Davis J. Harbord In den Tod gehetzt
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Davis J. Harbord In den Tod gehetzt
1. Donegal Daniel O’Flynns helle Stimme war scharf und erregt. Wie ein Trompetensignal gellte sie von dem hohen Felsen hinunter und schreckte die Männer auf. »Fünf Karavellen!« Die Soldaten, die an Land schanzten, ließen ihre Spaten sinken. Die Männer auf der ›Isabella von Kastilien‹ brachen ihre Decksarbeiten ab. Sie alle starrten zu dem Jungen auf dem hohen Felsen hoch. Dan O’Flynns ausgestreckter rechter Arm wies nach Süden. Der Abendwind zerrte an seinen Haaren und zupfte an seiner Segeltuch jacke. »Spanische Karavellen! Sie halten auf die Bucht zu!« Einer der Soldaten schüttelte den Kopf. »Spanische! Diese Laus da oben spinnt doch. Wie soll man denn spanische Karavellen von portugiesischen oder englischen unterscheiden, he?« Ein anderer spuckte auf die Erde. Er warf einen trüben Blick auf die Galeone, die etwa dreißig Yards querab von dem Felsen ankerte. »Wenn’s die spanischen Schneckenfresser sind«, sagte er mißmutig, »können wir die Suppe auslöffeln, und die da drüben können jederzeit ihren Schwanz einziehen und türmen. Soll ich dir mal was sagen?« »Na?« »Wir werden noch alle in die Hölle fahren auf dieser verdammten irischen Insel.« Der andere riß die Augen auf.
»In die Hölle? Wieso das denn?« »Ich hab so ‘n Gefühl …« Er brach ab und stieß hastig den Spaten in die Erde. Ein Riese näherte sich, blieb vor ihnen stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ist hier Pause oder was?« Die Soldaten schanzten weiter. Erdreich wurde ausgehoben und ein Laufgraben gezogen. Ein paar der Soldaten fällten in dem angrenzenden Wald Bäume und schleppten die Stämme heran. Der Riese wandte sich wieder um und blickte zu der Galeone hinüber. Dort legte ein Beiboot ab und wurde von zwei Männern - einem riesigen Neger und einem breitschultrigen Mann - ans Ufer gepullt. Ein dritter Mann saß auf der Achterducht. Als das Boot auf dem Sand auslief, sprang er leichtfüßig an Land und kletterte gewandt wie eine Katze zu dem Jungen auf dem Felsen hoch. Der Riese blickte ihm mit zusammengekniffenen Augen nach. Der Neger und der andere Mann zogen das Beiboot weiter aufs Land und warteten. »Profos!« rief eine nörgelnde Stimme. Der Riese drehte sich um und ging zu dem Zelt, das unter einem Felsüberhang aufgebaut war. Wieder ertönte die nörgelnde Stimme. »Wo bleiben Sie denn, Profos?« Der Profos schlug die Zeltplane am Eingang beiseite und betrat das Zelt. »Sir?« Auf dem Feldbett neben dem Klapptisch saß ein fadblonder Mann mit blaßblauen Augen, fleischigen Wangen und einem massiven gespaltenen Kinn - Captain Isaac Henry Burton, Offizier in der Armee Ihrer königlichen Majestät von England. »Ich möchte baden«, sagte der Captain.
Der Profos blinzelte. Er hatte ein brutales Gesicht und eine niedrige Stirn. Er schob den massigen Kopf etwas vor. »Baden?« »Ja, baden. Die Leute sollen Wasser bringen, Süßwasser natürlich. Ist die Segeltuchwanne schon ausgepackt?« Du hast Sorgen, dachte der Profos. Laut sagte er: »Nein, noch nicht. Die Leute schanzen, Sir. Mit Verlaub, Sir, Verzeihung, wo sollen wir denn Süß wasser herkriegen?« »Die Leute sollen eine Quelle suchen. Hier wird doch irgendwo eine Quelle sein, nicht wahr?« Der Profos räusperte sich. »Jawohl, Sir, Quelle suchen. Ich werde sofort zehn Leute dazu abstellen.« »Tun Sie das, Profos.« Der Profos war schon draußen, als ihn die nörgelnde Stimme wieder zurückrief. »Noch etwas, Profos. Ich hörte da eben etwas von spanischen Karavellen. Warum wird mir das nicht gemeldet?« Der Profos grinste verkniffen. »Ich wollte Sie nicht belästigen, Sir. Dieser Bengel von der ›Isabella‹ hat angeblich Karavellen gesichtet. Wenn Sie mich fragen - der Lümmel will sich nur aufspielen. Genau wie sein Kapitän. Der ist eben zu ihm hochgeklettert.« »Aha.« Der Captain langte in eine kleine Reisetruhe neben dem Feldbett, holte eine Flasche und ein Glas heraus, öffnete die Flasche und schenkte das Glas voll. Whisky, wie der Profos feststellte. Er sah, wie die rechte Hand des Captains etwas zitterte. »Und wenn es spanische Karavellen sind?« fragte der Captain. Seine fadblauen Augen flackerten ein wenig. »Dann müßten es tatsächlich die Transportschiffe sein, die unsere Agenten gemeldet haben«, erwiderte der Profos. »Ah ja, sehr gut.« Der Captain trank hastig, verschluckte sich und hustete, während sein Gesicht puterrot wurde.
Der Profos rührte sich nicht von der Stelle. Die Arme des Captains fuhren in die Höhe. Seine fadblauen Augen quollen hervor. Röchelnd kämpfte er um Atem. »Krieg - krieg keine Luft!« Erstick doch, du krummer Hund, dachte der Profos. »Hil-Hilfe!« Der Profos trat zwei Schritte vor und hämmerte dem Captain die Rechte mehrmals ins Kreuz. Der Captain ächzte, schluckte, schnappte nach Luft, hustete, spuckte, röchelte. Seine Arme sanken wieder nach unten - wie abgekämpft. Sein Atem ging stoßweise. »Ah. Da-danke, Profos. Es geht schon - ein bißchen verschluckt - wird schon wieder - äh, danke, ich brauche Sie nicht mehr. Was ich noch sagen wollte …« Er hustete spuckend. »Diese - äh - Karavellen, ich möchte Meldung haben, wenn Sie etwas Genaueres wissen.« »Jawohl, Sir.« Der Profos verließ das Zelt. Isaac Henry Burton starrte vor sich hin und kaute auf seiner Unterlippe. Dann schenkte er sich wieder ein.
Philip Hasard Killigrew stand neben dem Jungen auf dem Felsen, der an die fünfzig Yards hoch an der Einfahrt zur Bucht aus dem Wasser ragte. Hinter ihnen lag die ›Isabella‹ vor Anker. Vor ihnen breitete sich die Dungarvanbai aus. Sie erstreckte sich weit nach Westen. Links von ihnen - im Osten schimmerte die Weite des Süd-Kanals, die Verbindung zwischen der Irischen See und dem Atlantik. Und dort, vom Süden her, näherten sich fünf Karavellen. Sie segelten vor dem Wind und in Kiellinie. Trotz der beginnenden Abenddämmerung waren sie klar zu erkennen. Sie lagen über Steuerbordbug. Ihre dreieckigen Lateinsegel an den riesigen,
schrägstehenden Rahen waren weit ausgebaumt, um den achterlichen Wind voll zu nutzen. »Spanische«, sagte Dan O’Flynn überzeugt. »Wir fahren diese elend langen Rahen doch schon gar nicht mehr.« Es klang fast etwas verächtlich, wie er es sagte. Hasard warf ihm einen kurzen Blick zu. »Leider«, sagte er knapp. »Wieso leider?« »Weil sie schneller als Galeonen und Karacken sind, besser und höher am Wind segeln und mit ihrem flachen Tiefgang noch dort fahren können, wo wir längst aufbrummen. Außerdem sind sie flink und wendig. Für ihre Waffen- und Munitionstransporte hierher nach Irland hätten sich die Spanier keine besseren Schiffe aussuchen können.« Das Bürschchen schniefte. »Wenn wir die vor unsere Kanonen kriegen, bleibt keine Planke auf der anderen.« »Wenn«, sagte Hasard nur und beobachtete die fünf Karavellen. Die erste luvte etwas an. Ihre Segel wurden dichter geholt. Ihr Bug schwenkte nach Backbord und zeigte jetzt genau auf die Mitte der Einfahrt in die Dungarvanbai. Mit raumem Wind glitt sie näher. In ihrem Kielwasser schob sich nun auch die zweite Karavelle höher an den Wind, dann die nächste, bis alle auf demselben Kurs wie das Führerschiff lagen. Hasard drehte sich um und blickte in die versteckte Nebenbucht hinunter, die von Kapitän Francis Drake als Treffpunkt für die drei englischen Galeonen bestimmt worden war. Die ›Marygold‹ mit Kapitän Drake und die ›Santa Cruz‹ mit Kapitän Thomas waren noch nicht eingelaufen. Der Teufel mochte wissen, wo sie steckten. Er, Hasard, hatte die ›Isabella‹ in der letzten Nacht in die Bucht gesteuert. Am Morgen waren die fünfzig Soldaten mit Captain Burton ausgeschifft worden. Hasard runzelte die Stirn.
Den war er erst mal los. Aber daß er mit ihm noch einmal Ärger kriegen würde, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Burton war von Bord gegangen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen oder einen Ton zu sagen. Dort unter der Felsnase war sein Zelt aufgeschlagen worden, und er hatte sich den ganzen Tag nicht mehr blicken lassen. Um die Truppe hatte sich der Profos gekümmert - auf seine Art. Sein üblicher Verkehrston bestand darin, die Soldaten anzubrüllen. Sie erledigten ihre Schanzarbeiten mit der stoischen Ruhe alter Krieger, die wußten, daß sie beschäftigt werden sollten und ihr befestigtes Lager vielleicht schon morgen wieder geräumt werden würde. Ob der Profos sie anbrüllte oder nicht - ein Bein rissen sie sich bestimmt nicht aus. Das war vielleicht ein Haufen. Unwillkürlich wanderte Hasards Blick wieder zur ›Isabella‹. Seine Männer standen ruhig und abwartend auf ihren Gefechtsstationen, wie er es befohlen hatte, bevor er von Bord gegangen war. Er rechnete nicht damit, daß die Karavellen in diese Bucht einlaufen würden, aber sicher war sicher. »Sie laufen in die Dungarvanbai ein«, sagte Dan O’Flynn. Hasard wandte sich wieder um. Es war noch dunkler geworden. Aber die Sicht reichte aus, um zu erkennen, daß die Führerkaravelle noch weiter angeluvt hatte und jetzt mit halbem Wind in die Bucht steuerte. Die vier anderen Karavellen folgten wie dressierte Hunde. Der Seewolf, wie Hasards Kriegsname lautete, nickte grimmig. Im Verband fahren, das konnten diese Burschen. Sie hatten etwas aufgeschlossen, hielten aber untadeligen Abstand untereinander. Achtern beim Führerschiff brannte ein Hecklicht. Das erste Schiff lief etwa vierzig Yards Abstand an ihrem Beobachtungsstand vorbei.
»Sie liegt ziemlich tief - wie die anderen Karavellen«, sagte Dan O’Flynn, der unheimlich scharfe Augen hatte. »Die sind bis zum Kragen vollgeladen. Selbst an Oberdeck stehen noch Fässer. Wetten, daß da bestimmt keine eingepökelten Heringe drin sind?« »Mit dir wette ich nicht«, sagte Hasard und grinste. Das Bürschchen grinste zurück. »Schade. Ich hätte glatt um ‘ne ganze Speckseite gewettet.« »Psst!« Hasard lauschte zu der zweiten Karavelle hinüber und hielt die gewölbte rechte Hand hinter das Ohr. »Horch mal!« Der Wind trug klar und deutlich spanische Laute zu ihnen herüber - Segelkommandos. »Sie sind es«, sagte Hasard leise und zufrieden. »Die Füchse gehen in die Falle. Wenn die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ hier wären, brauchten wir nachher nur die Bucht abzuriegeln.« »Sie sind aber nicht hier«, erklärte das Bürschchen und fügte schulmeisterlich hinzu: »Mit dem Wörtchen ›wenn‹ hat das so seine Bewandtnis, nicht wahr?« »Sehr gut«, sagte Hasard. »Donegal Daniel O’Flynn hat seine Lektion gelernt.« Und dann zuckte Hasard zusammen und fuhr herum. Ein Lichtschein leuchtete zu ihnen herauf. Neben dem Zelt Burtons flackerte eine Fackel. »Dieser Idiot!« stieß Hasard hervor. »Spring runter, Dan. Die Fackel soll sofort gelöscht werden!« Dan flitzte nach unten. Minuten später hörte Hasard einen erregten Wortwechsel. Burton war aus dem Zelt getreten und brüllte Dan O’Flynn an, der die Fackel einfach ergriffen und im hohen Bogen ins Wasser geworfen hatte. »Ruhe da unten!« rief Hasard scharf. Er blickte schnell zu den Karavellen hinüber. Die letzte zog gerade vorbei. Ob sie etwas gesehen oder gehört hatten? Aber dort tat sich nichts an Bord. In majestätischer Ruhe glitt die Karavelle weiter in die Bucht.
Aber da! Bei der Führerkaravelle blitzten am Bug dreimal hintereinander je vier Lichtblinke auf. Hasard kniff die Augen zusammen. Kurz darauf wurden die Lichtblinke vom Land her im gleichen Rhythmus beantwortet. Hasard peilte zu der Stelle hinüber. Er hatte den Verlauf der Dungarvanbai genau im Kopf. Die Bai verlief von Osten nach Westen und hatte nicht ganz die Form eines Trichters, der sich zur See hin öffnete. Am Ende der Bai im Westen lag Dungarvan. Rechts von dem Ort - nach Norden zu - erstreckte sich das Mündungsgebiet des Colligan. Jene Stelle dort drüben, wo die spanischen Lichtblinke von Land her beantwortet worden waren, markierte indessen ein Kap, um das herum die Bai nach Süden schwenkte und noch einmal eine jetzt schmalere Bucht bildete, welche die Form eines Stiefels hatte. Die Stiefelspitze lag unten im Süden und zeigte nach Westen. Noch weiter südlich der Stiefelsohle lagen die Drum Hills, wo sich laut der Agentenmeldung die irischen Waffen- und Munitionsverstecke befinden sollten. Hasard beobachtete scharf. Der Wortwechsel unten beim Zelt des Captains wurde immer erregter. »O verdammt«, murmelte Hasard, »haltet doch bloß eure Schnauzen.« Undeutlich konnte Hasard erkennen, wie die erste Karavelle um das Kap segelte und verschwand. Jetzt mußte sie den Stiefel hochkreuzen. Vermutlich lag die Landestelle bei der Stiefelspitze. Hasard wartete noch ein paar Minuten, und als er sah, daß auch die zweite Karavelle das Kap rundete und nach Süden steuerte, wandte er sich ab und eilte mit langen Sätzen den Felshang hinunter.
»Laß mich los, du Hornochse!« schrie Dan O’Flynn und knallte dem Profos die rechte Stiefelspitze vors Schienbein. »Au!« Der Profos brüllte auf, ließ aber nicht los. »Warte, du verdammte Laus, dich schlag ich zu Mus!« Er hielt Dan vorn am Kragen der Segeltuchjacke fest und holte mit seiner Pranke aus. Burton stand daneben und kicherte wie ein Eunuch. Ein paar Soldaten hatten sich genähert und glotzten blöde. »Lassen Sie den Jungen los, Profos!« sagte Hasard scharf. Er hatte die zweiläufige sächsische Pistole in der Faust und spannte beide Hähne. Bei ihrem Knacken ließ der Profos Dan los und wirbelte herum. Sein brutales Gesicht war wutverzerrt. »Dan, komm her«, sagte Hasard ruhig. »Er muß eine Prügelstrafe kriegen!« schrie Burton aufgebracht. »Er hat mich, einen Offizier Ihrer Majestät, und den Profos tätlich angegriffen und beleidigt. Er hat eine Fackel, die den Eingang meines Zeltes beleuchten soll, unbefugt ins Wasser geworfen. Ich verlange, daß dieser Bengel sofort bestraft und gezüchtigt wird. Profos, tun Sie Ihre Pflicht!« Der Profos rührte sich nicht. Burton stampfte mit dem Fuß auf. Seine quengelnde Stimme überschlug sich. »Sofort, auf der Stelle!« »Hören Sie doch auf, Burton«, sagte Hasard kalt. »Dan O’Flynn hat auf meine Anordnung hin die Fackel gelöscht. Ich habe mich zwar nicht mit der Strategie und Taktik des Landkrieges beschäftigt, aber mir sagt mein Verstand, daß man es nach einer Landung an einer feindlichen Küste eigentlich vermeiden soll, den eigenen Standort mittels Fackellicht bekanntzugeben. Im übrigen sind - als Sie die Fackel entzünden ließen - gerade fünf spanische Karavellen an dieser Bucht vorbeigelaufen.« Burton stierte wie ein Kalb. »Was - spanische?«
»Spanische«, sagte Hasard. »Karavellen, tief geladen. Sie sind nach Westen in die Bucht gelaufen, haben - falls Sie den Verlauf der Bucht im Kopf haben - nach Süden gedreht und werden vermutlich dicht unter Land in der Stiefelspitze ankern.« Jetzt zog Burton arrogant die Brauen hoch. »Sie reden immer von spanischen Karavellen. Woher wollen Sie wissen, daß es spanische sind?« »Weil an Bord dieser Karavellen die spanische Sprache gesprochen worden ist. Die Segelkommandos waren spanisch und nicht holländisch oder französisch oder englisch.« »Äh«, sagte Burton. Dan O’Flynn marschierte indessen zu Hasard und stellte sich neben ihn. Für Burton war das Bürschchen ein willkommenes Objekt, von seiner eigenen Unsicherheit abzulenken. »Packt ihn!« schrie er und stach seinen Zeigefinger auf Dan O’Flynn. Hinter Hasard tauchten der riesige Batuti und Smoky auf. Batuti spielte mit einem Belegnagel. Smoky hatte ein Messer gezogen und prüfte mit dem linken Daumen die Schärfe der Klinge. Sie bauten sich rechts und links von Hasard und Dan O’Flynn auf. In Hasards Gesicht stand ein eisiges Lächeln. Der große, breitschultrige Mann hielt immer noch die sächsische Pistole in der Faust. Sie war auf niemanden gerichtet. Seine eisblauen Augen waren dunkle Flecken - niemand sah, wen sie gerade fixierten. Der Profos trat einen Schritt zurück. Die Soldaten standen völlig bewegungslos. Sie würden den Teufel tun, den Befehl Burtons auszuführen. Nur vier Männer standen ihnen gegenüber - einer fast noch ein Kind, aber sie hatten inzwischen begriffen, daß jeder Mann dieser ›Isabella‹-Crew so hart wie Granit und so wild wie ein hungriger Wolf war.
Und ihr Leitwolf - dieser schwarzhaarige, blauäugige Bastard - war mehr als alles das. Der war schlimmer als Tod und Teufel. Der war über einem Kanonenrohr gezeugt worden und hatte Pulver und Blei gefressen, als andere noch an der Mutterbrust genuckelt hatten und unter schützende Röcke gekrochen waren. Genau das war es, und die Soldaten hatten einen untrüglichen Instinkt für Starke und Schwache, für Tapfere und Feiglinge. Burtons Stimme hatte den Ton eines Junggockels, der noch unschlüssig ist, ob er den Hahn herausfordern soll. Noch einmal schrie er: »Packt ihn!« Die Soldaten standen wie Salzsäulen. Ein Soldat namens Jake Tinkler, ein harter, schwarzhaariger und grauäugiger Bursche, der mit ››Black‹‹ John Morris bereits in den Niederlanden gegen die Spanier gekämpft hatte, murmelte so etwas, das wie ›zum Kotzen‹ klang, drehte sich um und schlenderte zu dem Schanzgraben zurück. Er stieß den Spaten in die Erde und warf den Sand irgendwohin. Es war ja gleichgültig. Dieser Tinkler war seit elf Jahren Soldat. Als er siebzehn gewesen war, hatte ihn die Armee aufgenommen. Ein Kanten Brot, Marketenderschnaps und dann und wann etwas Sold waren Paradiesgaben für einen Londoner Themsejungen, der nicht wußte, wer sein Vater war und dessen Mutter ihn mit Not und Dreck und Rüben großgezogen hatte. Er war hart und ein Kämpfer. Zwei, drei Soldaten äugten zu ihm hinüber und wandten sich ebenfalls ab. Die nächsten folgten, und so zerbröckelte der Ring um Hasard und seine drei Männer wie morsches, abbruchreifes Mauerwerk, dem die tragenden Steine entzogen werden. Das war glattweg soviel wie Gehorsamsverweigerung. Das Gesicht des Profos versteinerte, aber er blieb stumm wie ein Fisch. Die Augen des Captains zuckten hin und her - zu
dem Soldaten Tinkler, zum Profos, zu Hasard. Sein Mund zitterte, und dann tat er etwas Unsinniges. Er rannte hinter Tinkler her, packte ihn an der Schulter und riß ihn herum. »Sie - Sie …«, schrie er und wußte nicht weiter. »Sir?« fragte Tinkler ruhig. Er drehte etwas den Kopf und blickte auf die Hand des Captains, die seine Schulter umkrallte. Sein Blick war ziemlich verächtlich. Er besagte soviel wie: Wenn du deine Pfoten nicht wegnimmst, schlag ich dir was in die Fresse. Der Captain ließ die Schulter los, als habe er sich die Finger verbrannt. Er wich mehrere Schritte zurück. Seine Lippen zitterten. Er wollte etwas sagen, aber er brachte keinen Ton heraus. Tinkler drehte ihm den Rücken zu und schippte weiter, gelangweilt, so, als ginge ihn das alles gar nichts an. Hasards Stimme klang kühl und unpersönlich: »Das war’s dann wohl.« Er steckte die Pistole in den Gürtel, wandte sich um und winkte seinen Männern zu, ihm zu folgen. »Halt!« schrie Captain Burton. »Was - was ist mit den spanischen Karavellen?« Hasard blieb stehen und drehte sich wieder um. »Nichts«, sagte er. »Was soll mit ihnen sein? Vermutlich laufen sie einen Landeplatz unten in der Stiefelspitze an und werden entladen.« Burton reckte sich. »Sie müssen sofort angegriffen und vernichtet werden.« Hasard musterte den Captain kalt. »Wer sagt das?« »Ich. Solange Captain Norris und Kapitän Drake hier nicht eingetroffen sind, führe ich das Kommando.« »Ach du lieber Gott«, murmelte der Soldat Tinkler. Burton überhörte es. Eben noch hatte ihm seine Truppe den Gehorsam verweigert oder sich zumindest stur gestellt, und
jetzt nahm der Captain Feldherrenpose ein. Er zog seinen Degen und räusperte sich. »Das hier ist die Dungarvanbai«, sagte er und zeichnete mit der Degenspitze ein sackähnliches Gebilde in den Sand. »Hier links - äh - südlich verläuft die Stiefelspitze. Etwa so.« Der Degen scharrte durch den Sand. »Und hier« - die Spitze bohrte sich in ein Grasbüschel - »wird zugeschlagen, hart und erbarmungslos. Zangenbewegung - äh. Meine Truppe greift von Land her an. Sie wird sofort wieder an Bord eingeschifft, über die Bai transportiert und hier« - der Degen tippte auf den Stiefelabsatz - »an Land gesetzt. Der Angriff erfolgt um null Uhr. Gleichzeitig wird die Galeone die Karavellen von der Wasserseite her angreifen. Ich erwarte, daß Sie die Spanier in Grund und Boden bohren, Killigrew. Noch irgendwelche Fragen?« Die Soldaten standen mit offenen Mündern. Tinkler hatte mit Schanzen aufgehört und stützte sich auf den Spaten. Burton blickte sich um, ganz Feldherr, dessen Schlacht bereits geschlagen ist, siegreich, versteht sich. Sehr ruhig und akzentuiert sagte Hasard: »Sie sind ja wahnsinnig, Mann.« Burton zuckte zusammen. »Was sagten Sie da?« »Ich sagte, Sie seien wahnsinnig«, erwiderte Hasard. Burton wurde knallrot. »Ich verbitte mir das!« schrie er. »Ich werde Sie füsilieren lassen. Unverschämtheit! Sie Lümmel von Arwenack! Sie sprechen mit einem Offizier Ihrer Majestät, Sie - Sie …« »So?« sagte Hasard. »Offizier Ihrer Majestät? Dann benehmen Sie sich auch wie ein Offizier, Mister. Und brüllen Sie mich nicht an, ich gehöre nicht zu Ihrem Haufen. Sie haben mir also keine Befehle zu erteilen. Ich werde den Teufel tun, die Karavellen anzugreifen. Ich werde Ihre Truppe auch nicht über die Bai transportieren und drüben an Land setzen. Kapitän
Drakes Order lautete, diese Bucht hier als Treffpunkt anzulaufen. Das ist geschehen. Wir haben zu warten, bis die beiden anderen Galeonen eingetroffen sind. Erst dann wird eine Beratung ergeben, wie gemeinsam vorgegangen werden soll.« »Sie - Sie Feigling!« Burton fuchtelte mit dem Degen herum. Hasard trat auf ihn zu. »Sie haben von mir wohl noch nicht genug Dresche bezogen. Das kann sofort nachgeholt werden.« Burton wich zurück und hob den Degen. »Noch einen Schritt, und ich spieße Sie auf!« »O Mann«, sagte der Soldat Tinkler sehr deutlich, »ist das hier ein Zirkus.« Der Profos fuhr herum. »Maul halten, verstanden?« Ungerührt sagte Tinkler: »Soll hier nun geschanzt werden oder was?« »Ihr werdet kämpfen, ihr feigen Schweine!« schrie Captain Burton. »Heute nacht werdet ihr die Spanier und Iren angreifen, und gnade euch Gott, ihr heftet den Sieg nicht an unsere Fahnen!« »Hosianna«, sagte Jake Tinkler, schulterte den Spaten und marschierte zu seinem Gepäck. »Nehmen Sie doch Vernunft an, Burton«, sagte Hasard. »Mit einer solchen Aktion, wie Sie es planen, wird unser ganzes Unternehmen gefährdet. Ich darf Sie daran erinnern, daß Captain Norris’ Plan darauf abzielt, die irischen Waffenverstecke in den Drum Hills zu finden und auszuheben. Wenn Sie sich mit den Spaniern am Landeplatz herumschlagen, werden die Iren gewarnt und haben genug Zeit, ihre Verstecke zu räumen und aus den Drum Hills zu verschwinden. Das wäre das Ende unseres geplanten Unternehmens. Ob wir dann jemals von unseren Agenten wieder erfahren, wo die Spanier landen und die irischen
Verstecke angelegt werden, erscheint mir zumindest fraglich. Diese Gründe sollten genügen, daß Sie von Ihrem Plan absehen.« Captain Burton blieb stur. »Sie verweigern mir also den Gehorsam?« Hasards Geduld war am Ende. »Ich habe Ihnen gar nichts zu verweigern, weil Sie über mich keine Befehlsbefugnisse haben, Sie aufgeblasener Trottel. Und wenn ich unter Ihnen zu dienen hätte, dann würde ich auf meinen Kopf hin hier und jetzt rebellieren und Sie wegen Unfähigkeit zum Teufel schicken.« Der Soldat Tinkler rieb sich die Hände und grinste breit. Der Profos starrte den Seewolf verdattert an. Und Captain Burton stand dicht vor einem Schlaganfall. Er hatte Froschaugen und schnappte nach Luft. Als er genug gepumpt hatte, brüllte er: »Profos! Die Leute sollen ihre Waffen nehmen! Sofort wird die Galeone besetzt äh - geentert!« Er streckte den Degen in die Luft. »Die vier Strolche da - sofort festnehmen!« Mit einem blitzschnellen Griff zog Hasard die Pistole und richtete sie auf den Captain. Seine Stimme war eisig: »Die erste Kugel werden Sie einfangen, Burton, die zweite Ihr Profos. Und begehen Sie nicht den Irrtum, zu denken, ich bluffe. Es wäre dann Ihr letzter, weil tödlicher Irrtum.« Über die Schulter sagte er: »Dan, lauf hinunter zu unserer Landestelle. Ich möchte die ›Isabella‹ in drei Minuten gefechtsklar sehen. Kein Soldat wird ihr Deck betreten.« »Aye aye.« Dan O’Flynn war weg wie ein Blitz. Ben Brightons Stimme röhrte über die Bucht. Er hatte alles mitgekriegt - und bereits gehandelt.
»Schiff ist gefechtsklar. Alle Mann sind auf Gefechtsstation. Den Captain Burton hat Ferris im Visier - mit der Drehbasse! Ein Schuß, und der Captain steht ohne Kopf da!« Hasard grinste vor sich hin. Die Soldaten standen steif wie Zinnfiguren. Nur der Soldat Tinkler bewegte sich. Er fischte einen Brotlaib aus einer Rationskiste und säbelte sich einen Kanten ab. »Sind Sie wahnsinnig?« schrie der Profos. »Nein, hungrig«, sagte Tinkler. Captain Burton war inzwischen weiß vor Wut, aber sterben wollte er auch nicht. Zum Sterben waren die anderen da. Aber die standen nicht in der Schußlinie. Nur er war unmittelbar bedroht. Hasard und seine beiden Männer zogen sich zu dem Beiboot zurück. Dennoch hatte der Captain keine Chance. Hasard tat ihm nicht den Gefallen, ihm den Rücken zuzudrehen. Es war ein sehr schlechter Trumpf, den der Captain meinte, noch ausspielen zu müssen. Er sagte: »Ihr habt es alle gehört, Männer. Der Feigling Killigrew kneift. Er hat Angst, die Spanier anzugreifen. Aber wir! Wir werden kämpfen! Wir werden die Spanier und Iren, dieses gottverdammte Pack, vernichtend schlagen. Profos! Die Truppe hat in einer halben Stunde marschbereit zu sein. Wir umgehen die Bucht und stoßen nach Süden zur Stiefelspitze vor. Es lebe die Königin!« »Es lebe die Königin«, sagte der Profos lahm. Die Soldaten hatten mürrische bis finstere Gesichter. Für die königliche Lissy würden sie schon kämpfen, alles was recht ist. Aber nicht unter dem Kommando eines Holzkopfes wie Burton. Da war der Killigrew ein anderes Kaliber. Fast neidisch äugten sie zu der Galeone hinüber. »Es lebe die Königin!« brüllte Burton. »Ich höre nichts!« »…lebe die Königin«, murmelten ein paar.
Und Tinkler sagte sehr laut und deutlich: »Eßt eure Brote auf, Männer, da sind schon die Maden drin.« »Dieser Kerl ist unter Arrest zu stellen!« schrie Captain Burton mit überschnappender Stimme. »Jetzt oder später?« frage der Profos. »Verzeihung, Sir. Aber ich glaube, wir brauchen jeden Mann. Ich hab hier auch keine Arrestzelle. Und zur Bewachung von Tinkler kann ich auch keinen Mann abstellen, wenn wir in den Kampf marschieren.« »Äh - sehr richtig, Profos. Dieser Dingsda wird nach dem Sieg unter Arrest gestellt. Disziplinarmaßnahme. Truppe hat zu gehorchen. Haben die Leute inzwischen mein Badewasser geholt?« Der Profos war ein übler Schinder und um nichts besser als sein Captain. Immerhin war er in diesem Augenblick schlichtweg entgeistert. »Badewasser?« Der Captain wippte auf den Fußballen. »Ja, Badewasser. Ich möchte baden, bevor ich den Feind schlage.« »Sir«, sagte der Profos und würgte den Kloß in seinem Hals hinunter, »in einer halben Stunde soll die Truppe marschbereit sein.« »Na und?« »Tinkler!« brüllte der Profos und knallte wutentbrannt seine Stiefelspitze unter jenes Grasbüschel, wo laut der Zeichnung des Captains ›hart und erbarmungslos‹ zugeschlagen werden sollte. »Der Captain möchte baden, bevor er den Feind schlägt. Holen Sie das Badewasser!« »Ich stehe unter Arrest«, sagte Tinkler. »Ich kann hier nicht weg.« Er hatte inzwischen ein Stück Speck zwischen den Zähnen und grinste breit. »Brown! Smith! Plummer! Badewasser für den Captain!« schrie der Profos. Die drei Männer trollten sich.
»Ihr habt die Segeltucheimer vergessen«, sagte Jake Tinkler freundlich. »Oder wollt ihr das Badewasser für den Captain mit der hohlen Hand heranschleppen?« Die drei Männer kehrten zurück und schnappten sich die Eimer. Ihren Mienen war zu entnehmen, daß sie die Welt für ein Jammertal hielten. Ihr Gang entsprach dem von Sargträgern. »Die Leute sollen nicht so trödeln«, nörgelte Captain Burton. »Und wo bleibt denn nur die Segeltuchwanne, Profos?« Der Profos versteckte seine Hand hinter dem Rücken. Sie war zu einer Faust geballt, und wenn er gekonnt hatte, dann hätte er mit dieser Faust jetzt einen Granitbrocken zertrümmert. Als Hasard über die Jakobsleiter hochenterte und auf die Kuhl sprang, zog Ben Brighton den Kopf ein. Bei Hasard standen die Zeichen auf Sturm. So finster hatte ihn der Bootsmann noch nie gesehen. »Badewasser!« stieß Hasard hervor. »Der feine Herr möchte baden, bevor er in die Schlacht zieht - dieser Narr, dieser dreimal verdammte Narr!« Er starrte hinüber zum Lager, wo der Profos fluchend und brüllend die Soldaten antrieb. »Wir sollten verhindern, daß er mit seiner Truppe losmarschiert«, sagte Ben Brighton. »Wie denn?« fauchte ihn Hasard an. »Mit Pulver und Blei, damit die ganze Gegend erfährt, daß wir hier sind?« »Du hättest Burton festnehmen sollen«, sagte Ben Brighton ruhig. »Ach? Und die fünfzig Soldaten? Die hätten zugesehen und Däumchen gedreht, wie?« »Die meisten hätten auf deiner Seite gestanden.« »Hätten - hätten! Darauf konnte ich mich nicht verlassen. Die Situation war sowieso heikel genug - fünfzig Soldaten gegen uns vier. Die hätten uns in weniger als einer Minute zu Brei gestampft.«
»Wir hätten eingegriffen.« »Hör auf, Ben«, sagte Hasard wütend. »Sollten hier auf irischem Boden Engländer gegen Engländer kämpfen und sich gegenseitig massakrieren?« Ben Brighton schwieg. Er mußte Hasard recht geben.
2. Gegen neun Uhr abends verließ die Truppe Burtons das halbfertige Lager an der versteckten Nebenbucht der Dungarvanbai. Gefällte Baumstämme lagen herum, ein paar Erdhaufen markierten, wo geschanzt worden war, der Graben um das Lager war erst zu einem Viertel ausgehoben. Die These, sich bei Schanzarbeiten kein Bein auszureißen, hatte sich wieder einmal als richtig erwiesen. Immerhin hatte Captain Isaac Henry Burton sein Bad gehabt. Die drei Soldaten hatten neun Eimer Wasser herangeschleppt - dafür waren sie dreimal zur Quelle und zurück gelaufen. Hasard stand mit schmalen Lippen auf dem Deck des Achterkastells und sah die Marschkolonne im Wald verschwinden. Für kurze Zeit hörte er noch das Scheppern und Klirren von Metall, dann verstummte auch das. Mit einem Ruck drehte er sich zu Ben Brighton um. »Hol Ferris, Ben. Wir müssen etwas besprechen. Ich bin in meiner Kammer. Die Gefechtsbereitschaft ist aufgehoben, aber wir werden etwas unternehmen - auch ohne Kapitän Drake und Captain Norris.« »Aye«, sagte Ben Brighton knapp. Als die beiden Männer Hasards Kammer betraten, stand der Seewolf über eine Karte gebeugt, die auf dem einzigen Tisch ausgebreitet war. Es war eine Karte der Dungarvanbai, wie Ben Brighton mit einem Blick feststellte.
Hasard nickte ihm und Ferris Tucker zu. Er tippte auf die Karte, dann glitt sein Finger von ihrem Ankerplatz in der versteckten Nebenbucht nach Westen. »Hier marschiert dieser Holzkopf jetzt mit seiner Truppe«, sagte er. »Was heißt marschiert? Sie müssen sich durch das hügelige Waldgelände quälen, bepackt wie die Maulesel. Dort im Westen mündet der Colligan in die Bai. Wo sie den überqueren werden, ist mir schleierhaft. Vielleicht finden sie eine Brücke, auf dieser Karte ist keine eingezeichnet. Dann müssen sie südwärts an Dungarvan vorbei und am Stiefel entlang bis zur Spitze, wo sich vermutlich der Landeplatz für das Ausladen der fünf Karavellen befindet.« Hasards Finger markierte den Landeplatz und wanderte dann noch einmal die gesamte Strecke bis zur Nebenbucht zurück. »Was meint ihr, wie lange Burton für diesen Marsch braucht?« fragte er. Ben Brighton und Ferris Tucker beugten sich tiefer über die Karte und taxierten die imaginäre Marschroute. Ben Brighton sagte: »Bis zum Morgengrauen müßte er es geschafft haben, falls die Truppe bis dahin unentdeckt bleibt.« Ferris Tucker nickte. »Das schätze ich auch.« Beide blickten den Seewolf erwartungsvoll an. Wie sie ihn kannten, hatte er wieder was auf der Pfanne. Hasard sagte: »Wir müssen verhindern, daß die Iren durch den wahrscheinlichen Angriff Burtons auf den Landeplatz gewarnt werden und dann die Waffenverstecke räumen. Das setzt zwei Bedingungen voraus. Erstens: Wir müssen schneller als Burton sein. Zweitens: Wir müssen in Erfahrung bringen, wo sich die Verstecke befinden. Die erste Bedingung ist zu erfüllen - auf dem Wasserweg. Wir brauchen nur quer über die Bai überzusetzen, während Burtons Truppe dem Verlauf der Bai folgend herummarschieren muß. Unser Weg ist der kürzere. Nun zur zweiten Bedingung. Auch sie sollte
hinzukriegen sein und erfordert nur etwas Versteckspielen. Das heißt, wir pirschen uns an den Landeplatz heran. Ich gehe davon aus, daß die Spanier noch in dieser Nacht ihre Karavellen entladen, um so schnell wie möglich wieder verschwinden zu können. Wenn das so ist, dann hängen wir uns an die Kerle an, von denen die Ladung in die Drum Hills gebracht wird. Sie führen uns zu den Verstecken.« »Und dann?« fragte Ben Brighton gespannt. »Das hängt jetzt tatsächlich von diesem Holzkopf Burton ab«, erwiderte der Seewolf grimmig. »Wenn er so wahnsinnig ist, anzugreifen, dann wird bei der Landestelle der Teufel los sein. Wo Krach ist, rennt man hin. Das werden auch die Iren tun, die bei den Verstecken in den Drum Hills die Ladungen in Empfang nehmen und lagern. Vielleicht lassen sie Posten zurück. Aber genau zu diesem Zeitpunkt haben wir die Chance, zuzuschlagen und die Lager auszuheben oder in die Luft zu jagen.« »Phantastisch«, sagte der riesige Schiffszimmermann und grinste. Für ihn war bereits klar, daß er der Sprengmeister sein würde. »Und die fünf Karavellen?« fragte Ben Brighton. »Wenn die in den Kampf an dem Landeplatz eingreifen, dann gibt’s Kleinholz.« »Das ist das Problem unseres Feldherrn Burton«, sagte Hasard hart. »Ich bin nicht sein Kindermädchen. Die Brocken, die er zu verschlingen beabsichtigt, muß er selbst verdauen. Mir geht es darum, bei diesem ganzen Unternehmen noch das zu retten, was zu retten ist. Vorrangig sind die Waffen- und Munitionsverstecke der Iren. Auch wenn sie geräumt werden sollten, bevor wir sie ausheben können, müssen wir zur Stelle sein und dann Fühlung halten, um zu erfahren, wohin der Kram verlagert wird.« »Aber die fünf Karavellen …«, begann Ben Brighton wieder.
»Moment, Ben.« Hasard hob die Hand. »Wenn die Dons in den Kampf eingreifen, kann ich das auch nicht ändern. Ihre Order wird dahin lauten, die Materialien zu landen und wieder zu verschwinden, und zwar unauffällig, um den ganzen spanisch-irischen Waffenschmuggel nicht auffliegen zu lassen. Für Irland Waffen zu liefern, ist die eine Sache, für Irland im Kampf zu sterben, aber eine ganz andere. Vielleicht hast du recht, daß sie dennoch eingreifen, aber das auch nur, wenn sie noch nicht entladen sind. Wenn sie entladen sind, werden sie abhauen. So, und jetzt kommt deine Aufgabe.« »Meine?« Hasard grinste. »Genau. Hier, schau dir die Seekarte an. Die Fahrrinne in die Bai ist sehr tief, aber nicht sehr breit - etwa siebzig Yards. Hier bei uns auf der nördlichen Seite der Bei sind außerhalb der Fahrrinne Kliffs und nur bei Ebbe sichtbare Felsbarrieren. Dort drüben am südlichen Ufer sind Sande, die bei Flut knapp anderthalb Yards unter der Wasseroberfläche liegen.« Hasards Finger tippte auf die Sande. »Dorthin mußt du die Karavellen treiben, wenn sie auslaufen. Du legst die ›Isabella‹ hier an der Nordseite des Fahrwassers am Ausgang der Bai mit dem Bug zur See vor Anker, so daß die Steuerbordbreitseite zur Fahrrinne weist. Mit Heckanker, versteht sich. Jede auslaufende Karavelle wird unter massives Feuer genommen und damit wahrscheinlich auf die Sande getrieben. Falls eine versucht, hier in die nördlichen Kliffs auszuweichen, wird sie wahrscheinlich zu Bruch gehen. Aber die Backbordbreitseite muß ebenfalls gefechtsklar sein - für alle Fälle. Auf diese Weise kannst du die Ausfahrt aus der Bai abriegeln. Versuche, dir das Gefechtsbild vorzustellen. Sie werden in Kiellinie auslaufen, eine Karavelle hinter der anderen. Anders geht es gar nicht, dazu ist das Fahrwasser zu schmal.
Es kommt darauf an, daß ihr schneller ladet und feuert als jemals zuvor. Haut ihnen Kettenkugeln in die Takelagen, damit sie manövrierunfähig werden. Die Schußentfernung wird lächerliche fünfzig Yards betragen, da muß jeder Schuß sitzen. Rechne damit, daß du die erste Karavelle auf die Sande treibst, aber irgendwie müssen die vier anderen reagieren. Aber wie? Könnten sie versuchen, die ›Isabella‹ zu entern? Läuft das Wasser zu dieser Zeit auf oder ab? Was ergibt sich daraus? Können sie in dem engen Fahrwasser wenden oder halsen? Wie steht der Wind? Alles das mußt du bei deinen Entscheidungen berücksichtigen.« »Hm«, sagte Ben Brighton, »alles klar.« Und ziemlich rabiat fügte er hinzu: »Und wo steckt derweil der Kommandant der ›Isabella‹?« »In den Drum Hills, mein Guter.« Hasard grinste. »Und ich?« fragte Ferris Tucker fast beleidigt. »Wer ist denn der Stückmeister hier an Bord?« erwiderte der Seewolf. »Ich.« Ferris Tucker reckte die breite Brust heraus. »Na also. Ihr beiden, du, Ben, und du, Ferris, ihr werdet den Schneckenfressern das Fürchten beibringen. Oder seid ihr da überfordert?« Ben Brighton und Ferris Tucker wechselten einen kurzen Blick. Dann starrte Ferris Tucker an die Decke, und Ben Brighton suchte neben Hasards rechtem Ohr einen Fixpunkt. Ihren Mienen war zu entnehmen, daß sie die letzte Frage ihres Kapitäns bereit waren, tunlichst zu überhören - womit sich auch die Antwort erübrigte. »Na denn«, sagte Hasard, »ich sehe schon, wie froh ihr seid, mich endlich los zu sein.« »Davon kann wohl gar nicht die Rede sein«, sagte Ben Brighton erbost.
»Jawohl«, sagte Ferris Tucker, »und sieh zu, daß du in einem Stück bleibst. Die Iren hauen immer mächtig drauf, aber wem sag ich das!« Hasard grinste. »Wen willst du mitnehmen?« fragte Ben Brighton sachlich. „Stenmark, Matt Davies, Tom Smith, Gary Andrews, Blacky und Batuti. Sag ihnen Bescheid, Ferris. Die sollen Pistolen, Musketen und Entermesser mitnehmen. Und etwas Proviant und Trinkwasser. Laß das Beiboot segelklar machen. Wir brechen sofort auf.« »Aye, aye.« Ferris Tucker verschwand. »Was ist, wenn Kapitän Drake inzwischen einläuft?« fragte Ben Brighton. »Erklär ihm die Situation, Ben. Berichte ihm, wie sich Burton hier aufgespielt hat. Reib Captain Norris ruhig unter die Nase, daß sein ehrenwerter Unterführer Burton ein gemeingefährlicher Trottel sei, der uns aufgrund seiner Handlungsweise zu den jetzigen Maßnahmen gezwungen habe. Sage Kapitän Drake meine Empfehlung. Ich hielte es für ratsam, mit allen drei Galeonen die Ausfahrt aus der Bai zu blockieren. Wenn die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ noch in dieser Nacht eintreffen und deine Position am nördlichen Baiausgang verstärken, haben die auslaufenden Karavellen keine Chance, durchzubrechen. Allein die ›Santa Cruz‹ mit ihrer Kampfkraft kann es mit allen fünf Karavellen aufnehmen. Sonst noch Fragen?« Ben Brighton schüttelte den Kopf. »Alles klar. Sowie ihr mit dem Beiboot weg seid, gehen wir ankerauf und beziehen unsere Position am Nordausgang der Bai. Ich wünsche euch viel Glück.« »Wird schon werden«, sagte der Seewolf, »danke, Ben. Ich wünsche euch das gleiche.« Als sie an Deck traten, war dort der Teufel los.
Ferris Tucker ließ den brüllenden Dan O’Flynn am ausgestreckten Arm zappeln und toben. Batuti, der riesige Gambia-Neger, stand mit belämmerter Miene daneben und rollte die Augen. »Was ist denn mit euch los?« fauchte Hasard. »Diese Laus hier konnte ich gerade noch erwischen, wie sie ins Beiboot schlüpfen wollte«, sagte Ferris Tucker wild, »und der schwarze Affe da heult mir die Ohren voll, ›kleines O’Flynn‹ müsse unbedingt mit. ›Kleines O’Flynn‹! Wenn ich den Käse schon höre! Das Bürschchen braucht mal wieder ‘ne saftige Abreibung, diese Rotznase!« »Ha!« schrie Dan O’Flynn. »Laß mich ja los, du Ochse, oder ich beiß dir die Nase ab!« »Ruhe«, sagte der Seewolf, »hier werden keine Nasen abgebissen, Dan O’Flynn. Oder brauchst du wieder eine Rizinuskur?« »Du mußt mich mitnehmen, ich hab die besten Augen.« »Ja, und die größte Klappe. Ferris, stell ihn wieder an Deck, den Kleinen. Er wird uns begleiten, aber den Proviantsack schleppen.« Dan O’Flynn strahlte. »Und wenn du etwas daraus klaust«, sagte Hasard, »bist du die längste Zeit hier an Bord gewesen.« Dan O’Flynns Gesicht wurde ziemlich lang. »Mister Tucker ist dein Vorgesetzter«, fuhr Hasard ungerührt fort. »Hattest du ihn eben ›Ochse‹ genannt?« »Hm - ja.« »Dann entschuldige dich bei ihm.« »Ich bitte um Entschuldigung, Mister Tucker, Sir.« »Ist gut«, sagte Ferris Tucker. »Hol den Proviantsack aus der Kombüse. Der Kutscher hat alles hergerichtet - zwei Speckseiten, vier Brotlaibe. Ein kleines Faß Trinkwasser ist bereits im Beiboot. Dann hilf Stenmark und Blacky, das Boot aufzuriggen.«
»Aye, aye.« Das Bürschchen huschte zur Kombüse und holte den Proviantsack - einen Beutel aus grobem Segeltuch, der über die Schulter gehängt werden konnte. Gary Andrews und Tom Smith mannten inzwischen die Waffen ins Boot, das an der Steuerbordseite der Galeone längsseits lag. Matt Davies und Batuti hievten den einen Mast für das Beiboot über das Schanzkleid. Stenmark und Blacky bereits unten im Boot - nahmen ihn wahr. Er wurde durch eine Ausnehmung in der zweitvordersten Ducht gesteckt und ruhte unten in einer viereckigen Mastspur. Ein Vorsteg sowie je ein Backbord- und Steuerbordwant stützten den Mast ab. Als Besegelung diente ein dreieckiges Lateinsegel. Eine Viertelstunde später war das Boot aufgeriggt und alles an Bord verstaut. Hasard enterte als letzter hinunter und winkte seinen Männern an Bord der ›Isabella‹ noch einmal zu. Sie standen am Steuerbordschanzkleid, mitten unter ihnen Ben Brighton und Ferris Tucker. Irgendwie hatten sie alle da oben an Bord der ›Isabella von Kastilien‹ das Gefühl, den Mann zu verlieren, der fast so etwas wie ein Fixpunkt in ihrem Leben geworden war. Der Mann aus Cornwall aus der Sippe der Killigrews, noch jung zwar, aber was zählten da die Jahre? Dieser Mann hatte es in knappen drei Monaten geschafft, jeden einzelnen von ihnen an sich zu binden - ohne Peitsche, ohne jede Arroganz der vom Adelsstand her Bevorzugten. Er war ein Teil ihrer selbst. Smoky, der Decksälteste der ›Isabella‹, stand ganz vorn an der Back. Er sagte das, was sie alle dachten. »Komm ja zurück, du verdammter Hund!« Dieses »du verdammter Hund« klang fast zärtlich.
Der leichte Südostwind wurde von den Felsen vor der Nebenbucht abgefangen. Hasard ließ die Riemen ausbringen
und das Beiboot durch den etwa dreißig Yards breiten Eingang pullen. Als sie ihre Nase in die Dungarvanbai steckten, packte sie das auslaufende Wasser und trieb sie sofort westwärts in die Bai. Hasard hielt den Bug gegen den Wind und ließ Lateinsegel setzen. Als es stand, fiel er etwas ab und nahm Kurs auf das gegenüberliegende Ufer, das sich vor ihnen in etwa zwei Meilen Entfernung von Osten nach Westen erstreckte. Dort drüben war Sandstrand. Hinter dem Strand wuchs hügeliges Gelände aus der Dunkelheit. Die Wälder südlich der Bai reichten zum Teil bis an diesen Strand heran. Ein fahles Mondlicht zeigte undeutlich die Umrisse des Südufers. Hasard steuerte das Boot quer über die Bai und merkte aufgrund der Peilungen, wie sie vom Flutstrom nach Westen versetzt wurden. Er ließ das Segel dichterholen und luvte etwas an, um nicht zu weit westwärts vertrieben zu werden. Nach knapp einer Stunde gerieten sie in die Windabdeckung des Südufers. Hasard fiel ab und steuerte etwa dreißig Yards querab des Ufers westwärts in jene Richtung, wo er die Blinkzeichen an Land gesehen hatte. Er hatte auf der Seekarte nachgesehen, die ziemlich genau den Uferverlauf der Dungarvanbai zeigte. An der Stelle, wo die Blinkzeichen aufgeleuchtet waren, befand sich das felsige Kap, um das herum die Bai nach Süden zum Stiefel abbog. Dieses Kap hatten auch die fünf spanischen Karavellen gerundet. War das Kap noch von irischen Ausguckposten besetzt? Wenn ja, dann mußten sie das Boot gesehen haben, wie es die Bai überquerte. Hinter dem Südufer allerdings war es schwieriger, sie zu erkennen. Das Boot würde sich vom dunklen Ufer kaum abheben. Hasard schob die Gedanken an ein Entdecktwerden beiseite. Wer etwas erreichen wollte, mußte auch etwas riskieren.
Wind und Flutstrom schoben das Boot ziemlich schnell nach Westen. Hasard steuerte zum Teil die Buchten und Landzungen aus, um in ihrer Deckung zu bleiben. Nach einer knappen halben Stunde meldete Dan O’Flynn, der vorn im Bug hockte, daß er voraus das Kap sehe. Nach einer Viertelmeile steuerte Hasard das Boot in eine winzige Bucht und ließ das Segel wegnehmen. Mit ein paar Riemenschlägen trieben sie das Boot auf den flachen Sandstrand, sprangen an Land und wuchteten das Boot über zwei Rundstämme den Strand hoch zu einer Sandkuhle. Sie hoben den Mast aus der Ducht und verstauten ihn samt Segel unter dem Boot. Batuti und Stenmark holten Buschwerk und Zweige, mit denen das Boot getarnt wurde. Die Schleifspuren ließ Hasard wegwischen. Dan O’Flynn, den Proviantsack bereits über der Schulter, sicherte nach allen Seiten. Südlich von ihnen stand der schweigende Wald. Nach Osten und Westen erstreckten sich Hügelketten mit Buschbestand. Da und dort ragten klotzige Felsen aus dem Sandboden. Den letzten Höchststand der Flut im ewigen Wechsel der Gezeiten markierte ein breiter Streifen am Strand mit Muscheln, Treibholz, toten Fischen, Quallen und Tanggewächsen. Es war eine Urlandschaft, die bisher wohl kaum eines Menschen Fuß betreten hatte. Nur die skurrilen Trippelspuren von Seevögeln waren im Sand sichtbar. Hasard kontrollierte die Sandkuhle von allen Seiten. Ja, das Boot war gut versteckt. Erst wenn man unmittelbar an der Kuhle stand, konnte man es sehen. Er nickte seinen Männern zu und sagte leise: »Batuti, du übernimmst die Spitze. Wir gehen hintereinander, Abstand mindestens drei Schritte vom Vordermann. Seid leise und wachsam. Es kann sein, daß sich auf dem Kap irische Ausguckposten befinden. Also Vorsicht. Das Kap ist unser erstes Ziel. Falls wir überfallen werden, kämpft lautlos.
Geschossen wird erst, wenn auch die Iren schießen. Alles klar?« Die Männer nickten schweigend. Batuti setzte sich in Bewegung. Hasard warf noch einen Blick über die Bucht. Nur ganz vage sah er, wie sich die ›Isabella‹ aus der Nebenbucht schob und Kurs auf den Nordausgang der Bai nahm. Batuti verließ den Uferstreifen und nutzte den Schatten des Waldes links von ihnen. Die Männer folgten im Gänsemarsch. Sie bewegten sich fast lautlos.
3. Keineswegs lautlos ging es um etwa dieselbe Zeit drüben auf der anderen Seite der Bai zu. Burtons Truppe stand im wirren Haufen am Ufer des Colligan und starrte hinüber auf das andere Flußufer. Es war etwa hundert Yards von ihnen entfernt - eine Strecke, die schwimmend nicht zu bewältigen war, ganz abgesehen davon, daß von den fünfzig Soldaten nur acht schwimmen konnten. Und mit dem schweren Marschgepäck sowie den Waffen wäre auch ein geübter Schwimmer nicht weit gelangt. Captain Burton palaverte fluchend mit dem Profos und kümmerte sich einen Dreck darum, leise zu sein. »Seht!« sagte der Profos. »Was?« »Nicht so laut, Sir. Wenn uns die Iren hören …« »Ach Quatsch!« fuhr ihn der Captain an, dämpfte jetzt aber seine Stimme. »Die Iren sind Schlafmützen, jetzt im Dezember halten die Winterschlaf.« »Ha-ha«, sagte der Soldat Tinkler nicht übermäßig laut. »Was will der Kerl?« Burton fuhr herum.
»Entschuldigung, Sir«, erwiderte Jake Tinkler. »Ich sagte gerade, daß die Iren jetzt bestimmt nicht schlafen, und zwar deswegen nicht, weil die fünf spanischen Karavellen eingetroffen sind.« »Wie, was? Ach so, natürlich. Sagen Sie das doch gleich.« »Sie haben sich ja mit dem Profos unterhalten.« »Äh - gut, gut. Wie heißen Sie?« »Tinkler, Jake Tinkler, Sir.« »Richtig, ja, ich erinnere mich. Kluger Soldat, wie? Haben Sie auch einen Vorschlag, wie wir den Fluß überqueren können, ohne naß zu werden?« »Weiter flußaufwärts marschieren, bis wir einen Steg oder eine Brücke finden, Sir. Weiter oben wird der Fluß schmäler, wie das bei Flüssen so üblich ist, und auch flacher. Notfalls waten wir dann durch. Aber hier vergeuden wir nur Zeit.« »Sehr gut, Tinkler. Profos! Diesen Mann notieren. Kluges Verhalten. Soll sich nach unserem Sieg bei mir melden - äh.« »Nach dem Sieg sollte der Soldat Tinkler unter Arrest gestellt werden«, sagte der Profos grimmig. »Wie? Unter Arrest gestellt werden? Unklug. Dieser Dings äh - Tinkler hat bewiesen, daß er denken kann, ganz im Gegensatz zu Ihnen, Profos.« »Daß man an einem Fluß hochmarschiert, wenn man ihn nicht überqueren kann, weiß ich auch«, sagte der Profos wütend. Captain Burton zog die rechte Augenbraue hoch, was seinem Gesicht einen Ausdruck maßloser Arroganz verlieh. »Ihr Ton gefällt mir nicht, Profos.« Der Profos knirschte nur mit den Zähnen. Seiner Miene war sehr deutlich zu entnehmen, daß er Mordgelüste verspürte. Der Captain besah sich seine Fingernägel und sagte von oben herab: »Lassen Sie die Truppe weitermarschieren, Profos, oder fühlen Sie sich dazu zu müde?« »Truppe marsch!« blaffte der Profos.
»Äh - bitte etwas leiser«, rügte ihn der Captain. Der Profos knallte sich die Muskete über die Schulter, drehte sich abrupt um und stiefelte los. Die Soldaten setzten sich mürrisch in Bewegung. Sie stapften durch den Ufersand und zogen eine Spur wie eine Kuhherde. Die Wellen des Colligan glucksten höhnisch. Es war immer noch auflaufendes Wasser, was bedeutete, daß der höchste Wasserstand noch nicht erreicht war. Der Teufel mochte wissen, wie weit sie am Fluß entlang nordwärts marschieren mußten, um flacheres Wasser zu erreichen. Daß sie das ganze Stück, das sie jetzt flußaufwärts marschierten, auch wieder zurück mußten, war den meisten klar. Sehr lustig fanden sie das überhaupt nicht. Nur Jake Tinkler grinste vor sich hin. Je weiter sie sich von der geplanten Kampfstätte an der Stiefelspitze entfernten, desto besser. Vielleicht machte dieser verdammte Captain schlapp und zog den Schwanz ein. Dann bliebe es der Truppe erspart, in einen idiotischen Kampf zu ziehen, der nach Tinklers Meinung in eine Katastrophe führen mußte - wegen des Captains. Dieser Mann war der unfähigste Offizier, den er während seiner elf Jahre als Soldat kennengelernt hatte. Tinkler schielte zu ihm hinüber. Obwohl der Captain kein Gepäck zu schleppen hatte - das hatte der Profos einem Soldaten zusätzlich aufgepackt -, latschte er wie ein Fußkranker daher. Die Truppe zog sich ziemlich auseinander. Sie kletterte über Stock und Stein, watete durch weichen Sand, der jeden Schritt erschwerte, mußte Buchten umgehen oder sich durch irgendwelche Verhaue zwängen. Die Kolonne glich jetzt einem langen Wurm, der sich zuckend und windend seinen Weg suchte. Der Profos marschierte verbissen am Kopf des Wurms. Am Schwanzende hing Captain Burton. Zwischen Kopf und Schwanz bildete sich
eine Distanz von über zweihundert Yards - die Windungen nicht mitgerechnet. Es war ein grandioser Sauhaufen, der da durch die irische Flußlandschaft stolperte. Den plötzlichen Aufenthalt rief ein Wesen hervor, das zuerst wie ein riesiger wandelnder Pilz aussah, sich dann aber als ein altes Weib entpuppte, das unter einer Last von Weidenruten die Spitze der Kolonne kreuzte. Der Profos sprang vor und stieß die Alte brutal um. Mit der Kiepe Weidenruten auf dem Buckel hatte die Alte keine Chance, das Gleichgewicht zu halten. Sie ächzte, als sie zu Boden prallte. Der Profos pflanzte sich breitbeinig über ihr auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. Das war seine typische Haltung, wenn er sich besonders stark fühlte - oder einen Soldaten anbrüllte. Jetzt brüllte er nicht, aber er fühlte sich stark. Und mit der Wut, die sich inzwischen in ihm aufgestaut hatte, war er so bösartig wie ein betrunkener Raufbold. Eins stand fest: Für ihn war die Alte bereits jetzt schon tot. Tote Zeugen konnten nicht mehr plappern. »Steh auf, du Hexe«, sagte er. Die Alte starrte zu ihm hoch. Ihr rissiges, runzeliges Gesicht blieb unbewegt, nur ihre Augen funkelten. »Bete, Engländer«, sagte sie. »Denn in weniger Stunden, als ein Tag lang ist, wirst du vor dem höchsten Richter stehen. Das Zeichen ist über dir. Ich sehe es ganz deutlich.« Der Profos duckte sich, wich zurück und schielte in die Luft. Dann blickte er wieder die Alte an. »Was für ein Zeichen?« »Das Zeichen des Todes, Engländer.« Der Profos wurde kreideweiß und wich noch weiter zurück. »Du bist verrückt!« stieß er hervor. Die Alte schaute einen Soldaten an, der rechts von ihr stand.
»Hilf mir auf die Beine, mein Sohn«, sagte sie. »Ich schaffe es allein nicht.« Der Soldat sprang hinzu, griff unter ihre Arme und zog sie hoch. »Siehst du bei mir auch das Zeichen?« fragte er und trat zurück. Die Alte blickte ihn an. »Wenn ich es sähe, würde ich es dir nicht sagen, mein Sohn.« Sie schaute zu dem Profos hinüber. »Nur er sollte es wissen, um noch Zeit zu haben, zu bereuen.« »Alles Quatsch!« rief der Profos. »Die Alte lügt, diese verdammte Vettel. Los, hau ihr was auf die Schnauze!« »Nein«, sagte der Soldat fest. »Ich schlage keine Frau, die meine Mutter sein könnte.« »Was?« Der Profos stieß den Kopf vor. »Du verweigerst die Ausführung eines Befehls, du Drecksack?« Er rückte drohend auf den Soldaten zu. »Ich werde …« »Was ist hier los?« sagte Captain Burton. »Macht doch Platz, Leute! Ich will wissen, was hier los ist.« Die Soldaten, die sich in einem dichten Klumpen gesammelt hatten, wichen zur Seite. »Eine irische Rebellin!« meldete der Profos. »Ich habe sie gefangen, Sir.« Der Captain runzelte die Stirn. »Rebellin? Diese alte Scharteke? Sie sind wohl nicht ganz richtig im Kopf, Profos?« »Sie hat bereits gestanden«, erklärte der Profos. Der Soldat, der der alten Frau aufgeholfen hatte, mischte sich ein. »Das stimmt nicht, Sir. Die Frau hat überhaupt nichts gestanden. Sie querte hier völlig harmlos unseren Weg. Der Profos hat sie angesprungen und umgestoßen. Sie hat ihm geweissagt, daß er bald sterben würde, das ist alles.« »Äh - sehr interessant.« Der Captain zupfte an seiner Nase und trat ein paar Schritte näher. Er wandte sich an die Alte.
»Sagen Sie, liebe Frau mit der Gabe eines zweiten Gesichts, sehen Sie hier irgendwo in nächster Nähe eine Brücke oder einen Steg, der über den Colligan führt?« Die Alte deutete nach rechts. »Etwa eine Meile nordwärts von hier befindet sich eine schmale Brücke über den Colligan.« Der Captain lächelte. »Das ist eine sehr frohe Botschaft. Sind Sie aus Dungarvan, liebe Frau?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bewohne eine Hütte auf dieser Seite. Hier am Fluß hole ich mir die Weidenruten.« »Korbflechterin ?« Die Alte nickte und blickte den Captain aufmerksam an. Fast unmerklich lockerte sie die Schultergurte der Kiepe. »Haben Sie Kontakt mit den Leuten von Dungarvan, liebe Frau?« fragte der Captain. »Nur dann, wenn ich meine Körbe zum Verkauf hinbringe.« »Und wann wird das wieder sein?« »Nächste Woche.« »Soso, nächste Woche. Dann werden Sie auch eine Woche lang nicht vermißt, nicht wahr?« Die Alte schwieg. Sie hatte es gewußt. Dieser Offizier war noch dreckiger und gemeiner als der vierschrötige Kerl da, der jetzt lauernd herüberblickte. Sie warf dem Soldaten, der ihr geholfen hatte, einen bittenden Blick zu. Er brauchte nur einen Schritt zurückzutreten, dann würde sie es versuchen. Der Soldat verstand, trat zurück und fummelte an seinem Schuh herum. In diesem Moment sagte der Captain: »Profos, tun Sie Ihre Pflicht! Die Alte ist umzulegen!« Als der Profos heransprang, hüpfte ihm der Soldat in den Weg - auf einem Bein, denn er hatte den Schuh ausgezogen. »Mach Platz, du Idiot!« brüllte der Profos.
»Ich hab einen Stein im Schuh!« rief der Soldat. Der Profos stieß ihn zur Seite. Die Dinge entwickelten ihre eigene Gesetzlichkeit. Da war plötzlich das Bein Tinklers. Es war wie hingezaubert - genau am linken Fuß des Profos. Der stolperte und schoß mit einem Hechtsprung gegen die Kiepe mit den Weidenruten, die vereinsamt auf dem Boden stand. Die Alte verschwand wie ein Geist hinter dem nächsten Busch. Sie war bereits aus den Schultergurten geschlüpft, als der Soldat dem Profos in den Weg gehüpft war. Guter Soldat, dachte sie, warum mußt du sterben? Sie raffte die Röcke und hastete um die Felsen herum, während ihr altes Herz hämmerte und pochte. »Ihr nach!« brüllte der Captain. »Hundert Pfund dem, der sie umlegt!« Die Soldaten bewegten sich wie eine träge, vollgefressene Rinderherde, drehten sich um, stießen gegeneinander, beschimpften sich - aber ein Bein rissen sie sich auch in diesem Fall nicht aus. Der Profos stieß wie ein Rammbock zwischen sie - und stolperte prompt ein zweites Mal. Der Kolben einer Muskete geriet ihm zwischen die Beine, natürlich unabsichtlich. Er prallte auf den Boden, Kopf voran, und spuckte fluchend Sand aus. Der Captain hatte den Degen gezogen, als gelte es, eine Schlacht zu schlagen, und schrie hysterische Befehle. Der Soldat, der der Alten geholfen hatte, zog in aller Seelenruhe seinen Stiefel wieder an. Vor ihm hockte Jake Tinkler, massierte sich den Knöchel und blinzelte ihm zu. Beide, der Soldat und Jake Tinkler, hatten sehr fröhliche Gesichter. Und der Profos, inzwischen wieder auf den Beinen, kassierte von dem Soldaten Plummer einen Schwinger, der ihn zwischen ein Gestrüpp beförderte. Natürlich auch unabsichtlich, wie der
Soldat Plurnmer fünf Minuten später glaubwürdig versichern konnte. Er sagte schlicht: »Ich dachte, die alte Hexe springt mich an, und da hab ich zugelangt.« Zu der Zeit lag der Profos noch im Gestrüpp und hatte Schwierigkeiten, den Maultiertritt des Soldaten Plummer zu verdauen. Denn so hart war dieser Schwinger gewesen. Und der Soldat Plummer blies sich über die Knöchel und sagte treuherzig: »Bestimmt, Captain. Der Profos sah echt wie eine Hexe aus. Er hatte ganz rotglühende Augen, hatte er, bestimmt, Sir. So!« Er riß die Augen auf und zeigte dem Captain, wie rotglühende Augen aussahen. Burton stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Fast hätte er den Soldaten Plummer mit dem Degen aufgespießt. Der glitt nur elegant zur Seite und sagte vorwurfsvoll: »Aber Sir!« Inzwischen kleckerten die Soldaten wieder heran und zuckten müde die Schultern. Die Alte habe sich in Luft aufgelöst, berichtete der eine. Und der andere sagte, sie sei auf einem Besen davongeritten, er habe das ganz deutlich gesehen. Und ein dritter meldete, die Hexe sei in einen Fels geschlüpft, und es habe nach Pulver und Schwefel gestunken. Der Captain war geschafft, total geschafft. Der Soldat Tinkler sagte sehr vorsichtig: »Wenn diese verdammte Alte den Iren bläst, daß wir im Lande sind, dann ist nicht mehr viel drin, Sir. Dann ist unser Sieg gefährdet. Wir sollten uns besser wieder zurückziehen, zurück zu Mister Killigrew.« Killigrew! Das war ein taktischer Fehler Tinklers, diesen Namen zu nennen. Er merkte es zu spät und biß sich auf die Lippen.
Captain Isaac Henry Burton explodierte förmlich - trotz seiner Blasen an den Hacken und des Fehlschlags, eine alte Frau ermorden zu lassen. »Niemals!« schrie er. »Wie bitte?« fragte der Profos und torkelte auf den Captain zu. Er hatte ein verschwollenes Kinn und glasige Augen. Der Soldat Plummer verdrückte sich hinter einem Kameraden. »Haben Sie mich gerufen, Sir?« fragte der Profos. Er wischte sich über die Augen, als hingen dort Spinnweben. So ganz da war er noch nicht. »Suchen Sie das Weib, sofort!« schrie der Captain. »Was für ein Weib?« Der Profos zuckte zusammen. »Ach so, die Hexe. Wo ist sie?« Er blickte sich um. »Sie muß liquidiert werden«, sagte der Captain, »sonst verrät sie uns an die Iren.« Er starrte den Profos wütend an. »So veranlassen Sie doch etwas, Profos, stehen Sie nicht so herum.« »Sie muß liquidiert werden, jawohl«, sagte der Profos. »Der Ansicht war ich von Anfang an. Aber wo sollen wir sie jetzt suchen. Diese Hexe kennt das Gebiet besser als wir. Vielleicht zerstört sie gerade die Brücke, die strategische Bedeutung hat.« Jetzt war es der Captain, der zusammenzuckte. »Äh - strategische Bedeutung? Richtig, jawohl, sehr gut, Profos. Die Brücke muß sofort besetzt werden - äh - im Eilmarsch. Vorwärts, Soldaten, mir nach!« Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte der Captain los. Die Truppe setzte sich langsam wieder in Bewegung. Ein Eilmarsch wurde es keineswegs. Und mit einer Meile bis zur Brücke mußte sich die Alte ganz gewaltig verschätzt haben oder sie hatte die Luftlinie gemeint. Jedenfalls dauerte es eine halbe Stunde, bis sie die Brücke erreichten. Ihre »strategische Bedeutung« war erhalten geblieben. Niemand hatte sie zerstört. Die Truppe rückte im Gänsemarsch auf die andere Seite.
Captain Burton befahl eine kurze Pause - seine Blasen waren aufgegangen und mußten verbunden werden. Ein älterer Soldat, der über einige Erfahrungen als Feldscher verfügte, versorgte ihn. Der Profos stiefelte zwischen den da und dort sitzenden Soldaten herum und suchte den Soldaten Plummer. Als er ihn fand, blieb er vor ihm stehen und starrte auf ihn hinunter. »Du hast mich geschlagen, Plummer. Ich hab dich genau erkannt.« »Nicht mit Absicht, Profos, Sir«, sagte Plummer. »Ich dachte, Sie seien die Hexe. Ich bitte um Verzeihung, Sir.« »Seh ich aus wie eine Hexe, du Idiot?« »Das war in dem Getümmel nicht genau zu erkennen.« Der Profos grunzte vor unterdrückter Wut. »Steh auf!« »Der Captain hat Marschpause befohlen«, sagte Plummer, »das heißt, daß wir uns ausruhen sollen. Wenn ich jetzt aufstehe, macht mich der Captain zur Sau, weil ich seinen Befehl mißachte.« Die Soldaten grinsten. Dieser Plummer war doch ein ganz verdammtes Schlitzohr. Der Profos starrte ihn konsterniert an. Das war doch glattweg die Höhe, was sich dieser Kerl da erlaubte. Die Soldaten grinsten noch breiter. Das war mal ein Spaß! Der Profos drehte sich abrupt um und marschierte zu Captain Burton. »Sir«, sagte er, »ich bitte darum, den Soldaten disziplinarisch bestrafen zu dürfen.« Der Captain betastete die Bandage an seinem rechten Fuß. Zerstreut fragte er: »Was meinten Sie?« Der Profos wiederholte die Bitte. »Aber warum denn?« fragte Burton. »Er hat mich geschlagen.«
»Ach, reden Sie doch keinen Unsinn, Profos. Dieser Dingsda - äh - Plummer hat Sie mit der Hexe verwechselt, wie er mir glaubwürdig versicherte. Lassen Sie mich mit solchem Unfug zufrieden, ich habe andere Sorgen. Ist die Truppe jetzt ausgeruht?« »Die ist noch genauso munter wie am Anfang des Marsches«, sagte der Profos giftig. »Sie vergreifen sich wieder einmal im Ton, Profos«, sagte der Captain blasiert. »Ich werde mir überlegen müssen, ob Sie als Profos der Truppe für mich noch tragbar sind. Jawohl, ich werde mir das sehr ernsthaft überlegen müssen. Der Soldat, der mein Gepäck trägt, soll mir etwas zu essen bringen.« Er wedelte mit der Hand, was besagte, daß der Profos verschwinden möge. Mit solchen Handbewegungen kujonierten despotische Landesherren ihren Hofstaat. Kusch dich! hieß das. Hier bin ich der Souverän, und du bist noch weniger als eine Laus! Der Profos fühlte sich keineswegs als Laus. Nach der Hackordnung gab er den Tritt weiter, den er soeben erhalten hatte, in diesem Falle aber wortgetreu. Er trat dem Soldaten, der das Gepäck des Captains mitgeschleppt hatte, brutal in die Seite. »Steh auf, du krummer Hund! Der Captain wünscht etwas zu essen! Bist du noch nicht hoch?« Noch ein Tritt, noch härter und gemeiner als der erste. Der Soldat schoß hoch. Er war groß und breit und stark darum schleppte er auch mehr als die anderen. Sehr leise und sehr gefährlich sagte er: »Noch so einen Tritt, Profos, und du überlebst das nächste Gefecht nicht. Ich weiß, wie man das so fingiert, ohne daß es auffällt. Es gibt so viele Kugeln, die sich verirren, verstehst du?« Der Profos verstand genau. Und dieser Kerl war hartgesotten genug, seine Worte in die Tat umzusetzen. Der kuschte nicht,
wenn er geschlagen wurde, der zahlte zurück, gleichgültig, was das für Folgen hatte. Ja, es gab auch Unbeugsame in Captain Burtons Truppe. Zehn Minuten später marschierten sie südwärts.
4. Batuti hob die Hand. Die Männer blieben bewegungslos stehen. Batuti streckte den Kopf und witterte wie ein Jagdhund. Hasard schloß geräuschlos auf. Der riesige Neger deutete mit der rechten Hand nach Südwesten. »Ich Rauch riechen«, flüsterte er, »dort, aus der Richtung.« Hasard nickte. »Da liegt die Stiefelspitze. Wir steigen aufs Kap, von dort sehen wir mehr.« Das Kap ragte etwa fünfzig Yards vor ihnen auf und wirkte in der Dunkelheit wie eine langgestreckte Burg. Der Boden stieg jetzt steil an und wurde felsiger. Batuti kletterte langsam und vorsichtig zwischen den Felsen hoch. Immer wieder lauschte er und blickte sich sichernd um. Seine Bewegungen waren leicht und geschmeidig wie die eines Raubtiers, das seine Beute anpirscht. Nicht ein Steinchen rollte unter seinem Tritt hangabwärts, wie es den anderen ab und zu passierte. Batuti, der Neger aus dem afrikanischen Urwald, war für sie Gold wert. Er hatte den Rauch gerochen. Hasard hatte sich anstrengen müssen, einen Hauch davon mitzukriegen. Ja, die Sinnesorgane des Schwarzen waren schärfer und besser als ihre. Er, der Mann aus dem dunklen Erdteil Afrika, war ihnen jetzt weit überlegen. Hasard erkannte das neidlos an. Batuti zog sich elegant an einem Felsen hoch und hatte es geschafft. Er blickte nach Südwesten und winkte Hasard zu. Hasard schwang sich nach oben, die anderen Männer folgten ihm.
Das Kap überragte wie eine Barriere das umliegende Land und die Bai. Es bot eine hervorragende Sicht nach allen Seiten. Dort unten, im Südwesten an der Stiefelspitze, brannten am Ufer mehrere Feuer. Trotz des Südostwindes hatte Batuti den Rauch gerochen. Vor dem Lichtschein der Feuer standen die Silhouetten der fünf spanischen Karavellen. Sie ankerten dicht unter Land. Dan O’Flynn kletterte ein Stückchen höher auf einen Felsen und beobachtete mit dem Kieker genauer, was die anderen nur als hin und her wandernde Schatten sahen. »Sie laden die Karavellen aus«, sagte er halblaut. »Kisten und Tonnen werden in die Beiboote hinuntergelassen. Da wird gerade eins an Land gepullt und auf den Sand gezogen. Sie laden die Fässer und Kisten auf ein Ochsengespann.« »Laß mal sehen, Dan«, sagte Hasard leise. Dan reichte ihm das Okular, und Hasard schaute hindurch. Er sah, wie ein Ochsengespann, begleitet von zwei Fackelträgern, zwischen den Hügeln verschwand. Eine Weile beobachtete er den Fackelschein, der durch die Hügel wanderte, bis auch er nicht mehr zu sehen war. Dann beobachtete er wieder die Karavellen und das Ausladen der Kisten und Fässer. Wieder war es Batuti, der etwas entdeckte - Fußspuren. Er folgte ihnen nach rechts auf dem Kap entlang fast bis zur Spitze und stieß auf eine Höhle inmitten der Felsbrocken. Sichernd blieb er stehen und lauschte. Und dann grinste er. Aus der dunklen Tiefe der Höhle drangen die beruhigenden Laute eines Schnarchers. Batuti lauschte voller Entzücken. Das war ein Virtuose, der dort konzertierte. Beim Ausatmen pfiff er, erst melodiös hell, dann dunkler werdend. Der Ton erstarb. Winzige Pause, Atemholen - und jetzt voller Einsatz. Da orgelte die Luft grollend und dröhnend durch eine verstopfte Nase, durch Rachen und Schlund, daß der Boden zitterte. Und - o Wunder - zwischendurch schmatzte er wie ein Ferkel. Und jäh setzte wieder die röhrende Säge ein.
Hinter Batuti versammelten sich Hasards Männer und lauschten voller Andacht. Hasard fuhr dazwischen. »Dan! Beobachte nach Süden, verstanden? Da drin pennt ein irischer Posten. Es kann sein, daß er abgelöst wird, klar?« »Aye, aye.« Das Bürschchen bezog wieder seinen Ausguck auf dem erhöhten Felsen etwa fünfzig Schritte südlich der Höhle. Hasard schossen mehrere Fragen durch den Kopf. Warum war dieser Ausguckposten noch besetzt? Erwarteten die Iren noch mehr spanische Schiffe? Aber der Kerl pennte. Noch wichtiger aber war eine Antwort auf die Frage, ob dieser Posten das Einlaufen der ›Isabella‹ in die Bai beobachtet hatte. Nein, dann hätte er die Karavellen mit Blinksignal gewarnt, sofort wieder zu verschwinden. Statt dessen hatte er Richtungsund Kennsignale gegeben, die von der ersten Karavelle genau wiederholt worden waren. Hasard atmete auf. Aber dann fiel ihm ein, daß der Posten bei Tage unweigerlich die ›Isabella‹ an der nördlichen Baieinfahrt entdecken mußte und die Karavellen warnen würde. Und wenn dann auch noch inzwischen die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ dort lagen, mußte selbst der dämlichste Trottel kapieren, daß die Engländer auf dem Plan erschienen waren. Was würden die Iren sofort tun? Sie würden ihre Verstecke räumen, wenn sie das nicht schon vorher wegen dieses Idioten Burton taten. Der Posten da in der Höhle mußte weg - so oder so. Das alles waren Überlegungen, die Hasard in Sekundenschnelle anstellte. Er handelte sofort und stieß Batuti an. Mit dem Zeigefinger deutete er auf den Schwarzen, dann auf sich und die Höhle. Batuti nickte und zeigte sein Raubtiergebiß. Er zog sein Entermesser aus dem Gürtel.
Hasard winkte Stenmark heran und flüsterte ihm ins Ohr: »Wenn der Ire ausbricht, fangt ihn ab. Blockiert den Eingang. Er darf auf keinen Fall ausbüchsen, klar?« Stenmark nickte verstanden. Hasard setzte sich hin und winkte Matt Davies zu. Er deutete auf seine langschäftigen Stiefel. Matt Davies grinste, legte seine rechte Hakenprothese hinter den Stiefelabsatz und packte mit der linken Hand die Stiefelspitze. Er ruckte ein paarmal, lockerte den Stiefelsitz und zog. Sekunden später war auch der andere Stiefel von Hasards Füßen. Er stand auf, barfuß. So drang er mit Batuti in die Höhle ein - genauso lautlos wie der riesige Neger. Da war ein langer Gang, der in die Tiefe führte. Hasard zählte seine Schritte - sechs, sieben, acht, neun. Jeder Schritt war tastend und suchend. Er hielt sich rechts und spürte die rauhe Felswand an der Schulter. Es war, als bewege er sich in ein Nichts. Nur die Schnarchtöne grollten durch die absolute Finsternis und markierten einen festen Punkt. Der mußte weiter rechts liegen - und noch tiefer in der Höhle. Hasard merkte, daß der Gang auch nach rechts abbog. Er hörte plötzlich das Wispern Batutis an seinem linken Ohr. »Gang zu Ende, gleich große Gewölbe. Dort Schnarchmann. Genau gegenüber von Gang.« O verdammt, dachte Hasard. Dieser Kerl sieht auch im Dunkeln. Er schlich weiter und tastete nach der Decke. Die erweiterte sich nach oben - das Gewölbe! Die Schnarchtöne prallten ihm entgegen, unmittelbar und direkt. Drei, vier Yards entfernt? An seinem Ohr wisperte Batuti: »Drei Schritte.« Konnte dieser schwarze Gorilla auch noch Gedanken lesen? Hasard wandte den Kopf und flüsterte: »Ich übernehme ihn, damit das wenigstens klar ist.« »Aye, aye, Sir«, flüsterte Batuti. »Hau ihm was auf Nuß!«
Nuß war Kopf, klar, was denn sonst, verdammt noch mal. Dachte der schwarze Kerl vielleicht, sein Kapitän sei ein Trottel? Hasard geriet so richtig in Fahrt. Er tat einen Schritt und noch einen, und dann knallte sein rechter Fuß Vierkant gegen etwas, das über den felsigen Boden schepperte und klirrend umfiel. Eine verdammte Ölfunzel, dachte Hasard. Und da war auch schon absolute Stille in der Höhlengruft. Hasard hielt den Atem an. Das Schnarchen war wie weggeblasen. Jemand räusperte sich und sagte: »Bist du das, Conolly? Verflucht, was soll der Krach? Du hast mich richtig erschreckt.« Stille. Hasard peilte die Stimme an. Noch einen Schritt etwa, dann müßte er den Kerl packen können. »Conolly?« Jetzt war die Stimme ziemlich scharf. Stroh knisterte. Hinter Hasard hustete Batuti und sagte etwas in einer Sprache, die Hasard nicht kannte und seiner Meinung nach von einem Papagei stammen mußte. Vielleicht war es auch die Sprache seines Stammes. Hasard hörte förmlich, wie der Mann da vor ihm hochfuhr. »Was sagst du da?« Hasard ortete die Stimme. Der Kopf des Iren mußte etwas rechts von ihm sein. Dann hörte er, wie der Mann über den Boden hastete. Sekunden später kratzte etwas über einen Feuerstein, eine Lunte flammte auf und wurde an eine Kerze gehalten. Mildes Licht erfüllte die Grotte. Der Mann auf dem Strohlager riß entsetzt die Augen auf nicht wegen Hasard, mehr wegen des riesigen Negers, der hinter dem Seewolf stand, sein Gebiß bleckte und mit den Augen rollte.
Der Mann schob sich sitzend an die Felswand zurück. »Nein«, röchelte er, »weiche von hinnen, Satan!« »Auf die Nuß«, sagte Batuti sachlich und stippte Hasard an. Hasard sprang vor und donnerte dem Mann die rechte Faust an die Schläfe. Der Mann seufzte und kippte im Sitzen nach vorn. Hasard seufzte auch. So eine Grotte war nicht nach seinem Geschmack - im Dunkeln schon gar nicht. Immerhin wurde sie jetzt von der Kerze etwas ausgeleuchtet. Er sah sich um. Da war in der einen Ecke eine Signallampe, mit der wahrscheinlich die Karavellen angeblinkt worden waren. Aber sonst? Nichts. Ein Strohlager noch und eine umgekippte Ölfunzel. Und der Mann auf dem Strohlager? Er hing vornüber, den Kopf zwischen den Knien. »Bring ihn nach draußen«, sagte Hasard. »Mann schläft«, sagte Batuti und kicherte. »Kein Schnarchmann mehr, jetzt Totmann.« »Der ist nicht tot, nur bewußtlos«, sagte Hasard. »Sag ich doch«, erklärte Batuti. Hasard hatte keine Lust, jetzt mit Batuti Sprachübungen zu exerzieren. Er schüttelte nur den Kopf, stellte die Ölfunzel wieder auf, untersuchte die Höhle noch einmal, fand aber nichts, was ihm weitere Aufschlüsse gegeben hätte. Batuti beugte sich über den bewußtlosen Iren und nahm ihn wie ein schlafendes Kind auf die Arme - mühelos, als sei der Mann nicht schwerer als eine Feder. Er trug ihn nach draußen. Hasard löschte die Kerze und folgte ihm. Vielleicht hatte der Ire einen Eisenschädel, oder der Seewolf hatte nicht hart genug zugeschlagen. Als Batuti ihn jedenfalls vor dem Höhleneingang auf den Boden legte, schoß er hoch wie ein Teufelchen aus der Kiste. Dabei krachte sein Kopf unter Batutis Kinn - der »Totmann« war ganz schön lebendig.
Batuti war völlig perplex. In die Knie ging er allerdings nicht, auch der Schwarze war hart im Nehmen. Er bewegte nur die Kinnlade. Ja, die war noch in Ordnung. Der Ire war bereits auf dem Sprung. Aber da standen Matt Davies, Stenmark, Gary Andrews, Blacky und Tom Smith im Halbkreis vor ihm, geduckt lauernd. Der Ire zögerte und blickte gehetzt nach links und rechts. Rechts vor ihm, etwa fünf Schritte entfernt, fiel das Kap steil zum Wasser ab. Das war der Fluchtweg! Der Ire sprang los. Noch im Sprung blieb er buchstäblich in der Luft hängen. Batuti hatte zugelangt und hielt ihn am Kragen fest. Langsam schwenkte er den Zappelnden mit der ausgestreckten Rechten zu sich heran und holte mit der Linken zum Jagdhieb aus. »Nicht doch«, sagte Hasard hinter ihm. »Totmann wollte türmen«, sagte Batuti. Er schüttelte den Iren. »Du dir Genick brechen dort unten, verstehst? Dort Klippen - krgggs! Genick durch!« Der Ire geriet ziemlich durcheinander, nicht nur, weil Batuti ihn schüttelte, aber was dieser fremde, schwarze Riese da radebrechte, war alles andere als beruhigend. »Setz ihn ab, Batuti«, sagte Hasard, »und fesselt ihn, damit er nicht noch einmal zu fliehen versucht.« Stenmark und Gary Andrews fesselten ihm die Hände auf den Rücken. »Auch die Füße«, sagte Hasard. »Und dann setzt ihn hin, ich will mich mit ihm unterhalten. Hat er was in den Taschen?« Gary Andrews förderte ein Messer zutage und warf es zu den Klippen hinunter. »So, mein Freund«, sagte Hasard und hockte sich vor ihn hin. »Nun erzähl mal. Aber bitte nicht, daß du in dieser Höhle deine Wohnung hast und hier draußen Mücken fängst. In der Höhle
befindet sich eine Signallampe, mit der heute abend hier oben von Kap aus fünf einlaufenden spanischen Karavellen zugeblinkt wurde. Zur Zeit werden diese Karavellen südlich von uns in der Bucht entladen. Zufällig wissen wir, was sie für eine Ladung haben: Waffen und Munition, Kriegsgeräte. Meine Frage: Erwartet ihr noch mehr spanische Transporter?« Der Ire preßte die Lippen aufeinander und schwieg. »Ich ihn mit Messer kitzeln«, sagte Batuti. Hasard schüttelte den Kopf. »Nächste Frage«, sagte er. »Conolly soll dich ablösen. Du nanntest seinen Namen, als wir dich eben in der Höhle besuchten. Ihr seid so etwas wie Ausguckposten, und ich schätze, ihr erwartet noch mehr spanischen Besuch, denn sonst wäre der Posten eingezogen worden. Da du geschlafen hast, steht der Besuch nicht unmittelbar bevor, aber ihr rechnet in der nächsten Zeit damit. Oder aber du warst müde und hast dich ein paar Stunden aufs Ohr gelegt. So, und wann soll dich Conolly ablösen?« »Ich kenne keinen Conolly«, stieß der Ire hervor. »Ich auch nicht«, sagte Hasard freundlich. »Nur hab ich den Namen nicht erfunden, sondern du. Vielleicht sollten wir doch mit dem Messer deine Erinnerung etwas auffrischen und …« Dan O’Flynn hetzte heran und meldete keuchend: »Ich hab ‘ne Fackel beobachtet, die ist von der Stiefelspitze zum Absatz marschiert, hat ihn umrundet und bewegt sich jetzt aufs Kap zu.« Hasard grinste und blickte den Iren an. »Conolly«, sagte er.
5. Conolly war schon von weitem zu hören. Er gab sich keine Mühe, leise zu sein - für Hasard ein Indiz, daß sich Iren und
Spanier völlig sicher fühlten und vom Einlaufen der ›Isabella‹ nichts bemerkt hatten. Conolly sang, zwar nicht schön, aber doch sehr laut. Nach dem Zickzack des Fackellichts zu urteilen, schien er auch nicht mehr nüchtern zu sein. Hasards Männer hatten sich hinter den Felsen verborgen. Der gefesselte Ire lag bei Hasard und würgte an einem Knebel, den ihm Stenmark in den Mund gestopft hatte. Conolly torkelte grölend heran. Er war voll wie hundert Iren. »Kevin!« brüllte er und blieb schwankend stehen. In der Rechten hielt er eine Fackel, in der Linken eine Flasche. »He, Kevin, du alter Hurenbock, hast du dich versteckt? Heut wird gesoffen! Hier!« Er schwenkte die Flasche. »Spanischer Wein. Kevin! Komm her, du Saufkopf!« Er fluchte und torkelte in eine Felsspalte, hob die Flasche und planschte sich den Wein über den Kopf. »Ho, he, es regnet! Kevin, verflucht, der alte Conolly steht im Regen, ho, ho!« Batuti glitt hinter dem Felsen hervor und machte: »Buh!« Sicherlich hatte Conolly noch nie einen Neger gesehen. Er sank in die Knie und murmelte: »Heilige Mutter Maria.« »Ich Batuti«, sagte der schwarze Riese, »nicht Mutter Maria.« »Oh«, sagte Conolly entsetzt, »der Himmel sei mir gnädig. Du bist der Teufel. Hast du Kevin auch schon geholt?« »Ja«, sagte Batuti dumpf, zog Conolly hoch und schmetterte ihm die Faust an die Schläfe. Hinter den Felsen erschienen Hasards Männer und grinsten. Tom Smith hob die Flasche auf. Zu einem guten Viertel war sie noch gefüllt. »Jeder einen Schluck«, sagte Hasard, »den haben wir uns verdient.« Sie tranken der Reihe nach. Conolly wurde gefesselt und geknebelt. Hasard löschte die Fackel aus und warf sie zwischen die Felsen.
Matt Davies grinste Hasard an. »Hast du noch keine kalten Füße?« »Ich? Wieso?« Hasard hatte gerade über die beiden Iren nachgedacht. »Ich hab hier noch deine beiden Stiefel!« »Mann, die hätte ich doch glatt vergessen.« Hasard schüttelte den Kopf. »Danke, Matt.« Er setzte sich hin und zog die Stiefel an. Die Männer umstanden ihn. Tom Smith reichte ihm die Flasche. »Noch ein Schluck für dich.« Hasard trank. »Sollen wir die beiden Kerle in der Höhle deponieren?« fragte Blacky. Hasard blickte zu ihm hoch. »Denk mal nach, Blacky.« »Na ja«, sagte Blacky. »Wäre vielleicht unklug, wie?« »Genau.« Hasard stand auf. »Wir nehmen sie mit und besorgen ihnen im Wald ein gutes Nachtlager - natürlich getrennt, damit sie sich nicht gegenseitig befreien können, wenn sie aufwachen. Bevor wir sie verlassen, kriegen sie noch eine Kopfnuß, damit sie gut schlafen. Batuti, du lädst dir Kevin auf den Buckel. Ich nehme Conolly.« »Den trag ich«, sagte Stenmark. Hasard lächelte. »Du übernimmst ihn, wenn ich zusammenbreche, klar?« »Aye, aye.« Ein deutlicher Trampelpfad führte vom Kap hinunter zum Stiefelabsatz der Bucht. Hasard schlug sich links in die Wälder, bis sie in eine fast undurchdringliche Wildnis gerieten. Conolly - noch bewußtlos - erhielt einen zweiten Betäubungsschlag und wurde an Händen und Füßen gefesselt unter eine umgestürzte mächtige Kiefer gelegt. Er blieb weiterhin geknebelt, aber Fesseln und Knebel waren so
angelegt, daß er sich - mit etwas Zähigkeit und Ausdauer selbst befreien konnte. »Nehmt ihm noch den Gürtel ab«, sagte Hasard. »Männer mit rutschenden Hosen sind nicht sehr schnell.« Das gleiche geschah mit Kevin, der zehn Minuten später weiter südlich unter einer Hecke »schlafen« gelegt wurde. Hasard rechnete damit, daß die beiden Iren acht bis zehn Stunden schlummern und dann einige Stunden brauchen würden, um sich zu befreien. Für diese Zeit waren sie ungefährlich, und das genügte ihm. Sie stiegen zu dem Trampelpfad zurück und marschierten auf ihm bis zum Stiefelabsatz. Inzwischen war Mitternacht vorbei. Als der Pfad nach Westen abbog, verließen sie ihn und schlichen parallel zu ihm weiter. Das Gelände war hügelig, Busch- und Baumbestand wechselten ab. Dazwischen ragten immer wieder Felsbrocken aus dem Boden. Von den Hügeln aus sahen sie ab und an rechter Hand die dunkle Wasserfläche der Stiefelbucht. Voraus leuchteten die Feuer am Landeplatz in der Stiefelspitze und rückten allmählich näher. Hasard rechnete nicht damit, daß die Iren Posten aufgestellt hatten. Sie waren viel zu beschäftigt - und noch wußten sie nicht, daß Engländer gelandet waren. Sie waren völlig unbesorgt, wie es auch das Verhalten Conollys gezeigt hatte. Nach einer Stunde erreichten sie einen Hügel, der nur noch knapp hundert Yards von der Landestelle entfernt war. Hasard bedeutete seinen Männern, in Deckung zu bleiben und schlich näher heran, um einen besseren Überblick zu haben. An einen Felsen gepreßt beobachtete er die Männer. Sie waren ziemlich aufgedreht, trotz der Schufterei mit den Fässern und Kisten. Der spanische Wein! Die Dons schienen ihre Weinbestände an Bord ziemlich großzügig an die Iren verteilt zu haben.
Rechts von Hasard lagen die fünf spanischen Karavellen vor Anker. Voraus von ihm dümpelte ein einzelner, einmastiger Küstensegler auf dem Wasser - wahrscheinlich hatte er die Karavellen in der Stiefelbucht empfangen und hierher gelotst. So ganz ohne war die Navigation hier in diesen Gewässern keineswegs. Das auslaufende Wasser versteckte Sande und Klippen, die höllisch gefährlich werden konnten. Hasards Blick wanderte nach links. Dort palaverten Iren bei einem Ochsengespann, das mit Kisten und Fässern weit über die Seitenbracken vollgepackt war. Zwei Männer zurrten Leinen quer über die Ladung, um sie abzusichern. Ein dritter soff aus einer Flasche und rülpste. Ein vierter stand bei den Ochsen und schien etwas an dem Zurrgeschirr zu richten. Ein fünfter Ire stand bei einem der Feuer und hielt die Hände darüber. Dabei schwankte er bedenklich. Es war ein Bild voller friedlicher Beschäftigung, immerhin aber bargen die Kisten und Fässer Vernichtungsmittel - auf den Gespannen fuhr der Tod mit. Flüchtig dachte Hasard an Burtons Truppe. Wo mochte sie jetzt stecken? Und wenn sie die Iren und Spanier hier am Landeplatz angriff, hatte sie dann eine Chance? Ja, aber dann müßte sie ein Mann wie Captain ›Black‹ John Norris führen und nicht dieser Schwachkopf Burton. Hasard sah, wie der Ire, der das Geschirr gerichtet hatte, auf den Bock stieg. Die beiden anderen, die den Wagen abgesichert hatten, entzündeten zwei Fackeln am Feuer. Hasard huschte zurück zu seinen Männern. »Wir Werden dem Gespann dort folgen«, sagte er. Dann blickte er Stenmark und Blacky an. »Ihr bleibt hier und beobachtet weiter. Ich muß wissen, was hier geschieht, wenn Burton angreifen sollte. Bis zum Morgengrauen müßte seine Truppe den Marsch um die Bucht geschafft haben. Mischt euch aber auf gar keinen Fall in einen Kampf ein, verstanden?« Die beiden nickten.
»Falls ihr aus irgendwelchen Gründen gezwungen werdet«, fuhr Hasard fort, »den Beobachtungsposten hier zu verlassen, dann zieht euch ungesehen zum Boot zurück und wartet dort unsere Rückkehr ab. Sucht nicht nach uns. Wenn alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, müßten wir im Laufe des Vormittags wieder beim Boot sein. Alles klar?« »Alles klar«, sagten die beiden wie aus einem Munde. »Und laßt euch ja nicht erwischen«, sagte Hasard. »Wenn hier gekämpft werden sollte und wir es schaffen, eins der Verstecke in den Hügeln in die Luft zu jagen, dann wird in der ganzen Gegend der Teufel los sein. Unterschätzt die Iren nicht. Sie sind hart, und sie kennen das Land hier. Ihr müßt also höllisch aufpassen.« »Tun wir«, sagte Blacky, »verlaß dich drauf.«
Es ging fast zu einfach. Sie brauchten nur mit dem Fackelschein Fühlung zu halten und ihm zu folgen. Die Drum Hills machten ihrem Namen alle Ehre Trommelhügel. Wie von einer Riesenhand launisch und wahllos dahingestreut buckelten sich unzählige Hügel mit zum Teil flacher Kuppe links und rechts, vor und hinter dem Fahrweg. Dementsprechend verlief die Fahrt des Ochsengespanns. Es umfuhr die Hügel, bog mal nach Osten, mal nach Westen ab, hielt aber insgesamt die Richtung nach Süden. Steiniger, felsiger Untergrund wechselte mit sandigem Boden. Wenn das Licht der Fackeln nicht gewesen wäre, hätten sich Hasards Männer nach dem Gebrüll und den Flüchen der Iren orientieren können, das immer dann lauter wurde, wenn das Gespann über sandigen Boden fuhr. Da verlangsamte sich die Fahrt, und die Ochsen kriegten Zunder.
Alles in allem wurde es ein fast gemütliches Hinterherspazieren. Ganz allmählich stieg der Boden etwas an und wurde auch felsiger. Batuti entdeckte zuerst den Fackelschein, der dem Ochsengespann entgegenwanderte. Da schien ein entladener Wagen zurückzukehren. Hasard schwante etwas, und er sollte recht behalten. Nach etwa acht Minuten ging das Theater los. Hasard und seine Männer schlichen näher heran, um sich nichts entgehen zu lassen, und sie kamen voll auf ihre Kosten. Vor »ihrem« Ochsengespann standen zwei leere Gespanne, und die drei Kutscher diskutierten lautstark, wer wem auszuweichen habe. Die Männer mit den Fackeln palaverten ebenfalls, und da alle - Kutscher und Fackelträger - dem spanischen Wein bereits mehr als genug zugesprochen hatten, wurde die Diskussion sehr schnell hitzig. Hasard war fast geneigt, als Schiedsrichter aufzutreten. Er und seine Männer hockten oder lagen hinter Buschwerk und verfolgten voller Entzücken, wie sich die Szenerie zu entwickeln begann. Der englische Volksmund wußte einiges über die »Paddys« wie man die Iren wegen ihrer vielen »Patricks« nannte - zu berichten. Da hieß es zum Beispiel, kein echter Ire weiche einer Rauferei aus. Außerdem sei er dickschädelig. Beides zeigte sich hier. Es war fast wie ein Ritus. Die Kutscher der beiden sich unmittelbar gegenüberstehenden Wagen stiegen fast gleichzeitig von ihren Böcken und stiefelten aufeinander los. Sie prallten beinahe zusammen, reckten die Köpfe vor, bis ihre Gesichter nahezu Tuchfühlung hatten, und hielten sich die Fäuste unter die Nasen. Sie knurrten sich an wie zwei gereizte Wölfe. »Ich stopf dir deine verdammten Ochsen quer ins Maul«, stieß der Kutscher des entladenen Wagens hervor.
»Nur zu, deine Alte soll wohl Witwe werden, he?« »Laß meine Alte aus dem Spiel, du stinkiger Bock!« »Lieber Bock als Hammel, du Wallach!« »Was hast du gesagt?« »Wallach! Hab ich sechs Söhne und sechs Töchter - oder du?« Der Kutscher des beladenen Wagens winkelte den Arm seitwärts und ließ die Bizeps springen. »Hier, da steckt Manneskraft drin, kein Hammelfett wie bei dir. Und jetzt gib den Weg frei,oder ich zeig deiner Witwe, was ein richtiger Bock ist!« Hasards Männer hatten Mühe, nicht loszuprusten. Der »Wallach« stöhnte auf und schlug zu. So richtig von unten. Seine Faust krachte unter das Kinn des anderen und ruckte dessen Kopf hoch. Aber der »Bock« stand wie ein Turm - und zahlte zurück. Er nahm gleich beide Fäuste und drosch sie von oben dem »Wallach« auf den Schädel. Bei dem rutschte der Kopf zwischen die Schultern - es sah aus, als habe er keinen Hals mehr. Der »Bock« mit der Manneskraft und den zwölf Kindern schien die Absicht zu haben, den anderen in die Erde zu rammen. Wieder hob er beide Fäuste. Aber genau in dem Augenblick, als er sie niedersausen ließ, sackten dem »Wallach« die Beine weg, und er kippte vornüber gegen den Bauch des »Bocks«. Dessen Fäuste krachten auf den Hintern des »Wallachs« und beförderten ihn schwungvoll durch die gegrätschten Beine. Wie ein Geschoß schrammte er über den felsigen Boden. Nur war sein linkes Bein dabei gespreizt. Sein Fuß verhakte sich am rechten Bein des »Bocks« und riß es weg. So krachte auch der »Bock« zu Boden. Das war das Signal zur allgemeinen Rauferei. Der dritte Kutscher stieg vom Bock, langte sich einen Fackelträger der Gegenseite und scheuerte ihm eine klatschende Ohrfeige.
Dessen Fackel flog auf den beladenen Wagen und rutschte zwischen zwei Fässer. Wenn Hasard nicht alles täuschte, enthielten die Fässer Pulver. Die Ochsen wurden unruhig. Hasards Männer auch. Männer keuchten und fluchten. Fäuste wirbelten durch die Luft und krachten gegen Kinnladen und Schläfen, gruben sich in Mägen oder hämmerten auf Rippen. Die Kopftreffer klangen explosiv, die Körpertreffer dumpf wie blubbernde Blasen. Es roch nach angesengtem Holz. Hasard starrte wie hypnotisiert auf die brennende Fackel zwischen den beiden Fässern. Ächzen, Stöhnen, wilde Flüche, ein aufeinander losdreschender Haufen tobender Iren, ein Kampf jeder gegen jeden, denn die Fronten waren längst verwischt - und eine brennende Fackel zwischen Pulverfässern. Diese verdammten Idioten, dachte Hasard, fuhr wie ein Blitz hoch, fegte zu dem Wagen, riß die Fackel hoch und schleuderte sie mitten hinein ins ärgste Getümmel. Wie ein Schatten war er wieder verschwunden. Fäuste sanken herab, irische Augenpaare starrten auf die brennende Fackel. Ein Mann wischte sich das Blut von der Nase. »Da war doch einer«, sagte er und glotzte sein Gegenüber an. »Ich hab’s genau gesehen.« »Was für einer - zpppss!« Ein Vorderzahn wurde ausgespuckt. »Die Fackel! Einer hat die Fackel auf uns geworfen.« »Laß ihn doch«, sagte der Mann mit der frischen Zahnlücke und zutschte an der blutenden Wunde. »O heiliger Patrick«, sagte ein dritter und zeigte auf den Wagen. Ihre Köpfe fuhren herum.
Ein Flämmchen tanzte an einer Kistenecke und leckte züngelnd zu einem Faß hinüber, dessen Dauben an der Stelle dunkel zu glühen begannen. Wie ein Mann stürzten sich sämtliche Iren auf den Wagen und erstickten das Flämmchen. Einer stemmte das Faß hoch, warf es zu Boden und schüttete Sand auf die glühenden Dauben. Der »Wallach« sagte keuchend: »Einer von euch ist zu blöde, um ‘ne lausige Fackel zu halten.« Er starrte in blutende, zerschlagene, ratlose Gesichter. Der mit der blutenden Nase sagte: »Ich hab einen gesehen wie ein Geist war er da und schon wieder weg.« Einige Männer blickten sich unwillkürlich um. Der »Bock« sagte höhnisch: »Geist? Wohl der Geist aus der spanischen Weinflasche, he?« Und dann fuhr er den »Wallach« an: »Setzt endlich mit euren leeren Wagen zurück, oder soll ich hier nächstes Jahr noch stehen? Die Schiffe sind noch längst nicht ausgeladen.« Fast wäre der »Wallach« wieder explodiert, aber der dritte Kutscher sagte: »Sackett hat recht, Conn. Sein Wagen ist beladen, unsere sind leer. Wir können leichter zurücksetzen als er. Wir haben unseren Spaß gehabt, jetzt ist Schluß.« Wir haben unseren Spaß gehabt! Dabei hätte nicht viel gefehlt, und der Wagen wäre samt Ochsengespann in die Luft geflogen - von den Iren gar nicht zu reden. Der »Wallach« Conn warf dem »Bock« Sackett noch einen schiefen Blick zu und stampfte zurück zu seinem Wagen. Der dritte Kutscher folgte ihm. Sie zogen ihre Gespanne zurück und lenkten sie in eine Ausbuchtung rechts des Fahrwegs. Sackett stieg auf den Bock, schnalzte und klatschte seinen Ochsen die Zugleinen auf die Rücken. Das Faß hatten sie wieder auf den Wagen geladen.
Als Sackett die beiden anderen Wagen passierte, rief er zu Conn hinüber: »Grüß deine Alte von mir! Ich besorg’s ihr mal, wenn du nicht kannst!« Conn antwortete mit einem wüsten Fluch und versprach, Sackett demnächst ein paar Zähne einzuschlagen. Er schimpfte und fluchte noch, als Sackett mit seinem Wagen und den beiden Fackelträgern hinter einer Biegung verschwunden war. Dann rollten auch die beiden leeren Wagen wieder an und fuhren an Hasards in Deckung liegenden Männern vorbei in Richtung der Bucht. Als sie verschwunden waren, erhob sich der Seewolf. Seine Männer tauchten hinter ihren Deckungen auf. »O Mann«, sagte Matt Davies, »ich dachte - jedenfalls im ersten Moment -, wir würden allesamt zur Hölle fahren. Aber so schnell brennen die Faßdauben nicht durch. Wir hätten uns rechtzeitig zurückziehen können. Warum hast du den verdammten Wagen nicht in die Luft fliegen lassen?« »Und wie hätten wir dann das Versteck finden sollen?« fragte Hasard. »Klar, irgendwann hätten wir es bestimmt gefunden, aber so geht es schneller. Und in die Luft fliegt der Kram so oder so, nur etwas später.« Matt Davies grinste. »Du denkst immer zwei Züge voraus, wie?« »Ich hoffe«, sagte Hasard. »So, und jetzt los, sonst fährt uns Sackett noch davon.« Sie hatten schnell wieder Fühlung mit dem Wagen. Das Gelände wurde noch felsiger und weniger übersichtlich. Die Hügel mit den flachen Kuppen verschwanden und gingen in eine zerklüftete Felswildnis über. Moose und Flechten bedeckten die Felsen, zwischen denen zum Teil mächtige Tannen in den Nachthimmel ragten. Nach etwa einer Stunde fuhr der Wagen in eine ungefähr dreißig Yards breite Schlucht, die zwischen steilaufragenden Felsen lag.
Sackett hielt sich rechts und zügelte das Gespann etwa in der Mitte der Schlucht. Dort waren Fackeln in die Felsspalten gerammt und beleuchteten das übermannsgroße Halboval eines Eingangs in die Felsen. »He!« schrie Sackett und kletterte vom Bock. »Pennt ihr da drinnen? Hier ist wieder eine Fuhre, nun mal los doch, ihr faulen Säcke!« Vier Männer erschienen im Eingang. Nach dem üblichen Palaver begann das Abladen. Die Kisten und Fässer verschwanden nacheinander in dem Eingang. Hasard und seine Männer bezogen oberhalb der Schlucht, dem Höhleneingang gegenüber, einen idealen Beobachtungsposten. Das Waffen- und Munitionsversteck der Iren war gefunden. Es mußte innen riesige Ausmaße haben. Hasard schloß das aus der Länge der Zeit, die die Iren vom Betreten der Höhle bis zum Verlassen brauchten. Natürlich mußten die Kisten und Fässer gestapelt werden, aber das konnten zwei Männer besorgen, während die anderen das nächste heranschleppten. Eine Viertelstunde später war der Wagen entladen, und Sackett trat mit den beiden Männern, die ihn begleitet hatten, die Rückfahrt an. Er drehte das Gespann noch in der Schlucht und rumpelte davon. Die vier anderen Iren zogen sich in die Höhle zurück. Einen Posten stellten sie nicht auf. »Pause«, sagte Hasard leise. »Dan, rück den Proviantsack heraus.« Die Männer hockten sich um Dan O’Flynn. Er verteilte Speckscheiben und Brote, und sie begannen zu essen. Hasard fixierte Dan O’Flynn. »Na, Dan? Hast du mal im Proviantsack Tiefe gelotet?« »Nicht ein Krümelchen habe ich herausgeholt«, sagte das Bürschchen, »auf Ehre und Gewissen.« »Kleines O’Flynn lügt nicht«, erklärte Batuti.
Hasard wurde biestig. »Hab ich dich gefragt, Freundchen?« »Nein.« Batuti senkte den Kopf. Hasard blickte wieder Dan an. »Und wie oft warst du in Versuchung?« »Keinmal, dazu war’s bisher viel zu spannend.« »Und wenn’s mal nicht mehr so spannend ist?« »Dann geb ich lieber Batuti den Proviantsack«, sagte Dan O’Flynn und grinste bieder. »Und der langt dann für dich rein, wie?« Batuti hob wieder den Kopf. »Kleines O’Flynn kriegt dann meine Portion. Wer schuldig? Nicht kleines O’Flynn. Ich, Batuti. Ich auch bereit für Prügel.« »Ihr seid zwei herrliche Halunken«, sagte Hasard. »Jawohl«, sagte Batuti stolz. Ein Halunke zu sein, empfand er als Auszeichnung. Und ein »herrlicher Halunke« war noch besser. Matt Davies fragte: »Wann schlagen wir zu? Jetzt sind nur vier Iren dort unten in der Höhle, die schaffen wir leicht.« Hasard schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Erst sollen sie noch mehr Fuhren heranbringen. Der nächste Wagen wird bald hiersein. Wenn Burton unten an der Stiefelspitze angreifen sollte, wäre dieser Zeitpunkt wegen der Ablenkung für uns besser. Wir warten noch und werden uns mit je einer Stunde Wache ablösen. Ich übernehme die erste Wache, dann du, Matt, dann Tom, Gary, Batuti, Dan. Bitte zählt die Fuhren und übergebt die Zahl jeweils dem nächsten. Geschieht etwas Außergewöhnliches, werden sofort alle geweckt. So, und jetzt haut euch aufs Ohr, so gut es geht. Ihr braucht alle Schlaf. Dan O’Flynn gähnt schon.« »Ich bin ganz munter.« »Leg dich lang«, befahl Hasard und kroch an den Rand des Beobachtungspostens.
6. Es war um die fünfte Morgenstunde und ziemlich kühl. Über der Dungarvanbai hingen ein paar Nebelschwaden, die sich träge nach Nordwesten bewegten. Burtons Truppe hatte in einem weiten Bogen den Ort Dungarvan umgangen. Niemand hatte sie gesehen. Statt jedoch die südliche Marschrichtung beizubehalten und einen möglichst großen Abstand zu der Verbindung Dungarvan Stiefelspitze zu wahren, wo die englische Karte einen Fahrweg verzeichnete, war Burton frühzeitig wieder in südöstlicher Richtung marschiert und auf diesen Fahrweg gestoßen.. Daraus hatte sich ein Disput ergeben. Der Profos hatte die Ansicht vertreten, es sei besser, querab vom Fahrweg zu marschieren - was durchaus richtig war. Burton, gereizt und übermüdet, weil ihm seine miserable Kondition zusetzte, war gegenteiliger Ansicht. Auf dem Fahrweg gelange man schneller voran, hatte er erklärt. Das schon, war die Antwort des Profos gewesen, aber man müsse doch damit rechnen, auf dem Fahrweg Iren zu begegnen. Der Captain hatte an dieser plausiblen Begründung wie auf einer Zitrone herumgekaut und dann widerwillig befohlen, etwa dreißig Yards querab vom Fahrweg zu marschieren. Das war schon besser als mitten auf dem Fahrweg, aber längst nicht ausreichend. Eine Kolonne von fünfzig marschierenden Soldaten mag zwischen Buschwerk und sonstigem Gesträuch während der Dunkelheit vielleicht teilweise unsichtbar sein, bestimmt aber ist sie nicht zu überhören. So bahnte sich das Verhängnis an. Der Ire Roger O’Rourke hatte seinen Kameraden unten an der Stiefelspitze auf einem Maultierkarren gut verpackte, warme
Verpflegung - Hammelfleisch - gebracht und befand sich auf der Rückfahrt nach Dungarvan. Die Zufälle begannen ihr unübersichtliches Spiel. Das Maultier O’Rourkes hatte die Angewohnheit merkwürdig genug -, auftretende Blähungen niemals im Trott zu entlassen. Es blieb kurz vorher stehen. So auch jetzt. O’Rourke war einverstanden. Was sein mußte, mußte sein, und er würde den Teufel tun, diese Zeremonie seines Maultiers zu stören. Er hatte es nur zweimal getan, und daran dachte er mit Schaudern zurück. Ein Erdbeben war ein sanftes Wiegen gewesen gegen jene Höllenfahrt, die das Biest veranstaltet hatte, als von O’Rourke die Zeremonie mißachtet worden war. Das erstemal hatte sich O’Rourke mit zwei gebrochenen Rippen auf einer Wiese wiedergefunden. Beim zweitenmal war die Deichsel zersplittert, und er hatte sich aus einer Dornenhecke befreit. Bessy, so hieß das Maultier, stemmte in altgewohnter Weise die hinteren Beine auseinander, und O’Rourke drehte den Kopf nach links. Bessy entließ ihre Laute. Aber diese Laute stimmten nicht, da klang irgend etwas anderes dazwischen, etwas Klirrendes. O’Rourke starrte überrascht auf den Hintern seines Maultiers. Der war wie immer, und da fiel auch nichts heraus. Es roch auch wie immer. Und dennoch war es nicht so, wie es O’Rourke gewohnt war. Schon gar nicht gewohnt war der Fluch, und der war eindeutig englisch. Fast automatisch glitt O’Rourke vom Bock und huschte seitwärts in die Büsche. Eindeutig englisch war auch das »Truppe halt!«. Roger O’Rourke sah zu, daß er nach rechts Land gewann. Hier war etwas Ungeheuerliches im Gang. Bessy scharrte mit dem rechten Vorderfuß und entließ die Lüfte, die sie bedrängten.
Von links aus den Büschen neben dem Fahrweg tauchte ein breitschultriger großer Mann auf und ging auf den Karren zu. »Sir!« rief dieser Mann über die Schulter. »Hier ist ein Maultierkarren!« Der Mann stand jetzt am Karren und blickte sich um. »Verdammt«, sagte er, »der Kutscher fehlt.« Er nahm die Zügel auf und ruckte an ihnen. Bessy reagierte wie üblich, wenn ihre Zeremonie gestört wurde. Sie stob bockend und keilend davon, als habe ihr jemand Schießpulver in den Hintern gestreut. Zu diesem Zeitpunkt hetzte Roger O’Rourke bereits südwärts. Und zwischen Captain Burton und dem Profos begann wieder ein völlig unsinniger Disput über die »Lage« - immerhin war da ja eben noch ein Karren mit einem Maultier ohne Kutscher gewesen. Vielleicht war der Kutscher zwischen die Büsche getreten, um einem Bedürfnis nachzugehen? Diese Idee stammte von dem Soldaten Jake Tinkler, der nach wie vor darauf hinzielte, das drohende Verhängnis hinauszuzögern, wenn nicht gar abzuwenden. »Famos, famos«, sagte der Captain und erging sich wiederum in Erörterungen, die darin gipfelten, daß man gegen den Maultierkarren samt Kutscher sofort hätte »einschreiten« können, wenn man auf dem Fahrweg marschiert wäre. Die Soldaten kämmten indessen das Gelände nach dem Kutscher durch. Sie stocherten in Büschen herum, streunten querfeldein, erledigten das, was der Soldat Tinkler von dem Kutscher vermutet hatte, oder ließen sich - ungesehen von Captain und Profos - schlicht nieder, um zu pausieren oder von der Marschration zu zehren. Durch diesen vom Zufall diktierten Aufenthalt, der von der Truppe nun mit List und Tücke in die Länge gezogen wurde, ergab sich etwas, das wie ein letzter Wink des Schicksals gedeutet werden konnte.
O’Rourke erreichte mit pumpenden Lungen den Landeplatz an der Stiefelspitze. Die Iren unterbrachen ihre Ladearbeiten und sahen ihm erstaunt entgegen. »He, Roger!« rief einer. »Ist dir wieder mal deine Bessy durchgegangen?« Die anderen lachten. »Engländer!« stieß O’Rourke keuchend hervor. »Soldaten …« »Bist du verrückt?« »Wo?« »Wie viele?« Die Fragen schwirrten durcheinander. O’Rourke wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er atmete wie ein Blasebalg. Sein Arm deutete nach Norden. »Am Fahrweg hierher - ich - ich hab sie noch rechtzeitig gehört - ‘ne ganze Menge - bin sofort abgehauen.« »Haben sie dich gesehen?« »Glaub nicht, aber einer ist auf Bessy zugegangen.« O’Rourke grinste mühsam. »Hab nur gehört, wie sie davongedonnert ist.« »Verdammt«, sagte einer. »Nichts - verdammt.« Ein breitschultriger Ire trat vor und blickte die anderen grimmig an. »Wir empfangen sie hier und werden sie in die Hölle befördern. Brian, pull zu den Spaniern hinüber. Sie sollen gefechtsklar machen.« Er schaute sich um. »Brecht ein paar Kisten auf und bewaffnet euch mit Musketen und Pistolen. Beeilt euch. Wir werden sie hier in die Falle laufen lassen …« Stenmark und Blacky hörten mit wachsendem Entsetzen zu. »Wir müssen hier verschwinden«, raunte Blacky, »wir sind zu dicht dran.«
Stenmark nickte. Geduckt schlichen sie ein paar Hügel zurück. Die Iren waren inzwischen dabei, sich zu bewaffnen. Auf den Karavellen ertönten spanische Kommandos. Die Stückpforten rasselten hoch. »Mein lieber Mann«, sagte Blacky, »Burtons Soldaten rennen ins offene Messer.« »Wir müssen es verhindern.« Der große blonde Schwede blickte Blacky verbissen an. »Burton ist ein Scheißkerl - aber seine Soldaten, sollen die hier verrecken? Ich laufe ihnen entgegen. Sie müssen gewarnt werden.« »Und wenn die Iren dich erwischen?« »Ich muß es riskieren.« »Aber wir sollen hier nur beobachten, Sten. Sei vernünftig. Der Seewolf würde …« »Der Seewolf würde genauso handeln«, unterbrach ihn Stenmark. »Wir sollen nicht in den Kampf eingreifen, hat er gesagt. Daß wir die Soldaten nicht warnen dürfen, davon war nicht die Rede. Versteck dich hier, damit ich dich wiederfinde.« »Dreck, verdammter!« Blacky fluchte vor sich hin. Stenmark legte seine Muskete nieder, die ihn nur behindern würde. Er klopfte Blacky auf die Schulter. »Bis später.« Noch bevor Blacky etwas erwidern konnte, war der blonde Schwede verschwunden. Blacky biß sich auf die Lippen. O verflucht, dachte er, wenn das nur gutgeht. Er kroch auf den Hügel und zwischen zwei Felsbrocken, die wie ein Spitzdach gegeneinandergeneigt standen und so eine winzige Höhle bildeten. Die Öffnung zur Bucht hin war fast von Sand zugeweht. Blacky schaufelte so viel weg, daß er die Landungsstelle gut übersehen konnte. Der breitschultrige Ire - er hieß O’Neill - stand auf einem Landungssteg und dirigierte die anderen, wo sie in Deckung gehen sollten. Soweit Blacky erkennen konnte, richteten sich
die Iren in einer fast kreisförmigen Stellung ein, bei der nur die Wasserseite offenblieb. Aber da befanden sich die Karavellen, die das ganze Ufer bestreichen konnten. Blacky kniff die Augen zusammen. Von den fünf Karavellen lösten sich Boote. Spanier wurden an Land gepullt und verstärkten die Iren. Alle waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Zwei bereits beladene Ochsengespanne wurden seitwärts in die Hügel gefahren und dort einfach stehengelassen. Für die Iren war jeder Mann wichtig. Mit den Spaniern mochte jetzt da unten beim Landeplatz ein Kontingent von etwa vierzig bis fünfzig Kämpfern versammelt sein. Blacky fröstelte - nicht nur wegen der morgendlichen Kühle. Hoffentlich schaffte es Sten, dachte er. Aber es war ein lausiges Unternehmen.
Stenmark umschlich die Stiefelspitze, und als er sie hinter sich hatte, setzte er sich seitlich des Fahrwegs in eine Art Wolfstrab, den er lange durchhalten konnte. Bevor er zur See gefahren war, hatte er in den Wäldern Schwedens als Holzfäller und Floßschiffer gearbeitet. Er war langbeinig und zäh. In seinen Schultern und Armen steckte eine explosive Kraft - gestählt durch die harte Arbeit mit der Axt. Für die Strecke, die O’Rourke in einer knappen halben Stunde durchmessen hatte, brauchte er fünfzehn Minuten. Captain Burtons Truppe befand sich im Aufbruch, als Stenmark sie erreichte. Der Profos hätte ihn fast erschossen, als er plötzlich wie aus der Nacht auftauchte. »Nicht schießen!« sagte Stenmark scharf und hob beide Hände, um zu zeigen, daß er waffenlos sei. Die Pistole steckte in seinem Gürtel.
Natürlich hatten die Soldaten den Kutscher nicht gefunden. Aber sie hatten Zeit herausgeschunden. Fast zehn Minuten hatte der Profos gebraucht, um hinter den einzelnen Soldaten herzurennen und sie zurückzuholen. Seine sowieso schon stinkige Laune hatte das keineswegs verbessert. Jetzt schob er sein brutales Gesicht vor. »Dich kenn ich doch.Bürschchen«, sagte er. »Stenmark, von der ›Isabella‹», sagte der blonde Schwede. Der Captain näherte sich. »Wer ist der Kerl?« »Einer von der Killigrew-Bande«, sagte der Profos. »Wahrscheinlich ist er von Bord desertiert.« Er grinste höhnisch. »Und uns genau in die Arme gelaufen.« In Stenmark stieg leise Wut auf. Aber er beherrschte sich. »Ich bin weder desertiert noch Ihnen in die Arme gelaufen.« Er wandte sich dem Captain zu. »Ich habe Sie gesucht, Sir, um Sie zu warnen. Ein Ire, der mit einem Maultierkarren nach Dungarvan unterwegs war, hat Ihre Truppe gesehen und Ihren Anmarsch den Iren unten an der Stiefelspitze gemeldet.« »Äh«, sagte Captain Burton wie immer, wenn ihm nichts Besseres einfiel. »Der Kerl ist desertiert«, sagte der Profos. »Er muß festgenommen werden. Was der da erzählt, sind Phantastereien. Wahrscheinlich steckt er mit den verdammten Iren unter einer Decke und soll uns in eine Falle locken.« »Falsch«, sagte der Soldat Tinkler laut und völlig ungeniert. »Zumindest die Sache mit dem irischen Maultiertreiber stimmt. Wir haben ihn gesucht, aber nicht gefunden. Warum haben wir ihn nicht gefunden? Weil er abgehauen ist, und zwar zu den anderen Paddys unten bei der Stiefelspitze, wie Stenmark bezeugt.« »Maul halten!« fuhr ihn der Profos an. »Hier rede ich.« Jake Tinkler nickte.
»Leider«, sagte er frech. »Und was Sie reden, ist schlimmer als ein fauler Zahn. Und Ihr Verstand ist dort, wo andere zwei Backen haben, nämlich am Arsch.« Der Profos prallte zurück. Schnell wandte sich Tinkler an den Captain, der ihn sprachlos anstarrte. »Entschuldigung, Sir. Ich hoffe, Sie geben mir recht. Fest steht, daß dieser Maultiertreiber, den wir hier gesucht haben, uns gesehen und die Iren gewarnt hat. Die Iren jetzt überraschend zu schlagen, dürfte nicht mehr drin sein.« »Die Spanier sind auch gewarnt«, sagte Stenmark. »Wir haben alles gehört …« »Äh - wer ist ›wir‹?« »Blacky und ich.« »Blacky?« »Ja, Sir, er gehört auch zur Crew der ›Isabella‹.« Der Profos fuhr dazwischen: »Ebenfalls desertiert, wie?« Stenmark blickte ihn kalt an. »Wo Ihr Verstand sitzt, wurde eben bereits gesagt, aber ich will Ihnen die Situation gern erklären. Ich wurde zusammen mit Blacky von Kapitän Killigrew dazu abgeteilt, die Landestelle in der Stiefelspitze zu beobachten. Kapitän Killigrew ist inzwischen mit fünf anderen Männern unserer Crew einem Ochsengespann in die Drum Hills gefolgt, um das Waffen- und Munitionsversteck der Iren zu finden und in die Luft zu jagen. Das ist die reine Wahrheit. Und wie sollte ich denn desertiert sein? Sollte ich vielleicht die ganze Dungarvanbai durchschwimmen, um den Stiefel rennen und dann freiwillig hier in Ihre Arme laufen? Ihre Truppe war schon auf hundert Schritte Entfernung zu hören, da wäre ich längst über alle Berge, ehe Sie auch nur einen Schatten von mir gesehen hätten.« Das Schweigen war absolut. Es war, als hätten alle den Atem angehalten. Von den Soldaten war jeder einzelne davon überzeugt, daß der blonde Schwede .die Wahrheit gesagt hatte. Und einen gewarnten, abwehrbereiten Feind anzugreifen, war
etwas anderes, als ihn überraschend zu überfallen. Sie dachten an die »Hexe«, die den Tod des Profos vorausgesagt hatte - »in weniger Stunden, als der Tag lang ist, wirst du vor dem höchsten Richter stehen.« »Äh - ungeheuerlich«, murmelte der Captain. »Dieser Killigrew will also ein Waffenlager sprengen - äh mit fünf Männern, sagten Sie?« »Jawohl, Sir. Vorausgesetzt natürlich, daß er es findet.« »Wie sind Sie denn hier auf diese Seite gekommen?« »Mit einem Boot hinübergesegelt, Sir.« »Und wo ist das Boot?« Eine merkwürdige Frage. Stenmark blickte dem Captain gerade in die Augen. »Ist das wichtig, Sir?« Ein verschlagener Ausdruck glitzerte in den blaßblauen Augen Burtons. »Äh - natürlich nicht. Ich wollte Ihnen nur etwas auf den Zahn fühlen, Fenmark.« »Stenmark, Sir.« »Richtig. Sagen Sie mal, Stenmark - äh - sind die Iren stark bewaffnet?« »Mit Musketen und Pistolen.« »Woher wissen Sie das?« »Ein paar von den gelandeten Kisten der Spanier sollten aufgebrochen werden. Ich schätze, daß die Iren bis an die Zähne bewaffnet sind.« »Soso. Und was hat diesen Killigrew veranlaßt, in den Drum Hills herumzustreunen und irische Verstecke zu suchen?« In Stenmark stieg die Galle hoch - dieser aufgeblasene Trottel von einem Captain. »Sir«, sagte er scharf, »ich glaube nicht, daß Kapitän Killigrew herumstreunt. Was ihn zu seiner Aktion veranlaßt hat? Ich nehme an, er wollte retten, was zu retten ist, nachdem Sie mit Ihrem frühzeitigen Aufbruch das gesamte Unternehmen Kapitän Drakes und Captain Norris’ in Frage gestellt haben.
Wie ersichtlich, ist Ihnen das ja auch gelungen. Die Iren und Spanier sind vorgewarnt.« »Was erlauben Sie sich?« schrie Captain Burton. Wut und Haß funkelten in seinen Augen. »Profos! Dieser Mann ist festzunehmen!« Es war die alte Leier Captain Burtons, seine Unfähigkeit durch Festnahmen zu kaschieren. Oder verfolgte er noch einen anderen Zweck? Der Profos allerdings hatte inzwischen eins kapiert: Er würde sich hüten, die Festnahme selbst durchzuführen. Er gab den Befehl des Captains weiter, fuhr herum und blaffte die Soldaten an: »Festnehmen den Kerl!« Die Soldaten murrten. Keiner bewegte sich. Stenmark sagte: »Sir, ziehen Sie sich mit Ihrer Truppe zum vereinbarten Treffpunkt in der Nebenbucht zurück. Bestimmt ist Kapitän Drake inzwischen eingetroffen. Wenn Sie die Iren und Spanier jetzt angreifen, gibt es ein Blutbad. Sie hetzen Ihre Soldaten in einen sinnlosen Tod.« Der Degen des Captains klirrte aus der Scheide. Der Profos riß seine Pistole hervor. Da war Stenmark mit einem riesigen Satz zwischen den Büschen, deren Zweige hinter ihm zusammenschlugen. »Schießen Sie, Profos!« schrie der Captain. »Knallen Sie ihn ab!« Es klickte nur, als der Profos durchzog. Das Zündpulver auf der Pfanne war feucht geworden. Der Profos fluchte und fummelte an der Pistole herum. »Ihm nach!« brüllte der Captain, rot vor Wut, seine Soldaten an. »Vorwärts, ihr faulen Hunde, ich laß euch alle füsilieren, wenn ihr euch nicht bewegt!« »Das Füsilieren werden schon die Paddys und Dons besorgen«, sagte einer aus der Mitte. »Wer war das?« schrie der Captain.
Aber da meldete sich keiner - die Männer trampelten bereits durch die Büsche und verkleckerten sich wieder. Allerdings wandte sich keiner nach Süden in jene Richtung, in die Stenmark geflohen war. Das schien Ehrensache zu sein. »Sauhaufen!« schrie der Captain. Der Profos schüttete indessen frisches Pulver auf die Pfanne. »Was tun Sie da?« schrie ihn der Captain an. »Pulver nachschütten«, sagte der Profos. »Lassen Sie das. Holen Sie die Soldaten zurück. Wir greifen sofort an.« Der Profos ließ langsam die Pistole sinken. Sein Mund stand halboffen - ein Punkt unter dem Fragezeichen seines Gesichts. »Sind Sie taub?« pfiff ihn der Captain an. »Sie - Sie wollen angreifen, Sir? Aber - aber …« Der Degen zuckte auf ihn zu. Die Spitze zitterte vor seinem Hals. »Entweder holen Sie jetzt die Soldaten zurück, oder ich steche Sie ab wie ein Schlachtschwein.« Die Stimme des Captains war verzerrt vor Wut. Der Profos starrte in Augen, die unnatürlich flackerten. »Hä-hä-hä!« meckerte der Captain. »Sie haben wohl Angst, wie?« Und jäh, schrill: »Los, sagen Sie, daß Sie Angst haben!« »Ich habe Angst«, würgte der Profos hervor, »die Hexe, das Kreuz …« »Wie?« Der Degen sank plötzlich nach unten. Das Gesicht des Captains wirkte grau und verfallen. »Hexe?« Er blickte sich um. »Was ist das?« Etwas trommelte heran - von Norden. Der Boden vibrierte leicht. Nebelschwaden zogen über den Fahrweg. Das Trommeln wurde lauter. »Was ist das?« flüsterte der Captain. Der Profos lauschte mit vorgestrecktem Kopf. »Hufe«, sagte er. »Weg von der Fahrbahn!« Er stieß den Captain nach links und sprang hinterher. Durch die Nebelschwaden raste ein vierbeiniges Etwas, dahinter ein
schlingernder Karren, Steinchen stoben nach links und rechts, Hufe donnerten, Räder klirrten - und schon war der Spuk vorbei. Der Lärm verklang. Der Captain hatte sich hingeworfen. Mühsam erhob er sich jetzt. »Was war das?« fragte er heiser. Hatte er gar nichts gesehen? »Das verdammte Maultier«, knurrte der Profos. »Ach, das Maultier.« Der Captain kicherte unnatürlich. »So ein Luder, einen so zu erschrecken.« Der Profos schaute ihn mißtrauisch an. Was war denn mit dem los? Hatte der einen Klaps? »Äh - holen Sie die Truppe zusammen, Profos. Wir werden zu dem Landeplatz marschieren - in geordneter Formation, versteht sich - und das irische Pack zusammenschlagen.« »Spanier sind auch da«, erinnerte ihn der Profos. »Wie? Ja, die auch.« Wegwerfende Handbewegung. »Die kneifen sowieso, wenn eine englische Truppe anrückt.« Der Profos grinste schief. »Sie meinen wohl, wenn eine englische Truppe heranschwimmt, Sir.« »Wieso?« »Die Dons sitzen auf den Karavellen. Zu kneifen brauchen die nicht, wenn wir heranschwimmen.« »Reden Sie doch nicht solchen Quatsch, Profos.« »Entschuldigung, Sir. Sie meinten, daß die Spanier kneifen würden. Ich bin da anderer Ansicht. Gegen die Karavellen haben wir nicht die geringste Chance.« Wütend sagte der Captain: »Ach, lassen Sie mich doch mit solchen Lappalien zufrieden. Sammeln Sie endlich die Truppe. Und dann vorwärts - dem Sieg entgegen!«
7.
Der Morgen war grau, trübe und dunstig. Das Wasser der Stiefelbucht zeigte kaum eine Bewegung, es lag bleiern unter den grauen Dunstschwaden, die fast bewegungslos in der Luft hingen. Die fünf Karavellen wirkten wie unbewegliche, fette Enten auf einem Dorfteich. Es war eine gespenstische Ruhe an Land und über der Bucht so, als sei die Erde gestorben oder in einen tiefen Schlaf versunken. Aber dann begann sich die Stille zu verändern, zunächst kaum vernehmbar. Weit von Norden her klang etwas heran, das Erschütterungen hervorrief, die sich dumpf und grollend fortsetzten und allmählich näher rückten. Stenmark stöhnte auf und schlug die Faust in den Sandwall, der das Sichtdreieck unten abgrenzte. »Dieser Narr«, flüsterte er. »Es war alles umsonst.« »Hattest du etwas anderes erwartet?« fragte Blacky. »Sollten die Soldaten meutern?« »Sie wollten diesen Irrsinn nicht, das war klar.« »Natürlich. Wer rennt denn auch gern dem Tod in die Arme?« Blacky wurde sachlich. »Hoffentlich kriegen wir hier nichts von dem Segen der Karavellen ab. Die Dons schießen manchmal etwas merkwürdig.« Er schielte zu dem Giebel der beiden schräggeneigten Felsbrocken hoch. »Ob die halten, wenn da ‘ne Kugel drauf kracht?« »Du hast Sorgen.« »Wenn die zusammenbrechen und auf uns fallen, sind wir Mus«, sagte Blacky. »Vielleicht sollten wir uns ins Freie zurückziehen.« »Wir bleiben hier, verdammt, jetzt halts Maul.« Blacky schwieg beleidigt. Eine spanische Stimme sagte etwas, irgendein Kommando. Es klang nicht sehr laut, war aber doch zu hören. Kurz danach flammten hinter den Stückpforten auf den fünf Karavellen ganz kurz Lichter auf und erloschen wieder.
»Sie haben die Lunten entzündet«, raunte Stenmark. Blacky schwieg. Was sollte er auch sagen? Links voraus von ihrer Deckung unter den beiden Felsen verlief der Fahrweg nach Dungarvan. Er lag etwa dreihundert Yards von ihnen entfernt und war trotz des Dunstes deutlich zu erkennen. Im rhythmischen Takt klotzten fünfzig Stiefelpaare von Norden heran. Noch war die Kolonne nicht sichtbar, aber ihr Marschtritt klang immer deutlicher. Etwas Bedrohliches schwang darin mit, etwas Unabänderliches. Stenmark drehte sich zu Blacky und blickte ihn an. Seine blauen Augen waren dunkel vor Verbitterung und hilfloser Wut. »Wir müssen etwas tun, Blacky. Die marschieren in den Tod. Er läßt sie noch nicht mal ausschwärmen, dieser Mörder, dieser verfluchte Scheißkerl.« »Den erwischt’s auch«, sagte Blacky, »beruhige dich. Der Seewolf hat befohlen, daß wir nur beobachten sollten. Das tun wir, sonst nichts. Und wenn wir doch mitholzen, sind wir genauso dran wie die armen Schweine da.« Unter ihnen, rings um den Strand verteilt, knackten Hähne. Stenmark blickte hinüber zu dem Fahrweg und biß die Zähne zusammen. Die ersten Fünferreihen traten aus dem Dunst. »Truppe halt!« schnarrte die Stimme des Captain Burtons. Die Kolonne stoppte. »Na bitte.« Der Captain löste sich links von der Kolonne. »Diese irischen Feiglinge sind getürmt, abgehauen sind sie. Und auf den Karavellen pennen sie, diese dreckigen Spanier. Wir werden sie entern.« »Und womit?« Das war die Stimme des Profos’. »Hier müssen doch Boote sein, verdammt. Truppe marsch!« Die Kolonne setzte sich wieder in Bewegung.
Stenmark senkte den Kopf und ließ ihn auf den Sand sacken. Blacky schluckte und starrte mit aufgerissenen Augen auf die Kolonne, die jetzt ganz aus dem Dunst heraus war. Die spanische Stimme war wie ein Peitschenschlag. Sekunden später blitzte es bei den Karavellen auf, und fünf Breitseiten schleuderten brüllend ihren tödlichen Eisenhagel in die Kolonne der fünfzig Soldaten. Das Inferno begann. Die Breitseite der fünf Karavellen hatte wie eine Sense gewirkt - es war nicht so, wie Blacky orakelt hatte. Die Spanier hatten nicht »etwas merkwürdig«, sondern ins volle geschossen. Entfernung etwa fünfzig bis sechzig Yards, Kolonnenlänge ungefähr dreizehn Yards in Fünferreihen. Die Längsflanke der Kolonne hatte sich nicht etwa spitz, sondern in ihrer gesamten Breite den Richtkanonieren auf den Karavellen dargeboten. Und sie hatten nicht nur Kugeln, sondern gehacktes Eisen und Kettenkugeln geladen. Eine zweite Breitseite verhinderten die Pulverqualmwolken, die wie ein dichter Vorhang die Karavellen einhüllten und verbargen. Aber sie war auch gar nicht nötig. Die Kolonne war zu einem Knäuel durcheinandertaumelnder Leiber geworden, die über Tote und Sterbende stolperten. Das Brüllen und die Schreie der Verwundeten glichen einem Orchester höllischer Musik. Und mitten hinein als letzte Steigerung dieses entfesselten Infernos peitschten und krachten die Schüsse der Musketen und Pistolen. Die blutige Ernte nahm ihren grausigen Fortgang. Aus Mulden und Senken, hinter Felsen und Büschen sprangen Iren und Spanier hervor. Messer, Degen und Äxte blinkten. Leiber prallten gegen Leiber, Stahl zuckte vor und stieß in sich zusammenkrümmende Körper. Da torkelte ein Soldat ohne Kopf.
Dort stierte einer mit zum Schrei aufgerissenem Mund auf seine abgehackte Hand zu seinen Füßen nieder, die, seltsam genug, noch eine Muskete umkrallte. Neben ihm kniete einer und zerrte völlig sinnlos an dem Messergriff in seiner Brust, bis er vornüberkippte und sich das Messer noch tiefer in den Leib rammte. Der Soldat Tinkler im rechten, der Breitseite abgewandten Glied der Kolonne hatte sich beim Aufblitzen der Kanonen zur Seite geworfen, und der Eisenhagel war über ihn hinweggefegt. Ebenso hatte der Soldat Plummer reagiert, der hinter ihm marschiert war. Sie lagen unter vier zerfetzten Soldaten, über die ein fünfter irre kichernd stolperte und lang hinschlug. Sein zuckendes Bein traf Tinklers Kopf, betäubte ihn aber nicht, sondern bewirkte, daß er jäh hochfuhr. Er war von oben bis unten mit Blut besudelt. Mit einem wilden Blick sah er sich um. Dem Iren, der ihn ansprang, stieß er den Musketenlauf in die Halsgrube. Gurgelnd brach der Mann zusammen. Plummer federte hoch. »Wohin, Jake?« »Zum Wasser!« Wie ein Keil durchbrachen sie den Ring, der sich immer enger um sie schloß. Zwei, drei andere schlossen sich an - ein wirbelnder, um sich schlagender und stechender Haufen Todgeweihter, die ihr Leben so teuer wie möglich verkauften. Tinkler stöhnte auf, als ihm ein zusammenbrechender Ire das Messer in den rechten Oberschenkel stieß. Er zog es heraus und warf es einem Spanier ins Gesicht - es verschwand in dessen Mund und blieb tief im Rachen stecken. Tinkler grunzte und hieb einem anderen Spanier mit einem wüsten Schwung den Musketenlauf an die Kinnlade. Knochen brachen. Der Spanier hielt sich den Kopf und spuckte Zähne. Tinkler rannte ihn um und brach zum Wasser durch.
Dort der Steg! Er war wie eine Verheißung. Dort brauchte man nur noch nach einer Seite zu kämpfen. Plummer schüttelte zwei Iren ab und hetzte hinter ihm er. Nur noch zwei Soldaten folgten - einer war jener, der das Marschgepäck des Captains hatte tragen müssen und dem Profos eine verirrte Kugel angedroht hatte. Dieser Riese blutete aus mehreren Wunden, aber noch war er nicht am Boden. Sie sprangen ihn von allen Seiten an und krallten sich an ihm fest. Der Riese wirbelte herum und schleuderte sie ab. Sie flogen wie Geschosse durch die Luft und rissen andere um. Ein wilder, letzter Nahkampf entbrannte am Steg. Zwei kämpften nicht, beide hatten es vorgezogen, ihr schmutziges Leben in Sicherheit zu bringen. War es Zufall oder Absicht gewesen? Sie waren rechts von der Kolonne geblieben, die Leiber der Soldaten hatten sie geschützt und die Breitseite abgefangen. Und dann hatten sie blitzschnell gehandelt. Nur ein Ire und ein Spanier hatten ihnen im Weg gestanden, als sie sich seitwärts in die Büsche warfen. Der Ire starb an einem Degen im Hals, der Spanier verendete qualvoll an einem Bauchschuß. So ganz unbemerkt war die Flucht der beiden nicht geblieben. »Hast - hast du’s auch gesehen?« keuchte der Soldat Plummer, während er einem Iren, der auf den Steg klettern wollte, den Stiefel unter das Kinn knallte. »Was?« fragte Tinkler, der jetzt einen Degen in der Faust hatte und einem Spanier ein Ohr abschlug. »Die Schweine haben gekniffen und sind getürmt.« Plummer brauchte nicht zu sagen, wer die »Schweine« waren. Tinkler wußte es auch so. Sekunden später fiel Plummer. Er hatte plötzlich mitten auf der Stirn ein kreisrundes Loch und kippte ins Wasser. Tinkler fluchte erbittert und zog sich noch weiter auf den Steg zurück.
Er hatte jetzt eine Schnittwunde über der Stirn und wischte sich immer wieder das Blut von den Augen. Der dritte Soldat, der sich mit ihnen zum Steg zurückgezogen hatte, stieß einen Spanier ins Wasser, sprang hinterher, wälzte sich über ihn und drückte dessen Kopf so lange unter Wasser, bis der Körper des Spaniers erschlaffte. Der Soldat lachte dabei wie ein Tobsüchtiger, der das Morden lustig findet. Das Grauen ging um. Zwei Iren, die ins Wasser wateten, um den lachenden Irren zu erschlagen, prallten zurück, als der Soldat den toten Spanier aus dem Wasser hochriß und dessen Gesicht ihnen entgegenhielt. Es war ein blaues Gesicht mit heraushängender Zunge und hervorquellenden Augen. Vom Ufer schoß einer. Aber er tötete den Spanier nur ein zweites Mal. In den toten Kugelfang klatschte weiteres Blei. Der Soldat lachte immer noch, laut und meckernd und hysterisch. Er bot einen erschreckenden Anblick mit dem toten Spanier, den er vor sich hielt und wie eine Puppe herumschwenkte. Und dann drehte er ihn zu sich herum, umarmte ihn und tanzte mit ihm durchs Wasser. »Eins-zwei-drei, eins-zwei-drei!« schrie er. »Hoch das Bein! Dreht euch im Kreis! Eins-zwei-drei …« Ein riesiger Ire hinter ihm hob einen Knüppel und schmetterte ihn auf den Kopf des Soldaten. Noch zweimal schlug er zu. Aber das spürte der Soldat nicht mehr. Der Riese kämpfte immer noch, wenn auch etwas schwerfälliger. Er blockierte den Steg, aber die Iren wateten an ihm vorbei und kletterten hinter ihm hoch. Ein Kolbenhieb krachte gegen Tinklers Kopf und warf ihn vom Steg. Noch einmal fegte der Riese den Steg leer. Er hatte jetzt eine langstielige Axt in den Fäusten und ließ sie wirbelnd kreisen.
Drei Soldaten krochen auf dem Bauch zu ihm, schon halbtot, aber sie krochen. Sie wollten zum Steg, als wenn es dort noch eine Rettung gäbe. Zehn, zwölf, dreizehn Spanier und Iren merkten es und fielen über sie her. Sie wurden wie Schlachtvieh abgestochen. Ein Blutrausch packte Spanier und Iren. Was noch lebte, wurde massakriert - nicht einmal, Dutzende Male. Triumphgebrüll und Todesschreie gellten schauerlich über die Walstatt, deren Boden blutgetränkt war. Der Riese brach ganz langsam in die Knie und ließ die Axt sinken. Als sich sein Körper vornüber neigte, war er bereits tot. Sie waren alle nicht mehr ganz bei Sinnen.
Zwei brennende Augenpaare hatten alles gesehen, jedes Detail, und die grausigen Bilder würden lange auf ihrer Netzhaut bleiben. Als das schauerliche Brüllen des Iren abbrach, schob sich Stenmark auf dem Bauch zurück und setzte sich auf. Seine Augen wirkten stumpf, seine Lippen bildeten eine messerscharfe Linie. Zwei tiefe Kerben zogen sich von seinen Nasenflügeln zu den beiden Mundwinkeln. Blacky warf noch einen letzten Blick über die Stätte des Grauens und befeuchtete seine trockenen Lippen. Dann zog auch er sich zurück und hockte sich hin. »Arme Kerle«, sagte er leise, »und sinnlos in den Tod gehetzt. Sie hatten nicht die geringste Chance.« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh das nicht, ich versteh das einfach nicht.« Stenmark nickte müde. »Und du hast sie noch gewarnt«, fuhr Blacky wie im Selbstgespräch fort, »sie hätten jetzt noch leben können.« Er ballte die Hände zu Fäusten. »Und dieser Schweinekerl hat
seine Truppe feige im Stich gelassen. Und der Profos, dieser Drecksack, hinter ihm her. Die Soldaten haben gekämpft und ihren Kopf hingehalten für diese beiden Stinksäcke …« Stenmark fuhr hoch. »Das Boot!« »Was für ein Boot?« »Unser Boot. Burton fragte mich, wie wir über die Bucht gelangt seien. Mit dem Boot, sagte ich. Wo es denn sei, fragte er. Ich hab’s ihm nicht gesagt, weil er das so merkwürdig fragte. Jetzt weiß ich, warum. Wahrscheinlich erschien ihm das Boot als so eine Art Lebensversicherung, wenn sein Angriff schiefgeht.« Blacky ächzte. »Mann, wenn diese beiden Kerle unsere Spuren finden und auf das Boot stoßen! Damit hauen die glattweg ab, und wir sitzen da. O verdammt, der Seewolf zerhackt uns zu Kleinholz.« Stenmark erhob sich und nahm die Muskete auf. »Wenn sie das Boot suchen«, sagte er, »müssen sie oben beim Kap anfangen. Wir schneiden ab und schlagen uns von hier quer durch die Wälder durch, das ist der kürzere Weg. Wir müssen früher als sie am Boot sein, das ist alles.« »In Ordnung«, sagte Blacky und stand ebenfalls auf. Minuten später waren sie in den Hügeln verschwunden. Als sie den Stiefelabsatz erreichten, um von dort quer nach Nordosten zu marschieren, begann unter ihnen der Boden zu zittern, und von Südwesten rollte Donner durch die Hügel. Sie blieben stehen und wandten sich um. Südwestlich von ihnen stieg eine Qualmwolke pilzartig in den Himmel. »Der Seewolf«, sagte Blacky andächtig und betrachtete direkt verzückt die Qualmsäule. Stenmark knuffte ihn in die Seite. »Los, weiter!«
8.
Es war Dan O’Flynn, der die letzte Wache hatte und die zweiundvierzigste Fuhre zählte, deren Kisten und Fässer wie alle anderen abgeladen und in das Höhlenversteck geschleppt wurden. Dann war das Ochsengespann zwischen den Hügeln verschwunden. Dan brach ein Stückchen Holz von einem Zweig und legte es zu den anderen einundvierzig Hölzchen. Er gähnte, schielte auf den Proviantsack, bezwang sich aber. Auch ein Donegal Daniel O’Flynn hatte seinen Stolz, verdammt noch mal. Tom Smith begann zu schnarchen. Dan huschte zu ihm hin und hielt ihm die Nase zu. Tom fuhr hoch und starrte Dan O’Flynn wild an. »Du hast geschnarcht«, sagte das Bürschchen sachlich. Tom wischte sich über den Mund. »Ich?« »Ja, du.« Tom Smith grinste. »Darüber hat sich Abigail Adelaide auch immer aufgeregt.« »Ich reg mich ja gar nicht auf«, sagte Dan, »aber die Paddys könnten es hören. Penn weiter.« Tom Smith seufzte. »Jetzt bin ich hellwach.« Er kratzte sich die Brust. »Soll ich die Wache übernehmen?« Dan schüttelte den Kopf. »Wache ist Wache, ich …« »Psst!« Tom Smith hob die rechte Hand und lauschte. Dan hörte es auch - es war nicht das gewohnte Geräusch eines heranrumpelnden Ochsengespanns. Er glitt an den Rand des Felsens und spähte nach rechts zum Eingang der Schlucht. Tom Smith legte sich neben ihn und schaute ebenfalls nach rechts. »Ein Wagen«, flüsterte er, »aber kein Ochsengespann.« Hufe klapperten über den felsigen Boden, .sehr flink, das Mahlen leichter Räder klang dazwischen. Dann tauchte der Wagen auf - ein Maultierkarren. Auf dem Bock saß ein einzelner Mann.
»Vorwärts, Bessy!« schrie er. »Beweg dich, du alte Tante! Hüo, du stinkige Zwiebel, gefurzt wird nachher, hüo!« »Oha«, flüsterte Tom Smith, »was ist denn das für einer?« »Weck den Seewolf und die anderen«, raunte Dan. »Hier ist was im Busch!« Sekunden später lag der Seewolf neben Dan O’Flynn. Das Bürschchen deutete nach unten in die Schlucht. »Einer, der es sehr eilig hat«, flüsterte er. Roger O’Rourke zügelte seine Bessy vor dem Eingang des Verstecks. »Holla! Pennt ihr alle?« rief er. „He, Cliff, Mac, Dunny, Rich!“ Die vier Iren tauchten im Eingang auf. »Mann, Roger, was willst du denn hier?« fragte einer. »Euch holen. Englische Soldaten sind im Anmarsch …« »Wo?« »Beim Landeplatz. Wir hauen sie in die Pfanne. O’Neill hat gesagt, ich soll euch holen. Die Spanier sind auch dabei.« »Mann, ist das ein Ding.« Der Ire rieb sich die Hände. »Dann nichts wie los, die sollen sich blutige Köpfe holen, diese verdammten Hunde.« Er sprang von dem erhöhten Eingang hinunter. Die drei anderen folgten ihm. »Halt«, sagte O’Rourke. »Einer muß als Wache zurückbleiben.« »Hat das O’Neill gesagt?« »Ja, sicher ist sicher.« Der Wortführer wandte sich um. »Mac, du bleibst hier«, sagte er knapp. »Muß das sein?« »Hast du doch gehört. O’Neill will es so.« Mac fluchte, während die drei anderen auf den Karren stiegen. O’Rourke feuerte seine Bessy an und lenkte den Karren herum. Mac stand ziemlich belämmert da und schaute
den vier Männern nach, die ihm zuwinkten, als gelte es, auf ein lustiges Dorffest zu fahren und ordentlich auf die Pauke zu hauen. Er spuckte auf den Boden, drehte sich um und verschwand in dem Eingang. Kurz darauf erschien er wieder - in einer dicken Jacke und mit einer Muskete bewaffnet. Er setzte sich links vom Höhleneingang auf einen Stein und legte die Muskete über die Knie. Hasard zog Dan am Ärmel und rutschte zurück. Als er weit genug vom Felsrand entfernt war, stand er auf, legte den rechten Zeigefinger auf die Lippen und winkte den anderen, ihm zu folgen. Lautlos verließen sie ihren Beobachtungsposten und schlichen hinter dem Seewolf her. Er wandte sich etwas nach links und kletterte zwischen den Felsen nach unten, bis sie jenseits der Schlucht einen schmalen Kessel erreichten, von dem aus sie Stunden zuvor zu ihrem Beobachtungsstand aufgestiegen waren. Die Männer blickten Hasard gespannt an. »Es ist soweit«, sagte er. »Ihr habt es gehört. Burton scheint angreifen zu wollen.« Er schwieg einen Moment und fügte bissig hinzu: »Seine Chance ist gleich Null.« »Aber wir können jetzt sprengen«, sagte Gary Andrews. »Worauf du dich verlassen kannst.« Hasard blickte Batuti an. »Traust du dir zu, unbewaffnet auf diesen Mac zuzugehen …« Batuti wollte ihn unterbrechen, aber Hasard hob die Hand. »Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich werde dicht bei dir sein und den Iren immer vor meiner Pistole haben. Sollte er schießen wollen, bin ich schneller. Mir geht es dabei nur darum, den Mann zu verwirren - leider habe ich eine weiße Hautfarbe, und mit der kann ich keinen Iren erschrecken. Ich möchte auch nicht, daß er getötet wird. Ich glaube aber, wir schaffen es genauso wie bei den beiden Iren oben am Kap.«
Hasard blickte den riesigen Neger ernst an, »Ich weiß, was ich da von dir verlange, und ich weiß auch, daß es ein übles Ding ist, deine Hautfarbe auszuspielen. Wenn du ablehnst, ist diese Entscheidung in Ordnung. Du hast hier an Land bereits mehr getan als wir alle zusammen.« »Ich gehen«, sagte Batuti. »Ich geh mit ihm«, sagte Dan O’Flynn. Batuti fuhr herum. »Du Maul halten, verstanden?« Er zog seine Pistole aus dem Gürtel und reichte sie zusammen mit der Muskete Dan O’Flynn. »Das tragen.« »Aber …« Die Faust Batutis erschien vor der Nase Dan O’Flynns. »Du Dresche?« fragte er sanft. Das Bürschchen schwieg beleidigt. Daß ihm sein Freund Batuti Dresche androhte, war ja wohl das letzte. Er klemmte sich die Muskete zu seiner eigenen unter den Arm und stopfte die Pistole in den Hosenbund. Die Männer grinsten. Das Bürschchen war jetzt das reinste Waffenlager. Hasard sagte: »Wenn du die Schlucht betrittst, bleibe ich rechts von dir an der Schluchtwand, Batuti. Halte dich in der Mitte der Schlucht. Wenn etwas passiert, wirf dich nach links. Denke immer daran, daß zwischen dem Iren und mir ein freier Raum bleiben muß, klar?« »Aye, aye.« Hasard überprüfte seine doppelläufige sächsische Reiterpistole und wechselte das Zündpulver aus. »Und wo bleiben wir?« fragte Matt Davies. »Hinter mir«, erwiderte Hasard. »Sollten nicht vielleicht zwei von uns von der anderen Seite der Schlucht an den Kerl heran?« fragte Matt Davies. »Dann haben wir ihn in der Zange.« »Daran habe ich auch gedacht«, erwiderte Hasard, »aber damit verplempern wir zuviel Zeit. Der Kessel hier müßte
überstiegen werden. Wie schnell der Schluchtausgang dann zu erreichen ist, wissen wir nicht.« Matt Davies nickte. »Überprüft das Zündpulver eurer Pistolen«, befahl Hasard. »Und dann los.«
Hasard drückte sich an die Felswand und beobachtete den irischen Posten. Der saß jetzt etwas vornübergeneigt. Dann und wann fiel sein Kopf nach unten, ruckte aber immer wieder hoch. Mac kämpfte einen aussichtslosen Kampf gegen seine Müdigkeit. Klar, sie hatten die ganze Nacht geschuftet und kaum Schlaf gehabt. Jetzt forderte die Natur ihr Recht. Batuti, der etwa zehn Schritte links von Hasard stand, drehte sich zu ihm um und zeigte sein Raubtiergebiß. Dann legte er die rechte Kopfseite auf die rechte Handfläche und markierte den Schlafenden. Hasard nickte und bedeutete Batuti mit der Hand, noch etwas zu warten. Sie waren von Mac noch ungefähr dreißig Schritte entfernt. Hinter Hasard lauerten seine Männer und beobachteten ebenso gespannt wie er und Batuti die Versuche Macs, nicht einzuduseln. Sie kannten diesen Zustand von ihren Wachen an Bord, die nie ein Ende zu nehmen schienen. Beim VierstundenWachtörn morgens von vier bis acht war es am schlimmsten. Da half nur Bewegung, um wach zu bleiben. Aber Mac hatte sich hingesetzt - er hätte sich auch gleich hinlegen können, beides waren todsichere Methoden, den Kampf gegen die Schläfrigkeit zu verlieren. Macs Kopf sank endgültig auf die Brust und blieb dort. Hasard wartete zwei, drei Minuten und nickte dann Batuti zu. Batuti grinste wieder und setzte sich lautlos in Bewegung.
Die Morgendämmerung gab bereits genug Licht, um Einzelheiten erkennen zu können. Die Muskete über den Knien Macs zeigte eine bedenkliche Tendenz, hochzukippen. Der Kolben war nach links verrutscht und zog nach unten. Wenn der Lauf hochschlug, empfing Mac einen Nasenstüber. Und dann würde er wach sein. Fast auf gleicher Höhe mit Batuti glitt Hasard an der Felswand entlang, die doppelläufige Reiterpistole auf Mac gerichtet. Noch etwa sieben Schritte. Mac ächzte im Schlaf. Seine linke Hand rutschte vom Knie, auf den Kolben - und der Lauf kippte hoch. Macs Nase fing ihn ab. Mac zuckte zurück und fluchte. Und dann riß er die Augen auf. Vor ihm stand Batuti und fletschte die Zähne. Die Muskete klirrte zu Boden. Mac kam mit wackelnden Knien hoch und starrte Batuti entsetzt an. »Was-was …« brabbelte er. Hasard war heran und schlug ihm den Pistolenlauf an die Schläfe. Mac knickte zusammen und wurde von Batuti aufgefangen. »Fesseln«, befahl Hasard knapp. »Auch Knebel?« fragte Batuti. »Auch Knebel«, bestätigte Hasard. Batuti und Gary Andrews fesselten und knebelten Mac. Er wurde rechts vom Eingang auf den felsigen Boden gelegt. Hasard riß eine gelöschte Fackel neben dem Höhleneingang aus der Felsspalte und ließ sie von Tom Smith entzünden. Tom blieb als Wache vor dem Eingang zurück. Hasard nahm die Fackel und drang mit seinen Männern in die Höhle ein. Sie entpuppte sich als ein riesiges Gewölbe, das zum Teil künstlich erweitert worden war. Von dem Gewölbe führten Gänge zu Nebenhöhlen. Links und rechts sowie hinten im Gewölbe
stapelten sich Unmengen von Kisten fast bis zur Decke, die Hasard etwa acht bis zehn Yards hoch schätzte. Eine einzelne Kiste beim Eingang war geöffnet. Hasard schaute hinein. Sie enthielt Musketen. In einer Nebenhöhle rechts entdeckten sie Kisten mit Pistolen, Pulverflaschen, Piken, Streitäxten sowie Hieb- und Stichwaffen. »Nehmt euch mit, was ihr gebrauchen könnt«, sagte Hasard, »aber überladet euch nicht.« Er hob die Fackel an und langte mit der anderen Hand in eine der geöffneten Kisten, die mit Dolchen vollgepackt war eigenartigen Dolchen. Er nahm einen heraus und betrachtete ihn. Die spitz zulaufende Klinge erschien ihm dicker, als es sonst üblich war. Neben ihm schnappte etwas. Ein erstaunter Ausruf von Gary Andrews, der sich ebenfalls so einen Dolch genommen hatte, folgte. Hasard drehte sich zu ihm um. Gary Andrews hielt ihm den Dolch hin. »Sieh dir das an«, sagte er, »drei Klingen. Ich hab diesen Eisenknopf hier am Griffende nach unten geschoben, und da spreizten sich zwei Klingen von der Mittelklinge ab.« Hasard verschob mit dem Daumen den Eisenknopf seines Dolches. Klick! Links und rechts von der Mittelklinge lösten sich fächerförmig zwei etwas kleinere Klingen, die aber bei der ursprünglichen Stellung nicht auffielen, weil sie der Mittelklinge haargenau angepaßt waren. Man konnte diesen Dolch sowohl ein- als auch dreiklingig benutzen. »Verstehst du das?« fragte Gary Andrews. Hasard nickte und lächelte grimmig. »Erinnerst du dich an den Messerstich, den Pete Ballie damals beim Ausbruch der Dons auf der ›Santa Barbara‹ erhielt und wo du auch verwundet wurdest?« »Und ob«, erwiderte Gary Andrews.
»Pete erhielt den Messerstich in die Schulter«, sagte Hasard, »und zwar von einer Klinge. Stell dir vor, sein Gegner hätte mit diesen drei Klingen zugestoßen. Pete wäre sehr übel drangewesen. Diese Dinger hier sind ungleich wirkungsvoller.« »Da nehm ich zwei mit«, sagte Gary Andrews prompt. Auch die anderen bedienten sich. Batuti stopfte sich den ganzen Gürtel voll. »Piek dich nicht«, sagte Hasard. »Für Crew«, sagte Batuti. Worauf sich Dan O’Flynn und Matt Davies ebenfalls mit noch mehr Dolchen bestückten. »Löse Tom draußen ab, Dan«, sagte Hasard. »Er soll auch welche mitnehmen.« »Aye, aye«, sagte Dan O’Flynn und versenkte noch schnell ein paar Dolche in dem Proviantsack, den er sonst kaum von der Schulter nahm. Hasard lächelte still vor sich hin. Nachdem sich auch Tom Smith versorgt hatte, untersuchte Hasard mit den Männern die anderen Höhlen. Vom Hintergrund des großen Gewölbes führte ein Gang in ein zweites, ähnlich großes Gewölbe, und dort war das, wonach Hasard gesucht hatte. Pulverfässer! Sie lagerten wie Weinfässer, eins neben dem anderen, darüber wieder eine Lage, noch eine - Hasard zählte bis unter die Gewölbedecke, die hier noch höher war als in dem Vorgewölbe, insgesamt zehn Lagen. Jede Lage bestand aus fünfzehn Fässern. Links stießen sie an die Felswand, rechts hatten die Iren baumstarke Balken errichtet, um die Fässer am Verrutschen zu hindern und einen schmalen Gang freizuhalten. Zwei Leitern standen in dem Gang. Aber das war noch nicht alles. Vor dem Faßreihenaufbau an der hintersten Wand befanden sich acht weitere Faßstapel, die bis unter die Decke reichten.
Hasard rechnete. Bis zu diesem achten Stapel lagerten insgesamt zwölfhundert Pulverfässer in dem Gewölbe. Die Fässer des neunten und zehnten Stapels direkt vor ihm zählte er erst gar nicht mit, weil sie noch nicht bis oben aufgefüllt waren. Hasard verschlug es fast den Atem. Seinen Männern erging es nicht viel anders. Matt Davies räusperte sich und sagte knapp und präzise: »Meine Fresse!« Andächtig starrten sie auf die Fässer, die den Tod enthielten mehr als tausendfachen Tod. Hasard steckte die Fackel in einen Haltering im Felsen und blickte seine Männer an. »Spuckt in die Hände. Wir legen eine mehrfache Pulverspur durch sämtliche Gewölbe nach draußen und von dort eine Einzelspur weiter zum nördlichen Ausgang der Schlucht. Von dort zünde ich dann. Stellt auch Pulverfässer bei den anderen Höhlen auf, natürlich ebenfalls mit Pulverspuren zur Hauptspur. Ich will, daß hier kein Stück auf dem anderen bleibt. Wahrscheinlich wird dieses Pulvergewölbe sowieso diesen ganzen Kram zum Einsturz bringen, aber sicher ist sicher.« Die Männer gingen an die Arbeit. Faß für Faß verschwand vom vorderen Stapel und wurde in die anderen Höhlen gemannt. Dann begann das Legen der Pulverspur. Immer neue Fässer mußten geöffnet werden, um die Spur dick genug zu streuen. Das besorgte Hasard selbst. Draußen vor dem Höhlenversteck ging ihm Dan O’Flynn zur Hand. Die Männer arbeiteten wie die Kesselflicker. Nach einer halben Stunde war die Spur bis vor den Eingang der Schlucht gelegt. In allen Höhlen standen Pulverfässer, zu denen Nebenspuren von der Hauptpulverspur abzweigten. Im Pulvergewölbe selbst hatte Hasard ein verzweigtes System dieser tödlichen Spuren unter jeden Pulverstapel gestreut.
Hasard kontrollierte noch einmal jede Höhle - und dachte an die Vernichtungsmittel, die hier gelagert waren: Musketen, Pistolen, Piken, Streitäxte, Dolche und Messer. Und das Pulver. Er würde das alles vernichten. Warum? Hasard stand wieder vor der Kiste mit den dreiklingigen Dolchen, als er das dachte. Er nahm noch einen heraus und ließ die zwei Nebenklingen aufschnappen. Als er den Eisenknopf zurückschob, klappten die beiden Nebenklingen wie müde Flügel zusammen und legten sich an die Mittelklinge. Wer erfindet so etwas? fragte sich Hasard. Ein Spanier? Ein Deutscher? Ein Franzose? Die Iren wollten damit auf die Engländer losstechen. Hasard feuerte in einem blinden Wutanfall den Dolch in die Kiste, daß es nur so schepperte. »Ihr stecht auf uns ein, wir stechen zurück«, sagte er laut. Und fast ratlos fügte er hinzu: »Wofür?« Hinter ihm räusperte sich Matt Davies und sagte: »Der Ire ist wach, klappert mit den Augen und sieht aus, als müsse er gleich platzen.« Hasard ging nach draußen, wo bereits seine Männer standen. Mac benahm sich wie ein Fisch auf dem Trockenen und zuckte - soweit das die Fesseln zuließen - mit allen Körperteilen. »Nehmt ihm den Knebel ab«, sagte Hasard. Mac holte tief Luft, als der Knebel entfernt worden war. Sein Gesicht war schneeweiß, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, seine Augen flackerten - Angst. »Wollen Sie mich in die Luft sprengen?« stieß er heraus. Hasard trat auf ihn zu. Genau in diesem Augenblick grollte von Norden her ein dumpfer Donner durch die Hügel. Hasard stoppte und biß sich auf die Lippen. Seine Männer drehten lauschend die Köpfe. Von ganz weit her und kaum vernehmbar wehte der Knall von Schüssen heran.
Hasard stand vor dem gefesselten Iren und hatte den Kopf gesenkt. Zuerst Kanonen, dann Musketen und Pistolen - sie hatten Captain Burton und seine Truppe empfangen, gebührend empfangen. Mit einem Eisenhagel. Dort oben im Norden, an der Landestelle, wo diese Waffen ausgeladen worden waren, sanken jetzt englische Soldaten zu Boden, zerfetzt, zerhackt, blutend, sterbend. Hasard merkte nicht, wie sich seine Finger verkrampften. Der Ire starrte ihn entsetzt an. »Was wollen Sie?« fragte Hasard fast brutal und deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der der Tod heranklang. »Dort oben wird jetzt gekämpft und getötet. Erwarten Sie von mir, daß ich Sie schone? Ihr Iren wollt den Krieg. Hier in diesem Versteck habt ihr die Mittel dazu aufgestapelt. Ihr wollt uns Engländern an die Gurgel …« Mac fuhr auf, ganz plötzlich zeigte sein Gesicht einen fast trotzigen Ausdruck. »Ist das hier unser Land? Sag es mir, Engländer. Wem gehört es? Euch oder uns? Wer war zuerst hier?« Hasard starrte ihn an. Mac schrie: »Irland gehört den Iren! Ihr habt hier nichts zu suchen, nichts! Wir haben euch nicht gerufen, wir wollen euch nicht - und darum kämpfen wir!« »In Ordnung«, sagte Hasard heiser. »Wenn ich Ire wäre, würde ich genauso denken. Aber ich bin es nicht. Und deswegen werde ich diesen ganzen verdammten Saftladen in die Luft jagen.« Er kniff die Augen zusammen. »Was würdest du an meiner Stelle tun, Mac?« »Sprengen«, sagte Mac. »Und wenn ich an deiner Stelle dort gefesselt liegen würde?« Mac lachte höhnisch. »Dich würde ich mitten zwischen die Pulverfässer packen.«
Ohne Mac aus den Augen zu lassen sagte Hasard: »Batuti, bring den Iren raus aus der Schlucht. Ich möchte nicht, daß er durch die Sprengung verletzt wird.« Macs weißes Gesicht wurde hochrot. Er senkte den Kopf, weil er dem eisblauen Blick nicht mehr standhalten konnte. Dann stand Batuti vor ihm, zog ihn einfach hoch und warf ihn sich über die Schulter. Hasard nickte seinen Männern zu. »Es ist soweit. Setzt euch mindestens zweihundert Schritte vom Eingang zur Schlucht ab und sucht Deckung.« »Und du?« fragte Dan O’Flynn. »Ich warte, bis ihr in Deckung seid.« »Und dann?« »Dämliche Frage. Dann wird’s einen Mordskrach geben. Troll dich.« Er wandte sich zu seinen Männern um. »Ab mit euch.« Er zerrte eine der gelöschten Fackeln aus dem Felsspalt neben dem Eingang. Als er sich wieder umdrehte, standen seine Männer immer noch da. Keiner hatte sich von der Stelle gerührt. »Was ist denn mit euch los, he? Seht zu, daß ihr verschwindet.« Die Männer rührten sich nicht. Hasard blickte von einem zum anderen. »Wird’s bald?« Gary Andrews zupfte sich nervös am Ohrläppchen. »Ja, also, das ist so - Matt meint …« »Was meint Matt?« fuhr ihn Hasard an. Matt trat einen Schritt vor und sagte: »Wir wollen nicht, daß du die Pulverspur zündest. Ich kann das auch besorgen.« »Ach? Ihr wollt nicht? Und warum wollt ihr nicht?« »Ja …« sagte Matt und verstummte wieder. Hilflos blickte er Gary Andrews an. Der schwitzte und stotterte dann: »Vielleicht - es könnte ja sein, nicht wahr, man muß sehr aufpassen - also, wenn - wenn
etwas passiert und so - ich meine, wenn das da alles in die Luft fliegt und einer kriegt was an den Kopf, dann - dann meint Matt, das wär besser sein Kopf, der was abkriegt, nicht?« »Jawohl«, sagte Matt. Die anderen nickten. Hasards Gesicht hatte plötzlich wieder jenen Ausdruck, den sie nun schon so gut kannten, und von dem Ferris Tucker einmal gesagt hatte, wenn der Gevatter Tod diesen Ausdruck sähe, dann würde er sich seine Sense zwischen die Beine klemmen und auf ihr davonreiten. »Seid ihr noch nicht weg?« pfiff sie der Seewolf an. »Mann, ist der stur«, murmelte Dan O’Flynn, nahm aber Reißaus, als Hasard auf ihn zutrat. Zögernd setzten sich die Männer in Bewegung und folgten ihm. Sie trotteten zum Eingang der Schlucht. Von hinten sahen sie aus wie gramgebeugte Riesen. Über Batutis Rücken hing der Oberkörper Macs - Kopf nach unten - und wippte bei jedem Schritt hin und her. Hasard grinste vor sich hin. Am Schluchteingang blieben die Männer stehen und drehten sich um. »Weiter!« brüllte Hasard. »Bewegt euch!« Sie marschierten wieder los, aber auch nicht viel schneller. Hasard ging an der Pulverspur entlang und überprüfte sie. Da und dort häufte er sie etwas zusammen. Als er den Schluchteingang erreichte - er lag etwa achtzig Yards von der Höhle entfernt -, waren seine Männer nur etwa hundert Schritte weiter stehengeblieben und warteten. »Noch weiter zurück!« schrie Hasard. »Noch mindestens hundert Schritte, und dann sucht euch eine Deckung, verdammt noch mal!« Er drohte mit der Fackel, und da trotteten sie wieder weiter. Hasard wartete, bis jeder von ihnen eine Deckung gefunden
hatte. Nur ihre Köpfe wurden wieder sichtbar. Sie linsten zu ihm herüber. »Zieht ja eure Rüben ein, bevor es kracht!« schrie Hasard. Er klemmte sich die Fackel unter den rechten Arm, setzte mit Feuerstahl und Flintstein ein Stück Lunte in Brand und entzündete mit ihr die Fackel. Es war ihm keineswegs wohl in seiner Haut. Zwölfhundert und mehr Pulverfässer. Wer wußte schon, was die für eine Zerstörungskraft hatten, ganz zu schweigen von dem Explosionsdruck. Er würde die Beine in die Hand nehmen und so schnell laufen müssen, wie noch nie in seinem Leben. Er drehte sich noch einmal um, winkte seinen Männern zu und hielt die Fackel an die Pulverspur. Eine glühende Schlange wand sich puffend und stinkend über den Boden. Hasard beobachtete sie zwei, drei Sekunden, schätzte ihre Geschwindigkeit ab, warf sich herum und hetzte los. Hinter ihm fraß sich die Feuerschnur mit rapider Schnelligkeit in die Schlucht, schwenkte nach rechts, wo sie mit Steinen eine Rampe zum Eingang hoch gebaut hatten, und verschwand in der Höhle. Zwei, drei Pulverfässer explodierten in der vorderen Grotte, aber dann brach die Erde auf. Hasard sah es nicht. Die Druckwelle hatte ihn bereits eingeholt, wirbelte ihn hoch in die Luft, er verspürte noch einen schmetternden Schlag, der seinen Kopf traf - und dann wurde es dunkel um ihn. Die Detonation war ungeheuerlich und überstieg alles, was menschliche Ohren je gehört hatten. Eine Feuersäule stach in den Himmel, durch den Eingang schoß eine Feuerlohe und prallte auf die gegenüberliegende Schluchtwand, riesige Felsplatten hoben sich an und segelten davon, ein Gluthauch fegte nach allen Seiten, Stein- und Felsbrocken wurden bis zu hundert Yards hochgeschleudert und prasselten wie Geschosse
wieder zu Boden, das gesamte Pulver- und Waffenversteck brach wie ein Kartenhaus in sich zusammen, riesige Felstrümmerstücke gerieten in Bewegung, schoben sich ineinander, zerbarsten krachend, Felslagen über ihnen rutschten zusammen, flogen zur Seite - das Versteck existierte nicht mehr. Und wo die Schlucht gewesen war, türmte sich ein Chaos von Steinmassen und Felsbrocken auf. Aber das sahen Hasards Männer erst, als sich die Staub- und Qualmwolken etwas verzogen hatten. Wie betäubt starrten sie auf eine Landschaft, die sich verändert hatte. Über dem, was die Schlucht gewesen war, stand ein riesiger Rauchpilz. Gary Andrews steckte sich einen Finger ins Ohr und rüttelte ihn hin und her. Das Dröhnen im Kopf war fürchterlich. Den anderen erging es nicht viel besser. Matt Davies blickte sich um. »Wo ist der Seewolf?« schrie er Gary Andrews an. »Wie?« »Der Seewolf!« brüllte ihm Matt Davies ins Ohr. Gary Andrews zuckte zusammen und sah sich ebenfalls um. Sie standen da und sahen sich blöde an. »Er muß doch irgendwo sein!« schrie Matt Davies. »Los, wir müssen ihn suchen!« Batuti knurrte Mac an, den er dicht an einen Felsen gepackt hatte. »Du weglaufen?« Mac schüttelte den Kopf. Nur seine Hände waren gefesselt. »Sonst ich dich auffressen.« Mac nickte schwach. Dieses schwarze Ungetüm würde ihn glattweg verspeisen, davon war er überzeugt. Diese Kerle aus Afrika waren doch alle Menschenfresser. Sie suchten Hasard und gingen bis zu der zugeschütteten Schlucht zurück. Aber sie fanden ihn nicht, er war wie vom Erdboden verschwunden. Sie begannen jeden Felsbrocken umzudrehen und jeden größeren Steinhaufen beiseite zu räumen. Nichts.
Gary Andrews wurde von Minute zu Minute nervöser. Damals, als er auf der ›Santa Barbara‹ verwundet worden war, hatte ihn der Seewolf versorgt und gepflegt. Noch nie hatte sich jemand groß um Gary Andrews, den Fockmastgasten, gekümmert - aber Philip Hasard Killigrew. Der hatte sogar den Kutscher zusammengestaucht, weil der als Feldscher nicht richtig gespurt hatte, als Gary Andrews Wunde behandelt werden sollte. »Du hättest ihn niederschlagen sollen!« fauchte er Matt Davies an. »Dann hätten wir diesen Scheißpulverladen in die Luft gejagt, und er wär heil geblieben.« Matt Davies wurde wütend. »Den Seewolf niederschlagen? Du spinnst wohl? Der hätte mich in der Luft zerrissen, verstehst du? Und wer sagt denn überhaupt, daß er nicht heil geblieben ist?« »Wo ist er denn dann? Er ist von der Explosion zerrissen worden.« »Hast du’s gesehen?« »Nein.« »Dann red nicht solchen Quatsch.« Matt Davies massierte mit der Linken seinen Armstumpf, über den die Ledermanschette mit dem Spitzhaken gezogen war. »Wir müssen weitersuchen.« Also suchten sie weiter und bewegten sich wieder von der zugeschütteten Schlucht weg, unter der es knackte und rummelte. Die Steinmassen waren noch nicht zur Ruhe gekommen. Dort, wo der Gluthauch der Explosion Büsche und Sträucher erfaßt hatte, waren sie versengt und angekohlt. Unter den Steintrümmern waberte Rauch hervor. Der Gestank des verbrannten Pulvers hing in der Luft. Sie zuckten zusammen, als Dan O’Flynn plötzlich loskicherte. Gary Andrews fuhr herum. »Was lachst du so dämlich?« »Schau mal zu der Tanne da hoch«, erwiderte Dan O’Flynn und kicherte weiter.
Gary Andrews warf nur einen kurzen Blick auf die Tanne, und dann kriegte Dan O’Flynn eine geschmiert, daß er meinte, sein Kopf fliege davon. Aber er selbst flog, und in dem Strauch, in dem er sich wiederfand, war es alles andere als gemütlich, der trug nämlich im Spätsommer Brombeeren, aber sein Dornenkleid behielt er über die Jahreszeiten an. Die Tanne war eine Riesentanne. Oben im Geäst hing Philip Hasard Killigrew wie ein Scheuerlappen auf der Leine. Über ihm waren ein paar Äste abgebrochen oder weggeknickt, dann hatten die weitausladenden, starken Zweige seinen Absturz aufgefangen. Batuti enterte bereits wie ein Affe am Stamm hoch. »Vorsicht!« schrie Gary Andrews aufgeregt. »Daß er nur nicht wegrutscht.« Batuti winkte ab. Er tat so, als habe er Zeit seines Lebens Männer von Bäumen gesammelt. Dan O’Flynn zappelte in dem Strauch wie eine Fliege auf dem Leim. Irgendwo verhakte sich immer wieder einer der verdammten Dornenzweige in seiner Kleidung oder ratschte ihm die Haut auf. »Hol mich hier raus!« brüllte er Gary Andrews an. »Kleines O’Flynn warten, bis Batuti hilft!« rief der Schwarze von der Tanne hinunter. »Warte, Gary Andrews«, knurrte Dan O’Flynn, »wenn ich hier raus bin, dreh ich dir den Kopf vom Hals!« Matt Davies und Tom Smith grinsten verstohlen. Gary Andrews hatte nur Augen für Batuti und den Seewolf. Und er atmete wie erlöst auf, als sich Batuti Hasard vorsichtig heranzog und über die Schulter legte. Beim Hinuntersteigen brauchte er zum Festhalten nur die Linke. Die Rechte umfaßte den Seewolf. Gary Andrews und Tom Smith nahmen Hasard unten wahr und betteten ihn auf den Boden. Gary Andrews beugte sich besorgt über ihn und
betrachtete die verschwollene Stirn, die sich bereits leicht zu verfärben begann. »Ist er - ist er …« Matt Davies wagte es nicht auszusprechen. Gary Andrews lächelte und deutete auf die klopfende Halsschlagader. »Er lebt. Er muß mit dem Kopf gegen den Stamm geprallt sein.« Matt Davies schüttelte den Kopf. »Versteh ich nicht.« Er blickte an der Tanne hoch. »Da oben? Er ist doch kein Vogel.« »Er ist von dem Explosionsdruck hinaufbefördert worden. Eine andere Erklärung gibt es nicht«, sagte Gary Andrews. Er wandte sich halb um und blickte zu dem Strauch hinüber, wo Batuti Dan O’Flynn aus der dornigen Umschlingung löste. »Ich brauche Wasser für den Seewolf.« Dah O’Flynn humpelte heran. Seine Wut war bereits verraucht. Daß er Gary Andrews den Kopf vom Hals drehen wollte, hatte er auch schon vergessen. Er kramte in dem Proviantsack, holte eine Wasserflasche heraus und reichte sie Gary. »Ist es schlimm?« »Ich weiß nicht. Er ist bewußtlos.« Gary Andrews öffnete die Flasche und goß Hasard etwas Wasser über das Gesicht. Hasard bewegte sich nicht. Gary tränkte ein Schnupftuch mit Wasser und legte es vorsichtig über Hasards Stirn. Sie hockten sich alle um ihn herum und sahen gespannt zu, gespannt, aber auch besorgt. Matt Davies fuhr plötzlich der Schreck in die Glieder. Fast entsetzt blickte er Batuti an. »Der Paddy! Er ist nur an den Händen gefesselt!« Batuti sprang auf und lief zu dem Felsen, wo er den Iren zurückgelassen hatte. Ja, er war noch da.
Mac schaute zu dem grimmigen Neger hoch, der im Moment tatsächlich so aussah, als habe er die Absicht, einen Iren mit Haut und Haaren aufzufressen. .Aufstehen«, befahl Batuti. »Du mir folgen.« Mac mühte sich hoch und ging wie ein folgsamer Hund hinter Batuti her. Er haderte mich sich und fragte sich allen Ernstes, ob es nicht besser sei, aufgefressen zu werden - was immer man auch darunter verstehen mochte -, als vor die Fäuste O’Neills zu geraten. Er war ein Versager. Er war eingeschlafen, und die Engländer hatten ihn überrumpelt. Mac preßte die Lippen zusammen, als er einen Blick dorthin warf, wo einmal die Schlucht gewesen war. Ihr Waffen- und Munitionsversteck, an dem sie Jahre gearbeitet hatten und das seit einem halben Jahr als geheimes Lager diente, dieses Versteck war restlos zerstört. Das Pulver war weg, die Waffen waren unbrauchbar und lagen unter riesigen Trümmern. Zehn Schritte von der Gruppe um Hasard entfernt setzte er sich müde auf den Boden und blickte stumpf vor sich hin. Mac war ein gebrochener Mann. Hasard schlug die Augen auf und starrte in die Gesichter über sich. »Na?« sagte er. Gary Andrews stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Gott sei Dank!« Die vier Männer grinsten - am breitesten grinste Donegal Daniel O’Flynn. »Nach eurem Grinsen zu urteilen, war der Witz ziemlich schmutzig«, sagte Hasard. Dan O’Flynn platzte heraus. »Batuti hat dich wie eine reife Birne vom Baum gepflückt. Du hast da oben in der Tanne gehangen.« »Auf Tannen wachsen keine Birnen«, sagte Hasard. »Ich kann da auch gar nicht drüber lachen.« Er setzte sich auf, zuckte zusammen und starrte Dan O’Flynn an. »Was hast du da
eben gesagt? Batuti hat mich von der Tanne gepflückt? Bist du noch bei Trost?« »Es stimmt, was Dan sagt«, erwiderte Gary Andrews. »Die Pulverexplosion hat dich in die Tanne geschleudert. Oben zwischen den Zweigen bist du hängengeblieben. Ist bei dir alles in Ordnung?« »Ich hab Hummeln im Kopf«, sagte Hasard und tastete seine Stirn ab. »Au weih, wie sieht die denn aus?« »Sehr schön«, sagte Gary Andrews. »Nur ein bißchen farbig und so.« »Was heißt ›und so‹?« »Etwas dicker als sonst.« »Aha.« Hasard stand auf, wackelte etwas und riß sich zusammen. »Was ist mit dem Versteck in der Schlucht?« Er drehte sich um und kniff die Augen zusammen. »Wo ist denn die Schlucht?« »Die war mal«, sagte Gary Andrews. Hasard sagte gar nichts mehr. Er starrte nur kopfschüttelnd über das rauchende Trümmerfeld. Batuti räusperte sich. »Hier noch Paddy, was mit ihm?« Hasard erwachte wie aus einem Traum und drehte sich langsam um. »Hallo, Mac«, sagte er und trat auf ihn zu. »Fürs erste ist euer Krieg vorbei. Deine Leute werden leben und unsere auch.« Siedend heiß durchzuckte ihn ein Gedanke, und er spuckte ihn aus. »Habt ihr noch mehr solcher Verstecke?« »Hier nicht«, sagte Mac prompt und biß sich auf die Zunge. »Wo noch?« fuhr ihn Hasard an. Mac schwieg und senkte den Kopf. Hasard nickte. Hier also nicht. Hier waren die Drum Hills. Der Teufel mochte wissen, wo sich die anderen Lager der Iren befanden. Hier jedenfalls war nichts mehr aufzuspüren. Seine Männer und er hatten das Lager gefunden und in die Luft gesprengt. Die Aufgabe war erfüllt.
Hasard blickte fast mitleidig auf Mac hinunter. »Mac, ich muß dir noch einmal eine Kopfnuß verpassen. Ich tue es nicht gern …« »Weiß ich«, unterbrach ihn Mac. »Schlag nur zu. Aber nimm dich vor O’Neill in acht.« »O’Neill?« »Er hat hier das Sagen. Für ihn seid ihr Engländer der letzte Dreck.« Er beugte den Kopf und empfing den Jagdhieb. »Bring ihn auf den Fahrweg, Batuti«, sagte Hasard. »Da finden sie ihn bestimmt, falls er nicht vorher aufwacht. Nimm ihm auch die Handfesseln ab. Und dann nichts wie weg.« Batuti warf sich Mac über die Schulter und trug ihn zum Fahrweg, wo er ihn sanft niederlegte und ihm die Handfesseln löste. Dann kehrte er zurück. Hasard wandte sich an Matt Davies. »Matt, sieh zu, daß du Stenmark und Blacky am Landeplatz aufstöberst. Es könnte sein, daß sie sich noch dort befinden. Wenn nicht, dann halte dich nicht lange auf. Komm sofort zu der Stelle, wo wir unser Boot versteckt haben. Wir warten auf dich. Ich will nur sichergehen, daß die beiden dort nicht Wurzeln geschlagen haben.« »Geht klar.« »Und paß auf dich auf. Diese Gegend hier ist jetzt gefährlich geworden. Die Iren haben bestimmt gehört, daß hier etwas in die Luft geflogen ist. Du mußt auf Schritt und Tritt damit rechnen, daß sie plötzlich vor dir stehen.« »Aye, aye«, sagte Matt Davies. Hasards Gruppe wandte sich in nordöstlicher Richtung. Matt Davies marschierte nordwärts auf die Stiefelspitze zu.
9.
O’Neill beobachtete mit zusammengekniffenen Augen die Alte, die ihren Handkarren kurz vor dem Landesteg abgestellt hatte und durch den Sand stapfte. Der Spanier neben ihm fuchtelte mit der rechten Hand herum, als gelte es, ein Duell zu bestehen. »Das muß geklärt werden«, sagte er spitz. »Hier ist Verrat im Spiel. Capitan Valdez verlangt eine sofortige Untersuchung. Woher wußten die Engländer, daß hier in der Dungarvanbai spanische Schiffe Kriegsgüter abladen? Und was bedeutet diese Explosion in den Drum Hills, wo Sie Ihr Lager haben?« O’Neills Nußknackergesicht wurde noch härter. »Sie fragen zuviel, Senor. Könnte es nicht sein, daß bei Ihnen in Spanien eine undichte Stelle ist? Hier bei uns bestimmt nicht. Und was die Explosion in den Drum Hills betrifft - ich habe meine Leute hingeschickt, um das untersuchen zu lassen. Gedulden Sie sich also. Ich warte genauso wie Sie auf eine Nachricht, was dort passiert ist.« Der Spanier blickte sich angeekelt um. »Alle umgebracht. Hätten Sie nicht einen am Leben lassen können, damit wir erfahren, was die Engländer wissen?« O’Neill wurde tückisch. Er hatte grüngelbe Augen, die ohnehin ziemlich gemein aussahen. Jetzt wirkten sie wie eitriger Schleim. »Ihre Leute haben kräftig mit dafür gesorgt, die Engländer abzumurksen. Ich habe gesehen, wie sie zugestochen haben. Die waren ganz wild darauf, diese Soldaten zu zerhacken.« Er schob den Spanier zur Seite. »Moment mal.« Und dann stiefelte er auf die Alte los, die gerade einen toten Soldaten umgedreht hatte und dessen Gesicht betrachtete. Die Alte hörte seine Stiefel im Sand knirschen und richtete sich auf. Ruhig blickte sie ihm entgegen. »Verschwinde«, sagte O’Neill. »Du hast hier nichts zu suchen.«
»Vielleicht doch«, sagte die Alte. Ihr runzeliges Gesicht war wie aus Stein gehauen. O’Neill stemmte die Fäuste in die Hüften - wie der englische Profos, dachte die Alte. »Und was suchst du?« fragte O’Neill. »Einen englischen Soldaten.« O’Neill lachte roh. »Wozu? Die lassen wir hier für die Möwen liegen. Du weißt doch. Zuerst nehmen die sich die Leckerbissen. Die Augen. Und dann …« »Daß du ein Dreckskerl bis, O’Neill, wußte ich schon immer«, unterbrach ihn die Alte. »Geh mir aus dem Weg. Der Soldat, den ich suche, hat mir mein Leben gerettet. Seine Augen werden die Möwen nicht heraushacken.« »So?« O’Neill wippte auf den Fußballen. »Und warum werden sie das bei deinem Soldaten nicht tun?« »Weil ich ihn mitnehmen und drüben bei meiner Hütte begraben werde, O’Neill.« O’Neills Nußknackergesicht wurde krebsrot vor Wut. »Diesen Drecksengländer willst du begraben?« »Ich sagte es.« O’Neill schob seine beiden Hände vor und preßte sie langsam zusammen. »Ich soll dir wohl die Luft abdrehen, du altes Miststück?« Die Alte stand vor ihm und wich keinen Schritt zurück. »Nur zu, O’Neill«, sagte sie. »Du bist um nichts besser als dieser englische Offizier und sein Profos.« O’Neill horchte auf und ließ die Hände sinken. »Was weißt du von ihnen? Du weißt doch etwas, du alte Hexe, heraus damit!« Der Spanier, der alles gehört hatte, trat näher. »Sehr interessant. Hier scheint doch Verrat im Spiel zu sein. Diese Frau verbirgt etwas. Sie sympathisiert mit den Engländern, das ist ganz offensichtlich. Sie will sogar einen begraben. Warum will sie einen begraben? Weil er ihr angeblich das Leben
gerettet hat? Glauben Sie diesen Unsinn, O’Neill?« Er zupfte O’Neill am Ärmel. »Die steckt mit den Engländern unter einer Decke.« O’Neill wollte etwas sagen, aber die Alte fuhr dazwischen. Sie blitzte den Spanier an. »Ich bin Irin. Drei meiner Söhne wurden bei dem Aufstand vor sechs Jahren von den Engländern umgebracht, ein vierter wurde gefoltert und starb kurz darauf. Und ich soll mit den Engländern unter einer Decke stecken? Machen Sie sich nicht lächerlich. Vor allem, mischen Sie sich nicht in Dinge, die Sie nichts angehen und die Sie nicht verstehen. Und wenn es Sie interessiert: Euch Spanier hasse ich genauso wie die Engländer. Verschwindet von unserem irischen Boden. Wo ihr auftaucht, da geht der Tod um. Wie hier. Und wen hetzt ihr auf? Solche Raufbolde wie O’Neill, die sich freuen, wenn Blut fließt und gemordet und geschändet wird.« Sie stieß ihren dünnen Arm vor. »Über Ihnen und O’Neill steht das Kreuzzeichen. Ihr werdet beide sterben!« »Verrückt«, murmelte der Spanier. Aber O’Neill wich zurück von der Alten. »Sie - sie hat das zweite Gesicht«, flüsterte er. »Eine Hexe«, sagte der Spanier. »Bei uns wird so etwas verbrannt. Sie buhlt mit dem Teufel und zeugt mit ihm Böcke in Menschengestalt, die Unschuldigen nachts Blut aussaugen.« Die Alte, die ein paar Schritte weitergegangen war und einen anderen Soldaten auf den Rücken gedreht hatte, um sein Gesicht zu sehen, wandte sich zu ihm um und sagte: »Ihre Böcke in Spanien scheinen eine ganz besondere Sorte zu sein. Hier in Irland kennen wir keine Böcke, die in der Lage sind, menschliches Blut zu saugen. Unsere Böcke fressen Gras und Heu, und einen Rüssel zum Saugen haben sie schon gar nicht. Vielleicht hat Ihre spanische Hexe mit dem Teufel Mücken gezeugt. Das wäre eine Erklärung. Aber ich weiß noch eine andere Erklärung, die Ihnen sicherlich auch einleuchten dürfte.
Menschen, die gefoltert werden, sagen das aus, was ihre Folterknechte hören wollen. Denn nur so ersparen sie sich weitere Schmerzen. Sind Sie schon einmal gefoltert worden, Spanier? Wenn nicht, dann fragen Sie O’Neill, was man mit meinem Sohn getan hat.« Sie spuckte aus und beugte sich wieder über den Toten. »Eine Verrückte«, sagte der Spanier und zog O’Neill weg. Sie gingen auf den Landungssteg und gerieten sich erneut darüber in die Haare, welche Seite - die irische oder spanische Verrat geübt hätte. Der dreizehnte Tote war jener Soldat, den die alte Frau gesucht hatte. Sie kniete bei ihm nieder und betete. Dann stand sie auf und holte den Karren. Es war sehr mühsam für die alte Frau, den Karren durch den Sand zu zerren. Sie überlegte und ließ den Karren stehen. Es war leichter, den Soldaten zu unterfangen und ihn zum Karren zu ziehen. Die alte Frau brauchte sehr lange dazu. Sie mußte wohl mit ihren Kräften haushalten. Ihr altes Herz hämmerte und klopfte. Das Atemholen war eine ganz böse Sache. Manchmal dachte sie, sie müsse ersticken. Dann ruhte sie ein wenig aus. Und ihr trauriger Blick wanderte über die Toten, die rings um sie lagen, verstümmelt, zerfetzt, zerrissen. Die alte Frau seufzte und schalt sich, daß sie nicht alle begraben konnte. Einen für alle, sagte sie, es geht nicht anders. Ich bin doch eine alte Frau. Ich schaffe nur meinen Soldaten, mehr nicht. Und wieder bückte sie sich zu ihm hinunter und zog ihn ein Stück weiter. Die Augen hatte sie ihm schon zugedrückt. Er hatte ein Loch in der Stirn. Wenn es nicht gewesen wäre, hätte man denken können, daß er schliefe. Er sah nur etwas überrascht aus. »Du armer junger Soldat«, sagte die alte Frau leise. Sie war ganz allein. Nur O’Neill und der Spanier standen dort auf dem Laufsteg und redeten, als ginge sie der Tod nichts an.
Die toten Iren und Spanier waren bereits weggeholt worden sieben spanische und elf irische Männer. In Dungarvan würden Mütter und Frauen wehklagen. Und in Spanien? Dort auch, dachte die alte Frau. Und ebenso in England. Die alte Frau zog fröstelnd die Schultern zusammen. Es war noch nicht zu Ende. Sie wußte es. Jetzt suchten sie nach den Engländern, die in den Drum Hills gewesen sein mußten und das Lager gesprengt hatten. Die alte Frau seufzte. »Komm, Soldat«, sagte sie, »wir müssen heim.« Sie mühte sich weiter und weinte, weil sie so sehr ihre Schwäche spürte. Aber sie gab nicht auf. Manchmal schimpfte sie auch mit dem Soldaten, weil er so schwer war. Ganz schwer wurde er, als sie versuchte, ihn auf den Karren zu zerren. Er rutschte wieder weg. Er wollte nicht auf den Karren. »Du mußt«, sagte die alte Frau. »Bitte. Du sollst nicht hierbleiben. Ich will das nicht.« Beim zweiten Versuch schaffte sie es. Dann fand sie zwei Bretter, die sie vor die beiden Räder legen konnte, um den Karren leichter über den Sand ziehen zu können. Auch das war sehr mühsam. Dreimal mußte sie die Bretter umwechseln, bis der Karren auf dem Fahrweg nach Dungarvan stand. Bevor sie loszog, ging sie noch einmal zu den beiden Männern auf dem Laufsteg. Ihre hellen, weisen Augen blickten zu den beiden hoch. »Etwas wißt ihr noch nicht«, sagte sie. »Der englische Offizier und sein Profos wollten mich umbringen. Aber der tote Soldat dort verhinderte es.« Sie schwieg einen Moment und fügte dann fast nachdenklich hinzu: »Zwischen den Toten habe ich weder den englischen Offizier noch den Profos gesehen.« Und damit drehte sie sich um und ging zum Karren zurück. »He!« rief O’Neill. »Was hast du da gesagt?«
Aber die Alte antwortete nicht. Sie nahm die Deichsel und zog den Karren an. Er rumpelte hinter ihr her, und die alte Frau brauchte wieder sehr viel Kraft, um ihn in Fahrt zu halten. Karren und Frau verschwanden auf dem Fahrweg nach Norden. Und auf dem Karren lag ein toter Soldat, der Menschlichkeit gezeigt hatte. Er hatte gesagt: »Ich schlage keine Frau, die meine Mutter sein könnte.« O’Neill blickte in die Richtung, in die der Karren verschwunden war. Sein Gesicht war verbissen. Er dachte an das, was die Alte prophezeit hatte.
Eine Stunde später kehrten ein paar der Männer zurück, die O’Neill zum geheimen Lager in den Drum Hills geschickt hatte. Sie brachten Mac mit. Die toten Engländer hatte O’Neill auf einen Haufen werfen lassen. Schließlich mußte ja noch die letzte Karavelle ausgeladen werden. Vier waren bereits leer. Am Strand stapelten sich Kisten und Fässer. O’Neill hakte gerade eine List ab, auf der die bisher gelandeten Güter einzeln aufgeführt waren. Er wußte, daß dies sinnlos war, denn er ahnte bereits, was sich in den Drum Hills abgespielt hatte. Pulver, Musketen, Pistolen, Piken, Kugeln, die Hieb- und Stichwaffen - sie existierten nur noch auf der Pergamentrolle, auf der irgendein Spanier in feiner säuberlicher Handschrift alles aufgeführt hatte. Geblieben waren nur die paar Kisten und Fässer, die sie nicht mehr in die Drum Hills hatten bringen können, als die englischen Soldaten so überraschend aufgetaucht waren. Einer der Iren sagte: »Hier ist Mac. Wir fanden ihn bewußtlos kurz vor der Schlucht. Aber die Schlucht existiert nicht mehr.« Er schluckte. »Unser Lager auch nicht. Es ist in die Luft geflogen.«
Mac zitterte am ganzen Körper. An seinem Kopf waren zwei blutunterlaufene Beulen, taubeneigroß. O’Neill musterte ihn kalt. »Berichte«, sagte er kurz. »Du solltest das Lager bewachen.« Mac zuckte hilflos mit den Schultern. »Sie sind über mich hergefallen …« »Wer?« »Engländer.« »Soldaten?« Mac schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sahen eher wie Seeleute aus.« O’Neill schnaufte verächtlich. »Seeleute! Daß ich nicht lache. Du läßt dich von dreckigen Seeleuten aufs Kreuz legen, du krummer Hund?« Er spuckte aus. »Wie viele waren es?« »Sechs. Ein Neger war dabei.« In O’Neills grüngelben Augen schimmerte verhaltene Wut. »Weiter.« »Sie kamen im Morgengrauen. Ich befand mich gerade vor dem Eingang zum Lager. Plötzlich stand der Neger vor mir. Ein anderer schlug mir was an den Kopf.« »Lüg nicht. Du hast geschlafen.« »N-nein.« Mac wich zurück. Es nutzte ihm nichts. O’Neill sprang vor, hämmerte ihm die Linke in die Magengrube und die Rechte unter das Kinn. Mac brach zusammen. O’Neill war von rasender Wut erfüllt. Er riß Mac wieder hoch und drosch ihm wieder und wieder die Faust ins Gesicht. Blut spritzte, Macs Nasenbein zerbrach. O’Neill stieß ihn zu Boden und knallte ihm die Stiefel zwischen die Rippen, an den Kopf, in den Unterleib. Mac wimmerte, dann erstarb das Wimmern. O’Neill brüllte: »Du Schwein, du Saukerl! Ich schlag dich tot!« Und wieder fiel er über den Bewußtlosen her und hämmerte ihm die Stiefel wahllos gegen den Körper.
»Hör doch auf, O’Neill«, sagte einer der Iren. »Er hat sein Fett weg.« O’Neill fuhr herum. »Halts Maul, verstanden? Ich werde euch zeigen, von wo bei mir der Wind weht. Solche Schlappschwänze wie Mac bringe ich um, verstehst du? Die sind eine Gefahr für unsere Sache!« Er bückte sich und packte einen abgebrochenen Musketenkolben, der vor ihm im Sand lag. Als er ihn hochschwang, um mit ihm Macs Kopf zu zerschmettern, brach Tumult aus. Aber nicht bei den Iren, die ihn umstanden. Von einem der Hügel links von ihnen gellte ein Ruf herunter. »Packt ihn! Ein Engländer! Ein verdammter Engländer!« Mac blieb am Leben.
Matt Davies hatte die Hügel am Landeplatz erreicht. Immer wieder war er irischen Suchtrupps begegnet und hatte ihnen ausweichen können. Dann hatte er systematisch zwischen und auf den Hügeln nach Spuren von Stenmark und Blacky gesucht und leise nach ihnen gerufen. Nichts. Er hatte die Stelle gefunden, wo sie sich von den beiden getrennt hatten. Das war alles. Dann hatte er sich noch näher an den Landeplatz herangepirscht, obwohl ihm sein Instinkt sagte, daß dies Wahnsinn sei. Hinter der Deckung eines Felsens beobachtete er, was sich unten auf dem Landeplatz abspielte. Er sah den entsetzlichen Leichenhaufen, und das Grauen stieg in ihm hoch - die verstümmelten Toten redeten eine zu deutliche Sprache. Sie waren wie Schlachtvieh niedergemetzelt worden. Dort, wo der Kampf am fürchterlichsten getobt hatte, zeigte der Sand riesige, dunkle Verfärbungen.
Von einer Karavelle stieß ein Boot ab und wurde an Land gepullt. Es hatte ein paar Kisten geladen. Zwei Iren wateten ins Wasser und zogen das Boot höher auf den Strand. Sie schleppten die Kisten zu einem Stapel, wo ein breitschultriger Ire stand, der eine Pergamentrolle in der Hand hatte. Und dann kamen die Iren mit Mac. Matt Davies lauschte dem Disput und biß die Zähne zusammen, als der breitschultrige Ire wie ein Rasender über Mac herfiel und ihn zu Boden drosch. Er hatte genug gesehen und verließ seine Deckung, um sich zurückzuziehen und den Rückmarsch zu ihrem versteckten Boot anzutreten. Die vier Iren waren genauso überrascht wie er und starrten ihn mit offenem Mund an. Sie waren hinter ihm den Hügel hochgestiegen, hatten ihn aber nicht sehen können, weil ihn Strauchwerk verborgen hatte. Matt Davies reagierte schneller als die Iren. Er bewegte sich leichtfüßig nach rechts und trat dem ihm am nächsten stehenden Iren den Stiefel in den Unterleib. Der klappte zusammen und rollte den Abhang hinunter. Dann blitzte Matt Davies’ Prothesenhaken durch die Luft und zerriß dem zweiten Iren die Halsschlagader. Gurgelnd sackte er zu Boden, Blut schoß aus der furchtbaren Wunde und zog eine lange Spur hinter dem nach unten rutschenden Mann her. Der dritte Ire starrte ihm entsetzt nach und war viel zu geschockt, um etwas zu unternehmen. Matt Davies schlug ihm die Rückseite des Hakens auf den Schädel. Der Mann sackte in sich zusammen und rollte hinter den beiden anderen her. Der vierte brüllte: »Packt ihn! Ein Engländer! Ein verdammter Engländer!« Und da zog ihm Matt Davies den scharfgeschliffenen Haken quer über das Gesicht und zerriß ihm Wange und Nase. Er stieß ihn vom Hügel und fegte mit Riesensätzen nach links weg, schlug mehrere Haken, stürmte über Stock und Stein und
wußte, daß es jetzt ums Ganze ging. Wenn sie ihn schnappten, würden sie ihn genauso abschlachten wie die Soldaten wahrscheinlich foltern. Wie viele ihm nachjagten, wußte er nicht. Er blickte sich auch nicht um. Aber nach dem Gebrüll zu urteilen, mußte es eine kleinere Armee sein.
10. Hasard und seine Männer erreichten an diesem Vormittag etwa gegen zehn Uhr das Südufer der Dungarvanbai. Hasard orientierte sich mit einem Blick. Sie befanden sich näher an dem Bootsversteck, als er gedacht hatte. Links von ihnen ragte das Kap auf. Und dann nickte er zufrieden. Drüben, am Nordausgang der Dungarvanbai,lagen jetzt drei Galeonen. Die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ hatten sich eingefunden. Sie ankerten in Kiellinie vor der ›Isabella‹ - so, wie es Hasard Ben Brighton vorgeschlagen hatte. Wenn die Karavellen den Durchbruch wagen sollten, würden sie in die überlegene Feuerkraft der drei Galeonen geraten. Allein die ›Santa Cruz‹ mit ihren je dreißig Kanonen auf jeder Seite konnte es mit den fünf Karavellen aufnehmen. Hasard winkte seinen Männern zu und wandte sich ostwärts. Sie stapften am Strand entlang, und es war Batuti, der die Trittsiegel von zwei Paar Stiefel fand. Die Spuren waren noch nicht sehr alt und führten in die gleiche Richtung, in die sie marschierten. »Weg vom Strand«, flüsterte Hasard. »Wir gehen oben am Waldrand entlang.« Hasard hatte es jetzt eilig. Irgend etwas stimmte hier nicht. Soweit er das beurteilen konnte, verirrten sich selten Iren an den Südstrand der Bai. Was sollten sie hier auch?
Sie rückten ihrem Bootsversteck immer näher, bis Batuti die Hand hob und lauschte. »Stimmen«, sagte er dann, »sehr böse Stimmen.« Sie glitten weiter, teilweise zwischen den Bäumen, die ihnen gute Deckung boten. Und dann sahen sie es. Vier Männer befanden sich bei ihrem Boot, von dem bereits die Zweige und Äste abgedeckt waren. Blacky und Stenmark! Captain Burton und der Profos! Der Captain wuchtete wie ein Irrer an dem Boot. Er schwitzte und fluchte. Blacky und Stenmark standen lauernd vor den Läufen von zwei Pistolen, die der Profos in den Fäusten hielt. »Sie sollen mit anpacken!« schrie der Captain. »Ich schaffe das nicht allein!« »Nicht ums Verrecken«, sagte Stenmark. »Zerschießen Sie dem einen das Bein!« brüllte der Captain. »Dann wird der andere schon weich werden, los, Profos!« »Zu dritt schaffen wir den Kahn erst recht nicht ins Wasser«, sagte der Profos zögernd. »Sie müssen alle beide mit ran.« »Wie denn? Wie denn?« Der Captain befand sich in einem Zustand der Raserei. »Wir müssen hier weg!« heulte er. »Sie Scheißkerl«, sagte Stenmark verächtlich. »Sie müssen hier weg, wie? Genauso, wie Sie Ihre Soldaten im Stich gelassen haben. Nur Ihr Leben zählt, die anderen können ja krepieren …« Hasard winkte jetzt seine Männer heran. »Umgeht das Boot und schleicht euch von Osten heran«, flüsterte er. »Nein, stopp, zwei auch hier vom Wald her, beeilt euch!« Die Männer verschwanden lautlos. Hasard wartete. Der Captain fluchte, schrie und tobte. Blacky und Stenmark rührten sich nicht von der Stelle, aber Hasard sah, wie sie darauf lauerten, einen günstigen Moment zu
erwischen, um den Profos anspringen zu können. Laßt das bloß sein, dachte er. Dann sah er, wie Gary Andrews etwa fünfzehn Schritte hinter dem Captain bei einem Felsen in Deckung ging. Vor dem Felsen befanden sich noch ein paar Sträucher. Gary Andrews schob sich auf dem Bauch heran. Hasard trat zwischen den Bäumen hervor und ging offen auf die Gruppe zu. Der Profos bemerkte ihn zuerst und zuckte zusammen. »Killigrew!« sagte er zischend. Der Captain fuhr herum und starrte Hasard entgegen. Hasard näherte sich Schritt für Schritt. Burton bückte sich hastig und riß eine Muskete hoch. »Verschwinden Sie, oder ich leg Sie um!« »Wo ist denn Ihre Truppe, Burton?« fragte Hasard ruhig. Burton schnappte nach Luft. »Die hat er verheizt«, sagte Stenmark. »Wir - Blacky und ich - waren Zeugen. Als die Iren und Spanier das Feuer eröffneten, ist er mit dem Profos geflohen und hat seine Truppe im Stich gelassen, der feine Herr. Und ich habe ihn noch vorher gewarnt. Die Iren und Spanier wußten, daß die Truppe im Anmarsch war.« »Lüge!« brüllte der Captain. »Alles Lüge!« »Das werden Captain Norris und Kapitän Drake entscheiden«, sagte Hasard. »Eins steht zumindest jetzt schon fest. Ihre Truppe ist nicht bei Ihnen. Und Sie bedrohen zwei meiner Männer, um mit unserem Boot fliehen zu können. Ich habe Ihren Dialog gehört. Sie empfahlen Ihrem Profos, einem meiner beiden Männer das Bein zu zerschießen, damit der andere weich würde.« Der Captain wechselte einen schnellen Blick mit dem Profos. Der nickte. »Die drei müssen weg«, sagte er zwischen den Zähnen. »Wir müssen sie umlegen, sie wissen zuviel.«
Der Captain lachte triumphierend. »Haben Sie gehört, Killigrew? Sie wissen zuviel.« Hasard verschränkte die Arme. »Mag sein. Aber Sie und der Profos bringen das Boot bestimmt nicht von der Stelle. Vielleicht können meine Leute Ihnen helfen.« »Wie?« Der Captain glotzte ihn an. Gary Andrews hinter dem Captain sagte: »Laßt die Waffen fallen, sonst knallt’s!«’ Burton und der Profos wirbelten herum. Hasard sprang vor und knallte - links, rechts - den beiden die Handkante ins Genick. Den Profos rechts traf er besser. Der bullige Mann sackte lautlos zusammen. Den Captain links traf er nicht so hart. Er kippte zwar vornüber, aber in einer Reflexbewegung riß er den Abzug seiner Muskete durch. Diese schwere Waffe hatte nicht wie üblich das gewöhnliche Luntenschloß, sondern ein Schnapphahnschloß, so daß sich eine Lunte erübrigte. Der in den Hahn eingeklemmte Feuerstein erzeugte beim Niederschlagen an einem Metallstreifen einen Funken und entzündete das Pulver auf der Pfanne. Mit donnerähnlichem Krach entlud sich die Waffe. Ein Feuerstrahl schoß aus dem Lauf - und mit ihm die großkalibrige Kugel. Sie durchschlug die Steuerbordseite des Bootes, ratschte über einen Spant und durchbohrte die Backbordseite. Beide Löcher saßen unterhalb der Wasserlinie. Hasards Männer erstarrten. Gary Andrews ließ seine Pistole sinken, trat an das Boot, bückte sich und tastete über das Loch in der Backbordseite. »Scheiße«, sagte er sehr akzentuiert. Hasards Gesicht war verbissen. »Flicken«, befahl er. Und jetzt erst fiel ihm Matt Davies ein, und er fluchte.
Es mußte ein Irrer sein, der den Schlegel über das Kalbfell tanzen ließ. Und das Ding, auf das er losschlug, war keine Trommel, eher eine Pauke, ein riesiges Monstrum von Pauke. Aufhören, dachte Conolly, verdammt, was soll der Krach? So hört doch endlich auf! Aber der Irre hämmerte weiter. Conolly ruckte hoch und stieß sich den Kopf an der Kiefer, unter der er lag. Da erst merkte er, daß sich die Pauke in seinem Kopf befand. Und er merkte, daß er gefesselt und geknebelt war. Der schwarze Teufel fiel ihm ein - und prompt verstärkte sich der Trommelwirbel in seinem Schädel. Conolly ächzte unter dem Knebel. Wenn er weg gewesen wäre, hätte er laut geflucht. Er zog die Beine an und schob sich unter der Kiefer hervor. Das ging nur ruckweise. Sie hatten ihm die Hände auf den Rücken gefesselt, und er konnte sich immer nur wie ein Wurm zusammenkrümmen, die Füße gegen den Boden stemmen und sich dann abdrücken. Die Pauke dröhnte indessen weiter in seinem Kopf. Als er endlich saß und den Rücken gegen die Kiefer lehnte, war ihm ziemlich schwindlig. Da mochte auch der spanische Wein eine gewisse Rolle spielen. Scheißzeug, dachte Conolly, das reinste Gift. Das Atmen war auch recht beschwerlich. Conolly hatte häufig eine verschnupfte Nase und bevorzugte die Mundatmung. Jetzt war er gezwungen, durch die Nase zu schniefen. Erbittert drehte er den Kopf zuerst nach links, dann nach rechts und entdeckte, wonach er suchte - einen abgebrochenen kurzen Ast im Stamm der Kiefer. Er befand sich in Kopfhöhe von Conolly und ragte wie ein Haken aus dem Holz.
Er grunzte und rutschte mühsam nach rechts, bis sich der Ast hinter seinem Genick befand. Mit etwas Geduld schaffte er es, das Tuch, das um seine untere Kopfhälfte geknüpft war, über den Ast zu haken. Er zog den Kopf ein und zerrte ein bißchen. Ja, es ging. Das Tuch verschob sich nach oben und glitt über seinen Kopf. Er drückte die Zunge gegen den Stoffknäuel in seinem Mund und spuckte den Knebel aus. »Ha«, sagte er laut und holte tief Luft. Die Pauke in seinem Schädel klang etwas gedämpfter. Er zog die Beine an und schob sich an dem Stamm hoch. Seine Hose rutschte nach unten, und dann stellte er wütend fest, daß sie ihm den Gürtel abgenommen hatten. »Verdammte Bande«, murmelte er und ging daran, seine Handfesseln zu lösen. Auch da half ihm der hakenförmige Ast, den er jetzt als Hebel und Schusterpfriem benutzte. Zwar schrammte er sich die Handgelenke auf, aber er schaffte es, die Fesseln zu lockern, bis er schließlich die Hände durch die Schlingen ziehen konnte. Das Lösen der Beinfesseln war eine Kleinigkeit. Das Problem der rutschenden Hose bewältigte er mittels der Stricke, die er zusammenknüpfte und durch die Gürtelschlaufen zog. Als er sie vor seinem Bauch zusammenknotete, knackte es im Unterholz. Conolly fuhr herum und duckte sich hinter die Kiefer. Schritte tappten über den Waldboden. Conolly ging tief in die Hocke und spähte unter der Kiefer durch. Wer da auch immer kam, er steuerte genau auf die gefällte Kiefer los. Conolly riß die Augen auf. Der Mann, der auf die Kiefer zutappte, hielt seine Hosen fest, und es war kein anderer als Kevin. »Hu!« machte Conolly, und Kevin blieb stehen, als sei er gegen eine Wand geprallt. Conolly tauchte hinter der Kiefer auf und grinste.
»Mein Gott, hast du mich erschreckt«, sagte Kevin. Seine Stimme zitterte etwas. Von plötzlichen Überraschungen hatte er seit der letzten Nacht gründlich die Nase voll. »Was treibst du denn hier?« fragte Conolly. »Ich hab dich gesucht.« »Mich?« »Ja. Ich wußte, daß sie dich unter eine umgestürzte Kiefer gelegt hatten …« Conolly fuhr auf. »Und da suchst du erst jetzt nach mir und läßt mich hier herumzappeln?« Kevin zuckte mit den Schultern. »Ich war doch selbst gefesselt und geknebelt. Betäubt hatten sie mich auch.« »Die Engländer?« Kevin nickte. »Sie haben mich oben am Kap in der Höhle überrascht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh das alles nicht. Sie wissen eine ganze Menge über die spanischen Transporte. Wir müssen sofort O’Neill berichten und ihn warnen. Die Kerle müssen irgendwo in der Bai gelandet sein. Wahrscheinlich treiben sie sich hier irgendwo herum und schnüffeln.« »Dann los.« Conolly grinste schief. »Mit deiner rutschenden Hose bist du nicht sehr schnell. Hier! Ich hab mir mit den Stricken die Hose zugebunden. Das hättest du auch tun sollen.« »Hab ich aber nicht, weil ich sofort losgezogen bin, als ich mich von den Fesseln befreit hatte. Mich hatten sie weiter südlich unter einen Strauch gepackt. Hast du den Neger gesehen?« »Ein fürchterlicher Kerl«, erwiderte Conolly. »Ich dachte, der Leibhaftige stünde vor mir.« »Ich auch.« Sie setzten sich in Marsch. Conolly voran, Kevin hinterher. Er brauchte beide Hände, um die Hose festzuhalten. Und so stießen sie unvermittelt auf Matt Davies, der plötzlich wie ein Geist hinter einem Baum auftauchte und Conolly kurz
und präzise den Prothesenhaken auf den Schädel schlug. Conolly umarmte den Baum und rutschte an ihm hinunter. Wenn er wieder aufwachte, würde ein ganzes Regiment von Pauken in seinem Kopf dröhnen. Kevin ließ entsetzt seine Hose los und starrte auf den mörderischen Prothesenhaken. In der Dunkelheit der letzten Nacht hatte er das noch nicht entdeckt. Ein Neger - und jetzt dieser breitschultrige Kerl mit diesem Ding da am Arm! Fürchterlich! Er hob den Kopf und brüllte wie am Spieß. Matt Davies fluchte, sprang hinzu und knallte Kevin den Haken an die Schläfe. Das Brüllen brach abrupt ab. Kevin torkelte zwei, drei Schritte mit schleifender Hose, verhedderte sich und schlug langhin. Matt konnte sich nicht mehr um die beiden kümmern. Kevins Brüllen war gehört worden. Rufe und Stimmen wurden hinter Matt laut. Er hatte die Verfolger doch noch nicht abgehängt, wie er gedacht hatte. Ohne zu zögern jagte er wieder los.
Es wurde Mittag. Matt Davies fehlte immer noch. Der Seewolf wurde immer unruhiger. Er überlegte, ob er Signale zu den drei Galeonen hinübergeben sollte - Rauchsignale, aber das barg die Gefahr, daß auch die Iren den Rauch sehen würden. Er verwarf den Gedanken wieder. Sollte er zwei Männer losschicken und sie nach Matt suchen lassen? Dann entstand womöglich die gleiche Situation wie jetzt. Eventuell würde Matt inzwischen aufkreuzen, und dann fehlten die beiden anderen wieder. Und wo sollten sie Matt
überhaupt suchen? Unten bei dem Landeplatz war er bestimmt nicht mehr. Oder hatten ihn die Iren geschnappt? Hasard biß bei diesem Gedanken die Zähne zusammen. Nein, nur das nicht. Sie würden ihn foltern, um etwas über die Engländer zu erfahren. Und dann würden sie ihn umbringen. Stenmark und Blacky hatten ihm berichtet, was am Landeplatz im einzelnen geschehen war. Iren und Spanier mußten schlimmer als Bluthunde gewütet haben. Der Seewolf ersparte sich keineswegs die Selbstvorwürfe. Es war dumm gewesen, Matt zum Landeplatz zu schicken, um Stenmark und Blacky zu holen. Die brauchten kein Kindermädchen. Am Boot hatten sie sich allerdings von dem Profos und dem Captain überrumpeln lassen. Sie waren damit beschäftigt gewesen, das Boot bereits aufzuriggen, um es sofort klar zu haben, wenn Hasard und seine Männer zurückkehrten. Das war durchaus richtig gewesen, aber einer der beiden hätte ständig aufpassen müssen, zumal sie wußten, daß der Captain und der Profos nach dem Boot suchten. Sie hatten die beiden Kerle erst bemerkt, als sie mit gezogenen Waffen beim Boot standen. Beharrlich aber kreisten Hasards Gedanken wieder um Matt Davies. Nein, er würde ihn nicht im Stich lassen. Noch eine Stunde, dachte er, dann breche ich mit Batuti auf und suche ihn. Wenn nichts passiert ist, müßte Matt spätestens innerhalb dieser Stunde zurückkehren. Wenn nichts passiert ist … Tom Smith und Gary Andrews schwitzten, um beide Löcher abzudichten. Mit den Löchern war es nicht so schlimm, in die hätten sie Rundpflöcke keilen können. Aber an der Steuerbordseite innen und an der Backbordseite außen, wo jeweils die Musketenkugel ausgetreten war, da sah es schlimm aus. Die Kugel hatte um die Löcher herum das Holz herausgerissen, und da hielt kein Rundpflock mehr.
Gary Andrews und Tom Smith hatten eins der Bodenbretter in vier unterarmlange Stücke geschnitten und waren jetzt dabei, sie ringsum mit Löchern zu versehen - eine mühsame Plackerei, bis Stenmark ein Feuer entfachte und eines der spanischen Messer mit den drei Klingen so weit erhitzte, daß sie die Löcher in die vier Stücke brennen konnten. Das Prinzip war ganz einfach, die Löcher mußten bei jeweils zwei Brettern nur genau einander gegenüberliegen. Genauso mußten die Bootsplanken um die beiden Bruchstellen herum mit den entsprechenden Löchern versehen werden. Dann sollten die Brettchen außen und innen über den Bruchstellen mittels hölzerner Dübel verbunden werden. Die Dübel schnitzte Blacky zurecht. Gewiß, Wasser würde zunächst einsickern, aber wenn das Holz aufquoll, dichteten sich die Leckstellen von selbst. Bis nach drüben zur anderen Baiseite würden sie es schon schaffen. Burton und der Profos - inzwischen wieder bei Bewußtsein beobachteten mit verkniffenen Mienen, was sich um sie herum abspielte. Dan O’Flynn plünderte auf Anordnung Hasards seinen Proviantsack und verteilte Brot- und Speckseiten. »Ich hab auch Hunger«, maulte Captain Burton. In Hasard stieg leise Wut hoch. Burton und der Profos saßen am Rand der Kuhle und wurden von Batuti bewacht. »He! Du Lümmel! Hast du mich verstanden?« rief der Captain. Dan O’Flynn drehte sich langsam zu ihm um. Sehr freundlich sagte er: »Meinten Sie mich mit dem Lümmel?« »Allerdings.« Dan O’Flynn stellte vorsichtig den Proviantsack auf den Sand und trat an den Captain heran. »Stehen Sie auf, Sir.« »Ich? Wieso denn?«
»Damit ich Ihnen was in die Fresse schlagen kann. Sie dürfen Ihre Zähne frühstücken.« Und jetzt zitterte das Bürschchen vor Wut. »Zu mir sagt keiner Lümmel - Sie am allerwenigsten, Sie mistiger, feiger Waschlappen!« Der Captain stieg wie eine Rakete hoch - punktgenau in die Rechte Dan O’Flynns, die wie eine Schlange aus der Hüfte vorzuckte. Und Dan O’Flynn legte alle Kraft, die in seinem mageren, aber sehnigen Körper steckte, in diesen Schlag. Seine Faust prallte auf das Kinn des Captains, und da saß eine Wucht dahinter, daß selbst Hasard die Augen aufriß. Der Kopf des Captains ruckte zurück - und schon saß er wieder. Mit glasigen Augen stierte er zu dem Bürschchen hoch, gurgelte etwas Unverständliches und empfing noch etwas unter dem Kinn, und zwar einen Fußtritt. Damit war er geschafft und legte sich lang. Genau in diesem Moment griff auch Batuti ein und drosch dem Profos, der Dan O’Flynn an die Kehle wollte, die Faust auf den Schädel. Batutis Faust war hart und groß. Er schlug von oben nach unten, und somit hatte seine Faust die Wirkung eines Schmiedehammers. Dabei schlug er noch gar nicht mal allzu kräftig zu. Nur mal so eben. Der Profos knickte zusammen und rollte auf die Seite. Dan O’Flynn drehte sich zu Hasard um und blickte ihn entschuldigend an. »Zu mir sagt keiner Lümmel.« »Das ist schon in Ordnung, Dan«, erwiderte Hasard. »Ich hätte mir das auch nicht gefallen lassen.« Das Bürschchen seufzte erleichtert und pustete sich über die Handknöchel. »Fesselt die beiden«, sagte Hasard, »ich wollte es vermeiden, aber es ist wohl besser so.« Stenmark holte die Stricke aus dem Boot. Und in diesem Moment ertönte westwärts von ihnen ein Schuß. Kurz darauf krachte ein zweiter.
Hasard wirbelte herum. Die Männer fuhren von ihrer Arbeit hoch. Unten am Ufer hetzte ein Mann heran. Matt Davies! Sechs, sieben Iren jagten hinter ihm her und saßen ihm dicht auf den Fersen. »Schnell, verteilt euch!« schrie Hasard. »Nehmt die Iren unter Feuer!« Die Männer sprangen hoch, schnappten sich ihre Waffen und warfen sich links und rechts hinter irgendwelche Deckungen. Hähne knackten, Messer wurden gezogen. Matt Davies lief im Zickzack, Kugeln flogen an ihm vorbei. Seine linke Schulter war blutdurchtränkt. Die Iren schwangen ihre Waffen und hatten sich wohl verschossen. Zum Nachladen blieb ihnen keine Zeit. »Hierher, Matt!« brüllte Hasard. Matt Davies schwenkte nach rechts und verschwand blitzschnell hinter einem mannshohen Felsen. Der erste Ire raste heran und stoppte verblüfft. Matt Davies Haken zuckte vor und krachte in das Genick des Iren. Matt hatte mit der Spitze zugeschlagen. Sie drang in den Halswirbel des Mannes und zerschmetterte ihn. Matt schüttelte ihn ab und sprang hinter den Felsen zurück. Die anderen rannten brüllend an dem Felsen vorbei. Sie hatten Hasard entdeckt, der aufrecht vor dem Boot stand, die doppelläufige Reiterpistole in der Faust. Sie sahen alle aus wie wildgewordene Bullen. Ihre Gesichter waren hochrot, grell leuchtete das Weiß in ihren Augen, ihre Münder waren zum Schrei aufgerissen. Sie liefen in das Feuer von Hasards Männern. Vier Iren wurden von den Füßen gefegt und kippten tödlich getroffen in den Sand. Zwei stürmten weiter. Einer der beiden war O’Neill. Er hatte Schaum vor dem Mund und blutete aus einer Kopfwunde. Sein
Nußknackergesicht war zu einer Fratze tödlichen Hasses verzerrt. Hasard hob die doppelläufige Pistole und feuerte. O’Neill sah die Flamme auf sich zurasen. Und Sekundenbruchteile, bevor die Kugel seine Stirn durchschlug, dachte er an die Worte der Alten, die ihm und dem Spanier das Kreuzzeichen geweissagt hatte. Der schmetternde Schlag an seinem Kopf löschte alles Denken aus. O’Neill war tot, bevor er zu Boden prallte. Vor dem anderen Iren stand plötzlich Stenmark wie aus dem Boden gewachsen und ließ ihn in das dreiklingige spanische Messer rennen. Der Ire spießte sich buchstäblich selbst auf, die rechte Klinge durchstieß sein Herz. Als Stenmark die Klinge zurückzog, brach der Ire wie vom Blitz getroffen zusammen. Matt Davies ging langsam und müde auf Hasard zu. »Wäre fast schiefgegangen, was?« sagte er. »Sie haben mich schon bei der Landestelle entdeckt. Seitdem bin ich nur am Laufen.« »Was ist mit deiner Schulter, Matt?« »Kleiner Streifschuß. Kann ich was trinken?« »Klar.« Hasard wandte sich um. »Dan! Gib Matt die Wasserflasche. Schneide auch Brot und Speck für ihn.« »Aye, aye. Und die Wunde?« »Verbinden. Vorher natürlich säubern.« »Halb so schlimm«, sagte Matt Davies und grinste schon wieder. Er schaute zu Blacky und Stenmark hinüber. »Da seid ihr ja. Hättet ihr nicht auf mich warten können?« »Ging nicht«, sagte Stenmark. »Burton und sein Profos waren auf unser Boot scharf.« Stenmark trat heran und drehte O’Neill auf den Rücken. Dann blickte er zu Hasard hoch. »Dieser Mann war der Anführer der Iren, jedenfalls hat er die anderen herumkommandiert.« »Das habe ich auch beobachtet«, sagte Matt Davies.
Er hatte kaum ausgesprochen, da schrie Dan O’Flynn auf und ließ fast den Proviantsack fallen, aus dem er gerade die Wasserflasche hatte herausnehmen wollen. Noch mit dem Sack in der Hand deutete er nach Westen. »Die Karavellen!« Hasard drehte sich um. Um das Kap segelte gerade die zweite Karavelle. Die erste steuerte bereits auf den Ausgang der Dungarvanbai zu. Die dritte, vierte und fünfte folgten. Fast automatisch wanderte Hasards Blick hinüber zu den drei englischen Galeonen. Auf ihren Decks konnte er Bewegung erkennen. Ja, auch sie hatten die spanischen Schiffe entdeckt und machten jetzt gefechtsklar. Ob sie die Schüsse hier drüben gehört hatten? Aber das half ihm jetzt auch nicht weiter. Hilfe hatte er für die nächste Zeit nicht zu erwarten. Die Galeonen würden sich mit den Spaniern herumschlagen, und niemand konnte sich um ihn und seine Männer kümmern. Ja, sie saßen ganz schön in der Falle. Das Boot hatte zwei Lecks, und damit waren seine Männer und er hier an diesem Platz festgenagelt. »Gary, wann seid ihr fertig?« »In zwei Stunden etwa.« »Gut, mach mit Tom weiter.« Er blickte seine anderen Männer an. »Bringt die toten Iren zum Waldrand und begrabt sie dort. Und dann wird geschanzt.« »Geschanzt?« fragte Dan O’Flynn entgeistert. »Klar«, sagte Hasard. »Meinst du, die Iren schlafen? Die sieben Iren, die Matt verfolgt haben, kehren nicht zurück. Was werden die anderen tun? Sie suchen. Außerdem wird in spätestens einer Stunde dort drüben ein solcher Krach sein, daß selbst Tote lebendig werden. So, und was passiert, wenn einer der Karavellen hier auf unserer Seite auf die Sande gerät? Die Dons werden von Bord springen und an Land schwimmen. Wenn sie Zeit genug haben, werden sie Boote zu Wasser lassen
und herüberpullen. Und diese Dons haben wir dann auf dem Hals, denn sie werden sich zum Landeplatz zu den Iren durchschlagen wollen. Also: von Westen erwarte ich die Paddys und von Osten die Dons. Und deshalb wird geschanzt. Wenn ihr überleben wollt, dann klotzt ‘ran. Ich will, daß die Kuhle hier mit unserem Boot geschützt wird. Wir werden Sand aufschütten - rundum. Die Kuhle muß tiefer werden. Holt auch Felsbrocken, die wir als Deckung benutzen können, dazwischen keilen wir Baumstämme und Astwerk. Alles klar?« »Aye, aye«, ertönte es. »Wie diese verdammten Sandhasen von Soldaten«, sagte Dan O’Flynn. »Und ich Idiot wollte zur See fahren.« Die Männer grinsten und gingen an die Arbeit …
ENDE
Das Gefecht in der Dungarvanbai von John Roscoe Craig
Philip Hasard Killigrew schlägt sich an Land mit den Iren herum. Die Luft ist erfüllt von einem Bleigewitter. Diesen günstigen Augenblick nützen fünf spanische Karavellen: sie versuchen durch wilden Kanonenbeschuß den Ausbruch aus der Dungarvanbai. Ihre Absicht ist es, die freie See zu gewinnen. Plötzlich ist dem Seewolf die Rückkehr zur ›Isabella von Kastilien‹ verlegt. Und wenig später sieht Capitan Romero Valdez seine große Chance, Rache für die schlimmste Niederlage in seiner Laufbahn zu nehmen:
Er hat die einmalige Gelegenheit, dem Seewolf das Genick zu brechen …