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Seewölfe 497 1
Roy Palmer
Harte Fäuste
Es war ein desolater Haufen von Lumpenkerlen, der in den blockierten Schatzhöhlen des Don Antonio de Quintanilla hockte und Trübsal blies. Sie saßen buchstäblich mit dem Hintern auf Gold, Silber und Edelsteinen, aber für diesen ganzen Reichtum konnten sie sich nichts kaufen. Wer sein Leben in einer Höhle beendet, braucht nichts mehr. Oder anders: Den Reichtum würde er opfern, um zu leben. Die Trübsal verwehte, als zwei Kerle einen Ausschlupf aus einer Höhle entdecken. Und prompt beginnt ein Kampf um diesen Ausschlupf, den die härtesten und brutalsten Kerle für sich entscheiden: Manzo samt den drei anderen Halsabschneidern von der „Trinidad“. Diese vier Kerle sind die ersten, die wieder ans Tageslicht kriechen – nur werden sie in Empfang genommen … Die Hauptpersonen des Romans: Edwin Carberry – der Profos der „Isabella“ spielt das Teufelchen aus dem Faß und erschreckt jemanden. Dan O'Flynn – bewacht ein Schiffchen und langt mit den Fäusten zu, als es zur Sache geht. Luiz – der wuchtige und große Decksmann von der „Trinidad“ hat den Plan, mit seinem Kumpan Pablo noch ein bißchen die Schatzhöhlen auszuplündern. Marco– ebenfalls ein Decksmann der „Trinidad“, tut sich hingegen mit Felipe zusammen, um ein anderes Süppchen zu kochen. Ferris Tucker – der Schiffszimmermann der „Isabella“ baut eine praktische Rutsche, um Arbeit und Kräfte zu sparen.
1. Kuba, 26. Mai 1595. Hammerschläge tönten über die Bucht westlich. von Batabano, das Geräusch von Sägen und das Rufen und Lachen von Männern. Die Korsaren – Philip Hasard Killigrew, SiriTong, Edmond Bayeux und deren. Crews – hatten über die Spanier gesiegt. Die „Isabella IX.“, die „Caribian Queen“, „Le Griffon“ und die „Trinidad“ ankerten in der Bucht. Die Schätze aus der Höhle wurden zum Ufer transportiert, in Jollen verladen und zu den Schiffen gepullt. Luiz, der Spanier, lauschte den Geräuschen. Er biß sich auf die Unterlippe. Seine Hände ballten sich zu harten Fäusten. Verdammt, dachte er immer wieder, ihr verfluchten Hunde! Er saß auf dem Stamm eines umgestürzten Baumes mitten im Urwald, vielleicht eine halbe oder sogar eine Meile vom Schauplatz des Geschehens entfernt. Rechtzeitig hatte er sich von der
„Trinidad“ abgesetzt, wo er unter dem Kommando des Diego Machado gedient hatte. Machado war ein Himmelhund gewesen, ein Höllenbraten und Bastard, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus war. Gewesen - Machado war tot. Von Haien zerfetzt. Der Versuch, die „Trinidad“ zurückzuerobern, war gescheitert: Luiz wußte dies, weil er es beobachtet und mitgehört hatte. Daraufhin hatte Luiz beschlossen, ganz abzuhauen. Es war ihm zu brenzlig geworden. Nach seiner Flucht hatte er zwar eine Zeitlang im Uferdickicht gehockt und überlegt, was er unternehmen sollte. Dann aber hatte er sich gesagt, daß es das beste wäre, das Weite zu suchen. Die Luft war blei- und eisenverseucht. De Mello und seine Männer von der „San Sebastian“ hatten kräftig zugelangt. Dann aber die Wende: die „San Sebastian“ war verschwunden; und die drei Schiffe, die Luiz nie zuvor in seinem Leben gesehen hafte, waren in die Bucht
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eingelaufen. Besonders aufgefallen waren Luiz die große Galeone mit den hohen Masten, den überlangen Rahruten und den neuartigen flachen Aufbauten sowie der düstere Zweidecker. Wer waren die Männer dieser Segler? Korsaren - oder Piraten? Luiz verfluchte sie in die tiefste Hölle. Von dem Wipfel eines Mangrovenbaumes aus, den er erkletterte, konnte er alles verfolgen. Ein Mann ließ sich zur „San Sebastian“ pullen, ein schwarzhaariger Riese. Er ging an Bord und sprach mit Capitan Gaspar de Mello. Dann verschwand die „San Sebastian“ aus der Bucht. Die Korsaren fingen nunmehr an, die Schatzhöhlen auszuräumen. Ganz klar: Sie waren in der Obermacht, de Mello hatte sich ihnen beugen müssen. Sicherlich war de Mello inzwischen auch aufgegangen, daß es sich bei den Schätzen nicht um das Eigentum des Königs von Spanien handelte, sondern um die Reichtümer, die Don Antonio de Quintanilla, seines Zeichens ehemaliger Gouverneur von Kuba, für sich auf die Seite gebracht und sozusagen auf die hohe Kante gelegt hatte. Alonzo de Escobedo nun, der neue Gouverneur und somit Nachfolger des dicken Don Antonio, hatte herausgekriegt, wo die Schätze lagen, und wollte sie für sich ausbeuten. Das Unternehmen war gründlich fehlgeschlagen. De Mello hatte de Escobedo gefangen setzen lassen. De Mello war für den Senor Gouverneur nur ein nützlicher Idiot gewesen. Das hatte de Mello begriffen. So zögerte er nicht, die Bucht zu räumen und mit seiner Kriegsgaleone nach Havanna zurückzukehren. Luiz fragte sich, ob es nicht doch besser sei, an die Bucht zurückzukehren. Jetzt, da die Kanonen schwiegen und alles friedlich war, konnte er vielleicht doch noch etwas von dem immensen Schatz ergattern. Wenn er es geschickt anstellte, bemerkten ihn die Korsaren überhaupt nicht. Sie waren viel zu sehr mit dem Bergen der Truhen und Kisten aus den Höhlen
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beschäftigt. Sie konnten ihre Augen nicht überall haben. Luiz verließ also seinen Aussichtspunkt und trat den Rückmarsch zur Bucht an. Aber unterwegs, im dichten und verfilzten Gestrüpp des Regenwaldes, verlor er die Orientierung. Er konnte den Himmel nicht mehr sehen und hörte nur noch die Geräusche: das Klopfen der Hämmer und Kreischen der Sägen, die Stimmen, die sich in einer ihm fremden Sprache unterhielten. Doch aus welcher Richtung kamen sie? Luiz irrte im Dickicht herum. Er hatte sich verlaufen. So ließ er sich auf dem umgekippten Baum nieder. Und hier hockte er nun und dachte verzweifelt darüber nach, was er tun solle. Wenn die Dunkelheit hereinbrach, war er der Natur völlig ausgeliefert - den wilden Tieren und den Ausdünstungen des feuchten Dschungels, der das Sumpffieber und andere Krankheiten mehr brachte. Ein leiser Laut hinter seinem Rücken ließ Luiz herumfahren. Sein Blick huschte hin und her. In einer instinktiven Geste griff er zum Messer - der einzigen Waffe, die ihm geblieben war. Er riß es aus dem Gurt. Gefahr schien zu drohen, Luiz spürte es. Was war dort, im Unterholz, zum Greifen nah? Ein Tier? Plötzlich sah er, was es war. Ein grünlichgrauer Leib schob sich auf ihn zu. Unwillkürlich erschauderte der Mann. Eine Schlange! Sie steuerte auf den Baum zu und wand sich am Stamm hoch. Luiz wollte nach dem Reptil stechen, doch etwas bremste ihn. Er fuhr hoch und wich zurück. Luiz war ein Kerl, der vor nichts und niemandem Angst hatte, aber Schlangen haßte und fürchtete er wie die Pest. Hierbei stellte sich die Frage, ob die Schlange giftig war oder nicht, nur am Rande. Luiz hatte seine unangenehmen Erfahrungen mit Schlangen. Er wußte, daß sie unberechenbar waren, auch die angeblich harmlosen Arten. Eben glitten sie noch scheinbar geruhsam über den Boden, im nächsten Moment konnte der geringste Anlaß einen Ausbruch in ihnen auslösen.
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Luiz, ein großer, wuchtig gebauter Mann mit dichtem schwarzem Vollbart, stammte von der spanischen Insel Formentera. Dort war er aufgewachsen und kannte die Strände, die Wälder und Berge wie die Taschen seines Beinkleides. Auf Formentera gab es giftige Vipern, aber auch große, bunte Nattern, die wie ein Pfeil durchs Gras schnellen konnten. Einmal im Jahr, im Frühling, war die Paarungszeit dieser Tiere. Dann waren auch die Nattern aggressiv. Als Junge hatte Luiz einmal mit einem Stein nach zwei Schlangen geworfen - nach einem Männchen und einem Weibchen. Er hatte nicht geahnt, daß sie sich im Liebesspiel wanden. Aber er hatte sie gestört. Da hatten sie ihn verfolgt und mit ihren langen Schwänzen wie mit Peitschen auf ihn eingehauen. Luiz hatte diese Erlebnis nie vergessen. Ein anderes Mal war er nur knapp dem Biß einer Berus-Viper entgangen, die an einer Quelle getrunken hatte. Die Schlange machte es sich auf dem umgestürzten Baum bequem. Sie rollte sich zusammen und schien die Sonnenstrahlen zu genießen, die durch das dichte Blätterdach stachen. Luiz zog sich zurück und stapfte wütend durch das Dickicht. Welche Richtung sollte er einschlagen? Er versuchte, die Herkunft der Laute an der Bucht präzise zu orten und wandte sich nach rechts, dann wieder ein Stück nach links. Mal lachte da ein Mann, mal wurde wieder kräftig gehämmert und gesägt. Überhaupt, was hatte das zu bedeuten? Von seinem Aussichtsplatz hatte Luiz nicht genau erspähen können, was an der Bucht vor sich ging. Aber wie es schien, bauten die Korsaren irgendwelche Hilfsmittel, um die Truhen und Kisten bequemer und schneller von den Höhlen zum Wasser zu bringen. Luiz steckte das Messer wieder weg und stieß leise Flüche aus, blickte mal hier- und mal dorthin, konnte sich aber nicht erinnern, auf seiner Flucht von der Bucht in diesem Bereich des Urwaldes gewesen zu sein.
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Aber in dieser grünen Hölle sah alles gleich aus. Ein Mangrovenbaum war wie der andere, alle Büsche und Lianen glichen sich. Wer sollte sich da auskennen? Es gab keine Pfade und Markierungen, nichts. Nur heiß und feucht war es. Das Kreischen der Vögel und Affen und das Zirpen der Zikaden klang wie ein höhnisches Konzert in Luiz' Ohren. Immer wütender wurde Luiz. Dann schlug seine Wut in Panik um. Was nun, wenn er sich überhaupt nicht mehr zurechtfand? War das möglich? So weit konnte das Ufer doch nicht entfernt sein! Warum ließ er sich in die Irre führen? War es die Hitze, das Klima? Oder hatte er schon eine der gefährlichen, gefürchteten Krankheiten? Wenn einen das Wechselfieber packte, sollte man anfangs ja auch nichts davon bemerken. Luiz hatte in Cartagena, wo er einige Zeit gewesen war, mal einen Kerl kennen gelernt, der das Sumpf- oder Wechselfieber hatte. Dieser Kerl wirkte ganz normal. Nur hin und wieder kriegte er seine Anfälle. Dann kippte er um und wand sich wie unter Krämpfen. Das Fieber stieg rasend schnell, der kalte Schweiß brach ihm aus. Luiz war dabei gewesen, als der Kerl solch einen Anfall gehabt hatte. Der Anblick hatte ihm gereicht. Vor Krankheiten dieser Art hatte Luiz Angst wie vor Schlangen. Ein Schwarm dicker Fliegen tanzte durch den Dschungel. Sie brummten auf Luiz zu und schwirrten um seinen Kopf herum. Fluchend schlug er nach ihnen. Eine Fliege klatschte ihm mitten gegen die Stirn. Luiz war irritiert. Er wankte nach links, trat mit dem Fuß gegen die Luftwurzel eines Mangrovenbaumes, strauchelte und fiel hin. Er sprang wieder auf und tobte zornig durch das Gestrüpp. Dornen kratzten ihn, seine Arme waren voller blutiger Male. Er blieb stehen, atmete schwer und schaute sich nach allen Seiten um. Wo war er? Plötzlich war wieder ein kaum wahrnehmbarer Laut hinter ihm. Dieses Mal reagierte Luiz jedoch zu langsam. Ein Schatten huschte von hinten auf ihn zu. Derbe Hände packten Luiz und warfen ihn
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zu Boden. Dann rammte sich eine Faust in seinen Rücken, und Luiz stöhnte entsetzt und unter Schmerzen auf. Aus, dachte er nur noch, die Hunde haben Wachtposten aufgestellt! Jetzt haben sie dich erwischt! * Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann der „Isabella IX.“, richtete sich grinsend auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Na, wie haben wir das gemacht?“ fragte er seine Helfer. „Großartig“, erwiderte Big Old Shane trocken und ohne eine Miene zu verziehen. „Eine geniale Erfindung. Seit dem Stapellauf unserer ,Isa` ist es das Beste, was ich gesehen habe.“ „Hör auf, mich zu verulken“, sagte Ferris. „Ich gebe zu, es ist eine simple Sache. Aber sie funktioniert.“ Das stimmte. Als die Männer beraten hatten, wie die Reichtümer, die in den Höhlen lagerten, am schnellsten und mühelosesten zum Ufer der Bucht transportiert werden konnten, war der rothaarige Riese auf die glorreiche Idee gekommen, Rutschen zu bauen. Diese Idee war inzwischen in die Tat umgesetzt worden. Das Gelände vom Wasserfall bis zum Strand der Bucht war permanent abschüssig. So lag es fast auf der Hand, daß man die Kisten und Truhen am besten ins Gleiten oder Rollen brachte, um sie nicht schleppen zu müssen. Mac Pellew hatte vorgeschlagen, Rundhölzer unter die Behältnisse zu legen, die beim Rollen jeweils hinten weggenommen und vorn wieder untergelegt werden mußten. Doch Ferris' Einfall war besser gewesen: Aus Balken und Planken fertigten die Männer der „Isabella“, der „Caribian Queen“ und der „Le Griffon“ einen hölzernen Pfad, der bis zu den bereitliegenden Jollen führte. Das hatte ein paar Stunden gedauert, aber die Mühe lohnte sich. Es zeigte sich jetzt, wie groß die Zeitersparnis war, die die Freunde auf diese Weise gewannen.
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Der letzte Nagel, der die durch Planken verbundenen Balken zusammenhielt, saß. Ferris Tucker legte seinen Hammer beiseite und gab Hasard ein Zeichen. Der Seewolf, der am Rand des Uferdickichts stand, bedeutete seinerseits Siri-Tong mit einer Gebärde, daß es losgehen könne. Die Rote Korsarin stieß einen Pfiff aus. Barba, ihr bulliger Steuermann, stand oben zwischen den Felsen und blickte zu SiriTong hinunter. Er winkte ihr lachend zu, dann wandte er sich George Baxter und Montbars zu. Sie hatten die erste Schatzkiste auf den obersten Balken der Rutsche gehievt und hielten sie an Tauen, die mit ihren Enden an den Griffen der Kiste belegt waren, fest. „Es kann losgehen“, sagte Barba. „Laßt die Kuh fliegen, Leute!“ Baxter und Montbars setzten sich in Bewegung. Sie ließen die Kiste abwärts gleiten und folgten ihr. Dabei behielten sie die Taue in den Fäusten. Man wollte bei diesem ersten Versuch nicht riskieren, daß die Kiste von der Rutsche kippte und aufsprang. Den Schmuck, der dann herausfiel, mußte man erst wieder einsammeln. Auch das war eine zeitraubende Angelegenheit. Aber alles verlief genauso, wie Ferris Tucker sich das vorgestellt hatte. Die Kiste rutschte um ein paar leichte Kurven und glitt, immer noch von Baxter und Montbars geführt, bis ans Ufer. Hier standen Blacky, Matt Davies, Stenmark, Higgy und ein paar andere Männer bereit. Sie übernahmen die Kiste und wuchteten sie in eine der Jollen. „Na bitte!“ rief Ferris. „So einfach ist das! So, ich glaube, die Kisten kennen jetzt auch allein rutschen!“ So starteten sie den zweiten Versuch. Barba und Pedro Ortiz holten aus der Höhle eine gewichtige, mit eisernen Beschlägen versehene Truhe und hievten sie auf die Rutsche. Dann ließen sie sie einfach los. Die Truhe machte sich selbständig und sauste zu Tal. Sie huschte auf die am anderen Ende der Bahn Wartenden zu, verringerte leicht ihre Fahrt
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und stoppte dann, wie von Geisterhand gelenkt, genau am richtigen Punkt. Albert klatschte begeistert in die Hände. „Wunderbar! Besser geht's nicht!“ Jeff Bowie sah ihn von der Seite an und tippte sich an die Stirn. „Dir fehlen wohl ein paar Becher im Schapp, was? Führ dich doch nicht so albern auf.“ „Ich führe mich nicht albern auf“, erwiderte Albert giftig. „Ich freue mich nur, daß alles so schön klappt.“ „Na, dann freu dich man weiter“, brummte Jeff. Carberrys Donnerstimme tönte über den Strand. „Haut rein! Keine Maulaffen feilhalten und nicht rumquatschen, ihr Rübenschweine! Wir haben keine Zeit zu verlieren! Bald wird es dunkel, dann wollen wir die Höhlen mindestens halb leergeräumt haben!“ Barba hörte es und lachte grollend. „Ran“, sagte er. „Denen wollen wir's mal zeigen.“ Die zehn Männer, die bei ihm waren, holten nun ununterbrochen Kisten, Truhen und Fässer aus den Schatzhöhlen. Die wurden auf die Rutsche geladen, und wenn eine Kiste oder Truhe mal ein bißchen bockte, versetzte Barba ihr einen Tritt. Eine nach der anderen glitten sie nach unten. Immense Werte, in ihrer Höhe kaum zu schätzen, bewegten sich da zum Südufer von Kuba. Ein ergreifendes und faszinierendes Bild. Das Ziel, daß sich Hasard und seine Kameraden vom Bund der Korsaren gesetzt hatten, war erreicht. Sie hatten den Privatschatz des Don Antonio de Quintanilla gefunden und für sich gewonnen. Alonzo de Escobedo hatten sie dabei auflaufen lassen, wie sich das gehörte. Anders hatte der neue Gouverneur von Kuba es nicht verdient. Er war auf seine Art ein noch größerer Galgenstrick und Menschenschinder als der dicke Don Antonio. Über den Bau der Rutsche war es später Nachmittag geworden. Es herrschte reger Betrieb, die Männer arbeiteten ohne Pause. Kiste um Kiste, Truhe um Truhe wurde aus dem Spalt der Höhle befördert, durch den
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die letzten acht Deserteure das Labyrinth verlassen hatten. Bis zuletzt hatten diese Kerle geglaubt, noch eine Chance zu haben. Aber dann waren sie von Hasards Mannen mattgesetzt worden. So war das sie hatten sich gegenseitig zerfleischt. Das Gold, das Silber und die Diamanten hatten sie in gnadenlose Bestien verwandelt. Hinzu kam, daß es sich bei der Mannschaft des Diego Machado um eine Meute von Schlagetots und üblen Halsabschneidern gehandelt hatte, die nicht anders gewesen waren wie ihr Kapitän selbst. Ganz anders war die Crew der Kriegsgaleone „San Sebastian“. Unter dem Kommando von Gaspar de Mello segelten disziplinierte, anständige Männer, die das Unternehmen in der Bucht bei Batabanö von Anfang an nicht gutgeheißen hatten. Sie hatten aber gehorchen müssen, denn sie unterstanden dem Kommando des sehr ehrenwerten Senor Gouverneur. All das hatte sich geändert. De Escobedo hatte gestanden, daß er nicht den Schatz des Königs abbergen und nach Spanien befördern, sondern in die eigene Tasche hatte wirtschaften wollen. Das brach ihm das Genick. De Mello hatte ihn unter Arrest gestellt, der Rest würde sich in Havanna ergeben. Unbehelligt und in aller Ruhe konnten die Männer des Bundes der Korsaren arbeiten. Die Kisten, Truhen und Fässer wurden in die Jollen verladen und zu den Schiffen gepullt. Hier hievte man sie an Bord und verstaute sie in den Laderäumen. Die Toten, die man in den Schatzhöhlen gefunden hatte, waren bereits begraben worden. Die anderen Toten, die im Verlauf der Kämpfe aus den Höhlen abgestürzt waren, waren verschwunden. Der Fluß hatte sie entführt, und sie verschwanden auf Nimmerwiedersehen im Meer, wo auch der Fuhrunternehmer Cajega sein Grab gefunden hatte - der erste Tote in dem Wahnsinnsunternehmen des Alonzo de Escobedo. Hasard, Siri-Tong und Edmond Bayeux setzten sich zu einer kurzen Absprache zusammen.
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„Ich finde, Arne muß so schnell wie möglich über den glücklichen Ausgang des Unternehmens unterrichtet werden“, sagte der Seewolf. „Wenn ihr nichts dagegen habt, gehe ich selbst nach Havanna.“ „Allein?“ fragte die Rote Korsarin. „Du solltest wenigstens einen Mann mitnehmen, der sich im Inneren der Insel bereits auskennt.“ „Roger Lutz“, sagte Hasard und winkte den Franzosen zu sich heran. Roger hatte vernommen, was gesprochen worden war. „Klar“, bestätigte er grinsend. “Jean und ich sind den ganzen Weg von Havanna bis hierher ja schon gelaufen.“ „Also, wir brechen gemeinsam auf“, sagte der Seewolf. „Keine Einwände“, entgegnete Siri-Tong. „Ihr müßt euch nur beeilen. Es dauert nicht mehr lange, dann ist es dunkel.“ „Bei Nacht marschiert es sich auch nicht schlecht“, sagte Hasard lächelnd. „Richtig, Roger?“ „Richtig. Und bei Nacht sind alle Katzen grau.“ „Das ist auch wichtig“, pflichtete der Seewolf ihm bei. „Damit wir in Havanna nicht auffallen.“ „Ich kenne die Schleichwege bereits“, sagte Roger Lutz. „Jussuf hat uns in alles eingeweiht.“ „Somit kann nichts schief gehen“, sagte Bayeux. „Wir halten in der Zwischenzeit hier die Stellung.“ „In Ordnung“, sagte Hasard. „Dann nichts wie los.“ Wenig später brachen Roger Lutz und der Seewolf nach Havanna auf. Für Arne von Manteuffels „Kriegskasse“ nahmen sie jeder zwei Lederbeutel mit Perlen mit. Sie tauchten im Dickicht unter und entzogen sich den Blicken ihrer Kameraden. Roger übernahm die Führung. Er konnte H. sich noch genau an alle Details erinnern und vermochte sich ausgezeichnet zu orientieren. In jener Nacht, in der de Escobedo Cajega mittels der Folter zum Sprechen gezwungen hatte, waren Ribault und Lutz dem Gouverneur bis zu dem
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Schatzversteck gefolgt. Cajega hatte de Escobedo hinführen müssen. Als Lohn hatte er eine Pistolenkugel erhalten. Das Verfolgungsunternehmen der beiden Franzosen hatte sich ausgezahlt. Dies war der größte Schatz, den der Bund der Korsaren derart schnell und mühelos bislang gehoben hatte. Während sie hintereinander voranschritten, sagte Hasard: „Ich habe auch noch einen anderen Grund, warum ich sofort nach Havanna will.“ „Die ,San Sebastian'?“ fragte Roger. „Ja. Ich will beobachten, was sich' tut.“ Roger Lutz lachte leise. „Es tut sich gewiß einiges, wenn der Capitan de Mello mit seiner Galeone und dem gefangenen Gouverneur dort einläuft.“ „Eben das will ich nicht versäumen“, erwiderte der Seewolf. Dann schwiegen sie beide und marschierten im einsetzenden rötlichen Licht der Dämmerung nach Norden. * Luiz, der Mann von Formentera, war sicher: Entweder steckte ihm der andere ein Messer zwischen die Rippen, oder aber er erwürgte ihn. Luiz versuchte, sich zur Wehr zu setzen, doch der andere hatte ihn zu fest im Griff. Nur eins konnte Luiz noch tun - kräftig fluchen. Er verdammte Gott, die Welt, die Seefahrt und seine eigene Mutter, weil sie ihn geboren hatte. Was war das für ein Leben, wenn man so elendig krepierte? Plötzlich ließ der andere Luiz jedoch los und stieß selbst eine saftige Verwünschung aus. Luiz fuhr herum - und erstarrte vor Überraschung. „Mann!“ zischte er. „Du bist das?“ Der andere Kerl versuchte zu grinsen. Es mißlang. Es wurde nur eine schiefe Grimasse daraus. „Ich und kein anderer“, erwiderte er. „Hölle, so ein Dreck.“ „Pablo“, sagte Luiz haßerfüllt. „Du blöder Hund hättest mich um ein Haar abgestochen.“ Er blickte auf das Messer in Pablos Hand.
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Langsam ließ Pablo das Messer sinken. „Ich hab' dich nicht erkannt. Pest noch mal, ich krieche schon 'ne ganze Weile in diesem elenden Dschungel herum. Ich dachte, du seist einer von denen.“ Luiz hätte sich am liebsten auf den Kerl gestürzt und ihn umgebracht. Doch seine Wut und sein Haß verrauchten wieder. Er besann sich und gelangte zur Vernunft. Pablo war einer seiner Kumpane von der „Trinidad“. Zu zweit konnten sie sich vielleicht doch besser durchschlagen. Luiz brummte etwas Unverständliches und rieb sich mit beiden Händen das Genick. Jetzt ließen die Schmerzen etwas nach. „Was treibst du hier eigentlich?“ fragte er den anderen. „Was hast du vor?“ „Das weiß ich selber nicht“, entgegnete Pablo. Er war ein hagerer, dunkelblonder Kerl mit krummer Nase, kleinen Augen und schadhaften Zähnen. Cabral, der Decksälteste, hatte ihn immer als die häßlichste Ratte an Bord bezeichnet. Das stimmte. Pablo war nicht nur häßlich, er hatte auch etwas Rattenhaftes an sich. Er wirkte schwach, hatte aber erstaunliche Kräfte, wie er auch dieses Mal wieder bewiesen hatte. „So“, sagte Luiz hämisch. „Das ist ja 'ne ganze Menge.“ „Wo sind die anderen?“ wollte Pablo wissen. „Die mit uns abgehauen sind?“ „Ja, die meine ich“, entgegnete Pablo. „Felipe, Marco und die anderen.“ „Einen haben die Haie gepackt“, erklärte Luiz. „Dante.“ „Um Dante ist es nicht schade.“ „Ein paar andere sind getürmt; glaube ich“, fuhr Luiz fort. „Wohl nach Batabano. Sollen sie selig werden.“ „Auf jeden Fall ist es besser, daß wir uns verholt haben“, murmelte Pablo. „Sonst wären wir jetzt nicht mehr am Leben.“ Machado hatte sie höhnisch weggejagt, nachdem de Mello mit den Kanonen der „San Sebastian“ die Flucht der „Trinidad“ verhindert hatte. Dann hatte sich Machado mit einem Trupp von Kerlen selbst mit der letzten Jolle vom Schiff abgesetzt. An Land hatte er sich mit Cabral und den
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anderen Deserteuren verbündet. Die meisten hatten in den Schatzhöhlen ihr Ende gefunden. „Richtig“, sagte Luiz und spuckte ins Dickicht. Dann erhob er sich. „Aber ich frage mich, wieso wir Idioten hier noch herumkriechen.“ „Hast du einen Grund dafür?“ erkundigte sich der andere. „Ich hab' mich verlaufen“, erwiderte Luiz. „Das kann hier leicht passieren.“ „Ja“, pflichtete Luiz ihm bei. „Aber wir vergeuden hier bloß unsere Zeit. Diese Schweine haben uns den schönen Schatz weggeschnappt, daran läßt sich nichts mehr ändern.“ „Was sind das für Kerle?“ fragte Pablo. „Piraten. Korsaren. Irgendwelche Küstenhaie.“ „Vielleicht Engländer?“ „Kann schon sein“, erwiderte Luiz. „Wenn du einer von ihnen gewesen wärst, hätte ich dich abgestochen“, erklärte der Häßliche. „Was hätte dir das eingebracht?“ „Nichts. Ich hasse sie.“ „Haben sie Wachtposten aufgestellt?“ wollte Luiz nun wissen. „Ich weiß nicht.“ „Wir könnten zur Bucht schleichen.“ „Und dann?“ Pablo grinste schief. Das Messer hatte er inzwischen wieder in den Gurt gesteckt. „Die passen schon auf. Denen schnappen wir keine müde Perle weg.“ „Ich will ihnen aber was wegschnappen.“ „Schlag dir das aus dem Kopf“, sagte Pablo. „Willst du's etwa nicht?“ „Was? Sie beklauen?“ Pablos Augen verengten sich ein wenig und waren kaum noch zu sehen. „Lust darauf hätte ich schon. Aber ich weiß nicht, wie ich es anstellen soll.“ „Allein hättest du keine Chance. Aber zu zweit ...“ Pablo schüttelte den Kopf. „Hast du nicht gesehen, wie viele es sind?“ „Ich hab's gesehen. Du auch?“ „Ja.“ „Und trotzdem schleichst du hier noch
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herum“, sagte Luiz grinsend. „Ich weiß doch, warum. Du gibst dich nicht geschlagen. Wir sind mit heiler Haut davongekommen. Aber daß diese Schweinehunde mit dem ganzen schönen Schatz abhauen sollen, können wir nicht zulassen.“ „Wenn ich nur einen Goldbarren hätte, würde mir das reichen“, sagte Pablo. „Oder einen Sack voll Schmuck“, sagte Luiz. „Ich würde nach Batabano gehen und mir einen flotten kleinen Kahn zulegen. Damit ließe sich schon was anfangen.“ „Willst du etwa Fischer werden?“ fragte der andere. „Ich bin doch nicht blöd“, erwiderte Luiz verächtlich. „Arbeit verkürzt das Leben und schadet der Gesundheit. Nein. Mit einem flinken Einmaster würde ich hier an der Küste ein bißchen herumräubern.“ Pablo kicherte. „Da wäre ich mit dabei.“ „Wir sind uns also einig?“ „Ja.“ Sie reichten sich die Hände und schüttelten sie wie Verschwörer. „Aber wir sind ganz schön besengt“, sagte Luiz dann wieder. „Träumer! Wir haben bloß unsere Messer. Was können wir damit schon ausrichten?“ „Im Dunkeln einiges“, entgegnete Pablo. „Wir murksen ein paar von diesen Bastarden ab, schnappen uns eine Kiste und hauen wieder ab. Ganz einfach.“ „Du kennst den Weg zum Strand?“ Pablo deutete in das grüne Gestrüpp. „Da geht's lang. Ich verstehe nicht ganz, wie du dich verlaufen konntest. Warum bist du nicht einfach auf einen Baum geklettert?“ „Das habe ich vorhin getan“, erwiderte Luiz. „Aber danach habe ich keinen guten Baum mehr gefunden.“ Er wies auf die Mangrovenbäume und die riesigen Sumpfzypressen. Sie waren von Dornengestrüpp umrankt. Es war unmöglich, an ihnen hochzuklettern. Pablo grinste. „Da hast du auch wieder recht. Man zerkratzt sich ziemlich. Oder man schlitzt sich was auf. Weißt du was? Dieser Urwald hier ist verdammt gefährlich. Hast du daran gedacht, daß es hier Giftschlangen geben könnte?“
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Luiz' Züge verzerrten sich. „Hör auf! Es gibt sie. Wir müssen hier raus, ehe wir hier vergammeln. Und wir unternehmen was. Heute nacht. Noch haben wir die Chance, reich zu werden.“ „Wo wohl die anderen sind“, sagte Pablo. „Warum suchen wir sie nicht?“ fragte Luiz. „Das ist eine Idee“, entgegnete der Häßliche. „Also los, suchen wir sie. Vielleicht finden wir wenigstens einen. Dann sind wir zu dritt, das ist noch besser.“ 2. Vor etwa vier Wochen, bei einem schweren Gewitter, das über die Küste von Batabano hinweggetobt war, war nur ungefähr hundert Yards vom Ufer der Bucht entfernt ein Blitz in den Urwald gezuckt. Mangrovenbäume hatten zu brennen begonnen. Kein Mensch hatte das Feuer gesehen, keiner hatte es gelöscht. Die Natur hatte sich selbst geholfen. Der Brand hatte einen Kahlschlag geschaffen, doch die Feuchtigkeit des Urwalds hatte verhindert, daß die Flammen weiter um sich griffen. Auf der kleinen Lichtung war bereits wieder Gras gewachsen. Die Dornensträucher hatten frische grüne Blätter. Einige Mangroven, vom Feuer verzehrt, ragten wie schwarze Skelette auf, doch es gab genügend neue Sprößlinge, die bald den freien Platz wieder überwuchert haben würden. Ein paar verkohlte Äste lagen auf dem Boden, aber im hochschießenden Gras waren sie kaum noch zu sehen. Auf einem dieser Äste saß Felipe, ein Andalusier mit pechschwarzen Haaren. Seine dunklen Augen glänzten. Immer wieder ließ er die Goldmünzen durch seine Finger gleiten. Das leise Klirren, das sie verursachten, versetzte ihn in eine Art Rausch. Er malte sich aus, was er sich von dem Gold kaufen konnte. Nicht viel - aber für einige rauschende Nächte in Batabano mit Huren und viel Wein reichte es.
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Felipe gegenüber kauerte Marco. Er war ein kleiner, knorriger Kerl aus Murcia. Wie Felipe war auch er auf der „Trinidad“ gefahren. Wie alt Marco war, wußte keiner, nicht einmal er selbst. Doch alle hatten ihn stets als „alten Knochen“ bezeichnet. Er wirkte verschrumpelt und greisenhaft. Eigentlich hätte er der Decksälteste sein müssen. Aber diesen Platz hatte er bereitwillig Cabral überlassen, der ohnehin das größte Maul gehabt hatte. Hatte - jetzt war Cabral tot wie die anderen. Marco wetzte sein Messer an einem Stein. Seine Bewegungen waren ruhig und wirkten bedächtig. Hinter seiner gefurchten Stirn arbeitete es. Er sann angestrengt nach. Wie konnte man die Hurensöhne, die ihnen den ganzen Schatz vor der Nase wegfischten, überlisten? Felipe kicherte. „Hör zu! Mit diesem Zaster, den wir in den Händen haben, läßt sich schon einiges anfangen. Warum lassen wir es also nicht einfach sein? Wir riskieren viel zuviel.“ Marco hielt in seiner Tätigkeit inne und schaute zu dem Kumpan auf. „Weißt du, wie lange du dich mit den paar Münzen über Wasser hältst?“ „Mindestens eine Woche lang.“ „Keine drei Nächte.“ „Und wenn schon. Mir genügt's.“ Marco schüttelte den Kopf. „Das nehme ich dir nicht ab. Was willst du danach anfangen?“ „Auf irgendeinem Kahn heure ich dann schon an“, entgegnete der Andalusier. „Wieder? Womöglich bei einem Hundesohn wie Machado?“ „Warum nicht?“ brummte Felipe. „Er war ein Höllenbraten, aber es gibt schlimmere als ihn. Und die Heuer hat er uns immer gezahlt.“ „Ich will frei sein“, sagte Marco. „Frei wie eine Möwe. Und dazu brauche ich Geld.“ „Alter Knochen“, sagte Felipe. „Die Kerle da drüben, die unseren feinen Schatz in die Laderäume ihrer Schiffe verfrachten, sind keine Hosenscheißer. Das sind ausgekochte Halunken. Du zeigst ihnen nur deine Nase, und schon schießen sie dir
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den Zinken weg.“ „Sie rechnen nicht damit, daß sie beobachtet werden“, erklärte Marco. „Das ist unser Trumpf.“ „Meinetwegen. Aber wenn du versuchst, ihnen was zu klauen, packen sie dich und baumeln dich auf“, erwiderte Felipe. Marco verzog seinen Mund zu einem spöttischen Lächeln. „Weißt du, was ich glaube? Du hast keinen Schneid.“ Felipes Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Sag das nicht noch mal. Ich kann so was nicht leiden.” „Reg dich ab“, sagte Marco. „Es war nicht so gemeint.“ „Kein Mensch nennt einen Andalusier ungestraft einen Hasenfuß“, entgegnete Felipe aufbrausend. „Ihr mit eurem Stolz“, sagte der Mann aus Murcia. „Das ist typisch für euch Zigeuner.“ „Ich bin kein Gitano.“ „Sondern?“ „Ein Ehrenmann“, erwiderte Felipe. „Ein Mann, der keinen Stolz hat, hat auch keine Ehre.“ „Schon gut“, murmelte Marco. Es hatte keinen Sinn, mit Felipe zu diskutieren, das wußte er aus Erfahrung. „Aber laß uns bei der Sache bleiben. Uns bietet sich hier die einmalige Gelegenheit, ein paar Münzen mitgehen Zu lassen. Willst du darauf wirklich verzichten?“ „Nein. Aber ich will auch nicht krepieren.“ „Wir werden nicht sterben“, sagte Marco. Felipe grinste. „Wer sagt dir das? Die Heilige Mutter Gottes?“ „Laß Maria aus dem Spiel“, entgegnete Marco. „Ich rechne nur zwei und zwei zusammen.“ „Und wieviel sind das?“ „Vier natürlich.“ „Du weißt, daß ich nicht rechnen kann“, sagte Felipe. „Also, vier ist 'ne gerade Zahl. Schön. Du sagst, wir werden uns nicht so idiotisch anstellen wie Machado, Cabral, Manzo und die anderen. Na gut. Wir werden vorsichtiger und gerissener sein. Aber das ist noch lange keine Garantie für ein Gelingen deines Planes.“ „Du hältst meinen Plan für schlecht?“
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„Das habe ich nicht ge ...“ Weiter gelangte der Andalusier nicht. Ein großer Mann trat aus dem Dickicht - Luiz. Er grinste und sagte: „Vier ist eine gute Zahl. Und was für ein Plan ist das, den du da hast, Marco?“ Unwillkürlich fuhren Felipe und Marco zu dem Sprecher herum. Marco riß sein Messer hoch. Der Andalusier zückte seine Waffe, einen spitzen Dolch, ebenfalls blitzschnell. Er war bekannt dafür, daß er nicht nur im Nahkampf ein gefährlicher Gegner war. Er konnte seinen Dolch auch bis zu zwanzig Yards weit mit traumhafter Präzision in ein Ziel befördern. Luiz ließ sich nicht beirren. Er grinste immer noch. „Keine Angst, ich will dir deine Münzen nicht wegnehmen, Felipe. Ich habe selbst welche. Es sind verdammt wenige, aber ich bin auf deine Talerchen nicht scharf.“ Der Andalusier ließ das Messer wieder sinken. „Dir kann man nicht trauen.“ „Dir auch nicht“, erwiderte der Schwarzbärtige. „Dann verstehen wir uns ja“, sagte Marco, und es klang einlenkend. Pablo, der Häßliche, trat hinter Luiz aus dem Gestrüpp. „Wie geht es denn so?“ fragte er. „Na, das ist vielleicht eine Überraschung, euch zu treffen.“ „O Gott“, sagte Marco mit einem verächtlichen Blick auf Pablo. „Du lebst noch? Ich hatte wirklich gehofft, die Haie hätten dich gefressen.“ „Ihn spucken sie wieder aus“, sagte Luiz leise lachend. „Er ist ungenießbar.“ Felipe grinste nun ebenfalls. „Ja, das glaube ich auch. Aber wo kommt ihr her, ihr Armleuchter?“ „Wir strolchen hier ein bißchen herum“, erwiderte Luiz. „Mal sehen, vielleicht lohnt es sich, die Bastarde an der Bucht ein wenig zu belauern, haben wir uns gesagt. Ja, und dann haben wir eben eure Stimmen gehört.“ „Wir sollten nicht so laut sprechen“, sagte Marco warnend.
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„Richtig“, pflichtete Pablo ihm bei. „Sonst kriegen die Drecksäcke noch spitz, daß wir hier sind.“ „Das wäre schlecht“, sagte Luiz. „Wir wollen ihnen doch einen Besuch abstatten.“ „Heute nacht“, sagte Pablo. „Und sie werden es nicht vergessen“, fügte Marco hinzu. „Also“, sagte Luiz. „Raus mit der Sprache, alter Knochen. Was hast du für einen Plan?“ „Wir schwimmen zur ‚Trinidad' und entern auf“, erklärte der Mann aus Murcia mit gedämpfter Stimme. „Das kann schlecht enden“, warf Felipe ein. „Wegen der Haie?“ fragte Pablo. „Auch wegen der Haie“, meinte der Andalusier. „Wir nehmen eine Gräting“, sagte Marco. „Ich wäre eher dafür, in die Höhlen einzudringen“, erklärte Luiz den Spießgesellen. „Die werden heute nacht bestimmt nicht bewacht. Zumindest nicht so gut wie die Schiffe.“ „Das kannst du nicht wissen“, sagte der Andalusier. „Hör endlich auf mit deinen Einwänden“, sagte Marco. „Wenn es dir nicht paßt, daß wir was unternehmen, kannst du ja weggehen. Nach Batabano.“ „Das werde ich tun“, erwiderte Felipe. „Aber nicht heute nacht. Ich bin mit dabei, du Klugscheißer. Ich habe mehr Mut als ihr drei zusammen, aber ich will auch, daß ihr kapiert, wie riskant es ist.“ „Wir sind keine Anfänger“, sagte Pablo. „War Machado das vielleicht?“ fragte der Andalusier. „Nein“, erwiderte Marco. „Er hat es nur falsch angepackt.“ „Das gebe ich zu“, sagte Luiz. „Aber wir sind uns einig, oder? Wir werden es nicht zulassen, daß sich diese Dreckskerle von Korsaren an dem Schatz erfreuen.“ „Heute nacht schlagen wir zu.” „Wie ist das eigentlich?“ fragte jetzt Pablo. „Sind noch andere von uns hier in der Nähe?“
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„Nicht, daß ich wüßte“, erwiderte der Mann aus Murcia, und auch der Andalusier schüttelte den Kopf. „Dante?“ fragte Luiz. „Den haben doch die Haie gefressen, als er von der Gräting gerutscht ist“, erwiderte Felipe. „Das meinte ich auch, aber ich wollte nur sicher sein“, sagte Luiz. „Ich schlage vor, wir sehen uns ein wenig um und forschen die nähere Umgebung ab. Wenn wir noch einen oder zwei Mann von unserer Crew entdecken, sind wir stärker. Das wäre ein Vorteil für uns.“ „Ich halte das für vergebliche Mühe“, erwiderte Marco. „Aber wir können es von mir aus versuchen.“ Kurz darauf, im nachlassenden Licht des endenden Tages, kämmten sie das Dickicht ab. Von der Bucht tönten immer noch die Stimmen der Männer des Bundes der Korsaren herüber. Es wurde weitergearbeitet - die Kisten, Truhen und Fässer rutschten von den Höhlen zur Bucht hinunter, und pausenlos bewegten sich die Jollen zwischen dem Strand und den Schiffen hin und her. * Etwa eine halbe Stunde war verstrichen. Luiz, Pablo, Felipe und Marco trafen sich auf der winzigen Lichtung wieder. Sie ließen sich auf den angekohlten Ästen und einem Baumstumpf nieder und beratschlagten, wie sie die Gegner am besten überlisten konnten. „Wir haben also keinen gefunden“, meinte Marco. „Das habe ich ja gleich gesagt.“ „Wir vier sind die einzigen - die letzten Kämpfer der ‚Trinidad' sozusagen“, resümierte Luiz. „Eigentlich ist es aber auch ganz gut, daß wir nicht mehr Kerle sind. Wir müßten die Beute sonst unter zu vielen aufteilen.“ „Noch haben wir die Beute nicht“, sagte Felipe. „Wir sollten also nicht zu früh hurra schreien.“ „Ja, das bringt Unglück“, stimmte Pablo ihm zu.
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„Bereiten wir uns auf die Nacht der langen Messer vor“, sagte Marco, der Mann aus Murcia. „Ich rate euch, die Messer gut zu wetzen.“ Er deutete auf den Stein, mit dem er seine Waffe geschliffen hatte. Pablo griff nach dem Stein und strich mit der Klingen seines Messers darüber hinweg. „Ja, der funktioniert gut“, sagte er grinsend. „Wenn wir den Bastarden die Gurgeln durchschneiden, geht die Klinge hindurch wie durch Butter.“ „Wir warten ab, bis es ganz dunkel ist“, sagte Luiz. „Und dann?“ fragte Felipe. „Pirschen wir zu den Höhlen“, erwiderte der Schwarzbart. „Wir murksen die Wachtposten ab. Viele werden es nicht sein. Die Korsaren fühlen sich sicher.“ „Ich würde doch lieber zu den Schiffen paddeln“, sagte hingegen Marco. „In den Büschen liegen noch die Grätings, die wir benutzt haben. Die können wir auch jetzt wieder verwenden.“ „Aber die Ankerwachen der Kähne sehen uns, wenn wir anrücken“, erklärte Pablo. „Die knallen uns mit ihren Musketen ab.“ „Es wird eine tintenschwarze Nacht“, prophezeite Marco. „Sie werden uns nicht entdecken.“ „Ich habe eine großartige Idee“, sagte plötzlich Felipe. Die drei anderen blickten ihn überrascht an. „Raus damit“, sagte Luiz drängend. „Welche Möglichkeit gibt es deiner Meinung nach denn noch, den verfluchten Hunden ein Schnippchen zu schlagen?“ Der Andalusier mußte unwillkürlich lachen. „Keine. Aber ich halte es für das beste, sie erst noch mal ausgiebig zu beobachten - bevor es ganz dunkel wird. Danach legen wir unsere Taktik zurecht.“ „Einverstanden“, entgegnete Luiz. „Aber einer bleibt hier, hält die Stellung und wetzt die Messer.“ „Ich“, sagte Pablo. „Gut“, erwiderte der Schwarzbart. „Hat jemand was dagegen?“ „Nichts dagegen“, erwiderte Felipe, und auch Marco war einverstanden, daß Pablo
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auf der Lichtung blieb, während seine Kumpane aufbrachen, um die Korsaren zu bespitzeln. Wenig später setzten sich Luiz, Felipe und Marco in Bewegung. Sie marschierten durch das Dickicht, das zur Bucht hin ein wenig lichter wurde. Sie sprachen kein Wort mehr miteinander. Als sie dem Ufer sehr nah waren, ließen sie sich auf allen vieren nieder und legten den Rest der Strecke kriechend zurück. Nebeneinander blieben sie schließlich liegen und verfolgten, was an der Bucht und an Bord der Schiffe vor sich ging. Da herrschte immer noch rege Betriebsamkeit. Die Jollen fuhren im Pendelverkehr zwischen den Schiffen und dem Land hin und her, und pausenlos trafen am Ende der Rutsche Kisten, Truhen und Fässer ein. Die Korsaren schienen unermüdlich zu sein. Sie hievten die Schatzkisten in die Boote, lachten und unterhielten sich miteinander. Nichts konnte sie stören. Sie fühlten sich sicher und arbeiteten konzentriert, aber nicht hastig. Besonders fiel den drei Beobachtern ein großer, narbiger Mann auf, der mit gewaltiger Stimme Befehle gab. Hin und wieder flatterte ein bunter Papagei von seiner Schulter auf. Er krächzte und schien die Dinge, die der Mann brüllte, zu wiederholen. „Was ist das für eine Sprache?“ raunte Marco. „Englisch“, erwiderte Luiz ebenso leise. „Bist du sicher?“ flüsterte Felipe. „Völlig sicher.“ „Englische Bastarde“, wisperte der Andalusier. „Ich hasse sie.“ „Einige von ihnen werden wir abstechen”, murmelte Marco. „So viele wie möglich. Recht geschieht es ihnen. Was fällt ihnen ein, hierher zu kommen?“ „Es gibt keinen Platz dieser Welt, wo sie nicht sind“, meinte Luiz. „Eines Tages besiegen sie Spanien. Dann gehört die Neue Welt ihnen.“ „Bloß nicht!“ zischte der Andalusier. „Die Pest soll sie holen!“ „Mir ist es egal“, brummte Marco. „Soweit geht bei mir die Liebe zum Vaterland und
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zum König nicht. Aber ich würde mich schon freuen, diesen Hunden eins auszuwischen.“ Mit gierigen Augen verfolgten die drei Kerle weiter, was an der Bucht geschah. Es wurde zunehmend dunkel, aber die englischen Korsaren brachen ihre Tätigkeit nicht ab. Wollten sie alles verstauen, bevor der neue Tag anbrach? Würden sie im Schein von Fackeln weiterarbeiten? Luiz, Felipe und Marco dachten darüber nach. Wenn das der Fall war, mußten sie ihre Pläne ändern. Der Andalusier hatte recht gehabt: Es war nur richtig, die Korsaren eine Weile zu belauern, um herauszufinden, was sie in der Nacht vorhatten. Siri-Tong, Bayeux und die Mannschaften der drei Schiffe ahnten von der Existenz der heimlichen Beobachter nichts. Sie wußten zwar, was sich abgespielt hatte, als de Mello mit der „San Sebastian“ das Feuer auf die „Trinidad“ eröffnet hatte, doch sie nahmen an, daß sich die Überlebenden der spanischen Galeone längst zurückgezogen hätten. Luiz, Pablo, Felipe und Marco waren nicht die einzigen gewesen, die von Bord der „Trinidad“ geflohen waren. Mit ihnen waren etwa sechs, sieben andere Kerle „von der Flagge“ gegangen. Hals über Kopf hatten sie das Schiff verlassen, und sie konnten froh sein, daß ihnen die Flucht gelungen war. Ein heilloser Zustand war an Bord der „Trinidad“ ausgebrochen, jeder hatte nach dem Motto gehandelt: Rette sich, wer kann – aber mit vollen Taschen. Jeder war sich selbst der Nächste - dieses Prinzip entsprach genau dem Geist der Crew, der auf Machados Schiff geherrscht hatte. Eine Bande von Galgenstricken, Höllenbraten und Schlagetots, das war die Mannschaft der „Trinidad“ gewesen. Machado war gewissermaßen selbst zum Deserteur geworden. Er hatte das Schiff aufgegeben und sich verholt. Mit einer Jolle und sechzehn Kerlen war er abgehauen. Er hatte sich rigoros abgesetzt und seine Restmannschaft in Stich gelassen, um sich mit den Deserteuren
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unter dem Zweiten Offizier der „Trinidad“, Gutierrez, zu arrangieren. Höhnisch hatte Machado zu den Zurückbleibenden nur gesagt: „Haut ab, wenn ihr Lust habt, ihr werdet nicht mehr gebraucht!“ Genau das waren seine Worte gewesen. Die restlichen Männer der Crew hatten sich danach gerichtet. Damit war die einstige Mannschaft der „Trinidad“ endgültig auseinandergebrochen. Machado hatte erkannt, daß mit der „Trinidad“ nichts mehr anzufangen war. Also gab er sie auf und damit auch die bereits in den Laderäumen befindlichen Schatzgüter. Immerhin waren die Höhlen ja noch voll, dort gab es mehr zu holen. So hatte Machado gedacht, aber es war ihm zum Verhängnis geworden. Kerle wie Luiz, Pablo, Felipe und Marco hatten nicht lange gezögert. Sie waren in die Laderäume der „Trinidad“ hinuntergestürmt und hatten sich in aller Hast die Taschen mit Goldmünzen und Perlen voll gestopft. Dann hatten sie Schotts und Grätings ausgehoben und ins Wasser geworfen. Schnell waren sie hinterher gesprungen. Die ganze Zeit über hatten sie damit gerechnet, daß de Mello, der Capitan der „San Sebastian“, auf sie feuern lassen würde. Aber so unehrenhaft handelte de Mello nicht. Niemals hätte er auf praktisch Wehrlose schießen lassen, auch wenn sie nichts anderes als eine Meute von Lumpen waren. Folglich gelangten die Kerle der „Trinidad“, auf ihren Grätings und Schotts paddelnd, unbehelligt ans Ufer. Sie tauchten zwischen den Büschen unter, zerrten die Behelfsflöße noch an Land und suchten dann das Weite. Auch in dieser Situation hatte wie der jeder nur an sich selbst gedacht. Schnell weg das schien der einzige Gedanke zu sein, der noch galt. So war es eigentlich erstaunlich, daß sich Luiz, Pablo, Felipe und Marco nun doch noch zusammengefunden hatten - und daß sie sich in einem Punkt mehr oder wenig einig waren.
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Ja, auch der Andalusier war beim Anblick der vielen Schatzkisten und Truhen nun überzeugt. Seine drei Kumpane und er hatten viel zu wenig an sich gerafft. Allerdings hatten sie auch die Ereignisse beobachtet, die sich seit dem gestrigen Tag abgespielt hatten. Vier Jollen, mit denen Machado und seine sechzehn Kerle die „Trinidad“ hatten entern und ausplündern wollen, waren vernichtet worden. Außerdem war der Wasserfall vor den Höhlen mit den Kanonen der „San Sebastian“ beschossen worden. Schließlich wurde der ganze Höhleneingang von herabstürzenden Gesteinsbrocken blockiert. Doch wer hatte das alles angerichtet? De Mello - und der war jetzt fort. Ein störendes Element, das jeden Versuch, an den Schatz zu gelangen, vereitelte, fehlte. Vielleicht war es leichter, die Korsaren zu überrumpeln als einen überkorrekten Mann wie den Capitan der „San Sebastian“. Überhaupt: daß sich jetzt alles, aber auch alles in den Händen von ganz anderen Männern befand, die mit den drei Schiffen aufgetaucht waren, paßte Luiz, Pablo, Felipe und Marco ganz und gar nicht. Natürlich war ihnen andererseits auch klar, daß die fremden Männer von der harten Sorte waren - Korsaren! Und was für welche! Die Gier nach der Beute erstickte jedoch jegliche Vernunft in den vieren. Gespannt beobachteten sie, was weiter geschah. Es wurde dunkel. Fackeln wurden am Ufer der Bucht entfacht. An Bord der Schiffe wurden die Ankerlaternen gesetzt. Die rötlichgelben Lichter bewegten sich zuckend, ihr huschender Schein erfüllte den Abend mit einer besonderen Art von Leben. Und weiter ging's: die Stimme des Profos' tönte, die Kisten und Truhen wurden weiterhin in die Jollen und von dort aus an Bord der Schiffe verfrachtet. „Wenn das so weitergeht, sehe ich schwarz“, murmelte der Andalusier. „Wir können nur zuschlagen, wenn die Hunde sich zur Ruhe legen.“
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„Warte ab“, flüsterte Luiz. „Ich glaube nicht, daß sie die ganze Nacht durcharbeiten.“ Schweigend spähten die drei Kerle zum Strand und zu den Schiffen. Daß oben, an den Höhlen, Fackeln angezündet worden waren, entging ihnen ebenfalls nicht. Luiz, Felipe und Marco hielten Ausschau und lauschten den Geräuschen: den Stimmen der fremden Korsaren, dem Knarren der Bootsriemen und dem Scharren, mit dem sich die Kisten und Truhen über die Rutsche bewegten. Schließlich hörten die Korsaren doch mit der Arbeit auf. „Feierabend!“ rief Carberry, aber das verstanden die Beobachter natürlich nicht. Sie verfolgten nur, wie sich die Männer an Bord der Schiffe zurückzogen und Wachen eingeteilt wurden. Nur wenige Männer schienen an Land zurückzubleiben. Nach und nach wurden die Fackeln gelöscht. „So“, sagte Luiz. „Jetzt haben sie also doch Schluß gemacht. Recht so. Wir können zu Pablo zurückkehren.“ „Einer von uns sollte als Wachtposten hierbleiben“, sagte der Andalusier. „Richtig“, brummte Marco.. „Aber wer?“ „Ich melde mich freiwillig“, erwiderte Felipe. „In Ordnung“, sagte Luiz. „Ich selbst werde dich nachher ablösen. Sagen wir, in etwa zwei Stunden.“ „Und wann handeln wir?“ fragte der Andalusier. „Nach Mitternacht“, erwiderte der Schwarzbärtige. „Das ist sicherer.“ „Mir soll's. recht sein“, brummte Felipe. „Zeit haben wir ja genug.“ „Wir dringen also in die Höhlen ein“, sagte Luiz leise. „Nein, ich will zu den Schiffen“, widersprach Marco. „Ich halte das auch für besser“, meinte Felipe. Luiz wurde wütend, wußte sich aber zu beherrschen. „Bis Mitternacht werden wir uns schon noch einig“, sagte er gedämpft. „Ich muß meinen Dolch noch wetzen“, flüsterte Felipe.
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„Pablo wird dir den Wetzstein bringen“, raunte Marco. „Gut.“ Luiz und Marco zogen sich zurück. Marco übernahm die Führung. Er fand die Lichtung ohne Schwierigkeiten wieder. Luiz mußte vor sich selbst eingestehen, daß ihm dies nicht gelungen wäre. Er war zu lange auf See gewesen. Kein Sturm konnte ihm etwas anhaben. Aber an Land fühlte er sich fremd und verloren. Sie stießen zu Pablo und berichteten ihm, was sie gesehen hatten. Pablo grinste und wies die Messer vor. „Sie sind scharf wie eine Hure, die zehn Tage keinen Mann gehabt hat“, erklärte er. Luiz und Marco nahmen die Messer entgegen und steckten sie weg. „Was tun wir also?“ fragte Pablo. „Marco und Felipe wollen die ‚Trinidad' entern“, erwiderte Luiz. „Und du?“ „Ich bin dafür, den Höhlen einen Besuch abzustatten. Da scheint sich überhaupt kein Bewacher zu befinden.“ „Dann bin ich auch für die Höhlen“, sagte Pablo. „Wer sagt dir, daß oben bei den Höhlen kein Posten ist?“ wollte Marco wissen. „Mein gesunder Menschenverstand“, entgegnete der Schwarzbart. „Sie haben die Fackeln gelöscht und sind runtergekommen. Das habe ich genau gesehen.“ „Ich habe es nicht gesehen“, sagte der Mann aus Murcia. „Auf das, was ich sage, kannst du dich verlassen“, versicherte Luiz. „Trotzdem“, brummte Marco. „Mir ist ein Angriff auf die ‚Trinidad' lieber.“ „Tu, was du willst“, sagte Luiz etwas gepreßt. „Pablo, wir dringen nachher in die Höhlen ein. Es gibt ja jetzt einen neuen Zugang, aus dem die Schätze abgeborgen werden, wie wir gesehen haben.“ „Ja, gut“, erwiderte Pablo. „Du bist nicht unser Anführer“, sagte Marco. „Jeder von uns ist sein eigener Herr.“ „Das habe ich nicht in Abrede gestellt.“ „Nein, das hast du nicht.“
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„Du bleibst also bei deinem Plan?“ „Ja.“ „Auch gut“, meinte Luiz. „Dann gehen wir eben in zwei Gruppen vor. Das ist auch nicht schlecht.“ Pablo kicherte. „Gruppen ist gut. Je zwei Mann!“ „Zwei Mann fallen in der Nacht nicht auf“, sagte Luiz. „Viele Männer könnten sich nicht so problemlos bewegen wie wir.“ „Das ist auch wieder richtig“, pflichtete Marco ihm bei. „Darauf baue auch ich.“ „Pablo“, sagte Luiz. „Geh jetzt zu Felipe und bring ihm den Schleifstein. Er muß seinen Dolch noch wetzen.“ Pablo grinste immer noch. „Er hätte seinen Dolch ja hier lassen können, wie ihr es getan habt.“ „Du kennst ihn doch“, sagte Marco. „Er traut keinem.“ „Ja, ich kenne ihn“, bestätigte er. Marco erklärte ihm genau, wo der Andalusier zu finden sei. Dann brach Pablo auf. Luiz und der Mann aus Murcia setzten sich wieder hin. Sie grübelten herum. Jeder hielt seinen Plan für den besten. Es würde sich herausstellen, wer den besten Einfall gehabt hatte - oder den schlechtesten. 3. Felipe drehte sich lautlos um und zückte seinen Dolch, als er einen leisen Laut hinter sich im Dickicht vernahm. Die Klinge blinkte matt. Felipes Augen schienen sich mit ihrem Blick in die Dunkelheit zu bohren. „Ich bin's!“ zischte Pablo. „Dein Glück, daß du dich zu erkennen gibst“, raunte Felipe. „Aber du bist ziemlich leichtsinnig.“ „Ich kann hier doch nicht rumbrüllen“, brummte Pablo. „Na gut. Was willst du?“ „Dir den Schleifstein bringen.“ „Her damit“, raunte der Andalusier. Er nahm den Stein von Pablo entgegen und fuhr mit der Klinge des Dolches darüber. Er hielt wieder inne und schien zu überlegen, ob das Geräusch an der Bucht und auf den Schiffen zu vernehmen sei.
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„Du kannst ruhig weitermachen“, flüsterte Pablo. „Meinst du, die Engländer, diese Hunde, pennen?“ „Alle nicht, aber die meisten.“ „Der Teufel soll sie holen.“ „Wir werden sie stechen“, sagte Pablo. „Und sie werden es noch bereuen, daß sie so dumm gewesen sind, nicht aufzupassen.“ „Ja. Was habt ihr beschlossen?“ fragte Felipe. „Noch gar nichts. Jeder tut das, was er für das Klügste hält.“ „Das bedeutet?“ fragte der Andalusier lauernd. „Luiz und ich schleichen zu den Höhlen hinauf“, erwiderte Pablo. „Und Marco und ich nehmen uns die ‚Trinidad' vor“, ergänzte der Andalusier. „Ja, so wird es wohl sein.“ „Meinetwegen“, sagte Felipe. „Auf der ‚Trinidad' kennen wir uns ja bestens aus. Das Problem ist bloß, ungesehen hinzupaddeln. Na, es wird schon schief gehen. Ihr habt es mit den Höhlen vielleicht wirklich leichter.“ „Na, mal sehen“, murmelte der Häßliche. „Wenn dort tatsächlich keine Wachen stehen, haben wir leichtes Spiel.“ Felipe bearbeitete seinen Dolch mit dem Schleifstein. „Du glaubst daran?“ fragte er. „An was?“ fragte Pablo ziemlich verblüfft zurück. „Daß alles gelingen wird, meine ich.“ „Na klar.“ „Und du denkst auch, daß die Engländer totale Narren sind, wie?“ „Narren nicht“, erwiderte Pablo. „Sie sind schlau und gerissen. Aber sie fühlen sich hier sicher. Sie rechnen nicht mit Verdruß.“ Felipe schüttelte den Kopf. „Sie rechnen immer mit Verdruß.“ „Das heißt?“ „Daß wir aufpassen müssen“, entgegnete der Andalusier. „Das tun wir doch“, flüsterte Pablo, der immer noch nicht richtig begriff, was der andere meinte. „Wir warten die Nacht ab,
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und wir pirschen uns ganz vorsichtig an sie heran.“ „Auch die Nacht kann ihre Gefahren haben“, erklärte der Andalusier und prüfte, wie scharf der Dolch inzwischen war. Vorsichtig bewegte sich sein Daumen über die Schneide. Er nickte und setzte seine Tätigkeit fort. Es dauerte nicht mehr lange, dann war die Waffe für das geplante Unternehmen bereit - scharf wie eine Sense. „Ich kapier' das nicht“, brummte Pablo. „Es ist ganz einfach“, erwiderte Felipe. „Aus dir bin ich noch nie richtig schlau geworden.“ „Das brauchst du auch nicht“, entgegnete der Andalusier spöttisch. „Wichtig ist, daß du dir eins vor Au-. gen hältst: Die Korsaren sind keine törichten Anfänger. Wir müssen ständig darauf gefaßt sein, daß wir ihnen irgendwo über den Weg laufen. Hier haben sie keine Posten, aber weiter drüben, in der Nähe des Ufers, ganz bestimmt.“ „Wir sind auch keine Anfänger“, raunte der Häßliche. „Denk bloß nicht, daß wir uns von denen über den Löffel barbieren lassen.“ „Wenn wir klug sind, passiert uns nichts.“ „Wir sind klug.“ „Ja, aber Marco und Luiz scheinen mir ein bißchen zu fanatisch zu sein“, meinte der Andalusier. „Was?“ „Sie sind versessen drauf, sich den Schatz zu holen. Cabral und die anderen waren auch wie von Sinnen.“ „Cabral hat ein zu großes Maul gehabt“, erwiderte Pablo. Dieses Mal stimmte Felipe ihm zu. „Das ist richtig. Irgendwann würde er sich das Genick brechen - das hatte ich ihm des öfteren vorhergesagt. Aber er wollte ja auf niemanden hören.“ „Wir werden vernünftiger sein.“ „Was ich dir klarmachen will“, sagte Felipe gedämpft. „Ich meine es nur gut mir dir.“ „Mit mir? Warum?“ „Frag nicht so dumm“, entgegnete Felipe. „Wenn es zu brenzlig wird, verdrücken wir uns. Das ist mein Ratschlag. Laß dich nicht
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dazu verleiten, zuviel zu riskieren. Wenn du deinen Kopf hingehalten hast und sie ihn dir abschlagen, ist es zu spät.“ „Na sicher“, meinte Pablo, aber er runzelte die Stirn. „Wir wollen ja auch nicht die Höhlen völlig ausplündern, sondern nur soviel mitnehmen, wie wir tragen können.“ „Sehr vernünftig.“ „Luiz hat mich überzeugt“, erklärte Pablo. „Zu Anfang war ich auch dagegen, die Hundesöhne anzugreifen. Aber sein Plan erscheint mir gut. Ich bin dabei. Ich bin doch kein Feigling.“ „Das bin ich auch nicht!“ zischte Felipe. „Wie kommst du darauf?“ „Habe ich gesagt, daß du ein Feigling bist?“ „Nein, schon gut.“ „Du kannst ja abhauen, wenn du keine Lust hast, mitzumachen“, sagte Pablo. „Keiner hindert dich daran.“ Felipe wollte aufbrausen, besann sich aber anders. „Ich bleibe“, murmelte er. „Und gemeinsam bereiten wir diesen englischen Bastarden eine höllische Überraschung.“ „So ist es.“ Pablo kauerte sich neben ihn. Gemeinsam beobachteten sie die Bucht. Pablo überlegte. Was wollte Felipe mit seinen Andeutungen erreichen? Was hatte er vor? Wollte er ihn, Pablo, einschüchtern, damit er ausstieg und das Weite suchte? Ein Mann weniger, und man brauchte die Schatzbeute nur noch durch drei zu teilen. Oder wollte Felipe sein eigenes Süppchen kochen und Luiz und Marco ausbooten? Möglich war schließlich alles. Pablo beschloß, den Andalusier besonders aufmerksam im Auge zu behalten. Er traute dem Kerl nicht. Felipe und Pablo konnten verfolgen, was sich an Bord der Schiffe abspielte. Die meisten Männer begaben sich jetzt unter Deck - auch die schwarzhaarige Frau, die sie den Tag über hatten beobachten können. Sie wirkte wie eine exotische Schönheit. Felipes Augen hefteten sich gierig an ihre Gestalt, als sie in dem Achterkastell der „Caribian Queen“ verschwand. Der Andalusier träumte davon, diese Frau zu besitzen. Doch er ahnte nicht, wie schlimm
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es für einen Kerl enden konnte, der versuchte, Siri-Tong Gewalt anzutun. Felipe sollte es auch nicht mehr erfahren. Das Zielobjekt war ja ohnehin die „Trinidad“. Es war also unwahrscheinlich, daß Felipe und Marco der Roten Korsarin begegneten, wenn sie ihr Unternehmen durchführten. „Sieh mal“, wisperte Pablo seinem Spießgesellen zu. „Auf der ‚Trinidad' sind nur vier Mann!“ „Richtig“, flüsterte Felipe. „Mit denen werdet ihr leicht fertig.“ „Nicht so leicht, wenn sie uns zu früh bemerken.“ „Das wäre Pech“, brummte Pablo. „Pech muß man voraussehen“, raunte der Andalusier. „Oder man muß wenigstens damit rechnen.“ „Ich denke, du kannst nicht rechnen?“ „Du weißt schon, was ich meine“, zischte Felipe. „Stell dich nicht so bescheuert.“ Sie schwiegen wieder und beobachteten die Gestalten, die sich auf den Decks der Schiffe bewegten. Plötzlich stieß Felipe Pablo mit dem Ellenbogen an. Er sagte kein Wort, sondern deutete nur auf die Männer, die sich vom Ufer der Bucht ins Innere der Insel bewegten. Auch vier - und sie marschierten mit Sicherheit zu den Höhlen, um dort die Wache zu übernehmen. Pablo begriff. Die Höhlen würden also nicht unbeaufsichtigt bleiben, wie Felipe richtig angekündigt hatte. Folglich mußten Luiz und Pablo mit entsprechender Vorsicht vorgehen. Felipe indes schien es mit seinen Andeutungen und Bedenken nur gut gemeint zu haben. .Um so besser, dachte Pablo. Dan O'Flynn, Stenmark, Gary Andrews und Mac O'Higgings, genannt Higgy, waren es, die die Galeone „Trinidad“ besetzt hatten und nun Wache hielten. Sie verteilten sich auf die Back, die Kuhl und das Achterdeck und richtete sich auf eine ruhige, ereignislose Nacht ein. „Ich glaube nicht, daß die Dons es sich anders überlegt haben und mit ihrer ,San Sebastian' noch einmal zurückkehren“, sagte Gary Andrews.
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„Bestimmt nicht“, pflichtete Dan O'Flynn ihm bei. „Aber es könnten irgendwelche Schnapphähne auftauchen.“ „Ausgerechnet heute nacht?“ fragte Stenmark. „Na ja, rechnen muß man ständig damit.“ „Es empfiehlt sich also, die Augen offenzuhalten“, sagte Dan. „Das sowieso“, meinte Higgy. „Glaubst du vielleicht, wir pennen?“ fragte der Schwede. „Ach, Unsinn“, sagte Dan. „Ich denke nur daran, daß gerade dann, wenn man nicht mit Ärger rechnet, Störenfriede auftauchen.“ Higgy grinste. „Und wenn sie kommen, bereiten wir ihnen einen heißen Empfang.“ Gary Andrews sagte: „Richtig, die Kanonenschüsse sind vielleicht bis Batabano zu hören gewesen. Sie könnten Küstenhaie und Galgenstricke angelockt haben. Seien wir also auf der Hut.“ Carberry, Sam Roskill, Matt Davies und Bill stiegen unterdessen zu den Schatzhöhlen auf. Sie lösten Barba und die anderen Männer ab, die die Kisten, Truhen und Fässer auf die Rutsche geladen hatten. Barba und die „Caribian Queen“-Männer befanden sich inzwischen wieder an Bord des Zweideckers. Der Profos inspizierte kurz die Höhlen, dann ließ er sich draußen auf einem flachen Stein nieder. „Na schön“, sagte er. „Richten wir es uns so gemütlich wie möglich ein. Und sperrt die Augen und Ohren auf, verstanden?“ „Aye, Sir“, brummten die drei anderen. Dann meinte Matt Davies: „Falls hier noch Dons im Urwald herumstrolchen, die sich einbilden, sie könnten was stibitzen, könnte es noch eine muntere Nacht geben.“ „Hast du was dagegen?“ fragte Sam Roskill. „Im Gegenteil“, erwiderte Matt. „Dann gibt es wenigstens ein bißchen Abwechslung.“ „Ihr spinnt“, sagte Carberry. „Die Dons haben sich alle Mann verdrückt. Und sollte doch noch einer die Wahnsinnsidee haben, hier rumzuspionieren, kann er nur geistig weggetreten sein. Glaubt er, er kann uns
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die Schatztruhen unter dem Hintern wegklauen?“ Bill grinste. „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder wäre der Betreffende verrückt genug - oder geschickt genug.“ „Verrückte waren genug an Bord der ,Trinidad–, sagte Matt. „Sie haben für ihren Wahnsinn mit dem Leben bezahlt“, erwiderte der Profos. „Keiner ist so hirnverbrannt, das noch einmal zu versuchen. Und wer ist auch übrig geblieben? Höchstens die paar Halunken, die von der ‚Trinidad' ins Wasser gesprungen sind. Daß ich nicht lache!“ „Wir werden ja sehen, was die Nacht bringt“, sagte Matt Davies. Er lehnte sich gegen die Felsen und betrachtete seine Eisenhakenprothese. Eigentlich könnte ich den Haken mal wieder schärfen, dachte er, es ist schon einige Zeit her, daß ich ihn zum letzten Mal gewetzt habe. * Felipe und Pablo kehrten zum „Bandenstützpunkt“ zurück, um Luiz und Marco zu melden, was sie beobachtet hatten. Der Schwarzbart und der Alte lauschten ihnen, dann stellten sie ihre Überlegungen an. Es zeigte sich wieder, daß Logik weiß Gott nicht die Stärke dieser vier Kerle war. Sie waren sich immer noch nicht einig, wie am besten vorzugehen war. „Es bleibt dabei“, sagte Luiz. „Wir nehmen uns die Höhlen vor. Es ist leichter, dort oben die Posten zu überwältigen, als an Bord der ,Trinidad`.“ „Das sehe ich anders“, hielt Marco dem entgegen. „Nein, ich will die ‚Trinidad' entern.“ „Und ich bin mit dabei“, sagte Felipe. „Klar, einverstanden“, sagte Luiz einlenkend. „Wir brauchen uns deswegen ja nicht in die Haare zu geraten. Jeder tut das, was er für das beste hält.“ „Warum legen wir nicht gleich los?“ fragte Pablo. „Das wäre ein Fehler“, entgegnete Luiz. „Noch sind die Wachtposten zu
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aufmerksam. Später, wenn sie eingepennt sind, brauchen wir ihnen nur noch was auf die Rübe zu hauen, und sie sind ganz hinüber.“ „Ja, so einfach ist das“, sagte Felipe spöttisch. „Denkst du anders darüber?“ fragte Luiz ziemlich gereizt. Er hatte den Andalusier nie leiden können. Die hämischen Äußerungen des Kerls gingen ihm entschieden auf den Geist. „Ich sage, daß sie nicht schlafen werden“, erklärte Felipe. „Das werden wir ja sehen“, sagte Marco. „Wir fallen ihnen jedenfalls in den Rücken. Dann haben sie keine Chance, sich gegen uns zu wehren. Ehe sie richtig kapieren, was los ist, haben sie unsere Messer zwischen den Rippen.“ „So weit, so gut“, sagte Pablo. „Aber es wäre doch besser, wenn wir zu viert das eine oder das andere tun würden. Entweder nehmen wir uns die ‚Trinidad' vor, oder aber wir gehen zu den Höhlen rauf.“ „Hör doch mit dem Quatsch auf“, sagte Luiz. „Merkst du immer noch nicht, daß Marco und Felipe gegen die HöhlenAktion sind?“ „Warum schließen wir uns nicht dem Angriff auf unser Schiff an?“ wollte Pablo wissen. „Ich halte nichts davon“, entgegnete Luiz. „Warum nicht?“ fragte Pablo. „Auf dem Wasser sind wir wie auf einem Präsentierteller für sie, wenn sie uns entdecken und schießen“, erklärte der Schwarzbärtige. „Die Gefahr besteht bei den Höhlen auch“, hielt Marco dagegen. „Also, der eine Plan ist soviel wert wie der andere.“ „Ich finde, wir sollten nicht mehr viel herumpalavern“, sagte der Andalusier. „Warum belassen wir es nicht bei dem, was wir bereits abgesprochen haben? Zwei Mann dringen in die Höhlen vor, zwei Mann paddeln zur ,Trinidad`.“ Dabei blieb es. Statt sich zu viert entweder die Galeone oder aber den Zugang zu den Schatzhöhlen vorzunehmen - mit jeweils vier Gegnern, wobei das Kräfteverhältnis
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also gleich gewesen wäre -, beharrte jede Zweiergruppe auf ihrem Plan. Die Kerle konnten sich ums Verrecken nicht einigen. Luiz versuchte es trotzdem noch einmal. „Hört mal her“, sagte er zu Marco und Felipe gewandt. „Ihr müßt doch das eine einsehen. Der Weg über das Wasser auf Grätings und Schotts ist viel schwieriger als das Anpirschen zu dem neuen Höhlenzugang. Das gilt auch für den Rückweg.“ „Ich stelle das nicht in Zweifel“, erwiderte Marco. „Aber ein überfall auf die ‚Trinidad' ist sicherer.“ „Warum?“ fragte Pablo. „Weil dort niemand damit rechnet“, entgegnete der Alte. „Gerade weil Machados überfall fehlgeschlagen ist.“ „Ja, das stimmt“, pflichtete der Andalusier ihm bei. „Noch nie hat ein Blitz zweimal an derselben Stelle eingeschlagen.“ Luiz grinste höhnisch. „Hört, hört! Das klingt, als wenn du wie ein Blitz wärst, Mann!“ Felipe stieß einen Fluch aus und griff zum Dolch. „Muß ich es dir beweisen, wie schnell ich bin?“ „Das ist nicht nötig“, entgegnete Luiz scharf. „Wir kennen uns lange genug.“ „Warum beleidigst du mich dann?“ „Ich beleidige dich nicht“, erwiderte der Schwarzbärtige. „Ich habe nur den Eindruck, daß du nicht mit ganzem Herzen bei der Sache bist. Du scheinst deine Zweifel an dem Gelingen zu haben.“ „Ich bin nur etwas vorsichtiger geworden, als ich es früher war“, entgegnete der Andalusier giftig. „Aber was ich denke, geht dich einen Dreck an, Luiz.“ „Das klingt ja sehr kameradschaftlich“, sagte Luiz. „Es geht ums Gold und nicht um die Kameradschaft!“ „Klar, und was aus uns wird, ist dir egal, wie?“ fragte Luiz angriffslustig. Felipe sprang auf. „Wenn du dich mit mir messen willst, kannst du es haben! Nur zu!“ „Hört doch auf“, mischte sich nun Marco ein. Er stand ebenfalls auf und trat
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zwischen die beiden Streithähne. „Habt ihr den Verstand verloren? Wenn ihr noch lauter schreit, hören die Engländer uns am Ende noch.“ „Er fordert mich heraus!“ zischte Felipe. „Er ist ein Quertreiber!“ stieß Luiz hervor. „Geh aus dem Weg, alter Knochen!“ fuhr Felipe Marco an. Marco schüttelte den Kopf. „Quatsch. Mit Zank erreichen wir nichts. Entweder sind wir alle friedlich, oder wir können die ganze Sache vergessen.“ Luis und Felipe starrten sich zwar wütend an. Dann aber war es der Schwarzbart, der einlenkte. „Na gut, ich nehme zurück, was ich gesagt habe. Du bist doch so schnell wie ein Blitz, Felipe.“ Der Andalusier war mißtrauisch. „Willst du mich jetzt verhöhnen?“ „Mußt du denn alles falsch auffassen?” fragte Marco. „Halt du dich da raus!“ „Ich meine es ernst“, sagte Luiz. „An Streit ist mir nicht gelegen. Aber du solltest nicht so empfindlich sein, Felipe.“ „Überlaß das mir.“ „Gut, ich überlasse es dir.“ Sie setzten sich wieder. Felipe blickte vor sich hin, er schien immer noch zornig zu sein. Offenbar war er auf Streit aus. Auch an Bord der „Trinidad“ hatte er als Querkopf und Dickschädel gegolten. Daran hatte sich nichts geändert. „Noch mal“, sagte Luiz. „Ihr solltet an die Haie denken, die euch in die Quere kommen könnten, wenn ihr zur ‚Trinidad' paddelt.“ „Die Haie schlafen nachts zwar nicht“, entgegnete Marco. „Aber ich schätze, daß wir mit ihnen keinen Ärger kriegen. Die sind jetzt erst mal satt.“ „Vielleicht“, sagte Pablo. „Aber sicher ist es nicht.“ „Laß das unsere. Sorge sein“, sagte der Andalusier. „Etwas anderes“, ergriff nun wieder Luiz das Wort. „Auf Grätings und Schotts kann man kaum viel abtransportieren.“ „Das, was wir mitkriegen, reicht uns“, hielt Marco dagegen. „Es soll ja ohnehin nur soviel sein, wie wir tragen können.“
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„Na gut“, sagte Luiz. „Ihr müßt wissen, was ihr tut.“ „Das wissen wir sehr gut“, entgegnete der Alte. „Wir brauchen nicht mehr darüber zu diskutieren.“ „Schluß der Debatte“, sagte Felipe. „Das wurde aber auch Zeit.“ Es war stockdunkel geworden. Die vier Kerle schwiegen und lauschten den Geräuschen, die zu ihnen herüberdrangen. Aber es waren nur das Zirpen der Zikaden, das Quaken und Grunzen der Frösche sowie das Kreischen von Nachtvögeln zu vernehmen. An Bord der Schiffe und am Ufer der Bucht war Ruhe eingetreten. Eine Weile hockten die vier Kerle der „Trinidad“ noch schweigend da. Dann erhoben sie sich. Sie trennten sich grußlos, und jeder ging seiner eigenen Wege. „Narren“, murmelte Luiz, als er mit Pablo im Dickicht untergetaucht war. „Sie werden schon noch einsehen, daß ich recht gehabt habe.“ „Klar“, meinte auch Pablo. „Aber wenn sie verrecken, ist es nicht schade um sie.“ „Ich traure nicht um sie.“ „Ich auch nicht. Idioten sind das.“ Marco und Felipe indes ließen sich über den Schwarzbart und den Häßlichen aus. „Luiz ist ein Drecksack“, sagte der Alte. „Er bildet sich ein, das große Wort führen zu können — wie Cabral. Aber er irrt sich. Uns kann er weder überzeugen noch herumkommandieren.“ „Er ist ein eingebildeter, krummer Hund“, sagte der Andalusier. „Nur gut, daß wir uns nicht mit den beiden zusammengetan haben.“ „Pablo ist auch ein Narr.“ „Und ein Dummkopf“, fügte Marco hinzu. „Merkt er nicht, daß Luiz ihn nur ausnutzt? Wenn sie Wirklich Gold erwischen, wird Luiz Pablo ausbooten.“ Und das werde ich mit dir auch tun, alter Knochen, dachte der Andalusier. Bilde dir bloß nicht ein, daß ich mit dir teile. Wenn alles klappt, kriegst du meinen Dolch zu schmecken. Fühle dich nicht zu sicher, Felipe, dachte indessen Marco, der Mann aus Murcia. Du glaubst, du kannst mich erledigen, wenn
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wir alles hinter uns haben? Irrtum. Auch ich kann schnell sein, schnell wie ein Blitz. Mich tötest du nicht. Ich werde dich eher überrumpeln, nur weißt du es nicht. Felipe ahnte es nicht einmal. Er war überzeugt, daß Marco der Dümmere von ihnen beiden sei. Das war Felipes Fehler. Aber es sollte ohnehin alles ganz anders kommen, als er sich das ausmalte. Völlig anders. Doch mit einer Entwicklung der Dinge, wie sie sich in dieser Nacht ergeben sollte, rechnete selbst Marco nicht. Es wurde eine Nacht der Überraschungen. 4. Sam Roskill, Matt Davies und Bill hatten sich in den Schatzhöhlen zur Ruhe begeben. Carberry hielt draußen Wache. Er hatte es sich zwischen den Felsen so bequem gemacht, wie es ging, und malte sich in seinen Gedanken aus, wie schön es wäre, jetzt irgendwo in einer urgemütlichen Kneipe - beispielsweise bei Diego auf Tortuga - zu hocken und einen Umtrunk mit den Freunden zu halten. Aber was nicht sein sollte, sollte eben nicht sein. Außerdem: Dienst war Dienst. Man lag hier vor Anker und hatte den Schatz des Don Antonio de Quintanilla zu bergen, verdammt noch mal. Da gab es höchstens mal eine Extra-Ration Rum, mehr aber auch nicht. Der Profos wurde in seinen tiefschürfenden Überlegungen gestört. Etwas regte sich unweit von ihm. Instinktiv hob er die Pistole, erkannte dann aber sofort Matt Davies, der zwischen den Felsen auf ihn zusteuerte. „Was ist los?“ brummte Carberry. „Wachablösung. Ab Mitternacht bin ich dran“, erwiderte Matt. „Ist die Zeit schon rum?“ fragte Carberry verblüfft. „Teufel, das hätte ich nicht gedacht.“ Die Männer hatten eine kleine Sanduhr mitgenommen. Die Sanduhr mußte jede halbe Stunde umgedreht werden. Matt hatte nicht geschlafen. Er bekam heute nacht kein Auge zu. Irgendetwas schien ihn zu warnen Und eine unliebsame
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Überraschung anzukündigen. Matt lauschte seiner inneren Stimme. Die sagte ihm, daß sich etwas tun würde. Und Matt konnte sich in den meisten Fällen auf seine innere Stimme ver- lassen. Old O'Flynn hatte recht, wenn er von Gesichtern und Eingebungen sprach. Die gab es wirklich. Matt glaubte fest daran. Nur hatte es keinen Sinn, daß er mit Carberry darüber sprach. Der Profos hielt von solchen Kinkerlitzchen nicht viel, obwohl auch er abergläubisch war. Er glaubte dann schon eher an die Existenz von Spukgeistern und Kobolden. „Ist alles in Ordnung?“ fragte Matt. „Alles“, erwiderte der Profos. „Es ist ruhig. Nichts rührt sich. Nur die Frösche quaken und die Mücken stechen.“ „Das kann man ertragen“, meinte Matt. Carberry richtete sich langsam auf. „Na dann - ich haue mich aufs Ohr. Sag mir sofort Bescheid, wenn irgendwas los ist.“ „Aye, Sir“, entgegnete Matt. Er nahm Carberrys Platz ein und sah dem Profos nach, wie dieser in den Höhlen verschwand. Dann widmete er sich der Betrachtung seines Eisenhakens. Den könntest du wirklich mal wieder wetzen, Mister Davies, dachte Matt. Carberry streckte sich neben Sam Roskill und Bill aus. Er gähnte noch einmal herzhaft, dann schlief er von einem Augenblick auf den anderen ein. In seinen Träumen unternahm er mit Hasard und den anderen einen tüchtigen Streifzug durch die Kaschemmen irgendeines Hafens. Ob es Havanna oder Plymouth war, ließ sich im Traum nicht genau feststellen. Aber das Bier und der Wein waren gut. Matt dachte darüber nach, was der Bund der Korsaren mit all dem vielen Gold und Silber anfangen würde, das er hier erbeutet hatte. Nun, das Zeug würde erst mal in dem Höhlenlabyrinth des neuen Schlupfwinkels verstaut werden. Damit war nach dem Verlust der Schlangen-Insel wieder eine gesunde Grundlage und Reserve geschaffen, aus der man sich jederzeit bedienen konnte. Etwas wehmütig dachte Matt aber auch an die Schlangen-Insel zurück. Und an
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Arkana, Araua und die Schlangen-Krieger und -Kriegerinnen. Sie hatten sterben müssen. Und die Timucuas? Auch sie waren ausgelöscht worden wie Fackeln, die man ins Wasser taucht. Matt seufzte und betrachtete erneut seine Eisenhakenprothese. Gab es denn keinen Stein, an dem er sie wetzen konnte? Sicherlich - aber das Geräusch war verräterisch. Wenn sich jemand in der Nähe befand, ein Beobachter, würde dieser durch die Laute darüber informiert werden, daß es vor den Höhlen einen Aufpasser gab. Matt mußte das um jeden Preis vermeiden. Es brauchten ja keine Schnapphähne zu sein, die sich anpirschten. Auch Eingeborene konnten durch die Kanonenschüsse angelockt worden sein. Sie wollten eben einfach mal nachsehen, was los war. So menschenleer dieser Urwald auch wirkte, es konnte in ihm plötzlich höchst lebendig werden. Schon oft- hatten die Männer der „Isabella“ ähnliche Erfahrungen sammeln müssen. An diese Abenteuer dachte Matt Davies nun. Was hatten sie in all den Jahren, die sie jetzt zusammen waren, nicht alles erlebt! Wenn man davon erzählen wollte, wußte man nicht, wo man anfangen sollte. Matt hörte ein feines Geräusch. Sofort hob er den Kopf. Er war sicher, sich nicht getäuscht zu haben. Zwar rauschte der Wasserfall, doch es war nicht so, daß man wegen des Rauschens überhaupt keine anderen Laute mehr vernahm. Ein Mann mit guten Ohren hörte die Frösche quaken und die Grillen zirpen - und einen Stein gegen einen anderen Stein schlagen, wenn ein Mensch mit seinem Fuß dagegen trat. Matt hielt Ausschau. Hatte sich weiter unten, zwischen den Felsen, nicht eben etwas bewegt? Ja - da war etwas. Ehe Matt jedoch Carberry Bescheid gab, wollte er ganz sicher sein, daß er sich wirklich nicht getäuscht hatte. Deshalb verließ er seinen Posten und bewegte sich geschmeidig wie eine große Katze zwischen den Steinen nach unten. Schließlich hatte er den Punkt, an dem er jemanden zwischen den Felsen bemerkt zu
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haben glaubte, fast erreicht. Er verharrte wieder und duckte sich hinter einen dicken Quaderstein. Plötzlich hörte er Stimmen. Leise zwar und wieder von dem Rauschen des Wasserfalles überlagert, aber doch noch deutlich genug, um den Klang und die Sprache zu erkennen. Es waren zwei Männer, die da murmelten. Sie unterhielten sich auf Spanisch. Dons, dachte Matt, also doch. Es konnte sich um Überlebende der „Trinidad“ handeln, die im Dickicht gelauert hatten und jetzt den Zeitpunkt für günstig hielten, ein bißchen Gold „abzustauben“. Eine andere Möglichkeit war, daß es Galgenvögel waren, die von den Kanonenschüssen angelockt worden waren und aus Batabano stammten. Wie auch immer - es handelte sich zweifelsohne um Spanier. Und die waren nicht aus purem Zufall hier oder hatten sich zwischen die Felsen verirrt. Matt kroch ein Stück weiter und rückte ihnen näher. Jetzt hörte er, wie der eine brummte: „Ich glaube, die Luft ist rein.“ „Sag das nicht zu früh“, murmelte der andere. „Hast du etwa Angst?“ „Ich doch nicht.“ „Dann los - weiter!“ zischte der erste Sprecher. Matt blieb in seiner Deckung und spähte durch eine Lücke zwischen zwei dicken, schroffen Felsen. Da sah er plötzlich die Kerle wie zum Greifen nah an sich vorbeikriechen: einen großen, kräftig gebauten Kerl und einen hageren. Sie robbten auf ihren Bäuchen nach oben. Sie bemerkten Matt Davies nicht. Matt grinste sich eins, dann duckte er sich wieder. Er wartete einige Atemzüge ab, setzte sich wieder in Bewegung und schlich, so schnell es ging, wieder nach oben. Dabei schlug er praktisch einen Bogen und umging die beiden Spanier, ohne daß sie ihn hören oder sehen konnten. Bevor Matt in dem Höhlenzugang verschwand, hielt er noch einmal aufmerksam Ausschau. Nein, noch waren die beiden Spanier nicht heran. Sie
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arbeiteten sich sehr langsam. voran und waren bemüht, sich so vorsichtig wie möglich zu verhalten. Es blieb also genug Zeit, die drei schlafenden Männer in den Höhlen zu alarmieren. Matt schlüpfte durch den Spalt ins Innere. Er hörte Carberrys gewaltiges Schnarchen und wunderte sich - wie sooft -, wie die beiden anderen es fertig brachten, bei diesem Konzert zu schlafen. Eine Mücke hatte sich in die Höhle verirrt. Sie setzte sich auf Carberrys Nase und senkte ihren Stachel in die Profoshaut, um ein wenig Blut zu saugen. Carberry spürte es und hieb mit der Hand auf die Nase. Die Mücke hob rechtzeitig wieder ab. Sie entkam. Carberry grunzte verärgert, denn er hatte kräftig zugehauen. Seine Nase tat ganz schön weh. Matt hockte sich neben ihn und berührte seine Schulter. „Ed“, sagte er gedämpft. „Wir kriegen Besuch.“ „Hä?“ Carberry schlug die Augen auf und stieß einen ellenlangen Fluch aus. Sir John war nicht da, sonst hätte er in diesem Moment wahrscheinlich auch geflucht. Carberry richtete sich ruckartig mit dem Oberkörper auf. Matt zog rechtzeitig seinen Kopf zurück, sonst wären sie mit ihren Schädeln zusammengeprallt. „Was ist los?“ fragte der Profos dumpf. „Besuch“, erwiderte Matt lakonisch. „Zwei Kerle.“ „Kerle?“ „Dons. Ein Großer, Breiter und ein Magerer.“ „Wie spät ist es?“ brummelte Carberry. „'ne halbe Stunde nach Mitternacht“, erwiderte Matt. „Also der 27. Mai, wenn du es genau wissen willst. Ich schlage vor, wir überlegen jetzt, was wir wegen der Dons unternehmen.“ „He“, raunte Sam Roskill. „Was habt ihr beiden eigentlich zu quatschen?“ Carberry erhob sich und erwiderte: „Dons. Sie sind im Anmarsch.“ „Wie viele?“ wollte Bill wissen, der ebenfalls aufgewacht war. „Zwei“, entgegnete Matt.
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„Ach, mit denen sind wir schnell fertig“, meinte Sam. „Dann legen wir uns wieder schlafen.“ „Mann, rede doch keinen Blödsinn“, sagte der Profos ärgerlich. „Wer weiß, wie viele sie noch hinter sich haben! Wir müssen sie lebend fassen und versuchen, Einzelheiten aus ihnen rauskriegen. Wie groß ihre Bande ist und so.“ „Ich schlage vor, wir stellen ihnen eine kleine Falle“, sagte Matt. „Ja“, sagte der Profos. „Und zwar hier drinnen.“ Er beugte sich zu den Kameraden hinunter und senkte seine Stimme. „Wir machen das folgendermaßen ...“ * Luiz und Pablo staunten nicht schlecht. Sie hatten den Spalt, der in die Schatzhöhlen führte, jetzt direkt vor sich. Er war nur noch fünf, sechs Yards entfernt. Die beiden kauerten hinter einem klotzigen Stein, der ihnen genug Deckung bot. Sie hatten beschlossen, hier erst mal abzuwarten und die Lage zu peilen. Doch es tat sich nichts. Kein Mensch zeigte sich. Wo waren die Korsaren, die sie am Abend zu den Höhlen hatten hinaufmarschieren sehen? „Da brat mir doch einer einen Affen“, murmelte Luiz. „Der Zugang ist tatsächlich unbesetzt.“ „Vielleicht sind die Posten wieder abgezogen worden“, raunte Pablo ihm zu. „Das glaubst du?“ „Könnte doch sein.“ „Na ja“, flüsterte Luiz. „Möglich schon. Aber es könnte auch eine Falle sein.“ „Falle? Für wen?“ Pablo kicherte leise. „Sie wissen doch gar nicht, daß wir kommen.“ Dieser Logik hatte Luiz nichts entgegenzuhalten. Es stimmte ja auch: Warum sollte der Gegner irgendeinen Hinterhalt legen, wenn er sich sicher fühlte? Es mußte wohl so sein, daß die Korsaren es letztlich für überflüssig gehalten hatten, bis zum Morgen bei den Höhlen zu wachen. Die Posten waren
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wieder abgezogen, was Luiz und Pablo allerdings nicht hatten beobachten können, weil sie sich ja im Anmarsch auf die Höhlen befunden hatten und ein ganzes Stück Weg durch den Urwald hatten zurücklegen müssen. Klar, die Wachen waren längst wieder an Bord der Schiffe. Sie lagen in ihren Kojen und pennten. Luiz stieß Pablo mit dem Ellenbogen an. Sie grinsten beide. Luiz rieb sich vor lauter Vorfreude die Hände. Pablo kicherte wieder. Nichts konnte sie mehr aufhalten. Sie schlichen bis zu dem Spalt, der in die Höhlen führte. Vorsichtig richteten sie sich auf. Auch jetzt geschah nichts. Luiz schob sich als erster in den Spalt und tastete sich voran. Pa blo folgte ihm. Es war stockfinster. Sie konnten sich vorläufig nur auf ihren Tastsinn verlassen. Luiz stieß mit der Schulter gegen einen vorspringenden Felsen. Das tat weh. Aber er verkniff sich einen Fluch. Wenn doch jemand in den Höhlen war, würde er den Fluch hören. Plötzlich stieß Luiz mit dem Fuß gegen etwas, daß sich wie ein Stück Holz anfühlte. Er bückte sich und hob es auf. Pablo prallte gegen ihn, und sie fielen beide hin. Jetzt fluchte Luiz doch, aber nur verhalten. „Bist du noch bei Trost?“ zischte er seinem Kumpan zu. „Ich seh' doch nichts!“ „Hier, ich hab' was gefunden“, brummte Luiz. „Das ist ein Kienspan. Los, wir zünden ihn an. Dann sehen wir wenigstens was.“ Sie hantierten eine Weile herum. Dann gelang es ihnen, den Kienspan mittels eines Feuersteins, den Luiz bei sich trug, und eines Stück Feuerstahls, das Pablo in der Tasche hatte, zu entfachen. Die Flamme zuckte auf und züngelte hoch. Sie entwickelte etwas blakenden, schwärzlichen Rauch, der kräuselnd zur Höhlendecke aufstieg. Luiz und Pablo waren beinah wie geblendet. Sie schauten sich um, stießen sich wieder an und pfiffen leise.
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„Da stehen sie“, murmelte Luiz. „Die Fässer“, sagte Pablo, und es klang andächtig. Gleich in der ersten Höhle, die sie betreten hatten, standen die Fässer, in denen sich, wie sie wußten, zumeist Perlen und Edelsteine befanden. Die beiden Kerle waren fasziniert. Jetzt brauchten sie nur noch zuzugreifen. Was weder Machado noch Gutierrez noch Cabral oder die anderen geschafft hatten, die jetzt allesamt tot waren, waren ihnen gelungen: Sie hatten den Schatz für sich. Voll Verachtung dachte Luiz an Felipe und Marco, die jetzt mit ihrem Unternehmen begannen. Man würde sie entdecken und auf sie schießen. Sie hatten überhaupt keine Chance, aber es war nicht schade um sie. Sie waren eben Idioten. Es geschah ihnen ganz recht, daß sie verreckten. Mehr noch - für Luiz und Pablo war es gut. Die Knallerei würde die Korsaren ablenken. Luiz und Pablo hatten Zeit genug, sich die Taschen voll zu stopfen und wieder zu verschwinden. Pablo entdeckte noch einen zweiten Kienspan und holte ihn sich. Er entzündete ihn an der Fackel seines Kumpans. Jetzt wurde es noch ein wenig heller in der Höhle. Luiz und Pablo blickten sich an, dann lachten sie. Das Lachen tönte durch die Höhlen und kehrte als schauriges Echo zu ihnen zurück. Aber ihnen war ganz und gar nicht unheimlich zumute. Ihr Triumph überwog alles. „Na, wie haben wir das gemacht?“ sagte Pablo. „Wie habe ich das gemacht“, korrigierte ihn der Schwarzbart. „Schließlich war es meine Idee.“ „Ja, stimmt“, erwiderte Pablo. „Also, du hast es rein hingekriegt. Gratuliere.“ Er dachte aber: Fühl du dich nur nicht zu stark, du Hurensohn. Wenn wir erst mal wieder draußen sind, kriegst du mein Messer in den Bauch. Dann reiß' ich mir auch deinen Anteil unter den Nagel. Luiz grinste. „Danke, danke. Aber los, laß uns jetzt anfangen. Wir wollen die Arbeit hinter Uns bringen.“
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Sie traten an die Fässer. „Da sind Perlen und Edelsteine drin“, sagte der Schwarzbart. „Scheiß auf das Gold. Die Klunker sind viel leichter zu transportieren.“ „Ja, richtig“, pflichtete Pablo ihm bei. „Und sie sind genauso viel wert wie Gold.“ „Klar“, sagte Luiz lachend. „Also - greif zu, Amigo!“ Beide traten sie zu einem Faß, dessen Deckel nur lose auflag. Luiz stand es natürlich zu, den Deckel hochzuheben und als erster einen Blick ins Innere zu werfen. Er fühlte sich ganz als der Anführer, der Kapitän. Überhaupt, wenn er jemals ein eigenes Schiff haben würde, würde er seine Crew schon zu führen wissen. Besser als Machado. Viel besser. Ja: in Batabano oder anderswo würde er sich ein feines Schiffchen kaufen. Davon hatte er schon immer geträumt. Aber Pablo würde nicht mit von der Partie sein. Pablo servierte er vorher ab. Ihn konnte er nicht gebrauchen. Als Decksmann auf dem neuen Schiff würde er doch nur stänkern und meutern. In dem Punkt war er kaum einen Deut besser als der Andalusier. Luiz packte den Faßdeckel mit beiden Händen und räumte ihn zur Seite. Seine Miene war von wilder Erregung gezeichnet, Verzückung und Gier verwandelten sie in eine Grimasse. Genau in diesem Augenblick glaubte er bereits mit beiden Händen in dem unvorstellbaren Reichtum und der glitzernden Pracht zu wühlen. Pablo zitterte vor Erwartung. Er konnte selbst kaum noch an sich halten. Schon glaubte er, die Perlen und Edelsteine klirren und rasseln zu hören. Doch für beide gab es eine böse Überraschung. Pablo, der inzwischen beide Kienspäne hielt, spähte Luiz über die Schulter und erstarrte plötzlich. Luiz ließ den Faßdeckel - massives Eichenholz - zu Boden fallen. Der Rand traf seinen rechten Fuß. Der Schwarzbart stöhnte auf.
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Doch der Zwischenfall mit dem Deckel war nicht das Schlimmste. Es sollte viel dicker kommen. Es rumorte in dem Faß und wurde höchst lebendig. Pablo konnte nur noch ein entsetztes Keuchen von sich geben - dann sah er ein Ungeheuer aus dem dickbauchigen Faß fahren. Oder war es ein Teufel? Ein Monster mit narbiger Fratze und gewaltigem Kinn, eine Ausgeburt der Hölle auf jeden Fall. Blitzartig wuchs das Ungeheuer über Luiz' Kopf hinaus, und eine Riesenfaust packte den Schwarzbart am Hals. Luiz war viel zu überrascht, um sich zu wehren. Pablo war stocksteif. Er nahm kaum wahr, was weiter geschah. Carberry, der „Geist“ aus dem Faß, packte auch Pablo. Dann knallte er die Köpfe der beiden Spanier zusammen, daß es krachte. Luiz und Pablo sanken zu Boden. O Gott, ich sterbe, dachte Luiz noch, Himmel, steh mir bei. Dann verlor er das Bewußtsein. Pablo dachte überhaupt nichts mehr. Er sah einen schwarzen Krater unter sich, und genau in diesen Krater stürzte er hinein. „Das war's“, sagte Carberry grinsend. „Die sind erst mal außer Gefecht gesetzt.“ Sam Roskill richtete sich hinter einem der Fässer auf. Er grinste ebenfalls breit. „Du hast sie ziemlich wüst zusammengedonnert, Ed“, sagte er. Matt Davies meinte: „Hoffentlich leben die Kerlchen noch.“ „Natürlich“, brummte der Profos. Er kletterte ganz aus dem Faß und betrachtete seine Opfer. „So hart, daß sie nicht gleich kaputtgehen, werden ihre Birnen ja wohl sein.“ Bill erschien auch hinter einem der Fässer. Er eilte zu den Bewußtlosen und hob die beiden Fackeln, die Pablo im Zusammenbrechen aus den Händen verloren hatte, vom Boden auf. Erstaunt zog Bill die Augenbrauen hoch. „Da, der hat was aus seiner Tasche verloren.“ Matt Davies trat neben Bill. „Sieht aus wie ein Schleifstein“, murmelte er. „Den kann ich gut gebrauchen.“ Er bückte sich und hob den Stein auf, mit dem Pablo die Messer gewetzt hatte. Nachdem
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Felipe, der Andalusier, seinen Dolch geschärft hatte, hatte er den Stein wieder an Pablo zurückgegeben. „Nicht schlecht“, urteilte Matt fachmännisch. „Halt jetzt keine Volksreden“, sagte Carberry. „Durchsucht die Kerle lieber.“ Sam, Bill und Matt unterzogen die Bewußtlosen einer gründlichen Leibesvisitation. Dabei förderten sie die Goldmünzen und die Messer zutage, die die Kerle bei sich trugen. „Das sind die einzigen Waffen, die sie haben?“ Carberry war erstaunt. „Ja, haben die sich dann wirklich eingebildet, sie könnten uns damit überwältigen?“ „Vielleicht lauern draußen noch mehr Kerle“, sagte Sam. „Wir sehen nach“, brummte der Profos. „Aber vorsichtig sein, Leute, damit wir nichts übergebraten kriegen. Vorher fesselt ihr die Rübenschweine aber.“ Taue lagen in einer Nebenhöhle schon bereit. Bill holte sie. Die beiden ohnmächtigen Spanier wurden von Matt, Sam und Bill sauber verschnürt. Wenn Luiz und Pablo das Bewußtsein wiedererlangten, konnten sie sich nicht rühren. „Was die für Beulen haben“, sagte Sam lachend. „Die hören überhaupt nicht auf zu schwellen!“ „Ich kann mir gut vorstellen, was die für Schädelbrummen haben, wenn sie wieder aufwachen“, meinte Matt. Carberry grinste. „Ja. Und den Alptraum von einem Faßteufel werden sie ihr Leben lang behalten.“ Er warf einen Blick auf das leere Faß. Sie hatten es wirklich gut platziert. Auf die beiden Eindringlinge hatte es wie eine Einladung gewirkt. Der Profos untersuchte die Gefangenen kurz und überzeugte sich, daß sie tatsächlich noch am Leben waren. Dann bedeutete er Bill, die Kienspane wieder zu löschen. „Bill“, sagte er. „Du hältst hier Wache. Wir anderen sehen draußen nach, was sich tut. Wenn wir wieder aufkreuzen, ist das Kennwort Arwenack, verstanden?“ „Ja, Arwenack“, antwortete Bill.
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„Wenn wer eindringt, der die Parole nicht kennt, brennst du ihm was auf den Pelz“, sagte der Profos grimmig. „Aye, Sir.“ Bill zückte im Dunkeln seine Pistole. Er hockte sich hin und legte die Pistole neben sich. Aber auch eine Muskete hatte er griffbereit. „Ausrücken“, sagte Carberry. „Aber aufpassen!“ Sam, Matt und der Profos verließen die Höhle 'durch den Spalt. Im Freien hielten sie mißtrauisch nach allen Seiten Ausschau. Der Wasserfall rauschte, das Geräusch erfüllte die Nacht. Nichts anderes, Verdächtiges, war zu vernehmen. Dennoch traute der Profos dem Braten nicht. Carberry gab seinen beiden Begleitern einen Wink. Sie hatten Musketen in den Fäusten. Ihre Pistolen steckten feuerbereit in ihren Gurten. Geduckt schwärmten sie aus, verschwanden zwischen den Felsen und forschten die nähere Umgebung ab. Überall konnten Spießgesellen der beiden Spanier lauern. Carberry rechnete fest damit, irgendeinem Kerl zu begegnen, der versuchte, ihn anzugreifen und zu überwältigen. Doch er irrte sich. Nichts geschah, alles blieb ruhig. Zwischen den Felsen lauerten keine weiteren Gegner. Matt und Sam wurden ebenfalls nicht fündig. Sie kletterten bis zum Fluß hinunter und suchten alles ab. Die Vereinbarung mit Carberry war, daß derjenige, der auf einen Feind stieß, in die Luft feuerte. Aber kein Schuß fiel. Nirgends zeigte sich eine fremde Gestalt. Carberry, Sam Roskill und Matt Davies kehrten zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Carberry fluchte leise. „Nichts? Hölle, die Sache stinkt.“ „Vielleicht hocken sie unten im Urwald“, meinte Matt. „Das wäre eine Möglichkeit“, sagte Sam. „Aber wir können sie nicht rauslocken.“ „Sie hätten versuchen können, über uns herzufallen“, äußerte der Profos. „Ihr beiden wart doch wie auf einem Präsentierteller für sie, wenn sie wirklich im Urwald hocken und beobachten.“
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„Vielleicht waren die beiden Kerle ja auch allein“, sagte Matt Davies. Carberry blickte ihn an. „Ist das dein Ernst? Daß sie es mit zwei Mann versucht haben? Die müssen ja lebensmüde sein. Oder sie haben den Verstand verloren.“ „Na ja, ganz dicht scheinen sie nicht zu sein“, sagte Sam. „Sie waren ganz irre vor Gier.“ „Das liegt am Gold und den Juwelen“, erwiderte Carberry. „Wir haben ja auch bei den anderen Dons der ‚Trinidad' gesehen, wohin das führt. Aber daß einem der normale, gesunde Menschenverstand ganz abgeht, das will mir nicht in den Kopf.“ „Laß man, Ed“, sagte. Matt. „Wir kriegen es schon noch heraus.“ „Aber gewiß“, sagte der Profos grimmig. „Ja“, sagte Sam. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als die beiden zu vernehmen. Anders kriegen wir ja doch nichts raus. Und es ist auch noch die Frage, ob für die Schiffe Gefahr besteht.“ „Wir müssen unseren Leuten auf jeden Fall Bericht erstatten“, sagte Carberry. „Los, sehen wir mal nach, wie es den Dons geht. Matt, du bleibst hier auf deinem Posten.“ „Aye, Sir“, entgegnete Matt. Carberry und Sam Roskill verschwanden in der Höhle. Carberry sagte „Arwenack“, und Bill, der bei den Spaniern Wache hielt, wußte Bescheid. „Ist draußen alles ruhig?“ erkundigte er sich. „Ja“, antwortete der Profos. „Trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, daß diese beiden Kerle nur eine Art Vorhut ihrer Bande sind.“ „Gleich wissen wir es“, meinte Sam. „Hat der eine nicht eben gestöhnt?“ „Richtig“, entgegnete Bill. „Er hat sich eben auch schon ein bißchen bewegt.“ „Welcher ist es?“ fragte Carberry. „Der Große.“ „Gut. Sam, zünde mal eine Fackel an. Ich will Licht haben, Wenn ich ihn mir vorknöpfe. Und nimm beiden die Fesseln ab.“ „Aye, Sir.“ Matt Davies konnte von draußen den rötlichgelben Schimmer sehen, der aus
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dem Eingang drang. Undeutlich hörte er die Stimmen seiner Kameraden. Was sich jetzt gleich abspielte, konnte er sich vorstellen. Ich möchte nicht in der Haut der beiden Dons stecken, dachte er. Dann widmete er sich seinem Eisenhaken. Sorgsam wetzte und schliff er mit dem Stein daran herum. Funktioniert ganz gut, dachte er. Das Geräusch, das dabei entstand, war auch nicht laut. Matt schaute aber immer wieder auf. Er war auf der Hut. Wenn sich noch jemand anschlich, entging er seiner Aufmerksamkeit nicht. Kommt nur, ihr Halunken, dachte er grimmig, wir bereiten euch einen feinen Empfang, wie sich das gehört. 5. Luiz hatte das Gefühl, durch die offene Luke -in den Laderaum der „Trinidad“ hinuntergestürzt zu sein. Oder aber er war mit voller Wucht gegen ein Schott gerannt. Sein Schädel schmerzte wie verrückt. Er dröhnte, und jemand schien ihn mit weiteren Hammerschlägen zu bearbeiten. Luiz war nicht in der Lage, klare Gedanken zu fassen. Pablo ging es nicht besser - eher noch schlechter. Er erlangte das Bewußtsein wieder, stöhnte und würgte. Die Übelkeit brachte ihn fast um, von den Schmerzen ganz zu schweigen. Alles war so schlimm, daß Pablo wieder die Besinnung verlor. „Nun seht euch den an“, sagte Carberry. „Nippen gleich wieder ab, diese Miesmuschel.“ Luiz hörte die grollende Stimme wie aus einiger Entfernung. Er vernahm auch das verhaltene Rauschen des Wasserfalles, wußte aber nicht, wie er es deuten sollte. Er hatte Schwierigkeiten, die Zusammenhänge zu erfassen. Er konnte sich an nichts erinnern. Wer war er, und was tat er hier? Wo steckte er eigentlich? „Na schön, den lassen wir liegen“, sagte Sam Roskill und deutete auf den erneut bewußtlosen Pablo. „Wir haben ja noch den anderen. Aus dem quetschen wir schon raus, was wir wissen wollen.“
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„Überlaß das ruhig mir“, sagte der Profos. „Aber gern doch“, meinte Sam fröhlich. Bill mußte unwillkürlich grinsen. Er hatte zwar ein bißchen Mitleid mit dem Spanier, aber das verging gleich wieder. Er brauchte sich nur vorzustellen, Was der Spanier mit ihnen getan hätte, wenn es ihm gelungen wäre, sie zu überrumpeln. Das Messer, das sie ihm abgenommen hatten, war sehr scharf. Carberry griff sich den Kienspan und setzte sich vor Luiz hin. Luiz lag röchelnd und stöhnend am Boden. Er griff an die Stirn und betastete die gewaltige Beule, schien aber nicht zu begreifen, woher sie rührte. Luiz verstand auch nicht, was diese Männer, die sich bei ihm zu befinden schienen, in ihrer seltsamen Sprache sagten. Wer waren sie? War er in der Hölle gelandet, im Fegefeuer? „Sieh mal her, du Schnarchsack“, sagte Carberry in seinem allerschönsten Spanisch zu Luiz. Der Schwarzbart öffnete vorsichtig die Augen. Alles schien sich um ihn herum zu drehen. Wieso konnte dieser Mensch mit der dröhnenden Stimme plötzlich Spanisch? Carberry hielt den Kienspan neben sein Gesicht. Das zuckende Licht brachte seine Narben richtig zur Geltung. Er sah wirklich zum Fürchten aus. Luiz blickte wie durch einen roten Schleier zu Carberry hoch - und stieß einen gurgelnden Laut aus. „Ich bin's“, sagte der Profos. „Der Teufel aus dem Faß.“ „Nein!“ würgte Luiz hervor. „Ich bin es aber doch“, sagte Carberry. „Hau ab!“ stöhnte Luiz. „Das könnte dir so passen“, sagte der Profos. „Aber jetzt raus mit der Sprache. Wer bist du?“ „Ich sag' nichts!“ „Du wirst reden“, sagte der Profos. „Und wie du reden Wirst.“ Er sah zu Sam und Bill. „Wie spät oder wie früh ist es eigentlich?“ „Es geht auf drei zu“, erwiderte Bill nach einem Blick auf die Sanduhr.
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„Um drei wissen wir alles“, verkündete der Profos düster. Er rückte noch etwas näher auf den Schwarzbart zu, entblößte seine Zähne, beugte sich über ihn und senkte den Kienspan ein wenig. „Du willst mir deinen Namen wirklich nicht verraten?“ Luiz sah sein Ende nahen. Auf jeden Fall war das, was ihm drohte, mit noch größeren Schmerzen verbunden, dessen war er sicher. Was brachte es ihm ein, wenn er heldenhaft seinen Namen verschwieg? Nichts. Nur Qualen. Dieses Ungeheuer von einem Kerl über ihm, der Faßteufel, der nur ein Bruder des Leibhaftigen sein konnte, würde ihn, Luiz, dem peinlichen Verhör unterziehen. Mit glühenden Zangen würde er ihn zwicken. Und was bedeutete es schon, wenn er ihm sagte, wie er hieß? Carberry hätte sich niemals an dem wehrlosen Spanier vergriffen. Aber wie der Profos es mit dem Prinzip der Fairneß und Menschlichkeit hielt, konnte ein Kerl wie Luiz natürlich nicht ahnen. Er maß jeden Gegner an sich selbst und seinesgleichen. Kerle wie die von der „Trinidad“ waren skrupellose Strolche, die weder Anstand noch Moral kannten. „Luiz“, sagte der Schwarzbart. „Luiz“, wiederholte Carberry grollend. „Luiz - und weiter?“ „Einfach Luiz.“ Der Profos bewegte drohend die Fackel. „Wenn du lügst, wird deine Nase lang und länger, und ich schneide sie dir ab.“ „Pablo kann's bezeugen!“ stieß Luiz hervor. Bei jedem Wort dröhnte es in seinem Schädel. „Alle haben mich immer nur Luiz genannt, und ich selbst kann mich nicht erinnern, jemals einen Nachnamen gehabt zu haben!“ „Wer ist Pablo?“ fragte der Profos. „Mein Kumpan hier neben mir“, antwortete Luiz. „Also gut, Luiz“, sagte Carberry. „Nun mal weiter. Woher kommst du?“ „Aus dem Urwald.“ „Ach? Für einen, der im Urwald haust, siehst du aber noch ganz schön zivilisiert aus.“
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Luiz befeuchtete die spröde gewordenen Lippen mit der Zungenspitze. „Ich meine wir haben da eine Weile zugebracht.“ „Wir? Wer?“ „Pablo und ich.“ „Von welchem Schiff seid ihr?“ fragte Carberry. Sein Gesicht war zu einer wilden Fratze verzerrt, seine Augen funkelten scheinbar mordlustig. Luiz zuckte zusammen. Das Zucken brachte ihm eine neue Schmerzwelle ein. Er stöhnte und wand sich. Dann aber sagte er: „Von der ,Trinidad`.“ „So. Ihr seid also Machados Kerle.“ „Wir sind geflohen.“ „Als - die ,San Sebastian' auf die ‚Trinidad' feuerte und Machado sich mit sechzehn Kerlen absetzte?“ bohrte Carberry weiter. „Ja. Es hatten nicht alle im Boot Platz“, erwiderte Luiz. „Pablo und ich schwammen an Land.“ „Einfach so?“ „Machado sagte, wir könnten ruhig abhauen.“ Carberry wies die Goldmünzen vor, die sie den beiden Spaniern abgenommen hatten. „Aber die Taschen habt ihr euch vorher noch vollgestopft, was, wie?“ „Ja.“ „Es wundert mich, daß die Haie euch nicht geschnappt haben“, sagte der Profos. „Einige von uns haben sie erwischt“, erklärte Luiz gepreßt. „Aber Pablo und ich sind auf einer Gräting an Land gepaddelt.“ „Auf einer Gräting, so, so“, brummte Carberry. „Ich glaube nicht, daß die beiden die einzigen Überlebenden sind“, meldete sich nun Sam Roskill zu Wort. „Ich auch nicht“, sagte Bill. „Sie haben bestimmt noch mehr Komplicen. Er will es nur nicht zugeben.“ Luiz verstand nicht, was Sam und Bill auf Englisch sagten. Aber er spürte, daß es für ihn nichts Vorteilhaftes war. Im übrigen verzerrte sich das Gesicht des FaßMonstrums wieder derart furchterregend, daß den Schwarzbart erneut das kalte Grausen packte. „Wo sind die anderen?“ fragte Carberry drohend.
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„Welche anderen?“ stöhnte Luiz. Pablo hatte unterdessen das Bewußtsein wiedererlangt. Die Übelkeit schien ihn noch einmal zu übermannen, aber er bezwang sie. Sein Schädel wollte platzen, so jedenfalls fühlte es sich an. Doch auch dagegen kämpfte Pablo an. Trotz seiner Statur - oder vielleicht gerade deswegen hatte er doch ein wenig mehr Widerstandskraft als der größere Luiz. Sofort reifte in dem häßlichen Mann ein Plan zur Flucht. Er rührte sich nicht, sondern beobachtete nur aus schmalen Augen. Noch hatten die Gegner offenbar nicht bemerkt, daß er wieder bei Sinnen war. Ihr Augenmerk richtete sich auf Luiz. Pablo konnte sich nicht erinnern, jemals einen grausigeren Kerl gesehen zu haben als diesen Narbenmann, der statt der Perlen und Edelsteine in dem Faß gesteckt hatte. Ein Scheusal! Cabral, der Decksälteste der „Trinidad“, hätte neben ihm harmlos gewirkt. Der Narbenkerl hatte sich über Luiz gebeugt und schien offensichtlich vorzuhaben, den Schwarzbart mit dem Kienspan zu traktieren. Pablo überlief es abwechselnd heiß und kalt. Wenn Luiz standhielt und nichts über Marco und Felipe verriet, würde sich dieses Ungeheuer an ihn wenden. Daß er die Tortur nicht lange durchhalten würde, wußte Pablo genau. Er war ein Galgenstrick, aber keiner von der ganz hartgesottenen Sorte. Während Luiz unter den Fragen des Narbigen stöhnte und stammelte, spürte Pablo die Lebenskräfte halbwegs zurückkehren. Er spähte zu den beiden anderen Kerlen. Einer war dunkelhaarig, der andere schien noch ziemlich jung zu sein. Korsaren - der Teufel sollte sie holen! Der Andalusier hatte doch recht gehabt. Die Hunde waren nicht auf den Kopf gefallen. Und sie waren auf der Hut. In Gedanken vollzog Pablo nach, was sich abgespielt haben mußte. Vor der Höhle hatte sich ein Wachtposten der Korsaren befunden, der - wußte der Henker wie - etwas vom Nahen der beiden Spanier bemerkt hatte. Dieser Kerl hatte
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seine in der Höhle schlafenden Kameraden alarmiert, und gemeinsam hatten sie Luiz und Pablo einen Hinterhalt gelegt. Und was für eine Art von Hinterhalt! Auf die gemeinste Art hatten sie die beiden Eindringlinge hinters Licht geführt. Pablo schwor ihnen innerlich bittere Rache. Wie er bewerkstelligen sollte, sich an den Gegnern zu rächen, wußte er allerdings selbst nicht. Und er verkannte auch, daß Luiz und er es ja gewesen waren, die die anderen praktisch herausgefordert hatten. Welche Rolle spielte das auch schon? Eins aber ging Pablo auf. Die Vergeltung hatte zu warten. Vordringlich war etwas anderes: sich aus dieser Höhle, der Stätte des Grauens, abzusetzen. Den Kampf mit den drei Korsaren konnte er allein nicht bestehen. Im Übrigen hatte man Luiz und ihm die Messer abgenommen. Pablo sah, wie der eine - der Jüngste - sie in den Händen hielt. Und auch die Goldmünzen, die der Schwarzbart und der Häßliche von der „Trinidad“ mitgenommen hatten, waren dem Gegner in die Hände gefallen. Der Narbenwüstling klimperte gerade damit herum. Ein Hohn war das. Es gab nur eine Möglichkeit: Flucht. Pablo wußte, daß er die Gelegenheit nutzen mußte. Noch waren die drei Kerle abgelenkt. Noch konnte er es schaffen. Er würde die Felsen hinunterrasen und sich in den Urwald stürzen. Dort würden sie ihn so leicht nicht wiederfinden. Er kannte sich dort inzwischen recht gut aus und vermochte sich besser zu orientieren als beispielsweise Luiz. Also hatte er gute Chancen, die Kerle abzuhängen und sich vor ihnen zu verstecken. „Du Stinkstiefel“, sagte der Profos gerade zu Luiz. „Versuche nicht, mich hinzuhalten! Ich weiß, daß du noch andere Verbündete hast! Heraus mit der Sprache wo sind sie?“ „Ich weiß von nichts“, entgegnete Luiz schwach. Er blickte aus unnatürlich geweiteten Augen auf die Fackel. „Du wirst es noch bereuen, gelogen zu haben!“ dröhnte Carberrys Stimme in der Höhle.
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„Nein!“ schrie Luiz. „Haltet ihn fest!“ brüllte der Profos. Die Kerle – Sam Roskill und Bill – trafen Anstalten, sich auf den Schwarzbart zu stürzen. Pablo wägte für den Bruchteil eines Augenblickes ab, ob er dem in Bedrängnis geratenen Kumpan beistehen solle. Aber hätte Luiz das auch für ihn getan? Keineswegs - jeder war sich selbst der Nächste. Luiz sollte zusehen, wie er sich aus der Klemme half. Pablo warf sich herum, sprang auf und rannte im Schein des Kienspans zum Höhlenausgang. Sein Schädel schmerzte zwar höllisch, und er drohte in den Knien zusammenzubrechen, aber er schaffte es. Er erreichte den Spalt und schlüpfte ins Freie. „Haltet ihn!“ brüllte hinter seinem Rücken Carberry. Sam und Bill nahmen die Verfolgung des Häßlichen auf. Aber sie brauchten sich nicht sonderlich zu beeilen. Pablos Kalkül ging deswegen nicht auf, weil er einen fatalen Fehler beging. Er nahm fest an, es mit nur drei Gegnern zu tun zu haben. Er vergaß den vierten mußte ihn vergessen, weil er von dessen Existenz nichts ahnte. Jener aber hatte draußen alles mit anhören können, und er handelte dementsprechend. Als Pablo ins Freie taumelte, prallte er unverhofft mit diesem Gegner zusammen: mit Matt Davies. * Als im inneren der Höhle das Geschrei losgegangen war, hatte Matt sich seufzend von dem Stein erhoben, auf dem er Platz genommen hatte. „Na“, brummte er. „Dann wollen wir mal.“ „Haltet ihn!“ Carberrys Ruf war für Matt Befehl. Matt konnte sich schon vorstellen, was passiert war: Während sich der Profos mit dem einen Kerl „unterhielt“, kniff der andere aus. Aber durfte man diesen wertvollen Gefangenen verlieren? Nein, auf keinen Fall. Es wäre ja auch eine unbeschreibliche Blamage gewesen, wenn den Männern der
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„Isabella“ dieser Don durch die Lappen gegangen wäre. Matt nahm also ganz gemächlich vor dem Höhlenzugang Aufstellung. Schon stolperte der Entlaufene auf ihn zu. Matt reckte seinen Bauch ein wenig vor - und Pablo prallte dagegen. Matts Bauch war hart wie Eisen. Pablo wurde zurückgeworfen und knallte mit dem Rücken gegen die Felswand. Dabei stieß er sich auch noch seinen ohnehin schon lädierten Kopf. Entsprechend kläglich fiel der Laut aus, den er von sich gab. „Au-au!“ jammerte er. Matt packte ihn und zog ihn zu sich heran. Plötzlich blitzte der Eisenhaken ganz dicht vor Pablos häßlichem Gesicht. „Hör mal!“ zischte Matt. „Soll ich damit deine Visage noch ein bißchen mehr verwüsten, du Stinkfisch?“ „N-nein“, keuchte Pablo, aber mehr kriegte er nicht heraus. Ihm war ganz schwindlig, und die wilden Schmerzen zwangen ihn in die Knie. Er sank an der Felswand zu Boden. „Achtung“, sagte Sam. Er stand in der Höhlenöffnung. „Hier bin ich.“ „Schon?“ fragte Matt. „Ging ja blitzschnell.“ „Wir wissen doch, daß du auf der Hut bist“, erwiderte Sam. „Alles in Ordnung?“ brüllte Carberry. „Aye, Sir“, entgegnete Matt und bückte sich nach dem Spanier. Der war schon wieder ohnmächtig geworden. Er umklammerte Matts Bein mit beiden Händen wie ein Ertrinkender, der sich in der Sturmsee an einem Balkenrest festhält. „Pack mal mit an“, sagte Matt. Er griff Pablo unter die Achselhöhlen. Sam nahm die Beine des Kerls. Bill wurde nicht gebraucht, er durfte sich gleich wieder zurückziehen. Matt und Sam schleppten den Bewußtlosen in die Höhle. Entsetzt blickte Luiz zu den Männern. Und sofort war da wieder die furchtbare Stimme des Profos, die ihm in den Ohren dröhnte. „Siehst du? So ergeht es allen, die sich gegen uns auflehnen.“ „Ist er - tot?“ flüsterte Luiz. „Er sieht ziemlich tot aus“, sagte Carberry.
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„Na, ich schätze, er ist mehr tot als lebendig“, erklärte Sam Roskill. „So, wie Matt ihm zugesetzt hat.“ Sie sprachen Spanisch, damit Luiz auch alles verstand und entsprechend eingeschüchtert wurde. Luiz schlotterte bereits am ganzen Leib. Ihm wurde immer unwohler zumute. Er schwitzte wie verrückt. Was ihm zusätzlich verunsicherte, war auch der Anblick von Matt Davies' Eisenhakenprothese, die sehr spitz und scharf aussah. Matt und Sam ließen Pablo zu Boden sinken. Schlaff sank der Kerl in sich zusammen. Es schien wirklich kein Fünkchen Leben mehr in ihm zu stecken. „Fertig“, sagte Matt einfach. „Ich kann dann ja wieder gehen, nicht wahr?“ „Moment mal“, sagte Carberry. „Dieser Hurensohn hier will nicht so recht mit der Sprache raus. Ich brauche mal diesen Schleifstein. Du hast ihn doch, oder?“ „Ja.“ „Gib ihn her.“ „Ich habe damit meinen Haken geschliffen“, erklärte Matt, als ob das besonders wichtig sei. Ihm ging es jedoch nur darum, den schwarzbärtigen Spanier noch ein wenig mehr unter Druck zu setzen. „Was schert mich das?“ sagte der Profos unwirsch. „Her mit dem Ding!“ Matt händigte ihm den Wetzstein aus. Carberry grinste wild, ließ sich von Bill eins der erbeuteten Messer geben und begann es angelegentlich zu schleifen. Hin und her glitt die Klinge. Das scharfe, schabende Geräusch peinigte Luiz. „So“, sagte der Profos. „Ich frage jetzt zum letzten Male. Wo sind die anderen?“ „Heilige Mutter Gottes, steh mir bei!“ flehte Luiz. „Falsch“, sagte Sam Roskill. „Ganz falsch. Daß du ausgerechnet jetzt fromm wirst und deine Sünden bereust, du Schnarchhahn, bringt dir nichts mehr ein. Entweder packst du aus, oder du bist geliefert.“ „Nein!“ keuchte Luiz. „Was ist, wenn ich rede?“ „Dann bleibst du am Leben“, erwiderte Carberry.
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„Wer garantiert mir dafür?“ „Keiner“, erwiderte der Profos gleichmütig. „Du kannst uns höchstens glauben, daß wir Wort halten.“` Er legte den Stein weg und hielt Luiz die Messerspitze an die Gurgel. „Schluß mit dem Palaver. Ich zähle bis drei, dann probiere ich an dir aus, ob das Messer scharf genug ist.“ „Zwei Mann!“ heulte Luiz. „Marco und Felipe!“ „Wo sind sie?“ fragte Carberry. „Unten. Im Urwald. Wollen - den Kahn entern!“ Luiz würgte es hervor. Alles flirrte vor seinen Augen. Er hätte sich gern übergeben, aber nicht einmal das wurde ihm gewährt. Die Schmerzen und die entsetzliche Übelkeit blieben. Sein Magen schien auf und ab zu wandern., „Welchen Kahn?“ brüllte der Profos. „Die ‚Trinidad'!“ „Wann?“ „Jetzt. Heute nacht“, wimmerte Luiz. „Sie gehören zu euch?“ „Sie waren wie wir auf der ,Trinidad', erwiderte Luis. „Und wie. viele Rübenschweine kriechen noch im Gelände herum?“ wollte der Profos wissen. „Keine mehr!“ „Das glaube ich nicht!“ „Ich schwöre es!“ keuchte Luiz. „Bei allem, was mir heilig ist! Es ist die Wahrheit!“ „Dem Kerl ist doch nichts heilig“, sagte Bill mit geringschätziger Miene. „Und du lügst“, sagte Sam Roskill. „Nein, nein!“ jammerte Luiz. „Es gibt noch eine Möglichkeit, es zu überprüfen“, sagte der Profos. „Matt, hol mal einen Kübel Wasser.“ Matt schnappte sich einen Holzkübel und verließ die Höhle. Er kehrte zu seinen Kameraden und den beiden Gefangenen zurück und blickte Carberry abwartend an. Der Profos nickte ihm zu. Matt Davies klatschte das Naß, das er vom Wasserfall geschöpft hatte, dem bewußtlosen Pablo voll ins Gesicht. Die kalte Dusche bewirkte ein wahres Wunder. Pablo wurde zum Leben erweckt.
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Pablo hatte sich nie gewünscht, zu sterben. Er hing am Leben. Jetzt aber, als er in das infernalisch grinsende Gesicht des Profos' blickte, sehnte er den Tod herbei. Im Gegensatz zu dem, was ihm von diesem Monstrum blühte, war das Sterben etwas Schönes, Begehrenswertes. „Du wirst reden“, sagte Carberry. „Was - was willst du wissen?“ fragte Pablo mit gequetscht klingender Stimme. „Alles. Deinen Namen.” „Heiße – Pablo.“ „Einfach nur Pablo?“ „Pablo Lancares. Aber das weiß keiner außer mir.“ „Und dein Kumpan?“ fragte Carberry. „Luiz. Wir wollten euch beklauen, das geb' ich zu“, sagte Pablo hastig. Die Worte kamen jetzt immer schneller über seine Lippen, und die schlimmsten Schmerzen schienen verflogen zu sein. Die Worte verlängerten das Leben. Je mehr man sprach, desto größer schienen die Chancen zu sein, der Folter des Schrecklichen zu entgehen. Nur mußte das, was man sagte, natürlich Hand und Fuß haben. „Wie schön, daß du beichtest“, sagte Carberry. „Weiter. Wo stecken eure Spießgesellen? Wie viele sind es?“ Pablo blickte an Carberry vorbei zu Luiz. Luiz stöhnte und schloß die Augen. Pablo wertete es falsch. Er kniff die Lippen zusammen. Wenn Luiz nicht auspackte, wollte auch er ,- nicht der Schweinehund sein, der die anderen verpfiff! Soviel Lumpenehre hatte man doch schließlich noch! Carberry schüttelte den Kopf. „Jetzt begehst du einen Fehler, Pablo, Sam!“ „Sir?“ „Gib mal die Fackel und ein Messer rüber.“ Sam Roskill tat, wie ihm geheißen. Carberry hielt die Messerklinge in die Flamme des Kienspans. Die Klinge wurde heiß und begann, sich bläulich zu verfärben.
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„Marco und Felipe“, sagte Pablo hastig. „Das sind die einzigen, die von der ‚Trinidad' noch entkommen sind. Marco ist aus Murcia. Ein alter Knochen. Felipe ist ein Andalusier.“ „Hitzig, was?“ fragte Bill. Pablo legte auch das falsch aus. „Tut mir nichts“, stammelte er. „Ich - ich sage doch die Wahrheit.“ Er hielt seinen Blick starr auf das heiße Messer gerichtet. „Wir verstehen uns falsch“, sagte Carberry. „Der Andalusier ist hitzig, meint mein Kamerad.“ „Ja, das ist er.“ „Und er kann gut mit dem Messer umgehen?“ fragte Sam. „Ja, auch das“, erwiderte Pablo. „Wo ist dieser Hundesohn von einem Andalusier jetzt?“ erkundigte sich der Profos. „Und Marco?“ „Beide wollen die ‚Trinidad' entern“, erwiderte Pablo. „Luiz wollte, daß wir vier zusammen in die Höhlen vordringen. Marco und Felipe wollten davon nichts wissen.“ „Vielleicht hatten Marco und Felipe gar nicht so unrecht“, meinte Matt Davies. Carberry schaute zu Matt auf. „Du gehst mir aufs Gemüt. Verhol' dich nach draußen und halte Wache, wie sich das gehört, klar?“ „Klar, Sir“, erwiderte Matt. „Aber wer sagt unseren Ankerwachen Bescheid?“ „Bill“, sagte der Profos. „Schieb ab, Bill. Und beeil dich. Ich hoffe, du schaffst es noch rechtzeitig.“ „Aye, Sir.“ Bill verließ die Höhlen und kletterte in den Felsen nach unten. Er rannte durch das Dickicht zum Strand der Bucht und steuerte auf eine der bereitliegenden Jollen zu. Carberry legte das glühende Messer wieder weg und grinste seine Gefangenen an. „Gut“, erklärte er. „Ihr scheint wirklich die Wahrheit gesagt zu haben. Sollte sich dennoch das Gegenteil herausstellen, seid ihr dran.“ „Es stimmt alles“, versicherte Pablo. „Wir haben alles so berichtet. wie es war“, sagte auch Luiz. „Können wir jetzt abhauen?“
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„Abhauen?“ fragte Carberry verblüfft. „Wohin denn?“ „Einfach weg“, antwortete Luiz. „Du hast es uns doch versprochen“ „Ich? Nein.“ „Ihr Knallköpfe“, sagte Sam Roskill. „Unser Profos hat euch versprochen, daß ihr am Leben bleibt. Leben und Freiheit sind zwei verschiedene Sachen.“ „Was sollen wir tun?“ fragte Pablo. „Ha!“ stieß Carberry hervor, und die beiden Spanier zuckten zusammen, als habe er mit der Neunschwänzigen auf sie eingeschlagen. „Das war endlich mal die richtige Frage! Ich habe Arbeit für euch!“ „Arbeit?“ flüsterte Luiz. Er hatte ja geahnt, daß dieser Kerl sie irgendwie hereinlegte. Er ließ sie am Leben, aber er nutzte sie jetzt als Sklaven aus. „Hopp, hopp“, sagte Carberry. Er war jetzt so richtig munter. „Auf, ihr müden Knochen. Wird's bald?“ Luiz erhob sich langsam. Pablo folgte seinem Beispiel, sackte aber wieder auf die Knie. Eine Riesenlast schien auf seinen Kopf zu drücken. „Ich bin krank“, stöhnte er und betastete seine Beule. „Krank?“ brüllte Carberry. „Du wirst krank, wenn ich dir Beine mache? Wetten?“ Er griff an den Gurt und packte die Neunschwänzige. Drohend rollte er sie auseinander. Mit Luiz und Pablo ging eine Verwandlung vor. Sie waren ganz gesund und spürten kaum noch ihre Kopfschmerzen. Bereitwillig rappelten sie sich auf und sahen sich nach Arbeit um. Wo gab es was zu tun? Carberry deutete auf die Fässer. „Raus damit. Und weiter geht's mit den Kisten und Truhen. Das Zeug wird am Ausgang gestapelt, verstanden?“ „Jawohl“, sagten Lutz und Pablo. Sie griffen zu und wuchteten das erste Perlenfaß ins Freie. Dabei tauschten sie einen Blick. Das hatten sie nun davon. Welcher Teufel hatte sie bloß geritten, hierherzuschleichen und sich einzubilden, auf die schnelle, mühelose Weise reich zu werden? Ihre Goldmünzen waren sie jetzt auch noch los, und sie waren beide arm
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wie die Kirchenmäuse. Obendrein mußten sie Zwangsarbeit verrichten und waren diesem Ungeheuer ausgeliefert, der sie mit seinen Flüchen und Befehlen antrieb. Wäre ich doch nach Batabano gegangen, dachte Luiz. Hätte ich doch bloß nicht mitgemacht, dachte Pablo. Aber es war zu spät. Was geschehen war, ließ sich nicht mehr ändern. Sie waren gefangen und saßen in der Falle. Sie konnten nur eins tun: schuften wie die Besessenen, damit der Teufel aus dem Faß sie nicht auch noch mit der Neunschwänzigen streichelte! 6. Bill bewegte sich schnell und gewandt. Er schob die Jolle neben dem Ende der FerrisTucker-Rutsche ins Wasser, kletterte hinein und griff nach den Riemen. Er legte sie in die Rundseln, nahm auf der Ducht Platz und begann zügig zu. pullen. Das Boot glitt durch das Wasser. Leise tauchten die Blätter der Riemen ein, hoben sich aus dem Wasser, senkten sich wieder. Die „Trinidad“ lag dem Ufer am nächsten, die „Isabella“, die „Caribian Queen“ und die „Le Griffon“ ankerten etwas weiter entfernt. Bill steuerte mit der Jolle auf das Heck der spanischen Galeone zu. Dan O'Flynn - bekanntlich der Mann mit den schärfsten Augen - war der erste, der das Boot im Dunkeln bemerkte. Er stand auf dem Achterdeck der „Trinidad“ und hielt aufmerksam nach allen Seiten Ausschau. Die Umrisse der Jolle tauchten aus der Dunkelheit auf. Sofort erkannte Dan auch, wer auf der Ducht saß. Dan gab Stenmark, der auf der Kuhl seine Runde drehte, ein Zeichen. Der Schwede trat näher. Dan war über ihm an der Querbalustrade des Achterdecks und sagte: „Bill kommt mit der Jolle. Vielleicht hat er uns irgendwas ZU melden.“ Auch Gary Andrews und Higgy waren aufmerksam geworden. Gary befand sich im vorderen Bereich der Kuhl. Higgy, der Ire, hielt auf der Back Wache. Sie wandten
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die Köpfe und blickten zu Dan und Steinmark. Gary hatte gehört, was Dan leise gesagt hatte. Er sah zu Higgins auf. „Bill besucht uns. Mal sehen, was das zu bedeuten hat.“ Kurz darauf schob sich die Jolle an der Backbordseite der Galeone längsseits. Bill enterte an der Jakobsleiter auf und kletterte auf die Kuhl, wo er bereits von Dan, Gary, Stenmark und Higgy erwartet wurde. „Was gibt's?“ fragte Dan. „Zwei Kerle haben versucht, uns zu überfallen“, berichtete Bill. „Matt hat sie rechtzeitig gesehen. Wir haben ihnen in der Höhle einen kleinen Hinterhalt gelegt.“ Unwillkürlich mußte er jetzt grinsen. Er erzählte, wie Carberry als Faßteufel für „Klarschiff“ gesorgt hatte. Dan und Stenmark grinsten ebenfalls. Higgy und Gary lachten leise. „Typisch Ed“, sagte Dan. „Sind die Kerle Spanier?“ „Waschechte Dons“, entgegnete Bill. „Von der „Trinidad`.“ „Alles klar“, sagte Stenmark. „Sie sind die Kerle, die abgehauen sind, als sich auch Machado mit seiner Meute absetzte. Gibt es noch mehr von denen?“ „Ja, und deswegen bin ich hier“, antwortete Bill. „Die beiden Kerle, die wir gefangen genommen haben, heißen Luiz und Pablo. Sie haben übereinstimmend erklärt, daß noch zwei andere im Gebüsch herumkrauchen. Marco und Felipe. Felipe ist ein Andalusier, er kann besonders gut mit dem Messer umgehen.“ Higgy sagte: „Na und? Vielleicht haben wir in der Kombüse Arbeit für ihn.“ „Die beiden wollen die ‚Trinidad' entern“, berichtete Bill weiter. „Ich soll euch warnen.“ „Bislang hat sich noch keiner blicken lassen“, meinte Stenmark. „Vielleicht haben sich die Strolche das anders überlegt“, sagte Gary Andrews. „Oder sie warten noch ab“, sagte Dan. „Gut, Bill. Danke für den Hinweis. Wir werden sie schon gebührend empfangen, wenn sie hier aufkreuzen.“ „Hoffentlich haben sie dich nicht gesehen“, sagte Higgy zu Bill.
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„Oder es ist gut, wenn sie mich sehen“, sagte Bill. „Dann ahnen sie, daß Luiz und Pablo in eine Falle gelaufen sind und ich euch gewarnt habe. Ein Grund, von dem Entermanöver abzusehen.“ „Wenn sie klug wären, würden sie das gar nicht erst versuchen“, sagte Gary. „Aber die Gier nach dem Gold macht sie blind. Ich schätze doch, daß sie es versuchen werden.“ „Soll ich hier bleiben?“ fragte Bill. „Nein“, erwiderte Dan. „Du kehrst zu den Höhlen zurück. Aber paß auf, wenn du an Land gehst.“ „Wegen der Dons?“ Bill grinste hart und klopfte mit der Hand gegen den Kolben der Radschloßpistole, die in seinem Gurt steckte. „Die würden sich wundern. Ich verkaufe meine Haut so teuer wie möglich. Und sie haben als Waffen nur Messer.“ „Vorsicht vor Felipe“, warnte Stenmark. „Ich kann schon auf mich aufpassen“, sagte Bill. Wenig später pullte er zurück an Land. Er legte an, stieg aus und zog das Boot auf den Strand. Mißtrauisch blickte er sich nach allen Seiten um. Doch es zeigte sich niemand. Bill schlüpfte ins Dickicht und lief zu den Höhlen. Er zog vorsichtshalber die Pistole und bewegte sich geduckt voran. Aber wieder geschah nichts. Keiner versuchte, ihn aufzuhalten oder gefangen zu nehmen. Es wäre vielleicht eine gute Gelegenheit für Marco und Felipe gewesen, eine Geisel zu schnappen, um sie als Faustpfand zu benutzen. Aber an Bill hätten sie sich die Zähne ausgebissen. Er nahm es mit zwei Gegnern auf. Wenn es sein mußte, auch mit dreien. Bin stieg in den Felsen auf. Als er Matt Davies, den Wachtposten, fast erreicht hatte, sagte er „Arwenack“. Durch das Rauschen des Wasserfalles war es deutlich genug zu hören. Matt richtete sich grinsend zwischen den Felsen auf. „Arwenack! Alles klar, Bill?“ „Ich habe Dan und die anderen gewarnt. Noch hat sich auf der ‚Trinidad' nichts getan.“ Bill blieb stehen und blickte zu Luiz und Pablo, die im Schweiße ihres
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Angesichts schufteten. Sie hatten schon einige Fässer und Kisten nach draußen transportiert und aufgestapelt. Eben waren sie dabei, eine gewichtige Truhe durch den Spalt ins Freie zu schleppen. Sie stöhnten und keuchten, und ihre Beulen schienen vor lauter Anstrengung noch ein bißchen mehr angeschwollen zu sein. „Dalli“, sagte der Profos. „Haut rein, ihr Würstchen, oder ich reiße euch die Haut in Streifen von euren verdammten Affenärschen.“ Carberry trat hinter ihnen aus der Höhle, blieb stehen und sah Bill an. „Hat es geklappt?“ „Ja“, erwiderte Bill. „Die ‚Trinidad' ist noch nicht angegriffen worden.“ „Um so besser.“ „Dan und die anderen wollen den Dons einen heißen Empfang bereiten.“ „Na, dann haben sie ja auch ihren Zeitvertreib“, sagte der Profos. „Wißt ihr, irgendwie bin ich doch froh, daß die Dons erschienen sind. Es wäre sonst eine verflucht langweilige Nacht geworden. Und ein paar Arbeitskräfte können wir gut gebrauchen.“ Carberry, Matt Davies, Sam Roskill und Bill lachten. Luiz und Pablo verstanden nicht, was sie auf Englisch sagten. Aber sie begriffen, daß man über sie lachte. Auch das noch! Sie mußten die Schmach ertragen, wie Sklaven behandelt zu werden, und jetzt wurden sie auch noch verhöhnt. Luiz stöhnte. Lieber wäre er von einer Schlange gebissen worden. Pablo war zum Heulen zumute. Er verfluchte die Seefahrt und Spanien und die Idee, sich mit diesen Korsaren anzulegen. Aber es nutzte alles nichts - sie mußten schuften, die ganze Nacht über. * Marco, der Mann aus Murcia, und Felipe, der Andalusier, hatten von all diesen Vorgängen, die die Nacht abwechslungsreich gestalteten, nicht das geringste mitbekommen. Sie hatten auch das Boot nicht gesehen, das zur „Trinidad“ glitt, dort eine Zeitlang verweilte und dann, von einem einzelnen Mann
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vorwärtsgepullt, ans Ufer der Bucht zurückkehrte. Nein, sie ahnten nichts - und sie waren zufrieden und guter Dinge. Die beiden Spanier hatten sich auf der Ostseite der Bucht auf die Landzunge gepirscht und am Strand unter Gebüsch zwei Grätings gelagert. Das war die vorbereitende Phase des Unternehmens gewesen. Der eigentliche Hauptteil, die Aktion, sollte später stattfinden. Nach Mitternacht wollten sie handeln – wie Luiz und Pablo. „Wir haben also noch Zeit“, hatte Marco gesagt. Dabei hatte er gegähnt. Erst jetzt wurde ihm richtig bewußt, daß er im Grunde hundemüde war. „Hau dich aufs Ohr“, hatte Felipe gesagt. „Ich wache solange. „ „Das ist nett von dir.“ „Bin ich nicht ein guter Genosse?“ „Ein prächtiger“, erwiderte Marco. „Und auf dich kann man sich verlassen. Zur Hölle mit Luiz und Pablo, diesen Idioten.“ „Ja, der Teufel soll sie holen“, sagte der Andalusier. Verrecke auch du, dachte Marco, dann streckte er sich im Gestrüpp aus und wälzte sich auf die rechte Körperseite. Kurz darauf war eingeschlafen. Felipe hockte da und grübelte herum. Wie nun, wenn er Marco das Messer zwischen die Rippen jagte, ihm seine Goldmünzen abnahm und damit verschwand? Einige Zeit konnte er sich damit über Wasser halten. Es kostete ihn keine Mühe, und er ging kein Risiko ein. Fast war Felipe schon versucht, seinen Dolch zu zücken, da sagte er sich doch, daß es besser sei, abzuwarten. Sie hatten ihren Coup nun schon mal vorbereitet, da sollten sie ihn auch durchführen. So kurz vor dem Ziel gab man nicht auf. Hin und wieder spähte Felipe zur „Trinidad“. Da tat sich nichts. Überhaupt nichts. Vielleicht schliefen die Wachen wirklich? Und wie sah es auf den anderen Schiffen aus? Nichts regte sich. Alles war still, nur das übliche Urwaldkonzert erfüllte die Nacht. Na also, dachte Felipe, alles bestens. Und von den Höhlen waren auch keine Schüsse
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zu hören, mit denen die Posten Luiz und Pablo empfingen. Na ja, dachte der Andalusier, vielleicht haben sie auch noch nicht zugeschlagen. Aber wenn sie abgeknallt werden, ist es für uns ganz gut. Dann sind die Ankerwachen abgelenkt. So überlegte er hin und her – und schließlich fielen auch ihm die Au gen zu. Er merkte nicht mehr, wie er hinsank und zu schnarchen begann. Es wurde bereits hell, als Marco endlich wieder die Augen aufschlug. Er mußte nachdenken - dann fiel ihm schlagartig alles wieder ein. Er fuhr hoch und fluchte. Der Andalusier schlief immer noch. Der junge Morgen kroch mit Schleiern ins Dickicht, über der Bucht breitete sich Frühnebel aus. „Hölle und Teufel!“ zischte Marco. „Dreck !“ Er kroch zu Felipe und versetzte ihm einen Stoß gegen die Schulter. Felipe zuckte hoch und hatte sofort seinen Dolch in der rechten Faust. „Was fällt dir ein?“ stieß er hervor. „Bist du verrückt?“ fuhr Marco ihn an. „Warum hast du mich nicht geweckt?“ „Na ja.“ Felipe steckte das Messer wieder weg und kratzte sich am Hinterkopf. „Muß wohl selbst eingepennt sein.“ „Und wir haben prompt die Zeit verschlafen.“ „So ein Mist.“ „Das kannst du laut sagen“, entgegnete Marco zornig. „Es wird schon hell.“ „Wird gegen sechs Uhr sein.“ „Wir können aufgeben.“ „Das würde ich nicht tun“, erwiderte Felipe nach einem Rundblick. „Sieh mal, der Nebel. Der ist für uns noch besser als die Dunkelheit. Mann, sieh mich nicht so an, alter Knochen. Tut mir leid, daß ich gepennt habe. Aber vielleicht ist es sogar gut, gewartet zu haben.“ „Du meinst - wir sollen es trotzdem versuchen?“ „Genau das“, erwiderte der Andalusier. „Wenn ich mich nicht täusche, schlafen die Ankerwachen jetzt so richtig tief und fest.“ „Was ist, wenn sie abgelöst werden?“ „Jetzt doch noch nicht.“
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„Da hast du recht“, murmelte der Mann aus Murcia. „Wenn sie abgelöst worden sind, dann um vier Uhr. Der nächste Wachwechsel ist um acht.“ „Dann los“, sagte der Andalusier aufgeräumt. „Auf was warten wir noch?“ Er war putzmunter. Der Schlaf hatte ihm gut getan. Er kroch durch das Gestrüpp, spähte noch einmal zur „Trinidad“ und nickte bestätigend. „Sehr gut“, raunte er seinem Kumpanen zu. „Die Gelegenheit ist so günstig wie nie zuvor.“ Marco war auch davon überzeugt. Er fühlte sich ebenfalls besser. Ja, es war gut gewesen, mal wieder richtig zu schlafen. Jetzt hatten sie frische Energien gesammelt. Es würde ein Kinderspiel sein, die vier Wachen der „Trinidad“ zu überwältigen. Selbst wenn sie wach wurden - sie würden völlig überrascht sein. Ehe sie sich wehren konnten, hatten sie die Messer im Leib. „Los!“ zischte Marco. Felipe und er packten die Grätings. Sie schoben sie ins Wasser, kletterten hinauf und paddelten los. Dies war der erste kritische Moment. Tauchte jetzt unerwartet ein Posten am Heck der Galeone auf, konnte er sie entdecken und seine Kameraden alarmieren. Sie schnappten sich Musketen und eröffneten das Feuer. Oder aber sie zündeten die Drehbassen. Zwei Treffer genügten, und von den Grätings blieb nicht viel übrig. Von Marco und Felipe auch nicht. Den Rest besorgten die Haie, die um diese Zeit wahrscheinlich auch putzmunter waren. Aber der. Nebel war dicht genug. Marco mußte Felipe insgeheim recht geben. Dieser dicke, breiige Frühnebel war noch besser als die Finsternis der Nacht. Man konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Ein ausgezeichneter Schutz, die beste Deckung, die man sich wünschen konnte. Marco hieß den Nebel als Verbündeten willkommen. Die Distanz, die die beiden Kerle mit ihren Grätings zu überbrücken hatten, betrug etwa eine halbe Kabellänge. Sie war jetzt
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schon auf die Hälfte zusammengeschrumpft. Die Nebelschwaden lichteten sich etwas. Marco und Felipe warfen sich einen Blick zu. Wenn sie jetzt entdeckt wurden, konnten sie ihr letztes Gebet sprechen. Oder sie konnten ihren letzten Fluch ausstoßen. Egal was -- sie waren wie auf einem Präsentierteller. Aber nichts geschah. Kein Mensch zeigte sich am Heck oder am Schanzkleid der „Trinidad“. Stille herrschte. Nur das Knarren des Tauwerks und der Rahen und das verhaltene Plätschern des Seewassers an den Bordwänden waren zu hören. Gut, gut, dachte Marco. Er begann jetzt bereits zu triumphieren. Felipe war noch skeptisch, aber auch in ihm nahm die Aussicht auf einen sicheren Sieg überhand. Er räumte seine letzten Zweifel aus. Die Gier nach dem Gold, das in den Frachträumen der „Trinidad“ lagerte, war übermächtig. Schließlich erreichten Felipe und Marco unbehelligt das Heck der Galeone. Vorsichtig legten sie mit den Grätings an. Sie vertäuten sie am Ruderblatt, schauten sich um und blickten nach oben. Nichts. Immer noch herrschte Totenstille, und kein Gegner zeigte sich. Marco nickte seinem Spießgesellen zu. Marco enterte als erster auf, gefolgt von dem anderen. Wie die Katzen kletterten sie nach oben. Sie gelangten an die Heckreling und schoben sich darüber. Bis jetzt hatten sie kein einziges verräterisches Geräusch verursacht. Geduckt verharrten sie. Wieder hielten sie Ausschau. Wo waren die Posten? „Nichts“, wisperte Felipe. „Hier ist keiner.“ „Das gibt's doch gar nicht“, raunte Marco. „Doch“, flüsterte der Andalusier. „Sie haben sich einfach pennen gelegt, die dummen Hunde.“ „Also sind sie nicht so gerissen, wie du angenommen hast.“ „Um so besser.“ Sie schlichen weiter und stiegen auf die Kuhl. Auch hier war kein Posten zu entdecken, nicht mal ein schlafender.
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Marco und Felipe waren sich einig. Es gab nur die eine Möglichkeit. Die vier Posten hatten eingesehen, daß sie nur ihre Zeit vertrödelten. Sie hatten sich ins Logis zurückgezogen und schnarchten in den Kojen. Somit hatten Marco und Felipe freie Bahn. Sie drangen ins Vordeck ein, stießen sich an und kicherten. Zeit fürs Frühstück! Sie drangen in die Kombüse ein, entdeckten ein paar Vorräte und fielen darüber her. Sie setzten sich sogar hin, entkorkten eine Flasche Rotwein und nahmen erst einmal tüchtig einen zur Brust. „Ist das nicht herrlich?“ sagte Marco. „Wenn wir ein paar mehr Kerle wären, könnten wir mit der ‚Trinidad' abhauen, so sie keine Schäden hätte.“ „Luiz und Pablo, die blöden Säcke, haben ja nicht mitkommen wollen“, brummte Felipe. Er stopfte ein Stück Schiffszwieback und Dauerwurst zwischen die Zähne, kaute darauf herum und spülte mit einem tüchtigen Schluck Rotwein nach. Das tat gut. Der Rotwein steigerte rasch auch den Mut der beiden Spanier. „Wir entführen den Kahn“, sagte Marco, ohne jetzt noch an die Beschädigungen zu denken. „Quatsch“, erwiderte Felipe. „Zu zweit können wir ihn nicht steuern. Aber wir packen jede Menge Gold auf die Grätings. Bis sie halb absaufen. Oder wir fahren ein paarmal hin und her. Uns stört ja keiner. Was?“ Marco kicherte. „Klar. Das ist 'ne gute Idee. Wir fahren gleich ein paar Touren.“ „Ich habe ab und zu auch mal gute Ideen, alter Knochen.“ „Und ob!“ Marco trank einen Schluck, dann hieb er seinem Begleiter auf die Schulter. „Wir beiden, wir stellen ganz hübsch was auf die Beine, wie?“ „Und wir sind nicht so blöd wie Luiz und Pablo.“ „Richtig. Was aus denen wohl geworden ist?“ „Ist mir doch egal.“ „Ich sage, die Korsaren haben sie geschnappt.“
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„Und sie haben ihnen die Kehlen durchgeschnitten.“ „Geschieht ihnen recht.“ Sie schwiegen wieder und widmeten sich ihrer Mahlzeit. Tatsächlich wurden sie auch jetzt nicht gestört. Das Schiff schien leer zu sein. Ein Geisterschiff. War denn das überhaupt zu fassen? „So“, sagte Marco, als sie alles verzehrt und die Flasche geleert hatten. „Jetzt gehen wir ins Logis und murksen erst mal die Hundesöhne ab.“ Sie verließen die Kombüse, pirschten zum Logis und schauten hinein. Aber auch hier war niemand. Verblüfft blickten sie sich an. Was war los? Hatten die Wachen die Galeone verlassen? „Vielleicht pennen sie woanders!“ zischte Felipe. „Wir müssen sie finden!“ „Nicht nötig“, brummte Marco. „Wir verlieren nur Zeit. Es wird immer heller, und der Nebel verzieht sich bald. Lassen wir die Bastarde schlafen. Wer schläft, sündigt nicht.“ E r kicherte wieder. Der Andalusier willigte ein. Nun suchten sie den Laderaum der „Trinidad“ auf. Das Schott war zwar verriegelt, aber der Andalusier mit seinen geschickten Fingern hatte keine Schwierigkeiten, es zu öffnen. Marco und Felipe drangen ins Innere des Laderaums ein. Sie stießen sich an. Im Halbdunkel betrachteten sie gierig und staunend die Kisten und Truhen. Dann schritten sie zur Tat. Sie öffneten die erste Kiste. „Barrengold“, sagte Marco. „Das Richtige für uns.“ „Auf geht's“, sagte Felipe. Sie beluden sich mit den ersten Barren und trugen sie nach oben, auf die Kuhl. Felipe eilte nach achtern, sobald er seine Barren abgeladen hatte. Er zog die Grätings an Steuerbord entlang bis zur Mitte vor. Marco verschwand bereits wieder nach unten. Er eilte wieder in den Frachtraum und holte neue Barren. Schufte du nur, dachte Felipe. Nachher, wenn wir an Land sind, kriegst du dein Fett. Plötzlich wurden seine Überlegungen blitzartig unterbrochen - im wahrsten Sinne
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des Wortes. Ein Blitz schien ihn zu treffen. Es krachte und donnerte, und Felipe hatte nicht einmal mehr die Zeit, nach seinem scharf gewetzten Dolch zu greifen. Keine Chance, sich zur Wehr zu setzen - alles erfolgte viel zu überraschend. Stenmark war wie ein Geist neben Felipe aufgetaucht. Natürlich beobachteten Dan, Gary, Sten und Higgy die beiden Spanier bereits, seit sie sich mit den Grätings genähert hatten. Sie hatten sie im Nebel heranpaddeln sehen. Dann hatten sich die vier Arwenacks an Deck der Galeone versteckt - so gut, daß Marco und Felipe sie nicht entdeckt hatten. Der Schwarzhaarige, so hatten die Seewölfe richtig gefolgert, mußte der Andalusier sein. Da er flink mit dem Messer war, war es ratsam, ihn als ersten „abzuräumen“. Das tat der Schwede. Bretthart schlug er mit seiner großen Faust zu. Felipe sank ächzend zusammen. Stenmark grinste, fing ihn auf und schleppte ihn weg. Plötzlich war auch Higgy zur Stelle. Er packte Felipes Beine. Sie trugen den Kerl in die Kombüse. „So, jetzt schnappen wir uns auch den anderen“, sagte Stenmark. „Laß Dan den Vortritt“, sagte Higgy. „Na, meinetwegen“, erwiderte Stenmark grinsend. „Die Dons sind ja für alle da.“ Marco, der Mann aus Murcia, hörte nichts von alledem. Während er wieder den Laderaum betrat und sich mit neuen Goldbarren bepackte, ahnte er nicht, was ihm blühte. Er war jetzt vollends überzeugt, das Unternehmen erfolgreich zum Abschluß zu bringen. * Marco schleppte die Barren nach oben. Auf der Kuhl blieb er stehen und hielt nach Felipe Ausschau. Wo steckte der Andalusier? Kein Felipe. Er schien verschwunden zu sein. Was hatte das zu bedeuten? Marco ließ die Barren sinken und suchte nach seinem Komplicen. Rufen konnte er ihn ja
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nicht. Er mußte damit rechnen, daß die schlafenden Posten dann doch aufwachten. Die „schlafenden Posten“ lagen in ihrer Deckung und grinsten sich eins. Marco war besorgt, das war ihm anzusehen. Er konnte sich nicht erklären, wo Felipe steckte. Hätte er einen Blick in die Kombüse geworfen, dann hätte er ihn entdeckt. Dort lag der Andalusier auf den Planken und streckte alle viere von sich. Hölle, dachte Marco, was soll das? Er fühlte sich richtig vereinsamt. Was war los? Spielte der Andalusier ihm etwa einen dämlichen Streich? Zum Teufel, es war weder der Zeitpunkt noch die Gelegenheit, sich so etwas zu erlauben. Hatte Felipe den Verstand verloren? Oder - kochte er gar sein eigenes Süppchen? Marco trieb sich zur Eile an. Er warf einen Blick über das Schanzkleid außenbords. Die Grätings - wo waren sie? Auch verschwunden. Der Frühnebel lichtete sich, alles war deutlicher zu erkennen. Marco stürzte nach achtern und stieg aufs Achterdeck. Wieder lehnte er sich über das Schanzkleid und starrte in die Tiefe. Nichts. Die Grätings waren weg. Felipe, du Schwein, dachte der Mann aus Murcia erbost. Das hast du mir angetan! Kein Zweifel: Der Bastard war schon mal getürmt. Heimlich natürlich. Und mit Beute, das war auch sicher. „Du Drecksack“, flüsterte Marco. „Du gemeiner Hund.“ Er lief auf und ab und war jetzt schier aus dem Häuschen. Was sollte er tun? Ein Boot abfieren? Das konnte er allein nicht schaffen. Und wo waren die Boote der „Trinidad“? Mit dem einen war Machado abgehauen. Die anderen waren auch weg. Ja, natürlich - am Ufer! Marco drehte durch. Er konnte sich nur noch schwimmend von der „Trinidad“ absetzen. Ohne Gold. Er konnte schwimmend nicht einen einzigen Barren mitnehmen. Und die Haie - sie würden ihn im Wasser packen! Marco stöhnte auf. Felipe hatte ihn hereingelegt! Plötzlich war ein Schatten hinter Marco. Marco fuhr herum. Ein blonder, schlanker
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Mann stand ihm gegenüber und grinste ihn an. „Guten Morgen“, sagte Dan O'Flynn auf Spanisch. „Wie geht's denn so? War das Frühstück gut?“ Marco glaubte, seinen Augen und Ohren nicht zu trauen. Das war einer der Posten also doch! Und er konnte Spanisch? „Tut mir leid“, sagte Dan. „Aber wir müssen dich festnehmen, Senor Marco.“ Wie? Er kannte auch seinen Namen? Marco heulte auf und zückte sein Messer. Er stieß einen Wutschrei aus und wollte sich auf Dan stürzen. Stenmark, Gary Andrews und Higgy standen schon bereit, um Dan zu helfen. Aber Dan erledigte die „Angelegenheit“ selbst - souverän und selbstsicher. Marco war viel zu überrascht und entsetzt. Er stach wild zu, er war außer sich vor Wut und Verzweiflung. Er sah gar nicht richtig, wie Dans Fuß hochzuckte. Das Messer stieß vor, sollte Dans Brust treffen. Aber es erreichte das Ziel nicht. Dans Fuß traf Marcos Messerhand. Marcos Arm zuckte hoch. Seine Hand war wie gelähmt, er stöhnte auf. Das Messer entglitt seinen Fingern. Im hohen Bogen flog es außenbords und landete im Wasser. Verdutzt blickte Marco auf seine Hand. „So“, sagte Dan. „Und jetzt sollten wir's mit den Fäusten austragen.“ Marco duckte sich und traf Anstalten, sich auf Dan zu werfen. Doch der war schneller. Ehe der Spanier richtig zulangte, schlug Dan zu. Bei Felipe war es ein Blitz gewesen, bei Marco waren es gleich mehrere. Ein richtiger Gewitterhagel. Unter den hämmernden Hieben, die seine Brust und sein Kinn trafen, sank Marco zusammen. Er gab noch eine Art Seufzer von sich, dann streckte er die Arme und die Beine auf den Planken von sich. Sterne tanzten vor seinen Augen, und sämtliche Vögel des Urwaldes schienen ihm ein Liedchen zu zwitschern. Schließlich schwanden ihm die Sinne, und erlösende Finsternis breitete sich in seinem Geist aus. Dan schlug seine Hände aneinander, als müsse er sie von Staub befreien. „Das war's“, sagte er.
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„Und was machen wir mit den Kerlen?“ fragte Higgy. „Also, wir lassen sie nicht hier rumliegen“, sagte Stenmark lachend. „Das ist ganz klar.“ „Wir haben Verwendung für sie“, erwiderte Dan. „Oben, bei den Höhlen. Carberry wird sie schon drillen - wie die beiden anderen.“ „Und du meinst, sie schuften bereitwillig mit?“ fragte Gary.
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„Sie müssen“, erwiderte Dan. „Ed verspeist sie sonst mit Haut und Haaren.“ Die Männer lachten schallend. Ein neuer Tag war angebrochen, der 27. Mai 1595. Was würde dieser Tag noch an Überraschungen und Neuigkeiten bringen, vor allem auch in Havanna, wo Hasard und Roger Lutz inzwischen eingetroffen sein mußten?
ENDE