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1. 1. Mai 1594, vormittags. Über der Karibischen See ging groß und gewaltig das Flammenrad der Sonne auf. Scheinbar schwerelos tauchte der riesige Ball aus dem Wasser und stieg unmerklich höher. Es versprach, ein heißer Tag zu werden. Zwei Schiffe schienen genau in den sengenden Ofen hineinzusegeln. Das
eine war die „Pommern" unter Philip Hasard Killigrew, die Perlengaleone, die einst „Santa Clara" hieß und vom Bund der Korsaren den Dons abgenommen worden war. Sie war umgebaut worden, so daß die Spanier ihr einstiges Schiffchen nicht mehr identifizieren konnten. Das zweite Schiff wirkte ganz anders als die Galeone. Es war ein düsterer, fast schwarzer Zweidecker mit starker Armierung.
4 Als ihn jetzt die Sonne grell beschien, wirkte die „Caribian Queen" fast noch unheimlicher. Auch sie hatte den Besitzer gewechselt und gehörte noch vor kurzem der Black Queen und ihrem Geliebten Caligula. Jetzt, nach dem letzten Raid auf die Queen, gehörte sie dem Bund der Korsaren und unterstand dem Kommando von Dan O'Flynn. Auf ihr befanden sich auch Ferris Tucker, der Profos Edwin Carberry, Hasard junior, ein paar weitere Seewölfe und ein paar Männer von der „Wappen von Kolberg", Mit sechzehn Mann an Bord war sie genauso unterbemannt wie die Galeone „Pommern". Was den Seewölfen jedoch an Hands fehlte, verstanden sie durch Können, harten Einsatz und Geschicklichkeit auszugleichen. Der Wind wehte nur mäßig aus Nordost bei leichter langrollender Dünung. Ihr Ziel war die Schlangen-Insel, um die Beute - in diesem Fall die „Caribian Queen" - einzubringen und dem Bund der Korsaren zu überstellen, denn der Zweidecker war robust und stabil gebaut und konnte die Flotte tatkräftig unterstützen. Hasard und Dan O'Flynn liefen hart unter der Küste von Kuba, um Höhe zu haben, wenn sie nach Passieren der Windward-Passage die nordöstlicher gelegenen Caicos-Inseln ansteuerten. Drehte der Wind dann nicht und blies immer noch aus Nordost, würden sie aufkreuzen müssen. Aber bis dahin blieb noch viel Zeit, denn die Küste zog sich endlos in die Länge. Hier, im Osten Kubas, trat der Gebirgscharakter der Insel am deutlichsten hervor. Es gab nur drei gebirgige Stellen, aber dort, wo sich die Sierra Maestra erhob, wuchtete auch
der höchste Berg der Insel empor der Pico Turquino mit einer Höhe von zweitausendzweihundert Yards. Hasard blinzelte in die grelle Sonne. Die Strahlen tanzten grell über die Sierra Maestra, die zum Meer hin in einer Bruchstufe steil abfiel. Das Lichterspiel wurde immer bizarrer. Einige der Kettengebirge waren in hellen Sonnenschein gebadet, während andere düster und drohend und fast schwarz in den Himmel ragten. Der Pico Turquino trug eine grell flimmernde Lichthaube. Es sah aus, als würde der Gipfel in heller Glut brennen. Unterbrochen wurden die parallel zum Meer verlaufenden Gebirgszüge nur hin und wieder durch einen schmalen Streifen Strand, ein paar Palmen oder durch tiefe Einschnitte. Mitunter sah man wie in eine gewaltige Höhle hinein. Dahinter verbargen sich geschützte kleine oder größere Buchten mit gefährlichen Kliffs und Untiefen. Hasard warf einen Blick achteraus und nickte Shane zu, der mit beiden Händen durch seinen mächtigen grauen Bart strich. „Dan segelt den Zweidecker hervorragend", sagte er. „Man könnte glauben, er wäre schon jahrelang mit dem Ding vertraut. Dabei sind sie nur sechzehn Mann." „Die Black Queen hätte ihre Freude daran", erwiderte Shane grinsend. „Jetzt gehört der Eimer uns, und es hat sich ausgequeent." Auch er warf einen Blick achteraus zum Zweidecker, der an Backbord leicht versetzt nachsegelte. Drüben hob der Profos Edwin Carberry die Arme und grinste ebenfalls. Auch Dan O'Flynn schickte winkend einen Gruß herüber. Sein Gesicht sah noch ein wenig lädiert aus, als sei er in ein Nadelkissen gefallen. Das war der Rest der Spuren
5 einer weiblichen Hand, deren Krallen ihm durchs Gesicht gefahren waren, als sie zwei Kapitänen halfen, eine Meuterei zu beenden. Eine regelrechte Furie hatte sich dabei auf Dan gestürzt. Der Zweidecker mit seiner starken Armierung war wirklich eine prächtige Beute. Das Schiff hatte ihnen unter der Black Queen schon oft genug zugesetzt und manchen Ärger bereitet. Das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Es sollte auf die Schlangen-Insel gebracht und dort von Hesekiel Ramsgate überholt werden. Der Pico Turquino sah jetzt von ferne aus, als würde sein Kegel in sattem Rot brennen. „Wie der Feuerthron der Vulkangötter", sagte Philip junior, dessen Zwillingsbruder auf dem Zweidekker fuhr. „Bloß dürfte selbst der Vulkangott da einen ziemlichen heißen Hintern kriegen", schloß er seine lauten Überlegungen ab. „Nähern wir uns jetzt nicht der Reede von Santiago de Cuba?" fragte er gleich darauf seinen Vater. „Ganz recht", sagte Hasard. „Das war über dreißig Jahre lang die Hauptstadt von Kuba. Die Dons haben sie vor genau achtzig Jahren gegründet. In der großen Kathedrale befindet sich auch das Grab von Diego Velazquez, der Kuba für Spanien eroberte." „Seitdem haben die Dons ziemlich viel Mist gebaut", sagte Philip schnoddrig. „Das kann man wohl sagen", meinte Big Old Shane und begann leise zu lachen. „Und das wird immer noch schlimmer. Aber das ist uns ja zur Genüge bekannt." „Dann ist es nur recht, daß wir ihnen hin und wieder mal was aufs Maul hauen", meinte Philip selbstbewußt.
Shane wies mit der Hand voraus, wo das Gebirge sich absenkte und zwischen zwei riesigen Hängen gleich der Hafen von Santiago de Cuba auftauchen mußte. „Wir sollten vorsichtshalber etwas abfallen", sagte er, „sonst segeln wir den Dons zu dicht über die Reede. Da sie bekanntlich neugierig sind, könnten sie sich für uns interessieren." „Dadurch verlieren wir zuviel Höhe", sagte Hasard, „später müßten wir mühsam aufkreuzen, und das alles kostet Zeit. Bis die uns richtig bemerkt haben, sind wir längst weiter." „War nur ein Vorschlag, Sir", murmelte Shane, „aber durch die Höhle des Löwen zu segeln, ist tatsächlich unauffälliger." Eine knappe Viertelstunde später waren zwei Ölmühlen zu erkennen, dann tauchte die Kirche San Francisco auf. Die Hafenkastelle rückten näher heran, und die von Hasard erwähnte Kathedrale mit dem Grab des spanischen Eroberers war ebenfalls zu sehen. Im Hafen herrschte reger Verkehr. An den Piers wurden Schaluppen entladen, Boote fuhren hin und her, zwei Schaluppen näherten sich gerade der Reede. Hasard pfiff leise durch die Zähne, als er die Ansammlung sah. Auf der Reede lagen sechs dickbäuchige Frachtgaleonen vor Anker, beladen bis an die Halskrause. Diese sechs schwerbeladenen Galeonen waren am Vortag aus Spanien eingetroffen und hatten den Auftrag, hier ihre Ladung zu löschen. Die Ladung bestand aus Kriegsmaterial der spanischen Flotte, das von Santiago de Cuba aus an die verschiedensten Stützpunkte der spanischen Marine verteilt werden sollte, vornehmlich nach Cartagena, wo
6 sich einer der Hauptstützpunkte der Spanier befand. Das Flottenkommando in Spanien hatte Order gegeben, daß die einzelnen Kriegsschiffseinheiten in der Neuen Welt die für sie bestimmten Ladungen in Santiago de Cuba selbst abholen sollten. Das erleichterte das Verteilungsverfahren beträchtlich, und so waren jetzt bereits Schaluppen und schnelle Boote unterwegs, um die Order an die Stützpunkte weiterzugeben. Inzwischen wurde auf der Reede gelöscht, und eine Schaluppe nach der anderen kehrte beladen zum Hafen zurück. Das alles dauerte recht lange und ging fast schwerfällig vor sich, denn die Dons rissen sich kein Bein bei der Arbeit aus. Sie hatten Zeit, denn es würde eine beträchtliche Weile dauern, bis die Stützpunkte informiert waren. Hasard griff zum Spektiv und warf einen langen Blick hindurch. Was er sah, stimmte ihn sehr nachdenklich. Er konnte sich ungefähr zusammenreimen, was da geschah. Gerade wurde ein schweres Kanonenrohr in eine Schaluppe abgefiert. Das ging mit Geschrei und Gebrüll vor sich. Viele Hände packten zu, um das schwere Monstrum in die Schaluppe zu dirigieren. Dann wurde die Kanone langsam abgefiert, und die Schaluppe krängte über, als sie die schwere Last aufnahm. Hasard schwenkte den Kieker zur nächsten Galeone. Dort wurde ein kleineres Boot mit Eisenkugeln beladen, die in Racks steckten. Ein Rack nach dem anderen mit pyramidenförmig aufgeschichteten Kanonenkugeln verließ den Bauch der Galeone und wanderte in das Boot. Auf der dritten Galeone wurden Fässer abgefiert. Hasard brauchte nicht herumzurätseln, was die Fässer enthielten. Sie waren bis an den
Rand mit Schießpulver gefüllt. Zu dem Artilleriegut, das dort verladen wurde, gehörten auch Lunten, Wischer, Kratzer, Ansetzer und Pulverschaufeln. Es war eine unvorstellbare Menge Kriegsgut, das hier aus Spanien eingetroffen war, um die Macht der Dons weiter zu stärken. Hasard setzte das Spektiv ab, denn jetzt konnte man die Arbeiten mit dem bloßen Auge erkennen. Er sah, daß auch die Männer aus Kolberg, die gemischt zwischen den Seewölfen verteilt waren, aufmerksam zur Reede blickten. Big Old Shane starrte düster zu den sechs Galeonen. Seinem Blick war anzusehen, was er dachte. „Der Satan soll die Kerle holen", brummte er. „Diese Ladung festigt die Macht der Dons noch mehr. Mit Hilfe des Kriegsmaterials werden sie immer mächtiger und aggressiver. Hörst du mir überhaupt zu, Sir?" Hasard hatte nur mit halbem Ohr zugehört, aber jetzt schrak er auf. In seinen Augen lag ein eigentümlich kalter Glanz, der Shane an das blauweiße Eis der Gletscher erinnerte. „Ja, ich höre dir zu, Shane", sagte er leise, „ich dachte auch eben so ähnlich. Was diese sechs Galeonen. in ihren Räumen haben, bedeutet Tod und Vernichtung, Unterdrückung und Sklaverei. Es wird ihnen helfen, sich noch weiter auszubreiten. Aber da ist noch etwas anderes, an das ich gerade dachte. Eines Tages wird man einen Teil dieser Waffen auch gegen uns einsetzen. Es kann sein, daß dort bereits für einige von uns der Tod in den Rohren lauert." Shane sah den Seewolf aufmerksam an. „Hast du etwas vor? Immer wenn du diesen Blick drauf hast, dann braut sich etwas zusammen." Hasard gab keine Antwort. Er
7 blickte über die Reede zum Hafen und sah sich die anderen Schiffe an. Dort lagen nicht nur Handelsfahrer, sondern auch Kriegs-Karavellen und zwei schwer armierte KriegsGaleonen. Jetzt erhielten auch sie Nachschub an Pulver, Kugeln und Kanonen. Eines Tages, überlegte er, würden die Dons die Schlangen-Insel entdekken, und dann würden sie erbarmungslos alles das vernichten und zerstören, was sich die Seewölfe in jahrelanger mühseliger Arbeit aufgebaut hatten. Sie würden mit einer Armada aufmarschieren, und von der Insel und ihren Bewohnern würden nur noch die Felsen übrigbleiben. Als er immer noch auf Shanes Frage keine Antwort gab, dachte sich der Ex-Schmied von Arwenack seinen Teil. Fast alle blickten zu den Galeonen und dem bunten Treiben auf Reede, und jeder von ihnen hatte einen gewissen scheelen Blick drauf, als sie die ungeheuren Mengen an Kriegsmaterial sahen. Und das war nur ein kleiner Teil dessen, was noch alles in den Laderäumen verborgen war. Luke Morgan, der Hitzkopf unter den Seewölfen, sprach das aus, was auch die meisten anderen dachten. „Jetzt müßte auf den Pulverkähnen ein kleines Feuerchen ausbrechen. Stellt euch nur vor, wenn ein einziger Kahn in die Luft fliegt. Das ist wie eine ansteckende Krankheit, dann kriegen die anderen auch die Pest, und die Dons würden dämlich in die Gegend glotzen." „Falls sie dann noch glotzen können", sagte Stenmark einschränkend. „Die ehrenwerten Dons wären wohl etwas geblendet. Aber sie hätten ein paar hundert Tonnen Munition weniger." Sie wollten gerade ausgiebig ihrer
Phantasie freien Lauf lassen, als aus dem Ausguck gewahrschaut wurde. „Schaluppe nimmt Kurs auf uns!" rief ein dunkelblonder Kolberger. „Jetzt werden sie mißtrauisch", sagte Shane. „Sicher wollen sie wissen, was wir hier zu suchen haben." Die Dons waren auch mißtrauisch, denn beide Schiffe, die „Pommern" und die „Caribian Queen" hatten keine Flagge gesetzt. Es war unverkennbar, daß die Schaluppe Kurs auf sie nahm. Sie segelte rasch aus dem Hafen, brauste an den auf Reede liegenden Galeonen vorbei und jagte heran. „Kurs halten, Sir?" fragte Pete Ballie. Hasard ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Wir bleiben auf Kurs", sagte er. „Sicher ist das wieder so ein Wichtigtuer, der glaubt, die Welt gehöre ihm allein." Er griff wieder zum Spektiv und sah sich die Schaluppe an. Dann nickte er bestätigend. „Ein Capitán der Marine", sagte er. „Ein überheblicher und geschniegelter Stiesel, wie ich schon dachte. Das Kerlchen scheint ganz aufgeregt zu sein, daß wir es wagen, hier die Gewässer zu durchsegeln." Das mit dem geschniegelten Stiesel war keinesfalls übertrieben. Hasard wußte Gesichter und Mimik zu deuten. Als die Schaluppe näher heransegelte, konnten sie neben den Seesoldaten den Capitán deutlich erkennen. Er war aufgedonnert, als wollte er zu einem Ball gehen. Sein Rüschenhemd war blütenweiß, die übrige Uniform offenbar ganz neu. Aber sein Gesicht war arrogant. Er wirkte schon von weitem hochnäsig und eingebildet. Die Soldaten hatten unter seinem Kommando sicher nicht viel zu lachen, man sah es an ihren
8 mürrischen Gesichtern. Steif wie die Stockfische standen sie herum. Der Stiesel mochte so an die dreißig Jahre alt sein, und nahm sich sehr wichtig. Er wölbte bereits drohend die Brust vor, um mit dieser Drohgebärde die Seewölfe einzuschüchtern. Bei den Dons klappte diese Geste immer, aber hier grinste man nur abwartend. „Jetzt pumpt das Kerlchen sich auf", sagte Shane. „Hoffentlich platzt er dabei nicht." Als die herkulische Aufblasgebärde ihre Wirkung verfehlte, lief der Capitán etwas rötlich an. Vermutlich nahm er an, die Kerle auf den beiden Schiffen würden sich jetzt ängstlich ducken. Doch die grinsten immer noch etwas milde, weil sie ihn offenbar nicht ganz für voll nahmen. Mit Braßfahrt rauschte die Schaluppe heran, schlug einen Bogen und segelte parallel zur „Pommern" her. Der Abstand betrug jetzt noch etwa zehn Yards. Einen Gruß, wie er sonst üblich war, hielt der spanische Capitán wohl für überflüssig. Hasard verzichtete daher auch auf warme Worte. Er sagte überhaupt nichts, son-, dem blickte den Capitán nur einmal flüchtig an, was den bis zur Weißglut reizte. „Ihr da!" brüllte er. „Ihr habt keine Flagge gesetzt! Wie heißen die Schiffe, welcher Nationalität gehört ihr an? Ich will eine Antwort haben, sonst lasse ich euch aufbringen. Wer sind Sie?" brüllte er noch lauter und sah Hasard dabei an. Solche geschniegelten und anmaßenden Kerle gingen Hasard stets runter wie ranziges Öl. Der Blick seiner Augen wurde noch eisiger. Der Capitán holte tief Luft. Aus funkelnden Augen blickte er nach oben zum Achterdeck.
„Woher und wohin des Wegs?" rief er. „Wer sind Sie?" Daß dieser schwarzhaarige Riese nicht kuschte und in sich zusammenkroch, erboste ihn immer mehr. Er fuchtelte aufgeregt mit den Armen. Hasard brüllte im gleichen Tonfall zurück: „Ich bin der Radschah von Kalikut! Von Indien segelnd auf Pilgerfahrt zur Audienz Papst Clemens des Dritten nach Italien!" Die Antwort verblüffte die Seesoldaten, den Capitán regte sie jedoch so auf, daß er zornig einen Schritt vorsprang und in seiner Aufregung fast über Bord fiel. Erst ganz dicht vor dem niedrigen Schanzkleid fing er sich, wobei er wild mit den Armen ruderte. Die anderen waren jetzt noch mehr am Grinsen. Luke Morgan feixte niederträchtig, griff mit beiden Händen nach seinen Ohren und zog sie so vom Schädel ab, daß sie wie zwei Topflappen wirkten. Dazu streckte er die Zunge raus und brüllte: „Uäääähhhh!" Der Capitán war drauf und dran, seine Autorität bei den Seesoldaten einzubüßen. Dieses Pack nahm ihn nicht für voll, denen mußte wohl erst eine harte Lektion erteilt werden, damit sie begriffen, wer hier zu befehlen und wer zu gehorchen hatte. Sein Gesicht war jetzt knallrot. Er war so empört, daß er sich kaum beherrschen konnte. „Drehen Sie bei!" schrie er unbeherrscht. „Stoppen Sie! Beide Schiffe werden untersucht. Das ist ein Befehl!" Der Befehl schien die Kerle noch mehr zu erheitern. Sie begannen schallend zu lachen und kriegten sich nicht mehr. Auch der schwarzhaarige Kerl auf dem Achterdeck lachte. Aber es war ein verächtliches Lachen, das hörte der Capitán deutlich heraus. Dann winkte er mit der
9 Hand ab und segelte weiter, als sei nichts geschehen. Fassungslos vor Wut brüllte der Capitán weitere Befehle. Die Schaluppe drehte leicht ab und hielt jetzt Kurs auf den düsteren Zweidecker, der im Kielwasser der Galeone segelte. * Für den Profos Edwin Carberry war die Szene erheiternd. Auch auf der „Caribian Queen" grinsten die Kerle unverschämt und schienen sich prächtig zu amüsieren. „Seht euch dieses aufgeblasene Rübenschwein an", sagte der Profos. „Das Würstchen will hier befehlen. Dem sollte man mal gründlich die Haut in Streifen von seinem Affenarsch abziehen." „Genau!" brüllten die Kolberger und Arwenacks. Die Seewölfe kannten Eds Lieblingsspruch zur Genüge, die Kolberger dagegen hörten ihn nur sehr selten, und so begrüßten sie lautstark und freudig des Profos honorigen Vorschlag. Interessiert wurde die heransegelnde Schaluppe mit dem aufgebraßten und erbosten Capitán gemustert. In Dan O'Flynn kochte es bereits, weil sich der Kerl in überheblichem Ton anmaßte, die Schiffe zu untersuchen. Woher nahm er eigentlich das Recht, friedliche Handelsfahrer zu stoppen? Jetzt segelte die Schaluppe noch näher heran. Der Kerl an der Ruderpinne erhielt von dem Capitán alle Augenblicke laut gebrüllte Befehle, wie er gefälligst zu segeln habe. „Das sieht aus, als habe er die Absicht, bei uns an Bord zu klettern", sagte Dan zu Ferris Tucker. „Der ist wohl nicht mehr normal, der Spinner."
„Die Absicht hat er zweifellos, Dan. Der Kerl kocht vor Zorn. Der kriegt es fertig und versucht, den Grinsern eine Lektion zu erteilen." „Drehen Sie bei und stoppen Sie sofort!" schrie der Don wieder. Er hob die Faust und drohte Dan O'Flynn mit wütender Geste. „Aus dem Kurs!" rief Dan auf Spanisch zurück. „Ich fordere Wegerecht. Wir wollen ebenfalls zur Audienz zum Papst nach Italien." Den Capitán warf diese neuerliche Ungebührlichkeit fast um. Zu allem Überfluß grinsten und lachten sich die Kerle krank. Sie veralberten ihn, um es ganz klar auszudrücken, und sie veralberten ihn derart, daß er vor Zorn kaum noch Luft kriegte. Er ließ die Schaluppe stur Kurs halten, wobei eine Ramming unvermeidbar schien. Mit krebsrotem Gesicht blickte er nach oben. Er mußte mächtig den Hals recken, um von der kleinen Schaluppe aus das Achterdeck einsehen zu können. Der Kutscher trat grinsend aus der Kombüse. In den Händen hielt er den morgendlichen Abfallkübel, der schön matschig gefüllt war. Er sah Carberry an und plinkerte ihm zu. Die Augen des Profos nahmen einen fast überirdischen Glanz an, und er nickte begeistert. Der Kutscher trat zum Schanzkleid, hob den Kübel und leerte ihn aus, wie er das jeden Morgen tat. Als er den Kübel leerte, setzte er ein erschrockenes Gesicht auf, als hätte er die Schaluppe gerade jetzt erst entdeckt. Fast entsetzt blickte er hinunter. Da war jetzt die Hölle los. Carberry stand am Schanzkleid und wimmerte erstickt, denn das Bild, das sich den Arwenacks und Kolbergern bot, war von einmaliger Pracht. Die Masse aus Dreck, Matsch, Gemüseresten, Knochen und Sudbrühe
10 klatschte dem geschniegelten Capitán voll auf den Schädel. Es gab ein lautes Platschen, und unter dem Gewicht der Abfälle ging der Capitán erst einmal hart in die Knie. Der Matsch erstickte sein Gebrüll und Geschrei zu einem dumpfen hilflosen Gurgeln. Die Seesoldaten sprangen entsetzt zur Seite, um von dem unerhofften Segen nichts abzukriegen, doch der Matsch verteilte sich nach allen Seiten, und so war es kein Wunder, daß sie sich heftig die Augen rieben und die Nasen zuhielten. Der Matsch roch auch nicht gerade lieblich. Den Capitán hatte es jedoch voll erwischt. Er stand in einer Schmiere aus allem möglichen Zeug, beklekkert von oben bis unten. Seine Uniform sah aus, als sei er soeben einer Suhle entstiegen. Auf seinem Schädel hing einsam ein zerfranstes Kohlblatt. Sein Kupferhelm lag in der Suppe an Deck. Das Prunkstück auf seiner linken Schulter war ein sauber abgenagter Knochen, der jetzt polternd zu Boden fiel. „Oh, Verzeihung", sagte der Kutscher, „ich wußte nicht, daß wir freundlicherweise eskortiert werden. Na, nichts für ungut, Señores, man kann ja nicht alles wissen." Die Seesoldaten standen wie erstarrt da, während der Capitán laut fluchend damit beschäftigt war, aus der Schmiere zu treten. Aber die hatte ihre Tücken und sich längst als matschige Pampe weiter auf dem Deck verteilt. In dem Bemühen, wieder einen klaren Blick zu kriegen, glitt der Capitán aus, griff haltsuchend um sich und erwischte den Kerl an der Pinne, den er mit einem harten Ruck auf die Planken riß. Der Rudergänger schrie Zeter und Mordio, versuchte wieder aufzustehen, trat dabei dem fluchenden Capitán auf die Hände und wur-
de erneut umgerissen, als er sich gerade halb aufgerichtet hatte. Ein Bild für die Götter war das, und natürlich wurde dieser Anblick sowohl von der „Caribian Queen" als auch von den Kerlen der „Pommern" begeistert genossen. Als der Capitán endlich wieder armerudernd auf den Beinen stand, war es mit seiner Autorität endgültig vorbei. Zudem lief das Schiffchen durch den Ausfall seines Rudergängers aus dem Kurs und donnerte mit wüstem Gepolter an die eisenharte Bordwand des Zweideckers. Ein paar Seesoldaten, die steif wie Ladestöcke herumstanden, riß der harte Anprall von den Beinen. Auch der Capitán landete wieder hart auf den Planken, weil er immer noch damit beschäftigt war, sich die Augen sauber zu reiben. Er war kein Mensch mehr in diesem Augenblick, er war nur noch ein vor Zorn brüllendes entstelltes Untier, das mörderische Schreie von sich gab und dem die Brühe vom Schädel ständig in den Kragen des vormals blütenweißen Rüschenhemdes rann. Das Rüschenhemd war wohl nicht mehr zu retten, wie der Profos ganz sachlich und fachkundig feststellte. Aber der ehrenwerte Capitán würde nach einer entsprechenden Reinigung vermutlich wieder ganz manierlich aussehen, tönte er herum. „Schnappt euch die Pützen", preite er die lachenden Kerle an. ,Wir wollen diese Stockfische mal etwas wässern, was, wie?" Die Schaluppe schurrte an der Bordwand weiter, trieb zwei Yards ab und donnerte wieder heran wie ein grantiger Ziegenbock, der unbedingt mit den Hörnern stoßen möchte. Arwenacks und Kolberger schnappten sich die Pützen, hievten sie an Deck und leerten sie wieder
11 nach unten aus. Sie alle waren mit Feuereifer bei der Sache, um den Señor Capitán wieder auf Hochglanz zu bringen. Sehr erfreut schien er nicht darüber zu sein, denn das laufend von oben nachgegossene Seewasser verteilte den Matsch nur noch mehr auf den Planken, und so blieb es nicht aus, daß sich einige der Kerle wieder unsanft auf den Planken wiederfanden. Carberry goß dem jetzt todbleichen Capitán machtvoll die nächste Pütz Seewasser aufs Haupt. Sie donnerte mit solcher Wucht heran, daß es den Capitán zwei Schritte zurücktrieb. Erneut war er sekundenlang blind und griff um sich, um nicht über Bord zu gehen. Das war der Augenblick, in dem es der Rudergänger gerade geschafft hatte, wieder die Pinne zu erreichen. Diesmal kollidierte er mit dem Schädel seines Vorgesetzten und empfing einen Nasenstüber, an dem er fast erstickte. Mit einem lauten Schrei taumelte er von der Pinne weg, beide Hände vor das Gesicht haltend. Keiner der anderen Kerle bequemte sich jedoch, das Verhängnis zu verhindern, indem er nach der Pinne griff. Sie waren wie gelähmt vor Schreck und Entsetzen, und sie wußten wohl auch nicht so recht, wie sie sich gegenüber ihrem dreckbesudelten Capitán verhalten sollten. So nahm das Verhängnis seinen Lauf. „Jetzt kracht's", sagte Ferris Tukker. „Jetzt nimmt er uns voll auf die Hörner. Himmel, Arsch und Kübelmatsch!" Wie ein Rammbock donnerte die steuerlose Schaluppe heran. Eine leichte Dünung setzte sie gerade in diesem Augenblick tiefer in die Wellen, damit sie besser Anlauf nehmen konnte.
Die Seesoldaten brüllten, der Capitán hielt sich fest, und der Rudergänger irrte mit blutender Nase ziellos auf dem Deck herum. Die „Caribian Queen" hielt einen solchen Rammstoß unbeschadet aus, da knackten nicht mal ihre eisenharten Planken. Es gab nur eine recht dumpfe Erschütterung und zweimal hintereinander einen lauten Knall. Aber die Schaluppe überstand das nicht ganz ohne Schäden. Kaum war sie an die Bordwand gedonnert, da zersplitterte der Großbaum, die Gaffel ging zu Bruch, und das Großsegel zerfetzte mit einem häßlichen Geräusch. Die eben noch in Braßfahrt befindliche Schaluppe wurde so jäh gestoppt, daß der herumirrende Rudergänger das Gleichgewicht verlor und mit Gebrüll über Bord ging. Im Wasser herumkrebsend, hielt er sich immer noch die Nase und nuschelte, man möge ihn, verdammt noch mal, sofort aus dem Bach ziehen, er könne nicht schwimmen. Aber an Deck herrschte Wuhling, und dem Rudergänger blieb nichts anderes übrig, als noch eine Weile im Bach auszuharren. Trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen schwamm er ganz gut. Unter dem Großsegel, das zerfetzt an Deck lag und in das der Wind hineinblies, krochen total entnervte Kerle hervor. Mit wüsten Worten befreiten sie sich von dem Tuch. Ein paar von ihnen rutschten erneut in der Schmiere aus und fluchten unbeherrscht, als die Schaluppe achteraus an dem Zweidecker vorbeitrieb. „Ja - ja", sagte der Kutscher tiefsinnig, „die Gelehrten nennen das den sogenannten koeffizienten Reibungseffekt, eine Zahl, die das Ausdehnungsvermögen eines Stoffes ausdrückt, in diesem Fall der Matsch aus dem Abfallkübel. Ich glaube, ein
12 bißchen Schmierseife war auch noch Die Arwenacks und Kolberger in dem Kübel, was den Reibungsef- winkten den Dons fröhlich nach und fekt unglaublich vergrößert. Er ist bedachten sie mit geistreichen Sprüschon so manch einem zum Verhäng- chen. nis geworden, wegen seiner UnbeLangsam krebste die Schaluppe rechenbarkeit. Noch besser geht das zum Hafen zurück. Der geschniegelmit Knochenleim, Seife und Wasser. te Stiesel hatte sich sehr zu seinem Da tanzen die ehrenwerten Dons Nachteil entwickelt. Selbst aus der stundenlang hausgemachten Fla- Ferne sah er immer noch sehr jämmenco." merlich aus. Die Kerle hieben sich auf die „Seine Vorgesetzten werden ihn siSchenkel und wollten sich krank la- cher gebührend bestaunen", sagte chen. Auch von der „Pommern" Dan, „und sich über seine Aufmadrang brüllendes Gelächter herüber. chung wundern. Aber ein toller Spaß Der Profos lachte am lautesten. Er war das schon, gerade wegen des Abkonnte sich kaum beruhigen. fallkübels. Ohne den Kutscher hät„Das mit dem Klotz-Interessenten ten die arroganten Kerle nie so läpmußt du mir mal genauer verkla- pisch ausgesehen." ren", sagte er zum Kutscher, der ihn Auch Renke Eggens, der neben unter gerunzelten Brauen ansah. Dan auf dem Achterdeck stand, „Koeffizient heißt das", sagte er konnte sich lange nicht beruhigen. mit Würde, „und nicht das, was du „Bei euch geht das mit Witz und wieder verstanden hast. Wenn man Humor über die Bühne", sagte er anbeispielsweise die Planken wässert, erkennend, „das hat mir eine Menge Knochenleim und Schmierseife dar- Spaß bereitet und hätte auch Arne über verteilt, dann ist es ausge- köstlich amüsiert." schlossen, daß man sich auf den BeiDan wies zur Reede. nen halten kann. Es sei denn, mit ge„Die Kerle da drüben sind wie ernagelten Stiefeln." starrt. Die haben natürlich alles mit„Haben wir so was an Bord?" woll- gekriegt." te der Profos wissen. Auf den Galeonen und Schaluppen „Klar, zu jeder Zeit." war die Arbeit unterbrochen wor„Hm, darüber sollte man mal nach- den. denken", meinte Ed. „Wenn ein paar Die Dons standen tatsächlich wie Schnapphähne entern wollen, sau- leblose Marionetten herum. Das seltsen sie ab, was?" same Schauspiel war keinem ent„Wie durch Donegals Rutsche", gangen. versicherte der Kutscher. Es kam erst wieder Bewegung in Sie blickten nach achtern und sa- die Spanier, als die lädierte Schaluphen Dan O'Flynn fröhlich winken. pe an ihnen vorbeigepullt wurde und Die Dons waren mit ihrer beschädig- Kurs auf den Hafen nahm. Diesmal ten Schaluppe beschäftigt, und hat- sahen die Dons entgeistert den beiten gerade ihren Rudergänger aus den davonsegelnden Schiffen nach. dem Bach gezogen, der jetzt an Deck Dan O'Flynn griff zum Kieker und stand und wild gestikulierte. Der Ca- beobachtete eine Weile schweigend pitán brüllte ihn an, die Soldaten den Hafen. Die Kriegs-Karavellen brüllten ebenfalls. Dann brachten sie und die größere Galeone entgingen Riemen aus, denn an eine Reparatur auch ihm nicht. Die Schaluppe pullte war hier draußen nicht zu denken. geradewegs auf sie zu.
13 „Vielleicht gibt das noch ein kleines Tänzchen", sagte er. „Aber das werden wir ja bald sehen."
2.
„Wenn die Reede aus unserem Blickfeld verschwunden ist", sagte Hasard, „schlagen wir einen Bogen nach Süden, warten die Dunkelheit ab und laufen die Reede von Westen her wieder an." Big Old Shane war nicht einmal überrascht. „Dachte ich mir doch, daß du da etwas vorhast", sagte er, „ich sah das schon vorhin an deinen Blicken. Wenn du abwesend in die Ferne blickst, dann braut sich etwas zusammen. Ich weiß nur noch nicht, wie das aussehen soll." Auch diesmal erhielt er keine Antwort. Hasard beschränkte sich auf ein kurzes Lächeln. „Hm", sagte Shane brummig. „Wie gefiel dir das mit dem Abfallkübel?" fragte Hasard, abrupt das Thema wechselnd. „Gut", knurrte der graubärtige Riese einsilbig. „Sehr gesprächig bist du heute nicht." „Das beruht auf Gegenseitigkeit", erwiderte Shane mit leisem Vorwurf in der Stimme. „Bin ich denn ein Wickelsöhnchen, daß du mir deinen Plan nicht mitteilen willst?" „Nein, nein", sagte Hasard beruhigend, „alles zu seiner Zeit, Shane. Ich lasse mir das noch durch den Kopf gehen. Der Plan ist noch nicht ganz ausgereift. Und halbe Gedanken teile ich nicht gerne mit. Du wirst alles rechtzeitig erfahren." Big Old Shane gab sich wieder versöhnt, glaubte aber, Hasards Gedanken doch in etwa zu kennen.
In seine Überlegungen drang der Ruf aus dem Großmars. „Deck! Mastspitzen achteraus!" Hasard drehte sich gelassen um. Mastspitzen achteraus mußten nicht unbedingt Schlimmes bedeuten. Gerade auf dieser Strecke waren eine Menge Schiffe unterwegs. „Verfolger?" fragte Shane, als der Seewolf durch das Spektiv sah. „Ja, Verfolger, Shane. Zwei Karavellen und die Galeone, Kriegsschiffe, die wir vorhin im Hafen sahen. Sie segeln gerade über die Reede und folgen unserem Kurs." „Sie wollen also die Blamage nicht auf sich sitzenlassen. Immerhin drei Schiffchen gegen zwei. Und unterbemannt sind wir auch noch." „Wir sind eine gut eingespielte Crew", sagte Hasard. „Und mit den Kolbergern haben wir lange genug hart trainiert. Trotzdem wird das eine kritische Angelegenheit werden. Zum Glück haben wir zwei gut armierte und starke Schiffe." Das hatten sie, das ließ sich nicht abstreiten, wenn auch die „Pommern" etwas langsamer als der Zweidecker war. Die ehemalige Perlen-Galeone „Santa Clara" war von Hesekiel Ramsgate gründlich umfrisiert worden und sah jetzt ganz anders aus. Nicht einmal die Dons erkannten sie mehr, denn Ramsgate hatte ganze Arbeit geleistet. Der Deutsche Renke Eggens, der jetzt auf dem Zweidecker bei Dan fuhr, hatte vorgeschlagen die „Santa Clara" in „Pommern" umzutaufen, womit auch alle einverstanden waren. Ramsgate hatte die weibliche Galionsfigur entfernt und an ihrer Stelle einen Greif placiert, der in roter Farbe angemalt war. Dieser rote Greif war das Wappentier von Pommern. Schon allein diese Änderung ließ den Dreimaster völlig anders er-
14 scheinen. Aber damit nicht genug. Er war auch schwarz gepönt worden, total schwarz, und verfügte über zwanzig Culverinen und acht Drehbassen. Weitere Drehbassen konnten zusätzlich in die Halterungen montiert werden, die Hesekiel ebenfalls angebracht hatte. Die Mannschaften fuhren immer wieder neu gemischt. Kolberger und Arwenacks sollten noch vertrauter miteinander werden, damit jeder Handgriff saß. Daher befand sich Renke zur Zeit bei Dan, der den Zweidecker führte. Hasard blickte nach der „Caribian Queen". Dort hatte man die Verfolger ebenfalls bemerkt. Dan O'Flynn hatte sie schon ohne Spektiv gesehen, noch bevor der Mann aus dem Ausguck Wahrschauen konnte. Dan O'Flynn ließ ein zusätzliches Segel setzen und schloß augenblicklich zur „Pommern" auf, bis beide Schiffe auf Rufweite nebeneinander segelten. Hasard und Dan konnten sich mühelos verständigen. Inzwischen waren die Mastspitzen der Verfolger etwas deutlicher zu erkennen. Sie holten langsam auf. „Zwei Karavellen, eine Galeone, Sir!" rief Dan. „Was schlägst du vor? Stellen wir uns oder laufen wir ab?" Einfach ablaufen war zwar nicht nach Hasards Geschmack, andererseits mochte er auch kein unnötiges Risiko eingehen. Ein Kampf bei diesem Verhältnis barg aber ein gewisses Risiko. Die Dons konnten weitere Unterstützung aus Santiago de Cuba erhalten. „Ich schlage vor, wir laufen nach Süden ab, Dan", erwiderte der Seewolf, „und zwar aus taktischen Erwägungen. Wir müssen jeden Verdacht vermeiden, daß wir weiter im Osten einen Schlupfwinkel haben." „So sehe ich das auch, Sir", sagte
Dan. „Was aber, wenn sie uns weiterhin hartnäckig folgen?" „Wir warten ab, ob sie aufholen." „Sie holen jetzt schon langsam auf", wandte Dan ein. Renke Eggens nickte dazu bekräftigend. „Wir haben längst nicht alles Zeug an den Rahen", sagte Hasard. „Wenn wir jetzt unter vollem Preß segeln, wird sich der Abstand sicher wieder vergrößern, zumindest für die Galeone. Ich glaube nicht, daß die beiden schnelleren Karavellen allein den Kampf gegen uns aufnehmen. Wir segeln in Dwarslinie weiter, um uns nicht gegenseitig zu behindern, setzen alles Tuch und laufen nach Süden ab. Sollten die Kerle trotzdem hartnäckig bleiben und aufholen, dann besprechen wir unser weiteres Vorgehen später noch einmal." „Einverstanden, Sir", sagte Dan. „Ich bin jetzt schon sicher, daß sie dran bleiben werden. Vielleicht ist sogar der Capitán mit an Bord, um seine Scharte auszuwetzen." Gelächter erklang, als sie im Geist den „bematschten" spanischen Capitán vor sich sahen, der mit Abfällen bekleckert war. Unterdessen waren die Schiffe achteraus noch größer geworden und hatten weiter aufgeholt. Es gab nicht den geringsten Zweifel an dem, was sie vorhatten. Sie wollten die Kerle stellen, die der Schaluppe so übel mitgespielt hatten. „Setzt alles an Tuch, was die Masten tragen", sagte Hasard. „Jeden Fetzen." Dan O'Flynn ließ ebenfalls noch weitere Segel setzen, gerade so viel, daß beide Schiffe fast die gleiche Geschwindigkeit halten konnten. Danach blieb Dan schräg versetzt achteraus in Dwarslinie, damit ihm die „Pommern" nicht den Wind wegnahm. Der Nordost blies weiterhin stetig.
15 Die Sonne brannte heiß herab. Sie stand wie ein dämonisches Riesenauge am Himmel. Starrte man in sie hinein, dann war man so geblendet, daß man nur noch rote Ringe und schwarze Schlieren sah. Sekundenlang erging es Hasard so, als er an dem Großmarsflögel vorbeiblickte. Die Strahlen bissen so grell, daß er für längere Augenblicke nichts als rotschwarze Flecken sah. Er nickte unmerklich, als hätte er einen Plan gefaßt, aber Shane kam wieder nicht dahinter, was jetzt hinter der Stirn des Seewolfs vorging. Der neue Kurs wurde angelegt in Richtung Süden. Sie klüsten jetzt fast in das wabernde Riesenauge hinein. Über der See lag ein greller, blendender Glanz, während es ein paar Yards über dem Meeresspiegel flimmerte, als würden dort Hitzewellen tanzen. Jetzt ging es raumschots über Steuerbordbug nach Süden. Auf diesem Kurs lief auch die „Pommern" schnell und konnte mit der in Dwarslinie segelnden „Caribian Queen" mühelos mithalten. Allerdings hatte Dan O'Flynn den Zweidecker noch nicht ganz ausgereizt. Ein Segel hing immer noch im Gei. Hasard drehte sich erneut um und blickte nach achtern. „Sie klüsen auch südwärts", sagte Shane. „Das sind sture, verbissene Böcke, die nicht aufgeben." „Wir gehen gefechtsbereit, Shane, für alle Fälle. Sag Al Conroy Bescheid, damit alles überprüft wird. Die Kanonen sollen aber noch nicht ausgerannt werden." „Aye, aye, Sir. Ich werde mich gleichzeitig um meinen Langbogen kümmern und Brand- und Pulverpfeile bereit halten. Damit werden wir den Kerlen einheizen, noch bevor sie den ersten Schuß abgefeuert haben." Hasard nickte. Shane mit seinem
Langbogen und den Brandpfeilen war ein gefährlicher Gegner, genau wie Batuti. Beide Männer waren Spezialisten im Bogenschießen. Batuti war allerdings nicht an Bord. „Den Braten habe ich schon gerochen, als der Kutscher dem Kerl den Kübel zeigte", behauptete der Waffen- und Stückmeister AI Conroy, als Shane bei ihm erschien. Er zog das linke Augenlid etwas nach oben und grinste. „Immer auf Station, Shane, wenn ich nur die kubanische Küste rieche, hagelt's mir schon in die Graupen. Alle Geschütze sind geladen, das kannst du dem Kapitän ausrichten. Ich weiß doch, was ich den Dons schuldig bin. Sollen wir ausrennen?" „Noch nicht", sagte Shane. „Zuerst klüsen wir weiter, was das Zeug hält. Vielleicht hängen wir sie auch ab." „Kaum anzunehmen", erklärte Al, „die Kriegs-Galeone vielleicht schon, nicht aber die Karavellen. Eine bleibt zumindest als Fühlungshalter dran." „Mag sein", sagte Shane bedächtig. Dann ging er zur Waffenkammer, nahm einen seiner Langbogen, prüfte ihn und spannte ihn mit mächtiger Kraft. Er überprüfte auch noch einen anderen, entschied sich schließlich für den ersten, und nahm ihn und etliche Pfeile mit an Deck. Dort kontrollierte er alles noch einmal sehr sorgfältig. Philip junior, der die Bogen bewunderte, schnappte sich das schwere Ding. Er bewunderte Shane und Batuti, die damit so treffsicher umgehen konnten. Der graubärtige Ex-Schmied führte ihm lässig vor, wie weit er den Bogen spannen konnte. Philip versuchte es ebenfalls, bis Shane anerkennend nickte. „Schon ganz gut, Söhnchen", sagte er lobend, „du bringst ihn schon bis
16 zur Hälfte. Das macht dir in deinem Alter so schnell keiner nach." Philip gab erst dann auf, als seine Arme zu zittern begannen. Aber er war stolz auf Shanes Lob. Der Graubart hatte ihn schon oft im Bogenschießen unterrichtet, und Philip konnte damit genauso gut umgehen wie sein Bruder Hasard. Achteraus blieben die Verfolger dran. Sie segelten etwa gleiche Geschwindigkeit, schafften es aber nicht, sichtbar aufzuholen. Auf der „Caribian Queen", war ebenfalls Gefechtsbereitschaft angeordnet worden. Ferris Tucker und der Profos waren dabei, mittschiffs das Abschußgestell für die Flaschenbomben aufzubauen und festzuzurren. Ferris hatte die Apparatur von der „Isabella" mitgenommen. Der Profos rieb sich schon wieder mal die Hände und verkündete, daß die triefäugigen Kakerlaken noch die Hölle auf Erden erleben würden, sie sollten nur brav weiter auf segeln. Die schweren Kanonen auf dem Zweidecker wurden ebenfalls noch nicht ausgerannt. Geladen wurden sie allerdings. Eine Stunde später hatte sich die Distanz immer noch nicht verringert. Verfolger und Gejagte klüsten unermüdlich raumschots nach Süden. Smoky und Sam Roskill kümmerten sich um die Zubereitung des Mittagessens. Olaf Kruse, ein Kolberger mit fast quadratischem Schädel und riesigen Fäusten, sorgte dafür, daß das Zeug auf die Back gelangte. Sie zauberten zwar nicht so ein Essen zurecht, wie der Kutscher oder Mac Pellew, aber es war deftige Kost, und sie schmeckte. Angesichts der Verfolger behielten sie stoisch die Ruhe und ließen sich nicht beim Essen stören.
Das Flammenrad der Sonne wanderte nach Südwesten weiter. Es war noch größer und greller geworden. Trotz der Nordostbrise war es unangenehm warm. Hasard hatte das Gejage jetzt langsam satt. Er hatte keine Lust mehr, ewig vor den Spaniern herzukrebsen und sie pausenlos im Nacken zu haben. Shane sah, daß es hinter seiner Stirn wieder arbeitete, aber diesmal muß sich der Seewolf offenbaren, dachte er. Ewig konnte er nicht alles für sich behalten. „Gib Dan ein Zeichen, daß er aufsegelt", sagte er. „Wir werden eine kurze Lagebesprechung abhalten." „Die Dons gehen dir langsam auf den Geist?" fragte Shane. „So langsam, aber sicher. Wir wollen auch nicht tagelang nur herumklüsen. Jetzt wird es ernst." Shane gab das Zeichen weiter. Dan zeigte klar. Langsam begann er der „Pommern" aufzusegeln, bis er die gleiche Höhe mit dem Achterkastell hatte. Die Entfernung blieb dennoch so groß, daß sie keine vernünftige Unterhaltung führen konnten, ohne brüllen zu müssen. Hasard wollte etwas ins Detail gehen, doch das war schlecht möglich. Sie konnten auch nicht Bordwand an Bordwand segeln. Dan O'Flynn wußte, daß er in Renke Eggens einen absolut zuverlässigen Mann und Könner an Bord hatte. Die Dons waren auch noch lange nicht heran. Es konnte also nichts passieren, wenn er für ein paar Augenblicke das Achterdeck verließ. Er packte ein Fall, nahm einen kurzen schnellen Anlauf und segelte im nächsten Augenblick durch die Luft. Dabei fühlte er sich selbst wie ein Pirat beim Entern. Zielsicher landete er gleich darauf
17 auf dem Achterdeck der „Pommern". zufeuern. Du halst gleichzeitig mit Zwei hilfreiche Hände stützten ihn. der ,Queen' nach Steuerbord und „Das ist zwar nicht die konventio- setzt die Breitseite an Steuerbord nelle Art, an Bord zu gehen", sagte ein. Sobald wir gefeuert haben, geDan lachend, „aber so ist die Unter- hen wir wieder auf Südwestkurs, um haltung besser. Ich nehme an, du die Seiten zu wechseln, so daß du willst dich jetzt den Dons stellen, jetzt die ursprüngliche Position der Sir?" ,Pommern' einnimmst. Wir kreuzen „Ja, wir werden den Kerlen zum also unsere eigenen Kurse." Tanz aufspielen", sagte Hasard. Dan O'Flynn nickte begeistert. „Sonst krebsen wir ewig so weiter. „Und wen knöpfen wir uns zuerst Wir brauchen nicht darüber zu re- vor, Sir?" den, daß wir stark unterbemannt „Erst auf die jeweils hinter uns sesind und eine schwere Position ha- gelnde Karavelle feuern. Das Manöben. Daher müssen wir unsere Un- ver wiederholen wir auch, wenn wir terbemannung mit List, Schnellig- unsere Kurse kreuzen. Dann gleich keit und Gewandtheit ausgleichen. noch einmal drauf. Jetzt sieh dir Ich habe vor, auf Südwestkurs vor noch einmal genau die Position der dem Wind abzufallen und genau in Dons an." Richtung der Sonne zu steuern. Auf Dan tat es ausgiebig, obwohl er sie diesem Kurs lassen wir die Dons auswendig kannte. dann aufrücken." „Die Karavellen segeln der Galeo„Ich verstehe, Sir. Die Dons sind ne etwas voraus, die sich in der Mitte dann im Nachteil, weil die Sonne sie hält", sagte Dan. „Es sieht so aus, als blendet." sollten die Karavellen beim Angriff „So ist es. Das ist unser Vorteil. Wir eine Zange bilden. Danach wird die können, von der Sonne nicht geblendet, schräg achteraus feuern oder Galeone in Aktion treten." „Sehr gut", lobte der Seewolf. „Sokurz anluvend die Breitseite Backbord abfeuern, dann halsen und die bald wir also in die Sonnenrichtung Breitseite Steuerbord einsetzen. Die den Kurs gewechselt haben, beginDons werden nicht viel mehr als ei- nen wir unauffällig mit dem Schifnen grellen glosenden Ball und zwei ten der Segel. Wir rennen dann auch unbestimmte Schatten sehen. Sieh die Kanonen aus. Die Dons werden nur einmal in Sonnenrichtung auf das vielleicht sehen können, doch das spielt keine Rolle. Wir verringern aldas Meer." „Sie scheint ganz besonders grell", so unmerklich unsere Fahrt und lasgab Dan zu. „Man sieht kaum etwas." sen aufholen. Ich gebe dir dann das „Das nutzen wir aus. Wir müssen Zeichen zum Halsen, während wir nur detailliert absprechen, wie wir anluven. Setzt eure Flaschenbomben vorgehen, damit wir uns beim Ma- auf die Galeone an. Shane wird sie növrieren nicht gegenseitig behin- vom Großmars aus zusätzlich noch mit Brandpfeilen eindecken. Wir dern." müssen das Überraschungsmoment „Wir könnten sie ja erst einmal auf voll ausnutzen, sonst fahren wir zur Schußweite der Culverinen heranse- Hölle." geln lassen", schlug Dan vor. „Richtig, Dan. Wenn es soweit ist, Sie unterschätzten ihren Gegner drehe ich mit der ,Pommern' nach keineswegs, denn der war gut beLuv um die Backbordbreitseite ab- stückt und würde die Hölle entfes-
18 sein, wenn ihnen die Überrumpelung nicht gelang. Ein paar weitere Einzelheiten wurden noch besprochen, dann war der Plan reif zur Ausführung, und Mißverständnisse waren nicht mehr zu befürchten. „Melde mich wieder ab, Sir", sagte Dan. „Ab sofort also Klarschiff zum Gefecht." Hasard und Shane nickten, während Dan nach einem Fall griff und das Hinüberschwingen von Schiff zu Schiff mit vollendeter Präzision wiederholte. Dann wurde Renke Eggens in das Vorhaben eingeweiht und die Gefechtsbereitschaft angeordnet. 3. Beide Schiffe lagen jetzt auf Südwestkurs und segelten scheinbar in den glosenden Ball der Sonne hinein. Die Blendung war jetzt ungewöhnlich stark. Hasard kniff schon die Augen zusammen, wenn er nur auf die Wasseroberfläche sah. Da war alles flüssig, wie feuriges Gold und Silber. Ein Schiff voraus war so gut wie kaum zu erkennen. Nach der Kursänderung gingen die drei gegnerischen Schiffe ebenfalls auf Südwest. Die Großsegel wurden ganz schwach geschiftet, unmerklich wurden sie aus der Windrichtung genommen, bis sich der Winddruck mehr und mehr verminderte. Den nachsegelnden Spaniern fiel das nicht auf. Aber sie sahen, daß sie unmerklich aufholten. Langsam verkürzte sich die Distanz zwischen den Schiffen. Das war der Zeitpunkt, als Big Old Shane in den Großmars aufenterte und dort sein ganzes Sortiment bereit legte.
Etwas später wurden die Großsegel noch einmal leicht und unauffällig geschiftet. Die Fahrt ging noch mehr zurück. Bei den Dons wurde gefechtsklar gegangen. Hasard brauchte nicht mehr das Spektiv, um sehen zu können, daß sie ihre Kanonen ausrannten. Nach einer weiteren Viertelstunde waren verzerrte Wortfetzen über das Wasser zu hören. Pete Ballie, der auf der „Pommern" als Gefechtsrudergänger fungierte, spitzte die Ohren. „Verstehst du, was sie sagen, Sir? Etwas über uns, glaube ich." Weitere Kommandos waren zu hören. Hasard versuchte ebenfalls, den Sinn der Wortfetzen zu erfassen. „Es wird Zeit, uns Manieren beizubringen, sagen sie, wenn ich das richtig verstanden habe. Uns wollen sie Manieren beibringen!" sagte er erheitert. Auf den Karavellen wurde gebrüllt. Kommandos wurden geschrien, von denen ein Teil auf der „Pommern" gut zu verstehen war. Die Dons wiegten sich in dem Glauben, tatsächlich stark aufgeholt zu haben, weil sie offenbar schneller liefen. Daß sie einem lausigen Trick auf den Leim gingen, fiel ihnen in ihrer Vorfreude nicht auf. Sie sahen nur ein paar Fremde und maßten sich an, diese erbarmungslos zu vernichten, weil sie gewagt hatten, einem Befehl nicht zu gehorchen. Ausnahmslos alle Männer waren auf Stationen. Alles was gebraucht wurde, lag so bereit, daß es nicht die geringste Verzögerung gab. Und sie waren gut aufeinander eingespielt. Dan O'Flynn blickte angespannt zur „Pommern". Ferris Tucker stand in lauernder Haltung an dem Abschußgestell für die Flaschenbomben. Arwenacks und Kolberger taktierten unkonventionell und waren an keine starren Verhaltensmuster
19 gebunden, wie das bei den Dons der Fall war, die alles recht umständlich angingen. Da wurden erst lange Befehle gebrüllt, die umständlich weitergegeben wurden, und bis sie die Mannschaften erreichten, verging wertvolle Zeit. Niemand durfte bei den Dons eigenmächtig handeln. Es waren Seesoldaten, die nicht so gut aufeinander eingespielt waren und die nur einen begrenzten Rahmen zum Handeln hatten. Auch der lief haargenau nach einem bestimmten Schema ab und erlaubte keine Eigenmächtigkeiten. Das war einer der Vorteile von Arwenacks und Kolbergern. Der andere bestand in den Tricks, Haken und Ösen, mit denen sie kämpften und ihre Gegner immer wieder überraschten. Hasard peilte ein letztes Mal die Distanz. Er befand sich allein auf dem Achterdeck, außer dem Rudergänger Pete Ballie, denn jetzt wurde jede Hand gebraucht. Philip junior war ebenfalls eingesetzt worden, genau wie sein Bruder Hasard bei Dan. Sie waren auf Schußweite heran und segelten stur weiter, um ihren Gegner in die Zange nehmen zu können. Der Zeitpunkt zum blitzschnellen Handeln war jetzt günstig. „Klar zur Halse, Dan!" rief Hasard zum Achterdeck des Zweideckers hinüber. „Wir greifen an - wie besprochen!" „Aye, aye, Sir!" schrie Dan zurück. Von da an verwandelte sich die Szene zum Entsetzen der Dons schlagartig. Sie wurden so überrumpelt, wie sie es nie für möglich gehalten hätten. Sofort nach dem Kommando liefen die Kurse beider Schiffe auseinander. Die Dons waren inzwischen noch etwas weiter aufgerückt. Die „Caribian Queen" begann ihre
Halse zu fahren, während Hasard mit der „Pommern" anluvte. Dieses Manöver ließ die Dons noch näher heranrücken. So segelten die beiden Karavellen genau in die ihnen zugedachten Breitseiten hinein, ohne noch ausweichen zu können. „Feuer!" tönte es vom Achterdeck des Zweideckers. „Feuer!" dröhnte es auch auf der „Pommern". Als das ohrenbetäubende Donnern und Brüllen einsetzte, befanden sich die heransegelnden Dons nach wie vor in derselben Lage. Sie hatten noch nicht erkannt, daß die Gejagten plötzlich zu Jägern wurden. Das Taktieren mit dem grellen Sonnenlicht kriegten sie jetzt auf verheerende Art und Weise zu spüren. Die Decks der „Caribian Queen" erzitterten, als die Breitseite feuerspeiend und qualmend die Rohre verließ. Die schweren Eisenkugeln rasten hinaus und fraßen sich mit unglaublicher Wucht in die Karavelle hinein. Der Donner der Geschütze war noch nicht verhallt, als er auch schon von Krachen und Splittern übertönt wurde. Der Fockmast der Karavelle flog davon und zersplitterte, als hätten ihn Riesenfäuste aus dem Kielschwein gerupft. Die Takelage barst, knallte und flog in einem wüsten Trümmerregen an Deck. Auch in den Großmast schlug es krachend und splitternd ein. Die obere Hälfte des Mastes zersplitterte. Der Rest neigte sich nach achtern und begann zu fallen. Es war wie eine Kettenreaktion. Der zersplitterte Großmast donnerte mit Getöse auf den Besan und zertrümmerte ihn. Das alles geschah in Sekundenschnelle. Dann war die Karavelle, vom Deck aus gesehen, fast schon ein Wrack. Aber zwei weitere Kugeln der
20 großkalibrigen Rohre waren direkt an der Wasserlinie eingeschlagen und hatten große Löcher hinterlassen, gezackte Wunden, in die sich Wassermassen gierig ergossen. Dazu kam die Wuhling auf der Karavelle. Die Seesoldaten waren unter Segeltuch, Fetzen, Leinen und Splittern begraben. Verwundete schrien ihre Schmerzen hinaus, doch in der allgemeinen Aufregung kümmerte siph niemand um sie. Jeder hatte genug zu tun, um sich selbst zu befreien. Die Soldaten rannten kopflos durcheinander oder suchten verzweifelt Deckung. Außerdem sahen sie nicht viel. Auch das Aufblitzen der Kanonenrohre war durch die grelle Sonne nicht bemerkt worden. Der Schreck war mehr als groß, so plötzlich beschossen zu werden. Der achtern der „Pommern" hersegelnden Karavelle erging es ähnlich. Auch dort war niemand auf diesen Angriff gefaßt. Im Gegenteil, sie waren es ja, die den Kerlen Manieren beibringen wollten. Daß sich das jetzt ins Gegenteil verkehrte, erfolgte reichlich überraschend und entnervte die Spanier. Hasards Breitseite heulte zur selben Zeit durch die Luft. AI Conroy hatte mit der ihm eigenen Sorgfalt vorher alles überprüft und die Culverinen genau aufs Ziel justiert. Zehn Rohre spuckten wildes Feuer und ließen dichten dunklen Pulverrauch aufsteigen. Achteraus schlug es ein. Dicht an der Wasserlinie erschienen mehr als kopfgroße Löcher. Dann gab es den berühmten „Sonntagstreffer", wie er nur selten erzielt wurde. Während Hasard noch zum Gegner blickte, um festzustellen, was die zehn Siebzehn-Pfünder angerichtet hatten, quoll aus einem der frisch gestanzten Löcher hellgrauer Rauch hervor. Der Rauch wurde dunkler, und eine
kleine Flamme war durch die geknackte Bordwand zu erkennen. „Da haben wir wohl ein Faß mit Olivenöl getroffen", meinte Smoky, „viel war das ja nicht, aber ..." Sein „aber" war vorerst das letzte Wort, denn der Sonntagstreffer entfaltete erst jetzt seine volle Wirkung. Wahrscheinlich hatte die glühend heiße Kanonenkugel Zugang zur Pulverkammer gefunden, ein bißchen angekokelt, herumgestreutes Pulver in Brand gesetzt und ein kleines Feuer ausgelöst. Was jetzt folgte, war ein so gewaltiger Donnerschlag, als würden tausend Blitze zugleich durch die Luft zucken. Übergangslos entstand auf der Karavelle ein glühender, sich immer wilder aufblähender Feuerball, der das Schiff von innen nach außen buchstäblich zerfetzte. Die grelle Explosion weitete sich nach den Seiten aus und stieg gleichzeitig immer schneller in die Höhe. Die zerfetzten Holzplanken und Splitter brannten schon, als sie noch nach allen Seiten davonflogen. Eine Paradeschuß ist das, dachte Hasard und konnte es kaum fassen, daß die Karavelle schlagartig vom Meer geblasen wurde. Für die Dons war das ein unverdaulicher Schock, der ihnen in die Knochen fuhr und sie lähmte. Noch während sich die Überlebenden der einen Karavelle eiligst in die Boote absetzten, so gut das ging, begann auf der Galeone ein Höllenspektakel, das den Spaniern den letzten Nerv raubte. Durch den Explosionsdruck hatte es einige Kerle unmittelbar über Bord geweht. Die anderen waren in Deckung gegangen, um nicht die rotglühenden Trümmerstücke abzukriegen, die durch die Gegend wirbelten. Das war das eine, was sie so nervte. Das andere war genauso schlimm,
21 denn auf der spanischen Kriegsgaleone schlugen jetzt grelle Blitze ein, die funkensprühend heranrasten, in den Segeln steckenblieben und sich entzündeten. Das waren Shanes Brandpfeile, die mit tödlicher Präzision ihr Ziel trafen. Eins der Segel stand bereits in Flammen. Die Spanier schrien wild durcheinander und rannten mal hierhin mal dorthin, um die überall aufflackernden Brände zu löschen. Doch da gab es noch etwas, das sie pausenlos in Deckung zwang. Durch die Luft torkelten unförmige flaschenähnliche Dinger. Sie senkten sich auf den Decks nieder und explodierten mit bestialischer Geräuschentwicklung. Gleichzeitig ging ein glühender Regen aus Eisensplittern, Schrot und rostigen Nägeln nieder, der die Dons von den Beinen warf. Ferris Tucker feuerte von dem Abschußgestell eine Flasche nach der anderen ab. Hin und wieder verfehlte eine die Galeone und explodierte im Wasser. Aber die anderen trafen und richteten Verwüstungen an. Ein weiterer Pfeil, von Shane aus dem Großmars abgefeuert, setzte das zweite Segel in Brand. Eine explodierende Flaschenbombe verhinderte, daß die Dons den aufflackernden Brand löschen konnten. Es sah gar nicht mehr rosig für die siegessicheren Verfolger aus. Sie waren im Nachteil, mußten sich vage in den grellen Sonnenstrahlen orientieren und nahmen ihren Gegner kaum wahr. Hasard und Dan nutzten das gründlich aus. Eine Karavelle war in die Luft geblasen, die andere trieb fast entmastet im Meer, und auf der große Galeone herrschte ein unbeschreibliches Chaos. Im Meer schwammen ein paar Soldaten, die aus Leibeskräften
um Hilfe brüllten, aber niemand kümmerte sich darum. Eins der abgefierten Boote trieb mit schwerer Schlagseite im Wasser, weil unzählige Kerle darum kämpften, einen Platz zu ergattern. Das war der Zeitpunkt, an dem „Caribian Queen" und „Pommern" den entscheidenden Seitenwechsel vornahmen. Qualm und Pulverrauch hingen über dem Wasser, als Dan O'Flynn mit dem Zweidecker anluvte und Hasard eine Halse segelte, so daß wiederum beide Breitseiten eingesetzt werden konnten. Die Dons überfiel das Grauen, als sie sahen, daß ihre Gegner zwei schnelle und gekonnte Manöver fuhren, die Seiten wechselten und erneut zum Angriff heransegelten. Hasard verständigte sich durch ein Zeichen mit Dan, der sich die Kriegs-Galeone vornehmen sollte. Hasard ging auf die fast entmastete Karavelle los. Die andere existierte nicht mehr. Von der leicht ramponierten Galeone lösten sich zwei Schüsse. Blitze zuckten an der Bordwand auf. „Die sehen tatsächlich kaum etwas", sagte Pete Ballie zu Hasard und deutete auf zwei Wassersäulen, die aus der See aufstiegen. Die Entfernung betrug mindestens fünfzig Yards. „Das war unser größter Vorteil, Pete. Wir haben sie völlig überrumpelt. Jetzt kriegen sie den Rest." Dieser erste Angriff hatte ein Chaos hinterlassen und für unglaubliche Wuhling gesorgt. Keiner der Dons hatte damit auch nur im entferntesten gerechnet. Sie versuchten zwar noch, zu feuern, doch die Splitter der Flaschenbomben zwangen sie immer wieder in Deckung. Auf den Decks lagen die ersten Toten und Verwundeten.
22 Aus den Segeln regneten brennende Fetzen nach unten, deren Glut sich wiederum in die trockene Beplankung fraß. Dan O'Flynn donnerte die zweite Salve hinaus. Fünfzehn ZwanzigPfünder entluden sich mit urweltlichem Donner, ließen die Decks erbeben und die Männer wanken. Vor den Stückpforten bildete sich ein Vorhang aus dunklem, übelriechendem Pulverqualm. Das Eisengewitter hatte kaum das Rohr verlassen, als ausnahmslos alle Kugeln auch gleich darauf auf der Galeone mit Getöse und lautem Krachen einschlugen. Das war wie eine gewaltige Riesensense, die da durch die Takelage fegte. Die Kühl wurde aufgerissen, das Schanzkleid zerfetzte, eins der Boote verwandelte sich übergangslos in einen nutzlosen Trümmerhaufen. Dann brach es über Masten, Segel und Takelage mit der Wucht eines verheerenden Orkans her. Noch beim Abdrehen feuerte Ferris Tucker unter dem Gebrüll des Profos zwei Flaschenbomben auf die Decks, die das Chaos vollkommen werden ließen. Die spanische Galeone wurde regelrecht entmastet. Da war nur noch ein Krachen, Splittern, Dröhnen und Tosen in der Luft, in das sich die Schreie tödlich Getroffener und Verwundeter mischte. Einen gezielten Schuß vermochte der überrumpelte Spanier nicht mehr abzugeben. Sie feuerten überhaupt nicht mehr, denn sie hatten alle Hände voll zu tun, um sich in Sicherheit zu bringen. Auf dem Vordeck brannte es, die Kühl war ein wüster, zerschossener Trümmerhaufen, und auf dem Achterdeck stand kein Mann mehr auf den Beinen. Dort hatten die hinuntergerauschten Segel alles wie mit
glimmenden Leichentüchern zugedeckt. Steuerlos und brennend trieb sie in der See. Ein paar Überlebende waren dabei, Boote abzufieren. Sie taten das brüllend und schreiend, weil jeder so schnell wie möglich das brennende Schiff verlassen wollte. „Hättest du das geglaubt, daß wir die Kerle auf Anhieb schaffen?" fragte Ferris den Profos, der immer wieder die Arme hochriß. „Kann ich selbst kaum glauben", murmelte Ed erschüttert. „Und jetzt kriegt der andere auch noch den Rest." Dabei deutete er auf die „Pommern", die jetzt ihre Breitseite auf die fast entmastete Karavelle ausspie. Hasard ließ auf die Wasserlinie feuern. An Deck gab es nicht mehr viel zu zerstören, das sah aus wie ein Abfallhaufen. Al Conroy wartete in stoischer Ruhe den günstigsten Zeitpunkt ab. Dann spuckten nacheinander zehn Culverinen ihre todbringende Ladung über die See. Für die Dons auf der Karavelle war das Resultat erschreckend. Die erste Kugel hämmerte durch die Bordwand und erschütterte das ganze Schiff. Die nächsten folgten so schnell hintereinander, daß es sich anhörte, als wäre ein Riesenkaliber abgefeuert worden. Gleich nach den Einschlägen verließen etliche Spanier brüllend und fluchend die Karavelle, indem sie einfach ins Wasser sprangen. Deutlich war zu hören, nachdem der Donner verebbt war, wie das Wasser in die Karavelle rauschte. Sie neigte sich langsam zur Seite und krängte noch härter über, als Hasard wieder ablief und sich erneut die Kurse der beiden Schiffe kreuzten. Diesmal war Dan O'Flynn am Brüllen. Kolberger und Arwenacks
23 schrien begeistert mit, denn Grund genug hatten sie ja. Ihr Gegner, der sie kaltblütig vernichtet hätte, war geschlagen. Seine Schiffe waren zerstört, und damit war wieder ein wenig an Spaniens Vorherrschaft gesägt worden. Es waren nur kleine Zähne, die da von Zeit zu Zeit sägten, aber sie schafften unermüdlich, und so summierten sich die kleinen Stücke schließlich zu einem großen. Die wahnsinnige Verfolgungsjagd hatte die Spanier drei Kriegsschiffe gekostet, ganz abgesehen von den Seesoldaten, die ihr Leben gelassen hatten oder verletzt worden waren. „Geschafft!" schrie Shane, auf die Karavelle deutend. „Sie geht bereits zu den Fischen!" Die Karavelle krängte jetzt so hart über, daß ihre Decks mit dem Wasser Kontakt hatten. Nur ein paar Augenblicke später kenterte sie und zeigte den muschelbewachsenen Rumpf. Die Galeone trieb brennend in der See. Da gab es auch nichts mehr zu löschen. Die Kerle waren schon heilfroh, wenn sie ihr armseliges Leben retten konnten. Wie ein Feuerball leuchtete die Kriegs-Galeone in der See. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie das Schicksal der beiden anderen Schiffe teilen würde. Von den beiden Schiffen dröhnte ein lautes „Ar - we - nack" über das Wasser. Die Dons, die glücklich ihre Boote erreicht hatten, zuckten noch einmal zusammen, denn es hörte sich an, als würde gerade die nächste Breitseite abgefeuert. Die Antwort waren Flüche und ein Wutgeheul der geschlagenen Dons. „Kurs Südwest!" rief Hasard zu Dan hinüber. O'Flynn zeigte klar. Beide Schiffe gingen auf Südwestkurs. Der Wind begann ganz unmerklich zu drehen. Während sie vom geschlagenen
Gegner abliefen, wurden auf den Decks immer noch die Kämpfe diskutiert. Weder die „Pommern" noch die „Caribian Queen" hatten einen einzigen Treffer erhalten. Die Dons waren noch nie so schnell überrumpelt worden, und Hasards Taktik - aus der Sonne heraus zu kämpfen - hatte die Dons so verwirrt und geblendet, daß alles fast schon vorbei war, noch bevor es richtig begonnen hatte. Aber damit war der Raid noch nicht beendet. Die Spanier sollten noch eine zweite Lektion erhalten. Eine knappe Stunde später waren die Trümmer, Boote und fluchenden Spanier hinter der Kimm verschwunden. Nichts deutete mehr auf ein Gefecht hin. Hasard segelte auf Rufweite an die „Caribian Queen" heran. Es war jetzt dunkel. Beide Schiffe hatten keine Hecklaterne gesetzt, um sich nicht zu verraten. Der Mond schien auf das Wasser. Hin und wieder schob sich eine Wolke vor ihn. Dann herrschte für Augenblicke Dunkelheit. „Was hast du vor, Sir?" fragte Dan. „Wir gehen wieder auf Nordkurs!" rief Hasard hinüber. „Die Dons können uns nicht mehr sehen!" „Nordkurs? Dann segeln wir ja wieder zur kubanischen Küste zurück", sagte Dan verwundert. „Sehr richtig. Unser Ziel ist die Reede von Santiago de Cuba. Ich habe da noch eine Überraschung geplant." Dan O'Flynn stieß hart die Luft aus. Er wußte nicht, was Hasard vorhatte. „Hoffentlich gibt das keine Überraschung für uns, Sir", meinte er. Von der „Pommern" klang ein unbekümmertes Lachen herüber. „In der Höhle des Löwen ist man am sichersten, Dan! Damit wird kein
24 Don rechnen, daß wir dort wieder aufkreuzen." „Aye, aye, Sir", sagte Dan, „auf nach Santiago." „Was kann er dort nur vorhaben?" fragte Dan den Profos, der auf dem Achterdeck stand und mit dem Kieker die See absuchte, ob auch wirklich kein Don mehr weit und breit zu sehen war. „Vielleicht will er ein paar Schiffchen versenken, so bei Nacht und Nebel", meinte Ed. „Aber das kann mächtig ins Auge gehen, denn die Dons sind ja alarmiert." „So etwas Ähnliches dachte ich auch. Den Dons weiteren Schaden zufügen", murmelte Dan. „Aber da steckt noch etwas anderes dahinter, damit gibt sich Hasard nicht zufrieden. Der hat irgendeinen harten Raid vor." Renke Eggens blickte zur „Pommern" hinüber, wo er die Silhouette des Seewolfs auf dem Achterdeck sah. Er bewunderte diesen Mann, der kaltblütig und wild wie ein Wolf in die spanische Herde fuhr, sich ein paar Brocken herausriß und wieder verschwand. Er war sich sicher, daß sie das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld bald verdoppeln würden, denn der Schaden, den er den Dons zufügte, stieg unaufhörlich. „Ich weiß auch nicht, was er vorhat", sagte er leise, „aber es wird wohl mit den Schiffen zusammenhängen, die auf Reede liegen. In zwei Stunden ist Mitternacht", setzte er nachdenklich hinzu. „Eine gute Zeit, um eine schlafende Herde aufzuscheuchen", meinte Dan. „Wir werden es ganz sicher bald erfahren. Vermutlich ist er gerade dabei, alles bis ins letzte Detail zu planen." 4. Das war tatsächlich der Fall. Ha-
sard hatte seinen Plan allerdings reiflich durchdacht und hatte die Absicht, ihn so bald wie möglich in die Tat umzusetzen. Shane, der wieder nicht wußte, was anlag, trat unruhig von einem Bein auf das andere. „Das ist vielleicht eine Geheimniskrämerei", schimpfte er leise, „jetzt pirschen wir uns wieder auf die Sierra Maestra zu, und keiner hat eine Ahnung, was da passieren soll Hast du etwa vor, die sechs Kähne zu versenken, Sir, sozusagen klammheimlich und bei Nacht und Nebel?" „Du weißt schon, um was es geht, Shane. Alles zu seiner Zeit. Mit Geheimniskrämerei hat das wirklich nichts zu tun. Denk doch mal ein wenig nach, was ich vor kurzem gesagt habe." „Du meinst wegen der Kanonen, des Pulvers und der Waffen, die man eines Tages gegen uns verwenden wird?" „Das meine ich. Heute vormittag habe ich an der Küste in den Felsen einen breiten Einschnitt gesehen. Das war wie eine riesige Spalte, die zwischen die Felsen führt. Sie war etwa dreißig Yards breit. Wenn wir die gefunden haben, wirst du alles weitere erfahren. Davon hängt nämlich alles ab." Es war jetzt knapp eine Stunde vor Mitternacht. Immer wenn der Mond zwischen den Wolken hindurchschien, glänzten und glitzerten die gewaltigen Felsen der Sierra Maestra in gespenstischem Licht. Dann huschten dort spukhafte Schatten durch das Gebirge, was Old O'Flynn sicherlich zu den fürchterlichsten Vermutungen hingerissen hätte. Aber das alte Rauhbein war nicht an Bord. Dicht unter der Küste - der Wind blies jetzt aus Ost - pirschten sich die beiden Schiffe ostwärts, genau die
25 Strecke, die sie heute schon einmal abgesegelt hatten. Der lange Bogen hatte sie wieder an den Ausgangspunkt zurückgeführt. Der Ausguck hätte Anweisung, nach diesem Einschnitt in der Steilküste Ausschau zu halten. Hasard selbst ließ es sich nicht nehmen, ständig mit dem Kieker die Felsen abzusuchen. Der Ausguck, diesmal war es Hanno Harms, ein sturer Dickschädel aus Hinterpommern, der oft als Rudergänger] fungierte, tat sich allerdings schwer damit, denn er hatte dem Einschnitt beim Vorbeisegeln keine Beachtung geschenkt und nicht die geringste Ahnung, was der Seewolf damit vorhatte. Außerdem geschah es immer wieder, daß die Steilküste stark hervortrat, riesige Kliffs ins Meer schickte und an anderer Stelle wieder so stark zurücktrat, daß sie wie Buchten aussahen. Jedes Mal entpuppte sich das als optische Täuschung. Auch der zweite tiefere Einschnitt erwies sich als zwei nebeneinanderstehende Felsen. Hasard orientierte sich am Pico Turquino und rechnete im Geist die abgesegelte Strecke nach. „Es war nicht sehr weit von der Reede entfernt", sagte er, „eine deutlich erkennbare Kerbe, die wie ein Schlauch hineinführte." „Vielleicht sind wir schon dran vorbei", meinte Shane. „Das glaube ich nicht." Er fluchte leise, denn eine kleine Wolkenbank schob sich gerade vor den Mond. Fast schlagartig wurde es finster. Das Gebirge schien kompakter zu werden. Wie ein riesiger düsterer Block lag es da, drohend, unheilverkündend und gespenstisch still. Beide Schiffe kreuzten in kurzen Schlägen dicht unter der Küste gegen den Ostwind. Hasard ließ so in den Wind drehen, daß sie kaum noch
Fahrt liefen. Er wollte abwarten, bis die große Wolkenbank vorbei war und das Mondlicht wieder die'Sierra erhellte. Das war kurz darauf der Fall. Fahles Licht ergoß sich über das Meer und ließ die Schatten der Sierra immer weiterwandern, als würden dort riesige dunkle Tücher weggezogen. Hanno Harms meldete sich aus dem Großmars, kaum daß das Mondlicht wieder schien. „Halbe Kabellänge Backbord voraus ist ein Einschnitt", rief er zum Deck hinunter. Hasard ließ die Stelle ansteuern und erkannte sie wieder. „Ja, das ist der Einschnitt, den ich meine. Wir gehen in den Wind und setzen die kleine Jolle aus, Shane. Du kannst mit Smoky hinüberpullen und feststellen wie groß die Bucht dahinter ist, falls es dort überhaupt eine gibt. Aber es sieht ganz so aus, als führe der Einschnitt noch weiter in die Felsen. Ihr sollt nur feststellen, ob die Bucht groß genug ist, um darin die beiden Schiffe zu verstecken." „Dort sollen wir nachts hindurchsegeln?" fragte Shane ungläubig. „Am Höllenriff auf der Schlangen-Insel ist es wesentlich schmaler. Ihr sollt erst mal erkunden, ob es da keine Untiefen gibt. Ich will mir ein genaues Bild über diese Bucht verschaffen, denn sie scheint sehr günstig zu liegen, immer vorausgesetzt, sie führt weiter in die Steilküste." „Aye, Sir. Wir wollen uns also erst einmal vor den Dons verstecken, und das scheint hier ein günstiger Platz zu sein, den die Dons unter Umständen gar nicht kennen." „Das ist gut möglich." Dan O'Flynn vollzog alle Manöver des Seewolfs nach. Auch er sah den Einschnitt in der Küste, denn er hatte noch schärfere Augen als die anderen, wagte aber noch nicht zu be-
26 urteilen, ob man da wirklich hindurchsegeln konnte, denn das hatte Hasard zweifellos vor. Die Segel wurden so gebraßt, daß sie fast längs zur Schiffsrichtung standen und dem Wind keine Angriffsfläche mehr boten. Sie killten leicht. Beide Schiffe liefen keine Fahrt mehr. Inzwischen wurde die kleine Jolle abgefiert und mit Smoky und Shane besetzt. Als sie ablegte, ließ Hasard wieder anbrassen und segelte bei Ostwind einen kleinen Schlag nach Südost. So bezogen sie Lauerstellung und brauchten keinen Anker zu setzen. Smoky und Shane pullten los. Die Felsen ragten in ihrem Rücken unglaublich steil in die Höhe. Der Mond schob sich wieder durch die Wolken und verzerrte die Konturen der Felsen. „Wirklich nicht breiter als dreißig Yards", sagte Smoky, als sie den ersten Felsen der schmalen Rinne passiert hatten. Von hier aus sahen die beiden Galeonen wie sprungbereite Ungeheuer aus, die auf der See lauerten. Der Zweidecker, den sie der „Black Queen" abgenommen hatten, wirkte noch unheimlicher. Schwarz und drohend lag er da, nur ganz leicht von der Dünung bewegt. Shane und Smoky pullten weiter. Einmal ließ Smoky den Riemen los und lotete die Wassertiefe. „Kein Grund", sagte er. „Jedenfalls tiefer als zwanzig Yards. Pull mal einen Schlag näher heran, Shane." Auch dicht an den Felsen blieb die Wassertiefe gleich. Unter ihnen befand sich ein senkrecht abfallender Kessel, der sich mit dem Handlot nicht ausmessen ließ. Es bestand also nicht die Gefahr, daß sie hier irgendwo aufschrammten. Der Einschnitt zog sich etwa vierzig Yards nach Norden, dann grenz-
ten Steilwände ihn ab, und er knickte nach Osten. Als sie ihm folgten und weiter nach Osten pullten, öffnete sich eine Bucht vor ihnen, in die jetzt der Mond schien. Es war wie in einer anderen Welt. Die Bucht war groß und ausladend. Es gab genug Platz, um mindestens vier Galeonen hier hineinzusegeln und zu verankern. Smoky und Shane sahen sich beeindruckt an. „Unheimlich still ist es", sagte Shane und blickte zu den steilen Felsen auf. Er wurde das Gefühl nicht los, als würde diese gigantische Masse jeden Augenblick auf sie niederstürzen. In der Bucht war es fast totenstill. Das Wasser war still, ruhig und sehr tief, wie er bei der nächsten Lotung feststellte. Auch hier fand das Lot keinen Grund. Von See her war diese Bucht überhaupt nicht einzusehen. Man mußte schon hineinsegeln und nachschauen. Immer wieder sahen sie sich um. Was Hasard auch immer vorhatte, wenn er hier zwei Schiffe verstecken wollte, dann war dieser Platz ideal gewählt. Kein vorbeisegelnder Don würde auch nur die Mastspitzen der Schiffe sehen können. „Hinein geht's ja noch", sagte Smoky bedächtig, „aber wie soll man hier wieder hinaussegeln? Da weht ja nicht das geringste Lüftchen." „Schleppen", sagte Shane lakonisch, „die Jollen vorspannen und kräftig pullen." „Ich kann mir etwas besseres vorstellen." „Es gibt schlimmere Dinge", sagte Shane gelassen. „Pullen wir zurück?" Shane warf noch einen Blick in die Runde, dann nickte er.
27 „Ja. Ich möchte endlich wissen, auslaufenden Fahrt driftete sie den was Hasard plant." himmelhohen Felsen entgegen. „Das würde ich auch gern erfahHasard ließ den Anker setzen. Die ren." Tiefe betrug etwas mehr als zwanzig Sie pullten zurück. In der Bucht Yards. war es so still, daß sie überlaut hörEtwas später folgte der düstere ten, wie die Riemen ins Wasser Zweidecker. Völlig lautlos glitt er in tauchten. Wie klatschende Schläge die Bucht. Die „Caribian Queen" sah hörte sich das an. aus wie ein Geisterschiff, das von Sie legten an der „Pommern" an, Unsichtbaren gesteuert wird. vertäuten das Boot und gingen aufs Dann ließ auch Dan O'Flynn AnAchterdeck, wo Hasard ihnen ge- ker setzen und gleich darauf das spannt entgegensah. Boot abfieren. Als der Anker ins „Hervorragend geeignet, um ein Wasser klatschte, war das Getöse so paar Schiffe zu verstecken", berich- laut, als stürzten die Berge ein. tete Shane. „Vier Galeonen haben Beide Schiffe lagen jetzt vor Angut und gern in der Bucht Platz." ker, ohne sich zu bewegen. Das WasEr beschrieb dem Seewolf genau, ser ähnelte dunkler Tinte und wurde was sie entdeckt hatten. von keiner noch so kleinen Welle beHasard rieb sich zufrieden die wegt. Hände. In seinen Augen tauchte wieAls sich der Mond wieder hinter der jenes Glitzern auf, wenn es galt, den Wolken versteckte, wurde es den Dons eins auszuwischen. schlagartig finster. Sie konnten es wagen, Lampen zu „Dann segeln wir hinein", entschied er, „Dan kann gleich darauf entzünden, denn von See her sah man das Licht nicht, falls zufällig ein folgen." Ein paar Segel wurden aufgegeit, Spanier vorbeisegelte. Dan O'Flynn, Carberry und Ferris damit sie nicht zu schnell in die Bucht liefen. Pete Ballie steuerte Tucker pullten gleich darauf mit der Jolle heran und enterten auf. vorsichtig den Einschnitt an. „Ein prächtiges Versteck", sagte „Wird ein bißchen knapp werden", Dan. „Nur die Einfahrt ist etwas sagte er, „da muß man sich ja direkt kompliziert. Wenn der Mond nicht hineinmogeln." geschienen hätte, wären wir mit SiMan mußte sich wirklich hinein- cherheit angeeckt. Wie geht es jetzt mogeln, aber jetzt schien zum Glück weiter, Sir?" der Mond wieder und gab Orientie„Das werden wir jetzt ausführlich rungshilfe. besprechen. Ich habe schon einmal Im Windschatten zwischen den angedeutet, daß man die KriegsgüFelsen wurde es unheimlich still. Die ter, die auf der Reede verladen werSegel, die noch standen, sanken faltig den, eines Tages auch gegen uns oder in sich zusammen und hingen schlaff die Schlangen-Insel verwenden an den Rahen. Aber die restliche wird. Sechs Galeonen liegen auf der Fahrt reichte aus. Immer langsamer Reede. Die Dons verteilen Pulver, werdend, schob sich die „Pommern" Kugeln und Kanonen an ihre Stützdurch den Einschnitt nach Norden, punkte im karibischen Raum. Alle folgte dem Ostknick und erreichte sechs Galeonen sind mit Kriegsgüdie Bucht. Hier rührte sich über- tern bis an die Halskrause beladen." haupt kein Lüftchen mehr. Mit der „Das haben wir heute vormittag
28 gesehen", sagte Dan, „die Sachen könnten wir auch gebrauchen." „Eben, darauf läuft es ja hinaus. Für den Bund der Korsaren und die Insel brauchen wir Pulver, Kugeln und Kanonenrohre. Pulver können wir gar nicht genug haben, falls sie uns eines Tages doch mal entdecken. Und in den Bergen müssen wir weitere Kanonen installieren. Wir brauchen auch Reserven." Dan O'Flynn holte tief Luft. Gespannt sah er Hasard an. Ihm schwante schon etwas, er wußte nur noch nicht, wie das im Detail aussehen sollte. „Da liegen noch weitere Kriegsschiffe im Hafen, Sir", gab er zu bedenken, „eine größere Galeone, zwei..." Hasard winkte ab. „Mit denen müssen wir uns ja nicht auch noch unbedingt anlegen", meinte er. „Für heute sind die Dons bedient. Drei Schiffe haben wir vernichtet. Nein, ich will anders vorgehen, ohne Gewalt." „Ohne Gewalt werden die Dons ihr Pulver nicht rausrücken", sagte Ed. „Da müssen wir schon ein bißchen Gewalt anwenden." Hasard sah die Männer an, die ihn neugierig umstanden. In den Gesichtern lag Erwartung. „Wir klauen den Dons heute nacht eine Galeone von der Reede", sagte er lächelnd. Der Profos kriegte das Maul nicht mehr zu. Ferris Tucker sträubten sich die Haare, während Dan verblüfft den Seewolf anstarrte. Shane vergaß fast, wieder auszuatmen. „Wir - wir klauen den Dons eine Galeone?" wiederholte Ferris Tukker fassungslos. „Hab ich das eben richtig verstanden, Sir?" „Das war doch ganz einfach zu verstehen", sagte Hasard. Sein Lächeln verstärkte sich noch mehr. „Wir
klauen ihnen ein Schiff von der Reede, bugsieren es in das Versteck hier und nehmen das Schiffchen aus wie eine Weihnachtsgans." Shane begann leise zu lachen und schlug sich auf die Schenkel. Der Profos stierte immer noch in die Gegend und dachte über das Gehörte nach. „Das wird ein Ding", sagte Shane, „aber so einfach und gewaltlos wird das kaum abgehen, Sir." Jetzt waren sie alle am Grinsen und wollten mehr wissen. Dan O'Flynn äußerte sich etwas kritisch. „Wir können nicht ungesehen mit einer Galeone verschwinden, noch dazu aus einem Verband von sechs Schiffen. Ich halte den Vorschlag zwar für gut, aber trotzdem für undurchführbar. Das wird ein Wahnsinnsunternehmen, und die Dons werden alles absuchen." „Natürlich werden die Dons alles absuchen", sagte Hasard. „Doch in dem Unternehmen liegt Methode, wenn du genau darüber nachdenkst, Dan. Kein Don wird auf die Idee verfallen, die verschwundene Galeone hier in dieser Bucht zu suchen. Ich bezweifle, ob sie diese Bucht überhaupt kennen. Sie werden die See absuchen, in der Annahme, die Ga-
leone sei abgetrieben. Und w äh r e n d sie suchen, rupfen wir das Schiffchen nach allen Regeln der Kunst und nehmen es aus." Z u m ersten Mal grinste jetzt auch d e r rothaarige Schiffszimmermann. „Da steckt tatsächlich Methode d a hinter", sagte er, „natürlich werden die Dons nicht hier herumsuchen, denn auf die Idee verfallen sie nicht. Wer wird denn auch annehmen, daß m a n ihnen von der Reede eine G a leone klaut? Die denken doch nicht im T r a u m d a r a n , daß einer diese Frechheit aufbringt."
Dan O'Flynn war immer noch
29 „Zwei Fliegen mit einer Klappe", skeptisch. Gewiß, das hörte sich alles gut und schön an und war eine ein- sagte Dan schließlich. „Einmal für malige Frechheit. Für den Seewolf den Bund der Korsaren die Kriegswar ein solcher Raubzug typisch, güter und zweitens für die Dons eine und er selbst hatte natürlich an ei- gesalzende Niederlage. Ich bin danem derartigen Unternehmen auch bei." seinen Spaß. „Dann besprechen wir jetzt die „Der schwierigste Teil des Unter- Einzelheiten", schlug Hasard vor. nehmens besteht doch darin, ungese- „Wir brechen nachher mit zwei Jolhen mit der Galeone zu verschwin- len auf. Jede Jolle wird mit jeweils den, Sir", sagte er. „Wie sollen wir das zwölf Mann besetzt. Wir können es uns erlauben, nur ein paar Männer tun?" „Auch das besprechen wir später zurückzulassen, denn daß wir in dienoch genau. Es stellt kein sehr großes ser Bucht entdeckt werden, halte ich Problem dar, obwohl das wirklich für ausgeschlossen. Uns steht allerder schwierigste Teil des Unterneh- dings eine ziemlich harte Arbeit bemens ist. Darin muß ich dir recht ge- vor, wenn wir die Galeone erst einmal haben. Den größten Teil der Laben." dung können wir auf der ,Caribian „Und die Dons an Bord?" fragte Dan, „die werden ein Geschrei ver- Queen' unterbringen. Pulver kann anstalten, daß der ganze Hafen wak- ich auf der ,Pommern' noch eine Menge stauen, obwohl wir das Holz kelt." Hasard ging lächelnd darüber hin- an Bord haben." weg. Carberry rieb sich dauernd die „Die überwältigen wir, wie wir es Hände. schon oft getan haben. Sie werden „Das ist ein Ding nach meinem Geganz sicher nicht schreien. Wir hel- schmack", verkündete er. „Daran fen ein bißchen mit der Drohung werden die Dons eine ganze Weile zu nach, daß wir ein paar Lunten zur kauen haben. Erst verbraten wir drei Pulverkammer gelegt haben. Und Schiffe von ihnen, dann segeln wir wenn sie aufmucken, dann würden zurück und klauen ihnen ein weitewir diese Lunten zünden. Hast du res. Ich möchte die Gesichter von den noch weitere Bedenken oder Ein- Kerlen sehen, wenn die Galeone verwände, Dan?" fragte Hasard sarka- schwunden ist." stisch. Er begann zu lachen und schlug „Du verstehst es, sie auszuräu- sich auf die Schenkel vor Begeistemen", sagte Dan. „Ich bin von der rung. Aye, Sir, das war doch was! Idee begeistert. Ich wollte nur das Weitere Einzelheiten wurden beFür und Wider abwägen." sprochen. Hasard entwickelte ganz „Mann", sagte Carberry begeistert, konkrete und genaue Vorstellungen, „das wird doch ein tolles Ding. Wir wie alles unauffällig ablaufen sollte. klauen unter den Augen der Dons eiDie Kolberger lauschten andächtig ne Galeone, genau vor ihrer Haustür, und waren begeistert bei der Sache. verholen sie hierher, übernehmen Hasard blickte in den Himmel. Der die Ladung, die wir gut brauchen Mond linste nur noch selten durch können, und verziehen uns wieder. die Wolkendecke. Da werden die Dons ein lausiges „Eine Nacht für Wölfe", sagte er, Rätsel zu lösen haben, und es wird „wenn es weiterhin so dunkel bleibt, ihnen verdammt schwerfallen." werden wir keine großen Schwierig-
30 keiten haben, ungesehen an die Schiffe zu gelangen." Auf der „Caribian Queen" sprach sich der neue Raid gleich wie ein Lauffeuer herum. Alle hatten es plötzlich eilig, und jeder wollte unbedingt dabeisein, wenn es losging. Etwas später waren auch die letzten Einzelheiten durchgesprochen, und die Kommandos wurden zusammengestellt. Alles klappte reibungslos. Die Kerle flitzten nur so in die Boote. Eine knappe Stunde nach Mitternacht brachen die zwei Jollen auf. Eine führte Hasard, die andere Dan O'Flynn. In jeder Jolle befanden sich zwölf von Erwartung fiebernde Männer. Leise glitten sie aus der Bucht, wurden durch den Knick gepullt und bewegten sich dicht unter Land auf die Reede von Santiago de Cuba zu. Hier wehte auch wieder ein handiger Wind. 5. In dieser Nacht ging es in Santiago de Cuba hoch her. Der Stadtkommandant hatte die Schiffsführungen der sechs auf Reede liegenden Galeonen zu einem rauschenden Fest eingeladen. Im Kastell des Kommandanten vergnügten sich die Señores lautstark bei Wein und Rum und liederlichen Frauenzimmern. Das Gegröle, Gekicher und Geschrei war bis zum Hafen zu hören, und mitunter drang von der Fröhlichkeit auch etwas bis zur Reede vor. Die an Bord zurückgebliebenen Mannschaften waren jedoch weit davon entfernt, fröhlich zu sein. Sie hatten noch kein Bein an Land setzen dürfen und waren dementsprechend sauer, zumal sie immer wieder das Geschrei hörten. Die feinen Se-
ñores waren an Land und feierten, während die Hands gefälligst an Bord zu bleiben hatten. Dementsprechend faul und lustlos wurde der Wachdienst durchgeführt. Nach der langen Reise mit Vorgesetzten, die sie vorn und hinten piesackten, hatten sie vorerst genug von der Seefahrt und wollten an Land, was ihnen jedoch ausnahmslos verwehrt worden war. Jetzt rächten sie sich auf ihre Weise, indem sie den Dienstbetrieb nur lax und widerwillig ausführten. Auf einer Galeone waren die Kerle am Würfeln und kümmerten sich den Teufel darum, was draußen vorging. Auf zwei anderen Schiffen pennten die Ankerwachen oder dösten vor sich hin. Was sollte auch schon passieren! Da riß sich keiner mehr ein Bein aus. Für wen denn, für die vornehmen Señores etwa, die jetzt soffen, sich vollstopften und der Liebe frönten? Der Neid auf die Schiffsführungen war nicht zu übersehen, und so wurde eben der Dienst vernachlässigt, um den Señores ein klein wenig eins auszuwischen. Hasard und seine Männer wußten davon nichts, als sie sich vorsichtig an die Reede heranpirschten. Zwar ging es am Hafen und in dessen unmittelbarer Nähe etwas laut zu, aber das war keineswegs ungewöhnlich. Das Treiben in den Häfen hielt immer lange an. Der Wind hatte noch einmal leicht gedreht und wehte jetzt handig aus Osten. Am Hafen waren ein paar Lichter zu erkennen. Auf den Decks der Galeonen brannten nur noch die Ankerlaternen. Zum Glück war es wieder so dunkel, daß man nur schemenhaft die Konturen der einzelnen Schiffe sah. Sie pullten so leise, wie es nur ging,
31 und sie pullten langsam, um nicht durch das Schäumen kleiner Bugwellen verraten zu werden. Hasard deutete schweigend auf eine Galeone, die am weitesten westlich lag. Er wußte nicht, ob Dan O'Flynn die Bewegung seiner Hand sah, doch Dans Adleraugen hatten die Geste mitgekriegt. Sie war ihm nicht entgangen, und so wechselte seine Jolle etwas den Kurs. Dan musterte aus scharfen Augen ebenfalls die Schiffe. Auf einer der Galeonen erkannte er einen Mann, doch der starrte stur in die Richtung des Hafens und malte sich im Geist wohl aus, was ihm dort alles entging. Nicht ein einziges Mal wandte der Kerl den Kopf. Die Galeone, die sie zum Ausnehmen ausersehen hatten, war noch voll beladen. Von den Ankerwachen war keiner zu sehen. Vielleicht halten sie gerade ihr Nickerchen, dachte Dan. Jetzt kam der kritische Augenblick, als sie sich von achtern langsam heranschoben. Wenn jetzt zufällig einer seinen Schädel über Bord streckte, würde gleich darauf der Teufel los sein. Hasard sah gespannt auf das Schanzkleid. Doch dahinter rührte sich nichts. Etwas seltsam fand er das schon, denn bei den Dons setzte es drakonische Strafen, wenn sie nicht auf ihrem Posten waren. Einen Augenblick zögerte er. Hatten die Dons sie bemerkt und eine Falle gebaut, in die sie ahnungslos hineinstolperten ? Nein, es war niemand zu sehen. Aus dem Bauch der Galeone war sogar ein leises Schnarchen zu hören. In irgendeiner der Kammern des Achterschiffes schlief jemand. Es wurde kein Wort gesprochen. Jeder wußte, was er zu tun hatte, je-
dem fiel eine ganz bestimmte Aufgabe zu. Direkt unter dem Heck der Galeone war das Schnarchen noch deutlicher zu hören. Einmal setzte es aus, der Schläfer wälzte sich wohl auf die andere Seite, dann ging es wieder los. Dein Schlaf wird bald beendet sein, dachte Hasard. Er stützte die Hände an die Bordwand und drückte die Jolle so weit ab, daß keine Berührung stattfand. Da das Schiff tief beladen im Wasser hing, war das Aufentern kein Problem. Carberry bückte sich, faltete die Hände, ließ Hasard hinauftreten und hievte ihn so nach oben. Alles war lautlos vonstatten gegangen. Kein einziger Ton hatte sie bisher verraten. Gerade als Hasard an Deck war, hörte er Stimmen. Sie drangen aus der Kühl aufs Achterdeck, wo sich offenbar die beiden Ankerwachen zu einem Schwätzchen gefunden hatten. Er blieb stehen und lauschte, ließ aber trotzdem in aller Ruhe das Tau hinunter, an dem die anderen aufentern konnten. Das Tau belegte er an einer hölzernen Klampe. „... immer der gleiche Scheiß", hörte er auf Spanisch. „Die ehrenwerten Großkotze werden eingeladen, fressen und saufen und spielen mit den Weibern rum, als ob sie nicht schon während der ganzen Reise immer nur vom Besten und Feinsten gefressen und gesoffen hätten. Uns behandelt man wie Dreck, wir dürfen nicht mal an Land." „Und die Dreckarbeit verrichten wir auch", sagte eine zweite Stimme gehässig. „Mich kotzt das alles an. Wenn ich morgen nicht an Land kann, dann verschwinde ich." Neben Hasard tauchte lautlos der Profos auf. Auch er hörte die Unterhaltung der beiden Wächter und
32 grinste. Das waren ja recht aufrührerische Reden, die die beiden da führten. Sie redeten sich so in Eifer, daß sie ihre Umwelt total vergaßen. Das Bild, das sie den Lauschern vermittelten, war recht drastisch. Sie ließen nichts aus, zogen über ihre verdammten Vorgesetzen her und fluchten, weil die jetzt an Land hockten - und sie nicht. Dann bedachten sie die ehrenwerten Señores mit allerlei Unflätigkeiten und wünschten ihnen die Pest an den Hals. Weitere Männer tauchten auf und lauschten grinsend über die Sorgen der Spanier, die nicht an Land durften. Hasard konnte sich mühelos zusammenreimen, was hier los war. Offenbar befand sich die Schiffsführung geschlossen an Land und gab sich dort der Völlerei hin. Vielleicht hatte der Hafenkommandant die Offiziere zu einem Fest eingeladen. Ob das nur auf diese Galeone zutraf, erfuhr er aus der Unterhaltung allerdings nicht. Lautlos schlichen sie weiter, immer noch ungesehen. Da stieß einer der Kolberger an die Nagelbank und blieb wie erstarrt stehen. Den Fluch verbiß er gerade noch rechtzeitig. „Was war das?" fragte einer der Kerle. „Der Großmast vielleicht, der knackt öfter mal. Mann, wenn man jetzt an Land sein könnte! Da hat's doch jede Menge liebliche Señoritas, und denen würde ich es schon zeigen." Damit war sein Traum vorerst ausgeträumt, denn jetzt kriegte er es einmal gezeigt. Hasard war wie der Blitz über ihm, während sich Dan O'Flynn auf den anderen Mann stürzte. Der Don sah nur noch etwas Schwarzes vor sich aufwachsen, dann traf ihn ein Jagdhieb an der
Schläfe, und die Welt versank in schwarzer Stille. O'Flynns Hieb fällte den anderen Mann. Dan fing ihn auf und legte ihn vorsichtig auf die Planken. Weitere Männer waren nicht an Deck, wie Hasard nach einem weiteren Blick feststellte. „Nach vorn, Dan", raunte der Seewolf. „Besetzt das Logis. Ich werde mich inzwischen auf dem Achterdeck umsehen. Aber leise, damit keiner der Schläfer geweckt wird." „Aye, Sir", flüsterte Dan. Mit einer Handbewegung dirigierte er die Männer nach vorn. Hasard und Ferris Tucker gingen nach achtern. Der Profos schloß sich ihnen grinsend an. Im Achterdeck orientierten sie sich nach den Geräuschen des Mannes, der immer noch schnarchte und von der Aktion nichts mitgekriegt hatte. Vor dem Schott blieben sie stehen. Unter einer Ritze drang ein schwachter Lichtschimmer hervor. Hasard drückte gegen das Schott und trat ein. Eine trübe Funzel hing von einem Deckenbalken, die schwaches Licht verbreitete. Der Docht war heruntergedreht worden. In der Koje lag ein dunkelhaariger Mann, der sein leises Schnarchen nicht ein einziges Mal unterbrach. Er lag mit offenem Mund auf dem Rükken. Der Profos wollte schon ausholen, um ihm den Jagdhieb zu verpassen, doch Hasard hielt ihn zurück. „Den brauchen wir noch, Ed. Der muß nachher ein paar warme Empfehlungen an die Mannschaft geben." „Schade", murmelte Ed. „Na, dann wecken wir ihn eben." Hasard tippte dem Schläfer nachdrücklich mit dem Zeigefinger auf die Brust. Abrupt brach das Schnarchen ab. Der Spanier fuhr schlaftrunken hoch und sah sich verständnislos um.
37 Sein Mund schloß sich, während „Der Hafenkommandant gibt eiseine dunklen Augen immer größer nen Empfang." und entsetzter wurden. „Also wird es noch eine Weile dauWas er sah, lähmte ihn. Da war ei- ern, bis sie zurückkehren. Wie heißt ne riesige zernarbte Visage mit ei- das Schiff?" nem gewaltigen Kinn, und die grin„Diese Galeone heißt ,Carmencita', ste so herausfordernd, daß ihm him- die anderen ..." melangst wurde. Aber da war auch „Interessiert mich nicht. Wieviel noch ein Radschloßdrehling, der ge- Mann Besatzung?" nau auf seinen Kopf zielte und den „Zur Zeit vierzehn Leute", sagte ein schwarzhaariger Kerl mit eis- Allonso wie erschlagen. blauen Augen ruhig in der Hand Hasard und der Profos wechselten hielt. einen Blick. Der Blick des Spaniers wanderte „Du willst uns wohl verkohlen, du erschrocken weiter. Der dritte im Würstchen", sagte der Profos mit Bunde war ein Klotz von einem Kerl drohender Stimme. mit feuerroten Haaren. In seiner „Nein, nein, wir sind wirklich nur Pranke lag sehr locker ein scharfes vierzehn Mann. Wir hatten noch Entermesser. sechsunddreißig Seesoldaten an Er sah wieder Carberry an und Bord. Aber die sind heute mittag an schluckte hart. Dieses Narbengesicht Land gegangen. Darf ich fragen, mit dem fürchterlichen Grinsen er- o b . . . " schreckte ihn am meisten. Der Kerl Hasard unterbrach ihn mit einer sah aus, als ob er morgens zum Früh- unwirschen Handbewegung. Daß stück eine geladene Drehbasse fraß. der Radschloßdrehling dabei genau Er wollte etwas sagen, traute sich zwischen Allonsos Augen zielte, war aber nicht, denn die Blicke der drei ein Zufall, rief bei dem entsetzten Männer waren kalt und unfreund- Don aber einen sofortigen Schweißlich. So blieb er starr vor Entsetzen ausbruch hervor. auf seiner Koje hocken. „Sie dürfen gar nichts fragen. Die „Ganz ruhig", sagte Hasard leise. Fragen stellen wir. Sie werden sich „Wenn Sie schreien oder brüllen, war jetzt anziehen und uns nach vorn foles das letzte Mal in Ihrem Leben. Wer gen. Dort werden Sie der Mannsind Sie?" schaft erklären, daß jeder WiderDem Mann fiel das Sprechen stand sinnlos ist. Die Galeone ist von unendlich schwer. Hasard sah, daß zwei Dutzend Leuten besetzt. Es liegt seine Hände zitterten. Aber er ge- an Ihnen, ob sie sich friedlich ergehorchte, er schluckte nur und sagte: ben, oder ob sie Widerstand leisten. „Pa - Pablo Allonso." Im letzten Fall wird hier an Bord eine Menge Blut fließen." „Offizier?" fragte Hasard. „Steu - Steuermann, äh. Vertre„Und unser guter Pablo ist dann tung der - äh - Offiziere." der erste, der über die Klinge springen wird", setzte der Profos hinzu. „Kein einziger Offizier an Bord?" „Und jetzt hoch mit dir und keinen „Nein", würgte der Mann hervor. „Auf den anderen Galeonen auch Mucks, sonst holt euch alle der Teufel." nicht?" Allonso kletterte furchtsam aus „Nein, die Schiffsführungen sind der Koje, vermied jedes Geräusch an Land." und griff nach seiner Hose. Dann „Was tun sie dort?"
38 warf er sich ein Hemd über die Schultern und strich fahrig mit der Hand über die Haare. Er zitterte immer noch am ganzen Körper und warf hin und wieder einen furchtsamen Blick auf den Kerl mit der zernarbten Visage. Es war ihm einfach unbegreiflich, wie es den Kerlen gelungen war, unbemerkt aufzuentern. Vielleicht blufften sie auch nur und waren zu dritt, statt zwei Dutzend. Wenn das der Fall war, wollte er versuchen, sie vielleicht doch noch zu überrumpeln. Aber es war kein Bluff, wie er an Deck zu seinem Entsetzen feststellen mußte. Das Mannschaftslogis war von dunklen Gestalten umstellt, die ihn schweigend musterten. Erst jetzt wußte er mit Sicherheit, daß er nicht mehr die geringste Chance hatte. Die Pistole des Schwarzhaarigen drückte jetzt hart in sein Kreuz. „Ganz ruhig bleiben", vernahm er hinter sich die leise Stimme. Er blieb ganz ruhig, obwohl er keine Ahnung hatte, was die Kerle hier an Bord wollten. Er begriff das einfach nicht. „Schott öffnen!" befahl der Schwarzhaarige flüsternd. Allonso öffnete lautlos das Schott zum Logis. Ebenso lautlos bewegte er sich ein paar ausgetretene Stiegen nach unten. Auch hier brannte ganz schwach eine Lampe. Die Kojen an den Wänden sehen wie Schweinekoben aus, dachte Hasard. Sie waren dreifach übereinander gebaut. Hier drängte sich alles auf qualvoller Enge dicht zusammen. Dementsprechend dick war die Luft. Hinter Hasard und dem Profos drängten weitere Arwenacks hinein, alle mit Waffen oder Messern in den Fäusten. Zwei Schläfer erwachten gleichzeitig und fuhren hoch. Einer öffnete
den Mund, doch da war Carberry schon heran und schlug kurz und trocken einmal zu. Der Schläfer sank mit einem Seufzen auf die Koje zurück. Andere Männer erwachten, sahen sich verblüfft um und wußten nicht, wie sie sich verhalten sollten. „Ganz ruhig", wiederholte Hasard, „wer einen Muckser von sich gibt, wird es nicht überleben. Sagen Sie den Kerlen ein paar ermunternde Worte, Allonso, und denken Sie daran, daß wir bewaffnet sind." Die Dons verhielten sich erstaunlich still. Sie waren so überrumpelt worden, daß sie keine Gegenwehr wagten. Zudem sprachen die Waffen der Männer eine deutliche Sprache. „Bleibt wirklich ganz ruhig", sagte der Steuermann gepreßt. „Jeder Widerstand ist zwecklos. Es sind zwei Dutzend Männer an Bord, die das Schiff geentert haben. Sie scheinen zu allem entschlossen zu sein." „Das scheint nicht nur so, das ist wirklich der Fall", sagte Ferris Tukker. „Ihr könnt es haben, wie ihr wollt. Entweder haltet ihr das Maul, dann passiert euch nichts, oder ihr schreit." „Dann passiert euch was", sagte der Profos. „Dann zieh ich euch die Haut in Streifen von euren spanischen Affenärschen ab." Diese Drohung ließ die Männer hart schlucken. Dem Kerl mit dem Narbengesicht war auf Anhieb alles zuzutrauen. Der nahm auch kein Blatt vor den Mund und verkündete gleich den Weltuntergang. „Was passiert mit uns?" fragte einer der Dons leise. „Wenn ihr euch ruhig verhaltet, passiert euch nichts", verprach der Seewolf. „Keinem von euch wird auch nur ein Haar gekrümmt. Es liegt also ganz allein bei euch." „Ich verspreche, daß die Männer
39 sich ruhig verhalten werden", sagte der Steuermann. „Wir haben nichts getan und auch kein schlechtes Gewissen. Wir werden kein Risiko eingehen." „Habt ihr achtern und vorn ein Kabelgatt?" fragte Hasard. „Ja, achtern und vorn." „Sehr gut, dann wird es auch nicht so eng werden. Nimm dir sieben Mann und sperr sie achtern ein, Ed. Ferris schnappt sich den Rest und bringt ihn nach vorn ins Kabelgatt. Und vergeßt nicht die beiden Kerle, die noch an Deck liegen." Einem mußten sie erneut verklaren, wo die Glocken hingen. Das war der Don, den der Profos ins Land der Träume geschickt hatte. Der Kerl wollte partout nicht einsehen, weshalb er nicht in der Koje bleiben durfte. Er war durch den Hieb noch ein wenig benommen. Allonso redete beschwörend und befehlend auf ihn ein. Doch der Don blieb bockig, bis Carberry den Kopf schüttelte. „Das muß man ihm in den Schädel hämmern", erklärte er. Als er zuschlug, wichen die anderen Spanier entsetzt zurück. Der Don segelte in seine Koje zurück und blieb liegen. „Knebelt den Kerl, falls er später schreien will", sagte Hasard. „Sie sind mir dafür verantwortlich, Allonso. Und jetzt ab mit euch!" Der bewußtlose Don wurde gefesselt und geknebelt, bis er sich nicht mehr rühren konnte. „Zieht jetzt endlich eure verdammten Kürbishosen an!" schnauzte Ed. „Wir sind nicht zum Spaß hier." Immer wenn der Profos etwas sagte, kam Bewegung in die Männer. Vor Carberry hatten sie das große Zittern gekriegt, weil der sofort rigoros zulangte, wenn ihm etwas nicht paßte.
Die Dons wurden unter Bewachung an Deck gebracht. Dann wurden die beiden bewußtlosen Ankerwachen eingesammelt und ins Kabelgatt verfrachtet. Bevor Carberry das Schott verriegelte, sah er die zitternden Kerle noch einmal an. Er brauchte keinen Ton zu sagen, denn sein Gesicht drückte alles aus. Ein paar Kerle schlössen entsetzt die Augen und wünschten den Narbenmann insgeheim auf den Mond. Mit den anderen wurde genauso verfahren. Allonso mußte mit sechs anderen nach achtern ins Kabelgatt. Dort war es auch nicht viel enger als in dem muffigen Logis. Als die Dons verfrachtet waren, blickte Hasard zu den fünf anderen Galeonen hinüber. Vom Hafen drang immer noch Geschrei herüber, aber auf den Schiffen rührte sich nichts. Alles war von den dösenden Spaniern unbemerkt abgelaufen. Wenn die ehrenwerten Señores von ihrer Feier zurückkehren, dachte Hasard belustigt, dann gibt es mit Sicherheit ein paar recht dümmliche Gesichter. Aber noch waren sie nicht weg. Es bestand immer noch die Gefahr der Entdeckung. „Immer geduckt bleiben", sagte Hasard. „Wir können durch einen dämlichen Zufall entdeckt werden. Pete, du gehst ans Ruder. Smoky wird die Ankertrosse kappen, und dann driften wir langsam westwärts. Wenn wir weit genug fort sind, setzen wir ein paar Segel und verschwinden." Carberry kriegte sich kaum noch ein. Er grinste immer wieder und rieb sich die mächtigen Pranken. „Ein satter Fang ist das, Sir. Das Schiffchen ist bis an die Halskrause mit allem beladen, was wir brauchen." „Ja, das ist eine feine Ladung. Aber
40 jetzt ans Werk. Noch haben wir es nicht geschafft." Die „Carmencita" hatte nur einen Anker gesetzt. Smoky nahm sein Entermesser und säbelte die Trosse durch. Mit einem kaum hörbaren Zischen glitt sie ins Meer. Der Ostwind begann langsam auf die Schiffsmasse zu wirken. Die Männer hockten an Deck und blickten zu den anderen Galeonen hinüber, auf denen sich immer noch nichts rührte. „Scheint so, als würden sie nichts merken", sagte Stenmark. „Die pennen alle, die Kerle. Das wird später ein gewaltiges Donnerwetter für die Dons geben." Matt Davies drehte versonnen seine Hakenprothese um, damit Stenmark sich nicht aus Versehen draufsetzte. Der Haken war spitz zugeschliffen, und den Schrei hätte der Schwede wohl kaum unterdrücken können. „Die werden das nicht glauben", sagte er grinsend. „Und weil sie bestimmt alle besoffen sind, blicken sie nicht mehr durch." „Schade, daß man die Gesichter dieser Stiesel dann nicht sehen kann." Sie malten sich die Überraschung bei den Dons gründlich aus, rissen ihre Witze darüber und lachten verhalten. Der Ostwind drückte weiter. Eine halbe Kabellänge war die „Carmencita" bereits nach Westen gedriftet, und noch immer rührte sich auf den anderen Galeonen nichts. Einmal ging Blacky nachsehen, ob die beiden Boote auch gut vertäut waren. Dann warteten sie wieder, bis der Wind sie immer weiter westwärts schob. Pete Ballie stand am Ruder, neben ihm Hasard und Dan. Ferris und der
Profos hockten auf den Planken und stierten in die Nacht. Aus dem achteren Kabelgatt drang kein Muckser an Deck. Die eingesperrten Dons verhielten sich absolut ruhig. Auch aus dem vorderen Kabelgatt war nichts zu hören. Für die Kerle mußte es nervenzermürbend sein, denn sie wußten nicht, was mit ihnen geschah. Über ihnen an Deck war es still, bis auf das gelegentliche Scharren von Füßen oder ein geflüstertes Wort. „Eigentlich", sagte Ed zu Hasard, „sollten wir die Dons später nicht so untätig herumsitzen lassen. Das sind immerhin vierzehn Hands, die wir gut beim Umstauen gebrauchen können." „Ich weiß nicht recht", sagte Hasard. „Die müssen nicht unbedingt alles sehen. Wenn sie nichts sehen, können sie auch nichts über uns erzählen." „Die haben uns doch sowieso schon auf Reede gesehen. Vierzehn Hands, Sir! Mit denen ersparen wir uns eine Menge Zeit und Arbeit. Die Kerle werden froh sein, daß wir ihnen nicht die Ohren abreißen." „Hm, wäre vielleicht doch zu überlegen", murmelte Hasard. Der Profos war von dem Gedanken ganz begeistert. „Erst klauen wir ihnen das Schiff", sagte er, „dann schnappen wir ihnen die Ladung weg, und dann müssen sie das auch noch selbst umladen. Da ist dann alles komplett, Sir. Warum sind sie auch so dämlich und lassen sich den Kahn von der Reede klauen." „Das ist vielleicht eine Logik." „Und was geschieht später mit der Galeone?" „Weiß ich noch nicht. Das ist jetzt auch nicht wichtig. Vielleicht versenken wir sie in der Bucht. Das werde ich mir noch überlegen."
41 Inzwischen betrug die Versetzung von den anderen Schiffen schon mehr als eine Kabellänge. Schwerfällig bewegte sich die „Carmencita" immer weiter von der Reede weg. „Ein feines Schiffchen", spann der Profos seinen Faden weiter. „Man sollte sich nicht nur mit der Ladung begnügen, Sir." „Sondern?" „Wir sollten sie richtig ausnehmen. Da gibt es doch allerlei Werkzeug an Bord, Segeltuch, Spieren, und was man alles noch so auf der Schlangen-Insel brauchen kann. Sonst müssen wir das teure Zeugs kaufen, und hier brauchen wir nur zuzulangen. Die Dons haben ja sicherlich auch noch Proviant an Bord. Vielleicht gibt's in dem einen oder anderen Schapp noch ein knackiges Wässerchen. Die ehrenwerten Señores vom Achterdeck haben doch meist das Feinste an Bord. Soll ich gleich mal ein wenig rumstieren?" „Um knackige Wässerchen zu entkorken, was? Das hat Zeit bis später." „Ich dachte ja nur, Sir", versicherte der Profos treuherzig, „weil wir hier ja tatenlos rumhocken. Aber meine Idee ist doch nicht schlecht, was, wie?" „Nein, sie ist nicht schlecht, sie ist sogar prächtig. Aber alles zu seiner Zeit, Ed." „Himmel, die Kerle schlafen doch tatsächlich alle", sagte Dan, als die Entfernung noch größer wurde. „Sie haben immer noch nichts bemerkt." Fassungslos über diese Schlamperei schüttelte er den Kopf. Pete Ballie blickte aufmerksam zur Reede. Vorher hatten sie sich einfach vom Ostwind treiben lassen, jetzt konnte er das etwas gezielter tun und langsam Kurs anlegen. „Soll ich Gegenruder Steuerbord
geben, Sir?" fragte er. „Bis der schwerfällige Kahn ohne Segel dem Druck gehorcht, vergeht noch eine Weile." „Ja, tu das. Wir können es jetzt riskieren." Pete Ballie gab langsam Gegenruder, um den Bug der Galeone nach Backbord zu drehen und damit allmählich auf Westkurs zu bringen. Die „Carmencita" brauchte dazu eine ganze Weile. Es verging nochmals mehr als eine halbe Stunde, bis die Schiffe auf der Reede von Santiago de Cuba allmählich kleiner wurden. Vom Hafenlärm war längst nichts mehr zu hören. Man konnte sich jetzt ganz normal unterhalten, die Entfernung war groß genug. Schließlich verschwand der Einblick in den Hafen. Drei von den fünf ankernden Galeonen waren ebenfalls nicht mehr zu sehen. Hasard hielt den Zeitpunkt jetzt für günstig, die Segel zu setzen. „Setzt nur das Focksegel und den Besan. Das genügt." Die Arwenacks und Kolberger gingen grinsend und händereibend ans Werk und setzten Fock und Besan. Das schwerbeladene Schiff nahm etwas mehr Fahrt auf und segelte dicht unter der Küste weiter, dem Versteck entgegen. „Alles hat prächtig geklappt", sagte Dan. „Hervorragend! Die Dons werden das vielleicht erst gegen Morgen merken." „Wir schicken nachher zwei Ausgucks in die Felsen, um die Reede beobachten zu lassen", sagte Hasard. „Dann sind wir immer informiert, was im und um den Hafen abläuft." Etwas später tauchte die schmale Einfahrt auf. Noch im Windschatten der Felsen ließ Hasard die Segel wegnehmen, weil die schwere Galeone viel Vortrieb hatte.
42 „Wir gehen bei der ,Caribian Queen' längsseits, Pete", sagte Hasard, „und fangen auch sofort mit dem Umladen an. Inzwischen können die Dons dann ihre Galeone suchen." Pete Ballie brachte die „Carmencita" geschickt und mit sicherer Hand durch die Einfahrt. Er legte schon Hartruder Steuerbord, als die Galeone die letzten Yards vor dem Knick erreichte. Etwas schwerfällig schwang sie herum und glitt in die Bucht. Danach ging sie bei dem düsteren Zweidecker längsseits und wurde vertäut. Hanno Harms und Gary Andrews wurden dazu bestimmt, in den Felsen Ausguck zu halten. Sie nahmen die kleine Jolle, pullten zu der Steilwand hinüber und stiegen etwas später auf einem halsbrecherischen Pfad nach oben. Von dort aus konnten sie ganz Santiago de Cuba überblicken, ohne selbst gesehen zu werden. Renke Eggens hatte mit den an Bord verbliebenen Männern und Hasards Söhnen bereits die Laderäume aufgedeckt, in der sicheren Annahme, daß das Unternehmen gelang. Da war er sehr optimistisch gewesen. „Dann wollen wir mal sehen, was das Schiffchen geladen hat", sagte Carberry. Er war mit Feuereifer bei der Sache, genau wie die anderen auch, die es kaum erwarten konnten. Die Vorarbeit hatten bereits die Spanier geleistet. Verschalkung und Persenning waren bereits abgedeckt, es brauchten nur noch die hölzernen Luken abgenommen zu werden. Das war ein Werk von wenigen Minuten, denn alle Hände griffen zu. Lampen wurden entzündet, dann lag die ganze Pracht vor ihren staunenden Augen. Kanonenrohre waren säuberlich
festgezurrt. Eisenkugeln steckten in Racks. Pulverfässer gab es so viele, daß man die Zahl nur grob überschlagen konnte. Es war das, was sie schon auf der Reede durch das Spektiv gesehen hatten, nämlich Kriegsgüter vom Kanonenrohr bis zum Ansetzer und Wischer. Shane öffnete probeweise ein Faß und griff hinein. „Bleib mir bloß mit der Lampe vom Leib", knurrte er Luke Morgan an. „Das ist alles Schießpulver, das kann man auch in der Dunkelheit fühlen. Wenn da ein Fünkchen hineinfliegt, dann treten wir eine Reise an, die noch höher als bis in den Himmel geht. Dann krachen dir hier die Felsen auf die Birne, Mister Morgan." „Weiß ich selbst", brummte Luke, „ich wollte ja auch nur aus der Ferne leuchten." Das Faß wurde wieder sorgfältig verschlossen. Dann interessierten sie sich für die Geschützrohre. „Verflucht schwere Dinger", sagte Ed, „da sollten wir doch lieber unsere neugewonnenen Freunde zu Hilfe holen." „Ihr werdet euch die ganze Nacht um die Ohren schlagen müssen", sagte Hasard, „da ist es nur recht und billig, wenn der Kutscher etwas zu essen vorbereitet. Das muß aber nebenbei gehen und sollte mit einem kräftigen Schluck Rum runtergespült werden." Das hörten sie alle gern, ein kleiner Schluck bei schwerer Arbeit konnte nie schaden. Inzwischen sperrte Carberry auf Hasards Erlaubnis das Schott zum Kabelgatt auf und leuchtete mit der Lampe hinein. „Hört zu, ihr Affenärsche", sagte er. „Wir haben euch kein Haar gekrümmt, wie versprochen. Aber dafür werdet ihr jetzt ein bißchen was tun und eure müden Knochen hoch-
43 purren." Drohend fügte er hinzu: „Sollte aber einer von euch keine Lust zum Arbeiten haben, dann braucht er mir das nur zu sagen, was, wie? Wir werden dann in aller Freundschaft ausführlich darüber reden." Als die Dons das Narbengesicht sahen, verzichteten sie liebend gern auf freundschaftliche Unterhaltungen. Wie die ausgingen, hatte der narbige Riese ja bereits gezeigt. „Wollt ihr nun, oder wollt ihr nicht?" fragte er unfreundlich. Sie wollten. Sie drängten geradezu aus dem Kabelgatt und standen verblüfft an Deck. Als sie sich umsahen, erkannten sie nur hohe Steilwände und eine Bucht, in der drei Schiffe lagen, die „Carmencita" mit eingeschlossen. „Was soll denn gearbeitet werden?" fragte einer. „Aus dieser Frage spricht der rechte Geist", lobte Ed. „Ich werde euch das gern erklären. Wir brauchen das, was ihr in euren Laderäumen habt. Deshalb haben wir eure Galeone vorübergehend ausgeliehen. Ihr werdet jetzt kräftig mithelfen, das Zeug von eurem Schiff auf unser Schiff zu stauen. Wer gut zulangt, kriegt zu essen und zu trinken. Wer faulenzt, wird an die Rah gehängt. Wer sehr eifrig mithilft, ist bei mir gut angesehen, und das ist doch was, oder?" Ja, das war was. Sie brachen zwar nicht in Begeisterungsschreie aus, aber sie hatten auch keine Lust, an der Rah zu baumeln, denn das hatte der Narbenmann offenbar mit den Faulenzern vor. „Wo sind wir denn hier?" fragte einer scheu. „Im Vorhof zur Hölle", sagte Ed. „Und nun frisch und munter ans Werk, damit ihr bei mir gut angesehen seid."
Verschüchtert, verstört und entnervt enterten die Dons gehorsam in die Räume ab, wo Ferris ihnen Arbeit zuwies. Keiner protestierte. Sie wunderten sich sogar, daß sie eine Muck Rum kriegten und später auch etwas zu essen. Nur wenn sie den Profos sahen, dann bückten sie sich und arbeiteten noch schneller. Carberry holte auch die anderen Dons aus dem Kabelgatt und hielt ihnen einen ähnlichen Vortrag. Auch hier widersprach niemand, denn solange sie gehorchten, tat ihnen keiner etwas. Und gehorchen hatten sie mehr als zur Genüge gelernt. Bei ihnen an Bord ging es viel ruppiger zu. Der Steuermann Allonso hatte sich wieder gefaßt. Er sah eine Menge Scherereien voraus, wenn das hier alles erledigt war und sie wieder zurückkehren konnten - wie auch immer. Aber er traute sich nicht, aufzumucken. Wir sind Piraten in die Hände gefallen, dachte er. Die hatten es fertig gebracht, ihnen von der Reede das Schiff zu klauen. Jetzt plünderten sie es aus. Damit es später jedoch keine Zeugen gab, würde man sie umbringen. Nur merkwürdig, überlegte er, daß sie vorher noch reichlich zu essen kriegten. Und mit dem Rum ließen sich die Kerle auch nicht lumpen. Recht eigenartige Piraten waren das. Allonso war schon einmal von Piraten geschnappt worden, doch das waren dreckige unrasierte Kerle gewesen, die wahllos auf alle eindroschen und vor keinem Mord zurückschreckten. Hier hatte es nur ein paar saftige Maulschellen gegeben. Kein einziger Schuß war gefallen, und alle lebten noch. Endlich traute er sich doch, dem Narbenmann eine Frage zu stellen. „Wird man uns nach getaner Arbeit umbringen?"
44 „Wenn ich nein sage", brummte Ed, „dann glaubst du das ja doch nicht. Aber ich sage trotzdem nein. Wenn ihr alle schön folgsam seid, könnt ihr bald Seiner Allerkatholischsten Majestät wieder am Bart zupfen, wenn der das zuläßt. Für uns gibt es keinen Grund, euch zu töten. Und jetzt scher dich an deine Arbeit." Pablo Allonso war unendlich erleichtert. Zwar wußte er immer noch nicht, was ihnen später bevorstand, aber er glaubte diesem narbigen Kerl seltsamerweise. Kopfschüttelnd ging er an die Arbeit. Sie mußten sich ganz schön abschinden, bis wenigstens ein Teil der Ladung umgestaut war. Hasard sah sich unterdessen in den achteren Räumen um und fand eine Menge erstaunlicher Sachen. In einer Schublade unter der Koje entdeckte er ein in Schweinsleder gebundenes Buch, das Roteiros enthielt, die geheimen Seekarten der Spanier, die sie ängstlich hüteten. Weiter fanden sich in der Kapitänskammer erlesene spanische Weine, dann drei Ledersäckchen mit Gold- und Silbermünzen sowie handschriftliche Aufzeichnungen des Kapitäns. Er hieß Angelo Corbera, wie aus den Papieren hervorging. Hasard fand auch ein Ölporträt, auf dem hinten noch mal sein Name stand. Sehr freundlich sieht dieser Capitán nicht gerade aus, fand Hasard und drehte das Bild wieder um. Er hatte dünne, messerscharfe Lippen, die verächtlich nach unten gebogen waren. Seine Nase war etwas gekrümmt, der Blick seiner dunklen Augen stechend. Ein Herrentyp, ein Kerl, mit dem nicht gut Kirschen essen war. Ja, mein lieber Señor, dachte Hasard belustigt. Der Blick deiner Augen wird noch stechender werden,
und deine Lippen werden sich noch weiter nach unten ziehen, wenn du merkst, daß deine Galeone verschwunden ist! Er lachte leise und legte das Bild wieder zurück. Für den Capitán sah die Zukunft recht trübe aus, denn gewiß würde man höheren Ortes nicht schweigend darüber hinwegsehen, daß er kein Schiff mehr hatte. Sie würden diesem Señor Corbera recht unangenehme Fragen stellen. Nach der Inspektion verließ er die Kammer wieder und kehrte an Deck zurück. Dort wurde unermüdlich umgestaut, und eine Kanone nach der anderen wechselte den Besitzer. 6.
Im Hafen von Santiago de Cuba lag an der Pier vertäut die Schaluppe von Miguel Bassio. Ihm war die „ehrenvolle" Aufgabe zugefallen, die Herren von der Schiffsführung hin und her zu fahren, sooft sie das verlangten. Bassio freute das keineswegs, denn er hatte für die meist adligen und herrisch auftretenden Schiffsoffiziere nichts übrig. Aber den Befehl konnte er nicht ignorieren, denn der Hafenkommandant hatte ihn angeschnauzt und seine ständige Verfügung befohlen. Miguel Bassio war ein sturer Büffel, der den Hafen als sein Reich betrachtete und sich von anderen nicht gern kommandieren ließ. Was ihn am meisten ärgerte, war die Behandlung durch die hochnäsigen Señores, die alle möglichen und unmöglichen Wünsche hatten, ihn schikanierten und von oben herab ansahen. Einer dieser Kerle, ein Capitán von der auf Reede liegenden Galeone „Nuestra Señora Maria"
45 hatte ihn viermal hin und her fahren lassen, weil er immer wieder angeblich etwas vergessen hatte. Am Abend hatte er die Schiffsführung der Galeone „Carmencita" an Land abgesetzt und sich von dem Capitán anhören müssen, daß er viel zu lahmarschig über die Reede segele und sich gefälligst beeilen solle, damit Capitán Corbera nicht das Fest des Hafenkommandanten verpasse. Das Fest! Das war ein höfliches Umschreiben für einen Saufabend, der es in sich hatte. Die Schiffsführungen ließen sich stolz, hochnäsig und unnahbar an Land fahren und erweckten ganz den Eindruck arroganter Höflinge, die sich für den Nabel der Welt hielten. Kehrten sie aber wieder zurück, dann war die Herrlichkeit vorbei. Sie waren stockbesoffen und benahmen sich genauso ordinär wie der letzte Pöbel. Widerlich war es, sich vor diesen Kerlen auch noch verbeugen und von ihnen idiotische Befehle entgegennehmen zu müssen. Viermal hatten ihn diese Hunde jetzt geweckt, um von Bord etwas zu holen, womit sie dem Hafenkommandanten imponieren konnten. Jetzt war es fast vier Uhr morgens, und seit ein paar Stunden hatte sich keiner mehr blicken lassen. Wann es den ehrenwerten Señores wieder einfiel, an Bord zu gehen, hing jeweils von deren körperlicher Verfassung ab und wieviel sie vertragen konnten. Aber da sie im Kastell auch ein paar Frauenzimmer dabei hatten, würde es wohl erfahrungsgemäß etwas länger dauern. Über dem Hafen lag etwas Nebel, und so waren die auf Reede ankernden Galeonen nur verwaschen und undeutlich zu sehen. Miguel Bassio fror ein wenig und
rieb seine klammen Hände. Während seine beiden Hands an Bord schliefen, mußte er wach bleiben, um die Ankunft der Kapitäne und Offiziere nicht zu verpassen. Wenn sie ihn schlafend erwischten, setzte es Vorwürfe, Beleidigungen und harte Worte, die sie glaubten, sich herausnehmen zu dürfen. Er schrak hoch, als er vom Kastell her lautes Grölen vernahm. Die Schiffsführung der „Nuestra Señora Maria" geruhte, an Bord zu gehen. Gehen war stark übertrieben, denn die Kerle torkelten, gaben sich leutselig und hatten sich untergehakt. Der Schaluppenführer purrte mißmutig seine Hands hoch, die genauso mürrisch und verdrossen an Deck erschienen. Vier Mann waren es, Kapitän und drei Offiziere, die lautstark das Lied vom andalusischen Mädchen grölten, das achtzehn liebeskranken Seeleuten in die Hände fällt. Das trauten sich nicht mal die einfachsten Hands in den übelsten Hafenkneipen zu singen. Mürrisch sah Bassio den Krakeelern entgegen und wünschte sie zum Teufel. „He, du da!" brüllte einer der Offiziere. „Mach mal deinen Mistkahn klar, verstanden? Du darfst es dir als Ehre anrechnen, uns - hicks - zu kutschieren." „Wieder gepennt, der faule Baskenarsch, was?" brüllte ein anderer. „Ha, die Kerle haben ein Leben! Hokken in ihrem Boot und glotzen den Mond an! Hoch mit dir, Kerl!" So oder ähnlich klangen die Sprüche der hohen Herren, wenn sie von einer Feier kamen. Manchmal schlugen sie ihm auch auf die Schultern und boten ihm das Du an. Und am nächsten Tag beschuldigten sie ihn, er hätte sie beklaut. Er kochte schon jetzt vor Wut, ließ
46 sich aber nichts anmerken. Ein paar der feinen Herren suchten mitunter auch Streit, wenn sie zuviel gebechert hatten und griffen dann zum Degen. Wankend und schwankend gingen sie an Bord, hilfreich von den Hands geleitet, was sie sich jedoch energisch verbaten. Flog aber einer der besoffenen Kerle mal ins Wasser, dann war erst recht der Teufel los, weil ihn angeblich keiner gestützt hatte. Vom Kastell her setzte sich die nächste Horde von betrunkenen Grölern in Bewegung. „Ablegen!" befahl der Capitán. „Aber die anderen Señores", wandte Bassio ein, „sie sind jeden Augenblick da." „Ablegen, habe ich gesagt, und zwar sofort, du Strolch!" So oder so würde er sich jetzt Ärger einhandeln, denn wenn er ablegte, pöbelten ihn die nächsten an, weil er nicht gewartet hatte. „Ablegen, verdammt!" schrie der Capitán. Miguel, Bassio blieb stur wie ein Büffel. Er fummelte so lange an Segel und Tauwerk herum, bis die nächsten Señores das Schiff erreichten. Der Capitán beruhigte sich wieder, betonte aber, daß er ihn zur Meldung bringen würde, weil er einem Befehl nicht augenblicklich Folge geleistet hätte. Aber das juckte Bassio nicht. Es ärgerte ihn nur mächtig, daß sie blöde Witze über ihn rissen und sich einer der ehrenwerten Señores breitbeinig hinstellte und ihm das Deck vollkotzte. Der Kerl hielt es nicht mal für nötig, das nach außenbords zu tun. Rülpsend stand er da und würgte so lange, bis sie endlich die Reede erreichten. Bassio bekreuzigte sich, als er die erste Fuhre endlich an Bord gebracht hatte. Seine beiden Hands wuschen das Deck wieder sauber.
So ging das noch ein paarmal hin und her. Während der nächsten Fahrt zur Reede kotzte wieder einer auf die Planken. Die Kerle waren so betrunken, daß sie nichts mehr wahrnahmen. Zum Schluß folgte die SchiJfsführung der „Carmencita", und jetzt ging das Theater erst richtig los, und der neue Tag begann mit einem heillosen Durcheinander. Angelo Corbera war derart betrunken, daß er nur noch mühsam lallen konnte. Seine drei Offiziere standen ihm in nichts nach. Einer wäre fast über Bord gekippt. Zwei andere legten sich ungeniert mit ihren Uniformen auf die Planken und begannen zu schnarchen. Corbera wirkte in seinem betrunkenen Zustand lächerlich. Er kicherte albern, griff mal hierhin, mal dorthin und grölte herum, was er mit den Señoritas getrieben hätte. Er sah auch reichlich abgeschlaf ft aus, denn er hatte ein bißchen zu ausgiebig der Liebe und dem Suff gefrönt. Seine Lippen waren verkniffen, seine Augen konnte er kaum noch offenhalten, in seinen Mundwinkeln stand Schaum, und er rülpste ständig. „Schneller!" lallte er. „Du segelst viel zu langsam, Kerl!" „Noch segeln wir gar nicht", sagte Bassio patzig, „weil wir noch an der Pier liegen." „Trotzdem muß schneller gesegelt werden, das geht alles viel zu langsam, geht das." Die Segel wurden gesetzt, die Schaluppe nahm Kurs auf die Reede. Die Offiziere lagen betrunken und schnarchend an Deck, und Corbera faselte irgendeinen Unsinn daher, über den er sich halbtot lachte. Immer wieder schwankte er und mußte gestützt werden. Miguel Bassio umkurvte die Ga-
47 leonen und wunderte sich. Da mußten doch sechs auf Reede liegen, verdammt. Jetzt aber waren es nur fünf, wenn er noch richtig zählen konnte. Und er war stocknüchtern. „Wo, zum Teufel, ist die ,Carmencita'?" fragte er die beiden Hands irritiert. Die beteuerten energisch, daß sie bei der letzten Fahrt noch hier auf Reede gelegen hätte, aber jetzt sei sie plötzlich fort. „Das gibt es nicht", sagte Bassio verwirrt. „Die kann nicht von einem Augenblick zum anderen verschwinden." Ratlos zählte er die Schiffe. Es waren und blieben fünf. Er kratzte sich das Kinn und schüttelte den Kopf. Dann wandte er sich an den spanischen Capitán, der kaum noch stehen konnte. „Wo liegt Ihr Schiff, Señor?" „Im - im Wasser", lallte Corbera, „mitten im Wasser, du Blödmann. Hier vorn liegt es." Er zeigte schwankend in die Runde und wollte unbedingt zu dem am nächsten liegenden Schiff. „Das ist die ,Nuestra Señora Maria'!" schrie Bassio, dem jetzt langsam der Gaul durchging. „Steht doch klar und deutlich dran!" „Dann ist es nicht die ,Carmencita' ", sagte Corbera scharfsinnig. „Dann isses die da drüben." „Die isses auch nicht!" schrie Bassio im gleichen Tonfall zurück. „Und die anderen sind es ebenfalls nicht, verfluchter -Mist! Das Schiff liegt nicht hier auf der Reede." „Das liegt hier", behauptete der Capitán mit der Hartnäckigkeit des Betrunkenen. „Das liegt immer noch hier." „Sie ist weg, begreifen Sie das endlich, Señor. Weiß der Teufel warum, aber sie ist nicht mehr da."
Corbera drohte mit dem Zeigefinger. „Bist du sicher, ganz sicher?" fragte er läppisch. „Ganz sicher." „Dann hat - hat sie sich versteckt, haha! Sie hat sich einfach versteckt, verstehst du? Manchmal verstecken sich Schiffe. Das ist doch ein guter Witz, was? Sie hat sich hier versteckt - versteckt - versteckt!" begann er laut zu grölen. Es ging nicht mehr in seinen Schädel hinein, daß seine Galeone nicht vorhanden war. Er faßte das als einen Witz auf und begann schallend zu lachen. „Versteck dich ruhig!" brüllte er über den Hafen. „Wir finden dich schon. Und jetzt will ich endlich an Bord, verdammt!" Die Hands grinsten sich eins, als Corbera immer mehr abschlaffte und fast schon im Stehen einschlief. „Gute Nacht, Kommandant", lallte er, „war ein netter Abend. Mein Schiff hat sich versteckt, ich geh jetzt in die Koje." Er wankte, fiel über seinen Ersten Offizier und streckte sich der Länge nach aus. Von einem Augenblick zum anderen schlief er ein. Miguel Bassio war sauer. Ein schöner Sauhaufen lag da an Deck herum. Was sollte er jetzt mit den Kerlen tun? Er konnte sie schließlich nicht auf ein Schiff bringen, das nicht existierte. Verbiestert griff er dem Zweiten Offizier ins Genick und wollte ihn hochziehen. Doch der war steif wie ein Ladestock und kapierte überhaupt nichts mehr. Der Dritte gab nur ein unwilliges Knurren von sich, und der Erste einschließlich des Capitáns war ebenfalls nicht ansprechbar. Die Hands grinsten immer noch und sahen auf die vier Kerle, die
48 kreuz und quer auf den Planken lagen. „Und diese besoffenen Idioten muß ich kutschieren", fluchte Bassio, „vielleicht hatten die gar kein Schiff und sind von Spanien aus einfach geschwommen! Oder bin ich bescheuert! Hat der Kahn nur in meiner Einbildung existiert? Wo stammen die Kerle her?" „Was tun wir jetzt mit denen?" fragte einer der Männer zurück. „Mir können sämtliche Kapitäne und Offiziere den Buckel runterrutschen", sagte Bassio verärgert. „Wir segeln zum Hafen zurück und lassen die Kerle schnarchen, bis sie wieder nüchtern sind. Und dann soll mich ja keiner anstänkern. Ich bin Schaluppenführer und nicht deren Galeonen-Aufpasser. Wenn der Kahn weg ist, dann ist er eben weg, was interessiert mich das! Ich habe die Verantwortung für die besoffenen Passagiere, aber nicht für deren Galeonen." „Das wird ein schönes Donnerwetter geben, Miguel." „Na und? Ist das vielleicht meine Schuld? Los, zurück zum Hafen. Wir legen uns wieder an die Pier." Die Schaluppe segelte mit ihren schnarchenden Passagieren wieder in den Haffen. Keiner der Señores war wach zu kriegen, und Bassio hatte auch keine Lust mehr, sich mit den besoffenen Kerlen auseinanderzusetzen. Er ließ sie auf den Planken einfach weiterschnarchen. Wenn die Señores erwachten, würde es noch Stunk genug geben. * Gegen zehn Uhr erwachte Capitán Angelo Corbera. Als er die Augen aufschlug, war sein Gesicht dick und verquollen, die Augen knallrot und seine Stimme ein heiseres Krächzen.
Zuerst einmal griff er sich mit beiden Händen an den Schädel und stöhnte leise. Mit fast boshafter Gehässigkeit genoß Bassio dieses Schauspiel. Der ehrenwerte Señor hatte einen schweren Kater. Der würde jetzt besonders ungnädig sein. Dem Señor schmerzte außerdem jeder Knochen im Leib, denn die nächtliche Bettstatt war keineswegs mit Daunen gepolstert. Er erhob sich schwankend und spie angeekelt über Bord. Aus rötlichen Augen starrte er Miguel Bassio an. Dann wanderte sein Blick weiter und fiel auf die Offiziere, die immer noch kreuz und quer durcheinander auf den Planken lagen und sich nicht rührten. Bisher war das mysteriöse Verschwinden der Galeone von den anderen Schiffsführungen immer noch nicht bemerkt worden. Sie befanden sich aber vermutlich in einem ähnlichen Zustand wie Corbera und schliefen ihren Rausch aus. „Bringen Sie mich zu meiner Galeone", herrschte er Bassio an, „aber ein bißchen plötzlich. Ich muß wohl eingeschlafen sein." Bassio grinste hinterhältig mit abgewandtem Gesicht. An den heutigen Morgen schien sich der Capitán nicht mehr zu erinnern. Aber das war auch kein Wunder. „Sehr wohl, Señor", sagte Bassio tückisch. „Und wo, bitte sehr, liegt Ihr Schiff?" „Natürlich auf der Reede, wo denn sonst", herrschte Corbera ihn hochnäsig an. „Natürlich, Señor. Wir segeln sofort." Du wirst noch die Klüsen aufreißen, mein Freund, dachte Bassio. Du hast offenbar alles vergessen. Seine beiden Hands setzten die Segel. Auch sie grinsten heimlich und
49 amüsierten sich, denn gleich würde der ehrenwerte Señor sehr dümmlich aus dem Rüschenhemd linsen. Bassio genoß diese Stituation wieder. Am liebsten hätte er sich die Hände gerieben. Sie segelten auf die Reede hinaus. Bassio hatte wieder den tückischen Blick drauf. „Welches Schiff, Señor?" fragte er beflissen. „Äh - da drüben, nein, nein, das ist es nicht!" Corbera rieb sich die Augen, zählte fünf Galeonen, rieb sich die Augen wieder und wunderte sich, daß die sechste fehlte. Ausgerechnet sein Schiff war nicht mehr da. „Welches soll's denn nun sein?" fragte Bassio hinterhältig. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Corbera bleich wurde und hart und trocken schluckte. Dann verkniff sich sein Gesicht, auf seiner Stirn erschien eine Zornesfalte. Er griff nach dem Ersten Offizier und purrte ihn wütend hoch. Den Zweiten packte er ebenfalls am Kragen. Nur der Dritte blieb wie ein Brett liegen und verbat sich mit greinender Stimme jede weitere Belästigung. Corbera verpaßte ihm einen Tritt in den Hintern. Die Señores Offiziere blickten noch nicht richtig durch und brauchten eine graume Weile, um die Ungeheuerlichkeit zu begreifen. „Die ,Carmencita' fehlt!" schrie Corbera. „Sie ist nicht mehr auf der Reede. Ich verlange augenblicklich eine Erklärung." Die verschreckten Offiziere hätten ihm ja gern eine gegeben, aber sie wußten es auch nicht. Sie standen nur da und stierten sich die rotunterlaufenen Augen aus, doch das Stieren brachte die Galeone auch nicht zurück. „Vielleicht ist sie untergegangen
oder entführt worden", meinte der Dritte, der immer noch wacklig auf den Beinen stand. „Noch so eine dämliche Bemerkung, und Sie fahren wieder als Decksmann", sagte Corbera voller Wut. „Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Ein Schiff kann nicht einfach verschwinden und sich in Luft auflösen. Suchen Sie gefälligst die Galeone!" brüllte er Bassio an. „Und stehen Sie nicht so faul und tatenlos herum!" Genau das hatte dem Schaluppenführer noch gefehlt. Erst soffen sich diese Idioten den Hals bis Oberkante Unterlippe voll, dann kümmerten sie sich einen Scheiß um ihr Schiff, und jetzt schnauzten sie ihn an, als ob ihn der verlauste Kahn etwas anginge. Er wurde auch sofort biestig. „Wo, bitte, soll ich Ihre verdammte Galeone suchen, Señor?" blaffte er höhnisch zurück. „Darf's vielleicht in der Karibik sein, oder soll ich auf Jamaika suchen? Oder hätten Sie es lieber weiter draußen im Atlantik?" „Wie wagen Sie denn, mit mir zu sprechen?" brüllte Corbera. „Sie haben einen Capitán der spanischen Krone vor sich." „Und Sie haben einen Schaluppenführer vor sich", brüllte Bassio, „der es nicht gewohnt ist, auf seinem Schiff angeschnauzt zu werden, vor allem, wenn er mit der Sache nichts zu tun hat! Habe ich vielleicht Ihre Galeone in der Hosentasche? Suchen Sie Ihren Kahn doch selber, ich bin hier nicht als Galeonen-Spürhund eingesetzt worden." „Sie haben meinen Befehlen augenblicklich zu gehorchen!" schrie Corbera mit puterrotem Schädel. „Suchen Sie das Schiff, aber dalli! Sie müssen es die ganze Zeit über im Auge gehabt haben! Und jetzt ist es verschwunden, kaum daß ich für ein paar Minuten eingeschlafen bin."
50 „Eingeschlafen?" höhnte Bassio. „Sie waren derart besoffen, daß Sie überhaupt nichts mehr wahrnahmen. Ihre Offiziere nicht minder, die können ja jetzt noch nicht gerade stehen. Und auf die Planken haben Sie mir auch gekotzt!" schrie er. Jetzt brüllten auch die Offiziere los, denn das ging an ihre Ehre, und das wollten sie auf keinen Fall wahrhaben. „Ich verbitte mir diese Unterstellungen!" tobte der Erste. „Solche Behauptungen können Sie Ihren Hals kosten, Mann!" „Meine Galeone ist es jedenfalls nicht", sagte Bassio in stoischer Ruhe, „und ich habe sie auch nicht weggezaubert. Das müssen Sie der Admiralität schon selbst erzählen. Falls man mich ebenfalls anhören sollte, werde ich berichten, was ich von einem Kapitän und seinen Offizieren halte, die nicht mal wissen, wo ihr Schiff vor Anker liegt." Das hatte gesessen. Zufrieden sah Bassio, wie der Capitán zusammenzuckte, wie der Erste ganz blaß wurde und die beiden anderen ebenfalls die Farbe wechselten. Dennoch brüllten sie weiter und verbaten sich jegliche „Einmischung" in ihre Angelegenheiten. Der Schaluppenführer grinste höhnisch. „Ich habe schon einmal erklärt, daß ich keinerlei Verantwortung für Ihre Galeone habe", sagte er patzig. „Schon gar nicht bin ich für verschwundene Schiffe von besoffenen Kapitänen zuständig. Darf ich die Señores nun wieder zurückfahren? Oder halten wir hier bis zum Sankt Nimmerleinstag weiterhin Ausschau nach Galeonen, die nicht existieren?" Sie gaben ihm keine Antwort, sondern diskutierten erregt diesen unglaublichen Vorfall.
„Das wird ein Nachspiel haben!" tobte Corbera voller Zorn. „Für mich wohl kaum, ich segele jetzt zurück." Er ließ die Señores toben, griff zur Ruderpinne und nahm wieder Kurs auf den Hafen. Dabei grinste er so impertinent, daß die Kerle vor Wut noch mehr kochten. Die Schaluppe lag noch nicht richtig an der Pier, als die Offiziere mit ihrem Capitán auch schon wie die wilden Stiere losstürmten. Ihr Ziel war das Haus des Hafenkommandanten, in dem sie verschwanden. Bassio hörte sie sogar durch die dikken Steinmauern brüllen. „Mal sehen, was der Kommandant jetzt unternimmt", sagte er zu seinen Männern. „Was glaubt ihr, was er tut?" „Er läßt die Galeone suchen." „Er ist ein Esel", sagte Bassio grinsend, „der überzeugt sich erst selbst, ob sich die Señores nicht verzählt haben. Der läßt sich auf die Reede karren und sieht selbst nach." Die beiden anderen wollten das nicht glauben, und so wetteten sie um ein paar Münzen. So dämlich konnte doch keiner sein. Es waren nur ein paar Minuten vergangen, da begann Bassio niederträchtig zu feixen. Der Hafenkommandant erschien, puterrot im verquollenen Gesicht, sich ganz seiner Persönlichkeit bewußt und sehr wichtigtuerisch. Er rannte, gefolgt von den debattierenden Señores, erregt auf die Schaluppe zu. „Unerhört!" brüllte er. „Wie kann da ein Schiff verschwinden?" „Ich war nicht an Bord", sagte Bassio, „daher weiß ich es natürlich auch nicht, Kommandant." „Unerhört!" schnaubte der Kommandant wieder. „Wir segeln sofort zur Reede hinaus. Ich muß mich an Ort und Stelle überzeugen."
51 „Meinetwegen", sagte Bassio, „aber Grinsen. Aber das war reine Schadas wird nichts daran ändern, denn denfreude. Der Hafenkommandant zog erdas Schiff ist wirklich nicht da." „Unerhört!" schrie der Komman- kenntnisreich und sehr logisch Bilanz. dant jetzt zum dritten Male. „Damit muß angenommen werden, „Verloren", sagte Bassio zu seinen daß die Galeone verschwunden ist", beiden Männern. sagte er gedankenschwer, als hätte Der Kommandant fuhr herum. „Wer hat was verloren?" blaffte er. er darüber wochenlang nachgedacht. Die Señores hatten diese Erkennt„Die Señores ihr Schiff", erwiderte nis schon lange, aber sie pflichteten Bassio todernst. ihm bei, weil er ein Bürokrat war „Unerhört!" und sie im Grunde genommen auch, Die abgeschlafften Señores wurund weil Bürokraten immer recht den wieder eingeladen, und Bassio hatten. segelte erneut zur Reede hinaus. Die „Jetzt müssen natürlich die UmHands waren am Grinsen, obwohl sie stä nde geklärt werden, warum sie ihre Wette verloren hatten. verschwunden ist", sagte der Hafen„Haben Sie einen Kieker an Bord?" schnauzte der Kommandant. Daß kommandant. „Zuerst werden wir ihm ein Schiff auf der Reede fehlte, ,die Mannschaften oder Schiffsfühkonnte er überhaupt nicht begreifen. rungen befragen." Von den Schiffsführungen war Unerhört war das. „Her damit!" Der Kommandant nur ein traniger und sehr müder Seblickte durch das Spektiv und zählte ñor zu sehen, der sich gründlich mit bebenden Lippen die Schiffe auf wunderte, daß eine Galeone verReede. Er zählte bis fünf, dann muß- schwunden sein sollte. Auf die Bete er mangels Masse aufhören, und fragung konnte er allerdings auch weil das nicht in seinen bestußten keine Antwort geben, denn er hatte Schädel ging, begann er wieder von ja mit dem Hafenkommandant und vorn zu zählen. Trotzdem blieben es den anderen die ganze Nacht durchgezecht. immer nur fünf. Die Mannschaften waren auch Das hielt ihn jedoch nicht davon nicht ergiebig. Niemand hatte etwas ab, mitten in den Pulk zu segeln, um die Galeonen eine nach der anderen gesehen oder gehört. „Dann muß sie untergegangen äußerst mißtrauisch zu "beäugen. Er sein", folgerte der Kommandant. notierte sich sogar die Namen und „Segeln Sie noch einmal zu dem Liegelangte dann zu der folgenschweren Erkenntnis, daß die „Carmenci- geplatz hin." Das Wasser war sehr klar, der ta" nicht da war. Wind blies jetzt aus Nordost, und es Unerhört war das! war auch nicht sehr tief an der Stelle, Die Señores zählten immer wieder wo vormals die Galeone gelegen hatungläubig mit. Vielleicht nahmen sie te. an, ihre Galeone hätte sich scham„Hier lag sie", sagte Corbera, „etwa haft hinter einer anderen verborgen, hier." denn sie verlangten, daß jedes Schiff „Aha", knurrte der Kommandant einmal umrundet wurde. und besah sich ausgiebig die „UnterDem Schaluppenführer bereitete gangsstelle", an der es absolut nichts das sichtlich Spaß, er war ständig am zu sehen gab. Er starrte in das Was-
52 ser und sagte: „Aha. hm - hm - hm." Man konnte fast bis auf den Grund sehen. Der war etwas felsig, doch die Felsen waren so klein, daß sich da unmöglich eine Galeone verklemmt haben konnte. Der von Smoky gekappte Anker lag versteckt unter Seetang. Dann harkten sie mit der Schaluppe mehrmals die Stelle ab, wobei der Kommandant und die Señores ausgiebig ins Wasser auf den Grund der Reede stierten. „Nein, untergegangen ist sie nicht", erklärte der Kommandant tiefsinnig, „sonst hätten wir sie sehen müssen. Sie ist verschwunden, aber nicht untergegangen." Es wurde wieder debattiert. Die Herren wechselten harte Worte, bis der Hafenkommandant einen Einfall hatte. „Der Wind hat aus Nordost geweht", sagte er, „auf der Galeone brach die Ankertrosse, oder der Anker brach aus dem Grund. Der Wind hat sie logischerweise nach Südwesten abgetrieben. Folglich befindet sich das Schiff irgendwo im Südwesten." „Das ist nicht ausgeschlossen", sagte Corbera. „Die Ankerwachen haben geschlafen und nichts bemerkt. Nun, die werden ihre helle Freude an mir haben!" Himmel, sind das ein paar bestußte Kerle, dachte Bassio. In deren hirnrissigen Schädeln muß noch der Rotwein gluckern. Er wollte etwas sagen, ließ es dann aber. Sollten sie ihre verdammte Galeone suchen, wo sie wollten, er dachte gar nicht daran, ihnen zu helfen. Der Wind hatte heute nacht nämlich aus Ost geweht und erst gegen Morgen auf Nordost gedreht. Aber das hatten die Kerle in ihrem Suff natürlich nicht bemerkt, und so gin-
gen sie von falschen Überlegungen aus. Das hätte er ihnen sagen können, doch dann hätten sie wieder verächtlich gegrinst oder ihn angebrüllt. Sie mußten ihre Galeone also im Westen suchen und nicht im Südwesten, wenn wirklich der Anker aus dem Grund gebrochen oder die Trosse entzwei war. „Damit ist alles klar", sagte der Kommandant und spielte sich mächtig auf, als hätte er das Schiff längst gefunden. „Zurück zum Hafen!" schnarrte er. „Wir werden ein Protokoll aufsetzen und alles Punkt für Punkt festhalten. Dann warten wir ab, denn es besteht die Möglichkeit, daß die ,Carmencita' von allein zurückkehrt. Schließlich wird man auf dem Schiff ja merken, daß man nicht mehr auf Reede liegt." Die Señores waren von dem Vorschlag, vorerst abzuwarten, überhaupt nicht begeistert, doch der Hafenkommandant bestand auf seinem Protokoll. Alles andere hatte vorerst Zeit. Schließlich war er ja fündig geworden und hatte durch logisches Denken die Galeone wiedergefunden. Daß sie noch nicht da war, störte ihn nicht weiter. Miguel Bassio hätte am liebsten laut gelacht. Doch das schickte sich nicht, und so verzog er nur grinsend das Gesicht, wenn die Kerle mal nicht hersahen. Soviel Dummheit auf einem Haufen hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Die Schaluppe kehrte zum Hafen zurück, legte an der Pier an, und die Kerle verließen grußlos und wütend das Schiff. Der Kommandant stürmte mit riesigen weitausgreifenden Schritten wichtigtuerisch auf das Gebäude zu und verschwand darin. Die Señores mußten sich anstrengen, mit ihm Schritt zu halten. Sie hätten fast noch die Tür an den Schädel ge-
53 kriegt, so war der Kommandant in Braßfahrt., Als sie verschwunden waren, hieb sich Bassio auf die Schenkel, sah seine beiden Hands an und begann dröhnend zu lachen. „Ein toller Spaß war das! Einer der Kerle ist immer noch blöder als der andere, obwohl man das kaum für möglich halten sollte. Ich wette, es wird später Nachmittag, bis sich dieser Hornochse entschließt, nach dem Schiff suchen zu lassen. Hat einer Lust zum Wetten?" Die Hands hatten keine mehr, denn Miguel Bassio schien den Hafenkommandanten gut zu kennen. Er behielt auch diesmal wieder recht, denn bis das Protokoll aufgenommen war, vergingen mehr als zwei Stunden. Dann wurde das Löschen auf der Reede unterbrochen und der Kommandant orderte vier Schaluppen in den Hafen. Bis die alle da waren und ihre Kapitäne sich versammelt hatten, war es längst Nachmittag. Weitschweifig erklärte ihnen der Hafenkommandant, wo genau sie zu suchen hätten, um das verschwundene Schiff zu finden. Sie sollten in einem breiten Streifen weit im Südwesten die See abharken. Etwas später liefen die vier Schaluppen aus. „Die finden nichts", erklärte Miguel, der dem Schauspiel gelassen zusah. „Die kehren ohne Ergebnis wieder zurück." Er schlug erst gar keine Wette mehr vor, denn er war sich seiner Sache absolut sicher. Gegen Abend kehrten die vier Schaluppen zurück. Sie waren allein und hatten das Schiff nicht gefunden. Weit und breit war von der Galeone nichts zu sehen gewesen. Das große Rätselraten ging weiter.
7. Schon mehrmals hatten die Ausgucks in den Felsen gewechselt und sich köstlich amüsiert. Wechselweise hatten Arwenacks, Kolberger und die „gepreßten" Spanier stundenweise geschlafen oder sich ausgeruht. Jetzt hockten Luke Morgan und Blacky hoch oben in den Felsen und beobachteten seit mehr als zwei Stunden Hafen und Reede von Santiago de Cuba. Auch sie amüsierten sich und waren ständig am Grinsen, als sie die Wuhling im Hafen sahen. Von hier oben aus waren die ratlosen Uniformierten und ein dicker Kerl - offenbar der Hafenkommandant - gut zu erkennen. Immer wieder fuhr eine Schaluppe zur Reede hinaus, um die Stelle zu bewundern, wo einstmals die Galeone gelegen hatte. „Die kriegen sich nicht mehr", sagte Blacky lachend, „die kurven ständig hin und her und wissen nicht mehr aus noch ein. Denen müssen doch regelrecht die Schädel rauchen." „Bei dem bißchen Gehirn wird es nicht viel Rauch geben", meinte Luke grinsend, „die sind ja bescheuert, wenn sie immer wieder ihre Kähne nachzählen, statt sofort mit der Suche zu beginnen." Es war wirklich ein ergötzliches Schauspiel, zumal sie auch mit Kiekern bewaffnet waren. Später sahen sie dann, wie vier Schaluppen ausliefen und nach Südwesten segelten. Sie verschwanden hinter der Kimm und kehrten erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück. „Jetzt haben sie noch mehr zu raten", sagte Blacky. „Schade, daß wir nicht hören können, was sie so quatschen."
54 Etwas später stiegen sie ab, um Hasard Bericht zu erstatten. Der Seewolf lachte laut, die anderen Kerle amüsierten sich ebenfalls prächtig. „Bei denen kocht es jetzt", sagte Hasard. „Die kriegen kein Bein mehr auf die Erde. Muß ja ein furchtbares Gefühl sein, nach einem Saufabend festzustellen, daß man als Kapitän kein Schiff mehr hat." Die „Carmencita" war jetzt restlos entladen. Ihre Räume waren leer, aber nicht nur ihre Räume. Hasard hatte Carberrys Vorschlag aufgegriffen und das Schiff kräftig ausgenommen. Es war total ausgeplündert worden. Die Kapitänskammer war leer und ausgeräumt, der Proviant war umgestaut worden, und in den Laderäumen der „Caribian Queen" und der „Pommern" lagen festgezurrt die Kanonenrohre, die Pulverfässer und die Kugeln. Die Utensilien, die zu den Geschützen gehörten, waren auf beide Schiffe verteilt worden. Die „Carmencita" sah jetzt eher wie ein Neubau aus, an den der Takelmeister noch keine Hand angelegt hat. Da gab es keine Spieren mehr, kein einziges Segel. Das laufende Gut war ausgeschoren worden und ruhte jetzt auf der „Pommern". Ebenso das Werkzeug. Ferris Tucker nickte anerkennend. „Das war ein satter Fang", meinte er, „für jedes einzelne Stück haben wir Verwendung." „Auch für den spanischen Rotwein", sagte Carberry genüßlich. „Mit dem werden wir eine Ehrenrunde für die Dons saufen. Das haben sie wirklich verdient." Wieder wurde gelacht und darüber gesprochen, was die Dons wohl für Gesichter ziehen würden, wenn sie das wüßten. „Was tun wir jetzt mit der Galeo-
ne?" fragte Dan und deutete auf das gerupfte halbnackte Hühnchen, das ziemlich wüst aussah. „Wir lassen sie hier liegen. Wenn die Dons sie durch Zufall doch mal finden sollten, dann haben sie noch mehr Rätsel zu lösen, was sich so alles fast direkt vor ihrer Haustür abgespielt hat." „Und unsere gepreßten Freunde?" „Die haben zwei Jollen zur Verfügung, mit denen können sie verschwinden. Sie müssen selbst entscheiden, ob es für sie ratsam ist, den Hafen anzulaufen." Die gepreßten Freunde standen ziemlich belämmert auf ihrer Galeone und starrten sie düster an. Sie schienen immer noch nicht so richtig zu glauben, was sie mit eigenen Augen sahen. Der Profos konnte wieder mal den Hals nicht vollkriegen. Er starrte fast lüstern die abgetakelte Galeone an und rieb sich die Hände. „Hm hm", sagte er, „Ferris hat ganz recht, das war ein satter Fang. Aber auf der Reede liegen immer noch fünf Galeönchen, die schnuckeliges Zeug an Bord haben. Sollen wir uns nicht noch eine kleine Weihnachtsgans vornehmen und etwas leichtern?" Er sah sich beifallheischend um, denn das war wirklich der Gipfel der Frechheit. Seine Idee stieß auch auf viel Gegenliebe, doch Hasard hatte andere Bedenken. „Das würde die Dons ganz schön nerven", erwiderte er, „aber wo sollen wir das Zeug lassen? Beide Schiffe sind randvoll beladen, und überladen können wir sie nicht, weil wir dann nicht mehr beweglich sind und wie Bleienten in der See liegen. Hm, fünf Galeonen sind tatsächlich noch da", sagte er nachdenklich. „Die sollte man wirklich nicht so einfach sausen lassen." Er lehnte sich an das Schanzkleid
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und sah die Männer an. Renke Eggens grinste schon, als er bei Hasard wieder diesen Blick sah. Da steckte doch schon wieder etwas dahinter! „Dann holen wir uns noch eine", sagte der Profos gierig. „Geht nicht, Ed, aus den eben genannten Gründen. Aber die fünf Galeonen haben noch jede Menge Pulver an Bord. Was geschieht eigentlich auf solchen Pulverschiffen, wenn einer laut ,Feuer im Schiff!' brüllt?" Carberry sah den Seewolf an. Er begriff nicht gleich, auf was Hasard hinaus wollte. Dan O'Flynn war da wesentlich gewitzter und schon am Grinsen, noch bevor Hasard seine Frage fertig formuliert hatte. „Wenn ich da an Bord wäre, mir vorstelle, daß Feuer ausbricht und ich mit dem Hintern auf ein paar hundert Tonnen Schießpulver sitze, dann würde ich mit einem Affenzahn von dem Kahn verschwinden. Ich würde über Bord springen, bevor ich in die Luft geblasen werde." Carberry hielt die Luft an. „Klar", sagte er eifrig, „ich würde nicht mal nachsehen, ob das überhaupt stimmt, sonst wäre es vielleicht schon zu spät, und ich müßte zeit meines Lebens mit einem gerösteten Achtersteven rumrennen. Klar, ein Satz, und der alte Carberry würde in Richtung Küste schwimmen." „Genauso würde sich wohl jeder verhalten", sagte Hasard. „Das ist nur logisch. Nun gut, übernehmen können wir nichts mehr, aber wir können die Dons noch ein wenig zwacken, denn sie zwacken ja auch überall herum." „Mann, ist das ein Gedanke", sagte Shane, „wenn ich das richtig kapiert habe, dann wollen wir..." „... nur den Dons das Schießpulver ein bißchen versauen", sagte Hasard
trocken. „Sonst werden sie zu übermütig. Was sie nicht mehr haben, können sie auch nicht gegen uns einsetzen. Aber hört zu, ich werde euch jetzt einen Plan entwickeln, der gute Aussichten auf Erfolg hat. Danach könnt ihr ein paar Stunden schlafen. Wir sperren unsere Dons ein und gehen dann auf einen neuen Raid. Dazu nehmen wir vier Jollen mit, jede mit sechs Mann besetzt. Wir brauchen Fackeln und jede Menge Lunten." Eine Viertelstunde lang erläuterte er haargenau seinen Plan. Die Männer hörten mit offenen Mündern zu und staunten wieder einmal über die Gedankengänge eines Philip Hasard Killigrew, der unermüdlich dabei war, der spanischen Krone Schaden zuzufügen. Als er geendet hatte, waren sie alle sehr still und nachdenklich geworden. Dann wollte Carberry die Futterluke aufreißen und vor Begeisterung losbrüllen, doch Hasard stoppte ihn noch rechtzeitig. „Später, Ed", sagte er abwehrend, „wenn wir alles hinter uns haben, kannst du so laut brüllen, wie du willst. Jetzt fangen wir erst einmal mit den Vorbereitungen an." 8. Es war wieder kurz nach Mitternacht, aber schon der dritte Mai. Und es war wieder eine Nacht für Wölfe, in der der große Raid begann. Der Wind wehte immer noch aus Nordost. Über der Karibik spannte sich eine Wolkendecke, durch die kein Mondstrahl drang. Es sah auch nicht danach aus, als würde in dieser Nacht die Wolkendecke aufreißen. Aus der Bucht, in der die spanische Galeone entladen worden war, glitten fast lautlos vier Jollen. Ferris Tucker führte die eine, Hasard die
56 andere. Die dritte wurde von Big Old Shane geführt, und das Kommando der vierten Jolle hatte Dan O'Flynn. In den Jollen lagen Fackeln und jede Menge Lunten. Der Schlachtplan, den Hasard entwickelt hatte, war wiederum bis ins letzte Detail besprochen worden. Es war wichtig, daß alles genau koordiniert ablief, damit keine Pannen eintraten. Das Ziel der Jollen war die Reede von Santiago de Cuba, an die sie sich jetzt bei Nordostwind heranpirschten. Die dunklen Boote waren auf dem fast pechschwarzen Wasser kaum zu sehen, und Arwenacks und Kolberger pullten so leise, daß die Geräusche vom Wind übertönt wurden. Ferris Tucker drehte mit seiner Jolle ab und hielt auf die am weitesten im Nordosten stehende Galeone zu. Obwohl die Kerle gerade auf reichlich mysteriöse Art ein Schiff verloren hatten, schienen sie nichts dazugelernt zu haben, denn die Aufmerksamkeit der Ankerwachen war nicht sehr groß. Sie rechneten auch ganz sicher nicht mit einem nächtlichen Angriff. Ungesehen kam Ferris' Mannschaft an den Bug der Galeone heran. Der Schiffszimmermann hielt sich an der Ankertrosse fest, griff mit der anderen Hand nach seinem Messer und kappte die Trosse. Der Wind war ihr Helfer, das Geräusch, das der Schnitt verursachte, war nicht mehr als ein leises Schaben. Ferris nickte den schattenhaften Gestalten in der Jolle zu, drückte das Boot lautlos ab und ließ es zu der benachbarten Galeone hinübertreiben. Auf der Steuerbordseite gingen sie unter der Galeone längsseits und verhielten sich mucksmäuschenstill. Unmerklich trieb die eine Galeone
ab, aber das merkten die Kerle an Bord noch nicht. Inzwischen hatten die drei anderen Jollen ebenfalls „ihre" Galeonen erreicht und verharrten in Lauerstellung. Alles war genau aufeinander abgestimmt. Keins der Boote war von den Dons bemerkt worden. Sie ahnten nicht, welches Verhängnis jetzt drohte. Hasard enterte lautlos auf, wartete, bis die anderen Männer ebenfalls an Deck waren, und fand einen Kerl vor, der am Schanzkleid stand, die Arme aufgestützt hatte und vor sich hindöste. Ein lautloser Satz, ein Hieb, und der Mann stürzte wie ein Sack zur Seite. Hasard fing ihn auf und legte ihn auf die Kuhlgräting. Dann blickte er zu den anderen Galeonen hinüber. Er ahnte die Gestalten mehr, als er sie sah, die da lautlos an Bord enterten. „Soll ich jetzt kokeln?" fragte der Profos leise. „Ja, sie scheinen alle an Bord zu sein", raunte Hasard. Das war tatsächlich der Fall. Während die eine Galeone unmerklich abtrieb, hatten Arwenacks und Kolberger die drei anderen Galeonen geentert und waren an Deck. Alle vier Schiffe waren jetzt „besetzt". Der Profos begann mit dem, was er kokeln nannte. Er entzündete eine Fackel, an der einen gleich die nächste und gab die brennende Fackel an die anderen Männer weiter. „Aufs Vordeck damit", sagte er, „für das Gebrüll sorge ich dann." Das Aufflammen der Fackeln war auch gleichzeitig das Signal für die anderen Männer. Überall auf den Vordecks der spanischen Galeonen flammten Fackeln auf und wurden auf die Back geworfen. Es rauchte und qualmte stark, und es sah gefährlicher aus, als es war.
57 Der Profos stemmte die Arme in die Hüften und setzte zu einem Schrei an, der die ganze Reede erzittern ließ. „Feuer im Schiff!" röhrte er auf Spanisch. Big Old Shane dröhnte ebenfalls los, die anderen Männer unterstützten ihn kräftig und sorgten für eine scheinbare Wuhling, indem sie herumrannten, über die Decks jagten und wie die Irren schrien. Carberry hielt sich bereits den Bauch vor Lachen, denn der Erfolg dieser gefürchteten Schreckensmeldung trat augenblicklich ein. Sonst waren die Kerle reichlich lahmarschig und bequemten sich nur schwerfällig an Deck. Diesmal war es so, als hätte jemand in einer Ansammlung wilder Wespennester herumgestochert. Die Dons schwirrten aus den Kojen, von Entsetzen und Angst getrieben, und rasten an Deck. Da brannte es tatsächlich, denn die inszenierte Kokelei sah wirklich zum Fürchten aus. Und dann fiel jedem ein, daß sie bis zur Halskrause mit Pulver beladen waren. Das brachte sie erst recht auf Trab. Im Nu war die Hölle los. Auf der einen Galeone gab es eine regelrechte Panik, als sich die Dons gegenseitig über den Haufen rannten. Auf der zweiten stoben sie wild kreischend wie eine verrückt gewordene Affenherde durcheinander. Ihr Entsetzen wurde jedoch noch größer, als sie sahen, daß es auf den benachbarten Schiffen ebenfalls brannte. Die ersten Dons, nur mit Unterhosen bekleidet, verabschiedeten sich, ohne erst lange die Schiffsführung zu fragen. Mit wilden Gebrüll und Geheul rannten sie zu den Schanzkleidern an Backbord und sprangen in Panik über Bord.
Soviel Verstand hatten sie noch, an Backbord über Bord zu gehen, denn dort war die Landseite, die sie so schnell wie möglich erreichen wollten, um nicht in die Luft geblasen zu werden. „Rette sich, wer kann!" schrie der stimmgewaltige Profos. „Das Feuer breitet sich aus. Feuer, Feuer!" Trotz aller Panik gab es auch ein paar Besonnene unter den entnervten Spaniern. Dazu gehörten ein paar Offiziere von der Schiffsführung, die versuchten, sich Gehör zu verschaffen und Ordnung in den wilden Haufen zu bringen. Carberry schnappte sich einen Offizier, der laut herumbrüllte und die Kerle zur Besonnenheit mahnte. „Feuer im Schiff!" schrie er ihn an. „Hast du Pulver in den Ohren? Los, ab mit dir!" Ein Tritt beförderte den zappelnden Mann ans Schanzkleid. Dort stand Luke Morgan bereit, bückte sich, hievte sich den Don aufs Kreuz und kippte ihn über Bord. Carberry raste wieder zurück. Auf der Nachbargaleone wurden zwei Boote aus den Halterungen gerissen und einfach über Bord gefeuert. Eine Horde verängstigter Männer sprang hinterher. Einen Zauderer, der mißtrauisch auf die qualmenden Fackeln stierte, beförderte Hasard über Bord und räumte gleich einen weiteren ab. Auch bei Shane wurden zwei Kerle mißtrauisch, als sie die Fackeln auf der Back sahen. Sie kümmerten sich nicht um die vorbeihastenden brüllenden und schreienden Männer und wollten die Fackeln aufheben. „Das sind ja nur Fackeln", sagte der eine. Shane packte seinen Hals, hob den Don hoch und schüttelte ihn. „Du sollst nicht lange fackeln, du Wicht! Ab mit dir!" Er griff auch
58 noch nach dem Hosenboden des Kerls und warf den kreischenden Don achtlos über Bord. Der andere stänkerte noch herum, doch der Ex-Schmied von Arwenack langte einmal kräftig zu, damit keine Mißverständnisse auftraten und sich die Wuhling legte. Wo Shane hinlangte, da brauchte nicht mehr kalfatert zu werden, da schoben sich die Planken nahtlos zusammen. Das Kerlchen empfing eine Ohrfeige, die ihn über das Schanzkleid wehte und weg war er. Zwei Galeonen waren fast geräumt. Das Wasser war in wilder wirbelnder Bewegung. Überall droschen Arme in die See, hieben Kerle brüllend um sich, um das Land zu erreichen. Die Kolberger veranstalteten weiteren Tumult, indem sie brüllend über die Decks jagten und auf jeden einhieben, der noch etwas zauderte oder nicht glauben wollte, daß ihm die Galeonen gleich um die Ohren fliegen würden. Diese künstlich erzeugte Panik endete in einem einzigen Chaos. Aus den Batteriedecks quollen noch Kerle hervor, ab und zu flitzte einer aus dem Logis. Auch zwei Kapitäne und etliche Offiziere hatten in eiliger Flucht ihr Schiff verlassen, ohne sich zu überzeugen, ob es wirklich brannte. Sie sahen nur den Qualm und Rauch, dann den hellen Lichtschein und wußten, was gleich geschehen würde. Noch einmal klatschte ein Boot ins Wasser, und entnervte Dons hüpften wie Frösche ins Meer. Sie schwammen unter großem Geschrei an Land. Hasard nahm die Luntenstränge und spulte sie ab. In langen Sätzen jagte er zur Pulverkammer hinunter, trat mit dem Stiefel den Boden
eines Pulverfasses ein und stopfte die Lunte hinein. Auf der anderen Galeone trat als Feuerwerker Al Conroy in Aktion. Ferris Tucker legte die nächsten Lunten, und Big Old Shane packte seine Lunten in aller Ruhe und fein säuberlich ebenfalls in die mit brisantem Pulver gefüllten Fässer. Neben ihm stand Smoky. „Mann, wenn das losgeht", sagte er andächtig. „Dann müssen wir ein Stückchen weiter sein", murmelte Shane. „Du kennst ja mein Sprichwort: Wer gegen den Wind pißt, kriegt nasse Hosen, aber wer mit Pulverfässern spielt, kriegt einen heißen Arsch." „Da ist was dran", sagte Smoky und flitzte los. Auf den spanischen Galeonen gab es keine Dons mehr. Auch der letzte hatte sich heulend und zähneklappernd auf die Reise zum Land begeben. Oben standen sie jetzt und hielten die Enden der Lunten in den Fäusten. „Verdammt, jetzt brennt es wirklich", sagte der Profos verdattert. Das Feuer der Fackeln hatte auf die Planken übergegriffen, die Back einer Galeone stand bereits in Flammen. „Mir wird heiß", sagte der Profos, „wir sollten lieber verschwinden." „Gleich, Ed. Das Feuer ist noch längst nicht bei den Pulverkammern und den Laderäumen. Das dauert noch ein paar Minuten." Carberry verzog sein narbiges Gesicht, denn es wurde wirklich sehr mulmig, zumal sich auch noch ein kleiner Brand auf der Kühl auszubreiten begann. Und direkt darunter lag das Schießpulver. Hasard blickte zu der fünften Galeone, der sie die Ankertrosse gekappt hatten. Sie trieb auf eine der
59 Galeonen zu, auf deren Back es ebenfalls bereits brannte. „Die verrückten Kerle sind noch an Bord", schimpfte er, „merken die denn nicht, was los ist?" „Die werden gleich verschwinden", prophezeite Ed, „so dämlich kann auch ein Don nicht sein." „Verlaßt die Schiffe!" rief Hasard zu den anderen hinüber. „Und dann nichts wie weg. Kurs westwärts, uns bleiben nur ein paar Minuten Zeit." Jetzt merkten die Kerle auf der treibenden Galeone offenbar, daß sie gleich in die Luft fliegen würden, denn ihr Schiff trieb immer näher an die brennende Galeone heran. Da gab es kein Zaudern und kein Zögern mehr. Etwa dreißig Mann nahmen Anlauf und sprangen unter wildem Geheul ins Wasser. Die Galeone war von einem Lidschlag zum anderen verlassen. Fackeln wurden an die Lunten gehalten. Mehr war nicht nötig, den Rest besorgte das Pulver. „Von Bord!" befahl Hasard mit brüllender Stimme. Es knisterte und knackte um sie herum. Jeder stellte sich vor, wie das knallte, wenn die Schiffe in die Luft flogen. Im Hafen selbst war jetzt auch der Teufel los. Leute rannten dort zusammen und halfen den Spaniern an Land. Die ersten krochen erschöpft und schwerfällig aus dem Bach, doch sie wurden augenblicklich wieder munter, als sie den Feuerschein sahen. In kopfloser Hast rannten sie weiter in die Stadt hinein und verschwanden. Die Seewölfe und Kolberger hatten es jetzt ebenfalls verdammt eilig, in die Boote abzuentern. Ihr Rückzug gestaltete sich jedoch zivilisiert und nicht überhastet. Trotzdem konnte einer nicht schnell genug nach unten gelangen.
Smoky stieß mit Stenmark zusammen, fluchte, verlor das Gleichgewicht und landete im Bach. Sein Fluch ging buchstäblich unter. Er paddelte, tauchte wieder auf und stieß sich den Schädel an der Jolle. Erneut ging er auf Tiefe. „Verdammt", brüllte Shane und griff ins Wasser. „Jeden Augenblick fliegt uns halb Kuba um die Ohren, und der Kerl schaut sich die Fische an." Er kriegte den zappelnden Smoky zu fassen, zog ihn wie einen müden Hering aus dem Wasser und drückte ihn auf die Ducht. „Nichts wie weg!" rief der Decksälteste. „Das lag ja an dir", sagte Shane, „und nicht an uns, du Hirsch!" Der Flammenschein auf der einen Galeone wurde größer. Es war die „Nuestra Señora Maria", auf welche die fünfte Galeone zutrieb. Der Bugspriet näherte sich ihr bedrohlich. Sie würde auch ohne Lunten in die Luft fliegen, das war sicher. Die Jollen legten eilig ab. Arwenacks und Kolberger zeigten, was sie vom Pullen verstanden. Sie trieben die Jollen durch das Wasser, daß Bugwellen nur so aufschäumten. Gespannt blickten die Männer zu den Galeonen. Vom Hafen drang unaufhörlich Geschrei herüber. Dort rannten immer noch die Leute wild durcheinander. In dem Augenblick bohrte sich der Bugspriet der treibenden Galeone hart und krachend in die Flanke der brennenden „Nuestra Señora Maria", Funken flogen durch die Luft. Der Wind fachte sie an und wehte sie auf das andere Schiff. Beide Galeonen verhakten sich unlösbar ineinander, verkeilten sich, und auch die Ramm-Galeone fing Feuer. Die vier Jollen pullten weiter westwärts, getrieben von Riemen,
60 die fast brachen, so hart wurden sie entfernten Jollen fast zum Kentern. durchs Wasser gepeitscht. Auf der Reede ging das Inferno „Die Druckwelle erwischt uns weiter. Das Wasser wurde aufgenoch", sagte Hasard, „seid also dar- wühlt und schien zu kochen, als würauf vorbereitet, und auch auf den de es aus der Tiefe heraus detonieren fürchterlichen Knall. Wenn ihr den oder eine riesige Flutwelle hervorBlitz seht, laßt die Riemen fahren, brechen. reißt das Maul auf und haltet euch Es regnete nach allen Seiten kleine die Ohren zu." Feuerbälle, Funken, lange FlamEs waren etwa vier Minuten ver- menzungen und weißglühende Splitgangen. Da wurde das Feuer auf der ter. „Nuestra Señora Maria" noch greller. Zwei Galeonen waren buchstäbDie Hitze wehte wie ein Feuersturm lich in die Luft geblasen worden. über die Decks. Sengende und stark nachglutende Riesenschleier standen hoch über Dann folgte der Blitz. Mit einem Ruck wurden die Rie- der Reede und trieben langsam damen ins Boot gezogen. Die Seewölfe von. verhielten sich so, wie ihr Kapitän Zu dieser Zeit flog auch die dritte angeordnet hatte. Sie rissen die Galeone unter urweltlichem Getöse Mäuler sperrangelweit auf und und Krach in die Luft. Sie barst glupreßten die Hände auf die Ohren. Die tend auseinander und schleuderte Augen kniffen sie zu kleinen Schlit- ihre brennenden Trümmer in weizen zusammen. tem Umkreis nach allen Seiten. Drüben stieg etwas in den Himmel, Die nächste Druckwelle wehte die das man getrost als rasend schnell Männer fast aus den Jollen. emporgeschleuderte Sonne bezeichWieder schwankten die Boote unnen konnte. Erst war der Ball gelb, ter dem Heranbrausen der heißen dann wallte er blitzartig mit rötli- Luft wild hin und her. chen Stellen hoch, und dann wurde Das entsetzliche Feuerwerk ging er weiß mit einem sauber abgegrenz- weiter. Auf der Reede erhob sich unten Blaustich. mittelbar darauf der nächste SonIm Hafen von Santiago de Cuba nenball. Die vierte Galeone steckte und auf der Reede schien der Welt- die fünfte an. Als das Pulver explountergang seinen Anfang zu neh- dierte, flog auch die letzte Galeone in men. die Luft, und die Stadt wurde von eiDem emporstrebenden, glühend ner wilden Druckwelle getroffen. heißen Ball, bestehend aus knapp Heiß und fast kochend fegte es dreihundert Tonnen Schießpulver, heran. Die Luft war zum Schneiden folgte ein zweiter, als die andere Ga- dick geworden. Die Seewölfe preßten leone in die Luft flog. die Fäuste noch fester auf die Ohren, Beide Explosionen vermischten als das unerträglich laute Donnern sich zu einer, die immer größer und der wilden Detonationen heranraste. gewaltiger wurde. Dann rollte der Der letzte Feuerball stand lange in Donner in einer Stärke, daß den der Luft. Er glutete stark nach, fiel Männern fast die Trommelfelle dann nur sehr langsam in sich zuplatzten, obwohl sie die Hände auf sammen und trieb als glühender die Ohren gepreßt hatten. Schleier aus Millionen feuriger ParDie Druckwelle fegte heiß und glü- tikel langsam davon. hend heran. Sie brachte die jetzt weit Der Profos sagte etwas, als das
61 Krachen und Donnern verhallt war, aber so laut er auch brüllte, niemand verstand ihn. Hasard gab das Zeichen zum Weiterpullen. Obwohl immer noch tiefe Dunkelheit herrschte, konnte er die Gesichter der Männer klar und deutlich erkennen. Die Glut wurde von der Wolkendecke zurückgespiegelt. Die Wolken hatten sich gelblich, weiß und rosa verfärbt. Auch die Stadt war deutlich im letzten Widerschein zu sehen. Sie pullten zurück, ziemlich geschockt durch den Höllenlärm und die unglaublich grellen Blitze, und sie verstanden erst eine halbe Stunde später wieder die ersten Worte. Auf der Reede von Santiago de Cuba aber lag nichts mehr, was noch an ein Schiff erinnerte. Es fanden sich nicht einmal mehr Trümmer. „So habe ich mir das nicht vorge-
stellt", sagte Ferris Tucker. „Das war ja fast der Weltuntergang." Hasard nickte nur, er konnte immer noch schlecht hören. Dann hatten sie endlich die Bucht erreicht, wo die zurückgebliebenen Männer sie staunend empfingen. „Wir verschwinden", sagte Hasard, „laßt die Spanier frei, wir bleiben gleich in den Booten und ziehen die Schiffe heraus." Die Spanier wurden freigelassen. Hasard zeigte auf die Beiboote der Galeonen. Die Dons waren so verstört, daß sie kein Wort sprachen. Vermutlich nahmen sie an, Santiago sei in die Luft geflogen. „Ihr seid frei", sagte Hasard, „haut mit euren Jollen ab oder tut, was ihr wollt." Die Dons verschwanden in auffallender Eile. Sie hatten genug, und waren froh, so billig davongekommen zu sein.
62 Noch einmal begann ein Stück Knochenarbeit, bis die schwerbeladenen Schiffe endlich draußen waren. Aber sie schafften es, setzten die Segel und gingen auf Südkurs. Erst viel später, als das ganze Inferno hinter der Kimm verschwun-
den war und nur der farbige Himmel noch davon kündete, änderten sie den Kurs und steuerten die Windward-Passage an. Es ging heimwärts. Die Dons hatten eine Schlappe erlitten, die sie so schnell nicht vergessen w ü r d e n . . .
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Flagge der Freiheit von Davi s J. Harbord W ill Thorne behagte es so gar nicht, im M ittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Darum steckte er etwas umständlich die gespleißten Augen oben und unten am Flaggenliek an die Flaggleine der Besanrute an und heißte dann die Flagge Hand über Hand vor. Alle Augen an Bord der „Isabella" verfolgten den Vorgang. Auch auf den anderen Schiffen des Bundes sowie in den Jollen, die für die M unitionierung sorgten, war man aufmerksam geworden. Das schwarze Tuch, noch hängend, glitt an der Flaggleine schräg nach oben bis zur Nock der Besanrute, wurde vom W ind wie spielerisch hin und her bewegt - und wehte plötzlich in seiner ganzen Länge aus. Da sahen alle die Flagge mit dem Symbol, und niemand brauchte ihnen zu erklären, was sie bedeutete...