Der Reiter kam am Mittag. Daß er einen langen Ritt hinter sich hatte, sahen die Männer, die im Sagebrush Saloon saßen u...
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Der Reiter kam am Mittag. Daß er einen langen Ritt hinter sich hatte, sahen die Männer, die im Sagebrush Saloon saßen und Bier tranken, sofort. Die Männer waren Roderick Bancroft, sein Bruder Jim Bancroft und der Townmarshal von Eagle Flat, Big Sandy Walcott. Sie alle sahen den Reiter, der von Norden kam. Er ritt ein geschecktes Pony mit nur einem Zügel. Die Oh ren des Ponys waren eingeschlitzt, ein sicheres Zeichen dafür, daß es ein Cheyenne-Pony war. Außerdem hatte es zwei gelbe Blitze am Hals und eine rote Hand mit gespreizten Fingern auf der linken Flanke. Pferd und Reiter waren mit Staub
bedeckt. Der Reiter trug eine hirsch lederne Hose mit ausgefransten Nähten, Mokassins, ein weißes Baumwollhemd und eine dunkle Weste, die wahrscheinlich einmal zu einem Anzug gehört hatte. Er war barhaupt. Das Haar hing ihm in staubigen Strähnen vom Kopf. Das Gesicht war dunkel, zu dunkel für einen Weißen. Townmarshal Big Sandy Walcott stellte sein Bier auf den Tisch und beugte sich etwas zum Fenster hin über. Die Straße lag leer und bleich im grellen Sonnenlicht. Die Häuser warfen nur kurze Schatten, die kaum über die Gehsteige hinaus reichten. Über den Fassadenrändern 3
und den Dächern wölbte sich der wolkenlose Himmel mit dem grell weißen Sonnenball, der eine un barmherzige Hitze auf die kleine Stadt niederschleuderte. Roderick Bancroft war der ältere der beiden. Er stand auch als erster auf. „Das ist eine Rothaut", sagte er rauh. „Schau ihn dir an, Jim. Ich wet te, daß der Bursche eine Rothaut ist." „Und ich sage, er ist ein Bastard", erwiderte Jim Bancroft. Er grin ste dabei, bleckte seine Zähne und kratzte sich am Kinn. „Ein Halb blut, Bruder. Ein ganz gewöhnliches dreckiges Halbblut auf einem Cheyen ne-Pony." Roderick Ban croft schüttelte den Kopf. „Ver dammt, wenn ich den länger ansehe, werde ich krank. So ein Bastard muß es gewesen sein, Sandy. Genau so ein Bastard. Kam aus den Bergen wie ein hungriger Wolf und die Burtons gaben ihm Platz im Schuppen, ver sorgten ihn mit Essen und behandel ten ihn wie einen Menschen. Aber er war eine Bestie, der Kerl." Roderick Bancroft drehte sich vom Fenster weg. Er blickte Big Sandy Walcott herausfordernd an. „Was ist?" fragte er lauernd. Walcott wischte sich den Bier schaum von den Bartstoppeln. Er er hob sich und nickte den beiden Brü dern zu. „Ich mach ihm Beine", sagte er. 4
„Herrgott, dem mach ich Beine, dar auf könnt ihr euch verlassen." Er zog den Waffengurt hoch, den er um sei ne Hüften geschlungen hatte. Aus dem Holster, das er links trug, ragte der Griff eines Peacemakers. Die Griffschalen hatten drei Kerben. Ei ne für einen Mörder namens Bill Clinten, eine für einen Spieler aus dem Süden, der sich Faro nannte, und eine für den Revolverschwinger Burk Hudson, den Walcott in Wichi ta, Kansas, getötet hatte. Big Sandy Wal cott war ein großer Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften. In letzter Zeit hat te er viel Pech ge habt. Seine Frau war an der Schwindsucht ge storben, und sei nen Sohn Hank hatte man in Colo rado bei einem Banküberfall erwischt und am hel lichten Tag an einem Telegrafen mast aufgehängt. Eine Zeitlang hatte er sich danach herumgetrieben. Er trank viel. Er wurde streitsüchtig. Er schlug in Cheyenne einen Cowboy zum Krüppel und kam dann eines Tages nach Eagle Flat. Man kannte ihn hier. Man wußte, daß er den She riffstern getragen hatte, und man bot ihm den Job als Townmarshal an. Das war vor einem halben Jahr ge wesen. Big Sandy Walcott ging zur Schwingtür. Hinter der Theke wach te Milton Durand auf, der Besitzer des Saloons. Er blinzelte über die
Theke hinweg, gähnte und fragte, was denn los sei. Walcott winkte ab. „Du hast ne Fliege auf der Nase", sagte er. Durand schnippte die Fliege mit dem Finger weg. Er langte nach einer Flasche und goß sich ein Glas voll. In diesem Moment zügelte vor dem Haltebalken der Reiter sein Pferd. Durand sah ein Stück von ihm über die Schwingtürflügel hinweg. Er sah das Hemd, das ein paar Blutflecken hatte, sah die dunkle Weste mit den feinen Nadelstreifen und das dunkle Gesicht mit den leicht schrägstehen den Augen. „Wer, zum Teufel, ist das?" fragte Durand und trank schnell sein Glas leer. „Ein Bastard", sagte Roderick Ban croft. „Und hier in Eagle Flat ist kein Platz für Bastarde."
Walcott stieß die Schwingtürflügel auf und betrat den Vorbau. Er stand im Schatten des Schrägdaches, wäh rend sich das Pferd und der Reiter im gleißenden Sonnenlicht befanden. Ein Hund schlich über die Straße, den Schwanz zwischen den Hinter beinen. Es war der Hund von La tham, dem Schuster. Schwarz-weiß gefleckt. Mit einem Hängeohr. Der Schuster verprügelte ihn dauernd, weil er ihm oft in die Werkstatt kackte. Sekunden krallten sich die Blicke von Walcott und des Reiters ineinan der. Totenstille herrschte. Im Ge sicht des Reiters rührte sich kein Muskel. Nur in seinen Augen war Leben. Walcott senkte den Blick. Er sah,
daß der Reiter keinen Revolver trug. Aber aus einer Messerscheide, die mit Stachelschweinborsten verziert war, ragte ein gekrümmter Hirsch horngriff. Das Messer war die einzige Waffe, die der Reiter besaß. Walcott hakte die Daumen in die Ärmelausschnitte seiner Weste. Er legte den Kopf schief, benetzte mit der Zunge seine Lippen und sagte dann mit ruhiger Stimme: „Hau ab, Bastard!" Noch immer rührte sich nichts im Gesicht des Reiters. Nur der Aus druck in seinen Augen veränderte sich. Er wurde aggressiv. Trotzig. Walcott lächelte sanft. „Hau ab!" wiederholte er. Der Reiter bewegte sich. Er beugte sich etwas vor. „Mein Name ist Lobo", sagte er mit kehliger Stimme. „Lobo Gates." Walcott lauschte dem Namen nach. Er hob seine mächtigen Schultern et was an und sagte: „Na und?" Der Reiter lächelte jetzt, aber das Lächeln berührte seine Augen nicht. „Ich bin darauf angewiesen, Le bensmittel, Waffen und Munition zu kaufen", sagte er. „Die nächste Stadt ist drei, vier Tagesritte entfernt. Ich bin müde." „Hier ist kein Platz für dich, Ba stard", sagte Walcott. „Nicht für dich." Der Reiter lächelte jetzt nicht ein mal mehr mit dem Mund. Er richtete sich etwas auf, zog einen Fuß aus dem Steigbügel und schwang sich aus dem Sattel. Noch bevor er mit beiden Füßen am Boden aufkam, war Big Sandy Walcott bei ihm. Er packte mit der linken Hand zu, er wischte den Reiter beim Haarschopf, riß ihn herum und schlug ihm die ge 5
ballte Rechte von der Seite her gegen den Kopf. Lobo wurde von dem plötzlichen Angriff des Mannes völlig über rascht. Es gelang ihm noch, den rech ten Arm instinktiv zur Abwehr hochzureißen, und er blockte damit die Gewalt des Schlages ab, bevor er von der mächtigen Faust des Mannes unterhalb des linken Wangenkno chens ins Gesicht getroffen wurde. Vor Lobos Augen explodierte ein ganzes Feuerwerk. Der Mann hatte ihn losgelassen, und er taumelte ge gen das Cheyenne-Pony, stolperte und stürzte gegen den Haltebalken, an dem er sich mit beiden Händen festhalten konnte. Er legte die rechte Hand gegen die Stelle, wo er vom Faustschlag getroffen worden war, starrte den Mann mit dem Blech stern an der Weste verständnislos an und sagte mit leiser Stimme: „Mister, du hast verdammt viel Dampf in dei nen Fäusten." „Hau ab, Bastard", wiederholte Big Sandy Walcott, während er die Knö chel seiner rechten Faust massierte. „Hau ab und mach keinen Ärger." Lobo richtete sich auf. Noch war ihm ziemlich schwindlig, und die Häuser schwankten zu beiden Seiten der Main Street, als ob sie im näch sten Moment umkippen würden. „Ich will keinen Ärger machen, Mister", sagte Lobo. „Ehrlich, ich will keinen Ärger machen. Ich bin gern bereit, diese gastfreundliche Stadt sofort wieder zu verlassen, wenn ich mich mit dem Notwendigsten einge deckt habe, das ich brauche, um da draußen am Leben zu bleiben." „Ich glaube, du verstehst meine Sprache nicht, Bastard", sagte Big Sandy Walcott. Er leckte die Knöchel 6
seiner rechten Faust und näherte sich Lobo. In seinen Augen tanzten Funken. Lobo hob beide Hände. Er wollte wirklich keinen Ärger. Er war hun demüde. In seinem Magen knurrte ein Wolf. Seine Augen brannten. An der rechten Brustseite hatte er eine Streifschußwunde. „Mister, sei vernünftig", sagte Lo bo. „Ich habe Geld, um die Dinge zu bezahlen, die ich brauche. In einer Stunde bin ich wieder ..." Big Sandy Walcott zog den Kopf ein, duckte sich etwas und sprang auf Lobo zu. Im Sprung holte er zu einem Schwinger aus, aber als die Faust herumkam, befand sich Lobo nicht mehr vor Walcott. Blitzschnell war er zur Seite ausgewichen, und als die Faust ins Leere flog, schlug Lobo beidhändig zu. Seine Fäuste trafen Walcott hart. Der Townmarshal wurde herumge stoßen. Er taumelte, brüllte und griff nach dem Revolver. Lobo sprang ihn sofort an, und als der Revolver freikam, hieb er Wal cott die Faust gegen das Handgelenk. Walcotts Finger lösten sich vom Griff. Die Waffe fiel in den Staub. Lobo sprang zurück, geduckt, die Lippen von den Zähnen gezogen. „Mister, das wollte ich nicht", sagte er scharf. „Ich bin in Frieden gekom men, und ich wollte hier in Frieden weggehen. Das ist..." „Ich mach dir Beine, Bastard!" stieß Walcott hervor. Und er stürzte sich blindwütig auf Lobo. Seine Fäu ste trafen Lobo in den Magen und auf die Brust. Lobo stürzte erneut gegen den Hal tebalken. Als Walcott auf ihn zu sprang, wich er aus. Aber Walcott
packte ihn mit der linken Hand an Gehsteig standen. Einer von ihnen der Weste, zerrte ihn herum und traf hatte seinen Revolver in der Hand. ihn mit der Rechten erneut in die Ma Er stand ein bißchen vor dem ande gengrube. ren, und sein Gesicht war bleich. Lobo ging in die Knie. Seine Hände „Das - das darf doch nicht wahr kriegten Stoff zu fassen. Er warf sich sein", stieß Lobo kehlig hervor. zur Seite und spürte, wie der Stoff „Was ..." riß. Vor seinen Augen drehten sich Weiter kam Lobo nicht. Der Revol feurige Nebelringe. ver in der Hand des Mannes peit Ein Schlag traf ihn gegen den Hin schte auf. Lobo warf sich im gleichen terkopf. Lobo stieß sich vom Boden Moment zur Seite. Er spürte die Ku ab. Mit der rechten Schulter prallte gel glühend heiß an seiner Schläfe er gegen Walcotts Beine. Er um vorbeifahren. schlang sie mit beiden Armen, und es Lobos rechte Hand fuhr zum Mes gelang ihm, den schweren Mann von ser. den Füßen zu reißen. Der Mann mit dem Revolver riß Walcott knallte auf die hartge die Augen weit auf. Er stand wie er backene Erde nieder. Staubwolken starrt. Der Colt in seiner Hand be wirbelten hoch, als sich die beiden wegte sich. Der Lauf zeigte irgendwo Männer am Boden überrollten. Die auf die gegenüberliegenden Häuser Schleier vor Lobos Augen lösten sich. reihen. Der Hammer war noch nicht Er konnte wieder sehen, und der gespannt, der Finger am Abzug er Zorn in ihm loderte auf wie ein Feu starrt. er. Sekunden verstrichen. Der Mann Er hieb Walcott seine rechte Faust beugte sich ein bißchen vor. Der ge mitten ins Gesicht. Blut lief aus Wal krümmte Griff von Lobos Messer cotts Nase. ragte aus seiner Brust. „Mister", keuchte Lobo, „Mister, Der Mann öffnete den Mund. Er woher nimmst du eigentlich das wollte etwas sagen, aber nur ein Recht, einem Fremden Hilfe und pfeifendes Geräusch kam aus seinem Gastrecht zu verweigern?" Mund. Ganz langsam ging er in die Walcott wollte etwas sagen, aber er Knie. Der Colt entfiel seiner Hand. Er kniete auf den Brettern und brachte nur ein Knurren heraus. Lobo wollte sich erheben. In die schwankte vor und zurück. Der sem Moment krachten die Schwing Mann, der hinter ihm stand und aus türflügel des Saloons gegen die Au sah wie sein Bruder, starrte Lobo an. ßenwände. Eine helle, etwas schrille Und er sagte: „Was - was war das?" Stimme sagte: „Bastard, bleib auf Lobo bewegte sich. Er langte nach den Knien und bete!" dem Colt, der im Staub lag und dem Lobo drehte den Kopf. Sonst be Mann mit dem Blechstern gehörte. wegte er nichts. Nur der Kopf wand Er richtete die Waffe auf den Mann te sich ganz langsam in die Richtung, auf dem Gehsteig. aus der die Stimme kam. „Das war der Tod", sagte Lobo mit Lobos Blick erfaßte die beiden herausgepreßtem Atem. Männer, die nebeneinander auf dem Der Mann bewegte den Kopf hin 7
und her. „Du - du hast keinen Revolver ge habt", sagte er ungläubig. „Es hat nicht gekracht." „Mancher Tod kommt nicht mit einem Krach", sagte Lobo kehlig. „Mancher Tod kommt schnell und leise." Der Mann, der am Boden kniete, riß die Augen weit auf. Er hob die Hände, suchte nach einem Halt, fand keinen und fiel zur Seite. Erst jetzt sah sein Bruder den Messergriff, der aus seiner Brust ragte. „Er - du hast ihn umgebracht!" brüllte der Mann auf dem Gehsteig. Er stürzte sich auf seinen Bruder, kniete neben ihm nieder und riß ihn am Hemd hoch. „Er ist tot!" schrie er. „Er ist tot! Tot! Tot!" Tränen füllten seine Augen und liefen über sein Gesicht, das sich vor Entsetzen und Zorn zu einer häßli chen Fratze verzerrte. Er ließ seinen Bruder los und stand langsam auf. Seine rechte Hand hing über dem Griff seines Revolvers. Haßerfüllt starrte er auf Lobo nieder. „Ich bringe dich um, Bastard!" sag te er scharf. Lobo schüttelte den Kopf. „Versuch's nicht, Mister!" warnte er ruhig. „Ich muß nur noch ab drücken." „Du hast meinen Bruder getötet!" schrie der Mann. „Du bist hierher ge kommen und hast meinen Bruder getötet! Dafür mußt du bezahlen!" „Ich wollte für die Sachen bezah len, die ich brauche", sagte Lobo kalt. „Nein, Mister, so wie du das siehst, ist es falsch. Ich kam her, weil diese Stadt die einzige ist in einem Um kreis von mehr als hundert Meilen. Da draußen ist Indianerland. Ein 8
Mann ohne Waffe ist da draußen ein toter Mann. Deshalb kam ich her. Ich wollte mir Waffen kaufen, und ge nau das werde ich jetzt tun. Wieviel willst du für diesen Revolver, Mi ster?" Lobos Stimme war eiskalt. Er blickte den Mann mit dem Stern nicht direkt an. Seine Augen waren überall gleichzeitig. Er war wach sam, und er wußte, daß hinter ihm, auf der anderen Straßenseite, Leute aus den Häusern kamen. „An deiner Stelle - an deiner Stelle würde ich aufgeben, Bastard", stieß Walcott hervor. „Hinter dir stehen Leute mit Gewehren." Lobo nickte. „Das weiß ich. Ich se he das Spiegelbild eines Mannes im Saloonf enster, der eine grüne Schür ze trägt und schwarze Ärmelschoner. Er hat eine Winchester in den Hän den, und ich glaube, er weiß, wo bei dem Gewehr hinten und vorne ist. Dann sehe ich einen Mann, dessen Oberkörper nackt ist, und er hat eine Schrotflinte angelegt." „Dann gib auf! Du hast keine Chance." „Vielleicht habe ich keine Chance, am Leben zu bleiben, Mister. Aber ich habe eine gute Chance, einen von euch in die Hölle zu befördern. Und das werde ich tun, selbst wenn ich ei ne Kugel in den Rücken kriege." Lobo sagte es ruhig, aber deutlich. Er sagte es so laut, daß es auch die Leute auf der anderen Straßenseite hören konnten. Er war sich im Klaren darüber, daß er aus dieser Stadt nur lebend her auskam, wenn er sich durchsetzte. Sie gaben ihm keine Chance. Es war hier wie an vielen anderen Orten. Er kam, und er mußte Kämpfen, weil
man ihm das Recht verweigerte, in Frieden zu leben. Er war ein Halbblut, ein Außensei ter. Er war anders als die anderen, und für viele war er eine Herausfor derung. Man begegnete ihm mit Vorurtei len. Man begegnete ihm mit Haß und Verachtung. Für ihn war kein Platz in einer Gesellschaft, die aus Weißen bestand, aus weißen Herrenmen schen. Und für ihn war auch kein Platz unter den Indianern, die ihm mißtrauten, weil ihnen Mißtrauen zu einer Tugend werden mußte, seit sie die Weißen kennengelernt hatten. Lobo war ein Einzelgänger. Ein Ausgestoßener. Und er merkte es hier in Eagle Flat wieder einmal so deutlich, daß es ihm schwerfiel, die Ruhe zu bewahren und nicht Amok zu laufen. Er mußte sich zügeln, und es ge lang ihm, weil er im Grunde genom men Gewalt verabscheute und lieber einen Weg ging, den er nicht mit der Waffe in der Faust freikämpfen mußte. Aber der Weg hatte ihn nach Eagle Flat gebracht, einer Stadt im Westen Montanas, an der Straße zwischen Virginia City und Bannack. Lobo wußte nichts über die Stadt. Er kannte die Leute nicht, und er wollte schnell wieder weg. Und des halb fragte er den Mann mit dem Blechstern noch einmal: „Wieviel willst du für den Colt, Mister?" Walcott gab ihm keine Antwort. Er blickte zu Roderick Bancroft hin über. Bancrofts Gesicht war wie eine Maske aus Stein. „Lebend kommst du da nicht raus", sagte er, ohne dabei die Lippen zu be wegen. „Lebend nicht, Bastard."
Lobo seufzte. Er wußte, daß er froh sein mußte, wenn er lebend aus der Stadt herauskam. Er wußte es gut genug. „Steh auf!" befahl er dem Mann mit dem Blechstern. Der Mann blieb am Boden liegen. Lobo lächelte. Plötzlich brüllte der Colt in seiner Hand auf, und der. Mann mit dem Blechstern sprang mit einem Satz auf die Beine. Die Kugel hatte ihm das Hemd auf der Schulter aufgerissen. Die Schramme blutete. „Ich wiederhole nicht alles zwei mal", sagte Lobo kalt. „Nimm mein Pferd am Zügel, Mister." Walcott drehte sich um. Das Cheyenne-Pony stand am Ende des Haltebalkens. Es war zu müde, um wegzulaufen. Der Mann mit dem Blechstern nahm es am Zügel. „Binde den Zügel am Sattel des Grauen fest", sagte Lobo. Der Graue war ein Hengst. Er stand neben einem Palomino am Haltebalken, rechts vom Saloonein gang. Beide Pferde waren gut und schienen ausgeruht. „Der Graue gehört mir", preßte Roderick Bancroft hervor. Lobo lächelte. „Was kostet er?" fragte er. „Nichts!" schrie Bancroft. „Du ver dammter Bastard, ich ..." Der Revolver in Lobos Hand bellte auf und im schummrigen Zwielicht, das im Saloon herrschte, schrie ein Mann auf. Ein schwerer Gegenstand polterte auf die Bretter, und jemand rief nach dem Doc. Lobo schluckte. „Leute, ich hoffe, daß das jetzt ge nügt!" rief er. „Ich bin ein friedferti ger Mensch. Laßt mich in Ruhe, dann 9
geschieht niemandem was. Laßt mich in Ruhe ziehen!" Niemand sagte etwas. Im Saloon wimmerte der Mann. Roderick Ban croft stand wie erschlagen auf dem Gehsteig, während Walcott den Zü gel des Indianerponys am Sattel des Grauen festmachte. „Was jetzt?" fragte er näselnd. „Steig auf!" befahl Lobo. „Auf den Grauen!" Walcott wischte sich vorsichtig das Blut vom Kinn. Er sah furchtbar aus. Sein Gesicht war ganz verschwollen. Er kletterte auf den Grauen. Als er oben saß, bewegte sich Lobo blitzschnell und mit der Geschmei digkeit einer Raubkatze. Er löste mit der linken Hand die Zügel des Grau en. Der Revolver in seiner Rechten zeigte aber die ganze Zeit auf den Mann auf dem Gehsteig. Lobo zog das Pferd herum. Er ging rückwärts die Straße hinunter, und er sagte so laut, daß ihn alle hören und verstehen konnten: „Wenn ihr euren Sternträger lebend zurückha ben wollt, verhaltet euch ruhig und laßt mich gehen. An dem, was hier passiert ist, trage ich keine Schuld. Und das ist eine Tatsache, auch wenn ihr aus euren Herzen eine Mörder grube macht. Ich mußte mich zur Wehr setzen, Leute, oder soll ich mich niederschlagen lassen, nur weil ich ein Mischling bin? Soll ich mich töten lassen, nur weil meine Haut farbe dunkler ist als eure?" „Weit kommst du nicht, Bastard!" zischte Roderick Bancroft. „Das ver spreche ich dir im Namen der Ban crofts. Wir werden dich jagen wie einen Hasen." Lobo lächelte. „Niemand wird euch Bancrofts dar 10
an hindern können", sagte er, und er ging langsam rückwärts, die Haupt straße von Eagle Flat hinunter. Als er etwa zwanzig Schritte zurückge legt hatte, richtete er die Mündung seines Revolvers unmißverständlich auf den Mann mit dem Blechstern, der steif im Sattel des Grauen hock te. „Seid vernünftig, Leute!" rief Wal cott undeutlich. „Er meint es ernst. Er würde mich töten. Dieser Bursche ist gefährlich, Leute!" Sie sahen es, und sie wagten es nicht, irgend etwas zu tun. Sie be obachteten ihn nur, beobachteten je de seiner Bewegungen, belauerten ihn, musterten ihn und in einem wa ren sie sich alle einig: Dieser Misch ling war wirklich ein heißes Eisen. Lobo erreichte den Stadtrand, führte den Grauen über die Holz brücke, die sich über ein ausgetrock netes Bachbett spannte, und hielt an. „Absteigen, Mister", sagte er. Der Mann mit dem Blechstern schien nur darauf gewartet zu ha ben. Eilig rutschte er aus dem Sattel. Lobo drückte ihm sofort die Mün dung des Revolvers in die Seite. „Hände auf den Kopf!" Der Mann gehorchte. „Geh voran!" befahl Lobo. „Die Straße hoch. Und schau dich nicht um, Mister. Ich bin hinter dir, darauf kannst du dich verlassen." Der Mann spuckte aus. „Ich weiß nicht, wer du bist, Bastard", sagte er. „Ich weiß nur, daß ich dich eines Ta ges töten werde." Er drehte sich um und ging die Straße entlang, die einen flachen Hügelrücken hochführte. Lobo schwang sich in den Sattel des Grau en. Er warf einen Blick zurück zur
Stadt. Auf der Hauptstraße zwischen stern zu, und dieser fing ihn auf. „Sag den Leuten, daß es gefährlich den Häuserreihen standen einige Dutzend Leute im gleißenden Licht wäre, hinter mir herzureiten, Mi der Mittagssonne. Niemand machte ster." Anstalten, die Verfolgung aufzuneh „Das werde ich nicht tun", sagte men: der Mann mit dem Blechstern." Lobo trieb den Grauen an. Lang Das Lächeln in Lobos Gesicht ge sam ritt er hinter dem Mann mit dem fror. Blechstern her. Der Mann ging „Dann bist du ein Narr", sagte er Schritt für Schritt die Straße hoch. kalt. Staub hob sich von seinen Stiefeln. „Mein Name ist Big Sandy Walcott, Sein Nacken glühte. Bastard", sagte der Mann mit dem Oben, auf dem Hügelrücken und Blechstern. „Denk an den Namen." schon fast eine Meile von der Stadt „Du bist ein Narr, Walcott. Auch entfernt, hielt er an. Ohne sich um dieser Jim Bancroft war ein Narr." zudrehen, fragte er: „Wie lange willst Lobo beugte sich im Sattel etwas vor. du mich noch marschieren lassen, „Weißt du, was ich mich die ganze Bastard?" Zeit gefragt habe, Walcott? Ich habe mich gefragt, warum du an einem Lobo zügelte den Grauen. „Wer war der Mann, den ich getötet heißen Mittag aus dem kühlen Schatten gehst, um einen Mann da habe?" fragte er. „Jim Bancroft", sagte der Mann mit vonzujagen, den du nicht kennst." Walcott leckte sich mit der Zunge dem Blechstern. Er drehte sich lang sam um. Aus schmalen Augen blick das Blut von den Lippen. „Vor zwei Monaten hat ein Ba te er zu Lobo auf. „Du hast dein Messer vergessen", stard, der aus den Bergen kam, die Burton-Familie umgebracht. Bill sagte Walcott. Lobo lächelte. „Es war nicht mein Burton, seine Frau Marge, seinen Messer. Es war das Messer eines Sohn Ted und seine Tochter Sydney." Cheyenne-Kriegers. Es lag gut in Walcott schnaufte durch die Nase. der Hand. Vielleicht hätte ich es mit „Wir hassen Rothäute, und wir has nehmen sollen." Er klopfte mit der sen Bastarde. Genügt das nicht?" linken Hand gegen die Winchester. Lobo nickte. „Aber ich habe jetzt ein Gewehr, ei „Für Idioten genügt das sicher", nen Revolver und ein Pferd." sagte er hart. Dann zog er den Grau en plötzlich scharf herum, stieß ei „Zwei", sagte Walcott. nen schrillen Schrei aus und gab ihm Lobo schüttelte den Kopf. die Absätze seiner Mokassins. „Das Cheyenne-Pony gehört dir, Das Cheyenne-Pony erschrak, Mister", sagte er. Der Mann mit dem Blechstern sprang hoch, keilte aus und riß sich starrte Lobo ungläubig an. Mißtrau los. Es jagte bockspringend in die en kroch in seine Augen. Er hob die Prärie hinaus, und Lobo ritt an Wal cott vorbei in ein weites Tal hinein. Hände etwas höher. Lobo löste den Zügel vom Sattel. Er Er blickte sich nicht mehr nach dem warf ihn dem Mann mit dem Blech Mann um, der mit blutverschmier 11
tem Gesicht auf dem Hügel stand und finster hinter ihm dreinsah. „Gott, ich werde dich erwischen, Bastard!" stieß Walcott mit heiserer Stimme hervor. „Wenn es auf dieser Welt so was wie Gerechtigkeit gibt, werde ich dich erwischen." Lange blickte Big Sandy Walcott hinter dem Reiter her, der durch das weite, wellige Land westwärts ritt, den Bergen entgegen. Als er schließ lich in flirrenden Hitzeschleiern ein tauchte, drehte sich Walcott um, hol te tief Luft und machte sich auf den Weg in die Stadt zurück.
Sie holten Colonel Alexander Ban croft von der Ranch. Inzwischen war Jim Bancroft im Saloon aufgebahrt worden. Doc Lambert hatte eine Ku gel aus Milton Durands Schulter herausoperiert und die Oberlippe von Big Sandy Walcott genäht. Zwanzig Männer der Stadt melde ten sich freiwillig, um auf den Ba stard Jagd zu machen. Fünf Frauen wollten auch mitreiten. Irgendwie waren alle ziemlich durcheinander, und der Haß machte sie blind. Dann kam Colonel Alexander Bancroft, Er brachte vier Reiter mit. Der Buggie, der von einem Schim mel-Zweiergespann gezogen wurde, erreichte Eagle Flat am Spätnach mittag, als die Sonne schon tief über dem Horizont stand und die Abend schatten lang von den Hügeln flos sen. Auf dem Bock des Buggies saßen zwei Männer. Die Zügel hielt Taylor Mackenzie, ein Koloß von einem Mann. Der rote Bart leuchtete wie Feuer in der Abendsonne. Die rechte 12
Seite seines Gesichts, dort wo ihn der Prankenschlag eines Pumas getrof fen hatte, war von tiefen Furchen durchzogen. Das Augenlid hing ihm über die leere Augenhöhle, und die Hälfte von seinem Ohr fehlte. Mackenzie war weit über sechs Fuß groß, hatte mächtige Schultern und grobknochige Glieder. Wo im mer Bancroft war, Mackenzie hatte er an seiner Seite. Mackenzie fuhr ihn mit dem Buggie, er trug ihn, stützte ihn, hob ihn aufs Pferd und brachte ihn zu Bett, denn Bancroft war von den Hüften an abwärts ge lähmt. Taylor Mackenzie brachte das Schimmel-Gespann vor dem Saloon zum Stehen. Die vier Reiter zügelten ihre Pferde. Der Staub legte sich langsam, und die Stadt schien für eine Weile in De mut und Respekt erstarrt zu sein. Respekt vor dem alten Mann, der auf dem, speziell für ihn angefertigten Sitz des Wagenbocks saß, mit einem sonnengebräunten hageren Gesicht, die Augen erwartungsvoll auf den Eingang des Saloons gerichtet. Langsam näherten sich von allen Seiten die Leute-, schweigend, beina he unterwürfig. Sie kamen näher, wagten sich aber nicht so nahe her an, daß sie die unsichtbare Barriere, die zwischen ihnen und diesem Mann lag, durchdrangen. Fast eine Minute lang geschah nichts. Die Leute sahen, wie sich die Finger des alten Mannes um die Armlehnen seines Sitzes verkrampft hatten. „Rod!" rief er plötzlich mit einer harten, fast metallischen Stimme. Der Name seines Sohnes hallte durch die Stadt, die er gegründet hatte. Es
gab Leute, die sich duckten. Andere hat und damit entkommen ist." lauschten stolz dem Widerhall der „Jawohl, Vater. Es war alles - nun, Stimme nach. er war schnell, und er hat uns über Im Saloon klirrten Sporen. Rode rascht. Frag Sandy. Frag die Leute. rick Bancroft tauchte im schummri Wir konnten nichts machen. Er töte gen Zwielicht auf. Er öffnete die te Jim. Dann hatte er plötzlich San Schwingtürflügel und hielt sich mit dys Revolver in der Hand und zielte beiden Händen an ihnen fest, wäh auf mich. Vater, das war kein ge rend er stehenblieb und zu seinem wöhnlicher Bastard, sag ich dir." Vater aufschaute. „So, und was war er dann?" „Vater, wir - wir haben ihn aufge „Keine Ahnung. Auf jeden Fall bahrt", sagte Roderick Bancroft mit hatten wir keine Chance, als er ein gepreßter Stimme. Er wich dem mal kämpfte. Dabei wollte ihn Sandy Blick aus den stahlgrauen Augen nur aus der Stadt jagen." seines Vaters aus. Er senkte sogar „Warum? Hat er euch etwas getan? den Kopf. Sekunden verstrichen. Hat er der Stadt etwas getan?" War Kein Laut. Nichts. um hat ihn Sandy aus der Stadt ja gen wollen?" „Rod!" „Weil - weil - verdammt, Vater, er „Ja, Vater?" war ein Bastard! Einer wie der, die „Rod, ich will von dir wissen, war um dein Bruder da drin aufgebahrt die Burton-Familie abgemurkst hat. Wir sahen ihn kommen. Auf einem ist." Cheyenne-Pony. Ein richtiger „Nun, wir dachten - wo sollten wir Dreckskerl. Er hielt vor dem Saloon sonst..." Roderick Bancroft warf den Kopf in den Nacken. „Verdammt, an, und Sandy sagte, daß er ihm Bei er liegt im Saloon so gut wie anders ne machen würde." Colonel Alexander Bancroft kniff wo. Ich ..." „Ich will von dir wissen, wie es die Augen zusammen. „Er hat niemandem etwas getan, kommt, daß Jim tot ist", sagte Colonel und trotzdem habt ihr ihn angefal Alexander Bancroft mit ruhiger Stimme. „Das will ich wissen, Rode len. Das verstehe ich nicht, Rod." Jetzt klang die Stimme des alten rick." „Er wurde ermordet", stieß Rode Mannes messerscharf. „Während die rick Bancroft hervor. „Von einem Jungs draußen die Arbeit verrichten, hockt ihr in der Stadt rum, betrinkt Bastard." euch und..." „Ich habe gehört, der Bastard, der „Wir waren stocknüchtern, Vater." Jim ermordet hat, hat zuerst Walcott „Dann frag ich mich, wo ihr euren überwältigen müssen. Ich habe ge hört, daß dieser Bastard nicht einmal Verstand habt!" rief Colonel Alexan eine Waffe hatte, außer einem Mes der Bancroft so laut, daß seine Stim me von den Fassaden der Häuser zu ser. Stimmt das, Rod?" rückhallte. „Und ich frage mich, war „Ja. Das stimmt." um noch hier bist, Rod. Da drau Colonel Alexander Bancroft holte ßen du reitet Mann auf einem Pferd tief Luft. „Dann stimmt es auch, daß davon, dereindeinen Bruder umge der Bastard dein Pferd genommen 13
bracht hat. Und du stehst hier und versuchst, mir Dinge zu erklären, die ich nie verstehen werde. Ich habe euch hundertmal gesagt, daß ihr nicht die Söhne vom lieben Gott seid. Ich habe euch immer davor gewarnt, anderen Leuten auf die Zehen zu tre ten, wenn sie nicht in eurem Weg ste hen. Aber ihr habt euch immer be weisen müssen, daß ihr ganze Män ner seid. Roderick, du trägst die Ver antwortung für Jims Tod. Ich will, daß du den Mann, der ihn umge bracht hat, zurückbringst. Ist das klar, Roderick?" „Wir wollten morgen früh aufbre chen und..." „Du brichst nicht morgen früh auf, Roderick. Du brichst noch heute abend auf. Und du nimmst Kelly und Logan mit. Ist das klar, Roderick?" „Jawohl, Vater. Nur, Sandy will den Bastard auf jeden Fall jagen, und deshalb..." „Der Bastard hat deinen Bruder umgebracht!" wiederholte der Colo nel scharf. „Der Bastard hat nicht Walcotts Bruder umgebracht." „Jawohl, Vater." „Gut. Du nimmst Jims Pferd. Kauf dir bei Hackett Munition und Pro viant. Logan und Kelly werden dir behilflich sein. Sie werden dir sagen, was du brauchst. Und du tust genau das, was sie sagen, Roderick. Ist das klar?" „Jawohl, Vater." „Denk immer daran, der Bastard hat deinen Bruder und meinen Sohn umgebracht. Daß er dies nicht unge straft tun konnte, das ist eine Selbst verständlichkeit. Ich will ihn haben, Roderick." Roderick Bancroft senkte den Kopf. 14
„Ich will ihn haben, Roderick", wie derholte sein Vater etwas schärfer. Roderick Bancroft hob den Kopf. „Jawohl, Vater." „Tot oder lebendig." „Jawohl, Vater." „Gut." Der alte Mann gab zwei von seinen Reitern einen Wink mit dem Kopf. Einer von ihnen, ein hagerer Mann mit einem bleichen, knochigen Ge sicht, zog die Oberlippe von den Zäh nen. „Nimm das Pferd und komm mit, Rod", sagte er mit einer seltsam hoh len Stimme. Roderick Bancroft zögerte einen Moment. Aber dann ging er zum Haltebalken, löste die Zügel von Jims Pferd und schwang sich in den Sat tel. Zusammen mit Kelly und Logan ritt Roderick Bancroft hinüber zum General Store. Taylor Mackenzie war unterdes sen abgestiegen. Er ging hinten um den Buggie herum zur anderen Seite des Wagenbocks. Er löste die Gurte, mit denen Colonel Bancroft festge macht war, hob seine muskelbepack ten Arme und nickte dem alten Mann zu. „Okay, Sir?" fragte er. Colonel Alexander Bancroft ver zog keine Miene, als ihn Taylor Mak kenzie hochstemmte und vom Wa genbock hob. Wie eine Puppe trug er den Colonel auf den Gehsteig. Vor der Saloontür blieb er einen Moment zögernd stehen. Bancroft nahm mit der linken Hand den Hut vom Kopf. Der Wind bewegte silbergraue, schüttere Haarsträhnen. „Bring mich rein, Taylor", sagte Bancroft mit heiserer Stimme. Taylor Mackenzie nickte. Zwei
Männer hielten von innen die Schwingtürflügel auf, und Macken zie betrat mit Bancroft auf den Ar men den Saloon. In der Mitte des Raumes, auf einem Tisch aufgebahrt, lag der Leichnam von Jim Bancroft. Die Frau des Satt lers hatte ihn etwas hergerichtet. Er trug ein sauberes weißes Hemd, eine dunkle Hose und seine Stiefel. Nirgendwo war auch nur eine Spur von Blut zu sehen. Der Tisch war mit einem weißen Tuch bedeckt, und un ter dem Kopf hatte Jim Bancroft ein Seidenkissen. Er sah fast aus, als würde er schlafen. Am Kopfende des Tisches brann ten zwei Kerzen. Der Lichtschein flackerte auf dem wachsbleichen jungen Gesicht des Toten. Hinter Mackenzie traten die Leute in den Saloon. Sie wollten sehen, ob der alte Mann vielleicht doch weinen konnte. Sie drängten sich in den dü steren Raum und standen dicht bei sammen. Männer, Frauen und Kin der. Wie ein riesiger Klotz stand Taylor Mackenzie neben dem Tisch. Seine Augen glitzerten. Plötzlich rannen ihm Tränen über die Wangen, und die Tränen fielen auf die Anzugjacke des Colonels nieder, der den Kopf et was vorgebeugt hatte und mit stei nernem Gesicht auf seinen Sohn nie dersah. Minuten verstrichen. Jemand hu stete leise. Die Frau des Sattlers fing leise an zu beten. Ein paar Leute be teten mit. Der alte Mann hob den Kopf. Seine Augen irrten über die rußge schwärzte Decke des Saloons. Die Leute sahen, wie sich seine Finger in die Arme von Taylor Mackenzie
krallten. „Raus", sagte er. „Raus!" Taylor Mackenzie drehte sich um und trug Colonel Alexander Ban croft aus dem Saloon. Draußen holte Bancroft tief Luft. Nein, er hatte nicht geweint. Das konnten alle Leu te bezeugen. Er hatte schon damals nicht geweint, als seine Frau plötz lich, ohne daß sie krank gewesen wä re, starb. Er hatte nicht geweint, als seine Tochter auf dem Weg von Eagle Flat nach Virginia City von Straßenräubern ermordet worden war, und er weinte auch heute nicht. Er war ein harter Mann. Er hatte einen Krieg durchgemacht. Er kam aus Texas. Dort weinten Männer nicht. Niemals. „Bring mich rüber zu Walcott", sagte er mit heiserer Stimme zu Mak kenzie, und während er über die Straße getragen wurde, würgte er den Kloß hinunter, der in seinem Hals steckte.
„Setz dich", sagte Colonel Alexan der Bancroft scharf, als Big Sandy Walcott sich ächzend von seinem Bett erhob, das er in der Kammer ne ben dem Zellenraum aufgestellt hat te. Walcott verkniff das Gesicht ein bißchen und betastete die genähte Wunde über dem Mund. In seinen Augen leuchtete Trotz auf. Er setzte sich nicht. „Du weißt, warum ich herkomme", sagte Bancroft. „Ich dachte, daß du kommst", sagte Walcott. „Und du weißt, warum." Walcott hob seine mächtigen 15
Schultern. „Ich brauche dir wohl nicht zu sa gen, daß es mir leid tut, Alex", sagte Walcott. „Der Junge glaubte, daß er eine Chance hätte. Aber die hatte er nicht, und das hätte er merken müs sen, als ich im Dreck lag und Blut schluckte." „Es bedeutet nicht viel, wenn du im Dreck liegst und Blut schluckst", sagte Bancroft, und seine Worte wa ren von Haß und Verachtung ge prägt. „Das wußte Jim auch. Du hast einige Male im Dreck gelegen und hast dein Blut und dein eigenes Ge kotze geschluckt." Walcott stieß den Atem scharf durch die Nase. „Das war, wenn ich betrunken war", erwiderte er. Bancroft nickte. „Heute warst du nüchtern. Aber Jim hat getrunken. Und Rod hat getrunken. Sie haben mit dir zusammen getrunken, und sie vertragen weniger als ein alter Säu fer. Walcott, ich verdamme den Tag, an dem ich dir den Job hier gegeben habe. Ich verdamme den Tag, an dem ich gesagt habe, daß du in Eagle Flat bleiben darfst." „Nicht du hast mir diesen Job gege ben, Alex. Du hast nur nicht den Mund aufgemacht, weil Ruth mich herkommen ließ. Sie war meine Schwester, Alex, und du hast sie da für gehaßt, daß sie mich nicht fallen ließ, als es mir dreckig ging." „Ich habe Ruth nie gehaßt, Wal cott", sagte Bancroft leise. „Ich habe dich gehaßt. Ich wußte, daß du Un glück bringst. Ich wußte, daß du nichts taugst. Aber Ruth glaubte mir nicht. Sie hat an dich geglaubt. Was meinst du, was sie jetzt sagen würde, nachdem ihr Sohn Jim tot ist?" 16
„Es war nicht meine Schuld, Alex." „Du hast den Bastard angefallen, oder?" „Ja. Sicher. Rod und Jim und ich saßen zusammen im Saloon, als er in die Stadt ritt. Sofort kam uns die Burton-Familie in den Sinn, und ich ging raus. Ich wollte nicht, daß sie auch rauskommen. Du kannst über mich sagen, was du willst, Alex, aber ich mochte Jim wie meinen eigenen Sohn und ..." „Er war nicht dein Sohn!" schrie Bancroft, und seine Stimme klirrte. „Jim war mein Sohn! Jetzt liegt er drüben im Saloon. Tot. Ein junges Leben ausgelöscht. Er konnte nicht mit ansehen, wie sein Onkel im Dreck liegt. Er wollte dir helfen, und dabei kam er um. Walcott, noch vor Jahren hätte ich dafür gesorgt, daß du hängst." „Vor Jahren hast du geglaubt, du wärst der liebe Gott, Alex. Aber diese Zeiten sind vorbei. Deine Frau ist vor Gram gestorben. Du hast sie zerbro chen. Du mit deiner Härte und dei nen Prinzipien. Sie war der Aufgabe nie gewachsen, dir Ehefrau zu sein. Nicht dir, Alex. Aber sie gebar dir ei ne Tochter und zwei Söhne. Und dann starb sie." Colonel Alexander Bancroft hatte plötzlich rote Flecken in seinem Ge sicht. Aus haßerfüllten Augen blick te er Big Sandy Walcott an, den Bru der seiner Frau. Sein Schwager. Der Onkel seiner Kinder. Ein Mann, der gescheitert war. Ein Taugenichts. Mit drei Kerben im Coltgriff. „Ich habe Rod, Kelly und Logan losgeschickt", sagte Bancroft rauh. „Rod sagte mir, daß du erst morgen früh die Verfolgung aufnehmen willst."
„In drei Stunden ist es dunkel", sagte Walcott ruhig. „In drei Stunden reitet ein Mann auf einem guten Pferd in diesem Ge lände mehr als ein Dutzend Meilen, und der Bastard hat ein gutes Pferd, Walcott." „Ich reite morgen früh", sagte Big Sandy Walcott. „Und damit hat es sich." Bancroft nickte. „Gut", sagte er leise. „Gut. Reite, Walcott. Und komm nicht ohne den Bastard hierher zurück. Ich hoffe, das geht in deinen Kopf rein, Wal cott. Ruth ist tot. Und für dich ist in dieser Stadt und in diesem Land kein Platz mehr. Denk daran! Hier be stimme ich! Hier bin ich ..." „Der liebe Gott." Walcott lächelte. „Jetzt hör du mir mal gut zu, Alex! Ich werde den Bastard jagen. Wenn es sein muß, jage ich ihn kreuz und quer durch den Westen. Und eines Tages werde ich ihn erwischen und töten. Aber ich tu das alles nicht, weil ich dir einen Gefallen tun möchte oder weil du mir gedroht hast, Alex, ich tu es, weil ich den Jungen mochte und weil der Bastard mich herausge fordert hat. Ich will wissen, was ich noch tauge, Alex, und ich will ihm einen Gruß von Jim in den Kopf schießen. Das sind die Gründe, war um ich hinter ihm herreiten werde."' Bancrofts Mundwinkel zuckten. „Beeil dich, Walcott", sagte er mit beißendem Hohn in seiner Stimme. „Beeil dich, sonst findest du nie her aus, daß du nichts taugst, denn Kelly, Logan und Rod werden dir die Ar beit abnehmen." Jetzt lächelte Walcott. „Rod ist dein letzter Sohn, Alex. Du läßt ihn mit zwei Revolverschwin
gern reiten, von denen ich weiß, daß sie diesem Bastard nicht gewachsen sind. Du bist ein alter kranker Narr, Alex, und ich glaube, daß du am Tag, an dem dich endlich der Teufel holt, sehr einsam sein wirst." Big Sandy Walcott setzte sich auf seine Pritsche und fing an, die Stiefel von seinen Füßen zu ziehen. Er blickte Bancroft und Mackenzie nicht mehr an, und eigentlich hörte er die Worte nicht mehr, die Bancroft sagte. „Komm nie mehr hierher zurück, Walcott. Und das ist nicht nur ein Ratschlag, das ist eine Warnung." Nach diesen Worten ließ sich Ban croft aus dem Haus tragen. Die Tür hinter ihm und Mackenzie blieb of fen. Auf nackten Füßen ging Walcott hinüber und stieß sie ins Schloß, daß der Rahmen wackelte. Dann ging er zurück und legte sich auf die Matrat ze. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte auf einen großen nierenförmigen Fleck an der Decke. „Ich schick ihn dir nach, Jim", sagte er leise. „Es wird gar nicht so lange dauern, das versprech ich dir."
Der hagere Mann mit dem bleichen Gesicht und den tiefliegenden Augen war Dexter Logan. Der andere hieß Tom Fletcher Kelly. Er war etwas kleiner, wirkte aber kräftiger. Au ßerdem trug er nur einen Colt. Links an der Hüfte, mit dem Griff nach vorn gedreht. Er zog mit der rechten Hand. Der Flammenschein des Feuers tanzte auf dem hohlwangigen Ge sicht des hageren Mannes. Er rauch 17
te. Seine dunklen, stechenden Augen ruhten in den tiefen Höhlen. Er trug einen Mantel, obwohl es nicht kalt war. Es war auch nicht warm, aber so kalt, daß jemand einen Mantel tra gen mußte, war es nicht. Und er hatte den Mantelkragen hochgeschlagen. Manchmal hielt er die Hände näher an das Feuer heran. Roderick Bancroft erinnerte sich, daß Dexter Logans Hand eiskalt war, als er sie ihm einmal zum Gruß gegeben hatte. Nur einmal, und Ro derick Bancroft erinnerte sich gut daran. Dexter Logans Hand war so kalt gewesen wie die eines Toten. Irgendwo in der Nacht heulte ein Kojote. Dann schrie ein Falke. Manchmal kam ein bißchen Wind auf, der im Gras leise rauschte und Funken aus dem Feuer riß. Die mei ste Zeit aber war es windstill. Und der Kojote heulte nur ab und zu. Tom Fletcher Kelly lehnte am querliegenden Stamm eines blank genagten Cottonwoodstammes, der im ausgetrockneten Bachbett lag, in dem sie die Nacht verbringen woll ten. Über ihnen wölbte sich ein wol kenloser Himmel, und der Mond war beinahe voll. Kelly kaute auf einem Stück Fleisch herum. Sein Gesicht war von der Sonne stark gebräunt. Am Kinn hatte er eine kleine Narbe. Sie hob sich hell von der übrigen Haut ab. Kelly kam aus Kansas. Lo gan aus dem tiefen Süden. Seine Mutter war Französin gewesen, die von einem schwarzen Seemann in einer Hintergasse des Hurenviertels von New Orleans erstochen worden war. Roderick Bancroft erhob sich. Er durchquerte das Bachbett und ging eine Böschung hinauf. 18
Als er oben ankam, rief Kelly halb laut: „Wo willst du hin, Rod?" „Weg", gab Roderick Bancroft scharf zurück. „Was dagegen, Kel ly?" Kelly lachte auf. „Es war nicht un sere Idee, dich mitzunehmen, Rod. Das war die Idee deines Alten." Roderick Bancroft warf den Kopf herum. „Für dich ist mein Vater entweder Mister Bancroft oder der Colonel, Kelly", sagte er wütend. „Außerdem möchte ich betonen, daß nicht du oder Logan in diesem Verein be stimmt, sondern ich." Kelly hob den Kopf. Er wollte et was sagen, aber Roderick Bancroft war in der Dunkelheit verschwun den. Logan sagte: „Er spielt sich nicht auf. Er meint es ernst." Kelly lachte und spuckte einen Klumpen zerkaute Fleischfasern ins Feuer. „Er ist durcheinander", sagte Lo gan. „Aber er meint es ernst. Morgen wird er wieder klar im Kopf." Logan stand auf. Er breitete sein Bettzeug aus. Dann ging er in die Bü sche, die am Rand des Bachbetts wuchsen, pinkelte über Geröll und pfiff leise eine Melodie, die er von früher kannte. „Was meinst du, wohin ist der Ba stard geritten? Bannack?" Tom Fletcher Kelly warf ein Holz stück ins Feuer. „Wenn er nach Ban nack reitet, erwischen wir ihn in der Stadt." „Er ist kein Mann, der eine Stadt braucht", sagte Logan, knöpfte die Hose zu und blickte zu den Sternen auf. „Er ist ein Halbindianer. An sei ner Stelle würde ich in die Berge rei
ten. Er weiß, daß Eagle Flat durch den Telegraphen mit Bannack ver bunden ist. Und er kann sich aus rechnen, daß er gejagt wird." „Also reitet er in die Berge." Tom Kelly lehnte sich zurück. „Wir kön nen uns auf eine lange Jagd gefaßt machen, wenn er in die Berge reitet, Logan." „Wir erwischen ihn", sagte Logan. Er ging zu seinem Lager, legte sich nieder und schlug die Decken um sich. „Gute Nacht." „Nacht", sagte Kelly. Nach einigen Minuten fragte er: „Tausend Bucks für einen Bastard. Das ist eine Menge Geld, Logan." Logan hob den Kopf etwas an. „Das ist viel Geld", bestätigte er. „Was machst du damit?" „Darüber denke ich nach, wenn ich es in der Tasche habe", sagte Logan schläfrig. „Nacht." „Nacht. Glaubst du, daß wir Wa chen einteilen sollten? Ich meine, wir könnten uns ablösen." „Wachen? Wozu?" „Wegen den Rothäuten. Cheyen nes. Blackfeet. Crows. Weiß der Teu fel, aber das Land hier ist noch lange nicht das Paradies." „Ich schlaf mit einem Auge offen. Nacht." „Nacht." Kelly stand auf. Er ging ein Stück das Flußbett entlang, drehte um, ging zum Feuer zurück und stierte eine Weile in die Flammen. Dann kam Bancroft zurück. Er rauchte. „Man kann die Fährte sehen", sagte er. „Man kann sie ganz deutlich se hen," Er ging zu seinen Sachen und rollte die Decke zusammen. Logan, der schon eingeschlafen war, wachte auf. „Was geht hier ei
gentlich vor?" fragte er ärgerlich. „Rod meint, daß wir die Fährte bei diesem Mond halten könnten", sagte Kelly. „Verdammt, es ist mitten in der Nacht", stieß Logan hervor. „Dann schlaf, Logan", schnappte Roderick Bancroft grimmig. Er nahm das Zaumzeug auf und ging hinüber zu den Pferden, die an den Ästen des gestürzten Cottonwoods angebunden waren. Er löste den Halfterstrick und legte dem Pferd das Zaumzeug an. Als er zurückging, um seinen Sattel zu holen, war Logan aufgestanden. „Du hast gehört, was dein Vater gesagt hat, Rod", sagte Logan scharf. „Er hat gesagt, daß du tun sollst, was wir dir sagen." Roderick Bancroft bückte sich und hob den Sattel auf. „Du kannst mich am Arsch lecken, Logan. Wenn ich schon hinter dem Bastard herreiten muß, dann versuch ich auch, ihn ein zuholen, und schlag mir nicht eine Nacht um die Ohren. Ich hol ihn ein, Logan, und dazu brauche ich dich nicht." „Du vergißt vielleicht, daß du es nicht mit einem Anfänger zu tun hast, Junge", sagte Tom Kelly. Roderick Bancroft warf den Kopf herum. „Nenn mich nicht Junge, Kelly!" stieß er hervor. „Nenn mich nur nicht Junge, verdammt! Ich bin Bancrofts Sohn. Vergiß das nicht." Kelly lächelte. „Sorry, Rod", sagte er. Dann wand te er sich an Logan. ,Er meint es ernst, Logan. Er will die Nacht durch reiten." Logan hob die Schultern. „Späte stens morgen mittag macht sein 19
Pferd schlapp." „Ich reite im Schritt", sagte Rode rick Bancroft beinahe trotzig. „Es ist kühl. Kühler als am Tag. Das Pferd wird weniger schnell müde." „Vielleicht hat er recht, Logan", sagte Kelly. „Ich weiß, daß ich recht habe", schnappte Bancroft. Er brachte den Sattel zu seinem Pferd und legte ihn ihm auf den Rücken. Während er den Sattelgurt anzog, stellte er zu seiner Genugtuung fest, daß auch Logan und Kelly anfingen, ihre Sachen zu packen. Bevor sie zu den Pferden ka men, trat Kelly das Feuer aus. Roderick Bancroft wartete, bis sie zum Abritt bereit waren. Dann erst ritt er los und führte sie aus dem Bachbett hinaus und auf die Fährte von Lobo, die tatsächlich gut zu se hen war. Wie ein langer dunkler Strich zog sie sich durch ein Meer aus Gras, das der Wind manchmal zu sil bern schimmernden Wellen aufwarf. Weit in der Ferne hoben sich dunkel die Berge in den Nachthimmel. „Vor den Bergen werden wir ihn kaum erwischen", sagte Kelly nach einer Weile. „Sein Pferd ist genauso gut wie die unseren, und sein Vor sprung wird nicht kleiner." „Es könnte sein, daß er versucht, nach Bannack zu reiten", sagte Ban croft. „Dann wäre er ein Narr", erwiderte Logan. „Und das ist er nicht."
Als Lobo die Berge erreichte, wuß te er, daß er seine Verfolger nicht so leicht abschütteln konnte, wie er es sich vorgestellt hatte. Der Graue war zwar ein gutes Pferd, lahmte aber 20
aus unersichtlichen Gründen nach dem zweiten Tag. Es stimmte irgend etwas mit seiner linken Hinterhand nicht. Lobo suchte das Bein vergeblich nach einer Wunde oder nach einer Schwellung ab. Vielleicht hatte der Graue etwas im Gelenk, das sich erst jetzt bemerkbar machte, nachdem er fast ohne Pause ziemlich hart gerit ten worden war. Lobo erreichte die Elkhorn Moun tains am Nachmittag des dritten Ta ges. Irgendwo im Süden, etwa drei ßig Meilen entfernt, lag die Stadt Bannack. Da Lobo annahm, daß man von Eagle Flat aus nach Bannack tele grafiert hatte, wurde ihm die Stadt nicht zur Versuchung. Er hätte zwar gern eine Bettrolle gekauft, eine Kaffeekanne und ein bißchen Pro viant. Was er besaß, reichte knapp für ein karges Leben. Er besaß kei nen Kaffee, keinen Tabak, nicht ge nug Munition und ein Pferd, das lan ge Pausen brauchte, um sich zu erho len. Am Abend des dritten Tages, als Lobo auf einem Hügelrücken im Schatten eines Waldes anhielt und den Weg zurückblickte, den er ge kommen war, sah er seine Verfolger schon so deutlich, daß er sie zählen konnte. Es waren drei. Lobo entschloß sich, auf sie zu warten. Es hatte jetzt keinen Sinn mehr, den Grauen zu quälen. Er brauchte Ruhe. Lobo ritt in die untergehende Son ne hinein. Der Graue ging langsam. Als das Gelände anstieg, schwang sich Lobo aus dem Sattel. Er führte den Grauen einen Hang hoch und durch einen lichten Kiefernwald. Auf
einem Hügel, hielt er an. Er sah sich um. Zwischen einigen verkrüppelten Kiefern und Fichten lagen Felsbrocken herum. Auf einem kleinen Erdbuckel war ein Steinring angelegt. In der Mitte lag ein ausge bleichter Büffelschädel, dessen Au genhöhlen mit Büscheln von dürrem Salbei ausgestopft waren. Auf der Stirn hatte der Schädel einen etwas verblichenen roten Blitz. Lobo band den Grauen am Ast ei ner Fichte fest. Er zog die Winchester aus dem Scabbard und suchte zwi schen einigen Felsbrocken Deckung. Hinter ihm ging die Sonne unter. Langsam kroch die Dämmerung aus den Tälern über die Hügel hin weg. Am Himmel glitzerten die er sten Sterne, als unten im Tal die drei Reiter auftauchten. Sie befanden sich noch etwas mehr als eine halbe Meile entfernt. Lobo konnte die Pferde gut ausein anderhalten. Der erste Reiter saß auf einem dunklen Pferd. Der zweite ritt einen Buckskin, und zuletzt kam der Mann auf dem Palomino. Und dieser Mann war Roderick Bancroft. Lobo lächelte. Er hatte damit ge rechnet, daß Bancroft hinter ihm herreiten würde. Aber er hatte auch mit dem Sternträger gerechnet, mit Walcott. Und der war anscheinend nicht dabei. Lobo beobachtete, wie die drei Rei ter den Bach entlangritten und ihn an derselben Stelle überquerten, an der er zuvor den Bach gekreuzt hat te. Sie hielten auf einer grünen Wiese an und blickten den steilen Hang hoch. Es schien, als ob sie sich über legten, ob sie noch weiterreiten oder ob sie eine Pause einlegen sollten.
Einer von ihnen stieg ab und pinkel te. Einer zündete sich eine Zigarette an. Lobo fragte sich, wer die beiden Männer waren, die Roderick Ban croft begleiteten. Freunde von ihm? Leute aus der Stadt? Wer war Roderick Bancroft ei gentlich? Lobo hatte vergessen, Wal cott zu fragen. Der hätte ihm sicher alles ganz genau sagen können. Aber jetzt war es zu spät. Glaubte Lobo. Aber er irrte sich, denn als der Rei ter, der gepinkelt hatte, sich wieder auf sein Pferd schwang, hörte Lobo ein metallisches Knacken in seinem Rücken. Er kannte dieses Geräusch gut genug, um keinen Fehler zu ma chen. Geduckt verharrte er zwischen den Steinbrocken, und er hörte, wie hinter ihm ein Mann leise und nä selnd lachte. „Guten Abend, Bastard", sagte der Mann. Und Lobo kannte die Stimme. Sie gehörte Walcott, dem Mann mit dem Stern. Lobo hielt den Atem an. Er rührte sich nicht. Er sagte nichts. Er spürte nur, wie ihm der Schweiß aus den Poren drang. Und sein Blut kochte. „Damit hast du nicht gerechnet, was?" Walcott kicherte. „Ich hab's dir gesagt, Bastard. Ich hab dir ge sagt, daß ich dich erwische." Lobo gab ihm keine Antwort. Leder knarrte. Metall stieß gegen Stein. Lobo vermutete, daß sich Wal cott ungefähr dort befand, wo der Büffelschädel im Steinring lag. Viel leicht zehn Schritte entfernt. Und das Geräusch, das er zuerst gehört hatte, war das Einrasten des Ham mers einer Winchester gewesen. „An deiner Stelle würde ich beten, 21
Wenn du Rod umgelegt hättest, Ba Bastard", sagte Walcott. ,,Darf ich mich dazu umdrehen?" stard, ich wäre dir nicht nachgerit ten. Aber du hast Jim umgelegt, und fragte Lobo halblaut. Jim war wie seine Mutter. Er hat sich „Nein! Du kriegst die Kugel in den Rücken, Bastard." Walcotts Stimme nur eingemischt, weil er mir helfen klang jetzt eisig. „Du hast ein wenig wollte." „Er war bereit, mich zu töten", sag Zeit. Ich schieße dich ab, wenn Rode rick und die beiden Revolverschwin te Lobo leise. „Sicher. Das war er." Walcott lach ger dich sehen können. Du hast min destens eine Viertelstunde Zeit. Du te. „Und er hätte es getan. Für mich. kannst eine Viertelstunde lang be Obwohl sein Alter ihm immer sagte, ten, wenn es dir Spaß macht. Aber daß er mich für einen Taugenichts hält. Oder vielleicht gerade deswe umdrehen darfst du dich nicht." gen. Jim war kein Narr." „Wer sind die beiden Revolver schwinger, die Bancroft begleiten?" „Aber Rod ist ein Narr?" „Aasgeier, die sich sein Vater hält. „Er ist wie der Alte." Einer heißt Kelly, der andere Logan. „Wer ist der Alte?" Viel taugen sie nicht, Bastard. Ich „Colonel Alexander Bancroft, der möchte wetten, daß du ihnen heute reichste Mann in der Gegend. Er hat ein gutes Pferd weggenommen hät test." Walcott lachte. „Das wolltest Anteile an Minengesellschaften und du doch, oder? Ihnen ein Pferd weg besitzt die größte Ranch in der Ge gend. Er hat meine Schwester gehei nehmen." ratet. Das war vor vielen Jahren. „Wieso kommst du darauf?" Und er haßt mich wie die Pest," „Du unterschätzt mich, Bastard. Lobo legte den Daumen auf den Ich habe mir deine Fährte genau an Hammer der Winchester. Alles an gesehen. Der Graue lahmt. Linke ihm war jetzt gespannt. Die drei Hinterhand. Soll ich dir sagen, was er Männer ritten langsam den Hang hat, Bastard?" hoch. In der Abenddämmerung wa „Er lahmt. Er ist nicht geschwollen, ren ihre Gesichter nur noch schwach und er hat keine Wunde." zu erkennen. Einer von ihnen war „Er hat den Spat", sagte Walcott. ein hagerer Mann, dessen Gesicht „Ich hab's dem Jungen schon einige grau war wie Asche. Der andere war Male gesagt, aber er hat es mir nicht der Mann auf dem Buckskin. geglaubt. Der Graue wurde zu früh „Welcher von ihnen ist Logan?" von ihm geritten. Er wäre ein fragte Lobo plötzlich. Prachtpferd geworden, aber Rod „Der, der aussieht wie ein Toter", wollte nicht warten. Er ritt ihn, als er sagte Walcott. „Was ist, kannst du noch keine zwei Jahre alt war, und er sie..." ritt ihn hart. Er jagte ihn über Hin Weiter kam Walcott nicht mehr. dernisse hinweg, die der Graue kaum Die Winchester in Lobos Hand schaffen konnte. Ich hab's ihm ge krachte plötzlich. Das dunkelbraune sagt, daß der Graue was davon ab Pferd des hageren Mannes stieg wie kriegt. Aber Rod ist wie sein Alter. hernd auf und überschlug sich nach Rücksichtslos und ohne Skrupel. hinten. 22
Lobo warf sich zur Seite. In das Echo seines Schusses hinein fiel der peitschende Knall der Winchester, die Walcott in den Händen hielt. Die Kugel streifte Lobo an der linken Hüfte, zog ihm eine glühende Furche durch den Muskel. Lobo wirbelte herum, während er repetierte. „Stop, Walcott!" schrie er heiser. „Die nächste Kugel trifft dich!" Walcott stand tatsächlich bei dem Steinring, geduckt, die Beine leicht gespreizt. Die Narbe über seinem Mund war blutverkrustet, seine lin ke Gesichtshälte noch etwas ange schwollen und mit einem Bluterguß unter dem Auge. Walcotts Winchester zeigte genau auf Lobo. Und eigentlich hätte er nur noch abdrücken müssen. „Verdammt, du hast mich über rascht, Bastard", sagte Walcott hei ser. „Zum zweitenmal." Er richtete sich etwas auf. „Aber ich könnte dich töten." „Ich dich auch", erwiderte Lobo kalt. Walcott nickte. „Meinen Glück wunsch!" „Danke." „Ich frage mich nur, wie du hier wegkommen willst. Da unten sind Logan, Kelly und Rod Bancroft." „In einer halben Stunde ist es dun kel. Falls einer von ihnen versucht, an mich heranzukommen, töte ich ihn." Walcott nickte. „Was anderes wird dir kaum übrigbleiben, Bastard. Lo gan und Kelly sind bezahlte Killer. Weidedetektive, Leibwächter. Ban croft hat jedem von ihnen tausend Dollar versprochen, wenn sie dich einbringen. Tot oder lebendig."
„Leg die Winchester ins Gras, Wal cott!" befahl Lobo kehlig. Walcott legte den Kopf schief. „Und wenn ich mich weigere, deinen Befehlen zu gehorchen?" „Dann, Walcott, dann muß ich ab drücken. Und die Frage ist, ob es dir dann gelingen würde, mich noch zu treffen." „Und wenn ich abdrücke?" „Ich treffe dich, Walcott. Verlaß dich darauf." Walcott seufzte. „Weißt du was, Bastard, ich bin fast sicher, daß du mich treffen würdest. Du bist von einer besonderen Art. So wie du, so
war ich mal. Vor Jahren." Lobo sagte nichts. Er belauerte Walcott. Er wußte, daß er diesen Mann nicht unterschätzen durfte: Zweimal war es ihm gelungen, ihn zu überraschen. Zweimal Hatte er Wal cott geschlagen. Jetzt durfte er kei nen Fehler machen, denn Walcott war ein Mann, der mit der Schnellig keit einer Klapperschlange zuschla gen konnte. „Was überlegst du dir, Bastard?" „Ich überlege, wie ich dich un schädlich machen könnte." „Du müßtest mich töten, Bastard. 23
Und das wirst du nicht tun. Ich ken ne dich. Du hast Skrupel. Du glaubst an das Gute im Menschen. Nein, du kannst kein Mörder sein, Bastard." Lobo fletschte die Zähne. „Laß das Gewehr fallen!" zischte er. Walcott senkte den Lauf seiner Winchester. Ganz langsam ließ er den Hammer zurückgleiten. Dann ließ er die Winchester fallen. „Du hast gewonnen", sagte er. „Wo ist dein Pferd?" „Dein Pech. Mindestens eine Meile von hier. Du müßtest dort hinunter, Bastard. Du müßtest zurückreiten, und sie würden dich entdecken." „Du bist zu Fuß hochgekommen?" fragte Lobo ungläubig. „Sicher. Ich war schon hier, als du angekommen bist. Dort drüben." Er zeigte auf ein paar Steine und einige Wachholdersträucher. „Ein gutes Versteck. Du bist fünf Schritte ent fernt an mir vorbeigegangen." Damit gab Walcott Lobo deutlich zu verstehen, was er von ihm zu er warten hatte. Er war ein gefährli cher Mann, der mit allen Wassern gewaschen war. „Dieser Jim Bancroft, der hat dir viel bedeutet, wie?" fragte Lobo. Walcott nickte. „Sehr viel." „Er ist tot, Walcott", sagte Lobo hart. „Und nichts macht ihn wieder lebendig." „Ich weiß." „Warum liegt dir dann soviel daran, mich zu töten, zum Teufel?" „Ich versteh nicht, was du meinst, Bastard", sagte Walcott. „Du hast ihn umgelegt, nicht wahr? Du hast ihn getötet. Das ist deine Schuld, für die du büßen mußt. Ich werde dich be strafen, Bastard. So einfach ist das. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das 24
steht schon in der Bibel." „Ich mußte ihn töten, um am Leben zu bleiben", sagte Lobo hart. „Dein Leben, was ist das schon wert?" Walcott schüttelte den Kopf. „Du bist ein Bastard. Du hast nie manden. Keine Familie. Es gibt nie manden, der dir auch nur eine Träne nachweinen würde." „Du meinst also, ich hätte mich von Jim niederschießen lassen müssen?" „Du hättest die Stadt verlassen sol len, als ich dir gesagt habe, daß du abhauen sollst. Dann wäre nichts passiert. Jim wäre noch am Leben." Walcott machte einen Schritt auf Lobo zu. „Warum, zum Teufel, bist du nicht weitergeritten, verdammt?" „Weil ich ein freier Mensch bin, Walcott. Weil ich tun und lassen kann, was ich will. Weil niemand mich daran hindern kann, mein Le ben zu leben. Weil ich ein Pferd brauchte, Waffen, Lebensmittel. Weil ich ein Bier trinken wollte und ein Steak essen. Das sind alles Dinge, die ich in Eagle Flat tun wollte, Wal cott." „Und was hast du statt dessen ge tan? Du hast Jim Bancroft ein Mes ser in die Brust geschleudert. Und dafür jage ich dich, Bastard. Dafür wirst du sterben. Begreifst du das denn nicht?" „Nein." Lobos Stimme klang rauh. „Leg dich auf den Bauch, Walcott. Und denke daran, daß ich alles nur einmal sage. Ich habe Jim Bancroft getötet, weil ich am Leben bleiben wollte, und ich werde dich töten, wenn es sein muß. Klar?" Walcott nickte. „Sicher, Bastard. Du drückst dich klar genug aus. Und es ist eine..." Lobos Oberkörper drehte sich
blitzschnell. Die Winchester in sei nen Händen spie eine Feuerlanze durch die Abenddämmerung. Ein rauher Schrei durchbrach das Echo des Schusses. Etwa zwanzig Yards entfernt taumelte ein Mann aus einigen Dogwoodbüschen. Es war der Marnn, der den Buck skin ritt. Er hatte einen Revolver in der rechten Hand. Sein Gesicht war verzerrt. Er stolperte über einige Steine, stürzte in die Knie und rief: „Logan! Der - der Bursche - er hat mich getroffen, Logan!" Er erhielt keine Antwort. Lobos Winchester war wieder auf Walcott gerichtet, der bewegungslos auf seinem Fleck stand und zu dem Mann hinüberstarrte, der noch ein mal auf die Beine kam. Auf dem Hemd des Mannes ver größerte sich rasch ein dunkler Fleck. Er krallte die Finger der lin ken Hand in sein Hemd. Langsam kam er den Hügel hoch. Taumelnd und stolpernd. Steine rollten den Hang hinunter. Er fiel noch einmal auf die Knie. Dann schoß er. Zweimal peitschte der Revolver auf. Die Kugeln trafen Lobo nicht, aber Walcott rief: „Paß auf, Kelly! Verdammt, du könntest mich treffen!" Kelly kam auf die Beine. Walcott warf sich auf den Bauch nieder. „Beweg dich nicht, Walcott!" warnte Lobo ihn. „Und laß die Hand vom Eisen!" „Verdammt, laß ihn nicht noch ein mal schießen, Bastard!" rief Walcott. „Er könnte dich treffen. Oder mich." Kelly blieb stehen. Er befand sich noch knapp zehn Schritte von Lobo entfernt. Lobo hatte die Mündung
seiner Winchester auf Kelly gerich tet. „Mister, laß den Colt fallen und geh heim!" sagte Lobo rauh. Kelly ging langsam in die Knie. Er packte den Colt mit beiden Händen und hob ihn. „Tausend Dollar ...", stieß er müh sam hervor. „Tausend Dollar ist eine Menge Geld." Er drückte ab. Du Kugel zupfte an Lobos Hose, und Lobo drückte ab. Thomas Fletcher Kelly wurde von der Kugel getroffen. Die Finger sei ner Hände um den Griff seines Re volvers gekrallt, fiel er zur Seite weg und rollte ein Stück den Hang hinun ter. Lobo kauerte auf dem Hügel. Blitzschnell suchten seine Blicke das Gelände ab. Aber es bewegte sich nichts. Bancroft und Logan schienen vernünftiger zu sein. Sie hatten gar nicht erst versucht, an Lobo heran zukommen, sondern sie befanden sich immer noch weit unten am Hang. „Du sollst die Finger vom Revolver lassen", sagte Lobo scharf, und er zog die Winchester mit einem Ruck her um. Walcott hob die rechte Hand. „Okay", sagte er, „okay, okay, Ba stard. Der Teufel soll dich holen. Was willst du eigentlich? Willst du uns al le nacheinander umlegen?" „Du hast eine seltsame Art, die Dinge zu betrachten, Walcott", sagte Lobo mit leisem Spott in der Stimme. Langsam ging er auf Walcott zu. Er stieß ihm die Mündung in den Nak ken. Walcott rührte sich nicht mehr. Er hielt sogar den Atem an. „Sag den beiden, daß sie heimrei ten sollen", sagte Lobo hart. „Sag ih 25
nen, daß ich schon oft gejagt wurde. Sag ihnen, daß sie sterben werden, wenn sie mir zu nahe kommen. Sie trachten nach meinem Leben, Wal cott, nicht ich nach dem ihren. Das ist ein gewaltiger Unterschied." „Bis jetzt hast nur du getötet, Ba stard", preßte Walcott hervor. Lobo lachte bitter auf. „Zum Glück kann ich mich weh ren, Walcott. Man hat mir das Schie ßen beigebracht, als ich ein Knabe war. Meine Mutter glaubte zwar, daß sie alles Böse dieser Welt von mir fernhalten müßte. Sie erzählte mir Geschichten vom Frieden und Ge schichten der Liebe. Sie sagte mir, wie dumm es sei, mit der Waffe in der Hand seinen Weg zu gehen. Und am Anfang glaubte ich ihr. Ich glaubte ihr, daß der Friede etwas ist, was wirklich existiert. Als ich dann merkte, daß der Friede nur ein Traum der Schwachen ist, war es zu spät. Meine Mutter starb vor meinen Augen einen grausamen Tod, Wal cott. Und ich hätte ihr vielleicht hel fen können, wenn ich zu kämpfen gewußt hätte." Lobo nahm die Mündung aus Wal cotts Nacken, bückte sich schnell und zog ihm den Colt aus dem Holster. Er warf die Waffe den Abhang hinun ter, nachdem er die Patronen aus der Trommel genommen hatte. Er leerte auch Walcotts Winchester und ließ sich von Walcott alle 44-40er Patro nen geben, die er in der Hosentasche hatte. „Wo kommst du eigentlich her?" fragte Walcott, als Lobo die Patro nen in der Satteltasche des Grauen verschwinden ließ. „Aus dem Süden", sagte Lobo. „Ari zona." 26
„Apache?" Lobo nickte. „Sonst noch was, Wal cott?" „Nein. Du hast Glück gehabt, Ba stard. Das nächste Mal werde ich besser aufpassen." Lobo schüttelte den Kopf. Für ei nen Moment blickte er Walcott bei nahe mitleidig an. Dann schwang er sich in den Sattel des Grauen und ritt davon. Erneut blieb Big Sandy Walcott al lein auf einem Hügel zurück und mußte zusehen, wie Lobo langsam in der anbrechenden Nacht ver schwand.
Die Elkhorn Mountains im süd westlichen Montana sind ein dicht bewaldeter Gebirgszug, dessen höchste Gipfel über 9000 Fuß hoch in den Himmel ragen. Die Missoula Bannack-Wagenstraße führte west lich der Gebirgskette von Norden nach Süden über den Bull Creek Paß. Einige Indianerpfade durchzogen das wilde Jagdgebiet, in dem ein Mann mit einem Bogen oder einem Gewehr immer genug Frischfleisch machen konnte. Lobo stieß am Tag, nachdem er einen seiner Verfolger hatte töten müssen, auf einen Pfad, der deutlich erkennbar von Süden nach Norden durch die Wälder, durch die Täler, über die weiten Wiesen und über die Hügel verlief. Die Enden der Tra vois-Stangen hatten tiefe Furchen durch die Erde gezogen. Überall wa ren alte Lagerstellen zu erkennen. Feuermulden und Tipiringe. Am Nachmittag erreichte Lobo einen schmalen Fluß, der irgendwo
zwischen den Felsengipfeln ent sprang, die sich wenige Meilen ent fernt über die dicht bewaldeten Fuß hügel hoben. Lobo kannte weder den Namen des Flüßchens noch den des nächsten Berggipfels, der noch immer Schnee trug. Er wußte nicht, daß er sich am Wise Creek befand, einem Nebenarm des Big Hole River. Und die Berge vor ihm waren der Odell Mountain und der Alders Peak. Die nächste Stadt oder Ansiedlung war jenseits der kontinentalen Was serscheide im Bitterroot Valley, das man über den Hogback Paß errei
chen konnte. Eigentlich hatte Lobo die Absicht, südwärts zu reiten. Aber seine Ver folger ließen ihm keine Ruhe, und Lobo wollte versuchen, ihnen im un wegsamen Hochgebirge zu entkom men. Er folgte ein Stück dem TravoisTrail, durchritt eine enge Schlucht und erreichte einen Talkessel, der sich zwischen tiefen Wäldern aus breitete. Das Flüßchen, hier nur noch ein Bach, schlängelte sich in vielen Win dungen durch die Niederung, hun dertmal gestaut durch Biberdämme.
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Weite Gebiete des Tales waren überflutet. Überall lagen Bäume quer und bildeten ein undurchdring bares Durcheinander von Hinder nissen, die ein Mann zu Pferde nicht passieren konnte. Lobo zügelte den humpelnden Grauen in der Nähe eines großen Bi berbaues am Rande eines großen, ge stauten Tümpels, der sich spie gelblank vor ihm ausbreitete. An sei nen Rändern wuchs dichtes Schilf gras. Die Berge, über die die tiefste hende Sonne warmes Licht ausgoß, spiegelten sich im stillen Wasser. Es war ein friedliches Bild, das sich Lobos Augen bot. Aber Lobo hatte gelernt, dem Frieden zu mißtrauen. Er wußte, wie sehr solche Bilder trü gen konnten. Lange verharrte er ruhig im Sattel des Grauen. Er sah sich um, beobach tete einen Fischreiher, der tief über den Wassertümpeln schwebte, und sah, wie ein Biber aus dem Schilf schwamm, lautlos, ein silbernes V durch die Wasseroberfläche ziehend. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Wasser spritzte hoch, und das Spie gelbild im Wasser zersprang. Der Biber, der mit seinem breiten Schwanz zur Warnung der anderen ins Wasser geschlagen hatte, war un tergetaucht. Der Fischreiher ver schwand im Ufergestrüpp. Lobo hob den Blick zum Himmel. Aus den Schatten der Berge heraus flog ein riesiger Adler in das Licht der Sonne, schwebte mit ausgebrei teten Schwingen leicht im Abend wind über die Wipfel der Kiefern und Fichten hinweg und ver schwand hinter einem Felsgrat, von dem das Licht der Abendsonne tropfte wie flüssiges Gold. 28
Nirgendwo konnte Lobo Anzei chen einer Gefahr entdecken. Und trotzdem sagte ihm sein untrügeri scher Instinkt, daß irgend etwas nicht stimmte. Tief in seinem Inne ren verspürte er die Unruhe eines Mannes, der den Tod zu seinem Ge fährten hatte, seit er den Schoß sei ner Mutter verlassen hatte. Lobo war wachsam. Mißtrauen war ihm längst zu einer Tugend ge worden. Er kannte die Wildnis mit ihren Gefahren, und er kannte die Menschen, die sich diese Wildnis un terwerfen wollten. Er wußte, daß er sich im Gebiet be fand, in dem die Schwarzfüße jagten, die Shoshonen und die Crows. Alle konnten ihm gefährlich werden, denn dieses Land hier war ein letzter Zipfel, in dem sie sich frei bewegen konnten. Lobo umritt den ersten Tümpel. Er durchquerte einen Sumpf und stieß auf einen alten, schon stark über wachsenen Wildwechsel, der sich am Rande des überschwemmten Gebiets entlangzog. Er schreckte Sumpfhüh ner und Frösche auf. Ein Luchs sprang einige Yards an ihm vorbei und verschwand im Gestrüpp. Er ritt langsam. Der Graue lahmte stark. Jetzt konnte man an beiden Sprunggelenken leichte Schwellun gen erkennen. Der Spat ist eine trok kene Knochenhautentzündung am inneren und unteren Ende des Sprunggelenks. Daß er bei dem Grauen zugleich an beiden Beinen auftrat, war Pech. Der Graue versuchte zwar, sein Bestes zu geben, aber er lahmte von Stunde zu Stunde stärker, und Lobo hatte die ganze Nacht durchreiten müssen, um seine Verfolger wenigstens auf Di
stanz zu halten. Jetzt war der Graue ziemlich am Ende. Er mußte furchtbare Schmer zen haben, die laufend stärker wur den. Er brauchte Ruhe, und Lobo war sich im klaren darüber, daß er den Hengst nicht mehr lange voran treiben konnte. Irgendwann würde er ihn zurücklassen müssen. Als Lobo den Schattenrand der Berghänge erreichte, hielt er erneut an. Er blickte den Weg zurück, den er gekommen war, aber seine Verfolger waren nirgendwo zu sehen. Lobo folgte weiter dem Wildwech sel, der plötzlich in einen Trampel pfad mündete, den nicht nur Wildtiere ausgetreten hatten. Er fand im wei chen Boden alte Abdrücke beschla gener und unbeschlagener Pferde hufe. Langsam ritt er den Pfad ent lang, der durch einen lichten Wald hoher schlanker Aspen führte, von denen einige bereits von den Bibern gefällt worden waren. Der Pfad führte über einen Hügel rücken hinweg in eine Senke hinein, und dort machte Lobo einen grausi gen Fund. In einer riesigen Grizzly falle steckte das Bein eines Men schen, ein Stück des Unterkörpers und ein Fetzen von einem Büffelfell mantel. Die handgeschmiedete Falle war mit einer langen, schwergliedrigen Kette am Wurzelstock einer vom Sturm gefällten Fichte festgemacht. Im weichen Boden waren die Ab drücke von Pferdehufen, Stiefeln und Mokassins zurückgeblieben. Lobo zügelte den Grauen. Ein lei ses Gefühl des Grauens beschlich ihn. Hier in dieser Senke schien der Teufel eine Orgie gefeiert zu haben. Überall lagen Skelettreste des
Mannes herum, dessen Bein in der Bärenfalle festgeklemmt war. Das Bein steckte in einem Stiefel, der flache Absätze hatte. Solche Stie fel trugen Männer, die oft zu Fuß un terwegs waren. Trapper, Fallenstel ler, Jäger. Von den Kleidern des Mannes war nicht viel übriggeblie ben. Vielleicht hatte er eine hirschle derne Hose getragen. Hungrige Ko joten fraßen auch Hirschleder. Daß sich die Tiere nicht an das Bein her angewagt hatten, lag wohl an der Falle und an der Kette, von der ein Stück frei über einer Vertiefung hing. Lobo stieg nicht ab. Er betrachtete die Spuren, die vielleicht eine Woche alt waren. Es schien, als hätten ir gendwelche Indianer einen Weißen hierher getrieben und ihn in die Bä renfalle treten lassen. Vieles sprach für diese Vermutung, denn nirgend wo lagen Waffen herum, die dem Mann hätten gehören können. Lobo sah nur den gebrochenen Schaft eines Pfeiles, der in der Nähe einiger Skelettknochen lag. Die Pfeilspitze fehlte. Der Schaft hatte rote und schwarze Markierungen. Lobo verließ den schrecklichen Ort. Er folgte den Pferdespuren, die ihn näher an die Fußhügel der Berge heranführten. Am Rand einer Waldzunge, die weit in das Tal hineinreichte, fand er dann die Überreste von einem Men schen, der mit Rohhautschnüren an einem Baumstamm festgebunden war. Die Tiere hatten auch von ihm nicht mehr viel übrig gelassen. Trotzdem war unschwer zu erken nen, daß es sich bei dem Toten um einen Weißen handelte, der skalpiert worden war. Außerdem schienen die 29
Indianer um seine Füße herum ein Feuer entfacht zu haben, und zwi schen den blanken Rippen steckten zwei Pfeile, die den Körper des Toten glatt durchschlagen hatten und im Baumstamm steckengeblieben wa ren. Auf einer Lichtung im Wald stieß Lobo auf die verkohlten Überreste einer Blockhütte, die wahrscheinlich noch nicht fertiggebaut war, als die Indianer sie angezündet hatten. Der halbverweste und zerfetzte Kadaver eines Maultiers lag am Rand der Lichtung. In einem ange sägten Baum steckte eine schwere Holzfälleraxt. Ein rußgeschwärzter Kessel lag in den Trümmern, und mitten auf der Lichtung stand ein Birkenrindenkanu, das mit Streitäx ten zerschlagen worden war. Schleifspuren führten hinunter zu einem kleinen See. Durch das kri stallklare Wasser konnte Lobo einen Berg von großen und kleinen Fallen erkennen, die von den Indianern ins Wasser geworfen worden waren. Er ritt zur Lichtung zurück und zügelte sein Pferd. Der Schrei eines Falken zerriß die Stille. Die Frösche verstummten. Langsam glitt Lobos Hand zum Kolben der Winchester. Er spürte, wie der Schweiß auf sein Gesicht trat, obwohl es im Abendschatten der Berge bereits kühl war. Seine Finger berührten das kalte Holz der Winchester. Er duckte sich etwas im Sattel. Im Moment, als er die Winchester aus dem Scabbard ziehen wollte, hörte er ein kurzes, zischendes Ge räusch. Der Graue drehte sich. Ein Stück hinter seinem linken Ohr ragte ein 30
Stück eines gefiederten Pfeilschaftes aus dem Fell. Der Hengst stieg, wie herte, drehte sich und sprang an. Lobo duckte sich. Mit der rechten Hand riß er die Winchester aus dem Scabbard. Von irgendwoher klatschte ihm warmes Blut ins Gesicht. Der Hengst schrie, stürzte, und Lobo ließ sich aus dem Sattel fliegen. Gewandt drehte er sich in der Luft. Er kam auf die Füße, warf sich her um und war bereit, um sein Leben zu kämpfen. Der Hengst wälzte sich am Boden. Blut lief aus seinen Nüstern. Er hatte drei Pfeile im Hals und einen in der Schulter. Er starb langsam, blutete langsam aus und wühlte sich in den Boden, der hier schwarz und weich war. Lobo drehte sich im Kreis. Nichts geschah. Kein Laut war zu hören. Er wich langsam rückwärts zu den Trümmern des Blockhauses. Dort, bei einem mächtigen Holzbock, kau erte er nieder. Er hatte das Gewehr schußbereit in den Händen. Er lauschte. Kein Geräusch war zu hören. Die Tiere schwiegen. Der Hengst war tot. Plötzlich wieder der kurze Zisch laut. Sssst. Lobo warf sich zur Seite. Ein Pfeil verfehlte ihn haarscharf und blieb federnd in einem halbverkohlten Pfosten stecken. Lobo sah eine Bewegung in den Büschen. Er schoß. Ein gellender Schrei fiel in das Echo, und im näch sten Augenblick brach ein Indianer durch das Gestrüpp. Er war ein junger Kerl. Vielleicht fünfzehn Jahre alt. Außer einem Lendenschurz und seinen Mokassins
trug er nichts. Auf dem Rücken hatte er einen Köcher aus Wolfsfell, in der linken Hand einen kurzen Jagdbo gen. Er brach zusammen und kroch über die Lichtung. Lobo kauerte inzwischen wieder hinter dem Holzbock. Er hätte den Indianer jetzt töten können, aber einen Vorteil hätte ihm das kaum ge bracht. Die Kugel hatte den Bur schen in die Brust getroffen. Er blu tete stark, und er konnte Lobo nicht mehr gefährlich werden. Kurz bevor er den Rand der Lich tung erreichte, fiel er aufs Gesicht. Er wollte noch einmal weiterkrie chen, aber er brachte nur noch den Kopf hoch. Ein ächzender Laut drang über seine Lippen. In diesem Moment teilten sich die Büsche. Zwei Krieger sprangen auf die Lichtung heraus, lautlos wie zwei Berggeister. Beide waren bis auf den Lendenschurz und die Mokassins nackt. Ihre Glieder und Körper wa ren mit roter, blauer und gelber Far be bestrichen. Die beiden packten den Jungen, der am Boden lag, hoben ihn auf und rannten davon. Lobo ließ sie laufen. Wenn es nur die drei waren, die zufällig in der Ge gend herumstreunten, dann hatte er von ihnen wohl nichts mehr zu be fürchten. Wenn es mehr waren, so konnte er ihnen zeigen, daß er nicht unbedingt ihr Feind war. Es schien auf jeden Fall, als hätten sie das Interesse an ihm verloren. Fast eine halbe Stunde ließ Lobo verstreichen. Nichts geschah. Er erhob sich und ging zu seinem Pferd. Er nahm ihm die Sattelta schen ab, legte sie sich über die Schultern und verließ die Lichtung. Unter den Bäumen herrschte be
reits Dunkelheit. Lobo ging langsam. Manchmal blieb er sichernd stehen. Der Schrei eines Kauzes ließ ihn herumfahren. Für eine Sekunde glaubte er, den Schatten einer Ge stalt gesehen, zu haben, die sich von einem Baumstamm zum anderen be wegte. Lobo wartete. Nichts geschah. Der Mond ging auf. Bleiches Licht sickerte durch die Äste der Bäume und bedeckte den Waldboden mit einem unregelmäßigen Fleckenmu ster. Lobo dachte an Walcott und die anderen beiden. Falls es mehr als nur drei Indianer waren, dann konnten sie auch seinen drei Verfolgern zu einer Gefahr werden.
„Junge, ich will dir nicht dreinre den, aber in diesem unübersichtli chen Gelände lohnt es sich nicht, auch nachts zu reiten. Es könnte so gar sein, daß du dir völlig überra schend den Tod holst." Big Sandy Walcott sagte es mit ru higer Stimme. Er wollte Rod nicht herausfordern, und er wollte ihm auch nicht das Gefühl geben, daß er nichts taugte. Aber Roderick Ban croft faßte es genau so auf, und das hätte Walcott eigentlich wissen müs sen, denn Rod war der Sohn seines Vaters. In jeder Beziehung. „Ich jage ihn, wenn es sein muß, al lein!" stieß Rod scharf hervor. „Du kannst es ja noch einmal allein ver suchen, Sandy." Walcott lächelte. „Das werde ich vielleicht sowieso bald tun müssen." „Was soll das heißen, Walcott?" fragte Logan lauernd. 31
Walcott hob die Schultern. „Genau das, was ich gesagt habe, Logan. Die ser Bastard ist wie ein Puma. Hast du schon einmal einen Puma gejagt?" „Ich bin ein Menschenjäger, Wal cott", sagte Logan mit fast tonloser Stimme. „Und der Bastard ist ein Mensch." „Da bin ich mir nicht so sicher wie du", sagte Walcott. Er stieg von sei nem Pferd und führte es zu einer steilen Böschung. Dort band er die Zügel am Ast eines Busches fest. „Was hast du vor?" fragte ihn Ro derick Bancroft. „Willst du etwa hierbleiben und dir die Nacht um die Ohren schlagen?" „Du hast es erraten, Junge. Das ist ein guter Platz. Windgeschützt. Dort unter der überhängenden Böschung kann man ein Feuerchen machen. Die Hitze wird gestaut, während der Rauch abzieht. Junge, hier oben wird es in der Nacht so kalt, daß du dir im Sattel den Arsch abfrierst." „Herrgott, wir erwischen ihn nie, wenn wir uns die Nächte hindurch warmhalten!" rief Rod grimmig. „Ich will seinen Skalp, Sandy. Und ich will nicht mein ganzes Leben damit verbringen, hinter ihm herzureiten oder ihn zu suchen." „Er hat gesagt, daß ich dir einen schönen Gruß ausrichten soll. Er hat gesagt, daß es besser wäre, wenn du heimreitest, Rod." „Das hast du schon einmal gesagt. Der Bastard wird sich noch wun dern, das versprech ich dir. Und du wirst dich auch noch wundern. Dich hat er zweimal reingelegt. Bei mir wird ihm das nicht gelingen." Walcott nickte Roderick Bancroft zu. „Ich weiß, mein Junge. Du bist ein Bursche, der sich nicht reinlegen 32
läßt. Schon gar nicht von einem Ba stard." „Genau das ist es, Sandy. Ich paß auf. Von mir kriegt er keine Chance. Von mir kriegt er noch nicht einmal den Schatten einer Chance. Ich schieß ihm die Kugel in den Rücken, sobald ich nahe genug an ihn heran komme." „Pech wäre, wenn er dir nicht den Rücken zudreht, Junge." Walcott bückte sich und öffnete den Sattel gurt. „Ich reite!" rief Roderick Bancroft etwas schrill. Walcott blickte nicht auf. „Ich glaube nicht, daß ich dich da von abhalten will, Rod", sagte er. „Du hast zwar nicht genug Verstand un term Hut, um eine drohende Gefahr früh genug zu erkennen, aber dafür hast du 'nen verdammt harten Schä del. Genau wie dein Alter. Der ..." „Laß meinen Vater aus dem Spiel!" schnappte Roderick Bancroft. „Mir ist auf dem Ritt hierher einiges klar geworden, Sandy. Ich weiß jetzt, daß Vater recht gehabt hat, was dich be trifft. Das hat sich deutlich gezeigt. Zuerst vor dem Saloon in Eagle Flat und dann auf dem Hügel. Du taugst nicht mehr viel, verdammt. Und das ist die Wahrheit." Big Sandy Walcott nahm den Sat tel vom Rücken seines Pferdes und trug ihn unter die Böschung. Er legte ihn nieder. Dann richtete er sich auf, und im letzten Licht des Tages wirk te sein Gesicht steinhart. Er richtete seinen Blick auf Roderick Bancroft. Sekundenlang sah er ihn nur an. Dann sagte er ganz leise: „Ver schwinde hier, Rod!" Roderick Bancroft duckte sich, als hätte Walcott nach ihm geschlagen.
„Entschuldige", stieß er hervor. „Sandy, entschuldige. Ich bin - ich wollte..." „Du sollst verschwinden, Rod!" wiederholte Big Sandy Walcott, und jetzt klang seine Stimme laut und metallisch. „Hau ab!" Roderick Bancroft richtete sich langsam auf. Plötzlich hatte er dun kle Flecken im Gesicht. Seine Augen glitzerten. „Ich habe gesagt, daß es mir leid tut", sagte er leise. „Und ich habe gesagt, daß du ver schwinden sollst, Rod." Big Sandy Walcott bewegte sich langsam auf den Jungen zu. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. Er hatte die ver krustete Oberlippe etwas von den Zähnen gezogen. Seine Augen waren schmal und kalt. Rod wich zwei, drei Schritte zu rück. Dann blieb er stehen. Er duckte sich. „Sandy, ich wollte nur - Herrgott, es war ein Spaß! Ich bin etwas durcheinander, verstehst du? Jim ist tot, verdammt noch mal. Jim ist tot!" Logan bewegte sich. Plötzlich lag sein Revolver in der rechten Hand. Er richtete die Waffe auf Walcott. „Du hast doch gehört, was der Jun ge gesagt hat, Walcott", sagte er, und in seinem Gesicht rührte sich nichts. „Bleib stehen und beruhige dich." Walcott blieb stehen. Er holte Luft. Dann lächelte er plötzlich. „Du glaubst, daß du dir deine tau send Dollar und die von Kelly ver dienen kannst, Logan. Gut, das ist deine Sache. Nimm den Jungen und verschwinde hier." Roderick Bancroft lachte. „Na, siehst du, Sandy. Jetzt stehst du wie der vor einer Mündung und mußt
den Schwanz einziehen." Er hob bei de Hände etwas an. „Daß Logan auf meiner Seite steht, überrascht dich, was? Nun, er weiß eben genau, wo das Brot mit Butter beschmiert ist." „Gut für ihn", sagte Walcott knapp. „Wäre auch für dich von Vorteil, Sandy", sagte Roderick Bancroft, und der Sarkasmus in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Du weißt, was Vater gesagt hat. Es führt für dich kein Weg nach Eagle Flat zu rück, falls du den Bastard nicht er wischst." „Ich habe genug Zeit, ihn zu erwi schen", sagte Walcott. „Das glaube ich eben nicht, Sandy. Logan und ich, wir holen ihn noch in dieser Nacht ein." „Dann laß dich nicht noch lange aufhalten, Junge." Rod Bancroft nickte. „Weißt du, im Grunde genommen habe ich dich nie richtig gemocht, Sandy. Ich habe ge merkt, daß Jim dir mehr galt als ich. Das habe ich immer gemerkt. Es gab eine Zeit, da wollte ich dir beweisen, daß ich besser bin als Jim. Ich bin ge ritten wie ein Teufel. Ich habe eine Flasche Schnaps leeren können, ohne unter den Tisch zu fallen. Ich konnte besser schießen als Jim. Erinnerst du dich?" „Ich erinnere mich", sagte Walcott hart. „Nun, es hat nicht geklappt. Ich war eben nicht Jim. Für dich war ich immer das Ebenbild meines Vaters. Und du haßt meinen Vater. Das weiß ich." Big Sandy Walcott schüttelte den Kopf. ,,Du irrst dich, Junge", sagte er lei se. „Du irrst dich." Er drehte sich auf dem Absatz um und fing an, trocke 33
nes Holz zu suchen. „Was ist es dann, was du für mei nen Vater empfindest, verdammt noch mal?" brüllte Roderick Ban croft wütend. „Du haßt ihn! Du haßt ihn, weil er erfolgreich ist!" „Dein Vater hatte eine gute Frau, und er hatte drei Kinder, Roderick", sagte Big Sandy Walcott ruhig, wäh rend er sich aufrichtete. „Er arbeite te sich ein Vermögen zusammen. Er schuftete ein Leben lang. Alle Zeit, die er hatte, verbrauchte er, um er folgreich zu sein. Reichtum und Macht, das waren seine Ziele. Und er hat sie erreicht, Junge. Allein. Ohne Frau. Mit einem Sohn, der sich in den Schatten eines Mannes verbissen hat, dem er nicht das Wasser reichen kann. Vielleicht habe ich deinen Va ter einmal gehaßt, Junge. Aber das ist eine lange Zeit her." Walcott trug einen Armvoll Holz zur Böschung. Er kniete nieder und schichtete das Holz zu einer kleinen Pyramide auf. Dann holte er größere Äste. „In einer halben Stunde ist es dun kel, Rod", sagte er. „An deiner Stelle würde ich wenigstens versuchen, den Paß dort drüben zu schaffen. Wenn es noch hell genug ist, kannst du dir dann wenigstens die Gegend ansehen." „Die Nacht wird hell genug sein", sagte Roderick Bancroft trotzig. „Noch ist der Mond fast voll." Er ging zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. „Komm, Logan", sagte er hart. Logan steckte den Colt ein. Er stieg auf, und die beiden ritten nebenein ander den Pfad hoch, der zu einem Sattel führte. Big Sandy Walcott trug das Holz 34
zur Feuerstelle hinüber. Dort hockte er sich hin. Er brach Äste über den Knien, während er den Reitern nachblickte. Es wurde jetzt schnell dunkel. Die beiden mochten etwa ei ne Meile entfernt sein, als Walcott den Schrei eines Falken hörte. Er suchte den Himmel nach dem Raub vogel ab, aber er konnte ihn nirgend wo entdecken. Er stand auf und ging ein Stück weit von der Böschung weg. Da sah er drüben auf einem Hügelrücken einen Reiter. Er hob sich gut gegen den frühen Nachthimmel ab. Der Reiter war ein Indianer. Er be fand sich im Schatten einiger Fich ten, und er drehte sein Pferd zwei mal im Kreis. Das bedeutete für seine Gefährten, die irgendwo versteckt waren, daß er zwei Reiter entdeckt hatte. Der Indianer trug zwei stehende und eine hängende Feder im Haar. Sein Pferd war ein Schecke. Kurz nachdem er den zweiten Kreis voll endet hatte, verschwand er in der Finsternis des Waldes. Walcott lief hinüber zu seinen Sa chen. Er zog die Winchester aus dem Scabbard und richtete sie zum Him mel. Dann drückte er ab. Der Schuß zerriß die Abendstille. Das Echo roll te durch die Täler und über die Hän ge hinweg. Roderick Bancroft und Logan, die den Sattel schon fast erreicht hatten, hielten kurz an. Walcott winkte ih nen, aber sie machten keine Anstal ten, umzukehren. Nach kurzer Zeit trieben sie ihre Pferde hart an und ritten über den Paß. Walcott packte seine Sachen wie der zusammen, legte dem Pferd den Sattel auf und zog es an den Zügeln
Wir möchten in diesem Forum wieder einmal einige interessante Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zum Thema „Wilder Westen" vor stellen. Von den vielen Büchern, die Jahr für Jahr zu diesem Thema in deutscher Sprache erscheinen, lohnen nur wenige als wirklich informative Werke vorgestellt zu werden. Ei nes der besten neuen Bücher für Indianer freunde kommt diesmal aus dem Walter-Ver 1. Schwarzer Hirsch: DIE HEILIGE PFEIFE. — Die Natur ist dem Indianer die unmittelbare Kundgebung des Göttlichen. Daher ist sie ihm gleichzeitig Heiligtum. Der Mensch ist ihre Mitte. Alles ist das Werk des Großen Geistes. Er hat die heiligen Riten gestiftet, zu denen das Kultinstrument der Heiligen Pfeife gehört. Das Kalumet ist allen nordamerikanischen In dianern heilig. Es begründet den Frieden, den der weiße Mann weder mit seinen Mitmen schen noch mit der Schöpfung gehalten hat. Schwarzer Hirsch, der letzte „Hüter der Pfeife" der Ogalalla-Sioux, gab dem Ethno logen Epes Brown das bisher streng geheim bewahrte Wissen um die „Heilige Pfeife", um die 7 geheimen Riten, bekannt. Er tat es, weil wir uns am Ende eines Zeitalters befinden. Das eigene Volk und alle Völker sollen die Friedenskraft der indianischen Überlieferung kennenlernen. 256 Seiten, 16 Foto-Seiten, Leinen. DM 32,—. Walter-Verlag, Olten, Schweiz. 2. Dee Brown: DAS FEUERROSS ERREICHT DAS GROSSE WASSER IM WESTEN. — Dies ist die Geschichte der großen amerikani schen Eisenbahnlinien, eine Geschichte voll atemberaubender Erfindungskraft, voll Pionier geist, harter Knochenarbeit und übermächtiger Habgier. Die Helden dieses außergewöhnli chen Epos sind die irischen Streckenarbeiter
und chinesischen Kulis, die Antihelden: profit süchtige Bankiers und korrupte Politiker. Die „Personen der Handlung" aber sind die Rei senden, die sich als erste zaghaft dem „Feuer roß" anvertrauten. Bei Beendigung des Unter nehmens waren Indianerstämme ausgerottet und die Büffelherden von der Prärie vertrie ben, waren Millionen von Siedlern aus Europa angelockt und begann eine riesige Industrie nation sich mit rasender Geschwindigkeit zu entwickeln. 272 Seiten, 29 Fotos, 3 Karten, DM 32,—. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 13. 3. Jessamyn West: . . . AUF DASS IHR NICHT
GERICHTET WERDET. — 1824 im Staate In
diana: Ein kleiner Trupp friedlicher Seneca-
Indianer schlägt nahe der Siedlung weißer
Farmer ein Lager auf. Ein halb wilder Trapper
schürt die Angst vor der „roten Brut". Die
Weißen fallen über die friedlichen Indianer am
Fall Creek her und töten sie. Eine Heldentat?
Ein Verbrechen? — Das Gesetz sagt: Mord!
Zum ersten Mal in der Geschichte der USA
soll dieses Gesetz auch für das Töten von
Indianern gelten. Die Siedler von Pendleton
sind verstört. Ihre Nachbarn und Freunde sit
zen auf der Anklagebank, des Mordes be
schuldigt für eine Tat, die noch gestern als
ehrenhaft und tapfer gerühmt worden wäre.
Und hinten im Gerichtssaal warten die India
ner auf die Gerechtigkeit des weißen Mannes.
— Die Autorin hat es verstanden, diese histo
rische Begebenheit in einem packenden Ro
man zu gestalten. Sie läßt eine düstere Zeit
wieder lebendig werden, mit eindringlich ge
schilderten menschlichen Gestalten, blut- und
kraftvoll, mitreißend und erschütternd. Der
tragische Zusammenstoß zweier feindlicher
Kulturen wird verständlich gemacht.
Erschienen im Rainer Wunderlich Verlag.
Präsident Jackson, 2. Teil Nach der Schlacht von New Orleans war Jacksons Ruf als Offizier landesweit gefestigt. Seine zweite Karriere hatte begonnen. Er blieb im Range eines Generals, und die We senszüge, die ihm als Richter so geschadet hatten, prägten sich weiter aus: Jackson war unmenschlich hart gegen sich selbst und an dere. Er war jähzornig und rechthaberisch und jederzeit bereit, Duellforderungen zu verteilen. Davon ließ er sich auch nicht von hohen Poli tikern, die ihn förderten und unterstützten, die sich von diesen Eigenschaften aber abgesto ßen fühlten, abbringen. Als 1817 eine Krise zwischen den USA und Spanien ausbrach — die Spanier besaßen noch immer große Teile des amerikanischen Kontinents,- marschierte Jackson nach Florida, das zu jener Zeit noch zu Spanien gehörte, und eroberte es für die USA. Er besetzte den Staat und wurde nach der Abtretung Floridas an Amerika 1821 Gou verneur des Staates. — Jacksons Popularität war so groß, daß er jetzt für höhere politische Ämter in Betracht gezogen wurde. 1823 wählte ihn der Staat Tennessee wieder in den Senat der USA. Jackson wurde zur führenden Per sönlichkeit der Demokratischen Partei. Bereits 1824 wurde er — gegen seinen Willen — zum Präsidentschaftskandidaten nominiert. Er er reichte die meisten Stimmen, aber nicht die Mehrheit, wußte aber nun, daß er den Sprung ins Weiße Haus schaffen konnte. Abermals kandidierte er 1828 für die Präsidentschaft und zog diesmal aktiv in den Wahlkampf. Mit überwältigender Mehrheit wurde der „Held von New Orleans" zum Präsidenten gewählt. — Jacksons Wahl wurde zum tiefen Einschnitt in Amerikas politischem Leben. Jackson pro klamierte erstmals in den USA die uneinge schränkte Parteienherrschaft, das bis auf den heutigen Tag angewendete sogenannte „Beu tesystem". Danach ernannte der neue Präsi dent nicht nur die Regierung, sondern seine Partei beanspruchte sämtliche maßgebenden Ämter im Staat, bis hinunter zum kleinsten Postmeister. Jeder Beamte, der womöglich der Gegenpartei angehörte oder anderer Meinung war als der Präsident, wurde entlassen. — In Jacksons Regierungszeit wurde die National bank aufgelöst. Sonderrechte oder Privilegien von Wirtschaftsgruppen und Geschäftsleuten abgebaut und in vielfacher Hinsicht eine hin terwäldlerische Politik betrieben, die kurzsich tig und auf den Augenblickserfolg ausging. Das war natürlich sehr populär. Jackson wurde zum „Volkspräsidenten", der vor allem von kleinen Farmern und Siedlern unterstützt wurde, deren Sprache er redete, für die selbst
seine rauhen, ungehobelten Sitten noch an sprechend waren. — 1832 wurde Jacksion er neut wiedergewählt. Er förderte nun den Aus bau -des Verkehrsnetzes. Die Eisenbahn expandierte während seiner Regierungszeit in starkem Maße. Die Flußschiffahrt weitete sich ebenfalls aus. Erste Siedlertrecks, überschrit ten den Mississippi und zogen in den Westen. Die Industrie erlebte einen gewaltigen Auf schwung, Fabriken schossen fast über Nacht aus dem Boden. Amerika wurde zum Indu striestaat. — Andrew Jackson war noch immer überaus populär. Er hätte jede Wahl erneut gewonnen. Aber, gemäß dem Brauch seiner Vorgänger verzichtete er auf eine dritte Kan didatur und zog sich 1836 von seinem Amt zu rück. Nachfolger wurde sein bisheriger Außen minister Van Buren. — Jackson kehrte heim auf seine Plantage in Tennessee und mied fortan das öffentliche Leben, auch wenn er es nie aufgab, Einfluß auf die Politik zu nehmen und von den ihm folgenden Präsidenten gern als Ratgeber in Anspruch genommen wurde. — Sein wildes, ungestümes Leben forderte mit zunehmendem Alter seinen Preis: Jackson wurde krank, erblindete auf einem Auge, wurde von Wassersucht befallen und schließ lich von der Tuberkulose. Am 8. Juni 1845 starb Andrew Jackson. Bis zur nächsten Woche! Ihre RONCO-/LOBO-Redaktion
unter die nächsten Bäume. Dort band er es fest. Mit der Winchester in der Hand lief er zu einem Hügel hoch, aber als er oben ankam, war es dun kel, und der Mond war noch nicht aufgegangen.
Roderick Bancroft zügelte plötz lich das Pferd. Er saß stocksteif im Sattel, und seine rechte Hand kroch zum Gewehrkolben. Logan, der etwas zurückgeblieben war, schloß zu dem Jungen auf. „Ist was?" fragte er ziemlich laut. „Verdammt, sei still!" zischte Ro derick Bancroft. „Was ist los?" fragte Logan leise. „Ich habe was gehört." Logan schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Er nahm die Hände zum Mund und hauchte gegen die Finger. Der Atem stand ihm in einer Wolke vor dem Gesicht. Es war ziemlich kalt geworden. Über den Tümpeln hingen Nebelschwaden, aus denen tote Baumskelette ragten wie ge heimnisvolle Fabelwesen, die in der Finsternis der Nacht erstarrt waren. Irgendwo krächzte ein Tier. Weder Rod Bancroft noch Logan hatten je mals einen ähnlichen Laut gehört. Es klang fast wie ein krächzendes Hu sten. „Hast du gehört?" fragte Rod Ban croft leise. „Ein Fuchs", sagte Logan. „Das war ein alter Fuchs, der gekläfft hat." Rod Bancroft zog die Winchester aus dem Scabbard. „Bist du sicher?" fragte er. „Ich meine, das klang an ders. Das klang wie - wie ..." „Teuflisch", sagte Logan kühl. „Aber das war ein Fuchs. Was denn
sonst?" Rod Bancroft schwieg. Er dachte an Indianer. Aber er schwieg. Lang sam ritt er weiter. Der Pfad, der durch ein Gewirr von gefällten Bäu men führte, war gut erkennbar. Die Wasserflächen der überschwemm ten Talsenken reflektierten das fahle Licht des Mondes. Die Wipfel der Fichten beugten sich im Wind wie riesige Kaputzenmänner. Schwarz ragten die Berge hoch in den Sternenhimmel, und ein seltsa mes Gefühl der Unsicherheit be schlich Rod Bancroft. Es war ihm, als befände er sich plötzlich in einer anderen, ihm völlig fremden Welt, und er wünschte sich, daß Walcott hier wäre. Walcott kannte das Land. Er kannte auch die Stimmen der Tiere und konnte einen Fuchs gut von einem Indianer unter scheiden. Wieder ertönte ein krächzender Laut, dem sofort der Schrei eines Nachtvogels folgte. Ein durchdrin gender, schriller Schrei. Jetzt war es Logan, der anhielt. Rod Bancroft drehte sich im Sattel. „Was ist, verdammt?" Logan sagte nichts. „Verdammt, du hast mich er schreckt", schnappte Rod Bancroft. „Warum hältst du plötzlich an?" „Da stimmt was nicht", sagte Lo gan leise. Rod Bancroft schluckte. Er blickte sich nach allen Seiten um. Der Wind kühlte den Schweiß auf seinem Ge sicht. Irgendwo plumpste etwas ins Wasser. Ein Frosch vielleicht. „Der Bastard könnte uns auflau ern", sagte Rod Bancroft. „In dieser Gegend kann er sich gut verstecken. Er braucht ein Pferd." 37
„Wir reiten nicht mehr weiter", be schloß Logan. „Jetzt ist es genug." „Hier können wir nicht bleiben, verdammt! Wir müssen aus dem Sumpfgebiet raus." „Gut, dann..." Das Geräusch war ein kurzes scharfes Zischen. Logan verstummte jäh. Rod Bancroft riß die Augen weit auf, als er den Pfeilschaft sah, der aus der rechten Schulter Logans rag te. Sekundenlang schien Logan nichts zu merken. Dann stieß er einen ge preßten Fluch aus. „Weg hier!" rief er. „Die Füchse das sind doch Indianer!" Rod Bancroft riß seinen Hengst herum. Er gab ihm hart die Sporen. Das Tier sprang an. Drei, vier Pfei le flogen durch die Nacht. Logan wurde ein zweites Mal ge troffen. Der Pfeil durchdrang seine Jacke und blieb zwischen seinen Rippen stecken. Logan fiel vornüber und klammer te sich mit einer Hand am Sattelhorn fest. Er vermochte seinen Hengst nicht mehr unter Kontrolle zu hal ten. Das Tier brach aus, sprang über Baumstämme hinweg und jagte in den Sumpf hinein, über dem bläuli che Irrlichter tanzten. Dreck spritzte hoch. Logan versuchte, das Pferd herumzureißen, aber das erschreckte Tier gehorchte nicht mehr. Plötzlich versank es mit beiden Vorderbeinen tief im Morast, kam nicht mehr hoch und stürzte kopf über in den Dreck. Logan flog aus dem Sattel. Er wir belte durch die Luft und prallte ge gen einen vermoderten Baumstamm, der unter seinem Gewicht auseinan 38
derbrach. Logan klammerte sich an einigen Ästen fest. Sie zerfielen zwischen seinen Händen. Er versank bis zu den Hüften im gurgelnden Brei, der sich rund um ihn herum ausbreitete. Sei ne Füße fanden festen Grund. Er stand still, rührte sich nicht mehr. Am Rand des Sumpfes tauchten Gestalten auf. Halbnackte, dunkle Gestalten, die mit Bogen und Pfeilen bewaffnet waren. Logan zählte sie ben. Die farbigen Streifen und Punkte und Ringe, mit denen sie sich verziert hatten, leuchteten im Licht des Mondes. Logan warf einen gehetzten Blick zu seinem Pferd hinüber, das sich mühsam durch den Sumpf arbeitete. Es schien, als ob es die Indianer nur auf das Pferd abgesehen hätten. Sie warteten am Rand des Sumpfes. Kein Laut war zu hören. Die India ner bewegten sich kaum. „Logan!" Rod Bancrofts Ruf zerriß die Stille. Seine Stimme klang etwas schrill. „Logan! Bist du okay?" Logan drehte den Kopf. Er konnte Rod nicht sehen, aber es schien, als ob der Junge den bewaldeten Hang er reicht hätte. „Logan, wo, zum Teufel, steckst du?" Angst klang in der Stimme des Jungen. Wenn er nur mit dem Schreien aufgehört hätte. Wenn er nur versucht hätte, sich zu verkrie chen. „Logan!" Logan zog den Kopf zwischen die Schultern. Er rührte sich nicht. Die Kälte fraß sich durch seine Kleider in seine Glieder. Die Schmerzen, die in seinem Oberkörper rasten, trieben ihm Tränen in die Augen.
„Logan! Verdammt, warum gibst du mir keine Antwort?" Logan biß die Zähne aufeinander. „Narr!" preßte er leise hervor. „Der Teufel soll dich holen, du Narr!" Das Pferd war jetzt schon fast am Rand des Sumpfes angekommen. Einer der Indianer schüttelte eine Schlinge aus und warf sie dem Pferd über den Kopf, bevor es sich ganz aus dem Morast befreit hatte. Logan sah zu, wie sie das Pferd in die Mitte nah men und im Unterholz verschwan den. Logan hob den Kopf etwas. Die In dianer tauchten nicht mehr auf. Es schien, als ob sie ihn für tot hielten. Sie mußten gesehen haben, daß er getroffen war. Und sie mußten gese hen haben, wie er in den Sumpf ge
stürzt war. „Logan! Logan!" Die Stimme des Jungen breitete sich über dem Sumpf aus und verlor sich. Logan bewegte sich. Er sank noch tiefer ein, aber er kam ein paar Yards voran. Dann rutschte er weg, und im letzten Moment fanden seine Hände ein Stück Holz, an dem er sich fest halten konnte. Nur noch ein Stück seiner verletzten Schulter und der Kopf ragten aus dem Brei. Logan zog sich langsam ein Stück hoch, aber er kam jetzt nicht mehr vorwärts. Un ter seinen Füßen war kein Grund mehr. Logan klammerte sich an dem Holzstück fest. Er mußte ausharren, mußte warten, bis die Indianer weg
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waren. Dann konnte er den Jungen herrufen. Der Junge war irgendwo drüben im Wald. Aber er rief jetzt nicht mehr nach Logan. Mit einer Hand versuchte Logan, den Pfeilschaft zu packen, der aus seiner Schulter ragte. Er erwischte ihn und brach ihn über der Jacke weg. Der Pfeil, der in seinem Rücken steckte, war schon beim Sturz vom Pferd gebrochen. Die Wunden brannten wie Feuer. Logan verlor Blut und Kraft. Er merkte, wie ihm nach und nach schwindlig wurde. Fast eine halbe Stunde mochte verstrichen sein, als Logans Auf merksamkeit durch ein Geräusch geweckt wurde, das vom Rand des Sumpfes kam. Er hob den Kopf und versuchte, mit seinen Blicken die dünnen Nebelschleier zu durchdrin gen. Das Geräusch wiederholte sich nicht. Minuten vergingen. Nichts ge schah. Langsam sank Logans Kopf wie der nieder, bis sein Kinn die Brust berührte. Er sah die Gestalt nicht, die geduckt am Rand des Ufers entlang ritt. Erst als die Gestalt stehenblieb und leise seinen Namen rief, wurde er aus seiner Lethargie aufgeweckt. „Rod!" rief er leise und ungläubig. „Bist du das, Junge?" Schwach konnte Logan den Mann erkennen, der am Rand des Sumpfes stand, eingehüllt von grauen Nebel schleiern. „Wo bist du, verdammt?" fragte Rod Bancroft. „Ich kann dich nicht sehen." Logan zog sich hoch und hob sei nen linken Arm. Er bewegte ihn hin und her. 40
„Hier. Dreißig Yards von dir ent fernt. Hier!" / „Warum kommst du da nicht raus? Die Rothäute sind weg. Ich habe ge sehen, wie sie weggeritten sind. Nach Westen. Wir sind ganz allein hier." „Ich habe keinen Boden unter den Füßen, Rod. Kann mich nur an einem Holzstück festhalten. Allein komme ich hier nie raus." „Bist du schlimm verletzt?" „Zwei Pfeile. Nichts Ernsthaftes. Aber die Spitzen müssen raus. Ich verlier Blut, und mir ist ziemlich schwindlig." „Okay, Logan. Warte. Ich hol mein Pferd." Rod Bancroft lief davon. Nach ei nigen Minuten kam er mit seinem Pferd zurück. Er schwang sich in den Sattel, löste das Lasso und trieb das Pferd in den Sumpf hinein. Ganz langsam arbeitete sich das Pferd näher an Logan heran. Manchmal versank es bis zum Leib im gurgelnden Brei. „Bleib nur schön ruhig, Logan! Er schreck mir den Gaul nicht, sonst geht's schief." Logan bewegte sich nicht. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das Pferd so nahe herangekommen war, daß Rod Bancroft Logan das Ende seines Lassos zuwerfen konnte. Logan ergriff das Seil, und Rod dreh te langsam sein Pferd. „So, jetzt versuchst du, dich am Lasso bis zum Pferd heranzuziehen, Logan. Wenn du es schaffst, dann bist du alle Sorgen los." „Und wenn ich es nicht schaffe?" „Dann schleif ich dich raus. Aber dabei könntest du absaufen. Ver such's lieber. Ich kann dich in den Sattel ziehen."
„Red kein Blech, Logan. Du hast Logan löste sich von dem Holz stück. Sofort versank er. Mit einer Boden unter den Füßen. Versuch zu Hand hielt er sich am Seil fest, mit gehen." der anderen ruderte er durch den zä Logan ließ das Lasso los. Er fand hen Brei. Er sackte tiefer, und Panik Halt mit den Füßen, aber er hatte packte ihn. nicht mehr die Kraft, sich aufrecht „Zieh an, Rod!" schrie er. „Herrgott, zu halten. Plötzlich sackte er weg, und Rod Bancroft erwischte ihn an der Sumpf schluckt mich!" Rod Bancroft trieb seinen Hengst der Jacke und zog ihn zu sich heran. an. Das Tier bewegte sich vorwärts, Logan war halb ohnmächtig. aber Logan versank, und sein Mund „Logan, reiß dich zusammen, ver füllte sich mit einem brackigen Brei, dammt. Denk daran, daß du zwei der nach Moder und Fäulnis roch. tausend Dollar kriegst. Denk an die Mit beiden Händen packte Rod das zweitausend Dollar, Logan!" Lasso und zog daran, bis Logan wie „Wir - wir erwischen ihn nie", stieß der auftauchte. Logan hervor. Rod Bancroft packte Logan mit In diesem Moment brach das Pferd beiden Händen. Mit viel Mühe hinten ein. Roderick Bancroft verlor sein brachte er ihn so weit aus dem Gleichgewicht. Er stürzte aus dem Sumpf, daß er ihn sich über die Sattel, packte im Fallen mit einer Schultern legen konnte. Hand den Steigbügel und ließ mit der Rod Bancroft war zwar ein kräf anderen das Seil nicht los. tiger Mann, aber die Anstrengung Das Pferd bäumte sich auf, erwisch war auch für ihn fast zuviel. te Grund, bewegte sich vorwärts, Er arbeitete sich keuchend durch und Logan blieb mit einem Bein an den Morast, hielt Logan mit einer irgend etwas, das im Morast lag, hän Hand fest und hielt die andere Hand gen. Er versuchte, sich loszureißen, ausgestreckt, um besser im Gleich aber er schaffte es nicht. gewicht zu bleiben. Sein Pulsschlag Roderick Bancroft mußte den raste. Schweiß rann ihm über das Steigbügel loslassen. Mit beiden Gesicht, und seine Lungen schienen Händen hielt er sich jetzt am Seil zu zerspringen. fest. Logan war nicht mehr zu sehen. Schritt für Schritt kam er dem Rand näher. Manchmal gaben seine „Logan!" schrie Rod heiser. Logans Hand tauchte zuerst auf. Beine nach, manchmal der Boden Dann sein Kopf. Das Pferd hatte nun unter seinen Stiefeln. Es dauerte mehr als eine halbe festen Grund unter den Hufen und kam die letzten Yards bis zum Rand Stunde, bis Roderick Bancroft end des Sumpfes gut voran. Es sprang lich den Rand erreichte. Er fiel an über eine Böschung hinweg, und Lo der Böschung hin, lag lang ausge gan wurde mit einem Ruck weit aus streckt und halb unter Logan am Bo dem Morast gezogen. Er erbrach, was den und hechelte wie ein völlig er schöpfter Hund. er geschluckt hatte. Logan bewegte sich nach einer „Ich - ich schaff's nicht", keuchte Weile. Er rutschte von Rod herunter, er. „Ich bin fix und fertig." 41
hob den Kopf und blickte sich ver wirrt um. Das Pferd stand etwa zehn Yards entfernt. Es hatte den Kopf er hoben und die Ohren wachsam auf gerichtet. „He, Junge, was ist mit dir?" fragte Logan und schüttelte Roderick Ban croft an der Schulter. „Bist du ver letzt oder was?" Roderick Bancroft drehte sich am Boden. Er öffnete die Augen und blickte zu Logan auf, der wie ein Moorgespenst vor ihm auf der Bö schung hockte. Dreck und Schlamm hingen dick an ihm herunter. Mit den Händen versuchte er, sein Gesicht zu säubern. Roderick Bancroft lachte. „Wir haben es geschafft, Logan", rief er. „Verdammt, wir haben es ge schafft!" Er lachte, und Tränen liefen ihm über das Gesicht. „Es war die Hölle, Logan!" stieß er hervor. „Aber wir sind durchgekommen. Wir ha ben es..." Logan riß plötzlich den Mund und die Augen weit auf. Er wuchs etwas. Seine Hände kamen hoch, die Finger gespreizt, so, als wollte er irgend et was auffangen, was man ihm zu warf. Aber es gab nichts, was man ihm zuwarf. Er sagte etwas. Ganz leise. Dann stürzte er vornüber auf sein Gesicht. Roderick Bancroft stemmte sich auf den Ellbogen hoch. Er sah die Lanze, die im Rücken Logans steck te. Menschenhaare und Federn hin gen an ihr herunter. Die Stange schwang leicht hin und her. Und keine vier Schritte entfernt, hart am Rand des Sumpfes, stand ein Mann. Groß, knochig. Er trug das schwarze, lange Haar zu zwei Zöpfen geflochten. An seiner Skalplocke 42
waren zwei hängende Adlerfedern befestigt. Um den Hals trug er eine Kette mit mächtigen Bärenkrallen. Seine Beine waren von hellen hirsch ledernen Leggings bedeckt, deren Nähte reich mit Glasperlen verziert waren. Der Oberkörper war nackt. Ein weißer Zick-Zack-Streifen führte von seinem Adamsapfel zur rechten Brustwarze und von dort zum Nabel. Auf der linken Brustseite hatte er rote und gelbe Querstreifen aufgemalt. Beide Arme waren mit blauen Schlangenlinien verziert, und die obere Hälfte seines Gesichts war rot, die untere schwarz. Vom linken Handgelenk baumelte eine Pferdepeitsche. An seinem Gür tel, der mit Stachelschweinborsten verziert war, hing ein Beutel mit lan gen Fransen und eine Scheide, aus der der Hirschhorngriff eines Mes sers ragte. Der Mann stand still und äugte herüber. Rod Bancroft war vor Schreck wie gelähmt. Er starrte den Mann an, als hätte er noch nie im Leben einen In dianer gesehen. Und das war es vielleicht, was den Indianer ebenfalls überraschte, denn plötzlich zog er die Oberlippe von den Zähnen, grinste und sagte: „Je sus Christus, schöner Mist." Er duckte sich, und er zog sein Mes ser aus der Scheide. Ganz langsam kam er auf Rod Bancroft zu, und die ser wagte es nicht, sich zu bewegen.
Lobo kroch am Fuße der senkrecht hochsteigenden Felswände entlang auf eine Canyonspalte zu. Unter ihm fiel ein Geröllhang ziemlich steil ab
und endete am Quellsee des Flüß chens, dem er vorhin gefolgt war. Der Wind rauschte in den Wäldern unter ihm und umheulte die Felsen über ihm wie ein hungriger Wolf. Schwarze Wolkenfetzen jagten über den verschneiten Gipfeln hoch in den Sternenhimmel, jagten sich gegen seitig wie Geister aus dem Schatten reich. Dort, wo Wasser über die Felswän de herunterlief, hatte sich dünnes Eis gebildet. Es war empfindlich kalt ge worden. Manchmal schoben sich die Wolken vor den Mond, hüllten ihn ein, tanzten in seinem Licht und jag ten weiter. Immer mehr Wolken ka men, und der Wind wurde stärker. Lobo erreichte den Canyonein schnitt. Er richtete sich auf und drückte sich gegen die kalte Fels wand. Für einige Minuten gaben die Wolken den Mond frei, und Lobo sah die beiden Indianer, die unter ihm am Fuß des Geröllhanges aus dem Wald auftauchten. Jeder saß auf ei nem Pferd. Sie hielten an und blickten zu ihm auf. Lobo verhielt sich regungslos. Es war gut möglich, daß sie ihn nicht se hen konnten, denn hinter ihm war die zerfurchte Felswand. Einer von ihnen stieg ab. Er führte das Pferd ein Stück. Dann schwang er sich wieder in den Sattel. Wolken schoben sich vor den Mond. Es wurde stockdunkel. Lobo hörte, wie die beiden Indianer Rufe ausstießen. Ihre Stimmen wurden von den Felsen zurückgeworfen. Lobo konnte ihre Sprache nicht verstehen. Mit größter Wahrschein lichkeit handelte es sich um Black feet-Krieger. Und an die Blackfeet hatte Lobo einige schlechte Erinne
rungen. Schon einige Male war er ih nen nur haarscharf entkommen. Lobo drückte sich in die Felsspalte hinein. Er schob sich zwischen den Felswänden hindurch. Hier blies kein Wind. Aber der Boden war naß, und an den Felsen glitzerte Eis. Lobo, der die Satteltaschen und die Deckenrolle mitgenommen hatte, richtete sich etwa zehn Yards vom Eingang des Canyons entfernt ein notdürftiges Lager ein. Er konnte kein Feuer machen, um sich zu wär men. Er legte die Satteltaschen auf die Steine, hüllte die Decken um sich und legte sich nieder. Er war müde. Hung rig. Er träumte von einem Haus. Von einem Bett. Von einem Mäd chen. Er schlief nicht, aber er träum te. Für Sekunden erhellte ein Blitz schlag die Spalte zwischen den Fel sen. Donner grollte in den Bergen. Die Felsen zitterten. Lobo setzte sich auf. Er wartete auf den nächsten Blitz, um sich orientie ren zu können. Er brauchte Schutz vor dem Gewitter. Hier, in dieser Spalte konnte er nicht bleiben, denn im Falle eines Wolkenbruchs würde sie sich bald mit reißenden Wassern füllen. Er brauchte nicht lange zu warten. Blitzschläge folgten. Die Felsen schienen im gleißenden Licht zu wanken, getroffen von gewaltigen Donnerschlägen, die sich zu einem vernichtenden Inferno erhoben. Die ersten Regentropfen fielen, groß, schwer, einige noch vereist. Dann kam der Hagel. Lobo kletterte an den Felsen hoch zu einem Vorsprung. Er fand eine kleine Höhle, etwa vier Yards über 43
dem Grund des Canyons. Unter ihm Luft. Die Steine glühten auf. Ein Vo schoß bereits das Wasser talwärts. gel schwebte an der Tanne vorbei, Über ihm schien der Himmel zu ber flog tief, hob sich und flatterte über sten. die Felsen hinweg. Das Gewitter dauerte fast eine Lobos Blicke schweiften zum Fuß Stunde. Dann war es so schnell vor des Geröllhanges, und er erstarrte bei, wie es gekommen war. Die Blitze plötzlich, als er die Bewegung im zuckten jetzt im Osten auf, und das Dämmerlicht wahrnahm, das zwi Donnergrollen entfernte sich. Das schen den Bäumen herrschte. Licht des Mondes brach durch die Er ergriff die Winchester, kniete Wolkenfetzen. Die ersten Sterne langsam nieder und spannte den glitzerten wieder, und in ihrem Licht Hammer. sah Lobo unter sich das schäumende Fast eine Minute verstrich. Dann Wasser, das sich tosend einen Weg tauchte dort unten, etwa eine halbe durch den Canyon suchte und über Meile entfernt, ein Indianer auf. Er den Steilhang hinunterstürzte. trug eine Büffelrobe über den Schul Steine polterten durch die Spalte. tern, die ihm fast bis zu den Mokas Gischt spritzte an den Wänden hoch, sins reichte. Auf dem Kopf hatte er und Lobo wußte, daß er die Nacht offensichtlich einen Zylinder, an hier oben verbringen mußte, um si dem allerlei Glitzerkram und einige Federn befestigt waren. Das Gesicht cher zu sein. Irgendwann schlief er doch ein. war gelb und rot angemalt, die Hän Und er schlief tief und fest, bis der de blau. Der Indianer kam zu Fuß aus dem Wald, und er war allein. Lo Morgen graute. Auf dem Grund des Canyons floß bo konnte keine Waffe entdecken, immer noch ein dünnes Rinnsal tal aber dafür führte er ein Pferd an den wärts. Die Felsen waren feucht, aber Zügeln. Einen Palomino. am Himmel war keine Wolke zu se Lobo erinnerte sich sofort, daß Ro hen. derick Bancroft einen Palomino ritt. Lobo blieb oben auf dem Felsvor Kein Zweifel, der Indianer dort sprung. Er konnte nur ein schmales unten führte den Palomino, der Ro Stück des Tales sehen, einen Streifen derick Bancroft gehört hatte. Er trug des Sees und ein Stück vom Wald. einen schwarzen Sattel mit einem Die ersten Sonnenstrahlen schos großen Horn. An seinem Kopfzug sen wie glühende Pfeile in den ver blinkten silberne Beschläge. blassenden Nachthimmel. Es wehte Der Indianer folgte einem Pfad, kein Wind. Die Fichten standen ru der am Rand des Geröllhanges eine hig. Nur ab und zu kräuselte sich das Vertiefung hochführte, bis zu einem Wasser des Sees, in dem sich Wälder Hügelrücken, auf dem kein Baum und Berge spiegelten. und kein Strauch wuchs. Lobo richtete sich auf. Er blickte Als der Indianer oben ankam, be hinunter in das Tal. Die Sonne be fand er sich im warmen Licht der schien einen Geröllhang, an dem eine Morgensonne. Er nahm die Büffelro einzelne Wettertanne stand. Schräg, be von den Schultern und breitete sie den halben Wurzelstock frei in der im Gras aus. Dann ließ er sich darauf 44
nieder, nahm eine kurze Pfeife mit einem Catlinit-Kopf aus dem Pfei fenbeutel, tat etwas Tabak hinein und zündete sie an. Er paffte in aller Seelenruhe blauen Dunst in die Ge gend und tat, als hätte er die Absicht, eine Weile dort oben auf dem Hügel zu bleiben. Als er die Pfeife ausgeraucht hatte, erhob er sich. Er drehte sich um, hob beide Hände und rief zur Überra schung Lobos in englischer Sprache: „He, Fremdling, wo sein du geblie ben?" Lobo rührte sich nicht. Er be obachtete den Waldrand am Fuß des Geröllhanges. Aber dort blieb alles ruhig. „Ich sein Chief Black Otter, Fremdling. Du mir vertrauen, denn sein alles in bester Ordnung. Hier, ich bringen dir Geschenk. Schönes Pferd. Gutes Pferd. Pferd von gott verdammtes Bleichgesicht. Du kön nen haben Geschenk. Alles klar, Fremdling. Alles klar." Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich der Indianer um und schritt in würdiger Haltung den Weg zurück, den er gekommen war. Die Büffelrobe ließ er entweder als Kö der oben auf dem Hügel, oder aber er wollte damit die Ehrlichkeit seiner Absichten beweisen. Lobo entschied sich dafür, das Ri siko einzugehen und den Chief auf die Probe zu stellen. Er legte die Winchester an, zielte auf einen Steinbrocken, der auf einem anderen Steinbrocken lag und sich etwa zwei Schritte vor dem Chief befand. Lobo drückte ab. Die Kugel traf den Steinbrocken. Er barst. Splitter flogen durch die Luft. Der Quer schläger sauste jaulend in den Him
mel. Der Chief blieb sofort stehen. Se kundenlang bewegte er sich nicht mehr. Dann schritt er weiter, ohne Hast und ohne sich umzublicken. „Stop, Chief!" rief Lobo. „Hier bin ich. Mein Name ist Lobo. Ich vernei ge mich vor dir, großer Mann." Der Chief blieb erneut stehen. Langsam drehte er sich um und blickte zu den Felsen hoch. Die Far ben an ihm leuchteten. Er wirkte fast wie ein bunter, exotischer Vogel, der sich in dieser rauhen Felswildnis verflogen hatte. „Ich kann dich nicht sehen, Fremd ling!" rief der Chief. „Schau her!" Lobo kletterte vom Felsvorsprung hinunter und ging zur Öffnung der Felsspalte. Aufrecht stand er im Schatten der Berge. Er hob seine Hand, mit der er die Win chester hielt, hoch über seinen Kopf. „Sei gegrüßt, Chief Black Otter! Sei gegrüßt!" „Sei gegrüßt, Fremdling! Ich sehen, du kein Bleichgesicht. Ich sehen, du kein Blackfeet. Wer du sein, Fremd ling?" „Ich bin Lobo, den man den Mann von zwei Träumen nennt. Ich komme von weit her. Mein Volk lebt jenseits der großen Berge. Die Bleichgesich ter nennen uns Apachen." Lobo löste sich von der Felswand. Er ging ein Stück weit den Hang hin unter, aber der Chief hob beide Hän de. „Bleib, wo du sein, Mann von zwei Träumen!" rief er. „Nimm das Pferd, das ich dir gebracht habe. Nimm das Pferd und reite!" „Wofür ist das Geschenk?" „Du haben mein Sohn lebendig sein gelassen. Mein Sohn ist junger Krie 45
ger. Einmal vielleicht viel gut Krie ger. Vielleicht." Chief Black Otter hob die Schultern. „Jetzt nicht so sehr gut Krieger. Zu jung. Du hätten ihn totmachen können, ganz sehr leicht. Jetzt nur Wunde. Schöne Wunde. Gute Wunde vom Kampf." Lobo grinste. Der Indianer, den er am Leben gelassen hatte, war der Sohn von Chief Black Otter. Er hatte ihm sozusagen seinen Sohn ge schenkt, und dafür bekam er jetzt den Palomino. „Woher habt ihr den Palomino?" fragte Lobo lauernd. „Ich meine das Pferd dort. Wo habt ihr es her?" „Geklaut", sagte Chief Black Otter stolz. „Das kann ich mir denken", sagte Lobo und lachte. „Es hat Bleichge sichtern gehört." „Jawohl, Sir. Bleichgesichter. Zwei. Wir sie haben umgelegt. Ein fach so. Schöne Skalps. Gute Skalps. Großes Kampf." „Ihr habt zwei Bleichgesichter ge tötet?" fragte Lobo, um sicherzuge hen. „Jawohl, Sir. Zwei Bleichgesicht." Der Chief deutete eine Verbeugung an. „Genug der Worte. Du reiten. Nicht kommen zurück hierher. Hier ist Tal der Väter, Tal der Mütter. Kein Platz für Fremdlinge. Kein Platz für dich." Lobo verstand. Anscheinend han delte es sich bei diesem Tal um eine alte Begräbnisstätte der Blackfeet. Pelzjäger hatten das Tal entdeckt, waren aber von den Blackfeet-Krie gern niedergemacht worden. Dann war Lobo gekommen und hinter ihm zwei Bleichgesichter. Logan und Ro derick Bancroft. Aber wo blieb Big Sandy Walcott? 46
„Bist du sicher, daß es nur zwei Bleichgesichter waren?" fragte Lobo den Chief. Der streckte zwei Finger seiner rechten Hand hoch. „Zwei", bestätigte er. „Zwei." „Gut." Lobo nickte dem Chief zu. „Ich nehme das Pferd. Dann verlasse ich das Tal." Es schien für einen Moment, als ob der Chief noch etwas sagen wollte, aber dann drehte er sich um und ging gemessenen Schrittes den Weg hin unter. Nach einer Weile verschwand er im Wald. Lobo wartete noch einige Minuten, sicherte nach allen Seiten und lief dann am Hang entlang zu dem Hü gelrücken hoch, auf dem der Palomi no stand. Als er oben ankam, trug der aufkommende Wind kehlige Schreie aus dem Tal herauf. Lobo wirbelte herum. Zwischen den Bäumen stieg Rauch auf. Die ab gehackten Schreie der Indianer wur den von einem gellenden Schrei un terbrochen. Dies war die Stimme eines gequälten Menschen oder Tie res. Und da die Indianer keine Tiere marterten, glaubte Lobo, daß sie da bei waren, einen Menschen auf ihre Art zu töten. „Walcott!" hörte sich Lobo leise und gepreßt sagen. Er stand einige Minuten und lauschte in das Tal. Der Rauch wurde vom Wind über die Wipfel der Bäume weggetragen. Dumpfe Schläge eines Tom-Toms ertönten. Und immer wieder die ab gehackten Rufe. Lobo spürte, wie sich in ihm alles verkrampfte. Er löste die Zügel des Palominos, nahm die Büffelrobe vom Boden auf, schnallte sie hinten am Sattel fest Und stieg auf.
Wenn die Blackfeet-Krieger tat sächlich Walcott erwischt hatten, dann konnte er auch nichts für ihn tun. Im Gegenteil, Lobo wußte, daß den Blackfeets ihre Begräbnisstätten heilig waren. Er hatte Chief Black Otter versprochen, das Tal zu verlas sen. Wenn er jetzt zurückkehrte, ging er das Risiko ein, von den Blackfeet erwischt zu werden. Und dieses Mal hätten sie ihn getötet. Lobo trieb den Palomino über den Hügelrücken hinweg. Auf der ande ren Seite fiel ein Hang sanft ab. Langsam ritt Lobo südwestwärts, und er hatte zum ersten Mal seit Ta gen das Gefühl, daß ihm keine Ge fahr drohte. Er blickte nicht ein ein ziges Mal zurück, bis er die Wälder erreichte.
aufspringen und sich auf den India ner stürzen, aber in diesem Moment sah er die drei anderen Gestalten, die aus der Dunkelheit kamen und auf der Böschung stehenblieben. Alle drei hatten Bogen in den Händen. Sie waren bereit, ihn mit ihren Pfeilen zu spicken, und Roderick Bancroft verharrte halb aufgerichtet am Bo den. Sein Blick hetzte zwischen den drei Indianern und dem, der sich ihm bis auf drei Schritte genähert hatte, hin und her. „Verdammt, ich habe euch nichts getan, ihr roten Hunde!" brüllte Ro derick Bancroft heiser, „Laßt mich in Ruhe. Wenn ihr mich umbringt, gibt es Krieg! Hört ihr? Krieg! Soldaten!
Die Messerklinge blinkte im Mondlicht. Roderick Bancroft lag wie gelähmt an der Böschung am Rand des Sumpfes. Er starrte in das wilde Gesicht des Indianers, der Kanonen!" langsam und geduckt heranschlich. Keiner von ihnen sagte etwas. Seine Kriegsbemalung hob sich grell Roderick Bancroft lachte auf. gegen die dunkle Haut ab. Auf Rode „Was ihr von mir? Ich habe rick Bancroft wirkte der Indianer nichts wollt für euch. Verschwindet! Geht wie ein Dämon, den die Hölle ausge heim zu euren Weibern. Verschwin spuckt hatte. det!" Der Indianer war noch etwa drei Sie rührten sich nicht. Roderick Schritte entfernt, als Roderick Ban Bancrofts Lachen erstarb. Er legte croft den Schock überwunden hatte. den Kopf schief. Er griff nach seinem Revolver und „Ihr wollt mich töten, wie?" fragte riß ihn aus dem Holster. Die Waffe er gepreßt. „Ihr wollt meinen Skalp war voll von dem zähen Brei, und als haben, ihr roten Hundesöhne! Wo er abdrückte, löste sich kein Schuß. rauf wartet ihr denn?" Roderick Bancroft schleuderte den Sie gaben ihm keine Antwort, und Revolver mit einem Aufschrei der die Wut in ihm wurde größer. Enttäuschung von sich. Er wollte „Man wird euch bestrafen, ihr 47
Im nächsten Moment jagten drei, Hunde! Man wird euch töten. Alle! Auch eure Weiber und eure Kinder! vier Schatten auf Roderick Bancroft Man wird euch niedermetzeln, bis zu. Sie fielen über ihn her wie Wölfe. keiner von euch mehr am Leben ist!" Sie packten ihn, rissen ihn hoch, und Roderick Bancroft sprang auf. Er er wehrte sich verzweifelt, aber sie drehte sich um seine eigene Achse. hielten ihn fest und banden ihm die „Kommt! Kämpft doch, ihr heimtük Hände auf dem Rücken mit einer kischen Mörder! Kommt her! Ich dünnen Rohhautschnur zusammen. schlage euch mit blanken Fäusten Dann warfen sie eine Schlinge über seinen Kopf und zogen sie um seinen die Schädel ein!" Von Verzweiflung und Zorn ge Hals so eng zusammen, daß er kaum trieben, stürzte sich Roderick Ban mehr atmen konnte. Einer von ihnen schlug ihm den croft auf die drei Indianer mit den Bogen. Er schwang seine Fäuste, und Bogen in die Kniekehlen. Roderick Bancroft stürzte vornüber aufs Ge er schäumte vor Wut. Als er sie beinahe erreicht hatte, sicht. Er schlug sich das Kinn auf. Sie tauchte rechts von ihm ein anderer zerrten ihn an der Schlinge über die Indianer auf. Er hatte eine Lanze in Böschung hinweg und durch den den Händen, und er schwang sie wie Wald. Roderick Bancroft war halb ohnmächtig und rang keuchend einen langen Knüppel. Der Stock traf Roderick Bancroft nach Atem, als sie ihn auf eine Lich ins Kreuz. Er stürzte, rutschte die tung schleiften. In der Mitte der Lichtung stand ein Böschung hinunter und brüllte dabei einzelner Cottonwood. Im Schatten wie ein Irrer. Als er am Rande des Sumpfes lie gewirr seiner weit ausladenden Äste genblieb und den Kopf hob, sah er, standen zwei kleine Jagdtipis, deren wie der Indianer, der zuerst aufge Hüllen aus zusammengenähten Büf taucht war, sich mit einem kehligen felhäuten bestanden. Ein paar Pfer Aufschrei auf Logan stürzte, mit der de weideten auf der Lichtung. Aus linken Hand ein Haarbüschel packte einem der Tipis kam ein Mann, der und ihm mit dem Messer ein Stück eine Büffelrobe über den Schultern der Kopfhaut vom Schädel schnitt. trug. Silberne Haarsträhnen glitzer Der Indianer sprang auf, schwenkte ten im Haar des Mannes. den frischen Skalp hin und her und Er war ziemlich aufgeregt und rief den anderen etwas zu. zeigte in das Tipi hinein, während er Die drei Bogenschützen traten vor. auf die Krieger einredete. Dann kam Sie spannten die Bogen. Roderick er herüber und beugte sich etwas Bancroft hielt den Atem an. Drei vor, um das Gesicht Roderick Ban Pfeile schossen gleichzeitig auf ihn crofts besser sehen zu können. Er zu. Einer blieb zwischen seinen Bei spuckte auf den Gefangenen nieder nen im weichen Boden stecken, der und deutete auf den Baum in der zweite links von seinem Hals und der Mitte der Lichtung. dritte dicht bei seiner rechten Hand, Die Krieger rissen Roderick Ban deren Finger sich in den Boden ge croft sofort hoch. Sie zerrten ihm die krallt hatten. Kleider vom Leib und schleiften ihn 48
hinüber zum Baum. Sie lösten die Fesseln an seinen Handgelenken und nahmen ihm die Schlinge vom Hals. Sofort versuchte Roderick Ban croft, sich zu wehren. Er wußte, daß sie ihn langsam töten wollten, und er kannte das grausame Spiel, das die Blackfeet mit ihren Gefangenen trieben. Lieber wollte er sofort ster ben. Er sprang einen Krieger an, packte mit beiden Händen hart zu und ent riß ihm den Bogen. Brüllend warf sich Roderick Bancroft auf die ande ren. Er schwang den Bogen wie eine Keule und traf einen so schwer, daß er besinnungslos zusammenbrach. Die anderen wichen dem Bogen aus, hechteten sich auf ihn und rissen ihn zu Boden. Roderick Bancroft wehrte sich, so lange seine Kräfte reichten. Aber dann hatten sie ihn wieder in ihrer Gewalt. Sie zerrten ihn hoch und leg ten ihm Schlingen um die Handge lenke. Dann zogen sie ihn an einem der untersten Äste des Cottonwoods hoch, bis seine Füße den Boden nicht mehr berührten. Roderick Bancroft schaukelte hin und her, und sie ließen ihn noch ein bißchen herunter. Wenn er sich jetzt streckte, fand er mit den Zehenspit zen am Boden ein bißchen Halt. Roderick Bancroft legte den Kopf in den Nacken. Über ihm jagten schwarze Wolkenfetzen über den Nachthimmel. Für einen Augenblick erhellte ein Blitz die Lichtung. Kurz darauf folgte ein krachender Don nerschlag. „Herrgott, laß mich sterben!" bat Roderick Bancroft beinahe inbrün stig, und er fing an zu beten, so wie es
ihn seine Mutter gelehrt hatte. Die Indianer zündeten bei den Ti pis ein Feuer an. Es waren insgesamt sieben Krieger und der Mann, der die Büffelrobe trug. Immer mehr Wolken schoben sich vor den Mond. Ein bretterharter Wind kam auf. Die Äste über Rode rick Bancroft knarrten. Laub wir belte herum. Der Wind riß Glut aus dem Feuer. Blitze zuckten über den Bergen. Dann fielen die ersten Trop fen. Mit einem Mal brach die Hölle los. Hagel prasselte auf den nackten
Körper von Roderick Bancroft nie der. Seine Haut fing an zu brennen. Der Wind packte ihn. Er schaukelte hin und her; drehte sich an den Rohhautschnüren, an de nen er aufgehängt war. Die Haut an den Handgelenken platzte auf. Blut lief ihm an den Armen hinunter. Roderick Bancroft brüllte, aber niemand hörte ihn. Seine Stimme ging im Heulen des Windes und im Donnergrollen unter. Die Krieger hatten in ihren Tipis Schutz gesucht. Das Feuer war erloschen, und pech 49
schwarze Finsternis umfing Rode rick Bancroft.
Big Sandy Walcott wunderte sich, wie schwer es ihm fiel, ruhig zu blei ben. Er schwitzte. Seine Hände zit terten, als er die Patronen nebenein ander aufreihte. Wie Soldaten. Zwanzig Stück nebeneinander. Die Messihghülsen glänzten. Die Bleiku geln schimmerten kalt. Big Sandy Walcott kauerte hinter einer Fichte, die von einem Blitz ge spaltet und dann vom Sturmwind umgerissen worden war. Dünne, kahle Äste ragten vom Stamm weg in den Himmel. Eine grüne Raupe kroch aus einer Spalte im Holz und bewegte sich über den blanken Stamm hinweg auf die andere Seite. Auf einem Erdbuckel stand eine El ster und äugte neugierig herüber, angelockt vielleicht vom Glanz der Patronen. Keine hundert Yards von Big San dy Walcott entfernt quälten die jun gen Blackfeet-Krieger ihren Gefan genen. Sie hatten rund um seine Fü ße herum ein Feuer angelegt. Wenn Roderick Bancroft ganz still hing, konnte ihm nicht viel passieren. Aber meistens schlugen sie nach ihm und brachten ihn ins Schwingen. Dann leckten die Flammen nach sei nen nackten, rußgeschwärzten Bei nen. Er schrie nicht mehr. Er hing halb tot an den Rohhautseilen. Der Kopf hing auf seine Brust nieder. Blut lief ihm aus vielen Platzwunden am gan zen Körper. Sie hatten ihn übel zuge richtet, mit Messern, mit Weidenru ten und mit glühenden Ästen. 50
Roderick Bancroft war bei Besin nung. Das konnte Walcott ganz deut lich erkennen. Manchmal öffnete er die Augen und blickte verwirrt um sich. Manchmal schrie er den Krie gern etwas zu. Wahrscheinlich for derte er sie auf, ihn endlich zu töten. Walcott befand sich seit dem Mor gengrauen hinter dem Baumstamm. Er hätte Rod Bancroft einiges erspa ren können, aber er entschied sich dafür, alles richtig zu machen. So wartete er auf den günstigsten Zeit punkt, und der war, wenn alle Krie ger sichtbar da unten waren. Zur Zeit fehlte der Anführer, ein großer Mann mit breiten Schultern. Er war früh am Morgen mit zwei Kriegern aufgebrochen. Walcott hatte alles genau beobachtet. Die drei hatten den Palomino mitgenom men, den Bancroft geritten hatte. Gesattelt und aufgezäumt. Während der Abwesenheit der drei ließen die anderen Rod Bancroft et was in Ruhe. Zwei von ihnen schos sen einen Hasen. Er wurde abge häutet und ausgenommen. Dann zer schnitten sie ihn und warfen die Stücke in einen Kupferkessel, den sie über das Feuer hängten, das bei den Tipis brannte. Irgendwann krachte ein Gewehr schuß. Walcott hatte keine Ahnung, was dieser Schuß zu bedeuten hatte. Aber da fiel ihm Lobo ein, der Bastard. Vielleicht hatten sie ihn erwischt. Oder vielleicht hatte er einen von ih nen erwischt. Walcott wartete auf die Rückkehr der drei Indianer. Langsam kroch die Sonne höher. Die Schatten wurden kürzer. Die Krieger holten einen Ge fährten aus dem Tipi, der verletzt zu
sein schien. Sie legten ihn in den Schatten einiger Büsche. Dann beschäftigten sie sich wieder etwas mit Rod Bancroft. Sie schleu derten Tannenzapfen nach ihm. Der Verletzte richtete den Oberkörper etwas auf, um besser sehen zu kön nen. Er war ein junger Bursche. Vielleicht fünfzehn Jahre alt. Walcott sah die drei Indianer, als sie aus dem lichten Espenwald ka men. Der Mann mit dem Zylinder auf dem Kopf ging voran. Er trug jetzt keine Robe mehr. Sein Oberkörper war nackt. Die beiden Krieger, die ihm folgten, hatten Gewehre in den Händen. Zwei Winchester-Gewehre. Eines hatte Logan gehört, das andere Rod Bancroft. Walcott wischte seine nassen Handflächen an der Hose ab. Er hat te ein ziemlich flaues Gefühl in der Magengegend. Er ergriff die Win chester. Vorsichtig schob er den Lauf in die Gabelung eines Astes. Der Hammer war gespannt. Walcott leg te den Zeigefinger um den Abzug. Er legte den Kopf gegen den Gewehr kolben und schloß ein Auge. Langsam führte er den Lauf ins Ziel. Er hatte jetzt den nackten Oberkörper des Mannes, der den Zy linder trug, genau über Kimme und Korn. Aber Walcott wartete, bis der Mann auf die Lichtung heraustrat und etwas zu den Kriegern sagte, die ihm neugierig entgegengingen. Walcott drückte ab. Die Winchester stieß hart gegen seine Schulter. Mit einer mechani schen Bewegung repetierte Walcott. Er sah, wie der Zylinder durch die Luft wirbelte. Er sah nicht, wie der Mann fiel. Er wußte einfach, daß er getroffen hatte. Und das genügte.
Die zweite Kugel traf einen der beiden, die eine Winchester hatten. Es war der, der schwarze Querstrei fen auf die Arme gemalt hatte. Die Kugel traf ihn tief. Er klappte zu sammen, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte ihn Walcott noch im Auge. Der dritte bekam die Kugel in den Rücken, als er sich in die Büsche hechten wollte. Er fiel zwischen die Äste, war aber schon tot, als das dichte Blattwerk über ihm zusam menschlug. Walcott repetierte und schoß so schnell hintereinander, daß knapp dreißig Sekunden vergangen waren, als sechs von ihnen im Gras lagen. Zwei rannten davon, und der Ver letzte kroch auf den Wald zu. Wal cott legte die leergeschossene Win chester zur Seite, zog seinen Colt, er griff ihn mit beiden Händen, zielte und schoß zweimal. Beide Kugeln trafen. Der junge Bursche streckte sich bei den ersten Bäumen aus. Walcott lud den Revolver nach. Er tat es schnell und gewandt. Dann füllte er das Magazin der Winche ster. Er wartete. Nichts geschah. Die In dianer lagen, wo sie gefallen waren. Keiner rührte sich mehr. Blut glänz te in der Sonne. Blut auf nackter Haut und Blut im Gras. Rod Bancroft hing still. Er hatte jetzt den Kopf erhoben. Minuten verstrichen. Dann erhob sich Walcott. Er steckte die übrigen Patronen in die Tasche. Mit der Win chester im Hüftanschlag ging er den Abhang hinunter. Als er die Lich tung erreichte, tötete er alle India nerponys, bis auf einen mausgrauen Hengst, der etwas größer war als die 51
anderen und Narben von Sporen im Fell hatte. Auch den Buckskin Lo gans ließ er am Leben. Erst als er mit seiner blutigen Ar beit fertig war, ging er zu dem Baum, an dem Roderick Bancroft hing. Er blieb stehen und trat das Feuer mit dem Stiefel auseinander. Rauch hob sich. Roderick Bancroft hustete. „Schneid mich los!" preßte er keu chend hervor. „Gott, hol mich runter, Sandy!" Walcott lächelte. „Du siehst nicht gut aus, Junge", sagte er. „Aber du hast trotzdem viel Glück gehabt. Weißt du, was sie mit dir hätten tun können? Sie hätten dich erst einmal skalpieren können. Dann hätten sie ..." „Herrgott, hör auf!" schrie Rod hei ser. „Ich - ich kann es nicht mehr aushalten! Ich bin halb tot!" „Glaubst du, daß du stehen kannst, wenn ich dich losschneide?" fragte Walcott trocken. „Wie - wie soll ich das wissen?" keuchte Roderick Bancroft heiser. Walcott hob die Schultern. Er blickte sich um. Dann ging er zu dem Toten, der am nächsten lag. Er nahm ihm das Messer weg, kam zurück und trennte die Rohhautschiingen über den blutigen Handgelenken des Jun gen los. Roderick Bancroft fiel, und er wäre gestürzt, wenn ihn Walcott nicht aufgefangen hätte. „Du hast keine Haut mehr an den Füßen, Junge", sagte Walcott und trug Roderick Bancroft zu den Tipis hinüber. Dort legte er ihn auf eine Büffelfelldecke, die in der Sonne ausgebreitet war. Roderick Bancroft ächzte, als seine Wunden die Decke berührten. „Sie haben dich übel zugerichtet, 52
Junge. Ich frage mich, wie du weiter machen willst." Rod Bancroft öffnete die Augen. „Ich reite, verdammt", zischte er. „Ob du es glaubst oder nicht, ich reite hinter dem Kerl her. Es sieht aus, als ob er von diesen Rothäuten meinen Palomino gekriegt hätte." Roderick Bancroft spuckte Blut aus. Er packte Walcott am Arm. „Wir bleiben jetzt zusammen, nicht wahr?" fragte er rauh. Walcott kniff die Augen etwas zu sammen. „Ich weiß nicht, ob du es schaffen kannst, Rod", sagte er ruhig. „Ich schaff's, verdammt! Du kannst dich darauf verlassen." Er stemmte sich hoch. „Ich habe keine schlimmen Wunden. Sie haben mich geschlagen, und sie haben mich ge brannt, aber sie haben mir keine schlimmen Wunden zugefügt." „Sie wollten dich langsam töten, Rod. Ganz langsam." Walcott hob den Kopf. „Zwei sind davongekom men. Aber die werden uns nicht mehr gefährlich, das ist sicher." „Ich habe gedacht, da schießen mindestens drei Mann", stieß Rode rick Bancroft hervor. Und er lachte. „Herrgott, du glaubst nicht, wie das für mich war, als es plötzlich knallte und der Kerl mit dem Zylinder um fiel. Es war, als ob ich meine eigene Wiedergeburt erleben würde. Ich hatte plötzlich wieder Kraft, und ich war hellwach. Ich sah jeden einzel nen umfallen, Sandy. Hoh, ich sah, wie sie die Kugeln kriegten. Sie machten Augen, sag ich dir. Sie konnten es einfach nicht glauben. Plötzlich hat's geknallt. Wie Blitze aus heiterem Himmel. Und der Kerl mit dem Zylinder, der wußte gar
nicht, wie ihm geschah. Ich hab's ge nau gesehen. Und dann ging alles so schnell, als ob drei oder vier Leute geschossen hätten. Ich dachte, da oben ist 'ne Armee. Soldaten! Aber dann sah ich dich auf stehen, und ich hätte jubeln können vor Freude." Tränen liefen über das Gesicht von Roderick Bancroft. Seine Finger gruben sich tief in Walcotts Arm. „Wir bleiben zusammen, nicht wahr? Du läßt mich nicht allein, Sandy?" Walcott verkniff das Gesicht. „Nein, ich laß dich nicht allein, Junge", sagte er. „Ich glaube, du brauchst mich jetzt." Roderick Bancroft weinte und lachte gleichzeitig. „Wir - wir jagen den Bastard, der Jim getötet hat, nicht wahr?" Walcott blickte über die Bäume hinweg auf die Berge. „Ja, wir jagen ihn, Rod", sagte er. Der Junge schluckte. „Er hat Jim getötet, und dafür werden wir ihn bestrafen, nicht wahr, Sandy?" Walcott nickte. „Und es ist jetzt alles gut zwischen uns. Ich meine, du nimmst mir nicht krumm, daß ich so 'nen Scheiß gere det habe und ..." „Junge, das ist vorbei jetzt", sagte Walcott scharf. Er zog seinen Arm zurück und stand auf. „Wo ist Lo gan?" „Sie haben ihn getötet und skal piert. Dann haben sie ihn in den Sumpf geworfen. Er ist versunken." „Das habe ich mir gedacht", sagte Walcott leise. „Und wie kommst du darauf, daß sie deinen Palomino dem Bastard gegeben haben?" „Der Kerl mit dem Zylinder konnte englisch. Er sagte, daß er einen guten Kämpfer sehr achte. Er sagte, daß er
ihm mein Pferd bringen würde. Als Geschenk dafür, daß er seinen Sohn am Leben gelassen habe." „Hochanständig von ihm", sagte Walcott kalt. Er ging zu dem India ner, der den Zylinder getragen hatte. Der Indianer lag auf dem Rücken. „Das war der Anführer!" rief Ro derick Bancroft herüber. „Black Ot ter. Er hat mir heute morgen gesagt, daß er alles tun wird, um meinen Mut zu ehren. Er hat gesagt, daß er persönlich meinen Skalp am Gürtel tragen wird." „Du hast Glück gehabt, daß sie dich nicht gleich umgebracht haben", sag te Walcott. Er nahm einem der Toten einen Tabakbeutel weg und rollte sich eine Zigarette. „Hast du ge kämpft?" „Ja. Ich - aus lauter Angst." „Sie achten Tapferkeit und Mut. Wenn du um Gnade gewinselt hät test, hätten sie dich einfach umge bracht. Die sind naiv wie Kinder. Deshalb kann man sie so leicht ab murksen. In einigen Jahren sind sie alle ausgerottet, das steht fest." Wal cott packte einen der toten Indianer beim Haarschopf. „Willst du einen Skalp als Andenken, Rod?" „Bist du verrückt? Ich bin doch kein Wilder!" „Damit hat das nichts zu tun", sagte Walcott. Er kniete nieder und skal pierte den Indianer, der eine lange, zu einem dünnen Zopf geflochtene Skalplocke hatte, an der eine große Adlerkralle und eine chinesische Münze hingen. Außerdem hatte der Tote eine Feder im Haarschopf. Walcott warf den Skalp Rod vor die Füße. „Hier, nimm ihn nur, Jun ge. Eines Tages wirst du ihn voller Stolz vorzeigen, wann immer du dei 53
Walcott blieb wie angewurzelt ste ne Geschichte erzählst." hen und sah sich um. Nichts rührte Roderick Bancroft starrte ange sich. Trotzdem hatte Walcott das Ge ekelt auf den Skalp. „Er ist voller fühl, als ob er beobachtet würde. Er Blut", stieß er hervor. Walcott bückte sich, schnitt ein wünschte, er hätte die Winchester Stück Hirschleder aus den Leggings mitgenommen. Langsam zog er den Colt aus dem des Toten, ging zu dem Jungen und umwickelte den Skalp mit dem Le Holster. Er stand geduckt und hielt der. „Vielleicht sollten wir versu den Atem an. Plötzlich hörte er ein chen, Logan aus dem Sumpf zu fi Geräusch. Ein leises Knacken. Walcott fuhr herum. Sein Revolver schen. Du brauchst Kleider. Von dei nem Zeug sind nur Fetzen übrigge bellte auf. Die Kugel fetzte Blätter von den Büschen und knallte gegen blieben." Walcott verschwand in einem der einen Baum. Das Echo verrollte Tipis. Als er herauskam, hatte er ein langsam. Danach war es totenstill. „Bist du das, Bastard?" rief Walcott helles Baumwollhemd in der Hand, dessen Nähte mit schmalen Perlen heiser. streifen verziert waren. Keine Antwort. „Hier. Das paßt ungefähr. Eine Ho Er drehte sich um. Langsam. Ge se wird sich kaum auftreiben lassen. duckt. Er war bereit, sofort zu schie Du wirst dich an Leggings und einen ßen. Lendenschurz gewöhnen müssen, „Ich weiß, daß du da bist, Bastard!" Junge." stieß er hervor. „Ich kann deine Nähe „Ich kann dir sagen, wo Logan un spüren!" gefähr liegt", sagte Rod Bancroft. Er Nichts rührte sich. Kein Geräusch erhob sich mühsam, aber er brachte war zu hören. es nicht fertig, auf seinen blutigen Walcott richtete sich etwas auf. Füßen einen Schritt zu tun. „Dort Vielleicht hatte er sich getäuscht. drüben, bei dem Strauch. Dort muß Vielleicht war der Bastard nicht in er liegen. Vielleicht drei, vier Schrit der Nähe. Aber wer hatte dann das te vom Rand entfernt." Pferd losgemacht? Wer hatte die Zü Walcott schnitt einen Stock von gel losgebunden? Das Pferd konnte einem Strauch und stocherte damit sich nicht losgerissen haben. Am Ast, in der Brühe herum. wo er es festgebunden hatte, waren „Ich glaube, ich hab ihn", sagte er keine Spuren zu erkennen, die dar nach einer Weile. „Da ist was Har auf hingewiesen hätten, daß sich das tes." Er zog den Stock aus dem Sumpf Pferd erschreckt hätte und durch ei und steckte ihn an der Stelle, wo er gene Gewalt freigekommen wäre. stand, in den Boden. „Ich hole mein Aber es waren auch keine fremden Pferd, Junge!" rief er Rod Bancroft Spuren zu sehen. zu. Dann lief er zum Rand der Lich Walcott ging den Weg zurück, den tung und durch den Wald den Hang er gekommen war. Er hielt den Re hoch. Als er dort ankam, wo er sein volver schußbereit in seiner Hand. Pferd zurückgelassen hatte, war es Einige Male blieb er stehen, lauerte weg. in das Halbdunkel des Waldes hin 54
ein, lauschte den Geräuschen, konnte aber nichts sehen und nichts hören, was ihn auf eine drohende Gefahr hätte aufmerksam machen können. Vögel zwitscherten. Ochsenfrösche quakten. Grillen zirpten. Ein Specht hackte an einem Baumstamm her um. Walcott erreichte die Lichtung. Bei den Tipis hockte Rod Bancroft am Boden. Er hatte sich die Winchester geholt, die Walcott beim Baum zu rückgelassen hatte. „Wer, zum Teufel, hat geschossen?" fragte der Junge heiser. „Ich." „Worauf? Hast du noch einen von ihnen erwischt?" „Nein. Aber ich glaube, der Bastard ist in der Nähe." Rod Bancrofts Augen weiteten sich. „Bist du sicher?" fragte er. „Ich meine, hast du ihn gesehen?" Walcott schüttelte den Kopf. „Nein. Gesehen habe ich ihn nicht." „Wie kommst du denn darauf, daß er hier ist, verdammt?" fragte der Junge. „Mein Pferd ist weg." „Verdammt!" Walcott verschwand in einem der Tipis. Er kam mit einem Rohhautseil heraus. Der Buckskin und der Graue hatten sich entfernt. Sie standen in einer schmalen, grasbewachsenen Senke jenseits eines Waldstreifens. Der Blutgeruch hatte sie vertrieben. „Wo willst du hin?" fragte Rod Bancroft aufgeregt. „Wenn uns die beiden Gäule da vonlaufen, dann müssen wir nach Bannack marschieren. Das sind rund hundert Meilen auf und ab, Rod. Auf deinen Füßen kommst du aber keine 55
zehn Meilen weit." Walcott nahm Rod Bancroft das Gewehr aus den Händen. „Das brauchst du nicht, Junge. Wenn der Bastard dich töten will, dann hast du keine Chance, ihn daran zu hindern." „Er ist kein Übermensch, ver dammt noch mal! Sandy, man könnte meinen, daß du dich vor ihm fürch test." Walcott grinste. „Ich weiß nicht, ob ich mich vor ihm fürchte, Rod", sagte er. „Ich weiß nur, daß ich ein verdammt flaues Gefühl in der Magengegend habe." Walcott schritt davon. Er hatte die Winchester in der linken Hand, das zusammengerollte Rohhautseil in der rechten. Er durchquerte die schmale Waldzunge und fing zuerst den Grauen. Als er mit ihm zurück ging, folgte der Buckskin. Walcott band beide Pferde an den Bäumen fest. Als Walcott die Lichtung wieder erreichte, kreisten zwei Adler über den Wäldern. Die beiden jungen Blackfeet-Krie ger waren fast zehn Meilen weit ge laufen, bevor sie einsahen, daß sie dem Mann hinter sich nicht entkom men konnten. Einer war mit einem Tomahawk und einem Messer bewaffnet. Der andere besaß eine Lanze und ein Messer. Beide waren noch keine achtzehn Jahre alt. Was sie auf der Lichtung erlebt hatten, konnten sie noch im mer nicht fassen. Der Schock saß in ihren Gliedern, und sie liefen und liefen, ohne einmal anzuhalten. Sie 56
liefen durch die Wälder und Täler, erklommen Felsengebilde, jagten über steile Hügel und versteckten sich schließlich im Weidengestrüpp am Ufer eines kleinen Tümpels. Sie sahen den Reiter, der auf einem Hügelrücken auftauchte. Der Reiter war jener, der Makoshika, den Sohn des Chiefs, verwundet hatte. Es war der Mann, der die Büffelfellrobe des Chiefs hinten auf dem Sattel festge schnallt hatte und der den Palomino ritt. Sie wußten nicht, ob er es gewesen war, der die Schüsse abgefeuert und ihre Gefährten getötet hatte. Sie kannten ihn nicht. Sie wußten nur, daß Chief Black Otter ihn geachtet und als großen Kämpfer gepriesen hatte, bevor er ihm den Palomino brachte. Die beiden jungen Blackfeet-Krie ger hatten Angst. Sie verhielten sich still, aber sie wußten, daß der Mann sie entdecken würde. Ihre Spuren waren gut zu sehen. Beide starrten zu dem Hügel hoch, auf dem der Mann angehalten hatte. Er beschattete mit der Hand seine Augen. Sein Gesicht war dunkel. Er sah nicht aus wie ein Bleichgesicht. Er hätte gut ein Blackfeet-Krieger sein können. Er trieb den Palomino wieder an und jetzt tauchte hinter ihm, an einer langen Leine, ein zweites Pferd auf. Das Pferd war schwarz. Es trug ei nen schwarzen Sattel. An beiden. Vor derbeinen hatte es weiße Strümpfe und auf der Stirn einen weißen Fleck. Die beiden hatten dieses Pferd noch nie gesehen. Und sie fragten sich, wie es kam, daß dieser Mann dort zwei Pferde hatte, die beide ge
sattelt waren. Der Mann ritt den Hügel herunter. Als er die Senke erreichte, zügelte er sein Pferd. Vor ihm war die Spur im Gras. Sie führte quer durch die Sen ke auf das dichte Weidengestrüpp zu. Der Mann richtete sich im Sattel auf. Er hob beide Hände und rief: „Ich bin Lobo, der Mann, der von Chief Black Otter das Pferd bekom men hat!" Sie konnten ihn nicht verstehen. Sie verstanden nur den Namen des Chiefs. Sonst nichts. Der Mann rief: „Ich bringe euch das Pferd des Mannes, der eure Brü der und euren Chief getötet hat!" Sie verstanden kein Wort, aber sie wußten, daß er in Frieden kam. Er machte Zeichen mit seinen Händen. Sie erkannten das Zeichen des Frie dens, das Zeichen der Freundschaft. Er versuchte, ihnen etwas zu erklä ren, was mit dem Pferd zusammen hing. Nach einer Weile krochen sie aus den Büschen. Sie standen auf und gingen auf ihn zu, Scheu in ihren Au gen. Einige Schritte vor ihm blieben sie stehen. Er nickte ihnen zu. Dann löste er den Strick vom Zaumzeug des schwarzen Pferdes. Er nahm die Zügel und warf sie ihnen zu. Beide griffen danach. Der ältere von ihnen sagte: „Wir werden dich immer in unseren Her zen bewahren, Bruder." Aber sie sahen, daß er kein Wort verstand. Er lächelte. Sie lächelten zurück. Er sagte noch etwas, dann drehte er sein Pferd und ritt davon. Sie blickten hinter ihm her, bis er hinter dem Hügelrücken ver schwunden war. Dann umarmten sie sich vor Freude. Sie nahmen dem
Pferd den Sattel ab und warfen ihn in den See. Dann schwangen sie sich auf den bloßen Rücken und ritten durch die Senke. Das Pferd verfiel in einen raumgreifenden Galopp. Die beiden Krieger ließen es laufen. Der Wind kühlte ihre heißen Gesichter.
Walcott stand bis zu den Hüften im Morast. Er hatte am Ende eines Roh hautseiles eine Astgabel als Haken festgebunden. Das Seil war mit ein paar Steinbrocken beschwert wor den, so daß der Haken bis zum Grund des Sumpfes sinken konnte. Walcott hatte Glück. Nachdem er dreimal vergeblich seinen Haken ausgeworfen hatte, erwischte er beim Viertenmal einen schweren Gegenstand. Walcott wand das Seil über Schul ter und Oberkörper, drehte sich um und zog langsam an. Schritt für Schritt bewegte er sich auf den Rand des Sumpfes zu. Oben auf der Böschung hockte Rod Bancroft, die Füße mit Schlamm be pflastert. Er war noch immer nackt. Die Sonne und der Wind trockneten seine Wundstellen am Körper. Auch die Schmerzen hatten schon ziemlich nachgelassen. „Hast du ihn?" fragte Rod Ban croft, während Walcott schnaufend am Rohhautseil zog. „Ich hab etwas. Könnte schon Lo gan sein", keuchte er. Er hielt inne, richtete sich auf und wischte sich mit dem Hemdärmel den Schweiß von seinem Gesicht. Dann blickte er sich argwöhnisch um. „Ist was?" fragte Rod Bancroft so fort mit einem lauernden Ton in sei 57
ner Stimme. „Ich will nur nicht plötzlich von ihm überrascht werden", sagte Walcott, Rod Bancroft schüttelte den Kopf. „Ich versteh das nicht, Sandy", sag te er. „Ich versteh das einfach nicht." „Was?" „Warum sollte sich der Bastard die Mühe geben, uns zu beobachten? Er kann doch einfach davonreiten, ver dammt. Er kriegt einen Vorsprung, den wir nie mehr aufholen, wenn wir nicht unverschämtes Glück haben. Dieser Bastard ist doch kein Narr." „Frag mich nicht, was in seinem Schädel vorgeht, Junge", schnaufte Walcott. „Ich bin sicher, daß er in der Nähe ist. Das ist alles." „Warum reiten wir denn nicht ein fach weg?" „Ohne Hose auf dem Arsch, der voll von Brandblasen ist? Junge, es wird auch mit Hose eine Qual werden, aber angezogen machst du ganz ein fach eine bessere Figur." Walcott zog wieder an. Er brauchte noch einmal fast eine Viertelstunde dazu, bis er endlich wußte, daß er tatsächlich Logan erwischt hatte. Die Astgabel hatte sich in der Jacke und im Leibgurt verfangen. Walcott schleifte den Leichnam ein Stück auf die Böschung. Von Logan war nicht viel zu er kennen. Er war mit einer dicken Dreck- und Schlammschicht be deckt. Walcott richtete sich auf. Sein Hemd war schweißnaß. Er rang nach Atem. „Wenn du Glück hast, paßt dir die Hose. Der Rest ist wohl kaum zu ge brauchen." „Die Jacke hat drei Löcher", sagte Bancroft. „Die stören mich eigentlich 58
nicht. Aber sie wird noch voll Blut sein." Walcott bückte sich. Er öffnete die Gürtelschnalle und den Waffengurt, den Logan trug. Dann zog er ihm die Hose aus und warf sie auf die Bö schung. Die fellgefütterte Jacke hat te ein großes Loch im Rücken und zwei kleinere Löcher. Walcott schwenkte sie in einem kleinen Tümpel etwas aus, bevor er sie dem Jungen zuwarf. „Sollen wir ihn begraben?" fragte Rod Bancroft und zeigte auf Logan. Walcott schüttelte den Kopf. „Das ist nicht nötig. Der hat ein Grab, in dem er weicher liegt als in einem Bett." Er bückte sich, packte den Leichnam und zerrte ihn ein Stück in den Sumpf hinaus, bevor er ihn los ließ. Langsam versank Logan im stinkenden Brei. Ein paar Blasen stiegen auf und platzten. Walcott beugte den Kopf. „Gott sei seiner armen Seele gnä dig", sagte er mit ruhiger Stimme. „Amen." Er watete zum Rand des Sumpfes zurück. Vor dem Jungen blieb er ste hen. Er hob seinen Waffengurt vom Boden auf und schlug ihn um seine Hüften. „Was hältst du davon, wenn wir heimreiten, Junge?" fragte er plötz lich. Roderick Bancroft warf den Kopf hoch. Ungläubig starrte er Big Sandy Walcott an. Walcott lächelte. „Kelly ist tot. Lo gan ist tot. Du bist so übel zugerich tet, daß man dich einem Arzt..." „Hör auf, verdammt! Du weißt, was Vater gesagt hat. Er will, daß wir den Bastard zurückbringen. Tot oder lebendig. Ohne den Bastard
führt kein Weg zurück, Sandy. Dar über mußt du dir im klaren sein." „Gut. Dann steh auf und sattle dein Pferd, Junge", sagte Walcott hart. „Wir reiten in fünf Minuten, und es wäre gut für dich, wenn du dich auf einen höllischen Ritt einstellst, Rod." „Du hast gesagt, daß wir noch eine Weile hierbleiben", erwiderte Rod Bancroft heiser. „Ich habe gesagt, daß du Ruhe brauchst, Junge. Schau dich doch an. An dir ist doch nichts mehr heil." „Ich kann reiten." „Gut. Dann steh auf und hol dein Pferd." „Gehen kann ich nicht, verdammt! Nicht auf diesen Füßen." Rod Ban croft kniete auf. „Wir jagen den Ba stard bis zum Ende der Welt, wenn es sein muß", sagte er hart. „Und am Ende der Welt steht er mit gezogenem Colt vor dir, schüttelt den Kopf über deine Unvernunft und drückt ab." „Ich habe dir schon einmal gesagt, daß ich ihn töten werde, ohne daß ich ihm eine Chance gebe. Ich töte ihn!" „Junge, du hast den gleichen Hart schädel wie dein Vater." Walcott nahm das Zeug auf und trug es hin über zu den Tipis. Dort warf er alles
auf das ausgebreitete Büffelfell. Als er sich wieder Rod Brancroft zu wandte, kam dieser über die Bö schung gekrochen. Sein Gesicht war verzerrt vor Schmerzen! Er keuchte, als wäre er hundert Meilen gelaufen. „Wie der Alte", knurrte Walcott. Er ging auf Rod Bancroft zu, packte ihn und hob ihn hoch. „Junge, das letzte Mal, als ich dich so in den Armen ge halten habe, hast du mir über die Jacke gepißt." „Daran kann ich mich nicht erin nern", sagte Rod Bancroft. „Glaub nur nicht, daß ich es nicht allein ge schafft hätte. Ich kann einiges ertra gen, wenn es sein muß. Ich kann mindestens soviel ertragen wie Jim, wenn..." „Laß Jim aus dem Spiel, Junge." Walcott ging über die Lichtung. „Jim war anders. Er war nicht besser und nicht schlechter als du, Rod. Er war anders." „Er war wie Mom, was?" „Ja. Er war mehr wie deine Mutter. Rod. Er war sanfter. Nicht so selbst gerecht wie dein Vater." „Du hast Jim sehr gemocht, wie? Du hast..." Rod Bancroft brach unvermittelt ab. Auf der anderen Seite der Lich
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tung trat ein Mann aus dem Schatten mir zu folgen. Es geht nicht anders, der Bäume. Der Mann hatte ein Ge Walcott. Ich will nicht bis zum Ende wehr in den Händen. Es war eine der Welt laufen." „Du hast gehört, was der Junge ge Winchester. Er hielt sie mit der lin ken Hand am Schaft, mit der rechten sagt hat, was?" am Kolbenhals. Der Hammer war „Ja." nicht gespannt, und die Mündung „Dann hast du auch gehört, daß ich zeigte zu Boden. ihm den Vorschlag gemacht habe, Walcott blieb stehen. Für Sekun heimzureiten?" den gefror das Blut in seinen Adern. „Ja." Aus engen Augen starrte er auf den Walcott seufzte. „Verdammt war Mann, der mit leicht gespreizten Bei um läßt du mich dann nicht reiten, nen stehenblieb. Bastard? Ich bring den Jungen dazu, Der Mann war Lobo. daß er nichts anderes mehr im Sinn hat, als heimzureiten zu seinem Va Der Bastard. Rod Bancroft schnaufte scharf ter. Schau ihn dir an. Die Rothäute durch die Nase. Walcott spürte, wie haben ihm das Fell ganz schön über sich der Junge auf seinen Armen die Ohren gezogen. Aber er hat einen furchtbaren Hartkopf. Er will dich versteifte. „Töte ihn, Sandy!" stieß Rod Ban nach Eagle Flat zurückbringen, Ba croft leise hervor. „Jetzt hast du eine stard." „Red nicht mit ihm!" zischte Rod Chance. Töte ihn!" Walcott benetzte mit der Zunge Bancroft. „Töte ihn!" seine Lippen. Walcott lachte. „Ich wußte, daß du in der Nähe „Ich bin nicht mehr scharf auf dei bist", sagte er mit belegter Stimme. nen Skalp, Bastard", sagte er. „Wenn Der Mann am Rand der Lichtung du nichts dagegen hast, bringe ich nickte. den Jungen zurück zu seinem Va „Ich habe zugesehen, wie du die In ter." dianer niedergeschossen hast, Wal Lobo schüttelte den Kopf. cott", sagte er mit kalter Stimme. „Ich traue dir nicht", sagte er keh Walcott lächelte. lig. „Es ist jetzt das dritte Mal, daß „Ich mußte dem Jungen das Leben wir uns gegenüberstehen, Walcott. retten", sagte er. Und es soll das letzte Mal sein." Lobo nickte. „Das verstehe ich, Walcott legte den Kopf schief. Eine Walcott." Weile blickte er Lobo nur an. Er „Na, also. Ich dachte schon, das schien keine Worte zu finden, die nimmst du mir krumm. Ich dachte überzeugend genug gewesen wären, schon, du willst dich als Rächer der um Lobo davon abzuhalten, die Sa roten Rasse ..." che ein für allemal klarzumachen. „Ich habe zugesehen, wie du die In Schließlich richtete sich Walcott et dianer abgeknallt hast, Walcott. Und was auf. Sein Gesicht war jetzt blaß. da wußte ich, daß ich vor dir nicht „Laß mich den Jungen wegbrin einfach weglaufen kann. Ich wußte, gen", sagte er noch einmal, und es daß ich dich davon abhalten muß, klang fast wie eine Bitte. „Er ist der 60
letzte, den der alte Narr hat." Walcott machte zwei Schritte vorwärts. „Ich hab's mir überlegt", sagte er noch im mer mit einem bittenden Unterton in seiner Stimme. „Ich hab's mir über legt, Bastard. Es hat keinen Sinn, hinter dir herzujagen. Jim wird da von nicht mehr lebendig. Außerdem hatte ich zweimal die Chance, dich zu töten. Ich habe es beide Male nicht geschafft. Jetzt ist es genug." „Nicht für mich!" brüllte Rod Bancroft. Er stieß Walcott den Ell bogen so hart in den Leib, daß der große Mann zusammenklappte. Der Junge riß Walcott den Revol ver aus dem Holster. Er fiel auf die Knie, drehte blitzschnell den Ober körper und feuerte. Lobo duckte sich. Noch immer zeigte seine Winchester zu Boden. „Hör auf, Junge!" stieß er kehlig hervor. Sekundenlang verharrte Rod Ban croft am Boden. „Wehr dich, Bastard!" schrie er. Gleichzeitig spannte er den Hammer des Revolvers. „Wehr dich!" Er schoß. Lobo warf sich zur Seite. Die Kugel ging fehl. Lobo überrollte sich am Boden. Die dritte Kugel Bancrofts riß ihm über dem Rücken die Jacke auf. Er sprang auf. Sein rechter Daumen zog den Hammer zurück. Er brachte die Winchester ins Ziel, und er feuerte in dem Moment, als sich Big Sandy Walcott auf den Jungen stürzte, um ihn daran zu hindern, noch einmal auf Lobo zu schießen. Lobos Kugel traf Walcott in die Brust. Er brach über dem Jungen zu sammen, umklammerte dessen Handgelenk und schrie: „Du schaffst
ihn nie, du Narr! Nie im Leben!" Mit einem Ruck entriß er Rod Ban croft den Revolver, in dem noch zwei Patronen steckten. Mit einer kräf tigen Bewegung seines linken Armes stieß er Roderick Bancroft zur Seite. Der Junge stürzte, stemmte sich aber sofort wieder hoch. Er wollte sich auf Walcott werfen, aber er er starrte mitten in der Bewegung, denn Lobo stand jetzt wieder auf sei nen Beinen, geduckt wie ein zum Sprung bereiter Puma. Er hatte das Gewehr im Hüftanschlag, und er warnte Walcott mit scharfer Stim me: „Tu's nicht, Mister", sagte er. Walcott bleckte seine Zähne. Sein Gesicht schien angeschwollen. Haar strähnen klebten auf seiner Stirn. Langsam kam die rechte Hand mit dem Revolver hoch. „Ich - ich will nicht zurück nach Eagle Flat", preßte er mühsam her vor. „Verstehst du das, Bastard?" Lobo bewegte ganz leicht den Kopf. „Nein, Walcott", sagte er. „Das ver stehe ich nicht. Es könnte sein, daß dich dieser Narr braucht." Walcott grinste. „Der nicht, Ba stard." Er schoß. Die Kugel zupfte an Lobos Hosenbein. Lobo feuerte. Er traf Walcott ein zweites Mal, und der Revolver in Walcotts Hand bellte auf. Die Kugel fuhr in den Boden. Walcott kippte zur Seite. Der Revol ver fiel aus seiner Hand. Er atmete in schnellen Zügen. „Bastard!" rief er heiser. „Hörst du mich?" „Ja. Ich höre dich, Mister." „Gut. Hör zu! Laß den Jungen - laß ihn reiten. Tu mir den Gefallen und sag ihm, daß er ein Narr ist. Sag's ihm, dann laß ihn reiten." 61
Lobo sagte nichts. Langsam ging er als er ankam. Er hat uns vor ihm ge auf Walcott zu. Zwei Schritte von warnt. Er hat gesagt, daß Walcott ein ihm entfernt blieb er stehen. Walcott Versager ist." hatte die Augen geöffnet. Er wollte Lobo stieß den Atem scharf durch noch etwas sagen, aber er schaffte es die Nase. nicht mehr. Sein Kopf fiel zur Siete. „Geh heim, du Narr", sagte er keh Lobo drehte sich dem Jungen zu. Rod Bancroft kniete im Gras, die lig. Hände zu Fäusten geballt. Grenzen Dann drehte er sich um, ging über lose Enttäuschung zeichnete sein die Lichtung und verschwand im Gesicht. Wald. Er hoffte, daß er nicht eines „Ich wußte es", stieß er heiser her Tages auch noch Rod Bancroft töten vor. „Ich wußte es immer. Er hat mußte, den Narren, der auf der Lich nichts getaugt. Keinen Dreck hat er tung kniete und einen Toten be getaugt. Vater hat das gleich gewußt, schimpfte. ENDE „Sam Aberdeen!"
Es war Lauries verzweifelter Schrei, der Lobo in die Welt der Gefahr und des Todes zurückbrachte. Sie hielt den Revolver in ihren zitternden Händen. Und Sam Aberdeen stampfte heran. Sein großes, fettes Gesicht war bleich. Sein Blick erstarrt. Lobo drückte Lauries Hand mit dem Revolver zur Seite. Er stand mitten auf der Straße. Ohne Waffe, mit herabhängenden Armen. Zwan
zig Schritte trennten ihn noch von Sam Aberdeen. Zehn! Er hatte seine Hal
tung nicht verändert. Der Blick seiner dunklen Augen lag fest auf dem alten Mann. Sam Aberdeens Schritt stockte,
„Nimm deine Waffe, Halbblut!"
„Nein!"
Aberdeen hob den Lauf der Winchester. „Ich werde dich erschießen!"
„Tun Sie es, wenn Sie den Mut dazu haben, Aberdeen."
Lobo blickte in das kleine, runde und schwarze Loch. Er erwartete einen Feuerblitz. Einen donnernden Knall. Einen harten Schlag . . .
Lobo, der Einzelgänger, muß sich sein Recht zu leben gegen eine unerbitt
liche Umwelt immer wieder erkämpfen. Lesen Sie nächste Woche Band 116
dieser großartigen Western-Serie:
Endstation Boothill
von Glenn Lord
ex libris KAPTAIN STELZBEIN Januar 1979