1.
Es war im Herbst des Jahres des Drachen, und Koman Thanak fand, daß es ein Jahr des Schreckens war. Der schwefelgel...
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1.
Es war im Herbst des Jahres des Drachen, und Koman Thanak fand, daß es ein Jahr des Schreckens war. Der schwefelgelbe Drache, der gnadenlose und hinterhältige Gott der Stadt und seine gelbgewandeten Untertanen, die Priester – sie waren eine Landplage. Koman spuckte aus und bückte sich, um einen golden schimmernden Stein aufzuheben. »Ich scheine der einzige Mann zu sein, der weder den Drachen noch die Priester fürchtet!« murmelte er geringschätzig. Und er wußte, daß es nicht stimmte. Als er die heilsame Quelle erreichte, blieb er stehen und sah sich um. Die Sonne ging auf. Ein kleiner Vogel hockte in einigen Armlängen Entfernung auf einem Ast. Er besaß ein vielfarbiges Gefieder und schaute angstvoll drein. Die ersten Strahlen der Sonne erreichten den Platz um die murmelnde Quelle. Koman setzte sich auf einen tauglänzenden Stein und öffnete den kleinen Lederbeutel an seiner Seite. Er nahm ein Stück Brot heraus, ein Stück Braten, das in ein feuchtes Tuch eingeschlagen war, und einige Früchte. Die Stille des anbrechenden Morgens wurde nur durch den Gesang
der Grillen unterbrochen und durch das Zwitschern unsichtbarer Vögel in den Baumkronen. Koman kniff die Augen zusammen und warf einen langen Blick auf die Stadt Taxa, die mehr als eine Stunde Fußmarsch entfernt war. Die ersten Rauchwolken stiegen aus den Kaminen auf, und aus dem Tempel drang der dichte Schleier des Weihrauchs. Manchmal, bei ungünstigen Winden, stank die ganze Stadt danach. »Eines Tages wird jemand kommen und diesem gräßlichen Spuk ein schnelles Ende bereiten!« knurrte Koman Thanak. Er haßte die Priester, und er würde den schwefelgelben Drachen vergiftet haben, wenn er es vermocht hätte. Trotz seiner Kenntnis von Steinen, Kräutern, wohltätigen und tödlichen Giften bot sich aber keine Möglichkeit, und so beschränkte sich der Kundige darauf, die gelben Machthaber zu hassen. Koman der Kundige, so nannten sie ihn. Er verkaufte sein Wissen und seine verschiedenen Pulver und Tränke und lebte davon. Plötzlich stieß der Vogel einen schrillen Schrei aus. Koman riß seinen Kopf herum und sah, wie ein großer, unförmiger Gegenstand nahe der Stadt die Sonne verdunkelte. Einen Augenblick lang schwebte schwarz die Silhouette des Drachen vor der riesigen, gelbroten Scheibe vorbei, dann schwang sich das Wesen höher und höher, und das Licht spielte auf den
schwefelgelben Vampirflügeln und dem riesigen Schwanz. Der kleine Vogel flatterte aufgei davon. Die Grillen hielten plötzlich mit ihrem Zirpen inne. Rund um die Quelle begann sich eine lähmende, angstvolle Stille auszubreiten. Wieder blickte Koman in die Richtung der Stadt. Ein Schwarm schwarzer Geier, die sich um ein Aas in den Feldern versammelt hatten, flog schwerfällig auf. Die Tiere kreisten nicht mehr über ihrem Fressen, sondern flohen nach Osten. Jetzt überflog Ro-val, der gelbe Drache, die Stadt und kam immer näher. Unwillkürlich duckte Koman seinen Kopf zwischen die hochgezogenen Schultern. »Verfluchter Drache!« flüsterte er mit erstickter Stimme. Er entsann sich seines Vaters und des Buches der Weisheit. Dort stand, unter vielen anderen Dingen, daß die Drachen die Freunde der Menschen wären, obwohl man sie selten sah. Und es stand auch geschrieben, daß sie in unergründlicher Ferne lebten, auf den Hängen der Himmelsberge. Ebenso hatte er gelesen, daß es nicht richtig war, wenn Menschen ein Tier anbeteten. Aber die Priester taten genau dies. Daß er, Koman der Kundige, noch lebte, verdankte er nur dem Umstand, daß sie seine Gifte fürchteten und manchmal auch seine Pulver brauchten. Der Drache kam näher, aber er flog sehr hoch. Vielleicht spähte er nach einer leichten Beute aus. Er riß
nur die fettesten Ochsen und die dicksten Hammel, und wenn er ärgerlich war, richtete er Blutbäder unter den Tieren der Herden an. Ihn fürchteten sogar die wenigen Handelskarawanen, die sich in dieses Gebiet wagten. Die Sonne kletterte höher. Koman hörte das fauchende, zischende Geräusch der riesigen Drachenschwingen. Die langen Klauen an den Flügelspitzen wirkten wie eiserne Haken. Einmal, als er im späten Abend gewisse Kräuter gesammelt hatte, war Koman auf das Opfer des Drachen gestoßen; der Leichnam eines älteren Mannes lag da, von den furchtbaren Zähnen und den Klauen grauenhaft zugerichtet. Offensichtlich war Ro-val abgelenkt worden, denn er hatte seine Beute aus großer Höhe einfach fallen gelassen. Koman hatte den Mann begraben und dem Drachen Rache geschworen, aber allein war er zu nichts fähig. Und alle anderen Bewohner der Stadt fürchteten die Priester und ihre seltsamen Riten, den Drachen und seine ständige Drohung, oder einen Überfall der unsichtbaren Räuber, die noch niemals gefaßt worden waren. Jetzt flog der Drache über die Quelle hinweg und erreichte den Waldrand. Es war bis auf das Geräusch der ledernen Schwingen völlig ruhig. Totenstille erfüllte die Äste, das Gebüsch und die kleinen Lichtungen. Das Murmeln der Quelle schien
anzuschwellen, und Koman hörte seinen eigenen Atem. »Eines Tages ...«, flüsterte er in ohnmächtigem Haß und ballte die Fäuste. »Eines Tages wird jemand den Mut haben ...« Er würgte die letzten Bissen herunter. Das Essen schmeckte ihm auf einmal nicht mehr. Er gab sich einen Ruck, bückte sich und trank etwas Wasser. Noch immer war es stiller als in der Nacht. Dann schloß er die Tasche wieder, pflückte einige Blütenstauden ab, die er in der anderen Tasche verstaute. Er holte tief Luft und machte sich auf den Weg zur Stadt. Er hatte das deutliche Gefühl von Unheil, das wie eine schwarze Wolke über die Stadt kam und auch auf ihn zuschwebte. Auch seine Kenntnisse schützten ihn nicht, wenn es dem Drachen oder den Priestern gefiel, ihn umzubringen. Er konnte ihnen nur zuvorkommen und Gift nehmen, um einen schnellen, barmherzigen Tod zu haben. Langsam und voller hoffnungsloser Gedanken ging er hinunter auf den schmalen Pfad, um, durch die Felder kommend, das kleine Stadttor zu erreichen. Die Sonne stieg höher; es versprach, ein heißer Herbsttag zu werden. Der schwere Geruch der reifenden Früchte verfolgte ihn, bis er vor dem Tor stand. Selbst die Torwächter waren aufgeregt und mißmutig. Auch sie spürten die lautlose Drohung, die schweigende Verschwörung des Bösen,
die das gesamte Umland und die Stadt Taxa bedrohten. Phra Takhek beugte sich im Sattel vor, grub dem Pferd die Sporen in die Seiten und sprengte die letzten Mannslängen bis zur Kuppe des baumbestandenen Hügels. Gelber Schaum flockte vom Maul des keuchenden, schwitzenden Tieres. Phra wischte mit dem Unterarm Schweiß und Schmutz von seiner Stirn und zog hart die Zügel an. Das Pferd blieb mit zitternden Gliedern im Schatten des Baumes stehen. »Verdammt heiß!« flüsterte Takhek. Er riß an den Lederschnüren, die sein gelbes Hemd zusammenhielten und legte dann schützend die Hand über die Augen. Langsam bewegte er den Kopf und betrachtete das Gelände: rechts die Ebene, von einem Halbkreis nackter Felsansammlungen am Horizont eingerahmt, in der Mitte der Anfang der Schlucht, die sich nach rechts zu mehr und mehr vertiefte und verengte. Ganz rechts war der riesige Felsenkessel, in dem die Karawanen meist rasteten, weil es viel frisches Grün gab und Wasser. Von dort aus erreichte man auf leichten Wegen die Weidegründe der Herden, die Felder der Bauern und schließlich die Stadt. Phra Takhek nickte zufrieden, als er in dem wolkenlosen, blauschimmernden Himmel das sichelförmige Bild entdeckte, das er gesucht hatte. Die Silhouette wirkte wie ein Adler oder Geier, der in gewaltiger Höhe
schwebte, aber dies war eine Täuschung. »Ah!« murmelte Phra und schwang sich aus dem Sattel. »Dort ist er! Ro-val, der Herrscher des Himmels!« Und der Stammvater ihrer Herrschaft, dachte er, während er sich die Beine vertrat. Der Garant dafür, daß er und seine Männer die Stadt beherrschten, daß sie Opfer verlangen konnten und bekamen, daß sie ihrem Zeitvertreib nachgehen konnten, und daß es immer genügend Nachschub an Gold, Essen und Frauen gab. Und wenn er die Zeichen richtig deutete, dann winkte auch in den nächsten Tagen reiche Beute, denn Ro-val schien etwas entdeckt zu haben. »Gleich werde ich es wissen!« murmelte Phra und dachte nach, während er dem Tier den Sattel abnahm und die Vorderbeine zusammenkoppelte. Er schnallte die Trense los und ließ das Tier weiden. Dann trat er aus dem Schatten hinaus, wobei die großen Sporen seiner Stiefel klirrten. Ro-val! König der Luft! Vieh – und Menschenfresser! Freund der Priester! dachte er inbrünstig. Ich rufe dich! Komme näher! Höre mich! Er starrte den kreisenden gelben Drachen an, bis seine Augen schmerzten. Während er lautlos nach seinem mächtigen Freund rief, spürte er nicht, wie der Schweiß von der Stirn lief, durch die Brauen sickerte und in den Augen biß. Dann, nach einer mächtigen
Anstrengung, sackten Phras Schultern nach vorn. Er fühlte sich plötzlich schwach und ausgelaugt. Er warf einen listigen Blick auf den Punkt am Himmel, der zu kreisen aufgehört hatte und jetzt langsam größer wurde, näher herankam. »Er hat etwas entdeckt! Es ist Zeit ... meine Männer hungern nach ein bißchen Abenteuer!« knurrte Phra. Phra Takhek, ein schwarzhaariger Mann von vierzig Sommern, war in gelbes Leder gekleidet. Er war nur mäßig bewaffnet. Ein kurzer Bogen, der Köcher voller Pfeile mit nadelfeinen Spitzen, ein langes, leicht gebogenes Schwert und zwei Dolche in prächtigen Scheiden und mit geschnitzten Griffen. Die Waffen stammten aus Beutegut, ebenso das ausdauernde Pferd, das er ritt. Phra trug sein Haar nach hinten, durch ein breites Lederband in der Stirn gehalten. Der kurze Kinnbart umgab sein Gesicht und verlieh ihm einen harten, unbarmherzigen Ausdruck. Unter scharfen, schwarzen Brauen betrachteten hellgraue Augen die Landschaft, die in der Tageshitze flimmerte. Nichts Auffallendes war zu sehen. Phra fächelte sich Luft zu und zog die Säume des Hemdes noch weiter auseinander. Als er seinen Kopf hob, sah er, daß der gelbe Drache bereits auf den Hügel zusteuerte. Jetzt flog er dicht über den Wipfeln der einzeln stehenden Bäume, deren reiches Laub sich zu verfärben begann. Hier stehe ich, Herrscher der Wolken! dachte
Takhek wieder und verließ den Schatten. Die Hitze überfiel ihn wie ein Keulenschlag, aber er hob beide Arme und schwenkte seinen großen, gelben Reitermantel. Der Drache öffnete seinen Rachen und stieß eine kurze, stechende Flamme aus; ein dünner Rauchfaden zerteilte sich im Luftzug der Schwingen. »Er hat mich gesehen! Gut so!« sagte Phra erleichtert und ging wieder in den kühlenden Schatten zurück. Er brauchte keine Angst zu haben, daß sein prächtiges Pferd durchging, wenn es die Ankunft des riesigen Fabelwesens spürte. Die Pferde, die sie ritten, waren an Ro-val gewöhnt. Auch die Bewohner waren an den Drachen gewöhnt, aber auf ganz andere Art. Jetzt war Ro-val dicht vor dem Abhang des Hügels. Der Drache, groß wie ein Turm des Tempels, streckte seinen langen Hals aus und richtete die großen Augen starr auf den Mann, der vor ihm stand. Dann krümmte sich der Schwanz nach vorn, die Schwingen schlugen einen gewaltigen Wirbel, und aus dem Rachen kamen die schweren, hustenden Atemzüge des Giganten. Die Baumkronen schüttelten sich, und ein Wirbel trockener Blätter fegte durch die Wurzeln und über das welkende Gras. Die vier Klauen streckten sich aus, und mit einem dumpfen Krachen senkte sich Ro-val majestätisch auf den Boden. Er faltete die Schwingen ein und legte sie an die Flanken des gelben Körpers.
»Ich grüße dich, Vater der Macht!« rief Phra und blieb zehn Schritt vor dem riesigen Kopf stehen. Der Drache warf ihm einen trägen, unergründlichen Blick zu. Dann zwinkerte er; die schweren, faltigen Lidhäute verdeckten die Augen. Aus den Winkeln der Augen sickerten kleine Tropfen einer farblosen Flüssigkeit, die stechend roch. »Du hast etwas gesehen?« rief Phra. »Du hast Menschen gesehen? Und Beute? Und reiche Traglasten?« Der Drache senkte seinen gewaltigen, furchteinflößenden Schädel und grunzte halblaut. »Eine Karawane? Eine Karawane mit reichen Lasten? Mit Sklaven und Sklavinnen? Mit Tieren, wohlgenährten Reittieren?« fragte Phra und grinste breit. Er stellte sich die Beute vor. Der Drache hob einen Fuß und vollführte eine schlängelnde Bewegung. »Ich verstehe!« sagte Phra und fühlte einen merkwürdigen Druck in seinem Schädel. »Ich verstehe dich, Vater der Wolken.« Wieder grunzte der Drache. Phra drehte den Kopf weg und hielt den Atem an, als der nach Aas und Schwefel stinkende Brodem zwischen den Drachenzähnen hervorwehte und sein Gesicht traf. Ro-val trompetete leise. Es klang wie ein aufziehendes Gewitter. »Und wann werden diese schönen Tiere – von
denen natürlich ein Teil für dich als Beute abfallen wird! – den Platz dort drüben erreichen? Zwei Tage? Drei Tage?« erkundigte sich Phra nach einem listigen Blick in eines der riesigen Augen. Dreimal klopfte die Pranke des Tieres auf den Boden und riß tiefe Furchen in die Grasnarbe. »In drei Tagen! Wir werden bereit sein, mein starker, gelber Freund. Und am darauffolgenden Abend werden wir dich im Tempel feiern. Mit schönen, großen Brocken von frischem Fleisch!« Der Drache blickte den Mann durchdringend an. Etwas Seltsames spielte sich mit Phra Takhek ab. Er sah beunruhigt aus, von der Begierde nach Kampf innerlich zerrissen. Auf seiner Stirn bildeten sich senkrechte Falten. Unter den Augen lagen tiefe Schatten. Hin und wieder ging ein krampfhaftes Zucken durch seine Finger. »Ich werde jetzt reiten, gelber Drache!« sagte Phra leise. »Meine Männer werden sich freuen. In drei Tagen wird jemand den Tag verdammen, an dem er den Schatten am Himmel zum erstenmal gesehen hat. Du kommst heute wieder zurück in dein heiliges Nest?« Ro-val nickte mehrmals mit seinem schmalen Schädel, dann zuckte er mit den Flügeln und hob die Schultern. Phra verbeugte sich und wußte, daß ein einziger Hieb dieser Schwingen ihn vernichten konnte. Er ging dorthin, wo sein Pferd stand und mit wild
spielenden Ohren und aufgerissenen Nüstern zu ihm herübersah. Der Drache schob sich langsam rückwärts und drehte sich. Dann nahm er einen kurzen Anlauf, faltete die Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Er strich dicht über die wild schaukelnden Büsche hinweg und gewann mit jedem Flügelschlag mehr Höhe. Als Phra den Sattel vom Boden hochriß und auf den Rücken des Pferdes warf, sah er, wie Ro-val hoch über dem Hügel kreiste und sich dann entfernte. Er richtete seinen Flug dorthin, woher er gekommen war. Der seltsame Druck wich aus dem Kopf des Priesters. Er bestieg das Pferd und galoppierte davon. Aber nicht zur Stadt, sondern hinaus zu dem alten Tempel, den sie in einigen Teilen neu aufgebaut hatten. Dort befand sich auch das heilige Nest. Phra Takhek mußte seine Männer vorbereiten ... Die ganze Stadt schlief. Es war weit nach Mitternacht. Koman Thanak sah von seinem Kessel auf, in dem die dicke Kräuterbrühe duftend brodelte. Er hatte etwas gehört; ein Kratzen an der Tür, wie von einer hungrigen Katze oder einem bettelnden Köter. Aber er fuhr fort, seinen Spruch zu murmeln und warf hin und wieder einen Blick ins Buch der Kräuter. Der Spruch war keine Beschwörung, auch wenn dies die lauschenden Nachbarn glauben mochten. Vielmehr bedeutete dieses Murmeln mehr oder weniger
sinnvoller Wörter und Sätze, daß der Sud solange kochen mußte, wie ein Mann brauchte, um das Kapitel nachzusprechen. »Also doch! Ich habe mich nicht geirrt!« knurrte Koman und beendete seine Litanei. Dann nahm er den Kessel vom Feuer und stellte ihn in ein kaltes Wasserbad, das den Inhalt schnell abschreckte. Koman ließ die Lappen fallen, legte die Hand an den Dolchgriff und zog den Riegel von der massiven Tür. Lichtschein fiel, als er zur Seite sprang, nach draußen und auf ein dunkles Bündel, das sich schwach bewegte. »Verdammt! Ein Sklave!« entfuhr es Koman. Er warf sich nach vorn, blickte nach links und rechts und sah, daß der kleine Platz still im Licht der Sterne und der Mondsichel lag. Dann kauerte er sich nieder und zog, den Mantel vom Kopf des Zusammengebrochenen. »Kein Sklave! Ein Priester! Beim wundertätigen Neumond!« Der junge Mann, dessen Gesicht von Schlägen und geronnenem Blut entstellt war, stöhnte leise. Koman ließ den Dolch los und schob seine Arme unter den Körper. Vorsichtig trug er den jungen Mann durch die Tür und ließ ihn langsam auf das Fellager niedersinken. Er bedauerte es, daß er keine Sklavin oder Frau besaß, die ihm jetzt helfen konnte. Er hastete zur Tür, schloß sie und legte den Riegel wieder vor. »Hilf mir ... Rebell! Ich ... sie haben mich getreten
...«, röchelte der Junge. Koman legte einen Finger an die Lippen und überlegte. Dann mischte er in einem Holzbecher Wein mit Wasser, zog den Holzkorken aus einem dickbauchigen Krug und schüttete etwas von der stark aromatisch riechenden, braunen Flüssigkeit in den Wein. Nachdem er umgerührt hatte, hob er den Kopf des Überfallenen und setzte den Becher an die zerschlagenen und blutenden Lippen. Gierig trank der junge Priester. Der Mantel, den Koman für schwarz gehalten hatte, war eigentlich gelb. Eingetrocknetes Blut hatte ihn gefärbt. Der Junge zwinkerte, dann entspannte sich sein Gesicht. Koman handelte schnell und überlegt. Es war nicht das erstemal, daß sich Hilfesuchende an ihn wandten. Er goß warmes Wasser in eine Tonschüssel, schüttete verschiedene Essenzen hinein und tauchte ein Stück Linnen in die warme Flüssigkeit, die nach vielen Essenzen und Extrakten roch. Vorsichtig säuberte er das Gesicht des Priesters. Nur langsam kehrte das Leben wieder in den geschundenen Körper zurück. Der Priester entspannte sich, als der betäubende Wein seine Wirkung tat. »Du bist ein Drachenpriester, nicht wahr?« fragte Koman und sah die Schnitte und die Prellungen. Ein Auge begann zuzuschwellen. Überall war Blut im Gewebe der Haut. »Ja. Sie haben mich hinausgeworfen ...«
»Novize?« »Ja. Mein Name ... Nakom.« Nakom warf Koman aus einem Auge einen seltsam ausdruckslosen Blick zu und schaute wieder in die Herdflammen. »Warum haben sie dich verprügelt? Warum bist du zu mir gekommen, gerade zu mir?« Koman riß vorsichtig das Hemd auf und begann, Hals und Brust von Schmutz, Blutkrusten und Hautfetzen zu reinigen. »Sie haben mich ausgestoßen!« stöhnte der Verwundete. »Ich wollte nicht an dem Überfall teilnehmen!« Die Haut war überall voller kleiner Wunden, ein blutunterlaufener Fleck lag neben dem anderen, und jedesmal stöhnte der Novize auf, wenn das warme Wasser die verschorften Wundränder berührte. »Überfall? Wer überfällt wen?« »Phra, der Oberpriester. Die Karawane. Der mächtige Gelbe hat sie gefunden?« Vor Erstaunen warf Koman fast die Schüssel um. Plötzlich fügten sich viele kleine Beobachtungen und Überlegungen zu einem häßlichen Bild zusammen. Die Priester terrorisierten nicht nur die Bauern, Hirten und Stadtbewohner. Sie drohten nicht nur mit der Wut des gelben Drachen, sondern sie überfielen Reisende und Karawanen! Daher also ihr Reichtum! Das war auch die
Erklärung dafür, daß oft der Tempel leer war! Sie jagten also rund um die Stadt, vermutlich verkleidet. »Die Karawane also!« sagte Koman nachdenklich und biß sich auf die Unterlippe. »Der Drache hilft ihnen, die Karawane zu entdecken, und er hilft ihnen auch bei dem Überfall. Jetzt verstehe ich vieles ... wie hast du mich genannt? Rebell?« Der junge Mann nickte und heulte auf, als ihn die Schmerzen wieder überfielen. »Sie nennen ... dich so. Sie wollen auch dich töten. Nach dem Überfall, im Tempel.« »Aber das Buch des Drachen?« fragte Koman verblüfft. Sie werden es nicht wagen, dachte er. »Sie lachen darüber. Sie lesen nur darin vor dem Volk. Ich wollte es nicht, und sie stießen mich aus.« »Jetzt verstehe ich alles!« flüsterte Koman. Er wußte mit einer Deutlichkeit, die ihn erschütterte, daß auch er verloren war. Die hinterhältigen Priester würden vor den Toren der Stadt die Karawane überfallen, wobei ihnen der gelbe Drache half. Taxas, der Drachengott der Stadt, würde es gutheißen, denn die Priester glaubten nicht einmal selbst an die Merksätze, die sie dem geduckten Volk im Tempel verkündeten. Und bei dem Fest, das sie nach dem Überfall feierten, würden sie ein Menschenopfer für den Drachen verlangen. »Dieses Opfer werde ich sein!« flüsterte Koman der
Kundige und setzte sich schwer auf einen Schemel.
2.
Die Drachen waren noch immer auf der Suche nach einem neuen Lebensplatz. Ihre Schwingen verdunkelten die Sonne, als sie hoch im Firmament dahinzogen. Fast sechzig von ihnen bildeten eine Wolke, deren erschreckender Anblick Falken, Adler und Geier vom Himmel vertrieb. Unten am Erdboden rasten die Herden nach allen Richtungen auseinander. Die Hirten versteckten sich angstvoll in Erdspalten oder Höhlen. Nach dem Tod des Großen Gur hatte Hotch versprochen, diesen Lebensplatz in die Nähe der Stadt Urgor zu verlegen, weil er beiden Menschen dort traute, aber trotzdem gab es noch keine Ruhe. Ruhe, dachte Hotch, während er an der Spitze eines riesigen, lebenden Keils dahinflog und langsam mit den Schwingen schlug. Ruhe ist etwas, das mitunter teuer bezahlt werden muß. Ga-vok ärgerte ihn. Ga-vok, ein brauner Drache, schien sich mit aller Gewalt zum Anführer des Geschwaders aufschwingen zu wollen. Aber nicht Stärke und Erfahrung oder gerechter Sinn waren es, die ihn auszeichneten, sondern Halsstarrigkeit und
mitunter völlig fehlgeleitete Überzeugungen. Innerlich dachte Hotch an die wenigen Erinnerungen, die er an eine große Zeit der Drachen hatte – heute war alles anders. Jedenfalls wollte er, Hotch, gerecht bleiben. Auch wenn er davon überzeugt war, daß die Nähe Urgors doch der beste Platz bleiben würde. Er stellte den Mitgliedern seines Volkes andere Plätze vor; vielleicht fanden sie tatsächlich einen besseren Platz, näher oder weiter entfernt. Er betrachtete mit seinen scharfen Augen das zerklüftete, teilweise leere, zum anderen Teil wüstenartige Land – und erschrak. Drachen? dachte er entsetzt. Hier, ich erinnere mich, lebte eine Drachengruppe. Damals, als Gur sein Weibchen suchte! Er schwebte tiefer, wurde im Sturzflug etwas schneller und schob den Kopf vor. Seine Augen konzentrierten sich auf einen riesigen, zum Teil bewachsenen Felsen, der wie ein Schiffsbug ins Land herausragte. Und dann sah er an der äußersten Spitze des Felsens einen bewegungslosen Drachen liegen. Schläft er? Hotch, der riesige grüne Drache, rief unhörbar seiner Familie und den Gefährten zu, sie sollten langsamer werden, ihm aber nicht folgen. Dann legte er die Schwingen nach hinten, kippte in einem rasenden Sturzflug schräg nach unten und entdeckte zu seinem
eigenen Erstaunen, daß er sich ernsthafte Sorgen zu machen begann. Seine Augen richteten sich auf die wechselnde Entfernung ein, und er sah ... Zwei ... drei ... sechs ... ein ganzer Horst voller schlafender Drachen? Keine Bewegung? Er hielt nach Viehherden Ausschau. Und sah keine Herden, nur einzelne Tiere, die müde in den natürlichen Pferchen standen. Einige Kadaver lagen mit ausgestreckten Beinen und aufgedunsenen Bäuchen herum. Geier kauerten auf ihnen und rannten schwerfällig los, schlugen in panischer Flucht die Flügel, als der grüne Drache herunterstürzte. Sie sind tot! dachte Hotch. Hoch und weit hinter ihm löste sich ein brauner Drache aus dem Verband. Natürlich wieder Ga-vok! Ein riesiger Schatten fiel auf den Felsen, als Hotch in niedriger Höhe darüber hinwegstrich. Pfeifend brach sich die Luft hinter den ledernen Schwingen. Die lanzenblattförmige Spitze des Schwanzes zuckte aufgeregt. Ein süßlicher, widerlicher Geruch stieg von dieser Felsenklippe in die Luft. Hotch begann zu zählen. Fünf! dachte er. Zehn! Sechzehn! Er flog jetzt langsamer und in weiten Schleifen. Er fand bewegungslose Drachen in allen nur denkbaren Stellungen. Ein junges Weibchen hing mit zerfetzten Flügeln über einem messerscharfen Grat. Schließlich, als Hotch umkehrte und wieder zurückflog, hatte er zweiundzwanzig Drachen gezählt.
Hot-cha! dachte er, dann richtete er einen lautlosen Appell an alle Gefährten: Landet hier! Dieser Lebensplatz ist verwüstet! Alle Drachen sind tot! Vor etwa einem Mond waren sie aus dem »Tal der Drachen« aufgebrochen. Viele gute und eine Anzahl schlechter Plätze hatten sie gefunden. Keiner hatte ihnen zugesagt. Und jetzt fanden sie tote Artgenossen. Hotch forschte in seinen wenigen Erinnerungen an die Große Zeit und wußte plötzlich, daß es fast unmöglich war, was er hier entdeckt hatte. Wer konnte Drachen töten? »Kommt!« rief er. Ein gewaltiger Laut tobte über den Felsen hinweg. Hotch wartete nicht, bis das Geschwader zur Landung ansetzte, sondern flog eine steile Kurve und landete mit hochgereckten Flügeln neben dem ersten Drachen, der wie zerschmettert dalag. Zuerst fiel ihm noch viel stärker der süßliche, widerliche Geruch auf. Er biß in den Nüstern. Dann sah Hotch, daß der Leib des toten Drachen aufgebläht war. Sie waren alle tot. Eine Seuche etwa? Mit einem überirdisch lauten Rauschen und Flattern senkten sich siebenundfünfzig Drachen auf den Felsen und das spärliche Gras. Einige Augenblicke später rief ihm Hot-cha zu, daß sie noch zwei tote Drachen in einer Höhle gefunden hätten.
Vierundzwanzig tote Drachen. Vergiftet oder durch eine Seuche des Viehs getötet? Ein anderer Drache rief dringend, aber unhörbar: Ich habe ein einzelnes Drachenei gefunden! Hotch warf sich herum und sah das aufgeregte Flügelschlagen in der Nähe der Höhleneingänge auf einem breiten, leeren Felsenband. Dort stand ein jüngerer Drache aus dem Geschwader. Ich komme! Hot-cha! Mit mir! Als er sich durch die aufgeregt trompetenden und sich lautlos unterhaltenden Drachen kämpfte, dachte er darüber nach. Das hatte es noch nie gegeben, seit er aus dem Ei gekrochen war. Vierundzwanzig tote Drachen. Ein ganzer Lebensplatz war getötet worden, war ausgestorben. Es gab ohnehin kaum noch Drachen – sie waren die letzten eines ehemals großen Geschlechts, das eine weitaus größere Bedeutung gehabt hatte. Wenn sie doch Berater hätten, die ihnen etwas aus der Geschichte erzählten! Hot-cha schwebte über ihn hinweg und schob den Jungen zur Seite, als sie in die Höhle eindrang. Plötzlich wurde die aufgeregt zitternde Spitze ihres langen Schwanzes starr und blieb in der Luft schweben wie ein glänzendes Menschenschwert. Hotch walzte das Felsband entlang und drängte sich durch den breiten Eingang. Ein Ei!
In der Mitte eines Lagers aus weichen Fellen und trockenem Laub lag ein großes Drachenei mit dünnen Wänden. Rund um das Nest lag ein weiblicher Kadaver, im Todeskampf zusammengekrümmt. Hot-cha sagte verwundert, aber mit Nachdruck: »In sechs bis acht Monden wird das Ei zerbrechen.« Hotch trompetete, daß die Felsen widerhallten. »Kannst du feststellen, ob es ein Männchen ist?« Die Mutter seines Sohnes versuchte, die Impulse des ungeborenen Drachen festzustellen. Nach einer Weile meinte sie: Ein Weibchen. Nicht ganz acht Monde noch, dann springt die Schale. »Nehmen wir es mit?« »Was sollte sonst mit ihm geschehen? Die Mutter ist tot. Hotch! Was ist hier geschehen?« Ich weiß es nicht. Gift? Seuche? Ich kann es nicht feststellen. Wenn noch einer lebte, könnte ich fragen. Hot-cha erwiderte, nachdem sie sich schützend vor dem Ei aufbaute: »Gemeinsam mit Jekko, Okka und Atta werde ich mich des keimenden Lebens annehmen.« »Nein« »Schon wieder Ga-vok!« regte sich Hotch auf. Der lautstarke und eindringliche Einspruch kam tatsächlich von dem braunen Drachen. Hotch spannte wütend seine Muskeln und stapfte
aus dem Eingang. Er wuchtete seinen Körper über das Felsenband und blieb auf dem breiten Felsen zwischen zwei toten Drachen stehen. Kampflustig schob er die Schultern vor. Sein Schwanz, beschrieb Kreise. Ga-vok kam vom anderen Ende des Felsens heran. Er kümmerte sich nicht um die anderen jungen Drachen, die auf ihn einredeten. »Ich fordere, daß alle Spuren unserer toten Freunde ausgelöscht werden sollen!« Ein wütender Trompetenstoß fuhr über den Felsen dahin. Einen halben Tagesmarsch weiter erschrak ein Hirt neben seinem Feuer. »Warum?« »Eines Tages werden Mitglieder des verhaßten Menschengeschlechtes hier heraufkriechen. Dieses Gewürm wird dann aus den Knochen der Toten Messergriffe schnitzen und Schwertscheiden aus der Haut ihrer Schwingen!« Hotch blies eine graugelbe Rauchwolke aus und erkundigte sich in unerschütterlicher Ruhe: »Es ging nicht um die toten Artgenossen, Ga-vok! Es ging um das werdende Leben im Ei.« Ga-vok stellte seinen Kamm auf und bog den Rücken. Die Hornplatten, die von seinem Schädel bis zum Schwanzansatzverliefen, richteten sich kampflustig auf ... Auch das Ei soll verbrannt werden! Alle Spuren
der Toten müssen verschwinden! Der Drache im Ei wird niemals leben!« Hot-cha kam langsam aus der Höhle. Jekko und Okka, die beiden zottigen Yttis, trugen mit unendlicher Vorsicht das Ei, den Gegenstand des Streites. Sie blieben im Schutz der Schwingen Hot-chas stehen. »Hör zu, du zeugungsunfähiger Querkopf!« grollte Hotch und peitschte wütend den Felsen mit seinem Schwanz. »Ich bin der Anführer dieses Geschwaders! Ich habe zu bestimmen, was geschieht. Gut! Du hast recht, wenn es sich um unsere toten Freunde handelt. Meinetwegen werden sie verbrannt, und ihre wenigen Herdentiere entlassen wir entweder, oder wir fressen sie. Aber über das Ei lasse ich nicht mit mir handeln!« Langsam versammelten sich die übrigen Drachen in einem unregelmäßigen Halbkreis um die beiden Streitenden. Ihre Krallen erzeugten auf dem Stein scharrende Geräusche. Knarrend rieben sich die ledrigen Schwingen aneinander; die Hornplatten krachten dumpf. Eine bedrohliche Stimmung breitete sich aus. Zorn und Erstaunen beherrschten die Gedanken der Drachen, der alten wie der jungen. Nur Hot-chi krabbelte unbekümmert zwischen den stampfenden Beinen umher und überschlug sich als er auf einem glatten Stück Stein ausrutschte. Lautlos wisperten die Gedanken der mächtigen Wesen. Sie alle
waren aufgeregt, aber keiner wollte einen Kampf zwischen dem alten, braunen Drachen und dem kräftigen Hotch. »Du stimmst also zu, daß wir die Toten hier verbrennen?« fragte Ga-vok und warf einen langen, bösen Blick in die Richtung Hot-chas, die sich schützend hinter den zottigen, menschenähnlichen Wesen aufgebaut hatte. »Ich stimme zu. Aber nicht zur Vernichtung des Ei‘s. Es ist kostbar. Ein neuer junger Drache wird ausschlüpfen, und unsere Familie wird anwachsen. Wir alle sind vom Aussterben bedroht. Das solltest gerade du am besten wessen!« Eine Welle von Schadenfreude ging durch die Reihen der anderen Drachen. Sie alle wußten, daß Ga-vok vor vielen Jahren um Hot-cha gebuhlt hatte. Sie aber hatte ihn abgewiesen und sich über ihn, den Alten, lustig gemacht. Sie hatte Hotch vorgezogen und ihm ein Ei gebracht, aus dem Hot-chi ausgeschlüpft war. »Ich weiß es. Aber auch das Ei kann vergiftet sein. Wir wissen nicht, wann es gelegt wurde.« Hot-cha brüllte von der Höhle her: »Selbst wenn es so ist, Brauner, dann werden wir dies in unserem neuen Lebensplatz feststellen. Ich werde jedenfalls dieses Ei mit meinem Leben verteidigen. Wenn du es zerstören willst, mußt du mit
mir kämpfen!« »Und vorher mit mir!« brüllte Hotch und rasselte mit seinen Hornplatten. »Und auch mit mir!« schrie Hot-chi, der aufgeregt vor den Schneemenschen hin und her sprang, bis Hot-cha eine Tatze ausstreckte und ihn mit kräftigem Druck auf dem Felsen festhielt. »Ich will nicht kämpfen. Nicht wegen dieses läppischen Jungdrachen!« meinte Ga-vok. »Dann ist es gut!« Hotch warf einen langen Blick zum Firmament, das sich langsam dunkel färbte. »Heute bleiben wir hier! Macht euch an die Arbeit, Freunde! Schleppt unsere toten Artgenossen zusammen!« Zögernd wandte Ga-vok seinen Schädel. Seine Augen schienen Feuer zu sprühen, aber dann drehte er sich um und schrie trompetend: »Wir beide, Hotch, sind noch nicht am Ende. Wir werden kämpfen ... aber nicht hier und nicht jetzt!« »Ich vergesse es nicht!« erwiderte Hotch. Schnell gab Hotch seine Anordnungen. Sogar Ga-vok gehorchte und setzte sich in Bewegung. Die Drachen des Geschwaders begannen die Toten zusammenzutragen. Hot-cha, die drei »Schneebestien« und Hot-chi taten nichts und sahen nur zu. Während sich am Horizont
lange, düstere Wolken zusammenballten, schleppten und zerrten die Drachen die schweren, starren Körper der Toten über den Felsen, über Gras und die rollenden Steine. Hotch war seltsam erregt und gleichzeitig von tiefer Trauer erfüllt. Seine unvollständige Erinnerung sagte ihm, daß sein Volk langsam starb. Aber hier waren gleich vierundzwanzig Drachen plötzlich gestorben. Das war mehr als verwunderlich; er konnte nicht glauben, daß sie alle der Seuche erlegen waren. Keuchend schleppte er einen riesigen, alten Drachen über den Abhang und zerrte ihn, zusammen mit einem jüngeren Artgenossen, auf den Haufen, der sich bereits in der Mitte des ausgestorbenen Lebensplatzes türmte. Hotch trottete schwerfällig zurück und machte anderen Drachen Platz, die einen Kadaver heranschleppten. Am Tod dieser langlebigen Wesen war keine Seuche schuld! Wer hatte die Drachen gemordet? Hotch stapfte langsam durch den Wirrwarr, bis hinaus auf den spitzen Abschnitt des Felsens. Es war ein guter Lebensplatz gewesen, denn von hier aus sah er weit über das Land. Der Felsen war nicht sehr hoch, aber sehr schwer zugänglich. Nur Vögel hatten es leicht, hier heraufzukommen. Abwesend schaute der mächtige Drache zu, wie einige junge Drachen die Felswälle und Gatter niederrissen, nachdem sie die
besten Fleischtiere zusammengetrieben hatten. Eine lautlose Botschaft Hot-chas erreichte ihn. Hotch! Was willst du tun? Was werden wir unternehmen, wenn wir hier fertig sind? Er brauchte nicht lange zu überlegen, um eine klare Antwort geben zu können. Wir werden weiterfliegen und einen Lebensplatz suchen. Für uns alle und für das Ei, das du beschützen und wärmen wirst! Ihre erleichterte Zustimmung erreichte ihn. Inzwischen, das wußte Hotch ganz genau, würde der Haß Ga-voks wachsen. Dieser Zwischenfall vor dem versammelten Geschwader, nur einer von vielen, würde den Haß abermals schüren und verstärken. Und eines Tages würden sie zusammenprallen. Vielleicht deswegen, weil sich der Braune nicht an die Ehrenregeln des Drachenvolkes hielt. Hotch wandte sich ab und sah, daß fast alle vierundzwanzig toten Drachen auf einem mächtigen Haufen lagen. Zwischen ihnen und rund um die Masse aus Flügeln und Körpern hatten die Drachen Baumstämme geschichtet und dürre Zweige getürmt. Die Geräusche hörten langsam auf. Je dunkler es wurde, desto größer wurden die Holzstapel und die Reisigbündel, die von fliegenden Drachen abgeworfen und von den Jungen aufgeschichtet wurden. »Es ist an der Zeit!« sagte sich Hotch. Er hatte jetzt
eine schwere Aufgabe zu erfüllen. Er als Anführer des Geschwaders mußte den riesigen Stoß in Flammen setzen. Dreimal schoß eine gewaltige Flamme aus dem Rachen Hotchs. An drei verschiedenen Stellen setzte das Feuer das Reisig und das Holz in Flammen. Der Abendwind, der um die Felsen strich und Kühlung mit sich brachte, fachte die Flammen immer mehr an. Sie griffen auf die dicken Äste über und schließlich auf die massiven Holzstämme. Die Haut der Drachenflügel entflammte und brannte zischend. Das Horn qualmte und stank, aber dann schlugen die Flammen über dem großen Haufen zusammen, begannen sich zu drehen und bildeten einen riesigen, flackernden Keil, der die Dunkelheit durchbrach und weithin loderte. Glut und Hitze breiteten sich nach allen Seiten aus. Die Drachen zogen sich langsam zurück. Sie bildeten eine dichte Mauer aus Leibern und glühenden Augen und, blickten starr auf den Felsvorsprung. Das grelle Licht blendete. Die Flammen begannen zu sausen, die heiße Luft riß Asche und Rauch in die Höhe. Bald gingen alle Geräusche der unruhigen Drachen in dem brausenden, mächtigen Feuer unter, das auf dem Felsen loderte. Hotch stand neben Hot-cha und hielt mit seiner
Pranke den kleinen Drachen fest. Selbst Hot-chi spürte, daß dies ein sehr ernster Augenblick war – nichts zum Spielen, keiner seiner Späße, denn er merkte, daß der ganze Drachenstamm schweigend und von fernen Erinnerungen heimgesucht dastand und auf etwas zu warten schien. Worauf? Auf eine andere, eine bessere Zeit? Darauf, daß die alten Erinnerungen wieder mächtig wurden und ihnen sagten, was sie waren und was ihr Ziel war? Hotch schüttelte unwillig seinen Kopf, als ob er diesen Druck dadurch loswerden konnte. Die Flammen, in denen seine Artgenossen verbrannten, machten ihn trübsinnig. Er warf Hot-cha einen Blick zu, aber sie sah ihn nicht an. Ihre Augen spiegelten das Feuer wider. Schatten schienen über ihren Körper zu zucken, aber es war nur das wechselnde Licht, das den Eindruck hervorrief, als würde sich das Drachenweibchen im Fieber schütteln. Jakko, Atta und Okka, die Yttis, drängten sich schutzsuchend aneinander. Auch sie starrten gebannt in den riesigen Feuerkeil. Morgen werden wir weiterfliegen – in die Richtung, in der es auch noch einen von uns geben soll, wenn ich die Gedanken einzelner Menschen richtig deute! überlegte Hotch. Stundenlang loderten die Flammen. Als sie schließlich zusammenfielen, als sich nur noch ein flacher Hügel aus weißer Glut ausbreitete, ließ die
Spannung nach. Die Drachen wurden müde und legten sich nieder. Hot-cha zog sich mit dem gefährdeten Ei in die Höhle zurück, und Hot-chi folgte ihr.
Fluchend wischte der Hirte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Noch immer hatte er seine Herde nicht zusammengetrieben. Einige Tiere würden verloren sein, andere hatten sich bestimmt Füße und Genick gebrochen und waren in Felsspalten gestürzt. Als er den Balken seines niedergetrampelten Pferchs wieder hochhob und in die Astgabel einsetzte, fiel sein Blick auf den fernen Berg. »Ein Feuer? Es sieht aus, als ob die Erde Flammen speit!« sagte er verwundert. Nur selten sah er den einzelnen Berg, jenen scharfen Felsen, der allen anderen Bergen vorgelagert war. Nur bei guter Fernsicht an bestimmten Tagen. Aber jetzt, mitten in der Nacht – ein Feuer? Es mußte ein riesiges Feuer sein. »Wer hat es angezündet?« fragte er. Er würde niemals nachsehen können, denn es waren mehr als sechs Tagesreisen dorthin. Vielleicht sogar zehn, und dann noch der Aufstieg. Und die Drachen, die heute seine Herden überflogen hatten?
Er zuckte die Schultern, warf einen langen Blick auf die Flammen und gähnte. Er war den halben Tag hinter seinen Tieren hergerannt.
3.
Zwanzig Pferde, mehr als dreißig Kamele und einige Packesel. Fünf ausgesuchte Sklavinnen, acht kräftige Sklaven und neununddreißig Traglasten voller Handelsgut bewegten sich vor Varany den kaum erkennbaren Pfad entlang. Die Sonne brannte im Mittag, und wenn sie dieses Tal dort vorn erreicht haben würden, konnten sie endlich rasten. »Nabib von Thinayda! Du hast mir einen mühsamen Weg empfohlen!« keuchte Varany. Als er Nabibs Erzählungen gelauscht hatte, wußte er: In der Gegend von Urgor und an vielen anderen Plätzen in diesem Land war‘ gut Handel treiben. Und so war er aufgebrochen. Bisher hatten er und seine Helfer sehr gut abgeschnitten, und wenn in einigen Monden die Karawane wieder daheim ankam, würde er das Geschäft seines Lebens gemacht haben. Heute aber waren sie müde. Alle, Menschen und Tiere. Und Varany, den sie allerorten den Fremden nannten, hoffte mit den anderen auf die nächste Rast. Noch war es
nicht so weit – noch eine Stunde. »He! Ihr Faulpelze!« schrie er und knallte mit der Peitsche. Es lag keine Drohung in seinem Ruf und in den matten, knallenden Geräuschen. Nur ein paar Pferde bewegten müde die Ohren ... Dort vorn sieht es nach Schatten und Wasser aus! Je eher wir dort sind, desto besser geht es uns!« Er sollte ein Beispiel geben. Er setzte sich im Sattel zurecht, setzte die Sporen ein. Das Pferd fiel in einen harten, stoßenden Galopp. Varany sprengte langsam den langen Zug entlang und rief jedem seiner Helfer ein paar aufmunternde Worte zu, ließ ein Kamel die Peitsche spüren und erschreckte einen Esel. Bisher waren sie von Raubsgesindel und Wegelagerern verschont geblieben, und auch heute würden sie wohl in Ruhe schlafen können. Die Gegend war einsam, bis sie nach Taxa kamen. Aber noch waren weder Viehweiden noch Acker zu sehen. »Los! Schneller! In den Schatten, ihr Schnecken!« schrie er. Er ritt den schmalen Pfad auf dem Grund der engen Schlucht entlang. Als er an der Spitze des müden Zuges von Menschen und Lasttieren vorbeiritt, sah er vor sich, wie die Felswände auseinandergingen und den Blick freigaben auf einen vielversprechenden Talkessel. Das war das Tagesziel! Varany zügelte sein Pferd und stellte sich in den Steigbügeln auf. Beim Anblick der
grünen Oase inmitten der steilen Flanken des Kessels spürte er seine Müdigkeit. Langsam trat das Tier vom Pfad herunter und blieb im saftigen Gras stehen, den Schädel nach unten drückend. »Gleich, mein Schwarzer, kannst du fressen, saufen und dich im Gras wälzen!« murmelte Varany und drehte den Kopf. Schnaufend und stolpernd kam die Karawane näher. Nicht nur die Tiere schwankten, auch die Menschen in den Sätteln. Langsam kamen sie an ihm vorbei, und als sie sahen, daß das Tal auf sie zu warten schien, wurden sie schneller und lebhafter. Varany grinste breit unter der Maske aus eingetrocknetem Schweiß und Schmutz – so war es immer. Einige Zeit später stolperte das letzte Lastkamel vorbei. »Gut so!« brummte der Händler. Gerade, als er seinem Besitz nachreiten und in der Mitte des ungeordneten Haufens absteigen wollte, schien er plötzlich etwas zu wittern. Eine Gefahr kam unsichtbar auf ihn zu. Er hatte diesen Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als vom jenseitigen Ende des runden Talkessels ein Laut ertönte, den er in seinem ganzen Leben noch nie gehört hatte. Es war ein markerschütternder Schrei, der zusammengesetzt war aus einem schrecklichen Trompetenstoß, aus dem Todesschrei eines riesigen
Tieres und aus dem kreischenden Ton eines ausbrechenden Vulkans. Der Schrei währte einige Augenblicke, in denen alle, Menschen und Tiere, wie versteinert waren. »Nein!« ächzte Varany auf. Dann verwandelte sich das ruhige Tal in ein Chaos. Über die Felsen schob sich in langsamem Flug ein bestialisches Tier mit Schwingen, so groß wie Häuser. Wieder stieß das Tier mit der weißen Haut und den vielen gelben Streifen einen Schrei aus. Die Tiere stiegen in die Höhe, keilten aus und warfen ihre Reiter ab. Einige Pferde rasten in einem halsbrecherischen Galopp an Varany vorbei. Packlasten wirbelten durch die Luft. Die Sklavinnen schrieen gellend. Die Bestie schwebte von den Felsen herunter und schien mit dem Reptilienrachen direkt auf Varany zu zielen, der mit seinem Rappen kämpfte und die Vorderbeine des Tieres auf den Boden zurückzwang. »Ein Drache!« keuchte Varany und griff nach der Kampfaxt am Sattel. Der Drache schrie, und dann fauchte eine meterlange Stichflamme aus seinem Rachen. Die Sklaven flohen nach allen Seiten. Die Reiter wurden heruntergeschleudert und von den durchgehenden Pferden und Kamelen mitgeschleift. Der Drache wußte genau, was er anrichtete.
Er flatterte mit krachenden Schlägen seiner Schwingen im Kreis herum. Kein Reittier und keines der Lasttiere war mehr im Mittelpunkt des Talkessels. Einige Tiere versuchten, in panischer Flucht die steilen Kesselwände hochzuklettern und verletzten sich dabei. Sie schrien erbärmlich. Einige andere rasten galoppierend und die Lasten von sich schleudernd quer durch den Kessel, trampelten die Helfer nieder und sprangen wie besessen über Büsche und Felsbrocken. Der feurige Atem des Drachen hatte in der Mitte des Tales einen Busch in Flammen gesetzt, dessen grüne Blätter brannten und schwarz rauchten. Noch immer versuchte Varany, sein Pferd in einen Angriff zu zwingen. Aber dann, als er mit geschwungener Axt auf den Drachen losritt, fegte ihn ein Schwingenhieb aus dem Sattel und auf eine Fläche aus Geröll und Kies. Er schlug schwer mit dem Hinterkopf gegen einen Stein. Dunkelheit umhüllte ihn. Die anderen Tiere kamen zurück. Schrecken und Entsetzen standen in ihren Augen. Hinter ihnen tauchten Reiter auf, die große Mäntel über den Köpfen schwenkten. Sie scheuchten die wildgewordenen Tiere zurück. »Hierher! Schickt ihm einen Pfeil nach!« schrie eine Stimme. Auch auf der gegenüberliegenden Seite kamen
hinter den Wällen aus mannshohen Wassergräsern Reiter hervor. Ihre Pferde glänzten vor Nässe, Schlamm und Schweiß. Mit gezogenen Schwertern trieben sie die geflohenen Sklaven vor sich her. Hin und wieder zügelte einer der Reiter das Pferd und bückte sich aus dem Sattel. Wenn er wieder auftauchte, hielt er ein Bündel oder eine Sklavin in der Hand. Der Drache beendete seine letzte Runde und stieg höher. Nach einigen lauten Flügelschlägen, die im Kessel einen Wind entfachten und die Flammen des Busches wieder höher schlagen ließen, verschwand das Tier aus der Sicht der Überfallenen und der Angreifer. Die Stimme, die vorhin Warnungen und Befehle ausgestoßen hatte, dröhnte wieder auf. »Vater der Luft! Wir danken dir!« Von fern hallte der trompetende Schrei des Drachen auf. Wieder scheuten die Tiere, die sich langsam beruhigt hatten. Die Sklavinnen, Sklaven und Begleiter wurden zusammengetrieben und bildeten einen angsterfüllten Haufen in der Nähe des Feuers. »Wo ist der Anführer? Der Mann mit dem weißen Helm?« »Hier ist sein Pferd! Es muß ihn abgeworfen haben!« Während die Wegelagerer die Tiere an Bäumen und starken Buschwurzeln festbanden, suchten einige von ihnen Varany. Sie fanden ihn, besinnungslos ausgestreckt.
»Hier ist er! Er schläft!« Ein heiseres, böses Lachen war zu hören. Auf das Geheiß des Mannes mit der lauten Stimme suchten die Gefangenen das Gepäck und die Traglasten zusammen. Peitschen wurden geschwungen. Sie trieben die Männer und Mädchen zur Eile an. Schließlich brachte ein Helm voll kalten Wassers Varany wieder zur Besinnung. Er blinzelte in die Sonne, setzte sich ruckhaft auf und schrie leise auf, als der Schmerz ihn überfiel. Dann, als er wieder klar sehen konnte, sah er einen schlanken Mann, dessen Bogen gespannt war. Der Pfeil zielte auf Varanys Kehle. »Wer bist du? Was willst du?« gurgelte Varany und holte Luft. »Wer ich bin, geht dich nichts an. Was ich will: Ich will alles. Ich habe alles. Tiere, Sklaven, Handelsgut. Dein Name?« Varany erwiderte langsam und dachte, während er sprach, über seine Lage nach. »Man nennt mich Varany den Fremden Händler. Ich will nach Taxa.« »Du bist in Taxa. Wir sind Taxa!« war die Antwort, von einem Lachen begleitet. Noch immer zielte der Pfeil auf seine Kehle. »Aufstehen!« Varany sah ein, daß er machtlos war. Noch lebte er,
aber das konnte sich sehr schnell ändern. Die Gesichter der Männer, die er jetzt hinter dem Anführer der Wegelagerer erkannte, waren von schmutzigen Tüchern vermummt. Man sah nur die Stirnen und die Augen. »Die Waffen weg!« Varany zuckte die Schultern und zog die Dolche und das kurze Schwert aus den Scheiden. Er warf sie auf einen Haufen zwischen sich und den Mann, der breitbeinig dastand und unverändert auf ihn zielte. Graue, stechende Augen unter schwarzem Haar blickten ihn hart und prüfend an. »Hinüber zu deinen Leuten. Eine reiche Karawane scheinst du zu haben!« Varany brachte wütend heraus: »So ist es. Warum habt ihr uns überfallen? Hat euch diese Bestie geholfen?« Die Augen seines Gegenübers schlossen sich zu schmalen Schlitzen. Einen Augenblick lang ahnte Varany, daß er dem Tode nahe war. Dann hatte der Mann in der leichten Rüstung wieder die Herrschaft über sich gewonnen. Er lachte kurz und sagte mit einer Stimme, in der Stolz und ein bißchen Furcht mitschwangen: »Der Drache ist unser Herr und unser Freund. Er wird sich heute an deinen Tieren mästen!« Varany begann zu begreifen, daß dies keine
einfachen Wegelagerer waren. Sie handelten mit der Erfahrung einer kleinen, aber gut aufeinander eingespielten Truppe. Jeder Blick, den er nach drüben warf, wo die Beute wieder verladen und befestigt wurde, zeigte ihm, daß er es mit Erfahrenen zu tun hatte. »Und meine Karawane?« Der Mann bedeutete ihm mit einer Bewegung des Kopfes, zu seinen Leuten hinüberzugehen. »Was wir brauchen, werden wir uns nehmen. Das gilt für die Dinge, die du dabei hast. Es gilt auch für die Tiere und die Sklaven. Vielleicht lassen wir dich am Leben. Aber hoffe nicht, daß wir dich frei lassen.« Varany schwieg. In seinem Innern tobten Wut und Enttäuschung. Er hatte mit einem Schlag alles verloren, was er in langen Monden mit List und Geschick eingehandelt hatte. Er sah zu, wie den Sklavinnen und Sklaven, die ihn flehend anblickten, wieder die Hände gebunden wurden. »Wohin bringt ihr sie?« fragte er. Vor Wut vermochte er nicht mehr deutlich zu sprechen. »Du wirst es sehen. Los! Bringt sie weg! Es wird spät!« schrie der Mann, der jetzt hinter ihm ging und die Spitze des Pfeiles auf die Stelle zwischen den Schulterblättern des Händlers richtete. Die müden Tiere wurden angetrieben und schleppten sich unter Schreien und Peitschenhieben
weiter. Die Helfer, an die Pferde der Räuber gebunden, führten die Packtiere und die Reittiere der Sklaven mit sich. Schwankend bewegten sich die Lasten. Die Hufe der Tiere wirbelten die feine Asche des niedergebrannten Fleckens auf. »Dies ist dein Tier?« fragte der Anführer und ließ die Waffen einsammeln. Einer der Räuber brachte den schwarzen Hengst heran, von dessen Maul blutiger Schaum tropfte. »Ja. Es ist ein wertvolles Tier. Ich habe es ...« Varany winkte ab und schwieg. Alles war sinnlos geworden. Er war vernichtet worden, in einigen Augenblicken, als der Drache erschienen war. Er starrte hinauf in den blauen Himmel und sah die Wolken eines Gewitters aufziehen. Langsam wand sich der Zug der Überfallenen und der Räuber aus dem Tal hinauf, vorbei an dem kleinen Bach und an dem aufgestauten Tümpel. Als sich die Kamele weigerten, weiterzugehen, droschen die Räuber auf die Tiere ein und trieben sie unbarmherzig weiter. Varany schwieg noch immer, ging neben seinem Pferd her, in dessen Sattel jetzt Abrasha saß, seine teuerste Sklavin. Er überlegte ununterbrochen, was er tun konnte. Im Augenblick jedoch waren sie alle machtlos. Wohin brachte man sie? Er wußte es nicht. Einige Stunden vergingen, und
die Füße schmerzten höllisch. Sie wanderten aus der Schlucht hinaus, kamen wieder auf einen kaum sichtbaren Tierpfad und bewegten sich durch einige schüttere Wälder. Dann tauchten Tröge und Brunnen auf und abgeweidete Wiesen. Schließlich, als sich am späten Nachmittag die Gewitterwolken zu einem riesigen schwarzen Berg auftürmten, als das Licht schwächer zu werden begann, sahen sie weit vor sich einige verwitterte Säulen und einen runden Turm. »Schneller! Ich möchte nicht, daß unsere weibliche Beute naß wird!« schrie der Anführer. Wieder wurden die Tiere geschunden. Der Wald wurde dichter, und Varany mußte schneller ausschreiten. Er schwor sich, bei der ersten Gelegenheit den Anführer umzubringen. Aber jetzt, zwischen den Stämmen der Bäume, gefesselt und waffenlos, war ein solcher Versuch Selbstmord. Auch die Räuber waren müde, denn sie schwiegen und machten keine Scherze und keine Bemerkungen über ihre Beute. Der Anführer ritt seitlich des Zuges und hielt noch immer den gespannten Bogen in der Hand. Schließlich lichtete sich der Wald, und alle sahen die halbe Ruine vor sich liegen. Sie bestand aus hellem Stein, war teilweise neu gemauert und bildete eine sonnenbeleuchtete Kulisse vor dem riesigen Turm der Gewitterwolken. Gerade, als die Wolke die letzten Sonnenstrahlen schluckte, sahen die schnellen,
aufmerksamen Augen des Händlers drei verschiedene Dinge. Der gelbe Drache – Ro-val hatten die Räuber ihn genannt! – schwebte langsam zwischen der Wolke und einem weiter entfernten Hügel, neben dem man die Stadtmauern undeutlich hinter den Regenschleiern erkennen konnte. Auf dem Hügel stand ein einzelner Mann, unendlich weit entfernt und klein. Er hob beide Arme hoch und schien die Wolke anzubeten oder auf den ersten Blitz zu warten. Als Varany vorsichtig den Kopf drehte, um in die Richtung zu schauen, in die der Fremde dort drüben blickte, sah er ... ... ein Geschwader von Drachen. Fünfzig oder mehr Tiere. Sie schwebten in großer Höhe, noch voll im Sonnenschein. Noch mehr Drachen! Noch mehr Schrecken! Dann zuckte Varany innerlich zusammen. Er war in dieser Gegend, weil ihn die Rede des Händlers Nabib verlockt hatte. Nabib, der sich brüstete sozusagen der beste Freund der Drachen zu sein, hatte etwas von einem Buch der Drachen gesagt, in dem er gelesen haben wollte: »Die Drachen sind gut. Vielleicht gibt es Außenseiter, wie bei Herdentieren, die den Menschen Böses wollen. Aber die Drachen sind die Freunde der Menschen und betrachten sie nicht als Gefahr. Aber die
Drachen sind stolz und besitzen ein starkes Ehrgefühl. Man sagt, sie könnten Gedanken lesen!« Varany nickte bitter und sah verstohlen zu dem Schwarm hinauf. Wenn sie Gedanken lesen konnten, dann würden sie meine Gedanken lesen. Meine Gedanken beschäftigen sich nur mit der Wut, der Enttäuschung und der Rettung. Wenn beispielsweise der große, grüne Drache an der Spitze des Geschwaders erkennen würde, was hier vorgeht ... Er riß Augen und Mund auf, als er bemerkte, was jetzt geschah. Ro-val, wohl im Anflug auf den alten Tempel oder das halbverfallene Kloster begriffen, zögerte. Sein Flug wurde unsicher. Er flatterte nach Art eines Raubvogels über einer Stelle; nämlich in der Nähe des Hügels, auf dem der einsame Mann stand. Und auch der Riesendrache an der Spitze der Gruppe hatte seinen Flug verändert. Er faltete seine Schwingen halb zusammen und fiel schräg dem Boden entgegen. Jetzt sahen auch einzelne Räuber, was dort vor sich ging. »Ro-val flüchtet!« schrie einer. »Unsinn! Er flüchtet nicht! Er wird den anderen Drachen begrüßen! Seht, welch ein Schwarm!« Der grüne Drache trompetete laut, als er die Schwingen wieder auseinanderriß und genau zwischen Ro-val und dem Fremden vorbeischwebte. Varany
dachte mit brennender Sorge an seine Karawane und an seine bedauernswerte Lage. Vielleicht verstand ihn der grüne Drache. Im selben Augenblick spaltete ein greller, weitverästelter Blitz die schwarze Wolke in zwei Teile. Der Donnerschlag rollte krachend und widerhallend über das Land. Die beiden Drachen umkreisten einander in engen Spiralen. Niemand von den Menschen, die stehenblieben und diese mächtigen Tiere hoch über sich anstarrten, ahnten etwas von dem, was der grüne und der gelbe Drache taten oder zu tun beabsichtigten. Niemand regte sich. Selbst die Tiere, die vor dem Blitz gescheut und den Donner gefürchtet hatten, blieben mit steifen Läufen stehen und rührten sich nicht von der Stelle. Hilf mir, grüner Drache! dachte Varany der Fremde, und es war ihm, als verstünde ihn dieses Wesen aus der Fabel. Vor vielen Jahren, dachte Hotch, haben wir diesen Drachen aus unserem Geschwader ausgestoßen. Gur, der alte blaue Drache, hatte ihn davongetrieben. Ro-val war ein geborener Störenfried; weitaus schlimmer als Ga-vok. Dies war also der Drache, der in der Gegend von Taxa lebte, und von dem die Menschen widerspruchsvolle Dinge dachten und erzählten. Hotch ließ den anderen Drachen keinen Moment aus den
Augen, während er ihn in langsamem Flug umkreiste. In den Gedanken des kräftigen Drachen waren die gedachten Rufe der Menschen. Zwei von denen dort unten dachten entscheidende Dinge über Ro-val. Hotch entblößte seine Zähne, spreizte seine Klauen aus und rief: »Was tust du hier, Ro-val? Was ich über dich höre, ist nicht gut!« Ro-val, dessen Klauen gelb aufleuchteten, als ein zweiter Blitz die fahle Stimmung über dem Land aufhellte, schrie trompetend zurück: »Ich beschütze die Menschen. Sie verehren mich, die Bewohner von Taxa!« Grimmig brüllte Hotch: »Du bist der alte Lügner und Betrüger geblieben. Dort unten denken zwei Menschen sehr schlecht von dir! Sie bezeichnen dich als Räuber und als Helfer von Räubern!« »Das ist nicht wahr.« tobte Ro-val. Sie umkreisten sich im beginnenden Gewitter wie zwei wütende Gegner. Ein unhörbarer Schrei Hotchs veranlaßte die übrigen Drachen, in größerer Höhe zu bleiben. Dann konzentrierte er seine Gedanken auf den einzelnen Mann auf der Kuppe des Hügels. Es schien ein Mensch zu sein, der klüger als der Durchschnitt der anderen war. Was dachte er? Innerhalb von wenigen Augenblicken empfing der
Anführer des Drachengeschwaders eine Unmenge von Gedankenbildern. Immer wieder schrie unhörbar ein anderer Mann dazwischen, der ihn, den grünen Drachen, um Hilfe bat. Seine unhörbaren Schreie waren dringend und von Wut erfüllt und Sorge. Jetzt erkannte Hotch die Wahrheit! Er wußte, was wirklich geschehen war, was der Drache hier tat, und wem er half. Das Entsetzen darüber, daß einer seines Volkes in der Lage war, solche Verbrechen zu begehen, lähmte ihn nur kurz. Dann konzentrierte er alle seine Energie und rief die Angehörigen des Geschwaders. Sie wollten Gericht halten ...
4.
Während sich die übrigen Drachen in einigen langgestreckten Zügen dem Boden entgegenstürzten, entfaltete das Gewitter seine ganze Kraft. Blitz um Blitz zuckte in den Himmel hinauf und die Donnerschläge erschütterten die Luft und die Erde. Regen prasselte in breiten Bahnen hinunter auf die Felder und die wartenden Menschen. Der grüne Drache Hotch kreiste noch immer und empfing die Gedanken der Menschen ebenso gut wie die der Schneemenschen, die mit ihnen
flogen. Vor langer Zeit war Ro-val von dem Geschwader ausgestoßen worden, das sie vor Tagen tot aufgefunden hatten. Dann war der Gelbe zu ihnen gestoßen, bis es Gur zuviel geworden war. Ro-vals Streiche waren niemals harmlos. Immer kamen Menschen oder Drachen oder die Ehre dieses Geschlechts zu Schaden. Also stieß auch Gur den Gelben aus und drohte ihm, ihn zu töten, wenn er weiterhin so leben würde – und wenn Gur dies in Erfahrung brächte. Und jetzt ... Ro-vals Schreckensherrschaft dauerte seit Jahren an. Er tyrannisierte die Menschen, schwang sich sogar zu einer Stadtgottheit auf und schützte eine kleine Gruppe von Männern, die sich als »Drachenpriester« ausgaben und die das Volk mit Drohungen und Diebstählen in Schach hielten. Sie waren Verbrecher, und Ro-val war es ebenso. Und als vorläufige Krönung seiner Schandtaten hatte er den falschen Priestern geholfen, eine reiche Karawane zu überfallen. Vor einigen Stunden war dies geschehen. Hotch sah sich kurz um. »Gut so!« rief er. »Ihr seid alle hier!« Sie bildeten einen dichten Ring, der sich drehte. Ihre Flügel waren naß vom strömenden Regen, aber zwischen den Wolken brach schon wieder die Sonne
des tiefen Nachmittags durch. Die riesigen Lebewesen wirkten in diesem Licht wie Geister aus einer ganz anderen Welt, wie lebendig gewordene Träume. Dann donnerte Hotch: »Du bist verloren, Ro-val! Erinnere dich an die Worte, mit denen dich Gur aus unserem Lebensplatz ausstieß! Wir treiben dich jetzt zur Stadt! Alle sollen sehen, wie ein ehrbrüchiger Drache endet!« Bitterkeit und tödliche Wut sprachen aus seinen Worten. Das Geschwader war ohne jede Widerrede damit einverstanden. Selbst Ga-vok achtete diesen Ehrenkodex der Drachen. »Es ist nicht wahr, was du sagst!« schrie endlich der Gelbe, als er die fremde Macht spürte. Sie zwang ihn zu etwas, das er nicht wollte. Aber langsam mußte er der geballten geistigen Kraft des Geschwaders weichen. »Ich habe keine Menschen gefressen!« »Ich weiß, daß man dir Menschenopfer dargebracht hat! Du brauchst nicht zu widersprechen. Wir wissen alles! Du verdienst den Tod!« Jetzt waren auch einige Menschen in der Stadt Taxa aufmerksam geworden. Sie kletterten auf die Mauern und die Dächer und starrten hinauf zu der gewaltigen Menge leuchtender Drachen. Das Gewitter zog weiter. Die Blitze und das Dröhnen des Donners wurden schwächer. Der Regen fiel gleichmäßiger und weicher. »Du willst mich töten?«
Ro-val wußte, daß der Geschwaderführer es bitter ernst meinte. Er kannte Hotch von früher und ahnte, daß seine letzten Stunden nahe waren. Drohend umkreiste ihn die Masse der Drachen. Ihre geistigen Kräfte begannen zu wirken und ließen ihn die Richtung ändern. Immer mehr wurde er der Stadt Taxa zugedrängt. »Wir werden dich zwingen, dich selbst zu entleiben!« widersprach Hotch. Mit der Gruppe der verbrecherischen Priester würden sie später abrechnen. Die Gedanken der zwei Männer, die um Hilfe riefen, sagten genug. »Wie denkt das Geschwader darüber?« Die Frage, die Hotch an seine Artgenossen richtete, war berechtigt. Er erhielt die Antwort, die er sich vorgestellt hatte. Von dem Gerechtigkeitssinn geleitet, der das Geschlecht der Drachen seit der Bewußtwerdung begleitet hatte, stimmten alle erwachsenen Drachen für den Tod Ro-vals. Mit einer Ausnahme. Ga-vok, der Braune, schaltete sich ein. Seine Stimme schallte über das zustimmende Murmeln der anderen. »Nicht so, wie du denkst, Hotch!« Noch immer zwang der gedankliche Block, den das Drachengeschwader bildete, den Schwefelgelben in die Richtung der Stadt. Die Abendsonne hatte sich jetzt rot gefärbt und zauberte nicht nur einen doppelten
Regenbogen hervor, sondern tauchte die unwirkliche Szene in ein düsteres, fahles Licht. Die Menschen sahen schweigend und gebannt zu. Hier kämpften Giganten. Vielleicht ahnten die ausgebeuteten Bewohner der kleinen Stadt Taxa, was hier geschehen würde. »Aber auch nicht so, wie du es willst, Ga-vok!« Hotch wußte genau, was der Braune vorschlagen würde. Er war sicher, daß mit diesem Vorschlag der Rest des Geschwaders keinesfalls einverstanden sein würde. Es ging hier um nichts anderes als um die Ehre und darum, daß sich ein Vertreter des alten Geschlechtes zu schwersten Verfehlungen hatte hinreißen lassen. »Ich schlage vor, daß ein Zweikampf auf Leben und Tod stattfindet. Zwischen dir, dem vorübergehenden Anführer und diesem Ausgestoßenen da!« Aufgeregt riefen Hot-cha und andere Drachen: »Er ist eines Zweikampfes nicht würdig.« »Wer – ich?« fragte ablenkend der Geschwaderführer. »Nein! Der Gelbe! Kein Zweikampf!« Kein Zweikampf also! Hotch unterdrückte ein starkes Triumphgefühl. Er hätte keinen Augenblick gezögert, den Schwefelgelben anzugreifen, aber es ließ sich nicht mit dem ungeschriebenen Gesetz der Drachen vereinbaren. »Kein Zweikampf, Ga-vok!« donnerte Hotch. Er
wußte, daß der Braune mit der verschwindend geringen Möglichkeit rechnete, Hotch selbst würde den Zweikampf verlieren. In diesem Fall würde er zum Geschwaderführer aufsteigen. Selbst dann, wenn Hotch schwere Verletzungen erleiden würde, geschah dies – so war es ausgemacht worden. Wieder eine Hoffnung weniger für Ga-vok! »Ihr dürft mich nicht töten!« schrie der Schwefelgelbe in höchster Todesnot. Aber die unsichtbaren Kräfte stießen ihn weiter der Stadt zu und immer höher in die regennasse Luft hinauf. Kuman Thanak ließ die Arme sinken. Er kannte das Buch der Drachen nicht, aber viele Menschen, mit denen er gesprochen hatte, sprachen davon. Ein geheimes Pergament, das älter sein sollte als die heute lebenden Drachen. Jedenfalls stand darin zu lesen, daß die Drachen nicht böse seien; man konnte sie zwar als Freunde einzelner Menschen bezeichnen, nicht aber als Freunde des Menschengeschlechts allgemein. Immer wieder – so das »Buch« – gab es Geschichten, in denen Drachen einzelnen Bedrängten geholfen hatten. »Ohne dieses Buch hätte ich niemals den Mut gehabt, sie zu bitten!« murmelte er und schlüpfte aus dem strömenden Regen wieder zurück in das sichere
Versteck unter dem ausladenden Baum. Als er kurz vor dem Gewitterausbruch die Formation der hoch fliegenden Drachen gesehen hatte, schöpfte er Mut. Vielleicht verstanden sie ihn, vielleicht stimmte es, was er wußte: Drachen konnten Gedanken lesen. Also richtete er seine Gedanken an den Drachen, der den Zug anführte. Ihn selbst hatte es überrascht, als der Drache reagierte. Als er den dumpfen Druck in seinem Gehirn gespürt hatte, wurde die Ahnung fast zur Gewißheit. Der Drache verstand ihn, er hörte seine Bitte. Jetzt wußte er auch, warum die Männer, die den falschen Stadtgott Taxas anbeteten, so erfolgreich sein konnten. Der schwefelgelbe Verbrecher-Drache las die Gedanken, Empfindungen und Wünsche der Stadtbevölkerung. Und natürlich auch die seiner »Priester«. Zwischen den Zweigen spähte Koman nach oben. Zuerst sah er zu, wie sich die beiden Drachen eng umkreisten. Dann nahm er mit schreckgeweiteten Augen wahr, wie sich das Geschwader aus der gewaltigen Höhe nach unten stürzte und einen Wall um die beiden Drachen bildete. Und jetzt, nachdem der Druck um seinen Kopf gewichen war, entdeckte er, was der grüne Drache vorhatte. Der Schwefelgelbe kletterte mit panischen Flügelschlägen immer höher und flatterte wie ein ängstlicher Riesenvogel auf die
Stadt zu. Lange Augenblicke des Wartens vergingen. Noch immer strömte der Regen senkrecht herunter. Noch immer hing die Sonne wie ein riesiger Gong aus rotglühendem Metall über den Mauern und den wuchtigen Türmen der Stadt. Und noch immer standen die Tiere der überfallenen Karawane dort drüben, in der Nähe der Ruinen jenen Tempels einer unbekannten Gottheit. »Was wird geschehen?« fragte sich Koman voller banger Sorge. Natürlich fürchtete er die Rache der Priester, falls sie doch noch siegten. Er hatte einen Ausgestoßenen beherbergt und geheilt, und er, der Rebell, zählte nicht zu denen, die im Tempel des Taxas Opfer brachten. Jetzt waren die Drachen zu winzigen, rotglühenden Schatten am Himmel geworden. Aus dem großen Schwarm löste sich plötzlich ein kleiner Punkt und fiel fast senkrecht herunter wie ein Regentropfen. War der Schwefelgelbe aus der Gewalt der anderen Drachen entkommen? Der Körper wurde schneller und, je mehr er sich der Stadt näherte, immer größer. Jetzt erkannten auch die Stadtbewohner und Koman, daß es ein Drache war. Seine Schwingen waren angelegt, der lange, furchtbare Schweif steil nach oben gereckt. Die vier Tatzen wirkten so, als versuche das Tier, angstvoll durch die Luft rudernd, einen tödlichen Fall abzufangen. Der Drache fiel wie ein Regentropfen genau auf die Stadt zu.
»Die Farbe? Ist es der Gelbe?« stöhnte Koman auf. Er rannte hinaus in den Regen, vergaß seine gesammelten Kräuter und schützte die Augen mit der Hand vor den roten Glutstrahlen der Sonne. »Ja!« Der steile Fall schien endlos zu dauern! Die Schwingen spreizten sich nicht, und das Tier stieß, fünfzig Mannslängen über der Stadt, einen furchtbaren Angstschrei aus, der die Mauern zu erschüttern schien. Dann schlug der Körper ein wie ein Geschoß. Genau erkannte Koman Thanak nicht, an welcher Stelle Taxas der falsche Gott sein Ende gefunden hatte. Mauerbrocken und Staub flogen nach allen Seiten und wurden vom Regen schnell niedergeschlagen. Aber es schien ein Turm oder ein größeres Gebäude zu sein. »Der schwefelgelbe Drache ist tot!« stammelte Koman fassungslos. Bis zuletzt hatte er nicht darauf hoffen können, daß die Drachen der Stadt und dadurch auch ihm halfen. Aber jetzt würde die Wut unter der Stadtbevölkerung ausbrechen. »Ich weiß, daß die Priester in Stücke gerissen werden!« murmelte Koman. Er fühlte sich unbehaglich, als er an das Blutbad dachte, das jetzt folgte. Dort drüben befanden sich die Räuber. Und wenn der Volkszorn sich Bahn brach, dann würden auch die Gefangenen nicht mehr sicher sein. Werden sie auf mich hören? fragte sich Koman.
»Ich muß es versuchen!« sagte er nach kurzem Überlegen. Vielleicht konnte er eher bei den Ruinen eintreffen als die Menschen, die jetzt aus der Stadt aufbrechen und mit jeder nur denkbaren Bewaffnung die Räuber und Priester erschlagen würden. Vielleicht! Er warf sich den ledernen Sack über den Rücken und rannte den Hügel abwärts. Seine Beine wurden von den Ranken und Dornen zerkratzt, der Regen durchnäßte ihn vollends, und er begann langsam auf die Ruinen zuzulaufen. Er glaubte, aus der Stadt fernes Rumoren und Schreie zu hören ... aber dies konnte auch sein Pulsschlag sein, den er in den Ohren hallend hörte. Einmal blieb er stehen und warf einen Blick in den Himmel, nach Westen. Dort sah er die Drachen, die über der Stadt schwebten. Vielleicht fingen sie auch dort die Gedanken der Menschen auf, überlegte Koman und hastete weiter. Dann sah er, wie der mächtige grüne Drache sich wieder an die Spitze setzte und deutlich in die Richtung der Ruinen flog, dicht über den Baumkronen hinweg. Er war viel schneller als ein rasend galoppierendes Pferd, viel schneller! Die Drachen wurden die räuberischen Priester und deren Gefangene eher erreichen als er. Keuchend rannte er weiter, durch die Felder und über die leergefressenen Weiden.
Das Geschrei weckte Nakom. Ächzend richtete er sich auf. Obwohl er seit vielen Tagen hier im Haus des Kräuterkundigen lebte, den man den »Rebellen« nannte, war er noch nicht völlig geheilt. Noch immer eiterten einige Wunden, und noch immer mußten die Verbände erneuert werden. Aber die Schmerzen, die ihn halb besinnungslos gemacht hatten, kamen in immer größeren Abständen. Und jetzt war etwas im Gang; die Menschen aus den Häusern rundherum hasteten, trampelten über Treppen, krochen hinauf auf die Dächer und schrien sich Worte zu. Mühsam, kletterte Nakom von seinem Lager. Eine Binde war aufgegangen, der lange Leinenstreifen schleifte hinter ihm her. Nakom verstand einzelne Worte. »... gelber Drache ...« »Mindestens hundert Drachen am Himmel!« »... werden uns alle fressen ... nein, sie kämpfen!« »Kommt schnell! Hier können wir alles sehen!« »Sie steigen in die Luft! Immer höher!« »Warum sind keine Priester in der Stadt?« Nakom hielt sich an den breiten Holmen der Leiter fest und setzte stöhnend einen Fuß auf die unterste Sprosse. Koman hatte ihm eingeschärft, sich nicht sehen zu lassen, aber die Neugierde und die Furcht,
sterben zu müssen, weil, ihn der Drache verfolgte ... sie trieben ihn die Leiter hoch. Endlich stand er, einem Schwächeanfall nahe, auf dem Dach. Und er erschrak furchtbar. Gerade, als er den Kopf hob, um dorthin zu blicken, wohin alle starrten und deuteten, alle die Stadtbewohner in den kleinen Fenstern der Häuser und auf den flachen Dächern, sah er den gelben Schatten über sich. Rundherum stieg ein gellender Schrei aus tausend Kehlen auf. Ein Schrei des Entsetzens und der Furcht. Der Drache fiel wie ein Stein herunter und krachte, nachdem er einen hallenden Todesschrei ausgestoßen hatte, genau auf das Dach des Tempels. Mitten in das entsetzte Schweigen der Stadtbevölkerung hinein krachten die Balken, fielen die Quadern auseinander, klirrten metallene Verbindungen. Das Dach des Taxas-Tempels brach ein. Der zuckende Körper durchschlug den First und fiel mit den Trümmern des Daches ins Innere der Anlage hinein. Einige Mauern neigten sich langsam nach außen. Dann schien es einen Augenblick, als ob sie von unsichtbaren Händen gestützt würden. Sie bewegten sich nicht mehr. Aber dann knickten sie in der Mitte ab und fielen nach außen. Der Boden zitterte, als die schweren Zierfiguren herunterfielen und in Stücke zerbrachen. Trümmer rollten durch die engen Gassen und über die kleinen Plätze.
»Der Drache ... er stürzt auf den Tempel! Ich kann es nicht glauben!« keuchte der ausgestoßene Novize und schwankte auf dem Dach hin und her. »Das muß ich sehen!« Die Menschen rings um das kleine Haus waren sprachlos. Sie hatten gesehen, wie ein Symbol des Schreckens, der furchtbare Drache, ein anderes Symbol zerstört hatte, nämlich den Tempel, der in immerwahrendem Hunger die Gaben und Spenden und den Tribut verschluckte. Der Drache war tot, und jetzt dämmerte die Einsicht herauf. »Die Priester sind nicht in der Stadt!« schrie der bärtige Hufschmied, der acht Häuser weiter rechts seiner Arbeit nachging. Nakom duckte sich, raffte die Binde und den Überhang an sich und wankte zur Falltür. Als er die Leiter abwärts glitt, streifte er die aromatisch riechenden Büschel der Kräuter und warf einige Steine vom Wandbord. Dann schleppte er sich, die Schmerzen vergessend, durch den Wohnraum und zur Tür. Ihm war es gleich, ob er sich selbst verriet. Aber er dachte nur daran, daß er den verhaßten Drachen sehen mußte, der tot in den Trümmern lag. Die Tür knarrte. Nakom schlüpfte hinaus auf das Gäßchen und vergaß plötzlich seine Schmerzen. Der Regen traf ihn abermals und
durchnäßte ihn, sickerte durch die Binden und ließ die Wunden wieder aufbrechen. Nakom hinkte weiter. »Die Gassen sind ausgestorben!« flüsterte er. Der Wunsch, den Tempel brennen zu sehen, wuchs immer mehr. Dampf stieg aus dem Feuer des Schmiedes. Ein paar herrenlose, struppige Köter drängten sich zitternd unter einem Vordach zusammen. Die Steine der Gasse schienen in Wasserpfützen zu schwimmen. Nakom ging schneller, hastete schließlich um eine Ecke, stolperte ein abschüssiges Stück der Gasse hinunter und erreichte den leidlich trockenen Platz unter einem Baum. Im Wasser des Brunnens, dessen Becken überfloß, ließen die Regentropfen lauter kleine Ringe erscheinen. Ein Verband löste sich vom Knöchel des Novizen und blieb im nassen Sand liegen. Weiter! Nakom wich einigen Mauerbrocken aus, die bis hierher gerollt waren. Zuerst ging Nakom die leeren Brettertische des Gemüsemarktes entlang, dann nahm er die breite Treppe hinunter zu dem länglichen Platz. »Ah! Der Tempel!« flüsterte er heiser. Das Wasser lief aus seinem Haar über die stoppeligen Wangen und in den Mund. »Halb zerstört!« Niemand war zu sehen. Die Stadt schien noch immer ausgestorben zu sein, aber vom jenseitigen Ende hörte Nakom Lärmen und Rufen. Die Einwohner verließen wohl ihre Dächer und rotteten sich
zusammen. Als Nakom, den Steinen und dem Wasser ausweichend, das Ende der Treppe erreichte, sah er das Ausmaß der Zerstörungen, die der abgestürzte Drache angerichtet hatte. Nakom blieb stehen und stützte sich schwer gegen eine Säule. Der kleine Platz, von verkrüppelten Bäumen und Häuserfassaden gesäumt, lag voller Trümmer. Zwischen den Säulen, die mythologische Zeichen trugen und von grimmigen Köpfen und Fratzen starrten, häuften sich Mauerbrocken und lange, helle Holzsplitter. Geruch nach Moder und verbranntem Harz lag zwischen den Hausfronten. Vom Eingang des Tempels standen nur noch die beiden wuchtigen Säulen aus schwarzem Stein und einige mannshohe Mauerreste. Der Raum dahinter lag voller Trümmer, zerfetzten Balken und heruntergebrochenem Zierrat. »Dort liegt er, der gelbe Unhold!« flüsterte der Schwankende heiser. Nakom ging vorsichtig um die Bruchstücke herum. Auf eine merkwürdige Weise fühlte er sich befreit. Auch spürte er keinerlei Schmerzen mehr. Er erreichte, über die schwarzen Balken kletternd und sein nasses Gewand hinter sich herschleppend, den Eingang. Da sah er den Schädel des Drachen. Die lange, gespaltene Zunge mit den hornigen Haken daran ringelte sich schlaff über schmutzige Steine. Die Augen waren weit
aufgerissen, und aus den riesigen Nasenlöchern war schwarzes Blut geflossen. Es hatte sich mit dem Regen gemischt und bildete Pfützen. »Er ist wahrhaftig tot!« murmelte Nakom und wich einer roten Pfütze aus. Er betrachtete die Haut des riesigen Wesens. Zwischen den Knochen, die spitz durch die Lederhaut ragten, sickerte Blut herunter. Die gelben Flächen um die Gelenke und neben den dicken Hornplatten wirkten glänzend und abgestorben. Der Drache lag wie ein gewaltiges Bündel aus Lumpen und Steinen auf dem Schutt. Jeder Knochen schien zersplittert zu sein. Die Krallen waren zersplittert, kurz vor dem Tod schien der Drache noch Feuer gespien zu haben, denn einige der zerbrochenen Balken waren rußgeschwärzt. »Der Drache – tot! Das bedeutet das Ende der verfluchten Priester!« sagte Nakom und atmete auf. Langsam kletterte er über die Bruchstücke, wich aber dem Körper und dem verkrampften Schwanz des Drachen aus, der eine Verbindungssäule zum Tempelturm zerschmettert und umgeworfen hatte. Die Knochenplatten waren aufgerissen und zerbrochen. Nakom blieb stehen und blickte in das Halbdunkel. Der Tempelturm, ein massives Gebäude mit viereckigem Grundriß, war unversehrt. Hier lagerten die Kostbarkeiten, die im Laufe der Zeit von den Priestern zusammengestohlen worden waren. Hier gab
es Keller und Gefängniszellen, die Nakom nur flüchtig kannte. Er nickte entschlossen und hörte wieder, als er weiter in den Raum eindrang, den Lärm, der sich jetzt an allen Stellen der Stadt erhob. »Ich werde den Lärm größer machen!« sagte er. Der Novize sah vor sich das schwache Licht, das durch die Öffnung fiel. Noch vor einer Stunde hatten schwere, gepanzerte Torflügel den Weg versperrt. Jetzt lagen sie geborsten und zersplittert am Boden. Nakom ging geradeaus, tastete sich zu einer feuchten Treppe und betrat schließlich den Vorraum der Verliese. Hier brannte mit kläglichem Licht eine vergessene Öllampe. Als die Gefangenen seine Schritte hörten, drängten sie sich gegen die Bohlen und die eisernen Beschläge. Nakom hob die Hand. Im flackernden Licht erkannten die halbverhungerten und entkräfteten Gefangenen den jungen Mann. Sie mußten denken, ihre letzte Stunde sei angebrochen. Sie sahen eine schlanke Gestalt in einem triefend nassen, schwer zu Boden hängenden Überwurf. Aus dem Zipfel der Kapuze rannen Tropfen in schneller Folge auf den Steinboden und erzeugten platschende Töne, in die sich der keuchende Atem des Mannes mischte. An Händen und Füßen des Mannes befanden sich blutgetränkte Binden. Auch über den Oberkörper schlangen sich breite Leinenstreifen, schmutzig und mit roten Malen. Ein hageres Gesicht, in dem ein
struppiger Bart sproßte, blickte sie mit riesigen, fiebrigen Augen an. Dann hörten sie die Stimme: kehlig und halb röchelnd: »Ihr seid die Gefangenen der Taxas-Priester. Der Drache ist tot.« Die Gefangenen stimmten einen heulenden Lärm an und schlugen mit Ketten und Holzgeschirr an die Gitterstäbe. »Er hat den Tempel zerstört, als er abstürzte. Ich werde euch befreien. Aber ihr ... ihr müßt tun, was ich euch sage!« »Wir werden alles tun! Laß uns hier heraus!« Er nickte und hinkte näher. Dann nahm er den wuchtigen Schlüssel von einem Haken und sperrte die einfachen Schlösser auf, die sich aber weit außerhalb der Reichweite ausgestreckter Arme befanden. Aus jedem Verlies taumelten abgezehrte Gestalten hervor und versammelten sich um ihn. »Die Priester sind jetzt ohne Macht!« brachte Nakom hervor. »Geht hinaus zu den Ruinen und tötet sie!« Wieder erhob sich ein Chor der Zustimmung. »Die Männer aus der Stadt versammeln sich. Sie brauchen Hilfe! Geht zu ihnen und helft ihnen!« keuchte der Novize. »Und fürchtet nicht die anderen Drachen. Schlagt alle Priester tot!«
Die ersten Gefangenen rannten und stolperten bereits davon. »Sagt den Leuten in der Stadt, daß ihr eingekerkerte Kaufleute und Händler und Hirten seid! Sagt ihnen, ich habe euch freigelassen! Ich, der Ausgestoßene!« Sie schoben und drängten sich an ihm vorbei. Plötzlich stand er allein vor den leeren Zellen. Er drehte sich langsam um und schlurfte davon. Die Kraft verließ ihn ebenso schnell, wie sie ihn auf dem Weg hierher überkommen hatte. Er taumelte die feuchten Stufen hinauf und brach erschöpft auf dem Boden des Tempelturms zusammen. Die letzten Laute, die er noch hörte, waren die aufgeregten Schreie und die Hufe der Pferde in der Stadt. Er sah nicht mehr, wie sich ein Zug der aufgebrachten Menge auf den Weg machte. Die ersten entzündeten Fackeln brannten qualmend im leichten Sprühregen. Unter den Bürgern der Stadt Taxa waren die befreiten Gefangenen. Nur ein Gedanke beherrschte die vielen hundert Menschen: Der Gedanke an blutige Rache für die jahrelange Schreckensherrschaft.
5.
Als die Sonnenscheibe den Rand der fernen Berge berührte, erwachte Varany aus seiner Erstarrung. Was die Männer, die ihn umstanden, eben gesehen hatten, war unglaublich, und es würde ihm auch niemand diese Geschichte glauben, wenn er sie an den zukünftigen Lagerfeuern erzählte. Falls er die nächsten Stunden überlebte, verbesserte er sich lakonisch. Der Zug der Drachen kam schräg aus dem Abendhimmel herunter. Der Rachen des ersten Tieres, jenes riesigen grünen Drachen, deutete direkt auf den Mann, der diese Bande von Wegelagerern anführte. Der schlanke Mann schüttelte verwirrt den Kopf und sprang aus dem Sattel des schwarzen Hengstes. »Schnell!« schrie er. »Die Drachen! Sie haben unseren Schutzgeist getötet. Wir werden ihnen unsere Dienste anbieten! Sie sollen die neuen Herrscher werden. Fünfmal zehn Drachen statt eines einzigen!« Langsam sah sich Varany um. Seine Männer jene Handvoll Wächter, auf die er sich bis heute immer hatte verlassen können – hatten einen ebensolchen wachsamen Ausdruck in den Gesichtern wie er. Sie hatten, obwohl der Schrecken und das Erstaunen über das Geschaute sie vorübergehend gelähmt haben mußten, verstanden. Alles hatten sie verstanden, weil dieses Geschehen sie überzeugt hatte. Sie waren entweder in Kürze tot oder frei. Eine dritte Möglichkeit gab es nicht.
»Sie haben Ro-val getötet!« erwiderte ein anderer Wegelagerer hinter seinem Tuch hervor. Dann riß er das Tuch wütend herunter und deutete zu den Ruinen hinüber. »Wir müssen uns verstecken!« »Nichts da!« brüllte der Anführer. »Wir kennen Drachen, und Drachen kennen uns! Und wir haben einen Tempel des Drachengottes!« »Sie bringen uns um!« heulte jemand angsterfüllt. Varany brauchte nicht mehr zu überlegen. Er sah alles klar. Diese Männer hier waren die Priester des Stadtgottes jener Siedlung. Der Stadtgott hieß Taxas und war – ein schwefelgelb gezeichneter Drache. Und jetzt hofften die Priester, die anderen Drachen würden gestatten, daß sie ihr gottloses Treiben fortsetzten. Er lächelte kurz und grimmig. Dann starrte er den grünen Drachen an. Und wieder begann der Händler zu denken, sprach ganze Sätze lautlos in seinen Gedanken. Er fühlte schon nach einigen Augenblicken einen starken Druck, als wenn er nach zu großem Weingenuß früh in die Sonne blickte. Er »berichtete«, was er in den letzten Momenten hier erfahren hatte. Die Drachen kamen näher heran. Das Geschwader zog sich noch in der Luft auseinander und bildete einen großen Dreiviertelkreis. Langsam wichen die Tiere und auch die Menschen zurück, bis sie an die Felsen und ein Stück zerfallene Mauer stießen. Einen
Augenblick lang mußte Varany den Todesmut des Anführers bewundern, denn der Mann warf die Zügel einem Helfer zu und lief langsam auf die Drachen zu. »Wir sind die Freunde der Drachen! Drachen helfen uns, und wir helfen den Drachen!« rief er und blieb stehen, als das Geschwader mit mächtigem Flügelrauschen zur Landung ansetzte. Merkwürdig, durchfuhr es Varany. Die Tiere scheuen dieses Mal kaum. Nur zwei Kamele versuchten sich loszureißen. Mit Donnergetöse landeten die Drachen und falteten ihre riesengroßen Schwingen zusammen. Ein kleiner Drache kam ungeschickt auf die Vorderbeine, überschlug sich und kam kreischend wieder auf alle vier Füße. Ein anderer Drache half ihm mit dem Schwanz dabei. »Wir haben dem Drachen einen Tempel errichtet!« schrie der Anführer und breitete die Arme aus. Die Drachen kamen auf ihn zu. Sie setzten die schweren, massigen Pranken Schritt vor Schritt ein und rissen mit scharfen Krallen den Boden auf. Zwischen zweien der riesigen Leiber hindurch sah Varany einen einzelnen Mann heranlaufen. Er hatte einen Sack über den Schultern, der bei jedem Schritt hochgeworfen wurde. Schweigen war die Antwort auf die Erklärung des Anführers. Inzwischen drängten sich Menschen und Tiere eng zusammen. Sie suchten instinktiv Schutz vor diesem bedrohlichen Wall aus Körpern, der sich immer
mehr schloß. Glaube ihm nicht! Er und der schwefelgelbe Drache haben zusammengearbeitet! Es sind Räuber und Mörder! dachte Varany verzweifelt. »Wir werden nicht nur einem einzelnen Drachen dienen, sondern euch allen, ihr Mächtigen!« brüllte der Anführer. Schweigen ... Abermals bewegten sich rund ein halbes Hundert Drachen vorwärts. Hier und dort berührten sich die Schwingen. Die lebende Mauer schien den Anführer halb wahnsinnig vor Angst zu machen. »Was wollt ihr von uns? Wir haben euch niemals beleidigt, Vater der Wolken!« schrie der Anführer. Wieder bewegten sich die Drachen weiter auf die im Schreck erstarrte Gruppe zu. Ein Pferd entkam der unsichtbaren Fessel, die von den Drachen auszugehen schien, wieherte in heller Panik auf und keilte aus. Seine Hufe schlugen morsche Ziegel aus der Mauer. Ein Sklave und einer der Räuber warfen sich in die Zügel. Er erhielt keine Antwort. Varany blickte den Drachen an, der unübersehbar groß und drohend genau vor dem gestikulierenden Anführer stand. Er hatte eine Eingebung, wie er sich mit diesen Tieren – oder waren es fleischgewordene Fabelwesen – verständigen konnte.
Drache! Großer, grüner Drache! dachte er. Wenn du verstehen kannst, was ich denke, dann senke den Kopf! Bitte! Der Drache blickte ihn aus riesigen Augen an, deren Umgebung grünlich gefärbt war. Die letzten Sonnenstrahlen spielten auf den fernen Stadtmauern und in den Kronen hoher Bäume. Der Regen hatte fast völlig aufgehört. Dann senkte der Drache den furchtbaren Schädel. »Danke! Dieser Mann, der vor dir steht, ist der Anführer der räuberischen Priester! Befehle ihm, er soll die Fesseln meiner Leute lösen!« Erstaunt drehte sich der Anführer um und wandte Varany sein haßverzerrtes und von Furcht entstelltes Gesicht zu. Der Drache entfaltete eine Schwinge, packte mit den Klauen am Ende des Flügels den Anführer am Gürtel und warf ihn drei Mannslängen weit bis vor Varanys Füße. Wimmernd richtete sich Phra Takhek, der Oberpriester des Taxas, vor dem Händler auf. »Hast du begriffen?« fragte Varany. »Du hast keine andere Wahl!« »Das zahle ich dir heim, du Ratte!« keuchte Phra auf, aber seine Hand wanderte zum Messergriff. Dann fühlte Varany, wie schnelle Schnitte die Stricke und Lederbänder durchtrennten. Er war frei. »Und die anderen!« sagte er und packte Phra am Hals. »Los, schnell!«
Phra hob den Arm und schrie: »Schneidet ihnen die Fesseln durch! Der Drache will es so!« Die Räuber erwachten aus ihrer Erstarrung. Binnen weniger Augenblicke waren die Angehörigen der Handelskarawane befreit und standen ratlos herum. Noch während dieser kurzen Zeit der Verwirrung hörte Varany eine keuchende Stimme, die aus der Richtung der Drachen kam. »Laßt mich durch! Sie kommen aus der Stadt! Eine gewaltige Masse Leute mit Fackeln und Waffen!« Der kleine Drache, dessen Purzelbaum Varany vorhin beobachtet hatte, tapste unbeholfen zur Seite. Ein schweißüberströmter, durchnäßter Mann tauchte zwischen den wuchtigen Flanken der kauernden Drachen auf und kam stolpernd auf Varany zu. »Die Drachen verstehen, was wir denken!« sagte Varany. Er kannte den Ankömmling nicht, aber er erkannte den Typ, den der Mann verkörperte. Vielleicht kannte er nicht viele Länder, Städte und Menschen, aber er besaß manche Weisheiten, die dem gewöhnlichen Sterblichen verborgen waren. »Ich weiß!« gab der Mann zu und musterte Varany. »Du bist der Anführer der überfallenen Karawane. Es scheint, als hätten wir die Drachen vom Himmel herunter gerufen.« »So scheint es!«
Langsam kam Phra Takhek auf sie zu. Noch immer hielt er den Dolch in der Hand. Er spuckte aus, als er ins Gesicht des anderen Mannes blickte. »Verdammter Rebell!« zischte er. »Ich bin Koman Thanak. Man nennt mich den »Rebellen«, weil ich kein Freund der Drachenpriester bin und sie nicht sonderlich fürchte!« sagte Koman. Auch Varany nannte seinen Namen. »Aus der Stadt wälzt sich eine Menge heran!« sagte Koman halblaut. »Ihr Ziel ist es, die Drachenpriester zu töten. Dann werden sie den Tempel zerstören und das geraubte Gut entweder den Gefangenen zurückgeben oder unter sich verteilen. Ihr tut besser daran, von hier wegzuziehen. Ist deine Karawane vollständig, Händler?« Varany der Fremde lachte grimmig. »Noch ist sie es. Das Glück und die Rettung kamen im letzten Augenblick!« Abermals schoben sich die Drachen näher. Jetzt war die zusammengepferchte Gruppe von einem lebenden Zaun aus zornig funkelnden Augen, aufgerissenen Rachen und hornigen Zacken umgeben. Drachenzungen bewegten sich wie rote Schlangen. Die Geräusche, mit denen sich die vielen Tiere bewegten, wurden lauter, als zwischen ihnen eine breite Gasse entstand. Wenn Varany den Kopf hob und konzentriert in diese Richtung blickte, konnte er schwankende
Lichter und eine große Menschenmenge erkennen. Sie kam durch die Felder direkt auf die Ruinen zu. »Und dort kommt der Tod!« sagte Koman laut. »Du solltest deine Karawane in Sicherheit bringen. Reite hinüber in die Ruinen! Ich werde die Menge aufhalten. Sie hören auf mich, und«, er lächelte und hob grüßend die Hand, als der grüne Drache einen röhrenden Laut von sich gab, »sie fürchten natürlich die Drachen.« Er drehte sich um und – erstarrte. Zwischen den Kamelen und Pferden kam eine schlanke Gestalt auf Varany zu. Es war seine wertvollste Sklavin, die er vor vielen Tagen erhandelt hatte. »Wer ist das?« flüsterte Koman. Er schien vom Blitz getroffen zu sein. »Das ist Abrasha, eine Sklavin. Sie ist schön und ... teuer!« gab Varany zur Antwort. »Komm her, Abrasha. Begrüße unseren Retter!« Die Furcht vor den Drachen wich. Nur die Räuber drängten sich an die Mauer, als das Echo der fernen Schreie zu ihnen drang. »Männer! Sammelt die Tiere ein! Verteilt die Lasten, aber schnell! Und dann reitet und treibt sie durch die Lücke zur Ruine. Dort schlagen wir unser Nachtlager auf! Morgen handeln wir in Taxa!« »Wir gehorchen!« schrien die Wächter und Sklaven. »Ich werde den Drachen fragen ...«, begann der
Mann mit dem ledernen Sack auf den Schultern. »Spürst du auch den Druck im Kopf, Varany?« Varany nickte mehrmals und deutete auf die Tiere, die wahnsinnig aufgeregt waren, aber noch nicht einmal den Versuch gemacht hatten, auszubrechen oder zu fliehen. »Sie spüren auch diesen Druck, ohne Zweifel!« »Ja, sicher. Grüner Drache – wir danken dir! Habt ihr vor, diese Verbrecher ungeschoren zu lassen?« Einige Drachen trompeteten wütend, andere husteten kleine Feuerstrahlen in die Richtung des Anführers, der starr dastand und zwischen dem grünen Drachen und den drei zottigen Schneebestien hin und her blickte. Es war deutlich zu sehen, daß er nach einem rettenden Ausweg suchte. Es wurde immer dunkler, und jetzt sah man auch die schwankenden, blakenden Fackeln der anrückenden Menge. Der grüne Drache schrie laut und schüttelte den Kopf. »Das ist die Antwort!« rief Koman. »Deine Stunden sind gezählt, Phra Takhek!« »Du hast die Drachen herbeigerufen!« schrie der Anführer. »Und wenn ich dabei sterbe! Ich werde dich dafür bestrafen. Den Tod hast du schon seit Jahren verdient!« Varany sprang zur Seite, als Phra angriff. Der Oberpriester hielt den Dolch wie ein Schwert und stach damit in die Richtung des Rebellen. Varany warf sich
auf einen anderen, jüngeren Priester und hielt nach zwei schnellen, harten Schlägen dessen Schwert in der Hand. Er drehte sich um, hob die Waffe und war bereit, Phra mindestens den Dolch aus den Fingern zu schlagen, aber da hatte bereits der Drache eingegriffen. Durch die Dunkelheit rauschte eine der Schwingen heran. Die Bewegung war blitzartig schnell. Die erschreckend menschenähnlichen Finger, mit messerscharfen Klauen ausgerüstet, schlossen sich mit erbarmungslosem Griff um den Oberkörper des Anführers. Phra schrie gurgelnd auf. Der Drache röhrte drohend auf. Dann hob er langsam den Mann hoch. Der Würgegriff wurde härter und tödlicher. In der fast vollkommenen Dunkelheit wurde die Szene zum wüsten Traum. Varanys Griff um das Schwert lockerte sich. Er sah, wie der Oberpriester sich mit verzerrtem Gesicht wehrte, wie er mit dem Dolch auf die Klauen einstach. Seine Schreie wurden schwächer und leiser und gingen in ein langgezogenes, würgendes Gurgeln über. Die anderen Drachen gaben murmelnde, bösartige Geräusche von sich. Dann ertönte ein schwirrendes Geräusch. Die Drachenschwinge wischte durch die Luft und erzeugte einen kleinen Wirbelwind. Dann war Stille. Einige Augenblicke später ertönte von links ein furchtbares Prasseln und Krachen, das den langhallenden Todesschrei eines Menschen abschnitt.
»Du hast ihn getötet, Drache?« fragte Varany. Er fror plötzlich, weil er sich zum zweitenmal Mächten gegenübersah, die weit größer waren als seine Erfahrungen. Der Drache brummte, irgendwie war es ein Laut der Zufriedenheit. Er erhob sich auf seine lederhäutigen Beine und machte einen Buckel wie eine ärgerliche Katze. Der drohende Zug aus der Stadt war bis auf zweihundert Mannslängen herangekommen, und die letzten Tiere der Karawane schritten zwischen den Drachen hindurch. Die Fabeltiere mußten sich ebenso lautlos verständigen können, wie sie die Gedanken der Menschen lasen. Als sich Varany bückte und nach dem Schwert im niedergetrampelten Gras suchte, fiel sein Blick auf ein Paar Füße, die in schön geflochtenen Sandalen steckten. Das Licht näher kommender Fackeln beleuchtete schwach die sanft getönte Haut der schlanken Füße. Langsam, aber wiederum verwirrt richtete sich Varany auf. »Abrasha!« sagte er. »Du solltest bei ihnen sein!« Er deutete hinüber zur Ruine. Das junge Mädchen schüttelte den Kopf. Dann lächelte sie schwach. »Dieser Fremde ... seine Augen«, sagte sie in rührend hilflosem Ton. »Ich mag ihn. Er ...« Varany mußte wider Willen grinsen. »Ich werde es mir überlegen. Zuerst gehst du hinüber und versteckst dich mit den anderen. Varany
wird helfen. Und der Fremde wird mit dem mordgierigen Volk aus der Stadt reden. Schnell! Mach, daß du fortkommst!« Sie warf ihm ein scheues Lächeln zu und rannte hinter dem letzten Packtier her. Einige Drachen sonderten sich, schwach erkennbar im näher kommenden Licht, von dem Geschwader ab und erhoben sich mit dem Rauschen ihrer riesigen Flügel in die Luft. Nur der große, grüne Drache stand unverändert da und schien mit Koman Thanak Zwiesprache zu halten. »Koman!« rief Varany leise. Der Mann wandte sich halb um und machte eine Bewegung, die Schweigen bedeuten sollte. Varany wartete einige Augenblicke, dann wechselte sein Blick zwischen den rußenden Fackeln und dem Drachen. Schließlich erwiderte Koman: »Was gibt es, Händler?« »Können wir die Menschen aus der Stadt aufhalten? Sie werden die Priester niedermetzeln!« Koman zuckte seine schmalen Schultern. »Diese Männer sind Verbrecher. Sie haben Leben genommen und Tod ausgeteilt. Sie bekommen, was sie verdienen.« »Ich mag kein Blutvergießen, Koman!« gab der Händler zurück. »Ich mag kein Blut und keine Mörder.«
Koman wandte sich wieder an den Drachen. »Ich werde tun, was ich kann. Aber ich verspreche nichts.« Als die schreiende, stoßende und wütende Menge nahe genug heran war, erkannten Varany und Koman, daß sie mit dem grünen Drachen allein waren. Der Wind, den sie spürten und der in der Dunkelheit die Baumkronen und Gräser bewegte, stammte von den Drachenflügeln. Die anderen Tiere kreisten in niedriger Höhe über der Szene. Und der grüne Drache schien noch immer die Priester und ihre Tiere in seinem unsichtbaren und lautlosen Griff zu haben, der wie eine Fessel aus Eisen wirkte. Die verbrecherischen Priester und ihre Tiere waren an ihre Plätze gebannt und bewegten sich nicht. Der grüne Drache blickte hinüber zur Ruine und entfaltete die Schwingen. »Du meinst, wir sollten uns in Sicherheit bringen?« fragte Koman Thanak laut. Der Drachenschädel senkte sich mehrmals. »Aber ich will versuchen ...«, begann Koman und dachte an das bevorstehende Blutvergießen. Der Drache schüttelte seinen Schädel und griff vorsichtig mit den Klauen der rechten Schwinge nach Koman. Er schob den Kräuterkundigen gegen Varany, den Händler und drängte beide Männer nach links hinüber. Inzwischen erfüllten Gebrüll und
Waffenklirren und das Geräusch von Hunderten von Füßen den Platz. Die tobende Menge war heran. Willenlos stolperten Varany und Koman durch die Büsche. Der grüne Drache schützte sie mit seinem Körper gegen die Menge, die sich jetzt ausbreitete und auf die Priester zurannte. Schauerlich gellten die Schreie; die zuckenden Flammen der Fackeln tauchten die Umgebung in ein düsteres, unheilverkündendes Licht. »Wir können sie nicht aufhalten!« keuchte Varany. Ein fremder Wille in seinen Gedanken und der Druck der Drachenschwinge schoben ihn ebenso vorwärts wie Koman. Hinter ihnen löste sich der Bann, unter dem die Priester gestanden hatten. Schrille Schreie ertönten. Der grüne Drache lockerte seinen Griff, drehte sich um und blies einen langen, dünnen Feuerstrahl schräg in die Luft. Das flimmernde Feuer beleuchtete die Rücken der Menschen, die in ihrer Wut den Drachen nicht zu sehen schienen. Schneiden und Keulen wurden durch die Luft geschwungen. »Tötet sie!« schrie jemand mit donnernder Stimme. Koman erkannte sie; es war die Stimme des Hufschmiedes neben seinem Haus. »Über uns sind Drachen!« heulte jemand auf. »Sie haben den gelben Drachen getötet! Sie greifen nicht ein!« war die halb deutliche Antwort.
Koman und Varany stolperten durch, die Dunkelheit davon. Sie stießen an tiefhängende Äste, traten auf lose Steine und rannten schließlich auf die schwach angeleuchteten Umrisse der Ruine zu. Hinter ihnen ließ abermals eine Reihe von Windstößen die Fackeln aufleuchten und Funken aus den Flammen stieben. Der letzte Drache erhob sich flügelschlagend vom Boden und stieß zu seinen Artgenossen. Varany brach sich beinahe den Knöchel, als er über eine Wurzel stolperte, ein erschreckt aufgrunzendes Kamel rammte und dann von Komans Fäusten aufgefangen wurde. »Hierher. Hier sind wir sicher!« Die kreisenden Drachen verdeckten die aufgerissenen Wolken und die wenigen Sterne. Das Geräusch ihrer Flügel wurde übertönt von den Schreien der umzingelten Priester. Noch immer besaßen sie ihre Waffen, aber sie kamen nicht dazu, sich richtig zu wehren. Aus der Dunkelheit wurden Knüppel und scharfkantige Steine geschleudert und trafen Menschen und Tiere. Die Tiere keilten aus und trampelten die Priester nieder. Dolche blitzten auf. Schwerter wurden geschwungen. Die tödlichen Hiebe prasselten auf die Verbrecher nieder. Einige versuchten zu fliehen, aber
der dichte Wall von wütenden Stadtbewohnern hielt sie auf und ließ sie nicht durch. Fackeln, von wütenden Händen geschwungen, beschrieben feurige Kreise. Und über allem war das Schwirren der Drachenflügel. Sie sahen zu, wie die Priester erschlagen wurden. Eine Stunde später war alles vorbei. Der Himmel hatte sich geklärt. Der Mond stand zwischen den Sternen. Nur am Horizont waren kleine, schwarze Wolken. Vor der alten Mauer lagen zusammengekrümmte Körper in ihrem Blut. Sie waren aller ihrer Besitztümer beraubt. Die gestohlenen Tiere waren weggebracht. Ein langer schweigender Zug Stadtbewohner bewegte sich langsam entlang des ausgetretenen Pfades zurück nach Taxa. Die Drachen waren verschwunden, weggeflogen, hatten den Platz weit vor der Stadt verlassen. Ein toter, schwarzer Hund lag auf einem der getöteten Priester. Das Messer des Toten steckte in den Därmen des Tieres. Der Boden war rundherum aufgerissen und zerfurcht; von Drachenfüßen und Krallen, von den Hufen der rasenden Pferde und von den Stiefeln der Kämpfenden. Blutgeruch lag über der Lichtung. Jetzt begann der Wald wieder zu leben. Die verängstigten Tiere wagten sich wieder aus den Nestern, nachdem die Drachen verschwunden waren.
Varany der Fremde lehnte an einem der verwitterten, bemoosten Pfeiler der Ruine und warf einen nachdenklichen Blick auf die Gestalten, die rund um das helle Feuer hockten. »War das ein Traum? Ein Spuk? Oder haben wir tatsächlich das alles erlebt, Koman?« fragte er leise. Er schauderte, wenn er an den Waffenlärm und die Schreie dachte. »Es war kein Traum, Varany!« entgegnete der Kräuterkundige. »Die Drachen überflogen unser Land, und wir haben sie zu Hilfe gerufen. Sie kamen und halfen – auf ihre Art.« Varanys Augen suchten Abrasha, die schöne Sklavin. »Sie sind grausam und böse!« flüsterte er. Morgen würden sie in die Stadt weiterziehen und handeln. Koman hatte die wütende Menge hier am Eingang abgefangen und ihnen erklärt, daß es sich bei den Geflüchteten um die Mitglieder der überfallenen Karawane handelte. Da sich der Zorn ausgetobt hatte und die Wut verraucht war, ließ sich die Menge leicht beschwichtigen. »Sie sind nicht grausam, auch nicht böse. Sie haben ein Gesetz wie wir Menschen. Und dieses Gesetz befahl ihnen, so zu handeln. Sie haben ihren abtrünnigen Artgenossen bestraft und das Böse von der Stadt genommen!« erwiderte Koman. »Drachen helfen den
Menschen.« »Und sie haben uns geholfen. Es ist wahr!« meinte Varany nach einer Weile. Die Gefahr war für sie alle endgültig vorbei. »Was wird jetzt geschehen?« Koman deutete zum Feuer, wo Dampf aus einem aufgehängten Kessel stieg, und wo die schweigenden Wächter und Sklaven Bratenstücke über der Glut drehten. »Komm! Wir hungern. Und zumindest ich habe Durst. Was geschehen wird? Vermutlich wird die Stadtbevölkerung den Tempel zerstören, zu dessen Bau man sie vor vielen Jahren gezwungen hat. Das geraubte Gut wird verteilt. Und Frieden wird wieder in Taxa einziehen. Der Drachengott der Stadt ist tot und keine Gefahr mehr. Und ich werde wieder meine Kräuter sammeln und meine Tränklein sieden.« Sie blieben neben dem Feuer stehen. Man schob ihnen Sättel zu, sie setzten sich und hielten ihre Arme in dem nassen Zeug den wärmenden Flammen entgegen. In allen Gesichtern standen die Eindrücke der letzten Stunden. »Bleibst du hier, Freund?« fragte Varany, nachdem er und Koman Becher voll Wein und Bratenstücke in den Händen hielten. »Ich denke, ich werde hier bleiben. Wenn der Tag kommt, werde ich die Ruine untersuchen. Sie ist das geheime Quartier der verbrecherischen Taxaspriester
gewesen. Warum fragst du?« Varany zog die Schultern hoch. Nur ungern, trennte er sich von guter Ware. »Weil ...«, begann er, »ich ein Problem habe. Ich muß dir angemessen danken.« »Wofür?« Die Frage klang ehrlich erstaunt. »Du hast meisterhaft mit den Drachen verhandelt. Ja, ich meine, du habest sie erst herbeigerufen. Ich konnte nichts tun; alle meine Männer und ich waren gefesselt.« Koman wiegte den Kopf und nahm einen langen Schluck von dem schweren, feurigen Wein. Die Flüssigkeit lief durch seinen Gaumen und verwandelte sein Inneres in schwelendes Feuer. »Du magst recht haben, Händler.« Zu seinem Leidwesen bemerkte Varany, daß Komans Blick unruhig wurde. Er suchte die Gesichter ums Feuer ab. Varany wußte, wonach Thanak suchte. Es war diese Sklavin! »Ich habe recht. Du hast unser Leben und unsere Ware gerettet. Und nicht zuletzt auch die Tiere. Ich werde dir danken.« »Das ist nicht nötig, denn mein Ziel war, die Stadt zu befreien.« »Dein Ziel und meine brennenden Wünsche waren einander wie Brüder!« murmelte Varany und dachte
daran, daß der Stapel Goldstücke, den er von dieser Reise heimzubringen gedachte, um einige Fingerbreiten niedriger sein würde ... Und auch mein Geschenk, mein Dank – er wird brüderlich sein.« Sie aßen und tranken einige Augenblicke, dann erkundigte sich Koman undeutlich: »Welches Geschenk?« »Ein junges, begehrenswertes Geschenk. Eine Sklavin namens Abrasha. Ist klüger als andere.« Koman erschrak fast ein wenig. Er würgte hastig einen Bissen Fladenbrot hinunter und erkundigte sich rauh: »Dein Großmut, Händler, übersteigt meine kühnen Träume. Ist es dieses Mädchen, das vorhin ...?« »Ja. So ist es. Ich mache normalerweise nicht oft großzügige Geschenke, denn das untergräbt auf die Dauer meine Kaufmannsehre. Aber in diesem Fall ist es wohl gerechtfertigt, weil nämliche Sklavin, die Schwester der Klugheit und des Liebreizes, dich und deine Augen so unendlich begehrenswert findet. Nimm sie, werde glücklich oder prügle sie! Auf alle Fälle wird sie dir eine gehorsame Dienerin sein. Vielleicht hast du auch etwas, womit du handeln möchtest? Geheimnisvolle Gifte? Liebestränke? Mittel, die das Begehren steigern? Salben für Wunden und gegen Brüche bei Mensch und Tier?« Koman mußte grinsen. Seit dem ersten Schluck
Wein begann er die Schrecken der Nacht zu vergessen. Die Erwähnung dieses hochherzigen Geschenkes hatte ihn freudig erregt. »Ich habe allerlei Salben und Tränke. Darüber sprechen wir morgen. Wo ist die Sklavin?« Varany schien das Loch, das sein Großmut in sein »Warenlager« gerissen hatte, schnell vergessen zu können. Er lachte dröhnend und schlug Koman auf beide Schultern. »Darüber sprechen wir morgen! Und ihr? Ihr sitzt hier, als ob eure letzte Stunde nahen wurde! Habt ihr vergessen, daß wir gerettet sind? Daß weder der Ware noch uns etwas Ernsthaftes geschah? Trinkt, ihr Säumigen! Schlingt den Braten hinunter! Freut euch!« Es war nicht viel gesprochen und gar nicht gelacht worden rund um das Feuer. Der Grund war völlig klar: Dies war kein Kampf gewesen, in dem man gesiegt hatte, kein normaler Überfall mit allen seinen Folgen, sondern ein Geschehen, das an einen lebendig gewordenen Alptraum erinnerte. Aber je mehr Wein getrunken wurde, je mehr von der Kleidung trocken wurde, je mehr die Wächter und Sklaven zusammenrückten, desto schneller wich die düstere Stimmung. Als Mitternacht kam, gab es nur noch die Geräusche der wiederkäuenden Lasttiere und das Schnarchen der Schläfer. Ein einsamer Wächter stand in der Nähe der
beiden Säulen, die einen restlos verwilderten Parkeingang kennzeichneten. In der Ferne heulte ein Hund. Dann, ganz plötzlich, riß das Geheul ab. Vermutlich hatte ihn ein Stein getroffen. Längst waren die Drachen vom Nachthimmel verschwunden ...
6.
Mit den ersten Sonnenstrahlen erwachte Taxa. Zugleich mit dem Gewitter und dem Regen schien ein reinigender Sturm über das Land gezogen zu sein. Aber jedem Menschen, selbst den heranwachsenden Bauern und Hirten war klar, daß es das Fehlen der Furcht war, die ausgestandene Angst, die den Tag heller und liebenswerter erscheinen ließ. Jedermann, der zwei kräftige Arme hatte, war zum Tempelplatz geeilt und hatte sich in die Schar derer eingereiht, die den Platz säuberten und die Bruchsteine zu kleinen Haufen aufeinanderschichteten. Ochsen wurden durch die Stadt getrieben und Pferdegespanne. Man schirrte sie aneinander, und der Hufschmied brachte schwere Eisenketten, die man mit dicken Stricken um den Hals des toten Drachen befestigte. Der unförmige Körper war aufgedunsen und prall wie eine
Trommelhaut. Gewaltige Schwärme von Fliegen schwirrten bei jeder Bewegung der Arbeiter auf. »Schleppt ihn fort!« schrien sie. Dreißig Gespanne waren nötig, um den schweren Körper von dem Haufen Gestein und zwischen zersplitterten Balken hervorzuziehen. Dann knallten wieder die Peitschen, anfeuernde Rufe ertönten. Die Ochsen und die Zugpferde legten sich in die Geschirre und wurden in die breiteste Gasse hineingeführt. Staub und Sand wallten auf, und die zornigen Fliegen griffen die Arbeitenden an, als der Drachenkadaver über die Steine gezogen wurde, zwischen den Häusern entlang und in die Richtung des Stadttores. »Wohin sollen wir ihn bringen?« schrien diejenigen, die sich um die Zugtiere kümmerten. »Zum Fluß! Dann sind wir ihn am schnellsten und sichersten los! Denkt an die Herbstregen!« Die Herbstregen würden aus dem schmalen, nur an einigen Stellen tiefen Fluß ein breites und reißendes Gewässer machen und den Drachenkörper weit wegschwemmen, wo ihn die Fische fraßen oder die Geier. »Schneller!« Ein Gestank nach Schwefel und verbranntem, nassem Holz blieb zurück, als der Drache den Blicken entschwunden war. Die besonnenen und ältesten Einwohner der Stadt, von den Mauerwächtern
begleitet, drangen mit Öllampen und Fackeln in den Tempelturm ein. Während die Stadtbevölkerung zusammenhalf, um die Steine wegzuräumen, legte man die ersten Leitern an den Dachstuhl und die massiven Mauern. »Was soll aus dem Turm werden?« Koman Thanak, der zusammen mit den Helfern der Karawane das Beutegut und viele Einrichtungsgegenstände aus der instandgesetzten Ruine in die Stadt zurückgebracht hatte, breitete die Arme aus und rief: »Mit diesen schönen, behauenen Steinen können wir andere Gebäude errichten. Denkt daran, daß wir einen Kornspeicher brauchen!« Schließlich einigte man sich darauf, daß man aus dem Tempelturm einen solchen Speicher machen würde. Man ersparte sich die Arbeit des Abbruchs und des Wiederaufbaus. Aber der Tempel war zerstört. Gegen Mittag erinnerten nur noch einige Säulen und eine Menge von Steinhaufen daran, daß es hier einmal einen Tempel gegeben hatte. Jeder, der Holz brauchte – sei es zum Herdfeuer oder als Bauholz, als Grundstoff für Schnitzereien oder allerlei andere Geräte-, schleppte einen oder zusammen mit Freunden und Sklaven mehrere Balken davon. Bald war der Platz leer und ohne wichtige Spuren.
Dann kamen die Männer zurück, die den Tempelturm untersucht hatten. Ihre Gesichter waren ernst. »Dort wohnten die Priester. Sie haben unglaublich kostbare Gemächer eingerichtet. Die Hetären sind in der Nacht geflohen!« sagte einer der Stadtältesten. »Wir müssen alles hierher ans Tageslicht schleppen, was dort zu finden war. Und jedem von uns soll sein Eigentum zurückgegeben werden!« schlug Koman vor. Dann lachte er auf. »Ist das lustig?« wurde er gefragt. »Für mich schon. Ich habe nicht einmal einen Tonkrug voller Wein in den Tempel gebracht. Ich gehe zurück in mein Haus; ich muß diesen halb wahnsinnigen Novizen wieder verbinden, der die Gefangenen befreit hat. Laßt mich bitte holen, wenn Varany mit seiner Handelskarawane hier endgültig Lager macht.« »Gut. Bis später.« Es erfolgte noch an diesem Tag. Reihenweise schleppten die Stadtbewohner kostbare Möbel und Liegen heraus, Kelche und Pokale, die feinsten Speisen und die vollen Weinfässer. Und viele Waffen, Schmuckstücke, eine Unmenge Geld. Viele erkannten ihre Spenden wieder und zogen lachend damit ab. Als sich der Platz abermals geleert hatte, blieb noch ein ansehnlicher Haufen übrig. Es wurde Abend.
Koman Thanak hatte den Novizen, den sie ohnmächtig im Turmeingang gefunden hatten, neu verbunden und gestärkt und dann aus dem Haus tragen lassen. Er ließ ihn in der Obhut einer alten Frau, die ihm manchmal half und unweit seines schmalbrüstigen Hauses wohnte. Koman saß neben dem Feuer, hatte einen silbernen Becher voll Wein aus dem Tempel vor sich, den die Städter ihm geschenkt hatten. Der Kräuterkundige schloß die Augen und dachte über die Dinge, Menschen und Geschehnisse nach, die ihr aller Leben so plötzlich verändert hatten. Es ist fast zuviel für zwei Tage ... Die Stadt ist plötzlich frei geworden, und die Angst ist verschwunden. Handel und Reichtum, Gesundheit und Wissen können sich jetzt entfalten, wenn nicht ... wenn nicht der Übermut um sich greift. Die Drachen sollten jeden Mond einmal über der Stadt kreisen und die bösen Gedanken bestrafen. Die Stadt wird sich Herrscher oder Verwalter geben müssen. Wer regt alle diese Veränderungen an? Wer sieht jenen, die wir zu Herrschern machen, auf die Finger? Und welche Gefahren lauern unsichtbar im Hintergrund? Seuchen für die Herden, die jetzt schneller wachsen werden, weil der Drache nicht die fettesten Tiere als Tribut beansprucht. Raub und Mord? Jedenfalls nicht mehr durch die
Priester. Deren Leichen fraß vor der Stadt der Geier. Man mußte versuchen, allen gerecht zu werden. Den Bauern ebenso wie den Hirten, den Handwerkern und den Kaufleuten, den Wächtern und den Sklaven. Es würde für die nächste Zeit viel Arbeit geben. Koman öffnete die Augen und streckte die Hand nach dem Kelch aus. »Ich werde ihnen helfen!« sagte er leise. »Aber ich übernehme kein Amt. Ich bleibe, was ich war und bin.« Koman der Kundige, der im Buch der Weisheit lesen konnte.
Nur wenige Stunden später wurde Koman abermals unruhig. Er stand vor seinem Arbeitstisch, las in seinem Buch und murmelte seine Sprüche. Zwei kleine Kessel hingen über einem hellen Feuer. Die Flüssigkeit in den kugeligen Gefäßen summte und brodelte. Vor dem Haus entstand Unruhe. Koman dachte wieder an die Jahre, während denen er jedesmal angstvoll zusammengezuckt war bei Geräuschen solcher Art. Jetzt gab es keine Gefahren mehr. Er lächelte und dachte an Varanys Geschenk, als es an der Tür klopfte. »Es ist offen! Hereinkommen!« rief Koman und
nahm einen Deckel, um ihn auf den kleineren der beiden Kessel zu stülpen. Knarrend öffnete sich die Tür nach innen. Koman schaute hoch, blinzelte etwas, weil ihm Rauch in die Augen geraten war, dann erkannte er die Personen. Varany der Fremde, ein bewaffneter Karawanenhelfer und – eine schlanke Gestalt, deren Gesicht durch hellen Stoff verhüllt war. »Willkommen, Händler!« rief Koman. »Einen Augenblick!« Er wartete kurz, dann schäumte die Flüssigkeit über. Ein Teil des Schaumes mit den zerschnittenen, ausgelaugten Kräuterresten ergoß sich in die Flammen. Zischend wölkte Dampf auf, und der große Raum mit seinen dunklen Balken begann plötzlich wunderbar zu riechen. Dann zog Koman den Kessel vom Feuer und hängte ihn an einen schweren eisernen Haken. »Setzt euch!« sagte er, trocknete die Hände ab und lächelte. »Wie versprochen, Varany!« Varany schob die Sklavin zu einem Sessel, der mit hellem Fell bespannt war und ließ sich ächzend auf die Liege fallen. »Wir haben gut und viel gehandelt. Auch ein gutes Geschäft gemacht. Und jetzt wollten wir uns bei dir umsehen. Was hast du zu bieten, Kräutermann?« Der Bewaffnete setzte sich auf die Kante des schweren Tisches.
»Bevor wir handeln – einen Becher Wein!« sagte Koman. Varany deutete auf die Sklavin und erklärte: »Das wird Abrasha tun können. Sage oder zeige ihr, wo sie Becher, Wein und Wasser findet!« Koman nickte und sah schweigend zu, wie das Mädchen das Tuch von ihrem Kopf entfernte. Große dunkle Augen blickten ihn aus einem schmalen Gesicht an. Er faßte die Hand Abrashas und zog die Sklavin hoch. »Hier drüben ist der Wein, dort ist so etwas wie eine Küche, und wir sitzen dort am Tisch«, sagte er leise. Er war befangen, und die Gegenwart der beiden Männer störte ihn. »Sofort, Herr!« sagte Abrasha. Der Händler schlug ungeduldig mit der Hand auf den Tisch und rief: »He, Kräutermann! Was kannst du uns anbieten? Vielleicht springen ein paar Silberstücke heraus!« Koman setzte sich an den Tisch, und es begann ein stundenlanges Gespräch. Als sie, etwas betrunken und nicht müde genug, um gleich einzuschlafen, am Ende waren, standen mindestens fünfzig kleine, glasierte Tonkrüge auf der Tischplatte, neben den Weinbechern und den Weinkrügen. Der Händler schob Koman einen kleinen Stapel Silber – und zwei Goldmünzen herüber. »Zufrieden, Koman?« murmelte er.
Koman strich das Geld ein und nickte. »Zufrieden, Varany? Wofür diese Tränklein sind, vielmehr wogegen sie helfen, steht jeweils auf der Flasche eingeritzt. Ihr könnt lesen?« »Ich und zwei meiner Männer!« Sie verabschiedeten sich voneinander, während Abrasha die Krüge mit Stoffstreifen umwickelte und in eine mitgebrachte Satteltasche verstaute. Schließlich brachte Koman den Händler bis an die Tür. »Wohin geht es, Freund Varany?« Varany zog den Kopf zwischen die hochgeschobenen Schultern. Sein Blick bekam etwas Unkonzentriertes. »Weit, weit weg. Morgen am späten Vormittag reiten wir los, um einiges leichter und um einiges schwerer. Und eines fernen Tages wartet die Stadt Urgor auf uns. Vielleicht kommen wir lebend dort an, am Ende einer langen Handelsreise.« Koman lachte kurz. Er fühlte sich jetzt nicht mehr unsicher; für ihn gab es nur noch wenige Probleme in der nächsten Zeit. Abrasha schien kein Problem zu bedeuten, denn das Lächeln, mit dem sie ihn betrachtete, sagte ihm alles. »Denke an die Drachen! Wohin immer sie geflogen sind – ihr Weg ist weitaus länger als deiner und der deiner Karawane!« Sie schüttelten einander die Hände, nickten sich zu,
dann verschluckte die Dunkelheit der Gasse die zwei Männer. Nur ihre Schritte und das leise Klirren der Tongefäße waren noch einige Augenblicke lang zu hören. Langsam schloß Koman der Kundige die Tür und drehte sich um. »Das Haus ist groß genug für uns!« sagte er leise und blickte Abrasha an. Das Mädchen räumte den Tisch ab, hielt inne und schaute auf. »Es ist groß genug. Aber es ist verwahrlost. Ich werde dir helfen, Koman.« »Du wirst mir helfen, sicher. Du hast Varany gebeten ...?« »Sprich nicht darüber!« bat sie und kam auf ihn zu. »Als ich dich sah, wußte ich, daß ich in Taxa bleiben würde.« Koman nickte. »Beim Vollmond!« gab er zu. »Ich hätte dich dem Händler abgekauft. Und wenn ich beim Hufschmied ein Darlehen aufgenommen hätte!« Wieder lächelte Abrasha. Zögernd gab Koman das Lächeln zurück. An den veränderten Zustand mußte er sich erst gewöhnen. Dies würde ihm leichtfallen, das wußte er genau. Wieder brach ein neuer Tag an. Ein Tag von unendlich vielen kurzen Tagen auf dieser Welt. Wieder waren die Drachen unterwegs. Wieder
schwebten sie mit trägen Schlägen der riesigen Schwingen in großer Höhe. Und noch immer flog Hotch, der Drache mit den grünen Hautflecken und -falten an der Spitze des Geschwaders. Während er die Flügel bewegte, und derweil seine Augen jede winzige Einzelheit der Landschaft tief unter ihm einer genauesten Musterung unterzogen, dachte er nach. Die Erinnerungen, unvollkommene, blitzartig kurze Lichter, die ihnen allen nur eines sagten: Sie waren einst mächtiger gewesen. In einer anderen Zeit? Auf einer anderen Welt? Wann? Wo? Diese Erinnerungen, neu aufgerührt von den Gedanken jenes kräutersammelnden Mannes, beinhalteten auch das Buch der Drachen. Gab es dieses Buch? Wenn ja, dann standen darin Geschichten von und über Drachen. Vielleicht konnten sie, wenn sie dieses legendäre Buch einst fanden, über ihre eigene Geschichte etwas erfahren. Ein Jammer, daß es keine Drachenberater mehr gab. Und auch die drei letzten »Schneebestien« erfüllten die Funktion der Berater nur sehr unvollkommen. Was konnte er, Hotch, tun? Zuerst haben wir den Abtrünnigen und Ausgestoßenen gezwungen, sich selbst zu entleiben, dachte er. Dann haben wir die Sorge um das Drachenei, das von den Yttis behütet und von Hot-cha, der treuen Gefährtin, bewacht wird. Und schließlich
gibt es noch Ga-vok, der immer mehr zum Störenfried wurde. Aber das größte Problem blieb und war der neue Lebensplatz in der Nähe der Menschen. So weit entfernt, daß sich Drachen und Menschen nicht gegenseitig störten, und so nahe an einer großen Siedlung der Winzlinge, daß die Wege nicht zu weit waren. Nahe Urgor sollte ein solcher Platz sein. Also, dachte Hotch, ruhiger geworden, eines nach dem anderen. Zuerst der Lebensplatz. Dann Ga-vok. Dann das Ei, und alles andere würde sich finden. Vielleicht gab es einen mutigen Drachen mit viel Geduld, der sich mit Hilfe der Menschen auf die Suche nach dem Buch der Drachen machte. Vielleicht. Wahrscheinlich nicht, denn es gab zu wenige Erinnerungen, die eine solche Suche gerechtfertigten. »Also suche ich weiter nach dem besten Lebensplatz!« brummte Hotch in sich hinein. Die Suche würde Monde über Monde lang dauern. Sie würden viele Plätze finden, von denen die wenigsten geeignet waren. Aber schließlich, vielleicht im Frühling, wenn wieder frisches Grün die Felder bedeckte und an den Felsen hinaufzukriechen begann, würde ihr langer Flug zu einem guten Ende kommen. Vielleicht ...
7. Das Schmettern dieses verwünschten Vogels weckte ihn, wie fast jeden Morgen. Er begann zu fluchen, ohne die Augen zu öffnen. »Ich darf nicht mehr dem Wein so stark zusprechen!« murmelte er mit trockenen Lippen und pelziger Zunge. Der große, schwarze Vogel mit den weißen Augenflecken sang weiterhin sein eintöniges Lied. Und vermutlich würde auch die Sonne grell scheinen und, wie fast jeden Morgen, direkt in die kleine Siedlung hineinleuchten. Zainu öffnete ein Auge und stöhnte. »Tatsächlich!« Das Zelt war nur das Vorderteil der geräumigen Hütte, in der Zainu schlief. Er tastete neben sich, aber das Lager Zanahs, seines fetten Weibes, war leer. Gut so, dachte er. Dann kann ich wenigstens aufstehen, ohne ihr Keifen zu hören. Er öffnete auch das andere Auge. Durch jede Ritze, durch jedes Löchlein und alle Schnitte der Felle und des Leders, sogar durch die Nähte, leuchtete die Sonne. Nadeldünne goldene Strahlen stachen durch die staubige Luft. Zainu rappelte sich langsam auf. Heute fühlte er sich nicht halb so schlecht wie gestern, aber das lag sicher nur daran, daß er gestern nacht weniger getrunken hatte. Noch immer war er
uneingeschränkter Häuptling des Stammes. Die Söhne Nuaks gehorchten ihm. Sie hatten ihm sogar den ehrenvollen Beinamen Vampirtöter gegeben. »An die Arbeit, Zainu!« rief er sich selbst zu. Er stand vollends auf, schlug den Zelteingang zur Seite und schauerte zusammen, als die kühle Morgenluft hereindrang. Das Dorf, in dem mehr als zwölfmal hundert Menschen leben konnten, war noch ausgestorben. Langsam setzte Zainu Schritt vor Schritt und nahm leicht schwankend Kurs auf den Brunnen. »Wahrlich! Ein schöner Morgen!« brummte er. Schon seit über fünf Monden waren sie im Jahr der Schlange. Die Unruhig Wandernden hatten den rituellen Platz auf der Hochebene nahe des Berges Ah‘rath längst verlassen, waren langsam und – in einer langen Kette von kleinen Abenteuern zurückgewandert nach Lu‘ur. Hier weideten im weiten Umkreis die Herden, die sich prächtig vermehrten. Und hier würden sie bleiben, bis die Heilige Zeit wieder anbrach und sie auf den Weg zum Berg drängte. »Verdammter Wein!« knurrte der Vampirtöter. Der Brunnen war ein großer Baumstamm, den sie mit Axt und Feuer ausgehöhlt hatten. Von der nahen Quelle liefen halbierte und ausgehöhlte Stämme auf Stelzen bis hierher und transportierten das saubere, klare Wasser. Hier tranken nur Menschen, hier wurde
nur das Wasser für die Siedlung entnommen. Zainu holte tief Luft, dehnte seinen Brustkorb und seine Schultermuskeln und warf das Hemd und die Jacke ab. Dann nahm er ein ausgiebiges Bad in dem eisigen Wasser. Schlagartig verschwand die dumpfe Stimmung aus seinem Kopf. »Zanah!« schrie er, als er sich tropfend umdrehte und den Körper in die wärmende Sonne drehte. »Zanah! Ich habe Hunger! Wo steckst du, Weib?« Die meisten Mitglieder des Stammes waren in der näheren und weiteren Umgebung der Siedlung. Dort weideten die Pferde und die Kamele, die Ziegen und Schafe, bewacht von Hirten und Hunden. Auch viele der Mädchen und Frauen waren außerhalb der Siedlung. Sie versorgten das Vieh und stellten Butter und Käse her, kümmerten sich um die neugeborenen Tiere und die Felle, Hörner, Klauen und vieles andere. »Zanah!« hallte die wütende Stimme des Häuptlings durch den länglichen, mit Gras bewachsenen Platz, rund um den die wenigen Zelte und die vielen Hütten aus Balken und Lehmziegeln standen. Keine Antwort. »Verdammt! Sie ist fett und keift, sie kocht gut und keift, aber sie ist unpünktlich!« knurrte Zainu. Er schien in der Siedlung allein zu sein. Vor seiner Behausung, neben dem aus Steinen und Lehmziegeln aufgemauerten Herd voller kalter Asche und Hammelknochen, blieb er stehen und drehte sich um.
Er stemmte seine breiten Fäuste in die Seiten und sah sich aufmerksam um. Wo waren die anderen? Oder arbeiteten sie etwa schon wieder an der Fluchthöhle? Das war kaum zu glauben. Die Sonne stand gerade einen Fingerbreit über dem sanften Hang, auf dem drei schmale Trittpfade verliefen. Plötzlich wurde Zainu unruhig. Er schüttelte sich, als könne er mit den letzten Wassertropfen zugleich die aufkeimende Furcht vertreiben. »Ich muß etwas verschlafen haben, das sie alle aus dem Dorf getrieben hat!« sagte er. Aber was konnte dies sein, jetzt im Mond Vampir, in »seinem« Mond? Er zwängte sich ins Hemd, dessen Nähte krachten, schlüpfte in die Fellweste und die leichten Stiefel, tauchte hinein ins Halbdunkel der Hütte und kam wieder hervor, alle seine Waffen eingesteckt. Glücklicherweise hörte er gerade jetzt hinter der Hütte, im kleinen Verschlag, sein Pferd dumpf aufwiehern. »Verdammt! Doch etwas!« knurrte er. Er war Hirte und Häuptling. Er hatte sein ganzes Leben lang Tiere um sich gehabt. Er kannte ihre Lebensäußerungen und wußte haargenau, was die Tiere empfanden. Der weiße, gedrungene Hengst jedenfalls spürte eine lautlose Panik. Eine Gefahr, die wie ein Berglöwe heranschlich.
Aber dieses Gebiet war von ihnen seit Jahren von allen tierischen Räubern gesäubert worden. »Es hilft nichts. Ich muß nachsehen. Verdammte Zanah! Ein Weib ist zuwenig und doch zuviel!« schimpfte er, holte den Sattel und schleppte ihn rund um die Hütte. Als er den Schimmel anschirrte, mußte er beruhigend auf ihn einreden und ihn streicheln und klopfen, bis das Tier sich langsam beruhigt hatte. Zainu schwang sich auf den Rücken des Hengstes und lenkte das Tier langsam an der Längswand der Hütte vorbei, blickte sich abermals langsam um und stellte mit Sicherheit fest, daß sich niemand im Dorf befand. Er verzichtete gern darauf, abzusteigen und in jedes Zelt und jede Hütte hineinzusehen. Er blinzelte in der Sonne, dann beschloß er, sich einen noch besseren Überblick zu beschaffen. »Los, Kleiner!« sagte er scharf, zog die Zügel durch und hämmerte mit den Absätzen gegen die Flanken des Pferdes. Der Hengst galoppierte so hart und ungestüm an, daß es Zainu fast aus dem Sattel riß. Er ritt mit klappernden Hufschlägen durch das Dorf und schräg den Hang hinauf. Dort hielt er das Tier an. »Sehr merkwürdig. Weit und breit niemand zu sehen«, meinte der Häuptling. Rechts unter ihm lag jetzt das Dorf mit seinen mehr als hundert Hütten und Zelten, mit den Vorratshäusern und den kleinen Stallungen für das Schlachtvieh. Nur
dort war Bewegung. Ein Hund, der erbärmlich hinkte, kroch langsam über den Platz und ließ sich umständlich im feuchten Schatten des Brunnens nieder. Auf der linken Seite, wo das Gelände meist sanft bis zu dem kleinen See abfiel, aus Weiden und Feldern bestand, aus runden Inseln von Bäumen und Büschen, und aus Felsen, die sich inmitten wuchernden und dornigen Gestrüpps aus dem grünen Boden schoben ... dort sah er etwas. Ein einzelner Reiter. Zainu beschattete die Augen mit der flachen Hand, kniff die Lider zusammen und blickte schärfer hin. Kein Reiter! Eine Reiterin! Es war Zanah. Sie schlug auf das Tier ein, um es zu größerer Geschwindigkeit anzutreiben. »Ich verstehe! Etwas ist geschehen! Und ich habe es verschlafen, ich Narr!« sagte er. Augenblicke später preschte er wie rasend den Hügel hinunter und riskierte, sich und dem Pferd den Hals zu brechen. Hinter ihm flogen Steine, Grasbüschel und Erdbrocken in die Luft. Das Tier begann zu keuchen, aber rechts neben dem ausgetretenen Pfad galoppierte Zainu seinem Weib entgegen. Als er sie fast erreicht hatte, parierte er das Pferd. Der Schimmelhengst stieg wiehernd in die Höhe. »Weib! Was hast du? Du reitest wie der Blitz?«
schrie er. Zanah schwitzte stark. Ihr Gesicht war gerötet, und das schwarze Haar umflatterte ihren runden Kopf wie die Mähne einer Stute. »Und du schläfst wie ein Felsen, du Faulpelz!« keifte sie. »Die Herden rennen davon! Riesige Vampire am Himmel!« Sie brachte ihr halb zuschanden gerittenes Pferd dicht neben ihm zum Stehen und erklärte atemlos: »Du warst nicht wach zu bekommen, tapferer Häuptling und Töter der Vampire! Du hast gestern um die Wette getrunken, und der Geist des Weines tanzte in deinem Kopfe!« Er winkte ab. Seine angstvolle Unruhe wurde immer stärker. »Was es gibt, habe ich gefragt. Mutter meiner Söhne!« Sie deutete zum Himmel und erwiderte giftig: »Dorthin richte deine Augen, tapferster aller Häuptlinge. Was siehst du, falls du deine verklebten Augen schon richtig öffnen kannst?« Er warf ihr einen Blick zu, der einen Hund aufjaulend aus seiner Nähe vertrieben hätte, aber dann blickte er hinauf in den strahlend blauen, klaren Frühsommerhimmel. Weit oben, schon kaum mehr sichtbar, sah er eine keilförmige Folge einzelner Körper. Sie sahen tatsächlich aus wie Vampire oder
sehr langsam fliegende Fledermäuse. »Vampire? In dieser Höhe? Und mit so langsamen Flügelschlägen?« murmelte er verwundert. »Was sonst? Schwalben sind‘s keine!« sagte Zanah und drehte ihr Pferd herum. »Die Herden jedenfalls sind in hellem Aufruhr. Ich habe sie zusammentreiben lassen.« Abermals starrte Zainu in das Firmament. Eine ferne Erinnerung dämmerte ihm. Die Tiere waren unruhig geworden, obwohl die wenigsten von ihnen den Himmel mit Blicken absuchten, und kaum ein anderes Tier außer vielleicht einem Geier würde diese winzigen Punkte dort entdeckt haben. Aber es kam ihm so vor, als ob diese Punkte, während sie redeten und nachdachten, immer größer geworden waren. »Das sind keine Vampire!« sagte Zainu schließlich. Er schien sicher zu sein. »Sondern? Ein Fliegenschwarm?« schnappte Zanah. »Es sind Drachen!« stellte er fest. »In großer Höhe schwebende Drachen. Ich weiß von meinem großen Freund Dragon, der vielleicht schon König Zogor entthront hat, daß es Drachen gibt. Sie haben ihm geholfen ... aber solche Mengen? Sie werden die Herden verwüsten! Was hast du getan?« Zanah war beeindruckt, aber sie fuhr im nämlichen schrillen Tonfall fort:
»Ich habe drei Hirten getroffen. Ihnen habe ich gesagt, sie sollen von den Herden zusammentreiben, was noch möglich ist. Und dann in die Fluchthöhle. Und sie sollen auch Boten zu den anderen Herden oder Hirten ausschicken.« Zainu nickte; das war klug und entschlossen gehandelt. Und vor allem richtig. »Welche Richtung?« »Die südlichen Herden.« Plötzlich schrie er: »Und Zetto? Er ist bei den nördlichen Herden! Du überlaßt meinen Sohn dem Schicksal, von den Drachen gefressen zu werden?« »Du Narr!« erwiderte sie heftig. »Sieh selbst nach deinem verwöhnten Söhnchen!« »Genau das werde ich tun. Wolltest du mich holen?« »Ja. Die jungen Männer sammeln sich dort drüben bei den großen Ställen und Pferchen.« Zainu rülpste laut, dann erklärte er verdrossen: »Es gibt also Kampf und Aufregung. Gut. Ich werde dort sein und die Drachen in die Flucht schlagen, wenn sie landen wollen. Aber ... wird Dragon das gutheißen?« Sie versetzte grimmig: »Darüber kannst du nachdenken, wenn du die erschöpften und niedergetrampelten Tiere zählst und jene, die sich Hals und Beine gebrochen haben.«
Er sah sich nicht mehr um, als er davonritt. Merkwürdig war nur, daß ihn der gesamte Stamm fürchtete. Blickte er einen der Wachhunde an, dann zog das Tier den Schwanz zwischen die Hinterläufe und verdrückte sich. Er ritt die stärksten Hengste, und die Mädchen waren froh, wenn er sie zwickte oder gar in sein Zelt oder in die Büsche mitnahm. Kamelbullen in der Brunft konnten ihn nicht besiegen – aber Zanah hatte nicht die geringste Furcht. Kein Respekt! Sie bildete sich wohl etwas darauf ein, daß sie eine Tochter Nuaks war, eine »erste Tochter«, und ihm eine größere Anzahl Söhne und Töchter geboren hatte? Das mußte es sein. Nicht einmal Prügel halfen dagegen. Widerwillig mußte er zugeben, daß sie jedenfalls jetzt, in Augenblicken der Not, richtig und schnell gehandelt hat. »So oder so«, knurrte er. »Ein Weib ist des Unfugs Krönung.« Er sprengte etwas langsamer weiter; schließlich brauchte er das Tier noch einige Rittstunden lang. Immer wieder hob er den Kopf und drehte den Hals, blickte hinauf ins Firmament. Die Lage wurde bedrohlicher. Die Drachen schienen tatsächlich hier landen zu wollen, denn die Körper wurden größer. Rund fünfzig Stück riesige Drachen. Nach einem scharfen Ritt entlang der leeren, niedergetrampelten Pferchanlagen stieß er auf den
ersten Hirten. »Mann!« schrie Zainu. »Was tust du?« Der Hirt schien einen Teil seiner Herde aufgehalten zu haben, leider ohne rechten Erfolg. Er sah aus, als sei er von einem Stier durch das Geröll eines trockenen Flußbettes geschleift worden. »Ich hole meine Waffen. Sie versammeln sich am See!« »Sei nicht mutiger als sonst. Freund!« donnerte Zainu und riß den Hengst herum. Er ritt weiter. Noch führte sein Weg im Zickzack zwischen den Plätzen, die er kannte, hin und her. Aber die Hauptrichtung war Norden. Dort irgendwo war Zetto, sein jüngster Sohn, die Perle seiner Lenden. Ein Knabe von sechs Sommern. Er traf einzelne Hirten und Gruppen. Sie alle wußten nur, daß sich Drachen näherten, und daß die Herden sich in alle Richtungen zerstreut hatten. Immer wieder schrie ihnen Zainu zu, wo sie sich zu sammeln hatten, und daß sie versuchen sollten, die wertvollsten und stärksten Tiere in die Fluchthöhle zu treiben. Aber es würde nicht einfach werden. »Ob sie die Höhle am Karcha noch erreichen werden?« Auch sein Pferd wurde, je größer die Drachen über ihnen erschienen, immer unruhiger ... Die Drachen flogen jetzt niedriger als ein satter Geier, und sie flogen
in riesigen Kreisen genau über dem Gebiet der Söhne Nuaks. Einige zwanzig Galoppsprünge weiter nördlich, am Rand einer riesigen Weidefläche, kam ein schreiender Hirt auf ihn zugerannt. Zainu, inzwischen voll echter Sorge um Zetto und das Wohl des gesamten Stammes, hielt das keuchende Pferd an. »Ich weiß«, rief er und winkte ab. »Die Drachen!« Der Hirt stürzte näher und rief verzweifelt: »Ja, die Drachen. Sie scheinen etwas zu suchen. Sie kreisen ununterbrochen über den Herden und uns! Alle Tiere sind geflüchtet.« »Treibt zusammen, was ihr findet« sagte Zainu. »Und versucht, die Karach-Höhle zu erreichen!« »Das wird schwierig werden, Vampirtöter!« »Das Leben ist schwierig. Oder ziehst du vor, schnell zu sterben? Los, tue, was ich dir gesagt habe. Weißt du etwas von Zetto?« Der Hirt schüttelte verzweifelt den Kopf. Er wußte, wie sehr Zainu an seinem Jüngsten hing. Außerdem war der Kleine die Freude des gesamten Stammes. Das Pferd versuchte, zur Seite auszubrechen, aber die Schenkel und der unbarmherzige Druck der Zügel ließen es auf der Stelle verharren. »Ich komme zurück« sagte Zainu entschlossen. »Sage ihnen, wenn du am Teich vorbeikommst, ich brauche achtzig der besten Krieger. Oder vielleicht
hundert. Sie müssen bewaffnet sein, wenn ich bei ihnen bin. Ich reite und suche Zetto!« »Ich richte es aus! Du wirst das zerstreute Vieh überall finden!« Zainu versicherte grimmig: »Ich suche es nicht. Aber wenn die Drachen versuchen, sich die Bäuche an unseren Tieren vollzuschlagen, werde ich sie mit Feuer und Schwert davontreiben!« Der Hirt rannte schon wieder. Zainu blickte nach oben und sah die riesigen Körper. Tatsächlich schien das Geschwader etwas zu suchen, denn die Drachen kreisten in vielleicht zweihundert Mannslängen Höhe über der Landschaft. An ihrer Spitze befand sich ein riesiger grüner Drache. Er sah gesund und stark aus. Das Tier unter Zainu war nahe daran, vor Furcht wahnsinnig zu werden. »Los! Weiter« Zainu beugte sich nach vorn und federte in den Knien, als er quer über die leere Weide sprengte. Hinter einem Stein sah er ein Lamm, das jämmerlich blökte und immer wieder aufzustehen versuchte. Einen Lauf gebrochen, dachte er und hetzte vorbei. Tiefhängende Äste schlugen in sein Gesicht, als er eines der kleinen Wälder umrundete und weiter in die Richtung der nördlichen Pferche und Weiden ritt. Ein kleiner Hügel. Weiter. Über sich das Rauschen der
Drachenflügel, unter sich das Tier, das mitten im rasenden Lauf auszubrechen versuchte. »Und du willst ein Hengst sein!« schäumte Zainu. »Ein jämmerliches Fohlen bist du, nichts weiter!« Noch hatte er die Herrschaft über das Tier nicht verloren. Das lag daran, daß die Drachen einen so großen Kreis flogen, daß sie zeitweilig aus einem ziemlich großen Abschnitt der Gegend völlig verschwanden. Dann versperrten Felsen oder Bäume oder kleine Berge die Sicht auf das Geschwader. Zainu dachte an die achtzig Männer, die er aufbieten würde – aber auch er bekam es langsam mit der Angst. Würden sie die Drachen vertreiben können? Wiesen flogen vorbei. Umgestürzte Sperren aus Baumstämmen, verbunden durch Lederschnüre oder biegsame Zweige, lagen rechts und links des Weges. Schafe versuchten, sich aus dornigen Ranken zu befreien. Ein Stier rannte immer wieder gegen einen Busch an, der sich vor dem Gehörn des Tieres teilte und zusammenschlug, sobald der schwarze Stier sich zurückzog. Vögel schwärmten aus und bildeten kleine, aufgeregte Muster vor dem Himmel, verschwanden schließlich und versteckten sich irgendwo. Kleine Wildtiere schossen angstvoll hin und her. Auch die Hirtenhütten waren leer. Die Arbeitsgeräte standen und lagen wirr umher. Die Hirten
versammelten sich, um die Fluchthöhlen aufzusuchen. »Das ist eine der äußeren Weiden. Zetto?« Zainu richtete sich in den Steigbügeln auf und ritt langsamer. Er spähte nach allen Richtungen. Aber er sah keine Spur von seinem Sohn. Hoffentlich hatte einer der Hirten den Kleinen mitgenommen. Aber es half nichts, er, der Häuptling, mußte sich vergewissern. Sein Sohn würde einstmals den Stamm beherrschen, und er war wichtig. »Zetto! Wo bist du?« Der Schrei hallte zwischen den Hütten und den Felsen. Zainu hatte mit äußerster Kraft geschrien. Seine Kehle begann zu schmerzen. In seinen Ohren rauschte das Blut. Er holte Luft, dann hielt er den Atem an und lauschte angestrengt. »Nichts! Verdammt!« Er ritt weiter. Diesmal weniger schnell, so daß er alle die Plätze einsehen konnte, an denen sich sein kleiner Sohn verbergen konnte. Aber er war halb überzeugt davon, daß er Zetto, wenn überhaupt, seelenruhig mitten auf einer Lichtung spielend finden würde. »Zetto!« Hier, nach einer Weile Ritt, fand er die Spuren der Schafherde, die von jenen Hirten und Mädchen bewacht wurde, zu denen Zainu besonders gern ritt. Ihre Weinvorräte waren groß, die Mädchen waren drall und willig, und sie alle paßten auf den Sohn auf, der
wiederum besonders gern mit den Hammeln spielte. »Das ist wohl kaum zu glauben!« Hier war kein einziges Schaf, kein Hammel, kein Mädchen und kein Hirt. Die Weiden lagen in einem annähernd runden Gebiet, das von vielen kleinen Felsen und Sandflächen umgeben und von anderen Weiden isoliert war. Zwei zerrissene Felsen voller geheimnisvoller Höhlen und Klüfte ragten aus dem Gewirr der meist abgerundeten Steine wie Messerschneiden hervor. Zainu war ein Mann in den mittleren Jahren; sechsundvierzig Sommer alt und ein kluger Häuptling eines Stammes aus wilden Männern und feurigen Mädchen und Frauen. Er hielt todesmutige Verachtung der Gefahren für eine Narretei, aber noch niemals hatte er sich gescheut, einer Gefahr zu begegnen, die er kannte. Aber jetzt griff die Furcht und die Sorge um Zetto ernsthaft nach ihm. Bisher war der Zwischenfall eine willkommene Unterbrechung des täglichen Gleichmaßes gewesen – aber nun schien es tatsächlich zu einer ernsthaften Gefahr auszuarten. Er warf einen Blick ins Firmament. Die Drachen waren augenblicklich nicht zu sehen. Wieder schrie er aus Leibeskräften: »Zetto! Mein Sohn! Wo bist du! Hier ist dein Vater!« Er drehte den Kopf und lauschte. Der weiße Hengst unter ihm zitterte an allen Gliedern.
»Wieder nichts!« Zainu entschloß sich, auch die am weitesten entfernte nördliche Weide aufzusuchen. Seine Männer waren keine berufsmäßigen Krieger, aber sie fanden sich auch ohne ihn gut zurecht, zumal sie wußten, was zu tun war. Er spornte das Reittier und galoppierte weiter. Suchend bewegte er den Kopf und spähte umher, aber er sah weder die Schafe, noch Zetto, noch die geringste Spur des Kleinen. Einmal glaubte er, im schnellen Sprung den goldgelben Schatten eines Berglöwen zu sehen, aber er war seiner Sache nicht sicher. Das Pferd jedenfalls zeigte kein Erschrecken. Schließlich, am Scheitelpunkt seines Rittes, befand sich der schwarzhaarige Häuptling am oberen Ende eines schrägen Hanges, der seinen Abschluß an einer nahezu senkrechten Felswand aus Sandstein hatte. Ein Großteil des Geländes, auf dem sich die Weiden der Unruhig Wandernden erstreckten, lag frei unter seinen Blicken. Zainu sah ganz rechts das Geschwader der Drachen, das in sehr niedriger Höhe kreiste und sich offensichtlich anschickte, im Bereich des grünen Gürtels nahe der Steinwüste zu landen. »Was wollen die Giganten hier? Meine Herden fressen? Das kann ich mir schlecht vorstellen!« rätselte er. Mit Dragon hatte er nur wenig über die Drachen gesprochen, aber er wußte, daß sie nicht grundsätzlich böse waren. Und sie schienen auch mit jenem
rätselhaften Cnossos nichts zu tun zu haben, an den er persönlich sehr schlechte und entwürdigende Erinnerungen besaß. »Also: Zetto ist nirgends zu finden. Meine scharfen Augen ...«, begann er und lenkte das Pferd wieder hangabwärts. Jedenfalls hatten sich die Herden in alle Windrichtungen zerstreut. Es würde Tage über Tage dauern, die Tiere wieder zu finden und zurückzutreiben. Und dann die Verluste! Gebrochene Hälse und Läufe, die Schnitte der Dornen im Fell, die von Wölfen gerissenen Tiere ... es war auf alle Fälle ein Verlust, selbst wenn es ihm und den Kriegern gelang, die Drachen zu vertreiben. Dragon konnte mit den Drachen sprechen; das hatte er gesagt. Aber er selbst? Wie ging dies vor sich? Verstanden sie die Sprache der Menschen? Etwas langsamer, aber voll von brennender Sorge um das eigene Wohl und das Wohl des Stammes, ritt Zainu zurück ans Ufer des kleinen Sees. Unterwegs sah er, wie sich einzelne Drachen aus dem Geschwader lösten und zu Boden schwebten. Im Flug waren sie elegant und graziös wie große, schnelle Vögel. Auf dem Boden waren sie unbeholfen und langsam. Aber keinen Augenblick lang dachte Zainu daran, daß sie ungefährlich waren. Als er den langgestreckten Hang hinunter galoppierte, sah er unweit der Hütten eine undeutliche
Bewegung. Er riß das Pferd herum und raste darauf zu. Zwischen den zerfetzten Büschen in der Nähe eines zusammengebrochenen Pferchs richtete sich ein junges Mädchen auf. Sie schien von durchgehendem Vieh zur Seite geschleudert und bewußtlos getreten oder geschlagen worden zu sein. Zainu sprang, als er sie erreicht hatte, aus dem Sattel und kauerte sich neben ihr nieder. »Tochter!« sagte er. »Geht es schon besser?« Sie stöhnte, öffnete die Augen und erkannte ihn. »Zainu! Häuptling!« murmelte sie schwach. »Ich habe versucht, ihn zu retten. Aber er ist verschwunden. Spurlos verschwunden!« Zainu erstarrte. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn. »Von wem sprichst du? Von Zetto etwa?« Sie nickte schwach. »Die Drachen ... sie flogen niedrig über uns hinweg. Die Herde wurde wahnsinnig. Zetto war zwischen ihnen. Ich wollte ... wollte ihn retten, aber die Tiere nahmen ihn mit sich fort ... ihn gesucht, aber nicht gefunden. Und dann, plötzlich, ist alles dunkel ... geworden.« Zainu biß die Zähne aufeinander. Dann schob er seine stämmigen Unterarme unter das Mädchen und hob sie hoch. Er trug sie hinüber in eine der Hütten und legte sie auf ein Fellager. Sie war wieder bewußtlos geworden oder schlief. Jedenfalls wußte er nun, was passiert war. Zetto, sein jüngster Sohn, die
Freude seiner Tage und der Stolz seiner Lenden, war in größter Gefahr. Irgendwo hier im Umkreis lag er, vermutlich mit zerschmetterten Gliedern. Zainu sah, daß das Mädchen nach einiger Zeit wieder zu sich kommen würde und sich selbst helfen konnte; er verließ die Hirtenhütte, griff nach den Zügeln seines Pferdes und überlegte laut. »Was soll ich tun, bei der heiligen Mondsichel?« Das Wohl des Stammes ging über das Wohl eines einzelnen und die Sorge um seinen Sohn. Er entschloß sich, zu seinen Leuten zu stoßen. Er schüttelte den Kopf und fluchte erbittert in sich hinein. Dann bestieg er sein Pferd und ritt, wie von Nachtgeistern verfolgt, hinunter zum See. Dort erwarteten ihn seine Krieger. Sie hatten sich bewaffnet und ausgerüstet, aber auch ihre Tiere begannen wahnsinnig zu werden, als die Drachen dicht über den Baumkronen abermals die Weidegründe der Söhne Nuaks überflogen. Zainu sprang aus dem Sattel und schrie laut: »Ist ein Teil der Herden in der Fluchthöhle am Karach?« Die Hirten rasselten mit den Waffen und erwiderten: »So ist es. Die Frauen, Kinder und viel Vieh ist dort.« »Dann werden wir zu Fuß – denn die Tiere scheuen und reißen sich los – den Drachen entgegengehen,
wenn sie endgültig gelandet sind!« »Wir werden sie vertreiben!« schrien die Hirten und Krieger. »Mit Feuer und Schwert!« bestätigte Zainu, aber ihm war keineswegs wohl bei der Aussicht, gegen diese mächtigen Tiere kämpfen zu müssen. Und dazu kam ein Wissen, das ihm sagte, daß es nicht einfach Tiere waren, sondern Wesen, die stärker, älter und klüger und mächtiger waren als die Menschen. »Gehen wir!« sagte er und setzte sich einen Helm auf, den er irgendwo erbeutet oder gefunden hatte. Ein Zug von etwa neunzig Kriegern setzte sich zögernd in Bewegung. Sie waren mutig und erstklassig bewaffnet, aber der Ausgang dieses Vorstoßes war mehr als ungewiß.
8.
Zetto blickte die Welt dieses Tages mit weit offenen Augen an. Jeder Tag war für ihn ein Abenteuer. Jede Stunde zeigte ihm neue Dinge, die er nicht kannte und die mit ihren Formen, Farben und Bewegungen ihn fesselten und interessierten. Jetzt saß er auf einem Polster aus blaugrünem Moos, hielt sich in der weißgrauen Wolle eines riesigen Schafbocks fest und
spielte mit seinen farbigen Kieselsteinen. Er versuchte, Dinge oder Figuren in der Maserung der Steine zu erkennen. Er wußte nicht, warum diese Steine so rund waren, wo doch alle anderen Steine kantig und scharf waren. »Fafah!« sagte er und sah, wie sich die runden Ohren des Schafbocks bewegten. »Du frißt den ganzen Tag. Und wenn du dick und fett geworden bist, dann schlachten wir dich und rösten dich am Feuer. Ich glaube, du schmeckst gut, wenn du einmal am Spieß steckst und dich überm Feuer drehst!« Der Bock hob den Kopf mit dem eingerollten, langen Gehörn und gab ein grunzendes Meckern von sich. Zetto verstand ihn. Der Bock sagte: Das ist der Lauf der Welt. Aber bis dahin sind es noch eine Menge Tage! Zetto lachte laut und warf den Kiesel ins Gebüsch. Die Blätter und die kleinen Äste, von dem Stein berührt, schnellten zurück. Im Innern des kleinen Busches begann ein Vogel aufgeregt zu kreischen und flatterte dann zwischen den Blättern hervor, zwitscherte Zetto vorwurfsvoll an und entfernte sich schnell. »Komisch!« krähte Zetto. Er fühlte sich wohl. Es gab keine Sorgen. Die Sonne schien in sein Gesicht und auf seine Schultern und bräunte ihn. Er war satt und ausgeschlafen. Niemand verlangte etwas von ihm. Er brauchte nicht zu arbeiten wie all die Mädchen und
Hirten hier. Er konnte spielen und spielend die Welt entdecken und sich dabei freuen. »Fafah, ich will auf dir reiten!« schrie er und stand auf. Der Bock schielte ihn an, dann senkte er wieder den runden Kopf und aste weiter. Zetto stampfte auf seinen dicken Beinen auf den Bock zu und klammerte sich an die Hörner, die sich nach hinten und unten krümmten. Der Bock schnaubte unwillig, dann hob er den Kopf und blickte aus seinen großen Augen in den Morgenhimmel. Zetto drehte den Kopf und wollte wissen, was dieser dumme Schafsbock dort zu sehen glaubte ... »Dort ist nichts. Nur die Sonne und ein paar Wolken!« rief er. Der Morgen war friedlich und kühl und ruhig wie alle anderen Morgen auch. Aber die Hirten und die Mädchen, die den Hirten halfen, arbeiteten bereits. Sie molken und versorgten die Tiere. Sie kümmerten sich um die Jungtiere ebenso wie um die älteren. In der Luft hing der Rauch von Lagerfeuern, an denen das erste Essen zubereitet wurde. Irgendwann an diesem Tag würde auch Zettos Vater kommen, Häuptling Zainu, und Zetto würde ihn alles fragen können, was ihn im Laufe der Stunden beschäftigt hatte. Plötzlich begann der Bock zu zittern. Er bewegte unruhig den Kopf und drehte ihn hin und her. Zetto
blickte ebenfalls in die Höhe und suchte den Himmel ab. Er kannte die Totenvögel, die schwarzen Geier, aber er suchte vergebens nach ihnen. Er sah nur ein dreieckiges Stück des Himmels, das voll von hellen Punkten war. Was hatte ihm Zainu über die Zugvögel gesagt? »Aber jetzt gibt es keine Zugvögel. Sie fliegen an anderen Tagen des Jahres!« Zetto hielt sich fest, halb über den Bock gebeugt, indem er seine Finger in die dicken Wollsträhnen des Felles verkrampfte. Nicht nur der Bock, sondern auch die gesamte Herde, die bis vor wenigen Augenblicken friedlich und ruhig gefressen hatte, wurden unruhig. Ihre Läufe scharrten über den Boden, ihre Köpfe bewegten sich hin und her. Keines der Tiere fraß mehr – sie alle waren von einer unerklärlichen Unruhe befallen worden. »Was habt ihr, ihr dummen Schafe?« rief Zetto. Er begann sich ebenfalls zu fürchten. Er drehte sich um. Die Schafe blökten laut. Einige starke Tiere senkten die Köpfe und rannten gegen die dünnen Stangen des Gatters an. Aus der Hirtenhütte kam ein Mädchen (es war die schwarzhaarige Blenda, die immer so merkwürdig grinste, wenn Zainu in ihrer Nähe war!) und blickte ebenfalls in den blauen Himmel hinauf. »Zetto! Komm her!« rief sie dann.
Zetto bückte sich und wurde unsichtbar. Aber langsam bekam er es mit der Angst. Die vielen Tiere stießen und bewegten sich. Sie waren unruhig. Als Zetto abermals nach oben blickte, sah er merkwürdige Tiere, die genau über ihm dahinflogen. Sie sahen aus wie Fledermäuse, die in der Nacht mit wahnsinnig schnellen Flügelschlägen dahinflatterten. Aber sie flogen langsamer. Zetto schüttelte sich. Er hob einen Fuß, dann schwang er sich auf den Rücken des starken Hammels. »Jetzt reiten wir weit fort!« verkündigte er. »Und diese weißen Vögel werden uns nichts tun!« Der Hammel rührte sich nicht. Er blieb starr stehen. Das Mädchen rief immer wieder und kam langsam auf den Rand des großen Pferchs zu. Und plötzlich geschah es: Alle Tiere wurden zur gleichen Zeit verrückt. Sie bewegten sich langsam nach rückwärts, hielten inne, und genau in dem Augenblick, als die merkwürdigen großen Vögel wieder über die Weide dahinflogen, genau in dem Moment, als das Mädchen versuchte, den Zaun zu überklettern und Zetto zu holen, warfen sich alle Tiere in die Richtung, in der ein riesiger, weißer Leithammel flüchtete. Das Mädchen schrie gellend auf. Die Zäune brachen, als die Flut der Tiere dagegen anbrandete. Zetto, der sich am Gehörn des Hammels festklammerte, verstand nichts mehr. Er wußte nur,
daß er sich ebenso fürchtete wie alle die Tiere hier. Er hielt sich fest und verlagerte sein Gewicht nach vorn. Dann erfolgte der Anprall ... Rund zweihundert Tiere oder mehr warfen sich nach vorn. Sie schoben und drängten in eine einzige Richtung. Die großen Hammel an der Spitze der Flut aus Körpern, Hörnern und Wolle kamen an die dünnen Stangen, walzten sie nieder und sprangen über die Reste. Die Herde war frei und rannte in panischer Furcht, das Geräusch der schwirrenden Flügel direkt über sich, geradeaus. Zetto rutschte von seinem Sitz herunter, kam schräg unter den Bauch des Hammels und hielt sich an den langen, schmutzigen Haaren der Haut fest. Er lockerte seinen Griff um das geschwungene Gehörn und hing jetzt zwischen den vier Läufen des Tieres. Zetto begann zu weinen, weil er sich fürchtete und nicht mehr wußte, wo er sich befand. Blökend und stoßend, stolpernd und rennend, blind und von panischer Angst getrieben, rannte die große Herde geradeaus. Zuerst wurden die Reste des Geheges niedergetrampelt, zerbrochen und zur Seite geschoben. Dann rannten die Hammel und die Schafe, die Muttertiere und die kleinen, unbeholfen stolpernden Lämmer geradeaus, schließlich zerstreuten sie sich in fächerförmiger Richtung. Instinktiv suchten die Tiere Schutz in der Dunkelheit der Büsche, in Felsspalten
und in Höhlen, in den schwarzen, langen Schatten von alten Bäumen und in der Freiheit, die dadurch gekennzeichnet war, daß es keine Zäune oder Abgrenzungen mehr gab. Zetto weinte, aber als Häuptlingssohn versuchte er, lautlos zu weinen. Er merkte nur, daß Fafah, der Bock, wie ein Rasender rannte und sich immer mehr von dem Rest der zerstreuten Herde entfernte. Irgendwann verlor Zetto den Halt, fiel zu Boden und sah flüchtig, daß er allein war. Der Bock Fafah war verschwunden ... Zetto stand auf und blickte um sich. Er tappte weiter und sah, daß er in einer Gegend war, die er nicht kannte. Lauter runde, gelbsandige Felsen. Über sich hörte er ein Rauschen. Es waren die Flügel dieser riesigen Vögel. Er blickte ihnen nach und sah, daß einer der kleineren Vögel zur Seite ausscherte. Langsam kletterte er über einen Felsen und setzte sich im schwarzen Schatten auf einen feuchten Stein. »Wo bin ich? Zainu?« weinte er. Zetto begann zu denken und zu überlegen. Die dahinrasende Herde hatte ihn verschleppt. Er war allein und schutzlos. Niemand würde ihm helfen. Wo war er? Er erkannte die Gegend nicht. Er wischte mit der Faust die Tränen aus seinen Augen und sah sich um. Er hörte hinter dem nächsten Felsen ein dunkles Grollen. Ein anderes Tier? Er verhielt sich ruhig und
unterdrückte sein aufstoßendes Schluchzen. »Vater! Hol mich zurück! Bringe mich zu Zanah!« wimmerte er. Schweigen. Ruhe. Gespannte Stimmung ... Schließlich, nach einigen Augenblicken oder nach vielen Stunden, schob sich ihm gegenüber ein furchtbarer Kopf über die sandfarbenen Felsen. Zetto erschrak. Er kannte diesen Kopf, und sein Vater und alle Hirten hatten ihn immer wieder vor diesem Tier gewarnt. Es tötete Menschen und Vieh. Ein Tier, das den Namen Berglöwe hatte und ihn jetzt aus goldfarbenen Augen anstarrte. Zetto hörte vor Schreck auf zu wimmern und verhielt sich still. Er rührte sich nicht. Der Berglöwe bewegte sich unentschlossen. Er drehte den furchtbaren Kopf hin und her und war sichtlich unruhig. Ebenso unruhig wie die Tiere der Herde, die Zetto verschleppt hatte. Noch immer rührte sich der Kleine nicht. Nur seine Augen bewegten sich. Er versuchte, einen Schlupfwinkel zu finden, in dem er sich vor diesem Raubtier verstecken konnte. Zwanzig, fünfundzwanzig Schritte betrug die Entfernung zwischen ihm und dem Berglöwen. Jetzt hob der gelbe Räuber den Kopf, spähte aufgeregt in den Himmel und stemmte sich dann in die Höhe. Seine Muskeln versteiften sich. Er visierte Zetto an und sprang auf einen größeren Stein.
Zetto erschrak wieder, aber er spürte immer weniger Angst. Er bückte sich und hob einen faustgroßen Stein hoch. Er holte aus und schleuderte den Stein in die Richtung des Raubtierschädels. Der Stein schlug dicht vor dem aufgerissenen Rachen auf und zerplatzte. Das Raubtier schrie grollend auf und setzte abermals zum Sprung an. Und während Zetto sich hin und her drehte, um einen Fluchtweg zu finden, sprang der Berglöwe plötzlich kerzengerade in die Höhe. Das Raubtier fauchte auf und hetzte dann zwischen den Steinbrocken hin und her. Eine seltsame Verwandlung war eingetreten; der Löwe schien den Kleinen nicht mehr zu sehen oder sein Ziel verloren zu haben. Zetto wünschte sich nichts sehnlicher, als daß sein Vater oder ein Hirt auftauchen und den Löwen töten oder verscheuchen würde. Er sah mit schreckgeweiteten Augen dorthin, wohin der Berglöwe starrte. Das Tier schien sich auf einen Kampf mit einem unsichtbaren Gegner vorzubereiten. Plötzlich stand Zetto Augenblicke lang im schwarzen Schatten. Sein Kopf flog hoch ... und er sah den Drachen. »Ein Vogel? Ein Vampir?« flüsterte er. Er kannte dieses Wesen nicht, das mit flatternden Schwingen sich auf den Berglöwen stürzte und ihn mit Fangzähnen, den Klauen von vier Gliedmaßen, einem heftig peitschenden Schwanz und mit den Krallen an
den Flügelenden angriff. Der große weiße Vogel schrie auf wie ein Stier, und der Löwe donnerte seine Antwort. Dann trafen ihn ein Prankenhieb und ein gezielter Schlag des langen Schwanzes, schleuderten ihn vom Felsen herunter und drehten ihn mehrmals in der Luft. Aufjaulend landete die goldfarbene Katze in einem stacheligen Busch und warf sich wieder herum, kam auf die Füße und sprang abermals aufwärts. Der Drache schwebte einige Mannslängen über den Steinen, auf der Stelle, wie einer der winzigen Honigvögel. »Schlag ihn! Jag ihn weg!« schrie Zetto begeistert, als er erkannte, daß der große Vogel ihm half. Der Berglöwe jagte schräg die Felsen hoch und schnellte sich in die Luft. Er prallte in einer Höhe, die so weit vom Boden entfernt war wie die Kruppe eines Pferdes, mit dem weißen Riesentier zusammen. Wieder schlugen die Schwingen nach vorn, wieder krachte der lange Schwanz und traf den Kopf der Bestie. Der Berglöwe landete krachend auf dem Rücken, schrie jämmerlich auf wie eine getretene Katze und schlug mit den Läufen. Der Vogel hob sich wieder, blieb aber voll äußerster Wachsamkeit mit schlagenden Schwingen zwischen dem Löwen und Zetto schweben. »Du hast ihn getroffen!« schrie Zetto mit heller, durchdringender Stimme. Der Vogel öffnete den Rachen, hustete kurz und
bellend, und eine kleine Flamme, verbunden mit gelbbraunem Rauch, trieb auf den Löwen zu. Jetzt floh das Raubtier in wilden, ungeschickten Sprüngen. Jedesmal, wenn die Hinterläufe die Felsen berührten, schrie der Räuber leise auf. Er verschwand zwischen den Felsen. Der Vogel – eigentlich war es eine Kreuzung zwischen einem merkwürdigen Vogel und einigen Gestalten, von denen Zetto oft geträumt hatte – kam langsam, halb segelnd und halb flatternd, von den Felsen herunter und ließ sich, keine zwei Mannslängen von dem Jungen entfernt, auf den heißen, gelben Stein nieder. »Ich danke dir, Vogel!« rief Zetto und krabbelte über die Steine auf das fremde Tier zu. Jetzt hatte er keine Furcht mehr. Das war ein aufregendes Tier. Zetto würde mit ihm viel besser spielen können als mit Fafah, dem dummen Bock. Wenn du spielen willst, dann spiele mit mir! sagte plötzlich eine helle Stimme, die so ähnlich klang wie seine eigene. Zetto sah sich um. Niemand war da. Niemand hatte gesprochen. Dieses Tier dort? Er erkannte nicht, daß er die Worte nur in seinem Gehirn gehört hatte, nicht mit den Ohren. »Ich werde mit dir spielen. Ich heiße Zetto und bin Häuptlingssohn!« krähte er begeistert auf und rannte auf den fremden Spielgefährten zu.
Ich bin ein Drache und heiße Hot-chi. Mein Vater ist der Anführer des Drachengeschwaders! sagte wieder die Stimme. »Was ist ein Drache?« fragte Zetto, als er den »Drachen« erreicht hatte und nun die weiße, lederige Haut und die Krallen, die halb zusammengefalteten Schwingen und die anderen, nicht weniger merkwürdigen Körperteile des Drachen betrachten und betasten konnte. Ein Drache ist ein Drache. Wir sind alt und mächtig. Aber ich bin jung. Erst wenige Sommer alt! war die unhörbar-deutliche Auskunft. »Du kannst fliegen, nicht wahr?« Ja. Wir Drachen fliegen ausgezeichnet. Wir suchen einen neuen Lebensplatz, aber wir haben bisher keinen gefunden?« »Was ist ein Lebensplatz?« Der junge Drache erklärte es Zetto. Schließlich sagte der Häuptlingssohn pfiffig: »Ich zeige euch einen Lebensplatz, wenn ich mit dir fliegen darf. Läßt du mich auf deinen Rücken?« Natürlich. Wohin willst du fliegen? »Zu meinem Vater, dem mächtigen Vampirtöter Zainu!« Klettere auf meinen Rücken. Halt dich hinter dem Hals fest, an den zackigen Schilden! »Bringst du mich zu meinem Vater, Drache
Hot-chi?« fragte Zetto, der etwas unsicher geworden war. Du mußt mir ihn zeigen. Ich kenne ihn nicht! »Einverstanden! Hinunter zum See, Hot-chi!« Zetto hielt sich an den vorderen Kanten der Schwingen fest, trat auf die runzlige Haut der Gelenke und zog sich auf den Rücken des Drachen. Hot-chi war größer als ein Ochse, aber die harte Haut war fast überall weiß. Zetto krallte sich an die Hornplatten und fühlte den starken, sturmartigen Luftzug, als sich die weit ausgespannten Schwingen links und rechts von seinen Schenkeln zu bewegen begannen wie die eines auffliegenden Wasservogels. Dann schoß Hot-chi über die Wipfel niedriger Bäume hinweg, erhob sich über die Felsen und stieg schnell höher. Zetto hatte keine Furcht, aber er war noch niemals so geflogen. Aber als er merkte, daß er hier so sicher war wie im Sattel vor der mächtigen Brust seines Vaters, verlor er seine Beklemmung und schrie und, kreischte vor Vergnügen. Ein Flug begann, den er sein ganzes Leben nicht wieder vergessen sollte. Auch die Mitglieder des Stammes würden ihn nicht vergessen.
9.
Das Verhängnis näherte sich von zwei Seiten. Er saß da und fühlte, daß sein Magen voll war. Das Vieh, das er geschlagen hatte, war fett und gutgenährt gewesen. Er war satt, und das Behagen nach der guten Mahlzeit hatte ihn erfaßt und legte sich wie weiches Moos über seine Wachsamkeit. Was machte schon den Hirten der Verlust von einigen sechs Stück Vieh aus! Er zwinkerte und schloß die Augen. Dann streckte er die Vordertatzen aus, bettete seinen mächtigen Schädel darauf und begann langsam und voll süßer Erinnerung, das Blut von den Tatzen abzulecken. Ihm war nach einem langen Schlaf in der Mittagshitze zumute ... Rund hundert Krieger waren es, die zu Fuß den Hügel anstürmten. Sie trugen jede Art von Waffen, gingen aber zu Fuß. Jedes Reittier hätte sie abgeworfen und wäre voll panischer Furcht geflohen angesichts der Drachen. Die bewaffneten Hirten, die seit dem Sieg über Cnossos und seine Vampire voller Selbstvertrauen waren, schwangen lange, brennende Fackeln und scharfe Lanzen und gebündelte Speere. Zainu, teils voll höllischer Wut über den Verlust der Tiere, über die auseinandergetriebenen. Herden und über die kommenden Scherereien, teils voller Angst um das Leben seines Lieblingssohns, ging schnell und mit Riesenschritten an der Spitze der einzelnen Gruppen. Es war kurz nach Mittag. Die Sonnenhitze hämmerte
an diesem Morgen mit der Kraft des tiefen Sommers auf die Köpfe nieder. Schweiß rann unter Helmen und Rüstungen hervor. »Dort vorn ist der Verbrecher! Er hat unter den Jungochsen gewütet wie ein vom Blutrausch Besessener!« flüsterte ein Hirt. »Wir werden ihn anschmoren!« versicherte Zainu grimmig. Sie verteilten sich auf einige Winke von ihm. Von sieben verschiedenen Richtungen gingen sie den Hügel an. Sie sahen, während sie sich nach oben arbeiteten, die Spuren des jagenden Drachen. Felsstücke, tiefe Fluchtspuren im weichen Boden, Blut und Fleischfetzen lagen herum. »Verdammter Drache!« flüsterte Zainu. In sein Flüstern mischte sich ein Geräusch, das er mittlerweile kannte: Das Rauschen der riesigen Drachenschwingen. »Andere Drachen! Dort, auf der Seite des Hügels, die wir nicht sehen!« rief leise einer der Hirten. Auch sein Gesicht war vor Wut verzerrt und schweißüberströmt. »Wir werden ihn mit Speeren spicken und mit Feuer davonjagen!« murmelte der Häuptling düster. Er duckte sich, als über dem Hügelkamm der erste Drache auftauchte. Das Geschwader, das jetzt hier vorbeischwebte, war kleiner als vor einigen Stunden. Einige Drachen hatten den Zug verlassen und trieben
sich hier irgendwo im Weidegebiet herum. Wahrscheinlich richteten sie ebenso wie dieser Drache mit den braunen Farbzeichnungen Blutbäder unter den Herdentieren an. Die Hirten ließen sich durch die Masse der Giganten nicht abschrecken und stürmten weiter den Hügel empor. Sie hatten Bögen und lange Pfeile bei sich, mit denen sie aus sicherer Entfernung kämpfen konnten. Brandpfeile und geschleuderte Speere waren Waffen, die auch ein Drache fürchten mußte. Der grüne Drache, der das Geschwader anführte, flog plötzlich in der Luft einen Halbkreis und stürzte schräg auf den Hügel zu. Dabei trompetete er. Die Hirten duckten sich unter diesen schrillen, urweltlichen Geräuschen und erstarrten. Der Mut verließ sie langsam, Schritt um Schritt gingen sie weiter, aber die heiße Wut war verraucht. Der andere, halb schlafende Drache warf seinen Schädel hoch und antwortete mit einem Röhren, das die nahen Bäume erschütterte. Zainu und seine Tapferen konnten nicht ahnen, daß beide Drachen ein erbittertes Zwiegespräch miteinander führten, während der Rest des Geschwaders langsam um den Hügel zu kreisen begann. Ga-vok erwachte aus seinem Halbschlummer und sprang auf die Füße, als ihn der empörte, unhörbare
Schrei des Anführers erreichte. Im selben Augenblick sah er den großen Drachen, der sich wie ein Geier schräg auf ihn stürzte. Jetzt hast du ausgespielt, Ga-vok! Ich fordere dich zum Kampf auf Leben und Tod auf! donnerte Hotchs Stimme. Du bist wahnsinnig, Hotch! Wer gibt dir das Recht ...? Hotch fing seinen Sturz ab und blieb über der Stelle. Er schlug langsam mit den Flügeln, sammelte tief in seinem Rachen das Gas für eine lange Flamme, spreizte die Krallen aus und entblößte sein furchtbares Gebiß. Bei seinem Anblick, das fühlte er, sank den stürmenden Hirten der Mut bis in die Fellschuhe. Auch Ga-vok handelte schnell und rücksichtslos, nach Art eines tapferen Drachen. Er nahm einen Anlauf und schwang sich in die Höhe. Auch er wußte genau, daß er dem Kampf nicht mehr würde ausweichen können. Ich habe das Recht! donnerte Hotch, und alle Drachen hörten, was er sagte. Ich habe jedem unserer Gemeinschaft verboten, Herden zu überfallen, die im Besitz von Menschen sind! Alle haben sich bis jetzt daran gehalten. Nur du nicht. Das Maß deiner Verfehlungen ist voll, Hotch sagt dies! Du willst mit mir kämpfen? Hüte dich! Du weißt, wie stark ich bin! gab Ga-vok zurück. Er spähte nach
schwachen Stellen in der Verteidigung seines Gegners. Der Überlebende wird gewonnen haben! schrie Hotch wütend. Keine Ausflüchte. Wir wissen, was du angerichtet hast. Die Menschen wollten dich mit Speeren und Brandpfeilen angreifen! Ihr selbst habt das Vieh ... begann Ga-vok. Schweige! Wir haben kein Stück angerührt, aber du hast ein halbes Dutzend geschlagen und gefressen! Ich greife an, Ga-vok! Er stürzte sich auf den Verräter. Der Anprall war furchtbar und warf beide Kämpfer weit zurück und in die Richtung des Bodens. Aber der vorschnellende Schwanz Hotchs hatte Ga-vok am Unterleib eine lange Wunde beigebracht. Und in der rechten Schwinge des Herdenfressers klafften drei lange, blutige Schnitte, die von Hotchs Krallen herrührten. Beide Drachen schraubten sich wieder in die Höhe, dann warf sich Hotch wieder auf den anderen Drachen. Er ließ es zu, daß der Kopf Ga-voks vorzuckte und daß sich lange Fangzähne in seine Schulter krallten. Als Ga-vok, von einer Serie heftiger Schläge mit den Pranken getroffen, wieder losließ, blies ihm Hotch eine riesige Stichflamme in die Augen. Vorübergehend war Ga-vok geblendet und schrie auf. Nichts gab es mehr außer dem Zweikampf der Giganten. Auch die Drachen selbst hatten noch niemals soviel
Wut und Haß, soviel Kraft und Geschicklichkeit im Kampf gesehen. Die beiden Kämpfenden grunzten und brummten, keuchten auf und trompeteten wütend. Ihre Hiebe pfiffen förmlich durch die Luft und trafen dumpf krachend auf die Panzer, auf die Lederhaut oder in die Schwingen. Die beiden drehten sich umeinander, stiegen aufwärts und abwärts, umkreisten sich lauernd und stießen immer wieder im Angriff vor. Aber langsam zeichnete sich ein Vorteil für Hotch ab – er trug weniger Wunden und war schneller und weniger schwerfällig. »Zurück, Männer!« hörte man Zainu schreien. »Sie kämpfen miteinander und nehmen uns den Kampf ab!« Langsam verließen die Hirten den Hügel. Die meisten von ihnen waren sehr froh darüber, denn sie sahen sich unfaßbaren Geschehnissen gegenüber. Es waren weder menschliche Gegner noch solche, gegen die man echte Chancen hatte. Die rund einhundert Kämpfer zogen sich, noch immer gebannt diesen barbarischen Kampf bestaunend, zurück in die Richtung auf das Ufer des kleinen Sees. Wieder stieß Hotch wie ein Habicht auf Ga-vok nieder. Sein Rachen öffnete sich zu einem furchtbaren Schrei, der von den nahen Felsen widerhallte. Dann schlug er die Zähne dicht hinter dem Kopf des anderen in dessen Hals und fügte ihm tiefe, klaffende Wunden
zu. Gib auf, Ga-vok! Ich stoße dich aus, aber du lebst weiter! schrie Hotch mühsam. Ich werde dich töten und das Geschwader führen! war die röchelnde Antwort. Über ihnen kreiste wachsam, beobachtend und mit banger Sorge um den Anführer erfüllt das Geschwader. Hotch wich aus, als Ga-vok angriff. Er schwebte höher und fiel dann schwer auf den Rücken des Gegners. Wie ein schweres Gewitter prasselten die Hiebe auf den anderen Drachen nieder. Dann bog sich der Hals von Hotch durch und faßte zu. Seine Kiefer schlossen sich um den Hals des Gegners, abermals dicht hinter dem Kopf, an der dünnsten Stelle. Mit aller Kraft biß Hotch zu. Er spürte nicht die wuchtigen Schläge des Schwanzes, nicht die schlagenden Schwingen und die Bewegungen des schuppigen Rückens. Er erwürgte Ga-vok. Die Bewegungen unter ihm wurden schlaffer und langsamer. Hotch schlug schneller mit seinen Schwingen und verhinderte den Absturz. Als er keinerlei unhörbare Impulse seines Gegners mehr spürte, lockerte er seine Griffe und befreite sich von der toten Last. Ga-voks Kadaver fiel, sich mehrmals überschlagend, neben dem Hügel in einen kleinen Wald und zerschmetterte einige junge Bäume. Müde und mit
Schmerzen in jedem Teil seines Körpers flog Hotch hinüber zum See und tauchte in dessen Mitte unter. Der Drachenschwarm verlagerte seine Flugbahn und folgte ihm langsam. Einige Augenblicke später schwamm Hotch aus dem Wasser heraus und ließ sich schwer keuchend und voller Wunden in der Sonne nieder. Trotz der Müdigkeit und der Schmerzen war er belustigt, als er seinen Sohn Hot-chi erkannte, der mit einem kleinen Menschenjungen auf dem Rücken mitten unter den Hirten landete. Noch einmal nahm Hotch alle seine Kräfte zusammen und schickte einen starken, beruhigenden Impuls hinüber zu den Menschen, die sich um den Jungdrachen versammelten. Aber auch Hot-cha und andere flogen heran und landeten dicht bei den Menschen. Es schien, als sei diesmal alles gut ausgegangen ...
10.
»Vater!« kreischte Zetto, als der Jungdrache auf seinen vier Läufen landete. »Ich bin geflogen!« Die meisten Krieger hatten sich hier versammelt, denn von dieser Stelle aus war die Fluchthöhle im
Steilufer des Karach schnell zu erreichen. Aus der Menge löste sich Zainu, warf sein Speerbündel zu Boden und rannte auf den Drachen zu. Der Drache ... er runzelte die Stirn und verlangsamte seinen Lauf. Dieses Tier war kleiner als die anderen Drachen, und auch die Form seines Körpers war anders. Er war weiß, mit schwarzen Flecken an einigen Stellen. Ein Jungdrache! »Mein Sohn!« dröhnte Zainus Stimme auf. »Zetto! Bist du unverletzt?« Er rannte weiter und kümmerte sich nicht um die Schreckensschreie seiner Leute. Plötzlich hörte er eine Stimme, die direkt in seinem Kopf mit ihm sprach. Es war, als ob Zetto neben ihm eindringlich flüsterte. Ich bin es, der mit dir spricht. Ich bin Hot-chi, der junge Drache. Ich habe mit Zetto gespielt: »Ein Wunder!« ächzte Zainu auf. »Bei den Vampiren, die ich erschlug – du sprichst ohne Zunge?« »Er redet mit mir, Vater!« Zetto kletterte langsam vom Rücken des kleinen Drachen, der sich deswegen auf alle vier Läufe niederkauerte und die Flügel einfaltete. »Mit mir auch!« meinte Zainu, hob seinen Sohn vom Boden hoch und schloß Zetto glücklich in die Arme. Wir sind gute Freunde geworden! sagte die Stimme des Drachen in seinem Kopf. Zainu hielt seinen lachenden und krähenden Sohn eine Armeslänge von
sich weg und fragte entgeistert: »Der Drache versteht, was wir sagen?« »Ja, Vater! Er versteht jedes Wort von mir. Ich habe ihn hierher zu euch gelenkt!« »Und er spricht, indem eine Stimme in deinem Kopf zu hören ist? Auch bei dir, Söhnchen?« »Ja. Ich habe ihm gesagt, daß du der große Vampirtöter bist!« »Ich verstehe. Er wird kein Vieh fressen und uns nicht angreifen?« »Nein! Außer, wir schenken ihm das Vieh. Drachen sind Fleischfresser, weißt du!« Zainu schüttelte den Kopf, und erwiderte murmelnd: »Ich weiß es nicht, aber ich denke es mir. Beim Neumond! Dort, noch ein Drache, und dahinter noch mehr ... das ganze Geschwader!« Es ist Hot-cha, meine Mutter! sagte der Drache. Fürchte dich nicht. Sie sorgt sich um mich. Ich werde ihr alles sagen, was wichtig ist. Die Hirten wichen wieder zurück. Drei riesige Drachen mit den charakteristischen Mustern verschiedener Farben auf ihren schuppigen, großen Körpern landeten neben Hot-chi, dem kleinen Drachen. Sie schienen unhörbar miteinander zu ratschlagen. Einer der großen Drachen wirkte besonders aufgeregt, aber er beruhigte sich schnell, als
sich der Kleine an ihn schmiegte und behaglich den Schwanz zusammenrollte. Fassungslos sah Zainu diesem Treiben zu und hielt die Hand seines Sohnes umklammert, der fröhlich vor sich hin plapperte und ihm die Wunder und Schönheiten dieses langen Fluges schilderte. Zainu merkte, daß die Gegend hier wie ausgestorben unter der Sonne lag: Vögel und kleine Tiere rührten sich nicht, gaben nicht den leisesten Laut. Schließlich faßte sich der Häuptling ein Herz und trat langsam vor. Er blieb irgendwo in der Mitte der Drachen stehen. Die Köpfe drehten sich, und vier Paar Augen musterten ihn durchdringend. Er hob die freie Hand. »Ich bin Zainu, der Häuptling des Stammes der Söhne Nuaks«, sagte er und machte dann eine ausholende Gebärde. »Uns gehören die Herden und die Weiden in diesem Gebiet. Ich sah zwei Drachen kämpfen; einer davon ist tot.« In seinem Verstand erklang jetzt eine laute, ruhige Stimme. Es schien die des weiblichen Drachen zu sein, wie Hot-chi erklärt hatte. »Ich bin Hot-cha. Mein Gefährte hat einen Drachen, der eure Herden geschlagen hat, getötet. Wir tun euch nichts. Dragon ist einer unserer Freunde.« Dieser Name besiegte den letzten Rest Furcht im Herzen Zainus. »Ihr habt meine Herden in alle Winde zerstreut. Ich
sehe ein, daß ihr Futter brauchen werdet. Darf ich euch einen Vorschlag machen?« Wir hören. Hot-chi sagte mir, dein Sohn wüßte einen guten Lebensplatz für uns. Zeige ihn uns! »Weißt du, Vater, ich habe mir gedacht, die Vampirhöhlen ...«, rief Zetto und zappelte aufgeregt an der Hand des schwarzhaarigen Mannes. Er nickte dem großen Drachen zu und sagte deutlich: »Zuerst mein Vorschlag: Uns liegt nichts an einigen Stücken Vieh, wenn wir dafür so mächtige Freunde gewinnen können wie euch. Nehmt euch, was ich braucht – ihr werdet Hunger spüren. Ich denke, daß hier rund um unser Lager siebzig bis achtzig Tiere liegen, mit gebrochenen Läufen oder gebrochenem Genick. Tötet sie und freßt sie auf. Und helft uns bitte, die Herden wieder zusammenzutreiben.« Hot-chas Stimme klang gemessen und beruhigt, als sie unhörbar antwortete: Das ist ein kluges Wort, Häuptling. Wir sind tatsächlich hungrig. Und ich muß Hotch versorgen, den großen Kämpfer, der dort drüben in der Sonne liegt und sich ausruht. Wir werden in den nächsten Stunden und Tagen tun, was du geraten hast. Wo finden wir den Lebensplatz? »Die Vampirhöhlen. Sie liegen ...« Er schilderte den Weg nach dem Ar‘gath, so wie er
ihn kannte. Seine Schilderung war nicht übertrieben, und er rechnete tatsächlich damit, daß es den Drachen in den nun leeren Höhlen gefallen würde. Außerdem, so dachte er, wären sie dann in der Nähe von Urgor – also Dragons wegen, und zweitens konnte er sie rufen, wenn es Gefahren gab, die zu groß für ihn waren. Er rieb sich die Hände und rief abschließend aus: »Ich bin sicher, daß es euch dort gefallen wird, Drachen! Und wenn ihr gewisse Wächterdienste oder Hilfeleistungen für meinen Stamm unternehmen möchtet – ein gutes Stück Vieh ist immer für euch da!« Hot-cha schwächte seine freudige Zukunftssicht wieder ab. Sie erwiderte gemessen: Zuerst die Arbeit hier, dann das weitere. Jedenfalls sehen wir, daß du ein guter Freund Dragons bist. Wir sollten unsere Söhne miteinander spielen lassen. Gib acht auf Hot-chi, er ist hin und wieder ein wenig ungestüm. Lachend versicherte Zainu: »Ich werde achtgeben, daß Zetto ihm nichts tut! Los, Zetto – du sollst weiter mit deinem Freund spielen! Kommt, Leute. Zurück ins Lager, zurück zu den Herden. Der Kampf ist aus, ehe er begonnen hat!« Als die Dämmerung einbrach, hatte sich die Szene gegenüber dem Morgen drastisch geändert. Die Hirten kamen mit kleinen Herden wertvoller Tiere aus der Fluchthöhle und verteilten sich wieder.
Sie kannten hier jeden Steg und konnten auch in der Nacht wandern. Die Drachen dieses großen Geschwaders jagten auf ungewohnte Weise. Sie stöberten die verletzten oder toten Tiere auf, verschlangen sie und trieben mit ihren merkwürdigen Fähigkeiten die entlaufenen Herdenteile zusammen. Auch sie konnten in der Nacht jagen. Im Lager selbst gab es nur zwei wichtige Dinge: Zetto und Hot-chi. »Ich bin ein Held!« schrie er immer wieder, sehr zum Mißfallen Zanahs, die ihn und seinen fürchterlichen Freund schweigend, aber mit unmütigem Gesichtsausdruck betrachtete. Er war natürlich der Held aller seiner Altersgenossen. Seine Erzählungen und die Antworten auf die vielen Fragen wurden von Mal zu Mal phantastischer. Aber niemand nahm es ihm übel. Die anderen Kinder und er bildeten einen Kreis um Hot-chi, der so dicht war, daß die Erwachsenen ihn nicht durchdringen konnten. Hot-chi wurde gefüttert; von allen Seiten streckten sich ihm, zuerst zögernd, dann immer mutiger, Hände mit Leckerbissen entgegen. Stunde um Stunde verging. Am Nachthimmel sah man die Silhouetten der jagenden Drachen. Gegen Mitternacht trat Zainu wieder in Aktion. Er
hatte sich inzwischen gestärkt und fühlte sich zu neuen Aktionen fähig. »Hört alle her!« schrie er. Seine dunkle Stimme hallte durch die Siedlung, die vor Leben barst. Überall brannten hochflammige Feuer. »Schluß für heute. Bringt die Kinder unter die Decken!« Nur langsam zerstreute sich die Menge auf dem Mittelplatz des kleinen Dorfes. Aber schließlich saßen nur die klügsten Männer, die ältesten Hirten und Zainu am Feuer. Ihnen gegenüber lag Hot-chi wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Zainu hob den Weinbecher und sagte: »Freunde – das gilt auch für dich, Hot-chi! –, wir haben ungeheures Glück gehabt. Die Störenfriede beseitigen die Störungen selbst. Wir haben, denke ich, neue Freunde. Wenn wir wieder auf die Wanderung des Heiligen Jahres ziehen, werden sie uns erst recht schützen können. Aber ich sehe eine Gefahr in dieser Freundschaft!« Sie alle hörten die Stimme von Hotch, der jetzt gerade den Hügel überflog und auf seinen Sohn zusteuerte. Es gibt keine Gefahren. Hinter ihm tauchte ein zweiter Riese auf. Es war Hot-cha, die zusammen ihren abenteuerlustigen Sohn abholen wollten.
»Doch eine Gefahr, meine fliegenden Freunde!« rief Zainu unter dem Beifall seiner Hirten. »Wenn das Geschwader nicht bald weiterfliegt, bin ich ein armer Mann, und mein Stamm hat nur noch eine Aufgabe: nämlich die Knochen der vielen Drachenbraten aufzusammeln.« Heiterkeit durchflutete ihn, als der riesige Drache antwortete: Schon morgen werden wir dorthin fliegen, wo du die Vampire ausgerottet hast. Die Herden sind wieder zusammengetrieben, Zainu! Und jetzt holen wir Hot-chi ab. Er zählt sonst zu den ersten Opfern. Mit einem Bauch, in dem das Höllenfeuer des Unmaßes tobt. Unter dem Gelächter der Hirten erhoben sich die drei Drachen und flogen aus dem Lager. Nur ein schwacher Geruch nach Schwefel blieb zurück. ENDE Während Dragon gegen den von Cnossos vorgeschobenen König Zogor und dessen Heer kämpft, nähert sich das Geschwader der Drachen dem Ort, der als neuer »Lebensplatz« in Betracht gezogen wird. Doch auch dieser Ort – es handelt sich um die ehemaligen Höhlen der Zü-ip – ist nicht einfach in Besitz zu nehmen. Erst gilt es, die Pläne eines Eroberers zu durchkreuzen.
Mehr zu diesem Thema lesen Sie im nächsten Dragon-Band. Der Roman ist von Hans Kneifel verfaßt und erscheint unter dem Titel: MARCOS, DER EROBERER