Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 730
Kontakt mit Guray Atlan auf der Welt der erloschenen Sonne
von Arndt Ellmer
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 730
Kontakt mit Guray Atlan auf der Welt der erloschenen Sonne
von Arndt Ellmer
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den sieben Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Nach den dramatischen Ereignissen um das Pre-Lo, das vom Erleuchteten, Atlans altem Feind aus Alkordoom, ausgeschickt wurde, um den Arkoniden zur Strecke zu bringen, hat dieser neue Probleme zu bewältigen. So geht Atlan nach dem jähen Verschwinden Fartuloons der Spur nach, die er auf der Welt der Weyngolen aufgenommen hatte. Er und seine Gefährten suchen den KONTAKT MIT GURAY…
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan, Mrothyr und Chipol – Sie erreichen die Welt der erloschenen Sonne. Parok – Ein weiser Phurthuler. Boran, Dulk und Soph – Drei Gesandte Gurays. Guray – Ein Mythos erweist sich als Realität.
1. Guray ist voller innerer Unruhe. Er wartet auf die Rückkehr von über einem Dutzend seiner Gesandten. Sie sind nicht wie erwartet eingetroffen, und das Warten zehrt an Gurays Nerven. Aber Manam-Turu ist groß, und die Wege zwischen den Sternen sind verschlungen. Manchmal legen sich den kleinen Schiffen der Gesandten Hindernisse in den Weg, oder die Vielzahl anderer Transportmöglichkeiten läßt sich nicht benutzen, weil andere Wesen in der Nähe sind. Es gibt vieles, was Guray irritiert, und in der Neuzeit haben sich so viele neue Aspekte ergeben, daß der Schutzpatron der Piraten zwischen äußerster Vorsicht und forschem Draufgängertum schwankt, wenn er seine Befehle und Anweisungen gibt. Die Hyptons sind gekommen, eine fremdartige Macht, die noch keiner zu Gesicht bekommen hat außer Soph. Soph hat die wertvollen Informationen über sie geliefert. Andere Gesandte haben die Ligriden erkundet und deren einheimische Helfer, die Naldrynnen. Die Ligriden stammen nicht aus Manam-Turu, soviel weiß Guray inzwischen. Die Hyptons haben sie mitgebracht. Guray darf nicht ständig an die Hyptons denken. Die Fähigkeit dieser Wesen, andere Wesen geistig zu versklaven, macht ihm Angst. Und diese kleine Angst nährt die große Angst, die tief in ihm sitzt und ihm zu keiner Zeit Gelegenheit gibt, völlig ruhig und ausgeglichen zu werden. Ein einzelner Gesandter kommt und teilt Guray bereitwillig mit, was sich ereignet hat. Ein Schiff der Piraten hat die Weltraumfalle der Ligriden entdeckt und die anderen Schiffe warnen können bis auf zwei. Zwei Gesandte existieren nicht mehr, und der Verlust schmerzt Guray, als seien gute Freunde von ihm genommen worden. Dabei hat der Schutzpatron keine guten Freunde, bei deren Hinscheiden er tiefe, schmerzende Regungen empfinden könnte. Es ist viel schlimmer mit ihm, aber er vergräbt seinen Gram in sich. Endlich kommen die Verspäteten an. Sie sind froh, wieder auf dem Planeten zu sein, und Guray ist froh, daß sie ihm wieder Gesellschaft leisten. Gesandte verausgaben ihre Psyche, wenn sie sich unterwegs befinden, und der Schutzpatron weiß um dieses Handikap und bemüht sich, seine Diener so gut wie möglich zu stabilisieren. Er nimmt lieber ein wenig eigene Unruhe mehr in Kauf, denn er weiß, daß alle, die sich ihm als Gegner nähern können, seinen Schlupfwinkel niemals finden werden. Nur wer zu ihm gehört, hat die Chance, seine Nähe zu erreichen. Und Manam-Turu ist groß, die Wege sind weit. Es gibt viele Sterne, Planeten und andere Himmelserscheinungen. In ihnen Guray zu finden, ohne geleitet zu werden, ist unmöglich. Das brächte nur einer fertig. Vor ihm zittert Guray regelmäßig, vor ihm hat er die große Angst, die alles überdeckt, so daß er manchmal nicht mehr weiß, welche Anweisungen er an seine Gesandten und die ihnen unterstellten Völker gegeben hat. Einen weiß er, vor dem Guray keine Angst hat. Er läßt ihn vorsichtig beobachten. Der Fremde arbeitet gegen die Hyptons und ihre Helfer, er setzt sich für die Freiheit der Rassen und Planeten ein. Der Schutzpatron erkennt, daß der Silberhaarige eigene Ziele verfolgt. Guray kennt sie nicht im einzelnen, aber dieser Atlan arbeitet ihm in die Hände, und Guray läßt ihn für sich arbeiten. Denn die Hyptons sind ihm unheimlich. Guray will den Arkoniden finden, der irgendwo zwischen den Sternen herumfliegt. Er hat sich vor nicht allzu langer Zeit auf dem Planeten Pultar unter der Sonne Gyd aufgehalten, und Guray bewundert die Umsicht, die das Wesen mit dem Silberhaar bewies. Der Schutzpatron der Piraten denkt nach. Er tut es intensiv und will in dieser Zeit nicht gestört werden. Über seine Piraten in der Stadt Barquass weiß er, daß Goman-Largo, Neithadl-Off und Anima den Arkoniden ebenfalls suchen. Deshalb hat er den Piraten Anweisung geben lassen, die drei an einer Suchaktion zu beteiligen. Sie haben Stadt und Planet Barquass bereits verlassen und
durchstreifen die Galaxis, um Atlan zu finden. Die Piraten haben den dreien gegenüber keinen Hehl daraus gemacht, an wen sie über Atlan herankommen wollen. Aber das ist eine andere Geschichte, an die Guray jetzt nicht denken kann. Wieder einmal wird er gestört, wieder einmal brechen alle jene Stimmungen in ihm durch, die ihm das Leben schwermachen. Guray kämpft mit ihnen, und er hat längst begriffen, daß er sie nicht loswerden kann. Sie gehören zu seiner Persönlichkeit, er muß sie haben wie alles andere auch: Die Piraten, die Diener, die Schätze, die Freude und die Angst. Guray ist der Sensible, und daran kommt er nicht vorbei. * »Es ist bald soweit. Es gilt, dem Schicksal gefaßt ins Auge zu sehen!« Dork hielt sämtliche Sensoren seiner Sinnesorgane nach oben gerichtet. Seine Artgenossen taten es ihm zögernd nach, doch viele von ihnen zuckten zurück. Sie richteten die Sensoren hastig wieder nach unten, und Dork ließ ein ungnädiges Grollen hören. Er fuhr den kurzen Sprechzylinder ein wenig mehr aus als bisher. »Feiglinge!« wies er sie zurecht. Phur starb. Die Sonne hatte schon vor langer Zeit die letzte Phase eines unabwendbaren Prozesses eingeleitet. Sie verlor immer mehr an Kraft, und der O-5-Riese in vier Lichtjahren Entfernung besaß trotz seiner starken Strahlung nicht die Kraft, Phur zu ersetzen. Ganz im Gegenteil. Der strahlende Riese, dem das Volk der Phurthuler einst den Namen Tefairon gegeben hatte, sandte eine derart riesige Menge an Photonen aus, daß sie dem Planeten Phurthul gefährlich werden konnten, sobald der Strahlenmantel erlosch, den Phur noch teilweise produzierte. Die eigene Sonne verhinderte bisher mit ihrem Sonnenwind, daß der Einfluß Tefairons die Toleranzgrenze überschritt. Nicht nur Phur starb. Auch die Lebenswolke veränderte sich, in die das Sonnensystem eingebettet war. Die Lebenswolke hatte in früheren Zeiten die Position einer hohen Gottheit besessen. Im Zeitalter der Forschung hatte sie dann allmählich ihre überirdische Kraft verloren und war zu einer bloßen physikalischen Erscheinung degradiert worden. Von Phurthul aus waren Messungen gemacht worden. Die Lebenswolke bestand aus ionisiertem, interstellarem Wasserstoff, und sie besaß unter anderem den Nachteil, daß sie etliche Bandbreiten des Spektrums verschluckte und die gewöhnlichen Funkwellen völlig absorbierte. Bisherige Bemühungen, mit fremden Sonnensystemen in Kontakt zu kommen, waren dadurch fehlgeschlagen. Soviel wußte man jedoch, daß Tefairon als Nachbarstern keine Planetenbegleiter besaß. Der Untergang nahte, und die Phurthuler konnten nichts dagegen tun. Ihr Volk war noch nicht so weit entwickelt, daß es die Raumfahrt besessen hätte. Ein paar Versuche in der Vergangenheit waren erfolglos abgebrochen worden. Es war einfach zu spät. Ein Rückstand von ein paar Jahrtausenden konnte nicht in wenigen Jahren und Monaten eingeholt werden. »Du hast wohl recht«, wandte sich Ranft an Dork. »Bald wird unsere Welt um einen toten Stern kreisen und ebenso tot sein wie er.« Was dann zurückblieb, war die Lebenswolke. Sie würde leuchten wie immer. Sie würde zum Grab für ein Sternsystem, ohne etwas dafür zu können. Oder doch? Entzog die Lebenswolke Phur die Kraft, war sie für ihren Tod mitverantwortlich? Keiner der Phurthuler unter freiem Himmel wagte es, diesen Gedanken in letzter Konsequenz auszudenken. Zu sehr waren auch diese Wesen in ihrer Weltanschauung verhaftet. Eine
Lebenswolke konnte kein Todesbringer sein. Die Wolke veränderte sich derart, daß sie mit abnehmender Leuchtkraft der Sonne stärker zu leuchten anfing. Sie glühte und war als bläulicher Schimmer auf der Tag- und der Nachtseite des Planeten zu sehen. Der Tag nahm langsam ab und ging in eine Phase der Dämmernis über. Ein Jaulen klang am Horizont auf. Die Phurthuler wandten ihre Sensoren in die Richtung. Sie erkannten eine Gruppe von Flugzeugen, die am blaß-blauen Firmament emporzogen, das in früheren Zeiten goldgelb geleuchtet hatte. Die Maschinen flogen wirr durcheinander, sie hielten keinen rechten Kurs ein. Es sah sogar aus, als versuchten sie, sich gegenseitig zu rammen. Dabei kamen sie Jabbach-Stadt immer näher und hatten bald die Badeseen erreicht, die nur noch von wenigen Phurthulern benutzt wurden, da sie zu kalt geworden waren. »Hinweg!« schrie Dork auf. Er fuhr herum, und seine Stummelbeine verhedderten sich dabei so, daß er stürzte und einen Moment lang benommen liegen blieb. Hoch oben in der Luft krachte es. Ein Kreischen und Heulen belehrte ihn, daß zwei der Maschinen kollidiert waren und abstürzten. Kamikaze! durchzuckte es den Phurthuler. Sie bringen sich gegenseitig um. Die ganze Jagdstaffel des Kontinents begeht Selbstmord! Er wurde emporgerissen und hinüber zu einer der Bodenluken gezerrt, die in die Stadt führten. Jabbach-Stadt lag dicht am Boden, geduckt wie ein Riesenkarmack vor dem Sprung. Unter der Oberfläche führten mehrere Fluchtgänge von den Kellerräumen ins Freie. Ein paar hohe Türme ragten aus den flachen Gebäuden empor. Der Untergrund erzitterte. Unregelmäßige Bebenwellen pflanzten sich fort, und die Phurthuler wußten, daß die beiden Maschinen aufgeschlagen waren. Kurz darauf ereignete sich ein zweiter Absturz, und den Geräuschen nach stürzte etwas in einen der Seen. Inzwischen hatten die Fliehenden den Bereich der äußeren Keller erreicht. Sie hielten vor einer Tür an. »Hier unten sind wir am sichersten«, verkündete Ranft. »Warum bauen wir keine Städte unter der Oberfläche?« Die Frage war rein rhetorischer Natur. Jeder Phurthuler wußte, daß die Sonne die wichtigste Energiequelle des Planeten war. Es gab auf ihm keine Atomindustrie, mit der beliebig Energie erzeugt werden konnte. Phurthul war zum Aussterben bestimmt, eine kalte Welt in einer Bahn um einen kalten, dunklen Stern. Dennoch suchten die Bewohner der Siedlungen in den Kellern Schutz. Sie waren noch warm, weil sie die Wärme der unteren Bodenschichten empfingen und speicherten. Dork wollte die Tür aufstoßen. Sie war versperrt, und er klopfte dagegen. »He!« rief er. »Wir sind es. Macht auf!« »Der Keller ist besetzt«, kam undeutlich eine Antwort. »Sucht euch einen anderen Platz!« Wieder erfolgte ein Mehrfachaufschlag draußen in der Ebene. Pland verlor die Nerven und schob Dork zur Seite. Er warf sich mit der ganzen Gewalt seines Körpers gegen die Tür. Sie ächzte und knirschte, gab jedoch nicht nach. Ein Schlag warf die Phurthuler von den Beinen. Irgendwo in der Nähe war eine der Maschinen aufgeschlagen. In der Decke des Ganges bildete sich ein breiter Riß, und Erde und Steine stürzten auf die Wesen herab. Sie begruben sie unter sich, und Dork arbeitete sich mühsam unter dem Dreck hervor. Er half seinen Artgenossen auf und schrie erneut um Einlaß. Er rief die Namen aller Phurthuler, die er in der Stadt kannte. Er nannte seinen eigenen und die seiner Begleiter. Hinter der Tür rührte sich nichts mehr, und als der nächste Aufschlag erfolgte, da kam das Geräusch nicht mehr von hinten, sondern von vorn. Mindestens eine der Maschinen war in die Stadt gestürzt. Fassungslos beobachteten Dork und seine Begleiter, wie die Tür zusammenknickte und mehrfach gefaltet wurde, als sei sie aus dünnem Stroh gemacht. Im nächsten Augenblick brach die
Kellerwand ein, und die Decke des Ganges kam endgültig herunter. Tonnen von Dreck und Mauersteinen häuften sich an der Mündung auf und begruben die Phurthuler unter sich. Dorks letzter Gedanke galt der Lebenswolke. Es beginnt! begriff er. Danach hüllte ihn die Finsternis des ewigen Vergessens ein. * Die Einigen Dreihundert wußten längst, daß sie den Lauf der Dinge nicht mehr aufhalten konnten. Die Stadt rund um das Regierungsviertel glich einem aufgescheuchten Nissenstock. Das Geschrei der in Panik gefallenen Phurthuler und Phurthulerinnen machte selbst bei geschlossenen Fenstern nervös. Die historischen Wachen draußen an den Toren zum Blauen Platz fingerten nervös an den Griffen ihrer altertümlichen Waffen, mit deren stumpfen Klingen sie im Ernstfall niemanden aufzuhalten vermochten. Mit kleinen, fast nicht erkennbaren Trippelschritten zogen sie sich unter die Tore zurück, und dann waren sie von der Umschaugalerie aus nicht mehr zu erkennen. Dumpfe Schläge deuteten an, daß die Tore verschlossen worden waren. Das Verschwinden der Wachen wirkte wie ein Signal. Der Bevölkerung signalisierte es, daß die Einigen Dreihundert sich verbarrikadierten. Daß sie sich zurückzogen und womöglich flohen. Es sah danach aus, als hätten sie die Möglichkeit, sich irgendwo vor der Katastrophe in Sicherheit zu bringen. Langsam rückte die Volksmenge auf das Viertel zu. Sie achtete nicht auf die Phurthuler, die oben hinter der Umschaugalerie standen und ihnen begreiflich machen wollten, daß sie noch da waren und kein Grund zur Besorgnis bestand. Längst hatte die Angst den Geist verwirrt, und viele sahen in ihren Artgenossen nur noch Feinde, die ihnen ans Leben wollten. Schwere Schritte, klangen auf. Parok war ein dicker, schwitzender Politiker, aber er tat viel für das Volk und genoß hohes Ansehen. Er amtierte zur Zeit als Sitzungspräsident der Einigen Dreihundert, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten alles andere als einig gewesen waren. Parok winkte mit einem metallenen Gegenstand, und er schob sich an den Mandatsträgern vorbei und steuerte zielbewußt auf die Türen der Galerie zu. »Er hat ihn!« machte der Satz die Runde. »Er hat den Schlüssel gefunden, der die Umschau öffnet!« Das Schloß knirschte, als Parok öffnete. Die Einigen Dreihundert drängten hinaus auf den Balkon der Galerie. Unten wogte die Menge vor den verschlossenen Toren. Erste Schläge vom Rammböcken klangen zu den Politikern herauf. »Hört her!« schrie Parok laut. Er richtete alle Sensoren nach unten. »Wir sind da. Wir beschützen euch!« Seine Worte gingen in dem Lärm unter, der von unten heraufdrang. Niemand beachtete die Galerie, niemand sah die Politiker. Parok wandte sich um, weil es ein Zeichen des Anstands war, nicht nur die Sinnesrezeptoren, sondern auch die Sprechöffnung denen zuzuwenden, mit denen man umging. »Sinnlos«, erklärte er. »Ich sehe es euch an, daß auch ihr nicht mehr vollständig über eure Sinne verfügt. Mir ergeht es ebenso. Ich bin ratlos.« »Was sollen wir denn tun?« klang eine hysterische Stimme auf. »Automatisch tritt Plan dreihunderteins in Kraft«, hauchte der Vorsitzende. Betroffenes Schweigen machte sich breit. Plan dreihunderteins beinhaltete die Auflösung der Einigen Dreihundert. Jedes Mitglied war nur noch sich selbst verantwortlich. Damit besaß Phurthul keine Regierung mehr.
»Das bedeutet Anarchie!« fuhr Parok fort. »Jeder weiß es. Niemand kann es aufhalten. Die Städte und alle anderen Siedlungen sind verloren. Es wird zu Mord und Totschlag kommen. Wir können nur zur Lebenswolke beten und hoffen, daß wenigstens ein Teil unseres Volkes überlebt!« Parok war nie durch besondere Religiosität aufgefallen. Daß er jetzt vom Beten sprach, machte Eindruck bei den Politikern. Sie rissen sich ein wenig zusammen und verließen die Umschaugalerie. Ein paar wechselten noch Grußworte mit Freunden, dann gingen sie nach dreihundert Richtungen auseinander, was bei den vielen Gängen und Gebäudeflügeln des Regierungsviertels nicht schwierig war. Weit unten in den Korridoren des Erdgeschosses hörten sie bereits die Menge rumoren und kreischen. Sie rief nach der Regierung und ihrem Schutz, aber die Regierung konnte nicht helfen. Jedermann wußte das, aber die Verzweiflung in der Bevölkerung war zu groß. Neben einigen wenigen Lethargischen machten sich die meisten dadurch Luft, daß sie etwas taten, was sie zuvor nie getan hatten. Sie stürzten sich von den Türmen und durchschlugen die Dächer der flachen Gebäude. Sie zogen durch die Straßen, randalierten und zerstörten, um ihre Todesangst abreagieren zu können. Phur sah alledem zu und änderte ihr Verhalten nicht. Die Sonne wurde dunkler und kälter. Sie hatte jenes Stadium erreicht, in dem sich der schleichende Auskühlungsprozeß sprunghaft beschleunigte. Die Leuchtkraft ging von Stunde zu Stunde zurück, und die Lebenswolke leuchtete immer intensiver und freundlicher. Die Phurthuler, die sich abreagiert hatten, ließen sich zu Boden sinken. Stumm und reglos verfolgten sie das Schauspiel, und die meisten, die noch einigermaßen klar denken konnten, begannen zur Lebenswolke zu beten und um ihre Errettung zu flehen. Alles, was in den vergangenen Jahrhunderten gewesen war, die Ausbreitung der Untergangssekten, der Zulauf bei den Ersatzreligionen und den Atheisten, hatte jetzt keine Bedeutung mehr. Auf Phurthul regierten Angst und Ohnmacht. Bis auf Parok vielleicht und ein paar andere Beherzte, die jedoch keinen Kontakt zum Sitzungspräsidenten hatten. Parok eilte in das Sitzungsgebäude hinüber. Dort arbeiteten die automatischen Kontrollanlagen, die noch immer Meldungen aus allen Teilen des Planeten verarbeiteten. Der Funkverkehr nahm langsam ab, das meiste lief automatisch. Dennoch konnte sich der Politiker ein ungefähres Bild über die Lage verschaffen. Per Knopfdruck holte er sich Bilder aus verschiedenen Teilen des Regierungsviertels auf Monitoren. Der Mob randalierte und vernichtete, was ihm in den Weg kam. Und er näherte sich dem Sitzungsgebäude. Parok hetzte zu einem der Schränke und streifte die Robe des Sitzungspräsidenten ab. Er stopfte sie in einen leeren Schrank. Aus einem anderen zog er den Schurz und das Beinkleid eines Technikers hervor und zog es sich hastig an. Er klebte sich eines der Abzeichen an die oberste Körperstelle, direkt vor die Sensoren. Damit war er genug identifiziert, aber auch das schützte ihn nicht unbedingt vor der wütenden Menge. Er eilte in den Hintergrund zwischen die Anlagen hinein. Die schwere Tür klemmte, und er mußte alle Kraft anwenden, um sie zu öffnen. Ächzend gab sie nach. Er eilte hindurch und die Treppenstufen hinab. Die Notbeleuchtung hatte sich eingeschaltet, kaum daß er die oberste Stufe berührt hatte. Die Tür wieder zu schließen, hatte er keine Zeit. Mochten die Phurthuler sie immerhin entdecken. Das, was er beabsichtigte, dauerte nur ein paar Sekunden. Er langte am Fuß der Treppe an und bediente hastig das Zahlenschloß der Sicherheitstür. Sie schwang automatisch auf, wieder flammte vor ihm Licht auf. Der Historische Raum war intakt, er sah es auf den ersten Blick. Ein wenig Staub hatte sich dennoch in dem luftdicht abgeschlossenen Zimmer angesammelt. Parok beachtete es nicht. Er trat an den Tisch mit den vielen Hebeln und Kippschaltern. Er legte den roten Knopf um und atmete auf, als ein gelbes Licht ihm zeigte, daß die Energieversorgung fehlerlos arbeitete.
So gelb hätte er sich das Licht Phurs gewünscht, aber die Sonne kümmerte sich nicht um die Sehnsüchte der Planetenbewohner. Das Rad der Geschichte ließ sich nicht zurückdrehen, und irgendwie kam Parok der Gedanke, daß sein eigenes Volk vor ein paar hunderttausend Jahren eine Chance verpaßt hatte. Parok schaltete den Recorder ein. Das Endlosband begann zu spielen, und irgendwo im Gebirge hinter der Hauptstadt schoben sich die riesigen Antennen aus dem Boden. »Funkanlage, funke!« flüsterte er. Die Aggregate arbeiteten, und der Hilferuf des Planeten eilte in den Raum hinaus und suchte sich einen Weg, von dem Parok hoffte, daß es keine Sackgasse war. Nie zuvor hatte die Lebenswolke Funkwellen durchgelassen, aber jetzt, unter den veränderten Bedingungen, konnte es vielleicht doch möglich sein. Parok blieb eine Weile im Historischen Raum. Er schloß die Sicherheitstür und suchte nach dem Geheimgang, der hinaus zum braunen Bach führte, der dem Recyclingwerk zugeleitet wurde. Dort standen alle Anlagen still, und das Wasser des Baches staute sich langsam in den westlichen Stadtteilen. Nach einer guten Stunde fand Parok den Gang. Er hörte ein Rumoren. Es kam von außerhalb der Sicherheitstür. Die Phurthuler hatten die Treppe entdeckt und versuchten, die Tür zu öffnen. Es konnte ihnen nicht gelingen. Die Tür war feuerfest, und er hatte sie von innen zusätzlich verriegelt. Er stieg in den Gang und machte sich auf den Weg zum Bach. Es war dunkel um ihn, als er den Ausstieg geschlossen hatte. Hier brannte keine Notbeleuchtung mehr. Er tastete sich langsam voran. Er verlor jedes Zeitgefühl, aber Zeit bedeutete ihm nichts mehr. Er war ein gebildeter Phurthuler, und er wußte, wann alles zu Ende war. Im Augenblick war er froh, daß er wenigstens noch atmen konnte. Irgendwann erreichte er das Freie. Der Deckel, der den Gang verschloß, knirschte, aber nicht vom Rost, sondern vom – Eis. Vor Parok erstreckte sich eine Eisfläche. Sie neigte sich der Stadt zu leicht nach unten. Der Bach hatte sich gestaut und war innerhalb kurzer Zeit gefroren. Der Sitzungspräsident stieg aus. Klirrende Kälte empfing ihn. Der Himmel hatte sich verdunkelt, und die Böen eines beginnenden Sturmes fegten über das gefrorene Wasser, das noch immer hellbraun schimmerte. Vorsichtig schob Parok sich hinaus und verschloß den Deckel. Er legte sich flach hin und robbte über das Eis davon. Augenblicklich kroch die Kälte in seine Glieder, und der Schweiß auf seinem Rücken wurde zu Eis und peinigte ihn. Nach kurzer Zeit wurde er ganz steif, und die nächste Sturmbö packte ihn und riß ihn mit sich fort. In der Luft über ihm prasselte es. Holz und Strauchwerk wirbelte über das Eis auf die Stadt zu. Sein Körper wurde immer mehr beschleunigt. Dazu erreichte er ein Gebiet des gefrorenen Wassers, in dem die Oberfläche abschüssig war. Wie ein Geschoß raste er auf die Mauern und Fenster zu. Parok blockierte seine Sinnesrezeptoren. Er wollte sich vor dem nahen Ende verschließen. Daß er dennoch überlebte, verdankte er einem Baum, dessen oberes Astwerk aus dem Eis ragte. Sechs seiner acht Beine verfingen sich darin und bremsten ihn abrupt ab. Er klammerte sich mit den vier muskulösen Armen fest und wartete, bis der Sturm ein wenig nachließ. Dann schob er sich bis zu den Häusermauern hinüber und glitt an ihnen nach Süden entlang bis dorthin, wo das Eis in den Boden überging und an dem für gewöhnliche Zeiten neben dem Bach verlaufenden Überlaufgraben endete. Parok richtete sich auf und begann zu rennen, um seinen unterkühlten Körper wenigstens ein klein wenig zu erwärmen. Der Sturm heulte erneut auf, und in ihn mischte sich das Wehklagen der Phurthuler, die sich in der Stadt drängten und in dunklen Ecken auf den Tod warteten. Parok blieb stehen und lauschte in sich hinein. »Bin ich krank?« stammelte er. »Warum werde ich nicht von den peinigenden Gedanken des
Untergangs erfaßt?« Kaum ausgesprochen, waren sie auch schon da, und der Sitzungspräsident wußte jetzt, daß es die Hektik der Ereignisse gewesen war, die ihm ein wenig über den endgültigen Schock vor dem Sterben hinweggeholfen hatte. Jetzt begann er zu schwitzen und zu frieren und wünschte sich nichts sehnlicher, als daß ihm der Himmel auf den Kopf fallen möge. Er legte sich auf den Rücken und richtete den Sprechzylinder und die Sensorantennen der Sinnesorgane hinauf zum Firmament. Die Lebenswolke, die Phur und Phurthul einhüllte, erstreckte sich weit in den Weltraum hinaus. Sie leuchtete heller, als Parok es in Erinnerung hatte. Sie überdeckte fast schon den dunklen Glanz der Sonne. Phur erlosch immer weiter. Die Ränder der Sonne waren bereits schwarz, und von der Oberfläche des Sterns waren fast nur braune Schlieren zu sehen. Lediglich der Kern der Sonne verstrahlte noch ein wenig Licht, und es reichte kaum mehr aus, um die Natur des Planeten zu retten. Parok konnte sich kaum mehr rühren. Seine Sinne spiegelten ihm Einbildungen vor, denn sie zeigten dunkle Flecken im blauen Licht der Lebenswolke. Er begriff, daß er langsam den Verstand verlor, und wartete auf den Tod. Und als nach Stunden plötzlich Wärme um ihn herum einsetzte, da wußte er, daß er in das Jenseits hinübergewechselt war, aus dem es keine Rückkehr gab. Gesandte erwarteten ihn, und er fühlte sich federleicht und schrak doch plötzlich empor, als er eine Stimme dicht neben seinem Körper hörte. »Du phantasierst«, sagte sie. »Wir sind die Diener des Schutzpatrons, wir haben einen verzerrten Funkspruch aufgefangen, da wir uns in der Nähe der H-Plus-Wolken aufhielten. Jetzt sind wir da, um euch zu retten!« Parok benötigte Stunden, um zu begreifen, daß er fremden Wesen aus dem Weltall gegenüberstand, die in Schiffen gekommen waren und aussahen wie Phurthuler. Sie brachten es ihm bei, daß ihr Aussehen nichts zu bedeuten hatte. Und als Parok hinausblicken durfte zur Stadt, die unter einer wärmenden Schutzglocke lag, und den wie immer träge fließenden Bach sah, da verstand er plötzlich, was die Fremden meinten. »Wir sind Gesandte Gurays«, hörte er die Fremden sagen, und es wunderte ihn nicht einmal, daß er die Existenz anderer Lebewesen einfach hinnahm. Sie waren der Strohhalm, an den er sich hielt, um nicht doch noch den Verstand zu verlieren. »Wir werden euch eine Möglichkeit verschaffen, wie ihr auf eurem Planeten unter seiner Oberfläche fortleben könnt!« »Der Funkspruch…?« dehnte Parok. Er hatte nur mit halber Sinneskraft zugehört. Sie bestätigten es ihm. Der Phurthuler stöhnte laut. Er konnte es nicht fassen, daß er mit seiner Tat sein Volk gerettet haben sollte. Parok verlor das Bewußtsein und wurde in einen langen Erholungsschlaf geschickt.
2. Guray weiß, daß er viel Zeit verloren hat. Längst hätte er den Kontakt zu diesem Atlan herstellen können. Gelegenheiten gab es viele, bereits auf Cairon. Aber damals hatte der Schutzpatron noch nicht daran gedacht, daß Atlan einmal eine für ihn interessante Persönlichkeit werden würde. Jetzt, wo er es ist, kann keiner der Gesandten den Arkoniden aufspüren. Er ist im Weltall unterwegs, heißt es in den Meldungen, die Guray ohne Unterlaß erreichen. Vielleicht ist es gut so, denkt der Schutzpatron. Jener andere, vor dem er die große Angst hat, ist bestimmt auf Atlan aufmerksam geworden, wie auch die Hyptons aufmerksam wurden. Atlan wird bestimmt pausenlos von Spähern aller Interessengruppen verfolgt. Es wäre ein Fehler, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Es sei denn… Guray ist sehr sensibel in seinen Gedanken, und diesmal bildet er sich ein, genau zu wissen, was er will. Eine Neuigkeit, die er erfahren hat, bestärkt ihn in seinen Gedanken. Ein Gerücht hat sich für ihn zur Wahrheit verdichtet. In Manam-Turu ist ein weiteres mächtiges Wesen aufgetaucht, viel mächtiger als Guray. Es hält sich irgendwo verborgen. Dieses Wesen weckt sein Interesse noch weitaus stärker als Atlan. Guray sieht in jenem Mächtigen plötzlich den idealen Verbündeten und in Atlan nur noch den Mittler, der zur Herstellung des Kontakts benötigt wird. Denn Atlan sucht ebenfalls jenes Wesen, das als der Erleuchtete bezeichnet wird. Guray hat die Piraten mit GomanLargo, Neithadl-Off und Anima auf den Weg geschickt, um die Spur des Erleuchteten zu finden. Diesen will er als Verbündeten gegen jenes Wesen gewinnen, das er der Einfachheit halber als FEIND bezeichnet. Atlan soll der Unterhändler werden, um den Pakt zwischen ihm und dem Erleuchteten auszuhandeln. Guray zittert vor diesem Gedanken. Aber Gurays Überlebenswille ist gerufen, und er setzt alle vorhandene psychische Kraft in seinen Plan. Was bringt der Plan, wie hoch stehen die Chancen seines Gelingens? Manchmal fehlt Guray der einheitliche Wille, an einen Sieg zu glauben. Er ist ängstlich und in seiner Wesensart verletzlich. Seine inneren Zweifel sind sein eigentlicher Kampf, und er verbirgt die Ursprünge seiner Wesensproblematik vor allen, die mit ihm zu tun haben. Aber manchmal tut er widersprüchliche Dinge, an denen sich sein Charakter erkennen läßt. Es gibt Wesen in ManamTuru, die sehr empfänglich für solche Dinge sind. Sie kennen ihn besser, als ihm lieb ist. Guray denkt an die Phurthuler. Er hat sich ihnen als der Vielseitige vorgestellt, aber sie nennen ihn längst den Sensiblen. Sie dienen ihm dennoch treu, und das gibt Guray ein wenig Ruhe und Geborgenheit. Manchmal glaubt der Schutzpatron, daß es die fehlende Geborgenheit ist, die ihn so unstet macht, die ihn zu Reaktionen treibt, die völlig unverständlich sind. Immer, wenn ein Höhepunkt seiner inneren Verzweiflung erreicht ist, läßt er sich die neuen Kammern und Hallen zeigen, in denen die Piraten die Schätze anhäufen. Schätze für ihn, den Schutzpatron, der die Piraten behütet und ihnen überall freien Zugang verschafft. Es gibt viele Planeten, auf denen sich Schatzkammern befinden. Er denkt an Pultar und die Lasquen, aber auch an Phurthul und die Phurthuler. Und natürlich an Barquass. Guray wird ein wenig melancholisch zumute. Barquass ist eine blühende Stadt voller Leben. Die unterschiedlichsten Wesen bewohnen sie. Barquass ist ein wichtiger Stützpunkt der Piraten. Und der Planet trägt denselben Namen wie die Stadt. Der Name löst in Guray etwas aus. Der Schutzpatron beginnt in Erinnerungen zu schwelgen. Nach kurzer Zeit jedoch schweifen seine Gedanken wieder ab und befassen sich mit den Hyptons und den Ligriden, die den Piraten überall Lichtschranken in den Weg legen und Gurays Leidenschaft immer stärker behindern.
Auch das will er abschaffen. Auch hierzu benötigt er starke Verbündete, denn er selbst fühlt sich schwach und unvollkommen. Sonst wäre er ja nicht Guray. * Geistige Besinnlichkeit war auf Phurthul eingekehrt. Die Bevölkerung hatte sich beruhigt und unterstützte ihre falschen Artgenossen bei deren Vorhaben. Überall auf der Oberfläche landeten Raumschiffe mit Geräten, die bei den Arbeiten dringend benötigt wurden. Daneben gab es hausgroße Anlagen, die Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs produzierten. Mit ihrer Hilfe wurde das Volk der Phurthuler am Leben erhalten, das sich zu einem Großteil unter künstlich beleuchteten Plastikhäuten aufhielt, die so hoch wie ihre Städte waren. Längst war draußen alles Leben untergegangen. Die Natur des Planeten war gestorben. Ein halber Sonnenlauf war vorüber, ein halbes Jahr. Phurthul war seiner erlöschenden Sonne nähergekommen, aber es war trotzdem kälter geworden. »Phurthul wird sich nicht mehr weiter verändern«, machten die Diener Gurays den Phurthulern klar. »Auch Phur bleibt, wie sie ist. Die Sonne hat ihre meiste Kraft verloren, aber in ihrem Kern glüht noch der Funke. Dort sind die chemischen Prozesse nicht abgeschlossen. Es wird ein paar tausend Jahre dauern, bis die Glut endgültig erloschen ist. Manchmal, wenn ein paar von euch in Schutzanzügen an die Oberfläche heraufsteigen, werden sie einen letzten Schimmer dieser inneren Glut der Sonne erblicken.« Parok und seine Begleiter legten unwillkürlich die Arme zusammen und richteten ihre Sensorantennen auf der Körperoberseite hinauf gegen den Himmel. Außer dem matten Leuchten der Lebenswolke war ihnen nichts geblieben, und auch das Leuchten nahm ab. Die Diener Gurays begründeten es mit einer gravitationsbedingten Abnahme der Dichte in dem ionisierten Wasserstoffeld. Je mehr Phur an Kraft verlor, desto schneller driftete die Lebenswolke auseinander und verteilte sich über einen größeren Bereich als bisher. Das Wasserstoffeld war es eigentlich gewesen, das die Gesandten in die Nähe Phurs gebracht hatte. Sie hatten den verstümmelten Hilferuf empfangen und sich entschlossen, sofort helfend einzugreifen. »Wer ist Guray?« fragte Parok, als er es aufgegeben hatte, auf ein Wiederaufflackern oder letztes Aufbäumen der Sonne zu hoffen. In seiner Begleitung befanden sich annähernd hundert Phurthuler beiderlei Geschlechts. Sie hielten ein wenig Abstand zu dem ehemaligen Sitzungspräsidenten. Parok standen zehn Gesandte gegenüber, und einer von ihnen hatte sich als Sprecher aller hervorgetan. Er nannte sich Blomend. »Guray ist unser Schutzpatron«, antwortete Blomend. »Er ist überall gegenwärtig, und er wird auch auf Phurthul zugegen sein, sobald die Zeit reif ist. Fragt nicht, wie Guray aussieht. Es gibt keine Antwort auf diese Frage, und selbst wenn, dann wäre sie so unwahrscheinlich, daß ihr sie nicht einmal in tausend Jahren glauben würdet. Guray ist eine Macht in dieser Galaxis, die von vielen Manam-Turu genannt wird. Dankt ihm für eure Rettung, indem ihr seine Gesandten gut behandelt. Sie werden nicht immer in dieser Zahl zugegen sein, aber der Kontakt zwischen euch und ihnen wird nie abreißen. Und Guray wird es gefallen!« Parok schwieg darauf. Er hatte verstanden, daß es unverschämt gewesen wäre, zum jetzigen Zeitpunkt weiter in die Gesandten zu dringen. Jedesmal, wenn er ihre Körper betrachtete, die sich nicht von denen der Phurthuler unterschieden, überkam ihn ein wenig Furcht. Die fremden Wesen bestanden darauf, ihre eigentliche Struktur nicht zu zeigen. Sie waren unheimlich, und doch hatten sie lautere Absichten. Oder gab es ein deutlicheres Zeichen ihrer Einstellung als das, daß sie ein ganzes Volk vor dem Untergang bewahrten? Parok konnte sich keines vorstellen, und er mußte es am besten von allen wissen, denn er hatte den verzweifelten Funkspruch abgesetzt und als erster Kontakt zu den Helfern erhalten. Der Abstand, den die Mitglieder seines Volkes zu ihm hielten,
dokumentierte dies am besten. Von einer Stunde zur anderen war Parok zu einem Heiligen der letzten Tage geworden und anschließend zu einem Symbol für die Zukunft. Auch dem Dümmsten war der Grund inzwischen klargeworden, und ganz Phurthul lauschte auf Paroks Worte und die Kommentare, die er zu den Anweisungen und Vorschlägen der Diener Gurays gab. Es kamen keine kritischen Stimmen. Niemand auf dem Planeten redete von der Aufdringlichkeit der Fremden. Das weise Volk von Phurthul war aus der Hysterie des Untergangs erwacht und arbeitete nicht nur am Wiederaufbau der Kultur, sondern auch an der Wiederbelebung der einstigen Moral. Und als Phurthul zweimal seine sterbende Sonne umrundet hatte, da war klar, daß das Volk nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich überleben würde. »Nicht Fragen sind wichtig, nur die Taten zählen!« gingen Paroks Worte rings um die Welt und drangen unter die Oberfläche vor, wo robotische Maschinen fremder Herkunft mit Hochdruck arbeiteten. Sie drangen bis in große Tiefen vor, die kein Phurthuler je zuvor zu Gesicht bekommen hatte. Sie höhlten die Planetenkruste aus und stellten exakte statische Berechnungen an. Riesige Kavernen wurden geschaffen, in denen glitzernde Maschinen mit der Produktion synthetischer Nahrungsmittel begannen. Kahle, unterirdische Höhlensysteme verwandelten sich in blühende Gärten mit warmem und heilsamem Klima, und sie standen mit den ersten Städten durch Tunnels in Verbindung, die Ähnlichkeit mit den breiten Gebirgstälern hatten. Der einzige optische Unterschied bestand darin, daß an der hohen Felsdecke künstliche Lampen verschiedener Strahlungsspektren hingen und die erloschene Sonne ersetzten. Hier unten, zwischen blühenden Sträuchern und Bäumen, hatte Parok sein Zelt aufgeschlagen. Er war der einzige, der bisher die Erlaubnis erhalten hatte, außerhalb der Sammellager auf der Oberfläche zu leben. Noch waren die unterirdischen Behausungen nicht vollendet. Die Phurthuler arbeiteten daran, und zum Essen und Schlafen kehrten sie an die Oberfläche zurück, wo die aufgeblasenen Folien ihre Überlebenskuppeln bildeten. Die Stürme und Orkane hatten längst aufgehört. Die Oberfläche des Planeten war endgültig gestorben, und die letzten Reste der Atmosphäre hatten sich zu Oberflächeneis kondensiert oder waren in den Weltraum entwichen. In den Gärten war es auch, wo Parok die meisten Kontakte mit den Phurthulern hatte, die keine waren, sondern sich als Diener und Gesandte Gurays bezeichneten. Sie verheimlichten nicht, daß ihre Hilfe nicht völlig uneigennützig war. Parok hatte auch nicht damit gerechnet. Es war ihm fast egal, welche Gegenleistung die Phurthuler erbringen mußten. Das Überleben des Volkes war jedes Opfer wert. »Sagt mir, was ihr wollt«, sagte er bei passender Gelegenheit. »Wir werden es erfüllen.« »Bei Guray, es ist nicht viel«, erhielt er zur Antwort. Wieder war es Blomend, der zu ihm sprach. »Wir wünschen nur, daß wir auf eurer Welt einen Stützpunkt unterhalten dürfen und ihr Guray unterstützt, wenn er es wünscht. Das ist alles!« Parok dachte nach. Er überlegte, welche Konsequenzen das haben konnte, und seine Gedanken blieben immer an dem einen Punkt haften. »Wir sind keine Raumfahrer«, erklärte er. »Und Guray braucht vermutlich Leute, die durch das Weltall fliegen!« »Nicht nur, weiser Parok. Phurthul wird eine Sonderstellung haben. Euer Volk soll diesen Planeten nur verwalten und die Anlagen warten, die Guray braucht. Es soll seine Welt nicht verlassen. Denn wisse, Parok, daß wir dein Volk genau geprüft haben. Es besitzt eine nicht mit den Sinnen spürbare Eigenheit. Du erfährst sie nun, aber es ist ratsam, wenn du sie für dich behältst!« Sie können ja keine Gedanken lesen, dachte Parok nicht zum ersten Mal. Seine anfänglichen Befürchtungen, die Gesandten könnten psionisch begabt sein, hatten sich nicht bestätigt. Der Phurthuler beschloß, einen seiner größten Trümpfe auszuspielen, die er besaß. Die Weisheit seines alten Volkes war in der fernen Vergangenheit schon immer unübertroffen gewesen. Die Phurthuler hatten den inneren Kosmos bereist und deshalb darauf verzichtet, die Weltraumfahrt zu entwickeln.
Und der innere Kosmos hatte ihnen ein hohes Maß an Erkenntnisfähigkeit auch der eigenen Existenz beschert. »Ich brauche sie nicht für mich zu behalten«, erwiderte es leise. »Jeder Phurthuler weiß es, daß er ohne den Kontakt zu seinem Planeten nicht lebensfähig ist. Daß ihr es ebenfalls erkannt habt, spricht für euch und nimmt uns eine große Last von der Seele!« Die Gesandten Gurays verstummten vor Ehrfurcht und brachen das Gespräch bald ab. Sie entfernten sich hastig, und Parok entnahm ihren Worten, daß es gar nicht seine Worte waren, die die Reaktion bewirkt hatten. Etwas anderes ging vor sich, und der Phurthuler folgte den Fremden in Phurthulergestalt heimlich. Die Gesandten begannen zu rennen, und Parok sah, daß sie Schwierigkeiten hatten, mit den acht Beinen vorwärtszukommen. Sie waren die Gestalt nicht gewohnt. Wie sehen sie in Wirklichkeit aus? fragte er sich. Würde er es irgendwann erfahren? Wie fürchterlich sahen diese Wesen aus, daß sie es nicht wagten, sich in ihrer ursprünglichen Gestalt zu zeigen? Die Gesandten Gurays rasten zur Oberfläche und verschwanden in einem Raumschiff, das sofort startete und in den Himmel hinaufraste. Durch eine Beobachtungsluke am oberen Ende eines Schachtes verfolgte Parok den Vorgang mit. Er hatte genau gesehen, daß alle Gesandten, die sich bei ihm aufgehalten hatten, abgeflogen waren. Und er erschrak, als er eine halbe Stunde später Blomend begegnete, der wieder einen völlig ausgeglichenen Eindruck machte. Parok blieb stehen. Er wuchs förmlich über sich selbst hinaus, als er sagte: »Gib dir keine Mühe. Ich weiß, daß du nicht das Wesen bist, das sich als Blomend vorgestellt hat!« »Du bist unendlich weise, Parok«, kam die Antwort. »Alle Mitglieder deines Volkes werden es irgendwann erfahren. Gesandte Gurays können nur immer eine bestimmte Zeit unterwegs sein. Dann müssen sie zurückkehren zu dem, der sie ausgesandt hat. Aber sie werden wiederkommen!« Parok nahm die Worte in sich auf. Seine Gedanken wirbelten ein wenig durcheinander, und er wandte sich ab und zog sich in die unterirdischen Gärten zurück, um zu überlegen. Mit jeder neuen Information wuchs das Rätsel um die Fremden weiter an. Irgendwann in ferner Zukunft würde der Zeitpunkt erreicht sein, an dem die Informationen ausreichten, um es endlich zu wissen, wer sie waren. Und wer Guray war. * Das war sie also. Aak-Ruun, die Heimelige. Unter einem hohen Felsendom erhoben sich die Gebäude. Nahtlos fügten sie sich aneinander, und in ihrem Innern gab es viele Übergänge zwischen den einzelnen Etagen, Abschnitten und Häusern. Manche Räume und Hallen reichten über mehrere der Bauten, und in ihnen waren die Anlagen untergebracht, die die Stadt am Leben erhielten. Es gab jedoch auch Einrichtungen, die den Phurthulern unbekannt waren. Sie konnten nur von den Gesandten Gurays bedient werden. Ihr Zweck war unklar. Die neuen Anführer hatten sich um Parok geschart. Unter ihnen befanden sich über hundert Mitglieder der ehemaligen Einigen Dreihundert. Parok sah so bekannte Gestalten wie Hefder, Kanag und Morenz. Er hatte sie seit den damaligen Ereignissen nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil sie in anderen Landstrichen des Planeten zu Hause waren und nach dort zurückgekehrt waren. Er begrüßte sie, und sie trugen ihm ihre Sorgen vor. »Wir sind den Gesandten Gurays zu Dank verpflichtet, das weiß jeder«, begann Morenz. »Dennoch herrscht zur Zeit keine gute Stimmung. Kurz vor dem Fest müßten die Seelen unseres Volkes
ausgeglichener sein. Sage du uns, was wir tun können!« Parok erschrak innerlich. Damit hatte er nicht gerechnet. Auch seine ehemaligen Ratskollegen betrachteten ihn uneingeschränkt als die Autorität im Umgang mit den fremden Phurthulern. »Es gibt keinen Grund für Unausgeglichenheit. Alle Fragen werden sich im Laufe der Zeit beantworten. Jeder Phurthuler weiß, daß das Leben in der früheren Form weitergehen wird. Die nächste Generation bereits wird sich mit den unterirdischen Städten abgefunden haben. Und auch wir werden uns nicht beschweren, wenn wir uns immer vor Augen halten, daß es ohne die Gesandten Gurays keine Phurthuler mehr geben würde. Wenn einer also zweifelt, dann liegt es daran, daß er zu wenig Charakter besitzt, um richtig dankbar zu sein. Und woran fehlt es da? Es müssen Psychologen eingreifen, um die entsprechenden Phurthuler zu behandeln. Bisher war unser Volk ganz vom Wiederaufbau in Anspruch genommen. Dies muß sich jetzt ändern. Unsere Kultur muß erneuert werden!« Viele der Zweifelnden gaben sich mit diesen Worten zufrieden. Der Rest zog bekümmert davon. Parok konnte ihnen nicht helfen, denn es gab keine Zeit für weitere Gespräche. Aak-Ruun war vollendet, und weitere Städte würden folgen. Der ehemalige Sitzungspräsident suchte den zentralen Platz der Stadt auf. Dort waren Tribünen errichtet worden. Hoch über dem Platz hingen die Lampen an der Gesteinsdecke. Sie würden ewig halten, wenn man den Angaben der Gesandten Glauben schenkte. Alles würde ewig halten, und wo es Ausfälle gab, ließen sich die Schäden rasch ersetzen. Es gab inzwischen genug Anlagen, die nur dazu da waren, Ersatzteile herzustellen. Auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln war gewährleistet. Ans Essen dachte Parok weniger. Er hatte in der Zeit seit der Katastrophe beinahe die Hälfte seines Körpergewichtes verloren und konnte als schlank bezeichnet werden. Am Anfang war es ihm schwergefallen, wenig zu essen. Er hatte sich damit abfinden müssen, weil es nicht mehr gegeben hatte. Inzwischen hatte er jene unselige Sucht überwunden, und ein Arzt hatte ihm bestätigt, daß seine Lebenserwartung mindestens um ein Viertel gestiegen war. Die Tribünen waren mit bunten Girlanden geschmückt, und langsam fanden sich alle Phurthuler ein, die sich in der Nähe befanden. Und aus einem Tor im Hintergrund erschienen die ersten Gesandten. Parok winkte ihnen zu, während er mit seinen Sinnessensoren zuckte. Es war eigenartig. Schon von weitem wußte er genau, daß er keine echten Phurthuler vor sich hatte. Es lag an ihren Bewegungen, die sie von den Einheimischen unterschieden. Meist bewegten sie sich hektisch, und sie strahlten nichts von der Gelassenheit aus, zu der das Volk unter der sterbenden Sonne zurückgefunden hatte. Parok sah zwei der Fremden, die sich ruckartig umwandten und davonstürmten. Sie müssen zurück! erkannte er. Etwas tief in ihnen treibt sie zurück zu Guray. Ehrfurcht überkam ihn. Wie mächtig und wie fürsorglich mußte Guray sein, wenn seine Gesandten nie länger als einen bestimmten Zeitraum ohne ihn sein konnten. Parok hatte Indizien zusammengetragen und die durchschnittliche Aufenthaltsfähigkeit eines Gesandten auf drei phurthulische Wochen bestimmt. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Wochen an der Oberfläche oder die in den unterirdischen Anlagen gemeint waren. Die Phurthuler hatten die alte Zeitrechnung mit nach unten getragen wie das meiste aus ihrem früheren Leben. Kanag entdeckte ihn und eilte herbei. »Es ist Zeit. Du mußt die Tribüne ersteigen und dich für deine Rede rüsten!« »Rede?« wunderte sich Parok. »Warum ich?« »Weil du der Mann bist, dem als einzigem diese Ehre gebührt!« Kanag wackelte besorgt mit den Sehrezeptoren. »Oder leidest du an Gedächtnisschwund? Du hast unser Volk gerettet, Parok!«
»Ich weiß«, seufzte der Phurthuler. »Aber warum laßt ihr mich nicht in Ruhe? Ich bin doch kein Überwesen und will nicht, daß das Volk mich wie einen Diktator verehrt. Oder noch schlimmer, wie einen Gott!« »Weder noch. Komm jetzt.« Parok folgte ihm bis zur Tribüne und stieg hinauf. Inzwischen hatten sich alle Plätze gefüllt, und der Platz war übersät von Phurthulern, die an der Feierlichkeit teilnehmen wollten. Tausende hatten sich auf den umliegenden Gebäuden versammelt. Zum Zeichen des Auftakts begannen die Girlanden aus sich heraus zu leuchten. »Volk unseres Planeten«, begann Parok mit heiserer Stimme. »Wir haben die Krise überwunden und stehen am Beginn einer neuen Zeit. Wir leben weiter, und unsere ganze Dankbarkeit gilt jenen Wesen, die dies ermöglicht haben. Wir danken den Gesandten und freuen uns, daß sie unter uns weilen. Wir helfen ihnen gern und unterstützen sie überall, wo es geht. Wir wollen es niemals vergessen, was jenes unbekannte Wesen namens Guray für uns getan hat. Was wir als Gegenleistung erbringen müssen, ist gering im Vergleich zu unserer Rettung. In alle Zukunft wollen wir die Erinnerung daran wachhalten. Wir werden Guray, vertreten durch seine Gesandten, unterstützen, wo es geht.« Beifall brach aus. Die Phurthuler taten alles, um ihre Zustimmung zu zeigen. Dennoch war in manchen Körperbewegungen deutlich die Unruhe zu erkennen. Parok sah es und suchte nach Worten, um auch jene Zweifler zu überzeugen, die eigentlich gar nicht zu überzeugen waren. Ein helles Singen lag plötzlich über dem Platz. Ein Lachen folgte, und dann klang eine Stimme auf, die die Phurthuler endgültig darauf aufmerksam machte, welche technische Überlegenheit Guray besaß. »Volk von Phurthul«, vernahmen sie. »Ich grüße euch. Ihr wißt nicht, wie ich aussehe, und kennt mich doch. Ihr kennt mich, weil ihr meine Gesandten kennt. Ihr wollt mir danken. Ihr dürft es. Ich werde mich immer um euch kümmern. Euer Volk wird leben. Was soll ich euch sagen? Auch ich kenne euch nicht, aber jetzt sind die Anlagen aktiviert. Ich werde bald alles von euch wissen. Vertraut mir. Ich bin ein Wesen, das Vertrauen verdient hat. Helft mir. Ich muß viele Dinge tun, um die mich kein Wesen beneidet. Ich… aber wie soll ich es sagen? Tut, worum euch meine Gesandten bitten. Und helft mir!« Die beinahe kindlich-helle Stimme verstummte, und die Phurthuler blickten mit ihren Sensorantennen zu Parok hinauf, der steif auf seinem Platz stand. Er und alle Phurthuler hatten etwas anderes erwartet. Hatten die Worte, die aus allen Richtungen von den Gebäuden gekommen waren, nicht danach geklungen, als sei jenes Wesen der eigentliche Hilfsbedürftige? Wieder suchte Parok nach Worten. Er hatte Mühe, seine Zweifel wegzuwischen, die jetzt in ihm aufstiegen. Aber dann schaffte er es doch. »Ihr habt es gehört!« rief er laut. »Guray hat zu uns gesprochen. Er ist kein Wesen, das uns mit seiner Übermacht erdrücken will. Er hat uns geholfen, und warum sollen wir nicht auch ihm helfen. Vielleicht braucht er unsere Hilfe ebenso dringend, wie wir seine nötig hatten, als das Leben von der Oberfläche wich!« Das Eis war gebrochen. Die Zweifel schwanden. Die Menge brach in Hochrufe auf Guray aus. Parok erkannte, daß die Zweifel im Grunde genommen in einer einzigen Sache bestanden hatten. Die Phurthuler hatten am Sinn dessen gezweifelt, was sie tun sollten. Jetzt aber hatten sie Guray gehört und ein wenig von seinen Gedanken und Wünschen erfahren. Das weise Volk von Phurthul verstand, daß ihr Helfer kein Überwesen war. Einer half dem anderen. Phurthul würde sich revanchieren, so gut es ging. »Laßt uns feiern!« rief Parok aus. Die kurzen Worte vermochten es nur unzureichend, die Hochstimmung auszudrücken, in der er sich
übergangslos befand.
3. »Die Langsamflugphase muß verlängert werden«, teilte die STERNSCHNUPPE uns mit. Ich runzelte die Stirn und blickte Mrothyr und Chipol an. Der junge Daila streckte mir die hellen Handflächen entgegen. Mrothyr gab nur ein unwilliges Brummen von sich. »Du willst doch damit nicht sagen, daß du schon wieder Hyperenergie aufnehmen mußt, Schiff«, sagte ich. »Genau das«, erklärte die STERNSCHNUPPE. »Aber ich bin weder defekt noch sonst außer Kontrolle. Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme!« Ich wandte mich zu den Kontrollen in der sechs Meter durchmessenden Zentrale um. Alles war ruhig, nichts wies darauf hin, daß uns von irgendeiner Seite Gefahr drohte. »Was weißt du, was wir noch nicht entdeckt haben?« knurrte der Zyrpher. Das Schiff verlangsamte seine Geschwindigkeit durch den interstellaren Raum noch mehr, ehe es sich nach einer Viertelstunde bequemte, eine Antwort zu geben. »Colemayns Abschied hat mich dazu veranlaßt«, sagte die STERNSCHNUPPE. »Es war ein bedeutungsvoller Abschied, und er läßt sich dahingehend interpretieren, daß wichtige Ereignisse bevorstehen!« »Das ist deine Meinung!« rief Chipol aus. »Wir haben eine andere.« Er blickte mich herausfordernd an, aber ich reagierte nicht. Ich lauschte auf den Kommentar meines Extrasinns. Das Gegenteil ist der Fall, meldete er sich. Colemayns Auftauchen hat wichtige Vorgänge nach sich gezogen, aber sein Verschwinden bedeutet nichts. Du kannst sicher sein, daß er im richtigen Moment wieder auftaucht. Dem hatte ich nichts hinzuzufügen. Auch ich glaubte, daß Fartuloon/Colemayn das Problem um die Hyptons und den Erleuchteten auf seine Weise anging und rechtzeitig wieder zu uns stoßen würde. Drei Tage waren wir inzwischen unterwegs. Noch immer klangen die Worte meines alten Lehrers in mir nach, die von dem Kristall abgestrahlt worden waren. »Wir werden uns wieder begegnen«, hatte die Botschaft sinngemäß gelautet. »Dieser Kristall wird dir helfen, die Trennung von den Kosmokraten und deinem bisherigen Leben leichter zu überwinden!« Tatsächlich war aus dem kleinen Kristall eine starke Kraft auf mich übergegangen. Die Bedrückung und Mattigkeit, die mich seit den Ereignissen auf Kraupper und um das Pre-Lo gefangengehalten; hatten, waren übergangslos vorbei. Ich hätte Bäume ausreißen können. Die Trennung von den Kosmokraten! Welcher Schmerz für mich! Es war ein Hohn, aber ich verstand, daß Fartuloon es nicht so gemeint hatte. Längst hatte ich mich damit abgefunden, eine neue Art von Freiheit zu besitzen, um die ich tagtäglich kämpfen mußte. Niemand stand hinter mir und hielt seine Hände schützend über mich. Ich konnte nicht einfach das Kodewort denken und nach Varnhagher-Ghynnst zurückkehren, in den Palast auf Kran, wo ich eigentlich als Orakel von Krandhor hingehörte. Zum wiederholten Mal legte ich mir all die Gedanken zurecht, die damit zu tun hatten. Ich war froh, nicht am Gängelband irgendeines Wesens oder irgendeiner Macht laufen und agieren zu müssen. Alles war so, wie ich es mir wünschte. Tatsächlich? Spare dir deine Ironie, wies ich den Logiksektor zurecht. Ich bin mein eigener Herr. Ich treffe meine Entscheidungen selbst. Und ich muß nicht ständig daran denken, ob mein Tun auch im Sinn der
Kosmokraten ist. Es war eine Wohltat, daß er nichts erwiderte und mich meinen eigenen Gedanken überließ. Wenn ich es mir recht überlegte, dann besaß die Unabhängigkeit von den Kosmokraten einen gewaltigen Nachteil. Ich besaß überhaupt keine Möglichkeit mehr, in mein früheres Leben zurückzukehren. Höchstens der Erleuchtete oder die Hyptons besaßen die Mittel, Manam-Turu zu verlassen und in ferne Galaxien wie etwa die Milchstraße vorzustoßen. Da war der Haken, der springende Punkt. Und Fartuloon hatte seine Botschaft an mich mit voller Absicht so gewählt. Die Trennung von meinem bisherigen Leben und von den Kosmokraten, sie war keine Befreiung, wie ich manchmal gehofft hatte. Sie war eher ein Ultimatum. Ich durfte in Manam-Turu nicht versagen oder zu spät kommen wie in Alkordoom. Mein persönliches Schicksal war davon abhängig. Ein weiterer Gedanke verband sich mit dieser Erkenntnis. Fartuloon war gekommen. Als Colemayn hatte er in Alkordoom beobachtet und den unbeteiligten Zuschauer gespielt. Jetzt, in Manam-Turu, hatte er helfend eingegriffen und seine wahre Identität enthüllt. Ich hatte Colemayn für tot gehalten. Ihn und Anima. Was war mit Anima? Ein bitterer Geschmack machte sich in meinem Mund breit. Die Erinnerung an das Erkennen Fartuloons übermannte mich und trieb mir salziges Sekret in die Augen. Ich wandte mich ab und wischte es unauffällig mit den Fingerspitzen weg. Manchmal hielt das Schicksal Überraschungen für einen bereit, manchmal Wunder. Man durfte jedoch nicht so vermessen sein zu glauben, daß man ein Kind des Glücks war, dem nur positive Wunder widerfuhren. Nein, hatte Colemayn den Weg nach Manam-Turu gefunden, konnte sich dies kein zweites Mal wiederholen. Anima war für mich unwiederbringlich verloren. Anima existierte nicht mehr. Damit hatte ich mich bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgefunden. Und so sehr mich das Wissen um Fartuloon-Colemayns Existenz ermunterte, so sehr bedrückte es mich, auf jenes Wesen verzichten zu müssen, das ich in Alkordoom gefunden hatte. »Wie lange dauert diese Tankerei?« hörte ich Mrothyr fragen. Der hominide Zyrpher rollte mit den bernsteinfarbenen Augen. Die Muskeln seines massigen Körpers spielten, und die vierfingrigen Hände seiner kurzen Arme schlossen und öffneten sich. Mrothyr war ungeduldig. Wir waren es alle, aber er zeigte es am deutlichsten. »Nicht länger als zwei Stunden«, gab das Schiff zur Antwort. »Inzwischen solltet ihr euch um die Funkanlage kümmern!« Mrothyr kam der Aufforderung sofort nach. Er setzte sich in den Sessel vor der Anlage und lauschte auf die Signale, die wie ein Hintergrundrauschen ständig auf die STERNSCHNUPPE eindrangen. Er suchte nach einem Hinweis, nach einer Spur. Die Spur zu den Piraten, oder besser gesagt zu den Gesandten Gurays und zu Guray selbst. Was es mit den Piraten auf sich hatte, die sich selbst als Händler bezeichneten und alle möglichen Kunstschätze und Wertgegenstände horteten, als sei es die Aufgabe ihres Lebens, wußten wir seit längerem. Wir wußten auch, daß die Piraten einen Schutzpatron besaßen, den sie für eine Art Glücksbringer hielten, ein überirdisches Wesen. Einen Geist, der schützend die Hand über sie hielt. Seit wir jedoch auf Pultar an dem Treffen der dailanischen Mutanten teilgenommen hatten, stellte sich uns das Thema Guray ein wenig anders dar. Wir waren Wesen begegnet, die die Gestalt von Lasquen angenommen hatten und sich als Diener Gurays bezeichnet hatten. Damals bereits war mir und meinen Gefährten der Verdacht gekommen, daß es sich bei Guray um ein tatsächlich existierendes Wesen handelte, das über die Piraten einen gewissen Machtfaktor in Manam-Turu
darstellte. Ich dachte an einen Verbündeten gegen den Erleuchteten. Wir hätten uns schon früher auf die Suche nach diesem Guray machen können, aber die Ereignisse um das Pre-Lo und die damit verbundenen Vorgänge hatten uns davon abgehalten. Erst eine ungewöhnliche Störung im Hyperfunkbereich hatte uns an ein neues Ziel geführt. Solche Störungen hatten wir zuvor schon mehrmals aufgefangen, einmal auf Cairon, dann mehrmals beim Anflug auf Gyd und den Planeten Pultar. Diesmal war es ähnlich, und das Schiff interpretierte die Störungen als Signale, die es allerdings nicht entschlüsseln konnte. Wir waren auf der Suche nach dem Ursprung des jüngsten Signals nach Weyngol gelangt und hatten dort die Spur von Gurays Dienern gefunden. Sie hatten von sich auch als von den Gesandten Gurays gesprochen, was wohl dasselbe bedeutete. Gesandte und Diener eines Wesens, das allein durch die Verwendung dieser Beziehungsbegriffe das meiste von seinem mythologischen Charakter verlor und immer mehr zu einem handfesten Wesen wurde, das eine zwar undurchschaubare, aber doch handfeste Politik betrieb, hinter die zu kommen wir jetzt endgültig bestrebt waren. Unsere Rechnung auf Weyngol wäre fast aufgegangen. Wir hatten darauf spekuliert, daß die Diener irgendwann den Planeten verlassen mußten, weil ihr innerer Drang es ihnen gebot. Das einzige flugfähige Schiff auf Weyngol war die STERNSCHNUPPE. Im letzten Augenblick jedoch war ein Schiff der Gesandten gekommen und hatte sie abgeholt. Wir hatten es nicht verhindern können. Wir starteten, aber die Spur der Gesandten verlor sich zwischen den Sonnen der Galaxis. Wieder standen wir mit leeren Händen da, und auch jetzt, drei Tage später, hatte sich dieser Zustand nicht geändert. »Atlan!« Ich trat neben Mrothyr. Chipol folgte mir und stellte sich auf die andere Seite des Zyrphers. »Was gibt es?« Mrothyr sah mich an, dann Chipol. Er sagte nur ein Wort, aber es elektrisierte uns beide gleichermaßen. »Aklard!« Die STERNSCHNUPPE fügte hinzu: »Da sind Funksprüche, die sich mit Aklard befassen!« »Ausfiltern!« rief ich. »Alle anderen Sendungen unterdrücken!« Es rauschte, die betreffenden Hyperfunksprüche wurden deutlicher, so daß wir verstehen konnten, was gesprochen wurde. Es handelte sich einmal um eine Sendung, die von Aklard zu einem Planeten ging, der ebenfalls von den Ligriden kontrolliert wurde. Ein zweiter beinhaltete ein Gespräch, das zwischen zwei von dailanischen Mutanten bewohnten Planeten geführt wurde. Der dritte, der mit Hilfe der ausgefeilten technischen Anlagen der STERNSCHNUPPE einwandfrei empfangen werden konnte, war eine kurze, geraffte Sendung, die von einer der Verbanntenwelten nach Aklard ging und an eine Widerstandsbewegung gerichtet war. Ob er ankam, konnten wir nicht feststellen. Auf jeden Fall nahmen wir den Inhalt der Funksprüche zur Kenntnis. Sie lieferten uns wertvolle Hinweise auf das, was sich auf Aklard zur Zeit abspielte. Auf dem Heimatplaneten aller Daila hatte sich die Situation stabilisiert. Die Bevölkerung praktizierte den gewaltlosen Widerstand gegen die Machenschaften der Hyptons und der Ligriden. Sie lebten in einem Zustand des permanenten zivilen Ungehorsams gegenüber den Okkupatoren. Sie führten Anweisungen und Befehle einfach nicht aus, gaben Funksprüche nicht weiter oder taten einfach, als seien die Ligriden nicht vorhanden. Die Anzahl der heimlichen Untergrundkämpfer hatte weiter zugenommen, manche Daila planten eine bewaffnete Befreiung ihres Planeten. Diese Kämpfer waren nicht faßbar, da sie mitten unter den übrigen Daila lebten. Ein Name tauchte immer wieder auf, der mir bisher noch nie begegnet war. Muuska. Ein Daila namens Muuska bildete einen zentralen Angelpunkt des gewaltlosen Widerstands. Er koordinierte ihn und hielt die Kontakte zu den Mutanten auf Trysh und anderen Planeten.
Richtig, ein weiterer Name fiel. Elyl. Einer der Funksprüche kam von Trysh. Die HundertLichtjahre-Kugel geriet langsam in Bewegung. Die Daila auf den fernen Planeten begannen zu handeln. Du stehst auf der Leitung, vernahm ich den Extrasinn. Geh endlich runter! Wieso? Muuska, Atlan. Nur Muuska! Ich lachte laut auf. Natürlich. Muuska gab es gar nicht. »Es ist Aksuum, dieser Muuska«, sagte ich zu Chipol und Mrothyr. »Auf diese Idee werden die Ligriden nicht kommen. Nicht einmal ich habe es sofort bemerkt!« Die beiden amüsierten sich köstlich, aber Mrothyr wurde nach kurzer Zeit wieder trübsinnig. »Zyrph«, sagte er. »Denkt ihr überhaupt noch an meine Heimatwelt? Dort sieht es nicht so gut aus. Unser Volk dort ist gespalten. Widerstand wird im Keim erstickt. Vergeßt nicht, was sich auf Zyrph abgespielt hat!« Ich schüttelte den Kopf. Nein, wir vergaßen es nicht. Mrothyr war ein Widerstandskämpfer seiner Heimatwelt, und er steckte voller Tatendrang. Und doch glaubte er zu wissen, daß er auf Zyrph nichts ausrichten konnte. Oder doch? Ich spürte, daß diese Frage irgendwann zur beherrschenden Frage in Mrothyrs Leben würde. Vielleicht heute noch, vielleicht erst in einer Woche oder einem Monat. Die Funksprüche waren zu Ende, Ruhe herrschte in dem Gerät. Das Schiff schaltete die Filter aus und widmete sich wieder seiner vorrangigen Aufgabe. Es tankte, und Mrothyr schaltete nach einer Weile den Funk ganz aus. »Aklard wird zu einem Zentrum des Kampfes gegen die Hyptons und die Ligriden«, sagte ich. »Es ist klar erkennbar. Irgendwann wird der Heimatplanet der Daila zum Brennpunkt werden. Schon jetzt beginnt er, die Agitationen des Neuen Konzils zu bremsen.« »Dann sollten wir uns beeilen und hinfliegen«, meinte Chipol. Er setzte sich blitzartig in einen Sessel und ließ die Sicherheitsgurte einrasten. Ich lächelte. »Nirgends werden wir im Augenblick weniger gebraucht als gerade auf Aklard«, machte ich ihm begreiflich. »Muuska hat alles in die Hand genommen. Auf den ehemaligen Obersten Rat ist Verlaß.« Auch ich setzte mich und schloß die Augen. Ich hing meinen Gedanken nach -, und die zwei Stunden vergingen wie im Flug. Ich war gerade am Eindösen, als sich das Schiff meldete. »Die Energien sind ergänzt, wir können weiter«, verkündete es. »Wohin?« »Zu Guray, Atlan. Ich denke, du willst eine Spur von Guray verfolgen.« »Zuerst haben, dann folgen!« rief Chipol. »Wäre das was?« »Sie ist da«, sagte die STERNSCHNUPPE. »Wenn ihr die Funkanlage wieder aktiviert, werdet ihr wissen, was ich meine!« Ich war schneller als Mrothyr, der in Extremsituationen noch immer leichte Schwierigkeiten hatte, sich mit der Technik der STERNSCHNUPPE zurechtzufinden. Das Tosen und Rauschen unzähliger Hyperfunksendungen erfüllte die Lautsprecher, und dazwischen vernahmen wir die akustischen Elemente einer rhythmischen Störung, die wir von ihrem System her bereits kannten. »Aufzeichnung läuft«, teilte das Schiff mit. »Ausgangspunkt der Signale wird angepeilt!« Minuten voller Spannung vergingen. Dann brach die Störung so abrupt ab wie jedesmal, und die
STERNSCHNUPPE meldete: »Ausgangspunkt angepeilt. Wir können losfliegen. Und ein paar Überraschungen warten auf euch.« Wir hatten also Hinweise auf einen weiteren Stützpunkt der Piraten. Und ich war entschlossen, diesmal nicht länger zu warten oder mich durch andere Ereignisse ablenken zu lassen. Wir mußten der Spur nachgehen, um endlich ein wenig Klarheit in das seltsame System von Piraten und Gesandten zu bringen und einen Hinweis auf Guray zu erhalten. Wenigstens die eine Frage mußte geklärt werden. Existierte Guray wirklich, oder machte sich nur jemand die Legende vom Schutzpatron zu eigen und segelte unter falscher Flagge? Und wenn es Guray gab, wer oder was war er? »Ab geht die Post«, rief ich aus und brauchte Mrothyr und Chipol nicht einmal zu erklären, was diese alte regional-terranische Redewendung bedeutete. Das Schiff beschleunigte und steuerte sein Ziel an. »Welche Überraschungen meinst du?« Mrothyr richtete seine Augen voller Spannung auf die gut versteckten Lautsprecher, durch die das Schiff zu uns sprach. »Ein paar Details sind aus dem Kode der Störung herausgefallen. Ich konnte sie entschlüsseln.« »Her damit!« Ich war ebenso ungeduldig wie meine Gefährten. »Der Stützpunkt, den wir anfliegen, trägt den Namen Phurthul. Es ist ein sonnenloser Planet, der im Innern einer relativ dichten Wolke aus ionisiertem Wasserstoff besteht. Die Gesandten scheinen dieser Wolke den Namen Zamyr gegeben zu haben.« Phurthul, ein Planet ohne Sonne, ein wenig auffälliger Stützpunkt für Piraten oder die Gesandten Gurays. Genauso, wie ich es mir dachte. »Wir kommen, Guray«, sagte ich. »Wir wollen wissen, welche Bedeutung du für Manam-Turu hast und auf wessen Seite du stehst. Paktierst du mit den Hyptons oder dem Erleuchteten? Wenn ja, wie kann ich dich davon abbringen?« Von den Piraten wußten wir, daß sie sich mit der Absicht trugen, sich mit dem Erleuchteten gegen das Konzil verbünden zu wollen. Aber galt dies auch für die Macht, die hinter ihnen stand, für Guray? Wir wollten es auf alle Fälle herausfinden. Die STERNSCHNUPPE raste dem Ziel entgegen, und nach kurzer Zeit verließ sie den Normalraum und überwand die relativ kurze Strecke bis zu unserem Ziel in einer einzigen Linearetappe. Auf dem Bildschirm war es kurz dunkel, dann wurde es wieder hell. Zamyr lag vor uns. * Es war für uns nichts Neues, daß Manam-Turu von zahlreichen Blaugebieten durchsetzt war. Darunter waren solche Regionen zu verstehen, in denen sich riesige Wolken interstellaren Wasserstoffs angesammelt hatten und regelrechte Felder bildeten. Der Wasserstoff war ionisiert, das heißt, er hatte sein einziges Elektron verloren. Dies machte ihn zu einem positiv geladenen Teilchen. Molekularer Wasserstoff hingegen in flüssiger oder fester Form kam im Weltraum so gut wie nie vor. Ionisierter Wasserstoff leuchtete blau, deshalb wurde von Blaugebieten oder H-PlusGebieten gesprochen. In der heimatlichen Milchstraße gab es solche Wolken vor allem im Zentrumsbereich. Die Ursache für das Entstehen von H-Plus-Wolken war seit langer Zeit bekannt. Sie entwickelten sich in der Umgebung von Sternen der Spektralklasse 0, wahren Überriesen unter den Materienansammlungen im Kosmos. Manam-Turu besaß viele solcher Sterne. Sie waren für Populationen uninteressant, den sie besaßen keine Planeten oder nur solche, die nie in der Lage
gewesen waren, Leben hervorzubringen. Ein solcher O-5-Stern war jedoch in der Lage, eine gefährlich große Menge an Photonen auszusenden, die den gewöhnlich neutralen atomaren Wasserstoff ionisierte. Aus ihm entstanden lauter freie Protonen, also Wasserstoffatome ohne Elektronenhülle. Immer, wenn in der Nähe eines O-Sterns genügend Wasserstoff existierte, bildeten sich solche Wolken oder Nebel. Für die Raumfahrt stellten diese Zonen keine nennenswerten Hindernisse dar. Denn die Dichte der Protonen war so gering, daß sie weit unter dem Durchschnittswert der festen Materie zwischen zwei Planeten eines Sonnensystems lag. Es gab allerdings auch Ausnahmen, und eine solche hatten wir vor uns. Die H-Plus-Wolke Zamyr besaß eine Länge von rund zweihundert Lichtjahren, war aber sehr schmal. Mit dem einen Ende ragte sie dreißig Lichtjahre in die fiktive Raumkugel um Aklard hinein, innerhalb der sich die dailanischen Mutanten angesiedelt hatten. Dicht am Rand Zamyrs stand der Überriese, dem die Wolke ihre Existenz verdankte. Vier Lichtjahre davon entfernt in die Wolke hinein machte die Ortung der STERNSCHNUPPE den Planeten aus. Es war keine Welt ohne Sonne, aber der Stern war nur noch ein glimmender Rest ohne nennenswerte Lichtabstrahlung. Auf der Oberfläche seines einzigen Planeten gab es kein Leben mehr. »Bist du ganz sicher, daß die Störung von hier kam?« fragte ich das Schiff. Es bestätigte es. »Die Wolke ist noch immer sehr dicht, obwohl sie sich weiter ausgebreitet hat. Willst du den Driftfaktor?« »Später«, erwiderte ich. »Heißt das, der bläuliche Schlauch war früher wesentlich dichter?« »Ja. Die Expansion muß mit dem Erlöschen der Sonne zu tun haben.« »Schutzschirme an. Wir fliegen in die H-Plus-Wolke hinein!« Natürlich bestand für die STERNSCHNUPPE keine Gefahr. Dennoch war es ratsam, die Schirme zu aktivieren. Wir konnten nicht wissen, was uns sonst noch erwartete. Wie würden die Piraten reagieren, wenn wir so plötzlich über einem ihrer Stützpunkte auftauchten? Wir konnten es nicht sagen. Die Gesandten Gurays hatten sich uns gegenüber bisher immer sehr zurückhaltend benommen. Sie legten keinen Wert auf einen Kontakt. Nur in höchster Not hatten sie unser Hilfsangebot auf Weyngol angenommen. Nichts geschah. Das Schiff drang unbeschadet in die Wolke ein, die kaum wahrnehmbar leuchtete. Auf größere Entfernung jedoch mußte sie sich als ein blauer Schlauch darstellen, der mitten im Weltraum lag. Wir näherten uns dem Planeten Phurthul. An der sterbenden Sonne vorbei flogen wir den Planeten an, der etwa die Größe des Mars besaß. Die Ortung lieferte jetzt deutliche Eindrücke von der dunklen Oberfläche. Dort gab es nur nacktes Felsgestein. Der Planet besaß keine Lufthülle mehr, und hätte uns nicht die Störung im Hyperspektrum hergelockt, wären wir nie auf die Idee gekommen, daß es hier Leben gab. »Geschickt gemacht, sehr geschickt sogar«, erkannte Mrothyr. »Zumindest die Hyptons, würden sich daran die Zähne ausbeißen, sofern sie welche besitzen.« Der Planet befand sich in einer stabilen Umlaufbahn. Irgendwann jedoch würde das Gravitationsfeld der Sonne völlig zusammenbrechen. Der Stern würde kollabieren und vielleicht den Planeten mit einer gravitationalen Schockfront zum Bersten bringen. Oder aber die Welt würde es überleben und sich langsam von dem vier Lichtjahre entfernten Überriesen einfangen lassen. Dann besaß sie noch eine Gnadenfrist, bis sie in jenen Bereich außerhalb der H-Plus-Wolke geriet, in dem das Bombardement durch Photonen so groß war, daß es den Planeten innerhalb weniger Wochen zu Staub zermahlen würde. Die Nahbereichsortung sprach an. Sie zeigte energetische Aktivitäten unter der Oberfläche Phurthuls. Damit hatten wir den endgültigen Beweis, daß wir auf dem richtigen Weg waren.
»Wir landen, aber wir bleiben vorsichtig.« Ich dachte an die unliebsamen Überraschungen, die wir etwa auf Pultar erlebt hatten. »Sind wir schon ausgemacht worden?« »Bisher keine Tastimpulse von Bodenstationen, Atlan. Ich bleibe auf der Hut!« Die STERNSCHNUPPE war nicht mit Gold aufzuwiegen. Sie arbeitete völlig selbständig, manchmal zu selbständig. Woher sie kam und wer sie gebaut hatte, entzog sich unserer Kenntnis. Das Schiff sprach nicht darüber und beantwortete auch keine Fragen danach. Andeutungen hatten wir entnommen, daß es schon oft den Besitzer gewechselt hatte. Über seine technischen Einrichtungen waren wir uns auch nicht recht im klaren. Wir wußten, daß es dieses oder jenes Gerät gab, aber Details blieben uns verborgen. Die Maschinensektoren in dem Wulst, der den Diskus an seiner Kante umgab, waren uns nicht zugänglich. Das Schiff besaß einen Überlichtantrieb, bezog seine Energie aus dem Hyperraum und war zur Kommunikation fähig. Es konnte Schutzschirme aufbauen und hatte Waffen zur Verfügung. Es war ein kleines Tischleindeckdich der Raumfahrt, und ich konnte nur vermuten, daß die Kosmokraten mir dieses Wunderschiff zur Unterstützung geschickt hatten. Vielleicht besaß es eine ähnliche Funktion in Manam-Turu, wie ANIMA sie in Alkordoom besessen hatte, nämlich die Funktion eines Brückenkopfes für irgend jemanden, der eines Tages auftauchte, um einen Einsatz durchzustehen. Fragen dazu hatte das Schiff mir nie beantwortet, und ich hatte die Versuche längst aufgegeben, mit Tricks oder Fangfragen etwas zu erreichen. Bei einem Ding wie der STERNSCHNUPPE hatte das keinen Sinn. Wir näherten uns dem Planeten und gingen in eine Umlaufbahn. Noch war unsere Ankunft nicht bemerkt worden. Alles deutete daraufhin, daß sich die Piraten und die Gesandten recht sicher fühlten. Bestimmt saßen sie in einer Station unter der Oberfläche und warteten auf neue Anweisungen aus irgendeiner Richtung. Ich instruierte das Schiff, auch weiterhin auf Störungen im Hyperbereich zu achten. Es lag in meinem Interesse, möglichst alle Ausgangsorte der kodierten Sendungen zu erkennen und nach und nach zu katalogisieren und anzufliegen. Irgendwann mußten wir dabei auf den eigentlichen Schlupfwinkel Gurays stoßen. Es waren negativkodierte Sendungen. Man konnte einen komplizierten Kode aufbauen, der eine Sprache in Funkimpulse umwandelte und diese so verfälschte, daß sie ohne den Schlüssel nicht zu entziffern waren. Man konnte Sprache in Farbe umwandeln oder in Wärme und einfach eine Kombination aus Wärmegraden durch den Hyperäther jagen. Man konnte sich aber auch die Störungen des Hyperraums zunutze machen und daraus einen Kode schaffen. Das war unauffälliger und sicherer als jede andere Methode. Deshalb nannte ich es Negativ-Kode und bewunderte die Umsicht, mit der die Gesandten und Guray ans Werk gingen. Ein deutlicher Hinweis auf die Absichten Gurays, machte sich der Logiksektor bemerkbar. Nur, wer etwas zu verbergen hat, verhält sich so geheimnisvoll! Das war klar, und ich hatte längst den Entschluß gefaßt, Gurays Geheimnis zu enträtseln. Daß es eng mit den Vorgängen in Manam-Turu zusammenhing, mußte nicht extra betont werden. Inzwischen hatte die STERNSCHNUPPE den Orbit verlassen und näherte sich der Oberfläche. Sie ging dabei behutsam vor und erzeugte nicht mehr Energieemissionen, als unbedingt nötig waren. Felsformationen tauchten unter uns auf. Der Planet wurde immer dunkler, und an manchen Stellen war seine Wärmeabstrahlung so gut wie Null. Eine tote Welt, unter deren Oberfläche es noch bedingt Leben gab. »Große Hohlräume in der Tiefe«, meldete das Schiff. »Sie liegen zwei bis sechs Kilometer unter der Oberfläche. Ich projiziere ein Bild.« Die linke Hälfte des Hauptbildschirms dunkelte ab und zeigte dann ein Schema der Wärmetaster. Wir erkannten mehrere Kavernen, und in einigen von ihnen wurden erhebliche Energiemengen produziert. Während das Schiff weiterflog, entdeckten wir weitere solcher unterirdischer Anlagen.
Verdeckt durch dicke Gesteinsschichten, waren sie uns zuvor entgangen. »Wir landen dort!« Ich deutete auf den größten Wärmefleck. Das Schema erlosch. »Was bedeutet das?« wollte Chipol wissen. »Sind wir in der Höhle des Löwen gelandet?« »Du bist naiv«, stellte Mrothyr fest. »Gleich beim ersten Funkspruch denkst du, wir seien am Ziel. So leicht hat es keiner, auch wenn er ein Daila ist!« Chipols Augen blitzten zornig auf. Ich machte eine Geste der Beruhigung. »Ziehen wir die Raumanzüge an«, schlug ich vor. »Sobald das Schiff gelandet ist, steigen wir aus!« Die STERNSCHNUPPE setzte auf einer kleinen Fläche zwischen mehreren Felshügeln auf. Die eingeschalteten Scheinwerfer irrten geisterhaft über die dunkle Landschaft. Noch immer wurden wir nicht geortet. Außer den Emissionen der Kraftwerke unter der Oberfläche und den Wärmefeldern auf der Infrarotortung gab es keine Hinweise auf andere Vorgänge. Die Wesen, die sich dort drunten aufhielten, mußten sich in ihrem Versteck sehr sicher fühlen. Vielleicht genügte ihnen die H-PlusWolke als Schutz. »Es erübrigt sich wohl festzustellen, daß es auf und in Phurthul keine Psi-quellen gibt«, sagte das Schiff, während wir uns in den Antigrav begaben und uns hinab zur Polschleuse tragen ließen. Sie befand sich zwei Meter über dem Boden, und das Schiff öffnete die Schleuse und fuhr eine Rampe aus, nachdem es sich vergewissert hatte, daß wir die Helme unserer Anzüge geschlossen hatten. Wir stiegen hinab. Auf der Oberfläche herrschte eine Temperatur von etwa minus zweihundert Grad. Das war nicht verwunderlich, denn von dem Stern kam so gut wie keine Wärme mehr an. Die Sonne hing als dunkler Fleck mitten vor dem blauen Vorhang, den die ionisierte Wolke bildete. Da wir in Längsrichtung blickten, konnten wir den blauen Schimmer deutlich wahrnehmen. Unsere Helmscheinwerfer glitten über die Oberfläche. Ich setzte mich in Bewegung, und Chipol und Mrothyr folgten mir. Die Schwerkraft betrug 0,7 g. Es erleichterte uns das Vorwärtskommen. Wir machten große Sprünge, ohne haltlos irgendwo in die Höhe zu trudeln. Wir entfernten uns rasch von der STERNSCHNUPPE und erklommen einen der Gipfel der uns umgebenden Felsformationen. »Du warnst uns, wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht«, sagte ich, an das Schiff gerichtet. Dann sprang ich abwärts, der Ebene entgegen, die sich unter mir ausbreitete. Meine Sicht betrug im Augenblick hundert Meter, und am Fuß des Felsens angekommen, wartete ich auf die Gefährten. Sie waren etwas vorsichtiger, und Chipol hatte ein wenig Mühe, sich mit den Lichtverhältnissen zurechtzufinden. »Mein eigener Scheinwerfer blendet mich!« sagte er. Ich aktivierte den Detektor, der im Brustteil meines Anzugs integriert war. »Helft mir«, forderte ich den Zyrpher und den Daila auf. »Wir müssen nach Metall suchen. Irgendwo muß es einen Eingang geben!« Wir fanden etwas ganz anderes, und es warf unser Bild von dem Piratenstützpunkt zunächst gründlich durcheinander. * Jeder Fels war ein lauerndes Ungeheuer, jeder Schatten ein gefährliches, huschendes Etwas. Und doch war das alles nur Einbildung. Die Oberfläche Phurthuls war so tot wie das nackte Gestein. Der Planet mußte Furchtbares mitgemacht haben. Kein einziger Fleck war noch mit Erde bedeckt, keine Bodenkuhle hatte das Wasser zurückbehalten. Die Stürme der sterbenden Sonne in ihrem
Todeskampf hatten alles mit sich gerissen. Und wer von den Piraten sich zu jenem Zeitpunkt auf der Oberfläche aufgehalten hatte, war denselben Weg gegangen. Wo bleibt deine Logik? erkundigte sich der Extrasinn. Es ist nicht gesagt, daß es damals schon Gesandte und Piraten auf diesem Planeten gab. Ich weiß, was du sagen willst. Vermutlich sind sie erst durch die Katastrophe auf das System aufmerksam geworden. Es kann auch anders sein. Nicht immer ist Logik der nächste Weg zur Wahrheit. Darauf erhielt ich von dem Ark Summia-Produkt keine Antwort mehr. Ich wandte mich zu den Gefährten um. Bisher konnten wir kein Metall anmessen, das auf einen Eingang hinwies. Ich machte deshalb den Vorschlag, die Flugaggregate zu benutzen. Wir hoben ab und flogen in der Richtung davon, die ich nach althergebrachten Maßstäben als Westen betrachtete. Die Oberfläche der Ebene war von Furchen durchzogen, und im Boden gähnten finstere Abgründe und breite Schluchten. An einer Stelle stieg dunkler Rauch auf, der aus dem Innern des Planeten kam. Früher mochte hier einmal fruchtbares Gelände gewesen sein. Jenseits der Ebene ragten weitere Felsmassive empor. Unsere Lichtstrahlen trafen ihre obersten Spitzen und sanken dann nach unten, da wir unsere Flughöhe über dem Boden beibehielten und der natürlichen Krümmung der Oberfläche folgten. »Nein!« hörte ich Chipols Stimme. »Ich muß mich getäuscht haben!« »Was gibt es?« fragte ich. »Häuser, Paläste«, antwortete er. Mrothyr stieß ein dumpfes Lachen aus. »Paß auf ihn auf, Atlan«, meinte der Zyrpher. »Er beginnt zu phantasieren!« Ich schwieg und beobachtete den jungen Daila. Nichts an seinem Verhalten bestätigte den ausgesprochenen Verdacht. Ich erinnerte mich an die erste Zeit unserer gemeinsamen Abenteuer. Ich hatte ihn auf Joquor-Sa aufgelesen, auf dem Sandhaufen, auf dem überhaupt nichts mehr wuchs. Ich hatte ihn mit der STERNSCHNUPPE mitgenommen, und wir hatten gemeinsam Cairon angeflogen. Damals hatte er mir von der Mythologie der Daila erzählt, und Auslöser war ein Komet gewesen, der kurz aufgeblitzt hatte. Ich hatte den Vorgang nicht bemerkt, aber Chipol hatte mit seinen empfindlichen Augen den Lichtblitz wahrgenommen. Damals war mir klargeworden, daß der Daila über wesentlich lichtempfindlichere Augen verfügte als ich. Ich verstellte die Helmlampe ein’ wenig und leuchtete in jenen Bereich, von dem Chipol gesprochen hatte. Ich sah nur dunkle Felsen, die das Licht schluckten. »Es sind Häuser«, behauptete der Daila erneut. »Ich sehe Ruinen!« Zehn Minuten später erkannten auch wir sie. Sie unterschieden sich von den Felsformationen durch ihre Form und waren doch schwer zu erkennen, weil sie sich flach an den Boden drückten. Wir landeten in ihrer unmittelbaren Nähe und suchten die Überreste der Bauwerke ab. Sie waren eingestürzt und zerfallen. Nur die Tatsache, daß sie sich im Schutz einer natürlichen Bodenfalte befanden, hatte sie vor der endgültigen Zerstörung bewahrt. Wenigstens die Grundmauern standen noch und ein paar Reste von Türmen. »Ich glaube, wir sollten langsam umdenken«, sagte ich. »Diese Stadt stammt aus einer Zeit, in der die Sonne dort oben noch nicht erloschen war. Sie war bewohnt, und ich vermute, daß es nicht die einzige Stadt ist. Und um sicherzugehen, müssen wir nach weiteren Ruinen suchen!« Vom Raum aus hatte die STERNSCHNUPPE nichts feststellen ’können. Es war kein Wunder. Die Ruinen waren ebenso kalt wie die Felsregionen. Und in der überall herrschenden Dunkelheit konnten Formationen nicht einmal mit einem Kontrastverstärker ermittelt werden.
»Du meinst, es hat ein Volk auf dieser Welt gelebt?« »Ja, Mrothyr. Es ist gut möglich. Wir werden es wissen, sobald wir einen Eingang gefunden haben.« Wir überflogen die Ruinen und suchten weiter. Nach den Schaubildern und Koordinaten, die uns die STERNSCHNUPPE geliefert hatte, befanden wir uns direkt über einer der unterirdischen Kavernen. Hatte Guray wirklich so viel zu verbergen? Es konnte vielerlei Gründe geben, warum er aus dem verborgenen agierte. Ebenso viele Gründe konnten jene Wesen haben, die sich möglicherweise hinter der Legende des Schutzpatrons verbargen. Es konnte bei Minderwertigkeitskomplexen anfangen und bei einer galaktischen Bedeutung aufhören. Solange wir keine Anhaltspunkte hatten, konnten wir alles annehmen, was wir nur wollten. Der Metalltaster sprach an. Ich hatte es in dieser Umgebung fast nicht mehr erwartet. Am hintersten Rand der Ruinen, unter einem überhängenden Felsen, befand sich ein metallener Schacht. Er war gut getarnt, ohne den Taster hätten wir ihn nicht, gefunden. Er lag unter einem Brunnen versteckt, in dem es kein Wasser mehr gab. Vorsichtig ließen wir uns hintereinander hinabschweben, bis meine Füße gegen den Steindeckel stießen, der den Schacht abschloß. Gemeinsam wuchteten wir ihn hoch, und nach einem kurzen Blick in die Augen der Gefährten ließ ich mich als erster in den fremden Lebensbereich sinken. Ich stellte die Stärke der Helmlampe etwas zurück und leuchtete abwärts. Fünfzig Meter etwa führte der Schacht in die Tiefe. Die Wandung war glatt und ohne Unterbrechung. Sie leuchtete dunkelblau. Wir gelangten an eine Schleuse, und nach mehreren Versuchen ließ sie sich öffnen. Wir glitten hinein, und der Rest verlief automatisch. Ein Antigravfeld baute sich um uns auf, aus einem Lautsprecher kam eine monotone Stimme, die uns etwas in einer unbekannten Sprache zurief. Geistesgegenwärtig schalteten wir die Aggregate unserer Anzüge aus und überließen uns der Kraft, die uns in Empfang genommen hatte. Unter uns öffnete sich die Innentür der Schleuse, und das Antigravfeld setzte uns drei Meter darunter auf einem waagrecht und gerade verlaufenden Korridor ab. Er war hell erleuchtet. In Sichtweite führten mehrere Quergänge entlang, und wir konnten auch Türen erkennen. »Was bedeutet das, was die Stimme sagte?« flüsterte Chipol. Ich prüfte kurz die Anzeigen meines Anzugs und schlug dann den Helm zurück. Die Gefährten taten es mir nach. »Funk aus!« wies ich sie an. »Wir flüstern, so gut es geht.« »Schloma Uup-Okor! So ähnlich klang es«, murmelte Mrothyr. »Aber das Flüstern wird uns nichts nützen. Wenn es eine Begrüßungsformel war, dann weiß man inzwischen, daß wir hier sind. Seien wir auf der Hut!«
4. Guray ist ein kleines Wesen, hilflos gegenüber den Mächtigen und deshalb schutzbedürftig wie kein anderes. Zumindest glaubt Guray dies manchmal. Dann setzt er sich über seine Kommunikationsmittel mit einem der Planeten in Verbindung, auf denen die Schatzkammern geschaffen worden sind. Er läßt sich die Schätze zeigen, die von den Piraten gesammelt worden sind. Die Piraten wissen nicht, daß es Guray wirklich gibt. Sie halten ihn für einen mythologischen Schutzpatron, und die Gesandten unter ihnen arbeiten unerkannt und doch zielgerichtet. Diesmal suchte Guray den Kontakt zur Welt Domain. Imas hält sich dort auf, und Imas ist einer seiner zuverlässigsten Gesandten. Er kehrt immer rechtzeitig zurück, um sich bei Guray neue Kraft und neuen Mut zu holen. Es ist noch nicht lange her, daß er wieder nach Domain zurückgekehrt ist. Imas ist ein kampferprobter Gesandter, dem niemand etwas vormachen kann, und der nichts fürchtet. Deshalb ist er der Anführer der Piraten von Domain. Imas freut sich, als Guray sich bei ihm meldet. Er quillt über vor Beflissenheit, und Augenblicke später hat Guray alle die Schätze vor seinen Beobachtungsanlagen, die von den Piraten in letzter Zeit gesammelt worden sind. Gruppen von Piraten arbeiteten daran, die Schätze zu sortieren, zu katalogisieren und sie einzulagern. Guray gerät ins Schwärmen. Was er sieht, übertrifft seine größten Erwartungen. Er sieht Schatze, die sich bisher seiner Vorstellungskraft entzogen haben. Sie muntern ihn auf und geben ihm neuen Mut für die Zukunft. Schweigend verfolgt er, wie die Piraten ihre Arbeit tun. Sie wissen nicht, daß sie von ihm beobachtet werden. Die Anlagen sind unauffällig wie alles, was Guray hat installieren lassen. Nachdem er alles gesehen und in sich aufgenommen hat, dankt Guray Imas und lobt ihn für seine Arbeit. Der Gesandte ist überglücklich, und Guray kann es kaum erwarten, daß Imas zu ihm zurückkehrt und dieses Glücksgefühl auf ihn überträgt. Die Gesandten sind Guray ans Herz gewachsen. Sie sind mehr als nur seine willfährigen Diener. Sie haben eine besondere Beziehung zu ihm, der sich für klein und verletzlich hält. Sie sind sein Schutz, und richtig wohl fühlt Guray sich nur, wenn er sie alle um sich herum versammeln kann, um sie wieder an sich zu binden. Die Gesandten gehören zu Guray, vielleicht so ähnlich, wie EVOLO zum Erleuchteten gehört. Der Erleuchtete, EVOLO. Das sind Begriffe, mit denen Guray noch nicht viel anfangen kann. Er beendet den Kontakt mit Domain und widmet sich den Nachrichten, die bei ihm eintreffen. Er will Atlan endlich finden und mit seiner Hilfe den Kontakt zum Erleuchteten knüpfen. Noch ist die Spur des Arkoniden und seines kleinen Diskusschiffs nicht gefunden worden. Die Piraten und Gesandten tappen noch im dunkeln. Aber es kann nicht mehr lange dauern. Dann wird Guray mit Atlan sprechen und ihm seine Bitten vortragen. Oder, wenn der Silberhaarige nicht will, seine Forderungen und Befehle. Denn Guray ist nicht nur der Sensible, der Ängstliche. Er kann auch anders. Er kann drohen und mit Gewalt vorgehen. Guray ist in erster Linie an seiner Sicherheit interessiert, an seinem Überleben. Alles, was er tut und getan hat, alles, was er ins Leben rief, ist auf diesen Gesichtspunkt abgestimmt. Er weiß, daß seine Sicherheit mit starken Verbündeten noch steigen wird. Während er daran denkt, überkommen ihn Zweifel. Er mißtraut Atlan plötzlich, und er zweifelt am Erleuchteten. Er hält ihn nicht mehr für einen guten Verbündeten.
Wir wollen nicht, daß ein Fremder von unserer Existenz erfährt und davon weitererzählen kann, sagt er sich. Zu oft hat es in der Vergangenheit Pannen gegeben, wenn er unter starkem Druck handelte und nicht mehr wußte, was er angeordnet und gesagt hatte. Das darf in Zukunft nicht mehr geschehen. Zu viele Interessengruppen gibt es in Manam-Turu inzwischen, als daß er sich noch einen Fehler leisten könnte. Nein, Guray darf keinen Fehler mehr machen. Er muß sich stabilisieren und sich wieder enger mit seinen Gesandten verbinden. Er wird die nötigen Schritte tun, sobald auch nur das geringste Anzeichen einer Gefahr sichtbar wird. Dabei ahnt Guray nicht im mindesten, was alles auf ihn zukommt. Es ist gut so, daß er es nicht ahnt. Sein Bewußtsein würde sich unter dem Schock vernebeln, und er würde wieder Fehler machen. So aber erstarkt er ein wenig, und die Kraft läßt ihn seinem Entschluß treu bleiben, sich mit Atlan in Verbindung zu setzen. Der Arkonide ist relativ harmlos, und er verfolgt zumindest vordergründig keine egoistischen Ziele. Solche Verbündete hat Guray gern, und er wird alles tun, um mehr von der Sorte Atlans zu finden. Atlan, weiß er, ist zuvor noch nie in Manam-Turu in Erscheinung getreten. Er tauchte plötzlich aus der Finsternis des Universums auf und handelte. Er begann nach Spuren des Erleuchteten zu suchen und fand sie auch. Er verfolgte sie, ohne den Erleuchteten zu finden. Guray beginnt all das zu sortieren, was seine Gesandten an Beobachtungen gemacht haben. Auch die Piraten erkennen vieles, und manchmal reichen winzige Anhaltspunkte für eine Spur aus. Auch Spuren des Erleuchteten müssen darunter sein, doch Guray kann sie noch nicht erkennen. In dem großen galaktischen Puzzle fehlen ihm noch zu viele Teile, und er kennt seine Mitspieler noch nicht gut genug. Sucht Spuren, teilt er seinen Dienern mit. Sucht bis ans Ende der Zeit und des Raumes. Sobald ihr sie gefunden habt, kehrt zu mir zurück. Dann werden wir stark sein, und wir werden der größten Gefahr trotzen. Selbst dem FEIND. Im Augenblick glaubt Guray daran, aber das kann im nächsten schon wieder anders sein. Guray ist nicht nur der Sensible und Vielseitige. Er ist auch der Wankelmütige, und das ist eine seiner größten Schwächen in dieser Existenz, die er durchlebt. * »Diese Welt könnte besser sein«, stellte Boran fest und deutete auf die sanft ansteigenden Hänge der Stadt. Perlen von Tau glitzerten auf dem Gestein, und zwischen den vereinzelt darbenden Bodengewächsen liefen silberne Spuren hinab, kleine Rinnsale, die irgendwo im harten Boden versickerten. Dulk machte eine Geste der Zustimmung und wiederholte Borans Worte. Und er fügte hinzu: »Wir sollten zu den alten Bauplänen zurückkehren. Sie haben uns so manches Geheimnis offenbart, wie es damals gemacht wurde.« Die Phurthuler schwiegen. Sie hatten sich auf Geheiß der beiden Gesandten in der großen Halle vor der Stadt versammelt. Halle nannten sie den freien Platz unter der hohen Gesteinskuppel, und keiner wußte so recht, wer diesen Namen geprägt hatte. Schließlich faßte einer der Einheimischen Mut und trat auf die beiden Gesandten zu. »Es spielt keine Rolle, wieviel Beine und Arme ein Phurthuler besitzt«, begann er. »Wesentlich ist allein, was er denkt, welche Seele in ihm wohnt. Die Seele unseres Volkes hat sich verändert. Sie
hat die zweitausend Jahre unter der Oberfläche ihres Planeten anders überstanden, als die ersten Generationen es sich vorgestellt haben. Damals wurden schöne Städte mit blühenden Gärten und Wäldern geschaffen. Aber nach und nach veränderte sich das Bewußtsein der Überlebenden. Die Tatsache, keine Möglichkeit mehr zu haben, das Angesicht Phurs betrachten zu können und auf der Oberfläche zu wandeln, ging an niemandem spurlos vorüber. Es kam, wie es kommen mußte. Unser Volk begann, sich an die Gegebenheiten der Innenwelt zu gewöhnen. Einer eurer Vorgänger hat damals erkannt, daß die Phurthuler ohne ihren Planeten nicht lebensfähig waren. Das Volk war weise, und es lebte in Eintracht mit seiner Welt. Aber auch Eintracht ist nicht immer der Schlüssel zum Überleben. Guray schickte Hilfe, und wir sind ihm noch heute dankbar dafür. Er hat es hingenommen, daß sich die Welt unter der Oberfläche veränderte. Kein Gesandter hat bisher darüber gesprochen, ihr seid die ersten.« Er schwieg, und ein Artgenosse trat neben ihn und setzte den Faden fort. »Guray weiß mehr als ihr. Er kennt uns besser, als wir ihn kennen. Und er hilft uns manchmal auch durch sein Schweigen. Die Anlagen, die ihr in seinem Namen errichtet habt, sie funktionieren weiter wie zuvor. Lediglich die Lebensweise der Phurthuler hat sich geändert. Ist das schlimm? Wir wollen euch sagen, warum wir es so wollen, wie es ist. Die Verbundenheit unseres Volkes mit unserem Planeten ist die Ursache dafür. Wir leben unter der Oberfläche, und unter der Oberfläche herrschen andere Bedingungen als darüber. Hier sind Wälder und Gärten etwas Unnatürliches, und sie stören den Ablauf der biologischen und geochemischen Vorgänge. Deshalb gibt es Aak-Ruun nicht mehr. Die Heimelige befand sich in einem Epizentrum geophysikalischer Vorgänge, und die Veränderungen, die durch die Stadt hervorgerufen wurden, führten zu einer Katastrophe. Aak-Ruun brach ein und versank in der Tiefe. An ihrer Stelle brodelt jetzt ein glühender Vulkan. Magma aus dem Planeteninnern ist emporgestiegen, und die Felsdecke, die sich über der Stadt befand, zeigt inzwischen Risse und wird eines Tages ebenfalls herabstürzen. Dann wird die tote Oberfläche unserer Welt von einem winzigen Leuchtfeuer erhellt werden, und es wird lange dauern, bis das Magma durch die Weltraumkälte erstarrt und die Öffnung wieder verschließt. Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Wir wollen nicht, daß weitere Städte in die Tiefe versinken. Unser Volk muß weiterleben. Wir wissen, was wir dafür zu tun haben. Diese Stadt hier, Uup-Okor, ist das beste Beispiel dafür. Ihr habt uns Phurthuler weise genannt. Wir sind es, und wir passen uns der Natur der Innenwelt an. Wir leben in anderen Verhältnissen als früher, aber wir leben glücklich. Das wollten wir euch sagen, deshalb sind wir eurem Aufruf gefolgt, Gesandte des rätselhaften Guray.« Die beiden Phurthuler traten zurück in die Menge, aus der sie sich gelöst hatten. Sie wurden zu anonymen Wesen, und die beiden Gesandten bewegten sich unruhig. Sie benahmen sich hektisch wie so oft, aber auch daran hatten sich die Phurthuler gewöhnt. Es machte ihnen nichts mehr aus. Die Gesandten besaßen Phurthulergestalt wie immer, aber sie waren schon von weitem als Fremde zu erkennen. Sie konnten sich nicht so bewegen wie Einheimische. Auch ihr ganzer Körperausdruck stellte unter Beweis, daß sie keine Angehörigen des weisen Volkes waren, das sie einst gerettet hatten. In dieser Beziehung hatte sich nichts verändert seit jenen Tagen, als Blomend gelandet war und Parok die glücklichste Zeit seiner Existenz erlebt hatte. Der Gedanke an Parok stimmte die Phurthuler ab und zu wehmütig. Parok war auch nach zweitausend Jahren noch immer ein Sinnbild für alle Tugenden des phurthulischen Volkes. Parok waren Erzählungen und Gesänge gewidmet, die unter der Felsendecke der noch existierenden Siedlungen mit leiser Stimme vorgetragen wurden. Parok hatte in den letzten Wochen seines Lebens die jetzige Entwicklung vorausgesagt und sich damit endgültig die Unsterblichkeit seiner Seele gesichert. Es gab keinen Tag, an dem nicht in den Schulen über Parok gesprochen wurde. Nur der Weisheit des Volkes war es zu verdanken, daß Parok ein Phurthuler blieb und nicht zu einem übermächtigen, gottähnlichen Wesen wurde. Jedes Kind wußte, daß Parok so etwas nie gewollt hätte. »Die Pläne sollen also ruhen«, stellte Dulk nüchtern fest. Seine Worte klangen zu nüchtern, um aus
dem Bewußtsein eines Phurthulers zu kommen. »Wir werden eurem Wunsch nichts entgegensetzen. Wir werden euch bei eurem Bemühen unterstützen. Guray wird euch verstehen!« »O ja, das wird er«, riefen die Phurthuler im Chor. »Er hat uns immer großes Verständnis entgegengebracht. Guray weiß, was Phurthuler brauchen. Seine Gesandten sind manchmal ein wenig übereifrig, aber auch daran haben wir uns gewöhnt. Wir kehren jetzt zu unseren Aufgaben zurück!« Die Menge zerstreute sich, und die beiden Gesandten schritten davon bis zu einer Schleuse, die in die Wandung des Felsendoms eingebracht war. Dahinter lag ein Teil der Anlagen, die von ihren Vorgängern einst installiert worden war. »Blomend müßte es wissen, was sich hier entwickelt hat«, sagte Dulk, als sie die Schleuse durchschritten hatten und mitten zwischen den hoch aufragenden Metallsäulen standen, zwischen denen sich die Energiebögen in blauen und grünen Farben spannten. Ein Summen und Knistern lag über den Anlagen, ein deutliches Zeichen, daß bald wieder ein Wechsel bevorstand. »Er kann es nicht erfahren«, erwiderte Boran. »Jeder Gesandte weiß, daß es Blomend in seiner ursprünglichen Form nicht mehr gibt. Er ist ein anderes Wesen, und nur Guray weiß im Augenblick, wie jener Gesandte heißt, der aus Blomend entstanden ist. Aus ihm und anderen unserer Art.« Sie erreichten das gegenüberliegende Ende der Halle und betraten eine kleine Kammer, die vollgestopft mit elektronischen Anlagen war. Sie setzten sich in zwei der zehn Sessel und orientierten sich kurz. Hier, wo sie unter sich waren, legten sie jede Bewegungsart der Phurthuler ab. Zwar behielten sie das Aussehen der Einheimischen bei, aber ihre Arme zuckten hin und her, glitten hundertmal in der Minute zu den Sensoren und Schaltern der Anlagen. Die Beine vollführten einen wilden Tanz auf dem Fußboden, und manchmal erschienen sie wie vom übrigen Körper losgelöst und beschrieben wirre Kreise und Schleifen vor dem Sessel. Die Sinnesrezeptoren schwankten auf der Körperoberseite und rieben sich aneinander, so daß elektrostatische Spannung und ein leises Raunen aufkam. Jetzt sprachen die beiden Gesandten auch eine andere Sprache, die keine Ähnlichkeit mit dem Phurthulischen hatte. »Gleich ist es soweit«, erkannte Boran. »Der Sender wird freigegeben. Siehst du den gelben Lichtpunkt über der mittleren Säule. Wir haben einen Transfer. Wir werden die Gesandten nur kurz zu Gesicht bekommen!« »Schade«, murmelte Dulk. »Unsere Zeit auf Phurthul ist bald abgelaufen. Ich hätte mich gern mit anderen unterhalten, die zu fremden Welten unterwegs sind, zu denen Guray mich noch nie geschickt hat!« Das gelbe Licht wurde rot, und dann folgte das übliche Fauchen, mit dem sich ankündigte, daß die grünen und blauen Bögen aus konzentrierter Energie ins Gelbe und Weißrote verfärbten. Das Summen der Anlagen nahm zu, die Metallsäulen vibrierten leicht. Der Fußboden übertrug es bis in die Kontrollkammer. Zwischen den kreisrund angeordneten Säulen baute sich ein Lichthof auf. Er hatte das Aussehen eines Zylinders und füllte den freien Raum zwischen den Metallsäulen aus. Er war ein wenig höher als sie, und in seinem Innern entstanden Nebel wie in einem geschlossenen Gefäß, in das man Rauch einleitete. Die Nebel waren weiß und schwarz, und langsam schälten sich aus ihnen die Gestalten mehrerer Gesandter heraus, die sich auf den Weg gemacht hatten. Sie manifestierten sich in dem Zylinder, und der Nebel verflüchtigte sich rasch. Boran und Dulk sahen durch das Panoramafenster, daß die Gesandten unterschiedliche Gestalt besaßen. Boran schaltete sein Mikrofon ein und machte sich bemerkbar. »Wir haben die Energiewerte soeben erhalten, aber wir kennen eure Ziele nicht. Wohin schickt euch Guray?« Es waren vier Gesandte, die Guray über Phurthul hinaus nach Manam-Turu schickte. Zwei von
ihnen gaben Antwort, die beiden anderen wurden bereits wieder in Nebel gehüllt und verflüchtigten sich. Kurz darauf meldete ein Signal, daß sie irgendwo angekommen waren. »Groofelt!« antwortete das Pelzwesen, und das schleimige Ungeheuer neben ihm blubberte: »Ich bin nach Kandel unterwegs!« Mehr Kommunikation war nicht möglich, die Nebel griffen auch nach diesen beiden und entführten sie an ihre Ziele. Das Summen der Anlagen erstarb, und die Energiebögen nahmen ihre Ruhefarben wieder an. »So ist es immer«, seufzte Dulk. »Das Leben auf Phurthul könnte abwechslungsreicher sein!« »Aber es ist wichtig!« hielt Boran ihm entgegen. »Und bei allem sind wir gerade dabei, eine wichtige Meldung aus der Stadt zu übersehen. In Uup-Okor geht etwas vor!« * Guray hatte sich seit mehreren Monaten nicht mehr gemeldet. Das war noch nie in der Geschichte der Phurthuler unter der Oberfläche vorgekommen, und Plausibas schrieb es Vorgängen zu, die sich irgendwo in der Ferne der Galaxis abspielten oder abgespielt hatten. Guray hatte eine Andeutung gemacht, und die Phurthuler hatten sie interpretiert, weil sie Guray inzwischen so gut kannte, daß sie an der Art seiner Formulierung seinen Seelenzustand ablasen. »Wir sollten die beiden Gesandten fragen«, schlug Ferg vor. »Sie müßten es schließlich wissen.« Boran und Dulk würden bald abgelöst werden. Sie konnten sich nicht ewig bei den Phurthulern aufhalten. Irgendwann würde es über sie kommen, und dann mußten sie zurück zu Guray. Das war bekannt, und auch darüber machten sich die Phurthuler weise Gedanken. Guray braucht immer wieder den Zuspruch seiner Gesandten. Er ist der Sensible, und sie müssen ihn aufsuchen, um ihn zu stärken. Aus allen Bereichen der Galaxis ruft er sie zu sich. Aber es ist auch umgekehrt. Die Gesandten schöpfen aus dem Kontakt zu Guray neue Kraft, und so ist es ein vollendeter Kreislauf, der diese Wesen miteinander verbindet. Jeder gibt dem anderen etwas, jeder ist auf den anderen angewiesen. Deshalb hat Guray für die Probleme unserer Symbiose mit unserer Welt soviel Verständnis, und die Gesandten werden inzwischen erkannt haben, daß ihr Vorschlag für eine Wiederbelebung nach Art Aak-Ruuns unsinnig war. Das und vieles andere dachten die Phurthuler, und sie sprachen miteinander darüber, während sie den unterschiedlichsten Tätigkeiten in der Stadt und den ihnen zugänglichen Kavernen in der Nähe der Stadt nachgingen. Sie beaufsichtigten einen Teil der umfangreichen Anlagen, und sie erledigten ihre Aufgabe gewissenhaft. Noch nie hatte Guray sich über sie beklagen müssen. Die Phurthuler waren auch nach zweitausend Jahren dankbar, und im Vergleich mit damals hatte sich an ihrer inneren Einstellung nichts geändert. Sie wußten inzwischen mehr von Guray, als diesem lieb sein konnte. Sie erwähnten es nicht, wenn die Gesandten dabei waren, aber sie wußten, daß Guray davon Kenntnis hatte. Guray war über seine Kommunikationsmöglichkeiten überall in Uup-Okor und den Anlagen anwesend, er konnte jederzeit in Kontakt mit dem Volk unter der Oberfläche treten. Plausibas und Ferg machten sich auf den Weg zu jener Schleuse, hinter der die Gesandten verschwunden waren. Dort gab es einen Rufknopf, und wenn die beiden Diener Gurays abkömmlich waren, würden sie sich bald melden. An der Treppe zum Schacht blieb Plausibas stehen. Er richtete alle seine Sinnesrezeptoren nach oben und lauschte. »Hast du nichts gehört?« fragte er leise. Ferg verneinte. »Nichts!« flüsterte er.
Plausibas umrundete die Treppe und beugte sich über die kleine Nische, die in der hinteren Wand eingelassen war. Ein grünes Licht blinkte, und dann kam ein rotes dazu. Das rote bedeutete, daß das automatische Magnetband seine Tätigkeit aufgenommen hatte. Das grüne gehörte zum Öffnungsmechanismus am Schacht. Hastig betätigte der Phurthuler den blauen Schalter. Augenblicklich war er über ein Kabel mit dem Überwachungsraum im Zentrum Uup-Okors verbunden. Er meldete sich mit seinem Namen. »Ist etwas bekannt darüber, daß sich Phurthuler in Raumanzügen auf der Oberfläche aufgehalten haben und jetzt zurückkehren?« fragte er. »Oder daß sie sich auf dem Weg hinaus befinden? Letzteres ist aber nur eingeschränkt möglich, weil das Willkommensband läuft. Es bewegt sich also jemand abwärts.« »Es ist niemand unterwegs. Kein Phurthuler hat Interesse, die Oberfläche zu besichtigen. Und die Gesandten befinden sich in ihrem Arbeitsbereich, zu dem wir keinen Zutritt haben!« »Dann bedeutet es Gefahr!« stieß Plausibas hervor. »Gebt Alarm. Jemand dringt von oben in die Stadt ein. Boran und Dulk müssen es sofort erfahren!« Er schaltete ab. Wieder hörte er ein Geräusch, und auch Ferg vernahm es. Plausibas ergriff einen Arm seines Begleiters und zerrte ihn davon. »Nichts wie weg!« raunte er. »Da ist etwas Gefährliches!« »Es können nur Gesandte sein«, meinte Ferg. »Sie sind in Schiffen gekommen wie damals, als Phurthul gerettet wurde!« »Nein!« sagte Plausibas entschieden. »Wir wüßten davon. Es muß etwas anderes sein!« Er begann zu frieren und beeilte sich, aus der Nähe des Eingangs zu verschwinden.
5. Wir erreichten den ersten Quergang, und Mrothyr warf einen Blick hinein. Er winkte uns. »Da hinten ist etwas wie eine Treppe. Es sind breite, ausladende Stufen, die hinabführen!« Wir sahen uns vorsichtig um. Es gab keinen Anhaltspunkt für eine Gefahr, aber wir hatten trotzdem die Schutzschirme unserer Raumanzüge aus dem Reservoir der STERNSCHNUPPE aktiviert, um gegen alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Wenn es sich tatsächlich um einen Stützpunkt der Piraten handelte, wovon ich fest überzeugt war, dann durften wir nicht davon ausgehen, daß man uns wie alte Freunde begrüßte. Wir stiegen die Treppe hinab. Sie endete auf einem Korridor, der in der einen Richtung gerade verlief, in der anderen sich nach etwa zwanzig Metern krümmte. Wir folgten der Krümmung. Rechts und links gab es mehrere Öffnungen, die nicht verschlossen waren. Sie lagen jedoch im Dunkeln, so daß wir nichts erkennen konnten. Vor uns endete der Korridor im Nichts, und Chipol, der den Kopf zur Seite gerichtet hielt, wäre fast mit mir zusammengeprallt, weil ich stehengeblieben war. Es knisterte, als unsere Schutzschirme sich berührten. Ich machte zwei Schritte nach vorn und streckte den linken Arm aus. Bläuliche Flämmchen begannen vor meinen Fingern zu tanzen. Eine fremdartige Energieform schloß den Korridor ab und verhinderte, daß jemand aus Versehen durch die Öffnung trat und in das Nichts stürzte. Ich beugte den Oberkörper vor und versuchte, durch die Öffnung zu blicken. Draußen war es hell, und ich erkannte Bauwerke, die weit unter der Öffnung lagen. Über ihr wölbte sich ein dunkler Himmel, der von Kunstlampen erhellt wurde. »Eine Kaverne«, sagte ich. »Wir haben eine der Höhlungen gefunden. Hier wurde unter der Oberfläche einer toten Welt eine Stadt gebaut!« Der Grund dafür lag auf der Hand. Das Volk, das die Ruine oder mehrere Ruinen auf der Oberfläche bewohnt hatte, hatte sich im Zeitalter des Untergangs unter die Oberfläche zurückgezogen. Es hatte den einzigen gangbaren Ausweg gewählt. Ich teilte meine Gedanken den Gefährten mit. Mrothyr meinte: »Es können auch die Piraten sein, die ihren Stützpunkt von oben nach unten verlegt haben. Lediglich die große Anzahl der georteten Kavernen spricht dagegen.« »Nicht einmal das«, sagte ich. »Die Piraten brauchen große Lagermöglichkeiten. Oder hast du vergessen, was wir von Pultar erzählten?« Mrothyr war, von Zyrph kommend, mit der STERNSCHNUPPE in der Nähe der Sonne Gyd aufgetaucht, als wir gerade abgeflogen waren. Wir hatten das Treffen der Mutanten hinter uns gehabt, und Chipol hatte sich wieder ein wenig gefangen, obwohl seine Abneigung gegenüber Psikräften nach wie vor vorhanden und ungeklärt war. Mrothyr hatte alles erfahren, was wir über die Piraten und die seltsamen Diener Gurays herausgefunden hatten. Die Piraten bildeten keine ethnologische Einheit, sondern entstammten allen möglichen Völkern Manam-Turus. Sie selbst betrachteten sich nicht als Piraten, sondern als Händler, und sie fühlten sich von den Hyptons und den Ligriden eingeengt. Viele Piraten waren gefangengenommen worden, aber was wir an Informationen in BASTION-V erhalten hatten, hatte gezeigt, daß es nur in Ausnahmefällen gelungen war, die Piraten zur Zusammenarbeit zu bekehren. An ihnen waren die Fähigkeiten der Hyptons gescheitert. Auch dieses Wissen machte die Piraten für uns nicht gerade zu einem berechenbaren Faktor, und ihre Sammelwut im Hinblick auf alle möglichen Schätze bildete einen Faktor, der beinahe ans Groteske oder Irreale grenzte. Alles in mir brannte darauf, hinter die Zusammenhänge zu kommen.
Die von uns jetzt entdeckte unterirdische Stadt kam mir gelegen, wenigstens ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen, das Guray und seine Helfer umgab. Beim Anblick der Stadt mußte ich an Pultar denken, an die Feste Quern. Tief in ihr, in den untersten Stockwerken hauste das Volk der Lasquen, dessen Heimatwelt vor langer Zeit zerstört worden war. Auf der Suche nach einer neuen Heimat hatten sie die Feste entdeckt und sich in ihr niedergelassen. Und sie hatten mit den Gesandten Gurays ein Handelsabkommen geschlossen. Sie verhielten sich still und bewachten die Schätze, und dafür bekamen sie von den Gesandten alles geliefert, was sie zum Leben brauchten. Auf Phurthul deutete auch alles darauf hin, daß hier ein Volk unter die Oberfläche gegangen war, um Schätze zu bewachen. Und noch eine Kleinigkeit kam mir in den Sinn. Der Extrasinn war es, der mich darauf brachte. Vergiß die versteckte Stadt der Weyngolen nicht, meldete er sich. Jenes Volk lebt mit einem unbewältigten Trauma der Vergangenheit. Sie fürchten sich vor den Siegenden Feinden, die in ferner Vergangenheit fast das gesamte Volk ausrotteten. Ich stellte mir die Frage, ob es den Phurthulern ergangen war wie den Lasquen und Weyngolen. »Dort unten bewegen sich Gestalten«, sagte Chipol. Er hatte sich neben mich geschoben, und ich machte Platz, daß auch Mrothyr einen Blick hinab werfen konnte. Wir wandten uns in den Korridor zurück und verfolgten ihn in die andere Richtung. In den Öffnungen links und rechts war es noch immer dunkel, nur einmal vernahmen wir etwas wie einen unterdrückten Aufschrei. Es ließ sich nicht feststellen, woher er gekommen war. Wir gelangten an einen Antigravschacht. Er besaß an der äußeren Schachtwandung keine Bedienungselemente, und Mrothyr löste den Strahler von seinem Einsatzgürtel und ließ ihn in den Schacht fallen. Er blieb einen kurzen Augenblick hängen und glitt dann langsam nach unten. Wir folgten der Waffe, jeder die Hand am Gürtel. Setzte der Schacht aus, mußten wir die Flugaggregate einschalten, wenn wir uns nicht zu Tode stürzen wollten. Nichts geschah, und wir erreichten den Grund des Schachtes und fanden uns an einer Straße, die zwischen den Gebäuden entlangführte. Mrothyr nahm den Strahler wieder an sich - und trat hinaus in die fremde Umgebung. Die Gebäude waren großteils flach und breit. Wie eckige Schildkröten lagen sie am Boden, und zwischen ihnen streckten sich schlanke Türme bis fast unter die Felsendecke hinauf. Nichts rührte sich, und doch vernahmen wir das Summen von Maschinen, und in der Ferne rollte ein Bodenfahrzeug durch unser Gesichtsfeld und verschwand in einer Gebäudeöffnung. Flache Gebäude und hohe Türme, die Stadt unter der Oberfläche war ein Ebenbild der Ruinen, die wir droben entdeckt hatten. Der letzte Zweifel an der Identität der Bewohner schwand hiermit. Jene, die jetzt hier unten lebten, hatten früher die Ruinen auf der Oberfläche bewohnt. »Die Gestalten, die wir von oben beobachtet haben, sind verschwunden«, knurrte Mrothyr. »Die Feiglinge haben sich zurückgezogen!« »Es sind keine Feiglinge«, entgegnete Chipol. »Sie sind nur vorsichtig. Sie wollen wissen, in welcher Anzahl wir gekommen sind. Sie werden sich schon noch blicken lassen.« Wir folgten der Straße, die in Richtung des Stadtzentrums führte. Manchmal verschwand sie zwischen den Gebäuden, weil diese dort über sie gebaut waren, aber größtenteils verlief sie im Freien. Eine gute Viertelstunde schritten wir sie entlang, ohne daß sich etwas ereignete. Die Stadt unter dem Felsendom schien wie ausgestorben, und ich wollte soeben mein Flugaggregat einschalten, um schneller vorwärts zu kommen. Da tauchten sie auf. Sie lösten sich aus Schatten und Nischen und traten aus Türen der Gebäude, die wir bisher nicht wahrgenommen hatten. Es waren mehrere hundert, und ich blieb stehen und hob
einen Arm. Mit der anderen Hand schaltete ich den Translator ein. »Wir kommen in friedlicher Absicht!« sagte ich laut. Der Translator übersetzte die Worte in alle uns bisher bekannten Sprachen Manam-Turus, aber die Stadtbewohner ließen nicht erkennen, ob sie eine davon verstanden oder nicht. Sie bildeten einen geschlossenen Pulk von Wand zu Wand, der uns deutlich erkennbar den Weg versperrte. Wir hatten Gelegenheiten, die Wesen zu betrachten. Sie waren etwa einen Meter hoch mit birnenförmigem Körper, der vier Arme und acht Stummelbeine besaß. Sie trugen keine Kleider, lediglich im Hintergrund erkannten wir zwei oder drei, die in Umhänge gehüllt waren. Die Körper bildeten ein Farbenmeer, denn jedes Wesen besaß eine andere Körperfarbe. Auf der Körperoberseite wuchsen kurze Stoppelhaare in der Farbe des jeweiligen Körpers. Eines der Wesen begann zu reden. Ich antwortete, und fünf Minuten später hatte der Translator endlich das System der fremden Sprache herausgefunden und ermöglichte eine einfache Kommunikation. Ich wiederholte meine Worte vom Anfang, und eines der Wesen gab eine Antwort, die völlig unverbindlich klang. »Danke!« übersetzte der Translator den langen Satz der Birne. »Ich bin Atlan«, fuhr ich fort und nannte die Namen meiner Begleiter. »Wir sind gekommen, weil der Zufall uns half. Wir konnten eine eurer Funkbotschaften entschlüsseln. Wenn ihr Piraten seid, dann müßt ihr es uns sagen. Wir wollen euch ein kleines Geschäft anbieten!« Mir waren die Schätze in den Sinn gekommen, die in dem abgestürzten Schiff auf Weyngol lagen und von den Weyngolen höchstwahrscheinlich nicht angerührt würden. Um von den Piraten Auskünfte über Guray und seinen Aufenthalt zu bekommen, wäre ich gern bereit gewesen, noch einmal zu dem Planeten zurückzufliegen und die Schätze nach Phurthul zu transportieren. »Wir Phurthuler machen keine Geschäfte mit Fremden«, kam die Antwort. Sie bestätigte uns, daß es sich bei den Birnenwesen um die Bewohner dieses Planeten handelte. Sie müssen nicht unbedingt mit Piraten identisch sein, warf der Extrasinn ein. Hüte also deine Zunge! Womit sie identisch waren, würden wir schon noch herausfinden. Wir bekamen jedoch keine Gelegenheit mehr, noch etwas zu sagen oder eine Antwort abzuwarten. Plötzlich entstand Unruhe unter den Phurthulern. Sie rückten auseinander und bildeten eine Gasse, durch die sich zwei ihrer Artgenossen nach vorn schoben. Geflüster klang auf. »Boran und Dulk«, sagte der Translator. »Das sind die Namen der beiden!« Die beiden Phurthuler besaßen eine hellorangene Hautfarbe. Sie waren nicht voneinander zu unterscheiden. Sie hielten die Stoppelhaare nach vorn gerichtet, und ich vermutete, daß es die Sinnesorgane dieser Wesen waren, die außer einem Sprechschlitz im oberen Körperbereich keine erkennbaren äußeren Wahrnehmungsmechanismen aufwiesen. Dicht vor uns blieben die beiden Phurthuler stehen. »Fremde sind unerwünscht auf dieser Welt«, sagte der linke der beiden. »Ihr seid selbst schuld, daß euer Weg hier zu Ende ist. Ihr müßt begreifen, daß wir euch nicht fortlassen können. Guray wird entscheiden, was mit euch geschehen soll!« Guray! Ich hatte nicht damit gerechnet, daß der Name so früh fallen würde. Die Reaktion der Phurthuler zeigte, daß sie wußten, wer und was Guray war. Und sie wollten uns nicht mehr fortlassen. Du hättest es dir denken können, Barbar! Das bisherige Verhalten der Piraten und Gesandten deutete darauf hin. Sie geben ihre Stützpunkte nicht gern preis.
Und Pultar? Was war mit Pultar? dachte ich. Dort waren die Diener Gurays in Panik und konnten nicht so reagieren, wie es ihr Auftrag war. Ich beschloß, alles auf eine Karte zu setzen. »Ihr könnt uns nicht einfach verschwinden lassen. Wir waren auf Pultar, dem einzigen Planeten der Sonne Gyd. Wir kennen das Geheimnis der Diener Gurays, die ihre Gestalt verändern können. Sie sind als Lasquen aufgetreten, und ich bin sicher, daß meine Gefährten und ich auch schon früher mit Gesandten zu tun hatten, ohne sie zu erkennen.« Die beiden hellorangenen Phurthuler waren bei meinen Worten langsam zurückgewichen. Sie wurden deutlich sichtbar nervös und verhielten sich damit anders als ihre Artgenossen, die sich noch mehr Versteiften und jetzt wie Standbilder wirkten. »Ihr wißt zuviel«, sagte der zweite Orangefarbene. »Das können wir nicht dulden!« »Ich bin Atlan«, wiederholte ich meinen Namen. »Wenn es Gesandte auf Phurthul gibt, dann teilt ihnen meinen Namen mit. Ich dürfte in der Umgebung Gurays kein Unbekannter mehr sein. Erst kürzlich habe ich seinen Dienern auf dem Planeten Weyngol geholfen!« »Atlan?« echote der erste. Er sagte etwas, was der Translator nicht übersetzen konnte. »Nein, Atlan bist du nicht. Guray hätte es uns gesagt. Atlan fliegt irgendwo zwischen den Sternen, seine Spur verwischt…« Er brach ab, als hätte er zuviel gesagt. Ich sah meine Gefährten an. Mrothyr schien ähnlich zu denken wie ich. Chipol hielt seine Augen weit geöffnet und starrte die beiden Gesandten ohne Unterlaß an. Auf seiner Stirn hatten sich winzige Schweißperlen gebildet. Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, was du gerade denkst, Atlan. Warum sollte Guray nach dir suchen? Wenn, dann befindet er sich auf der Spur des Erleuchteten. »Ich bin Atlan!« wiederholte ich. Jetzt kam auch in die übrigen Phurthuler Leben. Sie schoben sich näher. »Wir wollen keine Fremden in Uup-Okor und den anderen Städten. Wir sind treue Diener Gurays und verwalten seine Anlagen pflichtgetreu. Er soll uns nicht nachsagen, daß wir ihn hintergehen!« »Sperrt sie ein!« sagte der eine Orangefarbene. »Wir werden uns mit unseren Herrn in Verbindung setzen. Er soll entscheiden!« In mir schrillte eine Alarmglocke. Die beiden orangenen Phurthuler bezeichneten sich direkt als Untergebene Gurays. Waren sie Gesandte? Oder meinten sie mit dem Herrn einen Gesandten? Sie sind nervös, vergiß das nicht, Arkonide. Denke an die falschen Lasquen. Sie haben sich ähnlich aufgeführt! Der Extrasinn hatte wohl recht mit seinen Gedanken, aber mir war die Angelegenheit noch etwas zu undurchsichtig. Ich flüsterte Mrothyr und Chipol etwas zu, sie nickten. »Auf die Ehre der Gefangenschaft verzichten wir gern«, rief ich und schaltete mein Flugaggregat ein. Die Gefährten folgten mir. Sie stiegen hinter mir in die Höhe, und wir flogen über die ersten Flachgebäude hinweg. Hinter und unter uns erklang das Geschrei der Phurthuler. Wir flogen über Uup-Okor dahin. »Schloma Uup-Okor«, sagte Mrothyr. »Es muß ein Willkommensgruß sein. Für uns scheint er sich ins Gegenteil zu verkehren!« Ich gab dem Zyrpher recht. Es schien auf Phurthul nicht an der Tagesordnung zu sein, daß Fremde erschienen. Und in diesem abgelegenen Winkel Manam-Turus hatte man von mir offensichtlich noch nichts gehört.
Es störte mich nicht, aber ich war irritiert. Ich hatte Guray und seinen Dienern mehr zugetraut. Oder jenem Wesen, das sich den Guray-Mythos zunutze machte. * »Boran und Dulk. Ich mag diese beiden Wesen nicht«, sagte Chipol mit fester Stimme. Er flog links neben mir. Wir hatten einen Teil der weitläufigen Stadt überquert und flogen in eine Schneise ein, die zwischen zwei Quadergebäuden begann und an einem der schlanken Türme endete. Die Türme erweckten den Eindruck, als handle es sich bei ihnen um eine wichtige Einrichtung. Ich beschloß, dort nach einem Versteck zu suchen. »Ich habe es bemerkt«, gab ich zur Antwort. »Ihr Verhalten war nicht das der übrigen Phurthuler. Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß es sich bei ihnen um Gesandte Gurays handelt. Wenn du eine Apathie gegen sie hast, dann muß das auch auf Pultar so gewesen sein. Dann waren es nicht nur die dailanischen Mutanten, gegen die du dich innerlich gewehrt hast. Die Anwesenheit von Dienern Gurays hat dein Verhalten verstärkt.« »Wer weiß«, sagte der junge Daila. »Bist du mir noch immer böse deswegen?« »Nein!« Es hatte keinen Sinn, dem jungen Heißsporn böse zu sein. Und schon gar nicht für etwas, wofür er vermutlich nichts konnte. Mir gingen ganz andere Gedanken im Kopf herum. War es möglich, daß Chipol sich dazu eignete, Gesandte Gurays in jedem Fall zu erkennen? Wenn das zutraf, dann würden wir es leichter haben, an das seltsame Wesen heranzukommen. Wir brauchten dann nur die Wege der Diener zu verfolgen. Die Phurthuler hatten unsere Verfolgung aufgenommen. Wir erkannten es an den Schatten, die weit hinter uns über die Gebäude stiegen. Es waren Schwebefahrzeuge. Sie führten uns vor Augen, daß die Bewohner der unterirdischen Stadt über eine weit entwickelte Technik verfügten. Eigentlich besaßen sie all das, was auch in der Raumfahrt von Wichtigkeit war. Und dennoch lebten sie unter der Oberfläche, und wir hatten bisher keine Hinweise erhalten, daß es irgendwo Raumschiffe gab. Allerdings kannten wir die unterirdischen Anlagen noch nicht mit Ausnahme dessen, was wir von Uup-Okor bisher zu Gesicht bekommen hatten. »Etwas ist faul an der ganzen Sache«, meinte auch Mrothyr. »Wer Antigrav und Ähnliches besitzt, hat die Möglichkeit, die Welt unter einer sterbenden Sonne zu verlassen und sich einen besseren Planeten zu suchen. Warum haben die Phurthuler das nicht getan?« Die Antwort ist einfach, oder? Laß mich in Ruhe! dachte ich, mir wohl bewußt, daß die Gedanken des Extrasinns zutrafen. »Gehen wir einmal davon aus, daß diese Technik nicht von den Phurthulern stammt, sondern von Guray!« Ich sah Mrothyr an, daß meine Worte genau das beinhalteten, was er auch dachte. Der Zyrpher gab ein zustimmendes Brummen von sich. Chipol deutete voraus. Er hatte eine Öffnung in dem Turm ausgemacht. Wir hielten darauf zu und bremsten ab. Langsam glitten wir hinein. Der Turm besaß Spindelform. Er erinnerte an einen altterranischen Energieprojektor. Die Innenwandung war ein Ebenbild der äußeren Form, und in der Mitte des etwa fünfzig Meter durchmessenden Gebildes führte eine Wendeltreppe aufwärts. Sie besaß keine Stufen, aber an den Seiten gab es Führungsschienen, die darauf hinwiesen, daß hier eine Art Aufzug existierte. Wir verzichteten darauf, seinen Standort auszumachen. Wir flogen an der Führung entlang nach unten, bis wir das Niveau der Straßen erreichten und es hinter uns ließen. Wir drangen in den unterirdischen Teil Uup-Okors vor, und nach einer Weile hörten wir an dem Lärm über uns, daß die Phurthuler unsere Absicht durchschaut hatten und uns folgten.
»Bald werden sie uns eingeholt haben, denn sie kennen sich hier besser aus als wir«, sagte Mrothyr. »Was dann?« »Wir lassen uns etwas einfallen«, meinte Chipol zuversichtlich. »Atlan ist immer für eine Idee gut!« Natürlich. Wenn alle Stricke rissen, hing es wie so oft an mir. Aber ich fühlte mich keineswegs wohl dabei. Schließlich war ich kein Übermensch, und viele meiner rettenden Einfälle waren immer erst im letzten Augenblick entstanden, weil ich etwas gesehen hatte, was den Gefährten vieler Jahrhunderte oder den Gegnern entgangen war. In Uup-Okor standen die Chancen sehr schlecht, denn wir hatten nicht nur Phurthuler gegen uns, sondern auch die Gesandten Gurays. Und wie wir von Pultar her wußten, konnten die Gesandten durch Wände gehen und sich jedem Zugriff entziehen. Oder fast jedem. Ihre einzige Schwäche war ihre Psyche, und genau da mußten wir sie packen. Wir mußten sie mürbe machen, daß sie unfähig waren, weitere Befehle zu geben oder uns in unserer Freiheit zu behindern. Wenn es anders nicht ging, mußten wir sie in die Flucht schlagen und ihnen folgen, um auf diese Weise auf Guray zu stoßen. »Vorsicht!« schrie Chipol plötzlich. Vor uns entstand ein blau wabernder Vorhang aus Energie. Wir bremsten ab und schwenkten zur Seite. Ein Blick zurück belehrte uns, daß wir in eine Falle geflogen waren. In beiden Richtungen war uns der Weg versperrt, und links und rechts erhoben sich die stummen Wände aus Stahl. Lediglich der Boden besaß eine einzige Öffnung, und wir landeten neben ihr und desaktivierten die Flugaggregate. Wir standen vor dem Einstieg in die nächsttiefere Etage. Sie funktionierte auf Antigravbasis, und wir schwangen uns hinein. »Haltet euch an den Griffen!« sagte ich. Meine Warnung kam keine Sekunde zu früh. Fast gleichzeitig setzte der Antigrav aus. Wir griffen nach den Stangen, die ringsherum im Schacht angebracht waren und hangelten uns langsam nach unten. Wir mußten dazu die Schutzschirme ausschalten und waren so gezwungen, uns dem Gegner ungeschützt zu präsentieren, falls er uns in die Zange nahm. »Das war eine Kriegserklärung«, keuchte Mrothyr. »Sie versuchen uns umzubringen!« »Abwarten«, grinste ich. »So leicht geht das nicht. Die Gesandten reagieren lediglich ein wenig panisch, und das kann uns nur recht sein!« Ich entwickelte den Gefährten meinen Plan, und während wir die nächste Etage erreichten und durch eine Maschinenhalle stürmten, sprachen wir uns ab, in welcher Reihenfolge wir unsere Sprüchlein sagen wollten, wenn es erneut zu einem Kontakt mit Boran und Dulk kam. Wir durften den Zeitpunkt nicht zu lange hinauszögern, denn dann mußten wir damit rechnen, daß die beiden Gesandten in ihrer Panik Phurthul verließen, und andere, psychisch noch, nicht labile -Wesen eintrafen, um sie zu ersetzen. Am Ende der Maschinenhalle ragte eine Kontrollwand auf. Wir hielten davor an, und es gelang uns, ein paar Bildschirme zu aktivieren. Wir erblickten einen seltsamen Saal mit etlichen Säulen, über denen Energiebögen leuchteten. Nebel bildete sich, und aus dem Nebel schälten sich unterschiedliche Gestalten, die den Materialisationskreis verließen und von zwei orangefarbenen Phurthulern begrüßt wurden. Wir hatten keine Tonverbindung, aber was wir sahen, ließ sich ohne Probleme zu einer Gedankenkette verbinden. Wir beobachteten, wie die Ankömmlinge weggeführt wurden und bekamen gerade noch mit, wie sich einer von ihnen in einen violetten Phurthuler verwandelte. »Boran und Dulk«, rief Chipol aus. »Sie haben Verstärkung bekommen!« Damit schien unser Plan zum Scheitern verurteilt, und ich zerbrach mir die Gedanken darüber, wie wir auf einem anderen Weg an unser Ziel kommen konnten. Es wollte mir nichts Vernünftiges
einfallen. Die Phurthuler kamen. Sie trugen Waffen, aber sie hatten gegen unsere Schutzschirme solange keine Chance, bis sie mit einer fahrbaren Lafette erschienen, auf der mehrere milchige Kugeln mitten in einer Konstruktion weißer Stäbe hingen. An der Vorderseite befand sich ein Trichter, und die Wirkung dieses Trichters wurde uns wenig später klar. Chipol krümmte sich plötzlich, und auch ich spürte starke Übelkeit in mir aufsteigen. Die Positronik des Schutzanzugs gab Alarm, und ich taumelte von der Wand weg auf die Phurthuler zu. »Aufhören!« schrie ich. »Wir ergeben uns!« Die Bewohner Uup-Okors bewegten sich nicht, aber mir wurde wohler, und ich schaltete meinen Schutzschirm aus und warf meinen Handstrahler weg. Dann kümmerte ich mich um Mrothyr und Chipol, die beide am Boden lagen und stöhnten. »Eine Art Ultraschall, aber auf anderer Frequenz. Hätte ich nicht sofort reagiert, hätte unser Metabolismus den Angriff nicht ausgehalten!« Mrothyr schaltete ebenfalls den Schutzschirm aus und richtete sich auf die Unterarme auf. Er schüttelte den Kopf. »Sagte ich nicht, sie wollten uns umbringen? Wir sollten kurzen Prozeß mit diesem Gesindel machen!« Er erhob sich und schüttelte drohend die Fäuste. Dann kümmerten wir uns gemeinsam um Chipol. Der Junge mußte sich übergeben, und danach ging es auch ihm besser. Wir zogen uns ein wenig vor den Phurthulern zurück, die uns unmißverständlich klarmachten, daß wir jede Gegenwehr sein lassen sollten. »Gurays Gesandte haben uns angewiesen, euch solange festzuhalten, bis Guray selbst eine Entscheidung über euch gefällt hat!« Das hörte sich an wie ein Todesurteil. »Wir haben nicht vor, uns zu wehren«, antwortete ich. Die Phurthuler nahmen uns in die Mitte und führten uns ab. Sie benutzten einen anderen Weg als den, den wir gekommen waren. Eine halbe Stunde waren wir unterwegs, dann gelangten wir in einen ovalen Bereich eines Korridors. Mehrere Türen waren vorhanden. Die Phurthuler packten Chipol und schoben ihn zur nächstbesten Tür hin. Sie öffneten sie und trieben den jungen Daila hinein. Sie verriegelten die Tür und wandten sich an mich. Ich wurde in den nächsten Raum gezogen, und ein letzter Blick zurück zeigte mir das grimmige Gesicht Mrothyrs. »Bis bald!« sagte ich in der Sprache der Daila. Er senkte zur Bestätigung die Augenlider. Dann entzog ihn die sich schließende Tür meinen Blicken. Der Raum war klein. Außer einem Brett an der Wand besaß er keine Einrichtung. Das Brett war winzig, für phurthulische Verhältnisse gemacht. Ich prüfte es vorsichtig und setzte mich schließlich darauf nieder. Die kleine Beleuchtungseinheit an der gegenüberliegenden Wand flackerte unregelmäßig. Ich verzog den Mund zu einem leichten Grinsen. Wir hatten Glück gehabt. Die Phurthuler hätten uns töten können. Unsere Situation war grotesk. Wir waren einer Spur gefolgt und hatten die Piraten und ein paar Gesandte gefunden. Dennoch hatten wir nichts erreicht. Aber wir wußten inzwischen einiges. Alle Wesen, die uns begegnet waren, seit wir Uup-Okor betreten hatten, hatten in keinem einzigen Fall von Guray als einem Schutzpatron oder einem Mythos gesprochen. Im Gegenteil. Ich hatte den Eindruck gewonnen, daß ein Wesen dieses Namens tatsächlich existierte. Die logische Schlußfolgerung ist, daß es sich bei den Phurthulern nicht um Piraten handelt, stellte
der Extrasinn fest. Denn wo wir bisher Piraten begegnet sind, glaubten sie an Guray als ein mythisches Wesen. Sie ahnten nicht, daß er oder es tatsächlich existieren könnte. Was aber sind sie dann? Darauf wußte der Extrasinn keine überzeugende Antwort. Sie waren eben Phurthuler, und sie stellten die ursprüngliche Lebensform dieses Planeten und seiner erloschenen Sonne dar. Und sie waren Guray offensichtlich zu Dank verpflichtet. Hatte Guray sie gerettet, als ihre Sonne erkaltete? Der Gedanke daran wurde immer wahrscheinlicher. Phurthul bedeutete für uns wahrscheinlich die Endstation unseres Kontaktversuchs. Dennoch hoffte ich, daß eine entscheidende Wendung eintrat. Der Weg, den wir gingen, mußte uns zu Guray führen, egal ob wir dabei Gefangene waren oder nicht. Und wo steckt der Sinn des ganzen, Arkonide? »Den steck dir gefälligst an den Hut, alte Unke!« sagte ich laut. Die Wände des engen Raumes warfen den Schall übermäßig deutlich zurück und ließen in mir den Verdacht aufkommen, daß hinter den Wänden andere Kammern lagen, von denen aus wir beobachtet wurden. Es war mir egal. Viel konnten die Bewohner ’ Uup-Okors durch visuelle Beobachtung nicht herausfinden. Und das wenige würde ihnen kaum ausreichen, uns exakt einzuschätzen. Für sie würden wir ein Sicherheitsrisiko bleiben, solange wir uns auf dem Planeten befanden.
6. Phurthuler waren so, wie ihre Umgebung war. Die Bewohner des Planeten hatten sich so gut an die neuen Verhältnisse unter der Oberfläche gewöhnt, daß sie tief in ihrem Unterbewußtsein zufrieden damit waren. Sie hatten keinerlei Existenzprobleme, aber was sie jetzt erlebten, das trieb ein paar von ihnen an den Rand der Verzweiflung. »Unsere Existenz ist in Gefahr«, machte Ferg seinem Artgenossen begreiflich. »Fremde wissen davon, daß es uns gibt. Wenn wir sie ziehen lassen, werden bald andere in Manam-Turu Kenntnis davon erlangen. Dann werden Horden von Schiffen unsere Welt überfluten und uns das Leben zur Hölle machen!« Plausibas beschwichtigte ihn. So schlimm konnte es nicht werden, und außerdem hatten sie ja Guray. Und Guray mußte am besten wissen, was für das Volk der Phurthuler gut war. Und wenn nicht, warum sollten sie nicht ein einziges Mal einen kleinen Nachteil in Kauf nehmen in Anerkennung dessen, was das unbekannte Wesen für ihr Volk getan hatte. »Wir sind weise«, sagte er eindringlich. »Aber Guray ist wissend: Wenn er der Ansicht ist, daß die Gefangenen am Leben bleiben sollen, dann werden wir uns ihm nicht widersetzen. Wir werden sie seinen Gesandten überlassen. Sie werden wissen, was sie mit ihnen zu tun haben.« »Ich zweifle!« erwiderte Ferg, und Plausibas stellte fest, daß es ihm nicht anders erging. Boran und Dulk hatten gerade keinen überzeugenden Auftritt gehabt. Sie waren verunsichert, und die Phurthuler glaubten, daß sie unter ähnlichen Problemen litten wie sie selbst. Guray schwieg, es gab keinen Kontakt zu ihm. Allein aus diesem Grund erschien es ihnen wie ein Wunder, als sie plötzlich die helle Stimme vernahmen. »Volk von Phurthul!« erklang es überall in den Städten und Anlagen. »Ich habe lange Zeit nachgedacht. Nun bin ich zu euch zurückgekehrt. In kurzer Zeit werden viele meiner Gesandten zu euch kommen. Sie werden nicht wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Sie kennen nur ihr Ziel. Helft Gurays Gesandten, daß sie sich zurechtfinden.« »Und was wird aus den Gefangenen?« fragte Plausibas sofort. Er wußte genau, daß Gurays Kommunikationseinrichtungen dafür sorgten, daß ihr unbekannter Retter seine Worte empfing. »Gefangene sind wegzuschaffen«, sagte Guray sofort. »Die Aufgabe, die Phurthul in meinem Namen erfüllt, ist zu kostbar und zu wichtig, als daß sie durch ein paar Gefangene gestört werden dürfte, die zufällig in die Nähe Zamyrs gelangt sind und den Planeten und die unterirdischen Anlagen entdeckt haben. Nichts, was auf Phurthul geschieht, darf nach außen dringen.« »Aber sie sind nicht durch Zufall hier«, warf Ferg ein. »Sie haben einen unserer Funksprüche abgehört. Es muß einen Übermittlungsfehler gegeben haben. Anders ist es nicht zu erklären.« »Hört, was Guray euch zu sagen hat«, sagte die Stimme nach kurzem Zögern. Sie klang jetzt ein wenig schriller als zuvor. »Ein solcher Fehler ist undenkbar. Das System hat keinen Fehler und keine Lücke. Es kann sich nur um einen Zufall handeln. Bittet Boran und Dulk, daß sie sich mit dem Vorgang befassen. Die Fremden sind einem intensiven Verhör zu unterziehen. Auf keinen Fall dürfen sie etwas von den Anlagen erfahren, zu denen nur die Gesandten Zutritt haben!« Plausibas begriff, daß Guray wieder einmal verwirrt war. Er wollte das eigentliche Problem nicht sehen oder konnte es nicht. Die Phurthuler wußten um diese Widersprüchlichkeit ihres Gönners, aber sie kritisierten sie nicht. Sie befolgten seine Anweisungen aus Dankbarkeit und aus – Mitleid, denn allzuoft schon hatten sie aus den Worten des Unbekannten seine innere Not erfahren. Sie wußten, daß er mit sich selbst einen Kampf ausfocht, der nie zu Ende ging. Vielleicht war es der Kampf zwischen Gut und Böse, denn Guray war nicht nur mildtätig. Manchmal wurde er zornig
und drohte. Zu anderen Zeiten dachten sie, daß er im Sterben lag. Dann klang ein Jammern in seinen Worten mit, das für die sensiblen Phurthuler nur schwer zu ertragen war. Wie immer trafen sich die Bewohner von Uup-Okor dann in der Halle, um zu beraten, wie sie Guray helfen konnten. Es ging nicht. Guray schien ein Kind zu sein, das ständig von Alpträumen und unsäglicher Angst geplagt wurde. »Wir werden sofort tun, was du willst«, sagte Plausibas. Gurays Worte verloren sich in Dankesgestammel, und für ein paar Sekunden herrschte Ruhe. Dann meldete sich der Schutzpatron der Piraten erneut. »Soph wird kommen. Mit ihm kommen alle anderen, von denen ich gesprochen habe. Soph wird Boran und Dulk für eine Zeit ablösen. Soph wird sehr freundlich zu euch sein. Seid ihr es auch zu ihm! Ich danke euch!« »Wir haben dir zu danken, Vielseitiger!« murmelte Ferg. »Wir werden uns um deine Gesandten kümmern. Oder hat jemals einer von ihnen Grund zur Klage gehabt?« »Guray weiß um eure Verdienste«, kam die Antwort. »Nun geht eurer Arbeit nach!« Die Stimme schwieg, und die Phurthuler wußten, daß der Vielseitige sich aus der akustischen Kommunikation ausgeblendet hatte. Wie meistens suchten ihre Sinnesrezeptoren nach den verborgenen Lautsprechern und Mikrofonen und nach Kameraaugen, die das Leben in Uup-Okor beobachteten. Wie immer fanden sie nichts. Guray war eben gegenwärtig oder nicht, ganz wie er es wünschte. Plausibas und Ferg pilgerten zum Standbild in der Nähe des Stollens, der hinüber zu den Lagerhallen der kleinen Raumschiffe führte, wo viele tausend Kleinstraumer eingelagert waren. Die Gesandten kamen immer und ließen sich mit der Technik der Schiffe vertraut machen. Dann flogen sie davon und verließen Zamyr, um ihre unbekannten Ziele anzusteuern, von denen nur Guray und sie selbst wußten. Vor dem Standbild blieben sie stehen. Es zeigte ein stilisiertes Abbild eines Phurthulers und trug keinerlei Beschriftung. Es gab nur dieses eine, und jeder Phurthuler wußte, daß es Parok darstellte, den Mann, der durch sein beherztes Verhalten einst das Volk gerettet hatte. »Wenn er wüßte«, sagte Plausibas leise. »Ich frage mich bei jeder Entscheidung, wie er handeln würde. Manchmal hat es mir schon geholfen. Parok war der weiseste Phurthuler, der je gelebt hat und je leben wird!« »Und was rät er dir diesmal?« In Fergs Worten lag ein zweifelnder Unterton. »Parok war edel in jeder Beziehung. Er hätte nie etwas Verwerfliches getan. Und Guray hat auch nie etwas Verwerfliches von uns verlangt. Warum also sollen wir etwas anderes tun? Parok hatte recht, Guray hat recht. Wir werden einen Weg suchen, wie wir die Fremden loswerden, ohne ihnen etwas antun zu müssen. Verstehst du das? Sie sind intelligente Lebewesen wie wir. Sie haben ein Recht darauf, zu existieren. Guray kann nicht überall sein, aber er wird uns zustimmen, wenn wir uns an seine erste Anweisung halten. Inzwischen ist der Standort ihres Schiffes angemessen worden. Wir bringen sie einfach hinauf an die Oberfläche und lassen sie davonfliegen.« »Und wenn Boran und Dulk nicht zustimmen?« »Das laß meine Sorge sein!« Sie bewegten sich ein wenig zur Seite und warteten, bis die ersten Gesandten eintrafen und sich dem Stollen näherten. Sie begleiteten sie in die Lagerhalle und zeigten ihnen die Schiffe. Es waren tatsächlich mehrere hundert Gesandte, die auf geheimnisvollem Weg in Phurthul eingetroffen waren. Sie kamen aus jener Schleuse, deren Durchschreiten nur den Gesandten erlaubt war. Etliche Dutzend Phurthuler begleiteten sie, und als alle in die Bedienung der kleinen Schiffe eingewiesen waren, da zogen sich die Bewohner Uup-Okors zurück und gaben das Zeichen an Boran und Dulk,
daß die Decke der Halle geöffnet werden konnte. Auf einem Bildschirm verfolgten sie, wie die schlanken Pfeile hintereinander in den finsteren Himmel über dem Planeten hineinrasten und sich der Diskus der Fremden in starke Schutzschirme hüllte. Die Decke schloß sich, und die Gesandten Gurays verschwanden in der Lebenswolke Zamyr und flogen zu ihren Zielen, die überall in Manam-Turu lagen. Guray ist ein mächtiges Wesen, dachte Plausibas. Aber es ist verletzlich und leicht zu erschüttern. Das mag der Grund sein, warum es so vorsichtig ist. Auf dem Rückweg an seinen eigentlichen Arbeitsplatz in der Stadtleitung machte er erneut vor dem Standbild Paroks halt. Wir haben etwas gemeinsam, dachte er. Beide wissen wir nicht, wie Guray aussieht. Aber ich habe noch die Chance, es eines Tages zu erfahren. Vielleicht von den Gesandten? Oder von Guray selbst? Wer konnte schon wissen, was die Zukunft für die Phurthuler bereithielt. * Mrothyr hatte voll ohnmächtigen Zorns mitansehen müssen, wie sie Atlan und den jungen Daila in die Zellen sperrten und ihn selbst dann durch verschlungene Gänge und Hallen in einen anderen Sektor der Stadt brachten. Dort setzten sie ihn in einer geräumigen Halle auf eine Pritsche, und sie hielten ihn mit ihren Waffen im Schach, während sie sich langsam bis zum Ausgang zurückzogen. Er hörte das Zischen, als die Tür sich schloß und die Verriegelung einrastete. Es schmeichelte dem Zyrpher, daß die Phurthuler ihn offensichtlich für den gefährlichsten der Fremden hielten und ihm eine Isolationshaft zukommen ließen. Sie würden ihn bestimmt ununterbrochen beobachten, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis irgendein Phurthuler seinen Beobachtungsposten an einem Monitor einnahm. Mrothyr schielte nach einer Aufnahmeoptik, fand sie jedoch nicht. Er tastete über die Taschen des Raumanzugs und spürte den Impulsschlüssel mit dem positronischen Taster. Jetzt oder nie! Teilnahmslos und in mehreren Kurven näherte er sich der Tür und zog dabei möglichst unauffällig das stabförmige Gerät aus der Tasche. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und hielt den rechten Arm nach hinten. Langsam strich er mit dem Gerät über jenen Bereich der Tür, in dem sich das Schloß befand. Einleises Summen zeigte ihm, daß der Taster arbeitete. Gleichzeitig klang eine Stimme auf. Sie sprach phurthulisch, und der Translator schaltete sich automatisch ein und übersetzte die Worte. »Was machst du an der Tür? Du kannst sie nicht öffnen!« »Ich weiß«, erwiderte der Zyrpher. »Deshalb lehne ich mich gegen sie. Es ist warm hier, und das Metall kühlt ein wenig meinen Rücken!« »Was ist ein Rücken?« fragte die Stimme. Mrothyr verzog das Gesicht zu einem Grinsen und rollte mit den bernsteingelben Augen. Natürlich konnte ein birnenförmiges Wesen nicht unbedingt wissen, was ein Rücken war. »Nun, laß es mich so erklären«, begann er langsam und setzte zu einer umfangreichen medizinischen Abhandlung an. Das Summen des Geräts wurde ein wenig lauter, und er vernahm das leise Zischen in der Tür. Der Impulsschlüssel hatte den Code herausgefunden, und Mrothyr berührte sorgfältig die Taste des Senders. Der Schlüssel gab den Code aus, und die Tür entriegelte sich und glitt auf. »Es ist kompliziert«, meinte Mrothyr. »Wenn du deine Sinne vor der Umwelt verschließt, wirst du
den Gehalt meiner Worte besser verstehen!« »Ich tue es«, kam die Antwort. Der Zyrpher schien von dem Vorgang an der Tür nichts bemerkt zu haben. Eine Sekunde später verschwand Mrothyr aus seinem Gefängnis. Er hastete den Korridor entlang und suchte nach einem Ausblick auf die Straße. Er fand einen Antigrav und ließ sich nach unten tragen. Er hatte Glück. Er kam auf dem Niveau der Straßen heraus und orientierte sich kurz. Am Ende der Straßenflucht war ein Stück der Felswandung zu erkennen, die sich abwärts neigte. Dort war die Stadt zu Ende. Dort konnte er nach einem Unterschlupf suchen. Mrothyr dachte an Atlan, aber er wußte nicht, in welchem Gebäude seine Gefährten gefangengehalten wurden. Eine blinde Suche brachte nichts ein. Er mußte zunächst einmal sich selbst in Sicherheit bringen und versuchen, einen der Phurthuler zu fangen und sich von ihm die nötigen Auskünfte zu holen. Er rannte die Straße entlang, ohne auf Phurthuler zu achten, die ab und zu in seinem Blickfeld auftauchten. Inzwischen mußte sein Verschwinden bereits entdeckt worden sein. Er war sicher, daß er verfolgt wurde. Er konnte nur nichts feststellen, weil sie nicht direkt hinter ihm her waren. Der Zyrpher erreichte das Ende der Stadt. Hier ging der Kunstboden in natürlichen Fels über. Eine Rinne sammelte die kondensierte Feuchtigkeit, die an der Felswandung herablief. Vereinzelt sah Mrothyr Pflanzen, die auf dem fast kahlen Boden ein kümmerliches Dasein fristeten. In Sichtweite befand sich eine Mulde, in der sich stinkender Schlick angesammelt hatte. Dahinter entdeckte er einen kleinen Felsvorsprung. Geduckt eilte der Zyrpher hinüber. Er umrundete die Mulde und verschwand hinter einem Felsen. Er schloß den Helm seines Raumanzugs und schaltete die Frischluftzufuhr ein. Der Tümpel stank fürchterlich und regte seinen Brechreiz an. Als die frische Luft in seine Lungen strömte, atmete er befreit auf. »Jetzt könnt ihr kommen«, knurrte er. »Ich bin jeder Begegnung gewachsen!« Die erste Stunde verging, dann die zweite. Nichts geschah. Immer wieder erblickte der Zyrpher Gruppen von Phurthulern, die mit Geräten unterwegs waren und die Stadt durchkämmten. Sie suchten ihn und wußten nicht, wo sie ihn finden konnten. Das verwirrte Mrothyr ein wenig. Er wußte nicht, daß zum Zeitpunkt seiner Flucht Guray zu den Phurthulern gesprochen hatte und die Bewohner der Stadt Uup-Okor keine Sinne für sein Verschwinden gehabt hatten. Nicht einmal die Phurthuler, die er von fern gesehen hatte, mußten ihn ausgemacht haben. »Pech für sie«, seufzte Mrothyr, aber im nächsten Augenblick kam Leben in ihn. Er entdeckte eine hominide Gestalt, die außerhalb der Stadt über den Boden wankte und sich langsam der Felswand näherte. »Atlan!« Mrothyr sprang auf und gab Handzeichen. Atlan reagierte nicht, und der Zyrpher setzte sich in Bewegung und eilte dem Arkoniden entgegen. Atlan bewegte sich unkontrolliert vorwärts, und irgend etwas war mit ihm anders als zuvor. Die Phurthuler mußten etwas mit ihm angestellt haben. Plötzlich blieb Mrothyr wie angewurzelt stehen. Er war dem vermeintlichen Arkoniden bis auf zwanzig Meter nahegekommen. Es war nicht Atlan. Was Mrothyr sah, war lediglich die unvollkommene Karikatur des Arkoniden. Die Körperproportionen stimmten nicht, und das silberweiße Haar war nur büschelweise vorhanden. Das Gesicht befand sich ständig in Bewegung, und auch der Körper wogte auf und ab. »Diener Gurays!« schrie Mrothyr auf. Er mußte bluffen. Eine Waffe besaß er nicht mehr, die Phurthuler hatten sie ihm abgenommen. Er zog den Impulsschlüssel aus der Tasche und richtete ihn
in der Art eines Strahlers nach vorn. »Ergib dich, wenn dir dein Leben lieb ist.« Die Gestalt verlor augenblicklich jede Ähnlichkeit mit Atlan. Eine amorphe Masse türmte sich vor Mrothyr auf, die sich im nächsten Augenblick in eine violett leuchtende Birne verwandelte. »Was willst du?« fragte der Gesandte auf Phurthulisch. »Du hast mich mit deinem Trick beinahe hereingelegt«, entgegnete der Zyrpher. »Aber nur beinahe. Ich werde dich töten, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst. Du hast versucht, Atlans Gestalt anzunehmen. Aber es ist dir nicht gelungen. Warum nicht?« Mrothyr war nicht sicher, ob seine Frage zutreffend war. Er wußte nur von Pultar und aus eigener Anschauung von Weyngol, daß die Gesandten jede beliebige Gestalt eines Wesens annehmen konnten. In bezug auf Atlans Person gab es offenbar Schwierigkeiten. »Laß mich gehen«, bettelte der Gesandte. »Ich habe dir nichts getan. Ich muß zu Guray sprechen. Er erwartet meinen Bericht. Ich bin Tagus, und ich bin gekommen, um Boran und Dulk abzuholen!« »Das beantwortet meine Frage nicht«, sagte Mrothyr laut. »Also? Ich zögere nicht lange!« »Ich habe es versucht. Es ging nicht. Kein Gesandter kann es. Atlan trägt etwas auf seiner Brust, das psionische Impulse aussendet. Es verhindert, daß wir seine Körperform stabilisieren können. Vielleicht ginge es, wenn Guray hier wäre. So aber…« Er ließ den Satz offen. »Du gibst also zu, daß der Gefangene Atlan ist«, fauchte Mrothyr. »Boran und Dulk haben es geleugnet!« »Atlan? Du meinst den Atlan? Bist du sicher?« »Es gibt in ganz Manam-Turu nur einen Atlan«, bekräftige Mrothyr. Der phurthulische Körper des Gesandten begann zu beben. Er zuckte auf und ab und verlor seine Form. »Guray«, ächzte er. »Guray muß es erfahren. Er muß es wissen!« Der Körper wurde immer flacher und breitete sich auf dem Boden aus. Der Gesandte schrie: »Sagt es Guray, daß Atlan hier ist!« Die letzten beiden Worte verwehten. Der Gesandte stand unter einem starken Schock, und die amorphe Masse zerfiel zu einem Häufchen Staub, das vor Mrothyrs Füßen lag. Gleichzeitig mit dem Tod des Gesandten heulte über der Stadt eine Sirene auf. Mrothyr wandte sich ab. Er schaltete das Flugaggregat ein und setzte seine Flucht außerhalb der Stadt fort.
7. Guray befindet sich in Hochstimmung. Er hat die vielen Schätze gesehen, die die Piraten unter Anleitung der Gesandten zusammengetragen haben. Er hat sich an den Anblicken berauscht, und er befindet sich in einem Zustand unbeschreiblichen Glücks. Er handelt so umsichtig wie nie zuvor, und er nimmt sich viel Zeit, die Vorgänge auf dem Planeten Aklard zu beobachten. Fast täglich schickt er Gesandte dorthin, die in der Gestalt von Daila oder Ligriden Informationen einholen und umgehend zu ihm bringen. Guray überlegt, ob es sinnvoll ist, die Daila in ihrem Kampf zu unterstützen. Er bejaht dies, denn alles, was die Hyptons und ihre Helfer schwächt, nützt ihm und verstärkt seine Sicherheit. Deshalb darf er aber die Suche nach dem Erleuchteten nicht aufgeben. Warum bekommt er von Eltaso keine Meldung? Was ist los mit dem Schiff, in dem die drei Fremden von Barquass mitfliegen? Wenn ihr wüßtet, denkt Guray. Wenn ihr wüßtet, wo ich bin und wie ich aussehe! Aber ihr seid fremd. Ihr könnt den Gesandten nicht erkennen, und ich werde geduldig warten, bis ich eine Nachricht von ihm erhalte. Eltaso kennt seine Pflicht mir gegenüber. Und wo ist Atlan? Noch hat er keine Nachricht vom Aufenthaltsort des Arkoniden. Dabei dürfte es gar nicht so schwer sein, ihn zu finden. Guray kennt sein Aussehen, und damit kennen es auch seine Diener, die er in alle Gegenden Manam-Turus aussendet. Jeder neue Diener, der ihn verläßt, weiß um den Arkoniden. Doch auch da beschleichen Guray manchmal Zweifel. Nicht alle Diener sind gleich. Manche verfügen über eine größere Intelligenz, manche über eine kleinere. Nicht alle sind von jenem Holz, das Gurays Intelligenz widerspiegelt. Manche besitzen eben nur einen geringen Teil seines Intellekts, denn auch Guray ist in seinen Körperteilen unterschiedlich strukturiert. Der Sensible setzt sich mit Phurthul in Verbindung. Lange hat er sich dort nicht mehr gemeldet, und das, was er von dort erfährt, versetzt ihn übergangslos in höchste Alarmbereitschaft. Fremde sind in der Welt aufgetaucht. Es heißt, sie seien nicht durch Zufall gekommen. Guray glaubt nicht daran. Sie können keine Spur gefunden haben, denn es gibt sie nicht. Nur einem einzigen Wesen in Manam-Turu traut er zu, sie zu finden, obwohl sie nicht sichtbar existiert. Er meint den FEIND. Und vielleicht noch Atlan, dem nichts entgeht. Aber ein paar Fremde? Er hat die Phurthuler angewiesen, die Fremden wegzuschaffen. Sie sollen nicht auf Phurthul bleiben. Sie sollen ihre Erinnerung verlieren, und seine Gesandten sollen dies bewerkstelligen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt stellt Guray fest, daß er ein wenig neugierig geworden ist. Der tiefe Drang in ihm, über alles ganz genau Bescheid zu wissen, veranlaßt ihn, seine Aufmerksamkeit endgültig von Aklard abzulenken und sich auf den Planeten Phurthul in der Wolke Zamyr zu konzentrieren. Lebenswolke nannten die Phurthuler sie immer, aber es ist lange her, daß diese Wesen sich an die Oberfläche gewagt haben. Guray versteht das. Sie wollen nicht an die Katastrophe der Vergangenheit erinnert werden. Niemand will das. Auch Guray nicht. Und Guray will verhindern, daß für ihn eine Katastrophe in der Zukunft eintritt. In jeder Phase der Selbstsicherheit denkt er alle seine Maßnahmen genau durch, und er läßt nichts außer acht, weil er weiß, daß er in Zeiten innerer Zerstrittenheit und Panik auch Fehler macht, die sich verhängnisvoll für ihn auswirken können.
Guray ist eben auch der Umsichtige, und er stellt erneut den Kontakt mit Uup-Okor her und sieht sich an, was dort geschieht. Er muß es wissen, er darf nichts übersehen. Keinen Fremden und keinen Bekannten. Wer seid ihr? meldet er sich und wartet gespannt auf eine Antwort. Wie habt ihr Phurthul gefunden? * Ich sprang auf und sah mich um. Die Wände und die Decke waren glatt. Ich konnte keine Lautsprecher entdecken. Dennoch hatte ich die Stimme gehört, und sie wiederholte die Frage jetzt persönlicher. »Wer bist du?« Die Stimme klang hell und kindlich, ich wurde an Terra erinnert, wo ich einmal eine sehr eigenartige Begegnung mit einem Kind gehabt hatte. Es war schon lange her. »Kannst du mich sehen?« fragte ich zurück. »Ja!« »Ich bin ein Gefangener der Phurthuler. Sie halten mich zu Unrecht fest, denn ich habe ihnen nichts getan! Meinen Namen habe ich schon genannt. Wer bist du?« »Du weißt es nicht, Fremder?« »Nein.« »Ich bin es. Guray. Hast du von mir gehört?« »Guray?« rief ich aus. »Du täuschst mich auch nicht? Du existierst tatsächlich?« Erregung stieg in mir auf. Die helle Stimme, das seltsame, eben kindlich unreife Verhalten in der Abfolge der Fragen, war das Guray? Der Mythos in Person? »Ich bin Guray. Und ich spreche zu dir. Welche Absicht hat dich nach Phurthul geführt?« Vorsicht! warnte der Extrasinn. Hinter dieser Frage versteckt sich einiges! »Ich habe Phurthul aufgrund einer Hyperfunkstörung gefunden. Es war meine Absicht und auch die meiner Gefährten, einen Stützpunkt der Piraten zu finden. Wir wollten mit einem Gesandten Gurays in Kontakt treten. Unser Ziel ist es, Guray zu finden und ihn als Verbündeten zu gewinnen.« Die Stimme begann zu lachen. Der Unsichtbare, wenn er tatsächlich Guray war, amüsierte sich über meine Worte. »Da gibt es nichts zu lachen«, sagte ich. »Ich meine es ernst.« »Du unvollkommener Narr«, kam die Antwort. »Was glaubst du, wie viele Wesen schon versucht haben, mich zu finden. Niemand kann Guray finden, wenn er nicht geleitet wird. Und Guray sucht sich seine Verbündeten selbst aus.« »Es gehen Dinge vor in Manam-Turu, die auch dir nicht verborgen geblieben sind«, sagte ich. »Und ich weiß, daß die Piraten nach dem Erleuchteten suchen. Hast du sie beauftragt?« »Warum willst du das wissen, Fremder? Du hast meine erste Frage noch nicht beantwortet. Wer bist du?« »Du erkennst mich nicht? Ich bin Atlan. Ich kämpfe gegen die Hyptons und die Ligriden, und ich suche nach dem Erleuchteten. Ich will starke Verbündete gewinnen!« »Atlan?« Jetzt klang die Stimme schrill. Sie überschlug sich. »Ich sehe dich. Du willst Atlan sein?
Nein!« Guray schwieg, und ich überlegte. Es hatte keinen Sinn, allein an der Stimme zu beurteilen, mit welcher Art von Wesen ich es zu tun hatte. Die Tatsache, daß der vermeintliche Guray sich bei mir meldete, konnte bedeuten, daß er auf Phurthul weilte. Das mußte jedoch nicht sein. Guray verfügte über eine hochentwickelte Technik, das hatten wir schon erfahren. »Frage die Daila auf Aklard. Frage alle, die mich in Manam-Turu kennen. Es gibt mich nur ein einziges Mal!« »Ich glaube es nicht. Wenn du Atlan bist, dann… Aber nein, wie kannst du dann von Phurthul wissen. Haben die Lasquen etwas gesagt? Warum hast du mich nicht auf…« Er verstummte und platzte dann heraus: »Es ist unmöglich, daß du Atlan bist. Ich suche Atlan und werde ihn finden. Aber du bist es nicht!« »Gut«, sagte ich. »Ich werde warten, bis du mich gefunden hast. Deine Gesandten haben schon nicht daran geglaubt, daß ich es bin. Aber gib den Phurthulern wenigstens Anweisung, daß sie mich hier herauslassen. Ich habe nichts verbrochen. Man sperrt nicht einfach jemanden ein, der zu Besuch kommt!« »Es tut mir leid«, erklärte Guray. »Du sollst sofort frei sein. Ja, es gibt sogar eine Möglichkeit, deine Identität festzustellen. Einer meiner Gesandten weilt auf Phurthul. Er kennt Atlan. Er wird dich entlarven. Du kannst es nicht sein. Warte einen Augenblick. Ich werde dich aus der Kammer hinauslassen. Soph wird zu dir kommen und dich anschauen!« Ich wartete, und in dieser Zeit ließ ich das Gespräch noch einmal vor meinem geistigen Auge ablaufen. Ich glaubte jetzt daran, daß es Guray gab. Ich hatte es mit einem sehr seltsamen Wesen zu tun, und mein Eindruck paßte gut zu der Geheimniskrämerei, die von den Piraten und noch viel schlimmer von den Gesandten getrieben wurde. Guray befindet sich in Not, meinte der Extrasinn. Er handelt wie ein Wesen, das in die Enge getrieben wurde. Die Tür meines Gefängnisses glitt auf. Draußen stand eine Gruppe von fünf Phurthulern. Eine grüne Birne forderte mich auf, den kleinen Raum zu verlassen. Ich trat heraus. Gleichzeitig kam Chipol aus seiner Tür. Er eilte mir entgegen und legte mir eine Hand auf den rechten Arm. »Ich habe mit Guray gesprochen«, flüsterte er geheimnisvoll. »Und was glaubst du? Er glaubt mir nicht, daß du Atlan bist!« »Kein Wunder«, sagte ich. »Mir hat er es auch nicht geglaubt!« Die Phurthuler nahmen uns in die Mitte und führten uns weg. »Wir bringen euch zu einer Gegenüberstellung. Soph wird euch identifizieren. Soph löst Boran und Dulk für eine Weile ab. Ihr wißt hoffentlich, wie ihr euch einem hohen Gesandten Gurays gegenüber zu verhalten habt.« Die Frage war lächerlich. Wir waren nicht an einer Konfrontation interessiert, und Waffen besaßen wir keine mehr. Oder hatte der Hinweis einen tieferen Sinn? »Wo ist Mrothyr?« wollte Chipol wissen. Die Antwort ließ mich aufhorchen. Mrothyr war geflohen. Er befand sich außerhalb der Stadt und wurde gesucht. Ein Gesandter hatte sich aufgemacht, ihn in eine Falle zu locken, aber er war nicht zurückgekehrt. Mrothyr blieb verschwunden. Wenn er einsieht, daß er euch so nicht helfen kann, wird er zur STERNSCHNUPPE zurückkehren und Waffen holen oder versuchen, mit dem Schiff bis zur Stadt vorzudringen. Ich aktivierte mein Funkgerät und rief ihn auf unserer Frequenz an. Er gab keine Antwort. Entweder
konnte er uns nicht empfangen, oder er traute dem Frieden nicht. Nachdem die Phurthuler versucht hatten, ihn in eine Falle zu locken, würde er sich hüten, sich bemerkbar zu machen. Wir wurden in einen Raum geführt, in dem mehrere Sessel standen. Es mochte ein Konferenzsaal sein. Plötzlich sprang Chipol vorwärts. »Fumsel«, rief er. »Da ist Fumsel!« Auch ich entdeckte den kleinen Tiger von der Größe einer terranischen Hauskatze und schüttelte ungläubig den Kopf. »Du täuschst dich bestimmt«, sagte ich. »Wie sollte Fumsel hierherkommen. An Bord der STERNSCHNUPPE auf keinen Fall!« Fumsel huschte zwischen den Beinen der Phurthuler hindurch. An einer der Birnen blieb er sogar hängen, weil diese besonders kurze Beinchen hatte und mit dem Körper fast auf dem Boden schleifte. Fumsel eilte mit weiten Sätzen auf Chipol zu und strich um seine Beine. Der junge Daila bückte sich und nahm das possierliche Tierchen auf den Arm. »Siehst du!« sagte er. »Es ist Fumsel. Er hat mich wiedererkannt!« »Ja, es ist Fumsel!« klang da eine dunkle Stimme auf. Aus einer bisher verschlossenen Tür trat ein Phurthuler, dessen Körperfarbe fast schwarz war. Er bewegte sich schneller als seine Artgenossen und hatte Mühe, mit den vielen kleinen Beinchen zurechtzukommen. Er blieb vor uns stehen. Und dann vernahmen wir wieder die helle Stimme, die von allen Seiten kam. »Was sagst du, Soph? Ist er es?« »Ja«, erwiderte der Gesandte. »Guray, es gibt keinen Zweifel. Es ist Atlan!« »Hinaus, hinaus!« schrie Guray auf. Seine Stimme klang zornig und aggressiv. »Schickt alle Phurthuler aus diesem Raum hinaus!« Soph wandte sich um, aber es bedurfte keines Wortes von ihm. Die Einheimischen befanden sich bereits auf dem Weg zur Tür. »Ich mag diesen Gesandten nicht«, sagte Chipol laut. »Er ist mir nicht geheuer!« Ich musterte den jungen Daila besorgt. Stand ein Ausbruch seiner instinktiven Aversion bevor? Mußte ich damit rechnen, daß er Dinge anstellte, die meine Pläne gefährdeten? »Reiß dich zusammen«, hauchte ich. Soph wandte sich uns zu. »Guray ist verwundert«, erklärte er. »Aber ich bin es auch. Wie habt ihr nach Phurthul gefunden?« Ich erklärte es ihm, und Guray ließ wieder ein helles Lachen hören. »Also gibt es doch noch Zeichen und Wunder«, ließ er uns wissen. »Guray freut sich. Phurthul ist eine glückliche Welt, daß sie dich hat herfinden lassen. Du sprachst von einem Bündnis, Atlan!« Ich musterte noch immer Soph. Ich rätselte, woher er uns kannte, insbesondere mich. Ich überlegte, in welcher Gestalt er mir einmal begegnet sein konnte. Ich blickte wieder auf Fumsel. Chipol ließ ihn plötzlich fallen und zischte: »Auch Fumsel mag ich nicht. Er hat sich verändert!« »Nein«, erklärte Soph. »Es ist nur, weil ich dabei bin. Fumsel gehört zu mir, wie ich zu Guray gehöre!« »Sprich endlich, Atlan!« verlangte Guray.
Ich legte meine Ansichten dar. Ich war überzeugt, daß Guray meinen Weg durch Manam-Turu aufmerksam verfolgt hatte und ungefähr im Bild war, was ich wollte. »Die Hyptons und Ligriden sind ein ernstzunehmender Gegner für die Völker dieser Galaxis«, sagte ich. »Aber eine viel größere Gefahr geht von dem Erleuchteten und EVOLO aus. Noch weiß ich nicht, was EVOLO ist, aber ich kann es mir ungefähr vorstellen. Es ist ein riesiges Psigebilde, und nicht umsonst stiehlt der Erleuchtete überall Psipotentiale.« »Du bist fremd in Manam-Turu«, erwiderte Guray. »Deshalb verstehst du es nicht. Du hast den Erleuchteten noch nicht gefunden, deshalb bleibt dir nur die Vermutung. Höre jetzt meinen Vorschlag an!« Guray begann zu erzählen, und was er sagte, das ließ mir die Haare zu Berge stehen. Die kindliche Stimme entwickelte einen Plan, der aller nüchternen Einschätzung nach von vornherein zum Scheitern verurteilt war. »Hör mich an«, rief ich dazwischen. »Du kannst nicht den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, falls du diesen Vergleich verstehst!« »Ich verstehe ihn sehr wohl, Arkonide. Aber ich weiß, daß der Erleuchtete keine Gefahr für mich darstellt. Ich will, daß du als mein Botschafter zu ihm gehst und ihm ein Bündnis anbietest. Gemeinsam werden wir die Hyptons aus der Galaxis vertreiben. Was danach kommt, werden wir sehen. Du verstehst, Atlan, daß es vor allem um die Sicherheit meiner Existenz geht!« Ich hatte Guray schon verstanden, aber er schien nicht gewillt, meinen logischen Schlußfolgerungen Beachtung zu schenken. »Ich habe eine absolute Übersicht über Manam-Turu«, fuhr Guray fort. »Du kannst es mir glauben. Nichts wird sich zum Nachteil der Völker ereignen. Ich gebe dir hier den Beweis. Du sollst Sophs Identität erfahren!« Wir starrten den Phurthuler an. Der dunkle Körper verlor seine Form und wurde zu einem lebendigen Felsbrocken, zu einer amorphen Masse, deren Konturen aufgrund der schnellen Bewegungen verschwommen wirkten. Soph bildete eine neue Gestalt aus, und sie stellte einen Daila dar, den wir nur zu gut kannten. Chipol stieß einen Schrei aus und machte Anstalten, sich auf Soph zu werfen. Dann überlegte er es sich jedoch anders. Er wich bis zur Wand zurück und blieb dort zitternd stehen. »Chossoph!« sagte ich. »Auch das noch. Der Daila mit dem Geisterdolch.« »Ja«, bestätigte der Gesandte. »Ich war Chossoph. Und die Katze da«, er deutete auf Fumsel, »gehört zu mir. Sie ist Teil meines Körpers, ein separat beweglicher Spion sozusagen. Komm, Fumsel!« Der kleine Tiger sprang auf ihn zu und verschmolz mit seiner Gestalt, während Chossoph wieder zu dem Phurthuler Soph wurde. »Du erkennst jetzt meine Macht«, sagte Guray. »Niemand kann sie überwinden. Selbst wenn der Erleuchtete gefährlich wäre, könnte er mir nicht widerstehen. Willst du mir also helfen und als mein Botschafter fungieren?« »Nein, Guray.« »Ich kann dich zwingen. Ich besitze alle Mittel dazu. Und ich werde es tun. Es gibt kein Wesen, das für diese Aufgabe geeigneter wäre!« »Für dich vielleicht. Nicht jedoch für mich. Ich kenne den Erleuchteten etwas länger als du. Ich lege keinen Wert darauf, mich ihm auszuliefern und ihm auch noch ein Bündnis vorzuschlagen. Ich bin der erklärte Gegner des Erleuchteten, sieh das endlich ein!« »Auch wenn ich dich zwinge?«
»Auch dann. Damit unterschreibst du höchstens mein Todesurteil!« Guray schwieg, während Chossoph sich zur Tür begab, durch die er gekommen war. Er blieb neben dem Türöffner stehen. »Ich werde nach Mrothyr suchen«, sagte er, aber Guray wies ihn an, zu bleiben. »Erzähle mir mehr vom Erleuchteten«, verlangte er. Ich berichtete von Alkordoom und dem, was ich dort vorgefunden hatte. Ich schilderte das System der Facetten und die unterschiedlichen miteinander konkurrierenden Methoden, mit denen der Erleuchtete eine ganze Galaxis zum Lieferanten von Psipotentialen gemacht hatte. Einzelheiten waren nicht so wichtig, und nach zwanzig Sätzen hatte ich bereits genug gesagt, daß dieses seltsame Wesen Guray sich ein genaues Bild über die Gefährlichkeit des Erleuchteten machen konnte. »Stell dir vor, was mit Manam-Turu geschieht, wenn er erst einmal hier Fuß gefaßt hat. Er wird alles, was mit Psi zu tun hat, in sein EVOLO stecken!« »EVOLO, EVOLO. Ich habe den Namen bereits gekannt. Du hast vorhin schon von dem Psigebilde gesprochen!« Gurays Stimme war lauter geworden. »Wann hat sich der Erleuchtete in Alkordoom aufgehalten?« »Bis vor kurzem. Bis zu meiner Ankunft in Manam-Turu. Und davor fünftausend Jahre lang!« Ein schriller Schrei kam aus den Wänden. Soph zuckte zusammen und verlor in Sekundenbruchteilen seine Phurthulergestalt. Als der Schrei abebbte, drangen zwei weitere Phurthuler herein. Der Körperfarbe und ihrem Verhalten nach waren es Boran und Dulk. Sie beugten sich über Soph, der nur langsam zu seiner Phurthulergestalt zurückfand. »Er leidet«, jammerte der Gesandte. »Guray leidet! Wir müssen ihm helfen!« Wir starrten die Gesandten schweigend an. Die Reaktion Gurays kam völlig überraschend. Wir konnten sie nicht einordnen, und Fragen an die Gesandten waren sinnlos. Sie schleppten Soph davon, und wir blieben allein zurück. »Guray«, sagte ich, »was ist geschehen?« »Der Erleuchtete muß sofort getötet werden«, schrillte die Stimme. »Nein, du mußt zu ihm fliegen. Er ist unser wichtigster Verbündeter. Atlan, wieviel Zeit brauchst du, um die Hyptons zu finden und sie um Hilfe zu bitten?« Er ist übergeschnappt! sagte der Extrasinn. Verlasse den Raum. Hör nicht auf ihn! Ich gab Chipol einen Wink. Wir traten hinaus auf den Korridor und forderten die wartenden Phurthuler auf, uns den Weg ins Freie zu zeigen. Sie wirkten verunsichert und wußten nicht, was sie tun sollten. Gurays Stimme begleitete uns auch hier, aber sie gab nur noch sinnloses Gestammel von sich. »Alle Phurthuler verlassen sofort die Städte. Sie begeben sich mit den Gesandten in die Anlagen, die sie gewöhnlich nicht betreten dürfen. Soph bleibt auf Phurthul zurück. Nein, nicht das. Die Phurthuler sollen die kleinen Schiffe nehmen und alle Planeten anfliegen und die Gesandten dort aufsammeln. Die Gesandten in Uup-Okor und den anderen Städten müssen sofort zu mir zurückkehren. Phurthul wird geräumt!« »Er ist verrückt«, sagten jetzt auch die Phurthuler. »Jedes Kind weiß, daß wir ohne den Kontakt zu unserem Planeten nicht existieren können. Wir werden dennoch seinem Befehl folgen, denn wir sind ihm Dank schuldig.« »Wartet ab«, rief ich. »Er weiß nicht, was er sagt. Vielleicht kommt er wieder zur Besinnung!« Das Abwarten wurde zu einer Geduldsprüfung. Die Phurthuler und die Gesandten hielten sich an die Anweisungen, und Uup-Okor glich einem Hexenkessel. Die Stadt rüstete sich zum letzten
Aufbruch, und mir lief ein Eisschauer nach dem anderen über den Rücken, wenn ich an die Konsequenzen dachte. »Du hast etwas ausgelöst, Atlan«, sagte Chipol. »Und wir können nicht einmal helfen. Laß uns Mrothyr suchen. Er wird bald merken, daß der Aufwand nicht seiner Person gilt!« »Es liegt nicht an dem, was ich über Alkordoom sagte«, gab ich zur Antwort. »Guray hat sich meinem Bericht gegenüber völlig kühl verhalten. Nein, es muß etwas eingetreten sein, als ich mit meinem Bericht fertig war. Etwas, das wir noch nicht wissen!« * Guray verstummte plötzlich. Die Gesandten gerieten noch mehr in Erregung, und es trat ein, was wir schon früher beobachtet hatten. Mehrere von ihnen hielten die Panik nicht mehr aus. Sie zerfielen in Staub. Sechs Stunden dauerte die Tragödie, dann hatte sich das seltsame Wesen mit der kindlichen Stimme endlich gefaßt. Die Anweisungen wurden klarer und deutlicher. »Dies ist eine endgültige Anweisung«, hörten wir Guray sagen. »Die Phurthuler bleiben auf ihrer Welt. Alle Gesandten in Manam-Turu haben sich jedoch sofort zurückzuziehen und keinerlei Aktivitäten mehr zu verfolgen. Volk von Phurthul, ihr habt mir lange Zeit gut gedient. Zweitausend Jahre sind eine lange Zeit. Ihr werdet als Lohn die Anlagen und die Städte behalten dürfen. Jedoch wird es bald keinen Kontakt mehr zwischen mir und euch geben. Alle Kontaktmöglichkeiten zwischen mir und Phurthul werden demnächst unterbrochen!« Wir setzten unseren Weg durch die Stadt fort. Die Phurthuler beachteten uns nicht. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun. Sie zogen wieder in ihre Gebäude ein, und die Völkerwanderungsstimmung ebbte ab. Kurze Zeit später flammte sie wieder auf, aber diesmal waren es nicht die Phurthuler, sondern die Gesandten. Mit Schiffen und über uns nicht bekannte Transmitterwege trafen sie auf Phurthul ein, und innerhalb von weniger als einer Stunde, drängten sie sich in jenem Bereich der Stadt, wo sich die Schleuse zu den Anlagen befand, die kein Phurthuler betreten durfte. »Nach Hause!« hieß die Parole. »Zurück zu Guray!« Wir begegneten Soph. Er hatte sich ein wenig gefaßt, und er stammelte ein paar Abschiedsworte. Das sieht alles nach einer totalen Abkapselung aus. Guray will sich verkriechen. Ich dachte an meinen Plan, Guray zum Verbündeten zu machen. Mir waren Zweifel gekommen, ob ein solches Wesen einen brauchbaren Verbündeten abgab. Dennoch machte ich noch einen Versuch. »Guray«, rief ich. »Sage mir, wo du dich aufhältst. Wir helfen dir!« Wir erhielten keine Antwort, und wir verließen die Stadt und suchten eine geeignete Stelle, von der aus wir nach oben bis in jenen Bereich gelangen konnten, wo sich der Ausgang in die Oberwelt befand. Wir fanden keinen und suchten deshalb jenen Antigrav auf, durch den wir Uup-Okor betreten hatten. Im Schatten des Eingangs lauerte eine Gestalt, die sich auf mich warf und mich zu Boden riß. Es war Mrothyr. Er keuchte und ließ mich erst los, als Chipol ihn mit den Fäusten bearbeitete. Der Zyrpher entschuldigte sich und berichtete, wie er von einem Gesandten genarrt worden war. Diesmal hatte er beschlossen, gleich zum Angriff überzugehen. »Psionische Impulse?« Damit konnte nur mein Zellaktivator gemeint sein. Ich verstand, was sich abgespielt hatte. Es mußte an der Individualschwingung des Aktivators liegen. Ein Teil der Impulse war psionischer Natur, und er verhinderte offenbar, daß Gurays Gesandte meine Gestalt annehmen konnten. Wir trafen auf einen bewußtlosen Phurthuler und pflegten ihn, bis er erwachte. Von ihm erfuhren wir endlich die Geschichte des Volkes von Phurthul und die Rettung, die Gurays Gesandte ihm
gebracht hatten. Meine Achtung vor dem Schutzpatron der Piraten wuchs ein wenig, und ich bedauerte es um so mehr, daß kein Kontakt mehr mit ihm zustande kam. Immer größere Mengen an Gesandten trafen ein, und ich setzte voraus, daß es in den anderen Städten unter der Oberfläche nicht besser aussah. Die Gesandten kehrten heim. Auch wir dachten an den Aufbruch, und wir verließen Uup-Okor so, wie wir die Stadt betreten hatten. Niemand hielt uns auf, niemand nahm von unserem Abschied Notiz. Wir kehrten auf dem schnellsten Weg in die STERNSCHNUPPE zurück und berieten uns dort. »Wir sollten den Gesandten durch den Transmitter folgen«, schlug Mrothyr vor. »Ich erkläre mich gern bereit, das zu tun!« »Es wäre natürlich die einfachste Art, zu Guray zu gelangen. Aber ich bezweifle, daß Guray es zuläßt. Wir müssen nach einer anderen Möglichkeit suchen«, erwiderte ich. »Wahrscheinlich ist es ohnehin zu spät.« »Es ist nie zu spät, Atlan«, kam die helle Stimme aus den Lautsprechern des Schiffes. »Ich habe deine Worte gehört und glaube, deine Gedanken zu kennen. Guray ist nicht dumm und nicht so schwach, wie du in den vergangenen Stunden vielleicht gedacht hast. Guray nimmt alle seine Gesandten wieder in sich auf und ist damit stärker als zuvor. Du erkennst es richtig, Atlan. Es ist wie bei Fumsel und Soph. Die Gesandten sind alle Lebewesen, die meinem eigenen Körper entstammen und die Form anderer Wesen annehmen, auf deren Planeten sie sich aufhalten. Dies ist jetzt alles nicht mehr möglich. Guray zieht sich zurück. Ich werde alle meine Verbindungen mit der Außenwelt kappen. Ich habe keine Zeit mehr!« Die Stimme drohte wieder in Panik abzugleiten. »Warte!« rief ich. »Wie kann ich zu einem späteren Zeitpunkt wieder Kontakt mit dir aufnehmen, Guray?« »Dies wird nicht mehr möglich sein, loh kapsle mich ab. Ich bin nun selbst ein Gejagter, und mir bleibt nichts als die Flucht. Die Angst hat mich übermannt, und ich muß den Kontakt jetzt beenden, bevor ich den Verstand verliere. Ich bin ein kleines, hilfsbedürftiges Wesen ohne Schutz, Atlan. Niemand ist nun noch in der Lage, mir zu helfen. Ich bin der kleine Guray, der um seinen letzten Pulsschlag kämpft!« »Wir helfen dir. Wir retten dich«, brüllte Mrothyr. »Sag uns, wo wir dich finden!« »Auf dem… Nein, ich kann es euch nicht sagen. Ich darf es nicht. Es ist zu spät. Der Feind, vor dem ich mich seit meiner Entstehung immer gefürchtet habe, ist aufgetaucht. Er wird mich finden, ich kann es nicht verhindern. Lebt wohl. Alle meine Pläne sind hinfällig. Verlaßt nun Phurthul und kehrt nie mehr zurück. Vergeßt den Planeten, denn er wird in Zukunft keine Bedeutung mehr besitzen. Er darf es nicht!« Damit war der Kontakt mit Guray zu Ende, und wir sahen uns an. Keiner von uns war durch den Kontakt mit diesem unbegreiflichen Wesen nicht aufgewühlt worden. Keinem ging es nicht an die Nieren, daß dieses Wesen damit rechnete, bald seine Existenz zu verlieren. Die letzte Flucht, wohin mochte sie Guray führen? Während wir uns aus unserem Raumanzügen schälten, startete die STERNSCHNUPPE und stieg in den Himmel unter der erloschenen Sonne hinauf. Der kalte Stern blieb rasch hinter uns zurück, und ich dachte, daß er von Anfang an ein schlechtes Omen für diesen Planeten gewesen war. Ich machte mir Gedanken über die Phurthuler und ihre Chancen, ohne Gurays und der Gesandten Hilfe weiter existieren zu können. Vielleicht schafften sie es. Vielleicht auch nicht. Unsere Suche war nur teilweise vom Erfolg gekrönt. Wir hatten endlich erfahren, daß Guray tatsächlich existierte. Wir wußten jetzt, was es mit seinen Gesandten auf sich hatte. Wir hatten nicht erfahren, welche Bedeutung Guray in Manam-Turu besaß. Seine Pläne ließen sich nun nicht mehr verwirklichen, und damit war auch unser Plan hinfällig geworden, den Schutzpatron als
Verbündeten zu gewinnen. »Alles Mist«, kommentierte Mrothyr. Chipol schwieg. Erst als wir die H-Plus-Wolke Zamyr hinter uns gelassen hatten, rührte er sich. »Chossoph tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte mich ihm gegenüber nicht so abweisend verhalten sollen!« »Es ist zu spät, sich dafür zu entschuldigen«, sagte ich hart. »Nächstens überlegst du dir vorher, was du tust!« Er steckte die Lektion ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Er wußte, daß ich recht hatte und er manchmal viel zu unbeherrscht reagierte. Er schwenkte seinen Sessel herum und sah mich aus seinen schmalen Augen an. »Und dennoch«, sagte er. »Mrothyr hat Hoffnung, was Zyrph betrifft. Ich hoffe noch immer, eines Tages meine Familie zu finden. Und du hoffst auch etwas!« Ich nickte schwer. Zwei Dinge waren es, die mir am Herzen lagen. Es war illusorisch, daran zu denken, aber ich gehörte nicht zu den Menschen, die bei einer Enttäuschung gleich jede Hoffnung fahren ließen. »Du hoffst auf Anima«, hauchte Chipol. »Und darauf, daß du Guray vielleicht doch noch begegnest!« Ich lächelte fast unmerklich und blickte den jungen Daila dankbar an. Siehst du! meldete sich der Logiksektor. Auf solche Freunde kannst du stolz sein! Der Logiksektor sprach mir aus dem Herzen. ENDE
Während Atlan seinen »Kontakt« mit Guray hat und dabei einige wertvolle Informationen erhält, wechseln wir im nächsten Roman den Schauplatz und blenden um zu »Schwiegermutter«, dem seltsamen Roboter, der vom Pre-Lo nahe Kraupper auf einem öden Gesteinsbrocken im All ausgesetzt worden war. Was mit diesem Roboter nun geschieht, das berichtet Falk-Ingo Klee im Atlan-Band 731 unter dem Titel: POSITRONISCHE ERINNERUNGEN. p
ATLANS EXTRASINN Das Rätsel Guray Da steckt irgendwo in Manam-Turu ein Wesen, das Guray genannt wird. Es hat einen Beinamen, der ihm alle Ehre macht. Selbst seine engsten Vertrauten sprechen von ihm als von dem Sensiblen. Dieser Name ist bezeichnender als Guray. Guray ist wenig mehr als ein Wort. Aber Guray ist auch ein Rätsel. Denn ein Mächtiger (als solchen muß man Guray zweifelsfrei betrachten, denn er unterhält aktive Kontakte in alle bislang bekannten Sektoren von Manam-Turu), dessen intensivste Vorliebe einem absurd erscheinenden Sammelwahn gilt, wirkt merkwürdig. Dem geschulten Psychologen drängt sich spontan der Verdacht auf, daß Guray hinter diesem Sammelwahn etwas ganz Entscheidendes seines Charakters verbirgt. Dem flachdenkenden Psychologen stellt sich eine genauere Frage: Warum jagt Guray wertlosem – oder ziemlich wertlosem - Tand hinterher, Kunstschätzen der Vergangenheit, Abdrücken von untergegangenen Kulturen, Relikten längst vergessener Kunst- oder Kleinodschöpfer? Er unterhält ein wahres Heer von Sammlern, die wegen ihrer doppelten Aufgabe den Namen »Gesandte« tragen. Denn diese seinem Leib, seinem ganz und gar unbekannten Körper, entstammenden Gesandten sammeln nicht nur vermeintliche Kunstschätze. Sie versorgen ihren Herrn Guray auch mit Informationen über das Geschehen in Manam-Turu. Zwei logische Schlüsse liegen auf der Hand, nein, drei! Guray hat einen Sammelwahn, der noch zu ergründen ist. Da er sich aber an Dinge hält, die nach den Maßstäben von Manam-Turu alt sind, muß er eine tiefe und innere Beziehung zu einer fernen Vergangenheit haben. Die logische Folgerung lautet: Guray ist selbst alt! Er versucht seine Vergangenheit zu erwecken, indem er sich mit Objekten dieser vergangenen und vergessenen Zeit umgibt. Die zweite Folgerung ergibt sich aus dem Doppelauftrag seiner Gesandten: Guray ist auch (noch) am aktuellen Geschehen in Manam-Turu hochgradig interessiert. Er erwartet etwas oder jemand. Nicht Atlan, denn es gibt keine Anzeichen einer Kontaktbereitschaft im wirklichen Sinn zwischen Guray und Atlan, obwohl dieser sich das deutlich hat anmerken lassen. Warum besteht dieses Interesse? Die Antwort leitet auf die entscheidende und dritte Feststellung über. Diese beruht auf der klaren Erkenntnis, daß Guray sich verbirgt. Verbirgt! Dem logischen Gehirn gehen dabei mehrere Gedanken schlagartig auf. Wer sich verbirgt, hat Angst! Guray empfindet eine tiefe Furcht. Und nun muß man Verhaltensweisen miteinander verknüpfen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Warum hat ein uraltes Wesen Angst in der Gegenwart? Es muß doch alles kennen, was seit seinem Damals geschehen ist. Oder nicht? Es gibt ein zweites Wesen, das offensichtlich uralt ist und das Manam-Turu kennen muß. Der Erleuchtete. Das Juwel von Alkordoom, das dort etwas begonnen hat, was es nun vollenden will.
Wo? In Manam-Turu! Fast könnte ein logisches Gehirn dazu geneigt sein zu sagen, daß es eigentlich eine Verbindung zwischen dem Erleuchteten und Guray geben müßte. Einen überzeugenden Beweis gibt es aber nicht! Der Erleuchtete sammelt Psi-Potentiale. Für EVOLO, wie Eingeweihte längst wissen. Guray sammelt Kunstschätze der Vergangenheit, in der der Erleuchtete bestimmt existierte (wie wir von Anima und ihrem umgekommenen Ritter Hartmann vom Silberstern wissen). Und der Erleuchtete ist uralt! Er hat seine Zeit in Alkordoom nach den dortigen langen Jahren bis zur Zahl 5000 gezählt, bevor er aus Furcht vor Anima nach Manam-Turu entfloh. Die Hyperlogik sagt, daß es auch einen Zusammenhang zwischen dem Erleuchteten und Guray einerseits, sowie zwischen diesem und Anima geben muß. Das Bindeglied der Vergangenheit ist bekannt: Hartmann vom Silberstern. Und bei dem war die Orbiterin Anima! Hartmann und Guray? Der Erleuchtete und Anima? Es fehlen logische Puzzlesteine in diesem Gedankenbild. Es fehlt das Aussehen des Erleuchteten und das Aussehen Gurays. Bekannt ist nun nur die Furcht des Letzteren vor einem ominösen Feind. Bekannt sind auch die Gestalten seiner Helfer, allen voran Soph oder Chossoph, dessen unerklärliches Verhalten im Tal der Götter nun eine Antwort gefunden hat. Und es ist bestimmt nicht die letzte Begegnung mit diesem sympathisch-unsympathischen Wesen. Das gilt trotz der neuen Erkenntnisse. Guray hat eine kleine Völkerwanderung ausgelöst. Er hat praktisch alle seine Gesandten abberufen und zu sich beordert. Zweifellos ist auch das nur ein Ausdruck seiner tiefen Furcht. Er hat abschließend mitgeteilt, daß der Feind, den er so fürchtet, aufgetaucht sei. Er hat keinen Namen genannt, aber es ist ganz offensichtlich, daß mit diesem Feind der Erleuchtete gemeint ist. Diese Erkenntnis läßt einige Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit unter einem anderen Licht erscheinen. Guray ist – wie Atlan – ein Gegner des Erleuchteten. Er böte sich damit als potentieller Verbündeter für den Arkoniden an. Den Schritt zu einer Zusammenarbeit verweigert er jedoch. Und nun steht auch eindeutig fest, daß Guray den Erleuchteten aus früheren Zeiten kennt. Atlan steht damit wieder zwischen zwei Fronten, von denen er nicht einmal weiß, wer sich hinter diesen verbirgt.