HOWARD WEINSTEIN A. C. CRISPIN
KAMPF UM NEW YORK DIE AUSSERIRDISCHEN
EAST COAST CRISIS
Deutsche Erstveröffentlichung...
27 downloads
741 Views
853KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
HOWARD WEINSTEIN A. C. CRISPIN
KAMPF UM NEW YORK DIE AUSSERIRDISCHEN
EAST COAST CRISIS
Deutsche Erstveröffentlichung
GOLDMANN VERLAG
Aus dem Amerikanischen übertragen von Andreas Brandhorst. Made in Germany – 7/87 – 1. Auflage © 1985 by Warner Bros. Inc.
© der deutschen Ausgabe 1987 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagillustration: Design Team München Satz: IBV Satz- und Datentechnik GmbH, Berlin Druck: Elsnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 23711 Lektorat: Christoph Göhler/Michael Görden Redaktion: Fredy Köpsell Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-23711-4
Die Außerirdischen kamen als Freunde. Sie wollten mit der Erde wissenschaftliche Erkenntnisse austauschen und ihr Frieden bringen. Und die Menschen glaubten ihnen. Bis immer mehr Menschen spurlos verschwanden, bis Wissenschaftler an ihrer Arbeit gehindert wurden und die Außerirdischen ein Terrorregime errichteten. Da dämmerte den Menschen die Wahrheit. Eine kleine Gruppe unter dem Namen »Weiße Weihnacht« machte sich daran, dem Spuk ein Ende zu setzen. Zu Hilfe kam ihnen dabei Jennifer, eine Dissidentin der Außerirdischen, die sie erstmals auch über die wahren Ziele der Visitors aufklärte: Die Menschen sollten als Kanonenfutter für die Kriege der Außerirdischen dienen – und als Nahrung…
Für Bob Greenberger, einen guten Freund und Herausgeber – und einen lustigen Kerl bei Cons!
DANKSAGUNG Für das Hintergrundmaterial und die ganz konkrete Hilfe danken die Autoren insbesondere: - Bevin Sloan, Forschungsassistent beim Corporate Communications Department der Rockefeller Center Corporation, - der Eisenbahn von Long Island, - dem New York Hospital, Cornell Medical Center. Und für das Schreiben und Fotokopieren gilt unser ausdrücklicher Dank Hope Skivington und Polly MacLeod.
Prolog Das Ende einer Reise
Geisterhaft und grau drehte sich der kleine Planet in den fernsten Bereichen seines Sonnensystems – hier war das Zentralgestirn nur noch ein trüber Fleck am schwarzen Himmel. In einer Entfernung von rund neun Milliarden Kilometern strahlte jene Sonne in einem leuchtenden Gelb, und ihren näheren Trabanten gab sie Licht und Wärme – insbesondere jenem blaugrünen Satelliten, auf dem es von Leben wimmelte. In diesen entlegenen Regionen jedoch war sie nichts weiter als ein Stern unter vielen und nur unbedeutend heller als die Myriaden von anderen Gestirnen in der kalten Leere des Alls. Die stellvertretende Kommandantin saß steif und mit geradem Rücken im Kommandosessel. Sie hatte sich das lange blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, was ihr eine ernste Erscheinung verlieh, jedoch nicht über ihre Schönheit hinwegtäuschte. Eine kalte und unnahbare Schönheit war es jedoch. Die blauen Augen blickten unbewegt und emotionslos, und die Lippen bildeten einen dünnen Strich. Die scharfgeschnittenen Züge des Gesichts sahen aus wie die einer Skulptur. Sie blickte auf die Anzeigen der Instrumente vor ihr, und nach einer Weile richtete sie die Aufmerksamkeit auf eine ihrer Untergebenen, die unmittelbar rechts von ihr an der Kommunikationskonsole saß. »Jennifer«, sagte die stellvertretende Kommandantin, und in der Stille klang ihre Stimme unnatürlich laut.
Die junge Frau reagierte nicht. »Jennifer!« wiederholte die Kommandantin scharf. Diesmal fuhr der weibliche Komoffizier zusammen und wandte sich erschrocken um. »Es… es tut mir leid, Angela«, sagte die junge Brünette und gab sich alle Mühe, den Namen der Kommandantin mit der gebotenen Exaktheit zu formulieren. »Ich habe mich noch nicht an meinen neuen Namen gewöhnt. Ein solcher Fehler wird mir nicht noch einmal unterlaufen. Was wünschen Sie?« Angela bedachte sie mit einem durchdringenden Blick. »Nichts, Jennifer. Meine Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, daß jeder von uns auf seine oder ihre Rolle bei unseren baldigen Gastgebern vorbereitet ist. Zu dieser Bereitschaft gehört auch die absolute Vertrautheit mit den neuen Namen. Wie alle anderen auch haben Sie ausreichend Gelegenheit gehabt, sich daran zu gewöhnen. Sie sind der Dritte Offizier dieses Schiffes, und ich bezweifle, daß Sie diesen Rang mit Erinnerungslücken erworben haben.« »Es tut mir wirklich leid«, wiederholte Jennifer. »Es wird nicht wieder vorkommen, Angela.« Angela kniff die Augen zusammen. »Meiner Ansicht nach sind Sie zu jung, um eine derartige Verantwortung zu tragen. Ich habe meine Bedenken auch dem Kommandanten vorgetragen, als er…« »Roger«, warf Jennifer ein, und ihre Stimme war nun wieder ruhig und fest. »Wie?« erwiderte Angela verwirrt. »Sie haben Ihre Bedenken Roger vorgetragen. Sie nannten ihn ›Kommandant‹. Sein neuer Name lautet Roger – oder haben Sie das vergessen?« Angela versteifte sich in ihrem Sessel, doch sie bekam keine Gelegenheit mehr für eine scharfe Erwiderung. Sie vernahm sich nähernde Schritte, und der Mann, von dem sie gerade
gesprochen hatte, traf ein. Die anwesenden Besatzungsmitglieder salutierten förmlich, doch der Kommandant winkte nur. Er nahm in dem Sessel Platz, den Angela sofort für ihn freimachte. »Sind die Komsysteme einsatzbereit, Jennifer?« »Ja, Roger«, erwiderte die Brünette und hielt dem Blick seiner grünen Augen stand. »Ich habe die Instrumente gerade justiert.« Sie nahm einige Schaltungen vor, und auf den in Augenhöhe angebrachten Schirmen leuchteten Datenkolonnen. »Es scheint alles klar zu sein«, meinte der Kommandant. »In diesem Punkt bin ich nicht ganz Ihrer Meinung«, widersprach Angela. »Was wollen Sie damit sagen?« fragte Roger stirnrunzelnd. »Ich fürchte, nicht alle Besatzungsmitglieder sind ausreichend auf die Mission vorbereitet«, erklärte die stellvertretende Kommandantin und warf Jennifer einen kühlen Blick zu. Roger musterte seine beiden weiblichen Offiziere. »Die Testquoten in Hinsicht auf die Mannschaft dieses Schiffes gehören zu den höchsten der ganzen Flotte. Teilen Sie die Bedenken Angelas, Jennifer?« »Nun, nicht unbedingt, Roger«, antwortete die junge Brünette und trat an die Seite des Kommandanten. Sie sprach jetzt so leise, daß die anderen in der Zentrale anwesenden Besatzungsmitglieder ihre Worte nicht verstehen konnten. »Ich habe andere Einwände als Angela, und in diesem Zusammenhang glaube ich ebenfalls, daß unsere Vorbereitungen besser sein könnten. Unsere Strategie beruht hauptsächlich auf Fernbeobachtungen und der Analyse von Informations- und Unterhaltungssendungen. In vielerlei Hinsicht haben wir es nach wie vor mit einer uns völlig fremden Welt zu tun.« Sie zögerte. »Einige der Offiziere
verstehen noch nicht alle Einzelheiten des Plans des Großen Denkers, Roger. Ich halte das für einen möglichen Schwachpunkt in unserer Strategie. Viele von uns begreifen nicht die ganze Bedeutung unserer Aufgabe, und dennoch müssen wir der einheimischen Bevölkerung gegenüber eine bestimmte Rolle spielen.« Der unüberhörbare Pessimismus in der exakten Argumentation Jennifers überraschte den Kommandanten ein wenig. Angelas Wangen glühten, und ruckartig wandte sie sich dem Dritten Offizier zu. »Wie können Sie es wagen, die Weisheit des Großen Denkers in Frage zu stellen? Glauben Sie etwa, Sie seien klüger als er?« »Nein«, gab Jennifer kleinlaut zurück. »Es ist nur…« Angela unterbrach sie mit einem zornigen Zischen: »Ich habe den Eindruck, daß es Ihnen an der für unsere Mission notwendigen Entschlossenheit mangelt, Jennifer! Wie können Sie eine Strategie in Frage stellen, die dazu dient, den Fortbestand unserer Zivilisation zu sichern?« Roger hob die Hand. »Wir sind müde. Wir haben eine lange Reise hinter uns, wir alle. Ich weiß, daß sich jeder von uns Gedanken darüber macht, was uns hier erwartet. Ich bin Ihnen dankbar, daß Sie mir Ihre Bedenken mitgeteilt haben, doch ich als Kommandant bin davon überzeugt, daß wir – und die Flotte als Einheit – ausreichend vorbereitet sind, um den Erwartungen des Großen Denkers zu genügen.« Er deutete auf die Komkonsole. »In einigen Minuten brauchen wir Ihre Dienste, Jennifer.« Die junge Brünette nickte und nahm hinter ihren Instrumenten Platz. Der Kommandant richtete seine Aufmerksamkeit auf die Navigationsstation und beobachtete den Hauptbildschirm. »Navigationsstatus?«
»Aufgrund des ursprünglichen Koordinationsprogramms hat das Verzögerungsmanöver drei begonnen. Wir erreichen die irdische Umlaufbahn in etwa sechs Stunden.« Roger nickte und ließ sich seine Unsicherheit nicht anmerken. In Gedanken machte er sich mühevoll daran, die ›Stunden‹ in die bei seinem Volk gebräuchlichen Zeiteinheiten umzurechnen. Bald, dachte er. Bald ist es soweit…
1. KAPITEL Wo waren Sie, als die Ufos landeten?
Pete Forsythe duckte sich und stützte die Ellenbogen auf die Knie. Er spürte den Handschuh locker an den Fingern, doch die Muskeln seiner Beine waren bereits angespannt, und die Dorne seiner Schuhe bohrten sich in den Boden. Er hielt seinen Blick auf das knapp dreißig Meter entfernte Schlagholz und nicht etwa den Schläger selbst. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich der Werfer bewegte, und einen Sekundenbruchteil später holte der Schläger aus. Das Holz sauste mit einem Surren durch die Luft, viel zu schnell, als daß man mehr als nur einen braunen Schemen sehen konnte. Es knallte leise, und der Ball flog davon. Pete verließ sich nun ganz auf seine Reflexe. Noch bevor er das dumpfe Knallen hörte, sah er den Ball und schätzte dessen Flugbahn ab. Sein kompakter und muskulöser Leib streckte sich, und mit dem Handschuh der linken Hand zielte er dorthin, wo der Ball nach dem Aufschlag aufs Gras davonspringen mußte. Es reichte nicht! Er mußte noch ein wenig näher heran, und ganz automatisch stieß sich Pete ab. Unmittelbar darauf spürte er den Ball in seinem Handschuh. Er landete der Länge nach auf dem Boden und kam sofort wieder auf die Beine, um den Ball mit der rechten Hand übers Spielfeld zu schleudern. Er beschrieb einen langen Bogen, dem man die Wucht nicht ansah, mit der Pete den Ball geworfen hatte, und landete schließlich in dem Fanghandschuh des ersten Basenhüters.
Pete schnappte nach Luft und lauschte auf den Applaus des Publikums. Doch an diesem späten Oktobernachmittag blieb alles still im Yankee-Stadion. In dem weiten Rund hielten sich nur Pete selbst auf, sein Teamkamerad Joey Vitale, der als Schläger fungierte, der Sponsor der Yankees, Alexander Garr, der die Rolle des ersten Basenhüters übernommen hatte, und Teammanager Bobby Neal. Sie alle trugen dunkelblaue Trainingsanzüge. »Nicht schlecht für einen alten Mann«, sagte Garr, und seine rauhe Stimme hallte klar verständlich übers Spielfeld. »Ein paar solche Spiele während der Saison, und wir erreichen einen guten Platz in der Liga.« Pete verstand den Hinweis. Er erinnerte sich an all die Bälle, die er nicht gefangen hatte, an die vielen dummen Fehler, die ihm unterlaufen waren – auch an die Nächte, während denen er wachgelegen und sich gefragt hatte, ob er wirklich langsam alt wurde. Durch seine Schuld hatten sie das wichtige Saisonspiel um den vierten Platz verloren, und er war bereit, die Verantwortung dafür zu tragen. »Kommen Sie, Alex«, rief Joey Vitale von der Box des Schlägers. »Es hat doch keinen Sinn, Pete dauernd zuzusetzen. Er ist nicht alt. Mein Vater meint immer, mit dreiundvierzig sei man kaum aus den Windeln!« Der große und schlanke Athlet hatte gerade erst seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Garr schüttelte den Kopf, lächelte dünn und trat auf Pete zu. »Joey, sag das den Leuten, die diesen Methusalem versichert haben.« Forsythe hockte auf den Knien und genoß das Gefühl des kühlen Grases. »Vielleicht bist du doch noch nicht aus dem Rennen«, sagte Garr mit einem hintergründigen Lächeln. »Was meinst du: Soll ich eine andere Mannschaft dazu überreden, dich
aufzunehmen, damit du dir einige weitere Jahre lang Kapriolen leisten kannst?« Pete musterte ihn einige Sekunden lang und lachte dann. »Mein Vertrag schließt eine solche Möglichkeit aus. Und außerdem: Ich mag die Knie eines neunzigjährigen und an Gicht leidenden Greises haben, aber es gibt trotzdem niemanden, der so gut spielt wie ich. Stimmt’s, Joey?« Joey drehte sich mit zunächst ausdruckslosem Gesicht um und nickte. »Klar, Pete. Du hast völlig recht.« Ein gutmütiges und sympathisches Lächeln erhellte sein breites und grobknochiges Gesicht. Petes Lippen bewegten sich ganz von allein – wenn Joey Vitale lächelte, war es kaum möglich, unbeeindruckt davon zu bleiben. Garr lächelte ebenfalls – aber mit der Fröhlichkeit eines Viehhändlers, der sich gerade seine prächtigsten Exemplare ansieht. »Er ist wirklich fix, nicht wahr, Forsythe? Wirklich gut, daß er so stark ist wie ein Ochse, denn er hat auch nicht mehr Grütze im Hirn.« Er schüttelte den Kopf und beobachtete Bobby Neal, der dem jungen Schläger einen weiteren Ball zuwarf. Vitale holte mit dem Schlagstock aus, und das Leder sauste sirrend über sie hinweg. Garrs Züge entspannten sich ein wenig, als er Joey zusah, der gerade einen weiteren Ball weit übers Spielfeld trieb. »Er könnte der beste Außenfeldspieler seit Joe DiMaggio werden, Pete«, sagte er so leise, daß Joey ihn nicht hören konnte, obwohl es Vitale egal war, was die Leute über ihn redeten. »Es widerstrebt mir zwar, aber ich glaube, dafür muß ich dir danken. Du hast Joey gut unter die Fittiche genommen. Es gefällt mir, daß du ihm gegenüber den großen Bruder spielst.« Und spitz fügte er hinzu: »Aber jetzt, da er wirklich gut geworden ist, brauche ich dich eigentlich nicht mehr.« Er musterte seinen Starspieler abwartend.
Pete wußte natürlich, worauf Garr hinauswollte, und er dachte in diesem Zusammenhang an den Autounfall vor knapp zwei Jahren. Damals hatte er ein Problem gehabt, ein echtes Problem, und der Unfall war nur die Spitze eines Eisberges gewesen. Wieder einmal völlig betrunken hatte er sich hinters Steuer gesetzt – mit der Folge eines längeren Krankenhausaufenthaltes. Er hatte dem Sponsor versprechen müssen, sofort mit dem Trinken aufzuhören – denn sonst hätte sich Garr von ihm getrennt, Vertrag oder nicht. Pete hatte sich an sein Versprechen gehalten. »Seit damals habe ich keinen Tropfen mehr getrunken – seit jetzt neunzehn Monaten bin ich völlig trocken. Wird er denn nie vergessen, was damals passiert ist?« Garr neigte den Kopf ein wenig zur Seite und konnte sich offenbar denken, was nun in Pete Forsythe vor sich ging. »Was ist los, Pete? Hast du Angst, ich könnte dich tatsächlich fortschicken? Oder dir so sehr zusetzen, daß du von selbst gehst? Fürchtest du vielleicht, ohne das harte Training und die Spiele könntest du wieder nach der Flasche greifen?« Er kicherte leise. »Ich dachte eigentlich, du hättest dich bereits mit dem Ende deiner Baseball-Karriere abgefunden und dir die Zukunft gesichert, Doc.« Forsythe zuckte mit den Schultern. »Wenn ich nicht sicher wäre, daß es für mich auch nach dem Baseball noch ein Leben gibt, würde ich sicher nicht jeden Winter das Medizinstudium fortsetzen, oder? Außerdem sind die Behandlungskosten so hoch, daß ich nur dann weiterhin meine Beine benutzen kann, wenn ich gute Beziehungen aufbaue und dafür sorge, daß sich einige talentierte Ärztekollegen um mich kümmern.« »Habe ich mir doch gedacht, daß es noch einen anderen Grund dafür gibt, warum du so verrückt bist, das Studium wiederaufzunehmen«, sagte Neal und grinste. »He, ich werde bald fünfundsechzig, und seit ein paar Jahren kenne ich einige
Ärzte besser als meine eigene Frau. Hoffentlich bist du mit deiner Ausbildung noch vor meinem Tod fertig.« Pete lachte. »Ich werde mir Mühe geben. Aber du solltest in jedem Fall noch ein wenig damit warten, ins Gras zu beißen.« »Einverstanden.« »He!« rief Joey von weitem. »Wie wär’s mit einem Bier?« »Gern«, sagte Garr. Joey trat an die Kühltasche heran und kam mit drei Dosen Bier und einer Flasche Mineralwasser für Pete auf sie zu. Der dritte Basenhüter warf einen kurzen Blick auf das Bier und öffnete dann mit einem entschlossenen Ruck die Flasche mit dem Wasser. Er sah zu Joey hoch, als der jüngere Spieler trank. Vitale war rund zehn Zentimeter größer als der eher stämmig gebaute Forsythe, und im Kontrast zu Petes blonden Locken hatte er schwarzes Haar. Nach einer Weile runzelte Joey die Stirn und lauschte. »Was ist, Joey?« fragte Pete. »Weiß nicht«, erwiderte Vitale, kniff die Augen zusammen und blickte zu den über dem Yankee-Stadion schwebenden Wolkenfetzen empor. »Könnt ihr das denn nicht hören?« »Was denn?« fragte Garr. Pete glaubte nun ebenfalls etwas zu vernehmen, war sich aber nicht ganz sicher. Es war eher wie eine dumpfe Vibration. Aus einem Reflex heraus grub er die Dorne seiner Schuhe ins Gras, als der Boden zu beben begann, so als fahre direkt unter dem Spielfeld ein Zug durch einen U-Bahn-Tunnel. Aber unter dem Stadion gab es keine solchen Schächte. Garr erblaßte plötzlich. »Ein Erdbeben?« Nun war es deutlich zu hören: Ein tiefes Brummen erfüllte die Luft. Die Männer blickten sich immer wieder um, entdeckten aber nichts, was als Ursache für das Geräusch in Frage kam.
Es war Joey Vitale, dessen scharfe Augen das Objekt ausmachten. Es kam von Norden heran und schwebte über den Hudson River hinweg. »Seht nur!« rief er und deutete darauf. Pete Forsythe blickte hoch, und in seiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen. Er war genauso verblüfft wie damals, als Jean ihn um die Scheidung gebeten hatte. Mit einer jähen Sicherheit war er davon überzeugt, daß sein Leben – das aller Menschen auf der Erde – in diesem Augenblick eine einschneidende Veränderung erfuhr. Nichts würde mehr sein wie zuvor. Eine riesenhafte, sich zur Mitte hin verdickende Scheibe glitt heran. Ihr war eine erhabene Eleganz eigen, und sie glänzte im hellen Sonnenlicht. Kurz darauf senkte sich ein gewaltiger Schatten über das Yankee-Stadion, als der Diskus sich vor die Sonne schob. Die Scheibe muß mehrere Kilometer durchmessen, dachte Pete benommen, während er noch versuchte, die Dimensionen des kolossalen Schiffes abzuschätzen. Das verdammte Ding ist mehrere Kilometer groß! Es durchstieß die Wolken, und das Sonnenlicht glitzerte auf der Oberseite, während der untere Teil im Schatten lag. Das gewaltige Schiff schwebte majestätisch über das Stadion hinweg und glitt weiter in Richtung Manhattan. Garr fand als erster wieder zu sich. »Allmächtiger Gott: Was ist das?« Bürgermeister Daniel O’Connor war ganz in seinem Element – umgeben von lächelnden Kindern, klickenden Fotoapparaten und summenden Videokameras. Die Feier vor dem neuen Gebäude des Zoos im Stadtteil Bronx war extra für die lokalen Abendnachrichten inszeniert worden. Die Stadtratsvorsitzende Alison Stein beobachtete ihn und kam dabei einmal mehr zu dem Schluß, daß kein anderes menschliches Wesen genauso
lang mit dem breiten Lächeln in dem jovialen Gesicht O’Connors mithalten konnte. »Wissen Sie«, begann der Bürgermeister seine Ansprache, »als ich als irisch-jüdischer Knabe in der Höllenküche aufwuchs – das ist auf der Westseite, für diejenigen von Ihnen, die zu jung sind, um…« Einige der Reporter stöhnten übertrieben, und daraufhin unterbrach sich O’Connor und musterte die Mienen seiner Zuhörer. Diese ›Störung‹ seiner Rede gehörte zu seiner persönlichen Routine. »Oh, nein, Bürgermeister!« rief einer der Reporter. »Nicht schon wieder die Geschichte vom irischjüdischen Knaben, der in der Höllenküche aufwuchs… Lassen Sie sich bitte etwas anderes einfallen…« Andere Repräsentanten der Presse bekräftigten die Worte, stimmten in den gespielten Protest mit ein. Der Bürgermeister, ein untersetzter und stämmiger Mann, lachte lauthals, bis ihm die Puste wegblieb. »In Ordnung!« Er winkte und bat um die Aufmerksamkeit der Anwesenden. »Ich verspreche, daß ich Sie nicht weiter langweilen werde.« Nach und nach wurde es wieder still, und O’Connor versuchte, sich ernst zu geben. Im typischen Tonfall eines geübten Redners fuhr er fort: »Wissen Sie, ganz gleich, welche Stadt ich auch besuche – wenn sich die dortigen Bürgermeister über die Reporter beschweren, mit denen sie sich ständig abplagen müssen, so sage ich ihnen, sie sollten dem Schicksal dafür danken, daß sie es nicht mit den Presseleuten New Yorks zu tun haben, der unhöflichsten und rüpelhaftesten Bande überhaupt…« Daraufhin stimmten die Reporter ein Pfeifkonzert an, und der Bürgermeister fügte hastig hinzu: »Die jedoch gleichzeitig die besten Profis sind, die ich kenne!« Alison Stein bewunderte die Art des Auftretens O’Connors bei diesen improvisierten Pressekonferenzen. Sie haßte es, unvorbereitete Reden halten zu müssen. Sie liebte Sorgfalt und
Methodik über alles, und sie fühlte sich schrecklich nackt, wenn sie kein schriftlich fixiertes Manuskript in den Händen hielt. Zwanzig Jahre lang war sie schon als Anwältin und Politikerin tätig, aber sie war noch immer unsicher, wenn es darum ging, vor die Mikrofone zu treten. O’Connor winkte erneut, woraufhin wieder Ruhe einkehrte. »Na schön, kommen wir nun wieder darauf zu sprechen, warum Sie hier im Zoo der Bronx sind, dem besten Zoo der Welt. Als ich noch ein Kind war, bin ich immer gern hierhergekommen, und das ist heute noch der Fall. Aber heute bin ich noch glücklicher und stolzer als damals, denn mit der finanziellen Unterstützung vieler hiesiger Geschäftsleute und Unternehmen und auch von großzügigen Privatleuten war es uns möglich, den Zoo weiter auszubauen. Der Zoo, mit dem wir es heute zu tun haben, ist ein großes und in ständigem Wandel begriffenes Ökosystem; als einziger im Umkreis von Hunderten von Kilometern zeigt er dem Besucher die verschiedenen Tierarten in ihren angestammten Biotopen – und das an einem Ort wie diesem, in der größten Stadt Amerikas!« Applaus ertönte, und O’Connor deutete auf das Gebäude hinter sich. »Heute weihen wir ganz offiziell diesen Erweiterungsbau ein. Wie man mir sagte, simuliert der Alligatorteich hinter mir ein südliches Ökosystem – sozusagen ein Stück der Everglades. Ist das nicht großartig?« Die Fotografen ließen ihre Kameras klicken und summen, und die Kinder wichen furchtsam zurück, als sich in der einen Mauer eine Tür öffnete und einige Alligatoren in den Teich glitten. Die Echsen sahen nicht besonders hungrig oder gefährlich aus, aber angesichts der rund einen halben Meter langen Kiefer war niemand versucht, die Hand ins Wasser zu tauchen und die Reptilien zu necken. »Wo stecken Sie denn, Alison?« O’Connor sah sich um.
Alison gab sich alle Mühe, nicht zu erröten, sie strich sich die Jacke glatt und näherte sich dem Bürgermeister und den verhaßten Mikrofonen, wobei sie sich wünschte, O’Connor hätte sie nicht zu sich bestellt. Als sie die Treppe hochstieg, musterte sie ihn unauffällig. Sie war zwar erst gut vierzig, sah aber so aus, als sei sie in seinem Alter. Sie war ein wenig mollig, hatte sehr langes schwarzes Haar (das sie sich tagsüber zu einem Knoten zusammensteckte), helle Haut und entschlossen blickende dunkle Augen. O’Connor legte ihr den Arm um die Schultern, als Alison an seine Seite trat. »Alison Stein«, sagte er, »hat sich sehr für dieses neue Reptilarium eingesetzt. Sie hat viel Zeit damit verbracht, die Geschäftsleute der Stadt um entsprechende Spenden zu ersuchen. Ich meine, alle Bürger New Yorks sollten ihr danken. Und ich möchte diese Gelegenheit wahrnehmen, um ihr meine ganz persönliche Anerkennung auszusprechen.« Er verneigte sich, und an seine Zuhörer gerichtet, fügte er hinzu: »Was meinen Sie?« Begeisterter Applaus ertönte. Alison lief bis zu den Haarwurzeln rot an, und ihre Verlegenheit nahm noch weiter zu, als sie daran dachte, daß ihr Erröten ganz deutlich auf den Fernsehschirmen zu sehen sein würde. »Und wenn Sie«, fuhr der Bürgermeister fort, »das größte Lob in Hinsicht auf die Arbeit Alisons hören wollten, so müssen Sie die Alligatoren interviewen!« Aber dieser Zusatz brachte O’Connor nicht das Gelächter ein, das er eigentlich erwartet hatte. Die Aufmerksamkeit des Publikums richtete sich plötzlich auf etwas anderes. Alison drehte sich um, als sie ein dumpfes und vibrierendes Summen vernahm, das aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen schien. Unruhe breitete sich unter den Reportern und Fotografen aus, die nun auf den Bericht für die Abendnachrichten hofften.
Sie sahen das Objekt alle gleichzeitig. Das gewaltige Schiff schwebte am Himmel dahin, als sei es so leicht wie die weißen Wolken. Es war riesig, einfach phänomenal. Der Bürgermeister beobachtete es eine ganze Zeitlang, und auf seinen jetzt blassen Wangen entstanden einige rote Flecken. »Ali«, sagte er leise und mit brüchiger Stimme, »glauben Sie, die Leute würden klatschen, wenn ich ihnen sage, dies hier sei nur ein besonderer Gag der Republikaner?« Fred Foster, der Pressesekretär des Weißen Hauses, klemmte sich den Telefonhörer zwischen Schulter und Wange und machte sich Notizen. »Nein, in diesem Zusammenhang geben wir noch keinen Kommentar ab. Der Bericht ist nach wie vor unbestätigt. Nein, ich kann Ihnen nicht den Namen der Stadt nennen. Ich sagte es ja schon: Uns liegen noch keine Bestätigungen für die Berichte vor. Nein, nein, sobald wir einen Kommentar dazu abgeben wollen, bekommen Sie sofort Nachricht.« Fluchend legte er genau in dem Augenblick auf, als sich die Tür öffnete. Stabschef Leonard Katowski stand auf der Schwelle, die Arme in die Seiten gestemmt. »Wir müssen los, – sofort.« Mit der einen Hand fuhr er sich nervös durch das dichte schwarze Haar, das danach noch zerzauster aussah. Der Anzug war für seine besonders langen Arme und Beine ein wenig zu kurz. Foster nickte, stand auf und schenkte dem Telefon keine Beachtung, als es erneut läutete. »Schon wieder ein Anruf. Wie zum Teufel soll ich denn feststellen, was los ist, wenn mich die Typen dauernd an der Strippe haben wollen?« Er streifte sich die Jacke über, prüfte den Knoten der Krawatte und glättete sein dünnes blondes Haar. Katowski wurde immer nervöser, und Foster trat auf ihn zu und ignorierte das nach wie vor klingelnde Telefon.
Der dickliche Foster, der fast einen Kopf kleiner war als der Stabschef, mußte fast rennen, um mit Katowski Schritt zu halten. »Stellen Sie keine Gespräche für mich durch!« rief er seiner Sekretärin zu, als sie an ihrem Büro vorbeikamen. »Was ist denn los?« fragte Foster, der die Antwort bereits ahnte. »Die Meldungen wurden bestätigt. Es sind bereits Abfangjäger alarmiert. Wir müssen sofort den Präsidenten wecken!« »Wir?« »Wir!« bestätigte Katowski. »Sonst werden Sie sich bald Antworten auf die Fragen der Presse einfallen lassen müssen, warum der Präsident nichts unternommen hat, als die Ufos aus dem Weltraum angegriffen haben.« Foster blieb so plötzlich stehen, daß er fast das Gleichgewicht verloren hätte. »Ufos? Plural?« Katowski ergriff ihn am Arm und zog ihn mit sich. »Plural. Der nationale Sicherheitsdienst hat berichtet, die Dinger seien in allen Teilen der Welt gesichtet worden. Uns liegen Bestätigungen aus Großbritannien, Frankreich und Japan vor.« »Wer hat denn eigentlich Befehl für die Alarmierung der Abfangjäger gegeben?« »Die Stationskommandanten. Reine Routine. Sie sollen Annäherungsmanöver durchführen, Funkkontakt herstellen und versuchen, die Absichten der Fremden in Erfahrung zu bringen. Los, bewegen Sie sich, Freddy. Stellen Sie nicht dauernd Fragen! Wir haben eine Menge zu tun und müssen Morrow informieren!« Foster machte erneut Anstalten stehenzubleiben, doch das ließ Katowski nicht zu. »Ich muß Fragen stellen«, brachte er mühsam hervor. »Verdammt, ich bin schließlich der Pressesekretär!« Sie betraten das Büro Katowskis, das direkt neben dem Oval lag, und der Stabschef kramte in einigen Papieren.
»Ich dachte, Sie hätten es eilig«, wandte Foster halbherzig ein. »Das sind Info-Unterlagen. Ich will nicht auf die Nase fallen und Morrow und Sie vor die Presse treten lassen, ohne meine Arbeit gemacht zu haben.« Foster begann zu lachen. »Info-Unterlagen? Für etwas, das erst vor ein paar Minuten begann? Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie? Was wollen Sie dem Präsidenten denn in die Hand drücken? Eine Ausgabe von Krieg der Welten?« Katowski starrte Foster an und hob die Augenbrauen. »Ich habe Info-Unterlagen für alle Zwischenfälle, die Ihnen in den Sinn kommen könnten, mein guter Freddy.« »Einen solchen Zwischenfall hätte ich nie für möglich gehalten.« »Und genau das ist der Grund, warum ich Stabschef bin und Sie der Pressesekretär sind.« Es klopfte jemand an die offene Tür. Foster und Katowski sahen auf und erblickten einen Mann von kräftiger Statur. »Alles für den großen Augenblick bereit?« fragte Gerald Livingstone, der immer perfekt gekleidete und rasierte Präsidentenberater in Fragen der nationalen Sicherheit. »Noch ein weiterer Bericht«, sagte Katowski und eilte an einen Aktenschrank heran. »Wie sieht’s unten aus?« »Wir haben die Sache im Griff«, erwiderte Livingstone und schien ein wenig beleidigt zu sein, daß es Katowski überhaupt für nötig hielt, extra danach zu fragen. Foster schürzte die Lippen. Er hatte Livingstone noch nie gemocht und hatte auch kein Vertrauen zu ihm – einem Mann, der keine Schwächen zeigte und sich immer unerschütterlich und selbstsicher gab. Foster hielt ihn für zu berechnend. Katowski holte einen Ordner aus dem Schrank hervor und drückte die metallene Schublade mit einem Ruck zu. »Jetzt habe ich alles. Wir können.«
»Wer soll den Präsidenten denn wecken?« fragte Livingstone. »Sie etwa?« »Wir sind doch nicht übergeschnappt«, knurrte Foster. »Das übernimmt seine Frau.« Sie ließen sich vom Lift nach oben tragen und gelangten so in den Wohnbereich der Morrows. Inzwischen nahm die Öffentlichkeit sicher an, Präsident William Brent Morrow habe die ganze Situation unter Kontrolle. In Wirklichkeit war Morrow vermutlich einer der wenigen Amerikaner, die noch ruhig schlummerten und an nichts Böses dachten – was sich aber in den nächsten Minuten ändern würde. Die Lifttür öffnete sich, und Barbara Morrow – eine schlanke und vornehme Frau von gut fünfzig Jahren – begrüßte sie mit einem angedeuteten Lächeln. »Meine Herren, kann mir jemand von Ihnen vielleicht sagen, was eigentlich los ist?« »Für konkrete Aussagen dürfte es noch zu früh sein«, erwiderte Katowski. »Aus dieser Region sind noch keine Sichtungen gemeldet worden. Aber es liegen Bestätigungen aus New York, Dallas, St. Louis und verschiedenen Städten in Europa vor.« »Wie schlimm diese Situation auch werden mag«, sagte Foster, »sie wird übler werden, wenn wir nicht sofort den Präsidenten wecken.« Barbara Morrow nickte, führte sie ins Schlafzimmer und justierte die Beleuchtung auf die geringste Helligkeitsstufe. Behutsam berührte sie ihren Gatten an der Schulter. Er lag ausgestreckt auf einer handgearbeiteten Steppdecke, gekleidet in Jeans und ein Hemd mit Karomuster. Er war ein großer, beeindruckend wirkender Mann mit dichtem grauen Haar – Foster vertrat die Ansicht, daß er so aussah, wie ein Präsident aussehen sollte. Aber es gefiel Morrow gar nicht, bei seinen Nickerchen gestört zu werden, die ihm von seinem Arzt
verschrieben worden waren, nachdem er im vergangenen Jahr über Brustschmerzen geklagt hatte. Mit einem leisen Stöhnen drehte sich Morrow auf die Seite und sah seine Frau. »Was ist denn?« fragte er. Plötzlich erbebte das Weiße Haus, und Morrow war von einem Augenblick zum anderen auf den Beinen. »Werden wir angegriffen?« »Nicht unbedingt«, sagte Katowski, der sich nervös in Richtung des Fensters schob. »Nicht unbedingt?« wiederholte der Präsident. »In dieser Region gibt es keine Erdbeben, und es fühlt sich ganz so an, als würde dieses Gebäude einstürzen, wenn die Vibrationen noch längere Zeit andauern.« »Wir… wir wissen nicht, ob sie uns feindlich gesinnt sind«, sagte Katowski und wich damit der Frage Morrows aus. »Wer sind sie?« Foster zog die schweren Vorhänge beiseite – und glaubte, sein Herz stelle für eine Sekunde die Arbeit ein, um ihm gleich darauf bis zum Halse emporzuklopfen. Morrow trat ans Fenster heran, blieb dort wie angewurzelt stehen und starrte nach draußen. »Das sind sie, Sir«, sagte Foster. »Wir wissen noch nicht, mit wem wir es zu tun haben«, meinte Livingstone, »aber offenbar sind ziemlich viele von ihnen gekommen.« Der Präsident der mächtigsten Nation der Erde brauchte eine Weile, um die Sprache wiederzufinden. »Meine Güte. Und Sie sind ganz sicher, daß dies kein Traum ist?« »Keine Fenster«, murmelte Denise Daltrey. »Man weiß nie, ob es draußen dunkel oder hell ist.« Sie rieb sich die Augen und blickte auf die Anzeige der auf ihrem Schreibtisch stehenden Digitaluhr. Danach war es jetzt 16:06 Uhr im Gebäude der CBS-Nachrichten, einer früheren Molkerei in der
nicht gerade vornehmen Nachbarschaft von Manhattans West Side. Denise kam zu dem Schluß, daß sie den für diesen Nachmittag geplanten Tennisunterricht wohl oder übel ausfallen lassen mußte. Sie dachte an ihren Job – und daran, wie müde sie war. Schließlich aber gab sie sich einen Ruck und erinnerte sich daran, daß sie ihre Arbeit beim Fernsehen trotz allem liebte. Nach einem schwierigen Anfang war es ihr gelungen, eine eigene Show zu bekommen, die sie nun schon seit einem Jahr moderierte. Denise griff nach dem Telefon, entschuldigte sich bei ihrem Tennislehrer und blickte dann in den Spiegel, der in Augenhöhe hinter der Schreibmaschine hing. Die Ringe unter ihren großen blauen Augen gingen kaum mehr zurück, und manches Mal am Morgen wirkte sogar ihr schwarzes Haar müde und erschöpft. Denise runzelte skeptisch die Stirn und trug rasch frisches Make-up auf. Ja, die Arbeit war nervenaufreibend. Niemand hatte ihr versprochen, daß es einfach werden würde. Und außerdem hatte sie nie etwas anderes machen wollen und befand sich in einer für ihr Alter sehr hohen Position. Sie erwarb nicht nur viel Erfahrung, sondern auch Prestige. Für ein junges Mädchen, das seine Karriere in einer provinziellen Radiostation als Wetteransagerin begonnen hatte, war sie bereits ziemlich weit gekommen. Im Alter von dreiunddreißig Jahren hatte Denise ihr eigentliches Ziel erreicht – und das, ohne jemals Kompromisse im Hinblick auf ihre Integrität eingegangen zu sein. Eine kleine Lampe auf dem Apparat begann hektisch zu blinken. »Warte einen Augenblick, Kate. Meine Sekretärin verlangt mich gerade zu sprechen.« Sie betätigte eine Taste. »Ich bin nicht da, Paula. Ich bin tot, und ich werde erst wieder lebendig, wenn ich ein wenig Sport getrieben habe.« Sie
verlieh ihrer Stimme einen Hauch von Weinerlichkeit, und sie hörte kurz zu und lachte dann müde. »Na schön. Es schwebt also ein gigantisches Ufo über New York, und andere Städte haben ebenfalls Besuch aus dem Weltraum erhalten. Ja, und deswegen kann ich meine Zeit nicht damit vertrödeln, Tennis zu spielen…« Sie kicherte noch immer humorlos, als sich die Tür ihres Büros mit einem Ruck öffnete. Das Gesicht des eintretenden Dan Rather wirkte zwar so ruhig wie immer, aber es funkelte aufgeregt in seinen dunklen Augen. Denise vergaß ihre Müdigkeit und begriff, daß Paula entgegen ihrer Vermutung keinen Witz gemacht hatte. Rathers gepreßt klingende Worte bestätigten ihre Ahnung. »Einsatzbesprechung in Bennies Konferenzzimmer, Denise, jetzt sofort. Über New York schwebt ein Ufo. Man hat deswegen sogar den Präsidenten geweckt.« Dann drehte er sich um und war wieder fort. Benommen schaltete Denise auf die andere Leitung um. »Kath? Dan Rather hat mir gerade von einem Ufo erzählt, das über New York schweben soll. Ich glaube, das mit dem Tennisspielen können wir vergessen. Bis später.« Sie legte einfach auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Der Adrenalinspiegel in Denises Blut stieg an, so wie immer, wenn es um eine wirklich große Sache ging. Sie griff nach dem Notizblock und dem Kassettenrecorder und stand auf. »Donnerwetter!« sagte sie laut. »Ein Ufo!«
Lauren Stewart wusch einen Teller ab und stellte ihn dann ins Abtropfregal über der Spüle. Mit der einen Fingerkuppe strich sie über das bayerische Blumenmuster, und sie erinnerte sich daran, wie sehr ihre Mutter an diesem Geschirr gehangen hatte, wie stolz sie gewesen war, als die Arztpraxis ihres Mannes
nach vielen mageren Jahren endlich besser lief und sie sich dieses Service für acht Personen hatten leisten können. Die Teller müssen so blitzblank sein, daß man sich darin spiegeln kann, dachte Lauren und hob den letzten gereinigten Teller, um festzustellen, ob sie sich tatsächlich darin spiegelte. Sie sah jedoch nur ein verschwommenes Oval. Doch vor ihrem inneren Auge entstanden andere Konturen: das feinknochige Gesicht ihrer Mutter, die zarten polynesischen Züge, die dunkelbraunen und mandelförmigen Augen, das pechschwarze Haar, eine Hautfarbe, die eine Mischung darstellte aus dem Karamelbraun ihrer Mutter und dem milchschokoladenen Ton ihres Vaters. Lauren lächelte und stellte sich dabei als Spiegelbild im Teller zwei Reihen zuckerweißer Zähne vor. Sie lachte leise, als sie daran dachte, was für Vergleiche ihr in den Sinn kamen, und hinter ihr erklang die Stimme ihres Vaters. »Worüber lachst du, Schatz?« »Über mich selbst, Vater. Ich möchte gern fünf Pfund abnehmen, bevor ich mich mit Olav auf die Reise nach Übersee mache. Du kennst ja die diplomatischen Empfänge mit ihren üppigen Festessen, und dann brauchte ich mich dabei nicht so in acht zu nehmen. Trotzdem könnte ich jetzt für einige leckere Pralinen sterben.« Dr. Stewart lächelte. »Ach, Lauren, die meisten würden für deine Figur sterben. Ich werde nie begreifen, warum die derzeitige Mode von euch zehn Pfund Untergewicht verlangt.« Lauren schob den letzten Teller vorsichtig ins Abtropfgestell, ließ das Wasser aus der Spüle und drehte sich zu ihrem am Tisch sitzenden Vater um. »Die medizinischen Statistiken geben mir recht, Vater: Untergewicht ist besser als Übergewicht!« Dr. George Stewart rückte sich die Brille zurecht, betrachtete seinen Bauch und klopfte auf die deutlich sichtbare Vorwölbung. »Das stimmt – und ich finde dich fabelhaft,
Schatz. Du bist fast so hübsch wie deine Mutter, und sie war die hübscheste Frau, die ich jemals sah.« Er lächelte ein wenig verträumt. Und nach einigen Sekunden fügte er leise hinzu: »Weißt du, sie wollte, daß du eines Tages in diesem Haus lebst. Sie wäre sicher enttäuscht zu wissen, daß du fortgehst, wenn ich nicht mehr lebe.« Lauren fürchtete, diese Worte könnten die Einleitung zu einer jener unangenehmen ›Diskussionen‹ sein. Rasch versuchte sie, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, fort von ihrer Zukunft. »Ist das der Grund, warum du nach dem Tod Mutters geblieben bist?« »Nein, nein, Schatz. Ich bin hier geblieben, weil die Nachbarschaft einen Arzt braucht. Wer außer mir würde sich von diesen Leuten mitten in der Nacht aus dem Bett klingeln lassen? Meine jüngeren Kollegen schalten abends immer ihre automatischen Anrufbeantworter ein und scheren sich um nichts…« »Ach, Vater…«, sagte Lauren, und seufzend griff sie nach seiner Hand. »Ich bin ganz zufrieden, Schatz!« Dr. Stewart lächelte. »Hätte ich nicht die Patienten und Studenten, die mich beschäftigt halten, würde ich mir Sorgen um dich machen.« Daraufhin lächelte auch Lauren, und sie genoß es, ihrem Vater selbst im Alter von fast fünfunddreißig Jahren noch immer so nahe zu sein wie damals als Kind. Sie setzte gerade zu einer Antwort an, als sie hörte, wie die Teller im Abtropfgestell zu klirren begannen. Sie eilte auf die Spüle zu, da sie fürchtete, das Geschirr könne aus dem Schrank fallen, und aus großen Augen blickte sie sich um. Das alte Haus vibrierte und erbebte. Einige Papiere rutschten vom Tisch und fielen zu Boden.
»Was, zum Teufel…« George Stewart war mit einigen raschen Schritten am Fenster. Draußen traten Leute verwirrt auf die Straße, sahen in die Höhe und gestikulierten aufgeregt. Als Lauren sich ihrem Vater hinzugesellte, hob George ebenfalls das Gesicht. Gerade in dem Augenblick, als Lauren den gewaltigen Diskus über der Stadt schweben sah, klingelte das Telefon. Dr. Stewart nahm ab. »Doc Stewart am Apparat.« Er drehte sich zu seiner Tochter um. »Ja, sie ist hier.« Er reichte den Hörer an Lauren weiter. »Hallo?« sagte sie. »Ja, ich sehe das Objekt. Gibt es schon irgendwelche offiziellen Verlautbarungen?« Sie hörte einige Sekunden lang zu und verzog dann das Gesicht. »Habe ich mir gedacht. Ich komme so schnell wie möglich. Hoffentlich erwische ich ein Taxi.« Sie legte auf. »Ich muß los, Vater. Worum es sich bei dem… Ding da oben auch handeln mag – es ist nicht allein gekommen. Über allen größeren Städten der Erde schweben sie. Bei der UN geht zur Zeit alles drunter und drüber – die Abgesandten der verschiedenen Staaten klagen sich gegenseitig an, obgleich sie wissen, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, daß die Riesenscheiben von dieser Welt stammen.« Sie unterbrach sich plötzlich, als sie begriff, wie seltsam es doch war, sich die Erde nur als einen von vielleicht Millionen anderen bewohnten Planeten vorzustellen… George Stewart gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Hört sich an, als werde ein Superdiplomat gebraucht.« »Ja, aber ich schätze, sie müssen sich mit mir zufriedengeben«, erwiderte Lauren trocken. »Ich rufe dich sofort an, wenn ich Genaueres weiß.«
»Ich glaube, ich werde bald zu tun bekommen. Ufos zu Besuch, das dürfte einigen Leuten schwer auf den Magen schlagen – ganz zu schweigen von Herzanfällen und hysterischen Krisen.«
2. KAPITEL Eine ziemliche Aufregung
Präsident Morrow konnte von Glück sagen, daß er noch Gelegenheit gehabt hatte, sein Nickerchen zu machen, denn während der nächsten vierundzwanzig Stunden sollte er nicht wieder zur Ruhe kommen. Sein Büro verwandelte sich in eine Art Hauptquartier, und Morrow sprach unentwegt mit Vertretern des Militärs, Kongreßabgeordneten und anderen wichtigen Leuten. Nachrichtendienstmitarbeiter und Botschaftssekretäre aus allen Teilen der Welt lieferten innerhalb der ersten Minuten nach den Sichtungen ihre Berichte ab, und man wetteiferte darum, wer in der kürzesten Zeit die detailreichsten Meldungen machte. Leider stellte sich schon sehr bald heraus, daß es nur wenige bestätigte Fakten zu berichten gab: 1. Die fremden Schiffe waren einfach da und schwebten in einer Höhe von anderthalb bis zwei Kilometern über den meisten Hauptstädten der Erde. 2. Jedes durchmaß etwa acht Kilometer. 3. Insgesamt waren es mindestens fünfzig, und Sichtungsmeldungen lagen aus vielen Städten vor: Washington, New York, Paris, Athen, Tokio, Moskau, London, Rom, Leningrad, Kairo, Chicago, San Francisco, Los Angeles, Houston, Pretoria, Buenos Aires, Bonn, Peking, Neu-Delhi, Jerusalem… Ein nervös gewordener Pilot nahm als erster die Fremden unter Beschuß. Einige Sekunden später hatten die Menschen die erste Erkenntnis über die Ufos gewonnen: Selbst vor die gewaltigen
Schiffe abgefeuerte Rakete trafen nicht ihr Ziel, sie schwirrten einfach davon und explodierten weit entfernt. Und so blieb der Welt nichts anderes übrig, als sich in Geduld zu fassen. Um vier Uhr morgens schickte Präsident Morrow seinen Stab aus dem Oval Office. »Kehren Sie zurück, wenn Sie etwas Konkretes zu berichten haben«, sagte er. »Wir könnten uns hier noch stundenlang den Kopf zerbrechen, aber das hat keinen Zweck. Statt dessen sollten wir die Zeit nutzen, um uns auszuruhen.« Foster wurde jedoch vom Präsidenten zurückgehalten. Der Pressesekretär nahm Platz. »Ach«, meinte Morrow und streckte die Beine, »endlich ist es wieder ruhig und friedlich.« »Fürchten Sie nicht, Sie könnten etwas versäumen, Sir?« fragte Foster. »Wenn irgend etwas Wichtiges geschieht, werden ungefähr siebzehn Personen versuchen, sich gleichzeitig durch die Tür dort zu schieben und mich sofort davon zu unterrichten.« Er seufzte. »Was ist mit der Reaktion der Öffentlichkeit auf die Typen da oben?« Mit dem Daumen deutete er in Richtung Decke. »Der Verkehr auf den Ausfallstraßen läßt allmählich nach. Manche Leute finden nach und nach Gefallen an der ganzen Sache. Und diejenigen, die es für angeraten hielten, aus den Städten zu fliehen, haben das inzwischen gemacht.« »Wohin wollten sie denn alle? Aufs Land? In die Berge?« »Ja. Ich wünschte, ich besäße Aktien bei Unternehmen, die Campingausrüstung oder allradangetriebene Fahrzeuge verkaufen. General Loman berichtete, es sei notwendig gewesen, die Bewachung der Militärparkplätze zu verstärken. Dauernd verschwanden Jeeps.« Morrow verzog nur das Gesicht und schüttelte den Kopf. Eine Zeitlang schwiegen die beiden Männer. Nach einer Weile drehte der Präsident seinen Sessel herum und blickte aus
dem großen Fenster hinter dem Schreibtisch. Etwas weiter entfernt auf dem Rasen stand ein Fotograf und schauderte in der Kühle des herbstlichen Morgengrauens. Als der Mann den Blick Morrows auf sich ruhen fühlte, winkte er einen stummen Gruß und ging. »Sicher steht morgen in der Zeitung, daß sich der Präsident die ganze Nacht um die Ohren schlug, um die Ufo-Krise zu lösen«, meinte Foster. Und als Morrow leise lachte, fügte er hinzu: »Nun, zumindest sind Sie damit nicht allein. Heute nacht dürften Millionen von Amerikanern an Schlaflosigkeit leiden.« »Und während wir uns die Köpfe zerbrechen, lachen sich die kleinen grünen Männchen dort oben vermutlich ins Fäustchen – wenn sie überhaupt Fäustchen haben.« Der Pressesekretär stellte sich das riesige und in einem silberblauen Farbton glänzende Raumschiff vor, das über der Hauptstadt der Vereinigten Staaten schwebte. »Glauben Sie, uns droht Gefahr?« fragte er. Morrow seufzte. »Ich wünschte, ich wüßte eine Antwort auf diese Frage, Freddy.«
Die Aktivitäten bei den Vereinten Nationen dauerten ebenfalls bis spät in die Nacht an. Lauren Stewart stand neben dem Generalsekretär Olav Lindstrom, der mit verschiedenen Repräsentanten anderer Staaten sprach und zu Geduld und einer abwartenden Haltung riet. Lauren war erleichtert, als sie sich vorstellte, daß selbst diejenigen nichts unternehmen konnten, die sich nicht an diese Ratschläge halten wollten. Die Unangreifbarkeit der fremden Schiffe stellte ein stärkeres Argument dar als all diejenigen, die sich der Generalsekretär und seine Sonderassistenten einfallen lassen mochten.
Lindstrom war für seine Geduld bekannt. Lauren hatte an dem von ihm geleiteten Seminar in Harvard teilgenommen, während er noch ein einfacher Delegierter Schwedens gewesen war und sie sich eingehend mit der Problematik internationaler Beziehungen befaßt hatte. Schon nach wenigen Tagen des Kurses hatte sie eine tiefe und unerschütterliche Bewunderung für den weißhaarigen Mann mit dem sorgfältig gestutzten Oberlippenbart entwickelt. Doch während dieser langen Nacht mit all den vielen Fragen, auf die es keine Antworten gab, sah Lauren, wie ihr Idol immer stiller wurde. Die Gegenwart von Wesen aus einem anderen Teil des Universums stellte etwas dar, was der alternde Lindstrom nicht so ohne weiteres akzeptieren konnte. Die UN-Konferenzen endeten gegen Morgengrauen, und Lauren bestand darauf, daß sich Lindstrom in sein Büro zurückzog, um dort wenigstens ein Nickerchen zu machen. Sie hätte es sich auf der Couch in ihrem eigenen Büro bequem machen können, doch Lauren wußte, daß sie keine Ruhe gefunden hätte. Plötzlicher Ärger entstand in ihr, eine Art Trotz, und sie hob den Kopf und streckte dem fremden Raumschiff die Zunge raus.
Fast zwei Stunden darauf geschah es. Ein pulsierendes Brummen ging von den gewaltigen Raumschiffen aus, gleichmäßig, unveränderlich – und überall auf der Erde. Das Signal ertönte einige Minuten lang. Präsident Morrow saß noch immer an seinem Schreibtisch, doch inzwischen waren die Fernseher wieder eingeschaltet, und im Büro drängten sich Berater und Berichterstatter. Die Blicke Morrows waren wie die aller Anwesenden auf die Bildschirme gerichtet, und sie alle beobachteten die
Nachrichtensprecher der verschiedenen Kanäle, die gerade versuchten, zu erklären, was sich derzeit ereignete. Draußen ertönte nach wie vor das Brummen von dem Schiff über New York. Kurz darauf klang eine Stimme aus dem Lautsprecher, eine männliche, neutral akzentuierte Stimme, die in gewöhnlichem Englisch sprach. Es haftete ihr jedoch eine sonderbare Klangfarbe an, eine Art vibrierendes Brummen, wie von einer Rückkopplung, »…fünfzehn, vierzehn, dreizehn…«, zählte die Stimme. Eine kurze Pause folgte, und dann: »Bürger des Planeten Erde. Wir übermitteln Ihnen Grüße. Wir kommen in Frieden und möchten freundlich darum bitten, daß der Generalsekretär Ihrer Vereinten Nationen um 1:00 Uhr heute abend, Greenwich-Zeit, das heißt 20:00 Uhr Ortszeit, das Dach des Gebäudes des UN-Gebäudes in New York aufsucht. Vielen Dank.« Damit endete die Übertragung, und Stille schloß sich an.
3. KAPITEL Die Visitors
Hoch über der Stadt stand Roger auf dem schmalen Steg über der Kommandozentrale seines Schiffes. Jennifer saß an ihrer Konsole und gab über die Tastatur Daten ein, die auf dem Bildschirm als Zeichen der Schriftsprache ihres Volkes erschienen. Einem Menschen, der sich im alten Hebräisch oder im Sanskrit auskannte, wären diese Symbole nicht unbedingt fremdartig erschienen, doch für andere mußten sie völlig unverständlich sein. Der Kommandant wartete, bis der Dritte Offizier die Eingaben beendet hatte, und dann nannte er ihren Namen. »Sir?« Jennifer hob den Kopf, stand auf und stieg die Treppe nach dem Steg hoch. »Ja, Roger?« »Sind Sie denn im Dienst, Jennifer?« fragte Roger. »Ich meine, ich hätte Ihren Namen auf der Liste der Freiwache gelesen.« Jennifer nickte, und mit aller Behutsamkeit formulierte sie die englischen Worte ihrer Antwort. »Das stimmt auch, Roger. Eigentlich habe ich jetzt frei. Ich wollte nur einige Bewertungen in Hinsicht auf die Besatzung fertigstellen.« »Sehr lobenswert«, erwiderte Roger. »Und Sie erachten diese zusätzlichen Arbeiten nicht als Belastung?« »Nein, Sir. Ich hätte sie nicht begonnen, wäre ich nicht sicher gewesen, trotzdem meinen normalen Pflichten nachkommen zu können.«
»Nun, das dürfte Angela freuen«, sagte Roger mit einem Hauch von Ironie. »Arbeiten in bezug auf die Mannschaft gefallen ihr nicht sonderlich.« Jennifer hütete sich, ihre Befriedigung über diesen auf Angela zielenden Seitenhieb Rogers offen zu zeigen. »Wo ist sie überhaupt, Roger?« fragte sie. »Sollte sie inzwischen nicht zurück sein?« Roger sah in Richtung der Chronometer oberhalb des Hauptbildschirms. Sie zeigten die Zeit für alle irdischen Zeitzonen an, und eins der Instrumente gab die entsprechenden Daten in ihren eigenen Einheiten an – für die Besatzungsmitglieder, die nach wie vor Schwierigkeiten mit der Umrechnung hatten. »Sie müßte jetzt zusammen mit dem Obersten Kommandeur eingetroffen sein«, antwortete Roger. »Es ist fast 01:00 Uhr. Vermutlich nutzt Angela jede ihr noch verbleibende Sekunde aus, um es dem Obersten Kommandanten so bequem wie möglich zu machen – und ihn wissen zu lassen, daß sie für seine Bequemlichkeit verantwortlich ist.« Diesmal mußte Jennifer den Kopf zur Seite drehen, um Roger ihre Belustigung nicht zu zeigen. Das Schott hinter ihnen öffnete sich, und Angela betrat die Zentrale. »Der Oberste Kommandant«, sagte sie. »John.« Die Besatzungsmitglieder in der Zentrale erhoben sich und salutierten förmlich, als John herankam. Er war kleiner als Roger, hatte dichtes graues Haar und regelmäßige attraktive Züge. »Bitte stellen Sie eine interne Flottenverbindung her.« Jennifer beeilte sich, die Anweisung auszuführen, und nickte ihm zu, als das geschehen war. John wandte sich nun auch an die Besatzungen der anderen Schiffe. »In wenigen Minuten werde ich offiziell unsere Mission auf der Erde beginnen. Wenn Sie die Sache unseres Großen Denkers nicht so tatkräftig unterstützt hätten, wären wir nicht annähernd so
schnell ans Ziel gelangt – dafür möchte ich Ihnen allen danken. Ich weiß, daß Sie mit ebensolcher Entschlossenheit für den erfolgreichen Abschluß unserer Aufgabe arbeiten werden, mit jener Art von einmütiger Loyalität, die es uns ermöglichte, unsere Ressourcen zu bewahren und diese so wichtige Mission zu beginnen. Im Namen unseres Denkers fordere ich Sie alle dazu auf, Ihr Leben dieser Sache zu widmen – der Erhaltung unserer Art.« Er machte eine kurze Pause. »Die Pflichten eines Obersten Kommandeurs, wie ich es bin, sind zahlreich und sehr komplex. Aus diesem Grund werde ich mich zeitweise an Bord der einzelnen Schiffe dieser Flotte befinden. Ich ernenne hiermit Roger, den Kommandanten dieses Schiffes, zu meinem diplomatischen Stellvertreter, der während meiner Abwesenheit sowohl die Verbindung zu den offiziellen Repräsentanten der Vereinten Nationen als auch denen der USA hält. Ich bin sicher, Sie werden ihm Ihre volle Unterstützung gewähren.« Er warf Roger einen kurzen Blick zu, der erfreut und zufrieden und keineswegs unsicher wirkte. »Vielen Dank, John«, sagte Roger. »Meine Mannschaft und ich werden uns alle Mühe geben, das in uns gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen.« »Da bin ich sicher«, erwiderte John. »Jetzt muß ich mich leider entschuldigen. Es steht mir eine wichtige Begegnung bevor – eine lebenswichtige Begegnung.« Roger verstand die Anspielung und lächelte dünn.
»Verdammt!« fluchte Denise Daltrey, und das nicht zum erstenmal seit der letzten Stunde. »Verdammt, verdammt und noch mal verdammt!«
»Nehmen Sie es nicht so schwer, Denise«, sagte Sidney, der für das Make-up zuständige Mann. »Wenigstens haben Sie die Sendung heute abend – das ist doch auch etwas.« »Ja«, brummte Denise mürrisch. »Ich muß hier im Studio rumsitzen, während Kristine Walsh oben auf dem Dach ist, wo alles geschieht. Die Story überhaupt, und ich muß alles am Bildschirm beobachten!« »Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen«, sagte Sidney und trug etwas Rouge auf. »Ich bin froh, daß ich hier unten bleiben kann und den Monstern aus dem Weltraum nicht gegenübertreten muß. So, mit den Augen ist alles in Ordnung.« Denise blinzelte und dachte daran, daß sie sie nun nicht mehr reiben konnte, wenn sie juckten. »Sidney, Sie sind einfach fabelhaft«, sagte sie, als sie in den kleinen Spiegel blickte, den er ihr vors Gesicht hielt. Daraufhin lächelte Sidney und zog sich aus dem grell erhellten Bereich des Studios zurück. »Noch dreißig Sekunden«, ertönte nach einer Weile die Stimme des Direktors aus dem Lautsprecher. Rasch überprüfte Denise noch einmal Aussehen und Haltung und legte sich die Notizen zurecht. Gleich war es soweit. Das rote Licht an der Kamera zwei blitzte auf, und Denise blickte auf den Monitor und sah ihr eigenes Abbild, unter dem die Worte aufleuchteten: »BESUCHER AUS DEM WELTRAUM: Ein Sonderbericht direkt aus New York.« Und Denise sagte: »Guten Abend, meine Damen und Herren. Hier in New York ist es jetzt kurz vor zwanzig Uhr – und damit ist der Zeitpunkt gekommen, zu dem Menschen der Erde zum ersten Mal in der Geschichte außerirdischen Wesen gegenübertreten werden. Es herrscht allgemein große Aufregung. Die Bilder der Live-Übertragung zeigen Ihnen, daß das große Raumschiff noch immer über Manhattan schwebt, wo es gestern nachmittag in Position ging…«
Denise fuhr fort und wiederholte die Höhepunkte des vergangenen Tages, und dann schließlich gab sie an Kristine Walsh auf dem Dach weiter. Stumm beobachtete sie, wie der Generalsekretär, begleitet von einer hochgewachsenen und attraktiven Frau von offenbar asiatischer Abstammung, aufs Dach trat. Lindstrom bedeutete den UN-Soldaten mit einem Wink, die Waffen zu senken. Um acht Uhr dann richteten Denise, die Techniker des Studios und Hunderte von Millionen Menschen aus allen Teilen der Welt ihre Aufmerksamkeit auf die Unterseite des fremden Raumschiffes. »Ich sehe etwas!« rief Winnie. Einige Sekunden später hörten sie alle die ruhige, kühle und professionelle Stimme Kristine Walshs: »Ein kleineres Fahrzeug verläßt nun das Mutterschiff und hält direkt auf das Dach dieses Gebäudes zu. Während es sich uns nähert, verursacht es praktisch keine Geräusche, die auf die Art seines Antriebes hinweisen könnten.« Jenes kleinere Fahrzeug hatte einen sonderbaren, schnabelartigen Bug und schimmerte weiß. Es landete auf dem Dach des UN-Gebäudes. Aufgrund der aerodynamischen Form gelangte Denise zu dem Schluß, daß es für Flüge innerhalb einer Atmosphäre konstruiert war. Darüber hinaus bemerkte sie an den Flanken des Beibootes ein in roter Farbe gehaltenes Muster aus Punkten und Balken, vielleicht eine Art Hoheitszeichen. Kurz darauf öffnete sich eine Luke, und eine Rampe streckte sich dem Dach entgegen. Es erklang eine Stimme, der jene dumpfe Vibration anhaftete, die ihnen schon zuvor aufgefallen war, und sie formulierte einige Worte, die Denise nicht verstand. »Ich glaube, das ist Schwedisch«, wandte sie sich an Weinberg, da sie wußte, daß sie derzeit nicht auf Sendung war. »Ich brauche eine Übersetzung – schnell!«
Nach wenigen Sekunden traf sie ein, und Denise übermittelte sie an Kristine Walsh. »Herr Generalsekretär – haben Sie keine Angst. Kommen Sie bitte an Bord.« Denise beobachtete, wie Lindstrom sich nach einem kaum merklichen Zögern in Bewegung setzte. Die Kamera auf dem Dach – bedient wurde sie von einem freien Mitarbeiter namens Mike Donovan – folgte der schlanken und hoch aufgerichteten Gestalt, als sie über die Rampe trat und in der dunklen Öffnung des Beibootes verschwand. Denise überprüfte die verstreichende Zeit auf der Studiouhr und behielt gleichzeitig die Nahaufnahme Donovans von der geöffneten Luke im Auge. Die Sekunden verstrichen: 68 – 69 – 70 – 71 – 72 – 73… »Da ist er wieder!« rief Kristine Walsh, und Denise verspürte jähe Erleichterung. Unten an der Rampe blieb Lindstrom stehen, und er versicherte, er sei mit den Visitors (wie er sie nannte) zusammengetroffen. Nach seiner Auskunft sahen sie sehr menschlich aus, wenn auch ihre Stimmen ein wenig absonderlich klangen. Er erklärte, die Visitors übermittelten der Erde ihre Grüße und kämen in Frieden. Er fügte hinzu, er habe den Obersten Kommandeur, der sich an Bord des Beibootes befand, darum gebeten, sich persönlich an die Weltöffentlichkeit zu wenden. Es folgte eine erwartungsvolle Stille, und dann beobachteten Denise und die Studiotechniker einen grauhaarigen und freundlich lächelnden Mann mit regelmäßigen Gesichtszügen: »Himmel!« entfuhr es Denise und vergaß dabei zu überprüfen, ob sie auf Sendung war oder nicht. »Er sieht ja genauso aus wie einer von uns!« Der Visitor trug eine rote Uniform, die man für einen Flugdeck-Overall hätte halten können. Der Brustteil wurde eingefaßt von einigen schwarzen Streifen. Denise vermutete,
daß sie den Rang verdeutlichten. Der Fremde holte eine Brille mit getönten Gläsern hervor und setzte sie auf. Dann sagte er: »Bitte entschuldigen Sie, aber unsere Augen sind nicht an eine solche Lichtfülle gewöhnt.« Sein Englisch hatte keinen Akzent. Wenn nicht jene dumpfe Vibration gewesen wäre, dachte Denise, hätte man ihn tatsächlich mit einem einheimischen Amerikaner verwechseln können. Lächelnd fuhr der Visitor fort: »Der Generalsekretär hat es Ihnen bereits gesagt: Wir kommen in Frieden. Unsere Heimatwelt ist der vierte Planet jener Sonne, die Sie Sirius nennen und die knapp neun Lichtjahre von hier entfernt liegt. Dies ist unsere erste interstellare Reise – und Sie sind die erste intelligente Lebensform, auf die wir treffen. Wir freuen uns sehr über diese Begegnung!« Ein allgemeines Seufzen der Erleichterung durchzog das Studio. Der Oberste Kommandant fügte hinzu: »Unsere Namen hätten vermutlich einen seltsamen Klang für Sie, und aus diesem Grund haben ich und die anderen Visitors an Bord irdische Namen gewählt. Ich heiße John.« Denise starrte wie gebannt auf den Bildschirm, fasziniert davon, daß ein intelligentes Geschöpf von einer anderen Welt so verblüffend menschlich wirken konnte. John setzte seine Ansprache fort und erklärte, unbemannte Sonden aus dem Sirius-System hätten einige Jahre lang die irdischen Funk- und Fernsehübertragungen aufgezeichnet, was die Visitors in die Lage versetzt habe, die lokalen Sprachen zu erlernen. Einer der von ihm benutzten Ausdrücke lautete: »Diese kleine Flotte.« Und das veranlaßte Denise dazu, Winston Weinberg einen verblüfften Blick zuzuwerfen. »Kleine Flotte?« wiederholte sie ungläubig. »Will der Typ uns auf den Arm nehmen?« Unterdessen setzte der Visitor seine Ansprache fort. »Unser Großer Denker, der unseren Planeten mit Güte und Klugheit regiert, hat uns ausgeschickt, damit wir Sie um Hilfe
bitten.« John zögerte kurz, und Denise kam zu dem Schluß, daß der Visitor ein nicht unerhebliches Rednertalent hatte. »Auf unserem Planeten gibt es ernste Umweltprobleme – weitaus ernstere als hier auf der Erde. Wir haben ein Stadium erreicht, in dem sich uns die Frage des unmittelbaren Überlebens stellt. Es gibt da einige chemische Verbindungen, die unsere Zivilisation dringend benötigt. Wir müssen sie herstellen. Sie können uns helfen. Und als Gegenleistung sind wir gern dazu bereit, die Früchte unserer Wissenschaft mit Ihnen zu teilen. Jetzt, da der eigentliche Kontakt hergestellt ist, würden wir uns freuen, mit den einzelnen Regierungen Verbindung aufzunehmen, damit wir sie um die Einrichtung und Montage bestimmter Verarbeitungsanlagen in einigen Teilen der Welt bitten können.« Denise war verwirrt. Himmel! fuhr es ihr durch den Sinn. Diese Besucher von einem anderen Planeten sind uns in technologischer Hinsicht ganz offensichtlich weit überlegen – und doch kämpfen sie um ihr Überleben? Was mag dann in den nächsten Jahrzehnten auf uns zukommen? John sprach noch immer, und es war fast, als erriete er die Überlegungen Denises. »…wollen wir Ihnen dabei helfen, Ihre ökologischen, landwirtschaftlichen und gesundheitlichen Probleme zu lösen. Anschließend verlassen wir Sie wieder, so wie wir gekommen sind – in Frieden.« Die Journalisten auf dem Dach – Kristine, Sam Egan, Michael Donovan, sein Tontechniker Tony Wah Chong Leonetti und eine alte Freundin Denises, Jeri Taylor – traten auf die Rampe zu, nachdem John den Generalsekretär und fünf Berichterstatter an Bord des Mutterschiffes eingeladen hatte. Sie gingen an Bord des Beibootes, und das Schott des weiß glänzenden Fahrzeuges schloß sich. Ebenso geräuschlos, wie es gekommen war, hob es ab. Denise beobachtete es, als es an Höhe gewann und der gewaltigen Masse des Mutterschiffes
entgegenglitt. Sie war versucht, den Zuschauern am Fernsehschirm einen Kommentar abzugeben, doch sie schwieg und ließ die Bilder für sich selbst sprechen.
4. KAPITEL Zeit für Feiern
Alison Stein nippte an einem Glas Weißwein und beobachtete den Majordomus Enrico Caldera, der an die Seite Bürgermeister O’Connors trat. Caldera war gut fünfzig Jahre alt und dicklich, aber er bewegte sich mit der für ihn typischen Eleganz. Sein Gebaren stand in einem auffallenden Kontrast zu dem O’Connors, der nun schallend über einen Witz lachte, den Alexander Garr gerade erzählt hatte. Der Majordomos schob sich unaufdringlich an den Bürgermeister heran und flüsterte diskret: »Ich glaube, die Ehrengäste treffen gerade ein.« Kurz darauf vernahm Alison ein sanftes Zischen von der Terrasse her, und als sie sich umdrehte, sah sie ein weißes Shuttle – es war kleiner als das Beiboot, das vor zwei Wochen auf dem Dach des Gebäudes der Vereinten Nationen gelandet war, wies aber die gleichen Punkt- und Balkensymbole auf, das gerade auf dem Rasen aufsetzte. Sie setzte sich in Richtung der Tür in Bewegung, als jemand rief: »He, seht nur!« Ein großer und kräftig gebauter Mann mit kantigem Gesicht, lockigem braunem Haar und grünen Augen kam über die Rampe, gefolgt von zwei weiblichen Visitors. Die erste Frau war klein und blond, mit zarten, wenn auch kühl wirkenden Gesichtszügen und glänzenden aquamarinfarbenen Augen. Die andere hingegen war größer und grobknochiger gebaut, hatte ein rundliches Gesicht, kastanienfarbenes Haar, Sommersprossen und nußbraune Augen. Der Bürgermeister erwartete die beiden außerirdischen Besucher und streckte die
Hand aus. »Ich bin Bürgermeister Daniel O’Connor, und ich heiße Sie willkommen. Ihre Anwesenheit ist uns eine Ehre.« Die Menge bildete einen Halbkreis um O’Connor, Alison und die Visitors, als die Fremden von den Sternen sowohl dem Bürgermeister als auch der Stadtratsvorsitzenden die Hand schüttelten. Alison war überrascht, als sie spürte, wie kühl die Haut der Visitors war. Es handelte sich nicht um eine klamme Kälte, und sie gelangte zu dem Schluß, daß die normale Körpertemperatur der Fremden erheblich geringer war als die von Menschen. »Wie ich sehe, konnte John nicht kommen«, sagte O’Connor. »Nein, Herr Bürgermeister«, erwiderte der männliche Visitor. »Er läßt sich entschuldigen. Sie werden sicher verstehen, daß er als Oberster Kommandant viele Pflichten hat. Ich heiße Roger, und dies ist meine Stellvertreterin, Angela.« Er deutete auch auf die junge Frau mit dem Pferdeschwanz. »Das ist mein Dritter Offizier, Jennifer.« Die anderen Gäste der Feierstunde wichen zur Seite und machten Olav Lindstrom und Lauren Stewart Platz. Es kam zu weiteren förmlichen Begrüßungen, und Alison war fasziniert von dem Kontrast zwischen den rötlichen Uniformen der Visitors und den dunklen Anzügen und Abendkleidern der anderen Anwesenden. O’Connor deutete in das Zimmer, in dem die Party stattfand. »Bitte, treten Sie ein. Viele Leute können es gar nicht abwarten, Sie kennenzulernen, und sicher haben Sie Appetit. Das Abendessen wird erst um halb neun serviert, aber die Tische biegen sich unter den vielen Snacks, und somit dürften wir es bis zur eigentlichen Mahlzeit aushalten.« »Vielen Dank«, entgegnete Roger höflich, »aber wir haben bereits gegessen, bevor wir uns auf den Weg hierher machten. Unsere Wissenschaftler sind noch nicht fertig mit den Analysen im Hinblick auf Ihre Flora und Fauna, und sie haben
uns geraten, keine Ihrer Speisen zu probieren, bis wir nicht sicher sind, daß wir sie auch vertragen können. Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, und ich bitte Sie um Verständnis dafür.« O’Connor nickte lächelnd. »Natürlich, selbstverständlich.« Im Anschluß daran trennten sich die drei Visitors, um mit den anwesenden Gästen zu sprechen, und sie gaben sich alle Mühe, niemanden von Rang und Namen zu übersehen – was bestimmt keine leichte Aufgabe war, da auf der Teilnehmerliste dieses Empfangs so gut wie alle Leute standen, die zur High Society New Yorks gehörten. »Sie verhalten sich fast so, als hätten sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht«, flüsterte O’Connor Alison zu, während er die Gäste beobachtete. »Sie machen sogar noch besser Konversation als ich.« Alison warf ihm einen kurzen Blick zu. »Und sie geben sich auch natürlicher.« O’Connor ignorierte den Seitenhieb. »Sie scheinen alles und jeden zu kennen. Wie ist das möglich?« »Nun, sie sagten doch, sie hätten Raumsonden ausgeschickt, die unsere planetare Kommunikation analysierten. Ich schätze, sie haben ihre Hausaufgaben mit aller Sorgfalt gemacht.« »Das ist keine Antwort auf meine Frage«, sagte O’Connor und wischte sich mit einem großen Leinentaschentuch die glänzende Stirn trocken. »Es muß dabei um mehr gehen als nur eine systematische Informationserfassung durch eine Untersuchung unserer Radio- und Fernsehsendungen. Sie wissen um Dinge Bescheid, von denen sie nur durch das Studium alter Zeitungsunterlagen oder das Ausquetschen von Leuten Kenntnis haben könnten.« »Das Ausquetschen von Leuten?« Alison musterte den Bürgermeister verwirrt. »Warum verwenden Sie eine so negativ klingende Ausdrucksweise? Vielleicht spricht das eher für die Visitors. Sie sind hier und werden eine Weile auf
diesem Planeten bleiben. Möglicherweise möchten sie die Dinge, die uns beschäftigen, besser verstehen.« »Aber warum, Ali, warum? Wir haben uns bereits damit einverstanden erklärt, ihnen zu helfen. Warum sind sie so daran interessiert, mit Prominenten Umgang zu pflegen? Mir fällt nur ein Grund ein…« Er unterbrach sich und runzelte die Stirn. »Und was für ein Grund ist das, o weiser und kluger Politiker?« »Wir sind heute abend ziemlich sarkastisch, wie?« O’Connor schürzte die Lippen. »Nun, ich will Ihnen reinen Wein einschenken, denn eines Tages müssen Sie sich ohnehin darüber klarwerden. Wenn man genug über bestimmte Leute weiß, kann man Schwächen finden, die einen in vielen Fällen in die Lage versetzen, die Betreffenden zu kontrollieren.« Alison trank ihr Glas in einem Zug leer. »Sie sind paranoid, Danny.« Sie sah sich in dem Saal um. »Und wenn ich an die Art und Weise denke, wie die meisten Leute auf die Visitors reagieren, würde ich an Ihrer Stelle meine unpopulären Ansichten für mich behalten.« Im Anschluß an diese Worte gesellte sie sich zu den anderen Gästen und gab dem Bürgermeister ausreichend Gelegenheit, über ihre Warnung nachzudenken.
»Das dort drüben auf der anderen Seite ist Pete Forsythe«, wandte sich George Stewart an seine Tochter. »Er scheint hierher unterwegs zu sein.« Lauren schnitt eine Grimasse. »Dann sollte ich wohl besser verschwinden.« »Zu spät – er hat uns bereits gesehen. Komm schon, Lauren, er ist einer meiner besten Studenten. Ich begreife nicht, was du an ihm auszusetzen hast.«
Lauren wollte zu einer Erwiderung ansetzen, schwieg aber, als Forsythe herankam. »Hallo, Doc!« Pete bedachte George mit einem schiefen Lächeln, und in seinen Augen beobachtete Lauren einen auffallenden Glanz. »Nett Sie zu sehen. Und ich freue mich auch…« Er zwinkerte verlegen, da ihm offenbar der Name Laurens entfallen war. »Sie erinnern sich sicher an meine Tochter Lauren«, sagte Dr. Stewart taktvoll. »Selbstverständlich. Wie könnte ich eine der attraktivsten Frauen New Yorks vergessen.« Lauren unterdrückte eine scharfe Erwiderung. »Nun, Pete, haben Sie schon mit den Visitors gesprochen?« fragte Dr. Stewart. »Nur kurz«, antwortete Forsythe, trank sein Glas Wein aus und sah sich nach einem Kellner um. »Sie sind uns so ähnlich, daß man nur den Kopf schütteln könnte, nicht wahr?« »Was meinen Sie damit?« fragte Lauren in einem herausfordernden Tonfall. Petes Verlegenheit verstärkte sich noch ein wenig. »Nun, äh, sie sind einfach allen Leuten gegenüber zu aufmerksam und zuvorkommend, und sie lächeln die ganze Zeit über. Das erinnert mich an einige Produzenten, die ich in Hollywood kennenlernte, als wir dort Werbestreifen drehten. Die Typen behandelten einen so, als sei man die wichtigste Person auf der ganzen Welt, und sie klebten einem geradezu an den Lippen. Kaum aber war man außer Hörweite, zogen die Mistkerle über einen her. Ja, sie logen einen an, ohne rot zu werden, und mit der gleichen Nonchalance zogen sie einen durch den Kakao, wie fast alle Politiker und verdammten Diplomaten.« Lauren versteifte sich, und in ihren dunklen Augen begann es zu glitzern. George warf rasch ein: »Sachte, Pete. Denken Sie daran, daß Lauren für die UN arbeitet.«
»Ach, ja.« Pete war so taktvoll, zu erröten. »Es tut mir leid. Ich meinte eben nicht die Leute von den Vereinten Nationen. Schließlich ist allgemein bekannt, daß sie sich alle Mühe geben, dafür zu sorgen, daß die Welt nicht aus den Fugen gerät. Schade nur, daß sie das Chaos manchmal noch vergrößern.« Lauren warf ihrem Vater einen Ich-habe-es-dir-ja-gesagtBlick zu, und George bedachte sie mit einem tröstenden Lächeln. Dann begann er plötzlich zu husten, so als habe er sich verschluckt, und Forsythe war so nett, ihm auf den Rücken zu klopfen. Stewart meinte, er wolle sich ein Glas Wasser holen, und er ging. Als Pete sich umdrehte, war von Lauren weit und breit nichts mehr zu sehen.
Alison Stein lehnte sich in dem Polstersessel in O’Connors Büro zurück – es lag direkt neben dem Partyzimmer – und zog sich seufzend die hochhackigen Schuhe aus. »Ziemlich anstrengender Abend, was, Ali?« ertönte hinter ihr die Stimme des Bürgermeisters. Er trug ein Tablett mit einer Tasse Kaffee, die die Stadtratsvorsitzende dankbar entgegennahm. »Ich bin wirklich froh, daß Sie diese Tumulte nur ein paarmal im Jahr veranstalten, Danny«, erwiderte Alison. »Ich hasse es, Abendkleider anzuziehen und Schmuck zu tragen.« Stille schloß sich an, und als Alison nach einer Weile aufsah, bemerkte sie, daß der Blick O’Connors auf das Feuer des Kamins gerichtet war. »Die Party lief recht gut«, sagte sie. »Es freut mich, daß Sie unseren Ehrengästen nun keine Skepsis mehr entgegenzubringen scheinen. Oder glauben Sie noch immer, die Visitors hätten es nur darauf abgesehen, Sie aus dem Amt zu drängen?«
O’Connor winkte jäh ab. »Unsinn, Ali. Ich bin nicht paranoid. Ich mache mir einfach Sorgen, und daran hat sich nichts geändert, im Gegenteil.« Er ließ sich auf die Armlehne des Sessels sinken, in dem Alison saß. »Sie waren so verdammt nett zu allen – und je wichtiger der Prominente, um so netter waren sie.« »Hätte es Ihnen denn besser gefallen, wenn Sie feindselig und beleidigend gewesen wären?« »Sie waren zu nett, Ali. Ich bin schon so lange im Geschäft, daß ich sofort merke, wenn etwas faul ist. Sie haben allen wichtigen Leuten Honig ums Maul geschmiert, sogar dem Kardinal! Sie haben keinen verdammten Trick ausgelassen. Ich habe sogar erlebt, wie Roger versuchte, Dan Rather einzuwickeln, und John machte dasselbe bei Chancellor.« »Was ist mit Denise Daltrey? Sie war doch auch da, oder?« »Ja. Und die Visitors haben es sich nicht nehmen lassen, ausführlich mit den Größen des New Yorker Fernsehens zu sprechen und ihnen Komplimente zu machen.« »Wollen Sie damit etwa sagen, Sie machen sich Sorgen, daß Chancellor, Rather und Daltrey durch ein kleines Schwätzchen beim Abendessen ihre Objektivität verlieren?« »Nein, aber vielleicht sind sie die einzigen^ die sich heute abend nicht den Kopf verdrehen ließen.« »Entschuldigen Sie, Herr Bürgermeister.« Angelas wohlakzentuierte Stimme hallte mit dem für die Visitors typischen dumpfen Vibrieren durch das Büro. O’Connor sprang mit einem Satz auf und drehte sich zu der in der Tür stehenden Frau um. Woher, zum Teufel, ist sie so plötzlich gekommen? fuhr es Alison durch den Sinn. Hat sie etwa die letzten Worte Dannys gehört? Mist! Sowohl der Bürgermeister als auch die Stadtratsvorsitzende wandten sich Angela zu, die sie freundlich anlächelte. »Es tut
mir leid, wenn ich Sie gestört haben sollte. Roger hat mich gebeten, Ihnen eine gute Nacht zu wünschen. Wir müssen jetzt zurückkehren, möchten Ihnen aber noch sagen, daß uns der Abend bei Ihnen sehr gefallen hat.« »Nun«, antwortete O’Connor und schüttelte ihr die Hand, »wir freuen uns, daß Sie sich die Zeit genommen haben, hierherzukommen.« Er sah auf die Uhr. »Meine Güte, es ist fast drei Uhr!« »Ja, und das heißt, es ist auch für uns recht spät. Es war uns eine Freude, mit den Gästen Ihres Empfangs zu sprechen. Und wir danken Ihnen sehr für die Unterstützung, die Sie uns in Hinsicht auf die Zusammenarbeit mit der Jugend Ihres Volkes zusagten. Wir können es gar nicht erwarten, mit diesem Projekt zu beginnen.« »Alison und ich stehen Ihnen zu Diensten, Angela. Gute Nacht.« »Gute Nacht, Herr Bürgermeister, Mrs. Stein.« Alison und O’Connor traten in die Tür und beobachteten, wie Angela sich Roger und Jennifer hinzugesellte. Die Visitors nickten den letzten Partygästen zu, dann gingen sie nach draußen.
Die drei Visitors schritten auf ihr Staffelshuttle zu. »Ich glaube, es ist ziemlich gut gelaufen«, sagte Roger. »Wir haben die Bekanntschaft vieler Leute gemacht, die wir für den erfolgreichen Abschluß dieser Mission brauchen.« »Aber es gibt auch einige Individuen, die sich als nicht ganz so kooperativ erwiesen wie zum Beispiel der CBS-Präsident«, erwiderte Angela leise. »Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Pete Forsythe nur deshalb zugegen war, weil man Druck auf ihn ausübte. Auch Bürgermeister O’Connor dürfte ein ernstes
Problem darstellen. Meiner Ansicht nach sollten wir versuchen, es so rasch wie möglich zu lösen.« Jennifer blieb stehen und sah sie an. »Meinen Sie nicht, daß solche Reaktionen unsererseits ein wenig übertrieben wären?« Das dumpfe Vibrieren in der Stimme der stellvertretenden Kommandantin verstärkte sich noch, als sie erwiderte: »Nichts darf die Erfordernisse unserer Mission behindern. Wenn gewisse Personen Hindernisse darzustellen beginnen, so müssen diese Hindernisse… aus dem Weg geräumt werden.«
5. KAPITEL Neue Freunde gewinnen – und alte verlieren
»Denise«, tönte die Stimme aus dem Ohrenempfänger. »Kamera zwei in fünf Sekunden – vier – drei – zwei – eins…« Das rote Licht glänzte auf, und Denise lächelte in die Linse. »Guten Morgen und herzlich willkommen zu unserem zweiten Teil der Morgennachrichten. Erneut bin ich hier ganz allein, denn unsere Korrespondenten sind überall auf der Erde unterwegs, um Ihnen Neuigkeiten über die Visitors zu berichten, die seit ihrer Ankunft die Schlagzeilen beherrschen. Vor vier Tagen kam es zu einem geschichtlichen Ereignis in den Beziehungen zwischen den Visitors und der Menschheit: Es begann die Arbeit in verschiedenen chemischen Betrieben rund um den Globus – eine Arbeit, die dazu bestimmt ist, die Anlagen umzustrukturieren, damit sie baldmöglichst mit der Produktion der für die Visitors lebenswichtigen Substanzen beginnen können.« Denise blickte auf den Monitor. »Wir halten diesen Zeitpunkt für geeignet, um Ihnen eine kurze Übersicht der Ereignisse während der vergangenen zweieinhalb Wochen zu geben, die in unserer bisherigen Geschichte einmalig waren.« Auf dem Monitor leuchtete eine Bildfolge auf, die die gewaltigen Schiffe der Visitors über den großen Städten der Erde zeigte, und es folgten die Aufnahmen des Videobandes Mike Donovans – Aufnahmen, die er während der Besichtigungstour durch das Mutterschiff über New York angefertigt hatte. »Am Tage nach der Ankunft der Fremden von den Sternen zeigten sie uns das Innere eines ihrer großen
Raumschiffe, wobei wir erstaunt feststellten, daß sich die Einrichtung gar nicht so sehr von denen unserer größten Flugzeuge unterscheidet – zumindest auf den ersten Blick betrachtet.« Auf dem Monitor folgte eine Serie von Bildfolgen, die blaugraue Wände, matt erhellte Hangars mit kleinen Beibooten und größeren Staffelshuttles und in rötliche Uniformen gekleidete Visitors zeigten, die ihren Arbeiten nachgingen. Die Darstellung auf dem Schirm flackerte kurz, und dann waren dort die vertrauten Züge Kristine Walshs zu sehen. Eine andere Frau saß neben ihr, eine irgendwie unnahbar wirkende Schönheit mit schwarzem Haar, deren wohlproportionierte Figur trotz des orangefarbenen Overalls auffiel. »Wir haben Diana kennengelernt«, fuhr Denise mit ihrer Zusammenfassung fort, »die Stellvertreterin des Obersten Kommandanten, die nach ihm den höchsten Rang in der ganzen Flotte einnimmt. Als Wissenschaftsoffizierin der Expedition hat sie das Kommando über das Mutterschiff von Los Angeles übernommen. Unsere eigenen Wissenschaftler sind sehr an dem Gravitationsantrieb interessiert, der, wie wir hörten, die Hälfte des Platzes an Bord beansprucht. Darüber hinaus weisen die Mutterschiffe enorm große Kühlräume auf, in denen später die auf der Erde hergestellten und von den Visitors so dringend benötigten chemischen Verbindungen gelagert werden sollen. Wir sind in dieser Hinsicht zwar nur auf Schätzungen angewiesen, aber wir haben Anlaß zur Vermutung, daß sich an Bord eines jeden Schiffes in der Flotte drei- bis fünftausend Visitors befinden.« Denise wandte sich von dem Monitor ab. »Gestern habe ich mit einem Kamerateam an der Eröffnung eines Chemiebetriebes hier in Brooklyn teilgenommen. Man führte uns durch die Anlage, und so sieht sie aus…«
Es folgten einige Aufnahmen, die große Visitor-Shuttles zeigten, die auf einem fußballgroßen und extra zu diesem Zweck angelegten Landeplatz niedergingen, und kurz darauf konnte Denise auf dem Monitor ihr eigenes Abbild beobachten. Sie sprach mit Roger, während im Hintergrund ein weißes Beiboot der Visitors nahezu geräuschlos gen Himmel stieg. »Roger«, fragte die Denise auf dem Bildschirm, »Sie überwachen die Arbeiten, die in diesem Betrieb noch heute begonnen werden. Waren Sie überrascht von dem Empfang, den Ihnen die hier in Brooklyn lebenden Bürger bereiteten?« »Überrascht? In welcher Hinsicht?« »Nun, in anderen Teilen des Landes sind Ihre Schiffe mit Kapellen und festlichen Begrüßungsveranstaltungen willkommen geheißen worden. Hier in Brooklyn aber fanden sich nur einige hundert Neugierige ein, und die Bevölkerung scheint eher reserviert zu sein – so als müßte sie sich erst noch darüber klarwerden, was sie von den Visitor-Aktivitäten in dieser Region halten soll.« Roger grinste jungenhaft. »Ah, jetzt verstehe ich, worauf Sie hinauswollen. Nein, Denise, das macht mir keine Sorgen. Man hat mich rechtzeitig genug darauf hingewiesen, daß die New Yorker recht stur sind – und ich meine das in einem positiven Sinne. Sie sind ehrlich und bilden eine geschlossene Gemeinschaft – und deshalb ist es nur natürlich, daß sie einer so großen Gruppe von… nun, Eindringlingen eher skeptisch gegenüberstehen.« Das Bild wechselte und zeigte einen älteren Mann auf einem Laufsteg. Er trug eine Baseballmütze und eine Windjacke. »Die Vorstellung der Einrichtung einer solchen Anlage ausgerechnet hier hat uns nicht sehr gefallen«, sagte der Mann, »aber inzwischen haben wir uns damit abgefunden. Nun, wer weiß schon, was die Visitors hier drin anstellen? Was ist, wenn
der Betrieb dieses Werkes die Luft oder das Meer verschmutzt? Immerhin ist das hier unser Strand, wissen Sie.« Erneut war das besorgte Gesicht Rogers zu sehen. »Sie können ganz sicher sein, daß wir nichts unternehmen werden, was eine Gefahr für die hier lebende Gemeinschaft bedeuten könnte. Tatsächlich sind unsere Verarbeitungsprozesse weitaus sicherer als die Produktionstechniken, die hier zuvor von Menschen angewandt wurden.« Denise lächelte. »Vielleicht könnten Sie uns während der Besichtigungstour Einzelheiten erklären«, schlug sie vor. Kurz darauf folgte die Kamera Denise und Roger durch das Werk, und die Reporterin setzte ihren Kommentar fort: »Leider fanden wir nicht viel über die Art der chemischen Produktion heraus. Selbst die uns begleitenden Fachleute konnten nur wenig von dem hochwissenschaftlichen Jargon verstehen, den die Techniker der Visitors benutzten.« Denise zögerte. »Aber das eigentliche Problem bestand nicht so sehr darin, die Antworten auf unsere Fragen zu verstehen, als vielmehr überhaupt Antworten zu bekommen. Auf viele unserer Fragen erhielten wir nur die Auskunft, wir bekämen irgendwann später ausführliches Informationsmaterial, und deshalb blieb uns nichts anderes übrig, als über die offensichtliche technologische und wissenschaftliche Überlegenheit der Visitors nachzudenken.« Einmal mehr wechselte das Bild und zeigte Denise allein vor dem Werk stehend. »Hier in Brooklyn herrscht ein gewisses Unbehagen bei den Bürgern, die einerseits keine Antworten auf ihre Fragen bekommen und andererseits nur abwarten können. Dieser Bericht stammt von Denise Daltrey.« Das Bild auf dem Monitor verblaßte, und Denise blickte wieder in die Kamera. »Wir melden uns gleich wieder.«
Das rote Licht ging aus, und aus dem Lautsprecher tönte die Stimme des Direktors: »Denise, der Präsident möchte Sie am Telefon sprechen.« »Der Präsident der Vereinigten Staaten?« hauchte sie. »Der der Gesellschaft.« Denise runzelte die Stirn und nahm den Hörer ab. »Ja, Sir? Ja, nach der Sendung bin ich frei. Und ich glaube, Mr. Weinberg ebenfalls.« Sie zögerte. »Ein Treffen? Nun, bis morgen haben wir noch einen Haufen Arbeit zu erledigen, und…« Sie zuckte zusammen und biß sich auf die Lippe. »Ja, Sir. Ja, wir werden kommen, Sir. Ganz bestimmt, Sir.« Langsam ließ sie den Hörer auf die Gabel zurücksinken. »Was war denn?« fragte Weinberg. »Er wollte wissen, warum wir auf den Visitors herumhacken und uns erdreisten könnten, einen so unfreundlichen und negativen Bericht über die Eröffnung des Werkes von Brooklyn abgefaßt zu haben. Er möchte wissen, was aus unserem Taktgefühl und dem Sinn für Prioritäten geworden sei. Er will sich unsere Köpfe auf einem silbernen Tablett servieren lassen, wenn wir uns nicht schleunigst zusammenreißen.« Weinberg strich sich beeindruckt den Oberlippenbart glatt und schüttelte den Kopf. »Dieser Mistkerl. Eine verdammte Buchhalterseele ist er, und er nimmt es sich heraus, uns zu sagen, wie wir Journalisten die Nachrichten gestalten sollen? Was erwartet er denn von uns? Friede, Freude, Eierkuchen – das Blabla, das uns diese Kristine Walsh liefert, seit sie zu der offiziellen Sprecherin der Visitors wurde? Himmelnocheins…!« Weinberg ballte die Faust, starrte sie dann groß an, drehte sich um und ließ die Schultern hängen. »Noch zehn Sekunden«, ertönte die Stimme des Direktors.
Angela marschierte vor dem Konferenztisch auf und ab, an dem Roger saß. Jennifer stand am Schott und beobachtete die stellvertretende Kommandantin mit ausdrucksloser Miene. »Wir können uns einfach keine weiteren Meldungen von der Art leisten, wie sie heute morgen Denise Daltrey in den Äther geschickt hat«, sagte Angela scharf. »Wir haben mit dieser verdammten Stadt bereits genügend Schwierigkeiten.« »Das stimmt«, bestätigte Roger leise. »Aber es sind schon einige entsprechende Schritte in die Wege geleitet worden. Diane hat sich gestern wie geplant mit Kristine Walsh in Verbindung gesetzt. Und außerdem hat der CBS-Präsident eingegriffen, ganz nach unseren Wünschen.« Der Kommandant wandte sich Jennifer zu. »Ich habe Sie hierher gebeten, um Sie zu fragen, wie es mit den Nachforschungen im Hinblick auf Denise Daltrey steht.« »Ich bin damit fertig, Kommandant«, erwiderte Jennifer. »Ich glaube, es wäre sinnlos, ihr die Position einer offiziellen Sprecherin anzubieten. Sie ist nicht so wie Kristine Walsh, und ich konnte keine Schwäche entdecken, die ausreichen würde, sie unter unsere Kontrolle zu bringen. Tatsächlich hielte ich es sogar für einen Fehler, ihr ein ähnliches Angebot wie Walsh zu machen. Nach meiner Analyse würde es bei Denise Daltrey nicht nur auf Ablehnung stoßen, sondern auch starken Argwohn in ihr wecken.« Roger nickte. »Na schön. Warten wir zunächst also ab, ob unsere guten Beziehungen zum CBS-Präsidenten ausreichen, um dieses Problem zu lösen. Direktere Aktionen können wir auch später noch erwägen.« Der Blick seiner grünen Augen richtete sich auf Angela. »Zufrieden?« »Ja, Kommandant«, erwiderte die Frau mit den blonden Haaren zurückhaltend. Jennifer bemerkte aber den durchdringenden Blick, den sie Roger zuwarf, als der sich von
ihr abwandte. Angela verstand es nicht sonderlich gut, ihre wahren Gefühle zu verbergen…
Denise saß allein in ihrem Büro und dachte noch immer über die Zusammenkunft mit dem Präsidenten der Gesellschaft nach. Dieser Mistkerl, dachte sie. Man könnte meinen, wir hätten ihn persönlich angegriffen. Was ist nur los mit ihm? Mit der einen Hand tastete sie über den Schreibtisch und berührte dabei einen Umschlag, auf dem in der charakteristischen Handschrift des Produzenten ihr Name geschrieben stand. »Ich gestehe es nur ungern ein«, las Denise, »aber die Ereignisse haben mir in einer Art und Weise recht gegeben, die mich selbst überrascht. Walsh wurde heute zur offiziellen Sprecherin der Visitors ernannt. Ich habe langsam das Gefühl, ein Hellseher zu sein – und jetzt wissen Sie auch, warum ich so gerne wette. Diesmal hätte ich darauf Geld setzen sollen. Dann hätte ich wenigstens etwas, das mich über Ärger und Abscheu hinwegtrösten könnte. Beste Grüße – Winnie.« Denise knüllte die Mitteilung zusammen und wollte sie in den Papierkorb werfen. Dann jedoch überlegte sie es sich anders und zerriß den Zettel in kleine Fetzen. Etwas geht hier vor, dachte sie. Und ich werde herausfinden, was es ist.
Joey Vitale genoß jeden einzelnen Augenblick, den er auf dem Spielfeld des Yankee-Stadions verbringen konnte. Es war zu seinem neuen Zuhause geworden und hatte ihm neue Freunde beschert – unter anderem Pete Forsythe, der ihm nicht nur gezeigt hatte, wie man gut spielte, sondern auch das Geld so anlegte, daß auch nach vielen Jahren noch etwas davon übrigblieb. Wenn er ihn darauf ansprach und ihm dafür danken
wollte, winkte Pete nur immer ab und meinte, in hundert Jahren würde sich ohnehin niemand mehr darum scheren. Joey begriff, daß sein Freund Pete ein wirklich netter Kerl war, aber nicht wollte, daß andere Leute es bemerkten. Joey Vitale stellte seinen Wagen auf dem überwachten Parkplatz vor dem Stadion ab und machte sich auf den Weg zum Clubhaus. Heute fand das erste Treffen der Gruppe statt, die man Sternenfreunde nannte und von Alexander Garr und Angela zusammengestellt worden war. Joey, Pete, Bobby Neal und einige andere in der Nähe wohnende Spieler wurden dazu erwartet. Der Sponsor des Teams hatte sich nun ganz diesem neuen Unternehmen verschrieben und war entschlossen, dafür zu sorgen, daß alles reibungslos lief. Rund zweihundert Kinder und Jugendliche hatten sich am Rande des Spielfeldes eingefunden. Garr trug einen dunkelblauen Yankee-Trainingsanzug, er griff nach einem Mikrofon und hielt eine seiner Ansprachen. Er erklärte die grundlegenden Regeln und meinte, es käme in erster Linie auf richtiges Betragen und ordentliche Manieren an. Er fügte hinzu, jeder könne mit den Visitors sprechen und sich die Staffelshuttles ansehen. »Außerdem hat Angela versprochen«, fuhr Garr fort, »daß, falls ihr euch alle ordentlich benehmt – und ich möchte dieses falls besonders betonen –, ihr in einzelne Gruppen aufgeteilt werdet, die dann einen Rundflug mit den Beibooten und eine Besichtigungstour durch das Mutterschiff machen können.« Die Kinder und Jugendlichen jubelten lärmend, bis schließlich eine Stimme den Tumult übertönte: »Seht nur! Da kommen sie!« Garr war offenbar ebenso aufgeregt wie die jungen Leute, als sich vier große Staffelshuttles dem Stadionrund näherten und leicht wie Federn auf dem Gras aufsetzten.
Es ging tatsächlich alles erstaunlich glatt. Man teilte die Kinder und Jugendlichen in einzelne Gruppen auf, wobei jeder ein Yankee-Spieler als ›Lokführer‹ zugeteilt wurde. An Bord eines jeden Beibootes befand sich rund ein Dutzend Visitors, mehr als genug, um die Fragen der Jungen und Mädchen zu beantworten. Jeweils einer der Gäste von den Sternen blieb neben den Shuttles stehen und beobachtete die Geschehnisse wachsam. »Hoffentlich weiß Garr, was für ein Risiko er eingeht«, flüsterte Pete Joey zu und beobachtete die Meute. »Einige der Typen, die er hierherkommen ließ, wären vermutlich imstande, die Beiboote Stück für Stück auseinanderzunehmen und als Souvenir nach Hause zu bringen, wenn er sie ein paar Sekunden aus den Augen läßt.« Joey lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie«, erklang hinter ihnen eine sanfte und vibrierende Stimme – die Stimme eines Visitors. Joey wandte sich um und sah eine hochgewachsene und schlanke junge Frau mit dunkelbraunem Haar, das ihr in langen Wellen auf die Schultern fiel. Über ihren graublauen Augen sah er die längsten und hübschesten Wimpern, die sich jemals seinem Blick dargeboten hatten. »Ich glaube, du kannst deine Marianne vergessen«, hauchte Pete ihm zu und trat dann fort, um sich einer der Gruppen anzuschließen. Die Frau von den Sternen sah Joey noch immer an, und er errötete verlegen. »Ich… äh…« Er kam sich wie ein Idiot vor. »Mein Name ist Lisa«, sagte die Frau. Nach einigen Sekunden begriff Joey, daß er sie einfach nur groß anstarrte. Fast alle Visitors zeichneten sich durch ein recht attraktives Äußeres aus. Lisa jedoch… Joey hielt sie für die Verkörperung der Schönheit an sich. Ihr orangefarbener Overall saß so eng, daß er alle Kurven ihres Körpers offenbarte
und Joey dazu veranlaßte, sie sich in einem Tanga vorzustellen. Er schluckte und versuchte, sich irgendeine taktvolle Bemerkung einfallen zu lassen. »Wie lautet der Ihre?« fragte Lisa. »Meiner?« fragte Joey verwirrt, und er gab sich alle Mühe, den Nebel der Benommenheit zu lichten. »Äh, mein Name? Ich… äh… ich heiße Joey. Joey Vitale.« In ihrem Gesicht zeigte sich keine Reaktion. Sie lächelte nur und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Sie kennen mich nicht?« Lisa schüttelte den Kopf und wirkte verlegen. »Es tut mir leid, nein. Sollte ich?« »Nun, äh, eigentlich kann ich das nicht erwarten. Es ist nur so, daß… Sie scheinen sonst immer alles über uns und auch das Stadion zu wissen. Aber vermutlich können Sie nicht die Namen aller Baseballspieler im Kopf behalten.« »Sie spielen… Baseball?« Das letzte Worte formulierte Lisa mit großer Sorgfalt. »Handelt es sich dabei um ein Musikinstrument?« Joey lachte, und Lisa errötete. »Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht auslachen. Nein, Baseball ist Sport. Eine… körperliche Aktivität. Hat man Ihnen denn nicht gesagt, wozu das YankeeStadion dient?« »Ich fürchte, ich habe die entsprechenden Informationen nicht bekommen. Ich war mit einigen Forschungsarbeiten für Jennifer beschäftigt. Doch ich weiß, was Sport ist. Es geht dabei um Spiele zwischen zwei Mannschaften, nicht wahr?« »Ja. Und hier spielen wir Baseball.« »Was machen Sie sonst noch?« fragte Lisa. »Sonst noch?« Joey hatte noch immer Mühe, wieder richtig zu sich zu finden. »Ja. Ich meine, Sie haben doch sicher eine Arbeit, mit der Sie sich den… Lebensunterhalt verdienen.«
»Oh, Baseball ist meine Arbeit. Ich werde dafür bezahlt.« Lisa sah ihn groß an. »Man bezahlt Sie dafür, zu spielen?« Joey lachte leise. »Genau. Manchmal fällt es mir selbst schwer, das zu glauben – daß man mich für etwas bezahlt, das ich besonders gern mache.« Er fand es sehr erfrischend, sich mit jemandem zu unterhalten, der noch nie etwas von Baseball gehört hatte – mit jemandem, der keine Ahnung davon hatte, daß er fast eine Million Dollar pro Saison verdiente. »Äh, wollten Sie mich etwas Bestimmtes fragen?« »Nein. Ich verspürte nur den Wunsch, mit Ihnen zu sprechen. Diese Zusammenkünfte hier haben ja gerade den Zweck, Ihr und mein Volk einander näherzubringen, und außerdem bin ich sehr an Ihrer Kultur interessiert.« Sie senkte kurz den Blick. »Darüber hinaus erschienen Sie mir recht nett.« Joey lächelte breit. »Nun, ich freue mich, daß Sie mich angesprochen haben. Ich finde es toll, daß wir hier Gelegenheit haben, einander besser kennenzulernen.« Er berührte sie am Arm und führte sie in jenen Teil des Stadions, in dem sich die Monumente und Plaketten mit den Namen berühmter Baseballspieler befanden. »Kommen Sie, Lisa. Ich möchte Ihnen noch mehr über Baseball erzählen.« »Das würde mich sehr freuen«, erklärte Lisa.
»Und ich dachte, das New York Hospital Cornell University Medical Center könnte niemals tiefer sinken als damals, als es den Schah von Persien aufnahm«, entfuhr es Dr. Mary Chu, als sie, einem kleinen und schwarzhaarigen Tornado gleich, ins Büro George Stewarts stürmte. »Der Mann war krank«, erwiderte George sanft. »Warum regen Sie sich so auf, Mary?« »Ich komme gerade von der sogenannten Einführung, die von diesen komischen Visitors veranstaltet wurde. Sie erzählten
uns, worum es bei den von ihnen veranstalteten Seminaren gehen wird: fortgeschrittenen wissenschaftlichen Erkenntnissen und hochtechnologischen Errungenschaften und ähnlichem Unfug. Und dann die Art und Weise, wie sie die entsprechenden Informationen übermitteln! Himmel noch eins, George, ich habe Medizinstudenten im ersten Studienjahr erlebt, die bessere Vorlesungen ausgearbeitet haben. Wen wollen diese Typen eigentlich zum Narren halten?« Die Ärztin ließ sich einfach in einen Sessel fallen, und in ihren Augen blitzte es. Stewart faltete die Hände auf dem Schreibtisch und dachte über die Worte seiner Kollegin nach. »Was wollen Sie damit sagen, Mary? Glauben Sie, die Visitors hätten gar nicht die Absicht, ihr Wissen mit uns zu teilen?« »Es geht nicht darum, was ich sagen will, George«, erwiderte Dr. Chu. »Stellen Sie sich den Tatsachen, mein Lieber. Sie haben die Vorlesungen zweimal verschoben, und als sie sie denn endlich hielten, blieben sie völlig unverständlich.« Sie zögerte kurz. »Da ist noch etwas anderes.« George Stewart kannte die Impulsivität Marys, und er kniff die’ Augen zusammen und beugte sich vor. »Ja?« »Ich habe die Visitors heute gewissermaßen als wissenschaftliche Forschungsobjekte benutzt. Als ich einem von ihnen die Hand schüttelte, bohrte sich ihm – ganz zufällig natürlich – einer meiner Fingernägel in die Haut. Ich habe mich natürlich sofort bei ihm für meine Ungeschicklichkeit und so weiter entschuldigt, aber seltsam war, daß er von der ganzen Sache überhaupt nichts bemerkt zu haben schien! Sie an seiner Stelle hätten vermutlich laut aufgeschrien, doch dieser Kerl von den Sternen blinzelte nicht mal. Noch ein anderer Punkt: Die Visitors haben offenbar eine erstaunlich niedrige Körpertemperatur. Sie dürfte fünf bis zehn Grad unter der unsrigen liegen.«
»Und dann?« »Ich habe nichts anderes berührt und sofort mein Laboratorium aufgesucht. Meine Vermutung bestätigte sich: Unter dreien meiner Fingernägel befanden sich kleine Hautfetzen des Visitors, und ich bereitete sie für eine Analyse vor.« George seufzte. »Und was beabsichtigen Sie jetzt?« »Ich möchte, daß Sie mich in mein Labor begleiten und zusammen mit mir die Analyse durchführen. Ich habe so das Gefühl, daß eine große Entdeckung bevorsteht.« Stewart warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. »Mist! Mary, ich würde Ihr Angebot wirklich gern annehmen, denn Sie haben mich neugierig gemacht, aber ich muß in zwei Minuten unten sein. Und anschließend werde ich von einigen Patienten in meiner Praxis zu Hause erwartet.« Mary nickte. »Ich verstehe. Dann werde ich eben ohne Sie anfangen.« »Informieren Sie mich bitte über das Ergebnis der Analyse«, sagte George. »Bis gegen vier können Sie mich hier erreichen, dann zu Hause.«
Es war schon dunkel draußen, als der letzte Patient Stewarts Praxis verließ. George nahm noch einige Einträge in die Unterlagen vor, verabschiedete dann seine Sekretärin und schloß die Tür des im Erdgeschoß gelegenen Büros. Als er die Treppe in Richtung des Wohnzimmers hochstieg, fühlte er sich völlig erschöpft – etwas, was in letzter Zeit immer häufiger geschah. Vielleicht, so dachte er, hatte Lauren recht. Vielleicht sollte er wirklich kurztreten. Auf halbem Wege die Treppe hinauf klingelte das Telefon. Er beeilte sich, und als er den Apparat erreichte, hatte es
bereits zum sechsten Mal geläutet, und er war ganz außer Puste. »Ich bin’s, George«, meldete sich Mary. »Könnten Sie sofort zu mir kommen?« Die Müdigkeit schien sich noch weiter in dem Leib Stewarts auszubreiten, als er sich vorstellte, das Haus zu verlassen und erneut durch die Straßen zu fahren. In seinem Nacken begann ein dumpfer Kopfschmerz zu pochen. »Geht es um die Analyse?« fragte er. »Kann sie nicht bis morgen warten, Mary? Ich bin völlig erledigt.« »George.« Marys Stimme klang todernst. »Ich bin hier auf eine Riesensache gestoßen. Und sie kann nicht warten.« »Was, zum Teufel, haben Sie denn entdeckt?« »Das kann ich am Telefon nicht sagen.« Und düster fügte sie hinzu: »Ich werde jetzt die Tür abschließen und erst wieder aufmachen, wenn Sie eintreffen.« Sie meinte es offenbar ernst. »Na schön«, entgegnete George. »Ich mache mich sofort auf den Weg.« »Beeilen Sie sich, George. Bis gleich.«
Das Taxi hielt vor der Zufahrt des Krankenhauses, und Stewart stieg aus. Die Luft schien hier in der Nähe des East River kühler zu sein, und George fragte sich, ob dies der Grund für sein Frösteln war – oder vielleicht die Erinnerung an die überaus ernsten Worte Mary Chus. Rasch brachte er die Zufahrt hinter sich und betrat das Gebäude. Mit langen Schritten durchmaß er die Korridore, während sich seine dunklen Ahnungen immer mehr verdichteten. Im letzten Gang sah er schon von weitem, daß die Tür des Laboratoriums Mary Chus offenstand. George versuchte sich einzureden, daß sie ihn kommen gehört und daraufhin
aufgemacht hatte, und mit gedämpfter Stimme rief er: »Mary? Ich bin’s, George.« Er zögerte, trat dann auf die Schwelle der Tür und verharrte. Marys teures Mikroskop lag auf dem Boden, und die schwarzen Okulare ragten wie die Beine eines toten Tieres in die Höhe. Plötzlich begriff George Stewart, was geschehen war, und in seiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen. Er achtete darauf, die Tür nicht zu berühren; er betrachtete sie eingehend, konnte jedoch keine Anzeichen dafür entdecken, daß sie aufgebrochen worden war. Wenn dieser Einbruch in irgendeinem Zusammenhang mit den Hautproben des Visitors stand – und eigentlich zweifelte George nicht mehr daran –, so sollte er nach den Notizen und Aufzeichnungen Marys Ausschau halten. War erst die Polizei eingetroffen, so erlaubte sie ihm bestimmt nicht, irgendwelche Unterlagen an sich zu bringen. Mit aller Vorsicht untersuchte er das Chaos auf dem Boden. Nach fünfzehn Minuten mußte er sich der Einsicht stellen, daß die Notizen der Analyse Marys ebenso unauffindbar verschwunden waren wie die Frau selbst. Stewarts Hände zitterten, als er nach dem Telefon griff, um die Sicherheitsabteilung zu benachrichtigen.
In der Morgenzeitung fand der Einbruch keine Erwähnung, nicht einmal als kleine Notiz auf der letzten Seite – und das, obwohl Mary Chu eine der prominentesten Ärztinnen New Yorks war. Von seinem Büro im Hospital aus setzte sich George erneut mit der Sicherheitsabteilung in Verbindung. »Ich möchte Mr. Kolker sprechen.« Er nippte an seinem Kaffee. »Ja, ich warte.«
George hatte die Tasse halb ausgetrunken, als sich am anderen Ende der Leitung eine Stimme mit deutlichem Brooklyn-Akzent meldete. »Ja, Mr. Kolker, hier spricht Dr. George Stewart. Ich war derjenige, der gestern abend den Einbruch in das Laboratorium Doktor Mary Chus meldete und auch das Verschwinden der Ärztin selbst anzeigte. Was haben Ihre bisherigen Ermittlungen ergeben?« »Nicht viel, Doktor Stewart«, antwortete Kolker. »Wir können nicht einmal sicher sein, daß sich Dr. Chu am vergangenen Abend in ihrem Labor aufhielt.« »Wie bitte?« erwiderte George verwirrt. »Ich kann bestätigen, daß sie dort noch zu später Stunde tätig war. Sie rief mich von ihrem Laboratorium aus an und bat mich, zu ihr zu kommen. Das war gegen 19:30 Uhr. Ich traf etwa gegen acht ein und stellte fest, daß jemand das Laboratorium verwüstet hatte. Das alles habe ich gestern abend bereits Ihrem Mitarbeiter erklärt. Ich glaube, sein Name war Myers.« »Ja, ich habe seinen Bericht vorliegen. Das alles ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß Dr. Chu zum letztenmal gesehen wurde, als sie gegen halb sechs ging, um sich, wie sie meinte, ein Sandwich zu besorgen. Vielleicht irren Sie sich, Dr. Stewart – vielleicht hat sie sich von zu Hause aus mit Ihnen in Verbindung gesetzt.« »Ich habe dort angerufen. Mehrmals die ganze Nacht über. Heute morgen bin ich zu ihrer Wohnung gefahren, und die Post befand sich noch im Briefkasten. Sie ist also nicht zu Hause gewesen.« »Nun, Doktor, ich weiß wirklich nicht, was ich Ihnen sagen soll. Wir sind nur eine interne Sicherheitsabteilung. Alles, was wir in dem Laboratorium vorfanden, war ein ziemliches Durcheinander. Himmel, ich habe schon Labors gesehen, die von einem plötzlichen Windstoß in größere Unordnung versetzt worden sind.«
»Und was ist mit dem Mikroskop?« fragte George mit gepreßt klingender Stimme. »Niemand wirft ein Gerät von solchem Wert einfach zu Boden.« »Ja, das ist in der Tat sonderbar. Aber ich bin kein Sherlock Holmes. Wir haben den Vorfall der Polizei gemeldet. Die kümmert sich jetzt darum.« »Na schön; dann weiß ich wenigstens, an wen ich mich wenden kann.« Stewart legte auf, überlegte kurz und erkundigte sich dann nach der Nummer der New York Times.
6. KAPITEL Ein netter Leckerbissen
Pete Forsythe bedauerte es immer mehr, sich dem Druck Alexander Garrs gebeugt und sich damit einverstanden erklärt zu haben, bei der Leitung der SternenfreundeZusammenkünfte zu helfen. Er konnte sich bessere Möglichkeiten vorstellen, einen Freitagabend zu verbringen, und er kannte angenehmere Orte als diese große und zugige Halle in der unmittelbaren Nachbarschaft Manhattans. Die ganze Sache gefiel ihm überhaupt nicht. Die Visitors führten mit den Kindern und Jugendlichen Kampfübungen und ein Zielschießen mit Lasergewehren und Strahlenpistolen durch. Er glaubte, einen Widerspruch zwischen den Behauptungen der Fremden von den Sternen und ihrer derzeitigen Verhaltensweise zu erkennen. Was hatte es mit ihrer Friedensmission auf sich? Die Ankunft der Visitors lag kaum einen Monat zurück, und damals war keiner ihrer Techniker bewaffnet gewesen. Jetzt jedoch sah man kaum noch eine der in orangefarbene Overalls gekleideten Gestalten, die keine Seitenwaffe trug, und sie stellten sie mit der gleichen Selbstsicherheit zur Schau wie die Polizeibeamten New Yorks. Die Halle war etwa so groß wie ein Flugzeughangar. Am anderen Ende spielten zehn Jungen eine Version von Basketball, die gewalttätiger war als manche Auseinandersetzung zwischen Stadtgangs. Pete hatte es für erforderlich gehalten, um seiner eigenen Gesundheit willen auf einigen grundlegenden Regeln zu bestehen. Doch solange die Burschen nicht unmittelbar übereinander herfielen und
vielleicht sogar Messer zum Einsatz brachten, beschränkte er sich auf die Rolle eines Beobachters. Er sah sich um und bemerkte, daß Joey, der sich zuvor in der Nähe der gegenüberliegenden Wand mit Lisa unterhalten hatte, verschwunden war. Ein weiteres Mal rieb sich Forsythe den Nacken und spürte, wie das Verlangen nach einem Drink immer stärker in ihm wurde. Er schüttelte den Kopf, schob sich zwei Aspirin in den Mund und schluckte sie, ohne nachzuspülen. Dann wanderte er am Rande des Spielbereiches entlang und beobachtete das Durcheinander.
Als Pete Forsythe nach einer Weile in Richtung des Basketballfeldes zurückkehrte, machte er die Feststellung, daß dort nicht mehr zehn Spieler zugegen waren, sondern nur noch sechs. Die fehlenden Jungen waren Rico, Michael, Stroke und Julio – alles Angehörige der gleichen Gang aus SpanishHarlem. Pete eilte auf die Tür zu, riß sie auf und sah zwei Gestalten, die aneinandergeschmiegt auf der Treppe standen. »Verdammt, Joey, ich brauche deine Hilfe«, sagte er hastig. »Julio und seine Jungs haben sich dünnegemacht, und ich muß sie finden. Kümmer du dich um die anderen.« Vitale bedachte ihn mit einem verlegenen Blick, als er zusammen mit Lisa in die Halle zurückkehrte, und er meinte kleinlaut: »Ich glaube, ich hätte dir Bescheid geben sollen, als wir nach draußen gingen.« Pete achtete gar nicht auf diese Worte und lief am Rande der Halle entlang. Er horchte nach den Stimmen der verschwundenen Jungen, aber Dutzende von Radios lärmten und schufen eine ohrenbetäubende Kakophonie. Er nahm sich einen Korridor nach dem anderen vor. Hier bestanden die Wände aus nacktem Beton, und an einigen standen Metallschränke und Spinde, von denen ein schwacher Geruch
nach Schweiß und Zigarettenrauch ausging. Forsythes Blick fiel auf die verschlossenen Türen, hinter denen Vorräte für die Nationalgarde lagerten. Wenn die verdammten Kerle da eingebrochen sind und sich einige der Waffen besorgt haben, zieht mir Alex das Fell über die Ohren, dachte er. In einem dunklen Gang hörte er schließlich leises Kichern, und er nahm den aromatischen Duft von Haschisch und Marihuana wahr. Auf leisen Sohlen schlich Forsythe in die Richtung, aus der das Kichern kam, und mit der einen Hand tastete er auf der Suche nach einem Lichtschalter über die Wand. Ein lautes Rülpsen ertönte, woran sich erneutes leises Lachen anschloß, und dann hörte Pete das Zischen, mit dem der Verschluß einer Bierdose aufgerissen wurde. Er fand den Lichtschalter, und plötzlich wurde es hell. »Die Party ist vorbei«, sagte Forsythe, und sein Blick fiel auf die vier Jungen, die an der einen Wand des Korridors hockten. Auf dem Boden, mit dem Gesicht nach unten, lag eine fünfte Gestalt, gekleidet in eine orangefarbene Uniform. »Was habt ihr mit ihm gemacht?« »Er ist betrunken«, kicherte Rico. »Er hat drei Dosen getrunken, und mehr konnte er offenbar nicht vertragen. Mensch, meine neun Jahre alte Schwester ist standfester als der Typ hier.« »Wirklich nett von ihm, sich solche Mühe zu geben, gute Beziehungen zu euch aufzubauen«, sagte Pete und schüttelte den Kopf. Er versuchte, Mitleid mit dem Visitor zu empfinden, doch beim Anblick der unter dem Bewußtlosen hervorragenden Laserwaffe schauderte er unwillkürlich. »Diesmal habt ihr Glück«, sagte Forsythe langsam und zornig. »Diesmal lasse ich euch noch einmal so davonkommen. Aber beim nächstenmal geht’s euch an den Kragen, das verspreche ich euch.« Er streckte die Hand aus. »Her mit den Sachen.«
Sie gaben ihm ihre kleinen Beutel, und er war erleichtert festzustellen, daß sie keine harten Drogen dabeihatten. »Und jetzt verschwindet. Ich kümmere mich um den Typ hier.« Julio und seine Freunde machten sich rasch auf und davon und schlossen sich den anderen an, die nun die Übungshalle verließen. Daraufhin wandte sich Forsythe wieder dem betrunkenen Visitor zu und dachte daran, Joey zu Hilfe zu rufen, um den Mann fortzutragen. In diesem Augenblick aber bewegte sich der Visitor, und auf allen vieren kroch er an der Wand entlang. Vielleicht übergibt er sich, dachte Forsythe. Und ich muß dann nachher alles saubermachen. Er blieb einige Meter entfernt stehen – und dann hörte er das Geräusch. Es war ein dumpfes Zischen, wie es Pete noch von keinem Menschen oder Tier, das er kannte, vernommen hatte. Forsythe beobachtete den Visitor, der nach wie vor auf allen vieren umherkroch – und im gleichen Augenblick sah er eine große und graubraune Ratte dahinhuschen. Von einer Sekunde zur anderen bewegte sich der Fremde von den Sternen so schnell, daß er kaum mehr war als ein konturloser Fleck. Im einen Augenblick krabbelte er noch betrunken über den Boden, und im nächsten hielt er die Ratte in der Hand und grinste zufrieden. Ungläubig riß Pete die Augen auf, als der Alien das piepsende und sich hin und her windende Tier hochhob. Die Ratte erstarrte vor Entsetzen, als der Visitor den Mund weit öffnete – sie sah etwas Langes und Dünnes, das sich darin hin und her wand, und er glaubte, an den Kiefern jeweils zwei Zahnreihen zu erkennen. Immer größer wurde der Mund, viel größer und weiter als der eines Menschen. Mit der einen Hand stopfte sich der Visitor die Ratte in den unnatürlich großen Mund – und schluckte sie in einem Stück!
Am Hals zeigte sich eine deutlich sichtbare Auswölbung, und hinter der Haut waren die Zuckungen der Ratte zu sehen, als der Visitor sie in Richtung des Magens würgte. Oh, mein Gott. Irgendwie schaffte es Pete, sich lautlos und unbemerkt zurückzuschleichen. Aus irgendeinem Grund zweifelte er nicht daran, daß der Visitor ihn auf der Stelle töten würde, wenn er erfuhr, daß er, Peter, ihn beobachtet hatte. Die Aliens hatten sich große Mühe gegeben, so menschlich wie nur möglich zu erscheinen, und sie mochten zu allem bereit sein, um ihr Geheimnis zu wahren. Forsythe schwitzte und zitterte, als er in die Übungshalle zurückkehrte und dort nach Joey Ausschau hielt.
7. KAPITEL Gespräche im Park
»Das kann ich einfach nicht glauben!« entfuhr es Lauren Stewart in ihrem Büro im UN-Gebäude. Vor ihr lag die New York Times ausgebreitet. Mit einem zornigen Ruck faltete sie die Zeitung zusammen, griff nach dem Telefon und wählte die Nummer ihres Vaters. »Dr. Stewart hier«, meldete sich George. »Dad, hier spricht Lauren. Hast du die Times schon gelesen?« Ihr Vater seufzte. »Meinst du den Artikel über das Verschwinden Marys? Hier im Krankenhaus gibt es kein anderes Gesprächsthema.« »In dem Artikel heißt es, die Polizei sei ›recht sicher‹, daß Mary gar nichts zugestoßen ist. Man vermutet, sie habe die Stadt verlassen und vor irgendwelchen Problemen die Flucht ergriffen. Wie können sie so etwas behaupten? Man brach in ihr Laboratorium ein, und seitdem hat sie niemand mehr gesehen. Was soll das denn alles bedeuten? Wer kann denn nur so dumm sein anzunehmen, sie habe sich mit irgendeinem Typen nach Tahiti abgesetzt?« »Ach, Schatz, ich halte ebenso wenig davon wie du«, antwortete George, und seine Stimme klang müde und abgespannt. Lauren kannte ihren Vater zu gut, um einen bestimmten Unterton in den Worten Georges zu überhören. »Dad? Weißt du mehr von dieser Sache? Ist alles in Ordnung mit dir?« »Ich… ich möchte nicht darüber sprechen – zumindest nicht am Telefon. Hast du zu tun?«
»Nun…« Lauren warf einen kurzen Blick auf den Aktenstapel im Eingangsfach und zuckte mit den Schultern. »Es ist jetzt fast elf – ich hätte nichts gegen ein frühes Mittagessen einzuwenden. Sollen wir uns treffen?« »Ja. Komm in mein Krankenhausbüro. Hier draußen ist es ganz nett.« »In Ordnung. Ich bin gleich da.« Sie machte sich sofort auf den Weg, und als sie ihren Vater vor dem Krankenhaus auf sie warten sah, wußte sie sofort, daß irgend etwas nicht stimmte. Sie eilte auf ihn zu und beobachtete die Falten in seinen Augenwinkeln, die sich in der letzten Zeit noch tiefer in die Haut gegraben hatten. Und im Verlaufe nur einer Woche schien sein Haar noch grauer geworden zu sein. »Hallo, Dad«, begrüßte sie ihn und gab ihm einen Kuß. »Hey, Schatz. Wie wär’s mit einem Spaziergang?« Er nahm sie am Arm, und sie wanderten in Richtung einer Parkbank. »Was ist mit Mary geschehen, Dad?« fragte Lauren nach einer Weile. »War sie an einer Sache beteiligt, von der sie besser die Finger hätte lassen sollen?« »Das kommt ganz auf den jeweiligen Standpunkt an.« »Was soll das denn heißen?« »Wenn du fragst, ob sie an etwas beteiligt war, was wir Menschen als illegal oder unmoralisch erachten, so muß ich deine Frage mit ›nein‹ beantworten. Du kennst Mary seit deiner Collegezeit. Was hältst du von ihr?« Lauren zuckte mit den Schultern, und ihre dunklen Augen blickten besorgt. »Du weißt doch, wie sehr ich sie schätze. Die Vorstellung, sie könne sich eines kriminellen Delikts schuldig gemacht haben, ist einfach lächerlich.« »Dann sind wir ja einer Meinung.«
»Worauf willst du hinaus? Gibt es jemanden, der diese Einschätzung nicht teilt?« George bedachte seine Tochter mit einem durchdringenden Blick. »Ich fürchte ja. Einerseits möchte ich dir gern alles erklären, aber andererseits habe ich Angst…« »Angst wovor?« »Ich weiß, wie eng du in der letzten Zeit mit ihnen zusammengearbeitet hast…« »Du meinst die Visitors? Glaubst du etwa, sie hätten etwas mit dem Verschwinden Marys zu tun? Daddy…« Sie starrte ihn groß und auch ein wenig hilflos an und schüttelte den Kopf. »Darüber hinaus fürchte ich, du könntest selbst in Gefahr geraten, wenn ich dir sage, was ich weiß.« »Nimmst du denn an, daß du in Gefahr bist?« Bei der Vorstellung, daß ihrem Vater etwas zustoßen, er vielleicht auf ebenso geheimnisvolle Weise verschwinden könnte wie Mary, lief es Lauren kalt über den Rücken. »Dad, wenn da wirklich etwas dran sein sollte, so mußt du mir sofort alles sagen.« George blickte sie eine ganze Zeitlang schweigend an und nickte dann langsam. »Na schön.« Mit knapp formulierten Sätzen berichtete er von den Hautproben, die Mary hatte untersuchen wollen, auch von ihrem Anruf und der Tatsache, daß sie die Tür hatte verriegeln und erst bei seiner, Stewarts, Ankunft wieder öffnen wollen. »Du warst es also, der das alles an die Times weitergab?« fragte Lauren. »Ja, die ganze Geschichte. Aber du hast ja gelesen, was schließlich abgedruckt wurde. Irgend jemand hatte ein Interesse daran, die Wahrheit nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Und ich fürchte, daß dieser Unbekannte herausfinden könnte, daß ich Bescheid weiß. Aus diesem Grund wollte ich dir am Telefon nichts sagen.«
»Ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll«, erwiderte Lauren wie benommen. »Es kommt noch schlimmer. Seit den drei Tagen, die Mary nun schon verschwunden ist, habe ich einige sehr diskrete Nachforschungen angestellt – ich bin dabei außerordentlich vorsichtig vorgegangen, das kann ich dir versichern –, und dabei stellte sich heraus, daß Mary Chu nicht die einzige ist, die sich offenbar einfach in Luft auflöste. Einer meiner Kollegen, der sich letztes Jahr nach Florida zurückzog, um dort als Berater bei einem Forschungsprojekt tätig zu werden, ging eines Abends und kam nie wieder. Und es gibt noch zwei weitere Wissenschaftler, auf die das zutrifft – der eine verschwand in Kansas, der andere in Kanada. Was auch immer hier in New York geschieht – die Ereignisse sind nicht auf diese Stadt beschränkt.« »Himmel«, murmelte Lauren, und sie hatte plötzlich das Gefühl, man zöge ihr den Boden unter den Füßen weg. Trotz der Kühle des Novembers begann sie zu schwitzen. »Dad«, sagte sie langsam, »ich weiß nicht, ob das etwas damit zu tun hat, aber die Visitors haben darum gebeten, daß Olav und ich nach Washington D. C. fliegen. Roger und Angela möchten, daß wir sie zu einem Treffen mit dem Präsidenten begleiten.« »Worüber wollen sie denn mit Morrow sprechen?« »Keine Ahnung. Die Nachricht enthielt keine weiteren Informationen, nur den Vermerk ›geheim‹. Ich habe Olav gefragt, und er meinte, die Visitors hätten eine mögliche Bedrohung der guten Beziehungen zwischen ihnen und der Menschheit erwähnt.« »Eine Bedrohung?« Stewart lachte leise und ungläubig. »Was könnte das denn für eine Bedrohung sein? Selbst die gemeinsame militärische Macht der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten würde keine Gefahr für sie darstellen.« Er
deutete in Richtung des gewaltigen Schiffes empor, das nach wie vor über New York schwebte. »Die Visitors sind unangreifbar.« »Diese Gedanken sind mir ebenfalls durch den Kopf gegangen, als ich die Mitteilung gelesen habe.« George schürzte die Lippen. »Nun, ich sehe keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen, aber die Sache gefällt mir trotzdem nicht. Wann mußt du los?« »Die Staffelshuttles holen uns um vier Uhr heute nachmittag ab.« Laurens Vater verzog das Gesicht. »Ich wünschte, du könntest hierbleiben.« »Unmöglich. Olav braucht mich. Außerdem habe ich vielleicht Gelegenheit, von Roger und Angela einige Hinweise zu bekommen.« »Sei besser vorsichtig. Wenn tatsächlich etwas im Gange ist und sie merken, daß du Verdacht geschöpft hast, könntest du in Schwierigkeiten geraten.« Lauren lächelte dünn. »Ich bin schließlich Diplomatin.« »Na gut. Aber ruf mich heute abend an, nur damit ich weiß, daß mit dir alles in Ordnung ist. Übrigens: Wir sollten am Telefon diese Angelegenheit nicht erwähnen. Warten wir damit, bis du wieder zurück bist.« Stewarts Tochter nickte. »Einverstanden. Nun, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß Mary verschwunden ist, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Was ist, wenn dir etwas zustößt? Vielleicht wäre es besser, wenn du…«, sie holte tief Luft, »… wenn du dich eine Zeitlang versteckst oder so. Nimm doch Urlaub.« George Stewart dachte über diesen Vorschlag nach und schüttelte den Kopf. »Ich bin vorsichtig gewesen. Ich glaube, niemand ahnt, daß ich mehr weiß. Als ich mit dem Reporter sprach, habe ich die Hautproben unerwähnt gelassen. Und
überhaupt: Wie lange soll ich denn untertauchen? Eine Woche? Einen Monat? Ich darf jetzt keine Gespenster sehen. Meine Patienten brauchen mich, und außerdem gibt es da noch die Studenten und die Vorlesungen…« Er machte eine kurze Pause und fügte hinzu: »Nein, ich mache weiter wie bisher.« »Dann versprich mir wenigstens, daß du…« »Ja, ich werde auch weiterhin vorsichtig sein«, unterbrach George seine Tochter und blickte über ihre Schulter hinweg. »Sieht aus, als sollten wir Gesellschaft bekommen.« Lauren drehte sich um und sah Peter Forsythe, der im Dauerlauf auf sie zukam. Er trug einen Trainingsanzug und die Yankee-Mütze. »Großartig«, murmelte sie. »Der hat uns gerade noch gefehlt.« »Hallo, Pete«, sagte George, als Forsythe herangekommen war. »Sie kennen ja meine Tochter Lauren.« »Wie geht’s Ihnen?« Pete nickte Lauren zu. »Gut, danke«, sagte sie und lächelte dünn. Sie konnte deutlich spüren, wie erneut die Anspannung zwischen ihnen wuchs und Pete vergeblich nach den richtigen Worten suchte, um eine unverfängliche Konversation zu beginnen. »Äh, Doktor, ich störe diese Familienzusammenkunft nur ungern, aber es gibt da etwas sehr Wichtiges, über das ich mit Ihnen sprechen muß.« Lauren wandte sich ihrem Vater zu, dankbar für die gute Gelegenheit, sich verabschieden zu können. »Ich muß jetzt gehen, Dad. Ich rufe dich später an, einverstanden?« »Ja, Schatz. Gib auf dich acht.« Als sie gegangen war, drehte sich Forsythe zu George Stewart um und schob die Hände in die weit ausgeschnittenen Taschen der Trainingsjacke. »Ihre Tochter scheint mich nicht sonderlich zu mögen.« Stewart lachte leise. »Nehmen Sie es nicht zu tragisch. Lauren braucht sehr lange, um neue Freundschaften zu
schließen – besonders, wenn’s ums männliche Geschlecht geht.« Er zögerte und wurde wieder ernst. »Was haben Sie auf dem Herzen, Pete?« »Nun, das, was ich Ihnen zu sagen habe, klingt völlig unglaubwürdig, und ich möchte Ihnen von vornherein versichern, daß jedes Wort wahr ist. Außerdem hatte ich keinen Tropfen getrunken, als es geschah.« Er schnitt eine Grimasse. »Später dann hatte ich ganz schön die Lampe an: Ich brauchte unbedingt eine Stärkung, und es blieb nicht nur bei der einen…« »Pete…« Stewart hob die eine Hand. »Sagen Sie mir einfach, worum es geht.« »In Ordnung. Vorgestern abend befand ich mich mit den Sternenfreunden in einer Übungshalle, und nach einer Weile verschwanden vier Jungen…« Forsythe schritt vor der Bank auf und ab, und er sprach leise und erzählte die ganze Geschichte. Dann nahm er neben Stewart Platz und sah über den Fluß, aus Angst, dem Blick Stewarts zu begegnen. George schwieg eine ganze Zeitlang und räusperte sich dann. »Eine Ratte«, sagte er. »Eine ganze Ratte?« »Und eine ziemlich große noch dazu.« Peter hielt die beiden Hände fast zwanzig Zentimeter auseinander. »Und Sie sind wirklich sicher? Sie meinten, es sei recht dunkel gewesen. Vielleicht dachten Sie nur…« »Nein«, unterbrach ihn Forsythe und beugte sich ruckartig vor. »Ich weiß, was ich gesehen habe, Doc.« »Gut, ich glaube Ihnen.« Petes Stimme klang ziemlich rauh, als er erwiderte: »Danke. Das freut mich sehr. Mit was für Geschöpfen haben wir es Ihrer Meinung nach zu tun?«
Stewart war sehr nachdenklich geworden. »Nun, man könnte sagen, die Visitors seien Leute mit sehr exotischen Eßgewohnheiten…« Forsythe bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Abgesehen von der Tatsache, daß sich, wie Sie erzählten, offenbar die Kiefer aus den Gelenken lösten und Sie sehen konnten, wie die Ratte sich noch im Hals bewegte, als der… Mann sie herunterwürgte. Der Alien hat den Leckerbissen nicht zerkaut?« »Nein.« »Nun, vergessen wir einmal den Umstand, wie abscheulich es uns erscheinen mag, ein Tier lebend zu verschlingen. Betrachten wir die Sache unter dem anatomischen Blickwinkel. Kein Wesen mit einer der unsrigen ähnelnden mandibularen Konstruktion kann die Kiefer so weit öffnen. Das ist in anatomischer Hinsicht völlig ausgeschlossen. Die Visitors sehen so aus wie wir, aber…« Er sprach nicht weiter, doch die Bedeutung seiner Worte war eindeutig. »Ich habe noch etwas vergessen«, warf Pete ein. »Als der Fremde den Mund ganz weit geöffnet hatte, glaubte ich, darin etwas zu sehen… Etwas Schmales und Schlüpfriges, bei dem es sich ganz sicher nicht um eine menschliche Zunge handelte. Und außerdem befand sich noch eine zweite Reihe von Zähnen hinter denen, die so aussehen wie die unsrigen.« »Das ist noch seltsamer.« Stewart schüttelte den Kopf. »Nun, in einem Punkt können wir uns jetzt ziemlich sicher sein: Die Visitors unterscheiden sich viel mehr von uns, als sie uns wissen lassen wollen. Warum?« »Um einen Sicherheitsbeamten des Medical Center zu zitieren«, sagte Stewart. »›Ich bin kein Sherlock Holmes.‹« »Was soll das denn bedeuten?« »Nun, ich glaube, es gibt da noch eine Geschichte, die ich Ihnen erzählen sollte, Pete.«
George berichtete von den Hautproben und dem anschließenden Verschwinden Marys, und diesmal reagierte Forsythe mit einem nachdenklichen Schweigen. »Hm«, machte er schließlich. »Offenbar hat sie etwas über die Haut der Fremden herausgefunden, was zu einem wirklichen Knüller hätte werden können. Und die Visitors haben irgendwie Wind davon bekommen und sie verschwinden lassen.« »Sieht ganz so aus.« »Hätten sie das Telefongespräch zwischen ihr und Ihnen abhören oder ihr folgen können?« fragte Pete. »Ich weiß nicht. Wenn sie dazu in der Lage sind, interstellare Klüfte zu überqueren, so dürfte ihnen das Abhören von Telefongesprächen wohl kaum größere Schwierigkeiten bereiten.« »Wir müssen sehr vorsichtig sein«, sagte Forsythe. »Von jetzt an dürfen keine Informationen mehr per Telefon übermittelt werden. Und wenn möglich, sollten wir uns nur unter freiem Himmel unterhalten.« Er sah sich nervös um. »Lassen Sie uns nur nicht paranoid werden, Pete. Wenn wir einigermaßen vernünftige Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, sollte alles in Ordnung sein.« »Ich hoffe, Sie haben recht, Doc. Es wäre mir gar nicht lieb, wenn auch Sie verschwänden.« Stewart lachte leise und humorlos. »Ich? Wenn einige Leute aus dem Verkehr gezogen werden, weil man aus irgendeinem Grund glaubt, sie stellten für die Visitors ein Sicherheitsrisiko dar, warum sollte man dann ausgerechnet auf mich kommen? Ich habe an keinen ihrer angeblichen Informationsveranstaltungen teilgenommen und auch keine peinlichen Fragen gestellt. Mir könnte man nicht die geringsten subversiven Bestrebungen nachweisen.«
»Sie sprachen gerade davon, man glaubte aus irgendeinem Grund an mögliche Sicherheitsrisiken – und damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen.« Forsythe nickte langsam. »Diese Fremden von den Sternen unternehmen etwas, und einige Leute kamen dahinter und hielten diese Aktionen für eine Bedrohung. Woher aber sollten wir wissen, um was es sich bei diesem Etwas handelt?« »Spekulationen haben keinen Sinn, Pete.« »Sie wissen, was mit Mary Chu geschehen ist…« Mit der einen Hand fuhr sich der Arzt durch das graue und zerzauste Haar. »Ich begreife die ganze Sache einfach nicht! Die Aliens ließen sie verschwinden… Aber wer sind Sie, in Gottes Namen?« »Ich weiß es nicht«, gab Pete zurück. »Auch ich bin kein Sherlock Holmes.«
8. KAPITEL »Ich schlage eine neue Strategie vor…«
Roger und Angela nahmen an dem aus dunklem Holz bestehenden und oval geformten Tisch Platz. In der einen Ecke saß ein unscheinbarer Sekretär, der die Aufgabe hatte, ein Protokoll der Zusammenkunft zu erstellen. »Mr. President«, sagte Roger, »ich glaube, wir sollten ohne Umschweife auf den Kern der Sache zu sprechen kommen.« »Einverstanden«, erwiderte Morrow und sah den Kommandanten aufmerksam an. »Beginnen Sie.« Der Visitor faltete ernst die Hände auf dem polierten Tisch zusammen. »Es besteht Grund zu der Annahme, daß es unter Ihren Kollegen eine Verschwörung gibt, die zum Ziel hat, unsere Arbeit weltweit zu sabotieren.« Morrow kniff die Augen zusammen und beobachtete Roger aufmerksam. »Das ist ein schwerer Vorwurf, den Sie da machen.« Der Kommandant wandte den Blick seiner grünen Augen nicht ab. »Darüber sind wir uns klar, Mr. President.« »Sie sprechen von etwas, das gleichbedeutend mit Verrat ist«, warf Farley Mason ein und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Wenn eine solche Verschwörung tatsächlich existiert, so stände sie in völligem Gegensatz zur offiziellen Politik der Vereinigten Staaten, die darin besteht, eine Zusammenarbeit mit Ihrem Volk zu unterstützen.« »Nun, in den meisten Fällen gibt es in dieser Hinsicht auch keine Probleme«, antwortete Roger. »Und selbst jetzt, da wir
von der Verschwörung wissen, sind wir nach wie vor davon überzeugt, daß nur eine kleine Minderheit gegen uns arbeitet.« »Wir hielten es nur für ratsam«, fügte Angela hinzu, bevor jemand anderer das Wort ergreifen konnte, »Gegenmaßnahmen zu ergreifen, bevor diese Problematik ernste Ausmaße annimmt und die guten Beziehungen zwischen uns bedrohen könnte.« »Und was wären das Ihrer Meinung nach für Gegenmaßnahmen?« fragte Morrow, der nicht geneigt war, allein auf die Auskunft der Visitors zu vertrauen. Die Sicherheits- und Geheimdienste hatten ihm bisher keine entsprechenden Meldungen gemacht. »Wir haben etwas ganz Einfaches im Sinn«, erwiderte Roger und lächelte. »Angela, würden Sie bitte unseren Plan erläutern?« Sie nickte. »Wir möchten vorschlagen, daß die jeweiligen Aufenthaltsorte der Wissenschaftler und ihrer unmittelbaren Familienangehörigen bei den lokalen Regierungsbehörden registriert werden. Wir hätten dann ihre Namen, Adressen und einige demografische Unterlagen, und darüber hinaus wären wir über die jeweiligen Fachgebiete der Betreffenden informiert. Wenn sie den Wohnort oder den Arbeitsplatz wechseln, so sollten sie die entsprechenden Behörden davon in Kenntnis setzen, so daß sie jederzeit lokalisiert werden können. Einige Ihrer Wissenschaftler haben uns mitgeteilt, daß Sie über die notwendigen technologischen Einrichtungen dafür verfügen, und soweit wir wissen, gibt es ein ähnliches System für die Wehrdienstregistrierung der jungen Männer in Ihrem Land. Wir wären gern bereit, Sie bei diesem Unterfangen zu unterstützen und Ihren Computern Speicherplatz in unseren eigenen Datenverarbeitungsanlagen zur Verfügung zu stellen.« Morrow beugte sich und versuchte ohne vollständigen Erfolg, den kalten Zorn zu verbergen, der bei diesen Worten in ihm
hochstieg. »Sie sprechen von den Methoden eines Polizeistaates. Ich weiß nicht, wie es auf Ihrer Heimatwelt zugeht, aber hier in Amerika laufen die Dinge anders.« »Oh, Mr. President«, warf Angela freundlich ein, »mit Hilfe Ihrer Kongreßbibliothek haben wir einige Nachforschungen durchgeführt, und das, was wir vorschlagen, hat es in den Vereinigten Staaten schon einmal gegeben. Während des Zweiten Weltkrieges haben die Regierungsbehörden dieses Landes Amerikaner von japanischer Abstammung interniert, ihre Besitztümer beschlagnahmt und sie in Lagern untergebracht. Diese Maßnahmen waren weitaus schärfer als die, die wir vorschlagen.« Morrow warf seinen menschlichen Begleitern einen ungläubigen Blick zu. Selbst der Protokollführer starrte die Visitors groß an. »Die Internierung der Amerikaner japanischer Abstammung«, sagte der Präsident und wandte sich wieder an Roger, »war eins der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. Solch ein Ereignis wird sich in diesem Land niemals wiederholen, jedenfalls nicht, solange ich Präsident bin.« Rogers freundliches Lächeln verflüchtigte sich nach und nach. Morrow schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, Kommandant, kann ich mir kaum vorstellen, daß es in bezug auf Ihre Anwesenheit auf dieser Welt irgendeine organisierte Opposition gibt, doch ich werde unsere Geheimdienste auf diese… Ihre Vermutung ansetzen. Wenn es dann eine Bestätigung für Ihren Vorwurf gibt, so haben wir noch Gelegenheit, mögliche Sicherheitsmaßnahmen zu erwägen. Was jedoch Ihren Vorschlag angeht, alle Wissenschaftler in Amerika zu registrieren…« Morrow unterbrach sich und war zu aufgebracht, um fortzufahren.
»Ich hoffe nur, daß Sie recht haben, Mr. President«, sagte er, »und sich unsere Besorgnis tatsächlich als übertrieben herausstellt.«
9. KAPITEL Das Unheil verdichtet sich
Pete Forsythe stellte die Tasse Kaffee auf dem Wohnzimmertisch ab, ließ sich auf die Couch sinken und griff nach der Fernbedienung für den Fernseher. Der Bildschirm erhellte sich und zeigte das Bild Dan Rathers. »Guten Abend«, sagte der Nachrichtensprecher. »Im Hinblick auf die Visitors scheint sich die Lage auf der Erde zu verschärfen…« Pete richtete sich ruckartig auf und erhöhte die Lautstärke. »In Brüssel wurden heute sehr schwerwiegende Anklagen gegen einige der berühmtesten Wissenschaftler erhoben. Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Doktor Leopold Jankowski vom Biomedizinischen Institut Brüssels veranstaltete eine Pressekonferenz und gab bekannt, man sei an ihn herangetreten, um ihn zu bitten, Mitglied einer Verschwörung zu werden, der viele der führenden Biologen, Ärzte und Anthropologen angehören und die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Aktivitäten der Visitors auf unserer Welt zu sabotieren. Nach den Worten Jankowskis besteht die letztendliche Absicht darin, einige Mutterschiffe der Besucher aus dem All in die Gewalt zu bekommen.« »Meine Güte!« flüsterte Pete.
Auf die Anweisung des Weißen Hauses hin begannen die Geheimdienste der Vereinigten Staaten damit, sich mit den Akten der Wissenschaftler zu beschäftigen, die der
Verschwörung angehören sollten. In vielen Fällen fand man dabei Hinweise auf konspirative Treffen, Bestechungsgelder, Waffenkäufe und andere zweifelhafte Aktivitäten, die die Behauptungen der Visitors zu bestätigen schienen. Kristine Walsh verkündete mit kummervoller Miene, aufgrund der Verschwörung seien die wissenschaftlichen Seminare der Visitors auf unabsehbare Zeit verschoben… Nach den Vorlesungen kehrte Pete Forsythe in aller Eile nach Hause zurück, da er die Abendnachrichten nicht versäumen wollte. In seiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen, als er ins Wohnzimmer stürmte und den Fernseher einschaltete. Aber es war nicht in erster Linie der Hunger, der ihm so sehr zusetzte. Dan Rather sagte gerade: »…angesichts weiterer Beweise für die Verschwörung der Wissenschaftler und der gestrigen Waffenfunde – diese Ausrüstung sollte offenbar dazu dienen, Fähren der Visitors anzugreifen und sie unter Kontrolle zu bringen –, hat der Kongreß erneut mit allem Nachdruck die Registrierung der Wissenschaftler und ihrer Familien vorgeschlagen und sich über das Veto des Präsidenten hinweggesetzt. Morrow will sich an den Obersten Gerichtshof wenden. Unterdessen aber werden Anfang der nächsten Woche die ersten Erfassungen beginnen. Heute abend um 23.30 Uhr beschäftigt sich eine Sondersendung mit dem neuen Gesetz und seinen möglichen Folgen. UNGeneralsekretär Lindstrom hält sich derzeit in Washington auf, und er war es auch, der den Vorschlag der Visitors den nationalen Regierungen vorlegte. Wir haben ihn darum gebeten, uns die Hintergründe dieser überraschenden Initiative zu erläutern…« Erregt griff Pete nach dem Telefon und wählte. »Hallo?« »Doc, hier spricht Pete Forsythe. Haben Sie die Nachrichten gesehen?«
»Ja.« »Was halten Sie davon?« Pete wartete keine Antwort ab. »Wir sollten darüber sprechen. Im Park, die gleiche Bank.« Wenig später trafen sich die beiden Männer dort und nahmen Platz. »Die ganze Sache soll uns doch nur Sand in die Augen streuen«, entfuhr es Pete. »Die Visitors weben ein riesiges Spinnennetz – und Sie könnten die nächste Fliege sein, die sich darin verfängt.« »Warum ausgerechnet ich?« fragte Stewart müde. »Nun, da schon andere Leute aus dem Hospital verschwunden sind, könnte das bedeuten, daß dort niemand mehr sicher ist.« »Pete, warum machen Sie sich in diesem Punkt solche Sorgen?« »Weil ich der nächste sein könnte, wenn ich mich mehr auf das Medizinstudium und nicht so sehr aufs Baseballspielen konzentriert hätte.« Stewart musterte ihn aufmerksam. »Haben Sie irgendeine Vermutung?« »Ja, in der Tat, Doc. Wenn die Visitors mit der Polizei… äh, kooperieren, so könnten sie doch manipuliertes Beweismaterial vorlegen.« Pete wartete eine Weile, aber George Stewart gab keine Antwort. »Sie halten mich für verrückt, nicht wahr?« »Nein, nicht für verrückt, Pete, nur für sehr phantasiebegabt. Hören Sie: Warum haben die Visitors sich dann die Mühe gegeben, Mary Chu verschwinden zu lassen? Sie hätten doch einfach ihre Akten manipulieren und sie dann offiziell anklagen können.« »Keine Ahnung. Vielleicht irre ich mich. Es würde mich freuen. Aber ich hielte es für besser, wenn wir uns einmal Ihre Akten ansähen, um festzustellen, ob es dort nicht irgendwelche
Hinweise gibt, die Sie ebenfalls in Verdacht bringen, der Verschwörung anzugehören.« »Na schön, Pete. Lassen Sie mich darüber nachdenken, eine Nacht darüber schlafen – vielleicht nehmen wir uns dann morgen die Unterlagen vor.« »Ich könnte weitaus besser schlafen, wenn wir das schon heute abend hinter uns brächten«, wandte Forsythe ein. »Nein, das würde nur unerwünschte Aufmerksamkeit erregen«, meinte Dr. Stewart. »Wir machen uns sofort morgen früh daran.« Forsythe gab nach. »Einverstanden. Morgen früh. Gute Nacht, Doc.« Als er den Park verließ, hoffte Pete nur, daß Stewart bis dahin nicht ebenfalls verschwunden war.
Pete Forsythe eilte über die Krankenhauszufahrt und blieb abrupt stehen, als er vor dem Eingang eine Visitor-Fähre stehen sah. Dann erblickte er Dr. Stewart, der das Gebäude gerade verließ und sich ihm näherte. »Im Auditorium geschieht gerade etwas, das Sie miterleben sollten«, sagte Stewart. »Beeilen Sie sich, Pete – die Sache hat gerade begonnen.« In dem Saal war alles für eine Pressekonferenz vorbereitet. Ungefähr fünfzehn Zeitungsreporter warteten dort, und es waren auch einige Berichterstatter von Radio- und Fernsehstationen anwesend. Pete und Dr. Stewart blieben im Hintergrund des großen Raumes stehen, in der Nähe von etwa dreißig weißgekleideten Krankenhausangestellten, und sie beobachteten, wie ein weiblicher Visitor an die Mikrofone herantrat. Er erkannte sie als Angela, und begleitet wurde sie von einigen anderen Visitors, uniformierten und in Zivil gekleideten Polizeibeamten und mehreren FBI-Agenten.
»Meine Damen und Herren«, sagte Angela scharf. »Sie alle wissen von dem Verschwinden einer Ärztin namens Dr. Mary Chu, die bei Ihnen hohes Ansehen genießt. Sie haben sie alle gut gekannt, und daher fällt es Ihnen schwer zu glauben, sie könnte in die Verschwörung verstrickt sein.« Nach einer kurzen Pause fuhr Angela fort: »Auch wir zögen es vor anzunehmen, daß weder sie noch andere Wissenschaftler an dem Bestreben beteiligt sind, die Zusammenarbeit von Menschen und Visitors zu sabotieren. Diese Pressekonferenz dient jedoch dem Zweck, Sie mit einigen Beweisen zu konfrontieren, die in Mary Chus Unterlagen gefunden wurden und sie in zweifelsfreien Zusammenhang mit der Verschwörung bringen.« Pete sah sich um, und ihm fiel dabei der Argwohn einiger der ganz in Weiß gekleideten Zuhörer auf. Angela nickte einem Techniker zu, und kurz darauf wurde es dunkler im Saal. Der Mann schaltete einen Overhead-Projektor ein. Nacheinander legte Angela verschiedene Dokumente auf die Projektionsfläche. »Die Ermittlungsbeamten Ihrer Polizei haben sich eingehend mit diesen Unterlagen beschäftigt und bestätigt, daß es sich um die Handschrift Dr. Chus handelt…« »Ich habe genug gesehen«, hauchte Pete. Er hielt auf den nächsten Ausgang zu, und Stewart folgte ihm auf den Flur. »Lassen Sie uns gehen«, sagte Forsythe. »Wohin?« »Nach oben in Ihr Büro. Wir sollten es genau unter die Lupe nehmen und nach ›Beweisen‹ durchsuchen, die man dort möglicherweise versteckt hat.«
Stöhnend betrachtete Dr. Stewart das Chaos, das zuvor ein ordentlich aufgeräumtes Büro gewesen war.
»Das ist die letzte Schublade«, wandte er sich an Forsythe, der jedes einzelne Blatt Papier kontrollierte. »Hm«, machte Pete. »Haben Sie etwas gefunden?« Pete reichte ihm einige Unterlagen. »Sehen Sie sich das an.« Stewart blätterte sie rasch durch. »Was, zum Teufel, sind das für Papiere? Die sehe ich jetzt zum ersten Mal.« »Wenn Sie Ihrer Stimme keinen überzeugenderen Tonfall verleihen können, sind Sie in echten Schwierigkeiten, Doc«, meinte Pete und lächelte schief. »Ich schwöre es, Pete«, versicherte George und begriff erst dann, daß Forsythe es nicht ernst meinte. Oder etwa doch? Er holte tief Luft. »Na schön, Sie hatten recht. Aber ich verstehe noch nicht ganz. Warum ausgerechnet ich?« »Vielleicht haben die Visitors Mary Chu irgendwie zum Reden gebracht. Hat sie Ihnen etwas gesagt, von dem unsere lieben Freunde nicht wollten, daß es bekannt wird?« Stewart preßte die Lippen zusammen und versuchte, konzentriert nachzudenken. »Nein, das ist ausgeschlossen.« »Was ist ausgeschlossen?« »Ich mußte gerade an die Untersuchung denken, die Mary an dem Abend durchführte, an dem sie verschwand. Sie konnte mich nicht mehr von den Ergebnissen der Analyse unterrichten. Ich habe das Laboratorium durchsucht und nichts gefunden.« »Vielleicht hat sie Ihnen doch noch einen Hinweis hinterlassen, hier in Ihrem Büro, nur um ganz sicherzugehen.« »Aber wo? Wir haben doch das Unterste zuoberst gekehrt.« Pete schloß die Augen, und langsam wiederholte er: »Das Unterste zuoberst…« Mit einem plötzlichen Ruck kniete er sich vor einem Aktenschrank nieder, dessen Schubladen auf dem Boden verstreut lagen. »Aha!« machte er, als er mit den
Fingerspitzen über die Unterseite der Auflagefläche tastete. Vorsichtig zog er an etwas, das an dem Metall befestigt war, und kurz darauf holte er einen kleinen Umschlag hervor. Er enthielt eine Notiz – und vier kleine und in Schutzhüllen steckende Analyseproben. Stewart riß verblüfft die Augen auf. »Lassen Sie mich mal sehen…« Pete reichte ihm den Umschlag samt Inhalt, und Stewart entfaltete die Notiz und las die Mitteilung Mary Chus: »Hautproben, Ersatzmuster. Dürfen auf keinen Fall verlorengehen. Alles Gute. Mary.« Stewart spürte, wie ihm die Augen feucht wurden, und verstohlen wischte er die Tränen ab. »Was fangen wir damit an?« fragte Pete leise. Dann fiel ihm etwas ein. Er bedeutete Stewart, keinen Laut von sich zu geben, schaltete das Radio auf dem Schreibtisch ein und drehte die Lautstärke hoch. »Flüstern Sie«, hauchte er dem Arzt zu. Stewart verstand. »Wir müssen diese Proben aus dem Krankenhaus schaffen, das steht fest. Hier kann ich sie nicht untersuchen. Nehmen Sie sie mit – verstecken Sie sie bei sich zu Hause. Kommen Sie morgen damit zu mir. Wenn ich nicht in meiner Praxis bin, wenn Sie mich nicht finden können – bedeutet das, daß irgend etwas schiefgelaufen ist…« »In einem solchen Fall werde ich nach Ihnen suchen.« Stewart schüttelte heftig den Kopf. »Nein! Wenn ich verschwunden bin, so bringen Sie diese Proben zu Dr. Hannah Donnenfeld, die im Laboratorium von Brook Cove arbeitet, draußen an der Austernbucht von Long Island. Sagen Sie ihr, was wir in Erfahrung gebracht haben. Sie wird schon wissen, was sie mit diesen Sachen anfangen soll. Und außerdem müssen Sie mir etwas versprechen. Ich weiß, daß Lauren und Sie nicht gerade die besten Freunde sind, aber bleiben Sie bitte mit ihr in Verbindung. Sie glaubt, sie braucht niemanden, aber
ich möchte sicher sein, daß sich jemand um sie kümmert, wenn ich nicht mehr dazu in der Lage bin.« George verzog das Gesicht. »Wenn ihr beide Gelegenheit hättet, euch richtig kennenzulernen, würdet ihr bestimmt Freundschaft schließen.« Pete rang sich ein Lächeln ab. »Warum wollen Sie unbedingt den Märtyrer spielen, Doc? Sie sollten sich irgendwo verstecken, an einem Ort, von dem nur Lauren und ich wissen. Verschwinden Sie, bevor die Visitors Sie verschwinden lassen.« Stewart schüttelte den Kopf. »Unmöglich. Jedenfalls nicht heute. Ich muß Brenda Johnson einen Besuch abstatten und ihren kleinen Sohn Gary behandeln. Vielleicht morgen. Bestimmt werden es die Visitors nicht riskieren, mich aus dem Verkehr zu ziehen, nachdem sie gerade Mary beschuldigt haben, der Verschwörung anzugehören. Ich bezweifle, daß sie Verdacht erwecken wollen.« »Aber…« »Pete, ich habe das Gefühl, sie könnten mich überall finden, wenn sie wirklich darauf aus wären. Außerdem gibt es hier Patienten, die meine Hilfe brauchen. Nein, machen Sie sich keine Sorgen um mich – sorgen Sie nur dafür, daß dies hier nicht in die falschen Hände fällt.« Er hob den Umschlag. »Wir sehen uns morgen früh um Punkt acht. Können Sie so früh nach Harlem kommen?« Pete nickte, verabschiedete sich von seinem Lehrer, brachte den Umschlag in der Brieftasche unter und verließ das Büro.
10. KAPITEL Spinnennetz
Bürgermeister O’Connor öffnete die Tür, noch bevor der Wagen ganz zum Stehen gekommen war. Er stieg aus, trat auf das Gebäude der Stadtverwaltung zu und drehte sich auf der Treppe zu den Radio- und Fernsehreportern um, die mit ihren Mikrofonen so auf ihn zielten, als handele es sich dabei um Waffen. Nach den ersten Fragen stemmte O’Connor die Arme in die Seiten. »Ob ich daran glaube?« wiederholte er. »Diesen Quatsch von den Wissenschaftlern, die uns ein Krebsheilmittel vorenthalten, nur weil sie mehr Forschungsgelder bewilligt haben wollen?« Trotz der angespannten Lage lachten einige der Reporter. »Man muß sich das nur einmal vorstellen«, fuhr der Bürgermeister mit weithin hallender Stimme fort. »Gelehrte Männer und Frauen, die sich angeblich dazu verschwören, die Visitors zu überwältigen – die ihre Laserwaffen meiner Ansicht nach übrigens zu sehr zur Schau tragen –, dann die Mutterschiffe zu stürmen und sie unter ihre Kontrolle zu bringen.« O’Connors Sarkasmus war nicht zu überhören. »Haben Sie jemals etwas Lächerlicheres gehört?«
Das Taxi hielt vor dem Haus Dr. Stewarts, und Pete Forsythe stieg aus, trat an die Tür heran und klingelte. Als nach einer Weile niemand reagierte, läutete er erneut, doch wieder blieb alles still.
»Verdammt!« fluchte er leise, drehte sich ruckartig um und eilte die Treppe herunter, wobei er fast mit einer kleinen und in einen dicken Mantel gekleideten Farbigen zusammenstieß. »Entschuldigen Sie«, brummte er, und dann hellte sich sein Gesicht auf. »Kennen Sie Dr. Stewart?« »Ja«, erwiderte die Schwarze. »Ich bin schon seit Jahren seine Nachbarin.« »Haben Sie ihn heute morgen gesehen? Er erwartete mich.« »Ja, ich habe ihn tatsächlich gesehen, in aller Frühe. Er meinte, er müsse ins Krankenhaus und erwähnte einen Anruf. Ich glaube, es ging um einen Notfall, um einen seiner Patienten.« Pete biß sich auf die Lippen, murmelte der Frau ein rasches »Danke« zu und eilte am Straßenrand entlang, auf der Suche nach einem anderen Taxi.
Forsythe stürmte durch die Halle des Medical Center und sprang in dem Augenblick in den Lift, als sich gerade dessen Tür zu schließen begann. Trotz der morgendlichen Kühle schwitzte er – er wußte nicht so recht, ob es der kalte Schweiß der Furcht war oder es sich um ein Resultat der körperlichen Anstrengung handelte. Der Lift hielt in dem Stock, in dem das Büro Dr. Stewarts lag, und Pete sprang auf den Gang – wo er ruckartig stehenblieb, als er einige Personen vor der Bürotür Stewarts sah. Sie erweckten ganz den Eindruck von in Zivil gekleideten Polizeibeamten. Und dann erblickte er auch die orangefarbenen Overalls zweier männlicher Visitors. Pete überlegte noch, wie er sich nun verhalten sollte, als Doc Stewart durch die Bürotür schritt, begleitet von einem Polizisten und einem weiteren Visitor. Daraufhin zog sich Forsythe hinter die Ecke einer Krankenschwesterstation zurück. Er wußte, daß George ihn gesehen hatte, doch der
ältere Mann ließ sich durch nichts anmerken, daß er ihn kannte. Pete wartete, bis die Gruppe in den Lift getreten war und sich dessen Tür geschlossen hatte, und dann lief er in Richtung der Treppe. Der Aufzug hatte bereits das Erdgeschoß erreicht, als Pete wieder in die Halle gelangte. Man schob Stewart gerade in das Staffelshuttle der Visitors, das draußen auf der Zufahrt parkte. Forsythe fühlte sich völlig hilflos, als er beobachtete, wie das Beiboot abhob und einige Sekunden lang dicht über dem Boden verharrte. Dann nahm es Fahrt auf und sauste in Richtung des in einiger Entfernung über Manhattan schwebenden Mutterschiffes davon. Pete konnte es noch immer nicht fassen, und er schnappte nach Luft. Das Wissen um die Ereignisse der letzten Wochen war wie ein reales Gewicht, das ihn belastete. Der einzige Mensch, dem er sich anvertraut hatte, der ebenso Bescheid wußte wie er selbst, wurde nun gerade als Gefangener an Bord des fremden Raumschiffes gebracht. Forsythe zwang sich dazu, den Blick von der blaugrau glänzenden Scheibe am Himmel abzuwenden, und er ließ die Schultern hängen. Verdammt! Und das, obwohl wir die manipulierten Beweise fanden, die sie in seinem Büro versteckten! Dann lachte er bitter und fragte sich, ob die Visitors sich die Mühe gemacht hatten, die Stewart in Verdacht bringenden Unterlagen zu fälschen. Oder waren ganz einfach Kopien von ihnen verwendet worden? Aber vielleicht verlangten die hiesigen Behörden nicht einmal mehr konkrete Beweise… Forsythe klemmte sich die lederne Aktentasche unter den einen Arm, setzte sich wieder in Bewegung, trat auf die Straße und hielt nach einem Taxi Ausschau. Später vermochte er sich nicht mehr daran zu erinnern, wie er nach Hause gelangt war, in erster Linie deswegen, weil er sich nicht daran erinnern wollte. Doch so sehr er sich auch
bemühte, an nichts zu denken – immer wieder bildete sich vor seinem geistigen Auge das Abbild einer Wodkaflasche im Schrank. Sie schien ihm zuzuflüstern, ihm zu versprechen, sie könne ihm dabei helfen, all seinen Kummer zu vergessen. Nur ein kleines Glas, sagte er sich. Nur eins… eins kann mir bestimmt nicht schaden… Seine Schritte wurden rascher und entschlossener, doch als Forsythe in den Lift trat, der ihn in den Stock bringen sollte, in dem sich sein Apartment befand, begann er am ganzen Leib zu zittern. Was geschieht jetzt mit Dr. Stewart? Wie haben die Visitors Mary Chu zum Reden gebracht? Folter? O Gott… Als er seine Wohnung erreichte, nahm er sich zunächst die Zeit, die Hautproben in seinem verborgenen Safe unterzubringen, und anschließend eilte er in die Küche – wo er mit der Wodkaflasche in der Hand verharrte. Lauren. Ich habe versprochen, mich um sie zu kümmern. Vielleicht kann sie ihm helfen. Sie arbeitet für die UNO und hat Beziehungen… Er stellte die Flasche beiseite, griff nach dem Telefon und rief die Auskunft an. Anschließend wählte er eine zweite Nummer. »Hier ist das Büro Lauren Stewarts.« »Hallo, ich bin Pete Forsythe, ein Freund George Stewarts. Könnte ich bitte mit Mrs. Stewart sprechen? Ihr Vater bat mich darum, ihr etwas Wichtiges mitzuteilen.« »Oh, Mrs. Stewart hält sich den ganzen Tag über in Washington und Philadelphia auf. Morgen um diese Zeit müßte sie aber zurück sein. Kann ich ihr etwas ausrichten?« »Gibt es eine Möglichkeit, Verbindung mit ihr aufzunehmen? Es ist wirklich wichtig.« »Es tut mir leid, Mr. Forsythe. Aber wenn sie mich anruft, womit ich jedoch nicht rechne, sage ich ihr, daß Sie eine Nachricht für sie haben.«
Pete gab der Sekretärin seine Telefonnummer und legte auf. Dann griff er nach Flasche und Glas und begab sich ins Wohnzimmer. Diesmal ließ er den Fernseher ausgeschaltet.
Als Pete Forsythe wieder zu sich kam, fühlte er sich so schlecht wie selten zuvor in seinem Leben, und aus halb geöffneten Augen fiel sein Blick auf glatte Badezimmerfliesen. Es fiel ihm schwer, die Zunge zu bewegen und wieder ganz in die Wirklichkeit zurückzufinden. Wie er bald darauf feststellte, trug er eine feuchte kurze Hose und hockte in der Badewanne. Joey Vitale saß daneben und döste. Es stank. Ich habe einen Kater, dachte Pete. Einen enormen Kater. Er fühlte sich so, als sei er mehrmals durch die Mangel gedreht worden, und er versuchte sich zu erinnern. Hatte er einen Unfall mit dem Wagen gehabt? Nein, nein… er glaubte sich daran zu entsinnen, daß er im Wohnzimmer gesessen hatte, eine Flasche und ein Glas vor sich auf dem Tisch. Und Dr. Stewart… Er wußte nicht, wann Joey zu ihm gekommen war. Vitale besaß einen zweiten Schlüssel zu dem Apartment Forsythes, und wenn Pete längere Zeit abwesend war, kümmerte sich Joey um die Pflanzen in der Wohnung. »Joey«, krächzte Pete, und seine Zunge fühlte sich dabei wie ein aufgequollener Fremdkörper im Mund an. Joey Vitale regte sich und schlug die Augen auf. »Ist alles in Ordnung mit dir, Pete? Du hättest dich fast umgebracht!« »Was… was war denn los?« »Ich traf hier gegen zehn ein, und ich fand dich im Bad. Als ich dich bewegte, begannst du zu würgen, und ich legte dich in die Wanne, wo ich dich wenigstens einigermaßen sauberhalten konnte. Du hast mir einen verdammten Schrecken eingejagt, Pete.«
Forsythe schüttelte benommen den Kopf. »Danke. Hast du ein Glas Wasser für mich?« Er trank es in kleinen Schlucken leer, und nach einer Weile fühlte er sich wieder menschlich genug, um sich an Lauren Stewart zu erinnern. »Wie spät ist es?« Joey warf einen Blick auf seine Uhr. »Halb acht.« Wenn sie am vergangenen Tag unterwegs gewesen war, würde Lauren vermutlich nicht vor neun in ihrem Büro eintreffen. Das gab Pete noch rund zwei Stunden Zeit, sich zusammenzureißen und wieder einen Menschen aus sich zu machen. Joey half ihm beim Aufstehen, und nachdem er einige Tabletten geschluckt hatte, nahm er eine ausgiebige Dusche. Anschließend knabberte er an einer Scheibe Toast, und Joey musterte ihn kritisch. »Du solltest endgültig die Finger von dem Zeug lassen«, sagte er. »Wenn ich nicht vorbeigekommen wäre, hättest du an deinem eigenen Erbrochenen ersticken können.« Pete nickte ernst. »Ich weiß. Danke, Joey.« Er holte tief Luft und fühlte, wie dabei dumpfer Schmerz seinen Leib durchpulste. »Ich schätz’, es mußte einmal so schlimm kommen.« Langsam hob er den Kopf. »Ich bin Alkoholiker. Ja, ich bin es wirklich.« Er hatte diese Erkenntnis schon früher laut formuliert, sich aber nie davon überzeugen können…
Pete entdeckte Lauren inmitten der Passanten auf der Straße. Er klemmte sich die Aktentasche fest unter den einen Arm und trat der jungen Frau an einer Ecke entgegen. Lauren musterte ihn mit der nicht sonderlich freundlichen Zurückhaltung, die Forsythe inzwischen schon mehrmals an ihr hatte beobachten können.
»Mr. Forsythe…«, sagte sie knapp. »Bitte… Pete«, erwiderte er und versuchte zu lächeln. »Hören Sie, Mr. Forsythe, ich bin sehr beschäftigt. Wie ich hörte, haben Sie eine wichtige Nachricht für mich. Am besten, wir kommen gleich auf den Kern der Sache zu sprechen.« Pete ergriff sie am Arm und drückte ein wenig fester zu, als es eigentlich seine Absicht gewesen war. »Lassen Sie uns ein paar Schritte gehen.« Er sah sie an. »Es geht um Ihren Vater.« Lauren versuchte stehenzubleiben, doch Forsythe zog sie weiter mit sich. »Was ist mit ihm? Ich habe doch erst vorgestern abend mit ihm gesprochen.« »Man hat ihn verhaftet und in einer Visitor-Fähre fortgebracht.« » Was?« Diesmal blieb die junge Diplomatin wirklich stehen und starrte ihren Begleiter groß an. Pete beschränkte seinen Bericht auf das, was er am Morgen des Vortages mit eigenen Augen im Medical Center gesehen hatte, und als er seine Erzählung beendete, erreichten sie die Promenade am East River. »Es gibt da noch einige Dinge, die Sie mir verschweigen«, stellte Lauren fest. »Wieso sind Sie da so sicher?« »Als Sie an jenem Tag ins Krankenhaus kamen, um mit meinem Vater zu sprechen, machten Sie nicht den Eindruck, als wollten Sie nur ein Prüfungsergebnis mit ihm erörtern.« Pete wandte den Blick von Lauren ab und zögerte. Dann schließlich gab er sich einen Ruck. »Sie müssen mir versprechen, mir schwören, daß Sie das, was ich Ihnen nun sagen werde, nicht weitertragen, nicht einmal zu Lindstrom. Und auf keinen Fall dürfen die Visitors davon erfahren. Behalten Sie es für sich.« Lauren musterte ihn eingehend, und langsam hob sie die eine Hand und nahm Forsythe die Sonnenbrille ab. Er blinzelte, es
war ihm deutlich anzusehen, daß er keine sonderlich angenehme Nacht hinter sich hatte. »Sie haben getrunken, nicht wahr?« Es war nicht so sehr eine Frage, sondern eher eine Feststellung. Eine Zeitlang starrten sie sich gegenseitig an, und die unausgesprochenen Vorwürfe begannen einmal mehr eine Barriere zwischen ihnen zu schaffen. »Versprechen Sie es?« fragte Pete nach einer Weile. Und als Lauren zögernd nickte, erzählte Forsythe vom Abend in der Übungshalle, wobei er nicht alle Details nannte, damit er nicht erneut mit Übelkeit zu kämpfen hatte. Er berichtete der jungen Diplomatin auch alles andere, und Lauren hörte schweigend zu. Pete deutete auf die Aktentasche. »Bisher sind die Proben Mary Chus noch nicht untersucht worden. Ihr Vater bat mich, sie in ein Laboratorium zu bringen und sie dort jemandem zu geben, dem er vertraut.« »Wem?« »Das werde ich Ihnen nicht sagen.« Lauren wollte protestieren, doch Forsythe unterbrach sie. »Nicht etwa, weil es mir an Vertrauen Ihnen gegenüber mangelt. Aber auf diese Weise ist es sicherer. Wenn Sie darüber nicht Bescheid wissen, können Sie auch nichts verraten – nicht einmal dann, wenn man Sie unter… Druck setzt.« »Unter Druck?« Lauren verzog skeptisch das Gesicht. »Ich glaube, jetzt übertreiben Sie ein wenig.« Sie seufzte. »Vermutlich geht die Verhaftung meines Vaters auf nichts weiter als ein bedauerliches Mißverständnis zurück.« Pete starrte sie ungläubig an. »Sie haben doch gehört, was ich Ihnen eben erzählte – und Sie glauben trotzdem nach wie vor an die eigentlich guten Absichten der Visitors? Meinen Sie etwa, ich hätte Sie angelogen?«
»Nein«, erwiderte Lauren leise. »Ich halte es nur für möglich, daß Sie aus dem, was Sie gesehen haben, die falschen Schlüsse zogen. Wir haben es mit Aliens zu tun, über die wir nur wenig wissen. Vielleicht gibt es vernünftige und einsichtige Gründe für all das, was Sie mir eben sagten.« »Vielleicht aber auch nicht. Ihr Vater glaubte mir.« »Nun, leider ist er nicht hier, um mir das zu bestätigen, und deshalb behalte ich mir ein endgültiges Urteil vor. Ich werde mich mit dem Oberkommando der Visitors in Verbindung setzen und versuchen, diese ganze Angelegenheit zu klären.« Pete konnte es nicht fassen. »Und damit hat es sich?« Lauren zuckte mit den Schultern. »Ich werde nicht so leicht hysterisch.« Sie reichte ihm die Hand, um sich von ihm zu verabschieden. »Besten Dank dafür, daß Sie mir erzählt haben, was mit meinem Vater geschehen ist.« Als sie sich zum Gehen wandte, hielt Forsythe sie an der Schulter fest und reichte ihr rasch seine Karte. »Ich weiß eigentlich nicht, warum ich Ihnen die gebe, aber… behalten Sie sie bitte.« Lauren warf einen kurzen Blick darauf. »Ihre Telefonnummer?« »Werfen Sie die Karte bitte nicht einfach weg. Ich möchte, daß Sie mich anrufen und mir mitteilen, was aus Ihrem Vater geworden ist.« Lauren dachte kurz nach. »Na schön. Ich melde mich später bei Ihnen.« »Danke«, erwiderte Pete kühl und lehnte sich an das Geländer. Er sah der jungen Frau nach, als sie ging. Er wußte nicht, was ihn zorniger machte – Laurens sture Haltung oder der Umstand, daß er fast die Beherrschung verloren hätte.
11. KAPITEL Enthüllungen
Lauren Stewart war dankbar dafür, daß sie im Verlaufe der Jahre nicht nur den Umgang mit Diplomaten gelernt hatte, sondern auch wußte, wie man einen Computer bediente. Die Tatsache, daß sie Roger auf ihren Vater ansprechen mußte, war schon schlimm genug. Die Mitteilung Pete Forsythes hatte sie innerlich weitaus mehr aufgewühlt, als sie sich selbst einzugestehen bereit war. Die junge Frau saß vor dem gerade in ihrem Büro installierten Computerterminal und gab den Kontaktcode ein, der eine Verbindung nach dem über New York schwebenden Mutterschiff herstellen sollte. Nach einigen Kontrollchecks zeigte sich auf dem Schirm das Abbild Jennifers. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« fragte die Frau, die in der Rangfolge nach Roger und Angela kam. »Ja. Ich würde gern mit Roger sprechen.« »Es tut mir leid, aber der Kommandant befindet sich gerade in einer Besprechung.« Lauren ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. »Wissen Sie, wann er wieder zu erreichen sein wird?« fragte sie. »Nein, leider nicht. Kann ich ihm vielleicht etwas ausrichten? Wenn Sie mir eine Nachricht für ihn geben, sorge ich dafür, daß er so schnell wie möglich davon Kenntnis erhält, und bestimmt setzt er sich dann bald mit Ihnen in Verbindung.« Jennifer gab sich ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. »Nun, vielleicht wäre das wirklich besser. Es geht um eine sehr dringende Angelegenheit. Wie ich hörte, wurde mein
Vater, Doktor George Stewart, heute morgen von der Polizei verhaftet und in Ihr Schiff gebracht. Ich würde mich freuen, wenn man ihn so bald wie möglich wieder auf freien Fuß setzen könnte. Vermutlich ist seine Arretierung nichts weiter als ein Mißverständnis.« Jennifer wirkte sehr bestürzt. »Es tut mir schrecklich leid. Ich bin sicher, es war ein Mißverständnis – vielleicht hat man ihn mit jemand anderem verwechselt.« »Das glaube ich eigentlich nicht«, erwiderte Lauren kühl. »Nun, während der ersten Stadien der Registrierung kam es zu einigen Problemen…« »Es handelte sich nicht um eine Registrierung, Jennifer«, sagte Lauren gepreßt, »sondern vielmehr eine bestimmt völlig unbegründete Verhaftung.« »Wie dem auch sei: Ich versichere Ihnen, daß es Ihr Vater während seiner Haft so bequem wie nur möglich haben wird…« Jennifer sah, wie es in den Augen Laurens zornig zu blitzen begann, und sie fuhr rasch fort: »Nach einer Klärung dieser Angelegenheit lassen wir ihn sofort frei. Ich selbst setze Roger von Ihrer Mitteilung in Kenntnis, und ich werde dafür sorgen, daß er sich höchstpersönlich dieser Angelegenheit annimmt.« »Bitten Sie ihn darum, mich so rasch wie möglich anzurufen. Bis um sieben Uhr heute abend bin ich in meinem Büro zu erreichen.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause. »Ich hoffe jedoch, ich brauche nicht so lange auf eine Antwort von ihm zu warten.« »Bestimmt nicht«, versicherte ihr Jennifer. »Danke.« Lauren unterbrach die Verbindung, und der Computer, der ihr von den Visitors zur Verfügung gestellt worden war, fragte mit einer Höflichkeit, die der Jennifers in nichts nachstand, ob Lauren noch weitere Wünsche habe. Die
junge Frau tastete ein ›Nein‹ ein, und daraufhin schaltete sich das Gerät ab.
»Sie wird langsam mißtrauisch«, sagte Angela und faltete die Hände auf dem Tisch in der Besprechungskammer. Roger lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Welchen Eindruck haben Sie gewonnen, Jennifer?« Jennifer strich sich eine Strähne ihres kastanienbraunen Haars aus der Stirn. »Ich möchte dem eigentlich widersprechen. Ich glaube, Lauren war einfach nur verärgert über die Verhaftung, die sie für unbegründet hielt. Und sie macht sich Sorgen um das Wohlergehen ihres Vaters.« »Wie rührend«, warf Angela sarkastisch ein. »Wir hatten allen Grund, Dr. Stewart hierher zu bringen. Doktor Chu wollte ihm etwas sehr Interessantes zeigen – Proben von unserer Haut.« Roger war sehr nachdenklich. »Steht zweifelsfrei fest, daß wir nicht alle diese Hautproben an uns gebracht haben?« »Sir«, sagte Angela, und ihre Stimme klang dabei fast herablassend, »Mary Chu war zu intelligent, um alle Analyseeinheiten an einem Ort aufzubewahren. Vermutlich hat sie mit unserem Eingreifen gerechnet und einige der Proben so versteckt, um sie ihrem Bekannten Dr. Stewart in die Hände zu spielen.« »Hat er bereits geredet?« »Nein, Sir, noch nicht. Aber wir sind bereit, falls nötig, die Serumdosis zu erhöhen. Wir bringen ihn zum Sprechen, darauf können Sie sich verlassen.« »Mit welchen Auswirkungen auf ihn müssen wir durch das Verhör rechnen?« fragte Jennifer und wandte sich dabei in erster Linie an Roger. Doch es war Angela, die Antwort gab.
»Was spielt das für eine Rolle? Eine geringfügige Schädigung des zerebralen Bereichs macht ihn für unsere Zwecke noch lange nicht unbrauchbar.« Jennifer warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ist das Ihre Antwort, Kommandant?« Sie sah erneut Roger an. »Bedeutet das, daß Sie nicht die Absicht haben, Doktor Stewart wieder in die Freiheit zu entlassen?« Roger breitete kurz die Arme aus. »Dieser Punkt hat keine unmittelbare Priorität.« »Vielleicht sollte das aber der Fall sein«, meinte Jennifer. »Was wollen Sie denn damit sagen?« warf Angela spitz ein. »Kommandant…« Jennifer schenkte den Worten der stellvertretenden Kommandantin keine Beachtung. »Aufgrund ihrer Position ist Lauren Stewart dazu in der Lage, eine reibungslose Registrierung der Wissenschaftler zu gewährleisten. Sie kann uns darüber hinaus bei weiteren Dingen in bezug auf die UNO und die Regierungen der einzelnen Staaten helfen. Sie hat nicht unerheblichen Einfluß – und das ist ein Faktor, den Angela möglicherweise bisher übersehen hat.« Roger unterdrückte ein Lächeln. Er war sich durchaus der Spannungen zwischen seinen beiden weiblichen Offizieren bewußt. »Fahren Sie fort.« »Sie könnte uns auch Steine in den Weg legen, und daher sollten wir es vermeiden, sie vor den Kopf zu stoßen.« »Nun, wenn Lauren Stewart zu einem Problem wird, ziehen wir sie eben aus dem Verkehr«, meinte Angela scharf. Jennifer lächelte. Sie hatte damit gerechnet, daß Angela sich aufgrund ihrer mangelnden Weitsicht selbst in eine schwierige Lage manövrierte. Die Dritte Kommandantin gab die Antwort, die sie sich in Gedanken bereits zurechtgelegt hatte. »Ich glaube, Lauren wäre uns von weitaus größerem Nutzen, wenn
wir unsere guten Beziehungen zu ihr pflegten und sie ihre Arbeit bei den Vereinten Nationen weiterführt. Später könnten wir sie konvertieren. Schließlich haben wir eine mächtige Geheimwaffe.« Roger nickte. »Ja, dem kann ich nur zustimmen. Es handelt sich dabei um eine Möglichkeit, die wir zumindest erwägen sollten. Nun, Jennifer, ich bin Ihrer Meinung. Zunächst kommt es darauf an, Lauren Stewart zu beruhigen. Ich kümmere mich selbst darum.« Der Kommandant stand auf, und damit war die Besprechung beendet. »Ich danke Ihnen beiden für Ihren Rat.«
In der chemischen Verarbeitungsanlage Brooklyn herrschte große Aktivität. Drei als Tanker fungierende Visitor-Fähren standen auf dem Parkplatz. Ein weiteres Beiboot wartete an der einen Ecke des Gebäudes, verbunden mit den dicken Schläuchen einer Pumpe. Auf der anderen Seite der an dem Werk vorbeiführenden Straße stand ein Schwarzer am Zaun eines Basketballplatzes. Er war schlank und hochgewachsen, und er trug Jeans und eine alte Armeejacke. In der einen Hand hielt er eine Bierdose, und mit der anderen tastete er nach einer in der Tasche verborgenen Miniaturkamera. Seine Aufmerksamkeit schien allein den Jungen der Highschool zu gelten, die auf dem Platz Basketball spielten. Dann und wann jedoch richtete sich sein Blick auf das Werk, und bei diesen Gelegenheiten holte er die Kamera hervor und machte eine rasche Aufnahme. Nach einer Weile trat er in die Telefonzelle an der Ecke und wählte eine Nummer. Er beobachtete, wie man die Schläuche von dem einen Shuttle entfernte und die Fähre anschließend abhob und in Richtung des Mutterschiffes über Manhattan davonschwebte. »Sie ist gerade gestartet«, sagte der Mann in der Telefonzelle, und dann legte er auf.
Dr. Hannah Donnenfeld nickte einem jungen Mann zu, der vor einem CB-Funkgerät saß. Sie rieb sich die Hände und lachte leise. »Jetzt dürfte es klappen«, sagte sie. Der junge Mann betätigte die Sendetaste. »Nancy-Charlie zwei fünf, hier ist Brook Cove. Mamma meint, ihr sollt dem Raumschiff folgen. Viel Glück. Sari – sei vorsichtig.« Im Lautsprecher knisterte die Statik. »Verstanden, Brook Cove. Es geht los.«
Ein Helikopter mit der Kennung NC-25 hob von einem Landeplatz Brooklyns ab. Der Pilot und die Technikerin namens Sari James sahen die Visitor-Fähre sofort. Der Hubschrauber glitt eine Zeitlang in die entgegengesetzte Richtung davon und kreiste dann einige Minuten lang – bis das Shuttle im Hangar des Mutterschiffes gelandet war. Daraufhin drehte der Hubschrauber in Richtung Manhattan ab. »Wie lange mag es dauern?« fragte der Pilot, und er mußte fast schreien, um das Rattern der Rotorblätter zu übertönen. Die Technikerin rückte sich die Sonnenbrille zurecht. »Zwei Minuten etwa.« Nach gut hundertzwanzig Sekunden ging der Pilot wieder auf nördlichen Kurs, der sie in Richtung des Mutterschiffes führte. Sari richtete ein kameraähnliches Gerät auf die untere Seite der riesenhaften Scheibe. »Was ist das für ein Apparat?« fragte der Pilot. »Eine spektroskopische Aufzeichnungseinheit«, erwiderte Sari. »Wir glauben, daß die Visitors irgendwelches Zeug über Bord werfen, nachdem eine der beladenen Fähren zurückgekommen ist. Wir wollen gern wissen, um was es sich bei diesen… diesen Abfällen handelt.« »Soll ich noch näher heran?«
»Das wäre nicht schlecht.« Sari blickte durch das Okular des spektroskopischen Recorders, als an der Unterseite des gewaltigen Raumschiffes Gas einer diffusen Wolke gleich aus einer Öffnung wehte.
Pete Forsythe lenkte seinen Sportwagen an den Straßenrand, hielt an und holte den Zettel hervor, auf dem die Adresse Hannah Donnenfelds notiert war. Er kam nur sehr selten nach Long Island, daher kannte er sich in dieser Gegend nicht sonderlich gut aus. Pete fuhr weiter, und bald wurden aus den Straßen Kieswege, die an Büschen und Sträuchern vorbeiführten. Nach einer Weile sah er ein Schild, das ihm die Richtung nach den ›Brook-Cove-Laboratorien‹ zeigte, und er lächelte zufrieden. Es dauerte noch einmal einige Minuten, bis er das im englischen Stil gehaltene Hauptgebäude vor sich sah, und er parkte seinen Wagen neben einigen anderen. Hinter dem großen Haus konnte er den Hafen der Austernbucht sehen. Kleine Boote dümpelten dort auf den Wellen, und unterhalb einer felsigen und hier und dort mit Gras bewachsenen Anhöhe erstreckte sich ein schmaler Strand. Pete griff nach der Aktentasche und stieg die steinerne Treppe hoch. Die Tür öffnete sich, noch bevor er klingeln konnte, und eine gut siebzig Jahre alte Frau trat ihm entgegen. Das Fernsehen hatte über die Verleihung des Nobelpreises an Hannah Donnenfeld berichtet; Pete erkannte sie zwar wieder, war aber erstaunt, wie klein sie in Wirklichkeit war. Sie reichte ihm die Hand. »Doktor Donnenfeld, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Ich habe viel über Ihre Arbeit gelesen.« Nach einigen Höflichkeitsfloskeln trat die alte und doch noch immer erstaunlich rüstige Frau beiseite, und Pete trat ein. Er
mußte sich beeilen, um mit Dr. Donnenfeld Schritt zu halten, als sie ihn in einen Raum führte, der eine Kombination aus Wohnzimmer und Laboratorium darstellte – Kamin und Sessel auf der einen Seite, Werkbänke und Geräte auf der anderen. »Interessante Einrichtung«, sagte Forsythe. »Tja«, meinte die Wissenschaftlerin, »auf diese Weise kann man sich immer gleich an die Arbeit machen, wenn einem etwas einfällt.« Sie sah ihn an. »So, und jetzt zeigen Sie mir bitte, was George Stewart Ihnen für mich mitgegeben hat.« Pete führte die Proben nun schon so lange bei sich, daß er sich nur widerstrebend von ihnen trennen konnte. Die Wissenschaftlerin bemerkte sein Zögern und lächelte schief. »Vielleicht ist mit George und Mary Chu alles in Ordnung – wo sie sich jetzt auch befinden mögen.« Sie griff nach dem Telefon. »Mitchell, würden Sie bitte zu mir kommen?« Sie legte auf, holte den Inhalt des Umschlages hervor und ging rasch die handschriftlichen Notizen durch. Ein pausbäckiger, gut dreißig Jahre alter Mann, gekleidet in Jeans und ein kariertes Flanellhemd, schlurfte ins Zimmer. Forsythe beobachtete Mitchell wortlos, als er die Unterlagen von Donnenfeld entgegennahm. »Überprüfen Sie die Proben gründlich«, wies ihn die alte Wissenschaftlerin an. »Führen Sie alle Analysen durch, die Sie für angebracht halten.« Mitchell nickte nur und ging. »Möchten Sie sich hier umsehen, während wir auf das Ergebnis der Untersuchung warten?« fragte Hannah. »Vielleicht gefällt es Ihnen hier so gut, daß wir Sie eines Tages als Mitarbeiter begrüßen können, wenn Sie erst mit Ihrem Studium fertig sind.« Sie griff nach einer Jacke, und Forsythe folgte ihr hinaus. Sie wanderten durch das Anwesen, das eigentlich keinen sonderlich außergewöhnlichen Eindruck erweckte. Es handelte sich dabei um eine Mischung aus
Forschungseinrichtungen und Unterkünften. Donnenfeld erklärte Pete, daß die Wissenschaftler, die hier tätig waren, kein so hohes Einkommen bezogen wie etwa in der Industrie oder in Brainstorming-Instituten. Andererseits aber hatten die entsprechenden Leute hier in Hinsicht auf ihre Forschungen alle nur erdenklichen Freiheiten. »Wie lange sind Sie schon hier, Doktor Donnenfeld?« fragte Forsythe nach einer Weile. Die alte Frau sah zu ihm auf, und ihre Lippen bewegten sich langsam, als sie rasch nachrechnete. »Seit fünfundzwanzig Jahren. Kommen Sie, ich möchte Ihnen jetzt einige wirklich interessante Dinge zeigen.« Sie führte Pete in ein kleines Nebengebäude, das kaum größer war als eine Scheune. Tatsächlich schien es sich dabei um eine Art Lagerschuppen zu handeln, denn Forsythe sah Dutzende von Kisten und andere Behälter. Donnenfeld griff hinter eins der Regale an den Wänden, und ein Teil der Wand schwang beiseite. An die Geheimtür schloß sich eine in die Tiefe führende Treppe an. Pete folgte der alten Frau. Die Treppe endete an einer schweren Stahltür. Dahinter befand sich ein großes Laboratorium, das aussah, als sei hier eine Science-fiction-Vision Wirklichkeit geworden. Überall fiel der erstaunte Blick Forsythes auf Computerterminals, modernste Analysegerätschaften und andere Apparaturen, die ihm völlig fremdartig erschienen, selbst nach einigen Jahren des Medizinstudiums. Nur vier Wissenschaftler arbeiteten hier, und als Kontrast zu der futuristischen Umgebung trugen sie Jeans, Turnschuhe und T-Shirts. Sie alle erwiesen sich als sehr freundlich und locker. »Na, was halten Sie von dieser kleinen Überraschung?« fragte Donnenfeld. »Ich bin überwältigt.«
»Es gibt hier noch drei weitere Einrichtungen dieser Art«, erwiderte die alte Frau lächelnd. Ein Telefon klingelte, und eine der Forscherinnen nahm ab. »Es ist für Sie, Hannah.« Donnenfeld griff nach dem Hörer. »Ja? Danke, Mitchell. Wir sind gleich bei Ihnen. Kommen Sie, Pete – die Analyseergebnisse liegen vor.«
»Ausgesprochen seltsam«, sagte Dr. Donnenfeld, nachdem sie aufmerksam die Unterlagen studiert hatte. »Pete, bei dieser sogenannten Haut handelt es sich überhaupt nicht um Haut, zumindest nicht in einem biologischen Sinn.« »Was bedeutet das?« fragte Forsythe. »Es bedeutet, das Material ist künstlichen Ursprungs, eine Art Plastik.« Pete runzelte die Stirn. Er hatte sich Dutzende von Möglichkeiten vorgestellt, doch diese gehörte nicht dazu. »Kunststoff? Sie meinen… eine Art Hülle?« Donnenfeld nickte. »Ja. Ich möchte nur wissen, was sich unter der Hülle befindet. Diese Daten hier beweisen, daß die Visitors sich grundlegend von uns unterscheiden, und bestätigt wird das noch von Ihrer Beobachtung.« Die Wissenschaftlerin wandte sich ihren Mitarbeitern zu. »Die Fremden von den Sternen mögen es offenbar besonders gern, lebende Ratten zu verschlingen«, fügte sie wie beiläufig hinzu und deutete auf Peter. »Er hat es mit eigenen Augen miterlebt.« Ein Mann mit Halbglatze und einem dünnen Oberlippenbart eilte ins Zimmer und zeigte einen Ordner. »Was ist, Klaus?« fragte Donnenfeld. »Die Ergebnisse der Spektroanalyse!« entfuhr es ihm, und Pete bemerkte dabei einen leichten deutschen Akzent.
Die Aufmerksamkeit der anwesenden Forscher, die bis dahin der Kunststoffhaut der Visitors gegolten hatte, richtete sich nun auf den Neuankömmling. Klaus straffte seine Gestalt und räusperte sich übertrieben. »Es ist genau so, wie wir bereits vermuteten«, erklärte der deutsche Wissenschaftler. »Die chemische Verbindung, die die Visitors angeblich so dringend brauchen und wegen der sie fast neun Lichtjahre weit gereist sind… Nun, sie bringen sie an Bord des Mutterschiffes, nur um sie gleich darauf als Gas in die Atmosphäre abzulassen.« »Aber warum?« fragte Pete. Donnenfeld zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber ganz offensichtlich machen uns die Visitors in einigen Dingen etwas vor. Ich mißtraue ihnen inzwischen gründlich. Nun, ich möchte, daß wir von jetzt an in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten.« »Woran?« fragte Mitchell. »Wir nehmen uns die bisherigen biochemischen Daten vor und versuchen, Theorien zu entwickeln. In der Hauptsache geht es mir jedoch darum, daß sich eine Hälfte des Mitarbeiterstabes dieser Forschungseinrichtung ständig in den unterirdischen Hauptlaboratorien befindet. Von nun an arbeiten wir unter der Sicherheitsstufe Gelb. Es kommt darauf an, äußerst vorsichtig zu sein.« Einige der Wissenschaftler stöhnten leise, und die alte Frau hob mahnend die Hand. »Wir wissen, daß den Visitors vor allen Dingen die Spezialisten der biologisch orientierten Wissenschaften ein Dorn im Auge sind. Wenn uns die Kerle hier aufstöbern, dürfen sie uns nicht alle erwischen. Bestimmt ahnen sie nichts von den unterirdischen Anlagen. Wir müssen hier als eine Institution überleben, mehr über die Besucher von den Sternen herausfinden und herausfinden, was sie auf der Erde wollen.«
Daraufhin wandten sich die Männer und Frauen um und verließen den Raum. Donnenfeld wandte sich Forsythe zu. »Sie sind uns eine große Hilfe gewesen.« »Ich würde Ihnen auch gern weiterhin helfen, Doktor«, erwiderte Pete ernst. »Ich weiß. Aber wir dürfen kein Risiko eingehen. Es könnte sein, daß die Visitors inzwischen die ganze Welt überwachen. Ich weiß nicht, was uns mehr in Gefahr bringen könnte – Telefongespräche oder persönliche Besuche. Zukünftige Treffen sollten in der Austernbucht oder am Strand stattfinden. Nun, halten Sie die Augen offen. Wenn Sie etwas Wichtiges in Erfahrung bringen, so rufen Sie mich von einer öffentlichen Telefonzelle aus unter dieser Nummer an.« Donnenfeld reichte Pete eine Karte. »Die Leitung ist speziell abgeschirmt und so sicher, wie sie mit Hilfe unserer Technologie gemacht werden kann.« Sie führte Forsythe in Richtung Tür. »Wir können Ihnen gar nicht genug danken – sowohl für die Information als auch dafür, daß Sie uns das Gefühl gegeben haben, wirklich etwas gegen die Visitors unternehmen zu können.« Und damit verabschiedeten sie sich voneinander.
12. KAPITEL Machtspiel
Im hellen Licht der Fernsehscheinwerfer unterzeichnete Verteidigungsminister Farley Mason das umfangreiche Dokument. Reporter drängten sich vor dem Schreibtisch seines Büros, und Kameras surrten und kickten. Lauren Stewart starrte wie gebannt auf den Fernsehschirm. Hinter Mason hing eine Karte an der Wand, und der Minister griff nach einem Zeigestock. »Diese Karte«, sagte Mason, »zeigt all die Länder, in denen hieb- und stichfeste Beweise dafür gefunden wurden, daß sich hochrangige Wissenschaftler gegen die Visitors verschworen. Aus diesem Grund habe ich die Petition unterschrieben, die sowohl der Regierung als auch den Visitors Unterstützung zusichert.« Als er eine Pause machte, rief einer der Reporter: »Wieso wurde Präsident Morrow seit einer Woche nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen?« »Er ist sehr beschäftigt«, erwiderte Mason. »Er berät sich mit Politikern der verschiedenen Nationen und auch den Visitors, um einen Weg zu finden, die Verschwörung zu bekämpfen.«
William Brent Morrow hockte in seiner Zelle und fragte sich, wie lange er sich schon an diesem Ort aufhielt. Nachdenklich tastete er sich über die Bartstoppeln und versuchte abzuschätzen, ob sie drei oder vier Tage alt waren. In aller Deutlichkeit erinnerte sich der Präsident an den Abend, an dem
die Fähre gelandet war, die John nach dem Weißen Haus bringen sollte, nachdem Morrow den Obersten Kommandeur mit allem Nachdruck dazu aufgefordert hatte, ihm persönlich die Hintergründe für die zunehmenden Unruhen auf der Erde zu erklären. Anstatt John aber stürmten bewaffnete VisitorSoldaten aus dem Shuttle und schossen erbarmungslos die Wache haltenden Marinesoldaten nieder. Nur Barbara konnte entkommen. Morrow versuchte sich zur Wehr zu setzen, doch man verabreichte ihm eine Injektion, und anschließend folgte nur noch Schwärze – eine Dunkelheit, in der er dann und wann die verbrannte Leiche des Pressesekretärs zu sehen glaubte. Morrow wußte, daß er sich irgendwo an Bord des Mutterschiffes befand, und er fragte sich, ob Barbara klug genug war, unterzutauchen. Er schluckte, als er an seine Frau dachte, und als er bemerkte, daß er in sich zusammengesunken war, versuchte er sich wieder gerade aufzurichten. Vermutlich ließ ihn Angela die ganze Zeit über beobachten. In jedem Augenblick mochten die Visitors kommen und ihn abholen, um ihn erneut ins Laboratorium zu bringen. Man hatte ihm die Uhr und den größten Teil der Kleidung abgenommen, und immer wieder unterzog man ihn der Konvertierungsbehandlung, in unregelmäßigen Abständen – damit ließ man ihm nicht einmal die Möglichkeit, sich innerlich auf den neuerlichen Beginn des Schreckens vorzubereiten. Inzwischen hatte Morrow nicht nur das Zeitgefühl verloren, sondern auch die Orientierung. Durch die Aufenthalte in der Konvertierungskammer, in jener gläsernen Hölle, war er mit allen Schrecken seiner Vergangenheit konfrontiert worden, und in den dicken Mauern seines geistigen Widerstandes zeigten sich inzwischen die ersten feinen Risse.
Erneut blickte Morrow auf den Bildschirm. Er hatte Farley Mason gerade bei der Unterzeichnung der Petition beobachtet, und er konnte nur Mitleid für ihn empfinden, denn er wußte inzwischen aus eigener Erfahrung, welche Ungeheuer die Visitors in der Erinnerung des Verteidigungsministers geweckt hatten, um ihn dazu zu bringen, seine Heimat zu verraten. Tränen traten dem Präsidenten in die Augen, und er bemühte sich, sie nicht über die Wangen rinnen zu lassen, den Strom zurückzuhalten und einen inneren Damm zu errichten. Er wollte Angela nicht zeigen, wie es in ihm aussah. Seine einzige Hoffnung bestand darin, auszuharren und nicht nachzugeben. Wenn er sich nicht konvertieren ließ, mochten die Visitors ihre Bemühungen aufgeben und ihm einen raschen Tod gewähren… Petes Telefon klingelte, und er rollte sich auf der Couch herum und nahm den Hörer ab. »Hallo? Lauren? Rufen Sie von einer Telefonzelle aus an? Ich bin überrascht, von Ihnen zu hören. Vier Tage sind inzwischen vergangen.« »Nein, ich bin zu Hause. Sehen Sie sich die Nachrichten an?« »Die sogenannte Pressekonferenz? Ja. Was ist mit Ihrem Vater?« »Es gibt noch keine Neuigkeiten. Ich glaube, die Visitors wollen Zeit gewinnen. Roger behauptet immer wieder, aufgrund der Verhaftungen und Verhöre der vielen schuldigen Wissenschaftler sei es schwierig, diejenigen zu finden, deren Arrest irrtümlicherweise erfolgte, so wie bei meinem Vater.« »Unsinn«, kommentierte Pete. »Wissen Sie was? Ich glaube, wir sollten ausführlich darüber sprechen.« Lauren hörte Pete zu, blickte aber weiterhin auf den Fernsehschirm. Als Mason ein weiteres Dokument unterschrieb, machte sie laut: »Aha! Farley Mason benutzt die rechte Hand.« »Na und?« fragte Pete. »Das machen die meisten Leute.«
»Aber nicht, wenn sie Linkshänder sind«, sagte Lauren. Und sie fügte mit gepreßt klingender Stimme hinzu: »Damals im Büro des Präsidenten hielt Mason die Verschwörung für eine fixe Idee der Visitors, für einen ausgemachten Unfug. Jetzt aber gibt er sich so, als sei er selbst es gewesen, der sie aufdeckte. Die ganze Sache kommt mir ziemlich seltsam vor.« »Ich glaube, es ist an der Zeit, etwas zu unternehmen!« »Und was?« fragte Lauren wachsam. »Keine Ahnung. Wie wär’s, wenn wir uns beide heute abend Gedanken darüber machen und uns dann morgen mittag treffen? Ich kenne da ein nettes italienisches Restaurant an der vierzigsten Straße. Es heißt ›Bella Capri‹. Um halb eins?« »Einverstanden. Bis morgen, Pete.« Der Klang ihrer Stimme ließ Forsythe vermuten, daß Lauren während der vergangenen vier Tage kaum geschlafen und immerzu an ihren Vater gedacht hatte. »Lauren? Ich bin sicher, es ist alles in Ordnung mit ihm. Er kommt sicher bald zurück.« »Danke, Pete«, sagte Lauren. »Wir sehen uns morgen.« Sie legte auf und holte tief Luft. Vielleicht habe ich Pete Forsythe falsch eingeschätzt, dachte sie.
Denise Daltrey sah auf, als Winston Weinberg in ihr Büro stürmte. »Sie haben zwei Minuten, um sich fertigzumachen«, platzte es aus ihm heraus. »Dann gehen Sie auf Sendung.« Er packte sie am Arm und zerrte sie einfach mit sich auf den Gang. »Was ist denn los, Winnie? Ich habe sowohl die Morgen- als auch die Abendnachrichten moderiert, und ich bin müde und möchte nach Hause.« »Uns geht eine Meldung über die Visitors zu, von Los Angeles. Scheint eine dicke Sache zu sein.«
Sie erreichten den Lift. »Und um was genau geht es dabei?« fragte Denise. »Keine Ahnung. Von uns hat die Sendung noch niemand gesehen. Sie wird von der NBC ausgestrahlt. Himmel, ich hasse es, Bilder zu übertragen, die ich vorher nicht prüfen konnte. Aber wie ich hörte, handelt es sich um heimlich an Bord des Mutterschiffes von Los Angeles gemachte Aufnahmen.« »Von wem stammen sie?« »Von einem gewissen Michael Donovan.«
Denise schloß die Augen, als der Make-up-Spezialist ihr Puder ins Gesicht rieb. Die Zeit reichte nicht mehr, sie richtig auf die Sendung vorzubereiten. Sie hakte sich das kleine Mikrofon an der Bluse fest, und unmittelbar darauf vernahm sie die Stimme des Direktors aus dem Ohrempfänger. »Denise, Kamera eins in fünf Sekunden… vier… drei… zwei… eins – und an.« »Guten Abend«, sagte Denise. »Wir unterbrechen das Programm für eine Sondersendung. Die Bilder, die Sie gleich sehen werden, kommen von der NBC, und bisher kennen sie nur einige wenige Techniker des dortigen Studios. Wie wir hörten, wurden die Aufnahmen von Mike Donovan an Bord des Mutterschiffes von Los Angeles angefertigt.« Sie hielt kurz inne und lauschte der Stimme, die in ihrem Ohrempfänger erklang. »Man teilt mir gerade mit, daß die Verbindung nun steht. Wir schalten um nach Los Angeles.« Denise wandte sich um und richtete den Blick auf den entsprechenden Monitor. Sie erkannte die Züge Charlie Birnbaums, der gerade sagte: »An Bord des über Los Angeles schwebenden Mutterschiffes ist es gerade…«
Von einem Augenblick zum anderen wurde die Schirmfläche grau. »Die Verbindung ist unterbrochen«, vermeldete einer der Techniker. Und ein anderer fügte hinzu: »Keine der Stationen sendet mehr – auch wir nicht!« Denise runzelte verwirrt die Stirn, als auf dem Monitor plötzlich das Symbol der Visitors aufleuchtete, jenes Muster aus Balken und Punkten, das die Fähren als Hoheitszeichen aufwiesen. Nach einigen Sekunden verblaßte das Symbol wieder, und ein bekanntes Gesicht lächelte vom Schirm. »Hier spricht Kristine Walsh. Der Oberste Kommandeur der Visitors, John, möchte eine Erklärung abgeben…« Das Bild wechselte und zeigte John. Er wirkte ausgesprochen freundlich, doch seine ersten Worte ließen ungläubigen Zorn in Denise entstehen. »Ich möchte den politischen Führern der einzelnen Staaten danken, die uns großzügigerweise die Kapazität ihrer Sendestationen zur Verfügung stellten, um uns zu helfen, in dieser Krisensituation Unruhen zu vermeiden. Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß von der Verschwörung der Wissenschaftler gerade der sorgfältig geplante und gewaltsame Versuch unternommen wurde, unsere Einrichtungen an vielen wichtigen Orten der Erde unter Kontrolle zu bringen.« Die Bilder zeigten nun brennende Raffinerien und Industriekomplexe, und während die Visitors zusammen mit irdischen Feuerwehrleuten die Flammen zu ersticken versuchten und verletzte Menschen und Aliens davongetragen wurden, fuhr John fort: »Es hat viele Tote gegeben, sowohl bei Ihrem als auch meinem Volk. Darüber hinaus sind Tausende von Personen verletzt worden, und wir müssen mit weiteren Anschlägen dieser Art rechnen.« Erneut zeichneten sich Johns Züge auf der Schirmfläche ab, doch diesmal lächelte der Oberste Kommandeur nicht mehr.
»Die Gewalttätigkeiten haben ein so gefährliches Ausmaß angenommen, daß uns viele Repräsentanten Ihrer Regierungen darum baten, Ihnen Schutz zu gewähren. Wir haben dieser Bitte natürlich bereitwillig entsprochen. Die betreffenden Personen befinden sich inzwischen an Bord unserer Raumschiffe und damit in Sicherheit.« John machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: »Darüber hinaus muß ich Ihnen leider die Mitteilung machen, daß sich dieser Mann, dem wir großes Vertrauen entgegenbrachten…«, das Bild wechselte ein weiteres Mal und zeigte nun eine Fotografie, »… Michael Donovan aus den Vereinigten Staaten, als der größte Verräter in Hinsicht auf unsere Bemühungen um eine Zusammenarbeit erwies. Für Hinweise, die zu seiner Verhaftung führen, haben die Generalversammlung der UNO und die Regierung der USA eine hohe Belohnung ausgesetzt.« Donovan – ein Verräter? Denise kannte Mike von früher, und sie wußte, daß Mike sich nicht gerade durch jene Art von Klugheit auszeichnete, die nötig war, um Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen – bei seinen waghalsigen Unternehmen war er mehrmals nur knapp mit dem Leben davongekommen. Doch andererseits konnte Denise ihn sich nicht als den Drahtzieher einer internationalen Verschwörung vorstellen. »Ihre politischen Führer befürworten die Verhängung des Kriegsrechtes, von dem sie sich angesichts der angespannten Lage eine allgemeine Beruhigung erhoffen, und wir pflichten dem bei. Lokale Polizeistreifen werden mit Visitor-Patrouillen zusammenarbeiten, und darüber hinaus erbitten wir die Hilfe aller Gruppen der Sternenfreunde.« John lächelte jetzt wieder. »Wir hoffen, daß die gegenwärtige Krise rasch überwunden wird. Ich verspreche Ihnen, daß wir Visitors uns in der Zwischenzeit alle Mühe geben werden, die Ordnung
wiederherzustellen, die Unruhestifter zu finden und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Weitere Mitteilungen folgen später.« Johns Bild verblaßte und wich dem roten Visitor-Symbol. »Sieht ganz so aus, als seien wir aus dem Rennen«, hörte Denise die Stimme des Direktors. Fast krächzend fügte er hinzu: »Diese Mistkerle übernehmen jetzt die Kontrolle.« Denise legte das Mikrofon beiseite und begriff plötzlich, daß sie jetzt so lange schlafen konnte, wie sie wollte. Falls es ihr gelang, zur Ruhe zu kommen…
13. KAPITEL Seltsame Zeiten
»Die Vorstellung, mit den Visitors zusammenzuarbeiten, macht mich ganz krank, Pete!« sagte Lauren und sah sich mißtrauisch in dem Restaurant um. »Hier sind wir sicher«, erwiderte Forsythe. »Guido ist ein alter Freund von mir, und er kommt aus Rom, nicht von einem Planeten des Sirius.« Es war tatsächlich nicht nötig, besondere Vorsicht walten zu lassen, denn nach der Verhängung des Kriegsrechtes schienen nur noch wenige Leute daran Gefallen zu finden, mittags außerhalb der eigenen vier Wände zu essen: Es hielten sich nur wenige Personen in dem Restaurant auf. »Diese Sache mit dem Kriegsrecht war ein echter Schock für mich – ich kann einfach nicht glauben, daß Präsident Morrow sich damit einverstanden erklärte.« Lauren schüttelte den Kopf. »Seit Sie zum letztenmal mit ihm zusammentrafen, hat sich die Situation einschneidend verändert«, sagte Pete. »Aber Morrow ist einfach nicht der Typ Mann, der die Unabhängigkeit seines Heimatlandes Fremden opfert. Er beugt sich niemandem, und erst recht nicht den Visitors.« Pete zögerte einige Sekunden und fragte dann: »Haben Sie inzwischen erfahren, was aus Ihrem Vater wurde?« Lauren bemerkte die Veränderung im Tonfall Forsythes. »Sie und Dad waren gute Freunde, nicht wahr?« Pete runzelte die Stirn. »Wir sind es, Lauren.« Die junge Frau senkte den Blick. »Wir müssen auch mit der Möglichkeit seines Todes rechnen.«
»Keine Nachricht ist immer noch besser als eine schlechte«, sagte Pete mit Nachdruck, und er fügte hinzu: »Wir sollten endlich etwas unternehmen.« »Aber was?« fragte Lauren und starrte auf die Reste ihrer Lasagne. »Wir müssen die Visitors davonjagen und verhindern, daß sie unsere Welt ganz unterjochen.«
Rasch stieg Pete Forsythe die Treppe in Richtung seines Apartments hoch, öffnete die Tür so leise wie möglich und warf einen mißtrauischen Blick ins erste Zimmer. Als er sich vergewissert hatte, daß sich niemand in seiner Wohnung aufhielt, trat er ein und dachte an Lauren. Er fragte sich, ob es ihr gelang, den Visitors gegenüber auch weiterhin den Eindruck zu erwecken, als arbeite sie eng mit ihnen zusammen. Das Telefon klingelte. Pete nahm ab, und Bobby Neal meldete sich. »Pete? Du mußt mir helfen!« »Bobby? Was ist denn los?« »Es gibt Probleme. Nachdem die Mistkerle gestern das Kriegsrecht verhängten, habe ich Alex gesagt, er solle sich selbst um den Schwachsinn mit den Sternenfreunden kümmern. Ich sagte ihm, ich sei Amerikaner, und als patriotischer Bürger dieses Landes wolle ich nicht auch noch die Leute unterstützen, die hier einfach so die Macht ergriffen. Alex warnte mich, aber ich blieb bei meiner Entscheidung.« Panik vibrierte in der Stimme Bobby Neals, als er hinzufügte: »Als ich eben vom Einkaufen zurückkam, sah ich vor meinem Haus eins der Staffelshuttles stehen. Ich bin ganz sicher, daß die Visitors mich abholen wollten!« »Wo bist du jetzt?«
»Beim Stadion. Ich brauche ein wenig Geld und…« Forsythe hörte ein leises Zischen, gefolgt von einem dumpfen Stöhnen. Am anderen Ende der Leitung stieß der Hörer gegen etwas Hartes. Die Verbindung war noch nicht unterbrochen, und Pete lauschte dem Geräusch sich nähernder Schritte. Dann fragte eine vibrierende und seltsam nachhallende Stimme: »Hallo? Wer spricht dort?« Pete legte rasch auf. Himmel! Was nun? Er begriff plötzlich, daß er nichts mehr für Bobby tun konnte, und diese Erkenntnis ließ einen stechenden Schmerz in seiner Brust entstehen. Tränen quollen ihm in die Augen, und er wischte sie wütend fort. Zunächst einmal eine Magnum oder einen großen Colt – eine Waffe, die ich ständig bei mir tragen kann, dachte er und preßte dabei voller Entschlossenheit die Lippen zusammen. Dann eine mit größerer Reichweite, am besten versehen mit einem Nachtsichtgerät. Vielleicht eine M16…
14. KAPITEL Der Widerstand wächst
Nach der Verhängung des Kriegsrechtes übernahmen die Visitors auch die Kontrolle über alle Sendestationen, und da Denise von diesem Augenblick an praktisch arbeitslos war, hatte sie Gelegenheit, sich zu entspannen und versäumten Schlaf nachzuholen. Als Journalistin war sie natürlich versucht, sich umzuhören, mit verschiedenen Leuten zu sprechen und herauszufinden zu versuchen, was eigentlich vor sich ging. Doch gerade infolge dieser Aktivitäten waren einige der Kollegen Daltreys innerhalb von vierundzwanzig Stunden verhaftet worden – was offenbar als Hinweis für die anderen Reporter interpretiert werden konnte, nicht die Nase in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen. Außerdem gab es nicht mehr viele Prominente, mit denen sich ein Interview gelohnt hätte. Die Regierungsrepräsentanten hielten sich größtenteils an Bord der Visitor-Raumschiffe auf, und diejenigen, die man nicht in sogenannte Schutzhaft genommen hatte, waren nicht geneigt, mit Leuten von der Presse zu sprechen. Die Auswirkungen des Kriegsrechtes machten sich recht bald auch in der Tagesroutine bemerkbar. Wenn man die Stadt verlassen wollte, brauchte man dafür eine Sondergenehmigung, und das traf auch auf Ferngespräche zu. Nahrungsmittel und andere wichtige Dinge des täglichen Bedarfs wurden knapp, da es praktisch keinen großräumigen Handelsaustausch mehr gab. Die Regale in den Gemischtwarenhandlungen waren so gut wie leer, und die
Leute hatten sich mit Taschenlampen, Gasflaschen, Campingund Angelausrüstungen eingedeckt. Nach den wenigen Meldungen zu schließen, die die Nachrichtensperre der Visitors durchdrangen, ruhte die Arbeit in den meisten Industriekomplexen. Es waren praktisch nur noch die Fertigungsanlagen der Visitors in Betrieb. Die Familien waren plötzlich an ihr unmittelbares Zuhause gebunden, und voller Ungewißheit blickten sie in die Zukunft. Als Denise durch Manhattan wanderte und die großen Apartmenthäuser beobachtete, hatte sie fast den Eindruck, als sähe sie sie nun zum ersten Mal. Sie konnte beinahe spüren, wie in den Burgen aus Stahl und Beton die Ängste und Befürchtungen und Unsicherheiten der jeweiligen Bewohner pulsierten – von Menschen, die sehnlichst ein Ende dieses Alptraums herbeiwünschten. Schließlich kam die Journalistin zu der Erkenntnis, daß sie die Stadt verlassen mußte, die nun einem riesigen Konzentrationslager ähnelte, über das ständig Patrouillenfähren der Visitors hinwegschwebten. Sie brauchte einige Tage, um die Reisegenehmigung zu bekommen, doch schließlich erteilte ihr die Visitor-Bürokratie die Erlaubnis, zum Ferienhaus eines Bekannten zu fahren, einer Hütte in den Bergen nördlich der Stadt.
Denise fuhr durch die Nacht und beschloß, auf dem Weg nach Norden die Abkürzung durch den Central Park zu nehmen. Sie hatte den Park immer gemocht, diese Enklave aus Grün in einem Dschungel aus Stahl und Beton. Wenn man an den Bäumen entlang spazierenging, sahen die Wolkenkratzer in der Ferne aus wie seltsam regelmäßig geformte Berge. Denise bemerkte nichts davon, daß einige Dutzend Meter über ihr ein Staffelshuttle der Visitors schwebte und ihr folgte.
Angesichts der kurvenreichen Straße und der Baumwipfel fiel es dem Piloten der Fähre schwer, ihren Wagen ständig unter Beobachtung zu halten. Er steuerte das Beiboot etwas tiefer…
Der Landstreicher, mit Zeitungen zugedeckt, nahm einen Schluck aus der Flasche in der Papiertüte. Er schloß genießerisch die Augen, als ihm die scharfe Flüssigkeit durch die Kehle rann, und er dachte, was es doch für ein Glück war, eine volle Flasche zu haben und in einer windstillen Nacht im ruhigen Central Park zu sitzen. Er sah zu den Wolken empor, die langsam auseinanderdrifteten und das Sternenglitzern enthüllten. Der Alkohol hatte auf seinen Sinn für Romantik keine betäubende Wirkung. Er sah immer noch in die Höhe und wollte gerade einen weiteren Schluck aus der Flasche nehmen, als er plötzlich einen Schatten bemerkte, der sich dicht über den Baumwipfeln bewegte. Unsicher stand er auf und wankte in Richtung der Straße, um einen zweiten Blick auf das seltsame Objekt zu werfen, und er sah den Wagen nicht, als er das Gleichgewicht verlor und auf den Asphalt fiel.
Denise trat auf die Bremse und brachte den Wagen zum Stehen. »O Gott!« hauchte sie, löste rasch den Sicherheitsgurt, stieg aus und beugte sich über die auf der Straße liegende Gestalt. Für eine Zeitspanne, die der Journalistin wie eine Ewigkeit erschien, rührte sich der in Lumpen gekleidete Mann nicht. »Ist… ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sind Sie verletzt?« Sie bekam keine Antwort, und besorgt trat Denise noch näher an den Reglosen heran.
Dann plötzlich erzitterte die Gestalt und stöhnte leise. Langsam kam der Vagabund wieder auf die Beine, schwankte ein wenig und torkelte in Richtung der Parkbank davon. Denise seufzte erleichtert und wandte sich nach ihrem Wagen um. In diesem Augenblick wurde sie auf den großen Schemen über ihr aufmerksam. Sie erkannte die Konturen und wußte, daß sie es mit einem Staffelshuttle der Visitors zu tun hatte. Sie stieg in ihr Auto und fuhr langsam weiter. Sie beschleunigte, bremste und wiederholte das einige Male. Anschließend konnte es keinen Zweifel mehr daran geben, daß das Beiboot der Visitors sie verfolgte. Denise hatte das Gefühl, als schnüre ihr irgend etwas die Kehle zu – und von einem Augenblick zum anderen trat sie das Gaspedal voll durch. Die Straße war nur schlecht beleuchtet und eignete sich nicht sonderlich für nächtliche Rennen, und die Reifen des Wagens quietschten. Denise raste durch eine scharfe Kurve und hätte dabei fast die Kontrolle über den Wagen verloren. Wieder auf gerader Strecke warf sie einen kurzen Blick in die Höhe – der Schatten des Staffelshuttles befand sich noch immer über ihr. Panik stieg in ihr hoch, und sie drehte das Steuer herum und gab erneut Vollgas. Diesmal überschätzte sie sich. Der Toyota ruckte über die Bordsteinkante hinweg und prallte an einen Baumstamm. Benommen streifte sich Denise den Sicherheitsgurt ab und stieg aus. Eine Zeitlang lief sie an der Straße entlang, begriff dann aber, daß sie in diesem Bereich leicht von Bord der Visitor-Fähre aus gesehen werden konnte. Daraufhin hielt sie auf das Dickicht am Ufer des Sees zu. Das Shuttle folgte ihr weiterhin, schwebte mal höher, um einem Baumwipfel auszuweichen, und sank dann wieder herab. Ein Energieblitz sengte nur wenige Meter von Denise entfernt über den Boden, und sie war so erschrocken, daß sie
unwillkürlich aufschrie. Eine weitere Entladung verbrannte einen dicken Ast vor ihr, und Daltrey wich rasch zur Seite aus. Sie durfte sich jetzt auf keinen Fall von ihrer Furcht beherrschen lassen. Kurz darauf erreichte sie eine offene Rasenfläche. Die Visitor-Fähre glitt über sie hinweg und setzte zur Landung an, schwebte jetzt nur noch einige wenige Meter über dem Boden. Weitere energetische Blitze zuckten aus den Bordwaffen. Denise wußte, daß man sie jederzeit hätte treffen können. Daraus schloß sie, daß man es nicht auf ihr Leben abgesehen hatte, sondern ihr nur Angst einjagen wollte. Als sie noch darüber nachdachte, in welche Richtung sie sich nun wenden sollte, setzte das Shuttle auf, und zwei Soldaten mit schwarzen Helmen sprangen durch die Luke und richteten ihre Lasergewehre auf sie. Denise entdeckte einen Pfad, der erneut in den Wald und dann weiter in den westlichen Bereich des Central Park führte. Wie schnell die Visitors wohl in ihren dicken Uniformen und den schweren Stiefeln laufen können? fuhr es der Journalistin durch den Sinn, und sie zögerte nicht länger und stürmte los. Laserfeuer verbrannte das Gras vor und hinter ihr, und sie konnte die Hitze spüren. Verdammt! Vielleicht hatten die Visitors die Anweisung, sie nicht entkommen zu lassen, und wenn das stimmte, mochten sie sich dazu gezwungen sehen, keine weiteren Warnschüsse mehr abzugeben und sie endgültig zur Strecke zu bringen. Mit dem einen Fuß stieß Denise gegen einen halb im Boden verborgenen Stein, und sie verlor das Gleichgewicht und fiel in ein Gebüsch. Sofort rollte sie sich zur Seite, blickte in Richtung ihrer Verfolger und befürchtete, daß ihr Sturz den Visitors die Möglichkeit gab, zu ihr aufzuschließen. Plötzlich vernahm sie ein rasch näherkommendes Pochen – Hufschläge!
Verwirrt hob Denise den Kopf und stemmte sich in die Höhe. Sie wankte an dem Busch vorbei und duckte sich, als sie einen massigen Leib sah, der rasch auf sie zukam. Es war ein Pferd, und der Reiter zügelte es neben ihr. »Kommen Sie, steigen Sie auf. Schnell!« »Wie denn?« erwiderte Denise unsicher. »Stützen Sie sich auf den Ast dort. Beeilen Sie sich!« Denise kam der Aufforderung rasch nach, und schließlich gelang es ihr, sich hinter dem Mann auf den Rücken des Pferdes zu schwingen. »Halten Sie sich gut fest!« brummte der Reiter. In diesem Augenblick blitzte ein Laserstrahl auf, und die beiden Visitors kamen aus dem Gebüsch hervor und traten nicht weit von ihnen entfernt auf den Pfad. »Yaaah!« rief der Mann vor Denise, und er trieb das Pferd an und ließ es genau in Richtung der beiden Soldaten losgaloppieren. Das Roß schien außer sich zu sein, stieg in unmittelbarer Nähe der beiden Visitors auf die Hinterhand und trat zu. Einer der beiden Soldaten gab ein seltsames Zischen von sich – das Geräusch hörte sich gräßlich an, so wie das Fauchen einer Schlange. Die Hufe des Pferdes trafen erneut ins Ziel, und der Visitor stieß einen heulenden Schrei aus, der nichts Menschliches an sich hatte. Der Reiter vor Denise preßte dem Roß heftig den einen Stiefel in die Seite und zwang das Tier fort von dem nun zu Boden gesunkenen Wesen. Was für Geschöpfe sind die Visitors? fragte sich Denise wie benommen und bemühte sich darum, auf dem auf und ab zitternden Rücken des Pferdes nicht den Halt zu verlieren. Inzwischen hatten auch andere Soldaten die gelandete Fähre verlassen, aber sie blieben rasch zurück, als das Pferd immer schneller wurde. Denise schlang die Arme noch fester um die Brust des Reiters und preßte sich an ihn.
Nach einer Weile ließen sie den Bereich des Dickichts hinter sich zurück und gelangten auf eine Art Lichtung. Denise hob den Kopf, um festzustellen, wo sie sich nun befanden, und der Reiter vor ihr brummte: »Könnten Sie sich vielleicht ein wenig entspannen? Sie zerquetschen mich fast, und jetzt, da uns keine unmittelbare Gefahr mehr droht, wäre es nett von Ihnen, wenn Sie mich wieder richtig Luft holen ließen.« »Entschuldigen Sie«, erwiderte Denise verlegen und lockerte die Arme – nur ein wenig. Selbst dann, wenn es sich nur langsam bewegte, schien das mächtige Tier unter ihr so stark zu schwanken wie ein Schiff im Sturm. Erst jetzt begriff sie, was eigentlich geschehen war, und sie begann zu zittern. »Ist Ihnen kalt?« fragte der Mann vor ihr mit besorgt klingender Stimme. »Sie können meine Jacke haben…« »Nein, danke«, sagte Denise. »Ich glaube, es sind nur die Nerven.« »Kann ich durchaus verstehen«, gab der Mann aufgeräumt zurück. »Mein Herz klopft mir ebenfalls bis zum Hals. Ich dachte schon, es sei aus mit uns. Wir haben es nur Barney zu verdanken, daß wir mit heiler Haut davongekommen sind.« »Nun«, meinte Denise, noch immer ein wenig verlegen. »Den Namen des Pferdes kenne ich nun, doch ich habe nach wie vor keine Ahnung, wer Sie sind.« Der Mann lachte leise. »Sergeant Sam Yeager von der Berittenen Polizei New Yorks.« Denise ergriff die Hand, die er ihr entgegenstreckte, und sie kicherte leise. »Ich komme mir ziemlich töricht vor«, sagte sie dann. »Hier schüttele ich gerade einem Mann die Hand, den ich die ganze Zeit über voller Leidenschaft umarmt habe.« Sie lachte erneut und stellte fest, daß sie nahe daran war, hysterisch zu werden. »Das geht schon in Ordnung«, erwiderte Yeager. »Wäre ich nicht so erschrocken gewesen, hätte ich vermutlich großen
Gefallen daran gefunden. Übrigens: Ihren Namen kenne ich noch nicht.« »Oh, tut mir leid. Ich bin Denise Daltrey.« »Die Fernsehmoderatorin?« Yeager wandte sich um und musterte sie kurz. »Meine Güte, die Welt ist wirklich ziemlich klein. Ich habe immer Ihre Morgennachrichten gesehen.« Als das Pferd seinen Weg langsamer durch das offenere Gelände fortsetzte, beugte sich Denise ein wenig zur Seite und musterte im blassen Licht des Mondes die Züge des Reiters. Yeager hatte ein kantiges, aber nicht unattraktives Gesicht, und sein Nasenbein schien mehr als einmal gebrochen gewesen zu sein. »Sie tragen keine Uniform, Sergeant«, stellte sie fest. »Und Sie sitzen nicht mehr vor einer Fernsehkamera.« »Wir alle haben uns verändert«, sagte Denise bitter. »Warum waren die Visitors hinter Ihnen her?« erkundigte sich Yeager. »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich komme gerade von Kristine Walsh und habe ihr gesagt, was ich von ihr halte. Aber das ist wohl kaum ein Verbrechen.« »Meine Güte«, amüsierte sich Yeager, »wenn ich jeden verhaften müßte, der ein paar deftige Bemerkungen fallenläßt, wäre diese Stadt längst leer.« »Und Sie? Sie sind nicht mehr im Dienst, oder?« »Wäre ich das«, hielt ihr Yeager lächelnd entgegen, »müßte ich Sie jetzt wohl den Visitors ausliefern. Die New Yorker Polizei hat sich zum Handlanger der Fremden aus dem All gemacht.« Bei diesen Worten klang deutlich vernehmbarer Zorn in seiner Stimme mit. Denise hatte sich inzwischen an die Bewegungen Barneys gewöhnt. »Ich nehme also an, Sie sind mit der offiziellen Politik der Polizei nicht einverstanden?«
»Sie haben es erfaßt, Miss Daltrey. Aber man sollte sich hüten, eine derartige Meinung laut auszusprechen. Einige meiner Kollegen waren in dieser Hinsicht nicht so vorsichtig, und sie verschwanden. Die Visitors holten sie ab und verschleppten sie an Bord ihrer Schiffe. Daraufhin hielt ich es für besser, die Klappe zu halten. Nun, ich will nicht behaupten, daß alle meine Kollegen begeisterte Helfershelfer der Fremden sind. Einigen von ihnen bleibt gar keine andere Wahl, weil die Visitors Familienangehörige fortbrachten und ihnen versprachen, sie würden sie zurückbringen, wenn die betreffenden Beamten kooperieren.« Denise schüttelte entsetzt den Kopf. »Das ist doch…« »Erpressung, ja«, bestätigte Yeager. »Nun, am Tage bin ich also Polizist und mache meine Arbeit. Ich strenge mich dabei nicht sonderlich an, das ist klar, und ich versuche, den Mistkerlen so wenig wie möglich zu helfen. Abends dann beginne ich mit Barney eine meiner persönlichen Patrouillen und halte nach Leuten Ausschau, denen ich helfen und die ich zu uns holen kann.« »Zu uns holen?« wiederholte Denise. »Ja. Ich meine damit unseren kleinen Zusammenschluß. Man könnte ihn als eine Art Widerstandsgruppe bezeichnen. Wir halten uns im Untergrund, und wir versuchen, den Visitors eins auszuwischen.« Nachdenklich fügte er hinzu: »Es ist mir egal, wie sehr sie uns ähneln. Sie haben nichts Menschliches an sich. Haben Sie den Schrei des Typen gehört, dem Barney den Garaus gemacht hat?« Denise nickte und schauderte bei der Erinnerung daran. »Nun, Sie haben die Wahl, Miss Daltrey. Wenn Sie wollen, setze ich Sie irgendwo ab. Sie könnten sich aber auch uns anschließen.«
»Es ist eigentlich keine Wahl«, sagte Denise. »Wenn es Leute gibt, die gegen die Visitors und ihre Machenschaften vorgehen, so muß ich ihnen helfen.« »In Ordnung. Dann machen wir uns am besten auf den Weg.«
15. KAPITEL Das Maß ist voll
Alison Stein war gerade damit beschäftigt, ihr Make-up zu vervollständigen, als es an der Tür läutete. »Wer ist da?« fragte sie argwöhnisch. »Polizei, Mrs. Stein«, antwortete eine tiefe Stimme. Sie trat auf die Tür zu und blickte durch den Spion. Zwei uniformierte Beamte standen auf dem Flur. »Was wollen Sie?« »Wir sind gekommen, um Sie nach Gracie Manson zu bringen, Ma’am.« »Wieso denn? Ich werde in zwanzig Minuten im Rathaus erwartet. Der Bürgermeister und ich…« »Um ihn geht es ja gerade, Ma’am. Ich fürchte, wir haben eine schlechte Nachricht für Sie.« Alison öffnete die Tür einen Spaltbreit, löste die Sperrkette aber nicht aus der Verankerung. »Eine schlechte Nachricht?« wiederholte sie mit zittriger Stimme. »Ja, Ma’am«, erwiderte einer der beiden Polizisten. »O Himmel – es ist doch alles in Ordnung mit ihm, oder?« »Leider nicht, Ma’am. Bürgermeister O’Connor ist tot.« Alison begann am ganzen Leib zu beben, und sie mußte sich an der Tür festhalten. »Was ist passiert?« brachte sie leise hervor. »Die Ermittlungsbeamten kamen zu dem Schluß, daß er irgendwann während der Nacht Selbstmord beging. Es tut mir leid – ich weiß, wie eng Sie mit ihm zusammengearbeitet haben.« »Aber wie…«
»Möchten Sie das wirklich wissen?« fragte der Polizist. Alison nickte. »Er hat sich erschossen. Man fand ihn im Bad, und neben ihm lag ein Revolver. Die Ballistiker meinen, die tödliche Kugel sei aus eben jener Waffe abgefeuert worden. Die Sache scheint völlig klar zu sein.« Alison begann leise zu schluchzen. »Nein«, widersprach sie leise. »Nein, so etwas hätte er niemals getan. Nein, nicht Danny. Er… er…« Sie wollte nicht vor den Polizisten weinen, aber sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Verdammt! Sie hatte ihn gewarnt, und jetzt war er tot. »Mrs. Stein, würden Sie bitte mit uns kommen? Sowohl die Ermittlungsbeamten als auch die Visitors würden Ihnen gern einige Fragen stellen – über die psychische Verfassung des Bürgermeisters in der letzten Zeit. Sie standen ihm besonders nahe. Sie könnten uns helfen herauszufinden, was geschehen ist.« »Er hat sich erschossen – das ist geschehen«, hauchte Alison. Sie hakte die Kette los, und dabei dachte sie: Himmel! Jetzt bin ich die Bürgermeisterin…
Für Julio Cruz stellte die Kirche Madonna del Sol ein Refugium dar, einen Ort, an den er sich zurückziehen konnte, wenn er die Gewalt und Verzweiflung in den Straßen und Gassen Spanisch-Harlems vergessen wollte. Am Dienstagmorgen landeten drei Staffelshuttles der Visitors vor der Kirche. Julio sprach sein Gebet rasch zu Ende, zündete eine Kerze an und folgte Pater Roberto dann nach draußen. Die Visitors waren gerade damit beschäftigt, auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude eine Sperre zu errichten.
»Was haben Sie vor?« fragte Pater Roberto, ein etwas dicklicher und fünfundvierzig Jahre alter Mann mit dunklen und sonst immer fröhlich blickenden Augen. Der Gruppenführer der Visitors musterte Roberto Lopez mit offensichtlicher Verachtung und trat dann auf den Priester zu. Er zog ein gefaltetes Dokument aus der Tasche und reichte es dem Pater. »Die Bevollmächtigung.« »Wofür?« fragte Lopez und sah sich das Schriftstück kurz an. »Dafür, daß dieses Gebäude als Sitz des regionalen VisitorHauptquartiers zu benutzen ist.« »Aber dies hier ist eine Kirche«, wandte Lopez ein, und seine Stimme klang noch immer freundlich. »Ich weiß nicht, ob es bei Ihnen eine Religion gibt, aber für die Menschen hier hat sie eine große Bedeutung.« »Sie haben die Bevollmächtigung gesehen«, sagte der Visitor in einem warnenden Tonfall. »Sie wollen doch keine Schwierigkeiten machen, oder?« Der Visitor stieß den Priester beiseite, und Roberto Lopez verlor den Halt und fiel auf den Rücken. Julio kroch rasch auf ihn zu und stützte ihm den Kopf. Unterdessen marschierten die Visitors in die Kirche. Julio schnappte nach Luft. »Pater, wir dürfen nicht zulassen, daß diese Mistkerle einfach so die Kirche übernehmen.« »Ich sehe keine Möglichkeit, sie daran zu hindern, Junge.« Bebend vor Zorn half Julio dem Priester auf die Beine, und sie wankten die Treppe hoch und betraten das Gebäude, das von nun an das neue regionale Hauptquartier der Visitors sein würde. Einer der Soldaten war gerade damit beschäftigt, mit dem Weihwasser die Kerzen zu löschen. Ein anderer räumte achtlos die Bibeln und Gesangbücher fort. Tränen der Wut rannen Julio über die Wangen.
16. KAPITEL Es beginnt immer dann, wenn die Angst nicht mehr weicht
Guido stimmte nach einem kurzen Zögern zu, als Pete Forsythe ihn darum bat, das kleine Nebenzimmer des Bella Capri als Treffpunkt benutzen zu können. Er fragte Pete, ob die entsprechenden Leute den Visitors ebenfalls skeptisch gegenüberständen. Wenn das der Fall sei, so meinte er, wolle er sich der Gruppe anschließen. »Ich halte Sie auf dem laufenden«, erwiderte Pete. »Aber es geht in erster Linie darum, keinen Verdacht zu erregen. Es muß so aussehen, als führten Sie Ihr Restaurant weiter; wir sind einfach nur Kunden, die bei Ihnen essen.« »In Ordnung«, sagte Guido und strich sich dabei kurz über seinen rundlichen Bauch. »Sie werden eine Menge zu essen bekommen, wenn Sie hier sind – und das zu einem Vorzugspreis. Aber wenn Sie mich nicht auf dem neuesten Stand halten, werde ich sauer.« Freundschaftlich klopfte er Forsythe auf die Schulter.
Pete und Lauren saßen an einem kleinen Tisch in der Ecke. Es hielten sich noch sechs andere Personen in dem Zimmer auf: Sam Yeager, ein Freund Petes; Denise Daltrey, die Sam mitgebracht hatte; Brenda Ortiz, die muntere junge Frau aus dem Büro des Bürgermeisters; zwei inzwischen arbeitslos gewordene Busfahrer – und Guido, der hin und her eilte und
seinen Gästen Spezialitäten brachte, wenn er nicht gerade aufmerksam den Gesprächen zuhörte. »Das solltest du übernehmen«, wandte sich Pete leise an Lauren. »Du bist doch die Diplomatin.« Aber sie schüttelte nur den Kopf und schob ihn sanft, aber nachdrücklich in die Mitte des Zimmers. »Es war doch alles deine Idee. Du bist jetzt der Boß.« Pete stellte sich kurz vor und bat die anderen dann, seinem Beispiel zu folgen. Alle Anwesenden hatten persönliche Beweggründe dafür, an diesen Ort gekommen zu sein, doch die Gemeinsamkeit bestand darin, daß sie alle bestrebt waren, sich vom Joch der Visitors zu befreien. »Es gibt noch viele andere, die unsere Meinung teilen«, sagte Pete. »Wir alle kennen einige von ihnen, obwohl uns das vielleicht nicht bewußt sein mag. Wir müssen weitere Verbündete gewinnen, wenn unsere Widerstandsgruppe irgend etwas zustande bringen soll. Wenden Sie sich an Ihre Freunde und Verwandten. Seien Sie aber erst dann offen zu ihnen, wenn Sie wissen, was die Betreffenden von der derzeitigen Lage halten. Zunächst einmal kommt es darauf an, uns nicht zu verraten.« »Und später?« fragte Sam. Pete zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Soweit sind wir noch nicht. Wir sollten uns erst einmal darauf konzentrieren, die Aktivitäten der Visitors zu beobachten und ihre Stärken und Schwächen festzustellen.« Er holte kurz Luft und fügte hinzu: »Außerdem: Wir brauchen Waffen.« Er bemerkte, wie einige der Anwesenden – und zu ihnen gehörte auch Lauren – skeptisch die Stirn runzelten. »Wir dürfen nicht vergessen, daß dies ein Krieg ist. Die Visitors haben uns gegenüber Gewalt angewendet. Noch sind wir nicht dazu in der Lage, es ihnen mit gleicher Münze heimzuzahlen, aber früher oder später, wenn diese Gruppe wächst, werden wir
dazu gezwungen sein, den bewaffneten Kampf gegen die Invasoren aufzunehmen. Deshalb ist es ratsam, daß wir uns bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie wir uns die nötige Ausrüstung besorgen: Handfeuerwaffen, Gewehre, Maschinenpistolen, Sprengstoff und so weiter.« Lauren stand auf. »Noch wichtiger aber ist das Problem, weitere Verbündete zu gewinnen. Zum nächsten Treffen sollte jeder von uns mindestens drei Freunde mitbringen. Wenn unsere Gruppe erst größer geworden ist, können wir mehr über die Pläne der Visitors in Erfahrung bringen und Informationen beschaffen, die möglicherweise wichtiger sind als Dynamit.« Pete warf ihr einen raschen Blick zu und versuchte, sich seine Verärgerung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. Lauren sah ihn nicht an, als sie wieder Platz nahm, und daraufhin wandte sich Forsythe erneut den anderen Anwesenden zu. »Ich schätze, das wär’s fürs erste. Wir brauchen noch einige andere Treffpunkte. Wenn jemand Orte kennt, die er für sicher hält, so sollte er mich beim nächstenmal davon unterrichten. Oh, bevor ich’s vergesse: Wenn jemand von Ihnen auf dem Weg zu einer Versammlung verfolgt wird, so darf der Betreffende auf keinen Fall kommen! Die Sicherheit dieser Widerstandsgruppe steht an erster Stelle.« Als die anderen gegangen waren, brachte Guido Kaffee und setzte sich zu Lauren und Pete. Der kleine und dickliche Mann klopfte Forsythe auf die Schulter. »Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Pete«, sagte er. »Du siehst nicht besonders glücklich aus«, wandte sich Lauren an Forsythe. »Was ist denn mit dir?« »Ich habe Joey vermißt«, sagte Pete leise.
Joey Vitale hielt vor der chemischen Verarbeitungsanlage Brooklyns, und Lisa näherte sich dem Wagen. Er öffnete die Tür für sie und gab ihr einen Kuß auf die Wange. »Wohin fahren wir?« »Nach Coney Island.« Er startete den Motor, und der Wagen rollte los. »Ich habe langsam das Gefühl, daß man mich in Hinsicht auf unsere Mission belügt«, sagte Lisa unvermittelt. »Sie belügt?« fragte Joey verwirrt. »Sie sind der einzige, mit dem ich darüber sprechen kann«, sagte Lisa und berührte ihn kurz am Arm. »Ich glaube, ich könnte in ernste Schwierigkeiten geraten, würde ich mich an einen meiner Vorgesetzten wenden, und Sie sind der einzige Mensch, dem ich vertraue. Ich kann Ihnen doch vertrauen, oder?« »Natürlich, Lisa. Aus welchem Grund nehmen Sie an, man mache Ihnen etwas vor?« »Nun, es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, Joey, aber… Die Art und Weise, wie man in der letzten Zeit bei uns über die kulturellen Aspekte des Besuchs auf diesem Planeten spricht – beziehungsweise die Tatsache, daß dieses Thema kaum noch erörtert wird…« »Worin besteht denn Ihre Mission, Lisa?« Joey sah sie kurz an und richtete den Blick dann wieder auf die Straße. »Ich glaube, auf diese Frage weiß ich inzwischen keine Antwort mehr.« Lisa wirkte nun sehr besorgt. »Ich habe Angst, Joey. Angst um uns – aber noch mehr um Ihr Volk.« Joey schüttelte nur stumm den Kopf. Auch in ihm regte sich eine dumpfe Furcht.
17. KAPITEL Wenn du auffällst, so kommen sie und holen dich
Hannah Donnenfeld schlug den Kragen der Pelzjacke hoch und atmete tief die kalte Luft ein. Mit langen Schritten wanderte sie über den schmalen Strand unterhalb der Klippen von Brook Cove. »He, nicht so schnell!« rief Mitchell Loomis, der ihr in einem Abstand von einigen Metern folgte. Hannah Donnenfeld wollte gerade eine höhnische Antwort geben, doch in diesem Augenblick hob Sari den Arm und deutete nach Westen. Einige Visitor-Fähren näherten sich. »Glauben Sie, sie sind hierher unterwegs?« fragte Mitchell, und seine Stimme war dabei kaum mehr als ein Flüstern. »Ich bin sogar ziemlich sicher«, brummte Hannah. »Mußte früher oder später ja so kommen. Gehen wir.« Im Dauerlauf kehrten sie in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren, und sie kletterten den steilen Pfad in die Höhe, der nach dem Laboratoriumskomplex führte. Oben angelangt, verharrten sie im Sichtschutz einiger Bäume und beobachteten die Gebäude. Sechs Visitor-Shuttles parkten auf der Kiesfläche, und ungefähr vierzig schwerbewaffnete und behelmte Soldaten führten einige Wissenschaftler und ihre Familienangehörigen ins Freie. Die Männer und Frauen hatten die Hände gehoben, und wenn jemand stolperte, griffen sofort die Visitors ein und stießen die Betreffenden weiter. »Mistkerle!« zischte Sari. »Was sollen wir jetzt machen?« fragte Mitchell.
»Wir verstecken uns«, sagte Hannah. »Und dann verschwinden wir von hier – für den Fall, daß die Visitors zurückkehren. Hoffen wir nur, daß die Leute in den unterirdischen Laboratorien nicht hochkommen, um nachzusehen, was los ist.« Die beiden Offiziere, die die Einsatzgruppe befehligten, breiteten auf dem Bug einer Fähre eine Karte aus und musterten sie aufmerksam. Ein junger Soldat trat an sie heran und salutierte förmlich. Die beiden Offiziere wandten sich ihm zu. »Erstatten Sie Bericht«, wies ihn Jennifer an. »Wir haben in den Gebäuden sonst niemanden gefunden. Einige der modernen Gerätschaften wurden inzwischen verladen, die anderen Apparaturen zerstört. Dieses Forschungsinstitut ist nun wertlos für die Menschen.« Jennifer lächelte kühl. »Sehr schön. Überwachen Sie die Verladearbeiten. Anschließend kehren wir an Bord des Mutterschiffes zurück.« »Ja, Jennifer«, sagte der junge Soldat und kam der Anweisung sofort nach. Der neben Jennifer stehende Offizier – ein hochgewachsener Mann mit jungenhaftem Lächeln und lockigem blondem Haar – sah sie bewundernd an. »Für diese Aktion bekommen Sie bestimmt eine Auszeichnung, Jennifer. Roger wird sehr mit Ihnen zufrieden sein. Wissen Sie, vielleicht macht er Sie bald zu seiner stellvertretenden Kommandantin.« Jennifer schüttelte den Kopf. »Nein, Paul. Das glaube ich nicht.« »Seien Sie sich da nur nicht so sicher. Dies war einer der besten Einsätze seit Wochen. Und Sie wissen ja, wie sehr Roger einfache und direkte Aktionen schätzt. Wir mußten nur zwei Wissenschaftler erschießen. Und das bedeutet, die Aktion
hatte einen fast optimalen Erfolg. So etwas geschieht nicht oft.« Bescheiden zuckte Jennifer mit den Schultern. »Nun, es ist sehr wichtig, unsere Nahrungsmittelvorräte weiter zu erhöhen. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir die Quote für unser Schiff erreicht haben: fünftausend lebende Menschen in der Bereithaltungshibernation.« Paul nickte. »Fünftausend – das sind ziemlich viele.« »Während des Rückfluges müssen wir viele hungrige Mäuler stopfen – ganz zu schweigen von denen, die zu Hause auf uns warten.« »Ich frage mich, wie sie schmecken«, sagte Paul leise. »Ihre Versuchstiere sind ganz vorzüglich.« Jennifer warf ihm einen mißbilligenden Blick zu. »Nahrung ist Nahrung, Paul«, erwiderte sie ein wenig schroff. »Wir sind hier, um dem Großen Denker zu dienen, und andere Gesichtspunkte haben keine Bedeutung.« Paul nickte steif. »Ja, Jennifer. Ich kümmere mich um den Transport.« »In Ordnung«, erwiderte die Frau, faltete die Karte zusammen und schob sie sich wieder in die Brusttasche des Overalls.
In dem dunkler werdenden Zwielicht kurz vor der abendlichen Sperrstunde rollte der alte Ford über die Straße. Julia hockte vorn auf dem Beifahrersitz. Rico saß am Steuer, und begleitet wurden sie von einem älteren und bärtigen Mitglied der Gang: Michael Martinez. Als sie die Kirche Madonna del Sol erreichten, lenkte Rico den Wagen auf der anderen Seite an den Straßenrand. Entschlossen preßte der Junge die Lippen zusammen und griff nach der Flasche. Er stopfte einen Fetzen Stoff in den
Hals und vergewisserte sich, daß er bis in das Benzin hinabreichte. Anschließend warf er Mike im Fond einen kurzen Blick zu. Martinez bereitete gerade drei weitere Molotowcocktails vor, nickte Julio dann zu und stieg aus. Julio sah ihm nach, als Michael rasch die Straße überquerte und drei Häuser von der Kirche entfernt hinter einer Wand in Deckung ging. Als Mike kurz die Hand hob, gab Julio Rico ein Zeichen. Der Fahrer ließ den Wagen einige Meter weiterrollen und hielt dann erneut an. Julio stieg aus, duckte sich hinter die Motorhaube des alten Ford und beobachtete einige Sekunden lang die drei Visitor-Soldaten, die vor der Kirche Wache hielten. Dann hob er kurz die Hand. Mike ließ sein Feuerzeug aufflammen und entzündete den Stoffstreifen der ersten Benzinbombe. Er holte weit aus und warf sie in einen nahen und aufgegebenen Laden, in dem die Flasche mit einem Klirren zerbrach. Die hölzerne Innenausstattung des alten Geschäftes fing sofort Feuer, und die Glut leckte mit langen Zungen aus sengender Hitze durch das vordere Fenster. Martinez wandte sich rasch um und lief durch eine schmale Gasse. Die Visitor-Soldaten verließen ihren Posten vor der Kirche und näherten sich dem Brandherd. Mike kletterte eine Feuerleiter hoch und erreichte kurz darauf das Dach des in Flammen stehenden Gebäudes. Dort angelangt, entzündete er den Stoffstreifen eines weiteren Molotow-Cocktails und ließ die Flasche fallen. Sie zerbrach in unmittelbarer Nähe der Visitors, die sich daraufhin noch ein wenig weiter von der Kirche entfernten. Mike setzte sich sofort wieder in Bewegung, nahm Anlauf und sprang auf das Dach der Kirche.
»Jetzt.« Julio nickte Rico zu, sprang auf, entzündete im Laufen den aus dem Flaschenhals ragenden Fetzen Stoff und warf die Bombe in Richtung des Eingangs der Kirche. Sie durchschlug die Scheibe des Fensters unmittelbar neben der Tür. Es blieb Julio jedoch keine Zeit zu beobachten, was nun in der Kirche geschah, denn Rico hatte inzwischen den Wagen gewendet. Julio riß die Tür auf und ließ sich in den Fond fallen. Die Reifen quietschten, als Rico Vollgas gab, und der Wagen sauste an der Kirche vorbei. Die Visitors drehten sich um und eröffneten das Feuer. Laserblitze zuckten über die Fliehenden hinweg. »Mist!« entfuhr es Rico. »Sie kriegen uns, Mann!« »Unsinn!« erwiderte Julio. »Bring uns von hier weg!« Einer der Energiestrahlen schlug in das Fahrzeug ein, und Rico hatte große Mühe, den Wagen unter Kontrolle zu halten, als sie sich dem Ende des Häuserblocks näherten. »Verdammt!« fluchte Julio. »Was ist mit der letzten Flasche? Komm schon, Mike…« In diesem Augenblick explodierte etwas auf der Straße, etwa auf halbem Wege zwischen dem alten Ford und den Visitors, und Stichflammen züngelten in die Höhe. Es wurden keine weiteren Laserblitze auf sie abgefeuert, und Julio und Rico jubelten. »Fahr weiter, du Blödmann!« rief Julio und kicherte. Rico trat das Gaspedal voll durch und lenkte den Wagen um die Ecke des Häuserblocks. Michael Martinez kletterte gerade eine weitere Feuertreppe herab, sprang auf den Bürgersteig und stieg rasch ein, als Julio ihm die Tür aufhielt. »Wir haben es geschafft!« rief er. »Wir haben es tatsächlich geschafft!« »Noch nicht ganz«, erwiderte Julio. »Los, Rico!« Rico beschleunigte erneut und raste durch einige Nebenstraßen – und plötzlich sahen sie vor sich das grelle Scheinwerferlicht einer dicht über dem Asphalt
dahinschwebenden Visitor-Fähre. Rico trat auf die Bremse, und der Wagen drehte sich und prallte scheppernd gegen einige Mülltonnen. »In die U-Bahn!« rief Julio und deutete in Richtung einer Treppe, die in einer Entfernung von einigen Dutzend Metern nach unten führte. Sie stiegen rasch aus, und im Zickzack liefen sie los, während das Shuttle näher heranglitt und die Bordwaffen gegen sie einsetzte. Die Laserstrahlen kochten über den Beton des Gehsteigs, und glühende Zementsplitter sausten davon. Julio erreichte die Treppe, brachte rasch einige Stufen hinter sich, ging dann in die Hocke und sah vorsichtig zurück. Mike rannte in seine Richtung, und hinter ihm legte einer der Visitors den Strahler an und feuerte. Die energetische Entladung traf Martinez im Rücken, und er schrie und stürzte zu Boden. Stille schloß sich an. Was ist mit Rico? Kurz darauf sah Julio, wie ein anderer Visitor Rico vor sich herstieß. »Wo ist dein anderer Freund?« fragte der Soldat. Rico war ganz offensichtlich entsetzt, brachte jedoch den Mut auf zu erwidern: »Es gibt keinen anderen. Wir waren allein.« Der Visitor holte aus und schmetterte dem Jungen den Kolben des Lasergewehres ins Gesicht. Julio vernahm ein dumpfes Knacken, und er schauderte. Rico aber stöhnte nicht einmal. Die beiden Visitors ließen ihn nicht zu Boden sinken. Sie hielten ihn fest und schlugen ihn noch einmal. Inzwischen hatte Rico sicher schon das Bewußtsein verloren. »Dieser Kerl hier wird nicht so rasch sterben wie der andere«, sagte der Visitor, der Mike erschossen hatte. »Wir bringen ihn fort und nehmen ihn uns gründlich vor.« Hilflos beobachtete Julio, wie die beiden Soldaten den armen Rico forttrugen, und sein Blick richtete sich auf die Leiche Michaels. Die häßliche Brandwunde an seinem Rücken war deutlich zu sehen.
»Ruhe in Frieden, Michael Martinez«, murmelte Julio betroffen und zornig zugleich, und dann wandte er sich um und verschwand in der Dunkelheit.
18. KAPITEL Das ist alles erst der Anfang
Als im Nebenzimmer des Restaurants Guidos das dritte Treffen der Widerstandsgruppe stattfand, waren bereits sechzehn Personen anwesend, unter ihnen auch Hannah Donnenfeld, Mitchell Loomis und Sari James von Brook Cove. Darüber hinaus freute sich Pete, daß diesmal auch Joey Vitale gekommen war. Da er gerade ein Gespräch mit Lauren und Sam führte, bemerkte er jedoch nicht, wie niedergeschlagen sein Freund wirkte. »Ich glaube, ich weiß, wie wir an Waffen gelangen könnten«, sagte Sam. »Die Übungshalle, in der sich Ihre Gruppe der Sternenfreunde trifft, Pete. Im Nebentrakt stehen zwar nicht gerade Panzer bereit, aber dort lagern Handfeuerwaffen und Sprengstoffe.« »Woher wollen Sie das wissen?« fragte Lauren. »Weil ich Reservist der Nationalgarde bin und jenes Lager unserer Gruppe zugewiesen wurde.« Sam lächelte. »Dann kennen Sie sich dort also aus?« Denise sah auf. Sam Yeager nickte. »Allerdings können wir es nicht wagen, selbst dort aufzukreuzen, während die Sternenfreunde anwesend sind. Wir müssen irgendeine andere Möglichkeit finden, die Waffen an uns zu bringen.« »Wie wär’s, wenn wir die Gangs um Hilfe bitten?« schlug Brenda Ortiz vor. »Würden sie denn mit uns zusammenarbeiten?« Lauren blieb skeptisch. »Wir könnten sie zumindest fragen«, erwiderte Pete.
»Nach dem, was ich gehört habe«, warf Yeager ein, »sind die Gangs bereits auf eigene Faust aktiv geworden. Neulich gerade führten sie einen Anschlag auf eine Kirche in Spanisch-Harlem durch.« »Was denn für eine Kirche?« fragte Denise. »Ach, Sam, Sie kennen die Polizeiberichte, aber wir bekommen nur wenig Nachrichten.« »Entschuldigen Sie. Es handelt sich um eine Kirche, die die Visitors als Sitz für ihr neues regionales Hauptquartier benutzen. Einige Jungen griffen mit Molotow-Cocktails an. Sie waren ziemlich mutig…« »Wissen Sie, wer den Angriff auf die Kirche durchführte?« »Ich kann mich einmal umhören. Gibt es außer mir noch jemanden, der Bekannte in jenem Viertel hat?« Als die anderen nur mit dem Kopf schüttelten, sah Pete Lauren an. »Dein Vater wohnte dort, nicht wahr? Nicht weit entfernt von Spanisch-Harlem.« »Er wohnt dort, ja – aber ich nicht.« »Er ist doch Arzt, oder?« fragte Sam. »Bestimmt kennt er also viele Leute als Patienten. Sie könnten Kontakte für uns knüpfen, Lauren.« »Mein Vater vielleicht. Aber die Visitors haben ihn abgeholt, vor einigen Wochen.« »Lauren«, sagte Pete, und seine Stimme klang nun sanfter. »Die Leute dort lieben deinen Vater. Ich möchte wetten, viele von ihnen würden die Kerle, die ihn verschwinden ließen, gern zur Rechenschaft ziehen.« »Ich… ich weiß nicht…« »Hören Sie«, warf Yeager ein, »wir haben es mit einem regelrechten Krieg zu tun. Wir sind der Untergrund. Wir müssen jeden Vorteil ausnutzen, der sich uns bieten mag. Und wenn es nötig ist, bleibt uns keine andere Wahl, als andere Leute unter Druck zu setzen, wenn es um wichtige Dinge geht.
Ich höre mich um und sage Ihnen dann, mit wem Sie sich in Verbindung setzen sollten. Einverstanden, Lauren?« Sie spürte, wie sich die Blicke aller Anwesenden auf sie richteten, und sie nickte. »Wenn Sie mich davon überzeugen können, daß die Leute, die Sie mir nennen, auch dazu bereit sind, mit mir zusammenzuarbeiten. Ich gehöre schließlich nicht zu ihnen.« »Hm, ich weiß nicht, ob dies der richtige Zeitpunkt ist«, meldete sich Denise zu Wort, »aber… Erinnern Sie sich an den Abend, an dem die Visitors die Kontrolle über die Radio- und Fernsehstationen übernahmen?« Zustimmendes Gemurmel wurde laut. »Nun, ich sollte damals eine Sondersendung moderieren und einen speziellen Bericht kommentieren.« »Um was ging es denn dabei?« fragte Brenda. »Es handelte sich um eine Videoaufzeichnung, die heimlich an Bord eines Mutterschiffes angefertigt wurde, von einem Mann namens Mike Donovan…« »Der Reporter, der von den Visitors gesucht wird«, erklärte Sam. Denise nickte. »Ja. Ich habe die entsprechenden Bilder an jenem Abend nicht gesehen, aber ich setzte mich mit jemandem in Verbindung, der sie kannte. Und der Betreffende erzählte mir… Nun, es klingt unglaublich. Er meinte, die Visitors seien überhaupt nicht wie wir, sondern wirklich fremdartig.« »Aber so wie sie aussehen…«, widersprach jemand. »Eine Täuschung. Ihr wahres Äußeres verbergen sie unter einer künstlichen Haut. In Wirklichkeit aber sollen sie Reptilien ähneln.« Brenda wurde blaß. Damit endete die Versammlung, und während die anderen gingen, blieb Joey, um mit Pete zu sprechen.
»Was hast du auf dem Herzen?« fragte Forsythe. »Das mit der künstlichen Haut eben – ist das wahr? Ich meine, sind die Visitors wirklich Reptilien? Oder wolltet ihr es den anderen damit nur erleichtern, gegen sie zu kämpfen?« Joey musterte ihn aufmerksam. »Warum fragst du das?« »Ich muß die Wahrheit wissen, Pete. Bitte.« »Nun, niemand von uns hat die Videoaufzeichnung gesehen. Wir kennen sie nur von den Berichten anderer. Aber das mit der künstlichen Haut stimmt – und es ist auch eine Tatsache, daß die Visitors Nagetiere essen. Ich selbst habe einen von ihnen dabei beobachtet, wie er eine Ratte verschlang. Was ist denn los, Joey?« »Es geht um Lisa, das Visitor-Mädchen, mit dem ich mich in der letzten Zeit des öfteren getroffen habe.« »Ich wußte gar nicht, daß ihr euch nach wie vor seht.« »Es ist aber so, Pete. Und wir mögen uns. Vielleicht habe ich mich sogar in Lisa verliebt.« Pete pfiff leise durch die Zähne. Joey griff plötzlich nach dem Arm Forsythes. »Und wenn das stimmt, Pete… liebe ich dann vielleicht ein… ein Ungeheuer?« Wenn Joey nicht so erschrocken gewesen wäre, hätte Pete möglicherweise schallend gelacht. Aber sein Freund meinte es ernst. »Ich weiß nicht, was sie sind, Joe.« Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Du hast ihr doch nichts von dieser Widerstandsgruppe erzählt, oder?« »Natürlich nicht, Pete.« Joey überlegte kurz. »Vor einigen Tagen fuhren wir nach Coney Island. Unterwegs erzählte sie mir, man bewilligte ihr immer weniger Zeit für das Studium der menschlichen Kultur – obwohl man sie als Soziologin extra dafür mitnahm. Sie meinte, sie habe den Eindruck, daß man sie in Hinsicht auf die wirkliche Mission der Visitors belügen würde.«
»Hmmm. Triff dich ruhig weiter mit ihr, Joey. Gib ihr gegenüber nicht zu erkennen, daß du von den physischen Unterschieden zwischen ihrem Volk und uns weißt. Lisa könnte uns von großem Nutzen sein…« »Ich möchte sie nicht verletzen…« »Ich weiß, Joey. Aber wenn sie es ehrlich meint, wechselt sie möglicherweise auf unsere Seite.« Er legte Joey einen Arm um die Schulter, und gemeinsam verließen sie das Restaurant. Einen Tag später konnte Sam Yeager ihnen bereits einen zu überprüfenden Namen nennen. Er war ziemlich sicher, daß Julio Cruz für den Anschlag auf die Kirche verantwortlich war – der Anführer einer Gang, die sich als ›Diablos‹ bezeichnete. Pete bestätigte, daß Julio und einige andere Diablos an den Versammlungen der Sternenfreunde in der Übungshalle teilgenommen hatten. Am Abend nach dem Treffen der Widerstandsgruppe fuhr er mit Lauren nach dem Wohnhaus ihres Vaters, um in der dort befindlichen Praxis Dr. Stewarts die Unterlagen nach der Adresse Julios durchzusehen. »Da hätten wir es schon«, sagte Lauren, nachdem sie in ein paar Akten geblättert hatte, und Pete blickte ihr über die Schulter. »Vater war Hausarzt der Familie Cruz.« »Und die Adresse?« »Hier.« Lauren notierte sie sich rasch und klappte den Aktenordner dann wieder zu. »In Ordnung«, meinte Pete. »Und jetzt fahren wir zu Julio Cruz.«
Lauren klingelte an der Wohnungstür der Familie Cruz, und sie hörten, wie die metallene Abschirmung von einem Spion geschoben wurde. Dann fragte die Stimme eines jungen Mannes: »Wer ist dort?«
»Lauren Stewart, die Tochter Dr. Stewarts. Kann ich Julio sprechen?« »Wer ist da bei Ihnen?« fragte die Stimme. »Sind Sie das, Forsythe?« »Ja«, bestätigte Pete. »Dürfen wir eintreten?« Nach kurzem Zögern öffnete Julio die Tür und führte die Besucher ins Wohnzimmer. Er war allein zu Hause. »Na schön – was wollen Sie?« »Hast du etwas dagegen, wenn wir Platz nehmen?« fragte Pete. Er wartete keine Antwort ab und ließ sich auf eine schon recht mitgenommen wirkende Couch sinken. Lauren folgte seinem Beispiel. »Julio«, sagte sie, »wußten Sie, daß die Visitors meinen Vater abholten und schon vor Wochen an Bord eines ihrer Mutterschiffe verschleppten?« Julios Bestürzung war nicht gespielt. Er wankte zurück, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Nein… Meine Mutter versuchte, für meine kleine Schwester einen Untersuchungstermin bei Ihrem Vater zu vereinbaren, aber sie rief mehrmals vergeblich an. Daraufhin mußte sie sie ins Krankenhaus fahren und dort den ganzen Tag warten.« Pete lächelte innerlich – Lauren hatte gerade die emotionale Verbindung zu Julio geschaffen, die sie so dringend brauchten. »Julio«, sagte er, »ich stelle dir jetzt eine Frage, und ich möchte eine offene und ehrliche Antwort darauf. Hast du zusammen mit deinen Freunden einen Anschlag auf die Kirche durchgeführt?« »Und was wäre, wenn das stimmt?« erwiderte der junge Mann trotzig. »Ich sage nicht, daß wir es waren – aber es handelte sich ohnehin nicht mehr um eine Kirche. Wer auch immer den Anschlag verübte und einige dieser verdammten Dreckschweine erledigte – ich kann ihm nur gratulieren.«
»Wir halten von den Visitors ebensowenig wie du«, warf Lauren ein. »Ich meine, sie haben meinen Vater geholt, und ich weiß nicht mal, ob er überhaupt noch lebt.« Sie bemerkte, wie der Gesichtsausdruck Julios finsterer wurde. »Der Kerl arbeitet für sie«, sagte er und deutete auf Pete. »He, einen Augenblick. Ich arbeite nicht für die Visitors. Wenn du die Sache mit den Sternenfreunden meinst… damals übte der Sponsor unserer Baseballmannschaft erheblichen Druck auf mich aus, und außerdem wußte zu jener Zeit noch niemand, was mit den Visitors wirklich los ist. Glaub mir, Julio: Ich weiß mehr über sie als die meisten anderen Menschen. Du mußt selbst entscheiden, ob du uns vertrauen willst oder nicht, aber wir brauchen deine Hilfe, und darum bleibt uns in dieser Hinsicht keine andere Wahl.« »Hilfe wobei?« »Bei der Beschaffung von Waffen, mit denen wir gegen die Visitors kämpfen können«, sagte Pete fest. Julio versuchte ganz ruhig zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen, doch in seinen Augen funkelte es. Er dachte nach und lächelte dann dünn. »In Ordnung. Sie haben mein Wort.« Pete brachte Lauren nach Hause zurück. »Du hast dich Julio gegenüber genau auf die richtige Art und Weise verhalten«, sagte er. »Ich bin Diplomatin«, erwiderte sie. »Und ich war diplomatisch.« »Bisher habe ich nicht gewußt, wie begabt du in dieser Hinsicht bist. Du hast die Sache so angefaßt, daß wir bekommen, was wir wollen.« »Oh, ich glaube schon, daß er uns dabei helfen wird, uns in den Besitz der Waffen zu bringen. Aber ich mißtraue seinen wahren Motiven. Und ich bezweifle, ob er Befehle von uns entgegennimmt. Du bist doch wohl nicht so naiv anzunehmen,
er habe sich aus Patriotismus unserer Sache angeschlossen, oder?« Laurens Sarkasmus war unüberhörbar. »Natürlich nicht.« Er dachte in diesem Zusammenhang an den weiteren Verlauf des Gesprächs mit Julio. Lauren hatte dem jungen Mann gegenüber erwähnt, die anderen Gangs, die zu den Sternenfreunden gehörten, bekämen Laserwaffen und weitere Ausrüstungsmaterialien und stellten somit eine Gefahr für die Diablos dar – was natürlich den Anführerstolz Julios herausgefordert hatte. »Wir sollten diesen Julio und seine Jungs aufmerksam im Auge behalten«, schlug Lauren vor. »Vorausgesetzt, die Aktion klappt überhaupt.« »Und du hältst mich für zynisch?« fragte Pete. »Vielleicht färbt deine Einstellung langsam auf mich ab«, sagte sie.
19. KAPITEL Träume von einer Revolution
»Jennifer!« Die Frau mit dem kastanienfarbenen Haar wandte sich von der Konsole ab und sah Roger an, der gerade die Zentrale betrat. »Ich habe Ihnen allen etwas mitzuteilen«, verkündete der Kommandant. Angela stellte als letzte der im Kontrollraum anwesenden Besatzungsmitglieder die Arbeit ein. »Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt für eine richtige Zeremonie – die findet statt, wenn wir wieder zu Hause sind. Ich möchte jedoch schon jetzt bekanntgeben, daß Jennifer eine Missions-Auszeichnung der ersten Klasse erhält, sowohl für ihre Tätigkeit an Bord als auch die Effizienz des Einsatzes gegen die wissenschaftliche Basis von Brook Cove. Wir hatten inzwischen genug Zeit, sowohl die erbeuteten Gerätschaften zu prüfen als auch die Unterlagen zu analysieren, und dadurch sind wir zu dem Schluß gelangt, daß die in den entsprechenden Laboratorien durchgeführte Arbeit eine große Gefahr für uns hätte darstellen können, wäre sie ungestört weitergeführt worden.« »Ich habe nur meine Pflicht getan, Kommandant«, erwiderte Jennifer bescheiden, und sie konnte spüren, wie der wütende Blick Angelas sich auf sie richtete. »Und das mit aller Hingabe und persönlicher Entschlossenheit«, fügte Roger hinzu. »Sie waren so fähig, eine gute Chance als solche zu erkennen und wahrzunehmen.
Nun, ich glaube, Ihre derzeitige Schicht ist beendet. Sie können gehen, Jennifer.« »Danke für die Ehre, Sir. Ich hoffe, ich werde weiterhin dem Vertrauen gerecht, das Sie in mich setzen.« »Da bin ich ganz sicher«, sagte Roger und nickte, als sie die Zentrale verließ. Garr hatte sich große Mühe gegeben, sein Weihnachtsfest vorzubereiten, und er wartete, bis alle seine Gäste – Roger, Angela, Kardinal Palazzo und Bürgermeister Alison Stein – eingetroffen waren, bevor er mit seiner Show begann. Garr hatte keine Kosten gescheut, um auf dem schwarzen Markt nebst einem großen Truthahn auch alle anderen Leckereien zu erstehen, die seiner Ansicht nach für ein ordentliches Weihnachtsessen unabdingbar waren…
Guido hatte nicht ganz so gute Beziehungen wie Alexander Garr, und mit einem traurigen Achselzucken meinte er Pete gegenüber, er habe nichts weiter als einige Hähnchen bekommen können. Was jedoch der allgemein gehobenen Stimmung keinen Abbruch tat. Auf dem Tisch im Bella Capri lagen Plätzchen und andere Spezialitäten, und einige der anwesenden Mitglieder der Widerstandskämpfer waren damit beschäftigt, eine kleine Fichte zu schmücken… Garr hatte für diesen Abend einen Pianisten engagiert, der am Klavier saß und als Hintergrundmusik Weihnachtslieder spielte. Er hatte auch vorschlagen wollen, gemeinsam zu singen, doch weder Palazzo noch Alison Stein schienen von dieser Idee sonderlich begeistert zu sein. Offensichtlich fühlten sie sich in der Gegenwart der beiden hohen Offiziere der Visitors alles andere als wohl. Bei einer passenden Gelegenheit nahm der Kardinal Garr beiseite. »Alex, warum haben Sie mich eingeladen?«
»Es ist doch Weihnachten, oder?« »Es fällt einem schwer, das zu glauben. In der Stadt gibt es nirgends bunte Lichter oder mit Girlanden geschmückte Bäume.« »Die Visitors haben Versammlungen verboten, und außerdem gibt es da nach wie vor die abendliche Ausgangssperre.« »Nun«, erwiderte Palazzo, »und genau das stimmt mich alles andere als fröhlich.« Er sah sich kurz in dem Zimmer um. Alison Stein saß allein auf der Couch, ein Glas in der Hand, und die beiden Visitors standen ein wenig abseits. Dem Pianisten schenkte niemand Beachtung. »Ist nicht gerade die beste Party, die ich jemals gegeben habe, wie?« fragte Garr. »Vielleicht wird es beim Essen besser.« »Die Visitors halten nichts von unserer Nahrung; haben Sie das vergessen?« »Glauben Sie, die anderen Leute feiern jetzt bei sich zu Hause?« fragte Garr. »Oh, da bin ich ziemlich sicher.« Und mit ein wenig ironisch klingender Stimme fügte er hinzu: »Gott sei Dank.« Auch als die Mahlzeit aufgetragen wurde, hob sich die Stimmung nicht. Alison erwähnte die zunehmenden terroristischen Aktivitäten und befürchtete, New York könne in den nächsten Monaten zu einer Geisterstadt werden. Die Visitors versicherten ihr, man würde innerhalb weniger Tage allen Terroristen das Handwerk legen, und sie brauche sich deshalb keine Sorgen zu machen. »Kardinal Palazzo«, wandte sich Roger an den Geistlichen, »wie schätzen Sie die gegenwärtige Moral der Bevölkerung ein?« »Es wäre besser gewesen, ihnen die Erlaubnis zu öffentlichen Feiern zu geben«, erwiderte Palazzo fest. Er bemerkte den argwöhnischen Blick Angelas, und er sah sie direkt an. »Die
Freiheit der Gebete und Gottesdienste hat große Bedeutung für uns. Wir können uns nur schwer damit abfinden, darauf verzichten zu müssen.« »Angesichts des Kriegsrechtes gab es keine andere Wahl«, hielt ihm Angela spitz entgegen. »Vielleicht können wir im nächsten Jahr entsprechende Genehmigungen erteilen.« »Ich dachte, die Verhängung des Kriegsrechtes sei nur eine vorübergehende Maßnahme«, hielt ihr der Kardinal entgegen. »Das Problem der Verschwörung gegen uns ist ernster, als wir bisher annahmen«, sagte Roger. »Aber ich glaube, wir haben die Lage ausreichend unter Kontrolle, um schon recht bald viele der gegenwärtigen Beschränkungen aufzuheben. Vielleicht könnten wir die abendliche Sperrstunde auf einen späteren Zeitpunkt festsetzen…« Er dachte kurz nach. »Ich hielte es in diesem Zusammenhang für eine gute Idee, wenn wir fünf eine Tour mit dem Auto durch die Stadt unternähmen, um zu zeigen, daß es nicht so schlimm steht.« »Ich glaube, das ließe sich machen. Es dürfte rund einen Monat dauern, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Einigen wir uns auf ein Datum.« »Wie wär’s mit dem Valentinstag?« »Einverstanden«, bestätigte Alison Stein.
Guido tischte nicht nur gebratene Hähnchen auf, sondern auch diverse italienische Spezialitäten. »He«, brachte Brenda Ortiz mit vollem Mund hervor, »wißt ihr, was wir brauchen? Einen Namen.« »Was denn für einen Namen?« fragte Mitchell. »Welche Terroristengruppe, die einigermaßen etwas auf sich hält, legt sich keinen Namen zu?« Brenda sah die anderen an. »Ich stelle mir so etwas vor wie ›Schwarzer Freitag‹. Ich
glaube, so nennt sich irgendeine arabische Volksbefreiungsfront…« »Sie hat recht«, warf Denise ein. »Ein Name verstärkt unser Zusammengehörigkeitsgefühl, gibt uns eine neue Identität.« Nach dem Essen sagte Sam Yeager betrübt: »Wißt ihr, was fehlt? Musik. Wir sollten Weihnachtslieder singen. Hat jemand ein Klavier mitgebracht?« »Wie wär’s hiermit?« fragte Denise zurückhaltend und holte ein kleines elektronisches Musikinstrument aus der Handtasche. »Spielen Sie, Maestro!« rief Lauren. Denise schaltete das Gerät ein und betätigte vorsichtig einige der Tasten. Die anderen erkannten die Melodie sofort als die von ›Stille Nacht‹. Nach und nach begannen sie zu singen. Nach dem Lied klatschten die Männer und Frauen. Denise senkte verlegen den Blick, und kurz darauf berührten ihre Fingerspitzen erneut die Tasten. Guido stand an der Tür und hörte glücklich lächelnd zu. In seinen Augen schimmerten Tränen der Freude. Als die Melodie verklang, rief er: »He, es schneit. Wir haben weiße Weihnachten.« Es folgte ein allgemeiner Jubel, und dann sprang Denise auf und bat um die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden. »Das ist es!« rief sie. »Das ist was?« fragte jemand. »Unser Name, die Bezeichnung für unsere Gruppe – Weiße Weihnacht.« Gespannt beobachtete sie die Mienen ihrer Kameraden, und die ersten nickten, als sie die beiden Worte einige Male leise wiederholt hatten.
»Nicht schlecht«, sagte Lauren. »Ein sehr symbolischer und emotionaler Begriff – irgendwelche Einwände?« Niemand hatte etwas dagegen. »Dann willkommen bei der Weißen Weihnacht.«
20. KAPITEL Das Recht, Waffen zu tragen…
In der Übungshalle herrschte das übliche akustische Chaos, hervorgerufen von immer wieder auf den Boden prallenden Basketbällen, mehr als einem Dutzend dröhnenden Radios und weithin hallenden Stimmen. Nach dem Einverständnis Petes hatte sich Julio an die anderen Jungen gewandt und sie dazu aufgefordert, an diesem Abend möglichst viel Bier und Drogen mitzubringen und mit den Visitors zu teilen. Die jungen Leute waren sofort begeistert bei der Sache, und es kam zu einem Wettstreit zwischen den einzelnen Nachbarschaftsgruppen, bei dem es darum ging, wer einerseits den meisten Lärm machen und andererseits die anwesenden Visitors möglichst rasch mit Alkohol und Marihuana benebeln konnte. Nur wenige der Freunde Julios wußten, daß dieses geordnete Chaos in erster Linie dazu diente, von Aktivitäten abzulenken, die nicht auf dem Programm standen.
»Wer hat die Aufgabe, sich um die Schlösser zu kümmern?« fragte Sam. Ein vierzehnjähriges Mädchen mit olivfarbener Haut und einer Strickmütze auf dem Kopf sah zu ihm hoch. »Sie sind Polizist, nicht? Haben wir heute abend freie Hand?« »Abgemacht«, erwiderte Sam leise. »Ganz gleich, was heute abend auch geschieht – es bleibt alles unter uns.«
»Dann nehme ich mir die Schlösser vor«, sagte das Mädchen. An jenem Abend führte Sam Yeager seine kleine Gruppe in das Waffenlager. Sie brachen die Schlösser der Türen auf, die in Räume mit der Ausrüstung der Nationalgarde führten. Sie entdeckten einige Handkarren, die auf die Anweisung Yeagers hin im ganzen Gebäude verteilt wurden – um die Durchführung der späteren Aktion zu erleichtern. Schließlich des aktivierten sie die Alarmvorrichtungen an drei normalerweise verriegelten Stahltoren, durch die man das Gebäude verlassen konnte. Das Ablenkungsmanöver der Jungen in der Übungshalle funktionierte, und Sam und seine Begleiter wurden nicht entdeckt, als sie die Waffen verluden. Als sie fertig waren, wurden alle aufgebrochenen Schlösser wieder so hergerichtet, daß sie unbeschädigt wirkten. Daraufhin setzte sich Yeager mit Pete in Verbindung, und Forsythe wiederum benachrichtigte Julio. Alles war bestens gelaufen.
Während des ganzen Abends – glücklicherweise war die Sperrstunde inzwischen auf Mitternacht gelegt worden – pendelten die Transporter zwischen dem Waffenlager und der unterirdischen Garage, die Pete mit Julio als Treffpunkt vereinbart hatte, hin und her. Gegen fünf Uhr morgens befanden sich alle Ausrüstungsgüter in Sicherheit, und der Anführer der Diablos nahm Benny Hernandez zur Seite. »Habt ihr das Zeug bekommen, Benny?« »Ja, Julio. Du hattest recht – es war wirklich der Mühe wert. Wir haben jetzt Maschinenpistolen, Gewehre, Dynamit und ausreichend Munition. Was hast du mit dem ganzen Kram vor?«
»Oh, ich habe da so einige Ideen, Benny. Wir werden dafür sorgen, daß bestimmte Typen bereuen, je auf diesen Planeten gekommen zu sein.« Pete traf mit Lauren, Joey und Yeager etwa gegen sechs ein. Inzwischen hatten die anderen Mitglieder der Gang Julios die Kisten und Säcke in drei Lieferwagen verladen. »Damit können Sie eine ganze Armee ausrüsten«, sagte Julio und fragte wie beiläufig: »Was wollen Sie mit dem Zeug anstellen?« »Wir werden den Visitors beweisen, daß es auch Menschen gibt, die sich nicht von ihnen unterdrücken lassen«, antwortete Yeager. »Spielen wir eine Rolle bei Ihren Plänen?« »Das war bereits der Fall«, erwiderte Pete. »Indem ihr uns die Waffen besorgt habt.« »He, Mann, wir wollen dabei sein, wenn sie benutzt werden!« protestierte Julio. »Wir wissen nicht genau, wann wir zuschlagen«, schränkte Lauren ein. »Verdammt!« Julio ließ sich nichts vormachen. »Ich glaube eher, ihr wollt mir und den Diablos einen Tritt in den Hintern geben und uns loswerden.« Sam nickte in Richtung der Lieferwagen. Pete suchte nach den passenden Worten, um Julios Behauptung abzustreiten, mußte sich aber eingestehen, daß der junge Mann recht damit hatte, ein Umstand, der ihm nicht sonderlich behagte. Sam stieg unterdessen in den ersten Wagen und Joey in den zweiten. Lauren zog ihn in Richtung des dritten, und Pete nahm hinter dem Steuer Platz. Im Osten rötete die aufgehende Sonne gerade den Horizont, als sie die Garage verließen und auf die Straße fuhren. Dort wandten sie sich in verschiedene Richtungen. Außer ihnen waren nur wenige andere Fahrzeuge
unterwegs, obgleich Manhattan noch vor einigen Monaten für sein Verkehrschaos bekannt gewesen war. Pete deutete auf die vielen freien Parkplätze. »Hitler hat Autobahnen gebaut – und die Visitors haben das Verkehrsproblem New Yorks gelöst.« Lauren blieb ernst und schwieg eine ganze Zeitlang. »Was ist denn mit dir los?« fragte Pete schließlich. »Ich glaube, du machst einen Fehler, Pete. Ich halte es nicht für richtig, die Gangs nicht an unseren Plänen zu beteiligen.« »Solche Pläne existieren doch noch gar nicht. Und außerdem haben wir keine Zeit dafür, bei Typen wie Julio dauernd für Disziplin zu sorgen.« »Du weißt doch, daß er ebenso wie wir Zugang zu den erbeuteten Waffen hatte, oder?« »Das ist mir klar, ja. Und? Die Diablos werden sie auch benutzen, und dann bekommen es die Visitors nicht mehr nur mit Molotow-Cocktails zu tun. Kann es uns denn schaden, wenn der Feind auch von einer anderen Richtung aus angegriffen wird, während wir zuschlagen?« »Das ist doch wohl nicht dein Ernst, Pete! Der Widerstand muß organisiert sein. Aufsplitterungen können wir uns nicht leisten.« Den Rest der Strecke legten sie schweigend zurück.
Die Waffen wurden in vielen kleinen Depots versteckt, um zu verhindern, daß den Visitors gleich die ganze Ausrüstung des Widerstandes in die Hände fiel, falls diese eins der Lager entdeckten. Und kein Mitglied der Gruppe Weiße Weihnacht kannte mehr als drei solcher Verstecke, für den Fall, daß jemand verhaftet, verhört und zum Reden gebracht wurde. Allerdings benötigten sie nach wie vor einen gut ausgearbeiteten Plan für den Einsatz der Waffen. In dieser
Hinsicht brauchten sie nicht lange zu warten. Während eines Treffens im späten Januar kam Brenda Ortiz mit der passenden Idee. Die Zusammenkunft fand im Nähsaal einer inzwischen von den Visitors stillgelegten Kleiderfabrik statt. »Es handelt sich um eine Stadtrundfahrt, die natürlich Propagandazwecken dient«, erklärte Brenda. »Es nehmen die Bürgermeisterin, Alexander Garr, Kardinal Palazzo und unsere beiden besonderen Freunde Roger und Angela daran teil.« »Wann?« fragte Pete nur. »In zweieinhalb Wochen. Ich habe die Fahrtroute.« Brenda holte einen Zettel aus der Tasche und entfaltete ihn. Lauren griff nach einer Straßenkarte und breitete sie auf dem Tisch aus.
21. KAPITEL Das wahre Gesicht des Feindes
Den Widerstandskämpfern der Gruppe Weiße Weihnacht standen arbeitsreiche zweieinhalb Wochen bevor, als sie beschlossen, die Idee Petes zu verwirklichen. Mit der Hilfe Laurens und ihrer guten UN-Beziehungen gelang es ihnen sogar, die Erlaubnis zu erhalten, zu dem Ferienhaus in den Bergen zu fahren, das einem Bekannten der Diplomatin gehörte. Dort bekamen sie Gelegenheit, Erfahrungen im Umgang mit Molotow-Cocktails und Granaten zu sammeln. Es überraschte niemanden, als sich dabei herausstellte, daß Pete Forsythe und Joey Vitale von ihnen allen am weitesten werfen konnten. Als sie jedoch mit der M-16 und dem 38er Polizeirevolver übten, erwies sich ausgerechnet Lauren als Beste. Fast nie verfehlte sie das Ziel, wurde jedoch nicht müde zu behaupten, es sei ein großer Unterschied, auf Flaschen und andere Dinge zu schießen oder die Waffe auf einen Visitor oder Menschen zu richten, wozu sie sich außerstande sähe. Pete versicherte ihr, bei der geplanten Aktion seien keine direkten Kämpfe vorgesehen. Sie würden die Visitors durch einen Trick in ihre Gewalt bringen, und wenn alles reibungslos liefe, müsse niemand auf irgend jemanden schießen.
Gegen Mittag des Tages X begab sich Sam Yeager in das Restaurant Guidos, in dem drei andere Mitglieder der Gruppe Weiße Weihnacht auf ihn warteten: Joey Vitale und zwei
Busfahrer – Sal, ein großer und grauhaariger Mann, und Manfred, ein recht kleiner und dicklicher Typ mit dunklem Haar, in dem sich an den Schläfen erste graue Strähnen zeigten. Sal und Manfred fuhren mit Sam nach einer großen Werkstatt, in der einige Busse der Stadt repariert wurden. Sie führten nicht nur die Schlüssel für das Tor bei sich, sondern auch die für einige gerade überholte Busse. Ein in der Wartungsabteilung arbeitender Freund, der ihre Sache unterstützen wollte, hatte ihnen dazu verholfen. Sie erreichten die Werkstatt gegen zwei Uhr nachmittags. Dort vergewisserten sie sich, daß mit den Bussen alles in Ordnung war; dann warteten sie.
Die wenigen Leute, die sich am Rockefeller Center eingefunden hatten, trugen dicke Jacken, denn an diesem Februartag wehte ein schneidend kalter Wind und ließ die Fahnen am Rande der Eisfläche flattern. Zwei Schlittschuhläufer, ein Mann und eine Frau, glitten zu der aus den Lautsprechern tönenden Musik dahin. Nach einer Weile erreichte die Limousine der Bürgermeisterin das große Gebäude. Eine Gruppe von Polizisten – aufmerksam beobachtet von in orangerote Uniformen gekleideten und schwerbewaffneten VisitorSoldaten – eskortierte Garr, Kardinal Palazzo, Bürgermeisterin Alison Stein und Angela und Jennifer auf das Podium, das man in unmittelbarer Nähe der Eisfläche errichtet hatte. Roger war nirgends zu sehen. Als sie ihre Plätze auf der Plattform einnahmen, beugte sich Garr zu Palazzo vor. »Um zwei Uhr nachts habe ich hier schon mehr Leute gesehen«, flüsterte er dem Kardinal zu. »Und die hier wirken nicht gerade sonderlich fröhlich.«
Auf der anderen Seite des Platzes stand Brenda Ortiz und beobachtete das Podium aufmerksam. Nach einigen Minuten wandte sie sich ab, trat in eine Telefonzelle und wählte eine bestimmte Nummer. »Hallo – ich wollte nur mitteilen, daß unsere Freunde eingetroffen sind«, sagte sie. Das Taxi hielt am Straßenrand, und Denise Daltrey bezahlte den Fahrer. Sie stieg aus und klemmte sich die Einkaufstasche unter den Arm. Sie trug einen dicken und eher unförmigen Mantel und eine Wollmütze und hatte sich einen Schal umgeschlungen. In dieser Aufmachung, hoffte sie, würde sie niemand erkennen. Sie holte einen zusammenklappbaren Stuhl aus der Tasche und ließ sich darauf neben dem abgesperrten Zugang einer U-Bahn-Station nieder. Anschließend nahm sie ihr elektronisches Musikinstrument zur Hand, ließ die Tasche zu ihren Füßen offen und begann zu spielen. Die wenigen Passanten in der Nähe ignorierten sie. Nach einigen Minuten warf ein Mann ihr einen Nickel zu, der in der Tasche liegenblieb und keine Gesellschaft bekommen sollte. Kurz darauf hielt an der Ecke ein Bus, und Pete Forsythe stieg aus. In der einen Hand hielt er eine Sporttasche. Als er sich unbeobachtet fühlte, eilte er rasch an Denise vorbei in Richtung der Treppe, holte eine schwere Drahtschere hervor und durchschnitt die Kette des Tores. Er öffnete es, schob sich schnell hindurch und befestigte die Kette wieder, so daß niemand Verdacht schöpfen konnte. Dann eilte er die Stufen hinunter und verschwand in der Dunkelheit der Station.
Der Zug fuhr langsam in den unterirdischen Bahnhof, es quietschte, als die stählernen Räder blockierten und die Waggons anhielten. In der Zugmaschine saß ein junger schwarzer Wagenführer, der kurz darauf hörte, wie sich die
Tür seines Abteils öffnete. Noch bevor er sich umdrehen konnte, spürte er etwas Hartes und Kaltes an der einen Wange. »Geben Sie bekannt, daß dieser Zug hier seine Endstation erreicht hat«, sagte Sari James, deren langes blondes Haar unter einer karierten Mütze verborgen war. Sie hielt die Pistole weiterhin auf den Ingenieur gerichtet, der mit zitternden Händen nach dem Mikrofon griff. »Ihnen wird nichts geschehen«, erklärte Sari. »Wenn Sie keine Schwierigkeiten machen. Wir borgen uns diesen Zug für ungefähr eine Stunde aus.« Sie bedachte ihn mit einem beruhigenden Lächeln, als er den Kopf drehte und Saris drei Begleiter bemerkte: eine dunkelhäutige und ausgesprochen attraktive junge Frau und zwei kräftig gebaute Männer in blauen Overalls – Lauren und zwei Arbeiter, die sich der Widerstandsgruppe angeschlossen hatten. »Achtung«, sagte der Wagenführer ins Mikrofon. »Wegen technischer Probleme kann dieser Zug seine Fahrt leider nicht fortsetzen. Bitte verlassen Sie die Waggons.« Der Zug hatte ohnehin nur einige wenige Passagiere befördert, und es dauerte nicht lange, bis die Waggons leer waren. »Gut«, sagte Sari leise. »Schließen Sie die Türen, und fahren Sie langsam los.« Der Schwarze drehte behutsam an dem Rad, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung und glitt wie eine stählerne Schlange in den dunklen Tunnel. »In Ordnung«, sagte Sari. »Halten Sie an der Plattform des nächsten Bahnhofs an.« »Aber das hat doch keinen Sinn. Die nächste Station ist wegen Reparaturarbeiten geschlossen.« Sari hielt ihm erneut den Revolver an die Wange und lächelte. »Stellen Sie sich einfach vor, wir machen einen kleinen und ganz privaten Ausflug.«
Einer der stämmigen Arbeiter, Lenny Honaka, holte ein Funksprechgerät hervor. »Leite alle nach uns kommenden Züge um, bis ich mich wieder melde«, gab er durch. »Verstanden«, kam die Bestätigung aus dem Lautsprecher des Geräts.
Dunkelheit hatte das Grau des Winterhimmels verdrängt, und Alison schaltete die kleine Lampe im abgeschirmten Fond der großen Limousine ein. »Ich glaube, die Sache lief ganz gut«, behauptete Garr wenig überzeugend. »Wie schade, daß Roger nicht kommen konnte.« »Ich bin sicher, er wird es sehr bedauern, wenn wir ihm Bericht erstatten«, erwiderte Jennifer, als sich der Cadillac der Kreuzung näherte. Einen halben Block entfernt waren geschickte Hände damit beschäftigt, im Kontrollkasten der Ampeln einige Schaltungen auszuführen. Aus Grün wurde Gelb und dann Rot. Der große Wagen hielt hinter einem Stadtbus, aus dessen Auspuff dichte Rußschwaden qualmten. Ein zweiter Bus bremste hinter der Limousine, und unmittelbar darauf kam ein dritter rechts neben dem Cadillac zum Stehen. Der Fahrer blickte nervös hin und her, als er Verdacht zu schöpfen begann, doch es war bereits zu spät, noch etwas zu unternehmen: Ein vierter Bus rollte auf der linken Seite heran. Den Passagieren im Fond war noch nichts aufgefallen. Sie bemerkten auch nicht Yeager, Joey, Sal und Manfred, die nun ausstiegen und sich mit gezückten Waffen der Limousine näherten. Ihr Gesicht hatten sie hinter Skibrillen verborgen. Sam bedeutete dem Fahrer, das Seitenfenster herunterzulassen, und der auf ihn zielende Revolver überzeugte diesen, daß es besser war, der Aufforderung nachzukommen. »Warum hat
man nur nicht auf mich gehört und diesen Wagen endlich mit Panzerglas ausgestattet?« seufzte der Mann. Etwas lauter fügte er hinzu: »Wir haben Gesellschaft bekommen, Bürgermeisterin.« Durch das nun offene Seitenfenster blickte Yeager in den Fond. »Wären Sie bitte so nett auszusteigen? Und zwar rasch – oder Sie sind erledigt.« »Was, zum Teufel, soll das bedeuten?« entfuhr es Garr. Er warf dem Kardinal einen kurzen Blick zu. »Entschuldigen Sie, Euer Eminenz.« »Seien Sie still!« knurrte Yeager. »Und jetzt raus.« Die fünf Passagiere gehorchten, und Yeager und seine Begleiter stießen sie vor sich her, führten sie an Denise vorbei, die an der Treppe der U-Bahn-Station Wache hielt, und geleiteten sie dann durch das nunmehr unverschlossene Tor. Pete wartete dort bereits mit einer Laterne auf sie, und er hatte sich nicht das Gesicht verhüllt. »Pete!« Garr konnte es offenbar nicht fassen. »Was geht hier vor?« »Das werden Sie gleich feststellen, Alex. Und jetzt – los, Bewegung.« Forsythe führte die fünf Gefangenen in die Station, die nur matt erhellt war. Hier und dort sahen sie Geräte und Reparaturwerkzeuge, und es hatte ganz den Anschein, als könnten die Wartungstechniker jeden Augenblick von einer Pause zurückkehren. Pete blickte auf die Uhr und spähte dann in den dunklen Tunnel. In der Ferne sah er Scheinwerferlicht. »Was ist mit Roger?« fragte er. »Er mußte sich um einige dringende Angelegenheiten kümmern«, erwiderte Angela trocken. »Ihr Plan, uns beide zu entführen, hat wohl nicht ganz geklappt, wie?« »Spielt keine Rolle«, erwiderte Pete ruhig. »Wir werden von Ihnen erfahren, was wir wissen wollen.«
Angela lachte spöttisch. »Und Sie möchten eine ganze Menge über uns in Erfahrung bringen, nicht wahr?« Pete lächelte. »Nicht annähernd soviel, wie Sie glauben, Teuerste. Möchten Sie, daß ich eine Maus für Sie fange? Haben Sie Hunger?« »Peter«, warf Garr aufgebracht ein. »Du beleidigst unsere…« »Halten Sie die Klappe, Alex«, unterbrach ihn Forsythe. »Entweder Sie fügen sich, oder es geht Ihnen an den Kragen.«
Die Zwischenstation von Con Ed versorgte nicht nur den größten Teil des mittleren Manhattan mit elektrischem Strom, sondern auch zwei regionale Hauptquartiere der Visitors. Julio erinnerte sich daran, daß es dort vor einigen Jahren zu einem Wasserrohrbruch gekommen war. Damals war sowohl die Elektrizitätsversorgung eines ganzen Distrikts ausgefallen als auch die der U-Bahn. Julio trug eine nur schlecht sitzende Chauffeursuniform, und er parkte den Mercedes vor dem Gebäude, in dem sich die Verteilerstation befand. Aufgrund des Diplomatenkennzeichens konnte er sicher sein, daß die Polizei den Wagen nicht abschleppte – der junge Mann lächelte, als er daran dachte, daß sich manche Dinge offenbar nie änderten. Es war ihm nicht weiter schwergefallen, sich nach Einbruch der Dunkelheit in die Villa zu schleichen und die Uniform und den Wagen zu stehlen. Julio hoffte, daß die Botschaft den Mercedes nicht sofort vermißte… daß ihm Zeit genug blieb, seine Aktion durchzuführen. Er schloß den Wagen ab – es wäre wirklich peinlich gewesen, wenn man das Auto noch einmal und diesmal ihm gestohlen hätte –, dann machte er sich auf den Weg. Der Zug hielt an der Plattform, die Widerstandskämpfer betraten zusammen mit ihren Gefangenen den ersten Waggon,
wo sie von Lauren, Sari und den beiden Arbeitern Lenny Honaka und Saul Rosenberg empfangen wurden. Sari hielt ihre Waffe weiterhin auf den Lokführer gerichtet. Lauren und die beiden Männer gesellten sich der Gruppe mit ihren prominenten ›Gästen‹ hinzu. Man führte Garr, Stein und Palazzo ans andere Ende des Waggons, wo sie bewacht wurden, und daraufhin richtete sich das allgemeine Interesse auf die beiden Visitors, die man zwang, Platz zu nehmen. »Sari«, sagte Pete, »bringen Sie uns in den Tunnel zurück. Dort soll der Zug halten.« Sari wandte sich dem Lokführer zu. »Sie haben es gehört.« »Nun, Angela«, wandte sich Forsythe an die stellvertretende Kommandantin, »wir möchten gern von Ihnen hören, was die Visitors wirklich auf der Erde wollen. Wir wissen bereits, daß die chemische Verbindung, die Sie angeblich so dringend brauchen, als Gas in die Atmosphäre abgelassen wird.« Angela lächelte arrogant. »Warum sollte ich Ihre Fragen beantworten?« »Weil ich andernfalls fest entschlossen bin, Sie zu erschießen.« »Ach, ersparen Sie mir Ihre Drohungen. Wenn Sie uns töten, nehmen zwei andere Offiziere unsere Plätze ein und führen die Arbeit weiter, bis die Mission zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht ist. Sie können uns nicht aufhalten.« »Wobei denn überhaupt?« rief Garr. Pete starrte seinen Arbeitgeber wütend an. »Es wurde auch wirklich Zeit, daß Sie einmal eine intelligente Frage stellen, Alex! Allerdings fällt sie Ihnen einige Monate zu spät ein – und erst nachdem Sie sich solche Mühe gegeben haben, sich bei den Visitors anzubiedern, der Tatsache keine Beachtung zu schenken, daß um Sie herum Tausende von Menschen von einem Tag auf den anderen verschwanden und Sie sich ja so bereitwillig mit dem Kriegsrecht und all dem verdammten Mist
abfanden. Entschuldigen Sie, Euer Eminenz.« Forsythe lachte leise. »Nun, mein lieber Alex, ich glaube, Ihnen stehen einige nette Überraschungen bevor.« Einen Häuserblock von dem geparkten Mercedes entfernt lehnte sich Julio Cruz an die Wand und sah auf die Uhr. Siebzehn Uhr achtundvierzig. Auf der dunklen Straße vor ihm rührte sich nichts. Es hielten sich keine Fußgänger in der Nähe des Wagens auf, und es waren auch keine anderen Autos zu sehen. Julio griff in die Tasche und betätigte die Taste des kleinen Senders. Dann lief er los. Zwei Sekunden später explodierte die Bombe in dem Mercedes, und die donnernde Explosion zerfetzte den Wagen. Glühende Metallsplitter zischten wie Schrapnellgeschosse durch die Luft. Das Gebäude mit der Con-Ed-Verteilerstation war der enormen Druckwelle voll ausgesetzt. Wie in Zeitlupe stürzte die Betonverschalung der ersten fünf Stockwerke in sich zusammen. Im Bürgersteig und der Straße selbst entstand dort, wo eben noch der Mercedes geparkt hatte, ein großer und tiefer Krater. Innerhalb von fünf Sekunden stieg eine dicke Qualmwolke auf, und noch immer züngelten Flammen empor, genährt vom Benzin aus dem gesprengten Tank des Wagens. In dem Augenblick, als die Stromversorgung ausfiel, heulten überall in der Nähe die batteriegeladenen Sirenen von Alarmanlagen.
Plötzlich erlosch das Licht in den Waggons des U-BahnZuges, und das leise Summen der Motoren erklang. Von einem Augenblick zum anderen sahen sich sowohl die Widerstandskämpfer als auch ihre Gefangenen mit fast völliger Finsternis konfrontiert. Es glommen nur einige Deckenplatten der Notbeleuchtung. Sam ergriff rasch die Laterne Petes und drehte den Docht hoch, so daß sie sich ausreichend orientieren
konnten, um weiterhin die Waffen auf Angela und Jennifer gerichtet zu halten. »Was ist los?« fragte Pete. »Keine Ahnung«, erwiderte Sari aus der Kabine des Ingenieurs. »Die Stromversorgung ist zusammengebrochen. Wir sitzen hier fest.« »Mist!« fluchte Forsythe leise. »Wenn wir in zehn bis fünfzehn Minuten noch immer keinen Strom haben, müssen wir zu Fuß durch den Tunnel. Wir alle – abgesehen von euch beiden.« Er sah die Visitors an. »Was haben Sie davon, uns hier zurückzulassen?« fragte Angela. »Irgendwie kämen wir wieder nach oben.« »Aber nur als Leichen«, sagte Yeager. »Könnten wir sie nicht mitnehmen und an einem anderen Ort verhören?« fragte Lauren. »Lauren«, sagte Pete langsam, »wir dürfen nicht unser Leben dadurch aufs Spiel setzen, die Visitors zu bewachen, während wir durch die Dunkelheit des Tunnels fliehen. Wenn sie uns nicht sofort unsere Fragen beantworten, müssen wir sie töten.« »Ich bin dazu bereit, Ihnen die gewünschten Auskünfte zu geben«, sagte Jennifer in diesem Augenblick. »Wagen Sie es nicht, Sie Feigling!« fauchte Angela. »Das ist ein Befehl!« Jennifer achtete überhaupt nicht auf sie. »Wir haben Ihr Volk von Anfang an belogen. Aber vermutlich entzieht sich das Ausmaß dieser Lüge noch Ihrer Vorstellungskraft.« Jäh sprang Angela auf, sie bewegte sich mit einer Geschwindigkeit, zu der kein Mensch in der Lage gewesen wäre, als sie sich auf Jennifer stürzte. Sam trat sofort vor, um einzugreifen, und Pete und einer der beiden großen und kräftig gebauten U-Bahn-Arbeiter folgten seinem Beispiel. Joey und Lauren wichen ein wenig zurück. Sie hatten noch immer die Waffen erhoben und versuchten, in dem Durcheinander vor
ihnen die Visitors von den Menschen zu trennen. Mit einem Satz kam Angela wieder auf die Beine. Sie gab ein schlangenartiges Zischen von sich, und eine gute dreißig Zentimeter lange und dunkle Zunge zuckte zwischen ihren Lippen hervor. Gift spritzte aus dem Mund der Visitor. Pete und Sam Yeager stöhnten, sanken zurück und preßten sich die Hände aufs Gesicht. Einige Sekunden lang wandte sich Angela von Jennifer ab, um die Menschen anzugreifen. Mit jener unheimlichen Geschwindigkeit sauste sie auf Pete zu. Forsythe wankte blind umher, als Sam Yeager den Kolben seiner Waffe in Angelas Gesicht schmetterte. Die anderen machten sich nun ebenfalls zum Eingreifen bereit, doch die blonde Kommandantin wirbelte herum und spuckte erneut Gift. »Pete!« rief Sam und versuchte, im unsteten und zitternden Schein der Laterne freies Schußfeld auf Angela zu bekommen. »Zur Seite!« In diesem Augenblick sprang Jennifer auf ihre Vorgesetzte zu und packte sie an den Beinen. Beide Visitors fielen zu Boden. »Schießen Sie!« rief Jennifer, und ihre Stimme überschlug sich fast. »Jetzt! Bevor sie sich wieder befreit.« Angela machte sich von Jennifer los, und einmal mehr zuckte ihre lange Zunge durch die Luft. Einen Augenblick lang fiel das Licht der Laterne direkt auf ihr Gesicht, und Lauren sah einen großen Hautfetzen, der sich von der einen Wange gelöst hatte. Darunter waren grünschwarze Schuppen zu erkennen. Angela trat nach Jennifer und gab sich alle Mühe, Pete zu erreichen. »Sie will ihn umbringen!« rief Jennifer. Ein Blitz folgte, an den sich ein fast ohrenbetäubendes Knallen anschloß, und die 38er in den Händen Laurens erzitterte nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals. Der Rückstoß war so groß, daß die Diplomatin Mühe hatte, die
Waffe festzuhalten. Zwei weitere Male leckte das Feuer aus dem Lauf des Revolvers, und dann plötzlich war alles still – abgesehen von dem dumpfen Stöhnen Petes und einem Krächzen, das von Angela stammte, die zu Boden gesunken war. Auf ihrer Brust breitete sich ein dunkler Fleck aus. Laurens Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen, und sie versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Sam trat auf sie zu, nahm ihr die Waffe aus der Hand und nickte in Richtung Petes. Lauren trat rasch an Forsythe heran und half ihm auf einen Sitz. »Ist alles in Ordnung mit dir, Pete?« fragte sie besorgt. »Kannst du sehen?« »Ja… Es ist alles verschwommen, und es tut scheußlich weh, aber ich glaube, ich bin nicht erblindet.« Unterdessen half Joey Jennifer in die Höhe. Sie schien unverletzt zu sein, schnappte nach Luft und versuchte, den Blick nicht auf die schwerverletzte Angela zu richten. Nach einer Weile dann näherte sie sich der anderen Visitor und beugte sich über sie. Im Laternenlicht war deutlich das wahre Gesicht Angelas zu erkennen, die Schuppen eines Reptils. »Ich verstehe nicht…«, setzte Garr fassungslos an. »So sehen wir in Wirklichkeit aus«, sagte Jennifer leise. »Wir sind nicht so wie Sie. Unsere menschliche Haut ist künstlichen Ursprungs.« Sie beugte sich, um am Nacken Angelas nach dem Puls zu fühlen. »Sie ist tot«, stellte Jennifer fest und richtete sich wieder auf. »Ich beantworte alle Ihre Fragen – wenn Sie jetzt noch Wert darauf legen. Ich versuche schon seit einiger Zeit, mich mit Ihrer Gruppe in Verbindung zu setzen.« Vorsichtig zog sie die verbliebenen Hautfetzen vom Gesicht Angelas, und Pete blinzelte mehrmals, rieb sich die brennenden Augen und beobachtete die Tote. Die grünschwarzen Schuppen glänzten
feucht, und anstatt einer Nase sah er zwei Schlitze. Der Mund war lippenlos, und auf dem Kopf zeigte sich ein Kamm. »Echsen?« brachte Forsythe schließlich hervor. »Das sind Sie in Wirklichkeit?« »Wir alle«, bestätigte Jennifer, und nur Pete vernahm das gequälte Stöhnen Joey Vitales. »Deshalb rühren wir auch Ihre Lebensmittel nicht an. Wir essen nur lebende oder gerade getötete Tiere.« »All die Menschen, die von Ihrem Volk an Bord der Mutterschiffe gebracht wurden«, sagte Pete, als die wirbelnden Gedanken hinter seiner Stirn erste Erkenntnismuster zu bilden begannen, »sie leben noch, nicht wahr?« »Ja. Jedes Mutterschiff kann ungefähr fünftausend Menschen in einer speziellen Bereithaltungshibernation aufnehmen. Dort wird ihr Stoffwechsel verlangsamt; die Betreffenden befinden sich in einer Art Scheintod, der keine Ernährung erforderlich macht…« »Und irgendwann wollt ihr sie als… als Nahrung verwenden«, hauchte Pete. »Stimmt das, Jennifer?« Sie nickte. »O Gott«, entfuhr es Lauren. Pete drückte ihr die Hand. Jennifer fuhr fort: »In einem Punkt sagte John Ihnen die Wahrheit. Auf unserem Heimatplaneten gibt es ernste ökologische Probleme. Einige davon haben einen natürlichen Ursprung, und für andere sind wir selbst verantwortlich. Das Ergebnis ist, daß bei uns großer Mangel an Wasser und Nahrung herrscht. Der Plan des Großen Denkers besteht darin, alles Wasser von dieser Welt zu holen…« »Natürlich«, warf Sari ein, in der nun wieder die Wissenschaftlerin erwachte. »Die chemische Verbindung, die angeblich in den Werken produziert wird – nichts weiter als ein Vorwand. Ihnen geht es allein um das Wasser, von dem Sie behauptet haben, es sei für den Verarbeitungsprozeß
erforderlich. Und die Menschen, die Sie an Bord der Mutterschiffe verschleppt haben – Sie beabsichtigen doch nicht, sie alle zu essen, oder?« »Nein«, bestätigte Jennifer. »Einige von ihnen sollen als Zuchtstamm verwendet werden – um auf diese Weise noch mehr Nahrung zu erzeugen.« »Aber warum wir Menschen?« fragte Sari. »Warum haben Sie sich nicht für Nagetiere entschieden, die weitaus besser gezüchtet werden können?« »Das kommt später. Im Augenblick allerdings… Der Große Denker braucht Geschöpfe, die sich als Soldaten einsetzen lassen. Bevor unser gegenwärtiges Militärregime an die Macht kam – zuvor gab es bei uns eine Art Republik, vergleichbar etwa mit der Regierungsform Ihrer Vereinigten Staaten –, führten wir einen langen interplanetaren Krieg, und zu Beginn der Karriere unseres Denkers vernichtete der Feind einige unserer Welten. Das war unsere einzige Niederlage, und dafür gab der Denker die Schuld den zivilen politischen Führern. Er schwor Rache. Als die ökologische und ökonomische Krise sich weiter zuspitzte, übernahm er die Macht und begann einen Vergeltungskreuzzug.« »Die vielen tausend Menschen, die von der Erde verschleppt wurden, sollen also auch als Kanonenfutter bei irgendeinem verrückten interplanetaren Krieg verwendet werden?« keuchte Pete. »Was sind Sie nur für Ungeheuer?« »Ich kann mir vorstellen, wie sehr dies alles Sie entsetzt«, erwiderte Jennifer. »Ich kannte das wahre Ziel unserer Mission von Anfang an. Aber ich war allein, und viele von uns wissen selbst jetzt noch nicht, worum es eigentlich geht.« Sie sah Joey an. »Das trifft auch auf Lisa zu. Viele von uns wurden getäuscht, um sie dazu zu bewegen, an der Mission teilzunehmen. Den meisten Besatzungsmitgliedern sagte man,
wir würden auf der Erde nur eine primitive Lebensform antreffen, die nur darauf warte, uns bereitwillig zu dienen.« »Diese Entschuldigung zieht nicht, Jennifer«, warf Lauren ein. »Sie sind intelligente Wesen. Wieso befolgen Sie die Befehle, obwohl Sie wissen, daß Sie anderes intelligentes Leben töten und keine primitiven Tiere?« »Nicht alle von uns befolgen die Anweisungen, Lauren. Das müssen Sie mir glauben. Einige von uns, die die Hintergründe kennen, schlossen sich zusammen und versuchten, die Mission und die Ausführung des schrecklichen Planes des Großen Denkers zu verhindern.« »Kommen Sie da nicht ein wenig zu spät?« fragte Sam. »Nein, nein, nicht unbedingt. Betrachten Sie die Angelegenheit bitte einmal von meinem Standpunkt aus. Wir Gegner des Großen Denkers gehören der Allianz an, einem Überbleibsel unserer alten Regierung, und wenn wir beim Start der Raumschiffe gegen die Mission protestiert hätten, was wäre uns angesichts einer Militärdiktatur dann wohl geschehen?« »Man hätte Sie alle exekutiert und Ihnen nicht die Möglichkeit gegeben, ebenfalls hierher zu gelangen«, sagte Yeager. »Genau. Deshalb warteten wir auf eine günstige Gelegenheit, etwas unternehmen zu können. Wir haben uns mit anderen Offizieren in Verbindung gesetzt, die das verabscheuen, was der Große Denker und seine Anhänger mit Ihrer Welt machen wollen. Wir schleusten Gleichgesinnte in die oberste Kommandoebene ein. Wir sammeln Informationen und arbeiten daran, Leute wie Angela auszuschalten und zu Gruppen wie der Ihren Kontakt aufzunehmen. Wir müssen unbedingt zusammenarbeiten, wenn diese Mission im Auftrag
des Großen Denkers keinen erfolgreichen Abschluß haben soll – mit allen Konsequenzen für Sie und uns.« »Woher sollen wir wissen, daß Sie uns nicht einfach nur neue Lügen auftischen, um Ihre Haut zu retten und anschließend Angelas Platz einzunehmen?« fragte Pete. Jennifer breitete die Arme aus. »Nun, ich kann Ihnen keine Beweise für das vorlegen, was ich Ihnen eben schilderte. Wenn Sie mir nicht glauben wollen, so können Sie mich auf der Stelle erschießen. In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen noch etwas sagen: Ich war es, die den Einsatz gegen die Laboratorien von Brook Cove führte. Es tut mir leid, daß dabei zwei Ihrer Wissenschaftler ums Leben kamen, aber ich mußte dafür sorgen, daß alles echt und überzeugend wirkte.« »Himmel – vielen Dank«, schnappte Pete. »Ich erwarte nicht Ihren Dank dafür, nur zwei getötet zu haben«, fuhr Jennifer fort und warf Kardinal Palazzo einen kurzen Blick zu. »Aber ich wußte schon vorher von der Existenz der unterirdischen Anlagen, und als eine Aktion gegen den Komplex geplant wurde, meldete ich mich freiwillig als Leiterin des Einsatzes. Ich sorgte dafür, daß keiner unserer Sicherheitsbeamten die anderen Laboratorien entdeckte. Die Wissenschaftler, die dort arbeiten, haben ihre Tätigkeit inzwischen fortgesetzt – und solange ich lebe, werde ich Brook Cove decken und dafür sorgen, daß kein weiterer Überraschungsangriff erfolgt.« »Wenn unsere Forschungsarbeiten überhaupt irgendeinen Sinn haben sollen, müssen wir internationale Verbindungen knüpfen und mit anderen Wissenschaftlern aus allen Teilen der Welt Kontakt aufnehmen. Wir brauchen Computerverbindungen, um Daten auszutauschen. Und das ist ohne sichere Telefonleitungen, die nicht von den Visitors kontrolliert werden, unmöglich.« »Sie brauchen die Zugangscodes«, antwortete Jennifer.
»Können Sie uns die besorgen?« fragte Pete. »Das ist nicht einfach. Die Codes werden ständig geändert. Je öfter wir uns mit Ihnen in Verbindung setzen, desto größer wird die Gefahr einer Entlarvung durch unsere Sicherheitsorgane.« Jennifer überlegte kurz und nickte dann. »In Ordnung. Sie bekommen sie.« »Und wir«, fügte Pete hinzu, »entschließen uns vorerst dazu, Ihnen zu vertrauen. So, ich glaube, es ist an der Zeit, den Tunnel zu verlassen.« Jennifer hob die Hand, und mit den Fingernägeln riß sie sich die Kehle auf. Die Menschen schnappten erschrocken nach Luft, erinnerten sich dann jedoch daran, daß die Wunde aufgrund der künstlichen Haut nur scheinbar war. »Wozu soll das denn gut sein?« fragte Yeager. »Angela ist tot, und ich kehre an Bord des Mutterschiffes zurück. Es muß so aussehen, als seien wir in einen Kampf verwickelt worden. Ich konnte die Flucht ergreifen.« Die beiden U-Bahn-Arbeiter halfen ihnen aus dem Waggon, und schweigend wanderten sie durch den dunklen und feuchtkalten Tunnel.
22. KAPITEL Der Unterschied zwischen links und rechts
Als Kardinal Palazzo in seine Unterkunft hinter der St. Patrick’s Cathedral zurückgekehrt war, dachte er über die Worte Jennifers nach, über ihre Hinweise auf die vielen bedeutenden Politiker – zu denen auch Präsident Morrow gehörte –, die entweder schlicht und einfach von den Visitors entführt worden waren oder die man unter einem Vorwand an Bord der Mutterschiffe gebeten hatte. Nach den Angaben Jennifers wurden sie dort einer Gehirnwäsche unterzogen, einer ebenso gräßlichen wie schmerzhaften Konvertierung, die Diana möglich gemacht hatte. Palazzo betete, aber selbst der Kardinal gewann langsam den Eindruck, daß Gebete nicht die richtige Antwort auf die Bedrohung der ganzen Menschheit darstellten, daß man damit die armen Seelen der Verschleppten nicht retten konnte. Die Konvertierungsmethoden Dianas warfen auch noch ein anderes Problem auf, eins, dessen Bedeutung man gar nicht hoch genug einschätzen konnte: Wie sollte man die von den Visitors konvertierten Personen überhaupt als solche erkennen? Gab es jetzt noch jemanden, der nicht in den Verdacht geraten konnte, ein Spion des Feindes aus dem All zu sein? Nach der Flucht durch den U-Bahn-Tunnel teilte sich die Gruppe auf. Alison Stein und Kardinal Palazzo waren zutiefst erschüttert und zogen es vor, in ihre jeweiligen Unterkünfte zurückzukehren, nachdem sie den Widerstandskämpfern ihre
Unterstützung zugesagt hatten. Alexander Garr jedoch wollte bei den Stadtguerillas bleiben. Der Grund dafür war ihm selbst nicht ganz klar – eine Mischung aus Schuldbewußtsein, Neugier, Wut, vielleicht als Beweis für seine Reue. Nachdem Pete sich sorgfältig die Augen gereinigt hatte, begab er sich mit Garr in ein Zimmer, das einmal das Verwaltungsbüro eines großen Lagers gewesen war, aber schon seit einer ganzen Weile nicht mehr benutzt wurde. »Es überrascht mich nicht, daß Sie der Leiter dieser Gruppe sind«, sagte Garr, und Pete stellte fest, daß ihn Alexander zum ersten Mal seit langer Zeit wieder in der dritten Person ansprach. »Nun, eigentlich bin ich das nicht, Alex. Wir treffen die Entscheidungen gemeinsam. Alle Meinungen werden berücksichtigt.« Garr lächelte schief. »Und sind Sie das einzige Team in der Liga?« Pete kratzte sich am Kopf. »Zumindest das einzige in New York. Halt, nein. Wir sind wohl die wichtigste Gruppe, aber es gibt noch eine andere.« Er dachte in diesem Zusammenhang an Julio. »Was ist mit anderen Städten?« »Ich bin davon überzeugt, wir sind nicht die einzigen Widerstandskämpfer. Bestimmt gibt es in diesem Land und in anderen Staaten der Erde noch andere Leute, die sich dazu entschlossen haben, gegen die Visitors vorzugehen. Aber wir haben keine Verbindung mit jenen Gruppen – und genau das ist das Problem. Deshalb ist das Angebot Jennifers, uns einen Kontakt mit anderen Widerstandszellen zu ermöglichen, so wichtig.«
»Vielleicht könnte ich Ihnen helfen«, sagte Garr. »Meine Beziehungen zu den Visitors sind noch immer ziemlich gut. Das könnten wir ausnutzen.« »Ich weiß nicht. Möglicherweise schöpfen sie Verdacht und nehmen an, Sie hätten Angela in die Falle gelockt.« »Nein, das glaube ich nicht«, erwiderte Garr. »Ich gebe das nicht gern zu, aber Sie haben keine Ahnung, in welchem Ausmaß ich mich den Visitors gegenüber zum Speichellecker machte. Bestimmt vertrauen sie mir nach wie vor. Ich könnte zu einer Art Doppelagent werden.« »Was meinen Sie damit?« »Was halten Sie davon, wenn ich zu ihnen gehe und ihnen erzähle, ich hätte erfahren, daß sich der Widerstand New Yorks mit entsprechenden Gruppen in anderen Städten in Verbindung setzen möchte? Ich könnte behaupten, man sei mit der Bitte um Hilfe an mich herangetreten, und anschließend schlage ich den Echsen vor, als Doppelagent tätig zu werden. Ich frage sie nach Informationen über Widerstandsbewegungen in anderen Städten, und dadurch bekommen Sie genaue Adressen für mögliche Kontaktaufnahmen. Darüber hinaus wäre ich dann dazu in der Lage, Sie vor möglichen Aktionen der Visitors zu warnen. Ich habe mich entschieden«, sagte Garr abschließend. »Na schön. Wenn Sie irgendeinen Nutzen für uns haben sollen, so müssen Sie Ihr normales Leben weiterführen«, meinte Forsythe und fügte ironisch hinzu: »Sie wissen schon: Seien Sie so arrogant und überheblich wie sonst. Und noch etwas: Sie müssen vorsichtig sein, Alex. Nicht nur, was Sie selbst angeht. Wir alle haben unser früheres Leben aufgegeben. Das war nicht leicht, aber wenigstens brauchen wir dadurch keine zeitraubenden Rollen mehr zu spielen. Wenn Sie einen Fehler machen, geht es uns allen an den Kragen.« »Ich verstehe, Pete. Ich denke daran.«
»Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung.« Garr verabschiedete sich und ging. Kurz darauf kam Lauren ins Büro, und sie brachte Salbe für Pete mit. »Knöpf dein Hemd auf. Wo haben dich die Giftspritzer Angelas getroffen?« Statt einer Antwort legte ihr Pete den einen Arm um die Schultern und zog Lauren behutsam an sich. Zuerst versteifte sich die junge Frau ein wenig, doch nach einer Weile entspannte sie sich. Daraufhin beugte sich Forsythe vor, und ihre Lippen begegneten sich. Der Kuß war nicht sonderlich leidenschaftlich – zumindest nicht während der ersten zehn Sekunden. Dann jedoch verspürte Lauren eine zunehmende Erregung, und ihr Herz begann heftiger zu klopfen. Petes Körper fühlte sich fest und stark an. Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn näher zu sich heran, und sie spürte, wie er sie sanft aufs Sofa drückte. Sie empfand sein Gewicht auf ihrem Leib als recht angenehm.
23. KAPITEL Tage des Kummers
Während des Februar und der ersten Tage im März tobten heftige Winterstürme über New York, und die Gruppe Weiße Weihnacht nutzte diese Zeit, um sich im Umgang mit den Waffen zu üben und weitere Sabotagepläne zu entwickeln. Einer der Busfahrer, Manfred, war in der Marine Sprengmeister gewesen, und er zeigte seinen Kameraden, wie man mit Explosivstoffen und Zündern umging. Jennifer hielt ihr Versprechen, dem Widerstand zu helfen, und sie stellte ihnen Karten zur Verfügung, auf denen die chemischen Verarbeitungsanlagen der Visitors in New York, dem nahen Newark und den anderen Städten von New Jersey eingetragen waren. Allerdings wurden die entsprechenden Werke stark bewacht, was einen direkten Angriff des Widerstandes unmöglich machte. Darüber hinaus hatten die Visitors weitere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und eine Stimmkontrolle eingeführt, womit verhindert werden sollte, daß Menschen in Visitor-Uniformen unbemerkt in die Anlagen eindringen konnten. Dafür gelang es einigen Kundschaftern der Gruppe Weiße Weihnacht, nachts unbemerkt über den Hudson River zu rudern, nach New Jersey zu gelangen und in Newark mit einer Widerstandszelle Kontakt aufzunehmen, auf die Jennifer sie hingewiesen hatte. Forsythe beriet sich mit der Leiterin der Gruppe, Marcia, und er erfuhr von zwei Visitor-Werken, die in unmittelbarer Nähe zweier inzwischen geschlossener Fabriken lagen. Als er diese Informationen erhielt, kam ihm eine Idee.
Am Tag nach dem zweiten Treffen mit Marcia trug er seinen Vorschlag den anderen Mitgliedern der New Yorker Widerstandsgruppe vor. »Die beiden Fabriken sind weniger als einen halben Kilometer von den Visitor-Anlagen entfernt. Wenn wir sie in die Luft jagen, werden die Werke der Echsen ebenfalls zerstört – oder so schwer beschädigt, daß es zu einem längeren Produktionsausfall kommt.« »Um was für Fabriken handelt es sich?« fragte Lauren. »Die eine ist eine Ölraffinerie.« Zustimmendes Gemurmel folgte diesen Worten, und jemand meinte: »Ja, das müßte ein hübsches Feuerwerk geben!« »Es kommt noch dicker«, sagte Pete und versuchte, möglichst ernst zu bleiben. »In der anderen wurde bis vor kurzem Nitroglyzerin hergestellt.« Sie berieten sich, faßten einen Beschluß und machten sich an die Arbeit. Die Ölraffinerie explodierte Ende März, und das Nitroglyzerin-Werk flog einige Wochen später auseinander. Die Erfahrungen Manfreds setzten die Widerstandskämpfer in die Lage, mit diesen Anschlägen die beiden Verarbeitungsanlagen der Visitors zu zerstören, ohne daß Menschen dabei ums Leben kamen. Die Weiße Weihnacht wurde nach und nach zu einer ernstzunehmenden Gefahr für den Feind aus dem All, und das Selbstvertrauen der Gruppe wuchs. In der Zeit zwischen diesen beiden großen Einsätzen führten sie natürlich ihre kleineren Aktionen weiter. Sie ließen Staffelshuttles mit Hilfe von Molotow-Cocktails in Flammen aufgehen und schossen aus dem Hinterhalt auf VisitorSoldaten. Die Informationen Jennifers machten es zudem möglich, die Abtransporte weiterer Menschen nach den Mutterschiffen – wo sie in der Hibernation der großen Nahrungsmittellager untergebracht werden sollten – zu behindern und zu verzögern.
Doch als der Frühling kam und die ersten Blumen zu blühen begannen, ließ die Glückssträhne der Widerstandskämpfer allmählich nach. Zuerst boten sich ihnen nicht mehr so viele Anschlagsziele, denn die Visitors verstärkten ihre Präsenz in der Stadt und wurden auch vorsichtiger. Kurz darauf entdeckten sie eins der Munitionslager. Laurens vorsichtige Versuche, mit Julio und seinen Diablos zu einer Übereinkunft zu gelangen, wurden verächtlich zurückgewiesen. Als besonders schlimm erwies sich der Überfall auf die Verarbeitungsanlage der Visitors in Brooklyn, eine Aktion, bei der die Gruppe den ersten Toten zu beklagen hatte: Winston Weinberg kam ums Leben, als ihn zwei Visitors ins Kreuzfeuer nahmen. Darüber hinaus machten sie auch noch die beunruhigende Feststellung, daß die Fremden aus dem All nun neue Körperpanzer trugen, die sich nur von Hochgeschwindigkeitsgeschossen durchschlagen ließen. Als sie sich nach dem Fiasko von Brooklyn trafen, bemerkten die Kämpfer der Gruppe Weiße Weihnacht, daß ein Kamerad fehlte. Sal war gefangengenommen worden. Zwar beklagte die ganze Gruppe den Verlust sowohl Weinbergs als auch Sals, aber Pete Forsythe spürte nun zum ersten Mal im ganzen Ausmaß, was es bedeutete, die Verantwortung zu tragen: Hätte er sich nicht für den Überfall ausgesprochen, wären die beiden Männer noch am Leben.
»Der Anschlag der Menschen auf die Verarbeitungsanlage in Brooklyn ist also fehlgeschlagen?« Roger wandte sich Jennifer zu, die seine Frage mit einem ernsten Nicken beantwortete. »Nun, nach unserer verheerenden Niederlage von Newark wurde das auch Zeit.« »Der verantwortliche Leutnant versicherte mir, der Angriff sei problemlos zurückgeschlagen worden. Auf unserer Seite
gab es keine Verluste und nur einen Verwundeten, während die Rebellen einen Mann verloren.« »Was ist mit dem Gefangenen? Haben Sie etwas aus ihm herausbekommen?« »Nein, Sir, leider nicht. Offenbar hatte er ein schwaches Herz, was wir natürlich nicht wissen konnten, als wir mit dem Verhör begannen. Er starb, bevor er uns sagen konnte, wo sich das Hauptquartier der Rebellen befindet.« Roger hieb mit der Faust auf den Konferenztisch. Jennifer beobachtete ihn aufmerksam. Glücklicherweise wußte Roger nicht, daß sie es gewesen war, die mit einer speziellen Droge den ›Herzanfall‹ Sals bewirkt hatte. Einige der speziell ausgebildeten Techniker Angelas waren mit der Befragung des Widerstandskämpfers beauftragt worden, und so war Jennifer nicht dazu in der Lage gewesen, mehr für Sal zu tun. »Nun, Sir, zumindest konnten wir den Angriff auf das Werk in Brooklyn abwehren«, sagte sie. »Der neue Körperpanzer scheint den Hoffnungen, die wir in ihn setzten, gerecht zu werden.« »Das ist nur ein schwacher Trost«, brummte Roger. »Außerdem liegen wir weit hinter dem Plansoll in Hinsicht auf die Nahrungsmittellagerung zurück! Ich muß mir etwas einfallen lassen, um unsere Bereithaltungshibernation möglichst rasch zu füllen. John wird irgendwann eine Inspektion durchführen, und bestimmt verlangt er eine Erklärung von mir.« Jennifer nickte mitfühlend und versuchte, jene Art von Besorgnis zur Schau zu tragen, die für eine stellvertretende Kommandantin angemessen war. »Übrigens…«, fügte Roger hinzu. »Ich habe heute mit Diana gesprochen. Sie möchte wissen, wie Sie mit Präsident Morrow zurechtkommen.«
Jennifer versteifte sich ein wenig. »Nun, wie Angela bereits bemerkte, erweist sich Morrow als sehr zäh. Er läßt sich nicht so ohne weiteres konvertieren, Roger. Ich kann in dieser Beziehung ebensowenig einen Erfolg vermelden wie meine Vorgängerin. Ehrlich gesagt: Meiner Meinung nach sollten wir ihn unter Drogen setzen und ihn dann eine Ansprache halten lassen, wenn sich das als erforderlich erweist. Ich weiß nicht, ob es klug wäre, bei ihm allein auf unsere Konvertierungstechnik zu vertrauen.« »Das habe ich befürchtet«, erwiderte Roger enttäuscht. »Diana schlug vor, ihn an Bord ihres Schiffes bringen zu lassen, so daß sie sich persönlich um ihn kümmern kann. Was halten Sie davon?« »Nun«, sagte Jennifer gedehnt und überlegte rasch. »Ich weiß um das… das Temperament Dianas und wäre daher geneigt, diesen Vorschlag abzulehnen. Diana könnte angesichts seiner Hartnäckigkeit rasch die Geduld verlieren und ihn entweder umbringen oder ihm das Hirn zerstören. Und dann befände er sich geistig auf einer Stufe mit den Nagetieren dort.« Sie deutete auf die Käfige an der einen Wand des Konferenzzimmers. »Ja, und ich glaube, wir könnten ihn durchaus noch einmal benötigen«, meinte Roger nachdenklich. »Setzen Sie Ihre Bemühungen fort, Jennifer. Ich teile Diana mit, die Konvertierung Morrows erfordere noch ein wenig Zeit.«
24. KAPITEL Der Draht nach Kalifornien
Hannah Donnenfeld stand auf den Klippen, von denen aus man einen guten Blick auf die Austernbucht hatte, und beobachtete den abendlichen Horizont. »Ich würde gern wissen, an was Sie jetzt denken«, sagte Sari James. »Sie wirken so in sich gekehrt.« Die Wissenschaftlerin lächelte. »Ich mußte gerade daran denken, daß ich langsam alt werde«, erwiderte sie und blickte weiterhin aufs Meer. An diesem Sommertag war es recht warm gewesen, und die abendliche Brise brachte eine willkommene Abkühlung. »Ich weiß, was Sie meinen«, erklärte Sari. »Die letzten Monate haben uns alle um Jahre altern lassen. Und die Lage verschlimmert sich weiter. Wenn der Widerstand überhaupt einen Erfolg haben soll, müssen wir endlich eine groß angelegte Offensive beginnen.« Hannah streckte den Arm aus und berührte kurz die Hand der jüngeren Frau. »Vielleicht können die Gäste helfen, die wir für heute abend erwarten.« »Hannah!« Beide Frauen drehten sich um, als Mitchell Loomis schnaufend heraneilte. In den vergangenen Monaten hatte er noch weiter zugenommen. »Sind sie schon eingetroffen?« fragte er, als er sie erreichte. »Nein«, antwortete Donnenfeld. »Sehen Sie nur!« Sari deutete in den rötlichen Himmel. Donnenfeld und Mitchell blickten in die entsprechende Richtung, und sie sahen ein kleines Flugzeug, das sich ihnen
mit abgeschalteten Positionslichtern näherte. Nein, verbesserte sich die alte Frau, es handelte sich nicht um ein Flugzeug, sondern ein Staffelshuttle der Visitors, und es setzte weich auf dem Rasen vor dem Hauptgebäude auf. Die Luke öffnete sich, und eine hübsche junge Frau mit blondem Haar stieg aus. Sie trug Jeans, ein rotes T-Shirt und eine Denim-Jacke. Als sie sich ihnen näherte, fiel Donnenfeld auf, daß sie das eine Bein leicht nachzog und kaum merklich hinkte. Sie führte eine Aktentasche bei sich. Hannah Donnenfeld und ihre Begleiter traten der Besucherin entgegen. Hannah stellte überrascht fest, daß die junge Frau kaum älter als fünfundzwanzig Jahre sein konnte. Man hätte sie fast für einen Teenager halten können. Sie lächelte und streckte die Hand aus. »Doktor Donnenfeld? Ich bin Julie Parrish. Wir haben am Telefon miteinander gesprochen. Es ist mir eine Ehre, Ihnen persönlich zu begegnen.« Julie Parrish drehte sich um, als eine zweite junge Frau aus der Fähre kletterte. Sie war ein ganzes Stück größer als Julie, hatte honigblondes Haar und hohe Jochbeine und sah wie ein Fotomodell aus, wäre nicht der Laser gewesen, den sie in einem Schulterholster trug. »Das ist Maggie Blodgett, unsere Pilotin. Sie brachte das Wunder fertig, uns hierher zu fliegen, ohne daß wir Schwierigkeiten mit den Visitors bekamen.« Hannah stellte rasch ihre Begleiter vor. Nach einigen Höflichkeitsfloskeln erklang eine Stimme aus dem Innern des Staffelshuttles. »Na schön, ihr Lieben; jetzt mal zur Sache. Ihr könnt euren Kaffeeklatsch dann abhalten, wenn wir den Echsen einen Tritt in ihre Schuppenärsche gegeben und sie zum Sirius zurückgeschickt haben.« Ein schlanker und mittelgroßer Mann mit stahlgrauem Haar und hellblauen Augen duckte sich durch die Luke. Hannah hob die Augenbrauen. »Wer ist denn der Witzbold, Julie?«
Julie Parrish verzog das Gesicht. »Harn Tyler, von Beruf Zyniker, Spion, Geheimagent, Troubleshooter und vieles andere mehr. Wie Sie gerade gehört haben, kann man ihn nicht gerade als Charmeur bezeichnen. Er hat es geschafft, ein Kommunikationsnetz zwischen den einzelnen Widerstandsgruppen in allen Teilen der Welt zu improvisieren, und da es im Kampf gegen die Visitors auf jeden Mann – und jede Frau – ankommt, hielten wir es für angeraten, uns mit seiner… exzentrischen Verhaltensweise abzufinden.« Donnenfeld musterte Tyler und stellte fest, daß er das ideale Gesicht eines Mannes hatte, der den Untergrund vorzog. Seine Züge wiesen keine Besonderheiten auf, und in der Menge sah er aus wie Herr Jedermann. »Wie wär’s, wenn wir das Geschäftliche rasch hinter uns bringen, so daß wir vor Tagesanbruch zurückkehren können?« meinte Tyler. In seiner Stimme klang die Art von Autorität mit, die bewies, wie sehr er daran gewöhnt war, daß man seine Anweisungen befolgte. Donnenfeld runzelte die Stirn und kam zu dem Schluß, daß sich hinter seiner herablassenden Art ein messerscharfer Verstand verbarg. »Sie haben recht«, erwiderte Hannah. Und an die Adresse Julies gerichtet fügte sie hinzu: »Kommen Sie.« »Was ist mit Ihnen?« fragte Julie und sah Harn und Maggie an. »Da wir schon einmal hier sind, könnten wir uns auch umsehen.« Harn zuckte mit den Schultern. Die drei Wissenschaftler führten ihre Gäste in die unterirdischen Laboratorien. »Ich hoffe«, sagte Tyler nach einer Weile, »die ganze Sache ist keine Falle. Ich weiß nicht, ob wir der Fünften Kolonne der Visitors und dieser komischen Allianz vertrauen können.« »Wieso denn nicht, Mr. Tyler? Als professioneller Söldner sollte Ihnen doch eigentlich klar sein, daß man aus
eigennützigen Interessen gegen den Strom schwimmen kann.« Donnenfeld musterte ihn abschätzend. »Wir haben es nicht mit Menschen, sondern mit Reptilien von einem anderen Planeten zu tun«, sagte Tyler. »Hören Sie, Harn«, warf Julie ein. »Die Fünfte Kolonne weiß sowohl von uns als auch der Widerstandsgruppe New Yorks. Sie haben eine Verbindung zwischen uns ermöglicht, anstatt uns auffliegen zu lassen. Jennifer vom Mutterschiff New Yorks meinte, sie wolle unsere Wissenschaftler in die Lage versetzen, etwas gegen die Herrschaft der Visitors auszurichten. Glauben Sie etwa, sie habe dabei irgendwelche Hintergedanken?« »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber das bedeutet nicht, daß uns keine unangenehme Überraschung bevorstehen könnte.« In den unterirdischen Laboratorien herrschte große Aktivität. Selbst Harn war von dem Umfang der Anlagen überrascht. Julie sah sich aus großen Augen um. »Meine Güte, wenn mir solche Einrichtungen von Anfang an zur Verfügung gestanden hätten…« »Nun, jetzt ist das der Fall«, sagte Donnenfeld. »So, und nun erzählen Sie uns mehr über diese sonderbare Schwangerschaft und das Toxin.« Julie nahm vor einer Computerkonsole Platz, und die anderen zogen sich Stühle heran und setzten sich ebenfalls. »Nun, es ist die seltsamste Sache, mit der ich jemals konfrontiert worden bin«, begann Parrish, »Das betreffende Mädchen, Robin Maxwell, ist siebzehn Jahre alt. Man brachte sie an Bord des Mutterschiffes von Los Angeles und hielt sie dort für mehrere Stunden gefangen. Während dieser Zeit hatte sie Geschlechtsverkehr mit einem männlichen Visitor. Anschließend gelang es einigen Mitgliedern der Fünften Kolonne, sie zu befreien. Sie kehrte schwanger zu uns zurück.«
»Das ist unmöglich«, warf Mitchell ein. »Durch einen normalen Geschlechtsverkehr hätte sie unmöglich schwanger werden können.« »Wodurch denn sonst?« fragte Harn Tyler spöttisch. »Durch einen Kuß vielleicht?« »Nein«, sagte Donnenfeld. »Laborarbeit.« »Ich berichte Ihnen nur das, was Robin uns erzählte«, fuhr Julie fort. »Ich glaube ihr. Zumindest bin ich davon überzeugt, daß sie uns alles sagte, an das sie sich erinnert. Ich bin sicher, daß sie wirklich Geschlechtsverkehr mit einem Visitor namens Brian hatte, aber der Himmel allein mag wissen, was Diana und die anderen vorher mit ihr anstellten, ohne daß sie etwas davon erfuhr. Tatsache ist, daß man in einem der Laboratorien der Visitors eine spezielle Untersuchung an ihr durchführte. Ich vermute, Diana nahm eine genetische Manipulation sowohl an ihr als auch an Brian vor. Eins steht fest: Das Immunsystem Robins muß verändert worden sein, denn sonst hätte der Fötus nicht in ihr wachsen können. Ich habe versucht, an ihr eine Abtreibung vorzunehmen, aber es handelte sich nicht um eine normale Schwangerschaft. Der Fötus war mittels einer Vielzahl von Kapillargefäßen, Adern und Nervensträngen mit Robins Leib verbunden. Seine Präsenz beschränkte sich nicht einfach nur auf eine Fruchtblase. Hätte ich ihn abgetrieben, wäre das Mädchen vermutlich gestorben.« »Kommen Sie endlich auf den Kern der Sache zu sprechen«, forderte Tyler sie auf. »Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.« Julie warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Nun, als Robin im achten Monat war, nahm ich einen Kaiserschnitt vor, und sie brachte Zwillinge zur Welt. Das eine Kind sieht ganz wie ein menschliches Mädchen aus, vereint in sich aber Eigenschaften sowohl unseres Volkes als auch der Visitors. Das andere war ein männliches Reptil ohne menschliche Charakteristiken.«
»Haben beide überlebt?« fragte Sari. »Die kleine Echse ist nach einem Tag abgekratzt«, sagte Harn. »Und die Todesursache?« fragte Donnenfeld. Julie schüttelte den Kopf. »Vielleicht können uns die Computer Aufschluß darüber geben. Das andere Kind überlebte. Es wächst mit einer unglaublichen Geschwindigkeit heran. Und ich meine das wortwörtlich: Es ist wirklich unglaublich. Das Mädchen ist bereits so groß wie eine Fünfjährige.« »Wie lange dauert es, bis alle Daten eingegeben sind?« warf Harn ungeduldig ein. »Ich werde langsam nervös. Und ich traue Ihrem Freund nicht, diesem Donovan. Ich hätte ihn lieber ständig im Auge.« »Ungefähr eine Stunde«, sagte Julie, und ganz offensichtlich fiel es ihr nicht leicht, sich zu beherrschen. »Dann an die Arbeit, Schätzchen«, knurrte Tyler. Tyler sah auf die Uhr. Die Stunde war um, und Julie wirkte zwar sehr müde, hatte die Dateneingabe aber abgeschlossen. Donnenfeld reichte ihr ein Glas Wasser. »Wir machen uns sofort an die Auswertung, Julie. Und ich bin sicher, wir gelangen dabei zu einigen interessanten Ergebnissen. Dank Jennifer haben wir die Möglichkeit, weiterhin in Kontakt zu bleiben. Wir melden uns bei Ihnen.« Julie rang sich ein schiefes Lächeln ab. »Ich hoffe, Sie haben wirklich Erfolg.« Sie zuckte zusammen, als sie aufstand, und sie mußte sich am Tisch festhalten. »Was ist denn mit Ihnen?« fragte Donnenfeld besorgt. »Eine alte Kriegsverletzung«, sagte Tyler. Julie lachte. »Das stimmt. Ich wurde von einem Laserstrahl getroffen, als die ersten Kämpfe ausbrachen – bevor ich lernte, daß es besser ist, in Deckung zu gehen, wenn man auf mich
schießt. Es macht mir nur zu schaffen, wenn ich zu lange sitze.« »Wir haben jetzt keine Zeit für melodramatische Schwätzereien«, schnappte Tyler. »Der Rückweg zur Ostküste ist lang. Und ich hoffe, Maggie gelingt es, uns sicher an Visitor-Patrouillen vorbeizubringen, die vielleicht unterwegs sind.« »Sie haben recht – der Rückflug ist alles andere als ungefährlich. Seien Sie vorsichtig. Sie sind zu wertvoll für den Widerstand, als daß wir so einfach auf Sie verzichten könnten, Julie«, sagte Hannah Donnenfeld. »Also gut«, erwiderte die junge Frau erschöpft. »Kehren wir heim.« Donnenfeld führte sie zurück nach oben.
Es dauerte nur einige wenige Tage, bis die Forschungsarbeiten den erhofften Durchbruch erbrachten. Als Julies Bericht eintraf, trat Mitchell an das Ausgabegerät und beobachtete, wie der Druckerkopf rasch von links nach rechts und umgekehrt über das Papier glitt. Anschließend zog er den Bogen von der Walze und begab sich eilig in das Büro Donnenfelds. »Ich glaube, sie sind auf etwas gestoßen«, sagte er. Und das war tatsächlich der Fall. Julies Team hatte in dem überlebenden Zwilling einen Bakterienstamm entdeckt, der offenbar für den Tod des kleinen Reptils verantwortlich war. Er bildete Kolonien im Verdauungstrakt des Mädchens und schien ihm nicht zu schaden. Die Frage, die sich daraus ergab, war sowohl faszinierend als auch überaus bedeutsam: Waren die Bakterien dazu in der Lage, erwachsene Visitors zu töten? Julies Wissenschaftler versuchten eine Antwort darauf zu finden, und die Mitteilung endete mit den Worten: »Wir sind schneller als Sie!«
Der damit beginnende Wettstreit war nur von kurzer Dauer. Die von den Brook-Cove-Laboratorien erzeugten Computermodelle bestätigten, daß das von den Bakterien hergestellte Toxin für die Visitors tödlich sei, jedoch keine schädlichen Nebenwirkungen auf Menschen habe. Sari James tippte die Untersuchungsergebnisse ein und übermittelte die Nachricht an das Hauptquartier an der Westküste. Zwei Stunden später traf die Antwort ein: DANKE FÜR DIE BESTÄTIGUNG. PULVERFÖRMIGES TOXIN WURDE FAHRLÄSSIGERWEISE AN EINEM GEFANGENEN VISITOR GETESTET. TOD TRITT FAST SOFORT EIN. ES KAM ZU EINER AUSEINANDERSETZUNG DARÜBER, WIE DER TEST AN EINEM MENSCHEN DURCHGEFÜHRT WERDEN SOLL. ICH NAHM ALLEN MUT ZUSAMMEN UND BETRAT DIE ISOLATIONSKAMMER MIT DEM TOTEN VISITOR. HABE EINE MINUTE LANG TIEF DURCHGEATMET – UND BIN NOCH IMMER BEI BESTER GESUNDHEIT. ICH WEISS NICHT, WER VON UNS DEN PREIS FÜR DIE ERSTE BESTÄTIGUNG BEKOMMEN SOLLTE – ABER SIE HABEN AUF JEDEN FALL GROSSARTIGE ARBEIT GELEISTET! NEUES PROBLEM: TOXIN MUSS IN AUSREICHENDER MENGE PRODUZIERT UND GEGEN DEN FEIND ZUM EINSATZ GEBRACHT WERDEN. IRGENDWELCHE VORSCHLÄGE? JULIE Es folgten exakte Daten über das Toxin, und die Wissenschaftler von Brook Cove machten sich mit großem Eifer an die Arbeit. Der Widerstand verfügte nun über eine Substanz, die sich als außerordentlich giftig erwies, sobald sie in die Atemwege der Visitors gelangte. Die Gruppe an der
Ostküste setzte ihre umfangreichen und komplexen Analyseund Auswertungsgerätschaften ein, um festzustellen, wie sich innerhalb kürzester Zeit eine möglichst große Menge des Toxins herstellen ließ. Die Widerstandsgruppe an der Westküste verlegte ihr Hauptquartier in eine Molkerei. Nur zehn Tage später, nachdem Julie ihr Leben durch das Einatmen des für die Visitors tödlichen Staubes riskiert hatte, züchteten sie Bakterien entsprechend den von den Brook-Cove-Laboratorien gemachten Vorschlägen. Viel schneller noch, als es sich viele erhofft hatten, transportierte man das wegen seiner roten Farbe ›Kirschpulver‹ genannte Gift zu anderen Widerstandsgruppen in allen Teilen der Welt, zusammen mit detaillierten Angaben darüber, wie eigene Bakterienkulturen als Grundlage für das Toxin anzulegen seien. Ein paar Tage nach dem Beginn der nun routinemäßigen Produktion der Substanz traf eine weitere Mitteilung aus Kalifornien ein. »Ein Impfstoff?« murmelte Sari, als sie auf den Ausdruck blickte. »Julie Parrish bittet uns um Hilfe bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Toxin. Reicht die Zeit dafür aus?« Pete Forsythe war gerade aus dem in Manhattan gelegenen Hauptquartier der Widerstandsgruppe Weiße Weihnacht gekommen, und er hockte sich auf die Kante eines Tisches. »Wenn nicht, müssen wir uns die Zeit nehmen«, sagte er. »Ohne die Hilfe Jennifers hätten wir es nie bis hierher geschafft, oder? Wir können doch nicht auch die Mitglieder der Fünften Kolonne umbringen.« »Sie haben recht«, bestätigte Sari. »Ich setze sofort einige Leute darauf an.« »In Ordnung«, sagte Pete.
Selbst nach der Herstellung des Impfstoffes blieb noch ein großes Problem bestehen – die Art und Weise, wie das Toxin als Waffe eingesetzt werden sollte. Donnenfeld bat um ein Treffen, bei dem Möglichkeiten besprochen werden sollten, die ihre Wissenschaftler und die Widerstandskämpfer der Westküste ausgearbeitet hatten. Pete nahm an dieser Konferenz teil. »Julie und ich sind der Meinung, wir sollten die Menge des Toxins in der Atmosphäre auf ein Mindestmaß beschränken«, sagte Donnenfeld. »Wir haben es getestet, und es scheint in ökologischer Hinsicht harmlos zu sein, aber mit letzter Sicherheit können wir das allein auf der Grundlage von Computerszenarien nicht behaupten. Wir müssen auch an die Zukunft des Lebens auf der Erde denken…« »Einen Augenblick«, warf Pete ein. »Können wir uns einen solchen Luxus überhaupt leisten? Wenn wir diese Waffe nicht mit größtmöglicher Effektivität gegen die Visitors einsetzen, gibt es später vielleicht gar kein Leben mehr auf der Erde – zumindest kein menschliches. Wenn wir zu vorsichtig sind und nur einige Visitors getötet werden, dann kommt es zwar zu einem ziemlichen Durcheinander, aber im Anschluß daran sind wir mit vielen überlebenden Echsen konfrontiert, die bestimmt nichts anderes im Sinn haben, als sich an uns zu rächen. Die Dinge stehen schon jetzt schlimm genug, aber ich wage mir nicht vorzustellen, was in dem von mir angedeuteten Fall geschehen könnte.« »Na schön, Pete, Ihre Argumente sind nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen«, gestand Hannah Donnenfeld ein. »Nun, ich glaube, wir können durchaus große Mengen des Toxins zum Einsatz bringen und uns dennoch eine Sicherheitsoption lassen.« Die alte Wissenschaftlerin blickte sich lächelnd um und fügte hinzu: »Ballons.« Ihre Kollegen sahen sie nur verwirrt an.
»Jawohl, Ballons!« wiederholte Donnenfeld fröhlich. »Wir bringen das Pulver in Heißluftballons unter und lassen sie hochsteigen. Der Druck im Innern der Ballons muß so beschaffen sein, daß sie in der von uns gewünschten Höhe platzen. Wir könnten sie auch mit kleinen Sprengladungen ausrüsten. Sobald die Visitors bemerken, daß wir eine biologische Waffe gegen sie zum Einsatz bringen, müssen sie begreifen, daß ihnen nichts anderes übrigbleibt, als sofort von hier zu verschwinden. Wenn sie die Ballons abschießen, setzen sie damit nur noch größere Mengen des Toxins frei und beschleunigen die Ausbreitung der für sie tödlichen Substanz sowohl in der Luft und im Wasser als auch in der gesamten Nahrungskette. Der ganze Planet wird Gift für sie. Na, was haltet ihr davon?« Einige der Männer und Frauen lachten leise. »Das ist gemein, Hannah«, sagte Mitchell. »Wirklich gemein und teuflisch. Ich finde die Idee herrlich!«
Sam Yeager und fünf andere Widerstandskämpfer überquerten in einem kleinen Motorboot den Hudson River von Manhattan nach New Jersey. Dann gingen sie an Land und fanden nach kurzem Suchen den wartenden Jeep. Als die Fahrerin den Wagen vom Ufer fortlenkte, sagte sie: »Ich kann Ballons nicht mehr ausstehen. Seit vier Jahren sehe ich nichts anderes mehr, und ich träume sogar davon.« Sie parkte den Jeep vor einem großen Lagergebäude. »Aber wissen Sie«, fügte sie mit einem dünnen Lächeln hinzu, »ich bin froh, auf diese Weise etwas gegen die Schuppenviecher unternehmen zu können. Ich würde zu gern die Gesichter der Visitors sehen, wenn sie merken, daß es aus ist mit ihnen.«
25. KAPITEL Licht am Horizont
Die Lage wurde allmählich kritisch. Roger konnte nicht länger ignorieren, was ihm die Einsatzberichte mitteilten und was er mit eigenen Augen sehen konnte, wenn er über die ihm zugeteilte Kommandozone von New York flog. Die strategische Situation verschlechterte sich. Immer häufiger kam es zu terroristischen Anschlägen auf Einrichtungen und Basen der Visitors. Die Zusammenarbeit mit den Menschen ließ zunehmend zu wünschen übrig, und John sowie das Oberkommando gaben immer weniger Hilfestellung. Wie um das Faß zum Überlaufen zu bringen, hatte Roger nun auch noch eine Nachricht erhalten, die besagte, daß es in den Reihen der eigenen Truppen eine Fünfte Kolonne gab! Roger schlug mit der Faust auf den Tisch und verzog wütend das Gesicht. Wie konnte alles nur so schiefgehen? Wieso hatte der Große Denker derart unfähige Leute für eine so wichtige Mission ausgewählt? Mochten die Fehlschläge seine berufliche Laufbahn behindern? Ich lasse mir meine Karriere nicht zerstören, ohne den Kampf aufgenommen zu haben, entschied Roger. Nach dem Tode Angelas vor einigen Monaten hatte sich Roger zunehmend isoliert. Er nahm täglich Berichte von seiner neuen stellvertretenden Kommandantin Jennifer entgegen und überließ ihr und den anderen Offizieren die Tagesroutine gemäß dem Einsatzplan. Jetzt aber stand der Inspektionsbesuch Johns bevor, und Roger mußte sich etwas einfallen lassen, irgendeine große
Aktion, etwas, das erneut ein gutes Licht auf ihn als Kommandanten warf, das die Aufmerksamkeit des Denkers auf ihn lenkte, das ihm Lob und Auszeichnungen einbrachte, während seine Kollegen sicher mit strengen Verurteilungen aufgrund ihrer ausgeprägten und schier unglaublichen Inkompetenz zu rechnen hatten. Schließlich kam ihm eine Idee, und er rief Jennifer in sein Quartier. Als sie eintrat, betrachtete Roger auf dem Monitor des Computers eine elektronische Karte New Yorks und der angrenzenden Gebiete. Er kam sofort auf den Kern der Sache zu sprechen. »Ich habe gründlich über unsere Lage nachgedacht und dabei eine Möglichkeit gefunden, die Nahrungsmittelsituation zu verbessern. Was die Wasserlagerung angeht, sind wir zu fast achtzig Prozent ausgelastet; in dieser Hinsicht mache ich mir keine allzu großen Sorgen. Andererseits trifft in zwei Tagen John an Bord unseres Schiffes ein, um eine Inspektion durchzuführen. Bis dahin muß es uns unbedingt gelingen, die Nahrungsmittellager zu füllen!« »Was haben Sie vor, Sir?« Roger kniff die Augen zusammen. »Die Details gebe ich erst im letzten Augenblick bekannt. Ich habe gerade einen Bericht von der neu eingetroffenen Obersten Kommandantin Pamela erhalten, die sich an Bord des Mutterschiffes von Los Angeles befindet. Nach dieser Mitteilung gibt es in unseren Reihen eine Fünfte Kolonne, die unsere Mission zu sabotieren versucht.« Jennifer gab sich den Anschein, schockiert zu sein. »Gibt es Hinweise darauf, daß sich auch an Bord unseres Schiffes Verschwörer aufhalten?« Der Kommandant schüttelte den Kopf. »Nein. Und ich möchte, daß Sie in dieser Angelegenheit schweigen, Jennifer. Wir sollten es vermeiden, einigen Leuten Flausen in den Kopf
zu setzen. Aber an der Westküste gibt es in dieser Beziehung erhebliche Probleme.« Insgeheim gratulierte Jennifer Martin, ihrem Gesinnungsgenossen vom Mutterschiff über Los Angeles – seine Aktionen machten dem Oberkommando offenbar wirklich zu schaffen! »Aber da ich die Möglichkeit nicht ganz ausschließen kann, daß sich auch unter unseren Besatzungsmitgliedern Angehörige der Fünften Kolonne befinden«, fuhr Roger fort, »informiere ich Sie über die wichtigen Einzelheiten meines Plans erst wenige Minuten vor Beginn des Einsatzes.« Jennifer versteifte sich und gab sich ein wenig betroffen. »Wie Sie meinen, Roger.« »Sie brauchen mir gegenüber nicht so förmlich zu sein, Jennifer«, sagte der Kommandant und lächelte. »Es handelt sich nur um eine Vorsichtsmaßnahme, die garantieren soll, daß es zu keinen unerwünschten Zwischenfällen kommt.« Roger betätigte eine Taste, und die Darstellung auf dem Monitor wechselte. »Ich beabsichtige, die angebliche Freisetzung giftiger Gase aus unserer Verarbeitungsanlage in Brooklyn zum Anlaß zu nehmen, in einer der angrenzenden Regionen eine großangelegte Säuberungsaktion durchzuführen.« »In welcher denn?« »Das entscheide ich erst im letzten Augenblick. Aber derzeit spielt das auch noch keine Rolle. Wir nehmen die Gefahr einer chemischen Verseuchung zum Anlaß, die Bewohner des betreffenden Gebietes auf einen Schlag in unsere Gewalt zu bringen und unsere Nahrungsmittelquote zu erfüllen. Doch ohne Sie kann ich es nicht schaffen, Jennifer.« »Ich stehe zu Ihren Diensten, Kommandant«, erwiderte sie und gab sich alle Mühe, ihre Stimme neutral klingen zu lassen. Tief in ihrem Innern jedoch begann sie zu zittern.
»Das habe ich nicht anders erwartet«, erwiderte Roger zufrieden. »Nun, ich schlage folgenden Plan vor. Halten Sie sich bitte nicht mit Änderungsvorschlägen zurück. Wenn Sie Probleme erkennen, so ist jetzt der geeignete Zeitpunkt, sie zu lösen.« »Ja, Sir.« Er beugte sich über die Darstellung der Karte. »Das Werk befindet sich hier. Wir benutzen das an die Schiene gebundene Massentransportmittel der entsprechenden Region, um die Evakuierung durchzuführen. Das dürfte kein allzu großes Mißtrauen aufkommen lassen, und gleichzeitig bleiben uns die Staffelshuttles für Patrouillenflüge.« »Sir, dort leben Zehntausende von Menschen. Es stehen uns nicht genügend Soldaten zur Verfügung, um sie aus ihren Häusern zu treiben.« »Oh, aber wir brauchen auch gar keine Gewalt anzuwenden. Sie werden sich uns nicht widersetzen, weil sie in erster Linie eine Vergiftung durch die chemischen Emissionen befürchten. Außerdem führen wir die Aktion mitten in der Nacht durch und überraschen die betreffenden Personen, so daß ihnen gar keine Zeit bleibt, sich zur Wehr zu setzen. Wir transportieren sie in eine Sammelzone, in der unsere Fähren bereitstehen. Wenn wir sie erst einmal in den Waggons der Züge untergebracht und aufgeteilt haben, dürfte es recht einfach sein, sie in die Shuttles zu zwingen und anschließend an Bord unseres Mutterschiffes zu verfrachten. Wenn wir auch nur die Ventile eines einzigen Tanks mit der Substanz öffnen, die wir dort produzieren, so entweicht genügend Dampf, um die Menschen davon zu überzeugen, daß gefährliches Gift in die Atmosphäre entweicht. Wir könnten auch dafür sorgen, daß einige Personen tatsächlich vergiftet werden und vor den Augen der anderen sterben. Dann gibt es bestimmt keine Probleme.«
Jennifer lächelte zuversichtlich. »Das ist der Plan eines Genies, Roger.« Er nahm das Kompliment dankbar entgegen. »Nein, es handelt sich um nichts weiter als Pragmatismus.« Das rote Leuchten des Komschirms unterbrach ihn. Er schaltete das Gerät ein. »Was ist, Leutnant?« »Eine Prioritätsnachricht vom Obersten Kommandeur, Sir. Sie wird gleichzeitig an Bord aller Mutterschiffe empfangen. Die Übertragung beginnt… jetzt!« Das rote Glühen verflüchtigte sich, und auf dem Schirm zeichneten sich die Züge Johns ab. Er wirkte ernst und hatte die sonst immer glatte Stirn gerunzelt. »Diese Sendung erfolgt direkt von meinem Kommandostand an Bord des Mutterschiffes von Los Angeles. Ein Spion, der in einer Widerstandsgruppe Kaliforniens als Agent für uns tätig ist, hat gerade eine wichtige Meldung gemacht. Angeblich haben die Menschen eine biologische Waffe gegen uns entwickelt und planen, den für uns tödlichen Staub in der ganzen Atmosphäre zu verteilen. Zu diesem Zweck wollen sie Flugzeuge einsetzen, die sie in Luftwaffenstützpunkten zu erbeuten hoffen. Die entsprechende Aktion soll morgen früh beginnen. Wir glauben nicht, daß die Waffe eine tatsächliche Gefahr für uns darstellt, aber wir halten dennoch Vorsichtsmaßnahmen für angebracht, und wollen daher die betreffenden Basen abschirmen, dem Widerstand eine Falle stellen und ihn vernichtend schlagen. Dazu ist die Kooperation aller Mutterschiffe erforderlich. Diese Aktion hat Vorrang gegenüber allen anderen Truppeneinsätzen. Ich erwarte, daß sich alle Kommandanten innerhalb einer Stunde bei mir melden, damit wir das gemeinsame Vorgehen absprechen können. Ende.« Roger beobachtete ruhig, wie der Schirm wieder grau wurde.
»Das bedeutet, wir müssen die Ausführung Ihres Planes verschieben, Sir«, sagte Jennifer und versuchte, sich ihre große Erleichterung nicht anmerken zu lassen. »Nein, ganz und gar nicht. Während die anderen Kommandanten sich blindlings und phantasielos der kurzsichtigen Strategie jenes Narren unterwerfen, unternehmen wir eine zusätzliche Aktion, die uns Ruhm und Ehre einbringen wird. Ich zweifle nicht an unserem Erfolg. Wir setzen den Beginn des Einsatzes auf die kommende Nacht fest.« Kaum hatte sie Roger verlassen, machte sich Jennifer sofort auf die Suche nach Lisa. Sie trafen sich in einem leeren Besprechungszimmer auf dem Laboratoriumsdeck. »Lisa, ich habe einen besonderen Auftrag für jemanden, dem ich vertrauen kann. Ich glaube, Sie kommen dafür in Frage. Ich weiß, daß Sie zur Fünften Kolonne an Bord dieses Schiffes gehören…« Lisa versteifte sich ein wenig, und ihr junges Gesicht offenbarte einen Anflug von Furcht. »Bleiben Sie ganz ruhig und unbesorgt«, fügte Jennifer rasch hinzu, der es darauf ankam, keine wertvolle Zeit zu verlieren. »Ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Und es braucht Sie nicht zu überraschen, daß ich von der Fünften Kolonne weiß.« »Nun, Sie sind die stellvertretende Kommandantin«, erwiderte Lisa. »Man erwartet von Ihnen, über alle Vorgänge an Bord informiert zu sein.« »Roger hat keine Ahnung. Tatsächlich habe ich ziemliche Mühe darauf verwandt sicherzustellen, daß er nichts erfährt.« »Sie? Aus welchem Grund?« Jetzt war Lisa wirklich verblüfft. »Eine der wichtigsten Maßnahmen bestand darin, die Organisation der Fünften Kolonne in kleine Gruppen zu teilen, so daß jeder, der ihr angehört, nur die Namen weniger
Gesinnungsgenossen kennt und im Falle der Entlarvung somit nicht alle verraten kann. So ist Ihnen zum Beispiel der Name des Leiters der Verschwörung an Bord dieses Schiffes unbekannt, oder? Überlegen Sie sich die Antwort gut – es könnte eine Falle sein.« »Nein, ich weiß nicht, wer der Leiter ist.« »Vielleicht belügen Sie mich«, sagte Jennifer kalt. Lisa schluckte. »Ich versichere Ihnen…« »Ich weiß.« Jennifer zögerte kurz. »Sie haben ihn vor sich.« Lisa war sprachlos. Jennifer deutete ein dünnes Lächeln an und fuhr fort: »Ich muß der Widerstandsgruppe von New York eine sehr wichtige Nachricht übermitteln. Ich habe mich selbst schon einige Male mit ihr in Verbindung gesetzt, aber in diesem Schiff kann nun jeden Augenblick die Alarmbereitschaft angeordnet werden. Wir bereiten eine große Offensive gegen einen weltweiten Rebellenangriff vor, und vielleicht ist es mir unmöglich, das Schiff zu verlassen. Es ist jedoch unbedingt erforderlich, daß der Widerstand erfährt, was vor sich geht. Wollen Sie mein Kurier sein? Die Aufgabe dürfte alles andere als ungefährlich werden. Wenn die Widerstandskämpfer Erfolg haben, bleiben Sie möglicherweise allein auf der Erde zurück. Und wenn wir uns durchsetzen, kommen Sie vielleicht ums Leben.« Lisa atmete tief durch. »Ich bin bereit.«
26. KAPITEL Der Handschuh wird geworfen
Jennifers über Funk übermittelte Nachricht beunruhigte die Widerstandskämpfer; über die Erwähnung einer großen Gefahr hinaus teilte sie mit, sie könne sich nicht mehr direkt mit der Gruppe Weiße Weihnacht in Verbindung setzen und schicke einen Kurier. Joey erhielt den Auftrag, die betreffende Person an dem vereinbarten Treffpunkt an der südlichen Peripherie Manhattans abzuholen. Er verbarg sich in dem labyrinthenen Gerüst eines noch nicht fertiggestellten Gebäudes und beobachtete, wie die VisitorFähre durch den sommerlichen Dunst heranschwebte. Sie landete in einiger Entfernung, entließ einen Passagier und startete dann wieder. Jennifers Kurier sah dem Shuttle einige Sekunden lang nach, dann näherte er sich dem Gebäude. Joey konnte sehen, daß er es mit einem weiblichen Visitor zu tun hatte. Die Kurierin war jedoch nicht in eine der orangefarbenen Uniformen gekleidet. Als sie bis auf wenige Schritte herangekommen war, erkannte er sie als Lisa. Er biß sich auf die Lippe und wußte nicht so recht, ob er einige der Gedanken laut aussprechen sollte, die ihm nun durch den Kopf gingen. Dann beschloß er, sich zunächst ganz auf den geschäftlichen Aspekt der Angelegenheit zu konzentrieren. »Hallo, Joey«, sagte Lisa zurückhaltend. Er nickte ihr kurz zu. »Lassen Sie uns gehen. Pete und Lauren warten auf uns.« Sie setzten sich in Bewegung und wanderten in Richtung des neuen Hauptquartiers, das einige Blocks entfernt war und sich
erneut in einem verlassenen Lager befand. Joey fiel auf, daß er Lisa bisher nur immer in der typischen Visitor-Uniform gesehen hatte. Jetzt trug sie enge Jeans, Turnschuhe und ein TShirt, und in dieser Aufmachung hätte man sie jederzeit mit einer menschlichen Frau verwechseln können. Trotzdem erinnerte sich Joey immer wieder an das alptraumhafte Gesicht unter der zerfetzten Maske Angelas. Plötzlich blieb er stehen, griff nach dem Arm Lisas und drehte sie zu sich um. Sie widersetzte sich ihm nicht und sah ihn offen an – der Himmel war so wolkenverhangen, daß sie sich nicht mit einer dunklen Brille vor einer zu großen Lichtflut schützen mußte. »Ich… ich habe Angela gesehen… so wie sie wirklich aussah«, brachte Joey schließlich hervor. Mit den Fingerkuppen berührte er die kalte Wange Lisas. »Ich weiß, daß Sie eine Maske tragen. Wieso haben Sie mir nicht die Wahrheit gesagt? Obwohl Sie wußten, welche… welche Gefühle ich Ihnen entgegenbrachte?« Er wandte den Blick von ihr ab, und nur das Zucken in seinen Mundwinkeln verriet, welcher Aufruhr in ihm herrschte. »Aus welchem Grund stellen Sie mir eine solche Frage? Man hat uns ausdrücklich verboten, unsere tatsächliche Identität zu offenbaren. Ich habe nie teilgenommen an den schrecklichen Aktionen gegen Ihr Volk. Ich war immer eine Sympathisantin der Allianz, und als ich von der Fünften Kolonne erfuhr, schloß ich mich ihr sofort an. Es tut mir leid, Joey, für Sie alle…« »Sind Sie so wie Angela?« Lisa wollte Anstalten machen, sich wieder in Bewegung zu setzen. Statt dessen seufzte sie innerlich und hielt seinem Blick stand. »In physischer Hinsicht ja. Und nach den bei uns gebräuchlichen Maßstäben für körperliche Attraktivität kann man mich als recht hübsch bezeichnen. Sie wußten die Antwort auf Ihre Frage natürlich schon vorher, Joey, aber ich
glaube, ich kann verstehen, warum Sie es von mir selbst hören wollten. Doch wir sind nicht alle gleich, ebensowenig wie die Individuen Ihres Volkes. Wenn ich wirklich so wäre wie Angela, hätte ich nicht das Risiko auf mich genommen, hierher zu kommen. Jennifer wies mich darauf hin, daß ich möglicherweise allein hier zurückbleiben könnte.« Lisa zuckte mit den Schultern. »Ich erwarte keine Medaille oder etwas in der Art – ich bin Militäroffizier. Ich erfülle meine Pflicht, und das ist alles.« »Haben Sie auch nur Ihre Pflicht erfüllt und Befehle befolgt, als wir das erste Mal zusammen waren?« fragte Joey leise. Einige Sekunden lang suchte Lisa nach den richtigen Worten und schüttelte dann den Kopf. »Und was ist mit Ihnen? War es Ihre Aufgabe, mich abzulenken und mehr über mein Volk herauszufinden, indem Sie Umgang mit mir pflegten?« »Können sich zwei Individuen verschiedener Rassen lieben?« fragte Joey unvermittelt. »Ich weiß nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie liebe, Joey. Aber ich weiß, daß ich mich Ihnen näher fühle als allen meinen bisherigen Partnern. Vielleicht wäre es gar nicht so schrecklich für mich, allein auf der Erde zurückzubleiben…« Lisa wandte den Blick von Joey ab. »Aber wer weiß, wie lange die Immunitätsimpfung wirksam bleibt…« »Wir wollen jetzt gehen.« Joey führte seine Begleiterin um eine Ecke, und anschließend betraten sie das Lager. Dort warteten die anderen Mitglieder der Gruppe Weiße Weihnacht auf sie. Lisa teilte ihnen mit, was die Visitors von dem für den nächsten Tag geplanten Angriff und insbesondere der Absicht der Widerstandskämpfer wußten, Überfälle auf Luftwaffenstützpunkte durchzuführen. Sie war verwirrt, als die Männer und Frauen auf diese Eröffnungen mit schallendem Gelächter reagierten. »Was ist daran denn so komisch? Jennifer macht sich große Sorgen und befürchtet, Sie könnten
nicht die Flugzeuge erbeuten, die Sie brauchen, um die Atmosphäre mit dem Toxin anzureichern.« »Bei diesem Plan«, erklärte Lauren, »handelt es sich um nichts weiter als einen Trick. Und ganz offensichtlich ist Ihr Oberkommando darauf hereingefallen. Großartig!« »Es gibt da noch etwas anderes, über das Sie Bescheid wissen sollten. Roger plant in diesem Gebiet eine eigene Aktion.« Die Widerstandskämpfer hörten aufmerksam zu, als Lisa ihnen die Einzelheiten der für Brooklyn vorgesehenen Evakuierung erläuterte, die in der kommenden Nacht um vier Uhr beginnen sollte. Joey wirkte betroffen. »Das müssen wir unbedingt verhindern!« »Worauf du dich verlassen kannst«, erwiderte Pete. »Zumindest werden wir es versuchen.« Lauren holte bereits Straßenkarten von Brooklyn und den übrigen Gebieten von Long Island hervor, und Forsythe fragte: »Wer kennt die Eisenbahn von Long Island?« Eine Frau namens Michelle meldete sich. Sie war etwa dreißig Jahre alt und hatte breite Schultern, eine kräftige Statur und krauses braunes Haar. »Ich bin Schaffnerin, und mein Vater arbeitet im Rangierbahnhof. Was die Eisenbahn angeht, bin ich bestens im Bilde.« »Ausgezeichnet, Michelle«, sagte Pete. »Wir müssen den Transportzug abfangen, bevor er die Sammelzone erreicht. Wenn uns das nicht gelingt, landen Tausende von weiteren Personen als eingefrorene Menüs an Bord des Mutterschiffes. Wenn jemand eine Idee hat – heraus damit. Uns bleiben nur noch wenige Stunden Zeit, um uns Gegenmaßnahmen einfallen zu lassen. Lisa, ist Ihre Pilotin inzwischen an Bord des Mutterschiffes zurückgekehrt?« »Nein. Sie wartet in einem Hangar in der Nähe der Docks.«
»Können Sie sich mit ihr in Verbindung setzen?« fragte Lauren. Lisa griff nach einem Kommunikator, der etwa so groß war wie eine Zigarettenpackung. »Das dürfte kein Problem sein.« »Gut«, sagte Pete. »Wir brauchen sie nämlich.« Roger saß allein am Tisch seiner Kabine und betrachtete einige Kartenprojektionen auf dem wandgroßen Computerschirm. Mit einem Lichtgriffel bewegte er Symbole, die die Standorte von Truppenteilen und Staffelshuttles verdeutlichten. Er brachte sie näher an das Evakuierungsgebiet Brooklyns heran und simulierte auf diese Weise den Abtransport von ungefähr fünftausend Menschen mittels der Eisenbahn von Long Island. Er brachte sie in einer Sammelzone unter, und von dort aus wurden sie mit StaffelShuttles an Bord des Mutterschiffes gebracht. »Geschätzte Zeit für die Durchführung der Aktion?« wandte er sich an den Computer. »Drei Stunden«, lautete die Antwort. Roger lächelte, schloß dann die Augen und deutete mit dem Lichtgriffel auf eine beliebige Region Brooklyns in der Nähe der Verarbeitungsanlage. Als er wieder auf den Schirm sah, zog er einen kleinen Kreis um einige Häuserblocks.
Der Kojote knabberte an den letzten Fleischfetzen, die noch an den Knochen des Kaninchens verblieben waren. Der hoch am Himmel stehende Mond hüllte die Wüste in Perlmuttlicht, und in der Nacht knurrten und krächzten andere Tiere, die auf der Suche nach einer Mahlzeit waren – oder sich verbargen, um nicht zu einer zu werden. Plötzlich wurde der Kojote auf etwas aufmerksam, und er spitzte die Ohren und schnüffelte. In dem Tal breitete sich völlige Stille aus. Der Kojote horchte, ebenso wie die anderen Tiere der Nacht. Die
Geschöpfe spürten eine fremde Gegenwart, noch bevor sie etwas hörten: ein dumpfes Raunen aus dem Osten, ein flüsterndes Sirren, bei dem sich das Nackenfell des Kojoten sträubte. An Flugzeuge hatte er sich inzwischen gewöhnen können, doch dieses Geräusch war ihm fremd… Das Geschwader der Visitor-Fähren schwebte über die kalifornische Wüste und landete in der Nähe der Hügel am Rande des Luftwaffenstützpunktes Edwards. Im Sichtschutz der Anhöhen stiegen die Soldaten aus und warteten – und sie wußten, daß weitere Visitor-Truppen in allen Teilen der Welt nun ebenfalls in Stellung gingen. Der Kojote leckte sich die Pfoten, beschnüffelte noch ein letztes Mal die Reste des Kaninchens und machte sich dann auf und davon, um einen sichereren Platz zu finden.
Es klopfte an der Tür von Pete Forsythe. Er drehte sich müde um und sah Lauren, die eine orangerote Visitor-Uniform trug. »Die Farbe steht dir nicht schlecht«, sagte er und lächelte schief. »Wird es nicht langsam Zeit, daß du dich umziehst?« »Ja. Ich weiß allerdings nicht, ob das Sinn hat. Ich glaube, diese Sache ist eine Nummer zu groß für uns.« Lauren trat hinter ihn und betrachtete die auf dem Tisch ausgebreiteten Karten. Gelbe und rote Hinweise kennzeichneten die Routen der Visitors und der Einsatzgruppe des Widerstandes. Petes Finger strich wie ziellos über die Linien. »Wir haben einfach nicht die nötige Ausrüstung«, sagte er, und seine Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. »Uns steht nur das eine Staffelshuttle zur Verfügung, mit dem Lisa kam. Ich befürchte, wir haben in der Vergangenheit einiges versäumt. Andere Widerstandsgruppen konnten mehr
Fähren und mehr Waffen erbeuten, und sie sind auch besser vorbereitet. Was sollen wir mit unseren paar Knarren schon ausrichten? Heute nacht erwartet uns bestimmt ein Riesenschlamassel, Lauren.« »Wir haben es nicht mit einem Wettstreit zwischen einzelnen Gruppen des Widerstandes zu tun, Pete. Wir haben Dinge vollbracht, zu denen andere nicht in der Lage waren; aber auch darauf kommt es nicht an. Wichtig ist einzig und allein, daß jede Gruppe – ganz gleich, wo sie agiert und über welche Ausrüstung sie verfügt – mit aller Entschlossenheit gegen die Visitors vorgeht.« »Was allerdings den Leuten, die bereits an Bord der Mutterschiffe verschleppt wurden, nicht sonderlich viel hilft – ebensowenig denjenigen, die heute nacht ein ähnliches Schicksal erleiden, wenn wir das nicht verhindern.« Sie blickten beide auf, als sie vom Eingang des Lagers her das Geräusch von Schritten hörten, die sich rasch dem Büro näherten. Pete und Lauren sahen sich überrascht an, als Jennifer eintrat. »Ich mußte noch einmal persönlich mit Ihnen zusammentreffen. Roger stimmte meinem Vorschlag zu, und das bedeutet, daß ich die Brooklyn-Evakuierung leite.« »Er will die Aktion also wirklich durchführen?« fragte Lauren. »Ja, und sie wird Erfolg haben, wenn Sie nicht eingreifen.« »Hat er sich bereits für eine bestimmte Region entschieden?« erkundigte sich Pete. Jennifer verzog das Gesicht. »Nein. Das ist ja gerade das Problem. Diese Information läßt er mir erst im letzten Augenblick per Funk zukommen.« Pete seufzte und ließ die Schultern hängen. »Es ist unmöglich, Jennifer! Wir haben weder genügend Leute noch die notwendigen Gerätschaften und Waffen, um…«
»Was hielten Sie von zwei weiteren mit Laserkanonen bewaffneten Staffelshuttles?« warf Jennifer ein. Pete starrte sie groß an. »Ist das Ihr Ernst?« Die Visitor nickte. Forsythe rieb sich die Augen. »Wäre nicht übel«, sagte er leise. »Ich schicke Ihnen zwei Piloten der Fünften Kolonne. Es befinden sich so viele Fähren und Soldaten für die Evakuierungsaktion und die Umstellung der Luftwaffenstützpunkte im Einsatz, daß es bestimmt nicht auffallen wird, wenn zwei Shuttles fehlen.« »Wir könnten auch weitere Lasergewehre gebrauchen«, sagte Pete. »Mal sehen, was sich da machen läßt«, erwiderte Jennifer. »Es gibt noch einige weitere Informationen, die sicher von Nutzen für Sie sind. Ich habe dafür gesorgt, daß der Evakuierungszug um acht Uhr morgen früh in der Sammelzone am Farmingdale-Flughafen erwartet wird. Wenn er sich verspätet, schöpfen die dort stationierten Soldaten sicher Verdacht. Was für einen Plan Sie auch im Sinn haben: Sie müssen möglichst rasch handeln. Im Zug selbst befinden sich nur wenige Visitors. Auf diese Weise soll verhindert werden, daß die Menschen mißtrauisch werden.« »Was bedeutet, daß es nicht allzu schwer sein sollte, den Zug zu stoppen«, warf Lauren zuversichtlich ein. »Nun«, sagte Jennifer, »ich hoffe, Ihnen mit den beiden zusätzlichen Staffelshuttles wirklich geholfen zu haben. Sie werden mit erheblichen Problemen rechnen müssen, sobald Sie die Sammelzone erreichen, und in dieser Hinsicht konnte ich leider nichts machen.« »Warum sollen wir die Evakuierten denn alle nach dem Flughafen transportieren, sobald wir den Zug in unsere Gewalt gebracht haben?« fragte Lauren.
»Fünftausend Menschen lassen sich nicht einfach verstecken«, entgegnete Pete. »Und vergiß nicht: Das alles gehört zu dem größeren Plan. Die zeitliche Abstimmung ist außerordentlich wichtig.« »In der Tat«, bestätigte Jennifer. »Wenn Sie den Zug zu früh stoppen, schickt man bestimmt eine Patrouille aus, die nach dem Rechten sehen soll. Damit büßen Sie das Überraschungsmoment ein, und Sie verfügen noch nicht über das Toxin, um sich aus der Affäre zu ziehen. Sie können sich und die Evakuierten im Zug nur während des Durcheinanders retten, das entsteht, wenn das Toxin freigesetzt wird und sich in der Sammelzone ausbreitet. Sie verfügen nicht annähernd über die Feuerkraft, um einen Kampf gegen die Truppen gewinnen zu können.« »Wird sie ausreichen, um die Soldaten am Flughafen eine Zeitlang hinzuhalten?« fragte Lauren zutiefst besorgt. »Ich denke schon«, erwiderte Jennifer. »Und wenn Sie sich genau an den Zeitplan halten, dürfte der Kampf nur von kurzer Dauer sein.« »Verfügen Sie und Ihre Leute über genügend Gasmasken?« wandte sich Lauren an die Visitor. »Und sind alle geimpft?« Jennifer nickte. »Wir sind geschützt. Außerdem habe ich die Mehrheit der Mitglieder der Fünften Kolonne an Bord des Mutterschiffes zurückbeordert. Auf diese Weise sind sie einerseits nicht dem Toxin ausgesetzt und können mir andererseits bei dem Versuch helfen, das Schiff zu übernehmen.« Pete starrte sie groß an. »Sie wollen das Mutterschiff unter Ihre Kontrolle bringen? Sind Sie übergeschnappt?« »Nicht daß ich wüßte. Wir müssen einen entsprechenden Versuch wagen. Wenn Ihr Plan erfolgreich ist und das Toxin uns tatsächlich dazu zwingt, uns von der Erde zurückzuziehen, so steht die Allianz noch immer vor dem Problem, die Macht
des Großen Denkers und seiner wahnsinnigen Militärs zu brechen. Einige Mutterschiffe würden uns dabei sehr helfen.« »Nehmen Sie mich mit an Bord!« platzte es aus Pete heraus. »Ich verlange es!« »Bist du verrückt geworden?« fragte Lauren. »Nein – ich möchte versuchen, die Menschen zu befreien, die dort oben auf Eis liegen.« Jennifer sah ihn finster an. »Auf keinen Fall«, erwiderte sie scharf. »Wenn ich irgendeine Möglichkeit habe, den Gefangenen zu helfen«, fügte die Kommandantin kurz darauf hinzu, »so nehme ich sie sofort wahr. Aber Sie sollten sich von der Wunschvorstellung trennen, ein Mutterschiff zu überfallen. Seit es Michael Donovan gelang, sich an Bord des Mutterschiffes von Los Angeles zu schleichen, sind die Sicherheitsmaßnahmen drastisch verschärft worden.« »Mein Vater befindet sich in Ihrem Schiff«, sagte Lauren leise. »Ich weiß«, bestätigte Jennifer. »Zusammen mit vielen anderen. Aber so wichtig diese Personen auch sein mögen: Vergessen Sie nicht, daß Sie für die Freiheit einiger Milliarden Menschen hier auf der Erde kämpfen. Vielleicht müssen Hunderttausende geopfert werden, um Ihnen einen Erfolg zu ermöglichen.« Sie berührte Lauren kurz am Arm, und Mensch und Alien sahen sich tief in die Augen. »Ich sollte jetzt besser gehen«, schloß Jennifer. »Viel Glück«, sagte Pete. »Danke. Das wünsche ich Ihnen auch.« Sie begleiteten die Kommandantin auf den Flur, wo Lisa und Joey warteten. »Möchten Sie mit mir kommen oder hierbleiben und den Menschen helfen?« fragte Jennifer. Lisa straffte die Gestalt. »Ich glaube, ich bleibe besser hier.«
Pete wandte sich an Lauren. »Ich würde vorschlagen, du begibst dich mit einigen anderen in die Sammelzone und wartest dort auf uns. Ihr könntet euch um die Evakuierten kümmern, wenn sie aussteigen. Jemand muß dafür sorgen, daß sie ruhig bleiben und sich von den Kämpfen fernhalten, und ich kenne ja dein Talent als Diplomatin.« »Was?« Lauren griff nach ihrem Laser. »Ich habe mich dem Widerstand angeschlossen, um zu kämpfen! Verdammt: Ich will keinen Posten in der Etappe. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Pete Forsythe?« Er musterte sie aus halb zusammengekniffenen Augen, und dann plötzlich lachte er leise. »Weißt du eigentlich, was du da eben gesagt hast?« Lauren überlegte. »Klang ziemlich blutrünstig, wie? Mein Vater wäre schockiert.« »Durchaus möglich.« Pete bedachte sie mit einem aufmunternden Blick. »Angesichts deiner Aufgabe solltest du die Kleidung wechseln. Sonst bekommen die Gefangenen noch einen Schrecken, wenn sie dich in einer Visitor-Uniform sehen. Was meinst du: Wie viele Leute benötigst du, um die Evakuierten unter Kontrolle zu halten?« »Einen Augenblick.« Lauren sah ihn durchdringend an. »Ich habe nicht gesagt, daß ich mit diesem Auftrag einverstanden bin. Ich kann verdammt gut schießen, und du brauchst Leute wie mich. Soll doch jemand anders Kindermädchen spielen. Wie wäre es mit Alison Stein? Auf die Bürgermeisterin hören die Evakuierten bestimmt eher als auf mich.« Eine Zeitlang schwiegen sie, und schließlich fügte Lauren hinzu: »Himmel, Pete, ich meine es ernst. Ich möchte bei dir sein – bei dir und den anderen Kämpfern der Weißen Weihnacht. Warum bist du so versessen darauf, mich abzuschieben?«
In Forsythes Augen blitzte es ebenso wie in denen Laurens. »Meine Güte, du bist wirklich ganz schön aufsässig, Mrs. Stewart. Ist dir denn noch nicht in den Sinn gekommen, wie sehr mir daran liegen könnte, daß dir nichts zustößt?« Lauren war verblüfft und blieb einige Sekunden lang still. Dann gab sie zurück: »Ich habe zu lange auf diesen Tag gewartet und ebenso hart dafür gearbeitet wie alle anderen auch. Ich will jetzt nicht ins zweite Glied zurücktreten.« »Na schön«, seufzte Pete. »Sag Alison Bescheid.«
27. KAPITEL Die Eisenbahn von Long Island
Antonio Vitale drehte sich auf die Seite und blickte auf die Uhr. Es war fast vier Uhr morgens, und er wußte nicht, was ihn geweckt hatte. Neben ihm lag seine Frau Rosie und schnarchte leise. Es war so kühl im Zimmer, daß sie sich die Steppdecke bis zum Kinn hochgezogen hatte. Leise stand Antonio auf, um die Klimaanlage abzuschalten. In der Stille der Nacht schrillte plötzlich eine Sirene. Antonio zuckte erschrocken zusammen, stieß mit dem Knie an das Nachtschränkchen und fluchte. Rosie erwachte und setzte sich erschrocken auf. »Was ist denn los, Tony?« flüsterte sie. »Keine Ahnung, Schatz.« Er humpelte ans Fenster heran und sah nach draußen. Die Sirene heulte noch immer, und in der Nähe schwebte eine Visitor-Fähre vorbei. »Achtung, Achtung!« hallte eine Stimme aus dem Lautsprecher des Shuttles. »In dem nahen Chemiewerk ist es zu einem Unfall gekommen. Giftige Gase entweichen, und es besteht die Gefahr einer Explosion. Sie werden aufgefordert, sofort die Wohnungen zu verlassen und in die bereitstehenden Busse zu steigen, die Sie nach einem Zug transportieren, der Sie in Sicherheit bringen soll. Fünfzig in unmittelbarer Nähe des Werkes lebende Personen sind von den giftigen Schwaden im Schlaf überrascht worden – fünfundzwanzig davon kamen dabei zu Tode. Unsere Ärzte arbeiten mit Ihren zusammen, um die anderen zu retten. Es gilt, weitere Todesfälle zu vermeiden, daher wiederhole ich die Aufforderung…«
Antonio konnte andere Visitor-Fähren sehen, die über die Häuser hinwegschwebten. Über dem Chemiewerk hatte sich eine dunkle Wolke gebildet. Er öffnete kurz das Fenster, nahm einen ätzenden Geruch wahr, hustete und schloß es rasch wieder. »Tony…« Er zuckte mit den Schultern. »Wir sollten der Aufforderung besser nachkommen, Rosie.«
Auf der Straße hatten in regelmäßigen Abständen bewaffnete Visitors Aufstellung bezogen, sie trieben die verängstigten Menschen an und wiesen ihnen den Weg zu den geparkten Bussen. Die meisten derjenigen, die aus dem Schlaf gerissen worden waren, hatten nur wenige Habseligkeiten oder gar nichts bei sich. Sobald alle Plätze in einem Bus besetzt waren, schickten die Soldaten ihn fort, und ein neuer nahm seinen Platz ein. Die ganze Aktion war sehr gut geplant. Man hatte nichts dem Zufall überlassen. Die scharfe Kontrolle durch die Visitors verhinderte eine Panik. Die Busse fuhren in Richtung des in Brooklyn gelegenen Hauptbahnhofes der Eisenbahn von Long Island, wo weitere Visitor-Soldaten warteten, die die Evakuierten in die Waggons des bereitstehenden Zuges geleiteten. Noch immer herrschte unter den Flüchtlingen eine sonderbare Ruhe. Jennifer beobachtete die Vorgänge aus ihrem über dem Bahnhof schwebenden Staffelshuttles. Sie fragte sich, warum die Menschen dort unten keinen Verdacht schöpften, und mußte sich eingestehen, daß der Plan Rogers wirklich genial war. Wenn man Hunderte und Tausende von Menschen mitten in der Nacht mit einer Schreckensmeldung aus dem Schlaf riß, so konnte man sich des Überraschungsmomentes sicher sein.
Die Kommandantin hoffte, Widerstandskämpfern geplante erfolgreich sein würde…
daß die von den Überraschung ebenso
Die stellvertretende Kommandantin lehnte sich im Sitz zurück und seufzte. In Gedanken ging sie die einzelnen Punkte ihrer Aufgabe durch und verspürte dabei die unbehagliche Sicherheit, etwas vergessen, einen wichtigen Punkt übersehen zu haben. »Es geht gleich los«, wandte sich Jennifer an die Pilotin. »Starten wir.« Die Fähre hob ab und schwebte in Richtung des Chemiewerkes. Als sie in Sichtweite kamen, nahm Jennifer hinter den Kontrollen der Heck-Laserkanone Platz und gab die Daten eines auf dem Parkplatz stehenden Tankwagens in den Zielcomputer. Anschließend betätigte sie den Auslöser, und ein roter Blitz zuckte in Richtung des Fahrzeuges. Den Bruchteil einer Sekunde später explodierte der Tankwagen, und eine Feuerzunge leckte Dutzende von Metern in die Höhe. »In Ordnung«, sagte Jennifer. »Wir haben alle Befehle Rogers ausgeführt.« »Er dürfte jetzt recht guter Dinge sein«, bemerkte die Pilotin namens Phyllis. »Ich frage mich, wie er reagieren wird, wenn der Zug die Sammelzone erreicht und sich herausstellt, daß die Widerstandskämpfer ihn unterwegs unter ihre Kontrolle gebracht haben.« »Vermutlich wird er zu jenem Zeitpunkt gar nicht mehr in der Lage sein, sich Gedanken über den Fehlschlag seiner Aktion zu machen«, erwiderte Jennifer. »Wenn sowohl der Untergrund als auch wir erfolgreich sind.« »Was haben Sie vor?« fragte Phyllis.
»Ich verfüge über einen Vorrat des von den Menschen entwickelten Toxins«, sagte Jennifer. »Heute morgen habe ich eine routinemäßige Untersuchung des Belüftungssystems an Bord des Mutterschiffes angeordnet, und unsere Leute sollten die Möglichkeit wahrnehmen können, einige ausgewählte Sektoren des Schiffes zu verseuchen.« »Stellt das nicht auch für uns selbst eine Gefahr dar?« fragte Phyllis besorgt. »Später können wir die vergiftete Atmosphäre in den entsprechenden Abteilungen in den Weltraum entweichen lassen«, antwortete Jennifer. »Außerdem habe ich dafür gesorgt, daß unsere Leute sowohl geimpft wurden als auch Gasmasken bekamen. Dank meiner von Roger so sehr gelobten ›Personalarbeit‹ sind die Mitglieder der Fünften Kolonne an Bord unseres Schiffes nun in der Überzahl. Das trifft allerdings nur auf die normale Besatzung zu. In den dort stationierten Truppenteilen gibt es leider nur einige wenige unserer Gesinnungsgenossen.« »Aber jetzt befinden sich fast alle Soldaten auf der Erde«, fügte die Pilotin hinzu. Jennifer lächelte zufrieden. »Das stimmt in der Tat.« Dann plötzlich fiel ihr etwas ein, und sie versteifte sich abrupt. »Oh, nein!« entfuhr es ihr. »Jetzt weiß ich, was ich vergessen habe: den Präsidenten!«
Antonio und Rosie Vitale standen auf dem Bahnsteig, direkt neben dem wartenden Zug. Visitor-Soldaten mit einsatzbereiten Waffen trieben die Flüchtlinge an und stießen sie in die Waggons. Schließlich kamen die Eltern Joeys an die Reihe, und kurz darauf schlossen sich die Türen. Die Elektromotoren summten, und der Zug setzte sich in Bewegung. Der Bahnsteig blieb leer zurück. Die Visitors sahen
sich noch einmal prüfend um; sie wollten ganz sicher sein, daß niemand zurückgeblieben war. Anschließend bereiteten sie sich auf die Rückkehr an Bord des Mutterschiffes vor. Einer der Soldaten klappte das Helmvisier hoch, bückte sich und griff nach einem weichen und pelzigen Objekt, das auf dem Beton lag: ein Plüschtier, das irgendein Kind vergessen hatte. Der Visitor starrte es einige Sekunden lang an, legte es dann in eine Mülltonne und verbarg es unter einer zerknüllten Zeitung.
Pete biß in den Berliner, kaute und leckte sich den Zucker von den Fingern. »Wo haben Sie die her?« fragte er Sari James. »In Brook Cove hatten wir einen ganzen Vorrat davon.« »In den unterirdischen Laboratorien?« erkundigte sich Lauren. Sari nickte und lächelte. »Auch Wissenschaftler leben nicht vom Brot allein. Ab und zu steht uns der Sinn nach einem Leckerbissen.« Sie saßen im vordersten Wagen eines aus insgesamt vier Waggons bestehenden Zuges, der auf einem Nebengleis wartete. Mehrere Widerstandskämpfer, die sich mit der Arbeit im Rangierbahnhof auskannten, überprüften draußen die Gerätschaften und vergewisserten sich, daß alles einwandfrei funktionierte. Ein schlanker junger Mann namens Ozzie kletterte durch die geöffnete Seitentür. »Alles klar«, wandte er sich an Pete. Forsythe blickte auf die Uhr. »Ich würde mich gern mit den anderen in Verbindung setzen«, sagte er leise. »Das dürfen wir nicht riskieren«, erwiderte Lauren. »Jennifer meinte, bei den Visitors herrsche höchste Alarmbereitschaft. Die Gefahr, uns durch einen Funkkontakt mit den anderen Gruppen zu verraten, ist zu groß.« »Wird’s jetzt nicht langsam Zeit?« fragte Sari.
Pete nickte. Sie alle trugen orangefarbene Visitor-Uniformen und waren bewaffnet, wobei Forsythe allerdings den Umstand bedauerte, daß Jennifer ihnen nicht mehr Laser zur Verfügung hatte stellen können. Wenn es ihnen tatsächlich gelang, den Evakuierungszug zu stoppen und ihn unter ihre Kontrolle zu bringen, mußten sie es wenig später mit den Truppen in der Sammelzone aufnehmen – obgleich ihre Streitmacht aus nicht mehr als fünfunddreißig Widerstandskämpfern bestand. Drei Staffelshuttles sollten sie bei dem Angriff unterstützen, aber was bedeutete das schon angesichts von hundert erfahrenen und bestens ausgebildeten Visitor-Soldaten, denen zudem mindestens ein Dutzend Kampffähren zur Verfügung stand. Pete verdrängte diese düsteren Überlegungen, als der Zug losrollte und beschleunigte. Ozzie bediente die Kontrollen. Lauren führte eine Karte bei sich, auf der alle Gleise, Weichen und Signale eingezeichnet waren. Sie hatte sie auf einem der Sitze ausgebreitet, und Pete sah über die Schulter der jungen Frau und verfolgte ihre Route. Nach einer Weile drehte er sich um und musterte seine ›Soldaten‹ – Brenda Ortiz, der Busfahrer und Sprengmeister Manfred, Saul Rosenberg und Lenny Honaka, die beiden U-Bahn-Arbeiter, und gut zwanzig weitere Personen, die nun die Plätze einnahmen, auf denen noch vor einigen Monaten Buchhalter, Rechtsanwälte und Büroangestellte gesessen hatten. Ungefähr ein Drittel dieser Leute war in Visitor-Uniformen gekleidet. Mein Gott, fuhr es Pete durch den Sinn. Auf was haben wir uns da nur eingelassen?
28. KAPITEL Wenn der Zug aus den Geleisen spränge…
»Himmel, dieses Ding ist wirklich erstklassig!« begeisterte sich Alexander Garr, als er auf die Kontrollen der VisitorFähre blickte und gleichzeitig den Hebel festhielt, mit dem sich das Shuttle manuell steuern ließ. Er trug ebenfalls eine orangerote Uniform. Auf dem Platz des Navigators neben ihm saß der in Zivil gekleidete Kardinal Palazzo, der darauf bestanden hatte, an dem Einsatz teilzunehmen. »Ich hoffe nur, es gibt nicht zu viele Tote«, sagte er. »Kampf bleibt Kampf«, erwiderte Garr ein wenig besorgt. Doch seine Stimme klang auch entschlossen. Michelle sah von der Gleiskarte auf, von der Lauren eine Kopie besaß. Sie blickte durch das Seitenfenster des Shuttles. Garr flog die Fähre so, daß sie den zweiten Zug nicht aus den Augen verloren. »Verdammt!« flüsterte Michelle. »Ich wünschte, wir könnten Funkkontakt mit den anderen aufnehmen.« »Ich ebenfalls«, sagte Garr. »Aber das ist unmöglich. Eine Kommunikation zwischen den einzelnen Gruppen ist nur für den äußersten Notfall vorgesehen. Ich bin nur froh, Lisa, daß hier keine Visitors unterwegs sind. Sonst wäre man bestimmt schon auf uns aufmerksam geworden.« »Jeder Plan hat seine schwache Stelle«, erwiderte die Visitor, deren Stimme sich durch das charakteristische dumpfe Vibrieren auszeichnete. »Auch der Rogers.«
»Wir sollten jetzt nach Süden abdrehen und höher steigen, um einen Blick auf den Evakuierungszug zu werfen«, schlug Michelle vor. Garr nickte. »Halten Sie sich gut fest.« Er ließ das Shuttle elegant zur Seite abkippen, beschleunigte und setzte den Flug in südlicher Richtung fort. Schon seit zwanzig Jahren fahre ich Züge, und noch nie hatte ich zittrige Hände, dachte der Lokführer am Kontrollpult des Evakuierungszuges. Dies ist das erste Mal… Seine starken und fleischigen Finger hatten sich um den Beschleunigungshebel geschlossen. Schweiß glänzte in seinem geröteten Gesicht. Die Klimaanlage sorgte dafür, daß es in der Kabine recht kühl war, aber der Lokführer schauderte trotzdem. Carl, der leitende Offizier der im Zug befindlichen Visitors, stand in unmittelbarer Nähe der geöffneten Kabinentür und hatte ihm eins klargemacht: Eine falsche Bewegung, und Lamarr B. Verdeaux war ein toter Lokführer. Lamarr hielt weiterhin den Beschleunigungshebel umklammert, und sein Blick klebte an den Geleisen fest. Kurz darauf hörte er, wie sich einer der anderen Visitors mit nachhallender Stimme an Carl wandte, der daraufhin aus dem Seitenfenster sah und nach einem handlichen Kommunikator griff. »Hier spricht Carl, der Kommandant des Evakuierungszuges. Bitte identifizieren Sie sich.«
Als die Worte aus den Lautsprechern an Bord des Staffelshuttles klangen, sahen sich Garr und Kardinal Palazzo fragend an. »Ich dachte, wir seien hoch genug, um vom Zug aus nicht gesehen zu werden«, sagte Garr.
»Ich wiederhole«, ertönte erneut die scharfe Stimme Carls. »Identifizieren Sie sich, und nennen Sie mir Ihre Einsatzorder.« Garr drehte sich um. »Sie müssen ihm antworten, Lisa. Eine menschliche Stimme erkennt er bestimmt.« Lisa kletterte aus der Geschützkammer. »Aber ich weiß doch gar nicht, was ich ihm sagen soll.« Nachdenklich verharrte sie an den Komkontrollen. Garr biß sich auf die Lippe und überlegte rasch. »Hm… Teilen Sie ihm mit, wir seien auf einem Erkundungsflug.« Lisa betätigte die Einschalttaste. »Roger hat als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme einen Erkundungsflug angeordnet«, erwiderte sie. »Ist alles in Ordnung bei Ihnen?« »Bisher ja. Ende.« Das statische Knistern in den Lautsprechern verklang abrupt, als die Verbindung unterbrochen wurde, und Garr seufzte erleichtert. »Ich weiß nicht, ob meine Nerven das noch lange aushalten«, sagte Michelle. Sie blickte aus dem Fenster und sah dann wieder auf die Karte. »Mist!« »Was ist denn?« fragte Garr. »Der Evakuierungszug ist schneller, als wir dachten. Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit können die Stopper ihn nicht erreichen. Jetzt müssen wir die Funkstille brechen.« Alle Blicke richteten sich auf Garr. »Ich glaube, dies ist wirklich ein Notfall. Euer Eminenz, haben Sie die Frequenz, die Jennifer uns gab?« Palazzo nickte. »Sie meinte, der entsprechende Kanal werde vermutlich nicht überwacht. Ich bete zu Gott, sie hat recht.« Er tastete die Angaben in das Gerät und wandte sich an Lisa. »Wenn Ihre Leute die Nachricht doch mithören sollten, so schenken sie ihr vielleicht keine Beachtung, wenn sie von der Stimme eines Visitors gesprochen wird.«
Lisa nickte und aktivierte den Kommunikator erneut. »Stopper, hier spricht Himmelsauge. Empfangen Sie mich? Unsere Freunde haben es besonders eilig. Erhöhen Sie sofort die Geschwindigkeit.« Schweigen schloß sich an, und dann erfolgte eine Bestätigung, die nur aus einem einzelnen Wort bestand: »Verstanden.« Das war die Stimme Petes. Daraufhin schaltete Lisa das Funkgerät wieder ab. Julio, Benny Hernandez und drei andere Diablos kauerten in dem verlassenen Gebäude, direkt gegenüber der Kirche Madonna del Sol. Davor parkte eine Visitor-Fähre, und durch die transparente Kanzel konnten sie den Piloten sehen. Zwei weitere Aliens standen an der Tür Wache. Julio wußte jedoch, daß sich der Fremde, auf den es ihm in erster Linie ankam – derjenige, der Pater Roberto zu Boden gestoßen hatte –, im Innern der Kirche aufhielt. Die Visitors hatten inzwischen die von den Molotow-Cocktails angerichteten Schäden behoben und benutzten das Gebäude erneut als ihr regionales Hauptquartier. »Julio«, sagte Benny, »laß uns jetzt losschlagen. Warum noch länger warten?« »Weil ich es will. Keine Sorge: Wir brauchen uns nicht mehr allzu lange zu gedulden…«
Pete stand in der offenen Tür des Lokführerstandes und hielt sich an einer Haltestange fest. »Geht es nicht schneller?« »Wir könnten noch weiter beschleunigen«, erwiderte Ozzie, »aber eine höhere Geschwindigkeit halten die Geleise nicht aus. Das war immer eins der größten Probleme der Eisenbahn von Long Island – es fehlte an dem nötigen Geld, um die alten Geleise gegen neue auszutauschen.«
»Wie weit ist es noch bis nach dem Rendezvouspunkt?« fragte Pete gepreßt. »Ungefähr acht Kilometer – weniger als fünf Minuten bei diesem Tempo.« »In Ordnung. Lauren, wir müssen die Funkstille brechen. Es geht jetzt um alles oder nichts.« Lauren nickte und wandte sich dem tragbaren Funkgerät zu, das auf dem Sitz vor ihr lag. »Kontrolle, hier spricht Stopper. Wir brauchen noch fünf Minuten bis nach X.« »Bestätigt«, lautete die Antwort. »Himmelsauge«, sagte Lauren, »wie ist die Lage?« »Hier ist Himmelsauge«, klang die Stimme Lisas aus dem Lautsprecher. »Der EZ hat noch immer einen Vorsprung. Sie müssen die Geschwindigkeit erhöhen.« Pete und Ozzie sahen sich betroffen an. »Unmöglich, Pete. Wir könnten entgleisen…« »Verdammt, Ozzie. Wenn wir den Evakuierungszug nicht erreichen, ist alles aus!« Der Lokführer wischte sich den Schweiß von der Stirn und schob den Beschleunigungshebel weiter vor. Lamarr Verdeaux erblickte das Signal, das ihn auf die Nähe der Verteilerstation Jamaica hinwies. Aus einem Reflex heraus zog er den Kontrollhebel ein wenig zurück. Die Geschwindigkeit des Evakuierungszuges verringerte sich ein wenig. Carl bemerkte nichts davon.
Ozzie wurde immer nervöser. »Pete, dort vorn kommt eine Kurve. Vielleicht schaffen wir sie nicht. Vor einigen Monaten entgleiste dort ein Zug. Der Streckenabschnitt sollte zwar repariert werden, aber dazu kam es nie. Wenn ich unsere Geschwindigkeit nicht reduziere…«
»Es kommt auf jede Sekunde an. Fahren Sie so weiter wie bisher.«
Lisa kniff die Augen zusammen und betrachtete die Darstellung auf dem Computerschirm. »Der Evakuierungszug wird langsamer«, rief sie den Leuten in der Pilotenkanzel zu. »Geben Sie Pete Bescheid«, sagte Garr. Kardinal Palazzo nickte und schaltete den Kommunikator ein. »Hier ist Himmelsauge«, sagte er knapp. »EZ verzögert.« »Nach der Computerberechnung liegen Sie noch immer zurück«, warf Lisa ein. »Aber vielleicht schaffen Sie es doch noch.« »Halten Sie die Geschwindigkeit, Ozzie«, sagte Pete, als sie die Nachricht empfingen. Ozzie preßte die Lippen zusammen, als der Zug die gefährlichste Stelle der Kurve passierte. Die Waggons erzitterten, und unter ihnen rasselte und knarrte es bedrohlich. Ozzies Gesicht war aschfahl, als er das Ächzen überlasteten Stahls vernahm. »Pete…« »Nicht abbremsen!« Und dann lag die Kurve plötzlich hinter ihnen. Eine gerade Strecke schloß sich an, und das Zittern des Waggons ließ nach. »Schneller«, wies Pete den Lokführer an.
Lamarr sah aus dem Fenster, als der Zug die Türme passierte, von denen aus die Signalanlagen und Weichen kontrolliert wurden. Normalerweise herrschte in diesem Bereich geradezu hektischer Verkehr. Jetzt jedoch war die Peripherie der
Verteilerstation leer und verlassen. Er fragte sich, ob dies die letzte Fahrt mit der Eisenbahn war, die er so sehr liebte. Er stellte fest, daß ihre Geschwindigkeit noch immer recht hoch war, und erneut schob er den Beschleunigungshebel ein wenig zurück. Sofort hob Carl den Laser. »Habe ich Sie dazu aufgefordert, das Tempo zu verringern?« »Die Sicherheitsvorschriften…« Der Visitor bleckte die Zähne und wollte auf diese Weise vermutlich ein menschliches Lächeln nachahmen. Er sah gräßlich aus. »Es sind gerade neue Vorschriften erlassen worden. Beschleunigen Sie, wenn Sie vermeiden wollen, daß ich Sie auf der Stelle erschieße.« Lamarr gehorchte. »Carl, sehen Sie nur!« rief einer der Visitors. Der Offizier sah aus dem Fenster und erblickte einen aus vier Waggons bestehenden Zug, der über ein parallel verlaufendes Gleis rollte und sich der Verteilerstation von Norden her näherte. »Kann uns der Zug erreichen?« Carl sah den Lokführer an. »Kreuzen sich die Geleise weiter vorn?« »Nein«, log Lamarr und hoffte, daß der Visitor seine Furcht nicht bemerkte. »Im Gegenteil. Sie führen voneinander fort.« »Beschleunigen Sie weiter. Gehen Sie auf Höchstgeschwindigkeit.« Erschrocken kam der Lokführer der Aufforderung nach, und aus dem dumpfen Brummen der Elektromotoren wurde ein helles Sirren, als er ihnen mehr Energie zuführte.
Ozzie konnte den aus vierzehn Waggons bestehenden Evakuierungszug jetzt durch das Seitenfenster sehen, und er wagte es nicht, das Tempo zu verringern.
Pete stand neben ihm und beobachtete den vor ihnen liegenden Bereich. In seiner Magengrube krampfte sich etwas zusammen, als er den – irrationalen – Eindruck gewann, daß sie ganz sicher gegen den Beton des Bahnsteiges prallen würden. Beide Züge rasten mit mehr als hundertdreißig Kilometern pro Stunde in die komplexe Verteilerstation und bewegten sich nun parallel zueinander. »Lauren!« rief Ozzie. »Der Wechsel muß… jetzt erfolgen!« Lauren gab die Anweisung sofort über Funk weiter. In einem der Kontrolltürme führte ein Widerstandskämpfer eine bestimmte Schaltung durch… …und einige Dutzend Meter vor dem Evakuierungszug bewegte sich der Stahl einer Weiche und stellte eine neue Verbindung her… … und der lange Zug glitt auf die Geleise unmittelbar links von der bisherigen Strecke. Die Passagiere schrien furchtsam, als es zu einem jähen Ruck kam. Carl fluchte, und Lamarr wurde leichenblaß. Er wußte, daß sie bei einer Geschwindigkeit von hundertdreißig Stundenkilometern fast entgleist wären. Die beiden Züge waren nun direkt nebeneinander, und an einigen Stellen betrug die Entfernung zwischen ihnen nicht mehr als anderthalb Meter. Keiner hatte verzögert, und Pete konnte sehen, daß ihr vorderster Waggon sich auf einer Höhe mit dem siebten Wagen des Evakuierungszuges befand. Das bedeutete, es mußte ihnen gelingen, den anderen Zug im Verlaufe der nächsten fünf Kilometer ganz zu überholen. Von Ozzies Beschreibung her wußte Forsythe, daß jeder einzelne Waggon über zwei Elektromotoren mit einer Leistung von fünfhundert Pferdestärken verfügte. Der wesentlich längere Evakuierungszug besaß also beträchtlich mehr Antriebskraft, war aber auch deutlich schwerer. Ein Physiker wäre vielleicht dazu in der Lage gewesen zu errechnen,
welcher Zug im Vorteil war. Pete jedoch sah sich dazu außerstande. »Stopper, hier ist Wechsel – nach der Meldung von Himmelsauge liegen Sie noch immer zurück«, krächzte es aus dem Lautsprecher. Lauren sah Pete an. Forsythes Gesicht war völlig ausdruckslos. »Das stimmt«, bestätigte er. »Warten Sie mit dem nächsten Wechsel, bis Himmelsauge das Signal gibt.« »Verstanden.« Pete blickte aus dem rechten Seitenfenster unmittelbar hinter der Kabine des Zugführers. Die Waggons des Evakuierungszuges schienen greifbar nahe zu sein. »Schneller«, zischte Pete leise.
Garr brachte die Fähre in eine Position, von der aus er beide Züge beobachten konnte. Der kürzere lag nun nur noch zwei Waggonlängen zurück und schloß rasch auf. Doch die entscheidende Weiche kam schnell näher. Wenn sich bis dahin nicht alle Waggons Petes vor dem Evakuierungszug befanden, konnte der Plan keinen Erfolg haben. »Jetzt befinden sich die beiden Führungswagen auf einer Höhe«, sagte der Kardinal und beugte sich vor. »Und Pete gewinnt langsam einen Vorsprung…« Ein Waggon, zwei, dann zweieinhalb… »Macht Dampf!« preßte Michelle hervor. Rasch warf sie einen Blick auf die Karte. »Verdammt – sie schaffen es nicht. Die Weiche ist zu nahe.«
»Stopper, hier spricht Himmelsauge«, drang die Stimme Michelles aus dem Lautsprecher.
Lauren griff nach dem Mikrofon. »Wir empfangen Sie, Himmelsauge.« »Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie: Sie schaffen es nicht. Hören Sie jetzt gut zu. Rund zwölf Kilometer vor Ihnen befindet sich ein altes Nebengleis. Dort kann der Wechsel stattfinden – aber es muß Ihnen gelingen, einen Vorsprung von der Länge Ihres Zuges zu gewinnen, wenn der andere nicht auf Ihre Waggons prallen soll.« Pete beugte sich vor und nahm das Mikrofon von Lauren entgegen. »Wir sollen auf ihr Gleis wechseln?« »Ja«, bestätigte Michelle. »Gibt es nicht die Möglichkeit, den EZ auf unsere Strecke zu lenken?« »Negativ. Sie wechseln auf das andere Gleis, und Sie sind dem EZ dann so nahe, daß sich die automatische Bremse aktiviert. Das Manöver ist nicht ungefährlich, aber es gibt einfach keine andere Möglichkeit.« Ozzie zeigte mit dem Daumen nach oben. »Einverstanden«, sagte Pete. »Alex, sind Sie bereit, als unsere Luftwaffe zu fungieren?« »Positiv. Lisa sitzt hinter den Kontrollen des Lasers. Wenn Sie den EZ stoppen können, sorgen wir dafür, daß es sich die Soldaten sehr genau überlegen, ob sie zu den Waffen greifen sollen oder nicht.«
29. KAPITEL Die letzte Schlacht
Jennifer und ihre Pilotin flogen über den östlichen Bereich von Long Island. Das Mutterschiff war jetzt zwar mehr als fünfzehn Kilometer entfernt, war jedoch noch immer als riesenhafte, gewaltige Scheibe am Himmel zu erkennen. Der Kommunikator wies mit einem leisen Summen auf eine eintreffende Nachricht hin. »Jennifer – hier ist Roger.« »Ich empfange Sie, Kommandant. Gibt es Änderungen an dem Evakuierungsplan?« »Nein. Ich wollte Sie nur darüber informieren, daß die erwarteten Rebellenangriffe auf die Luftwaffenstützpunkte bisher ausgeblieben sind, obgleich die Offensive eigentlich gegen Morgengrauen hätte beginnen sollen. Gehen Sie auf volle Alarmbereitschaft. Ich möchte, daß Sie persönlich die Verladung der Menschen an Bord der bereitstehenden Fähren leiten, wenn der Evakuierungszug eingetroffen ist. Wenn sich John und Diana in Hinsicht auf den angeblichen Großangriff der Rebellen irren, so wird unsere Aktion auf noch größere Zustimmung beim Großen Denker stoßen.« »In Ordnung, Sir«, erwiderte Jennifer. »Ich fliege zur Sammelzone, um festzustellen, ob es dort irgendwelche Probleme gibt. Anschließend kehre ich an Bord des Mutterschiffes zurück, um mich zu vergewissern, daß die Bereithaltungshibernation vorbereitet wurde und die Nahrungsmitteltechniker jederzeit mit ihrer Arbeit beginnen können.«
»Ich wußte nicht, daß Sie diese Überprüfung an Bord selbst durchführen wollen…«, sagte Roger nachdenklich. »Halten Sie das wirklich für notwendig?« »Ja, Sir, unbedingt«, bestätigte die stellvertretende Kommandantin. »Machen Sie sich keine Sorgen. Meine Pilotin bringt mich rechtzeitig in die Sammelzone zurück, damit ich mich dort um die Verladearbeiten kümmern kann.« »Nun, meinetwegen – wenn Ihnen das so wichtig ist… Ich wollte nur sicherstellen, daß nichts schiefgeht.« Jennifer warf Phyllis einen kurzen Blick zu und lächelte dünn. »Seien Sie unbesorgt, Kommandant. Alles wird genau nach Plan verlaufen. Dafür sorge ich.« »Sehr schön«, antwortete Roger. »Ich weiß, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Halten Sie mich auf dem laufenden.« »Ende«, sagte Jennifer und wandte sich an die Pilotin. »Sie haben unseren vortrefflichen Kommandanten gehört. Machen wir einen Abstecher zum Flughafen – und dann geht’s zurück zum Mutterschiff.« Phyllis flog das Shuttle nach Osten, in Richtung der rund dreißig Kilometer entfernten Sammelzone. Nach einigen Minuten sah Jennifer unten den aus vierzehn Waggons bestehenden Evakuierungszug, der ebenfalls nach Osten unterwegs war. »Ich frage mich, ob Petes Gruppe Erfolg hatte«, murmelte sie leise. »Wir könnten uns mit dem Zug in Verbindung setzen«, schlug Phyllis vor. Jennifer schüttelte den Kopf. »Angesichts der angeordneten höchsten Alarmbereitschaft wäre das ein großes Risiko. Nein, wir können nur abwarten und hoffen.« Das Gelände des Flughafens von Farmingdale erstreckte sich an der Peripherie zweier Vorstädte New Yorks: Nassau und Suffolk. Wie bei den meisten kleineren Einrichtungen dieser
Art bestand er praktisch nur aus einigen kurzen Start- und Landebahnen, wenigen Hangars und einer Schienenverbindung. Die Visitors hatten dieses Anwesen benutzt, um hier die Ausrüstungen und Shuttles bereitzustellen, die für den Abtransport der Evakuierten gebraucht wurden. Auf der einen Landebahn standen ein Dutzend besonders große Visitor-Fähren. In der Nähe parkten acht kleinere Kampf- und Staffelshuttles, zusammen mit einigen Bodenfahrzeugen, die das Visitor-Symbol trugen. Paul, der junge Offizier, der Jennifer bei der Aktion gegen die Laboratorien von Brook Cove unterstützt hatte, kommandierte die Truppen. Der an seinem Gürtel befestigte Kommunikator summte leise, und er hakte das Gerät los und aktivierte es. »Hier spricht Paul.« »Jennifer.« Er nahm unwillkürlich Haltung an. »Hier ist alles ruhig.« »Gut«, antwortete Jennifer. »Die Alarmbereitschaft bleibt weiterhin bestehen.« Paul konnte jetzt auch die Fähre der stellvertretenden Kommandantin sehen. »Ich muß jetzt noch einmal für einige wichtige Kontrollen an Bord des Mutterschiffes. Ich bin bald wieder zurück.« »Verstanden, Jennifer«, bestätigte Paul. »Sie beginnen wie geplant mit der Verladung, wenn der Zug eintrifft. Und noch etwas, Paul.« »Ja?« »Ich möchte, daß der größte Teil Ihrer Truppen sich von dem Zug fernhält. Ich will eine Panik unter den Menschen vermeiden. Es ist ihnen mitgeteilt worden, man werde sie an einen sicheren Ort fliegen, und deshalb rechnen sie vermutlich damit, zu unseren Shuttles gebracht zu werden. Sie erwarten nicht, wie Gefangene behandelt zu werden. Ich möchte, daß sie
gar nicht oder aber erst im letzten Augenblick begreifen, was eigentlich mit ihnen geschieht.« Paul bestätigte und befestigte den Kommunikator anschließend wieder an seinem Gürtel. Kurz darauf traf der Evakuierungszug ein, und Paul schickte zehn Soldaten zu den Waggons. Einer von ihnen blieb stehen und deutete in die Höhe. »Sehen Sie nur. Ein anderes Shuttle…« Paul blickte nach oben, als die Türen des Zuges aufglitten. In Visitor-Uniformen gekleidete Soldaten sprangen aus den Waggons – und eröffneten sofort das Feuer auf die überraschten Kämpfer Pauls. Fünf von ihnen starben auf der Stelle, noch bevor die anderen Gelegenheit hatten, ebenfalls ihre Waffen zum Einsatz zu bringen. Laserblitze zuckten durch die Nacht. Das zweite Staffelshuttle sauste von Osten her heran. Das Bordgeschütz entlud sich mehrmals, und Zungen aus konzentrierter Energie leckten über die Visitor-Fähren auf der Rollbahn. Garr stieß einen triumphierenden Schrei aus, als er sah, wie gut Lisa mit der Laserkanone umgehen konnte. Mindestens drei der geparkten Visitor-Fähren wurden voll getroffen und gingen in Flammen auf. Garr zog den Steuerknüppel mit einem Ruck zurück. Michelle und Kardinal Palazzo wurden tief in die Polsterung ihrer Sessel gepreßt, als das Shuttle jäh beschleunigte und rasch an Höhe gewann. Lisa feuerte weiter, um ihren Rückzug zu decken.
Auf der anderen Seite der von glühenden Trümmerstücken übersäten Rollbahn halfen in Zivil gekleidete Widerstandskämpfer den Flüchtlingen aus den Waggons.
Anschließend geleiteten sie die Männer, Frauen und Kinder über die Straße in den Schutz eines Lagergebäudes. Derzeit waren die Visitor-Truppen noch viel zu überrascht durch den unerwarteten Angriff, um zu bemerken, daß die Gefangenen flohen. »Beeilen Sie sich«, sagte Alison Stein. »Um Ihrer eigenen Sicherheit willen dürfen Sie keine Zeit verlieren. Wir möchten, daß Sie sich hinter die von uns errichteten Barrieren aus Sandsäcken begeben. Schneller, bitte. Die Eltern sollten ihre Kinder nicht aus dem Auge verlieren. Gut so, ja…« Auf der anderen Seite der Menge rief Joey Vitale ähnliche Anweisungen, doch plötzlich unterbrach er sich. »Marianne!« Er bahnte sich einen Weg durch das Chaos und ergriff den einen Arm der überraschten jungen Frau. Sie trug nichts anderes als ein Nachthemd samt Morgenmantel. »Ist alles in Ordnung mit dir?« »Joey!« Verblüfft starrte sie auf seine Waffen. »Was machst du denn hier?« »Ich sorge dafür, daß ihr in Sicherheit gelangt, bevor ich meinen Kameraden dort drüben helfe.« Er deutete in Richtung der Landebahn. »Schneller, Leute!« rief er dann. »Geht durch die Tür dort und duckt euch hinter die Sandsäcke. Passen Sie auf die Kinder auf!« »Du meinst, du gehörst dem Widerstand an und willst kämpfen?« Marianne wirkte entsetzt, als sie begriff, was das bedeutete. »Gib nur auf dich acht, Joey!« »Waren meine Eltern im Zug?« fragte er. »Ja, ich habe sie in der Menge gesehen«, bestätigte Marianne. »Verdammt! Du mußt sie für mich finden, Mare. Kümmere dich um sie. Versprichst du mir das?« »Ja, Joey«, erwiderte die junge Frau. »Oh, Joey…« Sie schlang die Arme um ihn und gab ihm einen kurzen, aber leidenschaftlichen Kuß.
Joey wandte sich von ihr ab und kehrte in Richtung des Zuges zurück.
Paul beobachtete, wie seine Soldaten in Deckung gingen und das Feuer erwiderten. Einige von ihnen kümmerten sich um Verwundete, Dutzende von Visitors lagen bereits tot auf dem Beton. Paul trat rasch durch die Tür eines offenen Hangars und nahm wütend den Kommunikator zur Hand. »Wo, zum Teufel, ist die Fähre Jennifers geblieben? Hat sie niemand gesehen? Sie traf doch mit dem Zug zusammen ein.« Er lauschte kurz. »Sie soll abgeschossen worden sein? Nein, das glaube ich nicht. Das ist unmöglich. Jemand soll sich eins der Bodenfahrzeuge schnappen. Geben Sie ihm Feuerschutz. Die Piloten müssen unbedingt eine Möglichkeit bekommen, in die Kampffähren zu steigen und zu starten. Das ist unsere einzige Chance.« Zwei Soldaten kletterten rasch in den im Hangar stehenden Wagen. Es handelte sich um ein niedriges und recht schweres Fahrzeug, hinter dessen Fahrerkabine eine Laserkanone montiert worden war. Nach einigen Sekunden sprang der Motor an, und der Wagen rollte auf das Landefeld. Energetische Blitze zuckten aus der Mündung der Waffe. Der Kanonier schwenkte den Lauf des Lasers immer wieder von einer Seite zur anderen. Er versuchte nicht, irgendein spezielles Ziel zu treffen. Es kam ihm vielmehr darauf an, die Widerstandskämpfer dazu zu zwingen, in Deckung zu gehen. Diese Strategie hatte Erfolg, und die Visitor-Piloten eilten rasch auf die Maschinen zu, die im Verlaufe des Kampfes noch nicht allzu schwer beschädigt worden waren.
Garr ließ das Staffelshuttle zur Seite hin abkippen und sah, was unten auf der Rollbahn vor sich ging. »Diese verdammten Echsen«, knurrte er. Er warf Lisa einen kurzen Blick zu und meinte: »Entschuldigung.« »Verlieren Sie keine Zeit mit Höflichkeitsfloskeln – sorgen Sie lieber dafür, daß ich freies Schußfeld erhalte.« Garr zog den Bug der Maschine hoch, und unmittelbar darauf erzitterte das ganze Shuttle. Alexander versuchte, die Fähre wieder unter Kontrolle zu bringen. Funken stoben aus dem Instrumentenpult, als es zu einigen Kurzschlüssen kam. Rauch quoll durch die Kanzel. »Wir sind getroffen!« rief Lisa, und ihre Stimme übertönte das Heulen der beschädigten Triebwerke. »Es hat Michelle erwischt, als die Kabinenwand aufplatzte.« Palazzo kletterte nach hinten, mußte aber sofort darauf feststellen, daß für Michelle jede Hilfe zu spät kam. Er sprach ein Gebet für sie. Die kleine Fähre erbebte immer wieder, als sie in einer langen Spirale dem Boden entgegenfiel. Garr versuchte sie von der Kampfzone fortzusteuern, und er hoffte, daß er die Maschine noch gut genug kontrollieren konnte, um sie einigermaßen sicher zu landen. Aus den Augenwinkeln sah er ein davonsausendes Kampfshuttle, und er begriff, daß er gegen einen geübten Visitor-Piloten nicht die geringste Chance gehabt hatte. Lauren hob den Kopf, als sie ein plötzliches Zischen vernahm, dem der helle Glanz einer Stichflamme folgte, und sie beobachtete, wie eine Fähre dem Boden entgegentrudelte und hinter einem nahen Hangar niederging. Sie gab Forsythe ein Zeichen, der ebenso wie sie selbst hinter einer mit Metallbänken, aus den Angeln gehobenen Türen und einigen Trümmern improvisierten Barrikade in Deckung lag.
»Alex und der Kardinal sind gerade dort drüben gelandet! Ich muß ihnen helfen.« »Nimm Denise mit«, erwiderte Pete, zielte sorgfältig und betätigte den Auslöser seines Lasergewehres. Als Lauren davonkroch, rief er ihr nach: »Und sei um Himmels willen vorsichtig!« Lauren winkte Denise zu, und die beiden Frauen eilten ans Ende der Barrikade. Die ehemalige Diplomatin hielt sich die Hände trichterförmig an den Mund und rief: »Wir geben Ihnen Feuerschutz! Machen Sie sich bereit!« Als sie das Zeichen gab, sprangen drei Gestalten aus dem Wrack des abgestürzten Shuttles und liefen auf sie zu. Lauren und Denise feuerten und zwangen die Visitor-Soldaten dazu, in Deckung zu gehen. Der Geschützturm des aus dem Hangar gerollten Wagens begann sich in ihre Richtung zu drehen. »Schneller!« hallte der Schrei Denises. Lisa, Garr und der Kardinal erreichten die Barrikade in dem Augenblick, als der erste Energieblitz heranzuckte. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?« fragte Lauren. »Wo ist Michelle?« »Tot«, sagte Palazzo. »Können Sie hier Hilfe gebrauchen?« »Bisher halten wir uns ganz gut, aber das verdammte fahrbare Geschütz da hinten macht uns Sorgen. Wir haben keine Möglichkeit, es außer Gefecht zu setzen.« Sie krochen zu Pete, Joey, Manfred und den anderen Kämpfern der Gruppe Weiße Weihnacht. Die Entladungen aus der Laserkanone zerstörten ihre Deckung nach und nach, und einige Leute machten sich daran, sie zu verstärken. »Was ist mit Jennifer?« fragte Garr, als er Pete erreichte. »Keine Ahnung«, sagte Forsythe. Er warf einen kurzen Blick auf die Uhr. »Was, zum Teufel, ist mit den Ballons? Wenn sie nicht bald zum Einsatz gebracht werden, sind wir erledigt.«
Garr spähte über die Barrikade hinweg und beobachtete den Wagen mit dem Lasergeschütz. »Gepanzert, nicht wahr?« »Ja«, bestätigte Lisa. »Von außen können Sie den Wagen nur dann zerstören, wenn Sie eine Sprengladung einsetzen, die so stark ist, daß der ganze Flughafen in die Luft fliegt. Ein Kampfshuttle könnte ihn vielleicht vernichten, aber…« Sie zuckte mit den Schultern. Sie duckten sich, als ein weiterer Laserblitz in die Barrikade einschlug und glühende Metallsplitter davonschwirrten. »Meine Güte!« entfuhr es Pete. »Noch einige solche Treffer, und es geht uns an den Kragen!« Verzweifelt sah er sich um. Ein kleines Staffelshuttle raste auf den gepanzerten Wagen mit dem Lasergeschütz zu, und Feuerzungen leckten aus den Bordwaffen. »Jennifer!« jubelten die Widerstandskämpfer begeistert. Zwei Kampffähren der Visitors schwebten heran, ganz offensichtlich in der Absicht, den Angreifer abzuwehren, bevor er das Fahrzeug mit der Laserkanone zerstören konnte. Die Menschen zielten mit ihren Waffen auf eine dieser beiden Fähren. Manfred griff nach einem tragbaren Raketenwerfer und feuerte ein panzerbrechendes Geschoß ab, das die Hülle des feindlichen Shuttles durchschlug. Es explodierte, und der sich am Himmel bildende Feuerball tauchte für einige Sekunden alles in grelles Licht. Trümmerstücke regneten herab. Kurz darauf kam der Angreifer erneut heran und feuerte auf das fahrbare Geschütz. Der vordere Teil des Wagens ging in Flammen auf. Das Fahrzeug kam mit einem Ruck zum Stehen, doch die im Heckbereich montierte große Laserkanone drehte sich noch immer und spuckte tödliche Blitze. »Die Kabine des Kanoniers ist auch von innen gepanzert!« rief Lisa. »Aber wenigstens bewegt sich der Wagen jetzt nicht mehr!«
Das Shuttle des Angreifers sauste fort von der anderen und größeren Fähre und sank dem Hangar hinter den Linien der Widerstandskämpfer entgegen. Manfred feuerte eine weitere Boden-Luft-Rakete auf das Verfolgerschiff ab, doch das Geschoß kam ganz plötzlich von der Bahn ab und schlug in den Hangar ein. Die Explosion war so heftig, daß der Boden erzitterte. »Hat Jennifer es geschafft?« rief Lisa besorgt. Pete drehte den Kopf und sah in Richtung des kleineren Shuttles, das gerade ziemlich hart aufsetzte. Eine uniformierte Gestalt sprang heraus und lief geduckt in Richtung der Barrikade. Als der Visitor näher kam, bemerkte Forsythe, daß sie es nicht mit Jennifer zu tun hatten, sondern einem breitschultrigen Mann mit dichtem grauem Haar. Er kroch rasch auf sie zu. »Jennifer hat mich geschickt«, stieß er hervor und schob sich zwischen Pete und Denise in den Schutz der Deckung. Forsythe stellte fest, daß die Stimme des Mannes menschlich klang und ihr nicht das für die Visitors typische dumpfe Vibrieren anhaftete. »Wir können Hilfe gut gebrauchen«, erwiderte Pete. »Willkommen.« Der größte Teil seiner Aufmerksamkeit war nach wie vor auf das fahrbare Geschütz konzentriert, das noch immer feuerte und Teile der Barrikade zerstörte. Verdammt, wo bleiben die Ballons? »Haben Sie eine Waffe für mich?« fragte der Neuankömmling. »Ja«, brummte Pete und warf ihm einen kurzen Blick zu. »Denise«, sagte er dann, »geben Sie unserem Helden eine Knarre und Munition.« Denise holte eine M-16 mitsamt der neuen Teflon-Munition hervor, die Harn Tyler ihnen zur Verfügung gestellt hatte. »Weitere Lasergewehre haben wir leider nicht!« rief sie, als ein neuerlicher Energieblitz aus dem Lauf des Geschützes sie
dazu zwang, sich hinter die Barrikade zu ducken. »Wissen Sie, wie man mit so einem Ding umgeht?« »Ist schon eine Weile her«, erwiderte der Mann, »aber ich glaube, ich erinnere mich noch recht gut.« Denise beobachtete, wie der Mann die Waffe geschickt lud, und nickte zufrieden. »Sie haben recht«, sagte sie. »Ich bin Denise.« »Bill«, entgegnete der Neuankömmling. Sie schüttelten sich kurz die Hand und gingen dann wieder in Deckung. »Wir müssen die verdammte Laserkanone außer Gefecht setzen!« rief Pete. »Wo, zum Teufel, bleibt Jennifer?« Ein weiteres Staffelshuttle sauste über sie hinweg und feuerte auf die Barrikade. Das Stöhnen einiger Widerstandskämpfer bewies, daß der Bordkanonier getroffen hatte. Plötzlich näherte sich noch eine Kampffähre. Sie flog allerdings in großer Höhe, und die Seitenluke stand offen. Zwei Ballons drifteten daraus hervor, und sie schwebten dahin, als die Fähre erneut Fahrt aufnahm und sich von ihnen entfernte. »Lisa!« rief Joey. »Setz die Maske auf!« Zwei energetische Entladungen zuckten aus den Läufen des Shuttles, und die Ballons zerplatzten und setzten rötlichen Staub frei – eine Wolke, die rasch im Wind zerfaserte. Dann sank die Fähre dem Boden entgegen, glitt über die VisitorStellungen hinweg und versprühte dort weiteres Toxin. Der Turm der Laserkanone des halb zerstörten Wagens bewegte sich, und Blitz auf Blitz zuckte in Richtung der Kampffähre davon. »Jetzt reicht’s mir!« brummte Alexander Garr. Er nahm zwei Handgranaten aus einem Munitionskarton und kroch an Pete und den anderen Widerstandskämpfern vorbei. Nach einigen wenigen Sekunden hatte er die Deckung verlassen. »Alex!« rief Pete. »Bleiben Sie hier!« Dann legte er mit seinem Lasergewehr an und gab sich alle Mühe, dem nun
geduckt in Richtung des Geschützes laufenden Mann bestmöglichen Feuerschutz zu geben. Immer noch schossen Dutzende von Visitors auf die Barrikade. Die anderen Kämpfer der Gruppe Weiße Weihnacht folgten dem Beispiel Forsythes, und die gegnerischen Soldaten sahen sich dazu gezwungen, das Feuer einzustellen und in Deckung zu gehen. Während Pete immer wieder den Auslöser seines Lasers betätigte, sah er, daß die ersten Ausläufer der rötlichen Wolke nun das Bodenniveau erreichten. Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis der Feind damit in Berührung kam. »Ich habe keine Munition mehr!« rief der Neuankömmling Denise Daltrey zu, während die anderen Widerstandskämpfer weiter schossen. Alexander Garr hockte nun an der einen Seite des gepanzerten Wagens mit dem Geschütz und befand sich damit in relativer Sicherheit, da der Lauf der Kanone nicht weit genug geneigt werden konnte, um die schwere Waffe gegen ihn zum Einsatz zu bringen. »Hier«, sagte Denise und reichte dem Mann in ihrer Nähe weitere Patronen. Er nahm die Visitor-Mütze ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn, und zum ersten Mal sah ihn Denise richtig an… »Oh, Himmel!« entfuhr es ihr. »Mr. President! Aber…« »Pscht«, machte William Brent Morrow und hielt sich kurz den Zeigefinger an die Lippen. »Schreien Sie doch nicht so laut. Die Leute hier haben zu viel zu tun, als daß sie sich auch noch Gedanken darüber machen könnten, wer ich bin. Sie dürfen nicht abgelenkt werden. Oder wollen Sie uns alle umbringen?« »Aber…«, setzte Denise erneut an. »Außerdem«, fügte Morrow hinzu, als er die M-16 durchlud, »bin ich nach allem, was mir diese verdammten Mistkerle angetan haben – Jennifer natürlich ausgenommen –, ganz versessen darauf, es ihnen heimzuzahlen.« Ruhig legte er an
und zog den Abzug durch. Einer der Visitors, der sich ein wenig hinter seiner Deckung vorgebeugt hatte, um auf Alex zu schießen, krümmte sich zusammen und sank zu Boden. »Der Kerl ist hin!« brummte der Präsident zufrieden. Und das Toxin schneite weiterhin in winzig kleinen Flocken auf die Aliens herab…
Paul beobachtete, wie die rötliche Wolke seine Truppen einhüllte. Einige der Soldaten stellten das Feuer ein und betrachteten die seltsame Substanz verwirrt. Die Visitors weiter draußen erwischte es zuerst, und es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie in Atemnot gerieten. Entsetzt sah Paul, wie sie krampfhaft nach Luft zu schnappen begannen. Sie keuchten, griffen sich an den Hals, bohrten die Finger in die künstliche Haut und sanken zuckend zu Boden. Nur einige wenige Soldaten verfügten über Gasmasken, und die Betreffenden feuerten weiter. Von den anderen zogen sich diejenigen, die nicht sofort die Auswirkungen des Toxins spürten, zurück und versuchten, dem durch den rötlichen Staub bewirkten Tod zu entrinnen. Doch inzwischen trieb der Wind einen Teil der Wolke auch in den Hangar, in dem Paul stand. Er beobachtete erneut, wie seine Soldaten keuchten und krächzten und sich in dem Bemühen, die Lungen mit Luft zu füllen, die Gesichtsmasken zerfetzten. Dann fühlte Paul ein seltsames Prickeln im Hals. Seine Lungen zogen sich in einem jähen Krampf zusammen, und irgend etwas schnürte ihm die Kehle zu. Der rote Staub drang tiefer in seine Atemwege vor und blockierte sie zunehmend. Der Offizier machte einen Schritt nach vorn, verlor den Halt und fiel der Länge nach zu Boden. Wie zuvor seine Soldaten griff er sich an den Hals, zerrte an der künstlichen Haut und zerriß sie. Er rollte sich hin und her, krümmte sich in der
Agonie zusammen, begriff innerhalb einer Sekunde des Grauens, was geschah – und starb. Als die überlebenden Aliens sahen, daß ihr Kommandeur ums Leben gekommen war, flohen sie in Richtung der Shuttles. Doch das Lasergeschütz feuerte noch immer. Die Panik, die plötzlich in den Reihen des Feindes entstand, versetzte Alexander Garr in die Lage, den Wagen zu erreichen. Er gab einzelne Salven aus seiner Maschinenpistole ab und kletterte auf einen Kotflügel des gepanzerten Fahrzeugs. Der Kanonier im Geschützturm, der inzwischen die Einstiegsluke geschlossen hatte, um sich vor dem Toxin zu schützen, konnte ihn an dieser Stelle nicht sehen. Garr zog sich ganz in die Höhe, machte die Handgranaten scharf, riß die Luke auf und ließ die beiden Sprengkörper in die Geschützkammer fallen. Pete beobachtete die Aktion von der anderen Seite des Flugfeldes her, und er preßte die Lippen zusammen. Er sah, wie Garr damit begann, wieder von dem Wagen herunterzuklettern – doch dann rutschte er ab und stürzte zu Boden. Er schlug mit dem Kopf auf und blieb still liegen. »Mist!« fluchte Forsythe, sprang über die Barrikade und eilte auf Garr zu, der sich inzwischen schüttelte und in die Höhe zu stemmen versuchte. Er schwankte unsicher… »Los, Alex, bewegen Sie sich!« rief Pete. In diesem Augenblick explodierten die Handgranaten im Innern des gepanzerten Fahrzeugs. Pete vernahm ein zweimaliges dumpfes Krachen, und Qualm wallte aus der Luke. Einen Sekundenbruchteil später platzte der ganze Wagen auseinander. Die Druckwelle schleuderte Pete zu Boden. Flammenzungen leckten über die Reste des fahrbaren Geschützes, und dichter Rauch stieg in die Höhe. Garr lag unweit von Pete auf dem Beton und rührte sich nicht. Auf Händen und Knien kroch Forsythe auf den Reglosen zu und zerrte ihn zurück hinter die Barrikade der
Widerstandskämpfer. Joey gab ihnen mit seinem Laser Feuerschutz, und Palazzo lief herbei, um Pete dabei zu helfen, den Verletzten in Sicherheit zu bringen. Garrs Visitor-Uniform war zerrissen, und hier und dort zeigten sich dunkle Blutflecken. Als sie die Deckung erreichten und Alexander dort untersuchten, war alles vorbei. Das aus seinen klaffenden Wunden strömende Blut bildete zusammen mit dem Staub eine schmierige Masse. Pete versuchte, wieder zu Atem zu kommen, als er Blut und Schmutz aus dem Gesicht Garrs wischte, und er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen rannen. Jemand zog ihn sanft zur Seite. »Du verdammter blöder Kerl«, brachte Forsythe hervor, und er widersetzte sich nicht, als Joey und Lauren ihn hinter die Deckung zurückbrachten. Der Kardinal kniete neben der Leiche Garrs, bekreuzigte sich und sprach ein kurzes Gebet. Pete sah Lauren an, deren Augen ebenfalls feucht schimmerten. »Jennifer hat sich gemeldet«, sagte sie. »Sie teilte uns mit, auf der ganzen Welt habe die Offensive des Widerstandes begonnen. Die Mutterschiffe haben alle Bodentruppen der Visitors aufgefordert, so rasch wie möglich an Bord zurückzukehren. Der Feind flieht, Pete. Wir haben gesiegt…« Aber sie jubelten nicht, sondern hielten sich umarmt, suchten gegenseitigen Trost. Als sie sich aneinanderschmiegten, bemerkte Pete, daß nicht mehr geschossen wurde. Es war still geworden auf dem Gelände des Flughafens. Und der Kampf hatte nicht mehr als zwanzig Minuten gedauert… Julio stand in der Tür des verlassenen Gebäudes gegenüber der Kirche. Im hellen Licht des gerade begonnenen Tages beobachtete er die vielen Shuttles der Visitors, die überall starteten und es offenbar eilig hatten, das Mutterschiff zu erreichen. Oben am Himmel schwebten Ballons. Einige von
ihnen platzten und setzten den für die Aliens tödlichen roten Staub frei. Julio aber achtete nicht weiter darauf und konzentrierte sich ganz auf sein Vorhaben. Er wußte, daß sich innerhalb weniger Augenblicke die Chance für ihn ergeben würde, auf die er die ganze Zeit gehofft hatte. Die Visitors mußten die Kirche verlassen – jetzt! Der Pilot des auf der Straße geparkten Staffelshuttles aktivierte das Triebwerk. Die Wächter an der Tür warfen einen raschen Blick in die Kirche und liefen dann in Richtung der Fähre. Schließlich eilte der Visitor durch die Tür, auf den Julio es abgesehen hatte. Julio trat vor und warf die Bombe, die er extra für diesen Zweck angefertigt hatte. Sie fiel zwei Schritte vor dem Sicherheitsoffizier entfernt auf den Boden und explodierte mit einem dumpfen Plop! Unmittelbar darauf bildete sich eine rote Giftwolke und hüllte den Alien ein, der versuchte, sich Mund und Nase zuzuhalten. Die Wächter in der Nähe des Shuttles stiegen schnell ein und schlossen die Luke, woraufhin die Fähre ohne den zu Boden gesunkenen und die anderen sterbenden Visitors startete, die zu langsam gewesen waren. Mit langen Schritten überquerte Julio die Straße und trat an den Sicherheitsoffizier heran. Im Todeskampf hatte er sich die künstliche Gesichtshaut aufgekratzt, und sein Leib zuckte so, als sei er starken elektrischen Entladungen ausgesetzt. Nach einigen Sekunden dann rührte er sich nicht mehr. Julio spuckte auf die Leiche. Er genoß seinen stillen Triumph einige Augenblicke lang, und dann wandte er sich Benny Hernandez zu, der inzwischen an seine Seite getreten war. »Damit wäre die Sache erledigt«, stellte der bärtige Diablo fest. »Und jetzt?« Julio überlegte kurz. »Mach dich zusammen mit den anderen auf die Suche nach Pater Roberto. Sag ihm, er kann in die Kirche zurückkehren.« »Was hast du vor?«
Julio beugte sich und ging daran, den ersten toten Visitor von den Stufen der Kirche Madonne del Sol zu zerren. »Ich beginne jetzt damit, hier wieder Ordnung zu schaffen«, sagte er. »Es gibt viel Arbeit, und wir haben nur wenig Zeit. Morgen ist Sonntag, Benny.«
30. KAPITEL Wenn die Schlacht verloren ist – und gewonnen
»Seht nur!« sagte Joey Vitale und deutete in den Himmel. Das Mutterschiff von New York hatte sich in Bewegung gesetzt und stieg schnell höher. Eine Art Kometenschweif aus wesentlich kleineren Visitor-Schiffen folgte ihm. Das gedämpfte Zischen eines heranfliegenden Staffelshuttles erweckte die Aufmerksamkeit der Widerstandskämpfer, die in der Nähe des Zuges und des Geräteschuppens standen, in dem eine improvisierte Erste-Hilfe-Station eingerichtet worden war. Brenda Ortiz war so schwer verletzt worden, daß man ihr das eine Bein amputieren mußte, und Saul Rosenberg hatte das Gefecht nicht überlebt. Die erschöpften Kämpfer duckten sich unwillkürlich und griffen nach ihren Waffen. Die Fähre landete, und die Luke schwang auf. Sam Yeager, Hannah Donnenfeld und Mitchell Loomis stiegen aus und kamen heran. Begleitet wurden sie von der Pilotin Lisas, die nun eine Gasmaske trug. »Wir haben sie in die Flucht geschlagen!« jubelte Yeager. Dann sah er die in einer Reihe nebeneinander auf dem Boden liegenden Toten, und sein Lächeln verflüchtigte sich. »Oh, Himmel…« »Ist das gesamte Toxin eingesetzt worden?« fragte Pete mit schwerer Stimme. Donnenfeld nickte. »Sah beeindruckend aus – all die vielen Ballons am Himmel. Die Visitors hatten keine Ahnung, was sie davon
halten sollten – bis sie einen abschossen und sahen, was sich darin befand. Die Fremden aus dem All sind nicht dumm: Sie fanden rasch heraus, daß das Toxin nicht nur unmittelbar tödlich ist, sondern unserem ganzen Planeten für sie vergiftet.« Es blieb alles still, und Hannah Donnenfeld beobachtete die Gruppe. Lisa, die nach wie vor ihre Maske trug, saß mit Joey in einer Ecke. Die Eltern Vitales befanden sich bei ihnen. »Wir haben die Frequenzen der Visitors abgehört«, sagte die alte Wissenschaftlerin. »Der Feind zieht sich nicht nur aus diesem Bereich zurück. Er flieht von der ganzen Erde. Wir haben das Unmögliche geschafft – unseren Planeten zurückerobert.« »Aber wir wissen noch immer nicht, was mit Jennifer ist«, warf Pete ein. »Sie stellte unsere einzige Hoffnung dar, die an Bord des Mutterschiffes verschleppten Menschen zu retten, und jetzt ist sie fort.« »In dieser Hinsicht können wir nichts unternehmen«, sagte Yeager. »Wenn es irgendeine Möglichkeit für Jennifer gibt, die Hibernanten zu retten, so wird sie sie bestimmt wahrnehmen. Unterdessen jedoch müssen wir uns um die Menschen hier kümmern.«
Mit trügerischer Eleganz schwebten die Ballons am Himmel über der Erde. Farbenprächtig gemusterte Heißluftballons waren es, die einst Werbezwecken gedient hatten, kleinere und größere, einige mit einem roten »V« für »Victory« besprüht. Andere trugen rotweißblaue Symbole und hatten eigentlich erst während der nächsten Präsidentschaftswahlen aufsteigen sollen… Von weiten Rasenflächen und Baikonen aus stiegen sie in die Höhe, von der Pazifikküste Kaliforniens und den Klippen von
Dover an der englischen Kanalküste, auch von der Akropolis in Griechenland. Und als der Feind aus dem All sich von der Erde zurückzog und floh, um dem sicheren Tod zu entgehen, den diese prächtigen Ballons in sich bargen, begannen überall Glocken zu läuten und die wiedererrungene Freiheit des Planeten Erde zu verkünden.
Als sich die Sonne dem Horizont entgegensenkte, bekam Lauren Gelegenheit zu begreifen, was eigentlich an diesem Tag geschehen war, und in einer verspäteten Reaktion darauf schauderte sie. Die Verletzten waren versorgt worden und konnten nun fortgebracht werden. Viele Stunden waren seit dem Beginn des Kampfes auf dem Flughafen und der Offensive des Widerstandes in allen Teilen der Welt vergangen. Die Vereinigten Staaten hatten wieder einen Präsidenten. Im Schutz einer von Sam Yeager und Denise Daltrey organisierten Sondereskorte flog man Morrow in einem der unbeschädigt gebliebenen Staffelshuttles nach Washington. Er sollte in dem in den Bergen Marylands gelegenen Camp David untergebracht werden und dort Gelegenheit erhalten, sich auszuruhen, während gleichzeitig eine Suche nach anderen hochrangigen Politikern begann, die die Tyrannei der Visitors überlebt hatten und nicht der Konvertierung durch den Feind zum Opfer gefallen waren. Lauren und Pete gaben die Anweisungen, die dafür sorgten, daß in ihrem kleinen Teil der Welt kein Chaos entstand, und sie erklärten sich dazu bereit, diese Verantwortung zu tragen, bis dauerhafte Verbindungen mit anderen Regionen geschaffen waren. Lauren war weiterhin damit beschäftigt, mit Hilfe des Funkgerätes Nachrichten zu senden, und sie versuchte vergeblich, Mitteilungen zu empfangen.
Während ihre Gefährten den Triumph genossen und sich über jeden einzelnen Augenblick der nach der Zerschlagung der Visitor-Herrschaft wiedererrungenen Freiheit freuten, verdichtete sich für Lauren mit jeder ohne eine Nachricht von Jennifer verstreichenden Sekunde die düstere Ahnung, daß das gräßliche Schicksal ihres Vaters und der anderen Verschleppten nicht mehr rückgängig gemacht zu werden vermochte. Die Stimmung der anderen Widerstandskämpfer war im Verlauf des Tages immer besser geworden, sie lachten und umarmten sich. Das plötzliche Summen jedoch, das Vibrieren, das den Boden zu ihren Füßen erzittern ließ, beendete von einem Augenblick zum anderen alle Gespräche. Alptraumhafte Erinnerungen wurden wachgerufen und warfen einen finsteren Schatten auf die Freude der Menschen. Es handelte sich um ein dumpfes Brummen, bei dem es ihnen allen kalt über den Rücken lief, und an das sie sich nur zu gut entsannen. Vor Monaten hatte damit der Schrecken begonnen… Zögernd blickten die Widerstandskämpfer nach oben, in der vergeblichen Hoffnung, einen leeren Himmel zu erblicken. Lisa starrte durch die Augenschlitze ihrer Maske, und tief in ihr herrschte ein Aufruhr an widerstreitenden Empfindungen. War dies ihre Chance, in die Heimat zurückzukehren, oder kamen nun Roger oder Diana, um Rache zu nehmen an den Menschen, die es gewagt hatten, sich den Visitors zu widersetzen – und sogar erfolgreich gewesen waren? Pete Forsythes Hand schloß sich aus einem Reflex heraus um den Kolben seines Lasers, als er zusammen mit den anderen das Mutterschiff beobachtete, das im verblassenden Licht des zu Ende gehenden Tages über ihnen glänzte. Es knackte im Lautsprecher des Funkgerätes. »Hier spricht Jennifer. Das Mutterschiff befindet sich in unserer Gewalt.
Alle Hibernanten an Bord werden aus der Erhaltungsstarre geweckt – wir bringen sie mit den Fähren zurück. Oh, und noch etwas, Lauren: Ich komme mit dem ersten Shuttle zu Ihnen. In meiner Begleitung befindet sich jemand, der Sie sehr gern wiedersehen würde.« Lauren schmiegte sich an Pete und schluchzte vor Freude. Und um sie herum klang neuerlicher Jubel auf.
Petes ausgelassene Stimmung trübte sich, als er eine schlechte Nachricht erhielt. Nachdem sie gelandet war, nahm Jennifer ihn zur Seite. »Pete, leider haben nicht alle Menschen die Bereithaltungshibernation überlebt…« »Wer…?« »Bobby Neal«, sagte die Kommandantin. »Falls Ihnen das ein Trost ist: Er starb einen schmerzlosen Tod.« Pete senkte den Kopf und holte tief Luft. »Ich habe heute zwei meiner besten Freunde verloren. Alex Garr kam beim Kampf ums Leben.« »Ich weiß – und es tut mir sehr leid.« Jennifer deutete auf Lauren, die glücklich ihren Vater umarmte. »Ich bin froh, daß es uns gelungen ist, wenigstens einige Ihrer Freunde zu retten.« Pete lächelte schief. »Ich ebenfalls. He, Doc!« rief er. »Ich wundere mich immer wieder darüber, wie großartig Sie aussehen!« »Wieso denn?« erwiderte Dr. Stewart und zuckte mit den Schultern. »Nach dem, was Jennifer mir erklärt hat, habe ich doch während der letzten Monate tief und fest geschlafen. Tja, ich hatte also genug Zeit, mich zu erholen…« »Wir dachten schon, Sie hätten es nicht geschafft«, wandte sich Pete an Jennifer. »Was ist geschehen?«
»Nun, eine Zeitlang war die Lage ziemlich kritisch. Wir benutzten das Belüftungssystem des Mutterschiffes, um Ihr Toxin zu verteilen. Doch einigen Anhängern des Großen Denkers gelang es, sich in wichtigen Sektionen des Schiffes zu verbarrikadieren und Gasmasken in ihren Besitz zu bringen. Ich mußte Roger eigenhändig töten. Und anschließend gingen wir gegen die einzelnen Widerstandsnester an Bord vor.« »Was haben Sie jetzt vor?« fragte Lauren. »Nun«, entgegnete Jennifer, »wir steuern das Mutterschiff von der Erde fort, und im freien Raum öffnen wir die Schotts und lassen die mit dem Toxin versetzte Luft ins All. Derzeit weiß ich noch nicht, ob die Gruppen der Fünften Kolonne noch andere Mutterschiffe unter ihre Kontrolle bringen konnten. Ich bin jedoch ziemlich sicher, daß es zumindest einigen von ihnen gelungen ist. Nun, unser Kampf hat erst angefangen. Mit ein wenig Glück schafft es die Allianz vielleicht, den Großen Denker davon zu überzeugen, wie falsch seine Politik ist. Oder wir stürzen ihn. Was immer auch geschehen wird: Wir sind fest entschlossen zu verhindern, daß sich auf anderen Welten das wiederholt, was die Erde fast in eine leblose Wüste verwandelt hätte.« »Was ist mit den Personen, die konvertiert wurden – mit Leuten wie dem Papst und Farley Mason?« erkundigte sich Kardinal Palazzo. Jennifer zuckte mit den Schultern. »Darauf kann ich Ihnen leider keine Antwort geben. Die Konvertierungsmethode wurde von Diana entwickelt und war recht neu. Vielleicht gelingt es den Betreffenden, nach einiger Zeit wieder zu sich zu finden. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Punkt betonen, damit keine Zweifel entstehen: Ihr Präsident William Morrow widerstand der Konvertierung. Er ist ein sehr willensstarker Mann.«
»Und ich schätze, das hat ihn gerettet«, sagte Pete. »Wie kam Morrow mit der Fähre zurecht, die ich ihm zur Verfügung stellte?« fragte Jennifer. »Wie er damit zurechtkam?« erwiderte Lauren. »Er flog sie so gut, daß er als Pilot in Ihre Dienste treten könnte!« Die anderen Widerstandskämpfer lachten leise, wurden jedoch wieder ernst, als Jennifer fortfuhr: »Viele hochrangige Politiker aus allen Teilen der Welt wurden entweder getötet oder befinden sich noch in der Hibernation an Bord der Schiffe, die nicht von der Fünften Kolonne kontrolliert werden. Es tut mir leid…« »Nun, Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht steht, Jennifer«, stellte Pete fest. »Und wir haben Ihnen viel zu verdanken.« »Ich wünschte, mein Volk und das Ihre hätten sich unter besseren und vor allen Dingen friedlicheren Umständen kennenlernen können«, sagte die Visitor nachdenklich. Dann lächelte sie. »Ihre Welt wird sich rascher von den Nachwirkungen der Gewaltherrschaft erholen, und früher oder später stoßen Sie in den Raum vor und erreichen fremde Sonnensysteme. Wir erleben das vielleicht nicht mehr, aber unsere Kinder. Und sie müssen erfahren, was hier geschah. Sie sollten dafür sorgen, daß nichts vergessen wird, daß Ihre Nachkommen nicht alle extraterrestrischen Zivilisationen, mit denen irgendwann ein Kontakt hergestellt wird, für feindlich und eine große Gefahr halten. Und stellen Sie sicher, daß Ihr Volk auf einem anderen Planeten nicht ebenso wütet, wie wir hier.« Joey nahm Lisa zur Seite. »Sie haben mir sehr dabei geholfen, das alles durchzustehen«, sagte er. »Das trifft auch auf mich zu, Joey.«
Er gab ihr einen Kuß auf die Gesichtsmaske. »He«, sagte er dann. »Sie waren das erste außerirdische Mädchen, das ich meinen Eltern vorgestellt habe.« »Es ist mir eine Ehre«, erwiderte Lisa und lächelte. »Lisa«, sagte Jennifer. »Wir müssen jetzt los.« Die beiden Visitor-Offiziere winkten ihren menschlichen Freunden zum Abschied zu und gingen dann zusammen mit der Pilotin Lisas an Bord des Staffelshuttles. Der Antigravantrieb zischte leise, als die Fähre abhob und das Mutterschiff ansteuerte.
Epilog Der Visitor auf dem Dach
In dem Gebäudekomplex der Vereinten Nationen war es still. Lauren war lange Zeit davon überzeugt gewesen, nie wieder hierher zurückzukehren – sie hatte nicht geglaubt, daß es noch Leute gab, die Diskussionen in diesem Forum führen wollten, dessen einziger Zweck zuvor darin bestanden hatte, die einzelnen im Widerstreit liegenden Nationen daran zu hindern, die ganze Erde zu zerstören. Die Überbleibsel der meisten Regierungen der Erde mußten erst noch neue Botschafter für die UNO ernennen. Doch Lauren freute sich schon jetzt auf die vor ihr liegende Arbeit. Nach dem, was die Erde gerade hinter sich hatte, hoffte Lauren, daß die dummen Streitigkeiten über Grenzverläufe und Rohstoffvorkommen und andere im globalen Maßstab eher triviale Dinge nun endlich der Vergangenheit angehörten und Platz schufen für wirklich wichtige Entscheidungen. Vielleicht hatte die Menschheit nun endlich die angemessene Achtung gegenüber einer alten Philosophie entwickelt – der Idee der friedlichen Koexistenz. Immerhin, so dachte Lauren, wissen wir nun, daß wir nicht allein sind. Sie lächelte, als ihr Olav Lindstrom einfiel, der sich damit einverstanden erklärt hatte, einen zweiwöchigen Skiurlaub in Österreich zu machen. Lindstrom hatte sich sofort wieder um seine Arbeit kümmern wollen, doch es war Lauren gelungen, ihm das auszureden. Sie wies ihn an, sich zu erholen, und Olav fügte sich. Außerdem gab es noch gar nicht viel für ihn zu tun. Lauren wollte, daß er frisch und ausgeruht zurückkehrte, wenn
sich der politische Pulsschlag der Welt wieder beschleunigte, und ein Skiurlaub war in dieser Hinsicht genau die richtige Medizin für ihn. Was Lauren selbst anging, so brauchte sie in erster Linie Zeit, um sich über ihre eigene Position klarzuwerden. Da sie in dem Bürotrakt praktisch allein war, hatte sie ausreichend Gelegenheit, intensiv nachzudenken. Sie mußte ihre neue Rolle ergründen, die Art und Weise, in der sie sich verändert hatte, und bei ihren Überlegungen stieß sie auf einige wesentliche neue Aspekte. Zum Beispiel hing sie nun mehr an ihrem Vater als jemals zuvor. Sie hatte es kaum mehr für möglich gehalten, ihn lebend wiederzusehen, und sie lächelte, als sie das auf ihrem Schreibtisch stehende Foto George Stewarts betrachtete. Vor ihrem inneren Auge ließ sie die Gesichter Revue passieren, an die sie sich erinnerte, die Gesichter der Personen, die sich wie sie selbst dem Widerstand angeschlossen hatten – und damit zu einem Teil ihres Lebens geworden waren. Denise Daltrey, die nun wieder für die CBS-Nachrichten arbeitete. Kardinal Palazzo, der sich derzeit in Rom aufhielt, um sich um Religionsangelegenheiten zu kümmern und festzustellen, ob der Papst noch immer der Mann war, den das Konzil zum Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewählt hatte. Joey Vitale, der bei der Rettung seiner Eltern geholfen, sich in eine Frau von einem anderen Planeten verliebt hatte und nie mehr der naive Junge aus Brooklyn sein würde, der er zuvor gewesen war. Der arme Alex Garr – »Alexander der Große«, wie ihn Pete Forsythe des öfteren spöttisch genannt hatte –, ein Mann, der während des Kampfes auf dem Flughafen tatsächliche Größe bewies. Alison Stein, die nun keine Unsicherheit mehr zeigte und ihre Pflichten als Bürgermeisterin mit aller Hingabe und Entschlossenheit wahrnahm.
Und Pete Forsythe. Eine Woche war inzwischen seit dem Tag des Sieges über die Visitors vergangen, und Lauren hatte nichts mehr von Pete gehört. Sie seufzte, als sie versuchte, sich die Züge seines Gesichts vorzustellen. Den größten Teil der letzten zehn Monate hatte sie mit ihm zusammen verbracht, und nun fiel es ihr schwer, vor ihrem inneren Auge ein klares Erinnerungsbild entstehen zu lassen. Verwirrt runzelte sie die Stirn. Zum Teufel mit ihm, dachte sie. Warum mußte er sich nur als so verdammt kompliziert erweisen? Als er nur ein zynischer Alkoholiker und Basehallspieler war, brauchte ich ihm überhaupt keine Beachtung zu schenken… Vielleicht hatten Joey und er mit dem Training begonnen. Zwar war es für den Beginn der Spielsaison schon recht spät, doch Präsident Morrow hatte darum gebeten, möglichst rasch die Mannschaften der wichtigsten Liga zusammenzustellen und die ersten Begegnungen stattfinden zu lassen. So etwas Normales wie Baseball erinnerte die Amerikaner daran, daß ihre Welt noch nicht dem Untergang anheimgefallen war – und nun wieder Menschen über die Geschicke der Erde bestimmten. Laurens Überlegungen wurden vom Klingeln des Telefons unterbrochen. »Hallo?« Sie lauschte. »Aufs Dach? Weswegen denn? Oh, ich verstehe…«
Im obersten Stock trat Lauren aus dem Lift, und als sie durch den Korridor schritt und sich der Dachplattform näherte, schauderte ihr. Seit jenem Abend im Oktober, als Lindstrom den Visitors entgegengetreten war, hatte sie sich nicht mehr an diesem Ort aufgehalten. Sie schritt rascher aus, und ein Wächter öffnete die Tür für sie. Warme Sommerluft wehte ihr entgegen, und Lauren bedauerte es sofort, ein recht dickes Kostüm zu tragen. In ihrer
Magengrube krampfte sich etwas zusammen, als sie ein Staffelshuttle sah, das genau an der Stelle parkte, wo an jenem Herbstabend die Fähre des Obersten Kommandeurs John gelandet war. Voller Unbehagen näherte sie sich dem Shuttle und erinnerte sich daran, daß die Visitors von der Erde geflohen waren… »Hallo, Lauren«, sagte Pete Forsythe fröhlich und neigte sich durch die offene Luke. Lauren blieb stehen und stemmte wütend die Hände in die Hüften. »Verdammt, Forsythe! Dieses Erlebnis beschert mir bestimmt eine Woche lang Alpträume! Ich dachte… ach, ich weiß überhaupt nicht, was ich dachte! Ich…« »Was hältst du von einem kleinen Ausflug nach Hawaii?« fragte Pete wie beiläufig. »Wohin…?« »Hawaii – du weißt schon: die paradiesische Insel mitten im Pazifik. Palmen, Strand und Meer.« »Du fragst mich, ob ich nach Hawaii möchte? Mit dir? Bist du übergeschnappt? Ich habe soviel zu tun, daß ich eigentlich rund um die Uhr arbeiten müßte. Zum Teufel auch: Was machst du überhaupt mit diesem Ding? Wie kommt es hierher?« »Es war in meiner Hosentasche versteckt. Was glaubst du denn? Ich habe das Shuttle geflogen. Alex hat mich einige Tage vor dem Kampf auf dem Flughafen mit den Kontrollen vertraut gemacht. Nach einigen Übungsflügen komme ich inzwischen ganz gut damit zurecht. Die Behörden haben mir die Fähre freundlicherweise zur Verfügung gestellt, mach dir also keine Sorgen. Und außerdem habe ich eine Woche frei, bevor ich wieder beim Training gebraucht werde. Nun, kommst du mit oder nicht?« Lauren musterte ihn argwöhnisch. »Du hast doch nichts getrunken, oder?«
Forsythe lächelte. »Du müßtest eigentlich wissen, wie dumm diese Frage ist, Lauren. Nein, Teuerste, ich bin völlig nüchtern. Mein Ehrenwort als Pfadfinder.« Lauren wurde noch mißtrauischer und kniff die Augen zusammen. Doch Pete konnte deutlich erkennen, wie es in ihren dunklen Pupillen amüsiert zu funkeln begann. »Bist du jemals Pfadfinder gewesen, Mr. Forsythe?« »Nein. Aber ich kann dir versichern, daß meine Absichten trotzdem überaus ehrenhaft sind. Du stellst die Bedingungen, und ich halte mich an sie. Ich habe sogar deinen Vater um Erlaubnis für den Flug gebeten.« »Und er erklärte sich damit einverstanden?« »Er war sogar überglücklich. Er sagte, und ich zitiere: ›Wenn Sie sie an irgendeinen Ort bringen können, wo sie einmal ihre Arbeit vergißt und das Leben genießt, so haben Sie meinen Segen, Pete.‹ Also, was ist? Ich garantiere dir, du wirst das Leben genießen.« »Aber ich muß doch erst packen…« »Blödsinn.« Pete winkte ab. »Wenn wir auf Hawaii eintreffen, kaufen wir uns einfach das, was wir brauchen. Vergiß nicht: Du fliegst mit einem jungen Mann, der geradezu unverschämt viel Geld verdient.« Forsythe sprang zu Boden, kam auf Lauren zu und griff nach ihrer Hand. »Nun, wenn die beiden Personen, die praktisch im Alleingang die ganze Menschheit retteten…« »Ach, komm schon!« »Na gut – aber immerhin die gesamte Bevölkerung New Yorks. Wie dem auch sei: Wenn wir keinen Urlaub verdient haben, wer dann?« Lauren mußte lachen. »Du bist unmöglich, Pete!« »Damit hast du gewiß recht«, erwiderte er galant. Er berührte sie an der Wange. »Bitte… komm mit mir.«
Lauren rollte mit den Augen. »Ach, was soll’s!« Sie drehte sich zu dem neben der Tür stehenden Wächter um. »Bestellen Sie den anderen, ich sei fischen gegangen.« »Das ist die richtige Einstellung!« sagte Pete. Er half Lauren ins Staffelshuttle und nahm dann in dem Pilotensessel Platz. »Und du bist ganz sicher, daß du mit diesem Ding wirklich umgehen kannst?« fragte Lauren nervös. »Diese Frage beantworte ich dir, wenn wir auf Hawaii gelandet sind.« Er schaltete das Triebwerk ein und griff nach einem Hebel. Die Fähre stieg einige Zentimeter in die Höhe und schwankte heftig hin und her. »Das ist nur der Wind«, behauptete Pete. »Gleich wird’s besser.« Lauren lächelte. »Warten wir’s ab. Dieser Flugapparat ist doch mit den modernsten Gerätschaften ausgestattet, nicht wahr?« »Darauf kannst du wetten.« »Was ist mit dem Autopiloten?« fragte Lauren betont unschuldig. Pete sah aufs Instrumentenpult. »Wenn es keinen gibt, erfinde ich rasch einen.« Lauren lachte so laut, daß selbst der Wächter auf dem Dach sie hören konnte, der das Shuttle beobachtete, als es Fahrt aufnahm und davonschwebte. Es umkreiste das UNO-Gebäude einmal, beschleunigte dann und flog nach Westen.