Der verzweifelte Versuch, durch die Raumfalte in die Dimension des Planeten Erde zurückzukommen, war mißglückt. Nichts ...
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Der verzweifelte Versuch, durch die Raumfalte in die Dimension des Planeten Erde zurückzukommen, war mißglückt. Nichts bewegte sich außerhalb der Spin drift, nur das absolute Nichts umgab sie. Und dann schlugen die Skalen aus und zeigten Masse an, die Masse einer Sonne und eines Planeten. Aber als sie auf dem Planeten landeten, befanden sie sich wieder im Reich der Giganten ...
Ferner liegen vor
in der Reihe der
Ullstein Bücher:
Science-Fiction-Stories
Band 1 bis Band 20
Science-Fiction-Romane:
Jeff Sutton:
Die tausend Augen des Krado 1 (2812)
Sprungbrett ins Weltall (2865)
Samuel R. Delaney:
Sklaven der Flamme (2828)
Cyril Judd:
Die Rebellion des Schützen Cade (2839)
Eric Frank Russell:
Planet der Verbannten (2849)
Gedanken-Vampire (2906)
Larry Maddock:
Gefangener in Raum und Zeit (2857)
Bart Somers:
Zeitbombe Galaxis (2872)
Welten am Abgrund (2893)
Manly W. Wellman:
Insel der Tyrannen (2876)
Invasion von der Eiswelt (2898)
Robert Moore Williams:
Zukunft in falschen Händen (2882)
H. Beam Piper:
NULL-ABC (2888)
Murray Leinster:
Die Irrfahrten der »Spindrift« (2917)
Fredric Brown:
Sternfieber (2925)
L. Sprague de Camp:
Vorgriff auf die Vergangenheit (2931)
Ullstein Buch Nr. 2937 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Titel der amerikanischen Originalausgabe: UNKNOWN DANGER Übersetzung von Heinz Nagel Erstmals in deutscher Sprache Umschlagillustration: Jeff Jones/ACE Umschlaggraphik: Ingrid Roehling Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1969 by Kent Productions 20th Century Fox Film Corporation Übersetzung © 1972 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1972 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3-548-02937-4
Murray Leinster
Im Reich
der Giganten
SCIENCE-FICTION-Roman
Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
1
Vor den Sichtluken der Spindrift war nichts als Fin sternis. Keine Luft. Kein Licht. Keine Sterne. Keine Milchstraße. Es gab keine Galaxis und kein Univer sum. Die Spindrift schien sich an einem Ort zu befin den, den niemand beschreiben und den sich niemand vorstellen konnte. Zum tausendsten Male überprüfte Steve Burton die Instrumente im Cockpit. Doch sie zeigten nichts an. Die einzigen Skalen, die nicht auf Null standen, waren jene, die die ständige Belastung der Akkumulatoren des Schiffes anzeigten, Strom verbrauch, um im Innern des Schiffes Helligkeit zu erzeugen und die eisige Leere draußen abzuwehren. Es gab absolut nichts jenseits der Schiffswand – we nigstens zeigten die Instrumente das an. Neben Steve mühte Dan Ericson sich am Funkgerät ab. Eine Wellenlänge nach der anderen suchte er ab. Schweigen. Nichts. Das ganze elektromagnetische Spektrum durchforschte er von einem Ende zum an deren. In jedem wirklichen Weltraum sollte es ir gendeine Art von Strahlung geben, mußte es geben. Es sollte Sterne geben und Quasare und Pulsare und alle möglichen anderen Himmelskörper, die Signale ausstrahlten, Signale, die nichts besagten, aber we nigstens bewiesen, daß es dort draußen zwischen den
Sternen irgend etwas, wenn schon nicht irgend je mand gab. Aber ebensogut hätte die Spindrift am Tag vor der Schöpfung hier sein können, an jenem Tag, als es noch nichts gab, als noch nichts erschaffen war – außer der Spindrift. Oder vielleicht auch am Tag nach dem Ende der Welt, wenn alles vernichtet war und tot – alles außer der Spindrift. Steve griff nach vorn und schaltete den Antrieb ein – Das hätte dem Schiff einen Schub von drei g verlei hen sollen – dreifache Erdbeschleunigung. Es hätte Steve und Dan und die Passagiere, sowie die Stewar deß des Schiffes unsanft gegen ihre Sitzlehnen pres sen müssen. Aber nichts geschah. Nichts regte sich. Es war als wäre die Spindrift tot. Der Notantrieb funktionierte nicht. Er bezog zwar Energie, das schon. Aber eben sogut hätte das Schiff mitten im Kern eines Planeten eingeschlossen sein können, denn es reagierte über haupt nicht. Steve schaltete ab. Die Energieverbrauchsanzeige fiel wieder zurück, zeigte nur noch die Energie an, die für die Beleuchtung und Heizung verbraucht wurde. Dan schaltete die Funkanlage ab.
»Nichts?« fragte Steve.
»Noch weniger als das«, sagte Dan. Er saß auf dem
Platz des Kopiloten und schien zu schaudern. »Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts«, fügte er kurz darauf hinzu. »Aber ich muß wirklich sagen, daß es nicht gut aussieht. Wir sind ein verdammt großes Ri siko eingegangen. Scheint, daß alles schiefgegangen ist.« »Möglich«, räumte Steve ein. »Aber vorher hat es genauso schlimm ausgesehen.« Dan zuckte die Achseln. »Aber wir sind nicht in Panik geraten. Und das begreife ich einfach nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand in eine noch ausweglosere Lage als wir kommen kann. Und doch haben wir uns beinahe normal verhalten. Etwas benommen sind wir – das schon. Und nicht gerade gesprächig. Aber keiner hat durchgedreht.« Steve gab keine Antwort. Seine Blicke wanderten über die Reihen von Instrumenten und Skalen. Einen Augenblick verharrten sie am Masseanzeiger. Aber die Nadel hatte sich nicht bewegt – oder wenn sie sich bewegt hatte, nur unmerklich. Die Spindrift verfügte über Instrumente, die beina he alles anzeigten, was man im normalen Operati onsbereich des Schiffes möglicherweise wissen woll te. Sie war ein Suborbitalschiff, dazu bestimmt, Pas sagiere zwischen den Kontinenten auf der Erde hinund herzubefördern, und das in einer Höhe von drei ßigtausend Metern und beinahe mit Orbitalge
schwindigkeit. Sie hatten nur vier Passagiere an Bord gehabt, als sie in Los Angeles gestartet waren, zu dem nächtlichen Flug nach London. Es waren weitere Plätze bestellt gewesen, aber da war die Meldung von einer Raumfalte am Rande der Erdatmosphäre gewe sen, und deshalb hatten die meisten Passagiere ihren Flug gestrichen. Nicht daß Raumfalten als besonders gefährlich galten. Das Fatale war nur, daß keiner so richtig darüber Bescheid wußte. Die Insassen der Spindrift hatten jetzt zumindest eine Ahnung davon, was eine Raumfalte bewirken konnte, aber warum und weshalb, das wußten sie immer noch nicht. Aber sie wußten, daß das scheinbare völlige Verschwinden von Sternen, Monden, Planeten, Galaxien, ja des gan zen Kosmos dazugehörte. Hinter Steve kratzte etwas. Betty Hamilton, die Stewardeß der Spindrift, hielt sich am Türrahmen fest, weil keine Schwerkraft herrschte. Sie war blaß. Als Steve sich zu ihr umwandte, sah sie ihn besorgt an. »Ist es nicht bald Zeit, daß – daß etwas geschieht?« fragte sie verstört. »Höchste Zeit sogar«, sagte Dan. »Vielleicht sollten wir uns bei irgend jemand beschweren.« Seine Stimme – die er unter Kontrolle hatte – paßte ganz und gar nicht zu seinem Gesichtsausdruck – den er nicht unter Kontrolle hatte. Betty feuchtete sich die Lippen an.
»Wir haben so etwas doch schon mal erlebt«, sagte sie, »als wir zum erstenmal – ich meine zum ersten mal –« »Entführt wurden«, beendete Dan ihren Satz. Wie der klang seine Stimme ganz neutral. »Als wir von der Erde entführt wurden. Als man uns aus unserer bekannten Welt herausgerissen hat, durch das Nichts geschleudert und dann irgendwo abgesetzt hat, an einem Ort, der mir auch nicht viel besser als der au genblickliche Zustand gefiel.« Die Spindrift war entführt worden, und zwar an ei nen völlig unwahrscheinlichen Ort. Den Insassen des kleinen Schiffes fiel es nicht leicht, den Ereignissen Glauben zu schenken, an die sie sich selbst erinner ten. Es war einfach nicht vorstellbar, daß ein Suborbi talschiff, das in Los Angeles zu dem einundvierzig Minuten dauernden Flug nach London startete ... Es war einfach nicht vorstellbar, daß man plötzlich fest stellen sollte, daß die Sterne verschwunden waren, daß der Antrieb nicht mehr funktionierte und daß die Insassen hilflos waren und überhaupt nichts gegen ihre augenblickliche Situation unternehmen konnten. Und noch weniger vorstellbar war, daß zu guter Letzt das gleiche Schiff wieder in den normalen Welt raum zurückversetzt werden sollte, einen normalen Weltraum, der nur der Struktur nach normal war. Die Sterne waren fremd und die Sonne unbekannt und
eine fremde Welt wölbte sich vor ihnen. Es war sogar eigenartig, daß sie dort landeten. Aber als die Lan dung dann abgeschlossen war, begannen die wirklich unmöglichen Ereignisse. Die Luft war atembar. Es schien Städte zu geben. Es gab eindeutig Bäume und Tiere – und Menschen. Aber die Menschen waren achtzehn und zwanzig Meter groß. Sie waren völlig unmöglich. Aber sie waren wirklich. Sie dachten wie Menschen. Sie handelten wie Menschen. Aber es wa ren Riesen. Es mußte irgendeine Verbindung zwischen dieser fremden Welt und der vertrauten Erde geben. Das Leben auf den beiden Planeten hatte sich ähnlich entwickelt – mit einer Ausnahme: die Pflanzen, die Tiere, die Vögel, ja sogar die Fische auf dieser Welt waren Gegenstücke jener Lebewesen der Erde. Ge genstücke, aber nicht identisch. Die Tiere und Pflan zen, die Bäume und die Vögel und – was besonders schwer vorstellbar war – die Menschen waren gigan tisch. Die Leute von der Spindrift verhielten sich zu den Bewohnern dieser neuen Welt so wie Mäuse oder Ratten. Die Spindrift hatte ein Reich der Giganten er reicht. Und diese Giganten sahen Menschen als Un geziefer an, das man ausrotten mußte, und versuch ten auch, dies zu tun. Jetzt schien Betty der Verzweiflung nahe zu sein. Ihre Augen suchten Steve.
»Aber als wir zum erstenmal feststellten – daß et was Eigenartiges geschehen war«, wandte sie ein, »als alles auch – auch so wie jetzt – war, blieb es nicht so lange!« Steve zuckte die Achseln. »Ich fürchte, da können wir gar nichts machen«, sagte er. »Wir sind ein Risiko eingegangen, um diesen Ort zu verlassen. Wir wuß ten, daß es riskant war. Aber wir sind noch nicht ver loren. Wir haben keinen Grund zur Verzweiflung. Noch nicht!« »Steve«, erklärte Dan, »ist der Optimist unter uns.« »Ich bin jetzt nicht optimistisch«, sagte Steve ent schieden. »Wir sind ein Risiko eingegangen, weil wir keine andere Wahl hatten. Ich glaube immer noch, daß wir keine andere Wahl haben. Immerhin haben wir jenen anderen Ort verlassen! Und das ist schon ein entscheidender Fortschritt!« »Fragezeichen«, sagte Dan. »Ist es das wirklich?« Wieder zuckte Steve die Achseln. Betty klammerte sich immer noch an den Türrahmen. Sie sah Steve unglücklich an. Dan wandte sich ab. »Du könntest uns ja einmal eine Zusammenfassung unserer Lage geben, Steve«, sagte er. »Aber sorg da für, daß es gut aussieht!« Steve zögerte eine Weile und begann dann ent schlossen: »Wir befinden uns in einer Raumfalte. Wenn wir auch nicht wissen, was eine Raumfalte ist.
Irgend etwas tauchte über der Erde auf, und die Wis senschaftler nannten es eine Raumfalte. Es gab ma gnetische Erscheinungen. Nordlichter. Irgend etwas ließ die Sterne zittern und am Himmel herumrut schen, statt an Ort und Stelle zu bleiben. Natürlich bewegten sie sich in Wirklichkeit nicht. Das schien nur so. Und es sah nicht gefährlich aus. Also starteten wir planmäßig in Los Angeles und nahmen Kurs auf London. Wir erreichten unsere Reisehöhe von drei ßigtausend Metern. Wir flogen. Wir gerieten unter ein Nordlicht. Und dann erloschen die Sterne.« »Ein sehr präziser Bericht«, lobte Dan. »Fahre fort!« »Die Sterne erloschen«, wiederholte Steve, »zu mindest hatte es den Anschein. Und dann stellten wir fest, daß das Schiff an Höhe gewann, obwohl ich nicht nach oben steuerte. Ich versuchte unsere Flug höhe zu verlassen. Ich glaube, daß wir beinahe ent kommen wären, aber wir haben es nicht geschafft. Und dann fanden wir uns in genau der Lage, in der wir uns jetzt befinden. Es gab keine Erklärung dafür. Es gibt auch jetzt keine. Wir blieben in dieser – ich möchte es einmal Stasis nennen – wir blieben ein paar Stunden in diesem Zustand.« »Stunden, die uns wie Jahre vorkamen«, fügte Dan hinzu. Und Steve fuhr fort: »Und dann kamen ohne jegli che Warnung – die Instrumente zeigten nämlich
nichts an und ich achtete deshalb gar nicht mehr auf sie – plötzlich die Sterne wieder zurück. Es gab eine Sonne und sogar einen Planeten ganz in der Nähe. Wir schafften die Landung auf diesem Planeten. Und was wir dort fanden, wißt ihr ja.« Wieder befeuchtete sich Betty die Lippen. »Ich weiß, Steve.« »Und ich«, meinte Dan, »fange schon an, nicht mehr daran zu glauben.« »Wir stellten fest, daß ein weiteres Schiff von der Erde dort gewesen war – ein Schiff, das ein paar Mo nate vorher spurlos verschwunden war. Wenn die Spindrift mitzählte, bedeutete das, daß zwei Schiffe von der Erde dorthin – wo auch immer es war – ent führt worden waren. Also bestand die Möglichkeit, daß die Kraft, die uns dorthin geschafft hatte, uns auch wieder zurückbringen würde. Als die Sterne wie Würmer über den Himmel zu kriechen began nen, stürzten wir in die Raumfalte. Und dabei gerie ten wir in diesen Zustand. Wir hofften, daß das, was uns von der Erde weggeholt hatte, uns jetzt wieder zurückbringt. In diesem Fall schaffen wir es vielleicht. Wenn nicht – haben wir verloren.« »Aber du bist nicht sicher ...« »Nein«, räumte Steve ein. »Wir sind ein großes Ri siko eingegangen. Wir werden gewinnen oder verlie ren. Mehr ist nicht zu sagen.«
Betty schwieg. Dan zuckte die Achseln. Und dann sagte Steve scharf: »Was ist denn hinten los? Warum kommst du hierher und läßt dir von mir etwas erzählen, was du schon lange weißt?« »Nichts!« protestierte Betty. »Gar nichts. Wir sind alle aufgeregt und nervös und gleichzeitig etwas benommen. Das ist alles.« Sie trat einen Schritt zurück, und die Tür glitt zu. »Du hast sie hart angepackt, Steve«, sagte Dan. »Sie ist zu dir gekommen, weil sie Zuspruch brauchte, und du hast ihr die Wahrheit gesagt! Ich hatte es so eingerichtet, daß du sie hättest ermutigen können. Du hättest sie glücklich und davon überzeugt, daß du der wunderbarste Mann der Schöpfung seist, weg schicken können. Du hättest ihr die Dinge so darstel len können, daß alles nur gut werden könne. Und du mußt ihr dagegen die Wahrheit sagen!« »Sie hat doch einen Verstand«, meinte Steve. »Sie hätte es sofort gemerkt, wenn ich sie anlüge. Jetzt ist ihr bestimmt viel wohler, weil ich es nicht getan ha be.« Er begann sich loszuschnallen. »Übernimm du das Schiff. Ich werde nachsehen, ob nicht doch je mand durchgedreht hat und sie es uns bloß nicht sagt.« Kurz darauf schob er sich selbst durch die Tür. Es ist nicht leicht, sich zu bewegen, wenn überhaupt keine Schwerkraft herrscht. Aber in der Passagierka
bine sah es überraschend normal aus. Es gab die bei den Reihen von Sitzen, die auf den meisten Flügen der Spindrift bisher alle belegt waren. Auf diesem Flug gab es nur wenige Passagiere. Da war Wilson, der junge Astronom, der auf dem Wege nach Principe im Golf von Guinea gewesen war, um dort seine Messungen zu wiederholen, Messungen, die eine Beugung der Lichtstrahlen durch die Masse der Son ne betrafen, so wie Einstein das vorhergesagt hatte. Er wirkte betont ruhig. Und dann war da das Mäd chen Valerie in teurer Reisekleidung. Sie sah Steve mit gefurchter Stirn an und zeigte ihm ein Spiel Kar ten. »Wirklich lästig«, beklagte sie sich. »Wenn keine Schwerkraft ist, kann ich nicht einmal Patiencen le gen. Die Karten bleiben nicht liegen.« »Wirklich schlimm«, meinte Steve ernsthaft. »Ich werde mir überlegen, was man da machen kann.« Er ging weiter. In gewisser Weise mußte er Valerie bewundern. Sie hatte genauso Angst wie alle ande ren, aber lieber würde sie tausend Tode sterben als zuzugeben, daß es irgend etwas auf dem Land oder dem Meer oder im Weltraum gab, vor dem sie Angst hatte. Zwei Sitze weiter saß Marjorie, die die Leute von der Spindrift aus einem riesigen Vogelkäfig be freit hatten. Sie war die einzige Überlebende des Sub orbitalschiffs Banne, das in Kapstadt nach Seattle ge
startet war und von dem man nie wieder etwas ge hört hatte, bis Steve und die anderen Marjorie fanden. Und dann war da der junge Barry. Er war vierzehn Jahre alt und überhaupt nicht in der Lage zu verzwei feln. Für ihn waren alle Gefahren nur Abenteuer, die einfach ein gutes Ende haben mußten. Seine Augen glänzten, und er streichelte seinen Hund Chipper. Dann grinste er Steve zu, der ihm freundlich zuwink te. Betty war neben Fitzhughs Sessel stehengeblieben und hielt sich in der eigentümlichen Art und Weise fest, wie Leute das tun, die sich im gewichtslosen Zu stand miteinander unterhalten. Als Steve zu ihnen trat, sagte Fitzhugh gerade: »Aber immerhin ist es etwas, worüber man nachden ken kann! Sie wollen doch nicht über unsere augen blickliche Lage nachdenken, oder? Also denken Sie über das nächste Schlamassel nach, in das wir viel leicht nach diesem hier geraten könnten.« Steve fragte: »Eine Gefahr allein reicht wohl nicht?« »Nein«, sagte Fitzhugh. »Das muß ich schließlich am besten wissen.« Steve überlegte eine Weile und nickte dann. Als Fitz hugh an Bord der Spindrift gegangen war, war er wegen eines besonders qualvollen Erlebnisses praktisch gei steskrank gewesen. Er hatte in einer Atomkraftanlage gearbeitet, als Alarm gegeben wurde. Irgend jemand
hatte einen Fehler gemacht, und der ganze Meiler wür de jeden Augenblick in die Luft fliegen und einige hun derttausend Menschen mitnehmen. Also begab er sich in die Gefahrenzone und zerlegte den Meiler. Er brauchte zwei Stunden dazu, und in jeder Sekunde hät ten er und ein paar tausend andere zu radioaktivem Gas verbrennen können. Aber als es dann vorbei war, hatte er sich zu lange in einem Zustand höchster Ner venanspannung befunden, um sich wieder entspannen zu können. Seit jedoch die Abenteuer der Spindrift be gonnen hatten, hatte seine Lage sich gebessert. Es war ihm einfach nicht möglich, sich immer noch in den Streß einer durchgestandenen Situation zu vertiefen, wo jeden Augenblick neue auftauchten. »Ein interessantes Problem«, sagte Fitzhugh. »Ich finde auch keine Lösung dafür! Angenommen, wir können uns aus diesem Schlamassel befreien und kommen wieder zur Erde zurück. Nach allen Geset zen der Logik müßten wir dann tot sein. Wir können ganz einfach nicht leben. Und doch würden wir da sein und darauf bestehen, daß wir die sind, die wir zu sein scheinen. Und niemand wird uns auch nur einen Augenblick Glauben schenken!« Steve überlegte eine Weile. »Ich glaube, ich verstehe. Ich muß Ihnen recht geben. Wir dürften tatsächlich nicht mehr am Leben sein.« »Können wir doch gar nicht«, sagte Fitzhugh.
»Überlegen Sie doch, wie lange wir schon von der Erde weg waren. Die Spindrift verfügte nicht über zu sätzliche Sauerstoffvorräte, die uns das Atmen er möglichen. Wir müßten in den ersten vierundzwan zig Stunden erstickt sein. Wir hatten auch keine Le bensmittel. Wir hätten verhungern müssen. Mag sein, daß wir behaupten, auf einem fremden Planeten ge landet zu sein. Aber die nächste Sonne – und demzu folge auch die nächsten Planeten – sind vier Lichtjah re entfernt. Wir können unmöglich mit Luftvorräten für einen Tag vier Lichtjahre weit gereist sein. Und es ist hundertprozentig bewiesen, daß nichts schneller als das Licht fliegen kann. Wer wird uns also Glauben schenken? Wer wird uns den Planeten, auf dem wir gelandet sind und den wir soeben verlassen haben, abnehmen? Wie können wir noch am Leben sein? Die Vorstellung allein ist lächerlich!« Steve nickte. »Stimmt. Aber das ist deren Problem, nicht unseres.« »Natürlich ist es unseres«, widersprach Fitzhugh. »Wir können doch gar nicht leben. Also müssen die Leute, die behaupten, wir zu sein, Schwindler sein. Am Ende verdächtigt man uns, irgendwelche vielge staltigen Wesen zu sein, nicht menschliche, die aber menschliche Gestalt annehmen können!« Betty verdrehte die Augen, aber Steve zuckte bloß die Achseln.
»Ganz bestimmt werden irgendwelche Verrückte das behaupten. Aber das ist viel unwahrscheinlicher als die Wahrheit, und die meisten Menschen werden sich lieber an das halten, womit sie Erfahrung haben. Jedenfalls, wenn wir wieder zurückkommen, wird es fürchterliche Verwirrung –« Die Tür zum Cockpit ging auf. Dan Ericson rief: »Instrumente zeigen wieder an. Steve! Komm bitte nach vorn!« Im nächsten Augenblick schwebte Steve zum Bug des Schiffes. Er hatte sich von den Sessellehnen abge stoßen. In einer Lage wie dieser, wo keinerlei Schwerkraft herrschte, gab es keine normalen Bewe gungen. Auf halbem Wege zur Tür prallte er gegen die Decke, stieß sich mit den Füßen ab und taumelte weiter. Und dann bekam er wieder eine Sitzlehne zu fassen, stieß sich weiter zur Tür und klammerte sich daran fest. Dann schob er sie auf und glitt elegant in seinen Sessel. Als er sich anschnallte, fragte er: »Was hast du ab gelesen?« »Masseanzeige«, sagte Dan. Er deutete mit der Hand, und Steve stellte fest, daß sie zitterte. Und der Masseanzeiger regte sich tatsächlich. Er zeigte etwas an, das sich außerhalb des Schiffes be fand. Wenn die Anzeige stimmte, war die Spindrift nicht mehr allein. Es gab ein Universum. Es gab noch
etwas anderes. Es konnte ebenso klein sein wie die Spindrift selbst und sehr nahe. Oder riesengroß und weit entfernt. Es konnte ein Planet von der Größe des Merkur oder des Jupiter sein. Oder eine einsame Sonne von hundert- oder tausendmal der Masse jenes gelben Sterns, der die Heimatsonne der menschlichen Rasse ist. Aber es gab immer noch kein Licht drau ßen. Langsam veränderte sich die Richtung des ange zeigten Gegenstandes. Es hätte natürlich sein können, daß die Spindrift sich drehte. Aber auf den Gedanken kam keiner. Außerhalb des Schiffes gab es keinen einzigen Lichtpunkt. Die Sichtluken waren pech schwarz. Es gab keine Bewegung, kein Zittern, kei nerlei Bewegungsgefühl. Mit Ausnahme von drei Skalen am Instrumentenbrett zeigten nach wie vor al le anderen Null an. Eine dieser drei Skalen zeigte an, wieviel Strom noch in den Speicheranlagen vorhan den war. Eine zweite Skala verriet, wieviel Energie verbraucht wurde, um die Beleuchtung und die Hei zung zu speisen. Und die dritte Skala war die des Masseanzeigers. Sie besagte, daß es draußen etwas gab, irgendeinen Gegenstand, in einer Richtung, die nicht unmittelbar vor ihnen lag, sondern etwas rechts davon. Der Gegenstand schien sich zu bewegen. Dan stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen
hervor: »Wenn wir uns an diesem Ding vorbeibewe gen und es hinter uns lassen –« »Vielleicht müssen wir das sogar«, sagte Steve. »So fern du nicht mehr weißt als ich.« Wieder zitterte die kleine schwarze Nadel. »Es bewegt sich zur Seite«, sagte Dan. »Wir bewe gen uns, Steve!« »Die Raumfalte trägt uns«, sagte Steve. »Genauso wie ein Seeschiff mit abgeschalteten Maschinen von einer Meeresströmung getragen wird. Es ist gleich gültig, in welche Richtung unser Bug zeigt. Vielleicht bewegen wir uns nach vorn. Ebensogut können wir uns aber auch nach hinten bewegen –« »Wir sollten unseren Antrieb einschalten!« schlug Dan vor. »Wir sollten irgend etwas unternehmen!« »Versuch's noch einmal am Funkgerät«, sagte Ste ve. Dan griff nach den Kopfhörern und schaltete ein. Seine Hände zitterten leicht, als sie den Abstimm knopf drehten. Steve ließ das Instrumentenbrett nicht aus den Augen. Plötzlich stöhnte Dan: »Störgeräusch! Schwache Störgeräusche! Ganz schwach!« Steve sagte nichts. Was er jetzt tat, war für einen normalen Menschen das schwerste von allem. Es gab nichts zu tun. Also tat er auch nichts, um bereit zu sein, sobald etwas geschehen mußte. Er prüfte die In
strumente, eines nach dem anderen. Seine Blicke wanderten wieder zum Masseanzeiger. Dan starrte ebenfalls darauf. »Jetzt schlägt die Nadel stärker aus«, sagte er er regt. »Es kommt näher! Wir müssen etwas tun, sonst gibt es einen Zusammenstoß!« »Schalte noch einmal den Höhenmesser ein. Den Radarhöhenmesser, meine ich.« Das war kein Instrument, das sich an der Luftdich te als Höhenmaß orientierte. Dieses Instrument sand te Impulse aus – sehr starke Impulse im Mikrowel lenbereich. Wenn die Impulse irgendwo auftrafen, wurden sie reflektiert. Und dann konnte das Instru ment sie aufzeichnen und messen. Daraus konnte man entnehmen, wie weit entfernt der reflektierte Gegenstand war. Und die Reichweite des Instrumen tes war groß. Plötzlich gab es einen Lichtblitz. Er kam aus dem Nichts. Er zeigte auch nichts. Den Bruchteil einer Se kunde waren die Außenluken der Spindrift strahlend hell erleuchtet. Und dann war das Licht wieder ver schwunden. Die Luken waren wieder schwarz. »Was war das?« fragte Dan. »Licht«, sagte Steve und verstummte wieder. Nach einer Weile redete er weiter und zwang sich, langsam und gemessen zu sprechen. »Vielleicht waren es die Radarimpulse, die von irgend etwas reflektiert wur
den und die in ihrer Frequenz durch unsere Ge schwindigkeit so angehoben wurden, daß sie in Licht verwandelt werden. Das widerspricht natürlich allen Naturgesetzen. Aber es gibt besondere Umstände, in denen die Naturgesetze Formen annehmen, die wir nicht erkennen. Der Theorie nach ist das, was ich ge rade gesagt habe, Unsinn. Aber das, was uns zuge stoßen ist, ist auch Unsinn. Ich habe nicht gesagt, daß ich es für möglich halte, daß Radarimpulse wie Licht erscheinen können. Aber ich hätte auch nicht ge glaubt, daß wir je in eine Lage wie diese geraten.« In der Spindrift hatte sich nichts verändert. Nur ei nes – vor wenigen Sekunden war immerhin etwas ge schehen. »Eine Raumfalte kann die Eigenschaften des Welt raums verändern«, sagte Steve plötzlich. »In dem Fall können wir nicht behaupten, daß es für das Licht im Innern einer Raumfalte eine Grenzgeschwindigkeit gibt. Oder wenn es sie gibt, so ist sie hier vielleicht völlig anders. Oder sie verändert sich. Wir wissen das nicht.« Dan fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Dann sagte er: »Was auch immer unser Masseanzeiger an gibt – jedenfalls kommt es näher!« Die dünne schwarze Nadel des Instruments zitterte immer noch, aber Steve und Dan sahen, daß die Schwingungen sich verändert hatten. Der Gegen
stand war nähergekommen. Die Spindrift schien sich in völligem Ruhezustand zu befinden, aber das war nicht der Fall. Sie schien völlig isoliert im Nichts zu hängen – wenn man einmal von dieser einen Skala absah, die das Gegenteil behauptete. Sie schien – aber alles, was in diesem Universum wahr zu sein schien, war offenbar nur Illusion. Und dann gab es plötzlich ein lautes Störgeräusch, so laut, daß Steve Angst um seine Lautsprecher be kam. Und dann wurde es wieder ganz still. Und das einzige Lebenszeichen im Cockpit war das Zittern der kleinen schwarzen Nadel. Sie verhielt sich genauso wie eine Kompaßnadel, der sich ein Magnet nähert. »Gleichgültig, wohin unser Bug weist«, sagte Steve grimmig, »wir scheinen geradewegs auf dieses Ding zuzufliegen!« Und das stimmte auch. Man hatte das Gefühl, daß etwas näherkam, immer näher kam und immer tödli cher wurde, sich unabwendbar darauf vorbereitete, mit der Spindrift und ihrer menschlichen Fracht zu kollidieren. Und dann, ohne die geringste Warnung, tauchten rings um sie plötzlich die Sterne wieder auf. Gerade als hätten sie irgendeine Wand durchstoßen, schweb te die Spindrift plötzlich in einem vernünftigen Uni versum. Es gab Licht. Eine flammende, funkelnde Scheibe ganz in der Nähe stieß Protuberanzen aus
und zeigte wirbelnde Sonnenflecken. Die Flecken wa ren Stürme von kaum vorstellbarer Energie auf der blendend hellen Oberfläche der Sonne. Und vor dem Schiff, ganz in der Nähe, gab es eine riesige Fläche von purem Weiß. Es war die beleuchte te Seite eines Planeten. Dan stieß hervor: »Der Höhenmesser funktioniert wieder, Steve! Er zeigt an – nein, das wirst du mir nicht glauben –« Steve starrte die weiße Fläche vor ihnen an. Es war unglaublich. Sie bildete einen Teil eines riesenhaften Globus, der ein Planet sein mußte. Aber nirgendwo waren Meere in Sicht. Keine Kontinente. Keine Spur von dem, was ein Planet im hellen Sonnenschein sonst zeigen sollte. Es wirkte wie eine unglaublich weite Schneefläche. Es war Schnee, das wußte Steve kurz darauf, als seine Augen sich an den Anblick gewöhnt hatten und er die Schatten schneebedeckter Berge auf schnee weißen Flächen erkannte. »Wo wir auch sein mögen«, sagte er etwas unsi cher, »das da unter uns ist eine Polargegend. Eine Eiskappe. Und wir sind nahe dran!« Er schaltete den Antrieb ein. Die Spindrift jagte ge radewegs auf die weiße Fläche zu. Die Nadel des Masseanzeigers zitterte jetzt nicht mehr, sondern zeigte genau nach vorn. Das kleine Schiff jagte auf die
riesige Fläche von Schnee und Eis zu. Die Bergketten wurden immer größer. »Wir befinden uns auf Kollisionskurs«, sagte Steve. Er schaltete den Notantrieb ein. Sämtliche Insassen des Schiffes spürten, wie ihr Gewicht zunahm. Sie wurden gegen die Rücklehnen ihrer Sitze gepreßt. Drei g Beschleunigung ist nicht tödlich, aber auch nicht gesund. Man hat dabei den Eindruck, als wür den Arme und Beine zu Blei, und jeder Atemzug ko stet bewußte Anstrengung. Die Spindrift raste auf den Rand der weißen Fläche zu. Dieser Rand war der Horizont. Falls es der Be schleunigung von drei g gelang, dem Schiff Orbital geschwindigkeit zu verleihen, ehe es diese Schneeflä che traf, dann hatten sie es geschafft – bis die nächste Gefahr kam. Im Schiff herrschte Schweigen. Jeder einzelne holte rasselnd Luft. Da war nicht nur das Gewicht des ei genen Körpers, das schwer auf einem lastete. Die Wangen neigten dazu, herunterzuhängen. Das Blut in den Adern war schwerer als es sein sollte. Die Mus keln mühten sich ab, ihre Form zu halten und ermü deten dabei. Selbst – und das war besonders unange nehm – die Zunge wollte in den Hals zurückkriechen und einen ersticken. Es waren nur drei g, aber Steves gewöhnliches Gewicht betrug hundertsechzig Pfund. Und die Mühe, die es ihn kostete, sich in seinem Ses
sel zu bewegen, war etwa mit der Kraftanstrengung zu vergleichen, die er in einer Rüstung aus Blei mit dem Gewicht einer halben Tonne hätte aufwenden müssen. Er war stark genug, die zusätzliche Last zu tragen. Düsenpiloten nahmen manchmal viel größere Beschleunigung auf sich. Aber sie hatten auch Spezi alanzüge und waren dieser Beschleunigung nur mi nutenlang ausgesetzt. Aber das hier schien überhaupt nicht mehr aufhören zu wollen. Gegen die Erschöpfung ankämpfend, versuchte Steve zur vorderen Luke hinauszusehen. Schweiß stand auf seiner Stirn. Er warf einen Blick auf die schimmernd weiße Oberfläche. Es sah so aus, als würde die Spindrift es schaffen, aber gleichzeitig war es auch unbedingt nötig, ihre Insassen von dieser Be schleunigung zu erlösen. Steve mußte ein leichtes Eintauchen in die Lufthülle des Planeten riskieren, denn wenn er noch länger wartete, würde er es nicht mehr schaffen, den Schalter umzulegen. Und er tat es. Nachher erinnerte er sich nicht mehr daran, wie er es geschafft hatte. Aber er wußte noch, wie er sich in seinem Sitz nach vorn gebeugt hatte, wie er um jeden Funken Energie gekämpft hatte. Und dann lag er reglos da und keuchte und irgendwie ge horchten ihm seine Muskeln. Plötzlich gab es überhaupt kein Gewicht mehr, und seine Glieder erschlafften. Wäre er nicht angeschnallt
gewesen, er wäre sicherlich aus dem Sitz geglitten. Und dann umfing ihn der Schlaf. Die Spindrift jagte weiter. Im Cockpit regten sich weder Steve noch Dan. Die Passagiere lagen reglos da. Und dann änderte sich das Bild vor den Luken des Schiffes. Das Licht der Sonne kam herein, und helle Flecken tanzten über den Boden, die Sessel und die Decke. Das Schiff taumelte. Aber nichts geschah. Passagiere und Besatzung der Spindrift lagen in tie fem Schlaf, und das kleine Schiff fegte über den Rand des Planeten hinaus. Langsam wirkte die Schwerkraft des Planeten auf den Kurs des Schiffes. Als Steve wieder erwachte und langsam seine Um gebung erkannte, war die Spindrift mehrere Planeten durchmesser von der Welt entfernt, mit der sie beina he zusammengestoßen wäre. Und diese Welt war nur noch eine dunkle Scheibe mit einem kleinen Rand von Sonnenlicht dahinter. Aber es gab Millionen von Sternen. Milliarden. Sie waren sehr schön. Und dann hatte die Spindrift das Ende ihrer Bahnellipse erreicht. Langsam fiel sie wieder zu der Welt zurück, in deren Umgebung sie aus der Raumfalte herausgekommen waren.
2
Als alle wieder wach waren, bildeten sie eine recht jämmerliche Gruppe. Der junge Barry gebärdete sich noch am normalsten, und sein Hund Chipper schien überhaupt nicht zu merken, daß irgend etwas nicht stimmte. Aber Steve sah so aus wie er sich fühlte – nämlich so, als hätte man ihn durch ein Astloch gezo gen. Valerie versuchte, sich die Erschöpfung nicht anmerken zu lassen, und sie tat, als existierten Gefah ren nicht für sie. Fitzhugh zog sich ganz in sich selbst zurück. Wilson versuchte auf einem Block mit Rech nungsformularen, die Betty ihm gegeben hatte, Kal kulationen anzustellen. Betty wirkte verstört und un ruhig. Marjorie war nicht zu sehen. »Das ist doch die Erde, oder?« fragte Betty betreten. »Dieser Planet, mit dem wir beinahe zusammenge stoßen wären?« Dan spreizte die Hände und meinte etwas aggres siv: »Ich will es hoffen!« Wilson schüttelte den Kopf und sah sich seine Be rechnungen an. »Was ist denn, Wilson?« fragte Steve. »Sie sehen ja nicht gerade so aus, als hätten Sie gute Nachrichten für uns.« »Ich habe überhaupt keine Nachrichten«, sagte
Wilson. »Hier stimmt alles – bloß eines nicht. Und das läßt sich nicht berechnen. Es hat den Anschein, als würde die Raumfalte irgendwie in Schwingung begriffen sein – so wie eine Flut, die eine bestimmte Anzahl von Stunden in eine Richtung fließt und dann wieder eine bestimmte Anzahl von Stunden in die andere. Ich habe die Entfernung, die ich unterstelle, ausgerechnet und daraus auch die Schwingungsrate ermittelt. Der Zeit nach zu schließen, stimmt meine Berechnung. Nach der Anzahl von Stunden gerech net, die wir uns in Stasis befanden, müßte alles richtig sein.« »Was beunruhigt Sie dann?« fragte Steve. »Der Stand der Gezeiten, wenn wir es einmal so nennen wollen«, sagte Wilson etwas widerstrebend. »Nun, es ist ohnehin zu spät, etwas dagegen zu un ternehmen«, meinte Steve. »Jedenfalls sieht es so aus, als würden wir wieder landen. Wir werden dafür sorgen, daß es nicht gerade im Polargebiet geschieht, das wir gerade überflogen haben.« Marjorie kam aus der kleinen Kabine, die norma lerweise Bettys Reich bildete. Gewöhnlich bereitete sie dort während der einstündigen Flüge, für die die Spindrift einzig und allein konstruiert war, Erfri schungen für die Passagiere vor. Sie strahlte. »Wir waren alle viel zu durchgedreht, um ans Es sen zu denken«, sagte sie stolz. »Aber wenn man die
Maschine jetzt vielleicht etwas beschleunigen könnte, damit wir wenigstens das Gefühl von Schwerkraft bekommen, dann glaube ich, daß wir uns alle etwas besser fühlen.« »Ich spare mir meinen Appetit für später auf«, sag te Dan. »Ich glaube, wir sollten uns alle etwas beruhigen«, sagte Steve mit entschlossener Stimme. Er war kei neswegs so zuversichtlich, wie es vielleicht scheinen mochte. Wilson hatte Astronomie studiert und wirkte gar nicht zufrieden. Das beunruhigte Steve, aber sei ner Stimme merkte man davon nichts an, als er sagte: »Ich schlage vor, wir setzen uns jetzt alle hin und ent spannen uns etwas. Dan und ich gehen wieder ins Cockpit zurück.« Er arbeitete sich zum Cockpit vor. Dan folgte ihm kurz darauf. »Was läßt dir denn keine Ruhe, Steve? Du siehst so aus, als hättest du einen Sack voll Sorgen.« »Zunächst einmal die Energie – wie üblich«, erklär te Steve. »Die Geschwindigkeit hat wieder zuge nommen, aber dieser Flug mit drei g hat unsere Re serven ziemlich aufgezehrt.« Dan legte den Handrücken auf den Mund und gähnte. »Ich habe einfach keine Lust, mir darüber Sorgen zu machen«, meinte er mit strahlender Miene. »Aber
ich habe einen Wunsch. Wir sehen hier die Nachtseite der Erde. Ich möchte die alte Welt im Sonnenlicht se hen. Ich möchte ein Stück Meer oder Land sehen, das ich erkennen kann – ganz gleich, was für ein Stück – damit ich sagen kann: ›Hier liegt London, und dort Los Angeles oder Peking oder Canberra oder sonst was.‹« Er gähnte wieder. »Du solltest ein paar Stunden schlafen«, befahl Ste ve. »Ich werde dich wecken, ehe mir die Augen zufal len.« Dan schnallte sich an und war bald eingeschlafen. In der Passagierkabine herrschte größere Aktivität. Alle waren natürlich noch müde. Marjorie erklärte Betty, wie sie mit den ihnen verbliebenen Nahrungs mitteln ein kleines Festmahl zur Feier ihrer Rückkehr auf die Erde herrichten könnten. Betty hörte beunruhigt zu. Wilson war alles andere als begeistert, ganz im Gegensatz zu Dan. Dan glaub te, daß sie zur Erde zurückgekehrt waren. Wilson vielleicht nicht. Auch Steve wirkte eher grimmig, als erfreut. Betty brachte es einfach nicht fertig, schon jetzt Erleichterung zu empfinden. Fitzhugh starrte durch die Luke neben seinem Platz und versuchte am Rumpf der Spindrift vorbeizuschie len. Es wollte ihm nicht recht gelingen, einen Blick auf den dunklen Planeten zu werfen. Jetzt setzte er
sich neben Barry. Er schien über alles reden zu wol len, bloß nicht über die augenblickliche Lage der Spindrift. Schließlich weckte Steve Dan. Er deutete auf die schwarze Scheibe der Welt, der sie sich näherten. Sie war inzwischen wesentlich größer geworden. »Wir schaffen es«, sagte Steve. »Weck mich auf, ehe wir die Atmosphäre berühren, Dan. Ich glaube, das ist wichtig.« Dan übernahm das Steuer. Steve ließ sich in den Ses sel zurücksinken und war im nächsten Augenblick ein geschlafen. Die Gespräche in der Passagierkabine gin gen weiter. Alle freuten sich und doch war da eine Spur von Nervosität, obwohl niemand – höchstens Wilson – eine klare Vorstellung von einer möglichen Enttäu schung hatte. Aber alle hatten es sich unbewußt ange wöhnt, ihre Umwelt äußerst pessimistisch einzuschät zen. Zu oft, seit die erste Raumfalte die Spindrift drei ßigtausend Meter über dem Atlantik aus ihrer Bahn ge rissen hatte, zu oft hatten sie mit ansehen müssen, wie sich scheinbar greifbare Hoffnung in Gefahr verwan delt hatte. Vor Tagen hatten sie bereits jede Hoffnung aufgegeben, die Erde je wiederzusehen. Ihre Lage war ihnen so hoffnungslos erschienen, daß die Hoffnung selbst ihnen wie eine Illusion vorkam und sie es einfach nicht mehr wagten, sich damit zu befassen. Jetzt hofften sie wieder, aber nur sehr zaghaft.
Fitzhugh wandte sich von der Luke ab. Die letzten Sonnenstrahlen am Rand des dunklen Planeten wa ren verschwunden. Die Welt war jetzt nur noch eine ungeheure gewölbte schwarze Fläche, auf die die Spindrift zuraste. Vor dem Licht unzähliger Millionen von Sternen zeichneten sich die Umrisse ab. »Ich habe Planeten gesucht«, sagte Barry zu Wilson. »Ich habe eine ganze Menge helle Sterne gefunden, aber irgendwie sehen sie nicht aus wie Jupiter und Mars. Auch die Venus müßte man sehen können. Sind die Planeten jetzt alle auf der anderen Seite der Sonne?« Wilson gab keine Antwort. Statt dessen sagte er: »Entschuldige bitte. Mir ist gerade etwas eingefallen.« Er stand auf und arbeitete sich durch den Mittel gang zum Cockpit vor. Steve schlief, und auch Dan döste. Wilson blickte von einem zum andern und zuckte wortlos die Ach seln. Und dann fiel ihm ein blaues Leuchten an einer Skala auf. Er starrte hin, runzelte die Stirn. Es war der Radarhöhenmesser, und Wilson war mit den Instru menten der Spindrift nicht vertraut, aber die Skala wirkte irgendwie gefährlich. Aus dem Lautsprecher an der Decke kam ein knackendes Geräusch. Wilson hustete. Nicht laut. Dan schlug die Augen auf. Er legte unwillkürlich den Kopf zur Seite und sah das bläuliche Leuchten auf dem Skalenglas des Hö henmessers.
Er zuckte zusammen, legte einen Schalter um und dann gleich einen zweiten. Der Antrieb des kleinen Schiffes erwachte. Dan schaltete weiter. Dann wende te er das Schiff. Vor den Luken wälzte sich träge jene unheilverheißende schwarze Masse. Steve wachte auf. »Wir sind dicht dran«, sagte Dan gereizt. »Ich hab's zu spät bemerkt, um dir was zu sagen.« Steve übernahm das Steuer. Nach der Anzeige des Höhenmessers befand sich die Spindrift etwa hun dertfünfzig Kilometer über der Oberfläche der dunk len Welt. Sie raste darauf zu, obwohl der Antrieb jetzt mit voller Kraft arbeitete, um ihren Flug abzubrem sen. »Ich wollte, du hättest es früher bemerkt«, brumm te Steve. »Das kann knifflig werden.« Dan runzelte die Stirn. Jetzt erst fiel ihm auf, daß Wilson in der Kabine stand. »Suchen Sie was?« fragte er. »Wir sind gerade ziemlich beschäftigt.« »Das hat Zeit«, meinte Wilson. Er ging wieder in den Passagierraum zurück. Die Spindrift schlingerte, und er mußte sich festhalten, um nicht zu fallen, aber er war davon überzeugt, daß es für sie alle ein Glück war, daß er das Cockpit betreten hatte. Und das war auch richtig. Steve und Dan hatten jetzt alle Hände voll zu tun.
Die, Skalen, die ihnen anzeigten, wieviel Energie noch zur Verfügung stand, zeichneten ein keineswegs optimistisches Bild. Ein Flug mit drei g ließ die Chan cen einer Landung dahinschwinden wie Schnee in der Sonne. Die Spindrift hatte die Polarfläche prak tisch mit Höchstgeschwindigkeit überflogen. Aber nachdem Steve den Antrieb abgeschaltet hatte, war die Geschwindigkeit nicht zurückgegangen, bis er das Schiff herumgedreht und Gegenschub gegeben hatte. Und man brauchte ebenso viel Kraft, um das Schiff abzubremsen, wie man zuerst benötigt hatte, die Spindrift über den Planeten hinwegzujagen, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Und jetzt, da sie sich der dunklen Welt wieder näherten, wurde es nö tig, erneut Energie einzusetzen, um zu bremsen – und dann stand noch die sehr stark energieverbrauchende Landung bevor. Steve hatte nicht mehr genügend Energie zur Verfügung, um die Tagseite des Planeten zu erreichen, wo er sehen konnte, wohin er flog. Er mußte jetzt landen, irgendwo und irgendwie. Und er würde die Akkumulatoren aufladen müssen, ehe der Morgen kam, gleichgültig, wo auch immer er landete. Und eine Landung im unbekannten Terrain, noch da zu mitten in der Nacht, würde kein Zuckerlecken sein. Die Spindrift traf mit zu hoher Geschwindigkeit auf die Atmosphäre. Steve durfte beim Bremsen nicht zu
sparsam mit der Energie umgehen. Er mußte den Sturz der Spindrift abbremsen und eine weiche Lan dung bewerkstelligen. Sie flogen jetzt in zweiund zwanzigtausend Meter Höhe, und ihre Höhe nahm rapide ab. Jetzt waren es nur noch elftausend. Und da trafen sie auf etwas, das sich wie eine Steinmauer an fühlte. Es war ein Jet-Stream, der mit fünfhundert Stundenkilometern von Ost nach West wehte. In sie bentausend Meter Höhe gab es eine Turbulenz, und für ein Schiff wie die Spindrift konnten Turbulenzen sehr gefährlich werden. Plötzlich waren keine Sterne mehr zu sehen. Das kleine Schiff hatte die Wolkenschicht durchstoßen. Aber nun gab es weitere Turbulenzen. Mächtige Wind böen erfaßten die Spindrift. Auch Blitze gab es. Tiefer und tiefer fiel die Spindrift, und ihre Außenhaut dröhn te. Das Schiff rollte und schlingerte. Das war viel schlimmer als eine kleine Gewitterbö. Das waren die Nachwehen eines Taifuns, und es würde besser sein, einen großen Bogen um diesen Sturm zu machen. Aber das war unmöglich. In dichter Luft und schwerem Re gen mit einer Geschwindigkeit von zwei Mach oder mehr zu fliegen, wäre ein selbstmörderisches Unter fangen und würde vor allem ungeheure Energiemen gen verbrauchen. Und die Energie war bereits knapp. Die Skala stand praktisch auf Null. Als das Schiff noch höchstens zweitausend Meter
über der Planetenoberfläche war, gab es einen grellen Blitz – der Lautsprecher über Dans Kopf verriet ihm, daß man das Knattern sogar in der Passagierkabine gehört hatte – und alle Insassen der Spindrift spürten einen plötzlichen Schlag. Das Schiff schien mitten in der Luft stehenzubleiben, und die Lichter gingen aus. Kurz darauf flackerten sie wieder. Dan erschien un ter der Tür. »Alles in Ordnung«, sagte er mit lauter Stimme. »Das Schiff ist von einem Blitz getroffen worden. Er hat uns am Heck erwischt, ist durch den ganzen Rumpf gelaufen und hat uns vorn wieder verlassen. Aber alles ist in Ordnung. Wir werden jetzt landen. Keine Berge, keine Bäume! Alles in Ordnung.« Er verschwand wieder. Betty blickte erleichtert auf. Steve hatte Dan geschickt, um alle zu beruhigen. Aber in erster Linie hatte er dabei an sie gedacht. Im Cockpit setzte Dan sich wieder in seinen Sessel und schaltete beinahe automatisch das Funkgerät ein. Zuerst machte er ein ungläubiges Gesicht, dann schien er verärgert. Steve versuchte gleichzeitig, ein Dutzend Instrumente im Auge zu behalten, vom Hö henmesser bis zum Energieanzeiger. Die Außentem peratur war durch den Blitz um vier Grad Celsius ge stiegen, aber sonst gab es keine Abweichungen von dem, was man – wenn auch nur sehr vage – den Um ständen nach als normal bezeichnen konnte.
Dan sagte wütend: »Die Funkanlage ist hinüber! Dieser verdammte Blitz hat sie zerstört! Was machen wir jetzt?« »Wir warten, bis wir gelandet sind, und versuchen sie zu reparieren«, entschied Steve. »Im Augenblick ist nur wichtig, daß wir landen. Ich kann die Boden beschaffenheit nicht erkennen.« Dem Radarhöhenmesser nach mußte sie höchst ei genartig sein. Und dann hörte ihr Landeanflug ganz plötzlich auf. Das Schiff hatte sich dem Boden nicht besonders schnell genähert; höchstens eineinhalb oder zwei Meter in der Sekunde. Aber es gab einen deutlichen, höchst eigenartigen Ruck, als sie den Bo den berührten, und dann spritzten zu beiden Seiten mächtige Wasserfontänen auf. Die Spindrift hob sich etwas. Sie schlingerte und stampfte; und dann schwamm sie. Sie waren auf dem Wasser gelandet. Es konnte ein Fluß oder ein See sein, vielleicht aber auch ein Ozean, so groß wie ein Konti nent. Aber das Schiff schwamm. Konstruiert, um auch im Vakuum zu fliegen, war sie notwendigerwei se luftdicht und demzufolge auch wasserdicht. Also schwamm sie, wenn auch die Wellen hoch genug wa ren, um sie alle ziemlich heftig durcheinanderzu schütteln. Dan überprüfte noch einmal die Funkanlage. Er fand einen durchgeschmorten Kondensator. Der Blitz
hatte einen kräftigen Induktionsstoß durch das ganze Schiff gejagt, aber Dan hatte keine Schwierigkeiten, den Schaden zu beheben. Sonst fand er nichts. Eine Stunde später hatte die See sich immer noch nicht beruhigt. Der Wind blies wütend, und wenn auch eine alte Seemannsweisheit behauptete, daß die Stürme bei Nacht einen Großteil ihrer Wucht verlo ren, so mußte man doch feststellen, daß diese Wucht von Anfang an ziemlich groß gewesen sein mußte. Als Dan schließlich meldete, daß das Funkgerät im mer noch Schwierigkeiten machte, rollte und stampf te die Spindrift immer noch. Immer wieder suchte Steve nach Lecks, aber die Hülle war dicht geblieben. Eine weitere Stunde verstrich. Dan meldete jetzt, daß er irgendwelche Störgeräusche empfing, aber keine richtigen Signale. Wieder überprüfte er die Funkanlage. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, warum er keine normalen Radiosendungen empfan gen konnte. Natürlich mußte dieser Planet die Erde sein, und wenn die Funkanlage hier nicht funktio nierte, so mußte es irgendwo einen Kurzschluß oder sonst etwas geben. Aber vielleicht lag der Schaden nur im Empfangsbereich. Er begann also Notsignale zu senden. »Mayday«, sagte er mit klarer Stimme. »Ich rufe al le Schiffe. Mayday! Suborbitalschiff Spindrift notge wassert. Wir können unsere Position nicht durchge
ben. Wir wissen nicht, wie spät es ist. Wir haben auch noch keine Sonnenstandmessung gemacht. Mayday! Mayday! Ich rufe alle Schiffe! Mayday!« Das war kein üblicher Notruf. Schiffe in Seenot er klären normalerweise nicht, daß sie nicht wissen wie spät es ist. Sie brauchen die Zeit, um ihre Längenposi tion zu ermitteln. Sie funken auch nicht, daß sie keine Sonnenstandsmessung machen können, um die Breite festzustellen. Aber alle Schiffe in Not benutzen das Codewort Mayday als Hilferuf. Jedes Schiff, das einen solchen Ruf empfängt, gibt alle anderen Pläne auf und bemüht sich darum, Hilfe zu bringen. Aber es kam kein Rückruf. Keine Antwort. Die Spindrift wurde von den Wellen wie ein Spielzeug hin- und hergeworfen. Steve hatte schon lange den Antrieb abgeschaltet und die Anlage auf »Laden« ge polt. Der winzige Atommeiler reichte nicht aus, um das Schiff selbst anzutreiben. Aber in sechzehn Ladestunden konnte er genug Energie sammeln, um das Schiff acht Stunden lang in der Luft zu halten – das entsprach vier Flügen um den ganzen Planeten. Schließlich schaltete Dan die offenbar nutzlose Funkanlage aus. Er konnte keinen Defekt finden, aber offenbar funktionierte die Anlage nicht, denn es kam keine Antwort, es gab auch keine Signale im Äther, die darauf hinwiesen, daß andere Schiffe oder Kü stenstationen existierten. Dutzende Male hatte er ge
rufen. Aber er hatte nur schwache Störgeräusche empfangen und vermutete, daß sie irgendwo aus sei ner eigenen Anlage kamen. »Schöner Mist«, schimpfte er. »Da stecken wir mit tendrin und wissen nicht, wohin wir sollen! Da be stehen wir Gefahren, die uns keiner glauben würde – besuchen Orte, von deren Existenz keiner was weiß oder ahnt, daß es sie überhaupt gibt. Und dann krie gen wir eine Chance von eins zu einer Million gebo ten, hierher zurückzukommen, aber niemand hört uns. Wir können niemanden erreichen – unsere Hilfe rufe sind nutzlos. Und starten können wir auch nicht, weil die Spindrift jetzt wie ein Boot auf dem Wasser schwimmt und man sie wie eine Rakete aufrichten muß, um starten zu können. Schöner Mist!« »Stimmt«, sagte Steve. Er hatte einen höchst eigen artigen Gesichtsausdruck. Er hatte Dan die ganze Zeit über zugehört. »Ich meine«, fuhr Dan wütend fort, »daß wir die Spindrift wie ein Boot benützen können. Schließlich schwimmt sie, und der Antrieb funktioniert anschei nend auch. Aber wie schnell können wir fahren? Kei ne Ahnung! Wir könnten uns zumindest auf den Weg machen. Aber in welche Richtung? Angenommen, wir steuern nach Westen. Dann lassen wir vielleicht Australien hinter uns, und vor uns liegen ein paar tausend Meilen freies Meer. Oder wir fahren nach
Osten! Vielleicht sind wir irgendwo östlich von China heruntergekommen! Dann müßten wir den ganzen Pazifik überqueren, ehe wir Amerika erreichen! Als wir zum erstenmal von der Raumfalte losgelassen wurden, haben wir die Antarktis überflogen. Aber in welcher Richtung liegt die jetzt. Wir können nicht einmal Kurs darauf nehmen!« Steve gab keine Antwort. Da war etwas, was Dan nicht erwähnt hatte. Der magnetische Kompaß der Spindrift wies in eine Richtung, von der er einfach nicht glauben konnte, daß das Norden war. »Morgen, wenn es hell ist, werden wir mehr wis sen«, sagte er. »Vielleicht weisen uns die Seevögel den Weg zum Land. Alles mögliche kann passieren.« Dan starrte durch die Luke hinaus. Er sah nichts als Finsternis. Die Wellen waren immer noch meterhoch, und der Wind blies mächtige Schaumkronen gegen das Schiff. »Was für ein freundlicher Empfang zu Hause!« brummte Dan. »Wir haben etwas Energie gespeichert. Wenn wir starten könnten, könnten wir aus dieser Wetterzone herausfliegen und um die Welt fliegen, in den Sonnenschein, zu einem besseren Landeplatz, den wir sehen können und nicht mehr verlassen müs sen. Ich will endlich wieder an einen Ort, wo alles normal ist!« »Vielleicht können wir starten, wenn die See sich
beruhigt hat«, sagte Steve. »Das Schiff benimmt sich jetzt wie ein U-Boot, aber wir werden versuchen, den Antrieb einzuschalten und in eine Art Gleitflug über zugehen, und wenn wir dann richtig –« Dans Miene hellte sich auf. Und dann fegte ein Bre cher über die halb eingetauchte Spindrift hinweg, und das kleine Schiff erzitterte vom Bug bis zum Heck. »Ich hätte nie gedacht, daß ich dieses Biest wieder starten möchte«, brummte Dan, »aber jetzt möchte ich noch einen einzigen Flug machen – fort von hier, bloß irgendwohin. Und dann kündige ich!« Er ging in die Passagierkabine, um mit Betty und Marjorie über das geplante Festessen zu sprechen. Wilson stand auf und ging nach vorn ins Cockpit. Steve musterte ihn ernst. Wilson sagte: »Ich war vorhin schon mal bei Ihnen, aber da hat ten Sie beide zu tun. Irgendwelche Funksignale?« Steve schüttelte den Kopf. »Dan meint, er habe den Defekt in der Anlage nicht gefunden. Er weiß nicht, warum sie nicht funktioniert. Er meint, es sei viel leicht etwas durchgebrannt, was er zur Überprüfung nicht zerlegen kann.« »Das könnte die Ursache sein. Ich hoffe es wenig stens. Aber in Wirklichkeit ist mir gar nicht so hoff nungsfroh zumute. Ich wollte bloß sagen, daß der Taifun sich ziemlich schnell zu bewegen scheint. Wir werden bald aus dem Sturmgebiet heraus sein, und
ich habe mir eingebildet, ich hätte vorhin einen Stern gesehen.« Steve sah ihn an. »Er hat nur kurz aufgeblitzt und war dann gleich wieder weg«, sagte Wilson. »Ich bekam nur einen kurzen Blick darauf. Ich konnte ihn natürlich nicht erkennen. Aber jedenfalls sieht es so aus, als würde der Sturm abziehen. Wir sind wahrscheinlich ir gendwo in seiner Randzone heruntergekommen.« Er zögerte einen Augenblick. »Ehrlich gesagt, mir gefällt das hier überhaupt nicht. Ich habe, als wir noch draußen im Weltraum waren, nach den Planeten Ausschau gehalten, aber ich habe keine gesehen. Sie könnten natürlich auf der anderen Seite der Sonne sein, aber – alle gleichzeitig? Mir gefällt das einfach nicht.« »Wenn der Sturm bis zum Tagesanbruch nachließe –« meinte Steve grimmig. Jetzt kam Dan freudig erregt zurück. »Es wird Tag«, strahlte er. »Drüben wird der Hori zont bereits grau. Das muß die Morgendämmerung sein!« Steve und Wilson spähten aus den Sichtluken. Es dauerte eine Weile, bis sie sich ihrer Sache sicher wa ren. Wassertropfen und Gischt auf den Luken ließen sie nicht einmal die Dunkelheit deutlich erkennen. Aber dann waren sie überzeugt. Dort hinten – das
mußte Osten sein – begann es tatsächlich hell zu wer den. Es gab sogar eine Art Horizont, der sich immer wieder hob und senkte. Die Wellen fegten an der Spindrift vorbei. Und Dan legte strahlend den Schalter des Funkge räts um, das bis jetzt noch keine einzige Antwort auf ihre Hilferufe hereingebracht hatte. »Mayday!« rief er. »Mayday! Suborbitalschiff Spin drift ruft alle Schiffe! Wir schwimmen auf See. Holt uns! Mayday! Mayday! Mayday!« Wilsons Gesichtsausdruck war unergründlich, aber er sagte nichts. Und dann ging Dan in die Passagier kabine zurück, um seine Freude mit den anderen zu teilen. Die Spindrift rollte, stampfte und krängte. Sie starr ten aus den Luken. Und dann war da ein Stern zu se hen. Er strahlte hell und verschwand wieder. Noch einer. Man sah sie durch Lücken in der dichten Wol kenschicht. Der Sturm ließ jetzt eindeutig nach. Und dann tauchten drei Sterne gleichzeitig zwischen den Wolken auf. Immer heller wurde es. Über den Wol ken schien der Mond, und man konnte sein Licht deutlich an den Wolkenrändern erkennen. Wilson sagte mit eigenartig betretener Stimme: »Wenn man diesen Mond deutlich sehen kann –« Im Westen war keine Spur von Tageslicht zu er kennen. Der Himmel war schwarz, wo man den Ho
rizont zumindest andeutungsweise hätte sehen müs sen. Steve und Wilson starrten zu dem Loch in der Wolkendecke empor. Eine unregelmäßig ausgefranste gelbliche Linie tauchte auf. Immer heller wurde sie, obwohl das Meer im Osten nur wenig dunkler als der Himmel war. Eine runde, glänzende Scheibe tauchte hinter der Wolkenwand auf. Ein nur schwach leuchtender Stern erschien neben dem Mond. Und dann tauchte ein zweiter Mond auf. »Wir haben es nicht geschafft«, sagte Wilson mit einstudierter Gelassenheit. »Das ist nicht die Erde.« Die beiden Monde verschwanden wieder hinter den Wolken. Die Spindrift stampfte und rollte in dem schwachen grauen Licht, das langsam immer heller wurde, während die Dämmerung heraufzog und die scharf gezackten Wellen sich deutlich vor den Luken abzeichnete. Aber die anderen Insassen der Spindrift hatten die Monde nicht gesehen. Sie wußten noch nicht, daß all ihre Hoffnungen mit einem Schlag zunichte gemacht worden waren. Erst als über dem ganzen Meer graues Licht lag, erkannten sie, daß ihre Wünsche sie getro gen hatten. Die Wellen schlugen immer noch hoch. Die Däm merung deutete das Kommen des Tages an, obwohl drohende Wolken am Himmel hingen. Und dann
tauchten ein paar Tümmler aus dem monoton wo genden Meer auf. Irgendwo zur Linken schoben sich dunkle Silhouetten durch das Wasser. Zuerst eine, dann zwei, dann ein halbes Dutzend, vielleicht sogar mehr. Sie kamen alle aus der gleichen Richtung, und sie spielten rings um die Spindrift. Ihre glatten dunk len Leiber schwangen sich elegant aus den Wellen und tauchten wieder hinein, als bereite ihnen der Flug keinerlei Mühe. Jetzt war die Spindrift von we nigstens zwanzig Tümmlern umgeben. Und dabei schnatterten sie unablässig. Die Laute drangen unter Wasser an den Rumpf der Spindrift. Steve ging in die Passagierkabine zurück, wo ihn betretene Mienen erwarteten. Die Geschöpfe draußen waren ganz typische Tümmler. Aber gleichzeitig hat te ihr Auftauchen die Insassen des kleinen Schiffes wieder in tiefe Verzweiflung gestürzt. Sie waren nämlich zwölf bis fünfzehn Meter lang! Man hätte sie mit Walen verwechseln können. Aber Wale sind nicht so gelenkig und geschickt und pflegen auch nicht in den Wellen einer stürmischen See zu spielen. Es waren Riesentümmler. Sie waren ein Beweis da für, daß die Spindrift nicht auf der Erde gelandet war. Sie war zu jener schrecklichen Welt zurückgekehrt, die die Menschen von der Spindrift das Reich der Gi ganten nannten. Betty blickte durch eine Luke hinaus. Ihre Lippen
zitterten. Marjorie war wie benommen. Valerie ließ sich selbst durch diese Katastrophe nicht von ihrer stets gelassenen Haltung abbringen. Dan schluckte und starrte hinaus. Fitzhugh biß die Zähne zusam men, daß die Backenmuskeln wie Stränge hervortra ten. Er hatte beide Hände in den Taschen, so daß man ihr Zucken nicht sehen konnte. Wilsons einstudierte Ruhe wirkte keineswegs überzeugend. Barry, der Junge, war sichtlich freudig erregt, und Chipper zerr te an seinen Hosenbeinen. Einer der Tümmler tauchte etwa dreißig Meter vor dem Schiff in die Wellen ein. Er kam höchstens zwei Meter von der Spindrift entfernt wieder zum Vor schein. Er schoß in die Luft, und die dunkle Silhouet te seines Leibes ragte drohend über ihnen auf. Dann kam er auf der anderen Seite des Schiffes wieder herunter. In einer eleganten, geradezu atem beraubenden Kurve tauchte er in die Wellen. Andere taten es ihm gleich. Ringsum war ihr Schnattern zu hören. Und dann wurden es plötzlich immer weniger Tümmler. »Die schwimmen dort hin!« sagte Barry erregt. »Seht doch! Es ist ein Schiff oder so etwas! Ein Wrack! Die schwimmen zu dem Schiff zurück – sie sind aus dieser Richtung gekommen! Ein paar bleiben bei uns.« Das war richtig. In wenigen Minuten tummelten sich
nur noch fünf der riesigen Geschöpfe um die Spindrift. Die anderen hatten sich zu irgendeinem schwimmen den Gegenstand, der weit entfernt war – begeben. Er war nie ganz zu sehen, und man konnte ihn auch nur schwer identifizieren. Aber mit der Zeit konnten sie sich ein Bild davon machen. Ein Fischerboot trieb in den Wellen. Das Boot war größer als die Tümmler. Es unter schied sich schwach von einem Boot, wie es vielleicht auf der Erde hätte gebaut werden können, aber man konnte sich gut vorstellen, daß ein Küstenfischer, wenn er ein Riese war, damit umgehen konnte. Es hatte einen Mast, der abgebrochen war. Vielleicht wurde es auch mit Rudern vorwärts bewegt. Immer wieder schlug die See über dem Boot zusammen. Eine riesige, menschen ähnliche Gestalt stand oder kauerte darin und versuch te, das Wasser auszuschöpfen. Die Leute von der Spin drift starrten hinüber. Und Marjorie sagte mit beinahe ehrfürchtig klingender Stimme: »Ein Boot mit einem Riesen!« Das war nicht abzustreiten. Winde von hurrikanar tiger Gewalt hatten seinen Mast gebrochen. Ein Ge wirr aus Segeltuch und Seilen schwamm daneben im Wasser. Die Gestalt des Riesen bewegte sich rhyth misch. Er war auf See gewesen, als der Taifun herauf zog. Sein Boot war von der Macht der Elemente überwältigt und entmastet worden, und jetzt trieb es hilflos in den Wellen. Der Riese war eine unnatürli
che, beinahe lächerlich wirkende Gestalt. Seine Arme waren meterdick. Seinen Hüftumfang hätte man mit langen Schnüren messen müssen. Sein Kopf allein wirkte größer als das größte Faß, das irgend jemand auf der Spindrift je gesehen hatte. Steve ging ins Cockpit zurück. Er schaltete den An trieb ein. Die Spindrift drehte sich sehr langsam, bis ihr Bug auf das weit entfernte Boot wies. Das Stamp fen und Schlingern des kleinen Schiffes wurde hefti ger. Es war jetzt genau gegen den Wind gerichtet. Die Wellen trafen es von vorn. Und jede Welle prallte so heftig auf, daß man es im Inneren des Schiffes spürte. Die Tür zum Cockpit öffnete sich hinter Steve. Er sag te, ohne sich umzudrehen: »Wir fahren mit etwa fünf Stundenkilometer, Dan, und die Wellen sind noch ziemlich schlimm. Für ei nen Start sieht das übel aus.« Statt Dan antwortete Betty. Ihre Stimme klang be drückt. »Steve, meinst du ... meinst du wirklich, daß wir uns diesem Riesen nähern sollten? Sie hassen uns doch. Und wir können nichts tun, um dem Schiffbrü chigen zu helfen. Schließlich können wir ihn doch nicht an Bord nehmen!« Das war natürlich undenkbar. Der Riese mochte etwa achtzehn Meter groß sein; das war ziemlich ge nau die Länge der Spindrift. Und auf der Welt, auf die
sie jetzt wieder zurückgeworfen worden waren, gab es keinen einzigen Fall, in dem einer der Riesen die Erdenmenschen als etwas anderes als Tiere betrachtet hatte. Ja, man hielt sie sogar zu allem Überfluß trotz ihrer geringen Größe für gefährlich. »Wir können nichts für ihn tun!« wiederholte Betty. »Oder gegen ihn«, sagte Steve. »Das ist auch zu be denken.« Jetzt kam Dan herein. Sein Gesicht war verkniffen. Und Steve fragte zynisch: »Willst du eine gute Tat tun, Dan? In dem Fall könntest du noch ein paar Notrufe aussenden. Für unseren Freund in dem Boot dort drüben. Er hat be stimmt kein Radio – So etwas benützt man hier nicht. Seine Segel hat er zusammen mit dem Mast verloren. Ich bezweifle sehr stark, daß er bis zum Ufer zurück rudern könnte, selbst wenn er weiß, in welcher Rich tung Land liegt. Du kannst also jemanden einladen, hierherzukommen und uns umzubringen. Auf die Weise wird er vielleicht aus seiner Gefahr befreit. Vielleicht funktioniert die Anlage jetzt.« Dan brummte etwas Unverständliches. Die Tatsa che, daß die Spindrift auf diese Welt verschlagen worden war, statt zur Erde zurückzukehren, hatte wie ein Schock auf ihn gewirkt. Er schaltete die Funk anlage ein. Und dann sandte er Notrufe aus, ohne sich richtig darauf zu konzentrieren.
»Wir fahren hinüber, damit uns der Riese sieht«, fügte Steve hinzu, als wolle er sich dafür entschuldi gen, daß er etwas für einen Feind tat, mit dem es ein fach keine Verständigung geben konnte. »Wenn er uns sieht und gerettet wird, dann kommt vielleicht irgendein Riese auf die Idee, daß wir keine bösen Ab sichten haben. Die vermuten dann vielleicht sogar, daß wir sie gerufen haben, damit er gerettet wird. Das könnte – könnte habe ich gesagt! – eine Chance für Verhandlungen sein.« Schweigen. Die Spindrift bewegte sich mühsam durch die unruhige See auf das lecke, aber immer noch dahintreibende Fischerboot zu. Ihr Bug bohrte sich in die Wellen und kam langsam wieder herauf. Gischt sprühte. Immer näher kamen sie dem Fischer boot, stets von einigen Tümmlern umgeben. Die Spindrift selbst litt schwer unter dem Seegang. Immer wieder wurde sie unter Wasser gedrückt. Jetzt kamen ihnen andere Tümmler entgegen. Ein paar Minuten herrschte ein wirres Durcheinander zwischen dem Fischerboot und der Spindrift, und der Riese schöpfte und schöpfte. Er sah die Spindrift ganz deutlich, ebenso deutlich wie die Tümmler, als sie noch fünfzehn Meter ent fernt waren. Jetzt hörte er mit dem Schöpfen auf und starrte herüber. Dann bückte er sich. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er einen Stein –
natürlich einen zu seiner Größe passenden Stein – in der Hand. Er schrie wütend etwas zu ihnen herüber. Und dann warf er den Stein. Er verfehlte das Schiff um vielleicht einen halben Meter. Er schüttelte die Fäuste. Und dann brüllte er etwas, was nur Flüche sein konnten. Er bückte sich erneut, um einen weite ren Stein von seinem Ballast aufzuheben. »Das ist der Beweis, daß wir auf diesem Planeten einen schlechten Ruf haben«, sagte Steve. »Er glaubt, wir sind gekommen, um ihn zu töten. Wir haben hier wirklich eine schlechte Presse! Und es könnte sein, daß jemand gerade in diese Richtung unterwegs ist, um ein paar kleine Morde zu begehen. An uns näm lich!«
3
Der Sturm legte sich erstaunlich schnell. Wenn man den Tagesanbruch auf sechs Uhr Ortszeit legte, so war gegen neun die Wolkendecke in einzelne weiße Fetzen aufgelöst. Die Sonne schien auf das Meer her unter. Und die Tümmler spielten immer noch rings um die Spindrift, als wollten sie das Schiff dazu einla den, sich ihrem Spiel anzuschließen, als fragten sie sich, warum dieses glänzende Ding nicht mitmachte. Vielleicht wunderten sie sich aber auch über ihre un kontrollierten Bewegungen. Die Spindrift schwamm wie ein Boot. Ihr Antrieb konnte sie im Wasser vorwärts bewegen, und sie hat te auch so etwas wie Steuerruder. In Wirklichkeit wa ren es Antriebszellen, aber man konnte sie damit steuern. Sie funktionierten, wenn sie in einer Höhe von dreißigtausend Metern flogen, ja sogar außerhalb der Atmosphäre. Mit entsprechend größeren Sauer stoffvorräten an Bord, war die Spindrift durchaus in der Lage, den Flug vom Mond zur Erde und zurück zu bewerkstelligen. Aber das galt nicht mehr als gro ße Leistung. Es gab Schiffe, die speziell für diese Rei sen konstruiert waren und auch dafür benutzt wur den. Aber es gab noch kein Schiff, das genügend Nahrung und Sauerstoff für eine ganze Mannschaft
auf einem Flug zur Venus oder zum Mars befördern konnte. Jedenfalls handelte es sich hier um ein ganz spezifisches Problem. Die Spindrift schwamm im Wasser. Ihr Antrieb schob sie nach vorn. Aber wenn sie starten wollten, mußten sie den Bug aufrichten, und das war im Wasser nicht möglich. Steve ließ das Steuer nicht aus den Händen. Die Spindrift reagierte wie ein Boot, aber wie ein ziemlich träges Boot. Und in dem Maße, wie die Geschwindig keit zunahm, hob sie sich auch aus den Wellen. Jetzt waren nicht mehr drei Viertel des Schiffsrumpfes, sondern nur mehr die Hälfte unter Wasser. Aber je mehr die Geschwindigkeit stieg, desto größer wurde die Wucht, wenn sie mit entgegenkommenden Wel len zusammenprallte. Wenn das lange so weiterging, würde sie in Stücke gehauen werden. Also verlang samte Steve die Fahrt. Er hatte gar keine andere Wahl. Dann versuchte er, durch die Wellentäler zu steu ern. Aber es war und blieb unmöglich, den Bug zu heben. Sie war einfach nicht dazu konstruiert, aus dem Wasser zu starten. Steve versuchte jetzt, auf ei nem Wellenkamm zu reiten, so wie die Wellenreiter in der Südsee. Aber auch das bot keine Startmöglich keit. Auch dafür war die Spindrift nicht gebaut. Steve schaltete den Antrieb ab und polte den Atommeiler auf »Laden« um, um die mit diesen nutz
losen Versuchen verbrauchte Energie wieder zu er gänzen. »Was machen wir jetzt?« fragte Dan wütend. »So geht es nicht weiter.« »Wenn nichts anderes geschieht«, meinte Steve, »werden wir zu guter Letzt Seevögel sehen, die uns den Kurs zum Land weisen, und wir fahren dann eben auf der Wasseroberfläche weiter.« Dans Gesichtsausdruck wurde etwas freundlicher. »Die Wikinger haben es früher so gemacht«, nickte er. »Mit Raben. Sie haben sie in die Luft geworfen und sind dann in die Richtung gesegelt, die die Vögel einschlugen. Aber wir haben keine Raben.« »Dann müssen wir eben warten, bis etwas Ähnli ches vorbeikommt«, meinte Steve. »Über kurz oder lang kommen die schon.« Dan schnitt eine Grimasse. »Riesenraben mit sechs bis acht Meter Flügel spannweite!« Das war der erste direkte Hinweis darauf, daß die Spindrift nicht auf der Erde gelandet, sondern ins Reich der Riesen zurückgekehrt war. Das Verhalten des Fischers war Beweis dafür, daß die Haltung der Eingeborenen nach wie vor unfreundlich war. Und dann fügte Dan hinzu: »Aber überlege einmal was wäre, wenn sie unser Fahrtgeräusch aufgenommen hätten – das Summen, das unser Antrieb verursacht,
wenn er in Betrieb genommen wird! Selbst wenn un sere Funkanlage bei der Landung nichts hereinbe kommen hat, so möchte ich doch schwören, daß der Notruf hinausging. Aber selbst das Antriebsgeräusch – wenn sie das aufgefangen haben, dann sind jetzt welche von ihnen hierher unterwegs.« »Daran hatte ich auch schon gedacht«, meinte Steve ruhig. Wieder schob Betty Hamilton die Tür auf. »Da kommt etwas«, sagte sie besorgt. »Es sieht aus wie ein Dampfer. Habt ihr es bemerkt?« Steve und Dan drehten sich gleichzeitig um, um nach achtern zu blicken. Ein Schiff tauchte am Hori zont auf. Es war ein Dampfschiff. Aber es war kein Dampfschiff von der Erde. Dinge, die von Erdenmen schen gebraucht wurden, waren von proportionaler Größe für sie. Dinge, die die Giganten auf ihrer Welt gebrauchten, waren im Maßstab der riesigen Huma noiden hier gebaut. Dieser Dampfer war größer als jedes Schiff, das die Menschen je auf der Erde gebaut hatten – abgesehen vielleicht von einigen der mo dernsten Flugzeugträger. Es war gigantisch. Es war kolossal. Die Hälfte der Rumpfeslänge lag noch hin ter dem Horizont, als Steve es erblickte. Und dann quoll eine Rauchwolke auf. Eine Rakete hob vom Deck des Dampfers ab und jagte über die Wellen dahin. Sie schlug einen halben Kilometer von
der Spindrift entfernt auf. Dort detonierte sie. Man konnte sehen, daß sie beinahe so groß wie die Spin drift selbst war. Eine unglaublich mächtige Wasser säule stieg auf. Und über dem Wasser lag dichter Ne bel, Seewasser, das verdampft war. »Jetzt wissen wir wenigstens, daß unsere Funkan lage funktioniert hat«, grinste Dan verbittert. »Natür lich habe ich keinen Funkverkehr aufgenommen, weil es keinen gab. Diese Riesen benutzen ihr Radio ja nicht, um zu reden, sondern bloß, um uns zu hören. Und ich habe sie herbeigerufen, damit sie uns um bringen!« »Und«, sagte Steve, »sie haben Raketen. Warum ei gentlich? Bloß wegen uns?« Die Tümmler kamen wieder. Offenbar hatte sie die Explosion erschreckt. Sie kamen nicht an der Stelle zur Oberfläche, wo sie getaucht waren, sondern wei ter von der Spindrift und dem Fischerboot entfernt. Jetzt blitzte es auf dem Dampfer auf. Ein Strahl, lang, dünn, geometrisch gerade, eine glühende Linie. Und etwas, das noch heller war als der Strahl selbst, raste blitzschnell durch das flammende Rohr. Das unerträglich grelle Geschoß berührte die Meeresflä che. Im gleichen Augenblick verschwand die Flam me, und die Wasserfläche verwandelte sich in damp fende Gischt. Eine zweite Rakete wurde auf dem Dampfer abge
feuert. Wieder tauchten die Tümmler. Diesmal deto nierte die Rakete ziemlich dicht an der Stelle, wo sie verschwunden waren. Die Explosion war so grell, daß das Morgenlicht im Vergleich dazu düster wirk te. Tümmler schossen aus dem Wasser, stoben wirr durcheinander, sichtlich erschreckt. Wieder ein Blitz. Und noch einer. Das waren Handwaffen. Zwanzig Meter hohe Riesen feuerten sie ab, und die Waffen hatten etwa die gleiche Wirkung wie Artilleriegrana ten. Die Blitzraketen erinnerten an Leuchtspurmuni tion. Und jedesmal, wenn sie das Wasser trafen, sprühte ringsum heißer Gischt auf. »Auf diese Entfernung«, meinte Steve grimmig, »können die die Spindrift nicht von einem Tümmler unterscheiden. Und das havarierte Fischerboot haben die noch gar nicht bemerkt. Aber warum haben sie solche Raketen an Bord? Die können sie doch nicht einfach von heute auf morgen konstruiert und gebaut haben! Das ist unmöglich! Wozu haben sie sie also, wenn keine Besucher auf ihrem Planeten sind?« Das riesige Schiff kam immer näher. Die Tümmler tauchten und schossen wieder in die Höhe, als wäre das Ganze ein Spiel für sie. Es war nicht leicht, ihre zwölf bis fünfzehn Meter langen Leiber auf so große Distanz von der Spindrift zu unterscheiden. Und ebenso wie Menschen das zu tun pflegten, neigten die
Tümmler dazu, sich dicht zueinander zu drängen, so zusagen geschlossen gegen jede Gefahr aufzutreten, die sie bedrohte. Wieder wallte Rauch auf, und eine vierte Rakete schoß vom Deck des Dampfers in die Höhe. Sie stieg in die Lüfte, beschrieb einen Bogen und fiel nur un weit des Schiffes von der Erde ins Wasser. Wieder gab es eine Detonation. Die Spindrift erbebte. Die Ex plosion lag zwischen der Spindrift und den Tümm lern. Offenbar wurden etliche Tiere dabei verletzt. Jetzt gerieten sie in Panik. Einige tanzten wie irr um her, andere peitschten die See mit ihren Schwanzflos sen. Und da war einer, der größte von allen, der wirk lich durchzudrehen schien. Wie ein Verrückter schwamm er rasend schnell im Kreis herum. Und plötzlich verschwand er. Und dann verschwanden auch die anderen Tümmler, mit Ausnahme von zwei Kadavern, die mit den Bäuchen nach oben im Wasser trieben. Nun tauchte der große Tümmler, vielleicht der An führer der ganzen Schar, wieder auf. Er schoß aus dem Wasser in die Höhe, dreimal seine Körperlänge war er jetzt über den Wogen, und klatschte dann wieder mächtig herunter. Dann trieb er auf den Wel len. Und auch die anderen rührten sich nicht mehr. Steve fluchte. Plötzlich war er sehr beschäftigt. Die Spindrift schoß mit einem Ruck nach vorn. Man hätte
sie immer noch für einen der Tümmler halten kön nen. Aber jetzt entfernte sie sich von der Rauchwolke, die von der Explosion der letzten Rakete zu ihnen herübergetrieben war. »Die werden uns sehen, Steve!« sagte Dan besorgt. »Damit sie uns besser fressen können, mein Lie ber«, antwortete Steve mit einem etwas verdrehten Zitat aus Rotkäppchen. Es ist eine Eigenart der menschlichen Natur, daß gerade in Zeiten höchster Gefahr manche Leute nicht von der Angst gelähmt werden, sondern eher zu dummen Späßen neigen. Steve drehte jetzt am Steuer. Natürlich benutzte die Spindrift keine Ruder zum Steuern. Vielmehr gab es winzige Antriebszellen, die den Bug im Flug nach oben oder unten drückten. Und dann gab es andere, die nach links oder rechts wirkten. Diese Zellen funk tionierten in der normalen Reiseflughöhe von drei ßigtausend Metern ebenso gut wie in dichterer Luft. Offenbar funktionierten sie sogar unter Wasser. Aber eine einzige Schubzelle, die nach oben wies, konnte natürlich nicht das ganze Schiff in Vertikallage brin gen. Deshalb war es auch unmöglich gewesen, aus dem Wasser heraus zu starten. Aber eine Steuerzelle, die nicht in der Lage war, den Bug der Spindrift aus dem Wasser zu heben, konnte ganz entschieden den Bug tiefer unter Wasser drücken.
Mit nur halber Kraft voraus tauchte die Spindrift. Wo sie eben noch gewesen war, war die Wasserober fläche jetzt leer. Auf Tauchfahrt mühte Steve sich fieberhaft ab, das Schiff wieder in die Gewalt zu bekommen. Es war ziem lich gefährlich, so zu manövrieren, aber oben zu bleiben wäre glatter Selbstmord gewesen. Die Schiffswand war konstruiert, einem normalen Innendruck standzuhal ten. Hinzu kam noch ein zusätzlicher Sicherheitsfaktor. Es müßte also möglich sein, der Spindrift auch einen gewissen Außendruck zuzumuten. Aber sie durften auf keinen Fall zu tief tauchen. »Dan!« rief Steve. »Bleib an der Luke. Du kannst die Wasserfläche von unten sehen. Sag es mir, wenn ich zu tief gehe oder die Oberfläche wieder erreiche!« Es gab eine Detonation. Die Druckwelle erreichte die Spindrift. Steve schwitzte. Druckwellen, die von Explosionen herrührten, würden mit tödlicher Si cherheit jede schwache Stelle in der Schiffsstruktur finden. Das konnte tausend Lecks geben. Oder es könnte die Schiffswand ganz eindrücken, falls eine Rakete im Umkreis von hundert, vielleicht sogar zweihundert Metern detonierte. Die Spindrift, die in ihrer Konstruktion einem Raumschiff sehr nahekam, funktionierte jetzt als UBoot. Auf die Weise war sie für den etwa zwölf Kilo meter entfernten Dampfer unsichtbar.
Wieder eine dröhnende, alles aufrüttelnde Detona tion. Erneut wurde das kleine Schiff von der Druck welle erfaßt. Das war höchst gefährlich. Und diese dauernden Detonationen machten den Tümmlern Angst. Die – wenn man das trotz ihrer Größe sagen durfte – possierlichen Tiere hatten jetzt jede Lust am Spielen verloren. Einige von ihnen schossen blind lings aus dem Wasser. Einer oder zwei fegten auf der Meeresoberfläche davon und hinterließen Kielwas serspuren wie Torpedoboote. Steve drückte den Mikrofonknopf. Seine Stimme klang gleichmäßig: »Ich riskiere jetzt noch einmal ein Manöver. Ich ha be es den Tümmlern abgeschaut. Ihnen hat es nicht viel genützt, aber vielleicht nützt es uns etwas. Bitte anschnallen!« Die Spindrift befand sich immer noch unter Wasser, vielleicht sechs Meter unter den Wellenkronen. Auf ihrer Außenhaut lastete ein Druck von sieben atü. Trotzdem tauchte Steve weiter. Zehn Meter. Zwölf. Dreizehn. Ein Ächzen und Stöhnen ging durch das Schiff. Steve brach der Schweiß aus. Aber das kleine Schiff gehorchte dem Steuer. Und jetzt schaltete Steve auf die Notaggregate. Das Schiff schoß nach oben, nahm mit jeder Sekunde an Geschwindigkeit zu. Hinauf, hinauf – Es durchbrach die Wasseroberfläche und schoß mit
drei g Beschleunigung zum Himmel hinauf. Mit je dem Sekundenbruchteil wurde es schneller. Unter ihnen dehnte sich der Ozean aus. Der Hori zont blieb in der Ferne zurück. Der Dampfer der Rie sen war ungeheuer groß gewesen – im nächsten Au genblick war er wie ein Spielzeug auf einer glatten Wasserfläche. Ein Augenblick noch, und die Spindrift war in den Wolken verschwunden. Steve schaltete den Antrieb auf eine erträglichere Beschleunigung zurück, und als sie alle wieder nor mal atmen konnten, regulierte er den Kurs. Die Wol ken unter ihnen würden als Tarnung ausreichen. Aber das war offensichtlich nicht der Fall. Blitze zuckten durch die Wolken. Sie erinnerten an Feuer werksraketen. Das waren die Handwaffen der Riesen. Natürlich funktionierten sie nur, wenn weit und breit keine Funksendungen ausgestrahlt wurden, aber – Die Lichtblitze verblaßten. Es waren sehr wirksame Waffen, aber man brauchte bloß die Funkanlage in Betrieb zu nehmen, dann funktionierten sie nicht mehr. Eine Rakete kam durch die Wolken. Sie schien et was zu torkeln, nahm aber dann geradewegs Kurs auf die Spindrift. Eine zweite Rakete. Eine dritte. Eine vierte. Und jede schien sich irgendwie an das Schiff von der Erde anzuhängen. Natürlich orientierten sie sich in Wirklichkeit an dem Antriebsgeräusch der
Spindrift, und dabei handelte es sich nicht um Hoch frequenz. Sie nahmen gnadenlos die Jagd auf. Steve ging in Sturzflug über. Jede der Raketen war so groß wie die Spindrift selbst. Er ließ das kleine Schiff aus fünfzehnhundert Meter Höhe bis auf drei hundert abfallen. In dreihundert Meter Höhe fing er es ab. Die Robot-Raketen folgten ihm. Jetzt flog Steve nur noch drei Meter über der Mee resoberfläche dahin. In diesem Augenblick explodierte die erste Rakete. Sie war gegen einen Wellenkamm gestoßen. Eine Wasserfontäne stieg unglaublich hoch auf. Unten kochte das Wasser. Die Spindrift schoß in die Höhe und ging sogleich wieder in Sturzflug über. Die übrigen Raketen folgten ihr. Sie folgten ihr in die Höhe und auch wieder in die Tiefe. Sie überholten das kleine Schiff sogar. Deshalb bog Steve scharf nach links ab. Die Raketen versuch ten erneut, ihr Ziel anzusprechen. Wieder stieß eine mit einer Welle zusammen und explodierte. Und bei nahe im gleichen Augenblick detonierte auch die drit te. Steve fegte über das Wasser hinweg. »Die können doch nicht endlos viele Raketen mit gebracht haben!« schimpfte er. Die Spindrift stieg wieder in die Höhe und forderte weitere Angriffe heraus. Aber es kamen keine. Also nahm sie wieder Kurs auf die Wolken.
Jetzt war die Spindrift viele Kilometer von dem Dampfer entfernt, der sieben Raketen auf sie abge schossen hatte, und raste in die Richtung, aus der der Dampfer gekommen war. Steve vermutete, daß in dieser Richtung Land liegen mußte, vielleicht sogar eine Stadt der Riesen. Und so war es auch. Die Spindrift ging etwas tiefer, um die Stadt besser sehen zu können. Sie lag auf flachem Land. Ein breiter Fluß mündete ins Meer. Es gab Bäume hier, die kleine Wälder bilde ten. Einige Kilometer die so charakteristisch für die Architektur der Riesen waren. Zweifellos gab es wei ter landeinwärts auch kultiviertes Land, aber hier, in Ufernähe, war nur karger sandiger Boden zu sehen, der in einen weißen Strand überging. »Denen müssen wir es jetzt einmal zeigen«, sagte Steve. »Die wollen es nicht anders!« In der Spindrift waren vier Männer, drei Frauen und ein Junge. Gegen sie stand die Bevölkerung eines Planeten von der Größe der Erde – eine Bevölkerung, die noch dazu aus Riesen bestand. Aber Steve hatte eine Idee gehabt. Zwei Ideen, ge nauer gesagt. Eine bestand darin, daß die Zivilisation der Riesen von Energie abhängig war. So wie das bei allen Zivilisationen der Fall ist. Wenn die Spindrift die Energieversorgung dieser Zivilisation zu gefährden schien, so mußte man sie tatsächlich als Bedrohung
einstufen. Und da die Riesen dem winzigen Schiff und seinen Insassen so feindlich gesinnt waren, muß ten sie in irgendeiner Weise äußerst verwundbar sein. Das war das eine, worauf Steve gestoßen war. Das andere war, daß die Riesen kein Radio benutzten. Über Elektrizität verfügten sie. Sie hatten sogar Handwaffen, die Blitze schleuderten. Sie kannten das Radio, benutzten es aber nicht. Daß sie es kannten, wurde durch die Tatsache bewiesen, daß sie die Not signale und das Antriebsgeräusch der Spindrift auf genommen und sofort Anstalten gemacht hatten, das Schiff und seine Insassen zu vernichten. Und plötzlich sah er eine logische Verbindung zwi schen diesen beiden Erkenntnissen. Nicht, daß sie ihm besonders gut gefiel. Es gab eine Waffe, die er schaffen konnte. Die Spindrift flog weiter landeinwärts. Die mächti gen Würfelbauten wuchsen immer höher. Steve konnte keine Feindschaft empfinden. Die Riesen mußten geahnt haben, wozu er fähig war. Er würde es nicht gern tun. Nur wenn er mußte. Aber um Betty zu schützen, war er zu allem fähig! Jetzt drängte sich Dan neben ihn. Er wollte fragen, was Steve vorhatte. Aber Steve war schneller. »Ich möchte immer noch wissen, ob sie diesen Fischer ge rettet haben«, sagte er. »Ich –« Und dann wandte er sich in seinem Sitz um. Betty
stand unter der Tür. Fitzhugh blickte über ihre Schul ter. Barry stand daneben und versuchte ebenfalls ins Cockpit zu sehen. »Sind – sind wir jetzt in Sicherheit?« fragte Betty. »Vor dem Schiff der Riesen ja«, sagte Steve. »Wahr scheinlich auch vor anderen Gefahren. Mir ist gerade etwas eingefallen, womit man die Riesen vielleicht dazu bringen könnte, eine etwas freundlichere Hal tung uns gegenüber einzunehmen.« Dan drehte sich halb herum und sah ihn erstaunt an. »Was hast du vor?« fragte er. »Was willst du tun?« Steve war sich plötzlich seiner Sache ganz sicher. Wenn er die Zivilisation der Riesen zerschlagen muß te, brauchte er nur ganz wenig Zeit zur Vorbereitung. Aber wenn es ihm gelang, mit den Riesen Verbin dung aufzunehmen, so bestand immerhin die Mög lichkeit, daß es ihm erspart bleiben würde. Er brauch te Zeit. Er blickte wieder durch die Luke hinaus und bog nach Süden ab, flog parallel zur Küste. Da sah er kultivierte Felder. Weiter landeinwärts gab es Wälder und Bäume, gegenüber denen die Bäume der Erde wie Zwerge wirkten. »Ich brauche – und zwar je schneller, desto besser – ich brauche zwei oder drei Ballen Heu«, sagte Steve. »Seht euch um, ob ihr eine Stelle erkennt, wo wir uns Heu beschaffen könnten und wo ich landen kann.«
4
Als die Spindrift schließlich landete, geschah das in der Nähe eines Wäldchens. Die Bäume erinnerten an die Sequoias auf der Erde, nur daß sie wesentlich mächti ger waren. Die Stämme waren monströs. Es gab welche mit einem Durchmesser von zwölf Metern, aber das waren die kleineren. Ihre Zweige ragten in unglaubli che Höhen. Einige Anzeichen deuteten darauf hin, daß man auf einer etwa hundert Morgen großen Lichtung in der Nähe der Bäume einmal Getreide geerntet hatte. Es gab noch abgebrochene Ähren und eine Menge Stroh. Steve nickte zufrieden, untersuchte aber zu nächst die Schiffswand sorgfältig, um festzustellen, ob die Blitzwaffen sie beschädigt hatten. An zwei Stellen hatte sich das Metall verfärbt. Das war alles. Marjorie sah sich auf dem Boden um. Und dann kam sie mit ei nem Arm voll Ähren zurück. Sie zeigte sie stolz. Jedes einzelne Korn hatte die Größe einer Walnuß. Man konnte sie schälen und zu Mehl zerstoßen, und mit dem konnte man Brot backen. »Schön«, sagte Steve ungeduldig. »Gut gemacht, Marjorie. Aber ich glaube, in erster Linie brauchen wir Heu.« Er ging wieder ins Schiff, während Betty Marjories Leistung gebührend bewunderte. Steve begab sich
zum Heck des Schiffes und öffnete eine kleine Luke, die zum Notausstieg der Spindrift führte. Der Raum dort war verhältnismäßig groß. Gewöhnlich wurde dort ein Gummifloß und andere in Notfällen benötig te Gegenstände aufbewahrt. Steve zerrte das Floß heraus und schob es in der Passagierkabine zwischen die Sitze. Dann holte er weitere Gegenstände heraus, bis der kleine Raum völ lig leer war. Er fand auch ein Seil und dachte darüber nach, weshalb man wohl zur Notausrüstung eines Suborbitalschiffs ein Seil gelegt hatte. Die Kammer war ziemlich geräumig. Die Außenluke war luft- und wasserdicht. Ebenso konnte man auch die nach innen führende Tür abdichten. Und die Wände bestanden aus Metall. Der Raum war also feuersicher. Jetzt kam Betty herein, und Steve sagte: »Achte auf die Luke, Betty. Sieh nach, ob sie sich öffnet, wenn ich den Schalter umlege.« Er ging nach vorn, und kurz darauf klappte die Luke auf. Ein Schiffskonstrukteur hatte sich überlegt, daß die Spindrift einmal in die Lage kommen könnte, auf dem Meer niederzugehen. Dort würde sie eine Weile schwimmen. Unterdessen konnte man einen Notruf aussenden, und die Insassen des Schiffes konnten inzwischen dieses Notabteil aufsuchen und sich von dort aus in das Floß begeben. Und dann konnten sie darauf warten, daß man sie rettete.
Wieder schloß sich die Luke, um sich gleich darauf wieder zu öffnen. Steve kam zurück und schloß die Innentür. »Wenn wir das Abteil jetzt mit Heu füllen, gelingt es uns vielleicht, mit den Riesen ins Gespräch zu kommen. Ein einseitiges Gespräch jedenfalls. Ich habe noch einen anderen Plan, aber es wird eine Wei le dauern, sich darauf vorzubereiten. Aber wir sollten es wirklich versuchen, mit den Riesen ins Gespräch zu kommen, falls sie so menschlich sind wie sie aus sehen.« Wieder verließ er das Schiff. Betty blickte ihm ver ständnislos nach. Auf der Spindrift gab es praktisch kein Privatleben. Es gab keine Möglichkeit, daß zwei Menschen alleine miteinander redeten. Aber jetzt wa ren alle draußen. Steve hätte wenigstens ein einziges privates Wort zu ihr sagen können. Sie folgte ihm ins Freie. Er erteilte gerade den anderen Anweisungen und erklärte ihnen, was er brauchte. Es mußte so et was wie Heu sein. Ähren brauchte er keine, notfalls nur ganz dürre. Und dann machte er es den anderen vor, indem er eine Ladung Stroh in das leere Abteil stopfte. Die anderen fingen jetzt zu sammeln an. Dan run zelte verwirrt die Stirn. Er konnte sich wirklich nicht vorstellen, was man mit einer Ladung Stroh im Notausstieg eines Suborbitalschiffes anfangen sollte. Marjorie kam aus dem Wald zurück. Sie berichtete
von Bienen, über einen Meter lang, die summend – oder besser gesagt dröhnend – weit über ihr in ein Loch in einem Baum geflogen waren. Sie hatte keine Angst vor ihnen gehabt, weil Bienen sich nicht für andere Insekten oder Tiere interessieren. Sie ereiferte sich vor Begeisterung über die Tausende von Litern Honig, die man holen konnte, falls man keine Angst vor ein paar riesigen Bienen und Bedarf für so viel Honig hatte. Die Kammer war jetzt mit Stroh gefüllt. Steve zün dete im Freien ein paar Halme an. Die Flamme brann te zufriedenstellend. Und als das Stroh aufhörte zu brennen, kohlte es weiter. Er warf es auf den Boden und trat die Glut aus. Und dann kam der kleine Hund Chipper gelaufen und bellte heftig. Die anderen starrten über das Feld, und dann rannten alle auf die Landetreppe zu. Die Frauen wurden von Fitzhugh und Wilson hineinge stoßen. Dan kam mit dem letzten Arm voll Stroh ge rannt. Er ließ es fallen, um schneller laufen zu können. Steve betrat als letzter das Schiff. Er folgte Dan die Treppe hinauf. Und noch im Laufen schrie er: »Dan! Noteinstieg schließen!« Und dann war er drinnen. Die Außentreppe klapp te zusammen, und die Tür schloß sich. Am hinteren Ende des Schiffes klickte etwas. Das war die Aus
stiegsluke, die sich schloß und jetzt wieder luftdicht war. Der Bug der Spindrift hob sich zum Start. Erst jetzt hatte Steve Zeit, sich das Ding anzusehen, das den kleinen Hund erschreckt hatte. Es war ein Riese. Er stand auf der anderen Seite des abgeernteten Feldes und starrte das Schiff an. Er hatte die Größe eines sechsstöckigen Wohnhauses. Un gläubig starrte er herüber. Er war unrasiert und un gepflegt. Seine Kleidung wirkte wie grobes Segeltuch. Das Haar fiel ihm bis auf die Schultern herab. Es war fettig und ungepflegt. Seine Augen hatten die Größe von Fußbällen. Sein Mund war mehr als einen Meter breit, und seine ungeheure Muskulatur ließ ihn wie ein Monstrum erscheinen. Sein Gürtel war drei Stockwerke über der Erde, und sein Gesicht war eine runde, dumme, irgendwie erschreckende flache Scheibe. Er starrte sie mit offenem Munde an. Von seinem Standpunkt aus wirkte die Spindrift wie ein zu groß geratenes Spielzeug. Die Gestalten, die er bei seinem Anblick in das Schiff hatte rennen sehen – die Insas sen der Spindrift – hatten die Größe von Mäusen und Ratten. Die zu vernichten, war die Pflicht eines jeden loyalen Riesen. Er riß den Mund noch weiter auf, als die Spindrift ihren Bug zum Himmel hob. Und dann fing er zu schreien an. Vielleicht war das ein Befehl. Vielleicht
sollte das »Halt« heißen. Vielleicht war es eine Auf forderung, sich ihm zu ergeben. Und dann hob der Riese einen großen, bisher un sichtbaren Gegenstand. Nach der Art, wie er ihn hielt, mußte es sich um eine Art Gewehr handeln, obwohl der Schaft eine fünf Meter durchmessende Kugel war und der Lauf sich nach vorn zu unwahrscheinlich weitete. Der Abzug war ein Metallring von einem halben Meter Durchmesser. Insgesamt war die Waffe gute zwölf Meter lang. Offenbar war er auf der Jagd gewesen und zufällig auf die Spindrift gestoßen. Wieder brüllte er und hob die Waffe. Und dann feuerte er. Aber unmittelbar zuvor hatte Steve den Antrieb eingeschaltet. Die Spindrift raste zum Himmel, als der Blitzstrahl an der Stelle in den Boden fuhr, wo gerade noch das Schiff gestanden hatte. Ein zweiter Blitz. Er verfehlte die Spindrift nur um wenige Zentimeter. Steve riß das Schiff zur Seite und raste zwischen den Baumstämmen dahin. Dann bremste er ab und wich geschickt den mächtigen Säu len aus, die die Baumstämme waren, und entging manchmal nur um Haaresbreite dicken Ästen. Zweimal fegten noch Blitze zwischen den Bäumen hindurch. Der zweite Schuß kam wieder ganz nahe, und Steve ließ die Spindrift nach vorn abkippen, wie ein verwundeter Vogel. Und dann hatte er plötzlich
den Wald durchquert, und das Suborbitalschiff fegte in fünfzehn Meter Höhe über einen gepflügten Acker dahin. Sie stiegen höher. Steve kniff die Lippen zusam men. »Vielleicht glaubt er, er hätte uns abgeschossen«, meinte er gleichmütig. »Hoffentlich meldet er das auch, obwohl Zweifel aufkommen werden, wenn man uns nicht findet. Aber viel mehr noch hoffe ich, daß die Sache mit dem Stroh klappt.« Er legte den Steuerknüppel um, und sie flogen wieder zu der Küste zurück, von der sie kurz vorher gekommen waren. »Übernimm du das Steuer, Dan«, befahl er. »Ich muß mich hinten umsehen. Bevor wir die Stadt errei chen, komme ich wieder.« Er ging durch die Passagierkabine zur Notaus stiegsluke. Dort öffnete er die Innentür und sah das Stroh, das den Raum bis zur Decke füllte. Er zündete ein paar Halme an und schloß die Innentür wieder. Die Luft mußte ausreichen, um das Feuer eine Zeit lang am Brennen zu erhalten. Dann ging er wieder in den Bug zurück und schnallte sich an. Er zog den Knüppel zu sich heran, so daß das Schiff nach oben stieg, und behielt diesen Kurs bei, bis der Boden unter ihm die Konturen ver lor. Dann ging er wieder in Waagrechtflug über. Vom
Energiestandpunkt aus nicht gerade die ideale Flug höhe, aber das war immerhin besser als die dichtere Luft auf Meereshöhe. Die paar Wolken, die man noch sehen konnte, la gen jetzt weit auseinander. Und dann tauchten die schneebedeckten Gipfel einer Bergkette am Horizont auf. Aber zwischen den Bergen und der augenblickli chen Position der Spindrift erschienen die mächtigen Würfelsilhouetten einer Riesenstadt. Es gab Straßen und Autobahnen. Und in der Mitte der City waren die Würfelbauten am höchsten. Für Erdenmenschen, die in der Regel nicht viel größer als einen Meter achtzig werden, muß ein Stockwerk eine Höhe von zwei Meter fünfzig haben. Für Riesen ist das zehnfache dessen nicht zuviel. Aber für die struk turelle Stärke von Stahl gibt es eine Grenze und wenn Gebäude für Riesen errichtet werden müssen, die zehn Tonnen und mehr wiegen, gibt es praktische Grenzen für die erreichbaren Höhen. Also wirkte die Stadt niedrig und ausgedehnt. Aber die winzigen Flecken auf den Straßen waren Lastwagen, größer als die Spindrift. Im Cockpit drückte Steve jetzt auf einen Knopf und blickte nach hinten. Eine mächtige Qualmwolke er schien. Wieder drückte er auf einen Knopf, und die Wolke riß ab. Das trockene Stroh in der Heckluke entwickelte einen bräunlichen Rauch. Bei geschlosse
ner Außenluke schwelte es nur, aber man durfte die Luke nicht zu lange geschlossen lassen, sonst würde das Feuer ersticken. Und jetzt steuerte Steve die Spin drift in komplizierten Kurven über die Stadt dahin. Indem er die Luke immer wieder öffnete und schloß, hinterließ er eine Reihe deutlich sichtbarer Buchsta ben aus Rauch. Praktisch benutzte er die Spindrift als eine Art Himmelsschreiber. Er zog eine Rauchspur hinter sich her. Signale am blauen Himmel dieser Welt. Solche Signale mußten künstlichen Ursprungs sein. Sie konnten nichts anderes bilden als eine be wußte, wenn auch unverständliche Nachricht an die Riesen. Von verschiedenen Stellen in der Stadt zuck ten Blitze zur Spindrift hinauf. Ein Dampfer hatte die Stadt verlassen und war während der Nacht den Fluß hinuntergedampft, um einem Notsignal nachzuge hen. Die Absicht war gewesen, das Schiff von der Er de zu vernichten. Aber jetzt schwebte die Spindrift über der Stadt und gab unverständliche Signale ab, die auf die Riesen wie Drohungen oder Forderungen nach Entschädigung wirken mußten. Also feuerten einzelne Bürger ihre Waffen nach dem fremden Schiff ab und hofften, es damit zu vernichten. Aber sie richteten nichts aus. Steve schrieb eine Zei le und dann eine zweite, und immer noch quoll dich ter Qualm aus der Ausstiegsluke. Das Signal war jetzt zu Ende, und er setzte einen
Rauchpunkt als Abschluß dahinter. Dann steuerte er das kleine Schiff auf die Berge zu. Sie wirkte nur wie ein winziger Punkt am Himmel, und selbst das schärfste Auge eines Riesen konnte sie nicht erblik ken. Im Inneren der Spindrift herrschte Ruhe. Das Stroh im Heckabteil war verbrannt. Steve öffnete die Luke, und die Asche fiel hinaus. Das Abteil war noch heiß, aber es war kein Schaden entstanden. Die Spindrift war ebenso hervorragend gegen Hitze wie gegen Käl te isoliert. Dan hatte seit des Schreibens der Rauchsignale kein Wort mehr gesagt. Jetzt meinte er: »Steve, ich verstehe zwar, daß man mit Rauch et was an den Himmel schreiben kann, aber –« »Das nächste Mal beschaffen wir uns Stroh, das feuchter ist«, meinte Steve. »Damit kann ich längere Sätze schreiben.« »Aber weshalb denn? Die Riesen können nicht le sen! Nicht unsere Sprache!« »Ich könnte mir vorstellen«, überlegte Steve, »daß sie sich darüber bereits den Kopf zerbrechen.« »Aber – aber –« Dan sah Steve aus großen Augen an. »Sie haben sich schon vorher Sorgen gemacht«, er klärte Steve. »Es stehen Schiffe, Raketen und Blitz waffen bereit, wo immer wir auch gesichtet werden.
Dafür haben wir doch Beweise! Stell dir einmal vor, ein winziges Schiff mit einer Mannschaft aus Mikro zwergen landete auf der Erde. Wir Menschen würden wahrscheinlich versuchen, sie zu vernichten. Aber wir hätten bestimmt nicht Raketenbomben für sie be reitgestellt und würden auch nicht die ganze Erde alarmieren, um sie zu töten – es sei denn, wir mach ten uns ernste Sorgen. Und ich glaube, genau das tun die Riesen.« »Aber wir haben ihnen doch nichts getan!« prote stierte Dan. »Aber sie haben Angst, daß wir etwas tun könnten. Und ich habe auch eine vage Vorstellung, wie man das anstellen müßte. Ich beschäftige mich schon eine Weile damit.« Dann verstummte er wieder, und Dan starrte zu den vorderen Luken hinaus und versuchte sich aus zumalen, was Steve wohl im Schilde führen mochte. Die Lage der Spindrift hatte sich eigentlich seit dem Zeitpunkt, als sie von den Wellen hin- und hergewor fen wurde, nicht sonderlich gebessert. Es stand jetzt ganz eindeutig fest, daß die Riesen überall Vorkehrungen getroffen hatten, um die Spin drift sofort angreifen zu können, wo auch immer sie auftauchen mochte. Da war zum Beispiel dieser be waffnete Dampfer gewesen. Und der Riese auf dem Feld. Und aus der Stadt hatte man auf sie geschossen.
Die Schüsse hatten allerdings aufgehört, als die Rie sen erkannten, daß die Spindrift ihnen eine Botschaft übermitteln wollte. Jetzt herrschte bestimmt ziemli che Aufregung bei den Behörden der Stadt und wahrscheinlich nicht nur da. Die Spindrift setzte ihren Flug zu den Bergen fort. Bald hatte sie sie erreicht. Die Ausläufer hätte man wahrscheinlich auf der Erde bereits als Gebirge be zeichnet. Und für die wirklich steilen Steinungeheuer hätte es gar keine Worte gegeben. Ihre Höhe und ihre Wucht waren unbeschreiblich. Ihre Gipfel waren mit Schnee bedeckt, und es gab Gletscher und Schluchten und mächtige Abhänge mit meterhohem Schnee. Es gab einen Paß zwischen zwei Massiven, der in einer Höhe von wenigstens fünftausend Metern über den Berg führte. Ein weiterer Paß führte mitten in das Bergsystem hinein und lag so hoch, daß die Spindrift auf beinahe die doppelte Höhe steigen mußte – mehr als acht Kilometer, um zwischen Steinspitzen von den Ausmaßen des Himalaja durchzufliegen. Selbst in dieser Höhe gab es noch Gletscher. Die Spindrift flog weiter. Wie es schien gab es kilo metertiefe und viele Kilometer lange Täler. Vom neb ligen Rand des Horizonts vor ihnen bis zu dem Hori zont, der hinter ihnen lag, war weit und breit nur Schnee zu sehen. An vielen Stellen gab es aufge sprungene Gletscher. Diese Gletscher waren Flüsse
von Eis, die sich in Täler hinunterschoben, deren Hänge nie die Sonne sahen. Und ganz selten gab es auch Wände, die zu steil waren, als daß der Schnee darauf hätte liegenbleiben können. Die Spindrift wirk te in dieser Umgebung wie ein Staubkorn in der Un endlichkeit. Betty schob die Tür auf. »Steve«, sagte sie schüchtern. »Bist du beschäftigt?« »Ich glaube, ich habe nachgedacht«, sagte Steve. »Aber ich kann damit aufhören. Was gibt's denn?« »Ich wollte bloß sagen – falls wir irgendwo landen können – könnten wir zusätzliche Vorräte gebrau chen. Wir haben Korn zum Mahlen und können so etwas wie Brot daraus machen. Aber sonst haben wir kaum etwas.« Steve nickte. »Wir haben einen Ozean hinter uns gelassen«, stellte er fest, »und sind ziemlich weit gekommen. Ich vermu te, daß diese Berge auch einmal irgendwo zu Ende ge hen werden, und dann kommt ein weiteres Meer. Wir haben keine Waffen, um Wild damit zu jagen – nicht Wild von der Größe und der Geschwindigkeit, wie es hier auf dieser Welt bestimmt üblich ist. Aber an der Küste sollte es irgend etwas geben, was wir am Ende auch verzehren können. Wir müssen sehen.« Betty nickte. Die Tür zum Cockpit schloß sich wie der. Schweigen herrschte.
Und dann sagte Dan gereizt: »Was hast du denn vor, Steve? Du willst doch irgend etwas gegen die Riesen unternehmen, aber was?« »Nicht gegen sie«, sagte Steve mit einem schiefen Grinsen, »nur mit ihnen. Ich werde versuchen, mit ihnen Freundschaft zu schließen. Ich hoffe, von ihnen alles zu erfahren, was sie über Raumfalten wissen.« Dan schüttelte den Kopf, und das kleine Schiff von der Erde jagte über Gletscher und Berge und Schnee felder dahin auf ein fernes Ziel zu, das sie nicht kann ten.
5
Am späten Vormittag landete die Spindrift auf einer Ebene in einem Bergtal. Es zeichnete sich dadurch aus, daß es im Gegensatz zu seiner Umgebung nicht mit Schnee bedeckt war. Irgendwelche Winde bliesen hier entweder den Schnee gleich wieder weg oder sorgten für eine gleichbleibend warme Temperatur. Aber es gab hier nichts Grünes. Dafür war da eine Fläche, wo es vor kurzem noch Vegetation gegeben hatte, die jetzt gelb geworden war. Und das war es, was Steve für sein Heckabteil brauchte. Die Spindrift landete vorsichtig, und ihr Bug senkte sich. Dann öff nete sich eine Luke, und das Gestell der Landetreppe streckte sich mit einer spinnenhaften Bewegung aus. Gestalten kamen heraus. Kleine Gestalten. Sie began nen geschäftig auf dem ausgedörrten Feld herumzu laufen. Bald hatte sich neben dem Heck der Spindrift ein mächtiger Haufen Pflanzenreste angesammelt. Jetzt öffnete sich die Luke. Steve und Dan packten das Zeug hinein. Sie drückten es nieder. Dan trampel te darauf herum, bis es kompakt war. Dann wurde die Luke wieder geschlossen. Sie sahen sich um. Ki lometer um Kilometer schneebedeckter Berge rings um sie. Hierher würden die Riesen bestimmt nie kommen. Aber hier gab es auch keinen Schutz, wenn
man von der Spindrift absah. Und nichts Eßbares. Es war Sicherheit ohne Vorräte – und diese Art von Si cherheit brauchten sie nicht. Betty stand neben Steve und meinte bewußt gleichgültig: »Steve, hast du wirklich noch Hoffnung, oder machst du uns bloß etwas vor, damit wir den Mut nicht verlieren?« »Das kommt darauf an, was ihr hoffen wollt«, erklär te er. »Daß wir überleben, ja. Ich glaube, wir haben eine sehr gute Chance, am Leben zu bleiben. Ob es auch möglich sein wird, zur Erde zurückzukehren, weiß ich nicht. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, aber die Chan cen sind ziemlich gering. Das haben wir ja festgestellt!« »Du siehst aber nicht so aus, als hättest du die Hoffnung aufgegeben«, sagte Betty. »Du machst dir Sorgen. Worüber denn?« Er zuckte die Achseln. »Ich mache mir Sorgen, weil sie so viele Raketen haben. Sie können sie unmöglich seit unserer ersten Landung hier gebaut haben. Haben sie sie, um damit gegeneinander zu kämpfen? Wenn es hier zwei ver schiedene Nationen gibt, so könnten sie Feinde sein, und wir könnten mit der einen Seite irgendeinen Handel abschließen. Aber es gibt auch noch eine an dere mögliche Erklärung für die Raketen. Vielleicht haben sie etwas über Raumfalten erfahren – wie man sie erzeugt und wie man sie reguliert.«
Betty musterte ihn gebannt. »Ich kann –« »Vielleicht wissen sie über Raumfalten genau Be scheid«, fuhr er fort. »Und diese Raketen liegen hier vielleicht für eine Invasion der Erde bereit. Ich habe keine Beweise, aber die Möglichkeit besteht. Und wie verständigen sie sich untereinander? Radio benutzen sie nicht. Sie haben vielleicht riesige Kabel, um die ganze Welt mit Energie zu versorgen. Wenn sie sol che Kabel zur Übertragung von Informationen benut zen können – wir wären dazu in der Lage – könnte das schlimm für uns sein. Und wenn –« Er hielt inne und zuckte erneut die Achseln. »Ich mache mir über solche Dinge einfach Sorgen.« »An so viele Dinge hätte ich gar nicht gedacht«, meinte Betty unglücklich. Steve winkte Dan und den anderen zu, wieder ins Schiff zu gehen. Dann sagte er: »Wir müssen uns mit ihnen beschäftigen. Im Au genblick möchte ich in Erfahrung bringen, wie schnell ihr Informationssystem funktioniert. Der Unterschied zwischen einem Postreiter und einem Telegrafen ist ziemlich groß. Wenn wir ihnen weiterhin durch die Finger schlüpfen wollen, müssen wir wissen, welches der beiden Systeme sie benützen.« Er ging auf die Landetreppe der Spindrift zu. Betty folgte ihm langsam. Sie wirkte ganz unglücklich. Steve hatte da eine Menge von Dingen aufgeführt, die ihm
Sorgen bereiteten. Aber das eine, was sie von ihm hören wollte, hatte er nicht gesagt. Kurz darauf hob sich der Bug des kleinen Schiffes zum Himmel. Und wenige Augenblicke später schoß es in die Höhe. Die Berge waren hinter ihnen zusammengeschrumpft als sie voraus eine weitere Stadt der Riesen erblickten. Vielleicht war es auch nur ein Dorf. Steve hatte eine Straße gesehen, die sich um den Fuß der Berge schlängelte. Und er sah auch winzige Punkte, die sich dem Anschein nach bewegten. Fahrzeuge. Also dreh te er um, um der Straße bis zu ihrem Anfang zu fol gen, und sah schließlich die Gebäude unter sich lie gen. Das waren nicht die üblichen würfelförmigen Blöcke, sondern hauptsächlich Wohngebäude, die im rechten Winkel zueinander angeordnet waren. Es war kein besonders dicht besiedelter Ort. Offenbar war die ganze Ansiedlung für ein Berg werk errichtet worden. Die Gebäude drängten sich al le um eine kilometerhohe Steinklippe. Unten gähnten die riesigen Höhlen, die sich in die Klippe bohrten, und in diese Tunnels hinein führten Gleise für Erzwagen. Es gab auch Bahndämme für die Wagen, so daß man sie unmittelbar zu riesigen Sattelschleppern schieben konnte, die das Gestein entfernten. Mächtige breite Straßen führten zu der Stadt und von ihr weg. Und über allem ragte die kilometerhohe Klippe auf.
Steve untersuchte die Stadt, ohne daß man die Spindrift zunächst bemerkte. Und dann öffnete er die Heckluke. Rauch quoll hervor. Der Rauch bildete Buchstaben, die kilometerlang waren. Die Buchstaben bildeten Worte und die Worte Sätze – wobei alles den Riesen natürlich völlig unverständlich war. Ein Riesenkind sah die offensichtlich künstlichen Rauchstreifen am Himmel. Es deutete hinauf. Jetzt sahen es auch Erwachsene. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Riesen tauchten aus den Häusern auf. Sie starrten hinauf. Riesen kamen aus den Tunnels, um zum Himmel zu starren. Aus der Flughöhe der Spin drift wirkten sie wie Ameisen. Sattelschlepper und Lastzüge, wesentlich größer als die Spindrift, blieben auf der Straße stehen, weil ihre Fahrer das seltsame Schauspiel beobachten wollten. Und immer noch bildeten sich aus Rauch eindeutig künstliche Formen. Hieroglyphen in quellendem Dampf entwickelten sich über den Bergen. Und hin und wieder blitzte der Rumpf der Spindrift in der Sonne auf. Immer noch schrieb sie ihre fremdartigen Zeichen an den Himmel. Sie mußten beabsichtigt sein. Sie mußten eine Bedeutung haben. Aber natür lich konnten die Riesen sie nicht lesen. Steve sagte plötzlich: »Dan, schalte die Funkanlage ein. Die wirken jetzt interessiert und nicht veräng stigt.«
Dan legte den Schalter um. Dann hob er das Mikro fon. Und im gleichen Augenblick und ganz bestimmt auf ein Signal hin, das von irgendwoher gekommen war, schossen Lichtblitze auf das kleine Schiff zu. Sie waren alle gleichzeitig abgefeuert worden. Und alle schossen zum Himmel. Dutzende davon. Und Dan fluchte ins Mikrofon. Im gleichen Augenblick hörten die Blitze auf. Die Geschosse blieben auf dem Boden. Die Blitzwaffen funktionierten nicht in Gegenwart von Hochfre quenzwellen. Und die Funkanlage strahlte Hochfre quenzwellen aus. Natürlich flogen noch Splitter in der Luft herum, Teile von Geschossen, die abgefeuert worden waren, ehe die Funksendung begonnen hatte. Steve riß den Steuerknüppel zurück. Die Spindrift bäumte sich auf wie ein wildes Pferd. Sie schoß da von, ehe die Splitter sie erreichen konnten. Und Sekunden später, als der Notantrieb wieder ausgeschaltet war, meinte Steve mürrisch: »Dan, sieh nach, ob jemand verletzt worden ist, als ich durchge startet habe. Ich mußte es einfach tun! Diese Riesen hatten genaue Anweisung, was sie unternehmen sol len.« Plötzlich wirkte er müde. Aber erst als Dan mit der Nachricht kam, daß keiner der Passagiere verletzt war, entspannte er sich.
Nach einer Weile meinte er: »Es ist immerhin mög lich, daß sie letzte Nacht ihre Befehle bekommen ha ben, als wir unsere Notrufe aussandten. Vielleicht hat man die Befehle noch nicht widerrufen. Die Möglich keit besteht. Andererseits –« Seine Augen blickten verärgert, als er die Spindrift nach Westen steuerte. Hinter den Bergen mußte ein anderes Meer auf sie warten. Dem Radarhöhenmesser nach zu schließen, waren die Berge genauso hoch wie die, die sie hinter sich ge lassen hatten, aber die Anzeige des Luftdruckmessers wies darauf hin, daß sie ein paar hundert Meter we niger hoch über dem Meeresspiegel aufragten. Und jetzt tauchten Täler auf, die nicht völlig mit Schnee bedeckt waren. Und am Horizont sah man auch schon die Spuren von Wald, weit unten, an den Aus läufern der Berge. Die Eisströme, die jetzt die Täler ausfüllten, wirkten nicht mehr so schroff und zerris sen. Es gab immer noch Gletscher, aber man merkte, daß sie sich auf dem Rückzug befanden. Und dann kamen Moränen, in denen die Gletscher ganz eindeu tig zum Stillstand gekommen waren und von denen eisige Ströme klaren Wassers durch kleinere Täler dem Meer entgegenströmten. Also mußte es ein Meer geben, in das sie münden konnten. Die Spindrift senkte sich jetzt und flog in die Täler hinein, damit das elektronische Summen ihres An
triebs nicht mehr von Riesen, die vielleicht nach ihr Ausschau hielten, empfangen werden konnte. Über dem Meer oder auch über den Bergen konnte man das Summen auf ziemlich weite Entfernung ausma chen. Aber in den Tälern würde sie vielleicht unent deckt bleiben. Und jetzt gab es plötzlich keine Täler mehr. Statt dessen erstreckte sich vor ihnen das Meer. Zwischen den Bergflanken gab es Fjorde, aus denen immer wieder Bergspitzen herausragten und kleine schroffe Inseln bildeten. Die Spindrift erreichte diese kleinen Felsinseln. Auf eine davon senkte sie sich herab und landete auf ei nem schmalen Sandstrand. Zwei Gestalten stiegen aus. Sie gingen am Strand entlang. Für die im Schiff Zurückgebliebenen schienen sie zu verschwinden. Die Brandung brach sich brüllend und tosend am Ufer. Seevögel flatterten um den Zentralberg der In sel. Die Zeit verstrich. Dann erschienen die beiden Gestalten wieder. Sie trugen seltsam geformte Lasten zwischen sich. Es handelte sich um riesige Landkrabben mit abenteuer lich geformten Zangen. Sie pflegten auf Inseln wie dieser zu wohnen, und die Leute von der Spindrift brauchten sie. Brauchten sie als Nahrung. Die beiden Männer reichten die Landkrabben durch die Tür hin ein. Einer von ihnen nahm einen kleinen Gegenstand,
den ihm jemand herausreichte. In Wirklichkeit han delte es sich um zwei Gegenstände, die man zu einem Päckchen zusammengebunden hatte. Der eine war ein tragbares Tonbandgerät. Und der andere Gegen stand war das Notradio aus dem Gummifloß. Es gehörte noch eine Schaltuhr dazu, die die beiden Geräte ein- und ausschalten sollte. Wieder gingen die beiden Gestalten den Strand entlang. Und dann war über ihnen plötzlich ein Ge räusch zu hören. Sie blickten in die Höhe. Eine riesige V-förmige Formation mächtig flatternder Vögel war zu sehen. Sie kamen aus dem Norden – wilde Gänse. Sie flogen in der typischen seit Urzeiten unveränder ten Formation. Steve und Fitzhugh blickten empor. Die Gänse flogen unverwandt weiter, und der eine Teil der Formation war etwas länger als der andere. Sie waren gigantisch. Von Flügelspitze zu Flügelspit ze maßen diese Gänse bestimmt beinahe zehn Meter. Auf und ab bewegten sich die Flügel, ohne eine Spur von Hast! Und ihre Rufe mengten sich in das Dröh nen der Wellen. Das fliegende V umfaßte wahrscheinlich sechzig der Riesenvögel. Unverwandt strebten sie über ihnen dahin. Und dann wurden sie über der nächsten Insel kleiner, um schließlich ganz zu verschwinden. Steve sagte: »Ich hätte gerne eine Kompaßmessung ihres Kurses. Die fliegen zu ihren Nistplätzen. Und
wo die nisten, darauf könnt ihr euch verlassen, kom men die Riesen nicht hin.« Aber eine Kompaßmessung hätte nicht viel ge nutzt, nicht wenn Kompasse zu verschiedenen Ta geszeiten in verschiedene Richtungen wiesen. Die Spindrift reckte ihren Bug wieder dem Himmel entgegen. Und dann erhob sie sich elegant und mit atemberaubender Geschwindigkeit. Die Wellen dröhnten weiter gegen die winzige Fel seninsel. Seevögel flogen aufs Meer hinaus und kehr ten zurück. Alles lief weiter, so als wäre die Spindrift nie hier gelandet. Es schien, als wäre überhaupt nichts geschehen. Steve blickte immer wieder auf seine Uhr. Die Zei gerstellung hatte nicht die geringste Beziehung auf irgendein Zeitmaß dieses Planeten. Aber eine Schalt uhr auf einer ganz bestimmten kleinen Insel war so eingestellt, daß sie zu einer bestimmten Zeit – Erdzeit – einschaltete. Unterdessen flog die Spindrift am Mee resrand entlang nach Norden. Je weiter sie flog, desto weiter schienen die Berge von der Küste zurückzu weichen. Unter ihnen dehnte sich jetzt weites flaches Land. Barry befand sich im Cockpit und tat sehr wichtig – hatte man ihm doch eine einigermaßen wichtige Aufgabe übertragen. Er blickte zu den vor deren Sichtluken hinaus. Und als die Insel, auf der sie gelandet waren, runde zweihundert Kilometer hinter
ihnen lag, fragte er eifrig: »Ist das dort vorn nicht eine Stadt?« Er deutete durch die Luke hinaus. Unter ihnen und etwas rechts von ihrem augenblicklichen Kurs war tatsächlich eine kleine Ansiedlung. Zwei Schiffe lagen am Ufer vor Anker. »Ein bißchen klein«, meinte Steve. »Wir möchten wissen, ob unsere Himmelsschreiberei an den Absich ten der Riesen irgend etwas geändert hat. Eigentlich sollte es so sein. Wenn die meinen, daß wir ihnen Schaden zufügen können, dann sollten sie sich we nigstens dafür interessieren, was wir verlangen, da mit sie in Frieden leben können.« Wieder nahm Barry seinen Ausguckposten ein. Wilson, der sich ebenfalls im Cockpit befand, sagte mit seiner ausdruckslosen Stimme: »Vielleicht meinen sie, daß wir sie bedrohen. Aber bis jetzt haben wir noch nicht gezeigt, daß wir gefähr lich werden können.« »Wir haben bewiesen, daß wir ihre Blitzwaffen funktionsunfähig machen können«, sagte Steve. »So fern man uns früh genug warnt und wir auf der Hut sind.« »Nein«, widersprach Wilson. »Wir haben nur be wiesen, daß wir ausweichen können, wenn sie auf uns schießen.« Und dann fügte er hinzu: »Aber wir haben sie noch nicht dazu gebracht, auszuweichen!
Ich weiß nicht wie man es anstellen soll, aber ich glaube, das brauchen wir jetzt.« »Ich habe da eine Idee«, meinte Steve etwas unsi cher. »Leicht wird es nicht sein – wir brauchen dazu nämlich etwas, was uns nicht zur Verfügung steht. Aber möglicherweise –« »Das scheint jetzt eine größere Stadt zu sein«, sagte Dan mürrisch und wies nach vorn. Sie hörten zu reden auf. Alle im Cockpit starrten nach vorn. Es war eine Stadt, aber eine Stadt von ganz beson derer Art, das konnte man selbst aus der Luft erken nen. Es gab Straßen und am Ufer Kais. Zwei Schiffe lagen vor Anker und drei kleinere lagen etwas weiter draußen im Meer. Und dann gab es noch eines, das größte von allen, das offenbar auf den Hafen zu dampfte. Riesige Gebäude fielen ihnen auf – riesig, selbst nach den Begriffen der Giganten – und dahin ter ein seltsames Gitter, das aus rechteckigen Kam mern bestand, die wiederum mit Straßen verbunden waren. In einigen der Kammern gab es dunkle Ge genstände. Sie bewegten sich unruhig. Etwa zwei Ki lometer landeinwärts gab es eine sich bewegende Masse von Gegenständen, die sehr langsam auf die Stadt zuzufließen schienen. Winzige Punkte beweg ten sich am Rande dieser Gegenstände, so als hätten sie damit zu tun, die Masse in Bewegung zu halten.
Alle starrten hinaus. Und dann sagte Steve trocken: »Du solltest es dir eigentlich denken können, Barry. Viehpferche und Schiffe und eine Herde irgendwel cher Tiere, die von Riesen getrieben werden, die auf anderen Tieren reiten.« »Vieh!« sagte Barry erregt. »Dann sind das Kühl schiffe. Und die viereckigen Dinger sind die Viehpferche! Und das ist eine Viehherde, die von Cow boys getrieben wird.« Einen Augenblick herrschte Schweigen. An der Vorstellung war nichts Lächerliches – sie entsprach auch völlig den Tatsachen. Aber eben diese Tatsache überraschte sie. Riesige Cowboys, die auf riesigen Pferden saßen und riesiges Vieh seinem vorbestimm ten Schicksal zutrieben – daran war nichts Unver nünftiges, aber es war unerwartet. Barry rutschte un ruhig in seinem Sessel herum. Dan brummte etwas. Und Wilson zuckte die Achseln. Dann meinte Steve plötzlich: »Die Stadt ist groß genug, daß sie uns betreffende Anweisung erhalten haben könnte – ihr Informationssystem funktioniert schnell genug. Dan, würdest du das Rauchzeug in Brand setzen, damit ich Signale geben kann?« Dan stand auf und ging nach achtern. »Ich möchte gern einen Riesencowboy aus der Nä he sehen«, sagte Barry neugierig. Steves Gesichtsausdruck blieb unverändert. Aber
ebenso wie Barry versuchte er sich vorzustellen, wie ein Cowboy, zehnmal größer als ein Mensch, wohl aussehen mochte, wenn er ein Tier ritt, das zehnmal größer als ein Pferd war und die Füße in Steigbügeln stehen hatte, auf denen ein Dutzend Erdenmenschen Platz gehabt hätten. Irgendwie stellte er sich beson ders deutlich die Hufe eines solchen Pferdes vor, wie sie sich hoben und wieder senkten. Diese Hufe muß ten die Größe eines Autos auf der Erde haben. Dan kam zurück. Steve sah auf die Uhr. Dann meinte er: »Wir haben die Zeit ganz gut abgeschätzt. Wir kommen gerade richtig!« Er drückte auf einen Knopf. Die Notluke im Heck des Schiffes öffnete sich. Rauch quoll heraus, zuerst tastend, vorsichtig und dann in dichten Schwaden. Ein paar Minuten lang war unten keinerlei Reaktion zu bemerken. Nichts geschah. Riesige Lettern aus dickem weißem Rauch erschienen am Himmel. Da war ein runder weißer Punkt, der Rauchfetzen an den Himmel setzte, der vor und zurückflog und Signale formte, die eine Bedeutung haben mußten, die aber keiner der Riesen verstehen konnte. Menschen hätten sie leicht lesen können. Aber die Riesen waren dazu nicht imstande. Und doch besagten die Rauchsignale ganz eindeutig etwas. Die Riesen konnten nur wissen, daß irgend etwas gesagt wurde.
»Die Riesen sind wie wir«, sagte Steve grimmig. »Wir sagen ihnen etwas, und sie wissen das auch. Und da sie uns so ähnlich sind, glauben sie bestimmt, daß das, was wir sagen, unangenehm ist. Vernünfti gerweise sollten sie als Antwort auch Rauchsignale abgeben. Ich will noch ein oder zwei Wörter schrei ben.« In diesem Augenblick sagte Dan: »Im nächsten Augenblick geht's los.« Steve schloß die Heckluke und jagte die Spindrift in die Höhe. Dan schaltete den Empfänger ein. Eine hal be Minute, vielleicht auch eine ganze verstrich. Und dann kam Barrys Stimme aus dem Lautsprecher: »Wir rufen die ›Spindrift‹«, sagte die Stimme, »wir rufen die ›Spindrift‹! Suborbitalschiff ›Explorer‹ ruft ›Spindrift‹! ›Spindrift‹, bitte kommen!« Es gab kein Suborbitalschiff mit dem Namen Explo rer. Barry befand sich auch nirgendwo außerhalb des Schiffes. Er saß hier, mitten im Cockpit. Jetzt kicherte er aufgeregt. Dan las von einem Papier ab, das vor ihm lag: »Hier ›Spindrift‹«, las er, »was gibt es Neues, ›Explo rer‹?« Wieder Barrys Stimme, diesmal aus dem Lautspre cher der Funkanlage. Barry mußte unwillkürlich ki chern, als er seine eigene Stimme aus einer Entfer nung von mindestens dreihundert Kilometern he
reinkommen hörte – von der kleinen Insel, wo sie zwei große Landkrabben gefangen und ein Tonband gerät abgesetzt hatten. Und das Tonbandgerät speiste jetzt seine Stimme in die Notfunkanlage aus dem Gummifloß. Beide Instrumente waren zu einem ge nau vorherbestimmten Zeitpunkt eingeschaltet wor den. »Wir haben keine Riesen gesehen«, sagte seine Stim me. »Wir haben nichts besonders Interessantes gesehen. Es gibt hier eine Menge Landkrabben und eine Menge Seevö gel, die herumfliegen, und das ist alles. Ende.« Barry mußte sich die Hand über den Mund halten, um nicht vor Lachen herauszuplatzen. Und Dan sag te: »Ich möchte wissen, was die Riesen jetzt daraus schließen werden? Die glauben bestimmt, daß hier zwei Schiffe sind, die aus einer Entfernung von ein paar hundert Meilen miteinander in Funkverkehr stehen.« Unten in der Stadt war keinerlei Reaktion zu be merken. »Die haben festgestellt, daß ihre Blitzwaffen nicht funktionieren«, sagte Steve gereizt. »Vielleicht wissen sie noch nicht, was ihren Raketen zugestoßen ist. Vielleicht haben sie auch Anweisung bekommen, uns nicht anzugreifen. Passiver Widerstand! Wenn wir nicht anfangen, sie umzubringen, oder sie nicht ver
suchen mit uns Fühlung aufzunehmen ... Nun, wenn sie uns jetzt ignorieren, dann stecken wir in der Pat sche!« »Das tun wir doch schon«, sagte Wilson. »Es gibt bestimmt einige Riesen, die vernünftig sind und die gern mit uns verhandeln möchten. Was haben wir denn auch für Differenzen? Aber das ist die Minder heit. Es gibt auch radikale Köpfe, die behaupten wer den, daß man uns abschießen kann und wir entweder nicht wagen zurückzuschießen oder es nicht können. Das ist auch auf der Erde in den meisten Ländern die Ansicht der Mehrheit. Aus diesem Grunde gibt es Kriege.« Steve brummte. Nach allen Gesetzen der Logik sollten die Riesen jetzt immerhin so weit einlenken, daß sie auf die diplomatischen Vorstöße der Spindrift reagierten. Als Minimum sollten sie ein winziges Rauchsignal zum Himmel schicken, damit die Spin drift wieder darauf reagieren konnte. Aber das hatten sie nicht getan. »Jetzt werden wir im Tiefflug über die Stadt flie gen«, sagte Steve grimmig. »Das wird sie bestimmt noch mehr aufregen als unsere Rauchschrift. Viel leicht bringt sie das auf friedliche Gedanken!« Wilson schüttelte den Kopf. »Vielleicht empfinden sie das, was wir getan haben, nicht anders, als wenn wir ihnen böse Gesichter geschnitten hätten. Sie ha
ben gesagt, wir müßten denen einmal die starke Hand zeigen. Ich fürchte, das ist die einzige Möglich keit. Ich fürchte, wir müssen den Riesen beweisen, daß wir nicht bluffen. Und ich weiß nicht, wie wir das anstellen sollen.« Wieder knurrte Steve unwillig. »Ich brauche einen Druckanzug, dann zeige ich ih nen, daß wir nicht bluffen.« »Die Riesen haben vielleicht Druckanzüge«, meinte Dan mit einem schiefen Lächeln, »aber wir bekom men bestimmt keinen von ihnen. Jedenfalls nicht in unserer Größe.« Steve schob den Steuerknüppel zur Seite. Die Spin drift kippte nach der Seite ab und ging im Sturzflug auf die Stadt herunter. In tausend Meter Höhe öffnete Steve die Heckluke, und ein langer weißer Rauch streif schoß aus dem Leib des Schiffes. Die Spindrift zielte wie ein Pfeil auf die Mitte der Riesenstadt. Auch lange nachher war Steve noch davon über zeugt, daß dieses Manöver selbst die kriegslustigsten der Riesen zum Nachdenken veranlaßt hatte. Ihre Raketen waren robotgesteuert und begingen Selbst mord, wenn ihre auf Band gespeicherten Flugbefehle das verlangten. Und für die Riesen war die Spindrift bestimmt ein viel zu kleiner Gegenstand, als daß sie sich hätten vorstellen können, in ihr befänden sich denkende, vernünftige Wesen. Und als die Spindrift
auf das Herz ihrer Stadt zuschoß, hinter sich einen Rauchfaden herziehend, mußten sie erwartet haben, daß sie genau an der Stelle explodieren würde, wo sie die meisten Riesen töten und den größten Schaden anrichten konnte. Steve blickte durch die vorderen Sichtluken des Schiffes hinaus und sah zu, wie die Stadt der Riesen vor seinen Augen immer größer wurde. Was zuerst noch winzige, weit entfernte Spielzeughäuschen ge wesen waren, nahm jetzt die Größe von Gebäuden auf der Erde an. Und dann wuchsen sie immer wei ter. Sie wurden abnormal. Sie wirkten unmöglich. Diese Häuser vor ihnen waren einfach unglaublich. Und die dahinter – Und dann zersprangen die Fensterscheiben in der Stadt. Die Spindrift flog mit mehrfacher Schallge schwindigkeit. Der Überschallknall, den sie erzeugte, war um ein Mehrfaches stärker als ein Überschallknall auf der Erde, wie ihn gewöhnliche Düsenma schinen erzeugen. Die Außenhaut des Schiffes be gann sich zu erhitzen. Zwanzig, dreißig, vierzig Grad. Die Temperatur stieg immer weiter an. Und dann riß Steve sie aus dem Sturzflug heraus, riß das Schiff in die Höhe und beschleunigte. »Raketen!« sagte Barry erregt. »Die haben Raketen abgeschossen! Zwei Stück!« Das stimmte. Die Spindrift stieg jetzt beinahe senk
recht in die Höhe. Und aus der Stadt rasten zwei Ra keten hinter ihr her. Wenn man die Rauchspuren, die sie hinterließen, weiter nach oben fortsetzte, trafen sie genau an der Stelle zusammen, wo die Spindrift flog. Sie peilten den elektronischen Antrieb des Suborbital schiffes an. Diese Taktik hatte sich für die letzten vier Raketen, die die Spindrift über dem Meer angegriffen hatten, als fatal erwiesen. Als die Raketen dem klei nen Schiff nähergekommen waren, waren sie in eine spiralförmige Flugkurve übergegangen. Zu etwas anderem war ein Robotgeschoß nicht fähig. Die Spin drift war beinahe bis zur Spitze der höchsten Wellen berge heruntergegangen und die Raketen hatten die Wellen berührt und waren explodiert. Aber jetzt flog die Spindrift viele Kilometer hoch, und weit und breit bot sich nichts, was als Tarnung oder falsches Ziel dienen konnte. Steve riß das Schiff sofort herum und ging wieder in Sturzflug. Die beiden Raketen wechselten ihren Kurs. Von genau entgegengesetzten Seiten kamen sie auf die Spindrift zu. Ungeheure Wolken von Raketendampf schienen den Himmel zu füllen. Voll Wut ra sten die beiden Geschosse auf die Spindrift und ein ander zu. Vom Boden aus war die Spindrift natürlich für ein unbewaffnetes Auge kaum zu sehen. Wenn die Rie sen nach oben blickten, so gab es dort nur zwei riesi
ge, schon etwas ausfransende Dampfstrahlen, die aufeinander zurasten. Und da beide das Antriebsge räusch der Spindrift anpeilten, war die Tatsache, daß sie aufeinander zurasten, Beweis genug, daß die Spindrift sich genau zwischen ihnen befand. Und dann vernichteten sie sich gegenseitig. Es gab eine ungeheure Flamme, die bestimmt zwei oder drei Kilometer durchmaß. Sie war so grell, daß den Riesen in der Stadt die Sonne einen Augenblick verdunkelt erschien. Und dann ging die Flamme aus. Natürlich war die Spindrift nicht mehr da. Das konnte sie auch gar nicht sein!
6
Dan steuerte die Spindrift mit geradezu stoischer Ru he über die Stadt der Viehpferche hinweg. Man sah sie jetzt nur noch bruchstückhaft. Die Spindrift befand sich wieder in ihrer normalen Reiseflughöhe von dreißigtausend Metern. Wolken und Dunstfetzen weit unter ihr verdeckten mehr oder weniger das rechteckige Muster der Gebäude und der Pferche. Die Herde, die sie gesehen hatten, war ein sich bewegen der Farbfleck, nicht mehr und nicht weniger. Land einwärts gab es Hügel, die langsam in schroffere Vorberge übergingen. Steve befand sich in der Passagierkabine. Er blickte unzufrieden drein. »Langsam sollte ich mich an solche Dinge gewöh nen«, sagte Fitzhugh, »aber das kann ich nicht. Ich staune immer wieder selbst darüber, daß ich entge gen allen Erwartungen noch lebe!« Steve schüttelte ungeduldig den Kopf. »Ich brauche einen Rat«, sagte er. »Ich fürchte, die Riesen haben jetzt angefangen, ihren Verstand einzu setzen.« Wilson wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Er sagte nichts. Valerie hob die Brauen und sah Fitzhugh an. Sie hatte die gleichen Gefahren wie alle
anderen durchgemacht, ließ sich aber nicht das ge ringste davon anmerken. Trotzdem überzeugte ihre Miene keinen. Betty versuchte sich so zu geben, als wäre für sie die höchst unwahrscheinliche Rettung der Spindrift eine Selbstverständlichkeit. In zehn Ki lometer Höhe war die Spindrift von Raketen angegrif fen worden, die beinahe so groß wie sie selbst waren. Und sie waren ohne den geringsten Grund mitten in der Luft zusammengeprallt und explodiert. Dabei hätte die Spindrift von der Detonation in Millionen winziger Stücke zerfetzt werden sollen. Aber das war nicht passiert, obwohl das Außenthermometer an zeigte, daß die Schiffswand noch heiß war. Das kleine Schiff hatte sich ganz am Rande der blau-weißen Ex plosionsflamme befunden. Sie war höchstens einen Kilometer von der Explosion entfernt gewesen, und ihre Insassen hatten nur ganz vage Vorstellungen da von, wie sie entkommen waren. Ihr Gewicht hatte plötzlich zugenommen, und dann waren sie kurz darauf schwerelos geworden. Das Schiff befand sich im freien Fall, Kilometer über der Erdoberfläche. Und dann war rings um sie ein weißglühendes Flammen meer gewesen, und durch die Sichtluken war uner trägliche Hitze hereingedrungen, die allerdings nur Bruchteile einer Sekunde andauerte. »Ich brauche einen Rat!« wiederholte Steve. »Ich glaube nicht, daß irgend etwas am Schiff beschädigt
worden ist, aber die Dinge haben sich nicht so ent wickelt, wie ich es erwartet hatte.« »Wir sind alle etwas durcheinander«, sagte Fitz hugh. »Warum sind wir nicht getötet worden?« Steve begann jetzt ungeduldig zu werden. »Ich ha be unseren Antrieb abgeschaltet«, sagte er und schien das für eine ausreichende Erklärung zu halten. »Die Sache ist nur die, daß die Riesen anfangs nicht auf uns geschossen haben. Sie müssen von irgendwoher Anweisung bekommen haben. Wir haben sie prak tisch herausgefordert, aber sie haben ziemlich lange gebraucht, um die Herausforderung anzunehmen. Sie haben zugelassen, daß ich ihnen den ganzen Himmel vollgeschrieben habe.« Wieder wischte sich Wilson über die Stirn. »Ich möchte genau wie alle anderen wissen«, sagte er so ruhig er nur konnte, »warum wir nicht tot sind. Bitte?« Steve zuckte die Achseln. »Ich habe Ihnen doch ge sagt, daß ich den Antrieb abgeschaltet habe. Wir be fanden uns zwischen den beiden Raketen, die mit Höchstgeschwindigkeit auf uns zuschossen. Schließ lich waren es Roboter und zu gar nichts anderem fä hig. Sie haben unser Antriebsgeräusch angepeilt, das wissen Sie doch. Also habe ich mit drei g nach unten beschleunigt und dann abgeschaltet. Da die Raketen auf unser Antriebsgeräusch angesetzt waren, hatten
sie plötzlich kein Ziel mehr, als ich den Antrieb ab schaltete. Also flogen sie einfach weiter. Und dann sind sie natürlich explodiert. Wir waren gar nicht mehr da. Wir flogen nach unten, fielen sozusagen. Ist das klar?« Und dann formulierte er es noch einmal anders: »Sie konnten nichts anderes verfolgen als un seren Antrieb – solange er lief. Also schaltete ich ihn ab. Sie hatten kein Ziel mehr. Also flogen sie auf al tem Kurs weiter und – das war eben ihr Pech. Zufrie den?« Fitzhugh spreizte die Hände. »Eine äußerst zufrie denstellende Erklärung«, sagte er etwas ironisch. »Aber ich wäre nie auf diesen Trick gekommen! So, und jetzt fragen Sie uns um Rat. Was wollen Sie denn wissen?« Und Steve meinte gereizt: »Die haben ziemlich lan ge gebraucht, bis sie auf uns schossen. Warum? Die ser Dampfer hat sofort mit Raketen auf uns geschos sen, als uns seine Besatzung erblickte. Und in dieser Stadt haben die mich den ganzen Himmel vollschrei ben lassen, ehe sie reagierten. Warum? Waren ihre Raketen nicht abschußbereit? Mußten sie sie erst ein stellen oder gar umprogrammieren? Sind es vielleicht normalerweise gar keine Mordwaffen? Und wenn das zutrifft – wozu dienen sie dann? Wenn sie nicht dazu konstruiert sind, uns zu vernichten, was ist dann ihr Zweck?«
»Was meinen Sie denn?« fragte Wilson mit sanfter Stimme. »Ich weiß es nicht«, ereiferte sich Steve. »Die hatten unmöglich Zeit, sie zu konstruieren und zu bauen, seit wir hier auftauchten. Aber es sind höchst gefähr liche Waffen. Das wissen die Riesen auch! Und wenn wir ihnen keine größeren oder gefährlicheren zeigen, werden sie den Versuch nie aufgeben, uns zu töten, bis er ihnen gelingt! Ich fürchte, wir müssen ihnen etwas gefährlicheres als ihre Raketen zeigen und auch demonstrieren, daß man Schaden damit anrichten kann!« »Da sind wir alle einer Meinung«, nickte Wilson. »Aber haben Sie auch eine bestimmte Vorstellung?« »Ich hätte schon eine Idee«, meinte Steve, »aber da zu brauchen wir Gerät, das uns nicht zur Verfügung steht, oder wir müssen die Spindrift für etwas einset zen, wozu sie nicht konstruiert ist.« Dans Stimme aus dem Cockpit unterbrach ihn: »Steve! Schon wieder Raketen!« Steve saß im Pilotensessel, ehe er recht wußte wie ihm geschah. Er hatte das Gefühl, als wäre er bereits angeschnallt gewesen, bevor Dan zu Ende gespro chen hatte. »Wo?« wollte er wissen. Dan deutete. Die Spindrift flog noch sehr hoch, praktisch am Rande
ihrer normalen Flughöhe. Aber Dan deutete noch hö her, und jetzt sah Steve den weißen Kondensstreifen draußen über dem Meer. Da war auch ein winziger schwarzer Punkt zu sehen, und seine Auspuffflamme deutete nach unten, um seinen Flug zu bremsen. »Und dort«, sagte Dan. Wieder deutete er. Da war eine zweite Rakete, einige Kilometer weiter entfernt. Sie befand sich ebenfalls über dem Meer und zwar weit über den höchsten Wolkenschichten. Da hinter war die Planetenoberfläche fast völlig durch Dunst und Nebel verdeckt. Auch diese zweite Rakete schien ihren Flug abzubremsen, denn auch sie richte te ihren Düsenstrahl nach unten. »Und dort auch«, fügte Dan grimmig hinzu. »Und da und da und da. Noch drei!« Und da waren drei weitere unendlich kleine Rauchfäden, die in der oberen Atmosphäre hingen und die immer länger wurden und sich langsam dem Boden näherten. »Ich fürchte«, sagte Dan, »daß wir uns zu früh den Kopf darüber zerbrochen haben, warum die Riesen nicht reagieren. Die sind recht schnell hierherge kommen!« »Aber die sollten doch eigentlich auf uns zielen«, sagte Steve. »Das tun sie ja gar nicht.« »Und wir«, murrte Dan, »sollten schleunigst hier verschwinden.«
Steve schüttelte den Kopf. »Wenn wir fliehen«, meinte er, »macht das den Riesen nur Mut. Die glauben dann, sie hätten uns mit ihren Raketen verjagt. Es wäre nicht klug, ihnen den Eindruck zu vermitteln, daß man uns Angst machen kann.« »Es kann aber auch unklug sein, sich auf einen Kampf einzulassen, wenn man nichts hat, womit man kämpfen kann«, widersprach Dan. »Du hast sie ein paarmal ausgetrickst, aber vielleicht sind die inzwi schen auch schlauer geworden.« »Wir fliehen nicht«, entschied Steve mit fester Stimme. »Wir müssen die Riesen davon überzeugen, daß es gefährlich ist, sich mit uns auf einen Streit ein zulassen. Wir können es uns einfach nicht leisten zu fliehen!« Dan zuckte die Achseln. Einige endlos lange Minuten schien sich an der La ge nichts zu ändern. Da gab es fünf Raketen, die über den ganzen Himmel verstreut waren und die sich langsam zu Boden senkten. Um die Spindrift schienen sie sich überhaupt nicht zu kümmern. Es wurde jetzt immer deutlicher, daß keine der Raketen beabsichtig te, auf dem Festland zu landen. Wenn sie ihren ge genwärtigen Kurs beibehielten, würden sie jeweils ein paar Kilometer voneinander entfernt ins Meer fal len.
»Nicht sehr unternehmend, diese Roboter«, sagte Dan plötzlich. »Die kümmern sich gar nicht um uns. Warum wollen sie denn auf dem Meer landen? Wir hatten schließlich einen Grund dazu als wir es taten!« Steve nickte plötzlich. »Vielleicht haben sie den gleichen Grund«, meinte er. Dan riß die Augen auf und starrte ihn an. Die erste Rakete stand jetzt vielleicht noch achthundert Meter über der Meeresoberfläche. Und dann waren es noch hundertfünfzig Meter, und dann fünfzig. In dieser Höhe verhielt sie einen Augenblick. Ihr Raketenstrahl streifte die Wellen. Dampf stieg auf. Immer langsamer senkte sich die Rakete jetzt, und rings um sie erhob sich eine Dampfwolke. Das ganze wirkte wie ein ungeheurer Lichtbogen, zuerst über der Meeresfläche und dann sogar darunter. Und dann ging die Raketenflamme plötzlich aus. Die Dampfwolke zerstreute sich. Die Rakete tanzte auf den Wellen und kam schließlich zum Stillstand. Ihr abgerundeter Bug deutete nach oben. Sie lag ganz still auf den Wellen. Ein Boot, zu klein, als daß man es vorher hätte be merken können, löste sich von der Hafenmole und strebte auf die im Wasser treibende schwarze Rakete zu. Die Spindrift flog unmittelbar über der Rakete. Es
gab keine sichtbaren Fenster. Das Projektil wirkte ir gendwie plump, finster, blind und leblos. »Was zum Teufel –« »Man hat sie mit den anderen hierhergeschickt, um gegen uns eingesetzt zu werden«, erklärte Steve. »Man muß sie schon auf den Weg gebracht haben, ehe wir hier auftauchten. Und dann konnte man sie nicht mehr zurückschicken. Vielleicht muß man sie auftanken. Vielleicht auch mit Sprengstoff laden. Je denfalls muß sie bereits gestartet sein, ehe man uns hier erblickt hat!« Und dann fuhr er nach einer kur zen Pause ungeduldig fort: »Aber woher bekommen die alle diese Raketen? Warum haben sie sie? Wir ha ben auf der Erde nichts, was ihnen entspräche!« Diese letzte Feststellung stimmte nicht. Aber er ging nicht weiter auf das Thema ein. Statt dessen sah er zu, wie die zweite der fünf Raketen im Meer lande te. Es war genau wie bei der Landung der ersten. Und dann trieb ein zweiter dunkler Gegenstand, vielleicht drei Kilometer von der ersten Rakete entfernt, auf den Wellen. Ein zweites Boot, nach den Maßstäben der Riesen winzig – man konnte es nur durch seine Bugwelle ausmachen – fuhr hinaus, um die Rakete an Land zu ziehen. Dieser Vorgang wiederholte sich noch dreimal. Und zu jeder Rakete fuhr ein Boot hin aus. Steve lenkte die Spindrift über das zweite Projektil.
Dreißig Meter über den Wellen ließ er die Spindrift reglos in der Luft stehen. Dieses Manöver war für die Riesen bestimmt. Sie konnten daraus machen, was sie wollten – eine gründliche Untersuchung der Vorgän ge oder auch nur eine Herausforderung an die schwimmende Rakete, doch etwas dagegen zu unter nehmen. Und dann flog Steve zur dritten Rakete und dann zur vierten und zur fünften. Anschließend jagte er die Spindrift wieder in die Höhe. »Schade um die Energie, die wir jetzt verbraucht haben«, meinte er, »aber ich mußte den Riesen klar machen, daß wir keine Angst haben. Aber unsere Energiereserven sind jetzt gefährlich zusammenge schrumpft. Wir müssen irgendwo landen und neu aufladen.« Dan sagte nichts. Er fragte Steve nicht gern nach Dingen, die Steve für selbstverständlich hielt. Trotz dem zerbrach er sich den Kopf, um herauszufinden, was Steve im Schilde führte, was für ein Gerät er brauchte, das sie nicht hatten, oder was für ein Ma növer er mit der Spindrift vorhatte, für das sie nicht konstruiert war. Die Stadt der Viehpferche war ungefähr vierhun dert Kilometer von der Insel entfernt, auf der sie das Tonbandgerät und die Funkanlage abgesetzt hatten. Sie kehrten jetzt zu jener Insel zurück und landeten,
und Steve blickte etwas beunruhigt auf die Skala, die ihm den Energievorrat anzeigte. Fitzhugh ging hin aus und holte das Päckchen, das sie abgesetzt hatten. Vielleicht hatten sie damit die Riesen davon über zeugt, daß die Spindrift irgendwo auf diesem Planeten ein Schwesterschiff hatte. Steve blickte finster drein. Als Fitzhugh mit den Geräten wieder ins Schiff kommen wollte, hielt er ihn auf. »Sie haben doch auch diese Wildgänse gesehen«, sagte er. »Diese große Formation riesiger Vögel, die über uns hinweggezogen ist. In welche Richtung sind die Ihrer Meinung nach geflogen?« Fitzhugh überlegte und zeigte dann in eine Rich tung. Steve teilte seine Meinung. Das schien ihn wie der zu besänftigen. Ohne ein weiteres Wort zog er die Landetreppe ein und schloß die Luke. Das Schiff hob vom Boden ab. Sie flogen in die Richtung, in die vor Stunden die Gänse geflogen waren. Steve machte sich immer noch Sorgen über ihren Energievorrat. Zu ihrer Linken ragten Berge auf, und dann spaltete sich die eine Bergkette in zwei. In die sem Teil der Welt der Riesen herrschte Frühling, und das Tal grünte, und es gab kleine Seen, auch größere, und hin und wieder ein Wäldchen. Und nach einer Weile erreichten sie eine Gegend, in der offenbar die Gänse, die sie gesehen hatten, zu nisten pflegten. Steve flog ein paar Kreise, ehe er die Spindrift lan
dete. Und dann fand er schließlich eine schmale tiefe Schlucht in den das Tal umgebenden Bergwänden. Es gab eine ebene Stelle, auf der die Spindrift landen und von der sie auch wieder starten konnte. Außerdem würde sie dort niemand sehen. Und während das Schiff auf seinen Landestützen stand, konnte der kleine Atommeiler dazu benützt werden, die Ener giezellen wieder voll aufzuladen. Sie waren unmittelbar vor Einbruch der Dunkelheit gelandet, und kurz darauf standen unzählige, überra schend helle Sterne am Himmel. Die beiden Monde waren nicht zu sehen. Sie würden erst ein paar Stun den vor Einbruch der Morgendämmerung aufgehen. Aber die Sterne boten ein Bild unglaublicher Schön heit. Als die Spindrift sicher und einwandfrei gelandet war, ging Steve durch das Schiff und versuchte, sich durch die Sichtluken in der Passagierkabine ein Bild ihrer Umgebung zu machen. Da gab es Felsbrocken, deren Umrisse man im Sternenlicht ausmachen konn te. Es gab auch niedriges Buschwerk, sogar ganz in der Nähe. Als er wieder ins Cockpit zurückging, sah er zu den vorderen Luken hinaus und musterte prü fend den Talboden vor ihnen. Dann schaltete er die Außenmikrofone ein. Erstaunlicherweise war es hier ziemlich ruhig. So gab es überhaupt keine Insekten geräusche. Das einzige Geräusch, das man hören
konnte, schien von den weit entfernten Nistplätzen der Riesengänse zu kommen, und die weite Ferne ließ es wie ein Murmeln wirken. Und dann kam ein schwaches Quäken, das aber ungewöhnlich tief wirk te. Es wurde lauter, bis es schließlich das schläfrige Murmeln der nistenden Tiere übertönte. Dann waren vor den Sternen fliegende Schatten zu sehen. Sie senkten sich auf den Boden herab. Viele von ihnen. Und dann gab es einen Tumult, als die landenden Vögel die nistenden störten. Ein Flug von Gänsen war auf den Brutplätzen erschienen. Es gab Zusammen stöße zwischen den Neuankömmlingen und jenen, die sich zur Ruhe gesetzt hatten. Durcheinander herrschte. Es dauerte ziemlich lange, bis es wieder ruhig wurde. Steve blickte immer noch hinaus, obwohl er prak tisch nichts sah. Es wurde immer dunkler, und die Sterne zeichneten sich immer greller vor dem dunk len Himmel ab. Aber sonst geschah nichts. Der Atommeiler arbeitete völlig lautlos, weit hinten im Heck, und lud die Akkumulatoren auf. Der Meiler konnte auf eine nahezu unbeschränkte Zeit etwa fünfzig Prozent der Energie liefern, die die Spindrift zum Fliegen benötigte. Und die Akkumula toren konnten genügend Energie speichern, um sie im Verein mit der Meilerleistung acht Stunden im Flug zu halten. Im Verein konnten die Akkumulato
ren und der Meiler der Spindrift die Energie für vier Umkreisungen der Erde liefern – und das war we sentlich mehr, als man je von einem Schiff dieser Klasse erwartete. Aber auf dieser Welt war die Lage völlig anders. Ein Flug wenige Meter über dem Meer bedeutete einen erstaunlich hohen Luftwiderstand. Landungen und Starts erforderten Energie. Und der Flug mit einer Beschleunigung von drei g zehrte ihre Reserven so schnell auf, daß man es an der Instru mententafel direkt mitverfolgen konnte. Die Spindrift, die jetzt in der Nähe des Nistplatzes der Wildgänse gelandet war, war also nicht gerade haushälterisch mit ihren Reserven umgegangen. Und noch ein paar Sondermanöver von der Art, wie sie in letzter Zeit ge flogen war, und ihr Energievorrat würde aufgezehrt sein. Aus diesem Grunde lag das kleine Schiff ruhig und friedlich in der Mündung einer engen Schlucht und speicherte Energie für späteren Gebrauch. Dan befand sich wieder in der Passagierkabine und führte ernsthafte Diskussionen über eine so prosai sche Angelegenheit wie Nahrung. Es stand nicht viel zur Verfügung. Im Tal mochte es eßbare Pflanzen ge ben. Aber die meisten Pflanzen dieser Art kann man nur für Salate gebrauchen. Und die Aussichten auf tierische Nahrung waren gering. Tiere, die groß ge nug waren, daß man sie auf der Erde für Nahrungs
zwecke gebrauchen konnte, waren hier um ein Viel faches größer, und man brauchte daher wirksame Waffen, um sie zu töten. Und Waffen irgendwelcher Art gab es nicht. Es sah ziemlich schlecht aus, bis Dan sich daran er innerte, daß im Heckabteil neben dem Gummifloß und ähnlichen Dingen auch ein Seil gewesen war. Er erbot sich sofort, Schlingen zu legen. Falls es im Tal Riesenhasen gab, würden sich bis zum Morgengrau en bestimmt welche in den Schlingen fangen, und dann würden sie daraus ein Festmahl bereiten. Betty ging inzwischen ins Cockpit, wo Steve immer noch durch die Bugluken hinaussah. »Steve«, sagte sie zögernd. Er wandte sich um. »Ich – ich möchte mit dir sprechen«, sagte sie etwas unsicher. »Wir haben seit Tagen nicht mehr mitein ander gesprochen.« »Setz dich in Dans Sessel«, sagte Steve. »Es gibt auch nichts besonders Erfreuliches, worüber man re den könnte. Aber die Dinge sehen jetzt etwas besser aus.« »Wieso?« »Nun, allgemein betrachtet, hat sich unsere Lage doch verbessert«, meinte er nicht gerade deutlich. Das war nicht unbedingt eine besonders glaub würdige Feststellung. Sie entsprach nicht einmal den
Tatsachen. Die Spindrift war ein winziges Suborbital schiff auf einem fremden Planeten, auf dem jedes in telligente Wesen entschlossen schien, es zu vernich ten. An dieser Situation hatte sich nichts geändert. Die Tür ging auf, und Wilson trat ein. »Steve?« fragte er in der dunklen Kabine. »Hier«, sagte Steve. »Was gibt's denn?« »Da sind Spuren einer Aurora«, sagte Wilson. »Südlichter, keine Nordlichter. Wir wollen sie uns an sehen.« »Viel Vergnügen«, sagte Steve grimmig. »Ich bin von Nordlichtern nicht gerade begeistert. In einem Nordlicht oder so etwas Ähnlichem sind wir von der Erde weggerissen worden. Und ich habe den dunklen Verdacht, daß eine weitere Aurora im Spiele war, als wir hierher zurückgeholt wurden.« »Ich bin da einer Theorie auf der Spur«, sagte Wil son und wählte seine Worte sehr sorgfältig. »Ich verstehe nicht viel von Nordlichtern, aber es sieht so aus, als gäbe es zwischen der Erde und die sem Planeten eine Art Resonanz. Ich möchte zum Bei spiel auf die bemerkenswerte Ähnlichkeit aller Lebe wesen – von der Größe abgesehen – hinweisen. Ich vermute, daß die Raumfalte zwischen der Erde und dieser Welt wie eine Flut hin und her wogt. Wenn ir gend etwas – ein winziger Holzspan zum Beispiel – in eine Flut gerät, wenn sie gerade umschlägt, wird
dieser Holzspan einfach mitgerissen, und zwar über die ganze Länge der Flutwelle. Das heißt, ein solcher Holzspan bewegt sich schneller, wenn er unmittelbar vor dem Gezeiten Wechsel über Bord geworfen wird. Geschieht das gleiche bei Ebbe, dann bewegt er sich nur ein kurzes Stück und wird wieder an seinen Ursprungsort zurückgetragen, wenn die Gezeiten wechseln. Ich glaube, das ist mit uns passiert, als wir versuchten, auf der Raumfalte zur Erde zu reisen. Wir wurden zurückgetragen.« »Und?« sagte Steve. »Wir wollen die Aurora beobachten«, sagte Wilson. »Vielleicht gibt uns das eine Erklärung. Wenn es uns gelingt, in dem Augenblick in eine Raumfalte hinein zugeraten, wenn die Flut gerade umschlägt, sie also von hier zur Erde strebt, wenn wir den Augenblick unseres Eintritts so abstimmen –« »Es ist besser, Sie lassen darüber abstimmen«, sagte Steve grimmig. »Ich gebe zu, daß die Lage im Au genblick nicht gerade hoffnungsvoll aussieht. Aber ich möchte auch keine Wette auf Ihre Theorie ab schließen! Hören Sie sich um, was die anderen dazu sagen.« »Wir müssen uns diese Entladungen ohnehin an sehen«, sagte Wilson etwas unsicher. »Wir müssen die Variante davon, die mit Raumfalten in Verbin dung stehen, identifizieren. Und dann –«
»Dann beobachten Sie sie eben«, sagte Steve. »Und lassen Sie abstimmen.« Wilson ging hinaus. Die Tür schloß sich hinter ihm. Und Steve befahl Betty barsch: »Steh auf.« Betty erhob sich. Sie versuchte, in der Finsternis seinen Gesichtsausdruck zu erkennen. Er legte die Arme um sie und küßte sie. »Das ist heller Wahnsinn«, sagte er. »Ich möchte nicht, daß sich das im Schiff verbreitet, verstehst du?« Sie gab keine Antwort. Das konnte sie nicht. Und nach langer Zeit ließ er sie los und öffnete die Tür zum Passagierraum. »Geh und sieh dir die Südlichter an«, sagte er. »Oder sorge dafür, daß wir etwas Besseres zu essen bekommen.« Sie lächelte unsicher. Dann kam Barry zur Tür ge rannt. »Tiere, Sir!« rief er erregt. »Sie kommen die Schlucht herunter. Große Tiere! Große!« »Dann wollen wir hoffen, daß sie wichtigeres zu tun haben als sich mit uns zu beschäftigen. Wo hast du sie gesehen? Dan, schalte das Licht aus!« Er zwängte sich zwischen zwei Sitzreihen und starrte ungeduldig hinaus, bis Dan endlich die Kabi nenbeleuchtung abgeschaltet hatte. Jetzt konnte er in den Tiefen der Schlucht undeutliche Bewegungen er kennen. Die Sterne boten ihm jetzt mehr Licht, aber man konnte nur schwer Einzelheiten erkennen. Nach
einer Weile war er immerhin sicher, daß es sich nicht um zweibeinige, aufrecht gehende Lebewesen han delte. Riesen konnten das nicht sein. Nur irgend et was anderes Riesenhaftes. Und als sie dann weiter in die Schlucht hineinge zogen waren, konnte man im Licht der Sterne erken nen, daß es sich um vierfüßige Geschöpfe von unge heurer Größe handelte, eine Größe, an die die Leute von der Spindrift sich inzwischen gewöhnt hatten. Ei genartigerweise war es Valerie, die zuerst erkannte, worum es sich handelte. »Das sind Füchse«, sagte sie ruhig. »Selbst wenn sie vier Meter hoch sind. Ihrer Kopfform nach zu schlie ßen müssen es Füchse sein. Und es gibt genügend Geschichten von Füchsen und Gänsen. Vielleicht wol len sie zu den Nistplätzen.« Steve war inzwischen zu dem gleichen Schluß ge kommen. Für diese kolossalen Tiere hatte die Spin drift etwa die Größe eines Felsbrockens, gerade groß genug, um sie zum Ausweichen zu veranlassen, und nicht groß genug, daß sie darüber hinwegspringen konnten – worauf sie auch gar keinen Wert legten. Sie mochten Tonnen wiegen. Der Rumpf der Spindrift hatte im Meer erstaunlichen Druck ausgehalten, aber man konnte nicht damit rechnen, daß er auch dem Gewicht vierfüßiger Tiere, schwerer als Elefanten auf der Erde, würde Widerstand leisten können.
Die Spindrift lag in völliger Finsternis da. Die Rie senfüchse kamen friedlich darauf zu. Dann hielten sie inne. Aus der Nähe betrachtet, wirkten sie ungemein gefährlich. Sie beschnüffelten die Spindrift. Offenbar hatte sie einen interessanten Geruch. Ihre Schnauzen drückten sich an die Luken. Sie schnüffelten und schnüffelten. »Ich habe keine Angst davor, hinauszugehen«, sag te Valerie plötzlich. »Ich glaube, das werde ich auch tun.« Sie ging auf die Tür zu. »Das werden Sie nicht tun!« knurrte Fitzhugh. »Wenn ich will –« »Die fressen Mäuse«, sagte Fitzhugh. »Und für die haben Sie etwa die Größe einer Maus.« Valerie blieb stehen. Vielleicht hatte ihr Bestreben, furchtlos zu erscheinen, sie tatsächlich unvernünftig gemacht. Aber auf die gleiche Stufe wie Mäuse ge stellt zu werden, war widerlich. Aus keinem erkennbaren Grund kratzte einer der Füchse am Rumpf der Spindrift. Und dann ging der Anführer des Trios weiter. Die beiden anderen folg ten ihm. Die Nacht verschluckte sie. Noch lange, nachdem sie verschwunden waren, herrschte Schweigen im Schiff. Sie hatten soeben eine äußerst gefährliche Situation überstanden, eine Situa tion, für die es keinen Grund und keinen Zweck ge
geben hatte. Es war erniedrigend, sein Leben der Gleichgültigkeit eines Fuchses zu verdanken. Etwa eine Stunde später gab es bei den Nistplätzen Tumult. Der Lärm kam von den nistenden Gänsen. Jetzt hatten offenbar die drei Füchse den Nistplatz er reicht. Tiefes Quäken und Flattern hallte zum Schiff herüber. Es dauerte ein paar Minuten und erstarb dann wieder. Vermutlich hatten die Füchse ihre Beute gefunden und getötet und sich zurückgezogen, jeder mit einer der gigantischen Gänse im Maul. Aber in die Schlucht kamen sie nicht zurück. Zwischen diesem Zwischenfall und dem Aufgang der beiden Monde gab es nur noch ein Ereignis, das er wähnenswert war. Dan hielt im Cockpit Wache. Steve döste. Die Außenmikrofone waren natürlich einge schaltet. Die Passagiere und Betty schliefen. Sie hatten sich daran gewöhnt, in ihren Sesseln zu schlafen. Vom Instrumentenbrett konnte man die Innen- und Außentemperatur ablesen – draußen war es ziemlich kühl –, und die Ladekontrolle zeigte, daß der Atom meiler sein Werk verrichtete. Von draußen drangen nur leise Geräusche herein, und gelegentlich hörte man den Wind flüstern. Und plötzlich drang ein neues Geräusch durch die Außenmikrofone in die Kabine. Es schien an- und ab zuschwellen, im wesentlichen jedoch zuzunehmen. Es war unverkennbar das Brüllen einer Rakete.
Steve schlug die Augen auf. Er war sofort hellwach. Die Rakete, die dieses Geräusch erzeugte, war sehr weit entfernt. Es wurde lauter, aber ganz langsam. Es schien vom Horizont zu kommen. Es schien sehr weit entfernt, und doch veränderten sich Lautstärke und Position ständig. All die Menschen, die jetzt in der Spindrift waren, würden beim leisesten Murmeln dieser Art wach werden. Steve sah die Auspuffflamme der Rakete. Es war ein blau-weißer Schein, unendlich klein, wie ein Lichtbogen oder ein besonders heller Stern. Das Licht bewegte sich jenseits der Bergkette von Süden nach Norden. Es bewegte sich ganz langsam, und das war ein weiterer Beweis, daß die Rakete weit entfernt war. Sie flog nach Norden, als wäre sie aus den antarkti schen Regionen noch weiter im Süden gekommen und strebe jetzt dem Norden und gemäßigteren Zo nen zu. Unbeirrbar zog der grell leuchtende Punkt seine Bahn. Jetzt hallte das Dröhnen des Antriebs von den Talwänden wider. Aber es begann bereits leiser zu werden. Der helle Punkt entfernte sich. Und schließ lich war er nicht mehr zu sehen. »Was zum Teufel«, fragte Steve sich selbst, »was zum Teufel hat eine Rakete mitten in der Nacht und in der Atmosphäre auf diesem Kurs zu suchen? Wo
hin fliegt sie? Und – was noch wichtiger ist – zu wel chem Zweck ist sie unterwegs?« Keine Antwort. Der Atommeiler der Spindrift fuhr fort, die Akkumulatoren zu laden. Sonst geschah nichts. Aber niemand in der Spindrift konnte wieder ein schlafen.
7
Die Morgendämmerung kam zögernd, wie dies in hohen Breiten üblich ist. Der Himmel wurde fahl, und die Sterne verblaßten. Schließlich war der Him mel ebenso hell wie die Sterne, und sie verschwan den. Im Osten tauchten Farben auf, und dann gab es ein Wirbeln und Flattern über den Nistplätzen der Wildgänse. Das Tal wurde zum erstenmal völlig sichtbar, und man konnte jetzt die großen und kleine ren Seen erkennen und auch die Wäldchen und Ge büsche, die hie und da emporragten. Dan und Fitzhugh verließen das Schiff, während noch die Kühle der Nacht über dem Tal und der klei nen Schlucht lag. Die Insekten würden erst erwachen, wenn die Sonne höher stand. Und die Räuber der Nacht schlummerten jetzt in ihren Schlupfwinkeln, während jene, die den Tag über jagten, sich noch nicht regten. Die beiden Männer waren mit Steinäx ten bewaffnet, den einzigen Waffen, die sie ohne Werkzeug hatten herstellen können. Dan trug das Seil aus dem Heckabteil. Er hatte strikte Anweisung von Steve, binnen einer halben Stunde zurückzukehren. Sie kamen noch früher zurück. Es gab Spuren rela tiv kleiner Tiere in der Nähe – sie hatten sogar einen kleinen, kaum sichtbaren Bau gefunden, den sie beo
bachten konnten. Dan hatte dort eine Schlinge gelegt, und dann kamen er und Fitzhugh zum Schiff zurück und warteten mit den anderen. Der kleine Atommeiler arbeitete stumm. Die Nadel, die den Ladezustand angab, bewegte sich unendlich langsam. Absolut nichts geschah. Davon abgesehen, daß ein Tier aus dem Bau kam, seinen üblichen Ver richtungen nachging, eine Weile später zurückkehrte und später noch einmal ausging. Offenbar war die Falle nicht richtig angeordnet worden. Dan brummte über sein Ungeschick und wollte wieder hinaus, um die Falle neu einzurichten, aber Steve verbot es ihm. Gegen Mittag zeigte die Ladeanzeige an, daß die Akkumulatoren jetzt zur Hälfte geladen waren. Es gab zu essen – wenn auch nichts besonders Sättigen des, aber immerhin besser als nichts. Barry meinte, man sollte Chipper eine Weile um das Schiff laufen lassen. Steve improvisierte eine lange Leine aus Strei fen, die er aus den Sitzbezügen riß. Barry stand in der Ausstiegsluke des Schiffes und ließ Chipper herum laufen. Dann kam der Hund wieder zurück, den Schwanz zwischen den Beinen, als ängstige er sich vor irgend etwas, das er nicht anzubellen wagte. Die Luke schloß sich wieder. Über dem Nistplatz der Wildgänse hingen die flat ternden Vögel wie ein Nebel. Aus dieser Ferne wirk
ten sie ganz normal. Auch das ganze Tal entsprach in seinen Proportionen durchaus dem Gewohnten – mit Ausnahme ihrer unmittelbaren Umgebung. Hier war alles zu groß. Aber auf eine Entfernung von etwa achthundert Metern wirkte die Landschaft genau wie eine Berglandschaft auf der Erde. Nur die monströse Größe der Büsche rings um sie bildete dazu einen Widerspruch. Kurz vor Sonnenuntergang war am Himmel wie der ein Brummen zu hören – eine Rakete. Diesmal sahen sie sie nicht. Ihr Dröhnen begann so weit ent fernt, daß allein schon das Geschrei der Gänse es bei nahe überdeckte. Es bewegte sich am Horizont ent lang, wurde deutlich hörbar und erstarb dann wieder in der Ferne. »Was zum Teufel hat das zu bedeuten?« fragte Ste ve, als das Geräusch verstummt war. »Es macht nicht auf uns Jagd. Aber wozu starten denn die Riesen Ra keten, wenn nicht, um uns damit zu jagen?« Und Wilson meinte: »Es ist beinahe genau ein hal ber Planetentag verstrichen, seit diese andere Rakete in entgegengesetzter Richtung flog. Vielleicht starten die Riesen sie nach einem bestimmten Plan.« »Plan?« Steve runzelte die Stirn. »Plan? Aber das würde zwei pro Tag bedeuten! Hunderte pro Jahr!« Irgendwie kam er gar nicht auf den Gedanken, die sen Einwand mit den fünf Raketen in Verbindung zu
bringen, die sie bei der Stadt der Viehpferche im Meer hatten landen sehen. Aber für Steve bedeutete das auch keine planmäßige Handlung. In der Passagierkabine regte sich etwas. Steve ging zur Tür. »Was gibt's denn?« »Nichts«, sagte Fitzhugh. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.« Steve ging wieder in die Steuerkanzel zurück, sah aber diesmal nicht durch die Luke hinaus. »Plan!« wiederholte er gereizt. »Wir haben keine Beweise dafür. Alle Raketen, die wir gesehen haben, haben sich redlich bemüht, uns in die Luft zu spren gen – mit Ausnahme der fünf, die vor der Hafenstadt im Wasser gelandet sind. Und die sind bestimmt nicht planmäßig geflogen! Entweder hat man sie aus geschickt, damit sie mit Sprengstoff geladen – um dann gegen uns eingesetzt zu werden –, oder sie soll ten aufgetankt werden, oder –« Wilson sagte nichts, und Steve fuhr gereizt fort: »Raketen sind Projektile und Raumsonden und fliegende Roboter, die Bilder und Daten zur Erde funken sollen. Wir rechnen nie damit, sie zweimal einzusetzen. Bei einer Landung bersten sie. Die Rie sen haben einen Typ, der weich landen kann. Aber das sagt noch lange nicht, daß sie planmäßig verkeh ren! Es sieht aus –« Und dann hörte er das Summen des Lukenmotors.
Das Ächzen der Landetreppe. Er brach ab, um nach zusehen. Die Landeluke war offen. Draußen war es dunkel. Dan hatte bereits den größten Teil der Stufen zurück gelegt, und Fitzhugh ging dicht hinter ihm. Steve rannte ihnen nach. »Was soll das?« schrie er. »Was zum Teufel –« Dan und Fitzhugh sprangen gemeinsam die letzte Stufe hinunter und rannten davon. »Etwas hat sich in der Schlinge gefangen, die Dan heute morgen gelegt hat«, sagte Betty unsicher. »Dan hat ein Steakmesser und Fitzhugh und er haben die Tür geöffnet und sind hinausgegangen.« Steve war wütend. Der Zeitpunkt für das Verlassen des Schiffes war jetzt etwa ebenso günstig wie am frühen Morgen. Aber diese Exkursion war hastig und ohne vorherige gründliche Überlegung gemacht worden. Wenn das Ding, das sich in der Schlinge ge fangen hatte, eßbar war, brauchte man es bestimmt dringend. Aber sich zu Fuß in diesem Land der Rie sen zu bewegen, war selbst im günstigsten Falle ge fährlich. Steve stand in der offenen Luke und spürte, wie sich ihm vor Sorge der Magen zusammenkrampf te. Dan war einer der beiden Männer, die das Schiff verlassen hatten. Außer ihm war er der einzige, der das Schiff steuern konnte. Wenn Steve jetzt hinaus rannte, riskierte er das Leben von Barry und Marjorie
und Valerie und Betty. Und wenn er und Dan ums Leben kamen ... Das Warten war unerträglich. Und dann – nach ei nem Zeitraum, der wie eine Ewigkeit schien – hörte er die Stimmen der beiden Ausreißer. Sie kamen zum Schiff zurück, wie es schien ohne eine Spur von Vor sichtsmaßnahmen und ohne irgendwelche Gefahren zu erkennen. Sie unterhielten sich munter. Sie kamen die Treppe herauf. Dan sagte kein Wort, bis sie wieder im Schiff waren, sie und ihr Seil und etwas, das wie die Rückenpartie eines riesigen Hasen aussah. Eine überwältigende Menge an Nahrung. Vermutlich standen jetzt jedem einzelnen von ihnen siebzig Pfund Fleisch zur Verfügung. »Wenn ihr wieder klar denken könnt«, sagte Steve wütend, »dann könnt ihr euch vielleicht einmal über legen, was ihr riskiert habt. Ihr hättet damit jede Chance zunichte machen können, daß wir die Frauen je wieder nach Hause bringen!« Er ging in die Steuerkanzel. Er war wütend. Wilson wartete dort auf ihn. Er fragte ihn etwas. Steve er zählte ihm, was vorgefallen war. Und dann meinte Wilson: »Sie waren da gerade dem Gegensatz zwischen dem Einsatz der Raketen auf der Erde und hier auf der Spur. Können Sie noch etwas dazu sagen?« Steve überlegte.
»Ich hatte gedacht – ich hatte gerade eine Ahnung über diesen Unterschied. Ich dachte –« Er hielt inne. Er war so wütend gewesen, daß Dan und Fitzhugh so unbedacht gehandelt hatten, daß ihm der Gedanke entfallen war. »Jetzt ist es weg«, sagte er ärgerlich. »Ich war einer Antwort auf der Spur. Ich hatte sie noch nicht, aber es hätte nicht mehr lange gedauert. Und jetzt ist es weg!« Er ballte die Fäuste. Nichts ist so ärgerlich wie et was Wichtiges auf der Zunge zu haben, um dann festzustellen, daß es verschwunden ist. Meistens hat es keinen Sinn, danach zu suchen. Je mehr man sich abmüht, sich zu erinnern, desto gründlicher entzieht sich dieser flüchtige Gedanke dem Zugriff. »Beruhigen Sie sich«, sagte Wilson. »Es wird Ihnen schon wieder einfallen, wenn Sie sich nicht den Kopf danach zerbrechen.« Das war zwar ein sehr vernünftiger, aber kein sehr praktischer Rat. Steve mußte einfach weitergrübeln. Alles, was es auf der Erde gab, hatte hier sein Ge genstück – allerdings viele Male größer. Nur die mächtigen Raketen dieser Welt hatten auf der Erde keine Entsprechung. Oder doch? Aber so sehr er sich auch abmühte, er kam nicht weiter. Es wurde dunkler. Marjorie bereitete Hasen steaks und verteilte sie. Die riesigen blutigen Fleischstücke des Hasen verdarben ihnen den Appe
tit. Fitzhugh öffnete die Notluke, um sie dort zu verstauen. Aber die Heckkammer war noch voll Stroh. Er schloß die Tür wieder. »Wenn wir das Notabteil leer haben«, meinte er, »können wir das Fleisch dort unterbringen. Wir flie gen dann in ein paar Kilometer Höhe und lassen die Luft heraus. Dann gefriert es, und wir können es auf bewahren.« Das war richtig. Steve nickte. Seine Stirn war im mer noch gerunzelt, und er versuchte, das Geheimnis der Raketen zu ergründen. Und dann schien irgend etwas in ihm zu klicken. Das war es nicht, woran er sich zu erinnern versuch te. Es war etwas anderes. Aber es war völlig klar und nützte ihnen vielleicht ebenfalls. »Wenn Sie recht haben, daß diese Raketen planmä ßig fliegen«, sagte er plötzlich zu Wilson, »dann müß te heute um Mitternacht wieder eine erscheinen. Und sie müßte von Süden nach Norden fliegen, etwa auf dem Kurs, den wir hierher eingeschlagen haben.« Wilson überlegte. »Wahrscheinlich«, nickte er dann. »Dann rechnen Sie doch mal aus, wann sie kom men müßte«, befahl Steve. »Wir werden sie verfolgen und feststellen, wohin sie fliegt und was sie tut. Es sieht so aus, als hätten die Riesen Raketen bereit, die irgendeinem Zweck dienen, den ich nicht kenne. Und
einige davon haben sie zum Einsatz gegen uns um gebaut.« Wilson nickte erneut und meinte dann zusammen hanglos: »Die Entladungen, die ich erwähnte, die Südlichter meine ich – haben anscheinend aufgehört.« Steve machte bloß: »Hmmm« und blieb stumm. Ir gendwie aber fühlte er sich dennoch besser, selbst wenn das nichts mit den Entladungen zu tun hatte. Bis jetzt waren die Riesen die Jäger gewesen und die Spindrift die Beute, die sie jagten. Steve hatte durch seine Schrift am Himmel versucht, die Riesen davon zu überzeugen, daß es sich bei dem kleinen Schiff von der Erde um etwas handelte, das ganz und gar nicht hassenswert war. Es war ein Bluff, obwohl er glaubte, daß er ihn durchstehen konnte, wenn man ihm nur genügend Zeit ließ. Aber unterdessen war es höchst wünschenswert, den Riesen die Initiative wegzunehmen; etwas zu tun, das sie dazu veranlaßte, sich Sorgen zu machen. Was Steve in erster Linie ha ben wollte, war Information. Zuzulassen, daß die Rie sen neue mörderische Taktiken ausarbeiteten, ohne selbst etwas dagegen zu unternehmen – oder gar von sich aus aktiv zu werden – war die beste Methode, in eine Falle zu rennen. Also verkündete er, daß sie eine Forschungsexpedi tion unternehmen würden. Eigenartigerweise waren
sämtliche Insassen der Spindrift mehr als begierig darauf, daß das Schiff wieder startete. Das Tal, in dem sie lag, war vielleicht weniger gefährlich als an dere Orte, an denen sie schon gelandet waren. Aber es bot auch keine Chance auf eine Verbesserung ihrer Lage. Sie erfuhren hier nichts. Sie waren praktisch Gefangene ihres Schiffes. Und wenn die Spindrift auch nicht gerade überfüllt war, so konnte doch nie jemand allein sein. Bereits nach einem Tag – der nur wenig kürzer war als ein Tag auf der Erde – war be reits eine gewisse Spannung zu bemerken. Sie muß ten etwas unternehmen. Die Sonne war hinter den Bergen im Westen versun ken. Der ferne Tumult um die Nester der Wildgänse hatte den ganzen Tag lang angedauert und war jetzt verstummt. Bald würde dort völliges Schweigen herr schen. Die Sterne erschienen hell am Himmel. Und ih nen blieb jetzt nichts anderes übrig, als zu warten, bis vielleicht die planmäßige Rakete erschien. Um das Warten etwas zu verkürzen, überprüften Steve und Dan völlig überflüssigerweise die etwa vierzig Geräte, die vor dem Start eines Suborbital schiffes abgecheckt werden mußten. Dan verfertigte Notizen über ein oder zwei Geräte, die binnen kur zem überprüft werden mußten. Keines der Instru mente hatte jedoch irgendeinen Einfluß auf das Flugvermögen des Schiffes.
Und dann blieb ihnen wieder nichts als warten. Die einzig nennenswerte Bemerkung kam von Steve, nachdem er alle möglichen, völlig überflüssigen Din ge überprüft hatte. »Mir fällt gerade ein«, sagte er plötzlich, »daß die Raketen der Riesen während des ganzen Fluges brennen. Unsere Raketen auf der Erde brennen vier zig bis neunzig Sekunden, je nach der Geschwindig keit, die sie brauchen, um ihr Ziel zu erreichen. Aber die Riesen brennen während des ganzen Fluges.« Keiner hatte eine Bemerkung dazu zu machen. Al les blieb stumm. Und dann fragte Steve Wilson, wie lange es wohl noch dauern würde, bis die für den Norden bestimm te Rakete planmäßig auftauchte, bis wann er also da mit rechnen könne, daß er ihr Motorengeräusch am Himmel hören würde. Wilson meinte eineinhalb Stunden. Etwas später stellte ein anderer die gleiche Frage. Eineinviertel Stunden. Nachdem er eine weite re Frage beantwortet hatte – diesmal sagte er eine Stunde – ging Wilson in das Cockpit und schloß die Tür hinter sich. Er beschäftigte sich mit irgendwel chen Berechnungen. Aber selbst er ertappte sich da bei, wie er in immer kürzer werdenden Abständen auf die Uhr sah. Jetzt kamen Steve und Dan wieder ins Cockpit. Steve vergewisserte sich zum zweitenmal, daß alle
Instrumente richtig anzeigten. Die Nadel des Ener giemessers zeigte, daß die Akkumulatoren nahezu völlig geladen waren. Der Meiler würde in Kürze ab schalten, sofern man ihm nicht von anderer Seite Energie abverlangte. Dann herrschte Schweigen. Und Stille. Und Schweigen. Steve ertappte sich dabei wie er Wilson beobachtete. Dan drehte an den Mikrofonen herum und versuchte, der erste zu sein, der das Motorenge räusch der Rakete aufnahm. Dann beobachtete auch er Wilson. Dieser meinte: »Sie haben es zu eilig. Es dauert bestimmt noch zehn Minuten.« Aber zehn Minuten verstrichen, ohne daß die Au ßenmikrofone ansprachen. Es vergingen zwölf Minu ten, ehe im Süden ein schwaches Brummen hörbar wurde. Es wurde lauter. Und lauter. Steve sagte: »Alles anschnallen! Wir starten!« Der Bug der Spindrift hob sich zum Himmel empor. Sie schien nach oben zu fallen. Es war erstaunlich leicht, den Kurs der Süd-NordRakete auszumachen. Der Himmel war klar, und eine Unzahl Sterne leuchteten. Als das kleine Schiff starte te, reichte das Sternenlicht im Tal und auf den Berghängen nicht mehr aus, um danach zu steuern. In ei ner Höhe von siebentausend Metern funkelte der Himmel rings um sie, bis zum Horizont, aber unmit telbar unter ihnen war nur Schwärze.
In zehntausend Meter Höhe tauchte ein blau weißer Funken auf. Er brannte stetig und regelmäßig und schien sich im Schneckentempo zu bewegen. Er schien förmlich zu kriechen und flog tiefer als die Spindrift, zeichnete sich daher deutlich vor dem schwarzen Hintergrund ab. »Irgendwelche Strahlung festzustellen, Dan?« woll te Steve wissen. Dan beschäftigte sich mit den Sensoren, die hier praktisch nutzlos waren, da die Riesen keine funken erzeugenden elektrischen Geräte benutzten. Er über prüfte das elektromagnetische Spektrum von den längsten Wellen, die man für die Kommunikation be nutzen kann, bis hinunter zu den Mikrowellen. Aber der blauweiße Funken strahlte nichts aus. Dan melde te das Steve. »Also ist er nicht hinter uns her«, sagte Steve. »Dann werden wir uns an seine Spur heften. Wilson, das ist jetzt etwas aus Ihrem Fach. Stellen Sie fest, ob Sie unseren Kurs nach einem Stern ausrichten kön nen, damit wir nicht dauernd hinter der Auspuff flamme dieses Dings herfliegen müssen.« Wilson starrte hinaus, während die Spindrift die Verfolgung der Rakete aufnahm. Es war Verschwen dung, so langsam zu fliegen, und noch größere Ver schwendung, in so dicker Luft Energie zu verbrau chen.
Schließlich sagte Wilson: »Ich hab's. Ich habe die Sterne schon die ganze Zeit beobachtet. Jetzt habe ich den Kurs der Rakete. Es ist eine gerade Linie, wie ich erwartet hatte. Ich kann Sie wieder auf den richtigen Kurs einweisen, falls Sie ihn verpassen. Das wollten Sie doch, oder?« »Ja, genau«, nickte Steve. »Trotzdem zerbreche ich mir noch den Kopf. Wenn dieses Ding dort vorn kein Radio hat, ist es keine Waffe. Wenn es keine Waffe ist und kein Radio hat, dann ist es selbstgesteuert. Also muß es eine Art Trägheitssteuer besitzen. Und da es planmäßig fliegt, möchte ich wissen, was zum Teufel es ist.« »Was würde es uns denn nützen, das zu wissen?« brummte Dan. »Vielleicht nichts«, räumte Steve ein. »Aber die Riesen benutzen diese Dinger und versuchen uns damit umzubringen. Sie müssen ziemlich vielseitig sein. In dem Fall sollten wir herausfinden, was die Riesen sonst noch damit anfangen können – ich mei ne, außer uns in kleine Stücke zersprengen zu wollen. Deshalb –« Steve schwang die Spindrift herum, um der Rakete zu folgen. Und gleichzeitig verließ er seine Flughöhe von zehntausend Metern. Die Spindrift näherte sich der Rakete von hinten und oben. Sie wich von ihrem ursprünglichen Kurs ab. Steves Gesichtsausdruck
wurde jetzt grimmig. Das Schiff von der Erde flog parallel zu der Rakete, vielleicht einen Kilometer von ihr entfernt. Das Heck der Maschine war von den Auspuffflammen grellrot beleuchtet. Das Vorderteil lag in tiefem Schatten. Die Rakete schien die Spindrift völlig zu ignorieren. »Wie ist der Kurs, Wilson?« fragte Steve. »Wir sind auf Kurs«, bestätigte der. »Unmittelbar unterhalb des Sterns, auf den die vorher gezielt ha ben.« »Ich versuche es nochmal«, sagte Steve. Einen Augenblick flogen die beiden ungleichen Ge fährten – die schlanke elegante Spindrift und die Ra kete der Riesen, die beinahe ebenso groß, aber viel plumper war – wie zwei Geschwister nebeneinander her. Und dann drückte Steve die Spindrift unter die fremde Rakete. Diese stieg hoch und bog zur Seite. Die Spindrift folgte ihr. Die Rakete kippte wieder ab und setzte dann ihren Flug geradezu gleichgültig fort. »Sie ist mit Geräten ausgestattet, um Zusammen stöße zu vermeiden«, meinte Steve. »Und uns jagt sie ganz bestimmt nicht. Genauer gesagt, sie scheint so gar nichts von unserer Gesellschaft zu halten. Es gibt hier also zwei Arten von Raketen – eine explosive und die andere etwas menschenscheue. Woher weiß sie denn, daß wir in der Nähe sind?«
Fitzhugh meldete sich unter der Tür. »Ein Kapazitätseffekt«, sagte er. »So wie bei elektri schen Kondensatoren. Keine Strahlung. Nur Kapazi tät.« »Kann schon sein«, nickte Steve. »Und sie hält sich strikt an einen Kurs. Also glaube ich, werde ich die sen Kurs auch einschlagen und dieses Ding hinter uns lassen. Bei diesem Schneckentempo verbrauchen wir zu viel Energie.« Die Spindrift schoß in die Höhe und ließ die Rakete wie einen einsamen Stern hinter sich. Siebentausend Meter. Zehntausend. Dreizehntausend. Ein Glühen im Osten wurde sichtbar. Die Spindrift flog weiter. Eine gelbe, fleckige Scheibe tauchte über dem östli chen Horizont auf. Ein Mond, weiter hinter der Sonne als am letzten Abend. Aber er kreiste viel näher um diesen Planeten als der Mond der Erde um die Erde kreist. Und seine Bahn um den Planeten dauerte auch wesentlich kürzer als die achtundzwanzig Tage eines Mondmonats. Kurz darauf tauchte auch der zweite Mond auf. Beide schwebten über den Himmel. »Den Raketen nach zu schließen, die in der Nähe der Rinderstadt gelandet sind«, meinte Steve, »sollte die hier auch in der Nähe einer Riesenstadt landen. Seht also zu, ob ihr irgendwo Lichter erblicken könnt.«
Aber in diesem Teil der Welt der Riesen gab es kein Licht. Oder die Lichter waren von Wolken verdeckt. Jedenfalls gab es nichts zu sehen, außer den Sternen und der Finsternis und gelegentlich einer Wolke, die sich vor dem schwarzen Hintergrund oder den Berg gipfeln abhob. Und dann flog die Spindrift plötzlich über einem Meer. Das Licht der beiden Monde spiegelte sich in den Wellen. Und immer weiter ging die Fahrt. Eine gute Stunde später meinte Wilson: »Wir sind immer noch auf geradem Kurs, aber wir fliegen doch jetzt schon ziemlich lang.« »Das ist auch ein großer Planet«, sagte Steve. Und dann fügte er hinzu: »Da, seht!« Und da, vor ihnen und sehr weit unter ihnen, gab es ein bläuliches Glitzern, offenbar eine Küste. Die Spindrift hatte etwa eine halbe Kreisbahn um den Planeten zurückgelegt, nur von einem Stern bewegt, den sie sich ausgesucht hatten. Ein großer Teil ihres Fluges hatte sie über Wasser geführt. Und jetzt ver kündeten zahlreiche Lichter vor ihnen das Vorhan densein einer Stadt. Es war eine sehr große Stadt. Ste ve meinte, dies könne sogar die Hauptstadt des Pla neten sein, der Sitz der Regierung dieser Welt. In die sem Falle war vielleicht etwas zu erfahren, wenn eine Rakete, die offenbar dieses Ziel hatte, hier landete. Aber das würde noch eine Weile dauern, und es be
stand die Gefahr, daß die Spindrift durch das Sum men ihrer Antriebsmaschinen entdeckt wurde. Steve murmelte halblaut vor sich hin. In der Luft zu bleiben, würde Energievergeudung bedeuten. An dererseits hinter oder neben der Rakete herzufliegen, die sie entdeckt hatten, bedeutete praktisch die glei che Verschwendung von Energie. Bis jetzt hatten sie nur erfahren, daß die Raketen Tausende von Meilen weit flogen – und dabei die ganze Zeit brannten – und ihr Ziel waren Städte. »Die Sterne bewegen sich! Schaut doch!« sagte Wil son plötzlich erschreckt. Er deutete und Steve spürte wie sich ihm unwillkürlich die Nackenhaare sträub ten, gleichsam in Auflehnung gegen jene fremden Naturmächte, die ein Spielzeug aus der Spindrift und ihrer Besatzung gemacht hatten. Er beugte sich vor und starrte nach oben und haßte alles, das seine Be gleiter – und Betty – in eine Gefahr gestürzt hatte, aus der es scheinbar kein Entkommen gab. Aber er sah nur fünf Lichter, die sich vor dem ster nenübersäten Himmel bewegten. Sie bildeten keine Formation, und doch bewegten sie sich gemeinsam. Ihre relativen Positionen blieben unverändert, wäh rend sie über den Himmel zogen. Nach einigen Minu ten schienen sie heller geworden zu sein, und jetzt entfernten sie sich auch voneinander. Und dann be merkte Steve, daß andere Sterne, weniger hell und
hinter den fünf Lichtern, ihre Bewegung nicht mit machten. Das war ganz anders als das Kriechen und Wirbeln der Sterne am Himmel, als die Spindrift ab sichtlich in eine Raumfalte geflogen war, in der Hoff nung, damit den Rückweg zur Erde zu finden. »Sehen Sie nochmal hin, Wilson«, sagte er trocken. »Das sind keine Sterne. Das sind Raketen. Eine Grup pe von fünf, wie neulich über der Rinderstadt.« Sehr bald zeigte sich, daß er recht gehabt hatte. Die fünf Lichter am Himmel wurden heller und zogen sich noch weiter auseinander. Ihre Auspuffflammen ließen sie noch heller erscheinen, und dann war keine Verwechslung mehr möglich. Fünf Raketen, etwa von der Größe der Spindrift, senkten sich mit dem Heck voran hinunter. Ihr Flug verlangsamte sich. Sie kamen gemeinsam herunter, aber einige waren höher als die anderen. Eine nach der anderen kamen sie in einer Höhe von etwa dreißig Metern zum Stillstand. Die letzten drei ßig Meter schienen eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich endlich ins Meer senkten. Dampf sprühte um je de Rakete auf, als die Auspuffgase das Meer berühr ten. Dann ging ein Licht aus, dann das zweite und das dritte und die beiden letzten beinahe gleichzeitig. Dann war wieder nur Mondlicht und das Glitzern der Straßenlampen und die Lichter am Instrumentenbrett der Spindrift zu sehen. Aber irgendwo im Meer trie
ben jetzt zweifellos fünf abgerundete stumpfe Gegen stände auf den Wellen. Das waren die Spitzen der Raketen, die von irgendeinem unbekannten Ort ka men und hier ebenso gelandet waren wie andere vor der Stadt der Rinderpferche. Und in einiger Zeit würde ein weiteres Flugobjekt hier landen, die Rake te, der die Spindrift gefolgt war und die sie dann überholt hatte, nachdem sie ihren Kurs berechnet hat ten. Diese fünf blindlings auf den Wellen treibenden Projektile warteten darauf, daß man sie an Land schleppte. »Ich hätte erreichen können, daß eine davon in der Stadt landet«, sagte Steve langsam. »Vielleicht hätte ich das sogar tun sollen, aber jetzt, da wir den Trick kennen, sparen wir ihn uns für einen Notfall auf.« Vermutlich waren die Boote aus der Stadt bereits unterwegs, um die treibenden Raketen ins Schlepptau zu nehmen. Die Straßenlampen am Ufer leuchteten hell. Beide Monde standen jetzt über dem Horizont, und ihr Licht ließ die Gebäude der Stadt gespenstisch erscheinen. Es waren wieder die würfelförmigen Bau ten, die die Riesen anstelle von Wolkenkratzern be nutzten. Es gab auch große massive Gebilde, bei de nen es sich vermutlich um Lagerhäuser oder Fabriken handelte. Und dahinter dehnten sich kilometerweit Einfamilienhäuser, die einander sehr ähnlich waren und in denen die Riesen vermutlich ein Familienle
ben führten, ganz ähnlich wie das Familien auf der Erde taten. »Seht euch das an!« sagte Dan. Ihm war zwischen den Einfamilienhäusern plötz lich etwas aufgefallen. Allein von der Größe her zog es die Aufmerksamkeit auf sich. Denn seine Größe war unglaublich. Es war ein unwahrscheinlich riesi ges Gebilde. Das ganze Gebäude maß vielleicht ein einhalb Kilometer im Durchmesser und war völlig kreisförmig. Es war zweifellos das größte Gebäude überhaupt auf diesem Planeten. Und doch war das Dach eigentlich nicht ein Dach, eher eine hohe Schüs sel. Eine gekrümmte Schale aus einem Stück, mit ei ner Öffnung, die in der Mitte vielleicht hundert Meter durchmaß. Und es bewegte sich. Zuerst hatte es flach dagele gen, so daß sein Rand parallel zum Boden war. Und jetzt kippte es langsam zur Seite, wies also nicht mehr gerade nach oben. Es mußte sich um Hunderttausen de von Tonnen Stahl handeln, die auf dicken Säulen ruhten, die zweifellos auch aus Stahl gefertigt waren. Ein Ungeheuer unter Ungeheuern. Langsam drehte es sich, bis die Öffnung auf den größeren der beiden Monde wies. »Das ist der Energiespeicher der Riesen«, sagte Ste ve grimmig. »Sie beziehen ihre Energie von den Monden. Es gibt auf dieser ganzen Welt nichts, das so
groß sein müßte. Irgendwie ist das eine Variante der Blitzwaffen, die die Riesen benutzen, wenn sie Vögel jagen oder uns. Aber damit ziehen sie Energie von dem Mond ab, auf den sie zielen.« Aus der riesigen Schüssel sprang plötzlich eine un geheure Lichtsäule empor. Sie war vielleicht einein halb Kilometer dick und unschätzbar hoch. Dreißig Kilometer? Hundert. Noch mehr? Sie stach völlig ge rade ins Weltall hinaus. Die unzähligen kleinen und großen und riesenhaften Gebäude der Stadt wurden in diesem Lichte deutlich sichtbar. Aus den Lautspre chern im Cockpit dröhnten unerträgliche Störgeräu sche. Und die Spindrift sackte wie ein Stein dem Meer entgegen.
8
Es herrschte Gewichtslosigkeit, und die Spindrift taumelte hilflos in die Tiefe. Steve mühte sich im Cockpit verzweifelt, das Schiff wieder unter Kontrolle zu bekommen. Er wurde aus dem Sitz gerissen, zur Seite geschleudert und dann wieder nach vorn. Und dann hing er wie in einem Spinnennetz an seinen Si cherheitsgurten. Dan erging es nicht besser. Er hatte die Gurte locker geschnallt, um nicht in seinen Bewe gungen behindert zu werden. Jetzt versuchte er ver gebens, sich irgendwo festzuhalten. Der monströse Lichtstrahl draußen tauchte immer wieder vor den vorderen Luken auf. Aber jedesmal unter einem an deren Winkel. Und dann gelang es Dan endlich, sich am Armatu renbrett festzuklammern. Er zerrte sich nach vorn und schlug mit der flachen Hand auf den Schalter der Funkanlage, die sofort zum Leben erwachte. Anstelle auf Suchfrequenz zu gehen, verhielt der Schalter auf der gewöhnlichen Meeresnotfrequenz, die für Flug zeuge reserviert war, die den Ozean überquerten. Die Funkanlage der Spindrift war in diesem Wellenbe reich besonders leistungsfähig. Sie sendete nur, wenn sie durch ein Geräusch ausgelöst wurde, aber Dan schrie sie jetzt an, und als der erste Ton die empfind
liche Membrane erreichte, geschah einiges. Dans wü tender Schrei führte zu sofortigen Resultaten. Der kilometerdicke und viele Kilometer hohe Lichtstrahl erlosch. Er flackerte einmal und war dann verschwunden. Die stürzende Spindrift kam zum Stillstand – ebenso plötzlich und hart, als wäre sie aufs Meer geprallt. Steve fiel in seinen Sessel zurück und griff sofort nach dem Steuerknüppel, der ihm wieder die volle Gewalt über den plötzlich aufs neue zum Leben erwachten Antrieb verlieh. Die Spindrift überschlug sich noch einmal. Und alles das geschah, weil die riesige flimmernde Lichtsäule verschwunden war. Das lag natürlich an den besonderen Eigenschaften der Blitzwaffen und der Energieübertragung der Rie sen. Normalerweise funktionierten beide nach dem gleichen Prinzip. Aber der Antrieb der Spindrift funk tionierte nicht, wenn eine Blitzwaffe oder der Ener giestrahl in Funktion war. Andererseits funktionier ten Blitzwaffen und der Energiestrahl nicht in Ge genwart hochfrequenter elektromagnetischer Strah lungen. Auf der Erde wurden zuerst die Anwen dungsmöglichkeiten der Hochfrequenz entdeckt, so daß es nie zur Entwicklung der Blitzstrahler und des Energiestrahls kam. Auf diesem Planeten war die Entwicklung genau umgekehrt verlaufen, so daß die Hochfrequenz unentdeckt blieb. Und die Spindrift
verfügte über eine äußerst hochfrequente Strahlenquelle – noch dazu eine Strahlenquelle von einiger Energie – in Gestalt ihrer Funkanlage. Also brüllte Dan seine etwas eigenwillige und durchaus unfreundliche Ansicht über Manieren, Mo ral und Eigenschaften der Riesenrasse in das Mikro fon. Und deshalb war das Schiff von der Erde rings um von hochfrequenter Strahlung umgeben. Und alle Blitzstrahler in der Umgebung wurden nutzlos, und der grelle Lichtstrahl verlosch. Jetzt zogen die beiden Monde wieder friedlich über den Himmel, und die Spindrift war außer Gefahr. Dennoch jagte Steve das Suborbitalschiff nur wenige Meter über den Wellen kämmen dahin. Dan ging zu seinem Platz zurück und schnallte sich fester. Während er noch mit den Gurten beschäftigt war, gab er weiter seinen Kommentar über die Riesen ab. »Hör auf«, sagte Steve, nachdem er sich die Tirade eine Weile angehört hatte. »Jetzt ist es ja vorbei. Es ist nichts passiert, und wir haben etwas erfahren.« »Was haben wir denn erfahren?« brummte Dan. »Nun«, meinte Steve, »immerhin das eine: die Rie sen setzen ihren Verstand ein. Sie mobilisieren Rake ten, mit denen sie uns beschießen. Eine große Menge von Raketen. Einer Rakete sind wir entkommen und sogar zwei, und auch vier – damals als wir im Meer landeten. Aber jetzt werden sie ganze Raketenflotten
einsetzen! Sie stellen sie in Städten zusammen und bauen ihre Robotorgane um, so daß sie unser Fahrge räusch anpeilen können. Du hast ja selbst gesehen, wie gerade fünf gelandet sind. Andere sind in der Rinderstadt gelandet und bestimmt auch in anderen Städten. Sie beabsichtigen, uns mit so vielen fliegen den Bomben einzudecken, daß uns auch kein Trick und kein Ausweichmanöver mehr helfen wird. Jedesmal, wenn man unser Auftauchen meldet, werden sie ein wahres Sperrfeuer von Raketen loslassen. Und über unsere Bewegungen werden sie laufend durch unser Fahrgeräusch informiert sein – und das können wir nicht abstellen, solange wir fliegen!« Schweigen. Und dann meinte Dan etwas gereizt: »Du sagtest doch, du hättest eine Idee, für deren Aus führung dir die richtigen Geräte fehlen. Und trotz dem meintest du, man könne etwas machen, wenn man die Spindrift zu etwas benutzt, wozu sie nicht gebaut ist. An deiner Stelle würde ich mich jetzt ein mal darum kümmern!« Steve nickte. Er steuerte die Spindrift in westlicher Richtung. Stieg in höhere Regionen. Bald befanden sie sich wieder in ihrer normalen Reiseflughöhe von dreißigtausend Metern. In dieser Höhe erreichte sie ihre übliche Geschwindigkeit – eine Geschwindigkeit, die es ihr gestattete, den Flug von Los Angeles nach London in zweiundvierzig Minuten zu bewältigen.
Eine zweite Dämmerung begann, diesmal aber im Westen statt im Osten. Dan grübelte etwas verärgert über Steves Pläne nach. Dann ging er in den Passa gierraum und blieb neben Wilsons Sessel stehen. »Haben Sie eine Ahnung, was Steve vorhat?« fragte er. »Ich mag ihn nicht fragen. Er ist in letzter Zeit so gereizt.« Wilson schüttelte den Kopf. Dan ging zu Fitzhugh weiter und stellte dieselbe Frage. »Der Mann macht mich wahnsinnig!« schimpfte Fitzhugh. »Jedesmal, wenn er sich einen neuen Trick einfallen läßt, ist es einer, bei dem mir himmelangst geworden wäre, hätte ich früher davon gewußt. Ich habe mich entschlossen, daß ich gar nicht wissen will, was er vorhat. Wahrscheinlich würde ich ohnmächtig werden, wenn er es mir sagte.« Das stimmte nicht. Fitzhugh war nicht mehr der gleiche Mensch, der in Los Angeles an Bord der Spin drift gegangen war. Er hatte seitdem so viele Gefah rensituationen miterlebt, daß sie ihn überhaupt nicht mehr störten. Manchmal hatte man sogar den Ein druck, als fühlte er sich dabei wohl. Dan setzte sich auf einen leeren Platz und versuch te, die Aussichten und die möglichen Gefahren abzu schätzen, die der Spindrift bevorstanden. Da war na türlich die Möglichkeit, daß die Riesen alle Hilfsmittel ihres Planeten und ihrer Zivilisation einsetzten, um
die Spindrift zu vernichten. Steve schien anzunehmen, daß sie Angst hatten, aber Dan war sich der Grenzen des kleinen Schiffes so völlig bewußt, daß er sich ein fach nicht vorstellen konnte, wovor sie Angst haben sollten. Bis jetzt hatte das kleine Schiff von der Erde den Riesen noch keine Spur eines Schadens zugefügt. Sie hatte alle möglichen Ansätze gemacht, um ihre Freundschaft anzubieten, um zu verhandeln, um Frieden zwischen dem winzigen Schiff und der mäch tigen Welt zu machen. Aber die Reaktion der Riesen schien immer nur Haß und Verachtung zu sein. Und Haß gründet sich meistens auf Furcht. Wovor aber sollten sich die Riesen fürchten? Die Spindrift verfügte über Radio. Die Riesen nicht. Die Spindrift hatte eine Art Raumantrieb, wenn auch nur von sehr beschränkter Wirksamkeit. Die Riesen hatten nur Raketen und benutzten keine Flugzeuge. Die Spindrift hatte jeden erdenklichen Grund, sich mit den Riesen zu verständigen. Aber die dachten gar nicht daran. Die Spindrift überholte die Sonne, und Steve flog weiter in das Nachmittagszwielicht hinein. Unter ih nen war keine Spur von Behausungen. Aber Seen gab es hier und bald auch Straßen. Aber keine Häuser. Aus dreitausend Meter Höhe waren die Straßen be achtlich. Einige verliefen kilometerweit schnurgerade, andere wanden sich durch Wälder und um kleinere
Berge herum. Aber es gab keine Häuser. Keine Be wohner wurden sichtbar, trotz des komplizierten, dichten Straßensystems. Das war außergewöhnlich! Natürlich war es möglich, daß ihnen einzelne Häuser entgangen waren, aber nicht so viele wie nötig waren, um die Straßen zu rechtfertigen, die man aus der Luft sehen konnte. Und dann stellte Marjorie eine plausi ble Theorie auf. »Wenn die Riesen uns ähnlich sind«, überlegte sie, »haben sie wahrscheinlich auch die gleichen Wün sche wie wir. All die Straßen und keine Häuser – auf der Erde könnte man so etwas nur in einem Natur schutzgebiet oder einem Nationalpark sehen. Einem Platz also, den die Leute besuchen und in dem sie Picknick machen und vielleicht campen. Aber in sol chen Fällen pflegt man Zelte unter den Bäumen auf zuschlagen, und deshalb haben wir sie vermutlich nicht gesehen.« Eine Vermutung, die sehr stark auf den Gewohn heiten der Erde beruhte, aber nachher sahen sie ein paarmal tatsächlich Gegenstände unter den giganti schen Bäumen, die vielleicht Zelte sein konnten. Ge naues war nicht zu erkunden. Aber wenn es sich um einen Nationalpark handelte, dann gab es darin be stimmt auch nur wenige Leute. Steve landete schließlich unter einem Baum, der so riesig war, daß sie selbst auf einem Ast hätten landen
können. Im Schatten zweier mächtiger Wurzeln war teten sie, bis die Nacht sie erneut eingeholt hatte. Als es draußen dunkel war, berief er einen Kriegs rat ein. »Ich glaube«, meinte er etwas beunruhigt, »daß wir unsere Politik gegenüber den Riesen ändern müssen. Wir haben uns bemüht, uns mit ihnen anzufreunden, oder jedenfalls zu erreichen, daß man uns duldet. Wir haben in dieser Hinsicht nichts erreicht. Die Riesen haben beständig versucht, uns zu töten, und haben ihr Ziel ebenfalls nicht erreicht.« »Aber mir sind ein paar graue Haare gewachsen«, meinte Fitzhugh mürrisch. »Also«, sagte Steve, ohne auf die Bemerkung ein zugehen, »schlage ich vor, daß wir uns auf eine Kreisbahn begeben.« »Aber warum?« fragte Dan. »Was sollen wir denn im Orbit tun? Wir haben doch nur eine beschränkte Menge Luft. Wir könnten nicht lange im Orbit bleiben. Und dann die Lebens mittel ...« »Im Orbit«, unterbrach ihn Steve, »werden wir un seren Antrieb nicht benutzen. Die Riesen können uns nicht finden. Aus der Kreisbahn können wir überall landen, und sie können uns keine Fallen stellen. Wir können sogar ein paar Felsbrocken in der Heckkam mer mit hinaufnehmen und sie damit bombardieren,
wenn es uns Spaß macht. Wir können recht lästig werden, und wenn wir uns eine Polarbahn aussu chen, können wir den ganzen Planeten von oben er forschen und uns einen Ort suchen, den die Riesen normalerweise nicht erreichen. Vielleicht finden wir sogar einen Platz, der ihnen nicht zugänglich ist! Und außerdem können wir uns dann auch mit anderen Problemen beschäftigen, als nur dauernd den Riesen auszuweichen.« In der Spindrift herrschte Schweigen. Jeder einzelne hatte die gleiche Frage auf den Lippen, aber es dauer te eine Weile, bis jemand sie aussprach. Schließlich fragte Betty mit schwacher Stimme: »Du meinst, wir sollen die Hoffnung aufgeben, die Erde wiederzusehen?« »Nein«, sagte Steve, wirkte damit aber nicht sehr überzeugend. »Wilson wird sich damit beschäftigen. Ich sehe, wie er die ganze Zeit rechnet. Er wird schon eine Lösung finden. Wir werden alle an dem Problem arbeiten, wie wir wieder nach Hause kommen. Ein mal haben wir es bis jetzt versucht. Wenn wir sicher sind, daß wir das ganze Problem richtig durchschau en, werden wir uns erneut unsere Chancen überle gen. Aber jetzt –« Er zuckte die Achseln. Wieder herrschte tiefes Schweigen. Jedem von ihnen schien es, als schlüge Steve ihnen vor, all die Aktivitäten aufzugeben, die
ihnen den Ersatz für Hoffnung lieferten. Keiner von ihnen empfand wirklich Hoffnung, aber es war ein fach schmerzlich, dies auch zugeben zu müssen. Und doch schien es genau das zu sein, was Steve vor schlug. Jetzt fuhr er fort: »Am nächsten Morgen werden wir sehen, ob wir hier irgend etwas Eßbares finden. Es ist völlig unwahrscheinlich, daß die Riesen uns heute geortet haben und etwas gegen uns unterneh men.« Niemand hatte etwas zu bemerken. Barry schien die Niedergeschlagenheit der anderen nicht zu teilen. Er war vierzehn – ein Alter, in dem man einfach nicht glaubt, daß es ausweglose Katastrophen gibt. Er mal te sich kühne, mutige Angriffe auf die Städte der Rie sen aus. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß man ein so abenteuerliches Programm aufgab. Valerie blieb gefaßt. Bettys Ausdruck war undurchschaubar. Dan ging ins Cockpit. Steve winkte Wilson zu. Er begab sich in die kleinere Kabine, und Wilson folgte ihm. Steve schloß die Tür. »Wilson«, fragte er, »wissen Sie, wie weit es bis zu den zwei Monden ist?« Wilson nannte eine Zahl, und Steve fragte: »Wie lange ist ein Mondmonat?« Wieder nannte Wilson eine Zahl. »Und wir haben Luft für –« Steve stellte die Be
rechnung selbst an. Aber es gab genügend Erfah rungswerte dafür, die man bereits auf der Erde für Suborbitalschiffe mit verschiedenen Passagierzahlen ermittelt hatte. Er dachte nach und runzelte die Stirn. »Mit einer vollen Energieladung sollten wir es schaf fen, die Monde zu erreichen und wieder zurückzu fliegen – falls wir nicht länger dort bleiben als wir Luft haben. Stimmt's?« »Wahrscheinlich«, sagte Wilson. »Kann sein, daß wir es tun müssen«, sagte Steve mit grimmiger Stimme. »Schön, ich möchte Sie bitten, daß Sie uns einen Kurs ausrechnen – falls wir das Un ternehmen durchführen.« »Aber, hol's der Teufel!« schimpfte Dan. »Du hast uns doch gerade praktisch gesagt, daß wir in Orbit gehen und aufgeben. Ich habe das so verstanden, daß wir nichts mehr unternehmen wollen! Daß du die Hoffnung aufgegeben hast!« »Das kann ich nicht«, sagte Steve. »Aber wenn ich euch sagte, was ich vorhabe, würdet ihr alle verlan gen, daß wir uns als Kolonie irgendwo niederlassen, sobald wir einen sicheren Ort dafür gefunden haben. Ich hoffe, daß ich diesen Trick nicht ausprobieren muß, aber wenn mir keine andere Wahl bleibt, werde ich es tun. Aber ich wollte nicht, daß – ganz beson ders die Frauen – in Angst und Schrecken leben.« Dan sah ihn und Wilson verständnislos an. Er
staunlicherweise schienen beide weniger beunruhigt als vorher. Dan war sogar plötzlich geradezu fröhlich. Er schaltete das Funkgerät ein und begann wieder einmal, die Radiofrequenzen abzusuchen. Er bekam schwache Störgeräusche herein. Sonst nichts. »Vielleicht«, meinte Dan und wechselte damit das Thema völlig, »können wir bei Tag Beeren und Was ser finden. Und wenn es in dieser Umgebung einen Fluß gibt, könnten wir sogar einen oder zwei Fische an Land ziehen.« Wilson sagte dazu nichts, sondern sah nur Steve fragend an und meinte: »Sonst noch etwas?« Steve schüttelte den Kopf, und Wilson ging hinaus. »Steve«, sagte Dan mit honigsüßer Stimme, »auf deine Art bist du ein prima Kerl. Aber die Leute ver stehst du nicht!« Und dann: »Wir müssen natürlich Wache halten. Wer übernimmt die erste?« Steve gab zu erkennen, daß er das tun würde. Dan machte es sich im Pilotensitz bequem, entspannte sich und schlief sogar ein. Als der Morgen kam, hatte sich die Stimmung im Schiff erneut verändert. Die Menschen in der Spindrift hatten sich damit abgefunden, daß Steve offenbar jeg liche Hoffnung aufgegeben hatte. Niemand war be sonders fröhlich, aber als Steve aus dem Cockpit kam, brachte ihm Betty einen Teller mit Hasensteak und
das grobe, aber immerhin eßbare Brot, das Betty und Marjorie gebacken hatten. »Marjorie behauptet, geröstete Löwenzahnwurzeln geben einen guten Ersatzkaffee ab«, sagte Betty. »Ha be ich dir das erzählt? Wenn wir hinausgehen, wer den wir uns danach umsehen.« Steve zögerte. »Vielleicht sollten wir das Risiko nicht eingehen –« »Gibt es denn auf diesem Planeten überhaupt et was, was kein Risiko mit sich bringt? Wilson hat uns berichtet, was du gesagt hast. Das ist typisch für dich. Und sehr unsinnig. Wir alle haben lieber Angst, als daß wir die Hoffnung aufgeben. Denke also nichts dabei, daß wir Angst bekommen könnten. Aber sag uns nicht, daß wir die Hoffnung aufgeben müssen. Sonst tun wir es am Ende noch!« Steve wurde verlegen. Und als Wilson nachdenk lich nach einer der Steinäxte griff, die die einzige Be waffnung der Spindrift darstellten, und Dan sich an schickte, die zweite zu nehmen, sagte Steve: »Du bleibst hier, Dan. Ich gehe hinaus.« Betty erwartete ihn am Fuße der Landetreppe. Dan, Fitzhugh und Marjorie blieben im Schiff. Barry po stierte sich mit Chipper in der Nähe der Ausstiegslu ke, um nach gefährlichen Tieren Ausschau zu halten. Aber seine Wache gestaltete sich äußerst langwei lig. Sie kam ihm wie eine Ewigkeit vor und nichts,
was auch nur im entferntesten interessant war, ge schah. Der Baum, zwischen dessen Wurzeln die Spindrift lag, war von wahrhaft gigantischen Ausmaßen. Die Wurzeln über der Erde verbargen das Schiff völlig, bildeten seltsame, mit Borke bedeckte Wände, die es versteckten. Und je näher sie dem Stamm kamen, de sto dicker wurden sie. Der Stamm selbst durchmaß gut und gern seine zwanzig Meter. Seine Blätter wa ren selbst für die Verhältnisse dieser Welt riesenhaft. Barry hielt aufmerksam Wache. Er sah einen Schmetterling, der vertraut wirkte und es auch war. Es war ein Papilio, eine Art von Schmetterling, die man in allen gemäßigten Zonen der Erde kennt. Aber seine Flügelspannweite betrug zwei Meter. Und bei jedem Windhauch gab es oben in der Baumkrone seltsame Geräusche. Zweige bewegten sich ächzend. Aber sonst gab es nichts zu bemerken. Die Zeit verstrich und Barry begann unruhig zu werden. Er verrichtete hier eine wichtige Aufgabe, daran bestand kein Zweifel. Aber sie war langweilig. Er stellte sich wichtige Ereignisse vor, aber es gab keine. Er plante die dramatische Reaktion auf einge bildete Vorfälle. Aber es geschah nichts. Einmal ra schelte es über ihm. Ein relativ kleiner Vogel flatterte aufgeregt zwischen den Zweigen herum, und ein Monstrum an Wildheit in Gestalt eines riesenhaften
Falken stieß darauf herunter. Barry sah den Falken zustoßen, die eine Klaue zu einer mörderischen Faust geballt. Der kleinere Vogel fiel herunter und war nicht mehr zu sehen. Der Falke – seine Flügelspann weite betrug fünf oder sechs Meter – drehte sich im Kreise und stieß dann herunter, ehe sein benomme nes Opfer sich wieder fangen konnte. Und dann er hob er sich mit schweren Flügelschlägen, sein Opfer in den Klauen. Der kleinere Vogel hing schlaff herun ter. Er hatte etwa die Größe eines Strauß. Barry ertappte sich dabei, daß er zitterte. Sein Ge sicht war bleich. Falken sind bei der Auswahl ihrer Opfer nicht besonders wählerisch und schließen be stimmt Menschen von entsprechend kleiner Größe nicht aus. Und Barry brachte es einfach nicht fertig, seine Fantasie so aufzuputschen, daß er sich vorstell te, wie er mit einer Steinzeitaxt einen riesigen Falken bekämpfte. Etwas später hörte er im Unterholz in ei niger Entfernung ein Rascheln. Er bemerkte jetzt zum erstenmal, daß der Boden steil abfiel. Es gab dort eine Art Senke. Vermutlich floß dort auch ein Bach. Und dann sah er eine Bewegung. Und jetzt sah er den Riesen. Keinen ganzen Riesen – nur seinen Kopf, der über den Büschen sichtbar wurde. Er ging neben dem Bach her, der tatsächlich dort war. Wenn der Riese den Kopf wandte, würde er die Spindrift sehen. Er ging in die Richtung, in die Wilson, Valerie, Steve
und Betty vor kurzem gegangen waren. Wenn der Riese weiterging, würde er sie ganz bestimmt entdek ken. Panik erfüllte Barry, und seine so brillant erdachten Heldentaten waren wie weggeblasen. Seine Kehle wurde trocken. Er taumelte von der Tür und der feindlichen Außenwelt weg und nach innen. Dan und Fitzhugh und Marjorie waren im Cockpit und unter hielten sich. Er versuchte etwas zu sagen, brachte aber kein Wort hervor. Dan sah ihn scharf an und rannte zur Tür. Dann starrte er hinaus. Draußen rannten Wilson und Valerie auf das Schiff zu. Wilson hatte seine Steinaxt fallenlassen. Sein Ge sicht war kalkweiß. Valerie rannte keuchend. Sie er reichte die Landetreppe und brach beinahe auf der untersten Stufe zusammen. Wilson hob sie hoch und rannte zur Luke. »Steve!« stöhnte er. »Er und Betty – die Riesen – die erwischen sie bestimmt! Fünf Riesen – Männer und Frauen. Sie werden sie sehen! Was sollen wir tun?« Das war eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gab. Steve und Betty waren im Wald. Theo retisch befanden sie sich auf der Suche nach eßbaren Beeren, die vermutlich hier die Größe einer Grapefru it oder gar einer Melone hatten. Steve hoffte viel leicht, ein Dutzend davon zum Schiff zurückzutra gen. Dann bestand auch Hoffnung auf Pilze und viel
leicht junge Schößlinge. Jedenfalls hatte es nicht so ausgesehen, als lauerten in diesem Wald große Ge fahren. Die Bäume waren so riesenhaft, daß sie weit auseinanderstanden. Steve und Betty hatten sie den Eindruck von Ruhe und Würde vermittelt. Sie hatten vermutet, daß es sich bei dieser Gegend um einen Na tionalpark handelte. Und es sah auch alles – von der Größe einmal abgesehen – wirklich wie ein Park aus. Aber sie waren nicht so aufmerksam, wie sie viel leicht hätten sein sollen. Sie waren zusammen. Nie mand war in ihrer Nähe. Sie hatten sich zu lange in einer Lage befunden, in der es unmöglich war, ein privates Wort zu wechseln. Sie spürten jenes unver nünftige Verlangen für private und häufig sinnlose Gespräche, wie es bei Leuten, die verliebt sind, ganz normal ist. Steve war um Bettys Sicherheit so besorgt wie nur ein Mensch sein konnte, aber alle seine Ge danken kreisten jetzt darum, daß er jederzeit bereit war, sein Leben für sie zu opfern, so daß er es leider an der nötigen Aufmerksamkeit mangeln ließ. Beide waren sich der Anwesenheit des andern so sehr be wußt, daß sie gar nicht mehr auf ihre Umgebung ach teten. Sie sahen einander an, als hätten sie das seit ei ner Ewigkeit nicht mehr tun können. Ohne es selbst zu bemerken, unterhielten sie sich im Flüsterton. Einmal zeigte Steve Betty den aufgewölbten Boden, wo ein Maulwurf einen Tunnel unter einer Milchdi
stel gegraben hatte. Es war eine beachtliche Ingeni eurleistung, aber sie interessierte beide nicht sonder lich. Jetzt kam ein klatschendes Geräusch. Sie hatten den Bach in der kleinen Senke gesehen. Das Klatschen konnte von einem kleinen Tier herrühren, das beim Nahen eines menschlichen Wesens ins Wasser ge sprungen war. Menschen, die sich im Wald bewegen, sind daran gewöhnt, daß die Tierwelt vor ihnen flieht. Jetzt folgten einige klatschende Geräusche aufein ander. Sie waren nicht rhythmisch, aber sehr laut. Sie kamen jetzt schnell hintereinander, dann war es eine Weile still, und dann ging es wieder los. Steve kam zu sich. Plötzlich wurde ihm klar, daß für ihn jetzt nur ein Gebot galt: größte Aufmerksam keit. Die Geräusche wirkten plötzlich drohend. Wieder ein Klatschen. Steve zog sich langsam zu rück, bis er gegen einen Baumstamm stieß. Auf einer Seite konnte er jetzt die Wasserfläche sehen, in die der Bach sich ausweitete. Die Fläche hätte glasig still sein müssen, aber es gab ziemlich große Wellen, die von irgendeinem Punkte ausgehen mußten. Diese Wellen wurden von einem Riesen erzeugt, der watete. Steve hatte schon vorher Riesen gesehen, aber noch nie aus so großer Nähe. Seine Reaktion war schierer Unglauben. Er sah eine menschliche Gestalt,
etwa zwanzig Meter groß, die langsam durch den Bach kam. Ein solches Wesen konnte einfach nicht existieren. Es war unmöglich. Es war ein Alptraum und konnte nicht Wirklichkeit sein. Aber Steve sah es. Die Brust des Riesen war ein paar Meter breit. Sein Bart ein dickes Gebüsch. Seine Hände waren so groß wie die Schaufeln eines Löffelbaggers. Seine Füße wa ren meterlang und seine Hüften meterdick, und er hätte vermutlich die meisten hohen Bäume der Erde überragt. Er trug Schuhwerk, das Wasserstiefeln aufs Haar ähnelte und auf seiner Nase, mit Metallstangen an den Ohren befestigt, trug der Riese eine Brille. Er war offenbar bemüht, etwas zu fangen, das im Wasser schwamm. Jetzt hatte er es im Netz. Sein Bestreben war es, das gefangene Tier, was auch immer es sein mochte, in eine Tasche des Netzes zu schieben. Das gelang ihm auch. Er hob den Kopf und rief. Irgend wie hatte man den Eindruck, daß das, was er rief, ein Scherz war. Seine Stimme war so tief wie der tiefste Ton, den eine Orgel von sich geben kann. Eine andere dröhnende Stimme antwortete. Und noch eine dritte. Jetzt kam die Stimme einer Riesenfrau aus einiger Entfernung. Steve und Betty, die sich gegen die Baumrinde preßten, sahen drei Riesen. Zwei davon waren Männer. Einer war ein Mäd chen. Einer der männlichen Riesen lachte, als er in ihr
Gesichtsfeld trat. Das Riesenmädchen sagte etwas, und dann lachten alle drei. Das Riesenmädchen trug Sandalen und ein Kleid. Sie war nicht so groß wie die Männer, höchstens siebzehn Meter hoch. Auf die männlichen Riesen wirkte sie wahrscheinlich wie ein süßer Käfer. Und es war ihr anzumerken, daß sie sich dessen auch voll bewußt war. Sie erreichten jetzt das Bachufer, und der erste Rie se zeigte ihnen seinen Fang. Die anderen waren amü siert. Das Riesenmädchen machte eine Bemerkung, die zweifellos sehr witzig war, und alle drei lachten. Der bärtige Riese hob seinen Fang hoch. Es handelte sich um einen Flußkrebs, eines jener Süßwasserscha lentiere, die an Hummer erinnern, jedoch kleiner sind und in Süßwasserbächen und -quellen leben. Der hier war höchstens einen Meter achtzig lang. Er zuckte und kämpfte gegen den Griff des Riesen. Der tat so, als wollte er das Riesenmädchen damit berühren, und sie rannte weg und schrie in gespielter Angst – dröh nende Geräusche für die Ohren der Menschen. Der Riese mit dem Netz warf den Krebs ins Wasser zurück. Er hatte ihn nur zum Spaß gefangen. Er hatte das Riesenmädchen damit geneckt. Jetzt warf er ihn weg. Steve und Betty kauerten dicht bei dem riesigen Baumstamm. Jetzt sahen sie, wie nahe das Ufer des Baches war. Und dahinter sahen sie das Lager dieser
Ungeheuer, die hier zweifellos Urlaub machten. Es gab zwei Zelte. Hinter dem zweiten stand ein Auto, das sie hierhergebracht hatte. »Ich hätte mich sorgfältiger umsehen müssen«, sag te Steve verbittert. »Aber wenn wir uns ruhig verhal ten, bemerken sie so etwas Kleines wie wir es sind gar nicht.« Damit hätte er recht haben müssen. Aber die Rie sen waren den Erdenmenschen sehr ähnlich, abgese hen von der Größe natürlich. Diese Riesen lagerten in einer Art Naturschutzgebiet oder Nationalpark. Es war ein Ort, der zur Erholung bestimmt war; zum Campen, zum Jagen, zum Fischen. Und selbst für sol che Hobbies wie das Beobachten von Vögeln oder das Sammeln von Schmetterlingen. Das, was Steve für Fischnetz gehalten hatte, war in Wirklichkeit ein Schmetterlingsnetz. Der bärtige Riese mit der Brille war hier, um zu seinem Spaß Schmetterlinge zu fan gen. Und jetzt lachte er das Mädchen aus, weil sie vor dem Krebs Angst gehabt hatte – und dann sah er plötzlich etwas, das ihn viel mehr interessierte. Ein Schmetterling mit einer Flügelspannweite von zweieinhalb Metern. Er tanzte über dem Wasser, über dem kleinen See, zu dem der Bach sich geweitet hat. Es war wieder ein Papilio, ein getigerter Schwalben schwanz. Seine Fühler waren gute fünfzig Zentimeter lang. Und sein einziehbarer Rüssel, der an den eines
kleinen Elefanten erinnerte und beinahe dieselbe Größe hatte, war eingerollt und bildete eine Spirale – von einem halben Meter Durchmesser. Mit diesem Saugrohr konnte der Schmetterling literweise Honig aus den Blumen saugen, wenn ihn danach hungerte. Jetzt flatterte er farbenfroh über dem Wasser. Er näherte sich dem Ufer. Die Stimmen des bärtigen Rie sen dröhnte. Er schüttelte das Schmetterlingsnetz für den Zweck aus, für den es eigentlich bestimmt war – das Fangen von Lepidoptera und verwandten Ge schöpfen. Der Schmetterling schien beinahe unmittel bar auf die Riesen zuzufliegen. Der Bärtige hielt das Netz bereit. Und im letzten Augenblick wurde der Schmetter ling entweder von seinen zahllosen Facettenaugen vor der Gefahr gewarnt, oder ein Lufthauch wehte ihn zur Seite und über den Bach. Plötzlich flatterte er zwischen den Bäumen, ganz in der Nähe von Steve und Betty. Der bärtige Riese überquerte den Bach. Er machte wirklich Riesenschritte und hinterließ mächtige Wo gen. Sein Netz versuchte den Schmetterling zu fan gen, aber er verfehlte es. Es war erstaunlich, wie be hende sich dieser Berg von einem Menschen bewegen konnte. Noch zweimal schlug sein Netz zu. Er achtete auf nichts als den Schmetterling. Fünfzehn Meter von Steve und Betty entfernt, rutschte ein verfaulter nas
ser Ast unter ihm weg und brach. Der Riese glitt aus und fiel der Länge nach zu Boden. Das Netz entglitt seiner Hand. Und dann sah er Steve, höchstens zehn Meter von ihm entfernt, und Betty, die sich dicht an ihn preßte. Die ungeheuren Augen des Riesen weiteten sich vor Erstaunen. Und dann brüllte er auf. Mit mächtigen Fingern griff er nach Steve.
9
Plötzlich herrschte Verwirrung. Steve und Betty schie nen vor den Augen des Riesen zu verschwinden. Er rappelte sich hoch und brüllte erneut. Jetzt kam dröh nend die Antwort. Die anderen Riesen hatten ihn ge hört. Der bärtige Riese brüllte irgend etwas – eine Er klärung vermutlich. Dann bückte er sich und suchte fieberhaft nach Steve, den er ganz deutlich gesehen hat te. Auf ihn wirkten Menschen von der Erde wie Minia turen seiner eigenen Rasse – obwohl es höchst zweifel haft war, daß er eine klare Vorstellung hatte, woher sie kamen – jedenfalls mußten sie getötet werden. Also überquerten die anderen Riesen den Bach, um ihm bei der Suche zu helfen. Sie schoben fünfzehn Zentimeter dicke Äste beiseite, um zwischen ihnen zu suchen, als wären es Grashalme. Seine Begleiter waren jetzt einge troffen. Der fieberhaft suchende erste Riese rief ihnen über die Schulter noch ein paar Erklärungen zu. Und binnen weniger Minuten suchten drei Riesen an der Stelle, wo man Steve entdeckt hatte. Er konnte nicht weit gekommen sein. Selbst das Tempo eines geübten Sprinters war nichts im Vergleich zu den langsamen Schritten eines Riesen. Einer der männlichen Riesen brach einen Zweig von einem Baum. Er schlug damit auf den Boden, und dort, wo die Schläge hintrafen, leb
te bestimmt nichts mehr. Und dann sah einer Steve, oder glaubte es wenigstens. Er stieß einen lauten Schrei aus und begann, auf dem Boden herumzustampfen. Das Mädchen erschien mit einem langen Stock, so groß wie zwei Telefonmasten, und stocherte damit überall herum, wo sie glaubte, daß die winzigen Menschenwe sen stecken konnten. Der bärtige Riese begann, durch gefallene Blätter zu stapfen, und scharrte darin mit den Füßen herum. Der andere kniete nieder, um auf dem Boden nach den Flüchtlingen zu suchen. Ein Rennen, Hetzen und Keuchen hob an. Und jetzt tauchte das letz te Mitglied der Gruppe von den Zelten auf. Es war eine Frau, aber kein Mädchen. Sie blieb am Ufer des Baches stehen, schien aber keine Lust zu haben, sich die Füße naß zu machen. Ein zehn Zentimeter dicker Ast fiel unmittelbar vor Betty herunter. Steve wurde ein paar Sekunden lang von den Ästen zu Boden gepreßt. Nur ein paar Meter entfernt stampfte einer der Riesen auf ein paar Zwei gen herum. Er suchte sie gar nicht, sondern zer stampfte etwas, das für Steve und Betty ein undurch dringliches Dickicht gewesen wäre. Er schien sicher zu sein, daß sich die seltsamen Zwerge dort befinden mußten. Die anderen taten es ihm gleich. Hin und her stampften sie und zerstörten alles, wo die zwei von der Spindrift vielleicht hätten Unterschlupf finden können. Besonders an der Stelle, wo der bärtige Riese
zu Fall gekommen war, ließen sie ihre ganze Wut aus. Eigentlich war es unvorstellbar, daß eine Gruppe friedlicher Urlauber, die gerade noch mit Schmetter lingsnetzen und Flußkrebsen Witze gerissen hatte, plötzlich so wütend werden konnte und kein anderes Ziel mehr vor Augen hatte, als Steve und Betty zu Tode zu stampfen. Die Stimmen der Riesen dröhnten und polterten. Jetzt suchten sie nur noch Spuren, die ihnen als Be weis dafür dienen sollten, daß ihre Opfer tot waren. Sie drehten zerstampfte Äste um und suchten zwei kleine zerdrückte Leichen. Denn daß die Opfer tot sein mußten – daran bestand für sie kein Zweifel. Und jetzt ein Schrei. In dem Versteck, in dem Steve und Betty kauerten, hörte man, wie schwere Schritte sich entfernten. Die Riesen liefen auf die Stimme zu. Es war die Frau, die auf dem anderen Ufer des Baches geblieben war. Sie rief ihnen zu und deutete auf et was, das sie bachaufwärts gesehen hatte. Jetzt hatten sie den Beweis, daß der Bärtige tatsächlich ein Wesen aus dem fremden Raumschiff gesehen hatte, ein We sen, das vernichtet werden mußte. Ein weißer Rauch faden zog den Bach herunter, ganz flach über dem Wasser. Es war die Spindrift. Sie flog langsam, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, obwohl ihre ge ringe Geschwindigkeit für die Riesen noch sehr schnell war. Und hinter sich zog sie eine dicke weiße
Rauchwolke her – Rauch von Stroh, das im Heckab teil schwelte. Das war es, was die Riesen sahen. Die Spindrift ignorierte sie. Sie jagte mit hoher Geschwindigkeit an ihnen vorbei und über den Teich hinaus. Das war ein Verhalten, das die Riesen für den Augenblick nicht begriffen. Dieses glitzernde dahinrasende Objekt mußte das Raumschiff der Zwerge sein, jenes Schiff, das die Zukunft der Riesen bedrohte, wie man allge mein annahm. Und dabei gab es noch so viele Un klarheiten. Sie wußten nicht, woher das Schiff kam. Aber eines war sicher: dieses Raumschiff und seine Insassen mußten um jeden Preis vernichtet werden. Die Spindrift hatte jetzt etwa die Mitte des Sees er reicht. Sie steuerte zur Seite und fegte auf das Ufer zu. Dort blieb sie in der Luft stehen, ganz dicht am Ufer. Die Rauchentwicklung an ihrem Heck hatte jetzt aufgehört. Sie schwebte über dem Wasser und schien zu warten. Einer der Riesen brüllte etwas. Der mit der Brille rannte mit dem Schmetterlingsnetz los. Die anderen folgten ihm schnell zu dem Punkt, wo die Spindrift schwebte. Sie konnten vielleicht in den Tümpel wa ten. Aber das kleine Schiff mußte dort auf weitere Be satzungsmitglieder warten. Und dann würde es sie aufnehmen. So schien es. Aber die Riesen rannten jetzt hin, um genau das zu verhindern.
Die Spindrift schoß in den Himmel. Plötzlich war sie nicht mehr zu sehen. Die Riesen begannen wieder nach winzigen, riesenähnlichen Kreaturen zu suchen, die getötet werden mußten. Die Spindrift senkte sich wieder im Schutz der Bäume herunter. Sie arbeitete sich zwischen den mächtigen Ästen und Zweigen des Waldes hindurch. Plötzlich erkannte einer der Riesen, daß etwas Glit zerndes, offenbar Tödliches mit hoher Geschwindig keit an seinem Gesicht vorbeigehuscht war. Es hatte ihn nur – in den Begriffen der Riesen – um Zentime ter verfehlt. Die Spindrift war wieder über dem Teich. Wieder stieg sie hoch und verschwand hinter den Bäumen am Ufer. Erneut tauchte die Spindrift auf, diesmal zwischen zwei der Riesen am Ufer. Sie stocherten in Blättern herum, um dort nach weiteren Angehörigen der Mannschaft der Spindrift zu suchen. Selbst für einen Riesen war es ein erschreckendes Erlebnis, wenn ein silbernes Geschoß nur wenige Meter an seiner Nase vorbeihuscht. Die Riesen begannen unruhig zu wer den. Sie drängten sich jetzt dicht aneinander und hiel ten Stöcke in der Hand, um die Spindrift beim näch sten Vorüberfliegen herunterzuschlagen. Aber dazu kam es nicht. Dan war über die Baum wipfel geflogen und an der Stelle gelandet, wo Steve und Betty gesichtet worden waren. Eine zertrampelte,
völlig verwüstete Stelle im Wald zeigte ihnen, wo man nach den beiden gesucht hatte. Dort landete die Spindrift, und ehe die Landetreppe ganz ausgefahren war, war Dan bereits ins Freie gerannt und rief. Fitz hugh stieß ihn knurrend zurück. Dan war der einzige Mensch auf der Spindrift, der das Schiff bedienen konnte. Sie riefen und riefen, während Barry Wache hielt für den Fall, daß die Riesen an diese Stelle zurück kehrten. Aber die Riesen kamen nicht zurück. Sie blieben wo sie waren, unruhig und verstört. Sie hielten im mer noch nach einem silbernen Geschoß Ausschau, das irgendwo aus dem Nichts auftauchte. Und dann antwortete Steve auf die Rufe. Plötzlich hob sich die Erde, und Steve kam zum Vorschein. Er war mit Humus verschmiert und zog jetzt Betty hin ter sich aus dem Boden. Sie hinterließen ein Loch, das nur wenig größer als sie selbst war. »Wo in aller Welt waren Sie?« fragte Wilson, dies mal sichtlich beunruhigt. »Wie sind Sie in das Loch gekommen?« »Es war ein Maulwurfsloch«, sagte Steve. »Wo sind die Riesen?« Sie sagten es ihm. Er und Fitzhugh und Wilson be fanden sich bereits auf der Landetreppe. Steve half Betty beim Einsteigen. Und während sie hinaufgin
gen, sagte er: »Woher haben Sie gewußt, wo wir wa ren?« »Die Riesen fingen an, ein großes Geschrei zu erhe ben«, sagte Fitzhugh. »Sie riefen einander zu und schlugen mit Stöcken. Selbst kleine Bäume trampelten sie nieder. Also wußten wir, daß sie Sie suchten, Sie aber noch nicht gefunden hatten. Also startete Dan. Und dann sahen wir, wie die Riesen uns anstarrten. Also wußten wir, daß Sie ganz in der Nähe sein muß ten. Dan hat sie lange genug abgelenkt, daß wir hier landen konnten. Aber große Hoffnung hatten wir nicht mehr.« »Ich auch nicht«, sagte Steve grimmig. »Ich glaube, jetzt müssen wir Maßnahmen ergreifen!« Dann legte er im Cockpit die Hand auf Dans Schul ter. »Gut gemacht, Dan. Danke.« Er setzte sich in den Pilotensessel, nickte Dan zu, und der richtete den Bug des Schiffes auf. Sie jagte in den Himmel. Als sie ihrer Flughöhe von dreißig Kilometer ent gegenstrebten sahen sie nichts Außergewöhnliches. Sie sahen auch im Südosten, ihrem Ziel, nichts Au ßergewöhnliches. Daß sie nach Südosten flogen, be ruhte auf einer reinen Vermutung. Aber diese An nahme war gut. Steve war davon ausgegangen, daß das Tal der Wildgänse die Spitze eines Dreiecks bil den mußte und die Stadt des mächtigen Lichtstrahls
eine zweite und das Naturschutzgebiet, oder was immer sie gerade hinter sich gelassen hatten, die drit te. Die Spindrift hatte zwei Seiten eines Dreiecks zu rückgelegt. Und jetzt ließ er Dan den dritten Schenkel abfliegen. Er saß im Pilotensessel, und sein Ge sichtsausdruck war äußerst grimmig. Es war ganz of fensichtlich, daß die campierenden Riesen von der Spindrift gewußt hatten. Wie auch immer die Riesen es anstellen mochten, um Nachrichten von einem Ort zum anderen zu befördern, jedenfalls bestimmt nicht auf elektrischem Wege – es war ganz offenkundig, daß die Nachricht um ihre Existenz und die zwin gende Notwendigkeit, sie und ihre Mannschaft zu vernichten – jetzt weltweit verbreitet war. Und diese Nachricht mußte so formuliert sein, daß sie entweder schiere Wut oder schiere Panik erzeugte. Allein die Entdeckung Steves und Bettys hatte aus einer Gruppe friedlicher Urlauber stampfende, mörderische Unge heuer gemacht, die kein anderes Ziel vor Augen hat ten, als die Menschen zu Tode zu trampeln. Selbst das Riesenmädchen hatte sich der Jagd angeschlossen. Angesichts dieser Erkenntnis bestand nicht die ge ringste Hoffnung auf einen Kompromiß oder eine Ei nigung mit den Riesen. Die öffentliche Meinung im Reiche der Riesen war organisiert und zweifellos einmütig. Sie würden mit Sicherheit jegliche Rege lung voll Wut ablehnen, die nicht den Tod der Men
schen und die Zerstörung der Spindrift mit einschloß. Und Steve überlegte, daß diese Meinung vielleicht sogar berechtigt war. Hoch über den Wolken, unter sich das blaue Meer, jagte die Spindrift auf die Küste zu, an der sie ent langgeflogen war, als sie noch versucht hatten, mit den Städten der Riesen Verbindung aufzunehmen. Aber nur unversöhnbare Feindschaft war ihnen ent gegengeschlagen. Und jetzt – »Wir müssen dafür sorgen, daß unsere Akkumula toren bis zur Grenze ihrer Kapazität voll sind«, sagte Steve plötzlich. »Wenn sie versuchen, uns mit einer Flotte von Raketen zu erdrücken, so brauchen sie nur genügend davon einzusetzen, so daß wir einfach nicht mehr ausweichen können. Mit genügend Rake ten könnten sie dafür sorgen, daß wir so lange in der Luft bleiben, bis wir aus Energiemangel landen müs sen. Und dann brauchten sie uns bloß noch zu bom bardieren.« »Erfreuliche Aussichten, was? Aber wir sind viel schneller als die, oder?« fragte Dan etwas mürrisch. »Mit drei g Beschleunigung«, erklärte Steve, »gibt es praktisch keine Grenze für die Geschwindigkeit, die wir erreichen können. Daran werden sie bestimmt nicht denken. Sie verbrennen Raketentreibstoff. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß sie so lange fliegen kön nen wie wir. Aber wenn eine Gruppe nach der anderen
unsere Verfolgung aufnimmt, können sie uns so lange jagen, wie wir auf diesem Planeten bleiben.« »Wirklich herrliche Aussichten«, feixte Dan. »Was ist also unser Programm? Die Monde?« »Kreisbahn«, verbesserte Steve. »Ich habe es doch gesagt. Sobald wir in Orbit sind, können wir unseren Antrieb abschalten. Und dann können die uns nicht mehr anpeilen. Dann sollen sie sich den Kopfzerbre chen.« »Und wie stehen die Chancen dann?« »Ziemlich schlecht«, räumte Steve ein. »Es sei denn, es gelänge uns, denen wirklich eins auf die Nase zu geben.« »Und wie werden wir das anstellen?« »Irgendwie werden wir es schon schaffen«, erklärte Steve, ohne besondere Begeisterung. »Als wir gestern abend nach Westen flogen, hatte ich die Hoffnung, dort einige Lebensmittel beschaffen zu können. Wir können nicht nur von Kaninchensteaks leben. Wir brauchen auch etwas anderes. Und wir brauchen Felsbrocken in der Heckkammer anstelle von Stroh. Und wir brauchen Informationen. Dringend sogar. Wir wissen nicht viel mehr über ihre Raketen, als sie über die Spindrift wissen.« Dan sagte nichts. »Ich übernehme jetzt das Steuer«, erklärte Steve. »Geh und frage Wilson, wann die nächste Rakete am
Nistplatz der Wildgänse fällig ist. Das interessiert mich.« Dan wartete, bis Steve das Steuer der Spindrift fest in der Hand hielt. Dann ging er in die Passagierkabi ne. Als Steve allein war, wurde sein Gesicht ernst. So wie er die Zukunft vorhersah, hatten sie praktisch keine Hoffnung, mit der Spindrift zur Erde zurückzu kehren. Ebensowenig konnte man sich aber vorstel len, daß sie die Hoffnung auf Rückkehr aufgaben und damit zu den ersten Kolonisten der Erde in einem anderen Sonnensystem wurden. Selbst wenn sie das taten, würde man sie beständig jagen. Insbesondere dann, wenn sie den einen Plan durchführten, der den Riesen wirklich wehtun würde – einen Plan, der die ganze Zivilisation ihres Planeten in Frage stellte. Das würde zwar das Überleben der menschlichen Kolonie vermutlich sicherstellen. Aber ein Überleben dieser Art und eine Kolonie dieser Art war auch nicht gerade attraktiv. Wilson kam ins Cockpit. »Sie wollen wissen, wann die nächste Rakete fällig ist«, sagte er mit schwerer Stimme. »Wenn man alles überlegt, so nehme ich an, gegen 7.20 Uhr auf meiner Uhr. Und ziemlich genau um diese Zeit am Morgen – nach Sonnenzeit.« »Bis dahin sind wir vermutlich dort«, sagte Steve ohne sonderliches Interesse.
»Und ich möchte Ihnen auch etwas sagen«, erklärte Wilson. »Mir ist etwas recht Unangenehmes eingefal len.« »Sagen Sie es mir nur«, meinte Steve ironisch. »Ich brauche so etwas, um wieder auf muntere Gedanken zu kommen.« »Es geht um Raumfalten«, sagte Wilson. »Mir ist inzwischen eingefallen, warum wir wahrscheinlich gar keine Chance haben, in einer Raumfalte zur Erde zurückzukehren.« Steve sagte nichts. Wilson schnitt eine Grimasse. »Wir sind beide Male von der Raumfalte ausgesto ßen worden, als wir in der Nähe eines Planeten wa ren«, sagte er unglücklich. »So wie ich es mir vorstel le, geschah es deshalb, weil wir die ersten schwachen Ausläufer einer Atmosphäre erreichten.« Steve wartete, und Wilson fuhr mit seiner Erklä rung fort. »Luft und Raumfalten scheinen sich nicht zu ver tragen. Eine Raumfalte funktioniert in sehr dünner Luft, zum Beispiel in dreißigtausend Meter Höhe. Aber ein Schiff, das aus der Atmosphäre in sie ein dringt, wird offenbar nicht festgehalten. Wir sind in eine Raumfalte eingedrungen, daran besteht kein Zweifel. Anstelle aber zur Erde getragen zu werden, wurden wir in einem undenkbar großen Kreis her umgeschleudert und landeten wieder hier, wo wir die
Reise begonnen hatten. Um nach Hause zu kommen, sollten wir aus dem Weltraum in die Raumfalte ein dringen. Wirklich aus dem Weltraum! Und zwar zum richtigen Zeitpunkt in ihrem Schwingungszyklus, oder wie auch immer Sie es nennen wollen. Die At mosphäre scheint irgendeinen physikalischen Effekt auf die Raumfalte zu haben. Wenn wieder eine auf taucht – und Sie können mir glauben, daß ich die Sterne beobachte! – können wir es erneut versuchen. Wahrscheinlich sollten wir das auch tun. Wenn wir sterben – ich glaube, ich würde das dem Leben auf diesem Planeten vorziehen – die Frauen –« er hielt inne. »Wir haben vielleicht eine wirklich gute Chance, wenn wir hundertfünfzig Kilometer hoch sind, so bald eine Raumfalte auftaucht. Aber bis wir sie ent decken und erreicht haben, ist sie höchstwahrschein lich nicht mehr da.« Steve nickte. »Wenn wir in Kreisbahn gehen und sehen, wie die Sterne zu kriechen anfangen«, sagte er beinahe gleichgültig, »wäre es einen Versuch wert, sonst nicht. Schön, Wilson.« Und dann: »Sie wollen also un ter keinen Umständen auf diesem Planeten leben? Sind die anderen der gleichen Ansicht? Würden sie lieber sterben als hierbleiben?« Wilson blieb unter der Tür stehen. »Alle«, sagte er leise. »Jeder einzelne von ihnen!«
Dann ging er hinaus. Es genügte also nicht, den Riesen zu entkommen. Es genügte nicht, einen Ort zu finden, der wenigstens relative Sicherheit bot. Sie alle – natürlich mit Ausnahme Barrys – würden lieber je de erdenkliche Gefahr auf sich nehmen, als sich damit abzufinden, ewig hierbleiben zu müssen. Auch Betty empfand so. Die Küste des Kontinents, über dessen Städten er Buchstaben an den Himmel geschrieben hatte, tauch te jetzt am Horizont auf. Er flog an der Küste entlang nach Süden. Und nach langer Zeit sah er wieder die eckigen, plumpen Gebäude und die gitterartigen Pferche der Rinderstadt. Sie hatten nicht genau den Kurs eingehalten, den er Dan aufgetragen hatte, aber das machte nichts. Und kurz darauf erschienen die ersten Berge und flachten ab, je näher sie der Küste kamen. Sie verliefen im Meer, wo noch ein paar schroffe Inseln herausstachen. Und dahinter erreichten sie das weite Tal mit den Seen und Strömen und den Nistplätzen der Wildgän se. Es schien sich in unendlicher Ferne zu verlieren. Steve landete die Spindrift an einer vertrauten Stelle. Und doch fühlte er sich jedesmal unsicher, wenn er zum Himmel blickte. Nach einer Weile meinte er beunruhigt: »Dan, ich möchte gern, daß wir uns hier gründlich umsehen. Wir sollten vielleicht auch einen Test anstellen, um
festzustellen, ob die Riesen irgend etwas dazugelernt haben. Bitte Wilson um das Tonbandgerät und sieh zu, ob du es wieder an das Notradio koppeln kannst.« Dan verschwand und kam kurz darauf mit den beiden Instrumenten zurück, die sie schon einmal be nutzt hatten. Er reichte sie Steve und sagte: »Barry hat das Tonbandgerät benutzt. Er hat seine Erlebnisse seit dem Verlassen der Erde diktiert. Er sagt, er hätte etwa zwei Stunden aufgenommen. Aber wenn du das Band brauchst, kannst du es ruhig lö schen.« »Zwei Stunden Aufnahme ist genau das, was ich brauche«, sagte Steve. »Sage Barry, ich lasse ihm danken und, mich würde seine Aufnahme nicht stö ren, aber vielleicht die Riesen.« Er verließ das Schiff mit den beiden Geräten und kam ohne sie zurück. »Wir fliegen jetzt ins Tal«, sagte er. »Anschnallen bitte!« Er startete. Sie flogen ins Tal hinein, ganz dicht am Boden. Steve achtete mit größter Sorgfalt auf ihre Umgebung. Vor nicht zu langer Zeit war die Spindrift in diesem Tal geblieben, um ihre Energiereserven aufzufüllen. Die Riesen hatten sie vielleicht angepeilt. Vielleicht hatten sie eine Expedition ausgeschickt, um die Stelle zu untersuchen, wo das Schiff von der Erde beinahe zwanzig Stunden lang geblieben war. Er hielt
nach einer solchen Expedition Ausschau, sah aber nichts. Dann landete er die Spindrift an einem neuen Lan deplatz, etwa fünfzig Kilometer von dem ersten ent fernt. Er schaltete das Funkgerät auf Empfang. Barrys Stimme kam aus dem Lautsprecher: »... und das war das Ende. Chipper hatte einigen Spaß mit einem Knochen von diesem Riesenkanin chen. Er war für ihn zu groß, und er konnte das Maul nicht mehr zukriegen. Er knurrte ihn an, weil er zu groß war. Nun, Kapitän Burton startete, und wir flo gen mehr oder weniger nordwärts, und dann war un ter uns Meer –« Steve schaltete ab. Barry kam ins Cockpit und hoff te zu hören, daß seine Aufnahmen nützlich waren. »Wahrscheinlich hören dir die Riesen jetzt zu, Bar ry«, sagte Steve. »Wenn sie klug sind, schneiden sie mit und studieren das dann. Wenn sie sehr dumm sind, bilden sie sich vielleicht ein, sie wüßten, was das ist. Aber was auch immer sie annehmen, es ist etwas anderes.« Er war immer noch sehr frustriert, meinte aber, daß Barrys Bericht genau das war, was die Welt der Rie sen brauchte. Sie konnten einfach nicht glauben, daß die Spindrift keine bösen Absichten hatte. Zweifellos hatten sie ihrer eigenen Ansicht nach gute Gründe für ihre geradezu panische Feindschaft. Und Steve hatte
sogar Verständnis für sie. Sie verhielten sich genauso, wie die Menschheit auf der Erde reagieren würde, wenn dort ein fremdes Raumschiff, nur zwei Meter lang, aufgetaucht wäre, von dem die ganze Mensch heit annahm, daß es vernichtet werden mußte. Die Zeit verstrich. Im Tal war früher Morgen. Die Energieanlage des Schiffes war wie bei jeder Landung auf »Laden« geschaltet. Barry ging ins Cockpit zu rück und schaltete den Empfänger ein, um seine ei gene Stimme zu hören. »... war ziemlich kompliziert«, sagte seine Stimme im Lautsprecher. »Zwei Raketen waren hinter uns her, zehn Kilometer hoch, und wir konnten uns nicht verstecken und konnten auch nicht dafür sorgen, daß die Raketen zusammenstießen, wie Captain Burton das am ersten Morgen gemacht hatte –« Aus dem Lautsprecher kam plötzlich ungeheurer Lärm, und dann verstummte er. Barry riß die Augen auf. Er ging zur Kabinentür. Steve wollte gerade ein treten. »Sir«, sagte Barry atemlos. »Es ist etwas passiert! Da war ein schrecklicher Lärm im Lautsprecher, und dann wurde es plötzlich still!« Steve zeigte keine Überraschung. Und grimmiger als seine Miene schon war, hätte sie ohnehin nicht werden können. Er ging zum Funkgerät und über prüfte es. Da war wieder das ganz schwache Störge
räusch, das auf diesem Planeten nicht stark oder nicht laut genug war, um die Energieversorgung dieses Planeten zu stören. Und von dieser Energieversor gung hing die ganze Zivilisation der Riesen ab. Das Funkgerät funktionierte, aber es kam nichts aus dem Lautsprecher. Steve ging wieder in die Passagierka bine zurück. »Alles hinaus!« befahl er. »Alles hinaus! Achten Sie alle auf dröhnende Geräusche. Ich möchte, daß Sie sie zählen.« Er ging voraus. Draußen schien alles ganz ruhig. Die anderen drängten ihm nach. Irgendwo schrie ein Vogel. Und dann war der Ruf eines anderen undefi nierbaren Wesens zu hören. Ob es ein Vogel war oder ein Insekt? »Was ist denn, Steve?« Er blickte nach Nordwesten, blickte über die Wand, die dieses lange Tal begrenzte. »Ich habe etwas gespürt«, sagte Betty plötzlich. »Der Boden zitterte. Ist das ein Erdbeben?« »Ich habe es auch gespürt, ich habe es bemerkt. Und ich –« Alle riefen durcheinander. »Das ist kein Erdbeben«, sagte Steve niederge schlagen. »Wir werden jetzt bald dröhnende Geräu sche hören. Vielleicht – Da ist ein Blitz! Etwas verspä tet.«
Sie starrten einander an. »Etwa noch eine halbe Minute«, sagte Steve mit wie vom Schmerz verzerr tem Gesicht. Es dauerte nicht ganz so lang. Dumpf, weit entfernt und unendlich drohend war das Dröhnen zu hören. Der Schall breitete sich langsam aus. Ein tiefes Rum peln. Und noch zwei. Vier. Und dann ein fernes rol lendes Poltern, so wie wenn ganze Batterien von Ar tillerie so schnell wie Maschinengewehre feuerten. Der Tumult in der Ferne dauerte ein paar Sekunden. Zweimal wurde der Lärm sehr laut, dann hörte das Dröhnen auf, noch zweimal war ein Rumpeln zu hö ren und dann ein letztes Mal. Dann war es wieder still. »Das war etwa fünfzig Kilometer entfernt«, sagte Steve bitter. »Dort, wo ich das Tonbandgerät gelassen habe, damit die Riesen Barrys Notizen aufnehmen. Ich dachte, die Riesen würden glauben, die Spindrift sei gelandet und funkte ein Kapitulationsangebot. Vielleicht dachten sie, unser Treibstoff wäre zu Ende gegangen und wir bäten sie um Gnade. Aber was auch immer sie annahmen, sie haben es nicht ge glaubt. Aber ich habe ihre neue Taktik richtig einge schätzt.« Fitzhugh knurrte. »Was waren das für Erdstöße und für Explosionen? Ich glaube es zu wissen, aber was war das?«
»Bomben«, erklärte Steve lakonisch. »Sie haben den Sender mit Barrys Tonbandaufzeichnung angepeilt. Ich hatte gehofft, daß die Riesen keine Bomben sen den würden, aber ich habe es erwartet. Und sie haben es getan.« Schweigen herrschte. Explosionen, die auf eine Ent fernung von fünfzig Kilometern gehört werden konn ten. Explosionen, zuerst eine, dann zwei, dann noch ei ne und schließlich vier. Und das rollende Brüllen von unzähligen Raketengeschoßen, die detonierten. Die Raketen waren vielleicht von verschiedenen Orten aus gestartet, aber so gezielt, daß sie gleichzeitig eintrafen. Beinahe hätten sie es geschafft. Explosionen, die den Boden in einer Entfernung von fünfzig Kilometern er zittern ließen. Explosionen, die am hellichten Tage am Horizont als Lichtblitze sichtbar waren. Steve riß sich zusammen. »Sie wenden genau die Taktik an, mit der ich ge rechnet hatte«, meinte er. »Überwältigende Flotten von Raketen, denen wir nicht ausweichen können und mit denen man uns jedesmal beschießt, wenn sich eine Chance bietet. Die werden uns auf Trab hal ten, bis sie glauben, daß uns der Treibstoff ausgegan gen ist. Aber wahrscheinlich glauben sie, daß diese Explosionen uns den Garaus gemacht haben. Wilson, wann wird diese Rakete mit Südkurs über uns hin wegfliegen, wenn sie sich an ihren Plan hält?«
Wilson sah auf die Uhr. »In fünfunddreißig Minu ten.« »Ich möchte das Stroh aus dem Heckabteil entfernt haben«, sagte Steve. »Das, was davon übriggeblieben ist. Ich möchte statt dessen die größten Felsbrocken, die wir gerade noch schleppen können. Jemand soll die Notluke öffnen, und dann werden wir eine halbe Stunde Steine schleppen.« Das teilweise verbrannte Heu ließ sich leicht entfer nen, und Felsbrocken gab es in ihrer Umgebung genug. Dan begann mit dem Laden. Er nahm die Brocken ent gegen, die Fitzhugh, Steve und Wilson ihm hinauf reichten. Steve suchte die größten Brocken aus, die er gerade noch heben konnte. Sie brauchten wesentlich weniger als eine halbe Stunde, um die kleine Kammer so zu füllen, wie Steve es sich vorgestellt hatte. »Ich möchte, daß sie hinausfallen«, sagte er und runzelte die Stirn. »Wenn es zu viele sind, könnten sie sich ineinander verkeilen.« Dan schüttelte den Kopf. Er wußte, daß Steve sich nicht absichtlich so geheimnisvoll gab. Er schien an zunehmen, daß jeder seine Absichten und Pläne kannte. Aber das war nicht der Fall. Dan schloß die Heckluke und ging ins Schiff. Die Einstiegluke wurde ebenfalls geschlossen. »Zehn Minuten«, sagte Steve. »Wir wollen uns die Stelle anschauen, wo die Bomben gefallen sind.«
Steve legte den Schalter der Energieversorgung um. Er hatte sofort nach der Landung auf »Laden« geschaltet. Die Vorstellung, jederzeit genügend Ener gie zur Verfügung haben zu müssen, war ihm zur zweiten Natur geworden. Das Schiff startete. Es stieg in den Himmel, und Steve steuerte es zu ihrem letzten Landeplatz, dort hin, wo sie das Tonbandgerät und den Sender gelas sen hatten. Die Spindrift senkte sich herab. Aus dreitausend Meter Höhe blickten sie ins Tal und sahen, was die Robotbomben angerichtet hatten. Dreiviertel davon waren im Umkreis von sechs Kilometern niederge gangen. Außerhalb dieser Fläche gab es Bombenkra ter. Die Zielfläche selbst sah wie der Mond der Erde aus, mit Kratern, die einander überlagerten. Die Bomben waren sehr genau gezielt gewesen. Aber in der Mitte der Abwurfstelle, an dem Punkt, wo das genaue Ziel gewesen war, gab es keine Krater. Dieser Teil des Tales war förmlich zu Staub zerblasen wor den. Die Spindrift schwebte über diesem Schauplatz völ liger Vernichtung, und ihre Insassen blickten mit schreckerfüllten Gesichtern hinunter. Steve sah auf die Uhr. »Jetzt ist es etwa Zeit für die Rakete, falls sie plan mäßig fliegt.«
Er schaltete die Außenmikrofone ein. Dan zerrte an seinen Fingergelenken. Und dann konnte er es nicht mehr länger ertragen. »Was ist mit dieser Rakete?« fragte er. »Was hast du damit vor?« Steve beugte sich über den Lautspre cher, damit ihm ja nichts entging. »Nun – wir werden versuchen, sie einzufangen«, sagte er. »Ich möchte wissen, wozu die Riesen sie verwenden, wenn sie sie nicht gegen uns einsetzen.«
10
Die Rakete war pünktlich, und das bedeutete, daß die Riesen sich ihrer Sache so sicher waren, daß sie an nahmen, das Bombardement sei vorüber, ehe die Ra kete diesen Ort überflog. Oder es bedeutete vielleicht auch, daß jene, die das Bombardement leiteten, sich gar nicht erst die Mühe gemacht hatten, die für Rake tenflüge Zuständigen zu informieren. Aber welchem Zweck dienten diese planmäßigen Raketenflüge? Als die fällige Rakete erschien, war sie nur ein win ziger heller Fleck am Himmel. Steve hatte diesmal die Spindrift in der Luft gelassen und ärgerte sich über die Energie, die er dafür verbrauchte. Und als die Ra kete auftauchte, war er keineswegs zufrieden. Als er vor einiger Zeit vom selben Ort aus eine andere Rake te verfolgt hatte, hatte ihr langsamer Flug ihn gestört. Das hatte ihn Energie gekostet. Also war er ihr auf ih rer Flugbahn vorausgeflogen und hatte schließlich die Stadt der kilometerhohen flammenden Lichtsäule er reicht, vielleicht sogar die Hauptstadt des Planeten. Es schien sehr wahrscheinlich, daß diese Rakete heute aus jener Stadt kam und Kurs auf eine andere Stadt hatte, fahrplanmäßig verkehrte, im Rahmen eines Planes, der zwei Raketen pro Tag vorsah. Als ihm diese Idee kam, hatte Steve das Gefühl, die
Lösung eines wichtigen Problems gefunden zu haben. In erster Linie aber war er damit beschäftigt, die Spin drift genau auf den Kurs des stetig dröhnenden Pro jektils auszurichten. Und als er das geschafft hatte, war ihm die halbgeformte Idee wieder entglitten. Die Spindrift verfolgte jetzt den Roboter, der dröh nend und brummend seines Weges zog. Die Spindrift ignorierte er völlig. Er war beinahe gleich groß wie das Suborbitalschiff. Dennoch konnte es unmöglich einen Riesen befördern. Die Rakete flog in etwa zehn tausend Meter Höhe, also weit über den Wolken. Und diese Wolkenschicht war dicht, so daß man den Bo den nur bruchstückhaft erkennen konnte. »Diese Rakete«, sagte Steve in der Spindrift, fünf Ki lometer hinter und drei Kilometer über dem Projektil der Riesen, »benutzt chemischen Treibstoff und fliegt mit Standardgeschwindigkeit. Für einen Roboter wä re es auch nicht leicht, die Geschwindigkeit zu verän dern. Aber sie verbraucht viel mehr Treibstoff, indem die Aggregate die ganze Zeit brennen, als der Fall wäre, wenn sie mit einem Treibsatz startete und den größten Teil des Weges auf einer ballistischen Flug bahn zurücklegte.« »Und wie würdest du es anstellen, genauen Kurs zu halten?« fragte Dan. »Ohne Radiokontrolle? Bei dieser Art des Fluges funktioniert eine Trägheits steuerung viel besser.«
Damit hatte er recht. Kein Raketenstart ist absolut perfekt. Wenn das Projektil einmal gestartet ist, sind laufende Kurskorrekturen erforderlich. Das macht bei ballistischen Geschossen keine Schwierigkeit, wenn sie mit Radiofernsteuerung ausgestattet sind und über Maschinen verfügen, die man aufs neue anlassen kann. Ohne Radio sind Kurskorrekturen nicht möglich. Aber eine Rakete, die unter ständiger Beschleunigung fliegt, kann ihren effektiven Kurs mittels eines Trägheitssy stems an die ideale Bahnkurve anpassen. Dafür ist es aber sehr kostspielig, die Motoren während des ganzen Fluges laufen zu lassen. Schrecklich kostspielig. »Vielleicht brauchen die Punktlandungen«, sagte Wilson, »und sind bereit, den Preis an Treibstoff da für zu bezahlen. Diese Bombenabwürfe waren prak tisch Punktlandungen, wenn man die Größe des Ziel gebiets und die Zahl und die Größe der dort gelande ten Bomben bedenkt.« »Der Grund spielt keine Rolle«, sagte Steve. »Wich tig ist nur, daß sie während des ganzen Fluges bren nen und wir vermutlich einen sehr viel größeren Ak tionsradius haben.« Die planmäßige Rakete flog weiter. Jetzt war plötz lich die Wolkendecke unter ihnen verschwunden. Sie sahen ein Bergmassiv mit einigen Schneegebieten. Aber obwohl Frühling war, befanden sie sich in ex trem südlicher Breite, und die Frühjahrswärme hatte
die Spitzen und Gipfel noch nicht ihres winterlichen Schneekleides entblößt. Die beiden kleinen Flugkörper zogen stetig dahin, die eine aus der Stadt der Riesen, weit über den Wol ken, und die Spindrift, höher, und zu viel schnellerem Flug fähig, jetzt aber auf Verfolgungskurs. Nun verbargen wieder Wolken die Sicht, und sie sahen ei ne Weile nichts. Schließlich gab es eine weitere Lücke. Wieder Schnee und noch weniger nackter Fels. So nahe bei der südlichen Eiskappe würde es selbst im Frühling nicht gelingen, den ganzen Schneefall des Winters wegzutauen. Steve war unruhig. Die Robotrakete flog etwa mit Mach 1, also mit etwa 1000 bis 1200 Stundenkilome tern. Die Spindrift blieb entschlossen dahinter, trotz der niedrigen Geschwindigkeit und des hohen Ener gieverbrauchs. Vielleicht eine Stunde später und zwölfhundert Ki lometer weiter senkte Steve die Spindrift, um das Ter rain auszukundschaften. Ringsum war alles weiß. Das war die Eiskappe, eine ständig gefrorene Fläche. Hier gab es Gletscher, die noch jahrhundertelang auf ihren komplizierten Wegen dahingleiten würden, um schließlich in Eisberge zu zerbrechen und dann im Laufe weniger Wochen zu Wasser zu zerschmelzen. Steve preßte die Lippen zusammen. Dan merkte es. »Stimmt was nicht, Steve?«
»Ich möchte einen Berg, der als Landefläche taugt«, sagte Steve, »und zwar nicht zu weit von einer steilen Flanke oder einer Klippe entfernt. Aber ich sehe nichts.« »Ich werde mich darum kümmern«, sagte Dan. Das war natürlich ein Witz. Rings um sie hingen jetzt wie Wattebäusche wirkende Wolken, die den ganzen Horizont ausfüllten. Steve murmelte halblaut vor sich hin, als er auf den Energieanzeiger blickte. Bei dieser geringen Fluggeschwindigkeit verbrauchte die Spindrift doppelt so viel Energie, als sie bei höhe rer Geschwindigkeit und beim Flug in höherer Lage brauchte. Wieder ging er tiefer, um sich umzusehen. Plötzlich hatten sie die Wolkendecke hinter sich gelassen. »Die Riesen haben lange gebraucht«, sagte Steve plötzlich, »um das Bombardement des Tonbandgeräts und des Senders zu arrangieren. Vielleicht sind sie das nächste Mal schneller. Im Augenblick starren die bestimmt auf ihre Bildschirme, um zu sehen, wohin wir fliegen und ob wir landen. Und wenn sie das tun, dann versuchen sie es bestimmt noch einmal mit ei nem Bombardement. Es wird eine Weile dauern. Aber nicht lange!« Und dann riß er plötzlich die Spindrift in die Höhe, auf das Raketengeschoß zu, das weitergeflogen war und die Spindrift völlig ignorierte.
»Was –« »Da«, meinte Steve. Er deutete, und während das Schiff auf die Rakete zukletterte, suchte Dan das Meer ab. Am fernen Ho rizont gab es einen zackigen Berggipfel. Und je höher die Spindrift stieg, desto weiter wich der Horizont zu rück und desto deutlicher wurde der Berg sichtbar. Er war hoch und hatte steile Flanken. Steves Ausdruck zeigte grimmige Zufriedenheit. »Wenn ich jetzt richtig vermutet habe und wir eine Menge Glück haben«, meinte er, »bekommen wir jetzt ein paar dringend benötigte Antworten auf einige Fragen, die mich schon lange quälen.« Und dann ins Mikrofon: »Anschnallen, Herrschaften! Jetzt machen wir ein paar Kunststückchen.« Plötzlich tauchte die Rakete, höchstens achthundert Meter von ihnen entfernt, auf. Steve jagte darauf zu. »Der Unterschied«, sagte er abgehackt, »der Unter schied, den wir kennen, besteht darin, daß einige Ra keten uns in die Luft zu sprengen versuchen und an dere nicht. Diese anderen versuchen, uns aus dem Weg zu gehen. Die andere Rakete, die planmäßige – wich uns aus, als wir ihr nahe kamen. Diese Rakete ist auch planmäßig. Sie sollte uns auch ausweichen!« Und als die Spindrift näherkam, wich die Robotra kete von ihrem Kurs ab, genauso wie die am Vortage.
Die Spindrift folgte ihr nicht, und die Rakete schwenk te wieder auf ihren ursprünglichen Kurs ein. Die Spindrift beschrieb einen weiten Bogen und stand plötzlich über der Rakete. Die Rakete ging in Sturz flug über. Steve folgte ihr in die Tiefe. Die Fallge schwindigkeit der Robotrakete nahm zu, zumal ihr jetzt auch die Schwerkraft zu Hilfe kam. Steve riß die Spindrift zur Seite, und die Rakete richtete sich sofort wieder auf und begann ihrer ursprünglichen Reise flughöhe zuzustreben. »Roboter sind dumm«, sagte Steve. »Sie kennen nur die Richtungen: rechts, links, auf und ab. Ich will sehen, was sich daraus für ein Vorteil für uns schla gen läßt!« »Aber warum verhält sie sich denn so?« fragte Dan gereizt. »Sie sieht doch aus wie die anderen.« »Es ist eben ein Roboter mit dem typischen be schränkten Verstand eines Roboters«, meinte Steve. »Und sie ist dazu bestimmt, nach Plan zu fliegen. Sie will also nicht, daß man diesen Plan irgendwie stört. Also ist sie so ausgestattet, daß sie Zusammenstößen ausweichen kann. Um einen Piloten zu befördern, ist sie zu klein. Also weicht sie jedem Gegenstand aus, der zu nahe kommt, und nimmt ihren ursprünglichen Kurs wieder ein, wenn dieser Fremde wieder ver schwunden ist.« Plötzlich schoß er beinahe senkrecht auf die Rakete
unter ihm zu. Sie wich aus. Aber die Spindrift heftete sich an das Heck der Rakete. Immer weiter wich sie von ihrem ursprünglichen Kurs ab, bis ihre Spitze beinahe senkrecht nach unten wies. Und dann schien sie sich irgendwie freizustrampeln und schoß zur Sei te weg, im rechten Winkel zu dem Kurs, den sie ur sprünglich geflogen war. »Da gibt es noch einen Trick, den ich ausprobieren möchte«, sagte Steve befriedigt. »Jetzt überholen wir und sehen, wie sie darauf reagiert!« Die Spindrift steuerte wieder auf das Heck der Ra kete zu. Immer näher flog er und noch näher. Es war nicht vorgesehen, daß irgend etwas diese Rakete überholte, folglich verfügte ihr automatisches Steuer system auch nicht über die richtige Reaktion. Die Ra kete wich zur Seite, zuerst nach rechts, dann nach links und Steve und Dan fiel auf, daß ihre Bewegun gen recht ruckartig waren. Steve drängte sich noch näher heran, bis die Auspuffgase die Luken zu be schlagen drohten. Bei einem lebenden Wesen hätte man das Verhalten hysterisch genannt. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, mußte aber etwas tun. Und schließlich fand Steve einen Punkt und eine Position für die Spindrift, von der aus er das Steuersy stem der Rakete dazu veranlassen konnte, sie dorthin zu steuern, wo er sie haben wollte. Zweimal entkam sie ihm, und jedesmal strebte sie
stur wieder auf den Kurs zurück, den sie geflogen war, als Steve angefangen hatte, sie zu verfolgen. Plötzlich erkannte Dan, was Steves Manöver zu bedeuten hatten. Die Insel mit den scharfgeschnitte nen Bergspitzen war jetzt näher. Sie war noch etwa acht Kilometer entfernt, als Dan begriff; und die Spin drift und die Robotrakete flogen höchstens zwölfhun dert Meter über dem Meer, also niedriger als der höchste Punkt der Insel. Man konnte sie als einen Monolith bezeichnen, der steil aus dem Meer auf stieg. An einer Stelle donnerten die Wellen in einer ständigen Brandung gegen das Ufer. An einem ande ren Punkt drängten die Wellenkämme gegen eine überhängende Klippe, so daß kaum Schaum ent stand, und daran schloß sich ein breiter Sandstrand an. Die Spindrift und die Rakete schienen jetzt mitein ander zu kämpfen. Auf einen Beobachter mußte die ses Spiel wirken wie ein Falke, der auf ein Opfer von beinahe der gleichen Größe herunterstößt, während dieses Opfer verzweifelt zu entkommen versucht. Die Insel war sechs Kilometer entfernt, und die beiden Flugobjekte hatten jetzt eine Höhe von rund einem Kilometer. Jetzt waren es nur noch fünf Kilo meter, und die Flughöhe betrug sechshundert Meter über der Wasserfläche. Und dann waren es drei Ki lometer und schließlich noch einer. Der Berg selbst
zeigte jetzt seine Wirkung auf das Robotgeschoß. Und ebenso begann auch das Meer Auswirkungen zu ha ben. Irgendwie erinnerte die Robotrakete jetzt an ein lebendes Wesen, als sie versuchte, gleichzeitig dem Meer, dem Berg und der Spindrift zu entkommen, und wie es unvermeidbar war, achtete sie besonders auf die Gefahr, die ihr jeweils am nächsten war. Schließlich krachte sie gegen einen Bergausläufer, der nur hundertfünfzig Meter über der Wasserober fläche hervorragte. Die Spitze der Rakete prallte da gegen. Ein großer Riß zeigte sich in der Rumpfhaut. Den Betrachtern in der Spindrift schien der Zusam menstoß Sekunden zu dauern. Und dann fing sie an zu taumeln, überschlug sich und blieb schließlich auf dem Sandstrand liegen. Die Außenhaut war aufge fetzt und zerrissen. Es gab Stellen, wo das Innenge rippe noch standhielt, aber jedenfalls konnte man in das Innere der Rakete hineinsehen. Die Spindrift landete. Steve stand bereits im Sand, ehe die Landetreppe sich ganz herausgeschoben hatte. Er rannte auf das Wrack zu und zwängte sich hinein. Dan knurrte. Er hatte die Landung der Spindrift durchgeführt und war mindestens ebenso begierig wie Steve, das Innere der Riesenrakete zu sehen. Aber er oder Steve – also jemand, der das Suborbitalschiff steuern konnte – mußte immer an Bord bleiben. Fitz hugh ging zum Ausstieg und sah ins Cockpit.
»Kommen Sie nicht mit?« Dan schüttelte den Kopf, aber als er die anderen die Treppe hinuntersteigen sah, blickte er etwas ent täuscht drein. Barry schloß sich ihnen natürlich auch an. Und dann kamen sie zurück und trugen – ohne daß es einen Grund dafür gab – irgendwelche Dinge, die sie als Souvenirs behalten wollten. Barry hatte ein Kugellager. Valerie, Marjorie und Betty brachten Bruchstücke – wobei sie nicht einmal wußten, worum es sich handelte. Fitzhugh brachte drei Dokumente von Riesengröße, bei denen es sich vielleicht um Brie fe handelte. Wilson hatte eine Linse gefunden, die nur an einer Stelle einen Sprung aufwies. Es handelte sich um einen Teil eines Instruments, vielleicht einer Lichtschranke. »Einsteigen und anschnallen!« befahl Steve an der Außentüre. »Wir wollen starten!« Barry war der letzte an Bord, er hatte erst Chipper einfangen müssen. Der Bug der Spindrift hob sich. Jetzt stand sie auf recht. Dan leitete den Start ein, und das kleine Schiff raste in den Himmel. »Da gab es natürlich einen Treibstofftank«, erklärte Steve, »und einiges an Ladung. Briefe vermute ich. Das Robotsteuersystem muß ganz großartig gewesen sein, aber ich hatte keine Zeit, es zu untersuchen. Für
mich gibt es keinen Zweifel, daß diese planmäßigen Raketen die gleichen sind wie die Raketenbomben. Man braucht nur das Steuer etwas anders einzustel len und den Laderaum mit Explosivstoffen füllen, vielleicht noch etwas Treibstoff dazugeben, und fertig ist die fliegende Bombe. Die haben bestimmt Tausen de davon.« »Wozu denn?« fragte Dan immer noch beleidigt. »Zum Teil als Ersatz für Radio«, erklärte Steve. »Aber hauptsächlich zur Postbeförderung. Es gab ei ne Zeit, als sämtliche Post auf der Erde von Reitern und Segelschiffen befördert wurde. Später waren es Züge und Dampfschiffe. Und jetzt sind es Flugzeuge und in Notfällen gibt es immer Funk. Wir schicken unsere Post per Flugzeug. Die Riesen gebrauchen Ra keten. Worauf ich hinausmöchte ist, daß wir Tausen de von Flugzeugen haben, die Post von Stadt zu Stadt befördern, während sie Tausende von Raketen besit zen! Du hättest die Briefe sehen sollen! Es gibt sogar Postkarten mit Briefmarken!« Und dann mit völlig veränderter Stimme. »Umkreise die Insel, Dan. Halte dich ziemlich hoch. Ich möchte sehen –« Er brauchte den Satz nicht zu Ende zu sprechen. Die Außenmikrofone fingen zu dröhnen und zu pol tern an. Der Lärm schwoll an, wurde immer lauter. Und dann herrschte rings um sie Tumult, ein Durch einander von Tönen, das man nur als ein Knurren be
zeichnen konnte, aber ein Knurren von so unbe schreiblicher Stärke, daß die Lautsprecher nicht damit fertig wurden. Und der Lärm kam von sehr vielen Raketenmotoren, die alle gleichzeitig brüllten. Steve deutete Dan mit einer Handbewegung an, den Flug zu beschleunigen, und Dan schaltete die Notaggregate ein, und die Spindrift jagte mit einem mächtigen Satz in den Himmel. Hinter ihr blitzte es auf. Es war ein so heller Blitz, daß die Sonne dagegen geradezu schwach erschien. Und das Geräusch war so ungeheuer, daß die Laut sprecher nur mehr knarrten. Und dann ein zweiter Blitz, zwei Blitze, vier zusammen. Einige von ihnen landeten im Meer und wirbelten Gischtsäulen auf, die beinahe die Höhe der Inselspitze erreichten. Die Blit ze waren so grell, daß man gar nicht hinsehen konnte. Und die Schockwellen der Explosionen ließen die Spindrift erzittern. Dann herrschte wieder Schweigen. Und dann kam noch einmal eine verspätete Explosion. Die Leute in der Spindrift blickten auf die Insel hinab. Der weiße Sandstrand war verschwunden. Wo eben noch Sand gewesen war, hatte sich ein Teil der Bergwand aufge löst, und wo zuerst die Wellen gegen den nackten Felsen angerannt waren, schäumte es jetzt wild. Steve sah auf die Uhr. »Tüchtig«, sagte er. »Die Riesen hatten ihre Senso
ren eingeschaltet und unser Antriebsgeräusch ange peilt. Als wir landeten und die Motoren abschalteten, schickten sie vielleicht zwei Dutzend Raketen hierher. Sie haben sie vielleicht sogar von verschiedenen Or ten aus gestartet. Das Ganze hat nur zweiunddreißig Minuten gedauert. Eine gute halbe Stunde also von dem Augenblick, da wir unsere Motoren abschalte ten, bis zur Landung der ersten Bombe. Wahrschein lich werden sie die Zeit sogar noch herabsetzen. Und sie haben Tausende von Raketen!« »Aber das bedeutet, daß wir nirgends landen kön nen!« protestierte Dan. »Wir müssen die ganze Zeit in der Luft bleiben! Wir müssen schleunigst starten, ehe weitere Bomben kommen!« »Genau das«, meinte Steve sehr leise. »Wenn wir landen, um Lebensmittel oder Wasser aufzunehmen oder die Energieanlage aufzuladen, werden sofort Ra keten auf uns angesetzt. Also können wir nicht landen. Wir können auch nicht aufladen. Wir können uns keine Nahrung beschaffen ... recht gute Arbeit, die die Riesen da geleistet haben, das muß man ihnen lassen!« Ein paar Augenblicke saß er stumm da. Dann meinte er: »Übernimm du das Schiff eine Weile, Dan. Ich werde jetzt die anderen fragen, ob sie bereit sind, ein großes Risiko einzugehen. Damit können wir die Riesen möglicherweise beruhigen – aber sehr wahr scheinlich ist das nicht.«
Dan nickte. Steve ging in die Passagierkabine zu rück. Dan hörte seine Stimme. Steve hatte die Tür nicht hinter sich abgeschlossen. »Meine Damen und Herren«, sagte er. »Unsere Freunde, die Riesen, haben sich ein wirklich raffinier tes System ausgedacht, um uns ihre Wertschätzung auszudrücken. Es funktioniert bereits. Es besteht be gründete Aussicht, daß wir in höchstens zwei Tagen alle in winzige Stücke gerissen werden. Es gibt ge wisse Gegenmaßnahmen, die wir ergreifen können, aber diese Gegenmaßnahmen sind unbequem und nicht absolut sicher. Ich frage Sie also, ob Sie sich mir anschließen wollen und eine völlig neue Politik ge genüber den Riesen ausprobieren möchten –« Dan in der Pilotenkanzel runzelte die Stirn. Er empfand in diesem Augenblick eine sehr persönliche Abneigung gegenüber den Riesen.
11
Die Spindrift trieb auf ihrer Kreisbahn dahin. Auf der Nachtseite des Planeten der Riesen herrschte ab grundtiefe Dunkelheit. Die Spindrift selbst schien schwarz zu sein. Nur das von den Zwillingsmonden reflektierte Sonnenlicht spiegelte sich in ihrer Außen haut. Sie war also ein völlig schwarzer Gegenstand mit gelben Flecken. Selbst die helleren Sterne konnte man an ihren Seiten wiedererkennen. Trotzdem war sie schwarz. Es gab offene Sichtluken dort, wo die be leuchtete Passagierkabine war. Manchmal schob sich drinnen ein Kopf vor die Luke und verdunkelte sie, aber die Sichtluken der Piloten waren dunkel. Steve und Dan saßen da und beobachteten ihre Instrumen te, während das kleine Schiff auf seiner Kreisbahn dem Morgen entgegenstrebte. Jetzt tauchte links ein schmaler leuchtender Halb mond auf. Das war der Rand der Riesenwelt, ein Rand, um den jetzt die ersten Sonnenstrahlen lugten. Aber die Spindrift strebte nicht dem Mittelpunkt die ses Halbmondes zu. Sie befand sich nicht auf einer Äquatorialbahn, von der aus betrachtet die Sonne immer im Osten aufgeht und im Westen untergeht, gleichgültig, wie viele Umkreisungen des Planeten die Spindrift auch jeden Tag machte. Sie befanden sich
auf einer Polarbahn, einer Bahn also, auf der sie im Tageslicht von Norden nach Süden flog und dann vom tiefsten Süden – praktisch betrachtet dem Süd pol – über die Nachtseite des Planeten wieder nach Norden strebte. Und bei jeder Umdrehung passierte das kleine Schiff einen anderen Teil der Tagseite, weil der Planet sich drehte. Und bei jeder Umdrehung schwebte sie ungesehen über einen Teil des Planeten, auf dem Nacht herrschte. Steve überprüfte die Ladeanzeige. Diesmal bot sich ein etwas erfreulicherer Anblick. Das Schiff war vor etwa sechs Stunden in die Kreisbahn eingetreten, und einmal zum Satelliten der Welt geworden, konnte sie ewig hier bleiben, ohne Energie zu verbrauchen. Ge nauer gesagt verbrauchten sie jetzt Energie nur, um die Passagierkabine zu beleuchten und im Inneren des Schiffes eine erträgliche Temperatur zu erzeugen. Der kleine Atommeiler lud inzwischen die Akkumu latoren auf. In den ersten sechs Stunden, in denen sie die Welt der Riesen umkreist hatten, hatten diese Ak kumulatoren genügend Energie aufgenommen, um das kleine Schiff etwa drei Stunden in der Luft zu hal ten. Weitere sechs Stunden und sie würde über genü gend Energie verfügen, um sechs Stunden innerhalb oder außerhalb der Atmosphäre zu fliegen. Und mit vollen Akkumulatoren konnte sie acht Stunden in der Luft bleiben.
Aber da war noch etwas zu bedenken. Die Spindrift war für suborbitalen Flug konstruiert, Flug also in dreißig Kilometern Höhe und nicht in Hunderten von Kilometern. Ihre eigentliche Aufgabe bestand im Flug zwischen Los Angeles und London auf der Erde, und diese Reise vollbrachte sie in zweiundvierzig Minu ten. Auf einer solchen Reise bestand keine Notwen digkeit für komplizierte Luftaufbereitungsanlagen. Dennoch hatten ihre Konstrukteure sie für alle mögli chen Notfälle ausgerüstet. Da gab es zum Beispiel Tanks im Cockpit, die man gewöhnlich nicht erwähn te, da sie manchen Leuten Gefahren suggerierten, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Es handelte sich um Lufttanks, die normalerweise mit flüssiger Luft ge füllt waren – die jetzt schon lange wieder in gasför migen Zustand übergegangen war – und die inzwi schen unter erheblichem Überdruck standen. Falls man ihren Inhalt jedoch brauchte – wenn das auch höchst unwahrscheinlich war, so konnte man damit die ursprünglich im Schiff vorhandene Luft viermal austauschen. Es gab also eine Luftreserve. Aber wenn man sie verbrauchte, so konnte man sie nicht mehr auffüllen, da es keine Kompressionspumpe gab. Auf diese Re serven durfte man also nur im äußersten Notfall zu rückgreifen. Praktisch betrachtet sollte die Luft in der Spindrift alle sechs bis acht Stunden erneuert werden.
Bei so wenigen Leuten, wie jetzt an Bord waren, konnte man das vielleicht auf zehn Stunden ausdeh nen. Aber je mehr Zeit verstrich, desto mehr Kohlen dioxyd würde sich ansammeln. Jetzt, da sie sich auf Kreisbahn befanden, war das Luftproblem genauso wichtig wie sonst das Problem der Antriebsenergie. Steve konnte schon an gar nichts anderes mehr den ken. Und jetzt meinte Dan, der mürrisch der aufgehen den Sonne entgegengeblickt hatte: »Mir scheint, wir sind in die Enge getrieben, Steve. Wenn wir in Kreisbahn bleiben, gehen uns die Le bensmittel und die Luft aus. Wenn wir landen, wer den die Riesen wissen, wo wir uns befinden, und nach wenigen Minuten ihre Raketen schicken. Wenn wir landen, jagt man uns in die Luft, und wenn wir es nicht tun, sterben wir ohnehin, bloß daß es etwas län ger dauert.« Steve nickte. »So sieht es aus. Und du kannst dich darauf verlas sen, daß die Riesen sich inzwischen die Köpfe dar über zerbrechen, wie man uns im Flug abschießen kann. Wenn sie genügend Raketen haben, um ihre Post zu befördern, haben sie auch genug, um auf uns ein Scheibenschießen zu veranstalten.« Die Kabinentür öffnete sich. Wilson zwängte sich in der bemerkenswert ungeschickten Art und Weise
herein, die die meisten Menschen beim Fehlen von Schwerkraft zu bevorzugen scheinen. »Es gibt wieder Nordlichter«, meldete er. »Ziemlich schwach, aber immerhin sichtbar. Wir sind die ersten Menschen, die jemals ein Nordlicht von innen heraus anstatt von außen sehen.« »Ist das wichtig?« fragte Dan gleichgültig. »Ich werde schon wie Steve. Ich kann auf Nordlichter ein fach nicht mehr sehen.« »Es scheint, daß diese Nordlichter irgendwie mit Raumfalten zusammenhängen«, meinte Wilson. »Aber Raumfalten hängen nicht immer mit Nordlich tern zusammen.« Er erklärte, warum er ins Cockpit gekommen war. »Ich habe Steve erklärt, wie wir aus dieser scheußlichen Lage herauskommen können – entweder indem wir entkommen oder indem wir Selbstmord begehen. Ich halte ihn auf dem laufen den.« »Ich schlage vor, daß wir es ausprobieren, was auch immer es sein mag«, brummte Dan. Wilson wartete. Steve meinte nachdenklich: »Wir müssen davon ausgehen, daß die sich mit un serer Existenz beschäftigen. Sie versuchen, uns den Garaus zu machen. Ich glaube, wir fliegen am besten hinunter und tanken frische Luft. Die wissen ja nicht, wo wir sind. Vielleicht vermuten sie, daß wir uns auf einer Kreisbahn befinden, um unseren Antrieb zu
schonen. Aber ich bezweifle, daß sie uns lokalisieren können.« »Den Kopf zerbrechen sie sich bestimmt darüber«, sagte Dan. »Wir verfügen auch über die Notaggregate«, mein te Steve. »Wir haben sie nur noch nie eingesetzt, wenn die uns beobachteten ... Ich glaube, wir können Luft tanken. Wir brauchen sie noch nicht. Aber ich möchte die Riesen reizen.« »Sie reizen?« brummte Dan. »Ich möchte sie wütend machen«, sagte Steve, und dann zu Wilson gewandt: »Hm, sagen Sie allen, daß wir unsere Flughöhe verlassen und vielleicht ein paar Ausweichmanöver fliegen müssen. Sagen Sie ihnen, sie sollen sich anschnallen und nicht überrascht sein, wenn ich auf drei g Antrieb gehen muß.« Wilson machte unter der Tür kehrt. »Ich werde dabei ein Auge auf die Nordlichter ha ben«, meinte er. Und dann stieß er sich gewichtslos ab und glitt zu einem Sitz in der Passagierkabine. Die Spindrift flog in den Morgen hinein. Die Sonne ging auf. Eine Zeitlang schwebte das Schiff über der nördlichen Eiskappe. Dann über dem Meer. Jetzt tauchte eine sehr große Insel, vielleicht dreihundert Kilometer lang, unter ihnen auf. Es gab Städte auf ihr, die man bruchstückweise zwischen niedrigen Wol kenbänken sehen konnte. Steve orientierte sich an ei
ner kleineren Bergkette, die in Nord-Süd-Richtung auf der Insel verlief. Er veränderte den Kurs der Spin drift, um parallel zu der Bergkette zu fliegen. Und wenige Minuten darauf sah man einen kleinen Ar chipel im Meer. Er umkreiste ihn. »Jetzt machen die ihre Raketen fertig«, bemerkte er, als interessiere ihn das gar nicht. Dann fügte er hinzu: »Ich glaube, wir könnten sie hereinlegen, sie dazu bringen, voll Begeisterung ihre Raketen abzuschießen und später festzustellen, daß sie eine ihrer eigenen Städte in die Luft gejagt haben. Aber ich möchte, daß sie so wütend werden, daß sie nicht mehr vernünftig denken können. Aber nicht wütend genug, um eine wirkliche Inspiration daraus zu gewinnen.« Die Spindrift ging in Sturzflug über. Sie landete auf einer kleinen felsigen Insel. Steve öffnete die Luke und ließ die Seebrise hereinwehen, um die Luft im Schiff etwas aufzufrischen. Die Spindrift blieb nur zehn Minuten auf der Insel, dann schloß sich die Au ßenluke wieder, und das Schiff stieg auf. Sie hatten die erste Wolkenschicht hinter sich, als er sich daran erinnerte, die Außenmikrofone einzuschal ten. In weiter Ferne war das Dröhnen von Raketen zu vernehmen. Die Spindrift flog fünfzehn Kilometer hoch, als die Wolken unter ihr plötzlich aufzuflammen schienen. Aber jene Flamme war nur einen Augenblick lang zu
sehen, wie das Blitzlicht eines Fotografen. Es gab eine Unmenge solcher Blitze. Manchmal sah man sie sogar paarweise. Drei ... zwei ... fünf ... und dann ein letzter vereinzelter Blitz. »Zurück auf die Kreisbahn«, sagte Steve, sichtlich befriedigt, und die Spindrift stieg in die Höhe. »Ich glaube, die werden sich ärgern. Jetzt werden sie he rauszufinden versuchen, was für ein Instrument wir da haben, das es uns verrät, wenn Raketen im An marsch sind.« Das Schiff stieg noch höher, und der Himmel über ihnen wurde finster. Sterne tauchten auf, obwohl immer noch die Sonne am Himmel stand. Und dann erreichte die Nadel des Außendruckmessers ihren Anschlag und zeigte an, daß draußen kein Luftdruck mehr herrschte. Das Radarhöhenmeßgerät meldete, daß die Spindrift Orbitalhöhe erreicht hatte, und Steve ging in Waagerechtflug über. Dann zielte er auf einen Punkt über dem Horizont und erreichte die Kreis bahn einfach dadurch, daß er den Antrieb eingeschal tet ließ, bis der Höhenmesser ihm verriet, daß sich ih re Flughöhe nicht mehr änderte. Dazu brauchte man keine Mathematik. Jetzt umflogen sie die Welt der Riesen in einer völlig stabilen kreisförmigen Bahn. Nach sechs Stunden und einigen Umkreisungen des Planeten tauchten sie wieder in die Atmosphäre ein, um ihre Luft aufzufrischen. Diesmal wurde das
Schiff sofort entdeckt. Steve hatte sich eine Riesen stadt ausgesucht, über der er jetzt kreiste. Sofort kamen Raketen. Diesmal kamen sie aber nicht senkrecht geflogen. Die Raketen, die man ihnen vom Stadtrand entgegenschickte, waren schnell ein gestellt worden, um das Antriebsgeräusch der Spin drift anzupeilen. Aber sie waren auch so justiert, daß sie nach Verbrauch von Dreiviertel ihrer Treibstoffre serven ins Meer hinausflogen und dort abstürzten, und das taten sie auch. Steve reizte die Riesen be wußt. Er hatte die Einstiegluke einen schmalen Spalt geöffnet, und binnen Sekunden fegte ein mehrere hundert Stundenkilometer schneller Wind durch die Spalte herein und frischte ihre Luft auf. Sekunden später schloß Steve die Luke wieder, kurz bevor die Raketen kamen. Und schon trieb Steve die Spindrift wieder in den Himmel hinauf. Die Raketen von unten schienen der Spindrift in ihrer Geschwindigkeit sogar etwas überlegen. Sie überholten sie. Und in dem Au genblick schaltete Steve den Antrieb ab und ließ sich von der Massenträgheit ins All hinaustragen. Das war genau der gleiche Trick, den er über der Rinderstadt gegen zwei Raketen eingesetzt hatte. Plötzlich hatten die acht Raketen kein Ziel mehr. Die Spindrift hatte ihre Kreisbahn bereits erreicht, als sie sich ihrer Anweisung erinnerten, über dem Meer Selbstmord zu begehen.
Sechs Stunden später kam die Spindrift zum drit tenmal herunter. Diesmal schwebten sie ein paar Me ter über dem Meer. Wieder wurde die Luke millime terbreit geöffnet und die Luft in dem kleinen Schiff ausgetauscht. Die Techniker der Riesen wurden wü tend, weil sie immer wieder neue Raketen einstellen und starten mußten. »So«, sagte Steve mit gleichmäßiger Stimme über das Mikrofon der Lautsprecheranlage, so daß man ihn auch in der Passagierkabine hören konnte, »ich glaube, wir haben die Riesen jetzt so gereizt, daß ih nen der Schaum vor dem Mund steht, aber noch nicht bis zu dem Punkt, wo sie wirklich anfangen könnten, mit tödlicher Präzision zu denken. Wir haben ihnen nur Nadelstiche versetzt. Wir haben ihnen Grimassen geschnitten. Jetzt brauchen wir eine Portion Glück. Ich hatte das wirklich nicht tun wollen, aber nachdem sie versuchten, uns zu Tode zu trampeln –« Er hielt inne und sagte bloß noch: »Jetzt müssen wir uns die Daumen drücken!« Er wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. Je der, der ihn kannte, wußte, daß das, was er jetzt tun würde, sein tödlicher Ernst war. Für Menschen, die den Flug in extremen Höhen nicht gewöhnt sind, ist es immer wieder erstaunlich, ein wie großer Teil der Erdoberfläche normalerweise von Wolken bedeckt ist. Es ist oft schwierig, selbst die
auffälligsten Umrisse von Land und Meer zu erken nen, weil so viele Wolken dazwischen sind. Trotzdem hatte Steve eine ungefähre Vorstellung von den Landmassen, die die Spindrift überquert hatte. Sein Wissen hatte große Lücken, aber er hatte entschieden, daß es ausreichte. So verließ er zum viertenmal seine Kreisbahn und veränderte dabei das Antriebsgeräusch der Spindrift etwas, um die Riesen zu täuschen. Er wollte damit gleichzeitig sein Flugmanöver erklären und den Rie sen eine Freude machen. Und das war ganz leicht. Er brauchte nur den Antriebsschalter etwas anders zu stellen. Als die Spindrift diesmal herunterkam, stotterte ihr Antrieb. Als die Riesen sie zuerst entdeckten, schien der Antrieb normal zu funktionieren, und die Riesen, die nach irgendwelchen Anzeichen von Störungen Ausschau hielten, wurden enttäuscht. Und dann ver stummte der Antrieb – stotterte – und sprang wieder an. Die Riesen wußten, daß die Spindrift keine Rakete war, aber sie wußten nicht, wie ihr Antrieb wohl klingen mochte, wenn er anfing auszufallen. Aber in den nächsten Minuten glaubten sie, eben das feststel len zu können. Das kleine Schiff kam etwa auf dem achtzigsten Grad nördlicher Breite aus der Kreisbahn. Sie flog nach Süden. Bis sie den fünfundsiebzigsten
Breitengrad erreicht hatte, waren bereits Raketen auf sie gerichtet, die diesmal eine neue Taktik anwenden sollten. Es stand praktisch eine unbegrenzte Anzahl von Raketen zur Verfügung. Als die Spindrift den siebzigsten Breitengrad er reichte, hatten zwölf Raketen ihre Verfolgung aufge nommen und versuchten jetzt gemeinsam mit ihr Selbstmord zu begehen. Sie versuchte auszuweichen, und ihr Antrieb klang immer unregelmäßiger. Und dann summte er wieder gleichmäßig und sonor, so als wäre der Schaden behoben. Etwas weiter südlich fing es von neuem an. Jetzt hat te sie bereits eine Eskorte von zwei Dutzend fliegenden Bomben, die nur unweit hinter ihr dahinzogen. Sie ver fügten über ein neues Steuersystem, das Zusammen stöße verhindern sollte. Sie konnten nicht miteinander kollidieren, lediglich das Antriebsgeräusch der Spin drift überlagerte alle Sicherheitsschaltungen, falls die Rakete nahe genug an das Schiff von der Erde heran kam. Und hier zeigte sich ein Fehler eines unbekannten, aber übereifrigen Riesentechnikers. Eine der Raketen, die zu dieser feinen Unterscheidung fähig war, war in diesem Punkte falsch programmiert. Demzufolge flog sie hinter der Spindrift her, vermied es aber peinlich, sich ihr oder einer der anderen Robotbomben zu stark zu nähern. Sie flog daher am Rande der Verfolger und war auf diese Weise völlig nutzlos.
Über einer bisher nicht besuchten Stadt fing der Antrieb der Spindrift wieder an zu stottern. Man konnte sie auf einer Flughöhe von sechstausend Me tern sehen, umgeben von einem Schwarm fliegender Bomben. Ihr Antrieb stotterte, und es schien, als wäre ihre Geschwindigkeit unregelmäßig, als flöge sie einmal etwas schneller als die Raketen und schien dann wieder zurückgerissen zu werden, wenn ihr Antrieb aussetzte. Und jedesmal sackte sie dann nach unten durch. Es sah wirklich sehr schlimm für sie aus. Als sie die Stadt mit den Viehpferchen passierte, flog sie noch höchstens fünftausend Meter hoch, und in diesem Augenblick tauchte eine wahre Wolke von Raketen auf, die ebenfalls nur ihre Vernichtung zum Ziel hatten. Sie schienen die Spindrift ringsum zu um geben. Vielleicht war das System, das Zusammenstö ße vermeiden sollte, eine Spur zu wirksam, und die Raketen schafften es nicht, der Spindrift nahezukom men, weil sie gleichzeitig vermeiden mußten, einan der selbst nahezukommen. Trotzdem schien die Le benserwartung des kleinen Schiffes von der Erde sehr gering, als die Masse von Flugobjekten im Süden den Blicken der Stadtbewohner entschwand. Aber die Spindrift verfügte noch über eine Mög lichkeit, die die Riesen bisher noch nicht gesehen oder vielleicht auch nur nicht erkannt hatten. Sie verfügte über einen Notantrieb mit einer Beschleunigung von
drei g. Sie konnte plötzlich beschleunigen und damit vor ihren Verfolgern davonziehen. Und das tat Steve. Trotzdem stotterte der Antrieb weiterhin und ermu tigte die Riesen, jede einzelne verfügbare Raketen bombe auf ihrem Planeten zu starten. Als sie den Äquator des Planeten überflog, manövrierte sie fie berhaft in unzähligen Schwärmen von Raketen. Es ge lang Steve sehr gut, den Eindruck von Panik zu er wecken. Und immer mehr Raketen tauchten auf und schlossen sich der Jagd an. Eine einzige Rakete war schon deutlich hörbar, und hier flogen Dutzende, Hunderte von Raketen, deren Motoren mit voller Lautstärke brüllten. Sie tanzten am Himmel wie eine Wolke von Mücken, bloß daß jede einzelne Rakete etwa fünfzehn Meter lang war. Und immer mehr tauchten auf. Man konnte ihre Zahl gar nicht mehr abschätzen. Die Spindrift schoß in den Himmel, als wäre der Mann, der sie steuerte, verzweifelt und sähe keinen anderen Fluchtweg mehr. Ihr Antrieb stotterte. Wären die Raketen von Riesen gesteuert worden, so hätten sie zweifellos be merkt, daß die scheinbare Störung im Antriebssystem immerhin nicht dazu führte, daß sich ihr Tempo ver ringerte. Das Gegenteil war der Fall. Der Vorsprung, den sie vor ihren Verfolgern gewann, wurde immer größer. Einmal setzte der Antrieb völlig aus. Fünf Se kunden lang, die wie Ewigkeiten erschienen, verhielt
sie im Fluge. Schon hatte es den Anschein, als wolle sie in das Rudel ihrer Verfolger zurückfallen, um dort sofort vernichtet zu werden. Aber dann war das gleichmäßige Summen wieder zu vernehmen. Und plötzlich sagte Dan ärgerlich: »Was zum Teufel – wie lange soll ich das denn noch machen? Es sind alles Roboter, und es kommen keine mehr. Ich brauche sie nicht mehr länger zu täuschen.« Er hatte den Antriebsschalter immer wieder vorund zurückgeschoben, um die Roboter zu ermutigen, sie dazu zu veranlassen, weitere Roboter hochzu schicken, damit sie ihren Anteil an dem kommenden Sieg hatten. Er hatte den Anschein erweckt, als funk tioniere ihr Antrieb nicht mehr richtig. Aber in den Raketen gab es keine lebenden oder intelligenten We sen, nur Roboter. Also meinte Steve trocken! »Am Anfang war es eine gute Idee, Dan. Es hat sie dazu ermutigt, Raketen zu starten. Und Schaden hat es oh nehin keinen angerichtet. Es muß eine Menge Riesen geben, die auf unser Antriebsgeräusch achten. Sie lauschen jetzt und freuen sich und erwarten, daß un ser Motor jeden Augenblick völlig versagt. In den letzten Stunden hast du sie glücklich gemacht, Dan.« »Und was kommt jetzt?« brummte Dan. »Wir fliegen weiter, und unsere gewissenhaften Verfolger hoffen, daß sie uns einholen und mit uns detonieren können. Wie hoch sind wir denn jetzt?«
Dan sagte es ihm. Sie flogen von Minute zu Minute schneller. Auch das Tempo der Raketen nahm in dem Maße zu, wie sie sich von dem Planeten entfernten. Steve blickte in den Heckbildschirm. Jede einzelne der sie verfolgenden Raketen zog einen Flammenschweif hinter sich her. Aber es hatte den Anschein, als ginge eine der Flammen jetzt aus. »Vielleicht habe ich es falsch eingesetzt«, sagte er de primiert. »Die Spindrift flog in zweiundvierzig Minuten von Los Angeles nach London, aber unser Energievor rat reicht acht Stunden. Das ist ein reichlicher Sicher heitsfaktor. Diese Raketen sind für die Beförderung von Post bestimmt. Jetzt sind sie noch dazu mit Explo sivstoffen vollgestopft. Wenn sie einen niedrigen Si cherheitsfaktor haben, dann haben wir Pech gehabt!« Inzwischen war es Nachmittag geworden. Man konnte die beiden Monde im Osten aufgehen sehen. Die Welt unter ihnen zeigte sich bereits deutlich als Globus. Der Abstand zwischen dem Planeten und seinen beiden Satelliten war wesentlich geringer als der zwischen Erde und Mond. Ein Schwarm von Ra keten folgte der Spindrift in die Unendlichkeit. Viel – sehr viel – hing davon ab, wieviel Treibstoff die Ro botbomben in ihren Tanks hatten. Wilson kam ins Cockpit. Er reichte Steve einen Zet tel. »Ich habe einige Werte willkürlich gewählt«, er klärte er. »Ist es das, was Sie wollten, Steve?«
»Haben Sie die Mitte angepeilt?« wollte Steve wis sen. »Praktisch betrachtet, ja«, sagte Wilson. Und dann fügte er hinzu: »Wir haben immer noch Nordlichter. Sie sehen Spuren davon hinter der Sonnenunter gangslinie.« Steve blickte sich nicht einmal um. Er sah das Pa pier mit gefurchter Stirn an. »Wir brauchen noch etwas zusätzliche Geschwin digkeit«, sagte er langsam. »Ich muß mich beeilen. Ich glaube, eine Rakete ist bereits ausgebrannt.« Wilson ging wieder hinaus, und Steve sah auf das Papier. Er lenkte den Bug der Spindrift herum. Die Zeit verstrich. Hinter der Spindrift erlosch eine Raketenflamme. Die Minuten zogen dahin. Weitere Roboter starben. Zu Dutzenden wurden aus den Ra keten jetzt antriebslos dahinrasende Gegenstände, die nur dem Trägheitsprinzip folgend ihre Bahn zogen. Jetzt brannten nur noch ganz wenige Raketenflam men. Und als die letzte erlosch, schaltete Steve den Antrieb der Spindrift ab. Was jetzt folgte, war ermü dend. Die Spindrift zog ihre schweigende Bahn und entfernte sich immer weiter von der Welt der Riesen. Sie brauchte ihren Antrieb jetzt nicht. Steve schaltete die Ladevorrichtung ein. Im Schiff herrschte keine Schwerkraft mehr. Es blieb ihm jetzt nichts anderes als zu warten.
Viel viel später tauchten dann die beiden Monde vor ihnen auf. Steve schaltete den Antrieb wieder ein und begann das Bremsmanöver. Und dann schwebte die Spindrift über dem größeren der beiden Monde. Ihren Blicken bot sich eine verbrannte, trockene, leb lose Fläche. Der Horizont war nur einen Kilometer entfernt. Hier hatte es noch nie Leben gegeben. Nicht einmal Spuren vulkanischer Aktivität waren zu se hen. In großen, immer weiter werdenden Kreisen jag te Steve über dem Satelliten dahin. Sein Blick begann ängstlich zu werden, schließlich sogar verstört. Und dann sah er das, was er gesucht hatte. Es war eine künstliche Struktur. Verglichen mit dem Mond selbst, war sie klein, aber nach allen anderen Grö ßenmaßstäben war sie gigantisch. Da waren Säulen und ein Dach und eine hohle Schüssel, wie die in der Stadt mit der Lichtsäule. Das war das andere Ende des Energiestrahls, von dem die Zivilisation der Rie sen abhing. Man hatte dieses Gebäude hier errichtet, aber wie, das konnte niemand ahnen. Es war nicht praktisch, Raketen zu bauen, in denen Riesen beför dert werden konnten, aber hier mußte man es getan haben, um dieses Ziel zu erreichen. Es war eine un vorstellbare Leistung. Steve sagte nichts, aber er wirkte sehr erleichtert. Die Spindrift schwebte über der Konstruktion. »Alles anschnallen!« sagte er. »Wir drehen um.«
Er wartete ein paar Augenblicke. Dann öffnete sich die Außenluke des Heckabteils. Die Spindrift drehte sich um ihre eigene Achse, ein Manöver, für das sie nicht konstruiert war. Die Felsbrocken und Steine im Heckabteil fielen heraus. Sie begannen, auf den Mond hinunterzufal len. Sie fielen sehr langsam, weil die Schwerkraft des Mondes praktisch unbedeutend war. Steve starrte be sorgt zur Welt der Riesen hinüber. Er konnte die Ra keten sehen. Wie eine kleine Dunstwolke hingen sie im Weltraum. Nach langer Zeit erreichten die Felsbrocken die Struktur auf dem Mond. Sie prallten ab. Sie richteten keinen Schaden an. Steve zuckte die Achseln. Er hatte damit gerechnet, daß es auf dem Mond irgendein Ge bilde geben mußte, mit dem der flammende Strahl in Verbindung stand. Und das gab es auch. Er hatte vorgehabt, es mit Felsbrocken zu bombardieren und damit außer Funktion zu setzen. Das ging nicht. Aber zumindest hatte er es versucht. Und jetzt entfernte sich das Schiff schnell. Er war bereits Hunderte von Kilometern entfernt, als die erste Rakete der Riesen landete. Alle landeten sie. In solchen Mengen prallten sie auf, daß ihre Explosionen den Anschein erweckten, eine neue Sonne erwache hier zum Leben. Willkürlich über die ganze dem Planeten zugewandte Halbkugel des
Mondes verteilt, landeten sie. Und von den Explosio nen der Raketenbomben stiegen Staubfontänen auf, in denen sich das grelle Licht der Explosionen spiegelte, daß es aussah, als habe der Mond sich vergrößert. »Übernimm du das Steuer, Dan«, sagte Steve grimmig. Er ging in die Passagierkabine. Bettys Gesicht war weiß. Sie sah Steve an und befeuchtete ihre Lippen. Valerie versuchte gelassen zu blicken. Aber es gelang ihr nicht. Barrys Augen waren groß und verängstigt. Marjories Ausdruck war völlig starr. Fitzhugh nickte Steve zu. »Da haben Sie ja etwas angerichtet«, stellte er fest. »Wenn ich gewußt hätte, was Sie vorhaben, hätte mich das zu Tode geängstigt. Sagen Sie mir bloß nie, was Sie vorhaben, ehe es vorbei ist!« »Die Riesen haben jetzt keine Elektrizität mehr«, stellte Steve grimmig fest. »Ihr Energiesystem ist ver nichtet. Sie hatten Angst, daß wir das tun würden – haben wahrscheinlich schon von dem Augenblick an damit gerechnet, in dem sie erfuhren, daß die Spin drift in der Lage war, in den Weltraum zu fliegen. Sie hatten solche Angst davor, daß wir es tun könnten, daß sie uns dazu brachten, es wirklich zu tun.« Er schluckte. »Jetzt haben sie keine elektrische Energie. Sie müssen ihre Fabriken auf Dampfbetrieb umstellen und ihre Beleuchtung auf Öl. Jede einzelne Maschine,
die an das planetare Kraftnetz angeschlossen ist, kann man jetzt als Schrott betrachten. Sie werden hundert Jahre zurückfallen, und der größte Teil ihrer Wissen schaft hat jetzt keine Bedeutung mehr. Aber sie haben uns dazu gezwungen!« Wilson wandte sich von einer Luke ab, durch die er hinausgeblickt hatte. »Die Aurora«, sagte er. »Hier ist sie. Wir konnten sie nicht sehen, weil keine Luft da war. Aber im Staub sieht man sie ganz deutlich!« Steve blickte hinaus. Und er sah etwas, was vor ihm – mit Ausnahme Wilsons – noch keines Men schen Auge gesehen hatte. Hier in der Leere, wo nicht die geringste Spur von Luft oder Gas war, wirbelten die Staubwolken, die sich von der Oberfläche des Mondes erhoben hatten. Und sie bildeten ein nebel haftes Rohr, dessen Öffnung Kilometer durchmaß. Die Substanz dieses Rohres war Staub. Er wirbelte wie eine Windhose. »Das ist die Raumfalte«, sagte Wilson und schluck te. »Wenn wir hineinfliegen, könnten wir – wäre es möglich, daß wir vielleicht –« Die Spindrift drehte sich schnell um ihren Masse schwerpunkt. Dan im Cockpit hatte den Drei-gAntrieb eingeschaltet. Der plötzliche Satz, den das Schiff machte, warf Steve um. Er taumelte zwischen den Passagiersitzen.
Und als er wieder auf den Beinen stand, beschleu nigte die Spindrift nicht mehr. Man hatte überhaupt nicht den Eindruck, daß sie sich bewegte. Vor den Sichtluken war nur absolutes Schwarz. Es gab keine Sterne, keine Sonne, kein Nichts. Es war ein Phäno men, das ihnen nicht neu war. Sie alle hatten es schon erlebt. Steve hatte das einen Stasiszustand genannt. Die Spindrift würde jetzt überhaupt nicht mehr auf das Steuer reagieren. Ihre Instrumente würden nichts melden, außer dem aufgespeicherten Energievorrat – die Akkumulatoren waren voll aufgeladen. Das war die Raumfalte. Irgendwann würden sie wieder von der Raumfalte ausgestoßen werden und dann würde vielleicht der Planet Erde nicht mehr unerreichbar weit sein. Aber ebensogut war es möglich, daß es nicht dazu kam. Dan kam aus dem Cockpit. Er sah Steve an. »Okay, Steve! Ich hab's getan! Keiner von uns war bereit, das Risiko einzugehen. Aber was soll's! Unsere Akkumu latoren sind voll, wir haben Lebensmittel, und wir wissen, was um uns herum vorgeht, und wir haben sogar zusätzliche Luft, falls es länger dauert, als wir angenommen haben.« Steve nickte. »Ich wollte keinen zwingen.« Er wußte, was in den nächsten paar Stunden ge
schehen würde. Nichts. Er setzte sich neben Betty und lächelte ihr zu. Eigenartigerweise wirkte er er leichtert. »Ist es dir wirklich recht, Steve?« fragte Betty ängst lich. »Dan hat mich gefragt, ob wir das Risiko einge hen sollten, wenn sich uns die Gelegenheit böte, und ich habe ja gesagt. Aber war das richtig?« »Völlig«, sagte Steve, was allerdings nicht sehr überzeugend klang. »Wilson ist in solchen Dingen ei ne Autorität. Er wird dir sagen, daß er eine Menge über Raumfalten in Erfahrung gebracht hat, und alles sei in Ordnung, und wir befänden uns in besserer La ge als je zuvor. Stimmt's? Wilson?« Wilson wirkte ganz ruhig. »Oh, natürlich«, sagte er. »Alles ist in Ordnung. Wir werden am anderen Ende aus dieser Raumfalte herauskommen – ganz in der Nähe der Erde. Wir brauchen uns wirklich über nichts Sorgen zu machen.« Betty sah ihn voll Hoffnung an. Als er geendet hat te, blickte sie strahlend zu Steve hinüber und so be merkte sie nicht, daß Wilson den Kopf abwandte, damit keiner hörte, was er sagte. »Vielleicht«, sagte er.