KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D KU LTU RK U N D L I C H E H E F T E
HEINZ
SPONSEL
...
66 downloads
661 Views
1MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D KU LTU RK U N D L I C H E H E F T E
HEINZ
SPONSEL
IM GOLD LAND DER INKA DER
UNTERGANG
DES R E I C H E S D E R S O N N E
Digitally signed by Mannfred Mann DN: cn=Mannfred Mann, o=Giswog, c=DE Date: 2005.03.04 17:08:27 +01'00' Signature Not Verified
VERLAG SEBASTIAN LUX M U R N A U • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • OLI-EN
f eh eimnis volle Schleier verhüllten das Land jenseits des VJT unermeßlichen Ozeans, von dem Christoph Columbus die erste Nachricht nach Europa gebracht hatte. Es war in jenen Tagen, da in der freien Reichsstadt Nürnberg Albrecht Dürer malte und in Italien Leonardo da Vinci und Michelangelo am. Werke waren. Veit Stoß und Tilman Riemenschneider schnitzten ihre unsterblichen Statuen. Berühmte Meister bauten an den Domen von München und Salzburg, an •den Rathäusern von Löwen und Brüssel. Es war die Zeit, in der kühne Seefahrer und unerschrockene Entdecker sich immer weiter über die unbekannten Weltmeere wagten und neue wundersame Berichte von seltsamen Ländern und andersfarbigen Völkern die Menschen in allen Teilen Europas erregten. Mit heißem Herzen hörten die Männer von den Abenteuern in der lockenden Weite, und gar mancher sah nachts in den Himmel voller Sterne, und die Sehnsucht trug ihn zu den neuentdeckten Inselwelten. In den Schenken Spaniens saßen die Werber, wilde, wüste Gesellen, und klimperten mit den Geldstücken, die sie in prall gefüllten Lederbeuteln trugen. Der blutrote süße Wein schimmerte in den Gläsern, die nicht leer wurden. Mit hochroten Gesichtern und glänzenden Augen lauschten die Männer, die an den Tischen saßen, den prahlerischen Erzählungen der / Seefahrer: „Zweimal waren wir schon drüben in der Neuen Welt. In wenigen Wochen segeln wir zum dritten Male mit Franzisco Pizarro hinüber. Und wenn wir dieses Mal in die spanischen Häfen heimkehren, sind wir steinreiche Leute. Ganz Spanien kaufen wir auf mit dem Golde, das drüben in Peru auf der Straße liegt. Nur zu bücken braucht ihr euch, und ihr habt alle Taschen voll von Gold!".
Das Zauberwort „Gold!" war gefallen. Im schmalen Hofe der Schenke stand ein Helfer der Werber und schwang etwas Grelles in der braungebrannten Hand. Die Männer ließen alles stehen, Essen und Wein, und stürzten hinaus. Ein seltsames Tierbild starrte sie an. Es war pures Gold, wundervoll geformt und geglättet. Wie ein Rausch kam es über alle. Das goldene Gebilde verzauberte sie. Niemals zuvor hatten sie irgendwo in Europa gleiches gesehen. Ein anderer in einer Nische begann ein Lied zu singen, und sie lauschten atemlos den seltsamen fremden Klängen: „Chancata, apamuy, huahohuate, rurachun, ishcaita, quimsate, cojudo limeno c h u r y i ni nampa." Die Werber eilten von Tisch zu Tisch, entfalteten die Pergamentrollen, holten Federkiel und Tinte aus den weiten Falten ihrer Gewänder und hielten sie den von Wein und Gold Betrunkenen hin: „Schreibt eure Namen her! Was überlegt ihr noch?" „So schreibt erst mal den euren hin", erwiderte einer, der noch klaren Sinnes schien. „Wer weiß, was ihr uns vorflunkert! Wer weiß, ob uns nicht Steine und Hunger erwarten und Tod statt Gold, Gold und immer wieder Gold!" In einer Ecke erhob sich ein anderer, dessen tiefgebräuntem Gesicht man ansah, daß er viel in der Welt herumgekommen sein mochte: „Unterschreibt nicht!" rief er. „Wer ist schon dieser Franzisco Pizarro? Ein Schweinehirt, der Sohn einer niedrigen Frauensperson! Ich bin mit ihm auf seinen ersten beiden Zügen gewesen. 1524 war es! An einem Novembertag sahen wir die Berge an der unbekannten Küste steil in den Himmel wachsen. Zwölf tausend Fuß und mehr! Sieben lange, quälende Monate hielten wir auf einer einsamen Insel aus, weil wir uns nicht hinübertrauten. Wir hatten kaum noch zu essen, kaum noch zu trinken. Fleisch von Schlangen mußten wir fressen, um nicht zu verhungern. Was hilft da Gold? Konnten wir von ihm etwas herunterbeißen?" Die Werber überschrien den Abenteurer. Jene, die zu einer Unterschrift bereit waren, wurden wankend. Jede Unterschrift aber brachte den Werbern Pizarros Geld. „Warum laßt ihr ihn nicht reden? Habt uns wohl hinters Licht führen wollen?" schrie da ein hünenhafter Mann.
Ausfahrt Pizarr&s nach. Peru (Aus dem Geschiditswerk des Zarata von 1563)
Auf demselben Weg, den auch Columbus über das Weltmeer genommen hatte, erreichten die Abenteurer die Landenge von Mittelamerika, und in schnellem Marsch wurde sie durchquert. Sie ließen einige Segler bauen, um mit ihnen über das zweite Weltmeer, den Stillen Ozean, die ersehnte Küste des Goldlandes Peru anzusteuern. In der Nahe der schön gelegenen Inka-Meerstadt Tumbez warfen die kleinen Segler ihre Anker in den sandigen Grund, und ungehindert konnten die Boote an Land gebracht werden. Die Einwohner waren vor den riesigen fremden Vögeln, für die sie die Segler Pizarros hielten, geflohen. Auf der Uferhohe lagen vereinsamt die Hauser der Stadt. Sie waren sauber aus Erdziegeln gebaut, aus gebranntem Lehm, der sich in Massen an der Küste fand. Die Gemächer öffneten sich in einen Hof, der in der Mitte lag, und in dem dammrigen Licht, das durch die Türen herausdrang, blinkten Gefäße aus Kupfer und buntem Ton.
„Weiter! weiter!" dröhnte es in wirrem Wirbel durcheinander. „Was soll ich noch viel erzählen?" fuhr der Mann nun fort. „Wollt ihr Gold, gut, so fahrt mit Pizarro ins Goldland der Inka. Ist euch euer Leben lieber, bleibt, wo ihr seid. Lieber arm, aber ehrlich als reich und verdorben! — Einmal, in der qualvollen Zeit auf der Insel, kam ein Priester der Inka zu uns und machte uns eine dunkle Prophezeiung." „Die wollen wir hören!" „Ihr sollt sie hören!" — Mit seiner dunklen Stimme sprach er: „Ihr Fremden werdet ewig unglücklich sein. Ihr kommt zu uns, weil ihr meint, hier zu finden, was ihr in eurem fernen Lande nicht besitzt. Ihr wollt unsere Schätze. Aber ihr gleicht einem Wanderer, der von der Ferne ein Gebirge sieht. Ihr seht die blauen Gipfel und die grünen Hänge, aber ihr vergeßt die tiefen Schluchten und die giftigen Schlangen der Täler. Ihr sucht das Glück, aber um unser Glück kümmert ihr euch nicht. So werdet ihr verlieren, was ihr besitzt. Wißt ihr nicht, daß das Glück eines anderen ein flüchtiger Vogel ist, den niemand erjagen kann?" — Noch während der Mann redete, hielten es die Werber für besser, sich auf und davon zu machen. Sie fluchten vor sich hin und dachten voller Ärger an die klingenden Münzen, die ihnen in den Händen zerronnen. Dann schwangen sie sich in die Sättel ihrer Pferde und trabten zur Stadt hinaus, galoppierten über die nächtliche Landstraße, um anderswo ihr Glück zu versuchen. Den Werbern waren im Laufe der Zeit hundertachtzig Mann ins Garn gegangen, darunter waren vierzig Reiter. Alles Abenteurer, die nichts zu verlieren hatten und eine Welt zu gewinnen hofften. Man schrieb das Jahr 1531, als Franzisco Pizarro mit dieser bunt zusammengewürfelten Schar und ein paar alten Geschützen erneut von Spanien aufbrach. Kaiser Karl V. von Spanien hatte dem wagemutigen Seefahrer den Titel „Generalkapitän" verliehen und ihm die Zusage gemacht, er werde Gouverneur des fremden Reiches, wenn er es erobere und seine Goldschätze herüberschicke. Denn man brauchte Geld in Spanien. Die Provinzen litten Not, und die afrikanischen Händler, von denen man Getreide kaufen mußte, wußten zu fordern. Der lange Krieg gegen die Araber im Süden Spaniens hatte die Kassen geleert und in den Städten und Dörfern den Reichtum der Bürger zerschmolzen. |
Droben am Fels stand ein steinerner Tempel von wundervoller Schönheit. Durch ein einziges Fenster strömte das Licht in einen hohen rechteckigen Raum. Der ganze Glanz der Sonne spiegelte sich in einer goldenen Scheibe, die dem Fenster gegenüber hing. Rechts und links standen in den Nischen silberne und goldene Figuren, sie schimmerten, daß die Augen schmerzten. Selbst die verwegenen Abenteurer Pizarros konnten sich der geheimnisvollen Schönheit dieses Anblicks nicht entziehen. War es die heidnische Gottheit, vor der sie erschraken? War es die Heiligkeit und die Weihe des stillen Raumes? Solche Wunderdinge hatte bisher noch kein Auge eines Europäers gesehen. Die Weißen ahnten, daß sich ihnen auf ihrem Zug in das Innere dieses Landes, das die Einwohner BIRU nannten, eine neue fremde und reiche Welt aufschließen werde: das Goldland, nach dem in jener Zeit die Sehnsucht Unzähliger ging und das der Admiral des Ozeans, Christoph Columbus, vor 40 Jahren vergebens gesucht hatte. Ein Inkabauer, den die Eindringlinge gefangengenommen hatten, wurde verhört: „Wo liegt die Stadt, in der dein König regiert?" „Fünfzig Tagfahrten von hier liegt die heilige Stadt wie ein Puma über den weiten Hügeln.'" •'- . <• .-•'''" „Kennst du sie?" •> < ^ „ „Meine Knie haben den Boden des Sonnentempels berührt." „Was weißt du von den Schätzen, die deinem Sonnengott gehören?" Die Gier nach Gold funkelte aus den Augen des spanischen Hauptmanns, der diese Fragen stellte. „Die Wände sind mit goldenen Platten gedeckt. Auf goldenen Thronen sitzen die Herrscher des Landes. Im heiligen Haus schwebt die Scheibe der Sonne. Wer sie ansieht, ist geblendet." „Wie reich ist dein König?" „Alles gehört ihm." Feuerfarbene und grünrote Vögel jagten am Himmel dahin. Sie trugen die Namen Felsenhähne und Abendsterndiener. Der schönste aber war Fraponga, ein Vogel, der einen Glockenschlag von sich gibt, als spiele er mit einem feinen Hämmerchen auf einem silbernen Amboß. In der Ferne dämmerten die hohen wilden Anden wie eine unüberschreitbare Mauer.
Der Indianerkönig, wie die Spanier den Inka hießen, residierte gewöhnlich in der Hauptstadt Cuzco, hatte sich aber in jenen Tagen zu einer Badekur nach Cajamarca begeben. Diese Stadt war das erste Ziel Pizarros. Die Spanier trugen dicke Wollkleider und darüber verrostetes Eisenblech und schwere plumpe Waffen. Unbarmherzig brannte die Sonne auf diese Handvoll Söldner. Der Mann, der sie anführte, der Schweinehirt und „Generalkapitän" Pizarro, konnte weder lesen noch schreiben und hatte dennoch im Sinne, bis zu dem unumschränkten, abgöttisch geliebten Herrscher dieses riesigen Reiches vorzudringen; selbst das kriegsgewöhnte Inkaheer, das über zweihunderttausend Mann verfügte, schreckte ihn nicht. Mit List oder mit Gewalt, so brüstete er sich vor seinem Gefolge, werde er dieses Reich und seinen Goldreichtum in seine Hand bekommen. Wie ein Wegelagerer die kostbare Fracht einer Kaufherrenkarawane ausplündert, so werde er sich seine Beute holen. Das Land erwies sich schon nach einigen Tagesmärschen als eine einzige natürliche Festung. Die Anden schienen sich bis in den Himmel zu türmen. Urwald wurde von der Felsenwildnis der Kordilleren abgelöst, und immer trostloser wurde das Gestein, immer einsamer das Land. Zuletzt zog nur noch der mächtige Kondor in gewaltiger Höhe seine Kreise über einer unabsehbaren Wildnis. Pizarros Häutlein, Abenteurer, Galgenvögel, alte Haudegen, einige entlassene Galeerensträflinge dazwischen, schleppte sich durch diese peruanische Steinwüste, zermürbt von der Tropenhitze und bis ins Mark frierend im Eiswind der Höhen. Oft mußten sie sich mit plumpen Säbeln einen Weg durchs Dickicht schlagen, und niemand wußte, was hinter dem nächsten Felsen lauerte. Keiner war in diesem rätselhaften Lande des Weges kundig, da die Einwohner vor ihnen zurückwichen. Die Mannschaft murrte, und nicht wenige gab es, die schon in diesen ersten Tagen genug hatten vom Goldland,^ das sie sich in den schillerndsten Farben ausgemalt hatten. Daß der heruntergekommene Haufen nicht davonlief, verhinderte allein die eiserne Zähigkeit Pizarros. Er trat vor die Entmutigten, zog seinen Degen, zeichnete einen Strich in den Sand und rief: „Männer Spaniens, diese Linie hier bedeutet alle die Mühen, Sorgen und Leiden, die auf unserem Wege lagen und uns noch erwarten. Wer genug Mut hat, trete über diese Linie zu mir
herüber. Hier findet er Ehren und Gold. Wer ein Hasenherz hat, der mag in des Teufels Namen umkehren zu den Schiffen und sich heimfahren lassen zu Weib und Weinkrug!" 1 Da besannen sich die Männer; denn die Sucht nach Gold war stärker in ihnen als alle anderen trüben Gedanken. So hielten sie weiter zusammen. Ist es doch unter den Goldsuchern ein alter Spruch: „Gold hat einen scharfen Geruch." Das Gold des Inkareiches aber war in aller Welt ruchbar geworden. Freilich, der Inka, seine Priester, Krieger und Beamten konnten nicht ahnen, daß die Gier nach diesem Gold die weißhäutigen Fremden in das Land geführt hatte; denn für den Sohn des Inka bedeutete Gold etwas anderes als für den Europäer. Die Inkaleute freuten sich an seinem Glanz, an der strahlenden Reinheit des Metalles und an den schönen Formen, in die man es geprägt hatte, wie sich Kinder an glitzernden Kieseln freuen. Gold war für die Inka kein Geld. Um Gold und Silber konnte man im Inkareich nicht eine einzige Zitrone kaufen. Für das Häuflein der Weißen wurde diese Ahnungslosigkeit zur Rettung. Sie wären ohne weiteres dem Tode verfallen gewesen, wenn man auch nur vermutet hätte, daß sie Recht und Besitz des Landes anzutasten beabsichtigten. So ließ man die seltsamen Fremden, deren Herannahen von den Kundschaftern gemeldet wurde, unbehelligt des Weges ziehen. Man war neugierig auf sie, der Ruf seltsamer Wesen ging ihnen voran, Wesen, die Barte trugen, die Blitz und Donner und „vierfüßige Schlangen" mit sich führten, für die man die Pferde ansah, und „sechsfüßige Menschen", für die man die Reiter hielt. So näherten sich Pizarro und seine kleine Truppe dem Landbesitz des Inkakönigs. Die Landschaft hatte sich überraschend verändert. Die trostlose Felsenwüste war zu Ende, die steilen Schluchten mündeten in ein weites, grünes, von mächtigen Hochgebirgen umrandetes Tal. Mitten in diesem Talgrund lag sonnenblitzend und silberweiß die-Stadt Cajamarca, in die von allen Seiten Straßen einmundeten. Nach sieben Tagen anstrengenden Marsches durch wasserloses Gelände waren die Spanier am ersten Ziel ihrer Sehnsucht. Im hellen Sonnenlicht war der große viereckige Platz mit dem königlichen Palast, den Säulenhallen und dem Sonnentempel zu erkennen. In Terrassen zogen sich wohlbebaute Äcker hoch die Berge hinan. Ein Stausee schimmerte glänzend auf. Kanäle, die wie mit der Schnur gezogen schienen, be-,
wässerten die Felder. „Seht das Reich dieser Wilden", rief einer aus der Schar der Spanier bei diesem Anblick. „Ist es nicht vollkommen? Haben wir in der Heimat drüben bessere Straßen, reichere Äcker und schönere Städte als diese hier im Land der Barbaren?"
Der letzte Inkakonig Atahualpa (Aus dem Werk des spanischen Weitreisenden Poma de Ayalai
Die Häuser waren nicht mehr wie drunten an der Küste des Ozeans aus Lehm oder Erde errichtet. Sie waren aus Steinen gebaut. Die Quadern schlössen sich ohne Fugen aneinander, obwohl sie weder Kitt noch Mörtel verband. Die Stadt Cajamarca lag verlassen, als die Fremden kamen. Sie konnten ja nicht wissen, daß die Städte im Land der Inka keine Städte im europäischen Sinne waren, sondern Residenzen, in denen der Hof des Inkaherrschers von Zeit zu Zeit Wohnung nahm. In solchen Zeiten strömte die umwohnende Landbevölkerung pilgernd herbei, um dort im Tempelbereich ihre religiösen Feste zu feiern. Hinter der Stadt hatten die Männer des Inkakönigs um ein einzelnes Gebäude ein Zeltlager aufgebaut, das die ganze Talebene bedeckte. Pizarro sandte eine kleine Gesandtschaft in das Lager der Indios. Nach mancherlei Zeremonien wurden die Spanier vor den sagenhaften Herrscher des großen Reiches geführt. Zum ersten Male standen Menschen aus Europa dem
geheimnisvollen König, dem Inka Atahualpa, gegenüber. Zwei Welten begegneten sich. Jedem war die Welt des anderen voller unbekannter Dinge. Dem Gefolge Atahualpas schienen das wunderliche Wesen zu sein, die sich da näherten. Menschen und Tiere waren in nie gesehener Verbindung. Rätselhaft waren die Pferde, die sich in den Fluß warfen, der das Tal durchzog, und ihn mühelos durchschwammen. Rätselhaft waren die schwarzen Rohre, die von rollenden Scheiben getragen wurden, gar seltsam auch die weißen Reiter mit ihren eisernen Gewändern, die den ganzen Leib fest umschlossen. Das Erstaunen der Spanier war nicht geringer. Um den großen Hof des Königslagers standen weite, rot bemalte Gebäude, Stufen führten auf gedeckte Gänge hinauf, Säulen mit prächtigen Verzierungen stützten das scharlachfarbene glänzende Dach. Menschen in bunten Gewändern erfüllten Vorplatz und Gänge. Viele gingen auch fast nackt und hatten Schultern und Arme mit zierlichen Mustern bemalt. Inmitten von adeligen Kriegern und Frauen, die in goldgestickten Kleidern umherstanden, unter einem Schutzdach von farbigen Federn saß in goldstrahlender Umhüllung eine Gestalt. Ein Vorhang verbarg sein Gesicht. Um den Hals hing an schmaler Kette die goldene Scheibe der Sonne. Um die Stirne war die Boria gewunden, das rote Zeichen der Herrscherwürde. Die Rechte hielt das Szepter. Erst als der Hauptmann der Spanier sich vor dem verhüllten Antlitz verbeugte, um es zu begrüßen, senkten die Frauen das Tuch. Das Gesicht, das sich zeigte, hatte nichts Menschliches mehr. Der Blick des Inka Atahualpa glitt über Menschen und Dinge hinweg und verlor sich in der unermeßlichen Ferne des Himmels, dem er nach dem Glauben des Volkes entstammte. Zwei schöne, junge Mädchen aus dem Geschlecht des Königs traten herzu, jedes zwei kleine goldene Gefäße in der Hand tragend. Eines von diesen Mädchen näherte sich dem König, grüßte ihn und reichte ihm ein Gefäß, während sie ein zweites dem spanischen Hauptmann darbot. Titu Autachi, der Bruder des Königs, ließ dem Spanier bedeuten, der König wünsche nach Inkabrauch mit ihnen zu trinken. Der Spanier verbeugte sich, ergriff seinen Becher und trank, und in gleicher Weise trank auch der König. Gleich darauf traten sechs Pagen und sechs Jungfrauen ein, die Früchte jeder Art, Maisbrot, Wein, den sie aus den Früchten des Mullibaumes zubereiteten, und feine baumwollene 10
Tücher trugen. Eines aus dem Kreis der Mädchen begrüßte die Gäste und sagte: „Kostet ein wenig von dem, was wir bringen!" Sie verstanden zwar nicht, was das Mädchen sprach — aber sie begriffen, was sie nieinte. Da verwunderten sich die Spanier sehr über die feine Gesittung dieses Volkes, das sie für Wilde gehalten hatten. Atahualpa hörte die Weißen an. Dann ließ er ihnen sagen, er gebe ihnen die Erlaubnis, im Palast von Cajamarca zu wohnen. Nach Abschluß der Fastenzeit werde er ihrer Einladung folgen und sie dort besuchen. Wie im Traum über das Geschaute kehrte die Abordnung zu den Gefährten zurück, mitten durch das stark bewaffnete Heer, das sie jeden Augenblick hätte vernichten können. Denn sie schienen, von der fernen Heimat durch ein wildes Gebirge und einen weiten Ozean getrennt, schutzlos und ohne alle Hilfe. Aber niemand tat ihnen etwas zuleide. Diese Unbekümmertheit der Inka aber bestärkte den Anführer der Spanier in seinem Plan, sich des Herrschers Atahualpa mit List oder Gewalt zu bemächtigen. *
'
''
/,'-\'
Strahlend ging die Sonne des 16. November 1532 auf. Es war der Tag, an dem die Spanier den Inkakönig im Palast von Cajamarca erwarteten. Atahualpa erschien mit zahlreichem Gefolge. Die ganze Pracht des Inkareiches entfaltete sich mit seinem Kommen. Der Tragsessel, auf dem er saß, war mit Gold und Edelsteinen ausgelegt. Vornehme Peruaner, geschmückt mit den bunten Federn der tropischen Vögel, gingen ihm zur Seite. Diener schwärmten voraus, um für den Sohn der Sonne, den göttlichen Inka, mit Federbüschen und Palmwedeln den Weg zu reinigen. Hinter ihm schritten festlich geschmückt, aber völlig waffenlos, ungefähr sechstausend Krieger. Kurz vor Sonnenuntergang erreichte der Inka den Platz vor dem Palast. Es fiel ihm auf, daß sich niemand von den'Spaniern nahte, den Sohn der Sonne willkommen zu heißen. Von den Fremden war nur ein sonderbarer Mann zu sehen, der in härener Gewandung auf ihn zuschritt. In der einen Hand hielt er ein Kreuz, in der anderen ein Buch. Es war der Mönch Valverde. Er sprach zu dem überraschten Inka in einer fremden Sprache. Der Inka verstand ihn nicht, und auch der Dolmetscher konnte die Rede nicht völlig verständlich machen. Von der Erschaffung der Welt sprach der Mönch und vom 11
Sündenfall der Menschen. Von dem Heiland am Kreuz und dessen Stellvertreter, dem Papst, der den Königen von Spanien einen Teil der Welt, darunter Peru, geschenkt habe. Das einzige was Atahualpa verstand, war, daß er den Glauben der Fremden annehmen und die Oberhoheit des spanischen Königs anerkennen solle. Ruhig erwiderte er, er sei bereit, Freund des großen Königs in jenem fernen Land zu werden, aber er könne niemals anerkennen, daß ein Fremder das Reich, das nur ihm, dem Inka, gehöre, als sein Eigentum beanspruchen wolle. Was jedoch den neuen Glauben angehe, so möge der Fremdling ihm zeigen, wo das alles stehe, was er behaupte. Valverde reichte dem Inka das Buch, und Atahualpa, in dessen Reich es überhaupt keine Schrift gab, geschweige denn ein Buch, sah erstaunt auf. Er nahm das Buch, blätterte darin und fand nur schwarze, unverständliche Zeichen. Er hielt es an sein Ohr und warf es verächtlich auf den Boden: „Es spricht nicht! Es bleibt stumm", sagte er und sah zur Sonne, die schon den Horizont erreichte. „Es gibt nur einen Gott! Dort! Kannst du ihm ins Auge sehen?" Valverde hastete erschreckt über den Platz, man hörte seinen erzürnten Ruf: „Er warf das heilige Buch in den Staub!" In diesem Augenblick begannen die Spanier den heimlich verabredeten Überfall. Die versteckt aufgestellten Geschütze feuerten in den ahnungslosen Kreis der Indios. Gepanzerte Reiter fielen über das unbewaffnete Gefolge des Inka her. Don Franzisco Pizarro hatte es hauptsächlich auf die Person des Königs abgesehen, der von den Indios in dichten Scharen umgeben war. Ohne jede Gegenwehr suchten sie den Sonnensohn mit ihren Leibern zu decken. Ohne Erbarmen wurden sie niedergerannt. Pizarro selbst war der erste, der den König erreichte, ihn aus seiner Sänfte riß und zu Boden warf. Auf diese Weise wurde der König Atahualpa gefangen". In ihrer Bestürzung über die Gefangennahme des göttlichen Inka, der als unverletzlich und unbesiegbar galt, mußten die Indios glauben, daß die Weißen noch stärkere und größere, vielleicht sogar sechsbeinige Götter besaßen, oder gar selbst diese Götter waren. So verloren sie jede Hoffnung und wandten sich zu wilder Flucht. Da die Ausgänge des Platzes von Spaniern versperrt waren, rannten die Verfpigten gegen die den Platz umschließende Mauer an. Und so groß war die 12
Wucht der Fliehenden, daß sie ein großes Stück der Mauer niederrissen, um ins Freie zu gelangen, bis in die Nacht hinein von den Spaniern verfolgt. Dann begann die Plünderung. Die Spanier nahmen aus der Stadt, was ihnen gefiel. Sie füllten die Gebäude, in denen sie wohnten, mit bunten gestickten Gewändern und kostbarem Hausrat an. Bemalte Gefäße mit göttlichen Tieren, Vögeln, Schlangen und Pumas geschmückt, Schmuck aus Muscheln und Perlen, Götterbilder mit den fremdartigen Gesichtern, Bronzegeschirr und Urnen . mit Drachen und geflügelten Fischen raubten sie aus den Sälen und schleppten sie in ihre Quartiere. Mit erstaunlich edler Ruhe ergab sich Atahualpa in sein grausames Schicksal. Bald aber begriffen die Indios mehr und mehr, wonach den „Weißen Göttern" der Sinn stand. Da glaubten sie den Weg der Versöhnung zu kennen: Aus Tempeln und Schatzhäusem begannen sie Bilder und Gefäße aus edlen Metallen herbeizuschleppen. Der Inka aber bot ein Lösegeld. Er versprach Pizarro, er wolle sein Gefängnis, so hoch er mit der Hand zu reichen vermöge, mit Gold und Silber füllen, wenn man ihm die Freiheit wiedergebe. Das Gefängnis aber war siebzehn Fuß breit und zweiundzwanzig Fuß lang. Pizarro war einverstanden. Erfülle Atahualpa das Versprechen, so erwiderte er ihm, so werde er die Freiheit wiedergewinnen. Der Inka wandte sich an seine Untertanen. Bereitwillig schafften sie eine ungeheure Menge goldener und silberner Schätze herbei. Da aber viel Zeit darüber hinging, wurden die Spanier unwillig. Atahualpa aber erinnerte an die ungeheuren Entfernungen in seinem Reiche. Er schlug vor, einige Hauptleute abzusenden, die sich an allen Orten über die vorhandenen Schätze unterrichten sollten. Auf diesen Vorschlag gingen die Spanier ein. Der König gab den Auftrag, die Boten mit jeder nur möglichen Aufmerksamkeit zu empfangen und zu bewirten. Auf Befehl des Königs wurden sie in Hängematten von Stadt zu Stadt und von Tempel zu Tempel getragen. Überall traf man Menschen, die mit Hingebung und Eifer ihren Besitz zu den Sammelplätzen schafften. An einer Stelle sahen die Abgesandten Pizarros den Abhang eines Hügels im Glänze der Sonne wie von Gold leuchten, und näherkommend bemerkten sie, daß es goldenes und silbernes Gerät in großer Menge war, das dort zusammengetragen wurde, um als Lösegeld nach Cajamarca gebracht zu werden. Die Spanier setzten ihren Weg durch das Land fort und gerieten in immer größeres Er13
staunen über die Pracht der Gebäude. Nicht minder aber verwunderten sich die Indios über den Anblick der Fremden. Besonders fiel ihnen das eiserne Gebiß der Pferde auf, und sie vermuteten, daß ihnen dies zum Fressen ins Maul gelegt sei. Daher brachten sie Gold und Silber herbei und baten die Tiere, doch dieses glänzende Metall zu fressen, da es besser schmecke als Eisen. Die Spanier freuten sich weidlich über diesen Irrtum und forderten die Einwohner auf, noch weit mehr davon zu bringen und unter den Mais und das Gras zu legen; die Tiere würden das alles fressen. Als die Indios außer Sicht waren, verteilten die Europäer all diese Schätze unter sich. Ein Teil wurde auf die kleinen Segler drunten an der Küste des Ozeans gebracht und nach Sevilla geschafft, um die leeren Taschen des Kaisers Karl zu füllen. Als Pizarro sah, mit welcher Leichtigkeit solche Schätze zusammenkamen, erhöhte er das Lösegeld und forderte eine noch größere Summe als das erstemal. Wieder sammelte das treue Volk und gab alles her, um die Freiheit des Inka zu erkaufen. Auch dieser zweite Berg von Gold war in kurzer Frist aufgebracht. Und auch dieser zweite Berg bestand nicht aus geprägten Münzen, sondern aus Kunstgegenständen, Figuren, Gefäßen und Goldschmiedearbeiten der edelsten Art und von unschätzbarem Wert. Doch die unverständigen Weißen hatten keinen Sinn dafür, sie ließen alles, die aus Gold künstlich nachgeahmten Blumen der Palastgärten, die kostbar gehämmerten Fabeltiere, die goldenen Sonnen und die silbernen Monde der Tempel unbarmherzig zu Barren einschmelzen. Der alte Seeräuber Pizarro aber hatte inzwischen begriffen, daß er mit seiner kleinen Schar die errungene Macht nur dann behaupten konnte, wenn der Inka beseitigt war. Ein Grund war bald gefunden. Es wurde dem König Perus Verrat und Verschwörung vorgeworfen. Atahualpa verbrachte seine Tage in großer Sorge um sein Reich, als er die Habgier der Spanier erkannt hatte. Diese Angst mehrten neue Unglückszeichen, die , sich zeigten: zahllose große und kleine Sternschnuppen und ^.'vor allem ein riesiger grünschwarzer Komet, groß wie der Leib eines Mannes. Diese Himmelserscheinung zu sehen, ließ ' sich der Inka aus seinem Gefängnis führen und von da an " wurde er noch trauriger als bisher, so sehr ihn auch der scheinheilige Pizarro zu trösten versuchte. „Apu — Generalkapitän —", sagte er, „nun weiß ich gewiß, daß mein Ende nahe ist." 14,
In diesen letzten Tagen des Inka hatte einer der Fremden ein langes Gespräch mit einem indianischen Amauta — dies ist der Name für ihre Priester und Weisen. Als er zu seinen Gefährten still und nachdenklich zurückkehrte, war er tief beeindruckt und sagte zu ihnen: „Sie glauben an einen göttlichen Geist, den sie Viracocha nennen. Er hat Himmel und Erde erschaffen und ließ seinen eigenen Sohn Manco Capac Mensch werden, damit er die Menschen von Sünde und Not befreie. Sie sprechen auch vom ewigen Leben der Seele und sie glauben, daß nach dem Tode das Gute und das Schlechte, das sie auf Erden getan haben, vergolten wird. Am Feste Capacraymi werden in der Hauptstadt Cuzco den Gläubigen Brote gegeben. Sagt selbst, sind sie nicht fast wie wir Christen? Haben wir noch ein Recht, sie Heiden zu nennen?" Wenige Wochen später verurteilte ein klägliches Gericht den letzten Inka zum Flammentod. Vergeblich flehte der König, an seine Unschuld zu glauben. Als er sein Urteil vernahm, beklagte er sich bitter über Franzisco Pizarro, der erst versprochen habe, ihn gegen ein Lösegeld freizulassen und ihn dennoch töten wolle. Auf dem Wege zur Hinrichtung begnadigte man den König Atahualpa zur Garrotte, dem Tod durch Erwürgen. Nach zehnmonatiger Gefangenschaft, am 29. August 1534, wurde der letzte regierende Sohn der Sonne erdrosselt. Der Henker tat seine Arbeit. Als er sie vollführt hatte, gab es für die Menge der Indios kein Halten mehr. Die Wachen der Spanier wurden überrannt und der Tote seinen Mördern entrissen. Die Indios küßten ihm Hände und Füße. Ihr Klagen erfüllte den weiten Platz von Cajamarca so laut, daß es sich anhörte, als tobe ein Sturm ringsum durch die himmelhohen Anden. Als die Spanier den Platz mit Schwertern und Spießen säuberten, fanden sie, daß der edle Tote von mehr .als hundert Leichen umringt war, die zu seinen Füßen lagen. Es waren seine Getreuen. Sie bluteten aus Wunden, die sie sich selber geschlagen hatten. Als sie ihren Herrscher tot niedersinken sahen, hatten sie auch ihr eigenes Leben ausgelöscht.
15
N
ach der Hinrichtung Atahualpas brachen die Spanier nach der Hauptstadt Cuzco auf. Sie ritten durch Täler, über wild zerklüftete Berge, an Flüssen entlang. Zuweilen mußten sie einen Bergstrom überschreiten. Wo die Straßen eine Schlucht oder ein Gewässer überquerten, da hatten die Indios bequeme Brücken geschlagen. Die Spanier waren erstaunt, daß nur wenige dieser Talübergänge aus Stein gefügt waren wie die Brücken über den Tajo und Ebro und über die Bäche im heimatlichen Andalusien. Die meisten Brücken aber waren wie ein lederner Gurt von einer Talseite zur anderen gespannt. Wenn sie mit ihren Pferden hinüberritten, dann bebte und federte der Brückensteig verdächtig unter dem Hufschlag. Schon bald erkannten die Reiter, daß diese Bauwerke jeder Last standhielten, und sie machten sich einen Spaß daraus, in vollem Galopp darüberzusprengen. Als sie einmal einige Tage rasteten, um von den Anstrengungen des Marsches zu verschnaufen, die Futtervorräte aufzufüllen und die Rückkehr von Kundschaftern abzuwarten, die sie vorausgeschickt hatten, konnten sie eine Gruppe Indios beobachten, wie sie über einen wilden Andenfluß einen solchen Brückengurt zogen. Es waren Bauern der Umgebung, denen dieser Auftrag gegeben worden war. Die Spanier wunderten sich sehr über die Geschicklichkeit und Geschwindigkeit ihres Arbeitens. Von weither schleppten ihre Tragtiere, die geduldigen Lamas, die wie höckerlose Kamele aussahen, in großen Bündeln Weidenruten oder Agavefasern heran; die Männer flochten daraus kleine Seile, die sie dann zu stärkeren Seilen vereinigten. Solch ein Tau hatte fast die Dicke eines menschlichen Körpers. In kurzer Zeit lagen fünf dieser Stränge in der gewünschten Länge an der Seite des Tales. Unter lautem taktmäßigem Rufen wurden die Seile nun ans Wasser gebracht und auf Flößen oder durch geschickte Schwimmer ans andere Ufer gezogen. Auf beiden Talseiten 16
waren unterdes schwere Stämme in den Boden getrieben oder Felsblöcke zu Mauerwerk aufgerichtet worden, an dieses wurden die Seilenden festgemacht. Noch immer fragten sich die gaffenden Spanier, wie aus solchem Tauwerk eine Brücke werden könnte. Aber sie brauchten sich darum den Kopf nicht zu zerbrechen. Schon hatten die Indios die drei mittleren Seile dicht mit Hölzern belegt, die sie mit den Seilen verknüpften. Dann packten sie noch Reisig darüber, und all das zusammen ergab einen festen Bodenbelag. Auch die seitlich laufenden Seile wurden durch Zweige mit dem Boden der Brücke verbunden, so daß zwei Seitenwände entstanden und nun für Mensch und Tier ein gefahrloser Übergang möglich war. Daß der Übergang nicht breit war, wie die Brücken ihrer Heimat, wunderte die Spanier nicht; es hatte die Abenteurer ja schon bald nach ihrer Landung in maßloses Erstaunen versetzt, daß die Inkaleute keine Wagen und Räder kannten, sondern nur Lastträger und Lasttiere. Und nur für diese und die Bauern waren diese Brücken gebaut, die man in jedem Jahre erneuerte, damit Wind und Wetter sie nicht unsicher machen konnten. Den Aufseher der Brücke holte sich Pizarro ins Lager der Spanier. „Erzähle uns", befahl er dem Indio, der sich auf den Boden hockte und ehrfürchtig zu dem weißen Gotte aufsah, „erzähle uns von deinem Lande." Der Indio aber war zugleich auch Lenker des Dorfes, das in der Nähe lag, er war ein weiser Mann und des Landes sehr kundig, und er berichtete: Das Land rings um das Dorf und in dem Tal bis hoch hinauf in die Bergäcker gehört zu gleichen Teilen der Sonne, dem König und dem Bauern. Das ist im ganzen Reiche des Königs so. Wenn die Zeit der gemeinsamen Flurbestellung gekommen ist, dann steigt am Abend vor Beginn der Feldarbeit der Lenker des Dorfes auf den kleinen Dorfturm, bläst auf einer Trompete und verkündet, daß am folgenden Tage der Acker der Sonne zu bebauen sei. „Denn die Sonnenfluren", so sagte der Indio, während er das Antlitz zur Erde neigte, „haben nach dem Gesetz der Götter den Vorrang vor allen anderen Äckern. Dann folgen die Felder der Witwen, Waisen und Kranken und zuletzt das eigene Land." Der Lenker des Dorfes berichtete auch, wie im letzten Jahre der Aufseher des Nachbardorfes angeordnet habe, daß das Land eines ihm verwandten Adligen vor dem Stück einer Witwe bearbeitet werden müsse. Zur Strafe dafür sei er an einem auf dem Acker dieses Verwandten 17
errichteten Galgen aufgeknüpft worden; „er hatte die gehei/ ligte Ordnung anzutasten versucht". Ganz zum Schluß erst '- zögen die Indios zur Arbeit auf das Land des Königs. Sie kleideten sich in ihre festlichsten Gewänder und ihren kostbarsten Goldschmuck, und während des Umwerfens der Schollen sängen sie frohe Lieder zu Ehren des Inka. Auch der König nehme an dieser festlichen Flurarbeit teil. Aus all dem, was der Indiobeamte erzählte und was die Spanier auf ihrem Marsch bisher beobachtet hatten, ging hervor, daß der Inkastaat in erster Linie ein Ackerbaustaat war, obwohl das häufig regenlose Land nicht mit üppigem Wachstum gesegnet war. Staunend sahen die Spanier auf ihrem ^ ' ' Weitermarsch nach Süden, wie die Bauern ohne eisernes Gerät " und ohne die Hilfe von Haustieren mit den schwierigen Bodenverhältnissen dieses Berglandes fertig wurden. Gar seltsam war der Pflug, mit dem sie die Schollen umwühlten. Sie veiwendeten einen Stock, etwa eine Klafter lang, der vorn abgeplattet und hinten rund war. Die geschärfte Spitze trieben '< sie in den Boden, indem sie mit beiden Füßen auf ein Querholz ' sprangen, das zu diesem Zwecke angebracht war. Man sah die Pflüger bei dieser Arbeit immer stets zu sieben oder acht Mann nebeneinander, und die Spanier bewunderten die Leistung, die mit diesem einfachen Gerät erreicht wurde. — Auf weiten Strecken führte die Straße an Bewässerungskanälen und verdeckten Wasseranlagen entlang, die die Felder durchzogen. Oftmals waren Bäche und Flüsse verlegt, um Platz für Äcker und Felder zu schaffen, und es gab riesige Talsperren, aus denen die Felder mit Wasser gespeist wurden. In den wasserarmen Gegenden war der Verbrauch des Wassers genau geregelt; die Indios wußten aus Erfahrung, wieviel Wasser ein Stück Feld benötigte. Auf die felsigen Berghänge wurde das fruchtbare Erdreich hinaufgeschleppt, durch Steinterrassen festgehalten und durch sinnreich erdachte Rinnen bewässert. , Bis in eine Bergeshöhe von 10 000 Fuß baute der Inkabauer seinen Mais, bis über 12 000 Fuß Höhe seine Kartoffeln. Die Eroberer hatten geglaubt, der Erdteil, aus dem sie herübergesegelt waren, sei nirgendwo in der Welt zu übertreffen. .-^, Nun fanden sie hier auf Schritt und Tritt einen hochentwickelten Staat. Nun mußten sie voll Staunen und Bewunderung feststellen, daß dieses unbekannte Volk vieles besaß, was jenseits des Ozeans unbekannt war. Arbeit für alle, keine Not, keine Armut, keinen Hunger. Jeder besaß, was er zum Leben 18 , ,
brauchte. Die Arbeit und das Erzeugnis dieser Arbeit waren das einzige Zahlungsmittel, mit dem man etwas kaufen konnte. Hier draußen in den Dörfern lernten die Spanier auch die Kunstfertigkeit der Indios kennen. Auf den Dörfern, nicht in den Städten, lebten die Handwerker. In den stillen Monaten, während draußen auf den Feldern Mais und Kartoffeln reiften, spannen der Indio und seine Frau die kostbaren kunstvollen Gewebe. Er formte die köstlichen Tonfiguren und die wunderbaren, fast unnachahmlichen Krüge und Vasen. In dieser Zeit bemalte der Künstler das Haus, schuf der geschickte Schneider die Prachtgewänder aus duftigen Federn, zauberten geschickte Frauenhände die herrlichen Muster der Stickereien und der Flechtarbeiten, formte der Silber- und Goldschmied die Zierstücke. Das Beste von allem gehörte dem König. Er war der Eigentümer aller Schätze des Bodens, er war auch der Eigentümer der Menschen. Immer tiefer drang der Zug der Spanier nach Süden vor. Sie schritten auf Straßen, wie sie in dieser Zeit kein anderes Land der Erde besaß. Rühmend wurden ihnen die Namen der Inka Pachacutec, Tupec Yupanqui und Huayna Capac als die der Erbauer dieses Straßennetzes genannt; es waren die größten Herrscher und die größten Baumeister des Landes. Über zweitausend Meilen zogen sich die Straßen hin, eines der riesenhaftesten Werke, die bis dahin von Menschen ausgeführt worden waren. Diese Bauten erregten um so mehr die Bewunderung der Weißen, da sie wußten, daß die Inka das alles ohne Pferd und Wagen geschaffen hatten. So weit das Auge sah, liefen die Straßen schnurgerade, auf breiten Treppenstufen kletterten sie die steilen Hänge hinauf, auf mächtigen Steindämmen oder leicht geschwungenen Brücken überquerten sie die tiefsten Schluchten. Mauern schützten zur Seite gegen die Sandstürme, Baumreihen spendeten Schatten. Pizarro, der in Cajamarca einige seiner handfesten. Leute zurückgelassen hatte, wurde im Weitermarsch von den laufenden Boten eingeholt, die ihm wichtige Nachrichten aus der Stadt überbrachten. Die Inka nannten diese Eilboten Chasqui. Sie waren auf den Staatsstraßen verteilt, um mit größter Schnelligkeit Befehle und die neuesten Nachrichten aus den Provinzen zu übermitteln. In Gruppen von vier bis sechs Mann waren junge und kräftige Indios an bestimmten Punkten in zwei kleinen Hütten zum Schutz gegen Unwetter untergebracht. Von den erhöht gelegenen Hütten hielten die Indios 19
genau Ausguck, um das Herannahen eines Läufers schon von weitem, zu bemerken, damit auch nicht der geringste Zeitverlust entstände. Die Meldung, die die Chasqui überbrachten, bestand zur Vermeidung von Irrtümern nur aus ganz wenigen Worten, die die ankommenden Läufer schon von weitem dem nächsten Lauf er zuriefen, so oft, bis dieser sie verstehen konnte. Diese Botenläufer der Inka schafften eine Entfernung von über eineinhalbtausend Meilen voller Steigungen, trotz aller Unbilden der Witterung, heißer brennender Sonne und scharfer, kalter Winde, in zwölf Tagen. Dieser gleiche Läuferdienst konnte in wenigen Tagen frische Fische vom Meer bis zur Hauptstadt Cuzco bringen. Die Spanier benötigten für die gleiche Strecke trotz ihrer Pferde mehrere Wochen. Um besonders wichtige Meldungen zu überbringen, gab e^ noch Rauchsignale am Tag und Flammensignale in der Nacht. Deshalb unterhielten die Wächter in ihren Hütten ständig Feuer; schon nach zwei bis drei Stunden trafen Nachrichten von wichtigen Ereignissen ein, auch wenn der Schauplatz tausend und mehr Meilen entfernt lag, so daß schnell die notwendigen Maßnahmen getroffen werden konnten. Langsam zog die Schar der Weißen, Pizarro an der Spitze, weiter und weiter, immer tiefer nach Peru hinein. Riesenhaft wie das Reich der Inka waren die Baudenkmäler, an denen sie vorüberkamen. Ja, daheim in Spanien, da hoben sie die schweren Quadern für die Dome und Schlösser mit Flaschenzügen und Maschinen, da spannten sie lange Reihen von Pferden vor die Felsentrümmer, die man zur Bearbeitung in die Bauhütten brachte! Hier aber gab es das alles nicht. Und doch hatten sie 20 000 Pfund schwere Blöcke aus den Steinbrüchen im Tal auf Höhen von sechs- bis neuntausend Fuß gebracht, ohne Wagen und Zugtiere. Mauern ragten auf, die ohne Kitt und ohne Mörtel so fest gefügt waren, daß ihnen kein Erdbeben etwas anhaben konnte. Felsmassen tauchten auf, die unter dem Meißel des Steinmetzen die wundersamsten Formen angenommen hatten. Es waren Denkmäler, die der gewaltigen Bergwelt der Anden würdig waren. Die Spanier erreichten Pachacamac, eine Stadt, die nahe der Küste an den Rand eines Tales und auf den Sand der Wüste gebaut war. Hier betraten sie eines der ehrwürdigsten Bauwerke dieses Landes, den uralten Tempel des Weltschöpfers — in der Sprache der Indios Pacha-Camac, eines am Meere hoch verehrten Meergottes. Der Tempel hatte die Gestalt einer in 20
mehreren Stufen ansteigenden Pyramide und war aus vielen Schichten ungebrannter Ziegel errichtet In diesem Land ewiger Sonne erschien den Bewohnern die silberne Scheibe des Mondes als ein wohltatiges Wesen, das nächtlich über die ausgesengte und ausgedorrte Erde den kuhlenden Hauch,
Rest einer Inka Burg wie man sie im 17 Jahrhundeit vorfand
den nährenden Regen und feuchte Nebel breitete und den Feldern ihre Fruchtbarkeit spendete Mehr noch als die Sonne, die man hier in der Nahe des Meeres als eine furchtbare Himmelsmacht ehrfurchtig verehrte, war man dem gutigen Mondgott zugetan Seinen Tempel fanden die Spanier des Goldschmuckes beraubt Die Tempelschatze hatten Ja langst den Weg in die Schmelztiegel ihrer Goldgier genommen Der Marsch führte aus der Nahe des Meeres wieder in das Landesinneie Gut gebaute Querstraßen verbanden die tausend Meilen lange Kustenstraße mit der ebenso lang sich hinziehenden Andenstraße Das Straßennetz wurde immer dich 21
'ter und die Straßen immer prächtiger, je mehr sich Pizarro dem heiligen Cuzco näherte. Im Tal der Urubamba, das sie, ohne Widerstand zu finden, nun erreichten, bot sich den Abenteurern ein Anblick, der alles bisher Gesehene überbot: die Bergfeste Machu-Pichu. Die weltgereisten Männer entsannen sich nicht, selbst unter den Schlössern und Burgen Spaniens je etwas gesehen zu haben, was sich dieser Stadt auf dem Berge vergleichen ließ. Die Anden, die hier zu bisher unerreichten Höhen aufragten, umrahmten in 7500 Fuß Höhe eine mächtige, von Fluß und Urwald rings umgürtete Bergstufe. Aber es war kein Berg: es war von unten bis oben hin ein einziges Bauwerk von Terrassen, "Wehrmauern und Rundtürmen, die den ganzen Fels bedeckten. Hunderte von schmalen Steintreppen verbanden die Außen- und Talwerke mit der Burg und der Tempelstadt auf der Höhe. Die Fremden schritten wie im Traume durch die Tore, an den titanenhaften Mauern entlang, deren Steinquadern so fein und dicht zusammengefügt waren, daß die ganze Steinwand wie eine riesige Metallplatte wirkte, die von hauchdünnen Rinnen durchzogen war. Durch Türen und Fenster, die nicht rechteckig, sondern trapezförmig geschnitten waren, blickte man in das Innere. Aber auch hier war alles ausgeplündert, was Wert besaß; selbst den Thron der Götter, der in eine freistehende Felsgruppe gemeißelt war, hatten die Eintreiber des Lösegeldes, die von Cajamarca herübergekommen waren, seiner Goldornamente beraubt. Manche der hartgesottenen rauhen Gesellen Pizarros überkam etwas wie Scham über diesen Frevel. Einsam und kahl ragte nun Inzihuatana, die „Sonnenfessel", hinter dem Thron der Götter auf. Wenn die Sonne im Winter immer früher und tiefer und immer weiter nach Norden zurückwich, waren die Inka voller Furcht, daß sie nicht mehr zurückkehre. So „banden" sie die Sonne sinnbildhaft an diesen Steinpfeiler fest. Pizarro drängte. Noch lagen viele Meilen zwischen ihm und der Landeshauptstadt. Ihr Besitz erst sollte seine" Eroberung krönen und sichern. Wenige Mann ließ er in Machu-Pichu zurück. Die Kunde von dem so schreckensvollen Tode des Sonnensohnes hatte wie ein jähes Entsetzen jede Entschlußkraft der Inka gelähmt. So hatte Pizarro leichtes Spiel. Ohne Widerstand fiel ihm auch die zweite der mächtigen A'nden• bürgen zu, die die Inka zum Schutz gegen östliche Völker in die Felsen gebaut hatten: die heilige Burg Sacsayhuaman, die wie ein Wächter vor der Götterstadt Cuzco stand. Auch dieser 22
Wächter versagte in dieser Stunde seinen Dienst, als die weißen Götter, die so offensichtlich stärker waren als der Sohn der Sonne, an die Tore pochten. So drangen die Spanier unbehelligt durch den dreifach gestaffelten Mauerring durch das „Sandtor", durch das Tor Acahuana Punca und das Tor Viracodia Punca bis zu den heiligen Felsenthronen vor. Kein Priester, kein Indio verwehrte den Zugang, als Pizarro es unternahm, zu der geheimnisvollen Höhle der Toten niederzusteigen. Kein Sterblicher hatte es bis dahin gewagt, in diese ewige Stille einzudringen; denn hier lag der Eingang zur Unterwelt, aus der vor undenklichen Zeiten die Vorfahren der Inka hervorgegangen waren. Nur die Toten stiegen hinab, nur das Blut der Opfertiere fand dorthin seinen Weg. Durch den „Kenko", den „Gewundenen", eine schlangenförmige Rinne, die in den Stein geschlagen war, floß der Opfertrank in die den Unterirdischen geweihte Höhle unter den Felsen. Aber die Höhle barg nur die schwarzen Schatten der Verschiedenen — nichts von den erträumten Schätzen. So wandten die Raublustigen enttäuscht und verächtlich der Totenstätte den Rücken. Während die Sonne, klagend über den Frevel am Heiligtum, blutrot hinter den gigantischen Steinwällen von Sacsayhuaman niedersank, die nicht Menschen, sondern Götter und Riesen aufgetürmt, schwang sich der Mörder Atahualpas in den Sattel. „Auf nach Cuzco!" schrie er den Männern seines Gefolges zu, die plündernd durch die Tempelhallen streunten. Da ließen sie alles zurück, was sie an Beute aufgehäuft. „Auf nach Cuzco!" Das war der Lockruf, der sie alles andere vergessen ließ. Am 15. November 1533 blickten die Spanier vom Hügel Carmenca auf die heilige Stadt des Inkareiches nieder. Die Indios, die sie in ihre Begleitung gezwungen hatten, entblößten das Haupt und knieten vor der Stätte nieder, an der nach ihrem Glauben Gott den Menschen erschienen war. Die mit Gold verkleideten Wände des Sonnentempels spiegelten das Licht des Gestirns, so daß man die Augen schließen mußte, um nicht von Intis strahlendem Glanz geblendet zu werden. Beim Anblick der Fremden flog erschreckt ein Vogel auf. Er breitete seine weiten Schwingen, beschrieb einen Bogen über der Stadt und verschwand in der Richtung auf Huancanry zu, wo Gottes Sohn Manco Capac vor undenklichen Zeiten einen Tempel erbaut hatte. „Cuntur!" riefen erschreckt die Indios. Sie blickten in den Himmel, sahen dem gewaltigen weiß.en Vogel nach, der in dieser 23'
,
Der Inka opfert dem Sonnengott. Im Hintergrund die toten Inkakönige (Zeichnung aus dem 18. Jahrhundert)
Stunde die heilige Stadt Cuzco verließ. Nun würde sich gewiß Viocochas Ratschluß erfüllen: sein Volk würde untergehen, seine Wohnung verfallen. Stärkere Götter waren gekommen. Die Spanier brauchten nichts zu befürchten. Auch hier über Cuzco, den Mittelpunkt der Welt, hatte der Tod des Inkakönigs die Nacht erschreckten Schweigens gebreitet. Alle Tore standen geöffnet. So hielten die Fremden ihren Einzug. Am Palast Casana ritten sie vorbei auf den Platz, der den Namen „Stätte der Tränen" führte. Hier beweinten die Indios am Feste Capacraymi Intis Ferne. Die Weißen betraten ohne Scheu den Coricancha, den „Goldhof'', den Reichstempel der Sonne, den selbst der Inka nur mit bloßen Füßen betreten durfte. Hier hatte Inti, die Sonne, ihr Haus. Hier hatte Atahualpa noch vor wenig Monden am Hochfest der Sonne dem Sonnenbild die Opferbecher zum Geschenk gebracht und aus dem Herzen der geopferten Schafe Heil oder Unheil des Reiches zu erkennen gesucht. Hier hatte er mit dem Feuerkristall der Sonne ihre heilige Flamme entlockt und das Opferfeuer neu entzündet. Zügellos ihrer Gier hingegeben, räumten die Spanier alle Kostbarkeiten des Tempels zusammen, hoben die gehämmerten Goldplatten von den Wänden, die goldgewirkten Teppiche von den Türen. Um die heilige Sonnenscheibe über dem Altar warfen sie das Los. Es flel auf den Söldner Mancio Serre, einen aus der nächsten Umgebung Pizarros, und alle beneideten ihn um diesen unschätzbaren Gewinn. Auch in dem Silbertempel des Mondes, in dem die toten Königinnen wohnten, taten sie dergleichen. Dann suchten sie die Tempel des Siebengestirns, des Morgensterns, des Wetterleuchtens, des Blitzes und des Donners und zuletzt auch das Heiligtum des Regenbogens heim. Vor den Fremden erhob sich nun Amarucancka, der Schlangenort. Er hatte Huayna Capac, dem letzten großen Inka vor Atahualpa, als Wohnung gedient. Aus mächtigen blaugrünen Quadern war die Burg des Herrschers errichtet. Ein Turm überragte die Mauern. Die Spanier drangen durch das Tor mit den Schlangen in den Palast des toten Huayna Capac ein. Ein alter Diener, der als einziger zurückgeblieben war, trat ihnen entgegen. Er legte die Hand mahnend an die Lippen: „Still, der Inka will schlafen!" Der Dolmetscher übersetzte, was der Indio sagte: „Er meint, die Geister der Toten leben dort weiter, wo sie begraben sind." 25
In dem teppichgeschmückten Vorraum, dessen Nischen goldene Tiere und Pflanzen zierten, war ein Tisch mit vielen Speisen gedeckt. „Wenn der Inka erwacht, wird er speisen!" sagte der Diener. Goldgewirkte Gewänder lagen im Nebengemach für den Toten bereit. Ein Knabe wartete, dem Toten in die Kleider zu helfen. Kein Lebender durfte den Herrscher in seiner Ruhe stören. Am Tage seines Todes hatte man die Türe zu dem , Raum, in dem er ruhte, vermauert. Die Spanier erbrachen den vermauerten Raum. Durch die dämmrige Halle führte ein golden leuchtender Teppich aus Vicunafellen zum Altar, der sich gegenüber der Türe erhob. Auf einem Pfeiler erglänzte auch hier die Scheibe aus Gold:' Inti, der Gott mit dem Menschenantlitz. Rechts und links von diesem Bildwerk thronten einbalsamiert auf goldenen Sesseln die toten Herrscher des Reiches. Ihre Gesichter schienen lebendig zu sein. Etwa zweihundert Schritte vom Eingang entfernt führten Stufen aus roten Steinen zum Altar hinauf. Zur Seite öffnete sich eine mächtige Nische. Aber der Platz war leer. Viracocha, der ewige Meister der Welt, hatte seinen Tempel verlassen. Mit ihm waren auch seine Diener verschwunden, der Mond und die Sterne, die Erde und das Meer. Drüben aber saß der tote Inka Muayna Capac hoch auf dem goldenen Thron. Einer der plündernden Fremden hob seine Hand, dem toten König das Gewand, das mit vielen Smaragden geschmückt war, vom toten Leibe zu reißen. 'Es war aus goldenen Fäden gewebt. Bei der Berührung stürzte der Tote von seinem Sessel Seine welken Arme umfaßten den Hals des weißen Eindringlings, ' er beugte sich über ihn und riß ihn zu Boden. Unter einem Haufen vermoderter Knochen mußte man den Plunderer hervorziehen. Der gewaltige Schreck hatte ihm die Besinnung geraubt. Doch die Furcht war bald überwunden und die Plünderung des Palastes begann. Vor den Häusern auf der anderen Seite standen stumm die Indios. Sie starrten verstört zu den heiligen Mauern hinüber, ^. über denen nur noch der goldene Fries im Sonnenlicht schimmerte. Denn er war den Plünderern unerreichbar geblieben. * Am gleichen Tage, an dem sich die Nacht des Unterganges über das Reich der Inka senkte, stand fern im „Hause der Auserwählten", im Kloster Huacapunca, der Priester Sallac 26
Marca vor den jungen Inkasöhnen, die ihm zur Erziehung anvertraut waren. Von den Vorgängen, die in jenen Tagen das Reich der Sonne erschütterten, war bis zu dieser Stunde keine Kunde in die Einsamkeit des Bergklosters gedrungen. Er erzählte ihnen also in dieser Todesstunde des Reiches jene Geschichte vom Anfang des Reiches, die zu den frommen Überlieferungen der „Erleuchteten" gehörte. Diese Geschichte lautete also: „Einst war die Erde ein einziger Garten. In den Flüssen schwammen die Fische. Bunte Vögel sangen im Buschwerk. Die Menschen lebten ohne Not und ohne Mühsal. Ihre Tage waren ein Fest ohne Ende. Doch der König des Landes erhob sich über Gott. Er verweigerte den Gehorsam. Da faßte der Mächtige den Entschluß, die undankbaren Geschöpfe zu strafen. In dem weiten Reich war ein einziger Mensch, der aus dem Rauschen des Windes in den Bäumen der dunklen Wälder das Nahen des göttlichen Zornes erkannte. Er machte sich auf, lief zu seinem Herrn, um ihn zu warnen. Das Schicksal jedoch wollte es, daß er der Tochter des Königs begegnete. Er sah ihr in die Augen und vergaß alles. Die beiden liebten sich. Der Himmel wurde dunkel, der Donner dröhnte, die Tiere des Waldes jagten voller Angst an dem Paar vorüber. Doch die Liebenden sahen und hörten nichts mehr. So geschah es, daß die Erde unterging und die Menschen umkamen. Nur die Stelle, wo die beiden saßen, blieb als Insel in der unendlichen Flut. •Als die Wasser sich wieder zu verlaufen begannen, war das ganze Land eine einzige Wüste geworden. Mit dem jungen Mann und der Tochter des Königs aber begann ein neues Geschlecht. Das Volk der Inka. Gott selber sandte seinen Sohn, um sie zu lehren, in Vernunft und in Güte zu leben, in Liebe und Gerechtigkeit, in Ehrfurcht vor den Göttern." Also erzählte der Priester Sallac Marca den Söhnen der Inka in jener Stunde, da Intis Sonne in ewige Fernen entrückte.
Aber noch hatten die geschändeten Götter Macht über die Feinde. Die Geister der unschuldig gemordeten Indios verfolgten die Frevler und verwirrten ihren Verstand. So kam es, daß die übermütigen Sieger die Schwerter gegeneinander erhoben und sich selber vernichteten. 27
Die Ermordung des Pizarro durch Almagro (Aus dem Werk des spanischen Weitreisenden Porna de Ayala)
Diego de Almagro, neben Pizarro einer der Hauptanf uhrer der Spanier, starb zu Cuzco den gleichen Tod, den der letzte Inka Atahualpa hatte erleiden müssen. Der Sohn Almagros aber überfiel Franzisco Pizarro in seinem Palast in Lima und tötete ihn mit dem Schwert. So starb der Spanier nach einem Wort, das da heißt: „Wer das Schwert liebt, soll durch das Schwert umkommen!" Den Leichnam Pizarros trugen einige Indios davon, niemand wagte, ihn zu bestatten. Eis Jüan de Barbaran sich ermannte, ihn zu begraben. Dieses Begräbnis geschah in großer Eile, da man davon sprach, man wolle der Leiche den Kopf abtrennen und ihn auf den Schandpfahl stecken, 28
U
nd heute: Die alten Kulturvölker der Inka sind zwar längst vom geschichtlichen Schauplatz abgetreten. Die Volkskraft ihrer Nachkommen jedoch ist ungebrochen. In den Provinzen der Hochanden, also im ehemaligen Inkareich, rechnet man noch mit einer Gesamtzahl von einer Million reinblütiger Indios. Hiervon entfallen über zweihunderttausend auf die Quechua, jenen Stamm, aus dem die Inkaherrscher hervorgegangen waren. Versunkene Kulturen, lebendige Völker! Der Bergbauer Perus muß die harte Arbeit seiner Vorfahren weiterführen, an steilen Berglehnen breite, durch Steinmauern gestützte Äcker anlegen und Bewässerungskanäle graben. Der Lohn seiner Mühe ist aber auch einst wie heute der beste Mais der Welt. Kartoffeln, die einheimische Hackfrucht Perus, gedeihen immer noch in einer Höhe von viertausend Meter. Auf diesen Hochflächen wird einst wie heute der Boden noch mit der Taccia umgebrochen, dem uralten Grabstock, den der indianische Bauer, genau wie sein Inkavorfahre, in den Boden stößt, indem er mit beiden Füßen auf eine an den Stock gebundene Quersprosse springt. Bedürfnislos und zufrieden lebt der peruanische Bergbauer in kleinen Landstädtchen oder Gebirgsnestern oder auch allein im Randgebiet des Urwaldes. Auf dem Rücken seines Esels oder Lamas bringt er seine wenigen Erzeugnisse zum Wochenmarkt ins Tal. Manchmal ist es nur eine Handvoll, die er anzubieten hat. Besitzt solch ein Bergbauer ein oder zwei Maultiere, so mag es vorkommen, daß er sie eines Tages für einen hohen Regierungsbeamten, der Steuern einkassiert, oder gar für einen wißbegierigen weißen Naturforscher satteln muß. Besitzt er kein Tragtier, dann geht er zu Fuß als Führer und als Lastträger, barfuß oder in Fellsandalen. Sein Weib bereitet ihm den Pro29
Viant: Reis, gekochte Bananen, gerösteten Mais, vielleicht auch etwas gedörrten Fisch. Alles wird in Tucher gewickelt und in selbstgewebte wollene Säckchen verpackt. Dann richtet sie ihm zwei oder drei aus unzähligen Flicken zusammengestückelte, aber sauber gewaschene Hemden zum Wechseln, weil er täglich durch Sumpfe, Flusse und Bäche waten muß und im Gebirge oft tagelang der Regen niederströmt. Alles wird sorgfältig verpackt und verschnürt. Er schleppt einen Zentner und mehr auf dem Rücken, gehalten durch einen breiten, um die Stirne gelegten Baststrick, und geht mit seiner Last auf den schlechtesten Wegen so schnell, daß man ihm kaum folgen kann. Kaum, daß er mehr als ein einziges Mal am Tage rastet, und selbst dann nur kurz. Doch länger als eine Woche bleibt er nie fort. Er will dann wieder heim zu Frau und Kind. Der Reisende muß sich einen neuen Träger mieten. Das Tragen mit dem Stirnband ist ein alter unausrottbarer Brauch. Alle diese Indios sind anspruchslos und genügsam, aber nicht arm. Sie haben, was sie brauchen, und sie wollen nicht mehr. Arm ist nur der Minero, der gezwungen ist, seine Heimaterde nach dem wertvollen Erz zu durchwühlen und in den Kupferund Silbergruben einer harten Arbeit nachzugehen. Diese letzten Nachkommen der stolzen Inkazeit sind trotz ihrem Schweigen beredsamer als die steinernen, zerfallenen und wieder ausgegrabenen mächtigen Baudenkmäler. Gefundene, aus dem Schutt gerettete Inkavasen stehen in vielen Museen in aller Welt, immer noch schön und immer noch voller ' Geheimnisse, und sie sind doch nur traurige Scherben einer unwiederbringlichen Vergangenheit eines Volkes, das eine hohe wunderbare Kultur sein Eigen nannte. Eines aber hat sich, neben der Sprache des Andenhochlandes, der Vernichtung entzogen und ist bis auf den heutigen Tag unverändert geblieben: die Inkamusik! Diese Musik läßt sich nicht mit Worten beschreiben. Und selbst dann, wenn man sie erklingen läßt, aber sie nicht in Peru selbst hören kann, wird man sie kaum verstehen. Vor einigen Jahren ließ ein Peruforscher bei einem Vortrag Proben inkaischer Musik auf Schallplatten hören. Sie fand bei den Zuhörern wenig Anklang. Man nannte sie eintönig und traurig. Und doch ist es so, daß es kaum eine andere Musik gibt, die gleich ergreifend wäre. Die Musik ist die Seele eines jeden "Volkes. Die Inkamusik ist der Ausdruck einer erhabenen 30
l
.' , ,
Trauer, doch diese Trauer hat nichts Niedergeschlagenes. Man könnte sie eine ernste Heiterkeit nennen. Die alten Lieder und Tänze, die einst bei den Sonnenfesten der Inka gesungen und gespielt wurden, sind immer noch in Peru zu hören. Kein Hirte auf einer einsamen Bergweide ohne Quena, eine Art Flöte. Es ist, als gelte ihre Klage noch immer dem von den Abendländern zerstörten Reich der Inka, dem goldenen Reich der Sonne. Solange es einen Quecho-Indianer gibt, wird die schwermütige stolze Klage seiner Quenaflöte über sein verlorenes Reich nimmer verstummen. Überall ist die Freude am Singen und Musizieren zu finden. Der einsame Reiter inmitten der Felsenpyramiden, zwischen den Ruinen der mächtigen Tempel und Paläste, singt wie einstens der Sohn der Inka in der stolzen edlen Sprache: Mamita, mucho me gusto chodito de chacara ajena, la panca para mi butto la tuca para su dueno. Ja, alle ihre Lieder haben etwas von Traurigkeit an sich. Wenn die Binsenboote sich auf dem Titicacasee wiegen oder an den Gestaden des rauschenden Pazifischen Ozeans, hört man wohl oft an einsamen Ufern ihre wehmütige Klage: >, Kleines zierliches Täubchen, dich ruf ich, dich ruf ich! Sag mir, wo bist du? Dich ruf ich, dich ruf ich. Wie lange sah ich dich nicht! Dich ruf ich, dich ruf ich. Mein Herz ist traurig und weint, dich ruf ich, dich ruf ich! Ewig und unveränderlich wie zu den Zeiten der Inka ragen die Anden majestätisch in den weiten Himmel. Es ist, als leuchteten in den sternenhellen Nächten die goldenen Ruinen der Paläste und der Tempel steil über den Dunkelheiten. Und die Wogen des Meeres rauschen wie eh und je an die Gestade des seltsamen Landes: des Goldlandes der Inka! Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky
Lux-Lesebogen3(Geschichte)Heftpreis25Pf Natur- und kulturkundhche Hefte - Bestellungen (Vierteljahr! 6 Hefte DM 1,50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt - Verlag Sebastian Lux, Mumau, München, Innsbruck, Ölten - Druck- Greven Sa Bechtold, Köln-,- Prmtedin Germany ,31
STETS IM B I L D E S E I N ! Heute kann es sich niemand mehr leisten, auf den Gebieten der Natui wissenschaf t und der Technik nicht oder schlecht unterrichtet zu sein, weil Naturwissenschaft und Technik das Gesicht unseies Weltbildes und den Ablauf unseres Alltags weitgehend bestimmen. Wer vorwärtskommen, wer etwas en eichen will, der muß sich der Foltschritte von Technik und Wissenschaft zu bedienen wissen! Und deshalb sollten auch Sie sich in allen Fragen der Naturwissenschaft und Technik zuverlässig und regelmäßig durch den ORION unterrichten lassen.
ORION
die führende deutsche illustrierte Zeitschrift für Natur und Technik
berichtet in einer Sprache, die jeder versteht: Von den Geheimnissen des Weltalls, seiner Sterne und Atome. Von den Grundlagen und den neuesten Leistungen der Technik • Von den Gesetzen der Physik und Chemie • Von der Harmonie im Bau der Kristalle. Vom Werden der Erde und ihrer Landschaften • Vom Zauber unserer Heimatnatur und ihrer Geschöpfe. Vom Lebenswunder in Pflanze und Tier • Vom gesunden und kranken Menschen • Von der Schönheit fremder Länder und den Kulturen fremder Völker. Prächtige Ausstattung • Vielfarbige Illustrationen Durch alle Buchhandlungen zu beziehen., ,.. * Jeder ORION-Abonnent ist ohne Mehrkosten Mitglied der ORION-VEREINIGUNG und genießt deren vielseitige Vergünstigungen. Probeheft kostenlos vom VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU. MÜNCHEN-INNSBRUCK. ÖLTEN