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Nr. 211 Kodezeichen Zukunftsgeister von H. G. Francis scanned by c3po In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht, steht es mit dem Großen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Imperator Orbanaschol III. – nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und das Gemeinwohl völlig außer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von verschworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Gegenwärtig ist Atlan jedoch nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen den Usurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen, denn durch die Einwirkung einer Geheimwaffe der Maahks gelangte er erneut in den Mikrokosmos. Für Atlan ist jedoch Lebo Axton alias Sinclair Marout Kennon in die Bresche gesprungen. Der Kosmokriminologe der USO, der durch die Illusionsmaschine in das alte Arkon versetzt wurde, operiert geschickt inmitten des Dunstkreises von Verrat, Korruption und Intrige, der den Hof Orbanaschols umgibt. Scheinbar handelt Axton-Kennon im Auftrag der imperialen Geheimpolizei, doch in Wirklichkeit arbeitet er für den Kristallprinzen und die Stunde X. Er tut dies unter dem KODEZEICHEN ZUKUNFTSGEISTER…
Die Hauptpersonen des Romans: S. M. Kennon alias Lebo Axton – Ein USO-Agent auf Arkon. Kelly – Kennons seltsamer Roboter. Ritikka Awyrett – Ein Günstling Orbanaschols III. Oraw Perthan – Ein Mann wird um seinen Besitz gebracht. Avrael Arrkonta – Kennons Helfer auf Arkon. Reifta – Ein Mann, der Kennon durchschaut.
1. „Sie sind an der Reihe“, sagte Lebo Axton. „Ich weiß. Sie brauchen es mir nicht zu sagen“, entgegnete Habelt Mankha nervös. Axton blickte mit der Ruhe eines Mannes, der nichts zu verlieren hat, auf ihn herab. Er stand auf den Haltebügeln, die er auf dem Rücken seines Roboters Kelly befestigt hatte, und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Kopf der Maschine. Die beiden Männer waren in einem kuppelartigen Raum. Sie saßen sich an einem Tisch gegenüber. Vor ihnen befanden sich jeweils drei Reihen von beleuchteten Berührungstasten. Über ihnen an der Decke schimmerten wabenförmige Felder, die insgesamt sechs große Kreise bildeten. – Der äußerste Kreis bestand aus zwanzig Waben, der innerste aus vier. Habelt Mankha betätigte eine Taste und blickte zugleich nach oben. Eine Wabe wechselte von ruhigem Grün zu einem flammenden Rot über. Der Archivar fluchte unbeherrscht. „Sie haben ein unverschämtes Glück, Axton“, sagte er. „Das ist manchmal so“, antwortete der Verwachsene. Rasch berührte er eine der Tasten. Eine Wabe über ihm wurde weiß. „Sie haben schon wieder gewonnen.“ Habelt Mankha schob einen ansehnlichen Geldbetrag zu Axton hinüber. Dieser
legte ihn gelassen zu einem Stapel, den er auf einem Nebentisch errichtet hatte. Dann wartete er darauf, daß der Arkonide das nächste Spiel beginnen würde. Der äußere Kreis zeigte nur noch rote und weiße Farben an. In der nächsten Phase des Spieles standen nur noch 16 Felder zur Auswahl. Das bedeutete acht Chancen, Geld zu verdienen, und achtmal das Risiko, Geld zu verlieren. Viel Geld. „Wer ist dran?“ fragte Mankha. „Sie.“ Der Arkonide wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht. Er war korpulent und schien keine Sekunde still auf dem Fleck sitzen zu können. Das graue Haar fiel ihm unordentlich bis auf die Schultern herab. Habelt Mankha war ein Mann, der seiner Spielleidenschaft wegen bekannt war. Diese gedachte Lebo Axton für sich zu nutzen. Es war ihm nicht schwergefallen, den Archivar zu einem Spiel zu verleiten. In voller Absicht hatte er ihn bei dem vorangegangenen Stuwo gewinnen lassen, aber nur, um ihn in der daraus resultierenden übermütigen Stimmung zum verbotenen Ennmit verführen zu können. Das Spiel war einfach. Es gab immer nur zwei Möglichkeiten, aber das Risiko stieg von Runde zu Runde. Ebenso der Einsatz, so daß dabei Vermögen von unvorstellbarem Wert verspielt werden konnten. Habelt Mankha drückte seine Taste. Er verlor. Axton gewann. So blieb es in der gesamten Runde. Es war reiner Zufall, und dennoch spielten die Nerven eine wichtige Rolle dabei. Der Arkonide wurde von Zug zu Zug nervöser und unsicherer, während Kennon kalt und fast unbeteiligt blieb. Aber das täuschte. Der Terraner verfolgte einen Plan, und er trieb ihn mit eiserner Disziplin voran. In der dritten Runde erzielte der Arkonide einige Gewinne. Er schöpfte neue Hoffnung, als dann aber die vorletzte Phase kam, mußte er seinem Kontrahenten das letzte Bargeld hinüberschieben, über das er noch verfügte. Jetzt blieben nur noch vier Möglichkeiten. Die beiden Männer sahen sich an. Habelt Mankha war bleich geworden. Er zeigte Axton seine Handflächen. „Sie haben mich erledigt“, sagte er mit heiserer Stimme.
„Das Spiel ist noch nicht zu Ende.“ „Was wollen Sie denn noch?“ „Ich möchte, daß die Regeln eingehalten werden.“ Der Arkonide fuhr zurück. Seine Lippen zitterten, und seine Augen füllten sich mit Tränen. „Wir haben ausgemacht, daß wir um Geld spielen, Lebo Axton.“ „So ist es. Aber es gehört zu den Regeln, daß ein Einsatz gemacht werden muß. Wenn kein Geld mehr vor Ihnen liegt, dann müssen Sie mir etwas anderes anbieten.“ „Mein Vermögen?“ „Ich bin nicht interessiert.“ „Was wollen Sie von mir, Lebo Axton?“ „Nichts, überhaupt nichts. Mich interessiert nur der Nervenkitzel, verstehen Sie? Deshalb spiele ich. Tun Sie es nicht aus einem ähnlichen Motiv heraus?“ „Sie haben recht, Axton. Was verlangen Sie?“ „Was schlagen Sie vor?“ „Ich… kann nicht.“ „Mich interessiert nur der höchste Einsatz, Mankha, und ich lasse nicht zu, daß wir dieses Spiel beenden, bevor die letzte Runde abgeschlossen ist.“ „Sie wollen… mein Leben?“ „Sie wissen, daß es üblich ist. Wer sich auf Ennmit einläßt, sollte seine Einsätze so einteilen, daß er auch die letzten Vier übersteht, oder er sollte von vornherein wissen, daß es zum Schluß nur noch einen Einsatz gibt.“ Habelt Mankha musterte ihn mit verengten Augen. Sein Atem ging schnell und laut. Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn in die Augen. Sie vermischten sich mit Tränen, und er trocknete sie mit einem Tuch ab. „Was setzen Sie dagegen?“ Axton wartete absichtlich. Er beobachtete den Arkoniden, der es offensichtlich bereute, sich auf dieses gefährliche Spiel eingelassen zu haben. „In der ersten Runde biete ich alles, was ich heute gewonnen habe. In der zweiten Runde… Leben gegen Leben.“ „Sie sind wahnsinnig.“ „Wenn Sie es so sehen, können wir ja Schluß machen.“
Mankha packte Axtons Arm, um ihn daran zu hindern, sich vom Tisch zu entfernen. Robot Kelly schob ihn jedoch mit sanfter Gewalt zurück. „Gehen Sie nicht, bitte“, sagte der Arkonide stammelnd. „Ich… bin einverstanden.“ Er setzte sich wieder. „Wie lange muß ich hier noch knien?“ fragte Robot Kelly. „Allmählich tun mir die Knie weh.“ „Sei still“, befahl Axton. „Muß das Monstrum jetzt reden?“ schrie Mankha. „Und noch dazu einen solchen Unsinn? Hat man je gehört, daß einem Roboter die Gelenke weh tun, weil er auf dem Boden hocken muß?“ Der Verwachsene grinste. Mankha beruhigte sich wieder. Er streckte seine Hand zögernd nach den letzten vier Tasten aus und berührte dann eine davon. Die Wabe über ihm verfärbte sich. Sie wurde weiß. Der Arkonide atmete hörbar auf. „Und jetzt Sie“, rief er siegessicher. Der Terraner machte seinen Zug, ohne hinzusehen. Mankha stöhnte entsetzt auf. Die Wabe wurde weiß. Das bedeutete, daß keiner von ihnen gewonnen oder verloren hatte. Das Spiel ging weiter. Die erste Runde war vergessen. In der nächsten aber mußte eine Entscheidung fallen. In ihr konnte es nur einen Sieger und einen Verlierer geben. Habelt Mankha stützte seine Ellenbogen auf die Tischkante und vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich habe Verständnis dafür, daß Sie um Ihr Leben zittern“, sagte Axton. „Dennoch sollten Sie mich nicht länger warten lassen als notwendig.“ „Sie haben überhaupt keine Angst“, stellte der Arkonide verwundert fest. Die Ruhe seines Gegenspielers zermürbte ihn. Der Terraner fürchtete sich in der Tat nicht. Er wußte selbst nicht, woran’ das lag. Das Risiko war für ihn nicht geringer als für den Archivar. Und doch war für ihn alles anders. Sinclair Marout Kennon war als Projektion von Ischtars Traummaschine in diese Zeit des alten arkonidischen Imperiums gekommen. Konnte eine materiell gewordene Projektion überhaupt sterben? Er konnte diese Frage nicht beant-
worten. „Habelt Mankha“, sagte Axton verächtlich. „Wollen Sie das Spiel abbrechen?“ „Nein.“ Der Arkonide richtete sich auf. Sein Gesicht verzerrte sich. Er streckte die Hand nach den letzten beiden Tasten aus, bewegte sie einige Male darüber hin und her, bis er sich endlich entschied. Kaum hatte er die gewählte Taste berührt, als es über ihm rot aufleuchtete. Er sank in sich zusammen. Er hatte verloren. Er hatte sein Leben verspielt. Nach dem Ehrenkodex der Arkoniden dieser Zeit hatte er nun drei Zeugen zu rufen, die dabei sein mußten, wenn er sich tötete. Das war notwendig, damit Axton nicht in den Verdacht geriet, einen Mord begangen zu haben. Zur Kontrolle betätigte Axton die andere Taste. Seine Wabe wurde weiß. Er hatte gewonnen. Mehrere Minuten lang blieb Habelt Mankha mit gesenktem Haupt in seinem Sessel sitzen. Als er den Kopf endlich hob, sah er aus wie ein Mann, der mit dem Leben abgeschlossen hat. „Werden Sie mir erlauben, noch einmal mit meiner Frau und den Kindern zu sprechen?“ fragte er zögernd. „Es entspricht nicht der Tradition.“ „Sie bestehen darauf, daß ich mich sofort töte? Was haben Sie davon, Lebo Axton? Warum?“ „Ich verstehe Sie nicht, Mankha. Sie waren es doch, der dieses Spiel vorgeschlagen hat. Ich habe Ihnen auseinandergesetzt, daß Sie Ihr Leben riskieren, wenn Sie mit Ihrem Geld nicht richtig taktieren. Sie hatten genügend Möglichkeiten, dieses Ende zu vermeiden. Ihre Spielleidenschaft hat Sie vernichtet. Nicht ich. Wollen Sie mich jetzt um den Gewinn betrügen?“ Der Arkonide wurde noch um eine Nuance bleicher. „Natürlich nicht“, erwiderte er flüsternd. „Ich weiß jedoch nicht, ob ich es überhaupt schaffe.“ Der Terraner ließ wiederum mehrere Minuten verstreichen. Als der feiste Archivar auch dann noch schwieg, sagte er:
„Vielleicht können wir uns arrangieren.“ „Wie meinen Sie das?“ fragte der Arkonide, der Axton voller Hoffnung anblickte. „Ich habe ein kleines Problem. Vielleicht können Sie mir helfen, es zu lösen. Wenn Sie es tun, werde ich die letzte Runde vergessen.“ Mankha beugte sich vor. Seine Lippen bebten. „Ich tue alles, was Sie verlangen.“ Der Verwachsene lächelte begütigend. „Ich habe nicht vor, Sie in Schwierigkeiten zu bringen. Es geht auch nicht um irgend etwas Ungesetzliches.“ „Was ist es?“ „Ich möchte nur einmal einen Blick in meine Akte werfen.“ Habelt Mankha war so überrascht, daß er keine Worte fand. „Das ist zwar verboten“, entgegnete er schließlich erleichtert, „aber in meinen Augen nicht einmal ein Vergehen. Ich werde Ihnen mit Vergnügen Zugang zum Archiv verschaffen. Kommen Sie morgen zu mir. In der Mittagszeit werde ich allein sein. Dann werde ich Sie eine Stunde lang ungestört überprüfen lassen, was Sie wollen. Sie dürfen nur nichts verändern.“ „Das ist selbstverständlich.“ „Das ist wirklich alles, was Sie verlangen?“ „Das ist alles. Niemand sonst darf es erfahren. Sie werden schweigen.“ „Ich muß schweigen“, rief Habelt Mankha. „Glauben Sie, ich will mich selbst in Schwierigkeiten bringen?“ Er stand auf und streckte Lebo Axton die Hand entgegen. „Nie werde ich Ihnen vergessen, wie großmütig Sie zu mir waren.“ * Lebo Axton merkte sofort, daß sich etwas geändert hatte, als er am nächsten Tag das Archiv des Hofes von Arkon betrat. Habelt Mankha blickte ihn mit flackernden Augen an. Seine Haltung und seine Ausdrucksweise ließen erkennen, daß er sich fürchtete.
Axton begriff. Der Archivar hatte seine Akte gelesen und dabei etwas entdeckt, was er vorher nicht gewußt hatte. „Die Zeit ist günstig“, erklärte Mankha unterwürfig. „Kommen Sie, Axton.“ Er eilte seinem Besucher eilfertig voraus. Axton veranlaßte seinen Roboter, nicht gar zu schnell zu gehen. Er war unruhig, weil er sich noch nicht klar darüber war, ob Mankha ein doppeltes Spiel trieb oder nicht. Unwillkürlich atmete er auf, als sich die Tür hinter ihm schloß, und sie das eigentliche Archiv betraten. Es war ein langgestreckter Raum, der an der einen Seite Karteieinschübe und auf der anderen eine Computerbank enthielt. Sie waren allein. Mit einem raschen Blick überzeugte Axton sich davon, daß es keine Observationsanlagen gab. Habelt Mankha blieb an der Kartei stehen. „Hier ist Ihre Karte“, erklärte er. „Sie gibt Ihnen erste Informationen.“ „Danke“, erwiderte der Verwachsene. Mankha merkte, daß er allein bleiben wollte, legte die Karte ab und zog sich zurück, nachdem er sich zweimal devot verbeugt hatte. Nun wußte Axton endgültig, daß er von ihm keine Falschheiten zu erwarten hatte. Der Archivar verdankte ihm das Leben. Nun hatte er herausgefunden, daß er sich auf ein Spiel mit einem Mann vom arkonidischen Geheimdienst eingelassen hatte, und diese Tatsache hatte ihm offenbar den letzten Rest seines Selbstbewußtseins geraubt. „Gib mir die Karte, Kelly.“ Der Roboter nahm die Karte auf und reichte sie dem Terraner. „Axton, Lebo“, las dieser laut. „Wegen erfolgreicher kriminalistischer Arbeit in die Abwehr aufgenommen.“ Dann folgte eine Kodenummer. Kennon lenkte den Roboter zum Computer hinüber und tippte die Daten ein. Er mußte wissen, was seine vorgesetzten Stellen von ihm hielten, und ob es ihm gelungen war, das Mißtrauen zu durchbrechen. Er konnte niemandem seine tatsächliche Herkunft erklären. Zum einen hätte man
ihm nicht geglaubt, und zum anderen hätte er damit offenbaren müssen, daß er ein Feind Orbanaschols war. Der Computer warf eine beschriftete Folie aus, über der Erste Auskunft stand. Damit hatte Axton gerechnet. Sollte nun irgend jemand Informationen über ihn anfordern, dann würde er erfahren, daß das bereits ein anderer vor ihm getan hatte. Das durfte selbstverständlich nicht geschehen. Für einen Spezialisten wie Sinclair Marout Kennon, der lange Zeit als gefährlichster Mann der USO gegolten hatte, war das jedoch kein Problem. Er öffnete den Computer und führte einige Sonderschaltungen durch, wobei er die speziellen Einrichtungen seines Roboters nutzte. Danach rastete das Zählwerk wieder auf Null ein, und die Spur war gelöscht. Axton warf nur einen flüchtigen Blick auf seine Akte. Er erkannte, daß man von seinen kriminalistischen Arbeiten recht angetan war. Jeder einzelne Fall, den er gelöst hatte, war angeführt worden. In einer abschließenden Notiz wurde aber auch ausgesagt, daß die Untersuchung über ihn noch nicht völlig abgeschlossen war. Ein Rest von Mißtrauen blieb. Gelegentliche Prüfungen waren vorgesehen. Sie sollten nach einiger Zeit erfolgen. Axton lächelte nur. Er würde irgendwann in naher Zukunft noch einmal hier im Archiv erscheinen und dann die letzten Sätze verschwinden lassen. Aber das hatte Zeit. Noch wußte er nicht, wie alt diese Eintragungen war. Wenn er bereits jetzt Korrekturen einfügte, dann ging er ein zu hohes Risiko ein. Er schob seine Karteikarte wieder ein und blickte sich suchend um. Noch dachte er nicht daran, das Archiv wieder zu verlassen. Er war erst wenige Minuten hier und hatte fast eine volle Stunde Zeit. Diese wollte er nicht ungenutzt verstreichen lassen. „Kelly“, sagte er. „Du wirst deine Augen jetzt besonders gut aufsperren.“ „Ich bin nicht in der Lage, meine Linsen zu vergrößern. Das solltest du eigentlich wissen, Schätzchen“, antwortete die Maschine verweisend.
„Davon war nicht die Rede, du Ausgeburt der Häßlichkeit. Ich verlange Aufmerksamkeit von dir. Mehr nicht.“ „Du sagtest aber, daß ich…“ „Sei nicht unverschämt. Ich benutzte eine Redewendung, die jedes einigermaßen intelligente Geschöpf begreifen würde. Du schaffst so etwas natürlich nicht. Also, du Wrack, ich will, daß du auf alles achtest, was mit Positronik und dem auf Arkon III entstehenden Riesenroboter zu tun hat. Verstanden?“ „Verstanden.“ „Dann los.“ Lebo Axton lenkte den Roboter an den Anfang der Kartei, bog die Karten zu sich heran und ließ sie über die Fingerkuppen gleiten. Dabei blätterte sich die Kartei so schnell durch, daß das menschliche Auge keine Einzelheiten mehr erfassen konnte. Namen und Bezeichnungen rasten in einem Tempo vorbei, in dem Axton alles verwischt erschien. Robot Kelly aber erfaßte und beurteilte jede einzelne Notiz mit positronischer Genauigkeit. „Halt“, rief er plötzlich, nachdem Axton den Buchstaben A schon fast völlig durchgeblättert hatte. „Ritikka Awyrett.“ Der Verwachsene benötigte fast eine Minute, bis er die Karte wiedergefunden hatte. Dann las er: „Ritikka Awyrett, Positronikingenieur, Kontrolle Robot Arkon III.“ Axton tippte die angegebenen Kodeziffern in den Computer ein und hielt kurz darauf eine Folie in der Hand, die mit Neunzehnte Auskunft beschriftet war. Bei so zahlreichen Anfragen war nicht zu befürchten, daß eine weitere auffallen würde. Axton verzichtete daher auf eine Korrektur des Zählwerks. Er steckte die Folie ein, nachdem er einen kurzen Blick darauf geworfen hatte. Er wußte, daß er einen Volltreffer erzielt hatte. Dann kehrte er an die Kartei zurück. Wieder glitten die Karten durch seine Hände, und Robot Kelly beobachtete. Zwölfmal stoppte der Automat die Aktion, ohne Axton in ähnlicher Weise zufriedenzustellen. Dann aber hielt der Terraner die Karte eines Mannes namens Oraw Perthan in den
Händen. Und wiederum zog er die Informationsfolie aus dem Computer. Oraw Perthan war Eigentümer des Planeten Waahke und zugleich Produzent von Antigravaggregaten. „Oraw Perthan zeigt kein Entgegenkommen für die Kaufinteressen von O. III.“ Das war die entscheidende Notiz, die Robot Kelly auf der Karte aufgefallen war. Als Axton auf der Informationsfolie nachlesen wollte, was sie zu bedeuten hatte, trat Habelt Mankha ein. „Es wird Zeit“, rief er nervös. „Sie müssen abbrechen.“ „In Ordnung“, erwiderte Axton und stieg auf den Rücken seines Roboters. „Ich weiß alles, was ich wissen wollte. Mankha, ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.“ „Sie beschämen mich, Axton.“ Der Verwachsene hatte die Folie bereits unter seinem Hemd versteckt. Auf dem Rücken Kellys verließ er das Archiv, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß er alle Spuren seiner Tätigkeit verwischt hatte. Kelly brachte ihn zum Gleiter und flog ihn in seine Wohnung. Erst dort machte Axton sich an eine eingehende Prüfung seiner Beute. Er merkte schon bald, daß er zweimal Glück gehabt hatte. Ritikka Awyrett war ein Mann, der als Günstling des Imperators bezeichnet wurde. Mit besonderem Wohlwollen wurde vermerkt, daß er alles haßte, was mit dem Namen Gonozal zu tun hatte. Daraus konnte Axton schließen, daß er auch Atlan mit in seine Abneigung einbezog. Tatsächlich folgte am Ende der Beurteilungen eine Notiz, die darauf hinwies. Awyrett sollte an der Jagd auf Atlan beteiligt werden. Die ihm dabei zur Verfügung stehenden Mittel waren beträchtlich, denn er kontrollierte alle wesentlichen Bauteile für den auf Arkon III entstehenden Riesenroboter, aus dem irgendwann in einer fernen Zukunft einmal der größte Machtfaktor der Milchstraße entstehen sollte. Damit verbunden waren auch die Prüfungen aller für den Roboter vorgesehenen Programmierungen. Der Trend war klar erkennbar. Orbanaschol III. wollte seine Macht mit Hilfe des Riesenroboters festigen und sich so eine nahezu unangreifbare Position verschaffen. Noch konnte die Kriegsmaschine-
rie Arkons nicht durch einen Knopfdruck aktiviert werden. Noch benötigte der Diktator Männer und Frauen, die seine Befehle kritiklos ausführten. Auf sie war Orbanaschol III. angewiesen. Sie waren daher gleichzeitig die gefährlichsten Feinde Atlans, denn sie stellten sich ihm auf seinem Weg zur Macht als erste in den Weg. Ohne sie konnte Orbanaschol III. sich nicht auf dem Thron Arkons halten. Gelang es also, einige von ihnen aus den Reihen des Imperators zu entfernen, mußte sich dadurch automatisch die Position Atlans verbessern. Als Kennon die Akte durchgesehen hatte» reichte er sie Kelly. „Fällt dir etwas auf?“ fragte er. „Es wird an keiner Stelle gesagt, weshalb Awyrett Gonozal haßt.“ „Das ist es“, bestätigte Axton. „Das muß ich herausfinden.“ 2. „Sie haben den Verstand verloren, Lebo Axton. Anders ist wohl nicht zu erklären, was Sie da gesagt haben. Warum bringen Sie sich nicht gleich um?“ „Warum sollte ich?“ „Weil das einfacher wäre.“ Axton blickte Avrael Arrkonta nachdenklich an. Er spürte, daß der Industrielle wirklich meinte, was er gesagt hatte. Er hatte diesen Mann aufgesucht und ihm schonungslos eröffnet, was er plante. „Verstehen Sie doch, Axton“, fuhr Arrkonta nach einigen Minuten fort, in denen sie schweigend ihren Gedanken nachgehangen hatten. „Ich muß doch etwas von dieser Sache wissen. Ich produziere positronische Bauteile für den Riesenroboter. Glauben Sie nicht, ich hätte auch schon manches Mal daran gedacht, gewisse Programmierungen einzuschmuggeln, die Orbanaschol schaden und Atlan irgendwann einmal entscheidend helfen können? Oft genug habe ich davon geträumt, aber es gibt keine Möglichkeit. Die Kontrollen sind so scharf und werden zudem von abso-
lut zuverlässigen Männern durchgeführt, so daß absolut nichts hindurchkommen kann, was gegen den Imperator wäre. Schlagen Sie sich diese Idee aus dem Kopf, Axton.“ Sinclair Marout Kennon, der Mann, der sich durch die Jahrtausende in die galaktische Vergangenheit hatte schleudern lassen, richtete seine Blicke nach draußen. Er befand sich in der Luxuswohnung des Industriellen, der ihm durch seine exzentrische Lebensweise aufgefallen war. Als sie sich kennengelernt hatten, hatte Avrael Arrkonta ihn als Feind eingestuft und sogar versucht, ihn ermorden zu lassen. Erst danach waren die Masken gefallen und beide hatten sich als Feinde Orbanaschols III. und Freunde Atlans zu erkennen gegeben. Avrael Arrkonta wohnte im vornehmsten Gebiet auf Arkon I. Hier lagen die typischen Trichterbauten arkonidischer Architektur weit voneinander entfernt in einer parkähnlichen Landschaft, die als absolut einmalig in der Galaxis anzusehen war. Axton hatte den Industriellen aufgesucht, weil er positronische Bauteile für den Riesenroboter lieferte, und weil er das Kontrollsystem kennen mußte. „Ich glaube nicht daran, daß es keine Möglichkeit gibt“, sagte der Verwachsene. Er saß in einem Sessel, der auf unsichtbaren Antigravfeldern schwebte. Robot Kelly stand schweigend hinter ihm und zeichnete jedes Wort auf, das gewechselt wurde. Diese Maßnahme hatte der Terraner eingeleitet. Sie hatte sich bewährt. Schon mehrmals hatte er ein Gespräch nachverfolgt und dabei Dinge entdeckt, die ihm zuvor entgangen waren. „Axton“, entgegnete Arrkonta beschwörend. „Gehen Sie dieses Risiko nicht ein. Sie dürfen so ziemlich alles auf Arkon angreifen, nur nicht dieses Sicherheitssystem. Glauben Sie denn, Orbanaschol wüßte nicht, daß sich hier ein Hebel ansetzen läßt, mit dem man das Bollwerk der Macht zum Einsturz bringen kann?“ „Das ist mir klar, Avrael“, erwiderte Axton gelassen. „Orbanaschol wäre ein Narr, wenn er in dieser Hinsicht leichtfertig handeln würde.“
„Er ist kein Narr, sondern der gefährlichste Mann im Imperium. Er ist schlau, berechnend, eiskalt und unvorstellbar brutal. Er hat sich den Thron erkämpft und verteidigt ihn nun mit allen Mitteln für sich und seine Nachkommen. Er denkt nicht nur an heute, sondern plant für die nächsten Jahrtausende. Und das ist das Entscheidende. Er weiß, was auf dem Spiel steht. Wenn es nämlich nicht gelingt, ihn jetzt zu entmachten, dann wird es unmöglich sein, die ihm folgenden Imperatoren aus seiner Familie zu stürzen. Gerade deshalb reagiert er auf die geringsten Zeichen einer Gefahr mit unerbittlicher Härte. Deshalb habe ich Sie gewarnt, Axton.“ Ein feines Lächeln spielte um die Lippen Axtons. „Lerne ich Sie als Träumer kennen, Avrael?“ fragte er. „Als Träumer? Ich bitte Sie. Ich bin Realist.“ Axton schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. Wären Sie Realist, dann wären Sie nicht für Atlan und gegen Orbanaschol III. Haben Sie nicht eben gesagt, daß der Diktator zur Zeit noch Schwächen hat, die wir ausnützen können? Und haben Sie nicht gleichzeitig zu verstehen gegeben, daß es unmöglich ist, ihn da zu packen, wo er am empfindlichsten ist?“ „Ich verstehe nicht, Axton. Selbstverständlich muß man jetzt etwas gegen Orbanaschol tun, wenn es nicht zu spät sein soll. Deshalb braucht man jedoch nicht unbedingt am Riesenroboter anzusetzen.“ „Doch. Man muß. Man kann gar nicht anders, weil alle anderen Maßnahmen nämlich fruchtlos bleiben würden, sobald hinter Orbanaschol erst einmal ein Machtgebilde wie das des voll entwickelten Roboters steht.“ Avrael Arrkonta sprang auf. Er ging bis zu der Fensterfront und stützte sich mit den Händen gegen die Scheiben. Als er schließlich zum Tisch zurückkehrte, sah er niedergeschlagen aus. „Wenn es so ist, Axton, dann haben wir bereits verloren, denn es gibt nichts, womit das Kontrollsystem zu durchbrechen wäre.“ „Es muß etwas geben, denn es sind Menschen mit allen ihren Stärken und Schwächen, die das System bilden. Ritikka
Awyrett ist einer dieser Menschen.“ Arrkonta lachte erbittert auf. „Er ist gerade der Mann, der am zuverlässigsten von allen ist. Er würde sich eher umbringen lassen, als eine Unregelmäßigkeit zu ermöglichen. An ihm kommt keiner vorbei.“ „Weshalb haßt er alles, was mit Gonozal zu tun hat?“ „Das weiß ich nicht.“ „Man müßte es herausfinden.“ „Wozu? Was versprechen Sie sich davon?“ „Haß hat immer seine Ursache, und nicht selten liegt diese in einer menschlichen Schwäche begründet. Haß entsteht nicht aus dem Nichts.“ „Wie meinen Sie das, Axton?“ fragte der Arkonide. Er schenkte das Glas, das vor dem Verwachsenen stand, erneut voll. „Wenn jemand einen anderen abgrundtief haßt, dann fast immer deshalb, weil der andere ihn beleidigt hat. Ich habe es oft genug an mir selbst erlebt, als ich es noch nicht gelernt hatte, mit meinem verkrüppelten Körper zu leben. Wenn sich jemand über mich lustig machte, dann konnte ich mich derart in Haßgefühle hineinsteigern, daß ich kaum noch klar denken konnte. Das aber lag nur daran, daß ich wußte, daß dieser Mann im Grunde genommen recht hatte.“ „Jetzt begreife ich, was Sie sagen wollen, Axton. Sie glauben also, daß auch Ritikka Awyrett eine Schwäche haben muß, die von Gonozal VII. aufgedeckt worden ist?“ „Das vermute ich, und ich muß herausfinden, was vorgefallen ist.“ „Das ist so gut wie unmöglich.“ „So gut wie – das bedeutet, daß es nicht ganz unmöglich ist.“ Avrael Arrkonta seufzte resignierend. „Sie geben wohl nie auf, wie? Wenn Sie alles über Awyrett wissen wollen, dann müssen Sie sich Zugang zum Geheimarchiv des Imperators verschaffen. Es ist im Kristallpalast eingerichtet worden und wird ähnlich gut bewacht wie Orbanaschol selbst. Wenn Sie dem Imperator erklären können, was Sie im Archiv wollen, dann können Sie vielleicht
an Awyretts Akte kommen.“ Lebo Axton lächelte. Er hatte gewußt, daß es eine Chance geben mußte. Lange genug hatte er im Dienste der USO gestanden und Erfahrungen sammeln können. Er hatte kein wirklich perfektes Sicherheitssystem kennengelernt. Lücken gab es überall. Man mußte nur hartnäckig sein, dann konnte man sie aufspüren. Und hatte man sie gefunden, dann mußte sich auch eine Chance ergeben, das System zu durchdringen. „Wenn Sie mir nun noch sagen würden, wo dieses Archiv ist, wäre ich vollkommen zufrieden“, sagte Axton. „Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß. Mein Unternehmen hat einige der positronischen Sicherheitsanlagen geliefert. Daher kenne ich das Archiv recht gut. Wenn ich Ihnen alles geschildert habe, werden Sie den Gedanken aufgeben, dort einzubrechen.“ Die beiden Männer blickten sich an, und jeder erriet die Gedanken des anderen. Avrael Arrkonta begriff, daß er Axton nicht von seinem einmal gefaßten Beschluß abbringen konnte, und der Terraner erkannte, daß der Arkonide ihm bedingungslos helfen würde. „Also gut, Axton. Hören Sie zu…“ * Der Gleiter näherte sich dem Hügel der Weisen, dem Regierungszentrum von Arkon, das inmitten einer künstlich angelegten Berglandschaft errichtet war. Der Kristallpalast wurde von zahlreichen Scheinwerfern angestrahlt und so aus der Dunkelheit herausgehoben. Er war nicht das Ziel Kennons, sondern ein kleinerer Trichterbau, der etwa fünfhundert Meter vom Palast entfernt war. „Stop“, befahl der Terraner, als der Gleiter sich direkt über diesem Bau befand. Er öffnete die Fenster. Es war vollkommen windstill. Eine dichte Wolkendecke schirmte das Licht der Sterne ab. „Soll ich hier warten?“ fragte Kelly. „Du verschwindest. Erst wenn ich das Signal gebe, wirst du
mich herausholen. Ohne Gleiter. Verstanden?“ „Natürlich. Du hast ja laut genug gesprochen, Schätzchen.“ „Dann ist es gut. Und nun hilf mir.“ Der Roboter beugte sich zu dem Terraner hinüber und half ihm, ein sorgfältig verschnürtes Bündel umzuschnallen. Darin verbarg sich ein Fallschirm. Kennon mußte dieses primitive Gerät nehmen, weil der Hügel der Weisen durch Ortungsgeräte abgeschirmt wurde, die auf Antigravaggregate ansprachen. Hätte er versucht, sich einem der Gebäude mit Hilfe Kellys oder in einem Gleiter zu nähern, wäre er sofort entdeckt worden. Ein Fallschirm bot sich als einzige Möglichkeit an, unbemerkt auf das Dach des Trichterhauses zu kommen. Axton überprüfte die Schnüre noch einmal, dann öffnete er die Tür. Er zögerte. Plötzlich war er sich dessen nicht mehr ganz sicher, daß der Fallschirm auch funktionieren würde. Den Schirm hatte er durch Kelly in aller Eile herstellen lassen. Mehrfache Berechnungen hatten ergeben, daß er sich entfalten und genügend Luftwiderstand finden wurde. Aber das war alles Theorie. Deshalb hatte Kennon zusätzlich ein winziges Antigravgerät dabei, das er im Notfall einschalten konnte, wenn der Schirm versagen sollte. In einem solchen Fall würde er selbstverständlich sofort entdeckt werden. Und damit wäre alles, was er sich mühsam aufgebaut hatte, zerstört worden. Denn wie hätte er dem Geheimdienst diese nächtliche Aktion erklären sollen? „Bis bald, du Monstrum“, sagte er über die Schulter hinweg. Dann ließ er sich nach vorn fallen. Er stürzte in die Tiefe. Hastig zerrte er an der Reißleine. Eine endlos lange Zeit schien zu vergehen, bis sich der Schirm endlich öffnete. Der Ruck kam dann aber so hart, daß Kennon vor Schmerz aufschrie. Die Riemen schnitten sich ihm tief ins Fleisch, und er pendelte hin und her. Sekundenlang wußte er überhaupt nicht, wo er war. Erst als es schon fast zu spät war, entdeckte er den dunklen Kreis unter sich. Es war der Dachgarten des Trichterbaus, in dem sich das Archiv befand. Er drohte, daran vorbeizugleiten. Seine Hände krallten sich in
die Fäden und verkürzten den Schirm. Er fiel schneller und prallte nur zwei Meter vom Rand des Daches auf den Boden. Vergeblich versuchte er, sich mit den Armen abzufangen. Sie waren viel zu schwach. So schlug er hart auf und verlor augenblicklich das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, wußte er zunächst nicht, wo er war. Unsicher tastete er um sich. Erst als er die Schnüre in den Fingern fühlte, erinnerte er sich wieder. Ächzend richtete er sich auf. Sein verkrümmter Rücken schmerzte, so daß er bereits fürchtete, sich etwas gebrochen zu haben. Doch er konnte Arme und Beine bewegen. Offensichtlich hatte er nur Prellungen davongetragen. Mühsam knüpfte er den Schirm ab, breitete ihn auf dem sandigen Boden des Dachgartens aus und legte ihn danach sorgfältig wieder zusammen. Das Bündel verbarg er schließlich unter einem Busch. Dann verwischte er die Spuren, die er hinterlassen hatte. Er blickte auf sein Chronometer. Beunruhigt stellte er fest, daß er vier Minuten mehr als geplant gebraucht hatte. Diesen Verlust mußte er wieder aufholen, denn jede Minute war kostbar. Als er dem Mittelpunkt des Daches zustrebte, versuchte er, schneller als normal zu gehen. Doch schon nach wenigen Schritten blieb ihm die Luft weg, und er spürte stechende Schmerzen in der Brust. Sein verwachsenem Körper war einfach nicht in der Lage, viel zu leisten. Er konnte die Füße kaum hoch genug heben, um Schleifgeräusche zu vermeiden. Schließlich sah er ein, daß er sich nur langsam bewegen durfte. Auf diese Weise gelang es ihm, unbemerkt bis an einen Aufbau heranzukommen, in dem ein Wachtposten vor einigen automatischen Sicherheitsgeräten saß. Der Mann zeigte jedoch nur wenig Interesse für die ihm übertragene Aufgabe und verfolgte eine Show. Er hatte sich ein tragbares Fernsehgerät mitgebracht und vor sich auf den Tisch gestellt. Unter diesen Umständen war es nicht überraschend, daß er den lautlos herabschwebenden Kennon nicht bemerkt hatte.
Axton schlich an ihm vorbei und verschwand hinter einigen blühenden Büschen. An einem Springbrunnen kniete er nieder, holte ein Messer aus der Tasche, das eine Desintegratorklinge hatte, und führte das materievernichtende Energiefeld über den Boden. Ein haarfeiner Riß blieb zurück. Wenig später konnte er eine quadratische Platte herauslösen und zur Seite legen. Darunter befand sich noch eine dickere Schicht aus einem Plastikbetongemisch. Auch dieses ließ sich mit dem Spezialmesser leicht zerstören. Kennon schnitt jedoch keine Platte heraus, weil diese viel zu schwer für ihn gewesen wäre, sondern verwandelte die Materie mit kräftigen Seitwärtsbewegungen des Desintegratorfeldes in Staub. Nur Sekunden vergingen, bis sich ein Loch gebildet hatte, durch das er steigen konnte. Darunter lagen die Versorgungsleitungen des Gebäudes. Zwischen ihnen war gerade so viel Platz, daß Kennon seinen tonnenförmigen Körper hindurchschieben konnte. Mühsam kroch er vorwärts. Als er schließlich schweißüberströmt und völlig atemlos an einen senkrecht nach unten führenden Schacht herangekommen war, stellte er befriedigt fest, daß er zwei Minuten weniger als erwartet benötigt hatte. Er gönnte sich keine Pause, sondern schob sich behutsam weiter. Die Rohre waren glatt und boten ihm nur wenig Halt. Er rutschte mehrmals ab, konnte sich aber an Zwischenverstrebungen immer wieder abfangen. Dabei dachte er voller Sorge daran, daß er diesen Weg später auch in umgekehrter Richtung nehmen mußte. Er wußte noch nicht, ob er es wirklich schaffen konnte, diesen Schacht nach oben zu steigen. Dennoch gab er nicht auf. An einem rotmarkierten Feld verharrte er schließlich. Er befand sich nun dreißig Meter unter dem Dachgarten auf der gleichen Höhe mit dem Geheimarchiv. Mit einem Blick auf das Chronometer überzeugte er sich davon, daß er sich innerhalb der Zeitplanung befand. Dann setzte er wiederum das Desintegratormesser an. Dabei achtete er peinlich genau darauf, die ihm von Avrael Arrkonta beschriebenen Linien nicht zu überschreiten, denn dahinter befanden sich positronische Taster, die bei der geringsten
Berührung einen Alarm ausgelöst hätten. Axton benötigte zwölf Minuten. Dann erst konnte er ein ovales Stück aus der Wand herausziehen. Dabei ging er äußerst vorsichtig vor, um jede Erschütterung zu vermeiden. Der Schweiß rann ihm in die Augen, und seine Arme zitterten. Er glaubte, das Gewicht nicht mehr halten zu können. Mit zusammengepreßten Zähnen wuchtete er die Platte schließlich herum und setzte sie auf seitlichen Rohrverstrebungen ab. Danach mußte er eine Pause von mehreren Minuten einlegen, um sich zu erholen. Sie war einkalkuliert. Axton leuchtete durch das entstandene Loch in einen kleinen Raum hinein. Er sah einen Arbeitstisch, auf dem verschiedene Schreibwerkzeuge herumlagen. Daneben stand ein Mikroprojektor, wie er zum Lesen von Filmmaterial benutzt wurde, auf dem Karteidaten aufgezeichnet sind. Lautlos kroch er durch die Öffnung und bewegte sich flach auf dem Boden weiter. Über ihm war das unsichtbare Auge einer Kamera, die den Raum überwachte. Er hielt sich im toten Winkel der Optik und drang bis zu einer Schrankwand vor. Eine der unteren Türen ließ sich öffnen, ohne daß diese Bewegung von der Kamera erfaßt werden konnte. Kennon prägte sich sorgfältig ein, wie die im Schrank abgestellten Schuhe, Stiefel und Kosmetikboxen der Archivbetreuerin abgestellt waren, und nahm sie danach heraus. Wiederum setzte er das Desintegratormesser ein und schnitt ein Stück aus der Wand heraus, die ihn noch vom eigentlichen Archiv trennte. Der Terraner kroch in das Archiv, das durch matt leuchtende Deckenplatten ein wenig erhellt wurde. In flachen Schränken mit Einschüben wurden die Geheimakten aufbewahrt. Kennon blickte sich um, bis er den Schrank mit der Beschriftung „A“ entdeckt hatte. Er lag im Erfassungsbereich einer Kamera, so wie Arrkonta es gesagt hatte. Jetzt kam es darauf an. Alles weitere war eine Spekulation mit der Zeit. Axton schob sich über den Boden bis zur Kante der Tür hin,
die das Archiv mit dem Vorraum verband. Von Arrkonta wußte er, daß ein Stromband neben der Tür aufstieg und zur Kamera führte. Er nahm das Desintegratormesser und stieß es in die Wand. Dann sprang er auf und eilte zum Buchstaben A. Er wußte, daß er in diesem Moment einen Alarm ausgelöst hatte. Irgendwo in diesem Gebäude wurde verzeichnet, daß eine Kamera ausgefallen war. Er rechnete damit, daß derartige Vorfälle nicht ganz selten waren und deshalb keine Blitzaktion der Wachmannschaft auslösten. Er riß die Schublade auf. Seine Finger glitten über die Filmfolien. Er benötigte keine zwei Sekunden. Dann zog er die mit R. Awyrett bezeichnete. Damit rannte er zum Kopiergerät hinüber, schaltete es ein und schob die Folie ein. Während der sieben Sekunden, die nun für die Kopierarbeit verstrichen, hastete er zur Tür zurück. Er setzte einen flachen Behälter an den durch das Desintegratormesser entstandenen Spalt und preßte damit einen farblosen Kleber hinein, der den Bruch in dem Stromband nicht überbrückte, aber das Betonplastikmaterial der Wand wieder verschmolz. So blieb keine Spur seiner Tätigkeit zurück. Ein Summer ertönte. Kennon rannte zum Kopiergerät, nahm die Kopie heraus und legte die Originalfolie in die Kartei zurück. Er schob die Lade zu, wischte seine Fingerabdrücke ab und kroch durch die Öffnung in der Wand in den Vorraum. Jetzt hob er keuchend die herausgeschnittene Platte in die Wand. Diese Arbeit war unerwartet mühsam und dauerte fast dreißig Sekunden länger als berechnet. Er glaubte bereits, die Schritte der Wächter hören zu können, als er endlich den Spezialkleber in die Risse schießen konnte. Hastig stellte er Schuhe, Stiefel und Kosmetikboxen wieder in den Schrank, verschloß diesen und kehrte zum Versorgungsschacht zurück. Als er die Platte aufhob, vernahm er Schritte. Es ging um Bruchteile von Sekunden. Die Platte schien ihr Gewicht in der Zwischenzeit verzehnfacht zu haben. Als er sie vor das Loch setzen wollte, flammte im Vorraum das Licht auf. Axton hielt den Atem an. Unter diesen Umständen wagte er
nicht mehr, die Platte in die Öffnung zu schieben, da sich Geräusche nicht ganz vermeiden ließen. Er hörte die Stimmen zweier Männer, die sich über ein offenbar turbulent verlaufenes Glücksspiel unterhielten. Sie betraten den Raum und gingen sofort ins Archiv. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Axton stieß die Platte in die Öffnung und preßte mit zitternden Händen den Kleber in die Spalten. Dann lehnte er sich zurück und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Ihn schwindelte. Sein Atem ging keuchend. Er war vollkommen erschöpft und dachte nur mit Grauen an den Aufstieg. Die Stimmen der Wächter waren nun kaum noch zu hören. Kennon preßte das Ohr gegen die Wand, aber dadurch erfuhr er auch nicht mehr. Er beschloß, erst einmal abzuwarten. Drei Stunden Zeit hatte er noch bis zum Anbruch der Dämmerung. Bis dahin mußte er das Gebäude verlassen haben. Später würde er keine Gelegenheit mehr dazu haben. Als es im Archiv still wurde, begann Axton nach oben zu klettern. Er war jedoch noch keine drei Meter weit gestiegen, als ihn die Kräfte verließen. Er konnte gerade noch verhindern, daß er abstürzte, indem er die Füße zwischen den Verstrebungen verkeilte, dann, kämpfte er mit einem Schwächeanfall. Er brauchte fast zehn Minuten, bis er sich wieder erholt hatte. Daraus schloß er, daß er es auf diese Weise niemals bis zum Dachgarten schaffen konnte. Auch eine derartige Möglichkeit hatte er einkalkuliert, aber keine wirklich befriedigende Lösung gefunden. Er mußte das Antigravgerät benutzen, das er am Gürtel trug. Dabei hatte er die Chance, nicht geortet zu werden, weil er sich unmittelbar am zentralen Antigravschacht des Gebäudes befand. Axton wußte jedoch nicht, wie die Wächter den Ausfall der Kamera im Archiv beurteilten. Er rechnete jedoch damit, daß gegenwärtig erhöhte Wachsamkeit herrschte. Deshalb wartete er. Erst als eine volle Stunde verstrichen war, schaltete er sein Antigravgerät ein. Er hob lediglich die bestehende Schwer-
kraft auf und hangelte sich nach oben. Auf diese Weise erreichte er den horizontal weiterführenden Schacht in wenigen Sekunden. Er kroch eilig weiter, blieb dann aber noch etwa zehn Minuten unter der Öffnung liegen und horchte. Auf dem Dach regte sich nichts. Alles war unverändert. Axton kletterte schließlich aus dem Schacht heraus und legte die herausgeschnittene Platte in das Loch. Auch hier verschweißte er die Schnittstellen und verwischte seine Spuren. Dann schlich er sich zu seinem Fallschirm zurück, der noch unberührt an der gleichen Stelle lag. Alles war genauso verlaufen wie erwartet. Der Ausfall der Kamera hatte keinen allgemeinen Alarm ausgelöst. Sobald der Tag angebrochen war, würde man einen Reparaturtrupp bestellen, der den Schaden behob, und sonst würde nichts geschehen. Axton schnallte sich den Schirm um und spähte über die Dachkante nach unten. In der Dunkelheit war jedoch nichts zu sehen. Entschlossen ließ er sich fallen und zog gleichzeitig die Reißleine. Der Fallschirm blähte sich auf, und lautlos glitt der Terraner in die Tiefe. Er wußte, daß er nur durch einen Zufall entdeckt werden konnte, denn die Wachen standen am Eingang zum Sockel, nicht aber unter der Peripherie des Trichterdachs. Somit waren sie über hundertfünfzig Meter von ihm entfernt. Wenn er nicht gerade krachend in einem Baum oder einem Gebüsch landete, würden sie nichts hören. Kennon zählte leise. So hoffte er, ungefähr den Zeitpunkt herausfinden zu können, an dem er aufschlagen mußte. Doch er verschätzte sich. Der Aufprall kam völlig überraschend. Ein stechender Schmerz raste durch seinen Körper. Nur mit Mühe unterdrückte er einen Schrei. Er blieb auf dem Boden liegen und könnte sich einige Sekunden lang nicht bewegen. Der Schmerz betäubte ihn nahezu. Vorsichtig tastete er sein rechtes Bein ab. Es war gebrochen. Jetzt zeigte sich die ganze Schwäche seines mißgestalteten Körpers. Er war Belastungen dieser Art nicht gewachsen. Lebo Axton schaffte es gerade noch, ein Funksignal an Kelly
abzusenden, dann krümmte er sich wimmernd auf dem Boden zusammen. Er kämpfte nur noch gegen die aufkommende Bewußtlosigkeit an und nahm nicht mehr wahr, was in seiner Umgebung geschah. Er wäre den Wachen, wenn sie zufällig auf ihn gestoßen wären, hilflos ausgeliefert gewesen. Er merkte kaum noch, daß Kelly neben ihm landete. Erst als der Roboter nach ihm griff, fuhr er ächzend hoch. Er tastete die Arme der Maschine ab und atmete erleichtert auf. „Du mußt vorsichtig sein“, flüsterte er. „Mein Bein ist gebrochen. Ich kann mich nicht bewegen.“ Kelly nahm den Verletzten derart geschickt auf, daß Axton keine zusätzlichen Schmerzen verspürte. Mit Hilfe seines Antigravtriebwerks schwebte der Robot dicht über dem Boden dahin und zog sich mit Axton von dem Archivbau zurück. Dabei nahm er auch den Fallschirm auf. Als dieser sich jedoch an den Zweigen eines Baumes verhakte, wäre der Verwachsene fast aus den Armen des Roboters gerissen worden. Axton schrie unterdrückt auf und hieb wütend auf den Roboter ein. Als dieser auf die Attacke nicht reagierte, beruhigte er sich schnell. „Warte“, befahl er und löste den Schirm ab. Er fuhr mit dem Desintegratormesser so oft durch das Bündel, bis nur noch grauer Staub davon übrig blieb. Ein Windstoß wirbelte diesen auf und verteilte ihn im Park, so daß keine Spuren zurückblieben. „Los jetzt, Kelly. Worauf wartest du eigentlich noch?“ Der Roboter startete und brachte Axton auf vorher festgelegten Umwegen in seine Wohnung zurück. 3. „Du mußt mir helfen, Kelly“, sagte Kennon. Er lag in seinem Bett und hatte sich mühsam seine Hose abgestreift. Der Bruch befand sich eine Handbreit unter dem Knie und war deutlich zu erkennen. „Was soll ich tun?“ fragte der Roboter, der am Bettende
stand. Das Bein mußte geschient werden, bevor die Medikamente eingesetzt werden konnten, die die Knochen schnell wieder zusammenwachsen lassen würden. „Ich werde es dir erklären.“ Axton zeigte auf das verletzte Bein. „Du mußt den Knochen richten. Verstehst du, was ich meine?“ „Alles klar, Schätzchen.“ Der Roboter beugte sich über den Terraner, nahm das Bein auf und zerrte daran. Axton kreischte auf. Er griff nach dem Glas, das auf einem Tisch neben dem Bett stand und schleuderte es dem Automaten an den Kopf. „Bist du wahnsinnig geworden?“ schrie er unter nahezu unerträglichen Schmerzen. „Laß mein Bein los. Du bringst mich um.“ Kelly gehorchte. Er ließ das Bein fallen. Axton brüllte wütend auf. Er preßte die Hände an das Knie und versuchte, den Schock zu überwinden. Minutenlang war er nicht in der Lage, etwas zu sagen. Dann hatte er sich soweit in der Gewalt, daß er ruhig mit dem Roboter sprechen konnte. „Hör zu, Kelly“, sagte er. „Die Bruchstellen müssen so aneinander gebracht werden, daß der Knochen gerade wieder zusammenwachsen kann.“ „Das ist mir vollkommen klar“, entgegnete der Roboter. „Ich habe längst erkannt, daß du zu einer Spezies gehörst, die offenbar beträchtliche Konstruktionsmängel aufweist. So ist zum Beispiel kaum zu erklären, daß die Innenstützen für die biologisch aktive Masse, die den Bewegungsapparat…“ „Sei still. Ich bin kein Roboter, verstehst du? Ich verbiete dir, von biologisch aktiver Masse zu sprechen, wenn von mir die Rede ist.“ Kennon hätte den Roboter in diesem Moment vernichten können. Der ganze Haß gegen diese Maschinen brach wieder in ihm auf. Er sank in die Polster zurück und schloß die Augen. Wiederum vergingen einige Minuten. Dann befahl er: „Gib mir ein starkes Schmerzmittel.“ Kelly verabreichte ihm eine Injektion. Axton wartete, bis die Wirkung einsetzte, dann zeigte er auf den Bruch und sagte:
„Los jetzt.“ Der Roboter ging dieses Mal behutsamer vor, machte aber erneut Fehler. „Zurück“, schrie Kennon. Er schüttelte den Kopf. „Ich glaube, du hast die Absicht, mir genauso krumme Beine zu verpassen, wie du sie hast.“ Er blickte den Automaten abfällig an. Kelly hatte in der Tat keine geraden Beine, da Axton ihn vor einigen Wochen mit voller Absicht in einem Antigravschacht hatte abstürzen lassen. „Das ist eine Unterstellung“, erwiderte Kelly. „Mein Bestreben ist, das Bein so zu richten, daß es später optisch schöner ist.“ „Du bist komplett verrückt“, erklärte der Verwachsene. „Ich will nicht schöner werden, begreifst du das endlich? Ich bin vollkommen zufrieden mit meinem Körper, solange du noch häßlicher bist als ich. Hast du überhaupt anatomische Kenntnisse?“ „Das Wort ist mir unbekannt.“ „Ich spreche vom Knochenbau. Weißt du, wie es unter dem Fleisch aussieht?“ „Nein.“ Axton schloß stöhnend die Augen. Ihm verschlug es die Sprache. Wieder einmal überlegte er ernsthaft, ob es nicht vorteilhafter für ihn wäre, wenn er sich einen neuen Roboter besorgte. Finanzielle Mittel dazu hatte er mittlerweile. Doch er hatte sich auch an Kelly gewöhnt, und er liebte die oft fast menschliche Ausdrucksweise der Maschine. „Gib mir eine Schreibfolie und einen Stift“, befahl er endlich. Danach zeichnete er Kelly in groben Zügen den Knochenbau seines Beines auf. „Sieh dir das genau an, du Frankensteinsches Ungeheuer.“ „Jetzt weiß ich Bescheid“, antwortete Kelly. „Allerdings ist mir unklar, warum du mich so nennst, Schätzchen.“ „Das erkläre ich dir später. Los, an die Arbeit!“ Unter der Einwirkung des Schmerzmittels ließ sich das Bein gut richten. Kelly setzte dazu die Mittel der Medobox ein, die in der Wohnung vorhanden war. Er sprach kein Wort
und trat schließlich bis zur Wand zurück. Dort blieb er stehen. „Was ist los mit dir?“ fragte Kennon. „Ich bin beleidigt.“ „Ein Roboter kann gar nicht beleidigt sein.“ „Ich bin etwas ganz Besonderes und kein Roboter in dem Sinne, wie du annimmst.“ „Das stimmt“, erwiderte Axton. „Etwas Besonderes bist du schon. Du siehst aus wie ein wandelnder Schrottplatz.“ „Du hättest etwas wählerischer sein können bei der Auswahl meiner Extremitäten.“ „Das war Dr. Frankenstein auch nicht, als er sein Monstrum baute.“ „Darf ich schweigen?“ „Das wäre mir lieb. Suche deine Psyche.“ „Ist das ein Befehl.“ „Es ist einer.“ „Wo soll ich suchen?“ „In dir selbst“, sagte Axton grinsend. Als er jedoch sah, daß Kelly seinen Ovalkörper mit den Händen öffnen wollte, fügte er schnell hinzu: „Dazu darfst du aber weder Hände noch Füße benutzen. Und nun sei still. Ich bin müde.“ Axton schloß die Augen und schlief wenig später ein. Als er wieder aufwachte, stand Kelly noch immer an der gleichen Stelle. Sechs Stunden waren vergangen. Der Verwachsene erhob sich und ging mühsam in die Hygienekabine. Er verspürte kaum Schmerzen, konnte sich aber nur langsam bewegen, weil das geschiente Bein ihn stark behinderte. Er wusch sich das Gesicht und den Oberkörper und fühlte sich danach erfrischt. Aus der automatischen Küche holte er sich eine kleine Mahlzeit. Dann projizierte er die in der Nacht erbeutete Akte an die Wand und studierte sie beim Essen. Wie erwartet, waren die Informationen über die Ursachen des Hasses auf Gonozal VII. und alles, was mit ihm zusammenhing, darin enthalten. „Komm her“, befahl Axton dem Roboter. „Ich will, daß du dir diese Daten einprägst.“ Kelly gehorchte wortlos. Axton blickte ihn forschend an,
sagte sonst jedoch nichts. Er wandte sich der Projektion zu. In der Akte war vermerkt, daß Arotho Awyrett, der Großvater Ritikkas, mehrere Jahre lang auf dem Planeten Oulouhat im Koxtro-System gelebt hatte. Diese Welt war später gesperrt worden, da sich alle Arkoniden, die zu bestimmten Jahreszeiten auf Oulouhat gewesen waren, mit Pflanzenpollen infiziert hatten. Diese riefen eine gefährliche Geisteskrankheit hervor. Auch Arotho Awyrett war krank geworden. Er selbst hatte davon zunächst jedoch nichts gemerkt, bis es zur Katastrophe gekommen war. In einer Raumschlacht gegen die Methans war er in einen Trancezustand verfallen, in dem er handlungs- und entscheidungsunfähig gewesen war. Der Kampf war verlorengegangen, da er als Oberkommandierender in der gefährlichsten Phase der Auseinandersetzung keine Befehle erteilt hatte. Sieben Raumschiffe waren vernichtet und 250 Männer getötet worden. Die Schuld an diesem Desaster trug Arotho Awyrett. Dennoch hatte Gonozal VII. ihn nicht dafür haftbar gemacht, sondern ihn in eine Klinik geschickt, wo er eingehend behandelt worden war. Die Krankheit hatte sich jedoch als unheilbar erwiesen. Arotho Awyrett hatte den Dienst quittieren müssen. Er hatte die Krankheit auf seinen Sohn Phasta Awyrett vererbt, den Vater Ritikka Awyretts. Phasta hätte Gonozal VII. augenblicklich unterrichten müssen, als er seinen ersten Anfall gehabt hatte. Er hatte es jedoch unterlassen und einen verantwortungsvollen Posten übernommen. Wenig später hatte er einen ähnlich schweren Schaden wie Arotho Awyrett angerichtet. Die Ursache war eindeutig seine Krankheit gewesen. Nun aber hatte der Imperator keine Milde mehr walten lassen. Er hatte das gesamte Vermögen Awyretts konfisziert, um damit wenigstens einen Teil des Schadens auszugleichen. Ritikka Awyrett war damit auch zu einem armen Mann geworden. Er hatte sich voller Haß von Gonozal VII. abgewendet und war zum Anhänger Orbanaschols III. geworden, zumal dieser ihm später einen ansehnlichen Teil des Vermögens zurückerstattet hatte.
„Ich habe es doch gesagt“, stellte Axton triumphierend fest. „Eine Schwäche ist oft die Ursache für Haß. Der gute Ritikka weiß ganz genau, daß die Maßnahme Gonozals berechtigt war. Phasta Awyrett hat einen unverzeihlichen Fehler gemacht. Auch darüber ist sich Ritikka klar.“ „Warum haßt er Gonozal denn?“ fragte Kelly, der damit sein Schweigen aufgab. „Das ist ganz einfach. Es ist die eigene Schwäche, vor der er Angst hat.“ „Das verstehe ich nicht.“ „Das ist von dir auch nicht zu erwarten. Natürlich lebt Ritikka in der ständigen Furcht, daß er den Krankheitskeim auch in sich trägt. Er leidet unter dem Traum, daß er plötzlich in einen Trancezustand verfallen könnte, und daß damit dann für ihn alles aus wäre.“ „Und deshalb haßt er Gonozal?“ „Er fürchtet Gonozals rechtmäßigen Nachfolger, weil dieser ihm seinen verantwortungsvollen Posten nehmen könnte, der ihm offenbar alles bedeutet. Er bildet sich tatsächlich ein, Orbanaschol würde ihn ungeschoren lassen, wenn die Krankheit bei ihm auftreten sollte. Selbstverständlich wird sich das in dem Moment ändern, in dem Ritikka in Trance versinkt. Spätestens dann wird ihm klarwerden, daß auch Orbanaschol ihn augenblicklich aus seinem Amt entfernen wird, weil er es sich gar nicht leisten kann, eine so wichtige Funktion einem so anfälligen Mann zu überlassen.“ „Was planst du?“ „Ich muß Ritikka aufbauen. Ich werde ihm dazu verhelfen, im Ansehen des Imperators noch weiter zu steigen.“ „Das festigt seine Position.“ „Das wertet sie für ihn noch mehr auf. Ich will, daß Ritikka Awyrett viel zu verlieren hat, und daß er sich dessen voll bewußt wird.“ * Lebo Axton pirschte sich vorsichtig an Ritikka Awyrett heran.
Er ließ sich Zeit. Er durfte den Plan nicht durch Unvorsicht oder Ungeduld gefährden. Jeder übereilte Schritt wäre ein Fehler gewesen. Deshalb ließ Kennon vier Wochen verstreichen, bis sich ihm endlich eine Chance bot, Awyrett kennenzulernen und ihn gleichzeitig auf seine besondere Art zu behandeln. Der Anlaß war eine der nahezu täglich stattfindenden geselligen Zusammenkünfte im Palastpark des Imperators, zu denen Axton bereits zweimal eine Einladung erhalten hatte. Diese hatte er auch wahrgenommen und dabei interessante neue Verbindungen knüpfen können. Er hatte sich über längere Zeit hinweg mit der Favoritin des Imperators unterhalten können. Diese hatte zunächst nur spöttische Bemerkungen über ihn gemacht. Doch das hatte sich geändert, als sie erst einmal erfaßt hatte, welch klugem und gebildeten Mann sie gegenübergestanden hatte. Lebo Axton, der sich nie ganz unbefangen in Gegenwart von Frauen bewegen konnte, hatte gespürt, daß sie ihn irgendwie mochte. Sie hatte schließlich über seine Gestalt hinweggesehen und nur seine Persönlichkeit angesprochen. So etwas hatte er nur selten in seinem Leben feststellen können, und es hatte ihn besonders beeindruckt. Der Tag, der eine Vorentscheidung bringen sollte, begann mit einer Einladung in den Palastpark. Axton traf seine letzten Vorbereitungen. Er verstaute sein Arbeitsmaterial in einem Hohlraum im Ovalkörper Kellys, legte elegante Kleider an, die dem Roboter bis fast zu den Füßen herabreichten, als er in den Haltebügeln auf dem Rücken Kellys stand. So war nicht allzu deutlich zu erkennen, wie klein Kennon war. Schon bevor der Terraner im Palastpark eintraf, wußte er, daß etwa tausend Personen erscheinen würden. Das war ihm nur recht. War der Kreis der Eingeladenen zu klein, dann entstanden nur Schwierigkeiten für ihn. So aber konnte er sich weniger auffällig bewegen. Orbanaschol selbst tauchte im Kreise seiner Leibwächter, Freunde und Berater auf, blieb aber nur kurz. Axton hatte keine Gelegenheit, mit ihm zu reden. Er konzentrierte sich ganz auf Ritikka Awyrett.
Der Günstling des Imperators war ein hochgewachsener Mann mit weißblondem Haar, das er ungewöhnlich kurz trug. Er hatte sich ein flammendrotes Tuch um den Kopf gewunden, das ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Sein Gesicht war scharf geschnitten, verriet höchste Intelligenz und eine gewisse Gefühlskälte. Awyrett hielt sich auffallend gerade und pflegte mit äußerst sparsamer Mimik zu reden. Wenn er sprach, bewegte er kaum die Lippen. Sein Gesicht trug ständig einen Ausdruck äußerster Arroganz, hinter der er, wie Kennon vermutete, seine Unsicherheit verbergen wollte. Inzwischen hatte der Terraner erfahren, daß Awyrett ein Mann war, der als absolut unbestechlich galt. Er hatte einen Industriellen ruiniert, nur weil dieser versucht hatte, ihm für die Erteilung eines Auftrags eine Provision anzubieten. Seine Mitarbeiter behandelte er mit unerbittlicher Strenge. Er ließ absolut nichts durchgehen, was ihm nicht gefiel, und entfernte gnadenlos jeden aus seinem Amt, der es wagte, sich ihm zu widersetzen. Orbanaschol III. hätte keinen besseren Mann für die Kontrollen der positronischen Bauteile für den entstehenden Riesenroboter haben können. Ritikka Awyrett war zuverlässig bis zur Selbstverleugnung. So schien es jedenfalls. Kennon war aber überzeugt davon, daß der Arkonide seine schwachen Stellen hatte. Er beobachtete ihn, während er sich mit Gun Epprik unterhielt, einem Günstling Orbanaschols, der ihm einmal in einer wichtigen Angelegenheit geholfen hatte. Awyrett plauderte mit der Favoritin des Imperators. Dabei entwickelte er einen Charme, der die Arkonidin zu beeindrucken schien. Dabei provozierte sie Awyrett, etwas mehr als gewöhnlich zu trinken. Sie hob ihm ihr Glas mit der perlenden Flüssigkeit entgegen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit terranischem Champagner hatte und diesem auch in der Wirkung ähnlich war. Kennon hatte den Arkoniden noch nie soviel trinken sehen wie an diesem Tag. Er triumphierte innerlich. Auf eine solche Stunde hatte er seit Wochen gewartet.
Als Avrael Arrkonta neben dem Kosmokriminalisten auftauchte, verabschiedete sich Gun Epprik. „Ich muß noch zum Imperator“, rief er. „Bis später.“ „Sie sehen aus, als hätten Sie etwas Teuflisches vor“, sagte Arrkonta, als Axton und er allein waren. „Tatsächlich?“ fragte der Terraner erschrocken. Er bemühte sich, gleichmütig auszusehen. Dann aber sah er die neugierigen Augen des Arkoniden und grinste. „Passen Sie auf, Avrael, heute ist Ritikka Awyrett dran.“ Arrkonta blickte zu dem Günstling des Imperators hinüber. Zwei junge, etwas albern wirkende Arkonidinnen hatten sich ebenfalls zu ihm gesellt. „Was haben Sie vor?“ „Einen kleinen Coup zum Vorteil unseres gemeinsamen Freundes.“ „Seien Sie vorsichtig. Axton. Unterschätzen Sie Awyrett nicht. Für mich ist er einer der gefährlichsten Männer Arkons.“ „Übertreiben Sie nicht, Avrael.“ Axton lachte. Er verbarg seine Hände unter den violetten Gewändern, die seinen Körper verhüllten. Ein Diener erschien und reichte ihm ein volles Glas. Axton prostete dem Industriellen zu. „Sie haben mir noch immer nicht gesagt, ob Sie es geschafft haben, in das Geheimarchiv zu kommen, Axton.“ „Habe ich das versäumt? Das tut mir leid. Ich habe die Akte Awyretts. Glauben Sie, ich würde ihn sonst in meine Planung einbeziehen?“ „Wie ist das möglich?“ „Das verrate ich Ihnen später einmal.“ Kennon beobachtete, daß ein Diener an die Gruppe um Ritikka Awyrett herantrat und aus einer Karaffe nachschenken wollte. Er tippte Kelly auf den Kopf. „Jetzt“, raunte er so leise, daß Arrkonta ihn nicht hören konnte. Der Roboter aber vernahm ihn und handelte. Axton blickte nach unten. Er sah, daß sich in der Brust Kellys eine winzige Öffnung bildete. In diesem Moment neigte Ritikka Awyrett sein Glas der Karaffe entgegen. Es zischte, und das Loch schloß sich wieder. Perlend floß das Getränk in das
Glas Awyretts. Niemand bemerkte, daß ein Pfeil von kaum zwei Millimetern Länge in den sich bildenden Schaum schoß und sich sofort auflöste. Kennon behielt den Arkoniden im Auge. Er achtete nicht auf Arrkonta, bis dieser seine Frage wiederholte. „Was ist denn los mit Ihnen, Lebo?“ „Nichts, Avrael, nichts weiter. Ich war nur etwas zerstreut.“ Ritikka Awyrett hob das Glas an die Lippen und trank. Kennon spürte, wie die Spannung von ihm wich. Er wandte sich wieder seinem Freund zu und verwickelte ihn in ein wissenschaftliches Gespräch über positronische Entwicklungsmöglichkeiten, das Arrkonta schon nach wenigen Sätzen fesselte. Fasziniert lauschte er, der Fachmann, den Überlegungen Axtons, die er für Theorien halten mußte. Er konnte nicht wissen, daß der Verwachsene ihm wissenschaftliche Resultate offenbarte, wie sie in der Zukunft existierten. „Ich bin immer wieder versucht, Sie zu fragen, wer Sie eigentlich sind“, sagte Arrkonta nach einiger Zeit. „Ich kann einfach nicht glauben, daß Sie mir alles über sich verraten haben.“ „Warum sollte ich?“ fragte Axton lachend. „Geheimnisse machen das Leben interessanter.“ „Ihr Wissen ist umfangreicher als das aller anderen Männer, die ich kenne“, erklärte der Arkonide. „Es ist ein…“ Er brach ab und blickte verdutzt zu Ritikka Awyrett hinüber. „Was ist denn mit dem los?“ fragte er. Der Günstling des Imperators begann laut zu singen. Dabei streckte er theatralisch die Arme aus und machte einige unsichere Tanzschritte. Seine Augen waren glasig. Die Favoritin des Imperators und die Mädchen in ihrer Begleitung lachten schallend auf, als Awyrett mit komisch anmutenden Bewegungen auf der Stelle hüpfte und seinen Gesang steigerte. Von allen Seiten näherten sich Neugierige. Das aber bemerkte Awyrett nicht. Auch Arrkonta hielt es nicht mehr bei Axton. „Das muß ich mir ansehen“, sagte er lächelnd. „Ich habe Awyrett noch nie so erlebt.“
Plötzlich wurden seine Augen eng. Er blickte den Kosmokriminalisten durchdringend an. „Jetzt verstehe ich“, sagte er, wobei er leise durch die Zähne pfiff. „Lebo, vor Ihnen kann man sich fürchten.“ „Sie haben keinen Grund dazu“, erwiderte der Verwachsene, während sie sich der Gruppe näherten, die sich rasch gebildet hatte. Ritikka Awyrett hatte die Kontrolle vollkommen über sich verloren. Er taumelte kräftig und hatte offensichtlich Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Dabei trank er sein Glas wie ein Verdurstender leer, sobald der Diener nachgeschenkt hatte. Und das tat dieser, sobald das Glas leer war. Kennon wußte, daß Awyrett tatsächlich das Gefühl hatte, innerlich zu vertrocknen. Das ihm verabreichte Pharmakon sorgte nicht nur dafür, sondern auch dafür, daß der Alkohol sich in seiner Wirkung potenzierte. Ritikka Awyrett würde den Rausch seines Lebens haben. Plumpvertraulich umarmte er die Favoritin Orbanaschols und versuchte, sie zu küssen. Sie stieß ihn halb belustigt, halb verärgert zurück, während die anderen Besucher unverhohlen auflachten. Ritikka Awyrett schien zu glauben, daß sein Gesang außerordentlich gut gefiel. Er kam jedoch auf die unglückliche Idee, einen Text zu zitieren, den er wohl sonst nur in Männergesellschaft zum besten zu geben wagte. Die Frauen bewahrten Anstand und flüchteten. Einer der Männer gab dem Betrunkenen einen Stoß vor die Brust. Ritikka Awyrett warf die Arme nach oben, schleuderte sein Glas durch die Gegend und stürzte rücklings in einen Busch. Er blieb auf dem Boden liegen und gab kurz darauf Laute von sich, die deutlich machten, daß er schlief. Nun verloren die anderen Gäste das Interesse an ihm. Sie machten noch eine Reihe von abfälligen Bemerkungen über ihn und zogen sich dann allmählich zurück. Niemand kümmerte sich mehr um den Betrunkenen. Lebo Axton und Avrael Arrkonta wurden von einem hohen Beamten des arkonidischen Sicherheitsdienstes abgelenkt, der sie in ein politisches Gespräch verwickelte. Der Kosmo-
kriminalist nahm die Gelegenheit geschickt wahr, von Awyrett abzulenken. Bewußt ging er nicht auf einige Worte ein, die der Beamte über den Betrunkenen fallen ließ. Er wollte auf gar keinen Fall mit Awyrett in Verbindung gebracht werden. Jetzt noch nicht. Erst am späten Abend löste sich die Gesellschaft auf. Axton ließ sich von Kelly in seine Wohnung zurückbringen. Er mußte warten. Als einziger wußte er, wie lange Ritikka Awyrett schlafen würde. Er war sich dessen auch ganz sicher, daß niemand den Betrunkenen aus den Büschen holen würde, denn Awyrett hatte sich durch sein Benehmen in Mißkredit gebracht. In solchen Situationen zeigte man sich nicht mit einem solchen Mann, um nicht von dem negativen Ruf berührt zu werden, der sich automatisch herausbilden mußte. * Am nächsten Morgen, als es noch kalt und feucht war, teilten die Arme des Roboters Kelly die Zweige des Busches. Sinclair Marout Kennon blickte über den Kopf seines mechanischen Dieners hinweg in das Gesicht Ritikka Awyretts. Befriedigt stellte er fest, daß er die Giftdosis und ihre Wirkung exakt berechnet hatte, denn der Arkonide schlug gerade die Augen auf. Stöhnend griff er sich an den Kopf. „Hallo“, sagte Axton fröhlich. „Sie haben aber kräftig zugelangt.“ Awyrett schloß die Augen wieder. Fröstelnd zog er den Kragen seines Hemdes unter dem Kinn zusammen. Dann sah er Axton wieder an und stöhnte erneut. „Wo bin ich?“ fragte er. „Noch immer im Park des Palasts“, antwortete der Verwachsene in unverändert fröhlichem Ton. „Nein!“ Ritikka Awyrett richtete sich ruckartig auf. Seine Augen weiteten sich, und die Unterlippe sank ihm schlaff nach unten. Mit zitternden Händen griff er nach den Zweigen des
Busches und versuchte, sich daran hochzuziehen. Das mißlang ihm jämmerlich. Er stürzte zu Boden, ruderte hilflos mit den Armen im Geäst herum, wälzte sich schließlich auf den Bauch und kroch aus dem Busch hervor. „O Mann“, sagte Lebo Axton. „Sie schlagen sämtliche Rekorde. Wissen Sie eigentlich, daß Sie der letzte Partygast sind? Die anderen sind alle schon gegangen.“ Der Arkonide fand endlich ausreichend Halt an den krummen Beinen Kellys und hangelte sich daran hoch. Als er aufrecht stand, blickte er verständnislos auf die Wahrnehmungsleiste des Roboters, die dessen Gesicht bildete. „Hier war doch eben noch jemand“, murmelte er, wobei er den Kopf suchend hin und her wendete. Zugleich glitten seine Hände tastend über die Schultern des Automaten, bis er eine Hand Axtons berührte. Er stutzte, faßte kräftiger zu und entdeckte den Verwachsenen. „Was ist mit mir los?“ fragte Awyrett. „Ich verstehe nicht, was…“ „Unter Freunden nennt man das, was Sie haben, einen Hackenschuß.“ Der Arkonide bewegte die Lippen, brachte aber keine verständlichen Laute heraus. Dann plötzlich weiteten sich seine Augen. Seine Arme sackten herab, und er entfernte sich einige Schritte von Axton. Dabei drehte er sich mehrmals um sich selbst, wobei er beängstigend schwankte. Er bekam sich jedoch von Sekunde zu Sekunde mehr in die Gewalt, da ihm offenbar dämmerte, wo er war, und was er getan hatte. „Bringen Sie mich hier weg“, forderte er, als er zu Axton zurückgekehrt war. „Bringen Sie mich weg. Schnell.“ „Wohin?“ „Das ist mir egal. Nur weg von hier.“ „Nimm ihn auf die Arme, Kelly. Trage ihn zum Gleiter.“ Kennon rutschte vom Rücken des Roboters herunter, beobachtete, daß dieser den Betrunkenen aufnahm, und folgte ihm, als er ihn abtransportierte. Die Flugmaschine stand etwa zweihundert Meter entfernt auf einem versteckten Parkplatz. Als sie dort ankamen, schlief Awyrett bereits wieder. Axton ließ ihn jedoch wachrütteln. Er wollte, daß
der Arkonide alles verfolgte und sich später daran erinnern konnte. „Zur Wohnung“, befahl er, als er sein Ziel erreicht hatte. Kelly startete die Maschine. Axton blickte nach unten. Im Park erschienen einige Kinder in Begleitung ihrer Erzieher. „Es wurde höchste Zeit“, stellte Awyrett mit schwerer Zunge fest. Axton bezweifelte, daß er sich wirklich dessen bewußt war, was er gesagt hatte. 4. Als er Awyrett in seiner Wohnung hatte, ließ er ihn entkleiden und danach in die Hygienekabine stellen. Dann überschüttete er ihn mit wahren Bächen von abwechselnd heißem und eiskaltem Wasser, obwohl der Arkonide gegen diese Behandlung protestierte. Er verabreichte ihm eine Robotmassage und servierte ihm anschließend ein kühles Getränk. „Es vertreibt die Kopfschmerzen und klärt den Geist“, sagte er. „Ich bin wie ausgetrocknet“, erwiderte der Arkonide und trank das Glas mit einem Zug aus. Minuten später fühlte er sich tatsächlich besser. Er kleidete sich an und aß eine Kleinigkeit. „Wieso haben Sie mich gefunden?“ fragte er unsicher. Axton grinste. „Ich erinnerte mich daran, daß Sie gestern in die Büsche fielen. Als ich heute morgen ein wenig frische Luft schnappen wollte, wurde ich neugierig. Ich wollte wissen, ob Sie sich inzwischen entfernt hatten.“ Awyrett vergrub stöhnend sein Gesicht in den Händen. „Ich bin ruiniert“, sagte er. Von seinem sonst so arroganten Gehabe war nun nichts mehr zu spüren. „So schlimm wird’s schon nicht sein“, entgegnete Axton tröstend. „Jeder schlägt einmal über die Stränge. Sie werden sich entschuldigen, und man wird Ihnen verzeihen. Am
besten kehren Sie jetzt in Ihre Wohnung zurück.“ „Ich bin Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet. Alles wäre noch viel schlimmer gewesen, wenn man mich später aus den Büschen geholt hätte. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn die hochgestellten Persönlichkeiten des Hofes beobachtet hätten, wie… Ich kann mich nicht mehr sehen lassen.“ „Beruhigen Sie sich. Es werden sich noch genügend Gelegenheiten ergeben, dem Hof zu beweisen, wie wertvoll Sie für ihn sind.“ „Vielleicht haben Sie recht.“ Unruhig ging Ritikka Awyrett zur Tür. „Ich werde mich bei Ihnen revanchieren. Sie haben viel für mich getan. Bitte, rufen Sie einen Gleiter für mich.“ Damit verschwand Ritikka Awyrett für einige Tage aus dem Beobachtungsbereich Axtons. Er verließ seine Luxuswohnung nicht mehr und ließ sich, wie Axton erfuhr, verleugnen. In Gesellschaftskreisen sprach man mit einer gewissen Schadenfreude über seinen Ausrutscher, verlor aber bald das Interesse an ihm. Awyrett entschuldigte sich in aller Form bei der Favoritin des Imperators und versuchte vergeblich, auch diesen zu erreichen. Er war in der Gunst Orbanaschols deutlich gefallen. Damit hatte Kennon ihn da, wo er ihn hatte haben wollen. Ritikka Awyrett mußte nun etwas tun, um den Prestigeverlust wieder auszugleichen. Er mußte Orbanaschol in die Hände arbeiten, ihm einen Gefallen tun oder ihm ein wertvolles Geschenk überreichen, um wieder Gnade bei ihm zu finden. Axton schätzte den Imperator inzwischen so ein, daß dieser Awyrett absichtlich auf Distanz hielt, um ihn zu einem Gunstbeweis zu zwingen. Orbanaschol III. war ein äußerst habgieriger Mann, der mit allen Mitteln versuchte, seine Schätze zu vergrößern. Awyrett erschien zum ersten Mal wieder in der Öffentlichkeit, als eine Lieferung von positronischen Bausätzen für den Riesenroboter erfolgte. Gewöhnlich pflegte er die dabei notwendigen Prüfungen mit äußerster Sorgfalt durchzuführen. Dieses Mal übertraf er sich selbst. Er entnervte seine
Mitarbeiter durch mehrfache Wiederholungen der Kontrollarbeiten. Auch bei den darauf folgenden Lieferungen behielt er die übertrieben korrekte Arbeitsweise bei. Axton wartete zwei Wochen ab. Dann erschien er auf dem Rücken seines Roboters vor der Wohnung Awyretts. Dieser blickte ihn überrascht an. Er schien nicht mit seinem Besuch gerechnet zu haben. Unsicher bat er den Verwachsenen zu sich herein. Er führte ihn in ein luxuriös eingerichtetes Besprechungszimmer. „Was führt Sie zu mir, Lebo Axton?“ fragte er, während er ihm ein Erfrischungsgetränk vorsetzte. Der Verwachsene kletterte von seinem Roboter herab und setzte sich in einen der Sessel. Er versank tief in den Polstern und kämpfte einige Sekunden lang damit, bis es ihm endlich gelang, sicheren Halt zu finden. Verlegen stand der Arkonide daneben. Er wagte es nicht, Axton zu helfen. „Ich möchte Ihnen einen Gefallen tun“, erklärte der Kosmokriminalist ein wenig atemlos. Awyrett setzte sich. „Ich verstehe Sie nicht. Warum wollen Sie das tun?“ „Weil ich mir eine Gegenleistung von Ihnen erhoffe.“ Der Arkonide lächelte erleichtert. Er setzte sich im Sessel zurück und nahm eine bequemere Haltung ein. „Das hört sich gut an“, sagte er. „Worum geht es?“ „Sie wissen, wer ich bin?“ „Ich habe lediglich gehört, daß Sie in den Diensten des Imperators stehen und gewisse Sicherheitsaufgaben zu erfüllen haben.“ „So ist es“, bestätigte Axton. „Aus diesem Grunde sind mir auch einige Informationen zugänglich, die sonst nicht bekannt werden. Ich habe erfahren, daß Sie Schwierigkeiten haben. Man wartet darauf, daß Sie Ihre besonderen Fähigkeiten beweisen.“ Ritikka Awyrett biß sich auf die Lippen. Er nickte, und seine Augen wurden feucht vor Erregung. „Das ist es, Axton. Ich weiß nur nicht, was ich tun kann.“ „Ich hätte Ihnen einen Vorschlag zu machen.“ „Und was erwarten Sie als Gegenleistung dafür?“ fragte der
Arkonide argwöhnisch. „Nichts Ungesetzliches“, erwiderte Axton besänftigend. „Ich habe erfahren, daß auf dem berühmten Jagdplaneten Schreet eine Echsenhatz stattfinden soll.“ „Sie möchten daran teilnehmen?“ Axton breitete lächelnd die Arme aus. „Das geht wohl kaum. Ich kann ja nicht einmal eine Waffe halten. Nein, mir würde es genügen, diese Jagd nur zu beobachten. Eine solche Gelegenheit ergibt sich nicht oft.“ „Ich hatte vor, abzusagen“, antwortete der Arkonide. „Aber unter diesen Umständen werde ich dabei sein. Aber nun zu Ihrem Vorschlag. Wenn er mir zusagt, werde ich dafür sorgen, daß Sie mit nach Schreet kommen.“ „Er wird Ihnen gefallen. Ich sagte bereits, daß ich Zugang auch zu geheimen Informationen habe. Daher weiß ich, daß Oraw Perthan, der Besitzer des Planeten Waahke, dem Imperator ein Dorn im Auge ist. Orbanaschol III. hat mehrfach versucht, diesen Planeten zu erwerben, aber Perthan hat ihn abgewiesen. Ich weiß, daß der Imperator darüber verärgert ist. Sein Interesse an Waahke ist nun noch größer. Auf diesem Planeten werden Maschinenteile für die Antigravtechnik produziert. Ein gewinnbringendes Unternehmen.“ „Sie meinen also, ich soll Perthan – hm – zwingen, Waahke an den Imperator zu verkaufen?“ „Ich kenne einen Weg, der dazu führt, daß Perthan gar keine andere Möglichkeit mehr hat.“ „Das wäre allerdings…“ Ritikka Awyrett lächelte. Er nickte Axton zu. „Ich weiß zu würdigen, was Sie für mich tun. Sagen Sie mir, wie Sie sich die Aktion vorstellen.“ „Es ist gar nicht so schwer“, antwortete Axton. „Sehen Sie, ich habe die alte Gründungsakte von Waahkara, der ersten Siedlung auf Waahke gefunden. In ihr hält Gonozal II. als damaliger Imperator von Arkon fest, daß die Familie Perthan so lange das uneingeschränkte Verfügungsrecht über den Planeten behalten darf, wie sie verhindert, daß der Melyaschimmel auf Waahke auftritt.“ „Das sagt mir überhaupt nichts“, erwiderte der Arkonide.
Du bist eben kein Geheimdienstmann und kennst die Schliche unserer Arbeit nicht, war Axton geneigt zu sagen. Statt dessen erklärte er: „Auf Waahke bestand ein wichtiger Stützpunkt der Arkoniden. Die dort stationierten Männer wurden von einem Schimmelpilz befallen, der sich auf der Haut, besonders auf der Schleimhaut, bildete und eine tödlich verlaufende Geschwulstkrankheit durch seine Abfallprodukte auslöste. Man war kurz davor, den Stützpunkt aufzugeben, da der Schimmel in einigen Fällen sogar schon auf andere Planeten übertragen worden war. Da entdeckte der Militärarzt Yothe Perthan ein zuverlässiges Gegenmittel. Für diese Leistung wurden ihm später die Eigentumsrechte an dem Planeten verliehen, allerdings mit der erwähnten Einschränkung.“ „Sie planen doch wohl nicht, diesen gefährlichen Pilz auf Waahke einzuschleppen?“ fragte Awyrett schockiert. „Natürlich nicht. Ich werde einen Boten schicken, der einen völlig harmlosen Schimmelpilz in einer Stadt auf Waahke verbreiten wird. Dieser kann leicht wieder beseitigt werden. Er ist von dem Melyaschimmel jedoch kaum zu unterscheiden. Es ist ein Bluff. Weiter nichts. Oraw Perthan wird vielleicht sogar merken, was gespielt wird, aber das wird ihm nichts nützen.“ Ritikka Awyrett überlegte nur kurz. Dann stimmte er zu. „Dann werden wir also in den nächsten Tagen nach Waahke fliegen?“ „Diese Mühe müssen wir schon auf uns nehmen, Awyrett.“ Lebo Axton verabschiedete sich in der Gewißheit, einen wichtigen Zwischenerfolg erzielt zu haben. * Oraw Perthan weigerte sich zunächst, Lebo Axton und Ritikka Awyrett zu empfangen. Er hielt sie für unmaßgebliche Männer. Das ließen die Worte des Dieners, der Axton und Awyrett am Eingang des weißen Trichterbaus abfertigen sollte, auch erkennen.
„Nun“, sagte der Kosmokriminalist gelassen. „Dann bestellen Sie Ihrem Herrn, daß wir direkt aus der Stadt Üstrkan kommen. Wir haben viele Kranke gesehen.“ „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“ „Das ist bedauerlich. Dann muß ich wohl deutlicher werden. Es geht um Waahke. Der Imperator mußte zu seinem großen Bedauern feststellen, daß die in der Gründungsurkunde genannten Bedingungen von Oraw Perthan nicht mehr eingehalten werden. Teilen Sie Perthan mit, daß Orbanaschol III. den Planeten konfiszieren wird, wenn wir nicht sofort mit ihm sprechen können.“ Der Diener erbleichte. Er rannte förmlich zum Antigravschacht und kehrte schon kurz darauf zurück, um die beiden Männer zu Oraw Perthan zu führen. Der Herr von Waahke war so korpulent, daß er nur in einem Spezialsessel Platz fand. Er schwitzte unmäßig, und sein Atem ging laut und pfeifend. Seine Augen verschwanden fast unter Fettwülsten. Er blieb sitzen, als Axton und Awyrett eintraten. Von seinem Platz aus reichte der Blick weit über das Meer hinaus, an dessen felsiger Küste er seinen Palast gebaut hatte. Oraw Perthan war ein reicher Mann. Schon seine Vorfahren hatten den Planeten nach allen Regeln der Kunst ausgebeutet und ein großes Vermögen angesammelt. „Was wollen Sie?“ fragte er unwirsch und bot den beiden Besuchern mit einer knappen Geste Platz an. „Wir wollen es kurz machen“, sagte Lebo Axton. Er holte eine Folie mit der Kopie des Gründungsvertrages aus seiner Tasche hervor und reichte sie Perthan. Dabei setzte er sich nicht in einen der Sessel, sondern blieb auf dem Rücken seines Roboters. „Was ist das?“ forschte der feiste Produzent. „Es ist die Gründungsurkunde für Waahke“, erläuterte der Kosmokriminalist. „Kennen Sie sie?“ „Ich habe nie davon gehört. Was soll das? Mich interessiert das nicht.“ „Lesen Sie sie“, befahl Ritikka Awyrett. Unwillig gehorchte Perthan, aber er begriff nicht.
„Dann muß ich es Ihnen wohl sagen“, bemerkte Axton. „Auf Waahke ist der Melyaschimmel aufgetreten. Damit ist der Imperator berechtigt, das Verfügungsrecht zurückzuziehen.“ Oraw Perthan richtete sich erbleichend auf. Er hieb seine Faust so heftig auf eine Leiste mit Berührungstasten neben seinem Sessel, daß diese zerbrach. Mehrere Männer traten ein. „Stimmt es, daß der Melyaschimmel wieder vorkommt?“ brüllte er. „Wieder?“ fragte einer der Männer überrascht. „Gab es diese Pilzkrankheit denn schon einmal auf Waahke?“ „Hinaus“, schrie Perthan, der am Rande seiner Fassung angelangt zu sein schien. Die Männer gehorchten, und er wandte sich Axton und Awyrett zu. „Jetzt begreife ich, was los ist. Orbanaschol will sich Waahke also auf diese Weise aneignen. Wissen Sie, wie ich so etwas nenne? Das ist Betrug, Diebstahl, Schwindel!“ Awyrett erhob sich. „Ich dulde es nicht, daß Sie den Imperator beleidigen“, sagte er scharf. „Das ist doch ein abgekartetes Spiel“, rief Perthan protestierend. „Das ist eine Verleumdung. Orbanaschol III. nimmt nur seine Rechte wahr. Der Hof hat von Ihrer Familie die absolute medizinische Kontrolle verlangt. Sie haben diese Forderung nicht erfüllt. Also haben Sie die Konsequenzen zu tragen.“ Oraw Perthan brach zusammen. Er erkannte, daß er in der Falle saß und nichts mehr ändern konnte. „Der Imperator wird den Planeten nicht konfiszieren. Er erkennt an, daß Ihre Familie immerhin Aufbauarbeit geleistet hat. Allerdings denkt er nicht daran, den Preis zu zahlen, den er Ihnen noch vor einiger Zeit geboten hat.“ „Wieviel?“ fragte Perthan zaghaft. „Den hundertsten Teil.“ Der Herr von Waahke stöhnte entsetzt. „Sie wollen mich ausplündern.“ Awyrett antwortete nicht. Axton konnte ihm ansehen, daß
er triumphierte. Er schien genau zu wissen, daß er sich mit diesem Handel die Gunst Orbanaschols erneut erobern würde. „Mehr zahlt der Imperator auf gar keinen Fall. Sie haben nur die Möglichkeit, damit einverstanden zu sein, oder sich mit einer Konfiszierung abzufinden. Entscheiden Sie sich. Ich erwarte, daß Sie uns in einer Stunde den Vertrag ins Hotel bringen, in dem Sie das Eigentum an dem Planeten Waahke mit allen Rechten an Orbanaschol III. übertragen“, sagte Ritikka Awyrett. Dann gab er Axton einen Wink und verließ zusammen mit ihm den Palast. Zurück blieb ein Oraw Perthan, der nichts mehr mit dem Mann gemein hatte, der er noch vor einer halben Stunde gewesen war. * Drei Tage später erschien Ritikka Awyrett in der Wohnung Lebo Axtons. Er strahlte vor Freude. „Stellen Sie sich vor, Axton, es ist alles wieder in Ordnung. Orbanaschol hat mir verziehen“, rief er, als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte. „Selbstverständlich habe ich klargestellt, daß es nicht allein mein Verdienst war, daß Waahke nun dem Imperator gehört.“ Kennon lächelte unmerklich. Er war überzeugt davon, daß Awyrett an diesem Punkt log. Er glaubte ihm nicht, daß er seinen Erfolg freiwillig mit ihm geteilt hatte. Vielleicht hatte er erwähnt, daß er den Hinweis auf die Gründungsurkunde von ihm bekommen hatte, mehr aber hatte er bestimmt nicht getan. Axton bot seinem Besucher etwas zu Trinken an, aber Awyrett lehnte höflich ab. „Ich habe nicht viel Zeit“, sagte er. „Die Vorbereitungen für die Jagd laufen auf Hochtouren. Selbstverständlich kann ich jetzt daran teilnehmen, und Sie werden auch dabei sein. Wenn gleich…“ Er wurde verlegen. „Machen Sie sich keine Sorgen um mich“, bat der Kosmokriminalist. „Ich habe nicht die Absicht, mich den anderen aufzudrängen. Ich will
nur beobachten. Ich habe viel von den Echsen gehört, aber noch nie eine aus nächster Nähe gesehen. Und sollte jemand über mich spotten, so wird mich das nicht beleidigen.“ Der Arkonide war offensichtlich beruhigt. Er atmete auf, reichte Axton spontan die Hand und verabschiedete sich nach einigen höflichen Worten. Der Verwachsene hielt ihn nicht auf. Er wandte sich Kelly zu, als er allein war. „Jetzt gilt es, die Vorbereitungen für die Jagd zu treffen“, sagte er. „Gib mir das Desintegratormesser.“ „Gleich“, erwiderte der Roboter. „Vorher muß ich dich noch auf etwas hinweisen, Schätzchen.“ Axton blickte ihn verblüfft an. „Du verweigerst mir den Gehorsam?“ „Natürlich nicht, aber ich bin gezwungen, bei mehreren Befehlen die Vorrangigkeit zu berücksichtigen.“ „Ich habe dir nur einen Befehl erteilt.“ „Der andere stammt von meinem Herrn und Meister.“ „Ach nein? Du bildest dir tatsächlich ein, seine Anordnungen hätten noch Gültigkeit?“ „Nur eine.“ „Welche?“ „Ich muß auf meinen Geburtstag achten.“ „Auf deinen Geb…“ Axton ließ sich in einen Sessel sinken. „Leidest du unter zeitweiligen Kurzschlüssen?“ „Keineswegs, Liebster.“ „Ich verbiete dir, mich Liebster zu nennen.“ „An meinem Geburtstag mußte ich meinen Meister immer so ansprechen.“ „Das gilt nicht mehr“, schrie Kennon stöhnend. „Ich vernichte dich, wenn du es noch einmal wagst, dieses Wort über deine Lippen zu bringen… ich meine, auf deiner Membran zu produzieren. Verstanden?“ „Vollkommen.“ „Also, was ist nun mit deinem Geburtstag?“ „Der Tag meiner ersten Aktivierung jährt sich zum dreißigsten Mal. Vor drei Minuten hat der Jahrestag begonnen.“ „So“, sagte Axton mühsam beherrscht. „Und was wünschst
du dir zu deinem Geburtstag?“ „Gerade Beine.“ Der Kosmokriminalist trank das Glas aus, das er für Ritikka Awyrett auf den Tisch gestellt hatte. „Ich stelle fest, du wandelnder Schrotthaufen, daß du die Vorrangigkeit der Befehle falsch beurteilt hast“, sagte er danach etwas gefaßter. „Dein Geburtstag ist mir vollkommen gleichgültig. Bilde dir nur nicht ein, daß ich dir Blumen, Süßigkeiten und womöglich neue Beine schenken werde. Allenfalls werde ich dich mit Hilfe des Desintegratormessers ein wenig zurechtstutzen. Und wenn das noch nicht genügt, werde ich dich für alle Zeiten deaktivieren. Jetzt bring mir endlich das Messer, oder du hattest heute zum letzten Mal Gelegenheit, deinen Geburtstag zu feiern.“ Axton kniff die Augen zusammen. Er wartete, bis das Messer vor ihm lag. Dann fragte er: „Welchen Namen hat dir dein Meister eigentlich gegeben?“ „Er nannte mich Schippedeidei.“ „Dreh dich um.“ Als der Roboter den Befehl befolgte, öffnete Axton eine Klappe an seinem Rücken und schaltete ihn aus. Er brauchte für einige Zeit Ruhe. Er konzentrierte sich auf die vor ihm liegenden Aufgaben. Selbstverständlich hatte er seine Gründe, an der bevorstehenden Jagd teilzunehmen. Er würde nicht nur beobachten, sondern seine Pläne verfolgen. 5. Ritikka Awyrett empfing Lebo Axton vor dem kleinen, kugelförmigen Raumschiff mit dem Namen EXATOR. Der Kosmokriminalist traf später als vereinbart ein, und zunächst schien es so, als sei der Arkonide erleichtert darüber, daß Axton überhaupt gekommen war. „Es tut mir leid, daß ich erst jetzt hier bin“, sagte der Verwachsene. „Ich wurde aufgehalten.“ „Das macht überhaupt nichts“, erwiderte Awyrett. „Der Start mußte ohnehin um zwei Stunden verschoben wer-
den.“ Der Terraner begriff. Awyrett hatte ihn nicht benachrichtigt, weil er nicht wollte, daß die anderen Jagdteilnehmer jetzt schon bemerkten, daß auch ein Gast dabei war, der nicht standesgemäß war. Der Arkonide glaubte, die Krise, in die er geraten war, bereits überwunden zu haben. Nun fühlte er sich sicherer, und seine alte Arroganz kehrte wieder zurück. Axton tat, als sei ihm nichts aufgefallen. „Dann habe ich ja noch genügend Zeit“, sagte er. „Ich führe Sie in Ihre Kabine. Später werde ich Sie rufen und mit den anderen bekannt machen.“ Das war wieder ein deutlicher Wink. Damit gab er Axton zu verstehen, daß dieser in seiner Kabine bleiben sollte. Der Verwachsene lächelte still in sich hinein. Er war Demütigungen dieser Art gewöhnt. In Situationen wie diesen glitten sie wirkungslos an ihm ab, da er wußte, daß er noch einen Trumpf in der Hand hatte. Die Kabine lag, wie nicht anders zu erwarten, auf einem der unteren Decks. Axton wußte, daß es das einfachste Quartier von allen war. Er beschwerte sich jedoch nicht, sondern tat, als sei alles in Ordnung. So war er auch nicht überrascht, daß Awyrett ihn später nicht rief, um ihn den anderen Gästen vorzustellen. Das Schiff startete, ohne daß der Arkonide sich sehen ließ. Kennon legte sich ins Bett und schlief ein. Stunden später erschien Awyrett bei ihm. Er war verlegen. „Ich muß mich bei Ihnen entschuldigen“, sagte er. „Dem Dienstpersonal ist ein ungeheuerliches Versehen passiert. Man hat versäumt, Sie zum Essen zu rufen. Ich hatte in der Zentrale zu tun und habe nicht bemerkt, daß Sie an der Tafel nicht anwesend waren. Darf ich Ihnen etwas bringen lassen?“ „Bitte.“ „Sie zürnen mir nicht?“ „Wie könnte ich! Machen Sie sich keine Sorgen.“ Er sah dem Arkoniden an, wie erleichtert dieser war. Awyrett durchschaute das Spiel des Kosmokriminalisten nicht.
Da er glaubte, Axton nicht mehr zu benötigen, ließ seine Aufmerksamkeit nach. Er verabschiedete sich und eilte davon. Kurz darauf kam ein uniformierter Diener und brachte Axton das Essen. Weitere fünf Stunden später landete das Raumschiff auf Schreet. Nun konnte Awyrett seinen unerwünschten Gast nicht mehr länger vor den anderen verbergen. Ein Bediensteter meldete sich bei Axton. Verblüfft blieb er in der offenen Tür stehen, als der Verwachsene ihn hereingebeten hatte. Lebo Axton trug einen hautengen, grünen Jagdanzug, der alle figürlichen Nachteile des Terraners deutlich betonte. Die dünnen Beine wirkten so schwach, daß es wie ein Wunder erschien, daß sie den tonnenförmigen Körper überhaupt tragen konnten. Der große Schädel wurde von einer Haube umspannt. In der linken Hand hielt Axton einen weit ausladenden Hut, in der rechten einen überdimensionalen Energiestrahler, wie er gewöhnlich nur von überdurchschnittlich starken Arkoniden oder von Umweltangepaßten benutzt wurde. In dem Gesicht des Dieners zuckte es verdächtig. „Es ist soweit“, sagte er mit verräterisch schwankender Stimme. „Man erwartet Sie.“ Er schloß die Tür eilig und lief davon. Axton lächelte und kletterte auf den Rücken seines Roboters. „Los, Kelly. Jetzt wollen wir’s wissen.“ Als sie die Hauptschleuse des Schiffes erreichten, standen die anderen Teilnehmer der Jagdgesellschaft um zwei Gleiter herum, die mit Ausrüstungsgegenständen und Schußwaffen beladen waren. Axton zählte zwölf Arkoniden. Sie trugen alle den hochmütigen Ausdruck zur Schau, wie er für viele Adelige typisch war. „He, was ist das?“ rief einer von ihnen. Er blickte Axton an. Die anderen drehten sich um. Einer von ihnen begann schallend zu lachen. „Ritikka, das war der Einfall“, rief er. „Wer hat schon damit gerechnet, daß du die Jagd durch eine Witzfigur bereichern würdest.“
Awyrett wurde blaß. Er sagte etwas, aber seine Worte gingen in dem Gelächter der anderen unter. Lebo Axton stützte sich gelassen auf den Kopf Kellys und lächelte freundlich. Ihm schien es nichts auszumachen, daß man sich derart über ihn amüsierte. „Still“, rief Awyrett endlich. „Dies ist Lebo Axton, ein Mann vom Geheimdienst. Ich habe ihn als äußerst gefährlichen…“ Weiter kam er nicht. Das brüllende Gelächter der anderen übertönte seine Worte. Natürlich glaubte ihm niemand, daß er es ernst gemeint hatte. Als er erneut versuchte, sich Gehör zu verschaffen, aber wiederum keinen Erfolg hatte, stieg er in einen der beiden Gleiter und flog einfach davon. Die ausgelassene Jagdgesellschaft begriff nicht, daß er zornig war. Einige der Arkoniden machten einige witzige Bemerkungen, die entsprechenden Anklang fanden. Lebo Axton ließ alles über sich ergehen. Er wartete ab. Und da er nichts sagte, verlor sich das Interesse an ihm bald. Die Arkoniden wandten sich den Geräten zu. Zwei Diener schleusten zwei weitere Gleiter aus, und die Jäger starteten. An Axton dachte niemand. Er ließ die Arkoniden vorausfliegen und gab Kelly erst den Befehl, ihnen zu folgen, als sie schon fast einen Kilometer Vorsprung gewonnen hatten. Der Raumhafen befand sich offenbar in der Äquatorzone des Planeten, über den Axton sich selbstverständlich eingehend informiert hatte. Das Schiff war mitten in einem Dschungelgebiet gelandet. Nach Westen hin dehnte sich ein blauer Ozean. Nach allen drei anderen Richtungen hin aber erstreckte sich ein undurchdringlich erscheinender Urwald. Am Horizont erhob sich eine Bergkette, die jedoch im Dunst kaum noch erkennbar war. Axton fiel auf, wie viele Vögel sich in der Luft bewegten. Es waren fast ausnahmslos Tiere mit beeindruckenden Spannweiten. Die Gleiter der Jagdgesellschaft flogen nach Nordosten. Axton sorgte dafür, daß Kelly stets den gleichen Abstand beibehielt. Dabei glitt der Roboter dicht über die Wipfel der Bäume hinweg. Glücklicherweise griff keiner der Vögel an, so daß Kennon sich ganz auf die Gleiter konzentrieren
konnte. Diese landeten schließlich am Eingang einer Schlucht auf einer großen Lichtung. Obwohl die Sonne hoch stand und es warm war, brannte ein Feuer im Lager, das einige farbenprächtig ausgestattete Gestalten eingerichtet hatten. Axton hatte Geschöpfe dieser Art niemals zuvor gesehen. Sie hatten ein humanoides Äußeres, unterschieden sich aber dennoch in ihrer Form deutlich von den Arkoniden. Rumpf und Extremitäten glichen Spiralen. Der runde Kopf mit den hervorquellenden Augen schien nicht recht dazu zu passen. Diese Wesen trugen durchsichtige Schleier, die ihre Körper locker umgaben. Vom Kopf und von der obersten Rumpfspirale hingen Federn, Felle und Tiertrophäen in allen Farben und Größen herab, und auch die spitz auslaufenden Füße waren mit derartigen Dingen verziert. „He, da kommt unser Jagdclown“, rief einer der Arkoniden, als Axton auf der Lichtung landete. „Kleiner, wir hatten dich schon vermißt.“ „Das ist sehr freundlich von Ihnen“, sagte Axton. „Ich fürchtete bereits, Sie wollten mich auf dem Raumhafen zurücklassen.“ Ritikka Awyrett kam nun zu dem Kosmokriminalisten. Er legte seine Hand an einen Arm des Roboters und wandte sich an die Jagdteilnehmer. „Ich will einen Irrtum klären“, begann er, aber niemand hörte auf ihn. Alle hatten damit zu tun, die Ausrüstung auszupacken. Axton beugte sich zu Awyrett hinab. „Lassen Sie nur“, sagte er ruhig. „Mich stört es nicht, wenn Ihre Freunde so reden.“ Die beiden Männer blickten sich an. Awyrett erkannte, wie weit Axton über den Dingen stand. Er zuckte verlegen mit den Schultern und wollte sich abwenden. In diesem Moment näherte sich einer der Eingeborenen dem Lager. Er schrie in kurzen Abständen schrill auf. Er bewegte sich mit eigenartigen Sätzen vorwärts, wobei er mit jedem Sprung mehrere Meter überwand. Dabei zog sich jeweils ein Spiralbein zusammen und schnellte danach in
die Länge. Auf diese Weise schleuderte es den Körper förmlich voran. Mit dem gestreckten anderen Spiralbein fing sich der Planetenbewohner ab, warf sich leicht nach vorn und katapultierte sich weiter. Auf diese Weise entwickelte er eine Geschwindigkeit, die deutlich über einhundert Stundenkilometern lag. Kein Mensch hätte mit ihm Schritt halten können. „Melyaechsen“, rief Ritikka Awyrett. Damit war der für ihn so unangenehme Vorfall vergessen. Er rannte zu seinem Gepäck, riß seinen Jagdstrahler heraus und sprang auf eine Antigravplattform, die gerade so groß war, daß seine Füße darauf paßten, und er den Kolben seiner Waffe abstellen konnte. Sie ließ sich mit leichten Fußbewegungen steuern. Auch die anderen Arkoniden verfügten über eine derartige Ausrüstung. Innerhalb weniger Sekunden waren alle bereit. Nun stürmten die Eingeborenen, deren Zahl mittlerweile auf zwölf angestiegen war, den Arkoniden voraus. Axton hatte nicht bemerkt, woher diese Spiralmänner alle gekommen waren. Die Entwicklung der Dinge mißfiel ihm. Alles verlief überhastet. Ihm wäre es viel lieber gewesen, wenn er vor Beginn der Jagd Gelegenheit gehabt hätte, das Terrain zu studieren, in dem Ritikka Awyrett zur entscheidenden Figur seines großen Planes werden sollte. So mußte er alles dem Zufall überlassen, und nichts haßte er mehr als gerade das. Er war ein Mann, der jeden Schritt exakt vorausberechnen wollte. „Dranbleiben, Kelly“, sagte er. „Auf Awyrett kommt es an. Ihm darf nichts passieren.“ Auf dem Rücken des Roboters flog er wiederum hinter den Arkoniden her. Dieses Mal aber blieb er nur um wenige Meter zurück. Ritikka Awyrett trug zu einer olivgrünen Kombination einen gelben Gürtel. Daran war er auch von hinten gut zu erkennen, da die anderen von Kopf bis Fuß in grünen oder grauen Jagdanzügen steckten, die sich nur wenig vom Grün der Bäume und Büsche abhoben. Als Awyrett merkte, daß Axton in seiner Nähe blieb, ließ er sich zu ihm herantreiben. „Passen Sie auf sich auf“, rief er. „Gehen Sie lieber höher,
denn die Echsen sind verdammt gefährlich. Sie greifen plötzlich an und springen unglaublich hoch.“ „Machen Sie sich um mich keine Sorgen“, antwortete Axton. „Ich habe nicht die Absicht, mich an der Jagd zu beteiligen. Ich will nur beobachten.“ Einer der anderen Arkoniden pfiff laut. Awyrett zuckte zusammen, beschleunigte und raste zu ihm hinüber. Das weißblonde Haar wurde sichtbar, als ihm dabei seine Schutzkappe in den Nacken rutschte. Plötzlich schwärmten die Arkoniden und die Schreetaner auseinander. Sie verschwanden unter den Bäumen, stiegen an den Steilwänden der Schlucht auf oder sprangen in eine Spalte, die sich überraschend aufgetan hatte. Robot Kelly folgte Awyrett, der zusammen mit einem Schreetaner unter die Bäume geeilt war. Der Arkonide jagte in verwegenem Tempo weiter, wobei er mehrere Male nur knapp an einigen Ästen und Baumstämmen vorbei kam. Der Eingeborene hatte keine Mühe, bei ihm zu bleiben. Er hüpfte und katapultierte sich kraftvoll hinter ihm her, bis sich die Schlucht plötzlich weitete. Vorsichtig drang Awyrett weiter vor. Lebo Axton sah, daß sie eine Felsplatte von etwa dreihundert Metern Länge und fünfzig Metern Breite erreicht hatten. Auf ihr wuchsen nur wenige Dornenbüsche. Rechts stieg eine Felswand auf, die nahezu vollkommen glatt war. Zur Linken befand sich ein etwa zweihundert Meter tiefer Abgrund. Aus ihm tönte das wütende Gebrüll einiger großer Tiere herauf. Mehrere Schüsse fielen. Deutlich sah Axton es aufblitzen. Mit höchster Konzentration überwachte er die Szene. Er durfte sich nichts entgehen lassen. Zwischen den Felsen erschien ein weiterer Schreetaner. Er führte einen mit Federn geschmückten Speer mit sich und rief Awyrett etwas zu, was Axton nicht verstand. Der Arkonide blickte zu dem Eingeborenen hinüber und achtete dadurch nicht genügend auf die Kante zum Abgrund. Ungeheuer schnell schoß eine Melyaechse aus dem Abgrund empor. Sie war etwa zwanzig Meter lang und vier Meter hoch. Ihr Körper verfügte über keinerlei Gelenke, sondern war ebenfalls nach dem Spiralenprinzip konstruiert. Die
Konturen waren jedoch nicht so gut zu erkennen wie bei den Planetariern, weil die Tiere über ein dichtes, braunes Fell verfügten. Lediglich der langgestreckte Kopf mit den vierfachen Zahnreihen erinnerte an eine Echse. Brüllend und fauchend griff die Bestie den Arkoniden an, der in einer Höhe von etwa sechs Metern über dem Boden schwebte. Die Attacke kam so überraschend für ihn, daß er nicht rechtzeitig reagierte. Die beiden Schreetaner warfen sich auf das Raubtier. Der mit dem Speer ausgerüstete Mann schleuderte seine Waffe auf die Echse und traf sie am Kopf. Die scharfe Spitze prallte jedoch an zwei offenbar äußerst harten Kegelvorsprüngen ab. Ritikka Awyrett versuchte, seinen Jagdstrahler in Anschlag zu bringen, schaffte es jedoch nicht mehr. Das Raubtier riß seinen Kopf hoch, schlug ihn mit unglaublicher Wucht von unten gegen die Antigravplatte und schleuderte den Arkoniden etwa zehn Meter in die Höhe. Awyrett verlor den Kontakt mit seinem Fluggerät. Es wäre ihm jedoch kaum besser ergangen, wenn es ihm gelungen wäre, es zu halten. Denn es stürzte weit entfernt polternd auf die Felsen herab. Der Arkonide fiel auf den Rücken der Melyaechse und krallte sich instinktiv in ihrem Fell fest. Zu dieser Zeit zielte Lebo Axton bereits auf den Kopf der Bestie, doch er schoß nicht. Die Entwicklung war ganz anders verlaufen, als er geplant hatte. Selbstverständlich hatte er einen Jagdunfall für Awyrett vorgesehen. Dabei mußten aber genau die Verletzungen v auftreten, die Kennon für sein weiteres Vorgehen gegen den Arkoniden brauchte. Da er aber nicht wußte, wie die Jagd in den nächsten Tagen verlaufen würde, zögerte er einige Sekunden zu lange. Das Raubtier wirbelte herum. Für einen kurzen Moment schien es so, als werde Awyrett heruntergeworfen, aber er machte den Fehler, sich festzuhalten. Dadurch blieb er auf dem Rücken der Echse, als diese mit einem unglaublich weiten Sprung in den Abgrund floh. Axton schoß bewußt am Kopf des Tieres vorbei. Beobachter
sollten ihm nicht nachsagen können, daß er zu wenig für die Rettung des Arkoniden getan hatte. Robot Kelly flog hinter der Melyaechse her. Als er über die Kante des Abbruchs hinweg kam, sah der Terraner, daß die Bestie etwa dreißig Meter tiefer auf einem Felsvorsprung gelandet war und nun auf einer Art Sims dahinstürmte. „Schneller“, befahl er. Tief unter ihnen hatten die anderen Arkoniden drei Melyaechsen eingekreist. Axton verfolgte, daß sie die Tiere nacheinander mit ihren Jagdstrahlern erlegten. Dies war keine Jagd nach seinem Geschmack, da weder Spürsinn noch Geschicklichkeit dazu gehörte, die Tiere zu erlegen. Die Raubechse verschwand mit Ritikka Awyrett auf dem Rücken unter den dichten Laubkronen einiger Bäume. Sie drang in das Unterholz ein und brach dabei zahlreiche Äste, wie an dem Lärm unschwer festzustellen war. Kelly stürzte sich förmlich in die Tiefe. Axton klammerte sich fest. Er preßte seinen Energiestrahler an sich und trieb den Roboter voran, da er fürchtete, mit Awyrett die wichtigste Figur in seinem Planspiel zu verlieren. Mit hoher Geschwindigkeit drang er auf dem Rücken Kellys in den Wald ein und jagte direkt auf die Echse zu, die gewendet hatte und den Weg ins Freie suchte. Der Roboter reagierte zuverlässig. Er wich dem Tier aus, wobei er sich auf die Seite legte, so daß Axton durch den plötzlichen Richtungswechsel nicht abgeworfen werden konnte. Der Terraner sah die Bestie vor sich aufragen. Aus dem weit geöffneten Rachen schlug ihm der stechende Atem des Raubtiers entgegen, das ihn als leichte Beute anzusehen schien. In dieser Situation blieb ihm keine andere Wahl. Er schoß mitten in den Schlund der Echse hinein. Der Energiestrahl verbreitete eine blendende Helligkeit. Er bohrte sich durch den Kopf des Tieres hindurch und schleuderte dieses zurück. Es bäumte sich kreischend vor Schmerz und Schrecken auf. Axton sah, daß Ritikka Awyrett im hohen Bogen vom Rücken geschleudert wurde und im Geäst der Bäume verschwand.
Da er wußte, daß er den Arkoniden nicht treffen konnte, schoß er abermals. Aber das wäre gar nicht mehr nötig gewesen. Der erste Schuß war bereits tödlich gewesen. Während die Melyaechse zusammenbrach, stürzte Ritikka Awyrett durch das Blätterdach. Lebo Axton hörte ihn entsetzt schreien. Robot Kelly beschleunigte blitzartig. Zu überraschend für den Terraner, der sich nicht mehr auf seinem Rücken halten konnte und auf den Boden fiel. Zu langsam aber für den Arkoniden. Kelly konnte ihn zwar noch an einem Bein packen, aber nicht verhindern, daß der Arkonide mit Schultern und Kopf aufprallte. Fluchend kam Kennon auf die Beine. Er konnte Awyrett und Kelly nicht sehen, da das erlegte Tier sich zwischen ihm und ihnen befand. So kämpfte er sich mühsam durch die Büsche um den Kadaver herum. „Kelly, wo bist du?“ Der Roboter schwebte über die Echse hinweg zu ihm hin. „Es tut mir leid“, sagte er. „Gib nicht an“, erwiderte Axton ärgerlich. „Du hast keinerlei Gefühle, also kann dir auch nichts leid tun.“ Er kletterte ächzend auf den Rücken des Roboters und verankerte seine Füße fest in den Bügeln, die er am Rumpfkörper des Automaten verklebt hatte, um sich bequemer transportieren lassen zu können. Ungeduldig wartete er darauf, daß Kelly ihn zu dem Arkoniden brachte. Ritikka Awyrett lag in verkrümmter Haltung auf dem Waldboden. Blut sickerte aus mehreren Wunden an Schultern, Kopf, Armen und Beinen. „Das sieht böse aus“, sagte Axton betroffen. „So schlimm hätte ich es nicht gemacht, wenn du mir nur Gelegenheit gegeben hättest, alles nach meinem Plan abzuwickeln.“ Als Kelly gelandet war, sprang Kennon auf den Boden. Dabei fiel ihm auf, daß die Schwerkraft auf Schreet geringer als auf Arkon war. Er konnte sich hier leichter bewegen. Neben dem Verletzten kniete er nieder. Er tastete nach dem Pulsschlag am Hals des Arkoniden und atmete auf, als er spürte, wie kräftig dieser ging. In aller Eile untersuchte er Awyrett. Dabei stellte er fest, daß dieser sich ein Bein,
beide Arme, einen Schulterknochen und offenbar auch die Schädelbasis gebrochen hatte. Der Hinterkopf war blutig und stark geschwollen. Axton empfand kein Mitleid mit dem Arkoniden. Wer sich auf eine solche Jagd einließ, dem konnte es nicht schaden, wenn er zu spüren bekam, wie ungleich normalerweise die Chancen verteilt waren. „Verständige die anderen, Kelly. Beeil dich. Bring mir aber vorher meine Waffe. Ich habe keine Lust, mich von einer anderen Echse verspeisen zu lassen, nur weil ich mich nicht wehren kann.“ Der Roboter kehrte dorthin zurück, wo Axton nach seinem Sturz auf den Boden gefallen war, und holte den Energiestrahler. Der Terraner setzte sich neben dem Bewußtlosen ins Gras und schickte Kelly mit einer energischen Handbewegung weg. Als er allein war, blickte er sich suchend um und lauschte mit allen Sinnen auf die Geräusche des Waldes. Von der erlegten Echse ging ein Geruch aus, dem er sich freiwillig niemals ausgesetzt hätte. Unter den gegebenen Umständen aber konnte er sich nicht von Awyrett entfernen. Hin und wieder schreckte er auf, wenn Äste knackten oder der Ruf eines Tieres ertönte. Er hatte nicht vergessen, wie blitzartig die Melyaechse über der Felskante erschienen war. Und so hielt er es für durchaus möglich, daß eine zweite ebenso überraschend hier angreifen konnte. Doch seine Befürchtungen erwiesen sich als unberechtigt. Die anderen Arkoniden kamen in höchster Eile. Einer von ihnen – er hieß Reifta – landete als erster neben dem Verwachsenen. Er blickte Axton argwöhnisch an. „Haben Sie das verschuldet?“ fragte er scharf. Der Kosmokriminalist erhob sich und lachte dem Arkoniden ins Gesicht. „Sie sollten sich lieber um Ihren Freund kümmern, als blödsinnige Vermutungen anzustellen. Wenn ich nicht gewesen wäre, dann wäre Awyrett jetzt schon tot.“ Seine Stimme wurde lauter. „Und jetzt beeilen Sie sich gefälligst. Awyrett braucht dringend ärztliche Hilfe.“
Reifta stutzte. Diesen Ton hatte er von Lebo Axton nicht erwartet. Er blickte ihn an und erkannte, wie gründlich er sich geirrt hatte. Er sah die Augen des Verwachsenen und entdeckte die wirkliche Persönlichkeit dahinter. Unter ihrem Eindruck erbleichte er. Unsicher drehte er sich zu den anderen um. „Schnell. Wir müssen ihn auf eine Antigravplattform legen und nach Schreetonga bringen. Dort kann er operiert werden.“ Ein Arkonide, der erst jetzt ankam, hatte weiter gedacht als die anderen. Er hatte erst ein Bergungsgerät geholt und hatte sich dann auf die Suche nach Awyrett gemacht. So konnten die Freunde des Verunglückten diesen ohne weiteren Zeitverlust abtransportieren. Lebo Axton zog sich von der Gruppe der Arkoniden zurück. Er legte Wert auf Abstand. Mehrere Male blickte Reifta mit offensichtlichem Unbehagen zu ihm zurück. * Schreetonga lag auf einem Hochplateau im Norden. Hier herrschte ein angenehmes, mildes Klima. Die Stadt war nicht groß. Sie hatte nur etwa eintausend Einwohner, die alle nur vom Geschäft mit der Großwildjagd lebten. Es waren fast ausschließlich Arkoniden. Lebo Axton sah nur vereinzelte Eingeborene, als er vor der halbrobotischen Klinik wartete. Eine Gruppe von drei Ärzten operierte Ritikka Awyrett mit Hilfe eines Medoroboters. Inzwischen hatte Axton erfahren, daß der Arkonide erhebliche innere Verletzungen davongetragen hatte, die tödlich gewesen wären, wenn er nicht so schnell in die Klinik gekommen wäre. Die anderen Teilnehmer der Jagd waren in einen Weinkeller im Zentrum der Siedlung gegangen, wo es einen schreetanischen Wein gab, der außerordentlich gut sein sollte. Reifta hatte es jedenfalls lautstark verkündet, nachdem sie Awyrett in die Obhut der Ärzte übergeben hatten. Er hatte auch den Kosmokriminalisten zum Mitkommen aufgefordert, aber Axton hatte abgelehnt. So saß er jetzt auf einer
Bank und blickte die Gasse hinunter, die zum Platz im Zentrum führte. Dort gab es eine Reihe von Geschäften und mehrere Gasthäuser. Als er etwa zwei Stunden gewartet hatte, kam einer der Ärzte heraus. Er nickt Axton zu. „Wir sind zufrieden“, sagte er. „Awyrett wird es schaffen.“ „Wann kann er nach Arkon zurück?“ „Wir müssen wenigstens drei Tage warten, bis er sich genügend erholt hat, so daß er transportfähig ist.“ „Danke.“ Axton kletterte auf den Rücken seines Roboters. „Geh, Kelly“, befahl er. Der Arzt kehrte ins Haus zurück. Dabei warf er dem Verwachsenen noch einen verwunderten Blick zu. Kennon bot allerdings ein etwas seltsames Bild, als er wie ein großes, grünes Insekt auf dem Rücken des Roboters kauerte und sich von ihm davontragen ließ. Axton war hungrig und wollte irgendwo in der Siedlung etwas essen. Dabei verspürte er nicht die geringste Lust, mit den anderen Teilnehmern der Jagdgesellschaft zusammenzutreffen. Deshalb ließ er Kelly ein verstecktes Lokal ansteuern, das seinen Vorstellungen entsprach. Dabei war jedoch nicht zu verhindern, daß er Aufsehen erregte, denn wo auch immer er auftauchte, blieben die Bewohner der Stadt stehen und begafften ihn. Keiner aber machte sich lustig über ihn. Hier respektierte man den Gast, denn er war es, der Geld auf diesen Planeten brachte. Dennoch war Kennon froh, als er in einer mit Jagdtrophäen verzierten Nische saß und sein Essen verzehren konnte. Alle Spannung fiel von ihm ab. Die Ruhe tat ihm gut. „Das einzige, was mich noch stört, ist deine Anwesenheit“, sagte er zwischen zwei Bissen zu Kelly, der ihm gegenüber am Tisch Platz genommen hatte. „Leider kann ich dich nicht irgendwo an der Garderobe abgeben wie einen alten Hut. Und draußen kann ich dich auch nicht stehenlassen, weil du die Bande sofort aufmerksam machen würdest.“ „Du könntest mir eine Maschine anhängen, die mich unsichtbar macht“, schlug Kelly ihm vor. „Einen Deflektor? Was weißt du schon davon? So etwas gibt
es noch nicht.“ „Du hast einmal so ein Ding erwähnt, Schätzchen.“ Axton winkte ab. „Ach was, bei dir würde das auch nichts nützen. Im Gegenteil. Wenn ich wüßte, daß du mir unsichtbar gegenübersitzt, würde mir schlecht werden. Ich hätte das Gefühl, einen bösen Geist im Nacken zu haben. Schweig jetzt. Ich will in Ruhe essen.“ Doch an diesem Tag war es ihm nicht vergönnt, die Kostbarkeiten der Küche ungestört zu genießen. Axton hatte seinen Wildbraten kaum zur Hälfte verzehrt, als überraschend Reifta vor ihm auftauchte. Unmittelbar darauf betraten die anderen Mitglieder der Jagdgesellschaft den Raum. Sie wandten sich jedoch anderen Tischen zu. „Sieh da“, sagte Reifta mit schwerer Zunge. „Unser grüner Kobold macht es sich gemütlich. Was dagegen, wenn ich mich setze?“ „Durchaus nicht“, erwiderte Axton. „Für einen Mann wie Sie habe ich immer noch einen Bissen übrig.“ Er schob dem Arkoniden seinen Teller hin. Reifta blickte ihn verblüfft an, dann aber lachte er schallend auf und reichte den Teller zurück. „So war das nicht gemeint“, erklärte er. Ein Schreetaner brachte ihm eine Karaffe mit Wein und zwei Gläsern. Er schenkte ein. Axton nahm das Angebot an. Während er jedoch nur einen kleinen Schluck von der süßlichen Flüssigkeit zu sich nahm, trank der Arkonide sein Glas auf einen Zug aus. „Ich habe mich über Sie erkundigt, Lebo Axton“, sagte er dann. Axton war sich noch nicht ganz klar darüber, ob er wirklich stark betrunken war, oder ob er sich nur so gab. „Haben Sie das, Reifta?“ „Ja, tatsächlich. Ich habe einflußreiche Freunde auf Arkon. An Sie habe ich mich per Hyperfunk gewandt.“ „Mit Erfolg, wie ich hoffe?“ „Wie man’s nimmt, Axton. Ich habe herausbekommen, daß man so gut wie nichts über Sie weiß.“ Kennon lächelte.
„Das ist gut“, sagte er. „Das ist die beste Auskunft, die Sie erhalten konnten.“ Reifta dachte einige Sekunden über diese Antwort nach, dann fragte er: „Woher kommen Sie, Lebo Axton?“ Der Verwachsene beugte sich vor und winkte den Arkoniden zu sich heran. „Ich will es Ihnen verraten, Reifta, aber nur, wenn Sie mir versprechen, daß Sie mein Geheimnis bewahren werden.“ „Ich schwöre.“ „Dann will ich es sagen.“ „Nun?“ „Ich komme aus der Zukunft“, flüsterte Kennon geheimnisvoll. Dabei blickte er sich gewollt ängstlich nach allen Seiten um, als fürchte er, noch andere könnten ihn hören. Reifta ließ sich gegen die Lehne seines Stuhles zurückfallen und lachte laut auf, so daß die anderen Arkoniden auf ihn aufmerksam wurden. Als Axton ihm energisch auf die Hand klopfte, bemühte er sich jedoch, wieder ruhiger zu sein. „Aus der Zukunft?“ fragte er, wobei er sich kaum beherrschen konnte. „Aus welcher Zukunft? Waren Sie uns zwei oder drei Wochen voraus?“ „Nicht doch, Reifta. Es sind etwa zehntausend Jahre.“ Der Arkonide weitete die Augen. Für einen kurzen Moment schien er zu zweifeln, dann aber platzte es aus ihm heraus. Er bog sich vor Lachen. Als er sich dann endlich wieder gefangen hatte, trank er hastig ein weiteres Glas Wein aus. Er griff nach dem Arm Axtons. „Sagen Sie mir nur noch eines“, bat er. „Sagen Sie mir, wer in zehntausend Jahren der mächtigste Arkonide sein wird.“ „Diese Frage ist wirklich leicht beantwortet“, sagte Kennon mit einem feinen Lächeln. „Der mächtigste Arkonide wird in zehntausend Jahren Atlan sein!“ Nun war es endgültig mit Reiftas Beherrschung vorbei. Selbstverständlich glaubte er Axton kein Wort. Er lachte so laut, daß die anderen Arkoniden an den Tisch kamen und wissen wollten, was ihn derart amüsierte. Reifta war jedoch nicht in der Lage zu antworten, weil seine Stimme immer wieder im Gelächter erstickte.
Sinclair Marout Kennon aß gelassen weiter. Er wußte, daß er keinen Fehler gemacht hatte. Niemand konnte sich vorstellen, daß er die Wahrheit gesagt hatte. Atlan befand sich in einer Position, die aus der Sicht der herrschenden Arkoniden so gut wie aussichtslos war. Außerdem, wie sollte es ihm möglich sein, zehntausend Jahre zu leben? Der Terraner wußte, daß er für die nächste Zukunft Ruhe vor unangenehmen Fragen haben würde. 6. Axton wartete zwei Tage ab. In dieser Zeit sah er nur wenig von Reifta und dessen Freunden. Die Arkoniden zogen es vor, in den Wäldern von Schreet zu jagen. Sie kümmerten sich nicht viel um Ritikka Awyrett, der das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt hatte. Sie hatten erfahren daß er außer Lebensgefahr war und schon bald nach Arkon zurückgebracht werden konnte. Das genügte ihnen. Axton hielt sich während dieser Tage ständig in der Nähe der Klinik auf. Er belauerte sein Wild auf seine Art. Für ihn galt es, den günstigsten Zeitpunkt herauszufinden, zu dem er den nächsten Schritt wagen durfte. Axton erschien täglich mehrmals in der Klinik und sprach mit den Ärzten. Einige Male betrat er das Krankenzimmer des Arkoniden, der von mehreren Spezialverbänden zur Bewegungslosigkeit verurteilt war. Awyrett lag unter einem Beatmungszelt und war an zahlreiche Beobachtungssysteme angeschlossen, die im Fall einer Gefahr sofort Gegenmaßnahmen einleiten konnten. Am Abend des zweiten Tages verließen alle Ärzte die Klinik. Kennon wartete im Schatten einiger Bäume ab, bis er sicher war, daß er nicht gestört werden würde. Dann gab er Kelly das Zeichen. Der Roboter ließ sich nach vorn fallen, so daß er flach über dem Boden schwebte. Axton lag auf seinem Rücken. Der Roboter glitt lautlos zur Klinik hinüber, wobei er sich ständig im Sichtschatten der Büsche und Zierstau-
den hielt. Erst am Eingang des Gebäudes richtete er sich wieder auf. Axton beugte sich nach vorn und hantierte mit geübten Griffen am Schloß der Tür. Diese glitt bereits Sekunden später auf und schob sich hinter ihnen wieder zu. Kelly blieb stehen und blickte durch die transparenten Scheiben der Tür hinaus. Draußen blieb alles ruhig. Niemand schien sie beobachtet zu haben. „Weiter“, befahl Axton leise. Der Roboter kannte den Weg zu dem Raum, in dem Ritikka Awyrett lag. Es war ein fensterloses Zimmer, das nüchtern und steril eingerichtet war. Das Blinken der Observationsgeräte beherrschte die Szene. Es waren die Lebenssignale eines Mannes, der unter anderen Umständen nicht überlebt hätte. Ein blaues Licht zeigte an, daß Awyrett mit künstlichen Mitteln in einen Genesungsschlaf versetzt worden war. Er hatte die Bewußtlosigkeit überwunden und damit einen weiteren Schritt auf dem Wege der Besserung getan. Doch das störte Kennon keineswegs. „Präge dir jeden Handgriff ein“, befahl er dem Roboter. „Der Verband muß später genauso sitzen wie jetzt.“ „Es ist alles vorbereitet“, antwortete Kelly. Axton trat an das Bett heran und legte eine Instrumententasche, die er mitgebracht hatte, auf einem kleinen Tisch ab. Dann begann er damit, den Kopfverband vorsichtig zu lösen. Dieser bestand aus einer Mischung von Gaze und einem aufgesprühten Kunststoff, so daß er nicht einfach nur abgewickelt werden konnte, sondern zertrennt werden mußte. Daher konnte der gleiche Verband später auch nicht wiederverwendet werden. Axton mußte einen völlig neuen anlegen, wenn er seine Arbeit beendet hatte. Der Verletzte stöhnte hin und wieder leise auf. Das blaue Licht zeigte jedoch deutlich an, daß er nicht aufwachen würde. Axton unterbrach seine Arbeit hin und wieder und horchte, obwohl er wußte, daß Kelly viel früher auf Zeichen einer Gefahr reagieren würde als er selbst. Er brauchte etwa eine halbe Stunde, bis er alle Verbände
vom Kopf Awyretts gelöst hatte. Die Wunden waren bereits halbwegs verheilt. Die Spezialmedikamente der Arkoniden wirkten rasch. So blieb Axton nichts anderes übrig, als den Schädel wieder zu öffnen. Dabei ging er so geschickt vor, daß nur ein winziger Schnitt entstand. Die Arbeit strengte ihn an. Ihm kam es heiß und stickig im Raum vor, obwohl die Klimaanlage ständig für frische Luft und eine gleichbleibende Temperatur sorgte. Sein schwacher Körper war jedoch keine Belastungen dieser Art gewohnt. Seine Hand mußte absolut ruhig sein. Ein leichtes Zittern konnte das Desintegratorfeld bereits so verschieben, daß Gehirnmasse beschädigt wurde. Axton war daher gezwungen, hin und wieder kleine Erholungspausen einzulegen. Kelly reichte ihm etwas zu Trinken und massierte ihm vorsichtig Nacken und Arme, um die Muskeln zu entkrampfen. Schließlich aber konnte Axton eine Sonde einige Zentimeter weit in die Gehirnmasse des Arkoniden einführen. Mit Hilfe eines Peilgerätes, das auf die Spitze der Sonde reagierte, konnte er feststellen, daß sie ihr Ziel millimetergenau erreicht hatte. Er atmete auf. Dann schob er winzige positronische Bauteile an der Sonde entlang. Dabei ging es wiederum um höchste Präzision. Äußerst behutsam brachte er die Teilchen, die zusammen kaum mehr als zwei Gramm wogen, an ihren Bestimmungsort. Dann zog er die Sonde heraus, verschloß das Loch in der Schädeldecke mit einem Plastikpfropf, der sich bei einer möglichen Röntgenuntersuchung nicht vom Knochenbild unterscheiden würde, und verschloß die Schnittwunde wieder. Danach entfernte er sorgfältig alle Blutspuren, versiegelte den Schnitt und besprühte ihn mit einer Plastikmasse, die den Heilungsprozeß beschleunigen würde. Die Hauptarbeit war getan. Nun galt es nur noch, den Verband anzulegen. Als er etwas getrunken hatte und sich Awyrett erneut zuwenden wollte, vernahm er ein Geräusch auf dem Gang vor dem Zimmer. Er zuckte zusammen. Kelly machte ein Zeichen.
„Da ist jemand“, sagte er kaum hörbar. Die Tür glitt zur Seite. Reifta betrat das Krankenzimmer. Genauer gesagt, er torkelte herein. Seine Augen waren glasig. „Ha… hallo“, sagte er mühsam. „Trifft man sich auch mal wieder?“ Er näherte sich dem Krankenlager und blickte auf Awyrett hinab. In seinem Gesicht arbeitete es. Er war vollkommen betrunken und mühte sich offensichtlich ab, Awyrett klarer zu sehen. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, verlor dann aber das Gleichgewicht und wäre gestürzt, wenn Kelly ihn nicht aufgefangen hätte. „Gib ihm eins auf den Kopf“, befahl Axton hastig. Der Roboter gehorchte. Reifta sackte in seinen Armen zusammen. „Der schläft erst einmal“, sagte der Terraner nervös. „Paß dennoch auf ihn auf.“ Er eilte zur Tür und schloß sie. Dann wandte er sich Ritikka Awyrett wieder zu. Er konzentrierte sich auf seine Arbeit und vergaß Reifta vollkommen. Unter den beobachtenden Bücken des Roboters, der jeden Handgriff registrierte, legte er dem Verletzten den Kopfverband an. Er benötigte fast eine halbe Stunde, bis Kelly zufrieden war. Immer wieder hatte der Roboter ihm Hinweise gegeben und Korrekturen verlangt, bis der Verband so saß, wie der vorherige es getan hatte. Die Ärzte würden keinen Unterschied feststellen können. Nun begann Kennon mit einer Arbeit, die für ihn ebenso wichtig war wie alles andere, was er in dieser Nacht geleistet hatte. Er beseitigte alle Spuren, bis selbst einem Spezialist wie er nichts mehr hätte auffallen können. Danach erst wandte er sich dem noch immer bewußtlosen Reifta zu. „Es muß in dieser Klinik Medikamente geben, die aus dem Gedächtnis radieren, was Reifta gesehen hat“, sagte er. „Bleib bei ihm und gib ihm notfalls noch eine Kopfnuß, wenn er zu sich kommt. Ich sehe mich um.“ Lebo Axton verließ das Krankenzimmer. Äußerst ungern
begann er mit der Durchsuchung der Klinik. Diese notwendige Maßnahme war zeitraubend und aufwendig. Er kam nur langsam voran, weil überall Sicherungen gegen unerwünschte Eindringlinge vorhanden waren, und weil er ständig alle Spuren wieder beseitigen mußte, die er zwangsläufig beim Öffnen der Schlösser hinterlassen hatte. Es dämmerte bereits, als er schließlich zu Kelly und Reifta zurückkehrte. „Ich mußte ihm noch eins auf den Kopf geben“, verkündete der Robot. „Hatte er die Augen schon offen?“ „Noch nicht.“ „Das ist gut.“ Kennon kniete neben dem Arkoniden nieder und verabreichte ihm mit Hilfe einer Hochdruckapparatur eine Injektion, die auf der Haut keine Verletzungen zurückließ, so daß sie später nicht mehr nachgewiesen werden konnte. Er hatte ein Medikament gewählt, das im Körper aufgrund seiner kurzen Halbwertzeit nur durch einen Zufall entdeckt werden konnte. Er rechnete jedoch nicht damit, daß Reifta sich am nächsten Tag untersuchen lassen würde. „Er wird alles vergessen haben, wenn er aufwacht“, sagte Axton. „Vielleicht wird hier oder da einmal für einen kurzen Moment eine Erinnerung auftauchen, er wird sich dessen jedoch nie sicher sein, ob er sich auf sie verlassen kann oder nicht. Traum und Wirklichkeit werden sich verwischen. Nimm ihn auf.“ Der Roboter warf sich Reifta über die Schultern. Er trug den Arkoniden aus der Klinik. Axton, der ihm folgte, verschloß alle Türen wieder. Der neue Tag zog bereits herauf. Es wurde Zeit, daß er in sein Hotel eilte. Reifta legte er in der Nähe eines Gasthauses in die Büsche. * Am folgenden Tag sah Axton Reifta vor der Klinik wieder. Ein Anruf eines Arztes war der Anlaß für ihn gewesen, dorthin zu gehen. Ritikka Awyrett hatte sich soweit erholt, daß
er nach Arkon gebracht werden konnte. Dort sollte seine Behandlung fortgesetzt werden. Reifta stand vor dem Portal der Klinik, als Axton eintraf. Er musterte den Kosmokriminalisten mit seltsamen Blicken. „Heute fliegen wir zurück“, sagte er ohne Umschweife. „Ich habe es gehört“, entgegnete Axton. In den Augen des Arkoniden blitzte es auf. Sein Gesicht trug noch die Spuren allzu reichlichen Alkoholgenusses, er war jedoch hellwach. „Ich habe noch eine Frage, Axton.“ Der Verwachsene stützte sich mit den Ellenbogen auf die Schultern Kellys. „Fragen Sie.“ Reifta biß sich auf die Lippen, räusperte sich und suchte spürbar nach Worten. Dann schüttelte er jedoch den Kopf und sagte: „Schon gut. Es war nichts weiter.“ „Dabei hätte ich Ihnen so gern eine Antwort gegeben“, erklärte Axton spöttisch. Er tippte den Roboter an und veranlaßte ihn so, weiterzugehen. Ein Gefühl des Unbehagens beschlich ihn. Zweifellos wußte Reifta etwas. Er erinnerte sich jedenfalls teilweise an den Verlauf der Nacht, die für ihn in der Klinik endete, aber er wußte nicht, was wirklich gewesen war, und er suchte die Wahrheit. Das konnte gefährlich werden. Axton nahm sich vor, Reifta sorgfältig zu beobachten. Als er das Krankenzimmer Awyretts erreichte, wurde dieser bereits auf einer Antigravliege herausgebracht. Er war bei vollem Bewußtsein und erkannte Axton. Er lächelte ihm zu. „Ich bin froh, daß Sie zur Stelle waren“, sagte er mit matter Stimme, als er an Axton vorbei schwebte. Reifta, der unbemerkt hinter dem Verwachsenen aufgetaucht war, hatte die Worte gehört. „Jetzt weiß ich es wieder“, sagte er. „Ich habe Sie in jener Nacht gesehen.“ Kennon wartete, bis die Ärzte und die anderen Arkoniden den Ausgang der Klinik erreicht hatten, so daß sie sie nicht mehr hören konnten. „In welcher Nacht?“ fragte er kühl.
„Ich wachte irgendwo in den Büschen auf“, eröffnete Reifta ihm. „Aber ich weiß, daß ich nicht allein dorthin gekommen sein kann. Ich war hier in der Klinik. Und Sie…“ Seine Augen weiteten sich. „Sie waren auch hier!“ „Sind Sie noch immer betrunken, Reifta?“ Der Arkonide packte den Arm Axtons so fest, daß der Kosmokriminalist fast vom Rücken des Roboters gestürzt wäre. „Sie waren in der Klinik, Axton. Mitten in der Nacht.“ Kennon blieb kühl und ruhig wie stets, wenn Gefahr im Verzuge war. Reifta war ihm trotz des erinnerungslöschenden Medikaments auf die Spur gekommen. Es konnte also nicht voll bei ihm angeschlagen haben. Axton vermutete, daß der Alkohol die Wirkung teilweise neutralisiert hatte. „Sie haben einflußreiche Freunde, Reifta?“ fragte er. „Was hat das damit zu tun?“ „Sie haben sich über mich erkundigt?“ „In der Tat.“ „Dann wissen Sie, daß ich für eine Organisation des Imperators arbeite, die normalerweise nicht in der Öffentlichkeit erscheint.“ Reifta kniff die Augen zusammen. Voller Mißtrauen musterte er Axton. „Sie sind beim Geheimdienst. Das ist mir bekannt.“ „Dann sollten Sie ein wenig mehr überlegen, Reifta. Ritikka Awyrett ist ein äußerst wichtiger Mann für Arkon. Für die Gegner des Imperators könnte es allzu verlockend sein, ihn für eigene Pläne einzuschalten. Wenn also ein Mann wie Awyrett verunglückt, dann dürfte es wohl kaum überraschend sein, wenn sich der Geheimdienst einschaltet. Das sollte selbst ein von Alkohol umnebeltes Gehirn wie das Ihre begreifen. Sie werden mir zu erklären haben, Reifta, was Sie mitten in der Nacht in der Klinik zu tun hatten.“ Der Arkonide erbleichte. Plötzlich erkannte er, in welch gefährliche Lage er sich selbst gebracht hatte. „Sie waren dabei, als Awyrett verunglückte“, sagte er unsicher. Axton lächelte nur. Er wandte sich ab und ließ sich von Kel-
ly hinaustragen. Er hatte den Spieß umgedreht. Reifta befand sich jetzt in einer Position, in der er sich verteidigen mußte. Doch das befriedigte Axton keineswegs Die Situation konnte sich schnell wieder ändern. Es galt, eine Dauerlösung zu finden, bevor Reifta zu einem echten Problem wurde. * Auf Arkon verbesserte sich der Gesundheitszustand Ritikka Awyretts schnell. Lebo Axton ließ sich einige Tage lang nicht bei ihm sehen. Er hatte das Glück, einen nicht allzu schwierigen Fall übertragen zu bekommen, den er innerhalb einer Woche lösen konnte, wobei es dann doch noch einige Überraschungen gab, die den Fall beträchtlich aufwerteten. Sein Name erschien wieder einmal mit besonderer Auszeichnung in den Akten, und er hatte wiederum eine Stufe auf der Leiter des Erfolgs erklommen, ohne sich sonderlich dabei angestrengt zu haben. Er konzentrierte sich vielmehr auf Ritikka Awyrett. Avrael Arrkonta, der Industrielle, meldete sich bei ihm an dem Abend, an dem er den Fall der letzten Tage zu den Akten gelegt hatte. „Er ist wieder im Amt“, teilte er ihm lakonisch mit, als sie sich scheinbar zufällig im Palastpark trafen. „Er scheint sich wieder vollkommen gesund zu fühlen.“ Wie üblich befanden sich zwei auffallend schöne Arkonidinnen in der Begleitung Arrkontas. Sie blieben jedoch in respektvoller Entfernung, als er mit ihm sprach. „Das war zu erwarten“, gab Axton zurück. Der Arkonide blickte ihn forschend an. „Hatten Sie etwas mit dem Unfall zu tun?“ fragte er zögernd. „Wie kann man nur so fragen“, entgegnete Axton lachend. „Ich danke Ihnen für die Nachricht, Avrael. Bis bald.“ Damit zog er sich zurück. Eine Stunde später erschien er auf dem Sonderraumhafen, auf dem alles Material für Arkon III verschifft wurde. Er war
ausschließlich für den Riesenroboter errichtet worden, weil man glaubte, nur so eine ausreichend genaue Kontrolle durchführen zu können. Vier ausgedehnte Hallen standen hinter Schutzwällen versenkt am Rand des Landefelds. Sie wurden von einem Sicherheitssperrgürtel mit positronischen Bewachungsautomaten, frei beweglichen Kampfrobotern und zahlreichen bewaffneten Arkoniden umgeben. Lebo Axton hatte jedoch keine Mühe, ihn zu durchdringen, nachdem er sich bei Ritikka Awyrett angemeldet hatte. Zwei Offiziere begleiteten ihn zu dem höchsten Beamten dieser Anlage. Awyrett erwartete Lebo Axton in seinem Büro, das sich mitten im Verwaltungstrakt befand und Verbindung zu allen anderen Büros hatte. Awyrett isolierte sich nicht von seinen Mitarbeitern, sondern arbeitete auch räumlich eng mit ihnen zusammen. Sein Büro war allerdings so eingerichtet, wie es sich für einen einflußreichen und wohlhabenden Arkoniden gehörte. Es war mit Auszeichnungen, Jagdtrophäen und Ehrendokumenten von arkonidischen Wirtschaftsvereinigungen reichlich geschmückt. Lebo Axton glitt von seinem Roboter herunter und ließ Kelly auf dem Flur zurück, als er das Büro betrat. Awyrett kam ihm entgegen. Er freute sich sichtlich über den Besuch. „Sie sehen noch etwas blaß und schmal aus“, sagte Axton, als sie sich begrüßt hatten, „aber sonst scheinen Sie ganz in Ordnung zu sein.“ „Das bin ich auch“, antwortete der Arkonide selbstsicher. „Ich habe alles ohne nachteilige Folgen überstanden.“ Er bot seinem Besucher Platz an und kam noch einmal auf den Unfall zu sprechen. Dabei dankte er Axton für sein entschlossenes Eingreifen. Sie wurden einige Male durch Anrufe und Mitarbeiter Awyretts gestört, bis dieser befahl, ihn für einige Zeit in Ruhe zu lassen. Als er sich vom Videogerät abwandte, kreuzte Axton die Arme vor der Brust. Seine Finger fasteten sich zu dem winzigen Sender, den er an der Innenseite seines rechten Oberarms unter der Kleidung verborgen hatte. Sie drückten einen Knopf herunter. Im gleichen Moment strahlte das Ge-
rät eine Impulskette ab. Ritikka Awyrett erstarrte mitten in der Bewegung. Seine Augen wurden glasig. Axton beobachtete ihn. Die Sekunden verstrichen, ohne daß etwas geschah. Der Arkonide schien einige Male nahe daran zu sein, das Gleichgewicht zu verlieren, aber er gewann es immer wieder zurück. Seine Körperfunktionen stimmten also noch trotz des tranceähnlichen Zustandes, in dem er sich befand. Lebo Axton rutschte aus seinem Sessel. Er eilte zu Ritikka Awyrett und packte ihn am Arm. „Awyrett, was ist los mit Ihnen?“ fragte er. „Awyrett, bei allen Göttern, sagen Sie doch etwas.“ Das Videogerät sprach an. Awyrett reagierte nicht. Axton trat zurück. Er ließ nahezu zehn Minuten verstreichen, dann betätigte er das winzige Funkgerät unter seinem Arm erneut. Ritikka Awyrett atmete tief durch, er taumelte leicht und mußte sich abstützen, um nicht zu fallen. „Den Göttern sei Dank“, sagte Kennon mit einem erleichtert klingenden Seufzer. „Awyrett, was war nur mit Ihnen los?“ Der Arkonide blickte ihn verwirrt an. Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und stöhnte leise. „Nichts, absolut nichts, Axton“, erklärte er mit heiserer Stimme. „Wie kommen Sie darauf, daß etwas nicht in Ordnung sein könnte?“ Der Kosmokriminalist antwortete nicht. Er hob abwehrend eine Hand und setzte ein schiefes Lächeln auf. „Oh, nur so.“ Er ging zur Tür. „Ich möchte Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Vielleicht strengt mein Besuch Sie ohnehin noch etwas an.“ Awyrett eilte ihm nach. „Nicht doch, Axton, so bleiben Sie doch.“ Der Verwachsene schüttelte den Kopf. „Ich kann wirklich nicht länger bleiben. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Ritikka Awyrett befand sich am Rande der Panik. Er blickte nervös auf sein Chronometer – und erschrak. In dieser Sekunde erkannte er, was geschehen war. Ihm fehlten etwa
zehn Minuten. Es war die Zeit in der er sich in dem tranceähnlichen Zustand befunden hatte. Lebo Axton trat einen weiteren Schritt zurück. Die Tür fiel hinter ihm zu. Er kletterte auf den Rücken seines Roboters. „Schnell, Kelly“, befahl er flüsternd. „Aber nicht zu schnell!“ Der Automat setzte sich in Bewegung. Als sich die Tür zum Büro Awyretts erneut öffnete, war er bereits zwanzig Meter davon entfernt. Aus dem Antigravschacht kamen zwei Wachoffiziere hervor. Ritikka Awyrett zog sich zurück, ohne Axton angerufen zu haben. Er unternahm auch nichts, als der Verwachsene das Gelände verließ. Er meldete sich erst kurz vor Mitternacht wieder in der Privatwohnung des Kriminalisten. Selbstverständlich wußte er, daß Axton für den Geheimdienst des Imperators arbeitete. Er war dem Zusammenbruch nahe. Sein Gesicht war bleich und mit Schweiß bedeckt. Das Haar klebte ihm wirr am Kopf. „Ich muß Sie sprechen, Lebo Axton. Sofort“, sagte er beschwörend. „Ich bitte Sie, Awyrett“, erwiderte der Terraner mit mildem Vorwurf. „Hat das nicht bis morgen Zeit? Ich bin müde und wollte mich hinlegen.“ „Axton, es muß wirklich sein. Es ist ungeheuer wichtig für mich. Kann ich zu Ihnen kommen?“ „Hm.“ Kennon tat, als müsse er überlegen. Dabei hatte er auf diesen Anruf gewartet. „Sie sagen, es ist wichtig?“ „Mehr als das.“ „Dann habe ich selbstverständlich Zeit für Sie.“ Axton schaltete das Videogerät ab. Eine halbe Stunde später betrat Ritikka Awyrett die Wohnung des Geheimdienstlers. Dieser ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Ich würde es vorziehen, ein bißchen frische Luft zu schnappen“, sagte er. „Begleiten Sie mich?“ Awyrett begriff. Unwillkürlich blickte er sich um, als ob er eventuell vorhandene Abhörgeräte mit bloßen Augen hätte entdecken können. Zusammen mit Axton verließ er das Gebäude und ging in den Park hinaus. Die beiden Männer
sprachen erst wieder, als sie eine Bank erreicht und sich gesetzt hatten. Awyrett war offensichtlich froh darüber, daß der Roboter dieses Mal nicht bei ihnen war. „Was gibt es?“ fragte Kennon, obwohl er genau wußte, was den Arkoniden belastete. „Ich muß Ihnen ein Geständnis machen. Eine andere Chance habe ich wohl nicht.“ „Das hört sich ja entsetzlich an“, entgegnete Axton in scherzhaftem Ton. „Das ist es auch. Axton, wissen Sie über mich Bescheid?“ „Ich kenne Ihre Akte.“ Der Arkonide senkte den Kopf. „Dann ist Ihnen bekannt, daß mein Vater und mein Großvater unter der OulouhatSeuche gelitten haben.“ „Allerdings.“ „Heute sind Sie sich darüber klargeworden, daß ich den Krankheitskeim auch in mir trage.“ Axton antwortete nicht. Er blickte den Arkoniden nur an. Er wußte, daß sich die Furcht vor der Oulouhat-Seuche bei Awyrett bis zum Trauma entwickelt hatte. Die Angst, durch sie alles wieder zu verlieren, was er sich mühsam aufgebaut hatte, hatte ihn stets verfolgt. So war der Zusammenbruch unvermeidlich gewesen, nachdem dieser Trancezustand bei ihm aufgetreten war. „Axton“, fuhr Ritikka Awyrett keuchend fort. „Dieser Zwischenfall heute ist nur auf meine Verletzungen zurückzuführen. Bestimmt hat er nichts mit der Oulouhat-Seuche zu tun.“ „Sie wissen, daß das nicht stimmt, Awyrett.“ „Sagen Sie das nicht. Sie haben überhaupt keine Beweise. Sie vermuten doch nur, daß ich diese Krankheit auch geerbt habe.“ „Die Symptome sind eindeutig.“ „Axton, was soll ich denn tun?“ Der Terraner antwortete nicht. Er trieb sein psychologisches Spiel unbarmherzig weiter. Ritikka Awyrett tat ihm fast leid, aber dadurch durfte er sich nicht beeinflussen lassen. Es ging um Atlan und die Zukunft des arkonidischen Imperiums. Awyrett würde seine
psychische Krise später zweifellos wieder überwinden. „Axton, bitte, geben Sie mir einige Tage Zeit.“ „Warum melden Sie dem Hof nicht, was passiert ist?“ „Weil ich dann verloren wäre. Es gibt keine Heilung, und davon geht man am Hof aus. Dabei bin ich davon überzeugt, daß ich mich von selbst wieder erholen werde, wenn nur erst ein paar Tage verstrichen sind. Die Anstrengungen waren wohl doch zu viel für mich. Ich hätte noch etwas warten müssen.“ „Also gut“, sagte Axton und erhob sich. „Ich warte ab. Sie sind ein wertvoller und ungemein tüchtiger Mann, auf den niemand verzichten möchte. Sollte sich Ihr Zustand allerdings verschlimmern, dann muß ich handeln.“ „Ich danke Ihnen, Axton.“ Die beiden Männer kehrten schweigend zum Gebäude zurück. Ritikka Awyrett stieg im Antigravschacht bis zum Dach des Trichterbaus empor. Dort parkte sein Gleiter. Kennon folgte ihm kurz darauf. Aus sicherer Deckung heraus beobachtete er, wie der Arkonide seine Flugkabine bestieg und startete. Als die Maschine etwa dreihundert Meter von ihm entfernt war, betätigte Axton das Funkgerät unter seinem Arm. Er wußte, daß Ritikka Awyrett im gleichen Augenblick in Trance verfiel. Dabei konnte ihm jedoch nichts geschehen, denn die positronischen Sicherheitseinrichtungen des Gleiters sorgten dafür, daß es weder zu einem Zusammenstoß, noch zu einem Absturz oder einer vorzeitigen Landung kommen konnte. Awyrett würde nicht entgehen, was mit ihm passierte. Er würde merken, daß er wiederum einen Anfall gehabt hatte. 7. Lebo Axton stand in den Halterungen auf dem Rücken seines Roboters und spähte zu dem Trichterbau hinüber, in dem Ritikka Awyrett wohnte. Er befand sich in einem blühenden Park zwischen Bäumen und Büschen, die ihn her-
vorragend deckten. „Achtung“, sagte Kelly. „Er kommt.“ Axton verengte seine Augen. Nur mit Mühe konnte er den Arkoniden erkennen, der eine der Nischen hoch unter der Dachkante betrat, wo die Antigravgleiter parkten. Er wußte, daß er sich auf Kelly verlassen konnte, da dieser über beste optische Einrichtungen verfügte. „Jetzt öffnet er die Tür“, berichtete Kelly. „Er steigt ein.“ Axton betätigte das Funkgerät unter seinem Arm. Im gleichen Moment geriet Ritikka Awyrett in einen tranceähnlichen Zustand, in dem er nur noch wenig wahrnahm und zu keinen bewußten Reaktionen mehr fähig war. Die Flugkabine blieb in der Nische. Kennon wartete ab. Erst nach fast einer Stunde erlöste er den Arkoniden durch einen erneuten Funkimpuls. „Er schlägt sich die Hände vors Gesicht“, teilte der Roboter mit ruhiger Stimme mit. „Er hat begriffen, was geschehen ist. Er steigt aus, setzt sich aber gleich wieder in die Kabine. Er weiß nicht, was er tun soll.“ Einige Minuten verstrichen, dann startete der Gleiter. Ritikka Awyrett entfernte sich mit hoher Geschwindigkeit vom dem Trichterbau. Axton zweifelte nicht daran, daß er zu seinem Arbeitsplatz eilen und eine Ausrede für seine Verspätung finden würde. „Das wär’s“, sagte er. „Bring mich zur Maschine.“ Der Roboter gehorchte wortlos. Er marschierte mit weit ausgreifenden Schritten durch den Park bis zu dem unter Bäumen versteckten Gleiter. Wie üblich überließ es Kennon ihm, diesen zu steuern. „Wohin?“ fragte Kelly. „Zu Avrael Arrkonta.“ Er wartete, bis der Roboter gestartet war, dann tippte er die Kodenummer des Industriellen in die Ruftastatur des Videogerätes. Eine ungewöhnlich schöne Arkonidin erschien im Bild. Sie blickte Axton freundlich an. Er nannte seinen Namen und fügte hinzu, daß er Arrkonta sprechen müsse. „Sie sind mir bekannt“, antwortete sie. „Arrkonta befindet
sich in einer Konferenz. Er wird jedoch Zeit für Sie haben.“ Wie immer, wenn schöne Frauen freundlich zu ihm waren, wurde Kennon unsicher. Sein linkes Lid zuckte heftig. „Danke“, sagte er mit heiserer Stimme und schaltete ab. Er wies Kelly an, langsamer zu fliegen, da er befürchtete, sich länger mit der schönen Sekretärin des Arkoniden unterhalten zu müssen, als er ertragen konnte. Als er die Luxuswohnung des Industriellen betrat, war die Konferenz zu seiner Erleichterung schon beendet. Avrael Arrkonta führte ihn in einen kleinen, behaglich eingerichteten Raum. „Was kann ich für Sie tun, Axton?“ fragte er, kaum daß sie sich gesetzt hatten. Eine Servoautomatik hob erfrischende Getränke auf den Tisch. Der Kosmokriminalist bediente sich, bevor er antwortete. Als er getrunken hatte, setzte er ein entwaffnendes Lächeln auf. „Ich bin gekommen, um Sie zu erpressen, Arrkonta!“ Der Arkonide lachte. Er glaubte an einen Scherz. „Von dieser Seite kenne ich Sie noch gar nicht, Axton.“ „Und doch meine ich es ganz ernst.“ Der Industrielle beugte sich vor und stützte seine Ellenbogen auf die Knie. Er blickte sein Gegenüber forschend an. „Werden Sie deutlicher“, bat er. „Das hatte ich vor. Avrael, Sie liefern positronische Bausätze für den auf Arkon III entstehenden Riesenroboter.“ „Das ist keineswegs ein Geheimnis.“ „Sie sind ein Freund Atlans.“ „Auch richtig, aber das soll lieber ein Geheimnis bleiben.“ „Ich garantiere Ihnen, daß Sie nichts zu befürchten haben.“ „Was, bei allen Göttern, haben Sie vor, Axton?“ Der Kosmokriminalist wartete eine geraume Weile, bis er sich äußerte. Avrael Arrkonta wurde unruhig. „Ich plane ein Attentat“, sagte Axton schließlich. Er hob abwehrend die Hände. „Nein, ich will nichts zerstören. Es werden überhaupt keine sichtbaren Spuren dieses Anschlags bleiben.“ „Dann verstehe ich nicht…“ „Avrael, ich will ein vorprogrammiertes Bauteil einschleusen. Ich will Atlans Weg zur Macht vorbereiten. Dabei muß
ich berücksichtigen, daß der Riesenroboter vielleicht schon fertig ist, wenn Atlan Orbanaschol III. nahe genug auf den Pelz gerückt ist, um ihn stürzen zu können. Der Riesenroboter könnte für den Kristallprinzen zur tödlichen Falle werden. Das darf nicht der Fall sein. Deshalb muß schon jetzt vorgesorgt werden. Wenn Atlan morgen, in einem Monat, einem Jahr oder vielleicht auch erst in einem Jahrzehnt vor seinem entscheidenden Kampf steht, dann muß ihm eine Spezialprogrammierung helfen. Und diese will ich in diesen Tagen mit der nächsten oder übernächsten Lieferung verankern.“ Avrael Arrkonta lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er schüttelte den Kopf. „Bisher habe ich immer geglaubt, daß Sie ein nüchtern denkender Mann sind, Axton, aber mir scheint, daß ich mich geirrt habe. Ein solcher Plan ist nicht durchzuführen. Die Kontrollen sind extrem scharf. Wenn man das Spezialprogramm entdeckt, dann ist es aus mit uns beiden. Sie können nicht von mir verlangen, daß ich mich selbst ans Messer liefere.“ „Sehen Sie, das meinte ich, als ich Ihnen sagte, daß ich gekommen bin, um Sie zu erpressen“, entgegnete Kennon in fast heiterem Ton. „Sie wollen Ihren Plan also auf alle Fälle realisieren?“ fragte der Arkonide entsetzt. Axton nickte. Er griff nach seinem Glas und trank. Arrkonta erhob sich. Nervös ging er zu einem Schrank und öffnete ihn. Er nahm eine Flasche mit einem alkoholischen Getränk heraus und schenkte sich etwas davon ein. „Das hat man davon, wenn man sich mit Männern wie Ihnen einläßt“, sagte er bitter. „Sie hätten Ihren Anschlag eben besser planen müssen, Avrael, dann wären Sie alle Sorgen los gewesen.“ „Verhöhnen Sie mich nicht auch noch.“ Der Arkonide setzte sich, grübelte einige Minuten und blickte Axton dann fragend an. „Sie sagten, mir könne nichts passieren?“ „Überhaupt nichts.“ „Was soll ich tun?“
„Sie sollen mir helfen. Ich muß wissen, welchen Weg die Bauteile nehmen, wo und von wem sie kontrolliert werden.“ „Das ist kein Problem. Das kann ich Ihnen sagen.“ „Und dann muß ich einige Stunden mit wenigstens einem Teil allein sein, damit ich es in Ruhe präparieren kann.“ „Das ist schon schwieriger. Der Werkschutz ist wachsam.“ „Sie werden mit mir zusammen in einem Labor arbeiten. Das wird kaum auffallen, denn soweit ich orientiert bin, amüsieren Sie sich ja nicht nur mit schönen Frauen und scharfen Getränken.“ Avrael Arrkonta fluchte leise. „Was geschieht, wenn ich mich weigere?“ fragte er schließlich. Lebo Axton lächelte. „Aber Avrael“, entgegnete er freundlich. „So etwas würden Sie doch nie tun, nicht wahr?“ * Die industriellen Fertigungsstätten und Entwicklungslaboratorien Avrael Arrkontas waren subplanetarisch angelegt und äußerlich durch nichts zu erkennen. Zwischen hohen Bäumen führte eine Flugschneise in einen Tunnel, der am Fuß eines Hügels begann und steil in die Tiefe führte. Axton, der ohne Kellys Begleitung mit Arrkonta flog, entdeckte den Eingang erst im letzten Moment. „Der Imperator wollte auf der einen Seite die Produktion auf Arkon I haben, wollte aber auf der anderen Seite nichts zulassen, was das äußerliche Bild dieses Planeten beeinträchtigen kann“, erklärte der Industrielle. Axton antwortete nicht. Er konzentrierte sich völlig auf die vor ihm liegende Aufgabe. Selbstverständlich war er kein Positroniker. Aber er hatte im Laufe seines langen Lebens viel mit Positronik zu tun gehabt und kannte Systeme, die denen der Arkoniden weit überlegen waren. Bei seiner Ausbildung als USO-Spezialist hatte er darüber hinaus Techniken kennengelernt, die alles in den Schatten stellten, was die Arkoniden zu bieten hatten. Er konnte daher aus einfachsten Mitteln Zusatzteile aufbauen, die aus der Sicht der Arkoniden geradezu unvorstellbare Effekte erzielten. „Soll ich Sie dem Laborleiter vorstellen?“ fragte Arrkonta.
„Machen Sie so wenig Aufhebens wie möglich“, antwortete Axton. „Je unauffälliger alles verläuft, desto besser.“ Avrael Arrkonta passierte einige Kontrollstationen, ohne aufgehalten zu werden. Sein Gleiter war mit automatischen Impulsgebern ausgestattet, die ihm den Weg freimachten. Durch ein durch zahlreiche Schleusen gesichertes Gangsystem steuerte er die Flugkabine bis in eine mit hellen Stoffen ausgeschlagene Parknische. Von hier aus führte er seinen Besucher in ein lichtes Laboratorium, in dem einige Frauen arbeiteten. Axton fiel sofort auf, daß jede von ihnen überdurchschnittlich gut aussah. Er wurde verlegen, als sie ihn neugierig anblickten, und er war froh, als sie an ihnen vorbeigegangen waren. Dabei bemühte er sich vergeblich, die Füße so anzuheben, daß sie nicht über den Boden schleiften. Als sie ein durch transparente Wände abgetrenntes Sonderlabor betraten, blieb er keuchend stehen. „Sie machen einen schweren Fehler, Avrael“, sagte er. „Ich verstehe nicht“, erwiderte der Arkonide. „Was meinen Sie?“ „Sie haben eine Schwäche für schöne Frauen. Und das kann Ihnen einmal zum Verhängnis werden.“ Arrkonta lachte auf. „Glauben Sie mir, Lebo“, sagte er. „Von Frauen verstehe ich wirklich mehr als Sie. Damit will ich Sie keineswegs beleidigen. Ich meine nur, daß…“ „Wenn ich Ihnen an den Kragen wollte, würde ich Ihnen eine bildschöne Agentin auf den Hals schicken, Avrael. Nach zwei Tagen könnte ich Sie nach allen Regeln der Kunst fertigmachen.“ Der Arkonide schwieg betroffen. Er wußte, daß Axton recht hatte. Der Kosmokriminalist kümmerte sich jedoch nicht mehr um ihn. Er ging zu einem Arbeitstisch, auf dem verschiedene positronische Bausätze lagen. Sie waren mit Symbolen und Ziffern gekennzeichnet. Da der Terraner bereits entsprechend vorbereitet worden war, wußte er, was diese zu bedeuten hatten. Vor ihm ruhten die Geräte, die in den Riesenroboter eingebaut werden sollten.
Er winkte Arrkonta zu sich heran und ließ sich in groben Zügen einige Teile erklären, bis er genau wußte, welche Funktion diese später zu erfüllen hatten. Schon nach kurzer Zeit entwickelte er seine Ideen. Sein Plan nahm Konturen an. Er begann mit seiner Arbeit. Der Arkonide sah ihm staunend zu. Einige Male äußerte er Zweifel, als er sah, daß Axton Teile aus dem Block herauslöste und neue einfügte. „Wollen Sie mir nicht erklären, was Sie einlagern wollen?“ fragte er. „Und sind Sie sicher, daß diese Teile später auch wirklich die für sie vorgesehene Arbeit bewältigen können?“ „Absolut“, antwortete Axton. „Und ich will Ihnen auch die ganze Wahrheit sagen. Sie sollen der einzige außer mir sein, der Bescheid weiß. Vielleicht bin ich später nicht mehr in der Lage, Atlan zu informieren. Dann müssen Sie das für mich tun. Wollen Sie?“ „Selbstverständlich.“ „Dann hören Sie gut zu. Ich verstecke einen kodifizierten Befehl an den entstehenden Großrechner. Mit diesem Kode wird Atlan, wenn alles klappt, das gesamte Gehirn für drei Tage lahmlegen können. Da von diesem Gehirn alles abhängen soll, also beispielsweise auch der Einsatz der Imperiumsflotte, wird Atlan vielleicht eine wesentliche Chance haben, das in diesen drei Tagen entstehende Chaos zur Machtübernahme zu nutzen.“ „Wie lautet der Kode?“ „Zukunftsgeister auf der Seite des Kristallprinzen!“ Das sagte Arrkonta überhaupt nichts. Der Arkonide krauste die Stirn, stellte aber keine Fragen. „Ich würde gern mehr einschmuggeln“, fuhr Axton nach einigen Minuten fort. „Mehr aber ist zur Zeit kaum möglich. Gern hätte ich ein positronisches Absetzungsverfahren eingeleitet, mit dem Orbanaschol III. gestürzt werden kann, aber das wäre jetzt viel zu kompliziert und aufwendig. Das schaffe ich nicht.“ „Sie müssen einen Weg finden, Atlan zu informieren“, stellte der Arkonide fest. „Es wird sich schon eine Möglichkeit ergeben, Avrael.“
Axton wehrte weitere Worte des Industriellen mit einer energischen Geste ab. Er arbeitete weiter und schaffte es, den Bauteilen wieder ein Aussehen zu verleihen, das sich von dem vorherigen kaum unterschied. Dabei waren wesentliche Teile völlig verändert worden. Er hatte diese Arbeiten noch nicht ganz abgeschlossen, als das Ruflicht an einem Videogerät ansprach. Avrael Arrkonta machte einen schwerwiegenden Fehler. Er schaltete das Gerät zu schnell ein. Der Warnruf Axtons kam zu spät. Das Bild eines Kennon unbekannten Arkoniden erschien auf der Projektionsfläche. Hinter ihm erkannte der Terraner das Gesicht Reiftas, der zur Jagdgesellschaft auf Schreet gehört hatte. Ebenso wie er ihn sehen konnte, konnte dieser ihn selbstverständlich auch wahrnehmen. „Hier ist der Adelige Reifta, der darauf besteht, mit Ihnen zu sprechen“, sagte der Fremde, der offenbar zur Wachmannschaft gehörte. Reifta verschwand aus dem Bild. „Ich finde den Weg schon allein“, rief er, ohne sich um die Proteste des Wächters zu kümmern. „Halten Sie den Mann auf“, befahl Arrkonta. „Nein, lassen Sie ihn gehen“, korrigierte Axton scharf. Er schaltete das Videogerät ab. „Warum tun Sie das?“ fragte Arrkonta überrascht. „Und wer ist dieser Reifta überhaupt.“ „Sie kennen ihn nicht? Er muß schon öfter hier gewesen sein, denn er konnte diesen Raum sofort identifizieren.“ „Vielleicht hatte er mit den Ingenieuren zu tun“, sagte der Arkonide unsicher. „Was hat das zu bedeuten Lebo?“ „Ich weiß es noch nicht, aber ich fürchte, der Mann hat Verdacht geschöpft.“ Lebo Axton wußte genau, daß es so war. Er mußte irgendeinen Fehler gemacht haben, durch den Reifta ihm auf die Spur gekommen war. Jetzt bereute er, daß er sich nicht intensiver über diesen Mann erkundigt hatte. Nun war es zu spät. Der gesamte Plan war in Gefahr. Durch Reifta konnte alles zerstört werden.
Durch die transparenten Scheiben konnte Axton den Freund Ritikka Awyretts herankommen sehen. Unwillkürlich fragte er sich, ob der Kontrollingenieur sich Reifta anvertraut hatte. Ungestüm trat Reifta ein. Er trug einen flammendroten Umhang, der mit glitzernden Auszeichnungen und Ehrenzeichen besetzt war. Die gelbe Uniform verriet, daß er zu einer Spezialeinheit gehörte, die dem Sonderkommando Orbanaschols unterstand. An der Hüfte des Mannes hing ein mit Edelsteinen verzierter Energiestrahler. Reifta kreuzte die Arme vor der Brust. Die Tür fiel hinter ihm zu. Er blickte sich forschend im Labor um und nickte danach, als habe er alles so vorgefunden, wie er es sich ausgemalt hatte. „Es ist also tatsächlich so, wie ich gedacht habe“, sagte er mit zorniger Stimme. „Würden Sie mir sagen, wovon Sie reden?“ fragte Arrkonta nicht weniger scharf. Reifta zeigte verächtlich auf Axton. „Ich meine dieses verkrüppelte Monstrum da“, erklärte er. Der Verwachsene erhob sich von dem Hocker, auf dem er gesessen hatte, seine Augen verengten sich. „Reden Sie weiter“, forderte er mit sanfter Stimme. „Zu Anfang habe ich nicht begriffen, aber jetzt ist mir alles klar. Der Unfall auf Schreet. Sie waren der einzige, der bei Awyrett blieb. Niemand weiß, was Sie mit ihm gemacht haben. Dann habe ich Sie in der Klinik überrascht. Es war im Operationsraum. Sie haben am Kopf Awyretts herumhantiert. Ich weiß es genau. Es ist mir alles wieder eingefallen. Und nun sind Sie hier.“ „Und was heißt das alles?“ fragte Axton, ohne sich anmerken zu lassen, was er empfand. Seine Stimme klang gleichgültig und unbeteiligt. „Ritikka Awyrett kontrolliert die Bauteile für den Großroboter, die hier hergestellt werden. Sie manipulieren erst ihn, dann einige Bauteile. Danach setzen Sie etwas in den Großroboter, was so gut wie eine Bombe ist, die sich gegen Orbanaschol richtet. Axton, Ihr Spiel ist aus.“ Der Kosmokriminalist schüttelte den Kopf. Er blickte Arr-
konta an. „Verstehen Sie etwas von dem Unsinn, den dieser Mann von sich gibt?“ „Sind Sie sicher, daß er halbwegs normal ist?“ fragte der Industrielle, der sich jedoch nicht so gut in der Hand hatte wie Axton. „Durchaus nicht.“ „Das werden Sie schon noch erleben“, brüllte Reifta. Er stieß Arrkonta zurück, als dieser sich ihm in den Weg stellen wollte, riß die Tür auf und stürmte davon. „Ihm nach“, befahl Axton. „Los. Helfen Sie mir.“ Er reichte dem Arkoniden die Hand. Arrkonta nahm sie und zerrte Axton hinter sich her, weil dieser allein kaum schnell genug hätte laufen können. Reifta flüchtete durch die Tür zur Parknische. Als Axton und Arrkonta diese durcheilten, war er bereits in einen Gleiter gesprungen und gestartet. Sie sahen die Maschine gerade noch verschwinden. Der Industrielle stieß den Kosmokriminalisten in seine Flugkabine, setzte sich hinter die Steuerelemente und raste hinter Reifta her. „Was haben Sie vor?“ fragte er. „Es gibt leider nur noch eine einzige Möglichkeit“, erwiderte Lebo Axton keuchend. Er zog seinen Energiestrahler unter seinem Gewand hervor. „Sie können ihn doch nicht erschießen“, protestierte Arrkonta heftig. „Damit würden Sie alles zerstören.“ „Es muß sein“, antwortete Axton ruhig. „Es geht nicht anders.“ „Wie, bei Arkons Göttern, wollen Sie das erklären? Das ist unmöglich.“ „Wir werden sehen.“ Avrael Arrkonta schüttelte den Kopf. Er verringerte das Tempo der Maschine. „Nein, Lebo, jetzt ist der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr mitmachen kann. Wenn dieser Reifta stirbt, dann erscheint automatisch eine Kommission höchster Offiziere, um den Fall zu untersuchen. Sie wird entdecken, was wir getan haben, und dann ist es aus mit uns.“
„Verlieren Sie nicht die Nerven, Avrael. Bleiben Sie Reifta auf den Fersen und sorgen Sie dafür, daß er Ihre Fabrik verlassen kann. Ich will ihn draußen angreifen. Nicht hier drinnen.“ Die Maschine jagte mit noch immer beträchtlichem Tempo durch die engen Gänge der Produktionsanlagen. Weit voraus verschwand Reifta in einer Schleuse. Als Arrkonta diese erreichte, öffnete sie sich für ihn, da Reifta sie bereits wieder verlassen hatte. Als Arrkonta dem Flüchtenden erneut hätte folgen können, beschleunigte er den Gleiter nicht. „Was ist los?“ fragte Axton. „Es tut mir leid“, erwiderte der Arkonide, „aber hier ist unser gemeinsamer Weg zu Ende. Ich kann nur noch aussteigen. Weiter nichts.“ „Das können Sie nicht“, sagte der Verwachsene und richtete seinen Energiestrahler auf den Kopf des Industriellen. „Sie haben keine Wahl. Sie können nur das tun, was ich von Ihnen verlange.“ „Sie werden nicht schießen!“ Schweißperlen erschienen auf der Stirn des Arkoniden. Das Projektionsfeld des Energiestrahlers flammte auf. Arrkonta fuhr erschreckt zurück. Seine Augen weiteten sich. „Schon gut“, sagte er stammelnd. „Ich tue, was Sie verlangen.“ Er beschleunigte. Zwei weitere Schleusen, die sie passieren mußten, standen offen. Arrkonta hatte sie durch abgestrahlte Impulse selbst geöffnet, um Reifta nicht aufzuhalten. Axton konnte den Sonderoffizier kaum noch sehen. Doch die Maschine Arrkontas holte rasch auf. Als die beiden Gleiter aus der Tunnelöffnung schossen, waren sie nur noch knapp hundert Meter voneinander entfernt. Reifta versuchte, nach Südwesten zu entkommen. Die Distanz zwischen den beiden Flugkabinen schmolz rapide zusammen. Als Arrkonta schließlich neben Reifta erschien, richtete dieser seinen Energiestrahler auf Axton. Sein Gesicht war vor Wut und Haß verzerrt. Sinclair Marout Kennon handelte kühl und entschlossen, wie
er es immer in seinem langen Leben als USO-Spezialist getan hatte. Er feuerte durch die Tür des Luxusgleiters hindurch auf den Sonderoffizier. Der nadelfeine Energiestrahl schlug wie ein Lichtbogen zu Reifta hinüber und durchbohrte ihn. Er warf die Arme nach oben und sank danach zur Seite weg. Axton schoß abermals. Dieses Mal traf er das Hauptaggregat. Eine Serie von blauen Blitzen brach aus dem Heck der Maschine hervor. Der Gleiter hielt sich noch für einige Sekunden in der Luft. Dann stürzte er schräg in die Tiefe und prallte zweihundert Meter tiefer in einer künstlich angelegten Felsengruppe auf. „Hinunter“, rief Axton. Avrael Arrkonta gehorchte, ohne lange nachzudenken. In rasender Eile brachte er seinen Gleiter neben das brennende Wrack. „Versuchen Sie zu löschen“, befahl der Verwachsene, „aber machen Sie Ihre Arbeit schlecht. Ich will, daß Reifta verbrennt.“ Der Industrielle nahm einen Feuerlöscher, sprang aus der Flugkabine und hastete zu dem Wrack hinüber, in dem der Tote lag. Er überschüttete es mit einem Sauerstoffvernichter, erstickte den Brand jedoch nicht ganz. Lebo Axton gesellte sich zu ihm. Er schleuderte einige positronische Kleinteile in die Flammen hinein. 8. „Beginnen Sie mit dem Transport“, sagte Lebo Axton. „Verlieren Sie keine Zeit.“ Mit müder Bewegung gab Avrael Arrkonta das Zeichen. Zwei seiner Ingenieure verluden die von dem Terraner präparierten Bauteile auf einen Lastengleiter. Dabei gingen sie äußerst behutsam vor, um jede Erschütterung zu vermeiden, durch die irgend etwas hätte beschädigt werden können. Die Verpackungen trugen die Symbole und Ziffern, die Ritikka Awyrett veranlassen würden, diese Lieferung zu
kontrollieren. Der Gleiter startete. Lebo Axton verabschiedete sich. „Wohin wollen Sie?“ fragte der Industrielle. „Zu Awyrett selbstverständlich. Glauben Sie, ich würde alles weitere dem Zufall überlassen?“ Axton stieg in die Flugkabine, die Arrkonta ihm zur Verfügung gestellt hatte. „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden nichts zu bereuen haben.“ Arrkonta ließ sich jedoch nicht aufmuntern. Er schien bereits zu der Überzeugung gekommen zu sein, daß alles verloren war. Kennon startete. Als er sich etwa fünfhundert Meter von der Produktionsstätte entfernt hatte, stieg von unten aus einem Park Kelly auf und näherte sich ihm schnell. Der Terraner verringerte seine Geschwindigkeit nicht, sondern öffnete lediglich die Tür, so daß Kelly einsteigen konnte. Der Roboter übernahm das Steuer. Er lenkte die Maschine zum Spezialraumhafen, der unter der Kontrolle Ritikka Awyretts stand. Jetzt erst meldete sich Axton bei seinem Kontaktmann beim Geheimdienst. Mit knappen Worten teilte er mit, daß Reifta abgestürzt und dabei gestorben sei. „Ein ausführlicher Bericht folgt später“, schloß er. „Ich habe jetzt eine wichtige Aktion abzuschließen.“ Damit schaltete er das Videogerät aus. Kelly landete und stieg aus. Axton kletterte auf seinen Rücken. Mühelos passierte er die Kontrollen mit Hilfe seiner Sonderausweise. Als er den inneren Ring der Hauptanlage erreichte, kam der Transportgleiter mit den positronischen Bauteilen an. Er wurde zu einem rot gekennzeichneten Schott geführt und hier entladen. Mehrere Uniformierte prüften jeden einzelnen Container auf seine Unversehrtheit und reichten ihn erst weiter, als sie festgestellt hatten, daß an der Versiegelung nichts verändert worden war. Kennon lenkte seinen Roboter zu einem Eingang, der nur etwa dreißig Meter von dem roten Schott entfernt war. Von hier aus führte der Weg direkt zu den Arbeitsräumen von
Ritikka Awyrett. Hinter einer abgedunkelten, aber transparenten Scheibe hielt der Kosmokriminalist den Roboter an. Er konnte sehen, daß die Container auf ein langsam laufendes Fließband gelegt wurden. Unter der Aufsicht von zwei Sicherheitsoffizieren wurde die Verpackung der Kästen geöffnet, und eine an der Decke der Halle befestigte Robotik hob die Bauteile behutsam heraus. Sie legte sie anschließend wieder auf das Band. Sie waren jetzt nur noch in eine geschlossene Plastikfolie gehüllt. Langsam rückten sie weiter bis zu einem runden Verteiler vor, an dem wiederum zwei Sicherheitsoffiziere standen. Zwei metallene Robotarme streckten sich von der Decke herab, ergriffen die Bauteile und hoben sie je nach Symbolzeichnung auf vier verschiedene Fließbänder. Auf ihnen glitten die Teile weiter bis zu vier mit unterschiedlichen Farben markierten Boxen, in denen die Kontrollbeamten saßen. Die von Kennon präparierten Bausätze bewegten sich langsam auf eine Schleuse zu, hinter der Ritikka Awyrett auf sie wartete. Lebo Axton konnte ihn deutlich durch die Scheiben erkennen. Er sah angespannt und erschöpft aus. Der Schock der vermeintlichen Oulouhat-Anfälle hatte ihn voll getroffen. Ein Kontrolloffizier trat von hinten an den Kosmokriminalisten heran und tippte ihn an. „Sie da, was treiben Sie hier?“ fragte er. Axton klopfte Kelly auf den Kopf. „Dreh dich mal um, Frankenstein“, sagte er. Der Roboter gehorchte. „Zeigen Sie mir Ihren Ausweis“, forderte der Arkonide in barschem Ton. Kennon blickte unauffällig zu Awyrett hinüber, während, er nach der Metallplastikscheibe unter seiner Jacke griff. Das erste von ihm manipulierte Bauteil hatte den Chef der Kontrollbehörde erreicht. Awyrett senkte den Kopf und löste die Plastikfolie mit einem Trenngerät. In diesem Moment betätigte der Terraner den Schalter des Senders unter seinem Arm. Danach erst reichte er dem Uniformierten seinen
Ausweis. Dieser überprüfte ihn sorgfältig und musterte Axton voller Argwohn. Der Kosmokriminalist gab sich gelangweilt. Tatsächlich jedoch wurde er nervös. Er fragte sich, ob er einen Fehler gemacht hatte. Hatte er irgend etwas übersehen, was ihn verraten hatte? Warum diese unerwartete Prüfung? „Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich bei Ihrer Behörde nach Ihnen erkundige?“ fragte der Offizier wesentlich höflicher als zuvor. „Durchaus nicht. Ich bitte sogar darum.“ „Sie verstehen. Sie sehen nicht gerade aus wie…“ „Verschwinden Sie“, sagte Axton in gut gespieltem Zorn. Der Arkonide reagierte in der gewünschten Weise. Er zog sich eilig zurück. Er schien nun schon davon überzeugt zu sein, daß wirklich alles mit Lebo Axton in Ordnung war. Der Terraner atmete auf, als er wieder allein war. Er befahl Kelly, sich wieder Awyrett zuzuwenden. Sämtliche von ihm bearbeiteten Bauteile hatten die Schleuse passiert. Hatte Awyrett sie wirklich durchgelassen? „Los“, sagte Kennon leise. Der Roboter marschierte auf die Kabine Awyretts zu. Niemand hielt ihn auf. Einige der Mitarbeiter des Kontrollingenieurs blickten zwar überrascht auf, aber sie protestierten nicht, als Axton auf seinem Roboter bei Awyrett eintrat. Der Terraner sah sofort, daß die positronischen Schaltelemente im Gehirn des Arkoniden wieder einmal mit absoluter Zuverlässigkeit wirkten. Ritikka Awyrett befand sich noch immer in einem tranceähnlichen Zustand. Er saß mit leeren Augen am Fließband und hatte die Hände in den Schoß gelegt. Sein Gesicht war bleich wie das eines Toten. Die herabhängende Unterlippe zuckte leicht. Das Fließband endete an einer nun versiegelten Kleinschleuse über der „Prüfung abgeschlossen“ stand. Sinclair Marout Kennon kletterte von seinem Roboter herunter und setzte sich in einen Sessel, der etwa drei Meter von Awyrett entfernt war. Zwischen ihm und dem Arkoniden befand sich das Fließband. Er schob seine Hand unter den Arm und weckte den Arkoniden.
Ritikka Awyrett richtete sich ächzend auf. Er hob die Hände ans Gesicht und tastete es mit zuckenden Fingern ab. Dann erst entdeckte er den Kosmokriminalisten. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Axton, Sie?“ fragte er stammelnd. Dann endlich begriff er in vollem Umfang, was geschehen war. Er erhob sich und preßte die Hand an die Brust. Für einen kurzen Moment befürchtete Kennon, daß er der Streßsituation nicht gewachsen war und einen Herzinfarkt erleiden würde. Doch dann wurde ihm bewußt, daß eine solche Reaktion bei einem Arkoniden praktisch ausgeschlossen war. Arkoniden waren biologisch anders konstruiert als Terraner. „Sind Sie gekommen, um mich…?“ „Nein“, antwortete Axton. „Aber hier können Sie nicht bleiben.“ „Wir gehen in mein Büro“, sagte Awyrett eilig. Er wandte sich um und flüchtete fast aus dem Kontrollraum. Mit weiten Schritten durchmaß er die Halle, ohne sich um seine Mitarbeiter zu kümmern. Axton stieg gelassen auf den Rücken Kellys und folgte Awyrett. Dieser erwartete ihn in der offenen Tür zu seinem Büro. „Sie haben alles mitbekommen“, stellte er fest, als sich die Tür geschlossen hatte. „In der Tat, Awyrett. Und jetzt müssen wir etwas unternehmen. Sie werden einsehen, daß es so nicht weitergehen kann.“ Er setzte sich. Der Arkonide brach fast zusammen. Seine Reaktion zeigte, daß er Orbanaschol III. genau kannte und wußte, womit er zu rechnen hatte. Er hatte eine panische Angst davor, in ähnlicher oder noch schlimmerer Weise wie sein Vater dafür bestraft zu werden, daß er seine Krankheit verschwiegen hatte. Er glaubte, vor dem Nichts zu stehen. „Axton“, sagte er mit stockender Stimme. „Ich flehe Sie an. Helfen Sie mir.“ „Wie oft ist es passiert, Awyrett. Wie oft hatten Sie diese Anfälle?“ „Nur einmal, Axton. Ich meine, das eine Mal, als Sie dabei
waren, und heute. Ich schwöre es Ihnen. Es kam nicht öfter vor.“ Die Tatsache, daß er versuchte, die anderen Anfälle vor ihm zu verbergen, bewiesen Kennon, daß er nicht den geringsten Verdacht hegte. Awyrett war fest davon überzeugt, unter der Oulouhat-Seuche zu leiden. „Ich weiß genau, Axton, daß sich mein Zustand bessert. Alles hängt nur mit dem Unfall bei der Jagd zusammen. Wenn ich mich erst etwas erholt habe, wird alles gut werden.“ „Wirklich?“ „Sie brauchen nicht zu zweifeln. Ich bitte Sie nur, jetzt zu schweigen. Ich würde – es mich auch etwas kosten lassen.“ Er blickte den Verwachsenen ängstlich an, weil er offensichtlich nicht wußte, wie dieser auf den Bestechungshinweis reagieren würde. Als Axton nichts sagte, fuhr er fahrig fort: „Verstehen Sie doch. Ich wäre vernichtet, und dann hätte ich überhaupt nichts von meinem Geld. Ich bin sehr reich, Axton. Wenn Sie darauf verzichten, mein Leben zu zerstören, wäre mir eine Million nicht zuviel.“ Lebo Axton pfiff durch die Zähne. Das Angebot des Arkoniden überraschte ihn etwas und stellte ihn vor neue Probleme. Auf der einen Seite mußte er den Eindruck vermeiden, daß er bestechlich war, auf der anderen Seite benötigte er für seine Aktionen dringend finanzielle Mittel. Außerdem sehnte er sich nach einer neuen Wohnung, bei der er wirklich sicher sein konnte, daß sie nicht mit Abhörgeräten gespickt worden war, und die er ganz in seinem Sinne mit technischen Finessen ausstatten konnte, die für seinen Untergrundkampf für Atlan notwendig waren. Er preßte den Atem zischend durch die Zähne. „Was soll ich dazu sagen?“ fragte er. „Mir geht es nicht darum, Sie zu vernichten, Ritikka. Ganz im Gegenteil. Sie sind ein äußerst wertvoller Mann für den Imperator. Er würde Ihnen Ihren Vertrauensbruch niemals verzeihen. Das weiß ich. Er würde lieber einen zweitklassigen Mann auf Ihrem Posten akzeptieren als Ihnen noch eine Chance geben. Las-
sen Sie mich über das Problem nachdenken.“ „Was soll ich tun?“ Awyrett griff nach dem Arm Axtons, als dieser wieder auf den Rücken des Roboters stieg. „Wissen Sie, was passiert ist?“ „Einige Bauteile sind unkontrolliert an mir vorbeigegangen. Ich muß sofort in die Halle und die Schleusen öffnen lassen, damit ich die Prüfung nachholen kann.“ „Sie sind ein Narr, Ritikka. Damit würden Sie Ihre Mitarbeiter darauf aufmerksam machen, daß etwas nicht in Ordnung ist. Man würde Verdacht schöpfen.“ „Sie haben recht“, entgegnete der Arkonide stöhnend. „Aber ich kann doch nicht…“ „Doch, Sie können. Es ist alles in Ordnung. Ich habe Ihren Freund Reifta entlarvt. Er ist an Ihrem Unfall nicht ganz unschuldig. Er hat ihn zumindest provoziert. Danach hat er versucht, etwas an den Bauteilen zu manipulieren. Zu diesem Zweck ist er in die Produktionsstätten von Avrael Arrkonta eingedrungen. Ich habe ihn jedoch schon seit längerer Zeit beobachtet, und es ist mir gelungen, den von ihm geplanten Anschlag zu vereiteln. Bedauerlicherweise ist Reifta bei der Flucht mit seinem Gleiter abgestürzt. Er ist tot.“ Awyrett schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich kann es nicht glauben“, sagte er. „Ausgerechnet Reifta. Deshalb also wollten Sie unbedingt mit zur Jagd nach Schreet. Sie hatten Angst, daß er ein Attentat auf mich verüben würde. Mir brummt der Schädel, Axton. Ich werde tun, was Sie mir geraten haben. Vielleicht hat niemand etwas gemerkt. Wenn Sie mir sagen, daß die Bauteile in Ordnung sind, dann glaube ich Ihnen. Ihre Worte sind mir Garantie genug.“ Er streckte dem Kosmokriminalisten die Hand entgegen. Axton ergriff sie und verzog das Gesicht vor Schmerz, weil der Arkonide sie ihm gar zu kräftig drückte. „Ich melde mich wieder bei Ihnen, Awyrett“, versprach er. „Vermutlich werden Sie dann in meine Wohnung kommen müssen.“ „Sie brauchen mich nur zu rufen.“
* Kennon meldete sich nicht so schnell, wie Awyrett gehofft hatte. Er ließ den Arkoniden zappeln. Er beruhigte Avrael Arrkonta und beauftragte ihn damit, den weiteren Weg der manipulierten Bauteile zu verfolgen. Der Industrielle war wie kein anderer für diese Aufgabe geeignet, da er sich auch im Bereich der Großbaustelle auf Arkon III. praktisch vollkommen frei bewegen konnte. Bereits zwei Tage später teilte er Axton mit, daß die Teile ohne weitere Kontrollen eingebaut worden waren. Damit war bereits gültig geworden, was Axton einprogrammiert hatte: Zukunftsgeister auf der Seite des Kristallprinzen! „Ich hätte nie für möglich gehalten, daß Sie das schaffen“, sagte Avrael Arrkonta voller Bewunderung für Axton, als er ihm die Nachricht bei einem scheinbar zufälligen Treffen in einem Park überbrachte. „Wollen Sie mir nicht sagen, wie Sie es gemacht haben?“ „Auf keinen Fall“, antwortete der Kosmokriminalist und verabschiedete sich von dem Industriellen. Er ließ sich von Kelly zu einer öffentlichen Kommunikationszelle tragen und rief von hier aus Ritikka Awyrett an. „Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen“, sagte er knapp. „Treffen wir uns in meiner Wohnung?“ Awyrett sah aus wie ein Mann, von dem eine tonnenschwere Last genommen wird. „Ich komme“, erwiderte er eilfertig. Axton nickte ihm gelassen zu und unterbrach die Verbindung. Nachdenklich blieb er in der Kabine stehen. War wirklich alles so verlaufen, wie er es geplant hatte? Stimmte wirklich alles, oder baute sich irgendwo eine Falle auf, die er noch nicht bemerkt hatte? War nicht alles viel zu glatt verlaufen? „Wohin jetzt?“ fragte Kelly. Kennon schreckte aus seinen Gedanken auf. Energisch schob er alle Zweifel zur Seite. Es hatte keinen Sinn, über diese Fragen allzu lange nachzudenken. Er mußte das volle Risiko gehen. Es gab keine andere Möglichkeit. Und er mußte Awyrett auch in seiner Wohnung behandeln, obwohl er nicht hundertpro-
zentig sicher sein konnte, daß es dort keine versteckten Beobachtungsgeräte gab. „Zur Wohnung“, befahl er. Nur wenige Minuten vor Ritikka Awyrett kam er dort an. Er hatte die Tür kaum hinter sich geschlossen, als der Arkonide sich meldete. Mit einer Geste gab er Kelly zu verstehen, daß er noch warten sollte. Er setzte sich in einen Sessel, griff nach einer Akte, schlug sie auf und befahl dem Roboter erst jetzt, die Tür zu öffnen. Er tat überrascht, als der Arkonide eintrat. „Axton, schnell, sagen Sie mir, was Sie für mich haben“, bat Awyrett. „Ich kann Ihnen helfen.“ „Wirklich? Wie denn?“ „Es gibt ein wirksames Medikament gegen Ihre Krankheit.“ Der Arkonide sank in einen Sessel. Fassungslos blickte er den Kriminalisten an. „Wieso denn?“ fragte er. „Dann könnte ich mich doch in einem Hospital behandeln lassen.“ „Das geht nicht. Oder wollen Sie, daß bekannt wird, was Sie getan haben. Außerdem wird das Medikament unter der Hand gehandelt, da es für Gesunde gewisse Nebenwirkungen hat. Sie verstehen?“ „Sie haben wiederum recht. Verzeihen Sie mir. Was soll ich also tun?“ „Das Medikament ist ziemlich teuer.“ „Ich gebe Ihnen soviel Geld, wie Sie wollen.“ „Ich will kein Geld von Ihnen. Sie müßten nur das Medikament bezahlen. Wenn Sie mir allerdings einen Gefallen tun wollen, dann könnten Sie mir eine neue, größere Wohnung besorgen. Ich bin hier etwas…“ „Schon erledigt“, rief Awyrett großzügig. „Sagen Sie mir, wie es weitergehen soll.“ Axton zögerte. Er wußte nun, daß er Awyrett vollkommen in der Hand hatte. Offenbar war auch nicht zu befürchten, daß im letzten Moment noch etwas danebenging. „Ich müßte Ihnen das Medikament direkt ins Gehirn spritzen“, erklärte er schließlich. „Das müßte hier geschehen.
Am besten noch heute, damit Sie morgen frisch und gesund an Ihren Posten zurückkehren können.“ „Können Sie das denn?“ „Mit Hilfe meines Medoroboters ist das kein Problem.“ „Ich bin mit allem einverstanden.“ Er nahm seine Kreditkarte und kritzelte etwas darauf. Als er sie Axton reichte, blickte dieser ihn überrascht an. „Das ist zuviel, Ritikka!“ „Das spielt keine Rolle. Nehmen Sie’s. Ich kann es mühelos wieder verdienen, wenn ich meinen gesellschaftlichen Rang behalte.“ Axton steckte die Karte ein. Mit diesem Geld war er ein schon fast reich zu nennender Mann. „Ich muß Ihnen eine Injektion geben, damit Sie völlig zur Ruhe gekommen sind, wenn ich Ihnen das Medikament verabreiche“, sagte er. Ritikka Awyrett war auch damit einverstanden. Vertrauensvoll ließ er sich ein betäubendes Medikament verabreichen. Kelly legte ihn unter den Medoroboter in der Hygienekabine, und Axton begann mit der Gehirnoperation, nachdem er einige Vorbereitungen getroffen hatte. Gerade als er die Schädeldecke des Arkoniden geöffnet hatte, sprach der Türsummer an. Das mit seiner Dienststelle vereinbarte Signal ertönte. Das bedeutete, daß Axton die Tür öffnen mußte! In aller Eile streifte er sich die blutverschmierten Handschuhe ab, zog das Schutzhemd aus und überprüfte seine Kleidung. Alles war in Ordnung. Nun schüttete er sich Wasser über den Kopf, nahm ein Tuch und rieb sich damit das schüttere Haar. Er schloß die Kabine und eilte zur Wohnungstür. Der Mann vor seiner Tür war einer der höchsten Geheimdienstoffiziere. Er gehörte zu dem engen Kreis der wichtigsten Mitarbeiter von Quertan Merantor, dem Chef der Abwehr von Arkon I. „Störe ich?“ fragte er mit einem spöttischen Unterton. „Keineswegs“, antwortete Lebo Axton. Er trat zur Seite, um dem Arkoniden Platz zu machen. Dabei verhielt er sich so ruhig und beherrscht, als bestünde keinerlei Grund zur Auf-
regung. „Treten Sie näher.“ Washul Oraxy ging an ihm vorbei zu einem Sessel und setzte sich. Er blickte den Verwachsenen forschend an. „Ich habe Ihren Bericht über Reifta gelesen“, sagte er. Axton legte das Papiertuch zur Seite und fuhr sich mit den Händen durch das Haar. Er wartete ab, doch der Arkonide schien nicht die Absicht zu haben, noch mehr zu sagen. „Der Tod Reiftas ließ sich nicht vermeiden“, bemerkte Axton schließlich. Der Arkonide nickte. „Leider. Ich hätte ihn gern in die Mangel genommen. Aber Sie haben ja alles erledigt.“ Er erhob sich. „Sie haben mal wieder hervorragende Arbeit geleistet, Axton. Ich habe einen Sonderauftrag für Sie. Ist Ihnen der Name Regir da Quertamagin bekannt?“ „Allerdings“, erwiderte Axton. „Das ist ein Mann, der sich rühmen darf, das Vertrauen Orbanaschols zu genießen.“ „Wir sind nicht mehr ganz so sicher, daß er dieses Vertrauen verdient. Deshalb wollen wir, daß Sie ihn verhören. Sie erhalten noch nähere Instruktionen.“ Oraxy blickte den Kosmokriminalisten durchdringend an, nickte ihm dann zu und verließ die Wohnung. Kennon mußte sich für einige Sekunden setzen. Nur langsam beruhigte sich sein stürmisch schlagendes Herz Nie zuvor war er seiner Entlarvung so nahe gewesen wie eben. Er eilte in die Hygienekabine und setzte die Operation fort. Es blieb bei dieser einen Störung, so daß er die positronischen Schaltelemente in aller Ruhe entfernen und den Schädel Awyretts wieder versiegeln konnte. Danach ließ er den Arkoniden zu seinem Lager tragen und dort weiterschlafen. Er war entschlossen, ihn nicht vor dem Morgengrauen aus der Narkose zu holen. Triumphierend zog er sich in den Wohnraum zurück. Er wußte, daß er in Ritikka Awyrett einen Freund gewonnen hatte, der für ihn durchs Feuer gehen würde – solange er ihn für einen Anhänger von Orbanaschol III. hielt. Er war entschlossen, Awyretts Dienste in Anspruch zu nehmen. ENDE
Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 212: Jagdplanet des Unsterblichen von Hans Kneifel In der anderen Dimension wartet der Tod – mit Ischtar auf der Welt der Mutationen