sie brachten mich in die Zelle zurück. Auf der harten Holzpritsche lag eine Bibel. Aber solch eine Bibel legten sie wohl jedem zum Tode Verurteilten in die Zelle. Auch das gehörte wahrscheinlich zu den Vorschriften der Unionsarmee. Ich setzte mich neben diese Bibel und starrte auf sie hinab. Gab es wirklich einen Gott im Himmel, der auf alles niederblickte und die Geschicke der Menschen lenkte? Aber warum ließ er dann Kriege zu? Warum ließ er es geschehen, dass unser Dorf einem Massaker zum Opfer fiel? Nein, ich konnte nicht mehr an einen Gott im Himmel glauben. Dennoch schlug ich mit der Spitze meines Zeigefingers die Bibel auf. Dabei war von meinem Gesicht gewiss nur Verachtung abzulesen. Und ich verzog den Mund, so als wollte ich im nächsten Moment auf diese Bibel niederspucken. Doch als der Deckel aufklappte, sah ich es.
Es war eine ganz besondere Bibel, die es in sich hatte. Das dicke Buch war innen ausgeschnitten, sodass es einem Kästchen glich, einer Schmuckschatulle zum Beispiel. Aber es lagen keine Schmuckstücke darin, sondern ein kleiner, doppelläufiger ColtDerringer, so wie Spieler ihn manchmal im Ärmel trugen. Solch ein Ding verschwand völlig in einer Männerhand. Ich dachte mit Dankbarkeit an den Soldaten Dan Hawkins. *** Als man mir das Abendessen brachte, trat auch der Offizier vom Dienst in die Zelle und sagte mit der sturen Gnadenlosigkeit eines Befehlsempfängers, der nichts zu verantworten hat, weil er ja nur Befehle ausführt: »Morgen wird das Urteil vollstreckt. Bei Sonnenaufgang. Wollen Sie den christlichen Beistand unseres Armeepredigers?« »Aber sicher, Lieutenant«, erwiderte ich. »Er soll nach Mitternacht kommen. Denn erst nach Mitternacht beginnt mein Todestag. Ja, ich will mit ihm beten bis zum Sonnenaufgang. Das steht mir wohl zu – oder?« Der Lieutenant – er war schon grauköpfig und gewiss aus dem Mannschaftsstand aufgestiegen, denn sonst hätte er schon Major sein müssen – sah mich verächtlich an. »Warum beten Sie nicht zum großen Manitou? Sie lebten doch bei den Indianern wie eine Rothaut und nicht wie ein Christ.« So fragte er böse und erwartete keine Antwort. Denn er wandte sich ab und ging. Ich nahm das Abendessen ein. Es war zwar keine Henkersmahlzeit, sondern nur die übliche Armeeverpflegung, doch ich ließ es mir schmecken. Denn nun war ich sicher, dass ich frei kommen würde. Der kleine Freund, den ich in der Bibel gefunden hatte, würde mir sehr viel hilfreicher sein als alle Gebete. Nach dem Essen schlief ich. Ja, ich war innerlich ganz ruhig und zuversichtlich geworden. Ich vermochte tatsächlich einige Stunden zu schlafen. Kurz vor Mitternacht wurde ich dann geweckt, weil die Zellentür knarrte und der kalte Wind von draußen in die Zelle drang. Draußen fiel dichter Schnee. Ich konnte sicher sein, dass der Posten jetzt nicht im Schnee hin und her marschierte vor dem Arrestbau, sondern irgendwo Schutz gesucht hatte. Er musste nur aufpassen, dass ihn der Offizier vom Dienst nicht erwischte. Der Armeeprediger war ein großer, hagerer Bursche mit funkelnden Knopfaugen. Als er eintrat und zu mir sprach: »Nun, mein Sohn, da bin ich!«, da roch ich seinen Schnapsatem. Ja, er hatte gewiss einige Drinks gekippt, um die Stunden mit mir ertragen zu können. Ich erwiderte: »Willkommen in meiner Burg, Padre. Wissen Sie, ich bin Texaner. Bei uns sagen wir zu den Gottesmännern einfach nur Padre.« »Sicher, mein Sohn«, erwiderte er. »Ich will ja auch so etwas wie dein Vater sein in diesen Stunden.« Da zeigte ich ihm den kleinen Colt-Derringer in meiner großen Hand. »Wenn Sie nicht gleich zum Himmel fliegen wollen, Padre«, sagte ich freundlich, »dann sollten Sie jetzt tun, was ich Ihnen sage. Wissen Sie, mich kann man nur einmal hängen. Also, wollen Sie Ihre Seele flattern lassen oder lieber noch eine Weile auf
unserer Erde bleiben und Brandy saufen?« »Sie sind wohl kein besonders gebildeter Mensch«, erwiderte er. »Und dabei sollen Sie doch mal ein Rebellenoffizier gewesen sein. Nun, ich werde mich wohl Ihren Wünschen fügen müssen. Denn ich möchte wirklich noch nicht von dieser Erde gehen.« »Brav.« Ich grinste ihn im schwachen Lampenschein an, den ein kleines Öllämpchen erzeugte. »Dann können wir ja unsere Kleidung tauschen. Und bleiben Sie dabei in der Ecke neben dem Gitterfenster, sodass man Sie nicht sehen kann von draußen. Schnell!« Er war ein vernünftiger Mann, der begriffen hatte, dass ich nichts verlieren, aber alles gewinnen konnte. Denn selbst wenn ich ihn umbrachte, weil er um Hilfe schrie, konnte man mich nur einmal hängen, nicht zweimal. Er gehorchte. Und als er dann meine Kleidung trug und ich seine, da musste er sich auf die Schlafpritsche legen. Ich deckte ihn mit der Decke zu und gab ihm einen Kinnhaken, dessen Wucht seinen Hinterkopf auf die harte Pritsche krachen ließ. Er würde gewiss nicht so schnell erwachen. Ich musste dann mehrmals kräftig an die Zellentür hämmern, bis der Posten kam und mir öffnete. Draußen war heftiger Schneefall. Auch der Sergeant der Wache war gekommen und stand mit schussbereitem Gewehr drei Schritte entfernt im Schneefall. Ich wandte mich wortlos nach rechts, fühlte mich völlig sicher unter dem weiten Umhang des Armeegeistlichen und hatte auch den Hut tief ins Gesicht gezogen. Die beiden Soldaten ließen mich gehen, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Sie waren sicherlich froh, wieder aus dem Schneefall herauskommen zu können. Ich hörte, wie die Tür der Arrestzelle geschlossen wurde. Im dichten Schneetreiben verschwand ich, erreichte den Paradeplatz und suchte nach den Ställen. Denn ich brauchte ein Pferd. Es mochte wieder Schicksal oder Zufall sein, dass ich zuerst den Stall der Offizierspferde fand. Die Stallwache döste auf einer Futterkiste, erhob sich aber, als ich in den Stall kam. Bevor der Soldat erkennen konnte, dass ich nicht der Armeegeistliche von Fort Laramie war, gab ich auch ihm einen präzisen Kinnhaken. Ich legte ihn dann in die halb volle Futterkiste und sah mich nach einem Pferd um. Gleich in der ersten Box stand Duke. Ich schnaufte zufrieden. Der Major würde sich mächtig ärgern, dass ich ihm das prächtige Tier zum zweiten Mal wegnahm. Als ich das Haupttor des Forts erreichte, hatte ich einige Sorge. Doch es war offen, weil in diesen Minuten ein Schwarm von Soldaten, die Ausgang hatten, aus der nahen Stadt zurückkam. Die meisten waren betrunken. Einige sangen schmutzige Lieder. Es war wohl Zahltag gewesen. Ich ritt einfach hinaus. Die beiden Soldaten, welche die zurückkehrenden Kameraden im Schein der Laternen kontrollierten, sahen nur kurz zu mir hoch. Der Armeeprediger hatte ja Offiziersrang und konnte gehen und kommen, wann er wollte.
Ich war wirklich frei und verschwand im Schneegestöber. Es war plötzlich alles so einfach, weil das Schicksal es so wollte. *** Der Schnee, welcher in der Nacht meiner Flucht fiel, war der letzte Schneefall dieses Winters. Schon am nächsten Tage schlug das Wetter um. Überall taute es und rann das Wasser. Ich kam nur langsam vorwärts. Am zweiten Tag traf ich auf das Camp des Händlers Blue Pete Hogan, der ja hier mit seiner Cheyennefrau und sieben Kindern lebte und immer noch Handel trieb mit Trappern und zahmen Indianern, den Crows zum Beispiel, welche ja Armeesold als Scouts erhielten. Er staunte zuerst und erkannte mich dann wieder. »Aha«, sagte er, »damals kamst du mit einer schönen Arapahoe hier vorbei. Und du reitest immer noch das prächtige Pferd. Was soll’s denn sein?« Ich brachte die prächtige Uhr des Armeegeistlichen zum Vorschein und reichte sie Blue Pete Hogan. »Ich brauche eine ganze Menge«, sagte ich. Er betrachtete die Uhr und hielt sie auch an sein Ohr. »Sicher«, sagte er, »dafür kannst du wirklich eine ganze Menge haben. Du möchtest wohl die Tracht loswerden, ja? Gehörte sie dem Armeeprediger von Fort Laramie?« Ich nickte nur stumm. Da sah mich Blue Pete Hogan nachdenklich an, zuckte mit den Schultern und sagte: »Was geht mich das alles an.« »Nichts«, erwiderte ich. *** Als ich später weiterritt, sah ich wieder wie ein Arapahoe-Krieger aus. Und als solcher fühlte ich mich auch. Die Armee hatte mich hängen wollen, und den Arapahoes gegenüber fühlte ich mich in der Schuld. Mein Ziel war Sprechender Büffel. Irgendwo dort in der Gegend von Fort Phil Kearney würden er und die anderen Krieger sein. Rote Wolke hatte immer noch alle Stämme dort versammelt und führte Krieg. Er hatte das Fort noch nicht erobern können während des langen Kriegswinters. Vielleicht kam ich noch rechtzeitig, wenn er es im Frühling mit der vereinigten Macht der Stämme versuchte. Ja, ich war jetzt ein Arapahoe. Die Armee hatte meine Frau getötet und ein ganzes Dorf zerstört, ein Massaker veranstaltet, bei dem es an die hundertfünfzig Tote gegeben hatte, Frauen, Kinder und Alte. Ich wollte Rache. Das Tauwetter machte meinen Weg beschwerlich. Vor Verfolgern musste ich mich nicht fürchten. Niemand hätte meine Fährte finden können. Und selbst wenn mir
irgendwelche Verfolger zu nahe kommen sollten, konnte ich ihnen auf dem schnellen Pferd leicht entkommen und sie hinter mir lassen. Ich suchte mir meinen Weg und musste viele Umwege machen, weil selbst die sonst trockenen Prärie-Creeks durch das Tauwetter zu reißenden Flüssen geworden waren. Um Fort Reno machte ich einen großen Bogen. Aber dann traf ich auch schon auf die ersten Indianer. Es waren Hunkpapa-Sioux. Sie kamen aus den Hügeln und umringten mich. Einer fragte: »Wer bist du denn, vielleicht ein Crow? Du siehst so völlig anders aus.« »Ich bin Fünftöter, ein Arapahoe«, erwiderte ich. »Und ich bin unterwegs zu Sprechender Büffel, der aus unserem Dorf im vergangenen Herbst mit all seinen Kriegern zu Rote Wolke ritt. Ich frage euch, ob ihr mir sagen könnt, wo die Arapahoes sind?« Sie starrten mich misstrauisch an. Dann sagte einer: »Aber du bist kein richtiger Arapahoe?« »Ich war kein richtiger«, verbesserte ich. »Doch ich nahm die Tochter von Sprechender Büffel zur Squaw. Er wurde mein Vater. Ich war ein Häuptling im Süden, der weit nach Norden kam.« Immer noch strömte ihr Misstrauen gegen mich. Dann aber sagte einer: »Die Arapahoes sind bei Rote Wolke. Die vereinigten Stämme haben das Fort umzingelt, lassen niemanden heraus und niemanden hinein. Sie wollen das Fort aushungern. Und jeden Tag töten sie Soldaten, die Holz holen oder Heu machen für die Pferde. Jeden Tag wird dort gekämpft. Wir hier tun rings um Fort Reno das Gleiche. Reite mit Glück, Fünftöter.« Sie ließen mich reiten. Und so suchte ich mir weiter den Weg durch das nasse Land, in dem die Ströme brausten und manchmal fast unpassierbar waren. Und eines Tages durchfurtete ich östlich der Rattlesnakes den Powder River und näherte mich Fort Phil Kearney. Ich ritt nun auf dem Wagenweg und sah überall die Zeichen des Krieges – verbrannte Wagen, Pferdegerippe und Gräber von Soldaten, Frachtfahrern oder anderen Zivilisten. Dann stieß ich auf eine Schar von Cheyennes. Und auch diese fragten mich erst misstrauisch aus. Aber einer von ihnen wusste dann, wo ich die Arapahoes finden würde. »Es sind nicht mehr viele«, sagte er. »Sprechender Büffel und seine Krieger waren stets an vorderster Stelle im Kampf gegen die Mila hanska. Sie sind sehr tapfere Krieger. Woyuonihan!« Das letzte Wort bedeutete so viel wie »Respekt«. Ich ritt weiter. Und noch vor Nachtanbruch bekam ich aus der Ferne das Fort in der weiten Senke zu sehen. Dann stieß ich auf Mondfalke, der noch Zwei Lanzen und Gelbe Schlange bei sich hatte. Mondfalke gehörte damals zum Kriegerrat, der mir das Dorf anvertraute. Er erkannte mich sofort und fragte mich barsch: »Warum bist du hier, Fünftöter?« Ich saß im Sattel und senkte voller Scham den Kopf. Dann aber sah ich ihn und die beiden anderen Krieger an und sprach: »Sie kamen mit mehr als hundert Mann. Ich geriet verwundet in ihre Gefangenschaft. Das Dorf gibt es nicht mehr. Dreiviertel aller Seelen dort traten die Reise ins Jenseits an. Die anderen
wurden in ein Reservat gebracht. Ich konnte es nicht verhindern. Sie brachten mich verwundet nach Fort Laramie und wollten mich hängen. Aber ich entkam vor einigen Tagen. Ich muss zu Sprechender Büffel. Auch seine Tochter ist tot.« Sie verharrten eine Weile bewegungslos und starrten mich an. Dann sagte Mondfalke kehlig: »Reiten wir zu Sprechender Büffel.« Er wischte sich über das Gesicht, welches mit den Farben des Krieges bemalt war, und sah mich dann wieder an. »Auch wir sind nicht mehr viele. Wir Arapahoes sind zum Untergang bestimmt. Hopo, reiten wir zu Sprechender Büffel.« *** Es war schon Nacht, als wir rings um das Feuer Platz nahmen und ich ihnen allen einen ausführlichen Bericht erstattete. Ich ließ nichts aus und endete dann mit den Worten: »Und so bin ich gekommen, um an eurer Seite zu kämpfen. Verzeiht mir, dass ich unser Dorf nicht vor dem Untergang bewahren konnte. Ich bin in eurer Schuld und könnte diese nicht mit zehn Leben löschen.« Damit hatte ich alles gesagt. Sprechender Büffel starrte sehr lange in das Feuer. Dann hob er den Kopf und sah mich über das Feuer hinweg an. »Sternenhimmel schenkte dir ein Kind.« »Einen Sohn«, erwiderte ich. »Er kam mit dem Leben davon. Nebelkrähe nahm ihn in ihre Obhut. Ich weiß nicht, zu welcher Indianeragentur man den Rest unseres Dorfes brachte. Ich bin hergekommen, um Krieg zu führen gegen die Mila hanska.« Meine Stimme war fast tonlos. Und nun spürten sie wohl, wie sehr ich innerlich blutete. Sprechender Büffel nickte langsam. »Also werden wir noch mehr Wasicuns zu töten versuchen, so viele wie möglich, bevor auch wir den Weg nach Wanagi Yata antreten müssen.« Damit hatte er alles gesagt. Wir würden kämpfen. Unser Leben war uns nichts mehr wert. *** Die Tage und Wochen vergingen. Fort Phil Kearney wurde belagert, war eingeschlossen. Sie bekamen keinen Nachschub mehr. Das Armeeoberkommando reagierte träge. Vielleicht hatten sie hier in diesem Land auch nicht genug Soldaten. Wir hatten immer wieder Kämpfe mit den Holz- und Heukommandos. Denn jetzt war Frühling. Man hatte im Fort kaum noch Holz und so gut wie kein Futter mehr. Nur Nahrungsmittel und Munition gab es anscheinend noch reichlich. Wir kämpften aber auch gegen die Wagenzüge, die auf dem Bozeman Trail, welcher ja an Fort Phil Kearney vorbeiführte, ins Goldland von Montana wollten. Es gab auf beiden Seiten Verluste, doch weil die Besatzung des Forts nicht so zahlreich war wie die Kriegsmacht der vereinten Stämme, wirkte sich der Aderlass bei der Armee sehr viel schlimmer aus.
Die Taktik von Rote Wolke musste bald aufgehen. Noch einige Wochen, dann würde die Truppe im Fort so sehr dezimiert und demoralisiert sein, dass ein Angriff mit der ganzen Kriegsmacht Erfolg haben konnte. Es wurde Sommer, und ich kämpfte wie ein Arapahoe auf der Seite der Indianer. Die Weißen waren meine Feinde geworden, so wie es während des Krieges zwischen Nord und Süd die Soldaten der Nordstaaten gewesen waren. Immer wieder wollte ich Rache für Sternenhimmel. Und fast jeden Tag und jede Nacht dachte ich an meinen Sohn, den sie mit den wenigen Überlebenden unseres Dorfes in irgendeine Reservation verschleppt hatten. Es gab kein Arapahoedorf mehr in jenem schönen Bergtal. Und es gab nur noch wenige Arapahoes. Denn von uns fielen immer wieder welche. Fort Phil Kearney wurde reif für den letzten Angriff. Und diesmal würde es fallen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Aber dann bekam es nochmals eine Chance. Das Wetter schlug um. Starker Regen und heftige Wolkenbrüche gingen nieder. Die Krieger der vereinigten Stämme zogen sich zum größten Teil in ihre Zelte zurück. Denn es entstanden ja in weiter Runde um das Fort so genannte Kriegsdörfer. Das waren Kriegsdörfer mit kleinen Kriegszelten, in denen nur wenige alte Squaws waren, welche die Krieger versorgten, also Lagerarbeiten verrichteten, kochten und die Verwundeten pflegten. Und indes der größte Teil der vereinigten Kriegsmacht die dicht aufeinander folgenden Unwetter in den Zelten sozusagen aussaß, kam von Fort Laramie eine Abteilung Kavallerie, welche einige Wagen eskortierte. Sie schaffte den Durchbruch zum Fort, bevor wir alarmiert wurden und über sie herfallen konnten. Sie entkamen uns zwar mit knapper Not, aber sie entkamen. Und wir alle wussten nicht, welche Folgen dies noch haben sollte. Denn diese fünfzig Kavalleristen eskortierten sechs Bagagewagen, in denen neue Gewehre und reichlich Munition nach Fort Phil Kearney kamen. Bei diesen Gewehren handelte es sich um Spencer-Karabiner, mit denen man sieben Mal schießen konnte, bevor nachgeladen werden musste. Die Truppe in Fort Phil Kearney bekam durch diese neuen Gewehre eine gewaltige Feuerkraft. Wir wussten das damals noch nicht, als uns der kleine Wagenzug entkam und dicht vor unseren Kriegern im Fort verschwand, dessen Tor sich im letzten Moment schloss. Doch wir würden es bald erfahren. Es kam dann der 1. August 1867. Unsere Späher meldeten uns, dass etwa fünfzig Soldaten mit einigen Wagen das Fort verlassen hätten, um etwa sechs Meilen entfernt an der Basis eines bewaldeten Hanges Holz zu schlagen. Diese kleine Truppe baute zuerst eine Wagenburg. Sie nahm die Wagenkästen von den Fahrgestellen und schichtete herausgestochene Grasplacken auf die Wagenkästen. Auch Trinkwasser wurde von einem nahen Creek geholt und so etwas wie ein kleines Fort geschaffen. Ich sah Rote Wolke, als er diese Wagenburg besichtigte. Die Krieger der Stämme sammelten sich. Wir alle trugen Kriegsfarben, zumeist Schwarz, Gelb und Weiß – auch Ocker. Auch unsere Pferde hatten wir mit Kriegsfarben bemalt.
Federhauben wippten. Die Sonne, die nun wieder schien, ließ Lanzenspitzen, Kriegsbeile und Messer blinken. Als wir mehr als tausend Mann waren, gab Rote Wolke das Zeichen. Und da griffen wir an von allen Seiten. Gewiss, wir wussten, dass die erste Salve der Verteidiger viele von uns von den Pferden reißen würde und auch viele Pferde getroffen werden würden. Das war immer so bei einem Angriff. Doch dann mussten die Mila hanska nachladen, und wenn wir schnell genug waren, kamen wir dicht genug an die Wagenburg heran, bevor sie wieder schießen konnten. Die erste Salve krachte, und viele Pferde stürzten mit ihren Reitern. Unser Yip-hi-yip-hiii gellte tausendfach voller Triumph. Denn nun würden wir gleich die Wagenburg erreichen. Höchstens nur noch einmal würden die Mila hanska schießen können. Doch da war plötzlich alles anders. Die Mila hanska schossen sehr viel schneller. Sie mussten gar nicht nachladen, so wie sonst bei ihren einschüssigen Gewehren. Sie schossen sehr viel schneller und empfingen uns mit einem fortwährenden Kugelhagel. Sie hatten eine Feuerkraft, als wären sie nicht nur fünfzig, sondern fünfhundert. Was war das für ein Zauber? Unsere Verluste wurden riesengroß. Und so brach unser Angriff zusammen. Wir waren verwirrt. Solche Zaubergewehre kannten wir nicht. Rote Wolke, der uns angeführt hatte und aus einigen leichten Wunden blutete, brachte uns noch einige Male zu weiteren Angriffen. Und stets erlitten wir gewaltige Verluste. Es lagen dann an die zweihundert unserer besten Krieger tot rings um die Wagenburg. Ich hockte neben dem sterbenden Sprechender Büffel. Er sah zu mir empor und flüsterte mit letzter Kraft: »Wir werden immer verlieren und können nicht gewinnen. Fünftöter, es wird Zeit, dass du deinen Sohn holst und dann wieder wie ein Weißer zu leben beginnst. Denn nur so kannst du erreichen, dass dein Sohn, der mein Enkel ist, wie ein freier Mann leben wird. Geh, reite fort, hole deinen Sohn und suche dir ein Land, in dem ihr leben könnt.« Nach diesen Worten starb er. Ich erhob mich und sah mich um. Und dann konnte ich sehen, wie sich unsere vereinigte Kriegsmacht auflöste. Auch Rote Wolke ritt mit einigen wenigen Getreuen davon. Er hatte seinen Einfluss und seine Macht verloren. Mehr als zweihundert tote Krieger lagen rings um die Wagenburg. Wir hörten das hohnvolle Triumphgebrüll der Mila hanska. Auch ich saß auf. Der Krieg war für mich beendet. Sprechender Büffel hatte mir gesagt, was ich tun sollte. Er hatte mir die Augen geöffnet. Ja, ich hatte irgendwo einen Sohn. Und ihm musste ich eine bessere Zukunft verschaffen. Das konnte ich nur, wenn ich wieder ein Weißer wurde und wie ein Weißer mit ihm lebte. Die Indianer waren zum Untergang verurteilt. Ich wollte nicht mehr Rache nehmen und sterben. Ich musste leben für meinen Sohn.
Sprechender Büffel hatte mir die Augen geöffnet. Und so ritt ich meines Weges. *** Nun, ich fand meinen Sohn ein halbes Jahr später in einem Reservat bei Wica Kanaska. Doch obwohl ich jetzt wieder wie ein Weißer aussah, erkannte sie mich und gab ihn mir in einer Nacht. Und dann machte ich mich auf den Weg. Es war im nächsten Sommer, als ich nach Oregon kam. Und es wurde alles gut. Oregon war weit entfernt von meiner Vergangenheit. Von Major Elliot Barkley hörte ich nie wieder etwas. Vielleicht tötete ihn ein Indianer oder er wurde nach dem Osten versetzt. Heute, da ich dies alles geschrieben habe, besitze ich ein großes Holzgeschäft mit Sägemühlen und Schindelfabriken. Mein Sohn liebt seine Stiefmutter, als wäre es seine eigene. Und auch ich konnte durch meine zweite Frau den Schmerz und die Trauer um Sternenhimmel allmählich vergessen. Ja, es wurde alles gut. ENDE