Utopia Nr. 7
Alf Tjörnsen
Kampf um den Vulkan
Energie aus Vulkanen Wenn wir von der Gewinnung der Energien sprechen...
27 downloads
813 Views
359KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Utopia Nr. 7
Alf Tjörnsen
Kampf um den Vulkan
Energie aus Vulkanen Wenn wir von der Gewinnung der Energien sprechen, die wir auf der Erde für Technik und Haushalt benötigen, so denken wir dabei in erster Linie an Kohle und Erdöl als wichtigste Quellen. Ohne diese wichtigen Rohstoffe wäre es um unser Dasein schlecht bestellt. Ob es sich um die Heizung und Beleuchtung unserer Wohnungen handelt, um Verkehrsmittel, Fabriken und alle erdenklichen anderen Einrichtungen, ohne die wir uns das Leben nicht mehr vorstellen können – stets wird auf Kohle und Erdöl als Energielieferanten zurückgegriffen. Doch schon erhebt sich eine brennende Frage: Verfügt die Erde über unbegrenzte Vorräte, oder wird einmal die Zeit kommen, in der sie erschöpft sind? Und wie soll die Menschheit sich helfen, wenn dieser Fall eines Tages wirklich einträte? Die Wissenschaftler haben ausgerechnet, daß die Erdölvorkommen bereits in einigen Jahrzehnten ausgeschöpft sein werden. Bei der Kohle liegen die Verhältnisse zwar günstiger, doch auch die Kohlenvorräte würden schon nach rund 200 Jahren verbraucht sein, wenn die jährliche Förderung auch nur um 2 Prozent gegenüber der gegenwärtigen anstiege. Es ist daher verständlich, daß der Menschengeist schon heute nach neuartigen Wegen zur Energiegewinnung Ausschau hält. Eines dieser Projekte zielt darauf hin, die
heißen Gase, die dem Erdinneren aus den Vulkanen entströmen, zur Beheizung elektrischer Kraftwerke auszunutzen. Bereits im Jahre 1949 wurde in Italien geplant, ein solches Kraftwerk im Vesuv zu errichten. Der vorliegende Band berichtet von den Abenteuern, die Jim Parker und seine Freunde – diesmal auf der Erde – beim Bau eines Vulkankraftwerks zu bestehen haben.
Sommerliche Hitze brütete über Mexico-City. Lähmend lastete sie an diesem Nachmittag auf den Menschen, die nur dann ihre Wohnungen verließen, wenn es tatsächlich nicht zu vermeiden war. Der Rhythmus der Millionenstadt schien unter dem Gluthauch erstickt zu sein. Auf dem weißen Palast des Wirtschaftsministeriums hing die grün-weiß-rote Trikolore schlaff am Fahnenmast. Im großen Konferenzsaal bemühten sich mächtige Ventilatoren vergeblich, eine halbwegs erträgliche Atmosphäre zu schaffen. Don Francisco Durango, der Wirtschaftsminister, erhob sich ächzend und wischte mit einem seidenen Taschentuch über die Stirn. Er räusperte sich leicht und wandte sich den Versammelten zu: »Um es nochmals zusammenzufassen, meine Herren: Die Lage ist durch die Erschöpfung unserer Erdölvorkommen äußerst gespannt geworden. Sie wissen, daß Erdöl der Reichtum unseres Landes, seit Jahrzehnten unser wichtigstes Ausfuhrprodukt war. Daß die Vorräte eines Tages erschöpft sein würden, war uns natürlich bekannt, und wir hatten diesen Umstand bei unseren Planungen einkalkuliert. Überraschend war für uns nur, daß dieser Augenblick um 10 bis 20 Jahre früher eingetreten ist, als die Sachverständigen errechnet hatten…« »Man müßte eben neue Bohrungen ausführen, immer wieder versuchen, neue Erdöllager zu entdecken.« Der Zwischenruf kam von dem temperamentvollen Gouverneur von Sonora. Doch der Minister winkte nur müde ab. »Es ist alles getan worden, was nur menschenmöglich war und eine leise Hoffnung auf Erfolg hatte. Glauben Sie mir, meine Herren, die konzessionierten in- und ausländischen Öl-
firmen haben in den letzten Jahren nichts unversucht gelassen. Ein Heer von Geologen und Facharbeitern hat unzählige Bohrungen durchgeführt. Tiefer als 6000 m haben sich die Bohrer in die Erde hineingefressen. Immer weiter ins Meer hinaus wurden die Bohrtürme vorgeschoben. Unsummen wurden geopfert – doch das Ergebnis war mehr als dürftig.« Eine Unruhe lief durch die Zuhörer – die Gouverneure der 28 mexikanischen Bundesstaaten und die Staatssekretäre. »Und das bedeutet?« fragte einer bedrückt. »Das bedeutet«, fuhr der Minister mit erhobener Stimme fort, »daß wir alle den Riemen empfindlich enger schnallen müssen. Vor allem müssen wir die Kohle-Einfuhren drosseln, was nicht ohne verhängnisvolle Folgen auf unsere Energieversorgung bleiben wird.« »Haben wir nicht eigene Kohlevorkommen?« warf Señor Rosas, der Gouverneur von Yucatan, ein. »Die Minen in Coahuila sind nicht ergiebig genug, um auch nur ein Zehntel unseres Bedarfs zu decken. Nein, meine Herren, ich sehe hier keinen Ausweg. Darf ich Sie um andere Vorschläge bitten?« Betretenes Schweigen folgte den Worten des Ministers. Dann erfüllte lebhaftes Stimmengewirr den Saal und übertönte das Surren der Ventilatoren und die Geräusche des Straßenverkehrs, die durch die geöffneten Fenster hereindrangen. Der Minister hatte sich erschöpft in den Sessel zurücksinken lassen und klingelte nach einem eisgekühlten Getränk. Die Minuten verrannen – aber niemand meldete sich zum Wort. Der rettende Vorschlag blieb aus. »Meine Herren, Sie werden wohl die ganze Schwere und Tragweite des Problems erfaßt haben. Unsere Situation erscheint ausweglos. Aber wir wollen den Kampf nicht vorzeitig aufgeben. Leben wir nicht im Zeitalter der technischen Wun-
der und Rekorde? Sollte es unter unseren Wissenschaftlern und Ingenieuren nicht geniale Köpfe geben, die uns helfen könnten? Wir haben es hier mit einem nationalen Anliegen zu tun, mit einer Existenzfrage, die alle angeht. Deshalb wollen wir uns an die ganze Nation wenden.« Der Minister blickte in seine Notizen, holte tief Atem und fuhr dann fort: »Das Wirtschaftsministerium wird einen Wettbewerb ausschreiben: ›Neue Wege zur einheimischen Energiegewinnung!‹ Ich bitte Sie alle, meine Herren Gouverneure, in Ihren Staaten dafür zu werben…« Lebhafter Beifall brandete auf und zeigte Don Francisco, daß er den richtigen Weg gefunden hatte. * In der großen Montagehalle III in Orion-City herrschte wieder einmal Hochbetrieb. Kein Geringerer als Ted S. Cunningham, allmächtiger Boß des S.A.T. (= Staatliches Atom-Territorium), war erschienen, um das im Bau befindliche, neueste Raketenflugzeug zu besichtigen. Die Sommersonne brannte heiß vom wolkenlosen Firmament, und der dicke Atomboß, der an diesem Tage durch unentwegtes Schwitzen schon etliche Pfund seines beachtlichen Körpergewichts eingebüßt hatte, fluchte ›am laufenden Band‹. Doch als er jetzt in der Halle vor der neuesten Schöpfung seiner Raketenkonstrukteure stand, war er ganz und gar Aufmerksamkeit. Vor ihm lag aufgebockt der Rumpf des ersten Überschallflugzeugs vom neuen Typ ›Schneller als die Sonne‹. Lightener, der Montageleiter, stand neben seinem Chef und gab ihm die nötigen Erläuterungen. »Hm«, brummte der Boß etwas unsicher und warf einen
flüchtigen Blick auf die Konstruktionspläne, die Mister Lightener diensteifrig vor ihm entrollte, »und meinen Sie wirklich, daß diese geflügelte Mettwurst ein technischer Fortschritt sein soll?« Der Ingenieur schien von der derben Ausdrucksweise des Generaldirektors leicht erschüttert zu sein. Aber er faßte sich schnell wieder und meinte achselzuckend: »Doktor Heller, der Chefkonstrukteur, ist überzeugt davon, daß der neue Typ revolutionierend auf den Luftverkehr wirken wird.« Cunningham unterdrückte eine Bemerkung, die ihm auf der Zunge lag, und brummte wieder: »Hm, hm… Na, jedenfalls« – und er wandte sich zum Gehen – »startet die Maschine nicht eher, als bis Kommodore Parker von seiner Venus-Expedition zurück ist. Er soll sie höchstpersönlich einfliegen. Good-by!« »Sehr wohl, Sir. Good-by!« Ted S. Cunningham beschleunigte unwillkürlich seine Schritte, als er seinem Wagen zustrebte; denn es fiel ihm beklemmend ein, daß das Raumschiff »Star of the S.A.T.«, mit dem Jim Parker sich auf Venusfahrt befand, seit 48 Stunden keine Positionsmeldung mehr durchgegeben hatte… * Ein Vierteljahr war seit der Sitzung in Mexico-City, in der Minister Durango den Gouverneuren so düstere Ausblicke eröffnet hatte, vergangen. Nacht lag über der Hauptstadt und ihren Regierungsprachtbauten. Nach arbeitsreichem Tage lehnte sich der Wirtschaftsminister in seinem Sessel zurück und schloß müde die Augen. Das Versiegen der Erdölvorräte brachte täglich neue Schwierigkeiten und unlösbare Probleme. Gab es noch einen
Ausweg? Schon hatten die lebensnotwendigen Kohle-Importe gestoppt werden müssen, waren Strom- und Verkehrseinschränkungen notwendig geworden. Doch da war noch dieser Wettbewerb… Señor Durango hatte Don Pedro Alvarez, seinen strebsamen, jungen Staatssekretär, mit der Sichtung der eingegangenen Vorschläge beauftragt. Das Ergebnis mußte sich bereits absehen lassen. Nachdenklich steckte sich der Minister eine Havanna an. Dann hob er den Hörer des Tischtelefons ab und ließ die Nummernscheibe surren. Am anderen Ende meldete sich eine sachlich klingende Stimme: »Alvarez.« »Hier Durango! Schön, daß Sie noch im Amt sind. Bitte, kommen Sie doch herüber und bringen Sie die Akte ›Wettbewerb‹ mit.« Der Minister legte den Hörer in die Gabel und blies gedankenvoll Rauchringe in die Luft. Er brauchte nicht lange zu warten. Der diensttuende Sekretär meldete ihm Don Alvarez, der gleich darauf eintrat, einen mächtigen Packen von Schriftstücken unter dem Arm. Señor Durango bot seinem Mitarbeiter Platz an, schob ihm die Zigarren hin und löschte alle Lampen, bis auf die Tischlampe auf der Schreibtischplatte. »Wir sollten mit gutem Beispiel vorangehen«, sagte er auf den fragenden Blick des Staatssekretärs mit verlegenem Lächeln. »Wer weiß, wie lange wir überhaupt noch genügend Elektrizität zur Verfügung haben. Doch nun spannen Sie mich nicht länger auf die Folter. Sagen Sie: Hat der Wettbewerb etwas Vernünftiges zutage gefördert?« Über das kluge Gesicht des Jüngeren glitt ein Schatten. »Es sind nicht weniger als 385 Vorschläge eingegangen – aber ob sich wirklich ein neuer Weg zur einheimischen Energiegewin-
nung darunter befindet, möchte ich bezweifeln.« Der Staatssekretär berichtete. Stunde um Stunde durchmaß der Zeiger der kleinen Schreibtischuhr, und als die Morgendämmerung fahl durch die Vorhänge schimmerte, brummte dem ehrenwerten Minister der Kopf von den fast vierhundert phantastischen Projekten seiner erfindungsreichen Landsleute. Was war da nicht alles erdacht und vorgeschlagen worden! Angefangen bei nüchternen Projekten, wie verstärkte Ausnützung der Wasserkräfte, die aber den Bedarf längst nicht decken konnte, bis zum Unmöglichsten war so ziemlich alles vertreten. Ein Privatgelehrter aus Oaxaca wollte das ewige Eis der Bergriesen mit gewaltigen Hohlspiegeln auftauen und das Schmelzwasser in Stauseen auffangen. Ein anderer, ›Erfinder‹ von Beruf, schlug vor, die Gezeitenkräfte des Meeres auszuwerten, und plante, einen Staudamm von Florida über Kuba nach Yucatan zu bauen, der den ganzen Golf von Mexico abschlösse. Fast ein Drittel der Einsender, harmlose Narren, behauptete allen Ernstes, das ›Perpetuum mobile‹ erfunden zu haben… Mit einer unendlich müden Gebärde erhob sich der Minister, trat ans Fenster und zog die Vorhänge zur Seite. Lange blickte er in den Park hinaus, der im Licht des jungen Morgens lag. »Ist das alles?« fragte er schließlich. Don Petro Alvarez räusperte sich. »Da wäre noch ein weiteres Projekt. Es kommt mir sogar ganz plausibel vor. Aber es stammt von einem Ausländer – einem amerikanischen Geologen…« »Und was hat uns dieser Mann zu sagen?« »Er schlägt vor, die Hitze der Vulkane für die Energiegewinnung nutzbar zu machen.« »Vulkane? Damit sind wir in Mexico ja reichlich gesegnet.« Der Minister war plötzlich wieder sehr lebendig. Mit federn-
den Schritten ging er zum Schreibtisch zurück. »Zeigen Sie her, Alvarez! Das Projekt interessiert mich.« * Trostlos dehnte sich das Barackenlager der United Oil-Company am Strand südlich von Tampico. Mit tropischer Glut, brannte die Sonne vom frühherbstlichen Himmel herab und machte den Menschen, die hier lebten und arbeiteten, das Dasein zur Hölle. Aber es galt, ständig neue Ölquellen zu erbohren, und gute Dollar winkten und ließen die Arbeiter alle Mühe leichter ertragen. Es war Mittagszeit. In den dumpfen Unterkünften, in denen mächtige Ventilatoren vergeblich Frischluft zu schaffen versuchten, dösten die Arbeiter auf Feldbetten und in Hängematten. Aus der Küchenbaracke klang das Klappern von Geschirr. Nur in der geräumigen Lagerleitung saßen einige Ingenieure und Werkmeister an dem primitiven Holztisch und lauschten einer Reportage, die klirrend und von Störungen verzerrt aus dem Lautsprecher dröhnte. »… mit unserem Mikrophon auf dem großen Flugfeld von Orion-City. Soeben wird die Zubringerrakete von der Raumstation ›Luna nova‹ gemeldet, mit den kühnen Weltraumfahrern an Bord, die nach gelungener Venus-Umkreisung unter Führung des Kommodores Jim Parker…« Der Rest ging im Jubel der Menschenmassen unter. »Venus-Expedition – Raumstation… muß verdammt spannend sein«, brummte ein dicker Mann in Hemdsärmeln und wischte sich mit einem einstmals weißen Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht. »Angenehmer jedenfalls, als in diesem elenden Treibhaus.« Ärgerlich schlug er nach den Moskitos, die die Stickluft mit schrillem Surren erfüllten. »Nichts für dich, Toby«, warf ein kleiner Mexikaner ein.
»Ohne Erdöl kannst du doch nicht existieren. Und das gibt es nicht auf der Venus.« »Das ist noch gar nicht heraus«, ereiferte sich der Dicke. »Ob Erdöl oder nicht«, ergriff jetzt ein dritter das Wort, über dessen sommersprossigem Jungengesicht sich ein rotblonder Haarschopf aufbäumte, »was mich interessiert, ist dieser Kommodore Jim Parker – das ist ein ganzer Kerl! Dem möchte ich gern mal die Hand schütteln und…« »Das schlag dir nur aus dem Kopf, Harry«, fiel Toby bedächtig ein. »Der große Kommodore des Weltraums hat andere Sorgen, als mit unsereins shakehands zu machen.« Ein Klingelzeichen ertönte in allen Räumen. Die Männer standen auf und machten sich fertig. Drei Uhr nachmittags. Die Arbeit ging weiter… Harry Hilton verließ die Baracke, setzte sich ans Steuer seines Jeeps und ratterte in südlicher Richtung aus dem Lager davon. Palmen standen regungslos in der fieberschwangeren Luft. Lagunen entsandten faulige Gerüche. Hilton atmete auf, als er in der Ferne das offene Meer gewahrte. Riesige Bohrtürme erhoben sich am Strand entlang und wuchsen aus dem Meer heraus. Vor einer kleinen Baracke, über deren Eingang ein Schild mit der Aufschrift ›United Oil-Company‹ prangte, brachte Harry Hilton den Wagen zum Stehen. Ein biederer Werkmeister trat heraus und begrüßte ihn erfreut. »Hallo, Mister Hilton, wie geht’s? Was macht die große Erfindung?« »Hallo, Donnerkeil! Was die ›Erfindung‹ macht? Ja, wenn ich das wüßte! Der Herr Wirtschaftsminister hat noch nichts von sich hören lassen. Wahrscheinlich ist mein Vulkan-Projekt längst im Papierkorb gelandet. Schade eigentlich. Na ja, diese Bürokraten haben eben keine Phantasie.«
Franz Donnerkeil nickte und sah betrübt zu Boden. »Was gibt es hier Neues?« wollte Hilton wissen. »Ich hörte, Turm S 63 soll endlich fündig geworden sein.« »War leider nur blinder Alarm. Nichts als Salzwasser. Ich glaube, wir sollten es getrost aufgeben. Ich will ›Meier‹ heißen, wenn wir hier auch nur einen Tropfen Öl finden.« Hilton schwieg. Er schritt auf den Landungssteg hinaus und sprang in das Motorboot. Carlos Hidalgo, ein mexikanischer Arbeiter, löste das Tau. Mit knatterndem Motor jagte das Boot dem ersten Bohrturm zu, der unweit der Küste im Meer stand. Franz Donnerkeil hatte ganz recht: Die ganze Arbeit war wirklich für die Katz. Harrys Miene wurden düster und immer düsterer, während er das Boot von einem Turm zum anderen steuerte. Mißmutig blickte er zu dem riesigen Tanker hinüber, der in der Nähe des Bohrturms S 63 nutzlos vor Anker lag. »Hallo, Señor!« Hidalgo hatte seinen Arm gefaßt und deutete zum Strand hinüber. Auf dem äußersten Ende des Landungsstegs stand der Werkmeister und winkte heftig mit einer Fahne. Hilton riß das Steuer herum und ließ den Motor auf Höchstgeschwindigkeit auflaufen. Am Landungssteg angekommen, fing er den Briefumschlag auf, den Donnerkeil ihm zuwarf. »Telegramm aus Mexico-City, Mister Hilton«, sagte der Werkmeister feierlich. Harry Hilton riß den Umschlag auf. Seine Augen überflogen die wenigen Zeilen: erwarte sie freitag 9 uhr im wirtschaftsministerium mexico city zum Vortrag über vulkan projekt stop im auftrag des herrn ministers – alvarez Staatssekretär stop. Der gute Harry Hilton hatte kein geringes Lampenfieber gehabt, als er an jenem Freitagmorgen das Portal des weißen Prachtgebäudes in der Hauptstadt durchschritt und sich bei
Don Alvarez melden ließ. Aber dann war alles schnell und reibungslos abgelaufen. Er hatte seinen Plan erläutert und den Eindruck gewonnen, daß sein kleines Auditorium seinen Worten mit Verständnis und Wohlwollen gefolgt war. Jetzt stand er aufatmend da – und sah in seinem blauen Anzug aus, wie ein etwas zu lang geratener Konfirmand. Seine Zuhörer sprachen leise miteinander: Don Francisco Durango, der Minister; Pedro Alvarez, der intelligent aussehende Staatssekretär; Professor Cristobal, den man als Sachverständigen für Geophysik zugezogen hatte. Der Minister ergriff das Wort: »Señor Hilton, Sie wollen also im Ernst unsere feuerspeienden Berge anbohren, um mit der Glut aus dem Erdinneren Kraftwerke zu heizen?« »Sehr wohl«, entgegnete Hilton sachlich. »Ich würde einen Stollen in die Flanke des Vulkans hineintreiben und die heißen Gase aus dem Kraterinneren dazu verwenden, einen zylindrischen Wasserkessel von großem Fassungsvermögen zu heizen. Der entstehende Dampf könnte die Turbinen eines Kraftwerks betreiben, das außerhalb des Stollens zu errichten wäre.« »Nicht übel – dieser Gedanke«, nickte der Minister. »Was geschieht aber, wenn der Vulkan die Sache übelnimmt und mit einem Ausbruch quittiert?« »Das würde den Betrieb nur kurzzeitig stillegen. Der Stollen kann an seinem Ende durch Türen aus hitzebeständigem Stahl verschlossen werden, so daß im Ernstfall die aufsteigende Lava nicht eindringen könnte.« Der Minister neigte den Kopf. »Alles im Grunde sehr einfach und einleuchtend, mein Lieber. Nur – es ist immerhin ein Milliardenobjekt. Ein solches Risiko…« »Verzeihung, Herr Minister«, warf Hilton ein, »dafür liefert unsere alte Mutter Erde aber den Brennstoff gratis und franko in jeder gewünschten Menge. Ist der Betrieb erst einmal eröff-
net, dann läuft er praktisch spesenlos und ganz von allein weiter.« »Es könnte unsere Rettung sein«, murmelte Staatssekretär Alvarez. Der Minister stand auf und durchmaß mit schweren Schritten das Zimmer. Niemand wagte, das Schweigen zu unterbrechen. Endlich schien er sich zu einem Entschluß durchgerungen zu haben. »Wir könnten zunächst die Mittel für den Bau einer kleineren Versuchsanlage bewilligen«, sagte er vorsichtig. »Es ist nur die Frage, welcher Platz am günstigsten wäre. Professor, was schlagen Sie vor?« »Tja, meine Herren, Vulkane haben wir ja in jeder Menge und Größe. Aber wir nehmen wohl zweckmäßig einen, der sich etwas temperamentvoll gebärdet. Da wäre zum Beispiel der Citlatepetl, der Pico de Orizaba. Er hat sich zwar seit undenklichen Zeiten still verhalten, doch zeigt er neuerdings auflebende Aktivität. Ein paar neue Krater haben sich in seiner Westflanke gebildet.« »Einverstanden«, nickte der Minister. Eingehend musterte er die Karte in der Umgebung des gewaltigen Berges. »Herr Professor, hätten Sie Lust, die Expedition als wissenschaftlicher Berater zu begleiten? Es wird freilich etwas beschwerlich sein…« »Aber gern«, fiel der Gelehrte eifrig ein. »Mein Leben steht im Dienst der Wissenschaft. Für sie scheue ich keine Mühe.« »Ich danke Ihnen. Also dann, meine Herren, gehen Sie unverzüglich ans Werk. Señor Hilton – Don Alvarez wird Ihnen bei allen Vorbereitungen behilflich sein. Ich werde den Gouverneur von Puebla bitten, Ihr Unternehmen in jeder Weise zu unterstützen. – Adios, Señores! Möge Ihnen ein voller Erfolg beschieden sein.«
* Das war ein Ereignis für das kleine, abgelegene Gebirgsdorf Monte Caliente! Im Morgengrauen war ein Telegraphenbote aus Chalchicomula eingetroffen – zu Fuß und völlig abgehetzt – und hatte dem Alcalden eine Botschaft des Gouverneurs überbracht. Auf einem alten Indianerpfad hatte er mit seinem Maultier die Entfernung abkürzen wollen. Inmitten der Wildnis hatte ihn ein dumpfes Grollen aus dem Leib des Vulkans überrascht. Giftige Gase aus einer neugebildeten Bodenspalte hatten das Maultier scheuen lassen, daß es den Reiter abwarf und entsetzt flüchtete. Ein Bergrutsch hatte den Pfad unkenntlich gemacht. Mühsam mußte der Mann sich an sein Ziel heranarbeiten. Er hatte dreimal soviel Zeit gebraucht wie auf dem normalen Wege. Das Telegramm des Gouverneurs enthielt die überraschende Mitteilung, daß eine Expedition aufgebrochen wäre – in der Absicht, einen Tunnel in den Pico hineinzusprengen und ein Kraftwerk zu errichten. Sie hätte das Dorf Monte Caliente zu ihrem Standquartier ausersehen. Der Alcalde möge ihr beim Einrichten des Lagers behilflich sein und ihre Arbeit nach Kräften fördern. Don Alfonso de Tuxtla, seit Jahren Alcalde des Dorfes, blickte sorgenvoll auf. Ein Kraftwerk am Pico? Das würde viel Unruhe geben. Er kannte die Leute in Monte Caliente – arme Viehhirten, meist Indianer unverfälschter Herkunft, Nachkommen der Azteken, bei denen heidnische Überlieferung und finsterer Aberglaube noch hoch im Kurs standen. Aber es blieb ihm keine Zeit mehr zum Überlegen. Vom Dorfplatz herein drangen Hufgetrappel und fremde Laute. Der Bote hatte sich verspätet – die Expedition war fast zu glei-
cher Zeit mit ihm eingetroffen. Don Alfonso griff zum Hut und verließ das Haus. – Für Harry Hilton waren die letzten Wochen wie im Traum vergangen. Die Vorbereitung der Expedition hatte ihn keinen Augenblick zur Ruhe kommen lassen. Endlich war es so weit. Bis Chalchicomula, der letzten Bahnstation, war alles noch einfach gewesen. Dann begann der tagelange, mühsame Aufstieg mit der Maultierkarawane durch die Wildnis des Hochgebirges, bis sie schließlich an diesem Morgen das Ziel erreichten. Im Schein der aufgehenden Sonne lag Monte Caliente vor ihnen: eine armselige Siedlung aus primitiven Hütten, dazwischen Koppeln mit magerem Vieh. Auffallend nur das solide, geschmackvolle Anwesen des Alcalden und eine kleine Kapelle – vielleicht noch aus der Zeit der spanischen Eroberer. Die Nachricht von der Ankunft der Fremden hatte sich rasch herumgesprochen. Die Dorfbewohner strömten herbei. Finster und verschlossen standen die Männer am Wege, aus Fenstern und Türen lugten ängstlich und neugierig die Frauen. Nur die Kinder und Hunde des Dorfes gaben sich ungezwungen und umtobten lärmend die fremden Gäste. Über dem Ganzen aber ragte wuchtig und drohend das Massiv des Vulkans auf. Ewiger Schnee umsäumte sein Haupt. Eine Rauchfahne wehte aus der Krateröffnung. Harry Hilton konnte sich eines nie gekannten Gefühls des Unbehagens nicht erwehren. Wie die Vorahnung kommenden Unheils strich ein eisiger Windstoß über sie hin und ließ ihn zusammenschauern. Sie waren auf dem Dorfplatz angekommen und stiegen ab. Ein hochgewachsener Mann mit durchgeistigten Zügen, der wie ein spanischer Grande aussah, schritt ihnen entgegen und verbeugte sich vor Professor Cristobal. »Señores, ich heiße Sie in Monte Caliente auf das herzlichste
willkommen. Der Gouverneur hat mir Ihre Ankunft bereits avisiert. Als Alcalde des Ortes stehe ich Ihnen jederzeit mit meinen schwachen Kräften zur Verfügung…« »Don Alfonso de Tuxtla!« rief der Professor ungläubig. »Ist es denn möglich? Sie hier in dieser Wildnis?« Ein Zug des Erkennens glitt über das stille Gesicht des Alcalden. »Professor Cristobal! Seien Sie mir doppelt und dreifach willkommen!« Lebhaft wandte sich der Gelehrte an seine Begleiter. »Meine Herren, darf ich Ihnen meinen früheren Schüler, Don Alfonso de Tuxtla, vorstellen. Er wird uns später noch erzählen müssen, wie er in dieses merkwürdige Bergnest verschlagen wurde. Jetzt will ich Sie erst mal miteinander bekannt machen.« Der Alcalde begrüßte jeden einzelnen der Herren: Harry Hilton, den jungenhaft aufgeschlossenen Expeditionsleiter; Percy McBrown, den Pfadfinder, eine abenteuerliche Gestalt mit einem von allen Stürmen des Lebens gezeichneten Raubvogelgesicht; Philip Meyers, einen Mann unbestimmbaren Alters mit blassem, nichtssagendem Gesicht, dem die Materialversorgung des Unternehmens anvertraut war, und Franz Donnerkeil, den wackeren Werkmeister, der seinen Dienst bei der ›United Oil‹ quittiert hatte, um seinen Freund und Gönner Hilton in das große Abenteuer zu begleiten. »Freut mich, Señor«, sagte Donnerkeil und schüttelte dem Alcalden herzhaft die Hand. Ein ferner Donner ließ die Versammelten jäh aufhorchen. Ein Schatten fiel über den Dorfplatz. Die Sonne, die eben noch vom klaren Himmel strahlte, war hinter einer dunklen Wolke verschwunden. Wieder ein Grollen, lauter und drohender. Alle Köpfe fuhren herum, alle Augen suchten unwillkürlich den Gipfel des Citlatepetl. Eine mächtige Rauchwolke fuhr aus dem Krater und wallte empor, von der Glut der Tiefe gespens-
tisch beleuchtet… Wieder fegte ein eiskalter Wind über den Platz. Die Dorfbewohner duckten sich ängstlich. Einige Frauen bekreuzigten sich. Ein hagerer, alter Indianer stand plötzlich in der Menge. In seiner malerischen Tracht wirkte er wie ein Priester der alten Azteken. Mit fanatisch verzerrtem Gesicht wies er mit der Linken auf den Berg, schüttelte die Rechte drohend gegen die Fremden. In einer fremdartigen Sprache stieß er unverständliche Worte hervor. Der Alcalde war mit ein paar Schritten neben dem Alten und herrschte ihn zornig an. Unwilliges Murren stieg aus der Gruppe der Umstehenden auf. In diesem Augenblick trat die Sonne wieder hinter der Wolke hervor. Die unheimliche Stimmung verschwand. Der alte Indianer war nicht mehr zu sehen. »Wer war denn das? Was hat er denn gesagt?« fragte Harry Hilton noch etwas fassungslos den neben ihm stehenden McBrown. Der Pfadfinder spie verächtlich aus. »Ein alter Narr. Behauptete, wir hätten den Geist des Berges erzürnt, oder so’n ähnlichen Quatsch. Hol’ ihn der Teufel!« Don Alfonso trat wieder heran. »Ich bringe Sie jetzt zu Ihrem Lagerplatz, Señores. Er liegt etwas oberhalb des Dorfes auf einem Felsplateau. Sie finden dort Raum genug, um alle Ihre Leute unterzubringen, und in der Nähe auch Wasser und Weide für Ihre Tiere…« Wenige Stunden später lief die Arbeit schon auf Hochtouren. Während das Lager aus Zelten und Baracken noch aus dem Boden wuchs, während die Geodäten noch mit ihren Vermessungen beschäftigt waren, donnerten vom Berg her bereits die Detonationen der ersten Sprengungen, die den Stollen in die
Tiefe treiben sollten. * In der Montagehalle III der Atomforschungsstadt Orion-City ging die Fertigstellung des neuesten Raketenflugzeugs ihrer Vollendung entgegen. Der gedrungene Rumpf der seltsamen Maschine lag startbereit auf den Böcken. Jetzt waren die Elektriker am Werk, die Verkabelung im Rumpfinnern vorzunehmen. Zwei Monteure hockten auf dem Rücken des Flugzeugs und verzehrten bedächtig ihr Frühstück. »Jacky«, sagte der eine, ein verschmitzt aussehender, kleiner Bursche, und klopfte mit seinem Taschenmesser auf den metallenen Flugkörper, »komische Kiste, was?« Der andere schien die Ruhe selbst zu sein. ›Raketenflugzeug‹, knurrte er gelangweilt und schob sich ein überdimensionales Stück Wurst zwischen die Zähne. »Rindvieh!« fauchte der Kleine ärgerlich. »Daß es kein Motorroller ist, sieht doch ein Blinder mit dem Krückstock. Ich meine, welch edlem Zweck soll diese ulkige Himmelskutsche wohl dienen?« »Postbeförderung«, quetschte der große Kollege mit vollem Munde hervor. Das Gesicht des Kleinen war ein einziges Fragezeichen. Schüchtern, aber voller Berechnung, hielt er seinem Nebenmann eine verlockende Bierflasche unter die Nase. Jacky leerte sie mit einem Zuge und wischte sich behaglich den Mund. »Ja, mein lieber John – du wirst es zwar doch nicht kapieren, aber die Sache verhält sich so: Siehst du dort diese sechs merkwürdigen Wülste im Rumpf? Da stecken selbständige, kleine Raketen drin, und die befördern die Post.«
»Und wie funktioniert das nun?« wollte John wissen. Kollege Jacky maß ihn mit einem unendlich herablassenden Blick. »Die einfachste Sache der Welt«, sagte er überlegen. »Der Pilot braucht nur in schnurgerader Richtung zu fliegen. Unterwegs schießt er die einzelnen Postraketen nacheinander ab und schickt sie per Fernsteuerung zu ihren Bestimmungsorten. Die können dabei noch so weit abseits liegen – die Sache klappt postwendend und mit affenartiger Geschwindigkeit.« Der kleine John stellte noch eine Frage – und er bewies damit, daß er doch etwas von der Sache verstand. »Sag mal, Jacky, möchtest du mit dieser Maschine fliegen?« »Ich möchte nicht darin beerdigt sein«, verkündete der große Kollege mit Grabesstimme und ging wieder an seine Arbeit. * Mit jedem Tage wuchs der übermannshohe Stollen tiefer in den Feuerberg hinein. Harry Hilton hatte neue Arbeiterkolonnen angefordert. Vor dem Eingang des Tunnels türmten sich die Bauteile, aus denen der Zylinderkessel zusammengefügt werden sollte. Täglich dröhnten die Sprengungen im Leib des Berges. Und hin und wieder schien der Vulkan darauf zu antworten. Aber Professor Cristobal sah darin vorläufig keine Gefahr. Ein unerschöpfliches Tätigkeitsfeld hatte sich dem Gelehrten eröffnet. Unablässig belauerte er den Vulkan, der aus langem Schlaf erwachen wollte, und vergrub sich in Beobachtungen, Messungen und Notizen. Unermüdlich war auch Harry Hilton auf den Beinen, um den Fortgang seines großen Werkes zu überwachen. Eine rätselhafte Ungeduld, die ihm früher fremd gewesen war, trieb ihn an. Er konnte den Tag kaum noch erwarten, an dem der Stollen
den Krater erreichen würde… Wieder war ein arbeitsreicher Tag zu Ende gegangen. Müde strebte Hilton dem Lager zu, als er plötzlich auf Professor Cristobal stieß. Der Gelehrte schien ziemlich aufgekratzt zu sein. »Hallo, Señor Hilton! Haben Sie für heute abend schon was vor?« »Habe ich, Professor. Ich will mich schnellstens aufs Ohr legen und gründlich ausschlafen.« »Ja, wirklich? Wollen Sie denn nicht die totale Mondfinsternis beobachten?« Harry Hilton gähnte herzhaft. »Mondfinsternis? Nein, heißen Dank! Ich gehe lieber schlafen. Viel Vergnügen, Professor! Gute Nacht!« Aber Hilton sollte nicht zum Schlafen kommen. Kaum hatte er sich in seiner Baracke niedergelegt, als verworrene Geräusche vom Dorf her ihn auffahren ließen. Ärgerlich drehte er sich auf die andere Seite. Der Lärm schwoll an. Schließlich versank Hilton in einen Halbschlaf, der von quälenden Träumen durchgeistert war. Er befand sich im Stollen – tief im Inneren des Feuerberges. Nebelschwaden zogen durch den Gang und drohten ihn zu ersticken. Von Angst gehetzt jagte er dahin… Da erfolgte plötzlich ein Donnerschlag. Der Boden bebte. Aus dem Nebel wuchs riesengroß eine Erscheinung auf ihn zu – das Gesicht des alten Indianers, der sich bei ihrer Ankunft so feindselig gezeigt hatte… Mit einem Aufschrei fuhr Harry Hilton hoch. Dumpf war die Luft in dem kleinen Raum. Sein Herz klopfte wie rasend, er war wie in Schweiß gebadet. Mühsam stand er auf, wusch sich und kleidete sich an. Aus der Richtung des Dorfes klangen noch immer Gemurmel und die Rhythmen einer seltsamen Melodie herüber, zu-
weilen übertönt von einer grellen, beschwörenden Stimme. Hilton verließ das schlafende Lager und ging den Lauten nach. Die Nacht war ungewöhnlich dunkel. Als Hilton den Blick zum Himmel richtete, sah er den Mond als dunkelrote Scheibe inmitten der Sterne. Ja, richtig – es war ja Mondfinsternis… Auf dem Dorfplatz war die gesamte Einwohnerschaft versammelt. Viele hatten ihre alten, farbenprächtigen Trachten angelegt. An einer erhöhten Stelle gewahrte Hilton den alten Indianer, der seltsame Gebärden vollführte und mit heiserer Stimme auf seine Landsleute einredete. Gemurmel und monotoner Gesang antworteten ihm. Hilton wandte sich an einen seiner eingeborenen Arbeiter, die er von Mexico-City mitgebracht hatte: »Hallo, Fernandez! Was wird hier eigentlich gespielt?« »Acatlan beschwört die bösen Geister. Er will den Leuten einreden, sie hätten den Mond verdunkelt, um ihren Unwillen gegen die fremden Gäste zu zeigen.« »Acatlan? Was ist das eigentlich für ein unfreundlicher, alter Knabe?« »So eine Art heidnischer Priester oder Medizinmann, Señor.« »Ja, gibt es so was denn noch?« »Offiziell nicht, Señor. Die Bevölkerung von Monte Caliente ist christlich. Aber das Heidentum steckt ihr noch tief in den Knochen. Der Pfarrer in Chalchicomula würde nicht schlecht wettern, wenn er das Theater hier sähe.« Hilton sah sich unter den Zuschauern um. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes erkannte er den Professor, der sich mit dem Alcalden unterhielt. Wenige Schritte von seinem eigenen Standort entfernt, stand Percy McBrown. Im flackernden Schein des großen Holzfeuers, das in der Mitte des Platzes brannte, nahm Hilton deutlich einen Zug von Gier wahr, der sich in den verwüsteten Zügen des Abenteurers ausprägte.
Wie gebannt starrte McBrown auf einen bestimmten Punkt. Unwillkürlich wandte Hilton den Blick in die gleiche Richtung. Seine Augen blieben an einer jungen Indianerin haften, die sich schlank und anmutig aus der Menge ihrer Landsleute abhob. Ihr Gesicht war gebräunt, aber von hellerer Farbe. Kostbarer, alter Schmuck zierte ihre prächtige Tracht. Fasziniert verfolgte sie das nächtliche Schauspiel. »Señorita Dolores«, erklärte Fernandez bedeutungsvoll. In diesem Augenblick ging es wie ein Aufatmen durch die Menge. Der Rand der Mondscheibe leuchtete hell auf. Die Verfinsterung ging ihrem Ende entgegen. Hoch über dem Vulkan schwebte rot und flackernd eine mächtige Rauchwolke… * Drei Herren stiegen aus der schweren Limousine, die auf dem Raketenflugfeld von Orion-City hielt. Sie schritten auf ein Flugzeug zu, das vor der großen Montagehalle stand und in der Sonne glänzte. Generaldirektor Cunningham stellte mit einer weit ausholenden Armbewegung vor: »Unser neuester Typ ›Schneller als die Sonne‹. Nun, Kommodore, was halten Sie von unserem jüngsten Sprößling?« Jim Parker antwortete nicht. Mit aufmerksamer Miene umkreiste er die Maschine, kletterte auf ihren Rumpf und zwängte sich in die enge Pilotenkabine. Fritz Wernicke, sein Steuermann und unzertrennlicher Begleiter, folgte ihm überallhin. Seinen flinken Augen entging keine Einzelheit. Nach einer Weile kamen die beiden Freunde wieder zum Vorschein. Schweigend gingen sie abermals um das Flugzeug
herum, traten dann zurück und musterten es aus einiger Entfernung. Cunningham wurde ungeduldig. »Na, und? Haben Sie das Sprechen verlernt, Parker?« Wernicke grunzte mißbilligend. Jim Parker wandte sich dem Generaldirektor zu: »Verzeihung, Boß, aber sagen Sie: Wer hat denn dieses fliegende Mondkalb verbrochen?« Cunningham schien gekränkt. »›Mondkalb‹ – ›verbrochen‹? Was ist denn das für eine Ausdrucksweise? Doktor Heller hat die Maschine eigenhändig entwickelt und durchkonstruiert.« »Doktor Heller ist ein guter Theoretiker«, sagte Jim Parker gedehnt. »Na, und?« »Aber die Praxis kommt bei ihm manchmal etwas zu kurz.« »Was soll das heißen, Parker?« Der Kommodore stellte eine Gegenfrage: »Wurde das Modell im Windkanal erprobt?« »Selbstverständlich. Die Aerodynamiker hatten keine grundsätzlichen Bedenken.« »Und ich sage Ihnen, Boß, daß der Luftwiderstand bei solchen Geschwindigkeiten auch in der Stratosphäre…« »Das käme eben auf einen Versuch an«, knurrte Cunningham unwillig. »Die Maschine hat genug Geld gekostet. Wir können sie jetzt nicht einfach verschrotten, nur, weil Ihnen ihre Nase nicht gefällt. Außerdem ist das Postministerium zu stark daran interessiert.« »Also gut«, erklärte der Kommodore, »wann starten wir?« »Heute in 14 Tagen, mit Kurs Orion-City – Mexico-City – Buenos Aires.« »Also in 14 Tagen, Fritz«, sagte Jim Parker zu seinem Steuermann. »Und vergiß die Fallschirme nicht!«
* Das Bild der schönen Indianerin verfolgte Harry Hilton auf Schritt und Tritt. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab – zu jener nächtlichen Szene auf dem Dorfplatz von Monte Caliente, immer wieder mußte er sich selbst zur Ordnung rufen und sich gewaltsam auf seine Arbeit konzentrieren. Rasch senkte sich die Abenddämmerung auf das Bergland. Ungeachtet der vorgerückten Jahreszeit war der Tag drückend heiß gewesen. Harry Hilton genoß die erfrischende Kühle des Abends und schlug einen Umweg zum Lager ein. Er schritt durch das kleine Gebüsch, das sich oberhalb des Lagerplatzes gegen den Berghang ausdehnte. Hier war es schon fast völlig dunkel. Gerade wollte er eine kleine Lichtung betreten, als er vor sich spanische Laute vernahm – eine rohe männliche und eine klingende weibliche Stimme, die jedoch vor Zorn zitterte. »Stell dich doch nicht so an, mein Täubchen«, sagte die heisere Stimme des Mannes. »Komm, sei ein bißchen nett!« »Lassen Sie mich sofort los, Sie gemeiner Wegelagerer! Lassen Sie mich los – oder ich schreie um Hilfe.« Ein rauhes Lachen war die einzige Antwort. Wut stieg in Harry Hilton hoch. Das konnte nur einer von seinen Leuten sein. Und er duldete keine Undiszipliniertheit im Lager. Mit zwei, drei Sätzen war er auf der Lichtung. Der Mann fuhr herum, seine Rechte faßte zur Hüfte, wo der Colt im Halfter steckte. Aber er kam nicht mehr zum Ziehen. Hiltons Faust schoß vor und traf ihn mit solcher Wucht ins Gesicht, daß er krachend rückwärts in die Büsche stürzte. Hilton wollte ihm nach – doch der andere hatte sich blitz-
schnell aufgerafft und war mit einem Fluch in der Dunkelheit untergetaucht. Harry Hilton ließ die Taschenlampe aufflammen – und war sprachlos vor Überraschung. Vor ihm stand die junge Indianerin, deren Bild er dauernd vor sich sah, aufgeregt noch, aber doch schon wieder lächelnd. Und er fiel von einer Überraschung in die andere, als sie ihn jetzt in reinstem Englisch anredete: »Mister Hilton, oh, ich danke Ihnen. Ihre Hilfe kam im rechten Augenblick. Ich bin völlig ahnungslos auf meinem Abendspaziergang hier vorbeigekommen. Plötzlich fiel mich dieser Strauchdieb in der Dunkelheit an.« »Was… wieso… woher wissen Sie denn meinen Namen?« stotterte Harry nicht gerade geistreich. Ein klingendes Lachen antwortete ihm. »Vater sagte ihn mir. Sie sind bekannter in Monte Caliente, als Sie denken, Mister Hilton.« »Ihr Vater?« »Ja, Sie kennen ihn. Mein Vater ist der Alcalde des Ortes: Alfonso de Tuxtla.« Erst jetzt kam es Hilton richtig zum Bewußtsein, daß sie ihre Unterhaltung in Englisch führten. »Verzeihung, Señorita«, sagte er etwas verlegen, »aber als ich Sie neulich abends zum ersten Male sah, hielt ich Sie für eine waschechte Eingeborene.« Wieder erklang ihr helles Lachen. »Ach so, wegen meiner Kriegsbemalung! Das ist uralter Familienschmuck. Ich lege ihn nur bei besonders feierlichen Anlässen an, wenn er in den Rahmen paßt. Und das schien mir anläßlich der Finsternisbeschwörung der Fall zu sein.« »Und sonst?« fragte Harry Hilton. »Was treiben Sie außerhalb solcher hohen Festtage?« Sie gingen langsam durch das Gehölz dem Lager zu. Dolores
hatte sich vertrauensvoll bei Harry Hilton eingehakt und gab bereitwillig Auskunft: »Normalerweise lebe ich in den Staaten, in Pasadena. Ich versuche ernsthaft, mir an der dortigen Universität die Lehren der Naturwissenschaft in mein armes Hirn hineintrichtern zu lassen.« »Also Naturwissenschaften studieren Sie, Señorita? Und ich hatte Sie – Verzeihung! – für eine halbwilde Tochter dieser ganz wilden Berge gehalten!« Dolores lachte belustigt. »Es, sei Ihnen verziehen. Übrigens ist Monte Caliente nicht meine Heimat. Wir lebten früher am Golf. Doch vor einigen Jahren erkrankte Vater schwer. Der Arzt riet energisch zu einem Klimawechsel, zur Übersiedlung ins Hochgebirge. So kamen wir hierher. Unsere Familie hatte hier Grundbesitz – aus irgendeiner komischen Erbschaft. Vater wurde zum Glück wieder gesund. Ich selbst komme stets nur in den Ferien nach Monte Caliente.« Sie hatten inzwischen das Hochplateau passiert, auf dem der Lagerplatz lag. Vom Dorf her kam ihnen ein Mann entgegen, stutzte bei ihrem Anblick und eilte dann schnell herbei. Es war der Alcalde. »Dolores!« rief er und schloß seine Tochter in die Arme. »Kind, wo bleibst du nur so lange? Du solltest bei Dunkelheit nicht allein fortgehen. Es treibt sich neuerdings viel verdächtiges Volk hier herum.« »Sei unbesorgt, Vater«, erwiderte Dolores rasch und wies auf ihren Begleiter. »Du siehst, ich war unter sicherem Schutz.« Die beiden Männer schüttelten sich die Hand. »Señor Alcalde«, rief Harry fröhlich aus, »hätten Sie nicht Lust, morgen den Stollen zu besichtigen? Vielleicht hat Señorita Dolores auch Lust, mitzukommen. Was wir dort treiben, fällt ja beinahe in ihr Fach.«
Dolores nickte lebhaft Zustimmung. »In mein Fach nicht weniger, Señor Hilton«, sagte der Alcalde. »Ich habe in meiner Jugend einmal Geologie studiert. Allerdings mußte ich später umsatteln, als mein Onkel mir die Ländereien am Golf vererbte. Wir nehmen Ihre freundliche Einladung herzlich gern an. Also – bis morgen!« * »Vorsicht vor dem Fließband! Drücken Sie sich möglichst eng an die Wand!« Ängstlich befolgten Don Alfonso und Dolores Hiltons Warnung, als sie ihm am nächsten Morgen in den Tunnel folgten. Im trüben Schein der provisorisch angebrachten Lampen sahen sie das ›laufende Band‹ an sich vorübergleiten, das in raschem Tempo das losgesprengte Gesteinsmaterial ins Freie beförderte. Staub erfüllte den Stollen und machte das Atmen schwer. Er ließ den Verlauf des schnurgeraden Tunnels nur auf kurze Entfernung erkennen. Das Lärmen der Gesteinsbohrer und -hämmer, das Prasseln der Steine und das Poltern des Fließbandes vollführten eine Symphonie höllischen Tobens. Die Arbeiter, die ihnen begegneten, wirkten in dieser Umgebung wie Verdammte der Unterwelt. Schweiß rann in Strömen über ihre halbnackten Körper. Auch Dolores spürte jetzt die furchtbare Hitze, die sie umgab. Beklommen faßte sie nach Harrys Arm. Hilton deutete ihre Bewegung richtig. »Nicht wahr, Señorita, der alte Pico meint es gut mit uns. Je tiefer wir eindringen, desto unerträglicher wird die Hitze. Bald wird man die Arbeit nur noch in Asbestanzügen fortführen können.« Sie standen am Ende des Ganges – dort, wo eine Gruppe von Arbeitern unter Aufsicht des Sprengmeisters Dynamitpatro-
nen in frische Bohrlöcher füllte. Eine neue Sprengung wurde vorbereitet. In diesem Augenblick war es Dolores, als geriete der Tunnel um sie her in Schwingungen. Der Boden zitterte. Ein seltsames Schwindelgefühl kam sie an. Die Menschen in ihrer Nähe sahen plötzlich irgendwie verzerrt und unwirklich aus. Ihre Stimmen klangen fremd und verstummten dann völlig… Aus der Tiefe des Berges, von dorther, wohin der Stollen weitergetrieben werden sollte, ertönte ein furchtbarer Donnerschlag, gefolgt von minutenlangem Poltern und Grollen. Ein jäher Stoß warf die Menschen zu Boden. Gesteinsschutt rieselte von Decke und Wänden. Das Licht erlosch. Kreischend blieb das Fließband stehen. Vom Eingang her vernahm man Rufe und flüchtende Schritte. Dolores versuchte sich aufzurichten, aber sie war vor Schreck wie gelähmt. Um sie herum stolperte und trampelte jetzt alles durcheinander. Eine Panik schien auszubrechen. An ihren Schultern fühlte sie tastende Finger. Zwei kräftige Hände halfen ihr auf, und die Stimme Hiltons sagte: »Bleiben Sie dicht an der Wand stehen! Keine Sorge! Es ist alles halb so wild.« Taschenlampen blitzten auf – ihre Strahlen trafen bleiche, angstverzerrte Gesichter. »Den Stollen räumen! Aber in aller Ruhe, wenn ich bitten darf«, befahl Harry Hilton mit erhobener Stimme. Carlos Hidalgo setzte das Signalhorn an die Lippen und blies das Signal, das an anderen Stellen des Tunnels wiederholt wurde. Wieder kam ein Donnern aus dem Berginnern. Wie von Furien gepeitscht jagten die mexikanischen Arbeiter dem Ausgang zu. Nur ein einziger, ein Indianer aus Monte Caliente, schien nicht von der allgemeinen Panik gepackt zu sein und folgte gemessenen Schrittes nach.
Vor dem Tunneleingang stieß Hilton mit seinen Begleitern auf die übrigen, die wie gebannt zum Gipfel des Pico emporstarrten. Rauch und Flammen schossen aus dem Krater. An zwei Stellen schienen sich neue Nebenkrater gebildet zu haben. »Nun, Professor«, sagte Hilton leise und trat an den Gelehrten heran, der das Naturschauspiel mit Begeisterung beobachtete. »Was halten Sie von diesem Feuerwerk? Jetzt werden wir wohl getrost den Betrieb schließen können…« »Aber warum denn?« rief Professor Cristobal entsetzt. »Warum so mutlos, Señor Hilton? Gewiß – der Ausbruch kam ein wenig unvorhergesehen. Aber das ist noch lange kein Grund zur Besorgnis. Warten Sie nur bis morgen, dann wird sich der alte Pico wieder beruhigt haben. Und dann können Sie ihm getrost und ungestört weiter zu Leibe rücken.« * Wenige Meilen nördlich des Dorfes, tief in die Vorberge des Citlatepetl eingebettet, lag eine schmale Schlucht. Nur wenige Dorfbewohner kannten den geheimen Zugang, der hinter Gestrüpp verborgen lag. An diesem Abend herrschte hier ein gespenstisches Treiben. Im matten Licht des Mondes huschten dunkle Gestalten dahin, verschwanden an einer Stelle, wo die Felswände zurückwichen und einen kahlen, runden Platz freigaben. In der Mitte des Platzes erhob sich – nur wenig verfallen – eine kleine Pyramide, ein Tempel aus der Zeit der Azteken. Aus dem Eingang fiel düsterer Feuerschein und malte ein verzerrtes Viereck auf den Boden. Der Innenraum zeigte – abgesehen von einem Götterbild, das sich drohend an der Rückwand aufreckte und im flackernden
Schein zu leben schien – keinerlei Schmuck. Fackeln brannten an den Wänden. Auf dem Boden hockten im Kreis etwa zwölf Indianer. Ein untersetzter Mann erhob sich aus ihrer Mitte und wandte sich an den alten Medizinmann, der mit starrem Gesicht vor sich hinblickte. »Warum hat unser großer Bruder Acatlan uns zu dieser Stunde in das Haus der alten Götter gerufen?« Der Alte verharrte eine Weile in seinem Schweigen. Dann kamen seine Worte, stockend und monoton. Eine magische Wirkung schien von ihnen auszugehen. Die Umsitzenden lauschten wie in einem Traum. »Der Geist des Berges ist erzürnt. Mit frevelnder Hand haben die Fremden ihn entweiht. Untergang droht uns allen, wenn wir die Gringos nicht vertreiben. Habt ihr die Warnungen nicht verstanden? Der Mond verlor seinen Glanz – der Berg spie Feuer und Rauch und versetzte alle, die es sahen, in Furcht und Schrecken. Noch ein drittes Zeichen wird er uns geben. Beachten wir auch dieses nicht, so wird er die Fremden – und uns mit ihnen – verschlingen.« Schweigen lag über der Versammlung. Endlich ergriff der vorherige Sprecher wieder das Wort: »Was können wir denn tun? Die Fremden sind mächtiger als wir, und sie stehen unter dem Schutz des Gouverneurs.« Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte Acatlans Züge. »Unsere Stunde wird kommen. Haltet euch bereit und wartet auf das Zeichen, das ich euch geben werde. Ehe der Mond sich wieder rundet, wird das Werk der Gringos vernichtet sein.« * »Mexico – Land der Vulkane – ahoi!«
Pathetisch breitete Fritz Wernicke die Arme aus und stieß in der engen Kabine des Raketenflugzeugs so heftig gegen die Wände, daß der edle Whisky aus dem Flaschenhals sprang. »Prost!« vollendete er erschrocken und setzte die Flasche an den Mund. Plangemäß waren sie an diesem Morgen in Orion-City zu ihrem Nonstopflug in südlicher Richtung gestartet. Die beiden ersten Postraketen waren unterwegs mit Fernsteuerung in Richtung El Paso und New Orleans abgeschossen worden. Über Mexico-City hatte der Kommodore den Kurs geändert. Die Flugrichtung zielte jetzt auf die argentinische Hauptstadt hin. In 18 km Höhe schoß die Maschine mit Überschallgeschwindigkeit durch die Stratosphäre. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgte Jim Parker die Skalen der Meßgeräte, die die Temperaturen der Außenhaut des Flugzeugs anzeigten. Er saß vor seinem ewig durstigen Kameraden auf dem Pilotensitz und hielt den Steuerknüppel in den Händen. Wie befürchtet, hatten sich diejenigen Teile der Außenhaut, die sich über den kleinen Postraketen wölbten, außerordentlich schnell und stark erhitzt. Der Zeiger des elektrischen Thermometers kroch langsam auf den roten Strich zu, der Gefahr für das Material und für die Maschine bedeutete. »Warum so schweigsam, verehrungswürdiger Kommodore?« ließ Fritz Wernicke sich zwischen zwei Schlucken aus seiner unergründlichen Flasche vernehmen. »Schau doch nur – da unten – die reinste Mondlandschaft – Krater neben Krater! Nur viel lebendiger als auf dem guten alten Mond.« Jim Parker antwortete nicht. Sein Blick haftete an der Skala des Thermometers. Der Zeiger war kurz vor der roten Marke zum Stillstand gekommen und zitterte hin und her.
Da stimmte doch etwas nicht! Fritz Wernicke schüttelte die Whiskyflasche und fuhr gemächlich fort: »Verdammt behaglich hier – in dieser ulkigen Kutsche. Sag mal, Jim: Ob die beiden Postraks, die ich vorhin abgeschossen habe, wohl ans Ziel gekommen sind?« »Wenn du richtig gezielt hast, könnte es wohl sein.« »Na, erlaube mal!« ereiferte sich Wernicke. »Aber – hallo, Jim, du hörst ja gar nicht richtig zu.« Der Zeiger des Thermometers pendelte noch einmal aus, sprang mit einem Ruck zurück und blieb dann regungslos. Verdammt – nun war die Leitung durchgebrannt! Was nun kam, lief in Sekundenschnelle ab. Ein widerliches, schepperndes Geräusch drang von außen her in die Kabine. Der Kommodore war sofort im Bilde. »Da haben wir die Bescherung! Die Bleche müssen sich in der Hitze verzogen haben. Die Haut blättert ab. Wir müssen landen – fragt sich nur, wo!« Durch einen Hebeldruck schaltete er das Raketentriebwerk ab. Er drückte die rasende Maschine steil abwärts in eine weit ausholende Kurve. Fritz Wernicke stand schon am Fenster und musterte abwechselnd die Karte und das wilde Vulkanland von Puebla, das sich unter ihnen erstreckte. »Der Dicke da vorn ist der Ci – Citla – Citlatepetl«, buchstabierte Wernicke mühsam. »Meinetwegen der Mount Everest«, schimpfte der Kommodore. »Ich sehe leider weit und breit keine Landungsmöglichkeit.« In diesem Augenblick schoß eine grelle Stichflamme in die Kabine. Eine Förderleitung mußte gerissen sein, und der ausströmende Treibstoff hatte sich an den glühenden Blechen entzündet. »Klar zum Aussteigen!« schrie Parker und ließ die Kunstglas-
haube zurückschnellen. Wernicke stieß sich als erster ab und schoß mit einem Salto mortale in die schwindelnde Tiefe. Der Kommodore wollte ihm nach, doch eine jähe Bewegung des stürzenden Flugzeugs nahm ihm das Gleichgewicht und schleuderte ihn gegen die Wand. Die Gurte seines Fallschirms verhakten sich am Armaturenbrett. Verzweifelt versuchte Jim Parker sich zu befreien. Das Trudeln des abstürzenden Flugzeugs warf ihn hin und her und machte seine Versuche zunichte. Durch die geöffnete Luke sah er den Flammenschweif, den die Maschine brausend hinter sich herzerrte. Jeden Augenblick mußte der Aufprall erfolgen, mußten die explodierenden Treibstoffe das Flugzeug in Atome zerreißen. Endlich! Der Kommodore hatte sich aus der Verstrickung gelöst. Aufatmend griff er sich zur Luke hin und schwang sich hinaus. Seine Augen umfaßten noch einmal das gesamte schaurige Bild: die taumelnde Maschine – in Flammen gehüllt –; hoch droben eine Gestalt – am Fallschirm ruhig niederschwebend –; und unten das wilde Bergland, das ihm rasend schnell entgegenwuchs. Der eigene Fallschirm – wollte er sich denn nicht öffnen? Jetzt – ein Ruck! Eine Wolke heller Seide bauschte sich über ihm – und er fühlte sich gezogen – der haltlose Sturz wurde gebremst. Doch dann – ein furchtbarer Schlag! Und es wurde Nacht um ihn. * Eine kleine Jagdgesellschaft lagerte an diesem Morgen in einem Hochtal im Nordwesten von Monte Caliente. Es war Sonntag – und obwohl die Arbeit am Bau des Stollens und des Kraftwerks jetzt fast pausenlos lief, hatte Hilton für heute Ar-
beitsruhe angeordnet. Der Alcalde hatte zu einem Jagdausflug eingeladen, und freudig war man auf seinen Vorschlag eingegangen. In aller Herrgottsfrühe war man aufgebrochen. Jetzt rasteten die Teilnehmer – der Alcalde, Dolores, Hilton, Donnerkeil und Hidalgo – an einer erfrischenden Quelle und ließen sich das mitgebrachte Frühstück munden. »Warum ist eigentlich McBrown, unser großer Pfadfinder, nicht mit von der Partie?« fragte Franz Donnerkeil verwundert. »Ich hatte ihn eingeladen«, erklärte der Alcalde, »aber er ließ mir sagen, ihm wäre nicht wohl. Ein kleiner Unfall.« »Davon ist mir nichts bekannt«, sagte Hilton erstaunt. »Ich werde nachher mal nach ihm sehen.« »Der Alcalde hat uns tüchtige Sonntagsjäger allesamt in den Schatten gestellt«, meinte Donnerkeil anerkennend und wies auf den stolzen Steinadler, das Wappentier Mexicos, der der sicheren Büchse Don Alfonsos zum Opfer gefallen war. »Ja, ja, Señores, wir haben entsetzlich viel Pulver verknallt – und unsere einzige Beute war bisher eine tote Eidechse.« Harry Hilton sagte es in gespielter Verzweiflung. »Sie sind eben größere Kaliber gewöhnt, Harry«, warf Dolores neckend ein, »zum Beispiel Dynamitpatronen und ähnliches Feuerwerk. Damit machen Sie dann Jagd auf Vulkane. Aber, Vorsicht! Der alte Pico ist ein gefährliches Wild.« »Der Tag ist noch lang, Señores«, sagte der Alcalde. »Wer weiß, welch seltene Beute Sie noch nach Hause bringen werden.« Hoch in den Lüften erklang ein tiefes Summen, kam rasch näher und steigerte sich mehr und mehr. Alle Blicke flogen zum Himmel. Ein Flugzeug? Hier in dieser abgelegenen Bergwildnis? Doch die Quelle des Geräusches war nirgends zu ent-
decken. Das Summen wurde heller und wuchs zu einem schrillen Heulen. »Da – da – eine Feuerkugel! Ein Meteor!« Alles war aufgesprungen. Alles lief durcheinander und blickte auf die feurige Erscheinung, die aus namenlosen Höhen zur Erde niederfuhr. Doch – was war denn das? Ein winziger Körper löste sich aus der Feuerkugel – ein Wölkchen blähte sich auf und leuchtete im Sonnenlicht. Hidalgo war der erste, der die Zusammenhänge begriff: »Ein Fallschirm! Ein Flugzeug stürzt ab!« Es war, als stürze die Maschine direkt auf die kleine Gesellschaft zu. Wieder löste sich ein Körper aus den Flammen – diesmal deutlich als menschliche Gestalt zu erkennen – und fiel in steiler Kurve herunter. Das brennende Flugzeug verschwand hinter einem nahen Hügelzug. Eine krachende Explosion – ein blitzartiger Feuerschein – dann war es wieder still. In die Gruppe der atemlos starrenden Zuschauer kam Bewegung. Wie auf Kommando liefen alle den mit Buschwerk bestandenen Hang des Hügels hinauf. Auf der anderen Seite fiel der Hang steil und steinig ab. Nach kaum 10 Minuten standen sie am Rand der Talsohle. In weitem Umkreis zerstreut lagen die Trümmer des abgestürzten Flugzeugs in der wabernden Glut der brennenden Treibstoffe. Suchend schweiften die Blicke umher. »Da!« rief Hilton und deutete auf einen menschlichen Körper, der am Rande des Trümmerfeldes zwischen dem Buschwerk lag. Sie kamen gerade noch zurecht, um den Bewußtlosen aus dem Bereich der züngelnden Flammen zu retten. Als sie ihn von dem halbverbrannten Fallschirm befreiten, fiel Hiltons Blick auf das stille Gesicht.
»Das ist doch – alle guten Geister – das ist ja Jim Parker, der Raumschiffkommodore!« Die anderen drängten sich heran. »Tatsächlich, Jim Parker!« rief Franz Donnerkeil erstaunt. »Ich habe sein Gesicht x-mal in der Wochenschau gesehen.« »Wir müssen ihn auf schnellstem Wege ins Lager schaffen«, sagte der Alcalde. »Helfen Sie, Señores, wir wollen eine Tragbahre bauen.« »Da war doch noch ein zweiter Mann«, erinnerte Dolores. »Richtig – der erste Fallschirm! Er muß in der Nähe niedergegangen sein.« Harry Hilton winkte Hidalgo heran und begab sich mit ihm auf die Suche. Bald hatten sie den Fallschirm erspäht, der sich an einem Felsvorsprung verfangen hatte. Schweigend betrachteten sie den kleinen, sehnigen Mann, der – ebenfalls in tiefer Bewußtlosigkeit – vor ihnen am Boden lag. »Möchte wetten, daß dies Fritz Wernicke ist, der ewig durstige Freund des großen Kommodores«, sagte Harry Hilton leise zu seinem Begleiter. Die Wette hätte Hilton gewonnen. Ein Stöhnen aus dem Munde des Verunglückten erinnerte die Männer an ihre Pflicht. Leise, aber vernehmlich, formten seine Lippen ein Wort: »Whisky.« »Sagte ich’s nicht?« triumphierte Hilton. »Es ist Fritz Wernicke.« Hidalgo hielt ihm bereits seine Feldflasche an den Mund. Wernicke schlug die Augen auf, nahm einen herzhaften Schluck und schlief mit zufriedenem Lächeln ein… Aus den Gewehren der Jäger und dem Stoff der Fallschirme waren schnell zwei provisorische Tragbahren zusammengezimmert. So vorsichtig wie möglich trugen die Männer die ab-
gestürzten Flieger ins Lager und lieferten sie in der Sanitätsbaracke ab. * Am Abend hatte es sich bereits herumgesprochen: Die beiden Verunglückten, die mittags unter unendlicher Vorsicht ins Lager geschafft wurden, waren keine Geringeren als die vielbewunderten Weltraumfahrer Jim Parker und Fritz Wernicke. Sofort nach der Rückkehr der Jagdexpedition war ein reitender Bote nach Chalchicomula aufgebrochen, um ein Telegramm nach Orion-City aufzugeben. Inzwischen bemühte sich Doktor Pablo, der junge Lagerarzt, nach besten Kräften um seine so unerwartet hereingeschneiten Patienten. Dolores assistierte ihm bei seiner Arbeit. In kurzer Zeit gelang es ihnen, den kleinen, drahtigen Fritz Wernicke wieder auf die Beine zu bringen. Humpelnd stolzierte er im Lager umher und fand immer wieder den Weg in die Kantine, um sich nach dem überstandenen Schrecken ausgiebig zu stärken. Bei Jim Parker jedoch schien alle Mühe vergeblich zu sein. Obwohl er äußerlich kaum eine sichtbare Verletzung aufwies, hatte er bis zum Abend das Bewußtsein noch nicht zurückerlangt. Scheu standen die Arbeiter in Gruppen um das Krankenrevier herum und versuchten, einen Blick ins Innere zu tun, um den berühmten Kommodore aus nächster Nähe zu sehen. Vor dem Lagereingang stauten sich die Dorfbewohner. Aber nicht alle Männer waren erschienen. In der Hütte Acatlans hatten sich 20 Indianer um den alten Medizinmann versammelt. Haß klang aus seiner Stimme, als er jetzt sprach: »Der Geist des Berges hat uns zum dritten Male ein Zeichen gegeben. Den künstlichen Vogel der Fremdlinge aus dem Nor-
den hat er in der Luft zerschmettert. Die Stunde des Handelns ist nahe. Seid wachsam und bereit zum Kampf, wenn ich das Zeichen gebe.« * »Wo bleibt nur die Meldung aus Buenos Aires? Ich verstehe das nicht. Parker sollte sein Eintreffen doch sofort durch Funkspruch mitteilen.« Erregt ging Generaldirektor Cunningham im Büro der Montagehalle III auf und ab. Ratlos sahen ihm Doktor Heller, der Chefkonstrukteur, und der Montageleiter Lightener zu. Die Ahnung irgendeines Unheils lag in der Luft und erfüllte sie mit wachsender Nervosität. »Eine Kateridee, die Kiste nicht mit eigenem Bordsender auszurüsten«, schimpfte der Boß und warf Doktor Heller einen vorwurfsvollen Blick zu. »Die Maschine war von vornherein nur für kürzeste Flugzeiten gedacht«, verteidigte sich der Konstrukteur. »Ich wollte das Gewicht zu Gunsten der Nutzlast so niedrig wie möglich halten.« Cunningham wandte sich an den Montageleiter: »Wann wurde die Maschine zuletzt gesichtet?« »Vor drei Stunden, Sir. Über Mexico-City.« »Hm. Rufen Sie noch mal in der Zentrale an!« Aber alles Fragen und Warten blieb vergeblich. Als Ted S. Cunningham gegen Mittag heimwärts fuhr, nahm er die Gewißheit mit, daß das neue Überschallflugzeug »Schneller als die Sonne« einem Unglück zum Opfer gefallen wäre. Und es hatte seine besten Leute, Jim Parker und Fritz Wernicke, an Bord.
* Fritz Wernicke hatte sich schnell wieder erholt. Das Essen schmeckte wieder, und der Schnaps nicht weniger. Und wenn es irgend etwas gab, das sein frohes Gemüt verdunkelte, dann war es nur die Sorge um seinen Kameraden, der bis zur Stunde noch ohne Bewußtsein war. »Schwere Gehirnerschütterung«, hatte der Lagerarzt konstatiert, und er hatte auf Wernickes ängstlich fragenden Blick nur mit einem Achselzucken geantwortet. Da er doch nicht helfen konnte, machte sich Fritz Wernicke auf, um sich ein wenig in der Gegend umzusehen. Er wußte den Freund gut aufgehoben. Doktor Pablo tat alles, was unter den gegebenen Verhältnissen möglich war, und Dolores teilte sich mit den Sanitätern in die Wache am Krankenbett. Munter pfeifend schlenderte Wernicke der Baustelle zu, an der die Grundmauern des künftigen Kraftwerks aus dem Boden wuchsen. In wetterbeständigen Zelten warteten bereits die Einzelteile der Turbinen und Dynamomaschinen auf ihren Einbau. Wernicke ging weiter und betrat den Eingang des Tunnels, wo ihm Franz Donnerkeil in voller Fahrt entgegenkam. »Hallo, Mister Wernicke«, begrüßte ihn der Werkmeister erfreut, »wollen Sie sich den Betrieb bei uns auch mal anschauen? So interessant wie bei Ihnen auf der Weltraumstation oder auf dem Mond geht es bei uns zwar nicht zu, aber immerhin ist so was auch noch nicht dagewesen. Mister Hilton ist schon ein verdammt findiger Kopf.« »Mächtig interessant«, sagte Wernicke, der gegenüber allen technischen Neuerungen aufgeschlossen war, anerkennend. Interessiert sah er zu, wie zwei Ringe des mächtigen Wasserkessel aneinandergeschweißt wurden.
»Ihr Hornochsen!« schrie Donnerkeil wütend und stürzte sich auf eine Gruppe mürrisch blickender Indios, die einen neuen Kesselteil angeschleppt brachten und damit unachtsam gegen die Tunnelwand stießen. »Verzeihung, Mister Wernicke, aber wenn man diesen Stumpfböcken nicht dauernd auf die Finger sieht, machen sie nichts als Dummheiten.« »Lassen Sie sich nicht aufhalten!« sagte Wernicke gutmütig und empfahl sich. Er sah sich noch ein bißchen im Stollen um, aber die heiße, stickige Luft dörrte ihm die stets durstige Kehle bis zur Unerträglichkeit aus. Deshalb suchte er bald wieder das Weite. Am Dorfeingang kam ihm ein guter Gedanke: »Ich werde dem Alcalden einen Besuch abstatten und ihm für seine Hilfe danken«, murmelte er. »Und – mal sehen, was es bei ihm zu trinken gibt.« Don Alfonso war nicht zu Hause. Dolores, die auf Wernickes Klopfen öffnete, zeigte sich über seinen Besuch erfreut. »Willkommen, Señor Wernicke! Ich bin gerade aus dem Lager zurückgekommen – von Ihrem Freund. Leider macht sich noch keine Besserung bemerkbar.« Wernicke nickte betrübt. »Ich bin sehr in Sorge. Aber letzten Endes ist der gute Jim ein zäher Bursche. Der kleine Sturz wird ihn nicht gleich umbringen.« Dolores mußte lächeln. »Der ›kleine‹ Sturz? Sie sind ein Gemütsmensch, Señor Wernicke. Aber, wollen Sie nicht hereinkommen? Vater wird bald zurück sein. Was darf ich Ihnen anbieten?« »Whisky, Gin oder Rum!« platzte Wernicke heraus. »Wenn’s geht: unverdünnt!« Dann saß er im bequemen Lehnstuhl im Arbeitszimmer des Alcalden und probierte die guten Getränke, die man ihm serviert hatte. Dolores hatte sich entschuldigt und war nach ne-
benan, in die Küche, gegangen. Eine wohlige Müdigkeit überkam den guten Fritz. Er schlief ein. Wie lange er geschlafen hatte, wußte er nicht zu sagen. Es war schon dunkel im Zimmer, als er aus tiefem Schlummer auffuhr. Irgendein Geräusch war in seine Träume gedrungen, irgend etwas war geschehen. Hellwach blickte er um sich und stand leise auf. Unter der Tür zum Nebenraum fiel ein schmaler Lichtstreifen herein. Von nebenan drangen Laute durch die Tür – Poltern und hastige Schritte. Und jetzt – ein Hilferuf! Mit zwei Schritten war Wernicke an der Tür und öffnete sie geräuschlos. Sein Blick überflog den hell erleuchteten Raum. Durch das große Fenster, dessen Scheibe von außen zertrümmert worden war, wehte der Abendwind herein und bauschte die Vorhänge auf. Tisch und Stühle waren verschoben oder umgestoßen. In die äußerste Ecke des Raumes geflüchtet, stand Dolores – die Arme in Abwehr ausgestreckt. Drei Schritte vor ihr, mit dem Rücken zu Wernicke, stand in lauernder Haltung ein Mann in phantastischem Wildwestkostüm. Der Mann rief Dolores Worte in spanischer Sprache zu. Plötzlich schnellte er sich vor und griff nach ihr. Gellend klang ihr Hilferuf auf. Fritz Wernickes Augen blitzten. Da kam er ja gerade im richtigen Augenblick! »Halt!« brüllte er und stand im nächsten Moment dicht hinter dem Rowdy. Der fuhr herum und riß die Revolver aus den Halftern. Aber er kam um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Die harte Faust des kleinen, drahtigen Kerlchens landete krachend unter seinem Kinn. Die Revolver entluden sich und sandten ihr Blei wirkungslos in die gegenüberliegende Wand. Dann fielen sie polternd auf den Fußboden. Ihr Besitzer taumelte an
die Wand zurück und rutschte langsam an ihr herunter. Fritz Wernicke grinste vergnügt. »Nun, Caballero, das war ’ne Überraschung, nicht wahr?« Der Rowdy war urplötzlich vom Boden hoch und warf sich mit einem Fluch auf den kleinen Weltraumpiloten. Doch abermals hatte er seinen Gegner unterschätzt. Wernicke warf sich zur Seite. Der andere verfehlte ihn und stürzte über einen Stuhl. Sofort war Wernicke neben ihm, riß ihn hoch, stieß ihn gegen die Wand. Was dann kam, war für den finsteren Caballero alles andere als ruhmvoll. Der kleine Fritz deckte ihn mit einem wahren Trommelfeuer von Ohrfeigen ein. Längst hatte er alle Gegenwehr aufgegeben. Er tappte ziellos mit den schmutzigen Händen in der Luft herum, heulte und fluchte zum Steinerweichen. »Ich werde dich lehren, bei ehrbaren Leuten einzubrechen und schutzlose Señoritas zu überfallen«, schrie Wernicke in das Klatschen der prasselnden Schläge hinein. »Ich werde dich lehren…« Erst jetzt sah er, daß sie nicht mehr allein waren. Der Alcalde und Harry Hilton waren unbemerkt eingetreten. Verängstigt hatte sich Dolores zu ihrem Vater geflüchtet. »Ist das einer von Ihrem Haufen, Sir?« fragte Wernicke und stieß den jammernden Strauchdieb zu Hilton hin. Der junge Expeditionsleiter blickte forschend in das verschwollene Gesicht. Doch dann erkannte er es, und eine unbändige Wut überkam ihn. »McBrown! Also doch! Ich hatte Sie schon vorher im Verdacht. Ich würde Sie auspeitschen lassen, wenn Sie Ihre Strafe nicht schon bekommen hätten. Danken Sie Ihrem Schöpfer, daß Sie nicht mir in die Hände fielen. Und nun hinaus mit Ihnen! Sie sind fristlos entlassen. Banditen Ihres Schlages dulde
ich nicht unter meiner Mannschaft. Verschwinden Sie, aber sofort! Treffe ich Sie binnen 10 Minuten noch im Lager an, dann setzt es ’ne blaue Bohne!« Percy McBrown zögerte keinen Augenblick. Er schien froh zu sein, noch so verhältnismäßig glimpflich davonzukommen. Doch in der Tür drehte er sich noch einmal um. »Das sollt ihr mir büßen. Ich rechne noch mit euch ab – schneller, als ihr es erwartet – so wahr ich Percy McBrown heiße.« Dann verschluckte die Dunkelheit die wüste Gestalt des Abenteurers. »Señor Wernicke, ich bin Ihnen zu größtem Dank verpflichtet«, ergriff der Alcalde schwer atmend das Wort. »Kommen Sie, Señor«, rief Fritz aufgeräumt und faßte den Hausherrn unter. »Auf den Schreck müssen wir einen trinken.« Hilton blieb mit Dolores allein. Er half ihr, die Küche von den Spuren des Kampfes zu säubern. Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. »Sie waren sehr hart gegen diesen McBrown«, sagte Dolores und hielt in ihrer Arbeit inne. »Viel zu wenig«, knurrte Harry wütend. »Ich hätte den Schuft umbringen können.« »Sie haben sich ihn zum Todfeind gemacht.« »Ich fürchte ihn nicht.« »Sie hätten ihn nicht einfach entlassen sollen. Er wird sich an Ihnen rächen. Und ich will nicht, daß Sie durch mich in Gefahr geraten.« »Dolores!« Harry Hilton blieb vor ihr stehen. Er nahm ihre Hände und blickte ihr forschend in die Augen. »Glauben Sie mir: Für Sie würde ich jede Gefahr auf mich nehmen!« Die junge Mexikanerin lächelte. Mehr denn je kam er ihr vor
wie ein großer, unbeholfener Junge, als er da vor ihr stand – mit geröteten Wangen, klopfenden Pulsen und strahlenden Augen. Ein Gefühl von Rührung und Zuneigung wollte von ihr Besitz ergreifen. Doch sie machte sich sanft los und sagte: »Ich danke Ihnen, Harry, Aber – täuschen Sie sich nicht vielleicht doch? Sie kennen mich kaum, und in wenigen Monaten wird Ihre Arbeit hier beendet sein, und ich werde wieder nach Pasadena gehen. Dann wird nichts mehr sein als die Erinnerung. Hüten Sie Ihr Herz, Harry!« * »Atomboß« Ted S. Cunningham verbrachte noch einen halben Tag und eine Nacht in peinigender Unruhe, bis ihn die Nachricht über das Schicksal der Vermißten erreichte. Er war gegen Morgen in einen bleiernen Schlaf gesunken, als ihn die Klingel des Fernsprechers jäh in die Wirklichkeit zurückholte. »Ah – ja?« gähnte er verschlafen ins Telefon. »Hier Fernmeldestelle Orion-City«, meldete eine sachliche Stimme. »Telegramm aus Chalchicomula, Sir.« »Was ist los? Woher, bitte?« »Aus Chalchicomula, Sir.« »Chal… cico… cicumolu? Wo liegt denn dieses Kaff?« »In Mexico, Sir. Im Staate Puebla.« Cunningham wurde wütend. »Verdammt – was sollen denn diese verfrühten Silvesterscherze? Sie sind wohl total verrückt geworden, mich mit solchem Quatsch aus dem Schlaf zu holen?« »Es handelt sich um Kommodore Parker, Sir.« »Um Parker?« Der Boß war mit einem solchen Satz aus den Federn, daß das ganze Schlafzimmer unter dem Aufprall seiner Massen erzitterte. »Himmeldonnerwetter! Sie Riesen-
mondkalb! Warum sagen Sie das denn nicht gleich?« »Verzeihung, Sir, aber Sie haben mich ja nicht zu Worte kommen lassen.« »Ruhe!« brüllte Cunningham außer sich. »Das heißt: Reden Sie! Rasch – die Meldung!« Vom anderen Ende der Leitung kam ein umständliches Räuspern. Dann erklang wieder die nüchtern-sachliche Stimme des gewissenhaften Beamten: »An Generaldirektor Cunningham, Hauptverwaltungsgebäude, Orion-City, Arizona, USA.: Flugzeugabsturz am Pico de Orizaba. Maschine explodiert. Zwei Insassen schwer verletzt geborgen. Namen: Jim Parker, Fritz Wernicke. Befinden sich in Monte Caliente, östlich Chalchicomula. De Tuxtla, Alcalde.« »Danke!« Cunningham legte den Hörer auf die Gabel und atmete schwer. Eine Hiobsbotschaft. – Parker und Wernicke schwer verletzt in irgendeinem unbekannten Kuhdorf im finstersten Mexico! Aber wenigstens Gewißheit – und noch waren sie ja am Leben. Lebten sie wirklich noch? Wie viele Stunden mochten seit dem Unfall schon vergangen sein? Und hatten sie ärztliche Hilfe? Es mußte sofort etwas geschehen. Schon war Cunningham wieder am Telefon und rief die Zentrale an. »Verbinden Sie mich sofort mit Professor Pelton!« Professor Pelton war der Chefarzt des Städtischen Krankenhauses von Orion-City. Er genoß in der Fachwelt als Chirurg einen ausgezeichneten Ruf. Dem Atomboß war der tüchtigste Arzt für seine besten Männer gerade gut genug. Es dauerte immerhin 10 Minuten, bis der Apparat wieder schrillte und sich die verschlafene Stimme des Arztes meldete. »Hier Pelton. Was ist los?« »Hier Cunningham. Professor, Sie müssen sofort nach Mexi-
co fliegen.« Schweigen. Dann wieder die Stimme Professor Peltons, erstaunt und ärgerlich: »Verzeihung, Sir, aber sind Sie vielleicht ein bißchen übergeschnappt?« »Ich bin ganz und gar nicht übergeschnappt! Hören Sie doch: Unser Raumschiffkommodore, Jim Parker, ist über Mexico abgestürzt. Er ist vielleicht in diesem Augenblick schon tot…« »Dann kann ärztliche Kunst ihm auch nicht mehr helfen«, warf der Professor nüchtern ein. »Unsinn!« tobte Cunningham. »Er ist ja noch gar nicht tot. Aber wenn Sie noch lange herumreden, wird er bald tot sein – er und sein Steuermann Wernicke.« Professor Pelton war jetzt ganz bei der Sache. »Gut, Sir. Was kann ich tun?« »Machen Sie sich sofort reisefertig, Professor. Ich schicke Ihnen meinen Wagen. In 20 Minuten startet Ihr Flugzeug.« Zwanzig Minuten später erhob sich ein Strahlflugzeug vom Typ ›Shooting Star‹ vom Zentralflugfeld Orion-City in die Lüfte und schoß mit heulenden Düsen in Richtung Mexico-City davon. * Den vereinten Bemühungen Professor Peltons und Doktor Pablos gelang es bald, Jim Parker wieder auf die Beine zu bringen. Zwar war es ihm noch nicht gestattet, die Krankenstation zu verlassen, aber er nahm bereits wieder Anteil an seiner Umgebung und fühlte die entschwundenen Lebensgeister wiederkehren. Am meisten freute es Ihn, sich mit seiner charmanten Pflegerin Dolores zu unterhalten. Das junge Mädchen wiederum beobachtete mit lebhafter Freude die Fortschritte, die ihr be-
rühmter Patient von Stunde zu Stunde machte. Am Nachmittag des zweiten Tages nach seiner Rückkehr ins Leben empfing Parker den Besuch Harry Hiltons, der mit seinem ganzen Expeditionsstab erschien. Interessiert musterte der Kommodore die Männer, die an der Verwirklichung eines so kühnen Projekts arbeiteten. Den jungen Boß des Unternehmens, den aufgeweckten, rotblonden und sommersprossigen Harry Hilton, hatte Jim Parker längst ins Herz geschlossen. Er fühlte sich ihm irgendwie wesensverwandt. Auch Professor Cristobal berührte ihn sympathisch, doch kam ihm der würdige, alte Herr, der sich mit so jünglingshaftem Eifer in seine Wissenschaft vergrub, ein kleines bißchen unheimlich vor. Der Kommodore hatte so seine Erfahrungen mit versponnenen Gelehrten dieser Art. Mit Grauen dachte er noch an die Erlebnisse zurück, in die ihn Doktor Hoover auf der Venus-Expedition gestürzt hatte. Franz Donnerkeil war ein biederer Mann von echtem Schrot und Korn, einer von jenen, zu denen Jim Parker auf den ersten Blick volles Vertrauen gefaßt hätte. Anders verhielt es sich mit dem ›Einkäufer‹ der Expedition, Mister Meyers. Ein äußerlich farbloser Geschäftsmann, der alles scharf beobachtete, aber seinerseits darauf bedacht zu sein schien, sich nicht in die Karten gucken zu lassen. »Und welches sind nun Ihre nächsten Pläne – wenn Sie erst wieder in Orion-City sind?« fragte Hilton den Kommodore interessiert. Jim Parker wollte gerade antworten, als Dolores ihm zuvorkam: »Bitte, Harry, ein andermal. Unser Patient braucht dringend Ruhe. Für heute ist die Besuchszeit zu Ende.« Doch kaum hatten die Besucher den Raum verlassen, als es wieder an der Tür klopfte und Fritz Wernickes Gesicht mit
spitzbübischem Grinsen hereinlugte. »Darf ich eintreten, Señorita?« fragte er mit gespielter Schüchternheit. »Eigentlich – nein«, protestierte Dolores. »Wenn eine Frau ›eigentlich nein‹ sagt, meint sie immer ›ja‹,« erwiderte Wernicke sachverständig, kam ohne weitere Umstände herein und setzte sich an Parkers Bett. »Solch eine Frechheit!« rief Dolores und mußte lachen. »Also, meinetwegen. Aber nicht länger als 10 Minuten. Unser Patient muß sich noch schonen.« Mit einem Kopfnicken ging sie hinaus. »Jim, alte Mondrakete«, sagte Wernicke, als sie allein waren, »nun erzähle mir mal erstens, wie du dich fühlst, und zweitens, was es hier zu trinken gibt in diesem komischen Ausschank.« »So viele Fragen auf einmal, mein lieber Fritz«, entgegnete Parker vorwurfsvoll. »Also – erstens: den Verhältnissen entsprechend gut, und zweitens: schau mal dort drüben im Spind nach.« Der kleine Steuermann ließ es sich nicht zweimal sagen und kam gleich danach mit einer vollen Kognakflasche zurück. Ohne viel Umstände zu machen, entkorkte er sie und goß sich den edlen Stoff in die ausgedörrte Kehle. »Ah«, machte er gedehnt und stellte die Flasche neben sich auf den Fußboden. Er reichte seinem Freund Zigaretten und Feuer und lehnte sich behaglich zurück. »Habe mich inzwischen ein wenig da draußen umgeschaut«, fing er an zu berichten. »Mächtig interessante Sache, die sie da bauen. Scheint aber ein verdammt gefährliches Spiel mit dem Feuer zu sein.« »Nach allem, was mir Señorita Dolores erzählt hat, scheint es das tatsächlich zu sein – im wahrsten Sinne des Wortes. Na, ich
denke, daß ich mir den Betrieb morgen oder übermorgen schon mal ansehen kann.« »Prost!« sagte Wernicke. »Ja, übrigens – hier scheint einiges nicht ganz geheuer zu sein. Dieser Flegel, den ich neulich geohrfeigt habe, und der sich dann mit finsteren Drohungen verabschiedete, treibt sich noch in der Gegend herum. Schätze, er führt nichts Gutes im Schilde. Und die Gesichter der Indios verheißen auch nichts Gutes. Irgendwas liegt in der Luft.« »Was mir bislang am wenigsten gefällt, ist das Fischgesicht von diesem Meyers. Der Kerl schaut so farblos aus der Wäsche, daß…« Ein leichtes Beben ging durch den Raum und ließ die Fensterscheiben und die Gläser auf dem Nachttisch erzittern. Dann folgte ein stärkerer Stoß. Der Kommodore unterbrach seine Rede und lauschte gespannt. Fritz Wernicke brachte mit raschem Griff die kostbare Flasche in Sicherheit. Von draußen herein drangen aufgeregte Rufe. Wernicke hatte das Fenster aufgerissen. Die beiden Freunde schauten zum Gipfel des Vulkans empor. Aus dem Krater schoß eine feurige Lohe in die Höhe. Dicke, glühend erleuchtete Qualmwolken quollen hinterher. Ein fernes Poltern begleitete die unheimliche Erscheinung. »Es scheint, daß unsere alte Erde auch für die abgebrühtesten Weltraumfahrer noch manche Überraschung auf Lager hat«, sagte Jim Parker ahnungsvoll. »Höchste Zeit, daß ich wieder an Deck komme! Schätze, mein lieber Fritz, wir gehen mal wieder interessanten Ereignissen entgegen.« * Percy McBrown witterte mißtrauisch in alle vier Windrichtungen, als sein wörtkarger Führer das Buschwerk zur Seite bog
und eine einladende Handbewegung machte. »Wenn das eine Falle ist, du verdammter brauner Halsabschneider«, knurrte er den Indio an, »dann holt dich der Teufel, bevor du einen Ton herausbringst.« Er stieß dem Mann den Lauf seines Revolvers zwischen die Rippen und schob ihn vor sich her. Sie drangen in die Schlucht ein, die zu dem verborgenen Tempel führte. Als McBrown die Pyramide im Licht des zunehmenden Mondes erblickte, erschien ein gieriges Leuchten in seinen Augen. »Ein Aztekentempel«, murmelte er. »Wenn dort Gold verborgen wäre…« Ängstlich sah sich der Führer um und schlüpfte dann vor dem Abenteurer in den schwach erleuchteten Eingang des Tempels hinein. McBrown sah sich einer Versammlung ärmlich gekleideter Indios gegenüber, die schweigend am Boden hockten. Seine flinken Augen durchflogen den Raum. Doch außer dem steinernen Götterbild konnte er nichts Interessantes wahrnehmen. Nun ja, das besagte noch nichts. Selbstverständlich würden die Schätze nicht offen zutage liegen. Aber er würde sie schon zu finden wissen. »Der Fremde mißtraut seinen Freunden«, drang eine leicht spöttische Stimme an sein Ohr. »Das sollte er nicht tun. Von uns droht ihm keine Gefahr.« Mit einer verächtlichen Geste schob McBrown das Schießeisen in den Halfter zurück. »Du hast mich rufen lassen, um mir ein Geschäft anzubieten, Acatlan. Kommen wir zur Sache!« Der Alte hatte sich erhoben. »Der Geist des Berges…« »Papperlapapp«, unterbrach ihn der Abenteurer und winkte ungeduldig ab. »Spar dir deinen Hokuspokus und erkläre klipp und klar, was du von mir willst!«
Acatlan schien gekränkt, aber er ließ sich nicht viel anmerken und bewies, daß er – wenn es sein mußte – auch die geschäftlich-nüchterne Sprache der verhaßten Gringos beherrschte. »Die Fremden, die sich in Monte Caliente eingenistet haben, sind unsere Feinde ebenso wie die Ihrigen, Señor. Wir werden ihr Werk vernichten. Wollen Sie uns dabei helfen?« McBrown schob den Sombrero in die Stirn und kratzte sich am Kopf. »Hm – hätte nicht übel Lust. Aber ganz so einfach, wie ihr euch das denkt, dürfte es wohl nicht sein. Wie stellen sich meine neuen ›Freunde‹ die Sache denn vor?« »Die Fremden haben einen Stoff mitgebracht, mit dem sie Felsen zersprengen können. Sie nennen ihn Dynamit.« »Hahaha, alter Freund! Bilde dir nur nicht ein, daß du an dieses gefährliche Zeug herankommst. Das halten sie dreifach gesichert unter Verschluß.« Der Alte lächelte geheimnisvoll. »Vor etlichen Tagen wurde im Bauch des Berges eine große Sprengung vorbereitet. Doch der Berg bebte und donnerte. Die Furcht trieb die Männer in die Flucht – die Sprengung unterblieb, und sie ließen alles zurück. Nur Juarez blieb. Unbemerkt konnte er etwas von dem Dynamit beiseite schaffen. – Juarez, tritt vor!« Ein kleiner Indianer mit verschlagenem Ausdruck stand aus dem Kreis der Verschwörer auf. Aus einer schmutzigen Decke brachte er ein Bündel Dynamitpatronen zum Vorschein. »Alle Achtung, du alter Gauner«, sagte McBrown und nickte Juarez anerkennend zu. »Und was soll nun damit geschehen? Wollt ihr den Stollen in die Luft sprengen?« »Allerdings«, gab Acatlan zögernd zu. »Aber – wir wissen nicht, wie man dieses Dynamit behandelt.« »Vor allem: kommt dem Feuer damit nicht zu nahe!« rief McBrown und spürte, wie sich ihm die Haare sträubten. »Sonst knallt’s, und von eurer komischen Bude hier bleibt nichts übrig
als ein großes Loch im Boden und ein Haufen Steine drum herum.« Juarez wich so erschreckt zurück, daß er gegen das Götterbild stieß und die Dynamitpatronen zu Boden fielen. Die Indios sprangen entsetzt auf und drängten in panischer Angst ins Freie. McBrown lachte ihnen höhnisch nach und spie verächtlich aus. »Will unser weißer Freund uns helfen«, nahm Acatlan, der als einziger die Fassung bewahrt hatte, das Gespräch wieder auf. Der Abenteurer witterte seine Chance. Er legte sein wüstes Gesicht in nachdenkliche Falten und wiegte überlegend den Kopf. Ein verschlagenes Leuchten trat in seine Augen. »Es ist sehr, sehr schwierig – und außerordentlich lebensgefährlich.« »Unser Freund würde es nicht zu bereuen haben«, ermunterte ihn der Alte. »Doch worin soll der Preis bestehen? Ihr Indios seid arme Leute.« Wieder glitt ein geheimnisvolles Lächeln über das Gesicht Acatlans. Aus den Falten seines Gewandes brachte er einen blanken Gegenstand hervor und ließ ihn in die Hand des überraschten Abenteurers gleiten. Es war ein altindianischer Ring aus schwerem Golde! Also doch, dachte McBrown triumphierend. Die braunen Halunken haben Schätze verborgen, die man ihrem zerlumpten Äußeren gar nicht zutraut. Aber, wartet nur! Der Tempelschatz wird bald seinen Besitzer gewechselt haben! »Unser Freund kann mehr von dem Gold haben – so viel er forttragen kann«, klang jetzt Acatlans beschwörende Stimme dicht an seinem Ohr. »Vernichte das Werk der Fremden – und das Gold gehört dir!«
»Abgemacht!« erklärte McBrown, ließ den kostbaren Ring in die Tasche gleiten und reichte dem Alten die Hand. »Wann soll’s denn losgehen?« »In drei Tagen werden die Fremden den Bau vollenden. Sie werden sich dann alle tief im Leib des Berges befinden. Das ist die günstigste Gelegenheit – und vielleicht die letzte.« »Geht in Ordnung. – Aber, das sage ich dir: Wenn ihr Halunken mich betrügt…« Ein undeutbares Lächeln stand in des Alten Gesicht, als er leise und nachdrücklich sprach: »Du hast mein Wort, Fremder. Acatlan bricht sein Wort nie. Doch geh’ jetzt. Wir müssen ins Dorf zurück. Allzu lange Abwesenheit würde Verdacht erregen.« Aber Percy McBrown ging noch nicht. Beklemmend fiel ihm plötzlich etwas ein. »Fast hätte ich es vergessen«, sagte er zu Acatlan: »Es sind ein paar neue, gefährliche Burschen im Lager aufgetaucht, dieser Parker und sein Kumpan. Sie stehen mit allen Teufeln im Bunde. Ich will verdammt sein, wenn sie uns nicht im entscheidenden Augenblick einen Strich durch die Rechnung machen.« »Wir müssen sie von Monte Caliente fernhalten«, schlug der Alte vor. Dem Abenteurer kam ein Einfall. Flüsternd erklärte er Acatlan seinen Plan. Der nickte mehrmals zufrieden und sagte dann: »Es wird gelingen. Wenn die Fremdlinge aus dem Norden begreifen, daß sie getäuscht wurden, wird es bereits zu spät sein. Juarez wird dir helfen, den Plan auszuführen.« * Professor Pelton war selbst überrascht, wie schnell sich sein Patient wieder erholte. Die kräftige Natur des Kommodores
ließ ihn die Nachwirkungen seines Unfalls in wenigen Tagen überwinden. Zum ersten Male durfte er heute, am Arm seiner schönen Pflegerin, das Lager verlassen. Munter plaudernd schritten die beiden jungen Menschen ins Dorf hinab. Es fiel Jim Parker auf, daß kaum ein männlicher Bewohner zu entdecken war. »Sie sind fast alle als Hilfsarbeiter beim Tunnelbau beschäftigt«, erklärte Dolores auf seine Frage. »Señor Hilton braucht Leute, und es gibt gute Dollar zu verdienen.« Sie schlugen den Weg nach der Baustelle ein. Das Gebäude des Kraftwerks ließ schon deutlich seinen künftigen Bestimmungszweck erkennen. Ein Heer von Bauarbeitern schaffte emsig an seiner Fertigstellung. Vor dem Tunneleingang trafen sie Fritz Wernicke, der seinen Freund freudig begrüßte. »Hallo, Jim, großer Häuptling! Dem Himmel sei gedankt, daß du wieder auf den Beinen bist!« »Dank der hilfreichen Assistenz von Señorita Dolores geht es schon wieder«, entgegnete Jim und lächelte seine Begleiterin an. »In spätestens acht Tagen starten wir wieder – zum Mond, zur Weltraumstation oder sonstwohin.« »Sie haben es ja furchtbar eilig, uns zu verlassen«, sagte Dolores vorwurfsvoll. »Werden Sie mir denn wenigstens eine Ansichtskarte aus dem Weltraum schicken?« »Hätten Sie nicht Lust, selbst mal mitzufahren?« erkundigte sich Wernicke. »Oder sieht es Harry Hilton nicht gern?« Dolores errötete – und sie ärgerte sich, als sie es merkte. »Das weiß ich nicht. Da müssen Sie ihn schon selbst fragen«, wich sie aus. Sie betraten zu dritt den Stollen und drückten sich am Fließband vorbei, das unablässig Gesteinsbrocken aus dem Berginnern ins Freie beförderte. Unwillkürlich faßte Dolores Jim Parkers Arm fester. Die Erinnerung an das unheimliche Erleb-
nis bei ihrem ersten Besuch im Stollen wurde wieder in ihr lebendig. Der Kommodore sah interessiert der Arbeit zu. Ein kühnes Projekt wurde hier Wirklichkeit. Wichtige Rohstoffe, die der Menschheit jahrzehntelang Energie und Wohlstand geliefert hatten, drohten zu versiegen. Da suchte der menschliche Erfindergeist nach neuen Quellen und erschloß sie mit den Mitteln seiner modernen Technik. Dumpf und beklemmend wurde die Luft, als sie tiefer in den Gang eindrangen. Und beklemmend war auch die Stimmung um sie herum. Jim Parkers forschende Blicke waren überall. Es entging ihnen auch nicht die kaum verhohlene Feindschaft, die aus Blicken und Gebärden der indianischen Arbeiter sprach. * »Morgen ist es so weit!« Freude und Genugtuung sprachen aus Harry Hiltons Worten, als er am nächsten Abend mit Dolores am Rande des kleinen Gehölzes entlangschlenderte. »Der Professor ist fest der Meinung, daß wir morgen im Laufe des Tages bis ins Kraterinnere vordringen werden. Dann haben wir den schwersten Teil der Arbeit geschafft.« »Großartig!« sagte Dolores, und ihre Freude war echt. Aber so etwas wie eine geheime Ahnung ließ sie innerlich nicht zur Ruhe kommen. »Der Vulkan – er ist in letzter Zeit so unberechenbar. Sind Sie sicher, Harry, daß alles gut gehen wird?« Hilton lachte unbesorgt. »Der alte Pico ist ein Angeber. Er macht viel Lärm um nichts. Professor Cristobal meint, es drohe keine Gefahr. Und er muß es schließlich wissen.« »Der Professor – ich weiß nicht, er kommt mir manchmal vor
wie ein Kind, das sich an einem gefährlichen Spielzeug freut und die Gefahr nicht kennt. Jedenfalls werde ich morgen keine ruhige Minute haben und erst dann froh sein, wenn Sie wieder draußen sind.« Dolores hatte erregt gesprochen und atmete schwer. Hilton versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, aber die Dunkelheit verbarg es ihm. »Würden Sie – würdest du sehr traurig sein, Dolores, wenn ich nicht zurückkehrte?« fragte Harry Hilton stockend. Diesmal antwortete ihm nur ein verhaltenes Schluchzen. Da nahm Hilton sie In die Arme und küßte sie. Ein Blitzen von der Spitze des Feuerberges, gefolgt von grollendem Donner, riß die beiden roh in die Wirklichkeit zurück. Verstört blickten sie auf das grausige Schauspiel der nächtlichen Eruption. Die Luft vibrierte unter dem Grollen des Vulkans. Und aus dem Dickicht des Gebüsches neben ihnen ertönte ein schrilles, höhnisches Gelächter. * Jim Parker lag im ersten Schlummer, als ein leises Klopfen am Fenster ihn auffahren ließ. Erstaunt stand er auf, öffnete und blickte hinaus. In der Dunkelheit erkannte er undeutlich die Gestalt eines Indios, der ihm ein Blatt Papier entgegenhielt. »Der Alcalde schickt dies, Señor. Ein Telegrafenbote aus Chalchicomula hat es gebracht.« Der Kommodore nahm den Zettel, machte Licht und las halblaut die Botschaft. »Blitztelegramm aus Orion-City: An Kommodore Parker, Monte Caliente über Chalchicomula, Puebla, Mexico. Wrackteile des verunglückten Flugzeugs zwecks Untersuchung hier
dringend benötigt. Sofort sicherstellen und per Luftfracht nach Orion-City senden. Cunningham.« »Na, der Boß hat Sorgen«, maulte Wernicke, der inzwischen auch wach geworden war. »Glaube kaum, daß wir noch viel von der Kiste finden werden. Wie hieß es doch früher immer so schön? ›Der Rest wurde am Boden zerstört‹.« Jim Parker wendete das Blatt nachdenklich in den Händen. Sein kleiner Freund wurde ungeduldig. »Also, edler Scheich, was sollen wir tun?« Der Kommodore zuckte die Achseln: »Befehl ist Befehl. Wir brechen morgen früh auf. Möchte nur wissen, wo wir Führer und Träger hernehmen sollen.« Der Bote mußte die Worte gehört haben. Seine Stimme klang vom Fenster her: »Verzeihung, Señor, der Alcalde läßt Ihnen sagen, daß er Ihnen für morgen 12 Männer zur Verfügung stellen will. Juarez wird Sie führen, er kennt den Ort. Sie brauchen nur zu sagen, wann Sie aufbrechen wollen.« »Gut«, erklärte Parker kurz entschlossen. »Sage dem Alcalden meinen Dank und bestelle Juarez mit den Trägern für 5 Uhr früh an den Lagereingang. Gute Nacht!« »Buenas noches, Señor.« Der Kommodore schloß das Fenster. Er sah nicht mehr das höhnische Lächeln im Gesicht des Boten, der lautlos in der Dunkelheit untertauchte. Am anderen Morgen brach in aller Frühe eine Karawane vom Lager bei Monte Caliente auf. Außer Jim Parker und Fritz Wernicke war auch Professor Pelton mit von der Partie, der seine Patienten nicht aus den Augen lassen wollte und sich auch sonst auf den Ritt durch das mexikanische Hochgebirge freute. Ein Dutzend Indios stand mit Maultieren bereit. Juarez übernahm die Führung und lenkte sein Tier in nördlicher Richtung aus dem Lager hinaus.
* Die Arbeit im Stollen zog sich wider Erwarten in die Länge. Nach den Messungen Professor Cristobals hatte man schon für den Mittag mit dem Durchbruch gerechnet. Möglicherweise waren durch die Vulkantätigkeit der letzten Tage irgendwelche nicht vorauszusehende Veränderungen eingetreten. Jedenfalls rührte sich um die Mittagszeit noch nichts. Eine neue Sprengung wurde notwendig. Mit unendlicher Vorsicht gingen Sprengmeister und Spezialarbeiter zu Werke. Das Fließband wurde weiter vorgezogen, um den Tunnel rasch vom losgesprengten Gestein befreien zu können. Die Männer arbeiteten im Schweiße ihres Angesichtes. Die Hitze war so stark, daß die Mannschaften in immer kürzerer Folge abgelöst werden mußten. Nur Hilton, Donnerkeil und der Professor harrten in der vordersten Linie aus, gönnten sich nur hin und wieder einen kurzen Augenblick des Ausruhens in der erfrischenden Bergluft außerhalb des Tunnels. Um die Luft- und Temperaturverhältnisse an der Arbeitsstelle halbwegs erträglich zu gestalten, sorgte ein kräftiger Winderzeuger ununterbrochen für die Zufuhr frischer Atemluft, während die verbrauchte im gleichen Maße abgesaugt wurde. Hilton hatte eine Berieselungsanlage gebaut, so daß die Arbeiter ihr schweres Werk unter einem Schleier kühlenden Wassers vollbringen konnten. Die Abenddämmerung ging in eine dunkle, sternlose Nacht über. Durch die tiefhängende Wolkendecke wurde die Erde nur schwach vom Mondlicht erhellt. Sie lag in dumpfer Erstarrung ausgebreitet – so, als wartete sie tatenlos auf die Erfüllung einer unbekannten Drohung. Doch endlich war es soweit! Es konnte kein Zweifel mehr be-
stehen: Nur eine dünne Wand trennte die Menschen noch von dem tiefen Schacht des Feuerberges. Jetzt war äußerste Sorgfalt geboten. Gewissenhaft wurden die Tore in den Fels eingelassen, die bei Vulkanausbrüchen geschlossen werden sollten, um die glühend-flüssige Lava am Eindringen in den Stollen zu hindern. Endlich war auch diese Arbeit getan. »Werden sie im Ernstfall standhalten?« fragte Franz Donnerkeil mißtrauisch und klopfte mit einem Hammer an das Metall, das ihm merkwürdig schwach vorkam. »Keine Sorge«, erklärte Mister Meyers, der für alles Material verantwortlich zeichnete, im Brustton der Überzeugung. »Ich habe die Tore aus bestem, feuerfestem Stahl herstellen lassen. Eine Speziallegierung.« »Hat aber auch das Zehnfache gekostet«, warf Hilton ein. »Dafür haben Sie auch unbedingte Garantie, Sir«, erwiderte der Einkäufer geschmeidig. »Und die Sicherheit geht ja schließlich über alles.« Durch das jetzt offene Tor drang eine Schar von Spezialisten weiter vor, um mit Spitzhacken die letzte Wand zu zerschlagen und den Zugang zum Krater herzustellen. Die Männer steckten in Asbestanzügen und trugen Atemgeräte, um den vulkanischen Gasen standzuhalten. In atemloser Spannung verfolgten die anderen jede Bewegung ihrer Kameraden. Viel zu langsam fraßen sich die Hacken in das Gestein hinein. Die Minuten tropften langsam dahin. Da – ein Ruck ging durch die Arbeitenden! Einer der Männer winkte heftig zurück, schlug dann wieder wie wild auf das Gestein los. Die übrigen folgten seinem Beispiel. Plötzlich löste sich ein großer Felsbrocken und verschwand rückwärts im Nichts.
»Hurra!« schrie Franz Donnerkeil und warf die Arme in die Luft. »Hurra! – Es ist gelungen! – Hurra!« brüllten auch alle anderen und führten einen wahren Freudentanz auf. Harry Hilton strahlte. Der Durchbruch in den Krater war geglückt – die schwierigste Bauphase des ganzen Unternehmens erfolgreich beendet. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen – mochte sich der Vulkan auch noch so grimmig aufführen. »Na, Gentlemen, wenn das kein Grund zum Trinken ist«, rief Mister Meyers meckernd und zog eine Whiskyflasche aus der Tasche. Rasch waren vier Aluminiumbecher gefüllt. »Prost! Auf den Endsieg!« rief Franz Donnerkeil vergnügt und nickte Hilton zu. Alle hoben die Becher zu den Lippen. Da war es. plötzlich, als wollte, die Erde bersten. Ein furchtbares Rollen rumorte aus, der Tiefe herauf. Feuerschein flackerte. Stöße erschütterten den Gang und die Männer, die krampfhaft, nach einem Halt suchten. Steine prasselten herab. Durch die offenen Stahlrohre quoll Rauch und hüllte mit heißen, giftigen Schwaden alles ein. »Der Vulkan bricht aus!« Harry Hilton schrie es mit überschnappender Stimme. »Alle Mann zurück! Die Tore schließen!« Durch die Toröffnung tasteten sich stolpernd die Männer zurück, die draußen noch an der Verbreiterung des Durchbruches gearbeitet hatten. Im Schüttern der Stöße, im Prasseln der Steine trat Hilton ihnen entgegen, versuchte sie abzuzählen. Als der letzte Mann den Durchgang passiert hatte, warf sich Hilton, von Donnerkeil unterstützt, mit aller Kraft gegen die Stahltüren. Ein paar besonnene Arbeiter kamen zur Hilfe. Knirschend schlossen sich die Torflügel. Schwer fielen die Riegel vor. Tief atmend traten die Männer zurück. »Das hat gerade noch geklappt«, sagte Hilton erleichtert. »Hallo, Mister Meyers, warum zittern Sie denn so erbärmlich?
Die Gefahr ist doch vorüber.« Der ›Einkäufer‹ lehnte – blaß wie ein Leintuch – an der Wand und sah aus wie die verkörperte Panik. Abgerissene Wortfetzen kamen über seine Lippen: »– die Tore – alles verloren – keine Rettung mehr –« Harry Hilton fand keine Zeit mehr, dem Sinn dieser Worte nachzugehen. Im Innern des Berges quoll es brausend und rauschend herauf. Die heiße Lava drängte empor zum Kraterrand. Alle Blicke wandten sich unwillkürlich zu den Toren. Und da – Hilton sah es zuerst, und er fühlte einen eiskalten Schauer über seinen Rücken kriechen: Die Tore – aus angeblich feuerfester Speziallegierung – wurden glühend! Sie bogen sich in der Gluthitze aus dem Leib der Erde – und gaben dem Druck der Lava nach… »Den Stollen räumen!« Vergebens suchte Hiltons Stimme den Höllenlärm zu übertönen. Es hätte seines Befehls auch gar nicht bedurft. Blitzartig hatte ein jeder die furchtbare Gefahr erkannt. Alles drängte und hastete nach vorn. Da erlosch das Licht! Der Windererzeuger stand still. Sogleich füllte sich der Gang mit heißen, stickigen Dämpfen, die zu würgendem Husten reizten und das Atmen zur Qual machten. In köpfloser Flucht stolperte alles in der tosenden Finsternis dem rettenden Ausgang zu. * Gegen Abend wurde es auch dem arglosesten Gemüt klar, daß die kleine Karawane Jim Parkers sich hoffnungslos verirrt hatte. Professor Pelton, dem das Wohlergehen seiner beiden Patien-
ten sehr am Herzen lag, hatte ein langsames Marschtempo verlangt, und Juarez, der schweigsame Führer, war gleichmütig auf seinen Wünsch eingegangen. Stünde um Stunde schlich der kleine Zug über Stock und Stein, über Berg und Tal, und es schien, als sollte es ewig so weitergehen. Auf alle Fragen, die man an Juarez richtete, kam stets die gleiche Antwort: »Nicht mehr weit – wir sind gleich da.« »Eine tolle Leistung«, sagte Fritz Wernicke anerkennend, »die unsere Freunde vollbringen mußten, als sie uns damals ins Lager transportierten.« Sie standen auf der Kuppe eines kleinen, felsigen Hügels und blickten in die steile, von Geröll übersäte Talsenke zurück, die sie gerade mühsam durchquert hatten. Vor ihnen reihten sich Hügelzüge und flache Täler – eine trostlose, tote Landschaft. Von den Trümmern ihrer verunglückten Maschine war weit und breit keine Spur zu entdecken. Jim Parker runzelte die Stirn: »Unsere Freunde haben gewiß eine sehr schwierige Leistung vollbracht, aber hier hat sich die Geschichte nie und nimmer abgespielt.« Wernicke schaute den Freund betroffen an. »Jim – was willst du damit sagen?« »Was ich damit sagen will? Nun, entweder ist unser Führer Juarez ein Trottel, der den Weg überhaupt nicht kennt – oder er hat uns aus irgendeinem Grunde absichtlich in die Irre geführt, und dann gnade ihm Gott.« Die Dämmerung war hereingebrochen. Die tiefhängenden Wolken ließen das Tageslicht schneller als sonst schwinden. Ein kalter Wind kam in kurzen, heftigen Stößen von Norden her. Der Kommodore trieb sein Maultier an und holte Juarez ein, der gleichmütig an der Spitze ritt. »Sag mal, amigo«, fragte er, und in seiner Stimme schwang ein Ton, der nichts Gutes ver-
hieß, »wie lange soll das noch so weitergehen?« Der Indio wurde der Antwort auf diese Frage auf sehr drastische Art enthoben. Ein Donnern tief im Innern des Berges. Erdstöße erschütterten den Boden and versetzten Mensch und Tier in Schrecken. Hoch droben, wo die Wolkendecke den Gipfel des Pico einhüllte, glomm es rot- und schaurig auf. Das unheimliche Donnern wurde stärker. Heller wurde der Feuerschein hinter den Wolken. Da riß die Wolkendecke und gab den Blick auf den Gipfel frei. Entsetzt starrten die Menschen nach oben. Der Vulkan spie Flammen und Rauch. Glühende Blöcke schossen explosionsartig aus dem Krater und flogen in weitem Bogen zu Tal. Ein breiter Strom glühender Lava quoll von der Bergspitze herab. Er nahm die Richtung auf das Lager bei Monte Caliente. Ein Wirbel von Gedanken durchtobte Jim Parkers Gehirn, während er alle Kraft aufwenden mußte, um sein verängstigtes Reittier zu bändigen. Blitzschnell überblickte er die Lage. Sie waren nahe am Lager. Juarez hatte sie den ganzen Tag kreuz und quer durch die Wildnis und schließlich im Bogen wieder zurückgeführt. Irgendein undurchsichtiger Plan, vielleicht eine Teufelei besonderer Art, schien dahinterzustecken. Und nun – dieses hier: der seit langem befürchtete große Vulkanausbruch! Der Professor hatte sich getäuscht, als er annahm, es bestände keine Gefahr… Der Lavastrom – das Lager – Menschen waren in Gefahr. Jim Parker empfand keine Müdigkeit mehr. Es galt zu helfen – zu retten! Er wandte sich an den Führer: »He, Juarez! Sofort zum Lager zurück! Aber etwas plötzlich, wenn ich bitten darf. Sonst mach’ ich dir Beine!« Doch anstatt dem Befehl zu gehorchen, stieg Juarez ab und
starrte den Kommodore nur feindselig an. Jim Parker durchschaute das böse Spiel, das man mit ihm trieb. Aus irgendeinem Grunde hatte man ihn aus dem Lager entfernen wollen, hatte man ihn und seine Begleiter in der Wildnis in die Irre geführt. Drei Ströme glühender Lava quollen jetzt aus dem Krater und strömten an der Westflanke des Vulkans zu Tal. Das Lager war in Gefahr. Sollte er sich noch länger mit diesem aufsässigen braunen Burschen herumärgern? Es war keine Zeit mehr zu verlieren. »Wernicke, Professor«, wandte er sich an die Gefährten, die bisher schweigend zugeschaut hatten. »Wir müssen sofort zurück, ehe es zu spät ist. Auf unseren tüchtigen Führer ist nicht mehr zu rechnen. Wir müssen den Weg selbst suchen.« Die drei wandten ihre Maultiere – aber da sahen sie sich plötzlich von den Indios umringt. Messerklingen funkelten drohend im ungewissen Licht. Juarez’ Faust umschloß einen schweren Revolver. Aha, dachte Parker, hatte ich also doch recht! Bevor er jedoch einen Entschluß fassen konnte, kam ihm von anderer Seite unverhoffte Hilfe. Der Vulkan stieß unter dröhnendem Donner eine grelle Stichflamme aus. Ein riesiger, glühender Block wurde herausgeschleudert und flog in weitem Bogen, einen Schweif von Funken hinter sich herziehend, durch die Luft. In abergläubischem Entsetzen sahen die Indios das feurige Geschoß herankommen. Knapp 100 Meter entfernt schlug es in den Boden ein. Die Maultiere brachen aus und verschwanden auf Nimmerwiedersehen in der Dunkelheit. In panischem Entsetzen stoben die Indios auseinander. Zitternd ließ Juarez die Waffe sinken. Da hatte Parker sie ihm auch schon entrissen und hielt sie
ihm drohend unter die Nase. »Dein heidnischer Berggott ist gegen dich, du alter Gauner«, sagte der Kommodore spöttisch. »Da laufen sie hin, deine wackeren Freunde – und nun los, zurück zum Lager!« Der Indio wand sich und suchte verzweifelt nach neuen Ausflüchten. Doch da fühlte er den eisernen Griff des kleinen Steuermanns an seiner Kehle, und eine eiskalte Stimme sagte: »Ich zähle bis drei. Wenn wir bis dahin nicht auf dem Wege sind – und zwar diesmal auf dem kürzesten Wege zum Lager, dann schieße ich dir sechs blaue Bohnen in den Leib und lasse dich hier liegen – zur Freude der Geier.« Der Indio knickte zusammen. Sein Widerstand war gebrochen. Willenlos ließ er sich fesseln und mit dem Lasso am Sattel des Kommodores festbinden. Ohne zu zögern, trabte er los. Unter dem Donnern und Krachen des Vulkans, im flackernden Schein der Flammen und Lavaströme, eilte der Rest der kleinen Suchexpedition zum Lager zurück. Keine Minute durfte mehr verloren werden, wenn man Monte Caliente erreichen wollte, bevor es von der Vernichtung ereilt wurde. * Der plötzliche Vulkanausbruch hatte unter den Arbeitern im Innern und außerhalb des Stollens Unruhe ausgelöst. Aber man kannte die Tücken des Pico ja bereits, und Professor Cristobal, der etwas davon verstand, hatte mehr als einmal versichert, es drohe keine Gefahr. Die meisten gingen schon wieder zögernd an ihre Arbeit, als der Schreckensruf durch den Tunnel gellte: »Die Lava dringt ein! Den Stollen räumen!« Die Arbeiter warfen die Spitzhacken fort und drängten eilends dem Ausgang zu. Da erlosch das Licht. In der Dunkel-
heit umherstolpernd, verloren die Männer die bislang mühsam bewahrte Beherrschung. Tief im Innern des feuerspeienden Berges brach die Panik aus! Doch nur den wenigen, die beim Eintritt der Katastrophe nahe dem Eingang des Stollens gearbeitet hatten, sollte die Rettung vergönnt sein. Ein greller Blitz – eine berstende Detonation zerriß den Tunnel. Die Decke stürzte ein und versperrte mit ihren Felstrümmern den Durchgang. Mehr als 200 Arbeiter, und mit ihnen Hilton mit seiner Gruppe, waren von der Außenwelt abgeschnitten – schutzlos dem Wüten des Vulkans preisgegeben, der sie mit glühendem Gesteinsbrei, mit heißen, giftigen Gasen vernichten wollte… Percy McBrown war als einziger zurückgeblieben. Befriedigt blickte er auf sein Werk. Der verbrecherische Anschlag war gelungen. Jetzt galt es, reichen Lohn einzuheimsen. Acatlan, der alte Halsabschneider, würde tief in den Beutel greifen müssen. Doch zunächst mußte er einmal hinaus aus diesem Loch. Greifbar nahe vor ihm war der Tunneleingang, ein rötlicher Kreis in der Schwärze der ihn umgebenden Finsternis. Aber, wie dort unerkannt herauskommen? Sicher würden jetzt Hunderte von Augenpaaren auf den Eingang starren. Unmöglich, ihnen zu entgehen. Er mußte auf eine günstige Gelegenheit warten… Schritte und Stimmen klangen jetzt vom Eingang her. Der Abenteurer hielt den Atem an und preßte sich eng an die Wand. Sein Schatten verschwamm in der Dunkelheit. * Der Rückweg ins Lager war in so kurzer Zeit bewältigt worden, daß Jim Parker und seine Begleiter sich verwundert fragten, womit sie wohl ihre Zeit am vergangenen Tage vertan ha-
ben mochten. Juarez, der gerissene Schurke, mußte sie auf raffinierteste Art und Weise herumgeführt haben. Sie schonten weder ihre Tiere noch sich selbst. Völlig erschöpft trafen sie im Lager ein, wo sie ein Bild völligen Durcheinanders erwartete. Kopflos rannten die Arbeiter durcheinander. Während die einen nach Spitzhacken suchten, um im Tunnel Hilfe zu leisten, versuchten andere, ihre Habe aus den Baracken in Sicherheit zu bringen. Wieder andere brachten völlig sinnlos Feuerlöschgeräte angeschleppt. In diesem Tohuwabohu, in das sich die Zurückkehrenden hineinversetzt sahen, lief ihnen Doktor Pablo in die Arme, der mit zwei Sanitätern zum Kraftwerk eilte. »Schnell, Señores, helfen Sie! Eine furchtbare Katastrophe…« Nichts Gutes ahnend, wollte der Kommodore ihm schon nach, doch da fiel sein Blick auf die Lava, die bedrohlich schnell den Berg herunterdrängte. Die drei schmalen Ströme hatten sich wieder zu einem einzigen vereinigt, und dieser näherte sich breit und unaufhaltsam dem Lager. Jim Parker erkannte die Gefahr und reckte sich in den Steigbügeln hoch. »Raus aus dem Lager! Schnell, schnell! Alle Mann sofort zum Kraftwerk! Dort weitere Befehle abwarten!« Gefolgt von seinen Begleitern trabte Jim Parker selbst in Richtung des Stollens davon. Juarez nutzte die allgemeine Verwirrung und schlüpfte davon, um sich im Dorf zu verbergen. Hinter ihnen hörten sie das Trappeln vieler benagelter Stiefel auf dem steinigen Boden. Die Männer befolgten den Befehl des Kommodores und verließen fluchtartig das gefährdete Lager. *
Als das erste Donnergrollen den Ausbruch des Vulkans ankündigte, hielt es Dolores nicht mehr länger aus. Den ganzen Tag hatte sie in quälender Unruhe verbracht und von Stunde zu Stunde auf eine Nachricht von Hilton gewartet. Doch es war Abend geworden, und noch immer hatte sie kein Zeichen erhalten. Und dann donnerte der Vulkan, und blutroter Feuerschein erhellte die Wolken. Dolores fühlte, daß Harry Hilton sich in höchster Gefahr befand. Rasch warf sie sich eine Mantille über und schlüpfte hinaus. »Ich bin sofort zurück«, rief sie ihrem Vater zu, der mit sorgenvoller Miene ans Fenster getreten war. Als sie die Baustelle erreichte, quoll aus dem Tunneleingang ein Haufen von Arbeitern heraus. Dann plötzlich ein dumpfer Knall. Eine Wolke von Staub und Rauch, wie nach einer Sprengung, schwebte hervor. Der Strom der Flüchtenden riß ab. Plötzlich erschien noch eine Gestalt in der Öffnung des Stollens – humpelnd und rauchgeschwärzt. Der Mann trug den leblosen Körper eines verunglückten Kameraden über der Schulter. Dolores eilte ihm entgegen. »Señor Hidalgo! Was ist passiert? So reden Sie doch!« Der Mann schien am Ende seiner Kraft zu sein. Er sank in die Knie. Hilfreiche Hände befreiten ihn von seiner Last und brachten den Bewußtlosen in Sicherheit. Stöhnend richtete sich Hidalgo wieder auf. »Oh Señorita – welch furchtbares Unglück! Der Tunnel – eingestürzt…« »Was sagen Sie da?« stammelte Dolores fassungslos. »Eingestürzt? Und wo sind die anderen?« Hidalgo zuckte hilflos die Achseln. »Eingeschlossen…« Dolores schwankte der Boden unter den Füßen. Harry Hilton – und mit ihm Hunderte seiner Kameraden – eingeschlossen im Leib des berstenden Vulkans… Und ringsum nichts als Rat-
losigkeit und kopfloses Durcheinanderhasten. Doch gewaltsam riß sie sich zusammen. »Señor Hidalgo! Kommen Sie, wir wollen doch nachsehen… helfen…!« Der Mexikaner nickte ihr zu. Er holte eine Taschenlampe hervor und schritt ihr voran in den Stollen. Es war hier sehr eng. Am Boden entlang erstreckte sich das Fließband, das jetzt freilich außer Betrieb war. In der Längsachse des Stollens hing, wie ein starkes Rohr, dessen Ende in unbestimmter Ferne verlief, der gewaltige zylindrische Kessel. Gesteinsbrocken und fortgeworfenes Gerät bedeckten den Boden des Ganges. Mühsam stolperte Dolores hinter ihrem Begleiter durch die kaum erhellte Dunkelheit vorwärts. Plötzlich war der Gang zu Ende. Vor ihnen schloß eine Trümmermasse, in die der Kessel sinnlos hineinführte, den Weg ab. Dolores sah ihren Führer hilfeflehend an. Doch er senkte den Blick und hob nur mutlos die Schultern. Da löste sich plötzlich ein Schatten von der Wand und reckte sich riesengroß vor ihnen auf. Ein Mann stand da – den Sombrero tief in die Stirn gezogen, in der Rechten den schußbereiten Colt. Dolores hatte ihn sofort erkannt. Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Hidalgo sprang vor. »Caramba! Was hat der Schurke hier zu suchen?« McBrowns Revolver knallte. Doch im ungewissen Licht der schwachen Taschenlampe hatte er den Gegner verfehlt. Dolores jedoch stöhnte auf. Sie griff nach ihrem linken Arm und sank langsam zu Boden. Der Abenteurer sollte nicht mehr zum Schießen kommen. Der Mexikaner schlug ihm die Waffe aus der Hand. Im nächs-
ten Augenblick bildeten die beiden Männer nur noch ein Knäuel ineinander verkrampfter Leiber am Boden. Mit einem heimtückischen Tritt befreite sich McBrown aus der Umklammerung. Schwer fiel der Mexikaner zurück. McBrown bückte sich blitzschnell, raffte seinen Revolver auf und richtete ihn auf den wehrlosen Gegner. Doch der handelte in Sekundenschnelle. Plötzlich hatte er einen Stein in der Faust, einen Felsbrocken mit bösartig scharfen Kanten. Der Stein flog durch die Luft… Percy McBrowns Revolver verfehlte sein Ziel. Mit zerschmettertem Schädel sank der Abenteurer in die Knie. Am Ort seines Verbrechens selbst hatte ihn das rächende Geschick ereilt. * Lähmendes Entsetzen hatte sich der Eingeschlossenen im tiefen Innern des Berges bemächtigt, als im Krachen der Explosion die Decke des Ganges einstürzte und den Fluchtweg verschüttete. Sekundenlang war alles wie gelähmt. Dann brach die Panik los! Schreiend drängten die meisten zurück, in sinnloser Verwirrung nach einem neuen Ausgang suchend. Aus der entgegengesetzten Richtung strömten ihnen andere entgegen – auf der Flucht vor der nachdrängenden Lava. Lichtkegel von Taschenlampen, die hier und da in das Dunkel stachen, trafen wüste Knäuel durcheinanderstolpernder, einander niedertrampelnder Menschen. Von Franz Donnerkeils starken Fäusten kräftig unterstützt, hatte Harry Hilton sich bis an den Ort der Sprengung durchgeboxt. Was er hier im Licht der Taschenlampe erblickte, erfüllte ihn mit tiefer Mutlosigkeit. Das Rumpeln des Vulkans, das Schreien der Menschen, die
Finsternis und die heiße, erstickende Luft raubten ihm vor Angst fast die Sinne. Aber noch einmal riß er sich zusammen und kämpfte die aufsteigende Schwäche nieder. »Wir wollen doch – wir müssen das beiseite räumen«, sagte er zu Franz Donnerkeil. Der alte Werkmeister war noch der Ruhigste von allen. Er nickte nur, raffte ein paar Schaufeln und Hacken vom Boden auf und stieß den Nächststehenden kräftig in die Rippen. »Los, Caballeros, angefaßt! Vom Maulaffenfeilhalten allein kommen wir aus diesem Loch nicht raus.« Es zeigte sich aber bald, daß alle Mühe umsonst war. Der Gang war so eng, daß nicht mehr als zwei Männer zugleich am Ort des Einsturzes arbeiten konnten. Ihre Bemühungen waren nicht mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein. »Hätten wir nur diesen verdammten Kessel noch nicht eingebaut«, rief Hilton verzweifelt aus und stieß mit der Spitzhacke wütend gegen das Metall. »Er engt uns derartig ein, daß wir nicht arbeiten können.« »Eins verstehe ich nicht«, sagte Donnerkeil bedächtig und gab seinen Platz einem Reservemann frei, »wir hatten den Gang doch mit feuerfesten Toren verschlossen…« »… die dann gar nicht feuerfest waren«, ergänzte Hilton grimmig. »Der Schuft, dieser Meyers, hat uns betrogen«, rief Donnerkeil entrüstet. »Er hat uns minderwertiges Material geliefert und den Gewinn in die eigene Tasche gesteckt.« Der Name des betrügerischen Einkäufers eilte wie ein Lauffeuer durch den Stollen. »Meyers – wo steckt der Schuft? – Meyers hat die Schuld! – Meyers hat uns dem Untergang preisgegeben! – Wo hat sich der Feigling verkrochen? – Eben war er noch hier…« Lichtkegel huschten über die Gestalten hin, tasteten die Ge-
sichter ab. Sie blieben auf dem wachsbleichen Antlitz eines schlotternden Menschen hängen, in dessen weit aufgerissenen Augen eine irrsinnige Angst flackerte. »Da ist er! Faßt ihn! Her mit dem Lumpen!« Zehn, zwanzig Hände griffen nach ihm. Meyers stieß einen Angstschrei aus, riß sich los und floh tiefer in den Tunnel hinein. Aus der Dunkelheit griffen immer neue Hände nach ihm. Schreiend und lallend stolperte er vorwärts, fiel hin, raffte sich wieder auf und rannte weiter. Hinter ihm her tobte das Wutgebrüll der Verfolger. Philip Meyers konnte nicht mehr. Vor ihm erstickende Gase, der Gluthauch, den die vordringende Lava ihm entgegensandte. Und hinter ihm die Menschen, die er leichtfertig aus kalter Gewinnsucht dem Tod ausgeliefert hatte. Sie würden kein Erbarmen mit ihm haben. Der Fliehende blieb stehen. Noch einmal stieß er einen gellenden, verzweifelten Schrei aus. Dann schloß er die Augen und stürzte sich in die heranbrandende Höllenglut… Ernüchterung überkam die Verfolger. Sie begannen, ihre eigene Lage in ihrem ganzen Umfang zu begreifen. Und diese Erkenntnis war trostlos und ohne Hoffnung auf einen rettenden Ausweg. * Dolores kämpfte sekundenlang mit einer Schwäche, als der Schuß McBrowns sie getroffen hatte. Nächtliche Schatten umhüllten wie Schleier ihr Bewußtsein. Doch sie durfte nicht schwach werden. All ihre Kraft nahm sie zusammen und schlug die Augen weit auf. Im Dämmerlicht sah sie wenige Schritte entfernt die Gestalt Hidalgos, der sich über McBrowns leblosen Körper beugte.
Mit verbissenem Ausdruck richtete sich der Mexikaner auf und trat auf Dolores zu. »Sie sind verletzt, Señorita?« Vom Eingang näherten sich Schritte. Die grellen Strahlen starker Scheinwerfer zerrissen die trübe Dämmerung. Drei Männer erschienen in ihrem Licht. Jim Parker nickte Dolores und Hidalgo kurz zu und musterte schweigend den zerstörten Gang. »Schöne Bescherung«, murmelte Fritz Wernicke. »Nicht für einen Sack voll Gold möchte ich jetzt da drinnen sitzen und mich braten lassen.« Dolores, die gerade von Professor Pelton einen Notverband angelegt bekam, hatte seine Worte gehört und sprang auf. »Señores, bitte, helfen Sie doch! Was soll denn nur geschehen? Señor Hilton befindet sich da drinnen im Gang, und mit ihm alle anderen…« Rastlos arbeiteten Jim Parkers Gedanken. Er suchte nach einer Lösung, einer Rettungsmöglichkeit. Der gewaltige Trümmerhaufen – man mußte ihn forträumen – doch wie sollte man diese Riesenarbeit bewältigen? Der zylindrische Kessel, der die Achse des Tunnels ausfüllte, war überall im Wege… Der Kessel! War das die Rettung? Der Kommodore klopfte gegen die Metallwand. Er wußte, es war ein zähes Material. Lange würde es dauern, bis man einen Ring entfernt hätte – , viel zu lange für die Eingeschlossenen, die vom Feuer der Erde bedrängt wurden. »Wenn ich nur einen Atombrenner hier hätte«, sagte der Kommodore verzweifelt. »Einen Atombrenner? Jim, alte Mondrakete, du bist der genialste Kopf im Weltraum, auf Erden und nun auch unter der Erde. Daß ich daran nicht eher gedacht habe! Ich habe doch solch ein Möbel bei meinen Sachen oben in der Baracke…«
»Fritz«, rief der Kommodore, und eine unendliche Erleichterung klang aus seiner Stimme, »und du bist noch nicht fort? Und du bist noch nicht wieder zurück?« Von einem ermunternden Schubs seines Freundes auf den Weg gebracht, stob Fritz Wernicke davon. Für die Zurückgebliebenen dehnten sich die Minuten zu Ewigkeiten. Der Berg stöhnte und rumpelte. Draußen schrien die Menschen, und wenn man das Ohr an die Kesselwand preßte, konnte man auch aus dem Inneren des Stollens verworrene Geräusche hören. Die Abgeschnittenen schienen – Gott sei Dank! – noch am Leben zu sein. Atemlos tauchte Wernicke wieder auf und reichte dem Kommodore freudestrahlend die handliche kleine Atomwaffe. Der Atombrenner, die Erfindung eines Mitarbeiters Jim Parkers, hatte ihm schon in den schwierigsten Situationen Hilfe und Rettung gebracht. Würde er sich auch hier wieder bewähren? Unverzüglich richtete der Kommodore die Düse auf das Metall der Kesselwand. Sein Finger drückte auf einen Knopf. Scharf und schneidend fraß sich der Strahl in die Wandung hinein. In Sekundenschnelle war ein kreisförmiges Loch hineingeschnitten – groß genug, um einem Mann Durchlaß zu gewähren. Jim Parker steckte den Atombrenner ein und stieg in die Öffnung, sofort gefolgt von seinem tatenhungrigen Steuermann. »Du bleibst, wo du bist, mein lieber Fritz! Hier, nimm dieses Seil und binde mich an. Man kann nicht wissen, was mir unterwegs zustößt.« Enttäuscht gehorchte Wernicke. Langsam lief das Seil ab und zeigte an, daß der Kommodore unaufhaltsam im Kessel vorwärts kroch. Würde ihm die Rettung gelingen? – Jim Parker selbst war davon noch gar nicht überzeugt. Gifti-
ge Schwaden drangen ihm entgegen und verpesteten die Luft. Sie mußten vom anderen Ende kommen, von dort, wo der unvollendete Kessel noch offen war. Parker riß sich den Schal vom Hals und band ihn vor den Mund. Es half nur wenig – aber er nahm sich eisern zusammen und verfolgte entschlossen seinen Weg. * Unter den Eingeschlossenen stieg die Verzweiflung auf den Höhepunkt. Während noch immer ebenso eifrig wie zwecklos an der Freilegung der Trümmerstätte geschuftet wurde, spielten sich weiter hinten im Gang die wildesten Szenen ab. Harry Hilton hatte es längst aufgegeben, seine wildgewordenen Leute zu beruhigen. Was hätte er ihnen auch sagen sollen? Er wußte selbst am besten, daß es keine Rettung mehr gab. Mit verbissenem Gesicht blieb er vor Professor Cristobal stehen, der bleich und regungslos am Boden hockte. »Ihre Wissenschaft scheint noch arg in den Kinderschuhen zu stecken, Herr Professor«, sagte er grimmig. »Hatten Sie nicht immer wieder behauptet, es drohte uns keine ernstliche Gefahr? Und dabei hätte doch jedes Kind voraussehen können, was kommen würde.« Der Gelehrte schien seine Wissenschaft verteidigen zu wollen. »Es ist allein meine Schuld, Señor Hilton, Ich wußte, daß ein Ausbruch bevorstände. Aber ich wollte ihn miterleben, und ich mußte doch befürchten, daß Sie das Lager vorzeitig abbrechen würden, wenn Sie es erfahren hätten. Darum unterließ ich es, Sie zu warnen. Welch unerschöpfliches Forschungsmaterial hätte der Vulkan mir liefern können… Nun nützt es mir nichts mehr. – Glauben Sie mir, Señor: Hätte ich das vorhergesehen, hätte ich geahnt, daß Menschenleben in Gefahr
kommen würden, ich hätte anders gehandelt.« Harry Hilton wurde einer Antwort auf das Geständnis des Professors enthoben. Über ihm, im Kessel, ertönte ein schleifendes Geräusch. Sollte das schon die Lava sein? Sollte sie auf diesem Wege vorgedrungen sein? Doch dann kam ein hartes, metallisches Pochen. Ein schmaler Spalt erschien in der Kesselwand, wuchs in die Länge und nahm Kreisform an. Wie auf ein Wunder starrten Hilton und der Professor auf die rätselhafte Erscheinung. Klirrend fiel ein Stück der Wand heraus. Und aus der Öffnung heraus schwang sich ein Mann – verschmiert und hustend: Es war Jim Parker. »Mister Parker! – Ein Wunder… Die Rettung…« Fassungslos umarmte Hilton den unerwarteten Retter. Aber der Kommodore schob ihn kurzerhand zur Seite. Er kannte solche Situationen und wußte, daß es jetzt ganz darauf ankam, für Ruhe und Disziplin zu sorgen, wenn die Rettungsaktion nicht im letzten Augenblick noch mißlingen sollte. Seine Hand löste das Seil, das er noch um den Leib gewickelt trug, und zog dreimal kurz daran. Es war für Fritz Wernicke das Signal, nachzukommen. Kurz danach stand der kleine Kerl – strahlend und lebhaft umherblickend – an der Seite seines ›großen Bruders‹. Der hielt die Zeit jetzt für gekommen. »Señores!« rief er mit volltönender Stimme in den Lärm hinein. »Der Weg ist frei. Treten Sie heran – aber bitte hübsch langsam und nicht drängeln! Wir bringen jeden in Sicherheit.« Es zeigte sich, wie gut es gewesen war, daß er Fritz Wernicke zur Unterstützung herbeisignalisiert hatte. Im Verein mit Hilton hatten sie alle Kraft aufzubieten, um den Ansturm der verängstigten Menschen aufzufangen. Nur die Enge des Ganges ermöglichte es ihnen, ihren Platz zu behaupten….
Ein Mann nach dem anderen verschwand jetzt in der Öffnung, die der Atombrenner geschnitten hatte, und kroch so schnell wie möglich dem rettenden Ausstieg zu. Von Sekunde zu Sekunde wuchs die Ungeduld der Wartenden. Unerbittlich drängte die Glut des tobenden Vulkans nach. * Hidalgo half den erschöpften Männern aus der Kesselöffnung heraus. Taumelnd rannten sie durch die letzten Meter des Tunnels ins Freie. Die unverhoffte Rettung erschien ihnen wie ein Wunder des Himmels. Draußen hatten die beiden Ärzte in aller Eile einen primitiven Verbandplatz eingerichtet und gewährten den Verletzten, die in immer größerer Zahl aus dem Stollen kamen, erste Hilfe. Dolores war bei ihnen und half, so gut es ihr mit dem verbundenen Arm möglich war. Als einer der letzten kam Harry Hilton heraus, schöpfte tief Luft und lehnte sich gegen die Einfassungsmauer des Eingangs. Dolores stieß einen kleinen, jubelnden Schrei aus. Sie flog ihm an den Hals und küßte ihn. Angesichts des tobenden, feuerspeienden Berges, umgeben von der Panik flüchtender, ratloser Männer, standen die beiden jungen Menschen umschlungen und hatten alles ringsherum vergessen. »Würden Sie so nett sein und ein wenig zur Seite treten, meine Herrschaften,« holte die gutmütig-spöttische Stimme des Kommodores sie in die Gegenwart zurück. »Sie stehen nämlich dem Lavastrom im Wege, der jeden Augenblick aus dem Tunnel kommen muß.« Erschreckt fuhren die beiden auseinander und schauten verlegen auf den Kommodore, der mit seinen getreuen Helfern, Fritz Wernicke und Carlos Hidalgo, rauchgeschwärzt und ab-
gerissen vorüberging. Das Rettungswerk war gelungen. Aber es war auch allerhöchste Zeil gewesen. Minuten später – und es wäre für manch einen der glücklich Geretteten zu spät gewesen. Auf Geheiß des Kommodores wurde der Platz vor dem Kraftwerk beschleunigt geräumt. Alles trachtete, sich vor den rasch näher kommenden Glutströmen in Sicherheit zu bringen. * Es war ein grandioses Bild des Untergangs! Ununterbrochen spie der Krater des mächtigen Vulkans Feuer und Rauch. Glühende, vulkanische Geschosse zogen funkensprühend feurige Bahnen durch die Nacht. Ein heißer Aschenregen rieselte auf das Land herab. Aus dem Hauptkrater und einigen kleineren Nebenkratern und neugebildeten Spalten drangen die Lavaströme wie glühende Schlangen hervor und züngelten an den Berghängen herab. Schweigend betrachteten die Menschen das unheimliche Geschehen. Kurz vor dem Barackenlager der Hiltonschen Expedition hatte der Hauptstrom an einer Bodenwelle seine Richtung geändert. So war das Lager wider Erwarten verschont geblieben. An seiner Stelle war das Dorf dem Untergang geweiht; denn der Feuerstrom strebte in seiner ganzen Breite den Hütten von Monte Caliente zu. Der Alcalde hatte die Gefahr rechtzeitig erkannt. Er ließ das Dorf schleunigst räumen. Mit ihrem Vieh und einem Teil ihrer beweglichen Habe verließen die Dorfbewohner ihre Wohnstätten und zogen – in ihr Schicksal ergeben – durch das weit geöffnete Tor des Barackenlagers, das ihnen vorläufig Aufnahme
gewährte. Parker und Wernicke hatten sich gewaschen und ihre zerfetzte Kleidung mit den Anzügen vertauscht, die ihnen Hilton und Franz Donnerkeil zur Verfügung stellten. Ausruhend saßen sie jetzt auf einem kleinen Hügel, dicht außerhalb der Umzäunung des Lagers, und ließen ihre Blicke über das todgeweihte Dorf schweifen, in dem eine Hütte nach der anderen ein Raub der Flammen wurde. »Oh Jim, großer Häuptling, das ging mal wieder um Haaresbreite!« begann Fritz Wernicke, dem das Schweigen zu langweilig wurde. »Ja«, erwiderte der Kommodore und atmete tief auf, »ich finde, daß wir einen ziemlich ereignisreichen ›Genesungsurlaub‹ hinter uns haben.« »Trotzdem fühle ich mich schon ganz gut wiederhergestellt«, erklärte der unverwüstliche Fritz. »Sag mal, Jim, wann starten wir denn zum Mond?« Der Kommodore antwortete nicht. Angestrengt blickte er auf einen Punkt im Glutmeer des brennenden Dorfes. Wernicke folgte seinem Blick und erschrak. Auf einem Felsblock, der vor einem der brennenden Häuser lag, stand steil aufgerichtet eine menschliche Gestalt. Ein bunter Mantel hing ihr malerisch um die Schultern. Unbeweglich, den Blick starr zur Spitze des Vulkans erhoben, stand der Mann inmitten des Untergangs. »Das ist doch – Acatlan!« rief Jim Parker und sprang auf. »Ist der Mann denn verrückt geworden?« Fritz Wernicke hielt den Freund zurück. »Zu spät, Jim! Da, schau doch…« Die glühende Lava hatte den Fuß des Felsblockes erreicht und schloß ihn ein. Die einsame Gestalt des alten Indios war verschwunden.
Der Geist des Berges, dessen Rache Acatlan auf die Fremdlinge herabbeschworen hatte, hatte ihn selbst als Opfer genommen… Jim Parker wandte sich ab. In diesem Augenblick stürzten die Mauern des unvollendeten Kraftwerks prasselnd zusammen. »Ich will nach unserem Freund Hilton sehen«, sagte er. »Könnte mir vorstellen, daß er gütigen Zuspruch nötig hätte.« Der Kommodore hatte sich nicht getäuscht. Als er in die Baracke der Lagerleitung kam und in Harry Hiltons Wohn- und Arbeitsraum trat, fand er ihn auf seinem Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch zusammengesunken. Dolores stand – mit Tränen in den Augen – ratlos neben ihm. »Machen Sie sich keine Sorgen, Señorita«, sagte er leise zu dem jungen Mädchen. »Was der arme Junge in den letzten Stunden durchgemacht hat, kann auch den Stärksten weich machen. Aber das wird sich bald geben. Gehen Sie zu Doktor Pablo und lassen Sie sich ein Schlafmittel für ihn geben.« Als sie gegangen war, rüttelte Parker den Freund sanft an der Schulter. »Hallo, Hilton!« Mühsam blickte er auf und versuchte ein Lächeln. »Kommodore – wir alle verdanken Ihnen unser Leben!« »Ach was«, schnitt ihm Parker das Wort ab. »Wir sind quitt. Und nun seien Sie froh, daß alles noch so glimpflich abgelaufen ist, und lassen Sie den Kopf nicht hängen!« »Sie haben ja recht, aber – mein Werk ist hin, das große Projekt ist mißlungen!« »Wieso?« fragte Parker. »Das sehe ich ganz und gar nicht ein. Ihre Idee hat Hand und Fuß, davon bin ich fest überzeugt. Daß der alte Vulkan ausgerechnet jetzt verrückt spielen mußte, hat mit der Sache an sich nicht das geringste zu tun.« »Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen, Mister Parker. Aber die
anderen werden es nicht so ansehen wie Sie. Für sie werde ich ein Narr sein, der mit seinen himmelstürmenden Plänen Schiffbruch erlitten hat. Die mexikanische Regierung…« »Darüber machen Sie sich nur keine unnötigen Sorgen, Hilton! Kommt Zeit, kommt Rat! Und bis dahin: Kopf hoch, alter Junge!« * Vier Tage später lief auf dem Hauptbahnhof von Mexico-City der Sonderzug ein, mit dem die Regierung die Teilnehmer der Hiltonschen Expedition von Chalehicomula abholen ließ. Ein Gerücht, wonach die ganze Expedition beim Ausbruch des Vulkans den Untergang gefunden hätte, hatte sich mit Windeseile verbreitet und größte Bestürzung unter den Angehörigen und in weitesten Kreisen der Bevölkerung ausgelöst. Vergeblich war die Falschmeldung dementiert worden. Zu Tausenden drängten sich die Menschen auf dem Bahnhofsplatz und vor den Sperren, um sich durch eigenen Augenschein Gewißheit zu verschaffen. Als die flaggengeschmückte Lokomotive in die Bahnhofshalle einfuhr, lief eine Welle der Erregung durch die Menge der Wartenden. Auf dem abgesperrten Bahnsteig stand eine Gruppe von Kameramännern und Reportern. Señor Durango, der Wirtschaftsminister, hatte es sich nicht nehmen lassen, persönlich mit seinem Staatssekretär Alvarez zu erscheinen. Aber die großartige Rede, die sich der Herr Minister für den Empfang der auf so wunderbare Weise Geretteten zurechtgelegt hatte, blieb ungesprochen. Er hatte nicht mit dem Temperament seiner Landsleute gerechnet. Die Menge durchbrach die Sperren, überflutete in wenigen Augenblicken den Bahnsteig und begrüßte jubelnd die Männer, die aus den Wagen
strömten. Jim Parkers Hoffnung, sich stillschweigend beiseite drücken zu können, erwies sich wieder einmal als trügerisch. Schon hatten ihn die Argusaugen der Reporter erspäht, schon flammten die Blitzlichter der Fotografen auf, zerrte man ihn vor das Mikrophon… Die gewichtige Gestalt des Ministers steuerte auf ihn zu. »Kommodore Parker, ich heiße Sie auf das herzlichste willkommen. Ich bin beauftragt, Ihnen den Dank der Regierung und des ganzen mexikanischen Volkes auszusprechen – für die tapfere, entschlossene Haltung, durch die Sie Hunderten unserer Landsleute das Leben retteten. Wie können wir Ihnen danken? Wenn Sie einen Wunsch haben, Señor – er ist Ihnen bereits erfüllt.« »Ich danke Ihnen, Herr Minister«, lächelte der Kommodore verbindlich, »und ich nehme Sie beim Wort. Die Tage, die ich mit meinem Freund Wernicke dort oben in Monte Caliente verbringen durfte, waren für mich ein Erlebnis besonderer Art. Nicht so sehr wegen des wildgewordenen Vulkans – der interessierte mich nur ganz am Rande. Aber, was ich sonst noch zu sehen bekam, hat mich zutiefst beeindruckt.« »Und darf ich wissen, was das war?« fragte der Minister, der nicht wußte, worauf der Kommodore hinauswollte. »Es war das großartige Werk unseres Freundes Hilton«, erklärte der Kommodore nachdrücklich. »Ich habe mich davon überzeugen können, daß die Idee gut und realisierbar ist. Mister Hilton hatte Pech – aber das war höhere Gewalt und nicht seine Schuld. Wenn Sie mir also wirklich einen Wunsch erfüllen wollen, dann – geben Sie ihm noch eine Chance. Ich bin sicher, daß auch Sie und Ihr Land Nutzen davon haben werden.« Das war wohl das Letzte, was der Minister erwartet hatte.
Aber nun blieb ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zu bösem Spiel zu machen. Er winkte Hilton heran, der – Arm in Arm mit Dolores – in der Nähe stand, und wandte sich an ihn: »Señor Hilton, ich freue mich, Sie gesund wiederzusehen. Der Vulkan hat Ihnen und uns allen einen üblen Streich gespielt. Doch, wie ich höre, wollen Sie es noch nicht aufgeben?« »Ich habe ein neues Projekt ausgearbeitet, die Wärme der Tiefe nutzbar zu machen«, erwiderte Harry Hilton. »Mein Plan kann in jeder beliebigen Gegend in Angriff genommen werden. Ich bin dabei nicht unbedingt auf Vulkane angewiesen…« »Gott sei Dank«, rief der Minister erleichtert. »Also gut, Señor Hilton: Grundsätzlich genehmigt! Besuchen Sie mich morgen früh im Ministerium. Wir besprechen dann alle Einzelheiten.« * Am Abend stieg eine zweimotorige Sondermaschine des S.A.T. auf dem Flugplatz von Mexico-City in die Lüfte und brachte Jim Parker, Fritz Wernicke und Professor Pelton nach OrionCity zurück. Hilton und Dolores hatten sie zum Flugplatz begleitet und winkten dem schnell entschwindenden Flugzeug noch lange nach. »Riesig nette Leute«, sagte Wernicke gerührt und nahm einen langen Schluck aus der mächtigen Rumflasche, die Hilton ihm als ›Reiseproviant‹ in die Hand gedrückt hatte. »Werde das schöne Land in angenehmer Erinnerung behalten.« »Das ist ein edler Zug von dir, mein lieber Fritz«, warf Jim Parker mit gespieltem Ernst ein. »Ich für mein Teil muß gestehen, daß mein Bedarf an irdischen Abenteuern fürs erste gedeckt ist. Ich freue mich schon auf meine ureigensten Jagdgefilde…«
»Sie meinen den Weltraum?« fragte Professor Pelton. »So ist es«, erwiderte Parker lächelnd. »Und was ist Ihr nächstes Reiseziel?« wollte der Professor wissen. »Vielleicht der Mond – vielleicht auch die Weltraumstation. Wir werden sehen. Auf jeden Fall werden wir an neuen Abenteuern keinen Mangel haben.« Sein Blick schweifte aus dem Fenster in weite Fernen. Am dämmernden Himmel leuchteten die ersten Sterne auf und schienen ihn leise und lockend zu rufen… ENDE
Lesen Sie im nächsten UTOPIA-Band 8:
Das lautlose Grauen Im Gebiet der gigantischen Werkanlagen, die das ›Staatliche Atom-Territorium‹ der USA. auf der Suche nach Uranerzen auf der Rückseite des Mondes angelegt hat, dreht eine Filmgesellschaft Außenaufnahmen für einen Raumfahrtfilm. Durch Bohrungen in einer neuen Schachtanlage aufgeschreckt, verlassen Schlangen unbekannter Art, die in unerforschten Höhlen unter der Mondoberfläche hausen, ihre Schlupfwinkel und überfluten in großer Zahl das Werkgebiet von ›Luna IV‹. Müssen die verantwortlichen Regierungsstellen die Räumung der Mondwerke anordnen, oder wird es Jim Parker noch gelingen, das ›lautlose Grauen‹ zu besiegen, um dadurch seine Kameraden aus furchtbarer Gefahr zu retten? Sollten Sie die vorhergehenden UTOPIA-Bände 1 bis 6 bei Ihrem Zeitschriftenhändler nicht mehr erhalten, dann wenden Sie sich bitte direkt an den Verlag Erich Pabel, Rastatt (Baden). Senden Sie dabei den Geldbetrag (je Band 50 Pf) auf das Postscheckkonto Karlsruhe 224 46 ein. Aber hierbei nicht vergessen, die gewünschten Nummern auf der Rückseite des linken Zahlkartenabschnittes anzugeben. Auch können Sie den Geldbetrag in bar sofort Ihrer Bestellung beifügen.
Auf dem Wege zur Weltraumfahrt 7) ›V 2‹ – die erste Großrakete der Welt In der Frühzeit der Versuche mit Flüssigkeitsraketen, d. h. in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts, experimentierte man mit Geräten kleinster Dimensionen und war froh, wenn sie überhaupt flogen und nicht gleich beim Start explodierten. Jahrelang lag der stolze, in Deutschland erreichte Höhenrekord für Raketen bei ungefähr 4 Kilometer. Eine Wende trat erst ein, als in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Führung Interesse an dem Projekt gewann, eine Flüssigkeitsrakete in bisher ungeahnter Größe zu entwickeln, die imstande wäre, eine kräftige Sprengladung tief ins feindliche Hinterland zu befördern. So entstand in der Versuchsanstalt Peenemünde die erste Großrakete der Welt, das ›Aggregat 4‹ (A 4), das später unter der Bezeichnung ›V 2‹ berühmt und gefürchtet wurde. Die V 2 hatte die stattliche Länge von 14 Meter und einen größten Durchmesser von 1,75 Meter. Vollgetankt wog sie 12 Tonnen. Davon entfielen 9 Tonnen auf die Treibstoffe (Alkohol und flüssiger Sauerstoff) und 1 Tonne auf die sogenannte Nutzlast, die hier aus Sprengstoff bestand. Die riesige Rakete startete senkrecht und wurde durch eine selbsttätige, eingebaute Steuermaschine in ihre vorausbestimmte Flugbahn gelenkt. Der Raketenmotor, ein technisches Wunderwerk für sich, trieb das gewaltige Geschoß mit einer Schubkraft von 25 Tonnen an.
Viereinhalbmal so schnell wie der Schall flog die V-2-Rakete und erreichte Entfernungen bis zu 400 Kilometer. Ließ man sie senkrecht starten, so stieg sie über 100 Kilometer hoch. Mit dieser ersten Großrakete war schon eine Vorstufe des kommenden Weltraumschiffes verwirklicht. In den Jahren nach dem Kriege wurde diese Entwicklung im Ausland konsequent weitergeführt. (Fortsetzung folgt)