Nr. 41
Konvent der Händler Von Rüdiger Schäfer Auf den von Menschen besiedelten Welten der Milchstraße schreibt man da...
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Nr. 41
Konvent der Händler Von Rüdiger Schäfer Auf den von Menschen besiedelten Welten der Milchstraße schreibt man das Jahr 1225 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das dem Jahr 4812 alter zeit entspricht. Der relativ unsterbliche Arkonide Atlan, der seit Jahrtausenden im Auftrage der Menschheit wirkt, nimmt den Kampf gegen die unheimlichen Lordrichter auf, die mit ihren Truppen mehrere Galaxien bedrohen. In der Kleingalaxis Dwingeloo befinden sich die geheimnisvolle Intrawelt und der so genannte Flammenstaub, der angeblich entscheidend im Kampf gegen die Lordrichter sein könnte. Da nur ein Wesen, das bereits ,hinter den Materiequellen' war, den Flammenstaub aus der Intrawelt hinauszubringen vermag, hat Atlan diese Mission auf sich genommen. Allerdings hat er nicht mit einem Gegenspieler gerechnet: Atlan gerät an Peonu, einen Diener der Chaotarchen, der ihm einen Teile der Seele raubt und dadurch ihrer beiden Schicksal aneinander kettet. Peonu lässt den Arkoniden ziehen - er weiß, dass jener ihm fortan verpflichtet sein wird. Auf der weiteren Suche nach dem Flammenstaub erreicht Atlan den KONVENT DER HÄNDLER
Rüdiger Schäfer
Atlan 2
Konvent der Händler
Hunger, der mein Erinnerungsvermögen 1. schwächt. Ich werde etwas essen.« Mit einem unverständlichen Gemurmel »Ich habe ein sehr ungutes Gefühl, Atlan! wandte er sich von mir ab und widmete « Jolo stand - hoch aufgerichtet, und damit sich wieder dem in die Wand für mich knapp hüfthoch - vor mir und eingelassenen Schacht der Speiseausgabe. gestikulierte wild mit seinen kurzen, Nur Augenblicke später schleppte er eine kräftigen Handtatzen. »Am besten mächtige Schüssel in die Ecke des Raums, verschwinden wir auf der Stelle. Mit Grünsetzte sich in die Hocke und begann deren Nomaden ist nicht zu spaßen.« dampfenden Inhalt geräuschvoll zu Ich lachte humorlos. verzehren. »Vor ein paar Tagen wolltest du mich noch Ich schüttelte nur den Kopf. Seit wir die an sie verkaufen«, sagte ich dann. »Was ist Flachstation GEM-45 erreicht hatten, der Grund für deinen plötzlichen nutzte Jolo die hier zur Verfügung Sinneswandel?« stehenden technischen Möglichkeiten Das kleine Echsenwesen gerade zu schamlos aus. Die Hauptpersonen des Romans: mit dem großen Magen Innerhalb kürzester Zeit legte den Kopf schief und Atlan - Der Arkonide kämpft mit sich selbst. hatte er den Gebrauch der zog ein Gesicht, das jeden Albion - Der »Breite Mann« verliert die Nahrungsspender erlernt Kontrolle. Kralasenen zu Tränen und bediente sich seitdem gerührt hätte. Ich dagegen Jolo - Das Echsenwesen frisst sich durch. bei jeder Gelegenheit wusste mittlerweile um die Tuxit - Ein Erzählsklave mit einem dunklen ausgiebig. erstaunliche Fähigkeit des Geheimnis. Berührungsängste kannte windigen Burschen, der mit Luck der Proporze - Der Grün-Nomade jagt er, der er doch immerhin seiner Mimik fast jede seinen größten Schatz. eine gute Anzahl von gewünschte Jahren in einer Welt ohne Gemütsbewegung bei seinen Gegenübern Hochtechnologie gelebt hatte, offenbar auszulösen vermochte. Nach einigen nicht. erhellenden Erfahrungen sowie mit der Immerhin hatte das Ganze auch einen nötigen Konzentration und der Hilfe Vorteil. Nachdem er den für ihn offenbar meines Extrasinns war ich inzwischen in überaus bekömmlichen - weil leicht der Lage, diese Beeinflussung in den verdaulichen - Brei entdeckt hatte, meisten Fällen fast vollständig trampelte er nicht mehr bei jeder auszufiltern. Gelegenheit auf meinen ohnehin »Pfui, Atlan«, versuchte es Jolo trotzdem. strapazierten Nerven herum, indem er »Ich würde niemals zulassen, dass dir ein einen Besuch bei Onkel Droszdat Leid geschieht. Es war Jamoklias, der dir einforderte, jenem Restaurant, das hier auf Ubles wollte. Erinnerst du dich nicht?« GEM-45 so etwas wie der Mittelpunkt des »Ich habe ein fotografisches Gedächtnis, sozialen Lebens war. mein verschlagener grüner Freund«, Seit der Wandlung Albias waren erst erwiderte ich kühl. »Soll ich dir unsere wenige Stunden vergangen. Während Jolo Erlebnisse im Lager der Freitümmler noch die Zeit genutzt hatte, alles an Brei in sich einmal schildern? Möglicherweise ist es hineinzustopfen, was die Nahrungsspender deine Erinnerung, die einer Auffrischung hergaben, verhielt sich der Breite Mann bedarf.« vollkommen passiv und damit gänzlich »Schon gut, schon gut«, wehrte der Kleine anders, als er es zuvor als Hohe Frau getan ab. Die erbsengroßen Warzen auf seiner hatte. Er lag auf einer der Medostationen langen Schnauze glänzten im Licht der und starrte die meiste Zeit blicklos in die Kabinenbeleuchtung. »Es ist wohl der Luft. Meine Versuche, zu ihm durchzudringen, waren allesamt
Rüdiger Schäfer gescheitert. Dennoch hatten unsere Gastgeber darauf bestanden, den Raum energetisch abzusichern. Natürlich drängten die Maulspindler, allen voran Dunkelhein, darauf, dass wir GEM45 so schnell wie möglich verließen. Mit den neuen Legitimationen stand uns praktisch das gesamte Gondelsystem offen. Doch nach der Meldung über die unmittelbar bevorstehende Ankunft eines Grün-Nomaden auf der Flachstation hatte ich gezögert. Ursprünglich war ich mit Jolo zusammen aufgebrochen, um ein Sammelloch, eine Art Handelsplatz, zu erreichen, wo ich einen Grün-Nomaden namens Luck der Proporze zu treffen hoffte. Wie wahrscheinlich war es, dass sich ausgerechnet dieser nun auf dem Weg nach GEM-45 befand? Es gibt nicht einen einzigen fundierten Anhaltspunkt, der auf eine Falle schließen ließe, wisperte der Extrasinn. Du bist weder lange genug hier, noch hast du ausreichend Aufmerksamkeit erregt, um anderes zu vermuten. Das weiß ich, dachte ich zornig. Darf ich mir dennoch Sorgen machen? Selbstverständlich, lautete die knappe Entgegnung. Aber manchmal ist ein Zufall einfach nur ein Zufall. Ich seufzte laut, was Jolo tatsächlich dazu brachte, für einen Moment von seiner Mahlzeit abzulassen und mir einen besorgten Blick zuzuwerfen. Als er erkannte, dass kein Grund zur Besorgnis bestand, versenkte er seine Schnauze wieder in der Schüssel. Die Grün-Nomaden schienen auf jeden Fall ein bedeutender Machtfaktor innerhalb dieses Teils der Intrawelt zu sein. Bislang stand ich mit meiner Suche nach dem Flammenstaub praktisch noch bei null nichts als Fetzen von Gerüchten, die selbst wiederum auf Hörensagen beruhten, waren mir bisher zu Ohren gekommen. Und um alles noch schlimmer zu machen: Peonu, ein Geschöpf des Chaos, hatte mich an sich gekettet, indem er mir einen Splitter meiner Seele geraubt hatte. Seitdem war es mir nicht mehr möglich, gegen ihn `vorzugehen, obwohl ich ihn am liebsten
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Konvent der Händler zerfleischt hätte. Dieser Bastard ...! Ich würde mich an ihm rächen und meine Seele zurückholen, das schwor ich mir nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen. Irgendwie. Irgendwann. Zuvorderst stand derzeit die Suche nach dem Flammenstaub. Gondelsystem hin oder her - es brachte herzlich wenig, wenn ich auf gut Glück durch die Parzellen jagte, von denen es Tausende geben musste, und darauf vertraute, dass die Sternengötter mir schon irgendwann den Weg weisen würden. Wenn die Grün-Nomaden weit herumkamen, und genau das ließ ihr Name - vermuten, bestand immerhin eine Chance, dass sie mir mit Informationen aushelfen konnten. Und hatte nicht auch Ritz Toyd behauptet, dass Luck und seine Artgenossen unter anderem mit solchen Informationen handelten? Ich will dich nicht desillusionieren, aber Ritz Toyd erwähnte ebenfalls, dass sie sich diese Informationen gut bezahlen lassen, meldete sich mein Logiksektor erneut. Was beabsichtigst du ihnen als Gegenleistung anzubieten? Darüber denke ich noch nach, gab ich unfreundlich zurück. Abermals rollte eine Welle aus Wut und Bitterkeit aus den Tiefen meines Unterbewusstseins heran und spülte jede klare Überlegung beiseite. Ich versenkte mich für einige Sekunden in eine Dagorübung, sog die Luft tief durch die Nase ein und atmete langsam aus dem Mund wieder aus, doch es half nichts. Die Unruhe, ja die Angst ob meines Zustands blieb. Wie hatte es Peonu formuliert? Ein Teil deiner Seele gehört jetzt mir. Und nur, wenn du schön folgsam bist, bekommst du ihn - womöglich - wieder zurück. Er hatte mich überrumpelt, ausgetrickst wie einen blutigen Anfänger, und vielleicht war die furchtbare innere Leere, die ich seitdem empfand, die gerechte Strafe für meine Nachlässigkeit. Die Aussage, nur jemand, der schon jenseits der Materiequellen gewesen sei, könne den Flammenstaub bergen und zurückkehren, hatte mich in falscher Sicherheit gewiegt. Von dieser Sorte gab es nämlich nicht allzu viele und schon gar keine in der näheren
Rüdiger Schäfer
Umgebung der Milchstraße, soviel ich wusste. Was ich nicht bedacht hatte: Diese Bedingung hinderte niemanden daran, die Intrawelt zu betreten - und , es war töricht auszuschließen, dass nicht auch die Mächte des Chaos - jenseits der Materiesenken, die ihrerseits nichts als negative Pendants zu den Materiequellen waren - Sucher hierher geschickt hatten. Meine Hybris angesichts meiner Einzigartigkeit hatte verhindert, dass ich mir ernsthaft über unsere taktische und strategische Lage Gedanken machte. Hör endlich auf, dich selbst zu bedauern, schickte der Logiksektor einen scharfen Impuls. Du bist nicht unfehlbar, auch wenn du dich ab und an dafür hältst. Ich spürte den Kloß in meiner Kehle größer werden. Hatte mich Peonu nicht nur eines Teils meiner Seele beraubt, sondern auch der Essenz dessen, was ich jahrtausendelang zu meinen Prinzipien gemacht, was mich während zahlloser kritischer Situationen aufrecht gehalten hatte? Er hatte nicht nur meinen Geist vergewaltigt und mir die Würde genommen, die jedem Lebewesen dieses Universums ohne Ausnahme und Einschränkung zustand. Oh nein, er hatte weitaus Abscheulicheres getan. Er hatte mein Innerstes nach außen gekehrt und ein Stück davon herausgerissen. Er hatte mir eine Wunde geschlagen, die schlimmer und schmerzhafter war als jede andere Verletzung, die ich im Laufe meines Daseins hatte erleiden müssen, und deren Narben ich bis heute als Erinnerung an so manchen Kampf auf Leben und Tod am Körper mit mir trug. Seit der Begegnung mit Peonu war ich unvollständig; es gab kein besseres Wort dafür. In mir herrschte eine Art Vakuum, eine emotionale Ödnis, die mit nichts vergleichbar war, was ich jemals erlebt hatte. Die meiste Zeit gelang es mir, das Loch in meiner Psyche zu ignorieren, mich abzulenken, die quälenden Fragen und Gedanken in den hintersten Winkel meines Verstandes zu schieben, doch des Nachts, wenn die Kunstsonne sich mit ihrem metallischen Klicken abschaltete und die sternenlose Dunkelheit einkehrte, wenn ich
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Konvent der Händler allein auf meinem Lager ruhte und sich der Schlaf nicht einstellen wollte, dann kamen die Zweifel zurück - erbarmungsloser und beklemmender als zuvor. Was, wenn es mir nicht gelang, Peonu zu bezwingen? Was, wenn er die Intrawelt verließ und das, was er mir gestohlen hatte, mit sich nahm? Auf der fernen Erde hatte ich einst 10.000 Jahre Einsamkeit und Isolation ertragen. Wie lange würde ich ohne ein Stück meiner selbst bestehen? Wann würde ich den Verstand verlieren? Würde das Gefühl des Verlusts jemals verschwinden? Konnte man sich daran gewöhnen, nicht ganz zu sein? Peonu ist ein erbärmlicher Parasit, beendete der Extrasinn meinen stummen Monolog. Selten zuvor hatte ich so viel Groll in der leisen Stimme meines zweiten Ichs gespürt. Und wenn wir ihm das nächste Mal begegnen, wird er für das, was er dir angetan hat, bezahlen. Du hast Recht, gab ich mental zurück. Der Kampf ist noch nicht zu Ende! Für einen Moment waren die alte Entschlossenheit und mein Vertrauen in die Zukunft und die eigenen Fähigkeiten wieder da, und diesmal gelang es mir, sie festzuhalten. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Seelen oder Teile davon der Lutvenide bereits gestohlen hatte, doch ich würde dafür sorgen, dass er sich an der meinen verschluckte! * Das Große Thongning wird sich zusammenfinden am zehnten Tage. So ist es verfügt und beschlossen. In Gedanken rezitierte Ogni der Pielok immer wieder die Botschaft. Er kannte sie längst in- und auswendig, und doch gab ihm ihr beruhigendes Echo neue Stärke. Sie war die letzte Quelle der Kraft, die ihm geblieben war. Wann hatte er aufgehört, die Sonnenwechsel zu zählen? Wann waren die von seinen Artgenossen gelegten Kerbsteine am Rand der kaum sichtbaren Pfade zum ersten Mal vor seinen Augen verschwommen? Ogni kannte die Antworten auf diese Fragen nicht. Er hätte
Rüdiger Schäfer nicht einmal mehr zu sagen vermocht, welche der zahllosen Parzellen dieser Welt er gerade durcheilte. Die überbeanspruchten Muskeln in seinen vorderen Laufgliedern schmerzten, doch er versagte es sich, auf das hintere Beinpaar zu wechseln. Das Ende seiner Reise war mindestens noch einen halben Sonnenwechsel entfernt, und nur die Traumdeuter mochten ahnen, welche Strapazen ihm das Schicksal bis dahin auferlegen würde. Ogni der Pielok wird gehen nach Karaporum. Er wird aufsuchen Luck den Proporzen und ihm bestellen das Gebot der Ältesten. Mit der Sekunde, in der er die Worte seiner Auftraggeber empfangen und sich unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt hatte, war ihr Inhalt zum Mittelpunkt seines Denkens geworden. Hunderte anderer Pieloks waren gemeinsam mit ihm in alle Richtungen ausgeschwärmt, jeder von ihnen mit der Botschaft für den Ältesten eines Clans im Kopf - und jeder von dem leidenschaftlichen Verlangen gepackt, seine Mission zu erfüllen. Ogni konnte sich auf seinen Orientierungssinn verlassen. Die Pieloks waren überall dafür bekannt, dass sie sich in fremder Umgebung wie sonst kaum jemand zurechtfanden. Zwar reichten ihre entsprechenden Fähigkeiten nicht einmal ansatzweise an die sagenhaften Begabungen der Maulspindler heran, doch als Kuriere zwischen den Parzellen leisteten sie wertvolle Dienste. Luck der Proporze wird sich unverzüglich begeben nach Pregesbau. Dort sei er willkommen und erwartet als Gleicher unter Gleichen. Ogni war erschöpft, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass das Schlimmste bereits hinter ihm lag. Auch diesmal würde Ogni der Pielok den Empfänger der Botschaft erreichen. So, wie er es schon viele hundert Male zuvor getan hatte. Nach ein oder zwei Sonnenwechseln Rast würde sich dann ein neuer Auftraggeber finden, eine neue Nachricht, die es zu überbringen
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Konvent der Händler galt. Das war der Lauf der Dinge. Und das würde er immer sein. Als die Sonne ihr deutlich vernehmbares Knacken über das Land schickte und danach langsam zu verblassen begann, war Ogni ein gutes Stück vorangekommen. Er wechselte die Beinpaare und genoss für ein paar köstliche Augenblicke den nun nachlassenden Schmerz. Nicht mehr lange, und er war am Ziel. Die Genugtuung über den erfolgreichen Abschluss eines weiteren Auftrags würde seine größte Belohnung sein. * Wenn Luck der Proporze unzufrieden war, dann bekam das jeder im Zug zu spüren. Und der Grün-Nomade war oft unzufrieden. An diesem Morgen jedoch war es besonders schlimm. Selbst diejenigen, die den Zug seit vielen hundert Tagen begleiteten, konnten sich nicht erinnern, den Händler jemals so mürrisch und unausstehlich erlebt zu haben. Vermutlich hing Lucks Laune mit dem Pielok zusammen, der kurz nach Einbruch der letzten Dunkelphase im Lager angekommen war. Der kleine Kerl war am Ende seiner Kräfte gewesen, und selbst die sonst so kühl und gleichgültig wirkenden Söldner, die für die Sicherheit des GrünNomaden und seines Zuges verantwortlich waren, hatten mit feuchten Sehschlitzen auf den von einer langen Reise durch Wind und Wetter gezeichneten Boten geblickt. Nicht so Luck der Proporze. Er hatte den schwer atmend auf dem Boden liegenden Pielok unsanft mit einem seiner riesigen Hauer angestoßen, und als dieser keine Anstalten machte, von allein wieder auf eines seiner beiden Beinpaare zu kommen, zwei seiner Hände angewiesen, den Boten in sein Wohnzelt zu bringen. Als die Sonne die Dunkelphase schließlich mit dem üblichen Knacken beendete und Luck der Proporze kurz darauf schwerfällig aus seinem Zelt trottete, wussten alle, dass dieser Tag kein guter Tag werden würde. Der gewaltige Hängebauch des mit seiner pechschwarzen
Rüdiger Schäfer Lederhaut, den kugelrunden, weit vorstehenden Augen und dem mehr als drei Meter langen Körper imposant wirkenden Händlers schleifte fast auf der kleinen, vom Morgentau feuchten Grasfläche vor der hölzernen Tränke. Luck senkte seine flache Schnauze in den mit klarem Wasser gefüllten Trog, bis die an beiden Seiten des lippenlosen Mundes herausragenden Hauer Grund berührten, und trank geräuschvoll. Sein lautes Rülpsen danach wirkte beinahe wie ein Signal. Selbstverständlich waren die Söldner, Diener, Sklaven, kurz: sämtliche Angehörigen des Zuges, bereits wach, um die Vorbereitungen zur Weiterreise zu treffen. Für gewöhnlich verschlief Luck der Proporze die Dämmerphase und kam erst aus seinem Zelt, wenn die Sonne ihre volle Leuchtkraft entfaltete. Als er nun weit vor seiner Zeit den runden Platz um die große Feuerstelle betrat und den mächtigen Kopf hin und her bewegte, versuchte jeder so beschäftigt wie irgend möglich auszusehen. Nur nicht auffallen. Unter keinen Umständen die Aufmerksamkeit des Händlers auf sich ziehen. Lediglich die unter einem riesigen Baldachin am Rand des Lagers untergebrachten Shiwasonzen, sonst eher träge und nur schwer für andere Dinge außer Fressen und Schlafen zu interessieren, erhoben sich grunzend auf ihre vier stämmigen Beine und versammelten sich am Rand ihres Lagerplatzes. »Wo ist Tuxit!« Die Stimme des Händlers übertönte mühelos die von den eifrig arbeitenden Zugangehörigen erzeugte Geräuschkulisse und ließ selbst den Dhedeen auf seiner Schulter aufgeregt mit den breiten Flügeln schlagen. Ein junger Raberke, der dem Tross von Luck dem Proporzen noch nicht lange genug angehörte, um zu wissen, dass er sich in Lebensgefahr begab, entfernte sich einen Schritt von der Feuerstelle. Er hatte dort einen in der Nacht erlegten Grolk gehäutet und für die spätere Zubereitung präpariert. Zwar ernährte Luck selbst sich
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Konvent der Händler ausschließlich von pflanzlicher Kost, doch vor allem seine Söldner, die ausnahmslos dem in der Parzelle Sirothurn heimischen Bergvolk der Iotaren angehörten, bevorzugten bereits zum Frühstück einen saftigen Braten. »Tuxit ist in seinem Zelt, Herr«, sagte der Raberke. Er sah das Unheil nicht einmal kommen. So unförmig und langsam Luck der Proporze auf den ersten Blick auch aussehen mochte, so flink und unvermittelt vermochte er sich zu bewegen wenn es darauf ankam. Sein Schädel ruckte nach vorn, und die von den Händen jeden Tag sorgfältig geputzte Spitze seines rechten Hauers durchstieß die Schulter des Jungen, als handele es sich um eines der weichen Federkissen, die sein Lager im Wohnzelt polsterten. Der markerschütternde Schrei des Raberken ließ die Zugangehörigen in ihren Verrichtungen innehalten. Der Junge versuchte verzweifelt und unter beständigem Stöhnen, sich zu befreien, doch der Hauer steckte zu tief im Fleisch. Er musste furchtbare Schmerzen haben. Erst als Luck eine weitere heftige Bewegung mit seinem Kopf vollführte, löste sich der Zahn und hinterließ eine heftig blutende Wunde. Der Raberke stürzte zu Boden; in den tränennassen Augen spiegelte sich trotz seiner Qualen ungläubige Verwirrung. »Das nächste Mal«, grollte Luck der Proporze, »wirst du meine Zeit nicht mit nutzlosem Geschwätz vergeuden, sondern losrennen und den, den ich suche, zu mir bringen. Hast du das verstanden?« Der Junge nickte; sein Mund war eine schmale Linie. Schweiß lief ihm in breiten Bächen über das Gesicht, aus dem alle Farbe gewichen war. Er benötigte schleunigst medizinische Hilfe, wenn er nicht verbluten wollte. Möglicherweise würde ihn aber auch der Wundschock vorher töten. Für Luck den Proporzen war die Angelegenheit damit erledigt. Ohne den vor ihm liegenden Raberken eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte er sich um und
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Rüdiger Schäfer stampfte in Richtung der Sklavenzelte davon. * Wie immer erfasste ihn ein seltsames Gefühl der Befangenheit, als Luck der Proporze seinem Erzählsklaven gegenübertrat. Tuxit bewohnte als Einziger der acht Unfreien des Zuges ein eigenes Zelt. Gleichzeitig war er auch der Älteste unter ihnen. Luck hatte ihn vor mehr als 60.000 Tagen von seinem Großelter Furk dem Adjunten übernommen, und niemand wusste, wie lange er diesem bereits gedient hatte. Tuxit hatte sich in einer Ecke seines spartanisch eingerichteten Zeltes wieder einmal eine Kuhle gegraben, sich hineingekauert und den Kopf eng an den massigen Körper gezogen. Das tat er häufig, und oft verharrte er stundenlang beinahe regungslos in dieser Position. Der Seelenkrämer mochte wissen, was dann in seinem Kopf vor sich ging. An der hellgrauen Farbe der Halskrause des Sklaven erkannte Luck, dass dieser einmal mehr Trübsal blies. Früher war Tuxit fraglos eine eindrucksvolle Erscheinung gewesen. Mit seinen mehr als zwei Metern Körpergröße, den stämmigen schwarzen Beinen und dem massiven, von einem dichten, schwarzgrauen Federkleid bedeckten Leib erweckte er einen unterschwelligen Eindruck von Entschlossenheit und Tatkraft. Die in langen scharfen Krallen endenden Doppelzehen und der das Gesicht mit den kugelrunden schwarzen Augen beherrschende orange gefärbte Hackschnabel signalisierten zudem jedem Gegner, dass sich Tuxit zu wehren verstand. Wenn man ihn dann jedoch in Aktion sah, ihm gegenüberstand und mit ihm sprach, entpuppte sich diese erste Einschätzung sehr schnell als übereilt. Tuxit gab nicht viel auf Äußerlichkeiten. Außer einem breiten, ledernen Band, das er sich quer um den Körper geschlungen hatte, trug er keine Kleidung. Seine dünnen Ärmchen, die an nutzlose Flügelstummel
Konvent der Händler erinnerten und meist unter dem Gefieder verborgen waren, zuckten nervös. Es sah aus, als würde unter dem Flaum ein Nest von Wüstenschlangen wimmeln. Auch sonst ließ das Federkleid des Sklaven nicht vermuten, dass die tägliche Körperpflege zu seinen bevorzugten Tätigkeiten gehörte. An mehreren Stellen waren die Federn ausgefallen und offenbarten nackte, grobporige Haut. Auf der Rückseite des massigen Körpers standen sie dagegen wirr in alle Richtungen. Darunter schimmerten eine Reihe langer roter Striemen Andenken an die gelegentlichen Züchtigungen, die Luck der Proporze dem Vogelwesen angedeihen ließ. »Ich werde in Kürze nach Pregesbau aufbrechen«, begann der Händler ohne lange Umschweife. »Du wirst mich begleiten und auf der Reise für meine Unterhaltung sorgen.« Tuxit ließ den Kopf mehrfach vor- und zurückschnellen, wobei seine knapp zehn Zentimeter lange, dunkelrote Hautfalte am Halsansatz hektisch zu schaukeln begann. Der ebenfalls dunkelrote vierzackige Kamm lag dagegen wie abgestorben auf dem Schnabelansatz. Dann erhob er sich langsam aus seiner kauernden Stellung und richtete den Blick auf sein Gegenüber. Es kostete Luck einige Überwindung, nicht zurückzuweichen. Der Erzählsklave hob das rechte Bein und begann sich mit den hornigen Zehen intensiv zu kratzen. Das bunt schillernde Federbüschel am Hinterteil - wenn sich der Händler korrekt erinnerte, hatte es Tuxit einmal als Blümchen bezeichnet – geriet in raschelnde Bewegung. Dann erklang von dort ein lang gezogenes, dumpfes Geräusch, und Luck dem Proporzen stieg ein betäubender Gestank in die weiten Nüstern. Jeden anderen, der sich in seiner Gegenwart eine solche Respektlosigkeit zuschulden kommen ließe, hätte der GrünNomade auf der Stelle foltern und schließlich hinrichten lassen. Bei Tuxit war das anders. Den Sklaven umgab eine nur schwer zu definierende Aura aus Trostlosigkeit, eine alles überdeckende
Rüdiger Schäfer Schwermut, die jede seiner Bewegungen, jede Geste und jeden Blick wie ein Mantel aus schwarzem Brolit umhüllte. Luck der Proporze war kein Dummkopf. Die Wirkung, die Tuxit auf ihn und auf fast jeden anderen ausübte, verunsicherte ihn zwar, doch er wusste auch, dass sie ihm schon oft zum Vorteil gereicht hatte. Erst vor wenigen Tagen waren die Verhandlungen über eine neue Erzkarawane zu den Pikiti in ihre entscheidende Phase getreten. Er hatte die vier Kontraktoren des Stadtrates in seinem Wohnzelt empfangen und ihnen seine Forderungen vorgetragen, die ein neutraler Grün-Nomade nicht ganz zu Unrecht als anmaßend bezeichnet hätte. Wie abgesprochen war kurz danach Tuxit eingetreten und hatte Wein und Früchte aufgetragen. Zehn Minuten später war der Vertrag geschlossen; die vier Pikiti hatten das vorbereitete Pergament anstandslos unterzeichnet. Es war das Gefühl fehlender Kontrolle, das den Händler nervös machte. Manchmal, wenn er den scheinbar ziellos im Lager herumstreunenden Tuxit heimlich beobachtete, glaubte er die tonnenschwere Last förmlich zu sehen, die der Sklave auf seinen Schultern trug. Immer wieder hatte er das Vogelwesen nach seiner Vergangenheit gefragt, nach der Zeit, bevor es Furk dem Adjunten gedient hatte, doch selbst Peitschenhiebe und glühende Eisen waren nicht in der Lage gewesen, die Zunge des Unfreien zu lösen. Möglicherweise entsprachen seine Beteuerungen, es einfach nicht zu wissen, auch der Wahrheit. »Ich werde Euch unterhalten, Herr«, sagte Tuxit in seiner wundervollen Baritonstimme. »So, wie ich es bislang immer getan habe.« »Du hast es versucht,« brummte Luck der Proporze mürrisch. Ihm war klar, dass er den Erzählsklaven lediglich seine gegenwärtig schlechte Laune spüren ließ, doch das war ihm in diesen Minuten gleichgültig. Was immer Tuxit auch sein mochte - er war sein Eigentum, und der
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Konvent der Händler Händler konnte mit ihm tun und lassen, was ihm beliebte. »Pack ein, was du brauchst. Ich muss in fünf Tagen im Schwarzgebiet sein. Wir brechen auf, sobald die Dämmerphase vorüber ist.« »Ja, Herr«, erwiderte Tuxit unterwürfig. Das Letzte, was Luck der Proporze hörte, als er das Zelt des Vogelwesens verließ, war ein lang gezogener Abschiedsgruß aus den Gedärmen des Erzählsklaven. 2. »Die sind ja völlig durchgedreht. Man könnte meinen, die Erbauer der Intrawelt kämen persönlich zu Besuch.« Jolo wischte sich mit der rechten Handtatze über das breiverschmierte Maul und beobachtete die Aktivitäten zweier Maulspindler ohne wirkliches Interesse. Die entfernt spinnenähnlichen Wesen waren damit beschäftigt die Station auf die Ankunft von Luck dem Proporzen vorzubereiten, und auch wenn ich das Gebaren der seltsamen Verwalter des Gondelsystems nicht mit letzter Sicherheit zu deuten wusste, so machten sie doch einen überaus nervösen Eindruck. »Wäre es dir eventuell möglich«, wandte ich mich an die kleine Echse, die sich soeben wieder auf den Weg zum nächsten Nahrungsspender machte, »deine Fressorgie für ein paar Minuten zu unterbrechen und mir mehr über die GrünNomaden zu erzählen?« »Aber mich hungert«, beschwerte sich Jolo und warf mir einen Blick zu, der selbst bei einem Haluter in der Drangwäsche sämtliche Mutterinstinkte geweckt hätte. »Damit verrätst du mir nichts Neues«, seufzte ich. »Du solltest jedoch nicht vergessen, wem du deine derzeitigen Privilegien zu verdanken hast. So ein Nahrungsspender kann sehr schnell stillgelegt werden.« »Das würdest du nicht tun«, stieß Jolo erschüttert hervor. Als ich in sein Gesicht sah, übermannten mich für einen Moment entsetzliche Schuldgefühle. Dann kam der Impuls des Logiksektors, und ich hatte
Rüdiger Schäfer mich wieder in der Gewalt. Ich unterdrückte die aufsteigende Wut. Dieser manipulierende Zwerg trieb mich noch in den Wahnsinn. »Es würde mir natürlich das Herz brechen«, sagte ich beherrscht. »Aber wenn du mir keine andere Wahl lässt, muss ...« »Na schön«, gab das Echsenwesen nach. »Stört es dich, wenn ich beim Erzählen etwas esse?« »Würde es einen Unterschied machen?«, stellte ich die Gegenfrage. Statt einer Antwort wieselte Jolo zum Nahrungsspender hinüber und orderte eine weitere Schüssel dampfenden Breis. »Was willst du wissen?«, erkundigte er sich, als er sich mit seinem Imbiss demonstrativ vor meinen Füßen platziert hatte. »Kennst du Luck den Proporzen näher?«, fragte ich. »Nein«, antwortete Jolo mit vollem Maul. »Jedenfalls nicht persönlich.« Der Brei quoll rechts und links seiner langen Kiefer heraus und tropfte zurück in die Schüssel und auf den Boden. Ich nahm es mit der gebotenen Gelassenheit, hatte ich während meiner diversen Abenteuer durch die Jahrtausende hindurch doch schon Zeitgenossen mit weit unappetitlicheren Tischmanieren kennen gelernt. »Die Grün-Nomaden trifft man vornehmlich in den Randparzellen«, sprach die kleine Echse unaufgefordert weiter. »Niemand weiß genau, wie viele Parzellen das Nomadengebiet genau umfasst, aber es sind einige. Sie handeln mit allem, was Profit bringt, hauptsächlich mit Sklaven.« »Und wie viele davon haben du und Jamoklias ihnen geliefert?« Ich hatte nicht die Absicht, den Kleinen zu kränken, zumal er mir vor einigen Stunden praktisch das Leben gerettet hatte; doch der Gedanke an all die Unschuldigen, die Jolo leichthin zu einem Leben in Unfreiheit und Knechtschaft verdammt hatte, machte mich zornig. Schließlich hatte er auch mir ein solches Schicksal zugedacht. »Bist du mir etwa immer noch böse?«, wollte das Echsenwesen erstaunt wissen.
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Konvent der Händler Ich hob beide Hände in einer resignierenden Geste. »Ich wünsche dir«, sagte ich leise, »dass du niemals erfahren musst, was Sklaverei bedeutet.« Jolo starrte mich einen Moment lang an, stieß dann ein lautes Zischen aus und aß weiter. »Ist das etwa schon alles, was du mir sagen kannst?«, bohrte ich nach, als der Kleine schwieg. Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit meinem Begleiter über Dinge wie Gewissen oder Verantwortung zu streiten. Vielleicht tat ich ihm auch unrecht. Die Intrawelt war ein Ort, an dem sich die meisten Bewohner selbst am nächsten waren. Oft genug ging es ums Überleben, waren die Ressourcen knapp und die Konkurrenten zahlreich. Dann hieß es fressen oder gefressen werden. Wer war ich, dass ich mich hier als Moralapostel aufspielte? Zudem war mir erst ein verschwindend geringer Teil dieses gigantischen Hohlplaneten bekannt. In anderen Parzellen mochten völlig unterschiedliche Verhältnisse herrschen. »Mehr oder weniger«, schmatzte Jolo. »Die Nomaden sind in eine ganze Reihe von Stämmen und Clans zergliedert, und die Grünen gehören nicht unbedingt zu den bedeutendsten unter ihnen. Luck besitzt drei oder vier Karawanen, zwischen deren Routen und Sammellöchern er immer wieder pendelt. Meistens benutzt er dazu das Gondelsystem. Man sagt, Bequemlichkeit ginge ihm über alles.« »Wie sehen die Geschäfte der Nomaden im Detail aus?«, forschte ich weiter. »Meines Wissens gibt es keine allgemeingültige Währung in der Intrawelt.« »Wozu? Sie sammeln«, sagte Jolo. Er hatte die Schüssel in Rekordzeit geleert und leckte die letzten Breireste von den Lippen. »Bei allen Göttern Arkons«, rief ich lauter als beabsichtigt. »Lass dir nicht jedes Wort einzeln aus der Nase ziehen.« Der verwirrte Blick des Echsenwesens machte deutlich, dass der Dhedeen auf meiner Schulter mit terranischen Redewendungen seine Probleme hatte. »Erzähl mir einfach alles, was du weißt. Im Zusammenhang und ohne dass ich jedes
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Mal nachfragen muss«, präzisierte ich meine Wünsche. »Die Nomaden sammeln, seit ich denken kann«, sagte Jolo. »Sie sind an allem interessiert, was auch nur im Entferntesten mit Hochtechnologie zu tun hat insbesondere, wenn sich diese als Waffe einsetzen lässt. Gerüchte behaupten, sie hätten über die Jahrtausende schier aberwitzige Reichtümer angehäuft und großen Einfluss gewonnen. Was sie letztlich damit anfangen wollen, weiß dagegen niemand.« Dieser Luck dürfte ein äußerst interessanter Gesprächspartner für dich sein, wisperte der Extrasinn. Die Nomaden sind offenbar ein nicht zu vernachlässigender Machtfaktor innerhalb der Intrawelt. »Fertig?«, unterbrach Jolo meine Gedanken. »Wieso?«, fragte ich abwesend. Das Echsenwesen deutete mit beiden Handtatzen in Richtung des Nahrungsspenders. »Für eine klitzekleine Mahlzeit wäre noch Platz.« * Luck der Proporze wälzte sich rastlos auf seinem Lager hin und her. In weniger als zwei Stunden würde die Gondel die Flachstation GEM-45 erreichen. Dort war ein kurzer Zwischenhalt auf dem Weg nach Pregesbau eingeplant. Der Händler hatte eine Reihe von Säcken mit wertvollen Mineralien an Bord, die er an die Maulspindler auszuhändigen gedachte. Die Betreiber des Gondelsystems benötigten die Rohstoffe unter anderem für die Erzeugung der dünnen, aber extrem reißfesten Transportfäden, die die Stationen miteinander verbanden. Als Ausgleich für ihre Lieferungen erhielten die Nomaden annähernd unbeschränktes Zugangs- und Nutzungsrecht der Gondeln. Luck hielt das anstehende Thongning ebenso wie all die anderen Versammlungen zuvor - für pure Zeitverschwendung. Als der Pielok ihm vor zwei Tagen die Einladung überbracht
Konvent der Händler hatte, war seine Stimmung deshalb sofort auf den Tiefpunkt gesunken. Eigentlich. war es weniger eine Einladung als vielmehr eine Anordnung gewesen. Luck hatte bereits eine erkleckliche Anzahl von Thongnings unter Vorschub von dringender Angelegenheiten versäumt. Deshalb hatten die Ältesten ihre Botschaft diesmal absolut unmissverständlich formuliert. Seine Anwesenheit war kein Wunsch, sondern ein Befehl, und er tat gut daran, diesem Befehl Folge zu leisten. Die Reise nach Pregesbau sowie die Teilnahme an der Konferenz würden ihn mindestens acht Tage kosten - Zeit, die er nicht hatte. Die Geschäfte gingen alles andere als gut, und die letzten Abschlüsse hatten weit weniger Erträge geliefert als erwartet. Schlimmer noch: An das letzte Fundstück konnte sich der Grün-Nomade schon kaum mehr erinnern. Seine Mittler und Karawanen hatten seit über 100 Tagen nichts mehr aufgetrieben. Es schien fast so, als seien die Randparzellen trotz ihrer immensen Größe inzwischen leer geräumt. Es verstieß gegen alle Grundsätze von Luck dem Proporzen, in dieser Phase des persönlichen wirtschaftlichen Abschwungs sinnlose Debatten abzuhalten und kluge Reden zu schwingen. Auch wenn er als Händler die hohe Politik als wichtigen Erfolgsfaktor nicht ignorieren konnte, so hasste er sie doch von Herzen. Das Treffen der Ältesten aller Nomadenstämme mochte in den frühen Tagen große Bedeutung gehabt haben, doch mit der Zeit war es zu einem Forum der Eitelkeiten verkommen. Nur noch selten wurden Pläne geschmiedet und Entscheidungen getroffen, die Profit erwirtschafteten. Stattdessen erging man sich in protziger Selbstdarstellung und leerem Gerede. Die verschiedenen Stämme beobachteten einander mit Argwohn, manchmal sogar mit offenem Abscheu. Aus dem ehemals gemeinsamen Ziel war längst eine Farce geworden. Luck hatte lange gebraucht, um zu begreifen, dass er allein nichts an diesem Zustand ändern konnte, und noch länger, um einzusehen, dass er unter seinesgleichen niemals eine ausreichend
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große Zahl von Verbündeten für seine Pläne finden konnte. Die Tatsache, dass er mittlerweile ein für Grün-Nomaden beachtliches Alter erreicht hatte, setzte ihn zusätzlich unter Druck. Wenn er noch etwas zum Guten wenden wollte, dann musste das bald geschehen. Mit einem unwilligen Grunzen verscheuchte Luck der Proporze eine der Hände, die mit einem Tablett voll appetitlich hergerichteter Guris-Wurzeln an sein Lager getreten war. Der Diener brachte sich eilig aus der Reichweite seines Herrn, denn oft genug verlieh dieser entsprechenden verbalen Unmutsäußerungen mit einem kräftigen Tritt seiner Vorderbeine den nötigen Nachdruck. »Tuxit!«, rief Luck mürrisch. »Komm her und erzähl mir eine Geschichte.« Der Sklave, der bis dahin in einer Ecke des großen, im Zentrum der Gondel liegenden Aufenthaltsraums gekauert hatte, erhob sich, stakste umständlich heran und senkte demütig den Kopf. »Habt Ihr einen bestimmten Wunsch, Herr?«, fragte er. Seine Halskrause leuchtete in einem hellen Blau, Lucks Erfahrung nach so etwas wie Ausdruck von Vorfreude. Manchmal hatte der Händler den Eindruck, dass das Erzählen seiner Geschichten die einzige Beschäftigung war, die dem Vogelwesen so etwas wie Befriedigung verschaffte, und auch wenn Luck es niemals offen zugeben würde, so war Tuxit ein wahrer Meister seiner Kunst. »Hör auf, mich mit dummen Fragen zu löchern, und fang an«, knurrte Luck der Proporze. In der nachfolgenden Stunde gelang es dem Grün-Nomaden tatsächlich, seine Verdrossenheit zu vergessen. Tuxit spann die Fäden seiner Schilderung feiner, als es je ein Maulspindler mit einem Gondelfaden hätte tun können. Er reihte Höhepunkte und Spannungswechsel wie die Karfunkel einer Halskette aneinander und setzte schließlich ein bewegendes Finale, das zwei der anwesenden Diener in Tränen ausbrechen ließ.
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Konvent der Händler Über solche Gefühlsduselei konnte Luck der Proporze nur lachen. Schon Sekunden nachdem Tuxit geendet hatte, waren seine Verbitterung und der Zorn auf alles und jeden zurückgekehrt. Er versetzte dem Sklaven einen brutalen Tritt dorthin, wo der kräftige Leib in den Halsansatz überging. Das Vogelwesen fiel mit einem erstickten Stöhnen nach hinten und krümmte sich vor Schmerz. Der Händler stieß ein bösartiges Lachen aus. »Schluss mit dem Gekrächze«, rief er verächtlich. Dann wandte er sich an seine Hände, die sich angsterfüllt an die Wand des Aufenthaltsraums drückten. »Schafft mir diesen erbärmlichen Langweiler aus den Augen!«, schrie er sie an. Sein breiter lippenloser Mund verzog sich zu einem diabolischen Lächeln. »Und vergesst nicht, ihm den verdienten Lohn für seine beklagenswerte Darbietung zu geben. Ich denke, dass dreißig Peitschenhiebe angemessen sind.« Wie immer trug er seine Befehle in jenem abgehackten Singsang vor, den die von Geburt an stummen und so gut wie tauben Hände als einzige Kommunikationsform verstanden. Kurz darauf klang das Knallen der schweren Lederpeitsche durch die Gänge und Räume der Gondel. Luck der Proporze lauschte den kurzen, spitzen Schreien Tuxits hinterher, die auf jeden neuen Hieb folgten, doch die Züchtigung des Sklaven verschaffte ihm nicht das Vergnügen, das er sich davon erhofft hatte. Dennoch unterbrach er das entwürdigende Schauspiel nicht. Tuxit war sein Eigentum, und der Händler konnte mit ihm tun und lassen, was ihm beliebte. * »Wie geht es ihr ... ihm?« Ich hatte mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass Albia, die Hohe Frau, nun Albion - der Breite Mann - war: Äußerlich sah meine ehemalige Weggefährtin beinahe aus wie immer. Der gelbliche, grob geschuppte Schneckenleib lag regungslos auf einer energetisch gepolsterten Pritsche. Die beiden sonst
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ständig hin- und herpendelnden Kopffühler bewegten sich kaum. Lediglich die drei früher dünnen, beinahe wie verkümmert aussehenden Armpaare hatten sich deutlich verändert, waren jetzt kräftig und muskulös - und fast zwei Meter lang. Was der Breite Mann mit den neuen Extremitäten anrichten konnte, hatte ich während seines Amoklaufs selbst erlebt. »Körperlich fehlt ihm nichts«, behauptete der Maulspindler, der sich als Grogendur vorgestellt hatte. Ich starrte in zwei seiner vier großen Facettenaugen. Das angenehm warme Licht der Krankenstation erzeugte darin unzählige Reflexe. »Er ist transportfähig und kann GEM-45 jederzeit verlassen«, fügte Grogendur hinzu, als ich nicht sofort reagierte. »Du kannst ihn gleich mitnehmen. Soll ich eine Gondel für dich und deine Gefährten bereitmachen?« »Dein Diensteifer wird nur noch von deiner Gastfreundschaft übertroffen«, erwiderte ich, »aber meine Gefährten und ich werden die Ankunft von Luck dem Proporzen abwarten. Falls sich an Albions Zustand bis dahin irgendetwas ändern sollte, möchte ich umgehend informiert werden. Hast du das verstanden?« Der Maulspindler hob zwei seiner sechs Beine und fuchtelte mit seinen Klauen fahrig vor meinem Gesicht herum. Vielleicht ein Ausdruck seiner Enttäuschung. Oder seiner Empörung, wisperte der Extrasinn. Ihr seid hier alles andere als willkommen. Und dennoch setzt man uns nicht einfach zwangsweise vor die Tür respektive in eine Gondel, gab ich mental zurück. Offenbar gibt es eindeutige Anweisungen, sich gegenüber allen Gästen, die sich an Bord einer Gondelstation aufhalten, stets zuvorkommend zu zeigen. Anweisungen von wem?, stellte der Logiksektor die entscheidende Frage. Das werde ich herausfinden, dachte ich grimmig. »Verstanden«, unterbrach Grogendur mein stummes Zwiegespräch. »Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
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Konvent der Händler Ich schüttelte den Kopf, was mein Dhedeen mit einem unwilligen Zwitschern und der Maulspindler mit einem kurzen Trippeln auf den verbliebenen vier Beinen quittierte. Er hat dir nicht widersprochen - und das bedeutet... ... dass wirklich Luck der Proporze an Bord kommt, beendete ich triumphierend. Oder dass du ziemlich lange warten musst, bis er tatsächlich einmal nach GEM-45 kommt. »Nein«, sagte ich zur Sicherheit. »Im Moment wäre das alles. Ich werde mich...« In diesem Augenblick hallten mehrere dumpfe Gongschläge durch GEM-45. Ich ahnte, was das zu bedeuten hatte, fragte aber trotzdem noch einmal nach. »Das ist das Zeichen für die Ankunft zweier Gondeln«, bestätigte Grogendur meine Vermutung. »Luck der Proporze ist eingetroffen.« Glück gehabt. 3. Der Grün-Nomade reiste mit beachtlichem Gefolge. Als ich das entsprechende Docksegment der Flachstation erreichte, herrschte dort bereits ein heilloses Durcheinander. Neben einem Dutzend Maulspindlern waren Angehörige von mindestens vier weiteren Völkern damit beschäftigt, zwei Gondeln zu entladen, die diversen Packstücke zu begutachten, auf Schwebeplattformen zu verfrachten und abzutransportieren. Es handelte sich fast ausschließlich um große Säcke aus einem groben Material, die ziemlich schwer wirkten. Im Gegensatz zu unserer Ankunft vor knapp zwei Tagen gab es diesmal keine bewaffneten Maulspindler. Auch die beiden Gondeln unterschieden sich von jener, mit der uns Abertack hierher gebracht hatte. Auf der kobaltblauen Oberfläche waren mit hellgrüner Farbe aufgebrachte Zeichen und Symbole zu erkennen. Laut Jolo nutzte Luck der Proporze das Gondelsystem regelmäßig.
Rüdiger Schäfer Kein Wunder also, dass er seine privaten Gondeln besaß. Zunächst fielen mir vier in schwarzes, eng am Körper anliegendes Tuch gekleidete Humanoide auf, wahre Hünen mit breiten Schultern und kantigen Gesichtern. Um die Hüfte trug jeder einen ebenfalls schwarzen Ledergürtel, in dem mehrere Messer und zwei armlange Schwerter steckten. Im ersten Moment erinnerten sie mich an Samurai, jene wehrhaften Krieger aus der terranischen Frühzeit, die ich einst am japanischen Kaiserhof kennen gelernt hatte. Bewegungslos und strategisch günstig postiert, beobachteten sie das bunte Treiben um sie herum mit scheinbarer Gleichgültigkeit. Einem weniger geschulten Beobachter als mir wäre sicher entgangen, dass die Männer in Wahrheit hochkonzentriert und aufmerksam waren. Ich ging davon aus, dass sie so etwas wie Soldaten oder Leibwächter verkörperten. Neben den vier Hünen wirkten die sechs an überdimensionierte Ratten erinnernden Gestalten mit ihren spitzen, rot leuchtenden Nasenschnauzen beinahe grotesk. Kaum einen Meter groß und feingliedrig, wieselten sie zwischen den übrigen Versammelten hin und her, als würden sie etwas suchen. Kleidung konnte ich an ihnen nicht erkennen. Ihr graubraunes Fell machte einen gepflegten Eindruck. Über eine Rampe verließen in diesem Augenblick sechs weitere Wesen die erste Gondel. Offenbar handelte es sich um Nutztiere, denn der stumpfe Blick ihrer großen, kugelrunden Augen, der schwerfällige Gang, kurz, ihr gesamtes Erscheinungsbild erweckte den Eindruck, als würde man eine Herde Kühe durch die Entladehalle treiben. Die kurzen Beine endeten in breiten beweglichen Hufen, deren Klacken auf dem grauen Kunststoff des Bodenbelags widerhallte. Links und rechts der flachen Schweineschnauze ragte je ein gewaltiger Hauer aus dem lippenlosen Mund, und die Bäuche der Tiere waren so prall und schwer, dass sie beinahe den Grund berührten.
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Konvent der Händler Die acht Humanoiden, die damit beschäftigt waren, die Säcke ohne jede technische Unterstützung auf die Plattformen zu wuchten, hätte man beinahe mit Terranern verwechseln können. Bei näherem Hinsehen wurde jedoch schnell erkennbar, dass sie keine waren. Zwei von ihnen besaßen jeweils sechs Finger und Zehen, vier weitere ein zusätzliches Kniegelenk und eine ob ihrer abgemagerten Körper gut erkennbare zweigeteilte Wirbelsäule. Die beiden übrigen fielen durch eine Anzahl dünner, in beständiger Bewegung befindlicher Tentakel auf den haar- und gesichtslosen Schädeln auf, und ich musste unwillkürlich an die griechische Sagenfigur Medusa denken, die laut Überlieferung von Athene in ein Monster verwandelt worden war, das statt Haaren ein Nest von Schlangen auf dem Kopf tragen musste. Die Widersprüchlichkeit zwischen der fortgeschrittenen Technik der Flachstation und dem eher mittelalterlich anmutenden Treiben in der Entladehalle machte mir einmal mehr bewusst, wie gigantisch die Gegensätze der Intrawelt waren. Schon allein die Tatsache, dass die Innenfläche der riesigen Hohlwelt die Oberfläche des Planeten Erde um das mehr als Fünfhundertfache übertraf, ließ mich schwindeln. Wer hatte dieses Gebilde gebaut? Und wozu? Natürlich hatte ich mir meine Gedanken gemacht. Zu Beginn meiner Odyssee in Dwingeloo hatte ich noch angenommen, dass mich das geheimnisvolle Schwert der Ordnung nur deshalb lebend in seine Gewalt bringen wollte, weil ich mich bereits einmal im so genannten Mikrokosmos aufgehalten hatte. Wahrscheinlich, so meine damalige Überlegung, hofften die Lordrichter diese Affinität für ihre Zwecke nutzen und mit meiner Hilfe das Tor in den Lebensraum der Varganen öffnen zu können. Inzwischen hatte ich diese Ansicht revidiert. Vielleicht war es ihnen von Beginn an um den Flammenstaub gegangen, die einzige Waffe, die ihnen gefährlich werden konnte,
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wenn ich der »Konterkraft« glauben durfte, die mich hierher geschickt hatte. Wenn diese Substanz tatsächlich in der Lage war, die Macht der Lordrichter zu brechen - auf welche Weise auch immer -, mussten sie die Gefahr unter allen Umständen ausschalten. Sie mussten einen Handlanger in die Intrawelt schleusen, der den Flammenstaub nicht nur aufspüren, sondern vor allem auch zu ihnen bringen konnte. Einen Handlanger, der die notwendigen Voraussetzungen erfüllte. Das Gewimmel in der Entladehalle schien sich noch einmal zu steigern. Die vier Hünen in Schwarz rückten näher an die Rampe der zweiten Gondel heran und legten ihre Hände auf die Knäufe ihrer Schwerter. Dann trat ein siebtes jener schwerfälligen Geschöpfe, die ich bereits kannte und die mich mit ihren platten Nasen, den riesigen Hauern und den massigen Leibern an eine Mischung aus Schwein und Rind erinnerten, auf die breite Rampe, die aus dem Gondelinneren bis zum Hallenboden führte. Sofort bildete sich eine Gasse im geordneten Chaos der Arbeitenden. Die Rattenwesen huschten geschäftig hin und her, räumten kleinere Hindernisse aus dem Weg oder forderten die Umstehenden mit wilden Gesten dazu auf, weiter zurückzutreten. Der Neuankömmling hob den mächtigen Kopf und sog geräuschvoll die kühle Luft ein. Für eine Sekunde schaute er herauf zu der die Halle umlaufenden Galerie, auf der ich stand, und unsere Blicke trafen sich. Im Gegensatz zu seinen sechs Artgenossen erschien mir das Wesen alles andere als ein Tier zu sein. In den schwarzen Augen loderte ein Feuer, das Intelligenz und Leidenschaft verriet. Die anwesenden Maulspindler hatten sich am Ende der Gasse versammelt und warteten geduldig, bis ihr Gast sie erreicht hatte und schnaufend stehen blieb. »Wir begrüßen Euch und Eure Begleiter auf GEM-45, Hoher Herr«, sagte der an der Spitze der Gruppe stehende Flachwärter, den ich jetzt als Dunkelhein identifizierte. »Es ist uns eine Ehre, Luck
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Konvent der Händler den Proporzen auf dieser willkommen zu heißen.«
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* Am liebsten hätte Luck der Proporze dem schwafelnden Maulspindler einen seiner Hauer in den knittrigen Hals gerammt, aber er wusste, dass so etwas nur unnötige Scherereien nach sich ziehen würde. Die Betreiber des Gondelsystems waren ein notwendiges Übel, das die Nomaden seit jeher in Kauf genommen hatten. Die Gondein waren die einzige Möglichkeit, um die ausgedehnten Gebiete der Intrawelt in vertretbarer Zeit zu bereisen und von einer Parzelle bequem zu einer anderen zu gelangen. Also ließ der Händler die kriecherischen Schmeicheleien des Flachwärters über sich ergehen, sprach selbst ein paar salbungsvolle Worte und behauptete dann, von der anstrengenden Reise ermattet zu sein und sich in sein Quartier zurückziehen zu wollen. Während zwei der Maulspindler aufgeregt vor ihm und den ihm auf Schritt und Tritt folgenden Söldnern hereilten, um ihnen den Weg zu zeigen, beobachtete er weiterhin den weißhaarigen Humanoiden, der ihm sofort nach Verlassen der Gondel aufgefallen war. Der Fremde stand auf einer Galerie, die sich um die gesamte Halle zog, und ließ Luck seinerseits nicht aus den Augen. Mit untrüglichem Instinkt erkannte der erfahrene Nomade sofort, dass dieser Mann gefährlich war. Er hätte nicht. genau zu sagen gewusst, warum, doch sein Gespür hatte ihn in dieser Hinsicht noch nie im Stich gelassen. Die Flachwärter hatten zwei Dutzend Kabinen für den Händler und sein Geleit vorbereitet. Luck der Proporze war nicht zum ersten Mal zu Gast in GEM-45. Die Flachstation lag in der Nähe eines Sammellochs, das von seinen beiden wichtigsten Karawanen gekreuzt wurde. Von hier aus gelangte man schnell nach HU-9 und über einige weitere Knotenpunkte bis UN-6, der Hochstation von Pregesbau.
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Während die Hände noch sein Lager errichteten, instruierte Luck der Proporze bereits seine Söldner und wies sie an, mehr über den Weißhaarigen in Erfahrung zu bringen. Von Dunkelhein wusste er, dass sich der Mann Atlan nannte und mit zwei Begleitern vor knapp zwei Tagen eingetroffen war. Der Maulspindler versicherte mehrfach, er würde höchstpersönlich dafür sorgen, dass weder Atlan noch einer seiner Gefährten die Ruhe des Grün-Nomaden störten. Zudem verlieh er seiner Hoffnung Ausdruck, dass das Trio GEM-45 in Kürze verlassen und weiterreisen würde. Luck fand es höchst ungewöhnlich, dass Dunkelhein in solch abfälliger Weise über seine Gäste sprach, doch er sagte nichts. Gastfreundschaft war für die Maulspindler eine Selbstverständlichkeit, die jedem, der die Befragung in den Bodenstationen erfolgreich absolviert hatte entgegengebracht wurde. Gegenüber Atlan und dessen Kameraden schien Dunkelhein jedoch geradezu einen Groll zu hegen, ein Umstand, den der Grün-Nomade mit Interesse registrierte. Als er endlich allein war, ließ sich der Händler auf die weichen Kissen sinken. Die ebenfalls anwesenden Hände zählten nicht. Sie waren einfältige Lakaien und gehorsame Werkzeuge. Wenn Luck ihnen befohlen hätte, sich gegenseitig die Kehlen durchzuschneiden, dann hätten sie es sofort und ohne Zögern getan. Er garantierte ihnen ein sorgloses und sicheres Leben in einer Welt, in der schon hinter der nächsten Weggabelung der Tod lauern konnte. Dafür waren sie ihm willenlos ergeben. Aus einem Lederbeutel, der in einer Schlaufe um seinen Hals hing, zog Luck der Proporze ein kleines Kästchen hervor. Es war wie immer nicht ganz leicht, den Hörensager mit den plumpen Vorderläufen zu aktivieren, doch er hatte es bereits so oft getan, dass es fast schon zur Routine geworden war. Wie gewohnt sprach er einen kurzen Bericht. Dann schaltete er das Gerät wieder aus.
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Konvent der Händler Mit einem leisen Singsang signalisierte er den Händen, dass es an der Zeit war. Die Dämmerstunde stand kurz bevor - und somit auch das tägliche Ritual. Luck der Proporze hatte ein gutes Gefühl. Schon in den vergangenen Tagen hatte er zu spüren geglaubt, dass sich die Qualität der Garben verbesserte. Vielleicht würde es heute endlich so weit sein. Die Hände schleppten eine große hölzerne Wanne neben sein Lager und füllten sie mit warmem Wasser. Kurz darauf machte sich Luck der Proporze auf den Weg. 4. Mein erster Versuch, eine Audienz bei Luck dem Proporzen zu erhalten, scheiterte bereits im Ansatz. Noch bevor ich überhaupt in die Nähe jener Kabinenflucht kam, in der der Händler und sein Anhang untergebracht waren, hielt mich einer der Schwarzgekleideten auf und erklärte mir finsteren Blickes, jedoch mit ausgesuchter Höflichkeit, dass sein Herr in der Dämmerstunde niemals Besuch empfing, er ihm allerdings »das Ansinnen um eine Zusammenkunft« ausrichten werde. Ich bedankte mich und suchte als Nächstes die Krankenstation auf. Jolo war in unserem Quartier zurückgeblieben, ehe ein anderer auf den Gedanken kam, seinen Breispender zu stehlen. Das Schott zu jener Medosektion, in der Albion lag, war nach wie vor energetisch gesichert. Es dauerte eine Weile, bis ich einen Maulspindler aufgetrieben hatte, der mir Zugang verschaffte. Der Breite Mann hatte seine Pritsche verlassen und kroch ruhelos durch den kleinen Raum. Als er mich bemerkte, verzog sich sein froschähnlicher Mund zu einer Grimasse, die man mit viel gutem Willen als Lächeln interpretieren konnte. »Endlich«, rief er und umfing mich mit zweien seiner drei Armpaare. »Ich werde hier drin noch verrückt. Du musst mich hier rausholen, Atlan.« »Wie fühlst du dich?«, fragte ich anstelle einer Antwort. Albion ließ mich los und wiegte seinen Körper nervös hin und her;
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es sah aus, als tanze er zu einer nur für ihn hörbaren Melodie. Schon diese ersten Minuten zeigten überdeutlich, wie sehr er sich charakterlich von seiner weiblichen Ausgabe unterschied. »Großartig«, antwortete er. »Ich bin gesund, und was passiert ist, tut mir Leid.« »Du kannst dich also an alles erinnern?«, erkundigte ich mich. »Aber natürlich«, erwiderte der Breite Mann. »Es war ein bedauerlicher Unfall. Gewöhnlich vollziehe ich meine Metamorphosen allein und an einem Ort, an dem ich niemandem gefährlich werden kann. Zudem verhindert das Schlucken der Piga-Wurzel, dass mich die mit der Wandlung verbundenen Schmerzen orientierungslos und aggressiv machen. Ich schäme mich für das, was geschehen ist, und ich werde alles tun, um den angerichteten Schaden wiedergutzumachen. Aber jetzt muss ich hier raus. Das Eingesperrtsein macht mich wahnsinnig.« »Einverstanden«, nickte ich. Ich musste an mein eigenes Verhalten Albion gegenüber denken, auf das ich im Nachhinein alles andere als stolz war. »Unter einer Bedingung.« »Und die wäre?« »Du bleibst permanent in meiner Nähe. Zumindest solange wir in GEM45 sind.« Albions Fühler zuckten heftig. »Du traust mir nicht«, stellte er mit leiser Stimme fest. »Du glaubst, ich würde es wieder tun. Wahrscheinlich würdest du mich am liebsten den Maulspindlern überlassen, damit sie mich von der nächsten Außenplattform werfen können. Ohne Netz und ohne Seil. Das hast du doch selbst gesagt! Ist es nicht so? Ist es nicht so?« Seine letzten Worte hatte der Breite Mann immer lauter und herausfordernder hervorgestoßen. Du hast Recht, stimmte der Extrasinn meinen stummen Überlegungen zu. Er ist instabil und starken emotionalen Schwankungen unterworfen. Aber du kannst ihn nicht zurücklassen. Das weiß ich, dachte ich grimmig. Vor meinem inneren Auge erschien der
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Konvent der Händler verhasste Facettenkopf Peonus. Die sich ständig neu gruppierenden winzigen schwarzen Flächen auf der wie flüssig wirkenden Haut erzeugten verwirrende Muster und machten es unmöglich, so etwas wie ein Mienenspiel zu erkennen. Ich vermutete, dass es sich um die Sinnesorgane des Lutveniden handelte. Albia bzw. Albion die Geschlechtswandlung machte da keinen Unterschied - stand ebenso wie Jolo und ich unter Peonus Einfluss. Unsere Schicksale waren untrennbar mit dem seinen und damit auch untereinander verbunden. Zudem war es noch nie meine Art gewesen, einen Gefährten im Stich zu lassen, vor allem dann nicht, wenn er in Schwierigkeiten steckte. »Beruhige dich«, bat ich ihn. Es stimmte, dass ich Albion in der Steuerzentrale der Flachstation mit dem Tode gedroht hatte. Es eigentlich nicht ernst gemeint zu haben entschuldigte eine solche Drohung jedoch nicht. Selbst wenn ich meinen gegenwärtigen emotionalen Zustand als Argument ins Feld führte - ich hatte mich gehen lassen. Das durfte nicht noch einmal passieren. »Ich möchte mich bei dir entschuldigen«, wandte ich mich dem Breiten Mann zu. »Was ich in der Steuerzentrale zu dir gesagt habe, war dumm und unüberlegt. Wir müssen uns gegenseitig helfen, sonst hat Peonu schon gewonnen.« Die wimmelnden Fühler Albions kamen für einen Augenblick zum Stillstand. Dann richteten sie sich mit ihren Spitzen auf mein Gesicht. »Du meinst es ernst«, sagte das Schneckenwesen langsam. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. »Das tue ich«, erwiderte ich trotzdem. »Und jetzt lass uns hier verschwinden. Ich möchte mich gerne noch einmal in der Entladehalle umsehen.« * »An den beiden kommst du nicht vorbei.« Albion deutete mit einem seiner sechs langen Arme auf die schwarz gekleideten
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Hünen, die sich vor den Gondeln aufgebaut hatten. »Das sind iotarische Söldner aus der Parzelle Sirothurn. Nur der harte Fels der Klagenden Berge übertrifft sie an Stärke und Unbeugsamkeit.« »Das hast du schön gesagt«, grinste ich. »Was glaubst du, das die beiden bewachen?« »Die Gondeln von Luck dem Proporzen natürlich«, gab der Breite Mann zurück. »Wozu?«, wollte ich wissen. Albion bewegte sich fahrig hin und her. Seine auf der unteren Seite des Schneckenleibs zu Tausenden vorhandenen Kriechlamellen schabten kaum hörbar über den Boden. »Das ist eine dumme Frage«, sagte er nach kurzem Überlegen. »Er wird Wertgegenstände an Bord haben.« »Die hat er ganz sicher«, bestätigte ich, ohne meinen Begleiter anzusehen, »aber wozu diese scharfe Bewachung? Wer auf GEM-45 würde es riskieren, sich mit Luck dem Proporzen anzulegen? Wer würde einen der mächtigen Grün-Nomaden bestehlen wollen oder sich ungefragt auch nur in die Nähe seines Besitzes wagen?« Albion schwieg. Offenbar hatte er erkannt, worauf ich hinauswollte. Als ich vor einigen Stunden die Ankunft des Händlers auf der Station beobachtet hatte, war mir keineswegs entgangen, dass mich Luck der Proporze ausgiebig taxierte. Männer wie der Grün-Nomade kannte ich zur Genüge: Sie hatten sich ihre Machtposition hart erarbeitet, indem sie klüger, schneller und vor allem skrupelloser als ihre Gegenspieler waren - und indem sie ihre Gesprächspartner rasch und sicher als Opfer oder Konkurrenten einstuften. Der Händler hatte sofort begriffen, dass ich kein Opfer war, wie er ihnen auf den Flachstationen der Intrawelt tagtäglich begegnete. Und ebenso hatte ich sofort gewusst, dass Luck der Proporze jenen Ansatzpunkt darstellte, nach dem ich so dringend suchte. Er war es, der mir einen Großteil meiner aktuellen Fragen beantworten konnte. »Komm«, sagte ich laut und steuerte auf eine der beiden Treppen zu, die von der Galerie nach unten in die Halle führten.
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Konvent der Händler Albion packte mich mit allen verfügbaren Händen. »Was hast du vor?«, zischte er hörbar beunruhigt. »Wo willst du hin?« Ich drehte mich um und fixierte seine riesigen Augen. »Warum so nervös, mein Freund?«, wollte ich wissen. »Spaziergänge vor dem Zubettgehen sind auf GEM-45 nicht verboten. Möglicherweise sind uns diese Söldner für eine kleine Unterbrechung ihres ermüdenden Wachdienstes sogar dankbar.« »Du weißt nicht, was du da redest, Atlan.« Albions Fühler bewegten sich hektisch, und er drängte sich so ungestüm in meine Richtung, dass ich zwei Schritte zurückweichen musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Niemand legt sich mit Iotaren an, hörst du! Niemand! Sie sind grausame Killer. Das Wort Mitleid können sie nicht einmal buchstabieren, geschweige denn kennen sie seine Bedeutung. Ihre Klingen sind schärfer als die Eiswinde auf den Gipfeln von ...« »Albion!« Ich stieß den Namen meines Gegenübers laut und scharf hervor. Der Breite Mann verstummte sofort. »Reiß dich zusammen«, sagte ich bestimmt. »Wenn du dich nicht unter Kontrolle hast, dann werde ich dich zu Jolo bringen. Er kann auf dich aufpassen.« Für einen Lidschlag hatte ich das Gefühl, dass Albion mich angreifen wollte, doch dann sackte er förmlich in sich zusammen. Seine Arme hingen plötzlich schlaff an der Seite seines Körpers herab, und die Fühler glichen den Stängeln welkender Blumen. Den beiden Iotaren konnte unser kleiner Disput unmöglich verborgen geblieben sein, doch sie gaben mit keiner Regung zu erkennen, dass sie uns bemerkt hatten. Ihr Verhalten änderte sich auch dann nicht, als ich die breiten Stufen der Treppe hinunterstieg. Was hoffst du mit deinem Verhalten zu erreichen?, wisperte der Extrasinn. Willst du deinen Ruf als Unruhestifter weiter ausbauen? Ich will unseren Grün-Nomaden nur ein wenig aus der Reserve locken, gab ich
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mental zurück. Wir sind bereits seit fast zwei Wochen innerhalb dieser Hohlwelt gefangen, und ich habe nichts erreicht. Ich kann nicht einmal Kontakt mit Kythara aufnehmen. Wie lange, glaubst du, wird sie untätig auf mich warten? Ich muss endlich die Initiative ergreifen. Indem du dich unbewaffnet und alleine mit zwei professionellen Söldnern anlegst?, kritisierte der Logiksektor. Ich will mich nicht mit ihnen anlegen, widersprach ich, ich will ... Ich kam nicht mehr dazu, meinem zweiten Ich mitzuteilen, was ich wollte, denn in diesem Augenblick raste Albion mit einem unglaublichen Tempo an mir vorbei und stürzte sich brüllend auf die beiden Leibwächter. Seine noch vor kaum einer Minute ausgesprochenen Warnungen schien er völlig vergessen zu haben. * »Nein! « Mein Schrei war noch nicht in den Weiten der Entladehalle verklungen, da hatte Albion die Iotaren auch schon erreicht. Seine kreiselnden Arme trafen die Männer mit unglaublicher Wucht und schleuderten sie zur Seite, noch bevor sie reagieren konnten. Doch schon in den folgenden Sekunden wurde klar, dass ich es hier keinesfalls mit Amateuren zu tun hatte, weder mit im Kampf unerfahrenen Maulspindlern noch unkontrolliert angreifenden Teloracs. Die Söldner rollten sich geschmeidig über die Schultern ab und zogen noch in der Bewegung ihre Waffen. Albion sprang auf den rechten der beiden Männer zu. Der Iotare wich seinen Hieben mit spielerischer Leichtigkeit aus. Die Füße schienen dabei nicht einmal den Boden zu berühren. Gleichzeitig näherte sich sein Kamerad von hinten. Dem ersten Schwertstreich entging der Breite Mann mehr aus Zufall, dann aber hatte er sein Glück aufgebraucht. Die gut meterlange Klinge drang in Höhe des zweiten Armpaares in das grob geschuppte Gewebe des Schneckenkörpers ein.
Konvent der Händler »Halt!«, brüllte ich im Laufen an die Iotaren gerichtet. »Das ist kein Angriff! Dieses Wesen ist krank! Es weiß nicht, was es tut!« Entweder wollten oder konnten mich die beiden Schwarzgekleideten nicht hören, denn anstatt zurückzuweichen und dem verletzten Gegner die Möglichkeit zur Kapitulation zu geben, starteten sie umgehend eine weitere Attacke. Der erste Söldner hatte beide Schwerter über den Kopf erhoben, bereit, den tödlichen Stoß zu setzen. Ich ließ mich fallen, rutschte die letzten beiden Meter zum Ort des " Geschehens auf dem glatten Kunststoffbelag entlang und trat ihm die Beine weg. Es war, als wäre ich mit den Sohlen meiner Stiefel gegen ein Stahlschott geprallt. Noch in der Abwärtsbewegung zuckte der rechte Arm des Iotaren nach vorn. Ein brennender Schmerz an der Stirn zeugte davon, dass ich getroffen war. Ich rollte zur Seite, sprang auf die Beine, spürte, wie warmes, klebriges Blut in meine Augen lief... Achtung! Der Impuls des Extrasinns rettete mir das Leben. Ich sah das Schwert durch einen roten Schleier hindurch als blitzenden Reflex und drehte den Kopf im letzten Augenblick zur Seite. Der zweite Söldner tauchte als schwarze Wand vor mir auf. Wieder zuckte die rasiermesserscharfe Klinge auf mich zu. Ich riss den Arm hoch, ohne darüber nachzudenken - und wieder einmal waren Arkons Götter auf meiner Seite. Der Schlag, der mir normalerweise den Arm vom Körper getrennt hätte, prallte mit einem trockenen Klirren gegen den Cueromb, jenes mysteriöse Artefakt, das ich in Peonus Hütte gefunden und das dieser mir aus welchen Gründen auch immer überlassen hatte. Ich trug das Multifunktionswerkzeug seitdem an meinen rechten Unterarm geschnallt. Konzentriere dich!, tadelte der Logiksektor eindringlich. Oder Jolo kann den Cueromb verwenden, um dein Grab zu schaufeln. Konzentration allein wird mir hier nicht helfen, dachte ich, während ich mich zur
Rüdiger Schäfer Seite rollte, um aus der Reichweite der Schwerter meines Gegners zu kommen. Mir war klar, dass ich waffenlos gegen die beiden Iotaren keine Chance hatte. Ritz Toyds Krummsäbel hätte mir jetzt gute Dienste geleistet, doch der lag gemeinsam mit der übrigen Ausrüstung in meiner Kabine. Ich musste diesen Kampf beenden - und das möglichst schnell. Albion hatte sich einige Meter weiter und damit aus der direkten Gefahrenzone geschleppt. Er lehnte mit zuckenden Fühlern gegen einen Stapel metallener Kisten, seine Hände auf die stark blutende Wunde gepresst, die der Söldner ihm zugefügt hatte. »Wartet!«, rief ich keuchend. »Das alles ist ein Missverständnis! Lasst uns reden!« Die beiden Iotaren formierten sich neu und drangen diesmal von zwei Seiten gleichzeitig auf mich ein. Ich wertete das nicht unbedingt als ein Zeichen für Gesprächsbereitschaft. Du musst verschwinden, wisperte der Extrasinn. Sofort. Doch es war zu spät. Meine Gegner hatten längst erkannt, dass Flucht die einzige Möglichkeit für mich war, diese Konfrontation zu überleben, und sie waren nicht bereit, mir diese Möglichkeit einzuräumen. Dennoch musste ich es zumindest versuchen. Ich ließ mich ruckartig nach hinten fallen und entging so dem ersten Schwerthieb. Zwei weitere konnte ich mit dem Cueromb abwehren. Das Material des geheimnisvollen Artefakts zeigte sich von den Klingen meiner Gegner unbeeindruckt. Die Iotaren spielten mit mir, trieben mich immer weiter zurück, der kahlen Längswand der Entladehalle entgegen. Ich unternahm mehrfach den Versuch, seitlich durchzubrechen, doch es war aussichtslos. Von Albion war keine Hilfe zu erwarten. Der Breite Mann war wie ein Sack in sich zusammengesunken, womöglich bereits tot. Schließlich streckte ich beide Arme von mir und sah den Männern abwechselnd in die zu engen Schlitzen zusammengekniffenen Augen.
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Konvent der Händler »Ich bin unbewaffnet und allein«, sagte ich laut. »Wenn es das ist, was die Iotaren unter einem fairen Kampf verstehen, dann lasst es uns zu Ende bringen.« Auch dieser letzte Versuch einer Verständigung schlug fehl. In den wie versteinert wirkenden Gesichtern meiner Gegenüber bewegte sich kein Muskel. Synchron hoben sie ihre Arme. Die Schwerter funkelten über den Köpfen wie aufflammende und wieder verlöschende Sternschnuppen. Es würde das Letzte sein, was ich in meinem Leben sah. Ich schloss die Augen... * »Aufhören! « ... und öffnete sie wieder. Die Iotaren machten dem harten Fels der Klagenden Berge nun tatsächlich alle Ehre, standen sie doch wie in Stein gemeißelt vor mir. Lediglich in ihren soeben noch kalt und teilnahmslos blickenden Augen spiegelte sich mit einem Mal nackte Angst. Als hinter ihnen ein lautes Ächzen und Schnaufen erklang, senkten sie vorsichtig ihre Waffen und drehten sich um. Luck der Proporze quälte seine sicherlich an die 500 Kilogramm Lebendgewicht die Treppe herunter und röchelte dabei so jämmerlich, dass einem angst und bange werden konnte. Die gewaltigen Fettwülste seines Hängebauchs schlugen bei jedem Schritt gegen die Vorderläufe und klatschten immer wieder auf die zwar breiten, aber für einen Vierbeiner dennoch nicht ungefährlichen Stufen. Es war ein grotesker, ja geradezu lächerlicher Anblick, und dennoch zitterten die Söldner plötzlich wie Marrack-Vögel im arkonidischen Winter. Ich war überrascht, als sich der Händler nicht etwa den beiden Iotaren und mir, sondern dem nach wie vor reglos am Boden liegenden Albion zuwandte. Seine riesigen Hauer strichen geradezu liebevoll über den feucht schimmernden Schneckenkörper. Es mochten kaum mehr als zehn Sekunden vergangen sein, als Luck den massigen Schädel hob und einen
Rüdiger Schäfer lauten Singsang anstimmte. Wie aus dem Nichts tauchten die sechs Rattenwesen auf, die ich bereits bei der Ankunft des GrünNomaden gesehen hatte, und luden sich den Breiten Mann auf die schmalen Schultern. Ich ging an den bewegungslos verharrenden Iotaren vorbei und hinüber zu Luck dem Proporzen. »Macht Euch keine Sorgen, Atlan«, empfing mich der Händler. Er blickte seinen Dienern nach, die Albion ebenso geschickt wie achtsam die Treppe hinaufbugsierten. Seine Stimme klang fast ... zärtlich. »Euer Freund steht ab sofort unter meinem persönlichen Schutz. Ihm wird die beste medizinische Versorgung zuteil, die diese Station zu bieten hat. Und was diese minderwertigen Kreaturen dort drüben angeht ...« , er sah zu seinen Söldnern hinüber, die inzwischen auf die Knie gesunken waren und die Köpfe gesenkt hatten, »... nun, Ihr seid herzlich eingeladen ihrer Hinrichtung als Ehrengast beizuwohnen.« Ich brauchte einen Moment, um meine Verblüffung zu überwinden. »Eine Hinrichtung wird nicht nötig sein, Hoher Herr«, sagte ich und wählte bewusst die manierierte Anrede, die auch die Maulspindler gegenüber Luck dem Proporzen gebraucht hatten. »Eure Männer haben in gutem Glauben gehandelt. Ein wenig übereifrig vielleicht, aber zweifellos im Rahmen ihres Auftrags.« Wenn der Händler meine kleine Spitze erkannt hatte, dann ging er bewusst darüber hinweg. »Dennoch«, sagte er und trat einen Schritt näher an mich heran. Ich spürte, wie der Bodenbelag unter meinen Füßen erbebte. »Ich fühle mich in Eurer Schuld, Atlan. Lasst mich ihnen wenigstens eine Hand abhacken. Das wird sie für die Zukunft lehren und dafür sorgen, dass sie einen Mann von Rang und Stand erkennen, wenn sie ihn sehen.« »In meiner Heimat«, gab ich zurück, »ist es nicht üblich, einen Krieger mit Tod oder Verstümmelung zu strafen, der nichts weiter als seine Pflicht getan hat. Ich bitte Euch, diesen Brauch zu respektieren,
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Konvent der Händler Hoher Herr, und diese Männer zu verschonen. Wenn Ihr Euch in meiner Schuld fühlt, dann wüsste ich andere Möglichkeiten, diese zu begleichen.« Luck der Proporze verzog seinen lippenlosen Mund zu einem breiten Grinsen und entblößte dabei die beeindruckenden Hauer. »Ihr sprecht wie ein Mann von wahrer Ehre und Verstand«, sagte er anerkennend. »Das gefällt mir. Euer Wunsch sei gewährt. Würdet Ihr und Eure Begleitung mir die Freude machen, zu Beginn des neuen Tages mit mir zu speisen?« »Es wäre mir ebenso wie meiner Begleitung eine Auszeichnung, Hoher Herr«, lächelte ich. »Dann erwarte ich Euch an Bord meiner Gondel. Ach, und noch etwas ...« Ich hob aufmerksam die Brauen. »Nennt mich Luck«, sagte der GrünNomade. * Ich hatte den etwa fünf Zentimeter langen Schnitt auf meiner Stirn nicht einmal verbinden müssen. Er war nicht tief, und die durch die belebenden Impulse des Zellaktivatorchips unterstützten Selbstheilungskräfte meines Körpers taten das Übrige. Ich lag auf der breiten Pritsche der Kabine, die ich mit Jolo teilte, und lauschte auf das leise Schnarchen des Echsenwesens, das von dessen Lager zu mir herüberdrang. Albion war in derselben Krankenstation untergebracht worden, die er kurz zuvor verlassen hatte. Luck der Proporze hatte die Fragerei der Maulspindler durch eine einzige herrische Geste beendet und keinen Zweifel daran gelassen, dass die Genesung des Breiten Mannes allerhöchste Priorität genoss. Als ich schließlich in meinem Quartier eintraf, lag die Intrawelt bereits seit zwei Stunden in tiefster Dunkelheit. Ich spürte, wie die Müdigkeit langsam in jede Faser meines Körpers kroch. Ein langer Tag forderte seinen Tribut.
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Das Interesse des Grün-Nomaden an Albion ist auffällig, nicht wahr?, wisperte der Extrasinn. Das kann man wohl sagen, erwiderte ich mental. Und er gibt sich nicht einmal besondere Mühe, es zu verbergen. Was schlussfolgerst du daraus? Sind Schlussfolgerungen nicht dein Fachgebiet?, erkundigte ich mich süffisant. Wozu schleppe ich dich seit mehr als 10.000 Jahren mit mir herum? Wer hier letztlich wen schleppt, wäre einer intensiveren Erörterung fraglos wert, lautete die nicht minder schnippische Entgegnung des Logiksektors, aber im Moment sollten wir uns um die nahe liegenden Dinge kümmern. Wenn Luck etwas von Albion will, dachte ich, dann sollten wir das ausnutzen. Vielleicht erzählt uns der Händler alles, was wir wissen wollen. Es wäre ratsam, in Erfahrung zu bringen, was genau der Grün-Nomade will, gab mein zweites Ich zu bedenken. Und vor allem, was er zu tun bereit ist, um es zu bekommen. Wir haben gar keine Wahl. Ich verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Was nützt uns das beste Transportsystem, wenn wir nicht wissen, wohin wir uns wenden sollen? Wir brauchen ein Ziel. Dir ist klar, dass deine Suche nach dem Flammenstaub Monate, wenn nicht gar Jahre in Anspruch nehmen könnte. Das darf sie nicht, gab ich trotzig zurück. Die Lordrichter und das Schwert der Ordnung sind nach wie vor aktiv. Und Kythara ... Vergiss Kythara, fiel mir der Logiksektor harsch ins Wort. Die Leidenschaft, die du auf Bagatellen verschwendest ist manchmal unerträglich. Kythara kann dir nicht helfen. Du bist auf dich allein gestellt. Je eher du das begreifst, desto besser. Schon gut, schon gut, dachte ich mürrisch. Ich bin mit den bisherigen Entwicklungen mindestens ebenso unzufrieden wie du. Und Albion ist ein Unsicherheitsfaktor der nicht zu kalkulieren ist. Seine
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Konvent der Händler Stimmungsschwankungen und Aggressionsschübe ergeben keinen Sinn. Ich freue mich, dass wir diesmal einer Meinung sind, lenkte der Extrasinn ein. Wir wissen inzwischen, dass das Zwitterwesen in regelmäßigen Abständen das Geschlecht wechselt. Wenn diese Wandlung jedes Mal mit den uns bekannten Begleiterscheinungen einherginge, würde Albion respektive Albia nicht lange überleben. Früher oder später würde er auf Kontrahenten wie die Iotaren treffen und den Kürzeren ziehen. Du denkst also, fragte ich und gähnte herzhaft, dass Albion nicht der ist, der er zu sein vorgibt? Nein, lautete die Antwort. Ich denke, dass Albion nicht der ist, der er glaubt zu sein. Sei mir nicht böse, entgegnete ich schon fast im Halbschlaf, aber für solcherlei Haarspaltereien fehlt mir im Moment die Kraft. Das nachfolgende Wispern des Logiksektors nahm ich schon nicht mehr wahr. 5. »Willkommen! Willkommen!« Luck der Proporze hatte es sich nicht nehmen lassen, Jolo und mich persönlich am Fuß der Rampe zu begrüßen, die ins Innere seiner Gondel führte. Albion hielt sich nach wie vor in der Krankenstation auf. Zwar ging es ihm inzwischen wieder gut, und der behandelnde Maulspindler hatte mir versichert, dass das Schwert des Iotaren keine lebenswichtigen Organe getroffen hatte, doch zur Sicherheit sollte der Breite Mann noch ein paar Stunden im künstlichen Koma gehalten werden, um seinem Körper Gelegenheit zu geben, sich vollständig zu regenerieren. Das Innere von Lucks Gondel unterschied sich in der räumlichen Aufteilung nicht wesentlich von jener Gondel, die ich bereits kannte. Luck führte uns durch einen breiten Gang in den Aufenthaltsraum, der rundum mit kostbar aussehenden Tüchern verhängt war. Unsere Füße versanken in einem hochflorigen Teppich, und an den
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Seitenwänden stapelten sich dicke Kissen in allen Formen und Farben. Die Mitte des Raums nahmen mehrere große Holztischeein. Beim Anblick der Köstlichkeiten, die sich auf ihnen stapelten, verschlug es Jolo augenblicklich die Sprache, und er fixierte die Speisen, als könnten sie jeden Augenblick wie eine Illusion verschwinden. Was immer man auch über Luck den Proporzen sagen mochte - wie man ein Festmahl anzurichten hatte, wusste er. Die Gerüche, die mir in die Nase stiegen, waren ebenso exotisch wie angenehm. Vier der rotnasigen Rattenwesen, die Luck als seine Hände bezeichnete, huschten geschmeidig zwischen den Tellern, Platten und Schüsseln umher, füllten bauchige Krüge und schleppten riesige Schalen mit verlockend duftenden Speisen heran. Mit den hier, aufgefahrenen Mengen hätte man ein halbes Heerlager verpflegen können. Oder Jolo. Fast zwei Stunden lang spielte ich das altbekannte Spiel der Diplomaten, nahm Komplimente entgegen und gab sie zurück. Wir sprachen über belanglose Dinge, versuchten den jeweils anderen auszuloten und einzuschätzen. Kurz, wir taten all das, was ich schon während meiner Zeit als arkonidischer Imperator wie kaum etwas anderes gehasst hatte. Nichtsdestotrotz genoss ich das üppige Frühstück mit allen Sinnen, denn seit ich in der Intrawelt angekommen war, hatte ich nicht mehr derart reichlich und gut gegessen. »Ihr seid ein Mann, der die Annehmlichkeiten des Lebens zu schätzen weiß, Atlan«, sagte Luck der Proporze, als wir die Mahlzeit beendet hatten. Lediglich Jolo war nach wie vor damit beschäftigt, sich den Bauch zu füllen. Die Festtafel musste für ihn so etwas wie das Paradies sein. »Da dürften wir uns nicht allzu sehr voneinander unterscheiden«, erwiderte ich. »Wenn ich mich hier umschaue, dann komme ich nicht umhin festzustellen, dass Eure Geschäfte ausgezeichnet gehen müssen.« Zwei von Lucks Dienern schickten sich an, seine gewaltigen Hauer
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Konvent der Händler zu reinigen, doch der Händler scheuchte sie ungeduldig beiseite. »Nun«, erklärte er dann, »mit dem Geschäft verhält es sich wie mit dem Wetter. Es könnte immer besser sein, als es gerade ist. Doch reden wir nicht von einem alten Mann, der seine einträglichsten Kontrakte längst geschlossen hat. Was hat Euch in diese Gegend verschlagen? Ich treibe Handel in über 100 Parzellen, aber einen - wie sagtet Ihr doch - Arkoniden habe ich noch nie getroffen.« »Das liegt wohl daran, dass ich der Einzige meiner Art in der Intrawelt bin«, ging ich in die Offensive. »Ich bin erst vor kurzem hier eingetroffen und versuche mich derzeit noch zu orientieren.« »Ein Außenweltler«, sagte der GrünNomade. Er klang nicht überrascht. Anscheinend hatte er Ähnliches längst vermutet. »Sucht Ihr etwas Bestimmtes?« »Allerdings«, bestätigte ich. »Habt Ihr schon einmal vom Flammenstaub gehört?« Diesmal fiel die Reaktion meines Gegenübers eindeutiger aus. Auch wenn ich das fremde Mienenspiel nicht in letzter Konsequenz zu deuten vermochte, so war ich mir sicher, dass Luck mit einem Mal deutlich aufgeregter war als zuvor. »Flammenstaub?«, wiederholte er. »Eine Legende. Ein Märchen, das man sich an den Feuern von Pregesbau bis Golarchant erzählt. Wenn Ihr wirklich glaubt, dass es diesen mythischen Stoff gibt, dann habt Ihr Eure beschwerliche Reise umsonst gemacht. »Wohnt nicht in jeder Dichtung ein Funken Wahrheit?«, lächelte ich. »Warum erzählt Ihr mir nicht, was Ihr über den Flammenstaub wisst, und ich entscheide dann, was ich glauben will und was nicht.« Luck der Proporze lachte laut und lange. Zu lange. Es war unverkennbar, dass die Gedanken in seinem mächtigen Schädel Purzelbäume schlugen. »Ich mache Euch einen Vorschlag, Atlan«, sagte er schließlich. »Warum reisen Ihr und Eure Freunde nicht mit mir in die Parzelle Pregesbau? Dort beginnt übermorgen das Thongning, die große Konferenz der Nomaden. Ich garantiere
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Rüdiger Schäfer Euch: Wenn Ihr an Legenden und Märchen interessiert seid, dann ist das der Ort aller Orte. Nirgendwo wird mehr fabuliert und aufgeschnitten, werden mehr Phrasen gedroschen und Gerüchte verbreitet. Als meine Gäste wird es Euch an nichts , fehlen.« »Einverstanden!«, würgte Jolo mit vollem Mund. Ich warf ihm einen unwilligen Blick zu. »Wann wollt Ihr aufbrechen?«, erkundigte ich mich. »In Kürze«, antwortete der Grün-Nomade. »Pregesbau ist fast zwei Tagesreisen entfernt. Und ich kann es mir nicht leisten, zu spät zu kommen.« Ich nickte nachdenklich. Übertreib es nicht, wisperte der Extrasinn, der natürlich wusste, dass ich meine Entscheidung längst getroffen hatte. Im Moment besitzt du Lucks Wohlwollen, doch das kann sich sehr schnell ändern. »Eure Großzügigkeit beschämt mich«, sagte ich. »Ich nehme Euer Angebot gerne an.« »Großartig! «, rief der Händler dröhnend. »Das muss gefeiert werden. Und da Ihr Geschichten über alles liebst, werde ich Euch einen kleinen Vorgeschmack geben. Man bringe Tuxit herein! « * Das über zwei Meter große Vogelwesen nahm mich vom ersten Moment an gefangen. Es ging gebückt und zeigte deutliche Spuren körperlicher Misshandlung, und doch strahlte es etwas aus, was man nur schwer in Worte fassen konnte. Es war eine bedrückende Mischung aus Melancholie und Verlassenheit, die augenblicklich den ganzen Raum erfüllte. Aber da war noch etwas anderes, ein Hauch von Stärke, von vergangener Größe, das Gefühl, etwas Unersetzliches für immer verloren zu haben. Als Tuxit mit vibrierendem Bariton zu erzählen begann, überdeckte seine leise und doch kraftvolle Stimme jedes Geräusch. Sie drängte alles andere
Konvent der Händler mühelos beiseite, verschaffte sich Raum und Luft und füllte den letzten Winkel. Sogar Jolo unterbrach sein Gelage und lauschte mit weit geöffneten Kiefern der Geschichte, die das Vogelwesen zum Besten gab. Sie handelte von standhaften Kriegern und blutigen Schlachten, von großen Eroberungen und unermesslichen Schätzen. Sie war kitschig und schwärmerisch, und doch vermochte sich niemand dem Bann dieser unglaublichen Stimme zu entziehen. Jeder fieberte und litt mit dem Helden, spürte seine Verzweiflung in aussichtsloser Lage. Jeder fühlte den brennenden Hass gegen den Schurken in sich aufsteigen, als dieser im Kampf die Oberhand gewann und zu triumphieren drohte. Und jeder empfand die erlösende Erleichterung, als der Held das Geschick in letzter Sekunde wendete und doch noch den Sieg davontrug. »Das war ... großartig«, stieß ich hervor, als Tuxit geendet hatte. »Erträglich«, grunzte Luck der Proporze gereizt. »Und jetzt verschwinde«, wandte er sich an das Vogelwesen. Tuxit trottete ohne ein weiteres Wort davon. »Ich fand seine Vorstellung mehr als außergewöhnlich«, sagte ich. Das in diesem Moment wieder einsetzende Schmatzen Jolos klang mir übermäßig laut in den Ohren. Die Gleichgültigkeit, ja Geringschätzung, die der Grün-Nomade der Leistung Tuxits gegenüber zeigte, ließ jene Wut in mir hochkochen, die ich in den letzten Tagen so oft verspürt hatte. Was glaubte sich dieser fette, eingebildete Wucherer herausnehmen zu können? Am liebsten hätte ich auf der Stelle... Beruhige dich!, wisperte der Extrasinn eindringlich. Willst du alles, was du bisher erreicht hast, wieder kaputtmachen? Vor meinem geistigen Auge erschien Peonu. Ich sah mich, wie ich beide Hände um seinen feisten Hals legte und langsam zudrückte, bis ihm die breite Zunge zwischen den beiden blutroten Zahnreihen hervorquoll. Ich war nicht besonders stolz auf dieses Wunschbild, doch es half mir, den sich wieder einmal öffnenden Abgrund
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in meinem Geist notdürftig zu überbrücken. Ich musste vorsichtiger sein, bevor mich diese verfluchte Launenhaftigkeit noch eines Tages wirklich in Schwierigkeiten brachte. Luck der Proporze hatte sich währenddessen von dem Kissenberg, auf dem er ruhte, erhoben. Ich wusste nicht, ob er meinen emotionalen Ausbruch als solchen erkannt hatte, doch seine zuvor gezeigte Liebenswürdigkeit hatte sich merklich abgeschwächt. »Wenn Euch mein Erzählsklave so viel Freude bereitet«, knurrte der GrünNomade, »dann dürft Ihr gerne mit ihm zusammen reisen. Ich werde Dunkelhein anweisen, eine dritte Gondel bereitzumachen. Albion wird an Bord meiner Gondel gebracht. Ich fühle mich nach wie vor für seinen Zustand verantwortlich und möchte persönlich darüber wachen, dass er alles bekommt, was er braucht.« Ich wollte aufbegehren, doch ein Impuls des Extrasinns hielt mich zurück. Auch wenn mir bewusst war, dass Luck mich lediglich aus dem Weg räumen wollte, um sich ungestört mit dem Breiten Mann beschäftigen zu können, so konnte ich mir eine Konfrontation mit dem Händler zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht leisten. Ich packte Jolo unsanfter als notwendig am Arm und zerrte ihn mit mir. Das Echsenwesen rülpste erschrocken und behielt die noch immer reichlich vorhandenen Leckerbissen sehnsuchtsvoll im Blick, bis wir außer Sichtweite waren. * »Du gehst mir auf die Nerven.« Ich starrte gelangweilt aus einem der Sichtfenster unserer Gondel auf die tief unter uns stehenden Wolkenfelder. Vor mehr als einem Tag waren wir von GEM-45 aus zur Hochstation HU-9 gestartet. Die Aufstiegsgeschwindigkeit hatte dabei deutlich höher gelegen als die Geschwindigkeit, die wir während der Fahrt von XACK-331 nach GEM-45
Konvent der Händler erreicht hatten. Ich schätzte sie auf etwa 1000 Stundenkilometer. Von HU-9 aus war es ohne Zwischenhalt über einen Parallelfaden weitergegangen. Wir befanden uns seitdem mindestens 20.000 Meter über der Innenfläche des Hohlplaneten, und wenn die Wolkenformationen aufbrachen, bot sich ein unbeschreiblicher Anblick. Ich hatte darauf gehofft, einen der Ultrafäden zu sehen, die aus den kuppelförmigen Erhebungen auf der Oberseite einiger Hochstationen heraus in noch größere Höhen führen sollten, doch HU-9 besaß keinen solchen. Ich wusste, dass diese Fäden nur von sehr wenigen Stationen ausgingen und nur von besonders legitimierten Maulspindlern benutzt werden durften. Diese genossen selbst unter ihren Artgenossen einen geradezu magischen Ruf. Jolo unterbrach sein Schmatzen und Schlürfen und sah verblüfft zu mir herüber. Luck der Proporze hatte uns zwar mehr oder weniger in einer gesonderten Gondel eingesperrt, doch die Vorratskammern waren zur Freude des kleinen Echsenwesens bis zum Rand gefüllt. Seit unserem Aufbruch hatte Jolo deshalb nichts anderes getan, als zu essen. »Meinst du mich?«, fragte er jetzt überrascht. »Wen sollte ich sonst meinen?«, erwiderte ich mühsam beherrscht. »Der da drüben bewegt sich schließlich nicht.« Ich deutete auf den Iotaren, der mit ineinander verschränkten Armen in einer Ecke des Raumes stand. Er hatte bislang weder geschlafen noch gegessen oder getrunken. Ganz im Gegensatz zu meinem schier unersättlichen Begleiter, dessen Appetit es mühelos mit dem einer neunköpfigen Raupe von Duriel V hätte aufnehmen können. »Aber ich esse doch nur«, maulte Jolo. »Eben«, entgegnete ich kurz angebunden. Der Kleine kann nichts dafür, dass Tuxit nicht mit dir reden will, wisperte der Extrasinn. Du gehst mir ebenfalls auf die Nerven, dachte ich.
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Das ist eine meiner Aufgaben, bemerkte der Logiksektor. Ich hatte keine Lust auf eine neuerliche Debatte, denn sie würde ebenso fruchtlos verlaufen wie die vorangegangenen. Also schwieg ich. Die Sekunden in der Gondel reihten sich unendlich langsam aneinander, und ich fühlte mich immer mehr an die eintönigen Tage an Bord der AMENSOON erinnert. Hier wie dort hatte ich zu viel Zeit gehabt, um nachzudenken und mich in selbstquälerischen Grübeleien zu verlieren. Konnte ich die Zerstörung des Dunkelsterns tatsächlich als einen Erfolg verbuchen? War die Aktion die zahlreichen Opfer wert gewesen, die sie gekostet hatte? Ich kam mir oft genug vor wie der antike Herakles im Kampf gegen die Hydra. Wann immer ich dem Gegner einen seiner wuchernden Köpfe abschlug, wuchsen zwei neue nach. Tief unter mir reihten sich die Parzellen aneinander. Manchmal waren die Grenzen deutlich als dünne Linien zu erkennen, manchmal gingen die unterschiedlichen Landschaften und klimatischen Bedingungen fließend ineinander über. Aus 20 Kilometern Höhe betrachtet gab es keinerlei Zweifel mehr: Die Intrawelt war ein mit immensem Aufwand und über einen langen Zeitraum hinweg errichtetes Kunstgebilde. Doch die Erbauer der Intrawelt und ihre Geheimnisse waren derzeit meine geringste Sorge. Mit jeder Minute entfernte ich mich weiter von Peonu, der mir etwas gestohlen hatte, was ich unter allen Umständen wieder zurückholen musste. War der rätselhafte Flammenstaub tatsächlich die Lösung aller Probleme? Während der wenigen Gespräche, die ich mit dem Lutveniden geführt hatte - oder besser er mit mir -, war dieser Begriff nicht ein einziges Mal gefallen, und doch hatte ich nicht den geringsten Zweifel, dass sich auch Peonu auf der Jagd nach jener Substanz befand, die angeblich die einzige Möglichkeit darstellte, die Macht der Lordrichter zu brechen. Wenn ich den Flammenstaub also fand und in meinen
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Konvent der Händler Besitz brachte, würde ich Peonu garantiert wiedersehen. Und dann waren da noch Luck der Proporze und sein merkwürdiges Interesse an Albion. Der Breite Mann, den ich zuerst in seiner weiblichen Form kennen gelernt hatte, war nie besonders gesprächig gewesen. Ich hatte keine Ahnung, woher er kam und was er über die Hintergründe der vergangenen Ereignisse wusste. Auch das war ein Grund für meine Unzufriedenheit. Ich verließ den Aufenthaltsraum und ging die wenigen Schritte zu jenem kurzen Kabinengang hinüber, der zu den Quartieren führte. Tuxit hockte mit untergeschlagenen Beinen in der Ecke einer der gerade einmal zehn Quadratmeter großen Kammern und hatte den Kopf eng an den Körper gepresst. Die auffällige Halskrause schimmerte in mattem Hellgrau. Ich hatte während unserer bisherigen Reise wohl an die zwei Dutzend Male nach ihm gesehen und ihn stets in dieser Position vorgefunden. Auf meine Ansprachen hatte er nicht reagiert. »Ich weiß, dass du gerne Geschichten erzählst, Tuxit«, unternahm ich einen neuen Versuch. »Lass mich zur Abwechslung dir eine Geschichte erzählen. Es war einmal ein Mann, der an die Selbstbestimmung des Individuums glaubte. Er war felsenfest davon überzeugt, dass jedes Lebewesen die alleinige Verantwortung für alles trug, was es tat und sagte, und dass es sich dieser Verantwortung nicht entziehen konnte. Der Mann flog hinaus ins Universum und bereiste zahllose Galaxien. Er lernte Tausende von Völkern und deren Kulturen kennen, sprach mit Zehntausenden von Intelligenzen und erfreute sich an der überwältigenden Vielfalt der Ideen und Ansichten, die man ihm vermittelte. Natürlich traf er auch auf großes Leid und Zerstörung, auf brutale Gewalt und Unterdrückung, auf bittere Armut und Hoffnungslosigkeit, doch wohin immer er auch kam und was immer er auch hörte und sah: Eine Botschaft wiederholte sich unabhängig von Herkunft und Weltanschauung, zog sich unbeeinflusst
Rüdiger Schäfer von Alter und Geschlecht durch alle Ideologien. Freiheit ist das einzige Ding, das man nicht haben kann, wenn man nicht gewillt ist, es anderen zu geben! Und da begriff er, dass Freiheit und Verantwortung ein und dasselbe waren, dass man mit der Verantwortung für sich selbst auch die Verantwortung für alle anderen trägt, denen man auf dem Weg durchs Leben begegnet. Und dass man niemals frei sein kann, wenn man die Freiheit des anderen nicht anerkennt und respektiert.« Ich wartete zwei volle Minuten auf eine Reaktion, doch das Vogelwesen ließ nicht erkennen, dass es mir überhaupt nur zugehört hatte. Schließlich stand ich mit einem Seufzer auf. Ich wollte die Kabine gerade verlassen, als Tuxit zu sprechen begann. Zum ersten Mal seit wir an Bord der Gondel gegangen waren. »Das war eine traurige Geschichte«, sagte er tonlos. »Das finde ich nicht«, erwiderte ich. »Ich finde, es war eine trostreiche Geschichte.« »Geschichten spenden keinen Trost.« Tuxit hob den Kopf, und seine kugelrunden schwarzen Augen fixierten mich. »Geschichten sind wie Träume. Wenn man sich ihnen zu intensiv widmet, vergisst man die Wirklichkeit.« »Warum erzählst du sie dann mit solcher Inbrunst?«, wollte ich wissen. »Weil du die Wirklichkeit vergessen willst?« Der Sklave erhob sich und begann sich ausgiebig zu kratzen. »Die Wirklichkeit hat keine Bedeutung für mich«, antwortete er. »Und ich habe keine Bedeutung für die Wirklichkeit. Wirklichkeit ist nichts anderes als die Befriedigung von Bedürfnissen. Ich habe keine Bedürfnisse.« »Das glaube ich dir nicht«, widersprach ich. »Jedes Lebewesen hat Bedürfnisse.« »Ist diese Aussage eine weitere deiner universellen Botschaften?«, fragte Tuxit. Er klang nicht spöttisch, eher ... resigniert. »Sie bringt zumindest alle notwendigen Voraussetzungen mit.« Ich trat einen Schritt näher an das Vogelwesen heran. »Nehmen wir dich als Beispiel. Würdest du Luck den Proporzen nicht gerne
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Konvent der Händler verlassen? Würdest du die ständigen Misshandlungen und Demütigungen nicht gerne gegen ein Leben in Freiheit eintauschen?« »Wozu?«, fragte Tuxit. Ich starrte ihn ungläubig an. »Wozu?«, rief ich laut. »Du bist ein Sklave. Ein Gefangener. Ein Blitzableiter. Luck behandelt dich wie einen Haufen Abfall. Er benutzt dich, wann und wie es ihm gerade passt. Und eines Tages wird er deiner überdrüssig sein und dich wie ein kaputtes Spielzeug wegwerfen. Willst du etwa behaupten, dass dir das gefällt?« Das Vogelwesen senkte seinen Kopf tief zu mir herunter. »Du bist ein kluger Mann, Atlan«, sagte es sanft. »Klüger als alle anderen, die mir bislang begegnet sind. Aber du weißt so gut wie nichts von mir und dem Leben, das ich führe. Ich habe alles, was ich brauche, und bekomme das, was ich verdiene. Belassen wir es dabei.« Tuxit wandte sich ab und ließ sich wieder in die Hocke sinken. Ich wusste sofort, dass es keinen Zweck mehr hatte, weiter in ihn zu dringen. Er hatte alles gesagt, was es aus seiner Sicht zu sagen gab. Ich verließ die Kabine und kehrte in den Aufenthaltsraum zurück. Mein Gefühl, dass Tuxit etwas ganz Besonderes war, hatte sich zur Gewissheit verfestigt. 6. Die riesige Zeltstadt erstreckte sich über ein Gebiet von mehreren hundert Quadratkilometern. Schon während sich die Gondel von der Flachstation ZER-77 zur Gondelstation SING-848 hinabsenkte, waren die Ausmaße der provisorischen Siedlung durch das dichte Schneetreiben hindurch zu erkennen. Ich schätzte, dass sich dort unten mindestens 200.000 Individuen aufhielten. Im Zentrum des Areals ragte ein mehrstöckiger Rundbau von gut dreihundert Metern Durchmesser in den wolkenverhangenen Himmel. Um das Gebäude herum herrschte ein beispielloses Gedränge. Von meiner Position konnte ich
Rüdiger Schäfer keine weiteren Einzelheiten ausmachen. Zum einen behinderte das in großen Flocken fallende Weiß die Sicht, zum anderen beschlugen ständig die Scheiben der Gondelfenster. »Wirkt ziemlich ungemütlich«, kritisierte Jolo den Ausblick. »Kalt und ungemütlich.« Wir mussten mehr als zwei Stunden warten, bis unsere Gondel die letzten Meter zum Boden zurückgelegt hatte, denn natürlich ließ Luck der Proporze zunächst seine Privatgondeln entladen. Als ich das Gefährt endlich verlassen konnte und die Rampe nach unten schritt, wartete der Händler bereits auf mich. Neben ihm stand Albion. Der Breite Mann schien völlig wiederhergestellt zu sein, machte aber dennoch einen niedergeschlagenen Eindruck. . Sowohl das Schneckenwesen als auch der Grün-Nomade waren in dicke Fellüberzüge gehüllt. Auf ein knappes Kopfnicken Lucks hin huschten zwei Hände heran und überreichten Jolo und mir ebenfalls entsprechende Schutzkleidung - vor allem Jolo war darauf angewiesen, sollte er nicht in Kältestarre fallen. Ich beeilte mich, den warmen, fast bis zum Boden reichenden Mantel überzuziehen, denn der Wind, der mir entgegenwehte, war eisig. »Euer Schwert müsst Ihr leider ablegen, Atlan«, bedauerte Luck. »Im Lager ist nur den Ältesten und ihren Söldnern das Tragen von Waffen gestattet. Ich garantiere jedoch, dass Ihr Euch um Eure Sicherheit keine Sorgen machen müsst.« Die Laune des Händlers schien sich in den letzten beiden Tagen deutlich gehoben zu haben. »Davon bin ich überzeugt«, erwiderte ich und händigte einem der Diener den Krummsäbel aus, der sich einst im Besitz von Ritz Toyd befunden hatte. »Meine Zelte wurden im grünen Sektor errichtet«, informierte Luck. »Sektion G64-7. Natürlich stehen Euch und Euren Freunden angemessene Unterkünfte zur Verfügung. Ihr solltet die kommenden Tage nutzen und Euch umsehen. Das Thongning ist das größte und wichtigste
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Konvent der Händler Ereignis in weitem Umkreis. Ich muss mich zunächst um einige dringende persönliche Angelegenheiten kümmern.« »Wir finden uns schon zurecht«, sagte ich, doch der Händler hatte seine Aufmerksamkeit längst Albion zugewandt. »Und Ihr seid sicher, dass Ihr mich nicht begleiten wollt?«, fragte er den Breiten Mann. »Ihr könntet Euch in meinem Zelt ausruhen. Es ist dort warm, und für einen herzhaften Imbiss ist gesorgt.« Ich packte Jolo im letzten Moment am Kragen seiner Felljacke, bevor er sich in Lucks Richtung absetzen und die Einladung anstelle Albions annehmen konnte. »Vielen Dank«, lehnte das Schneckenwesen ab. Seine Stimme klang gepresst. »Aber die lange Reise ... Ich brauche ein wenig Bewegung.« Der Grün-Nomade sah nicht besonders glücklich aus, akzeptierte den Wunsch Albions aber. Gemeinsam mit dem Breiten Mann und Jolo entfernte ich mich von der Gondelstation und schlug den Weg in Richtung Zeltstadtmitte ein. Ich konnte Lucks Blicke in meinem Rücken geradezu spüren. »Ist alles in Ordnung?«, wandte ich mich an Albion, als wir außer Hörweite des Händlers waren. »Ja«, antwortete dieser. »Aber ich wünschte, ich wüsste, was dieser fette Kerl von mir will.« »Hat er es dir nicht gesagt?«, fragte ich verwundert. »Ihr habt immerhin zwei Tage miteinander verbracht.« »In denen er mich regelrecht beeltert hat«, berichtete Albion. »Er hat mir buchstäblich jeden Wunsch erfüllt. Und alle paar Minuten musste ich ihm versichern, dass ich mich wohl fühle und nichts brauche.« »Hast du ihn denn nicht gefragt, warum er so sehr um dich bemüht ist?«, wollte ich wissen. »Natürlich habe ich das«, erwiderte das Schneckenwesen in beleidigtem Ton. »Immer wieder Und jedes Mal hat er gesagt, ich solle mich nicht bekümmern und die Reise genießen. Alles werde sich finden.«
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»Vielleicht wäre es wirklich besser, wenn du mit Luck in dessen Zeltlager gehen würdest«, überlegte ich laut. »Wenn du inmitten dieses Trubels«, ich machte eine umfassende Bewegung mit beiden Armen, »die Beherrschung verlierst ...« »Das werde ich nicht«, ließ mich der Breite Mann nicht ausreden. »Ich habe mich absolut unter Kontrolle. Du musst mir glauben, Atlan. Ich bin ...« »Reg dich nicht auf«, rief ich alarmiert. »Ich glaube dir. Du musst versuchen, die Ruhe zu bewahren. Halt dich in meiner Nähe und mach keine Dummheiten.« Albion verschränkte die vermummten Arme vor der Brust und schwieg. Ich spürte, wie jemand heftig an meiner Felljacke zog. Als ich den Kopf senkte, erblickte ich Jolo, der mich mit glänzenden Augen ansah. In seinem Überwurf, der ihm einige Nummern zu groß war, sah er lächerlich aus. »Mich friert ...« , klagte er mit weinerlicher Stimme. »... und hungert«, nickte ich verdrossen. Das Echsenwesen legte den Kopf schief. »Woher weißt du das?«, fragte es verdutzt. Luck der Proporze sah dem ungleichen Trio so lange nach, bis es vom allumfassenden Gewimmel der Zeltstadt verschluckt worden war. In den letzten beiden Stunden hatte er zwar die notwendigen Vorbereitungen getroffen, doch die Gefahr, dass Albion verletzt oder gar getötet wurde, ließ sich nicht vollständig eliminieren. Der Grün-Nomade spielte mit hohem Risiko, aber wenn er gewann, würde sein Name auf ewig in den Annalen der Stämme und Clans verzeichnet sein. Der Händler hatte sein Glück kaum fassen können, als er auf GEM-45 einen Vertreter der Urvölker entdeckte. Die Wechselwesen galten seit Jahrhunderten als ausgestorben, und nun hatte er, Luck der Proporze, ein solches gefunden. Bedauerlicherweise lebte Albion derzeit in seiner männlichen Prägung, was ihn extrem labil und schwer beeinflussbar machte, doch der GrünNomade wusste, dass er nur ein bisschen Geduld brauchte. In ein paar Tagen stand
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Konvent der Händler die nächste Wandlung bevor, und aus dem Breiten Mann würde wieder die Hohe Frau werden. Albia konnte sich seinem Angebot einfach nicht verweigern, denn es bedeutete auch für sie Macht und Luxus im Überfluss. Wenn er keinen Fehler beging, würde dieses Thongning zu einem Triumph ohnegleichen werden. Seinem Triumph! Die größte Unbekannte in seiner Gleichung war Atlan. Dem Humanoiden war Lucks Interesse an Albion natürlich nicht verborgen geblieben. Der Händler bezweifelte, dass er den Arkoniden kaufen konnte. Im Gegenteil. Luck war klar, dass der Weißhaarige seine eigenen Pläne verfolgte, und wenn diese mit denen des Grün-Nomaden kollidierten, musste es zwangsläufig zur Konfrontation kommen. Vielleicht wusste Atlan sogar, welchen Schatz er mit Albion in seiner Nähe hatte. Von daher gab es nur eine Möglichkeit: Der Fremde musste inklusive seines gefräßigen Begleiters beseitigt werden, und zwar möglichst ohne Aufsehen zu erregen. Luck der Proporze strich mit dem rechten Vorderlauf nervös über den Lederbeutel mit dem Hörensager. Noch in seiner Gondel hatte er einen weiteren Bericht abgesetzt. Der Händler hatte keine Ahnung, wer diese Berichte empfing und was er mit ihnen anstellte. Er wusste nur, dass ihr Ausbleiben furchtbare Konsequenzen hatte. Alle Nomaden achteten peinlichst darauf, die Zeit zwischen zwei Meldungen nicht zu lang werden zu lassen. Als der Tross mit dem Prunkwagen des Händlers den grünen Sektor und dort die bereits von einer vorab geschickten Karawane aufgebauten Zelte erreichte, riss die Wolkendecke über der Stadt kurzzeitig auf, und die zaghaft tastenden Strahlen der Sonne tauchten die Umgebung in ein unwirkliches Licht. Das Schneegestöber und der kalte Wind wurden schwächer. Luck der Proporze wertete das als ein gutes Omen. Mit einem ungeduldigen Singsang scheuchte er seine Hände in das Wohnzelt. Bis zum ersten Treffen der Ältesten im Thong blieb ihm nicht mehr viel Zeit.
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Rüdiger Schäfer * Es dauerte eine Weile, bis ich mich inmitten des um mich herum wogenden Chaos orientiert hatte. Der Großteil der sich in stetem Strom über die breiten Wege zwischen den eng beieinander stehenden Zelten wälzenden Lebewesen bestand aus Nomaden, die ihre massigen Leiber rücksichtslos durch die Menge schoben. Dabei fiel mir auf, dass 'die meisten von ihnen ebenso phlegmatisch und plump wirkten wie die sechs Exemplare, die mit Luck dem Proporzen gereist waren. Die wenigsten trugen so etwas wie Kleidung, und die Art, wie sie sich bewegten, wie sie sich gegenseitig derb zur Seite drängten oder gar mit Tritten traktierten, ließ allenfalls eine rudimentäre Intelligenz vermuten. Ich beobachtete sogar, wie einige Nomaden ihre Notdurft ohne jede Scham im Gehen verrichteten und die Exkremente einfach auf den Boden fallen ließen. Der entsprechende Gestank lag wie eine Glocke über der Zeltstadt. Dem entgegen standen jene Vertreter ihrer Art, die sich in kostbar aussehende Gewänder gehüllt hatten und von kunstvoll bemalten Kutschen, teilweise sogar von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren transportiert wurden. Man wich ihnen respektvoll aus und trat sofort an den Rand der Straße, wenn sie - von mindestens einem Dutzend Dienern und sonstigem Gefolge begleitet - in Sichtweite kamen. Zweimal sah ich Händler, die kastenförmige Geräte vor ihre Münder hielten und in sie hineinsprachen, als wären es altertümliche Funkgeräte. Ansonsten trafen sich in der Zeltstadt respektive zum Thongning offenbar Intraweltler aus aller Herren Parzellen. Ich sah Iotaren, Pholdeks, Blubbler, Umen, Teloracs und eine beträchtliche Anzahl von Wesen, die ich keiner mir bislang bekannten Spezies zuzuordnen vermochte. Von Jolo erfuhr ich, dass die Konferenz der Händler etwa alle 1000 Tage stattfand und jedes Mal ein Ereignis war, das die Besucher von weit her anzog. Man nutzte
Konvent der Händler es, um Geschäfte zu tätigen, Verträge zu schließen, alte Freunde zu treffen, neue Freunde kennen zu lernen oder ganz einfach nur, um sich zu amüsieren und die Vielfalt der angebotenen Waren und Dienstleistungen zu genießen. Insofern hatte sich meine Reise nach Pregesbau durchaus gelohnt. Schon mein alter Lehrmeister Fartuloon hatte stets behauptet, dass man sich nirgendwo einen besseren Eindruck vom Wesen einer Zivilisation verschaffen konnte als auf ihren Festen und Handelsplätzen. Während wir uns durch das Gewimmel drängten, musste ich immer wieder auf Jolo achten, der wie ein kleines Kind von einem Verkaufsstand zum nächsten lief. Meistens handelte es sich dabei um Imbissbuden. Da ich jedoch keinerlei Zahlungsmittel besaß, ignorierte ich die permanenten Nörgeleien des Echsenwesens. Die meisten Geschäfte wurden ohnehin über Warenaustausch abgewickelt. Es gab aber auch eine Art Währung, die sich aus verschiedenfarbigen fingernagelgroßen Kieselsteinen zusammensetzte. Ich vermutete, dass sie von den Nomaden herausgegeben wurde, um die Abwicklung von kleineren Geschäften zu erleichtern. Sie waren die Einzigen, die die nötige Infrastruktur dazu besaßen. Die Heterogenität der Intrawelt macht eine Ausbildung von klassischen ökonomischen und sozialen Strukturen so gut wie unmöglich, wisperte der Extrasinn. Andernfalls wären sie in den langen Jahrtausenden längst entstanden. Das alles erinnert mich irgendwie an das Tiefenland, dachte ich zurück. Ich war im Jahr 427 NGZ gemeinsam mit dem Ritter der Tiefe Jen Salik in diese von den RaumZeit-Ingenieuren geschaffene Scheibenwelt verschlagen worden, die mit ihrem unglaublichen Durchmesser von einem Lichtjahr die Dimensionen der Intrawelt zur Belanglosigkeit verdammte. Auch dort hatten Tausende verschiedener Völker in... Das Tiefenland existiert nicht mehr, unterbrach mich der Logiksektor. Richte
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deine Aufmerksamkeit auf das, was vor dir liegt. Ich verzichtete auf eine Entgegnung, und das nicht nur deshalb, weil ich meinem zweiten Ich im Stillen Recht gab, sondern auch, weil ich plötzlich ein kaum merkliches Kitzeln an meinem rechten Arm verspürte. Geistesgegenwärtig packte ich zu - und hielt im selben Moment ein wild zappelndes und quiekendes Bündel in der linken Hand. Das in ein löchriges, sackartiges Gewand gehüllte Wesen war kaum mehr als dreißig Zentimeter groß und furchtbar hager. Ein fleckiges, graublaues Fell spannte sich straff über ein zerbrechlich wirkendes Skelett. Zwei lange Arme reichten von den eckigen Schultern bis zu den breiten Füßen hinunter und endeten in acht spindeldürren Fingern. Das schmale Gesicht mit den grünen Augen und den wulstigen Lippen war in Panik verzerrt. Anstelle einer Nase besaß das Kerlchen lediglich zwei bebende Atemschlitze. »Molek ist ohne Fehl und Sünde«, schluchzte es. »Molek schwört dem Hohen Herrn auf das Grab seiner Mutter. Ihr müsst Molek glauben, Hoher Herr. Ihr müsst! « »Das würde ich gern«, grinste ich und hob den rechten Arm. Die Befestigung des Cuerombs hatte sich bereits zur Hälfte gelöst. »Aber ich befürchte, Molek ist ein Dieb und seine Mutter erfreut sich bester Gesundheit. Habe ich Recht?« »Molek ist nichts als Bedauern«, schniefte der Kleine. »Molek reuen seine Taten, doch es ist so kalt, und Molek entbehrt Speise und Lagerstatt. Ihr solltet Molek verprügeln, Hoher Herr, und dann davonjagen wie einen räudigen Grummek.« »Das würde dir besser gefallen, als wenn ich dich den Behörden übergebe, nicht wahr?«, lächelte ich. »Keine Behörden«, kreischte der Knirps. »Molek erfleht Barmherzigkeit, Hoher Herr. Molek wirft sich dem Hohen Herrn zu Füßen und wälzt sich vor ihm im Schmutz der ...«
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Konvent der Händler »Hör auf, hör auf«, lachte ich. Der Bursche amüsierte mich. »Ich mache dir einen Vorschlag.« Molek hörte auf, wie wild herumzuzappeln, und sah mich stattdessen misstrauisch an. Der Dhedeen auf seiner Schulter, ein ganz besonders kümmerliches Exemplar, schwankte noch immer leicht hin und her. »Du kennst dich doch hier sicher sehr gut aus, nicht wahr?«, fragte ich. »Sprecht nicht weiter. Molek hat schon verstanden, Hoher Herr«, quietschte der Kleine und entblößte eine Reihe schadhafter Zähne. »Ihr sucht Zerstreuung. Schöne Träume. Wollüstige Sklavinnen. Ein paar Prisen Myrha, um Eure Wunden zu heilen. Willige ...« »Nichts von alledem«, stoppte ich den Eifer meines diebischen Freundes. »Und jetzt halt deine Klappe und hör mir zu. Ich suche Informationen. Landkarten der Intrawelt und einzelner Parzellen, Berichte über die Erbauer des Hohlplaneten, Legenden über geheimnisvolle Orte und ungewöhnliche Ereignisse, Hinweise auf einen Stoff namens Flammenstaub. Wenn du mir dabei hilfst, bin ich nicht nur bereit, deinen Fehltritt von eben zu vergessen, sondern dich auch für deine Dienste zu bezahlen.« »Molek ist überwältigt und beschämt von so viel Güte, Hoher Herr«, flüsterte der Kleine erstickt, und es kullerten ihm wahrhaftig zwei dicke Tränen links und rechts der eingefallenen Wangen über das Gesicht. »Ihr seid mehr, als Molek verdient. Ihr seid ein ...« Diesmal war es Jolo, der den Monolog des Knirpses unterbrach. Wieder einmal zerrte er hektisch an meiner Pelzjacke. »Können wir zurück zu Luck?«, fragte er und beäugte den inzwischen auf meinem Arm hockenden Molek mit unverhohlenem Argwohn. »Mich hungert.« »Molek hungert ebenfalls, Hoher Herr«, gab mein neuer Helfer bekannt. Ich seufzte innerlich. Zauberhaft, schoss es mir durch den Kopf. Wenn das so weitergeht, muss ich bald eine Großküche eröffnen.
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Rüdiger Schäfer 7. Wir zogen weiter dem zentralen Gebäude in der Zeltstadtmitte entgegen. Molek hockte auf meiner rechten Schulter und plapperte vor sich hin. Dabei enthüllte er durchaus auch eine Reihe wissenswerter Details über Pregesbau, die Nomaden und das Thongning. Auf der linken Schulter saß der Dhedeen. Jolo dagegen klammerte sich an meinem Pelzmantel fest und wurde nicht müde zu beteuern, dass er kurz davor stehe, des Hungers zu sterben, und ich allein daran schuld sei. Doch trotz der selbst für hiesige Verhältnisse ungewöhnlichen Zusammensetzung unserer Gruppe schenkte uns niemand Beachtung. Die Blicke der meisten Nomaden, vor allem jener, die mit Gefolge unterwegs waren, richteten sich auf den wenige Meter hinter uns gehenden Albion. Sie reichten von scheu über ehrfürchtig bis hin zu offen begehrlich, und einmal mehr fragte ich mich, was die Händler in dem Breiten Mann wohl sehen mochten. Molek konnte mir in dieser Frage leider nicht helfen. Er hatte jemanden wie Albion noch nie zuvor gesehen. Auch meine Versuche, mit einigen der Händler ins Gespräch zu kommen, scheiterten kläglich. Entweder starrten sie mich nur verständnislos an oder legten mir tunlichst nahe, das Weite zu suchen, bevor sie ihre Söldner auf mich hetzten. Dank Molek wusste ich, dass das Gebäude, auf das wir zugingen, Thong genannt wurde und die Versammlungshalle der Ältesten war. Die wichtigsten Vertreter der verschiedenen Stämme trafen sich hier, um über alles und nichts zu beraten. Neben den Grün-Nomaden gab es noch Rot-, Blau-, Schwarz- und Weiß-Nomaden, wobei man sich angeblich die gesamte Intrawelt untereinander aufgeteilt hatte. Sämtliche Stämme hatten allerdings das gleiche Ziel: das Sammeln und Horten möglichst vieler technischer Artefakte aus den Tagen der Erbauer.
Konvent der Händler Molek, der sich als Sibritarier aus der Parzelle Notrivor vorgestellt hatte, erzählte weiterhin, dass die Rot-Nomaden den Ruf genossen, die einflussreichsten aller Stämme zu sein. denn unter ihrer Obhut standen die Zentrumsparzellen. Dort gab es angeblich Völker, deren Angehörige die Nacht nicht mit Feuern, sondern mit winzigen Sonnen erhellten, die man mit sich herumtragen und jederzeit an- und ausschalten konnte. Sie holten ihr Wasser nicht aus Brunnen, sondern das wertvolle Nass floss direkt aus den Wänden ihrer bis in die Wolken hinaufragenden Hütten. Und anstatt zu jagen, tauschten sie in großen Häusern bunte Papierfetzen gegen Nahrung ein. Angeblich konnten sie sich sogar mit Vögeln aus Holz und Metall in die Lüfte erheben, doch das hielt Molek für ein Märchen. Zivilisationen, deren Entwicklungsniveau vergleichbar mit dem des ausgehenden 20. Jahrhunderts auf der Erde ist, analysierte der Extrasinn. Die Intrawelt wäre ein Paradies für Kulturforscher. Das bringt mich wieder auf unsere alte Frage, erwiderte ich mental. Die wir uns nicht zum ersten Mal stellen, wisperte der Logiksektor. Die Intrawelt ist jahrhunderttausendealt, formulierte ich in Gedanken. Und dennoch leben die meisten der hier ansässigen Völker und Gemeinschaften auf einer Zivilisationsstufe, die der des terranischen Mittelalters entspricht. Es muss doch einen Faktor geben, stimmte mir der Extrasinn zu, der die Entwicklung beim Erreichen eines bestimmten Qualitätsniveaus hemmt respektive die betreffenden Völker in ihrer natürlichen Evolution zurückwirft. Es schien eine logische Konsequenz der Tatsache, dass die Intrawelt ein künstliches Gebilde war. Die Erbauer mussten dafür Sorge tragen, dass die Bewohner des Hohlplaneten nicht eines Tages in der Lage waren, ihrem Gefängnis zu entfliehen oder mit Raketen zur Kunstsonne vorzustoßen und diese womöglich zu beschädigen. Es war eine Überlegung, die ich zu berücksichtigen hatte, denn falls es mir
Rüdiger Schäfer gelang, den Flammenstaub zu finden und die Intrawelt wieder zu verlassen - und daran zweifelte ich nicht eine Sekunde -, würde ich vermutlich mit diesem Abwehrsystem, wie immer es auch aussah, konfrontiert werden. Über die kleinen Kästen, in die ich einige Nomaden hatte hineinsprechen sehen, wusste Molek nicht viel. Immerhin konnte er mir berichten, dass sie Hörensager genannt wurden und dass die Händler sie meistens in einem Lederbeutel um den Hals trugen. Vor dem Thong hatte allerlei fahrendes Volk seine Stände und Schaubuden errichtet. Meine Aufmerksamkeit wurde von einer kleinen Intraweltlertraube angezogen, die sich um einen breiten Tisch geschart hatte. , Dahinter stand ein unglaublich fetter Humanoide, der mit lauter Stimme ein Spiel namens Karac anpries und dem Sieger eine erhebliche Summe Logas in Aussicht stellte. Molek erklärte flüsternd, dass Logas der Name jener kleinen Kiesel war, die alle Nomaden und viele Bewohner anderer Parzellen als Zahlungsmittel akzeptierten. Es gab grüne, weiße, blaue, schwarze und rote Steinchen, wobei sich deren Wert von Farbe zu Farbe jeweils verfünffachte. Ein roter Logas entsprach hierbei einem Gegenwert von 625 grünen Logas. Karac war ein in vielen Parzellen verbreitetes Spiel mit überaus einfachem Regelwerk, aber Millionen von Kombinationsmöglichkeiten. Aus einem Stapel von 25 Karten wurden fünf offen auf den Spieltisch gelegt. Die Karten waren wiederum mit fünf unterschiedlichen Symbolen zu je fünf Werten bemalt. Unter die erste Kartenreihe legte der Geber dann eine zweite, diesmal jedoch verdeckte. Jeder Spieler konnte nun auf den Wert einzelner verdeckter Karten oder Kartengruppen wetten. War dieser höher als der Wert der offenen Karten, vermehrte er seinen Einsatz in einem bestimmten Verhältnis. Je mehr Risiko man bereit war einzugehen, also je höher der Wert der bereits offenen Karten war, gegen die man wettete, und je geringer die
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Konvent der Händler Anzahl der verdeckten Karten, die man in seine Wette mit einbezog, desto höher war auch der mögliche Gewinn. Dich zu warnen ist wahrscheinlich wie immer sinnlos, wisperte der Extrasinn, der meine Absicht erkannte, aber ich tue es trotzdem: Du solltest kein Aufsehen erregen. Ein paar Logas in der Tasche können sicher nicht schaden, oder?, dachte ich und trat näher an den Spieltisch heran. Außerdem hast du es inzwischen bestimmt bemerkt: Der Dicke betrügt! Mein zweites Ich verzichtete auf weitere Einwände. Ich war nie ein besonders begabter Spieler gewesen, zumindest nicht, wenn es um das Glücksspiel mit Karten und Würfeln ging, doch meine Freundschaft mit Ronald Tekener hatte mich einige Tricks und Kniffe gelehrt. Der ehemalige USO-Spezialist galt als ein Mann, dem kein Einsatz zu hoch und keine Spielhölle dieses Universums zu verrucht war. Doch auch wenn der wegen seines einschüchternden Lächelns meist Smiler genannte Unsterbliche oft ein Draufgänger und Hitzkopf war: Bei seinen gewagten Einsätzen hatte er sich in den seltensten Fällen allein auf sein Glück verlassen. »Gib mir dein Geld«, zischte ich Molek an. Bevor dieser protestieren konnte, fügte ich hinzu: »Und wenn du mir jetzt sagst, du hättest keines, dann werde ich unser kleines Arrangement noch einmal gründlich überdenken.« Mit einem unverständlichen Murmeln, tastete der Sibritarier mit den dünnen Spinnenfingern in den Falten seines Sackkleides herum und förderte schließlich einen speckigen Lederbeutel zutage, der recht anständig gefüllt war. Das Thongning hatte sich für den kleinen Dieb ganz offensichtlich bereits gelohnt. Ich verwendete weitere fünfzehn Minuten darauf, das Wettgeschehen vor mir genau zu beobachten. Der fette Humanoide, der sich als Gumbro Taskotar vorstellte, verschob die Karten zweifellos mit großer Gewandtheit, doch gegen meine 10.000 Jahre Erfahrung mit Gaunern, Gauklern und windigen Beutelschneidern aller Art
Rüdiger Schäfer hatte er nicht den Hauch einer Chance. Ich tätigte einige niedrige Einsätze und ließ dem Schicksal respektive Gumbros flinken Fingern freien Lauf. Molek begleitete jeden meiner Verluste mit einem unterdrückten Schluchzen. Dann zog ich das Tempo an. Ich erhöhte Einsätze und Risiko und achtete darauf, dass sich Gewinne und Verluste in etwa die Waage hielten. Gumbro Taskotar schluckte den Köder. In der Gewissheit, einen reichen Schwachkopf vor sich zu haben, der ein wenig Nervenkitzel suchte und deshalb leicht auszunehmen war, servierte er mir immer kühnere Kartenkombinationen. Schließlich kam die Reihe, auf die ich gewartet hatte. 155 Punkte auf dem Tisch, half mir der Extrasinn, maximal 175 Punkte verdeckt. Das ergibt den 50-fachen Einsatz, wenn du auf drei Karten wettest. Ronald Tekener wäre stolz auf dich, erwiderte ich in Gedanken und schüttete den Inhalt von Moleks Lederbeutel auf den Spieltisch. »Alles auf die ersten drei Karten«, lächelte ich kühl. Zum ersten Mal sah ich in den feisten Zügen meines Gegenübers so etwas wie Misstrauen, doch die inzwischen beträchtlich gewachsene Zahl an Schaulustigen ließ einen Rückzug nicht mehr zu. Auch darauf hatte ich gesetzt. »Das sind ... äh ...« , stotterte Gumbro Taskotar, während er meine Logas umständlich sortierte, »genau ... äh ...« »15.326 Logas«, half ich aus. »Aber ich will nicht kleinlich sein. Sagen wir, runde 15.000, einverstanden?« Der Dicke legte beide Arme kreuzförmig über seine mit allerlei Ketten und Glücksbringern behängte Brust, bei seinem Volk wahrscheinlich die Geste der Zustimmung. Trotz der nach wie vor herrschenden beißenden Kälte und eines böigen, durch die Straßen der Zeltstadt wehenden Windes stand jetzt der Schweiß auf seiner glänzenden Stirn. Möglicherweise ahnte er bereits, dass er sich mit mir das falsche Opfer ausgesucht hatte. Es lag wohl auch am Zittern seiner Finger, dass der Versuch, zwei meiner Karten zu
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Konvent der Händler vertauschen und so deren Gesamtwert zu verringern, nicht gerade zu den Meisterleistungen seiner Zunft gezählt werden konnte. Ich lehnte mich wie zufällig nach vorn, packte seine linke Hand und brachte meinen Mund nahe an sein fleischiges Ohr heran. »Keine Tricks mehr, mein Freund«, flüsterte ich. »Sei brav, und du verlierst lediglich ein paar Logas.« Die Umstehenden brachen in lauten Jubel aus, als der Dicke die letzte meiner drei Karten umdrehte und ihre Summe den Wert der fünf offenen Karten um genau einen Punkt übertraf. Molek musste sich in meinen langen weißen Haaren festkrallen, um nicht vor Begeisterung von meiner Schulter zu rutschen. Jolo starrte mich mit offener Bewunderung an, und Albion, der dem ganzen Schauspiel aus zwei Schritten Distanz gefolgt war, trat nun an meine Seite und legte mir vier seiner sechs Arme auf den Rücken. »750.000 Logas«, brachte Molek erstickt hervor. »Das ist ... das ist ...« »So ... viel ... habe ich ... nicht, Hoher Herr«, würgte Gumbro Taskotar. »Ich ... meine, nicht in bar. Ich könnte euch aber ein paar Scheiben Myrha anbieten, und ...« »Wie viel hast du?«, fragte ich. »Hier und jetzt?« »Fünfzig..., äh ... achtzigtausend.« Ich sah ihm tief in die Augen und senkte den Kopf. »Äh ... ich meine hundert..., also ... hundertfünfzigtausend«, berichtigte er hastig. »Ich schwöre.« »Einverstanden«, sagte ich. »Fülle das Geld in vier Beutel. Und dann bete zu deinen Ahnen, dass wir uns nie mehr wiedersehen.« Unter dem Spott und Gelächter der Zuschauer fügte sich Gumbro Taskotar in sein Schicksal. Ich händigte Molek, Jolo und Albion je einen der prallen Beutel aus und steckte den letzten in eine Tasche meines Pelzmantels. Dann setzten wir unseren Weg fort. Ich fühlte mich so gut wie schon lange nicht mehr. Ich störe dein Wohlbehagen nur ungern, wisperte der Extrasinn, als wir den weiten
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Platz vor dem Thong überquerten, aber wir werden seit geraumer Zeit verfolgt. * Iotaren, dachte ich. Die beiden Männer, die sich an meine Fersen geheftet hatten, stellten sich nicht ungeschickt an, doch es war ebenso schwer, einen jahrtausendealten Unsterblichen unbemerkt zu beschatten, wie ihn beim Glücksspiel zu betrügen. Zwar hatten die zwei hoch gewachsenen Söldner ihre schwarze Kleidung abgelegt und sich in unauffälligere Gewänder gehüllt, doch das allein genügte nicht. In der wogenden Menge wirkten sie wie Fremdkörper, wie zwei Sandkörner, die inmitten eines tobenden Wüstensturms vom Wind nur sanft hin und her geschaukelt wurden. Wenn ich es recht bedachte, durfte ich nichts anderes erwarten. Luck wollte vermutlich sichergehen, dass ich mich nicht mit Albion aus dem Staub machte. Ich lotste unsere Gruppe bis an ein breites Portal, das ins Innere des Thong führte. Die lange Warteschlange davor bewies, dass es sich um einen Eingang für Besucher handelte. »Stellt euch hier an«, forderte ich Jolo und Albion auf. »Molek und ich sind gleich wieder da.« Ich ignorierte den weinerlichen Protest des Echsenwesens, das am anderen Ende des Platzes einen Stand erspäht hatte, der angeblich gebratene Bumikki feilbot. Was immer das auch war, mein geschuppter Freund würde vorerst darauf verzichten müssen. Innerhalb weniger Minuten war ich mit meinem Führer im Gewühl untergetaucht und hatte mehrfach die Richtung gewechselt. Große Plakate an den Außenwänden des Thong verkündeten, dass in Kürze die erste öffentliche Sitzung der Ältesten beginnen würde und es sinnlos war, nach Karten anzustehen, da die Besucherränge restlos ausverkauft waren. »Warum ist das Interesse an diesen Sitzungen so groß?«, erkundigte ich mich
Konvent der Händler bei Molek. Der Kleine lachte zuerst, weil er meine Frage für einen dummen Scherz hielt. »Ihr müsst von weit her kommen, Hoher Herr«, sagte er, als ich ihm erklärte, dass ich meine Frage durchaus ernst gemeint hatte. »In den Beratungen der Ältesten ist oft von großen Schätzen und neuen Karawanenrouten die Rede. Sie verkünden die Lage frisch entdeckter Minen und nennen die Sammellöcher, an denen sich demnächst Nomaden und ihr Geleit einfinden werden. Wer aufmerksam zuhört und schnell handelt, kann über Nacht reich werden und ist bis an sein Lebensende aller Sorgen ledig.« Diese Nomaden sind alles andere als dumm, wisperte der Extrasinn. Sie lenken nicht die Waren zu den Kunden, sondern die Kunden zu den Waren. Beeindruckend. So etwas funktioniert nur in einer Mangelwirtschaft, dachte ich zurück und empfing einen zustimmenden Impuls des Logiksektors. Richtig, erwiderte mein zweites Ich. Und ich bin davon überzeugt, dass man in Kreisen der Händler alles dafür tut, dass sich an dieser Situation nichts ändert. Je mehr ich über die Nomaden erfuhr, desto klarer wurde mir, dass sie diejenigen Bewohner der Intrawelt waren, die sich am besten mit den bestehenden Verhältnissen arrangiert hatten. Insofern durfte ich auch sehr sicher sein, dass sie viele Dinge über den Hohlplaneten wussten, die mir selbst noch unbekannt waren. Ich bekam keine Zeit mehr, mich näher mit diesen Gedanken zu beschäftigen, denn die beiden Iotaren hatten inzwischen bemerkt, dass ich ihnen entkommen war. Sie schauten sich suchend um, besprachen sich dann kurz und trennten sich. Während einer in der Nähe von Jolo und Albion blieb, unternahm der andere den Versuch, meine Fährte wieder aufzunehmen. Ich lächelte humorlos. »Molek«, sagte ich leise. »Du kehrst jetzt zu Jolo und Albion zurück. Sag ihnen, sie sollen auf mich warten. Ich werde unserem iotarischen Freund ein paar Fragen stellen
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und dann zu euch stoßen. Ich kann mich doch auf, dich verlassen, oder?« »Bei Moleks Ehre«, versicherte mir der Sibritarier. »Aber sagt, Hoher Herr, könntet Ihr dem armen Molek nicht beibringen, wie man so meisterhaft Karac spielt? Molek ist ein guter Schüler, und er würde mit Euch teilen - Hälfte für Hälfte.« »Vielleicht später«, lachte ich. »Jetzt tu, was ich dir aufgetragen habe. Und vergiss den Hohen Herrn. Mein Name ist Atlan.« »Bin schon weg, Hoher Herr Atlan«, rief der Kleine, rutschte meinen Rücken hinunter und verschwand zwischen den massigen Beinen einer vorüberziehenden Gruppe Nomaden. Die teilnahmslos starrenden Riesen nahmen keinerlei Notiz davon. Ich beobachtete den zweiten Iotaren mehrere Minuten, dann sorgte ich dafür, dass ich wie zufällig in sein Blickfeld geriet. Ich schlug einen Kurs weg vom Thong ein und hinein in eine Ansammlung von kleineren Rundzelten. Hier hielt sich der Publikumsverkehr in Grenzen, und auch die Ausleuchtung durch den Schein der Lagerfeuer, brennende Kohlekästen und Fackeln war deutlich schwächer. Zwar war es nach wie vor Tag, doch die dichten Wolken am Himmel sorgten dafür, dass es in der Zeltstadt niemals richtig hell wurde. Ich duckte mich in eine Nische zwischen einem Stapel Holzkisten und rieb die durch die Kälte gefühllos gewordenen Finger. Was, glaubst du, kann dir der Iotare verraten?, kritisierte der Extrasinn mein Vorgehen. Dass Luck ihn geschickt hat? Ich denke, davon können wir ausgehen. Vielleicht weiß er, was Luck in Albion sieht und welche Pläne er verfolgt, entgegnete ich. Die Iotaren sind äußerst schweigsame Zeitgenossen. Schweigsame Menschen haben für gewöhnlich ausgezeichnete Ohren. Ich gebe zu, wisperte der Logiksektor, dass dieser Gedanke etwas für sich hat. In diesem Moment passierte der verfolgende Iotare mein Versteck. Ich ließ ihm rund fünfzig Meter Vorsprung, dann löste ich mich aus meiner Deckung und ging ihm nach. Als sich die dunkle Gestalt
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Konvent der Händler vor mir im Zwielicht einer von hohen Zelten begrenzten Gasse verlor, fluchte ich innerlich und erhöhte das Tempo. Die Bewegung hinter mir nahm ich aus dem Augenwinkel wahr. Meine harte, oft genug regelrecht brutale Ausbildung durch den alten Fartuloon während meiner Jugendzeit und das jahrtausendelange Training sorgten dafür, dass mein Körper fast ohne bewusstes Zutun reagierte. Ich warf mich zu Boden. Ein schwerer Holzprügel krachte schmerzhaft auf meine linke Schulter. Hätte ich mich nur einen Sekundenbruchteil später fallen lassen, wäre der Knüppel auf meinem Hinterkopf gelandet. Mein Gegner meinte offenbar, mich bereits mit seinem Angriff ausgeschaltet zu haben, denn er setzte nicht sofort nach. Das war sein erster Fehler. Ich blieb regungslos auf dem Rücken liegen und ließ zwei endlos lange Sekunden verstreichen. Dann drehte ich mich blitzschnell um 180 Grad und streckte die Beine, nur um mich einen Lidschlag später nach vorn abzurollen und erneut zu drehen. Jetzt konnte ich den Angreifer erkennen. Der Mann war mindestens einen Kopf kleiner als ich und hatte lange schwarze Haare, die zu zwei Zöpfen zusammengebunden waren. Den nackten und erstaunlich muskulösen Oberkörper zierten mehrere stramm über die narbige Haut gespannte Stricke. Offenbar glaubte der Bursche, ich sei ihm nicht im Mindesten gewachsen, denn mit einem knappen Grunzen preschte er ohne jede Deckung auf mich zu. Das war sein zweiter Fehler. * Meine Handkante traf den Kerl wuchtig an der Schläfe. Er stürmte wie eine Dampflokomotive in voller Fahrt an mir vorbei - und in einige leere Fässer am Rand der Gasse, die mit lautem Krachen zerbarsten. Mit einem neuerlichen Grunzen kam er wieder auf die Beine, schüttelte sich kurz und kam - diesmal geringfügig vorsichtiger - erneut auf mich zu.
Rüdiger Schäfer Ich war beeindruckt. Der Schlag, den ich mit aller Kraft geführt hatte, hätte normalerweise genügt, um selbst einem ausgewachsenen Okrill Respekt einzuflößen. Meinem Gegner schien das keineswegs zu imponieren. Dem nächsten Angriff wich ich aus, doch die nach wie vor schmerzende Schulter ließ mich straucheln. Ich musste einen zweiten Treffer hinnehmen, den ich nur leidlich mit den Unterarmen abblocken konnte. Der dritte Hieb hämmerte gegen meinen Oberschenkel. Gott sei Dank fing die dicke Pelzjacke einen Großteil der kinetischen Energie der Schläge ab. Ich fiel nach hinten und bekam eine Daube von einem der zerbrochenen Fässer zwischen die Finger. Das polierte Holz fühlte sich hart und kalt in meiner Hand an. Ich wartete geduldig, bis der Angreifer nahe genug heran war. Er hielt seinen Schlagstock seitlich, suchte die Gelegenheit, um den entscheidenden Streich gegen meinen Kopf zu führen. Ich bot ihm diese Chance mit voller Absicht, und er fiel tatsächlich darauf herein. Es war ein plumper Trick, doch oft genug in meinem an solchen und ähnlichen Auseinandersetzungen reichen Leben hatte ich erkennen müssen, dass sich Kämpfer, die über große Körperkräfte verfügten, wenig um Dinge wie Taktik und Fintenreichtum scherten. Sie stürmten blind auf ihr Ziel los und vertrauten auf ihre physische Überlegenheit. So auch mein ungeschlachter Freund mit dem Schlagstock - und das war sein dritter und letzter Fehler. Ich drosch ihm die Daube mit aller verbliebenen Kraft in die Seite. Er reagierte wie erwartet und fing den Angriff mit einem schnellen Schwenk seines Stock ab. Darauf hatte ich gehofft. Mein Fuß zuckte nach vorn und fand punktgenau das anvisierte Ziel. Die Sohle meines Stiefels traf ihn dort, wo es jedem Humanoiden männlichen Geschlechts am meisten wehtat. Der Mann stand für zwei, drei Atemzüge wie versteinert da. Dann polterte sein Schlagstock zu Boden, und er sank auf die
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Konvent der Händler Knie. Das dumpfe Stöhnen war ein überzeugender Beweis dafür, dass er in diesen Sekunden für alle Sünden seines Lebens büßte. Schließlich rutschte er zur Seite und blieb wimmernd und mit in den Schritt gepressten Händen liegen. Vor dir! Der Impuls des Extrasinns stach wie eine glühende Nadel in mein Gehirn. Aus dem Schatten hinter einer der breiten Zeltwände war der Iotare getreten. In seinen Händen hielt er zwei gut, zwanzig Zentimeter lange Wurfmesser. Noch bevor ich auch nur an ein Ausweichen denken konnte, schleuderte er die tödlichen Waffen in meine Richtung. 8. »Wie lange wollt ihr noch warten?« Luck der Proporze fixierte nacheinander die drei auf weichen Kissen liegenden Nomaden. »Mit Albia auf unserer Seite haben wir einen Vorteil, den wir so schnell wie möglich nutzen müssen.« »Aber wer sagt dir, dass sie auf deinen Vorschlag eingeht?«, fragte Jost der Versatile, ein relativ junger Weiß-Nomade. »Wir alle wissen um die Launenhaftigkeit dieser Wechselwesen, auch wenn wir seit Jahrhunderten keines mehr gesehen haben. Bist du überhaupt sicher, dass dieser Albion der ist, für den er sich ausgibt?« »Das bin ich«, schnappte Luck wütend. »Albion gehört zu den Nachfahren eines der Urvölker unserer Welt. Wenn ihr ihm gegenübersteht, werdet ihr nicht mehr zweifeln. Dieser Fund ist einzigartig - und vielleicht unsere letzte Chance. In seiner weiblichen Form wird er sich meinen Argumenten nicht verschließen können. In wenigen Tagen ist es so weit, und er wird sich wieder verwandeln.« »Ich weiß nicht recht«, sagte Gont der Duplike skeptisch. »Was passiert, wenn es schief geht? Die Ältesten glauben, dass es noch viel zu früh ist, um die Initiative zu ergreifen.« »Oh ja«, lachte Luck der' Proporze hämisch. »Und das werden sie auch in 10.000 Tagen noch glauben. In Wahrheit ist es die Angst, die sie lähmt. Statt den
Rüdiger Schäfer vorgezeichneten Weg mit der notwendigen Entschlossenheit zu gehen, schleichen sie ihn entlang und vergeuden wertvolle Zeit.« »Die Frage ist doch«, meldete sich nun auch Torr der Modale zu Wort, »ob wir überhaupt in der Lage sind, jetzt schon loszuschlagen. So etwas erfordert sorgfältige Planung. Wie viele Grüne hast du hinter dir, Luck? Ich glaube kaum, dass die Erbauer sich um fünfzig oder hundert Parzellen scheren. Und was ist, wenn sie uns die Wirrlichter schicken?« »Warum sollten sie das tun?«, erregte sich Luck der Proporze. »Wir suchen nicht die Konfrontation, sondern den Kontakt. Wir werden eine Kettenreaktion auslösen. Der Funke wird von einer Parzelle auf die nächste überspringen und einen Flächenbrand entfachen, der innerhalb weniger hundert Tage die gesamte Intrawelt erfasst. Dann müssen die Erbauer reagieren und unsere legitimen Ansprüche anerkennen.« »Vielleicht hast du Recht«, lenkte Jost der Versatile ein. »Vielleicht aber auch nicht. Was ist mit Albions Begleitern? Wo liegen deren Interessen in der ganzen Angelegenheit?« »Um Atlan und seinen nimmersatten Knecht müsst ihr euch keine Sorgen mehr machen«, sagte Luck verächtlich. »Ich habe dafür gesorgt, dass sie uns nicht in die Quere kommen können. Nie mehr.« »Wir müssen aufbrechen«, erinnerte Gont der Duplike die kleine Gruppe. »Die erste Sitzung beginnt in wenigen Minuten.« »Ich gehe als Erster«, brummte Luck abfällig. »Ihr folgt mir in ausreichendem Abstand. Ich will nicht, dass man uns zusammen sieht.« Der Händler verließ das geräumige Besprechungszimmer und machte sich auf den Weg in den Großen Saal. Die Gänge waren voll von prächtig gewandeten Nomaden, die ihren Liegeplätzen und Logen zustrebten. Luck der Proporze schob sich rücksichtslos durch das Gedränge seiner Artgenossen und ignorierte die wütenden Proteste. Sie alle würden sich bald wundern.
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Konvent der Händler * Ich wartete darauf, dass sich die Klingen der Wurfmesser in meinen Körper bohrten, doch stattdessen wischten sie in nur wenigen Zentimetern Abstand an mir vorbei. Wie kann er aus dieser Entfernung daneben werfen?, zuckte es durch meinen Kopf. Narr!, schickte der Extrasinn eine scharfe Zurechtweisung. Er hat nicht daneben geworfen! Hinter mir hörte ich ein ersticktes Seufzen. Ich drehte mich um. Der Mann sah dem von mir per Fußtritt gefällten ersten Angreifer bemerkenswert ähnlich. Beide Wurfmesser steckten bis zum Heft in seiner geschnürten Brust. Für einen Atemzug verrieten die Augen des Kerls grenzenlose Verwirrung; dann kippte er zu Boden wie eine Marionette, der man die Fäden gekappt hatte. Als ich mich wieder dem Iotaren zuwandte, hatte dieser seine rechte Hand ausgestreckt. Ich ergriff sie, und er zog mich auf die Füße. Jetzt erkannte ich ihn wieder. Er war einer der beiden Männer, mit denen ich in der Entladehalle von GEM45 aneinander geraten war. »Doseken arbeiten meistens zu zweit«, erklärte er beherrscht. »Einer lenkt das Opfer ab, lässt sich überwältigen und macht es so glauben, dass die Gefahr vorüber sei. Der Partner lauert derweil im Hintergrund und schlägt im richtigen Moment zu.« »Vielen Dank für deine Hilfe«, erwiderte ich, »auch wenn du ihn nicht gleich hättest töten müssen.« Der Söldner sah mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige gegeben. »Er wollte dich umbringen«, sagte er. »Was hättest du an meiner Stelle getan? Ihn mit einer Debatte über die neuen Handelsrouten zu Tode gelang-, weilt?« »Geschenkt«, winkte ich ab. Ich erinnerte mich noch gut an die vielen Trainingsstunden mit Fartuloon, in denen er mich regelmäßig grün und blau geprügelt hatte - angeblich, um mich zu
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motivieren. Und ebenso gut erinnerte ich mich an seine klugen Sprüche, die ich damals gehasst und als blasiertes Geschwätz und boshaften Spott abgetan hatte. Später war mir dann klar geworden, dass jene zwischen Stockschlägen, Fußtritten und Fausthieben vermittelten Weisheiten Ausdruck einer ganz bestimmten Philosophie gewesen waren, einer Denkweise, wie sie nur wenige arkonidische Dagor-Hochmeister jemals verinnerlicht hatten. , Zwischen das Überflüssige und das Notwendige, hörte ich die sonore Stimme meines alten Mentors, haben die Götter ausschließlich die Vernunft gesetzt. Sie ist das erste Opfer jedes Krieges, stirbt mit dem ersten Wort im Streit gesprochen. Ich hatte mich oft gefragt, was es letztendlich gewesen war, das mich all die Jahrtausende vor einem gewaltsamen Tod bewahrt hatte. Die unter beachtlichen Entbehrungen antrainierten Techniken des Dagor? Das in endlosen Meditationen erreichte Verständnis der Einheit zwischen Körper und Geist? Oder hatte ich einfach nur profanes Glück gehabt? Es gab keine eindeutige Antwort auf diese Frage, doch eines wusste ich mit absoluter Sicherheit: Ohne Fartuloon, seine vermeintliche Grausamkeit, die ich als junger Mann in grenzenloser Arroganz als Geringschätzung interpretiert hatte, hätte ich es niemals geschafft. Er war Vaterersatz und Folterknecht, bester Freund und erbittertster Widersacher, Hybris und Nemesis zugleich gewesen und er hatte getan, was getan werden musste, um mich auf der schmerzlichen Suche nach mir selbst auf den rechten Weg zu führen und auf das vorzubereiten, was mich erwartete. »Lass uns zu meinen Gefährten zurückgehen«, wandte ich mich an den Iotaren. »Ich werde Luck , selbstverständlich berichten, dass du mir das Leben gerettet hast. Er wird mehr als zufrieden mit dir sein.« Ich wollte mich gerade umdrehen, als ich die schwere Hand des Söldners auf meiner Schulter spürte. Er zog mich grob zu sich
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Konvent der Händler heran. Unser beider Nasen berührten sich fast. »Willst du mich beleidigen, oder bist du einfach nur dumm?«, zischte er gefährlich leise. Es bedurfte nicht erst eines Impulses des Extrasinns, um meinen Irrtum augenblicklich zu begreifen. Die plötzliche Erkenntnis jagte mir einen kalten Schauder über den Rücken. »Du ...« , flüsterte ich, »arbeitest nicht mehr für Luck. Die beiden da schon.« Ich deutete auf die Männer, die der Iotare als Doseken bezeichnet hatte. .. »Die da und eine Reihe weiterer Söldner, die alle den gleichen Auftrag haben: dich und die kleine Echse zu töten«, bestätigte mein Gegenüber. »Es geht um Albion, nicht wahr?«, fragte ich. »Welches Interesse hat Luck an ihm?« »Der Grün-Nomade sieht in dem Wechselwesen den Nachfahren eines der Gründervölker dieses Kunstplaneten«, erläuterte der Iotare. »Luck und einige andere Nomaden verfolgen seit Tausenden von Tagen einen Plan, der die angeblich nach wie vor existierenden Erbauer der Intrawelt aus der Reserve locken und sie zwingen soll, sich zu erkennen zu geben. Das Auftauchen Albions deutet er als gutes Omen und als Signal zum Losschlagen.« »Was hat er vor?«, wollte ich wissen. »Im Detail kann ich dir das nicht sagen«, lautete die Antwort. »Luck strebt eine Destabilisierung der allgemeinen Verhältnisse an, aber er ist wachsam und misstrauisch, selbst seinen Leibwächtern und Vertrauten gegenüber. Vermutlich gibt es neben ihm und seinen Mitverschwörern nur ein einziges anderes Wesen, das seine Pläne kennt.« »Tuxit! « , stieß ich hervor. »Tuxit«, bejahte der Iotare. »Der Sklave ist fast immer in Lucks Nähe. Doch es ist sinnlos, ihn zu fragen. Ich habe es versucht. Er wird selbst unter Folter nicht sprechen.« »Wir müssen sofort zu ihm«, rief ich und schluckte den Zorn darüber hinunter, dass der Iotare mit seiner Aussage indirekt zugegeben hatte, das Vogelwesen misshandelt zu haben. »Luck wird kein
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Rüdiger Schäfer Risiko eingehen. Er wird ahnen, ja vielleicht sogar wissen, dass sein Erzählsklave über seine Absichten informiert ist. Wenn er tatsächlich bestrebt ist, in Kürze loszuschlagen, dann wird er auch ihn als Mitwisser beseitigen.« »Wenn er es nicht bereits getan hat«, entgegnete der Söldner. »Kann ich mit deiner Unterstützung rechnen?«, fragte ich und sah dem Iotaren direkt in die Augen. »Mit meiner und der meines Freundes Kimian«, antwortete er. »Wir haben GEM45 nicht vergessen.« »Dann los!«, nickte ich, doch der Iotare hielt mich erneut zurück. »Hier, nimm das«, sagte er und zog eines seiner beiden Schwerter aus dem Gürtel. »Du wirst es brauchen.« * Der Iotare, der mir das Leben gerettet hatte, hieß Gerog. Albion, Jolo und Molek warteten noch immer vor dem Thong. Der Sibritarier nahm sofort wie selbstverständlich wieder den Platz auf meiner rechten Schulter ein. Kurz darauf stieß auch Kimian, der zweite Iotare, zu unserer Gruppe. Er berichtete, dass er mindestens drei weitere Söldner unterschiedlicher Völker ausgemacht hatte, die wahrscheinlich ebenfalls im Auftrag von Luck dem Proporzen unterwegs waren. »Wir müssen uns beeilen«, sagte Gerog. »Auch wenn wir Iotaren einen gewissen Ruf genießen und meine und Kimians Anwesenheit die meisten der gedungenen Mörder von einem direkten Angriff abhalten wird, ist das keine Garantie. Am besten, wir schnappen uns Tuxit und verlassen die Zeltstadt, so schnell es geht.« »Das wäre eine Möglichkeit«, erwiderte ich langsam. Der Iotare suchte meinen Blick. »Du hast einen besseren Plan?«, fragte er neugierig. »Weglaufen mag uns für den Augenblick retten«, erklärte ich, »doch Luck ist ein zu mächtiger Feind, als dass wir uns auf
Konvent der Händler Dauer vor ihm verbergen könnten. Du hast gesagt, dass er seine Ziele mit Hilfe von Mitverschwörern erreichen will. Daraus folgere ich, dass der Großteil der Händler anders denkt.« »Die Ältesten sind strikt gegen eine aggressive Vorgehensweise«, sagte Gerog. »Sie vertreten die Ansicht, dass man eines Tages ein Artefakt finden wird, das eine friedliche Kontaktaufnahme mit den Erbauern erlaubt. Eine Politik, wie sie Luck der Proporze vertritt, halten sie für unüberlegt und gefährlich. Deshalb hat es der Grün-Nomade auch längst aufgegeben, offen für seine Pläne zu werben. Den letzten Thongnings ist er stets unter Vorschub fadenscheiniger Gründe ferngeblieben. Das hat ihm bei den Ältesten nicht gerade viele Sympathien eingebracht. Zur gegenwärtigen Konferenz haben sie ihn praktisch herbefohlen.« »Ausgezeichnet«, lächelte ich. »Ich fürchte, ich kann dir nicht folgen«, bedauerte der Iotare. Ich hob abwehrend beide Arme. »Wir sollten aufbrechen«, schlug ich vor. »Ich erkläre- euch alles unterwegs.« Deine Gleichung enthält eine erschreckende Anzahl an Unbekannten, wisperte der Extrasinn, als wir unter Führung der beiden Söldner durch die Zeltstadt in Richtung des grünen Sektors hasteten. Das weiß ich, gab ich zurück. Aber ich sehe keine Alternative. Luck würde uns durch die gesamte Intrawelt jagen und hat auch die Mittel dazu. Wenn ich freie Hand bei meinen nächsten Schritten haben will, muss ich ihn ausschalten. Die Sitzung hat vor wenigen Minuten begonnen. Wir haben nur diese eine Chance. Wenn Luck merkt, dass wir ihm im Nacken sitzen, wird er alles einsetzen, was er hat, und dann haben wir verloren. Du musst mir nichts vorspielen, Arkonide, entgegnete mein zweites Ich. Ich weiß genau, dass du das alles über die Maßen genießt. Allerdings, dachte ich mit grimmiger Befriedigung. Ich war lange genug nur unbeteiligter Zuschauer. Es ist an der Zeit,
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dass ich die Dinge in die Hand nehme und meine Ankunft in der Intrawelt bekannt mache. Und was spricht dagegen, dabei ein bisschen Spaß zu haben? * Das Domizil von Luck dem Proporzen bestand aus einem großen Wohnzelt sowie acht kleineren Zelten, die es in Hufeisenform umringten. Im Zentrum des so entstandenen Lagers loderte ein Feuer, über dem an mehreren großen Metallspießen saftige Fleischstücke brieten. Die meisten der anwesenden Sklaven und Diener waren mit ihren diversen Arbeiten beschäftigt und achteten nicht auf uns. Sie flickten zerrissene Kleidung, überprüften die Verankerungen der durch den andauernden Wind gebeutelten Zelte, bereiteten sich an mehreren kleineren Feuern Mahlzeiten zu oder taten andere Dinge. Lediglich die sechs Artgenossen Lucks, die ich bereits auf GEM-45 gesehen hatte, räkelten sich untätig auf den weichen Kissen eines nach vorne offenen Unterstands, der von zwischen Holzpfosten gespannten Planen begrenzt wurde. Ich stürmte in das Wohnzelt, ohne auf die überraschten Rufe einiger Umstehender zu achten. Tuxit hatte sich in einer Ecke des luxuriös eingerichteten, rund fünfzehn Meter durchmessenden Areals niedergelassen und dort eine flache Grube in den lehmigen Untergrund gescharrt. In der hockte er nun und hatte den länglichen Schädel eng an den Körper gezogen. »Tuxit! « ; rief ich und eilte auf ihn zu. »Wir müssen verschwinden. Du bist in großer Gefahr.« Das Vogelwesen hob den Kopf und sah mich an. Dann gab es eine lang gezogene Folge von Lauten von sich, deren Herkunft eindeutig seinem Verdauungstrakt zuzuordnen war. Ich hörte Jolo hinter mir albern kichern. »Hast du mich verstanden, Tuxit?«, fragte ich. »Luck will dich töten lassen!« Der Sklave plusterte seine hellgrau gefärbte Halskrause auf.
Konvent der Händler »Das weiß ich«, antwortete er lapidar und senkte den Kopf wieder. »Dann komm mit uns«, forderte ich ihn auf. »Wir können dich schützen.« »Wozu?«, wollte das Vogelwesen wissen. »Verdammt!«, fluchte ich. »Was ist los mit dir? Ist es dir egal, ob du lebst oder stirbst?« »Ja, denn es macht keinen Unterschied», erwiderte Tuxit. »Was mit mir passiert, ist unwichtig. Ich bin nichts wert, und wenn meine Zeit gekommen ist, dann kann ich nichts dagegen tun.« »Dein Selbstmitleid in allen Ehren«, reagierte ich wütend, »aber ich werde nicht untätig ...« Moleks schriller Schrei ließ mich herumfahren. Zwei in Schwarz gekleidete Iotaren drängten durch den breiten Eingang in das Wohnzelt, ganz offensichtlich in Lucks Diensten verbliebene Kollegen von Gerog und Kimian. Hinter ihnen folgten die sechs Hände. Während die beiden Leibwächter ihre Schwerter gezogen hatten, hielten die Rattenwesen kurze, spitze Dolche umklammert. Ich stieß Albion und Jolo zu Tuxit hinüber. Molek hatte bereits Reißaus genommen und war über die Streben des hölzernen Zeltgestänges nach oben und damit außer Reichweite der Angreifer geklettert. Ich hatte gerade noch Zeit, die von Gerog erhaltene Waffe zu ziehen, da hetzten die ersten beiden Hände auch schon heran. Die Diener des Grün-Nomaden waren alles andere als geübte Kämpfer, jedoch ausgesprochen flink. Zudem schien ihnen ihr eigenes Leben nicht viel zu bedeuten, denn sie gingen mit äußerster Kompromisslosigkeit und ohne jede Furcht vor. Erst als ich einen von ihnen mit einem schnell geführten Streich meiner Klinge verletzte, wichen sie zurück und begannen mich lauernd zu umkreisen. Gerog und Kimian hatten derweil reichlich zu tun, um die beiden anderen Iotaren auf Abstand zu halten. Das Klirren der aufeinander prallenden Klingen musste in weitem Umkreis zu hören sein. Dieser Kampf durfte nicht lange dauern, sonst
Rüdiger Schäfer konnten wir bald die halbe Zeltstadt als Publikum begrüßen. Erst jetzt bemerkte ich, dass Jolo verschwunden war. Ich vermutete, dass er sich in Sicherheit gebracht hatte. Die kleine Echse war fraglos ein Überlebenskünstler, doch sie kämpfte nur selten mit Fäusten oder Waffen. Jolos Stärken lagen auf anderen Gebieten. Links, machte mich der Logiksektor auf den Vorstoß eines der Rattenwesen aufmerksam. Ich sprang gewandt zur Seite und drehte mich einmal um mich selbst. Die Attacke ging ins Leere, und der Angreifer wurde durch den eigenen Schwung nach vorn gerissen. Sofort war ich bei ihm und versetzte ihm einen derben Schlag mit meiner um den Knauf des Schwertes geballten Hand. Lucks Diener ging mit einem kaum hörbaren Quieken zu Boden. Gerogs und Kimians Gefecht verlief derweil weit weniger erfolgreich. Ihre beiden Artgenossen hatten sie - unterstützt von drei Händen - an die Zeltwand gezwungen und drangen jetzt vehement auf sie ein. Ich versuchte ihnen zu Hilfe zu eilen, doch die verbliebenen zwei Hände schnitten mir sofort den Weg ab. Ich sah das Unheil kommen, wollte Kimian noch durch einen Zuruf warnen, doch es war zu spät. Abgelenkt durch einen von Lucks Dienern, gelang es ihm nicht mehr, den Angriff seines iotarischen Gegenübers zu parieren. Die durch den Schein der in Lucks Wohnzelt blakenden Fackeln orange schimmernde Klinge durchbrach seine Deckung und drang ihm ungehindert mitten in die Brust. Kimian öffnete den Mund, doch kein Laut löste sich aus seiner Kehle. Sein Gegner zog das Schwert zurück, an dem nicht ein einziger Tropfen Blut klebte. Für einige endlos währende Sekunden stand der tödlich getroffene Iotare noch reglos da, so als könne er nicht fassen, was soeben geschehen war. Dann sackte er lautlos in sich zusammen. Gerog geriet nun ebenfalls sichtlich in Bedrängnis. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis auch er sich der drückenden
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Konvent der Händler Übermacht würde beugen müssen. Mein grandioser Plan war gescheitert, noch bevor er richtig begonnen hatte. Das in diesem Moment unmittelbar hinter mir einsetzende Brüllen ließ mich zusammenzucken. Albion raste mit wirbelnden Armen an mir vorbei und fuhr wie ein Orkan in die Traube der Hände, die sich vor dem um sein Leben kämpfenden Söldner gebildet hatte. * »Albion! Nein! « Es war zwecklos. Der Breite Mann hatte einmal mehr die Kontrolle über sich und das, was er tat, verloren. Wie schon während seiner Verwandlung und im Kampf mit Lucks Söldnern auf GEM-45 wurde er von einem Moment auf den anderen zum rasenden Amokläufer; unberechenbar und keinem vernünftigen Argument mehr zugänglich. Die Rattenwesen hatten nicht den Hauch einer Chance. Während sich die Iotaren auf der Flachstation als ausgebildete Kämpfer schnell von ihrer Überraschung erholt hatten, waren Lucks stumme Diener vor Schreck geradezu paralysiert. Albion setzte seine kräftigen Arme wie Dreschflegel ein, fegte die Hände beiseite, als wären es welke Blätter. Eines der Rattenwesen krachte mit dem Rücken gegen den massiven hölzernen Mittelpfeiler des Rundzelts. Ich hörte ein hässliches Knacken. Dann fiel der Diener wie ein Getreidesack zu Boden. Inzwischen hatte der Breite Mann eine weitere Hand gepackt und hochgehoben, als würde sie lediglich ein paar Kilo wiegen. Das Rattenwesen hatte die Knopfaugen geschlossen und stieß hohe, quiekende Laute aus. Verzweifelt versuchte es, sich aus Albions Griff zu winden, doch das Schneckenwesen war viel zu stark. Es schleuderte den Diener mit ungeheurer Gewalt von sich. Dieser prallte auf die Zeltwand, durchschlug den dicken Stoff und verschwand in einer durch den Riss hereinstiebenden Schneewolke.
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Rüdiger Schäfer Immerhin waren die beiden Iotaren, die Gerog in die Zange genommen hatten, kurzzeitig von ihrem Opfer abgelenkt, was dem Söldner Gelegenheit gab, zu mir zu stoßen. Die Leibwächter rückten nun von zwei Seiten auf den Breiten Mann zu. »Wenn ihr Albion auch nur ein Haar krümmt«, schrie ich gegen den durch das Loch in der Zeltwand pfeifenden Wind an, »wird euch Luck der Proporze alles andere als dankbar sein!« Die Männer stoppten tatsächlich. Sie zögerten kurz und stießen dann einen eigentümlichen Singsang aus. Sofort formierten sich die vier noch einsatzfähigen Hände neu und kamen in einer Reihe auf mich und Gerog zu. Der Söldner atmete schwer, und erst jetzt bemerkte ich den stetig größer werdenden dunklen Fleck an seiner Seite. »Du bist verletzt«, sagte ich unnötigerweise. »Es ist ... nichts«, behauptete er keuchend. Ich lachte trocken. Gegen die Hände und die beiden Iotaren wäre ein Kampf auch dann aussichtslos gewesen, wenn sich Gerog im Vollbesitz seiner Kräfte befunden hätte. Von Albion konnten wir keine Hilfe mehr erwarten. Der Breite Mann war vor einem der toten Rattenwesen niedergesunken und in lautes Wehklagen ausgebrochen. Und dann geschah etwas, das ich mein Leben lang nicht mehr vergessen würde. 9. Korp der Prälate war seinem fast legendären Ruf wieder einmal mehr als gerecht geworden. Seine Begrüßungsansprache hatte die vergleichbaren Vorträge früherer Konferenzen an Irrelevanz und Weitschweifigkeit noch einmal übertroffen. Luck der Proporze sehnte sich nach einer Massage durch seine Hände, doch der Zutritt zur Versammlungshalle war nur den Nomaden persönlich gestattet. Die Leitung der Versammlung hatte wie üblich das Kwin inne, eine Gruppe aus fünf Rot-Nomaden, der Korp als Organant
Konvent der Händler vorsaß. Luck sah den kommenden Stunden mit Grausen entgegen. Das Protokoll hatte über fünfzig Wortmeldungen registriert. Eine Pause war erst für kurz vor der Dämmerstunde anberaumt, um den Anwesenden die Möglichkeit zu geben, das Ritual zu vollziehen. Bis dahin würde sich der Händler langweilen, wie er es bislang auf jedem Thongning getan hatte. Soeben wälzte sich Prik der Asepte schnaufend und stöhnend auf die Rednerplattform. Seit ihn Luck zum letzten Mal gesehen hatte, war der Kerl tatsächlich noch fetter geworden. Der Grün-Nomade hatte nie verstanden, warum sein Stammesbruder sich auf diese Weise selbst quälte, wo er sich doch seiner überflüssigen Pfunde mit Leichtigkeit entledigen konnte. Prik verbrachte eine halbe Ewigkeit damit, sich seiner vergangenen Taten zu rühmen, bevor er von Korp sanft gemahnt wurde, allmählich zur Sache zu kommen. Wenn es für Luck noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Ältesten zum größten Teil senile Schwätzer waren und er als Einziger die Situation richtig einschätzte, dann war dieser damit erbracht. Den Rest von Priks ermüdendem Vortrag verbrachte der Händler damit, sich seine nächsten Schritte zur Macht in bunten Farben auszumalen. Nach dem Thongning würden er und seine Verbündeten ihre Pieloks losschicken und die entsprechenden Befehle an die Karawanenführer weiterleiten. Mit Albia an seiner Seite war es ihm sicher möglich, weitere Nomaden von seiner Idee zu überzeugen, und wenn sich die ersten Erfolge einstellten, würden sie mit wehenden Fahnen auf seine Seite überwechseln. Natürlich war sein Plan riskant, doch wenn er jetzt nicht losschlug, wann dann? In diesen Sekunden verloren draußen in der Stadt zahlreiche seiner Informanten und Gegner ihr Leben, darunter auch dieser Atlan und vor allem Tuxit. Mit dem Auftauchen Albions war der Sklave wertlos geworden. In Zukunft würde die Hohe Frau an seiner Seite sitzen und ihn
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mit ihren Spielen unterhalten. Er würde mit ihr durch die Parzellen reisen und sich den Nomaden zeigen. Luck der Proporze und Albia, die Erbin der Erbauer, die Vertreterin der ersten Völker, die einst die Intrawelt besiedelt hatten. Es würde ein einzigartiger Triumphzug werden. Er hatte lange auf diesen Tag gewartet, und nun, da er endlich gekommen war, erfüllte ihn eine Energie, von der er nicht gewusst hatte, dass er sie in sich trug. Verächtlich ließ er seinen Blick über die Empore der Zuschauerränge schweifen. Dort saßen sie, die armseligen Vertreter einer Gesellschaft, die schon viel zu lange antriebslos vor sich hin vegetierte, nichts weiter als kümmerliche Opfer der eigenen Ahnungslosigkeit. Er würde sie aus ihrem Schlaf erwecken, ihnen zeigen, was möglich war, wenn man es wirklich wollte. Er würde den Stillstand beenden und ein zweites Goldenes Zeitalter einleiten. Die Ignoranz der Erbauer würde dabei seine stärkste Waffe sein. * Tuxit kam über die Angreifer wie eine Naturkatastrophe. Ich hatte in den vergangenen Jahrtausenden viele, zu viele Kämpfe erlebt und gesehen, war oft genug ein Teil von ihnen gewesen, doch das, was sich hier vor meinen Augen abspielte, übertraf an Tempo und Dynamik die meisten von ihnen mit weitem Abstand. Das Vogelwesen reagierte so unglaublich schnell, dass ich kaum noch in der Lage war, seine einzelnen Bewegungen voneinander zu unterscheiden. Der riesige Schnabel traf die Gegner wie Blitzschlag und riss furchtbare Wunden. Innerhalb von Sekunden lagen zwei Hände und ein Iotare tot oder bewusstlos auf dem mit Teppichen ausgelegten Untergrund. Tuxit fegte auf seinen kräftigen Beinen wie ein Orkan durch das Zelt. Als der verbliebene Söldner in nackter Verzweiflung seine Schwerter hob und über seinem Kopf kreuzte, zuckte eines dieser Beine nach oben. Die beiden orangefarbenen Krallen trafen mit ungeheurer Wucht auf die Klinge - und
Konvent der Händler zersplitterten sie in mehrere Stücke! Der Iotare wollte sich umdrehen und fliehen, doch er kam nicht einmal zwei Schritte weit. Tuxits Schnabel fuhr in seinen Rücken, und ich wandte angewidert meinen Blick ab. Die bestialische Brutalität, mit der das Vogelwesen vorging, erfüllte mich mit Abscheu. Es schien geradezu so, als wolle sich Tuxit mit einem einzigen Ausbruch absurder Gewalt für all die Demütigungen und Misshandlungen der vergangenen Jahre rächen. Der Sklave wirbelte herum und war mit einem Satz über den beiden letzten Händen. Lucks Diener hatten sich auf den Boden geworfen - die zitternden Arme über die jetzt hellrot leuchtenden Nasenschnauzen gelegt - und quiekten jämmerlich. »Nein, Tuxit! «, schrie ich, so laut ich konnte. »Das reicht!« Ich machte zwei Schritte nach vorn und hob mein Schwert. Der Kopf des Vogelwesens fuhr herum. In den beiden kugelrunden, von einem feinen Federkranz umgebenen Augen loderte ein verzehrendes Feuer. Wie schon an Bord der Gondel war ich für den Bruchteil einer Sekunde davon überzeugt, dass der Erzählsklave so viel mehr war, als es den äußeren Anschein erweckte, doch dann sah ich die Mordlust in seinen exotischen Zügen, das wilde, unbezähmbare Tier, das in jedem Lebewesen schlummerte und seinen wahren Charakter jeden Tag aufs Neue auf die Probe stellte. Tuxit hatte sein Tier freigelassen, hatte ihm erlaubt, die Herrschaft zu übernehmen - und es hatte blutige Ernte gehalten. »Genug«, sagte ich fest. »Diese Gegner stellen keine Gefahr mehr dar. Sie sind Sklaven wie du.« Das Feuer in Tuxits Augen erlosch fast übergangslos, und sofort war die tiefe Traurigkeit wieder da, jene beklemmende Verbindung zwischen Bitterkeit und dem Wissen um die Sinnlosigkeit aller Bemühungen. Das Vogelwesen senkte den Kopf.
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»Für jemanden, dem sein Leben nichts gilt«, sprach ich leise weiter, »verteidigst du es mit beängstigender Leidenschaft.« »Es hat sich nichts geändert, Atlan«, erwiderte Tuxit. »Was mit mir passiert, ist unwichtig.« Der Erzählsklave machte eine bedeutungsvolle Pause. Seine Halskrause schimmerte in tiefem Blau. »Aber du hast eine Aufgabe zu erfüllen. Es tut mir Leid, dass ich das so spät erkannt habe.« Nach den letzten Worten des Vogelwesens schien die Zeit für einen endlos langen Atemzug stillzustehen. Tuxits schwarze Kugelaugen blickten direkt in meine Seele, in eine Seele, die schwer verwundet war und zu verbluten drohte. Plötzlich wusste ich, dass ich ohne das, was Peonu mir genommen hatte, nicht würde leben können. Das Loch, das der Lutvenide in mein tiefstes Inneres gerissen hatte, war viel zu groß, als dass ich es mit Furchtlosigkeit und Selbstdisziplin jemals hätte auffüllen können. Ich spürte in jeder Sekunde, dass etwas aus mir herausfloss, dass ich Tropfen für Tropfen all das verlor, was mich ausmachte, und dieses Gefühl ließ eine Furcht zurück, die entsetzlicher und lähmender war als alles, was ich kannte. In diesem Moment schritt Jolo durch den Zelteingang. Das Echsenwesen hielt in beiden Händen gewaltige Bratenstücke, von denen es immer wieder abbiss. Tuxit fuhr herum. »Noch jemand Hunger?«, nuschelte das Echsenwesen mit vollem Mund, offensichtlich die blutige Szenerie völlig übersehend. Einen kurzen Augenblick lang wirkte alles wie erstarrt. Dann löste sich meine Anspannung in einem lauten, beinahe hysterischen Lachen. Ich lachte und lachte, bis mir Tränen an den Wangen hinunterliefen. Mein Lachen mischte sich mit dem Schluchzen Albions, dem Quieken der Hände und dem allgegenwärtigen Heulen des Windes zu einer grotesken Melodie, die meinen Heiterkeitsausbruch nur noch verstärkte. Erst als der Logiksektor mich scharf zur
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Konvent der Händler Ordnung rief, bekam ich mich wieder in den Griff. Du hast Recht, wisperte mein zweites Ich. Wir müssen handeln. Peonu hat dir offenbar nicht nur einen Teil deiner Seele, sondern auch deinen Verstand genommen. * Ich sah, dass Gerog das Laufen mit jedem Schritt schwerer fiel. Dennoch verzichtete ich darauf, ihn zu fragen, ob er nicht lieber zurückbleiben und seine Wunde versorgen wolle. Er hatte mein erstes derartiges Ansinnen als Beleidigung empfunden und brüsk abgelehnt. Es war nicht leicht gewesen, Albion aus seinem Weltschmerz zu lösen, in den er nach seinem Ausbruch in Lucks Wohnzelt verfallen war. Der Breite Mann hatte mich sogar allen Ernstes gebeten, ihn mit dem Schwert von seiner Schuld zu erlösen. Erst als sich Tuxit einschaltete und mit leiser Stimme auf das Schneckenwesen einredete, beruhigte es sich und erklärte sich bereit, uns zu folgen. Zwischen dem Sklaven und Albion schien es ein unsichtbares Band zu geben, das sich mit jeder verstreichenden Sekunde festigte. Den Weg zum Thong legten wir ohne jeden Zwischenfall zurück, wenn ich einmal davon absah, dass Jolo alle hundert Meter nach einer Pause für einen seiner Meinung nach dringend erforderlichen Imbiss verlangte. Molek brachte ich mit der einfachen Drohung zum Schweigen, ihn bei weiteren Quengeleien an Jolo zu verfüttern und dadurch zwei Probleme auf einmal zu lösen. Das Hauptportal der Versammlungshalle wurde von zwei mit langen Spießen bewaffneten Wesen gesichert, die mich an drei Meter große, aufrecht gehende Raupen erinnerten. Es war auf den ersten Blick erkennbar, dass das Duo eher repräsentative Aufgaben erfüllte, ähnlich der aus altgedienten Naats bestehenden Ehrenwachen vor dem Kristallpalast auf Arkon I. Eine tatsächliche Bewachung der Residenz der arkonidischen Imperatoren war unnötig gewesen. Zum einen hätte es
Rüdiger Schäfer niemand gewagt, ohne die erforderliche Legitimation auch nur einen Fuß ins Machtzentrum des ehemals größten Sternenreichs der Milchstraße zu setzen, zum anderen sorgten die ungezählten elektronischen Sicherheitssysteme und Kontrollen dafür, dass ein potenzieller Attentäter nicht einmal den Orbit der Kristallwelt erreicht hätte. Das muss wohl der Grund dafür sein, spottete der Extrasinn, dass sich die arkonidischen Herrschergeschlechter meist untereinander dezimiert haben. Ich verzichtete auf eine Entgegnung. Die Geschichte meines Volkes war - wie die Geschichte der meisten anderen galaktischen Völker auch - reich an Licht und Schatten. Dazwischen lagen weite Gebiete, in denen ein für die Augen des bequemen Historikers angenehmes Zwielicht herrschte. Geschichte war seit jeher ein perfekter Nährboden für Spekulation und das Vertrauen in die eigenen Wertmaßstäbe. Mit dem Wissen um die Gegenwart war es leicht, die Vergangenheit zu beurteilen und die dort gemachten Fehler aufzuzeigen, doch die wahre Geschichte, die Art von Geschichte, die Kriege ausbrechen, Herrscher stürzen und Imperien zerbrechen ließ, wurde stets im Hier und Jetzt gemacht. »Der Zugang ist für Besucher nicht mehr gestattet«, informierte uns der rechte der beiden Posten, als wir uns dem Portal bis auf wenige Meter genähert hatten. »Aber ihr könnt an den bekannten Verkaufsstellen noch Karten für eine der nächsten Beratungen erwerben.« »Das wird nicht nötig sein«, entgegnete ich freundlich. »Wir haben eine Verabredung mit Luck dem Proporzen. Er erwartet uns bereits.« »Das bezweifle ich sehr«, widersprach mein Gegenüber. »Wie die meisten Nomaden hält sich der Hohe Herr Luck derzeit in der Versammlungshalle auf, und dort ist der Zutritt für Besucher streng verboten.« »Dann hör mir jetzt gut zu, mein Freund«, lächelte ich verbindlich. »Ich würde mir den Weg wirklich nur sehr ungern mit
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Konvent der Händler Waffengewalt erzwingen, denn das würde bedeuten, dass ich dich und deinen Kameraden töten müsste. Ich bin ein friedlicher Mann und hasse unnötige Gewalt. Warum schaut ihr beiden also nicht für ein paar Sekunden zur Seite? Niemand wird davon erfahren - und ihr habt noch ein langes und erfülltes Leben vor euch.« »Wir ...« , stotterte die Wache. »Ich habe ...« »Mein Name ist Atlan«, sprach ich weiter. »Ich gebe euch mein Wort, dass ich niemandem ein Leid zufügen werde. Und das ...«, ich langte unter meine Jacke und zog das pralle Säckchen mit meinen Spielgewinnen hervor, »ist keine Bestechung, sondern ein bescheidenes Zeichen der Anerkennung eures Entgegenkommens und eures Gespürs, in einer Krisensituation die richtige Entscheidung zu treffen. Ich danke euch.« »Wir ...«, kam die Erwiderung. »Ich werde ...« Ich bedeutete meinen Begleitern, mir zu folgen, und betrat das Thong. Keine der beiden Wachen hielt uns auf. »Das war überaus ... beeindruckend«, sagte Gerog und trat neben mich. Sein Gesicht war schneeweiß, und er atmete schwer. Er musste große Schmerzen haben, doch er zeigte sie nicht. »Das bedeutendste Element jedes Kampfes ist nicht, dass man ihn als Sieger beendet«, zitierte ich eine weitere von Fartuloons Weisheiten, »sondern zu wissen, ob man ihn überhaupt anfängt.« Wir bewegten uns durch einen breiten Gang etwa fünfzig Meter in Richtung Gebäudemitte. Dann öffnete sich eine lang gestreckte Halle, von der zahlreiche Türen in die tieferen Bereiche des Thong abzweigten. Am jeweiligen Ende der Halle sah ich massive steinerne Rampen, über die man offenbar die oberen Stockwerke erreichte. Molek konnte uns nicht helfen; er war noch niemals zuvor hier gewesen. Die Rampen sind mit großer Wahrscheinlichkeit für die Besucher bestimmt, wisperte der Extrasinn. Die Nomaden werden sich nicht unter das
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gemeine Volk mischen. Sie betreten das Thong sicher über gesonderte Eingänge. Ich nickte, was mir einen verwunderten Blick Moleks einbrachte. Dann schritt ich wahllos auf eine der Türen zu und öffnete sie. Dahinter führte ein kurzer Gang in einen knapp zwanzig Quadratmeter großen Raum, an dessen Stirnwand ich zwei weitere Türen ausmachte. Jolo, Tuxit, Albion und Gerog folgten mir wortlos, als ich den Raum betrat und mich an einem der beiden Durchgänge versuchte. Er war nicht verschlossen. Die beiden Händler im sich anschließenden und mit zahllosen Wandteppichen und Kissen ausgestatteten Zimmer waren so intensiv miteinander beschäftigt, dass sie mich lange Sekunden gar nicht bemerkten. Dann wandte einer von ihnen - ich nahm instinktiv an, dass es sich dabei um den männlichen Vertreter handelte, da das andere Wesen deutlich kleiner und schmächtiger gebaut war - den Kopf und stieß ein erschrockenes Brüllen aus. In für sein Gewicht erstaunlicher Hast richtete es sich auf und schob sich in einen weiten, mit roten Symbolen bestickten Umhang. »Was in aller ...«, rief der Händler in sichtlicher Empörung. »Das ist ...« »Entschuldigt unser unangemeldetes Eindringen«, ließ ich ihn nicht zu Wort kommen. »Wir suchen den Weg zur Versammlungshalle. Wenn Ihr uns kurz die Richtung weist, dann sind wir auch schon wieder unterwegs, und Ihr könnt ungestört ...« »Beim Seelenkrämer«, unterbrach mich der Händler mit plötzlich heiserer Stimme. Er beachtete mich gar nicht, sondern fixierte einen Punkt hinter mir. »Dann ist es also wahr.« Ich drehte mich kurz zur Seite und sah, dass Albion das Zimmer betreten hatte. Es ist, wie wir vermutet haben, wisperte der Extrasinn. Unter den Nomaden genießt das Schneckenwesen scheinbar den Status eines Heiligen. Das ist deine Chance. »Wir suchen Luck den Proporzen«, sagte ich laut zu dem Händler. »Ich habe ... Albion, der Breite Mann, hat wichtige Informationen für die Ältesten des
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Konvent der Händler Thongnings. Die Existenz deines ganzen Volkes steht auf dem Spiel! « 10. Der Händler, den wir laut eigener Aussage bei einer kleinen Entspannungsübung überrascht hatten, stellte sich als RotNomade mit Namen Qolt der Akrule vor. Während er uns durch ein kompliziertes System aus Räumen, Hallen und Gängen lotste, redete er in einem fort vor sich hin. Ich verstand nur die Hälfte, da mir Molek einige seiner Ansicht nach wichtige Informationen ins Ohr flüsterte. Demnach waren Frauen nicht nur im Thong, sondern auch während der gesamten Konferenz in der Zeltstadt streng verboten. Das hinderte die Ältesten freilich nicht daran, ihre Diener an den Rand der Siedlung zu schicken, wo nicht nur scharenweise freie Söldner auf ein neues Engagement warteten, sondern auch Dienstleistungen anderer Art angeboten wurden, eine Praxis, die von den Nomaden stillschweigend geduldet wurde. Qolt hatte seine Partnerin mit ein paar wenig freundlichen Bemerkungen in einen Nebenraum gescheucht. Seine mächtigen Hauer zitterten vor Erregung, als er Albion langsam umkreiste, und ich war fest davon überzeugt, dass diese Aufgeregtheit nicht allein mit den Nachwirkungen der kurz zuvor absolvierten Entspannungsübung zu erklären war. Meiner Bitte, uns schnellstens in den Versammlungsraum zu bringen, war er sofort gefolgt, als der von mir entsprechend instruierte Albion sie noch einmal vorgetragen hatte. Der Breite Mann war von der Tatsache, dass er plötzlich im Fokus des Interesses stand, vollkommen überfordert. Er war der größte Unsicherheitsfaktor in meinem Plan, denn mit seinem Auftritt vor den Ältesten des Thongnings stand und fiel das gesamte Unternehmen. Tuxit hatte meine Vermutungen bestätigt und mir die letzten Teile eines an sich trivialen Puzzles geliefert: Luck besaß zwar Macht, doch sein Vorhaben, ausgewählte Parzellen der Intrawelt durch
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gezielt ausgelöste Konflikte, Hungersnöte und die Zerstörung wichtiger Knotenpunkte der Infrastruktur ins Chaos zu stürzen und dadurch eine Kettenreaktion auszulösen, war ebenso einfältig wie undurchführbar. Fraglos würden die von ihm und seinen Mitstreitern angestrebten Aktionen großen Schaden anrichten und vermutlich Hunderttausende Intraweltler das Leben kosten, doch um ein so gigantisches und inhomogenes Gebilde wie den Hohlplaneten ökonomisch und gesellschaftlich zu destabilisieren, reichten ein paar Nadelstiche niemals aus. Luck der Proporze war ein Träumer, ein kleines, verwöhntes Kind, das mit dem Feuer spielte. Nichtsdestotrotz war er gefährlich. Laut Tuxit hatte er bereits ein hohes Alter erreicht und stand kurz vor seiner letzten oder vorletzten »Transformation«, was immer das auch heißen mochte. In seinen überall verteilten Lagern schlummerten Tausende von Artefakten, angeblich allesamt Überbleibsel des Goldenen Zeitalters, in dem die geheimnisvollen Schöpfer der Intrawelt über ihre Kinder wachten und ihnen jeden Wunsch von den Augen ablasen. Die Ältesten hofften seit jeher darauf, eines Tages ein Artefakt aufzuspüren, das ihnen einen direkten Kontakt mit den Erbauern ermöglichte. Luck jedoch war des Wartens überdrüssig geworden. Während wir einen meterhohen Rundgang durchschritten, wandte ich mich erneut an Albion. Ich hatte mich nach Kräften bemüht, ihm seine Nervosität zu nehmen. Auf gewisse Weise konnte ich ihn sogar verstehen. Er war klug genug, um zu begreifen, dass alles von ihm abhing, dass er die Ältesten überzeugen musste. Luck war einer- der ihren und sicherlich nicht so alt geworden, weil er seine Gegner unterschätzte. »Ich fühle mich gar nicht wohl, Atlan«, sagte der Breite Mann mit leiser Stimme. »Ich war noch nie gut mit Worten. Warum besorgst du nicht das Reden und ich stehe neben dir? Ist das nicht eine gute Idee? Nicht?«
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Konvent der Händler »Ganz ruhig, Albion«, erwiderte ich und legte meinen Arm um den sich nach oben verjüngenden Teil seines Schneckenkörpers. Das Schlimmste, was geschehen konnte, war, dass er in der Versammlungshalle die Beherrschung verlor und in einen seiner Amokläufe verfiel. »Du kannst weit mehr, als du dir selbst zutraust. Albia ist eine großartige Frau, und du stehst ihr als Mann in nichts nach. Ich wünschte, du könntest meine Gedanken lesen, denn dann wüsstest du, wie sehr ich an dich glaube. Und vergiss nicht: Ich bin stets an deiner Seite. Du musst nur wiederholen, was ich dir sage.« »Aber ich mache dir nur Schwierigkeiten«, jammerte das Schneckenwesen. »Seit meiner Verwandlung bin ich nichts als ein Klotz an deinem Bein. Was, wenn ich das jetzt auch noch vermassle? Du hättest mich doch schon auf GEM-45 am liebsten von der Außenplattform geworfen. Und weißt du was: Ich kann es dir nicht einmal verdenken.« Obwohl mir die Zeit auf den Nägeln brannte stoppte ich, packte Albion hart und zog ihn nah an mich heran. Seine lidlosen Glubschaugen glänzten feucht. Die breiten Mundwinkel hingen nach unten. »Hör mir gut zu, Albion«, zischte ich, »denn was ich jetzt sage, sage ich nur einmal. Du bist ein Mitglied meines Teams, und ein Mitglied meines Teams lasse ich niemals und unter keinen Umständen im Stich, ganz gleich, was es getan hat. Ich akzeptiere, was und wie du bist - mit allen Konsequenzen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du das endlich auch selber tust.« »Ich ...« , hauchte der Breite Mann. »Und wenn du alles vergisst, was du gerade gehört hast«, unterbrach ich ihn, »dann erinnere dich nur an eines: Du bist nicht allein!« Das Schneckenwesen sah mich lange an. Dann umfasste es mich mit allen sechs Armen und drückte mich so fest an sich, dass ich kaum noch Luft bekam. »Schon ... gut«, ächzte ich. »Schon ... gut.« Zwei Minuten später erreichten wir den Torbogen zur Versammlungshalle.
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Rüdiger Schäfer * Das knapp hundert Meter durchmessende Rund wurde von einer hölzernen Empore in zwei Abschnitte geteilt. Im unteren lagen die Händler in schmalen, abgetrennten Liegen auf weichen, matratzenähnlichen Polstern oder aufgeschichteten Kissen. Breite Treppen führten hinunter ins Auditorium und zu einer ebenfalls kreisförmigen Plattform, auf der soeben ein in schwarzes Tuch gehüllter Nomade über seine angeblich einzigartige Sammlung von Artefakten referierte. Die oberen Ränge waren lückenlos mit Zuhörern aller Größen, Farben, Formen und Volkszugehörigkeiten besetzt. Viele von ihnen hatten Papier und primitive Schreibgeräte auf dem Schoß und machten sich eifrig Notizen. Als ich die Halle als Erster betrat - Albion und die anderen hatte ich gebeten noch zu warten -, setzte erstauntes Gemurmel ein, dann bemerkte auch der in seinen Monolog vertiefte Redner, dass etwas nicht so war, wie es sein sollte, und verstummte. »Wer seid ihr?« Die Stimme eines großen Händlers, der mich in seiner roten, robenähnlichen Kluft an einen altertümlichen Richter erinnerte, drang mühelos durch das Raunen der Menge. »Und was wollt ihr hier?« »Ich muss mich für mein ungebührliches Eindringen entschuldigen«, rief ich laut, »aber besondere Situationen erfordern besondere Handlungen. Mein Name ist Atlan, und ich bitte um die Erlaubnis vor diesem Gremium sprechen zu dürfen. Ich besitze Informationen, die für den Fortbestand der Nomaden, ja für den der gesamten Intrawelt von außerordentlicher Bedeutung sind.« »Vor den Ältesten des Thongnings hat noch niemals ein Fremder gesprochen!«, herrschte mich der Rote an. »Und das wird auch so bleiben. Wenn ihr diese Halle auf der Stelle verlasst, werde ich von einer sofortigen Hinrichtung absehen und euch nach der Dämmerstunde anhören.«
Konvent der Händler »Diese Zeit steht mir leider nicht zur Verfügung«, erwiderte ich. »Doch wenn ich nicht sprechen darf, dann vielleicht ein Vertreter der Gründervölker. Darf ich vorstellen: Albion, der Breite Mann!« Diesmal war der entstehende Tumult deutlich größer. Vor allem die Nomaden selbst reagierten geradezu aufgelöst, als das Schneckenwesen durch den Torbogen trat. Ich hörte das Bersten von Holz, als einige der Händler ihre Position in den Logen wechselten, um besser sehen zu können, und dabei in der Hast ihre immensen Körperkräfte unterschätzten. Es dauerte fast eine volle Minute, bis sich der rot gekleidete Nomade, offenbar eine Art Vorsitzender, ausreichend Gehör verschaffen konnte. »In Anbetracht der besonderen Umstände«, rief er dann gegen das noch immer herrschende Murmeln an, »werde ich erlauben, dass Albion seine Sache vorträgt.« Ich hatte mich derweil unauffällig umgesehen und Luck den Proporzen entdeckt. Der Grün-Nomade hockte in der untersten Logenreihe und beobachtete die Entwicklung mit versteinerten Zügen. Seine Augen waren dabei unablässig auf mich gerichtet, und sein Blick war alles andere als freundlich. * Albion hielt sich hervorragend. Er wiederholte meine Einflüsterungen Wort für Wort, zu Beginn noch stockend und unsicher, doch mit jeder verstreichenden Minute immer flüssiger und bestimmter. Ich ließ ihn zunächst die allgemeine politisch-wirtschaftliche Sachlage darstellen, würdigte die Nomaden als stimulierenden und stabilisierenden Machtfaktor und gab ihm schließlich Sätze vor, die sich mit der bedeutsamen Suche nach den Spuren der Erbauer beschäftigten. »Es wird der Tag kommen«, sprach der Breite Mann mir nach, »an dem das Volk der Nomaden den Lohn für seine Weitsicht und Zuverlässigkeit erhält, an dem
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diejenigen zurückkehren, die diese Welt einst erschufen, sie mit Licht und Wärme und Leben erfüllten. Vielleicht liegt dieser Tag in weiter Ferne, und keiner der hier Anwesenden wird ihn erleben. Vielleicht ist dieser Tag aber auch nur noch wenige Sonnenwechsel entfernt und markiert den Anbruch einer neuen und besseren Zeit.« Albion hatte die Zuhörer längst in den Bann geschlagen. In den kurzen Pausen zwischen den Sätzen hätte man im Versammlungssaal die berühmte Stecknadel fallen hören können. Ich sah immer wieder zu Luck dem Proporzen hinüber, doch der regte sich nicht und folgte dem ganzen Schauspiel mit unverändert ausdrucksloser Miene. Ich wies das Schneckenwesen an, die Stimme zu erheben. »Doch ist es an uns, entscheiden zu wollen, wann dieser Tag anbricht?«, fragte Albion in die Runde. »Wir dürfen diesen Tag herbeisehnen, für ihn beten, ihn mit Freude in den Herzen erwarten, aber dürfen wir das Schicksal zwingen? Dürfen wir die Besonnenheit und die auf tiefe innere Einsicht gründende Geduld unserer Ahnen verraten, indem wir den Frieden der Erbauer stören?« Unter den Zuhörern brach kurzzeitig Unruhe aus. Albion hob auf meine Anweisung hin alle sechs Arme, und es wurde wieder still. »Nein! «, rief er laut. Das Wort wurde von den Wänden der Halle als vielfältiges Echo zurückgeworfen. »Das dürfen wir nicht! Und wer es dennoch tut, ist verblendet und kurzsichtig. Er setzt das Wohl aller aufs Spiel, denn er stellt seine Gier und seinen Durst nach Macht und Anerkennung über die Interessen der Gemeinschaft. Ein solcher Mann ist dumm und riskiert es, nicht nur die Erbauer zu wecken, sondern vor allem deren Zorn!« Ich ließ den Breiten Mann kurz innehalten, dann schleuderte er den Versammelten den entscheidenden Satz entgegen: »Ein solcher Mann ist Luck der Proporze!« Diesmal verstrichen mehrere Minuten, bis sich die Menge einigermaßen beruhigt hatte. Albion zitterte am ganzen Körper.
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Konvent der Händler Ich nahm eine seiner Hände in die meine und drückte sie fest. »Nur noch ein paar Minuten«, flüsterte ich. »Du machst das großartig. Ich bin ...« »Genug!« Der Ausruf klirrte kalt und volltönend durch den Saal und schien die Luft zum Vibrieren zu bringen. Luck der Proporze hatte sich in seiner Loge aufgerichtet. Sein Mund war zu einem abfälligen Grinsen verzogen. »Wie lange wollt Ihr dieses entwürdigende Theater noch fortsetzen, Atlan? Ihr habt Euch an meinem Feuer gewärmt und an meinem Tisch gegessen. Und Ihr habt meine Gastfreundschaft missbraucht und Albion mit Euren wirren Ideen vergiftet. Glaubt Ihr wirklich, dass meine Brüder so unglaublich dumm sind und Euch ein derart plumpes Märchen ..., ach, was sage ich, eine derart dreiste Lüge abnehmen?« Vorsicht, wisperte der Extrasinn. Er versucht den Spieß umzudrehen. »Ihr nennt mich einen Lügner, Luck?«, fragte ich ernst zurück. »Ihr habt den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge schon vor langer Zeit vergessen. Aber all Eure Söldner und gedungenen Mörder konnten nicht verhindern, dass ich nun hier vor Euch stehe. Und ich besitze Beweise für meine Anschuldigungen.« »Oh, ich bin sicher, dass Ihr die besitzt«, lachte Luck rau. »Fraglos habt Ihr diese Scharade lange und gründlich vorbereitet. Doch ich sage Euch noch einmal: Meine Brüder sind nicht die leichtgläubigen Narren, für die Ihr sie haltet. Ist es nicht eher so, dass Ihr mit Albions und meiner Hilfe genau jenen perfiden Plan verwirklichen wolltet, dessen Ausarbeitung Ihr nun mir vorwerft? Seid Ihr nicht auf der Suche nach dem mystischen Flammenstaub? Sagt, Atlan, wie gedenkt Ihr ihn in den Tausenden von Parzellen zu finden? Vielleicht mit Hilfe derjenigen, die sich wie niemand anders in der gesamten Intrawelt auskennen? Mit Hilfe meiner Brüder, der Nomaden? Habt Ihr mir nicht auf der Reise nach Pregesbau selbst vorgeschlagen, die Ältesten mit Albions Unterstützung auf Eure Seite zu bringen, sie zu unterwerfen und als Sklaven auf die
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Suche nach einem Stoff zu schicken, der nur in Eurer Phantasie existiert?« Er treibt dich in die Ecke, meldete sich der Logiksektor erneut. Tu etwas! »Welchen Grund hätte ich dann«, sagte ich, »meine angeblichen Pläne hier öffentlich zu machen?« »Weil ich es abgelehnt habe, zum Verräter an meinem Volk zu werden!« , rief Luck der Proporze theatralisch. »Weil ich meinen Dienern den Befehl gegeben habe, Euch und damit die Gefahr für meine Brüder und alle anderen Intraweltler zu beseitigen. Ihr seid am Ende, Atlan. Eure billige Rache ist fehlgeschlagen. Ihr hättet diese Parzelle verlassen sollen, als es Euch noch möglich war. Meinen Söldnern mögt Ihr entkommen sein, der Gerechtigkeit werdet Ihr jedoch nicht entfliehen.« Schachmatt!, kommentierte der Extrasinn. Sieh dich um. Sie glauben ihm, nicht dir. Ausnahmslos sämtliche Händler hatten sich in ihren Logen erhoben. Ihre feindseligen Blicke sprachen Bände. Sie galten mir, nicht Luck dem Proporzen. Der Grün-Nomade hatte seine Karten meisterlich gespielt. »Atlan der Arkonide«, hörte ich die strenge Stimme des Vorsitzenden wie durch eine Wand aus Watte. »Ihr habt das Thongning entweiht und steht unter dem Verdacht des schweren Vertrauensbruchs. Ich nehme Euch hiermit unter Arrest. Sollten sich die Vorwürfe gegen Euch bestätigen, woran ich nicht zweifle, werdet Ihr mit Beginn des neuen Tages hingerichtet.« In diesem Augenblick betrat Tuxit die Versammlungshalle.
Traurigkeit, diese Ahnung einer unglaublichen Tragödie, der sich niemand entziehen konnte. »Diesmal bist du weit gegangen.« Selbst Tuxits Stimme, dieser herrliche weiche Bariton, verströmte mit einem Mal nur noch Kummer und Verzweiflung, und jedes Wort, das der Erzählsklave sagte, traf den Grün-Nomaden mitten ins Herz. »Was, glaubst du, werden Jost, Gont und Torr enthüllen, wenn man sie befragt? Wenn sie zwischen dem Tod und der Wahrheit wählen können? Es gibt nur sehr wenige, die dich einen Freund nennen. Ich war einer von ihnen, doch du warst dir selbst genug. Ich hätte dich bis zum Ende des Weges begleitet, Luck. Ich wäre dir Trost und Beistand gewesen, und keine Peitsche, kein glühendes Eisen hätte daran etwas ändern können. Doch ich kann nicht zulassen, dass Atlan deiner Verdorbenheit und Ignoranz zum Opfer fällt. Er ist so unendlich viel wichtiger als du. Es tut mir Leid, Luck.« Die Sekunden tropften träge dahin. Niemand sagte etwas. Dann, nach einer scheinbaren Ewigkeit, sprang Luck mit einem Mal aus seiner Loge. Die Armbrust in seinen Vorderläufen war wie aus dem Nichts erschienen. In ihrer Führungsschiene lag ein Pfeil. Die Sehne war gespannt. Tuxit sah dem Nomaden, dem er so viele tausend Tage lang so viele Geschichten erzählt hatte, nur stumm entgegen. »Die wirklich wichtigen Dinge muss man eben selbst erledigen«, zischte der Händler böse - und drückte ab.
*
*
Die Veränderung war beinahe mit den Händen zu greifen. Es war, als wäre die Luft zu einem zähen Brei geronnen, der jede noch so unscheinbare Bewegung erschwerte. Nur Tuxit schien von alldem unbeeindruckt. Er ging, nein schwebte durch die Halle und auf die Loge zu, in der ihn Luck der Proporze wie erstarrt erwartete. In jedem Schritt, in jeder sanften Neigung des Kopfes lag diese ungeheure
Luck der Proporze hatte genau gezielt. Der Pfeil traf den Körper mit einem kaum hörbaren Geräusch und verschwand fast vollständig darin. Ich hatte Gerog nicht kommen sehen. Der Iotare musste sich dem Ort des Geschehens leise und unmerklich genähert haben, womöglich in der Absicht, seinen ehemaligen Auftraggeber zu entwaffnen. Als er erkannte, dass er zu spät kommen würde,
Rüdiger Schäfer hatte er sich mit letzter Kraft in die Flugbahn des Pfeils geworfen und das tödliche Geschoss mit seinem Körper abgefangen. Tuxit fasste den fallenden Söldner mit seinen viel zu kurzen Ärmchen und ließ ihn unbeholfen zu Boden gleiten. Von. meiner Position aus sah ich den starren Blick im Gesicht des Iotaren. Er musste auf der Stelle tot gewesen sein. Ich ging zu ihm hinüber und schloss ihm die Augen. Luck der Proporze hatte sich währenddessen keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Das taten dafür eine Reihe andere Händler. Sie verließen ihre Logen und bildeten einen lückenlosen Ring um den Grün-Nomaden. Als der Nomade in der roten Robe den Kreis erreichte, öffnete sich dieser an einer Stelle. Luck sah seinem Artgenossen entgegen; und es war deutlich zu erkennen, dass er panische Angst hatte. »Du hast nicht wieder gutzumachende Schande über deinen Stamm und dieses Haus gebracht«, übersetzte mein Dhedeen wie gewohnt die Worte des Roten. Luck wollte aufbegehren, doch eine herrische Geste seines Gegenübers ließ ihn regelrecht in sich zusammensinken. Ich erwartete, dass der Rot-Nomade in seiner Anklage fortfuhr oder den Händler zumindest abführen ließ, aber nichts dergleichen geschah. Stattdessen begannen die im Kreis stehenden Nomaden mit einem Mal wie in Trance hin und her zu schaukeln. Als sich der rund drei Zentimeter durchmessende, mit Saugnäpfen besetzte Tentakel aus dem Hinterteil des mir am nächsten stehenden Nomaden schob, glaubte ich in der ersten Überraschung, dass es sich dabei um einen üblicherweise verborgenen Teil des Körpers des Händlers handelte. Doch an der Spitze des Tentakels konnte ich jetzt deutlich eine Art Kopf erkennen. Ein im Licht giftgrün schimmernder und in ständiger Bewegung befindlicher Hakenkranz umgab die zehn Zentimeter durchmessende Verdickung. Dieser Tentakel war kein Tentakel, sondern ein eigenständiges Lebewesen!
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Konvent der Händler Der inzwischen auf eine Länge von zwei Metern angewachsene Wurm bestand aus Hunderten von sich in- und übereinander schiebenden Gliedern. Die Farbe des von einer dünnen Schleimschicht überzogenen Körpers variierte zwischen einem blassen Weiß und einem hellen Grau. Unter der wie transparent wirkenden Haut konnte ich ansatzweise die verschiedenen Organe erkennen. »Es ist selten ein schöner Anblick«, sagte Tuxit neben mir. »Aber so sehen die Nomaden tatsächlich aus. Sie leben als Symbionten in den Mägen ihrer Shiwasonzen.« Ein Bandwurm, dachte ich fassungslos. Nichts weiter als ein intelligenter Bandwurm. Inzwischen hatten fast alle Nomaden ihre Wirte verlassen. Rund dreißig zwischen zwei und vier Meter lange Würmer krochen über den Dielenboden der Versammlungshalle auf Luck den Proporzen zu und hinterließen dünne, feuchte Spuren auf dem polierten Holz. Die Shiwasonzen, also jene vierbeinigen Riesen, die ich bislang für die Nomaden gehalten hatte, standen unruhig und in offenbarer Verwirrung herum. Damit erklärten sich auch meine Beobachtungen in der Zeltstadt. Bei jenen Nomaden, die auf mich einen so plumpen und geistlosen Eindruck gemacht hatten, handelte es sich in Wirklichkeit um Shiwasonzen ohne Symbiont. Die Würmer erreichten Luck den Proporzen, vielmehr dessen Wirt. Dann ging alles furchtbar schnell. Auf ein geheimes Kommando krümmten sich die Nomaden wie Sprungfedern zusammen und warfen sich gegen den massigen Körper des Shiwasonzen. Ihre Hakenkränze schlugen sich augenblicklich in das weiche, warme Fleisch und fraßen sich in Sekundenschnelle in den Körper des Tieres. Die gequälte Kreatur stieß zwei schrille, mir durch Mark und Bein gehende Schreie aus und verstummte dann für immer. Doch damit war das grausame Treiben der Nomaden längst nicht beendet. Vor meinen Augen verwandelte sich der
Rüdiger Schäfer Leib des Shiwasonzen in einen blutigen Kadaver, in dessen zerfetzten Überresten sich die Nomaden wie bleiche Schlangen um- und ineinander wanden. Selbst ich, der ich schon viel gesehen hatte, musste schließlich den Blick abwenden. »Das ist ...«, sagte ich mit belegter Stimme und räusperte mich. »Das ist barbarisch!« »Die Shiwasonzen wissen, was sie erwartet«, hörte ich Tuxit neben mir. »Sie gehen diesen Weg aus freiem Willen, und du darfst versichert sein, dass eine Strafe, wie sie Luck widerfahren ist, nur sehr selten vollstreckt wird.« Als ich den Kopf wieder hob, war alles vorbei, und die Nomaden krochen in ihre Wirte zurück. Ich trat zwei Schritte näher an das heran, was einst Luck der Proporze gewesen war. Der drei Meter lange Wurm bewegte sich nur noch schwach. Sein Körper war an mehreren Stellen aufgerissen. Aus den Wunden sickerte eine weiße, sirupartige Flüssigkeit. Jetzt sah ich auch, dass sich Luck im Aussehen geringfügig von seinen Artgenossen unterschied. Inmitten seines Hakenkranzes saß ein halb geschlossenes Auge mit grauem Lid. Eine Verkrüppelung? Eine Mutation? Ein degenerativer Rückfall in jene Zeiten, als die Nomaden möglicherweise noch keine Wirte zum Überleben gebraucht hatten? Tuxit, Albion, Jolo, Molek und ich wurden schließlich von zwei Shiwasonzen in ein an die Halle angrenzendes Zimmer gebracht, wo man uns bat zu warten. Das Vogelwesen ließ sich immerhin noch ein paar Einzelheiten über die faszinierende Symbiose zwischen Nomaden und Shiwasonzen entlocken, bevor es erneut in brütendem Schweigen versank. Demnach wurden die Nomaden deutlich älter als ihre Wirte. Wenn die Shiwasonzen das Ende ihrer natürlichen Lebensspanne - zwischen 5000 und 10.000 Tagen - erreicht hatten, verließ der Symbiont den sterbenden Körper und wechselte in ein jüngeres Exemplar über. Luck der Proporze war auf diese Weise zu Gast in achtzehn Wirten gewesen.
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Konvent der Händler Für die Shiwasonzen selbst galt es als große Auszeichnung, einen Nomaden aufnehmen zu dürfen. Die normalerweise in Herden lebenden, allenfalls mit einer rudimentären Intelligenz ausgestatteten Tiere erlebten die Zeit der Symbiose in einem permanenten milden Rauschzustand. Bestimmte Bestandteile des Speichels, den der Nomade im Zuge seiner Stoffwechselprozesse in den Magen seines Wirtes absonderte, wirkten wie ein schwaches Stimulans und erzeugten im Gehirn des Shiwasonzen Empfindungen von Glück und Geborgenheit. Die im Magen verbleibenden Speichelreste kristallisierten im Lauf der Zeit zu kleinen Blöcken, die nach dem Tod des Wirtes von dessen Artgenossen regelrecht geerntet wurden. Diese als Myrha bezeichnete Substanz galt in weiten Teilen der Intrawelt als eine Art Allheilmedizin und wurde von den Shiwasonzen gegen allerlei Güter des täglichen Bedarfs eingetauscht. Ich erinnerte mich, dass sowohl Molek als auch Gumbro Taskotar dieses angebliche Wundermittel mir gegenüber erwähnt hatten. Die Fortpflanzung erledigten die zweigeschlechtlichen Nomaden über das so genannte Ritual, einen etwa halbstündigen Vorgang, der einmal am Tag jeweils in der Dämmerphase stattfand. Dabei verließ der Symbiont den Wirt durch dessen Magenmembran und laichte bis zu zehn seiner Körperglieder in ein bereitgestelltes Warmwasserbecken. Jedes dieser Glieder beherbergte mehrere Millionen befruchtete, entwicklungsfähige Eier. Mit ihren hochsensiblen Geruchssinnen entschieden die Nomaden unmittelbar nach dem Ritual, ob die abgelaichten Garben einer Aufzucht wert waren. In den meisten Fällen wurde das Gelege allerdings vernichtet. Die von mir unterbrochenen Intimitäten zwischen Qolt dem Akrulen und seiner Gespielin waren ein Zugeständnis der Nomaden an ihre Wirtskörper, deren natürliche Bedürfnisse selbstverständlich auch in der Symbiose befriedigt werden mussten.
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Rüdiger Schäfer Wenig später betrat der Nomade in der roten Robe das Zimmer. Er stellte sich als Korp der Prälate vor und eröffnete mir, dass man mich und meine Gefährten mit Beginn des neuen Sonnenwechsels unbehelligt ziehen lasse, sofern ich garantieren könne, Pregesbau auf dem schnellsten Weg zu verlassen. Unter der Bedingung, dass auch Tuxit seine Freiheit erhielt, gab ich diese Garantie nur zu gerne. Nach einigen wenigen Stunden unruhigen Schlafs sammelte ich meine Gefährten, und wir schlugen den Weg in Richtung der Gondelstation SING-848 ein. Ich verließ die Zeltstadt mit einem Gefühl großer Erleichterung. * Die Gondel befand sich seit einer guten Stunde auf ihrem langen Aufstieg nach ZER-77. Ich hatte es mir im Aufenthaltsraum bequem gemacht. Jolo war damit beschäftigt, jeden Winkel unseres Gefährts nach Essbarem zu durchsuchen. Tuxit hatte sich in einer der Kabinen zusammengekauert und hüllte sich in hartnäckiges Schweigen, und auch Albion schien nicht zum Plaudern aufgelegt zu sein. Das Schneckenwesen befand sich im Untergeschoss und sah irgendwie krank aus, ohne dass ich diesen Eindruck hätte präzisieren können. Es war den Nomaden nicht leicht gefallen, uns einfach so ziehen zu lassen. Das, was im Thong geschehen war, würde sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Zu viele Außenstehende waren Zeugen der Ereignisse in der Versammlungshalle gewesen. Mit der sofortigen Hinrichtung von Luck dem Proporzen hatten die Nomaden ihren Gesichtsverlust zwar in Grenzen gehalten, dennoch war der angerichtete Schaden immens. Von Molek hatte ich mich am Stadtrand verabschiedet. Mit seinem Anteil an meinem Spielgewinn war er auf lange Sicht versorgt. Der kleine Kerl hatte seine langen Arme um meinen Hals geschlungen und es unter Tränen bedauert, nicht mit uns kommen zu können.
Konvent der Händler »Molek geht zurück nach Notrivor«, hatte er geschluchzt. »Dort warten Moleks Frauen und 26 hungrige Kindermäuler, die gestopft sein wollen. Molek wird den Hohen Herrn Atlan nie vergessen und seinen Enkeln und Urenkeln einst von seinen Heldentaten erzählen.« »Ich werde dich bestimmt auch nicht vergessen, Molek«, hatte ich gelacht und ihm dann viel Glück gewünscht. Ich war ziemlich sicher, dass er mir weder über seine Familienverhältnisse noch über sein Reiseziel die Wahrheit gesagt hatte, doch das machte nichts. Was Gerog und Kimian betraf, so hatte mir Korp der Prälate sein Wort gegeben, dass man sich um eine würdige Bestattung kümmern würde. Tuxit hatte zu diesem Thema nichts gesagt. Wenn die heldenhafte Tat Gerogs das Vogelwesen in irgendeiner Weise beeindruckt hatte, so wusste es das meisterhaft zu verbergen. »Nichts! « Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Jolo hatte sich mit verkniffener Miene vor mir aufgebaut. Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. »Nicht einmal ein lumpiger Bumikki. Ich habe so großen Hunger, dass ich ihn sogar roh essen könnte. Ist dir klar, was das bedeutet, Atlan?« »Lass mich raten«, erwiderte ich mit einem duldsamen Seufzen. »Ich darf mir in den kommenden Stunden dein Quengeln anhören und mich fragen, was ich verbrochen habe, um einen von deiner Sorte zu verdienen. Liege ich da so ungefähr richtig mit meinen Vermutungen?« »Du machst dich schon wieder über mich lustig«, sagte das Echsenwesen vorwurfsvoll. »Wie könnte ich«, gab ich leise zurück. »Mir ist alles andere als zum Lachen zumute.« Einmal mehr kämpfte ich gegen eine erschöpfende Schwermut an. Meine Situation hatte sich nicht wesentlich verbessert, und das noch vor Stunden empfundene Vertrauen in eine Wende zum Besseren war verflogen. Ich saß nach wie
Atlan 54
Rüdiger Schäfer vor in der Intrawelt fest, allein und ohne die Möglichkeit, nach Hilfe von außen zu rufen. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, wo ich meine Suche nach dem Flammenstaub fortsetzen konnte, und das Wissen um den Verlust eines Teils meiner Persönlichkeit, meiner Seele, war lediglich das Sahnehäubchen auf einem Kuchen, den
Konvent der Händler selbst der fresssüchtige Jolo verschmäht hätte. Dessen ungeachtet gönnte mir das Schicksal nur eine halbe Stunde Pause. Wir hatten ZER-77 noch nicht erreicht, da kündigte sich bereits die nächste Katastrophe an...
ENDE Die Nomaden der Intrawelt zeigten sich nicht sehr mitteilungsfreudig. Und so scheint es, als wüssten sie über den Flammenstaub nicht viel mehr als Atlan. Zumindest hat der Arkonide eine illustre Schar exotischer Gefährten um sich versammelt: den MimikryEchsenmenschen Jolo, das geheimnisvolle Vogelgeschöpf Tuxit und nicht zuletzt Albion - oder Albia, den Gestaltwandler Was es mit diesem Wesen genau auf sich hat, damit befasst sich Cathrin Hartmann, die Autorin des Folgebandes. Sie lüftet zudem einige Geheimnisse der mysteriösen Hohlwelt in ihrem Roman, der den Titel trägt: DAS DRITTE GESETZ