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Infogeddon Christian von Aster 20.11.2006 Vince Guthenberg war noch wach, als es mitten in der Nacht an seine Tür klopfte. Im matten Schein einer Öllampe brütete er über einem Problem, das die Bewässerung der Felder betraf und noch vor dem Sommer gelöst werden musste. Erst als das Klopfen lauter wurde, löste er sich von den Plänen und ging hinüber zur Tür. Er warf einen kurzen Blick auf die Wanduhr und runzelte verwundert die Stirn. Besuch um diese Zeit war ungewöhnlich. Vor allem hier. Und seine Verwunderung wuchs noch, als er kurz darauf die Tür öffnete. Vor ihm stand ein Fremder. Einer, der nicht aus der Siedlung stammte. Der Mann wirkte nervös. "Mr. Guthenberg?" Er nickte stumm und beäugte sein Gegenüber dabei unverhohlen misstrauisch. Er trug eine lederne Aktentasche unter dem Arm, und wirkte, als ob er gerade ein Büro verlassen hätte. Er passte nicht hier hin, aufs Land, in die Siedlung. "Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich hereinlassen würden. Ich habe einige wichtige Dinge mit Ihnen zu besprechen." Abschätzig hob Guthenberg eine Braue. Hinter dem Fremden auf dem Weg stand ein silberfarbener City Cruiser, an dessen Heck er eine Antenne erkennen konnte. Der Mann kam aus der Stadt. Er würde auch dorthin zurückkehren. Und wenn es nach ihm ging sofort. Guthenberg ließ keinen Zweifel an seiner Einstellung aufkommen.
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"Ich glaube nicht, dass mich das interessiert." Trotzig funkelte er den Fremden an. Es war nicht der Erste seiner Art. Seit nunmehr zwei Jahren, seit es die Siedlung gab, kamen sie hier raus, um sie zu bestaunen. Manchmal machten sie Fotos. Ein Ort ohne Satellitenschüsseln, Glasfasernetz und Antennen erschien den Leuten dort draußen wie eine Freakshow. Camp Analog nannten sie die Siedlung. Aber dass sie nachts kamen, war neu. Sein Gegenüber schien nachzudenken. Guthenberg scherte es nicht, zu welchem Ergebnis er kam. Er hatte die Tür beinahe schon wieder geschlossen, als er den Unbekannten sagen hörte: "Ich habe eine Nachricht von Mr. Ossane." Guthenberg stutzte. Art Ossane war der Erste gewesen. Der Erste, der sich damals aus der Zivilisation verabschiedet und alle Kabel und Datenströme gekappt hatte, um irgendwo im Süden die erste Siedlung von Informationsverweigerern zu gründen. Nach ihrem Vorbild war neben dieser noch ein gutes Dutzend mehr Siedlungen entstanden. Dort lebten Menschen, die sich der Informationsflut und dem multimedialen Kollaps der Städte entzogen. Aussteiger, real wie virtuell, keine Mail, kein Telefon, kein Radio, kein Fernseher. Die Regeln Art Ossanes. Guthenberg öffnete die Tür wieder einen Spalt breit. "Tragen Sie ein Mobiltelefon oder einen Piepser bei sich?" "Alles im Wagen. Ich kenne die Regeln." "Gut. Kommen Sie rein." Ihm war nicht wohl zumute. Dieser Mann war keiner von ihnen. Und es war ihm schleierhaft, wie er mit jemandem wie Art Ossane zusammenhängen sollte. Kaum im Inneren der Hütte angekommen, setzten die beiden Männer sich an den Tisch und Guthenberg schenkte Tee ein. "Wir müssen ruhig sein. Meine Familie schläft bereits. Also, sagen Sie, was Sie zu sagen haben und dann gehen Sie." Der Fremde legte seine Aktentasche auf den Tisch und blickte ihn
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an. "Es tut mir Leid, Mr. Guthenberg, aber das wird etwas dauern. Mein Name ist Saul Stone. Ich habe einen Abschluss in Informationsdesign und -ästethik und arbeite seit einiger Zeit für Infocorp. In Ihren Augen müsste ich dementsprechend so etwas wie der Feind sein." Guthenberg zeigte keine Regung. Er hob seine Tasse zum Mund und blies sachte über den dampfenden Tee, während Stone fortfuhr: "Früher habe ich bei Improved Information Inc. gearbeitet. Eine Zeit, die ..." "Verzeihung, Mister, wo auch immer Sie arbeiten und wer auch immer Sie sind, das alles interessiert mich nicht. Sie haben behauptet, eine Nachricht von einem Mann zu haben, den ich sehr schätze." Sein Gegenüber blickte ihn zögernd an, nagte kurz an seiner Unterlippe und entgegnete dann in einem seltsam eindringlichen Ton: "Hören Sie mir gut zu Mr. Guthenberg, wenn Sie, Ihre Familie und Ihre Freunde diese Woche lebend überstehen wollen, dann bin ich, dessen Job es ist, diese Welt mit Belanglosigkeiten vollzustopfen und jene Monstren zu füttern, die sie so verabscheuen, Ihre einzige verdammte Hoffnung. Sehen Sie also bitte davon ab, mich zu beleidigen, bleiben Sie mit Ihrem entkabelten Arsch auf Ihrem Stuhl und halten Sie den Mund." Guthenberg setzte seine Tasse ab. Sein linkes Augenlid zuckte nervös. Kaum aber, dass er einen kurzen Blick auf die Schrotflinte neben der Tür werfen wollte, hatte Stone aus seiner Aktentasche bereits einen Revolver hervorgezogen und ihn auf seine Brust gerichtet. "Glauben Sie mir, Vince, aus Gründen, die Sie noch erfahren werden, ist mir diese ganze Geschichte mindestens ebenso unangenehm wie Ihnen." Ohne den Revolver zu senken oder den Blick von ihm abzuwenden, griff Stone nach seiner Tasse und nahm einen betont ruhigen Schluck, bevor er weitersprach: "Ich möchte, dass Sie mich verstehen, Vince. Der zentrale Aspekt Ihres Lebens hier draußen ist die Flucht vor den Ergebnissen meiner Arbeit. Für Sie zählt, wann die Saat ausgebracht werden muss, eine Kuh kalbt oder genug verdammtes Wasser für Ihre Felder in den Tanks ist. Das ist vollkommen in Ordnung für Sie. Aber mein Job ist es, einem überzüchteten Kollektiv Informationen in den Blutkreislauf zu jagen, damit es überhaupt noch etwas empfindet. Das ist mein Job. Ich bin der Dealer, und Sie sind clean." Zähneknirrschend funkelte Guthenberg ihn an. "Was wollen Sie?"
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Er betonte jedes einzelne Wort. Derart, dass Stone beinahe ahnte, dass die Waffe in seiner Hand nicht ausreichen würde, um diesen Mann auf längere Sicht in Schach zu halten. "Lassen Sie mich verdammt nochmal ausreden! Männer wie ich sind es, die diese Welt formen. Alchemisten, die Information aus dem Nichts erschaffen. Nachrichten, Vince, und das ahnten Sie sicher, werden heute in Auftrag gegeben. Sie werden designed, gestylt, getuned und so geplant verbreitet, dass sie in keinen zwei Teilen des Landes die gleichen Nachrichten bekommen. Dafür zahlen sie. Konzerne, Politiker, Staaten. Wer immer es sich leisten kann. Wenn heute ein Minister in einem kleinen Ort im Norden eine Schule eröffnet, dann besteht die Möglichkeit, dass weder der Ort noch die Schule oder gar der Minister überhaupt existiert." Das alles war nichts Neues für Guthenberg. Er wusste, weshalb er und seine Leute dem Beispiel Ossanes gefolgt waren, die Kabel gekappt und Hanf in ihren Satellitenschüsseln gepflanzt hatten. Aber er würde Stone zuhören. Zumindest bis der seine Waffe sinken ließ. "Ich denke, Sie wissen, was ich meine. Informationsagenturen wie Infocorp werden bezahlt, um Nachrichten zu erstellen. Ergebnisorientiertes Arbeiten. Denn sobald eine Million Zuschauer Zeuge wird, wie dem Vorstandsvorsitzenden eines Chemiekonzerns eine Auszeichnung für nachhaltig ökologisches Wirtschaften verliehen wird, dann arbeitet sein Unternehmen umweltfreundlich. Wie immer es auch arbeiten mag. Eine Auszeichnung vor laufender Kamera ist ungleich wahrnehmbarer als Schadstoffe, Toxine und tote Fische. Wir sind die Magier der Neuzeit, Vince, die Houdinis der Gegenwart, die jeden, der zahlen kann, aus jeder nur erdenklichen Lage befreien können. Wenn wir berichten, wie irgendeine Nation einen Krieg mit ihrem Nachbarn beginnt, spielt es keine Rolle, ob sie es tut oder nicht. Eurasien, Ozeanien, von Waffenstillstand bis Großoffensive, wir erschaffen die Welt. Jeden Tag aufs Neue. Wir drapieren die Bomben. Und wir können sie überall verstecken. Im Gepäck von Moslems, Juden, Nazis. Wir erschaffen Bedrohungen, halten die Welt in Schach. Wir können Naturkatastrophen heraufbeschwören und die Hölle zufrieren lassen. Geben Sie mir zwanzig Zeilen und eine große Zeitung, und ich sorge dafür, dass wir einen neuen Präsidenten bekommen. Information ist Korruption. Wer zahlt siegt." Guthenberg in die Augen schauend versuchte er einzuschätzen, inwieweit dieser ihm weiter zuhören würde. Der Mann auf der anderen Seite des Tisches aber hatte nur Augen für die auf ihn gerichtete Waffe. Stone nahm den Faden wieder auf.
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"Die Agenturen haben ihre Favoriten. Ich etwa bin seinerzeit zu Infocorp gewechselt, weil sie mehr Einfluss als Improved Information Inc. hatten. Von mir stammt der Arkham Ripper, dessen Taten den Staatsanwalt ermächtigt haben, die regelmäßigen Gentests im Staat New York durchzusetzen. Von mir stammt der Orkan Sue, aufgrund dessen halb Boston saniert wurde, bevor der Sturm unerwarteterweise eine andere Richtung nahm. Ich habe das Krebsleiden von Senator Feathersham entwickelt, das er schließlich in den Armen der Kirche und nach seiner Abkehr vom Whisky zu überwinden vermochte, was ihn in den Umfragen übrigens ganze sieben Prozent nach vorn brachte. Ich habe einige Dutzend Preise verliehen und Institutionen eröffnet, die es nie gegeben hat. Ich habe einen Kometen beinahe auf die Erde stürzen lassen und drei militärische Interventionen informationspsychologisch vorbereitet. Wie Sie sehen, bin ich der Teufel. Und nicht nur in Ihren Augen, Vince, sondern in denen eines jeden verdammten Menschen, der diese Dinge zu hinterfragen wagt." Die Hand mit dem Revolver war auf den Tisch herabgesunken. Aber da war jetzt etwas in der Stimme dieses Mannes, das Guthenberg zurückhielt. Seine Stimme hatte sich verändert, sein Bekenntnis wenn es denn eines sein sollte - war echt, kam aus seinem Innersten. Obwohl Stone dabei nicht nach Vergebung zu suchen schien. Diese Geschichte musste irgendwo anders hinführen. Guthenberg erinnerte sich an Stones Worte von zuvor, die Warnung, seine Familie, seine Freunde, die Siedlung betreffend. Ihn schauderte. Doch inzwischen wusste er, dass er diesem Mann zuhören würde. Was immer er erzählen würde. "Bildmaterial haben wir genug. Unsere Archive sind voll. Wir können jede Geschichte stützen. Jede. Wer immer sie warum auch immer haben will. Der dritte Weltkrieg, die Apokalypse, unsere Bilder warten nur auf den Bericht." Stone blickte ihn erwartungsvoll an. Guthenberg leerte seine Tasse in einem Zug, schaute Stone direkt ins Gesicht, und sagte dann mit fester Stimme: "Sie haben Recht, Mr. Stone. Sie sind der Teufel." Der Mann mit dem Revolver lächelte bitter. "Nur einer von vielen Vince. Es ist das Geld, was uns zu dem macht, was wir sind. Und es ist eine Demokratie des Geldes, in der wir leben." "Sie vielleicht, Mr. Stone. Wir nicht."
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"Sei's drum, Vince, die Worte machen wir. Die Zahlen auch. Die Realität hat ausgedient." "Warum erzählen Sie mir all das, Mr. Stone? Sie haben vorhin Art Ossane erwähnt." "Ach ja, Ossane ...", Stone kicherte. "Wissen Sie, den meisten unserer Klienten sind Sie ein Dorn im Auge. Die Wirtschaft, die Politik, dort sieht man es nicht gern, wenn jemand nicht hört oder sieht, was er soll. Wer sich der Information entzieht, entzieht sich der Kontrolle. Sie und Ihre Leute hier draußen sind unberrechenbar. Sie kaufen und handeln nicht auf Grundlage des Ihnen zugewiesenen Informationskontingents und scheren sich dabei nicht um die Milliarden, die dafür investiert werden. Und das Schlimme ist: Ihr Beispiel könnte Schule machen." Guthenberg starrte ihn mit großen Augen an. Er spürte, dass dies der Kern des Ganzen war, die Bedrohung, die von ihnen ausging. Ein unangenehmes Gefühl begann sich in seiner Magengegend auszubreiten. Und dabei war Stone noch nicht am Ende: "Es ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber die Leute in den Städten könnten merken, dass es überhaupt möglich ist, sich dem Medienmoloch zu entziehen. Information bedeutet Konsum. In erster wie zweiter Konsequenz, und die Verweigerung des einen bedeutet zugleich die des anderen. Sie und Ihre Leute schädigen das System, Vince! Und man fürchtet, dass noch mehr Leute Gefallen daran finden könnten, ihre Kabel zu zerschneiden und Kühe zu züchten ..." "All das ist mir bekannt, Mr. Stone." "Aber das hier dürfte neu für Sie sein." Stone öffnete seine Aktentasche und zog eine dünne Mappe hervor. Er schlug sie auf, und Guthenbergs Blick fiel auf einige Fotos, Blätter mit meteorologischen Daten und verschiedenen Textentwürfen. "Was ist das?" "Ein Wirbelsturm. Ein Wirbelsturm, der Ihre Siedlung komplett verwüsten und allen Menschen hier das Leben kosten wird." Ungläubig griff Gutenberg nach den Bildern. Es waren tatsächlich Bilder eines Sturms, zerstörter Hütten und menschlicher Opfer. Es war nicht die Siedlung, aber wer hätte das wissen sollen? Für die Menschen dort draußen machte es keinen Unterschied. "Wann ...?" "Morgen Abend. Seit drei Tagen wird auf allen Frequenzen vor dem
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Sturm gewarnt. Die Tatsache, dass Sie keine Empfangsgeräte besitzen, soll Ihnen zum Verhängnis werden. Übermorgen wird es heißen, Sie hätten sich nicht warnen lassen. Kein Telefon, keine Computer ..." "Wie?" "Hundert Mann. Paramilitärische Spezialeinheiten. Man wird niemanden am Leben lassen." "Die anderen Siedlungen?" "Mehr als zwei solcher Stürme wird man innerhalb eines Jahres kaum glaubhaft machen können. Aber gehen Sie davon aus, dass unsere Auftraggeber an neuen Konzepten arbeiten." "Aber weshalb erzählen Sie mir das, Mr. Stone? Sie stammen von der anderen Seite der Mauer. Sie sind einer von denen und verdienen mit diesen Dingen Ihr Geld. Und jetzt tauchen Sie hier auf, um mich zu warnen. Wie passt all das zusammen?" "Ich ... ich fühle mich verantwortlich." Für einen kurzen Moment veränderte sich Stones Gesicht. Einen winzigen Augenblick lang war eine Ahnung von Schmerz in seinen Augen zu sehen gewesen, die seine zynische und kaltschnäuzige Art für einen Moment verdrängt hatte. "Dazu sollten Sie vielleicht wissen, dass ich vor drei Jahren für Sigma eine Kampagne geschrieben habe. Sie erinnern sich, der Automobilkonzern. In der Bremsmechanik seiner 12er Reihe waren Fehler entdeckt worden, und die Firma hatte es durchgerechnet. Die Rückrufaktion wäre sie teurer gekommen als unsere Kampagne. Und so feierten wir den Sigma 12 in einer Medienoffensive bald als sichersten Wagen seiner Klasse. Mit innovativer Bremstechnologie, verbesserter Straßenlage und zig Extras. Wir waren in allen Autozeitschriften. Wir waren überall. Zwei Monate später brachte meine Frau unseren Wagen in die Inspektion. Als Ersatz bekam sie vorübergehend einen Sigma 12, den der Verkäufer ihr als besonders sicher empfahl. Eine halbe Stunde später war sie tot." "Wusste Ihre Frau denn nichts von Ihrer Kampagne?" "Vince, das mag unpassend klingen, aber Diskretion ist das oberste Gebot in unserer Branche. Wir sind zu Stillschweigen verpflichtet. Niemand weiß wirklich, was wir tun. Sie ahnen sicher, wozu es führen würde, wenn es anders wäre." Sie schwiegen. Guthenberg, nicht wissend, was er entgegnen sollte, füllte die Tassen wieder auf. Dann hob er an: "Es tut mir Leid um ihre Frau. Aber Sie haben mir immer noch nicht gesagt ..."
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"Ich weiß. Ich weiß, dass ich Schuld bin. Nicht nur an ihrem Tod. Im Lauf jenes Jahres starben bei Unfällen, in die Wagen der Sigma-12Serie verstrickt waren, insgesamt 98 Menschen. Aber das ist nur eine Ahnung derer, die wir noch auf dem Gewissen haben. Und darum habe ich Art Ossane erschaffen." Guthenberg glaubte, sich verhört zu haben. "Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz." "Es hat ihn nie gegeben. Ich habe ihn erfunden." Zornig, ohne auch nur noch einen Moment zu überlegen, fuhr sein Gegenüber jetzt hoch und wies ihm energisch die Tür. "Ich denke, Sie sollten jetzt gehen, Mr. Stone." "Warten Sie, Vince. Ich ahne, was in Ihnen vorgeht. Aber lassen Sie mich erklären! Der Tod meiner Frau, die Umstände, ich ... ich begann zu zweifeln. Ich hatte Skandale vertuscht, Kriege initiiert und Wahlen gefälscht. Und wenn ich die von mir verursachten Konsequenzen hochrechnete, ahnte ich das Ausmaß meiner Schuld. Ich wollte etwas tun! Darum beschloss ich, einen deus ex machina zu erschaffen. Einen Mann, der sich der allgegenwärtigen Information entzog, sich ihr verweigerte und der dem System entgegenzustehen vermochte. In jeder nur erdenklichen Form. Der die Stadt verließ, um irgendwo im Hinterland eine Siedlung zu begründen, die abseits von Nachrichten, Werbung und Funknetzen existierte. Wo Information wieder Kommunikation statt Korruption wurde. Ich entwarf seine Geschichte. Seinen Kodex. Verkaufte sie. Sie rutschte in eines der Sommerlöcher, in denen sie froh sind um jede Meldung. Und plötzlich war Ossane überall. Die Leute bestaunten ihn, amüsierten sich über ihn. Die meisten zumindest. Denn da gab es auch andere. Menschen wie Sie, Vince. Leute, die nachdachten und ihm schließlich folgten." "Warum sollte ich Ihnen glauben?" "Hören Sie, ich bin hier, um Sie und ihre Leute zu retten. Ich persönlich habe keinen Vorteil davon. Im Gegenteil. Aber ich fühle mich verantwortlich. Weil ich Sie erfunden habe. Sie und Ihre ganze Siedlung. Ebenso wie all die anderen, die sich im Laufe der vergangenen beiden Jahre gegründet haben." "Das ist lächerlich. Ich habe Bilder von Ossane gesehen." "Bilder? Sie ahnen ja nicht, was ich Ihnen für Bilder zeigen könnte. Aber vielleicht sollte ich Ihnen den Namen meiner Frau verraten. Sie hieß Sara."
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Stone sah Guthenberg an, dass er nachdachte. Sara. Sara Stone. Art Ossane. Die Buchstaben, das konnte doch nicht ... "Mein Gott ..." "Ja, Vince. Er ist ihr Vermächtnis, wenn Sie so wollen." Guthenberg dachte nach. Auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte, während er sich langsam über das Kinn strich und hinüber zur Wand starrte. "Wenn es stimmt, was Sie sagen, wenn sie tatsächlich kommen, dann können wir immer noch bleiben und kämpfen. Egal wie es ausgeht, Sie könnten Bilder davon machen, darüber berichten, und ..." Stone folgte seinem Blick. Es ruhte auf einer Photographie an der Wand, auf der Guthenberg inmitten seiner Familie zu erkennen war. Sie war draußen vor der Hütte aufgenommen worden. Zwei lachende Kinder und eine Frau, deren Lächeln ihn entfernt an das von Sara erinnerte. "Natürlich könnte ich das tun Vince. Aber das wäre in niemandes Interesse. Glauben Sie mir, die Informationsraffinerien arbeiten anders. Es wäre ein sinnloses Opfer. Vollkommen sinnlos. Eine Geschichte, die niemand kauft, existiert nicht ..." Guthenberg schloss seine Augen. Nicht schnell genug jedoch, als dass Stone nicht die aufsteigenden Tränen darin gesehen hätte. "Ich denke, Sie sollten jetzt wirklich gehen, Mr Stone." Jetzt erst nahm sein Gegenüber die Pistole und steckte sie wieder in die Tasche zurück. "Hören Sie, es tut mir Leid, ich ..." "Schon in Ordnung." Stone war nicht wohl in seiner Haut. Er nahm die Aktentasche vom Tisch und sammelte seine Papiere zusammen. Dann ging er langsam zur Tür hinüber. Guthenberg bewegte sich die ganze Zeit über nicht. Mit geschlossenen Augen saß er am Tisch und schwieg. Und auch Stone wusste keinen passenden Abschied. Wortlos verließ er schließlich die Hütte. Er war bereits bei seinem Wagen angelangt und hatte die Fahrertür geöffnet, als im Türrahmen der Hütte Vince Guthenberg erschien.
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"Sagen Sie mir bitte bloß eines noch, Mr. Stone. Bloß eines." Es war kühl geworden. Die Männer fröstelten. "Wo sollen wir hin?" Obwohl Guthenberg sich Mühe gab es zu unterdrücken, spürte Stone das Zittern in seiner Stimme. Er richtete sich auf. Doch seine Stimme klang bei weitem nicht, wie er es sich gewünscht hätte. "Ich weiß es nicht, Vince. Ich weiß es nicht ..." Dann stieg Saul Stone in seinen Wagen, startete ihn und verließ die Siedlung, während Guthenberg im Rückspiegel immer kleiner wurde und von Norden ein Sturm aufzuziehen begann... Abstimmen
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