Inferno Band 2
Kreuzfahrt in die Hölle
Gigantische Urgewalten packten Kolumbus und schleuderten sie aus dem Kurs. Es...
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Inferno Band 2
Kreuzfahrt in die Hölle
Gigantische Urgewalten packten Kolumbus und schleuderten sie aus dem Kurs. Es passierte übergangslos. Von einem Augenblick zum anderen. Der gewaltige Ruck warf Moustakis, den Ersten Offizier des Luxuspottes, aus der Koje. Schlaftrunken arbeitete sich der Mann auf die Knie, nahm das metallische Ächzen des gebeutelten Schiffskörpers wahr, das nun folgende schwere Rollen und Stampfen, hörte Entsetzensschreie der herumgeworfenen Passagiere und sah die Notbeleuchtung aufflackern und sofort wieder verlöschen. Die Ventilationsanlage stellte winselnd den Betrieb ein. Ein Riff!! schoß es Moustakis durch den Kopf. Diese Idioten haben das schöne Schiff in der Dunkelheit auf ein Riff gesetzt! Er orientierte sich, griff die Lampe aus dem Spind, erhielt einen Stoß und flog rückwärts gegen die Koje, daß er fürchtete, das Rückgrat sei entzwei. Die stolze Kolumbus rollte schwer über, als sei sie nun endgültig aus dem Steuer gelaufen. Moustakis hörte draußen einen Kabinensteward mitsamt Tablett und Geschirr den Niedergang herunterfliegen. Der Mann brüllte entsetzt, das berstende Geschirr schepperte aufreizend. Eine Frau schrie hysterisch. Moustakis kämpfte sich über den schrägen Fußboden zur Tür und dachte zornig: Was hat die Frau hier unten im Mannschaftsteil zu suchen? Die exzentrische Mrs. Gainsworthy, was? Wieder auf der Suche nach einem Liebhaber unter der Mannschaft? Er bekam die Tür auf, schoß auf den Gang hinaus, als das Schiff zurückrollte, richtete den Strahl der Lampe vor sich und
rannte, was seine Beine hergaben. Das Geschrei der in Panik geratenen Passagiere verfolgte ihn, bis das Schott zum Brückenaufgang hinter ihm zuflog. Moustakis zog sich am Handlauf die Eisentreppe hoch, durchs B-Deck, durchs A-Deck. Eine Rollbewegung schleuderte ihn ins Geländer. Es riß ihm Hautfetzen von den Knöcheln, seine Knie prallten gegen eine eiserne Stufe. Er erlitt Höllenschmerzen, doch die Sorge um das Schiff peitschte ihn vorwärts. Ein Aufsetzer in diesen Gewässern – lieber Himmel! Hier war alles voller Riffe, unberechenbarer Strömungen und bösartiger Haie. Vielleicht war die Kolumbus auch voll in eine Korallenbank gelaufen! Hatte Sögtrup, der Sicherheitsingenieur, dieses immer besoffene Schwein, seinen Platz am Echolotgerät verlassen? Ich bring’ ihn um, dachte Moustakis wild. Diesmal drehe ich ihm den Hals um! Er langte oben an, keuchend, schwitzend, kurz vor der Explosion stehend, und hatte bohrende Schmerzen im Rücken, in den Knien und Händen. Mit einem Ruck stieß er die Tür zur Brücke auf. Das kalte, nackte Entsetzen griff nach Iannis Moustakis. Keine Notbeleuchtung auch auf der Brücke, kein glimmendes Instrumentenlicht. Nur zwei mickrige Taschenlampen spendeten matte Helligkeit. Die Gesichter der Brückenwache waren geisterhaft bleiche Kleckse im unwirklichen Licht. Der Blick des Ersten Offiziers ging nach vorn. Da war der Bug, mehr zu ahnen als zu sehen. Der nächtliche Himmel hätte lichtblau sein müssen. Und unter dem Himmel weiße Schaumkronen, die auf Wellen ritten. Doch da draußen war das absolute Nichts!
Es gab keine Sterne, keine Schaumkämme, keine Wellen. Nur teerschwarze Finsternis. Als hätte eine unvorstellbare Gewalt die Kolumbus in einen Sack gesteckt« Moustakis kämpfte die Furcht nieder. Er holte pfeifend Atem und fuhr herum, als hinter ihm jemand murmelte. Der Rudergänger hielt das goldene Kreuz an die Lippen, das er an der Kette um den Hals trug. Im Hintergrund polterte jemand herein und schrie mit überkippender Stimme: »Die Radaranlage ist auch tot, und das Echolot spricht gar nicht mehr…« »Sögtrup, Sie halten die Schnauze!« brüllte Moustakis, der die Stimme des Sicherheitsingenieurs erkannte. »Drehen Sie bloß nicht durch! Das besorgen schon die Passagiere. Machen wir viel Wasser?« Die gewalttätige Stimme des Ersten Offiziers zerriß die geisterhafte, fast unwirkliche Stimmung im Brückenraum. Aber die Männer konnten sich nicht so schnell daraus lösen. Bailey, der Zweite Offizier, Sproß einer uralten englischen Seefahrer- und vermutlich auch Seeräubersippe, sagte mit dumpfer, beschwörender Stimme, als sei der Fliegende Holländer querab aufgetaucht: »Sir, kein Wassereinbruch, kein Riff, nichts. Vorhin hatten wir noch tausend Faden Wasser unterm Kiel. Plötzlich hob es das Schiff aus, die Stromversorgung brach sofort zusammen. Wir hatten keine Riffberührung, ich schwöre es. Aber wir stecken im Todesdreieck. Sir, diese Nacht holt uns der Teufel!« Augenblicklich wurde das murmelnde Beten des Rudergängers lauter. Die unwirklich leuchtenden Gesichter der Männer auf der Brücke verzerrten sich. Moustakis spürte einen Druck im Magen, der ein flaues Gefühl erzeugte.
Das Todesdreieck – berüchtigt, gefürchtet in der Fliegerei und in der christlichen Seefahrt. Diese siebenmal verfluchte Ecke zwischen den Bermudas, Florida und den Bahamas! Moustakis kannte die schlimmen Geschichten über dieses lausige Gebiet am Rande der Karibik. Die Seefahrtsämter in aller Welt verwahrten Funksprüche von Schiffen, die nie mehr aufgetaucht waren. Funktexte, die mittendrin abbrachen, von Instrumentenausfall die Rede war, vom Zusammenbruch der Stromversorgung, von durchdrehenden Kreiselkompassen und pechschwarzer Finsternis. »Bailey, Ihre Witze waren schon besser«, sagte Moustakis. »Alles Blödsinn, diese Sprüche vom geheimnisvollen Magnetberg, der die Schiffe anzieht und die Instrumente lahmlegt.« Er sagte es – gegen seine Überzeugung. Aber er durfte die Männer auf der Brücke nicht auch noch in Panik stürzen und sie in ihrer Furcht bestärken. Die Passagiere würden schon genug Unheil anrichten. Verdammt, wo bleibt Paretti? dachte er sorgenvoll. Haben die Passagiere den Alten schon erwischt? Oder verschläft er am Ende alles? Moustakis trat zum Kreiselkompaß. Der Anblick richtete ihm die Nackenhaare auf. Der Kompaß war tot! Die Schwimmnadel zeigte nach unten. In die Tiefe. Mühsam kämpfte Moustakis um seine Fassung und sagte heiser und mit nicht sehr fester Stimme: »Ein blödsinniger Defekt und eine Verkettung besonderer Umstände, mehr nicht. Sögtrup, gehen Sie auf Ihren Posten!« Der Mann gluckste, wie es Betrunkene machen. Eine Tür schlug dumpf zu. Mit Grabesstimme meinte Bailey: »Es hat uns erwischt, Sir. Wir sind diesmal dran!«
»Wenn ich Sie nicht so verdammt nötig hätte, würde ich Sie zu Boden schlagen!« knirschte Moustakis. Auf der Treppe näherte sich Lärm. Eine polternde Stimme versuchte sich Gehör zu verschaffen. Das dröhnende Organ des Kapitäns Giancarlo Paretti gewann schließlich die Oberhand. »Ein kleiner Stromausfall. Die Feuchtigkeit überall – Sie verstehen? Das kommt schon mal vor.« Paretti quetschte sich zur Tür herein und schien sich gegen die Eisentür zu stemmen, um nachdrängende Passagiere von der Brücke fernzuhalten. »Madonna, was für eine Nacht! He, Moustakis, sind Sie das?« »Aye, Sir, zur Stelle.« »Welcher blöde Kerl hat das angestellt?« Paretti schnaufte aufgebracht wie ein Nilpferd. »Lundgren sagt, unten sei alles klar, aber ihr hättet das Schiff irgendwo draufgesetzt!« In der Dunkelheit tropfte Wasser. Auf der Brücke gab es kein Wasser. Die Nerven der Männer wurden noch mehr beansprucht. Jemand hämmerte gegen die Tür in Parettis Rücken. »Wir haben das Schiff nirgendwo drauf gesetzt«, verwahrte sich Bailey. »Es lief einfach aus dem Ruder.« »Mit einer Wucht, daß es alle Gäste von der Bar weggefegt hat!« knurrte Paretti gereizt. »Und Mrs. Duggan und mich mitten im Tanz in den Swimmingpool! Ein Skandal, jawohl!« Der empfindliche italienische Kapitän erregte sich noch mehr. Bailey machte eine beschwörende Bewegung. Moustakis stand auf dem Sprung, um ihm notfalls aufs Maul zu schlagen, wenn er wieder vom Todesdreieck anfangen sollte. In diesem Augenblick sprang flackernd das Licht an, der moderne Telegraf klingelte, die Kompaßnadel richtete sich auf, draußen glimmten die Positionslichter.
Und der Himmel war plötzlich lichtblau, weiße Schaumkämme ritten auf nicht übermäßig hohen Wellen von steuerbord heran. Bailey ließ den erhobenen Arm sinken und klappte entgeistert den Mund zu. Sögtrup quakte trunken über die Sprechanlage: »Der Teufel soll mich holen, wenn nicht alles in Ordnung ist! Fünfhundert Faden Tiefe jetzt. Auf dem Radar vier große Kästen auf Gegenkurs. Keine Kollisionsgefahr, wenn’s den Alten interessiert!« Er lachte meckernd. Paretti fuhr zusammen. Er konnte nicht nur wie ein Nilpferd schnaufen, er sah wirklich so aus. Außerdem war er jetzt klitschnaß, und aus seiner feinen Uniform tropfte es stetig auf den Boden. »Madonna, dieser Säufer!« schimpfte er. »Mitten ins Wasser. Eine Unverschämtheit! Ich werde mich bei Mrs. Duggan entschuldigen müssen.« Er knautschte einen Zipfel seines Dinner Jacketts zusammen und ließ Wasser herausrinnen. Ruckartig und bösartig hob er den Kopf. »Moustakis, ich nehme die Eintragung im Logbuch selber vor, ist das klar? Eine Grundsee hat uns erwischt! Jawohl, das war es, eine Grundsee!« Er legte sein rundes Gesicht mühsam in zufriedene Falten. »Sir, das war keine Grundsee«, widersprach der Erste Offizier. »Das war ein Phänomen, wie ich es…« »Ich werde den Teufel tun und dem Hafenkommandanten von Nassau ein Phänomen erklären wollen, von dem ich keine Ahnung habe und er keine Vorstellung!« fuhr der Alte Moustakis über den Mund. »Eine Grundsee, basta! Ich habe in diesen Breiten schon eine erlebt. War fast ähnlich. Vielleicht hat irgendeine Station in diesem Gebiet ein Seebeben registriert. Das wäre sehr günstig für uns.« Er versuchte, die nasse Uniform zu glätten, gab den Versuch jedoch mit einem anklagenden Blick
nach oben auf und verließ die Brücke. Auf der Treppe hörten sie ihn gleich darauf die ausharrenden Passagiere beruhigen. Das aufgebrachte Stimmengewirr legte sich, der Lärm verlor sich langsam im Schiff. »Grundsee?« machte Bailey kopfschüttelnd. »Seit wann legt eine Grundsee die ganze Elektrik lahm?« Moustakis beobachtete den Kreiselkompaß, griff zur Karte und verglich den Kurs. Auf der Brücke herrschte eine Affenhitze, aber ihn fröstelte. Das, was der Alte als Grundsee deklarieren wollte, hatte die Kolumbus um mehr als zwanzig Grad aus dem Kurs geworfen! Bailey schaute Moustakis über die Schulter und erschrak fast zu Tode. Der Rudergänger, der den Kurs berichtigen mußte, bekreuzigte sich hastig. Über zwanzig Grad! Gerechter Gott, was war das bloß gewesen? * Das Frühstück begann mit einem peinlichen Auftritt. Mr. Gainsworthy ohrfeigte erst einen Steward, einen hübschen Portugiesen, der sich überrascht zeigte, und sofort im Anschluß daran seine Frau, eine verwelkende Blondine, an der jegliche Kunst der Schönheitschirurgie versagt hatte. Ein paar Gäste grinsten boshaft, andere blickten gelangweilt. Nur Peterson lachte glucksend in die Serviette. Olof Peterson, Streichholzkönig, Reeder, Besitzer der Kolumbus, Gastgeber und Arrangeur dieser Kreuzfahrt für die Reichsten der Reichen. Ihn amüsierten die Handgreiflichkeiten von Gains-
worthy, der den Elektronikmarkt zur Hälfte beherrschte und dessen Firmen für die nächsten zwanzig Jahre mit Regierungsaufträgen versorgt waren. Gainsworthy war sensibel, was seine Privatsphäre betraf. Als Gegengewicht war er in geschäftlichen Belangen ausgekocht und brutal, und man murmelte davon, daß sein Fonds für Schmiergelder zehnmal höher war als sein jährlicher Werbeetat. Seine Frau hatte er sich gekauft. Sie hatte drei Patente geerbt, die er dringend benötigte. Er hatte schwindelerregende Summen geboten, bis er merkte, daß er die Patente nur zusammen mit der Frau bekommen konnte. Er hatte auch dieses Geschäft gemacht, wie so viele unverständliche Geschäfte in seinem Leben, und sich zwei weitere Freundinnen zugelegt. Was Olof Peterson an Gainsworthy belustigte, war dessen unverfrorene Hemdsärmeligkeit, seine Art, sich durchzusetzen. Wenn die Gainsworthys an einer Kreuzfahrt teilnahmen, war für Unterhaltung gesorgt. Sie waren beide nicht von sehr feiner Art, gemessen an den anderen Gästen. Irgendwie waren sie die Clowns des Geldadels, den Peterson einmal im Jahr um sich zu versammeln pflegte. Die Stillen, Situierten, im Hintergrund des weltpolitischen Wirtschaftsgeschehens Wirkenden zählten ebenso dazu wie der unruhige Nachwuchs, der als Jetset von sich reden machte, der früher in St. Tropez einfiel, auf Sylt, zur Wintersaison in St. Moritz, und neuerdings in den exklusiven Herbergen von Marbella, an der Costa Smeralda und am Cap d’Agde. Vor diesem dankbaren Auditorium zelebrierten die Gainsworthys alljährlich ihr bestimmtes Ritual, nur daß es mal ein Offizier war, mal ein Maschinist, dem die Gunst der Dame gehörte, und Gainsworthy nicht jedesmal zuschlug, sondern seine Frau auch schon mit Geschirr beworfen hatte.
Olof Peterson fühlte sich Gainsworthy verwandt. Er war nicht durch gütige Fügungen des Schicksals zum Streichholzmagnaten geworden. Auch er hatte sich durchgeboxt, wortwörtlich, und einmal einen hartnäckigen englischen Konkurrenten verhandlungsreif geschlagen, ehe der Mann bereit war, ihm seine Fabriken zu verkaufen. Enttäuscht ließ Peterson die Serviette sinken, als Gainsworthy Platz nahm und sein geröteter Stiernacken in der Morgensonne leuchtete. Der Steward entfloh, Mrs. Gainsworthy war entrüstet, kühlte aber gleichzeitig eine Gesichtshälfte und warf , besitzergreifende Blicke auf den Ersten Offizier Moustakis, der mit Kapitän Paretti im Schlepp etwas hastig hinter Dr. Wagener herkam, dem Hamburger Arzt, den sich Peterson seit sechs Jahren für die vierwöchige Kreuzfahrt auslieh. Die drei kamen eine Spur zu hastig, fand Peterson und runzelte unwillig die raupenartigen Brauen. Diese Nacht, die heftige Grundsee, die die Gäste zutiefst beunruhigt hatte, und nun diese düsteren Gesichter! Peterson fluchte lautlos. Seine Frau legte den Grapefruitlöffel hart auf den Fruchtteller. Dr. Wageners Gesicht drückte höchste Bestürzung aus. Peterson gefiel das immer weniger. Der Arzt war für die eventuellen Unpäßlichkeiten der Passagiere zuständig, bei Sonnenbrand, Migräne, Sportverletzungen und verkaterten Köpfen. Und für Folgen von Vorfällen wie diese Nacht; es hatte Verstauchungen gegeben, Prellungen und einen angeknacksten Finger. Hatte sich bei einem Gast eine Komplikation eingestellt? Peterson überflog die Tische. Das Leben an Bord war zwanglos, die Einnahme der Mahlzeiten wurde individuell gehandhabt. Etliche Gäste pflegten
bis Mittag zu schlafen. Es waren längst nicht alle Tische besetzt, und Dr. Wageners Gesichtsausdruck konnte alles mögliche bedeuten. Dennoch – Peterson war nicht sehr beruhigt. Die Sache mit der Grundsee ging ihm im Kopf herum. Vielleicht war es auch ein Navigationsfehler gewesen. Paretti wurde fett – und gemütlich. Es war wohl besser, ihn zu ersetzen, Moustakis auf seinen Platz zu stellen. Tüchtiger Mann, dieser Grieche. Schulfreund von Andreadis, dem Mann von Christina Onassis. Er würde sich ganz gut machen. Besser als das schwitzende Nilpferd Paretti! Peterson schob die Teetasse etwas zurück. Er liebte es, klangvolle Namen um sich zu haben, Leute mit Verbindungen. Er war maßlos eitel. Das hatte ihm nur sein Psychiater zu sagen gewagt. Seitdem aber war der Mann nicht wieder ins Haus des Zündholzmagnaten beordert worden. Dr. Wagener bremste seinen eiligen Gang, rückte nervös an der Armbanduhr und beugte sich zu Peterson herab. »Ein – ein Unglücksfall!« stieß er leise hervor. Und fügte hinzu: »Hoffentlich nur ein Unglücksfall.« »Doktor, Sie können mir wirklich einen schönen Morgen verderben«, grollte Peterson und warf die Serviette auf den Tisch. »Heraus damit!« »Gwyneth Collins ist tot! Der Kabinensteward Mario hat sie gefunden. Sie sollten vielleicht…« »Bloß kein Aufsehen!« knurrte Peterson und grinste angestrengt, als er merkte, daß die Gruppe vor seinem Tisch neugierig bestaunt wurde. Wirklich ein Idiot, dieser Paretti! dachte er. Hätte der nicht den Doktor allein schicken können? Peterson erhob sich, schaute seine Frau an und hob unmerk-
lich die Schultern. Diese Gwyneth Collins war vor sechs Tagen in Grenada an Bord gekommen, eine propere Puppe, ein neues Sternchen im Gefolge des jüngeren Jetset, von Petersons Frau argwöhnisch behandelt, weil sie seine Schwäche für Neuerwerbungen kannte. Petersons Gewissen war rein. Die zwei Ölprinzen hatten sich sofort an das Mädchen herangemacht, und als guter Gastgeber hatte er ihnen den Vortritt gelassen. Wer hatte das Mädchen überhaupt empfohlen? Seraita, der brasilianische Playboy, der noch Rennen fuhr, Frauengeschichten am laufenden Band hatte, unmäßig trank und nebenbei seine Fleischrinderzucht ständig vergrößerte? Oder Duggan, der scheinheilige Knabe mit dem rosigen Babygesicht, der zwanzig Prozent des Aktienkapitals der Dow Chemical Industries hielt und ohne dessen Einwilligung in Kalifornien angeblich nicht einmal ein Dorfbürgermeister gewählt werden konnte? Zum Teufel, dachte Petersen, man soll sich wirklich auf keine Empfehlung verlassen! Keine fremden Leute an Bord nehmen! Es gibt doch nur Scherereien! Vielleicht ist sie in der Nacht gestürzt und mit dem Kopf unglücklich angeprallt! Er schraubte seine massige Gestalt vom Stuhl hoch und folgte dem Doktor, Moustakis und Paretti. Unterwegs begegneten sie den Prinzen Sadrash und Riyad Ben Kattaf, die morgenländisches Flair in die noble Gesellschaft brachten. Nebenbei repräsentierten sie die vereinigten Ölemirate, hielten Kontakt zu Wirtschaftsmagnaten und hatten zwei Jahre lang die Spielcasinos der Welt heimgesucht. Peterson schenkte ihnen ein joviales Lächeln. Als sie außer Sichtweite waren, wurde sein Blick düster. Die zwei hatten fast ständig dem Mädchen den Hof gemacht. Sie hatten sich auch
dafür stark gemacht, daß diese Gwyneth eine Außenkabine bekommen hatte. Die betagte Mrs. Grenadine, englische Marschallwitwe, während der Kolonialzeit ihres Mannes runzelig und trinkfest geworden, hatte ins B-Deck umziehen müssen. Ein paar verkaterte junge Leute schlichen unlustig um den Swimmingpool und schenkten den vier Männern kaum Beachtung. Peterson taxierte die Kleine van Veen, die in ihrem verdammt aufreizenden superwinzigen Tanga am Beckenrand balancierte und prüfend einen Zeh ins Wasser tauchte. Sie war überdurchschnittlich gut gebaut und entsprach nicht den landläufigen Vorstellungen von holländischen Mädchen. Peterson riß den Blick von dem wohlgefälligen Bild los und verschwand vom Schwimmdeck, das im Schutz der Brückenaufbauten lag. Bei den Außenkabinen lauerte Bailey mit seinem Seeräuberblick und hielt die wachfreie Mannschaft auf Distanz. Der Steward Mario lehnte neben der Kabinentür, war bleich wie eine Leiche auf Urlaub und hatte eine geschwollene Stelle am Kinn. Dr. Wagener öffnete die Tür. Die Klimaanlage war abgedreht, die Luft feucht und stickig. Paretti fuchtelte aufgeregt herum. Moustakis blieb gelassen. Er schloß die Tür, als sie alle eingetreten waren, und setzte die Klimaanlage in Betrieb. Peterson faßte sich nervös zwischen Hals und Seidentuch. Es wäre ja auch zu schön gewesen, dachte er und merkte, wie ihm übel wurde. Die Version mit dem Unfall ließ sich nicht durchspielen. Gwyneth Collins war nicht an einem simplen Schädelbruch gestorben. Jemand hatte sie ermordet. Bestialisch mit einem Messer um-
gebracht. Der Rücken war übersät mit Einstichen. Das Blut war geronnen, teilweise eingetrocknet. Das Kleid, das sie gestern abend getragen hatte, war unbeschädigt. Der ganze Teppich ist hin, dachte Peterson. Hoffentlich kann ich ihn in Nassau ersetzen lassen! Und wenn jemand neugierige Fragen stellt? Seine Augen quollen vor und machten ihn einem Frosch nicht unähnlich, als er Dr. Wagener die Tote auf den Rücken rollen sah. Das Mädchen trug ja eine Perücke! Und der Doktor – dieser eiskalte Deutsche, der keine Nerven zu haben schien –, was machte der Kerl? War der verrückt, der Toten das Kleid herabzuziehen? Peterson griff Halt suchend nach der Schrankecke. Unter dem langen schwarzen Perückenhaar wurde eine sandfarbene Bürste sichtbar. Die Tote sah sofort völlig entstellt aus. Die Hände des Doktors zogen das Kleid vorne tiefer. Wo die Brüste hätten sein müssen, war eine haarige Männerbrust! Und was die rundliche Oberweite der Gwyneth Collins gewesen war, hielt Dr. Wagener in der Hand. Schaumgummi! »Das – das ist doch ein perverser Witz!« keuchte Peterson. Der Schweiß lief ihm an Kinn und Nacken zusammen. »Kaum«, meinte der Doktor. »Es ist ein Mann, vom Scheitel bis zur Sohle. Ich kann es Ihnen zeigen!« »Unterstehen Sie sich!« japste Peterson. Er griff sich an den Kopf. »Versteht das einer?« »Aus medizinischer Sicht ist es wohl ein Transvestit«, sagte Dr. Wagener. Seine Stimme kam Peterson geradezu brutal vor. »Der Erste Offizier hat eine Theorie.«
»Verschonen Sie mich mit Theorien«, ächzte Peterson. Eine schwache Hoffnung keimte in ihm auf. »Vielleicht hat sich ein stürmischer Verehrer geleimt gefühlt. Als Mädchen war sie gut anzusehen. Ich hätte ja selbst nicht im Traum daran gedacht, daß es ein Mann ist.« »Wer hätte es überhaupt gedacht?« ließ sich Moustakis vernehmen. »Jemand hat es aber gewußt – von Anfang an oder durch eine zufällige Entdeckung. Von der Brücke aus habe ich zweimal den Toten in sehr vertrautem Gespräch mit Keglevic gesehen, diesem angeblichen Sekretär des Monsieur Mürli, den ich viel eher für einen Leibwächter halte. Wenn Sie Erhebungen anstellen möchten, Sir, ich würde da einhaken.« »Keine unrechte Idee«, stimmte Dr. Wagener zu. »Die Stiche sind mit gewaltiger Kraft geführt worden, und Keglevic ist kräftig. Als Tatzeit möchte ich das Seebeben der vergangenen Nacht einsetzen mit einer Toleranz von zwei Stunden.« Peterson gewann Fassung und Format zurück. »Keine Verdächtigungen gegen meine Gäste, wenn ich bitten darf, ja? Paretti, Sie haften mir dafür, daß die Mannschaft dichthält! Stellen Sie diesem Steward eine Prämie in Aussicht. Von Ihnen allen verlange ich absolutes Stillschweigen. Miß Collins ist unpäßlich, sie wird uns in Nassau überraschend verlassen. Nicht mehr und nicht weniger werden die Gäste erfahren. Doktor, Sie bringen den Toten in eine Kühlkammer. Der Koch soll eine freimachen. Kein Aufsehen, keinen Ärger.« Er blickte auf den Toten. »Zum Teufel, das ist mir wirklich noch nicht untergekommen!« Er wandte sich ab und verließ hastig die Kabine. Dr. Wagener zog das Kleid hoch. »Er hat Manschetten, aber vor wem?« sagte er, als die Schritte des Schiffseigners verklungen waren. »Vor Keglevic? Oder vor Mürli? Vor beiden etwa?« »Vielleicht will er mit Mürli ins Gespräch kommen«, sagte
Moustakis vorsichtig. »Der größte Waffenhändler der Welt, zwei Ölprinzen, die für die arabische Welt sondieren und Verbindungen anbahnen – wenn er dieses Geschäft vermitteln will, kann er freilich keine Störungen gebrauchen.« »Wird ihn einen Batzen Geld kosten, den Toten verschwinden zu lassen«, meinte der Doktor. Plötzlich nickte er. »Auf den Bahamas hat es sogar Vesco geschafft, auf freiem Fuß zu bleiben. Mit Geld läßt sich alles einrenken.« »Vesco?« fragte Moustakis. »Der Kerl, der die IOS-Fonds ausgeplündert hat, statt sie zu sanieren«, meinte Dr. Wagener scharf. »Vierhundert Millionen Dollar zählt die Beute, aber eher mehr als weniger.« »Das läßt sich hören«, sagte Moustakis trocken. »Madonna!« jammerte Paretti und schickte einen anklagenden Blick nach oben. »Das verfluchte Geld!« »Wir nehmen es alle gern«, sagte der Doktor brutal ehrlich, »Captain, lassen Sie eine Kühlkammer räumen. Noch ist die Tageszeit günstig.« »Ich habe damit nichts zu tun«, sträubte sich Paretti. »Ich werde von nichts wissen.« »Wie ich die Dinge einschätze, wird Sie auch niemand fragen«, meinte der Doktor. Er blickte dem schnaufenden Kapitän nach, der fluchtartig die Kabine verließ. Moustakis schaute prüfend den Doktor an. »Ich glaube, es ist ein Fehler, daß Mr. Peterson nicht bei Keglevic nachhakt«, sprach er zögernd, fast vorsichtig. So gut kannte er den Deutschen nun auch wieder nicht, daß er mit ihm vorbehaltlos einiges hätte besprechen können. Doktor Wagener räusperte sich. »Sie haben eine gute Beobachtungsgabe. Ich bilde mir ein, daß wir uns mal in Ruhe unterhalten sollten. Auf dem Dienstplan sind Sie ab Nachmittag bis Mitternacht nicht eingetragen. Gegen zehn in meiner Kabi-
ne?« Iannis Moustakis zögerte. »Ja«, stimmte er schließlich zu. Es klang aber nicht übermäßig begeistert. »Und nicht länger als bis Mitternacht! Ich bringe die Kolumbus nach Nassau. Die Fahrrinne hat ihre Tücken, besonders im Sund vor Fort Charlotte.« Dr. Wagener hob erstaunt eine Augenbraue. »Sie kennen die Gewässer hier ziemlich genau, ’wie?« »Wie meine Westentasche.« »Was halten Sie dann von dem Seebeben vergangene Nacht?« schoß der Doktor blitzschnell seine Frage ab. »Im Logbuch ist es eingetragen, jedes Hafenamt kann es nachlesen lassen«, wich Moustakis aus. »Eine sehr geschickte Antwort«, fand der Doktor. »Wissen Sie, ich habe zwei Seebeben erlebt und weiß also, wie sie ablaufen.« Er machte eine Pause. »Wesentlich anders als der Vorfall der vergangenen Nacht.« Moustakis schwieg. Er war sich nicht schlüssig, ob es ein Glücksumstand war oder nichts als Pech, daß dieser Deutsche mit seiner peinlichen Gründlichkeit wußte, was ein Seebeben war und was nicht. »Wenn Sie sich am Landgang in Nassau beteiligen«, sprach der Doktor weiter, »könnten Sie mich zum Hafenamt begleiten. Die Amerikaner unterhalten dort eine Station.« Der Erste Offizier bekam Ahnungen. »Für seismische Messungen?« vergewisserte er sich. Dr. Wagener lächelte schmal. »Sie haben einen scharfen Verstand, mein Freund. Es wird sicher ein aufschlußreicher Besuch.« Diesen dumpfen Verdacht hatte Moustakis allerdings auch. Nur konnte er sich darüber nicht freuen. Da war etwas, das er spürte, das auf dem Schiff war, im
Meer, überall – das er aber nicht begriff. Er erinnerte sich, daß er dieses Gefühl von Gefahr schon einmal gehabt hatte – damals, als er auf der Thorshammer gefahren war. In einer fürchterlichen Taifunnacht war der Tanker dann auch auseinandergebrochen. Ein Mann hatte überlebt, war halbtot dreißig Stunden später aus einer riesigen Öllache gefischt worden. Der Mann hatte geschworen, nicht eine einzige Seemeile mehr zu schippern. Aber dann war dieses verlockende Angebot von Peterson gekommen mit der Stelle des Ersten Offiziers auf der Kolumbus, der größten Privatjacht, 6000 Tonnen mächtig. Da hatte er nicht widerstehen können. »Vielleicht zeige ich Ihnen am Abend etwas«, sagte Moustakis geheimnisvoll. »Selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mich für verrückt halten.« Er warf einen Blick auf den Toten. Dann ging er, der einzige Überlebende der Thorshammer. Bailey stand immer noch wie ein sprungbereiter Freibeuter. Und die Freiwache wartete, um etwas in Erfahrung zu bringen. Der Steward Mario war verschwunden. »Schicken Sie die Leute in die Mannschaftsmesse!« sagte Moustakis. »Halten Sie sie dort eine halbe Stunde fest.« Bailey grinste. »Ziemlich viel Aufwand. Der Koch, der die Kühlräume verwaltet, spuckt Gift und Galle. Die Leute sind nicht blöd und können zwei und zwei zusammenzählen.« Er spuckte aus. »Die Haie sind verdammt verschwiegen, glauben Sie mir!« »Wir halten uns heraus, klar? Wir wissen nichts«, sagte der Erste Offizier und rätselte, wieviel Bailey schon in Erfahrung gebracht hatte. Der Bursche hatte einen unglaublichen Instinkt. Der Zweite Offizier grinste. »Schätze, ich gehe besser mit
runter, was mich nicht sticht, juckt mich auch nicht.« Moustakis wartete, bis Bailey die Männer unter Deck gescheucht hatte. Kaum war die Luft rein, tauchte mit dem Toten über der Schulter der deutsche Doktor auf und benutzte zielsicher den übernächsten Niedergang. Der erste führte zum Ende des B-Ganges in den Passagierbereich, derjenige, in dem er verschwand, genau zu den Vorratsräumen. Moustakis wartete, bis die Schritte verklungen waren. Dann stieg er selber in den Schiffsleib hinab, immer tiefer, bis er das dröhnende Stampfen der gewaltigen Diesel über sich hatte. Er zwängte sich in einen engen Raum und ließ das Feuerzeug schnappen. Im flackernden Licht schwappte Wasser im Kielraum. Grauenhaftes, angstgepeitschtes Pfeifen und Quietschen schlug dem Ersten Offizier entgegen. Er war wie betäubt. Erst als er merkte, wie ihn die Angst schon gepackt hatte und in ihren Klauen festhielt, ließ er das Feuerzeug zuschnappen. Er torkelte aus dem Raum, steckte achtlos das glühend heiß gewordene Feuerzeug ein und jagte wie von allen Höllenteufeln gehetzt hinauf an Deck. Kreidebleich lehnte er sich gegen die Ansaugöffnung eines Luftschachtes und starrte blicklos auf das sanft bewegte Meer, die tanzenden Lichtreflexe und den blauen Himmel. Iannis Moustakis nahm diesen sanften, freundlichen Tag gar nicht wahr. Er sah etwas anderes – ein brüllendes, haushoch aufgetürmtes Meer. Er hörte das infernalische Brüllen eines Taifuns. Und er spürte, wie unter ihm der Schiffskörper zerbrach und wie ihn eine überkommende Welle packte, hinunterdrückte in Öl und Wasser und Tod und Vernichtung.
* »Sie sehen nicht gut aus, junger Freund!« sagte eine knarrende, etwas durchdringende Stimme. Moustakis öffnete die Augen. Das strenge Runzelgesicht der Mrs. Grenadine war dicht vor ihm. Aber die Augen der alten Lady saßen voller Spaß und Lebensfreude und milderten den Eindruck, den ihre eckige Gestalt erweckte. »Es ist nichts, Mylady«, versicherte Moustakis. »Ich werde mit Peterson reden. Der Dienst nimmt die jungen Leute heutzutage unerhört mit«, plauderte die alte Dame munter los. »Entweder taugt ihr alle zusammen nichts mehr, oder der Italiener ist ein Leuteschinder. Ist Paretti das?« Sie war gefürchtet für ihre indiskreten Fragen, die nur das Alter entschuldigen mochte, und für ihre Fähigkeit immer den Finger dort hineinzustecken, wo die Wespen am lautesten summten. »Er ist es nicht«, sagte Moustakis. Die alte Dame liebte direkte Antworten, verlangte sie geradezu, und sie konnte heftig und katzig werden, wenn sie sich jemand aus einer Situation herauszuwinden versuchte. »Werden Sie von der Weiblichkeit zu sehr beansprucht?« bohrte Mrs. Grenadine weiter. Sie lachte und stutzte. »Müßte mir aber völlig entgangen sein. Wenn’s so wäre, würde es der Kleinen van Veen auch nicht sehr gefallen.« »Mylady, ich…«, setzte Moustakis an, um sich zu rechtfertigen. Hatte die Lady schon wieder einen zur Brust genommen? Eigentlich roch sie nicht danach. »Lassen Sie mich ausreden, junger Mann. Sehr höflich sind Sie nicht. Sie sehen mich als Postillon d’amour, und Sie können von Glück reden, daß ich Sie und die kleine van Veen gut lei-
den kann.« Sie kicherte vergnügt und rieb sich die welken Hände wie eine geschäftige Kupplerin. Moustakis verstand überhaupt nichts. Das verriet sein Gesicht, und das sagte er auch. Mrs. Grenadine machte eine Handbewegung, als halte sie alle Männer für minderbemittelt. »Ach, ihr fürchterlichen Kerle versteht nie etwas. Entweder habt ihr nur Geld im Kopf oder nur die Karriere. Manchmal auch bloß Stroh. Der alte van Veen und die Kleine sitzen an meinem Tisch. Man redet so, und Sie sind besonders oft der Mittelpunkt. Der Alte hat schon Erkundigungen über Sie eingezogen. Die Kleine ist mächtig in Sie verschossen.« Moustakis verstand es immer noch nicht. Er hatte das Mädchen zwei- oder dreimal auf dem Sportdeck bei der Taubenwurfanlage getroffen, ein paar Worte gewechselt, war höflich und korrekt gewesen. Möglich, daß er auch mit ihr getanzt hatte, am ersten Abend bei Petersons Ball. Im vorigen Jahr war sie ihm lediglich dadurch aufgefallen, daß sie ständig einen Schwarm Verehrer hinter sich hergezogen hatte. Scharf musterte er die englische Lady mit dem verkniffenen Mund. Machte die sich einen Witz? Im Hintergrund tauchte wie ein rettender Engel Mrs. Gainsworthy auf, die affektiert einen Augenaufschlag anbrachte und auf Moustakis und die englische Lady einschwenkte. Die Affären der Amerikanerin hätten Bände gefüllt. Ihr Erscheinen hatte sicher nichts Gutes zu bedeuten, erschien dem Ersten Offizier aber als das kleinere Übel. »Hallo, unser charmanter Grieche, der sich so rar macht!« säuselte sie. Mrs. Grenadine wandte den Kopf mit der Behäbigkeit einer englischen Dogge. Und genau so schaute sie auch die Amerikanerin an. »Ah, meine Liebe, das Frühstück und den kräfti-
gen Nachtisch verdaut? Das freut mich!« Ihre spitzzüngige Boshaftigkeit sorgte binnen Sekunden für Spannung und geladene Atmosphäre. Mrs. Gainsworthy hatte mit Puder die mißhandelte Gesichtshälfte kunstvoll übertüncht. Sie schaute die englische Lady an wie einen toten Vogel, den die Katze hereingetragen hat, und meinte: »Wir haben unsere Empfindlichkeit schon im Unabhängigkeitskrieg abgelegt.« »Was Indianer und andere Farbige heute noch zu spüren bekommen«, bestätigte die Lady. Sie zwinkerte wie eine Eule. »Meine Liebe, haben Sie schon gehört, was sich die Damen über die zwei Ölprinzen erzählen? Skandalös!« Sie war gerissen wie ein Hühnerfuchs. Mrs. Gainsworthys Hunger auf Männer wurde nur übertroffen von ihrer Neugierde. Und die war geweckt. Die alte Lady war ein ziemlich weises Mädchen. »Lassen Sie hören«, säuselte die Amerikanerin. »Doch nicht hier«, zierte sich die Lady. Moustakis fand den Augenblick richtig. Er grüßte höflich, lächelte beide an und zog sich zurück. Nach zwanzig Schritten hörte er die Amerikanerin scheppernd lachen. Mochte der Teufel wissen, was Mrs. Grenadine über die Ölprinzen herausgefunden hatte! Der Amerikanerin schien es jedenfalls zu gefallen. Und das nicht zu knapp. Oder war zu den Passagieren etwas durchgesickert? Hatte jemand den Mund nicht halten können? Die Ölprinzen hatten doch dauernd mit der vorgeblichen Miß Collins zusammengesteckt. Zwangsläufig mußten die beiden entdeckt haben, welcher Kategorie sie oder er angehörte. Moustakis blickte recht überrascht. Sollten sich da völlig neue Aspekte im Hinblick auf das Mordmotiv ergeben?
Mit Peterson konnte er nicht darüber sprechen; der ließ nichts auf seine Gäste kommen. Mit Paretti auch nicht, weil der höchstens den Beistand der Madonna herbeiflehte und ansonsten auf glückliche Fügungen wartete. Blieb nur der deutsche Doktor. Es mußte sich aber erst zeigen, auf welcher Schulter er trug und ob sein Gewissen besser war als seine Loyalität Peterson gegenüber. Moustakis überquerte das Schwimmdeck und beobachtete aus den Augenwinkeln die kleine van Veen, ganze achtzehn Jahre jung, wie sie sich auf einer Polsterliege räkelte und ihn katzenhaft-verträumt musterte. Er grüßte provozierend knapp. Weiberlaunen, dachte er. Sie soll sich einen anderen suchen, der ihr die Langeweile vertreibt. Ich will meine Ruhe haben. Peterson schätzt es nicht sehr, wenn sich Gäste und Mannschaft allzu nahe kommen. Sie griff nach ihrem Drink, nippte daran und blickte ihm über den Glasrand hinweg nach. Der Erste Offizier vergaß die Begegnung rasch, als er im Brückendurchgang eine Menschenansammlung bemerkte, die irgendeinem Ereignis auf dem Gerätedeck folgte. Er bahnte sich höflich, aber energisch einen Weg und entdeckte Paretti, der von der Außenbrücke herab zuschaute. Bailey hatte die Taucherschutzkäfige klarmachen lassen. Zwei Männer hockten mit umgeschnallten Preßluftflaschen in den Käfigen und wurden mit der Motorwinsch gerade außenbords gehievt und zu Wasser gelassen. Die starke Strömung wirbelte die Käfige sofort nach hinten. Paretti war mit der Fahrt kaum heruntergegangen. Schäumend und gurgelnd stiegen Blasen an die Oberfläche. Im kristallklaren Wasser waren die wedelnden Käfige ausge-
zeichnet zu erkennen. Ein Schwarm Barrakudas, der vierzig Fuß tief stand, stob davon, als der Schatten der Kolumbus ihn traf. Die Taucher waren nicht zum Fischen hinabgelassen worden, sie hatten keine Harpunen mitgenommen. Moustakis schaute ihnen zu, wie sie ihre Aufmerksamkeit dem Schiffsrumpf zuwandten. Seebeben, was? überlegte er grimmig. Jetzt sind dem Alten doch Bedenken gekommen. Er läßt nachsehen, ob das Schiff nicht doch soeben noch über ein Riff oder eine Korallenbank hinweggerutscht ist! Die Passagiere empfanden die Darbietung mehr als willkommene Abwechslung im Bordleben. Peterson und Sögtrup tauchten auf der Brücke auf und gesellten sich zu Paretti. Aufmerksam verfolgten sie die Bemühungen der Taucher, die durch Armsignale Anweisungen gaben, die Trossen ein Stück einzuholen oder Tau zuzugeben. Einer zeigte plötzlich nach unten und machte heftige Armbewegungen über dem Kopf. Der Mann an der Winsch legte sofort den Hebel um. Mit höchster Drehzahl holte die Stahltrommel die Trossen ein. Die Zuschauer wurden unruhig. Eines dieser Playmädchen, die im Gefolge gestandener Gentlemen an Bord gekommen waren und ansonsten von der Großzügigkeit ihrer väterlichen Gönner lebten, stieß plötzlich einen Schrei aus und zeigte ins Wasser. Geradezu begierig drängte die Menge gegen die Reling. Von oben begann Sögtrup zu fluchen. Ein Wunder, daß er überhaupt etwas sah mit seinen verquollenen Augen. Moustakis trat neben die Wunsch und beugte sich über den messingbeschlagenen Handlauf der Reling. Er sah sie sofort.
Majestätisch kamen sie schräg aus der Tiefe heraus, nicht eine Spur zu schnell oder zu langsam. Ein ganzes Rudel, und keiner unter vier Metern. Weißkopfhaie! Die gefräßigen Könige der Bahama-Gewässer, stur und dumm, aber kraftvoll und geschmeidig. Jemand brüllte nach einer Haiangel. Das Mädchen schrie immer noch, bis es jemand am Arm packte und kräftig rüttelte. Moustakis sah, daß es diese Margaux de Surlac war, deren schwache Nerven nicht gehalten hatten. Vielleicht waren es die ersten Haie überhaupt, die sie zu Gesicht bekam. Die Schutzkäfige wurden durch die undosierte Maschinenkraft wild durchs Wasser gerissen. Einer prallte gegen die Bordwand. Ein kratzendes Geräusch stieg auf dem Schiff. Der Taucher flog in seinem Käfig wie eine Puppe herum und wurde vom Wasserdruck gegen die hintere Gitterwand gepreßt. Schäumend tauchte der erste Käfig an die Oberfläche, wurde mitgerissen und kam an der laufenden Trosse endlich frei. Der zweite Käfig war noch tief im Wasser. Ihn und den darinsteckenden Taucher griffen die Haie plötzlich mit ungestümer Wildheit an. Die Burschen schienen Erfahrung zu haben. Ein spitznasiger Kerl mit Krakennarben vor der Rückenflosse brauste in voller Fahrt gegen die Vorderwand des Schutzkäfigs. Die Stäbe knickten ein, als seien sie nur aus Bambusrohr. Aber die Türe hielt. Auf der Rückseite stieß ein zweiter Hai mit dem Kopf gegen das Gitter. Es knickte auch dort ein.
Der Taucher saß von einem Augenblick zum anderen festgeklemmt. Das Rudel umkreiste jetzt schnell den demolierten Käfig. Zwei Tiere sonderten sich ab, gingen auf Distanz und wendeten. Ihre geschweiften Schwanzflossen peitschten plötzlich los. Wie mächtige, todbringende Torpedos schossen sie pfeilschnell auf den Käfig zu. * Der Taucher hatte keine Chance. Doch der Mann an der Winsch mußte Nerven wie Drahtseile haben und ein unerschütterliches Gottvertrauen in seine Fähigkeiten. Er warf den Hebel hoch und kuppelte den Antrieb aus. Der Käfig blieb ruckartig im Wasser stehen. Die Haie hatten vorgehalten und einen Stillstand des Käfigs nicht berücksichtigt. Einer der sturen Räuber schoß um mehr als einen Meter am verbeulten Eisengitter vorbei. Der andere prallte mit dem Schädel gegen die Oberkante des Käfigs und schob ihn ein Stück vor sich her. Von Bord aus war genau zu sehen, wie die Pilotfische entsetzt davonflitzten. Eiskalt ließ der Maschinist die Seiltrommel wieder laufen und holte den Käfig näher heran, ehe die Weißkopfhaie begriffen hatten, daß sie zum Narren gehalten worden waren. Als wieder zwei Tiere in weitausholendem Bogen herumschwammen, um endlich die ersehnte Beute aus dem verdammten Käfig herauszubekommen, war das Gitter schon an der Oberfläche. Zwei Sekunden später schwebte das völlig verbogene Gebil-
de über dem Wasser. Der eingeklemmte Taucher hing mehr tot als lebendig zwischen den Stäben. Er schien nicht ernstlich verletzt. Jedenfalls blutete er nicht. Sein Gummianzug wies aber im Rücken eine breite Scheuerspur auf. Dort hatte ihn ein Hai gestreift, und die sandpapierartige Haut des Räubers hatte den Gummi abgeraspelt. Peterson klatschte beifällig zweimal in die Hand. Durch die Gäste ging ein Aufatmen. Man war mit dem Ausgang des Abenteuers zufrieden. Das Interesse an dem abgebrühten Maschinisten und dem Taucher erlosch. Es war ja nichts passiert. Die Leute zerstreuten sich. Zum Schluß waren nur noch die Helfer übrig, die den Käfig samt Taucher an Bord holten und mit Zangen herausschnitten, der deutsche Doktor, der sich um den Mann kümmerte, die zierliche Margaux de Surlac, die dem Doktor interessiert zuschaute, wie er dem Taucher das Blut aus den Nasenlöchern wischte, und der Maschinist und Moustakis, die beide heilfroh waren, daß es zu keinem ernsten Zwischenfall gekommen war. Moustakis gab eine Runde Zigaretten. »Eine Schnapsidee vom Alten, ausgerechnet jetzt das Schiff untersuchen zu lassen«, meinte der Maschinist und spuckte ins Wasser. »Als ob in Nassau nicht Zeit genug dafür gewesen wäre. Aber nein, jetzt mußte es sein. Ich schätzte, nach dieser Fahrt mustere ich ab, Sir.« »Würde mir leid tun«, murmelte der Erste Offizier. Er überwachte den Abtransport des Tauchers, der doch einen anständigen Stoß erwischt zu haben schien. Schmunzelnd beobachtete er, wie die Französin dem Doktor folgte. Spann sich da etwas an? Oder war schon ein handfestes Netz daraus geworden? Dann mußte die Sache aber höchst verborgen gestrickt worden sein.
Paretti, Peterson und Sögtrup waren von der Außenbrücke verschwunden. Moustakis ging nach achtern. Bordaufsicht – das war auch so eine Sache, die einem auf der Kolumbus auf den Wecker gehen konnte. Manche Gäste waren ahnungslos wie Kinder und stellten in ihrer Unbedarftheit den größten Unfug an. Wie Gatzl, dieser zwickertragende Mann mit dem Spitzbauch, dem vier Schwimmwerften gehörten. Und Jehanne, dieser geheimnisumwitterte Mann aus Beirut. Die beiden harmlosen Geister hatten an einem Bootskran zwei Schleppleinen festgemacht, Fleischbatzen auf stählerne Haken gespießt und versuchten gerade, Weißkopfhaie aus dem Rudel herauszufangen, das hartnäckig die Kolumbus umkreiste. Im Heckwasser trieben Küchenabfälle, die gerade jemand hinausgeworfen haben mußte. Peterson hatte das streng untersagt, weil Haie eine unerwünschte Anhänglichkeit entwickelten, wenn sie sich an die Abfallspenden aus den Schiffsküchen gewöhnt hatten. Oft genug war es vorgekommen, daß mehrere Rudel einem einzigen Schiff bis in einen Hafen gefolgt waren. Entweder erkannten die Tiere ihren Pott an der Farbe des Rumpfes unter der Wasserlinie, oder sie hatten ein ausgeprägt feines Gehör für die Nuancen der Schiffsschrauben- und Motorengeräusche. Unsachgemäßes Angeln mit Fleischbatzen auf Stahlhaken war genau so schlimm wie das Abkippen von Abfällen. Oft ging der Köder schon verloren, noch bevor der Haken richtig im Wasser war. Das passierte sogar altgedienten Seeleuten, wenn sie überhaupt auf Haie jagten. Meist hatten sie eine Scheu davor. Es hieß doch, in jedem Hai
lebe die Seele eines ertrunkenen Seemanns weiter. Mit kundigem Blick erkannte der Erste Offizier, daß weder Gatzl noch Jehanne das Fleisch ordentlich festgemacht hatten. Gatzl warf gerade seinen Haken über Bord. Kaum tauchte der Köder in das Schaumwasser, tauchte dort die weißgeränderte Rückenfinne eines Haies auf, kippte zur Seite und verriet damit, daß der Räuber sich auf die Seite legte. Der Hai blieb an der Oberfläche, Gatzl aber gab immer noch Tau zu und schien überhaupt nicht zu bemerken, daß sein Haken ins Bodenlose sank. »Sir, Ihr Köder ist abgerutscht«, sagte Moustakis. »So?« machte Gatzl knapp und musterte ihn durch die Goldränder seines altmodischen Kneifers wie einen billigen Lakai. Für den Mann war die gesamte Mannschaft Personal – Paretti eingeschlossen. Und mit dem Personal debattierte man nicht. Man gab Befehle, und es hatte zu gehorchen oder flog. Allerdings hatte Gatzl es noch nicht durchgesetzt, daß Peterson auf See einen Mann hinausschmiß. Von Gatzl hieß es, daß er unermeßlich reich war und unermeßlich geizig. An Petersons jährlichen Kreuzfahrten nahm er nur darum teil, weil ihn das Vergnügen nichts kostete. So jedenfalls redete man hinter vorgehaltener Hand und sehr vorsichtig. Denn ratsam war es nicht, sich den Mann zum Feind zu machen. Es kostete ihn einen Funkspruch aus der FT-Bude der Kolumbus – natürlich auf Petersons Kosten –, um jedermann wirtschaftlich zu ruinieren. Sogar mit den Russen sollte er zusammenarbeiten. Erwiesen war nur, daß er für diese Leute in den letzten Jahren große Goldmengen an den Handelsplätzen der Welt abgesetzt hatte. Ähnlich wie Gulbenkian im Ölgeschäft bezog er aus solchen Transaktionen fünf Prozent Provision. Mit sibirischen Diaman-
ten eröffnete er neuerdings auf breiter Front den Kampf gegen das Preiskartell der Südafrikaner. Das waren aber auch die einzigen Verbindungen, die ihm zu den Russen nachgesagt werden konnten. Moustakis kannte diese Leute alle verteufelt genau. Sie kamen seit Jahren, und mal schnappte er hier ein Wort auf und hörte mal dort ein kurzes Gespräch. Im Laufe der Zeit hatte er Einblicke gewonnen und die Frage beantwortet erhalten, ob reiche Leute wirklich zufriedener und glücklicher waren als solche, die nur über bescheidene Einkünfte verfügten. Sie waren es nicht. Sie waren getrieben, ständig diesen Reichtum zu mehren, vor irgendwelchen Zugriffen in Sicherheit zu bringen, neue Verbindungen zu knüpfen, neue Geschäfte zu machen und ständig größer zu werden. Ihr Privatleben – wenn es überhaupt eines gab – war dabei längst vor die Hunde gegangen. Oder man hatte sich arrangiert, und beide Teile gingen eigene Wege. Gatzls Tochter war in einem fernöstlichen Land einer – Tempelgemeinschaft beigetreten, die sich in die Nachfolge der Blumenkinderbewegung teilte. Sein Sohn hatte sich mit Drogen zu Tode gespritzt, seine Frau ihn mit einem Skilehrer in St. Moritz verlassen. Gatzl war der alte geblieben; weder hatte er sich besonnen noch war er bitter geworden. Privates barg höheres Risiko als Geschäftliches. Das war die einzige Erkenntnis, die er aus dem familiären Desaster gezogen hatte. Trotzig rüttelte Gatzl an der Fangleine. Er spürte keinen Widerstand, rückte den Kneifer zurecht und holte Hand über Hand die Leine ein. Der Haken war blank, wie es der Erste Offizier angekündigt
hatte. »Können Sie es besser?« bellte er Moustakis an. »Ich angle keine Haie, Sir«, meinte der Erste Offizier, aber er nahm das Messer, das im Fleischbatzen steckte und das die Küche hatte herausrücken müssen. Sorgsam schnitt er ein gerade handtellergroßes Stück ab, spießte es zweimal auf den Haken und gab das Fanggerät an Gatzl zurück. Mit boshaftem Blick schmiß der Mann den Haken über Bord. Im nächsten Augenblick ging ein so gewaltiger Ruck durch die Fangleine, daß es Gatzl gegen die Reling riß und ihm mindestens vier Wicklungen Seil durch die Hände schossen, bis er begriff, daß ein Weißkopfhai Köder samt Haken verschluckt hatte. Bestürzt und mit schmerzverzerrtem Gesicht schaute Gatzl kurzsichtig seine verbrannten Handflächen an und bedachte Moustakis mit einem vernichtenden Blick. »Das war Absicht«, sagte er tonlos. »Sir, es ist Ihr Haken, Ihre Leine. Sie haben geworfen«, rechtfertigte sich der Erste Offizier. Ein paar Zuschauer fanden sich ein. Jemand erbot sich, für Gatzl den Hai müde zu trimmen, bis er an Bord gehievt werden konnte. Immer vorausgesetzt, dachte Moustakis, daß das Rudel ihn nicht vorher frißt! Jehanne war glücklicher gewesen und hatte bereits Beute am Haken. Die Fangleine hatte er unsachgemäß am Bootskran festgemacht. Der ziehende Hai hielt die Leine straff, so daß sie gegen die Blöcke und Rollen drückte, mit denen das Boot auf dem Sportdeck in die Davits gehängt war. Bei allen Seegeistern! Der mächtige Seildruck hatte einen Block aus dem Haken gehoben und die Tauwindungen, die durch den Flaschenzug liefen, aus den Rollen springen lassen.
Wenn es notwendig war, dieses Boot zu Wasser zu lassen, so stürzte es kopfüber ins Meer hinab und kippte alles heraus, was sich darin befand. Moustakis machte dem Mann aus Beirut unmißverständlich klar, daß er sich einen anderen Befestigungspunkt für die Fangleine suchen mußte. Es gab genügend Beleghaken und Trossenfänger, die fest im Deck eingelassen waren. Jehanne wackelte mit dem Kopf, sah seinen Fehler aber ein, als Moustakis ihm die abgelaufenen Taue am Kran zeigte. Als der Beutehai dicht an den Schiffsleib heranschoß und die Fangleine durchhing, schlug der Erste Offizier blitzschnell eine Schlaufe hinein und hängte sie über einen Trossenfänger. Bedächtig knotete er die Leine vom Kran los, turnte geschmeidig auf das Rettungsboot und balancierte auf der straff gespannten Persenning zum abgelaufenen Rollenblock. Es war eine mörderische Arbeit, das Tau wieder in den Flaschenzug einzuhängen. Er brach sich drei Fingernägel dabei ab und verwünschte Jehanne und den kneiferbewehrten Geizkragen Gatzl. Es schien sich herumgesprochen zu haben, daß Bordgäste eine Angelpartie auf Haie veranstaltete. Schaulustige strömten herzu. Gatzl hätte besser das Schiffsrevier aufgesucht, um sich vom Doktor die Handflächen behandeln zu lassen. Stattdessen wickelte er sein Halstuch um die Rechte, schob die Linke in die Tasche seiner ausgebeulten Hose und harrte aus, bis der Hai den Kampf aufgeben würde. Achselzuckend wandte Moustakis sich ab. Als er den Durchgang unter der Brücke passierte, sah er sich unvermittelt seinem Ebenbild gegenüber. Monsieur Mürli war zwar viel älter als er, aber sie hatten beide die gleiche Statur und eine verblüffende Ähnlichkeit im Gesicht. Lediglich die
Haarfarbe stimmte nicht. Mürli war dunkelbraun, Moustakis schwarz. Hinter dem Waffenfabrikanten und Rüstungsspezialisten tauchte sein Sekretär auf, der fischäugige Swonimir Keglevic, der ständig ein leichtes Jackett trug. Mannschaft und Offiziere grinsten schon über die Beule, die dieses Jackett an der linken Achselhöhle besaß, Es war geradezu ein Witz, daß Keglevic als Sekretär geführt wurde. Einem Halbblinden schon fiel auf, daß er die Aufgabe eines Leibwächters versah. Mürli aber hielt mit charmantem Eigensinn an der Version des Sekretärs fest. Der Schweizer lächelte verbindlich. Keglevic aber blickte kalt und durchbohrend den Ersten Offizier an. Moustakis beschlich ein unangenehmes Gefühl, als er in die gefühllosen Fischaugen des Mannes schaute. Es zog ihm die Haut im Nacken zusammen. Das war noch nie ein gutes Zeichen gewesen. Vielleicht hing es mit den Andeutungen des deutschen Doktors zusammen. Oder mit seiner eigenen Beobachtung, als er Keglevic mit dem Ermordeten gesehen hatte. Irgend etwas ging an Bord vor. Diese Kreuzfahrt war anders als die Reisen all die Jahre zuvor. * Eine Winzigkeit war verändert, als Moustakis seine eher bescheidene Kabine betrat im Vergleich zu den Luxusunterkünften der Gäste. Jemand hatte sich an seinem Schrank zu schaffen gemacht.
Ein Krawattenzipfel war in der Tür eingeklemmt und lugte etwas hervor. Mißtrauisch überprüfte Moustakis seine Habe. Es fehlte nichts, aber seine Papiere waren durchstöbert worden. Jemand hatte in großer Eile gehandelt. Ein merkwürdiger Geruch hing in der Luft. Erst wußte er nichts damit anzufangen, bis ihm die Erleuchtung kam. Es war ein Damenparfüm. Die Trägerin konnte erst vor wenigen Minuten hiergewesen sein. Die Klimaanlage lief und saugte Rauch und fremde Düfte verhältnismäßig schnell ab. Der Erste Offizier untersuchte schnell, aber gründlich die Kabine. Die geheimnisvolle Besucherin hatte nichts mitgenommen und auch nichts hinterlassen. Sollte er die Mannschaft fragen? Vielleicht hatte jemand eine Beobachtung gemacht Aber es kam häufiger als erwünscht vor, daß sich vor allem weibliche Gäste in den Mannschaftsteil verirrten. Und zwar in sehr unzweideutiger Absicht. Moustakis hob die Schultern. Vielleicht gab sich die Unbekannte zu erkennen. Er duschte, zog sich um und begab sich zum Abendessen. Unauffällig, aber aufmerksam musterte er die Damen. Mrs. Gainsworthy etwa? Die verwendete eine andere Duftnote. Mrs. Grenadine, die uralte Lady? Zum Teufel, die roch entweder nach Rum oder nach feinem Whisky oder nach gar nichts. Und nach Alkohol hatte es in der Kabine nicht geduftet. Mehr zufällig fiel sein Blick in die Richtung der englischen Lady. Sie saß am Tisch der van Veens, machte ihr übliches strenges Gesicht, aber ihre Augen funkelten höllisch vergnügt. Der alte van Veen rührte verbissen in einem Gesundheitstee
herum, den er sich allabendlich aufbrühen lassen mußte. Seine Tochter aber bekam rote Ohren und senkte schnell den Kopf, als der Blick von Moustakis sie traf. Die? dachte er verblüfft. Es war ihm überhaupt nicht erinnerlich, ob sie ein Parfüm verwendete. Mit Interesse registrierte er, daß sie sogar ein recht gesittetes Kleid angezogen hatte, was er von der Robe nicht behaupten konnte, die sie die Tage zuvor hergezeigt hatte. Mich laust doch gleich der Affe! dachte der Erste Offizier. Was war denn in die gefahren? Kramt einfach in meiner Kabine herum! War das ihr eigener Einfall, oder hat die englische Lady sie dazu inspiriert? Möglich war alles. Die jungen Leute heutzutage wurden anders erzogen und nahmen sich Freiheiten heraus, die schon als gelinde Unverfrorenheiten anzusehen waren. Dabei fühlte sich Moustakis noch gar nicht zum alten Eisen gehörig mit seinen achtundzwanzig Jahren. Er deutete ein leichtes Kopfnicken zum Tisch hinüber an. Mrs. Grenadine winkte energisch, ein Zeichen, daß sie bereits wieder in Form war und schon einiges gehoben hatte. Moustakis ging weiter zum großen Tisch, an dem traditionell die Offiziere saßen. Nur Paretti hatte seinen Platz an Petersons Tisch. Amüsiert musterte der Erste Offizier Mrs. Duggan, die den Sturz ins Wasser in den Armen des Kapitäns immer noch nicht verkraftet zu haben schien. Gelegentlich schoß sie finstere Blicke auf Paretti ab. Mrs. Gainsworthy blickte besitzergreifend um sich, schien aber noch nicht die rechte Wahl getroffen zu haben. Das pflegte immer erst später zu kommen. Es sah aber ganz so aus, als sei der neue Tischsteward das
Opfer. Der alte war in eine entfernte Ecke des Saales eingeteilt worden. Die Dame würdigte ihn keines Blickes mehr. Das war eine alte Affäre, und aufgewärmtes Gemüse war nicht ihr Fall. Moustakis erfuhr aus Gesprächen an den Nebentischen, daß Gatzl und Jehanne wirklich zwei kapitale Haie angelandet hatten. In einem Anflug von Verschwendungssucht hatte Gatzl seinen Hai der Mannschaft gestiftet. Was er aber nicht wissen konnte – der Hai lag längst wieder im Wasser. Bailey hatte den Mannschaftsköchen erklärt, seine Leute dächten nicht daran, einen Hai aufzufressen. Daraufhin hatten die Kombüsenkünstler das Problem ein für allemal aus der Welt geschafft, indem sie die Abfalluke öffneten und die Fischstücke hinauswarfen. So war jeder zufrieden. Das Abendessen zog sich wie immer hin und wurde mit Kaffee und Brandy beschlossen. Verstohlen blickte Moustakis auf die Uhr. Es wurde Zeit. Der Doktor war nicht im Saal erschienen, aber das hatte nichts zu bedeuten. Denn es fehlten auch etliche Gäste von Peterson. Vielleicht war Dr. Wagener durch einen dringenden Fall oder einen Sonnenstich aufgehalten worden. Mehr beiläufig sah der Erste Offizier auch, daß Margaux de Surlac im Saal fehlte. Er schmunzelte. Warum auch nicht? Das Mädchen war adrett, und Nachteiliges war über sie nicht bekannt. Außerdem war es eine Sache, die nur den Doktor betraf und sonst keinen. Moustakis stieg ins B-Deck hinab. Dr. Wagener gehörte zum Inventar und bewohnte keine der feinen Kabinen. Die Lüftungsschlitze in der Tür waren geöffnet; drinnen brannte Licht. Als Moustakis eintrat, räumte der Doktor gerade seine Ta-
sche ein. Es sah danach aus, als sei jemand zur Behandlung kurz zuvor in der Kabine gewesen. Das Krankenrevier lag nur drei Türen weiter und war mit allem ausgestattet, was dazu dienlich war, einem geplagten Geldmenschen in Notfällen das kostbare Leben zu verlängern. Wenn alle Bordmittel nichts nützten – oben vor der Brücke stand festgezurrt unter einer soliden Persenning eine Alouette am Gerätedeck. Viersitzig. Moustakis hatte den Hubschrauber nie fliegen sehen. Sein Vorhandensein aber übte einen beruhigenden Einfluß aus. Peterson war ein perfekter Gastgeber und dachte an alles. Genau das schätzten seine Gäste. »Sie sind pünktlich«, meinte der Doktor und schloß seine Tasche. Er räumte sie in einen Spind. »Nehmen Sie Platz. Einen Drink wage ich Ihnen nicht anzubieten.« Er wartete, bis der Offizier sich gesetzt hatte. Die Sessel waren schlicht, aber bequem. »Vor der Wache nie«, sagte Moustakis. »Sie wollten mit mir über den Leibwächter sprechen?« »Über alle, die Kontakt mit unserer Überraschung hatten«, formulierte Dr. Wagener vorsichtig. »Ich fühle mich nicht zum Detektiv berufen, und meine beruflichen Pflichten werden auch nicht direkt berührt. Es interessiert mich mehr privat, was sich an Bord abgespielt hat.« »Das herauszufinden wird schwer, wenn nicht gar unmöglich sein.« Moustakis brannte sich eine Zigarette an. »Sie sagten, Sie haben den Unbekannten in seiner Verkleidung im Gespräch mit Keglevic gesehen. War es eine vertraute Unterhaltung?« »Schwer zu sagen. Ich entdeckte sie von der Brücke. Unser Unbekannter – der Name Collins dürfte ebenso falsch sein – hatte auch andere Kontakte.«
»Zum Beispiel?« »McDaniel hat sich heftig bemüht, als Gwyneth gab der Unbekannte aber Mr. Morse den Vorzug.« »Sie wissen sicher mehr über diese beiden Gentlemen?« Der Doktor hob die Augenbrauen eine Spur. »McDaniel hat Brauereien, Morse beherrscht den Zementmarkt an der Westküste. Etwas verspielt, die beiden Herren. Sie pokern gern und gewinnen oder verlieren hoch!« »Sie spielen gegeneinander?« »Bei den Einsätzen steigt keiner ein«, meinte Moustakis und streifte die Asche ab. Der Doktor ging ran. Als sei er ein verkappter Bulle. »Wußten Sie«, meinte Dr. Wagener gedehnt, »daß beide seit geraumer Zeit im Waffengeschäft sind?« »Das ist mir neu«, gestand Moustakis. »Die Nachricht soll sogar den guten Cummings vom Stuhl geworfen haben«, plauderte der Doktor. »Er ist mit beiden befreundet. Natürlich besteht die Möglichkeit, daß er die beiden vorgeschoben hat, um sich nicht unliebsamen Untersuchungen durch die Kartellbehörde auszusetzen. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich. Cummings hat noch jedes Geschäft gegen nationalen und internationalen Widerstand gemacht.« »Dann wären sie Mitbewerber, Konkurrenten.« Moustakis blies Rauch gegen die Decke. »Eine interessante Konstellation. Zwei potentielle Einkäufer an Bord – nämlich unsere Ölprinzen. Mürli als Lieferant mit angestammtem Marktanteil, und als Neulinge McDaniel und Morse, die den Arabern sicher auch gerne etwas Kriegsgerät verkaufen möchten.« »Richtig. Daraus bietet sich eine Ideallösung an, nämlich die: der Unbekannte wurde von McDaniel und Morse eingeschleust, um die Bereitschaft der Ölprinzen zu Verhandlungen zu erkunden. Keglevic erfuhr davon, wahrte aber die Interes-
sen seines Brotgebers Mürli und schaffte den Unbekannten aus dem Weg. Dieser Schluß bietet sich an.« »Zu einfach für meinen Geschmack. Auf den kommt es aber hier kaum an«, meinte Moustakis. »Es sind nicht meine Gäste und nicht meine Probleme.« »Da haben Sie auch wieder recht. Man soll sich nicht nach den Zahnschmerzen anderer Leute drängen«, sagte Dr. Wagener nachdenklich. »Ist nicht von mir, aber auch gut.« Der Erste Offizier lächelte belustigt. Witz und Ironie hätte er diesem Deutschen nicht zugetraut. »Sie wollten mir eventuell etwas zeigen?« bohrte der Doktor. »Ich glaube, es hat sich erledigt«, wich Moustakis aus. »Es war so eine Anwandlung.« »Im Zusammenhang mit Keglevic?« »Nein. Ich bin mal mit einem Tanker untergegangen. Dieses unbeschreibliche Gefühl vor dem Unglück – das hatte ich heute am Nachmittag auch.« »Und jetzt nicht mehr?« »Nein. Ich sagte ja, es war eine Anwandlung, eine momentane Stimmung, mehr nicht.« Er behielt sein Geheimnis im Kielraum des Luxusschiffes für sich. »Hm!« brummte der Doktor. Er angelte aus dem Wandbord eine Flasche und ein Glas und goß sich ein. »Vielleicht waren es die Nachwirkungen des Schocks aus der vergangenen Nacht. Die Taucher konnten übrigens keinen Kratzer am Schiffsrumpf entdecken. Grundberührung scheidet aus. Vorläufig werden wir an die Grundsee glauben müssen.« »Was war es Ihrer Meinung nach?« Moustakis hatte den ironischen Unterton nicht überhört. »Ein Phänomen. Meinen Sie, ich hätte am Nachmittag nicht die amerikanischen Schiffe bemerkt? Zufällig weiß ich, daß gegenwärtig eine großangelegte Aktion läuft, an der fünfund-
zwanzig Forschungsschiffe beteiligt sind. Die Amerikaner wollen endlich wissen, was im Todesdreieck los ist, welche Ursachen den Instrumentenausfall bewirken und Schiffe und Flugzeuge verschwinden lassen.« »Ich bin informiert«, meinte Moustakis. »Glauben Sie, daß diese Schiffe das Geheimnis lüften werden?« »Ja. In einem Jahr wissen wir mehr. In diesem Gebiet soll übrigens auch der versunkene sagenhafte Erdteil Atlantis gelegen haben.« Abwehrend hob der Erste Offizier die Hände. »Spekulationen. Was hier liegt, sind spanische Goldschiffe und Wracks aus jüngerer Zeit.« Dr. Wagener lächelte listig. »Die Goldschiffe hat man zum Teil gefunden. Die Wracks nicht!« »Das wird sich alles irgendwie klären«, sagte Moustakis zuversichtlich. Sie wechselten das Thema und plauderten angeregt, bis es Zeit für den Ersten Offizier wurde, Bailey auf der Brücke abzulösen. Auf dem Oberdeck sah Moustakis den Schweizer an der Reling stehen. Er erkannte ihn erst im letzten Augenblick. Die Beleuchtung war gelöscht, es herrschte diffuses Zwielicht. Mürli schien dem Spiel der fluoreszierenden Wellen zuzusehen. Von seinem Sekretär und Leibwächter war nirgendwo eine Schuhspitze erkennbar. Insgeheim bestätigte dieser Umstand den Verdacht, daß Keglevic mit der Beseitigung des Unbekannten Gefahren für Mürli gebannt sah. »Sie sollten besser das Vorderdeck aufsuchen, Sir«, sagte Moustakis freundlich. »Der Pool ist nicht abgedeckt.« Langsam wandte Mürli den Kopf. »Ich falle schon nicht ins Wasser«, sagte er zu seinem Doppelgänger: »Eine ruhige Stun-
de ist unbezahlbar. Merci vielmals.« Moustakis trat zurück, klemmte die Mütze unter den Arm und kratzte sich unentschlossen am Schädel. Besser, er löste Bailey ab und gab ihm den Auftrag, den Schweizer da hinten vom dunklen Deck aufzulesen. Bailey hatte eine Art, seine Wünsche durchzusetzen, der kein Passagier widerstand. In der Dunkelheit flog der Erste Offizier um ein Haar über eine herumliegende Matratze. Er sah ein paar unordentlich herumstehende Liegen. Entweder hatte der Räumdienst sich einen bequemen Abend gemacht und das Sonnendeck gestrichen, oder Gäste hatten sich nochmals das Gerät aufgebaut, um etwas in der lauen Nachtluft zu ruhen. Das Aufräumen hatten sie vergessen – wie immer. Moustakis steuerte zum Durchgang. Er durchquerte den schwachen Lichtkreis einer Positionslampe, sah plötzlich vor sich einen jäh auftauchenden Schatten, der ihn ansprang, und machte instinktiv eine abwehrende Armbewegung. Die Mütze, die er noch eingeklemmt trug, flog an Deck. Zum Teufel, ein Betrunkener? Moustakis spürte einen Schlag am Arm. Etwas traf ihn am Körper, riß an seinem kurzärmeligen Hemd. Stoff knirschte. In seiner Muttersprache stieß Moustakis einen saftigen Fluch aus. Wie der Blitz verschwand der Schatten. Schritte jagten davon. Die Tür eines Niederganges flog zu, begleitet von einem dezenten Knarren. »Völlig irrsinnig geworden!« murrte der Erste Offizier entrüstet, bückte sich nach seiner Mütze und trabte in die Dunkelheit hinein.
Es gab hier vier Niedergänge, alle mit Türen. Aber nur eine von ihnen knarrte. Darum wußte er, wohin er sich zu wenden hatte. Der Niedergang führte zu den Salons, der Bar, dem Tanzund Galasaal und zu den Kabinengängen. Warum war kein Lichtschein herausgefallen, als der Kerl die Tür geöffnet hatte und in den Niedergang getaucht war? Die Antwort fand der Erste Offizier wenig später. Die Beleuchtungsarmatur war geöffnet und die Birne losgedreht. Moustakis machte die Birne fest, spähte die teppichbelegte Eisentreppe hinab, konnte aber niemanden sehen oder hören. Der Bursche hätte auch vom Teufel geritten sein müssen, wenn er gemütlich abgewartet hätte, bis ihm der Eins-O auf den Hals kam. Mißmutig und noch ohne bösen Verdacht ging Moustakis zur Brücke. Bailey war schon etwas ungeduldig. Er hatte die Wettermeldung aus Miami eben hereinbekommen. Zwischen den Key West-Inseln und Kuba braute sich etwas zusammen, aus dem ein verdammter Hurrikan entstehen konnte. Ein Glück, daß die Kolumbus in Nassau festmachte. Wenn das Wetter ganz beschissen wurde, konnte sie da ein paar Tage liegenbleiben. Vielleicht ging der Segen auch vorbei. Das Wetter kam und ging hier binnen Stunden. Moustakis überflog die Wettermeldung, verglich die Positionsangaben mit der Karte und übernahm die Brücke. Bailey war schon in der Tür, als er sich zurückwandte und grinsend sagte: »In dem Aufzug würde ich dem Alten aber nicht unter die Augen kommen.« »Wieso?« Moustakis verstand kein Wort. »War’s eine feurige Liebhaberin oder ein düpierter Ehemann?« Bailey grinste wölfisch und zog die Tür hinter sich
zu. Moustakis blickte an sich herab. Beim Henker, was war denn das? Das kurzärmelige Uniformhemd war blutig und über dem Bauch zerrissen. Oder war das ein Schnitt? Es war einer, der Riß verlief peinlich gerade. Mit einem Satz war Moustakis an der Tür und brüllte: »Bailey, verdammt, kommen Sie zurück!« Schritte klirrten auf dem Eisen. Der Sproß englischer Seeräuber tauchte wieder auf. »Sir?« »Sie Esel, das war weder eine Frau noch ein Mann. Ich hatte gerade einen Zusammenstoß auf dem Sonnendeck und dachte, es nur mit einem Betrunkenen zu schaffen zu haben. Los, Mann, laufen Sie! Mürli steht da hinten an der Reling! Jemand hat mich mit ihm verwechselt, ich hatte die Mütze unter dem Arm. Das galt nicht mir, sondern dem Schweizer!« Seine Stimme war jagend. Bailey bekam einen gewaltigen Schreck. Etwa noch so eine verdammte Geschichte? Das fehlte noch! Er donnerte die Treppe hinunter, daß es dröhnte, als breche die Brücke zusammen. Moustakis trat an die rückwärtige Verglasung. Bailey hielt nichts von Suchspielen in der Dunkelheit. Er rannte in den Aufbau, in dem sich die Schaltanlagen befanden. Sofort erstrahlte das Sonnendeck in hellem Licht. Hinten bei der Reling drehte sich Mürli überrascht ob der Festbeleuchtung um und schaute wie ein Maulwurf. Gottlob, es war ihm nichts zugestoßen. Bailey spurtete über das Deck, umrundete den Pool und sprach auf Mürli ein. Er schaffte es tatsächlich, den Mann von Deck zu bringen. Nach kurzer Zeit stand der Seeräuber wieder am Pool und si-
gnalisierte hoch, daß alles in Ordnung war. Er löschte das Licht und begann mit seinem freien Teil der Nacht. Moustakis war auf der Brücke festgenagelt. Er konnte den Platz jetzt nicht verlassen, um ein neues Hemd aus der Kabine zu holen. Wenn es gutging, tauchten weder Paretti noch Peterson auf. Vorsichtig schaute er unter dem zerfetzten Hemd nach. Wie durch ein Wunder hatte seine Haut nicht mal einen Kratzer abbekommen. Seine rasche Abwehrbewegung mußte dem zustoßenden Messer eine andere Richtung gegeben haben. Das Hemd war zum Teufel gegangen, aber der Bauch war heil. Ein Messer! Hölle, mit einem Messer war der Unbekannte bestialisch umgebracht worden! War das etwa der nämliche Kerl gewesen? Dann konnte Keglevic doch nicht der Verdächtige sein. Wie sollte der Bursche auf die verrückte Idee kommen, seinen Brotgeber Mürli anzufallen? Die Sache war wichtig. Moustakis mußte darüber unbedingt mit Dr. Wagener sprechen. Sobald die Kolumbus festgemacht hatte. * Zwei mächtige Pötte lagen am Pier, ein Italiener und ein Schwede. Ein Stück entfernt lagen tiefgehende Schnellkreuzer der Engländer, genau unterhalb des Wasserturmes von Nassau. Die Passagiere waren zum Landgang ausgeflogen. Jedenfalls hatten die meisten von ihnen die Gelegenheit ergriffen, die
Hauptstadt der Bahamas zu besichtigen. Bailey hockte oben auf der Reling wie ein gerupfter Seeadler und achtete darauf, daß niemand von den geschäftstüchtigen ambulanten halbwüchsigen Händlern über die Gangway ins Schiff kam. Der Proviantagent fuhr mit einem klapprigen Vehikel vor. Bailey grinste, als einige Zeit später ein paar Kisten von Bord geschafft wurden. Eine schien besonders gewichtig zu sein. Da geht er hin und singt nicht mehr, dachte er. Vielleicht bekommt er ein anständiges Begräbnis, vielleicht schmeißen sie ihn auch in der Nacht in den Sund! Jetzt verließen Moustakis und der Doktor das Schiff. Träge blickte Bailey ihnen nach, wie sie das Gewimmel auf dem Strohmarkt durchquerten. Er ruckte erst etwas hoch, als sie neben der Hafenkommandantur ein Gebäude betraten, vor dem zwei betont gelangweilt wirkende Amerikaner standen. Es passierte aber nichts, und der Doktor und der Eins-O wurden auch nicht herausgeschmissen. Baileys träges Interesse erlosch. Der Mann, den Moustakis und Dr. Wagener endlich zu sprechen bekamen, nannte sich Heflin. Er schüttelte den Kopf. Nein, ein Seebeben, davon war ihm nichts bekannt. Er wollte aber gerne nachhören. Und er telefonierte sogleich. Dabei verdeckte er die Wählscheibe des Apparates. Die Auskunft, die er bekam, schien sich mit seinen Informationen zu decken. Er legte den Hörer zurück, nahm einen Schluck aus der Dr.-Pepper-Dose und betrachtete seine Besucher nachsichtig. »Kein Seebeben bis hinauf nach Des Moines, Gentlemen. Schon acht Tage lang ist das Gebiet friedlich. Aber ich werde mir eine Notiz machen.« Er kritzelte etwas auf einen Block.
Das war es schon. Dr. Wagener und Moustakis verabschiedeten sich. Draußen blickten sie sich an. »Entweder weiß er was und darf nichts sagen, oder er weiß gar nichts«, sagte Moustakis mißgelaunt. »Es wäre auch zu schön gewesen«, brummte der Doktor. »Ich bin auf das Gesicht von Peterson gespannt, wenn ich ihm das serviere.« »Er wird Sie einen Lügner nennen«, orakelte der Erste Offizier. »Er kann mir andererseits nicht beweisen, daß es ein Seebeben war. Jetzt nicht mehr.« Sie überquerten den Platz mit den Buden und den Strohhändlern unter den Arkaden. Die unverwüstliche Mrs. Grenadine winkte aus einem zerzausten fensterlosen Taxi, rüttelte den Fahrer an der Schulter und brachte den Farbigen dazu, das Vehikel anzuhalten. »Wir haben noch zwei luftige Plätzchen frei!« rief sie. »Her mit euch beiden!« Ihre Stimme war gut geölt. Der weiße Rum der Inseln war erstklassig. Der alte van Veen hockte schwitzend und gottergeben in sein Schicksal auf der hinteren Sitzbank. Seine Tochter war neben der englischen Lady plaziert. Moustakis war bereit, tausend Eide zu schwören, daß die alte Lady mit dem Fahrzeug auf der Lauer gelegen hatte, um ihn abzufangen. Er hatte sie am Morgen aus dem Dienstraum kommen sehen, wo die Dienstpläne aushingen. Der Raum war nur der Mannschaft vorbehalten. Welche Macht der Erde hätte diese Dame aber wohl aufhalten können? Dr. Wagener grinste anzüglich, ehe er mit Moustakis einstieg. Die Engländerin dirigierte den Ersten Offizier nach vorn und ihn nach hinten und bedeutete dem Fahrer, daß er nun wieder
loskutschieren könnte. Der Linksverkehr war eine Sache für sich. Mit entnervender Souveränität steuerte der Farbige sein Gefährt los. Möglich, daß die Lady ihm die Zusammenstellung eines Programmes überlassen hatte. Er fuhr los, am alten Kolonialfriedhof vorbei, und gab mit leiernder Stimme Erklärungen. Für zwei Dollar extra ging es auf der hochgezogenen Brücke über den Sund nach Paradise Island hinüber zum Casino, das von der amerikanischen Cosa Nostra kontrolliert wurde. Der Fahrer war sichtlich enttäuscht, als seine Gäste keine Anstalten trafen, hier auszusteigen und etwas Geld umzusetzen. Pflichtschuldig führte er ihnen die Hotelbauten der Flagler Inn und der Holiday Inn vor und kutschierte seine Fracht zurück zur Hauptinsel, quer durch die Stadt zum Fort Charlotte, zum Wasserturm. An der Queen’s Staircase war ein Menschenauflauf. Und Polizei war da. Moustakis hatte ein doppelt unangenehmes Gefühl einmal durch die direkte Nähe der kleinen van Veen bedingt, zum andern dadurch hervorgerufen, daß er in der Menge viele Gäste der Kolumbus entdeckte. Sie machten alle sehr betroffene Gesichter. Den Grund der allgemeinen Bestürzung erfuhren die Taxigäste rasch – McDaniel war in der einst von Sklaven geschaffenen Felsschlucht auf den oberen Stufen der in die Tiefe führenden Steintreppe gestolpert und war mit gebrochenem Genick unten angekommen. Da unten lag er im Schatten, klein und verkümmert. Ein Polizist in schwarzer Hose, weißer Jacke und mit Tropenhelm trat hinzu und deckte etwas über den Toten. Dr. Wagener und Moustakis empfahlen sich rasch und hör-
ten sich unter den Passagieren um. Ein Unfall war es, was sonst? McDaniel war unvorsichtig gewesen, eventuell auch angetrunken. Nur Seraita, der Brasilianer, war der Meinung, es habe so ausgesehen, als hätte McDaniel einen Stoß erhalten, sei vielleicht unbeabsichtigt geschubst worden. Dr. Wagener schloß die Augen bis auf schmale Schlitze. Moustakis nahm Seraita fest in eine Unterhaltung und hörte, wer alles sich in unmittelbarer Umgebung McDaniels aufgehalten hatte, als es passierte. Das Ehepaar Duggan, die beiden Ölprinzen, Jehanne, Keglevic! Mürli nicht. Der war schon ein Stück tiefer auf der Steintreppe gewesen, und um ein Haar hätte ihn der stürzende McDaniel mit in die Tiefe gerissen. Seraita bekam einen lauernden Blick, als ihm aufging, daß der Erste Offizier ihn einem regelrechten Verhör zu unterziehen schien. Zu seinem Leidwesen brach Moustakis die Unterhaltung aber ab und zog sich mit diesem deutschen Doktor etwas zurück. Er sah sie im Schatten der Felswand stehenbleiben, wo sie miteinander redeten. Unten kam ein Krankenwagen. McDaniels Leiche wurde weggebracht. Dr. Wagener sagte leise nach einem Blick rundum, ob es auch keinen ungebetenen Zuhörer gab: »Mir scheint, es kommt Licht in die böse Geschichte. Es gibt keinen Beweis, aber ich habe das untrügliche Gefühl, daß Keglevic hier seine Finger im Spiel hat. Ein Konkurrent weniger für Mürli. So sieht es doch aus, oder?« »Auf den ersten Blick – ja«, räumte Moustakis ein. Er machte eine Pause und fuhr fort: »In der vergangenen Nacht hatte ich eine unangenehme Begegnung, Direkt im Anschluß an den Be-
such bei Ihnen.« »So?« machte der Doktor gespannt. »Ich traf Mürli auf dem unbeleuchteten Sonnendeck, sprach ein paar Worte mit ihm und ging zur Brücke. Im Durchgang griff mich jemand an und ruinierte mein Hemd mit einem Messer. Der Unbekannte war sehr umsichtig vorgegangen. In dem Niedergang, den er zur Flucht benutzte, hatte er die Beleuchtung außer Betrieb gesetzt. Ich konnte ihn nicht erkennen.« »Mann, warum haben Sie mich nicht verständigt?« brauste der Doktor auf. »Es war nichts passiert. Ich vermute sogar, daß der Angriff gar nicht mir galt.« »Doch nicht Mürli?« »Ich fürchte doch. Ich hatte die Mütze abgesetzt. Meine Ähnlichkeit mit dem Schweizer muß den Angreifer getäuscht haben.« Dr. Wagener griff sich an den Kopf. »Das wirft doch alles wieder durcheinander«, stöhnte er. »Eben«, bestätigte Moustakis. »Keglevic bringt den verkleideten Unbekannten um, er stößt McDaniel in den Tod. Aber er geht doch nicht mit einem Messer auf seinen Chef Mürli los!« »Teufel, ist das kompliziert!« schnaufte der Doktor. »Also ist noch jemand an Bord, dem das Messer locker sitzt. Vielleicht erwischen wir ihn und auch Keglevic, wenn wir Morse und Mürli ständig im Auge behalten. Was meinen Sie?« »Die Überlegung ist gut, aber kaum in die Praxis umzusetzen. Ich habe feste Dienstzeiten«, wandte der Erste Offizier ein. »Allein kann ich nicht zwei Leute überwachen, die sich gleichzeitig an verschiedenen Orten aufhalten«, brummte Dr. Wagener. »Wie wäre es mit diesem Bailey?«
»Fragen Sie ihn, ich halte mich heraus.« Sehr glücklich war der Doktor mit dieser Lösung nicht. Er zupfte unentschlossen an der Unterlippe. Zufällig fiel sein Blick auf Mrs. Grenadine, die eben in der Queen’s Staircase auftauchte und sehr mütterlich den Arm um van Veens Tochter gelegt hatte. Sie schienen eben erst erfahren zu haben, was passiert war, und wirkten reichlich bedrückt. Van Veen segelte im Kielwasser der Frauen und tupfte sich fortwährend mit einem Tuch den Schweiß ab. Die Hitze war kaum noch zu ertragen, und die Luftfeuchtigkeit war beängstigend hoch, so um 94 Prozent herum. »Was halten Sie von unserer englischen Lady?« fragte Dr. Wagener plötzlich. »Sie versucht, mich für van Veens Tochter zu interessieren«, murrte Moustakis. »Das ist auf dem ganzen Schiff bekannt«, sagte der Doktor. »Es sind Wetten abgeschlossen, ob sie es schafft. Nein, ich meine, können wir sie für unsere Zwecke einspannen? Sie ist eine herrliche Type, könnte von Agatha Christie erfunden sein.« »Die Lady als Detektiv einsetzen?« fragte Moustakis verblüfft. »Wenn sie mitmacht. Jeder mag sie leiden. Sie ist schlagfertig, trinkfest wie ein Mann, und sie kann sich überall bewegen, ohne Verdacht zu erregen.« Moustakis räusperte sich. »Ihr Einfall kann sich sehen lassen, Doktor. Es hängt allein von ihr ab, ob sie mitmacht. Als sie ins B-Deck umquartiert wurde, bekam sie die Kabine gegenüber von Morse. Für uns ist das ein Vorteil. Wollen Sie mit ihr sprechen?« Exponieren wollte der Doktor sich auch nicht. »Machen wir’s zusammen, oder?« »Von mir aus«, stimmte Moustakis zu.
Sie sahen jedoch keine Gelegenheit, sofort mit Mrs. Grenadine zu reden. Die van Veens waren bei ihr, andere Passagiere gesellten sich noch dazu. Von Morse, Mürli, Keglevic und einigen anderen war nichts mehr zu sehen. Sie hatten es vorgezogen, in der allgemeinen Aufregung wegzugehen. Am Ausgang der Queen’s Staircase war linker Hand ein freier Platz, auf dem ständig einige der abenteuerlich aussehenden Taxis herumstanden. Es bedeutete keine Schwierigkeit, von hier zu verschwinden. Drei farbige Polizisten machten sich noch Notizen und entließen dann die letzten Passagiere der Kolumbus, die Augenzeuge gewesen waren. Ein höchst bedauerlicher Unfall. Ein Schulterzucken. Wer bezahlt die Kosten? Angenehmen Aufenthalt. Petersons Gäste verdrückten sich. Je nach Temperament versuchten sie, über den Schock hinwegzukommen. Viele kehrten an Bord zurück. Einige ertränkten das Erlebnis in Alkohol und mußten am Nachmittag am Pier angekarrt werden, weil sie kaum fähig waren, auf den Beinen zu stehen. Auch Jehanne war unter ihnen und faselte dauernd etwas von dem köstlichen Goombay Smash. Hernach stellte sich heraus, daß er und einige Passagiere einen hier lebenden enteigneten Engländer kennengelernt hatten, der sie zu einem Umtrunk einlud, bei dem dieses vorzüglich schmeckende, aber in der Wirkung höllische Mixgetränk gereicht worden war. Schon das dritte Glas hatte Jehanne umgestoßen. Peterson war nicht da. Er war am Vormittag mit einem Wasserflugzeug zu einer der äußeren Inseln geflogen, um einen dort ansässigen Geschäftsfreund zu treffen. McDaniels tödlicher Unfall hatte sich nach seiner Abreise er-
eignet, und über Funk war der Geschäftsfreund nicht zu erreichen. Peterson konnte nicht informiert werden. Seine Frau regelte die Formalitäten mit den nassauischen Behörden. Da Paretti unauffindbar war, mußte Moustakis sich um den Rest der Angelegenheit kümmern. Er organisierte die Überführung des freigegebenen Toten zum Flughafen Windsor, buchte den Metallbehälter als Fracht nach Miami und verständigte die Angehörigen von McDaniel. Beim Dinner brachte ihm ein Steward einen Funktext von Sögtrup. Absender war die Familie des Toten. Sie erbat Einzelheiten und avisierte einen Sicherheitsmann, der in zwei Tagen in Nassau eintreffen würde. Die Kolumbus würde morgen abend schon auslaufen, um im Zeitplan zu bleiben. Pech für den Sicherheitsmann. Die Wettervorhersagen – waren günstig. Zwar hatte sich im Golf ein prächtiger Hurrikan entwickelt, zog aber zur mexikanischen Küste auf Vera Cruz zu. Der Erste Offizier versenkte den Funktext in der Tasche und sagte zu dem wartenden Steward: »Sögtrup soll abwarten. Wir überlassen Peterson die Entscheidung.« Als der Mann gegangen war, fing Moustakis einen Blick von Dr. Wagener auf. Der Deutsche schüttelte den Kopf und machte eine knappe Bewegung zum Tisch der van Veens hin. Er wollte wohl zum Ausdruck bringen, daß er Mrs. Grenadine noch nicht hatte sprechen können Und daß er die Unterstützung des Ersten Offiziers benötigte. Sehr spät kam Kapitän Paretti in den Saal. Er sah nicht gut aus und wirkte abgespannt und angegriffen. Keglevic und Mürli speisten gemeinsam. Morse war gar nicht erst zum Dinner erschienen. Während die Gäste sich später auf die Salons verteilten, machte Moustakis seinen Rundgang. Bailey hatte Morse am
frühen Abend in die Stadt gehen sehen. Gegen sechs Uhr. Es war jetzt nach zehn, und Morse war nicht zurück. Moustakis war irgendwie beunruhigt. Er konnte nicht sagen, ob dies unmittelbar mit Morse zusammenhing. Er schärfte Bailey ein, ihn sofort zu verständigen, wenn der Amerikaner an Bord kam. Eine unmittelbare Gefahr bestand nicht für Morse. Keglevic war ja an Bord. Moustakis machte weiter seine Runde. Ein Teil der Mannschaft hatte Landurlaub, die anderen Leute waren, soweit sie nicht auf ihren Posten Dienst versahen, auf dem Gerätedeck versammelt und probierten den weißen Rum. In der Tür des Spielsalons traf der Erste Offizier auf den Doktor. Der Teufelskerl hatte es irgendwie geschafft, Mrs. Grenadine aus ihrem abendlichen Bridge-Zirkel herauszuschneiden, denn er führte sie am Arm und atmete erleichtert auf beim Anblick von Moustakis. »Meine Herren, ich fühle, Sie haben mir etwas zu erklären!« sagte sie streng. Schon ihre Stimmlage hätte ausgereicht, jeglichen Widerspruch abzuwürgen. »Wir gehen in die Bar, Mylady, da ist es um diese Zeit noch ruhig«, sagte Moustakis. Mrs. Grenadine besaß außer ihrer Trinkfestigkeit auch andere unschätzbare Vorzüge. Einer war ihre Neugierde. In der Bar waren nur wenige Gäste. Im Hintergrund baute das Pasadenar-Roof-Orchester seine Instrumente auf, eine Band, die Peterson hatte einfliegen lassen. Junge Leute mit langen Haaren und Bärten. Möglich, daß in Pasadena dies immer noch als modern galt. Der Arzt wählte einen Tisch in der Ecke. Er bot Deckung nach zwei Seiten. Die wenigen Gäste schauten kaum her. Mrs. Grenadine hatte immer Anschluß, wenn sie wollte, es war un-
verdächtig. Dr. Wagener rückte etwas verlegen herum und suchte verzweifelt nach einem Beginn. Wie sollte er ihr beibringen, daß sie einen Gast mehr oder weniger bewachen sollte? Hilfesuchend schaute er Moustakis an. Der hatte doch sonst gute Einfälle. Der Erste Offizier empfand die Peinlichkeit der Situation und fand, daß es besser war, das Geschütz richtig aufzufahren. »Mylady«, begann er, »an Bord haben sich einige merkwürdige Dinge ereignet, die der Klärung bedürfen. Nicht offiziell. Wir wollten Sie um Ihre Mitwirkung bei der Aufklärung bitten.« Die alte Lady schaute ihn an, als sei er überhaupt nicht vorhanden. Plötzlich haute sie mit der Hand auf den Tisch. »Ein lobenswerter Einfall, junger Mann. Ich komme noch um vor Langeweile. Was ist denn Merkwürdiges passiert?« Er wand sich. »Nun ja, der Tod von Mr. McDaniel ist etwas geheimnisvoll und…« »Richtig«, pflichtete sie ihm bei. »Es ist ungehörig, sich in der Queen’s Staircase das Genick zu brechen. Ein großer Verlust ist er für Amerika nicht«, schränkte sie dann ein. »Er war ungehobelt wie alle Amerikaner.« »Er war in erster Linie ein hartgesottener Geschäftsmann, und wir beide vermuten, daß sein Ableben gewollt war und in enger Verbindung mit seinen Geschäften steht. Er soll ins Waffengeschäft eingestiegen sein, zusammen mit Mr. Morse.« »Auch so ein unhöflicher Patron«, maulte sie. »Waffengeschäfte! Gibt es noch eine anständige Art, sein Geld zu verdienen?« »Sicher, nur dauert es länger«, meinte Dr. Wagener grob. »Mr. Moustakis und ich fürchten, daß Mr. Morse ein ähnliches Schicksal bestimmt ist. In diesem Geschäft kollidieren die In-
teressen schnell. Wir möchten Sie bitten, ein Auge auf Mr. Morse zu haben, auf seinen Umgang zu achten.« Die unverwüstliche Mrs. Grenadine war plötzlich Feuer und Flamme. »Wird das ein Kriminalfall?« fragte sie aufgekratzt. »Mit ein paar hübschen kleinen Aufregungen? In meinem Alter bietet das Leben kaum noch Höhepunkte.« »Wir hoffen nicht, daß ein Kriminalfall daraus wird«, dämpfte Dr. Wagener ihre Erwartungen. »Immerhin aber haben wir jemanden an Bord, der sehr flott mit dem Messer umzugehen versteht. Unser Erster Offizier hatte einen Zusammenstoß mit ihm, offenbar war er das Opfer einer Verwechslung.« Das alte Mädchen war nicht auf den Kopf gefallen. »Verwechslung? Doch nur mit diesem langweiligen Schweizer. – Oh!« Ihr Mund verzog sich. »Der ist doch auch im Waffengeschäft.« »In der Tat«, bestätigte Dr. Wagener. »Möglicherweise ist auch Mürli bedroht, wenn ich es kraß ausdrücken soll. Den Schweizer beobachte ich, Mr. Morse Sie. Vielleicht kommen wir auf diese Weise dem Messerhelden auf die Spur.« Sie überlegte und kramte dann in ihrer vorsintflutlichen Abendtasche herum, in die fast mühelos der Inhalt eines Kabinenkoffers gepaßt hätte. Zum Entsetzen von Moustakis und Dr. Wagener brachte sie ein unhandliches Messer zum Vorschein, wie es in den Bordküchen verwendet wurde. Es war notdürftig gesäubert, zeigte aber Spuren von Blut. Die Lady legte das Instrument auf den Tisch. »Das fand ich gestern in meiner Kabine. Es ist mir ein Rätsel, wie es da hingekommen ist. Ich habe es eingesteckt und vergessen. Der Steward hätte einen schönen Schreck bekommen, wenn er’s gefunden hätte.« Sie kicherte. Dr. Wagener griff nach dem Messer und nahm es vom Tisch,
damit es nicht jedem gleich ins Auge fiel. Es bedurfte keiner lebhaften Phantasie, um das Messer als Tatwaffe zu klassifizieren, mit der der unbekannte Transvestit erstochen worden war. Von Moustakis konnten die Restspuren nicht stammen. Er hatte nicht geblutet. Die ehrwürdige Lady war ein Herzchen. Schleppte, ohne es zu wissen, eine Mordwaffe in der Handtasche herum! »Ich nehme das Ding besser an mich«, sagte Dr. Wagener mühsam. Er praktizierte das Messer in seine Kleidung. Moustakis wurde es mulmig. Er hätte gerne Peterson eingeschaltet Aber der hätte alle Versuche, die Vorgänge aufzuklären, eiskalt abgebogen. Die Gäste durften nicht belästigt und nicht beunruhigt werden. Das war oberstes Gebot. Auf allen Kreuzfahrten. Wer sich nicht daran hielt, der flog. Und daran lag Moustakis nichts. Peterson bezahlte gut. Er wünschte sich in diesem Augenblick nichts sehnlicher herbei als das Ende der Reise, wenn sich die Gäste in alle Winde zerstreuten und ihre Probleme mitnahmen. * Peterson kam am nächsten Vormittag zur Lunchzeit zurück. Seine Frau informierte ihn, und er bekam einen gewaltigen Schreck. Gar zu gerne hätte er den Tod von McDaniel ebenfalls vertuscht. Doch der war allgemein bekannt. Daran ließ sich nichts mehr ändern. Moustakis wurde zwei Stunden später in die Kabine des Schiffseigners gerufen. Das kam selten vor und befremdete den Ersten Offizier. Außer Peterson und seiner Frau war Dr. Wagener zugegen.
Ein merkwürdiger Umstand. Peterson hatte nicht die Absicht, mit seinen Bediensteten über den Tod des Unbekannten und von McDaniel zu sprechen, was Moustakis zunächst befürchtet hatte. Er kam auf das nächtliche Seebeben zu sprechen. »Ich erfuhr, daß unser Doktor zwei Seebeben erlebt hat und daß er Zweifel an unserem Erlebnis hatte. Was ist Ihre Meinung, Moustakis?« »Sir, es war kein Seebeben.« »Was dann?« »Ein Phänomen, Sir.« »Wissen Sie mehr darüber?« »Nein. Es sind in diesem Gebiet aber schon viele Schiffe zum Opfer gefallen.« »Hm!« machte Peterson knapp. Er stützte das Kinn auf, »Sie waren mit dem Doktor hier bei den Amerikanern, denen auch nichts bekannt war.« »So ist es, Sir.« »Ich war bei einem Geschäftsfreund, der sich hierher zurückgezogen hat. Er bekommt gelegentlich Informationen über besondere Vorkommnisse. Gegenwärtig haben die Amerikaner in diesem Seegebiet eine stolze Forschungsflotte stationiert, um dieses – dieses Phänomen aufzuklären. Ist Ihnen das bekannt?« »Aye, Sir. Wir haben vorgestern vier dieser Schiffe passiert«, antwortete Moustakis. »Bis zu der Nacht, als es uns traf, waren es fünfundzwanzig Schiffe aller Tonnagen«, sagte Peterson bedeutungsvoll und langsam. »Danach fehlte eines. Es ist spurlos verschwunden. Die Informationen meines Bekannten können Sie als zuverlässig betrachten.« Moustakis fuhr nicht zusammen, obwohl er erschrak.
Aber da war sie wieder, diese hundsgemeine Angst. Vielleicht empfand die jeder, der einmal auf einem sinkenden Schiff war. Der Erste Offizier hatte zu Petersons Ausführungen nichts zu sagen. Der Schiffseigner schien dies auch nicht zu erwarten. Er zog eine Seekarte herbei und meinte: »Dieses Gebiet gefällt mir nicht. Mit Paretti habe ich bereits einen neuen Kurs abgesteckt. Wir gehen direkt zu den Bermudas.« Er schob seinem Ersten Offizier die Karte hin. Moustakis traf fast der Schlag, als er den neuen Kurs sah. Himmel, der führte ja mitten durch das Todesdreieck und noch ein Stück durchs Sargasso-Meer. Allerdings war er wesentlich kürzer als der alte Kurs. Um mindestens vier Tage. Mutig schüttelte Moustakis den Kopf. »Mitten durch. Ich habe Bedenken.« »Wie sind die Wettermeldungen?« bellte Peterson und entzog dem Ersten Offizier die Karte. »Der Hurrikan ist auf die mexikanische Küste getroffen. Es sieht so aus, als laufe er sich im Hinterland von Vera Cruz tot. Keine neuen Meldungen, Sir.« »Dann sehe ich Ihre Bedenken nicht begründet.« Peterson wischte damit die Sache vom Tisch. »Ich hörte, Sie haben den Abtransport von McDaniel umsichtig arrangiert. Alles glatt gegangen?« »Aye, Sir. Gestern abend ist noch ein Spruch der Familie eingegangen. Sie bittet um nähere Mitteilungen und kündigt einen Sicherheitsmann an, vermutlich einen Detektiv.« »Ich brauche keine solchen Leute an Bord«, knurrte Peterson. »Die sollen mich davon verschonen. Ist gut, ich nehme die Sache in die Hand.« Moustakis wartete auf etwas, doch es kam nicht.
Also hatte auch der Doktor nichts von ihrem Verdacht geäußert und über den Wachdienst gesprochen, den sie mit Hilfe von Mrs. Grenadine aufgezogen hatten. Sollte die Überwachung etwas ergeben, hieb- und stichfeste Beweise gegen einen der Passagiere, dann konnten sie den Schiffseigner immer noch einweihen. Peterson konnte dann auch nichts mehr vertuschen. Moustakis ging, als er nicht länger benötigt wurde. Draußen wartete er, und nach ein paar Minuten kam auch der Doktor heraus. »Ich dachte erst, Sie hätten mit ihm über unsere Sache gesprochen«, meinte der Erste Offizier. »Einen Moment lang wußte ich nicht, woran ich war.« Dr. Wagener hob die Schultern. »Es hätte bei ihm keinen Zweck.« Sie gingen zu den Salons. Die Gäste, die vom Lunch kamen, begegneten ihnen. Moustakis hatte den Nachmittag noch frei. Am Abend mußte er die Kolumbus aus dem Sund in die schmale Fahrrinne bringen und hinaus aufs offene Wasser. Er verabschiedete sich vom Doktor und strebte seiner Kabine zu. Den Gang in den Kielraum schenkte er sich. Er wußte, was er dort sehen würde. Verdammt, dachte er, was hindert mich eigentlich daran, an Land zu gehen und nicht wieder an Bord zurückzukehren? Soll doch Bailey den noblen Pott hinausbringen. Das erschien ihm aber wie feige Fahnenflucht. Er konnte die Leute doch nicht einfach sich selbst überlassen. Dann müßte er schon den Doktor mit an Land nehmen, Mrs. Grenadine, die van Veens, Bailey, die Mannschaft. Es ging nicht! Er konnte keine Grenze ziehen zwischen denen, die er vor ei-
nem ungewissen Schicksal bewahren wollte, und denen, die ihm gleichgültig waren. Als er vor seiner Tür stand, stutzte er. Er hatte den Lüftungsschieber geöffnet, das wußte er genau. Der Moses hatte Anweisung, die Finger von der Lüftung zu lassen. Dennoch war der Schieber geschlossen. Er spannte alle Muskeln an und drehte den Türknopf. Noch einmal überraschen wie auf dem nächtlichen Deck ließ er sich nicht. Tief atmete er ein und stieß die Tür auf. * Es verschlug ihm die Sprache. Erst war er verblüfft, dann wurde er zornig, und danach verlegen, als Tineke van Veen mit verstörtem Gesicht, auf der Vorderkante seines Sessels sitzend, auf seinen halb erhobenen Arm und die Faust blickte. Er nahm den Arm herunter und stieß mit dem Absatz die Tür hinter sich zu. Er fand es rücksichtsvoll, daß sie den Schieber geschlossen hatte. Wenn jemand von der Mannschaft zufällig hereingeblickt und sie gesehen hätte, die Burschen hätten sich tagelang das Maul zerrissen. Sie blickte immer noch verstört, und jetzt bemerkte er, daß sie ein kleines Stück Papier in der Hand hielt. »Ein ziemlich überraschender Besuch!« knurrte er. »Ich – ich sah einen Mann aus Ihrer Kabine kommen«, stotterte sie. »Erkannt habe ich ihn nicht.« »Einen Mann? Jemand von der Mannschaft?« »Er trug keine Uniform«, sagte sie leise. »Was sollte er hier zu suchen haben? Ich wähnte Sie hier und fand das.« Sie hob
das Papier. »Es wundert mich, wieso Sie wissen, wo meine Kabine liegt. Hier ist der Mannschaftsteil, und die Gäste sind nicht gern gesehen«, erwiderte er patzig, machte zwei Schritte und holte sich das Papier. Er nahm die Gelegenheit wahr, ihr Parfüm zu testen. Der Duft war derselbe, den er bereits einmal in der Kabine bemerkt hatte. »Macht es Ihnen Spaß, die Schränke anderer Leute zu durchsuchen?« fragte er grob und schaute auf das Papier. Ein paar Worte in Druckbuchstaben waren draufgeschrieben. In englisch. Eine verstellte Handschrift. Das Papier war von der letzten Dinnerkarte abgerissen. SIE SIND SEHR NEUGIERIG, SIR. Der unbekannte Briefschreiber hatte darauf verzichtet, irgend etwas hinzuzufügen, das Schlüsse auf seine Identität gestattet hätte. Ein Mann, ja. Das Mädchen hatte ihn gesehen. Vermutlich hatte er keinen Boten geschickt, sondern die Nachricht selbst hinterlegt. Iannis Moustakis verstand diese Warnung. Jemand schien Wind von seinen und des Doktors Bemühungen bekommen zu haben. Der Unbekannte wünschte keine weiteren Nachforschungen. Die Nachricht bewies aber, daß er ein übervorsichtiger Mann war. Dinnerkarten lagen zu Dutzenden herum, und Kugelschreiber gab es in jedem Salon. Ziemlich mager, dachte Moustakis. Tineke van Veen war über ihre Bestürzung immer noch nicht hinweggekommen. Sie blickte ihn sogar aus wütend funkelnden Augen an. »Ich durchsuche keine fremden Schränke!« verwahrte sie
sich. »Aber Sie waren schon mal hier?« Gespannt beugte er sich vor. »Ja, mit Mrs. Grenadine. Wir haben vergeblich auf Sie gewartet. Sie sind sehr unhöflich.« »Ich habe Probleme«, brummte er, während die Gedanken sich in seinem Kopf überschlugen. Hier war sie also schon mal gewesen. Das erklärte den Duft. Am Schrank mit seinen Privatsachen aber nicht! Dann hatte jemand anderes darin gestöbert. Verdammt, das gefiel ihm nicht. Etwa auch der unbekannte Briefschreiber? Auszuschließen war das nun nicht mehr. »Haben Ihre Probleme mit diesem Zettel zu tun?« fragte das Mädchen. »Ich habe ihn gelesen.« »Das hätten Sie besser bleiben lassen«, brummte er. »Ihr Vater wird sich wegen Ihres Ausbleibens sorgen.« »Er weiß, wo ich bin«, gestand sie. Ärgerlich lachte er auf. »Sie sind ehrlich. Was versprechen Sie sich davon?« Ihre Zungenspitze glitt über die Unterlippe. »Sie gefallen mir, aber Sie sind schrecklich altmodisch und reagieren nicht« »Wenn es das ist, bin ich gerne altmodisch«, versetzte er heftig. »Ich brauche keine Affären. Sie auch nicht. Dafür sind Sie noch reichlich jung.« »Ich will keine Affäre. Mein Bruder war mit Andreadis auf dem Internat. Ich sah mal Fotos, da waren Sie mit drauf. Ich kannte Sie schon, da waren Sie noch gar nicht auf der Kolumbus.« Ach du lieber Himmel, dachte er. Ein paar alte Bilder. Was die Mädchen sich heutzutage alles einbilden! Der erste Schwarm und so! Besser, sie hätte sich in einen Filmstar ver-
knallt, das wäre ungefährlicher. »Wir haben uns aus den Augen verloren, Andreadis und ich«, sagte er etwas versöhnlicher gestimmt. »Ihr Bruder war nie mit an Bord.« »Er ist vor zwei Jahren abgestürzt«, sagte sie leise. Er fand es fad und abgeschmackt zu sagen, daß es ihm leid tat. Deshalb schwieg er, hängte ungeniert die leichte Jacke in den Schrank und warf die Mütze quer durch die Kabine auf den Haken. Sie segelte wunderschön und machte eine glatte Landung. »Mrs. Grenadine ist eine ungewöhnliche Frau«, sprach das Mädchen nach einer langen und peinlichen Pause. »In der Tat, sie kommt auf merkwürdige Einfälle«, stimmte er zu. »Sie hat sogar eine Werbung von einer gewissen Tineke van Veen überbracht. In recht eigenwilliger Form. War das Ihre Idee?« »Sie sind wirklich altmodisch«, schmollte das Mädchen. »Gewöhnlich gibt ein Mann zu erkennen, ob er Interesse hat«, sagte Moustakis. Er hätte besser den Mund gehalten. Sie wurde richtiggehend wild. »Das bilden sich die Männer ein! Weil es immer so war, denken sie, müßte es auch so weitergehen. Ich denke anders, viele denken anders!« Ihre Augen sprühten förmlich. Eine Gleichberechtigungsfanatikerin! dachte er in komischem Entsetzen. Was Petersen nicht alles einlädt! Das hört sich gerade so an, als hätte der arme van Veen überhaupt nichts zu vermelden! »Darüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein«, versuchte er ihren Eifer zu dämpfen. »Denken Sie darüber nach. Ich irre mich sicher nicht, wenn ich vorausschicke, daß Peterson Sie und Ihren Vater für das kommende Jahr einlädt. Dann sind Sie ein Jahr älter und hatten Zeit, sich alles zu überlegen.«
»Sie mögen mich nicht?« »Doch, aber ich kenne Sie zuwenig. Ich bin nicht käuflich!« Das war grob und deutlich. Sie öffnete die Augen ganz weit und verstand vermutlich die Welt nicht mehr. Eine Partie wie sie – wer hätte die ausgeschlagen? Sie brauchte nur mit dem kleinen Finger zu winken, und schon war ein Schwarm Verehrer zur Stelle. Dieser verbohrte Grieche gab ihr eine Absage. Oh, einen Zorn hatte sie, der gar nicht zu beschreiben war. Sehr heftig erhob sie sich und rauschte aus der Kabine. Moustakis blickte lange auf die Tür, die energisch zugeflogen war, schüttelte den Kopf und betrachtete den Zettel. Eins nach dem anderen, dachte er. Die Reise dauert noch eine Weile, und so übel ist sie auch wieder nicht. Aber sie soll sich bloß nicht einbilden, daß sie mit dem Geld ihres Vaters alles kaufen kann, was ihr gefällt! * Um sechs Uhr abends lichtete die Kolumbus die Anker. Zu dieser Zeit war der Sicherheitsmann der McDaniel-Sippe noch weit entfernt in einem Flugzeug unterwegs. Moustakis brachte das Schiff hinaus und übergab es nach genau zwölf Stunden dem unausgeschlafenen Kapitän. Der von Peterson neu bestimmte Kurs lag an. Die Visiten auf den äußeren Inseln waren gestrichen. Das Bordleben normalisierte sich, und zweimal wurden an diesem Tag amerikanische Forschungsschiffe gesichtet. Gegen Abend ereignete sich ein bedenklicher Zwischenfall. Über Bordtelefon wurde Moustakis auf die Brücke gerufen. Als er oben war, kam ihm schon alles sehr bekannt vor. Die
Gesichter der Männer waren entsetzt, Paretti war krebsrot und fuchtelte wild herum, und jetzt tauchte auch noch Peterson auf, der verständigt worden war. Ein Stromausfall war es nicht, aber der Kreiselkompaß war wieder tot. Sögtrup kam aus seiner Bude und behauptete, eingehüllt in eine Schnapsfahne, daß er keinen Funkkontakt mehr mit der Wetterstation in Ft. Lauderdale habe. »Ist das dieses – Phänomen?« fragte Peterson etwas blaß um die Nase an Moustakis gewandt. »So ähnlich«, sagte der Erste Offizier bedächtig. »Sögtrup, was sagt das Radar?« »Mann, das ist so tot wie meine Großmutter«, brummte der Mann und verdrückte sich. Aus der FT-Bude schollen danach wüste Flüche. Moustakis beobachtete scharf den Kompaß. Er starrte ihn an, als wollte er ihn hypnotisieren. Das Ding rührte sich nicht. Paretti stieß plötzlich einen Schrei aus und zeigte gegen die Glasscheibe. Aus der untergehenden Sonne heraus tauchte ein Flugzeug auf, das merkwürdige Kapriolen veranstaltete. Eine zweimotorige Prop-Maschine. Sie kurvte herum, als seien Höhen- und Seitenruder gleichzeitig aus dem Leim gegangen. Oder als sei der Pilot betrunken. Sie torkelte senkrecht zum Kurs des Schiffes und schien nur durch eine Menge glücklicher Zufälle am Himmel gehalten zu werden. Nach zwei, drei Minuten wurde sie steil nach oben gezogen, verlor rapide an Geschwindigkeit und schmierte nach hinten über das Heckleitwerk ab. Wie ein Stein kam sie herunter und montierte unterwegs ab.
Eine weiße Benzinfahne zischte auf, als ein Motor abgerissen wurde. Die linke Tragfläche brach und trudelte dem Flugzeugkörper hinterher. In einer grellen Explosion kam das Wrack auf dem Wasser auf, höchstens eine Seemeile voraus. Paretti griff mit zitternden Händen zum Glas und stellte die Schärfe ein. Peterson überwand die Erstarrung zuerst. »Volle, Kraft voraus!« brüllte er. Moustakis gab den Befehl an den Maschinenraum. Nach zwei, drei Minuten nahm die Kolumbus merklich Fahrt auf. Eine Rauchsäule markierte die Absturzstelle. Auch Passagiere hatten das Unglück beobachtet und liefen auf dem Vorderdeck zusammen. Der stärker werdende Fahrtwind blies sie heftig durch. Moustakis blickte wieder zum Schiffskompaß. Immer noch tot. Wenn dem Piloten, der Maschine ähnliches widerfahren war, wenn auch dessen Instrumente versagt hatten – dann war auch das Flugzeug in den Wirkungsbereich irgendeiner Kraft geraten, die in der Lage war, Geräte außer Funktion zu setzen. Dem Ersten Offizier richteten sich die Nackenhaare auf. Es war fast zu greifen – das gefürchtete Geheimnis des Todesdreiecks! Die Qualmwolke erlosch. Als die Kolumbus zehn Minuten später die Absturzstelle erreicht hatte, war von den Trümmern der Maschine nichts mehr zu sehen. Auch keine Überlebenden. Ein paar Haie kurvten träge herum. Einer legte sich auf die Seite und schien aus tückischen Augen zur Reling emporzuschauen, wo sich die Passagiere drängten. Paretti bekreuzigte sich. »Als sei hier nie eine Maschine her-
untergekommen!« murmelte er. Und er hatte recht. Kein Holzspan, kein Kunststoff, nichts schwamm herum. Es gab nicht einmal eine Öllache auf den Wellen. Einer Eingebung folgend, ging Moustakis zu Sögtrup. »Arbeitet das Echolot?« fragte er hastig. »Das schon«, brummte der Mann. Er machte das Gerät bereit, setzte den Schreiber in Betrieb und schickte den Meßimpuls ab. »Achthundert Meter rund«, meldete er, als er die Markierung auf dem Papierband ablas. »Metallanzeige?« Sögtrup wischte sich die Augen. »Nein – nichts da unten. Warum, soll ich ’n russisches U-Boot finden? Sind manchmal welche hier.« »Nur so«, sagte der Erste Offizier und kehrte auf die Brücke zurück. Er behielt für sich, was er erfahren hatte. Die Passagiere, die Gäste, alle waren schon verstört genug. Die Kolumbus kreuzte eine Stunde im Gebiet und gab die Suche auf. Ganz plötzlich sprach der Kompaß wieder an. Paretti brachte das Schiff auf Kurs. Jeder machte sich seine Gedanken über diese unerklärlichen Vorfälle, aber keiner fand die Lösung. An der nagten die besten Wissenschaftler schon seit Jahren erfolglos. Sögtrup bekam Ft. Lauderdale auf den Kanal und setzte eine von Peterson vorbereitete Meldung ab. Die Leitstelle der Küstenwache versprach, zwei Suchflugzeuge in die Luft zu bringen. Nach zwei Stunden tauchten die brummenden Vögel auch auf und zogen am nächtlichen Himmel über die Kolumbus
hinweg. Ihre Positionslichter waren noch eine Weile zu beobachten. Es war keine glückliche Kreuzfahrt. Zu dieser Erkenntnis kam Peterson beim Anblick der bedrückten Gesichter seiner Gäste. Die Salons leerten sich erst weit nach Mitternacht. Als hätte jeder insgeheim Furcht davor, sich in die Abgeschiedenheit seiner Kabine zurückzuziehen. Aber schließlich trat doch Ruhe ein. Bis Dr. Wagener aufgeregt auf der Brücke erschien und ohne Rücksicht auf Kapitän Paretti und die Brückenwache zu Moustakis sagte: »Unsere Freundin hörte seltsame Geräusche aus der Kabine gegenüber und hat mich alarmiert. Ich war schon dort. Alles voller Blut. Es hat ein Kampf stattgefunden, und Morse ist spurlos verschwunden!« Er atmete keuchend vom schnellen Lauf. »Madonna!« kreischte Paretti. »Welch eine Nacht!« Moustakis überflog die Instrumente. Es war alles in Ordnung, er konnte für einige Zeit die Brücke verlassen. »Kommen Sie schon!« rief er dem Doktor zu. »Wohin denn?« Sie rannten die Treppe hinab. »Glauben Sie, unser Freund schleppt Morse aus dem B-Deck nach oben und hinterläßt überall Blutspuren, denen jeder nur zu folgen braucht?« stieß Moustakis hervor. »Dicht bei der Kabine von Morse gibt es einen Niedergang zum Schiffsinneren.« »Mann, Sie sind verrückt! Der legt Morse doch nicht in den Maschinenräumen ab, wo Tag und Nacht Leute sind!« »Es gibt Räume, zu denen nie jemand kommt – oder kaum«, sagte der Erste Offizier und dachte an den Kielraum, wo er in einem Käfig Ratten hielt. Ein probates Seemannsmittel. Waren die Ratten manierlich, ging’s dem Schiff gut. Beim letzten Be-
such unten waren die Ratten wie von Sinnen gewesen. Sie liefen ins B-Deck. Auf dem Gangteppich waren schwache bräunliche Flecken erkennbar. Sie führten zu einer getäfelten Tür. Moustakis drückte die Tür auf. Maschinenlärm drang schwach heraus. Eine Eisentreppe führte in die Tiefe. Sie war spärlich beleuchtet. Auf den Stufen glänzten Tropfen. Dr. Wagener tauchte den Finger in einen hinein. »Blut«, murmelte er. Dann folgte er Moustakis, der bereits in die Tiefe eilte. Ihre Schuhe holten ein hämmerndes Trappeln aus den Eisenstufen. Es ging immer tiefer hinab. Der Erste Offizier holte eine flache Lampe aus der Tasche und knipste sie an. Der klägliche Strahl fiel auf eine nicht ganz geschlossene rostige Eisentür. Pfeifend sprangen ein paar Ratten heraus. Sie sind frei! dachte Moustakis entsetzt. Er hat sie freigelassen! Er ist hier! Mutig leuchtete er in den Verschlag. Der schwache Lichtstrahl riß das verzerrte Gesicht von Mürli aus der Dunkelheit. Es war blutbesudelt und regungslos. Über Mürli bewegte sich etwas. Der Lichtstrahl ruckte hoch. Keglevic hatte noch die Arme von Morse gepackt und war offensichtlich dabei überrascht worden, den Toten tiefer in den Raum zu zerren. »Mein Gott – er hat Mürli und…«, schrie der Doktor. Keglevic schien ein ganz besonderes Spiel zu spielen. Er hatte alle Großen im Waffengeschäft umgebracht. Hoffte er, ihre Stelle einnehmen zu können? Das nötige Format besaß er gar nicht.
Er war nichts als ein mieser, hinterhältiger Killer, der im Auftrag irgendeines Burschen im Hintergrund arbeitete. Aber Keglevic war eine gut funktionierende Zeitbombe gewesen. Er hatte jahrelang bei Mürli Einblick in Geschäftsvorgänge gewonnen, bis er plötzlich explodiert war. »Du Hund!« brüllte Moustakis und wollte in den Raum hinein. Keglevic ließ die Arme von Morse los, hatte im nächsten Moment den leeren Rattenkäfig zur Hand und schleuderte ihn nach dem Ersten Offizier. Moustakis bekam das Drahtgestell voll an den Kopf, flog rückwärts und verlor die Lampe, die gegen ein Schott prallte und verlöschte. Schritte trappelten in der Finsternis, jemand trat auf ihn und stürzte fluchend. An der Stimme erkannte Moustakis, daß es Keglevic war. Der Kerl war wendig wie ein Seeaal und schon aus dem Raum heraus. Bevor der Erste Offizier zupacken konnte, waren die Beine quer über seiner Brust fort. Dann knallten hastige Schritte die Eisentreppe hoch. »Hinterher, Doktor!« brüllte Moustakis. »Er ist oben.« »Mann, ich dachte schon, er hätte Sie erwischt!« ließ sich der Doktor erleichtert vernehmen. Moustakis rappelte sich hoch. Sie mußten die Treppe hoch. Oben brannte Licht. Hier unten war es stockfinster. Er trat auf eine Ratte, zog sich am Handlauf hinauf und hörte den Doktor hinter sich heraufkeuchen. Die Tür oben war nur angelehnt. Er trat sie mit dem Fuß auf – und sah drüben Keglevic, wie er mit aller Macht aus dem Kabelbaum, der von den Generatoren kam und sich verzweigend nach oben ins Schiff führte,
einen rot isolierten Strang riß. Der Killer hatte einen Fuß gegen den Kabelbaum gestemmt und bog den roten Strang weiter nach außen. Der Hund kannte sich aus. Hier war die erste Verteilerstelle. Das Kabel riß in diesem Augenblick. Triumphierend hielt es Keglevic hoch, blickte aus funkelnden Augen zu Moustakis und Dr. Wagener her und drückte das blanke armdicke Kabelende gegen den Eisenboden. »Nicht!« brüllte Moustakis in panischer Angst. Der Kerl wollte die Eisenplatten unter Strom setzen und hatte keine Ahnung, daß die Generatoren Masseanschluß hatten. Eisen war Masse. Das ganze Schiff war Masse. Wenn Keglevic das blanke Kabelende ans Eisen hielt, flogen die Generatoren in die Luft! »Euch werde ich einheizen!« brüllte Keglevic. Er drückte zu. Blaue Flammen schlugen aus dem Eisenboden. Es gab einen ohrenbetäubenden Knall. Keglevic brüllte und war in Rauch gehüllt. Die Kabelisolierung brannte, die Flamme schoß in den Kabelraum. In einem in der Nähe liegenden Raum drehten die Generatoren durch. Dumpf grollende Explosionen erschütterten das Schiff. Ein Mannschott sprang auf, wurde regelrecht aus der Verriegelung gerissen und knallte irgendwo gegen ein Streb. Feuer quoll aus dem Loch, Qualm drang hinterher. Die Beleuchtung erlosch, flackernd blinzelte eine Lampe der Notbeleuchtung durch den Rauch. Dann wurde es wieder hell. Aus dem Kabelbaum schossen armdicke Blitze. In ihrem bläulichen Licht lag Keglevic, der Killer. Er war verbrannt bis zur Unkenntlichkeit.
Der Tod, den er Moustakis und dem deutschen Doktor zugedacht hatte, hatte ihn selber erwischt. »Raus hier!« brüllte Moustakis, packte Dr. Wagener am Arm und riß ihn mit sich zur nächsten Treppe. Sie hasteten hoch, hörten das aufgeregte Gebrüll der Maschinisten aus dem Dieselraum und sahen ein paar rauchumhüllte Gestalten aus einer Tür taumeln. Ich hab’s doch gewußt! zuckte es Moustakis durch den Kopf. Wäre ich doch in Nassau an Land gegangen! Das Gefühl, die Ahnungen die ganze Zeit! Lieber Gott, es hat auch schon die Diesel erwischt! Er sah ein Telefon, riß den Hörer ab und rief die Brücke. Keine Antwort. Die Verbindung war tot. Er rannte weiter. Er kannte sich aus, und Dr. Wagener folgte ihm blindlings. Sie stürmten Treppe um Treppe hoch, bis sie auf der Brücke waren. Bailey war da und führte das Kommando. »Irgend etwas ist da unten hochgegangen«, brummte er noch ruhig. »Keglevic hat die Generatoren kurzgeschlossen!« stieß Moustakis hervor und lehnte sich gegen das Ruder. Bailey fluchte erschrocken. »Schlimm?« »Sieht so aus. Wir müssen Peterson verständigen. Es wäre besser, die Passagiere zu wecken, wenn es sie nicht schon aus den Kojen gehauen hat«, keuchte der Erste Offizier. »Wenn alles nichts nützt, müssen wir den Maschinenraum unter Wasser setzen!« Bailey packte einen Mann der Brückenwache am Hemd. »Glotz nicht, hol die Feuerwehr zusammen!« Er ließ los und packte den nächsten. »Und du schaffst Peterson her. Auch im Nachthemd!«
Die Männer flitzten wie angebrannt davon. Moustakis wischte sich Schweiß und Blut aus dem Gesicht. Der Käfig hatte ihm die Stirn aufgerissen. »Doktor«, sagte er, »gehen Sie aufs Vorderdeck und halten Sie die Passagiere beisammen. Ich fürchte, Sie bekommen Arbeit.« Dr. Wagener stellte keine Fragen. Er verließ die Brücke und rätselte über einen Mann, der jetzt verbrannt und verkohlt irgendwo da unten im Schiff lag. Moustakis schaute nach achtern. Dicke, schwere Qualmwolken drangen aus zwei Niedergängen und verdunkelten die Positionslichter, die jetzt mit Batteriestrom gespeist wurden. Zum Teufel, hoffentlich reichte der Saft, um die elektrischen Wasserpumpen in Betrieb zu setzen! Der schwarze Qualm gefiel ihm nicht. Da brannte Kunststoff. Vielleicht auch schon Treibstoff. Die Tanks durfte es nicht erwischen, sonst war der Ofen aus! »Bailey, ich gehe wieder runter«, sagte er, wurde aber in der Tür aufgehalten. Peterson war zur Stelle. Sogar halbwegs bekleidet. Moustakis setzte ihn ins Bild, und der Schiffseigner war zunächst stumm vor Schreck. Plötzlich sprang er an den Kartentisch, strich fahrig über die Karte und fragte, ohne das Zittern in seiner Stimme verbergen zu wollen. »Schaffen wir es bis zu den Bermudas?« »Was?« fragte Bailey, der dachte, der Teufel rupfe ihn. »Unmöglich, Sir! Wir liegen fest. Die Generatoren sind hinüber, die Diesel sicher auch. Wir treiben in der Strömung.« »Keine Chance, was? Was ist mit den Flugzeugen der Küstenwache? Die müßten noch dasein.« »Eher erwischen wir die Leitstelle in Ft. Lauderdale als die. Hier herum liegen sicher ein paar Pötte. Soll Sögtrup einen Spruch absetzen, Sir?« fragte Bailey. Er hatte schon wieder sei-
ne Ruhe gefunden. »Natürlich, ich gehe kein Risiko ein.« Peterson fuhr herum, als Paretti auf die Brücke kam. »Nett, Sie auch noch zu sehen. Da brennt uns das Schiff unter dem Hintern an, und wo stecken Sie?« »Sir, ich – ich werde alles in die Hand nehmen!« versicherte Paretti hastig. »Keine Sorge, das biegen wir hin.« »Ich hoffe es«, knurrte Peterson. »Sie sind mir verantwortlich!« Es war eine folgenschwere Entscheidung. * Paretti übernahm die Schiffsführung, während Bailey beunruhigt zu den Gästedecks eilte, weil ihm das alles zu langsam ging. Die Leute kamen herauf, als seien sie zum Nachmittagsdrink verabredet. Einige hatten etwas Handgepäck zusammengerafft. Die Stewards waren damit beschäftigt, die Gäste teilweise noch munterzuklopfen. Einige hatten einen sehr gesegneten Schlaf. Mißtrauisch schnupperte Bailey. Die Klimaanlage war tot. Es roch brenzlig. Wenn nur der Wind nicht dreht, dachte er sorgenvoll. Noch lag die Kolumbus gut. Sprang der Wind um, dann drückte es den rußigen Qualm durch die Gänge und Schächte. Und dann war die Hölle los! Während Bailey die Stewards zur Eile anspornte, versuchte Sögtrup seinen Spruch abzusetzen. Die Batterieleistung war minimal, die Notbeleuchtung nahm zuviel Saft weg. Er brüllte in den Brückenraum, ihm für ein paar Minuten die
gesamte Batterieleistung in die FT-Bude zu schalten. Paretti war der Situation nicht annähernd gewachsen. »Damit eine Panik ausbricht, wenn das Licht fortbleibt?« schrie er Sögtrup an. »Machen Sie weiter, Mann!« »Wie denn?« schimpfte Sögtrup aufsässig. »Ein Scheißschiff ist das!« Er verzog sich und probierte weiter, wie ihm Paretti befohlen hatte. Moustakis trommelte elf Mann von der technischen Mannschaft zusammen. Sie schleppten Elektropumpen über den Maschinenraum, in dem eine flammende Hölle tobte. Die Handgriffe saßen, die Wasser- und Netzanschlüsse waren im Handumdrehen hergestellt. Aber die Pumpen gaben nicht einmal ein Summen von sich. Es war aus. Moustakis erkannte es überdeutlich. Er besann sich auf Tricks, die in keinem Handbuch nachzulesen waren. Der Swimmingpool oben war gefüllt, die Umwälzanlage war irgendwo hier unten. Er hatte sich eine Handlampe gegriffen, kämpfte sich mit zwei Mechanikern durch den Qualm und die unerträglich werdende Hitze und fand die Anlage, die das Wasser sauber hielt. Kunststoffrohre führten nach oben. Alles Kunststoff! Peterson war hereingelegt worden. Es waren keine schwer oder unbrennbaren Stoffe verwendet worden, die teuer waren, sondern billiger Kram. Die Planungs- und Abnahmeingenieure und die Werft sollte der Teufel holen! Ein dreiköpfiger Löschtrupp rückte hustend an. Die Männer waren rußverschmiert. Moustakis ließ eine Schlauchleitung bis über den Maschinen-
raum legen und ließ die Männer dann den Umwälzkreislauf unterbrechen. Ein mächtiger Wasserschwall schoß aus dem abgerissenen Rohr. Im Nu standen die Männer bis an die Knöchel im Wasser. Zu viert mußten sie das Ende der Schlauchleitung über das Rohr zerren und festhalten. Es könnte klappen, dachte der Erste Offizier. Es muß klappen! Wenn das Feuer sich zu den Tanks durchfrißt, fliegen wir in die Luft, oder wir werden bei lebendigem Leibe gebraten! Er rannte an der Schlauchleitung entlang. Wo die Spitze des Wassers war, füllte sich der flache Schlauch, wurde rund und prall. Erwartungsvoll blickten ihm die Männer über dem Maschinenraum entgegen. »Das Mannschott auf!« schrie er. »Und Vorsicht, wenn der Dampf kommt.« Einer drehte das Handrad. Er fluchte, das Metall war glühend heiß. Das Schott ging nicht auf. In der bestialischen Hitze hatte es sich verformt und klemmte. »Das Abluftrohr hier!« schrie jemand. Ein Maschinist mit verbranntem Hemd kam mit Werkzeug. Wertvolle Zeit verstrich, bis eine Öffnung ins Abluftrohr gebrochen war. Feuer schlug heraus. Sie hielten das andere Ende des Schlauches hinein und ließen das Wasser in den Maschinenraum laufen. Fauchend schoß Dampf aus dem Rohr. Ein Mann verbrühte sich die Hand und wälzte sich brüllend am Boden. Der Mechaniker mit dem verbrannten Hemd zog seinen Ka-
meraden hoch und brachte ihn nach oben. Etwas tropfte plötzlich auf Moustakis herab und brannte wie flüssige Glut auf seiner Achsel. Er griff hin. Es war heiß, zäh und klebrig. Schon wieder Kunststoff. Zum Teufel, wo kam das her? Er schaute nach oben. Da brannte es bereits. Über ihnen, während sie wie die Idioten versuchten, den Maschinenraum unter Wasser zu setzen. Das Abluftrohr! fiel ihm siedend heiß ein. Es wirkte wie ein Kamin. Die Flammen waren darin hochgezogen, hatten es zum Glühen gebracht und brennbares Material entflammt. Die Männer wurden aufmerksam. Zwei drehten durch und rannten einfach davon. Jemand brachte Pulverlöscher. Der Mann, der versucht hatte, das Mannschott zu öffnen, brach in hysterisches Gelächter aus beim Anblick der beiden Zehn-Kilo-Geräte. Moustakis schickte den Helfer mit den beiden Behältern nach oben, um die brennende Ecke beim Abluftrohr zu löschen. Knallend sprang etwas im Maschinenraum, fuhr gegen die Eisendecke und schepperte an einer Wand herunter. Der Mann neben Moustakis schrie plötzlich auf, zeigte ans Ende des Zwischendecks, auf dem sie standen. Die Leute fuhren herum. Ganz hinten, wo die Druckausgleichkessel für die Schiffswäscherei standen, glühte der Eisenboden und warf sich auf. Das eingeleitete Wasser im Maschinenraum schien nicht die geringste Wirkung hervorzurufen. Vielleicht war die Decke zwischen Generatoren- und Maschinenraum schon zusammengeschmolzen. Fluten! dachte Moustakis. Der Pool reicht nicht. Wir müssen
die Ventile aufdrehen! Er konnte es nicht entscheiden. Das war Sache von Paretti und Peterson. Waren die Bodenventile erst offen, sank das Schiff. Es war mehr eine letzte Konsequenz als eine brauchbare Lösung. Eine dumpfe Explosion erschütterte den Leib der Kolumbus. Das Schiff bekam einen Schlag, legte sich schräg und richtete sich mühsam, fast zögernd wieder auf. Die Tanks! dachte der Erste Offizier. Die Tanks sind hochgegangen! Jetzt gnade uns Gott! Schwarzer Qualm wälzte sich heran. Irgendwo schlug eine gelbe Lohe auf und erstickte. Es roch durchdringend nach leichtem Brennöl. Die Motoren hatten immer nur bestes Futter bekommen. Aus dem Qualm torkelte ein Mann, dem die verbrannte Haut in Fetzen herabhing. Hemd und Hose waren verbrannt, Reste hingen am blasigen Fleisch fest. Keine zwei Meter entfernt stürzte der Mann, krümmte sich zusammen und blieb ganz still liegen. »Quincy?« schrie jemand. »He, Quincy?« Moustakis erinnerte sich, daß ein Mann dieses Namens bei den Leuten war, die den Wasserschlauch am Rohr der Umwälzanlage festhalten sollten. War dort etwa…? Er, starrte auf den Schlauch. Er hatte sein pralles Aussehen verloren und wurde zusehends flacher. Moustakis rannte zu dem Mann namens Quincy hin. Der Körper war heiß, der Mann tot. Als er sich aufrichtete, explodierten die Druckausgleichskessel hinten auf dem Zwischendeck. Etwas schlug Moustakis in den Rücken, preßte ihm mit Tita-
nengewalt den Atem aus dem Körper und warf ihn gegen den Fuß der Treppe. Er hörte gurgelnde Schreie, Röcheln und Jammern um sich, bevor ihm schwarz vor Augen wurde und ihn eine dunkle Woge wegtrug. * Bailey brachte Mrs. Grenadine an Deck, genau in dem Moment, als eine Explosion das Schiff erschütterte und die Kolumbus weit überkrängte. Der Zweite Offizier flog mit der Lady gegen einen Aufbau, bekam eine Leiste zu fassen und hielt sich fest, als das Deck wegzugleiten schien. Handgepäck, eine Frau, zwei Liegen kamen Bailey entgegen. Aus weit aufgerissenen Augen sah er Jehanne mit rudernden Armen vorbeitorkeln, gegen die Reling prallen und außenbords gehen. Ächzend, zitternd richtete sich der gewaltige Leib des Schiffes wieder auf. Jehannes gräßlicher Schrei übertönte alle Geräusche. Bailey ließ die Lady los, sprang über die Liegen, packte einen Rettungsring und warf ihn an der Schiffswand hinab. Von unten kam nur Wellenschlag. Bailey richtete sich auf. Er blickte nach achtern. Eine gewaltige Lohe hüllte das Heck der Kolumbus ein. Die Tanks! schoß es ihm durch den Kopf. Sie sind auch noch hochgegangen! Er wandte sich ab und half der Frau auf die Füße, die zuvor an ihm vorbeigerutscht war. Es war Mrs. Gainsworthy, die übel zugerichtet aussah. Der Doktor schaute herüber. Bailey signalisierte ihm, daß er
gebraucht wurde. Wenn doch erst die Nacht vorbei wäre. Man sieht keine zehn Meter weit. Die Dunkelheit macht einen verrückt! überlegte er; Ein paar schwache Explosionen drangen durch das dumpfe Brausen der Flammen vom Heck her. Die Qualmwolke drehte sich langsam, zog an der Brücke hoch und drang zum Vorderdeck weiter. Bailey blickte nach den Sternen. Zum Donnerwetter, wieso lief das Schiff aus dem Ruder? Schlief die Brücke? Er begann zu rennen und hastete hinauf. Die Wut packte ihn übermächtig, als er Paretti fromm murmelnd vor der Verglasung stehen sah. Der Alte schien nicht mehr alle Tassen im Schrank zu haben. »Das Schiff dreht aus dem Kurs!« brüllte Bailey den Rudergänger an. »Hast du Pflaumen auf den Augen?« Der Mann legte eine Hand um eine Klampe und gab dem Rad Schwung. Es drehte sich viermal. Die Kolumbus gehorchte nicht mehr dem Ruderdruck. Sie war steuerlos und trieb mit der Strömung herum. Und der Wind kam von achtern und blies in die Flammen. »Wo ist der Eins-O?« brüllte Bailey den Rudergänger an. »Beim Feuerlöschtrupp unten, Sir!« Bailey raste die Treppen hinunter. Hitze schlug ihm entgegen, Qualm stach ihm in die Lungen. Zwei erschöpfte, keuchende Männer hockten mit einer Handlampe auf einer Treppe. Es waren Maschinisten. »Habt ihr Moustakis gesehen?« rief er. Sie reagierten kaum. Einer hob die Hand und zeigte mit dem Daumen nach unten. »Die sind hin, Bailey! Die Wäschereikes-
sel, verstehst du?« Wer löschte dann hier noch? Er nahm ihnen die Lampe weg, hastete tiefer und glaubte, daß ihm die Lungen platzten. Auf der Treppe sah er weißes Löschpulver. Das gab ihm Auftrieb. Er schützte mit dem Arm das Gesicht vor der Hitze, sah einen Mann unten auf der Treppe und wollte ihn schon hochziehen, als er merkte, daß es nur ein halber Mann war. Ab dem Bauch fehlte alles. Unter einem zerrissenen Kesselteil bewegte sich etwas. Ein Mann brüllte auf. Bailey sprang hinunter, sah das bereits überall glühende Zwischendeck und spürte die Hitze durch die leichten Bordschuhe dringen. Er riß das Kesselblech weg, packte den Mann und zerrte ihn mit sich auf die Treppe. In der Ecke neben der Handlaufverankerung lag ein Kopf. Und einem Mann daneben ragte ein Kesselmanometer aus dem Rücken. Bailey würgte und zerrte seinen stöhnenden Mann weiter hinauf. Oben verschnaufte er und entdeckte, daß er Moustakis gepackt und aus dem glühenden Inferno gewuchtet hatte. »Wasser!« lallte der Erste Offizier. »Mangelware, du Heldensohn! Komm schon, bevor uns der Speck anbrennt!« Seine englische Art brach durch. Zu ändern war nichts, also wurde die Katastrophe mit Fassung und Humor ertragen. Moustakis war kaum in der Lage, sich aufzurichten. Er fühlte sich, als seien alle Knochen gebrochen. Die Hände waren voller Blasen, der Körper brannte, die Lungen stachen. Er mußte sich von Bailey stützen lassen.
Als sie die nächste Treppe nehmen wollten, schoß aus einem Gang eine heiße Flamme und verlegte ihnen diesen Weg. »Oha, es wird ungemütlich!« meinte Bailey. »Da entlang.« Er riß Moustakis mit sich in die entgegengesetzte Richtung. Sie kamen zwar genau über das Zentrum des vernichtenden Feuers, aber eine andere Wahl blieb ihnen gar nicht. Im nächsten Quergang rannten sie den Küchenbullen in die Arme, die ebenfalls in voller Flucht waren. Wie es aussah, hatten die Leute außer einem gewaltigen Schrecken nichts abbekommen. Er scheuchte sie weiter an Deck und folgte ihnen etwas langsamer. Eine Minute später waren die Kombüsenkünstler wieder da, rußverschmiert und bibbernd vor Angst. »Was denn?« schrie Bailey. »Das Gerätedeck – alles voller Feuer! Es schlägt schon an der Brücke hoch!« kreischte ein Koch, der seinen kompletten Koffer mit sich schleppte. Das war böse! Feuer von achtern bis zur Brücke. Das hieß, daß alle Rettungsflöße im Eimer waren und über die Hälfte der Boote! »Da entlang!« bestimmte Bailey. Er zeigte die Richtung. Wenn sie hier nicht hochkamen, dann eben im Passagierteil des Schiffes. Sie rannten, schafften das B-Deck, das aussah, als sei ein Sturm durchgegangen. Kabinentüren standen offen, Kleider und nutzloser Kram lagen auf dem teppichbelegten Gang. Dinge, die achtlos fortgeworfen oder verloren worden waren. Ein Damenschuh mit gebrochenem Absatz lag vor einem umgestürzten Ascheständer. Der Sand war weithin verstreut. Nicht weit entfernt lag eine Perücke mit langem Haar.
In einer Kabine sah Bailey eine Bewegung. Er blieb stehen, lehnte Moustakis gegen die Wand und schaute in den Raum. Ein Mannschaftsmitglied plünderte eine kostbar eingerichtete Kabine. Der Bursche hatte einen Aktenkoffer vor sich und räumte Schmuck hinein, den er förmlich aus einer Schublade schöpfte. Bailey sah sich um, holte den Ascheständer und sprang in den Raum. Der Mann erschrak furchtbar. Bailey gab ihm weder Zeit, sich zu rechtfertigen, noch Gelegenheit zu einer Reaktion. Er haute ihm den Ständer auf den Schädel und packte den Mann am Fuß, als er zu Boden gegangen war. Grob zerrte er ihn auf den Gang. In der guten alten Zeit wäre der Hundesohn an der höchsten Rah aufgeknüpft worden. Die heutigen Sitten waren lasch. Und das kam dann dabei heraus – Plünderer! Bailey legte sich den linken Arm von Moustakis über den Nacken und torkelte weiter. Ein paar Minuten später war er oben. Der Doktor kam gerannt und besah sich den Schaden, den Moustakis genommen hatte. Unerwartet erhielt Dr. Wagener Hilfe. Die kleine van Veen war plötzlich neben ihm und bemühte sich um den Ersten Offizier. »Reißen Sie ihn mir nicht auseinander«, meinte er mit Galgenhumor. »Ich spritze ihm Traubenzucker. Das bringt ihn auf die Beine.« Moustakis röchelte. Die Luft war verqualmt, aber wesentlich besser als unten in der glühenden Hölle. Langsam wurde er wieder.
Bailey blickte zur Brücke. Durch die Bullaugen sah er die Flammen. Sie schlugen schon hoch hinauf. Plötzlich machte er schmale Augen. Da oben waren heftige Bewegungen, als kämpften zwei Männer miteinander. Er setzte seinen ausgepumpten Körper in Bewegung und lief ächzend zurück. Die Türen klemmten schon etwas. Er ließ sie offen. Als er auf halber Höhe der Treppe war, platzte neben ihm ein Bullauge. Er blickte hin, schaute hinaus – und sah auf dem Gerätedeck den Hubschrauber stehen, ein glühendes Gerippe mit zwei brennenden Gestalten auf den glühenden Sitzen. Jemand hatte versucht, mit dem Hubschrauber wegzukommen. Das Feuer war schneller gewesen. Bailey hastete weiter, hörte von oben Trappeln und sprang durch die Tür in den Brückenraum. Immer noch brannte die Notbeleuchtung. In ihrem milden Licht erkannte er Sögtrup, der Paretti mit beiden Händen am Hals gepackt hatte und ihn würgte. »Aufhören! Laß ihn los, du Idiot!« brüllte Bailey. Sögtrup schien aus einem Traum zu erwachen. Seine Hände öffneten sich, er hielt sie sich vors Gesicht und betrachtete sie. Dann schaute er auf Paretti hinab, der mit verzerrtem Gesicht und hervorgequollenen Augen am Boden lag fett, häßlich und stumm. Bailey beugte sich über den Kapitän, fühlte nach seinem Herzen. Paretti war tot. »Mensch, was hast du gemacht?« schrie er Sögtrup an, den Säufer, der ihn aus irren Augen anschaute.
»Die Batterien – er gibt mir keinen Saft für den Notspruch. Aber seine Festbeleuchtung muß brennen, was?« Er lachte. Es war ein verrücktes Lachen. Sögtrup hatte den Verstand verloren. Hallelujah! dachte Bailey, richtete sich auf und riß den Spind über dem Kartentisch auf. Er nahm eine Pistole heraus, zwei Magazine und lud die Waffe. Plötzlich wurde es dunkel. Sögtrup hantierte kichernd am Schaltkasten neben der Tür, brabbelte vor sich hin und redete plötzlich in seiner FT-Bude. Eine Lampe glimmte auf. Sögtrup machte den Sender klar und leitete alle Energie auf sein Gerät. Plötzlich sprach er völlig klar und vernünftig. »SOS – MS Kolumbus – SOS…« Er nannte die letzte Position und beschrieb etwas ausführlich das Feuer, gab seine Empfangswelle durch und schaltete um. Erst war nur ein Rauschen zu vernehmen. Dann kam krachend eine Stimme aus dem Empfänger. »USS Volusia – wir hören euch. Position klar. Sind in vier Stunden zur Rettung da. Stehen auf Position…« Vier Stunden! dachte Bailey bitter und wog die Pistole in der Hand. Wenn ich mir eine Kugel in den Kopf schieße, habe ich wahrscheinlich das beste Geschäft meines Lebens gemacht! Über hundert Leute und nur vier Boote! Es wird die Hölle! Er schoß doch nicht. Er schob die Waffe in den Hosenbund, erschrak, als die Scheiben der Brücke platzten, und sah die Flammen heraufschlagen. Sögtrup begann zu singen. Er schaltete die Geräte aus. »Komm schon, Mensch!« schrie Bailey drängend. »Leck mich am…«, kam es aus der FT-Bude. Dann sang Sög-
trup weiter. Bailey wollte hinein. Sögtrup schlug ihm die Tür vor der Nase zu. Aus den Augenwinkeln sah Bailey, daß schon Flammen die Treppe heraufschlugen. Er zögerte. Verbrennen? Nein. Da sprang er lieber. Er stieg auf die Brüstung, zerschnitt sich am Glas, holte Luft und sprang hinab. Fast zwei Stockwerke tief. Er fing die Wucht des Aufpralls ab, merkte, wie es ihn zu Boden preßte und wie im rechten Bein plötzlich Stiche wie von tausend glühenden Nadeln waren. Dann kam der Schmerz – eine Welle von unbändigen Schmerzen. Gebrochen! durchfuhr es ihn. Das rechte Bein ist hin! Auch egal! Er blieb liegen, während hinter ihm die Flammen sich in die Brücke fraßen. Sögtrup sang aus voller Kehle. Er war eingeschlossen vom Feuer. Aber er sang. Ein Grausen bemächtigte sich der Passagiere. Sie standen und starrten dort hinauf. Sie hatten Bailey springen sehen und hörten jetzt den Gesang. Dr. Wagener rannte in Richtung Feuer. Hinter ihm humpelte Moustakis. Sie hoben Bailey hoch und schraken alle drei zusammen, als der Gesang in ein kreischendes, klagendes Wimmern überging. »Er – er hat Paretti erwürgt«, stieß Bailey unter Schmerzen hervor. »Doktor, ich schätze, das rechte Bein ist futsch. Die Volusia läuft mit voller Maschinenkraft auf uns zu. Die hat er erreicht. In vier Stunden etwa ist sie da.« Er griff in den Hosenbund und gab Moustakis die Waffe.
»Was soll ich damit?« »Du wirst die noch brauchen, verlaß dich auf einen alten englischen Seeräuber und seine Ahnungen. Vier Stunden hält die Kolumbus nicht mehr. Ihr müßt in die Boote. In vier Boote.« Moustakis dachte lieber nicht daran. Unbeholfen packte er die Waffe und schob sie hinter seinen Gürtel. Mit blasenübersäten Händen war nicht gut schießen. Bailey packte ihn hart am Arm. »Eine hebst du für mich auf, ist das klar?« Der Zweite Offizier sprach zwingend. »Hör auf!« wich Moustakis aus. »Wir schaffen es schon.« »Du Narr, rechne selber. Eine für mich, merk dir das!« Er stützte sich auf den Doktor und hüpfte auf dem linken Fuß zum Bug, wo sich die Passagiere drängten. In der FT-Bude gingen die Säurebatterien hoch. Sehr viel länger als Sögtrup hatten sie auch nicht gehalten. Der Doktor verschaffte sich Gehör. »Die Volusia läuft mit äußerster Kraft auf uns zu. Die wird bald da sein. Wir werden durchhalten«, verkündete er den lauschenden Menschen. Bailey zupfte ihn am Arm. »Ist Peterson hier?« fragte der Zweite Offizier leise. »Ich vermisse ihn seit einer Stunde«, gab Dr. Wagener zurück. »Er wollte mit seinem noblen Hubschrauber weg. Das Feuer hat ihn eher erwischt. Er ist mit der Luftkutsche verbrannt. Und da war noch jemand drin.« Bailey zischte etwas beim Sprechen. »Seine Frau. Sie ist auch fort«, sagte der Doktor entsetzt und erschüttert. »Behalten Sie das bloß für sich, sonst drehen die Leute durch!« »Wird nicht mehr lange dauern«, orakelte Bailey.
* Gegen vier Uhr bekam die Kolumbus Schlagseite. Das Steuer rückte unaufhaltsam näher, der schwarze Qualm wurde unerträglich. Gegen sechs Uhr konnte die USS Volusia frühestens dasein. Dazwischen lagen nur zwei Stunden – zwei Stunden der Ewigkeit. Die Kolumbus kam immer mehr über. Die explodierten Tanks hatten ein Leck gerissen. Die größte Privatjacht der Welt lief langsam voll. »Fang an!« sagte Bailey heiser zu Moustakis. Der Erste Offizier erkannte die gefährliche Lage. Noch ein, zwei Grad mehr Schräglage, und sie bekamen die Boote backbords nicht mehr frei. Dann rutschten sie auf der Schiffswandung hinunter und schlugen um. Oder sie blieben schon oben sitzen. Schwimmwesten waren längst ausgeteilt und angelegt. Moustakis ging hinüber und teilte die Männer ein, die die zwei Boote klarzumachen hatten und wegfieren mußten. »Wir gehen in die Boote. Es besteht kein Grund zur Panik. Wie es sich gehört, verlassen die Frauen zuerst das Schiff. Ladies, darf ich bitten?« Die Persenningen flogen herunter. Jedes Boot bekam zwei Leute der Mannschaft mit, die darauf zu achten hatten, daß die Boote nicht ungleichmäßig abgingen. Moustakis, der Doktor, zwei Köche und ein Steward halfen den Frauen in die Boote. Es ging fast reibungslos. Plötzlich griff Moustakis nach einer Frau, die er noch nie an Bord gesehen hatte. Der Ruck ließ die Perücke fortfliegen. Ein Männergesicht
starrte Moustakis an. Es war ein Mann der Mannschaft, der sich Frauenkleider besorgt hatte und sich einen Platz im Boot erschleichen wollte. »Schieß ihn über den Haufen!« brüllte Bailey von seinem Platz her, wo sie ihn auf den Boden gebettet hatten. »Er ist ein Plünderer!« Er hatte den Kerl wiedererkannt. »Der Trick zieht nicht!« sagte Moustakis. »Du Stinktier bleibst an Deck!« Der Mann kreischte auf, griff um sich und bekam Mrs. Gainsworthy zu packen, die der Doktor mühsam mit Pflaster zusammengeheftet hatte. Sie fiel rücklings aus dem schwankenden Boot und schlug schwer an Deck. Dr. Wagener beugte sich sofort über sie. »Bewußtlos!« murmelte er, hob sie hoch und reichte sie in das überbesetzte Rettungsboot hinein. »Fiert – weg!« rief Moustakis. Kreischend begannen sich die Rollen zu drehen. Die Boote ruckten an. Ein paar Frauen schrien angstvoll. Die Schiffswandung berührte das Boot vor Moustakis, stieß es weg. Schlingernd kam das Boot zurück und prallte schwer gegen den stählernen Rumpf. Holz barst, Schreie gellten. Knirschend brach das Boot auseinander, schüttete die Menschen, die sich Rettung versprochen hatten, auf die Schiffswand, ins Wasser. Niemand hielt mehr die Taue. In wahnwitzigem Tempo drehten sich die Rollen. Moustakis stand wie betäubt. »Ringe!« schrie der Doktor neben ihm. Er begann, Rettungsringe ins Wasser zu werfen. »Beisammenbleiben! Nicht abtreiben lassen!«
Entsetzliche Schreie kamen von unten. Das zweite Boot kam sicher zu Wasser. Hoffentlich nehmen sie keine Schiffbrüchigen auf! dachte Moustakis. Sie müssen hart bleiben, sonst saufen sie ab! Sie hängen bis zum Dollbord im Wasser. Noch eine Frau mehr, und sie sacken weg! Die beiden Matrosen erkannten die Gefahr. Sie brachten das Boot ein Stück weg. »Was sind Sie? Ein Mensch oder ein Tier?« fragte jemand hinter Moustakis mit kaum bewegter Stimme. Es war Mr. Duggan. »Wollen Sie für die Frauen nicht ein Boot zu Wasser bringen lassen? Ich trete zurück. Ich verzichte auf einen Platz!« Der Sturm brach los. Männerfäuste wurden geschwungen, panikgepeitschte Stimmen brüllten Duggan nieder. Gatzl kreischte: »Sie hatten ihre Chance. Außerdem haben sie alle Schwimmwesten. Wir brauchen die zwei Boote!« Er schob sich wie ein Wellenbrecher heran. Jemand schlug Duggan zu Boden. Die Menge trampelte über ihn hinweg und stürmte die beiden letzten Boote. Moustakis hoffte, nur einen fürchterlichen Traum zu haben. Aber da war kein Traum. Da war Gebrüll, Geschrei, Kampf um Plätze, Rücksichtslosigkeit und die Sorge ums nackte Leben. Sie benahmen sich wie Bestien, die ehrwürdigen Gentlemen, die Wirtschaftslenker und Finanzgenies. Die Würde, die ihnen ihr vieles Geld verliehen hatte, war zerstoben, hatte sich im Qualm des brennenden Schiffes aufgelöst. Moustakis fing einen Blick von Bailey auf. Der Kerl grinste tatsächlich, als hätte er erwartet, daß es genau so eintreffen würde und nicht anders. Moustakis zog die Pistole, lud durch und feuerte einen
Schuß ab. Er hätte auch einen Luftballon platzen lassen können. Die beißenden, kratzenden, schlagenden Männer waren wie von Sinnen vor Angst. Sie kümmerten sich nicht um den Schuß. Die Mannschaft hatte das eine Boot erobert und verteidigte es gegen die Passagiere. Gatzl und einer der Ölprinzen flogen über Bord. Seraita bekam, als er in das Mannschaftsboot springen wollte, mit voller Wucht einen Riemen in den Leib gestoßen. Mit aufgerissenem Mund kippte er nach hinten und verschwand hinter der Reling. Zwei bärtige Musiker und Spindle, der dürre Keeper aus der Bar, beteiligten sich nicht an dem Kampf um die Boote. Sie hockten ergeben am schrägen Deck und warteten ab, bis es soweit war. Aus dem Niedergang kam noch jemand. Moustakis drückte beinahe aus Versehen die Waffe ab. Die hatte er doch glatt übersehen – der Teufel sollte es holen! Wo hatte die Lady all die Zeit gesteckt? Auf das schräge Deck trat Mrs. Grenadine, hielt ein Glas in der Hand, blinzelte in den heraufziehenden Morgen und nahm einen herzhaften Schluck. Moustakis sprang von der Kiste mit den Rettungsringen und ging ihr entgegen. »Lieber Himmel, Mylady, wieso sind Sie nicht mit den Frauen…?« »Ich werde doch wohl meinen Geburtstag feiern dürfen, wie es mir gefällt, oder?« unterbrach sie ihn und schaute indigniert auf die Männer, die mit Rollen und Tauenden aufeinander einschlugen. Van Veen wurde aus dem Boot gestoßen, in dem er schon einen sicheren Platz zu haben glaubte. »Keinen An-
stand, die Leute, keine Haltung!« bemängelte Mrs. Grenadine. »Reichen Sie mir Ihren Arm, junger Freund!« Sie ließ sich von Moustakis galant über das schräge Deck führen, als wandle sie auf der Promenade von Blackpool und nicht auf einem brennenden Schiff. Fast gelangweilt lehnte sie sich gegen die Reling, stemmte die alten Füße fest ein und hob das Glas. »Cheerio, junger Freund. Auf die Queen und England!« Sie leerte das Glas und warf es über die Schulter. Haltung – das hatte sie. Die Passagiere bekamen ihr Boot frei. Brüllend, heiser, mit zerkratzten Händen und zerschundenen Armen fierten sie es weg. Die Mannschaft kämpfte untereinander. Ein Ruck ging durch die Kolumbus. Langsam rollte sie weiter, immer weiter. Sie kam nicht mehr zum Stillstand. Gurgelnd, orgelnd, pfeifend schoß eingeschlossene Luft aus dem Schiffsinnern. Die todwunde Kolumbus legte sich auf die Seite und zermalmte das Boot der Passagiere. Moustakis flog mit den Knien gegen die Reling. Er sah den Doktor, wie er in der Luft ruderte. * An der Reling hing Bailey. Er nahm Maß und ließ los. Moustakis prallte auf. Da war sie – die Woge – der Taifun – das schreckliche Brüllen und Tosen. Es zog ihn hinab, unerbittlich. Er kannte es. Das Meer hatte ihn damals nicht gewollt. Jetzt holte es ihn. Ein paar Jahre spä-
ter eben. Schaum war um ihn. Blasen. Helligkeit. Es spülte ihn nach oben. Seine Lungen drohten zu platzen, sein Schädel wollte zerspringen, auf den Ohren war ein mörderischer Druck. Es hob ihn hoch, riß ihn auf den Kamm einer Welle. Düster ragte über ihm der Bug der Kolumbus auf. Das Boot der Mannschaft war fort. Zerfetzte Taue baumelten in den Davits und Rollen. Nur Mrs. Grenadine hielt sich oben an der Reling fest. Haushoch flogen Türen und Bullaugen aus dem Wrack. Die zusammengedrückte Luft suchte gewaltsam nach Auswegen. Ein schreckliches Stöhnen und Ächzen kam aus der sterbenden Jacht. Am Heck klaffte ein riesiges Loch. Öl lief heraus, brannte auf dem Wasser weiter und schickte eine schwere, träge Qualmwolke in die Luft. Moustakis begann zu schwimmen. Andere Schiffbrüchige waren um ihn. Es fehlten viele – es fehlten die meisten. Zehn, zwölf Köpfe zählte er, die aus den gelben Halswülsten der Rettungswesten hervorschauten. Eine Traumfahrt durch die Karibik, hatte Peterson gesagt. Eine Kreuzfahrt in die Hölle wurde es. Moustakis begann schneller zu schwimmen. Drohender kam der Rumpf über. Das Salzwasser biß in die Augen, brannte im Schlund. Er fürchtete, keinen Meter vom Wrack wegzukommen. Wenn es wegsackte, riß der Sog alles im Umkreis von fünfzig Metern mit in die Tiefe. Vor Moustakis schrie einer der Schwimmer gräßlich auf, schlug um sich, versank und kam wieder hoch. Das Wasser färbte sie blutrot.
Immer noch schrie der Mann, bis es ihn völlig unter die Oberfläche zog. Die Haie waren da, um sich ihren Anteil zu holen! Die kalte, nackte, würgende Angst griff nach dem Ersten Offizier. Etwas stieß ihn an. Er schrie, er brüllte vor Entsetzen. Das Etwas blieb. Er drehte sich im Wasser. Ein Rettungsring trieb neben ihm. Er war mit dem Kopf dagegengestoßen. Baileys Kopf schaute aus der Rundung. Der Abkömmling englischer Seeräuber spuckte Salzwasser aus und rief gurgelnd: »Sie geht weg!« Moustakis war erleichtert, einen Kameraden gefunden zu haben. Das Gefühl, völlig allein auf sich gestellt zu sein, wich einiger Zuversicht. Er blickte zurück. Die Kolumbus sank über das Heck ab. Der Bug stieg steil in die Höhe, sank dann langsam schräg nach unten. Der Anblick war majestätisch und grausam. An der Reling war immer noch eine Gestalt in einem wehenden, knöchellangen Kleid zu sehen. Es war ihr Geburtstag. Und es war ihr Wille. Bailey, der hartgesottene Hundesohn, begann plötzlich zu schluchzen. Mit der Kolumbus ging etwas auf Grund, das er mehr gemocht hatte, als er je zugegeben hätte. Der Sog wirkte und riß die Männer ein Stück durchs Wasser. Bevor es gefährlich wurde, glättete sich der Strudel. Ausrüstungsteile schossen aus der Tiefe hoch, sprangen aus dem Wasser. Die Kolumbus gab noch frei, was sie nicht mitnehmen wollte. Minuten später stieg eine gewaltige Blase hoch, zerteilte sprudelnd das Meer und schuf neue Wellen. Drüben trieb das einzige Boot, das heil zu Wasser gekommen
war. Es tauchte in die Täler, glitt auf die Kämme und drohte jeden Augenblick vollzulaufen. Dazwischen tanzten ein paar Köpfe, erkenntlich an den gelben Halswülsten der Westen. Dr. Wagener schob sich in das Blickfeld des Ersten Offiziers. Er hatte es auch geschafft. Sie trieben und schwebten zwischen Bangen und Hoffen. Eine Stunde – zwei Stunden. Moustakis alterte um Jahre, Bailey bekam graue Haare. * Als die USS Volusia gegen sieben Uhr am Ort der Katastrophe eintraf, konnte die Mannschaft siebenundzwanzig Frauen und Männer lebend an Bord nehmen. Elf Schiffbrüchige wurden tot geborgen. Die übrigen hatte das Sargasso-Meer behalten und hielt sie im Todesdreieck fest. ENDE
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Der König der mordenden Haie Seltsame und entsetzliche Badeunfälle von Tijuana bis hinauf nach Kap Mendocino versetzen die kalifornischen Küstenbewohner in Panik. Da verschwinden spurlos ganze Gruppen von Schwimmern aus netzgeschützten Buchten, da finden Fischer Reste menschlicher Körper mit ihren Fanggeräten, und da gehen Ausflugboote mit gläsernem Boden, kleine Yachten und Fischkutter mit Gästen und Besatzung verloren. Flugzeuge der Küstenwache entdecken eine richtige Herde von Weißhaien, die von einem über 15 m langen gewaltigen Burschen geführt wird. Haie dieser Größe kennt man nicht. Während die Wissenschaftler streiten, erstarren die Küstenstädte in Furcht und Schrecken, verschwinden weiter Boote und Menschen. Haben die Meeres-Wissenschaftler der Navy unverantwortlich experimentiert und Mutationen gezüchtet? Hat ein Seebeben im Guatemala-Becken diese riesigen Tiere aufgescheucht? Die Weißhaie greifen bedingungslos alles an, was sich im Wasser bewegt als seien sie völlig verrückt. Die besten Unterwasserjäger treffen ein. Man findet nie wieder etwas von ihnen. Unvorstellbares Grauen lähmt die Küstenstädte, die Ver-
gnügungsorte. Versäumen Sie nicht diesen erregenden, packenden Inferno-Roman. Ihr Zeitschriften- und Bahnhofsbuchhändler hält ihn für Sie bereit.